System und Systemkritik: Hegels Metaphysik absoluter Negativität und Jacobis Sprung 9783110554328, 9783110552713

Does Jacobi’s unphilosophical criticism of the system apply to Hegel’s metaphysics of absolute negativity? Hegel’s syste

153 26 2MB

German Pages 346 Year 2017

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

System und Systemkritik: Hegels Metaphysik absoluter Negativität und Jacobis Sprung
 9783110554328, 9783110552713

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Siglen
Einleitung
1 Die Exposition der Fragestellung
2 Der unendliche Begriff
3 Die absolute Subjektivität
4 Figuren der Andersheit
5 Zwischenbilanz
6 Die veränderte Ansicht des Logischen
7 Individualität im Kontext
8 Spielarten des Geistes
Literatur
Sachregister

Citation preview

Daniel Althof System und Systemkritik

Hegel-Jahrbuch Sonderband

Herausgegeben von Andreas Arndt, Brady Bowman, Myriam Gerhard und Jure Zovko

Band 11

Daniel Althof

System und Systemkritik Hegels Metaphysik absoluter Negativität und Jacobis Sprung

ISBN 978-3-11-055271-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-055432-8 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-055283-6 ISSN 2199-8167 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliographic information published by the Deutsche Nationalbibliothek The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available on the Internet at http://dnb.dnb.de. © 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Printing and binding: CPI books GmbH, Leck ♾ Printed on acid-free paper Printed in Germany www.degruyter.com

Jetzt, ich sehe es im vollen Bewusstsein meiner Ohnmacht, wäre der Augenblick da, alles zu sagen, die Wahrheit zu sagen. Aber was ist dieses mein Alles! So wie ich es zu erklären versuche, bleibt nichts mehr übrig. Hätte ich es sonst nicht längst erklärt, dieses mein Alles, diese meine Erfahrung –? Max Frisch: Stiller

Vorwort Die Vorliegende Studie ist die leicht überarbeitete und ergänzte Fassung meiner Dissertation, die 2014 an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen wurde. Mein Dank gilt als erstes meinem Betreuer Prof. Dr. Anton Friedrich Koch und dem Zweitgutachter Prof. Dr. Andreas Arndt für die Unterstützung, die sie mir über die Jahre haben zukommen lassen. Mein Dank gilt auch Prof. Dr. Birgit Sandkaulen, die dieses Projekt angestoßen hat. Alle waren Vorbild und Inspiration, ohne die ein solches Projekt nicht gelingen kann. Für die großzügige Unterstützung danke ich zudem der Konrad Adenauer Stiftung, die es mir mit einem Stipendium überhaupt ermöglicht hat, an diesem Projekt in Deutschland und in den USA so frei zu forschen. Den vielen Mitwirkenden bin ich in Dankbarkeit verbunden. Ohne sie hätte die Arbeit nicht fertig gestellt werden können. Für die wertvolle freundschaftliche und tatkräftige Unterstützung schon während meines Studiums und auch während der Promotionszeit möchte ich mich bei Silvia Tiedtke, Norman Jacob, Katja Stuckatz, Marko Fuchs, Karsten Kenklies und Oliver Koch sowie bei Nora Götze, Verena Kammandel, Sascha Pahl, Marisa Przyrembel, Anja und Lars Vogel bedanken. Für eine wunderbare Zeit in San Diego sage ich auch Danke an Peter Yong, James Messina, Kimberley Brewer, Tim Jankowiak und besonders Prof. Dr. Eric Watkins, der mich am Department of Philosophy der UC San Diego so freundlich aufgenommen hat. Die von vielen so bereitwillig investierte Zeit ist keineswegs selbstverständlich. Jedem einzelnen, der durch Diskussion, Kritik und Korrektur oder Ermunterung und Ablenkung zum bestmöglichen Gelingen der Arbeit beigetragen hat, bin ich sehr verbunden. Nur im Dialog kann solch ein Projekt wachsen. Auch meinen Eltern danke ich für ihre Geduld und vielfältige Unterstützung, die weit über die Arbeit hinausreicht.Vor allem jedoch gilt mein Dank meiner Frau Nadine. Ohne sie würde die Arbeit nicht das sein, was sie ist. Und auch ich wäre nicht der, der ich mit ihr bin.

DOI 10.1515/9783110554328-001

Inhalt Siglen Einleitung

XI 1

 Die Exposition der Fragestellung 11 . Jacobis Spinoza/Antispinoza 11 . Hegels Verhältnis zu Jacobi 43 . Hegels Spinoza-Kritik vor dem Hintergrund Jacobis 70 . Hegels Jacobi-Kritik: Das unmittelbare Wissen . Ausblick 77

58

80  Der unendliche Begriff . Das spekulative Projekt 80 . Das Denken des Denkens: Immanenz (1) und Kohärenz (2) 91 . Wahrheit und Richtigkeit (3) . Dialektik, Spekulation und Negation (4) 94 . Negation der Negation (5) 97  Die absolute Subjektivität 104 . Absolute Negativität 104 . Absolute Negativität als Überbietung Jacobis 130  Figuren der Andersheit . Vorverständigung 130 . Formbestimmtheit 131 . Stabile Andersheit: Seinslogik . Stabile Andersheit: Wesenslogik . Stabile Andersheit: Begriffslogik 

Zwischenbilanz

122

137 143 148

156

163  Die veränderte Ansicht des Logischen . Jacobis neue Ansicht des Logischen 163 . Die Dialektik der Unphilosophie 166 . Der Moduswechsel zur Erfahrung. Zwischen Freiheit und Notwendigkeit 180

88

X

. . . .

Inhalt

Die Performanz der Person. Zwischen Unbegreiflichkeit und 186 Einsicht Die Gewissheit der Freiheit und der Person. Zwischen Glauben und Wissen 196 Vernunft und Person 202 212 Die Wer-Identität

 Individualität im Kontext 221 . Vorverständigung 221 . Das Verhältnis von Logik und Realphilosophie 224 232 . Kriterien des Geistes . Der Subjektive Geist 236 . Der objektive Geist – Das Abstrakte Recht 249 255 . Der objektive Geist – Die Moralität . Der objektive Geist – Die Sittlichkeit 260 . Verwirklichung der Freiheit – Zeit und Geschichte 264 273 . Kriterien des Geistes  Spielarten des Geistes 275 . Rückblick 275 276 . Figuren des Geistes . Leben 288 . Freiheit 293 299 . Die Person . Modi der Erkenntnis 304 . Letztes Wort 315 Literatur Sachregister

317 331

Siglen AF DH DIFF E E1S E2S E3S EDH FSS GD GR GRS

GW JR PG SB SYS1

VorGPS VorPG VorPGS VSB W WL1 WL2 WL12 WMB

Jacobi, F. H.: An Fichte [Meiner/frommann-holzbog]. Jacobi, F. H.: David Hume über den Glauben oder Idealismus und Realismus. Ein Gespräch (1787) [Meiner/frommann-holzbog]. Hegel, G. W. F.: Differenz des Fischte’schen und Schelling’schen Systems der Philosophie [Meiner]. Hegel, G. W. F.: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830) [Meiner]. Hegel, G. W. F.: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830). Erster Teil. Die Wissenschaft der Logik. Mit den mündlichen Zusätzen [Suhrkamp]. Hegel, G. W. F.: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830). Zweiter Teil. Die Naturphilosophie. Mit den mündlichen Zusätzen [Suhrkamp]. Hegel, G. W. F.: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830). Dritter Teil. Die Philosophie des Geistes. Mit den mündlichen Zusätzen [Suhrkamp]. Jacobi, F. H.: Einleitung in des Verfassers sämmtliche philosophische Schriften (1815) [Meiner/frommann-holzbog]. Hegel, G. W. F.: Frühe Schriften [Suhrkamp]. Jacobi, F. H.: Von den Göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung (1811) [Meiner/frommannholzbog]. Hegel, G. W. F.: Grundlinien der Philosophie des Rechts [Meiner]. Hegel, G. W. F.: Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse. Mit Hegels eigenhändigen Notizen und den mündlichen Zusätzen [Suhrkamp]. Hegel, G. W. F.: Glauben und Wissen [Meiner]. Hegel, G. W. F.: Jacobi-Rezension [Meiner]. Hegel, G. W. F.: Phänomenologie des Geistes [Meiner]. Jacobi, F. H.: Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn (2. erw. Aufl. 1789) [Meiner/frommann-holzbog]. Hegel, G. W. F.: Jenaer Systementwürfe I – Das System der spekulativen Philosophie. Fragmente aus Vorlesungsmanuskripten zur Philosophie der Natur und des Geistes [Meiner]. Hegel, G. W. F.: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie [Suhrkamp]. Hegel, G. W. F.: Vorlesungen über die Philosophie des Geistes [Meiner]. Hegel, G. W. F.: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte [Suhrkamp]. Jacobi, F. H.: Vorbericht zu Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn (3. erw. Aufl. 1819) [Meiner/frommann-holzbog]. Jacobi, F. H.: Woldemar [Meiner/frommann-holzbog]. Hegel, G. W. F.: Wissenschaft der Logik. Erster Band. Die objective Logik (1812) [Meiner]. Hegel, G. W. F.: Wissenschaft der Logik. Zweiter Band. Die subjektive Logik (1816) [Meiner]. Hegel, G. W. F.: Wissenschaft der Logik. Erster Teil. Die objektive Logik. Erster Band. Die Lehre vom Sein (1832) [Meiner]. Jacobi, F. H.: Wider Mendelssohns Beschuldigungen, betreffend die Briefe über die Lehre des Spinoza (1786) [Meiner/frommann-holzbog].

DOI 10.1515/9783110554328-002

XII

ZE

Siglen

Jacobi, F. H.: Zufällige Ergießungen eines einsamen Denkers in Briefen an vertraute Freunde [Meiner/frommann-holzbog].

Einleitung Der Problemkomplex Systemkritik bezieht sich auf ein System, zu dem sie sich negativ in Beziehung setzt. Nur aus diesem konstitutiven Bezug ist sie verständlich. System, wie es im Ausgang von Spinoza bei den nachkantischen Idealisten verstanden wurde, ist dabei nicht allein durch einen systematischen Zusammenhang gekennzeichnet, sondern meint darüber hinaus ein systemisches Erschließen von Wirklichkeit. Der entscheidende Unterschied ist darin zu suchen, dass im systemischen Denken die voraussetzungs- und lückenlose Begründung zum Prinzip der Selbst- und Weltverständigung erhoben wird und daher Wirklichkeit nicht allein systematisch-ordnend, sondern systemisch-begründend in transparenten Einzelschritten als monistisches Ganzes erschlossen werden muss.¹ Für eine kritische Auseinandersetzung mit dem systematisch-systemischen Denken liegt die Grundschwierigkeit darin, im Angesicht dieses umfassenden Anspruches überhaupt eine Kritik am Systemanspruch selbst adäquat formulieren zu können. Ein so verstandenes System lässt ein nachvollziehbares und eo ipso begründbares Außerhalb, von dem aus eine Kritik zu formulieren wäre, gar nicht mehr zu. Denn Systemkritik bewegt sich ihrerseits durch den Anspruch auf ihre Nachvollziehbarkeit und Stichhaltigkeit immer schon im Bann des Systems, das Inbegriff, Grund und Verwirklichung von Nachvollziehbarkeit und Stichhaltigkeit überhaupt ist.² Nur um den Preis der argumentativen Schärfe in unmittelbarer Nähe zur

 Man kann so sagen: Mit dem System fängt die Philosophie überhaupt an, denn Ordnung und Zusammenhang der Welt, der Teile in einem Ganzen, werden nicht gesucht in einer bloß zufälligen Zusammenstellung in einem Aggregat, sondern in einem System, das die Zusammenhänge erklärbar macht und die Teile in ein Ganzes einordnet (vgl. Krijnen [2006]: Philosophie als System, 11). – Einschlägige Aufsätze zu diesem Themenkomplex mit dem Fokus auf den Debatten um die Entstehung der klassischen deutschen Philosophie enthält der Sammelband Stolzenberg u. Danz (Hgg.) [2011]: System und Systemkritik um 1800.  B. Sandkaulen weist ausführlich auf diese Verwicklung hin: „Alles andere als trivial, so zeigt sich noch einmal, verhält es sich mit der Logik der Systemkritik sichtlich intrikat: indem sie nur in der gleichzeitigen Affirmation der gegnerischen Seite ihren Anhaltspunkt gewinnt und diese Folie ihrer kritischen Anstrengung dabei auch nicht nur einmal voraussetzen, sondern im Vollzug der Kritik jederzeit vergegenwärtigen muß, liefert sie sich offenbar in einer Art Wahlverwandtschaft den Vorgaben des kritisierten Systems aus, um unablässig zu bekräftigen, wovon sie sich eigentlich abstoßen will. In der Tat: der Einwand, das kritisierte System nicht so sehr überwunden als vielmehr spiegelbildlich reproduziert zu haben, begleitet alle Systemkritik wie ein wandelnder Schatten.“ (Sandkaulen [2006]: System und Systemkritik, 14) DOI 10.1515/9783110554328-003

2

Einleitung

Sinnlosigkeit scheint sich Systemkritik überhaupt artikulieren zu können, um damit zugleich sich selbst als in sich schlüssige Kritik unmöglich zu machen. In diesem Kontext stellt sich die Frage, was Kritik am System überhaupt sein kann. Wie wird sie artikulierbar? Wie kann sie dem Verdacht der Sinnlosigkeit entgehen? Jacobis Philosophie ist dezidiert als ein Versuch zu verstehen, eine Antwort auf diese grundlegenden Fragen zu geben. Im Folgenden soll diese Antwort vor dem Hintergrund des Systementwurfes Hegels eingehend untersucht werden. Jacobis und Hegels Denken treten dabei als konsequente Ansätze auf, die sich diametral gegenüberstehen und zugleich aufs Engste durchdringen. Eine intrikate Konstellation wird hier in den Blick genommen: In dem Maße, wie die Philosophie als begründetes und begründendes Wissen per se in die systematischsystemische Letztbegründung führt, die Hegels System am elaboriertesten umsetzt, ist die Systemkritik Jacobis entsprechend keine Philosophie mehr. Insofern die Systemkritik überhaupt den Rahmen der Letztbegründung verlassen muss, nennt Jacobi dieses Unternehmen dann konsequent Unphilosophie.³ Weil das Verlassen dieses Rahmens nicht auf der Basis von Gründen geschehen kann, ist die Unphilosophie Jacobis zudem inhärent mit der Figur des Sprunges verbunden, der dementsprechend eine zentrale Rolle zukommen muss. Jacobi führt seine Systemkritik zuerst an Spinoza durch. Spinozas Substanzmetaphysik ist die erste Manifestation des Anspruches konsequent rationaler Philosophie. Über die Herausforderungen eines solchen Vorhabens sehr wohl im Klaren, formuliert Jacobi eine fundamentale Kritik an Spinoza und damit am Systemdenken selbst in seinem fulminanten Buch Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn. Doch damit ist die Kontroverse zwischen dem systematisch-systemischen Denken und seiner Kritik nicht beendet. Im Gegenteil gehen von ihr entscheidende Impulse auf die Debatten der klassischen deutschen Philosophie aus – ja begründen sie überhaupt erst.⁴ Denn Jacobis Systemkritik, die er als „meinen Spinoza und Antispinoza“⁵ (VSB, 274) entwickelt, erweckt den „todten Hunde“ Spinoza (SB, 27) philosophisch zum Leben und macht das systematisch-systemische Denken des Absoluten überhaupt

 Was das ‚Un-‘ genau zu bedeuten hat, wird im Verlaufe dieser Untersuchung noch einmal explizit aufgegriffen werden. Inwiefern die Unphilosophie keine Philosophie mehr ist und dennoch Philosophie sein muss, soll auch diskutiert werden.  Das heißt natürlich auch, dass weitere Bezüge im Spiel und auch essentiell sind. Nur kommt Spinoza eine herausgehobene Stellung zu, insofern er in Form seiner Substanzmetaphysik einen Typ von Systemdenken vertreten hat, der für diese ‚Epoche des Absoluten‘ grundlegend zu nennen ist. Ohne Jacobi wäre die fortgesetzte Auseinandersetzung mit Spinoza jedoch undenkbar.  Im Folgenden wird Jacobis Systemkritik aufgrund ihrer noch zu ergründenden Eigenheit als ‚Spinoza/Antispinoza‘ bezeichnet.

Einleitung

3

zum dominierenden Paradigma. Die Verwicklungen sind historisch interessant und systematisch als äußerst brisant zu nennen.⁶ Rein ideengeschichtlich ist es durchaus kurios, dass gerade die fundamentale Systemkritik Jacobis nicht nur die Substanzmetaphysik Spinozas, sondern im gleichen Zuge das systematisch-systemische Denken überhaupt wieder salonfähig gemacht hat.⁷ Systematisch ist dies von Belang, weil dies nicht etwa die Irrelevanz und Abwegigkeit der Kritik Jacobis anzeigen würde, um ihm allein eine missglückte Vermittlerrolle im Gang der Geschichte zuzuweisen. Die nachkantischen Idealisten nehmen im Gegenteil die Systemkritik Jacobis sehr ernst, selbst wenn ihre Resultate der Auseinandersetzung mit Spinoza nicht in Deckung mit denjenigen Jacobis zu bringen sind. So nimmt Hegel, vermittelt durch Jacobi, eine kritische Haltung gegenüber Spinozas Substanzmetaphysik ein. Während Jacobi jedoch die Konsequenz von Spinozas System bewundert und diese zum Ansatzpunkt seiner Kritik macht, beklagt Hegel insbesondere die Inkonsequenz desselben Systems und lässt darin seine Kritik ansetzen. Die Wege sind damit vorgezeichnet: Jacobi verweigert sich überhaupt der systematisch-systemischen Begründungsmetaphysik und wählt dazu in Anbetracht der scheinbar ausweglosen Lage der Systemkritik den sogenannten Salto mortale, um aus dem Rahmen der Begründungsmetaphysik gänzlich herauszuspringen. Sehr genau um „die Unüberwindlichkeit des Spinozismus von Seiten des logischen Verstandesgebrauches“ wissend (VSB, 347), versucht er in seiner sogenannten Unphilosophie eine grundsätzliche Kritik und Alternative zum System auszuweisen und zu etablieren. Hegel dagegen will das Begründungsparadigma überhaupt erst zur Vollendung führen – nicht jedoch, ohne Jacobis prinzipielle Einwände für sein eigenes Unternehmen (zumindest im späten System der Phänomenologie des Geistes, der Wissenschaft der Logik und der Enzyklopädie) sehr genau zu erwägen und auch zu berücksichtigen.⁸ Jacobis Sprungdynamik und Hegels Aufhebungsoperation stehen damit zentral im Fokus dieser Untersuchung.

 Die Rolle Jacobis wurde lange Zeit unterschätzt. S. Kahlefeld schreibt im Jahr 2000, dass G. Höhn 1970 in seinem Bericht über eine Jacobi-Tagung in Düsseldorf zu einem neuen Jacobi-Bild gelangt sei, die Jacobi-Renaissance jedoch ausblieb (vgl. Kahlefeld [2000]: Dialektik und Sprung, 20). Erst in jüngerer Zeit widmet sich die Forschung verstärkt Jacobi und seiner Rolle für die Entwicklung der klassischen deutschen Philosophie. Zentral ist hier die Studie von Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache zu nennen.  H. Timm spricht auch von einer „rätselhaft großen positiven Fehlwirkung“ Jacobis. (Timm [1974]: Gott und die Freiheit, 137)  Die Auseinandersetzung mit Jacobi ist für Hegel lange Zeit von Polemik geprägt, die keine ernsthafte und wohlwollende Rezeption der Systemkritik Jacobis vermuten lässt. Wie jedoch ausgeführt werden wird, ändert sich Hegels Standpunkt in dieser Sache beträchtlich.

4

Einleitung

Dass der Systementwurf Spinozas für Hegel – vermittelt über die grundsätzliche Systemkritik Jacobis – die Hintergrundfolie seines eigenen Systementwurfs darstellt, soll als Ansatzpunkt dienen, um die Systemkritik Jacobis sowie den Systementwurf Hegels aufeinander zu beziehen. Aus systematischer Perspektive zieht sich demgemäß die erörterte Paradoxie der Systemkritik als roter Faden durch diese Arbeit, insofern sich die Frage aufdrängt, welcher Strategie sich Jacobi tatsächlich für seine Systemkritik bedient, die einerseits hinsichtlich ihrer Einwände Eindruck bei den Idealisten gemacht hat, aber andererseits ihre Durchführung betreffend auf Ablehnung gestoßen ist. Die große Frage im Hintergrund ist zudem die, ob Jacobis Systemkritik ebenso auf das modifizierte System Hegels zutrifft oder ob Hegel umgekehrt vermittels seiner Modifikation der Substanzmetaphysik Spinozas die Systemkritik Jacobis als gegenstandslos ausweisen kann. Denn vor dem Hintergrund der Verschränkung von System und Systemkritik ist der Anspruch Hegels nicht alleine der, Spinozas System in seiner Inkonsequenz zu entlarven und in seinem eigenen System zu überbieten; Hegel möchte im gleichen Zuge Jacobis Systemkritik in ihrer Durchführung als unhaltbar und in ihrer systemkritischen Stoßrichtung als überflüssig ausweisen.⁹ Jacobis Verdienst wäre so gesehen darin begründet, auf die Unzulänglichkeiten der Substanzmetaphysik hingewiesen zu haben, die aber nicht in deren Konsequenz, sondern in deren Inkonsequenz begründet liegen – und somit aufgehoben werden können. Dieser Anspruch Hegels muss kritisch hinterfragt werden. Es stehen hierbei nichts Geringeres auf dem Spiel als die Möglichkeit und die Sinnhaftigkeit der Systemkritik. Über sie kann nur entschieden werden, wenn über die Problematik des systematisch-systemischen Denkens Klarheit herrscht, die Strategie der Systemkritik Jacobis vor Augen steht und in diesem Lichte der Systementwurf Hegels Konturen gewinnt. Daher gilt es zunächst, sich von der Grundkonstellation der Systemkritik Jacobis einen ersten Eindruck zu verschaffen. Hegels System wird sodann als eine Reaktion darauf präsentiert. Dieser Ansatz ermöglicht es, das System Spinozas, Jacobis Kritik daran und Hegels Modifikation als rein ideengeschichtlich verwobenes, aber auch systematisch aufs Engste verknüpftes Geflecht zu rekonstruieren, das einen scharfen Blick auf die wesentlichen Strukturen und Motive erlaubt. Entscheidend dabei ist jedoch, dass Hegels elaboriertes System, das er selbst als eine Aufhebung des Substanzmonismus Spinozas und der Systemkritik Jacobis versteht, die Unphilosophie nicht obsolet werden lässt, sondern deren Kern aufs Schärfste zum Vorschein bringt.

 Im eben zitierten Aufsatz sagt H. Timm: „Fichte, Schelling und Hegel haben philosophiert in dem Bewußtsein, die Jacobische Kritik aufgenommen und positiv überwunden zu haben.“ (Timm [1971]: Die Bedeutung der Spinozabriefe, 36)

Einleitung

5

Eine solche Debatte um System und Systemkritik nicht an Jacobi und Spinoza, nicht an Jacobi und Fichte, sondern an Jacobi und – um die Systemkritik mit dem ‚ausgewachsenen‘ System zu konfrontieren – dem späten Hegel durchzuspielen, ist eine mögliche, wenn nicht sogar eine in Anbetracht der Rolle Hegels in der klassischen deutschen Philosophie unumgängliche Aufgabe. Es gibt bei diesem Vorhaben zunächst aber ein formales Bedenken. Die Einwände Jacobis beeinflussen zwar in der nachfolgenden und von ihm ausgelösten Debatte generell die sich gegenseitig überbietenden Systementwürfe. Insbesondere Fichte sucht die Übereinstimmung mit Jacobi. Jacobis Spinoza-Kritik findet expliziten und von der Forschung aufmerksam wahrgenommenen Eingang in die frühen Wissenschaftslehren und popularphilosophischen Publikationen Fichtes.¹⁰ Auch zwischen Jacobi und Schelling entwickelt sich eine von beiden Seiten energisch geführte Kontroverse.¹¹ Aber im Falle Hegels liegen die Dinge anders. Obwohl eine solche Auseinandersetzung mit Jacobi gleichsam unter der Oberfläche seiner Texte kontinuierlich präsent ist und den Hintergrund für systematische Grundentscheidungen darstellt, ist diese Auseinandersetzung weniger explizit. Jacobi selbst äußert sich lediglich in (privaten) Briefen über Hegel, ohne allerdings mit seinen prinzipiellen Einwänden gegen das systematisch-systemische Denken auf Hegels reifes System eingehen zu können. Denn Jacobi ist bei der Veröffentlichung der Wissenschaft der Logik eigenen Aussagen zufolge inzwischen zu alt und besitzt nicht mehr die geistigen Kräfte dazu, seine Kritik am modifizierten System Hegels erneut zu bewähren.¹² Dies tut der systematischen Relevanz der Frage nach System und Systemkritik bezogen auf das Verhältnis zwischen Jacobi und (dem reifen) Hegel jedoch keinen Abbruch. Vielmehr drängt sich die Frage nach der Triftigkeit der unphilosophischen Einwände Jacobis regelrecht auf, nachdem

 Dazu gehören die von W. Jaeschke herausgegebenen philosophisch-literarischen Streitsachen, insbesondere Band 2 (vgl. Jaeschke (Hg.) [1993]: Der Streit um die Gestalt einer Ersten Philosophie). Auch der Band 14 der Fichte-Studien ist hier zu nennen (vgl. Hammacher (Hg.) [Fichte-Studien Bd. 14 (1998)]). B. Sandkaulen widmet sich der Aufarbeitung der (Un‐)Philosophie Jacobis und der damit zusammenhängenden Verwicklungen für die klassische deutsche Philosophie. Im Zusammenhang mit Fichte sei genannt: Sandkaulen [2006]: Spinoza zur Einführung, Sandkaulen [2007]: Das ‚leidige Ding an sich‘, Sandkaulen [2011]: Ichheit und Person.  In seiner Schrift Von den göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung greift Jacobi Schelling an. Der wiederum antwortet darauf mit seiner Schrift Denkmal der Schrift von den göttlichen Dingen. Auch bei den Zeitgenossen findet diese Kontroverse große Resonanz. Vgl. dazu wiederum die von W. Jaeschke herausgegebenen philosophisch-literarischen Streitsachen, insbesondere Band 3 (Jaeschke (Hg.) [1994]: Der Streit um die Göttlichen Dinge).  Vgl. Jacobi [1815]: Auserlesener Briefwechsel II, 467 (Brief an Johann Neeb, Nr. 360).

6

Einleitung

zumindest Fichtes Versuche, Jacobi mit dem System zu versöhnen, von Jacobi zur Verärgerung Fichtes als unzureichend zurückgewiesen werden.¹³ Es ist deswegen eine vielversprechende Fragestellung, die unphilosophische Systemkritik Jacobis mit dem System Hegels zu konfrontieren. Erstens, weil dadurch Hegels Grundkonzeption des Systems vor diesem Problemhorizont klar sichtbar wird, indem entscheidende Linienführungen Hegels auf Spinoza und Jacobi zurückgeführt werden können. Und zweitens, weil auf diese Weise auch Jacobis Grundanliegen besonders in der Konfrontation seiner prinzipiellen Einwände mit dem spekulativen System Hegels auf den Prüfstand gestellt werden kann – was lange Zeit in der Forschung angesichts der negativen Präsentation der Position Jacobis in Hegels Schriften wenig lohnenswert schien.¹⁴ In der Tat stellt sich Jacobis ‚unphilosophischer Gegenentwurf‘ im Kontrast zur systematischsystemischen Strenge eines Systems ganz anders dar. Weil Jacobis Kritik selbst nicht strikt argumentativ vorgehen kann, ohne den Rahmen des Systems selbst zu affirmieren, greift Jacobi auf Themenkomplexe wie Freiheit, Leben, Person und Individualität sowie auf Freundschaft und Versprechen zurück, deren praktischexistentielle Einbettung für das Vorhaben absolut zentral zu nennen ist. Diese thematischen Schwerpunkte vor der Frage nach System und Systemkritik bzw. die Frage nach System und Systemkritik im Lichte dieser Schwerpunkte zu untersuchen, stellt eine herausfordernde, aber lohnende Zielstellung dar, die auf konzeptionelle Kernbereiche von Figuren wie Vermittlung und Unmittelbarkeit, Wissen und Glauben sowie Subjekt und Person führt. Umso spannender ist diese Gegenüberstellung einzustufen, da sowohl Jacobis Unphilosophie wie auch Hegels spekulatives System eine Kritik des (einseitigen) Verstandesdenkens formulieren, das sich (aus verschiedenen Gründen) nicht in der Lage zeigt, Wirklichkeit adäquat zu fassen. Beide entwerfen eine Vernunft, die lebendiger Wirklichkeit gerecht werden soll. Insofern kommt Jacobi nicht als Kritiker der Systemphilosophie in den Blick, der behauptet, dass systematisch-systemisches (und auch Hegels) Denken per se die praktisch-existentielle Dimension, den Einzelnen oder die Person schlicht ignorieren würde. Gerade diese Linie der Kritik würde Hegel nicht gerecht werden, der – nicht zuletzt durch die Systemkritik Jacobis sensibilisiert – diese Aspekte umfassend in sein System zu integrieren sucht. Umso mehr stellt sich die Frage, wie Jacobis bzw. Hegels Vernunft diese Aufgabe jeweils zu realisieren in der Lage sind – und wo dennoch eine Kritik an Hegels System nicht ausbleiben kann. Bezüglich Hegel schreibt Jacobi in einem Brief:

 Das wird explizit deutlich in seinem öffentlichen Sendschreiben an Fichte (vgl. AF).  Indem Hegel Jacobi als Reflexionsphilosophen einordnet, scheint die Überlegenheit des hegelschen Systems eine klare Sache (vgl. dazu GW).

Einleitung

7

Der Unterschied zwischen Hegel und mir besteht darin, daß er über den Spinozismus (‚jenes substantielle Absolute, in welchem alles nur untergeht, alle einzelne Dinge nur aufgehoben und ausgelöscht werden,‘) welcher […] auch ihm das letzte, wahrhafte Resultat des Denkens ist, auf welches jedes consequente Philosophiren führen muß, hinauskommt zu einem System der Freiheit, auf einem nur noch höheren, aber gleichwohl demselben (also im Grunde auch nicht höheren) Wege des Gedankens – ohne Sprung, ich aber nur mittelst eines Sprunges, eines voreiligen, von dem Schwungbrete aus des bloß substantiellen Wissens, welches zwar auch Hegel annimmt und voraussetzt, aber anders damit umgegangen haben will, als es von mir geschieht, dessen Methode ihm Aehnlichkeit zu haben scheint mit der, welche wir als lebendige Wesen befolgen bei der Verwandlung von Nahrungsmitteln in Säfte und Blut durch bewußtlose Verdauung, ohne Wissenschaft der Physiologie.¹⁵

Dieser Konstellation zwischen Jacobi und Hegel soll unter der leitenden Fragestellung nachgegangen werden, ob Jacobi auch aus Hegels System gesprungen wäre. ¹⁶ Beide Positionen – Hegels Philosophie des Absoluten und Jacobis Unphilosophie – sollen auseinander erhellt werden. Dabei gilt es, Einseitigkeiten auf beiden Seiten auszumachen, die sich aus der jeweils anderen Perspektive zeigen. Die Frage wird daher sein, ob sich auch in Hegels System jene Einseitigkeiten (und

 Jacobi [1815]: Auserlesener Briefwechsel II, 467 (Brief an Johann Neeb, Nr. 360). – Die Anspielung auf die Methode, die der Verdauung gleicht, ohne Kenntnis von der Physiologie zu haben, bezieht sich auf eine Bemerkung Hegels in seiner Jacobi-Rezension. Dort heißt es: „Im natürlichen Bewußtseyn mag das Wissen von Gott die Erscheinung von einem bloß unmittelbaren Wissen haben, es mag die Unmittelbarkeit, nach der ihm der Geist ist, der Unmittelbarkeit seines Wahrnehmens des Steines gleich erachten; aber das Geschäft des philosophischen Wissens ist es, zu erkennen, worin wahrhaft das Thun jenes Bewußtseyns besteht, zu erkennen, daß in ihm jene Unmittelbarkeit eine lebendige, geistige ist und nur in einer sich selbst aufhebenden Vermittlung hervorgeht. Das natürliche Bewußtseyn entbehrt gerade so diese Einsicht, wie es als organischlebendiges verdaut, ohne die Wissenschaft der Physiologie zu besitzen. – Es scheint, daß J. durch die Form der Erkenntnisse von Gott, welche man früher die Beweise vom Daseyn Gottes genannt hat, zu der Vorstellung veranlaßt worden, als ob dem Bewußtseyn damit zugemutet worden sey, [zu glauben, D. A.] daß es kein Wissen von Gott seyn könne, ohne die Reihe der Schlüsse, vorausgesetzter Begriffe und Folgerungen, die jene Beweise enthielten, förmlich durchgemacht zu haben, – gerade, wie soeben erinnert, als ob man dem Menschen zumuthe, [zu glauben, D. A.] er könne nicht verdauen, noch gehen, noch sehen, noch hören, ohne Anatomie und Physiologie studirt zu haben.“ (JR, 12)  Schon in ihrer grundlegenden Studie Grund und Ursache, aber auch in zahlreichen Aufsätzen geht B. Sandkaulen auf die Konstellation von Jacobi und Hegel ein und wirft letztlich auch diese Frage mit auf. Hier ausschließlich dieser Fragestellung nachzugehen, ist dennoch lohnenswert, insofern ein (in Bezug auf Sandkaulens Auseinandersetzung mit diesem Thema) anderer Schwerpunkt erarbeitet werden soll, der diese Konstellation zwar nicht auf Grundlage anderer Prämissen rekonstruiert, jedoch die elastische Stelle für den Absprung anders setzt.Vgl. dazu insbesondere das Kapitel VI: Jacobis Unphilosophie sowie Kapitel VIII: Spielarten des Geistes.

8

Einleitung

Widersprüche) aufweisen lassen, die Jacobi dem systematisch-systemischen Denken in genere zuschreibt, oder ob Jacobis Systemkritik nicht selbst Resultat einer Einseitigkeit ist, der er aufläuft. Bei Jacobi werden sich Einseitigkeiten im Verständnis des systematisch-systemischen Denkens darum konstatieren lassen müssen, weil Hegel den Ansatz entscheidend erweitert. Bei Hegel ist dann jedoch auch eine Einseitigkeit dahingehend im Spiel, dass Jacobis Philosophie im System selbst eine sehr interessengeleitete Darstellung erfährt, insofern die primäre Absicht Hegels darin besteht, Jacobis Unphilosophie möglichst reibungslos ‚aufzuheben‘. Beide Einseitigkeiten – die in Jacobis und die in Hegels Denken – sind letztendlich zu identifizieren und zu beheben: Hegel wartet gegenüber Jacobis Systemkritik mit einem erweiterten Begriff des Systems auf, der das System in eine stärkere Position bringt, die Jacobi so nicht vor Augen hatte, als er seine Spinozabriefe veröffentlichte. Jacobi dagegen operiert entgegen der Darstellung seiner Position durch Hegel mit einem viel komplexeren Begriff der Unphilosophie, der die Systemkritik wiederum auf einen ganz anderen Boden stellt, als Hegel glauben machen möchte. Also ergeben sich folgende Fragen: Ist Hegels Erweiterung des Begriffs des Systems eine Aufhebung Jacobis? Aber genauso: Ist die Erweiterung des Begriffs der Unphilosophie ein größeres Problem für die Aufhebung, als Hegel dies suggeriert?

Die Kapitel Dass dies keine künstliche Fragestellung ist, die äußerlich an Hegels System herangetragen wird, zeigt das erste Kapitel, indem es historische Linien und systematische Erfordernisse aufzeigt, die von Jacobi ausgehen und bis in Hegels spätes System reichen.Verfolgt wird damit zweierlei: Erstens soll die Relevanz der Unphilosophie Jacobis für die Systembildung Hegels konkret gezeigt werden. Zweitens sollen hier schon erste Züge des hegelschen Denkens vor diesem Hintergrund schärfer konturiert werden. Dass Hegel sein System in einer Problemkonstellation entwickelt, die maßgeblich durch Jacobi geformt wurde, und er sein System in dieser Problemkonstellation als Lösung verortet, soll im ersten Kapitel zweifelsfrei gezeigt werden. Es ist also Aufgabe von Kapitel I, erstens die Problemkonstellation in einer Präsentation der Spinoza-Kritik Jacobis zu erarbeiten, zweitens die Spuren in Hegels Frühwerk zumindest zu umreißen und drittens die systematische Relevanz der Systemkritik Jacobis herauszustellen. Nachdem nachgewiesen ist, dass Hegel sich schon seit seiner frühen Jugend mit Jacobi ganz grundlegend und wiederholt auseinandergesetzt hat und mit Jacobis

Einleitung

9

Unphilosophie vertraut ist,wird anhand von Hegels exoterischen Schriften¹⁷ – also Vorlesungen und Rezensionen – gezeigt, dass Hegel tatsächlich auf die von Jacobi herausgearbeiteten Probleme Lösungen zu formulieren sucht. Deutlich wird dies angesichts seiner dort zu findenden Spinoza-Kritik, die starke Parallelen zu Jacobis Kritik aufweist. Kapitel I dient sodann als ein Kristallisationsprozess für die weitere Struktur dieser Arbeit, indem es vor diesem Horizont Zielstellungen zu formulieren erlaubt, die sich für Hegels System selbst ergeben, um den Einwänden Jacobis gerecht zu werden. Es schließen sich drei Kapitel über diese Lösung Hegels an, die den Begriff, die Subjektivität und die Andersheit in den Mittelpunkt stellen. Das Kapitel über den Begriff erarbeitet die grundlegende Idee des spekulativen Ansatzes, der im Kapitel über die Subjektivität dahingehend eine Vertiefung erfährt, dass dort die Figur der absoluten Negativität als das systematische Zentrum des Systems dargelegt wird. Die Konsequenzen für die Andersheit, die sich aus dem System heraus als Andersheit stabilisieren lassen muss, zeigt das folgende Kapitel. Nachdem in diesen Kapiteln die Grundstruktur des hegelschen Systems hinsichtlich der von Jacobi aufgeworfenen Problemkonstellation beleuchtet wurde, kann anhand dieser Ergebnisse im Rückbezug auf Jacobis Grundanliegen geprüft werden, inwiefern die Einwände gegen das System in das System integriert und aufgehoben werden konnten. Die These hierbei ist zunächst die, dass Hegel vermittels des Konzeptes der absoluten Negativität bzw. absoluten Subjektivität entscheidende Mängel der Substanzmetaphysik überwinden kann, die Jacobi mit seiner Kritik adressiert hatte. Bis zu diesem Punkt, aus einer von Hegels eigener Spinoza- und Jacobi-Rezeption geleiteten Perspektive auf die Problemlage, lässt sich Hegels System ohne weiteres als eine erfolgreiche Antwort auf Jacobis Kritik lesen. Hegel inszeniert sich zu einem gewissen Grade selbst auf diese Weise. Diese Inszenierung stellt sich in Kapitel VI als Problem heraus. Denn die Inszenierung zeigt sich dann als einseitig, wenn Jacobis Unphilosophie genauer daraufhin befragt wird, wie genau das Springen vollzogen wird. Ein von Hegel selbst indirekt über die Spinoza-Kritik und explizit in der Enzyklopädie oder seiner Jacobi-Rezension prolongiertes Jacobi-Bild bleibt unzureichend, insofern es den

 Hegels Ausarbeitung des Systems wird aus strategischen Gründen zunächst zurückgestellt und allenfalls gestreift. Die Gründe für dieses Vorgehen sind vor allem darin zu suchen, dass das erste Kapitel einen einführenden Charakter behalten soll, insofern es seine Hauptaufgabe darin hat, die historischen wie systematischen Linien zunächst so verständlich und voraussetzungslos wie möglich nachzuzeichnen, um überhaupt die von Jacobi aufgeworfene Problemkonstellation und darauf erfolgenden Reaktionen seitens Hegel in einer Skizze zugänglich zu machen. Die Vertiefung der systematischen Seite erfolgt in den darauffolgenden Kapiteln aus der im ersten Kapitel gewonnenen Fragerichtung.

10

Einleitung

Sprung und damit Jacobis Unphilosophie insgesamt um eine entscheidende Dimension verkürzt, der es in diesem Kapitel nachzugehen gilt. Indem hier überhaupt erst der ‚springende Punkt‘ der Unphilosophie Jacobis freigelegt wird und erst hier die Komplexität seiner Systemkritik deutlich wird, erscheinen Hegels Spekulation und der Zusammenhang von System und Systemkritik doch noch in einem anderen Licht. In Kapitel VII wird dieser ‚springende Punkt‘ an Hegels Realphilosophie illustriert, in der diejenige Struktureigenschaft des Systems Folgen zeitigt, die – trotz der Versuche Hegels, die Systemkritik Jacobis im eigenen System aufzuheben – Jacobis Sprung wieder provozieren würde. Das Scheitern der Überwindung der Systemkritik Jacobis im System führt schlussendlich Kapitel VIII in einigen Zügen zusammen und resümiert die Ergebnisse

1 Die Exposition der Fragestellung Hegel, Jacobi und die veränderte Ansicht des Logischen 1.1 Jacobis Spinoza/Antispinoza Jacobi betritt wirksam die philosophische Bühne mit seinen Briefen Über die Lehre des Spinoza ¹, die Spinoza als einem bis dahin gemiedenen Denker mit einem Schlag² neue Aufmerksamkeit verschafften. Seine Rekonstruktion des Systems des Spinoza geschieht zwar in kritischer Absicht, verleiht jedoch dem monistischen Ansatz dieses Systems grundsätzlich neue Attraktivität, indem es als eine ernsthafte Alternative zu Kants dualistischer Philosophie ins Blickfeld rückte. War hinter die kantische Revolution nicht mehr zurückzugehen, so hatten die nachkantischen Idealisten jedoch auch das Gefühl, dass Kant nicht weit genug gegangen war und daher mit Aporien zu kämpfen hat, die vornehmlich aus seinem dualistischen Ansatz resultieren. Ein Rückgriff auf den Monismus Spinozas, um diese Aporien aufzulösen, liegt also nahe – gerade auch im Lichte der fundamentalen Kritik Jacobis, die die Schwächen des monistischen Systemgedankens bzw. der konsequent rationalistischen, „durchaus immanenten Philosophie, eine[r] Philosophie aus Einem Stück“ (AF, 200), zu Tage brachte. Jacobi nimmt in diesem Geschehen eine Schlüsselposition schlicht schon dadurch ein, dass er der Initiator einer weitreichenden Auseinandersetzung mit Spinoza war. Aber nicht nur das. Jacobi ist nicht allein ein Impulsgeber für eine erneute Auseinandersetzung, der zu dieser Auseinandersetzung selbst äußerlich bliebe. Jacobi ist selbst unabdingbar Teil dieser Debatte, insofern Spinoza nicht mehr gelesen werden kann, ohne die Einwände bzw. die Position Jacobis zu berücksichtigen. Und so war Jacobis Kritik an den im Rationalismus (und, nicht minder wichtig, in der Aufklärungsphilosophie um Kant) festgeschriebenen Rationalitätsstandards nicht nur generell eine

 Spinoza ist die zentrale Gestalt für Jacobi; an ihm bildet sich Jacobis Denken aus. R. Ahlers zeigt über die Auseinandersetzung Jacobis mit Spinoza zudem die Verwurzelung des Denkens Jacobis in dem von B. Pascal (vgl. Ahlers [2007]: Parallelismus und Transzendentalismus). Dies tut auch Schumacher [2003]: Friedrich Heinrich Jacobi und Blaise Pascal. Besonders G. Baums Studie arbeitet den Hintergrund der Erkenntnistheorie Jacobis auf, der vom Sensualismus C. Bonnets, vom Idealismus G. Berkeleys und von D. Humes Skeptizismus aufgespannt wird. Er verweist zudem auf die Rolle von T. Reid, aber auch von G. W. Leibniz (vgl. Baum [1969]: Vernunft und Erkenntnis).  Hegel spricht von diesem Ereignis, das als „ein Donnerschlag vom blauen Himmel herunter“ die philosophische Landschaft aufwühlte. (VorGPS, 316 f) – Für einen Überblick über die Rezeptionsgeschichte der Philosophie Spinozas über Jacobi bis hin zu Hegel (vgl. Petzold [2002]: Spinoza – Aufklärung – Idealismus). DOI 10.1515/9783110554328-004

12

1 Die Exposition der Fragestellung

wesentliche Initiation und der Motor der Auseinandersetzung um die Form der Philosophie.³ Sondern es ist gerade Jacobis Position selbst, die in dieser intrikaten Mischung aus Affirmation und Kritik des systematisch-systemischen Denkens im nachkantischen Idealismus zu wirken beginnt.⁴ Jacobi war Zentrum einer Umbildung und Sensibilisierung des Denkens einer ganzen Epoche.⁵ Diese Wirkungsgeschichte ist eine lange und ereignisreiche, voller Wendungen und ebenfalls geprägt von Affirmation sowie Kritik – nicht nur, was Hegels Jacobi-Rezeption anbetrifft. Schelling und besonders auch Fichte arbeiten sich an Jacobi ab, um die Systemambitionen ihrerseits mit den Einwänden Jacobis zu versöhnen. Auf Fichtes Seite kann man regelrecht von einem Werben um Jacobis Gunst sprechen.⁶ Er formt sein System mit der Überzeugung, Jacobis Einwänden gerecht geworden zu sein.⁷ Jacobis hartnäckige Kritik an Fichtes Systementwürfen irritiert Fichte nachhaltig und beschäftigt ihn Zeit seines Lebens. Schelling sucht den Ausgang vom Unbedingten in der Philosophie, den er mit an Jacobi orientierten Konzepten wie Sein, Dasein und Vermittlung zu realisieren sucht.⁸ Jean Paul schreibt seine Clavis Fichtiana seu Leibgeberiana, in der er ebenfalls im Lichte der Debatte

 B. Sandkaulen spricht von einem „kaum zu überschätzenden Inspirationspotential für die nachkantische Philosophie“. (Sandkaulen [2008]: Wie geistreich darf Geist sein?, 144) – Der Band von Jaeschke (Hg.) [1993]: Der Streit um die Gestalt einer Ersten Philosophie versammelt Quellentexte und Aufsätze zu dieser Auseinandersetzung, in der Jacobi natürlich nur ein Autor unter vielen anderen ist, die um diese Gestalt streiten.  K. Hammacher schreibt in seiner für die Jacobi-Rezeption grundlegenden Studie: „Auf der einen Seite folgt er streng dem Gedanken eines fremden Denkers, aber so, daß andererseits in dessen System Konsequenzen sichtbar werden, die schon in einen produktiven eigenen Denkzusammenhang hineinverweisen. Interpretation und produktives Fortdenken fallen hier also zusammen, aber in der Weise, daß dabei nicht ein Widerspruch entsteht zu dem eigentlichen System eines solchen Denkers, sondern daß sein System in einem Horizont erscheint, der sein spezifisches Gepräge erst aus dem eigenen Systemdenken hat.“ (Hammacher [1969]: Die Philosophie Friedrich Heinrich Jacobis, 50) Wenn Hammacher hier vom System Jacobis spricht, so wird darauf korrigierend zurückzukommen sein, insofern sich Jacobis Unphilosophie in einer spezifischen Weise vom Systemdenken distanziert.  Vgl. dazu Horstmann [1995]: Die Grenzen der Vernunft. Dieser Band rekonstruiert die Ausgangsbedingungen der klassischen deutschen Philosophie um Jacobi und dessen Auseinandersetzung mit Kant.  So schreibt er z. B. am 29. September 1794 an Jacobi: „Ist irgend ein Denker in Deutschland, mit welchem ich wünsche und hoffe in meinen besonderen Ueberzeugungen übereinzustimmen, so sind Sie es“. (Fichte [1970]: Briefe 1793 – 1795, 202)  Seine eigenen Systembemühungen sieht er ganz im Lichte der Systemkritik Jacobis und beteuert: „Ja, theurer, edler Mann, wir stimmen ganz überein“. (Fichte [1925]: Briefwechsel, 529)  Vgl. Horstmann [1995]: Die Grenzen der Vernunft, 72 f.

1.1 Jacobis Spinoza/Antispinoza

13

Einwände gegen das System erhebt.⁹ Im Falle Hegels sind die Spuren seiner Auseinandersetzung mit Jacobi gut dokumentiert. Sie beginnt früh im Tübinger Stift zu Studienzeiten und zieht sich durch das gesamte Werk Hegels bis zum reifen System.Wenngleich Hegel nicht explizit sein System unter Bezugnahme auf Jacobis Spinoza-Kritik entwirft, wandern Fragestellungen und Problemkomplexe seit der frühsten Jugend in Hegels Denken ein und prägen sichtbar an Terminologie sowie systematischen Erwägungen noch das ausformulierte System.¹⁰ Was genau also ist nun Jacobis Spinoza/Antispinoza? Jacobi fasst seine Position rückblickend selbst in dieser komprimierten Formel zusammen¹¹, die jene spezifische Verschlingung von Affirmation und Kritik geradeheraus auf den Punkt bringt, um die es im Weiteren gehen muss. Eine Annäherung ergibt sich entsprechend aus Jacobis eigenständiger Rekonstruktion der Philosophie Spinozas, aus der auch seine Kritik an ihm entspringen muss. In den Spinozabriefen versteht Jacobi Spinozas Substanzmetaphysik als Inbegriff des konsequenten rationalen Philosophierens, dessen eine Substanz selbst nur Umsetzung der in dieser Form des Philosophierens liegenden Forderung nach lückenloser Begründung ist. Die Substanz realisiert (1) das Grundtheorem des Rationalismus.¹² Die bei Spinoza in diesem Zusammenhang einschlägige Formel des deus sive natura zeigt den Rahmen an, in dem die eine Substanz nur als naturalistischer Gott oder göttliche Natur die Modi, d. h. die einzelnen Dinge, vollständig zu bestimmen hat. Die darin implizierte Überführung einer empirischen und zeitlichen Ordnung der Natur in eine logische Dependenz in der ewigen Natur Gottes ist es, die Jacobi als konsequenteste Form des Denkens loben, doch ebenso als verstörende Artikulation der Wirklichkeit verwerfen wird, weil darin Freiheit, aber auch Individualität, das

 Vgl. zum Verhältnis von Jacobi und Jean Paul die umfassende Studie von Koch [2013]: Individualität als Fundamentalgefühl.  Eine detailliere Auseinandersetzung mit Hegels Jugendschriften bis hin zu seinen Arbeiten in seiner Jenaer Zeit kann im Rahmen dieser Studie nicht erfolgen, da sich das Verhältnis zwischen Hegel und Jacobi sehr komplex gestaltet. Gerade Hegels frühe Jacobi-Kritik wäre Gegenstand einer eigenen Untersuchung. Hier kann es nur darum gehen, grundlegende Züge nachzuvollziehen, um die generelle Relevanz Jacobis für Hegels Denken aufzuzeigen. B. Sandkaulen geht sowohl in Sandkaulen [2004]: Das Nichtige in seiner ganzen Länge und Breite als auch in Sandkaulen [2012]: ‚Ewige Zeit‘ darauf ein. Jonkers [2007]: F. H. Jacobi, ein ‚Galimathias‘ der spekulativen Vernunft? beschreibt das Verhältnis des frühen Hegel zu Jacobi. Tikal [2012]: Leben als absolute Erkenntnis geht der Frage nach, welchen Einfluss Jacobi auf den Lebensbegriff Hegels hatte. Er beschränkt sich in seiner umfangreichen Abhandlung auf den frühen Hegel.  In der Schrift Wider Mendelssohns Beschuldigungen, betreffend die Briefe über die Lehre des Spinoza hebt Jacobi an, indem er sagt: „Was meinen Spinoza und Antispinoza angeht […].“ (SB, 274)  Die Nummerierung verweist auf die Abschnittsüberschriften, unter denen dann diese Grundzüge ausführlicher dargestellt werden.

14

1 Die Exposition der Fragestellung

Gute, Wahre und Schöne aus noch zu erörternden Gründen nicht mehr artikulierbar sind. Das führt (2) in den Determinismus bzw. Fatalismus. Zudem verstrickt sich (3) die Substanzmetaphysik bei dem Versuch, eine umfassende Wirklichkeitserklärung aus der Grund und Ursache vermischenden Substanz zu begründen, in das widersprüchliche Theorem der ‚ewigen Zeit‘. Jacobi hilft sich, wie er in den Spinozabriefen sagt, „mit einem Salto mortale aus der Sache. […] Die ganze Sache bestehet darinn, daß ich aus dem Fatalismus unmittelbar gegen den Fatalismus, und gegen alles, was mit ihm verknüpft ist, schließe.“ (SB, 20) Auf Grundlage der unmittelbar empfundenen Freiheit spielt Jacobi das begrifflich-rationale Begründungsdenken gegen eine praktisch-erfahrene Lebenswirklichkeit aus, um mit diesem Schritt auf breiten Widerstand seitens der Vertreter des nachkantischen Idealismus zu stoßen.¹³ Wenn Jacobi hierfür zunächst das Konzept des Glaubens verwendet, der das begrifflich Unvermittelbare auffindet und hinnimmt, zielt das (4) auf eine (in den späteren Schriften auch explizit verhandelte) Neubestimmung von Verstand und Vernunft ab, deren Aufklärung unter dem Konzept des Wahren für die Selbstverständigung im Angesicht philosophischer Systemansprüche unabdingbar ist. Die Verständigung über Verstand und Vernunft ist vor dem Hintergrund der Frage nach der Begründung eine über die Mechanismen der Gewissheit, die auf das bloß Epistemologische aber gerade nicht eingeschränkt sein soll. Für Jacobis Spinoza/Antispinoza ist auch die Begriffskritik Jacobis (5) relevant. Der begrifflich-diskursive Verstand bzw. (in Jacobis Terminologie der Spinozabriefe) die Vernunft, „die der Mensch hat“ (vgl. SB, 259),

 Diese Spannung zwischen dem Begründungsanspruch des philosophischen Denkens und einer unmittelbaren Gewissheit ist es, in der dann die Begrifflichkeiten wie Geist und, damit aufs Engste verwoben, Freiheit, das Wahre, Gute und Schöne, Person oder Individualität ihre Kontur erhalten. Indem Jacobi auf Phänomene des Lebens zurückgreift, hat er – so sei vorgreifend gesagt – keine einzelwissenschaftliche Perspektive, sondern vielmehr eine Metaphysik im Auge, in der als Gegenentwurf zu jenem konsequent rationalistischen Entwurf Spinozas und auf Augenhöhe mit ihm diese Begrifflichkeiten ihre spezifisch systemkritische Rolle einnehmen. Indem sie gerade in der Lebenswirklichkeit verwurzelt werden, ist ein solcher Gegenentwurf auch nicht mit einem Irrationalismus zu verwechseln, indem es gerade nicht darauf ankommt, begrifflich-verständige Ordnungsleistung schlicht zu negieren, sondern ihre Kompetenz zu bestimmen und ihr entsprechend einen Platz anzuweisen, neben dem allerdings ein neues Paradigma seine Berechtigung findet. Ein Paradigma, das eben dem Geist, der Freiheit, dem Wahren, Guten und Schönen, der Person und der Individualität Rechnung tragen kann. O. F. Bollnow z. B., der sich in seiner Habilitation mit Jacobis Lebensphilosophie beschäftigt, betont gerade im Rekurs auf den Lebensbegriff Jacobis das Irrationale: „Das Leben tritt jetzt der Vernunft als das herrschende Prinzip entgegen: ein Irrationales des Rationalen.“ (Bollnow [19662]: Die Lebensphilosophie F. H. Jacobis, 27 oder auch 42) Er ist dennoch einer der ersten, der Jacobi nicht „der vergröbernden Einstufung als christlicher Glaubensphilosoph“ unterwirft und sich ihm aus einer anderen Perspektive nähert (vgl. das Vorwort zur zweiten Auflage).

1.1 Jacobis Spinoza/Antispinoza

15

bildet so nur den Teil menschlicher Erkenntnis, der diskursiv über einen Schluss vermittels (problematischer, weil abstrahierender) Begriffe eine Gewissheit herstellt und verabsolutiert in jene bei Spinoza vorgefundene Begründungslogik führt, die alles in einem letzten Grund sub specie aeternitatis in Notwendigkeit bestimmt sein lässt. Der Verstand als „Reflexionsvermögen“ muss entsprechend durch die Vernunft als „Wahrnehmungsvermögen“ (EDH, 378 f) ergänzt werden, die Jacobi auch als Vernunft bestimmt, „die den Menschen hat“. (SB, 259) Anders als das diskursive Hervorbringen der Gewissheit beim Verstand findet die Vernunft auf Grundlage der Existenz des Menschen eine Gewissheit vor, die folglich unmittelbar gilt und sich überhaupt der Begründung durch Begriffe entzieht. Nur auf diesem Wege, so Jacobi, lassen sich die verheerenden Implikationen des systematisch-systemischen Denkens vermeiden, die nicht nur die Freiheit des Menschen betreffen, sondern überhaupt den ontologischen Status des Endlichen und zudem die Existenz Gottes. Dieser Problemkomplex wird unter den für Jacobis Systemkritik zentralen Konzepten (6) Akosmismos, Atheismus und Nihilismus verhandelt. Jacobis Spinoza/Antispinoza bringt mindestens zweierlei auf den Punkt, was eine Attraktion auf die Idealisten ausüben musste – auch vor dem Hintergrund der kantischen Philosophie. Erstens wird die Grundfrage nach den Begründungsformen überhaupt gründlich durchgemischt, indem (in durchaus verblüffender Nähe zum kritisierten Spinoza) nicht nur die Dimension der bedingten Notwendigkeit hin zu einem ersten Unmittelbaren bzw. Unbedingten überschritten wird, das hier in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit als das Endliche bzw. das Bedingte Fundierende rückt.¹⁴ Zudem wird das Unbedingte in Zusammenführung mit der konkreten Existenz als das Durchherrschende des Bedingten gedacht und so nicht in ein bloßes Jenseits versetzt.¹⁵ Der Geist, die Freiheit, das Wahre, Gute und Schöne, die Person und Individualität sind Ausdrucksformen dieses Unbedingten selbst, zu dem die Vernunft, die den Menschen hat, in kein Bezugsverhältnis tritt, sondern diese konstitutiv selbst ausmacht. Mit solch einer Konzeption der Vernunft grenzt sich Jacobi gegen den „bloß logischen Enthusi-

 Insbesondere D. Henrich untersucht, wie dieser Punkt auf Hölderlin einen ungeheuren Eindruck machte und so letztlich über ihn seine Wirkung in der nachkantischen Philosophie entfaltete (vgl. dazu Henrich [1992]: Der Grund im Bewußtsein, in Verbindung damit auch Henrich [2010]: Hegel und Hölderlin).  Indem Jacobi das Unbedingte zu einem absolut Gewissen macht, nennt B. Sandkaulen dies eine Umkehrung der Fragerichtung nach dem Unbedingten. Im Gegensatz zu Kant, der das Unbedingte im Ausgang vom Bedingten sucht und es im Sinne letzter Fragen erschließt, findet es Jacobi als das Erste (vgl. Sandkaulen [2015]: Letzte oder erste Fragen? Zum Bedürfnis nach Metaphysik in einer Skizze zu Kant und Jacobi).

16

1 Die Exposition der Fragestellung

asmus“ des Verstandes scharf ab und geht somit über ein bloß kognitives Vermögen weit hinaus. Jacobi spricht von dieser – von ihm substantiv genannten – Vernunft als dem Wesen des Menschen, durch das er ist, was er ist: „[S]o ist sie der Geist, woraus die ganze lebendige Natur des Menschen gemacht ist: durch sie besteht der Mensch; er ist eine Form, die sie angenommen hat.“ (SB, 260) Zweitens zeigt sich die Attraktivität dieses Ansatzes auch darin, dass die so gefasste Vernunft im Gegensatz zu Kant nicht in einen dialektischen Schein führt, sondern eine konkrete Realität in der Lebenswirklichkeit der Menschen selbst erhält. Das Denken des Absoluten rückt damit in ein ganz anderes Licht.¹⁶ Insofern für Hegels Systemkonzeption insbesondere die – über Jacobi vermittelte – Adaption spinozistischer Motive betrachtet werden soll, besteht ein erster Schritt darin, die angezeigten Schwerpunkte von Jacobis Spinoza-Kritik zu vertiefen, um danach anhand dieser Motive Hegels eigenes Projekt in diese Problemkonstellation einzuordnen. Dabei ist im Folgenden zu unterscheiden, was nicht zu trennen ist: nämlich einerseits Jacobis Spinoza-Kritik, die den Geist des Spinozismus und damit auch die damit verbundenen Widersprüchlichkeiten freilegt, und andererseits die eigene Position Jacobis, die im Sprung aus dem Paradigma der Begründungsphilosophie selbst zur Unphilosophie wird. Die  Die Lagerung dieser Verständigung über Verstand und Vernunft zeigt schon an, dass Jacobis Projekt auch nicht ohne den Bezug auf Kant verstanden werden kann. Der Frage, welche Konsequenzen ein strikt rational konzipiertes Wissen für das Verständnis von Realität und unser Selbstverständnis hat, geht Jacobi auch anhand der kantischen Transzendentalphilosophie nach und wird so als einer der ersten zu einem Rezipienten des kritischen Projektes (vgl. dazu Sandkaulen [2007]: Das ‚leidige Ding an sich‘, herangezogen werden kann auch Horstmann [1995]: Die Grenzen der Vernunft, 49 ff). Auch hier geht es ihm wie in seiner Spinoza-Rekonstruktion um eine Freilegung der Grundstrukturen, hier jedoch mit dem Resultat, dass das kantische ‚System‘ nicht konsequent genug ist, indem es zwischen Erscheinung und Ding an sich unterscheidet. Jacobi bringt dies in die berühmte Formulierung, dass er „ohne die Voraussetzung“ des Dinges an sich „in das System nicht hineinkommen, und mit jener Voraussetzung nicht darin bleiben konnte“. (DH, 109) Die Frage nach der Form der ersten Philosophie ist ihm zentral. Kant kann er daher nur eine Inkonsequenz attestieren. Er hatte nicht den Mut, „den kräftigsten Idealismus, der je gelehrt worden ist, zu behaupten“ (DH, 112), zieht andererseits auch nicht unphilosophische Konsequenzen, sondern hält trotz seiner kritischen Einschränkungen an der Konstruierbarkeit der Wirklichkeit mit Begriffen fest bzw. schränkt die sicher wissbare Wirklichkeit auf das Konstruierbare ein. Er prolongiert dabei aus der Naturwissenschaft übernommene Rationalitätsstandards, die Begreifbarkeit an Kausalität und deterministischen Zusammenhängen festmachen (vgl. Horstmann [1995]: Die Grenzen der Vernunft, 35 und 61 f). Jacobi kritisiert dabei nicht die Einschränkung des Begreifens auf die Rekonstruierbarkeit der Sache aus dem „mechanischen Zusammenhang“ der „nächsten Ursachen“ (SB, 258), sondern die Einschränkung der Wahrheit auf das (diskursive) Begreifen. Der Rationalitätsbegriff, mit dem Kant hier operiert, ist Jacobi zu restriktiv, hat er doch nicht nur Probleme mit der Freiheit und dem Organischen, sondern schließt auch einen sinnvollen Begriff des Unbedingten aus.

1.1 Jacobis Spinoza/Antispinoza

17

Spinoza-Kritik enthält immer schon Linien der Unphilosophie wie auch diese überhaupt nur aus der Spinoza-Kritik verstanden werden kann.¹⁷ Wenngleich beides gemeinsam den Einfluss Jacobis begründet, bietet es sich an, zunächst die Spinoza-Kritik in den Grundzügen darzustellen, um den grundsätzlichen Mangel des systemischen Denkens selbst zu isolieren und darin eine Folie zu haben, anhand derer Hegels Modifikation der Grundstruktur einsichtig wird. Dann wird die Position der Unphilosophie Jacobis als Paradigma des Glaubens bzw. als alternatives Vernunftkonzept näher beleuchtet, um so vollends in die systematische Auseinandersetzung einzusteigen.

Das Grundtheorem des Rationalismus Als den „Geist des Spinozismus“ und damit als das Grundtheorem des Rationalismus identifiziert Jacobi nicht die geometrische Methode, sondern das „a nihilo nihil fit“ (SB, 18), welches insofern grundlegend zu nennen ist, als dass es die lückenlose Begründung einfordernd den geschlossenen Zusammenhang der geometrischen Methode überhaupt konstituiert. Damit beschreibt Jacobi das, was er selbst „natürliche Erklärung“ nennt. (SB, 251) Darunter versteht er eine begrifflichrationale Rekonstruktion der Verhältnisse, sprich der Bedingungen, aus denen das Bedingte vollständig einsichtig wird – und auch nur so einsichtig werden kann. Der Anspruch der natürlichen Erklärung ist es, das Bedingte allein aus seinen Bedingungen zu erschließen. Kurz: Wir verstehen nur, was wir natürlich erklären können. Und so sagt Jacobi: „Wir begreifen eine Sache, wenn wir sie aus ihren nächsten Ursachen herleiten können, oder ihre unmittelbaren Bedingungen der Reihe nach einsehen: was wir auf diese Weise einsehen, oder herleiten können, stellt uns einen mechanischen Zusammenhang dar.“ (SB, 258) Ein gültiger Umkehrschluss daraus ist zugleich der, „daß wir unmöglich begreifen können, was wir zu construieren nicht im Stande sind“. (SB, 258) Ein konsequent rationales, nach dem Grundsatz a nihilo nihil fit konstruiertes System, eliminiert also ein Entstehen ex nihilo, weil ein solches prinzipiell nicht verstanden werden kann. Es wird somit aus dem konsequenten Rationalismus als ein unzulässiger Sprung eliminiert. Dabei formuliert dieses Prinzip nichts anderes als die gewöhnliche Intuition, dass wir nur das als Wissen bezeichnen können, was sich begründen

 Diese noch näher zu beleuchtende Konstellation umreißt Jacobi mit Blick auf die Applikation seiner Kritik auf Fichte mit dem Hinweis, dass „die Alleinphilosophie und meine Unphilosophie, durch den höchsten Grad der Antipathie mit einander in Berührung kommen und im Moment der Berührung sich gewißermaßen durchdringen“. (AF, 198)

18

1 Die Exposition der Fragestellung

lässt. Eine Behauptung verbleibt im Modus der Meinung, wenn eine Begründung nicht gegeben werden kann. Die Forderung und Suche nach Begründungen, d. h. das Streben nach Wissen, nennt man Wissenschaft. Indem Spinoza mit der Ethik jenes Prinzip kompromisslos ausbuchstabiert, legt er eine Metaphysik der Wissenschaft vor und ist damit unzweifelhaft ein moderner Denker.¹⁸ Spinoza formuliert zugleich den konsequentesten Rationalismus, indem er nicht nur die Begründung als lückenlos fordert, sondern außerhalb dieser Begründungskette nichts akzeptiert. Eben die Konsequenzen aus diesem Geist des Spinozismus offenzulegen, unternimmt Jacobi. Dass aus Nichts nichts hervorgehen kann, gilt sowohl für die kausale Beziehung als auch für die Grund-Folge-Beziehung. Damit wird ausnahmslos alles zu einem von einer Ursache oder Grund Abhängigen, d. h. zu einem Bedingten, erklärt, was aus seiner Bedingung verstanden werden kann und muss. Die Angabe der Bedingungen des Bedingten wird zu einem Erfordernis der Verständlichkeit und konstituiert eine Kette von Abhängigen, die sich nicht nur gegenseitig Gründe bzw. Ursachen sind, sondern auch in einen ersten Grund zurücklaufen, der selbst nicht mehr bedingt ist, sondern – bei Spinoza als causa sui – sich selbst bedingt. Anders formuliert mit Jacobi: „Allem Werden muss ein Seyn¹⁹, was nicht geworden ist, zum Grunde liegen; allem Entstehenden etwas nicht Entstandenes; allem Veränderlichen ein unveränderliches Ewiges.“ (SB, 93) Das a nihilo nihil fit im-

 Im Gegensatz zu der nicht anders als Vorurteil zu bezeichnenden Verstrickung Spinozas in die Scholastik, die Spinoza nachgesagt werden könnte, wenn er Bezug auf Gott nimmt.  Bemerkenswert ist der Umstand, dass Jacobi Spinozas System nicht in dessen eigener Substanz-Terminologie rekonstruiert, sondern mit Hilfe einer Seins-Terminologie. Besonders D. Henrich legt in seiner Rekonstruktion der Spinoza-Kritik Jacobis großen Wert darauf, insofern über diesen Weg direkt Hölderlins Denken beeinflusst wird (vgl. Henrich [1992]: Der Grund im Bewußtsein, bes. 48 ff). Jacobi drückt es an einer Stelle so aus: „Damit die Sache noch deutlicher werde, der nun eintretende schwürige Punkt von dem Verstande Gottes sich von selbst ins Licht stelle und alle Zweydeutigkeit verliere, wollen wir den Schleyer von Terminologie, worinn Spinoza sein Lehrgebäude zu vermummen für gut fand, an irgend einem hervorstehenden Ende zu fassen suchen, und ihn gerade in die Höhe heben.“ (SB, 100) Dies ermöglicht nicht nur einen eigenständigen Ansatz für die Interpretation des spinozistischen Systems, sondern unterstreicht einmal mehr die Eigentümlichkeit, dass Jacobis Spinoza-Rekonstruktion nicht zu trennen ist von seiner eigenen so genannten Unphilosophie bzw. seine Unphilosophie konstitutiv mit dem System Spinozas verwoben ist. So wird hier noch einmal die Besonderheit und Komplexität von Jacobis Spinoza/Antispinoza deutlich. Die entscheidende Übereinstimmung zwischen dem Konzept der Substanz und des Seins liegt darin, dass Wirklichkeit als Endliches nicht losgelöst davon gedacht werden kann. Die Relation von Unendlichem und Endlichem bildet hier die entscheidende Hintergrundfolie, vor der Spinozas Substanz und Jacobis Sein aber dann doch unterschiedliche Lösungsansätze präsentieren wollen. R. Ahlers sieht dies auch als Ausdruck von Jacobis dialektischem Denken (vgl. Ahlers [2007]: Parallelismus und Transzendentalismus, 66 f).

1.1 Jacobis Spinoza/Antispinoza

19

pliziert damit einen geschlossenen Begründungszusammenhang, der in Spinozas Ethik in der einen Substanz bzw. in Gott als Unbedingtem fundiert wird, das nur als unwandelbar gedacht werden kann.²⁰ Die Substanz als Sein in allem Dasein ist Grund aller Wirklichkeit, durch die alles Wirkliche wirklich wird. Insofern diese Urwirklichkeit des Seins den alles umgreifenden Grund darstellt, kann ein Dasein nur gedacht werden, wenn es an diesem Sein teilhat und in es einbegriffen ist. Ein unabhängig von diesem Sein gedachtes Dasein wäre ein Widerspruch.²¹ Ein Immanenzmodell der Wirklichkeit ist mit anderen Worten alternativlos, weil es widersprüchlich ist, eine Wirklichkeit außerhalb der Wirklichkeit bzw. eine zusätzliche Wirklichkeit anzunehmen.²² Spinozas Gott ist die Instanz, die aller Wirklichkeit Wirklichkeit verleiht.²³ Jedoch

 „Denn in dem Unendlichen, Ewigen, Unwandelbaren Dinge, ist alles unendlich, unwandelbar, und ewig würklich. Eine Handlung, die das Unendliche Wesen erst begönne, könnte nicht anders als nach Ewigkeiten begonnen werden, und die Bestimmung dazu könnte aus sonst nichts hervorgehen, als aus dem Nichts.“ (SB, 94)  Vgl. Henrich [1992]: Der Grund im Bewußtsein, 54 f.  Wirklichkeit ist hier nur als System zu begreifen, in dem alles beinhaltet sein muss. Ein außerhalb des Systems ist schlicht nicht denkbar und kann kein Wissen sein. Spinoza radikalisiert die Theoriebildung, insofern er seine Theorie auf einem einheitlichen Prinzip gründet – auf jenem immanenten Ensoph, von dem Jacobi spricht (vgl. SB, 18). Das Prinzip ist potentia, Kraft oder Seinsmacht, das als Grundbegriff nicht weiter zu erklären ist, sondern umgekehrt, es erklärt alles andere (vgl. Kisser [1998]: Selbstbewusstsein und Interaktion, 9). „Die existentielle Wirklichkeit muß daher in den Begriffen der Theorie beschrieben werden, aber nicht so, daß das Prinzip erklärt wird, sondern daß es erklärt und dadurch seine Kraft demonstriert.“ (Kisser [1998]: Selbstbewusstsein und Interaktion, 9) Spinozas Systemkonzeption verbleibt in der rationalen Konstruktion von Welt nicht in einem Bereich von Wissen, der von Wirklichkeit noch einmal zu unterscheiden wäre. Spinozas System generiert kein Wissen, das sich auf Wirklichkeit nur bezieht und noch einmal zu untersuchen wäre, ob es die Wirklichkeit adäquat erfasst. Spinozas System ist Wirklichkeit. Die Theorie ist bei Spinoza kein äußerer Beobachter, denn das würde die Beschränkung der Theorie selbst offenbaren. Erst das ist ein umfassendes Verständnis des Immanenzmodells. Theoriebildung ist darin selbst ein Teil der Realisierung des Absoluten und Denken Ausdruck des Prinzips, das sich in der Theorie seiner selbst bewusst wird. Insofern ist Spinozas System ein äußerst elaborierter metaphysischer Entwurf (vgl. Kisser [1998]: Selbstbewusstsein und Interaktion, 9 ff).  In Jacobis David Hume wird dies explizit dargelegt im Zuge des Gespräches über den cartesischen Gottesbeweis. Jacobi kommt auch auf Spinoza zu sprechen: „Denn was kann klarer und deutlicher, was kann selbst auffallender seyn als die Wahrheit folgender Sätze. Das Seyn ist keine Eigenschaft, sondern es ist das, was alle Eigenschaften trägt. Die Eigenschaften sind des Seyns; sind nur an ihm; Modificationen, Aeusserungen desselben. Folglich: da alle Dinge nur als Beschaffenheiten eines zum Grunde liegenden Realen, oder Absoluten Seyns, gedacht werden können: so ist es ungereimt, ihre Möglichkeit als das Erste zu setzen, und von dieser Möglichkeit zu reden, als wenn sie etwas absolutes wäre, das für sich bestehen oder wenigstens gedacht werden

20

1 Die Exposition der Fragestellung

entsprechend des Grundtheorems des a nihilo nihil fit ist das Unendliche Spinozas nur „das lautere Prinzipium der Würklichkeit in allem Würklichen, des Seyns in allem Daseyn, durchaus ohne Individualität und schlechterdings unendlich“. (SB, 39) Als Konsequenz daraus, die Relation von Endlichem und Unendlichem selbst unter das Grundtheorem stellen zu müssen, kann ein Anfang des Endlichen selbst gar nicht mehr gedacht werden, weil mit jedem „Entstehen im Unendlichen, unter was für Bilder man es auch kleide […], ein Etwas aus dem Nichts gesetzt werde“ (SB, 18) – was das Grundtheorem explizit verletzen würde. Indem also die Immanenz des Endlichen im Unendlichen unausweichlich gedacht, d. h. unter Bedingungen gestellt werden muss, verbietet es das Grundtheorem grundsätzlich, einen Anfang des Endlichen zu denken. Das Sein erweist sich als Konsequenz selbst als unwandelbar. Und so sagt Jacobi: „Das Werden kann eben so wenig geworden seyn oder angefangen haben, als das Seyn.“ (SB, 93) In der Logik des a nihilo nihil fit muss überhaupt das Werden und so auch das Gewordene immer schon geworden sein, andernfalls entstünde es selbst ex nihilo: Denn „das Bestehende in sich selbst, das Ewig-Unveränderliche, das Beharrende im Wandelbaren, wenn es je, ohne Wandelbares, für sich allein gewesen wäre, würde nie ein Werden hervorgebracht haben“. (SB, 93 f) Ein Entstehen des Seienden als solchem außerhalb des Seins ist nicht denkbar, weil es kein Außerhalb gibt. Ein Entstehen des Seienden als solchem innerhalb des Seins ist nicht denkbar, weil es entweder als im Sein bereits vorhanden gedacht werden muss (aus dem die Bedingung der Entstehung genommen werden könnte) oder aus dem Nichts (ohne Bedingungen) entstehen müsste. Die Konsequenz: Spinoza „setzte an die Stelle des emanierenden ein nur immanentes Ensoph; eine inwohnende, ewig in sich unveränderliche Ursache der Welt, welche mit allen ihren Folgen zusammengenommen – Eins und dasselbe wäre“. (SB, 18) Das Werden der Dinge angesichts dieser „unveränderlichen Ursache der Welt“ bedarf demnach einer radikalen Modifizierung dahingehend, dass einerseits ihr ungewordenes Sein im Unendlichen, andererseits dennoch ihre zeitliche Abfolge gedacht werden muss. Andernfalls bliebe die faktisch vorhandene Sukzession ohne Erklärung. Dies führt Spinoza auf das Theorem der doppelten Verursachung, das eine horizontale und eine vertikale Verursachung der Dinge impliziert. Insofern das Endliche nur als dem Unendlichen immanent gedacht werden kann, denkt Spinoza die Verursachung der Dinge einerseits als vertikale Verursachung über ihre Wesensbestimmtheit, die zeitlos in Gott liegt und keinen Anfang kennt. Gott selbst drückt sich in den Dingen aus und gibt sich selbst in den Dingen

könnte; ungereimt im höchsten Grade, anstatt die Beschaffenheiten aus dem Realen herzuleiten, das Reale aus den Beschaffenheiten herleiten zu wollen.“ (DH, 44)

1.1 Jacobis Spinoza/Antispinoza

21

Wirklichkeit. Auf diese Weise ist er das Sein in allem Dasein. Gott ist so unmittelbare Ursache der Dinge dem Wesen, aber nicht der Existenz nach. Spinoza denkt andererseits auch eine horizontale Verursachung der Dinge. Dies ist eine zeitliche Abfolge derart, dass sich die Dinge gegenseitig in einer Kette von Bedingungen und Bedingtem ihrer Existenz nach hervorbringen und vernichten. Gott ist hierbei nur mittelbar Ursache der Dinge, insofern er selbst der Inbegriff aller hervorgebrachten und hervorbringenden Dinge ist. Ein zeitliches Werden wird von Spinoza als Abfolge innerhalb der Sphäre des Endlichen selbst verortet, nicht als Übergang vom Unendlichen zum Endlichen. Insofern jedoch durch das Grundtheorem jedes Entstehen ausgeschlossen ist, bleibt es dabei: Das horizontale Werden der Dinge selbst kann auch nicht geworden sein, sondern muss als immer schon entstanden gedacht werden. Das führt in den Widerspruch einer – wie es Jacobi nennt – ewigen Zeit.

Ewige Zeit Der konsequente Rationalismus gerät unweigerlich in eine Aporie, indem er ein Werden denken muss, ohne jedoch dabei einen Anfang denken zu können. Die Widersprüchlichkeit versucht Jacobi in ihren Verwicklungen aufzudecken.²⁴ Einen wirklichen Anfang zu denken, ist unmöglich, weil sich für ein wirkliches Anfangen, was also nicht nur ein Verändern ist, keine Bedingungen finden lassen, aber nur so verstanden werden könnte. Fänden sich Bedingungen, wäre es eo ipso kein (wirkliches) Anfangen. Versteht man unter ‚denken‘ die natürliche Erklärung, so stellt der Versuch, einen (wirklichen) Anfang zu denken, einen contradictio in adjecto dar. Ein plötzliches Anfangen z. B. durch einen Willen ist, so Jacobi, „vollkommen so unbegreiflich, als eine von selbst entstandene Bewegung in der Materie“. (SB, 257) Die Alternative hierzu, keinen Anfang und doch ein Werden zu denken, wie dies bei Spinoza zu finden ist, führt jedoch in den „ungereimten Begriff einer ewigen Zeit“. (SB, 257) Was Jacobi hiermit meint, lässt sich folgen-

 Es ist kein Widerspruch, einerseits die Unwiderleglichkeit des Systems, dann aber zugleich die Widersprüchlichkeit des Systems (bezüglich der Zeit und der Vermischung von Grund und Ursache) zu behaupten. Denn die Unwiderleglichkeit ist ja nur in dem Maße gegeben, wie (der Konsequenz des Systems folgend) die Zeit als inadäquate Anschauung der Wirklichkeit ausgewiesen und als Schein abgewiesen wird. Die Widersprüchlichkeit ist dann offensichtlich, wenn aus der Perspektive der zeitlichen Praxis an der Sukzession als zu erklärendes Phänomen festgehalten wird. Daher kann dann Jacobi auch sagen: „eine natürliche [d. h. begrifflich-rationale, D. A.] Erklärung des Daseyns endlicher und succzessiver Dinge, konnte durch seine Vorstellungsart so wenig, als durch irgend eine andre erreicht werden“. (SB, 251)

22

1 Die Exposition der Fragestellung

dermaßen erläutern: Wenn Spinoza vor dem Hintergrund des Grundtheorems folgerichtig „allerdings ein gewordenes Werden der einzelnen Dinge, keineswegs aber ein nichtgewordenes, Anfang- und Endloses Werden“ leugnet (SB, 252), so muss er das Werden innerhalb des Systems so konzipieren, dass letztlich dieses Entstehen und Vergehen „nur in einem ewigen, in sich selbst kreisenden, Flusse“ geschieht. (SB, 252) Die Zirkularität des Flusses resultiert dabei aus dem Theorem der doppelten Verursachung, indem die einzelnen Dinge durch die vertikale Verursachung „auf eine ewige und unendliche, nicht auf eine vorübergehende, endliche, und vergängliche Weise“ entspringen. Auf eine solche werden sie allein durch die horizontale Verursachung hervorgebracht, jedoch – und hierin schließt sich der widersprüchliche Zirkel – „in ihrem ewigen Daseyn darum nicht weniger unwandelbar beharren“.²⁵ (SB, 252) Denn die Individualisierung der einzelnen Dinge, die ihrer Essenz nach unwandelbar in Gott sind, wird zwar in die zeitliche Existenz verlegt, jedoch kommt diesem Modus der Zeitlichkeit keine ontologische Dignität zu, insofern die zeitliche Existenz nur eine spezifische und insbesondere inadäquate Weise ist, die einzelnen Dinge anzuschauen. Somit steht diese zeitliche Existenz erstens in direkter Abhängigkeit zu der a-zeitlichen Essenz, die zu erkennen allein adäquat ist. Und zweitens wird die zeitliche Existenz zu einem nebensächlichen Epiphänomen, das sich auf Grundlage des Grundtheorems des Rationalismus nur mit Widersprüchen integrieren lässt.²⁶ Mit anderen Worten gesagt, stellen sich die Dinge so dar, dass sich die einzelnen Dinge zwar einerseits gegenseitig hervorbringen, jedoch andererseits und zugleich die Dinge sub specie aeternitatis nur instantan nebeneinander Bestand haben können. Die Zeit ist damit aufgehoben bzw. in eine ewige verwandelt. Die einzelnen Dinge sind

 „Und hier lokalisiert Jacobi die Schwierigkeit genau: nämlich mit Bezug auf Spinozas These, daß das zeitliche Sein der Dinge nicht unmittelbar, sondern mittelbar aus der ewigen Substanz folgt. Daß Spinoza diese These damit begründet, daß aus Ewigem nur Ewiges folgen kann, macht um so mehr darauf aufmerksam, daß hier ein eklatantes Problem steckt. Nach Jacobis Analyse ergibt sich das eigentliche Problem daraus aber erst. Denn selbst wenn man konstatiert, daß das zeitliche Sein ein Faktum ist, das eine vollständige Ontologie – im Blick zumal auf die ethische Orientierung des Lebens – beachten muß, aber nicht direkt aus dem Sein der Substanz herleiten kann, dann ist die Frage immer noch die, wie denn dieses Faktum in die Einheit des Systems zu integrieren ist.“ (Sandkaulen [2012]: ‚Ewige Zeit‘, 251)  B. Sandkaulen macht auch an anderer Stelle darauf aufmerksam, dass Jacobi nicht behauptet, „daß die Dimension der Zeit in der Ethik völlig fehlt. Mit einer plakativen Kontrastierung von Ewigkeit und Zeit hat er also nichts im Sinn. Sein deutlich raffinierterer Einwand besteht vielmehr darin, daß Spinoza die Zeitlichkeit der endlichen Welt sehr wohl im Auge hat, mit ihr jedoch aus systemlogischen Gründen nur aporetisch umgehen kann.“ (Sandkaulen [2012]: ‚Ewige Zeit‘, 243, vgl. dazu auch Sandkaulen [2013]: Jacobis ‚Spinoza und Antispinoza‘, 33 f)

1.1 Jacobis Spinoza/Antispinoza

23

nicht allein dem Ursprunge nach von Ewigkeit her; sondern auch, ihrer Succeßsion unbeschadet, dem Vernunftbegriffe nach, alle zugleich vorhanden: denn im Vernunftbegriffe ist kein Vorher und Nachher, sondern alles notwendig und zugleich; und eine Folge der Dependenz [d. h. eine rein logische, nicht zeitliche Abhängigkeit, D. A.] ist die einzige, welche sich darin gedenken läßt. (SB, 253)

Kurz: Die endlichen Dinge sind endlich und ewig gleichermaßen – gefasst einzig in einem ewigen Fluss logisch notwendiger Abhängigkeit. ²⁷ Die Aufhebung der Zeit in dieser Dependenz ist aber letztlich nicht nur darum problematisch, weil die Sukzession in der Überführung in eine logische Dependenz nur in einen ewigen Fluss verwandelt werden kann, der doch alle einzelnen Dinge nur simultan enthält. Mehr noch macht hier Jacobi einen weiteren ‚Einwurf‘ dergestalt, „daß es eine Ungereimtheit sei, anzunehmen, es könne eine ewige Zeit auf den heuten Tag kommen“. (SB, 252) Insofern nämlich die Sukzession als anfangsloses Werden gedacht werden muss, ergibt sich die Schwierigkeit, immer schon eine Unendlichkeit überbrückt haben zu müssen, um in der Gegenwart anzugelangen. Für Jacobi stellt dies eine Unmöglichkeit dar.²⁸ Zeitlichkeit lässt sich zudem auch nicht in der logischen Dependenz im Grunde heimlich hineinbringen, wie dies Spinoza zuweilen impliziert. Schon bei mathematischen Sätzen, so Jacobi,werden zwar die rein logischen Sätze in uns sukzessive in ein Verhältnis gestellt. Das Dreieck ist dann vor der Innenwinkelsumme vorhanden. Jedoch ist diese Abfolge im Erkennen kein Erkennen einer Abfolge. Diesem Fehlschluss erliegen jedoch die Philosophen. Weil aber dieses [das Bilden des Begriffes in uns, D. A.] succeßiv geschieht, und eine gewisse Zeit darüber verfließt, so verwechseln wir diese Werden eines Begriffes mit dem Werden der Dinge selbst, und glauben die würkliche Folge der Dinge eben so erklären zu können, wie sich die ideale Folge der Bestimmungen unserer Begriffe, aus ihrer nothwendigen Verknüpfung in Einer Vorstellung erklären läßt.²⁹ (DH, 50)

 Nochmals B. Sandkaulen: „Unter der systemischen Bedingung allumfassender Einheit kann die Dimension der zeitlichen Existenz nicht aus der Immanenz herausfallen. Deshalb kann sie auch nicht als offener – indefiniter – Prozeß, vielmehr muß sie als infinit, ‚als wirklich unendlich‘ gedacht werden: mit der Folge, daß genau diese notwendig zu denkende Infinitheit der aktualen Existenz auf den ‚ungereimten Begriff einer ewigen Zeit‘ führt, ‚der sich durch keine mathematische Figur auf die Seite räumen läßt‘.“ (Sandkaulen [2012]: ‚Ewige Zeit‘, 251)  Siehe auch B. Bowmans Ausführungen dazu, der die Stichhaltigkeit dieses Einwandes mittels neuerer Überlegungen aus der analytischen Philosophie bezweifelt (vgl. Bowman [2006]: Spinoza. Ausgangspunkt oder Endstation).  Spinozas mathematische Erläuterungen hält Jacobi auch in den Spinozabriefen nicht für stichhaltig, „denn die Folge, welche in den mathematischen Gleichnissen vorgestellt wird, ist keine objective und wirkliche, sondern eine subjective und blos idealische, die auch nicht einmal

24

1 Die Exposition der Fragestellung

So ist also die Aufhebung der Zeit in der Tat ein mit Bedacht gewählter Zug in Spinozas System, der im Grundtheorem impliziert ist. Wenn jedoch „die Zeit vor der Vernunft nothwendig und von selbst aus dem Zeitlichen verschwinde“, so erstarrt Wirklichkeit erstens „so fort zu einem unveränderlichen Ewigen“ und wird „zu der leibhaften Gottheit selbst verklärt“. (SB, 252) In der Konsequenz ist zweitens die Zeitlichkeit der Wirklichkeit „bloßer Wahn“ (SB, 20) und drittens alle Kontingenz aufgehoben in der Notwendigkeit Gottes als dem Inbegriff aller Verkettungen in der Zeit, d. h. der Wirklichkeit selbst.³⁰ Ist diese Täuschung durchschaut bzw. ist erkannt, dass die Dependenz selbst keine zeitliche Abfolge impliziert, sondern vielmehr unmöglich macht, tritt einmal mehr die Ausweglosigkeit zu Tage, mit der dem Rationalismus die Zeit zu einem Problem wird, dessen Dimension bis hierher nur angedeutet worden ist und weitere Folgen nach sich zieht. Denn Wirklichkeit wird damit einer Dimension beraubt, die sich für das Selbstverständnis handelnder Individuen als essentiell zeigt.

idealisch vorhanden seyn könnte, wenn ihr nicht eine wirkliche Succzeßion in dem Subjekt, welches sie in Gedanken erzeugt, zum Grunde läge, und dadurch das Stehende in ein Fließendes verwandelt würde“. (SB, 251)  Durch das Konzept der Immanenz bei Spinoza kommt Ewigkeit nicht nur der Substanz und ihren Attributen zu, sondern unendlichen und endlichen Modi, auch den einzelnen Dingen also, die aus der Substanz folgen. Jacobi hält fest, dass in Spinozas „Systeme […] die Individua oder einzelnen Dinge eben so ewig [sind], als die Gottheit selbst, welche auf eine schlechterdings nothwendige Weise Unendliches aus Unendlichem hervorbringt“. (SB, 234) Das Dasein, was im Sein immanent begründet ist, ist aus diesem Grunde notwendig ewiges Dasein. Spinoza ist zwar nicht vorzuwerfen, dass sich einzelne Dinge in einer ununterscheidbaren All-Einheit auflösten, aber die zeitliche Existenz der Dinge geht unweigerlich verloren, wenn die causa sui mit der causa rerum zusammenfällt (vgl. Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 149). Auch wenn Spinoza Individualbegriffe kennt, die es ihm ermöglichen, den Einzelnen aus Gott hervorgehen zu lassen, so ist gerade ein solcher Einzelner ein vollständig bestimmter Moment im logischen Ganzen Gottes, in welchem dem Einzelnen kein Freiraum mehr zukommen kann, den er für sich bzw. aus sich erschließen könnte. Spinoza unterläuft in seiner Konzeption den Unterschied zwischen potentia und possibilitas: Aus einer göttlichen Substanz, aus deren potentia agendi das Endliche notwendig hervorgeht, kann Spinoza keine Rechenschaft mehr geben über die innere Möglichkeit der wirklichen endlichen Dinge selber – bei Spinoza gibt es kein modales Gefälle zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit, d. h. die Dinge sind nicht im Modus des Möglichen denkbar. Bei Spinoza sind die Dinge bereits alle Wirklichkeit, über die hinaus es nichts gibt, was in irgendeiner Weise noch möglich und zu verwirklichen wäre (vgl. Otto [2004]: Spinoza ante Spinozam?).

1.1 Jacobis Spinoza/Antispinoza

25

Determinismus und Fatalismus Die Unwandelbarkeit Gottes und die daraus resultierende Unmöglichkeit, einen Anfang zu denken, machen es unausweichlich, der Wirklichkeit eine durchgängige Bestimmtheit zuzusprechen und willentliche Handlung auszuschließen. Dies trifft zunächst auf Gott, d. h. auf die eine Substanz, selbst zu. Denn die inwohnende unendliche Ursache [d. h. Gott, D. A.] hat, als solche, explicite, weder Verstand noch Willen, weil sie, ihrer transzendentalen Einheit und durchgängigen absoluten Unendlichkeit zufolge keinen Gegenstandes des Denkens und des Wollens haben kann, und […] ein Wille, der das Wollen würkte und durchaus sich selbst bestimmte, lauter ungereimte Dinge sind … . (SB, 19)

Das heißt, die „erste Ursache kann eben so wenig nach Absichten oder Endursachen handeln, als sie selbst um einer gewissen Absicht oder Endursache willlen da ist“. (SB, 19 f) Es gibt nur „lauter würkende und keine Endursachen“ (SB, 20), schlicht weil das Wirken aus einem Willen als ein ursprüngliches Handeln gegen das Grundtheorem des Rationalismus verstößt. Damit kann Gott nur aus seiner Natur und Aktuosität wirken. Gott als die erste Ursache kann „so wenig einen Anfangs-Grund oder Endzweck haben etwas zu verrichten, als in ihr selbst Anfang oder Ende ist“. (SB, 20) Alle Wirklichkeit ist immer schon bestimmt und aktual aus der Notwendigkeit der Natur Gottes. Und so hat dies fatale Auswirkungen auf das Konzept des Willens des Menschen. Denn indem dies für Gott konstatiert werden muss, „so hat das denkende Vermögen in der ganzen Natur blos das Zusehen; sein einziges Geschäffte ist, den Mechanismus der würkenden Kräfte zu begleiten“. (SB, 20 f) Die endlichen Modi sind in der Konsequenz in Gänze durch Gott bestimmt und können daher ebenso wenig wie die erste Ursache nach Absichten oder Endursachen handeln. In einer allein durch die Notwendigkeit der Natur Gottes vollständig bestimmten Wirklichkeit herrscht damit auf allen Ebenen ein lückenloser Determinismus. Insofern wird unser alltägliches Selbstverständnis durch die offenen oder verdeckten Implikationen auf den Kopf gestellt. Denn auch die Affekten und Leidenschaften würken nicht, in so ferne sie Empfindungen und Gedanken sind; oder richtiger – in so ferne sie Empfindungen und Gedanken mit sich führen. Wir glauben nur, daß wir aus Zorn, Liebe, Großmuth, oder aus vernünftigem Entschlusse handelten. Bloßer Wahn! In allen diesen Fällen ist im Grunde das was uns bewegt ein Etwas, das von allem dem nichts weiß, und das, in so ferne, von Empfindung und Gedanke schlechterdings entblößt ist. (SB, 21)

Spinoza schließt explizit die Endursachen aus und macht zudem durch sein Parallelismus-Theorem, nach welchem Ausdehnung und Begriff als Attribute

26

1 Die Exposition der Fragestellung

Gottes lediglich zwei Ansichten ein und derselben Sache sind, ein ursächliches Einwirken von Geist auf die Materie oder umgekehrt schlicht unmöglich. Handlung wird damit undenkbar und explizit aus dem System verbannt. Anders gewendet, führt der konsequente Rationalismus über die Implikationen des Determinismus direkt in den Fatalismus, insofern alle Räume für Handlung im System getilgt sind. Damit ist nicht nur der Anfang, sondern auch das Anfangen-Können aus dem System verschwunden. Jacobi sagt lakonisch schlicht: „Jeder Weg der Demonstration geht in den Fatalismus aus.“ (SB, 123) Freiheit kann bei Spinoza unter Systembedingungen eben nicht in „einem erträumten Vermögen wollen zu können“ liegen, „weil das Wollen nur in dem würklich vorhandenen bestimmten Willen da seyn kann“. (SB, 78) Die Freyheit des Menschen ist das Wesen des Menschen selbst; das ist, der Grad seines würklichen Vermögens oder der Kraft mit welcher er das ist, was er ist. In so fern er allein nach den Gesetzen seines Wesens handelt, handelt er mit vollkommener Freiheit. (SB, 78 f)

Akosmismos, Atheismus, Nihilismus In diesem Sein als ewig in sich kreisender Produktivität verschwindet nicht nur die Zeit und mit ihr der Anfang bzw. das Anfangen-Können oder die Handlungsfreiheit. Der konsequente Rationalismus führt auch direkt ins Nichts. Diese zentrale These Jacobis wird dann deutlicher, wenn man den Status der einzelnen Dinge näher betrachtet. Indem nämlich die Wirklichkeit inklusive ihrer zeitlich verfassten Dimension der Existenz in der Rückführung auf die a-zeitliche Essenz Gottes in eine bloß logische Dependenz überführt wird, sind „die Individua oder einzelnen Dinge eben so ewig, als die Gottheit selbst“. (SB, 234) Spinoza kann mit anderen Worten keine „Rechenschaft“ „von der inneren Möglichkeit“ der einzelnen Dinge geben: „keine von ihrer Sonderung, Wechselwirkung, Gemeinschaft“. (SB, 234) An dieser Stelle wird besonders deutlich, aber auch besonders wichtig, dass Jacobis Spinoza-Rekonstruktion sogleich sein Antispinoza ist. Denn auf der einen Seite hält Jacobi Spinozas System allein aus (begrifflich aufzuschlüsselnden) Gründen für unwiderlegbar (vgl. SB, 347). Auf der anderen Seite legt Jacobi eine tief in die Grundstruktur reichende Aporie des Rationalismus frei, die er zwar nicht begrifflich-argumentativ beweisen, aber praktisch-existentiell aufweisen bzw. erweisen kann, indem er Spinozas System vom Boden einer Lebensweltlichkeit her betrachtet.³¹ Dieser Erweis zeigt die kontra-intuitiven Im-

 Jacobi spricht auch davon, dass sich dies nicht „beweisen“, sehr wohl aber „erweisen“ lässt. Das System Spinozas, so Jacobi, ist „unwiderleglich“, nicht jedoch „unwidersprechlich“. (WMB,

1.1 Jacobis Spinoza/Antispinoza

27

plikationen des Rationalismus auf, die unser Selbstverständnis radikal in Frage stellen. Vor diesem Hintergrund ist Jacobis Aussage zu verstehen, dass der Spinozismus „nur von der Seite seiner Individuationen mit Erfolg angegriffen werden“ könne.³² (SB, 234) Nicht zuletzt deswegen spielen Konzepte der (individuellen) Person, Konzepte von Freundschaft, von Liebe und Tugend, vom Guten, Schönen und Wahren in Abgrenzung zu einer Wahrheit des „bloß logischen Enthusiasmus“, ja sogar vom Leben eine zentrale und auch noch näher zu beleuchtende

155 und 165) Wenn hier also zwischen widerlegen und widersprechen unterschieden wird, so verweist das auf die Komplexität der Position Jacobis. Es ist keine Widerlegung anhand einer Logik, sondern ein Widersprechen aufgrund einer Erfahrung – wie auch immer diese genau aussehen mag, sei hier dahingestellt. Jacobi betreibt also streng genommen keine immanente Kritik, weil diese Jacobis Ansicht zufolge allein auf argumentative Mittel eingeschränkt auf den Spinozismus als die konsequenteste Philosophie zurückführt. In der Mobilisierung einer ursprünglichen Erfahrung wird überhaupt ein Ansatzpunkt für die Kritik geschaffen, der jedoch nicht nur von außen an das System herangetragen wird, sondern als ‚elastische Stelle‘ selbst als systematisch bedingter ‚blinder Fleck‘ im System verortet ist – und damit eine im System selbst liegende Aporie bildet, die vom System aber selbst nicht ‚wahrgenommen‘ werden kann. Insofern steht das Widersprechen ebenso ganz auf dem Boden der Metaphysik Spinozas – um zugleich schon darüber hinaus zu sein. Im Verweis auf diese ursprüngliche Erfahrung kritisiert Jacobi damit eigentlich den Immanenz-Gedanken selbst, der im Widerlegen immer wieder affirmiert würde. In dieser Ambivalenz in Jacobis Kritik besteht eigentlich Jacobis Spinoza/Antispinoza. Zum Verhältnis von Widersprechen und Widerlegen vgl. Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 31 ff.  Eben diese Individuation rückt unweigerlich in den Fokus, wenn Unendliches und Endliches so zusammenfallen, dass das Endliche seinen Inbegriff im Unendlichen hat. Die Frage nach dem principium individuationis mag hier im Raume stehen, jedoch führt sie auch von einem zentralen Punkt Jacobis gerade weg. Einerseits ist das Individuelle in der langen Tradition der Ideengeschichte ein zentraler, aber dennoch ein problematischer Begriff, dessen Hervorgang aus einem ersten Prinzip die neuplatonische Tradition und so auch Spinoza beschäftigte.Was ein Individuum im Gegensatz zu einer Universalie zum Individuum macht und als hoc aliquid konstituiert (vgl. Mensching [1996]: Neuentdeckung des Individuationsprinzips) beschäftigt gleichfalls die aristotelische Tradition im Mittelalter, die wie z. B. Thomas von Aquin von der unmittelbaren Realität der einzelnen Dinge ausgeht, um von da zu den ersten Bestimmungen der Dinge zu gelangen (vgl. Mensching [1996]: Neuentdeckung des Individuationsprinzips). Dass der konsequente Rationalismus aufgrund seiner mitgesetzten Implikationen wie der Auflösung der Zeitlichkeit und Kontingenz eine Grundstruktur des Individuellen zersetzt und gerade der Individuation entgegenarbeitet, lässt Jacobis Kritik daran als eine Einforderung eines principium individuationis im Geiste der aristotelischen Tradition erscheinen. Andererseits greift doch eine solche Rekonstruktion von Jacobis Spinoza/Antispinoza zu kurz, weil – wie noch auszuarbeiten sein wird – Jacobis Anliegen keineswegs darin bestehen kann, ein principium auszuarbeiten, selbst wenn es eines der Individuation ist. Ein ernstes Problem resultiert aus dem Grundtheorem des Rationalismus, unter das naturgemäß auch ein principium individuationis fallen muss, wenn es konsequent systematisch als Prinzip abgeleitet werden soll. Ein solches Prinzip würde von Anbeginn einen strukturellen Rahmen setzen, dessen Kritik Jacobis Spinozabriefe gewidmet sind.

28

1 Die Exposition der Fragestellung

Rolle in Jacobis Spinoza/Antispinoza.³³ Dass Spinoza keine Rechenschaft über „die innere Möglichkeit“ der einzelnen Dinge geben kann, heißt dann zunächst nichts anderes, als was bereits festgehalten wurde. Der Verlust der Zeitlichkeit ist dabei der Angelpunkt hierfür: Kann die Zeit nur als „Wahn“ verstanden werden, wird in einem ersten Schritt das Selbstverständnis eines jeden Einzelnen als in der Zeit handelnden und daher als konstitutiv auf Zeit angewiesenen Akteurs konterkariert. In einem zweiten Schritt wird die Freiheit des Einzelnen durch einen umfassenden Determinismus ersetzt. Jenes Selbstverständnis des Akteurs wird somit explizit negiert. Indem aufgrund der Identität des Unendlichen und Endlichen ein empirisches, zeitliches Dasein nicht unabhängig vom Unendlichen gedacht werden kann, sondern nur in der absoluten Identität mit der absolut tätigen Ewigkeit selbst in eine „gedankenlose Actuosität“ transformiert wird, ist in einem dritten Schritt „[a]lles Unterschiedene, Bestimmte, Denkende, Absichtvolle“ unter diesen Bedingungen ebenfalls nur „Wahn“. (SB, 339) Schritt drei unterscheidet sich von dem vorhergehenden insofern, als hier nicht nur das Selbstverständnis negiert wird, sondern aus der Vernunftperspektive sub specie aeternitatis, die wir einzunehmen aufgrund des Grundtheorems des Rationalis-

 K. Hammacher, einer der ersten einer neuen Generation akademischer Forscher, die Jacobis Bedeutung für die klassische deutsche Philosophie herausstellen, stellt seine Annäherung an Jacobi unter den Titel ‚Kritik und Leben‘ (vgl. Hammacher [1969]: Die Philosophie Friedrich Heinrich Jacobis). A. Tikal widmet seine Studie dem Lebensbegriff des jungen Hegel im Ausgang von Jacobi (vgl.Tikal [2012]: Leben als absolute Erkenntnis). – Wie zentral ‚Leben‘ bei Jacobi ist, zeigt sich auch daran, dass später die Debatte mit Fichte auch vor dem Horizont der Unterscheidung zwischen ‚Standpunkt des Lebens‘ und ‚Standpunkt der Spekulation‘ geführt wird. – Auch H.-J. Gawoll weist auf die zentrale Rolle Jacobis für die Integration der Individualität hin. Die in Hegels Jacobi-Rezension angeschlagenen versöhnlichen Töne und das Eingeständnis der Wichtigkeit Jacobis „beinhaltet die Wertschätzung, daß dessen gegenidealistische Polemik in einer Krisen- und Umbruchsituation den Grund dafür legte, auf welche Weise man dem menschlichen Leben [kurisv, D. A.] theoretisch einen verbindlichen Maßstab geben kann“. (Gawoll [1998]: Von der Unmittelbarkeit des Seins zur Vermittlung der Substanz, 135) – Der Bezug auf Individualität in dieser Zeit ist vielfältig. Jacobis Ansatz zeichnet sich aber durch Originalität aus (vgl. dazu z. B. Sandkaulen [2012]: ‚Individuum est ineffabile‘).Wenn hier auf Individualität (bei Jacobi) Bezug genommen wird, so wird sich erst in Kapitel VI zu Jacobis Unphilosophie näheres sagen lassen. Vorgreifend sei konstatiert, dass Individualität einen Komplex von Figuren umgreift, der Handlungsfreiheit, Selbstbewusstsein, Personsein, Jemeinigkeit und Zeitlichkeit umfasst, die aus einer praktischexistentiellen Einbettung her verstanden werden. Jacobi geht es dabei um eine namentlich zu identifizierende, konkrete Person. Auf diesen Komplex verweist der Gebrauch von ‚Individualität‘. Es geht nicht um eine vorauszusetzende individuelle Substanz, nicht um Besonderheiten. Individualität jedoch ist für Jacobis Spinoza/Antispinoza absolut zentral zu nennen, weil, wie Jacobi sagt, der Spinozismus „nur von der Seite seiner Individuationen mit Erfolg angegriffen werden“ könne. (SB, 234)

1.1 Jacobis Spinoza/Antispinoza

29

mus genötigt sind, die Wirklichkeit der Individuen selbst verloren geht.³⁴ Unter dieser Perspektive ohne Zeit, Sukzession, Handlung, Urheberschaft und damit Handlungsfreiheit ist das verschwunden, was zu erklären gerade Absicht des Systems war. Die einzelnen Dinge werden zu „non-entia“.³⁵ (SB, 100) Macht das Projekt einer Letztbegründung ein immanentes Prinzip der Wirklichkeit erforderlich, das kein Transzendentes kennt, so neutralisiert Jacobi zufolge der in dieser Funktion agierende naturalistische Gott Spinozas als Inbegriff der Natur erstens eben diese Natur, aber zweitens vice versa auch sich selbst. Denn vor dem Hintergrund des Grundtheorems des Rationalismus kann das Verhältnis von Gott und Natur bzw. von natura naturans und natura naturata nur auf eine bestimmte Weise gedacht werden. Wäre z. B. die „Natur [d. h. die einzelnen Dinge, D. A.] der Inbegriff alles Seyns“, so würde das Sein „nur ein starres Unding“. (GD, 98) „Auch sey sie [die Natur, D. A.] nicht das ewige Wirken und Werden der Dinge, als hätte sie diese, irgend ein Daseyn zur Absicht“, da weder eine Absicht noch eine Vereinzelung gedacht werden kann. Die Natur ist als der Inbegriff Gottes einzig und allein das Hervorbringen als solches, das reine Hervorbringen ohne alle Absicht, die absolute Productivität. Dieser Sub- und Objektlosen, a parte ante wie a parte post un-

 „Da die Erkenntnis einen Zusammenhang darstellt, in welchem sich das menschliche Bewußtsein in seiner eigenen Ordnung – nämlich derjenigen der Gedanken – findet, sich zugleich aber das Streben nach Existenz darein verlegt, wird das Freiheitsbewußtsein durch diese Selbständigkeit verborgen, und die Ordnung der Gedanken erscheint als die wahrhafte Vernunft. Der Geist verschwindet so vor sich selbst im Nachdenken über sich, wie Jacobi feststellt.“ (Hammacher [1971]: Jacobi und das Problem der Dialektik, 132 f)  B. Sandkaulen macht darauf aufmerksam, dass der Kontext zu beachten ist, in dem Jacobi dies sagt. Daraus gehe hervor, „daß Jacobi selbstverständlich nicht der Meinung ist, daß die Dinge Spinoza zufolge nicht existieren“. Jacobi übersieht nicht, „daß Spinoza dieser Existenz wesentlich einen conatus zuspricht: das als Modifikation der göttlichen Macht zu verstehende Streben, sich im Sein zu erhalten und relativ zu diesem Streben Freiheit zu gewinnen“. Das entscheidende Problem liegt damit darin, dass „der ontologische Status der Modi relativ zum Sein der Substanz bestimmt wird“. (Sandkaulen [2008]: Die Ontologie der Substanz, 261) Dem widerspricht diese Untersuchung nicht, hebt sie doch im Weiteren heraus, dass die Crux in der Bestimmung des Endlichen im systematisch-systemischen Denken exklusiv aus dem Begriff heraus geschieht und die Sache daher, so Jacobi, in Nichts verwandelt. Das rechtfertigt weiterhin die Rede von ‚Akosmismos‘ auch bei Jacobi, wenn nur die Bedeutung und Reichweite berücksichtigt wird. Jacobi legt hierauf in dem Vorbericht zur dritten Auflage der Spinozabriefe nochmals die Aufmerksamkeit und unterstreicht die Bedeutung dieses Punktes: „So erging es dem Spinoza. Sein Weltall ist dasselbe heute, gestern und immerdar. Dieses in seinem Grunde blödsinnige Weltall macht sich selbst einen blauen Dunst vor von Wesen, welche nicht sind, deren jedes, mithin auch ihre Gesammtheit, nur ein wechselndes Nichts ist. Darum könnte man sagen, der Spinozismus läugne nicht sowohl das Daseyn eines Gottes, als das Daseyn einer wirklichen und wahrhaften Welt, grade wie sich dieses auch von jedem späteren System der Art sagen ließe.“ (VSB, 346)

30

1 Die Exposition der Fragestellung

bedingten, absoluten Productivität allein könne ein wahrhaftes Seyn zugeschrieben werden, keinesweges aber dem von ihr Producirten, der Unendlichkeit der einzelnen Wesen; diese, als solche, seyen in Wahrheit nicht; folglich könne auch nicht seyn ein Inbegriff alles Seyns, sondern es könne seyn nur ein einiges ewiges und unveränderliches Seyn, das Seyn der absoluten Productivität. (GD, 98)

So führen also die Überlegungen in einen – wie Jacobi es nennt – Akosmismos, in dem das All der Wesen nichts ist. Demnach ist unwidersprechlich das Schöpferwort des naturalistischen Gottes, welches er von Ewigkeit zu Ewigkeit ausspricht: Es werde Nichts! Er ruft hervor aus dem Seyn das Nichtseyn; wie der Gott des Theismus aus dem Nichtseyn hervorruft das Seyn. (GD, 99 f)

Insofern mit jener Identität von Endlichem und Unendlichem als Konsequenz der Immanenz-Philosophie Gott als der Inbegriff der Wirklichkeit in dem Maße verschwindet, wie die Wirklichkeit selbst bloß ein Nichts ist, führen genau diese Überlegungen auch in den Atheismus.³⁶ Das Verschwinden der Wirklichkeit und die Eliminierung Gottes sind somit für Jacobi unabwendbare Resultate eines konsequenten Rationalismus und Ausdruck eines einzigen Sachverhaltes. Diesen Sachverhalt benennt Jacobi mit dem Terminus Nihilismus, der für Jacobi eine Signatur der rationalistischen Welterschließung darstellt³⁷ – und somit auch verallgemeinert werden kann und nicht allein auf Spinozas Entwurf zutrifft: Darum könnte man sagen, der Spinozismus läugne nicht sowohl das Daseyn eines Gottes, als das Daseyn einer wirklichen und wahrhaften Welt, grade wie sich dieses auch von jedem späteren System der Art sagen ließe. (SB, 346)

Jacobis Begriffskritik Das problematische Verhältnis von Wirklichkeit und Wirklichkeitserklärung ist nicht allein ein systemimmanentes, sondern führt auf den Begriff und die Begriffsbildung selbst zurück. Denn erstens ist der Begriff für Jacobi seiner Natur

 „Spinozismus ist Atheismus.“ (SB, 120)  Auf den Einfluss Thomas Reids auf den Nihilismus-Begriff Jacobis macht Baum [1969]: Vernunft und Erkenntnis, 42 ff aufmerksam. Er weist jedoch darauf hin, dass Jacobi zwar dem philosophischen Gehalt nach den Nihilismus von Reid übernommen hat, er selbst war jedoch der erste, der den Terminus ‚Nihilismus‘ verwendet hat. Der Sache nach ist es das Gleiche, so Baum, wenn Jacobi in den frühen Schriften vom Egoismus redet.

1.1 Jacobis Spinoza/Antispinoza

31

nach reduktionistisch und zweitens zudem in eine Genese eingebunden, die ihren ursprünglich praktisch-existentiellen Ursprung vergisst.³⁸ Beides führt in eine weitreichende Verkehrung der Verhältnisse. Zunächst zur Genese.

Genese Wenn allem Werden „ein Seyn, was nicht geworden ist, zum Grunde lieg[t]; allem Entstehenden etwas nicht Entstandenes; allem Veränderlichen ein unveränderliches Ewiges“ (SB, 93), so ist dies nicht allein Teil des Grundtheorems des Rationalismus, sondern findet sich auch als eines der „frühesten Bedürfnisse“ des Menschen überhaupt, nämlich „dem Beständigen in dem ihn umgebenden und ihn durchdringenden Unbeständigen der Natur“ nachzuforschen. (SB, 248) Das heißt in erster Linie einmal, dass die Suche nach einem beständigen Wissen rein praktisch orientiert war und folglich „alle Wißenschaften“ – „und Philosophie im eigentlichen Verstande, Metaphysik, ist davon nicht ausgenommen“ – „zuerst als Mittel zu anderen Zwecken entstanden“. (AF, 207) Im Verleugnen ihrer praktisch-existentiellen Verankerung treibt die Philosophie ihre Letztbegründungsprojekte um der Erkenntnis selbst willen voran, deren Konsequenz eine artifizielle „Vernunftwelt“ ist, „worin Zeichen und Worte die Stelle der Substanzen und Kräfte vertreten“. (SB, 249) Zufolge hat dies also eine Verdoppelung der Welt, in der begrifflich-rationale Erkenntnis losgelöst wird von der Wirklichkeit. Die Konsequenz formuliert Jacobi wie folgt: Wir eignen uns das Universum zu, indem wir es zerreissen, und eine unseren Fähigkeiten angemessene, der wirklichen ganz unähnliche Bilder- Ideen- und Wort-Welt erschaffen. Was wir auf diese Weise erschaffen, verstehen wir […], was sich auf diese Weise nicht erschaffen läßt, verstehen wir nicht; unser philosophischer Verstand reicht über sein eigenes Hervorbringen nicht hinaus. (SB, 249)

Die so von der Wirklichkeit losgelöste Wissenschaft ist zwar „in ihrer Art vollkommen“ (GD, 56), doch wissen wir, so Jacobi, was kaum des Wissens werth ist; erkennen vollständig und mit genügender Einsicht nur solche Wahrheiten und Wesen, die, gleich den mathematischen, im Bilde wesentlicher und wahrer, als in der Sache – ja der Strenge nach, allein im Bilde wahr – durchaus nur Verhältnisse und Formen der Verhältnisse zum Inhalt haben. (GD, 55)

 G. Baum widmet seine Studie besonders den erkenntnistheoretischen Aspekten der Unphilosophie Jacobis. Für eine genauere Analyse der Überlegungen Jacobis eignet sie sich besonders (vgl. Baum [1969]: Vernunft und Erkenntnis).

32

1 Die Exposition der Fragestellung

Dieser Formalismus – oder auch logische Enthusiasmus – wird „zur angenehmsten Gefährtin des Lebens“ (GD, 55) und wir „wuchern“ damit, „um unserer Unwissenheit unendliche neue Gestalten zu geben – sie zu verändern, zu erweitern, zu organisiren“. (GD, 55) So wird diese Wissenschaft ein Spiel „mit leeren Zahlen“, dessen Zeitvertreib darin besteht, „neue Sätze ausrechnen, immer nur zum Weiterrechnen, ohne einem wahrhaften Facit, einer Zahlenbedeutung, dem eigentlichen Wahren, auch nur um ein Haar breit näher zu kommen“. (GD, 55) „Dieses Spiel mit unserer Unwissenheit“ (GD, 55) endet darin, „daß sie aus dem Betruge des Wahren, in die reine wesentliche Wahrheit des Betrugs über gegangen ist“. (AF, 207) War es ursprünglich in der Suche nach dem Beständigen darum zu tun, „hinter die Gestalt der Sache, das ist, zur Sache selbst“ zu kommen, so treibt die Suche nach einer umfassenden begrifflichen Erkenntnis auch noch „hinter die Wahrheit, das ist, zum Wahren“ selbst, wie es Jacobi in Abgrenzung zur bloß begrifflichen Wahrheit nennt, „unwißend, daß, wenn das Wahre menschlich gewußt werden könnte, es aufhören müßte das Wahre zu seyn, um ein bloßes Geschöpf menschlicher Erfindung, eines Ein- und Ausbildens wesenloser Einbildungen zu werden“. (AF, 207) Neben dieser Loslösung der Wissenschaft von der Lebenswirklichkeit gehen für Jacobi zwei wesentliche Defizite mit der wissenschaftlichen Begriffsbildung Hand in Hand. Zum einen zieht die begrifflich-rationale Rekonstruktion der Wirklichkeit Begriffe als logisch explizierbare heran, die zum Teil selbst jedoch wie der Begriff der Ursache überhaupt nur „Erfahrungsbegriffe“ sind, die wir, wie im Falle der Ursache, „dem Bewußtseyn unserer Causalität und Paßivität zu verdanken haben“. (SB, 256) Hätten wir keine Erfahrung der Kausalität wie sie uns sich in unserem Handeln zeigt, hätten wir auch keinen Begriff der Ursache und Wirkung.³⁹ Kausalität ist damit ein originärer Erfahrungsbegriff, den wir nur unmittelbar auffinden, so auch nicht rational-begrifflich konstruieren können und hernach „eben so wenig aus dem blos idealistischen Begriffe des Grundes herleiten, als in denselben auflösen“ können.⁴⁰ (SB, 256) Das begrifflich-rationale Denken unterliegt hier also einer „Täuschung“ mit weitreichenden Konsequenzen, „indem man den Begriff der Ursache mit dem Begriffe des Grundes vermischt“, die zeitliche Dimension der Kausalität vernachlässigt „und ihn in der Spekulation zu einem blos logischen Wesen macht“. (SB, 255 f) Das systematisch-

 „Und ohne die lebendige Erfahrung in uns selbst von einer solchen Kraft, deren wir uns in einem fort bewust sind; die wir auf so manche willkührliche Weise anwenden, und, ohne sie zu vermindern, auch von uns ausgehen lassen können: ohne diese Grunderfahrung würden wir nicht die geringste Vorstellung von Ursache und Würkung haben.“ (DH, 54)  Vgl. zum Komplex des Erfahrungsbegriffes der Ursache Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 171 ff.

1.1 Jacobis Spinoza/Antispinoza

33

systemische Denken vergisst seine Genese sowie seine konstitutive Abhängigkeit von nicht-logischen, d. h. eine reale Sukzession und nicht allein eine logische Sukzession implizierenden, nur in der Erfahrung der eigenen Handlung auffindbaren Begriffen. Zugleich blendet das systematisch-systemische Denken jedoch die reale und logische Sukzession ineinander, ohne zu bemerken, dass „sich das wirkliche Daseyn einer succzeßiven, aus einzelnen endlichen Dingen, welche sich die Reihe hinab einander hervorbringen und vertilgen, bestehenden Welt, auf keine Weise begreiflich, das heißt natürlich erklären“ lässt. (SB, 257) „Die Bedingung der Möglichkeit des Daseyns einer suczessiven Welt“ liegt deswegen „ausser dem Gebiete ihrer Begriffe“ (SB, 258), weil der Faktor Zeit und verbunden damit die reale Sukzession nicht logisch abgeleitet werden können. Das Unterfangen der ‚natürlichen Erklärung‘ führt folglich (wie gesehen) in die Ungereimtheit der ‚ewigen Zeit‘, indem das konsequent rationale System das Werden des Werdens, d. h. „einen wirklichen Anfang“ (SB, 259), nicht denken kann und darf. Es liegt jedoch an unserer Erfahrung der eigenen Handlung, einen solchen denken zu müssen. Hier stoßen somit begrifflich-rationale Konstruktion des Systems und Erfahrung auf entscheidende Weise zusammen und bringen das Anliegen der Begriffskritik Jacobis einmal mehr zum Vorschein. Denn es gilt nicht nur, irgendeine Erfahrung gegen irgendeinen Begriff zu stellen, sondern mit der Problematik der Ursache (und des Grundes) die Verfahrensweise der begrifflich-rationalen Konstruktion selbst auf den Prüfstand zu stellen und den mit dieser Konstruktion unaufhebbar assoziierten Begriff der Bedingung mit dem Konzept des wahrhaft Unbedingten zu kontrastieren, das sich nicht als Konstruktion durch den Begriff ergreifen lässt. Die Spezifik der Begriffskritik Jacobis muss zugleich auch die Grundlage freilegen, vermittels derer er seine Kritik formulieren kann. Und so ist dieses Unbedingte nichts Jenseitiges, sondern direkt verknüpft mit dem aus unserer Erfahrung geschöpften Begriff der Ursache. Denn über die Frage nach der Sukzession hinaus wurzelt auch der „Freyheits-Begriff, als wahrer Begriff des Unbedingten […] unvertilgbar im menschlichen Gemüthe, und nöthigt die menschliche Seele nach einer über das Bedingte hinaus liegenden Erkenntniß des Unbedingten zu streben“. (EDH, 412) Umso dringlicher ist die Entwirrung der Begriffe und die Freilegung der genuin nicht-rationalen, wenngleich auch nicht irrationalen Dimension des menschlichen Daseins, um die Frage nach der Freiheit zu klären, die Jacobi in seiner Begriffs- und Metaphysikkritik in diesem Komplex aus Bedingtem und Unbedingtem, Natürlichem und Übernatürlichem, Vermittlung und Unmittelbarem zentral verhandelt. Das heißt, es gilt für Jacobi, die Sphäre der Erfahrung und darin ein neues Paradigma der Erkenntnis überhaupt als nötige Ergänzung zur begrifflich-rationalen Vermittlung in Stellung zu bringen, um den Verkürzungen des Systems entgegenzutreten. Jacobi wird dieses neue

34

1 Die Exposition der Fragestellung

Paradigma mit Gefühl, Ahndung, Vernehmen und Unmittelbarkeit assoziieren, um jener Wirklichkeit gerecht zu werden, von der wir in unserer Erfahrung (der Handlung) unmittelbare Gewissheit haben, ohne in der Lage zu sein, diese rein begrifflich-rational einzuholen. Diese im Erklärungsmodell liegende Reduktion des Wirklichen auf das mit Begriffen Konstruierbare ist das zweite Defizit in der Begriffsbildung. Auf der einen Seite wandern durch die Genese der Begriffe für das systematisch-systemische Denken unbemerkt immer schon nicht-rationale Züge ein, die in den Begriffen nur um den Preis einer Täuschung und Vertauschung der Verhältnisse auf Grundlage einer Vermischung (von Grund und Ursache) konserviert werden. Auf der anderen Seite werden durch die Natur der Begriffe nichtrationale Komponenten wie Qualität und das Unbedingte konsequent getilgt.

Logik der Konstruktion Diese Reduktion, die im Begriff liegt, ist zurückzuführen auf die für Jacobi unvermeidbare Tatsache, „daß Reflexion nur durch Abstraction möglich wird“. (AF, 203) Der Begriff kann nur eine Sache vertreten, auf die er zwar angewiesen ist, insofern alle Begriffe überhaupt nur sinnvoll auf Konkreta gehen, jedoch in der „Handlung des Auflösens alles Wesens in Wißen“ als „progreßive Vernichtung (auf dem Wege der Wißenschaft) durch immer allgemeinere Begriffe“ den Gegenstand verlieren muss. (AF, 203) Nicht allein jedoch die zunehmende Abstraktion und Verallgemeinerung, sondern zudem der Mechanismus des Begreifens zeitigt diese Konsequenzen. Denn das Begreifen eines Gegenstandes bzw. Sachverhaltes mittels Begriffen ist ein Konstruieren, das dann erfolgreich ist, „wenn wir uns seine Bedingungen der Reihe nach vorstellen, d.i. ihn aus seinen nächsten Ursachen im vollständigen Zusammenhange herleiten können“. (SB, 258) Insofern dieser Zusammenhang einer von begrifflich formulierten Bedingungen ist, die notwendig ineinandergreifen, nennt Jacobi ihn einen „mechanischen“.⁴¹ Dieser Zusam-

 „[W]as wir auf diese Weise einsehen, oder herleiten können, stellt uns einen mechanischen Zusammenhang dar.“ (SB, 258) – B. Bowman rekonstruiert Jacobis Rationalitätskritik mit den Mitteln moderner Epistemologie und verweist auf Ansätze von D. Lewis in How to define theoretical Terms. Der allein dem Begriff zugängliche rational-mechanische Zusammenhang kann nur die kausale Funktion der Elemente thematisieren, um die Elemente mit dieser Funktion zu identifizieren. Die Bestimmung der kausalen Funktionen ist jedoch „multi-realizable; which is to say that the intrinsic properties (qualities) of any system instantiating the theory are defined purely in terms of extrinsic properties (relations), so that any object(s) that fulfill the causal role(s) thus specified fall under the definition, regardless of the qualities they might be thought of possessing absolutely, that is, outside of any relations“. (Bowman [2013]: The Metaphysics of Absolute Negativity, 161 f) Jacobi formuliert hier also eine Position des epistemischen Strukturalismus, deren bloßen Formalismus er aufdeckt und die Konsequenzen als Nihilismus kennzeichnet. Dieser

1.1 Jacobis Spinoza/Antispinoza

35

epistemische Strukturalismus impliziert einen Holismus, wie ihn Jacobi dann auch bei Spinoza vorfindet: „Since the meaning of a term is formulable only in term of its relations to the others, the effect is semantic holism: the meaning of each term consists in its relations to all others. This holism, which is one of the essential characteristics of functional analyses, is thus a concomitant effect of transforming intrinsic properties into relational ones, and this is the same procedure that we saw to entail formalism.“ (Bowman [2013]: The Metaphysics of Absolute Negativity, 164) Bowman fasst die Hauptkritik Jacobis darin zusammen, „that 1 the essential role of tautologies […] in demonstrative reasoning, 2 the primacy of relations over intrinsic properties or qualities, and 3 the closely related primacy of the whole over the parts (semantic and especially metaphysical nihilism) are what entail fatalism and nihilism“. Die Tatsache, dass Hegels System Punkte 2 und 3 in einem „metaphysical structural realism“ selbst umsetzt, „creates difficulties for Hegel, who quite explicitly embraces Jacobi’s methodological critique of the rationalist tradition“. (Bowman [2013]: The Metaphysics of Absolute Negativity, 167) Denn Hegel ist mit der Umsetzung von Punkt 2 und 3 „committed to precisely the doctrines that Jacobi identifies as the source of all evil in systematic metaphysics“. (Bowman [2013]:The Metaphysics of Absolute Negativity, 167) Dies ist eine Konstellation, die es im Auge zu behalten gilt. Bowman will darin keinen Widerspruch sehen, denn Hegel verweist, so Bowman, auf die „limits of Jacobi’s critique“. (Bowman [2013]: The Metaphysics of Absolute Negativity, 167) Diese Grenzen beginnen nach Hegel damit, dass Jacobi keine interne Kritik am endlichen Denken übt. Jacobis Position ist „thwarted by a performative self-contradiction in that his external rejection of mediation is itself a gesture of mediated, finite cognition“. (Bowman [2013]: The Metaphysics of Absolute Negativity, 168) „When he reasserts the ‚intuitive‘ conception of those terms [freedom, individuality, personality, and the unconditioned, D. A.] against their rationalist distortions, he unwittingly articulates them in the form of finite cognition.“ (Bowman [2013]: The Metaphysics of Absolute Negativity, 168) Daher sieht Bowman die Sachlage so: „Hegel will insist that his own conception of identity as entailing difference, his conception of absolute relationality (constitutive self-relationality), and his conception of organic holism not only are not subject to Jacobi’s critique, but that they are neccessary if that critique is to be formulated in a way that is true to Jacobi’s intentions and immune to the kind of performative self-contradictions in which he entangles himself on Hegels’s view.“ (Bowman [2013]: The Metaphysics of Absolute Negativity, 169) Jacobis Kritik fehlt auch eine „self-reflexivity“, die Hegel in der Phänomenologie und Logik vorführt und darin besteht, that Hegel explicates „the actual form of cognitive activity that gives rise to various levels of finite determination, but which is reflected inadequately or in a distorted manner by the determinations it gives rise to. This work of explication generally results in a determination of the form of the given cognitive activity that differs from its manifest form and the form of objectivity implied by it.“ (Bowman [2013]: The Metaphysics of Absolute Negativity, 169) Diese Selbstreflexivität der Analyse der kognitiven Tätigkeit führt also in eine spekulative Begriffsform, die nicht nur diese Tätigkeit adäquat erfasst, sondern auch eine „methodological self-consciousness“ beinhaltet. (Bowman [2013]: The Metaphysics of Absolute Negativity, 170) „This form of self-reflexivity is thus implied if an internal critique of finite cognition is to be possible.“ (Bowman [2013]: The Metaphysics of Absolute Negativity, 170) Hegels Position stellt also dann keinen Widerspruch zu Jacobis Metaphysikkritik dar, „if he can interpret it (a) as bearing on a specificially finite and thus distorted conception of identity, relationality, and holism, and (b) as failing to recognize the self-reflexive properties of cognition that generate a continuous transition from finite cognition to its speculative ‚sublation‘“. (Bowman [2013]:The Metaphysics of Absolute Negativity, 170) Dass dies

36

1 Die Exposition der Fragestellung

menhang markiert überhaupt das Feld des uns möglichen Erkennens, denn „wo diese Kette aufhört, da hören wir auf zu begreifen, und da hört auch der Zusammenhang, den wir Natur nennen, selbst auf“. (SB, 261) So umfassend unsere Möglichkeiten in diesem Felde auch sind, gibt uns die Einsicht in die Konstruktion des Begriffes im Umkehrschluss „zugleich auf das gewißeste zu erkennen, daß wir unmöglich begreifen können, was wir zu construiren nicht im Stande sind“. „Darum“, so fährt Jacobi fort, „haben wir von Qualitäten, als solchen, keine Begriffe, sondern nur Anschauungen. Selbst von unserem eigenen Daseyn haben wir nur ein Gefühl; aber keinen Begriff. Eigentliche Begriffe haben wir nur von Größe, Lage, Bewegung, und den Formen des Denkens.“ (SB, 258) Qualitäten also solche (zudem das Gefühl unseres Daseins und somit unsere Freiheit) können nur ostentativ gegeben werden, die im begrifflich-rationalen Zugriff zwar „auf Größe, Lage und Bewegung zurückgeführt und darin aufgelöst“ werden, aber so ihr Wesen verlieren und „objectiv vernichtet“ werden. (SB, 258) Erkenntnis durch Begriffe und vollständige Erkenntnis im System sind dabei keine prinzipiell zu trennenden Problembereiche, sondern implizieren letztlich das gleiche. Denn „alle Menschen“, so Jacobi, „in sofern sie überhaupt nach Erkenntnis streben, setzen sich, ohne es zu wißen, jene reine Philosophie zum lezten Ziele“ und perpetuieren im unabwendbaren Bedürfnis nach Abgeschlossenheit und Vollständigkeit der Erkenntnis den Nihilismus, der einem „chemischen Proceß“ gleicht, „wodurch alles außer ihr in Nichts verwandelt wird, und sie allein übrig läßt“; (AF, 201) denn der Mensch erkennt nur indem er begreift; und er begreift nur indem er – Sache in bloße Gestalt verwandelnd – Gestalt zur Sache, Sache zu Nichts macht. Deutlicher! Wir begreifen eine Sache nur in sofern wir sie construiren, in Gedanken vor uns entstehen, werden laßen können. In sofern wir sie nicht construiren, in Gedanken nicht selbst hervorbringen können, begreifen wir sie nicht.Wenn daher ein Wesen ein von uns vollständig begriffener Gegenstand werden soll, so müßen wir es objectiv – als für sich bestehend – in Gedanken aufheben, vernichten, um es durchaus subjectiv, unser eigenes Geschöpf – ein bloßes Schema – werden zu laßen. (AF, 201)

Nicht nur aufgrund der Konstruktion eines geschlossenen Systems, sondern schon aufgrund der Konstruktion tritt an die Stelle der Qualitäten ein „Nichts“, das fataler Weise für ein „Alles“ gehalten wird. Das bedeutet, dass jenes BegriffsKonstrukt zur Wahrheit erhoben wird, neben der es – so argumentiert das systematisch-systemische Denken – deswegen nichts geben könne, weil es ja unter

so nicht zutrifft und Hegels Position doch in einem Widerspruch zu Jacobis Systemkritik steht, soll das Weitere zeigen.

1.1 Jacobis Spinoza/Antispinoza

37

keinen Umständen begriffen werden könnte. Das Resultat ist nach Jacobi nun zweierlei: Im Verlauf der Genese haben die Worte die Stelle der Dinge vertreten, „[so] daß die Dinge selbst davon verdunkelt, und am Ende gar nicht mehr gesehen werden“. (DH, 71) Anstatt zu den Dingen vorzudringen, hat der Philosoph die Dinge verstellt. Zudem hat die Wahrheit des Begriffes (nicht nur als bestimmter Begriff eines bestimmten Gegenstandes, sondern als umfassende Logik der Wirklichkeitserschließung bzw. als klar umrissener Rationalitätsstandard) das Wahre selbst ersetzt. Infolgedessen wird das Wahre für Jacobi zum Einspruch gegen dieses restriktive und reduktionistische Wirklichkeitsverständnis systematisch-systemischer Philosophie.⁴²

Das Wahre Jenes Nichts ist im System absolut geworden und das qualitative Sein, als das wahrhafte Sein, was nur jenseits des Begriffes im Gefühl, der Ahndung, im Vernehmen unmittelbar zugänglich ist, aus dem Blick verschwunden. Um die Wiederherstellung dieses wahrhaften Seins muss sich nun aber alle Bemühung formieren. Das, was als das wahrhafte Sein jenseits der Vermittlung des Begriffes das unbegreifbare Zentrum von Jacobis Denken bildet, nennt Jacobi das Wahre. Das Wahre, gegen die Vermittlung des Begriffes als Unbedingtes geschärft, wird im systematisch-systemischen Denken um der Vollständigkeit des Erkennens halber selbst in ein Bedingtes verwandelt. Denn soll nun ein Begriff dieses Unbedingten und Unverknüpften – folglich Aussernatürlichen möglich werden: so muß das Unbedingte aufhören das Unbedingte zu seyn; es muß selbst Bedingungen bekommen; und das absolut Notwendige muß anfangen das Mögliche zu werden, damit es sich construieren lasse. (SB, 261)

Und es ist eben dieses, so Jacobi, „was wir unternehmen, wenn wir uns bemühen, der Natur ein uns begreifliches, das ist ein blos natürliches Daseyn auszumachen, und den Mechanismus des Prinzips des Mechanismus an den Tag zu bringen“. (SB, 260) Und der „Mechanismus des Prinzips“ des Rationalismus ist eben nichts anderes als die Konsequenz, dass „alles, was auf eine uns begreifliche

 Unterschiedliche Konzepte von Unmittelbarkeit in der Hegel-Kritik und die damit verbundenen Schwierigkeiten untersucht Arndt [1999]: ‚Neue Unmittelbarkeit‘. Ausführlicher und weitreichender setzt er sich mit diesem Thema in Arndt [1994]: Dialektik und Reflexion besonders im Kapitel IV Dialektik im Bruch mit der Spekulation, 231 ff, auseinander. Weil es sich um nachhegelsche Kritik handelt, kommt Jacobi allerdings nicht zur Sprache.

38

1 Die Exposition der Fragestellung

Weise entstehen und vorhanden seyn soll, auf eine bedingte Weise entstehen und vorhanden seyn muß“. (SB, 260 f) Insofern aber die Immanenz des Daseins in einem Sein unabhängig vom Grundtheorem des Rationalismus denknotwendig ist und alles Bedingte auf ein Unbedingtes weist, erteilt Jacobi kein Metaphysikverbot. Lediglich der Modus der Bezugnahme wird in Frage gestellt und die begriffliche Rekonstruktion auf den Naturzusammenhang beschränkt, innerhalb dessen sie gerechtfertigt Anwendung findet. Denn ist es klarer Weise der Anspruch auf umfassendes Wissen, der in diese Aporie führt, so darf nicht die Wirklichkeit in Frage gestellt werden, die sich diesem Wissen entzieht, sondern das Wissen bzw. die Prinzipien dieses Wissens, das sich die Wirklichkeit anzueignen versucht – insbesondere, weil es Jacobi nicht darum geht, ein jenseitiges Unbedingtes zu postulieren, sondern ein in der menschlichen Existenz selbst verwurzeltes, die Natur des Menschen selbst konstituierendes und sie durchherrschendes Unbedingtes auszuweisen. Und so setzt Jacobi dem diskursiv begründenden Wissen das Konzept des intuitiv erfassenden Glaubens entgegen, der das Unbedingte nicht konstruiert, sondern es aufnimmt, wie „es uns gegeben ist; nemlich, als Thatsache – Es ist!“ (SB, 261) Nach seiner Analyse der Implikationen des konsequenten Rationalismus gibt es für Jacobi „durchaus keinen bloß speculativen Weg zum Innewerden Gottes, die Speculation mag bloß hinzutreten und durch ihre eigne Beschaffenheit erhärten, daß sie für sich leer ist ohne jene Offenbarung“. (SB, 347) Was das auch heißt, liegt bereits auf der Hand: Indem das auf Begründung fußende Wissen in seiner konsequenten Durchführung ein transzendentes Unbedingtes ausschließt bzw. einen solchen Standpunkt maximal „nur bestätigen, nicht […] begründen kann“ (SB, 347 f), kann der Standpunkt Jacobis nicht allein argumentativ erreicht werden. Jacobi springt.⁴³ Denn weil die Spekulation aus sich selbst nur zu einer geistlosen Nothwendigkeit, einer Substanz, gelangt, so ist nur über sie vermittelst eines Sprunges, den ich Salto mortale genannt habe, hinwegzukommen; es ist aber die geistlose Nothwendigkeit und Substanz die Schwungfeder, welche mich hebt,

 Im Gegensatz zu der hier durch das Problem der ewigen Zeit, des Determinismus und des Fatalismus gekennzeichneten Absprungstelle hebt K. Hammacher zwei alternative Motive heraus: Das systematisch-systemische Denken zeige erstens die Welt als mechanische und nicht als geistdurchdrungene und zweitens als atheistische (vgl. Hammacher [1969]: Die Philosophie Friedrich Heinrich Jacobis, 74 f). Hier steht also weniger der direkte Bezug zu unserer Lebenswirklichkeit hinsichtlich Freiheit und Selbstständigkeit im Mittelpunkt. Erst in einem Nachgang, der sich auf die ‚Rechtfertigung‘ des Sprunges bezieht, kommt Hammacher darauf zu sprechen, dass das systematisch-systemische Denken aufgrund des a nihilo nihil fit die Endursache ausschließt und ‚uns‘ nur das Zusehen bliebe. (Hammacher [1969]: Die Philosophie Friedrich Heinrich Jacobis, 76 f)

1.1 Jacobis Spinoza/Antispinoza

39

vermöge eines festen und kräftigen Auftretens auf dieselbe. Der Geist widerspricht allmächtig dem Urtheil, daß die geistlose Substanz Alles und daß außer ihr Nichts sey. (SB, 348)

Wie sich noch zeigen wird, ist der Sprung eine durchaus komplexe Angelegenheit.⁴⁴ In dem Maße jedoch, wie der Sprung sich gegen eine rational-begriffliche Konstruktion von Wirklichkeit wendet und dabei Konzepte wie Gefühl, Anschauung, Intuition reformuliert, um das Unbedingte und Wahre gegen den Nihilismus des Begriffes zu schirmen, bringt das Jacobi zugleich das Verdikt eines Gefühls- und Glaubensphilosophen ein, der in den Irrationalismus abgleite, weil so der Willkür Tür und Tor geöffnet werden. In der Tat sagt er von sich, dass er sein „Nicht-Wißen“ in all seinen Schriften „zur Schau getragen“ habe. (AF, 215) Dass die Verhältnisse hier komplizierter liegen, lässt sich jedoch schon daran ablesen, dass sich Jacobi nicht auf eine Glaubensposition zurückzieht, um auf ihrer Grundlage das System Spinozas als dieser Glaubensposition widersprechend zu kritisieren. Jacobis Spinoza/Antispinoza ist im Gegenteil ja dadurch ausgezeichnet, dass er sich nicht im Vorfeld auf eine Position festlegt, sondern erst im Durchgang durch den Spinoza die Überzeugung gewinnt, die sich nur gegen Spinozas Rationalismus scharf konturieren lässt.⁴⁵ So sagt Jacobi: Ich liebe den Spinoza, weil er, mehr als irgend ein andrer Philosoph, zu der vollkommenen Ueberzeugung mich geleitet hat, daß sich gewisse Dinge nicht entwickeln [d. h. konstruieren,

 So wird nicht nur gesprungen, um das Wahre zu erreichen, sondern es braucht auch immer schon den Sprung, um überhaupt die Einseitigkeiten der Substanzmetaphysik zu greifen, denn der Modus der Rechtfertigung als Begründungszusammenhang als solcher muss schon in Frage gestellt sein. Andernfalls rechtfertigt eben das Denken diese Einseitigkeit als die Wahrheit selbst. So schreibt z. B. K. Hammacher: „Nur aus der Wende in dieser Bestimmung der Selbständigkeit, aus der Erschütterung der begrifflichen Selbständigkeit durch eine andere Erfahrung als Selbstgegebenheit in dem alle Denkzusammenhänge begleitenden Gefühl des Denkgeschehens wird der Freiheitsbegriff dieser Systeme zur bloßen Auswirkung einer den Menschen bestimmenden Notwendigkeit. […] Deshalb bedarf es des ‚salto mortale‘, um demgegenüber überhaupt erst die eigene geistige Selbsterfahrung wieder zu gewinnen.“ (Hammacher [1969]: Die Philosophie Friedrich Heinrich Jacobis, 74)  Ähnlich wiederholt er diesen Aspekt seiner Philosophie in Bezug auf Fichte: „Beyde wollen wir also, mit ähnlichem Ernst und Eifer, daß die Wißenschaft des Wißens – welche in allen Wißenschaften das Eine; die Welt-Seele in der Erkenntniß-Welt ist – vollkommen werde: nur mit dem Unterschiede: daß Sie es wollen, damit sich der Grund aller Wahrheit als in der Wißenschaft des Wißens liegend zeige; ich, damit offenbar werde, dieser Grund: das Wahre selbst, sey nothwendig außer ihr vorhanden. Meine Absicht ist aber der Ihrigen auf keine Art im Wege, so wie Ihre nicht der meinen, weil ich zwischen Wahrheit und dem Wahren unterscheide. Sie – nehmen von dem, was ich mit dem Wahren meyne, keine Notiz, und dürfen, als Wißenschaftslehrer, keine davon nehmen – auch nach meinem Urtheil.“ (AF, 199)

40

1 Die Exposition der Fragestellung

D. A.] lassen: vor denen man darum die Augen nicht zudrücken muß, sondern sie nehmen, so wie man sie findet. (SB, 28)

Dieses Aufnehmen ist kein religiöses Glauben an das, was man nicht sieht, um darauf seine Hoffnungen zu setzen. Jacobi glaubt zwar „eine verständige persönliche Ursache der Welt“. (SB, 20)⁴⁶ Indem der Sprung einen persönlichen Schöpfergott im Blick hat, ist der Glaube als das alternative Paradigma zum Wissen tatsächlich auch religiös eingefärbt.⁴⁷ Jedoch wäre es eine zu starke Verkürzung, Glauben allein so zu verstehen.⁴⁸ Denn Jacobi springt nicht aus religiösen Motiven aus dem Wissen in die Religion, sondern aufgrund der Freiheit und um der Freiheit Willen in die Unphilosophie. Jacobi thematisiert den Gegensatz zwischen Glauben und Wissen nicht vom Felde des Glaubens aus, sondern auf Grundlage der Logik des Wissens selbst. Und wenn schon Jacobi den Gegensatz von Glauben und Wissen nicht gänzlich in das Wissen selbst verlagert, so erarbeitet er sich von dort den Zugriff darauf. Denn es geht Jacobi nicht um die Frage, ob der orthodoxe Glaube vernünftig eingeholt werden kann, sondern darum, welche Konsequenzen ein strikt rational konzipiertes Wissen für das Verständnis von Realität und für unser Selbstverständnis hat. Offensichtlich ist der Glaube, den

 Vgl. auch Beilage IV zu den Spinozabriefen. Zu bemerken ist hier, dass Jacobi nicht ‚an‘ eine verständige Ursache glaubt, sondern explizit dieses ‚an‘ streicht.  Jacobi redet von Stufen des Atheismus. Der dritte Atheismus zeichnet sich dadurch aus, dass „seine Quelle“ „in den Anmaßungen einer übermüthig gewordenen Vernunft“ liegt. (SB, 214) – vgl. auch den gesamten Vorbericht zur 3. Auflage der Spinozabriefe. Dort heißt es z. B.: „Von jeher war mein philosophisches Nachdenken nicht absichtlos, sondern hatte ein bestimmtes Ziel vor Augen. Sogar um bloße Selbstverständigung, welche, über ihre Richtung unbekümmert, bald hie und dort anhebt, bald hiehin und dorthin sich wendet; um sie allein war es mir nicht zu thun; ich wollte über Etwas zu Verstande kommen; nämlich über die mir eingeborene Andacht zu einem unbekannten Gott. Führte die Selbstverständigung mich dahin, daß alle Ueberzeugung von einem Gott, zu welchem man beten kann, – einen anderen kennt die Andacht nicht – Thorheit sey; so war ich klug geworden zu meinem Schaden, mein Bedürfniß blieb unbefriedigt; nämlich das Bedürfniß: Gott als den ersten Grund aller Wissenschaft zu entdecken und überall wieder zu finden.“ (SB, 338 f)  Gleichwohl bleibt zu betonen, dass der religiöse Glaube bei Jacobi eine wichtige Rolle spielt (vgl. Schick [2006]: Vermittelte Unmittelbarkeit, bes. 75 ff und 233 ff). Schick rekonstruiert Jacobis Unphilosophie mit einem starken Akzent auf eben der Rolle des religiösen Glaubens. Er möchte unterscheiden zwischen einem „instinktiven Glauben (sinnlich und übersinnlich) und dem bewusst und frei gewählten, zwar noch unmittelbaren, aber nicht mehr unvermittelten religiösen Glauben“. „Nur durch diese Unterscheidung kann man auch den Status der Spekulation richtig einschätzen.“ (Schick [2006]: Vermittelte Unmittelbarkeit, 76) M. E. ist der religiöse Glaube jedoch nicht nötig, ja sogar hinderlich, wenn es darum geht, den Sprung und Jacobis Systemkritik insgesamt adäquat zu verstehen (vgl. dazu auch Sandkaulen [2009]: Fürwahrhalten ohne Gründe, 260. Sie lehnt es strikt ab, den Glauben bei Jacobi religiös zu konnotieren.).

1.1 Jacobis Spinoza/Antispinoza

41

Jacobi im Auge hat, eine unmittelbare Gewissheit, die er praktisch-existentiell verankert in der jedermann geläufigen Erfahrung der „Endursachen“, d. h. der Handlung. Denn er hat „keine lebendigere Ueberzeugung, als daß ich thue was ich denke, anstatt, daß ich nur denken sollte was ich thue“. (SB, 28) Die alltägliche Erfahrung ursprünglicher Handlung ist weder religiöser Dogmatismus noch irrationaler Unfug, sondern schlicht ein lebendiges Beispiel der Realität eines Unbedingten, dessen wir uns nur im Modus des Glaubens bzw. des Fühlens (und auch nicht anders) vergewissern können – weil das Wissen nur Bedingungen rekonstruiert. Dieses Gefühl ist jedoch kein vages Fühlen, wie in dem Fall, wenn ich mich schlecht fühle oder glücklich und dabei nicht weiß, warum. Dieses Gefühl ist ein (unmittelbares) Hinnehmen eines Nicht-Abweisbaren, dessen Wirklichkeit nicht geleugnet, aber zugleich prinzipiell nicht erklärt werden kann. Daraus ergibt sich zwangsläufig, „daß das Gebiet der Freyheit das Gebiet der Unwißenheit sey“ (AF, 237), und diese Unwissenheit ist kein Mangel, sondern gerade der Punkt. Jacobi stellt heraus, dass es der Mensch selbst ist, der dieses unwissbare Unbedingte mit unmittelbarer Gewissheit (ganz alltäglich) ergreift, und dass der Mensch dieses Unbedingte selbst auch ist. Ich nehme den ganzen Menschen, ohne ihn zu theilen, und finde, daß sein Bewußtseyn aus zwey ursprünglichen Vorstellungen, der Vorstellung des Bedingten und des Unbedingten zusammengesetzt ist. Beyde sind unzertrennlich mit einander verknüpft, doch so, daß die Vorstellung des Bedingten die Vorstellung des Unbedingten voraussetzt, und in dieser nur gegeben werden kann. Wir brauchen also das Unbedingte nicht erst zu suchen, sondern haben von seinem Daseyn dieselbige, ja eine noch größere Gewißheit, als wir von unserem eigenen bedingten Daseyn haben. (SB, 260)

Diese Gewissheit, auf die sich die Unphilosophie Jacobis stützt, gewinnt er nicht aus einer diskursiven Operation der Vernunft, sondern wenn man so will aus dem wirklichen Leben, in das die Person gestellt ist. Unabhängig von einem zu führenden Leben ist eine solche Gewissheit gar nicht denkbar, d. h. es ist keine bloß logische Gewissheit, die aus einem Schluss resultiert.⁴⁹ Zugleich kann man diese Position nur dann ergreifen, wenn sie radikal in Frage gestellt wird. Die paradoxale Struktur von Jacobis Spinoza/Antispinoza wird hier erneut deutlich, und es zeigt sich, dass es nicht nur um eine Auseinandersetzung zwischen Wissen und Glauben geht, die sich in einem theoretischen Diskurs erschöpft. Jacobis  Vgl. zu diesem Gedanken auch Henrich [1992]: Der Grund im Bewußtsein, 56 f. Henrich hebt aber auf den für Jacobi unhintergehbaren Gedanken von ‚Sein‘ ab und rückt damit von der unmittelbaren Einbettung im geführten Leben etwas ab. Daher ist ihm auch die unmittelbare Gewissheit des Unbedingten bei Jacobi eine Gewissheit von einem transzendenten Gott schlechthin (vgl. Henrich [1992]: Der Grund im Bewußtsein, 70).

42

1 Die Exposition der Fragestellung

Spinoza/Antispinoza ist hingegen an ein konkret zu führendes Leben gekoppelt, eben weil ein bloß „logischer Enthusiasmus“ in die aufgezeigten absurden Konsequenzen führt. Glauben und Wissen sowie Praxis und Theorie sind für Jacobi aufs Engste miteinander verbunden: einerseits der Komplex von Glaube und Wissen, insofern intuitive und diskursive Wissensbegründungen ineinandergreifen; andererseits die Theorie und die Praxis, insofern die theoretischen Fragen unter Absehung der konkreten Praxis der Menschen nicht diskutiert werden können. Dieser Gesamtkomplex ist synonym mit der Frage nach der Vernunft bzw. mit der Frage nach dem Wahren. Oder anders formuliert: Jacobis Vernunftkritik ist keine Begrenzung der Vernunft vermittels einer Reglementierung durch den Verstand wie bei Kant, sondern gerade eine Rücknahme solcher Limitierungen im Verweis auf die in der menschlichen Praxis greifbaren, unmittelbaren Gewissheiten. Die Erweiterung des Vernunftbegriffes beinhaltet demzufolge konstitutiv eine Verankerung in menschlicher Praxis. Insofern nämlich der mechanistische Begriff bei Spinoza sowie bei Kant als Verstand auf je eigene Weise zum ‚Geist‘ des Systems erhoben ist, will Jacobi den Blick auf eine Vernunft freilegen, die als intuitives Erkenntnismoment, d. h. als Glaube, nicht nur das diskursive Moment bedingt, sondern zudem Raum für Freiheit gewährt.Wie zentral die Einbettung der Vernunft in der konkreten Existenz ist, erweist sich auch daran, dass es nur die in der menschlichen Praxis verwurzelte Gewissheit des Unbedingten, d. h. der Freiheit des Menschen im Handeln, ist, die der diskursiven Gewissheit ihre Grenzen aufzeigen kann. Dem Unbedingten nähert sich Jacobi also im ersten Zugriff nicht als einem transzendenten Gott, sondern im Rückgriff auf die konkrete Existenz des Menschen an, die Jacobi strikt abgrenzt gegen ein bloß mechanistisch eingefasstes Ding. Der Mensch ist mehr als bloßer Mechanismus, sondern – wie Jacobi es nennt – „Geist, woraus die ganze lebendige Natur des Menschen gemacht ist: durch sie besteht der Mensch“. (SB, 260) Am Ende setzt also Jacobi einer bloß diskursiv rekonstruierenden Verstandesphilosophie eines Spinoza eine Unphilosophie des Geistes bzw. des Wahren entgegen, die in dem Maße eine Unphilosophie ist, wie sie sich der begrifflichen Versicherung prinzipiell entzieht. ⁵⁰ Der

 Es geht um einen Paradigmenwechsel vom rationalen Philosophieren zum konkreten Leben, zur Praxis, zur Person bzw. zur Individualität. Als Resultat der aus der aufklärerischen, aber auch in Fichtes Idealismus stattfindenden Einengung des Wirklichkeitsverständnisses lässt sich auch die Frühromantik verstehen, die ihren Fokus auch auf Individualität legt. E. Behler gibt einen Überblick über die Individualitätskonzeptionen auch unter Berücksichtigung der jacobischen Position, wenngleich er diese nur aus der schlegelschen Perspektive einbezieht. (Behler [1995]: Die Konzeption der Individualität in der Frühromantik) Den Bezug von F. Schlegel und F. Schleiermacher (als Vertreter der Romantik) auf Jacobi diskutiert auch Arndt [2004]: Mystizismus, Spinozismus und Grenzen der Philosophie.

1.2 Hegels Verhältnis zu Jacobi

43

Sprung ist nicht nur einer aus dem System in den Glauben, sondern einer in das konkrete Leben, für das sich das Unbedingte nur als das Wahre ergreifen, nicht jedoch als Wahrheit konstruieren lässt.⁵¹

1.2 Hegels Verhältnis zu Jacobi Allgemeines Angesichts Jacobis Tod schreibt Hegel an Niethammer, dass man sich verlassener fühle, „je mehr dieser alten Stämme, zu denen (man) von Jugend an aufgeschaut hat, eingehen“. Er fährt fort mit dem Bekenntnis, dass Jacobi einer von denen war, „die einen Wendepunkt der geistigen Bildung der Zeit sowie der Individuen formierten und die für die Welt, in der wir uns unsre Existenz vorstellen, einer der festen Halte waren“.⁵² Wenn auch der Ton gegenüber Jacobi in der expliziten Auseinandersetzung mit ihm, wie z. B. in der Differenzschrift und in Glauben und Wissen, äußerst kritisch ist⁵³, so lockern sich die Spannungen auf die

 „Daß jede Philosophie, welche – dem Menschen ein der sinnlichen Anschauung nicht bedürfendes höheres Wahrnehmungsvermögen absprechend – allein durch fortgesetztes Reflectiren über das sinnlich Anschaubare und die Gesetze der Einbildung desselben in den Verstand, sich von dem Sinnlichen zu dem Uebersinnlichen, von dem Endlichen zu dem Unendlichen zu erheben unternimmt – daß eine jede solche Philosophie, also auch namentlich die Philosophie des unsterblichen Leibnitz, sich nach Oben wie nach Unten zuletzt in ein klares und baares Nichts der Erkenntniß verlieren muß: diese Einsicht hatte in dem Verfasser des Gesprächs über Idealismus und Realismus noch nicht die Deutlichkeit und Vollendung erhalten, die ihm später, nach dem er sie errungen, den Muth gab, seine ganze Philosophie auf den aus einem wissenden Nichtwissen unmittelbar hervorgehenden, in Wahrheit mit ihm identischen festen Glauben zu gründen, welcher so gewiß jedem Menschen inwohnet, als ein jeder Mensch, kraft seiner Vernunft, ein an sich Wahres, Gutes und Schönes, das kein bloßes Nicht-Nichts ist, nothwendig voraussetzt und mit dieser Voraussetzung, und durch sie, erst zum Menschen wird.“ (EDH, 383)  Brief an Niethammer vom 26. März 1819, In: Hoffmeister [1969]: Briefe von und an Hegel, Bd. 2, 213.  Z. B. in Glauben und Wissen ist Hegels Jacobi-Kritik geprägt von harten Angriffen auf Jacobi, der die entscheidenden spekulativen Züge Spinozas nicht erfasst und sie „galimathisirt“ habe, d. h. das Vernünftige mit der Reflexion beurteilt, die es in ein Verständiges verwandelt. (GW, 367) Lob dafür, dass Jacobi die Notwendigkeit zu einer Veränderung des Logischen hervorhob (wie Hegel es später formuliert), sucht man hier vergebens. – Dass hier die Dinge wiederum sehr kompliziert liegen und Hegel in der Tat auch in Glauben und Wissen die Reflexionskritik Jacobis verfolgt, um ihn selbst (wissentlich) da einzureihen, wo er eigentlich nicht hingehört, zeigt Sandkaulen [2004]: Das Nichtige in seiner ganzen Länge und Breite.

44

1 Die Exposition der Fragestellung

vorsichtige Initiative Hegels hin⁵⁴ und lösen sich wohl nach einem Zusammentreffen beider, das von „gütiger Gesinnung und guter Aufnahme“ geprägt ist.⁵⁵ Beide senden sich hernach ihre neusten Publikationen zu. „Vom liebsten, besten Jacobi“ erwartet Hegel später „mit Sehnsucht den 2ten Teil seiner Schriften, um wieder einmal an Philosophie erinnert und erregt zu werden“.⁵⁶ Jacobi hingegen schreibt an Fries, dass er Hegels ersten Band der Logik „nur einmal angesetzt“ „und sie dann auf immer bei Seite gelegt“ hat.⁵⁷ In der Begriffslogik, die er 1816 als letzten Teil seiner Logik publiziert, schlägt sich Hegels Zuneigung zu Jacobi explizit nieder. Mit dem Abschluss der Arbeiten an seiner Grundlegung der Metaphysik und der daraus resultierenden Sicherheit kann Hegel wichtige Einflüsse offenlegen und würdigen. Dabei kommt Jacobi auf Augenhöhe mit Kant das Verdienst zu, „die ganze Weise der vormaligen Metaphysik und damit ihre Methode über den Hauffen geworfen“ zu haben. (WL2, 229) Die 1817 in den Heidelbergischen Jahrbüchern der Literatur erschienene Rezension Hegels des dritten Bandes der Werke Jacobis führt diese Würdigung weiter aus. Die entscheidende Rolle, die der früher als ‚Glaubensphilosoph‘ missverstandene Jacobi⁵⁸ für die Philosophie im Allgemeinen bzw. für Hegels Denken im Besonderen spielte, wird hier deutlich hervorgehoben. Im Bemühen um die Markierung der Grenzen des Wissens ist es „das gemeinsame Werk Jacobis und Kants“, „der vormaligen Metaphysik nicht so sehr ihrem Inhalte nach als ihrer Weise der Erkenntnis ein Ende

 Jacobi sah sich als Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften vielfachen Angriffen ausgesetzt. Hegel findet positive Worte für Jacobi in einem Brief an Niethammer, der wiederum diesen Brief Jacobi zeigt (vgl. Hegel an Niethammer am 22. Januar 1808, In: [1969]: Briefe von und an Hegel, Bd. 1, 208).  Brief an Niethammer vom 19. Juli 1812, In: [1969]: Briefe von und an Hegel, Bd. 1. Siehe auch zur Chronologie des Verhältnisses Jaeschke [2003]: Hegel-Handbuch, 32 ff. – Nach dem Zusammentreffen von Jacobi und Hegel in Nürnberg schreibt Jean Paul, es sei unmöglich, Jacobi „nicht zu lieben; und sogar sein philosophischer Feind Hegel liebt ihn jetzt“. (Nicolin [1970]: Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen 2, 108)  Brief an Niethammer vom 23. November 1815, In: [1969]: Briefe von und an Hegel, Bd. 2, 62.  Jacobi an Fries, 29. Oktober 1812, In: [1970]: Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen 1, 118.  Schon F. Schlegel stellt in seiner sehr prägenden Woldemar-Rezension Jacobi in diese Ecke. „Der polemische Theil der Jakobischen Schriften“ hätte zwar „großen philosophischen Wert“. „Seine positive Glaubenslehre aber kan durchaus nicht für philosophisch gelten.“ Dies einerseits in der Hinsicht, weil er bloß seine subjektiven Überzeugungen rechtfertigen wollte. Denn er suchte nicht die Wahrheit „mit dem festen Entschluß und der Kraft, sie zu nehmen, wie sie gefunden wird“, sondern er ging „von einer trotzigen Forderung“ aus, „daß dies und jenes wahr sein soll“. (Schlegel [2007]: Schriften zur Kritischen Philosophie, 45) Darüber hinaus deutet Schlegel, wie schon erwähnt, Jacobis Glauben als religiösen. So ist Jacobis Roman Woldemar „eigentlich eine Einladungsschrift zur Bekanntschaft mit Gott“, welche „mit einem Salto mortale in den Abgrund der göttlichen Barmherzigkeit“ endet. (Schlegel [2007]: Schriften zur Kritischen Philosophie, 53)

1.2 Hegels Verhältnis zu Jacobi

45

gemacht“ zu haben. Hegel spricht Jacobi unmissverständlich das Verdienst zu, „in der Geschichte der deutschen Philosophie und, da außer Deutschland die Philosophie ganz verkommen und ausgegangen ist, in der Geschichte der Philosophie überhaupt eine bleibende Epoche gemacht“ zu haben. (JR, 25) Diese grundlegende Rolle hätte Jacobi für die klassische deutsche Philosophie nicht spielen können,wäre er von den nachkantischen Idealisten lediglich als erbaulicher Denker verstanden worden, der sich in die Innerlichkeit des Glaubens flüchtet. Ein Denker, der den religiösen Glauben gegen Erkenntnis ausspielt, hätte der „Weise der Erkenntnis“ der vormaligen Metaphysik kaum ein Ende und bleibende Epoche gemacht. Dass Jacobis Analyse der mit dem Denken verbundenen Notwendigkeit eine weitreichende Bedeutung hat und in diesem Zugriff auf Ambitionen der Systembildung mit religiösem Glauben (zunächst) rein gar nichts zu tun hat, haben die Idealisten genau verstanden. Dass er damit entscheidende Punkte getroffen hat und nicht nur bekannte (religiöse) Muster bedient, zeigt der Stellenwert, den Hegel Jacobi in der Geschichte der Philosophie zugesteht. Hegels Zugeständnis kulminiert in seiner Behauptung, dass Jacobi mit seinen kritischen Einwänden „die Nothwendigkeit einer völlig veränderten Ansicht des Logischen begründet“ hat. (JR, 25)

Früher Einfluss Hegels kritische Distanzierung gegenüber Jacobi in der Differenzschrift und Glauben und Wissen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Jacobi schon dem jungen Hegel nicht nur bekannt war, sondern einen – im wahrsten Sinne des Wortes – grundlegenden Einfluss auf Hegel hatte. Hegels Kontakt mit Jacobi ist ein früher. Schon zu Studentenzeiten war Hegel mit den Schriften Jacobis vertraut. Die Zimmergenossen Hegel, Schelling und Hölderlin lasen Jacobis Romane Woldemar und Allwill sowie Jacobis Briefe über die Lehre des Spinoza. ⁵⁹ Es lassen sich folgerichtig Spuren Jacobis bereits in Hegels frühen Schriften auffinden, die davon zeugen, dass sich Hegel intensiv mit Jacobi auseinandergesetzt hat⁶⁰ – ja mehr

 F. Rosenkranz schreibt: „Mit Hölderlin, Fink, Renz und anderen Freunden las und durchsprach Hegel, sicheren Nachrichten zufolge, Platon […], Kant, Jacobi’s Woldemar und Allwill, die Briefe über Spinoza und Hippel’s Lebensläufe in aufsteigender Linie.“ (Rosenkranz [1844]: Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Leben, 40)  H.-J. Gawoll gibt einen Überblick über eben jene Spuren in: Gawoll [2000]: Der Ort des Wahren. Dabei geht er auf das Fragment Glaube und Sein ein, des Weiteren der Frankfurter Entwurf Geist des Christentums, das Systemfragment von 1800, die Differenzschrift bis hin zu Glauben und Wissen

46

1 Die Exposition der Fragestellung

noch, dass es (auch) Jacobi ist, der den Rahmen für die Problemdiskussionen, ja überhaupt die Problemkonstellation wesentlich vorgibt.⁶¹ Der junge Hegel, der sein Theologiestudium gerade abgeschlossen hat, sucht zunächst die Auseinandersetzung mit philosophischen Fragen vor dem Hintergrund der Religion.⁶² An Systementwürfe ist hier noch keineswegs zu denken. Er beschäftigt sich zunächst in Bern mit dem Zustand des Christentums und damit zusammenhängenden Fragen, die besonders die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit des Reiches Gottes auf Erden thematisieren. In Frankfurt verschiebt sich diese Fragerichtung leicht. Liegt noch in Bern der Fokus auf historisch orientierten Fragestellungen, so erhält sich zwar in der Schrift Der Geist des Christentums weitestgehend das religionsphilosophische Thema; nunmehr ist jedoch der Problemkomplex Entzweiung und Vereinigung der begriffliche Rahmen für Hegels Ausführungen. Man spricht hierbei auch von der Vereinigungsphilosophie Hegels. Jacobi ist dabei allgegenwärtig, werden doch hier Phänomene wie Liebe, Freundschaft, Leben und – später in Jena – Geist herangezogen, die Jacobi vor dem gleichen Fragenhorizont bereits distinkt besetzt hat. Diese in die menschliche Praxis reichende und aus ihr begreiflich gemachte Buchstabierung der Vereinigung trägt also die Spuren Jacobis und kann überhaupt nur vor dem Hintergrund seiner Überlegungen verstanden werden.⁶³ Dass auch hierbei ein Rekurs auf (religiös verstandenen) Glauben zu wenig sein wird, ergibt sich von selbst. Dass dieser dennoch in den Anfangsjahren zentral zu nennen ist, zeigt sich darin, dass sowohl im Geist des Christentums als auch im Systemfragment von 1800 oder im Fragment Glauben und Sein die Reflexion jene Vereinigung nicht erfassen kann, da die Reflexion per se für Trennung steht und „zum Beschränkten das Beschränkende hinzufügte“. (FSS, 423) Die „Philosophie muß eben darum mit der Religion aufhören“, weil das „wahre Unendliche“ „außerhalb ihres Umkreises“ liegt. (FSS, 422 f) Mit anderen Worten: Dies wahrhaft Unendliche ist nur im Modus des Glaubens als nicht-reflexive Vergegenwärtigung des bewusstseinstranszendenten

und zur Phänomenologie des Geistes. Explizit untersucht Gawoll auch den frühen Hegel in: Gawoll [1999]: Glauben und Positivität.  Wie stark Jacobi auf Hölderlin und über Hölderlin auf Hegel gewirkt hat, zeigt D. Henrich in seiner (schon genannten) umfassenden Studie zu Hölderlin. Hier wird deutlich, wie sehr Jacobi den Problemhorizont der Diskussion bestimmt hat (vgl. Henrich [1992]: Der Grund im Bewußtsein). Im Anschluss daran muss die Studie von Henrich [2010]: Hegel und Hölderlin genannt werden, die sich mit Hölderlins Einfluss auf Hegel befasst und so die Linie von Jacobi zu Hegel deutlich markiert.  Dabei darf nicht übersehen werden, dass Hegel keinesfalls Theologie im engeren Sinne betrieben hat.  Vgl. Baum [1986]: Die Entstehung der Hegelschen Dialektik, 47 f und vgl. Kondylis [1979]: Die Entstehung der Dialektik, 513.

1.2 Hegels Verhältnis zu Jacobi

47

Seins zugänglich. Diese Übereinstimmung mit Jacobi hinsichtlich der (begrifflichen) Erfassbarkeit des Wahren bildet einen wichtigen Rahmen für die frühen Jahre, in dem auch das begriffliche Instrumentarium entsteht, mit dem Hegel – orientiert an den durch Jacobi geprägten Figuren von Liebe, Leben und Geist – erste dialektische Schritte geht.⁶⁴ Diese Übereinstimmung wird erst mit dem Übergang zum System aufgebrochen, das Hegel als dialektische Explikation und begriffliche Erkenntnis des Absoluten versteht. Dieser Schritt vollzieht sich um die Zeit des Umzugs nach Jena 1801, wo auch jene Schriften entstehen, die Jacobi nun implizit oder explizit in ein kritisches Licht rücken und in denen auch inhaltlich eine Distanzierung zu bemerken ist.⁶⁵

 P. Jonkers z. B. beleuchtet die frühe Rezeption im Systemfragment und in der Differenzschrift. Er stellt besonders die Gemeinsamkeiten im aufklärungskritischen Projekt beider heraus, die Wirklichkeit nicht auf die einschränkende Verstandesrationalität zu begrenzen. Besonders im Systemfragment sieht er eine Anlehnung, insofern Hegel die Gegebenheit des Unbedingten in der Religion aufnimmt. Hieraus rekonstruiert Jonkers dann aber auch die Absetzungsbewegung Hegels, indem die mangelnde Vermittlung von Unbedingtem und Bedingtem in die Differenzschrift führt (vgl. Jonkers [2002]: The Importance of the Pantheism-Controversy). Eine ausführlichere Auseinandersetzung findet sich bei H.-J.Gawoll, der durch frühe Fragmente und Schriften die Spuren Jacobis besonders in der Übernahme des vorreflexiven Zugangs zum Unbedingten sieht, um aber auch den (schleichenden) Paradigmenwechsel in den späteren Schriften bis zur Phänomenologie des Geistes zu verfolgen (vgl. Gawoll [2000]: Der Ort des Wahren). Gawoll ordnet in einem anderen Aufsatz die Phasen der Auseinandersetzung Hegels mit Jacobi m. E. treffend in a) Rehabilitierung der Unmittelbarkeit, b) kritische Revision der Unmittelbarkeit und c) Dynamisierung der Unmittelbarkeit ein (vgl. Gawoll [1998]: Von der Unmittelbarkeit des Seins zur Vermittlung der Substanz). Für die späte Rezeption siehe z. B.Vos [2007]: Hegel und Jacobi (ab 1807). – Zu der verwickelten Rezeption Jacobis in Hegels Denken kann und muss – gerade für dieses Thema – viel gesagt werden. Die unterschiedliche Aufnahme ist Index für die Ausrichtung des hegelschen Denkens selbst. Nach der Veröffentlichung der Logik hat Hegel sich in seiner JacobiRezension sehr offen über ihn geäußert, was vorher und auch später wieder nicht mehr der Fall ist. In einer selbstsicheren Offenheit spricht Hegel über die Rolle Jacobis, die für sein eigenes Denken trotz der Ausfälle in Glauben und Wissen und trotz der Polemik in der Enzyklopädie ganz entscheidend und viel diffiziler war, als er es an anderer Stelle einzuräumen bereit ist. Insofern kommt der Jacobi-Rezension ein ganz besonderes Augenmerk zu. Zu den Verwicklungen generell vgl. Sandkaulen [2010]: Dritte Stellung des Gedankens zur Objektivität.  M. Baum spricht davon, dass dieser Übergang von einer Position der begrifflichen Unerkennbarkeit des Absoluten zu einer der begrifflichen Explizierbarkeit des Absoluten „letztlich nur durch eine Entscheidung, nicht durch einen auf logischem Zwang beruhenden Fortschritt in der Erkenntnis der Zulänglichkeit der Erkenntnismittel erklärt werden kann“. (Baum [1986]: Die Entstehung der Hegelschen Dialektik, 31)

48

1 Die Exposition der Fragestellung

In Jena: Die Differenzschrift Die Differenzschrift ist das erste veröffentlichte Zeugnis dieses neuen Ansatzes. Hegel stellt hier nicht nur das fichtesche dem schellingschen System gegenüber. Diese Gegenüberstellung fungiert vielmehr als Plattform für die Auseinandersetzung mit dem Systemgedanken überhaupt, der zudem nicht mehr vom Absoluten getrennt gedacht werden kann. Jacobis Systemkritik spielt hier keine positiv prägende Rolle, insofern der Problemkomplex von Freiheit, Nihilismus, Person und Individualität nicht annähernd im Sinne Jacobis Berücksichtigung findet, sondern auf der Linie Spinozas fortgeführt wird. Hegel nimmt hier zunächst eine spinozistische Position ein. Auch wenn hier die Transformation zur reifen Philosophie des Absoluten nicht abgeschlossen, sondern erst initiiert ist, markiert die Differenzschrift eine Zäsur, die besonders mit dem Status des Wissens verknüpft ist, aus dem sich die Opposition zu Jacobi ergibt. Schon jenes berühmte „Bedürfnis der Philosophie“ entsteht aus der „Entzweiung“ des Zeitalters, führt aber nicht mehr in die Religion als Vollendung der Philosophie, sondern in die „Reflexion der Vernunft“. (DIFF, 12) Verabschiedet wird damit die während der ersten Entwicklungsphase prägende Grundhaltung, dass das Unbedingte begrifflich nicht gefasst werden könne. Nunmehr ist es die „Aufgabe der Philosophie“, das Absolute für das Bewusstsein zu konstruieren. (DIFF, 16) Das für Jacobi und den Hegel der Berner und Frankfurter Zeit maßgebliche Argument, dass „das Produzieren sowie die Produkte der Reflexion nur Beschränkungen sind“, bleibt im Grunde weiterhin gültig. Denn es ist tatsächlich „ein Widerspruch“. Indem das Absolute reflektiert wird, so schreibt Hegel auch hier, ist es „nicht gesetzt, sondern aufgehoben worden, denn indem es gesetzt wurde, wurde es beschränkt“. (DIFF, 16) Jedoch „die Vermittlung dieses Widerspruchs“, das ist der Schritt, den Hegel nun geht, „ist die philosophische Reflexion. Es ist vornehmlich zu zeigen, inwiefern die Reflexion das Absolute zu fassen fähig ist“. (DIFF, 16) Hegel dreht nun Glauben und Wissen in ihrer Wertigkeit um, denn der Glaube ist nur die über sich selbst nicht aufgeklärte Vernunft, die noch in eine „Beziehung der Beschränktheit auf das Absolute“ verstrickt ist. Über ihre Identität mit dem Absoluten herrscht noch „eine völlige Bewußtlosigkeit“. (DIFF, 21) Nicht das Wissen ist das eigentlich Beschränkte und Beschränkende, sondern der Glaube. Indem jedoch jene Argumente Jacobis genaugenommen ihre Gültigkeit behalten, handelt es sich nicht um eine Verwerfung der vormaligen Position, sondern um eine Erweiterung. Das Konstruieren des Unbedingten bleibt ein Widerspruch, jedoch nur insofern als der Verstand Bedingungen zum Unbedingten sucht und „es in die Unendlichkeit“ ausdehnt. Hegels Urteil bleibt hierüber gleich: „Es ist darin die ganze Totalität der Beschränkungen zu finden, nur das Absolute selbst nicht.“ (DIFF, 13) Es ist nun die Vernunft bzw. die Spekulation, die diese Widersprüch-

1.2 Hegels Verhältnis zu Jacobi

49

lichkeit lösen kann, indem die Beschränkung der „festgewordenen Gegensätze“ überhaupt aufgehoben wird. Das ist „das einzige Interesse der Vernunft“. (DIFF, 13) Damit rückt das Spekulative in den Fokus. Dieses soll nun die philosophische Last zu tragen im Stande sein, ohne das von Jacobi vorgegebene Ziel aus den Augen zu verlieren: der Erstarrung und Einengung des Verstandes zu entrinnen, um dem Leben und der Lebendigkeit gerecht zu werden. Der ‚Verdinglichung‘ des Absoluten entgeht die Vernunft insofern, als das Absolute nicht nur als Objekt der Reflexion verstanden wird, sondern auch als Subjekt. Das Absolute ist hier schon in Ansätzen die Bewegung des Sich-Ausdifferenzierens, die im späteren System zum Zentrum wird. Die theoretische Rekonstruktion des Absoluten in der Reflexion ist damit der Vollzug des Absoluten – als das Leben selbst. Hegel versucht darüber hinaus auch die praktisch-existentielle Seite in diesem Ansatz zu integrieren und das „Leben der Menschen“ aufzunehmen. (DIFF, 14) Das Bedürfnis der Philosophie ist kein abstraktes, sondern ein im Leben verankertes. Auch hierin macht sich der Fortschritt gegenüber Frankfurt bemerkbar, denn die Philosophie selbst und nicht die Religion ist die Sphäre, in der der Mensch sein Recht erfährt – auch wenn das heißt, dass der „gemeine Menschenverstand“ nicht mehr bedient wird. Das bedeutet zunächst, dass hinsichtlich der Spekulation „nicht von einzelnen Begriffen für sich, einzelnen Erkenntnissen als einem Wissen die Rede seyn“ kann. (DIFF, 19) Das Absolute bzw. die spekulative Erkenntnis des Absoluten ist zwar „eine objektive Totalität, ein Ganzes von Wissen, eine Organisation von Erkenntnissen“ und „in dieser Organisation ist jeder Teil zugleich das Ganze“. Indem aber die Reflexion nur als Beziehung auf das Absolute Bestand hat, jedoch das Absolute nur als Antinomie im Zugleich des Widersprechenden gedacht werden kann, „vergeht […] ihr Werk“ sogleich. (DIFF, 19) Spekulation ist Vernichtung dessen, was für den gesunden Menschenverstand gewiss ist. (DIFF, 20) Das bedeutet dann aber „auch die Vernichtung des Bewußtseyns selbst“. (DIFF, 23) Das Endliche und das Unendliche, das Freie und Notwendige etc. hören für sich auf zu sein. Sie bestehen nur in antinomischen Verhältnissen als Identität der Identität und Nicht-Identität.⁶⁶ Jedoch versenkt die Vernunft „damit ihr Reflektiren der absoluten Identität und ihr Wissen und sich selbst in ihren eigenen Abgrund“. Das Absolute bezeichnet Hegel hier dann folgerichtig als die „Nacht der blossen Reflexion und des räsonirenden Verstandes“, die für ihn jedoch „der Mittag des Lebens ist“. (DIFF, 23) Der Fortschritt vom Glauben zum (spekulativen) Wissen geht in Jena zunächst auf Kosten des endlichen Seins, bleibt jedoch wie in Bern und Frankfurt behaftet mit einem Moment des Entzugs.

 Siehe auch den Abschnitt in der Differenzschrift Prinzip einer Philosophie in der Form eines absoluten Grundsatzes (vgl. DIFF, 23 ff).

50

1 Die Exposition der Fragestellung

In Jena: Glauben und Wissen Diese Linie verstärkt sich in der ein Jahr später publizierten Schrift Glauben und Wissen ⁶⁷, in der nun Jacobis Denken explizit attackiert wird als: „frostiges und schaales Herzergießen“, „Galimathias fortschwatzen“, „Verdrehung bis zum Hämischen“, „Schmähen“, „Gepolter“, „Gepoche“, „Gezänke“, „Schnur von Unsinnigkeiten“⁶⁸. Indem Hegel sich mit Kant, Fichte und Jacobi unter dem Term der Reflexionsphilosophie auseinandersetzt, wirft er ihnen vor, „die Beschränktheit zum ewigen Gesetz und Seyn sowohl an sich als für die Philosophie [zu] machen“. (GW, 322) Denn unter dem Konzept der Reflexionsphilosophie versteht Hegel, „daß das Wissen ein formales ist und die Vernunft als eine reine Negativität ein absolutes Jenseits, das als Jenseits und Negativität bedingt ist durch ein Dießeits und Positivität“, sodass „Unendlichkeit und Endlichkeit beyde mit ihrer Entgegensetzung gleich absolut sind“. (GW, 346) Das „heißt nichts anderes, als die Vernunft auf die Form der Endlichkeit absolut ein[zu]schränken und in allem vernünftigen Erkennen die Absolutheit des [endlichen, D. A.] Subjekts nicht [zu] vergessen“. (GW, 322) Hegel erhebt den Anspruch, die historischen Erscheinungen der Reflexionsphilosophie in der „Vollständigkeit ihrer Formen“ darzustellen, insofern Kant die objektive, Jacobi die subjektive Ausprägung und Fichte die Synthese aus beiden bilden. Für alle diese Formen ist es das „einzige Gewisse, daß ein denkendes Subject, eine mit Endlichkeit afficierte Vernunft ist, und die ganze Philosophie besteht darin, das Universum für diese endliche Vernunft zu bestimmen“. (GW, 322) Diese Einschränkung hat zur Folge, dass die „bessere Natur“ sich nur „durch das Sehnen und Streben, das Bewußtseyn, daß es Beschränktheit ist, über die sie nicht hinaus kann, als Glauben an ein Jenseits dieser Beschränktheit“ ausdrückt, „aber als perennirendes Unvermögen zugleich die Unmöglichkeit [ist], über die Schranke in das sich selbst klare und sehnsuchtslose Gebiet der Vernunft sich zu erheben“. (GW, 323) Die Fixierung des Endlichen macht dies unmöglich. Das Verhältnis zwischen Endlichem und Unendlichem muss daher entsprechend modifiziert werden. Denn wenn „Unendlichkeit und Endlichkeit entgegengesetzt sind, ist eins so endlich als das andere“. (GW, 322) Es gilt das Unendliche als das Wahre so zu fassen, dass es dem Endlichen nicht entgegengesetzt ist, sondern es „aufzuzehren vermag“ (GW, 324), sodass nicht nur die Gegensätze in einem höchsten Punkt  Interessant ist, dass P. Jonkers versucht, Spuren von Jacobis Einfluss auf Hegel schon in der Frühschrift Glauben und Wissen auszumachen, in der Hegel eigentlich noch eine spinozistische Theorie des Absoluten vertritt und entsprechend heftig mit Jacobi ins Gericht geht (vgl. Jonkers [2007]: F. H. Jacobi, ein ‚Galimathias‘ der spekulativen Vernunft?).  Diese Aufzählung gibt Jaeschke [2003]: Hegel-Handbuch, 140 f.

1.2 Hegels Verhältnis zu Jacobi

51

vereinigt sind, sondern aus dieser Identität auch die Differenz hervorgeht.⁶⁹ Hegel nennt dieses wahrhaft gefasste Unendliche auch die Idee⁷⁰, in der „Endliches und Unendliches eins“ sind. Hegel betont jedoch, dass das so gefasste Absolute nicht „zusammengesetzt“ ist aus Endlichem und Unendlichem. Unter diesen Bedingungen „würde die Abstraction vom Endlichen allerdings ein Verlust seyn“, denn – der Bezug auf Jacobi ist unverkennbar – eine solche „wird begriffen als schmerzerregendes Wegschneiden eines wesentlichen Stückes von der Vollständigkeit des Ganzen“. (GW, 324) Werden aber das Endliche und Unendliche als wahrhafte Einheit verstanden, so ist „die Endlichkeit als solche verschwunden, insofern [kursiv, D. A.] sie an und für sich Wahrheit und Realität haben sollte“. (GW, 324) In der Negation der Endlichkeit als Konsequenz der wahrhaften Einheit beider „ist aber nur das, was an ihr Negation ist, negirt worden und also die wahre Affirmation gesetzt“. (GW, 324) Die Unendlichkeit ist damit als das wahrhaft Erste gesetzt, in dem das Endliche aufgehoben ist.⁷¹ Allein darin ist die „Leerheit der Vernunft“ der Reflexionsphilosophie überwunden. Vor dem Hintergrund dieser wahrhaften Unendlichkeit hat Hegel kein Verständnis für, dass Jacobi auf „dieses Nichtige in seiner ganzen Länge und Breite“ beharrt und „über die Vernichtung dieser Nichtigkeit“ in „ein ungebährdiges Zettergeschrey“ verfällt. (GW, 377) Die ganze Sphäre der Endlichkeit, des selbst Etwas seyns, der Sinnlichkeit versinkt im wahrhaften Glauben vor dem Denken und Schauen des Ewigen, was hier Eins wird; alle Mücken der Subjectivität verbrennen in diesem verzehrendem Feuer, und selbst das Bewußtseyn dieses Hingebens und Vernichtens ist vernichtet. (GW, 379)

 G. Baum weist darauf hin, dass selbst diese Problemstellung durch Jacobis Bruno (als Beilage zu den Spinozabriefen) vermittelt ist (vgl. Baum [1986]: Die Entstehung der Hegelschen Dialektik, 204).  Dass Hegel diese auch in christlichen Termini beschreibt als „Anschauung der ewigen Menschwerdung Gottes, des Zeugens des Worts vom Anfang“ (DIFF, 75) geht nach Günther Baum in gewisser Weise auch auf Jacobi zurück (vgl. Baum [1986]: Die Entstehung der Hegelschen Dialektik, 209).  „Damit ist die Negation der Negation, nicht in ihrer logischen, sondern in ihrer metaphysischen Bedeutung, erstmals in den erhaltenen Schriften HEGELS klar ausgesprochen. Die wahre Affirmation ist nicht das durch Negation der Negation gesetzte, sondern das der ersten Negation zugrundeliegende Unendliche, das durch die Aufhebung seiner Einschränkung auf das Endliche wiederhergestellt wird. Es ist nicht das Dritte, sondern das wahrhafte Erste. Und dieses Erste ist die Idee, in der Endliches und Unendliches Eins sind.“ (Baum [1986]: Die Entstehung der Hegelschen Dialektik, 196)

52

1 Die Exposition der Fragestellung

Spätes Jena Noch in Jena vollzieht sich jedoch ein entscheidender Wandel. Bis zur Wintersemester-Vorlesung 1803/1804 ist Hegels spekulative Metaphysik des Absoluten eine Metaphysik der Substanz, die sich an Spinoza orientiert, selbst wenn Hegel sie als wahrhafte Unendlichkeit konstruiert, in der Endliches und Unendliches eins sind. Die höchste Bestimmung, die im Volksgeist erreicht ist, ist die „absolute, einfache, lebendige, einzige Substanz“. (SYS1, 315) Die Tatsache, dass Hegel eine spinozistische Substanzontologie vertritt, ist darin begründet, dass Hegel zunächst Schelling in dieser Sache folgt.⁷² Erst 1804 vollzieht Hegel den Schritt zur Subjekt- bzw. Geist-Metaphysik, die dadurch gekennzeichnet ist, dass das Absolute als Selbstbezüglichkeit gedacht wird. Die höchste Bestimmung des Absoluten ist hier nicht mehr die eine Substanz, in der alles aufgehoben wird, sondern die Substanz als Ich, das das Moment der Allgemeinheit und das der Einzelheit in sich in einer widersprüchlichen Einheit vereint. Im Ich ist damit eine Negativität explizit entwickelt, die im Substanzkonzept nicht ausgeführt werden konnte. Denn für das höchste Wesen als Substanz ist das Andere nur Negation. Für das Ich ist es dagegen „ein dem Ich gleiches“.⁷³ Im Fragment 1804/05 wird dieser höchste Punkt zuletzt als absoluter Geist bestimmt, dessen widersprüchliche Bestimmtheit nicht nur für den Philosophen ist, sondern für den Geist selbst, der damit sich und sein Anderes in der Vermittlung durch das Andere weiß. Die Allgemeinheit und die Einzelheit werden im Geist vermittelt, der sich selbst als diese vermittelte und vermittelnde Einheit erkennt.⁷⁴ Hegel beginnt hier das Erkennen so zu konzipieren, dass sich das Erkennen in dem Erkannten stufenweise selbst erkennt. Substantialität als höchste Bestimmung der Metaphysik ist somit abgelöst von der sich wissenden Subjektivität, die sich als absoluter Geist im Systemfragment 1804/05 in den Formen der Kunst vermittels der Anschauung, der Religion, vermittels der Vorstellung und der Philosophie vermittels des Begriffes als höchste Form erkennt. Der Paradigmenwechsel von der Substanz- zur Subjekt-Metaphysik hat enorme Konsequenzen für die Bewertung auch endlicher Subjektivität und Endlichkeit als solcher. Denn die Entfaltung des Prozesses des Sich-Wissens ist ebenso eine Entfaltung des Verständnisses des Selbstbewusstseins überhaupt.⁷⁵

 Vgl. Düsing [1999]: Die Entstehung des spekulativen Idealismus, 161.  Zitiert nach Jaeschke [2003]: Hegel-Handbuch, 167.  Vgl. Düsing [2004]: Von der Substanzmetaphysik zur Philosophie der Subjektivität, 194.  R.-P. Horstmann stellt die These auf, dass „die Exposition des metaphysischen Begriffs der Subjektivität“ „auf sehr genau bestimmte Zusammenhänge“ eingeschränkt ist, die nicht von der Art sind „daß sie die Rede von ‚Subjektivität‘ als eines wohl bestimmten Gegenstandes der

1.2 Hegels Verhältnis zu Jacobi

53

Selbstbewusstsein und eo ipso auch das Endliche werden selbst zum Medium der Erkenntnis des Absoluten und somit unverzichtbar. Darüber hinaus hat absolute Subjektivität selbst einen adäquaten Ausdruck in endlicher Subjektivität, die einen wichtigen Platz im System erhält, wie später die minutiöse und materialreiche Darstellung in der Phänomenologie des Geistes beweist. Vorher zeigte sich das Endliche nur als „Komödie“ im Angesicht des Absoluten, „vor dem es sich nur vernichten kann“. (SYS1, 237) Dieser ungeheure Fokus, den endliches Dasein schließlich im Rahmen der Phänomenologie des Geistes erhält, zeugt von einer fundamentalen Aufwertung des Endlichen, die aus dem Paradigmenwechsel in der Zeit in Jena resultiert.⁷⁶ Darauf läuft auch Hegels prominente Formulierung zu, dass es darauf ankomme, „das Wahre nicht als Substanz, sondern eben so sehr als Subject aufzufassen und auszudrücken“. (PG, 18) Nicht zuletzt auch der ursprüngliche Titel „Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseyns“ ist ein Indikator für das neue Gewicht.⁷⁷ Gleichwohl die Erkenntnis des Absoluten ohne Frage Priorität bleibt, ist die Subjektivität hier keine „Mücke“ mehr, die im „Anschauen

Realphilosophie nahelegen“. – Es steht damit zur Frage, ob die Entfaltung des Sich-Wissens als Paradigma der Subjektivität auch etwas mit Selbstbewusstsein zu tun hat. (Horstmann [1980]: Über das Verhältnis von Metaphysik der Subjektivität und Philosophie der Subjektivität, 189) Für Horstmann kommt allemal der letzte Systementwurf aus Jena für einen „indirekten Zusammenhang“ in Frage, da „die in ihr exponierten Inhalte subjektivitätsfähig“ sind, was heißt, dass „sie beschrieben werden können als Fälle einer spezifischen Art von Selbstbeziehung“. (Ebd. 194 f)  C. Schalhorn geht dem detailliert nach und sieht für die Differenzschrift und Glauben und Wissen eine Abwertung des Selbstbewusstseins (bzw. des Endlichen) gegeben. In den Systementwürfen I, II und III erfährt es wiederum eine Aufwertung, indem Hegel das Selbstbewusstsein selbst zum Leitbegriff des Geistes macht (vgl. Schalhorn [2004]: Hegels Jenaer Begriff des Selbstbewusstseins). – D. Henrich weist auf die Wirkung Jacobis hin, die er gerade über seine Konzeption des Daseins ausüben konnte. „Es läßt sich beobachten, daß in der Erneuerung des Spinozismus durch die, die über die Lektüre Jacobis Zugang zu Spinoza gefunden hatten, das Wort ‚Dasein‘ zugleich auch die Konnotation der positiven Philosophie Jacobis mit sich führt: Dies Dasein ist ebenso dem Sein als solchen immanent, wie es sich uns in unmittelbarer Gewißheit erschließt. Daraus folgt dann sogleich, daß überall dort, wo Dasein als solches gewahrt und verstanden wird, auch Sein als solches sich offenbart.“ (Henrich [1992]: Der Grund im Bewußtsein, 72)  Jüngst hat sich D. Emundts mit dem Begriff der Erfahrung in Hegels Phänomenologie des Geistes auseinandergesetzt und will festhalten, dass es für das Seiende nicht zutreffend ist, dass es „nichts anderes als die Ausdifferenzierung des Begrifflichen“ ist und Erfahrung als „sinnliche Erlebbarkeit“ somit bei Hegel gänzlich deplatziert wäre. Emundts möchte im Gegenteil herausarbeiten, dass Erfahrung für Hegel ein Begriff ist, dem eine zentrale Bedeutung für die Frage nach der Möglichkeit von Erkenntnis zukommt (vgl. Emundts [2012]: Erfahren und Erkennen, 15).

54

1 Die Exposition der Fragestellung

des Ewigen“ verbrennt, sondern sie ist Gegenstand des Interesses, insofern Hegel die Rolle des Endlichen und Einzelnen grundlegend neu bewertet hat.⁷⁸

Wissenschaft der Logik: späte Anerkennung So blieb Jacobi ein „schlechtes wie anregendes Gewissen“⁷⁹, auch wenn Jena zunächst eine deutliche Zäsur im Verhältnis zu Jacobi markiert. Er blieb eine treibende Kraft besonders nach diesem in Jena vollzogenen Paradigmenwechsel.⁸⁰ Jacobis Spinoza/Antispinoza erweist sich als wichtiger Impulsgeber, was allein schon insofern ersichtlich wird, als die Wiederaufnahme essentieller Motive Jacobis nach einer Phase vehementer Kritik die Konstanz und Relevanz dieser Ideen in Hegels Auseinandersetzung mit den Grundfragen der Metaphysik unterstreicht.⁸¹ Freiheit, auch für das Endliche, Lebendigkeit und Anerkennung des Endlichen in seiner genuinen Funktion im Prozess des Erkennens sind hier wichtige Stichworte. Dass diese Entwicklungen nicht von ungefähr mit Jacobi in

 In seinem nicht anders als klassisch zu bezeichnenden Aufsatz Andersheit und Absolutheit des Geistes geht D. Henrich der Frage systematisch nach, welche Rolle das Endliche in Hegels Monismus einnimmt (vgl. Henrich [2001]: Andersheit und Absolutheit des Geistes).  Gawoll [1999]: Glauben und Positivität, 88. – B. Sandkaulen unterstreicht, dass Jacobi als „graue Eminenz“ „den programmatischen Aufbruch und Fortgang des idealistischen Denkens in dem Maße bestimmt, wie man der Problemanalyse seines ‚Spinoza und Antispinoza‘ nicht nur die eigenen Problemstellungen und Motive, sondern sogar noch alle die Mittel verdankt, mit deren Hilfe ein verändertes Konzept der Vernunft nunmehr systematisch realisieren soll, was er selber im Gegenzug zu dem von ihm freigelegten Systemmodell Spinozas [wie es sich aus den Augen der Idealisten darstellt, D. A.] lediglich ‚versichert‘ hat“. (Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 239)  Sicherlich weil Jacobi hier nicht explizit genannt wird und die Evidenzen auf textlicher Basis nicht offensichtlich sind, wird dieser Zeitraum in den Untersuchungen zum Verhältnis von Hegel und Jacobi ausgespart. Dass allerdings eine solche Aussage nicht nur möglich, sondern sehr wohl angebracht ist, ergibt sich m. E. aus Hegels späteren Auskünften. Dies muss umso mehr herausgehoben werden, steht doch die Absenz Jacobis im umgekehrten Verhältnis zu seiner Bedeutung, die ihm offensichtlich bei diesem Paradigmenwechsel zukommt.  G. Höhn schreibt: „Hegels scharfe Auseinandersetzung mit dem Autor der Spinoza-Briefe zeigt, daß er Jacobi durchaus nicht für einen minderwertigen Gegner angesehen hat. Wenn es im Gegenteil wahr ist, daß sich Hegel durch die Polemik Jacobis immer wieder herausgefordert gefühlt hat, so darf man bei allen Gegensätzen ihres Denkens gemeinsame Momente vermuten.“ (Höhn [1971]: Die Geburt des Nihilismus und die Wiedergeburt des Logos, 281 f) – A. F. Koch hebt heraus, dass Jacobi in der Logik „im Hintergrund präsent“ ist. „Denn für die Hegelsche Logik ist er in mindestens drei Rollen von Bedeutung: (1) als Repräsentant der Lehre vom unmittelbaren Wissen, (2) als Kritiker der Methode der Metaphysik und (3) als Denker, der über die Substanzlehre Spinozas in einem Salto mortaIe hinaussprang.“ (Koch [2004]: Unmittelbares Wissen und logische Vermittlung, 319)

1.2 Hegels Verhältnis zu Jacobi

55

Verbindung gebracht werden müssen, räumt Hegel aus der Sicherheit seines vollendeten Systems explizit ein.⁸² Die Würdigung kann dabei kaum größer sein, wenn er – wie schon erwähnt, jetzt jedoch vor dem Hintergrund des skizzierten Paradigmenwechsels noch viel markanter – Jacobi im gleichen Atemzug mit Kant das Verdienst zuschreibt, „der vormaligen Metaphysik nicht so sehr ihrem Inhalte nach als ihrer Weise der Erkenntniß ein Ende gemacht und damit die Nothwendigkeit einer völlig veränderten Ansicht des Logischen begründet zu haben“ (JR, 25), deren Durchführung gerade die vorgelegte Wissenschaft der Logik sein soll und ihren Ursprung in der Zeit in Jena hat. Die Begriffslogik von 1816 geht dabei ins Detail und gibt Auskunft darüber, dass „Kant mehr der Materie nach die vormalige Metaphysik angriff“. Jacobi jedoch hat diese vornehmlich von Seiten ihrer Weise zu demonstriren angegriffen und den Punkt, worauf es ankommt, aufs lichteste und tiefste herausgehoben, daß nemlich solche Methode der Demonstration schlechthin in den Kreis der starren Nothwendigkeit des Endlichen gebunden ist und die Freyheit, d.i. der Begriff und damit alles, was wahrhaft ist, jenseits derselben liegt und von ihr unerreichbar ist. (WL2, 229)

Das Grundproblem, auf welches Jacobi kontinuierlich den Finger gelegt hat und das mit jener veränderten Ansicht des Logischen von Hegel explizit adressiert wird, ist der wunde Punkt einer vollständig an Wissenschaftlichkeit, d. h. an Rationalität, orientierten Metaphysik. Das Problem besteht darin, dass alle Bemühungen um Vollständigkeit gerade das höchste Ziel dieses Entwurfs, nämlich die Freiheit des Menschen, zu verhindern scheinen – wie es Jacobi in seiner Kritik längst herausgehoben hatte. Es ist auch Hegel klar, dass Jacobi nicht im engeren Sinn die geometrische Methode Spinozas, sondern den generellen Anspruch ra-

 Vgl. Gawoll [1998]: Die Verwandlung der Unmittelbarkeit, 79. Auch B. Sandkaulen macht darauf aufmerksam, dass Jacobis „Vorlage die systematische Problemfolie darstellt, vor der Hegel sein eigenes Projekt verfolgt und in deren spekulativer Bearbeitung er sein System der Freiheit zu etablieren sucht“. (Sandkaulen [2008]: Die Ontologie der Substanz, 262) Sie hebt auch hervor, warum Hegel in Glauben und Wissen noch den Standpunkt vertritt, Jacobis Einwände seien „ungebährdiges Zettergeschrey über die Vernichtung dieser Nichtigkeit“ (GW, 377), den er jetzt bei Spinoza zu kritisieren unternimmt. Sandkaulen erläutert die historischen wie systematischen Hintergründe für den Positionswechsel damit, dass Hegel anfangs zwar Schelling gefolgt sei, er aber einsieht, dass „dessen Entwurf der Identitätsphilosophie in die unangenehme Lage versetzt, im Bann des Absoluten keinen Schritt mehr in die Wirklichkeit tun zu können und das System in einem epistemischen Formalismus erstarren zu lassen, in dem es immer nur um die Aufhebung und nie um die Entfaltung des Endlichen geht. Im Zuge dieser Einsicht macht sich Hegel nunmehr das Interesse Jacobis zu eigen, das vorher seiner Verachtung verfallen war.“ (Sandkaulen [2008]: Die Ontologie der Substanz, 264)

56

1 Die Exposition der Fragestellung

tionaler Durchsichtigkeit kritisiert, der mit jeder Theoriebildung verbunden ist, die auf lückenlose Begründbarkeit fußt. Jacobi thematisiert daher die Möglichkeit von systemischer Philosophie überhaupt in verschiedensten Hinsichten – und trifft neuralgische Punkte, die Hegel nicht ignorieren kann. Umso mehr geht es um die ganze Sache. Es geht um Hegels eigenes Projekt, das mit einer adäquaten Antwort auf Jacobis Vorwürfe steht und fällt.Wesentlich beschäftigt ihn die „Natur des Erkennens selbst“, wie Hegel es festhält, „das nur einen Zusammenhang der Bedingtheit und Abhängigkeit erfaßt und daher dem, was an und für sich und das absolut-Wahre ist, sich unangemessen zeigt“. (WL2, 229) Im Zentrum der Transformation der Natur des Erkennens steht folgerichtig in der Wissenschaft der Logik das Verhältnis von Endlichem und Unendlichem, wie sich dies schon in der Differenzschrift und in Glauben und Wissen deutlich abgezeichnet hat, aber im Zuge des Paradigmenwechsels entscheidend wird. Waren dort noch nicht die begrifflichen Mittel vollständig entwickelt, um die spekulative Einheit beider zu explizieren, so ist es im Kern das Geschäft der Logik. Die Entfaltung dieser Logik wesentlich vor dem Hintergrund von Jacobis Spinoza/Antispinoza einerseits und folglich direkt vor dem System Spinozas andererseits zu verstehen, wirft nicht nur ein interessantes, sondern auch ein unabdingbares Licht auf die Grundstruktur des Systems. Denn die neue Ansicht des Logischen, dessen Umsetzung Hegels System sein möchte, kann nicht unabhängig von Spinoza und auch nicht unabhängig von Jacobi adäquat rekonstruiert werden.⁸³ In Bezug auf Jacobi ist zu sagen, dass sein Spinoza/Antispinoza in Hegels System immer zweifach gegenwärtig ist. Einerseits ist Jacobis Kritik des Systems Spinozas der systematisch unabdingbare Horizont für Hegels Logik im Allgemeinen und für Hegels Spinoza-Kritik im Besonderen. Jacobi zeigt so überhaupt die Notwendigkeit einer veränderten Ansicht des Logischen auf, indem er die Mängel adressiert, die Hegels Ansatz vor seinem Paradigmenwechsel selbst inhärieren. Andererseits fließt in das neue Logische zu einem gewissen Maß auch Jacobis Antispinoza, d. h. Jacobis Unphilosophie, ein, die „anstatt des Verstandes, der vorher so zu sagen die Seele des Erkennens war, nun die Vernunft und den Geist zur Seele des Erkennens“ macht. (JR, 25) Hegels eigene Philosophie ist nicht zufällig eine des Geistes.⁸⁴ Das neue Logische ist verbunden mit der Betonung des

 Wiederholt muss natürlich gesagt werden, dass keinesfalls andere (wesentliche) Einflüsse bestritten werden.  Für T. v. Zantwijk ist die Spätphilosophie Hegels keine Umkehrung der Perspektive auf Jacobi, „denn Hegel braucht seine Kritik an Jacobi natürlich nicht fallen zu lassen, um dessen Bedeutung zu würdigen“. (Zantwijk [2002]: Schellings Polemik gegen Reinhold und Hegels Kritik an Jacobi, 170) Dem soll nicht widersprochen werden, insofern Hegel weiter starke Vorbehalte gegenüber Jacobi hegt, insbesondere dahingehend, was dessen Verständnis von Geist betrifft. Hier soll jedoch im

1.2 Hegels Verhältnis zu Jacobi

57

Geistes, der ursprünglich mit Jacobis Unphilosophie amalgamiert war und nun durch Hegel wiederum in das System überführt werden soll. „Jacobi hatte diesen Uebergang von der absoluten Substanz zum absoluten Geiste“, den Hegel spekulativ selbst vollziehen will, „in seinem Innersten gemacht und mit unwiderstehlichem Gefühle der Gewißheit ausgerufen: Gott ist Geist, das Absolute ist frey und persönlich“. (JR, 11) Denn eben darauf kommt es Hegel selbst aufs Bestimmteste an: Das Absolute ist keine starre Notwendigkeit, sondern lebendige Freiheit. In direktem Anschluss daran ergänzt Hegel: Gott ist kein todter, sondern lebendiger Gott; er ist noch mehr als der Lebendige, er ist Geist und die ewige Liebe und ist dies allein dadurch, daß sein Seyn nicht das abstracte, sondern das sich in sich bewegende Unterscheiden und in der von ihm unterschiedenen Person Erkennen seiner selbst ist. (JR, 11)

Gleichwohl deutet Hegels „In-sich-bewegendes-Unterscheiden“ schon den ganzen Unterschied zwischen Jacobi und ihm an, insofern für Hegel Gott bzw. das Absolute nur dadurch unmittelbar ist, als „es jene ewige Vermittlung zur Einheit ewig zurückführt“. (JR, 11) Doch trotz des Unterschiedes ist dieses Zurückführen „selbst diese Einheit, die Einheit des Lebens, Selbstgefühls, der Persönlichkeit, des Wissens von sich“. (JR, 11) Die begriffliche Erkenntnis des Absoluten muss in Übereinstimmung mit Jacobis Absicht als Freilegung der Freiheit und Lebendigkeit verstanden werden und darf keinesfalls in toter Notwendigkeit enden. In Abkehr von seiner frühen Jenaer Zeit modifiziert Hegel auch die wahrhafte Unendlichkeit dahingehend, dass die Aufhebung des Endlichen im Unendlichen nicht mehr in Opposition zu Jacobis Einklagen des Endlichen gesehen wird. Das endliche Erkennen wird weiterhin in seinen verschiedensten Ausprägungen scharf kritisiert. Jedoch das Endliche selbst soll nur in seiner Beschränkung erkannt und aufgehoben werden, „um durch Aufheben derselben für sich die Freiheit als sein Wesen zu haben und zu wissen, d.i. schlechthin manifestirt zu seyn“ (E, 383 f (§ 386)), sodass Hegel später die Weltgeschichte insgesamt als den „Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit“ (VorPGS, 32) und „die realisierte Freiheit, [als] den absoluten Endzweck der Welt“ (GRS, § 129) wird bezeichnen können. So möchte Hegel in der völlig veränderten Ansicht des Logischen die Mängel des Systems Spinozas zumindest soweit überwunden haben, dass Freiheit als Essenz seines Systems

weiteren Verlauf deutlich werden, dass entscheidende Aspekte für gelingende Theoriebildung von Jacobi übernommen werden, gleichwohl sie ursprünglich als Widerspruch gegen jedwede (monistische) Theoriebildung konzipiert waren. – Dass Jacobis Insistieren auf dem Geist den Horizont für Hegels Geist-Philosophie bildet, stellt B. Sandkaulen heraus (vgl. Sandkaulen [2008]: Wie geistreich darf Geist sein?).

58

1 Die Exposition der Fragestellung

verstanden werden muss, die nicht im Widerspruch zum Selbstverständnis der endlichen Individuen steht. Das neue Logische zeigt sich zudem als das Wahre selbst nicht im Widerspruch zu seiner begrifflichen Durchdringung. Das neue Logische ist der neu gefasste und unendliche Begriff selbst, der sich selbst bestimmt und am Ende der Bewegung selbst weiß. Absolutes Subjekt, unendlicher Begriff, absolute Idee, absoluter Geist oder das Absolute sind nur verschiedene Ausdrucksformen dieser neuen Ansicht des Logischen, die es in ihrer Spezifik zu beleuchten und an ihre Herkunft aus Jacobis Spinoza/Antispinoza zurückzubinden gilt: Nicht nur, um so die Kontur des spekulativen Programms Hegels herauszuarbeiten, sondern auch, um zugleich eine Grundlage zu haben, mit welcher der Erfolg des Unternehmens kritisch beleuchtet werden kann. Wesentliche Grundzüge dieser Figuren bestimmt Hegel in offensichtlicher Reminiszenz an Jacobi auch in direkter Auseinandersetzung mit Spinoza.

1.3 Hegels Spinoza-Kritik vor dem Hintergrund Jacobis Jacobi und Spinoza kommen also nicht allein Sonderrollen zu, insofern sie historische Begebenheiten nahelegen. Beide sind systematisch Dreh- und Angelpunkt für Hegels eigenes System, insofern die Möglichkeit wissenschaftlicher Philosophie vor dem Hintergrund lebenswirklicher Erfordernisse auf dem Spiel steht.⁸⁵

 Diese Transformation geschieht natürlich vor dem Horizont der kantischen Vernunftkritik. Ein Rückbezug auf Spinoza ist also kein Rückfall hinter Kant, indem Hegel ein Metaphysikprojekt verfolgen würde, das Wirklichkeit aus dem Standpunkt Gottes deduzieren wollte. Gleichwohl anzumerken ist, dass auch die Metaphysik Spinozas selbst keines alten Zuschnitts ist. Darauf macht B. Sandkaulen nachdrücklich aufmerksam (vgl. Sandkaulen [2008]: Die Ontologie der Substanz). Das Absolute Hegels ist im Gegenteil der Vollzug des Bruches mit der Metaphysik, der gerade auch in der Figur der Subjektivität eine Form gewinnt. Wenngleich der Rahmen eines möglichen Projektes durch Kant bestimmt ist, so ist das Projekt zugleich auch eine Auseinandersetzung mit diesem Rahmen, indem die Figur der Subjektivität wesentlich darauf hinausläuft, jene Grundstrukturen des Urteilens zu hinterfragen, die nicht nur für die vormalige Metaphysik konstitutiv waren, insofern sie Gott, Seele und Welt als Gegenstände nahmen, denen man Prädikate zuweisen kann. Auch Kant selbst unterliegt diesen Strukturen noch, wenn er zwischen Ding an sich und Erscheinung unterscheidet und Erkennen nur auf die Letztere einschränkt, weil diese unserem subjektiven Urteilen allein zugänglich ist (vgl. Sandkaulen [2008]: Die Ontologie der Substanz, 239). Im Rückgriff auf Jacobis Konzept des Wahren und in klarer Abgrenzung zu Kant konzipiert Hegel sein Projekt als „diejenige Beziehung, durch welche alle Erkenntniß-Bestimmungen allein Wahrheit erhalten, – die Beziehung, welche Spinoza so ausdrückt, daß Alles unter der Gestalt des Ewigen betrachtet werden müsse“. (JR, 9) Die durch Jacobi initiierte Neubewertung des Unbedingten führt Hegel damit in kritischer Auseinandersetzung, aber auf Augenhöhe mit Kants Vernunftkritik so weiter, dass die vormalige Metaphysik wie auch Kants Denken dadurch

1.3 Hegels Spinoza-Kritik vor dem Hintergrund Jacobis

59

Hegels Spinoza-Rezeption ist aber nicht generell von Interesse⁸⁶, sondern speziell die Frage danach, inwieweit sich diese von Jacobis Spinoza/Antispinoza geprägt zeigt – hat doch Hegel Spinoza überhaupt durch die von Jacobi geführte Kontroverse um Rationalität und Individualität respektive System und Leben kennengelernt.⁸⁷ Für Hegel gab es nie nur das System eines Spinoza, sondern immer nur das schon problematisierte System eines Spinoza ⁸⁸, gleichwohl die Metaphysik der Substanz als Realisierung des konsequenten Rationalismus selbst nicht hinterfragt wird.⁸⁹ Jacobis Vermittlerrolle setzt demnach von Anbeginn einerseits den

überwunden werden, dass deren bloß verständiges und endliches Denken von einem unendlichen Denken abgelöst wird, das Hegel das spekulative nennt.  Dazu ist die Spinoza-Kritik Hegels viel zu komplex und würde nicht nur zu viel Raum einnehmen, sondern auch den eigentlichen Fokus verschieben. Für einen allgemeinen Überblick über Hegels Spinoza-Rezeption vgl. auch Bartuschat [2007]: Nur hinein, nicht heraus. Ob Hegel Spinoza akkurat rekonstruiert und kritisiert, steht hier daher nicht zur Debatte. B. Sandkaulen widmet sich dieser Frage ausführlich in ihrem Aufsatz Sandkaulen [2008]: Die Ontologie der Substanz, in dem sie zwei inkonsistente Versionen der Spinoza-Kritik ausmacht. D. Petzold kritisiert Hegels Spinoza-Kritik als nicht angemessen, weil Hegel Spinoza viel zu undynamisch und gerade hinsichtlich der Frage nach Differenz zu schwach präsentiert. Pätzold thematisiert auch die Spinoza-Kritik Jacobis, aber lässt entscheidende Punkte außer Acht (vgl. Petzold [2002]: Spinoza – Aufklärung – Idealismus, 140 ff). Auch W. Bartuschat weist darauf hin, dass sich Hegel nicht hinreichend auf die Philosophie Spinozas eingelassen hat und daher die Substanzmetaphysik mit seiner Kritik unterbietet. Bartuschat „möchte zeigen, dass Hegels Interpretation Spinoza äußerlich bleiben muss, weil er ihn von einer am Begriff des Absoluten orientierten Philosophie her gelesen hat, die es ihm nicht erlaubt, sich hinreichend auf eine Philosophie einzulassen, die ein andersartiges Konzept des Absoluten entwickelt hat und sich deshalb nicht in die eigene Philosophie als deren Vorstufe integrieren lässt“. (Bartuschat [2007]: Nur hinein, nicht heraus, 103)  So schreibt auch A. Tikal: Es „ist nicht von der Hand zu weisen, daß sich die Entwicklung des Idealismus in einem konzeptuellen Rahmen vollzieht, den Jacobi mit der kritischen Darstellung des Spinozismus und den Ansätzen zu dessen Überwindung vorgegeben hat“. (Tikal [2012]: Leben als absolute Erkenntnis, 30)  Das Gleiche gilt sicherlich auch für Kant, zumal die Idealisten Jacobi als einen ebenso vehementen Kant-Kritiker lasen und so entscheidend durch Jacobi für die einschränkende Rationalitätskonzeption Kants sensibilisiert wurden (vgl. Horstmann [1995]: Die Grenzen der Vernunft, 74).  Spinoza rückt als Vertreter eines konsequent rationalen Monismus überhaupt in eine Schlüsselposition ein, weil dies kein beliebiger Standpunkt in der Philosophiegeschichte ist, sondern Hegels eigener, der in der Ausformulierung des Systems immer schon eingenommen ist. Eine Auseinandersetzung mit Spinoza ist somit eine notwendige Beschäftigung mit dem eigenen Standpunkt. Birgit Sandkaulen spricht von einer „höchst sonderbaren Voraussetzung des Hegelschen Systems“. (Sandkaulen [2008]: Die Ontologie der Substanz, 236) Die Tatsache, dass Hegel im Abschnitt zur ersten Stellung des Gedankens zu Objektivität in der Enzyklopädie, der der Metaphysik gewidmet ist, vorwiegend von Kant und nicht von Spinoza spricht, deutet Sandkaulen als Manöver Hegels, „alle Spuren Spinozas in ihrer strukturellen Bedeutung für den Aufriß seines

60

1 Die Exposition der Fragestellung

historisch-kontingenten, aber andererseits auch den systemtisch-notwendigen Rahmen für eine substantielle Auseinandersetzung mit Spinoza. Über das nun zu konstatierende Faktum hinaus, dass Jacobi die neue Ansicht des Logischen zentral motiviert hat, lässt sich die Rolle Jacobis daran detaillierter ablesen, in welchem Maße Jacobis Spinoza/Antispinoza in diese einwandert. Dass Jacobi auch die neue Ansicht des Logischen begründet hat, die Hegel in seinem reifen System mit der Phänomenologie des Geistes, der Wissenschaft der Logik und der Enzyklopädie umgesetzt hat, motiviert zugleich die Beschränkung der Fragestellung auf den späten Hegel. Stellt man also die eigentliche (in die Bewegung des Begriffes eingebettete argumentative) Widerlegung des Spinozismus in der Wissenschaft der Logik zunächst zurück und nähert sich Hegels Spinoza-Rezeption über die Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie, über die Enzyklopädie oder auch über die Jacobi-Rezension, so findet man dort einen Spinoza, dessen Hauptmängel auf Motive zurückgehen, die wir von Jacobi kennen: nämlich die Motive der Freiheit und des Status des Endlichen.

Systems“ zu verwischen. (Sandkaulen [2008]: Die Ontologie der Substanz, 237) – Ob Hegel zu Recht Spinoza zu seinem ‚Vorgänger‘ erhebt, oder ob dies eine unzulässige Vereinnahmung darstellt, kann hier nicht detailliert untersucht werden. Birgit Sandkaulen geht dieser Frage in diesem Aufsatz akribisch nach und zeigt am Text aufschlussreich Hegels Manöver auf. – Es lässt sich aber konstatieren, dass Spinoza in Hegels Ausbildung seiner Position eine ähnlich paradoxe Stellung innehat wie schon bei Jacobi. Vermittelt über Jacobi zeigt sich der Spinozismus als konsequentester Rationalismus, der einerseits deswegen eine hohe Anziehungskraft ausübt, andererseits aber gerade aus diesem Grunde nicht befriedigen kann. Paradox ist nun der Bezug auf Spinoza für Hegel deswegen, weil es ihn zu kritisieren, aber zugleich zu affirmieren gilt. Die Konstellation im Vergleich zu Jacobi stellt sich nun gerade umgekehrt dar: War bei Jacobi Spinoza rein argumentativ zunächst zu affirmieren, weil er sich begrifflich nicht widerlegen lässt, um im Ausgang von der Affirmation im springenden Widerspruch das Unbedingte im Glauben zu ergreifen, so ist Spinoza bei Hegel zunächst zu kritisieren, weil (für Hegel) dessen Mängel offenkundig sind, um dann im Ausgang von der Kritik den Kern Spinozas, nämlich das konsequente Denken, zu affirmieren. Während Jacobi vom Denken in den Glauben springt, denkt sich Hegel vom Glauben ausgehend in das Denken. Zeigt Jacobis Formulierung des ‚Spinoza/Antispinoza‘ die dialektische Verwicklung von Position und Gegenposition an, so ist es nicht abwegig, auch im Falle Hegels zu einer solchen Formulierung zu greifen, aber in Andeutung der besagten Umkehrung von einem ‚Antispinoza/ Spinoza‘ zu sprechen, insofern Hegel im Ausgang einer Kritik dessen Monismus affirmiert. Zum Immanenz-Modell selbst gibt es für Hegel keine Alternative. Denn „Philosophiren ohne System kann nichts Wissenschaftliches seyn; […] Ein Inhalt hat allein als Moment des Ganzen seine Rechtfertigung, außer demselben aber [ist er, D. A.] eine unbegründete Voraussetzung oder subjective Gewißheit […].“ (E, 56 (§ 14 A)) In Bezug auf Spinoza bekennt Hegel folgerichtig schlicht: „Spinoza ist Hauptpunkt der modernen Philosophie: entweder Spinozismus oder keine Philosophie.“ (VorGPS, 163 f)

1.3 Hegels Spinoza-Kritik vor dem Hintergrund Jacobis

61

Die Frage nach Freiheit Freiheit ist das große Schlagwort der Epoche, das gerade mit Jacobis Einwendungen gegen das System einen beredten Ausdruck gefunden hatte, dem sich Hegel auch anschließt.⁹⁰ Dies ist zu allererst festzuhalten. Dennoch wird schon auf den ersten Blick eine Differenz zu Jacobi bemerkbar, die genau auf das Programm Hegels zurückführbar ist. In der Jacobi-Rezension gibt Hegel Jacobi darin recht, dass Freiheit bei Spinoza nicht ganz verwirklicht ist. Die Begründung sieht allerdings anders aus. „In der Einen gediegenen Substanz“, so schreibt Hegel, ist nur die Eine Seite der Freyheit enthalten, nämlich diese Seite, welche aus den Endlichkeiten des Seyns und Bewußtseyns nur erst zum einfachen Elemente der Allgemeinheit gekommen ist, aber darin noch nicht die Selbstbestimmung und Persönlichkeit gesetzt hat. (JR, 10)

In Anlehnung an Jacobi bestimmt Hegel hier auch den Mangel an Selbstbestimmung und Persönlichkeit der Individuen als Mangel in der Grundstruktur des Systems. Der Unterschied zu Jacobi macht sich jedoch bereits darin bemerkbar, dass Freiheit nicht in erster Linie über Handlung, sondern in einer entscheidenden Abwandlung definiert wird. Sie ist auf der einen Seite mit dem „einfachen Elemente der Allgemeinheit“ verbunden. Die zweite Seite der Freiheit wird in einen Kontext der Ableitbarkeit der Unterschiede aus der Substanz gestellt. Es tritt also ein dritter Aspekt hinzu, der deutlich in Opposition zu Jacobi tritt. Denn es ist, so Hegel, eine „noch näher liegende Forderung […], daß ein Uebergang von dem Absolut-Einen zu den göttlichen Attributen aufgezeigt wäre“. (JR, 10) Doch eben dieser Übergang fehlt, und die absolute Substanz ist nicht als Ausgangspunkt für Unterschiede, Vereinzelung, Individuation gefaßt, überhaupt für alle Unterschiede, wie sie erscheinen mögen, als Attribute und Modi, als Seyn und Denken, Verstand, Einbildungskraft u.s.w. – Es geht daher in der Substanz alles nur unter, sie ist unbewegt in sich, und [es] kehrt aus ihr nichts zurück. (JR, 10)

Der Mangel an Freiheit resultiert letztlich also daraus, dass der Übergang zwischen Substanz und den Modi nicht hinreichend klar wird – wiewohl also auch impliziert ist, dass es darauf ankommt, einen solchen Übergang im Gegensatz zu Jacobi schlüssig denken zu müssen. Und so benennt Hegel als Schlüssel für diese zweite  D. Henrich stellt heraus, dass rein logisch bzw. theoretisch dieser Entwicklungsgang von Kant zu Hegel nicht zu verstehen ist, sondern erst plausibel wird vor dem Hintergrund einer „Veränderung des Bewußtseins des Zeitalters“. Zu nennen ist vor allem die Französische Revolution. (Henrich [1992]: Der Grund im Bewußtsein, 22)

62

1 Die Exposition der Fragestellung

Seite der Freiheit die Bewegung und Rückkehr aus sich, die als solche von Hegel grundsätzlich in der Grundfigur von Subjektivität gedacht wird, die seit den Systemfragmenten aus Jena Leitfigur ist. Was also mit der Subjektivität im ersten Zugriff deutlich wird, ist die Tatsache, dass die zweite Seite der Freiheit nicht in erster Linie vom einzelnen Individuum her gedacht wird, sondern aus der Selbstbewegtheit und Rückkehr der einen Substanz, die unter diesen Bedingungen als Subjekt zu verstehen ist. Nicht das Individuum ist Ausgangsbedingung für das Ergreifen der Freiheit, sondern das Absolute ist die Verstehensbedingung für das Denken der Freiheit. Aus dem neuen Prinzip der Subjektivität wird nicht nur Durchsichtigkeit in der Ableitung aller Bestimmtheit erreicht, sondern zudem eine Selbstbezüglichkeit entwickelt werden können, die es erlaubt, einerseits Gott bzw. das Absolute und zugleich die abgeleiteten endlichen Individuen als Fürsichseiende zu denken. Damit soll dem Vielen im Einen der eingeklagte Freiraum für die Selbstbestimmung eingeräumt werden, der bei Spinoza fehlte und den Einzelnen nur zum notwendigen Moment machte.⁹¹ Im Zuge des neuen Paradigmas der Subjektivität soll demnach sichtbar werden, dass Ableitungsverhältnisse einerseits und die Frage nach Selbstbestimmung und Eigenständigkeit andererseits keineswegs im Widerspruch stehen, sondern im Gegenteil überhaupt nur auseinander verständlich gemacht werden können. Substanz, Attribut und Modus, so Hegel, hätte Spinoza nicht nur so als Begriffe hinstellen, sondern sie deduzieren müssen. – Die drei letzten Bestimmungen [d. h. Substanz, Attribut und Modus, D. A.] sind vorzüglich wichtig; sie entsprechen dem, was wir bestimmter als Allgemeines, Besonderes und Einzelnes unterscheiden. Aber man muß sie nicht als formell nehmen, sondern in ihrem konkreten wahrhaften Sinne. Das konkrete Allgemeine ist die Substanz; das konkrete Besondere ist die konkrete Gattung.Vater und Sohn sind so Besondere, deren jedes aber die ganze Natur Gottes (nur unter einer besonderen Form) enthält. Der Modus ist das Einzelne, das Endliche als solches, welches in den äußerlichen Zusammenhang mit Anderem tritt. Spinoza hat so ein Herabsteigen; der Modus ist das Verkümmerte. Der Mangel des Spinoza ist, daß er das Dritte nur als Modus faßt, als schlechte Einzelheit. Die wahrhafte Einzelheit, Individualität, wahrhafte Subjektivität ist nicht nur Entfernung vom Allgemeinen, das schlechthin Be-

 A. Arndt untersucht Hegels Spinoza-Kritik und formuliert diesen Zusammenhang so: „Sowohl in der Erkenntnis des Endlichen als auch in der Erkenntnis des Absoluten selbst bleibt für Hegel [bei Spinoza, D. A.] das Absolute ein Ansich, auf das hin die endlichen Dinge und die Modi zurückbezogen, aber aus dem sie nicht hergeleitet werden.Wiewohl alles in der einen Substanz oder dem Absoluten gedacht wird, wird es doch immer nur hinein, aber nicht aus ihr heraus gedacht. In der hegelschen Theoriesprache ausgedrückt: sie bleibt für uns ein Ansich, in das wir zwar alles hineinlegen können, das aber doch soetwas wie ein verschlossener Gott bleibt, aus dem wir nichts herausholen können.“ (Arndt [2012]: ‚Enthüllung der Substanz‘, 235)

1.3 Hegels Spinoza-Kritik vor dem Hintergrund Jacobis

63

stimmte; sondern es ist, als schlechthin bestimmt, das Fürsichseiende, nur sich selbst Bestimmende. Das Subjektive ist so ebenso die Rückkehr zum Allgemeinen; das Einzelne ist das bei sich selbst Seiende und so das Allgemeine. Die Rückkehr besteht darin, daß es an ihm selbst das Allgemeine ist, zu dieser Rückkehr ist Spinoza nicht fortgegangen. Die starre Substantialität ist das Letzte bei Spinoza, nicht die unendliche Form; diese kannte er nicht. Es ist immer dieses Denken, dem die Bestimmtheit verschwindet. (VorGPS, 169 f)

Was Spinoza Hegel zufolge entscheidend „noch fehlt“, und hier hört man Jacobi deutlich sprechen⁹², „das ist das abendländische Prinzip der Individualität“ (E1S, § 151 Z), das er mit der Subjektivität, wie jetzt zumindest hinsichtlich der Absicht deutlich ist, gleichfalls einholen will. Der Schachzug Hegels hier ist im Prinzip schnell benannt: War bei Spinoza das Individuum nicht frei, weil dem System Freiheit mangelte, so gewinnt er die Freiheit des Individuums, indem er in das System selbst Freiheit implantiert. Dies soll dadurch gewährleistet werden, dass dem System als Bewegung des Begriffs, d. h. des Allgemeinen, Selbstbewusstsein zugeschrieben wird, was bei Spinoza aufgrund der einseitig gefassten Negation nicht der Fall war. Denken hat nur die Bedeutung des Allgemeinen, nicht des Selbstbewußtseins. Dieser Mangel, die Vertilgung des Moments des Selbstbewußtseins im Wesen, ist es, was von einer Seite sosehr gegen das Spinozistische System empört, weil es das Fürsichsein des menschlichen Bewußtseins, die sogenannte Freiheit, d. h. eben die leere Abstraktion des Fürsichseins aufhob und dadurch Gott von der Natur und dem menschlichen Bewußtsein unterschieden, nämlich an sich, im Absoluten, – anderenteils aber das philosophisch Unbefriedigende hat, daß eben das Negative nicht an sich erkannt ist. Das Denken ist das absolut Abstrakte, eben dadurch ist es das absolut Negative; es ist so in Wahrheit, aber so ist es nicht gesetzt als das absolut Negative. (VorGPS, 185)

Hegels Lösung ist also ein nicht-endliches Denken, das eben nicht dem anheimfällt, was Jacobi als mechanistisches Denken bezeichnet hat. Dieses neue Denken ist dasjenige, was die Negativität nicht als beschränkte fasst. Es ist unendliches Denken, das absolute Negativität ist. Diese ist (je nach Kontext) Geist, das Absolute, die Vernunft. Jacobi findet die Wahrheit (als Unbedingtes) darin, dass er ein Nicht-Denkbares, das Unmittelbare, das Wahre einführt, das sich prinzipiell dem Denken entzieht. Hegel sieht das Wahre identisch mit dem unendlichen Denken, das selbst ein Unbedingtes ist. Insofern rehabilitiert Hegel mit der neuen Ansicht des Logischen die Dimension des Unbedingten in Übereinstimmung zu Jacobi. Auch Hegel reserviert hierfür wie Jacobi die Vernunft, die gegenüber dem be-

 Jacobi wirft der Substanz Spinozas mangelnde Individualität vor: „Der Gott des Spinoza, ist das lautere Prinzipium der Würklichkeit in allem Würklichen, des Seyns in allem Daseyn, durchaus ohne Individualität, und schlechterdings unendlich.“ (SB, 39)

64

1 Die Exposition der Fragestellung

schränkenden Verstand das Wahre selbst ist. Der Unterschied ist jedoch schlagend: Beiden, Jacobi und Hegel, ist zwar daran gelegen, die Begrenzung des Denkens zu überwinden. Hegel versteht dies jedoch im Sinne des Genitivus obiectivus: Das Denken ist das Begrenzte und soll überwunden werden zugunsten des Denkens, das nicht mehr durch ein falsches Verständnis selbst begrenzt wird. Freiheit als das Nicht-von-einem-anderen-bestimmt-werden wird im Denken erreicht, indem es selbst als ein Bei-sich-sein-im-Anderen entwickelt wird, das alle Abhängigkeit von einem anderen in den Binnenraum des Denkens selbst versetzt. Jacobi dagegen versteht dies im Sinne des Genitivus subiectivus: Das Denken ist das Begrenzende. Die Begrenzung soll überwunden werden zugunsten des Individuums, das durch das Denken beschränkt wird. Freiheit als das Nicht-von-einem-anderen-bestimmt-werden wird nur gegen das Denken erreicht.

Die Frage nach der Ontologie des Endlichen (Andersheit) Die Relation zwischen Substanz und Modi bzw. der ontologische Status der Modi ist ein weiterer Problemschwerpunkt, der seine Wurzeln in Jacobis Spinoza-Kritik hat. In einer Verschiebung zu Hegels früher Position in Jena besteht nun der schon häufig gegen Spinoza erhobene Vorwurf des Atheismus nach Hegel darin, dass in Spinozas System „das Prinzip der Differenz oder der Endlichkeit nicht zu seinem Rechte gelangt“.Wenn man beachtet, dass „es nach derselben eigentlich gar keine Welt im Sinne eines positiv Seienden gibt“, so schlussfolgert Hegel nun wieder an Jacobi orientiert, dass „dieses System nicht als Atheismus, sondern vielmehr umgekehrt als Akosmismus zu bezeichnen“ ist. (E1S, § 151 Z)⁹³ Den Mangel eines

 P. Macherey zeigt vor dem Hintergrund von Hegels Wesenslogik, dass für Hegel Spinoza den Unterschied als etwas bloß Negatives betrachtet, d. h. „die Differenz, insofern sie nur gesetzt ist, ist auch verneinte Differenz; sie ist zwei, die in das Eine zurückkehren und in ihm verschwinden, aber ohne sich zu überholen noch als Differenz aufzulösen“. So ist für Hegel auch die Differenz zwischen „Denken und Sein“ „zunächst gedachte Differenz“. „Da die Differenz bloß formal ist, ist sie indifferente Differenz, zugleich gesetzte und verneinte Differenz: vermittelst ihrer affirmiert sich die absolute Herrschaft eines Denkens, das nur reines Denken ist.“ (Macherey [1992]: Hegels idealistischer Spinoza, 158) – Der Vorwurf geht wohl zurück auf S. Maimon: „Es ist unbegreiflich, wie man das spinozistische System zum atheistischen [hat] machen können, da sie doch einander gerade entgegensetzt sind. In diesem wird das Dasein Gottes, in jenem aber das Dasein der Welt geleugnet. Es müßte also eher das akosmische System heißen.“ (Maimon [1984 (org. 1792/93)]: Salomon Maimons Lebensgeschichte, 217) Siehe dazu auch Melamed [2010]: Acosmism or Weak Individuals?. W. Bartuschat gibt dagegen den Hinweis auf Wolff [1739]: Theologia naturalis, § 671 ff (vgl. Bartuschat [2007]: Nur hinein, nicht heraus, 102). – Dass dieses Problembewusstsein bei Hegel schon früh ausgebildet war, darauf macht D. Henrich aufmerksam: „Hegel hat mit einem Nach-

1.3 Hegels Spinoza-Kritik vor dem Hintergrund Jacobis

65

positiven Seins führt er (in einer Vorlesung), jetzt den Paradigmenwechsel zum Subjekt im Rücken, auf die Konzeption der Substanz zurück, die dem Endlichen keine Substantialität zugesteht. „[D]ie Natur, die Welt ist nach einem Ausdruck des Spinoza nur Affektion, Modus der Substanz“, die Endlichkeit als solche also überhaupt „nicht das Substantielle“. (VorGPS, 163) Gott, d. h. die eine Substanz in Spinozas System, erfährt eine Überbewertung zu Lasten dessen, was aus Gott folgen soll. „Das Gegenteil von alledem ist wahr, was die behaupten, die ihm Atheismus Schuld geben; bei ihm ist zu viel Gott.“ (VorGPS, 163) Dem bloß abgeleiteten Endlichen kommt nur insofern Wirklichkeit zu, als es die eine Substanz ist, nicht aber insofern es Endliches ist. Es sind bloß Modifikationen; was sich auf diesen Unterschied bezieht und dadurch besonders gesetzt wird, ist nichts an sich. Jede Modifikation ist nur für uns, außer Gott; sie ist nicht an und für sich. (VorGPS, 179)

Damit ist diese Substanz „die absolute Substanz, in welcher vielmehr die Welt, die Natur untergegangen, verschwunden ist“. (VorGPS, 162) Die Substanz kann dem Endlichen keine ontologische Dignität zugestehen – und damit auch dem Selbstverständnis der Individuen nicht gerecht werden, die sich als positiv seiende und freie Individuen verstehen.⁹⁴ Jacobi hört man dann förmlich sprechen, wenn Hegel in den Vorlesungen einsetzt: druck, den man bei Hölderlin sowenig wie bei Schelling finden wird, ein Grundproblem aller Philosophie der Vereinigung aufgenommen: wie es sich denn verstehen lasse, daß Endliches entsteht, das doch von aller Vereinigung vorausgesetzt werden muß, – und wie es als solches in der Vereinigung Bestand hat. Ist doch ohne dies Bestehen von Vereinigung gar nicht zu reden, statt dessen besser von Schlund des Orkus und der Nacht der Vernichtung in leerer Unendlichkeit. Fragt man, wie gerade Hegel dazu kam, an dieser Frage beharrlich festzuhalten, so wird man in früheste Motive aller seiner Arbeit zurückgewiesen.“ (Henrich [2010]: Historische Voraussetzungen von Hegels System, 71)  R.-P. Horstmann analysiert den Substanzmonismus Spinozas und sieht Hegels Reaktion auch darin begründet, dass Spinozas Ansatz keine Selbstständigkeit zulässt: „Gemäß seiner Generalthese von der Einen Substanz als der alleinigen Reduktionsbasis hatte er keine Möglichkeit, Relationen als irgendwie eigenständig und unreduzierbare Entitäten zuzulassen, was ihn in Regresse und Widersprüche brachte.“ (Horstmann [1985]: Ontologischer Monismus und Selbstbewußtsein, 239) Auch Horstmann sieht in Hegels Ansatz eine direkte Reaktion auf die bei Spinoza vorliegende Problemlage (vgl. Horstmann [1985]: Ontologischer Monismus und Selbstbewußtsein, 239 f) – Dass diesem Vorwurf mit Bedacht zu begegnen ist, darauf verweisen Sandkaulen [2008]: Die Ontologie der Substanz und auch Bartuschat [2007]: Nur hinein, nicht heraus. Spinoza ignoriert keineswegs das Individuelle oder schreibt eine abstrakte Metaphysik nach irgendwelchen Prinzipien. Bartuschat schreibt, dass es Spinoza sehr wohl darum geht, „eine angemessene Theorie der Subjektivität zu geben“, wenn auch „in der Sprache der Dingontologie“. (Bartuschat [2007]: Nur hinein, nicht heraus, 107) Diese Theorie der ens humana ignoriert Hegel vollständig. (Bartu-

66

1 Die Exposition der Fragestellung

Gegen die Spinozistische allgemeine Substanz empört sich die Vorstellung der Freiheit des Subjekts; denn daß ich Subjekt, Geist bin usf., – das Bestimmte ist nach Spinoza alles nur Modifikation. Dies ist das Empörende,was das Spinozistische System in sich hat und was den Unwillen gegen dasselbe hervorbringt; denn der Mensch hat das Bewußtsein der Freiheit, des Geistigen, was das Negative des Körperlichen ist, und daß er erst in dem Entgegengesetzten des Körperlichen ist, was er wahrhaft ist. Daran hat die Theologie und der gesunde Menschensinn festgehalten; und diese Form des Gegensatzes ist zunächst die, daß man sagt, das Freie ist wirklich, das Böse existiert. Aber als Modifikation ist es nicht erklärt. (VorGPS, 193 f)

Das Freie ist fürsich und das Fürsich-Seiende ist frei. Damit wird das Prinzip der Subjektivität bzw. der absoluten Negativität zum Scharnier der gesamten Bewegung über Spinoza und seine von Jacobi aufgedeckten Mängel hinaus. Wird die Negation als absolute Negativität gefasst – hier wird Hegel die Relation zwischen Substanz und Modi als Subjektivität und ihre Momente reformulieren⁹⁵ –, so hat man darin nicht nur eine Lösung für das Freiheitsproblem in den Händen. Auch hinsichtlich des ontologischen Problems wird eine in Spinozas System immer noch vorhandene dogmatische Seite überwunden. Denn, so Hegel, ein Mangel des

schat [2007]: Nur hinein, nicht heraus, 105) Bartuschat spricht sogar von einem Dualismus von Endlichem und Unendlichem bei Spinoza (vgl. Bartuschat [2007]: Nur hinein, nicht heraus, 109).  Die Problemlage lässt sich folgendermaßen umreißen: Der Zusammenhang vom Einen und Vielen wird bei Spinoza zuungunsten des Vielen gedacht.Wenn er die Substanz als aus sich selbst bestimmt denkt, dann kann es nicht mehrere Substanzen bzw. generell Viele geben, die als selbstständig gedacht werden können. Die Vielen stehen untereinander zwar in Verbindung, aber so, dass sie von einer Ordnung her bestimmt sind, die sie selbst nicht sind. Diese Ordnung ist das Eine, das nicht unter den Vielen ist, sondern das Viele selbst noch bedingt. Das Viele wird so zu einem vollständig in der Ordnung aufgehenden Element, das keine Selbstbestimmtheit mehr haben kann. Es ist dann also die Frage, in welchem Verhältnis das Eine und das Viele stehen müssen, damit das Viele nicht nur Modifikation, d. h. nur Moment, des Einen im Sinne einer bloßen Differenziertheit ist. Das Viele soll in einer Weise eigenständig gegen das Eine und gegen das andere Viele gedacht werden können und zugleich im Einen enthalten und darin bestimmt sein. Bei Spinoza ist Selbstständigkeit nur dem Absoluten, dem Einen, zugehörig, womit das Viele nur als Moment bzw. nur in Abhängigkeit von allen anderen gedacht werden kann.Wenn man das, was sich aus dem Einen notwendig differenziert und damit keine Selbstständigkeit beanspruchen kann, Moment des Einen nennt und das, was nicht Moment im Einen ist und also nicht notwendig aus dem Absoluten folgt und daher Selbstständigkeit für sich beanspruchen kann, als Anderes bezeichnet, dann stellt sich die Aufgabe für Hegel, das Andere ins System zu integrieren und nicht nur das System sich in verschiedene Momente ausdifferenzieren zu lassen. Denn in einem System, das sich nur in Momente ausdifferenziert, ist das Viele im Einen mit einer Notwendigkeit, die seine Eigenständigkeit auflöst. Um das Andere möglich zu machen, braucht es eine Ordnung, die ein Anderes ‚außerhalb‘ der Notwendigkeit ermöglicht. Das Andere impliziert Anders-sein-Können und erfordert daher einen ganz neuen Ansatz. – W. Cramer hat diese Abhängigkeiten von dem Einen und dem Vielen in: Cramer [1976]: Das Absolute und das Kontingente auf diese Weise zu formulieren versucht.

1.3 Hegels Spinoza-Kritik vor dem Hintergrund Jacobis

67

Inhalts bei Spinoza „besteht eben darin, daß die Form nicht als demselben immanent gewußt wird und deshalb nur als äußere, subjektive Form an ihn herantritt“. (E1S, § 151 Z) Daher ist die Substanz nur die allgemeine negative Macht, gleichsam nur dieser finstere, gestaltlose Abgrund, der allen bestimmten Inhalt als von Haus aus nichtig in sich verschlingt und nichts, was einen positiven Bestand in sich hat, aus sich produziert. (E1S, § 151 Z)

Nicht das Denken als solches verschlingt die Individualität, sondern das einseitig gefasste Denken Spinozas verschlingt alle Bestimmtheit überhaupt. Für Hegel scheint damit der Umkehrschluss darin zu liegen, dass ein Denken, das Bestimmtheit wieder herstellt, im gleichen Zuge auch Individualität herstellt. Die Substanz jetzt ebenso als Subjekt aufzufassen, bedeutet, alle Bestimmtheit aus der Bewegung der Subjektivität immanent ableiten zu können, ohne Substanz, Attribut und Modus einfach hinzunehmen und damit in der Lage zu sein, abzuleiten, was darunter eigentlich zu verstehen ist (vgl. VorGPS, 172). Umso mehr zeigt sich die Frage nach der Wahrheit als Schaltstelle für das hegelsche Projekt.

Die Frage nach der Wahrheit Die Realisierung des Projekts kündigt Hegel programmatisch bereits in der Vorrede der Phänomenologie des Geistes konzise an: Es kömmt nach meiner Einsicht, welche sich nur durch die Darstellung des Systems selbst rechtfertigen muß, alles darauf an, das Wahre nicht als Substanz, sondern ebensosehr als Subject aufzufassen und auszudrücken. (PG, 18)

Anders als bei Jacobi zeigt sich hier Spinoza als der Anfangs- und nicht als der Endpunkt der Philosophie, weil es ihn denkend zu überwinden gilt.⁹⁶ Dass „das Denken sich auf den Standpunkt des Spinozismus gestellt haben muß“ und „baden in diesem Äther der einen Substanz, in der alles, was man für wahr ge-

 B. Bowman bestimmt den fundamentalen Unterschied in der von Hegel wie von Jacobi vertretenen These, dass konsequentes Philosophieren auf den Spinozismus führen müsse. „Die Annahme einer eigentümlich philosophischen Erkenntnisweise ist mit Jacobis Position, wie ich sie charakterisiert habe, nicht vereinbar. Nur weil Hegel sie unterstellt, kann er seine Wertschätzung des Spinozismus als notwendigen Anfang philosophischer Spekulation in Jacobis These, ‚daß jedes consequente Philosophiren auf den Spinozismus führen muß‘, hineinlesen, obwohl sie bei Jacobi einen fundamental entgegengesetzten Sinn hat.“ (Bowman [2006]: Spinoza. Ausgangspunkt oder Endstation, 159)

68

1 Die Exposition der Fragestellung

halten hat, untergegangen ist“ (VorGPS, 165), hat demzufolge eine signifikant andere Bedeutung als bei Jacobi. Hegel resümiert zwar auch, dass „diese Negation alles Besonderen, zu der jeder Philosoph gekommen sein muß […], die Befreiung des Geistes und seine absolute Grundlage“ ist. (VorGPS, 165) Die Befreiung des Geistes ist jedoch keine vom System überhaupt, gegen das sich das Individuum in unmittelbarer Gewissheit festhielte. Es ist eine Befreiung vom mangelhaften System. So dient Spinoza nicht als ‚elastische Stelle‘ für den Sprung, sondern als Katalysator für eine Denkbewegung, die über Spinoza hinaus ihre Vollendung sucht. Für Hegel ist dabei der entscheidende Punkt, die Stellung und Bedeutung des Negativen richtig ins Auge zu fassen. Wenn es nur als Bestimmtheit der endlichen Dinge genommen wird (omnis determinatio est negatio), so ist damit die Vorstellung aus der absoluten Substanz heraus, hat die endlichen Dinge aus ihr herausfallen lassen, und erhält sie außer ihr. So aber wird die Negation, wie sie Bestimmtheit der endlichen Dinge ist, nicht aufgefaßt als im Unendlichen oder als in der Substanz, die vielmehr das Aufgehobenseyn der endlichen Dinge ist. (JR, 10 f)

Die Negation kann nicht nur als Bestimmtheit der endlichen Dinge aufgenommen werden, sondern muss, in der Absicht eine komplexe Grundstruktur von Subjektivität zu schaffen, die die Einseitigkeiten der Substanz überwinden kann, zu einer absoluten Negativität entfaltet werden. Weil eben diese Spinoza nicht erkannt habe, blieb sein System mangelhalft. Kurz schreibt er: „Das Prinzip der Subjektivität, Individualität, Persönlichkeit findet sich dann nicht im Spinozismus, weil die Negation nur so einseitig aufgefaßt wurde.“ (VorGPS, 164) Die Negation nun richtig zu fassen, ist für Hegel gleichbedeutend mit dem Übergang zur lebendigen Selbstbestimmung, die die Starre der spinozischen Substanz hinter sich lässt und Freiheit, Persönlichkeit, Leben – kurz Geist ist.⁹⁷ Diese Spinozistische Idee ist als wahrhaft, als begründet zuzugeben. Die absolute Substanz ist das Wahre, aber sie ist noch nicht das ganze Wahre; sie muß auch als in sich tätig, lebendig gedacht werden und eben dadurch sich als Geist bestimmen. Die Spinozistische Substanz ist

 Die Balance zwischen einem ‚Zuviel‘ und einem ‚Zuwenig‘ in Hegels Spinoza-Kritik beschreibt P. Macherey so: „‚Bei ihm ist zu viel Gott‘ […],weil Spinoza ‚dem Negativen Unrecht getan‘ hat […] in dem Maße als er es eingeschlossen hat in die reflexiven Grenzen einer reinen Wesensrelation, und so hat er es gehindert, über seinen Charakter der endlichen Negation hinauszugehen, also in eine absolute Negation zu verwandeln, d. h. in sich selbst zurückzukehren, um das Reale hervorzubringen. Zuviel Gott – übersetzen wir: zu viel des Wesens – und nicht genug des Negativen – übersetzen wir: nicht genug des Begriffs. Auf dieses prekäre Gleichgewicht, definiert durch die Koinzidenz zwischen einem ‚zu viel‘ und einem ‚zu wenig‘, hat Hegel die Philosophie Spinozas zurückzuführen unternommen, in der Absicht, ihm eine klar identifizierbare Position im Inneren seines eigenen Systems zuzuweisen.“ (Macherey [1992]: Hegels idealistischer Spinoza, 160)

1.3 Hegels Spinoza-Kritik vor dem Hintergrund Jacobis

69

die allgemeine und so die abstrakte Bestimmung; man kann sagen, es ist die Grundlage des Geistes, aber nicht als der absolut unten festbleibende Grund, sondern als die abstrakte Einheit, die der Geist in sich selbst ist. Wird nun bei dieser Substanz stehengeblieben, so kommt es zu keiner Entwicklung, zu keiner Geistigkeit, Tätigkeit. Seine Philosophie ist nur starre Substanz, noch nicht Geist; man ist nicht bei sich. Gott ist hier nicht Geist, weil er nicht der dreieinige ist. Die Substanz bleibt in der Starrheit, Versteinerung, ohne Böhmesches Quellen. (VorGPS, 166)

Der Paradigmenwechsel von der Substanz zum Subjekt birgt daher nicht nur die Lösungen für die von Jacobi in den Blick gebrachten Problemlagen von Freiheit und Selbstständigkeit. Der Wechsel möchte selbst einen systematisch-systemischen Entwurf realisieren, der Spinozas System so zu modifizieren in der Lage ist, dass ein Sprung in ein unmittelbares Wahres überflüssig wird. Denn wird die Substanz kraft der Entfaltung absoluter Negativität in das absolute Subjekt überführt, das somit Spinozas Substanz aufgehoben hat, ist damit nicht nur das System Spinozas widerlegt, weil es immanent in einen höheren Standpunkt überführt wurde⁹⁸, sondern zugleich auch Jacobis Standpunkt, weil dieser erstens ein prinzipielles Scheitern des systematisch-systemischen Philosophierens behauptete, das so nicht mehr zutrifft, und zweitens zugleich auf der prinzipiellen Unmöglichkeit einer Widerlegung eben jenes Philosophierens beharrte, was de facto ebenfalls überholt ist. Beides soll das spekulative System Hegels leisten. Ist dies der Fall, wird in dem Maße, wie sich das System selbst in der Lage zeigt, das zu realisieren, wohin Jacobi erst mit seinem Sprung gelangen möchte, die Absprungstelle selbst eliminiert und ein Jenseits des Systems als Wahres sinnlos. Alle Wahrheit hat das System im spekulativen Begriff als absolute Subjektivität eingeholt und denkend transparent gemacht. Und so zeigt allein der Rückgriff auf Spinoza zumindest in programmatischer Hinsicht einerseits die Relevanz der Systemkritik Jacobis für den Systemgrundriss Hegels, insofern Hegels spekulative Subjektivität ohne Jacobi und seine Impulse gar nicht denkbar ist, aber andererseits zugleich die Irrelevanz der Unphilosophie Jacobis, insofern die spekulative Subjektivität im Weiterdenken der Negativität die prinzipiellen Einwände Jacobis aufhebt und somit die spekulative Subjektivität die Aspekte garantiert, die Jacobi außerhalb des Systems sichern zu müssen meinte.

 Die Widerlegung Spinozas ist eine komplexe Angelegenheit, die nicht so einfach von der Hand geht, wie es hier anklingt. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Widerlegungsstrategie Hegels ist hier allerdings nicht machbar. Zu diesem Thema vgl. vor allem Sandkaulen [2008]: Die Ontologie der Substanz.

70

1 Die Exposition der Fragestellung

1.4 Hegels Jacobi-Kritik: Das unmittelbare Wissen In einer Linie mit dieser Argumentation präsentiert Hegel Jacobis Standpunkt im Vorbegriff der Enzyklopädie, in dem er gerade der Wahrheit ungenügende Formen des Wissens repräsentativ aufführen und entsprechend widerlegen möchte. Die Phänomenologie des Geistes in ihrer Einleitungsfunktion ablösend, soll die Widerlegung selbst überhaupt den Standpunkt des Begriffes ausweisen und den Gang der Logik in Fahrt bringen. Die sogenannten ‚Stellungen des Gedankens zur Objektivität‘ beginnen mit der vormaligen Metaphysik, welche annimmt, „daß durch das Nachdenken die Wahrheit erkannt“ wird (E, 69 (§ 26)), aber aufgrund ihrer unreflektierten Voraussetzungen scheitert. (E, 69 ff. (§§ 26 ff.)) Diese Stellung wird gefolgt vom Empirismus (E, 75 ff. (§ 37 ff.)), der „statt in dem Gedanken selbst das Wahre zu suchen, dasselbe aus der Erfahrung, der äußeren und inneren Gegenwart, zu holen geht“. (E, 75 (§ 37)) In die zweite Stellung wird auch Kant subsumiert (E, 78 ff. (§§ 40 ff.)), weil die kritische Philosophie mit dem Empirismus gemein hat, „die Erfahrung für den einzigen Boden der Erkenntnisse anzunehmen, welche sie aber nicht für Wahrheiten, sondern nur für Erkenntnisse von Erscheinungen gelten läßt“. (E, 78 (§ 40)) Während also die erste Stellung die Erkenntnis vom Begriff her zu sichern sucht und vom Begriff aus zu den Dingen gelangen möchte, versucht hingegen die zweite Stellung, die Erkenntnis aus der Erfahrung zu gewinnen und so von den Dingen zum Begriff voranzugehen. Hegel sieht in Jacobis unmittelbarem Wissen die dritte Stellung gegeben (E, 100 ff (§§ 61 ff)), die die Wahrheit (der Erkenntnis) nur unmittelbar ohne Vermittlung des Begriffes gelten lassen möchte. Kants kritische Philosophie und Jacobis unmittelbares Wissen verhalten sich wiederum komplementär zueinander. Beide erklären „das Denken […] für unfähig […], Wahrheit zu fassen“. (E, 100 (§ 61)) Kant deshalb, weil das Denken bloß in die „abstracte Allgemeinheit“ führt und bei ihm „der Wahrheit als in sich concreter Allgemeinheit entgegengesetzt“ wird (E, 100 (§ 61)), und Jacobi deshalb, weil er „das Denken als Tätigkeit nur des Besonderen“ auffasst, das so infolgedessen nur „beschränkte Bestimmungen, Formen des Bedingten, Abhängigen, Vermittelten“ enthält (E, 100 (§ 62)) und folglich „das darauf beschränkte Denken, […] das Unendliche, das Wahre“ nicht fassen kann. (E, 100 (§ 62)) Dass dem Standpunkt Jacobis als Repräsentant des unmittelbaren Wissens ein eigener Abschnitt zugedacht wird, unterstreicht noch einmal die Rolle, die Jacobi in Hegels Entwicklung des Systems spielt. Obgleich die Verhandlung Jacobis in diesem Abschnitt außerordentlich komplex ist und in ihrer Tiefen-

1.4 Hegels Jacobi-Kritik: Das unmittelbare Wissen

71

struktur raffinierte Züge Hegels enthält⁹⁹, bestätigt sie doch an der Oberfläche – um die es zunächst nur zu tun ist – die bisher gezeigte argumentative Linie, indem – wie hinsichtlich der zwei anderen Stellungen des Gedankens zur Objektivität auch – ein Mangel der jeweiligen Positionen daraus entsteht, dass sie die Negativität des Begriffes nicht als absolute erkannt haben. Mit anderen Worten gesagt: dass sie den Begriff nicht als unendlichen fassen. Und so nahm zwar die vormalige Metaphysik – die erste Stellung – an, „daß durch das Nachdenken die Wahrheit erkannt“ werde (E, 69 (§ 26)). Jedoch nahm sie die abstrakten Denkbestimmungen lediglich unmittelbar auf und ließ dieselben dafür gelten, „Prädicate des Wahren zu seyn“. (E, 70 (§ 28)) Im Unklaren darüber, dass es lediglich äußere (E, 71 (§ 29)) und nur zufällig beigelegte Bestimmungen waren (E, 72 f (§ 33)), bleibt sie einer inadäquaten Ontologie verhaftet, die annimmt, „daß die Erkenntniß des Absoluten in der Weise geschehen könne, daß ihm Prädicate beigelegt werden“. (E, 70 (§ 28)) Die Grundstruktur des Begriffes bleibt ungenügend. Überschätzt die vormalige Metaphysik den (ungenügend gefassten) Begriff, verfällt dagegen der Empirismus – der erste Teil der zweiten Stellung – der „Grundtäuschung“, „daß er die metaphysischen Kategorien von Materie, Kraft, ohnehin von Einem, Vielem, Allgemeinheit, auch Unendlichem usf. gebraucht“, jedoch letztlich „bei allem nicht weiß, daß er so selbst Metaphysik enthält und treibt, und jene Kategorien und deren Verbindungen auf eine völlig unkritische und bewußtlose Weise gebraucht“. (E, 76 (§ 38 A)) So unterschätzt dieser in seiner Bewusstlosigkeit den Begriff. Wenngleich sich nun die kritische Philosophie – der zweite Teil der zweiten Stellung – die „Denkbestimmungen oder Verstandesbegriffe“ als die Grundlage der „Objectivität der Erfahrungs-Erkenntnisse“ zu bestimmen vornahm (E, 78 § 40), unterschätzt auch noch Kant den Begriff, insofern die Denkbestimmungen nur subjektiv und in ihrer Anwendung nur auf die Erfahrung beschränkt sind (E, 80 (§ 43)). Die kantischen Kategorien sind noch „unfähig, Bestimmungen des Absoluten zu seyn“. (E, 80 (§ 44)) So ist auch das „Princip der Freiheit“, das Kant aus dem Denken gewinnt, „allen Inhaltes entleert“ und die Vernunft „aller Bestimmung beraubt, aller Autorität enthoben“. (E, 99 (§ 60 A)) Wenn nach Kant das Denken ungeeignet ist, das Absolute bzw. die Wahrheit zu erkennen, „weil wir es [bzw. sie, D. A.] denken“ (E1S, § 60 Z1), so identifiziert Hegel in den folgenden Paragraphen der Enzyklopädie den Einwand Jacobis darin, dass dieser darauf beharrt, dass wir das Absolute bzw. die Wahrheit nicht erkennen, weil wir es bzw. sie denken.

 Diese Verwicklungen finden sich detailliert aufgegliedert bei Sandkaulen [2010]: Dritte Stellung des Gedankens zur Objektivität.

72

1 Die Exposition der Fragestellung

Der Vorbegriff mit seinen Stellungen des Gedankens zur Objektivität legt demnach das defizitäre Verständnis des Begriffes – bereits vorgreifend – vom Standpunkt des unendlichen Begriffes dar, um darin zugleich wesentliche Grundzüge des unendlichen Begriffes ex negativo voranzustellen. Wenngleich diese Charakteristika des unendlichen Begriffes allen drei Stellungen abgewonnen werden können, soll dies aus naheliegenden Gründen exemplarisch anhand der dritten Stellung – Jacobis Position des unmittelbaren Wissens – geschehen. Der Blick darauf legt nicht nur die Hintergrundfolie für den unendlichen Begriff frei, sondern gewährt zugleich einen detaillierteren Blick darauf, aus welchen Gründen die Absprungstelle Jacobis im spekulativen System Hegels verschwinden soll. Aus der Verhandlung der Unphilosophie Jacobis, so wie sie sich für Hegel darstellt, können direkt Charakteristika des Begriffes extrahiert werden, die wiederum im nächsten Kapitel aufgriffen werden. Wie es sich mit Jacobis Unphilosophie und der Rolle der Unmittelbarkeit darin tatsächlich verhält, kann und muss in seiner Komplexität nach einer ausführlichen Untersuchung des Sprunges abschließend im letzten Kapitel dargelegt werden.¹⁰⁰ Dort wird deutlich, aus welchen Gründen die Absprungstelle Jacobis im spekulativen System Hegels nicht verschwinden kann.

Subjektivität der Unmittelbarkeit Hegel setzt sich mit Jacobi unter dem Term ‚unmittelbares Wissen‘ auseinander, das in seiner positiven Unmittelbarkeit im offensichtlichen Gegensatz zur Negativität der Vermittlung steht, deren „Stellung und Bedeutung“ es ja „richtig ins Auge zu fassen“ gilt. Als mangelhaft präsentiert sich das unmittelbare Wissen darin, dass es allenfalls den Status der „Versicherung“ beanspruchen kann, der Objektivität darum fehlen muss, weil allein das, „was Ich in meinem Bewußtseyn vorfinde“ zu der Behauptung gesteigert wird, „in dem Bewußtseyn Aller sich vorzufinden“. (E, 111 (§ 71)) Worauf sich das unmittelbare Wissen folglich berufen muss, ist „gesunder Menschenverstand, common sense, Gemeinsinn“. (E, 104 (§ 63 A)) Gewissheit erlangt das unmittelbare Wissen allein dadurch, dass man „wenigstens davon weiß“. (E, 102 (§ 63 A)) Als Grundlage für wahrhafte Erkenntnis ist das unmittelbare Wissen untauglich, „weil nicht die Natur des Inhalts, sondern das Factum des Bewußtseyns als das Kriterium der Wahrheit aufgestellt wird“. (E, 111 (§ 71)) Der mit der Unmittelbarkeit des Wissens direkt verknüpfte Modus der bloßen Behauptung muss entsprechend in der Vermittlung des Begriffes alle

 Vgl. dazu Kapitel VIII: Spielarten des Geistes, 246.

1.4 Hegels Jacobi-Kritik: Das unmittelbare Wissen

73

äußere Bedingtheit aufhebend – in Immanenz (1) – und alle Momente aus sich Schritt für Schritt erschließend – in Kohärenz (2) – überwunden werden.

Glaube Begriffliche Immanenz des Denkens (1) ist alternativlos, zumal sich die von Jacobi gebotene Alternative – der Glaube – den Inhalt entweder unmittelbar bloß aufnimmt oder aus einer fragwürdigen Tradition bezieht, deren Kontingenz auf den Glauben selbst durchschlägt. Denn „der Inhalt dieses Glaubens […] ist so unbestimmt in sich, daß er jenen Inhalt zwar wohl auch etwa zuläßt, aber ebensosehr auch den Glauben, daß der Dalai-Lama, der Stier, der Affe u.s.f. Gott ist, in sich begreift, und daß er für sich sich auf den Gott überhaupt, das höchste Wesen, einschränkt“. (E, 103 f (§ 63 A)) Und so ist der Glaube „selbst in jenem philosophisch-seynsollenden Sinne […] nichts als das trockne Abstractum des unmittelbaren Wissens, eine ganz formelle Bestimmung, die nicht mit der geistigen Fülle des christlichen Glaubens, weder nach der Seite des gläubigen Herzens und des ihm inwohnenden heiligen Geistes noch nach der Seite der inhaltsvollen Lehre, zu verwechseln noch für diese Fülle zu nehmen ist“. (E, 104 (§ 63 A))

Schein der Unmittelbarkeit Das unmittelbare Wissen missversteht sich daher selbst, indem es die vermeintliche Quelle für ihre Gehalte – den Glauben – in Folge der Bewusstlosigkeit der allgegenwärtigen Negativität der Vermittlung überstrapaziert. Die Vermittlung zeige sich nur im Mantel der Unmittelbarkeit, so z. B. im Falle eines „in einer Wissenschaft Unterrichteten“, der die „Auflösungen unmittelbar gegenwärtig“ hat, „zu denen eine sehr verwickelte Analysis geführt hat“. (E, 107 (§ 66)) Diese Unmittelbarkeit schließe in diesen Fällen die Vermittlung nicht nur nicht aus, sondern es muss in der Kritik dieses Scheins darauf bestanden werden, „daß das unmittelbare Wissen sogar Product und Resultat des vermittelten Wissens ist“. (E, 108 (§ 66)) Mit anderen Worten gesagt: Dass das unmittelbare Wissen als Fundament erscheint, ist nur ein Trug, der durch den Blick auf die Genese und die Freilegung der Vermittlung aufgeklärt werden kann. Die Unmittelbarkeit ist nur eine abstrakte Bestimmung, die an sich bereits eine konkrete Vermittlung ist. Sie ist lediglich auch nur „abstractes Denken“ (E, 114 (§ 74)).¹⁰¹ Diese abstrakte

 Hegel hält Jacobi vor, dass eine Gegenüberstellung von Unmittelbarkeit und Vermittlung

74

1 Die Exposition der Fragestellung

Identität gilt es, durch eine konkrete, dialektische Bewegung des Begriffes aufzulösen (3), der die Unmittelbarkeit in sich schließt, ohne von dieser auszugehen. Die Berufung auf die Unmittelbarkeit ist daher verfrüht. Hegel schließt sich im Grunde dem Vorwurf Schellings an, Jacobi habe Feierabend vor dem Mittag gemacht.¹⁰² Insofern das unmittelbare Wissen nur unter „Ausschließung der Vermittlung“ zur Wahrheit gelangen kann, ist diese „Ausschließung“ für Hegel selbst ein „Zurückfallen in den metaphysischen Verstand“, in abstrakte Trennungen und in „äußerliche[…] Vermittlung“. (E, 106 (§ 65)) „An sich kommt es auf das Logische des Gegensatzes von Unmittelbarkeit und Vermittlung an. Aber jener Standpunkt“, so macht Hegel den Mangel aus, „weist es ab, die Natur der Sache, d.i. den Begriff zu betrachten, denn eine solche Betrachtung führt auf Vermittlung und gar auf Erkenntniß“. (E, 107 (§ 65))

Endlichkeit des Denkens Die Zurückweisung des Denkens als Quelle wahrer Erkenntnis beruht bei Jacobi u. a. auf der gezeigten intimen Verquickung von systematisch-systemischem Denken und Determinismus. Jacobis Analyse des Denkens jedoch, so Hegels Kritik daran, als „beschränkte Bestimmungen, Formen des Bedingten, Abhängigen, Vermittelten“ trifft nur auf den Verstand zu – eine herkömmliche Ansicht des Logischen, die zwar Jacobi zurecht kritisiert, jedoch eben im Verkennen der wahren Natur des Begriffes zu voreilig im Sprung den einzigen Ausweg propagiert. Angesichts der endlichen Bestimmungen heißt einen Gegenstand zu bereifen in der Tat nichts anderes, „als ihn in der Form eines Bedingten und Vermittelten [zu] fassen, somit in sofern er das Wahre, Unendliche, Unbedingte ist, ihn in ein Bedingtes und Vermitteltes [zu] verwandeln und auf solche Weise, statt das Wahre denkend [zu] fassen, es vielmehr in Unwahres [zu] verkehren“. (E, 100 (§ 62)) Im unmittelbaren Wissen ist Erkennen „nur als Erkennen des Endlichen aufgefaßt, als das denkende Fortgehen durch Reihen von Bedingtem zu Bedingtem, in denen jedes, was Bedingung, selbst wieder nur ein Bedingtes ist“. (E, 101 (§ 62 A)) „Das Unendliche,Wahre, Gott liegt außer dem Mechanismus solchen Zusammenhangs,

abstrakt sei und gar nicht gedacht werden könne: „Der Gegensatz vom unmittelbaren und vermittelten Wissen ist so ganz leer; es ist eine der letzten Flachheiten, so etwas für einen wahrhaften Gegensatz zu halten: es ist der trockenste Verstand, der meint, daß eine Unmittelbarkeit etwas sein könne für sich, ohne Vermittlung in sich. Und die Philosophie tut nichts, als dies zum Bewußtsein zu bringen; die Philosophie zeigt die Vermittlung, die der Sache nach darin ist, z. B. in der Religion usf., auf.“ (VorGPS, 328 f)  Schelling [1812]: Denkmal, 41.

1.4 Hegels Jacobi-Kritik: Das unmittelbare Wissen

75

auf welchen das Erkennen eingeschränkt sey.“ (E, 101 (§ 62 A)) Insofern das Negative richtig gefasst und der Begriff aus der bloßen Verstandeslogik des Endlichen herausgeführt wird, ist der Begriff darum nicht zur Erfassung der (unendlichen) Wahrheit untauglich, weil sich der Begriff selbst als das Unendliche zeigt, der Wahrheit nicht als Objekt verdinglichend gegenüber hat, sondern – nun als absolutes Subjekt – sich selbst als das Unendliche erfasst. Die Konzeption von Wahrheit in der Überbietung des verdinglichenden Verstandes durch die spekulative Vernunft neu definierend (3), muss daher der Begriff selbst konsequent als unendlicher gefasst werden, der nicht nur auf das Erkennen des Endlichen beschränkt bleibt. Indem Jacobi das endliche Erkennen (Begriffe) für unfähig erklärt, Unendliches zu erkennen, gewinnt Jacobi, so Hegel, mit seinem Sprung in die Unmittelbarkeit in letzter Konsequenz zwar eine alternative Position, die lebendige Erkenntnis des Wahren und Freiheit einfordert, jedoch nicht realisieren kann. Stattdessen überlässt sich Jacobis alternative Position „der wilden Willkür der Einbildungen und Versicherungen, einem Moralitäts-Eigendünkel und Hochmuth des Empfindens oder einem maaßlosen Gutdünken und Raisonnement, welches sich am stärksten gegen Philosophie und Philosopheme erklärt“. (E, 117 (§ 77)) Für Hegel ist Jacobis Denken damit keine Philosophie, denn „die Philosophie gestattet nämlich nicht ein bloßes Versichern, noch Einbilden noch beliebiges Hin- und Herdenken des Raisonnements“. (E, 117 (§ 77))

Reflexionsphilosophie Entsprechend des Vorwurfes der Abstraktion, Reduktion und Willkür bezeichnet Hegel Jacobis Unphilosophie in der Enzyklopädie als Verstandesmetaphysik, die Jacobi in eine Linie mit den Reflexionsphilosophen stellt, die der Sache äußerlich gegenüberstehen. Die „Form der Unmittelbarkeit“ ist selbst „einseitig“, so Hegel. (E, 114 (§ 74)) Gegenüber der Jacobi-Rezension, in der Hegel Jacobi das Verdienst zuschreibt, auf eine neue Ansicht des Logischen aufmerksam gemacht zu haben, ist in der (später verfassten) Enzyklopädie eine erneute Verschärfung des Tones festzustellen. Während Hegel in der Rezension Jacobi den richtigen Inhalt zugesteht, wenn es um Figuren wie Freiheit, Geist, Person oder das Wahre geht, und ihm dabei lediglich eine falsche Form attestiert, so hat Jacobi dem Hegel der Enzyklopädie zufolge einen falschen Inhalt aufgrund der falschen Form.¹⁰³ In

 Vgl. Sandkaulen [2010]: Dritte Stellung des Gedankens zur Objektivität, 185. – Das ist zurückzuführen auf die veränderte Situation: Hatte Hegel zum Abschluss der Logik das Projekt im

76

1 Die Exposition der Fragestellung

beiden Texten jedoch bescheinigt Hegel Jacobi nur eine unzureichende Realisierung seiner Ziele. Es zeigt sich die Form der Unmittelbarkeit an sich als unwahr, darüber hinaus aber auch dem Gegenstand, den Jacobi berechtigter Weise einklagt: das Wahre, Gott, die Freiheit – kurz: dem Geist, als unangemessen.¹⁰⁴ Jacobis Denken erweist sich Hegel zufolge zwar als „geistreich“ (JR, 23), ist jedoch keines, das entgegen Jacobis eigenen Intentionen, den Geist zu fassen vermag, „denn sosehr das Geistreiche der Philosophie selbst nur das Speculative zu seiner inneren, aber verborgenen Triebfeder hat, sosehr vermag dieses, wo es als Speculatives seyn soll, nur in der Form des Begriffes offenbar zu werden“. (JR, 24) Erst Hegels spekulatives Denken zeigt sich als Denken des Geistes, indem darin Genitivus subiectivus und Genitivus obiectivus restlos zusammenfallen; das heißt, der Geist ist die jene Substanz Spinozas ablösende Subjektivität, die als Vermittlung die in sich selbst zurückkehrende Selbstvermittlung ist. Das Denken denkt sich selbst. Erst Denken gefasst als diese absolute Subjektivität bzw. absolute Negativität (4) ist der Prozeß in sich selbst, – es ist Bewegung, Lebendigkeit. Alle Lebendigkeit ist Prozeß in sich, ist vermittelt, um so mehr noch geistige Lebendigkeit; und sie ist dies, von einem zum anderen überzugehen, vom bloß Natürlichen, Sinnlichen zum Geistigen. (VorGPS, 238)

Jacobi redet von der Persönlichkeit Gottes und möchte diese in der Unmittelbarkeit finden, doch Gott ist Geist und Leben allein dadurch, daß sein Seyn nicht das abstracte, sondern das sich in sich bewegende Unterscheiden, und in der von ihm unterschiedenen Person Erkennen seiner selbst ist; und

Rücken, konnte er Jacobis positive Rolle hervorheben. Später in der Enzyklopädie, als er die Phänomenologie für gescheitert hält und eine neue Einführung in das Projekt benötigt, muss er Jacobi strategisch präsentieren, damit aus dem Vorbegriff die absolute Vermittlung hervorgeht (vgl. Sandkaulen [2010]: Dritte Stellung des Gedankens zur Objektivität, 172 f und 183 f). – Strategische Unterschiede in der Präsentation Jacobis zwischen der Enzyklopädie und der Jacobi-Rezension generell arbeitet Sandkaulen heraus, um zu zeigen, wie Hegel so ein „höchst operatives Vexierbild“ Jacobis erzeugt, „das je nach Lichteinfall nicht nur Fratzen so gut wie den christlichen Gott, sondern viel wichtiger noch das Bild Jacobis“ reflektiert „und überdies beide, sei es freundlich, sei es polemisch, ineinanderzublenden versteht“. (Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 236)  Vgl. so z. B. in der Jacobi-Rezension die Stelle: „Wenn die Dämmerung des Geistreichen darum lieblich ist, weil das Licht der Idee in derselben scheint, so verliert sie dies Verdienst da, wo das Licht der Vernunft leuchtet, und was ihr gegen dieses eigenthümlich zukommt, ist dann nur die Dunkelheit. Alles,was sonst dieser Weise gestattet wird, das Unzusammenhängende, die Sprünge, die Kühnheit des Ausdrucks, die Schärfe des Verstandes und seine Uebertreibung und Hartnäckigkeit, der Gebrauch von sinnlicher Vorstellung, die Berufung aufs Gefühl und auf den gesunden Menschenverstand, wird hier dem Gegenstande unangemessen.“ (JR, 24)

1.5 Ausblick

77

sein Wesen ist nur die unmittelbare, d.i. seyende Einheit, insofern es jene ewige Vermittlung zur Einheit ewig zurückführt, und dieses Zurückführen ist selbst diese Einheit, die Einheit des Lebens, Selbstgefühls, der Persönlichkeit, des Wissens von sich. (JR, 11)

Wie Hegel bereits in der Vorlesung zur Geschichte der Philosophie feststellte, findet sich „das Prinzip der Subjektivität, Individualität, Persönlichkeit […] dann nicht im Spinozismus,weil die Negation nur so einseitig aufgefaßt wurde“. (VorGPS, 164) Das trifft nun Hegels Analyse zufolge auch auf Jacobi zu. Damit gewährleistet nicht die Unmittelbarkeit, auf der Jacobi insistiert, sondern im Gegenteil die absolute Vermittlung, die Hegel in der Figur der Subjektivität bzw. der absoluten Negativität denken will, Geist in seiner Lebendigkeit, Freiheit, Persönlichkeit und Individualität zu denken. Jacobis Unmittelbarkeit ist dem Urteil Hegels zufolge daher nicht in der Lage, den lebendigen Geist zu fassen, genauso wenig wie Spinoza die Substanz als die lebendige Einheit zu denken vermochte. Ist also im Umkehrschluss erstens das neu gefasste Denken Hegels in der Lage, das einzuholen, was Jacobi ins Zentrum seines Denkens stellte, so ist zweitens der Sprung in die Unmittelbarkeit bei Jacobi keine Lösung im Ringen um das Wahre, um Freiheit, Individualität und Lebendigkeit, sondern eine Verschärfung des Problems.

1.5 Ausblick Hegels Projekt spannt sich so rekonstruiert zwischen einem von Jacobi kritisierten Spinoza auf der einen Seite und in seinen eigenen Ambitionen zu überbietenden Jacobi auf der anderen Seite auf. Die großen durch Jacobis Spinoza-Kritik gewonnenen Grundfragen nach Freiheit, nach Andersheit und nach Wahrheit bilden den einen wesentlichen Teil des hegelschen Projekts, das die Substanz ebenso sehr als Subjekt denken wird.¹⁰⁵ Jacobi ist damit unzweifelhaft in der Realisierung des Systems präsent – und dies immer zweifach. Er ist wesentlicher Impulsgeber für die Ausrichtung des Systems, indem er für entscheidende Fragen sensibilisiert. Dann aber gilt es für Hegel zugleich, Jacobis Sprung und das unmittelbare Wissen aufzuheben.¹⁰⁶ Dieses Projekt lässt sich in die benannten drei Teile und damit  Das Projekt Hegels ist, den spekulativen Begriff aus sich selbst nach den genannten Kriterien (1) – (5) zu entfalten. Es ist nicht, Substanz ebenso sehr als Subjekt zu denken. Dies wäre eine unzulässige äußere Reflexion auf die Bedingungen und Ziele des Projekts. Die Substanz wird sich ebenso sehr als Subjekt erweisen, wenn der Begriff entfaltet ist.  B. Bowman hält dagegen einen direkten Vergleich von Jacobi und Hegel für nur eingeschränkt sinnvoll: „Wie wir gesehen haben, kommt in dieser gegensätzlichen Deutung des Spinozismus kein einfacher Widerstreit der Prinzipien zum Tragen, sondern vielfach differierende Konzeptionen von philosophischer Erkenntnis und von dem,was Philosophie zu leisten hat. Diese

78

1 Die Exposition der Fragestellung

verbundene Ziele gliedern, die aufgrund der speziellen Ausgangskonstellation ihren Gehalt sowohl in Rückgriff auf Spinoza wie auch in Bezug auf Jacobi erhalten: Das erste Ziel ist das metaphysische Ziel bzw. die Frage nach der Wahrheit. Die für Hegel offensichtlichen Begründungsmängel der Substanzmetaphysik Spinozas sind durch die Subjektmetaphysik Hegels zu beseitigen, um zugleich auch den Sprung aus dem System zu vermeiden. Hegel verfolgt die Absicht, die Substanz, d. h. jetzt bei Hegel das Subjekt, als Ausgangspunkt für Unterschiede, Vereinzelung, Individuation aufzufassen und zu begründen. Die Konzeption des spekulativen bzw. unendlichen Begriffes bzw. der absoluten Negativität ist hier das Zentrum, um die ‚Beschränkung des Denkens‘ zu überwinden. Erste grundlegende Charakteristika des unendlichen Begriffes werden in Kapitel II erhellt. In diesem ‚zu-sichgekommenen‘ Denken liegen zugleich die Ansätze für die Realisierung der anderen Ziele, die in dem von Jacobi maßgeblich geprägten Problemkontext verwurzelt sind. Ein solches sich anschließendes Ziel ist das freiheitstheoretische Ziel bzw. die Frage nach der Freiheit. Indem Hegel als Schlüssel für die Freiheit die Bewegung und Rückkehr der Subjektivität aus sich, d. h. die Selbstbezüglichkeit der Subjektivität, angibt, sollen der Determinismus Spinozas und genauso die Einseitigkeit der Geistmetaphysik Jacobis überwunden werden. Denn diese Selbstbezüglichkeit wird gedeutet als lebendige Selbstbestimmung, die die Starre der spinozischen Substanz hinter sich lässt und Freiheit, Persönlichkeit, Leben – kurz Geist ist. Die Freiheit der Einzelnen soll also aus der Freiheit der absoluten Subjektivität folgen. Mittels der Subjektivität soll das Viele im Einen als selbstbestimmtes Fürsichsein gedacht werden können. Indem Denken nicht nur die Bedeutung des Allgemeinen hat, sondern zudem Selbstbewusstsein ist, gewinnen Subjektivität, Fürsichsein bzw. Selbstbewusstsein für Hegel zentrale Bedeutung. Die Grundstruktur der Subjektivität, die in nichts anderem besteht als der absoluten Negativität, wird in Kapitel III beleuchtet. Unterschiede gehen über systematische Präferenzen für Monismus oder Dualismus weit hinaus und sind in methodologischer Hinsicht zugleich spezifischer. Schon die Begriffe, bei denen Hegel und Jacobi zur Kritik und Revision der rationalistischen Substanzmetaphysik ansetzen, sind auf zu unterschiedlichen Ebenen angesiedelt, als daß sie in einen direkten inhaltlichen Gegensatz zueinander gebracht werden könnten.“ (Bowman [2006]: Spinoza. Ausgangspunkt oder Endstation, 173) Insofern jedoch Hegel Jacobis Kritik am System mit einem System zu überwinden sucht, drängt sich eine Untersuchung auf, die dann auch Jacobis Unphilosophie und Hegels System direkt zusammenbringt. – A. F. Koch skizziert in seinem Artikel den Gang der Logik, der die völlig veränderte Ansicht des Logischen realisiert und Jacobis theoretischen Motiven Rechnung trägt. In seinem Artikel vermag er nicht zu untersuchen, „ob es ihm gelingt“. (Koch [2004]: Unmittelbares Wissen und logische Vermittlung, 322) Dies soll hier geleistet werden.

1.5 Ausblick

79

Das ontologische Ziel bzw. die Frage nach der Andersheit ist damit ebenso verknüpft. Es ist darum zu tun, den ontologischen Status des Endlichen bzw. der Einzelnen, d. h. der Individuen, aus einer gänzlichen Nivellierung bzw. Auflösung im Ganzen in eine Eigenständigkeit zu überführen. Die Welt, die in Spinozas Substanz untergegangen ist, soll wieder hergestellt werden. Aus dem Akosmismos soll eine differenzierte Weltlichkeit werden, in der das Viele bzw. der Einzelne seine eigenständige Wirklichkeit hat. An der Substanz Spinozas ist alles nur Modifikation. „Dies ist das Empörende, was das Spinozistische System in sich hat.“ Es soll gefragt werden, in welchem Verhältnis das Eine und das Viele stehen müssen, damit das Viele nicht bloß Modifikation, d. h. Moment, am Absoluten ist, sondern ein Anderes, das Eigenständigkeit beanspruchen kann, ohne jedoch – wie dies Hegel bei Jacobi vorfindet – gegen das Unendliche selbst als Absolutes fixiert und infolgedessen vom Unendlichen in der Erkenntnis abgeschnitten zu sein. Dies geschieht in Kapitel IV. Um Hegels Aufhebungsoperation der absoluten Negativität überhaupt in Hinblick auf Jacobi bewerten zu können, soll Jacobis Unphilosophie danach noch einmal gründlich in den Blick genommen werden, um vor allem die (bisher nur kursorisch gestreifte) Figur des Sprunges sowie Jacobis Konzeption des Geistes auf ihre Aufhebbarkeit in Hegels System hin zu untersuchen. Bei einer geradlinigen und reibungslosen Aufhebungsbewegung des Sprunges in das spekulative System Hegels wird es indes nicht bleiben. Denn Hegels Jacobi-Kritik geht davon aus, dass es um die Etablierung eines sicheren Wissens des Wahren zu tun ist – wogegen sich Jacobi explizit verwehrt. Dass hier Dinge offengeblieben sind und genauer betrachtet werden müssen, ergibt sich auch daraus, dass Hegels JacobiKritik in der Enzyklopädie die Unmittelbarkeit des Wissens als subjektiv und willkürlich kritisiert, wo doch schon ein erster Streifzug durch Jacobis Unphilosophie ihre Komplexität gezeigt hat, die sich gerade nicht auf ein bloßes unmittelbares Wissen beschränken lässt.Weder geht es Jacobi um ein Wissen im engeren Sinne noch um eine Unmittelbarkeit, die subjektive Inhalte mit universalen Tatsachen verwechselt.Wird also zunächst Hegels Projekt vor der Systemkritik Jacobis eingeordnet und entfaltet, bleibt danach in Kapitel VI zu überprüfen, inwiefern Jacobis Unphilosophie selbst von Hegels System tatsächlich aufgehoben werden kann. Nachdem in Kapitel VII ein kurzer Blick darauf geworfen wird, welche Rolle Hegels Realphilosophie in der Realisierung von Wahrem, Freiheit, Individualität und Person zukommt, können abschließend in Kapitel VIII einige Hauptlinien der Argumentation dieser Untersuchung zusammengeführt werden.

2 Der unendliche Begriff Der metaphysische Aspekt oder die Frage nach der Wahrheit 2.1 Das spekulative Projekt Für das spekulative Projekt Hegels kann Wahrheit selbst nicht vorausgesetzt werden, sondern muss sich im Verlauf der Realisierung des Projektes zeigen. Hegel bezeichnet diese Wahrheit als den Begriff oder als die Idee. Um den Begriff als die Wahrheit bzw. um die Wahrheit als den Begriff zu erweisen, wählt Hegel unterschiedliche Lösungen. Die Phänomenologie des Geistes will in einem schlüssigen Gang den Begriff selbst freilegen. Die Enzyklopädie verwendet eine vorläufige Reflexion auf das Verhältnis von Denken und Sein. Hegel nennt es den Vorbegriff, in dem die sogenannten Stellungen des Gedankens zur Objektivität verhandelt werden.Weil dieser Vorbegriff jedoch selbst nicht auf den entwickelten spekulativen Begriff, d. h. die Wahrheit, rekurrieren kann, um seine Position zu untermauern, ist er nur eine vorläufige und äußerliche Reflexion auf andere Positionen. Deren Mängel sollen immanent zwar ausgewiesen werden, jedoch nur, um damit das generelle Ungenügen der anderen Positionen im Umgang mit dem Begriff freizulegen. So soll ex negativo ein Vorverständnis für das spekulative Projekt geformt werden. Nachdem Hegel das Projekt der Phänomenologie des Geistes für gescheitert hält, greift er in der Enzyklopädie auf den in seinem Charakter statuierenden Vorbegriff zurück, um dem Leser bzw. Hörer eine Idee davon zu vermitteln, was die Wissenschaft der Logik überhaupt möchte.¹ Eine schon der  Hegel hatte die Phänomenologie ursprünglich so konzipiert. Sie sollte die Einleitung in das System darstellen und den absoluten Standpunkt rechtfertigen. So schreibt Hegel auch in der Einleitung zur Logik, die da anknüpft,wo die Phänomenologie aufhört: „In der Phänomenologie des Geistes habe ich das Bewußtseyn in seiner Fortbewegung von dem ersten unmittelbaren Gegensatz seiner und des Gegenstands bis zum absoluten Wissen dargestellt. Dieser Weg geht durch alle Formen des Verhältnisses des Bewußtseyns zum Objecte durch, und hat den Begriff der Wissenschaft zu seinem Resultate. Dieser Begriff bedarf also (abgesehen davon, daß er innerhalb der Logik selbst hervorgeht) hier keiner Rechtfertigung, weil er sie daselbst erhalten hat; und er ist keiner anderen Rechtfertigung fähig, als nur dieser Hervorbringung desselben durch das Bewußtseyn, dem sich seine eignen Gestalten alle in denselben als in die Wahrheit auflösen.“ (WL12, 32) Hegel scheint sich jedoch im Laufe seines Denkens von der Phänomenologie distanziert zu haben. Die Einleitungsfunktion in das System sollte dann der Vorbegriff in der Enzyklopädie übernehmen. Zur Diskussion vgl. auch Fulda [1965]: Das Problem einer Einleitung. H. F. Fulda schreibt in einer Veröffentlichung zum Vorbegriff der Enzyklopädie dazu, „daß die Exposition des Vorbegriffs einem Zweck dienen soll, der ursprünglich der einleitenden Phänomenologie des Geistes gesetzt war; DOI 10.1515/9783110554328-005

2.1 Das spekulative Projekt

81

Phänomenologie eigene Spannung zwischen Vorläufigkeit zum System auf der einen Seite und (vorausgreifend-realisierender) Systematizität auf der anderen Seite ist auch dem Vorbegriff eigen, insofern Hegel natürlich hier nicht voraussetzungslos-unwissend Positionen vorstellt, sondern diese, das eigene Projekt vor Augen, so arrangiert, dass ein Anfang des spekulativen Systems nach diesem Arrangement „in dem Entschluß, rein denken zu wollen“ (E, 118 (§ 78 A)), möglich wird. Jedoch auch im Angesicht dieser Einordnung und der etwas knappen Auskunft, das spekulative Projekt sei die „Wissenschaft der reinen Idee“ im „abstracten Elemente des Denkens“ (E, 61 (§ 19)), bleiben die entscheidenden Grundzüge im Dunkeln und allein aus den wenigen Paragraphen des Vorbegriffes kaum zu verstehen.² Ein kursorischer Blick auf die systematische Anlage der Phänomenologie eignet sich dagegen mehr, um erste Linien des Projekts sichtbar zu machen. Für die Einleitung in das System³ wählt Hegel in den Anfangsjahren mit der Phänomenologie des Geistes eine immanente Prüfung des endlichen Denkens

daß diese Exposition zugleich aber auf einen Beweisanspruch verzichten soll, den die Phänomenologie des Geistes von 1807 erhoben hatte: Dieses Werk war noch darauf ausgegangen, einem nicht spekulativ denkenden Bewußtsein von dessen eigenen Voraussetzungen aus – und ihm gegenüber nur dieses Voraussetzungen beanspruchend – die Wahrheit des spekulativen Standpunkts nachzuweisen, sowie es ihm nötig erscheinen zu lassen, daß man diesen Standpunkt im Philosophieren einnimmt; zugleich mit diesem nicht spekulativ zu führenden Nachweis sollte das Bewußtsein darüber verständigt werden, welche seiner natürlichen Voraussetzungen in der spekulativen Philosophie von Anfang an aufzugeben sind. Vielleicht sollte das Bewußtsein auch […] über einige positive Charakteristika der spekulativen Philosophie vorinformiert werden. Die Exposition des Vorbegriffs jedenfalls hat diesen Zweck; darüber hinaus aber kann sie nur auf Voraussetzungen aufmerksam machen, die man zu Beginn der spekulativen Philosophie hinter sich lassen muß; nicht hingegen vermag sie diese Voraussetzungen einem ‚natürlichen‘ Bewußtsein überzeugend zu destruieren.“ (Fulda [1984]: Vorbegriff und Begriff, 14)  K. Utz z. B. dagegen meint, man müsse nicht die Phänomenologie des Geistes gelesen haben, um den Standpunkt des reinen Denkens einnehmen zu können (vgl. Utz [2001]: Die Notwendigkeit des Zufalls, 28). Ein Grundverständnis der Phänomenologie mitzubringen, helfe jedoch, das spekulative Projekt in seiner Tragweite abzuschätzen. Utz räumt dann auch ein, die Wissenschaft der Logik brauche nicht für ihre Geltung eine Einleitung, aber für ihre Verständlichkeit (vgl. Utz [2001]: Die Notwendigkeit des Zufalls, 32).  Dass das alles gar nicht so einfach ist, soll hier nicht vergessen werden. Die Frage: ‚Womit muß der Anfang der Wissenschaft gemacht werden?‘ hat eine Unzahl an Interpretationsversuchen der hegelschen Antwort darauf hervorgebracht. Wenn durch die vielen Überlegungen eins klar geworden ist, dann, dass der Anfang keineswegs einfach ist, selbst wenn Hegel das offensichtlich etwas voreilig behauptet hat (vgl. WL12, 56). – Für eine erste Annäherung an das Thema eignet sich der Band von Arndt u. Iber (Hgg.) [2000]: Hegels Seinslogik, insbesondere die Beiträge darin: Arndt [2000]: Anfangende Reflexion, Prucha [2000]: Seinsfrage und Anfang und Sobotka [2000]: Hegels Abhandlung ‚Womit muß der Anfang der Wissenschaften gemacht werden?‘ und Reinholds ‚Bey-

82

2 Der unendliche Begriff

selbst, um mittels des Nachweises seiner Unzulänglichkeiten und Widersprüche notwendig zum unendlichen Denken vorzudringen.⁴ Die Überwindung des Gegensatzes von Begriff und Wirklichkeit – worin die Charakteristik des endlichen Denkens besteht – will die Phänomenologie dadurch leisten, dass sie zu zeigen versucht, wie das Bewusstsein von seiner ersten, natürlichen Form des Gegensatzes zum Bei-sich-selbst-Sein des Denkens mit Notwendigkeit fortschreitet. Die Aufhebung des Gegensatzes im absoluten Wissen hat dann auch jene Stellungen des Gedankens zur Objektivität aus der Enzyklopädie – und das heißt: die alte Ontologie mit ihrem Substanz-Attribut-Denken, den Gegensatz des Denkens zum Gegenstand (sei es im Empirismus oder in der kantischen Philosophie) und die bloß subjektive Willkür des unmittelbaren Wissens – hinter sich. Das ist deswegen der Fall, weil der Begriff gar nicht mehr zur Objektivität eine Stellung einnehmen kann, insofern er sich mit ihr als identisch erweist.⁵ Als ein leitendes, wenngleich nicht erschöpfendes Grundproblem für Hegels Vorgehen kann man die Wahrheitsfrage ausmachen⁶, die allerdings nicht einfach nur nach einer Definition von Wahrheit fragt, sondern in einer umfassenderen Weise zu ergründen sucht, was in einem (ontologischen) Sinn als das wahrhaft Seiende bestimmt werden kann.⁷ Im Zu-

träge‘. Natürlich sei auch wieder auf den Band von Fulda verwiesen: Fulda [1965]: Das Problem einer Einleitung. Jüngst auch: Theunissen [2104]: Hegels „Phänomenologie“ als metaphilosophische Theorie.  Dabei unterscheidet sich der Vorbegriff von der Phänomenologie des Geistes dramatisch, insofern die Standpunkte nicht auf drei Stellungen reduziert werden, die kursorisch vor dem impliziten Hintergrund des unendlichen Begriffes abgehandelt würden, sondern minutiös vom einfachsten bis zum wahrhaften Standpunkt in einer immanenten Prüfung entwickelt werden.  „Das absolute Wissen ist die Wahrheit aller Weisen des Bewußtseyns, weil, wie jener Gang desselben es hervorbrachte, nur in dem absoluten Wissen die Trennung des Gegenstandes von der Gewißheit seiner selbst vollkommen sich aufgelöst hat […].“ (WL12, 33)  Die Phänomenologie stellt sich weitaus komplexer dar und kann auf einen rein epistemologischen Ansatz, wie er in diesem Überblick präsentiert wird, nicht eingeschränkt werden. Sie enthält auch moralische, politische, ästhetische und religiöse Perspektiven. Birgit Sandkaulen macht dies z. B. klar am Begriff der Bildung, der die Konzeption der Phänomenologie maßgeblich bestimmt (vgl. Sandkaulen [2009]: Wissenschaft und Bildung, vgl. z. B. auch Iber [2013]: Hegels Paradigmenwechsel vom Bewußtsein zum Geist). – M.Theunissen rekonstruiert Hegels gesamtes Projekt als „Einheit von Kritik und Darstellung der Metaphysik“. Damit ist das Projekt immer schon auch ein historisch-kritisches, das über den Charakter, bloßes „Protokoll dieser Selbstuntersuchung der Denkbestimmungen“ zu sein, hinausgeht (Theunissen [1994]: Sein und Schein, 15).  Sucht man nach dem wahrhaft Seienden, kann entweder nur eine Entität als selbstständig seiend angenommen werden – dies wäre eine monistische Ontologie – oder mehrere Entitäten – dies wäre eine pluralistische Ontologie (vgl. Horstmann [1990]: Wahrheit aus dem Begriff, 17). Die im Vorbegriff beschriebene Metaphysik tendiert aufgrund der Urteilsstruktur zu einer pluralistischen Ontologie, insofern sich das eigenständige Subjekt des Urteils auf ein eigenständiges Objekt, also eine Substanz, bezieht, wovon es sachgemäß mehrere geben muss, da eine Unzahl von

2.1 Das spekulative Projekt

83

sammenhang damit bestimmt sie zugleich, wie ein das wahrhaft Seiende erkennendes Subjekt und ein solches Erkennen ermöglichende Wissen überhaupt konzipiert sein müssen. Die Phänomenologie entwirft damit ein komplexes epistemologisches Projekt, in dem – in einem modernen Sinne gesprochen – Weisen der Welterzeugung auseinander entwickelt werden, um je ihre Begrenzungen sowie internen Widersprüche aufzuzeigen. Die neu gewonnenen Standpunkte werden immer weiter bis hin zu einem Standpunkt entwickelt, der jene Unzulänglichkeiten und Widersprüche nicht aufweist – und damit letztlich auch keine Epistemologie mehr ist. Hegel führt den Standpunkt des endlichen Denkens in all seinen Ausformungen in eine Selbstprüfung, im Zuge derer das Denken aufgrund seiner mitgebrachten Voraussetzungen die Unhaltbarkeit des eingenommenen Standpunktes einsieht und in den unendlichen Begriff aufgehoben wird, der das wahrhaft Seiende ist.⁸ Hegel arbeitet in der Phänomenologie des Geistes in erster Linie am metaphysischen Ziel bzw. der Frage nach der Wahrheit. Jene zwei anderen Ziele bzw. die Frage nach der Freiheit und die nach der Andersheit werden zwar nicht ausgeklammert, jedoch erfolgt deren Verhandlung erst in der Wissenschaft der Logik auf Grundlage der durch die Phänomenologie erreichten Ergebnisse. Während also bei Jacobi die Freiheit in gewisser Weise Ausgangspunkt war und als unbedingt vorgefunden wird, gilt es für Hegel, die Freiheit aus dem

verschiedenen Subjekten in das Urteil eingesetzt werden kann (vgl. Horstmann [1990]: Wahrheit aus dem Begriff, 36). Aufgrund der im Vorbegriff erläuterten Probleme distanziert sich Hegel von einer pluralistischen Ontologie und entwickelt einen Monismus, der im Begriff das konstitutive Element der Wirklichkeit sieht. Eine Substanzontologie im Sinne Spinozas sucht Hegel dabei aus den skizzierten Gründen zu vermeiden. – Allerdings ist bei der Rede von einer Ontologie Vorsicht geboten. Die immer wieder in diesem Zusammenhang auftauchende Frage nach dem (ontologischen) Status des Begriffes muss vor dem Hintergrund von Hegels Kritik der (klassischen) Ontologie beantwortet werden. Ein wahrhaft Seiendes als Grund oder Wesen der Wirklichkeit wird durch den Begriff gerade kritisiert. Wie also ein Monismus des Begriffes letztendlich verstanden werden kann, muss sich im Verlauf der Entfaltung des spekulativen Projektes Hegels (und hiermit auch im weiteren Verlauf dieser Arbeit) erst erweisen.  R.-P. Horstmann beschreibt das Verfahren der Phänomenologie des Geistes als negativ „transzendentalistisches“ Argument für einen Monismus. Die leitende Idee ist „(1) daß man diesen Standpunkt der Wissenschaft durch eine Analyse der Erfahrung, die ein Subjekt mit dem macht, was ihm Gegenstand ist, erreichen kann und (2) daß dieser Standpunkt dann erreicht sein soll, wenn die monistische These als unabweisbar ausgewiesen ist. Diese Leitidee soll nun so realisiert werden, daß nachgewiesen wird, daß die Möglichkeit des erkennenden Bezugs auf Objekte die Wahrheit der monistischen These voraussetzt. Dies deshalb, so die Hegelsche Behauptung, weil jede Konzeption von Objekten, über die wir verfügen, parasitär ist zu derjenigen, die von der monistischen These über die Verfassung der Wirklichkeit aufgestellt wird.“ (Horstmann [2006]: Hegels Ordnung der Dinge, 30)

84

2 Der unendliche Begriff

wahrhaften Begriff abzuleiten, der in der Phänomenologie als unbedingt bewiesen wird. Die Phänomenologie ist die Darstellung des „erscheinenden Wissens“ (PG, 55), d. h. verschiedener Weisen des Bewusstseins, sich zum Gegenstand zu positionieren.⁹ Hierbei steht aber auch im gleichen Atemzug die Frage nach dem wahrhaften Gegenstand im Raum. Denn Wissen, das Anspruch auf Wahrheit erhebt, muss für Hegel Wissen des wahrhaften Inhaltes sein.¹⁰ Wenn Hegel die „Wahrheit des Wissens“ untersucht (PG, 58), kann es sich jedoch nicht um die Wahrheit eines Wissens über einen bestimmten Gegenstand handeln. Es ist also kein Verfahren dergestalt, dass im Sinne der Korrespondenztheorie in der Phänomenologie ein Begriff gewonnen werden soll, der dann mit dem wahrhaften Gegenstand übereinstimmt. Die Phänomenologie thematisiert vielmehr die Wahrheit der Form des Wissens, die dann auch die Form des spekulativen Begriffes ist, der in der Wissenschaft der Logik entfaltet wird. Anders gefasst: ‚Mein‘ Wissen, soll es wahr sein können, fordert die richtige Konzeption des Wissens. Das umfasst die richtige Konzeption des Subjekts, das bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten mitbringt, und die richtige Konzeption des Objekts, welches als der wahrhafte Gegenstand fungiert. So hat jede Form des Wissens einen anderen Begriff vom wahrhaft Seienden und damit einen anderen Begriff von dem, was Wahrheit ist.¹¹

 Das Fragen danach, was Wissen ist, ist unmittelbar mit der Bewusstseinsform verquickt: Wissen ist Bezogenheit wie Bewusstsein Bezogenheit ist. Und die Frage ist: Wie ist diese Bezogenheit gedacht? Insofern fragen wir bei der Frage nach der Wahrheit des Wissens nach der Weise der Bezogenheit des Bewusstseins auf die Welt.  Hegel trennt zwischen Wahrheit und bloßer Richtigkeit. Wahr im hegelschen Sinne kann nur das Wissen vom wahrhaften Seienden sein. Das heißt aber auch, dass die Frage danach, was Wissen ist, zugleich eine Suche nach dem wahrhaften Seienden ist (vgl. Horstmann [1990]: Wahrheit aus dem Begriff, 12 ff).  „Denn das Bewußtseyn ist einerseits Bewußtseyn des Gegenstandes, andererseits Bewußtseyn seiner selbst; Bewußtseyn dessen, was ihm das Wahre ist, und Bewußtseyn seines Wissens davon.“ (PG, 59) – A. F. Koch betont, dass es sich bei Hegels Bewusstseinsbegriff nicht um eine Subjekt-Objekt-Beziehung handelt. Es ist „eine begriffliche Beziehung zweier Konzeptionen“. (Koch [2006]: Die Prüfung des Wissens als Prüfung ihres Maßstabs, 28) Die Grundlage, auf der das Bewusstsein voranschreitet, ist Erfahrung, die das Bewusstsein an ihm selbst macht. Koch weist darauf hin, dass dies natürlich keine sinnliche Erfahrung, sondern nur eine kategoriale Erfahrung sein kann: „Denn seine Meinung, das Reale habe die oder die kategoriale Gestalt, wird jeweils korrigiert, wenn ihm ein neuer Gegenstand entsteht, der eine andere kategoriale Gestalt hat. In Wahrheit freilich können wir hier nicht das Bewußtsein konstant halten und mit neuen Gegenständen konfrontieren, in der Weise, wie wir ein Bewußtsein konstant halten, wenn ihm scheinbar ein neuer Gegenstand, eine neue kategoriale Form des An-sich entsteht; denn das alte Für-es nimmt nun die Rolle des An-sich ein. Aber diese Bewußtseinsumkehrung erkennen nur wir, die

2.1 Das spekulative Projekt

85

Auf jeder Stufe, die sich in der Phänomenologie ergibt, finden wir ein anderes Konzept des Subjekts (Bewusstsein, Selbstbewusstsein,Vernunft etc.), einen anders gefassten Gegenstand (raum-zeitliches Dieses, Objekt mit Eigenschaften, Kräfte, Gesetze etc.) und eine andere Vorstellung von Wahrheit.¹² Da das Wissen die Konzeption des Wissens selbst inklusive der Konzeptionen des Subjekts und des Objekts umfasst, besteht die Prüfung in der Phänomenologie darin, die Bezugnahme eines Subjekts auf einen Gegenstand im Wissen zu untersuchen.¹³ Zeigt sich das jeweilige Wissen nicht in der Lage, seinen Gegenstand als wahrhaften auszuweisen, kommt es zu einem Paradigmenwechsel sowohl in der Konzeption des Wissens als auch in der des Subjekts sowie des wahrhaften Gegenstandes.¹⁴ Um diese Dynamik zu erhalten, braucht das Wissen, so sagt Hegel, sich selbst nur zuzusehen (vgl. PG, 59). Begriff und Gegenstand können sich hier Schritt für Schritt reziprok modifizieren, sodass zuletzt im wahren Wissen auch der wahrhafte Gegenstand gefunden ist.¹⁵ Das Wissen hat sich richtig gefasst,

Theoretiker, als eine solche, nicht jedoch das natürliche Bewußtsein selber.“ (Koch [2006]: Die Prüfung des Wissens als Prüfung ihres Maßstabs, 31)  Das Bewusstsein übt eine dialektische Bewegung „sowohl an seinem Wissen, als an seinem Gegenstande“ aus, „in so fern ihm der neue wahre Gegenstand daraus entspringt“. (PG, 60)  R.-P. Horstmann bestimmt das Prüfverfahren als eines von drei Schritten: (1) Für den Objektbegriff wird gezeigt, worin die Konzeption eines Erkenntnisobjekts genau besteht und nachgewiesen, dass dieses Konzept schon ein viel komplexeres Verständnis des Objekts impliziert. (2) Für den Subjektbegriff wird ebenfalls gezeigt, wie sich das Subjekt überhaupt beschreiben muss, um das mit ihm korrespondierende Objekt erkennen zu können, um dann nachzuweisen, dass diese Selbstbeschreibung schon längst auf andere, reichere Konzepte zurückgreifen muss, als sie zugibt. (3) Eine neue Objektkonzeption und eine neue Subjektbeschreibung entstehen durch die Zusammenführung dieser Ergebnisse, die wiederum diesem Verfahren unterzogen werden (vgl. Horstmann [2006]: Hegels Ordnung der Dinge, 32 f).  „Was den klassischen Wahrheits- und Erkenntnistheorien nicht bewußt war, ist die Tatsache, daß sich in dem Prozeß der Annäherung nicht nur das Wissen ändert, sondern auch der Maßstab [der wahrhafte Gegenstand, D. A.], dem es sich angleichen soll. […] Wenn daher das Wissen den Anforderungen der Entsprechung nicht genügt, kommt es zum ‚Paradigmenwechsel‘ auch hinsichtlich des Maßstabes: ein grundsätzlich anderes Wissen verlangt eine andere Ontologie. Die Ansicht der Realität ändert sich: letztlich real sind nicht mehr einzelne Dinge, sondern Prozesse, Konstellationen von Kräften usw. Modern gesprochen, thematisiert die Phänomenologie den Paradigmenwechsel oder die Folge von Grundlagenkrisen der Wissenschaft, Moral usw.“ (Siep [2000]: Der Weg der ‚Phänomenologie des Geistes‘, 76 f)  M. Theunissen umschreibt die Dialektik mit den Termini Thema und Horizont: „Das Bewußtsein kann einen Gegenstand allein dadurch als Gegenstand vor sich bringen, d. h. thematisch machen, daß es ihn in den Horizont dessen stellt, was ihm das Wahre ist.“ (Theunissen [1978]: Begriff und Realität, 327) Das ganze Fortkommen der Phänomenologie „ist ein Geschehen der ständigen Horizonterweiterung, welche dadurch zustande kommt, daß das Bewußtsein seine Horizonte stets aus neue thematisiert“. (Theunissen [1978]: Begriff und Realität, 327) Indem das

86

2 Der unendliche Begriff

„wo es nicht mehr über sich selbst hinauszugehen nöthig hat, wo es sich selbst findet, und der Begriff dem Gegenstande, der Gegenstand dem Begriffe entspricht“. (PG, 57)¹⁶ Das ist der Fall beim reinen Denken, mit dem die Enzyklopädie allein durch einen Entschluss einsetzen möchte. Anders gewendet, kann man diesen entscheidenden Punkt folgend rekapitulieren: Die Relation von Wissen und wahrhaftem Gegenstand schrittweise durchdringend, kommt das Bewusstsein zu der Einsicht, dass sich die anfängliche Trennung von Gegenstand und Wissen nach und nach auflöst. Nicht ein Ansich ist das Entscheidende für das Wissen, sondern die Form des Bezogenseins auf den Gegenstand selbst. Nachdem erst allein das Ansich-Seiende Inhalt für das Bewusstsein ist, wird mit der Thematisierung des Bezogenseins erkannt, dass die Bezogenheit des Ansich-Seienden auf das Wissen (das Für-das-Bewusstsein-Sein) dem Ansich-Seienden nicht äußerlich, sondern eigentlich das Ansich-Seiende selbst ist. Beides ist nicht zu trennen. Die Formen des Bezogenseins und Formen des Wissens werden als Weisen des Ansich-Seienden selbst erkannt. Im Resultat ist nicht mehr Bezogenheit auf ein Äußerliches, sondern die Bezogenheit als Denken das Wahre und damit das Denken selbst, das Hegel in dieser Form Geist nennt. Dieser Geist ist die Totalität des Wissens und der Wirklichkeit, die im Durchdringen des Anderen ganz bei sich selbst ist, weil sich im Geist ein Objektkonzept realisiert, das von dem des Subjekts nicht unterschieden ist. Der Geist

Ansich zu einem bloß für das Bewusstsein Seienden herabsinkt, „kommt ja nur die Wahrheit über das ‚Wahre‘ an den Tag“. (Theunissen [1978]: Begriff und Realität, 327) Mit dem neuen Gegenstand ist auch eine neue Bewusstseinsform entstanden: „Denn nichts kann zum Thema werden, ohne einen Horizont mit sich zu führen.“ (Theunissen [1978]: Begriff und Realität, 328 f) Mehr noch: „Jede Reflexion auf einen ‚alten‘ Horizont, der als reflektierter keiner mehr ist,vollzieht sich bereits in einem ‚neuen‘.“ (Theunissen [1978]: Begriff und Realität, 329) Das Bewusstsein „entlarvt an jeder neuen Wahrheit ihre Unwahrheit. Zugleich damit wird die Wahrheit über das Bewußtsein offenbar, d. h. seine Unwahrheit […].“ (Theunissen [1978]: Begriff und Realität, 329) Theunissen formuliert pointiert: „Der reale Wahrheitsgehalt des für wahr Geltenden kommt, scheinbar paradox, gerade mit der Entlarvung seiner Unwahrheit ans Licht.“ (Theunissen [1978]: Begriff und Realität, 330) „An sein Ende käme der Prozeß der Thematisierung und Erweiterung von Horizonten nur da, wo der Unterschied von Thema und Horizont dahinfiele. Nun ist jeder Gegenstand notwendig etwas, das als etwas im Horizont von etwas erscheint; […] Mithin hängt der Durchbruch des Bewußtseins zur wirklichen Wahrheit von einer Überwindung des Gegenstands ab, die ihrerseits einer Selbstüberwindung des Bewußtseins voraussetzt. […] Sobald er sich vollständig manifestiert und zum Ganzen der Wirklichkeit ausweitet, läßt er die Differenz von Thema und Horizont tatsächlich hinter sich.“ (Theunissen [1978]: Begriff und Realität, 330 f)  Wie Hegel das Wissen auch als die Gewissheit, den Gegenstand auch als das Wahre bezeichnet, so fallen in diesem Punkt, wie Hegel es auszudrücken pflegt,Wahrheit und Gewissheit in eins: d. h. dass „die Wahrheit, dieser Gewißheit, so wie diese Gewißheit, der Wahrheit gleich geworden ist“. (WL12, 33)

2.1 Das spekulative Projekt

87

ist das Bei-sich-Sein-im-anders-Sein, das sich als das Resultat der Phänomenologie erwiesen hat. Damit ist das Denken selbst zur Wahrheit geworden. Insofern ist das Resultat der Phänomenologie von gleicher Struktur wie der Anfang der Enzyklopädie, rein Denken zu wollen: Das Denken ist alleiniger Gegenstand des Denkens. Gewonnen ist ein Standpunkt des reinen sich auf sich wendenden Denkens „als die allgemeine Wahrheit, nicht als eine besondere Kenntniß neben anderem Stoffe und Realitäten, sondern als das Wesen alles dieses sonstigen Inhalts“. (WL12, 42) Fest im Fokus sind mit dem Resultat der Phänomenologie Formverhältnisse der Wirklichkeit, weil sich die Wirklichkeit als eine in diesen Formverhältnissen aufgehende erwiesen hat. Dieser hier gewonnene Standpunkt ist sozusagen eine „Intellectualansicht des Universums“ (WL12, 34) in seinen kategorialen Grundstrukturen unter Absehung von gegenständlichen Inhalten. Diese kategoriale Grundstruktur soll in der Wissenschaft der Logik entfaltet werden. Hegel vollzieht in dem Sinne eine Rückwendung von dem Bestimmten, was wir denken, zu den Bestimmungen, in denen wir es denken.¹⁷ Während das endliche Denken in Beziehung auf sein Anderes besteht, das dessen Grenze darstellt, ist das unendliche, richtig gefasste Denken „bei sich selbst, verhält sich zu sich selbst und hat sich selbst zum Gegenstand“. (E1S, § 28 Z) Beim unendlichen Denken fällt die Trennung von Form und Inhalt hinweg.¹⁸ Der Begriff ist keine bloß leere Form, der ein konkreter Inhalt von außen gegeben werden müsste. Die Form ist der konkrete Inhalt selbst. Denken ist in diesem Sinne kein Werkzeug. Der Begriff wird als die ‚wahrhafte Substanz‘ der Wirklichkeit gedacht;¹⁹ der Begriff ist  Vgl. Iber [2000]: Kleine Einführung in Hegels Logik, 20. – Dies ist ganz ähnlich zu dem, was Kant tut. Dieser wandte sich von den Gegenständen ab hin zu den apriorischen Formen der Gegenstände. Ein entscheidender Unterschied zu Kant liegt nun darin, dass Hegel die Formen nicht auf das (transzendentale) Bewusstsein zurückführt. Hegel versucht die Deduktion der Kategorien ohne das Subjekt. Vielmehr wird die Subjektivität in den generativen Zusammenhang der Denkbestimmungen aufgelöst. Hiervon wird später noch zu handeln sein.  „Das Denken als solches, in seiner Reinheit, hat also keine Schranke in sich. Endlich ist das Denken nur, insofern es bei beschränkten Bestimmungen stehenbleibt, die demselben als ein Letztes gelten.“ (E1S, § 28 Z)  Da es Hegel nicht um einen letzten Grund der Wirklichkeit als nun objektiv bestimmtes Sein geht, muss man vielmehr sagen: „Hegels Satz, ‚daß das Absolute allein wahr, oder das Wahre allein absolut ist‘ ist vor dem Hintergrund dieser Kritik nichts weniger als eine unvermittelte Voraussetzung: ‚absolut‘ ist das Wahre weder als Bestimmung des Denkens noch des Seins, sondern als ein unabweisbares Problem, in das sich das Denken verstrickt, wenn es seine Idee von Wahrheit im Rahmen der Unterescheidung zwischen Denken und Sein zu formulieren sucht.“ (Rühle [2006]: Die Zeitlichkeit des Absoluten, 213) Weiter: „Aus dieser Einsicht ergibt sich eine neue Reflexion, die dem natürlichen Bewußtsein und seiner Unterscheidung zwischen Denken und Gegenstand nicht mehr zugänglich ist: Wenn sich das Absolute in keiner Weise als Gegenstand,

88

2 Der unendliche Begriff

die wahrhaft gefasste Wirklichkeit, der in seiner Reflexivität als sich-denkender Begriff zugleich Subjektivität ist.²⁰

2.2 Das Denken des Denkens: Immanenz (1) und Kohärenz (2) Das spekulative Projekt unterscheidet sich von seiner Anlage insofern nicht von der Philosophie Spinozas, als es ein konsequent rationales, auf lückenlose Begründung fußendes System ist. Auch bei Hegel sieht man das Grundtheorem des Rationalismus verwirklicht, wenngleich er in seinem spekulativen Projekt genau diese Grundlagen entscheidend modifiziert. Die erste Veränderung steht bereits jetzt vor Augen. Es ist nämlich der Begriff, der hier an die Stelle der Substanz respektive Gottes rückt. Damit bildet der Begriff, der eine deutliche Aufwertung erhält, zwar einerseits an Stelle der Wesenheit Gottes die weiter zu erörternde Grundstruktur der Wirklichkeit. Andererseits erfährt die Wirklichkeit qua Begriff eine folgenreiche Umwertung. Hegel hat gegenüber den verschiedenen, in der Phänomenologie durchlaufenen Formen des endlichen Denkens Entscheidendes erreicht. Begriffe werden nicht an Objekten gewonnen oder nach dem Substanz-Akzidenz-Modell als Prädikate an Subjekte herangebracht. Denn all diese Begriffe bleiben abstrakt und äußerlich. Ein Wirklichkeitsmodell, was auf diesen Prämissen beruht, ist prinzipiell ein mangelhaftes. Mangelhaft ist es aber darum, weil die Identität von Begriff und Sache falsch gefasst ist: Es besteht nicht zu viel, sondern zu wenig Identität. Jedoch ist es für das Verständnis des hegelschen Systems entscheidend, dass die

Gegenüber oder als Voraussetzung des Denkens fassen läßt, dann verweist dieser Ausdruck nicht auf ein bewußtseinstranszendentes Ansichsein, sondern auf das Vermögen jener begrifflichen Unterscheidung, die das Bewußtsein und seine Gegenstände konstituiert.“ (Rühle [2006]: Die Zeitlichkeit des Absoluten, 213 f)  Treffend und erhellend ist ein von Hegel angestellter Vergleich des unendlichen Begriffs mit der Grammatik: Diese scheint nur „trokne Abstractionen, zufällige Regeln, überhaupt eine isolierte Menge von Bestimmungen“ zu enthalten (WL12, 41), die gegenüber dem Inhalt des Gesprochenen eine dürftige, selbstgenügsame Ansammlung ist. So verhält es sich auch mit der Logik, der Wissenschaft des unendlichen Begriffs. Der Inhalt der Wissenschaft der Logik „gilt nur für eine isolirte Beschäftigung mit den Denkbestimmungen, neben der die anderen wissenschaftlichen Beschäftigungen ein eigner Stoff und Gehalt für sich sind, auf welche das Logische etwa einen formellen Einfluß hat, und zwar einen solchen, der sich mehr von selbst macht, und für den die wissenschaftliche Gestalt und deren Studium allerdings auch zur Noth entbehrt werden kann“. (WL12, 42) Aber ist der Begriff wahrhaft gefasst, muss er „als ein nicht nur abstrakt Allgemeines, sondern als das den Reichthum des Besondern in sich fassende Allgemeine [kursiv; D. A.]“ (WL12, 42) betrachtet werden.

2.2 Das Denken des Denkens: Immanenz (1) und Kohärenz (2)

89

Identität des unendlichen Denkens von der abstrakten Identität des endlichen Denkens scharf unterschieden wird. Hegel wird nicht müde immer wieder anzumahnen, es sei von großer Wichtigkeit, „sich über die wahre Bedeutung der Identität gehörig zu verständigen“. (E1S, § 115 Z) Das verständige Denken ist eines, das unter Absehung aller Unterschiede mit zunehmendem Abstraktionsgrad an Inhalt verliert.²¹ So sind überhaupt „alle jene, namentlich vom Standpunkt der Empfindung und der unmittelbaren Anschauung aus, dem Denken so häufig gemachten Vorwürfe der Einseitigkeit, der Härte, der Inhaltslosigkeit usw.“ in dieser verkehrten Voraussetzung begründet, „daß die Tätigkeit des Denkens nur die des abstrakten Identischsetzens sei“. (E1S, § 115 Z) Die abstrakte Verstandesidentität ist der Grund für die Leere und Starre der Theorie. Hegel schreibt: „Wenn das Denken weiter nichts wäre als jene abstrakte Identität, so müßte dasselbe für das überflüssigste und langweiligste Geschäft erklärt werden.“ (E1S, § 115 Z) Die Konzeption der Identität zu ändern, heißt damit zugleich, das Denken selbst zu revolutionieren – oder anders herum formuliert: Das endliche Denken in das unendliche Denken zu überführen, zeitigt unmittelbar positive Konsequenzen für das Verständnis von Identität, indem der Gegensatz von Begriff und Wirklichkeit selbst in den Begriff integriert wurde und der Abgrund zwischen beiden, der vorher nur über die Abstraktion zu überbrücken war, gänzlich eliminiert wurde. Damit ist jedoch auch Jacobis Kritik am Denken zunächst untergraben, indem das Denken spekulativ gefasst nicht in erster Linie darauf aus ist, Bedingungen zum Bedingten zu konstruieren. Eben diese Konstruktion kritisiert Hegel seinerseits als die Verstandesidentität, die den Dingen respektive der Wirklichkeit im Gesamten nicht gerecht werden kann. Das spekulative respektive unendliche Denken unterhält keine Relation zu den Dingen, von denen es überhaupt erst Inhalte gewönne. Das unendliche Denken wendet sich auf sich selbst, um in dem, was es selbst in sich vorfindet, die Grundstruktur von Wirklichkeit zu entfalten. Im Selbstbezug des unendlichen Denkens ist das Denken also allein bei sich selbst und bedarf keines Inhaltes von außen. Es hat damit an seiner Form seinen absoluten Inhalt. Das Denken ist, wie Hegel es nennt, absolute Form und aufgrund

 „Formelle oder Verstandesidentität ist diese Identität, in sofern an ihr festgehalten und von dem Unterschiede abstrahirt wird. Oder die Abstraction ist vielmehr das Setzen dieser formellen Identität, die Verwandlung eines in sich concreten in diese Form der Einfachheit, – es sey daß ein Theil des am Concreten vorhandenen Mannichfaltigen weggelassen (durch das sogenannte Analysiren), und nur eines derselben herausgenommen wird, oder daß mit Weglassung ihrer Verschiedenheit die mannichfaltigen Bestimmtheiten in Eine zusammengezogen werden.“ (E, 146 (§ 115 A))

90

2 Der unendliche Begriff

seines Bei-sich-selbst-Seins absolute Identität. ²² Diese ist wiederum absolute Gewissheit, weil der Begriff nicht einer fremden Sache gegenüber ist, gegenüber der er lediglich relative Gewissheit gewinnen könnte. In der Identität von Sache und Begriff ist die Gewissheit vielmehr gegensatzlos geworden und damit absolut.²³ Hegel nennt ein solches Denken konkret. Die einzige Unmittelbarkeit für das konkrete Denken ist das Denken selbst in seinen Formen. Der Inhalt der Selbstgegebenheit des Denkens ist die Form des Gedachten – d. h. reine Übereinstimmung mit sich. ²⁴ Indem es selbst Inhalt seiner Form ist, kommt diese Übereinstimmung mit Notwendigkeit²⁵ zustande, auch weil dieses unendliche Denken den einzigen Inhalt darstellt, der dieser Form notwendig ist.²⁶ Aus der Selbstgewissheit und Identität des Denkens folgt auch, dass die Bewegung des Inhalts, die Entwicklung der Wahrheit selbst nur innerhalb des Denkens verläuft. Denn Denken hat sein Prinzip an sich selbst. Hegel folgt demnach dem Immanenz-Modell Spinozas, das dem Denken eine Bezugnahme auf etwas dem Denken Äußerliches versagt und für die Begründung respektive die Entwicklung des Denkens allein das Denken selbst akzeptiert. So ist für die Methode des Denkens festzuhalten, „daß sie von ihrem Gegenstande und Inhalte nichts unterschiedenes ist; – denn es ist der Inhalt in sich, die Dialektik, die er an ihm selbst hat, welche ihn fortbewegt“. (WL12, 38) Das meint dann nichts anderes, als dass das Denken allein durch das Denken fortkommt, indem es sich auf sich selbst bezieht. Dieses Fortkommen aber ist damit so konzipiert, dass ihm in seiner Hermetik einerseits nichts zu-, andererseits nichts entfällt. Rein immanent, d. h. ohne Bezug auf ein Kontingentes von außen, und kohärent, d. h. sich Schritt für Schritt selbst bewegend, vollzieht sich eine Dynamik, die nur deshalb ist, weil das

 Einige Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, diskutiert Marx [1995]: Persönlichkeit und Kreis.  „So ist der Geist die schlechthin allgemeine, durchaus gegensatzlose Gewißheit seiner selbst. Er besitzt daher die Zuversicht, daß er in der Welt sich selber finden werde […].“ (E3S, § 440 Z)  Vgl. Utz [2001]: Die Notwendigkeit des Zufalls, 37.  Festgehalten werden muss an dieser Stelle, dass also Hegel im Überstieg über das endliche Denken die Notwendigkeit keineswegs aufgelöst, sondern vielmehr verschärft hat. Endliches Denken kann nur notwendig sein vor dem Hintergrund von bestimmten Ordnungen und Gesetzen der endlichen Dinge. Dem Denken aber hier äußerlich, aufgefunden und – paradox gesagt – kontingent, ist Notwendigkeit nur eine relative und bedingte. Aufgrund aber der Selbstgewissheit des Denkens hat das reine Denken das Prinzip der Notwendigkeit unmittelbar in sich, da es selbst sein Prinzip, seine Ordnung und Bestimmtheit ist. Es ist Prinzip des Gewissseins und Gewissseiendes in einem (vgl. Utz [2001]: Die Notwendigkeit des Zufalls, 37).  Vgl. Utz [2001]: Die Notwendigkeit des Zufalls, 37.

2.3 Wahrheit und Richtigkeit (3)

91

unendliche Denken seiner selbst gewiss, d. h. identisch mit sich, ist.²⁷ Die allein durch das sich auf sich wendende Denken resultierende Kohärenz ist als Resultat einer autonomen Bewegung eine notwendige, die nur die Immanenz kennt. „So garantiert die Immanenz des Denkens unmittelbar seine Konsequenz als notwendige, die Identität des Denkens seine Kohärenz als unbedingte.“²⁸ Der Gang, der im Begreifen des reinen Denkens mündet, ist wie der herkömmliche Wahrheitsbegriff ebenfalls eine Adaequatio – allerdings die Übereinstimmung des Begriffes mit sich selbst. Bei dieser immanenten Bewegung allerdings kann es nicht,wie beim endlichen Denken, gleichgültig sein, auf welche Weise man zu dieser Adaequatio gelangt ist.²⁹ Die Notwendigkeit des Resultates kann nur durch die Notwendigkeit der einzelnen Schritte garantiert werden, nicht äußerlich. Insofern ist im Resultat der gesamte Gang zum Resultat enthalten und ist wesentlich für das Resultat.³⁰ Die Wahrheit kann demnach nicht hergestellt werden, sondern ist das, was die Bewegung immer schon geführt und bestimmt hat.³¹ Die Wahrheit ist hiermit nicht geworden (im strengen Sinne), sondern nur vom Ansich zum Fürsich gelangt. Die Wahrheit erreicht zu haben, meint dann nichts anderes, als dass sich das Denken am Ende des Ganges vollständig transparent geworden ist. Der Anspruch dieses Denkens ist es dann auch, alle Unmittelbarkeiten als bloß vom Denken selbst gesetzte zu durchschauen und aufzuheben – wie Hegel dies in seiner Jacobi-Kritik auch konsequent formuliert.

2.3 Wahrheit und Richtigkeit (3) Jacobi unterscheidet zwischen Wahrheit als eine vom Begriff konstruierbare Wirklichkeit und dem Wahren als eine den Begriff übersteigende Dimension des Unbedingten. Hat Jacobi noch insistiert, dass der Begriff das Wahre nicht zu erfassen vermag, so meint Hegel im unendlichen Begriff über die Limitationen des endlichen Begriffes und damit auch über diese Distinktion Jacobis hinausgestiegen zu sein. Interessant ist, dass Hegel dies mit einer ganz ähnlichen Unter-

 Vgl. Utz [2001]: Die Notwendigkeit des Zufalls, 41 f. – „Das Dialektische macht daher die bewegende Seele des wissenschaftlichen Fortgehens aus, und ist das Princip, wodurch allein immanenter Zusammenhang und Nothwendigkeit in den Inhalt der Wissenschaft kommt, so wie in ihm überhaupt die wahrhafte nicht äußerliche Erhebung über das Endliche liegt.“ (E, 119 (§ 81 A))  Utz [2001]: Die Notwendigkeit des Zufalls, 41.  Vgl. Utz [2001]: Die Notwendigkeit des Zufalls, 41 f.  Vgl. Utz [2001]: Die Notwendigkeit des Zufalls, 59.  Vgl. Utz [2001]: Die Notwendigkeit des Zufalls, 60.

92

2 Der unendliche Begriff

scheidung erreichen möchte.³² Er konzipiert Wahrheit in Abgrenzung zu bloßer Richtigkeit, wobei Wahrheit wie das Wahre eine den Menschen übersteigende Dimension umfasst. Jacobis Unterscheidung ist dadurch hinfällig, dass der Begriff spekulativ gefasst nicht eo ipso alles in ein Bedingtes verwandelt, sondern in der reflexiven Zurückwendung auf sich alles bloße Nachkonstruieren hinter sich lässt. Denn der unendliche Begriff ist nicht die Bedingung zu einem Bedingten, sondern das Unbedingte selbst. Obwohl sich Hegel auch gegen Jacobis Begriffskritik wendet, steckt in Hegels Unterscheidung ein gutes Maß an Jacobis ursprünglichem Einwand, insofern sich beide als Kritiker der abstrakten Identität verstehen. Denn das spekulative Projekt Hegels pflichtet Jacobi grundsätzlich bei, wenn auf die Unmöglichkeit der Konstruktion des Unbedingten hingewiesen wird. Für Hegel jedoch zeigt sich Jacobis Sprung einmal mehr als verfrüht, insofern Jacobi die spekulative Dimension des Begriffes infolge der einseitigen Auffassung der Negativität nicht erfasst. Wahrheit und Richtigkeit beziehen sich damit nicht auf das Unbedingte auf der einen und das Konstruierbare auf der anderen Seite, sondern auf den objektiven, d. h. unendlichen, und den subjektiven, d. h. endlichen, Begriff, die beide ineinander übergehen. Während (wie Hegel im Vorbegriff darlegt) die klassische Metaphysik den Begriff als objektiv, Kant dagegen als subjektiv versteht, ist er für Hegel sowohl subjektiv als auch objektiv. Mithin ist damit die Wahrheit auf zweierlei Weise zu verstehen: einmal ist Wahrheit dem Wissen zuzusprechen, das auf endliche Gegenstände bezogen mit diesen in Übereinstimmung gebracht werden muss; dann ist Wahrheit aber auch der Wirklichkeit selbst zuzusprechen, insofern sie selbst, als Begriff verstanden, ihrem Begriff gemäß sein kann oder nicht. Ersterer Begriff von Wahrheit ist für Hegel bloß Richtigkeit; zweiterer erst ist Wahrheit. Richtigkeit und Wahrheit werden im gemeinen Leben sehr häufig als gleichbedeutend betrachtet, und demgemäß wird oft von der Wahrheit eines Inhalts gesprochen, wo es sich um die bloße Richtigkeit handelt. Diese betrifft überhaupt nur die formelle Übereinstimmung unserer Vorstellung mit ihrem Inhalt, wie dieser Inhalt auch sonst beschaffen sein mag. Dahingegen besteht die Wahrheit in der Übereinstimmung des Gegenstandes mit sich selbst, d. h. mit seinem Begriff. (E1S, § 172 Z)

Wahrheit besteht dann im Selbstverhältnis des Begriffs. „Denn die Wahrheit als Übereinstimmung des Begriffs mit seiner Realität ist schließlich die Überein-

 W. Jaeschke weist darauf hin, dass Hegel mit der in der Logik getroffenen Unterscheidung zwischen ‚Begriff haben‘ und ‚Begriff sein‘ (im Grunde eine Variation von Richtigkeit und Wahrheit) Jacobis Distinktion zwischen adjektiver und substantiver Vernunft vor Augen hat (vgl. Jaeschke [2003]: Hegel-Handbuch, 242).

2.3 Wahrheit und Richtigkeit (3)

93

stimmung des Begriffs mit sich selbst in seiner Objektivität.“³³ Hegel überführt also die klassische Theorie der Wahrheit als Fremdentsprechung in eine Theorie der Wahrheit als Selbstentsprechung.³⁴ Nur das, was Begriff ist, kann Wahrheit beanspruchen. Als Konsequenz gilt es hierbei festzuhalten, dass für Hegel entgegen der traditionellen Auffassung nun gerade keine Wahrheit im Urteil, sondern allein im Begriff besteht, aus dem jedoch das Urteil seine Rechtfertigung erhält.³⁵ Das, was der unendliche Begriff tatsächlich ist, muss nach der Gewinnung des Standpunktes durch die Phänomenologie des Geistes die Wissenschaft der Logik klären. Mit der Phänomenologie des Geistes wurde lediglich der Standpunkt erarbeitet, von dem aus der Begriff sich selbst erkennen kann. Damit ist aber das Kriterium der Wahrheit gewonnen und in einem zugleich erfüllt. Denn für das Wahre kann nur ein Inhalt erkannt werden, in sofern er nicht mit einem Anderen vermittelt, nicht endlich ist, also sich mit sich selbst vermittelt, und so in Eins Vermittlung und unmittelbare Beziehung auf sich selbst ist. (E, 114 (§ 74))

Das ist der spekulative Begriff, der die Aufhebung der Positionen von Spinoza und Jacobi leisten soll. Als Selbstvermittlung ist der Begriff reflexiv und eine Aufhebung der Substanzmetaphysik Spinozas. Denn der Begriff legt selbst seine eigenen Bedingungen frei und reflektiert so die Voraussetzungen der Substanzmetaphysik in sich. Als Selbstvermittlung zeigt der Begriff aus dieser internen Bewegung allein die Vorläufigkeit der Unmittelbarkeit überhaupt, die im Angesicht der konkreten, in der Wissenschaft der Logik vorgeführten Entwicklung des Begriffes, so Hegel, ihre Berechtigung als absolut Erstes wird einbüßen müssen.

 Lau [2004]: Hegels Urteilskritik, 53.  Vgl. Lau [2004]: Hegels Urteilskritik, 53.  Wenn die traditionelle Wahrheitstheorie sagte, nicht im Begriff, sondern im Urteil sei Wahrheit, und Hegel diese Behauptung umkehrt, so bewegen sich beide aber nicht auf gleicher Ebene. Bei den alten Metaphysikern ist „Begriff“ der endliche Begriff, d. h. eine Ansammlung allgemeiner Merkmale, die abstrahierend gewonnen wurden und für sich isoliert bestehen. Hingegen handelt es sich beim hegelschen Begriff um den unendlichen Begriff, der in sich alle Begriffsbestimmungen zusammenhängend entwickelt enthält, schließlich dieses Ganze, das System selbst ist. Insofern geht Hegel nicht hinter die traditionelle Metaphysik zurück, sondern im Weiterdenken des Urteils über diese hinaus und integriert überdies die endliche Position in sein Konzept.

94

2 Der unendliche Begriff

2.4 Dialektik, Spekulation und Negation (4) Dass es Hegel tatsächlich um eine Aufhebungsbewegung (mit kritischen und affirmativen Aspekten) der Kritik Jacobis geht, zeigt sich an den am Ende des Vorbegriffs präsentierten Formen des Vernünftigen: dem Dialektischen und Spekulativen, welche sich nicht nur zufällig in ihrer Stoßrichtung der Begriffskritik Jacobis anschließen. Das abstrakt Verständige als das „Denken als Verstand“ bleibt bei der festen Bestimmtheit – dem Bedingten – stehen, weil ihm, dem Verstand, dasjenige „als für sich bestehend und seiend“ gilt, auf das er sich bezieht. Der Verstand verhält sich zu seinen Gegenständen „trennend und abstrahierend“ und fixiert sie als endliche. Wie Jacobi, der die Vereinigung von Grund und Ursache, d. h. die Erforschung dieser Bedingungen in der Natur, nicht nur für legitim, sondern für unerlässlich hält, spricht Hegel dem Verstand in speziellen Gebieten wie Kunst, Religion, Recht etc. zunächst generell einen positiven Sinn zu, der darin besteht, den Unterschied festzuhalten und vor allem den Gedanken „in seiner vollen Präzision“ aufzufassen, um es nicht beim „Vagen und Unbestimmten“ bewenden zu lassen. (E1S, § 80 Z) Die Begrenzung des Verstandes besteht im Grunde aber darin, selbst auf das Begrenzte fixiert zu sein und darin die Wahrheit zu suchen. Er ist die Denkform des Endlichen. Das Ungenügen hat Jacobi in seiner Begriffskritik gezeigt. Die zwei anderen Formen, die Hegel im Vorbegriff einführt – das Dialektische und das Spekulative –, bilden im Überstieg über den Verstand gemeinsam das Verfahren des unendlichen Begriffes und damit der Vernunft, die ebenso wie die Vernunft bei Jacobi der Wahrheit im höheren Sinne gerecht werden soll. Fixierung der Trennung und der Gegensätze ist der Mangel des Verstandes, den die spekulative Vernunft dadurch beheben soll, dass sie die Gegensätze als dialektische verflüssigt und als spekulative in ihrer Einheit aufzeigt. Bewegung kommt mit dem dialektischen Moment insofern in den Begriff, als es das „eigene Sichaufheben solcher endlichen Bestimmungen und ihr Übergehen in ihre Entgegengesetzen“ ist. Dieses Aufheben macht den „Skeptizismus“ aus, weil es nur „die bloße Negation als Resultat des Dialektischen“ enthält. Das Dialektische rückt Hegel jedoch explizit als Angelpunkt für das wahrhafte Erfassen des Wirklichen ins Zentrum der Aufmerksamkeit, weil es „dieß immanente Hinausgehen“ ist, worin die Einseitigkeit und Beschränktheit der Verstandesbestimmungen sich, als das was sie ist, nämlich als ihre Negation, darstellt. Alles Endliche ist dieß, sich selbst aufzuheben. Das Dialektische macht daher die bewegende Seele des wissenschaftlichen Fortgehens aus, und ist das Princip, wodurch allein immanenter Zusammenhang und Nothwendigkeit in den Inhalt der Wissenschaft kommt, so wie in ihm überhaupt die wahrhafte nicht äußerliche Erhebung über das Endliche liegt. (E, 119 (§ 81 A))

2.4 Dialektik, Spekulation und Negation (4)

95

Hegel nennt das dialektische Moment zudem „das Prinzip aller Bewegung, alles Lebens und aller Betätigung in der Wirklichkeit“, das keinesfalls mit einer „Sophistik“ oder einem „subjektiven Schaukelsystem von hin- und herübergehenden Räsonnement“ zu verwechseln ist. (E1S, § 81 Z1) Die Dialektik rückt in solch eine Schlüsselposition, insofern Hegel das skeptische Moment nicht nur in das vernünftige Denken als eine hinterfragende Position aufnimmt, die darauf setzt, „daß das eine oder das andere Bestimmte“ sich als „ein Festes und Wahrhaftes ergeben werde“. Die Philosophie als Dialektik ist nunmehr überhaupt „die vollkommene Verzweiflung an allem Festen des Verstandes“ (E1S, § 81 Z2) und hat darin ihren Modus geändert. Positionen werden nicht nur als „abstrakte Negationen“ gegeneinander abgewogen, sondern die Negation wird selbst zur Position erhoben.³⁶ Die Negation als die Grundoperation in Hegels System wird mit diesem Schritt zum Grundmodus des Systems selbst. Ihre Bedeutung kann für die Entfaltung des Systems nicht überschätzt werden.³⁷ Mit diesem Moduswechsel ist gesagt, dass Wahrheit nicht mehr innerhalb der fixen Abgrenzung der verschiedenen Positionen des Verstandes in einer Position unter anderen gesucht wird, sondern jetzt Wahrheit überführt ist in die Bewegtheit der Positionen selbst, die in ihr Gegenteil umschlagen. Negation wird insofern zur Position bzw. zum Modus, als die Bewegtheit der Positionen als Negativität schlechthin gefasst werden kann. Damit jene Verflüssigung nicht jedoch in ein Nichts mündet, weil über eine Bewegtheit der Positionen nichts bleibt, ist von jenem Bewegungsmoment der Dialektik das Einheitsmoment der Spekulation nicht zu trennen. Das bildet das dritte Moment der Formen des Logischen. Dieses fasst die „Einheit der Bestimmungen in ihrer Entgegensetzung“, die in der Negativität der Dialektik bereits insofern impliziert ist, als diese überhaupt nur die „Negation von gewissen Bestimmungen“ war, „welche

 Vorher argumentierten die Skeptiker, dass das Denken in Unbestimmtheit endet, weil schon die Negation ins Nichts führt. Hegel sieht dem entgegen in der Negation gerade umgekehrt das Mittel, Unbestimmtheit aufzuheben (vgl. Iber [1990]: Metaphysik absoluter Relationalität, 221). Negation bedeutet für ihn nicht Aufhebung „im Sinne von Elimination, sondern Aufhebung im Sinne von Differenzierung. Die Grundbedeutung des Hegelschen Negationsbegriffs ist Unterscheiden, Differenzieren, Ausgrenzen oder Bestimmen […].“ (Iber [1990]: Metaphysik absoluter Relationalität, 222)  „So ist also jener abstrakte Ausdruck, der viele Bestimmungen hat, die einzige Basis für die Entfaltung einer philosophischen Theorie und jener Begriffsstruktur, der Hegel den Namen ‚Idee‘ gegeben hat und die seiner Meinung nach allein geeignet ist, Wirkliches in dem ihm eigenen Zusammenhang vollständig zu begreifen.“ (Henrich [1974]: Formen der Negation in Hegels Logik, 245)

96

2 Der unendliche Begriff

im Resultate eben deswegen enthalten sind, weil dieß nicht ein unmittelbares Nichts, sondern ein Resultat ist“. (E, 120 (§ 82 A))³⁸ Das konkrete – also nicht an Gegebenheiten ausgerichtete – und spekulative – d. h. die Einheit in den Unterschieden ausfaltende – Denken hat im Selbstbezug auf sich selbst sich als das Unendliche so zu begreifen, dass jene schon in der Phänomenologie des Geistes abgebauten Oppositionen wie die zwischen Endlichem und Unendlichem, Einzelnen und Allgemeinem, Begriff und Wirklichkeit auf eine Weise im Unendlichen enthalten sind, dass zwar ihre fixen Bedeutungen in der Bewegung aufgelöst, jedoch in der Einheit zugleich komplexer wiederhergestellt sind. Nur so lässt sich sicherstellen, dass die Differenzen in ihrer Einheit gefasst und präzisiert, nicht aber die Differenzen ihrer Differenz beraubt werden. Diesen intrinsischen Zusammenhang von Einheit, Differenz und Bewegung erkennt das Verstandesdenken, „das in den Stoff nur versenkt ist“, nicht. Hegel nennt es „materielles Denken“ (PG, 41).³⁹ So gesprochen hat Spinoza in Hegels Augen eine Metaphysik des materiellen Denkens entworfen, nämlich indem er die Versenkung in den einen Stoff, d. h. die Substanz, zum Prinzip macht und die Konsequenzen daraus bestimmt. Indem Spinoza damit aber eine Metaphysik der einfachen Negativität formuliert, konnte er die Bestimmtheit der Wirklichkeit nur auf ein Modell zurückzuführen, welches keine Dynamik in der Bestimmung der Wirklichkeit erlaubt. Es arbeitet lediglich mit einem ‚einfachen‘ Grund für die Bestimmtheit und fixiert sie darin. Dagegen soll das ‚begreifende Denken‘ seinen Inhalt an sich selbst haben und die eigene Negativität des Inhalts erfassen, die die wahre Natur und überhaupt das bewegende Prinzip des Denkens ist. Damit wird das Denken zur Sache, das Denken selbst zum Grund und der Grund durch die Bewegtheit des Denkens dynamisiert. Dieser Sachverhalt lässt sich so reformulieren, dass die abstrakte Negation des Verstandes in die konkrete Negativität der Vernunft überführt werden muss, indem der Verstand sich selbst reflektiert. Die trennende Negativität des Ver-

 Die Phänomenologie des Geistes stellt eine detaillierte Demonstration des Scheiterns der verständigen Suche nach einer Position dar, die einerseits jene Dialektik demonstriert und andererseits die Wahrheit dieses dialektischen Standpunktes ausweisen will. Die Wissenschaft der Logik buchstabiert diese Dialektik aus und entfaltet zudem das spekulative Moment der Einheit in verschiedensten Einheitsbegriffen. Die Enzyklopädie dagegen will die Modi des Denkens in ihrer Struktur im Vorbegriff ausweisen und in der Durchführung des Systems in ihrer Wahrheit erweisen.  Das materielle Denken ist das endliche Denken, das sich nur äußerlich auf die Dinge bezieht. Auch wenn Hegel hier schreibt, dass es in den Stoff versenkt ist, so meint dies keinesfalls, es wäre bei der Sache. Die Endlichkeit des Denkens verhindert definitiv das adäquate Erfassen der Wirklichkeit.

2.5 Negation der Negation (5)

97

standes hebt sich durch ihren Widerspruch hindurch selbst auf, indem sie sich reflektiert und in der Konsequenz ‚aufhebt‘. Die schon nahmhaft gemachte Reflexion ist dieß, über das concrete Unmittelbare hinaus zu gehen, und dasselbe zu bestimmen und zu trennen. Aber sie muß eben so sehr über diese ihre trennenden Bestimmungen hinausgehen, und sie zunächst beziehen. Auf dem Standpuncte dieses Beziehens tritt der Widerstreit derselben hervor. Dieses Beziehen der Reflexion gehört an sich der Vernunft an; die Erhebung über jene Bestimmungen, die zur Einsicht des Widerstreits derselben gelangt, ist der große negative Schritt zum wahrhaften Begriffe der Vernunft. (WL12, 30)

Jener im „Beziehen“ erreichte wahrhafte Begriff der dialektisch-spekulativen Vernunft ist eine aus der Vermittlung der Negativität des Begriffes hervorgegangene und in der Vermittlung der Negativität des Begriffes bestehende Vernunft, die nicht mehr genötigt ist, im Rekurs auf die Unmittelbarkeit des Glaubens die Endlichkeit des Verstandes zu überwinden. Die Vermittlung der Negativität wird von Hegel als Negation der Negation gedacht, d. h. als reine Selbstbezüglichkeit.⁴⁰

2.5 Negation der Negation (5) Für dieses spekulativ-dialektische Vernunftsystem ist Negativität ein zentraler Term, der nicht nur überall in Hegels Schriften auftaucht, sondern die Grundstruktur des Systems definiert.⁴¹ Die Selbstreflexion des Denkens ist eine Selbstreflexion der Negativität, die sich in der Vernunft selbst zur Position macht. Dies lässt sich auch in negationstheoretischen Termini darstellen. Dialektik und Spekulation sind dabei selbst nur Ausformulierungen der Negativität. Ein erstes elementares Moment ist die intrinsische Verbindung von Bestimmtheit und Negativität. So lässt sich sagen, dass die Bestimmtheit und die Bewegung des Denkens, das auf keine Inhalte von außen rekurrieren darf, aus der Negativität des

 Es ist grundsätzlich bemerkenswert, dass der erste Gedanke der Wissenschaft der Logik ‚Sein‘ oder ‚reine Unmittelbarkeit‘ (WL2, 252) von Hegel gedacht wird als Beziehung auf sich selbst bzw. reine Selbstbeziehung – d. h. unter Ausschluss jeglicher Fremdbeziehung. „So scheint Selbstbeziehung der erste und ursprüngliche Gedanke der Logik zu sein.“ (Henrich [1974]: Formen der Negation in Hegels Logik, 255) – D. Henrich entwickelt in einem anderen Aufsatz den Anfang der Logik tatsächlich auch als schon dort vorhandene Selbstbezüglichkeit der Negativität (vgl. Henrich [2010]: Anfang und Methode der Logik, 88).  C. Asmuth sieht auch die Problemgenese mit Spinoza verbunden. Er weist zudem für die Erarbeitung des eigenen Verständnisses von Negativität auf die Auseinandersetzung Hegels mit Fichte und Schelling (vgl. Asmuth [2007]: Negativität).

98

2 Der unendliche Begriff

Denkens selbst resultieren.⁴² Es lässt sich jedoch genauso der umgekehrte Weg einschlagen. Die Negativität ist mit der Bestimmtheit überhaupt gegeben. Mit anderen Worten: Bestimmtheit und Negativität stehen in keinem Bedingungsverhältnis, sondern sind lediglich verschiedene Beschreibungsebenen ein und derselben Sache, die Hegel als Inhalt und Form unterscheidet sowie als Methode des Inhalts und der Bewegung verstanden wissen will. Ein weiteres zentrales Moment dieser negativitätstheoretischen Explikation ist das Umschlagen der Negativität in Selbstbezüglichkeit. Diese Selbstbeziehung der Negativität ist eine Negation der Negation und wird von Hegel auch als absolute Negativität bezeichnet, die sich – die einfache Negation Spinozas überwindend – als das Zentrum der hegelschen Subjektmetaphysik erweisen wird. Wie ist dies zu verstehen? Ausführlich beschreibt dies Hegel am Ende der Wissenschaft der Logik im Kapitel über die absolute Idee.⁴³ Er enthüllt hier die (spekulativ-dialektische) Logik, die alle Bestimmung und Bewegung des Begriffes immer schon fundiert und dynamisiert, gehalten und getrieben hat. Indem Hegel diesen Prozess in seiner Form zum Gegenstand der Ausführungen macht, gibt er auch Aufschluss über Funktion, Form, Grund, Entwicklung und Vollendung der Negativität. Wovon ausgegangen wird, „sind die Bestimmungen des Begriffes selbst und deren Beziehungen“. (WL2, 239) Weil es eine universale Methode (der Wissenschaft der Logik) sein muss, die für jede Bestimmung an jeder Position der Logik ihre Gültigkeit haben soll⁴⁴, kann es sich Hegel leicht machen: Es kommt nicht darauf an, mit der richtigen Bestimmung anzufangen, sondern darauf, überhaupt anzufangen. (WL2, 239) „Weil er der Anfang ist, ist sein Inhalt ein Unmittelbares“ (WL2, 239), d. h. ein zwar nicht sinnliches, aber in einer Denkbestimmung Gegebenes, „ein einfaches und allgemeines“ (WL2, 239) – und gerade darin von aller Negation Freies. Die erste Negation besteht nun nicht darin, dass diese erste Bestimmung gleichsam probehalber negiert wird, um weitere Be-

 Negation (als Operation) ist die Minimalbedingung des Denkens. Soll es Inhalte haben bzw. sich von einer Bestimmung zu einer anderen Bestimmung fortbewegen, so ist dies nur denkbar, insofern die eine Position die andere nicht ist. Denken muss also über einen Operator der Negation verfügen, wenn überhaupt etwas gedacht werden soll (vgl. dazu Utz [2001]: Die Notwendigkeit des Zufalls, 71 ff).  Dieses Kapitel wird auch als das Methodenkapitel bezeichnet, insofern Hegel hier keine Bestimmungen des Inhalts verhandelt, sondern eben jene Methodenreflexion durchführt und, wie er sagt, nur „das Allgemeine seiner Form, – das ist, die Methode“ zum Gegenstand hat. (WL2, 237)  Hierbei darf natürlich die Methode nicht so verstanden werden, dass sie unabhängig vom Begriff oder vor dem Begriff in irgendeiner Weise vorhanden wäre, sodass der Begriff für seine Entwicklung auf diese Methode zurückgreifen könnte, um sie auf Bestimmungen anzuwenden und Resultate zu erzielen. Diese Äußerlichkeit kann keinesfalls auf die Methode des Begriffes zutreffen (vgl. WL2, 237 f).

2.5 Negation der Negation (5)

99

stimmungen zu gewinnen. Die Negation ist vielmehr im Anfang selbst enthalten, denn das Erste ist selbst ein Konkretes und „als Concretes in sich unterschieden“. (WL2, 241) Das heißt also: Ist der Anfang oder die erste Bestimmung eine bestimmte, so ist sogleich die erste Einfachheit und Unmittelbarkeit als Trug entlarvt.⁴⁵ Die Bestimmtheit ist selbst „das Hervortreten der Differenz“ (WL2, 241) und insofern je schon mit Negativität affiziert. Ohne auch nur etwas appliziert zu haben oder von anderer Stelle hernehmen zu müssen, hat sich das Erste zu einem Zweiten in Beziehung gesetzt, von dem es sich unterscheiden muss (denn es ist ja ein anderes), um selbst überhaupt ein Erstes sein zu können. Hier liegt also zunächst bestimmte Negation vor, die besagt, dass die erste und zweite Bestimmung zwar in einer negativen Beziehung zueinander stehen – „das zweyte, das hierdurch entstanden, ist somit das Negative des Ersten und […] das erste Negative“.⁴⁶ (WL2, 244) Doch ist das Resultat dieser Negation nicht das Nichts oder eine Unbestimmtheit, sondern eine konkrete, von der ersten Bestimmung bestimmte zweite Bestimmtheit. Das Zweite ist „das Andere des Ersten“ und „enthält überhaupt die Bestimmungen des Ersten in sich“. (WL2, 245) Das Erste ist somit vom Zweiten nicht nur unterschieden, sondern das eine ist „wesentlich im Anderen aufbewahrt und erhalten“. (WL2, 245).⁴⁷ Das Erste, der Anfang, ist also weder nur (wenngleich auch) isoliert und einfach noch nur (wenngleich auch) auf ein anderes bezogen. Das Zweite ist zudem auch nicht nur (wenngleich auch) das Vermittelte.Vielmehr sind beide reziprok miteinander vermittelt, in deren Vermittlung keines als die Wahrheit und das andere als das Abgeleitete festgehalten werden kann. Beide sind „an und für sich selbst das Uebergehen“ (WL2, 244), denn die Wahrheit ist vielmehr eine Beziehung oder Verhältniß; denn sie [die zweite Bestimmung, D. A.] ist das Negative, aber des Positiven und schließt dasselbe in sich. Sie ist also das Andre nicht als von einem, wogegen sie gleichgültig ist, so wäre sie kein Anderes, noch eine Beziehung oder Verhältniß; – sondern das Andre an sich selbst, das Andre eines Anderen; darum schließt sie ihr eigenes Andres in sich, und ist somit als der Widerspruch die gesetzte Dialektik ihrer selbst. (WL2, 245)

 Dass hier in nuce auf höchster Ebene das unmittelbare Wissen Jacobis als ebensolcher Trug logisch zwingend nachgewiesen werden soll, liegt auf der Hand.  Die bestimmte Negation ist damit ein Ausdruck der Immanenz des Denkens. Alternativlosigkeit ist Resultat der bestimmten Negation (vgl. Utz [2001]: Die Notwendigkeit des Zufalls, 77).  Dabei spricht dieser Gedanke die Einsicht aus, dass ein anderes nur dann anderes ist, wenn es erstens nur insofern ein Unterschiedenes ist, wie es zugleich ein Identisches, und zweitens nur insofern als ein Identisches angesprochen werden kann, wie es zugleich ein Unterschiedenes ist, jedoch drittens beides zu unterscheiden ist. Das andere ist darum also ein anderes zu nennen, weil es konstitutiv überhaupt nur diesen Widerspruch in sich trägt bzw. dieser Widerspruch ist, beides – Unterschied und Identität – zugleich zu sein und nicht zu sein.

100

2 Der unendliche Begriff

Was hier so verwickelt daherkommt, macht für Hegel den „Wendungspunkt der Bewegung des Begriffes aus“, denn es ist „der einfache Punkt der negativen Beziehung auf sich“. (WL2, 246) Das heißt: Indem sich beide Bestimmungen als nur dann wirklich bestimmt zeigen, wenn sie aus dieser Vermittlungsbewegung verstanden werden, kollabieren die jeweiligen Positionen vollständig in die Vermittlungsbeziehung der Negativität, die nicht von einem (fixen) Ersten zu einem (fixen) Zweiten überleitet, sondern sich mit sich vermittelt. Das Erste und Zweite sind überhaupt nur in der Bewegung zu denken, als die sich die Negativität selbst zeigt. Ist die Negativität das eigentlich Fundierende, entstehen die Momente der Bewegung nur in der Selbstbeziehung der Negativität, die daraus alle Bestimmtheit generiert: Hegel nennt es „das Andre an sich selbst, das Andre eines Anderen“ (WL2, 245), das als sich bewegender Widerspruch zu fassen ist, der das Erste und Zweite differenziert (das dialektische Moment), aber auch zugleich in eine Einheit zusammenführt (das spekulative Moment). Dieses Zugleich von Differenz und Einheit hat nur in der dynamischen Beziehung der Negation auf sich Bestand und bildet den Kern des Spekulativen.⁴⁸ Weder die Negation noch die Negation der Negation sind bei Hegel als isolierbare Operationen oder als zur Verfügung stehende Werkzeuge zu verstehen, mit denen man ein Gegebenes bearbeitet. Vielmehr sind sie – wie es die Absicht des Methodenkapitels ist – schon je als Formen jeden Inhalts zu begreifen, die nur explizit gemacht werden müssen, um sie zu reflektieren. Die Negation muss also durch keine andere Form der Negation ergänzt werden, um die Negation der Negation zu erhalten. Die Negation bzw. vielmehr der Inhalt selbst bewegt sich an sich selbst so, dass die Negation der Negation an der Negation bzw. am Inhalt

 Es ist entscheidend festzuhalten, dass im Spekulativen also nicht widersprüchliche Begriffe einer logischen Deduktion ähnlich in eine sie verbindende Einheit überführt werden, die am Ende der Bewegung die höchste wäre. Eine solche Einheit würde dem Widerspruch enthoben und damit der Spekulation vollständig entgegen sein. Ein solches Verständnis der absoluten Negativität widerspricht schon der in ihr implizierten Einheit von Einheit und Differenz, die in der selbstbezüglichen Negativität Bestand hat und also nicht den Widerspruch (zwischen erstem und zweiten Moment) einfach auflöst (vgl. Henrich [1978]: Hegels Logik der Reflexion (NF), 220). – Die Dynamik der selbstbezüglichen Negativität kann in seiner Komplexität nicht im einfachen Urteil festgehalten werden. Hegel erläutert dies vorerst so, dass das Spekulative „jene Gegensätze, bei denen der Verstand stehenbleibt“, zwar „als aufgehoben in sich enthält und eben damit sich als konkret und als Totalität erweist“. Doch „ein spekulativer Inhalt kann deshalb auch nicht in einem einseitigen Satz ausgesprochen werden. Sagen wir z. B., das Absolute sei die Einheit des Subjektiven und des Objektiven, so ist dies zwar richtig, jedoch insofern einseitig, als hier nur die Einheit ausgesprochen und auf diese der Akzent gelegt wird, während doch in der Tat das Subjektive und das Objektive nicht nur identisch, sondern auch unterschieden sind.“ (E1S, § 82 Z)

2.5 Negation der Negation (5)

101

sichtbar wird.⁴⁹ Diese spekulative Figur expliziert somit den Umstand, dass sich zwei Bestimmungen erst dann widersprechen und nicht nur gleichgültig nebeneinander stehen, wenn sie doch auch gleich, d. h. in eine Einheit integriert sind. Der Widerspruch der Bestimmungen bedarf also seiner Aufhebung in der ihn integrierenden Einheit, damit er überhaupt möglich ist. Kurz: nur als aufgehobener ist er wirklich. Im Widerspruch (zweier Bestimmungen) ist daher die Auflösung des Widerspruchs impliziert, jedoch nicht begriffen, oder – wie Hegel es nennt – noch nicht ‚gesetzt‘. Erst in der Negation der Negation wird die Einheit begriffen. Die Negation der Negation ist damit das Fassen des Entgegengesetzten in seiner Einheit. Das spekulativ-dialektische Moment ist „der innerste Quell aller Thätigkeit, lebendiger und geistiger Selbstbewegung, die dialektische Seele, die alles Wahre an ihm selbst hat, durch die es allein Wahres ist“. (WL2, 246) Die Negation und die Negation der Negation sind so gesehen auch in keiner Hinsicht eine Vernichtung von Bestimmtheit, sondern Bewegung, Anreicherung und Ausdifferenzierung.⁵⁰ Negation der Negation ist zwar negative Selbstbeziehung. Aber nur dadurch ist Affirmation möglich.⁵¹ Durch die Selbstbezüglichkeit der Negation

 Hegel illustriert diesen Gedankengang alternativ auch folgendermaßen: „Es ist die eigenthümliche Gedankenlosigkeit der Abstraction, zwei solche widersprechende Sätze als Gesetze nebeneinanderzustellen, ohne sie auch nur zu vergleichen. […] A soll entweder +A oder -A seyn; damit ist schon das Dritte, das A ausgesprochen, welches weder + noch – ist, und das eben sowohl auch als +A und als -A gesetzt ist.“ (E, 150 (§ 119 A)) Die Negation der Negation enthüllt also das A als Einheit von +A und -A, indem sie den Gegensatz, also die Negation von +A und -A selbst negiert. Die doppelte Negation fördert somit zu Tage, dass im Gegensatz der bestimmten Negation schon immer die Einheit beider vorhanden war.  Die Negation der Negation umfasst für C. Iber zwei Aspekte. Mit Negation der Negation kann erstens die selbstbezügliche Negation als solche verstanden werden, die durch ihren negativen Selbstbezug ausgezeichnet ist. Zweitens ist Negation der Negation auch das Resultat der Negation der negativen Selbstbeziehung selbst und damit Herstellung der affirmativen Selbstbeziehung. Der erste Aspekt ist als der „negative Prozeßsinn“ der Negation der Negation zu verstehen, der zweite hingegen als „affirmativer Resultatssinn“. (Iber [1999]: Subjektivität, Vernunft und ihre Kritit, 168) Diese Differenzierung ist der Anschaulichkeit halber hilfreich, wird doch Negation der Negation von Hegel in beiden Bedeutungen (undifferenziert) verwendet.  Diese Affirmation hat jedoch rein gar nichts mit der Affirmation der Selbstbezüglichkeit der Negation in der formalen Logik zu tun, die auch keine wirkliche Selbstbezüglichkeit ist. Denn im Sinne der aussagenlogischen Negation hebt eine weitere Negation die erste bloß auf. Dies wird ebenso als Affirmation verstanden. Dies wäre also keine Selbstbezüglichkeit der Negativität, sondern lediglich ein Hintereinanderschalten von einfachen Negationen. Es wäre einmal mehr eine Negation der Position. Dabei ergibt sich eine weitere entscheidende Differenz zur aussagenlogischen Negation. Denn „die Selbstbeziehung der Negation hat etwas von ihr Verschiedenes, die Affirmation, zu ihrer Folge. Was im natürlichen und aussagenlogischen Gebrauch bei der Verdoppelung der Negation vorausgesetzt ist, die Affirmation, wird im spekulativen Gebrauch zu einem Resultierenden.“ (Iber [1990]: Metaphysik absoluter Relationalität, 226)

102

2 Der unendliche Begriff

wird das Denken nicht in einen Strudel der bloßen Zerstörung hineingerissen, sondern überhaupt in die Möglichkeit gesetzt, sich zu einem kohärenten und konsistenten Ganzen auszubilden. Das Ganze selbst ist dann überhaupt nur zu denken als diese Negation der Negation.⁵² Durch den Fortgang vermittels der Negation erreicht Hegel dreierlei. Die oben als Konsequenz der Identität aufgezeigte Kohärenz und Immanenz kommen erstens nur dadurch als notwendig zustande, dass die Identität des Denkens selbst eine der Negativität ist. Erst das Negative bringt kohärente und immanente Bewegung hervor. Weiter folgt aus der Absolutheit der Negativität, dass es keinen Gedanken ohne Bestimmung und keine Bestimmung außerhalb des Ganges des Begriffes geben kann. Die Bestimmung muss sich innerhalb der Identität des Denkens ergeben.⁵³ Drittens ist dieser Gang und nur dieser Gang des Denkens in seiner Charakteristik als sich durch die Negation immer weiter ausdifferenzierende Bewegung des Begriffs in seiner Konstitution konkret. Anschließend an die Diskussion um das richtige Verständnis der Identität kann man hier auch sagen, dass erst das unendliche Denken als sich auf sich selbst beziehende Negativität eine in sich ausdifferenzierte und mit sich identische Einheit schafft, die Hegel als diese konkrete Identität bezeichnet wissen will. In der Negation der Negation erweist sich das unendliche, bei-sich-seiende, mit sich identische Denken als sich immer weiter bestimmend, Inhalt gewinnend und damit das abstrakte Denken überwindend, welches durch seine ihm zur Verfügung stehenden Mittel den Inhalt verlieren muss. Das wahrhaft Seiende ist damit der eine, durch die dialektischspekulative Negation der Negation in sich geschlossene, zudem vollständig erschlossene und vermittels der Identität und Immanenz notwendig ausdifferenzierte ‚konkrete Begriff‘. Dieser ist in der Lage, Unendliches zu fassen, denn er ist das Unendliche selbst, das sich selbst weiterbestimmt zu einem konkreten Inhalt, der sich aus der Bewegung des Begriffes notwendig ergibt. Aufgrund der absoluten Identität sowie der daraus folgenden Immanenz und Kohärenz des Begriffes ist die Selbstbestimmung des Begriffes keine Angabe von Bedingungen zum Unbedingten, die den Begriff selbst in ein Bedingtes verwandelte, so wie es noch Jacobis Begriffskritik formulierte. Qua Selbstbestimmung ist die Ausdifferenzierung zwar notwendig, jedoch keine Einschränkung, sondern eine Entfaltung, die nicht nur vor dem Hintergrund der Spinoza-Kritik Jacobis explizit als frei gedacht werden soll, sondern in der zugleich auch alle Bestimmungen wie insbesondere die von Einzelheit und Individualität in einem Gang hervorgehen. Diese Entfaltung ist in ihrer Immanenz und Kohärenz kein Schritt in den Begriffsdogmatismus, sondern

 Vgl. dazu das nächste Kapitel: Die absolute Subjektivität.  Vgl. Utz [2001]: Die Notwendigkeit des Zufalls, 25.

2.5 Negation der Negation (5)

103

im Gegenteil qua Negativität die Ausformulierung einer radikalen Zersetzung. Rechtfertigung wird zwar in die Selbstreflexivität des Begriffes verlagert, die alle Bestimmtheit aus sich produziert und nur als diesen absoluten Verweisungszusammenhang Gültigkeit zuspricht. Aber mit dieser Konstruktion geht immer die Kritik des Konstruierten Hand in Hand. Produktion neuer Bestimmungen ist auch Kritik alter Bestimmungen. Jedes Setzen ist auch ein Zersetzen.⁵⁴ Entgegen Jacobis Begriffskritik sollen hier nicht „Zeichen und Worte die Stelle der Substanzen und Kräfte vertreten“ (SB, 249), weil das spekulative Projekt selbst die Kritik der Substanzen und Kräfte ist. Der Begriff vertritt daher nicht eine Wirklichkeit, sondern ist als Bewegung der Negativität Inbegriff der Infragestellung aller Ansprüche auf Repräsentation von Wirklichkeit. Indem der spekulativ-dialektische Begriff im Kern in reine Negativität überführt wird, indem die Negation selbst zur alleinigen Position wird, ist aus Hegels Sicht das Begründungsproblem in Spinozas Substanzmetaphysik überwunden und zudem grundsätzlich eine Absage an Jacobis Unmittelbarkeit erteilt. Hegel lehnt eine Stillstellung der Vermittlung des Begriffes bzw. des Denkens in einem bewusstseinstranszendenten Sein oder Subjekt oder einer sinnlichen Unmittelbarkeit, d. h. in einem den Sinnen gegebenen Objekt, oder in einer übersinnlichen Instanz, d. h. in einem Gott, einem Selbst oder einer Natur ab.⁵⁵ Mit anderen Worten gesagt, schließt Hegel eine ontologisch relevante Realität außerhalb des Begriffes aus. Indem Spinozas Substanz dergestalt bei Hegel in den spekulativ-dialektischen Begriff transformiert wird, ist Jacobis Spinoza-Kritik aus der Sicht Hegels auf sein System nicht mehr anwendbar. Denn der unendliche Begriff ist nicht nur das lebendige Unbedingte, das sich als selbstbezügliche Negativität gezeigt hat, sondern zeigt sich auch in der Lage, Einzelheit als freie und selbstständige zu denken. Dies gilt es jetzt näher zu beleuchten.

 Vgl. Gamm [1997]: Der deutsche Idealismus, 27. Zum Gedanken der Reflexivität des Denkens bei Hegel bzw. dem deutschen Idealismus allgemein die Einleitung dieses Titels.  Vgl. Gamm [1997]: Der deutsche Idealismus, 25.

3 Die absolute Subjektivität Der freiheitstheoretische Aspekt oder die Frage nach dem Unbedingten 3.1 Absolute Negativität Rein selbstbezügliche Negation Hegels spekulatives Projekt, Substanz ebensosehr als Subjekt zu denken, hat mit dem unendlichen Begriff als spekulativ-dialektische Realisierung der neuen Ansicht des Logischen eine erste Kontur erhalten. Damit wurde zugleich der Anspruch Hegels unterstrichen, mittels der Neuformulierung der Negativität vor allem den von Jacobi favorisierten Sprung in die Unmittelbarkeit auszuhebeln sowie die Überwindung der Mängel in Spinozas System zumindest vorzubereiten. Als Grundlage hierfür erweist sich die spekulativ-dialektische Struktur des Begriffes, insofern sich die Negativität als der Grundmodus des Wahren, d. h. des Begriffes, als unabwendbar zeigt. Die bis hierher dargelegte spekulative Logik gibt jedoch noch nicht die theoretischen Mittel an die Hand, Subjektivität oder das Ich als den „daseienden Begriff“ zu denken, wie es in Hegels Projekt angelegt ist. Die Anbindung des Begriffs bzw. der Negativität an die Bewusstseinsproblematik muss daher noch freigelegt werden.¹ Dass aber die Verbindung von Begriff und Subjektivität für Hegel grundsätzlich eine intime ist, wird aus der Programmatik selbst deutlich, die besagt, dass der Begriff aufgrund seiner Struktur als Subjektivität zu denken ist. Hegel macht dies an anderen Stellen immer wieder klar. So ist für Hegel der Begriff der „zu seiner Subjectivität befreyte Begriff“ (WL2, 176), und mehr noch: Hegel redet vom objektiven Begriff, „der als Person undurchdringliche, atome Subjectivität ist“. (WL2, 236) Hegel ist der Überzeugung, „daß das Allgemeine in seiner Wahrheit als Subjektivität, als sich bewegender, tätiger und Bestimmungen setzender Begriff aufzufassen ist“. (E1S, § 232 Z) Aufgrund dieser strukturellen Verfasstheit zieht Hegel auch Konzepte wie Ich heran, um den Begriff  W. Bonsiepen, der die Entwicklung des Begriffes der Negativität in den Jenaer Schriften untersucht hat, kam zu folgendem Ergebnis: „Aus den bisherigen Überlegungen geht hervor, daß spätestens in der Realphilosophie der Begriff der Negativität so sehr mit der Selbstbewußtseinsproblematik verbunden ist, daß die Frage nach dem Wesen von Negativität nicht mehr von der Frage nach dem Wesen des Selbsts getrennt werden kann. Gleichzeitig wird deutlich, daß beide Begriffe – Selbst und Negativität – zur Sicherung ihres wahren Verständnisses der Dialektik bedürfen. Eine Einheit von Negativität und Sittlichkeit trat schon im System der Sittlichkeit auf.“ (Bonsiepen [1977]: Der Begriff der Negativität, 119) DOI 10.1515/9783110554328-006

3.1 Absolute Negativität

105

als bei-sich-seienden zu charakterisieren, der „nichts anderes als Ich oder das reine Selbstbewußtseiyn“ ist. (WL2, 17)² Andererseits ist der so konzipierte Begriff Paradigma für das endliche Ich, sodass Hegel sogar sagen kann: „Ich ist der reine Begriff selbst, der als Begriff zum Daseyn gekommen ist.“ (WL2, 17) – Allein aus diesen wenigen verstreuten Bemerkungen geht hervor, dass Hegel nicht nur an der Aufklärung von Subjektivität im allgemeinen gelegen ist, sondern immer auch den Bezug zum endlichen Subjekt im Blick hat, um dessen Freiheit es letztlich gehen muss.³ Einen entscheidenden Schritt zur Freilegung von Subjektivität tut Hegel, indem er Negativität und Negation der Negation nicht bloß als Form der Begriffsbestimmungen, sondern als Form des Begriffes überhaupt fasst.⁴

 Wichtig ist hier aber festzuhalten, dass Hegel die Subjektivität, die er in der subjektiven Logik am Begriff und der Idee zur Sprache bringt, nicht mit dem Phänomen des Ich einfach gleichsetzt – und nicht gleichsetzen kann. Subjektivität in der Logik ist aufgrund der ausgeführten Merkmale von Identität und Absolutheit auf kein äußeres Objekt bezogen, wie es das Ich wäre. Hegel unterscheidet also zwischen einer endlichen Subjektivität auf der einen Seite, wie z. B. dem einzelnen Ich, das natürlich qua Bewusstsein auf etwas bezogen ist, aber in der Philosophie des subjektiven Geistes seinen thematischen Ort findet, und der unendlichen Subjektivität auf der anderen Seite, die in der Logik, also den Gegensatz des Bewusstseins hinter sich lassend, in Verbindung mit dem Begriff Gegenstand wird. Es gilt also zu fragen, wie Hegel unabhängig von Bewusstsein Subjektivität begreifen möchte.Welche Strukturen als elementar für die Subjektivität von Hegel angeführt werden, soll hier nähere Erörterung finden.  Spekulative Logik und endliche Subjektivität sind eng miteinander verwoben: „Die spekulative Logik als Theorie der absoluten Subjektivität liegt der Philosophie des subjektiven Geistes als demjenigen Teil der Realphilosophie zugrunde, in dem selbst Subjektivität, nämlich endliche Subjektivität expliziert wird. Der Theorie des subjektiven Geistes kommt daher eine besondere Affinität – bei bleibenden Unterschieden – zur spekulativ-logischen Subjektivitätstheorie zu.“ (Düsing [1990]: Endliche und Absolute Subjektivität, 48) – Indem sich das spekulative Konzept als sehr weitreichend für das Verständnis endlicher Subjektivität erweist, und Hegel tatsächlich die Zusammenhänge zwischen beiden permanent betont und konzeptionell ausarbeitet, kann der von Düsing formulierten (und später revidierten) These nicht zugestimmt werden, dass Hegel nur vorausgesetzt hat, „daß die dialektische Struktur der absoluten Subjektivität das Fundament und das Vorbild für die Struktur des endlichen subjektiven Geistes abgebe“. (Düsing [1991]: Von der Substanz zum Subjekt, 177)  Auch D. Henrich unterscheidet Negation der Negation und absolute Andersheit (vgl. Henrich [1974]: Formen der Negation in Hegels Logik). Allerdings ordnet er Subjektivität als Selbstbeziehung nicht der neuen Form der selbstbezüglichen Negativität (der absoluten Andersheit) zu, sondern der einfachen selbstbezüglichen Negativität, wie wir sie im letzten Kapitel gesehen haben (vgl. Henrich [1974]: Formen der Negation in Hegels Logik, 253 f). Ihm ist insofern zuzustimmen, als Subjektivität bei Hegel zunächst nur formal als Selbstbeziehung bestimmt ist, die auch in selbstbezüglicher Negativität realisiert wird. Wenn in diesem Kapitel die Frage nach der Subjektivität gestellt wird, so geschieht dies auch vor dem Hintergrund der Frage nach explizitem SichWissen und endlicher Subjektivität, die sicherlich nicht in der Logik erschöpfend zu beantworten

106

3 Die absolute Subjektivität

Zunächst ist die Negation der Negation wie oben erläutert ein Organisationsmodell für die Reflexion des Widerspruches (von Bestimmungen), die insofern Methode genannt werden kann, als tatsächlich (alle) Begriffsbestimmungen in der Logik dem Anspruch nach diesem Modell gemäß organisiert sind. Hegel führt das im Methodenkapitel am Ende der Wissenschaft der Logik aus. Die Negation bzw. die Negation der Negation als Teil der dialektischen Methode und damit Kern des Systems ist gekoppelt an ein Substrat, an dem sie sich zeigt und vollzieht. Selbstbezüglichkeit der Negation ist hier zwar etabliert, aber noch nicht im Sinne von Subjektivität – d. h. nicht im Sinne eines reflexiven Sich-Wissens.⁵ Die negative Selbstbeziehung äußert sich so, dass die Bestimmungen das andere ihrer selbst sind. Die Negation als Fremdbeziehung (zwischen zwei Bestimmungen) erweist sich als Negation der Selbstbeziehung (in einer Relation und ihren Relata). Ein Anderes erscheint daraufhin als sein Anderes. Indem nun die Andersheit selbst reflexiv wird und sie nicht ein Anderes zu einem etwas, sondern ein Anderes zu sich selbst ist, ist die Andersheit absolut, d. h. selbstbezüglich geworden. Die absolute Andersheit ist die Selbstreflexion der Negativität selbst. Den Übergang von der Negativität, die an ein Substrat gebunden ist, zur absoluten Negativität vollzieht Hegel am Ende der Begriffslogik im Abschnitt zur absoluten Idee. Die Reflexion der Negativität geht dort über in eine Negativität, die nur noch auf das bezogen ist, was sie selbst ist: nämlich Negativität des Begriffes als solchen, der diese Form nun zu seinem Inhalt macht und mit diesem Schritt „die Methode selbst […] durch dieß Moment zu einem Systeme“ erweitert. (WL2, 249) Die Negation negiert sich nicht in Form von Bestimmungen, sondern als Negativität. Indem sie sich selbst als das

sein wird. Insofern jedoch die Logik die Grundlage für endliche Subjektivität legt, gilt es, die Grundstrukturen der Selbstbeziehung freizulegen.  Hegel stellt den Zusammenhang zwischen Negation, Negation der Negation, absoluter Negativität und Subjektivität her, indem er aber selbst darauf hinweist, dass mit der Negation der Negation zwar eine Selbstbezüglichkeit hergestellt, aber noch keine Subjektivität etabliert ist. Zu Beginn der Seinslogik im Zuge der Dialektik von etwas und anderes schreibt Hegel: „Das Negative des Negativen ist als Etwas nur der Anfang des Subjects; – das Insichseyn nur erst ganz unbestimmt. Es bestimmt sich fernerhin zunächst als Fürsichseyendes und sofort bis es erst im Begriff die concrete Intensität des Subjects erhält. Allen diesen Bestimmungen liegt die negative Einheit mit sich zu Grunde. […] Etwas ist seyend als die Negation der Negation; denn diese ist das Wiederherstellen der einfachen Beziehung auf sich; – aber ebenso ist damit Etwas, die Vermittlung seiner mit sich selbst. Schon in dem Einfachen des Etwas, dann noch bestimmter im Fürsichseyn, Subject u. s. f. ist die Vermittlung seiner mit sich selbst vorhanden, bereits auch im Werden nur die ganz abstracte Vermittlung; die Vermittlung mit sich ist im Etwas gesetzt, insofern es als einfaches Identisches bestimmt ist.“ (WL12, 103 f)

3.1 Absolute Negativität

107

andere ihrer selbst setzt, ist sie selbst absolute Andersheit.⁶ Es vollzieht sich damit erneut ein Perspektivwechsel, der zwei Aspekte vereint. Zunächst ist hier vertiefend von der internen Logik der absoluten Andersheit zu sprechen. Wie gesehen hat das einfache Andere die Negativität bereits in sich. Es ist das Andere nur, insofern es nicht das Eine ist. Fern von aller Selbstbezüglichkeit ist diese Andersheit nur die einfache Negation eines Etwas. Wendet man aber die Andersheit auf sich selbst an (insofern sie als der sich bewegende Widerspruch in den Blick kommt), sodass demnach keine andere Position, sondern die Andersheit selbst negiert wird, so ist diese Figur sich auf sich beziehende und damit absolute Negativität. Es entsteht so die Figur des Anderen des Anderen in reiner Selbstbezüglichkeit. ⁷ Das Andere des Anderen meint zunächst nur, dass das Andere in Beziehung auf sich selbst ein Anderes ist, als es selbst ist.⁸ Die Gleichheit des Andersseins mit sich, die Unmittelbarkeit genannt worden war, ist sogleich ein  D. Henrich schreibt zum Unterschied von Negation der Negation und absoluter Andersheit: „Die Negation kann in Beziehung auf die Negation selber gesetzt werden. Dementsprechend kann also das Andere, da es doch auch ein Gedanke vom Negativen ist, nicht nur in Beziehung auf Etwas gedacht werden, sondern in Beziehung auf das, was in ihm selber gedacht ist: Das andere ist dann das Andere dessen, was es ist, das ‚Andere seiner selbst‘.“ (Henrich [1974]: Formen der Negation in Hegels Logik, 250) Der Unterschied zur Negation der Negation: „Zunächst muß man beachten, daß sie in einem Gedanken von Negation zum ersten Male Selbstbezüglichkeit herstellt. Die Negation der Negation in der Aussage darf nämlich keineswegs als Selbstbeziehung der ersten Negation gedeutet werden. Im Urteilen ist die Negation eine Operation, die wiederholt auf denselben atomaren Satz angewendet werden kann. […] In jedem Anwendungsfall ist aber etwas anderes negiert; […] Wenn aber ‚Andersheit‘ nicht als Beziehung zwischen Daseienden, sondern als Beziehung von Andersheit auf den Gedanken des Anderen selber verstanden wird, so ergibt sich daraus, daß Andersheit nunmehr zu sich selber in Beziehung steht. Dieser strikte Selbstbezug von Negation im Sinne eines Anderen seiner selbst hat Hegel zum wichtigsten Operationsmittel seiner Logik gemacht.“ (Henrich [1974]: Formen der Negation in Hegels Logik, 250)  Vgl. Iber [1990]: Metaphysik absoluter Relationalität, 223.  Hegel selbst drückt das so aus: „Das Andere für sich ist das Andere an ihm selbst, hiemit das Andere seiner selbst, so das Andre des Andern, – also das in sich schlechthin Ungleiche, sich negirende, das sich Verändernde. Aber ebenso bleibt es identisch mit sich, denn dasjenige, in welches es sich veränderte, ist das Andre, das sonst weiter keine Bestimmung hat; aber das sich Verändernde ist auf keine verschiedene Weise, sondern auf dieselbe, ein Anderes zu seyn, bestimmt, es geht daher in demselben nur mit sich zusammen. So ist es gesetzt als in sich reflectirtes mit Aufheben des Andersseyns; mit sich identisches Etwas, von dem hiemit das Andersseyn, das zugleich Moment desselben ist, ein unterschiedenes, ihm nicht als Etwas selbst zukommendes ist.“ (WL12, 106) – In Rücksicht auf die Entwicklung dieser Figur im Zusammenhang mit Schellings Denken gibt K. Düsing einen kleinen Überblick (vgl. Düsing [1987]: Vernunfteinheit und unvordenkliches Daßsein). Auch auf Schellings Denken rekurrierend jedoch mit dem Bezug auf den Status des Endlichen unternimmt D. Henrich in dem schon erwähnten Aufsatz eine Rekonstruktion der Notwendigkeit und der Struktur einer solchen Figur (vgl. Henrich [2001]: Andersheit und Absolutheit des Geistes).

108

3 Die absolute Subjektivität

negierender Bezug auf sich, der die Gleichheit mit sich aufhebt, indem die Negativität überhaupt – in einer Vermittlung – negiert wird. Die selbstbezügliche Negation ist keine sequenzielle Operation, die auf bestimmte Inhalte nacheinander angewendet würde, um so in einer Negationskette aufeinander aufbauende Resultate zu erzielen. Der Inhalt, auf den diese Negation Anwendung findet, ist die Negation selbst. Sie negiert und affirmiert sich selbst in einem Zuge. Weil also Negativität auf sich als Negativität bezogen ist, werden so auch Einheit in der Affirmation und Differenz in der Negation miteinander verschaltet. Es entsteht die Einheit der Einheit und Differenz so, dass nun Einheit und Differenz in einer komplexen Relationalität stehen, in der die Einheit die Differenz, aber die Differenz zugleich Einheit erfordert bzw. ist ⁹ – ähnlich zur Lügnerantinomie, in der die Wahrheit des Satzes die Falschheit und die Falschheit die Wahrheit meint.¹⁰ Hier kommt durch die Selbstbezüglichkeit ein Oszillieren in Gang, das permanent zwischen Affirmation und Negation bzw. Einheit und Differenz überschlägt – aber nicht sequenziell, sondern zugleich alles ist und nicht ist: die Identität von Identität und Nicht-Identität. Dieses Oszillieren kann folgendermaßen zergliedert werden¹¹: Der Zusammenfall von Unmittelbarkeit und Vermittlung wird negiert zu einem Anderen, das einerseits als unvermitteltes Unmittelbares erscheint, weil es wiederum als Abwesenheit der Negation verstanden wird – denn diese wurde negiert. Andererseits jedoch ist dieses Andere überhaupt nur durch die Negation zustande gekommen.¹² So entsteht die paradoxe Situation, dass aus der Relationalität eine Unmittelbarkeit entstanden ist, die sich überhaupt nicht mehr als relational verstehen lässt, weil Andersheit, d. h. Bezogenheit auf Anderes, mit anderen Worten die Relationalität selbst, negiert wurde, jedoch die Unmittelbarkeit überhaupt nur als negierte Andersheit begreifbar ist und dann also wiederum nur als das Andere des Anderen gefasst wird – was überhaupt der Ausgangspunkt war.¹³ Der Bezug der Negativität auf sich ist ein Bezug zugleich auf ein

 Die Idee ist, „daß in ihm Selbstbeziehung und negative Beziehung in einem gedacht sind, nicht nur als Aspekte an einer Sache, sondern als ein und derselbe Sachverhalt“. (Henrich [1974]: Formen der Negation in Hegels Logik, 251)  Die Parallele zur Lügnerantinomie zieht Koch [1999]: Die Selbstbeziehung der Negation, 4 ff.  Ich folge hier: Henrich [1978]: Hegels Logik der Reflexion (NF), 263 ff.  „Diese sich auf sich beziehende Negativität ist also das Negiren ihrer selbst. Sie ist somit überhaupt so sehr aufgehobene Negativität als sie Negativität ist. Oder sie ist selbst das Negative und die einfache Gleichheit mit sich oder Unmittelbarkeit. Sie besteht also darin sie selbst und nicht sie selbst und zwar in Einer Einheit zu seyn.“ (WL1, 250)  Hegel beschreibt dies so: „Zunächst ist die Reflexion die Bewegung des Nichts zu Nichts, somit die mit sich selbst zusammengehende Negation. Dieses Zusammengehen mit sich ist überhaupt einfache Gleichheit mit sich; die Unmittelbarkeit. Aber dieß Zusammenfallen ist nicht Uebergehen der Negation in die Gleichheit mit sich als in ihr Andersseyn, sondern die Reflexion ist Uebergehen

3.1 Absolute Negativität

109

vollständig Anderes, in das Identität und Nichtidentität mit der Negativität konstitutiv eingeschrieben ist. Damit negiert sich nicht das Eine und setzt sich ein Anderes gegenüber, sondern es ist an sich selbst das Andere seiner selbst. Das Andere seiner selbst ist in sich sein eigenes Gegenteil.¹⁴ Damit ist die absolute Negativität überhaupt nur dieses Oszillieren zwischen der Identität und Nichtidentität mit sich selbst. Dies ist gemeint, wenn Hegel davon spricht, dass die absolute Negativität nur dieses unmittelbar Andere ist, aus dem sie zugleich zu sich zurückkehrt, um aber in dieser Rückkehr überhaupt das zu setzen, aus dem sie zurückkehrt – weil (das sei vorgreifend gesagt) die Relata und die Bewegung zwischen den Relata, d. h. die Relation, dasselbe sind.¹⁵

als Aufheben des Uebergehens; denn sie ist unmittelbares Zusammenfallen des Negativen mit sich selbst; so ist dieß Zusammengehen erstlich Gleichheit mit sich, oder Unmittelbarkeit; aber zweytens ist diese Unmittelbarkeit die Gleichheit des Negativen mit sich, somit die sich selbst negirende Gleichheit; die Unmittelbarkeit, die an sich das Negative, das Negative ihrer selbst ist, dieß zu seyn, was sie nicht ist.“ (WL1, 250 f)  Hegel beschreibt dies treffend in einem Passus in der Phänomenologie: „Dieses sichselbstgleiche Wesen bezieht sich daher nur auf sich selbst; auf sich selbst, so ist dieß ein anderes,worauf die Beziehung geht, und das beziehen auf sich selbst ist vielmehr das Entzweyen, oder eben jene Sichselbstgleichheit ist innerer Unterschied. Diese Entzweyten sind somit an und für sich selbst, jedes ein Gegenteil – eines andern, so ist darin schon das Andere mit ihm zugleich ausgesprochen, oder es ist nicht das Gegentheil eines andern sondern nur das reine Gegentheil, so ist es also an ihm selbst das Gegentheil seiner; oder es ist überhaupt nicht ein Gegentheil, sondern rein für sich, ein reines sich selbst gleiches Wesen, das keinen Unterschied an ihm hat, so brauchen wir nicht zu fragen, noch weniger das Gequäle mit solcher Frage für die Philosophie anzusehen, oder gar sie ihr für unbeantwortlich halten – wie aus diesem reinen Wesen, wie aus ihm heraus der Unterschied oder das Andersseyn komme; denn es ist schon die Entzweyung geschehen, der Unterschied ist aus dem sich selbst gleichen ausgeschlossen, und ihm zur Seite gestellt worden; was das sich selbst gleiche seyn sollte, ist also schon eins der entzweyten vielmehr, als daß es das absolute Wesen wäre. Das sich selbst gleiche entzweyt sich, heißt darum eben so sehr, es hebt sich als schon entzweytes, es hebt sich als Andersseyn auf. Die Einheit, von welcher gesagt zu werden pflegt, daß der Unterschied nicht aus ihr herauskommen könne, ist in der That selbst nur das Eine Moment der Entzweyung; sie ist die Abstraction der Einfachheit, welche dem Unterschiede gegenüber ist. Aber indem sie die Abstraction, nur das eine der entgegengesetzten ist, so ist es schon gesagt, daß sie das Entzweyen ist; denn ist die Einheit ein negatives, ein entgegengesetztes, so ist sie eben gesetzt als das, welches die Entgegensetzung an ihm hat. Die Unterschiede von Entzweyung, und sichselbstgleich werden sind darum ebenso nur diese Bewegung des sich Aufhebens; denn indem das sichselbstgleiche, welches sich erst entzweyen oder zu seinem Gegentheile werden soll, eine Abstraction oder schon selbst ein entzweytes ist, so ist sein Entzweyen hiemit ein Aufheben dessen, was es ist, und also das Aufheben seines Entzweytseyns. Das sichselbstgleich werden ist ebenso ein Entzweyen; was sichselbstgleich wird, tritt damit der Entzweyung gegenüber; das heißt, es stellt selbst sich damit auf die Seite, oder es wird vielmehr ein Entzweytes.“ (PG, 99 f)  „Statt von dieser Unmittelbarkeit anfangen zu können, ist diese vielmehr erst als die Rückkehr, oder als die Reflexion selbst. Die Reflexion ist also die Bewegung, die, indem sie die Rückkehr ist,

110

3 Die absolute Subjektivität

Der zweite Aspekt besteht darin, dass die absolute Negativität als absolute Andersheit sich nicht nur von der schon erwähnten Struktur der (einfachen) Andersheit, sondern auch von der Negation der Negation in der Hinsicht unterscheidet, dass sie die spekulative Identität der Identität und Nicht-Identität nicht auf einer bestimmten Stufe der Begriffsentwicklung bloß illustriert. Vielmehr ist der unendliche Begriff die absolute Andersheit selbst. Anders gewendet heißt dies, dass das Absolute selbst diese selbstbezügliche Andersheit als dieser daseiende Widerspruch und somit überhaupt realisierte Subjektivität ist – und nichts anderes.¹⁶ Überführt Hegel in der Wissenschaft der Logik die Negation von der Grundoperation zum Grundmodus des Systems in der absoluten Andersheit, so ist erstens Substanz ebensosehr als Subjekt gedacht. Aber es erfolgt mit der absoluten Andersheit ein weiterer Schritt. Indem die Negativität zur Grundlage – man könnte sagen: zur Grundsubstanz – überhaupt wird, erweitert sie den Begriff zweitens zum System, weil nunmehr der Begriff sich selbst sein Gegenteil – d. h. die Natur – ist, aus der er zu sich zurückkehren muss, um in dieser Rückkehr eben das zu setzen, woraus er zurückkehrt. Diese Schrittfolge der Überführung der Formen der Negativität ist es, die hinter Hegels programmatischer Äußerung stehen, dass die Negation richtig zu fassen sei.¹⁷ Die Implikationen für Subjektivität und Freiheit sind nun genauer zu untersuchen.

erst darin das ist, das anfängt oder das zurückkehrt.“ (WL1, 251) Hegel analysiert diesen Zusammenhang genauer in der Konstellation von setzender und voraussetzender Reflexion (vgl. WL1, 249 ff).  Subjektivität als Selbstbezüglichkeit kann nicht nur heißen, dass der Begriff sich selbst zum Gegenstand hat, denn dies würde bloß eine Metatheorie des Begriffes sein, in der der Begriff in einer reflexiven, äußerlichen Beziehung zu sich als Gegenstand steht (vgl. dazu Arndt [2006]: Die Subjektivität des Begriffes, 12). Der Begriff, der sich in der absoluten Idee als absolute Negativität fasst, hat diese Äußerlichkeit gänzlich abgebaut und Selbstbezüglichkeit realisiert. Arndt gibt auch eine Analyse der Formen von Subjektivität und Objektivität in der Begriffslogik und die Genese absoluter Subjektivität vermittels dieser (vgl. Arndt [2006]: Die Subjektivität des Begriffes).  Dass es sich bei der Negativität nicht nur um einen rein metaphysischen Aspekt handeln kann, sondern diese ins Leben hineinreicht, macht die Phänomenologie des Geistes schon klar, indem sie viele Gestalten des Geistes abhandelt.W. Bonsiepen macht das auch im Verweis auf die Jenaer Zeit deutlich. Dort hat Hegel einen theoretischen Begriff der Negativität, der die Negativität des Seins und des Selbstbewusstseins umfasst, und einen praktischen, der die Erfahrung der Entzweiung und den gesellschaftlichen Kampf um Anerkennung zum Zentrum hat. Bonsiepen fasst zusammen: „Hegel sieht sich also am Ende der Jenaer Zeit genötigt, den Begriff der Negativität nicht nur ganz allgemein durch die Negativität des Selbstbewußtseins neu zu bestimmen, sondern auch durch die Negativität eines Bildungsprozesses, in dem sich das Bewußtsein mit der Negativität der Entzweiung in der modernen Gesellschaft auseinandersetzt. Der ambivalenten Beurteilung der Negativität der modernen Gesellschaft liegt das Problem zugrunde, daß die Negativität der Entzweiung einerseits überwunden werden soll, andererseits aber nicht von außen, sondern im-

3.1 Absolute Negativität

111

Die Wissenschaft der Logik als Realisierung der absoluten Negativität Hegels Strategie in der Überwindung der Mängel Spinozas besteht darin, in der Überführung der Substanz in das Subjekt eine Korrektur vorzunehmen, die darauf beruht, dass die Einheit, welche Differenz vernichtet, durch eine Struktur ersetzt wird, die Einheit und Differenz als miteinander vermittelte begreift. An die Stelle der Substanz kann jedoch nicht allein ein Subjekt oder ein Ich treten, das wie z. B. bei Fichte als erstes Prinzip verstanden wird, ohne Differenz zu beinhalten. Tätigkeit und Freiheit der Subjektivität wären in diesem Falle vorausgesetzt und auch nicht aus der Substanz des Spinoza immanent weiterentwickelt, geschweige denn zirkelfrei begründet¹⁸, sondern Einheit und Differenz als wiederum separierte in zumindest ähnlichen Problematiken verstrickt: Wird das Subjekt als erstes Prinzip verstanden, ist erstens die Einheit vor der Differenz gedacht und zweitens die Einheit lediglich formell gefasst. Das heißt, der Einheit wäre dann vorzuwerfen, dass ihr Gehalt und Konkretion fehlen.¹⁹ Die Subjektivität als diese spekulative Struktur muss daher dynamisch entfaltet werden, um nicht nur in ihrer Entfaltung den Nachweis für ihre Wahrheit zu liefern, sondern auch um die Relation selbst als dynamische zu konzipieren, in der die Relata (die Momente der Differenz) und die Relation (die Vermittlungsbewegung der Momente) so ineinanderfallen, dass die Eigenständigkeit der Relata nur dadurch gedacht werden kann, dass selbst kein Unterschied mehr besteht zwischen der Relation und den Relata. Erst wenn dies erreicht ist – und zu klären, was darunter verstanden werden muss, bleibt hier anzugehen –, wäre der substanzontologische Monismus abgelöst von einem relationslogischen Monismus.²⁰ In einem solchen besteht alles

manent aufzuheben ist. Die Möglichkeit eines Bildungs- und Entäußerungsprozesses des Bewußtseins hängt somit von der Existenz einer immanenten, bestimmten Negation ab. Schließlich stellt sich noch die Frage, wie die verschiedenen Formen von Negativität in einem noch zu konstruierenden Bildungs- und Entäußerungsprozeß des Bewußtseins in einem umfassenden Begriff von Negativität vereinigt werden können.“ (Bonsiepen [1977]: Der Begriff der Negativität, 124) Die Antwort hierzu wäre gerade die Umsetzung des in der Phänomenologie des Geistes formulierten Programms, Substanz ebensosehr als Subjekt zu denken, was in der Logik und der Realphilosophie dann geschieht. Dort werden alle Aspekte integriert – die Phänomenologie führt dort hin (vgl. Bonsiepen [1977]: Der Begriff der Negativität, 186 ff).  Vgl. zu diesem Vorwurf Düsing [1976]: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, 230 f.  Vgl. zu dieser Fichte-Kritik Asmuth [2007]: Negativität, 22 ff.  R.-P. Horstmann verwendet diesen Begriff und erklärt dazu: „[M]it der These, daß Hegel anstelle eines substanzontologischen Monismus einen relationsontologischen Monismus zu etablieren versucht hat, ist nicht gemeint, daß Hegel irgendeine angebbare, stabile Relation die Rolle der traditionellen monistischen Substanz übernehmen lässt […]. Was vielmehr mit dem Terminus ‚relationsontologischer Monismus‘ im Zusammenhang mit Hegel gemeint ist, ist, daß Hegel seinen

112

3 Die absolute Subjektivität

in der Vermittlung des Begriffes, jedoch dergestalt, dass in dieser Vermittlung allein Selbstständigkeit gedacht werden kann.²¹ Als Schlüssel für den relationslogischen Monismus wird sich die absolute Negativität in der Form der absoluten Andersheit erweisen.²² Das hat Konsequenzen für das Verständnis von Subjektivität, die sodann nur als die Verwirklichung eines solchen relationslogischen Monismus entwickelt werden kann.²³ Insofern das Subjekt in Abgrenzung zur bloßen Substanz als seiner Meinung nach nur relational zu fassenden Sachverhalt zur ontologischen basalen Entität in dem Sinne erklärt, daß alles was ist, als mehr oder weniger manifester Fall der relationalen Struktur des basalen Sachverhalts aufgefaßt werden kann. Diesen basalen Sachverhalt nennt Hegel je nach Kontext ‚Selbstbewußtsein‘, ‚Geist‘, ‚Ich‘.“ (Horstmann [1985]: Ontologischer Monismus und Selbstbewußtsein, 240)  R.-P. Horstmann sieht Hegel mit seinem relationalen Monismus quasi zwischen Monismus und Pluralismus (vgl. Horstmann [1985]: Ontologischer Monismus und Selbstbewußtsein, 245 f).  Das stellt auch B. Bowman heraus, der eine breite Untersuchung auch zu den mannigfachen Einflüssen durch Jacobi und Spinoza sowie zu speziellen Aspekten einer solchen Metaphysik der absoluten Negativität vorgelegt hat (vgl. Bowman [2013]: The Metaphysics of Absolute Negativity).  Die von P. Braitling vorgenommene Beschränkung der Subjektivität in der Logik auf den Begriff (in der Begriffslogik) greift nicht nur zu kurz, weil sie Subjektivität nicht in der grundlegenden Funktion für die Logik thematisiert, sondern weil sie Subjektivität nur von der spekulativen Einheit von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit konstituiert sieht und nicht von der absoluten Negativität. Selbstbezug ist für sie eine genuin begriffslogische Kategorie. Selbstbezüglichkeit als Thema der Wesenslogik oder gar der Seinslogik weist sie zurück: „Und genau diese ‚Begriffs‘Struktur ist Hegel zufolge das wesentliche Merkmal von Subjektivität und nicht etwa die Reflexionsstruktur aus der Wesenslogik.“ (Braitling [1991]: Hegels Subjektivitätsbegriff, 154) – Auch K. Düsing schreibt zur Subjektivität, sie würde nicht in der Wesenslogik, sondern in der Begriffslogik entwickelt: „Das Urteil ist die notwendige Selbstentzweiung des Begriffs als negativer Einheit, durch die er sich vergegenständlicht; ohne eine solche Verständlichung oder Setzung seiner Bestimmungen als anderer füreinander wäre keine Selbsterkenntnis, keine denkende Selbstbeziehung der Subjektivität möglich.“ (Düsing [1976]: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, 265) – Was aber in der Urteilslogik als Subjektivität gezeigt ist, wird auch schon in der Reflexionslogik entwickelt. Damit bringt zumindest die Urteilslogik keinen neuen Erkenntnisse für die Struktur der Subjektivität. Was Düsing zugestanden werden kann, ist die kontinuierliche Weiterentwicklung des Subjektivitätsbegriffes, der erst am Ende der Logik wirklich erreicht ist. So ist Düsing also zuzustimmen, wenn er z. B. sagt: „Die Idee wird nun von Hegel […] als absolute Subjektivität gedacht. Sie ist von der Subjektivität des reinen Begriffs unterschieden, da sie außer dem Begriff auch die Objektivität in sich enthält.“ (Düsing [1976]: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, 290) – Das Problem bei Düsing liegt m. E. darin, dass er eigentlich nicht klar macht, worin die Subjektivitätsstruktur in der Begriffslogik vollendet wird. Er schildert den Argumentationsverlauf, aber zeigt nicht, dass die Struktur der Subjektivität erst dort vollendet wird. Wie er argumentiert und was er zeigt, läuft darauf hinaus, dass die Idee als Subjektivität erst in der Begriffslogik vollendet wird – nicht aber die Subjektivität als Idee. Die Idee muss gänzlich zu sich kommen als die Wahrheit der Wirklichkeit. Aber die Struktur der Subjektivität – also die Form, wie sich die Idee verwirklicht – ist vorher (als absolute Negativität) bereits entwickelt. – A. Arndt sieht

3.1 Absolute Negativität

113

absolute Negativität, d. h. als sich ausdifferenzierende Einheit, gefasst wird, muss erstens die voll entwickelte Subjektivität als Resultat verstanden werden. Hierbei kommt es darauf an, in der Ausdifferenzierung der Einheit Gegensatz und Einheit selbst als solche zu thematisieren und in immer komplexeren Figuren zusammenzudenken. Dieser Prozess ist das Sich-Reflektieren des Prozesses selbst. Subjektivität ist zweitens überhaupt nur dieser Prozess selbst. Das heißt, Subjektivität ist weniger eine Figur unter Figuren als vielmehr das Grundmuster in den Figuren, die im Prozess des Sich-Reflektierens je ihre spezifische Eigenart erhalten.²⁴ Bestimmte Negation und Negation der Negation als Momente absoluter Negativität konstituieren dabei den Prozess, der schließlich in der expliziten Bezugnahme auf sich als absolute Negativität seine negativistische, auf Negation beruhende Relationalität transparent macht.²⁵ Dies geschieht in Reflexionsmodellen, von denen Hegel als „Ich“ und „Geist“, aber auch explizit als „Subjektivität“ sprechen wird²⁶, deren Kern jedoch darin besteht, lediglich Figuren der

das Programm der hegelschen Logik vor der Spinoza-Kritik als ein solches, das bereits mit der Trias von Sein, Nichts und Werden damit beginnt, die Substanz in Subjektivität zu überführen (vgl. Arndt [2012]: ‚Enthüllung der Substanz‘, 238).  Nach K. Düsing reformuliert Hegel mittels der Subjektivität den Gottesbegriff: „Da der Begriff als Subjektivität aber die spinozistische Substanz in sich aufgenommen und aufgehoben hat, ist diese Deduktion der ‚Objektivität‘ in der Schlußlehre für Hegel zugleich der eigentliche ontologische Gottesbeweis, nämlich der spekulative Aufweis des Hervorgehens des Seins Gottes in der angemessenen Seinsweise aus dem Begriff Gottes als Sich-Denken. Die logische, syllogistische Bestimmung des Selbstverhältnisses der Subjektivität ist bei Hegel also zugleich Ontotheologie.“ (Düsing [1976]: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, 288) – Insofern schon zu Beginn darauf aufmerksam gemacht wurde, dass die Frage nach der Ontologie bei Hegel sehr differenziert angegangen werden muss, ist der zusätzliche Bezug auf den Gottesgriff nicht minder heikel.  Hegel entgeht dem Einwand, er setze Subjektivität voraus, weil der Selbstbezug der absoluten Negativität noch kein wissender Selbstbezug ist. Der Selbstbezug der Negativität wird überhaupt erst zum wissenden entwickelt. Der wissende Selbstbezug schaut damit nicht auf ein fertiges Selbst zurück, sondern auf dessen sukzessive Entstehung in der Logik (vgl. dazu Düsing [2002]: Subjektivität und Freiheit, 129 f und 175 ff und Düsing [1976]: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, 270 f). Hegel schreibt selbst dazu: „Aber lächerlich ist es wohl, diese Natur des Selbstbewußtseyns, daß Ich sich selbst denkt, daß Ich nicht gedacht werden kann, ohne daß es Ich ist, welches denkt, – eine Unbequemlichkeit und als etwas fehlerhaftes, einen Cirkel zu nennen; – ein Verhältnisß, wodurch sich im unmittelbaren empirischen Selbstbewußtseyn, die absolute, ewige Natur desselben und des Begriffes offenbart, deßwegen offenbart, weil das Selbstbewußtseyn eben der daseyende, also empirisch wahrnehmbare, reine Begriff, die absolute Beziehung auf sich selbst ist, welche als trennendes Urtheil sich zum Gegenstande macht und allein dieß ist, sich dadurch zum Cirkel zu machen.“ (WL2, 194)  Vgl. Henrich [1978]: Hegels Logik der Reflexion (NF), 220.

114

3 Die absolute Subjektivität

absoluten Andersheit zu sein.²⁷ Insofern, als dass beginnend mit der Dialektik von Sein und Nichts²⁸, die Hegel als die einfachste Ausformung dieser Einheit zu erkennen glaubte²⁹, bis hin zur absoluten Idee – d. h. die gesamte Wissenschaft der Logik hindurch – diese Struktur reformuliert und vertieft wird, ist Subjektivität ein zentrales Thema der Logik überhaupt.³⁰ Die Wissenschaft der Logik stellt somit eine Aufeinanderfolge von Einheitskonzepten dar, deren Grundstrukturen erstens Negativität variieren und zweitens je durch Selbstbezüglichkeit gekennzeichnet sind.³¹ Alle Bücher der Logik – d. h. die Seins-, Wesens- und Begriffslogik – ent-

 In seinem Aufsatz Formen der Negation in Hegels Logik spricht D. Henrich auch davon, dass Subjektivität von absoluter Negativität getrennt werden müsse: „In diesen Begriffen [Insichsein, Fürsichsein und Subjektivität, D. A.] ist ein rein relationaler Sachverhalt gedacht, in dem zunächst einmal eine Beziehung von Einem zum Anderen vorausgesetzt ist, die nicht vom Typ der ‚Andersheit in sich‘, sondern die einfache Beziehung verschiedener Relata ist. […] Dieser Gedanke der doppelten Negation unterscheidet sich ersichtlich von der ‚Andersheit an sich‘ dadurch, daß in ihm keine Selbstbezüglichkeit der Negation als solcher konstatiert werden kann. Die negierte Negation ist eine Beziehung einfacher Andersheit. […] Die Beziehung des Einen auf Anderes wird nur ausgeschlossen, ohne daß gesagt werden könnte, der Ausschluß sei ein Ausschluß durch sich. Er ist Ausschluß von Einem.“ (Henrich [1974]: Formen der Negation in Hegels Logik, 253) – Insofern jedoch die absolute Negativität in der Figur der absoluten Andersheit Selbstbezüglichkeit in ihrer vollen Entfaltung überhaupt denkbar macht und zudem eine Struktur expliziert, die zur Auflösung von Schwierigkeiten endlicher Subjektivität von Hegel selbst herangezogen wird, liegt hierin m. E. eine Figur vor, jenseits derer Subjektivität – wie noch zu zeigen sein wird – nur unzureichend gedacht ist.  Da es sich hierbei um den Anfang der Logik handelt, stellt diese Dialektik durchaus einen Sonderfall dar.  Vgl. Henrich [1978]: Hegels Logik der Reflexion (NF), 220. K. Düsing schreibt: „Das Sein ist also kein ihm entgegengesetzter Gegenstand, sondern eine Kategorie, die im ‚Ich bin Ich‘ enthalten ist und in der das Wissen des Geistes von sich unmittelbar auf sich selbst bezieht. Als Kategorie gedacht wird hierbei allerdings nur diese Unmittelbarkeit; daß sie ein Bestandteil der Selbstbeziehung des Geistes ist, wird nur aus dem Resultat der ‚Phänomenologie‘ bzw. aus späteren Ausführungen in der Logik der Subjektivität verständlich.“ (Düsing [1976]: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, 207)  „Denn die spekulative Logik ist nach Hegel ein fortschreitender Aufweis der verschiedenen logischen Momente und des inneren Aufbaus des sich-Denkens. Im Anfang ist daher nicht schon der vollständige Begriff der Subjektivität enthalten, so daß der Fortgang ‚eine Art von Überfluß‘ wäre; der Anfang ist nur das erste konstitutive Moment der sehr viel komplexeren Struktur der Subjektivität.“ (Düsing [1976]: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, 338)  Wurde in der Seinslogik die Unmittelbarkeit festgehalten als Unbestimmtheit oder Selbstbeziehung – Selbstbeziehung daher, weil sie als die Abwesenheit einer Fremdbeziehung verstanden wird – so will die Wesenslogik zeigen, dass die Unmittelbarkeit des Seins in der Vermittlung des Wesen aufgeht und ihre Widersprüchlichkeit nur dort aufgehoben werden kann. Unmittelbarkeit wird nicht mehr als die Absenz von Vermittlung gedacht, sondern nun aus der Vermittlung selbst gewonnen. Diese Unmittelbarkeit nennt Hegel reflektierte, die nun der Relationalität nicht ent-

3.1 Absolute Negativität

115

wickeln ihr eigenes Einheitskonzept. Subjektivität ist damit nicht ein Teil der Logik oder einem Buch der Logik zuzuordnen, sondern die Logik als Ausfaltung dieses relationslogischen Monismus ist insgesamt selbst Subjektivität.³²

Relationslogischer Monismus und Subjektivität: Das Vexierbild Der relationslogische Monismus, der durch die absolute Negativität konstituiert wird, lässt sich nun wie folgt darlegen:³³ Es gibt ein Relatum R1, das auf sich selbst bezogen ist und aufgrund dieser Selbstbeziehung relational beschrieben werden muss. R1 in Bezug auf sich ist identisch mit sich und schließt sich selbst mit sich zusammen. R1 ist in diesem Modell die Negation selbst, die sich in ihrem Zusammenschluss mit sich selbst nun auch selbst mit sich entzweit. R1 negiert sich zum Relatum R2, das qua Negation ein anderes Relatum in Opposition zu R1 ist und dem Relatum R1 gegenübersteht – jedoch in einer eigentümlichen Spezifik. Das Relatum R2 ist nämlich gekennzeichnet dadurch, dass es zunächst nicht auf sich bezogen ist, ja sogar die Bezogenheit auf und die Vermittlung durch R1 negiert hat. Es ist ein Unmittelbares, das als Eigenständiges erscheint, weil die Negation verschwunden ist. Jedoch ist das Relatum R2 selbst nur vorhanden qua Vermitt-

zogen ist, sondern aus dieser überhaupt entspringen soll, weil sie in letzter Instanz als jene selbstbezügliche Negativität gedacht werden muss, die im Wesen eine neue Struktur erhält. Deren signifikante Veränderung gegenüber der Seinslogik besteht eben darin, als Negation nicht mehr an das Sein, d. h. an ein Substrat bzw. eine Bestimmung, gebunden zu sein. Die selbstbezügliche Negativität im Wesen wird selbst thematisch. In der Wesenslogik wird zunächst der Schein das Einheitskonzept, das deutlich negativistisch geprägt ist. Das Spezifische des Scheins besteht darin, dass er darin Bestand hat, dass er unwirklich ist – also keinen Bestand bzw. sein Dasein im Nichtdasein hat. Die Unmittelbarkeit des Seins, die als Freiheit von Negativität verstanden wurde, ist zu einer Unmittelbarkeit des Scheins geworden, die sich geradezu aus Negativität konstituiert. Hegel etabliert die Wesensstruktur als eigenständige dadurch, dass das so gefasste Wesen das,was das Sein ausmachte – die Unmittelbarkeit –, als aus dem Wesen abgeleitet verstanden und also im Wesen selbst mitgedacht werden muss. Negation der Negation bzw. absolute Negativität als absolute Andersheit ist damit als Struktur des Wesens freigelegt, wie aber auch gesagt werden muss, dass erst das Wesen die absolute Negativität ermöglicht. – D. Henrich hat die Bedeutungen von Unmittelbarkeit und deren Verschiebungen im Zuge der Überführung in das Wesen in dem Aufsatz Henrich [1978]: Hegels Logik der Reflexion (NF) ausführlich bestimmt (vgl. dazu insbesondere S. 231 ff.).  Das heißt, dass Hegel die Anschauung des Selbstbewusstseins als Bedingung für Erkenntnis des Selbstbewusstseins ablehnt. Wenn das Ich als daseiender Begriff bestimmt ist, so gewinnt Hegel aus dem Begriff die Erkenntnis (vgl. Düsing [2002]: Subjektivität und Freiheit, 127 und 174 f).  In der Darlegung folge ich Horstmann [1990]: Wahrheit aus dem Begriff, 90 – 92 und Bowman [2013]: The Metaphysics of Absolute Negativity, 37 ff.

116

3 Die absolute Subjektivität

lungsbeziehung auf R1 – genauer: qua negativer Selbstbezüglichkeit von R1. Daher gilt es zu sagen: Dieses auf sich selbst bezogene und mit sich identische Relatum R1 ist sich selbst das Relatum R2 geworden, das in sich selbst sein eigenes Gegenteil ist. Beide Relata sind somit durch eine Relation der Vermittlung, d. h. durch die Negation, aufeinander bezogen und bedingen sich wechselweise, aber eben so, dass R1 und R2 von einer dritten Relation R3 vermittelt sind, die identisch ist mit R1 und R2 – und identisch mit R1 und R2 sein kann, weil Relata R1 und R2 selbst vollständig als Relationen beschrieben werden können. Diese die Relata R1 und R2 verbindende und damit übergreifende Relation R3 ist nichts anderes als die auf sich selbst bezogene Negation, die selbst schon R1 konstituierte.³⁴ R1 und R2 fallen nicht als Unverbundene auseinander noch sind beide nicht einfach identisch. R1 und R2 sind vielmehr qua R3 als Identische auseinandergehalten und zugleich als Verschiedene identisch. Insofern alle Relationen nichts anderes sind als Stadien der selbstbezüglichen, d. h. absoluten Negation, tritt hier die Identität der Relata und der Relationen ein, welche die Grundlage des relationslogischen Monismus bildet. R2 ist durch die selbstbezügliche Negation von R1 selbst die spiegelbildlich verkehrte Relation R1, weil R1 selbst nichts anderes ist als die selbstbezügliche Negation. Somit ist R3 als R1 und R2 verbindende Relation wiederum mit diesen beiden Relationen bzw. Relata identisch und nur der Ausdruck der spiegelbildlichen Verkehrung beider Relationen bzw. Relata ineinander.³⁵

 R.-P. Horstmann identifiziert den Komplex der übergreifenden Relation mit Subjektivität: „‚Subjektivität‘ in diesem Sinn soll also eine bestimmte Art von Selbstverhältnis oder Selbstbeziehung beschreiben. ‚Übergreifend‘ nun scheint Hegel deshalb für eine angemessene Charakterisierung dieses Begriffs von Subjektivität zu halten, weil mit ihm ein Verhältnis zwischen Verhältnissen gedacht werden soll, das ‚Subjektivität‘ nur dann genannt werden kann, wenn es ein entsprechendes Fundament in den Verhältnissen findet, die es in ein Verhältnis setzt. Ein solches Fundament ist anscheinend dann gegeben, wenn das ‚Subjektivität‘ genannte Verhältnis abgebildet werden kann auf die Verhältnisse, die es zueinander in Beziehung setzt, oder wenn es auf diese Verhältnisse übergreift.“ (Horstmann [1990]: Wahrheit aus dem Begriff, 68)  Diese relationslogische Ausformulierung ist im Grunde nur eine Reformulierung der oben beschriebenen absoluten Negativität. – D. Henrich verfolgt diese Struktur bis in die frühe Auseinandersetzung mit Hölderlin zurück, in der Hegel die Erkenntnis gewinnt, „daß die Relata in der Entgegensetzung zwar aus einem Ganzen verstanden werden müssen, daß dieses Ganze ihnen aber nicht vorausgeht als Sein oder als intellektuelle Anschauung, – sondern daß es nur der entwickelte Begriff der Relation selber ist. Ausgearbeitet hat er ihn zuerst in der Analyse des Begriffs vom Leben: Leben kann man nur verstehen, wenn der Gegensatz der lebenden Wesen untereinander und die organische Einheit in jedem von ihnen aus dem Allgemeinen einer Organisation begriffen wird, die dennoch keine Existenz vor und außerhalb des Prozesses der lebendigen Wesen hat.“ (Henrich [2010]: Hegel und Hölderlin, 36) – Dies ist auch der Grundgedanke von C. Ibers Studie, die besagt, dass der Begriff nur eine selbstbezügliche Struktur absoluter Relationalität ist. (Iber [1990]: Metaphysik absoluter Relationalität)

3.1 Absolute Negativität

117

Diese komplexe Figur kann man sich in bestimmten Hinsichten an einer Analogie verdeutlichen: dem Vexierbild.³⁶ Vexierbilder haben die Eigenschaft, mehrere, für gewöhnlich zwei unterschiedliche Bilder in einem zu sein. Beide Bilder sind so ineinander verwoben, dass das eine Bild das andere ‚erzeugt‘ und umgekehrt, ohne dass jedoch beide zugleich sichtbar wären. Fokussiert man das eine, verliert man das andere – und vice versa. Ein Vexierbild ist so betrachtet ebenfalls die Einheit von Einheit und Differenz. Denn man kann genauso sagen, die Einheit (des Vexierbildes) ist die Vielheit (der darin enthaltenen Bilder), ohne dass beide unterschiedene Dinge wären. Das Vexierbild ist nur in diesem Oszillieren der verschiedenen Bilder. Desgleichen sind die unterschiedenen Bilder nur diese sich gegenseitig erzeugenden und verschlingenden. Das Vexierbild ist ein Bild, das sich aus seiner Einheit mit und zugleich aus dem Gegensatz zu dem anderen konstituiert. In einem Moment – so kann man es beschreiben, wenn man das unendliche Oszillieren zergliedert – liegt in dieser selbstbezüglichen Negativität des Vexierbildes die Unmittelbarkeit des fixierten Bildes vor, die jedoch nur in der Negation des anderen besteht und damit keine selbständige, sondern nur eine vermittelte Unmittelbarkeit ist. Die vermittelte Unmittelbarkeit des einen Bildes ist aber die Negativität des anderen. Die vermittelte Unmittelbarkeit ist daher selbst nur die Negativität der Andersheit, weil kein Anderes vorliegt, durch das die Unmittelbarkeit vermittelt sein könnte. Die Vermittlung geschieht nur durch die Negativität als solche.³⁷ Indem das Vexierbild nur dieses Oszillieren der Bilder ist, liegt zudem jene Identität von Relation und Relata vor. Die Relata, diese (zwei) Bilder in einem Vexierbild, sind nur das Andere ihrer selbst, weil das eine Relatum das äquivalente Relatum auch nur selbst ist – und es braucht diese selbstbezügliche Verwicklung mit seinem Anderen, das es zugleich selbst ist. Andernfalls wäre es gar nicht. Die Relata bilden aber nur die Relation des Oszillierens ab und sind nur diese. Die oszillierende selbstbezügliche Andersheit ist konstitutiv für das Vexierbild als solches und die darin enthaltenen Bilder. So kann kein Unterschied gemacht werden zwischen Relation (dem Vexierbild als Ganzem) und Relata (der einzelnen Bilder) – dies umso mehr, da berücksichtigt werden muss, dass die Relata in ihrer

 Diese Analogie deutet auch A. F. Koch an, führt sie aber nicht detaillierter aus (vgl. Koch [1999]: Die Selbstbeziehung der Negation, 22).  „Das Andere ist hier also nicht das Seyn mit der Negation oder Grenze, sondern die Negation mit der Negation. Das Erste aber gegen dieß Andere, das Unmittelbare oder Seyn, ist nur diese Gleichheit selbst der Negation mit sich, die negirte Negation, die absolute Negativität. Diese Gleichheit mit sich oder Unmittelbarkeit ist daher nicht ein erstes, von dem angefangen wird, und das in seine Negation überginge; noch ist es ein seyendes Substrat, das sich durch die Reflexion hindurch bewegte; sondern die Unmittelbarkeit ist nur diese Bewegung selbst.“ (WL1, 249 f)

118

3 Die absolute Subjektivität

Differenz auch identisch sind. Diese Identität umfasst zwei Hinsichten. Erstens ist das eine Bild nur das Negative des anderen und darin beide Relata identisch. Zweitens ist auch der Umfang der Bilder identisch darin, dass jedes der Bilder das Ganze des Vexierbildes ist – und nicht nur ein Teil, während der andere Teil für das andere Bild reserviert wäre. Jeder Teil für sich ist das Ganze. Darin ist selbstbezügliche Negativität illustriert: Weil die Relation (das Vexierbild als Ganzes) identisch mit den Relata (den Bildern) ist, ist die absolute Negativität (das Vexierbild als Ganzes) als das ihr unmittelbar Andere (ein Bild identisch mit dem Vexierbild als Ganzem) die Rückkehr zu sich (Oszillieren), um überhaupt in dieser Rückkehr das zu setzen, aus dem sie zurückkehrt (das andere Bild). An dieser Stelle ist ein Verständnis für diejenige spekulativ-dialektische Struktur erreicht, die, wie in der Phänomenologie programmatisch formuliert, die Substanz Spinozas erweitern soll. Denn schon in der Phänomenologie verweist Hegel auf diese komplexe Relationalität, die erst vor dem hier Erläuterten Klarheit gewinnt: Die lebendige Substanz ist ferner das Seyn, welches in Wahrheit Subject oder, was dasselbe heißt,welches in Wahrheit wirklich ist, nur insofern sie die Bewegung des sich selbst Setzens, oder die Vermittlung des sich anders Werdens mit sich selbst ist. Sie ist als Subject die reine einfache Negativität, eben dadurch die Entzweyung des Einfachen, oder die entgegensetzende Verdopplung, welche wieder die Negation dieser gleichgültigen Verschiedenheit und ihres Gegensatzes ist; nur diese sich wiederherstellende Gleichheit oder die Reflexion im Andersseyn in sich selbst – nicht eine ursprüngliche Einheit als solche, oder unmittelbare als solche, ist das Wahre. (PG, 18)

Diese spekulative Struktur, die von Hegel bis hin zur absoluten Idee entwickelt wird³⁸, sich jedoch grundlegend durch den Selbstbezug der Negativität aus „Darf man der Selbstbeziehung auch den Gedanken der Einheit und der Andersheit den der Differenz zuordnen, so sucht Hegel unter dem Titel ‚Reflexion‘ die Einheit in der Differenz als solcher und somit eine Differenz, in der sich die Einheit nicht verliert. In der Logik geht es um nichts andres als darum, einen Zusammenhang dieser Art definitiv zu fassen – ihn als den letzten Horizont auszuweisen, in dem alles, was sich verstehen läßt, seine Verständlichkeit findet. Dieser Zusammenhang hat eine ganz andere Form als das, was in der Regel ‚Dialektik‘ heißt. Er ist nicht der Gedanke von einem letzten Definitiven, das über eine Sequenz beschränkter Gedanken schließlich erschlossen wird – somit nicht der Gedanke dessen, was bleibt jenseits aller bestimmten Negation. Sofern von bestimmter Negation in diesem Zusammenhang die Rede sein kann, ist sie nichts als dasjenige Verhältnis, welches auch Andersheit genannt werden kann und was somit das eine Element der spekulativen Grundform und somit weiter dasjenige ist, das als nicht verschieden von der Einheit der Selbstbeziehung begriffen werden muß. Hegels Logik faßt allerdings die Relation der Bestimmtheit als ein Prinzip von Fortbestimmungen und Folgerung auf; es ist die Grundlage von logischen Abfolgen und Entwicklungen auch über Gegensätze. Diese Entwicklungen ergeben sich aber auch in der Logik der Reflexion – deswegen, weil sich der

3.1 Absolute Negativität

119

zeichnet, nennt er (absolute) Subjektivität, deren Charakterisierung als „Bewegung des Sichselbstsetzens“, „Vermittlung des Sichanderswerdens mit sich selbst“, „entgegensetzende Verdopplung“ oder als „Reflexion im Anderssein in sich selbst“ aus der dargelegten Struktur der absoluten Andersheit erhellt wird.³⁹

Endliche Subjektivität Hegel hat hier ein weitreichendes Konzept von Selbstbezüglichkeit vorgelegt, das als Grundlage endlicher Subjektivität dienen soll. Man kann daher sagen, dass Subjektivität sowohl als absolute als auch als endliche gar nicht anders als vor dem Hintergrund der absoluten Negativität verstanden werden kann. Dass es sich so verhält, kann man an der spezifischen Struktur endlicher Subjektivität ausführen. Die Notwendigkeit, dabei auf spekulative Strukturen zurückzugreifen, ist darin begründet, dass das Subjekt in einer Einheit z. B. von Einzelheit und Allgemeinheit, aus Subjekt und Objekt, oder in der Spannung von Selbst- und Fremdbezug verortet werden muss, die jenseits spekulativen Denkens nicht widerspruchsfrei gedacht werden können. Die bekannten Zirkel der Reflexionstheorien des Bewusstseins scheitern z. B. an der Undenkbarkeit von Selbstbezug als generativem Moment des Selbst, in das zugleich Fremdbezug eingeschrieben sein muss. Absolute Negativität jedoch denkt diesen Zirkel als konstitutiven für die

Entwurf des Gedankens, Selbstbeziehung und Andersheit in einem und als konstitutive Momente einer einzigen logischen Form zu denken, in einem ersten Schritt nicht ausführen läßt. Und das Wahre, welches jene Einheit ist, ist das Ganze eben deshalb, weil es sich erweist, daß die Selbstbeziehung der Andersheit den Gedanken von allen denkbaren Verhältnissen der Einheit und der Andersheit voraussetzt oder nach sich zieht und in jedem Falle einbegreift. Das Ganze ist eben darum Bewegung und Prozeß, weil jene Einheit, welche die Reflexion ganz unmittelbar zu begreifen versucht, in Wahrheit nur im Durchgang durch alle Einheitsbegriffe und Bestimmtheitsformen zu haltbarer Bestimmtheit kommen kann.“ (Henrich [1978]: Hegels Logik der Reflexion (NF), 306 f)  B. Bowman zeigt diese Struktur in Hegels Logikentwurf von 1804/05 auf, um darin nicht nur den Schritt von der Substanz zum Subjekt zu sehen, sondern sogar zur wahrhaften Individualität, als welche das Subjekt dadurch gedacht werden muss, da Bestimmtheit nicht mehr als unendliche Bestimmtheit gegenüber dem Allgemeinen, sondern als Bestimmtheit des Allgemeinen verstanden werden muss, die gerade dadurch ausgezeichnet ist, dass das Subjekt in seiner Entäußerung in Bestimmtheit bei sich selbst ist und sich selbst erhält. Dadurch ist es dem bloßen ‚dieses‘ überlegen, welches in seiner unendlichen Bestimmtheit keine ‚Mitte‘ hat. (vgl. Bowman [2004]: Unendliche Bestimmtheit und wahrhafte Individualität) Insofern hier allerdings von der Struktur des absoluten Subjekts die Rede ist, ist eine Folie für das Verständnis von Individualität bzw. endlicher Subjektivität gewonnen, nicht aber die Frage nach der Realisierung bzw. Einbettung von Individualität bzw. endlicher Subjektivität in Hegels System gelöst.

120

3 Die absolute Subjektivität

gesamte Struktur der Spekulation, hat aber zugleich die Mittel, diesen Widerspruch auszuhalten. Daher ist es nicht nur ein strategischer Zug Hegels, wenn er Begriff und Ich in Zusammenhang bringt und z. B. den Begriff mittels des Ichs illustriert oder das Ich aus dem Begriff begreiflich macht. Folgende Aspekte lassen sich so zumindest erhellen, wenngleich eine umfassende Verhandlung an dieser Stelle ausbleiben muss. Antinomie Einzelheit/Allgemeinheit. ⁴⁰ Erstens zeigt sich die Struktur in der Lage, den Widerspruch zwischen dem Ich als Individualität und dem Ich als Allgemeinheit zu lösen. Das heißt, die Spekulation überführt das Ich, das von allen anderen unterschieden ist, und das Ich, das mit allen anderen identisch ist, in eine Einheit. Der Aspekt der Allgemeinheit besteht im Selbstbezug der Negativität, in dem diese als bloße Sich-selbst-Gleichheit gefasst wird. Der Aspekt der Individualität dagegen besteht darin, nicht die Einheit im Selbstbezug zu fokussieren, sondern die Differenz, die jedoch wiederum auch nur im Selbstbezug besteht. Nur hier kommt es darauf an, den Selbstbezug der Negativität zu fassen. Während im Selbstbezug das Moment der Reflexivität und Rückwendung auf sich selbst festgehalten ist, das allen zukommt (allgemeine Relation zu sein), wird in der Abstoßung von sich das Moment der Differenz und Abgrenzung fixiert, durch das sich das Ich von anderen unterscheidet (bestimmtes Relata zu sein). Beides sind widersprüchliche Momente, die dennoch in einer spekulativen Einheit zusammenbestehen. Antinomie Subjekt/Objekt. ⁴¹ Der Widerspruch besteht darin, dass das Ich als reflexives ein Subjekt ist, das sich auf sich selbst bezieht und damit zugleich ein Objekt wird. Subjekt und Objekt können jedoch in nicht-spekulativen Theorien weder identifiziert werden noch kann sich das Subjekt im Objekt erkennen, wenn ihre Identität nicht schon immer bekannt ist. In leicht abgewandelter, aber nichtsdestoweniger gleichen Struktur der absoluten Negativität werden die auseinanderfallenden notwendig in einer Einheit und als Gleiche gedacht. Das Ich als Subjekt besteht im Selbstbezug der Negativität, der nicht erst hergestellt werden muss, sondern aus der Negativität selbst schon immer besteht. Die Negativität wendet sich auf sich zurück. Als Selbstbezug der Negativität hat es sich jedoch gegenüber als Objekt, weil es sich selbst als anderes sich gegenüber setzt, ohne dass hier wiederum gesagt werden könnte, dass weder beide nicht unterschieden noch beide nicht gleich sind. Es ist ein sowohl als auch, das zu denken die absolute Negativität ermöglicht. Der Selbstbezug des Ich besteht nur darin, dass es aus dem zurückkehrt, was es in seiner Rückkehr überhaupt erst setzt.

 Vgl. VorPG, 1064f (§413).  Vgl. VorPG, 1065f (§414f).

3.1 Absolute Negativität

121

Erkennendes Ich. ⁴² Die absolute Negativität macht einen dritten Aspekt transparent, der die wissende Subjekt-Objekt-Relation betrifft. Das Ich ist nicht nur dem Objekt gegenüber. Dieses Ich in seiner Bezogenheit ist mit dem Objekt auch in einer Einheit, durch die es vom Objekt und von sich weiß. Dies ist die reflexive Rückkehr des Subjekts aus dem Objekt zu sich. Das Subjekt ist vom Objekt getrennt, aber nur weil es auf das Objekt bezogen ist. Denn ohne das Subjekt wäre gar nicht das Objekt. Und so konstituiert das Subjekt das Objekt und setzt sich jenes Objekt, aus dem es überhaupt die Rückkehr ist. Es ist aber nur die Rückkehr aus dem, was es nicht ist. Desgleichen gilt dies auch für das Objekt. Es ist nur das Objekt gegen das Subjekt, weil es in einer Einheit mit diesem besteht, wobei genauso gilt, dass es nur Objekt ist, weil es nicht das Subjekt ist. Für Subjekt und Objekt gilt also gleichermaßen, dass das, was beide je an Eigenständigkeit gegen das andere setzen, nur aufgrund der Abhängigkeit vom anderen ist. Jedoch gilt auch, dass die Abhängigkeit nur dadurch ist, dass beide auch als eigenständig gegeneinander bestehen. Beide oszillieren zwischen Selbstständigkeit und Abhängigkeit. Und so gilt auch hinsichtlich dieses Verhältnisses: Die Relata sind selbst nur die Relation. Für das Ich heißt das, dass es nicht einfach dem Objekt als fixes Relatum gegenübersteht, sondern überhaupt nur diese Relationalität in ihrer Gänze ist, die sich dann erst in die Relata auseinanderlegt, die die sich jeweils gegenseitig bedingenden Anderen ihrer selbst sind. Selbst-/Fremdbezug.⁴³ Was in der Logik in der absoluten Negativität als ein logischer Zusammenfall (und Getrenntsein) von Einheit und Differenz zu denken ist, differenziert sich unter endlichen Verhältnissen in die Einheit (und Trennung) von Selbst- und Fremdbezug. Reflexionslogisch gesprochen wurde festgehalten, dass die absolute Negativität unmittelbar ihr anderes ist, aus dem sie zu sich zurückkehrt. Ein endliches Ich jedoch realisiert den Selbstbezug nur aus dem Fremdbezug. Gedacht wird so eine zirkelfreie Genese des Selbstbewusstseins als Selbstbezug, der nur über den Fremdbezug zustande kommt, weil das, woraus das Subjekt zu sich kommt, in letzter Instanz dem Subjekt nichts Fremdes ist, sondern vom Subjekt selbst gesetzt wird. Nach diesem kursorischen Gang durch die Grundstruktur endlicher Subjektivität bleibt aber weiterhin die Frage offen, wie Hegel den Einzelnen konkret in das System zu integrieren und aus dem System zu entwickeln vermag. Denn auch angesichts dieser strukturellen Innovationen bleiben die drängenden Fragen Jacobis virulent: Wie verhält es sich mit der Freiheit des Einzelnen? Wie ist Zeitlichkeit im System realisiert? Wie entfaltet sich die spekulative Identität und

 Vgl. VorPG, 1064ff (§413ff, bes. §425 – §440).  Vgl. VorPG, 1064ff (§413ff und §423).

122

3 Die absolute Subjektivität

Nichtidentität von Begriff und Einzelnem konkret? Die Logik erarbeitet deutlich in Bezugnahme auf Jacobis Kritik den Boden für die Antworten. Die können jedoch schlussendlich nur in der Gesamtschau auf das ganze System inklusive der Realphilosophie gefunden werden. Zunächst aber gilt es, eine Zwischenbilanz zu ziehen, die die Spekulation zu Jacobis Systemkritik in Beziehung setzt und zeigt, inwieweit aus Hegels Perspektive diese allein Jacobis Kritik im Kern unterläuft.

3.2 Absolute Negativität als Überbietung Jacobis Der Begriff als das Unbedingte Den Begriff als Subjektivität zu fassen, ist nicht nur eine Dynamisierung und Relationalisierung der Substanz Spinozas, sondern im gleichen Zuge ein großangelegter Versuch, die Systemkritik Jacobis zu unterlaufen. Denn indem sich die einfache Negativität von sich aus als die absolute Negativität zeigt bzw. nur als Moment absoluter Negativität denken lässt, sind die Grundannahmen von Jacobis Begriffskritik destruiert. Zum einen ist ein mechanistisches Wirklichkeitsverständnis, das diese einfache Negativität als Bedingungsgefüge zwischen den Dingen zur Elementarstruktur der Wirklichkeit erhebt, mittels des Begriffs überwunden. Zum anderen ist das Verständnis, das den Begriff auf ein solches Bedingungsgefüge einschränkt, widerlegt. Der Begriff ist nur als einfache Negativität eine Rekonstruktion von Bedingungsgefügen. Als absolute Negativität ist er dagegen das Unbedingte selbst.⁴⁴ Das Bedingte und Unbedingte so zu verschalten, dass die Logik des Bedingten als einfache Negativität in die Logik des Unbedingten, d. h. also in absolute Negativität, übergeht bzw. – was das gleiche ist – dass die Logik des Unbedingten die Grundlage der Logik des Bedingten ist, muss dabei als ingeniöser Schachzug Hegels gesehen werden, um der Kritik Jacobis den Angriffspunkt zu nehmen: indem er ihr vollständig zustimmen kann und Jacobi in Bezug auf Spinozas System recht gibt, ohne die Konsequenzen, die Jacobi zieht, akzeptieren zu müssen. Was Hegel hiermit aufbricht, ist Jacobis Diktum, dass jede Demonstration unumwunden in den Fatalismus führen müsse. Entsprechend attackiert Hegel das Verfahren Spinozas. Die auf Axiomen, Sätzen und Folgerungen beruhende Methode Spinozas bezeichnet Hegel als eine mathematische, gegen die er sich schon in der Phänomenologie richtet, indem er gegen diese abstrakte Notwendigkeit der

 In der Wesenslogik lässt Hegel dann auch das Unbedingte aus der Reflexion der Bedingung hervorgehen. Siehe dazu Wesenslogik, Abschnitt C: ‚Die Bedingung‘.

3.2 Absolute Negativität als Überbietung Jacobis

123

Mathematik die lebendige des Subjekts setzt, die kein starres Gebäude aus Schlüssen bildet. In solchem unwirklichen Elemente gibt es denn auch nur unwirkliches Wahres, d. h. fixirte, todte Sätze; bey jedem derselben kann aufgehört werden; der folgende fängt für sich von neuem an, ohne daß der erste sich selbst zum andern fortbewegte und ohne daß auf diese Weise ein nothwendiger Zusammenhang durch die Natur der Sache selbst entstünde. – Auch läufft um jenes Princips und Elements willen – und hierin besteht das formelle der mathematischen Evidenz – das Wissen an der Linie der Gleichheit fort. Denn das todte, weil es sich nicht selbst bewegt, kommt nicht zu Unterschieden des Wesens, nicht zur wesentlichen Entgegensetzung oder Ungleichheit, daher nicht zum Uebergange des Entgegengesetzten in das Entgegengesetzte, nicht zur qualitativen, immanenten, nicht zur Selbstbewegung. (PG, 33)

Die Selbstbewegung der absoluten Negativität begründet demnach nicht allein die Differenz zu Spinoza, sondern bildet die Basis für den „zu seiner Subjektivität befreiten Begriff“ (WL2, 176), der in der Begriffslogik explizit als vollständige Überwindung Spinozas und implizit als Aufhebung Jacobis entfaltet wird. Hegel setzt sich gegenüber Spinoza und zugleich gegenüber Jacobi also damit ab, „daß das Allgemeine in seiner Wahrheit als Subjektivität, als sich bewegender, tätiger und Bestimmungen setzender Begriff aufzufassen ist“. (E1S, § 232 Z) Das manifestierte sich schon im dialektisch-spekulativen Moment, welsches Hegel schlicht ‚Vernunft‘ nennt. Das Setzen der Bestimmungen aus sich selbst stellt dabei nicht nur eine Form der Autonomie dar, sondern realisiert sie in Reinform, weil sie unmittelbar aus der absoluten Negativität entspringt, die das Bezogensein auf Anderes und die Abhängigkeit überhaupt getilgt bzw. in sich aufgehoben hat.⁴⁵ Das Denken ist damit in Hegels spekulativem Entwurf als absolute Negativität absolut frei.

Der Begriff als Leben Die absolute Negativität ist aber, mehr noch als die „sich selbstbewegende Seele [des Begriffes, D. A.], das Princip aller natürlichen und geistigen Lebendigkeit überhaupt“. (WL12, 40) Die absolute Negativität ist also nicht nur Selbstbewegtheit und Lebendigkeit des Begriffes, sondern auch das Prinzip alles Lebendigen,

 In der Frage nach dem wahrhaft Seienden wird die Eigenschaft der Selbstständigkeit zentral, die als notwendige Bedingung nur dem wahrhaft Seienden zukommt. Insofern hatte die Phänomenologie des Geistes die Begründungslast hierfür zu tragen (vgl. Horstmann [1990]: Wahrheit aus dem Begriff, 16).

124

3 Die absolute Subjektivität

denn Begriff und Wirklichkeit sind identisch.⁴⁶ Dabei möchte Hegel die Struktur des Lebendigen sowie die Stufenfolge des Lebendigen aus dem Begriff durchsichtig machen, jedoch auch die absolute Idee, d. h. den sich durchsichtigen Begriff, als das Leben selbst darstellen.⁴⁷ Was darunter genau zu verstehen sein soll, muss näher betrachtet werden. Leben ist einerseits eine Begriffsbestimmung im Gang der Logik selbst. Hegel unterscheidet zwar das in der Logik verhandelte „logische Leben als reine Idee, von dem Naturleben, das in der Naturphilosophie betrachtet wird, von dem Leben, insofern es mit dem Geiste in Verbindung steht“⁴⁸ (WL2, 180), legt aber doch als Grundbestimmung und Entfaltungsprinzip die absolute Negativität zugrunde, die sich in den je verschiedenen Formen in unterschiedlicher Komplexität zeigt. Genau diese Negativität ist es, die den ganzen Unterschied zur Äußerlichkeit des Verstandesdenkens ausmacht. Denn grundsätzlich „gehen dem Denken, das sich an die Bestimmungen der Reflexionsverhältnisse und des formalen Begriffes hält“, also dem abstrakten Verstand, „am Leben“ „schlechthin alle seine Gedanken aus“, weil nämlich die Allgegenwart des Einfachen in der vielfachen Aeusserlichkeit […] für die Reflexion ein absoluter Widerspruch, und insofern sie dieselbe zugleich aus der Wahrnehmung des Lebens

 Die Konstellation von System und Leben ist für die klassische deutsche Philosophie zentral und spielt auch schon in Fichtes Antwort auf Jacobis Einwände eine wesentliche Rolle. In Bezug auf Jacobis Position schreibt Fichte: „Ich erkläre sonach hiermit öffentlich, dass es der innerste Geist und die Seele meiner Philosophie sey: der Mensch hat überhaupt Nichts, denn die Erfahrung, und er kommt zu allem, wozu er kommt, nur durch die Erfahrung, durch das Leben selbst. Alles sein Denken, sey es ungebunden oder wissenschaftlich, gemein oder transcendental, geht von der Erfahrung aus, und beabsichtigt hinwiederum Erfahrung. Nichts hat unbedingten Werth und Bedeutung, als das Leben; alles übrige Denken, Dichten, Wissen hat nur Werth, insofern es auf irgendeine Weise sich auf das Lebendige bezieht, von ihm ausgeht, und in dasselbe zurückzulaufen beabsichtigt.“ (Fichte [1971]: Sonnenklarer Bericht, 333 f) – Eine Auswahl an jüngst erschienenen Studien belegt das zunehmende Interesse für diesen Problemkomplex: Ahlers [2006]: Das Leben des Systems; Arndt [2009]: Gestalten des Bewußtseins; Binkelmann [2011]: Leben – Zweifel – Wissen; Danz [2011]: System und Leben bei Fichte und Schelling; Düsing [1986]: Die Idee des Lebens in Hegels Logik; Grießner [2011]: Die Auflösung der Entgegensetzung von System und Leben; Ivaldo [2004]: Wissen und Leben. Vergewisserungen; Ivaldo [2011]: Wissen und Leben in Hinblick auf die Frage des ‚Systems‘; Sandkaulen [2010]: System und Leben; Tikal [2012]: Leben als absolute Erkenntnis; Sell [2013]: Der lebendige Begriff.  R. Ahlers sieht gerade in diesem Anspruch bzw. in der darin liegenden Komplexität, in der gegenseitigen Vermittlung von Welt und Subjekt Leben zu denken, einen Anknüpfungspunkt für „unsere geistige Kultur“, die sich „an Einsichten der klassischen deutschen Philosophie orientiert, sie aber nur teilweise und einseitig, gleich einer blinden Wut dogmatisiert“. (Ahlers [2006]: Das Leben des Systems, 151)  Vgl. hierzu auch Sell [2013]: Der lebendige Begriff.

3.2 Absolute Negativität als Überbietung Jacobis

125

auffassen, hiemit die Wirklichkeit dieser Idee zugeben muß, ein unbegreifliches Geheimniß [ist]. (WL2, 181)

Der Verstand erfasst also „den Begriff nicht als die Substanz des Lebens“ (WL2, 181), weil er gerade das sich Bei-sich-Sein-im-sich-anders-Sein – also das, was die absolute Andersheit als Struktur überhaupt definiert – nicht denken kann. Damit liegt auch auf der Hand, dass eben dies für Hegel Leben ist: Die Grundstruktur des Lebens ist nämlich „diese negative Einheit seiner Objectivität und Besonderung sich auf sich beziehendes, für sich seyendes Leben, eine Seele“. (WL2, 181) Jene selbstreflexive Struktur des Bei-sich-Seins-im-anders-Sein des Lebens, die Hegel als „allgegenwärtige Seele“ bezeichnet, „welche einfache Beziehung auf sich selbst und eins in der Mannigfaltigkeit bleibt“, wird von Hegel zudem als Entwicklungsprinzip des Lebendigen gefasst – entsprechend des Grades der Vermittlung von Einheit und Mannigfaltigkeit in den Stufen des Lebendigen. Negative Selbstreflexivität als solche, wird zum definierenden Paradigma (lebendiger) Selbstbewegtheit. Zu denken ist hier an die Organisation von Organismen, die sich in ihrer Tätigkeit und im Austausch mit der Umwelt in ihrer Identität selbst erhalten (vgl. E2S, § 343 ff). Auch ist zu denken an animalische Aktivität, die nicht nur im Anderen ihre Identität erhält, sondern ihre Identität auch empfindet (vgl. E2S, § 350 ff). Der Schritt zur selbstbewussten, denkenden Selbst-Tätigkeit im Geist ist dann nicht mehr weit. Jedwede Selbstorganisation beruht jedoch in allen Komplexitätsstufen auf der absoluten Negativität, die die essentielle Struktur des Bei-sich-Seins-im-Anderen überhaupt denkbar macht.⁴⁹ Daher ist Leben nicht nur Begriffsbestimmung im Gang der Logik selbst, sondern

 So schreibt auch K. Düsing: „Das Lebendige wird als vom Modell der Subjektivität her bestimmt,weil es sich selbst bewegendes Prinzip ist, das in seiner Selbstbewegung identisch mit sich bleibt und sich in seiner Beziehung auf ihm Äußeres als ihm Gleiches gerade auf sich selbst bezieht.“ (Düsing [1986]: Die Idee des Lebens in Hegels Logik, 289) Düsing macht auch darauf aufmerksam, dass Hegel „nicht Bestimmungen des Lebens überhaupt, wie er es zunächst ankündigt, auch nicht Bestimmungen des natürlichen Lebens im allgemeinen, sondern zumeist des animalischen Lebens und manchmal sogar noch speziellere Bestimmungen“ entwickelt. „Sie können nicht allem Seienden und auch nicht allem naturhaft Seienden in traditioneller ontologischer Bedeutung zukommen.“ (Düsing [1986]: Die Idee des Lebens in Hegels Logik, 288) Insofern man aber einen sehr weiten, an der Subjektivität, d. h. absoluter Negativität orientierten Lebensbegriff zugrunde legt, entfaltet sich m. E. Hegels gesamte Natur- und Geistphilosophie als Konkretisierung der absoluten Negativität, d. h. als graduell gestufte Entfaltung von Selbstbeziehung. Wenn man den Lebensbegriff so weit versteht, müsste man Hegel nicht den Vorwurf machen, dass er zu einschränkend Kriterien für das Leben entwickelt hat, sondern dass er dies eher zu weitläufig tat, da letztlich auch unbelebte Strukturen wie Mechanismus, Chemismus etc. darunter fallen.

126

3 Die absolute Subjektivität

andererseits überhaupt das System, d. h. die sich entfaltende Idee im Gesamten. Die Entwicklung des Begriffes ist synonym mit dem Lebensprozess selbst, der sowohl die Wissenschaft der Logik als auch die Natur- und Geistphilosophie umfasst. Grundlage hierfür ist die dynamisch sich entfaltende absolute Negativität respektive absolute Subjektivität als Prozess, den Hegel nicht zufällig in die Metaphorik des Organischen fasst (vgl. E1S, § 161 Z). Der Vollzug als organisch sich ausdifferenzierende Einheit gehört konstitutiv mit zum System und sorgt so überhaupt erst für ‚das geistige Band‘ zwischen den einzelnen Begriffsbestimmungen. Ohne dass der Vollzug des Begriffes selbst eine Begriffsbestimmung sein könnte, ist er nichtsdestotrotz das zentrale Element im System Hegels, das allein im Programm Hegels, Substanz ebensosehr als Subjekt zu denken, seinen Ausdruck findet. Die Dimension dieses Programmes wird jedoch überhaupt erst vor diesem Hintergrund deutlich, indem der Vollzug des Begriffes die sich selbst explizierende Lebendigkeit überhaupt ist. Absolute Subjektivität wird von Hegel metaphysisch als das Leben selbst aufgeladen. Die von Fichte gegenüber Jacobi geäußerte Versicherung, dass alles Denken (Fichtes) „von der Erfahrung“ ausgehe und nichts „unbedingten Werth und Bedeutung“ hat „als das Leben“⁵⁰, unterstreicht so auch Hegel – und verbindet damit ein Konzept davon, was Leben überhaupt nur heißen kann. Denn erstens erweist sich allein der spekulative Begriff als die Sphäre, in der nicht nur alle Erfahrung ermöglicht wird, sondern auf die alle Erfahrung notwendig führt. Das zeigte die Phänomenologie. Der gegensatzlos gewordene Begriff findet sich demnach auch nicht einem Leben gegenüber, das (dem Begriff äußerlich in einer Erfahrung gegeben) zu re-konstruieren ihm nur übrig bliebe. Der sich als das Unbedingte selbst erfassende Begriff fiele so in das von Jacobi kritisierte Muster zurück, entweder nur zum Bedingten Bedingungen suchen zu können oder sogar zum Unbedingten Bedingungen suchen zu wollen. Die Logik zeigt jedoch zweitens die absolute Negativität als das sich in seiner Selbstvermittlung fürsich-werdende Leben selbst, das Jacobi, aus der Perspektive Hegels, allein in der Unmittelbarkeit zu finden meinte und – für Hegel voreilig – aus dem System heraussprang: Für Hegel ein Sprung, der folglich, wenn nur die Negativität recht gefasst wird, schlicht überflüssig ist.

Prozess der Freiheit Die Autonomie durch die Lebendigkeit, die dem Begriff zukommt, ist noch einmal zu unterscheiden von der Lebendigkeit durch die Autonomie, die dem Lebendi-

 Fichte [1971]: Sonnenklarer Bericht, 333 f.

3.2 Absolute Negativität als Überbietung Jacobis

127

gen in seiner historischen, kulturellen, sozialen und politischen Lebenswelt zuzuschreiben ist – und daher überhaupt in seiner Dimension nur in der Realphilosophie seine Ausgestaltung und Konkretion findet. Somit ist in der Logik der freiheitstheoretische Aspekt zunächst nur formell verhandelt. Die Logik hat daher ihre Begrenzung darin, vom konkreten Individuum und damit vom konkreten Vollzug des Lebendigen zunächst entkoppelt zu sein.⁵¹ Hegel bestimmt zunächst den Prozess des Lebendigen in der Logik formal als die Entfaltung des Begriffes, der als autonomer Prozess selbst Freiheit realisiert, aber zugleich die Realisierung der Freiheit des Lebendigen thematisiert. Sowohl für die Entfaltung des Begriffes als auch für die des Lebendigen gilt, dass die Vermittlung von Einheit und Mannigfaltigkeit im Prozess der Entfaltung zugleich Realisierung der Freiheit ist: Das einzelne Lebendige ist als solches eine Einheit, ein Subjekt, das sich gegen ein Objekt findet – ein „lebendiges Individuum“. Hegel nennt diese Trennung in Subjekt und Objekt das „ursprüngliche Urteil des Lebens“.⁵² (WL2, 181) Daher besteht überhaupt der „Lebensproceß“ darin, diese „Voraussetzung aufzuheben, die gegen dasselbe [das Subjekt, D. A.] gleichgültige Objectivität als negativ zu setzen, und sich als ihre Macht und negative Einheit zu verwirklichen. Damit“, so Hegels Plan für die Verwirklichung der Freiheit, „macht es sich zum Allgemeinen, das die Einheit seiner selbst und seines Andern ist“. (WL2, 182) Der Lebensprozess ist also regelrecht daran geknüpft, jene anfangs opake Struktur der absoluten Negativität transparent zu machen, indem das Andere als sein Anderes, d. h. als das Gleiche, erkannt werden soll. Das Leben ist daher für Hegel „Proceß der Gattung, seine Vereinzelung aufzuheben, und sich zu seinem objectiven Daseyn als zu sich selbst zu verhalten“. (WL2, 182) Insofern aber die gesamte Organisation der Stufen des Lebens daran gebunden ist, „sich als ihre Macht und negative Einheit zu verwirklichen“, ist der Lebensprozess erst dort abgeschlossen, wo im Erkennen alle Äußerlichkeit abgebaut ist und der gesamte Prozess als der sich in seinem anderen selbst wissende Begriff erkannt ist. Hier, in der vollständig transparent gewordenen absoluten Negativität, die sich in all ihren Momenten (in der Logik) als die absolute Idee erkannt hat, ist das Leben vollendet und die Freiheit vollkommen, weil ihr keine Unmittelbarkeit unaufgehoben entgegen-

 Es sei an dieser Stelle auf das Kapitel VII dieser Studie verwiesen, in dem im Abschnitt Freiheit und Geschichte auf die Freiheit aus der Perspektive der Realphilosophie eingegangen wird, um die spekulative Logik hinsichtlich der Frage nach Freiheit gegenüber Verkürzungen zu verteidigen, um aber auch die darin liegenden Grenzen aufzuzeigen.  Zu denken ist hier an Hölderlins ‚Ur-Teilung‘ des Seins, d. h. ein Sich-Ausdifferenzieren einer Einheit.

128

3 Die absolute Subjektivität

steht.⁵³ So besteht letztlich im System Hegels kein Unterschied zwischen sich realisierendem Leben sowie sich realisierender Freiheit einerseits und dem unendlichen Begriff als sich entfaltender absoluter Negativität andererseits. Am Ende des Prozesses der Realisierung in der Philosophie ist die absolute Negativität „die sich denkende Idee, die wissende Wahrheit“ (E, 569 (§ 574)), die nach dem Durchgang durch die Äußerlichkeit die „in seiner Wirklichkeit bewährte Allgemeinheit ist“. (E, 569 (§ 574)) Das Subjekt anstelle der Substanz programmatisch in das Zentrum des Systems zu stellen, heißt demnach erstens, nicht allein die Substanz in eine Relation von Relationen zu überführen, sondern diese Relation der Relationen als Prozess zu gestalten, im Verlaufe dessen überhaupt die Überführung geschieht.⁵⁴ Zweitens wird durch die Prozessualität und als Prozessualität das entfaltet, dessen Relevanz für das Begreifen der menschlichen Lebenswirklichkeit Jacobi unablässig einklagte, aber selbst nur unmittelbar aufnehmen zu können meinte. Die begrifflich vermittelte Prozessualität der spekulativen absoluten Negativität erlaubt es, das Unbedingte, das Leben und die Freiheit (die je nur als Ausdruck dieses Prozesses verstanden werden können) in sich transparent zu machen. Resultat dieser Transparenz ist für Hegel also erstens die Unhaltbarkeit einer von der begrifflichen Vermittlung absolut getrennt zu haltenden Unmittelbarkeit, zweitens die Unabwendbarkeit ihrer eigenen Vermittlung und infolgedessen drittens die Einsicht in ihre Bedingtheit. Hegel dreht jetzt den Vorwurf geradezu um. War es für Jacobi der Begriff, der nur Bedingungen aufzeigen kann und das Unbedingte, das Leben und die Freiheit nicht zu fassen vermag, so ist es jetzt das von Jacobi dafür ausersehene Mittel, nämlich die gegen den Begriff gestellte Unmittelbarkeit des Glaubens, die nunmehr in ihrer Verstrickung in die Bedingtheit und damit in ihrer Unfreiheit aufgezeigt wird. So ist nicht allein die Stärke der absoluten Negativität unter Beweis gestellt, sondern zudem auf das Ungenügen des Sprunges hingewiesen, indem der Glaube selbst dessen schuldig ist, was er dem (nicht-spekulativen) Begriff unterstellte. Anstatt also die (von Hegel sogenannte) Reflexionsphilosophie mittels des Sprungs in den Glauben bzw. in die Unmittelbarkeit zu überwinden, prolongiert Jacobi in Hegels Augen die Mängel und zementiert das Resultat, nämlich das Unbedingte, das Leben und die Freiheit nicht fassen zu können, um so selbst zu den Reflexions-

 Auch hier gilt der Satz: Das Leben ist frei, weil es als absolute Idee die absolute Negativität ist, die nur dies unmittelbar andere ist, aus dem sie zu sich zurückkehrt, um aber in dieser Rückkehr überhaupt das zu setzen, aus dem sie zurückkehrt.  Spinozas Substanz und damit überhaupt der Standpunkt der Substanzmetaphysik ist erst am Anfang der Begriffslogik explizit überwunden.

3.2 Absolute Negativität als Überbietung Jacobis

129

philosophen zu gehören, die er zu überwinden unternahm.⁵⁵ Erst indem Hegel den Begriff in die (spekulative) Prozessualität überführt, ist das Unbedingte kein bloßes Postulat mehr, sondern entfaltet sich als Begriff frei und lebendig.

 In Glauben und Wissen präsentiert Hegel Jacobis tatsächlich als Reflexionsphilosophen in einer Reihe mit Kant und Fichte. – Dieses Manöver Hegels untersucht B. Sandkaulen und ordnet es aus der Sicht Jacobis ein (vgl. Sandkaulen [2004]: Das Nichtige in seiner ganzen Länge und Breite). Hier sei auch auf die folgende Problematisierung der hegelschen Aufhebungsoperation in den nächsten Kapiteln verwiesen.

4 Figuren der Andersheit Der ontologische Aspekt oder die Frage nach dem Anderen 4.1 Vorverständigung Der ontologische Aspekt ist ein entscheidender und ergänzt den metaphysischen und freiheitstheoretischen Aspekt, insofern Hegel mit dem Nachweis der Selbstständigkeit des Einzelnen im Rahmen einer Philosophie des Absoluten einen weiteren Schritt für den Nachweis des Erfolges seines spekulativen Programmes gehen möchte. Bis hierher gestattet es die Entwicklung des Einheitsbegriffes, Einheit und Differenz zum einen in Einheit und zum anderen in Differenz zu denken. Jedoch lässt sich in jener Einheit noch nicht die gewünschte Stabilisierung der Differenz verzeichnen, die es dann auch erlauben würde, die in und aus der Einheit gewonnene Differenz als selbständige zu denken. Denn es ist zwar einerseits diese Struktur der absoluten Andersheit, die es ermöglicht, ein Anderes zu denken, andererseits unterliegt sie einer Oszillation, in der jedes Moment nur fixiert werden kann, um sogleich in sein konstitutives Gegenteil umzuschlagen. Die Struktur bietet in der Weise, wie sie bisher ausformuliert wurde, keine Möglichkeit, die Momente zu stabilisieren.¹ Ohne Stabilität jedoch gerät auch der  Für D. Henrich ist die Frage entscheidend, „wie sich Selbstbezüglichkeit, welche eines mit der Andersheit war, auch noch in der Doppelung festgehalten und festgestellt werden kann, die sich instantan aus ihr ergab“. „Der Fortschritt in der Folge der Versuche, diese Frage zu beantworten, macht den Fortschritt von Hegels Logik insgesamt aus.“ (Henrich [1974]: Formen der Negation in Hegels Logik, 251) – Den Einwand, dass Hegel Schwierigkeiten damit hat, formuliert Henrich später auf diese Weise: „So fragt es sich am Ende, ob ein Anderes gegen das Wesen überhaupt zustandekommen kann, obwohl doch der Wesensbegriff als solcher verlangt, daß dies geschieht, indem er das Wesen selbst als das definiert, was ein Anderes gegen sich ist. Aus dem Prinzip der absoluten Negativität folgt, daß ein Anderes gegen das Wesen sei. Es muß zwar auch als im Wesen aufgehoben gedacht werden – aber nicht so, daß sein Aufgehobensein es ausschließt, daß es als Anderes überhaupt zustandekommt. Soll man es als Anderes des Wesens denken, das doch nur äußerliche Beziehungen des Andersseins gar nicht zuläßt, so müßte es, indem es ein Anderes des Wesens ist, zugleich das Wesen sein. Denn nur so, als durch das Wesen selbst, könnte es der Notwendigkeit entgehen, je schon vom Wesen, das Aufheben des Anderen ist, aufgehoben zu sein. Bisher war es ein Anderes des Wesens nur insofern und indem seine Andersheit verschwindet. Ist diese Andersheit aber nichts als rein nur verschwindend, so kann das Wesen selbst gar nicht das Andere zu sich sein. Denn diese Definition verlangt, daß Andersheit wirklich zustandekommt. Man hat also zu konstatieren, daß es bisher noch nicht möglich geworden ist, das, was aus dem Prinzip der absoluten Negativität folgt, ohne Verlust festzuhalten. Und eben dies ist das dynamische Moment, das in eine weitere logische Vermittlung treiben muß.“ (Henrich [1978]: Hegels Logik der Reflexion (NF), 271) DOI 10.1515/9783110554328-007

4.2 Formbestimmtheit

131

Gewinn des Anderen aus der Einheit bzw. der Gewinn der Unmittelbarkeit aus der Vermittlung in den Strudel negativer Selbstbezüglichkeit, der kein Ende findet, sondern nur das in sich verschlingt, was im Verschlingen neu entstanden – auch wieder nur verschlungen wird. Exemplarisch soll an den für die Andersheit und Selbstständigkeit relevanten Figuren der Seins-, Wesens- und Begriffslogik das Grundmuster zur Generierung der Andersheit herausgearbeitet werden, um zugleich die Implikationen für die Wirklichkeitsmomente aufzuzeigen, mit denen man für gewöhnlich jene stabile Andersheit in Verbindung bringt. Erstens ist (in der Seinslogik) das Endliche selbst zu nennen, welchem nun im Gegensatz zu den Modi Spinozas ein positives Sein zukommen soll. Zweitens werden mit den Kategorien der äußeren Reflexion und der Existenz auf begrifflicher Ebene (in der Wesenslogik) Strukturen präfiguriert, die mit der Erschließung der Lebenswirklichkeit des Einzelnen direkt verknüpft sind. Drittens findet sich in der Einzelheit ein weiteres zentrales Element (in der Begriffslogik), mit welchem das Moment der Andersheit des Begriffes so sehr betont wird, dass Hegel hier auch vom Verlust des Begriffes redet, um jenen Verlust jedoch zugleich im weiteren Verlauf in der absoluten Idee aufzuheben. Diese drei exemplarischen Momente erhalten ihre Spezifika aus den Einheitsmodellen der jeweiligen Bücher der Logik, die erst dann zu einem befriedigenden Abschluss gekommen ist, wenn die Vermittlung zwischen Einheit und Mannigfaltigkeit (die schon für das Leben und die Freiheit essentiell zu nennen war) so realisiert ist, dass höchste Einheit auch höchste Vereinzelung bedeutet. Das Ungenügen zu verstehen, welches der Vermittlung auf dem Weg dahin anhaftet, ist Bedingung dafür, das Gelingen dieser Vermittlung klar zu fassen. Diesen Aspekten nachzugehen, ist notwendig, da es die Komplexität des hegelschen Projekts vor Augen stellt und vor Verkürzungen bewahrt. Vor welchen systeminternen Herausforderungen Hegel steht, soll zunächst an dem in der Struktur des Systems eingeschriebenen ontologischen Anspruch hervorgehoben werden, der es unmöglich macht, die Frage nach der Selbstständigkeit im System als bloße Bestimmung des Begriffes zu verstehen, dem gegenüber eine Wirklichkeit selbständig bestehen würde.

4.2 Formbestimmtheit Die Einsicht, dass Wirklichkeit keine bloße Gegebenheit sein kann, war bereits Resultat der Phänomenologie des Geistes, die den Begriff als das wahrhaft Seiende bestimmte. Die Frage ist nun, in welchem Sinne dieser ontologische Aspekt des

132

4 Figuren der Andersheit

Begriffes verstanden werden muss. Die Relevanz für die Fragestellung dieser Studie liegt auf der Hand, insofern mit Jacobis Frage nach der Individuation² unabweisbar die Realität des Einzelnen ins Zentrum gerückt ist. Zwei Zielstellungen treten in Hegels System potentiell in Konkurrenz zueinander: Auf der einen Seite rückt der Begriff selbst als das wahrhaft Seiende in das Gravitationszentrum des Systems, sodass ein endliches Individuum nur noch aus diesem Zentrum heraus gedacht werden kann, nicht aber als ein Seiendes, das absolut vom Begriff getrennt wäre. Die Selbstständigkeit des Einzelnen steht in Frage. Auf der anderen Seite muss dem endlichen Seienden dennoch eine Realität zugeschrieben werden können, die mehr ist als eine bloße Modifikation der Substanz, aber aus Hegels Sicht gleichwohl nicht unabhängig vom Begriff bestimmt werden kann.³ Die Selbstständigkeit darf nicht in Frage stehen; festzuhalten ist jedoch: Insofern die Realität des Individuums (und überhaupt alle Wirklichkeit) nicht unabhängig vom Begriff bestimmt werden kann und der Begriff sich als die Wirklichkeit selbst erweist, ist der spekulative Begriff ontologisch zu nennen – wobei im gleichen Zuge gesagt werden muss, dass Hegel mit seiner Logik eine traditionelle Ontologie gerade kritisieren und ersetzen möchte. ⁴ Obschon es nicht

 Der Aspekt der Individuation war für Jacobi der einzige Weg, das System des Spinoza anzugreifen.  Wenn H. Schnädelbach darauf hinweist, dass im Hintergrund der hegelschen Begriffskonzeption ein platonisches Verständnis der Idee im Sinne des ontos on steht, dann wird dies jenem Punkt nicht gerecht. Denn nur was Seiend ist – und dies ist bei Platon nur die Idee – kann im eigentlichen Sinne sein. Allem Anderen, so Schnädelbach, kommt nur ein defizitäres Sein zu und ist von diesem Seienden abhängig (vgl. Schnädelbach [2000]: Hegels ‚Enzyklopädie‘, 37).  Folgende Aspekte sprechen für die Weiterentwicklung der Ontologie durch den Begriff, d. h. für eine ontologische Lesart des Begriffes: Metaphysik als Logik. Logik und Metaphysik sind traditionell unterschieden. Bei Aristoteles ist Logik die Wissenschaft von den Denkgesetzen, wogegen die Metaphysik die Wissenschaft von den Prinzipien des Seienden bildet. Die Verbindung beider beginnt mit Kant. Indem er die Metaphysik kritisiert und die Ontologie in die Erkenntnis der Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überführt, hat er bereits in einem gewissen Sinne die Metaphysik zur Logik gemacht. Die transzendentale Logik nimmt eine Schlüsselstellung ein, indem sie die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung zu konstitutiven Strukturen der Dinge macht. Die Kopernikanische Wende lässt die Dinge sich nach der Erkenntnis richten. Hierin nimmt Hegel Kants Position gegen die Metaphysik insofern auf, als er die Ontologie in die Bewegung des Begriffes integriert. Logik als Metaphysik. Entscheidend bleibt aber die Objektivität des Begriffes, die nicht nur darin bestehen soll, dass es sich um Erkenntnis a priori handelt. Denken soll sich selbst als Sein erweisen – ohne dass dieses Sein nur ein Erscheinen eines dahinter unerkennbar Liegenden ist. Den Schritt zu diesem objektiven Begriff macht Hegel bereits in seiner Phänomenologie des Geistes, indem er die Form des Bezogenseins des Denkens als das Ansich überhaupt nachweist. Damit wird Objektivität nicht nur durch das Subjekt konstruiert. Das Denken in seinen Bestimmungen ist selbst das Ansich, das allem zugrunde liegt. Die Logik ist kein bloßes Denken mehr, sondern als

4.2 Formbestimmtheit

133

um eine Ontologie im herkömmlichen Sinne gehen kann, so soll doch der Begriff an diese Stelle treten und in einem modifizierten Sinne Wirklichkeit bestimmen und sein.⁵ Das heißt erstens, dass der Begriff nicht mehr als subjektiver verstanden wird, der abstrahierend gewonnen wird.⁶ Das heißt zweitens, dass der entfaltete Begriff nicht mehr als Theorie über Wirklichkeit verstanden werden kann.⁷ Drit-

objektiver Begriff das Sein, um das es schon der vormaligen Metaphysik gegangen war. Hierin nimmt Hegel die Position der alten Metaphysik gegen Kant auf. – Friedericke Schick sieht die Verbindung von Logik und Metaphysik für Hegels Projekt als zentral an. Allerdings unternimmt sie es in ihrer Untersuchung zu zeigen, dass sich beide nicht konsistent verbinden lassen (vgl. Schick [1994]: Hegels Wissenschaft der Logik). Kritik an der Reflexionsphilosophie. Zudem erfüllte ein der Wirklichkeit opponierter und damit nur subjektiver Begriff genau den Tatbestand einer Reflexionsphilosophie, die Hegel in den Formen des Denkens Kants, Fichtes und Jacobis in Glauben und Wissen eben aus dem Grunde kritisierte (vgl. GW, 346).  Vgl. dazu H.-P. Falk: Er sagt, dass „letztlich die Wirklichkeit des Begriffs […] keine ontologisch reinterpretierbare Struktur“ darstellt, denn „es fehlen ja schon die rein formalen Voraussetzungen dafür, von einer Struktur in einem solchen Sinn zu reden, nämlich Bestimmtheitsverhältnisse –; sie ist keine spezifische Bestimmtheit, die sich manifestiert, sondern d a s S i c h - M a n i f e s t i e r e n s e l b s t , die epistemische Zugänglichkeit der Realität“. (Falk [2002]: Die Wirklichkeit, 178) Wenngleich von einer ontologischen Dimension keine Rede sein kann, so wird doch „von Hegel im Ausgang vom Begriff versucht, etwas zu entwickeln, was die Funktion der traditionellen Metaphysik erfüllt, nämlich das Begreifen der Wirklichkeit in einem emphatischen Sinn“. (Falk [2002]: Die Wirklichkeit, 178) Dieser Sichtweise auf den Begriff, die das Sich-Manifestieren selbst betont, soll nicht widersprochen werden. Im Angesicht der Tatsache jedoch, dass es keine Realität außerhalb des Begriffes geben kann, weil der Begriff die epistemische Zugänglichkeit der Realität selbst so bestimmt, kommt dem Begriff jedoch m. E. ein ontologischer Aspekt zu, weil das SichManifestieren des Begriffes nur das Sich-Manifestieren der Realität selbst ist: selbst wenn das heißt, dass es kein Sein mehr im Sinne der klassischen Ontologie gibt. – So wird z. B. H. F. Fulda zu widersprechen sein, der keine Anhaltspunkte für eine Ontologisierung der Logik sieht: „Gegen affirmative ontologische Deutungen der dialektischen Logik ist daher Mißtrauen am Platz. Durch Hegels Argumente allein jedenfalls sind sie nicht ausreichend gestützt. Ich sehe vom Programm einer dialektischen Logik her auch keine Möglichkeit, etwas über die Berechtigung ontologischer Commitments auszumachen.“ (Fulda [1978]: Unzulängliche Bemerkungen zur Dialektik, 240)  Der Begriff darf jedoch m. E. nicht als Schöpfer, das heißt als letzter Grund oder letzte Ursache, missverstanden werden. H. Schnädelbach nimmt hierzu eine sehr starke Position ein. Er schreibt zum Konzept des objektiven Begriffs: „Damit erscheint der aristotelische Erkenntnisfortschritt vom ‚Ersten für uns‘ zum ‚Ersten der Natur nach‘ – d. h. vom Gegebenen zum Wesen – zugleich als ein Erzeugen des ‚Ersten der Natur nach‘ oder des Wesens der Dinge durch das Denken selber. Plausibel ist dies freilich nur unter der Voraussetzung, daß alles ‚an sich‘ Denken sei; sie spricht der Satz aus: Daß Verstand, Vernunft in der Welt ist, sagt dasselbe, was der Ausdruck ‚objektiver Gedanke‘ enthält.“ (Schnädelbach [2000]: Hegels ‚Enzyklopädie‘, 33)  Das Verhältnis von Absolutem und seiner Darstellung entspricht damit nicht dem von Theorie und Theoretiker, sondern dem von Sprache und Gesprochenem. Diese Analogie hat V. Rühle

134

4 Figuren der Andersheit

tens hat es Konsequenzen, wie überhaupt Einzelheit und deren Selbstständigkeit gedacht werden kann. Denn diese ontologische Position nun hat nicht die Möglichkeit, das Einzelne auf die pure Faktizität zurückzuziehen, weil es nicht nur epistemisch bestimmt wird, sondern ontologisch davon abhängt. Es ist hier nicht mehr nur die Frage, was wir dem Erkennen nach über uns sagen können, sondern was wir der Natur nach sind. Die Faktizität des Individuums geht in der ontologischen Lesart im System selbst auf. Beide haben kein äußerliches Verhältnis zueinander, weil das System nicht nur ein Wissen über Wirklichkeit ist, sondern Wirklichkeit selbst sein möchte.⁸ Das definiert den Rahmen für eine Beantwortung der Frage nach dem Status des Einzelnen. Die ontologische Dimension des Absoluten und dessen Konsequenz für das Verständnis des Individuums charakterisiert Dieter Henrich treffend als ‚Formbestimmtheit der Einzelheit‘.⁹ Was bedeutet nun diese Formbestimmtheit für die Fragestellung? Man kann diesen ontologischen Monismus des Absoluten nur dann denken, wenn alles Gegenüberverhältnis von Einzelnem und Allgemeinem so abgebaut ist, dass das Einzelne selbst nicht mehr vorausgesetzt werden muss. ¹⁰ Wäre dies die absolute

benannt, jedoch nicht weiter ausgeführt (vgl. Rühle [1989]: Jacobi und Hegel, 168 f). Folgende Logik kommt hier zum Ausdruck: Die Sprache (langue) existiert nur im konkreten Sprachgebrauch (parole). Andersherum gibt es den Sprachgebrauch nur durch die Sprache mit all ihren Regeln und Vorgaben. Beides bedingt sich gegenseitig, obgleich beides verschiedenen Dimensionen angehört. So verhält es sich auch, dass sich die Sprache selbst nicht im Sprachgebrauch erschöpfen lässt, weil sie unendliche Kombinationen zulässt. Gleichwohl ist die Menge an Regeln der Sprache endlich. Insofern zudem diese Regeln selbst nur als Gesprochene (in Sätzen) existieren und also nur in dieser gesprochenen Sprache ausgedrückt werden können, ist die Darstellung der Sprache selbst nicht außerhalb der Sprache, sondern immer schon die Sprache selbst, jedoch nur als das Gesprochene. Die Sprache lässt sich nur als Gesprochene fassen und nicht als (reine) Sprache. Manifest ist hier eine Einheit beider, die doch auf einer signifikanten Differenz beruht. Sprache ist Grund und Resultat des Sprechens in einem. So auch das Absolute und seine Darstellung. Ein System des Absoluten ist demnach keine Theorie über das Absolute, sondern das Sich-Ausdrücken des Absoluten im System selbst, wobei es genauso richtig ist zu sagen, dass das System vom Absoluten handelt – wenn man bedenkt, dass es hier nicht abgebildet wird, sondern als Ganzes sich selbst verwirklicht und darstellt in einem Modus der Andersheit, der jedoch konstitutiv selbst zum Absoluten gehört wie das Sprechen zur Sprache.  Wenn bisher die Logik auf eine Weise rekonstruiert wurde, die zwar die Formen der Logik von einer Realisierung dieser Formen in einer Wirklichkeit unterscheidet, dann geschieht diese Unterscheidung auf Basis einer noch im System ausstehenden Wirklichkeit, die in der Realphilosophie verhandelt wird, jedoch nicht auf einer Basis, die das System selbst von der Wirklichkeit trennte.  Im Folgenden schließe ich mich den Thesen D. Henrichs an (vgl. dazu Henrich [1982]: Logische Form und reale Totalität).  D. Henrich drückt dies so aus: „Sie [die ‚Kategorien‘ spekulativen Denkens, D. A.] müssen als selbstgenügsame Formen angesehen werden. Ist man aber dahin gelangt, dann läßt sich die

4.2 Formbestimmtheit

135

Grenze, gäbe es vielleicht ein Absolutes. Dieses hätte sich aber nicht als das Absolute erkannt. Die Selbsterkenntnis des Absoluten erfordert es, das Einzelne aus dem Prozess des Absoluten zu verstehen. Dies umfasst Hegels Monismus, der seine Reichweite erst dann unter Beweis stellt, wenn eigenständige Einzelheit aus der Einheit absoluter Negativität gewonnen werden kann, und zwar so, dass sie sich überhaupt erst in der Einheit erfüllt und verwirklicht, wiewohl auch zu gelten hat, dass die Einheit erst aus den Einzelnen begriffen werden kann.¹¹ Das ergibt sich schon aus der spekulativ-dialektischen Struktur der absoluten Negativität. Wirklichkeit ist, so verstanden, in erster Linie bestimmt durch die Formanalyse, die Hegel in der Logik und Realphilosophie gibt, und nicht durch eine am kausalen Zusammenwirken der Individuen orientierte mechanistische Weltsicht.¹² Gerade in der Schlusslehre und hernach im Übergang in die Objektivität in der Begriffslogik entfaltet Hegel die Grundlage dafür, Wirklichkeit konkret im Begriff aufzuschließen und sie als identisch mit ihm zu erweisen.¹³ Hegels Monismus baut

Schlußfolgerung gar nicht mehr abwenden, daß Wirklichkeit, insoweit von ihr innerhalb von spekulativem Denken die Rede sein kann, auch ihrerseits ein besonderer Formcharakter und durchaus nichts ist, das zwar unter Formhinsichten erkannt werden kann, ansonsten aber eine vernunftresistente Urgegebenheit sein kann.“ (Henrich [2003]: Erkundung im Zugzwang, 22)  „Zu einer monistischen Theorie ohne von ihr nicht mehr zu verarbeitende Vorgabe von Einzelnheit wird sie erst dann, wenn sie die Differenz derer, die in der Vereinigung zusammentreten, aus ihrem eigenen Einheitssinn zu gewinnen vermag und wenn sie dann den Zustand der Vereinigung selbst so denken kann, daß in ihm die Einzelnheit derer, die in jeder Rede von Vereinigung vorausgesetzt sind, selbst noch einbegriffen ist. […] Einheit ist als Einheit von Allem nur dann gedacht, wenn sie zugleich der Gedanke von der Wirklichkeit eines jeden ist, – wenngleich so, daß gerade die Selbständigkeit eines jeden als Funktion des Zusammenhanges und Systems aufgefaßt wird, in dem und in Beziehung auf das dieses Ganze besteht und sich verwirklicht.“ (Henrich [1982]: Logische Form und reale Totalität, 429)  Ein mechanistisches Verständnis der Wirklichkeit ist schon in der Phänomenologie als unhaltbar ausgewiesen worden. Hegels Position führt also nicht in einen blinden Begriffsdogmatismus, sondern bildet überhaupt die Grundlage für den epistemischen Zugang zu einer von uns unabhängig gedachten Wirklichkeit. L. Siep, C. Halbig und M. Quante stellen dies in einem Aufsatz fest: „Hegel verbindet also ein monistisches und holistisches Begriffssystem mit einem Begriffsrealismus, nach dem die Realität der Dinge nicht in ihrer ‚ineffablen‘ Individualität, einer außergeistigen Materialität oder einer außerbegrifflichen Sinnlichkeit besteht. Selbst ihre Zufälligkeit läßt sich noch als eine Variation begrifflicher Muster verstehen. Je reiner und vollständiger sie dieses Muster verwirklichen, desto realer sind sie – ein Gedanke, der bekanntlich auch Hegels oft mißverstandener These der sozialen Wirklichkeit der Vernunft zugrunde liegt. Die eigentliche Realität der Dinge ist die Verwirklichung ihres Begriffes und die ihnen mögliche Stufe seiner Reflexion […].“ (Halbig, Quante u. Siep [2001]: Direkter Realismus, 153)  Auch wenn T. Pinkard Hegel gegen den Vorwurf J. McDowells zu verteidigen sucht, Hegels Logik sei nur ein „reibungsloses Kreiseln in Leere“ (Pinkard [2003]: Objektivität und Wahrheit innerhalb einer subjektiven Logik, 119), beschränkt er Hegels Begriff auf den „Bereich des Den-

136

4 Figuren der Andersheit

damit alle Unmittelbarkeit definitiv ab. Absolute Negativität lässt die Einzelheit als unhintergehbaren Ausgangspunkt für die Selbst- und Weltverständigung nicht unangetastet. Die in der absoluten Negativität entfaltete Struktur ist gegenüber dem Einzelnen nicht sekundär¹⁴, sondern umgekehrt: Das Einzelne und auch der Einzelne sind nur aus dieser Struktur zu verstehen und von dieser nicht nur radikal abhängig, sondern gehen darin auf.¹⁵ Der unendliche Begriff kann keineswegs als Einheit über einer unbestimmten, aber faktisch vorhandenen Wirklichkeit verstanden werden.¹⁶ Der Einzelne ist damit nicht als autark gegenüber dem Absoluten existierende Instanz zu verstehen, die in einer Theorie äußerlich abgehandelt würde. Dennoch löst die Aufhebung des Einzelnen in den unendlichen Begriff die Freiheit nicht auf. Der Einzelne gewinnt dadurch überhaupt seine Freiheit, indem die Allgemeinheit zu einem in sich Allgemeinen dadurch wird, dass die Einheit überhaupt nur in der Einzelheit besteht.¹⁷ Das heißt mit anderen Worten: Will sich die Einzelheit über sich aufklären, muss sie ihre Formbestimmtheit im Absoluten begreifen. Nur so versteht sie sich selbst als Einheit von Einheit und Differenz, d. h. als Subjektivität, die, als absolute Negativität, Weltverhältnis nur als (epistemisches) Selbstverhältnis denkt.¹⁸ Die Formanalysen in der Logik formulieren damit erstens das Selbstverständnis des Einzelnen, das nicht die Basis, vielmehr das Resultat der Erkenntnis sein soll, ohne jedoch Selbstständigkeit aus dem Ansatz per se an den Begriff verloren zu haben.¹⁹ Die Formanalysen bilden

kens“, „innerhalb“ dessen nur die Verwirklichung gedacht werden kann. „Eine Bedeutungsanalyse von Begrifflichkeit ist nicht dasselbe wie deren tatsächliche Verwirklichung in der Praxis des Gründegebens und -einforderns.“ (Pinkard [2003]: Objektivität und Wahrheit innerhalb einer subjektiven Logik, 133) Ein solches Verständnis des Begriffes ist zu kurz gegriffen.  Vgl. Henrich [1982]: Logische Form und reale Totalität, 435.  Vgl. Henrich [1982]: Logische Form und reale Totalität, 435.  Vgl. Henrich [1982]: Logische Form und reale Totalität, 435.  Vgl. Henrich [1982]: Logische Form und reale Totalität, 438. – Das Thema Freiheit im Kontext des Systems ist sehr vielschichtig. Vgl. dazu auch die folgenden Ausführungen in Kapitel VII im Abschnitt Verwirklichung der Freiheit – Zeit und Geschichte.  Vgl. Henrich [1982]: Logische Form und reale Totalität, 438.  B. J. Martin schränkt die Reichweite der konkreten Allgemeinheit in seiner Analyse dagegen ein. „For Hegel […] the individual appears to be largely an embarrassment. I mean to show that he responds to this by reducing the individual to a series of universals, and moreover by claiming that the ‚truth‘ of the individual is in fact universal. There is, in short, no place in his system for a fullbodied individual, and to the extent that this is the case, his system is fundamentally flawed […].“ (Martine [1984]: Individuals and Individuality, 5) Die Begründung dafür ist aufgebaut auf einem dualistischen Verständnis: „I think, [it is] a serious mistake to assume that determinateness itself is completely reducible to a clustering of universals. For in making this assumption, one cannot allow a logical space for what might simply be called determination qua determination. […] That is, one necessarily neglects the discreteness or ‚self-containded-ness‘ of particular determinate ob-

4.3 Stabile Andersheit: Seinslogik

137

darüber hinaus auch die Grundkonstanten der der Realphilosophie obliegenden Entfaltung eines komplexen Wirklichkeitsverständnisses, in das objektive, subjektive und kulturelle Phänomene gleichermaßen einfließen müssen.²⁰

4.3 Stabile Andersheit: Seinslogik Das wahrhaft Unendliche Gleich am Anfang der Seinslogik, im Zuge der ersten Bestimmungen, beginnt Hegel, den Selbstbezug der Subjektivität zu entwickeln. Entscheidendes Moment ist hierbei der Nachweis einer Inkonsistenz der von Hegel so genannten schlechten Unendlichkeit, die das Endliche als Anderes sich gegenüber hat.²¹ Hegel arbeitet die Einheit des Endlichen mit dem Unendlichen heraus, die im Konzept der schlechten Unendlichkeit nicht erkannt ist, aber schon zugrunde liegt.²² Das Eine kann nämlich entsprechend der (oben dargelegten) Bewegung der Negativität nicht aufgefasst werden ohne das Andere, „das Unendliche nicht ohne das Endliche, dieses nicht ohne das Unendliche“. (WL12, 131) Beide sind also Negation des Anderen, die durch das Andere ihrer selbst zu sich zurückkehren. Auch wenn es so erscheinen mag, dass dies in einem „unendlichen Progresse“ geschieht, so ist es doch als eine Einheit, als eine „vollständige, sich selbst schliessende Bewegung“ bzw. als „Rückkehr zu sich“ zu denken. (WL12, 134) Dieser aus der Rückkehr in sich entstehende Kreis ist die wahrhafte Unendlichkeit, die Negation der Negation ist und sich selbst und die Endlichkeit in sich vermittelnd begreift.²³ Als diese

jects. Though there can certainly exist differences, there can be no radical otherness, no truly dyadic relation within the bounds of a system which can only tolerate mediated relationships.“ (Martine [1984]: Individuals and Individuality, 7)  Diesem Aspekt wird aufgrund der Relevanz für die Verortung der Einzelheit in der Realphilosophie das Kapitel VII: Individualität im Kontext gewidmet.  V. Rühle stellt ausgehend von den Frühschriften die Wichtigkeit der spekulativen Einheit von Endlichem und Unendlichem für eine adäquate Konzeption des Absoluten heraus (vgl. Rühle [1989]: Verwandlung der Metaphysik, bes. 49 ff).  Hegel entwickelt seine Theorie der Unendlichkeit aus der Kritik an diesem Schlecht-Unendlichen, indem er aufnimmt, was in dieser unbegriffen schlummert. Über den Nachweis der Widersprüchlichkeit der Verstandeskonzeption will er den Verstand selbst zur Vernunft bringen. Denn begreift der Verstand seine Widersprüchlichkeit, geht er vermittels der Auflösung dieser Widersprüche in die Vernunft über. „Die Vernunft ist gleichsam das Bewußtsein des Verstandes über sich selbst.“ (Iber [1999]: Subjektivität, Vernunft und ihre Kritit, 161)  „Dieß gibt denn die – verruffene – Einheit des Endlichen und Unendlichen, – die Einheit, die selbst das Unendliche ist, welches sich selbst und die Endlichkeit in sich begreift […].“ (WL12, 132)

138

4 Figuren der Andersheit

Kreisbewegung ist diese affirmative Unendlichkeit wesentlich ein Werden der wahren Bestimmung, indem der Unterschied des Unendlichen und Endlichen zur Affirmation der Einheit beider als der wahren Unendlichkeit aufgehoben wird.²⁴ Ruft man in Erinnerung, dass Hegel diese Figur auch die Identität der Relata und der Relation nennt, wird nochmals deutlich, wie sehr sich Hegel damit gegenüber Spinoza abgrenzen möchte. Wenngleich hier noch nicht die erwünschte Stabilität erreicht ist – wir befinden uns ja am Anfang der Logik –, zeigt sich hier bereits das Potential der spekulativen Logik: Statt einer Substanz, in der alle Bestimmungen zu finden sind, setzt Hegel die wahrhafte Unendlichkeit, in der er die Bestimmungen, d. h. die Relata nur aus einer Relationalität der Relata selbst begreifen will. Mit anderen Worten: Es gibt zu den Relata kein Vorgängiges, aus dem heraus sie nun fix bestimmt wären. Hegel steht damit zwischen zwei Positionen und vermeidet deren von ihm kritisierten Einseitigkeiten: Im Zusammenfall der Unendlichkeit mit der Endlichkeit will Hegel erstens einen Ursprung des Endlichen aus dem Unendlichen vermeiden, insofern ein solches Unendliches nur eine Projektion wäre, die nicht theoretisch einholbar ist. Eine solche Position vertrat auch die alte Metaphysik, die in die Schwierigkeit geriet, das Endliche selbst nur als Abgeleitetes und Uneigentliches bestimmen zu müssen. Hegel möchte zweitens auch die umgekehrte Position vermeiden, in der das Unendliche aus dem Endlichen durch Abstraktion entspringt. Hier wäre im Gegensatz das Unendliche das Unwirkliche und Abgeleitete. Hegel möchte beides, das Endliche wie das Unendliche, zur Geltung bringen und beides in einem Vollsinn in sein System integrieren.²⁵ Die auf dieser spekulativen Figur beruhende wahrhafte  „Wie also das Unendliche in der That vorhanden ist, ist [einerseits, D. A.] der Proceß zu seyn, in welchem es sich herabsetzt, nur eine seiner Bestimmungen, dem Endlichen gegenüber und damit selbst nur eines der Endlichen zu seyn, und [andererseits, D. A.] diesen Unterschied seiner von sich selbst zur Affirmation seiner aufzuheben und durch diese Vermittlung als wahrhaft Unendliches zu seyn.“ (WL12, 135 f)  C. Iber sieht in der spekulativen Einheit von Endlichem und Unendlichem keine Versöhnung zu Lasten des Endlichen. Er gesteht zwar zu, dass Hegel das Endliche nur als das Zugrundegehende versteht (vgl. WL12, 116), jedoch ist dies ihm nicht Grund genug anzunehmen, Hegel habe sich gegen das Endliche gestellt. Er sagt vielmehr: „Die Rettung des Endlichen – und auch Hegel möchte das Endliche retten – erfolgt nicht gegen seine Auflösung und gegen sein Zugrundegehen. Nur wenn das Endliche in seiner Unmittelbarkeit und Isoliertheit vom Unendlichen zugrunde geht, kann es gerettet werden, nämlich über das Unendliche.“ (Iber [1999]: Subjektivität, Vernunft und ihre Kritit, 144) Das charakteristisch hegelsche daran aber ist nun der bekannte Umstand, dass das Unendliche nicht einfach nur in der Negation des Endlichen besteht. Denn solch ein Standpunkt „übersieht erstens, daß für Hegel nicht nur das Bleiben des Endlichen, sondern auch das Unendliche als Negation des Endlichen inkonsistent ist, und damit zweitens, daß Hegels Unendlichkeitstheorie auf eine dritte Möglichkeit für das Endliche abhebt. Daß das Verschwundensein des Endlichen im Resultat seiner Selbstaufhebung, dem Unendlichen, die Wahrheit nicht

4.3 Stabile Andersheit: Seinslogik

139

Unendlichkeit ist damit keine Abstraktion von der Endlichkeit in dem Sinne, dass das Unendliche nur einen Abzug der Wirklichkeit darstellt; und es ist keine Abstraktion von der Endlichkeit in dem anderen Sinne, dass das Endliche als das Uneigentliche zurückgelassen wird. Das Unendliche als der Begriff und das Endliche als die Einzelnen sollen vielmehr so nur auseinander verständlich gemacht werden können. Den Ausgleich zwischen diesen ungenügenden Positionen versucht die wahrhafte Unendlichkeit, in der die Grundstruktur der Subjektivität konstitutiv einfließt.²⁶ So trifft bereits der Anfang der Seinslogik die Unphilosophie Jacobis aus Hegels Perspektive direkt ins Mark, insofern die absolute Entgegensetzung von Person und Begriff bzw. von Endlichem und Unendlichem immanent als unhaltbar ausgewiesen werden soll. Entscheidend ist hier, dass Hegel das Endliche in das Unendliche überführt, aber so, dass das Ansich des Endlichen allein im Unendlichen, d. h. im Begriff, zu finden ist und das Endliche gegenüber dem Begriff alle Differenz verliert. Es ist die Natur des Endlichen selbst, über sich hinauszugehen, seine Negation zu negiren und unendlich zu werden. Das Unendliche steht somit nicht als ein für sich fertiges über dem Endlichen, so daß das Endliche ausser oder unter jenem sein Bleiben hätte und behielte. Noch gehen wir nur als eine subjective Vernunft über das Endliche ins Unendliche hinaus.[…] Insofern aber das Endliche selbst in die Unendlichkeit erhoben wird, ist es eben so wenig eine fremde Gewalt, welche ihm dieß anthut, sondern es ist dieß seine Natur, sich auf sich als Schranke, sowohl als Schranke als solche, wie als Sollen, zu beziehen, und über dieselbe hinauszugehen, oder vielmehr als Beziehung auf sich sie negirt zu haben und über sie hinaus zu seyn. Nicht im Aufheben der Endlichkeit überhaupt wird die Unendlichkeit überhaupt, sondern das Endliche ist nur dieß, selbst durch seine Natur dazu zu werden. Die Unendlichkeit ist seine affirmative Bestimmung, das was es wahrhaft an sich ist. (WL12, 125)

sein kann, ergibt sich schon aus Hegels methodischem Konzept der bestimmten Negation: ‚Das Positive in seinem Negativen festzuhalten, die ist das Wichtigste im vernünftigen Erkennen‘“.(Iber [1999]: Subjektivität, Vernunft und ihre Kritit, 157)  Selbstbezüglichkeit ist „ein notwendiges Ingredienz des Gedankens von Gegenständlichkeit überhaupt, insofern dieser Gedanke nur durch den Rekurs auf das Konzept der (wahren) Unendlichkeit eine Bedeutung haben kann“. (Horstmann [2002]: Hegel über Unendlichkeit, Substanz, Subjekt, 95) Das heißt, dass schon für die Formulierung eines konsistenten Entwurfs von endlicher Wirklichkeit die Figur der sich auf sich zurückwendenden Unendlichkeit und damit die Figur des Selbstbezugs unabdingbar ist, was das Verständnis von Wirklichkeit und auch das Verhältnis von Besonderem (Endliches) und Begriff (Unendliches) entscheidend beeinflusst. Idealität (Begriff) und Realität (Wirklichkeit) erweisen sich bereits in den elementarsten Figuren der Seinslogik als untrennbar miteinander verwoben.

140

4 Figuren der Andersheit

Die Plausibilität des Überganges sei ganz dahin gestellt.²⁷ Das Resultat ist, dass „das Endliche im Unendlichen verschwunden“ ist, wie Hegel es sagt, „und was i s t , ist nur das Unendliche“. (WL12, 125) Der scheinbare Widerspruch zu den oben festgehaltenen positiven Resultaten aus der wahrhaften Unendlichkeit für das Endliche entsteht aus der Notwendigkeit, Urteile zu formulieren, die prinzipiell nicht geeignet sind, spekulativen Inhalt auszudrücken. Wie die obige Analyse des Urteils ergab, ist in diesem nicht nur ein falsches Wirklichkeitsverständnis impliziert, sondern zugleich und mehr noch ein Inhalt spekulativer Art im Satz ungewollt fixiert, der einerseits als bewegt und andererseits mit seinem Gegenteil in Einheit gelesen werden muss.²⁸ Daher bleiben solche Äußerungen Hegels immer im Kontext ihrer spekulativen Bewegung zu verstehen. In diesem Sinne ist zu betonen, dass dieser „Untergang“ des Endlichen in der wahrhaften Unendlichkeit kein Verschwinden des Endlichen in dem Sinne darstellt, dass nunmehr allein  Besonders A. Arndt analysiert diesen Übergang recht genau und sieht keine Rechtfertigung dafür: Die Struktur des Endlichen ist zunächst völlig offen. Aus einem dem Unendlichen indifferenten Endlichen entspringt nicht das Wahre, wenn das Endliche vergeht. Es verlängert sich tatsächlich nur in eine schlechte Unendlichkeit, die zu überwinden das voraussetzt, worauf sie hinaus möchte. Das Endliche wird entweder in die Dimension des Wahren, der Einheit und der Vermittlung verortet, um in der (nennen wir es) schlechten Endlichkeit (in der strikten Opposition zu Unendlichkeit) als schlechte das Überwinden in der impliziten Struktur des Ungenügens bereits zu haben und in der Modifikation des Schlechten just die wahre Unendlichkeit zu erreichen. Oder aber die Offenheit der Struktur des Endlichen lässt sich schon gar nicht als die schlechte identifizieren, weil die Kriterien hierfür fehlen, was mithin einen Überstieg ausschließt. Aber das Endliche wird von Beginn an insofern in Kontinuität gestellt mit dem Unendlichen, als dieses in letzter Instanz zumindest das Ansich des Endlichen verbürgen können soll. So ist aber das Unendliche immer schon aufgeladen mit einer Funktion, die zudem in der Tradition metaphysischer Begründungsleistung steht. Das Ansich des Endlichen zu verbürgen, hieße dann auch, der (ontologische) Grund des Endlichen zu sein. Dass das aus der Struktur des Endlichen entspringt, ist entweder nur mit dieser Vorleistung verständlich oder zu voreilig gesagt. Arndt identifiziert zudem in der Selbstnegation des Endlichen, aus der dann der Übergang in das Unendliche vonstatten gehen solle, eine Umdeutung zur Selbstnegation der Endlichkeit als solcher (vgl. Arndt [1994]: Dialektik und Reflexion, 192). Wenn Hegel sagt, „es kommt darauf an, ob in der Ansicht beym Seyn der Endlichkeit beharrt wird, die Vergänglichkeit bestehen bleibt, oder ob die Vergänglichkeit und das Vergehen vergeht“ (WL12, 117), so ist das Vergehen des Vergehens genau der Schritt, der zwar von Nöten ist, um die wahrhafte Unendlichkeit zu erreichen, aber genau mit den Hegel an dieser Stelle eigentlich zur Verfügung stehenden Mitteln nicht erreicht werden kann.  Das hat Hegel zum spekulativen Satz geführt, über den er schon in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes ausführlich schreibt (vgl. dazu PG, 42 ff). Der hauptsächliche Gedanke dabei ist, dass der spekulative Inhalt in verschiedenen, sich widersprechenden Sätzen wiedergegeben werden muss, die dennoch eine (bewegte) Einheit ausmachen (vgl.Wohlfart [1981]: Der spekulative Satz). – Eine kritische Auseinandersetzung mit Wohlfarts Rekonstruktion hinsichtlich der Integration des Individuellen vermittels des spekulativen Satzes liefert C. Hackenesch (vgl. Hackenesch [1987]: Die Logik der Andersheit, 154 ff bes. 166 f).

4.3 Stabile Andersheit: Seinslogik

141

das Unendliche vorhanden wäre.²⁹ Die Formel der wahrhaften Unendlichkeit will gerade herausstellen, dass das Unendliche – trotz der irreführenden Formulierung – im Endlichen allein Bestand hat. Man könnte also nach der Transformation des Endlichen ins Unendliche genauso sagen, das Unendliche sei im Endlichen untergegangen.³⁰ Jedoch geht die Differenz zwischen beiden unter. Was ist, so könnte das Zitat von Hegel umformuliert werden, ist nur der Begriff, und das Endliche muss nunmehr aus diesem und als dieser verstanden werden und zwar so, dass weiterhin gilt, dass das Endliche und das Unendliche jeweils im Vollsinn anerkannt werden. Hegel identifiziert diese Verschiebung in der Konzeption des Endlichen mit der Idealität des Endlichen und erläutert damit genauer die Konsequenzen:³¹ Realität und Idealität werden häufig als ein Paar mit gleicher Selbständigkeit einander gegenüberstehende Bestimmungen betrachtet, und man sagt demgemäß, daß es außer der Realität auch eine Idealität gebe. Nun aber ist die Idealität nicht etwas, das es außer und neben der Realität gibt, sondern der Begriff der Idealität besteht ausdrücklich darin, die Wahrheit der Realität zu sein, d. h. die Realität als das gesetzt, was sie an sich ist, erweist sich selbst als Idealität. Man darf somit nicht glauben, der Idealität die nötige Ehre erwiesen zu haben, wenn man nur einräumt, daß es mit der Realität noch nicht abgetan sei, sondern daß man außer derselben auch noch eine Idealität anzuerkennen habe. Eine solche Idealität, neben oder immerhin auch über der Realität, wäre in der Tat nur ein leerer Name. Einen Inhalt aber hat die Idealität nur, indem dieselbe Idealität von etwas ist: dieses Etwas aber ist dann nicht bloß ein unbestimmtes Dieses oder Jenes, sondern das als Realität bestimmte Dasein, welchem, für sich festgehalten, keine Wahrheit zukommt. Man hat nicht mit Unrecht den Unterschied der Natur und des Geistes so aufgefaßt, daß jene auf die Realität und dieser auf die Idealität als ihre Grundbestimmung zurückzuführen seien. Nun aber ist die Natur eben nicht ein Festes und Fertiges für sich, welches somit auch ohne den Geist bestehen könnte, sondern dieselbe gelangt erst im Geist zu ihrem Ziel und ihrer Wahrheit, und ebenso ist der Geist an seinem Teil nicht bloß ein abstraktes Jenseits der Natur, sondern derselbe ist wahrhaft und bewährt nur erst als Geist, insofern er die Natur als aufgehoben in sich enthält. (E1S, § 96 Zusatz)

In der Durchdringung von Endlichem und Unendlichem wird das Endliche wahrhaft gefasst und in sein Ansich gehoben. Wenn also das Endliche so zwar nicht ausgelöscht wird, bleibt es dennoch entscheidend festzuhalten, dass dem Endlichen, „für sich festgehalten, keine Wahrheit zukommt“. Das Endliche ist von

 Auf diesen zentralen Punkt weist auch A. Hutter in seiner Antrittsvorlesung hin und zeigt, dass darin der Schlüssel zu einem adäquaten Hegel-Verständnis liegt (vgl. Hutter [2007]: Hegels Philosophie des Geistes, 81 ff).  Dies betont auch Sandkaulen [2008]: Die Ontologie der Substanz, 273 f.  Dieses Konzept führt Hegel in der Enzyklopädie tatsächlich direkt im Anschluss an die wahrhafte Unendlichkeit ein.

142

4 Figuren der Andersheit

nun an auf das Unendliche respektive auf den Begriff in der Bestrebung angewiesen, sich über sich aufzuklären und seiner Substanz zu vergewissern. Das ist gemeint, wenn gesagt wird, dass das Unendliche die Wahrheit des Endlichen ist. Ein Festhalten des Endlichen als bloß Einzelnem (wie Jacobi es nach Hegels Meinung tut) ist von nun an nicht mehr möglich,weil es die ab jetzt nachgewiesene Identität mit dem Begriff, d. h. mit dem Allgemeinen, verkennen würde. Hegel drückt es so aus: Der Satz, daß das Endliche ideell ist, macht den Idealismus aus. Der Idealismus der Philosophie besteht in nichts anderem, als darin, das Endliche nicht als ein wahrhaft Seyendes anzuerkennen. (WL12, 142)

Wirklichkeit, um einem Bild zu folgen, das Hegel im Zuge der Erläuterung des spekulativen Satzes gibt, ist weder isolierte Endlichkeit noch Unendlichkeit, sondern die Einheit, die „im Rythmus zwischen dem Metrum und dem Accente statt findet“. (PG, 43) Metrum – d. h. Unendlichkeit – allein ist nicht das Ganze. Auch ist der Akzent – d. h. die Endlichkeit – nicht das Ganze. Das Ganze ist allein das Zusammenspiel aus beiden, die im Rhythmus – d. h. der wahrhaften Unendlichkeit – zusammenfallen. In der Zusammenführung der Negativität des Endlichen mit der Negativität des Unendlichen als absolute Andersheit wird die ganze Dimension der Spekulation deutlich. Das Endliche ist negativ auf sich bezogen und hebt sich selbst im Absoluten auf. Zugleich ist das Absolute als Andersheit negativ auf sich bezogen und hebt sich selbst in dem Anderen seiner selbst, im Endlichen, auf. Beides aber sind keine getrennten Bewegungen, sondern überhaupt nur eine – die der absoluten Negativität, die als diese Doppelbewegung von Hegel als „absoluter Gegenstoß“ gefasst wird. Dieser besagt dann, dass nicht das Unendliche ist und dann das Endliche oder das Endliche und dann das Unendliche. Beide stehen sich nicht gegenüber, sondern sind nur Momente in diesem (unendlichen) Oszillieren der negativen Beziehung der Andersheit auf sich selbst. Das heißt also, dass das Absolute nicht etwas ist, zu dem die Negation hinzutritt und das Endliche als etwas anderes zusätzlich installiert. Es ist nur die negative Selbstbeziehung, die wie das Vexierbild beides zugleich ist. Im Negieren des Endlichen liegt daher die Affirmation des Unendlichen, weil das Endliche überhaupt nur das Negieren (aktivisch) des Absoluten ist. Es liegt aber zugleich im sich Negieren des Unendlichen (als absolute Andersheit) die Affirmation des Endlichen, weil das Absolute nur das Sich-Negieren des Endlichen ist. Beides, Endliches und Unendliches, ist die Rückkehr aus dem Anderen, das überhaupt nur in der Rückkehr gesetzt wird.³²  Dass bei Hegel „das Absolute nur im Anderen, im Modus seiner Entäußerung, aufgezeigt

4.4 Stabile Andersheit: Wesenslogik

143

Damit wird aber zugleich gesagt werden müssen, dass das Endliche nun nicht sein Ansich im Unendlichen hat, sondern in der absoluten Negativität, die sich als das wahrhafte Resultat der Bewegung des Begriffes zeigt. Die entscheidende Transformation liegt in der Überführung der Endlichkeit in die Einheit mit dem Begriff, der jetzt die Substanz der Endlichkeit ausmacht – wiewohl auch zugleich zutrifft, dass die Endlichkeit die Substanz des Begriffes konstituiert. Der Begriff, wie Hegel sagt, ist nun das Ansich. Damit wird aber die Frage nach der Selbstständigkeit des Endlichen, die im Rahmen der Spinoza-Kritik eine zentrale Stellung einnimmt, in ein völlig anderes Licht getaucht. Weil die wahrhafte Unendlichkeit und damit absolute Negativität eigentlich im Überstieg über das Endliche und letztlich im Auflösen des partikularen (d. h. gegen den Begriff sich setzenden) Endlichen gewonnen wird, beruht die gesamte Struktur des Systems auf der Überführung des Endlichen (und Unendlichen) in die spekulativdialektische Identitätsstruktur des Begriffes. ³³ Das zeigt sich deutlich in der Wesenslogik.

4.4 Stabile Andersheit: Wesenslogik Die Seinslogik folgt bei ihrer Rekonstruktion der Bestimmungen, die dem Seienden zukommen, einer Grundstruktur, die Hegel als „Übergehen in anderes“ bezeichnet. Die Charakteristik dieser Struktur liegt darin, dass Unmittelbarkeit als einfache Selbstbeziehung bzw. als Ausschluss der Negation expliziert wird. Das heißt, Unmittelbarkeit und Vermittlung sind zueinander äußerliche Aspekte des werden“ kann, stuft A. Arndt als problematisch ein, denn „die Behauptung, es sei das Absolute selbst, wäre eine äußere Bestimmung, die nichts zur Sache tun würde und genausogut fortbleiben könnte“. (Arndt [1994]: Dialektik und Reflexion, 228) Vor dem Hintergrund der Kritik, Hegels Idealismus verlöre seinerseits Wirklichkeit aus den Augen, scheint dies jedoch eine recht begrüßenswerte Bestimmung des Absoluten zu sein, heißt es doch, dass tatsächlich die Sache im Mittelpunkt steht. Vor dem hier Rekonstruierten fiele zudem das Absolute nicht als leere Bestimmung weg, sondern bleibt weiterhin der Vermittlungsrahmen, in dem Wirklichkeit aus der Bewegung des Begriffes konkret bestimmt werden kann.  Gleichwohl liegt hierin Hegels genuiner Zug, um das Endliche in seiner selbständigen Wirklichkeit zu konstituieren. Daher ist F. Schick zu widersprechen, wenn sie gegen eine ontologische Lesart der Absolutheit des Begriffes einwendet, dass es nicht zutrifft, „daß alles einzelne Wirkliche nur begriffen werden könne, indem es auf ein Letztes zurückgeführt werde. Im Gegenteil tritt die Sache, bestimmt zur Einzelheit, als dasjenige auf, das durch sich selbst erkannt wird. In der Optik der Letztbegründung erscheint dagegen jeder wirkliche Gegenstand – in seinem Sein wie in seinem Erkanntsein – als Unselbständiges, Relatives, das sein Selbstsein von einem anderen nur geborgt hat. In dieser Hinsicht setzt sich die Begriffslogik der metaphysischen Denkungsart ganz entgegen.“ (Schick [1994]: Hegels Wissenschaft der Logik, 227)

144

4 Figuren der Andersheit

Seins. Das äußert sich dann darin, dass die Bestimmungen jeweils in andere Bestimmungen übergehen, die jedoch alle bestehen bleiben, auch wenn sie aufeinander bezogen sind. Dies zeigt sich exemplarisch in der Dialektik von Etwas und Anderem, die sich beide miteinander vermitteln, jedoch als eigenständige Bestimmungen bestehen. Selbstbeziehung und Negationsbeziehung auseinanderfallen zu lassen und entsprechend Bestimmtheit in Bezug auf ein Anderes zu denken, führt die Seinslogik letztendlich zu einem „allseitigen Widerspruch“, in dem das Sein zur „absoluten Indifferenz“ wird. Unmittelbares Sein baut sich restlos ab. Allein die Negationsbeziehung bleibt an dieser Stelle übrig, mit der, indem sie sich nur auf sich selbst anwenden kann, der Schritt in die Wesenslogik gemacht ist.³⁴ Unmittelbarkeit und Negation, d. h. Selbstbeziehung und Negation werden nun in Einheit gedacht, aus der einen neue logische Grundstruktur gewonnen ist, die Hegel als Scheinen in Anderes bezeichnet. Diese negative Selbstbezüglichkeit oder selbstbezügliche Negation ist am Anfang der Wesenslogik die unreflektierte Struktur absoluter Negativität. Diese Operation ist von nun an das Mittel, mithilfe dessen die Logik die Andersheit konsistent denken will. Unmittelbarkeit ist hier kein einfacher Sachverhalt, sondern identisch mit der Vermittlung gesetzt, aus der sie entspringt.

Äußere Reflexion Am Anfang der Wesenslogik verliert sich das in der selbstbezüglichen Negation der absoluten Andersheit gewonnene Andere sogleich wieder, weil das gewonnene Andere zwar als das Andere zum Wesen in der Weise gesetzt ist, dass sogar sein Anderssein (zum Wesen) selbst negiert ist. Doch dieses Andere entsteht nur aus dieser Selbstbezüglichkeit der Andersheit als Nebenprodukt – als Schein, der wiederum nur die selbstbezügliche Andersheit, d. h. das Wesen selbst ist, ohne ein eigenes Recht gegen dieses Wesen zu haben. Diese Unmittelbarkeit ist „nur als Rückkehr des Negativen in sich“. (WL1, 251) Die in der setzenden Reflexion gesetzte Unmittelbarkeit ist zwar zunächst für die Reflexion opak, sodass sie das Andere als Unmittelbares vorfindet, „über das sie hinausgeht, und aus dem sie die Rückkehr ist. Aber“, so wendet Hegel selbst ein, „diese Rückkehr ist erst das Voraussetzen des Vorgefundenen. Dieß Vorgefundene wird nur darin, daß es verlassen wird; seine Unmittelbarkeit ist die aufgehobene Unmittelbarkeit.“ (WL1, 252) Die Unmittelbarkeit, mit anderen Worten gesagt, erweist sich erneut nur als

 Vgl. Koch [2004]: Unmittelbares Wissen und logische Vermittlung, 328.

4.4 Stabile Andersheit: Wesenslogik

145

instabil und dies unausweichlich, solange sie aus der selbstbezüglichen Negation der absoluten Andersheit gewonnen wird. Hegel macht daher einen neuen Schritt in der äußeren Reflexion. Dieser kommt dabei eine herausragende Position deshalb zu, weil hier das Sich-entgegen-Setzen der Reflexion im Anderen eine Äußerlichkeit gegenüber der Reflexion gewinnen soll, die vorher nicht bestand.³⁵ Zwar ist das Andere keine ungesetzte Unmittelbarkeit, jedoch eine solche, auf die sich die Reflexion als eine vorausgesetzte bezieht. Das führt nicht nur formal die Figur der absoluten Andersheit in komplexere Strukturen, sondern konstituiert auch auf logischer Ebene den Raum, der Wirklichkeit als von der Reflexion unabhängig denkbar machen soll. Bisher konnte die selbstbezügliche Negativität ihr Anderes nur als instabiles Nebenprodukt der Rückkehr der Negativität zu sich denken. Mit der äußeren Reflexion hat sich die Reflexion (als diese absolute Negativität) selbst „verdoppelt; das einemal als das Vorausgesetzte, oder die Reflexion in sich, die das Unmittelbare ist. Das andremal ist sie die als negativ sich auf sich beziehende Reflexion […].“ (WL1, 252 f) Auf diese Weise wird dem Anderen selbst zum ersten Mal eine reflexive Selbstbeziehung eingeräumt, kraft derer es selbst Ausschluss alles Andersseins ist. Das war bisher vom gesetzten Unmittelbaren nicht zu sagen, das vielmehr nur in seiner Selbstaufhebung ins Wesen Bestand hatte.³⁶ Die gegen das Wesen selbst als Reflexion gesetzte Unmittelbarkeit ist keine nur verschwindende Unmittelbarkeit, sondern selbst wesentlich.³⁷ In ihr hat das Wesen eine Bedingung seiner Selbstbewegung.³⁸ Da hier eine Bedingung im Gesetztsein selbst besteht, kann die Reflexion, die von dieser Bedingung anhebt, das, wovon angefangen wird, nicht  Zur Abgrenzung der äußeren Reflexion zur äußerlichen Reflexion sowie die Genese des Reflexionsbegriffes bei Hegel überhaupt vgl. Jaeschke [1978]: Äußerliche Reflexion und immanente Reflexion.  Vgl. Henrich [1978]: Hegels Logik der Reflexion (NF), 293 f.  „Seine [der Schein als verdoppelte Negation, D. A.] Selbstbeziehung war jedoch bisher nur als eine Funktion der Rückkehr des Wesens in sich interpretiert. So hatte sie einen gegenüber der Selbstbeziehung des Wesens ganz anderen Stellenwert.Wird aber, wie es nötig ist, der Schein auch mit dem Wesen als selbstgenügsame Selbstbeziehung des Negativen und somit im Blick auf dessen Einheit nur mit sich mit dem Wesen identifiziert, so gewinnt er damit auch eine innere Stabilität gegen das, in Beziehung auf das er zugleich nur Gesetztsein ist. Indem diese Stabilität es ausschließt, das Gesetztsein, da es als Wesen gesetzt ist, in einem Anderen auch schon verschwunden sein zu lassen, unterwirft das Gesetztsein nunmehr das Wesen an ihm selbst der Kategorie der Andersheit. Unmittelbarkeit, wie immer vom Wesen gesetzt, sofern sie als Wesen gesetzt ist, ist nicht nichtige, sondern wesentliche Unmittelbarkeit. Da sie dem Wesen zugleich entgegengesetzt ist, wird dies Wesen nunmehr zu einem Anderen gegen die Unmittelbarkeit in eben dem Sinne, indem die Unmittelbarkeit ein Anderes ist gegen das Wesen, die Reflexion.“ (Henrich [1978]: Hegels Logik der Reflexion (NF), 294 f)  Vgl. Henrich [1978]: Hegels Logik der Reflexion (NF), 296.

146

4 Figuren der Andersheit

sogleich in sich als sie selbst aufheben, wie dies bei der setzenden Reflexion noch der Fall war. Dort wurde das Unmittelbare, indem es verlassen wurde. Hier bleibt das Unmittelbare, auch wenn es verlassen wird. Das Unmittelbare hat eine stabile Form gegen die Reflexion des Wesens. Es entsteht an dieser Stelle eine komplexere Struktur, indem nicht nur das Gesetztsein aus der negativen Selbstbeziehung entsteht, sondern eine negative Selbstbeziehung in das Gesetztsein selbst installiert wird, ohne dass diese strukturelle Verfasstheit der Figur selbst aus der absoluten Andersheit abgeleitet werden könnte.³⁹ Indem die Reflexion des Wesens außer sich kommt (vgl. WL1, 257), etabliert sich gegenüber der Reflexion des Wesens eine selbst auf Reflexion gestützte Struktur, die ein Gegengewicht zur absoluten Reflexion einbringen soll und dies nur kann, indem sie selbst nicht in dieser enthalten ist.⁴⁰ Die bestimmende Reflexion entwickelt als Gesetztsein und Reflexionsbestimmung ⁴¹, was dem Dasein in der Sphäre der Seinslogik entspricht. Indem die Reflexionsbestimmungen erstens Gesetztsein und zweitens Reflexion-in-sich sind, hat sich in ihnen „die Bestimmtheit durch die Beziehung auf sich befestigt und unendlich fixirt“ (WL1, 256) – als Wesen gegen das Wesen.⁴² Indem mit den Reflexionsbestimmungen das in sich reflektierte Gesetztsein gegenüber dem Wesen sein volles Recht eingeräumt bekommt, ist das Gesetztsein selbst ein Selbstständiges, aber nicht als ein Äußerliches gegen die Reflexion, sondern das Gesetztsein ist selbst nur die Reflexion. War das Andere zur Reflexion kein stabiles, weil es vom Wesen nur als Aufgehobenes gesetzt werden konnte, so liegt die Lösung nun darin, das Andere als Reflexion selbst zu fassen, um das Andere der Reflexion als Reflexion auch in seinen Bestimmungen zu entfalten. Reflektierte Unmittelbarkeit gewinnt

 Vgl. Henrich [1978]: Hegels Logik der Reflexion (NF), 297.  Damit ist offensichtlich, dass die Logik nun in eine Entwicklung gehen muss, diese Struktur aus einer Figur erneut durchsichtig machen zu können. „Dieser Schritt zur Selbstverdoppelung der Reflexion ist Implikation des Wesensbegriffs, aber kein vom Wesensbegriff selbst noch logisch beherrschbarer Gedanke. Erst die Logik des Begriffes wird zu sagen vermögen, wie doppelte Reflexion eigentlich zu denken sei – was In-seinem-Anderen-bei-sich-selbst-sein eigentlich heißt.“ (Henrich [1978]: Hegels Logik der Reflexion (NF), 299)  „Es ist das Bestimmte, das sein Uebergehen und sein bloßes Gesetztseyn sich unterworfen, oder seine Reflexion in anderes in Reflexion in sich umgebogen hat. Diese Bestimmungen machen hiedurch den bestimmten Schein aus, wie er im Wesen ist, den wesentlichen Schein. Aus diesem Grunde ist die bestimmende Reflexion die ausser sich gekommene Reflexion; die Gleichheit des Wesens mit sich selbst ist in die Negation verloren, die das Herrschende ist.“ (WL1, 256 f)  „Diese ihre Reflexion und jenes Gesetztseyn sind verschieden; ihr Gesetztseyn ist vielmehr ihr Aufgehobenseyn; ihr Reflectirtseyn in sich aber ist ihr Bestehen. Insofern es nun also das Gesetztseyn ist, das zugleich Reflexion in sich selbst ist, so ist die Reflexionsbestimmtheit die Beziehung auf ihr Andersseyn an ihr selbst.“ (WL1, 257)

4.4 Stabile Andersheit: Wesenslogik

147

darin ihre eigentliche Bedeutung. Sie wird nicht äußerlich reflektiert, sondern sie wird zur Reflexion selbst. Damit ist Unmittelbarkeit als Gesetztsein immer bestimmt. Äußere Reflexion etabliert damit keinen Ort außerhalb des Begriffes, wie der Ausdruck es zunächst vermuten ließe. Sie kennzeichnet vielmehr eine signifikante Verschiebung der Reflexion in das Andere, das sich nunmehr als in seinen Bestimmungen vollständig im Wesen aufgehendes Gesetztsein erfassen lassen muss.

Existenz Was es dann heißt, die Bestimmungen als vollständig im Wesen aufgehendes Gesetztsein zu erfassen, illustriert im klaren Kontrast zu Jacobis Dasein die im Abschnitt mit dem Titel Die Erscheinung zu findende Bestimmung der Existenz. Hegel entfaltet sie aus dem Grund. Der Grund ist die letzte Reflexionsbestimmung, die sich aus dem Widerspruch ergibt. Der Grund ist insofern die Entfaltung des (im zweiten Kapitel thematisierten) dritten Moments der Negation der Negation: dem bewegten Zusammengegangensein der (sich widersprechenden) Bestimmungen. Was Selbstständigkeit beanspruchen wollte, wird in der reflexiven Einheit des Grundes aufgehoben. Alles, was ist, ist so umfassend bestimmt als diese eine reflexive Einheit, in der zugleich die Reflexion kollabiert. Diese Einheit ist die Negation der Negation. Hegel nennt es in der Wesenslogik den absoluten Grund. Durch einige Bestimmungen hindurch gelangt Hegel zu den Bedingungen. In der Bedingung macht sich der Grund in der negativen Einheit zur „Sache an sich selbst“, die Hegel das absolut Unbedingte nennt. Da Grund und Bedingung sich gegenseitig voraussetzen, indem die Bedingung nur in einer Grundrelation eine Bedingung und der Grund nur unter einer Bedingung ein Grund ist, sind beide konstitutiv so aufeinander bezogen, dass sie inhaltlich identisch sind. Diese beiden, die je für sich relativ Unbedingte sind, sind zusammengenommen „das wahrhaft Unbedingte; die Sache ans sich selbst“ ((WL1, 318)), in der Grund und Bedingung nur als Schein sind. Der Kontrast zu Jacobi kann hier nicht größer sein und ist auch gewollt. Das Unbedingte ist keine dem Begriff sich entziehende Sphäre, gegen die der Begriff sich machtlos zeigen müsste. Vielmehr hat sich das in sich reflektierte Wesen als „das Thun der Sache“ selbst erwiesen, deren Tun nun darin besteht, „sich zu bedingen, und ihren Bedingungen sich als Grund gegenüberzustellen“. ((WL1, 319)) Indem dies die Sache an sich selbst ist, ist das Tun als das Bedingen und Begründen der letztgültige und definitive Horizont der Wirklichkeit, vor dem auch die Existenz verstanden werden muss. Existenz wird von Hegel gefasst als gänzlich von ihren Bedingungen bestimmte Sache. Kann man zu einer Sache die Gründe nennen, die sie inhaltlich als Bedingungen bestimmen, gibt es nichts

148

4 Figuren der Andersheit

mehr, was es außerhalb dieser Bedingungen zur Sache noch beizutragen gebe, um sie verständlich zu machen. Eine Differenz zwischen der Sache und einer reflektierten Aussage über sie kann nicht mehr gemacht werden. Hegel sagt: „Diese durch Grund und Bedingung vermittelte, und durch das Aufheben der Vermittlung mit sich identische Unmittelbarkeit ist die Existenz.“ ((WL1, 322)) – anders gesagt: „Wenn alle Bedingungen einer Sache vorhanden sind, so tritt sie in die Existenz.“ ((WL1, 321)) Das Endliche als Existenz ist damit nicht das Nicht-Begriffliche. Existenz, die vormals das sich Entziehende war und für Individualität per se einstand, wird bei Hegel transparent. Sie ist eine vollständig erschlossene, in ihren Bedingungen vollständig aufgehende Wirklichkeit, die die Bewegung des Begriffes ist. Hegel bestätigt und führt damit auf wesenslogischer Ebene das aus, was in der Seinslogik in der Figur der wahrhaften Unendlichkeit bereits festgehalten wurde.⁴³

4.5 Stabile Andersheit: Begriffslogik Die Realisierung der Einheit unter der Maßgabe, Selbstständigkeit des Anderen denken zu können, findet in der Begriffslogik ihren Abschluss. Löste die Wesenslogik das Übergehen in Anderes der Seinslogik durch das neue Paradigma des Scheinens in Anderes ab, so ist das für die Begriffslogik zugehörige Grundschema mit Entwicklung benannt. Das hier angelegte Prinzip erinnert nicht von ungefähr an einen Organismus, wird doch das Übergehen in Anderes hier in der Begriffslogik so gefasst, dass das Unterschiedene als Identität im Ganzen – d. h. als ein analog zum Wachstum eines Organismus verstandenes in sich bleibendes Umgestalten (vgl. E1S, § 161 Z) – gesetzt wird. Im Wesen ist die „Verknüpfung der Unmittelbarkeit und der Vermittlung“ nicht beherrschbar, weil sie „noch unvollkommen“ ist. Denn das Wesen ist eine „Sphäre des gesetzten Widerspruches“. In ihr ist alles so gesetzt, „daß es sich auf sich bezieht und daß zugleich darüber hinausgegangen ist“. (E, 145 (§ 114)) Unmittelbarkeit und Vermittlung sind noch nicht identisch gesetzt. Daher müssen Unmittelbarkeit und Vermittlung im Begriff als eine Einheit entwickelt werden, die zwar das Andere vermittels einer negativen Selbstbeziehung in sich enthält, ohne dass der Einheitsgedanke es aber nötig machte, darüber

 Dass die Existenz in ihren Bedingungen vollständig bestimmt ist, zeigt nicht etwa an, dass Hegel nun über den Begriff doch in einen Determinismus hineinläuft, sondern lediglich, dass Freiheit nicht an einem bloß Existierenden zu finden ist und die Begriffsentwicklung (auch hinsichtlich der Realisierung der Freiheit) noch nicht an ihr Ende gekommen ist.

4.5 Stabile Andersheit: Begriffslogik

149

hinauszugehen, d. h. das Anderssein als Anderes gegen die Reflexion zu etablieren. Angelpunkt für die Realisierung dieser Absicht ist zwar erneut die absolute Negativität, jedoch in der Begriffslogik in einem dreifachen Auftreten – als Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit –, zwischen denen kein Unterschied gemacht werden kann.⁴⁴ War in der Seins- und Wesenslogik Selbstständigkeit nur darin zu gewinnen, dass das Andere gegenüber der absoluten Negativität fixiert wurde, so wird die Begriffslogik anders vorgehen, insofern das Auseinanderfallen von Anderssein und absoluter Negativität behoben werden soll. Auf der Einzelheit liegt der Fokus.

Die Einzelheit Entsprechend der Denkfigur der absoluten Negativität bestimmt Hegel die Allgemeinheit des Begriffs in ihrer einfachen Beziehung auf sich als das erste Moment, das jedoch, weil es ein konkretes Moment sein soll, sogleich den Unterschied an sich hat und insofern auch Besonderheit ist. Beide sind zugleich das Andere ihrer selbst und stehen sich nicht unvermittelt gegenüber. So ist das Allgemeine als in sich Ausdifferenziertes – d. h. qua Bestimmung, die Unterschied ist – das Besondere, und das Besondere ist genauso als Ausdifferenziertes – hier aber qua Bestimmung, die immer ein Allgemeines ist – das Allgemeine. Das Besondere ist damit eine Seinsweise des Allgemeinen und „enthält also nicht nur das Allgemeine, sondern stellt dasselbe auch durch seine Bestimmtheit dar“. (WL2, 37) Das grenzt den Begriff der Begriffslogik ebenso vom abstrakten Begriff ab, dem das Besondere voraus liegt. Bei Hegel hat keines von beiden einen Vorrang. Beide sind gleichzeitig voneinander abhängig.⁴⁵ Vermittelt sind beide in der Einzelheit, die

 Vgl. Iber [2002]: Hegels Konzeption des Begriffs, 191. – A. F. Koch stellt die Einbettung der Begriffsmomente in die Begriffslogik und deren Relation untereinander übersichtlich dar (vgl. Koch [2011]: Hegel: Die Einheit des Begriffes, bes. 183 ff).  Hegel illustriert dieses Verhältnis anhand von Gattung und Art. Als Gattung nämlich ist das Allgemeine das Bestimmende und Wesentliche des Besonderen. Das Allgemeine wird in der Gattung als im Besonderen ‚innewohnend‘ betrachtet und akzeptiert. Schäferhund, Dogge und Pudel sind als Arten voneinander unterschieden und sind doch alle zugleich nur, indem sie selbst die Gattung Hund nicht nur äußerlich, sondern wesentlich verkörpern. Die richtig gefasste Besonderheit „enthält die Allgemeinheit, welche dessen Substanz ausmacht; die Gattung ist unverändert in ihren Arten; die Arten sind nicht von dem Allgemeinen, sondern nur gegen einander verschieden“. (WL2, 37) Hegel macht hier nochmals deutlich, dass es das Verfahren der Abstraktion ist, das die allgemeinen und eigentlich reichsten Begriffe, „z. B. Geist, Natur, Welt, auch Gott“ (WL2, 45), entleert und nicht in ihrer Differenziertheit zu erfassen vermag. Der Begriff, als Einheit von Allgemeinem und Besonderem, schließt diese Gegenstände auf und ist in der Lage,

150

4 Figuren der Andersheit

das dritte Moment, die Negation der Negation, ist. Allgemeines und Besonderes sind schon eine Einheit, aber nicht als diese Einheit gesetzt. Dies geschieht erst in der Einzelheit, die, wie das Besondere durch das Allgemeine gesetzt ist, auch „durch die Besonderheit gesetzt“ ist; „diese ist die bestimmte Allgemeinheit, also die sich auf sich beziehende Bestimmtheit, das bestimmte Bestimmte“. (WL2, 49) Die Einzelheit ist somit nicht nur ein Moment der absoluten Negativität, sondern wie Allgemeines und Besonderes auch die ganze absolute Negativität. Damit ist aber auch gesagt, dass in der Einzelheit Allgemeines und Besonderes nicht ein Anderes geworden sind, sie „somit in der Einzelnheit nicht in ein anderes übergehen, sondern daß darin nur gesetzt ist, was sie an und für sich sind“.⁴⁶ (WL2, 49) In der Identität dieser Momente – genauer, dieser Erscheinungsweisen der absoluten Negativität – ist das Andere im Paradigma der Begriffslogik als das Einzelne keineswegs mehr wie in der Wesenslogik die gedoppelte Reflexion im Gegensatz zur Reflexion, sondern in Identität mit ihr etabliert. Hier erhält sich nicht die Reflexion des Einzelnen gegen die Reflexion des Allgemeinen. Diese von Hegel selbst als Widerspruch bezeichnete Konstellation hatte in Konflikte geführt, die hier nun gelöst werden können, insofern der Begriff in der Lage ist, die Andersheit als Einzelheit vollständig in die Selbstbezüglichkeit zu integrieren. Das Allgemeine ist absolute Negativität und das Einzelne ist absolute Negativität. Die Selbstständigkeit wird hier nicht so gesetzt, dass ein stabiles Anderes gegen die Reflexion gefunden wird, sondern so, dass die Reflexion alles auf eine Weise in sich hineinholt, dass ein Selbstständiges gegen ein anderes gar nicht mehr gedacht werden muss, weil die Reflexion alles gleichermaßen sein kann.⁴⁷ Es wird daher deren Konkretion zu begreifen. Damit ist dann der Begriff auch bereits im gewöhnlichen Denken „das den Dingen selbst Innewohnende, wodurch sie das sind, was sie sind“. (E1S, § 166 Zusatz) Das Allgemeine, als das sich besondernde Allgemeine, ist für das Besondere nicht nur ein „äußeres Band, welches die für sich bestehenden und dagegen gleichgültigen Einzelnen umfaßt. In der Tat ist […] das Allgemeine der Grund und Boden, die Wurzel und die Substanz des Einzelnen.“ (E1S, § 175 Zusatz)  Zu der Gattung und der Art kommt ein einzelnes Individuum hinzu, in dem beide sich vollständig manifestieren. Das Einzelne ist die Gattung, ist die Art, wie genauso Gattung und Art nur durch das Einzelne und im Einzelnen sind. Die Gattung Hund geht vollständig im Individuum Hasso auf, auch die Art Schäferhund geht vollständig im Individuum Hasso auf und das Individuum ist nichts als diese. Jedes der Momente geht in der formellen Überführung der Momente in der Logik vollständig im anderen auf und lässt keine Differenz.  A. F. Koch beschreibt dieses Resultat folgendermaßen: „Wenn das Wesen nicht nur die selbstbezügliche, sondern auch autarke Negation war, die ihr Operandum als ihr Resultat aus dem Nichts erzeugte, so ist der Begriff die absolute Negation, die mit ihrem Operandum und Resultat zugleich sich selbst als Operation erzeugt. Der Begriff ist die absolute Operationalität; für ihn gilt das Gleichungsgefüge: Operandum = Resultat = Operation.“ (Koch [2011]: Hegel: Die Einheit des Begriffes, 180)

4.5 Stabile Andersheit: Begriffslogik

151

nicht eine Einzelheit konzipiert, die gegen die Reflexion bzw. das Allgemeine ein Recht haben kann, sondern es wird vielmehr eine Einzelheit entwickelt, die die Reflexion bzw. das Allgemeine selbst ist, wobei zugleich gilt, dass das Allgemeine dann so gefasst ist, dass es nur das Einzelne ist – analog der Transformation des Endlichen und Unendlichen in der wahrhaften Unendlichkeit. Das Problem der stabilen Andersheit wird also damit gelöst, das Bei-sich-Sein-im-anders-Sein auszubuchstabieren. Nicht die Andersheit wurde gestärkt, sondern die Struktur, in der die Andersheit selbst nur gedacht werden kann: Die absolute Negativität wurde konsequent zu Ende gedacht. Die Dynamik des Oszillierens, in der jedes Moment nur fixiert werden kann, um sogleich in sein konstitutives Gegenteil umzuschlagen, ist insofern stillgestellt, als Allgemeines, Besonders und Einzelnes sich als identisch erwiesen haben. Selbstständigkeit der Einzelheit kann so gar nicht mehr von der Selbstständigkeit des Absoluten unterschieden werden; beides fällt zusammen.⁴⁸ Die Reflexion, die das erfüllt, ist der Begriff. In der Einzelnheit ist jenes wahre Verhältniß, die Untrennbarkeit der Begriffsbestimmungen, gesetzt; denn als Negation der Negation enthält sie den Gegensatz derselben und ihn zugleich in seinem Grunde oder Einheit; das Zusammengegangenseyn einer jeden mit ihrer andern. (WL2, 50 f)

In der Einzelheit jedoch kommt der Begriff, wie Hegel betont, nicht nur zu sich selbst zurück, sondern verliert sich auch selbst, weil er in der Einzelheit in die Wirklichkeit tritt (vgl. WL2, 51). Das meint nichts anderes, als dass sich der Begriff in der Einzelheit als Einheit von Allgemeinem und Besonderem in der Wirklichkeit gleichsam auskristallisiert.⁴⁹ In dieser manifestiert sich der Begriff als „Einzelnheit, zu welcher das Allgemeine in der Bestimmtheit selbst, heruntersteigt“. (WL2, 49) Von der Einzelheit kann damit einerseits als Wirklichkeit gesprochen werden, die sich als Manifestation des Begriffs und damit als das Allgemeine

 Wenn also der Status der Andersheit in Hegels System zum Kritikpunkt wird, weil diese als Moment keine Stabilität gegen die Einheit gewinne (dies scheint teilweise bei Hackenesch [1987]: Die Logik der Andersheit, 231 vorzuliegen), so ist darauf zu verweisen, dass eben die Einheit selbst zur Andersheit wird. Dass damit natürlich das mit dieser Kritik anvisierte Problem auf anderer Art hervortritt, soll hier im Weiteren gezeigt werden.  „Das Einzelne ist dasselbe, was das Wirkliche ist, nur daß jenes aus dem Begriffe hervorgegangen, somit als allgemeines, als die negative Identität mit sich gesetzt ist. Das Wirkliche, weil es nur erst an sich oder unmittelbar die Einheit des Wesens und der Existenz ist, kann es wirken; die Einzelnheit des Begriffes aber ist schlechthin das Wirkende, und zwar auch nicht mehr wie die Ursache mit dem Scheine, ein Anderes zu wirken, sondern das Wirkende seiner selbst.“ (E, 179 (§ 163 A))

152

4 Figuren der Andersheit

selbst erkennt, oder andererseits als Begriff, der seine Konkretion erfasst.⁵⁰ Hier sind alle in der Unmittelbarkeit gesuchten Selbstständigkeiten als scheinbare entlarvt und in die übergreifende Allgemeinheit überführt, sodass das allgemeine Resultat des Verlaufs derselben ist, daß sich darin das Sich-Aufheben dieser Unterschiede und des Außersichseyns des Begriffs ergiebt. Und zwar hat sich 1) jedes der Momente selbst als die Totalität der Momente, somit als ganzer Schluß erwiesen, sie sind so an sich identisch; und 2) die Negation ihrer Unterschiede und deren Vermittlung macht das Fürsichseyn aus; so daß ein und dasselbe Allgemeine es ist, welches in diesen Formen ist, und als deren Identität es hiemit auch gesetzt ist. In dieser Idealität der Momente erhält das Schließen die Bestimmung, die Negation der Bestimmtheiten, durch die es der Verlauf ist, wesentlich zu enthalten, hiemit eine Vermittlung durch Aufheben der Vermittlung, und ein Zusammenschließen des Subjects nicht mit Anderem, sondern mit aufgehobenem Andern, mit sich selbst, zu seyn. (E, 199 f (§ 192))

Der Begriff ist wirklich und das Wirkliche ist vernünftig. Was zunächst nur behauptet bzw. in der wahrhaften Unendlichkeit lediglich in seinen Grundzügen entwickelt war, ist nun begriffen und wird in weiteren Stationen im Gang der Logik auf verschiedenen Ebenen entfaltet, weil der Verlust des Begriffes in der Einzelheit aufgehoben werden muss.⁵¹ Erst das begrifflich durchdrungene, das in der Begriffslogik in der absoluten Idee aufgehobene Einzelne kann Wahrheit beanspruchen. Jedoch das (bloß reale) „Einzelne für sich entspricht seinem Begriffe nicht; diese Beschränktheit seines Daseyns macht seine Endlichkeit und seinen Untergang aus“. (E, 215 (§ 213 A)) Die Vermittlung von Einheit und Mannigfaltigkeit bzw. von Einheit und Andersheit ist erst in der Idee abgeschlossen, in der nun „alles Wirkliche, in sofern es ein Wahres ist“, die Idee ist. (E, 215 (§ 213 A)) Das heißt einerseits, dass Wirklichkeit „seine Wahrheit allein durch und kraft der Idee“  Hegel lässt in seinem System keinen Dualismus aufkommen zwischen Prinzip und Prinzipiertem oder Bestimmtheit und Bestimmtem usw. Er hat durch die Dialektik/Spekulation immer die Einheitsperspektive im Blick und vermittelt Gegensätze miteinander. Für gewöhnlich spannt er eine Dimension auf, die im Sinne der Negation der Negation beide Gegensätze in einer höheren Einheit aufhebt. Nur beim Gegensatz von Allgemeinem und Besonderem wird beides in die niedere Einheit von Einzelnem aufgehoben – es ist nicht der Begriff, der als Einheit über Allgemeinem und Besonderem steht. Der Begriff muss erst wieder als übergreifender gesetzt werden. Zunächst ist beides im Einzelnen vereint, das der Verlust des Begriffes ist.  Das Begreifen der Wirklichkeit ist Antrieb für die weitere Entwicklung des Begriffes in der Logik. Es folgen weitere Stationen, in denen somit die gleiche Figur zu beobachten ist. Es ist z. B. im Abschnitt zur Objektivität gleichfalls ein Verlust des Begriffes zu konstatieren. Nach gleichem Muster muss auch hier die Äußerlichkeit des Begriffes (dass also der Begriff sich in einem scheinbar anderen verloren hat) abgearbeitet werden. Überwunden ist der Verlust des Begriffes dann, wenn alle (scheinbar äußerlichen) Zusammenhänge begriffen, d. h. aus der Logik des Begriffes selbst gewonnen sind.Vgl. auch Spahn [2007]: Lebendiger Begriff – begriffenes Leben, 134 ff.

4.5 Stabile Andersheit: Begriffslogik

153

hat. Es heißt aber andererseits auch, dass das reale Einzelne bloß „irgend eine Seite der Idee“ ist, das „noch anderer Wirklichkeiten“ bedarf, „die gleichfalls als besonders für sich bestehende erscheinen“. (E, 215 (§ 213 A)) Was hier also in der Bemühung um Selbstständigkeit des Einzelnen ausgeschlossen ist, ist paradoxerweise das endliche Einzelne selbst, insofern die Kontingenz endlicher Existenz hier gerade nicht von Interesse ist.⁵²

Verortungen der Einzelheit Das formulierte ontologische Ziel wäre nicht erreichbar und die Rede vom Endlichen als Diversität innerhalb des Absoluten wäre entsprechend der eignen Spinoza-Analyse Hegels inhaltsleer, wenn Hegels System die Andersheit nicht integrieren könnte.⁵³ Absolute Negativität als die Einheit von Allgemeinem, Besonderem und Einzelnem ist für Hegel die Realisierung des Prinzips der Individualität, von dem Hegel gesprochen hatte. Es überwindet in dem Maße die Mängel Spinozas, wie das Einzelne, Besondere und Allgemeine miteinander vermittelt sind und sich als identisch zeigen – und dabei überhaupt nur diese Vermittlungsbewegung selbst sind. Spinozas Substanzmetaphysik, zugleich auch Jacobis Kritik daran, sind damit in Hegels Augen überwunden, indem das metaphysische, das freiheitstheoretische und das ontologische Ziel vollständig und zugleich verwirklicht sind. Jene dezidiert als Prinzip der Individualität entwickelte absolute Negativität bestimmt eo ipso jene hier gewonnene Einzelheit respektive Andersheit als vollständig begrifflich vermittelt – selbst wenn sie zunächst als das Andere des Begriffes erscheint. Das Einzelne als dieses Andere oder sogar als der Verlust der Begriffes – die Bezeichnung als „ein qualitatives Eins oder Dieses“ unterstreicht seine Erscheinung als Unmittelbarkeit⁵⁴ – ist selbst der Vermittlungsarbeit

 K. Düsing schreibt dazu: „Für Hegel ist die Einzelheit der Begriff von ‚Leben, Geist, Gott‘; in ihr liegt ‚das Prinzip der Individualität und Persönlichkeit‘. Die Einzelheit ist also die Begriffsbestimmung der Subjektivität. In dieser Bedeutung enthält sie die Allgemeinheit in sich; sie ist damit Totalität oder die konkrete Allgemeinheit selbst. Die Zufälligkeiten des einzelnen existierenden Subjekts werden durch sie gerade nicht gedeckt. Das begriffliche Einzelne ist vielmehr diejenige Einheit, die aus freier Macht Mannigfaltiges, nämlich ihre einander entgegengesetzten Bestimmungen als ihre Negationen, hervorbringt und auf sich zurückbezieht, um sich darin nur zu sich selbst zu verhalten; es ist das in dieser Bewegung sich gleichbleibende und sich denkende Ich als absoluter Begriff.“ (Düsing [1976]: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, 250)  Vgl. auch Henrich [2001]: Andersheit und Absolutheit des Geistes, 148 und 168.  Dass Hegel hier von ‚diesen‘ redet und innerhalb der Begriffslogik einen Gegenstand der sinnlichen Gewissheit ins Spiel bringt, mag schwer verständlich sein. P. Braitling und V. Hösle sehen dieses plötzliche Auftauchen des ‚diesen‘ als unvermittelten Rückfall in die Seinslogik (vgl.

154

4 Figuren der Andersheit

des Begriffes zuzuschreiben. So wird einerseits an dieser frühen Stelle (der Begriffslogik) die Einzelheit in ihrer ‚Doppelnatur‘ in gewisser Hinsicht zu einem (vorläufigen) Kulminationspunkt ⁵⁵ der Antwort auf Jacobis Einwände gegen das System. ⁵⁶ Der in der Auseinandersetzung mit Spinoza gewonnene Aspekt der ontologischen Selbstständigkeit des Einzelnen unter Voraussetzung des metaphysischen Aspektes der absoluten Vermittlung ist für Hegel an einem solchen Punkt angelangt, weil hier Jacobis prinzipielle Einwände gegen das System zu spezifischen Einwänden gegen das System in der Form der Ethik Spinozas abgeschwächt sind.⁵⁷ Einzelheit lässt sich als Nicht-Identität des Begriffes mit sich aus

Braitling [1991]: Hegels Subjektivitätsbegriff, 169 und vgl. Hösle [1998]: Hegels System, 235). K. Düsing sagt: „Das Einzelne darf, weil es der Begriff ist, nicht als das sinnliche Diese verstanden werden, das nach der Phänomenologie nicht auszusagen und nicht einmal zu zeigen ist.“ (Düsing [1976]: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, 249 f) Hegel werde hier also seinem dialektischen Entwicklungsgang untreu. Er könne hier nur behaupten, „das Einzelne sei nunmehr das den Bezug zu Anderem ausschließende und daher ein einfaches ‚Dieses‘“. (Braitling [1991]: Hegels Subjektivitätsbegriff, 169) Es ist nicht ganz einsichtig, wie sich hier so unvermittelt ein so konkretes Objekt konstituieren soll. H. Lenk setzt seine Kritik noch tiefer an, indem er darauf verweist, dass Hegel von der Logik der Argumentation gar nicht auf ein Objekt kommen kann: „Wenn nach Hegel ‚das Allgemeine‘ sich ein einzelnes ‚Dasein‘ gibt, indem es sich im einzelnen Ding verkörpert, so ist auch hier nicht die Behauptung zu halten, die allgemeine Bestimmung und das Individuum seien identisch. Gerade weil ein Individuum unendlich viele verschieden allgemeine Qualität hat (die seine ‚Natur‘ ausdrücken), kann es nicht mit einer einzigen in ihnen identifiziert werden. – Die Einzelheit, die jede allgemeine Bestimmung eines Urteils besitzt, ist nicht Individualität, sondern besteht darin, daß das Prädikat eben nur eine einzelne Qualität des Individuums ausdrückt. Diese Einzelheit ist eine Form, in der die Qualität auftritt, aber bezeichnet nicht qualitativ Einzelnes in der semantischen Objektsprache. ‚Einzelheit‘ ist hier im Gegensatz zur Individualität ein Ausdruck von höherem semantischen Typ. Er bedeutet, daß das Prädikat nur eine Qualität bezeichnet, kennzeichnet also eine Eigenschaft oder formale Strukturbedingung von Eigenschaften der Individuen, nicht aber eine Eigenschaft von Individuen.“ (Lenk [1968]: Kritik der logischen Konstanten, 357) Es ist unklar,was das seiende Einzelne sein könnte. Denn zunächst sind wir auf der Ebene der Logik, auf der lediglich die Kategorien einer Wirklichkeit entwickelt werden, aber keine Objekte im Sinne eines ‚dieses‘. Dafür ist Raum erst in der Realphilosophie, in der wirkliche individuelle Objekte verhandelt werden.  Vorläufig ist der Kulminationspunkt deshalb, weil die Entwicklung des Begriffes und mit ihm alle Widerlegungsstrategien erst am Ende der Logik abgeschlossen sind.  Dies gilt, auch wenn Hegel zur Einzelheit selbst hinzufügt: „Die Einzelnheit ist aber nicht in dem Sinne nur unmittelbarer Einzelnheit zu nehmen, nach der wir von einzelnen Dingen, Menschen sprechen […].“ (E, 179 (§ 163)) – Denn worauf es in der Einzelheit hier zunächst ankommt, ist die Grundfigur der Nicht-Identität in der Identität (vgl. auch Althof [2011]: Das Einzelne als das Andere des Begriffes).  F. Schick legt die Begriffsbewegung der Einzelheit und den Übergang zum Begriff ausführlich dar (vgl. Schick [1994]: Hegels Wissenschaft der Logik, 212 ff). Sie kommt auch zu dem Schluss:

4.5 Stabile Andersheit: Begriffslogik

155

dem Begriff gewinnen. Zudem ist sie frei und selbständig,weil sie identisch mit der absolut autonomen Selbstbestimmung der absoluten Negativität ist. So weist Hegel nach, dass der Begriff nicht mehr im Gegensatz zum Einzelnen steht, aber im Verlust des Begriffes so erscheint.⁵⁸

„Daß Hegel nur Relationen, aber nicht deren Relate, nur Universalien und nicht Individuen als wahrhaft seiend erkannt hätte, bedarf m. E. nach der Rekonstruktion der Momente des Begriffs nicht mehr eigens der Widerlegung. Der Standpunkt des unmittelbar mit sich identischen Einzelnen als des Subjekts allgemeiner Bestimmungen ist am Ende der Entwicklung des Begriffs im allgemeinen durchaus rehabilitiert – freilich nicht als der letztgültige Standpunkt des Begreifens, wohl aber als dessen notwendiges Moment. […] Der Hegelschen Kritik verfällt nicht das wirkliche Einzelne, sondern jene Deutung des Einzelnen, die es seinen allgemeinen Bestimmungen ein für allemal opponieren und es im Stande der Unmittelbarkeit endgültig fixieren will.“ (Schick [1994]: Hegels Wissenschaft der Logik, 230)  Hegel formuliert diesen Zusammenhang in den Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte so: „In der Philosophie wird gezeigt, daß die Idee zum unendlichen Gegensatze fortgeht. Dieser ist der von der Idee in ihrer freien allgemeinen Weise, worin sie bei sich bleibt, und von ihr als rein abstrakter Reflexion in sich,welche formelles Fürsichsein ist, Ich, die formelle Freiheit, die nur dem Geiste zukomme. Die allgemeine Idee ist so als substantielle Fülle einerseits und als das Abstrakte der freien Willkür andererseits. Diese Reflexion in sich ist das einzelne Selbstbewußtsein, das Andere gegen die Idee überhaupt, und damit in absoluter Endlichkeit. Dieses Andere ist eben damit die Endlichkeit, die Bestimmtheit, für das allgemeine Absolute: es ist die Seite seines Daseins, der Boden seiner formellen Realität und der Boden der Ehre Gottes. – Den absoluten Zusammenhang dieses Gegensatzes zu fassen, ist die tiefe Aufgabe der Metaphysik.“ (VorPGS, 41)

5 Zwischenbilanz Aus der Sicht Hegels stellen sich nun die Dinge so dar: Jacobis Kritik des Denkens ist nicht nur abgeschwächt, sondern insgesamt widerlegt. Indem Hegel mit seiner spekulativen Modifizierung des Denkens dem Begriff selbst Lebendigkeit und Freiheit zuschreibt, enthält er wesentliche Merkmale, die Jacobi nur außerhalb des Systems, d. h. außerhalb des Denkens, zu finden meint. Somit liegen die Dinge nunmehr so, dass Jacobi mit seiner Kritik an Spinoza vollkommen Recht hatte. Seine Einwände sind stichhaltig und insofern auch für eine Neukonzeption des Systems unbedingt zu berücksichtigen. Da sie jedoch aus der Binnendynamik des Systems selbst entwickelt werden können, widerlegen sie nicht das System, sondern bestätigen es. Das gilt für den metaphysischen, freiheitstheoretischen und ontologischen Aspekt.

Der metaphysische Aspekt Die Rechnung geht für Hegel auf, wenn der Kern der Systemkritik Jacobis darin erblickt wird, auf „den Kreis der starren Notwendigkeit“ (WL2, 229) des systematisch-systemischen Denkens aufmerksam gemacht und Freiheit sowie Selbstständigkeit des Individuums im Rekurs auf die Unmittelbarkeit eingeklagt zu haben. Insofern Hegel Jacobis Systemkritik so rekonstruiert, kann ein alternatives System diesen Rekurs auf Unmittelbarkeit auch streichen, wenn allein diese Freiheit und Selbstständigkeit auch schlüssig zu denken sind. Umso mehr ist ein solches Vorgehen gerechtfertigt, wenn diese Unmittelbarkeit – wie dies im Vorbegriff der Enzyklopädie bei Hegel geschieht – in einem epistemischen Rahmen verortet wird. In einem solchen Rahmen kann die Unmittelbarkeit vor der Vermittlungsleistung des Begriffes auch deshalb nur eine bloße Vorstufe der Erkenntnis sein, weil der Begriff die epistemische Lücke, die einem bloß Aufgefundenen anhaftet, leicht schließen kann und zudem noch notwendigerweise schließen muss. So ergibt sich folgendes Bild: Die Unmittelbarkeit erscheint einerseits defizitär in epistemischen Kontexten, die der Natur ihrer Fragestellung gemäß Begründungszusammenhänge erschließen. Aufgrund mangelnder Vermittlung kann Unmittelbarkeit gar keine Begründung leisten. Die Vermittlung zeigt sich andererseits als vielschichtiger und weitreichender, als Jacobis Kritik nahelegt. Die von ihm in den Mittelpunkt der Kritik gerückte Inkompatibilität von im Begriff rekonstruierbaren Bedingungsgefügen auf der einen und Freiheit auf der anderen Seite war ein Aspekt des Sprunges in die Unmittelbarkeit, wie es Kapitel I rekonstruiert hat. Indem Hegel den Begriff selbst zum Unbedingten DOI 10.1515/9783110554328-008

5 Zwischenbilanz

157

transformiert, hebt er diese Inkompatibilität auf. Die Inkompatibilität von logischen und damit instantan bestehenden Zusammenhängen zum einen und Selbstständigkeit zum anderen war als ein weiterer Kritikpunkt der Unphilosophie gezeigt worden. Indem Hegel jedoch die Einzelheit im Allgemeinen und das Allgemeine im Einzelnen aufgehen lässt, überwindet er auch diese Inkompatibilität.

Der freiheitstheoretische und ontologische Aspekt Dass die Verhandlung konkreter Individualität in die Realphilosophie verschoben ist, stellt für Hegel zunächst kein Problem dar, denn mit der Figur der absoluten Negativität als Subjektivität ist die Basis für endliche Subjektivität gelegt. In diesem Konzept liegt ein erster essentieller Schritt, endliche Subjektivität gerade aufgrund der spekulativen Konstruktion in ihrer Sonderstellung verständlich zu machen. Als absolute Negativität, die einerseits Motor der Ausdifferenzierung des Begriffes und andererseits zugleich Einheitsfigur ist, stellt die absolute Subjektivität die Grundstruktur bereit. Für Hegel ist damit erstens Jacobis Rekurs auf Unmittelbarkeit ausgehebelt. Er zeigt, dass das System und die endliche Subjektivität grundsätzlich kompatibel und so eng miteinander verwoben sind, dass Subjektivität jenseits des Systems gar nicht denkbar ist, ohne auch in die von Jacobi aufgemachte Problematik zu geraten. Denn indem er Negativität als absolute fasst, hat Hegel das System so modifizieren können, dass aus der notwendigen Bewegung des unendlichen Begriffs die Struktur des endlichen Subjekts begriffen werden kann. Der Vorwurf, den Jacobi an das System Spinozas gerichtet hatte – dass es nämlich nicht in der Lage sei, Individualität zu denken –, fällt damit auf Jacobi zurück. Das System ist zweitens intrinsisch mit Freiheit verknüpft, indem der Begriff selbst als das Unbedingte gedacht wird – als Freiheit, die Jacobi im System prinzipiell nicht finden zu können meinte. Absolute Subjektivität ist prozessuale Selbstbestimmtheit und stellt aufgrund ihrer theoretischen Begründungsleistung das verbindliche Paradigma nunmehr auch für die Verwirklichung der Freiheit dar. Denn Hegel kann nun darauf verweisen, dass gerade und allein infolge der Grundlegung des Systems als absoluter Subjektivität die Freiheitsperspektive, d. h. der Rahmen für die Verwirklichung von Freiheit, für endliche Subjekte gewonnen ist. Damit führt er das System in seiner Notwendigkeit scheinbar gegen Jacobis prinzipiellen Einwand mit dem endlichen Subjekt zusammen. Die in der absoluten Negativität implizierte Selbstbestimmung ist die Grundlage der Realisierung des freiheitstheoretischen Zieles. Im Abbau der Abhängigkeit vom Anderen bzw. in der Integration des Anderen in die Negativität selbst ist der Begriff reine Autonomie. Das freiheitstheoretische Ziel, das beabsichtigte, die Freiheit der Individuen im

158

5 Zwischenbilanz

System sichern zu wollen, ist genau dann gewährleistet, wenn der Begriff selbst sich als frei erweist – oder anders formuliert: Der Einzelne ist im System nur dann frei, wenn durch den Begriff die Grundlage dafür geschaffen ist. Jacobis Einwand, Freiheit könne es im System prinzipiell nicht geben, scheint damit ebenfalls abgewendet. Der entscheidende Schritt hierzu ist die Konzeption des Begriffes als absolute Andersheit, die so weitreichend ist, dass Begriff und Natur in einer spekulativen Einheit zu denken sind.

Konsequenzen Die Gegensätze von Wahrheit und Wahrem (metaphysischer Aspekt), Notwendigkeit und Freiheit (freiheitstheoretischer Aspekt), Natur und Begriff (ontologischer Aspekt) veranlassten Jacobi dazu, die mechanistisch-deterministische Natur unversöhnlich mit dem lebendigen und freien Geist zu kontrastieren. Werden diese Gegensätze durch die absolute Negativität aufgelöst, wird auch der Sprung, so scheint es, überflüssig. Zudem entwickelt Hegel ein Konzept von Personalität, das er dem Begriff selbst zuspricht. Auch sind für Hegel Begriff und Leben identisch, die Jacobi zu trennen beabsichtigte. Auch hier zeigt sich Hegels Strategie. Er stimmt Jacobi zu, dass dem System Spinozas Leben, Freiheit und Persönlichkeit fehle und daher das System kritisiert werden müsse. Ein System jedoch, das Substanz ebenso sehr als Subjekt, d. h. als absolute Negativität, fasst, ist in der Lage, diese Mängel immanent zu beheben – ohne zu springen. Die Kritik am System ist im System (im dreifachen Sinne) aufgehoben. Der Verlauf der Argumentation hat bis zu diesem Punkt scheinbar nichts weniger gezeigt als eine erfolgreiche, von Jacobi angestoßene Aufhebung Spinozas, die im Zuge dessen auch die Unphilosophie als voreilig und mithin spätestens jetzt als überflüssig ausweist. Exakt dieser Gestus spiegelt sich in Hegels Jacobi-Rezension wieder. Denn es ist zwar „der edle Geist, das tiefe Gemüth, und die ganze vielseitige Bildung des verehrten, liebevollen Individuums“, d. h. also Jacobi, der die „Ideen gefühlvoll, gegenwärtig oft mit tiefer Klarheit, immer geistreich“ hervorbringt (JR, 23). Dann aber ist das Geistreiche doch nur „eine Art von Surrogat des methodisch ausgebildeten Denkens und der in solchem Denken fortschreitenden Vernunft“. (JR, 23) Jacobis Unphilosophie kann mehr als ein Impulsgeber für eine ernsthafte dialektisch-spekulative Auseinandersetzung mit den aufgeworfenen Problemen jedenfalls nicht sein. Der nachgezeichnete Weg dieser Auseinandersetzung scheint dieser Sichtweise alles Recht einzuräumen. Diskussion erledigt. Jacobi erledigt. Und doch muss dies an dieser Stelle festgehalten werden, dass die Diskussion um Jacobi nicht nur nicht erledigt ist, sondern jetzt erst am Anfang steht.

5 Zwischenbilanz

159

Noch nicht am Ende Doch wo liegen nun Punkte, die Jacobi jetzt noch gegen Hegel mobilisieren könnte? Ein erster Ansatz liegt im Modus der Logik selbst. Denn der Begriff wird in der Logik zwar als selbstbestimmt und autonom gezeigt, jedoch lässt das noch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Logik eben jener Bedingung unterliegt, die Jacobi aus dem System springen ließ. Denn es ist die Notwendigkeit, auf die Hegel in seinem auf Wissenschaft und Objektivität ausgerichteten Unternehmen keineswegs verzichten kann.¹ Dieser operative Modus der nicht umsonst so genannten Wissenschaft der Logik ² vollstreckt eine Selbstreflexivität im Modus der Notwendigkeit. Dass dies Konsequenzen für die Einordnung des konkreten Individuums in das Gesamtsystem und daraus folgend für dessen Welt- und Selbstverständnis zeitigt, liegt auf der Hand. Das heißt aber zugleich auch: Die Logik allein kann die Provokation des Sprunges nicht auflösen – auch hinsichtlich der Frage nach der Freiheit. Erst das Zusammenspiel von Logik und Realphilosophie vermag ein vollständiges Bild zu geben. Die Logik verhandelt absolute Freiheit, die Realphilosophie praktische Freiheit.³ In Hegels Augen mag sich das freiheitstheoretische Ziel aus dem metaphysischen geradlinig ergeben und die Lebendigkeit, Freiheit und Persönlichkeit des Denkens in eins fallen. Jedoch bleibt die Frage, wie sich die in der Logik begründete Freiheit für das konkrete Individuum äußert, da die metaphysische Freiheit des Begriffes noch nicht eo ipso die praktische Handlungsfreiheit des konkreten Individuums ergibt. Zudem gilt: Erschöpft sich Jacobis Einwand in der Berufung auf Freiheit für das Individuum, dann mag der operative Modus der Wissenschaft der Logik tatsächlich nebensächlich sein, solange sich nur ein kruder Determinismus im spekulativen System abwenden lässt. Jedoch im Rekurs auf Unmittelbarkeit, die in der konkreten menschlichen Praxis ihre feste Verankerung erfährt, deutet sich ein Aspekt in Jacobis Einwand an, der sich der Aufhebungsoperation Hegels widersetzt, indem

 „So ist der Begriff die Wahrheit der Substanz, und indem die bestimmte Verhältnißweise der Substanz die Nothwendigkeit ist, zeigt sich die Freyheit als die Wahrheit der Nothwendigkeit, und als die Verhältnißweise des Begriffs.“ (WL2, 12)  Von den anfänglichen Plänen, seinem System den Titel „System der Logik“ zu geben, musste Hegel kurz vor der Fertigstellung abrücken, weil bereits Jakob Friedrich Fries ein solches „System der Logik“ 1811 veröffentlichte.W. Jaeschke bemerkt, dass der neue Titel „Wissenschaft der Logik“ „nicht als programmatische Akzentuierung des Wissenschaftsanspruchs dieses Werkes zu verstehen“ ist. (Jaeschke [2003]: Hegel-Handbuch, 222) Das heißt jedoch nicht, dass kein solcher Anspruch erhoben würde, sondern nur, dass dieser „ohnehin im Titel ‚System der Wissenschaft‘ mit hinlänglicher Bestimmtheit erhoben wird“. (Jaeschke [2003]: Hegel-Handbuch, 222)  So widmet z. B. C. Binkelmann der letzteren eine Monographie (vgl. Binkelmann [2007]: Theorie der praktischen Freiheit).

160

5 Zwischenbilanz

genau dieser operative Modus das Problem bleibt – wie er immer schon das Problem war. Unmittelbarkeit also ausschließlich epistemisch zu verstehen, wie dies Hegel permanent tut, verkürzt nicht nur Jacobis Einwände, sondern verstellt geradezu Jacobis eigentliches Projekt, das Dasein als Lebendiges in den Mittelpunkt zu stellen, das nicht zufällig über den Rückgriff auf die Praxis die Absprungstelle findet.⁴ Ein weiterer Ansatzpunkt für Jacobi macht sich am Status der in der Logik verhandelten Bestimmungen in genere fest, wenn es gilt, Klarheit darüber zu erlangen, was Einzelheit im Rahmen der Logik überhaupt meinen kann. Dies gilt es umso mehr zu berücksichtigen, als es Jacobi um die lebensweltlich verortete Person geht. Der Begriff in der Logik bezeichnet, so kann man sagen, nicht das All der Gegenstände, sondern das All der logischen Bestimmungen der Gegenstände. Hegel selbst schreibt dazu, dass „die Logik selbst allerdings die formelle Wissenschaft, aber die Wissenschaft der absoluten Form [ist, D. A.], welche in sich Totalität ist, und die reine Idee der Wahrheit selbst enthält“. (WL2, 25) Raumzeitlich verortete Individuen kommen hier nicht vor, weil die Wirklichkeit als empirisches Material erst in Raum und Zeit ‚entlassen‘ werden muss. Die Wirklichkeit steht nach der Logik noch aus: Einzelheit ist in der Begriffslogik nur Begriff, sodass man sagen kann, dass Hegel in der Schlusslehre nur bis zum Besonderen, jedoch nicht bis zum Einzelnen vordringt.⁵ Hegel redet hier formal über Wirklichkeit in Form von Begriffsbestimmungen, als welche auch die Einzelheit gefasst werden muss. Das Einzelne wird behandelt, insofern es überhaupt das Einzelne ist. Das Einzelne als Einzelnes aber bleibt außer Reichweite.⁶ Zudem gibt in der Logik keine Zeit. Daher ist der Begriff ein zeitloser. Hegel sähe sich mit dem gleichen Problem konfrontiert, das Jacobi als fundamentale Kritik an Spinozas Rationalismus formuliert hatte, wenn sich nicht die Realphilosophie anschlösse. Hegel umgeht Spinozas Determinismus und Fatalismus, indem er nicht die Dinge in ihrer Aktualität in der Bewegung des Begriffes verhandelt. Die begriffliche Entfaltung ist zwar notwendig, aber notwendig nur als Logik der Struktur der Wirklichkeit. Die Struktur des Begriffes ist zwar die Wirklichkeit, aber die Wirklichkeit ist nicht nur die Struktur des in der Logik entwickelten Begriffes. Das heißt, die Wirklichkeit mag zwar diese Struktur sein, aber die Struktur benötigt Ele-

 Auch B. Sandkaulen macht eindrücklich darauf aufmerksam, dass die Rede von Geist bei Jacobi mit einer „existentiellen Fundierung“ einhergeht, die zentral zu nennen ist, jedoch Hegel diesen Aspekt ausblendet, „um Jacobi in seiner späteren Kritik des unmittelbaren Wissens folgerichtig die Beliebigkeit bloßer Versicherungen vorzuwerfen“. (Sandkaulen [2008]: Wie geistreich darf Geist sein?, 157)  Vgl. Utz [2006]: Alles Vernünftige ist ein Schluss, 188.  vgl. Utz [2006]: Alles Vernünftige ist ein Schluss, 189.

5 Zwischenbilanz

161

mente – Einzelnes –, in denen sich die Struktur manifestiert und an denen sich die Struktur zeigt. Die Einzelnen als Endliche sind nicht die entfaltete Struktur allein, weil sie auch ‚empirisches Material‘ sind und so mit ihrem Begriff nicht übereinstimmen. Das macht überhaupt ihre Endlichkeit aus. Darüber hinaus geht es Jacobi in seinem Rekurs auf zwischenmenschliche Praxis nicht um Freiräume der Kontingenz, die als unbegriffliche gerettet werden sollen. Es geht ihm um die je einzelne Person, die gerade in ihrer lebensweltlichen Verankerung ins Zentrum seines Interesses rückt. Weil die Logik selbst nur die formelle Bestimmung der Einzelheit verhandelt, kommt die Person, die Jacobi im Blick hatte, nicht nur in der Logik nicht vor, sondern wird auch auf Grundlage der Logik als irrelevant und wahrheitsunfähig explizit ausgeschlossen.⁷ Dieser Kreisgang zum Ausgangspunkt der Einwände Jacobis gegen das System lässt nun stutzen. Einerseits überwindet Hegel über eine erfolgreiche Realisierung des metaphysischen, freiheitstheoretischen und ontologischen Zieles wesentliche Schwachstellen in der Substanzmetaphysik Spinozas. Andererseits hebt Hegel die Einzelheit qua begrifflicher Totalvermittlung in die spekulative Idee auf, die genau die Einzelheit als lebendiges Dasein aus dem Blick verliert, als die sie Jacobi in den Blick bringen wollte.⁸

 K. Utz schreibt vor dem Hintergrund der Schlusslogik Hegels ausführlich: „Insofern insinuiert die Einleitung der Schlusslehre in der Enz. ein Versprechen, das der Schluss nicht einlöst: In ihm ist zwar die Einheit von Begriff und Wirklichkeit an sich (nämlich der Form nach) gegeben, aber nicht an und für sich gesetzt. […] In diesem Verhältnis ist aber immer noch nur Form gegeben, nämlich einmal allgemeine und einmal besondere allgemeine Form. Die zweite Form stellt zwar Inhalt dar, insofern sie in der ersten enthalten ist; aber sie stellt erst formellen Inhalt dar, nämlich allgemein Bestimmung des Inhalts, nicht einzelne. Damit ist aber die Form noch nicht autosuffizent, noch nicht tatsächlich in sich abgeschlossen, denn immer ist sie noch auf eines bezogen, das ihr nicht integriert ist und das ihr damit zufällig bleibt und zufallen muss: das Einzelne.“ (Utz [2006]: Alles Vernünftige ist ein Schluss, 201) – „Dies bedeutet: Solange die Form-Inhalt-Identität nur für A-B, nicht aber für A-B-E gilt, stellt die Wissenschaft der Logik eine bloß transzendentale Logik zu mannigfaltigen zufälligen einzelnen Inhalten dar, wie auch die Kantische. Ihr einziger – allerdings beträchtlicher – Vorteil gegenüber der Kantischen ist der, dass wenigstens die Bestimmung dieser Formen und ihrer Beziehungen zueinander nicht mehr zufällig ist.“ (Utz [2006]: Alles Vernünftige ist ein Schluss, 202) – „Systematisch betrachtet kann die Schlusslehre die Aufgabe schon deshalb nicht integrieren, weil sie selbst noch Teil des formellen Begriffs ist. Im formellen Begriff ist aber zugrundegelegt, dass der Begriff ‚nur‘ Begriff ist und nicht auch selbst schon Wirklichkeit. Es steht also dasjenige noch gar nicht konzeptuell zur Verfügung, worauf sich das vollständige Zusammenschließen des Begriffs mit sich selbst im Schluss beziehen könnte: die Einzelheit als solche.“ (Utz [2006]: Alles Vernünftige ist ein Schluss, 202)  Auch der Abschnitt über Objektivität, der sich der Begriffs-, Urteils- und Schlusslehre anschließt, kann hier an der grundsätzlichen Situierung der Logik hinsichtlich des Wirklichkeitsbezuges nichts ändern. Es herrscht grundsätzlich Uneinigkeit darüber, wie dieser Abschnitt zu bewerten ist. Dabei steht nicht nur der Status der Objektivität in Frage, sondern auch die Kategorien, die dort verhandelt werden. Die Forschung ist uneins darüber, ob Mechanismus, Chemismus, Teleologie

162

5 Zwischenbilanz

Ihre Bestimmungen sind nur formal. Ihr Inhalt ist ein formaler. Das kann sie prinzipiell an dieser Stelle nicht überwinden. Und, was entscheidend ist: Sie will es an dieser Stelle prinzipiell nicht überwinden.⁹ Das ruft Jacobi erneut auf den Plan. Der weitere Verlauf der Auseinandersetzung muss also Jacobis Anliegen über seinen bisher rekonstruierten Spinoza/Antispinoza weiter präzisieren. Entscheidender Punkt in dieser Unternehmung ist ein vertiefender Blick auf Jacobis Unphilosophie und vor allen Dingen dessen Sprung. Der Erfolg oder Misserfolg eines Einspruchs gegen Hegels spekulatives System wird sich dann aber nur an der genauen Analyse der Absprungstelle selbst, nämlich an der lebensweltlichen Verankerung der von Jacobi eingeklagten Unmittelbarkeit festmachen.

und Leben in der Logik (und nicht in der Realphilosophie) verhandelt werden dürften (vgl. z. B. Hösle [1998]: Hegels System, 249 f und Bubner [1980]: Zur Sache der Dialektik, 114 f). Die Wirklichkeit als raum-zeitliche Dimension, in der wir uns als Existierende erleben, bleibt noch außen vor. Denn obgleich Hegel in der Objektivität – nach dem Verlust und dem Wiedergewinn des Begriffes – erneut Formen der Andersheit wie Mechanismus, Chemismus, Teleologie und Leben bzw. Organismus verhandelt, bleibt es doch innerhalb der Logik ein Ausmessen der Bestimmungen des Wirklichen und noch nicht das Wirkliche selbst. Mit dem Übergang zur Objektivität ist lediglich sicher gestellt, „dass die logischen Bestimmungen Bestimmungen des Absoluten, somit des Realen selber, sind, und ferner dass die systematische Kritik der logischen Bestimmungen mehr ist als eine Kritik metaphysischer Theorien, nämlich eine Kritik des Realen selber, soweit dieses zu schlechter Metaphysik den Anlass gibt“. (Koch [2006]: Die Problematik des Übergangs von der Schlusslehre zur Objektivität, 214)  Für die absolute Idee bedeutet das aber, dass sie als einziger Akteur zugleich die einzig wahre Einzelheit ist, die allein Notwendigkeit und keine Offenheit für Kontingenz kennt. Wiederum K. Utz: „Dies bedeutet nun aber, dass die volle Wahrheit der Wissenschaft der Logik auf eine einzige Einzelheit beschränkt ist: auf die Einzelheit der Begriffsform selbst. […] Der Mangel der Vernunft, dass sie formell ist und dass ihr der Inhalt zufällig bleibt, ist nur in demjenigen Gedanken behoben, in dem die Vernunft sich selbst denkt – und zwar sich selbst denkt in ihrer Formalität und Allgemeinheit. Eben dieser Gedanke ist die absolute Idee. Für alle anderen Inhalte muss die Hegelsche Logik ein transzendentales System bleiben.“ (Utz [2006]: Alles Vernünftige ist ein Schluss, 203) – Angemerkt sei jedoch, dass natürlich die absolute Idee, selbst wenn sie hier als der einzige Akteur bezeichnet wird, keine losgelöste Denkbewegung in einem fernen göttlichen Verstand wäre. Es sind wir selbst, die sich entschlossen haben, rein denken zu wollen, d. h. das Denken denken. Darauf macht ausdrücklich A. Arndt aufmerksam (vgl. Arndt [2012]: Wer denkt absolut?). Akteur ist die Idee jedoch insofern, als sie die Bewegung der Begriffe bestimmt bzw. (nach einer hegelschen Formulierung) immer schon bestimmt hat.

6 Die veränderte Ansicht des Logischen Jacobis Unphilosophie oder die Frage nach dem Wahren, dem Freien und dem Anderen 6.1 Jacobis neue Ansicht des Logischen Hat nach Hegels Aussage Jacobi die Notwendigkeit einer neuen Ansicht des Logischen begründet, so ist für Hegel die neue Ansicht nur in einer Aufhebungsbewegung zu realisieren. Die Notwendigkeit einer neuen Logik sieht jedoch nicht erst Hegel, sondern bereits Jacobi selbst. Er realisiert diese im Sprung, d. h. in keiner Aufhebungs-, sondern in einer Absetzbewegung.¹ Diese neue Logik allerdings wird nun nicht allein im Sprung erreicht, sodass danach der Sprung, einmal getan, zwar notwendig war, aber selbst nichts mit der neuen Logik zu tun hätte. Die neue Logik findet vielmehr bereits im Springen selbst ihren Ausdruck und bleibt auch an den Sprung in gewisser Hinsicht gebunden. Denn das Springen in die Unmittelbarkeit markiert nicht nur das Verlassen der alten Begründungslogik, sondern zugleich bereits die Realisierung der neuen. Eigentlich ist der Sprung die neue Logik. Den Sprung zu vollziehen, heißt also nicht allein, einen Bruch zu vollziehen, bei dem ungewiss ist, wo genau man auf der anderen Seite landen könnte; sondern es heißt vielmehr, bereits im Springen die Landestelle erschlossen zu haben.² Um dies zu veranschaulichen, bedarf es nur einer Schärfung dessen, was in Jacobis Spinoza/Antispinoza bereits gesagt ist. Der Widerspruch gegen eine konsequent rationale Konstruktion von Wirklichkeit führt nämlich nicht nur in die Freiheit, sondern muss diese ja immer schon voraussetzen, damit im Auffinden dieser Freiheit ein Widerspruch gegen die Unfreiheit des rational-

 Dass Jacobi selbst schon eine neue Ansicht des Logischen etabliert hat, sieht auch B. Bowman: „Wenn meine Rekonstruktion von Jacobis Position als einer metaphysisch konservativen Revision des für die Praxis wissenschaftlicher Erklärung zentralen Begriffs der Ursache richtig ist, dann ist es Hegel, der verkennt, inwieweit Jacobi selbst bereits eine veränderte Ansicht der Logik wissenschaftlicher Theoriebildung entwickelt hat. Jacobis Metareflexion übersteigt dabei jedoch die Kategorien nicht, in denen wissenschaftliche Erklärungen gefaßt werden, sondern nimmt gewissermaßen innerhalb der ‚endlichen Erkenntnißformen‘, wie Hegel sie nennt, eine direkte inhaltliche Änderung vor, die ihre scheinbaren metaphysischen Implikationen unterläuft. Insofern braucht er keine spezifische, neue Erkenntnisweise und keine weitere Erkenntnisquelle als die geschulte Analyse begrifflicher Zusammenhänge, um sowohl die pragmatische Bedeutung der wissenschaftlichen Praxis als auch ihre nicht-deterministische Kompatibilität mit Personalität und Freiheit zu sichern.“ (Bowman [2006]: Spinoza. Ausgangspunkt oder Endstation, 162)  Vgl. zur Topographie des Sprunges generell Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 21ff. DOI 10.1515/9783110554328-009

164

6 Die veränderte Ansicht des Logischen

mechanistischen Weltbildes überhaupt motiviert und initiiert werden kann.³ Dass dies eine Unbeweisbarkeit der Freiheit impliziert, weil sie in der Erfahrung einem argumentativen Beweis immer vorangehen muss⁴, ist somit überhaupt der ‚springende Punkt‘. Der Sprung setzt demnach keine neue Logik in Kraft, sondern ist schon längst die Folge dieser. Im Sprung erfährt sie lediglich ihre explizite Anerkennung und Durchführung. Genauso wenig kann in diesem Bild der Springende ignoriert werden, ohne den diese neue Ansicht des Logischen gänzlich leer bliebe. In dem Maße, wie Jacobi die Gewissheit aus Gründen selbst durchkreuzt, geht es ihm um eine Gewissheit, die nun nicht ohne die konkrete Person gedacht werden kann. Daher folgt der Sprung keiner universalen Schlusslogik, sondern ist immer an den Handelnden gebunden, der diese Freiheit erfährt und sich dann doch zum Widersprechen nicht aus begrifflich-rationalen, sondern aus unmittelbar aufgefundenen Gründen entschließen muss.⁵ Der Sprung, der zwischen Schluss und Entschluss anzusetzen ist, steht dann genauso zwischen der mit dem Schluss einhergehenden Notwendigkeit und dem Entschluss zur eigenen Freiheit. Zudem: Verweigert sich der Sprung rationalen Gründen, will er in der Implementierung einer neuen Logik dennoch nicht einfach irrational sein, sondern beansprucht gleichwohl Einsichtigkeit. Diese Einsicht wird dann aber nicht mehr in begrifflichem Wissen zu finden sein, sondern allein im auffindenden Glauben, dessen Gewissheit keine bloß subjektive sein kann. Kurzum: Dass der Salto mortale Jacobis und seine im Sprung sich ausdrückende und gegen die Alleinphilosophie entworfene Unphilosophie ein eigentümliches Konstrukt ist, das sich nicht leicht greifen und schon gar nicht auf einen kruden Begründungssubjektivismus verkürzen lässt, ist damit angedeutet und muss vertieft werden. Hegels Aufhebungsoperation greift sich Freiheit und Selbstständigkeit der Person als isolierte Anliegen Jacobis heraus, um sie im Modus begrifflicher Vermittlung zu realisieren. Dabei übersieht Hegel jedoch einen ganz entscheidenden Punkt. Freiheit und Selbstständigkeit der Person sind bei Jacobi konstitutiv an den Modus der existentiellen Unmittelbarkeit gebunden. Dieser Modus ist nicht nur ein

 Vgl. Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 61.  Darauf macht Jacobi neben seinen Spinozabriefen immer wieder aufmerksam. Besonders hebt er dies hervor in seiner Schrift Über die Unzertrennlichkeit des Begriffes der Freiheit und Vorsehung von dem Begriffe der Vernunft als Beilage II zu der Schrift An Fichte (vgl. AF, 232 ff).  S. Schick sieht die Absprungstelle weniger im Fatalismus, sondern dezidiert im Atheismus Spinozas und rückt, wie schon erwähnt, damit die religiöse Dimension des Glaubens und des Sprunges in den Vordergrund (vgl. Schick [2006]: Vermittelte Unmittelbarkeit, 54). Auch wenn hier der religiöse Aspekt nicht als gänzlich irrelevant außen vorgelassen wird, sieht sie doch die Absprungstelle an anderer Stelle. Siehe dazu die folgenden Ausführungen.

6.1 Jacobis neue Ansicht des Logischen

165

beliebiger Weg, um ein Ziel – in diesem Falle das der Freiheit und Selbstständigkeit – zu erreichen, der durch einen anderen problemlos ersetzt werden könnte. Der Modus der existentiellen Unmittelbarkeit setzt überhaupt erst Freiheit und Selbstständigkeit in ihrer für Jacobi essentiellen Eigenart frei. Denn Jacobi geht es nicht um die Freiheit und die Selbstständigkeit der Person, die nun auch gedacht, sondern um die Freiheit und Selbstständigkeit der Person, die nur erfahren werden können. Man kann es so formulieren: Im Einspruch gegen Spinoza verweist Jacobi auf Freiheit, die ich erfahre. Damit rückt Jacobi dreierlei in den Mittelpunkt: a) die Freiheit, b) die Person und c) die Erfahrung. Hegel hingegen verhandelt Freiheit und das Ich sowie die Erfahrung nur aus der Perspektive der Vermittlung (des Begriffs). Dabei ist es gerade nicht ausreichend, dass ohne Frage Freiheit und Selbstständigkeit bei Hegel auch von den einzelnen Individuen erfahren werden können muss. Denn das Entscheidende des Ansatzes der Unphilosophie ist, dass Jacobi auf der Freiheit, der Person und der Erfahrung als ursprünglich insistiert: die Person in der Erfahrung und die Erfahrung der Person. Das heißt, der Rekurs auf die Unmittelbarkeit bzw. die Erfahrung ist nicht epistemologisch, sondern existentiell: Denn die Erfahrung ist der einzige Modus, in dem die Person als Jemeinigkeit gefasst werden kann, der dann als handelnder Freiheit und Selbstständigkeit zukommen. Daher gibt es zwei Hinsichten der Unphilosophie, die der Klärung bedürfen. Erstens ist zu fragen, was die drei Aspekte, d. h. die Erfahrung, die Person sowie die Freiheit, genau ausmacht und warum sie eine solch zentrale Rolle in Jacobis Unphilosophie spielen. Zweitens ist die Komplexität der Unphilosophie zu berücksichtigen, insofern die Unphilosophie keinesfalls ein epistemologischer Fundamentalismus sein will. Sie ist vielmehr ein Verfahren, das mit dem Sprung zwischen Freiheit und Notwendigkeit, zwischen Unbegreiflichkeit und Einsicht sowie zwischen Glauben und Wissen im Grunde gar keine Position im klassischen Sinne ist. Beide genannten Hinsichten der Unphilosophie (die Frage nach Erfahrung, Person und Freiheit einerseits sowie die Zwischenstellung der Unphilosophie andererseits) werden ineinander verschachtelt erörtert. Daraus ergibt sich die folgende Gliederung: a) der Moduswechsel zur Erfahrung – Zwischen Freiheit und Notwendigkeit, b) die Performanz der Person – Zwischen Unbegreiflichkeit und Einsicht und c) die Gewissheit der Freiheit – Zwischen Glauben und Wissen. Das führt auf d) Jacobis Konzeption der Wer-Identität. Jacobis Vernunftkonzeption, auf die hin sich die Ausführungen zuspitzen, wird unter e) Vernunft und Person verhandelt. Zunächst aber wird untersucht, welcher Art philosophischer Reflexion die Unphilosophie sein kann.

166

6 Die veränderte Ansicht des Logischen

6.2 Die Dialektik der Unphilosophie Um die Transformation der Konzepte, den Sprung, das Verhältnis von Absprungstelle und Landeplatz, kurzum, die Unphilosophie genauer in ihrer Komplexität verstehen zu können und um ihren Anspruch nicht zu unterbieten, muss hier innegehalten werden. Die Eigentümlichkeiten von Jacobis Unphilosophie sollen im Einzelnen dargestellt werden, insofern ein entscheidender Punkt berührt ist, der sie zu einem anspruchsvollen philosophischen Entwurf jenseits des Common Sense macht. Es gilt nämlich auch Folgendes im Auge zu behalten: Selbst wenn die Freiheitserfahrung in der Handlung so grundlegend zu nennen ist, dass sie unmittelbar gewiss ist und der Erfahrung des Bedingtseins vorangeht, ist die Praxis der Handlung keineswegs der Rückzugsort für Jacobi. Er kündigt Philosophie nicht einfach auf. Das übernatürlich-vernünftig Wahre ist ein philosophischer Einspruch gegen das systematisch-systemische Denken und möchte als Alternative zur begrifflich-rationalen Theorie verstanden werden. Unphilosophie ist damit keineswegs eine Reflexionsverweigerung, geht es Jacobi doch nicht um schlichte Versicherungen, sondern um eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit den Grundbedingungen von Selbst- und Weltverständigung im Angesicht der Herausforderungen metaphysischer Letztbegründungssysteme. Gleichwohl kann die Unphilosophie nicht ein strikter Gegenentwurf zur Alleinphilosophie sein, der sogleich in der Gefahr ist, selbst zu einer systematischen Position zu werden. Daher gilt generell für Jacobis Konzeption: Sie ist keine Verweigerung und schlichte Negation einer Position, sondern selbst eine spezielle Vermittlungsbewegung. Einerseits ist die Unphilosophie als Opposition zu verstehen. Jedoch funktioniert ein planes ‚Entweder-Oder‘ gar nicht⁶, insofern die Opposition zu der abgelehnten Position nicht nur in genealogischer Hinsicht wichtig ist, sondern ein konstitutives Moment für die Verfasstheit der Unphilosophie als solche bildet. Die Unphilosophie verdrängt das systematisch-systemische Denken eines Spinoza oder Fichte mit anderen Worten nicht einfach als alternativer Entwurf, der sich – zeitlich nach den besagten Systemen auftretend – als der aktuellere erweist. In der intimen Auseinandersetzung mit diesen Systemen ist die Unphilosophie für ihr eigenes Verständnis gar nicht von jenen zu trennen. Spezifisch unphilosophische Figuren als Verkehrungen ihrer alleinphilosophischen Komplemente sind nur unter Berücksichtigung der jeweiligen alleinphilosophischen Vorgaben einsichtig. Freiheit und Notwendigkeit, so bringt Jacobi diese Verwicklungen auf den Punkt, spannen die Pole auf, zwischen denen Un- und Alleinphilosophie in „Antipathie

 B. Sandkaulen spricht schon davon im Zusammenhang mit der von ihr diagnostizierten „Doppelbödigkeit“ der Unphilosophie (vgl. Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 64).

6.2 Die Dialektik der Unphilosophie

167

mit einander in Berührung kommen und im Moment der Berührung sich gewißermaßen durchdringen“. (AF, 198) Die Unphilosophie vereint damit sowohl den Rückzug in die Praxis mit einem theoretischen Gestus als auch den Anspruch, eine Alternative zur Alleinphilosophie anbieten zu wollen, mit der Einsicht, keine einfache Alternative anbieten zu können. Die Unphilosophie vollzieht damit eine eigentümliche Dialektik, deren Charakteristik näher zu beleuchten ist. Die von Jacobi gewählte Bezeichnung Unphilosophie kann man in dieser Hinsicht als treffend bezeichnen, insofern sie genau diese dialektische Verwobenheit von Theorie und Praxis, Alternativentwurf und Verweigerung zur Darstellung bringt, deren Verbindung in der Verneinung ‚Un-‘ zugleich besteht und nicht besteht. ⁷ Denn indem die Un-Philosophie keineswegs die Theorie schlichtweg durch den Rückzug in die Beliebigkeit der ‚Friedrich-Heinrich-Jakobiheit‘⁸ ignoriert, bleibt sie erstens auf die (spekulative) Theorie konstitutiv bezogen, insofern ja überhaupt der Gehalt des Widersprechens auch von dem bezogen wird, wogegen zu widersprechen ist. Das Widersprechen ist trotz seiner über das (argumentative) Widerlegen hinausweisenden Natur zweitens als verbindliches und überzeugendes Widersprechen gemeint und hat daher einen klaren, wenngleich nicht begrifflich-rational rekonstruierbaren Gehalt mit Motivation, Ziel und Durchführung. So ist die begrifflich-theoretische Verneinung für den Sprung keineswegs nebensächlich oder irrelevant. Im Gegenteil wird der Sprung überhaupt erst dann möglich, wenn die Absprungstelle in der Alleinphilosophie und die Landestelle der Unphilosophie (auch) begrifflich scharf konturiert sind. Der Sprung geschieht nur aus dem begrifflich scharf (wenngleich nicht in einem linearen Ableitungszusammenhang ⁹) erschlossenen Feld der Alleinphilosophie und impli S. Schick spricht von der „Notwendigkeit der Vermittlung des Unmittelbaren“ und macht die Verbindung des unphilosophischen bzw. praktisch-vernünftigen Aspekts und des begrifflich-rationalen bzw. theoretisch-verständigen Aspekts zum Gegenstand seiner Arbeit: „Jacobi philosophiert also nicht vom Standpunkt der unvermittelten Unmittelbarkeit aus, um von diesem die vermittelnde Spekulation einfach äußerlich zu negieren, sondern er sieht die Notwendigkeit der Vermittlung des Unvermittelten, die Unhaltbarkeit des Standpunktes der unreflektierten Unvermitteltheit, und vollzieht dementsprechend in seinem Salto mortale die Vermittlung der Unvermitteltheit, also das, was die Spekulation tut.“ (Schick [2006]: Vermittelte Unmittelbarkeit, 153) Dem ist nur teilweise zuzustimmen. Denn es gilt zu bemerken, dass das hier in der vorliegenden Studie dargelegte Zugleich des Bestehens und Nicht-Bestehens der Verbindung zwischen den oben genannten Aspekten nicht als bloße Vermittlung der Unmittelbarkeit gedacht wird, insofern es gerade Gefahr läuft, erneut in eine begrifflich-rationale Totalvermittlung zurückzufallen, die Jacobi gerade kritisiert.  So äußert sich Friedrich Schlegel polemisch in seiner Woldemar-Rezension (vgl. Schlegel [2007]: Schriften zur Kritischen Philosophie, 43).  Jacobi kennt keine „lineare Diskursivität“. Die Rekonstruktion erfolgt selbst in einem „nichtlinearen Zusammenhang“. (Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 77)

168

6 Die veränderte Ansicht des Logischen

ziert auch eine begriffliche Reflexion auf die Unphilosophie selbst.¹⁰ Der praktisch-existentielle Aspekt des Sprunges wäre ohne den theoretisch-rationalen Aspekt gar nicht durchführbar und der Sprung unmöglich.¹¹ Gleichwohl ist der Sprung nicht nur ein theoretisch-rationaler Akt, sondern distanziert sich elementar vom Theoretisch-Rationalen. Der genuine Gehalt der Unphilosophie ist also kein Wissen im strengen Sinn zu nennen, weil sich trotz der Reflexion auf die (historischen und systematischen) Bezüge keine strikte Rechtfertigung für den

 B. Sandkaulen weist darauf hin, dass Jacobi eben damit zwischen Philosophie und NichtPhilosophie steht (vgl. Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 25 f). Sie schreibt: „Mit dem ‚Eigensinn‘ seiner antipathischen Sympathie zwischen ‚Allein-Philosophie‘ und ‚Unphilosophie‘, indem er also weder einen nicht-philosophischen Standpunkt vertritt oder gar restituiert noch aber auch die Gestalt einer anderen Philosophie konzipiert, stößt Jacobi in der Umkehrung seines ‚Kopf-unten‘ mithin beide, Philosophen wie Nicht-Philosophen, vor den Kopf […].“ (Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 26) – Bis hinein in die Konzeptionen von Verstand und Vernunft ist diese eigentümliche Verbindung zu finden. Jacobis Unterscheidung zwischen dem Verstand als dem begrifflich-sinnlichen und der Vernunft als dem intuitiv-übersinnlichen Vermögen enthält ebenso einen Hinweis darauf, dass selbst die über den Verstand hinausreichende Vernunft des Verstandes bedarf, um überhaupt Vernunft zu sein: „Vollkommen richtig bemerkt Kant in der Einleitung zu der transcendentalen Logik, ‚daß von den beyden Eigenschaften unseres Gemüths: Sinnlichkeit und Verstand, keine der andern vorzuziehen sey, weil Gedanken ohne Inhalt leer, Anschauungen ohne Begriffe aber blind sind; mithin die Vereinigung beyder Fähigkeiten nothwendig ist, wenn menschliche Erkenntniß werden soll.‘ Ich setze hinzu: Wie der Verstand nicht der Sinnlichkeit vorgezogen werden darf, und die Sinnlichkeit nicht dem Verstande, so darf auch nicht die Vernunft vorgezogen werden dem Verstande, noch der Verstand der Vernunft. Ohne Verstand hätten wir nichts an unseren Sinnen; es wäre keine sie in sich vereinigende Kraft, (auch dem niedrigsten Thiere zu seinem lebendigen Daseyn unentbehrlich:) das sinnliche Wesen selbst wäre nicht. Eben so hätten wir ohne Verstand auch nichts an der Vernunft: das vernünftige Wesen selbst wäre nicht.“ (EDH, 385 f)  Zu zeigen, dass Jacobi Rationalität zwar kritisiert, aber dies nicht gleichzusetzen ist mit einer völligen Distanzierung von der Rationalität, ist Hauptanliegen von D. Fetzer. Er möchte untersuchen, wie „die konkreten Bestimmtheiten innerhalb dieser konstitutiven Rationalität für Jacobis Philosophie des Unbedingten sich auswirken“. (Fetzer [2007]: Jacobis Philosophie des Unbedingten, 9) Allerdings macht er hier für Jacobi ruinöse Konsequenzen dadurch aus, dass das „undurchschaute bedingte Bedingen“ (Fetzer [2007]: Jacobis Philosophie des Unbedingten, 22) der Rationalität letztlich Jacobis Philosophie des Unbedingten selbst affiziert. Die Komplexität Jacobis sieht Fetzer auch in einem Zusammenspiel – jedoch in einem Zusammenspiel von individueller Erfahrung (z. B. der eigenen Freiheit) und einer Verständigung über das „Positive“ dieser Erfahrung, die er als „darstellende“ bezeichnet und in Jacobis Romanen verwirklicht sieht. (Fetzer [2007]: Jacobis Philosophie des Unbedingten, 46 f) Dem ist unter dem Verweis zuzustimmen, dass das Einnehmen der unphilosophischen Position ursprünglich vor der Auseinandersetzung mit dem begrifflich-rationalen System Spinozas geschieht. Dieser Auseinandersetzung, so die These, muss selbst ein begrifflich-rationaler Aspekt eignen.

6.2 Die Dialektik der Unphilosophie

169

Sprung als solchen finden lässt.¹² Dies aber ist auch Teil der Signatur der Unphilosophie selbst, die sich überhaupt in dieser Verneinung ‚Un-‘ insofern niederschlägt, als sie sich einerseits aus dieser Verstrickung in die Begriffe springend löst, um dann wiederum – unfähig die Abhängigkeit gänzlich zu lösen – andererseits mit den Begriffen zu hantieren. Dies geschieht jedoch mit dem Wissen bzw. mit dem Nicht-Wissen um das gleichsam darunter liegende, nur unmittelbar zugängliche Wahre und Unbedingte, auf das die Begriffe indirekt nur verweisen, ohne es jedoch greifen zu können.¹³ Und so muss Jacobi zugestehen: welcher Gestalt vor allem jenes uns am tiefsten inwohnende Wissen von Freyheit und Vorsehung, die, als der Natur überlegene Mächte, in uns walten und über uns—dieses zu erklären bekennen wir uns unvermögend. Wir stellen nur Thatsachen ins Licht, und rechtfertigen dann, auf diese Thatsachen gestützt, unsere Lehre mit wissenschaftlicher Strenge. (EDH, 424)

Die Rechtfertigung „mit wissenschaftlicher Strenge“ indes vollführt nicht das, was er am systematisch-systemischen Denken kritisiert, weil das Gefundene nicht in der Theorie begrifflich-rational abgeleitet werden soll, sondern im Zuge des Moduswechsels anerkannt und gänzlich neu zur Geltung gebracht wird. Schon im David Hume macht er auf diese Abhängigkeiten aufmerksam: Wie jedes andere System von Erkenntnissen, so erhält auch die Philosophie ihre Form allein von dem Verstande, als dem Vermögen überhaupt der Begriffe. Ohne Begriffe ist kein Wiederbewußtseyn, kein Bewußtseyn von Erkenntnissen, folglich auch keine Unterscheidung und Vergleichung, Trennung und Verknüpfung, kein Wägen, Erwägen und Würdigen derselben, mit einem Wort keine wirkliche Besitzergreifung von irgend einer Wahrheit möglich. (EDH, 401)

Die Unphilosophie in dieser konstitutiven Verbundenheit und Nicht-Verbundenheit mit dem begrifflich-rationalen Erklärungsparadigma zu sehen, ist von entscheidender Bedeutung, um den Sprung vor zwei Missverständnissen zu be-

 K. Hammacher sieht die Gefahr der Rationalisierung des Sprunges und bezeichnet zugleich die Lösung, die Jacobi mit seiner Unphilosophie aufzeigt: Jacobi entkommt dem, „indem er die Andersartigkeit der Vollzugserfahrung gegenüber der Weise, eine Selbständigkeit zu finden, wie sie die Erkenntnis bot, aufzeigt“. (Hammacher [1969]: Die Philosophie Friedrich Heinrich Jacobis, 87)  Das erinnert an Adornos Begriffskonstellationen, die sich um das Nicht-Identische lagern sollen (vgl. Adorno [1996]: Negative Dialektik, 164 f). Vielleicht ist eine Referenz der Begriffskonstellationen auf diese unphilosophische Doppelbödigkeit hilfreich, um Adornos Bemühungen zu erhellen. – S. Schick geht davon aus, dass der Sprung in den Glauben den Verstand zunächst aufhebt. Er spricht von einer „völligen Aufgabe der Spekulation“. (Schick [2006]: Vermittelte Unmittelbarkeit, 269) Die hier vertretene These geht jedoch von einem Zugleich unmittelbarer und vermittelter Erkenntnis aus.

170

6 Die veränderte Ansicht des Logischen

wahren. Die erste Fehlinterpretation (wie durch Hegel in der Enzyklopädie geschehen) liegt darin, den Sprung im Rahmen des Erklärungsparadigmas ohne Rücksicht auf den praktisch-existentiellen Aspekt zu deuten. Verstünde man den Sprung auf diese Weise, so ist er in der Verneinung des Erklärungsparadigmas dennoch qua Zurückweisung bzw. Abgrenzung (als negierender Akt) an das Erklärungsparadigma gebunden und die Unphilosophie zeigt sich entsprechend als undurchführbares Projekt. Die Unphilosophie verstrickte sich heillos in das eingangs geschilderte Dilemma der Systemkritik. Hegel nutzt das geschickt aus. Denn die (bloß begrifflich-rational verstandene) Verneinung zielt darauf, selbst über die Verneinung hinauszugehen – insofern nämlich der Sprung das Paradigma selbst überwinden möchte –, um offensichtlich jedoch das zu setzen, was die Verneinung verneint.¹⁴ Der Sprung käme so verstanden nicht von der Stelle.¹⁵ Die zweite Fehlinterpretation (wie bei F. Schlegel zu finden) liegt darin, den Sprung (auch unter Berücksichtigung des praktischen Aspekts) als vollständiges Negieren des Erklärungsparadigmas zu verstehen, der sich in den Irrationalismus flüchtet und daher weder über sich selbst Auskunft geben möchte noch kann. Jacobis Unphilosophie steht gleichsam in der Mitte zwischen diesen Fehldeutungen. Die Unphilosophie und der Sprung können selbst nicht aus dem Erklärungsparadigma erschlossen werden – genauso wenig ohne es. Der unphilosophische Widerspruch kann nur realisiert werden, indem der Sprung primär als praktisch-existentieller Akt verstanden wird, dessen Modus, an eine konkrete Person gebundener Akt zu sein, allein die Verneinung bzw. den Sprung überhaupt auslöst und zugleich ins Ziel führt. Damit immunisiert sich Jacobi gegen die erste Fehldeutung. Denn dieser spezielle Modus des Widersprechens äußert sich darin, dass der Sprung das Erklärungsparadigma immer schon qua praktisch-existentiellen Akt überwunden hat bzw. jenseits davon ist, ohne jedoch bloß von einem externen Standpunkt aus das System zu kommentieren, sondern im Rückgriff auf die handelnde Person und ihr unmittelbares Innesein den Widerspruch im System selbst festzumachen und so das System zu „verstören“.¹⁶ Denn insofern der Sprung kein argumentativer Widerspruch sein

 Auch D. Fetzer geht ausführlich auf die Schwierigkeiten der Systemkritik ein (vgl. Fetzer [2007]: Jacobis Philosophie des Unbedingten, 60 ff).  Dies ist auch der Anknüpfungspunkt für die Einwände gegen Jacobi, wenn darauf wie von G. E. Lessing hingewiesen wird, dass die Grenze, die er ziehen möchte, nicht zu setzen sei.  B. Sandkaulen bezeichnet Jacobis Vorgehen als systemverstörend von innen und weist darauf hin, dass es sich trotz der Verankerung im „Gefühl“ um keine rein externe Kritik handelt. Wenn also Jacobi zu dem Ergebnis kommt, „daß dem Bedürfnis nach Kohärenz das Freiheitsbewußtsein intentionalen Aufbruchs grundsätzlich unzulänglich bleiben muß, heißt dann dementsprechend, den Punkt des Widerspruchs im Inneren des Systems selbst zu markieren. Keineswegs also einen

6.2 Die Dialektik der Unphilosophie

171

kann, sondern nur ein unphilosophisch motiviertes Widersprechen, funktioniert die Mechanik des Sprunges nicht nach den Gesetzen begrifflich-rationaler Logik. Die personale Gewissheit entzieht sich überhaupt jeder begrifflich-rationalen Logik. Insofern also diese Gewissheit gar keiner Begründung, sondern nur der Anerkennung bedarf, weil sie für mich unbedingt und grundlos gilt, besteht der Kern des Sprunges nicht in der Verneinung der Begründungslogik, sondern in der Anerkennung des Standpunktes der konkreten Person, die über die Begründungslogik hinausreicht. ¹⁷ Die (explizite) Verneinung geschieht erst im Nachgang

in sich haltlosen externalistischen ‚Standpunkt‘ einzunehmen, verhält sich der Widerspruch im Gegenteil buchstäblich systemverstörend, indem er dessen inneren kohärentistisch verbrämten Konflikt freilegt und springend exekutiert.“ (Sandkaulen [2006]: System und Systemkritik, 33 f) – Anzumerken ist, dass in Jacobis Spätphilosophie sich insofern eine Verschiebung ereignet, als weniger der praktisch-existentielle Aspekt des Sprunges den scharfen Widerspruch gegen die in den Nihilismus abgleitende Wissenschaft markiert. Die Vernunft als vernehmende wird dort dann selbst als Wissenschaft bezeichnet, die ja scheinbar das Wahre selbst wissenschaftlich ergreifen soll. Jacobi dazu: „Der Verstand, isolirt, ist materialistisch und unvernünftig: er leugnet den Geist und Gott. Die Vernunft, isolirt, ist idealistisch und unverständig; sie leugnet die Natur und macht sich selbst zum Gott. Der ganze, unzerstückte, wirkliche und wahrhafte Mensch, ist zugleich vernünftig und verständig; glaubet ungetheilt und mit einerley Zuversicht – an Gott, an die Natur, und an den eigenen Geist. Dieser dreyeinige, allgemein unphilosophische, Glaube, muß auch im strengsten Sinn philosophischer, in der Reflexion bestätigter Glaube werden können; und ich bin kühn genug zu sagen: daß ich weiß, er kann es werden; da ich den Rückweg sehe, auf dem verirrtes Nach-Denken hier wieder ankommen, und dann erst eine wahre Philosophie, eine den ganzen Menschen erleuchtende Wissenschaft und Weisheit hervorbringen wird.“ (GD, 27)  Weil S. Schick meint, Jacobi setzte nur „unreflektierte Gefühle“ gegen die Spekulation, die „in sich unvollkommen“ sind (Schick [2006]: Vermittelte Unmittelbarkeit, 155), muss er jene von ihm behauptete Vermittlung der Unmittelbarkeit denken, die das unmittelbare Gefühl als unvollkommenes vervollständigt. Dass dieses unmittelbare Gefühl (verankert in der konkreten Existenz des je Einzelnen) über dem begrifflich-rationalen Verfahren steht und aus sich einen positiven Inhalt mitbringt, unterschlägt seine Rekonstruktion und muss folgerichtig die Vermittlung so stark betonen. Seine Version der Vermittlung der Unmittelbarkeit jedoch zielt nicht auf eine begriffliche Vermittlung des Unmittelbaren, sondern auf eine schrittweise, letztlich zweifache Vermittlung 1) durch die Vernichtung der Unmittelbarkeit des „instinktiven Glaubens“ (Schick [2006]: Vermittelte Unmittelbarkeit, 286) im konsequent zu Ende gedachten Wissen (z. B. bei Spinoza oder den Idealisten), sodass sich hernach Vermittlung und Unmittelbarkeit (als Wissen und „wissendes Nichtwissen“ (Schick [2006]: Vermittelte Unmittelbarkeit, 287)) gegenüberstehen und gegenseitig negieren, der Glaube aber noch „ein Nichtwissenwollen, ein Lassen des Wissens“ ist. (Schick [2006]:Vermittelte Unmittelbarkeit, 288) Die Vernunftschau des Wahren ist für Schick dann (das ist der zweite Schritt der Vermittlung) nun 2) der religiöse Glaube (Schick [2006]: Vermittelte Unmittelbarkeit, 286), der als intellektuelle Anschauung (im Gegensatz zum „instinktiven Glauben“ jetzt wieder „in Form der Erkenntnis“ (Schick [2006]: Vermittelte Unmittelbarkeit, 288)) das Wahre ergreift. So kommt Schick zu der Konklusion: „Die Vermittlung ist nun positiv in die Unmittelbarkeit aufgenommen, die Unmittelbarkeit der intellektuellen Anschauung bezieht sich nicht

172

6 Die veränderte Ansicht des Logischen

zur und vor dem Horizont der Anerkennung. Von der Stelle kommt der Sprung also nicht durch die Verneinung – das wäre die Entwicklung eines Widerspruches auf der gleichen Ebene, auf der er hernach immer verbliebe –, sondern durch das Widersprechen von einem anderen Standpunkt aus, der nur der der konkreten Person sein kann.¹⁸

mehr negativ ausschließend auf das Wissen als Form der Vermittlung (wie noch der Glaube) als auf ein ihr äußerliches, sondern als Vollendung des ‚Salto mortale‘ sind in der Vernunftanschauung alle seine Momente aufgehoben.“ (Schick [2006]: Vermittelte Unmittelbarkeit, 288) Weil also die intellektuelle Anschauung des religiösen Glaubens die Inhalte der Unmittelbarkeit selbst vermittelt, sei es eine vermittelte Unmittelbarkeit, die selbst Hegels vermittelte Unmittelbarkeit vorwegnehme (vgl. Schick [2006]: Vermittelte Unmittelbarkeit, 287). Aber entweder rekonstruiert Schick den religiösen Glauben als (historische) Vermittlung, die auch die Inhalte entsprechend gibt, oder aber als intellektuelle Anschauung, die jedoch nicht anders als unmittelbar zu nennen ist. Insofern ist der religiöse Glaube zwischen Vermittlungsinstanz und Inbegriff des Sprunges unentschieden. In beiden Fällen nimmt Jacobis Position Hegels vermittelte Unmittelbarkeit nicht vorweg – weil sie entweder zu kontingent oder zu unmittelbar ist. Im Kontrast zu der hier verfolgten Interpretation setzt Schick Jacobi damit wieder dem Vorwurf Hegels aus, etwas (in der intellektuellen Anschauung) zu postulieren, das sich nicht ausweisen lässt. Wenn der Sprung im religiösen Glauben und in der Schau des Göttlichen seinen Kern hat, so kommt man um ein „Kräftemessen“ mit Hegel bezüglich der Ausweisbarkeit nicht herum, weil man sich (wenn man so stark auf die „Form der Erkenntnis“ abhebt) unweigerlich auf eine epistemische Ebene begeben hat. Zur Rechtfertigung verfällt man dann entweder auf die Tradition oder auf das,was sich mir als wahr eben zeige. Genau diese Schwachstelle wird bei dem hier gewählten Ansatz vermieden, insofern es im Kern um den praktisch-existentiellen Vollzug und das darin sich zeigende Wahre im Komplex von Person, Jemeinigkeit, Freiheit, Tugend und Freundschaft geht, was sich unmittelbar konkret im Vollzug greifen lässt.  D. Fetzer reflektiert über die Externalität des Widersprechens in genere (nicht in Bezug auf die konkrete Person): „Wenn es also, und sei es nur als Hypothese, etwas geben soll, das mit der im reinen Zusammenhang bestehenden Bedingtheit nicht zusammenhängt, ihr gegenüber vielmehr unbedingt ist, so ist es von der Bedingtheit her niemals zu erreichen, sondern immer nur vom Unbedingten selber her. Gegenüber solch Unbedingtem verhält sich das Bedingte nicht bloß als das Leere, sondern als das Negative, als kontradiktorische Alternative; das nur von sicher selbst her zu erreichende Unbedingte verhält sich als das Positive. […] Dieses ungleichgewichtige Verhältnis kennzeichnet, wie sich noch zeigen wird, überhaupt das Verhältnis des positiv-Unbedingten zur Bedingtheit als dem Negativen: während das Negative das Positive ausschließt, relativiert das Positive das Negative; das Negative negiert das Positive total, das Positive hingegen das Negative nur partiell, nämlich in seinem Prinzipienanspruch. […] [R]ationale Bedingtheit und Unbedingtes treten in ein unbegreifliches Verhältnis, eine unerklärliche, nicht mehr rational zu konstruierende Bezogenheit, die Jacobi mit ‚Offenbarung und Glauben‘ allerdings etwas mißverständlich bezeichnet.“ (Fetzer [2007]: Jacobis Philosophie des Unbedingten, 63) Fetzer bezeichnet Jacobis Bezugnahme auf das Positive, von dem her die Überschreitung des bloßen Immanenzzusammenhangs möglich wird, jedoch als eine „Hypothese“. (Fetzer [2007]: Jacobis Philosophie des Unbedingten, 64) Im Angesicht der unmittelbaren Gewissheit des Unbedingten in ‚meiner‘ Handlung kann dem nicht zugestimmt werden.

6.2 Die Dialektik der Unphilosophie

173

Gegen die zweite Fehldeutung – der Sprung sei irrational – immunisiert sich die Unphilosophie erstens ebenso mit diesen gegen die erste Fehldeutung vorgebrachten Mitteln, nämlich damit, den Sprung an die konkrete Person zu binden: Dadurch ist eine unmittelbare Gewissheit greifbar, die zwar jenseits aller begrifflich-rationalen Gründe steht, jedoch nicht gänzlich ohne Gründe ist. Die Anerkennung des Standpunktes der konkreten Person ist Ausdruck dieses fundamentalen Moduswechsels, der eine neue Ansicht des Logischen realisiert, das deswegen nicht in den Irrationalismus abgleitet, weil hier begrifflich-rationale Gründe durch unphilosophisch-unmittelbar aufgefundene ergänzt werden.¹⁹ Diese Fehldeutung trifft zweitens auf die Unphilosophie auch deswegen nicht zu, weil die Unphilosophie selbst ihre Position reflektiert. Denn vom Begründungsparadigma der Alleinphilosophie kann sie sich – und will sie sich – deswegen nicht gänzlich lösen, weil in der Explizierung bzw.Verortung des Sprunges und der Rückbindung des philosophischen Diskurses an die konkrete Person zugleich die Singularität als solche, die Erfahrung als solche, das Innesein als solches, die Jemeinigkeit als solche in den Blick gebracht werden. Das heißt, dass im Vollzug des Springens die Unphilosophie die Konkretion auch in ihrer Allgemeinheit festhält, jedoch auf eine solche Weise, dass nicht die Konkretion aus der Allgemeinheit (wie bei Hegel dialektisch) in einem Konkret-Allgemeinen abgeleitet wird. Die Konkretion wird vielmehr enthüllt bzw. offenbart. Und nur in der Enthüllung gewinnt sie ihren Gehalt. Zugleich ist die Konkretion jedoch deswegen mit der Allgemeinheit amalgamiert, weil in der unphilosophischen Auseinandersetzung mit der Systemphilosophie die Form des Geoffenbarten – d. h. seine Singularität und seine Unmittelbarkeit – selbst zum (allgemeinen) Gehalt wird. Das ist notwendig, damit die Unphilosophie überhaupt gegen die Alleinphilosophie etabliert werden kann.²⁰ Der Gehalt des Geoffenbarten selbst – ‚meine‘ Person, ‚meine‘ Singularität, ‚meine‘ Erfahrung, ‚mein‘ Innesein, ‚meine‘ Jemeinigkeit – bleibt jedoch dem Begriff entzogen. Die Verständigung über das Gemeinte muss also eine begrifflich vermittelte sein, kann aber den in Frage stehenden Gehalt –  Jacobi spielt hier also keineswegs die Unmittelbarkeit des gelebten Lebens gegen die Theorie aus. Er zieht sich nicht auf die bloße Performanz des Lebens zurück, die dann irrationale Züge annähme. So wichtig das tatsächlich gelebte Leben für Jacobis Einwände ist, so wichtig ist es zudem, dies als Realisierung der Vernunft zu verstehen – was jedoch in dezidierter Differenz zu Hegels Konzeption geschieht. Vgl. dazu weiter unten den Abschnitt: Vernunft und Person.  Während in Hegels spekulativer Philosophie im Denken des Denkens die Form des Denkens zum Gegenstand und damit zum Gehalt des Denkens selbst wird, das sich selbst erfasst und so transparent wird, betreibt Jacobi in seiner Unphilosophie das Fühlen des Unmittelbaren. Im Gefühl (und nicht im Denken) ist das Gegebene (und nicht das Denken) Gegenstand. Wenn bei Jacobi die Form zum Gehalt selbst wird, so wird nicht die Vermittlung als solche reflektiert, sondern das Gegebensein als solches.

174

6 Die veränderte Ansicht des Logischen

und das ist das Entscheidende – selbst nicht rational rekonstruieren. „Die Speculation mag bloß hinzutreten und durch ihre eigne Beschaffenheit erhärten, daß sie für sich leer ist ohne jene Offenbarungen, und sie nur bestätigen, nicht sie begründen kann.“ (SB, 347 f) So wird in der Erfahrung eine Dimension des (unbegrifflichen und damit auch nicht-allgemeinen) Wahren erschlossen, die zugleich begrifflich-allgemein als das Wahre als solches, das Singuläre als solches, die Erfahrung als solche, das Innesein als solches, die Jemeinigkeit als solche etc. verortet wird.²¹ Nur so kann es gelingen, einen seinem Wesen nach vollständig aus der Substanz bestimmten Modus (bei Spinoza) zu einer sich selbst in ihrer Singularität erfahrenden Person ins Verhältnis zu setzen und so generell Vermittlung und Unmittelbarkeit, Allgemeinheit und Singularität, Bestimmtheit und Vollzug etc. zu thematisieren und unphilosophische Konsequenzen zu ziehen. Nur so wird überhaupt der Sprung in seinem Kontext verständlich.²²

 Auch hier scheint Adorno eine ähnliche Strategie zu verfolgen, wenn er in der Analyse von Unmittelbarkeit und Vermittlung von einem Rest spricht, der in der Vermittlung nicht aufgeht. Insofern Adorno allerdings rein begriffsanalytisch vorgeht und die (philosophische) Erfahrung der Person permanent in Frage steht, fehlt ihm die Basis, von der aus ein solcher Einwand formuliert werden könnte. „Der Triumph, das Unmittelbare sei durchaus vermittelt, rollt hinweg über das Vermittelte und erreicht in fröhlicher Fahrt die Totalität des Begriffs, von keinem Nichtbegrifflichen mehr aufgehalten, die absolute Herrschaft des Subjekts.Weil aber die eskamotierte Differenz durch Dialektik erkennbar ist, behält in dieser totale Identifikation nicht das letzte Wort. Sie vermag deren Bannkreis zu verlassen, ohne ihm dogmatisch von außen her eine vorgeblich realistische These zu kontrastieren. Der Zirkel der Identifikation, die schließlich immer nur sich selbst identifiziert, ward gezogen von dem Denken, das nichts draußen duldet; seine Gefangenschaft ist sein eigenes Werk.“ (Adorno [1996]: Negative Dialektik, 174) Adorno scheint also davon auszugehen, dass das Nicht-Identische im System selbst aufscheint (vgl. Adorno [1996]: Drei Studien zu Hegel, 375). Gerade das würde Jacobi allerdings bestreiten.  Auch G. Baum besteht darauf, dass nach seiner Rekonstruktion Verstand und Vernunft nicht strikt getrennt sind, sondern sich gegenseitig bedingen und nur „Verstand und Vernunft zusammen“ eine adäquate Anschauung des Wahren gewährleisten. Seine These jedoch zielt darauf, dass die von Jacobi später eingeräumte und entsprechend korrigierte terminologische Vermischung von Verstand und Vernunft und Glaube in den frühen Schriften so nicht zutreffe. Insofern er einerseits behauptet, die Vernunft könne ohne Verstand gar keine Erkenntnis haben, und andererseits sagt, der Verstand verfüge ebenso über Intuition, läuft die hier vorgeschlagene Interpretation in eine andere Richtung (vgl. Baum [1969]: Vernunft und Erkenntnis, 113 ff). Wenn Baum dann die Idee des Schönen der sinnlichen Anschauung, die des Wahren dem Verstand und die des Guten der Vernunft zuweist (vgl. Baum [1969]: Vernunft und Erkenntnis, 162), dann kann dem endgültig nicht zugestimmt werden.

6.2 Die Dialektik der Unphilosophie

175

Die Negation des ‚Un-‘ drückt diese Doppelbödigkeit²³ der Verbindung und Nicht-Verbindung aus: Sie bezieht sich auf zu Negierendes, ohne das die Verneinung gar keinen Sinn machte, wie z. B. bei dem Begriff ‚Unmensch‘. Eine solche Verneinung ist zu unterscheiden von der einfachen Verneinung ‚nicht Mensch‘, die unspezifisch z. B. Tier, Pflanze oder unbelebte Natur einschließt und das Menschsein generell ausschließt. Aus der generellen logischen Verneinung von ‚Mensch‘ ist die spezifische Bestimmtheit von ‚Unmensch‘ jedoch nicht zu erschließen, weil das Menschsein trotz der Negation im ‚Un-‘ nicht ausgeschlossen wird, sondern als definitorischer Rahmen erhalten bleibt. Der Unmensch bezeichnet eine eigene Qualität des Menschseins selbst. Die Bezogenheit auf systematisch-systemisches Denken verortet die Unphilosophie ebenso überhaupt erst in ihrem Kontext. Wie bei ‚Unmensch‘ verlässt die Unphilosophie nicht den Rahmen des Verneinten. Die von der Unphilosophie Jacobis mitgebrachte und insofern über das Erklärungsparadigma hinausreichende Qualität jedoch liegt in der Anbindung an die je individuelle und irreduzible Perspektive einer konkreten Person. Insofern die Erfahrung als vollzogene adressiert ist, ist die Performanz der Unphilosophie qua konkrete Person von entscheidender Bedeutung.²⁴ Unphilosophie meint daher nicht einfach eine Nicht-Philosophie in dem Sinne, dass Jacobi z. B. einen esoterischen Sonderweg zur Erlösung des Menschen verfolgte. Sie ist wesentlich auf (Allein‐)Philosophie bezogen und möchte insofern auch eine Philosophie sein. Dennoch geht sie mit dem ‚Un‘ über die Philosophie hinaus. Das Zusammentreffen von Verneinung und Performanz im Sprung realisiert dieses ‚Un‘ und ermöglicht erst eine philosophische Alternative zum systematisch-systemischen Denken. Sie ist jedoch nur artikulierbar als Widersprechen – man könnte auch sagen: als performativer Widerspruch.²⁵ Die Per-

 B. Sandkaulen benutzt diese Metapher für Jacobis Unphilosophie (vgl. Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 24). Sandkaulen weist auch auf die Natur der Verneinung durch die Vorsilbe ‚Un-‘ hin (vgl. Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 25 f).  J. F. Fries und A. K. A. Eschenmeyer greifen auf ein ähnliches Vokabular auch in Anlehnung an Jacobi zurück. Dort finden sich auch Konzepte wie Glauben, Ahndung, Nicht-Philosophie. W. Bonsiepen umreißt deren Verwendungsweise, geht allerdings nicht auf die entscheidende Dimension der Person bei Jacobi ein (vgl. Bonsiepen [2004]: Philosophie, Nicht-Philosophie und Unphilosophie).  Die Bezeichnung ‚Unphilosophie‘ hat daher eine sehr spezifische Bedeutung. Daher ist S. Kahlefeld nicht zuzustimmen, wenn sie von Jacobis „Stillstand“ in seiner Philosophie der mittleren Phase um den Brief an Fichte schreibt: „Indiz für diesen sich abzeichnenden gedanklichen Stillstand ist, daß Jacobi zunehmend in Metaphern und durch bloße Benennungen festschreibt, was begründet und erläutert werden müßte. Dazu zählen die neue Bezeichnung seiner eigenen Philosophie als ‚Unphilosophie‘ […] und die Unterscheidung eines Ortes des Wahren

176

6 Die veränderte Ansicht des Logischen

formanz und nur diese durchkreuzt radikal die Gebundenheit an die Theorie und verhindert den gänzlichen Rückfall in die Reflexion des Begriffes, indem sie in der Erfahrung nur unmittelbar zugänglich ist und überhaupt einen Paradigmenwechsel vollzieht.²⁶ Die von Jacobi gebrauchte Formel des ‚Spinoza/Antispinoza‘ zeigt damit einmal mehr die Signifikanz dieser dialektischen Verwobenheit, die also (und das ist ein entscheidender Unterschied zu einer begrifflichen Dialektik) nur von einer konkreten Person performativ selbst vollzogen werden kann.²⁷ Diese außerhalb der Philosophie von der Wahrheit, die in ihr zu finden ist […].“ (Kahlefeld [2000]: Dialektik und Sprung, 100)  Die Unphilosophie kann demzufolge in dem Maße unmöglich eine Theorie genannt werden, wie die Theorie eine der identitären Logik folgenden Explizierbarkeit voraussetzt, der sich die Performanz widersetzt. Dass sowohl Jacobi als auch Hegel in der Explikation des Unbedingten keine Theorie verfolgen, darauf macht V. Rühle aufmerksam. Er ist jedoch der Ansicht, dass Hegel das überlegenere Konzept verfolgt, insofern Jacobi über eine „esoterische Darstellungsform“ nicht hinauskommt (vgl. Rühle [1989]: Jacobi und Hegel). – D. Fetzers Analyse eines Grundproblems bei Jacobi scheint in die Begriffsreflexion zurückzufallen: Das Bewusstsein vom Unbedingten, so Fetzer in Übereinstimmung mit der hier vertretenen These, „ist Aufgabe des ‚Verstandes‘“. (Fetzer [2007]: Jacobis Philosophie des Unbedingten, 218) Er fährt fort: „[D]er Verstand muß also zwar nicht von sich aus den Begriff des Unbedingten bilden können, wohl aber so beschaffen sein, daß das Unbedingte ihn dazu bestimmen kann.“ (Fetzer [2007]: Jacobis Philosophie des Unbedingten, 218) Wie auch „bestimmen“ zu verstehen ist, kommt Fetzer zu dem Schluss: „Ist der Verstand zur Bildung des Begriffs der Unbedingtheit unvermögend, so kann das ‚Unbedingte‘ auch nicht mehr ‚unbedingt‘ genannt werden, da dann ja die Macht seines Bedingens durch die Vorgaben des zu Bedingenden eingeschränkt, also bedingt würde […].“ (Fetzer [2007]: Jacobis Philosophie des Unbedingten, 218) In Anbetracht des Sprunges und seiner Radikalität, bleibt es geradezu konstitutiv für das Unbedingte, einen letzten Aufschluss über sich schuldig zu bleiben. Zudem bleiben die praktische Verankerung bzw. der Paradigmenwechsel für den Aufschluss über das Unbedingte zu berücksichtigen, die allein den Rückfall in eine bloße Begriffsreflexion verhindern. Andernfalls bleibt es ein Versuch schlüssigen Schließens aufs Unbedingte, wie es Fetzer rekonstruiert (vgl. Fetzer [2007]: Jacobis Philosophie des Unbedingten, 232 f). Insofern Fetzer Jacobis Projekt aufgrund dieser Unschlüssigkeit scheitern sieht (vgl. Fetzer [2007]: Jacobis Philosophie des Unbedingten, 249), kann die hier dargelegte Natur des unphilosophischen Projekts nicht nachdrücklich genug herausgehoben werden.  K. Hammacher geht auch der Frage nach der Dialektik bei Jacobi nach. Er stellt jedoch eine solche These nicht auf. Er geht der „dialektischen Spannung von Freiheitsbewußtsein und Erkenntnisbewußtsein in der Entfaltung des Menschen durch Handlung“ nach. (Hammacher [1971]: Jacobi und das Problem der Dialektik, 130) Ein erstes dialektisches Moment will Hammacher „zusammenfassend dadurch bestimmen, daß die Geschlossenheit der Denkzusammenhänge in der Erkenntnis einen eignen Grund für ein Dasein abgibt gegenüber dem Tätigkeitsbewußtsein im freien Handeln, welches in solcher Festigkeit des Daseins vorausgesetzt, aber nicht mehr sichtbar ist“. (Hammacher [1971]: Jacobi und das Problem der Dialektik, 130) Das zweite Moment sieht Hammacher in der Selbsterhaltung des Menschen, die im Angesicht von materiellen Bedingungen durchführbar ist und er „seiner selbst nur in Tun und Leiden inne wird“. (Hammacher [1971]: Jacobi und das Problem der Dialektik, 132) Die Dialektik spannt sich nach Hammacher also auf zwischen

6.2 Die Dialektik der Unphilosophie

177

Dialektik hat keinen Ort in einer begrifflichen Schärfung, sondern in einer praktischen Handlung. ²⁸ Bei Hegel ist es die Negativität des Begriffes, die seine Bestimmungen in negativer Bezüglichkeit entstehen lässt und dann auch einen praktisch-existentiellen Aspekt in der Realphilosophie umfasst. Die Negation bei Jacobi ist dagegen eine praktisch-vollzogene, die jedoch genauso als Abgrenzung einen begrifflich-rationalen Aspekt mit einbegreift. Hegel und Jacobi treffen sich jedoch keineswegs aus je verschiedenen Richtungen kommend bei der Vermittlung beider Aspekte gleichsam in der Mitte. Das je gewählte Paradigma lässt beide Projekte prinzipiell unversöhnlich sein. Man kann also resümieren: Der Vollzugscharakter der an die Person gebundenen Verneinung im Sprung konstituiert das Verhältnis von Un- und Alleinphilosophie in einer Weise, dass die Unphilosophie selbst adäquat nur als ein Vexierbild verstanden werden kann, das zwischen Verbindung und Nicht-Verbindung von Performanz und Reflexion changiert.²⁹ Diese Dialektik zwischen

Freiheitserfahrung und Erkenntniszusammenhang auf der einen sowie Aktivität und Passivität auf der anderen Seite. Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich hier eher auf den ersten Aspekt, um damit aber die Grundcharakteristik des unphilosophischen Eigensinns gegen oft erhobene Einwände zu verteidigen (vgl. Hammacher [1971]: Jacobi und das Problem der Dialektik). – Nach S. Kahlefeld entdeckt Jacobi sogar die Dialektik der Aufklärung, „der das Denken unterliegt, wenn es einen umfassenden Anspruch auf Erklärung der Welt erhebt und es dabei seine Ordnung und Rekonstruktion des Wirklichen für die ganze Wirklichkeit hält“. (Kahlefeld [2000]: Dialektik und Sprung, 8 – bes. auch 59 ff) In ihrer Studie arbeitet sie allerdings nicht genau genug den Angelpunkt der Person heraus, der diese Dialektik überhaupt möglich macht. Sie benennt ihn lediglich darin, dass es Jacobi um den „ganzen, wirklichen Menschen“ geht. (Kahlefeld [2000]: Dialektik und Sprung, 76) – Hinsichtlich der These der Dialektik der Aufklärung Jacobis fragt W. Jaeschke allerdings, „ob diese ‚Dialektik der Aufklärung‘ in einer dialektischen Struktur der Vernunft selbst fundiert sei. […] Gegen solche Fundierung der ‚Dialektik der Aufklärung‘ in einer ‚Dialektik der Vernunft‘ spricht jedoch Jacobis Unterscheidung derjenigen ‚Vernunft, welche nicht die Vernunft ist‘,von der anderen, die sie ist. Auch die Vernunft, die ‚übermannt‘ und ‚verschlingt‘, muß vielmehr als diejenige Vernunft identifiziert werden, die nicht die Vernunft ist.“ (Jaeschke [2004]: Eine Vernunft, welche nicht die Vernunft ist, 207)  Entgegen der oben gebrauchten Formulierung, dass die Landestelle eigentlich immer schon vorhanden ist, kann man auch sagen, dass es den Ort der Landung nur in dem Maße gibt, „wie man tatsächlich springt“. (Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 32) Diese Ambivalenz ist im Charakter des Vollzuges begründet. Der Vollzugscharakter begleitet die menschliche Existenz prinzipiell, sodass dieser nicht erst erreicht werden muss. Gleichwohl muss der Charakter in seiner Signifikanz anerkannt und gegenüber des Zugleich der logischen Dependenz herausgehoben werden. Die Performanz ist immer schon vorhanden, jedoch erst im Springen wird diese Dimension wirklich sichtbar.  Es sind zudem nicht nur Aspekte, unter denen dieses Vexierbild zu kippen beginnt. Es sind vielmehr die jeweiligen Seiten selbst (Reflexion und Performanz), die sich gegenseitig im Sprung (als Negation) bedingen und ausschließen (wenngleich natürlich aufgrund der Doppelnatur des

178

6 Die veränderte Ansicht des Logischen

praktisch-vernünftigem und theoretisch-verständigem Aspekt, zwischen Performanz und Reflexion, ist erst die wahre Unphilosophie, insofern die Unphilosophie nicht einfach die Alleinphilosophie bzw. den theoretisch-verständigen Aspekt (in einer einfachen Negation) negiert und eine Gegenposition dazu einnimmt. Sie ist vielmehr die Negation der Negation, die die opponierenden Positionen (d. h. den Standpunkt der konkreten Person und das Begründungsparadigma) selbst dynamisch übergreift. Wie also bei Hegels spekulativer Dialektik trifft auch hier kein einfaches Entweder-oder, sondern ein komplexes Sowohl-als-auch zu, das ebenso als ein Vexierbild gefasst werden kann. Das heißt dann aber auch: Die ‚wahrhafte‘ Unphilosophie ist eben kein lineares Verhältnis, sondern ein komplexes Bedingungsgefüge von praktisch-existentieller Gebundenheit an die Person und begrifflich-rationaler Rekonstruktion.³⁰ Erst die Unphilosophie verstanSprunges): Sie schließen sich aus, indem (individuelle) Performanz dadurch gekennzeichnet ist, gerade keine (allgemeine) Begriffsreflexion zu sein (der Sprung muss individuell vollzogen werden) und (allgemeine) Reflexion im Gegenzug von (individueller) Performanz nicht abhängig ist (der Sprung muss sich reflektieren). Sie schließen sich auch im Sprung ein: Der individuell-performative Sprung hat einen (allgemeinen) begrifflich-rationalen Aspekt. Der Sprung als (begrifflich-rationale) Negation des Begründungsparadigmas reproduziert das Begründungsparadigma (Affirmation des Begründungsparadigmas), insofern die (theoretische) Verneinung das setzt, wogegen sie sich absetzt. Das heißt, die allgemeine Reflexion reproduziert sich im individuell-performativen Sprung. Oder die Alleinphilosophie reproduziert sich in der Unphilosophie. In dem Maße wie sich das Begründungsparadigma im Sprung reproduziert, stellt sich aber auch die Sprunglogik wieder her, insofern die Omnipräsenz des Begründungsparadigmas zugleich das bestätigt, wogegen ursprünglich im Sprung widersprochen wurde und die performative Verneinung auch das illustriert: dass nämlich individuelle Performanz irreduzibel ist. Das heißt, die Performanz reproduziert sich im Begründungsparadigma. Oder die Unphilosophie reproduziert sich in der Alleinphilosophie. Man kann sagen: Die Begründungslogik reproduziert sich (gezwungen durch die theoretische Bestimmtheit) in dem Maße, wie sich die Sprunglogik reproduziert. Aber auch: Die Sprunglogik reproduziert sich (stabilisiert durch den praktischen Akt) in dem Maße, wie sich die Begründungslogik reproduziert.  Wahrheit ist bei Hegel die sich rational durchsichtig gewordene Selbstbezüglichkeit der Negativität des Begriffes. Die Wahrheit liegt somit im Binnenraum des spekulativen Prozesses, die damit die Begründungslogik selbst bestätigt, selbst wenn Hegel die Begründungslogik spekulativ weiterentwickelt. Im Gegensatz dazu zeigt sich bei Jacobi das Wahre nicht in der Geschlossenheit der Begründungslogik: Denn es ist ja keine theoretisch-begriffliche Dialektik, sondern eine praktisch-existentiell verankerte. Diese Verankerung besagt jedoch letztlich nichts anderes, als dass die Wirklichkeit einer Ursachenlogik, die unabdingbar an die Erfahrung einer handelnden Person geknüpft ist (SB, 256) und die Zeit ins Spiel bringt, gegen die Totalität einer Begründungslogik gestellt wird, in der Akteure und Zeit als Illusion (bei Spinoza) oder als nebensächlich (bei Hegel) ausgeblendet werden. Und hier macht sich die entscheidende Umwertung in Jacobis Unphilosophie bemerkbar, die die Unphilosophie aus einer bloßen Begriffsdialektik herausspringen lässt: Die Unphilosophie verweigert sich einer Logik der begrifflich-rationalen (Grund und Ursache vermischenden) Metaphysik, der alles unterworfen wird, und enthüllt eine Logik der

6.2 Die Dialektik der Unphilosophie

179

den als die Negation der Negation – d. h. als die Verbindung von Verbindung und Nicht-Verbindung beider Aspekte – bestehend in der Vollzugsperspektive der Person ist die wahrhafte Gegenposition zur Alleinphilosophie.³¹ Wie dies konkret durchgeführt wird, soll nun entwickelt werden.

praktisch-vernünftigen Handlungsdimension, die sich als die Logik des Wahren erweist (die Grund und Ursache nur in der Vereinigung zulässt, jedoch das Wahre nicht begrifflich zu konstruieren sucht). Im gleichen Moment entzieht sich die Unphilosophie auch als (operationalisierbare) Logik, weil sie nicht in ihrer Möglichkeit nach rekonstruiert werden kann, sondern in ihrer Wirklichkeit als Tatsache aufgefunden werden muss. Das heißt, in dem Maße,wie der Vollzug an eine konkrete Person gebunden ist, zeigt sich das Wahre in der Handlung in seiner Wirklichkeit als Logik der (End‐)Ursachen. Zeit markiert dann den entscheidenden Differenzpunkt zwischen Grund und Ursache, insofern nicht nur der Grund die Folge instantan enthält, die Wirkung jedoch auf die Ursache folgt, sondern die Ursache (im Rahmen des Handelnden) ein doppeltes Verhältnis zur Zeit einnimmt. Ein Handelnder ist erstens zwar in der Zeit, geht aber nicht gänzlich in der Zeit auf, wäre er doch sonst wiederum nur Teil des Naturzusammenhangs und Freiheit nicht möglich. Er ist jedoch zweitens nicht zeitlos wie der Grund, sondern selbst zeitlich, insofern der Handelnde über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verfügt, aus denen er sein Handeln bestimmt. Die Logik der Ursache kann daher in einen logischen Grund schon allein deswegen nicht aufgehoben werden, weil die Ursache einen wirklichen Anfang setzt, der für die Begründungslogik unverständlich bleiben muss. Noch weniger sind insofern die handelnde Person und die Begründungslogik kompatibel. Die zeitliche Natur der Person bleibt dem logischen Grund unerklärlich (vgl. dazu Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 200 f). – Auch B. Bowman macht darauf aufmerksam, dass Hegel die Dimension der Ursache bei Jacobi verkennt: „Hegel sieht also […] nicht, daß das spinozistische Unendliche, die Eine Substanz, nach Jacobischer Analyse nur das letzte Resultat der Vermischung der Begriffe von Grund und Ursache ist – das Resultat erklärungsrationalistischer Postulate – insbesondere der Identifizierung von Verursachung mit notwendiger (naturgesetzmäßiger) Verknüpfung – und nicht des Denkens überhaupt. Er verkennt also die konzeptuelle Reichweite von Jacobis Revision des Kausalitätsbegriffs und unterstellt darum, Jacobi würde die von ihm kritisierten deterministischen Konsequenzen wissenschaftlicher Erklärungspraxis als begrifflich alternativlos akzeptieren. In diesem Sinn bemängelt er Jacobis Insistenz auf der Unterscheidung zwischen Grund und Ursache, in welcher er lediglich ‚eine Inconsequenz gegen die Abneigung vor Begriffen und Begriffsbestimmungen‘ zu erkennen vermag.“ (Bowman [2006]: Spinoza. Ausgangspunkt oder Endstation, 159) – Die fundamentale Rolle der Unterscheidung von Grund und Ursache bei Jacobi arbeitet Sandkaulen akribisch heraus, indem sie diese überhaupt als Zugang zu Jacobis Vernunftkritik heraushebt. Zur Verknüpfung von Ursache, Zeit und Freiheit vgl. Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 198 ff.  An dieser Stelle ist m. E. erst verstanden, was Jacobi meint, wenn er sagt, dass „die Alleinphilosophie und meine Unphilosophie, durch den höchsten Grad der Antipathie mit einander in Berührung kommen und im Moment der Berührung sich gewißermaßen durchdringen“. (AF, 198) – Insofern S. Kahlefeld nicht die konstitutive Verwobenheit von Allein- und Unphilosophie herausarbeitet, hinterlässt für sie diese Aussage nur „Verwirrung“. (Kahlefeld [2000]: Dialektik und Sprung, 116) – O. Koch hebt die strukturelle Verwandtschaft und die gleichzeitige Inkompatibilität von Un- und Alleinphilosophie heraus: „Gerade die polemische Verwiesenheit auf das ein-einheitsphilosophische Systemdenken bewirkt also, daß Jacobis antisystemisches Projekt sich mit

180

6 Die veränderte Ansicht des Logischen

6.3 Der Moduswechsel zur Erfahrung. Zwischen Freiheit und Notwendigkeit Freiheit ist ein ganz zentrales Motiv für Jacobis Unphilosophie und zugleich eine wesentliche Motivation für den Sprung. Sie ist das Movens des Widersprechens gegen die Notwendigkeit des begrifflich-rationalen Denkens. Die Freiheitserfahrung ist direkter Ausdruck des Unbedingten, durch die wir, Jacobi zufolge, sowohl überhaupt vom Unbedingten als auch vermittelt darüber vom Bedingten einen Begriff haben. Denn „ohne das Bewußtseyn dieses Begriffs würde niemand von den Schranken des Bedingten wissen, daß sie Schranken sind“. (EDH, 412) Entsprechend stellt sich die Person für Jacobi als unerklärliche Einheit von Freiheit und Notwendigkeit dar, also als ein Mischwesen aus Unbedingtem und Bedingtem, aus Übernatürlichem und Natürlichem³², zwischen denen es keine Vermitt-

dem fraglosen Gedanken eines schlechthin ersten Anfangs und absoluten Realen auf eine auf den ersten Blick merkwürdige Weise selbst an die Gestalt eines Systems anzulehnen scheint. – Jacobi ist jedoch überzeugt, trotz der weitreichenden strukturellen und begrifflichen Übereinstimmungen (vor allem mit Spinozanischen Figuren), die Idee eines (un‐)philosophischen Systems in dem Maße zugleich jederzeit auf das entschiedenste zurückweisen zu können, wie die Unphilosophie die radikalste Umwertung seines Prinzip- und Relationalitätsverständnisses behauptet, d. i. wie sie von der ‚Logik des Grundes‘ zu einer ‚Logik der Ursache‘ überzugehen versucht. Jacobis Rede von der Unphilosophie als einem ‚System der Endursachen‘ obwohl es als solches zugleich nur in einem weiten Sinne (nämlich: Metaphysik überhaupt zu sein und dem ‚Totum parte prius esse necesse est‘ zu unterstehen) seine Bezeichnung als ‚System‘ mit dem rational-monistischen System der Gründe teilt, stellt sich ihm daher in der Tat als ihre angemessene Charakterisierung dar. Sie offenbart nämlich die grundlegende Nähe und Ferne von Systemphilosophie und Unphilosophie – und benennt zudem scharf den Punkt, um den der Streit im Innersten geht – den Punkt, in dem die vermeintliche mimetische Nähe sich als qualitative Andersheit zeigen soll. Es ist nach Jacobi vielmehr diese Andersheit, durch die die Relation von Urbild und (gebrochenem) Abbild und damit alle strukturellen Ähnlichkeiten zwischen Unphilosophie und Systemphilosophie überhaupt allererst möglich werden.“ (Koch [2013]: Individualität als Fundamentalgefühl, 146 f) – Dass die Unphilosophie in dieser Dialektik aufs Engste mit der Alleinphilosophie wie dargestellt verbunden ist, heißt jedoch nicht, dass sie keine Gegenposition zur Alleinphilosophie wäre, sondern, wie B. Sandkaulen hervorhebt, „im Kern destruiert“. (Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 256)  So möchte Jacobi „den ganzen Menschen“ in den Blick bringen. Die nachhegelsche Philosophie bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts – besonders L. Feuerbach – könnte jedoch ebenso unter diesem Motto stehen. Dass diese Entwicklung, die Feuerbach auf die Formel „Gott – Vernunft – Mensch“ bringt, nicht erst mit Feuerbach auf den Menschen kommt, sondern bereits Jacobi und der von Feuerbach so sehr kritisierte Hegel den Fokus auf den Menschen legen, macht W. Jaeschke deutlich (vgl. Jaeschke [2012]: Von der Vernunft zum Menschen). Jaeschke untersucht Hegels und Feuerbachs Anthropologie und die damit zusammenhängende Frage nach der Vernunft.

6.3 Der Moduswechsel zur Erfahrung. Zwischen Freiheit und Notwendigkeit

181

lung geben kann (vgl. SB, 228). Diese Konstellation steht uns in unserem Handeln täglich vor Augen. Indem wir uns unmittelbar als frei erfahren, sind die Freiheit, das Unbedingte und das Über-Natürliche nicht als von der Notwendigkeit, der Bedingtheit und der Natur abgeleitete Konzepte zu verstehen. Freiheit ist damit eine Erfahrung, die uns qua handelnden Wesen ursprünglich vertraut ist.³³ Vor diesem Hintergrund ist auch der Rückgriff auf die praktisch-existentiell eingebettete Person für Jacobi unerlässlich, insofern es um denjenigen zu tun sein muss, der handelt und darin sich unmittelbar als frei erfährt. Die Einzelheit Hegels stößt damit offensichtlich in eine Richtung, die Jacobis Einwände nicht umgehen, sondern vielmehr befeuern. Denn die Einzelheit ist (umso mehr sie adäquat nur in der absoluten Idee gefasst ist) immer schon von dem Boden entkoppelt, auf dem Jacobis Person überhaupt ihren Gehalt gewinnt. Die konkrete, praktischhandelnde Person rückt so sehr in den Fokus, dass ein Zugang zur Unphilosophie für den nicht möglich ist, so Jacobi, der „Persönlichkeit in meinem Sinne nicht gelten läßt“. Und weiter: „[I]ch bin kein Mann für ihn, meine Lehre keine Lehre für ihn.“ (VSB, 341) Mit dieser Inklusion der Frage nach der Person in diesem Komplex ist einerseits natürlich an die Frage nach Freiheit und an die Tatsache des „realen Anfangs“³⁴ zu denken. Die Person als handelnde zeigt das als Realität, was begrifflich-rational (bei Spinoza) ein zu eliminierender Widerspruch ist.³⁵ Sie zeigt zugleich auch das, „was ich nothwendig voraussetzen […] muß, wenn ich Jemanden wegen eines Werkes oder einer That bewundre, hochachte, liebe,verehre“ (VSB, 350), d. h. sie zeigt die Werte und Tugenden³⁶, die ebenso wie ein realer

 Im Gegenteil, so Jacobi, muss gesagt werden, „daß die Vorstellung des Bedingten die Vorstellung des Unbedingten voraussetzt, und in dieser nur gegeben werden kann“. (SB, 260) Das Unbedingte ist also in unserer Erfahrung dem Bedingten vorgängig und wir „haben von seinem Daseyn dieselbige, ja eine noch größere Gewißheit, als wir von unserem eigenen bedingten Dasein haben“. (SB, 260)  Ein reeller Anfang, so sei wiederholt, ist undenkbar: „[D]a wir von einem wirklichen rellen [sic!] Anfange weder Vorstellung noch Erfahrung haben, und es dem Wesen der Erfahrung, der Vorstellung des Begriffes gerade zu widerspricht, daß die Erkenntnis eines wirklichen Anfanges, oder auch eines reelen Daseyns […] in ihnen, oder durch sie gegeben werde“, so ist die Frage nach dem Anfang der Welt töricht. (SB, 264)  „Ich behaupte im Gegentheil, daß man von Ursache zu Ursache nicht anders als ins Unendliche fortgehen; das heißt, daß man keinen absoluten, reinen Anfang einer Handlung annehmen kann, ohne anzunehmen, daß das Nichts etwas hervorbringe.“ (SB, 84)  Dies ist ein für den Sprung und Jacobis Unphilosophie in genere elementarer Punkt, der in einem separaten Abschnitt (z. B. mit dem Titel: Die Vernunft – Zwischen Sinnlichem und Übersinnlichem) eigens thematisiert werden könnte. Um dieses Kapitel auf die Person und ihre Rolle zu fokussieren,wird daher auf eine tiefere Ausarbeitung verzichtet. Die Verbindung zwischen Freiheit und Tugend greift Jacobi in den Erweiterungen zur zweiten Auflage der Spinozabriefe auf: „XLIX. Die Richtung auf das Endliche ist der sinnliche Trieb oder das Prinzip der Begierde; die

182

6 Die veränderte Ansicht des Logischen

Anfang vor dem Mechanismus der Natur als eine bloße Illusion zu behaupten wären³⁷, weil sie nicht begrifflich-mechanisch aus den Bedingungen der Natur, sondern – im Kontrast zum Begriff – nur im Gefühl zugänglich sind.³⁸ Wenn er gefragt wird, „was ich mir denn unter der Freiheit vorstelle, welche ich dem Verstande zum Trotz annehme“ (VSB, 349), so bleibt Jacobi nur dieser Verweis auf das im personalen Handeln aufgefundene Paket aus Urheberschaft, Werten und Tugenden.³⁹ „Genügt ihnen dieses nicht, und sie behaupten, daß eine Begründung durch Gefühle gar keine Begründung sey“ (VSB, 350), so kann Jacobi nur erwidern, „dawider“ sei „kein Rath“. (VSB, 350) Der Verweis Jacobis auf die Person erschöpft sich weder darin, unsere unerklärliche Urheberschaft zum Vorschein zu bringen, noch im Umstand, hier eine

Richtung auf das Ewige ist der intellectuelle Trieb, das Prinzip reiner Liebe. L.Wollte man sich über diese doppelte Richtung selbst, zur Rede stellen; nach der Möglichkeit eines solchen Verhältnisses und der Theorie seiner Einrichtung fragen: so würde ich mit Recht eine solche Frage abweisen, weil sie die Möglichkeit und Theorie der Schöpfung, Bedingungen des Unbedingten zum Gegenstande hat. Es ist genug, wenn das Daseyn dieser doppelten Richtung und ihr Verhältniß durch die That bewiesen und von der Vernunft erkannt ist.Wie sich alle Menschen Freyheit zuschreiben, und allein in den Besitz derselben ihre Ehre setzen; so schreiben sich auch alle ein Vermögen reiner Liebe, und ein Gefühl der überwiegenden Energie desselben zu, worauf die Möglichkeit der Freyheit beruht.“ (SB, 168) – Die Ausrichtung auf die Tugend ist entscheidend, um die Freiheit nicht als Willkürfreiheit misszuverstehen. Wie die Kritik des Rationalismus nicht auf einen Irrationalismus hinausläuft, so auch nicht die Kritik des Fatalismus auf Willkür. Wie auch D. Fetzer herausstellt, geht es Jacobi um ein „grundlos-Positives“, dessen Grundlosigkeit nicht mit der Preisgabe des Grundes überhaupt, sondern nur des begrifflich-rationalen Grundes einhergeht. Für Jacobis Ethik ist Autonomie daher keine adäquate Kategorie: „Der Verstand fordert für alle Existenz, die über ihn hinausgeht, Erklärungsgründe; doch im selben Maße, wie er solche findet, löst sich das zu Erklärende auf. Die Autonomie hingegen fordert für jede Handlung und Haltung, die ihr Belieben übersteigt, Entscheidungsgründe. Doch auch hier folgt unmittelbar der Aufklärung die Auflösung: im selben Maße, wie Motive angegeben werden, verschwindet das zu Motivierende. Übrig bleibt dort die Erklärung als solche, hier die Motivation als solche […].“ (Fetzer [2007]: Jacobis Philosophie des Unbedingten, 156)  So Jacobi: „Wir dagegen sagen aus: Es ist unmöglich, daß alles Natur und keine Freyheit sey, weil es unmöglich ist, daß, was allein den Menschen adelt und erhebt – das Wahre, das Gute und Schöne, nur Täuschung, Betrug und Lüge sey. Das ist es, wenn Freyheit nicht ist. Unmöglich ist wahre Achtung, unmöglich wahre Bewundrung, wahre Dankbarkeit und Liebe, wenn es unmöglich ist, daß in Einem Wesen Freyheit und Natur zusammen wohnen, und jene walte wo diese webt.“ (AF, 236)  Nicht also nur Freiheit, sondern sittliche Freiheit soll der Sprung realisieren (vgl. Koch [2013]: Individualität als Fundamentalgefühl, 133).  B. Sandkaulen zeigt ausgehend von Kant die Auseinandersetzung mit dem Konzept der Würde in der nachkantischen Philosophie. Ohne Jacobi explizit zu nennen, schließt sie mit einem Verweis auf Jacobis Personenkonzeption, um darin einen Träger der Würde zu identifizieren (vgl. Sandkaulen [2013]: Würde).

6.3 Der Moduswechsel zur Erfahrung. Zwischen Freiheit und Notwendigkeit

183

ebenso unerklärliche, aber dennoch wirkliche moralisch-sittliche Werteordnung am Werke zu finden, selbst wenn diese Aspekte eine dem Naturmechanismus entragende Wirklichkeit der Freiheit, um die es Jacobi zu tun ist, konkret ausweisen. Dabei kann es deswegen kein Bewenden haben, weil der Ausweis dieser unerklärlichen Freiheit erst dann gegen den Rückfall in das begrifflich-rationale Erklärungsmodell der Wirklichkeit gesichert ist und sich erst dann gegen einen latenten – von Lessing schon vorgebrachten⁴⁰ – Sinnlosigkeitsverdacht abschirmen kann, wenn das Vernehmen der Freiheit durch ein intimes Innesein des Handelnden abgestützt ist, das das ganze Menschsein in seiner Lebenswirklichkeit umfasst. ⁴¹ Was heißt das? Es ist für die Unphilosophie entscheidend, den Modus der Selbst- und Weltverständigung an die lebensweltlich verortete Person zu binden, die sich in ihrem singulären Vollzug selbst erfährt, – und damit überhaupt den Modus der Selbst- und Weltverständigung gegenüber dem systematisch-systemischen Denken umzustellen. Was dieser Moduswechsel alles umfasst, wird im Folgenden genauer zu erörtern sein, insofern es sich bei diesem lebensweltlichen Vollzug nicht schlicht um ein bloßes Selbstgefühl oder Selbstbewusstsein handeln kann, wie es nun auch von Hegel (in der Enzyklopädie) thematisiert wird. Es ist vielmehr ein lebensweltlich verortetes, irreduzibles ‚Ich-bin‘, das zum konstitutiven Moment adäquater Welterschließung erhoben wird. Dies ist eine Wende weg von der Erklärungsmetaphysik hin zur Handlungsmetaphysik⁴², die im Wissen um die Nicht-Wissbarkeit die konkrete, praktisch-existentiell eingebettete Person ins Zentrum rückt, aus deren Perspektive und in deren Erfahrung allein sich das Wahre

 Wenn G. E. Lessing sagt, die Grenze lasse sich nicht bestimmen, wirft er Jacobi letztlich vor, Unsinn zu reden. Dass M. Mendelssohn eingesteht, Lessing selbst schon habe jedoch in seiner Gotteslehre einen Sprung vollzogen, darauf macht K. Hammacher aufmerksam. Allein Jacobi habe sich explizit auf den Sprung eingelassen (vgl. Hammacher [1969]: Die Philosophie Friedrich Heinrich Jacobis, 83).  Vgl. Koch [2013]: Individualität als Fundamentalgefühl, 115 f.  B. Sandkaulen rekonstruierte Jacobis Unphilosophie als erste als diese Handlungsmetaphysik, die entgegen der vorherigen Interpretationstradition, die eher Jacobis Einwände im (religiösen) Glauben begründet sah, den Sprung und Jacobis Systemkritik mit der Frage nach der konkreten Person und der Handlungsperspektive verbindet (vgl. Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 220). – Sie ist es auch, die auf den „veritablen Perspektivenwechsel“ aufmerksam macht, um diesen jedoch an der Unterscheidung von Grund und Ursache ansetzen zu lassen, weil es grundsätzlich nur die Perspektive des Handelns ist, die überhaupt einen Begriff der Ursache verschafft. Um Ursache und Sukzession überhaupt verständlich zu machen, ist also das Begründen vom Handeln und damit die Theorie von der Praxis zu unterscheiden und aus der Praxis (d. h. vor dem Hintergrund der Handlung) zu thematisieren (vgl. Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 181).

184

6 Die veränderte Ansicht des Logischen

zeigt. ⁴³ Metaphysik ist damit für Jacobi kein spekulatives Projekt. Sie wurzelt in der Praxis menschlichen Handelns.⁴⁴ Darin macht sich der Begriff der Freiheit fest – darin zeigt sich, dass wir Vernunft haben.⁴⁵ Was damit in den Blick kommt, ist die konkrete Person, die handelnd zwar einerseits als endliche in den Wirkmechanismus der Natur gestellt ist, aber andererseits als das Unbedingte selbst in der Natur zugleich über sie hinaus Freiheit verwirklicht.⁴⁶ Gegen eine hegelsche Version des Unbedingten als einem unendlichen Begriff ist bei Jacobi dezidiert das Unbedingte zu allererst als Handelnder zu begreifen, der sich selbst als das Unbedingte nur im praktisch-exis-

 Die Unphilosophie ist ein Denken, „dem überhaupt nicht an der exklusiven Explikation von Begriffen, sondern an der Erschließung von Erfahrungen liegt“. (Sandkaulen [2004]: Daß, was oder wer?, 228)  Vgl. Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 261.  Daher ist G. Höhn nicht zuzustimmen, wenn er hier eine Übereinstimmung zwischen Hegel und Jacobi feststellt: „Weiterhin können Jacobi und Hegel in ihrer Absicht übereinkommen, als ‚Loyalisten der ächten ursprünglichen Vernunft‘ gegen den ‚Fall‘ der Vernunft auf die Ebene des Verstandes zu kämpfen und für eine Wiedergeburt der Vernunft als Vermögen der Erkenntnis des Absoluten zu plädieren. Beide spotten des bewußtlosen ‚Webens‘ und der Sterilität des Verstandes.“ (Höhn [1971]: Die Geburt des Nihilismus und die Wiedergeburt des Logos, 294) In dieser Absicht, die ‚echte Vernunft‘ zu rehabilitieren, sind sie nur dem Worte nach gleich, hinsichtlich der Absicht jedoch vollständig entgegengesetzt.  Während der Verstand alles in die Allgemeinheit des Grundes zieht, muss alles, was verändert wird, durch jemanden verändert werden, der für die Handlung unerlässlich und irreduzibel ist. Das ist denkbar nur als Handlung, die allein in der Zeit (situativ-konkret) zu verorten ist. Handlung ist Absicht. Absicht ist vernünftig und damit über-natürlich: „Ich verstehe unter dem Worte Freyheit dasjenige Vermögen des Menschen, Kraft dessen er selbst ist und alleinthätig in sich und außer sich handelt,wirkt und hervorbringt. In sofern er sich als ein freyes Wesen ansieht, fühlt und betrachtet, schreibt seine persönlichen Eigenschaften, seine Wissenschaft und Kunst, seinen intellectuellen und moralischen Charakter sich selbst allein zu; er sieht in sofern sich selbst als den Urheber, als den Schöpfer davon an; und nur in so weit er sich, den Geist, die Intelligenz und nicht die Natur – aus der er nach einem Theile seines Wesens auf eine nothwendige Weise entsprungen ist, zu der er mit diesem Theile gehört und in ihren allgemeinen Mechanismus verflochten, in sie eingewebt ist – als den Urheber und Schöpfer davon ansieht, nennet er sich frey. Er nennet sich also frey nur in sofern er mit einem Theile seines Wesens nicht zur Natur gehört, nicht aus ihr entsprungen ist und von ihr empfangen hat; nur in so fern er sich von ihr unterscheidend, sich über sie erhebt, sie gebraucht und meistert, sich von ihr losreißt und mit seinem freyen Vermögen ihren Mechanismus bezwingt, und sich denselben dienstbar macht. Der Geist allein, nicht die Natur, erfindet und bringt mit Absicht hervor; Er allein dichtet und trachtet. Das Hervorbringen der Natur allein ist ein blindes, vernunftloses, nothwendiges, blos mechanisches Hervorbringen, ohne Vorsehung, Entwurf, freye Wahl und Absicht. Darum finden sich auch in unserem Bewußtsein Vernunft und Freiheit unzertrennlich mit einander verknüpft, nur nicht dergestalt, daß von der Vernunft (der Adjektivo) das freye Vermögen; sondern so, daß von dem freyen Vermögen (dem Substantivo) die Vernunft abgeleitet werden muß.“ (AF, 233 f)

6.3 Der Moduswechsel zur Erfahrung. Zwischen Freiheit und Notwendigkeit

185

tentiellen Vollzug seines Lebens erfährt.⁴⁷ Die Vorgängigkeit des Unbedingten darf also nicht so missverstanden werden, dass die Person das Unbedingte als ein Losgelöstes – ein Ab-solutes – mystisch schaut. Das Unbedingte wird vielmehr nur im Vollzug des Lebens im konkreten Handeln in konkreten Situationen erfahren.⁴⁸ Für Jacobi ist damit nicht zu klären, wie das Unbedingte als Realisierung des Totalitätsanspruches des Wissens dem Bedingten noch Eigenständigkeit gewähren kann, sondern wie der Unbedingte ein Einspruch gegen den Totalitätsanspruch des Wissens sein kann. Denn nur der Rückzug auf den Handelnden verhindert für Jacobi den Kollaps des Wissens in ein bloßes Nichts.⁴⁹ Damit ist die Unphilosophie des Unbedingten keine Erkenntnis des Absoluten unter epistemischen Vorzeichen wie bei Hegel, sondern ein Zur-Geltung-Bringen der Person in ihrem praktisch-existentiellen Selbst- und Weltbezug. ⁵⁰ Freiheit ist damit Voraussetzung und Ziel des Sprunges zugleich. Sie ist Voraussetzung, indem sie manifest in der Handlung der Person eine unmittelbare Gewissheit bildet, aufgrund derer der Sprung erfolgen kann. Sie ist Ziel des Sprunges, indem im (neuen) Modus der Selbst- und Weltverständigung die Freiheit überhaupt ihren Ort und ihre Anerkennung findet. Dieser Moduswechsel steht damit zwischen Notwendigkeit und Freiheit, insofern der Wechsel auch als einer verstanden werden kann, der aus der (im Wissen postulierten) Notwendigkeit in die (im Glauben anerkannte) Freiheit vollzogen wird. Der Sprung ist quasi die Vermittlungsfigur, in der beides zugleich in Einheit und Trennung Bestand haben kann. Dass Hegel diesen bei Jacobi vollzogenen Moduswechsel und damit auch insgesamt die Komplexität der Unphilosophie ausblendet, ist augenscheinlich. Offen ist jedoch, ob Hegels Philosophie des Absoluten eine solche Selbstbe-

 Das Unbedingte ist uns daher nicht aus einer (göttlichen) Offenbarung erschlossen, vor dem wir uns dann als bedingte Endliche verstehen. Vielmehr ist es bei Jacobi gerade umgekehrt: Wir verstehen Gott als absolut-unbedingte Ursache aufgrund unserer Erfahrung im Handeln. Denn wir gewinnen überhaupt einen Begriff des Unbedingten auf Grundlage unserer Erfahrung als Handelnde ganz ursprünglich und übertragen dann diesen mit der Ursächlichkeit unseres Handelns verknüpften Begriff des Unbedingten auf Gott, von dem dann im Modus der Übertragung als absoluter Ursache gesprochen wird (vgl. Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 262).  Philosophie und Religion sind nicht „als Angelegenheit unseres Lebens“, sondern „aus dem Leben zu begreifen“. (Sandkaulen [2009]: Fürwahrhalten ohne Gründe, 268)  Dies warf Jacobi noch Fichte unter dem Stichwort Nihilismus vor.  Man muss ergänzen, dass Hegel nicht das Praktisch-Existentielle und Jacobi nicht das Epistemische ausblendet. Man kann also formulieren, dass Hegels Projekt in der Erkenntnis des Absoluten unter epistemischen Vorzeichen bei gleichzeitiger Berücksichtigung der praktischexistentiellen Dimension des Menschseins besteht, Jacobi dagegen die praktisch-existentielle Dimension des Menschseins in den Blick bringt, ohne jedoch die epistemische Dimension zu vernachlässigen.

186

6 Die veränderte Ansicht des Logischen

schränkung des Wissens wirklich unnötig macht oder aber Jacobi eine Absprungstelle auch in Hegels Philosophie ausmachen müsste. Festzuhalten ist zunächst: Das freiheitstheoretische Ziel Hegels orientiert sich damit nur oberflächlich betrachtet am Einwand Jacobis. In dem Maße, wie nämlich das metaphysische Ziel bzw. die Frage nach der Wahrheit den Rahmen für die Verhandlung der Frage nach der Freiheit definiert, kann und soll jener Rückbindung an die konkrete Person keine Relevanz zukommen, deren opake Unmittelbarkeit gerade der Verwirklichung der Freiheit im Wege steht. Freiheit ist bei Hegel die spekulative Einheit von Relata und Relation in der absoluten Negativität. Diese strukturlogische Lösung Hegels eliminiert – wissentlich – den Punkt Jacobis.

6.4 Die Performanz der Person. Zwischen Unbegreiflichkeit und Einsicht Festzuhalten ist folglich zu allererst, dass sich auf Grundlage der sich schon nach wenigen Zügen andeutenden Komplexität der unphilosophischen Reflexion Jacobis eine Gleichsetzung mit einem Common-Sense-Standpunkt schlichtweg verbietet. Die Verwiesenheit von Freiheit und Notwendigkeit, aber auch von Unmittelbarkeit und Vermittlung, die die Unphilosophie Jacobis wesentlich prägen, muss entsprechend sorgfältig durchdacht und die Charakteristik der Unphilosophie deutlich ausgewiesen werden. Es handelt sich nicht um einen bloß alternativen Standpunkt. Es ist kein Standpunkt, der in Opposition zur Systemphilosophie nichts erklären möchte. Es ist aber auch kein Standpunkt, der eine alternative Erklärung geben will.⁵¹ Um Jacobis Vorgehen angemessen einzuordnen, muss der „unphilosophische Eigensinn“ (AF, 214) weiter und schärfer konturiert werden, indem darauf hingewiesen wird, dass das Unbegreifliche z. B. der Freiheit nur dann ergriffen ist, wenn die Unbegreiflichkeit selbst im Sprung anerkannt und

 Baum [1969]: Vernunft und Erkenntnis, 179 ff, Lauth [1989]: Jacobis Vorwegnahme romantischer Intentionen, 310 und Jaeschke [1999]: Der Messias der spekulativen Vernunft, 155 sehen bei Jacobi einen Rückfall ins begrifflich-rationale Denken, das er selbst kritisiert. S. Schick sieht in Jacobis Sprung selbst ein „System“. (Schick [2006]: Vermittelte Unmittelbarkeit, 38) – Der Modus der Rede vom letzten Grund bzw. vom Unbedingten ist jedoch zu berücksichtigen.Von Gott als dem absolut Unbedingten zu reden (sofern man die Vernunft nicht unter den Primat des Verstandes stellt), heißt für Jacobi, wie schon angemerkt, von einer absoluten Ursache im Modus der Übertragung zu sprechen. Um der Rettung des Handelns in einer zeitlich existierenden Welt gegen die Grund und Ursache vermischende Alternative der Metaphysik aus einem Stück willen kann es gar nicht umgangen werden, Gott als ein unabhängiges, supramundanes und persönliches Wesen anzunehmen (vgl. Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 263). Dies darf allerdings nicht als systematischer Zugriff auf das Unbedingte verstanden werden.

6.4 Die Performanz der Person. Zwischen Unbegreiflichkeit und Einsicht

187

nicht über die Einführung neuer Begrifflichkeiten auf Umwegen erneut (weg‐) erklärt wird. Der Sprung selbst ist keine Erklärung: Er erklärt nichts, er rekonstruiert nichts, er bestimmt nichts. Der Sprung ist damit erstens ein Anerkennen des Auffindens als valides Selbst- und Weltverhältnis. Und er bringt zweitens nur im Verweis auf ein Aufgefundenes, wie die in der Handlung manifeste Freiheit, eine Grenze zu Bewusstsein, die das Erklärbare vom Unerklärbaren trennt, ohne selbst erklärbar zu sein. Wie Jacobi in den Spinozabriefen berichtet, wendet schon Lessing ein, dass „die Grenze“, die Jacobi „setzen“ wolle, „sich nicht bestimmen“ lasse (SB, 29), um darauf zu erwidern, dass sich eine solche tatsächlich nicht „setzen“ lasse, dennoch „zu bestimmen“ wäre. „Setzen“, so Jacobi weiter, „will ich keine, sondern nur die schon gesetzte finden, und sie lassen“.⁵² (SB, 29) Dieses Finden jedoch unterliegt auch der unphilosophischen Dialektik, insofern es nicht nur um die Erfahrung der Freiheit im eigenen Handeln geht, sondern um die Erfahrung des eigenen Handelns vor einem ganzen Komplex an Figuren – seien es alleinphilosophische oder unphilosophische –, um daraus überhaupt die Unphilosophie als die Anerkennung der Unaufhebbarkeit der Grenze zu bestimmen, deren Signatur entsprechend in die Reformulierung des Selbst- und Weltverständnisses einwandert. Diese Grenze gilt es auch vor dem Anspruch Hegels, Jacobis Position aufgehoben zu haben, erneut aufzusuchen und zu fragen, ob diese auch für Hegel Gültigkeit besitzt. Entscheidend für die Unphilosophie ist also nicht nur die Freiheit als Faktum bzw. (weil es ein bloßes Faktum nicht sein kann) die Freiheit als Handlung. Es ist auch die Reflexion auf die Freiheit ebenso sehr unverzichtbar, wenngleich die Freiheit aus der Reflexion nicht erklärbar ist. Unerklärbar bleibt sie, weil die Unphilosophie einen Moduswechsel vollzieht, der die Person im Prozess der Erkenntnis ganz neu bewertet. Von einer allgemeinen Vernunft hält Jacobi nämlich nichts. Nicht nur ist ihm „Intelligenz ohne Personalität“ ein Widerspruch (SB, 220), weil „die Vernunft des Menschen, vom Menschen selbst und von allem Triebe abgesondert, […] ein bloßes Gedankending [ist], das weder reagieren, weder denken noch handeln kann“. (SB, 166) Das Dasein ist vielmehr überhaupt Prinzip der Erkenntnis (vgl. SB, 248). Jacobi selbst führt in seinem späten Vorbericht zu den

 Das Sich-Zeigen der Grenze z. B. in der unmittelbaren Erfahrung der Freiheit ist somit das entscheidende Moment, das Hegels Reflexionen über die Grenze auf ganz andere Weise bestätigt. Über die Grenze nämlich gilt es zwar hinaus zu sein, um sie als solche überhaupt vor Augen zu haben. Im Unterschied zu Hegel allerdings ist dies keine notwendigerweise begriffliche Reflexion in sich, aus der die Grenze als Widerspruch bestimmt und aufgehoben wird, sondern kann auch ein Erfahren der Widersprüchlichkeit sein, z. B. im Handeln, bedingt und unbedingt zugleich zu sein, um die Grenze im Angesicht der Erfahrung einerseits zu bestimmen, andererseits jedoch als konstitutiv zu belassen.

188

6 Die veränderte Ansicht des Logischen

Spinozabriefen vor, was dieser Moduswechsel hin zur konkreten Person für sein eigenes Denken heißt, wenn er davon spricht, dass es entsprechend seiner Verweigerung streng rationalen Denkens nie seine Absicht war, „ein System für die Schule aufzustellen“. Er schöpfte seine Schriften vielmehr aus seinem „innersten Leben“, sodass sie „eine geschichtliche Folge“ erhielten. (VSB, 339) Ein „Nachdenken und Mitteilen dieser Art“ nennt Jacobi ein „persönliches“, das für alle diejenigen zutrifft, „welche nicht nach Wahrheit überhaupt – einem Ungedanken, wie Daseyn oder Wirklichkeit überhaupt – sondern nach einer bestimmten, Kopf und Herz befriedigenden Wahrheit streben“. (VSB, 339) Die „Wissenschaft und Wahrheit“ haben für ihn daher „keinen unbedingten Wert“, seine Liebe zu diesen ist nur „unrein“, weil ihm der „rein logische Enthusiasmus, d.i. die um das Resultat der Forschung unbekümmerte durchaus reine Wahrheitsliebe, welche die eigentliche Sittlichkeit des Denkens ausmache“, fehle. Aus diesem Grund, so schreibt er weiter, „zeige sich am Ende als Summe der Jacobischen Darstellungen und Lehren nur der in Begriffe und Worte gebrachte Geist eines individuellen Lebens: des Mannes Friedr. Heinr. Jacobi“. (VSB, 337) Die Freiheit zeigt sich in der Handlung, die Handlung führt auf den Handelnden, der Handelnde auf die Person, die praktisch-existentiell in einem konkreten Leben eingebettet ist und unter diesem Aspekt nur an einer Wahrheit interessiert ist, die für die Person auch eine Bedeutung haben kann.⁵³ Jacobis Philosophie ist eine der Person: Mir ist Personalität a und o; und ein lebendiges Wesen ohne Personalität scheint mir das unsinnigste, was man zu denken vorgeben kann. Seyn, Realität, ich weiß gar nicht, was es ist, wenn es nicht Person ist.⁵⁴

„Jede andre Philosophie“, so Jacobi, ist ihm „bloß für den Lehrstuhl, bloß für Schrift und Wort, eigentlich gar keine, ohne wahren Werth, und lebendigen Geist“. (VSB, 339) Die Kehrtwende, die Jacobi damit vollzieht, ist eine Provokation gewesen, die den naheliegenden Einwand heraufbeschwor, die Rückbesinnung auf die konkrete Person vollführe allein einen Rückzug in die schlechte Einzelheit der – wie Friedrich Schlegel es in seiner Woldemar-Rezension ausdrückt – „Friedrich-Heinrich-Jakobiheit“.⁵⁵ Dass dies Bekenntnis Jacobis zu einer persönlichen Philosophie allerdings kein bloßer Subjektivismus ist, sondern eine kon-

 „Was heißt Wahrheit lieben und suchen? Liebt und sucht man ein Unbestimmtes, dem Menschen Fremdes, Unangemeßnes, ihn und sein geistiges Daseyn Zerstörendes? Oder sucht und liebt man vielmehr die Wahrheit um ihres Inhalts willen, weil dieser etwas Entschiedenes, Eigenstes [kursiv, D. A.], das geistige Daseyn des Menschen Erhebendes ist?“ (VSB, 339)  Jacobi [1815]: Auserlesener Briefwechsel I, Brief an Lavater, Nr. 157, 436.  Schlegel [2007]: Schriften zur Kritischen Philosophie, 43.

6.4 Die Performanz der Person. Zwischen Unbegreiflichkeit und Einsicht

189

sequente Applikation seiner Besinnung auf die konkrete, sich selbst inneseiende Person, muss entschieden festgehalten werden.⁵⁶ Entscheidend ist, dass die konkrete Person weder aus der Genese der Wahrheit – besser: des Wahren – noch aus dem Wahren selbst eliminiert werden kann. Das heißt erstens, dass der Sprung ohne die handelnde Person gar nicht erfolgen kann. Zum einen nicht, weil der Handelnde überhaupt die Freiheit an sich selbst erlebt und in Gewissheit ergreift. Zum anderen nicht, weil der Sprung selbst überhaupt vollzogen werden muss. Vorbereitung und Vollzug des Sprunges sind also selbst konstitutiv mit der Person verbunden, was Jacobi in seinem Bekenntnis in jener Vorrede am Beispiel seiner konkreten Person biographisch zu verstehen gibt. Es heißt aber auch zweitens, dass die konkrete Person selbst Gehalt des Wahren wird, insofern der Sprung – sich jeglicher Verallgemeinerbarkeit entziehend – im Enthüllen des Daseins ganz konkret den Springenden – ‚mich‘ – enthüllt. Den Sprung allein als einen Bruch mit der Logik des systematisch-systemischen Denkens zu verstehen, ohne die Rolle der Person zu berücksichtigen, wird der Dimension des Springens nicht gerecht, insofern in der Fokussierung auf den Bruch eine Theoretisierung verborgen ist, gegen die der Sprung selbst mit vollzogen wird. Der Sprung ist maßgeblich ein Akt, d. h.Vollzug⁵⁷, dem selbst jener Handlungscharakter konstitutiv ist, der überhaupt erst zum Sprung geführt hat. Handlung wird nicht wie bei Hegel aus der Systematizität begründet (und in Grenzen gewiesen). Es drehen sich die Verhältnisse. Systematizität wird aus der Handlung kritisiert (und in Grenzen gewiesen). Der Vollzugscharakter der Handlung durchkreuzt die Systematizität überhaupt. Möglich wird dieser Bruch in dieser Radikalität aber überhaupt nur dadurch, dass Jacobi die praktisch-existentielle Handlungsperspektive der Person zum Angelpunkt seiner Systemkritik insofern macht, als nur von dieser genuin irreduzibel individuellen Perspektive aus die Totalisierung der allgemeinen Begründungslogik sinnvoll in Frage gestellt werden kann. Die Urheberschaft, welche nur in der personalen Handlung (unmittelbar) vorgefunden wird und die Freiheit in den Mittelpunkt rückt, ist das eine – und gegenüber Hegel nicht das Entscheidende. Denn eben diesen Aspekt integriert Hegel in das System. Es ist vielmehr die irreduzibel individuelle Perspektive der konkreten Person als solche zu bedenken, die Jacobi als Einspruch

 S. Kahlefeld sieht den Vorwurf F. Schlegels durchaus (zum Teil) gerechtfertigt: „Friedrich Schlegel trifft mit seinem Vorwurf ein zentrales Problem der Jacobischen Philosophie.“ (Kahlefeld [2000]: Dialektik und Sprung, 50) Sie spricht von einer „fundamentalen Zwiespältigkeit“, die Vorurteilen Vorschub leiste. So gelte es, diesen von Schlegel gemachten Punkt im „erweiterten Sinn“ zu verstehen, indem Jacobi „gegen die metaphysische Tradition das nichtphilosophische Selbstverständnis und Bedürfnis geltend macht“. (Kahlefeld [2000]: Dialektik und Sprung, 50)  Vgl. Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 31 f.

190

6 Die veränderte Ansicht des Logischen

gegen den Nihilismus des systematisch-systemischen Denkens setzt. Denn es ist nicht allein die Freiheit, die im Rückgriff auf den Handelnden festgehalten werden soll. Es ist auch der Handelnde selbst. Seine Wirklichkeit, die sich praktischexistentiell im Vollzug entfaltet, gilt es im Sprung zu retten. Insofern Jacobis Kritik ohne den Handelnden und somit ohne diese individuelle Performanz des konkreten Individuums gar nicht verfangen würde, tritt die konkrete, praktischexistentiell ins Leben eingebettete Person als der Schlüssel und Angelpunkt von Jacobis Unphilosophie hervor. Daher besteht der Kern des Widerspruchs gegen das System in der unmittelbaren Gegenwärtigkeit des jemeinigen Inneseins, dem prinzipiell – nach dem Moduswechsel zur Performanz der ersten Person – der Charakter des Vollzuges des individuellen Lebens anhaftet.⁵⁸ Jacobis Widerspruch

 B. Sandkaulen grenzt in dieser Hinsicht dagegen Jacobis Unphilosophie von einer zu starken Gewichtung der Innerlichkeit, des Gefühls und der Begeisterung ab (wie es z. B. S. Kierkegaards Jacobi-Rezeption unterläuft). Denn „wenn man die strukturell entscheidende Verständigung über Grund und Ursache im Auge hat, dann sieht man auch, daß Jacobis Überlegungen anstatt um das Motiv der Innerlichkeit weit mehr um das der Äußerung kreisen“. (Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 195) Insofern es Jacobi zentral um Freiheit geht, soll dem auch nicht widersprochen werden. Allerdings ist es aufgrund der Herausforderung des hegelschen Systems m. E. unabdingbar, den die Handlung begleitenden Aspekt der Innerlichkeit bzw. Jemeinigkeit in den Fokus zu rücken, insofern sich nur an der Verfassung dieser Innerlichkeit bzw. Jemeinigkeit die Absprungstelle aus dem hegelschen System festmachen lässt. – Damit ist auch die Schwerpunktverschiebung zu Sandkaulens Rekonstruktion der Absprungstelle in Grund und Ursache markiert. Während sie das entscheidende Problem in der Vermischung von Grund und Ursache bzw. in der Folge in der damit einhergehenden Problematik der ewigen Zeit sieht (vgl. Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 246 f + bes. 251), wird hier das Gewicht auf die Performanz der unmittelbaren Gegenwärtigkeit des jemeinigen Inneseins gelegt. Insofern die Kategorie der Ursache aus der Erfahrung der Handlung überhaupt erst gewonnen wird, für die Erfahrung der Handlung dann aber auch das personale Innesein vorausgesetzt werden muss, ist der Paradigmenwechsel vom Grund zur Ursache nur ein Ausdruck des personalen Inneseins und nicht umgekehrt: Das personale Innesein setzt nicht das Paradigma der Ursache voraus. Das heißt, es ist m. E. die Performanz der unmittelbaren Gegenwärtigkeit des jemeinigen Inneseins grundlegender zu nennen als das Paradigma der Ursache. Im personalen Innesein den ‚springenden Punkt‘ zu markieren, legt die Absprungstelle entsprechend tiefer an. – Allerdings hebt auch Sandkaulen in späteren Aufsätzen auf das „‚lebendige fühlende Selbst‘“ ab, das notwendig aus der „jemeinigen Innenperspektive“ in den Blick kommen kann. Sie markiert hier die Differenz zu den Entwürfen Fichtes und auch D. Henrichs (vgl. Sandkaulen [2011]: Ichheit und Person, 54 f). Diese rekonstruktiven Methoden, die es nur zu „extrinsischer, die Personen nur äußerlich voneinander separierender Bestimmtheit bringen“, können nicht einholen, „wie es für die jeweilige Person selber ist, dieses individuelle Individuum, dieses ‚lebendige und fühlende Selbst‘ zu sein“. (Sandkaulen [2011]: Ichheit und Person, 67) Auch in ihrem Aufsatz Fürwahrhalten ohne Gründe geht sie explizit auf den Moduswechsel Jacobis ein (vgl. Sandkaulen [2009]: Fürwahrhalten ohne Gründe). Insofern also Sandkaulen von einer Fokussierung auf die Handlungsperspektive und die Äußerlichkeit redet (dies in Abgrenzung zu einer Betonung der Innerlichkeit), andererseits aber genauso die Jemei-

6.4 Die Performanz der Person. Zwischen Unbegreiflichkeit und Einsicht

191

gegen das System ist ein prinzipiell performativer ⁵⁹ und auch nur als solcher in seiner Radikalität zu verstehen.⁶⁰ Die konkrete Person ist damit nicht nur Motor, sondern auch Motiv der Kritik. Und damit ist tatsächlich die Absprungstelle auch aus Hegels spekulativ-dialektischem System ausgemacht. Denn in dem Maße, wie ‚meine‘ Wirklichkeit, wie oben im Kapitel IVgesehen, im Begriff unzugänglich und aufgrund der Identität von Begriff und Wirklichkeit im System vollständig ausgeblendet ist, reproduziert Hegel trotz des Programmes, Substanz ebenso sehr

nigkeit und Performanz der Person in den Blick nimmt, bleibt die Frage nach der jeweiligen Gewichtung dieser Aspekte bei ihr ungeklärt. Da beide Aspekte nicht ohne den anderen zu verstehen sind (die Innerlichkeit ist gegründet in einer Lebenspraxis, die Lebenspraxis ist aber auch ein Ausdruck der Innerlichkeit), sind beide zusammenzudenken. – Auch A. F. Koch argumentiert in diese Richtung. Er konfrontiert seine ‚Subjektivitätsthese‘, welche in der starken Formulierung besagt, dass endliche Subjekte metaphysisch notwendig sind, mit Hegels System. Er wendet gegen Hegel ein, „daß wir keine Hegelschen Subjekte und kein Hegelsches Raum-Zeit-System finden werden, sondern nur verschiedene logische Keime von Subjektivität, Räumlichkeit und Zeitlichkeit, die im logischen Taumel je vorübergehend mittaumeln“. (Koch [2013]: Hegelsche Subjekte in Raum und Zeit, 190) Er gesteht zwar zu, dass bei Hegel die Subjekte dann in der Realphilosophie „jedenfalls individuelle Personen“ sind. „Darin stimmt die Subjektivitätsthese mit Hegel überein. Aber sie gelten auch für Fälle von allgemeiner Subjektivität, die sich in ihnen unverkürzt vereinzelt; und das Allgemeine als das Strukturgebende hat bei Hegel tendenziell den Vorrang. Die Subjektivitätsthese akzentuiert anders. Die Subjektivität, die sich in Raum und Zeit verkörpert hat, darf nicht als vorgängiges, allgemeines Singularetantum begriffen werden, sondern – mit Heidegger zu reden – als unhintergehbar je meine.“ (Koch [2013]: Hegelsche Subjekte in Raum und Zeit, 197)  Vgl. Koch [2013]: Individualität als Fundamentalgefühl, 106.  Selbst wenn die absolute Idee als Realisierung absoluter Subjektivität gleichfalls als reiner Vollzug verstanden werden muss, der in seiner Identität mit der Einzelheit nur als ein konkretes Beisichsein realisiert wird, bleibt es eine logische Bestimmung von Wirklichkeit, die in der logischen Transparenz ihr Telos hat. Entgegen einem solchen Verständnis von Konkretion, das an das Erklärungsparadigma gebunden ist und folglich theoretisch-distanzierend verfährt, indem es Wirklichkeit in ihrer Struktur vor Augen legt, ist die Konkretion der Unphilosophie auf die je einzelne Person und das heißt, auf die je sich selbst in ihrem unvertretbaren Vollzug erlebende und somit unmittelbar gewisse Person ausgerichtet. – B. Sandkaulen bezeichnet Hegels Logik als „genealogisch verfasste Strukturwissenschaft des Wirklichen“. (Sandkaulen [2011]: Die Seele ist der existierende Begriff, 46) – Jacobis Unphilosophie muss also in dem Maße auf Unmittelbarkeit setzen und zugleich (begriffliche) Vermittlung ausschließen, wie diese Konkretion nur im Modus der Erfahrung zugänglich ist. Vermittelte Konkretion oder ein Konkret-Allgemeines ist für Jacobi eine Contradictio in Adjecto. – Wie die Unphilosophie Jacobis in der Rückbesinnung auf Erfahrung nicht nur Empirie im Sinn hat, sondern mit den Konzeptionen von Person, Vernunft, Geist als Manifestationen des Unbedingten und Übernatürlichen ins Metaphysische ausgreift, kann diese Unphilosophie durchaus auch ‚Erfahrungsmetaphysik‘ genannt werden. W. James verwendet diesen Terminus ebenfalls. Damit darf Jacobis Ansatz natürlich nicht verwechselt werden.

192

6 Die veränderte Ansicht des Logischen

als Subjekt zu denken, eine Konstellation, gegen die Jacobis Kritik immer schon gerichtet war. Hegel sieht sie nicht oder blendet sie bewusst aus.⁶¹ Dem Sprung als diesem performativen Akt eignen gewisse Charakteristika, die ihn zwischen Unbegreiflichkeit und Einsicht verorten lassen. Neben der Feststellung, dass der Widerspruch nur im Vollzug selbst Bestand haben kann, muss erstens herausgehoben werden, dass jeder in dem Maße selbst springen muss, wie der Vollzug ja nur individuell möglich ist.⁶² Es kann also keine universelle Gültigkeit sein, mit der hier operiert wird. Das schlägt sich letztlich auch darin nieder, dass der Sprung bzw. der Vollzug nicht durch Gründe plausibilisiert werden kann – nicht jedenfalls durch Gründe, die gänzlich auf einem begrifflichrationalen Fundament ruhen –, weil die Unphilosophie keine Lehre nach identitärer Logik ist. Dieses Manko, das zugleich auch der entscheidende Punkt der Unphilosophie ist, gibt Jacobi auch selbst zu, wenn er gegenüber Fichte einräumt, dass sein Verständnis des Wahren der Wahrheit Fichtes gleichsam nichts anhaben kann – denn, wie Jacobi an Fichte schreibt: „Sie – nehmen von dem, was ich mit dem Wahren meyne, keine Notiz, und dürfen, als Wißenschaftslehrer, keine davon nehmen – auch nach meinem Urtheil.“ (AF, 199) Dies würde Jacobi sicherlich auch gegenüber Hegel zugeben müssen. Der einzige Ausweg: Nur indem man sich immer wieder auf die konkrete Person, d. h. auf sich selbst, besinnt, findet man die Gewissheit für das Widersprechen. Im konkreten Vollzug werden unmittelbar die Gründe für das Widersprechen aufgefunden. Diese Gründe beziehen ihr spezifisches Gehalt nur aus dem Kontext als Ausdruck des konkret individuellen Vollzuges. Der Sprung ist in diesem Sinne opak. Zweitens aber gilt für den Sprung als einem performativen Akt zugleich, dass diese dem Sprung eignende Gewissheit einerseits das Springen einem logi-

 Diese Kritik kann allerdings allein vor dem Hintergrund der Handlungsmetaphysik Jacobis und nicht der (in Kapitel II geschilderten) Begriffskritik gehalten werden. Das heißt, die Vermittlung des Begriffes ist nicht deswegen unzureichend, weil das Praktisch-Konkrete aus dem Abstrakt-Allgemeinen als prinzipiell unerreichbar herausfällt. Genau dies wäre die Konstellation, die auch Hegel als Verstandes- oder Reflexionsphilosophie vor Augen hatte und tatsächlich mit seinem spekulativen Begriff überwinden kann. Die Vermittlung ist vielmehr deswegen zurückzuweisen, weil der Begriff unabhängig von der Frage, ob er abstrakt-allgemein oder konkret-allgemein verstanden wird, einer identitären Logik gehorcht, die prinzipiell theoretisch-distanzierend vorgeht und sich deswegen nicht auf einen unvertretbaren individuellen Vollzug einer Person einlassen kann und will. Der Vollzug und die damit verbundenen Eigenschaften wie Singularität, Unvertretbarkeit, Jemeinigkeit, Zeitlichkeit können selbst nur theoretisierend eingeordnet werden, um aber in diesem Zuge genau das eigentliche Phänomen – nämlich den einmaligen, unvertretbaren, jemeinigen und zeitlichen Vollzug selbst – gar nicht eingefangen, sondern, wie Jacobi sagt, theoretisierend „vernichtet“ zu haben.  Vgl. Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 32.

6.4 Die Performanz der Person. Zwischen Unbegreiflichkeit und Einsicht

193

schen Schluss recht nahebringt und der Sprung, so sagt auch Jacobi, wie „von selbst“ geht. (SB, 30) Diese Einsicht bleibt jedoch unabwendbar eine individuelle, ohne aber (im Rückgriff auf den individuellen Vollzug) willkürlich oder wahnsinnig zu sein.⁶³ Für den Sprung muss sich explizit entschieden werden, um quasi in der Entscheidung dafür auch der Entscheidung selbst philosophisch einen eigenen Status einzuräumen, der im systematisch-systemischen Denken verleugnet werden muss (und da auch keinen Sinn ergibt). Damit ist eng verbunden, was es für unmittelbare Gründe sein können, die für den Sprung aufgefunden werden können. Für die Unphilosophie heißt das erst einmal: Die Singularität der Entscheidung im Sprung steht der Universalität des Grundes entgegen. Das heißt aber auch, dass die Unphilosophie im Rückgriff auf die Person der Singularität generell ihr Recht einräumt.⁶⁴ Der individuelle Vollzug bildet hier wiederum das Zentrum: Ein ‚Ich-bin‘, das eine konkrete Person zu sich sagen kann, wird in seiner praktisch-existentiellen Dimension und nicht wie bei Hegel in seiner theoretischspekulativen relevant. Nicht die allgemeine Struktur ist von Interesse und reflektiert (wie dies Hegel in der Einzelheit tut), sondern die darin sich ausdrückende Singularität der konkreten, sich selbst gewissen Person, die sich nur in der Erfahrung so begegnet. Gerade wie die Erfahrung der Meinigkeit, d. h. der Vollzug in seiner Singularität selbst, begrifflich nicht explizierbar ist und auch die Erfahrung in ihrer Unmittelbarkeit im begrifflich-rationalen Raum der Gründe ausgeschlossen ist, wird diese Erfahrung – aufgrund der Anerkennung der Erfahrung im Sprung – zum Grund der (Selbst‐)Gewissheit, die begrifflich nicht gestützt werden kann. Die Meinigkeit und die Erfahrung: Die Meinigkeit in der Erfahrung und die Erfahrung durch die Meinigkeit erhalten hier ihre Aufwertung. Gleichwohl die unmittelbare (Selbst‐)Gewissheit nicht begrifflich einsichtig zu machen ist, bleibt sie eine Gewissheit, die unmittelbar in der Erfahrung gewonnen wird – eine singuläre (Selbst‐)Gewissheit aus dem unvertretbaren Vollzug der Person selbst.⁶⁵ In dem Maße, wie das begrifflich-rationale Begründungspara-

 Vgl. Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 32.  Das heißt z. B. auch, dass die Unphilosophie die Ursache als Urheberschaft etabliert, die kein (allgemeines) Naturgesetz, sondern singulär ist (vgl. Bowman [2006]: Spinoza. Ausgangspunkt oder Endstation). Hauptsächlich meint das jedoch, dass die Person bzw. die Meinigkeit der Person als singuläre gegen eine distanzierend-theoretische Verallgemeinerung (im Begriff) in den Mittelpunkt rückt. – Singularität ist ein vager Begriff und hat in der Geschichte der Philosophie viele Bedeutungen angenommen. Für einen Überblick siehe: Strauß [1996]: Singularität des Individuums. Hier wird der Begriff (bezogen auf die Person) nicht gegen das Viele oder Gewöhnliche abgegrenzt, sondern gegen das Allgemeine. Somit ist es das Eine, von dem etwas ausgesagt wird, und nicht das Allgemeine, das über etwas ausgesagt wird.  Dass mit diesem Rückgang auf die Jemeinigkeit der Person gegenüber einem allumfassenden Wissensanspruch auch weit nach Jacobi ein an die Grundverständigung über Selbst- und Welt-

194

6 Die veränderte Ansicht des Logischen

digma eine unmittelbare Gewissheit nicht kennt, kann die Anerkennung einer solchen singulären Gewissheit nur in einem singulären Entschluss eines jeden einzelnen erfolgen: im Sprung aus dem Begründungsparadigma, das nur die Stringenz des Begriffes kennt. Der Rückgriff auf die Singularität öffnet nicht der Willkür Tür und Tor. Denn im Sprung wird überhaupt dieses neue Paradigma in Kraft gesetzt, das in seiner eigenen Gewissheit der Meinigkeit in der Erfahrung und in der Gewissheit in der Erfahrung durch die Meinigkeit fern aller Willkür ist.⁶⁶ verhältnisse rührender Punkt getroffen ist, zeigt A. F. Koch, der mit seiner ‚Subjektivitätsthese‘ auseinanderlegt, dass es in einem raumzeitlichen Universum von Partikularien ein in Raum und Zeit verortetes Subjekt geben muss (vgl. Koch [1990]: Subjektivtät in Raum und Zeit, 28), relativ zu welchem eine Lokalisierung der Partikularien und damit eine Unterscheidung überhaupt erst möglich ist (vgl. Koch [1990]: Subjektivtät in Raum und Zeit, 24). Koch nennt sie indexikalische Wahrheiten. Entscheidend ist, dass solche indexikalischen Wahrheiten nicht an ein Subjekt als bloßen Bezugspunkt innerhalb der Welt gebunden sind, das wiederum in eine objektivierenddeskriptive Weltbeschreibung überführt wird (vgl. Koch [1990]: Subjektivtät in Raum und Zeit, 29). Indexikalität ist überhaupt nur dann möglich, „wenn in Raum und Zeit die ursprüngliche Selbstidentifikation und Selbstlokalisation wirklich vollzogen wird. Dieser Vollzug ist die Anerkennung einer Wahrheit durch ein Subjekt, der man, wenn überhaupt einen sprachlichen Ausdruck, dann am ehesten die Worte ‚Ich bin jetzt hier‘ zuordnen kann. Subjektivität ist qua irreduzible Basis des Indexikalischen dieser Vollzug selber, ein Wissen oder Meinen, das sich selber zugleich als Partikulare verkörpert weiß bzw. meint.“ (Koch [1990]: Subjektivtät in Raum und Zeit, 35 f) Damit ist auch bei Koch die (hier sogenannte) Erfahrung der Meinigkeit im Zentrum, die Koch eine „ursprüngliche Selbstidentifikation“ nennt, „die zugleich Selbstlokalisation in Raum und Zeit ist“. (Koch [1990]: Subjektivtät in Raum und Zeit, 36) Ursprünglich ist sie wie die Erfahrung der Jemeinigkeit deshalb, weil sie sich vor aller deskriptiven und auch noch vor aller indexikalischen Vermittlung vollzieht (vgl. Koch [1990]: Subjektivtät in Raum und Zeit, 36). Koch nennt diese im Vollzug gewonnene Evidenz „angereicherte Cartesische Evidenz“ – „Es ist ein Wissen, das jeder von uns auch unter extrem ungünstigen epistemischen Bedingungen noch hat, sofern er nur bei Bewußtsein ist, und das er, wenn er die Cartesische Evidenz durch den Satz ‚Ich bin‘ ausdrückt, durch den Satz ‚ich bin jetzt hier‘ ausdrücken müßte.“ (Koch [1990]: Subjektivtät in Raum und Zeit, 37) Weil diese Evidenz, die letztlich die Subjektivität selbst ist, nicht aus der Erfahrung gewonnen werden kann, sondern selbst aller Erfahrung zugrunde liegt, ist dieses Wissen a priori und unfehlbar (vgl. Koch [1990]: Subjektivtät in Raum und Zeit, 40). Wenn in Bezug auf Jacobi in dieser Abhandlung die Betonung darauf liegt, dass die Meinigkeit in der Erfahrung gewonnen wird, so steht dies nicht notwendigerweise im Widerspruch zu Kochs These der Erfahrungsunabhängigkeit der Selbstidentifikation. Denn in Abgrenzung zum rein spekulativen Erschließen der Subjektivität muss erst der Erfahrungsraum durch den Moduswechsel eröffnet werden, in dem sich die Person im Vollzug gegenwärtig sein kann. Diesen Wechsel vollzieht quasi auch Koch, wenn er gegen eine rein deskriptive Wirklichkeitsbeschreibung die indexikalische Wahrheit setzt, die an ein konkretes raumzeitliches Subjekt gebunden ist. Auch für Jacobi gilt dann, dass das ursprüngliche Innesein selbst nicht aus der Erfahrung gewonnen wird, nur mit der Erfahrung zugleich gegeben ist.  Eben A. F. Koch verweist darauf, dass solch unmittelbare Gewissheit „als Immunität gegen jegliche Art von Zweifel“ verstanden werden muss. (Koch [1990]: Subjektivtät in Raum und Zeit, 40) „Durch Unfehlbarkeit wird ein epistemischer Bereich definiert, in dem die Differenz zwischen

6.4 Die Performanz der Person. Zwischen Unbegreiflichkeit und Einsicht

195

Drittens muss daher für das Verständnis der Unphilosophie als einem performativen Widerspruch gegen das System betont werden, dass Jacobis Unphilosophie kein bloßer Empirismus ist, indem er Erfahrung und Unmittelbarkeit philosophisch fruchtbar macht.⁶⁷ Beschränkte man die Unphilosophie darauf, so unterböte das den Anspruch Jacobis, weil es nicht darum geht, sich in der Erfahrung unverstellt der Wirklichkeit anzunähern.⁶⁸ Es geht darum, die Gebundenheit der Erfahrung an einen Erfahrenden mit all den dazugehörigen Facetten ans Licht zu bringen, um dem Erfahrenden philosophisches Gewicht zu geben, der in der Rationalisierung der Erfahrung, d. h. in der Umwandlung der Erfahrung in Wissen, als bloß austauschbarer ‚Behälter‘ zu verschwinden droht. Hegel führt in der Einzelheit genau das vor, wenn er sie in der Logik in die absolute Idee aufhebt. Jacobi geht es tatsächlich zunächst auch darum, der Erfahrung selbst eine epistemisch unverzichtbare Signifikanz zuzuerkennen, indem er auf den Nihilismus hinweist, in den der Begriff für Jacobi führt. Das Motiv, die Unmittelbarkeit in der Erfahrung zu retten, liegt darin, dass der Begriff nicht nur das Objekt der Erfahrung normalisiert und vernichtet, sondern auch das Subjekt der Erfahrung: d. h. die Person. Jacobi macht sich auf die Suche nach der Bedeutung der Person für die Philosophie und ergründet, was es heißt, ‚ich‘ zu sagen, um darauf zu

bloßer Meinung und Wissen entfällt. […] Subjektivität ist also ein Meinen, das ipso facto ein Wissen ist.“ (Koch [1990]: Subjektivtät in Raum und Zeit, 40 f) Aber Jacobis Unphilosophie der Person möchte die unmittelbare Gewissheit nicht allein auf diesen speziellen Fall der sich gegenwärtigen Meinigkeit beschränken. Siehe dazu das Weitere.  Schon D. Henrich betont diesen Fakt, obgleich er mit seiner Analyse die Dimension der Unphilosophie nicht ausleuchtet. Auch für ihn zeigt sich jedoch die schillernde Verwandtschaft der Unphilosophie mit einem Empirismus. Henrich stellt heraus, „daß Jacobis eigene philosophische Konzeption von vornherein über den Anwendungsbereich des Programms einer solchen empiristischen Analyse hinausgreift, wenngleich er sich der Motive, die für eine solche Analyse charakteristisch sind, immer dann bedient, wenn er die These aufstellt und auch mit ihrer Hilfe dem Metaphysiker Spinoza widerspricht, von jeglichem Dasein gebe es nur ein Wissen durch die unmittelbare Gewißheit, in der es ‚sich offenbart‘“. (Henrich [1992]: Der Grund im Bewußtsein, 61 f)  Die Frage nach der Außenwelt spielt dennoch bei Jacobi eine große Rolle. Jacobi vertritt aber, wie G. Baum bemerkt, keinen naiven Realismus. „Aber er bleibt tatsächlich nicht bei dieser Anschauung stehen, sondern versucht selbst eine Erklärung aus dem der Erkenntnis zugrundeliegenden Bewußtsein, das für ihn in diesem Zusammenhang mehr als nur ein deskriptiv zu erfassendes Faktum, sondern vielmehr Prinzip jeglicher Erkenntnis ist.“ (Baum [1969]: Vernunft und Erkenntnis, 106) Gleichwohl dies ein wesentlicher Zug der Kritik Jacobis ist, geht die Unphilosophie weit darüber hinaus. Der noch im David Hume vertretene radikale Außenweltrealismus ist in dem Maße noch nicht die vollständig entwickelte Unphilosophie Jacobis, als die Innerlichkeit und die metaphysisch-sittliche Dimension der Person noch abgeblendet sind (vgl. Koch [2013]: Individualität als Fundamentalgefühl, 118). Eine ausführliche Erörterung des von Jacobi vertretenen Realismus gibt Sandkaulen [2016]: „Ich bin und es sind Dinge außer mir“.

196

6 Die veränderte Ansicht des Logischen

stoßen, dass es nicht ausreicht, diese Frage nur epistemisch auf der Grundlage einer Theorie zu beantworten. Es muss hingegen der praktisch-existentielle Selbstund Weltbezug mit einbezogen werden, um im Zuge dessen philosophische Konstruktion überhaupt zu hinterfragen.⁶⁹ Indem der irreduzibel individuelle Vollzug selbst zum Gehalt wird, der nicht aufgehoben werden kann, weil er nur mir in der Innenperspektive unmittelbar zugänglich ist⁷⁰, zeigt er die Grenze der Erkenntnis auf. Gleichwohl also Hegels absolute Negativität selbst als Performanz gedacht wird, die in einem Prozess Freiheit und Selbstständigkeit realisiert und am Ende des Prozesses als Subjekt sich selbst transparent ist, bleibt Hegels Entwurf, weil er auf begriffliche Durchsichtigkeit setzen muss, Jacobis ursprünglichem Einwand ausgesetzt. Man kann sagen: Weil Hegel Jacobi im System aufheben möchte, bestätigt er Jacobis ursprüngliche Absprungstelle. Jedoch: Dem Springenden kann „die philosophische Gerechtigkeit […] nichts mehr anhaben: denn was er läugnet, läßt sich streng philosophisch nicht beweisen; was er beweiset, streng philosophisch nicht widerlegen“. (AF, 236)

6.5 Die Gewissheit der Freiheit und der Person. Zwischen Glauben und Wissen Wie der (abstrakte) Begriff konstruierend sich auf die Natur bezieht und nur das Natürliche zu begreifen im Stande ist, „so kann das Uebernatürliche auf keine andre Weise von uns angenommen werden, als es uns gegeben ist; nemlich, als Tatsache – Es ist!“ (SB, 261) Diese Ahndung des Über-Natürlichen (und hier ist  B. Bowman schreibt: „Seine Methode dabei scheint mir – trotz der ausgeprägten Literarizität seines Stils und seiner Einbindung unterschiedlicher rhetorischer und ästhetischer Darstellungsmittel – im wesentlichen begriffsanalytisch zu sein: Er macht weder auf eine eigentümliche Quelle philosophischer Einsicht Anspruch noch strebt er radikale begriffliche Innovationen an.“ (Bowman [2006]: Spinoza. Ausgangspunkt oder Endstation, 173) – Dies ist in Anbetracht des oben gesagten zu wenig zu nennen. – Das ist auch ein wesentlicher Unterschied zu S. Kierkegaard. Kierkegaard geht auf die Existenz mit der Absicht, die Spezifik und Strukturen der individuellen Existenz zu thematisieren, die Hegel nicht interessieren. Kierkegaard setzt hier die Dimension des (religiösen) Glaubens voraus, um darin die wahre Individualität zu finden. Jacobi dagegen geht auf die Existenz mit der Absicht, den begrifflich nicht rekonstruierbaren Gehalt des praktisch-existentiellen Vollzugs selbst in den Blick zu bringen. Behält man die in dieser Studie rekonstruierte Absprungstelle vor Augen, kritisiert Jacobi nicht (mehr) die Abstraktion des Begriffes von der Existenz überhaupt (er hätte vielleicht Hegel zugestehen können, dass der Begriff sich als absolute Grundlage erweist, die genauso Existenz umgreift), sondern im Gegenteil die Identität von Begriff und Existenz und infolge die Blindheit für den Gehalt des individuellen Vollzugs, der qua seiner Natur nur unmittelbar gefasst werden kann.  Vgl. Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 131.

6.5 Die Gewissheit der Freiheit und der Person. Zwischen Glauben und Wissen

197

nicht in erster Linie – wenngleich auch – an Göttliches zu denken, sondern an das Nicht-Konstruierbare: Geistige) kann im Gegensatz zum Begriff nur im Glauben geschehen. Die Gewissheit, die hier verhandelt wird, ist damit keine diskursive ‚aus Gründen‘, sondern eine, die alle Gründe schlechterdings ausschließt, weil sie erstens über-natürlich, d. h. nicht-konstruierbar bzw. ableitbar ist, und damit zweitens allem Begründen und Begründeten überhaupt vorausliegt: Wie können wir nach Gewißheit streben, wenn uns Gewißheit nicht zum voraus schon bekannt ist; und wie kann sie uns bekannt seyn, anders als durch etwas das wir mit Gewißheit schon kennen? Dieses führt zu dem Begriffe einer unmittelbaren Gewißheit, welche nicht allein keiner Gründe bedarf, sondern schlechterdings alle Gründe ausschließt, und einzig und allein die mit dem vorgestellten Dinge übereinstimmende Vorstellung selbst ist. Die Ueberzeugung aus Gründen ist eine Gewißheit aus der zweyten Hand. Gründe sind nur Merkmale der Aehnlichkeit mit einem Dinge dessen wir gewiß sind. Die Ueberzeugung, welche sie hervorbringen, entspringt aus Vergleichung, und kann nie recht sicher und vollkommen seyn. Wenn nun jedes für Wahr halten, welches nicht aus Vernunftgründen entspringt, Glaube ist, so muß die Ueberzeugung aus Vernunftgründen selbst aus dem Glauben kommen, und ihre Kraft von ihm allein empfangen. (SB, 115 f)

Dieser Glaube bzw. diese Gewissheit muss im Lichte des Moduswechsels verstanden werden. Denn es gilt hier nicht, ewige Ideen oder erste Prinzipien mittels intuitiver Anschauung zu ergreifen, sondern gewisse Überzeugungen, die im konkreten Lebensvollzug unabweisbar sind⁷¹, wie z. B. die, aus Freiheit handeln zu können.⁷² Indem der Glaube seine Wurzel in der individuellen Lebenswirklichkeit

 Vgl. Sandkaulen [2008]: Wie geistreich darf Geist sein?, 154.  Damit ist die Person Fokus der Unmittelbarkeit und das Unbedingte als Urgrund bzw. als Seyn nur vermittelt über die Dimension des Unbedingten in der Person. Es ist nicht der Aspekt des Entzugs des Unbedingten vordergründig, wie es D. Henrich schildert (vgl. Henrich [1992]: Der Grund im Bewußtsein, 525), sondern geradezu die undistanzierbare Nähe. Erst in zweiter Instanz kommt das Unbedingte als Gott, als Schöpfer ins Spiel, über den aber Jacobi nur ex negativo als die erste Ursache spricht und sich auf keine weiterführenden Spekulationen einlässt (vgl. Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 262 f). – D. Fetzer unterscheidet zwischen einem materialen Unbedingten (wie dem epistemischen Unbedingten als Unbegreiflichkeit, dem ontischen Unbedingten, das man als Natur fassen könnte, und dem praktischen Unbedingten als der Freiheit und dem Selbstbewusstsein) und einem absolut Unbedingten, nämlich Gott. Das materiale Unbedingte ist nur relativ unbedingt in Bezug auf den geschlossenen Immanenzzusammenhang, der das Positive/Unbedingte nicht konstruieren oder überhaupt denken kann: „Indem die reine Ratio wiederholt ad absurdum geführt wird, nämlich durch den Aufweis, daß sie sich gegenüber bestimmten Materien [materialen oder relativen Unbedingten, D. A.] per se negativ verhält, bewegt sich die Rechtfertigung ex negativo nach und nach durch immer ‚positivere‘ Unbedingte hindurch, welche sich, bildlich gesprochen, immer weiter vom rationalen Kern entfernen, ohne dessen Negation sie immer weiter in den Bereich des Irrationalen gerieten, mit dessen Negation sie jedoch (den hier noch nicht zu schildernden Hinzutritt positiver Rechtfertigungsarten vorausgesetzt)

198

6 Die veränderte Ansicht des Logischen

hat, wird er für Jacobi zum Grundmodus unseres Lebensvollzugs, denn „wir alle werden im Glauben gebohren und müssen im Glauben bleiben, wie wir alle in Gesellschaft gebohren werden, und in Gesellschaft bleiben müssen: Totum parte prius esse necesse est.“ (SB, 115) Der Glaube (und auch die Meinung) erhalten so eine fundamentale Aufwertung. Wie Jacobi jedoch zuerst Glaube und Wissen kontrastiert, geht er später dazu über, Vernunft und Verstand zu unterscheiden. In dieser neuen Terminologie erfährt auch die Person eine intimere Einbettung, die in die bekannte Frage mündet: „[H]at der Mensch Vernunft; oder hat Vernunft den Menschen?“ (SB, 259) Was hier noch stärker zum Tragen kommt, ist der Fokus auf den Moduswechsel, der Freiheit im Sinne Jacobis überhaupt ermöglicht. Denn zuallererst ist die Gewissheit keine bloß an die Person geknüpfte Gewissheit, sondern zudem eine Gewissheit der Person. „Individualität ist“, so schreibt Jacobi in einem Brief vom 16. März 1800 an Jean Paul, „ein Fundamentalgefühl“, und er gibt damit zu verstehen, dass das personale Innesein (also auch die Identität einer Person) aller Tätigkeit (logisch) vorangeht.⁷³ Mit anderen Worten ist Jacobi (einer der ersten) Kritiker eines reflexionstheoretischen Modells des Selbstbewusstseins, welches gerade das Selbstbewusstsein aus der Tätigkeit (der Reflexion) begründen will.⁷⁴ einen Bereich der Transrationalität bilden.“ (Fetzer [2007]: Jacobis Philosophie des Unbedingten, 69) Das heißt: Fetzer rekonstruiert den schrittweisen Übergang von unserem unmittelbaren Gewisssein des (relativ) Unbedingten zum absolut Unbedingten und deren Verzahnung als Hauptinteresse Jacobis, dessen Werk die verschiedenen ‚Puzzleteile‘ zu diesem Projekt liefert.  Jacobi verweist im David Hume darauf, dass man sein eigenes Dasein nicht fühlen würde,wenn man dasjenige, was „meine Einheit“ ausmacht, nicht zuerst gefühlt hätte (vgl. DH, 82). Zudem hat man von deren Realität die vollkommenste Überzeugung, weil es die Quelle des Bewusstseins ist (vgl. DH, 85 f). Jedoch kann man sich keine Vorstellung von seinem Dasein machen; genauso wie man vom Leben ein Bewusstsein, aber keine Vorstellung hat (vgl. DH, 83 f). Im Kern ist Individualität lebendiges Selbstsein, das als a-tomos bzw. in-dividuum, nicht teilbar ist, mit seiner Teilung verloren ginge und quasi, weil es lebendige Individualität ist, mit dem Verlust der Einheit erstirbt: „Das unzertrennliche in einem Wesen bestimmt seine Individualität, oder macht es zu einem würklichen Ganzen; und alle diejenigen Wesen, deren Mannigfaltiges wir in einer Einheit unzertrennlich verknüpft sehen, und die wir allein nach dieser Einheit unterscheiden können, (wir mögen nun annehmen, daß das Principium ihrer Einheit Bewußtsein habe oder nicht), werden Individua genannt. Dahin gehören alle organischen Naturen. – Wir können keinen Baum, keine Pflanze, als solche, das ist, ihr organisches Wesen, das Principium ihrer besondern Mannigfaltigkeit und Einheit, zerlegen oder theilen.“ (DH, 58)  Vgl. Koch [2013]: Individualität als Fundamentalgefühl, 124 und vgl. Sandkaulen [2004]: Daß, was oder wer?, bes. 227 ff. – Es ist die Gewissheit der Person, die unmittelbar und ursprünglich vorhanden ist, d. h. vor allem spezifischen Gegenstandsbezug in völliger Selbsttransparenz und ohne Möglichkeit der Täuschung. A. F. Koch nennt eine solche Gewissheit a priori. Es ist ein „nicht empirischer Anfangsgedanke“. „Wesentlich ist, daß jener Anfangsgedanke aus dieser Erfahrung nicht hergeleitet werden kann und daß er dennoch früher oder später, explizit oder implizit ge-

6.5 Die Gewissheit der Freiheit und der Person. Zwischen Glauben und Wissen

199

In jenem Brief gibt Jacobi unmissverständlich zu verstehen, dass „die Persönlichkeit des Menschen“ durch Reflexion oder – wie Jacobi es nennt – durch „Synthesis ganz undenkbar“ ist; als ein Erzeugniß in der Zeit, als etwas, das durch Besinnung erst entstünde, ist sie erweislich unmöglich. Ich, Fr. Heinr. Jacobi erkenne mich als solchen ohne alles Merkmal, unmittelbar, Kraft meiner Substanz; ich brauche mich nicht erst zusammen zu setzen. (JacNach I, 238 f)

Die Widersprüche der Alternative hierzu liegen Jacobi auf der Hand, wenn versucht wird, statt einem unmittelbaren Innesein „erst hintennach durch Selbstvergleichung“ ein Selbstbewusstsein zu Stande zu bringen: [D]enn worin geschähe die Vergleichung und Einbildung; worin würde das Selbst dem Selbste gleich? und was wäre das noch nicht gleichgesetzte Selbst, das Selbst noch ohne eigenes Seyn und Bleiben, das durch gleich- ungleich- und zusammensetzen, durch verknüpfen erst zu einem Selbste mit eigenem Seyn und Bleiben, mit Selbstseyn würde? Was endlich verübte alles dieses? (GD, 26)

Die Identität einer Person im Selbstbewusstsein ist vielmehr aufgefunden „als dieses Wesen durch ein unmittelbares, von Erinnerung vergangener Zustände unabhängiges Wesenheitsgefühl, nicht durch Erkenntniß“ gewonnen.⁷⁵ Der mit sich unmittelbar Identische weiß aus einer durch keine Gründe zu stützenden dacht werden muß, wenn der betreffende Denker auf seine unwirtliche Umgebung Bezug nehmen und empirisches Wissen über sie gewinnen können soll.“ (Koch [1990]: Subjektivtät in Raum und Zeit, 38) – Entscheidend, um Jacobis Anliegen zu verstehen, ist jedoch der Hinweis darauf, dass diese Gewissheit eben keine begriffliche sein kann, sondern vor dem Hintergrund des Moduswechsels gesehen werden muss. Eine solche Gewissheit kann somit gar kein (unbezweifelbares) epistemisches Fundament sein.  Damit ist es auch nicht mit R. Descartes cogito zu verwechseln, weil es sich gar nicht um einen epistemischen Zugriff handelt, sondern um einen immer schon in der Praxis des menschlichen Lebens verankerten und von diesem auch nicht loslösbaren (vgl. Sandkaulen [2008]:Wie geistreich darf Geist sein?, 157). – Jacobi schreibt: „Der schneidende Unterschied meiner Vorstellungsart von den Vorstellungsarten der mehrsten meiner Zeitgenossen liegt darin, daß ich kein Cartesianer bin. Ich gehe, wie die Morgenländer in ihren Conjugationen, von der dritten, nicht von der ersten Person aus, und glaube, man dürfe schlechterdings nicht das Sum dem Cogito nachsetzen.“ (SB, 157) – S. Kahlefeld erläutert dies so: „Das ‚sum‘, das in Jacobis Umkehrung die Priorität bekommt, ist das bestimmte Ich-bin oder das vorphilosophische Bewußtsein, das sich im ‚cogito‘ zur philosophischen Reflexion erhebt. Die Freiheit und die Bildungserfahrung bestimmen das Bewußtsein des ganzen, d. h. des denkenden und handelnden, des vielfältig lernenden und empfindenden Menschen, bevor er sich in philosophischer Distanz zu sich verhält. Das philosophische cogito bleibt dem vorphilosophischen Dasein verpflichtet – wie dieses Verhältnis theoretisch bewältigt wird, ist das große Thema zwischen Fichte und Jacobi.“ (Kahlefeld [2000]: Dialektik und Sprung, 96)

200

6 Die veränderte Ansicht des Logischen

Gewissheit: „[E]r ist dieser Eine und derselbe, der kein anderer ist noch werden kann, weil unmittelbare Geistes-Gewißheit von dem Geiste, von der Selbstheit, von der Substantivität unzertrennlich ist.“ (GD, 26 f) Die Gewissheit konkreter Überzeugungen und die Selbstgewissheit der eigenen Identität sind damit weder ein begriffliches Wissen noch ein dogmatischer Glaube, sondern selbst Ausdruck des fundamentalen Moduswechsels, da die Gewissheit im Gefühl des Inneseins wurzelt, das nur nachvollziehend erfahren werden kann – und nur im Vollzug besteht. Dieser Vollzug konstituiert den konkreten Menschen in seiner Singularität, den Jacobi als Geist adressiert, und eröffnet die Dimension über-natürlichen Agierens. Singuläres Innesein der Person ist ‚Prinzip der Erkenntnis‘, das damit Erkenntnis (als unphilosophische) überhaupt neu definiert.⁷⁶ Auf diese Weise ist die unmittelbare Gewissheit keine, die Wissen ermöglicht, wie es Hegel in seiner Kritik Jacobis in der Enzyklopädie darstellt, sondern eine, die es geradezu ausschließt.⁷⁷ Denn die Gewissheit besteht nur in dem Maße, wie sie gerade nicht dem Begriff zugänglich ist. Konsequenterweise ist sie auch nicht „rein logischer Enthusiasmus“, sondern deswegen „unreine Liebe“, weil sie

 Dass das lebendige Dasein zum Prinzip wird, heißt nach B. Sandkaulen dreierlei: (1) Mit dem Fokus auf den Lebensvollzug „nimmt er erstens Abstand von einem Modell, das sich auf die Binnenanalyse der Erkenntnis beschränkt. Das gilt auch dann, wenn man Erkenntnis nicht auf Diskursivität hin begrenzt, sondern nach gutem Brauch das Vermögen intuitiver Einsicht zur evidentiellen Basis des Diskurses erklärt.“ (Sandkaulen [2009]: Fürwahrhalten ohne Gründe, 269) Das ist darin begründet, „dass Jacobi die Evidenzbasis nicht innerhalb der Erkenntnis sucht, sondern an die Praxis des Lebens bindet“. (Sandkaulen [2009]: Fürwahrhalten ohne Gründe, 269) (2) Hier wird die „Beobachterperspektive annuliert“. (Sandkaulen [2009]: Fürwahrhalten ohne Gründe, 269) Das neue Paradigma Jacobis bedeutet: aus der Logik der Sache und nicht über sie zu sprechen (vgl. Sandkaulen [2009]: Fürwahrhalten ohne Gründe, 269). (3) Lebendiges Dasein als Prinzip der Erkenntnis heißt nicht, dass alles blinder Trieb ist. Es wird vielmehr bestritten, „dass menschliches Leben auf das Interesse des Selbsterhaltungsstrebens reduziert werden kann“. (Sandkaulen [2009]: Fürwahrhalten ohne Gründe, 269) Jacobis Position ist damit nahe an der Lebensphilosophie zu verorten, jedoch sind die Unterschiede wichtig: Denn was Jacobi im Wechsel zur Teilnehmerperspektive geltend macht, „sind nicht primär die Wirkungszusammenhänge des Lebens, nicht das Geworfensein des Daseins, in dem sein Selbstverständnis je schon einbehalten ist. Der Akzent liegt hier auf unserem personalen Handlungsbewusstsein, auf dem ‚Bewußtsein unserer Selbsttätigkeit bei der Ausübung unseres Willens‘ […].“ (Sandkaulen [2009]: Fürwahrhalten ohne Gründe, 270)  „Das gebe ich dir ohne Widerrede zu: daß das Gebiet der Freyheit das Gebiet der Unwissenheit sey. Ich setze nur noch hinzu: Einer dem Menschen unüberwindlichen; und unterscheide sie dadurch von jener [Freiheit, D. A.], deren Reich und Herrschaft immer mehr einzuschränken die Vernunft den Beruf hat; auf dessen gänzliche Eroberung sie, um es Fuß vor Fuß der Wissenschaft zu unterwerfen, nothwendig ausgeht – aber weinen würde wie Alexander, wenn sie bey ihrem Ziele anzukommen jemals Gefahr sähe.“ (AF, 237)

6.5 Die Gewissheit der Freiheit und der Person. Zwischen Glauben und Wissen

201

aufgrund ihrer Konstitution immer nur eine ans Innesein der konkreten Person geknüpfte, also ‚persönliche Gewissheit‘ ist. Ein Selbstverhältnis ist also auch bei Jacobi im Zentrum seiner Unphilosophie zu finden. Es ist jedoch im Gegensatz zum Selbstverhältnis absoluter Negativität bzw. absoluter Subjektivität kein allgemeines und auch nicht theoretisch zu explizieren, sondern nur im konkreten Vollzug zu erfahren. Das Verfahren der Unphilosophie Jacobis ist aus diesem Grunde gar nicht Reflexion zu nennen, die in theoretischer Distanz das Selbst- und Weltverhältnis thematisiert. Es ist vielmehr eine Reflexion aus dem Leben heraus ⁷⁸, die ihr Movens nicht wie Hegel aus den Begründungsproblemen von Selbstverhältnissen gewinnt, sondern daraus, diese Begründungsleistung überhaupt aus dem Leben selbst noch einmal zu hinterfragen.⁷⁹ Einspruchsinstanz gegen das System (Hegels) ist damit die praktisch-existentiell eingebettete Person. Das Motiv für den Einspruch gegenüber Hegels System ist jedoch allein über den Verweis auf die konkrete Person und die Freiheit nicht mehr ausreichend bestimmbar. Das heißt, es geht in Anbetracht der Modifikationen gegenüber Spinoza nicht darum, dass die Person frei ist (und sie der Begriff nur als determiniert bestimmt), oder dass der Person eine Selbstständigkeit eignet (die der Begriff ihr abspricht), oder dass die Person zeitlich strukturiert ist (und der Begriff diese Zeitlichkeit nur widersprüchlich verhandeln könnte). Erst aus der Vollzugsperspektive der Person können speziell gegen Hegels System strukturelle Einwände abgeleitet werden. Die konkrete Person wird zur Absprungstelle aus Hegels System, weil es für Jacobi um den Menschen geht, der ein „Unvergleichbares“ ist, nämlich „durch seinen Geist, den eigenthümlichen, durch welchen er der ist, der er ist, dieser Eine und kein anderer“. (GD, 26) Wenn Hegel den Geist zum Prinzip seines Systems macht, so schließt dieser gerade den irreduzibel individuellen Geist aus, weil dieser nur aus dem Leben, aus dem lebendigen Vollzug heraus gefasst werden kann. Geist wird sowohl bei Jacobi also auch bei Hegel als Vernunft gedacht, jedoch mit vollkommen unterschiedlichen Vorzeichen. Bei Jacobi ist die Vernunft mit der namentlichen Person amalgamiert, die als ein Wer im Lebens-

 Vgl. dazu auch D. Henrich. Er schreibt zu Hölderlin: „Hölderlin folgt Jacobi mit der These, daß sich in der gesamten Verfassung unseres wissenden Selbstverhältnisses nichts findet, von dem gesagt werden könnte, daß es sich schlechthin selbst begründet oder zureichend aus sich selbst verstehen läßt.“ (Henrich [1992]: Der Grund im Bewußtsein, 525)  Wie also Jacobi das System Spinozas aus dem Leben hinterfragt, spielen selbstverständlich Freiheit und Selbstständigkeit die entscheidende Rolle. Wenn sich Jacobi bei Hegels System auf anderem Boden bewegt, muss entsprechend das Hinterfragen aus dem Leben neu ausgerichtet werden, insofern Hegels System Freiheit und Selbstständigkeit zentral realisiert. – Zu dieser Figur des ‚aus dem Leben heraus‘ vgl. auch Sandkaulen [2009]: Fürwahrhalten ohne Gründe, 268.

202

6 Die veränderte Ansicht des Logischen

vollzug – und allein da – offenbart wird. Bei Hegel ist die Vernunft ein spekulativdialektischer Begriff, der sich selbst transparent wird.

6.6 Vernunft und Person Es ist letztlich die Vernunft, die den Moduswechsel hin zur konkreten Person ermöglicht. Anders gesagt: Jacobis Vernunft ist der Moduswechsel selbst, der sich gegen eine mechanistische Verstandesphilosophie auf der Grundlage der konkreten Person vollzieht. Die Zuspitzung auf Vernunft zeigt den ganzen Unterschied zwischen Jacobi und Hegel, obgleich beide jeweils mit ihrem Projekt eine gegen das mechanisch-abstrakte Verstandesdenken gerichtete Systemkritik formulieren, die im Namen der Vernunft geführt wird. Natürlich ist damit im Kern die von Jacobi in den Spinozabriefen gestellte Frage⁸⁰ auf den Tisch gebracht, ob der Mensch Vernunft oder ob die Vernunft den Menschen hat (vgl. SB, 259).Wenngleich diese Unterscheidung zwischen einer dem Menschen zugehörenden, adjektiven Vernunft und der den Menschen bestimmenden, substantiven Vernunft oberflächlich besehen in gewissem Sinne auch auf Hegel zutreffen mag – und zwar insofern, als dessen Vernunft nicht als bloß subjektives Vermögen konzipiert ist, sondern die Wirklichkeit als solche umfasst und somit auch den Menschen einbegreift, der aus dieser konstituiert wird –, ist es doch entscheidend, auf welche Weise der Mensch dieser Vernunft zugehört. Weil Hegel die mit der substantiven Vernunft verbundene unmittelbare Erkenntnis bzw. den Glauben und die Offenbarung strikt ablehnt⁸¹ und rigoros für  Diese Frage nach Verstand und Vernunft beschäftigt Jacobi zeitlebens. Später schreibt er eine Kontinuität bekräftigend: „Meine Ueberzeugungen sind noch ganz dieselben, die ich vor mehr als fünf und zwanzig Jahren in meinem Buche über die Lehre des Spinoza, und in dem bald darauf erschienenen Gespräch über Idealismus und Realismus dargelegt habe.“ (GD, 72) Gerade diese Schrift Von den göttlichen Dingen bemüht sich um eine Klärung des Verhältnisses von Verstand und Vernunft. Hier stellt Jacobi sehr eindringlich die Besonderheit seiner Vernunftkonzeption vor.  Es ist Kant, der für Jacobi eine interessante Zwischenposition einnimmt zwischen der Unphilosophie, zu der Kant mit seinem Realismus (Ding an sich) und den Vernunftideen insbesondere Gott und Freiheit eine erstaunliche Nähe aufweist, und der Systemphilosophie, die er aufgrund seiner unphilosophischen Züge nicht konsequent realisieren kann. Es ist daher auch Kant, der Jacobis Stoßrichtung bestätigt. Jacobi weiß sich so mit Kant einig, wenn Kant „durch eine scheinbare Einschränkung des Vernunftgebrauchs diesen in der That erweitert, und durch Aufhebung des Wissens im Felde des Uebersinnlichen, einem dem Dogmatism der Metaphysik unantastbaren Glauben Platz gemacht“ hat (GD, 79), den jedoch Kant mit seinem an Wissenschaftlichkeit orientierten Philosophieverständnis kompromittiert hat. „Darin besteht nun Kants Zwiespalt mit sich selbst, und die Verschiedenheit des Geistes seiner Lehre von ihrem Buchstaben, daß er, als Mensch, den unmittelbaren positiven Offenbarungen der Vernunft, ihren Grundurt-

6.6 Vernunft und Person

203

die Vermittlung bzw. vermittelte Unmittelbarkeit plädiert, wird für die Konturierung der Unphilosophie die Konzeption der Vernunft entscheidend. Denn erst mit dieser Konzeption konkretisieren sich Jacobis Umgang mit der Vermittlung und seine Insistenz auf Unmittelbarkeit. Hegels Projekt ist einem wissenschaftlichen Ideal verpflichtet, das begriffliche Transparenz realisiert. Wenngleich Hegel wie Jacobi (abstrakte) Verstandesphilosophie kritisiert, zeigt Hegels Kritik der Substanzmetaphysik Spinozas explizit, dass er den Anspruch der begrifflich-rationalen Erklärung nie fallengelassen, sondern im Gegenteil noch verschärft hat.⁸² Hegels Vernunft ist die im

heilen, unbedingt vertraute, und auch dieses Vertrauen nie, wenigstens nie ganz und entschieden, verlor; als Lehrer der Philosophie aber dieses rein offenbarte selbstständige Wissen in ein unselbstständiges aus Beweisen, das unmittelbar Erkannte in ein mittelbar Erkanntes zu verwandeln für nöthig achtete. Er wollte die Vernunft mit dem Verstande unterbauen, und dann den Verstand wieder überbauen mit der Vernunft. […] [W]idersetzte sich der Verstand mit seinem Veto, das ihm zum Voraus gebühren sollte, gerade zu und schlechthin den Zumuthungen der Vernunft, so war überall kein Rath; die praktische Vernunft konnte dann, was die theoretische (der Verstand) für Wissenschaft und Erkenntniß zerstört hatte, nicht außerhalb des Gebietes der Wissenschaft und Erkenntniß für den Glauben wieder aufrichten; die Lehre von Gott, von Unsterblichkeit und Freyheit mußte geradezu aufgegeben werden; es blieb nur Naturlehre, Naturphilosophie. Und auch dieses nicht. Denn es mußte ja der Verstand, um den Ideen der Vernunft auch nur eine problematische Gültigkeit einzuräumen, zuvor die absolute Ungültigkeit seiner eigenthümlichen Erkenntnisse, ihre vollkommene Leerheit und Nichtigkeit als Erkenntnisse eines Realen, eines außer der bloßen Vorstellung auch noch für sich bestehenden wahrhaft Objektiven schon eingesehen haben.“ (GD, 88 f)  Jacobi trennt sehr klar zwischen erklärend-verständiger Philosophie und auffindend-vernünftiger Unphilosophie. Weil Hegel dem Paradigma des Grundes zugehört, würde er auch hier unter Verstandesphilosophie fallen, was Hegel nicht nur deswegen nicht gerecht wird, weil er eine Vernunftphilosophie vertritt. Dies könnte man als Streit um Namen verbuchen, wo doch Konzepte entscheidend sind. Und so steht tatsächlich Hegels spekulative Philosophie quer zur Charakterisierung Jacobis. Begriffe kritisiert Jacobi als abstrakt. Insofern Hegels Denken dies überwindet, trifft auch Jacobis Äußerung zur Allheit auf Hegel nicht mehr zu: „Dieses Trugbild, dies Gespenst, – dieser Götze, den der Verstand sich selbst schafft, nachdem er die [vernehmende, D. A.] Vernunft, als eine Autorität über ihm, verläugnet, und zu einem bloßen Dichtungsvermögen unter seiner Aufsicht und Herrschaft herabgewürdiget hat, dieser Götze, den er nun an der Vernunft Stelle willig über sich erhebt, ihn anruft und zu seinem Gott macht – heißet Allheit, und ist in Wahrheit nur jenes weite und weitere Allgemeine, welches im Verstande wird durch Begriff und Wort, und das außer ihm sonst nirgendwo vorhanden ist, weder als Eines, – noch Vieles, noch Alles. Auch im Verstande entstehet das Allgemeine erst nach dem Einzelnen, der Begriff erst nach der Wahrnehmung. Aber so wie der Begriff entstanden ist, erhebt er sich über die Wahrnehmung, betrachtet, was er unter sich befaßt, die Unendlichkeit des verschiedenen Einzelnen, als aus ihm entsprungen; sich selbst und seinen Sohn, das Wort, als den Grund und die Ursache der Wesen.“ (GD, 111) Umso mehr gilt es, die Vernunftkonzeptionen von Jacobi und Hegel zu kontrastieren, um das in Jacobis Augen bei Hegel dennoch verbleibende Ungenügen der Allheit herauszuarbeiten.

204

6 Die veränderte Ansicht des Logischen

Modus der Notwendigkeit vollzogene Entfaltung des Begriffes. Jacobis Handlungsmetaphysik bringt dagegen die Person in den Blick, die nicht aus den Bedingungen ihrer Möglichkeit im Subjekt erklärt, sondern nur in ihrer Wirklichkeit unmittelbar aufgefunden werden kann.⁸³ Sie fokussiert die „‚Grunderfahrung‘ des Handelns“.⁸⁴ Entscheidend für Jacobis Vernunftkonzeption ist zunächst nicht die Betonung der Unmittelbarkeit des Vernehmens des Übersinnlichen in genere, sondern die konkrete Einbettung dieser Wahrnehmung in die existentielle Praxis, die Jacobis Vernunft gar nicht der Schwärmerei aussetzt, wie dies Kant und Hegel Jacobi vorwerfen, sondern zu einer Konkretion auch der übersinnlichen Wahrnehmung führt, die letztlich in einem individuell-persönlichen Vernunftkonzept wurzelt. Der erste Schritt zum genaueren Verständnis dieser Konzeption liegt darin, zu bemerken, dass das Vernehmen des Wahren der Vernunft keine geheimnisvolle, nur Wenigen zugängliche Offenbarung ist, sondern eine situativ-konkret sich vollziehende Anschauung, die jeder alltäglich erfährt, wenn z. B. ein Bild als schön oder eine Handlung als achtenswert empfunden wird.⁸⁵ Der Bezug auf die Un-

 Vgl. Kahlefeld [2000]: Dialektik und Sprung, 146. – Dieser Ansatz lässt Jacobi zu einem Vordenker einer späteren Denktradition werden, die sich ‚neues Denken‘ nennt und Autoren wie M. Buber, F. Rosenzweig, G. Marcel und andere umfasst. Das ‚neue Denken‘ opponiert der Subjektphilosophie und beginnt dort,wo diese konstruierende, aber – so die Kritik – im Kern reduktive Begründungsmetaphysik an ihr Ende kommt. Jedes Seiende, so eine entscheidende Aussage, ist nur auf sich selbst zurückzuführen. Der Grundbegriff ist ‚Korrelation‘, d. h. das dialogische Wechselverhältnis von Ich und Du, aus dem letztlich menschliche Existenz allein verstanden werden kann. Die ‚Korrelation‘ wird auch (besonders von M. Buber) das ‚Zwischen‘ genannt, das in seiner Wirklichkeit nur aufgefunden werden kann. Es versperrt sich jedem begrifflichen Zugriff. M. Theunissen widmet diesem ‚neuen Denken‘ eine umfassende Studie (vgl. Theunissen [19772]: Der Andere, bes. 241ff).  Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 181. – Die Unterscheidung von Grund und Ursache rückt hier immer wieder in den Fokus. Nur indem diese Begriffe unterschieden werden und die eigentliche Quelle der Ursache im absichtsvollen Handeln aufgedeckt wird, kann die Unphilosophie Jacobis im Sprung überhaupt von der Stelle kommen. Denn Teil der Reflexion auf die Allein- und Unphilosophie ist die Diagnose der Vermischung beider in der Metaphysik, aus der die Anmaßung der Systeme klar benannt werden kann. In der Vermischung diagnostiziert Jacobi nämlich nichts anderes als den Übergriff des Begründungsparadigmas auf das Ganze mithin auf das Metaphysische mit unausweichlichem Verlust von Freiheit und selbstständigem Sein. (vgl. Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 246 ff). Insofern aber Hegel gerade Freiheit und selbstständiges Sein im System integriert haben will, ist eben auch aus diesem Grunde die (imaginäre) Systemkritik Jacobis gegenüber Hegel besser beraten, die ‚elastische Stelle‘ eben wie hier vorgeschlagen zu verschieben.  Dabei ist es keineswegs schon eine Widerlegung, wenn unterschiedliche Personen unterschiedliche Bewertungskriterien für das Gute und das Schöne anwenden. Das Faktum überhaupt, ein Schönes und ein Gutes zu kennen, ist entscheidend, insofern es gar nicht aus der Natur-

6.6 Vernunft und Person

205

mittelbarkeit sagt in erster Linie, dass etwas nicht aus dem tätigen Denken erkannt und im Wissen angeeignet werden kann, sondern um der Sache willen (in der Sache) aufgefunden werden muss. Dies soll aber nicht in einer esoterischen Innerlichkeit, sondern im Lebensvollzug selbst geschehen: Ich, Du, Freundschaft, Versprechen, Ehre, Schönheit, Tugend sind (wesentliche) Anschauungen des Wahren, weil sie sich einer mechanistisch-natürlichen Erklärung entziehen. Ohne in der Lage zu sein, begrifflich-scharf angeben zu können, warum etwas schön oder achtenswert ist, was ich bin oder warum ich in Freundschaft mit einem anderen Menschen verbunden bin, ist die Vernunft Jacobis nicht als Vermögen der Ideen gedacht oder als spekulativ-systematisches Denken. Sie ist hingegen als praktisch-vernünftiges Gefühl konzipiert, das deshalb den Bezug auf die Praxis nicht entbehren kann, weil nur da das Wahre angeschaut und erfahren werden kann.⁸⁶ Die Koppelung dieser Vernunft an den Lebensvollzug ‚erdet‘ diese Vernunft entsprechend nicht nur in der Praxis handelnder Individuen, sondern

kausalität erklärt werden kann. Dieses Faktum (trotz seiner unterschiedlichen Auslegungen) ist der Einspruch gegen den Naturalismus, den Jacobi auch verschiedentlich mobilisiert.  Jacobi stellt die Vernunft in die Metaphorik des Sehens und Wahrnehmens. Anknüpfend an die Metaphorik der Aufklärung, die die Vernunft als Licht oder Fackel sah, grenzt Jacobi seine Vernunft gerade davon ab: „Meine Vernunft ist ein Auge und keine Fackel. Und wenn ich mich nicht sehr betrüge, so hat man immer, da man noch blos ein Licht an der Vernunft hatte, mit dem Worte Licht die Sehkraft selbst gemeynt.“ (DH, 88) Nicht nur, dass Jacobi an dieser Stelle die Anbindung der Vernunft an Erfahrung explizit hervorhebt (DH, 88). Die als Sehkraft so konzipierte Vernunft schlägt auch die Brücke zum Glauben als Erkenntnismodus der Vernunft, der bestimmte Dinge auffinden muss, wie sie sind. Das geht insbesondere aus der Konzeption der Vernunft als Vernehmen hervor, wird jedoch zudem von der verwendeten Metaphorik selbst unterstrichen. Denn das Sehen wird nicht selbst gesehen. Es ist kein Gegenstand, sondern nur das, was dem Gegenstand einen Ort gibt. Es ist der Rahmen, in dem etwas erscheinen kann. Der Rahmen aber erscheint nicht. Er kann lediglich unthematisch thematisch sein, wie das Sehen selbst nur am Gesehenen aufscheint. Das heißt darüber hinaus, dass die Sehkraft respektive die Vernunft selbst nicht fixierbar sind (wie ein Gegenstand), sondern nur im Vollzug selbst bestehen können. Sehkraft wie Vernunft sind einerseits rezeptiv, insofern nämlich beide auf einen „Gegenstand“ angewiesen sind. Sie sind aber auch aktiv, insofern der Gegenstand gar nicht wäre ohne die Kraft des Sehens. Hinsichtlich ihres konstitutiven Entzuges werden im abschließenden Kapitel entscheidende Parallelen zu Hegel gezogen, aber auch wichtige Differenzen festgehalten werden müssen. Am Rande sei bemerkt, dass auch bei Kant eine solche Figur des Entzugs im Zentrum seiner Theorie zu finden ist. Er spricht vom Ich als einem „X“, dessen „Unbequemlichkeit“ darin besteht, dass wir uns um dieses „in einem beständigen Zirkel herumdrehen“. (Kant [1968]: Kritik der reinen Vernunft, A 345 f) D. Henrich interpretiert diesen Aspekt als Weichenstellung für die nachkantische Philosophie auch im Ausgang von Jacobi (vgl. Henrich [1989]: Die Anfänge der Theorie des Subjekts (1789)).

206

6 Die veränderte Ansicht des Logischen

bindet sie auch an die je individuellen Akteure selbst.⁸⁷ Der zweite entscheidende Schritt bestehen darin, die über-natürlich-geistigen Phänomene genauer in Abgrenzung zu Hegel zu bestimmen und die Gewissheit der Vernunft selbst im Gegensatz zu Hegels Begriffslogik situativ-konkret zu verorten.⁸⁸ Geistige Phänomene⁸⁹ wie Freiheit, Lebendigkeit, Persönlichkeit, Ich oder Gott, aber auch das Gute

 G. Baum geht der Frage nach, inwiefern Jacobis Philosophie ein Platonismus genannt werden kann und diskutiert insbesondere das bei Jacobi mit den Ideen verknüpfte Gefühl. Baum bindet die Ideenerkenntnis bei Jacobi an den Willen. Für Jacobi, so Baum, „geht nicht der allgemeine Begriff des Wahren, Schönen und Guten, als der Harmonie des Kosmos entnommen, der Erkenntnis des Bewußtseins voraus, sondern er läßt umgekehrt die Ideen im Gefühl in der Weise entspringen, daß sie in eine unlösbare Abhängigkeit vom Willen gebracht werden und erst dadurch ihre Erklärung finden“. (Baum [1969]: Vernunft und Erkenntnis, 159) Die hier vorgeschlagene Interpretation folgt Baum in diesem Punkt allerdings nicht.  Das heißt auch, dass das Wahre kontinuierlich aktiv (von jedem Einzelnen innerlich) im Gefühl angeeignet werden muss. Denn vom Wesen des Wahren „besitzen wir jedesmal nur so viel, haben wir zur wirklichen Anwendung jedesmal nur so viel in unserer Gewalt, als der Geist eines Jeden lebendig in ihm zu erzeugen vermag. Sie können nicht abgesondert werden von der gegenwärtigen Geisteskraft, können nicht äußerlich gemacht, nicht äußerlich befestigt werden, weder für uns selbst noch für Andere: alle Mittel zu diesem Ende gleichen dem Knoten im Schnupftuche. – Man sieht ihn; er erinnert auch: aber das, woran er erinnern sollte, weiß er nicht zu sagen. Lebendig müssen sie ergriffen; lebendig müssen sie fortdauernd erhalten werden.“ (GD, 56) Angesprochen ist damit auch Jacobis wichtige Unterscheidung von totem Buchstaben (im verständig-theoretischen Zugriff) und lebendigem Geist (der praktisch-vernünftigen Daseinsenthüllung). Durchzieht diese Distinktion Jacobis Systemkritik an jeder Stelle, so wird sie vor dem Hintergrund der Frage nach der Vernunft prägnant zugespitzt, indem diese Vernunft selbst dieser lebendige Geist ist. – Dass die im Woldemar geführte Auseinandersetzung über Tugend genau auf diesen Punkt zielt, zeigt der am Anfang dieser Auseinandersetzung stehende Passus: „Alle Menschen pflegen minder oder mehr sich an Empfindungen zu hängen, von denen sie glauben, daß sie in ihnen selbst, oder in Andern, dauern werden; und finden sich betrogen. Einige, die sich klüger dünken, suchens im Verstande, und meinen, mit Begriffen ließe das Lebendige sich wohl einbalsamieren, und diese Mumien wären keine Leichen. Aber so wenig sich Gefühl in uns oder Andern nach Gefallen anzünden, auslöschen, mindern und mehren läßt; so wenig und noch viel weniger will es gelingen, des Gefühls mit Hülfe der Begriffe zu entrathen. – Wie entgehen wir also der Vergänglichkeit in unserm Thun und Dichten? Wie retten wir unser Selbst; wie das Selbst derer, womit wir Ein Herz, Eine Seele auszumachen streben? | So hat Woldemar früh schon gefragt, früh sich müde gesucht nach dem Wege zu jener Freystätte der Weisheit, wo der Mensch immer dasselbe will und dasselbe nicht will, immer nur Einerley suchet und meidet, und jedesmal halten kann, was er sich selbst und andern versprach.“ (W, 413)  Es ist unzureichend, die Spezifik der individuell-persönlichen Vernunft Jacobis allein im Geistigen zu suchen, denn es sind in der jacobischen wie in der hegelschen Terminologie gleichermaßen geistige Phänomene, die sich dem mechanisch-rekonstruierenden Verstand qua ihrer Über-Natürlichkeit entziehen. Daher kann sich diese individuell-persönliche Vernunft keineswegs in der Charakterisierung als Geist erschöpfen, insofern dies auch auf Hegels Vernunft zutreffen würde: Die Bewegung des (spekulativen) Begriffes ist immer auf einen konkreten Vollzug im

6.6 Vernunft und Person

207

der Tugend⁹⁰, die Freundschaft und die Liebe, das Du in der Ergänzung zum Ich, die Jacobi der Vernunft zuschreibt⁹¹, kommen in der Unphilosophie im vom Moduswechsel scharf gestellten Fokus in den Blick, aus dem auch die Gewissheit entspringt. Für Jacobi ist dieser Perspektivenwechsel keine bloß empirische oder praktische Ergänzung zur eigentlich philosophischen Analyse, sondern der Zugang, vermittels dessen überhaupt erst die Spezifik der Phänomene zur Geltung kommt. Diese Spezifik der Phänomene liegt darin, dass sie nur von der Person und an der Person erfahrbar und nicht denkbar sind. Denkbar sind sie (auch im spekulativen Denken) nur unter einem erkenntnisgeleiteten Blick, der gerade das Phänomen verstellt. Ist also die Vernunft an die Vollzugsperspektive der Person geknüpft – und dies nicht nach dem Modell spekulativ-dialektischer Vermittlung wie sie in der Begriffslogik bei Allgemeinem, Besonderem und Einzelnem auftritt –, ändert sich nicht allein der Bezug auf die Phänomene, sondern das Vernunftkonzept selbst.Vernunft vernimmt nur mit den Augen einer konkret-individuellen Person die Phänomene, wie sie im Miteinander von Personen aufscheinen – und möchte sie als solche auch zur Geltung bringen. Indem Jacobi seine Position nicht nur als eine Unphilosophie formuliert, die eine existentielle Ebene einklagt, sondern eine Philosophie der Person vorlegt, die aufs Engste mit dem Vernunftbegriff verkoppelt ist, reicht Jacobis Einwand gegen das systematisch-systemische

Philosophen angewiesen, der diese Bewegung ebenso lebendig vor Augen haben muss. Zudem erschließt Hegel ja gerade die geistigen Phänomene, ja den Geist selbst, qua spekulativem Begriff.  Im Woldemar spricht das Jacobi deutlich aus und bringt die konkrete Unmittelbarkeit des Guten durch den Vergleich mit der Freundschaft zum Ausdruck: „Es bleibt die Frage: Womit zufrieden? Die Vernunft verstummt bey dieser Frage; wie denn überall ihr Forschen eitel ist, wo der Sinn nicht weiter zu ergründen vermag. Da sie keine Tugend-Kraft herbey zu denken fähige ist, so ist sie auch nicht fähig eine Tugend-Lehre, welche Stich hielte, zu erschaffen. […] Ist sie das, so muß sie aus Liebe entspringen; so muß ich sie umfassen können, wie meinen Freund, sie nicht lassen können, wie meinen Freund, mehr in ihr als in mir selbst leben und weben, empfinden und genießen, wie im Freunde.“ (W, 441)  Hinsichtlich der Frage nach dem Guten geht es Jacobi um eine an die klassische Tugendethik aristotelischer Provenienz anschließende „Ethik der ersten Person“ (Rhonheimer [2001]: Die Perspektive der Moral, 16), die im Gegensatz zu einer kantischen Moralphilosophie das Gute konkret-situativ im Leben der Person selbst eingewurzelt und daraus auch nur lebbar versteht. Eine Tugendethik dieser Couleur ist gar nicht im begrifflich-rationalen Zugriff denkbar. Auch Freundschaft und Liebe entziehen sich als geistige, d. h. über-natürliche, Phänomene dem Begriff, insofern es um ein freies Binden zweier konkreter Menschen geht, auf das nicht sinnvollerweise eine (begrifflich-rationale) Logik Anwendung finden kann, sondern im Lebensvollzug sich ereignet. Damit ist auch z. B. das Du kein anderes Subjekt oder ein anderer Fall eines Ich, sondern die geistig-vernünftig eröffnete Dimension persönlichen (Er‐)Lebens, das über die bloße, kausalmechanisch wirkende Natur, aber auch über den begrifflich-rational gefassten (spekulativen) Geist hinausreicht.

208

6 Die veränderte Ansicht des Logischen

Denken damit – bei aller Parallelität – über einen Existentialismus hinaus.⁹² Das stellt nicht nur die Fokussierung auf die Person in ein anderes Licht, sondern gibt auch dem Rekurs auf die irreduzible Existenz die metaphysische Dimension, aus der heraus Jacobi den Systementwürfen die Stirn bieten kann.⁹³ Das von Jacobi eigens in den Mittelpunkt gestellte Versprechen ist ein Beispiel.⁹⁴ Dessen Verbindlichkeit rührt daher, dass ich mit ‚meiner‘ ganzen Person dafür bürge, ‚mein‘ Wort zu halten. Die Verbindlichkeit eines Versprechens resultiert nicht aus einem allgemeinen Gesetz, einem Gebot, das allgemein formuliert ist, sondern aus der Tatsache, dass ich ‚mein‘ Wort gegeben habe, an dem ich mich orientiere, weil ich es gegeben habe. Jacobi schreibt: Wenn ich auf das Wort eines N a m e n t l i c h e n Mannes fuße, so bringe ich dabey seine reine Vernunft nicht mehr, als die Bewegung seiner Lippen und den Schall aus seinem Munde in Anschlag. Ich traue dem Worte um des Mannes, und dem Manne um sein selbst willen.Was in ihm mich gewiß macht, ist seine Sinnesart, sein Geschmack, sein Gemüth und Charakter. Ich gründe meinen Bund mit ihm auf den Bund, den er mit sich selbst hat, wodurch er ist der er seyn wird. Ich glaube dem in seinem H e r z e n tief verborgenen u n s i c h t b a r e n Worte, das er geben will und k a n n . Ich verlaße mich auf eine geheime Kraft in ihm, welche stärker ist als der Tod. (AF, 253 f)

Indem ich mit ‚meinem‘ Namen dafür einstehe, das Versprochene zu halten⁹⁵, ist die Verbindlichkeit eine unbedingte, obwohl ‚mein‘ Name bzw. ‚meine‘ Person kein rationaler Grund der Verbindlichkeit ist. So ist tugendhaftes Handeln im Falle des Versprechens nicht allein im jacobischen Sinne vernünftiges Ahnden des Guten, sondern auch ein Enthüllen der vernünftig-personalen Identität als einer

 Aufgrund der vorhandenen Parallelen zur Existenzphilosophie, zu deren Vorreitern Jacobi ohne weiteres zählen kann, kann man daher seine Unphilosophie als einen metaphysischen Existentialismus bezeichnen.  Hierin ist die Wirkmächtigkeit überhaupt begründet, die Jacobi in der klassischen deutschen Philosophie haben konnte. Umso mehr erstaunt es, dass diese Aspekte unterschlagen oder falsch dargestellt wurden.  Das ließe sich ergänzen um z. B. Tugenden wie Ehre. Zur Funktion des Versprechens in Jacobis Unphilosophie vgl. auch Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 215 ff.Weil es hier natürlich nicht in erster Linie auf eine ethische Perspektive ankommt, sondern auf die von rein rationaler Philosophie abzugrenzenden Konstitutionsbedingungen der menschlichen Natur, spricht sie vom Versprechen als einem „Metaphysikum“. (Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 218)  Gerade im Kontext der Freundschaft wird dieser Umstand sehr deutlich, wenn man die auf Vertrauen basierende Interaktion betrachtet. Dann rückt die Integrität einer Person ins Zentrum. Die Integrität einer Person ist die Grundlage für vertrauliche Interaktion. Sie wird benötigt, um Versprechen geben zu können, die vom anderen geglaubt werden. Dieses Vertrauen basiert auf der individuellen Geschichte der jeweiligen Personen und keineswegs auf seiner allgemeinen Struktur als Subjekt.

6.6 Vernunft und Person

209

konkreten Quelle tugendhaften Handelns, die nicht beliebig ausgetauscht werden kann. Die Verbindlichkeit ‚meines‘ Versprechens ist unaufhebbar und unübertragbar an ‚meine‘ Person gebunden, die gerade in ihrer irreduziblen Individualität unabdingbar ist.⁹⁶ Die Verbindung von konkreter Person und substantiver Vernunft ist konstitutiv sowohl für die Person als auch für die Vernunft. Es ist eine individuellpersönliche Vernunft, die den Menschen hat – und nur aus dessen situativ-konkreter Verortung entspringt die (unmittelbare) Gewissheit (der Handlungsfreiheit, des Guten, Schönen und Wahren). Sie ist individuell-persönlich, weil sie nur im Menschen besteht. Das heißt, die Gewissheit, die ‚ich‘ im Wahrheitsgefühl unmittelbar einsehe, ist gar nicht zu trennen von dem Personsein und dessen praktischer Einbettung. Die Vernunft hat umgekehrt den Menschen so, dass die Person und deren Freiheit selbst gar nichts wären ohne diese Vernunft, denn die Vernunft ist überhaupt der „Geist des Menschen“, durch den der Mensch „ein Unvergleichbares, ein Eines für sich und ohne anderes“ ist, „durch welchen er der ist, der er ist, dieser Eine und kein anderer“. (GD, 26) Die Person ist durch die Vernunft. Aber die Vernunft hat andererseits an und aus dieser lebendigen Person selbst die Basis für die (unmittelbare) Gewissheit, die die Vernunft ausmacht. Vernunft ist an Dasein geknüpft und in eine existentielle Dimension eingebettet durch die Überzeugung einer Person.⁹⁷ Die Vernunft ist durch die Person. Jacobi bringt damit auf den Punkt, dass Wissen essentiell an eine konkrete Person gebunden ist, jedoch darin nicht in Willkür umschlägt, sondern in ihrer konstitutiven Bindung an die Vernunft Anspruch auf Verbindlichkeit erhebt. Jacobi bringt

 Daher auch die ausführliche Thematisierung der Freundschaft und der Liebe bei Jacobi, die allein dadurch besteht, dass zwei Personen sich als diese frei in Freundschaft oder Liebe zusammenschließen um des anderen willen. Die Verbindlichkeit (der Beziehung) rührt auch da allein aus der Unmittelbarkeit der Personen selbst, darüber hinaus gar nichts verbindlich gemacht wird: Es gibt kein Ziel, keinen Zweck, nur die Freundschaft und die Liebe zum anderen allein, die selbst auch Ausdruck von Freiheit darin ist, dass die Beziehung unbegründet und unerklärlich besteht. – Daher ist für Jacobi die Freundschaft auch die Wurzel und Quelle für die Tugend selbst: „Daß wer an Freundschaft glaubt, nothwendig auch an Tugend, an ein Vermögen der Göttlichkeit im Menschen glauben muß; und daß wer an ein solches Vermögen, oder an Tugend nicht glaubt, unmöglich an wahre eigentliche Freundschaft glauben kann. Denn beyde gründen sich auf Eine und Dieselbe Anlage zu uneigennütziger, freyer, unmittelbarer, und darum unveränderlicher Liebe.“ (W, 447)  So z. B. Jacobi in seiner Schrift Von den göttlichen Dingen: „Mit Recht aber behaupten wir eifriger und nachdrücklicher als Gut und Blut eine innere Ueberzeugung, die wir nicht aufgeben können, ohne unsere Vernunft, unser persönliches Daseyn mit auf zugeben; denn wir alle nennen Vernunft, was uns in uns selbst gewiß macht; was mit höchster Gewalt in uns bejaht und verneint: Ohne Gewißheit, keine Vernunft; ohne Vernunft, keine Gewißheit.“ (GD, 60)

210

6 Die veränderte Ansicht des Logischen

diesen wichtigen Zusammenhang von Person, Vernunft und Gewissheit auf die prägnante Sentenz: „Vernunft ohne Persönlichkeit ist Unding“.⁹⁸ (GD, 113) Der rein epistemologische Aspekt der Unmittelbarkeit, wie ihn Hegel in den Mittelpunkt stellt, verfehlt Jacobis Intentionen bei weitem.⁹⁹ Es geht Jacobi bei der Rehabilitierung der Unmittelbarkeit um die im Zuge des unphilosophischen Mo-

 Jacobi stellt sich damit in die Tradition von Boethius, dessen Personendefinition diesen Zusammenhang auf den Punkt bringt: „Persona est rationabilis naturae individua substantia.“ (Boethius [1988]: Contra Eutychen et Nestorium, Trak. V, Kap. 3, 1– 5) Person ist die vernünftige Natur der individuellen Substanz, was heißt, dass Person im Rückgriff auf einen Natur-Begriff und nicht auf ein bloßes Gedachtsein (wie z. B. bei Locke) gestützt wird. Person ist man zudem nicht durch bloße Existenz, sondern qua vernünftiger Natur, die jedoch nicht dem Menschen allgemein zugeschrieben wird, sondern nur dem einzelnen Menschen (z. B. bei Sokrates). Siehe hierzu den Artikel von B. Wald, der zudem die Wurzel dieses Personenbegriffs bei Aristoteles sieht (vgl. Wald [1996]: rationabilis naturae individua substantia). – Auch die Personendefinition von R. de SaintVictor gehört in diese Linie, insofern nach ihm persona von substantia abgegrenzt werden muss, weil persona keine allgemeine Wesensdefinition, sondern eine eigentümliche Qualität ist, für die gilt: „quae non convenit nisi uni soli“. Sie bezeichnet eine vernünftige Existenz: „existens per se solum juxta singularem quemdam rationalis existentiae modum“. (Vgl. Sturma [1997]: Philosophie der Person, 51) – Wenn G. Baum die Frage stellt, „ob Jacobi das Wesen der Vernunft in dem gefühlsmäßigen, unanschaulichen Erfassen einer dem Bewußtsein zugrundeliegenden irrationalen Kraft (dem Leben) oder in einer durch Anschauung bestimmten Selbstkonstitution des Geistes erblickt“ (Baum [1969]:Vernunft und Erkenntnis, 175), so muss im Grunde beides verworfen werden. Interessant und der Interpretation dieser Arbeit sehr nah ist seine Konklusion wenige Seiten später: „Die Rede von der unmittelbaren Erfassung der Idee des Guten in der Lehre Jacobis darf also nicht dahin mißverstanden werden, daß das Gute wie ein empirischer Gegenstand angeschaut werden könnte. Gerade dies ist die Eigenheit der Ideen (d. h. der intelligiblen Gegenstände), daß sie nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar, d. h. als durch den Willen einer Person bewirkt, erkannt werden können. Daher bezieht sich auch jede Erkenntnis des Guten unmittelbar auf das moralische Gefühl als die Triebfeder der sittlichen Handlungen und nur in Beziehung auf dieses unmittelbare Erfassen kann auch im weiteren Sinne von einer unmittelbaren Schau des Guten gesprochen werden. So ist also eigentlich nicht das Gute selbst, sondern die Person Prinzip der Vernunftanschauung; ihr durch das moralische Gefühl bestimmtes Handeln heißt für Jacobi Freiheit.“ (Baum [1969]: Vernunft und Erkenntnis, 178 f) Das von ihm „mittelbar“ genannte Erkennen bezieht sich auf die Vermittlung durch die Person, wohingegen in dieser Studie von „unmittelbar“ die Rede ist, weil es nicht diskursive Erkenntnis ist. Beide Prädikationen schließen sich daher gar nicht aus. Bei Baum wird die Person jedoch nicht als individuell-persönliche Vernunft selbst rekonstruiert, sondern zunächst nur als praktisch-existentielle Vermittlungsinstanz für die Ideen. Die dagegen hier vorgeschlagene Interpretation geht also darüber hinaus, insofern das Vernunftkonzept selbst stärker in den Mittelpunkt rückt. Wenn z. B. Baum Vernunft und Person „für Jacobi dasselbe bedeutet“ (Baum [1969]: Vernunft und Erkenntnis, 186), so entwickelt er diese fundamentale Aussage nicht weit genug.  G. Baum liest (trotz seines Verweises auf die Person) Unmittelbarkeit vornehmlich als „Intuition“, die „ihr historisches Vorbild im ‚Sensualismus‘ eines F. Hemsterhuis, G. Berkeley und T. Reid“ hat. (Baum [1969]: Vernunft und Erkenntnis, 40)

6.6 Vernunft und Person

211

duswechsels als Vernunft gefasste Person bzw. als Person gefasste Vernunft, die qua ihres praktisch-existentiellen Vollzugsmodus (unmittelbare) Gewissheit nur im Rahmen von konkreter Erfahrung gewinnen kann.¹⁰⁰ Vernunft, Personsein, Freisein und die Gewissheit Gottes sind für Jacobi eins¹⁰¹: Die substantive Vernunft, die den Menschen hat, ist ‚mein‘ ganzes freies Wesen, ‚mein‘ lebendiger Geist, der ich in ‚meiner‘ situativ-konkreten und praktisch-existentiellen Einbettung bin.¹⁰² Vernunft konstituiert sich bei Jacobi nicht im Begriff, wie das bei Hegel in der vollständigen Transparenz der absoluten Negativität bzw. der absoluten Idee der Fall ist, sondern im opaken irreduzibel-individuellen Lebensvollzug selbst – der allerdings nur für das theoretisch-verständige Denken opak bleibt. Der praktisch-vernünftige Daseinsvollzug selbst hat darin seine unmittelbare Gewissheit, die nicht weniger ist als Wissen, sondern mehr ist als Wissen, insofern sie das in den Fokus rückt, was im Wissen per se – auch bei Hegel – prinzipiell verloren ist. Substantive Vernunft ist damit eine persönliche bzw. individuelle Vernunft, die im Vollzug einer namentlichen Person allein besteht, und ist damit eine Inversion der hegelschen spekulativen Vernunft, die zwar insofern eine individuelle genannt werden könnte, als sie als Zusammenschluss von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit gedacht werden muss, jedoch selbst unter dem Paradigma der Subjektivität ein begrifflich-rationaler Vollzug ist, an dem sich der praktisch-existentielle Aspekt nur anlagert und damit nicht als ir-

 „Bekanntlich ist kein Begriff in der Lage, einzelnes als Einzelnes auszudrücken, und von dieser semantischen Vorgabe ist auch der Begriff der Person nicht ausgenommen. Was ihn [den Begriff der Person, D. A.] jedoch vom Begriff des animal rationale bzw. von dem des vernünftigen Individuums identitätstheoretisch signifikant unterscheidet, ist sein semantisches Konstitutionsprinzip, das sich nicht über Gattungsspezifizierungen reguliert, sondern sich perspektivisch auf einzelne Subjekte richtet.“ (Sturma [1997]: Philosophie der Person, 50 f) Dies trifft dann insofern auf Jacobis Konzept der Person nicht zu, als eben der Moduswechsel genau diesem Problem Abhilfe schaffen möchte, indem Person nicht allein ein theoretisches Konzept ist.  „Geistes-bewußtseyn heißet Vernunft. Der Geist aber kann nur seyn unmittelbar aus Gott. Darum ist Vernunft haben, und von Gott wissen Eins; so wie es Eines ist, von Gott nicht wissen und Thier seyn.“ (GD, 104)  Für Jacobi kristallisiert sich alles in dem Ausspruch „Ich bin“, der sowohl dem Menschen also auch Gott zugesprochen wird: „Ich bin, der ich bin. Dieser Machtspruch begründet alles. Sein Echo in der menschlichen Seele ist die Offenbarung Gottes in ihr: ‚Geschaffen nach Seinem Bilde, ein Gleichniß Seiner, des in sich Seyenden.‘ Den Menschen erschaffend theomorphisirte Gott. Nothwendig anthropomorphisirt darum der Mensch. Was den Menschen zum Menschen, d. i. zum Ebenbilde Gottes macht, heißet Vernunft. Diese beginnet mit dem – Ich bin. Am Anfang war das Wort.Wo dieß inwendige – das sich selbst Gleiche aussprechende – Wort ertönt, da ist Vernunft, da ist Person, da ist Freyheit.“ (GD, 112 f)

212

6 Die veränderte Ansicht des Logischen

reduzibler Vollzug der (namentlichen) Person selbst thematisch werden kann.¹⁰³ Unmittelbarkeit steht bei Jacobi bzw. bei Hegel für vollkommen unterschiedliche Konzepte: Unmittelbarkeit ist bei Hegel Relationslosigkeit. Unmittelbar ist also etwas, was nicht mit anderen in Beziehung steht. Unter diesen Prämissen kann Hegel natürlich leicht zeigen, dass das unvermittelte Unmittelbare nicht zu halten ist, weil alles in Relation zu anderem stehen muss. Unmittelbarkeit bei Jacobi meint dagegen den Perspektivenwechsel dahin, dass das Leben bzw. die Person nicht aus der Binnenperspektive der Erkenntnis verstanden werden kann, sondern aus der Innenperspektive praktisch-existentiellen Vollzugs. Dies hat nun nichts mit Relationslosigkeit zu tun, sondern mit dem Modus der Erkenntnis überhaupt. Nicht also zeigt sich ein (aufhebbarer) Gegensatz zwischen unmittelbarem und vermitteltem Wissen, sondern ein (nicht aufhebbarer) zwischen persönlich-individueller und spekulativer Vernunft. Hierin lässt sich erst greifen, was Vermittlung und was Unmittelbarkeit meint, und um was es geht: Unmittelbarkeit ist nicht allein ein epistemischer Modus, sondern dieser sich selbst gewisse lebendige Vollzug der vernünftigen Person, die sich nicht in einer Was-Identität erschöpft, sondern als Wer-Identität angesprochen werden muss. ¹⁰⁴

6.7 Die Wer-Identität Insofern die mittels begrifflicher Rekonstruktion erschließbare Dimension der Person eine Was-Identität genannt werden kann, ist jene nur der Person selbst unmittelbar zugängliche und daher unvertretbare Erfahrung der eigenen Identität eine Wer-Identität zu nennen.¹⁰⁵ Die Berufung auf die Wer-Identität impliziert für

 Vgl. dazu einerseits Kapitel IV: Figuren der Andersheit sowie andererseits das folgende Kapitel VII: Individualität im Kontext – Hegels Realphilosophie.  B. Sandkaulen nennt es „existentielles Bewußtsein des Selbstseins“. (Sandkaulen [2004]: Daß, was oder wer?, 228) Sie berührt aber damit nicht den Aspekt der konstitutiven Verbindung von substantiver Vernunft und Person.  B. Sandkaulen trifft diese Unterscheidung vor dem Hintergrund der Debatte um Selbstbewusstseinstheorien (vgl. Sandkaulen [2004]: Daß, was oder wer?, 229 ff). – Die Unterscheidung von Was und Wer in Unphilosophie steht auch in der dialektischen Verwobenheit von Begründungsparadigma (Was) und Erfahrung (Wer). Die Unphilosophie kann einerseits auf begriffliche Reflexion (der Person als Was) nicht verzichten (um überhaupt dem Verdacht der bloßen Gefühlsphilosophie zu entkommen), andererseits jedoch ist sie vermöge ihres konstitutiven Rekurses auf Erfahrung (der Person im Wer) immer schon darüber hinaus. Das Wer lässt sich vermittels Begriffen nicht begreifen, kann aber überhaupt nur mittels Begriffen eingeordnet werden. Ein Wer ist seinerseits abhängig vom Was, insofern wir uns selbst immer schon in (begrifflicher) Ver-

6.7 Die Wer-Identität

213

die Abgrenzung gegen einen auch in Hegels System versuchten wissenschaftlichen Zugriff auf die Wirklichkeit mindestens sechs wesentliche Punkte, die sich als zentral für die Unphilosophie erweisen, jedoch in einem Spannungsverhältnis zum System Hegels stehen. Es handelt sich dabei um den Aspekt der Zeitlichkeit, den epistemischen Modus der ‚Enthüllung‘, die Bedeutung des Namens, die Singularität der Person, die herausgehobene Rolle der Geschichtlichkeit sowie die praktisch-existentielle Einbettung der Person. Erstens ist auf den Aspekt der Zeitlichkeit zu verweisen, der nicht nur im Erfahrungsbegriff der Ursache fest verankert ist und in das Handlungskonzept konstitutiv einwandert, insofern in die Zukunft entworfene Absichten die Handlung überhaupt ermöglichen. Zeitlichkeit prägt generell unsere persönliche Identität ganz grundlegend.¹⁰⁶ Im Kontrast zu einer bloß logischen, azeitlich-rekonstruierten Was-Struktur, die generelle Bedingungen des personalen Daseins erfasst, ist [p]ersönliches Bewußtseyn [, das zeitliche,] […] ein aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammengesetzter Begriff. Indem wir diesen Begriff erzeugen, erzeugen wir uns selbst [als vernünftige Wesen in der Erscheinung]; indem wir ihn festhalten und fortsetzen, erhalten wir uns [als solche]. Von einem nicht also bedingte[n], nicht zeitliche[n] Leben, [von einem Leben ohne Vergangenheit und Zukunft, ohne Besinnung,] haben wir keine Vorstellung. (ZE, 204)

Sich als personale Existenz zu erfahren, heißt, im Rückbezug auf die Vergangenheit und in Entwürfen auf die Zukunft in der Gegenwart zu handeln und nicht allein sich als Person zu verstehen. Die unmittelbar zu erfahrende Wer-Identität und die begrifflich rekonstruierte Was-Identität müssen sich durchdringen. Beiden Dimensionen wird die Unphilosophie schon ihres Ansatzes wegen gerecht. Weil jedoch die personale Wer-Identität nur der Erfahrung zugänglich ist, ist damit zweitens nicht „das größte Verdienst des Forschers“, begriffliche Transparenz (in der absoluten Idee) zu schaffen, sondern Daseyn zu enthüllen, und zu offenbaren… Erklärung ist ihm Mittel,Weg zum Ziele, nächster – niemals letzter Zweck. Sein letzter Zweck ist, was sich nicht erklären läßt: das Unauflösliche, Unmittelbare, Einfache. (SB, 29)

Solche Enthüllung betreibt Jacobi nicht zuletzt mit seinen Romanen, insofern die literarisch-freie Darstellung dem Gegenstand angemessener ist als der wissen-

ständigung über uns mit anderen bewegen und erfahren (vgl. dazu auch Sandkaulen [2004]: Daß, was oder wer?, 233).  Die Person hat eine „Identity over time“. (Sandkaulen [2004]: Daß, was oder wer?, 233)

214

6 Die veränderte Ansicht des Logischen

schaftlich-exakte Traktat.¹⁰⁷ Und auch die philosophischen Schriften Jacobis wie die Spinozabriefe gehorchen nicht einer linearen Argumentation eines Traktates. Sie sind vielmehr der Versuch, das unphilosophische Nicht-Wissen mit all seinen Facetten ins Bewusstsein zu heben.¹⁰⁸ Aufgrund der Tatsache, dass die Person und damit das Wahre begrifflichexakter Analyse entzogen sind, haben wir – drittens – für die Wer-Identität im Gegensatz zur Was-Identität keine Begriffe, sondern Namen ¹⁰⁹, weil sie genau das

 D. Fetzer bestimmt die Rolle des Romans in Jacobis Schriften genauer: „Der Roman genügt nicht nur den beiden bereits genannten Kriterien (intertextuelle Jeweiligkeit und Hermeneutizität), sondern die Romanform zeichnet sich durch eine Konfiguration aus, die mit derjenigen der materiellen Problemstellung des Transautonomismus exakt kongruiert. Erstens kommt im Roman die Autonomie in personal-situativer Jeweiligkeit zur Darstellung, nämlich in Gestalt der handelnden Protagonisten. Sodann zeigt der Roman nicht das Handeln solitärer Individuen, sondern er begibt sich, durch die Darstellung von Interaktion bzw. Interaktionsversuchen (‚Handlung‘ auch im Sinne von ‚plot‘), von vornherein auf die Ebenen des Intersubjektiven; aber nicht als einer unbefragten Voraussetzung, sondern als eines Problemfelds. Drittens spiegelt die Form des Romans auch die intersubjektive Konstellation, in der sich der Philosoph, als eine freie Person unter anderen, selber befindet, schließt also auch noch die Möglichkeit der Standpunktreflexion ein.“ (Fetzer [2007]: Jacobis Philosophie des Unbedingten, 159) Fetzer sieht die Notwendigkeit, den Roman mit Reflexion zu ergänzen: „Problemlos möglich scheint es, argumentativen Vollzug in eine Romanhandlung zu integrieren; Argumentationen, sei es als Monolog, sei es als Wechselrede, sind ohnedies integraler Bestandteil nahezu jeder Romanhandlung. Von vornherein ausgeschlossen ist natürlich die Integration der deiktischen Vollzugsart. Persönliche Erfahrung, mag sie auch sprachlicher Natur sein, kann kein Text als Text vertreten. In den Romantext integrierbar ist hingegen die Darstellung persönlichen Erfahrens. Der deiktische Vollzug kann also, wiewohl er als wirklicher Vollzug notwendig außertextuell bleibt, im Text wenigstens repräsentiert werden. Damit aber eröffnet sich die Möglichkeit, die Reduktion, welche transautonom-intersubjektive Bedeutsamkeit durch und auf argumentative Motivation erfährt, gleichsam in flagranti darzustellen. Ein nicht romanhaft darstellender Text muß die Konfrontation reduktiven Argumentierens (z. B. Freundschaft als durch Kompensation motiviert zu erklären) mit der positiven Erfahrung (z. B. der wahren Bedeutsamkeit von Freundschaft) gänzlich demjenigen jeweiligen Subjekt überlassen, das den Text rezipiert. […] Darzustellen, welche Diskrepanz die Protagonisten zwischen der argumentativen Reduktion und der wahren Bedeutung ihrer Intersubjektivitätsverhältnisses gewahr werden, bedeutet aber, den Leser selbst zum deiktischen Vollzug, zum Gewahren der eigenen intersubjektiven Praxis aufzufordern, zu einer analogen, ihrer eigenen Jeweiligkeit adaptierten Konfrontation einzuladen und so das Philosophieren selber mit der materialiter dargestellten Intersubjektivität zur Deckung zu bringen.“ (Fetzer [2007]: Jacobis Philosophie des Unbedingten, 160) – Für eine konkrete Bestimmung der Rolle der Romane für die Unphilosophie Jacobis vgl. etwa auch Schick [2006]: Vermittelte Unmittelbarkeit, 109 ff.  B. Sandkaulen spricht von einer topografischen Methode Jacobis, die nur in der Beilage VII in den Spinozabriefen durch „begriffliche Konstellationen“ ergänzt wird. (Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 77)  Vgl. Sandkaulen [2004]: Daß, was oder wer?.

6.7 Die Wer-Identität

215

adressieren, worum sich Jacobi in seiner Unphilosophie bemüht: eben jene konkrete, ins Leben gestellte, individuelle Person, an der uns nicht allgemeine Charakteristika interessieren. Sie ist in ihrer Gänze von Belang, auf die der Name zielt.¹¹⁰ Aus diesem Grunde spielt auch Freundschaft bei Jacobi eine zentrale Rolle. Denn Freundschaft ist bei Jacobi eine Illustration dessen, was die explizit nichtbegrifflichen Konzepte von Individualität und Personalität selbst implizieren. In der Freundschaft kommt die unvermittelbare Einzigartigkeit des namentlichen Wer explizit zum Tragen. Hier wird gerade von Strukturerwägungen und Deduktionen abgesehen.¹¹¹ Zum Wesen einer Freundschaft gehört weder die scharfe begriffliche Erörterung der Freundschaft noch ein begriffliches Erfassen des Freundes. Im Gegenteil würde gerade das Begreiflich-Machen einer Freundschaft oder des Freundes in absurde Konsequenzen führen. Anders gewendet kann man sagen: Die Freundschaft und der Freund zeigen die Grenzen des Begriffes.¹¹² Jacobi bringt es in der Schrift Von den göttlichen Dingen auf den Punkt. Der Abschnitt sei aufgrund seiner Prägnanz und Anschaulichkeit ganz zitiert:

 Jacobi spricht von dem „Einen“, den wir mit seinem Namen ansprechen: „Mein Lieber Roth! – So, mit Ihrem Person-Namen mag ich Sie am liebsten anreden, denn der Person-Name allein bezeichnet doch das nur – sich – selbst – Gleiche, was gemeint ist, wenn man zu Einem redet, wie zu keinem anderen.“ (Jacobi [1815]: Auserlesener Briefwechsel II, Brief an Friedrich Roth, Nr. 361, 470)  In ihrer Antrittsvorlesung hebt es B. Sandkaulen präzise hervor: Jacobi kommt es auf eine neue Metaphysik an, „die dem Erfahrungs- und Handlungsspielraum von Individuen in ihrer irreduzibel konkreten Individualität Rechnung tragen kann. Daher das Thema Freundschaft bei Jacobi: nicht weil philosophische Nachfrage sich in der Verständigung über Freundschaft erschöpfte, sondern weil Freundschaft auf exemplarische Weise verdeutlichen kann, worum es bei der ‚Enthüllung des Dasein‘ geht. Im wahrsten Sinne wird hier erfahrbar, dass es diese Beziehung nur gibt, weil der Freund in seiner jeweiligen Individualität gemeint und deshalb dieser Freund ist.“ (Sandkaulen [2002]: ‚Was geht auf dem langen Wege‘, 374)  B. Sandkaulen geht diesem für Jacobis Philosophie ungemein wichtigen Aspekt nach. (vgl. Sandkaulen [2001]: Bruder Henriette?) – In der schon genannten Antrittsvorlesung weist sie Freundschaft und den namentlichen Geist als die Grenze der idealistischen Philosophie aus: „Im Schwund konkreter Individualität wird – nicht anders als bei Spinoza – das größte Problem der idealistischen Systeme sichtbar. Im Verlust des namentlichen Geistes der Freundschaft aber manifestiert sich diese Grenze konkret.“ (Sandkaulen [2002]: ‚Was geht auf dem langen Wege‘, 375) Als Pointe ihrer Rekonstruktion des Verhältnisses von System und Geist stellt Sandkaulen heraus, dass die Idealisten das Phänomen der Freundschaft eben deswegen nicht systematisch zur Sprache bringen können,weil sich ihnen die Wer-Identität entzieht. „Denn unter den Bedingungen systematischer Explikation, und seien sie als die Struktur einer Selbstvergewisserung des Geistes einschließlich einer, wie bei Hegel, auf Einzelheit drängenden Logik reformuliert, lässt sich der namentliche Geist in diesem Wort unmöglich zur Sprache bringen. Man müsste nach einem singulären Wer fragen und nicht nach der im Ganzen artikulierten Bestimmtheit eines Was.“ (Sandkaulen [2002]: ‚Was geht auf dem langen Wege‘, 375)

216

6 Die veränderte Ansicht des Logischen

Kann wohl irgend eine Erkenntniß, Tugend oder Schönheit gestaltlos zu uns kommen; sich uns ohne Offenbarendes offenbaren? – Und das Unmögliche gesetzt: wir empfiengen ihren Begriff. Würden wir ihn allein, abgesondert von aller Gestalt – diesen anschauungslosen, Nichts darstellenden Begriff, in uns aufstellen und bewahren können – würde er in uns etwas seyn, das uns lebendig machte und mit Lebendigen vereinigte? Aber diese Betrachtungen liegen wohl nicht nahe genug. Ich frage, um näher zu treten und eindringlicher zu werden: Wer besaß je einen Freund, und mochte sagen, er liebe nur seinen Begriff, nicht den Mann mit Nahmen; der Mann mit Nahmen sey die Sache nicht; er schade ihr vielmehr durch seine Mängel? – Fände sich jemand dieser Art, so müßte er seinen Freund, je wahrhafter und uneigennütziger er ihn liebte, mit desto größerer Gleichgültigkeit ins Grab legen sehen. Er behielte ja den Begriff; könnte sogar an die Stelle des gestorbenen Freundes sich einen andern mit noch größeren Vollkommenheiten, und ohne irgend einen Mangel denken: dieser würde dazu unsterblich seyn! Nicht so wir gewöhnlichen Menschen. Wir lieben in der Freundschaft den Mann mit Nahmen; ihn selbst ganz und gar so wie er ist, mit seinen Tugenden und Fehlern; und nicht, wegen ihrer, mit strenger Ueberlegung gerade nur so viel und gerade nur so wenig. Eine Liebe nach Eigenschaften ist im Grunde überall nur eine buchstäbliche todte – keine herzliche, lebendige, eigentliche Liebe. Die eigentliche, wahre, ächte Liebe, in einer edlen Seele zur Vollkommenheit gediehen, gleicht jener unbedingten, nothwendigen und ewigen, womit wir uns selbst lieben und nicht von uns lassen können. Sie ist im Lebendigen ein zweytes höheres und besseres Leben: sie gibt dem Leben erst den Geist. (GD, 51)

Die Singularität des Freundes ist es – viertens –, die hier im Fokus steht, und gerade diese findet im Namen ihren Ausdruck. Diese versperrt sich schlicht der begrifflichen Vermittlung. Es geht darüber hinaus nicht nur um die Zeitlichkeit des Wer, sondern – fünftens – überhaupt um die Geschichtlichkeit unserer Existenz, insofern die Person in ihrer Konkretheit sich in ihrer Geschichte konstituiert. Daher kommen bei Jacobi auch Phänomene in den Blick, die genau diese Geschichtlichkeit und zugleich auch die darin sich konstituierende Person zeigen. Begrifflich-konstruierbares Wissen erweist sich hier als in jeder Hinsicht unangemessen. Versprechen und Ehre, die für Jacobi eine zentrale Rolle spielen¹¹³, sind ihrerseits konstitutiv an Geschichte, besser: an eine Biographie gebunden.¹¹⁴ Sie enthüllen

 W. Hirsch führt ähnliche Überlegungen am Phänomen der Reue durch. Für ihn zeigen sich hier erstens Personalität,weil „ich nur mit mir selber konfrontiert“ bin, sodass „ich mir selbst nicht mehr ausweichen“ kann. Zweitens zeigt sich auch Zeitlichkeit,weil ich auf etwas bezogen bin, „das gewesen ist, genauer auf mein eigenes Ehedem. Dieses Ehedem ist in der Reue durchaus nicht etwas Vergangenes, sondern ist als Gewesenes gegenwärtig.“ Drittens tritt überhaupt Freiheit hervor, denn Reue „hat nur Sinn, wenn je in einer Situation ein Horizont von Möglichkeiten des Handelns offen war“. (Hirsch [1993]: Der Mensch – Wer oder Was?, 291)  ‚Ich‘ stehe für das, was ‚meine‘ Geschichte über ‚mich‘ erzählt. ‚Meine‘ Geschichte zeigt ‚meine‘ Person. ‚Meine‘ Person hat Geschichte. K. Hammacher sieht dies bei Jacobi dadurch ge-

6.7 Die Wer-Identität

217

einerseits einen Bezug auf ein von der Vernunft geahndetes Wahres und konstituieren sich andererseits selbst nur in unmittelbarer Abhängigkeit zur WerIdentität in unserem alltäglichen Umgang miteinander.¹¹⁵ Jacobi fragt sich in Bezug auf die Unbedingtheit unserer Urteile über Tugend¹¹⁶: Woher diese unbedingten Urtheile […]? Sollte sich das Recht dieser Anmaßungen und Forderungen wohl auf eine Formel, etwa auf die Einsicht in die richtige Verknüpfung, auf die gewisse Wahrheit des Resultats folgender Sätze gründen: Wenn A ist wie B, und C ist wie A, so ist B wie C? – Spinoza erwies auf diese Art, der Mensch, in so fern er ein vernünftiges Wesen sey, opfre eher sein Leben auf,wenn er auch keine Unsterblichkeit der Seele glaube, als daß er durch eine Lüge sich vom Tode rettete; und in abstracto hat Spinoza recht. […] Aber wird das wirkliche mit Vernunft begabte Wesen sich von dem abstracto seiner Vernunft wohl so in die Enge treiben, von einem Gedankendinge durch ein Wortspiel so ganz sich gefangen nehmen lassen? – Nimmermehr! – Wenn auf Ehre Verlaß ist, und der Mensch Wort halten kann, so muß noch ein andrer Geist, als der bloße Geist des Syllogismus in ihm wohnen.“ (SB, 166)

Weit davon entfernt nämlich, die Verbindlichkeit aus einem allgemeinen Schluss zu ziehen, ist das Versprechen auf Ehre (wie oben erläutert) an die Singularität einer Person gebunden. Die Singularität der Person jedoch ist – sechstens – überhaupt nur dann adäquat gefasst, wenn sie aus dem praktisch-existentiellen Vollzug (und der Begegnung mit einem anderen singulären Du¹¹⁷) erfahren wird.

geben, dass ihm das Leben erst „durch Anwendung, Gebrauch und Inhalt“ lebendig ist und sich nur so „in ihm ein Daseyn“ entwickeln kann. „So bildet sich sein Bewußtsein aus seiner jeweiligen Situation, aus seinen Neigungen zu den Dingen. Darin ist ausdrücklich enthalten, daß die geistige Entwicklung eine geschichtliche wird. Es bedeutet für Jacobi sogar, daß der Mensch über die Sinne in gewisser Weise den materiellen Bedingungen ausgeliefert ist. Aber deshalb ist die Vernunft nicht aus diesen Bedingungen abzuleiten: sie ist nicht ‚bloß ein aus Sinnlichkeit sich Entwickelndes, sondern ein Ursprüngliches in der Sinnlichkeit sich nur Hervorthuendes.‘ Auch die Wahrheit ist so nicht der Geschichte unterworfen, sondern umgekehrt, die geschichtlichen Gestalten menschlichen Daseins werden aus der Wahrheit erst verständlich, da in ihnen das Streben nach Selbständigkeit auf die Wahrheit hinweist.“ (Hammacher [1971]: Jacobi und das Problem der Dialektik, 131 f)  Zu diesem Phänomen gab es ein Radiofeature am 9.11. 2008 im Deutschlandradio von R. Schurz mit dem Titel: Stolz, Ehre, Scham, aus dem Anregungen zu diesem Abschnitt entstammen.  So sei z. B. derjenige, der das Gefühl der Ehre verleugne, „Koth unter unseren Füßen“. (SB, 166)  „Ich öffne Aug oder Ohr, oder ich strecke meine Hand aus, und fühle in demselbigen Augenblick unzertrennlich: Du und Ich; Ich und Du.“ (Jacobi [1815]: Auserlesener Briefwechsel I, 330 ff) Dieser Abschnitt steht ursprünglich in einem erkenntnistheoretischen Kontext, wobei allerdings der Inhalt, wie auch Günther Baum bemerkt (Baum [1969]: Vernunft und Erkenntnis, 31), eindeutig darüber hinausweist. Auch Jacobi fokussiert im Weiteren die „christliche Heilsordnung“, was die Verwiesenheit auf Personen und letztlich auf Gott als Person nochmals unter-

218

6 Die veränderte Ansicht des Logischen

Denn nicht nur ist erst in der Interaktion der Rahmen für die unmittelbare Verbindlichkeit tugendhaften Handelns gegeben, sondern erst in der Praxis menschlichen Daseins wird die Person wahrhaft enthüllt. Die Praxis umfasst also auch die Beziehung zu einem Du in einer sich tatsächlich ereignenden Begegnung, aus der auch das Personsein verständlich wird. Das heißt aber im Klartext auch: Diese so gefasste (interpersonale) Praxis kann nicht als Applikation von Kategorien verstanden werden. Sie kann vielmehr gar nicht kategorial sinnvoll gefasst werden. Dieses Selbst- und Weltverständnis ist begrifflich-kategorial nicht abzuleiten und kann auch selbst kein begrifflich-kategorialer Grund für Ableitungen sein. Eben diese Aspekte der personalen Existenz, die von Jacobis Metaphysik der Person umfasst werden, treten um der systematischen Geschlossenheit und Wissenschaftlichkeit des Systems willen bei Hegel in den Hintergrund. Weil eine Wer-Identität selbst auch in Hegels spekulativem System keinen Ort hat, wird die Person strukturell (in ihren verschiedenen Dimensionen) verhandelt, aber nicht aus dem Leben heraus erfahren. Hegel will und kann nicht eine konkrete Person in seinem System adressieren, sondern zunächst nur formell¹¹⁸ Fürsichsein, Ich, Bewusstsein, Person etc. entwickeln. Auch der Umstand, dass Hegel den Vollzug selbst als Vollzug des Absoluten zum Mittelpunkt seines Systems macht, das somit keine bloß statische Identifizierung der Wirklichkeit in fixen Kategorien, sondern eine dynamische Metaphysik der Subjektivität ist, die ihrerseits über eine bloße Was-Identität hinausführt¹¹⁹, reicht nicht aus – so die in den nächsten Kapiteln

streicht. – Jacobi sagt an anderer Stelle: „[D]aß das Sehen nicht aus den Dingen, die gesehen werden; das Empfinden nicht aus denen, die empfunden; das Vernehmen nicht aus denen, die vernommen; das Selbst nicht aus dem Andern hervorgehe: – doch für eben so wahr und gewiß daneben von uns erkannt und behauptet werde: Daß das Sehen für sich allein Nichts sehe; das Empfinden, auf dieselbe Wese, Nichts empfinde; das Vernehmen, Nichts vernehme; das Selbst endlich – nicht zu sich selbst komme. Wir müssen wirklich unser Daseyn erst vom Anderen erfahren.“ (GD, 49) – K. Hammacher hält diesen Gedanken Jacobis für grundlegend für das Verständnis Jacobis und baut darauf seine Interpretation der Unphilosophie als Dialektik auf (vgl. z. B. Hammacher [1969]: Die Philosophie Friedrich Heinrich Jacobis, bes. 38 ff oder auch Hammacher [1971]: Jacobi und das Problem der Dialektik).  Formell heißt hier jedoch keineswegs abstrakt.  B. Sandkaulen schreibt, dass „Jacobi als erster überhaupt begriffen hat, daß die Struktur der Alleinheit das Denkmuster reflexiver Identifizierung ihrerseits sprengt. Die Identität, um die es hier geht, ist nicht ein ens rationis, ein allein im Begriff identifiziertes Was, sondern ein Daß, ein unvordenkliches Sein, und als solches ein Ganzes, ‚dessen Theile nur in und nach ihm seyn, nur in und nach ihm gedacht werden können‘.“ (Sandkaulen [2004]: Daß, was oder wer?, 235) – W. Iser weist auf die Unterscheidung zwischen Unverfügbarkeit und Unvordenklichkeit hin. Unvordenklichkeit ist eine Kategorie des deutschen Idealismus „und bezieht sich auf die Uneinholbarkeit des Grundes, aus dem das Subjekt ist“. (Iser [1988]: Das Individuum zwischen Evidenz-

6.7 Die Wer-Identität

219

noch zu erhärtende These –, den Vollzug der konkreten Person im System einzuholen.Virulent bleibt für Jacobi das Problem, dass das Absolute in dem Maße eine allgemeine Vernunft ist, wie es Hegel um systematisch-systemische Geschlossenheit einer Erklärungsmetaphysik zu tun ist, die weder das individuelle Innesein einer konkreten Person fassen kann noch die konstitutive Abhängigkeit der Person von einer Begegnung mit einem Du thematisieren will. Gleichwohl ist das für Jacobi nicht optional, sondern betrifft den innersten Kern dessen, wie wir uns über uns als Personen verständigen. Der Systementwurf Hegels lässt Gewissheit nur als begrifflich vermittelte gelten und gewinnt unser Selbst- und Weltverhältnis aus dem Begriff. Das praktisch-existentielle Selbstverständnis, das sich im Wer manifestiert, kann nicht als systematisch relevant berücksichtigt werden. Wahrheit ist darin nur dann möglich, wenn gerade von einer unmittelbaren Erfahrung abgesehen wird oder zumindest diese in den durch den Begriff vermittelten richtigen Kontext gestellt ist. Jacobis Unphilosophie steht im Grunde quer zu Hegels Systementwurf, indem die Gewissheit des Wahren, Guten und Schönen sowie das Grundverständnis der Person aus deren (unmittelbaren) Lebenszusammenhängen entspringen. Wenngleich Erfahrung hier die Schaltstelle zu nennen ist, geht Jacobis Unphilosophie mit seinem Begriff des Geistes – das sei nochmals gesagt – weit über Empirie hinaus, will er doch die Erfahrung überhaupt erst als den Ort freilegen, wo das wahre Wesen unseres praktisch-existentiellen Lebensvollzuges zur Erscheinung kommt. Jacobi weist daher in Umkehrung zur philosophischen Tradition, die hier vornehmlich auf den Begriff setzt, die Erkenntnis des Wahren der Erfahrung, d. h. dem Gefühl, zu. Die unterschiedlichen Konzeptionen des Geistes selbst trennen Hegel und Jacobi durch einen unüberwindlichen Graben, den Jacobi im Prinzip auch schon zwischen sich und Spinoza sowie Fichte aufgezeigt hatte. Gegenüber Fichte formulierte er es so: So wenig der unendliche Raum die besondere Natur irgend eines Körpers bestimmen kann; so wenig kann r e i n e Vernunft d e s M e n s c h e n mit ihrem überall eben guten Willen, da sie in allen Menschen E i n e u n d d i e s e l b e ist, die Grundlage eines besondern, v e r s c h i e d e n e n Lebens ausmachen, und der w i r k l i c h e n P e r s o n ihren eigenthümlichen individuellen Werth ertheilen.Was die e i g e n e Sinnesart, den e i g e n e n Geschmack hervorbringt,

erfahrung und Uneinholbarkeit, 97) Unverfügbarkeit kommt aus der augustinischen Theologie. Über Unvordenklichkeit hat man einen anderen Zugriff auf Individualität. „Zwar gilt auch hier, daß der Grund, aus dem Individualität ist, sich nicht einholen läßt, weil er den kognitiven Möglichkeiten des Erfassens immer schon vorausliegt. Doch diese Einsicht ist eine solche des Denkens, während Unverfügbarkeit eine Erfahrung des Subjekts mit allen damit verbundenen Folgelasten verkörpert.“ (Iser [1988]: Das Individuum zwischen Evidenzerfahrung und Uneinholbarkeit, 98)

220

6 Die veränderte Ansicht des Logischen

jene wunderbare innerliche Bildungskraft, jene unerforschliche E n e r g i e , die, a l l e i n t h ä t i g , ihren Gegenstand sich bestimmt, ihn ergreift, festhält – e i n e P e r s o n a n n i m m t – und das Geheimniß der Sklaverey und Freyheit eines jeden insbesondere ausmacht: das entscheidet. Es entscheidet und stehet da im Vermögen – nicht des Syllogismus (welches man mit dem Vermögen der Einen Hälfte einer Scheere oder Zange vergleichen könnte) – sondern der G e s i n n u n g e n ; im Vermögen eines unveränderlichen, über alle Leidenschaften siegenden A f f e c t s . (AF, 253)

Klar ist damit auch, dass Jacobi zwar unzweifelhaft die Selbstständigkeit der Modi kritisierte, dies jedoch nicht allein im von Hegel aufgegriffenen Sinn, diese Selbstständigkeit als Bestimmung des Absoluten denken zu können, sondern das Dasein als Namentliches anzusprechen und zum ‚Prinzip‘ aller Erkenntnis zu machen. Nur indem Hegel den eigentlichen Einwand Jacobis verkürzt, kann er sein spekulatives System als Aufhebung Spinozas und Jacobis präsentieren. Die Frage nach der Selbstständigkeit ist bei Jacobi unabdingbar gekoppelt an den Moduswechsel, der im Sprung vollzogen wird. Der Nihilismus, den Jacobi im Kern eines jeden Systems angelegt sah, ist nicht dann vollständig abgewendet, wenn der Fatalismus und Akosmismos strukturell vermieden werden, sondern erst dann, wenn ‚ich‘ in ‚meinem‘ unvertretbaren Innesein nicht als irrelevant übergangen werde. Das heißt aber auch, dass die Aufhebungsoperation Hegels in dem Maße gescheitert ist, wie sich Jacobis Unphilosophie nicht in einen epistemischen Fundamentalismus herunterbrechen lässt, sondern einen Moduswechsel der Erkenntnis vollzieht, der die konkrete Person und ihre irreduzible Jemeinigkeit in den Mittelpunkt stellt.¹²⁰ Dass hier also der gesamte Komplex angesprochen ist, der im Moduswechsel zur Erfahrung, in der Performanz und in der Gewissheit der Person besteht sowie in der Wer-Identität kulminiert, macht Jacobis Unphilosophie zu einer ernstzunehmenden Systemkritik.

 Diese irreduzible Person ist kein unbezweifelbarer Grund, der andere Erkenntnisse tragen soll, wie dies z. B. bei R. Descartes der Fall ist: Dessen cogito ist gerade nicht die irreduzible Individualität der Person, sondern die allgemeine Instanz des Denkens (vgl. Sandkaulen [2010]: Dritte Stellung des Gedankens zur Objektivität, 189). Sandkaulen betont in dieser Hinsicht auch, „dass aufs Ganze gesehen bereits die Rede von so etwas wie einer ‚Stellung des Gedankens zur Objektivität‘ überhaupt eine epistemische Neutralisierung Jacobis darstellt, die an dessen eigentlichem Programm vorbeigeht“. (Sandkaulen [2010]: Dritte Stellung des Gedankens zur Objektivität, 189 f; vgl. auch Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 229 ff)

7 Individualität im Kontext Hegels Realphilosophie 7.1 Vorverständigung Hegels Logik erhebt den Anspruch, ein System zu formulieren, das die von Jacobi gegen die Substanzmetaphysik Spinozas vorgebrachten Einwände aufhebt. Dies haben die ersten Kapitel zu untermauern gesucht, indem sie zeigen, dass in der Tat Hegels neue Ansicht des Logischen wesentlich auf Impulse der Systemkritik Jacobis zurückgeht. Die zentralen Aspekte des neuen Logischen wurden dann in den Kapiteln II bis IV unter den Hinsichten des Wahren, der Freiheit und der Andersheit rekonstruiert. So sehr Hegel in der Reformulierung der Negativität den Einwänden Jacobis auf den ersten Blick gerecht wurde, so zeigte sich im Verlaufe der Ausführungen auch, dass die Logik allein noch keine umfassende Reaktion auf die Herausforderung der Systemkritik Jacobis sein konnte. Im Gegenteil reproduzierte die spekulative Logik Hegels bei genauerer Betrachtung der Unphilosophie Jacobis die Absprungstelle, von der aus Jacobi schon bei Spinoza in die Unphilosophie gesprungen war. Denn die Logik erlaubt es nur, Freiheit und Andersheit formell zu denken. Ähnlich verhält es sich mit der Einzelheit. Die Logik kann das konkrete Individuum gar nicht berücksichtigen. Die Logik bestimmt daher zunächst nur das Logische, das durch den Schritt in die Realphilosophie mit Konkretion ergänzt werden muss.¹ Für die Frage danach, ob Jacobi auch aus Hegels System gesprungen wäre, ist dieser Schritt nicht weniger bedeutend als die Rekonstruktion der Grundstrukturen der Logik selbst. Dies umso mehr, als das vorangegangene Kapitel die Unphilosophie Jacobis als eine zeigte, die gerade im Rekurs auf die konkrete Person ihre Position gewinnt. Es bleibt unausweichlich, die Realphilosophie Hegels danach zu befragen, ob sie nun das Maß an Konkretion zu realisieren vermag, das Jacobi mit dem jemeinigen Innesein der praktisch-existentiell eingebetteten Person einklagt. Hier wird der subjektive Geist in Hegels Realphilosophie genauso eine Rolle spielen müssen wie der objektive  Hegel schreibt am Ende der Wissenschaft der Logik zum Übergang in die Realphilosophie: „Zweytens ist diese Idee noch [kursiv, D. A.] logisch, sie ist in den reinen Gedanken eingeschlossen, die Wissenschaft nur [kursiv, D. A.] des göttlichen Begriffs. Die systematische Ausführung ist zwar selbst eine Realisation, aber innerhalb derselben Sphäre gehalten. Weil die reine Idee des Erkennens insofern in die Subjectivität eingeschlossen ist, ist sie Trieb, diese aufzuheben, und die reine Wahrheit wird als letztes Resultat auch der Anfang einer anderen Sphäre und Wissenschaft.“ (WL2, 253) – Dass es sich bei Logik natürlich nicht um eine Abstraktion handeln kann, die Hegel dem gewöhnlichen Verständnis des Begriffes zuschreibt, versteht sich von selbst. DOI 10.1515/9783110554328-010

222

7 Individualität im Kontext

Geist. Denn zum einen ist die reflexive Rückwendung des subjektiven Geistes auf sich der Ort,wo das Innesein endlicher Subjekte verhandelt wird. Zum anderen adressiert der objektive Geist im von Hegel sogenannten Abschnitt ‚Das abstrakte Recht‘ nicht nur das für Jacobi zentrale Konzept der Person. Hegel gibt auch eine Handlungstheorie im Rahmen dessen, was er ‚Moralität‘ nennt. Zudem verhandelt Hegel in der von ihm ‚Sittlichkeit‘ genannten Stufe des objektiven Geistes die konkrete Einbettung des Individuums in der bürgerlichen Gesellschaft und im Staat. Um das Kapitel in seiner Funktion besser zu verstehen, gilt es zunächst, den ‚Fahrplan‘ zu umreißen. Der wiederum macht sich aus der Verständigung über den Ort der Realphilosophie innerhalb des Systems verständlich. Denn diesbezüglich muss als erstes festgehalten werden, dass die in der Logik entwickelten Strukturen nicht einfach auf Phänomene ‚appliziert‘ werden, die rhapsodisch aufgenommen wurden und in der Realphilosophie als Sammelbecken für Anwendungsfragen ihren Platz finden würden. Die Realphilosophie ist selbst die Entfaltung der Idee – jedoch in ihrer Äußerlichkeit, die nichts Äußerliches voraussetzt.² Hegel nennt die sich entäußerte Idee ‚Geist‘. Daher sind alle zu behandelnden Bereiche der Wirklichkeit entsprechend der Darlegungen in der Wissenschaft der Logik Entwicklungsmomente der logischen Bewegung. Deren Movens generiert sich aus der größtmöglichen Äußerlichkeit des Geistes am Anfang der Naturphilosophie. ³ Unmittelbarkeit und das ‚Außereinander‘ als Modus der Natur bilden den Ausgang des sich hier anschließenden Vermittlungsganges. Äußerlichkeit ist Unmittelbarkeit, die vermittelt bzw. begriffen werden muss. Zu Beginn der Bewegung steht der Geist in der Natur in der größten Entfremdung zu sich. Der Geist liegt zwar in der Natur in seiner Objektivität vor. Jedoch bedarf er gleichsam der Entwicklung zur Subjektivität in der Geistphilosophie. Über diese Subjektivität muss er jedoch auch noch hinausgehen, weil sich der Geist als Subjektivität und Objektivität übergreifender absoluter Geist erkennen muss. Erst dann wird das Begreifen der Strukturen der Wirklichkeit zu einem Begreifen des Begreifens, das darin mündet, dass das Begreifen als die Wirklichkeit selbst be-

 Der Übergang von der Logik zur Realphilosophie ist äußerst schwierig. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass die in sich geschlossene Logik, die in der absoluten Idee ihre vollständige Durchdringung erreicht hat, sich in eine weitere Dimension auslegt, die als solche gegen die Vollständigkeit der Logik zu sprechen scheint. Siehe zu dieser Diskussion Braitling [1991]: Hegels Subjektivitätsbegriff, 73 ff. Ihre Studie gibt einen Überblick über die Diskussionslage.  „Die Natur hat sich als die Idee in der Form des Andersseins ergeben. Da die Idee so als das Negative ihrer selbst oder sich äußerlich ist, so ist die Natur nicht äußerlich nur relativ gegen diese Idee (und gegen die subjektive Existenz derselben, den Geist), sondern die Äußerlichkeit macht die Bestimmung aus, in welcher sie als Natur ist.“ (E2S, § 247)

7.1 Vorverständigung

223

griffen wird. Die Vermittlung von Unmittelbarkeit und Vermittlung, die theoretisch in der Logik geleistet wurde, ist nun am Konkreten der Natur erneut in einer Entwicklung zu realisieren. Das geschieht also keineswegs so, dass nur Erkenntnis über die Natur und über den Geist akkumuliert würde. Im Erkennen erkennt der Geist vielmehr sich selbst – als das, was aus seinem Anderssein zu sich zurückkehrt. Mangelnde Durchsichtigkeit ist der Motor der Bewegung. Entsprechend bemisst sich die Einheit am Grad der begriffenen Integration des Anderen. Die Subjektivität des Geistes ist insofern von Beginn an der Horizont, in dem sich die Entwicklung vollziehen kann. Denn die Subjektivität ist eine selbstreferenzielle Struktur, die (wie schon in der Logik) kein bloßes Moment innerhalb der Entwicklung darstellt, sondern die Struktur der Entwicklung selbst ist. Ist das am Ende des Ganges erkannt, ist auch die (endliche) Subjektivität des Geistes überstiegen und der Geist absolut geworden. Insofern lässt sich hier die Grundstruktur der absoluten Negativität als Folie für die Realphilosophie erkennen. Für die Natur bedeutet dies, dass sie selbst an der Realisierung von Subjektivität eine Referenz erhält, aus der eine Gerichtetheit der Entwicklung als Folge von Einheitsmodellen gewonnen wird. Die Entwicklung hebt beim bloßen ‚Außereinander‘ der Natur (Mechanik, Physik) an, welche die organische Einheit von Pflanze und Tier (Organismus) einbegreift. Sie geht weiter über die selbstbezügliche Einheit im endlichen Geist, der als solcher der Natur noch gegenübersteht. Die Entwicklung mündet schließlich in die absolute Selbstbezüglichkeit des Geistes, dem nichts mehr äußerlich ist. Dieser weiß die Unmittelbarkeit als vollständig vermittelt. Subjektivität und Selbstbezüglichkeit sind damit auch schon in den ersten Stufen der Natur gegenwärtig, auch wenn sie noch nicht ‚gesetzt‘ sind. Dies ist erst in der absoluten Selbstbezüglichkeit des Geistes der Fall. Hegels Logik und Realphilosophie sind damit in einer Weise verwoben, dass einerseits das Geschehen in der Realphilosophie nicht ohne die Logik verstanden werden kann.⁴ Andererseits aber wird sich diese Verbindung genau als das Problematische erweisen. Denn die der Logik selbst zugrundeliegende und dort entfaltete Ausrichtung auf das systematisch-systemische Denken präfiguriert natürlich, auf welche Weise die nötige Konkretion realisiert wird. In diesem Kapitel werden mithin exemplarisch Stationen hervorgehoben, die jene in der Systemlogik schon

 So auch M. Quante: „Wie die nun folgende Analyse des Paragraphen aus der Enzyklopädie [§ 381, D. A.], den Hegel dem ‚Begriff des Geistes‘ gewidmet hat, erweisen wird, lässt sich weder dieser Begriff noch der Übergang von Natur- zur Geistphilosophie verstehen ohne Rekurs auf Hegels Lehre von der Idee. Ein produktives anschließen an Hegels Geistbegriff oder seine Konzeption des Natur-Geist-Verhältnisses kann daher in interpretatorischer Hinsicht nur erfolgreich sein, wenn der Gesamtzusammenhang innerhalb seines Systems beachtet wird.“ (Quante [2004]: Natur. Setzung und Voraussetzung des Geistes, 82)

224

7 Individualität im Kontext

begründeten Konsequenzen zu illustrieren vermögen. Es kann demzufolge nicht das Ziel sein, die Realphilosophie selbst oder auch nur die herangezogenen Entwicklungsstufen einer genauen Analyse zu unterziehen. Dieses Kapitel ist nicht der Ort dazu. Auch ist dies für die hier beabsichtigten Zwecke nicht nötig, insofern es Ziel des Kapitels ist, die in den vorangegangenen Kapiteln analysierten (logischen) Strukturen in Hegels Rekonstruktion der konkreten Lebenswirklichkeit aufzuzeigen und die Konsequenzen daraus zu bestimmen. So werden dann in der kontextuellen Verhandlung von Individualität der Kontrast und der Widerspruch, in denen sich Hegel zu Jacobis ursprünglicher Absicht befindet, deutlich hervortreten. Die Analysen werden dabei zwei Muster wiederholt bestätigen: Erstens ist das System nicht gewillt und auch nicht in der Lage, eine namentliche Person ins Zentrum zurücken. In der Realphilosophie wird daher nicht nur der Moduswechsel umsonst gesucht werden, der die konkrete Person in ihrer Jemeinigkeit aus der Erfahrungsperspektive erschließt. Es wird auch entsprechend keine nur so unmittelbar zugängliche Wer-Identität zu finden sein. Zweitens zeigt sich als Konsequenz des systematisch-systemischen Denkens die Diskreditierung des Individuellen zum nur Partikularen dahingehend, dass alle Unmittelbarkeit lediglich als Moment der übergreifenden Allgemeinheit des Begriffes verstanden werden kann, um deren Realisierung es allein im Systemkontext gehen kann. Um die Differenz zu Jacobi möglichst präzise zu fassen, wird anfangs der Geist-Begriff Hegels kurz aufgegriffen, um dadurch ‚Kriterien des Geistes‘ zu gewinnen, die das Ziel der Entwicklung zu verstehen helfen. Sie werden letztlich in nuce den Kontrast zu Jacobi enthalten. Insofern sich vorher jedoch die Frage aufdrängt, in welchem Verhältnis Logik und Realphilosophie zueinander stehen und inwiefern wirklich grundlegende Strukturen der Logik auf die Realphilosophie durchschlagen und entsprechend die Absprungstelle schon aufgrund der Rahmenbedingungen der Logik reproduzieren, gilt es, dieses Verhältnis klar herauszuarbeiten.

7.2 Das Verhältnis von Logik und Realphilosophie Wenn Hegel davon redet, dass die Wissenschaft der Logik „als das Reich des reinen Gedankens zu fassen“ ist, das als „die Wahrheit“ zu verstehen ist, „wie sie ohne Hülle an und für sich selbst ist“, so betont Hegel nicht nur den Sonderstatus der Logik. Er scheint darüber hinaus auch eine gewisse Isolierung von der Wirklichkeit anzudeuten, wenn er hier sagt, man könne sich in diesem Zusammenhang auch so ausdrücken, „daß dieser Inhalt die Darstellung Gottes ist, wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes ist“. (WL12, 34) Auch wenn Hegel einschärft, dass es „nicht um ein Denken über Etwas, das für sich ausser dem Denken zugrunde läge, zu thun“ (WL12, 34) ist, so bleibt

7.2 Das Verhältnis von Logik und Realphilosophie

225

doch die Isolierung von der raum-zeitlichen Wirklichkeit und damit von der Realphilosophie soweit zu konstatieren, dass in dieser dann jene Konkretion der Dinge greifbar wird, die so in der Logik nicht thematisiert werden konnte.⁵ Man kann grundsätzlich drei Hauptarten unterscheiden, die Wissenschaft der Logik und die Realphilosophie zueinander ins Verhältnis zu setzen. Erstens: Die Logik selbst wird als System, die Realphilosophie jedoch als Anwendung dieses Systems auf eine gegebene Faktizität verstanden, um vermittels des Systems Wirklichkeit begrifflich durchdringen zu können. Diese Variante schließt sich jedoch von vornherein aus, insofern das System die Logik als solche und dann auch die Natur- und Geistphilosophie umfasst. Das heißt, nicht allein die Logik unterliegt einer streng notwendigen Entwicklung des Begriffes. Sie ist nicht die einzig mögliche Wissenschaft a priori, wenngleich die einzige, die es ermöglicht, den kategorialen Gehalt nur allein für formale Verhältnisse zu entfalten. Auch die Realphilosophie unterliegt einem solchen Anspruch und folgt einer streng notwendigen begrifflichen Entwicklung. Hier jedoch werden die Gehalte an konkreten Gegenständen entwickelt.⁶ Denn das System ist die Entfaltung der Idee,

 Zumal Hegel auch die Logik als das „Reich der Schatten, die Welt der einfachen Wesenheit“ bezeichnet, „von aller sinnlichen Concretion befreyt“. (WL12, 42)  Auch wenn das nicht heißt, dass sie streng a priori erfolgen könnte. Erfahrung muss nicht nur für die spekulative Erkenntnis vorausgesetzt werden, sondern sie bildet auch ein Kriterium für den Wirklichkeitsgehalt der Spekulation. (Spekulative) Philosophie und Erfahrung gehen Hand in Hand: „Von der andern Seite ist es ebenso wichtig, daß die Philosophie darüber verständigt sei, daß ihr Inhalt kein anderer ist als der im Gebiete des lebendigen Geistes ursprünglich hervorgebrachte und sich hervorbringende, zur Welt, äußeren und inneren Welt des Bewußtseins gemachte Gehalt, – daß ihr Inhalt die Wirklichkeit ist. Das nächste Bewußtsein dieses Inhalts nennen wir Erfahrung. Eine sinnige Betrachtung der Welt unterscheidet schon, was von dem weiten Reiche des äußeren und inneren Daseins nur Erscheinung, vorübergehend und bedeutungslos ist, und was in sich wahrhaft den Namen der Wirklichkeit verdient. Indem die Philosophie von anderem Bewußtwerden dieses einen und desselben Gehalts nur nach der Form unterschieden ist, so ist ihre Übereinstimmung mit der Wirklichkeit und Erfahrung notwendig. Ja, diese Übereinstimmung kann für einen wenigstens äußeren Prüfstein der Wahrheit einer Philosophie angesehen werden, so wie es für den höchsten Endzweck der Wissenschaft anzusehen ist, durch die Erkenntnis dieser Übereinstimmung die Versöhnung der selbstbewußten Vernunft mit der seienden Vernunft, mit der Wirklichkeit hervorzubringen.“ (E, 44 (§ 6)) Es ist kein Widerspruch für Hegel, Erkenntnis a priori mit der Erkenntnis a posteriori zu verbinden. Hegel hebt in gewisser Hinsicht den Unterschied auf. Resultat hiervon ist die berühmte Stelle aus den Grundlinien: „Das was ist zu begreifen, ist die Aufgabe der Philosophie, denn das was ist, ist die Vernunft. Was das Individuum betrifft, so ist ohnehin jedes ein Sohn seiner Zeit; so ist auch die Philosophie, ihre Zeit in Gedanken erfaßt. Es ist ebenso thöricht zu wähnen, irgendeine Philosophie gehe über ihre gegenwärtige Welt hinaus, als, ein Individuum überspringe seine Zeit, springe über Rhodus hinaus. Geht seine Theorie in der That drüber hinaus, baut es sich eine Welt, wie sie seyn soll, so existirt sie wohl, aber nur in seinem Meynen, – einem weichen Elemente, dem sich alles Beliebige einbilden läßt.“ (GR, 15 (Vorrede))

226

7 Individualität im Kontext

wobei Natur und Geist ebenso Darstellungen der Idee sind. Kunst, Religion und Philosophie sind verschiedene Weisen der Idee, sich selbst zu erfassen (vgl. WL2, 236). Damit stehen Logik und Realphilosophie in einer Kontinuität. Gleichwohl ist ebenso eine Diskontinuität zu konstatieren, insofern die Logik zu einem Abschluss kommt und mit der Natur ein Neues anhebt.⁷ Die zwei verbleibenden und einzig sinnvollen Bestimmungen der Relation von Logik und Realphilosophie ergeben sich aus der Gewichtung der Kontinuität bzw. der Diskontinuität. Die zweite Variante der grundsätzlich möglichen Lesarten hebt die Kontinuität von Logik und Realphilosophie in der Form ihrer Verbindung dadurch hervor, dass die Logik auch für die Realphilosophie in einer definierenden Rolle gesehen wird. Die Logik wird zu einem Grundmuster, nach dem die Realphilosophie gebildet wird. Das Logische ist für Hegel „eine Weise“ der Idee. Aber es ist „die allgemeine Weise, in der alle besondern aufgehoben und eingehüllt sind“. (WL2, 236 f) Wie ein solches Grundmuster jedoch tatsächlich funktionieren soll, bleibt unklar. Denn, so wird eingewendet, die Realphilosophie ist keineswegs bloß eine Anwendung abstrakter Muster der Logik. ⁸ Nicht nur ist die Zuordnung der in der

Das heißt in diesem Kontext aber nicht, dass sich die spekulative Philosophie vom Stand der Forschung abhängig macht und somit selbst ausweglos der Willkür unterläge. „Es ist schon erinnert worden, daß, außerdem daß der Gegenstand nach seiner Begriffsbestimmung in dem philosophischen Gange anzugeben ist, noch weiter die empirische Erscheinung, welche derselben entspricht, namhaft zu machen und von ihr aufzuzeigen ist, daß sie jener in der Tat entspricht. Dies ist jedoch in Beziehung auf die Notwendigkeit des Inhalts kein Berufen auf die Erfahrung. Noch weniger ist eine Berufung zulässig auf das, was Anschauung genannt worden und was nichts anderes zu sein pflegte als ein Verfahren der Vorstellung und Phantasie (auch der Phantasterei) nach Analogien, die zufälliger oder bedeutender sein können und den Gegenständen Bestimmungen und Schemata nur äußerlich aufdrücken (§ 231 Anm.).“ (E2S, § 246 A) Man kann vielleicht sagen: Die begriffliche (spekulative) Erkenntnis beruht nicht auf Erfahrung, jedoch muss die spekulative Philosophie selbst aus der Erfahrung (bzw. aus den Erfahrungswissenschaften) geboren werden. Ihr kommt dann nicht die Aufgabe zu, die empirische Erkenntnis zu ersetzen, sondern sie um die begriffliche Strenge zu erweitern und ihr den Platz im System anzuweisen (vgl. E, 52 ff (§ 12 A)). Die Integration der Erfahrungswissenschaften zeigt darüber hinaus einmal mehr, wie sehr Hegel die spekulative Philosophie mit Konkretion anfüllen möchte. Zu dieser Diskussion insgesamt siehe vor allem Stederoth [2001]: Hegels Philosophie des subjektiven Geistes, 31 ff.  Vgl. Stederoth [2001]: Hegels Philosophie des subjektiven Geistes, 59.  Weitere Probleme werden von der Forschung aufgeworfen, können hier aber nicht ausführlich behandelt werden. B. Puntel z. B. geht von einer Gleichursprünglichkeit von Logik, Phänomenologie und Psychologie aus. Phänomenologie und Psychologie komme ein „transzendentaler Charakter“ zu, weil sie die Bedingung der Möglichkeit darstellen, die Gesamtstruktur des Systems und damit auch die Logik zu begreifen. Darüber hinaus sei in der Logik schon die Realphilosophie in jedem Punkt so vorhanden, dass von jeder Kategorie aus eine Realphilosophie entwickelt werden könnte (vgl. Puntel [1973]: Darstellung, Methode und Struktur). – V. Hösle betont auch den Grundlegungscharakter der Logik. Er geht jedoch davon aus, dass die Logik gegenüber der

7.2 Das Verhältnis von Logik und Realphilosophie

227

Logik entwickelten Grundmuster zu den Stufen in der Realphilosophie unklar.⁹ Vielmehr würde eine einfache Übertragung aller Kategorien auf die Realphilosophie einerseits die Frage aufwerfen, inwiefern sie von den logischen unterschieden sein sollen.¹⁰ Andererseits würden zudem die realphilosophischen Kategorien aus den logischen gewonnen und nicht mehr auseinander hervorgehen.¹¹ Dies widerspräche Hegels Intention, auch die Natur- und Geistphilosophie eigens aus dem Begriff immanent zu entwickeln. Hat die Betonung der Kontinuität gerade dazu geführt, dass die begriffliche Entwicklung der Gefahr unterliegt, nicht mehr kontinuierlich zu sein, setzt das alternative Verständnis des Verhältnisses von Logik und Realphilosophie auf die Diskontinuität, um jener Kontinuität des Begriffes Rechnung zu tragen. Das heißt, dass die Logik nicht mehr als Muster und die Realphilosophie nicht mehr als Anwendung dieses Musters verstanden wird. Im Gegensatz dazu liegen dieser dritten Variante der Logik wie auch der Realphilosophie eigenständige Begriffsentwicklungen zu Grunde, die sich nach je eigenen Gesetzen (kontinuierlich) entfalten. Beide Varianten sind je für sich einseitig und in ihrer Konsequenz inkompatibel mit Hegels Absichten. Die erste räumt der Realphilosophie nicht ausreichend Eigenständigkeit ein und verhindert eine fortgeführte Bewegung des Begriffes. Die zweite versäumt es, den Grundlegungscharakter zu berücksichtigen, der trotz der Kritik an der ersten Variante einzuräumen ist. So gilt es, einen Mittelweg zu finden¹², gerade weil es die Logik selbst gar nicht anders erlaubt, auch

Realphilosophie unvollständig sei. Denn die Naturphilosophie und der subjektive Geist seien durch die Logik gedeckt, jedoch nicht der objektive und absolute Geist. Hierfür fehle in der Logik die entsprechende Kategorie. Zudem fehle in der Logik die Grundform für Intersubjektivität (vgl. Hösle [1998]: Hegels System). – D. Stederoth diskutiert diese Ansätze ausführlicher (vgl. Stederoth [2001]: Hegels Philosophie des subjektiven Geistes, 63 ff).  „So wäre beispielsweise die dritte Stufe des ersten Teiles der Naturphilosophie (‚Absolute Mechanik‘) hinsichtlich des gesamten Systems wesenslogisch zu betrachten, insofern sie zur zweiten Stufe des Systems, der Naturphilosophie, gehört, dann aber – hinsichtlich der Naturphilosophie – wäre sie seinslogisch, denn sie gehört zu deren ersten Stufe, und in dieser ist sie wiederum die dritte Stufe, weshalb sie als der ‚Mechanik‘ hinzugehörend begriffslogisch sich zu entwickeln hätte; ebenso wäre – der Strukturierung gemäß – die zweite Stufe des ersten Teils des subjektiven Geistes (‚Die fühlende Seele‘) hinsichtlich des Gesamtsystems begriffslogisch, hinsichtlich des subjektiven Geistes seinslogisch und hinsichtlich deren ersten Stufe (‚Anthropologie‘) wesenslogisch zu entwickeln.“ (Stederoth [2001]: Hegels Philosophie des subjektiven Geistes, 57)  Vgl. Stederoth [2001]: Hegels Philosophie des subjektiven Geistes, 58.  Vgl. Stederoth [2001]: Hegels Philosophie des subjektiven Geistes, 58.  Auch für D. Stederoth gilt es, beide Varianten zu verbinden: „Es kann demnach hier festgehalten werden, daß das Verhältnis von ‚Logik‘ und ‚Realphilosophie‘ weder ein ‚Anwendungsverhältnis‘, welches letztlich im Bereich des Logischen verbliebe, ist, noch auch, daß etwa die

228

7 Individualität im Kontext

wenn die aufgeworfenen Anwendungsfragen unbeantwortet bleiben. Darauf kommt es jedoch auch nicht an. Denn der Logik kommt eine Sonderstellung nicht einzig deswegen zu, weil dort Kategorien entwickelt würden, nach deren Vorbild sich realphilosophische Kategorien richteten. Generell und besonders für die hier aufgeworfene Frage ist die Grundlegungsfunktion der Logik entscheidend, die weniger in der Musterbildung als vielmehr in der Präfiguration der Elementarstrukturen liegt, die sich entscheidend auch auf das Verhältnis von Logik und Realphilosophie selbst auswirkt. Denn mittels der Verhältnisbestimmungen von Sein, Wesen und Begriff oder von Endlichkeit und Unendlichkeit hat die Logik wenn nicht die Kategorien der Realphilosophie, so doch die Rahmenbedingungen dieser Kategorien bestimmt, die der realphilosophischen Entwicklung Konturen und Grenzen auferlegen. Die Realphilosophie vermag sich nur innerhalb der von der Logik gesteckten Grenzen zu bewegen und kann deren Resultate nicht revidieren. Entscheidendes Ergebnis war der Nachweis, dass das systematisch-systemische Denken, welches Hegel zuletzt als die absolute Idee bestimmte, der notwendige und allein gültige Modus der Wirklichkeitsverständigung ist. Damit ist eine wesentliche Grenze der Entfaltung der Realphilosophie gerade darin gegeben, dass die Opazität des Faktischen bzw. Unmittelbaren der Existenz unabhängig vom Begriff keine Wesentlichkeit beanspruchen kann. Dies jedoch wäre genau dasjenige, worauf (in Jacobis Augen) in der Realphilosophie zu hoffen wäre und bleibt somit ein schon aus der Logik zu bestimmendes Jenseits der Grenze. Man muss zwar sagen, dass das Individuum bei Hegel mehr ist als nur der reine Begriff, und dieses Mehr kommt in der Raum-Zeitlichkeit der Realphilosophie hinzu. Jedoch bestimmt die Logik dieses ‚Mehr‘ vorab zu einem Partikularen, das in den Begriff gänzlich aufgehoben werden muss.¹³ Wenn also in der Logik noch nicht

‚Naturphilosophie‘ etwas gänzlich anderes als die Idee, gleichsam eine Sphäre des ‚Idee-losen‘ oder ‚Nicht-Logischen‘ wäre; vielmehr hat man die realphilosophischen Sphären in der Gedoppeltheit zu betrachten, einerseits Darstellungsweisen der Idee zu sein, jedoch andererseits besonderen Grundformen der Gestaltung derselben zu folgen […].“ (Stederoth [2001]: Hegels Philosophie des subjektiven Geistes, 59 f)  D. Stederoth wendet sich einerseits gegen ein ‚Anwendungsverhältnis‘: „Zunächst könnte man annehmen, daß sich dieses Verhältnis nun so gestaltet, daß zwar die ‚Logik‘ in der ‚Realphilosophie‘ nicht direkt Anwendung findet, jedoch über ein bloßes Hinzusetzen der jeweiligen Grundform, im Sinne einer Formel wie etwa: ‚logische Kategorie + realphilosophische Grundform = realphilosophische Kategorie‘, eine Anwendung sich hinterrücks wieder einschliche.“ (Stederoth [2001]: Hegels Philosophie des subjektiven Geistes, 61) Für ihn ist jedoch „der realphilosophische Inhalt nicht nur Adept einer logischen Kategorie, sondern trägt, insofern er eine spezifische Form einer realphilosophischen Grundform darstellt, gewissermaßen selbst kategorialen Gehalt mit sich“. (Stederoth [2001]: Hegels Philosophie des subjektiven Geistes, 61) Zuzustimmen ist ihm insoweit, als die Realphilosophie tatsächlich als selbstständige Begriffsentwicklung zu

7.2 Das Verhältnis von Logik und Realphilosophie

229

ausgemacht ist, wie die Kategorien in der Realphilosophie ihre Umsetzung erfahren, bezieht sich das nur auf die konkrete begriffliche Entwicklung in der Realphilosophie selbst. Die Grundmuster der Umsetzung sind keineswegs gestaltungsoffen, insofern es der Geist ist, der sich entsprechend der Folie der absoluten Negativität bzw. absoluten Subjektivität selbst transparent werden muss.¹⁴ Weil auf der Grundlage der Logik ausgeschlossen ist, dass die Jemeinigkeit einer praktisch-existentiell verankerten und ursprünglich sich inneseienden Person im Sinne Jacobis überhaupt gedacht werden kann und die Einzelheit als Wer-Identität, um die es Jacobi ging, im System gar keinen Ort hat, zeigt sich die Realphilosophie für die Beantwortung der Frage nach Individualität als regelrecht irrelevant. Ziel der Logik ist es ja, dies grundsätzlich und mit Bedacht auszuschließen. In der Verschiebung des Fokus von der ursprünglichen Person zur Einzelheit liegen Konsequenzen, die zunächst schon an der Oberfläche gegenläufig zu Jacobis Absichten sind. Denn es war zwar das ontologische Ziel, das die Selbstständigkeit festhielt, und das freiheitstheoretische Ziel, das gegen die Notwendigkeit des Systems Freiheit einforderte. Aber unter der Maßgabe des metaphysischen Zieles kann nun tatsächlich die Einzelheit nicht als singuläre berücksichtigt werden.¹⁵ Denn das Endliche wird unter den Bedingungen wahrhafter Unendlichkeit in die Identität (und Nichtidentität) mit dem Begriff überführt. Nichtidentität, also Selbstständigkeit und Freiheit, werden so zwar zum integralen Bestandteil, jedoch nur im Rahmen ihrer Totalintegration in den Begriff. Wenngleich – zum wiederholten Male sei dies gesagt – der Begriff nun kein abstrakter ist und nicht einer Wirklichkeit gegenübersteht oder diese gleichsam schluckt, sondern alle herkömmlichen Epistemologien bzw. Ontologien aufgehoben werden und damit alle darauf beruhenden Befürchtungen sowie Vorwürfe

verstehen ist. Es bliebe aber soweit ein ‚Anwendungsverhältnis‘ festzuhalten, als der Logik dieser Grundlegungscharakter zuzuschreiben ist, der sich durchaus direkt auf die Realphilosophie auswirkt. Später scheint Stederoth dem näher zu stehen. Denn er schreibt: „[D]ie Logik ist die prozessuale Ableitung der ‚absoluten Idee‘ durch ihre kategorialen ‚Vorstufen‘ […] hindurch,wobei jede dieser ‚Vorstufen‘ zur Begründung einer – wenn auch eingeschränkten – Realphilosophie befähigt werden könnte. Die Logik wäre demnach die Wissenschaft, die alle prinzipialen Kategorien, die als Prinzip einer eigenen Realphilosophie dienen können und der Philosophiegeschichtsthese Hegel zufolge auch zum Teil gedient haben, in ihren notwendigen Zusammenhang stellt; hingegen ist die in der Enzyklopädie dargestellte Realphilosophie die Ausführung eben eines solchen Prinzips, nämlich des – hegelsch gesprochen – wahrhaftesten Prinzips, was alle anderen Prinzipien in sich aufgehoben hat, der ‚absoluten Idee‘.“ (Stederoth [2001]: Hegels Philosophie des subjektiven Geistes, 76)  Um diesen Rahmen genauer zu bestimmen, sollen die ‚Kriterien des Geistes‘ formuliert werden.  Näher wird dies in Kapitel VIII: Spielarten des Geistes ausgeführt.

230

7 Individualität im Kontext

eo ipso hinfällig sind, so werden doch Selbstständigkeit und Freiheit aus dem Begriff und das heißt aus der gesamten Begriffsentwicklung im System gewonnen. Und allein damit ist die Ausrichtung an Jacobis Forderungen ad absurdum geführt. Die Realphilosophie, die als noch ausstehender Teil des Systems die konkrete Person in ihrer Singularität in den Blick bringen müsste, kann dies gar nicht mehr unter den Vorgaben der Logik erreichen. Denn Hegel gewinnt die Ziele zwar vermittelt über Jacobis Systemkritik an Spinoza.¹⁶ Jedoch ist die Umsetzung in der Logik letztlich konträr zu dem angekündigten Programm. Dies ist deswegen zu konstatieren, weil die Exposition der Ziele im System die Differenz des Einzelnen zum Zentrum macht. Die Durchführung ignoriert zwar nicht die Ziele als solche. Jedoch realisiert Hegel diese Ziele im Hinblick auf die Abgeschlossenheit und Einheit des Systems. ¹⁷ Das ist aus der Logik selbst zu erschließen.¹⁸ Somit dreht sich  P. Jonkers schreibt: „Die Bedeutung Jacobis für Hegel liegt darin, dass jener Hegel die Notwendigkeit einer Kritik der Substanzauffassung Spinozas bewusst gemacht hat. Wie Hegel in seiner Jacobi-Rezension rückblickend anerkennt, hat Jacobi ihn einsehen lassen, dass das Absolute keine ewige, unpersönliche, statische Substanz ist, sondern dass Individualität, Zeit, Geschichte und Bewegung wesentliche Merkmale des Absoluten sind, und daher darin nicht verloren gehen dürfen.“ (Jonkers [2007]: F. H. Jacobi, ein ‚Galimathias‘ der spekulativen Vernunft?, 216) Damit hat er vollkommen Recht, jedoch versäumt es Jonkers, die Konsequenzen zu thematisieren, die, um Hegels Projekt wirklich zu verstehen, ausbuchstabiert werden müssen.  In ihrer Untersuchung Die Logik der Andersheit geht C. Hackenesch dem Verhältnis von Allgemeinem und Einzelnem anhand der Reflexion nach, um sich vor allem auf Sprache zu fokussieren. Sie schreibt zur Identität mit dem logischen Zusammenhang, d. h. dem Geist, Folgendes: „In Hegels Auffassung von ‚Sprache‘ ist Individualität immer schon retuschiert zur ‚empirischen Zufälligkeit‘ eines Ich, das über seine Abhängigkeiten von einem Außen noch nicht hinausgekommen ist; insofern ist sie für ihn nicht interessant als mögliches Konstituens von Sprache. Hegel definiert Sprache aus der Perspektive eines Geistes, der Allgemeinheit immer schon ist. Individuelle Verständigung ist unter dieser Voraussetzung nicht thematisierbar als Bedingung (der materialen Genesis) von Sprache, sondern höchstens als Aktualisierung einer unabhängig von ihr bestehenden geistigen Struktur, die alle möglichen Inhalte einer Welt in ihren Zusammenhang einbezieht.“ (Hackenesch [1987]: Die Logik der Andersheit, 100)  G. Gamm geht in einer an diesem Angelpunkt angelegten Studie über den Wahnsinn der Frage nach, inwiefern und mit welchen Konsequenzen es Hegel gelingt, den Wahnsinn selbst in die Vernunft zu integrieren, was entsprechend der Systemerfordernisse unumgänglich ist, insofern die Vernunft als die absolute Andersheit auch den Wahnsinn umfassen muss. „Nur – und das ist der springende Punkt: auf solche Art kann die serapionische Welt [ein ihren eigenen Gesetzen gehorchende, in sich abgeschlossene Welt des Eremiten Serapion, der für die anderen verrückt zu sein scheint (aus der Erzählung E. T. A. Hoffmanns Der Einsiedler Serapion), D. A.] eben nicht begriffen werden, weil sie mit ihren von der Welt der Vernunft1 [die objektive Vernunft im Sinne Hegels, D. A.] wirklich verschiedenen Prämissen und Prinzipien eine eigene, sich selbst begründende, in sich stimmige Axiomatik der Vernunft bildet. Die dialektische Vernunft braucht ein wirklich Anderes, an dem, in Realisation ihrer selbst, sie den Widerspruch erzeugen kann; aber ein Anderes auf der Basis ihrer Prämissen. Die ist aber nur möglich auf Grund der apriorischen

7.2 Das Verhältnis von Logik und Realphilosophie

231

auch das Problem. Benennt Hegel das Problem bei Spinoza damit, dass ihm der Modus nur das Verkümmerte ist, so zeigt sich jetzt, was damit – eigentlich – gemeint ist. Das Kriterium für die Verkümmerung ist nicht der Modus, sondern die Allgemeinheit, insofern der Modus nicht aus dieser gefasst ist. Die Lösung liegt dann tatsächlich nicht in der Sicherung des Einzelnen in seinem unmittelbaren Innesein, sondern in der Schließung der Lücke zwischen Allgemeinem und Einzelnem. Damit wird zudem deutlich, dass die Realisierung der wirklichen Einzelheit bei Hegel das voraussetzt, was Jacobi vehement kritisierte: die Identität mit dem logischen Zusammenhang. Selbst die Nichtidentität wird in diesen integriert.¹⁹ Denn das Endliche ist das Unendliche und hat darin sein Ansich; die Existenz ist die in den Gründen vollständig aufgehende Wirklichkeit und hat darin ihr Ansich; die Einzelheit ist das sich besondernde Allgemeine und hat darin ihr Ansich. Welche konkrete Auswirkung das zeitigt, wird sich nun an den Zielen Leben, Freiheit, Persönlichkeit und Individualität herausarbeiten lassen. Hier wird sich mit aller Deutlichkeit zeigen, dass der Zusammenfall des Individuums mit dem Begriff nicht nur programmatisch mit Jacobis Absichten kollidiert, sondern Hegels spekulative Lösung, die Jacobis Einwände aufheben wollte, diese Einwände selbst nur in der Sache bestätigt.

Versetzung der Phänomene, wie z. B. der Verrücktheit auf den Boden der logozentrischen Vernunft, d. h. die Thematisierung des Anderen und des Widerspruchs findet immer schon in den Gebietsabgrenzungen dieser bestimmenden Vernunft und ihrer Axiomatik statt. Sie kann die serapionische Welt nicht in die dialektische Aufhebungsbewegung hineinziehen,weil sie gar nicht an die in allen Handlungs- und Denkakten immer präsente Axiomatik dieser Lebenswelt herankommt.“ (Gamm [1981]: Der Wahnsinn der Vernunft, 125)  Diesen Ansatz scheint auch Adorno für seine Hegel-Kritik zu mobilisieren: „Die Wahrheit des unauflöslich Nichtidentischen erscheint im System, nach dessen eigenem Gesetz, als Fehler, als ungelöst im anderen Sinn, dem des Unbewältigten; als seine Unwahrheit; und nichts Unwahres läßt sich verstehen. So sprengt das Unverständliche das System. Bei allem Nachdruck auf Negativität, Entzweiung, Nichtidentität kennt Hegel deren Dimension eigentlich nur um der Identität willen, nur als deren Instrument. Die Nichtidentitäten werden schwer betont, aber gerade wegen ihrer extremen spekulativen Belastung nicht anerkannt. Wie in einem gigantischen Kreditsystem sei jedes Einzelne ans andere verschuldet – nichtidentisch –, das Ganze jedoch schuldenfrei, identisch. Darin begeht die idealistische Dialektik ihren Trugschluß. Sie sagt mit Pathos: Nichtidentität. Diese soll um ihrer selbst willen, als Heterogenes bestimmt werden. Indem die Dialektik sie jedoch bestimmt, wähnt sie schon, über die Nichtidentität hinaus und der absoluten Identität sicher zu sein. Wohl wird das Nichtidentische, Unerkannte durch Erkennen auch identisch, das Nichtbegriffliche durch Begreifen zum Begriff des Nichtidentischen. Kraft solcher Reflexion indessen ist das Nichtidentische selber doch nicht nur Begriff geworden, sondern bleibt dessen von ihm unterschiedener Gehalt. Aus der logischen Bewegung der Begriffe ist nicht in die Existenz überzugehen.“ (Adorno [1996]: Drei Studien zu Hegel, 375) – Inwiefern Jacobis und Adornos Systemkritik übereinkommen und wo sie differieren, kann hier nicht beantwortet werden.

232

7 Individualität im Kontext

7.3 Kriterien des Geistes Geist ist ein wissender Selbstbezug, der viele Aspekte umfasst. In den basalen Bestimmungen der Natur ist Selbstbezüglichkeit von Anfang vorhanden. Nur ist sie noch nicht gesetzt. Die Selbstbezüglichkeit ist noch nicht wissend. In kontinuierlicher Steigerung ihrer Komplexität gelangt die Entwicklung im so genannten „Gattungsprozess“ an die Schwelle zum wissenden Selbstbezug: zum Geist. Dort ist Geist im Gegensatz von Individuum und Allgemeinheit noch nicht bei sich. Dort weiß die Allgemeinheit, d. h. die Gattung, in der Vereinigung der Individuen nichts von sich und verliert sich daher noch in der schlechten Unendlichkeit erzeugter Generationen. Von Geist ist erst da zu sprechen, wo das Allgemeine im Individuum zu sich kommt. Das ist der subjektive Geist. Die Auflösung des Gegensatzes bindet Hegel an den Tod des Individuums in dem Sinne, dass das bloß Natürliche in der Durchdringung desselben mit dem Geist überwunden werden muss.²⁰ Die Natur muss aufgehoben werden, insofern hier noch ein Missverhältnis zwischen der Allgemeinheit und der Unmittelbarkeit der Einzelheit dahingehend vorliegt, dass das unmittelbar Einzelne selbst das Allgemeine sein soll²¹ – es aber nicht sein kann. In der Aufhebung dieser Unmittelbarkeit als dem letzten Widerstand gegen die Allgemeinheit realisiert sich (endliche) Subjektivität. Die Idee existiert hiermit in dem selbständigen Subjekte, für welches, als Organ des Begriffs, alles ideell und flüssig ist; d. h. es denkt, macht alles Räumliche und Zeitliche zu dem Seinigen, hat so in ihm die Allgemeinheit, d. h. sich selbst. Indem so jetzt das Allgemeine für das Allgemeine ist, ist der Begriff für sich; dies kommt erst im Geiste zum Vorschein, worin der Begriff sich gegenständlich macht, damit aber die Existenz des Begriffs als Begriffs gesetzt ist. Das Denken, als dies für sich selbst seiende Allgemeine, ist das Unsterbliche, das Sterbliche ist, daß die Idee, das Allgemeine sich nicht angemessen ist. (E2S, 538 (§ 376 Z))

Geist ist damit die Realisierung von Subjektivität, die sich selbst als diese hat und sich – in entwickelten Formen des Geistes, z. B. im Ich – auch nur auf sich selbst bezieht. Das ist der Übergang zum ‚sich‘: zur Reflexion auf sich selbst, d. h. zur Allgemeinheit, die sich im Einzelnen als Allgemeinheit erkennt.²² Damit hat sich aber auch das Konzept von Allgemeinheit geändert. Es wird nicht mehr

 Der Tod des Natürlichen „ist das Aufheben des formellen Gegensatzes, der unmittelbaren Einzelheit und der Allgemeinheit der Individualität“. (E3S, 537 (§ 376))  Vgl. Jaeschke [2003]: Hegel-Handbuch, 346.  „Alle Thätigkeiten des Geistes sind nichts als verschiedene Weisen der Zurückführung des Aeußerlichen zu der Innerlichkeit, welche der Geist selbst ist, und nur durch diese Zurückführung, durch diese Idealisierung oder Assimilation des Aeußerlichen wird und ist er Geist.“ (VorPG, 930 (§ 381 Z))

7.3 Kriterien des Geistes

233

verstanden als Wesen (Gattung) des Einzelnen, sondern als Selbstbewusstsein. Weil der Einzelne das Allgemeine ist und sich (in verschiedenen Graden) weiß, hat die Bewegung eine neue signifikante Schwelle überschritten. Denn dieses SichWissen lässt (in der Anthropologie noch ansich) das bloß Physikalisch-Dinghafte hinter sich und bildet (nun in der Phänomenologie fürsich) die sich wissende, geistige Individualität, die aus dem Grunde wahrhafte Individualität ist, weil sie sich im Sich-Wissen eine Einheit gibt, die unteilbar ist. Wenn der Geist sich (in der Psychologie) als Geist selbst Gegenstand ist, ist er ‚freier Geist‘, der sich als absoluter Geist erfasst (vgl. E, 386 f (§ 387)). Der Untergang des dinghaft Einzelnen ist in dem Sinne nur der Untergang der bloßen Natur, die in ihrer immer schon latent vorhandenen Steigerung der Einheitsfiguren nun im Übergang zum Geist einen Quantensprung erfährt, der das Einzelne untergehen lässt, nur um aber darin den Einzelnen hervorgehen zu lassen. Als Ziel aller weiteren Entwicklungsstufen des Geistes (Anthropologie, Phänomenologie und Psychologie) gelten jedoch allgemeine Merkmale, durch die sich der Geist generell von der (bloßen) Natur unterscheidet. Dieses Ziel realisiert jedoch nicht nur der subjektive Geist. Ebenso der objektive Geist gehört zu diesen Entwicklungsstufen. Erst der absolute Geist als das „Wissen der absoluten Idee“ (E, 542 (§ 553)) (in der Philosophie) ist die voll entfaltete Realität des Geistes, der sich als das Folgende weiß: Das Einswerden von Hervorbringendem und Hervorgebrachtem bzw. das Einswerden von Anfang und Ende: Der Mangel der (bloß endlichen) Natur besteht darin, dass das Allgemeine in die schlechte Unendlichkeit hervorgebrachter Einzelner zerfällt, ohne die Identität von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit in der absoluten Negativität ergreifen zu können. Der Geist dagegen vermag seine Selbsttätigkeit – d. h. zugleich seine erkennende Selbsttätigkeit – in die Gleichheit des Geistes mit sich zurückzuführen. Die Tätigkeit wird nun nicht in ein anderes Individuum übersetzt. Vielmehr besteht die Tätigkeit jetzt in der Akkumulation von Wissen (über äußerliche Objekte). In diesem Wissen ist aber zugleich diese Tätigkeit selbst mit thematisch und bringt überdies auch den Akteur dieser Tätigkeit zum Vorschein, dessen intrinsisches Ziel es ist, ein vollständig transparentes Wissen von sich zu gewinnen. Das, was der Geist hervorbringt, ist im Kontrast zur Natur nicht ein Anderes, sondern er selbst. Genauer gesagt, bringt er das Wissen von sich selbst hervor, was jedoch nichts anderes als der Geist selbst ist, denn der Geist ist allein dieses Sich-Hervorbringen im Wissen. ²³ Damit steht am  „Schon am Lebendigen sehen wir diese Selbstbegrenzung des Begriffs. Der Keim der Pflanze – dieser sinnlich vorhandene Begriff – schließt seine Entfaltung mit einer ihm gleichen Wirklichkeit, mit Hervorbringung des Samens. Dasselbe gilt vom Geiste; auch seine Entwicklung hat ihr Ziel erreicht, wenn der Begriff desselben sich vollkommen verwirklicht hat – oder was dasselbe ist – wenn der Geist zum vollkommenen Bewußtseyn seines Begriffs gelangt ist. Dieß Sich-in-Eins-

234

7 Individualität im Kontext

Ende der Entwicklung nicht ein Neues, sondern das, was die Entwicklung zu Anfang initiierte. Man kann sagen: Das hervorgebrachte Ende fällt mit dem hervorbringenden Anfang zusammen. Manifestation bzw. Selbstoffenbarung, in der das Offenbarende und das Geoffenbarte ein und dasselbe sind: Das Sich-Hervorbringen des Geistes als sichwissend ist ein aktives Hervorbringen, welches das offenbart, was der Geist ist, nämlich das Sich-Wissen. Darüber hinaus ist das Sich-Offenbaren nicht nur eine Form, in der ein beliebiger Inhalt geoffenbart wird, sondern der Inhalt ist die Form, d. h. das Sich-Offenbaren selbst. Die Offenbarung des Geistes benötigt zudem etwas, an dem bzw. durch das es sich offenbart, sodass der Geist über das Sich-Wissen hinaus auch die Entwicklung zu diesem Sich-Wissen im Anderen und durch das Andere hindurch ist. Die Natur ist dieses Andere. Jedoch ist sie nicht das Andere schlechthin, sondern der Geist in der Form der Andersheit, der sich in diesen Formen Schritt für Schritt offenbaren und das heißt enthüllen muss, um im Durchgang durch seine Offenbarung sich als das Offenbarende zu erkennen. Geist ist eigentlich das in allem sich Offenbarende, aber nur als Geist sich selbst Wissende.²⁴ Idealität: Wie bereits bei der Analyse der Endlichkeit ist auch hier die Idealität ein wichtiges Kriterium. Das Sich-Offenbarwerden des Geistes im Anderen und durch das Andere ist allein dann möglich, wenn das Andere der Geist im Modus des Anderen ist und die Substanz des Anderen ausmacht.²⁵ Die zunächst vorhandene Innerlichkeit des Geistes als subjektiver Geist, der sich der Objekti-

Zusammenziehen des Anfangs mit dem Ende, – dieß in seiner Verwirklichung Zu-sich-selberKommen des Begriffs erscheint aber am Geiste in einer noch vollendeteren Gestalt als am bloß Lebendigen; denn während bei diesem der hervorgebrachte Samen nicht derselbe ist mit dem, von welchem er hervorgebracht worden, ist in dem sich selbst erkennenden Geiste das Hervorgebrachte Eins und Dasselbe mit dem Hervorbringenden.“ (VorPG, 925 (§ 379 Z))  „Diese Bestimmung kommt dem Geiste als solchem zu; sie gilt daher von demselben, nicht nur, insofern er sich einfach auf sich bezieht, sich selbst zum Gegenstande habendes Ich ist, sondern auch insofern er aus seiner abstracten für-sich-seyenden Allgemeinheit heraustritt, eine bestimmte Unterscheidung, ein Anderes als er ist, in sich selbst setzt; denn der Geist verliert sich nicht in diesem Anderen, erhält und verwirklicht sich vielmehr darin, prägt darin sein Inneres aus, macht das Andere zu einem ihm entsprechenden Daseyn, kommt also durch diese Aufhebung des Anderen, des bestimmten wirklichen Unterschiedes, zum concreten Fürsichseyn, zum bestimmten Sichoffenbarwerden. Der Geist offenbart daher im Anderen nur sich selber, seine eigene Natur; diese besteht aber in der Selbstoffenbarung […].“ (VorPG, 936 (§ 383 Z))  „Als die unterscheidende Bestimmtheit des Begriffs des Geistes muß die Idealität, das heißt, das Aufheben des Andersseyns der Idee, das aus ihrem Anderen in sich Zurückkehren und Zurückgekehrtseyn derselben bezeichnet werden, während dagegen für die logische Idee das unmittelbare, einfache Insichseyn, für die Natur aber das Außersichseyn der Idee das Unterscheidende ist.“ (VorPG, 927 (§ 381 Z))

7.3 Kriterien des Geistes

235

vität einer Welt gegenüber sieht, ist noch nicht die volle Realisierung bzw. Selbstoffenbarung des Geistes, insofern er sich als die Totalität und Wahrheit erkennen muss, die er von Anfang an ist. Idealität ist für Hegel die „Wahrheit der Realität“. Realität und Idealität sind also kein „Paar mit gleicher Selbständigkeit einander gegenüberstehende Bestimmungen“, betreffend derer man „einräumt, daß es mit der Realität noch nicht abgetan sei, sondern daß man außer derselben auch noch eine Idealität anzuerkennen habe“. So verstanden wäre Idealität „in der Tat nur ein leerer Name“. (E1S, 204 (§ 96 Z)) Geist ist die wahre Idealität als die spekulative Einheit beider, in der zwar keinem Moment eine Präferenz einzuräumen ist, insofern beide in Analogie zur wahren Unendlichkeit erst dann wahrhaft gefasst sind, wenn sie aus ihrer übergreifenden Einheit ihre konstitutive Differenz bzw. aus der Differenz ihre konstitutive Einheit erkennen. Die Idealität des Geistes besteht jedoch genau darin, dass in ihm beides zusammenfällt. Freiheit: Dieser aus, in und mit der Natur zu sich kommende Geist überwindet nicht nur die Äußerlichkeit, sondern im gleichen Zuge auch die Unfreiheit. Denn ein so zu sich kommender Geist weiß sich als die Negation der Negation²⁶, die absolute Identität ist. Alle Voraussetzung ist nur scheinbare Voraussetzung, die der Geist selbst gesetzt hat, um daraus wieder entsprechend der Reflexionslogik von Setzen und Voraussetzen zurückzukehren. Geist ist damit die absolute Souveränität, die keinerlei Bedingungen hat, die sie sich nicht selbst gegeben hätte²⁷ und damit Freiheit. Das meint aber nicht nur, dass Freiheit eine Eigenschaft des Geistes sei, sondern Freiheit ist dessen Substanz, gleichwohl die Freiheit etwas nur durch die Tätigkeit des Geistes Hervorzubringendes (aber auch ein immer schon Hervorgebrachtes) ist (vgl. VorPG, 934 f (§ 382 Z)). Man kann gleichsam sagen: Geist ist das Sich-Offenbarwerden der Freiheit durch das Beisichsein im Wissen. ²⁸

 D. h. Natur als Negation des Geistes wird wiederum negiert vom Geist.  „Der Schein, als ob der Geist durch ein Anderes vermittelt sey, wird vom Geiste selber aufgehoben, da dieser – so zu sagen – die souveräne Undankbarkeit hat, Dasjenige, durch welches er vermittelt scheint, aufzuheben, zu mediatisiren, zu einem nur durch ihn Bestehenden herabzusetzen und sich auf diese Weise vollkommen selbständig zu machen.“ (VorPG, 933 (§ 381 Z))  C. Binkelmann beleuchtet ausführlich die Realisierung der menschlichen Freiheit in den verschiedenen Dimensionen der Realphilosophie (vgl. Binkelmann [2007]:Theorie der praktischen Freiheit, bes. 193 ff).

236

7 Individualität im Kontext

7.4 Der Subjektive Geist Der Geist ist generell kein „Ruhendes, sondern vielmehr das absolut Unruhige, die reine Tätigkeit, das Negieren oder die Idealität aller festen Verstandesbestimmungen“, wie Hegel festhält, – nicht abstract einfach, sondern in seiner Einfachheit zugleich ein Sich-von-sich-selbstunterscheiden, – nicht ein vor seinem Erscheinen schon fertiges, mit sich selber hinter dem Berge der Erscheinungen haltendes Wesen, sondern nur durch die bestimmten Formen seines nothwendigen Sichoffenbarens in Wahrheit wirklich. (VorPG, 923 (§ 378 Z))

Aus diesem Grund ist in der Reflexivität die Natur zwar prinzipiell überwunden, jedoch faktisch noch nicht verlassen, sodass der Geist seine Naturverbundenheit aus seiner Eigenbewegtheit heraus abzuarbeiten hat. Diese Naturverbundenheit macht sich gerade in den ersten Etappen noch sehr stark bemerkbar, wenngleich der Geist durch seine generelle Charakteristik kein ‚Seelending‘ zu nennen ist, das sich in einem Körper wiederfindet. So konzentriert sich die Bewegung in der Anthropologie – Hegels Seelenlehre – auf die Herausführung des Geistes aus der noch vorhandenen (unvermittelten) Unmittelbarkeit. Hier verdichten sich die Stufen des Geistes auf einen sich fühlenden Einzelnen, der in seiner Leiblichkeit spürbar präsent ist. Das Subjekt ist ein konkret Einzelner – ein Dieser. In der Phänomenologie – Hegels Lehre vom Bewusstsein, die nicht mit der Phänomenologie des Geistes zu verwechseln ist – hat sich der Geist in rein ideeller Identität. Hier ist er ausschließlich auf sich bezogen, gleichwohl dieser Bezug noch über das Andere mit sich vermittelt ist. Diese Vermittlung über das Andere hat der Geist in der Psychologie abgebaut und bezieht sich nur auf seine eigenen Bestimmungen, um seinen Begriff gänzlich zu erfassen.²⁹ In der Entwicklung, die sich an die Anthropologie anschließt, verliert die Person in dem Maße an Konkretion, wie der Begriff seine Konkretion ausbaut.

Die Person als ‚Dieser‘ Hegels Geist als absolute Negativität ist das Zusichkommen des Einen aus seinem Anderen. Aufgrund dieser hegelschen Konzeption des Geistes, der Subjekt und Objekt übergereift, ist eine Verleiblichung des Geistes im Begriff bereits angelegt. Sie ist im Kern so konzipiert, dass der Geist nicht auf ein Epiphänomen reduziert

 Vgl. zu diesen Stufungen VorPG, 943 ff (§ 387 Z).

7.4 Der Subjektive Geist

237

oder zu einem hilflosen Dualismus verurteilt ist.³⁰ Der subjektive Geist ist immer an einen Leib gebunden, wodurch er quasi in Raum und Zeit verortet wird.³¹ Die Natur wird sich im Leib gegenständlich. Diese Vereinigung hat am Anfang noch nichts mit individuellem Selbsterleben zu tun, sondern bewegt sich bei Hegel noch auf dem allgemeinen Boden der Rassenunterschiede und Differenzen nationaler Charaktere der Völker. Der Individuationsprozess der Einzelnen beginnt erst danach mit der Ausprägung spezifischer „Naturbestimmtheiten“ (E, 390 (§ 391)), wie Naturell, Charakter und Temperament, mit denen „die Eigenthümlichkeit des Individuums“ (VorPG, 968 (§ 395 Z)) verschiedene Seiten bekommt, wie z. B. den aufrechten Gang sowie Mimik und Gestik als Set an Formungen des Körpers. Diese aufgreifend, macht Hegel den bloßen Körper zum Leib. Hegel beschreibt Erscheinungen am Körper, so z. B. Lachen, Weinen und Stimme, die Ausdruck des Geistes sind, und redet von Gebärden, die in den Körper eingebildete Ausdrücke allgemeiner Einstellungen sind. Mittels dieser Formen, die Natur und Geist auf unterschiedliche Ebenen der Selbstbeziehung zusammenbinden, beginnt sich ein Individuum zu konstituieren, das reich ist an Dimensionen und Sphären individueller Ausgestaltung. Diese Ausgestaltung unterscheidet sich von der Ausdifferenzierung in der Natur dadurch, dass in der Anthropologie diese Ausgestaltung zu einem Universum ‚meiner‘ Lebenswirklichkeit wird, in welcher der Existierende qua Individualität steht. Die Seele ist das Allesdurchdringende, nicht bloß in einem besonderen Individuum Existirende; denn, wie wir bereits früher gesagt haben, muß dieselbe als die Wahrheit, als die Idealität alles Materiellen, als das ganz Allgemeine gefaßt werden, in welchem alle Unterschiede nur als ideelle sind und welches nicht einseitig dem Anderen gegenübersteht, sondern über das Andere übergreift. Zugleich aber ist die Seele individuelle, besonders bestimmte Seele; sie hat daher mannigfache Bestimmungen oder Besonderungen in sich; dieselben erscheinen, zum Beispiel, als Triebe und Neigungen. Diese Bestimmungen sind, obgleich von einander unterschieden, dennoch für sich nur etwas Allgemeines. In mir, als bestimmtem Individuum, erhalten dieselben erst einen bestimmten Inhalt. So wird, zum Beispiel, die Liebe zu den Eltern, Verwandten, Freunden u.s.w. in mir individualisirt; denn ich kann nicht Freund u.s.w. überhaupt seyn, sondern bin notwendigerweise mit diesen Freunden dieser an diesem Ort, in dieser Zeit und in dieser Lage lebende Freund. Alle die in mir individualisirten und von mir durchlebten allgemeinen Seelenbestimmungen machen meine Wirklichkeit aus, sind daher nicht meinem Belieben überlassen, sondern bilden vielmehr die Mächte meines Lebens und gehören zu meinem wirklichen Seyn ebenso gut, wie mein Kopf oder meine Brust

 Vgl. z. B. Fulda [1990]: Idee und vereinzeltes Subjekt, 70 f.  W. Jaeschke schreibt dazu: „Es ist geradezu der Begriff der Seele, sich nie völlig von ihrem Bezug auf Natur zu befreien: Seele ist nur dort, wo Leiblichkeit ist.“ (Jaeschke [2003]: HegelHandbuch, 354)

238

7 Individualität im Kontext

zu meinem lebendigen Daseyn gehört. Ich bin dieser ganze Kreis von Bestimmungen: dieselben sind mit meiner Individualität verwachsen. (VorPG, 1020 (§ 406 Z))

In der Anthropologie häuft sich ‚Individualität‘ bzw. ‚individuell‘ so oft wie an keiner anderen Stelle in Hegels Werk. Individuelle Unterschiede, die nicht nur auf rein körperliche Differenzen wie Größe zu reduzieren sind, sondern sich auf selbstbezügliche Formtätigkeit des Geistes gründen, die sich körperlich äußert, sind hier in ihrer Vielfalt am Platze. Die geistige Komponente wird im Verlaufe der Entwicklung der Selbstbezüglichkeit immer weiter in den Vordergrund treten, sodass die in einem Körper individuierte Seele über ihre Diversität an Äußerungen die sich fühlende Einheit bleibt, die das ‚mein‘ konstituiert. Hegel nennt es das Selbstgefühl.³² Was ich auf diesem Standpunkt empfinde, Das bin ich, und was ich bin, Das empfinde ich. Ich bin hier unmittelbar gegenwärtig in dem Inhalte, der mir erst nachher, wenn ich objectives Bewußtseyn werde, als eine gegen mich selbständige Welt erscheint. (VorPG, 1006 (§ 402 Z))

Begriff, Lebendigkeit, individualisierende Körperlichkeit in einem Gefühl des Meinigen sind aufs Engste verwoben und bilden die Grundlage aller meiner geistigen Tätigkeit, die sich weiterhin zu entfalten hat: [A]ls lebendig habe ich einen organischen Körper; und dieser ist mir nicht ein Fremdes; er gehört vielmehr zu meiner Idee, ist das unmittelbare, äußerliche Daseyn meines Begriffs, macht mein einzelnes Naturleben aus. (VorPG, 1056 (§ 410 Z))³³

Was sich hier konstituiert, ist eine Konkretion, die dem Erscheinen nach genau das einzuholen gedenkt, was Jacobi mit ins Zentrum seiner Philosophie der Person rückte, nämlich die unauflösbare Verwobenheit des Geistes mit der konkreten

 „Das Subject als solches setzt dieselben als seine Gefühle in sich. Es ist in diese Besonderheit der Empfindungen versenkt, und zugleich schließt es durch die Idealität des Besondern sich darin mit sich als subjectivem Eins zusammen. Es ist auf diese Weise Selbstgefühl – und ist dieß zugleich nur im besondern Gefühl.“ (E, 411 (§ 407))  Insofern liegt hier schlichtweg Hegels Konzept des objektiven Begriffes zugrunde, das den Begriff nicht abgetrennt sein lässt von Realisierung.Weil es kein bloß subjektiver Begriff ist, gehört zur Ausfaltung der Realitätsgehalt schon immer mit dazu. Aus diesem Grunde ringt H. F. Fulda zwar vielleicht erhellenderweise um die Beantwortung der Frage, wie ‚ich‘ in der Enzyklopädie vorkommen kann, wenn in der Begriffsentwicklung ‚mein‘ Ich nicht explizit eingebettet ist. Aber die Antwort, die Fulda findet, ist (letztlich) auch nur die, die immer schon in Hegels Konzept liegt (vgl. Fulda [1990]: Idee und vereinzeltes Subjekt, 70 f). Die Frage wäre nicht nur die,wie ‚mein‘ Ich in die Enzyklopädie kommt, sondern was es für ein Ich ist, das Hegel mit seinen Mitteln konstituieren kann.

7.4 Der Subjektive Geist

239

Existenz eines Menschen, dessen Eigentümlichkeit und Meinigkeit durch die vom Geist konstituierte Einheit des Individuums lebendig machen. Alle wesentlichen Züge sind hier in die Systematik integriert und aus dem Entwicklungsgang des Geistes abgeleitet. Allein an diesem Phänomenbestand sich orientierend, mag es nahe liegen, die erfolgreiche Ableitung des von Jacobi als unableitbar Behaupteten zu konstatieren und die Leistungsfähigkeit des hegelschen Systems festzuschreiben.³⁴ Dies zu tun, hieße jedoch, fundamentale Differenzen zu ignorieren. Denn erstens ist man keineswegs im signifikanten Unterschied zu Jacobi beim Kern und Zentrum des Denkens angelangt, sondern macht lediglich Station auf dem Weg zur Vollendung des Geistes. Dies nämlich bedeutet auch, dass einem solchen Individuum der Makel der Unzulänglichkeit deswegen konstitutiv eingeschrieben ist, weil der Begriff erst dann nicht mehr zur Entwicklung drängt, wenn er sich selbst in seiner Wahrheit erkannt hat und in vollkommener Übereinstimmung mit sich diejenige Einheit ist, die alle Differenz als in sich aufgehobene bzw. gesetzte Differenz enthält sowie alle Unmittelbarkeit abgebaut hat.³⁵ Zweitens bleibt Hegels Konzeption des Geistes diametral entgegengesetzt zu der Jacobis, die sich gerade gegen eine solche systematisch-systemische Erfassung der Meinigkeit deswegen ausgesprochen hatte, weil ein begrifflich-rationaler Zugriff auf die Meinigkeit (und damit auf den Geist Jacobis generell) immer genau das außen vorlassen muss, um das es Jacobi ursprünglich zu tun ist: die singuläre Person. Denn die Jemeinigkeit dieser Person ist nur praktisch-existentiell aus der Innenperspektive zu erfahren, jedoch als begrifflicher Gehalt nicht rekonstruierbar. In dem Maße wie nur über die Meinigkeit als Begriffsbestimmung gesprochen wird, bleibt Jacobis Unphilosophie im Recht. Dass es der Begriff bei der Opazität der nur unmittelbar erlebten Meinigkeit nicht belassen kann, versteht sich aus system-

 Auch in der Rechtsphilosophie, in der der Term ‚Person‘ seinen systematischen Ort bei Hegel findet, verbindet Hegel Person explizit mit dieser Leiblichkeit und bezeichnet die Person als ein ‚dieses‘. So schreibt – dies jetzt vorgreifend – Hegel: „Als Person bin Ich selbst unmittelbar Einzelner, – dieß heißt in seiner weiteren Bestimmung zunächst: Ich bin lebendig in diesem organischen Körper,welcher mein dem Inhalte nach allgemeines ungetheiltes äußeres Daseyn, die reale Möglichkeit alles weiter bestimmten Daseyns, ist. Aber als Person habe ich zugleich mein Leben und Körper, wie andere Sachen, nur in so fern es mein Wille ist.“ (GR, 58 (§ 47)) – Diese Konkretion allerdings für die Einlösung der Forderung Jacobis nach Individualität zu halten, greift zu kurz,wie der weitere Verlauf zeigen wird.  Insofern ist zwar L. Siep zuzustimmen, wenn er die Konkretion an Hegels Personbegriff hervorhebt (vgl. Siep [1990]: Leiblichkeit, Selbstgefühl und Personalität, 221). Doch dies dabei zu belassen, ignoriert die Konsequenzen des systematischen Hintergrundes, der diese Konkretion zwar sicher nicht aufhebt, aber erstens zur Nebensächlichkeit herabstuft; zweitens kann es bei der Frage nach Person und deren Individualität mit dem Verweis auf die Leiblichkeit der Person nicht sein Bewenden haben.

240

7 Individualität im Kontext

immanenten Erwägungen ganz von selbst. Um dieses Selbstverständnis jedoch geht es Jacobi im Kern. ³⁶

Die Reflexivität des Geistes Und so ist die Meinigkeit bei Hegel eine zwar schon durchdringende Einigkeit. Deren Mangel besteht jedoch darin, auf dieser Ebene der Selbstreflexivität lediglich ein Gefühl zu sein. Der Leib ist ungesetzte Einheit. Daher ist das Selbstgefühl zunächst in die „Besonderheit der Gefühle“, d. h. in Begierden, Triebe und Leidenschaften, („ununterschieden“) versenkt. (E, 414 (§ 409)) Um Klarheit und Einheit des sich selbst transparenten Begriffs zu erlangen, bedarf es im nächsten Schritt der Erhebung aus dieser Leiblichkeit, wodurch „der Geist seine Befreiung von der Form des S e y n s “ vollendet und „sich die Form des W e s e n s “ gibt. (VorPG, 1063 (§ 412 Z)) In dieser Weise beim Ich und damit beim Abschnitt ‚Die Phänomenologie des Geistes‘ angelangt, spielt Körperlichkeit nur noch eine unwesentliche Rolle und wird als das Andere dem Ich als Erkenntnisgegenstand gegenübergestellt. Das Ich hat unmittelbares Sein, jedoch besteht es nun in einem aktiven Sich-von-sich-selber-Unterscheiden und nicht mehr in einer bewusstlosen Einheit des Geistigen und Natürlichen. Das Ich unterscheidet sich als diese sich ergreifende Einheit von allem Anderen, um sich jedoch zugleich darauf zu beziehen. Denn Subjektivität ist – wie die Logik es zeigte – grundsätzlich als Bei-sichSein-im-Anderen zu denken, welches nicht das Andere überwindet, sondern dadurch integriert, dass sich die Subjektivität in diesem Anderen selbst erhält. Dabei umfasst der Selbstbezug den Fremdbezug als konstitutives Element, indem das Ich nur aus dem Anderen zu sich kommt.³⁷ Die hier erreichte Einheit ist keine einfache Einheit, wie dies in der Anthropologie mit Körper und Seele der Fall war, sondern eine reflektierte, sodass nicht nur das Ich hier schon ein allgemeines ist, sondern

 Weil Hegel den subjektiven Geist als das Hervorarbeiten seiner ursprünglichen Einheit inszeniert, schreibt C. Hackenesch, dass „Subjektvergessenheit“ das Thema der hegelschen Anthropologie ist (Hackenesch [2001]: Selbst und Welt, 7). In einem anderen Aufsatz resümiert sie dies so: „Der Mensch muß sich befreien von einer übermächtigen Wirklichkeit, ankämpfen gegen die Gewalt, die sie über ihn hat. Dieser ‚Befreiungskampf‘ der Seele ist für Hegel gleichbedeutend mit dem Kampf, eine Krankheit zu überwinden: die Krankheit, sich in den unmittelbaren Umkreis des Lebens einzuschließen. Die Substanz, das Wesen des Menschen ist Freiheit – und der Mensch, der noch diesseits seines Wesens existiert, ist ‚krank‘, im Sinne der Unangemessenheit von Wesen und Existenz. Die Genealogie des Ich demonstriert ihren teleologischen Charakter in der Bestimmung des anfänglichen Bewußtseins des Menschen als pathologisch.“ (Hackenesch [2002]: Der subjektive Geist, 41)  Vgl. hierfür besonders Kapitel III: Die absolute Subjektivität.

7.4 Der Subjektive Geist

241

es als reflektierendes Ich das Andere übergreift.³⁸ Man kann anders gewendet sagen, dass das Ich sich nur aus und in diesem Anderen in sich reflektiert. Ich ist zunächst nichts anderes als diese sich wissende Reflexion im Anderen (vgl. VorPG, 1064 ff (§ 413 Z)). Fernab der Beurteilung, wie Individualität hier von Hegel gebraucht wird, ist eine Abkehr von dieser schlichtweg quantitativ festzustellen. Während die Begriffe ‚Individualität‘ und ‚individuell‘ noch die Seiten in der Anthropologie füllten, nimmt diese Fokussierung abrupt ein Ende, um dem gemachten Fortschritt zum Ich Raum zu geben. Die starke Verminderung der Häufigkeit der Rede von Individualität hat natürlich systematische Gründe, die vor dem erläuterten Hintergrund auf der Hand liegen. So erfahren die in der Anthropologie gewonnene Leiblichkeit und die daran geknüpften Sonderlichkeiten eine Abwertung zur Nebensache, da sie für die zu gewinnende Reflexivität des Geistes lediglich eine unwillkommene Unmittelbarkeit darstellen, auf der zu beharren für ein Fortkommen der Reflexion hinderlich wäre. Das Ich ist zudem zwar weiterhin ein Einheitsmodell wie die Seele eines war, in das darüber hinaus aber auch die Meinigkeit eingeblendet werden kann, um nicht zu sagen, dass das Ich überhaupt nur je als Meinigkeit verstanden werden kann. Anders als jedoch in der Anthropologie, in der es für die Seele konstitutiv war, mit dem Leib und dessen Eigentümlichkeiten verbunden zu sein, findet sich in der Phänomenologie und darüber hinaus eine gerade von Leib und allen Sonderlichkeiten losgelöste Einheit, in der gleichsam die Reflexivität selbst zu sich selbst kommt. Damit verschiebt sich der Fokus von der individuellen Unverwechselbarkeit der leiblichen Manifestation des Geistes in der Anthropologie zum Sich-Ergreifen des Geistes in der allgemeinen Selbstreflexion im Ich in der Phänomenologie. Die individuelle Ausgestaltung dieser Reflexivität ist nicht nur irrelevant, sondern mehr noch kontraproduktiv. Angekündigt hat dieses bereits die Entwicklung in den ersten Sätzen der Philosophie des Geistes, wenn es heißt: Erkenne dich selbst, dieß absolute Gebot hat weder an sich, noch da wo es geschichtlich als ausgesprochen vorkommt, die Bedeutung, nur einer Selbsterkenntniß nach den particulären Fähigkeiten, Charakter, Neigungen und Schwächen des Individuums, sondern die Bedeutung

 „Das Ich greift also über das wirklich von ihm Unterschiedene über, ist in diesem seinem Anderen bei sich selber, und bleibt, in aller Anschauung, seiner selbst gewiß. Nur indem ich dahin komme, mich als Ich zu erfassen, wird das Andere mir gegenständlich, tritt mir gegenüber, und wird zugleich in mir ideell gesetzt, somit zur Einheit mit mir zurückgeführt.“ (VorPG, 1065 f (§ 413 Z))

242

7 Individualität im Kontext

der Erkenntniß des Wahrhaften des Menschen, wie des Wahrhaften an und für sich, – des Wesens selbst als Geistes. (E, 379 (§ 377))³⁹

Unter dem Diktat der Selbsterkenntnis des Geistes verbleibt den Eigentümlichkeiten eines Daseins, die es zu einem Unverwechselbaren und in einem nicht unwesentlichen Sinne Individuellen machen, nur ein Nischendasein. Gemessen am eigentlichen Ziel erfahren die Eigentümlichkeiten zudem eine strikte Abwertung, indem sie vor dem Geist und dessen Selbstreflexivität lediglich eine Eitelkeit des Endlichen und damit Partikularitäten sind. Hegel schreibt: Die Selbsterkenntniß in dem gewöhnlichen trivialen Sinn einer Erforschung der eigenen Schwächen und Fehler des Individuums hat nur für den Einzelnen, – nicht für die Philosophie – Interesse und Wichtigkeit, selbst aber in Bezug auf den Einzelnen um so geringeren Werth, je weniger sie sich auf die Erkenntniß der allgemeinen [kursiv, D. A.] intellectuellen und moralischen Natur des Menschen einläßt, und je mehr sie, von den Pflichten, dem wahrhaften Inhalt des Willens absehend, in ein selbstgefälliges Sichherumwenden des Individuums in seinen ihm theuren Absonderlichkeiten [kursiv, D. A.] ausartet. (VorPG, 921 f (§ 377 Z))

Es kommt also für das Gelingen der Verwirklichung des Geistes entscheidend darauf an, dass aller endliche Rest vom Unendlichen (dem Geist) durchdrungen und aufgehoben wird. So ist zwar Selbsterkenntnis des Individuums möglich, aber verbleibt in einem grundsätzlichen Spannungsverhältnis zur Selbsttransparenz des Geistes. Infolgedessen ist allen Formen des Endlichen nur insofern ein Recht einzuräumen, als sie Momente in der Realisierung wahrhafter Unendlichkeit bilden und auch wesentlich darin ihre Natur konstituiert finden.⁴⁰ Mittels dieses

 H. F. Fulda sucht in seiner Auseinandersetzung mit dem Problem in der Enzyklopädie, wie ‚mein‘ Ich im Reden über das Ich generell vorkommen kann, darauf hinzuweisen, dass Hegel die wesentliche Erkenntnis herausstellt. Hegel jedoch leugnet auch nicht, so Fulda, dass dieses Erkenntnisgebot ebenso auf Selbsterkenntnis des Individuums hinsichtlich partikularer Fähigkeiten, Charakter, Neigung und Schwächen geht. Das Entscheidende ist jedoch, so fährt er fort, dass Hegel es nicht auf diese beschränkt wissen will. „Auf jeden Fall leugnet er nicht, daß das Gebot die Bedeutung auch einer Erkenntnis ‚des Wahrhaften des Menschen‘ habe, – also doch wohl die Bedeutung einer Selbsterkenntnis des Menschen, der ich bin.“ (Fulda [1990]: Idee und vereinzeltes Subjekt, 78) Es mag sein, dass eine solche Selbsterkenntnis gerade im Angesicht dessen, was eben über die Anthropologie ausgeführt wurde, impliziert ist. Aber die entscheidendere Frage nach der Stellung einer solchen Erkenntnis und den darin enthaltenen Implikationen führen m. E. auf ein anderes Ergebnis, als es Fulda im Auge hat. Denn das eigentliche Problem, auf das Jacobi hinweist, liegt noch tiefer: nämlich genau in der Bewertung der Stellung einer solchen Erkenntnis.  Gleichwohl muss hier unter allen Umständen eine Deutung des Endlichen als nicht-existent oder als im Unendlichen sich verlierende Einerleiheit vermieden werden. Denn anhand der Darlegungen zur Logik und zum Verhältnis von Unendlichem und Endlichem muss bei aller

7.4 Der Subjektive Geist

243

Lösungsversuches des Geistes als absoluter Negativität unterwirft Hegel alles Sein diesem Raster von Angemessenheit und Unangemessenheit, von Wahrheit und Unwahrheit, das ein Außerhalb nicht kennt. Dieses Raster macht er zur Triebfeder der Entwicklung des Geistes. Es ist der Geist, der sich hier Formen seiner selbst gibt, wodurch die individuelle Seele, aber auch das dieser nachfolgende Ich nur mangelhafte Realisationen des Geistes selbst sind, weil Unmittelbarkeit noch nicht vollständig vermittelt werden konnte. Die zwei ersten Theile der Geisteslehre befassen den endlichen Geist. Der Geist ist die unendliche Idee, und die Endlichkeit hat hier die Bedeutung der Unangemessenheit des Begriffs und der Realität mit der Bestimmung, daß sie das Scheinen innerhalb seiner ist, – ein Schein, den an sich der Geist sich als eine Schranke setzt, um durch Aufheben derselben für sich die Freiheit als sein Wesen zu haben und zu wissen, d.i. schlechthin manifestirt zu seyn. Die verschiedenen Stufen dieser Thätigkeit auf welchen als dem Scheine zu verweilen und welche zu durchlaufen die Bestimmung des endlichen Geistes ist, sind Stufen seiner Befreiung [kursiv, D. A.], in deren absoluter Wahrheit das Vorfinden einer Welt als einer vorausgesetzten, das Erzeugen derselben als eines von ihm gesetzten, und die Befreiung von ihr und in ihr eins und dasselbe sind, – einer Wahrheit, zu deren unendlicher Form der Schein als zum Wissen derselben sich reinigt. (E, 383 (§ 386))

Das anerkennende Selbstbewusstsein Wie sich in den Abschnitten zum Bewusstsein, d. h. zum Ich – mittels Verschiebung von individueller Unverwechselbarkeit der leiblichen Manifestation des vorhandenen Problematik das Endliche als ein wesentliches Element in der Philosophie Hegels gedacht werden, dessen Integration in einem Vollsinn geschehen soll. Gerade das Konzept der wahrhaften Unendlichkeit als einer das Endliche übergreifenden Unendlichkeit will keine Opposition zum Endlichen sein. Die absolute Negativität ist der Versuch der spekulativen Aufhebung des Endlichen im Unendlichen und durch das Unendliche im bekannten dreifachen Sinne. Der Lösungsversuch aber zeitigt gerade jene Probleme, die in diesem kleinen Übergang von der Anthropologie zur Phänomenologie als scheinbar nur unbedeutende Fokusverschiebung zutage treten. – Auch M. Quante weist darauf hin (vgl. Quante [2004]: Natur. Setzung und Voraussetzung des Geistes). Er hebt heraus, dass es auf den ersten Blick so aussähe, als gäbe es Natur im Idealismus gar nicht (wirklich). Aber neben der sachlichen Unplausibilität ist das auch mit Hegel unvereinbar. Als Reflexionsbestimmungen „müssen beide eine relative Selbständigkeit bewahren. Verschwindet das eine Relatum, ist auch das andere aufgelöst. Außerdem ließe sich drittens der spätere Argumentationsgang in der Philosophie des subjektiven und objektiven Geistes nicht mehr nachvollziehen, da dort der Bezug zu einer als unabhängig vorausgesetzten Natur weiterhin ein wichtiges Moment des Geistes bleibt. […] Hegels problematische Aussage lässt sich damit verstehen als die Feststellung, dass der Modus des Außersichseins verschwunden ist, indem die Idee sich von der Natur zu Geist weiterbestimmt hat.“ (Quante [2004]: Natur. Setzung und Voraussetzung des Geistes, 81 f)

244

7 Individualität im Kontext

Geistes in der Anthropologie zum Sich-Ergreifen des Geistes in der allgemeinen Selbstreflexion des Ichs –, die Fokussierung auf die Allgemeinheit der Selbstbeziehung entscheidend bemerkbar macht, so erhält diese Entwicklung im Abschnitt zum anerkennenden Selbstbewusstsein eine Bestätigung. Ausgangspunkt hierfür ist nicht mehr das Ich in seinem notwendigen Bezug auf ein äußerliches Objekt, sondern dessen Beziehung zu einem anderen Subjekt, aus der sich der Prozess des Anerkennens ableitet.⁴¹ Das Verhältnis ist zunächst geprägt von Unmittelbarkeit. Einerseits „in sofern das Andere ein unmittelbares anderes Daseyn für mich ist“, andererseits indem das Ich selbst in seiner „Leiblichkeit des Selbstbewußtseyns“ Unmittelbarkeit ist. (E, 430 (§ 431)) In diesem Verhältnis sind jedoch beide „natürliche, leibliche“, die „in der Weise eines, fremder Gewalt unterworfenen Dinges existiren“. Denn „die beiden einander gegenüberstehenden Selbste in ihrem Daseyn, in ihrem Seyn-für-Anderes“, müssen sich erst „als Das setzen und sich als Das anerkennen, was sie an sich oder ihrem Begriffe nach sind, – nämlich nicht bloß natürliche, sondern freie Wesen“. (VorPG, 1078 (§ 431 Z)) Dabei geht es insgesamt um die „wahre Freiheit“, denn, da diese in der Identität meiner mit dem Anderen besteht, so bin ich wahrhaft frei nur dann, wenn auch der Andere frei ist und von mir als frei anerkannt wird. Diese Freiheit des Einen im Anderen vereinigt die Menschen auf innerliche Weise; wogegen das Bedürfniß und die Noth dieselben nur äußerlich zusammenbringt. Die Menschen müssen sich daher in einander wiederfinden wollen. Dies kann aber nicht geschehen, so lange dieselben in ihrer Unmittelbarkeit, in ihrer Natürlichkeit befangen sind; denn diese ist eben Dasjenige, was sie voneinander ausschließt und sie verhindert, als freie für einander zu seyn. Die Freiheit fordert daher, daß das selbstbewußte Subject weder seine eigene Natürlichkeit bestehen lasse noch, die Natürlichkeit Anderer dulde, sondern vielmehr, gleichgültig gegen das Daseyn, in einzelnen unmittelbaren Händeln das eigene und das fremde Leben für die Erringung der Freiheit auf das Spiel setze. (VorPG, 1078 f (§ 431 Z))

Der Ausgleich des ‚Widerspruches der Unmittelbarkeit‘ geschieht entweder in der Vernichtung des Anderen im Kampf, um dabei aber sogleich den Widerspruch zu erneuern, da zwar die Natürlichkeit vernichtet ist, aber der Überlebende zu keiner positiven Anerkennung gelangt ist. (E, 431 (§ 432)) Oder aber einer unterwirft sich dem Anderen um der Erhaltung seines Lebens willen und wird dessen Knecht. Der entscheidende Aspekt der Dialektik von Herr und Knecht für die Fragestellung  L. Siep weist darauf hin, dass zwar in der Phänomenologie die Leiblichkeit eine geringere Rolle spielt als in der Anthropologie. Aber die Begierde, die für die Dialektik des Anerkennungsverhältnisses zentral ist, und auch das Gegenüberverhältnis zweier Einzelner implizierten klarerweise eine Leiblichkeit (vgl. Siep [1990]: Leiblichkeit, Selbstgefühl und Personalität). In Anbetracht des ausstehenden Ergebnisses spielt dies dann nur eine untergeordnete Rolle.

7.4 Der Subjektive Geist

245

dieser Untersuchung liegt in der für die Unterwerfung mitzudenkenden Aufhebung der Partikularität der Interessen respektive der bloßen Natürlichkeit des Knechtes, was den „Beginn der wahrhaften Freiheit des Menschen“ markiert. (VorPG, 1081 (§ 435 Z)) Das Erzittern der Einzelnheit des Willens, – das Gefühl der Nichtigkeit der Selbstsucht, – die Gewohnheit des Gehorsams, – ist ein nothwendiges Moment in der Bildung jedes Menschen. Ohne diese, den Eigenwillen brechende Zucht erfahren zu haben, wird Niemand frei, vernünftig und zum Befehlen fähig. (VorPG, 1081 (§ 435 Z))

Vollendet wird diese Überwindung des Natürlichen, wenn der Knecht sich nicht nur von seinen eigenen, sondern auch von seines Herren Partikularitäten frei macht und das „an-und-für-sich-Vernünftige in dessen von der Besonderheit der Subjecte unabhängigen Allgemeinheit erfaßt“. (VorPG, 1082 (§ 435 Z)) Damit sind die zwei sich gegenüberstehenden selbstbewussten Subjekte mittels der Überwindung der Natürlichkeit zu ihrem Ansich gekommen, was nicht in der Anerkennung ihrer Eigentümlichkeiten und der Festigung ihrer individuellen Existenzen bestünde, sondern in der „Form des Bewußtseyns der S u b s t a n z jeder wesentlichen Geistigkeit“. (E, 433 (§ 436 A)) Der Widerspruch ist damit auf dieser Stufe dadurch gelöst, dass das Unterscheidende der Einzelheiten deren Identität Platz macht ⁴² und damit das einzelne Bewusstsein zum allgemeinen Selbstbewusstsein wird, welches „das affirmative Wissen seiner selbst im anderen Selbst“ ist. In der Anerkennung geht es darum in keiner Weise mehr um die namentliche Person in ihrer Gänze, sondern allein um ein allgemeines Konzept von Reflexivität. Die konstitutive Bezogenheit des Ich auf ein Du, die in der Unphilosophie zentral ist, schwingt unweigerlich mit. Der Kontrast zu Jacobi kann jedoch kaum markanter sein. Wir haben daher hier die gewaltige Diremtion des Geistes in verschiedene Selbste, die anund-für-sich und für einander vollkommen frei, selbständig, absolut spröde, widerstandleistend, – und doch zugleich miteinander identisch, somit nicht selbständig, nicht undurchdringlich, sondern gleichsam zusammengeflossen sind. Dies Verhältnis ist durchaus speculativer Art. (VorPG, 1083 (§ 436 Z))

Das die Einzelnen übergreifende allgemeine Selbstbewusstsein ist das Allgemeine,

 „Auf diesem Standpunkte haben sich also die auf einander bezogenen selbstbewußten Subjecte, durch Aufhebung ihrer ungleichen besonderen Einzelnheit zu dem Bewußtseyn ihrer reellen Allgemeinheit, – ihrer Allen zukommenden Freiheit – und damit zur Anschauung ihrer bestimmten Identität miteinander erhoben.“ (VorPG, 1083 (§ 436 Z))

246

7 Individualität im Kontext

in welche[s] diese sich auflösen. Indem aber das Selbstbewußtseyn zu dieser Allgemeinheit gelangt, hört es auf, Selbstbewußtseyn im eigentlichen oder engeren Sinne des Wortes zu seyn, weil zum Selbstbewußtseyn als solchem gerade das Festhalten an der Besonderheit des Selbstes gehört. Durch das Aufgeben dieser Besonderheit wird das Selbstbewußtseyn zur Vernunft. (VorPG, 1084 (§ 437 Z))

Das Denken Entscheidende Station auf diesem Weg zum Fürsich-Sein der Wahrheit ist die letzte Stufe des theoretischen Geistes: das Denken. Darin – nunmehr in der Psychologie – hat sich der Geist selbst als Gegenstand ergriffen, seine Momente zum Fürsich-Sein entfaltet und erneut, auf anderer Ebene, Unmittelbarkeit abgebaut. Sind bis zu dieser Entwicklungsstufe Einwände denkbar, die statt des generellen Rahmens der Begriffsentwicklung die konkrete Einbettung der Seele im Blick halten und darauf hinweisen, dass das Ich sich nicht in seiner Reflexivität erschöpft, sondern ebenso eine konkrete und individuelle Meinigkeit umfasst, so werden spätestens hier im Denken Entwicklungen und Absichten sichtbar, die über die Endbestimmung bzw. die Wahrheit des subjektiven Geistes zugleich anzeigen, worin dessen Mangel über die vorherigen Stufen hinweg bestanden hatte. Orientiert an den Kategorien von Form und Inhalt, zeigt sich der notwendige Fortgang an deren Nichtübereinstimmung, die erst in der höchsten Entwicklungsstufe des theoretischen Geistes, im Denken, wenngleich zu Anfang noch formell, in Abgrenzung zu einem endlichen Denken und einem abstrakt Allgemeinen überwunden ist. Die Entwicklung in der Psychologie führt dabei aus den Oppositionen des Verstandes hinaus, der sich noch „in die Form und den Inhalt, in das Allgemeine und das Besondere, in ein leeres An-sich und in die von außen in dieses herankommende Bestimmtheit“ teilt. (VorPG, 1111 (§ 467 Z)) „Seine Thätigkeit besteht überhaupt im Abstrahiren“ von gegebenen Gegenständen. (VorPG, 1111 (§ 467 Z)) Er arbeitet sich an Unmittelbarkeit ab. Das ist das erste Moment im Denken. Das zweite Moment im Denken besteht schon darin, „den Gegenstand auf diese allgemeinen Denkbestimmungen zu beziehen, – ihn somit als Verhältniß, – als einen objectiven Zusammenhang, – als eine Totalität zu betrachten“. (VorPG, 1112 (§ 467 Z)) Dieses Verhältnis nennt Hegel in Anlehnung an die Urteilslehre in der Wissenschaft der Logik das Urteil. Der Gegenstand ist zwar noch ein Gegebenes und von anderen Abhängiges, jedoch schon als von der Allgemeinheit Durchdrungenes zu betrachten, dessen Unmittelbarkeit keine opake mehr ist. Das dritte und im Denken erreichte Moment ist der Schluss bzw. die Vernunft, in der „das Allgemeine als sich selber besondernd und aus der Besonderung zur Einzelnheit zusammennehmend“ erkannt „– oder, – was Dasselbe ist, – das Besondere aus

7.4 Der Subjektive Geist

247

seiner Selbstständigkeit zu einem Momente des Begriffs herabgesetzt“ wird. (VorPG, 1112 (§ 467 Z)) Damit ist „das Allgemeine nicht mehr eine dem Inhalt äußerliche, sondern die wahrhafte, aus sich selber den Inhalt hervorbringende Form“. „Das Denken hat folglich auf diesem Standpunkte keinen anderen Inhalt, als sich selber, – als seine eigenen, den immanenten Inhalt der Form bildenden Bestimmungen; es sucht und findet im Gegenstande nur sich selbst.“ (VorPG, 1112 (§ 467 Z)) Dies gegenseitige Sichdurchdringen der denkenden Subjectivität und der objekctiven Vernunft ist das Endresultat der Entwicklung des theoretischen Geistes durch die dem reinen Denken vorangehenden Stufen der Anschauung und der Vorstellung hindurch. (VorPG, 1112 f (§ 467 Z))

Die denkende, auf diese notwendige Weise ihre eigene Objektivität implizierende Subjektivität ist zur absoluten Vernunft geworden, die sich im Subjekt und Objekt gleichermaßen erkennt, aber keinesfalls auf eine der beiden Seiten zu beschränken ist. Das Denken ist nun das „wahrhaft Allgemeine, welches die übergreifende Einheit seiner selbst über sein Anderes, das Sein, ist“. Das sich im Denken ergreifende Erkennen „weiß, daß was gedacht ist, ist; und daß, was ist, nur ist, insofern es Gedanke ist“. (E, 464 (§ 465)) Damit jedoch hat dieser Standpunkt nicht nur im Zusammenführen von Inhalt und Form sowie von Unmittelbarkeit und Vermittlung alle Unmittelbarkeit abgebaut, sondern zugleich auch individuelle Meinigkeit in eine allgemeine Reflexivität aufgelöst. Denn was immer noch an individuelle Selbstreflexion erinnern konnte, wurde zur reinen Selbstbezüglichkeit der Form selbst abgebaut.⁴³ In der Vermittlung von Unmittelbarkeit und Vermittlung in der Hervorbringung des Inhaltes durch die Form werden nicht nur die Vermittlung und die Vermitteltheit zum Wesentlichen, sondern wird zudem die Form überhaupt zur Sache. Eine Folge ist klarerweise darin zu sehen, dass die in der Entwicklung zum Denken implizite Aufhebung des (unmittelbaren) Inhaltes in die (allgemeine) Form der von Jacobi formulierten Systemkritik nicht entkommen können wird. Diese Systemkritik, die darin bestand, dass das systematisch-systemische Denken die Form zur Sache erhebt und die eigentliche Sache damit zu einem irrelevanten Nichts degradiert⁴⁴,

 „Während also auf dem Standpunkte der Vorstellung die, – theils durch die Einbildungskraft, – theils durch das mechanische Gedächtniß bewirkte Einheit des Subjectiven und Objectiven, – obgleich ich bei der Letzteren meiner Subjectivität Gewalt antuhe, – noch etwas Subjectives bleibt; so erhält dagegen im Denken jene Einheit die Form einer sowohl objectiven wie subjectiven Einheit, da dieses sich selber als die Natur der Sache weiß.“ (VorPG, 1110 (§ 465 Z))  Vgl. AF, 201.

248

7 Individualität im Kontext

greift auch bei Hegels spekulativem System. Und dies zumindest insofern, als die jeweils irreduzible und lebensweltlich eingebettete Innenperspektive einer Person nicht nur als Erkenntnismodus verabschiedet ist, sondern auch als Phänomen selbst gar nicht vorkommt: eben weil der Erkenntnismodus ein anderer ist. Dass dann diese Einzelheit nicht als konkrete Person im Blick ist, sondern strikt und intentional in allgemeinen Formverhältnissen thematisiert wird, bestätigt ja gerade die Entwicklung der Realphilosophie. Die in der Logik entwickelte Struktur, nach der der Verlust des Begriffes in der Einzelheit gerade wieder rückgängig gemacht werden musste, zeigt sich auch in der Realphilosophie von Beginn an.⁴⁵ Alle Unmittelbarkeit wird in die spekulative Relationalität überführt. Der Verlust der konkreten Person ist jedoch keine Folge der Entwicklungen in der Realphilosophie, sondern eine durch die Logik bestimmte Voraussetzung für die Realphilosophie. Diese lässt den Einzelnen allein als jene Formbestimmtheit in den Blick kommen⁴⁶, die die konkrete Person in ihrem jemeinigen Innesein gar nicht kennt. Jacobis Kritik am Begriff lautete: „[D]er Mensch erkennt nur indem er begreift; und er begreift nur indem er – Sache in blose Gestalt verwandelnd – Gestalt zur Sache, Sache zu Nichts macht.“ Auf Hegels vermittelte Unmittelbarkeit übertragen könnte Jacobis Kritik so formuliert werden: Der Geist erkennt sich nur, indem er sich selbst ergreift; und er ergreift sich nur, indem er – als absolute Form Sache in bloße Gestalt verwandelnd – Gestalt zur Sache, Sache zu Nichts macht. Individualität, wie sie in der Anthropologie verhandelt werden kann, hat keinen Bestand, weil sie als Unmittelbarkeit in Unwahrheit verbleibt und gegenüber dem Projekt der Selbsterkenntnis des Geistes nur ‚Eitelkeit‘ ist. Die Individualität als solche ist selbst dort nur Form, die einen nur partikularen und unwesentlichen Inhalt aus dem zufälligen ‚Außereinander‘ der Natur erhalten kann. Wenn Hegel das Individuum in den Umkreis der Unverwechselbarkeit bringt, in der sie Jacobi genuin verortete, so ist dies allenfalls eine oberflächliche Übereinstimmung beider Konzeptionen. Denn indem die Wahrheit bzw. das An-

 B. Sandkaulen kommt zu einer ähnlichen Schlussfolgerung, wenn sie in der Enzyklopädie Hegels eine grundsätzliche Spannung zwischen einem auf Wirklichkeit gerichteten Nachdenken einerseits und dem auf sich selbst gerichteten Denken andererseits ausmacht (vgl. Sandkaulen [2011]: Denken und Nachdenken, 24). Dem Nachdenken räumt Hegel in Abgrenzung zu Fichte oder Schelling, die das Absolute an den Anfang setzen, zwar in der Einleitung der Enzyklopädie den Vorrang ein (vgl. Sandkaulen [2011]: Denken und Nachdenken, 25). Doch stellt Hegel das Nachdenken schlussendlich unter das Primat des auf Letztbegründung zielenden Denkens, das Hegels Ansatz, Sandkaulen zufolge, zu einer „Philosophie des Übergriffs“ macht. „Voraussetzungen des Nachdenkens verwandeln sich in Setzungen des strikte Notwendigkeit reklamierenden Denkens, und was sich diesem machtvollen Übergriff der Notwendigkeit nicht fügt, wird als unwesentlich ausgeschieden.“ (Sandkaulen [2011]: Denken und Nachdenken, 31)  Vgl. dazu Kapitel IV: Figuren der Andersheit.

7.5 Der objektive Geist – Das Abstrakte Recht

249

sich des Endlichen das Unendliche ist, das sich als dieses manifestiert, so ist der zugrundeliegende Ermöglichungsgrund der Einheit des Individuums eine Reflexivität, die als Form des einen Geistes dessen Einheit aus der Vermittlung als Vermittlung realisiert.⁴⁷ Damit liegt die Differenz zu Jacobi offen zutage: Hegel verhandelt in der Anthropologie keine Person im Sinne Jacobis. Dazu fehlen ihm grundlegend die Mittel, indem er nur über die Form handeln kann. Das System selbst ist – erstens – als System Vermittlung schlechthin und damit aus Prinzip Abbau von Unmittelbarkeit. Aber es vermag ein System, eben weil es Vermittlung ist, – zweitens – einer solchen Unmittelbarkeit, wie sie Jacobi für die Person reserviert, gar keinen Platz anzuweisen, um hernach die Vermittlung dieser Unmittelbarkeit aufzuzeigen. Die Person, die Jacobi im Blick hat, ist keine Ansammlung zufälliger Eigenschaften. Es geht Jacobi um die jeweilig singuläre Person, die sich praktisch-existentiell in der Innenperspektive im Vollzug selbst erfährt. Weil eine solche sich grundsätzlich der theoretisch-distanzierenden Vermittlung entzieht, hat das Individuum gar nie in dem Horizont eines Systems verortet werden können, welches als solches nur das kennt, was die Vermittlung bestimmbar macht. Die Person im Sinne Jacobis ist prinzipiell der systematisch bedingte blinde Fleck, den das System selbst nicht wahrnehmen kann.⁴⁸

7.5 Der objektive Geist – Das Abstrakte Recht Die Vollendung der Subjektivität des Willens besteht darin, objektiv zu werden. Diese Objektivität wird auf zweierlei Weise verwirklicht: einmal schlicht als Ver A. Hutter bezieht ausführlich Stellung zum Thema Endlichkeit und Unendlichkeit bei Hegel in seiner Antrittsvorlesung (vgl. Hutter [2007]: Hegels Philosophie des Geistes, 81 ff). Dabei bemerkt er, dass Hegel selbst das ausschließlich endliche Denken als Ausgangspunkt seines Denkens wählt (vgl. Hutter [2007]: Hegels Philosophie des Geistes, 83) und weist darauf hin, dass Hegel damit geeignet sei, das heutige (ausschließlich) endliche Denken zu kontrastieren und zu kritisieren. Insofern sieht Hutter im unendlichen Denken eine Chance gegen das endliche Denken – eine Chance, ebenso das Individuum aufzuwerten, auch vor dem Hintergrund der Metaphysik Hegels. Aber gerade diese Metaphysik bringt die von Hutter anvisierte Aufwertung des Subjekts (Ich als Präsenz der Unendlichkeit) und die Aufwertung des Individuums wieder in Gefahr.  Es folgt hier noch die Verhandlung des Willens, die aus Platzgründen übersprungen wird. Aber auch hier zeigt sich: Aus dem Sich-Bestimmen des Einzelnen aus der Allgemeinheit wird ein SichBestimmen der Allgemeinheit überhaupt, die der Einzelheit nur als Moment bedarf, um in diesem sich zu verwirklichen, sodass Hegel gegenüber der Wahrheit der Vernunft jene Vorstufen – mit einer auch hier zu relativierenden Drastik – als „äußerliche Zufälligkeit, Meynung, wesenlose Erscheinung, Unwahrheit, Täuschung u.s.f.“ bezeichnen kann (GR, 23 (§ 1 A)), die sich als Schein erweisen, „indem alle Einzelheiten in den Begriff des Allgemeinen schließlich wieder zurückkehren“. (GRS, 86 (§ 32 Z))

250

7 Individualität im Kontext

wirklichung subjektiver Zwecke des Individuums (vgl. GR, 44 (§ 26)) und einmal, indem der Geist selbst Welt wird und eine objektive, das heißt in der Welt real vorzufindende, Struktur hervorbringt. Manifeste Struktur der Wirklichkeit wird der Geist dann, wenn sich der Wille von allen Unmittelbarkeiten der Subjektivität frei gemacht hat und der freie Wille den freien Willen will, indem er die Distinktion von Subjekt und Objekt übergreifend (vgl. GR, 45 (§ 28)) sich selbst zum Recht als unmittelbarem Dasein der Idee macht (vgl. GR, 45 (§ 29)). Dieses unmittelbare Dasein ist die Person.

Die Person Das Konzept der Person verweist auf eine lange Tradition, die den Einzelnen ab dem Mittelalter vor allem aufgrund seiner Freiheit und Würde⁴⁹ von einer bloßen Sache zu unterscheiden suchte.⁵⁰ Hegels Konzept der Person reiht sich hier ein, insofern auch dieses die besondere Stellung des Menschen zu begründen sucht – jedoch in signifikanter Differenz zu Jacobi, insofern das Konzept der Person eine vollkommen andere Funktion im Rahmen des Systems übernimmt. Hegel adressiert Person in dieser Konstellation einerseits als ein raum-zeitlich verortetes Individuum; andererseits jedoch – angezeigt dadurch, dass Person nicht im subjektiven Geist verhandelt wird, – ist Person in erster Linie ein formelles Konzept, das sich nicht aus der Beschaffenheit des Einzelnen für sich, sondern aus den objektiven Konstellationen speist, in die der Einzelne eingebettet ist. Person ist man vor dem Recht. Man ist Rechtsperson. Diese objektiven Verhältnisse sind es, aus denen sich dann die Freiheit und Würde der Person ableiten. Hegel führt die Person bzw. die Persönlichkeit in der Rechtsphilosophie anhand der in der Logik gewonnenen Bestimmungen von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit ein, deren Anwendung in Analogie zu der ebenfalls dort entwickelten Struktur des Ich geschieht.⁵¹

 Vgl. Kobusch [1993]: Die Entdeckung der Person.  G. Mohr gibt einen Überblick über den Begriff der Person bei Kant, Fichte und Hegel. Er benennt Unterschiede und Gemeinsamkeiten, jedoch geht er nicht auf die Spannungen zwischen Systemanspruch und einzelnem Individuum in den jeweiligen Theorien ein (vgl. Mohr [2001]: Der Begriff der Person bei Kant, Ficht und Hegel).  Vgl. Quante [2005]: Die Persönlichkeit des Willens, 78 ff. Quante macht zudem darauf aufmerksam, dass der ganzen Entwicklung der Person zudem die Reflexionslogik von Setzen und Voraussetzen sowie das spekulative Einheitskonzept zugrunde liegen (vgl. Quante [2004]: Hegel’s concept of action, 31 f).

7.5 Der objektive Geist – Das Abstrakte Recht

251

Das Moment der Allgemeinheit entspricht dem Prinzip der Persönlichkeit. Es stellt eine Abstraktionsbewegung von allen Inhalten dar und ist einmal als Struktur der reinen Einheit mit sich als Selbstbewusstsein und einmal gerade vor dem rechtsphilosophischen Hintergrund genauso als eine Freiheit von allen Unmittelbarkeiten zu verstehen.⁵² Basis der einzelnen Person ist bei Hegel diese Abstraktionsbewegung, d. h. das allgemeine Prinzip, dessen Kern kein Inhalt, sondern die Bewegung selbst ist. Person-Sein ist in diesem Sinne gegründet auf das Bewusst-Sein, was Hegel Persönlichkeit nennt. Persönlichkeit haben meint damit nicht etwa einen speziellen Inhalt zu verwirklichen, sondern zunächst nichts weiter als – quasi in der Tradition Lockes stehend⁵³ – sich seines Personseins bewusst zu sein. Der für sich seiende oder abstrakte Wille ist die Person. Das Höchste des Menschen ist, Person zu sein, aber trotzdem ist die bloße Abstraktion Person schon im Ausdruck etwas Verächtliches. Vom Subjekte ist die Person wesentlich verschieden, denn das Subjekt ist nur die Möglichkeit der Persönlichkeit, da jedes Lebendige überhaupt ein Subjekt ist. Die Person ist also das Subjekt, für das diese Subjektivität ist, denn in der Person bin ich schlechthin für mich: sie ist die Einzelheit der Freiheit im reinen Fürsichsein. Als diese Person weiß ich mich frei in mir selbst und kann von allem abstrahieren, da nichts vor mir als die reine Persönlichkeit steht […]. (GRS, 95 (§ 35 Z))

Diese Basis der Person nennt Hegel auch „die formelle, die selbstbewußte sonst inhaltslose einfache Beziehung auf sich in seiner Einzelnheit“. (GR, 51 (§ 35)) Person ist bei Hegel keine individuelle Substanz, wie sie die Scholastik kennt, aber auch keine singuläre Wer-Identität Jacobis, die sich im Vollzug dezidiert als individuelle erfährt. Die einfache Beziehung der Person bei Hegel ist eine allgemeine Selbstbezüglichkeit, die zwar als Einzelheit gedacht werden muss, aber inhaltsleer deswegen ist, weil sie sich zunächst nur formell bestimmt.⁵⁴ Sie konstituiert ein  „Die Allgemeinheit dieses für sich freyen Willens ist die formelle, die selbstbewußte, sonst inhaltslose einfache Beziehung auf sich in seiner Einzelnheit, – das Subject ist in so fern Person. In der Persönlichkeit liegt, daß ich als Dieser vollkommen nach allen Seiten (in innerlicher Willkühr, Trieb und Begierde, so wie nach unmittelbarem äußerlichen Daseyn) bestimmte und endliche, doch schlechthin reine Beziehung auf mich bin und in der Endlichkeit mich so als das Unendliche, Allgemeine und Freye weiß.“ (GR, 51 (§ 35))  Vgl. Siep [1992]: Personbegriff und praktische Philosophie, 98.  „Nach dem Momente der Besonderheit des Willens hat er [der an und für sich freie Wille, D. A.] einen weiteren Inhalt bestimmter Zwecke“ (GR, 51 (§ 34)), der „in der abstracten Persönlichkeit [dem Moment der Allgemeinheit, D. A.], als solcher noch nicht enthalten“ ist. (GR, 52 (§ 37)) Der Wille ist als besonderer bestimmt. Da aber die Bestimmung am Anfang des abstrakten Rechts nur in der Form der Unmittelbarkeit vorhanden ist (GR, 51 (§ 34)), findet er diese Bestimmungen als vom Willen selbst verschiedene nur äußerlich vor. Solche sind z. B. „Begierde, Bedürfniß, Triebe, zufälliges Belieben u.s.f.“. (GR, 52 (§ 37)) Der an und für sich freie Wille ist erst an sich – noch nicht

252

7 Individualität im Kontext

abstraktes Ich, „in welchem alle konkrete Beschränktheit und Gültigkeit negiert und ungültig ist“.⁵⁵ (GR, 51 (§ 35 A)) Hegel dreht somit gerade die Stoßrichtung des Konzeptes der Person um, wenn es ihm entgegen einer Traditionslinie, in der auch Jacobi zu finden ist, nicht um den unerkennbar Einzelnen geht⁵⁶, sondern um den Einzelnen als Träger einer zentralen Eigenschaft, die er aber mit jeder anderen Person teilt. Hegel gewinnt aus dem Prinzip der Persönlichkeit einen prinzipiellen, allgemeinen Status der Rechtsfähigkeit (GR, 52 (§ 36)), der das Personsein von der Singularität der Person ablöst und nur aus dieser Abkehr zu verstehen ist. Hegel bringt es später mit folgenden Worten prägnant auf den Punkt: Es gehört der Bildung, dem Denken als Bewußtseyn des Einzelnen in Form der Allgemeinheit, daß Ich als allgemeine Person aufgefaßt werde, worin Alle identisch sind. Der Mensch gilt so,

für sich – frei, da er sich durch diese Bestimmungen bestimmt findet. Da das Prinzip des abstrakten Rechts die Persönlichkeit ist, die als die inhaltsleere Selbstbezüglichkeit keinen eigenen Inhalt zu generieren vermag, bleibt der Mangel dieser Position vorerst bestehen, insofern sie ihre Inhalte nur aus der Heteronomie der Unmittelbarkeit gewinnen kann. Für das Recht als solches folgt daraus für Hegel, dass es „nicht auf das besondere Interesse, meinen Nutzen oder mein Wohl“ ankommt, „eben so wenig auf den besondern Bestimmungsgrund meines Willens, auf die Einsicht und Absicht“. (GR, 52 (§ 37)) „Weil die Besonderheit in der Person noch nicht als Freiheit vorhanden ist, so ist alles, was auf die Besonderheit ankommt, hier ein Gleichgültiges.“ (GRS, 96 (§ 37 Z)) Der Wille muss sich selbst den Inhalt geben und gänzlich für sich werden.  Das Moment der Allgemeinheit erlaubt es so, sich von aller Bestimmtheit zu distanzieren, selbst von der eigenen Existenz durch Suizid. Freiheit ist im abstrakten Recht daher nur negativ bestimmt, in der Freiheit von etwas. – Das ist auch der Grund dafür, dass das Recht lediglich ein formelles bleibt und sich nicht auf konkrete Inhalte dergestalt erstrecken kann, dass konkrete Handlungen gefordert oder verboten werden könnten. Dies ist erst in der Moralität möglich, wo die Bestimmung des Willens aus sich selbst weiter konkretisiert wird, um daraus überhaupt den Rahmen moralischer und sittlicher Verhältnisse zu gewinnen, Inhalte zu generieren und bewerten zu können. Das Recht beschränkt sich „auf das Negative, die Persönlichkeit und das daraus Folgende nicht zu verletzen“. (GR, 52 (§ 38)) Die Inhalte des Rechts sind nur Möglichkeiten und die rechtliche Bestimmung eine Erlaubnis. Es kann zu keinem Inhalt gezwungen werden, sondern Inhalte sind nur durch Erlaubnis und Verbote reguliert. Das Recht, Eigentum erwerben zu können, zwingt mich nicht dazu, dies zu tun (vgl. Quante [2005]: Die Persönlichkeit des Willens, 87 f).  Vgl. dazu den Artikel Individuum, Individualität in der Antike und Frühscholastik von T. Kobusch. Er zeichnet die Unerkennbarkeit des Individuum bzw. des Individuellen nach und führt hier Aristoteles, Plotin, Boethius, G. von Portiers und R. de Saint-Victor an (vgl. HWPh [Bd. 4]: Individuum, Individualität, 300 ff). Der weitere Artikel über die Spät- und Hochscholastik, der von L. Oeing-Hanhoff verfasst ist, geht dagegen davon aus, dass die Unerkennbarkeit des Individuellen keine verbreitete Lehrmeinung war (vgl. HWPh [Bd. 4]: Individuum, Individualität, 304 ff). B. Sandkaulen bestimmt die originelle Rolle der Personkonzeption Jacobis in dieser Traditionslinie (vgl. Sandkaulen [2012]: ‚Individuum est ineffabile‘).

7.5 Der objektive Geist – Das Abstrakte Recht

253

weil er Mensch ist, nicht weil er Jude, Katholik, Protestant, Deutscher, Italiener u. s. f. ist. (GR, 175 (§ 209 A))

Die Person ist unbestimmt. Die Person in ihrer Unmittelbarkeit findet sich als Einzelheit einer Welt gegenüber, aus der sie ihre Inhalte gewinnen muss. Die Person als Einzelheit bringt selbst keine Inhalte mit.⁵⁷ Diese müssen aus dem Begriff, d. h. der Persönlichkeit, selbst entwickelt werden, da allein hieraus und nicht aus der Person wahrhafte bzw. gültige Inhalte gewonnen werden können. Im Gegenteil ist Person hier nur unbegriffene Unmittelbarkeit. Der „Persönlichkeit des Willens“ ist „die Beschränkung, nur subjectiv zu seyn, widersprechend und nichtig“. (GR, 53 (§ 39)) Die Einheit von Allgemeinem, Besonderem und Einzelnem ist hier noch nicht hergestellt. Die Persönlichkeit ist dagegen „das Thätige, sie [die Beschränkung, D. A.] aufzuheben und sich Realität zu geben, oder, was dasselbe ist, jenes Daseyn [die Einzelheit der Person, D. A.] als das ihrige zu setzen“ (GR, 53 (§ 39)) – d. h. diese Einheit aktiv herzustellen. Das geschieht dadurch, dass sich der sich wollende freie Wille im Recht mit Besitz, Eigentum,Vertrag etc. einen Rahmen gibt, der der erste Schritt zur Verwirklichung der Freiheit ist.⁵⁸

 Die Einzelheit verbürgt hier jedoch nicht die individuelle Bestimmtheit, auch nicht kraft der Tatsache, dass verschiedene Personen existieren und numerisch unterschieden werden müssen. „One cannot object here that because there can be several persons, individuality is preserved through sheer numerical identity. ‚Numerical manyness‘ is, as Hegel says in his logic in a remark on ‚diversity‘, ‚indifferent to likeness and unlikeness‘, since it ‚does not contain any determinate difference‘. But something possesses individuality only when it is different from others ‚through a determination‘.“ (Quante [2004]: Hegel’s concept of action, 27)  Diese Bestimmung der Person spiegelt sich auch in der Konzeption und Einbindung des Eigentums in das abstrakte Recht. Die Person als die inhaltsleere Selbstbezüglichkeit und bloße Subjektivität findet im Eigentum darum nicht nur die Befriedigung der Bedürfnisse, sondern das Vernünftige, „daß sich die bloße Subjektivität der Persönlichkeit aufhebt“. (GRS, 102 (§ 41 Z)) In der Aneignung von Sachen darin, dass die Person das Recht hat, „in jede Sache ihren Willen zu legen, welche dadurch die Meinige ist“ (GR, 57 (§ 44)), verobjektiviert sich der Wille. Die Person erhält im Eigentum somit eine äußerliche Identität, die den Ersatz für die Identität darstellt, die die Person aus sich nicht mitbringt. „Ich gebe ihm meine Seele“ (GRS, 107 (§ 44 Z)), so Hegel, und lege in den Gegenstand einen anderen Zweck als denjenigen, den er unmittelbar hatte. Dies ist zugleich auch Abbau von unvermittelter Unmittelbarkeit der Natur, indem die Sache, die sich die Person aneignet, keinen eigenen Bestand mehr hat, sondern nur besteht vermittels ihres Willens. Im Gegenzug erhält sie Inhalt, der sie definiert. Die „Notwendigkeit des Privateigentums“ (GRS, 108 (§ 46 Z)) ist so auch Teil der Realisierung der Freiheit, die im Anheben der Rechtsphilosophie also nicht mit intrinsischen Besonderheiten einer Person, sondern mit äußerlichen und anzueignenden Besonderheiten verknüpft ist. Das Eigentum wird daher zum Schlüssel dafür, den mit Hegels Individualitätskonzept verbundenen Mangel an Bestimmtheit auszugleichen und dem Konzept auf diesem Wege eine Komponente der Selbstverwirklichung zu implantieren. – Eigentum sowie auch später das System der Bedürfnisse in der bürgerlichen Gesellschaft sind auf der einen Seite

254

7 Individualität im Kontext

Die natürliche Existenz In dieser Spannung von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit, in der der Personenbegriff ausgetragen wird, bindet Hegel dennoch in zentraler Position die natürliche Existenz ein. Das heißt in dem Falle jedoch nichts anderes, als dass ich als Person, als der „unmittelbare Begriff“,verwiesen bin auf einen organischen Körper, der mir exklusiv zugehört und „welcher mein dem Inhalte nach allgemeines ungetheiltes äußeres Daseyn, die reale Möglichkeit alles weiter bestimmten Daseins, ist“. (GR, 58 (§ 47)) Explizit verweist Hegel auf die Naturphilosophie und Anthropologie, die er damit als Horizont für die natürliche Einzelheit der Person aufspannt (GR, 58 f (§ 47 A)). Es liegt jedoch auf der Hand, dass Hegel damit die bereits bei der Anthropologie diskutierte Problematik in den Personenbegriff importiert. Hier wird die Person lediglich auf ihre Natürlichkeit zurückgeführt, die in der Ansammlung von kontingenten und unwesentlichen Eigenschaften besteht. Jacobis Rekurs auf die Unmittelbarkeit in der Unphilosophie zielt jedoch nicht auf die Natürlichkeit, sondern auf die praktisch-existentielle Performanz der namentlichen Person. Hegel betont daher im Personenbegriff die intendierte und schon immer wirksame Verlagerung von der Unmittelbarkeit zur vermittelten Unmittelbarkeit, die auch hier nach dem bekannten Muster organisiert ist, das Ungenügen der Unmittelbarkeit gegenüber der ausstehenden Durchsichtigkeit des Begriffes auszuweisen.⁵⁹ In dem Maße, wie jedoch Unmiterreichte Fortschritte der hegelschen Theorie, die sicherlich zurecht von Autoren hervorgehoben werden (vgl. z. B. Ritter [2005]: Person und Eigentum, 70 oder vgl. Jaeschke [2003]: Hegel-Handbuch). Jedoch bleibt dies auf der anderen Seite vor den dargelegten Grundstrukturen eine Oberfläche der hegelschen Philosophie, die nicht das Ganze zeigt.  Die erste Stufe ist die Unangemessenheit des Körpers an den Geist. „Um williges Organ und beseeltes Mittel desselben zu sein, muß er erst von ihm in Besitz genommen werden.“ (GR, 59 (§ 48)) Diese aktive Formung des Körpers verweist einerseits auf die Anthropologie, in der Hegel Phänomene beschreibt, in denen sich der Geist bereits im Körper einen Ausdruck verschafft. Andererseits grenzt sich die aktive Formung des Körpers aber von der Anthropologie ab, insofern hier willentliche Selbstbestimmung den Brennpunkt bildet, mittels derer ich, so Hegel, „ein Freyes in meinem Körper“ bin (GR, 59 (§ 48)) und so mich selbst im Gegensatz zum Tier „verstümmeln oder umbringen“ kann. (GR, 59 (§ 47 A)) Der Körper bleibt aber nur Gegenstand der notwendigen Formung, ohne ein eigenes Recht gegen den Geist zu haben, zumal zwar beide als Einheit Bestand haben, jedoch die Verbindung beider im System allein unter dem Primat des Geistes gedacht werden kann. Die zweite Stufe ist die Unangemessenheit des Geistes an den vernünftigen Geist. Dies macht sich von Beginn an im abstrakten Recht dadurch bemerkbar, dass der Inhalt des Geistes zunächst ein vorgefundener ist, aber als eben dieser keinen Bestand haben kann. Das Selbstbewusstsein der Freiheit hat noch gar keinen Inhalt, der aus sich selbst bestimmt wäre (GRS, 92 (§ 34 N)) und unterliegt damit der Notwendigkeit einer Transformation hin zu einem Willen, dessen Inhalt aus

7.6 Der objektive Geist – Die Moralität

255

telbarkeit bei Jacobi eben nichts mit einer bloßen Natürlichkeit zu tun hat, richtet Hegels Vermittlungsbewegung bei dem richtig verstandenen Personenkonzept Jacobis gar nichts aus. Im Gegenteil bestätigt diese Aufhebungsbewegung die ursprüngliche Intention des Sprunges.

7.6 Der objektive Geist – Die Moralität Unterschiede zum Recht Hegel entwickelt zu Beginn der Rechtsphilosophie die Konzepte Person und Persönlichkeit als Prinzipien für die gesamte Entwicklung von Recht, Moralität und Sittlichkeit. Von diesen beiden Prinzipien müssen Person und Persönlichkeit, insofern sie im abstrakten Recht verhandelt werden, als Teilprinzipien unterschieden werden, die an eine bestimmte Konstellation der Einzelmomente von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit gebunden bleiben und anderen Teilprinzipien gegenüberstehen.⁶⁰ Das Prinzip für die Moralität ist das Subjekt. Das Eigene und gegenüber dem abstrakten Recht Neue besteht darin, dass es „nun nicht mehr um das Dasein der Freiheit der Person in einer äußerlichen Sache zu thun ist, sondern um ‚die Willensbestimmtheit überhaupt als Daseyn in ihm als

ihm selbst generiert wird. Dies allerdings führt über das abstrakte Recht hinaus zur Moralität und Sittlichkeit, wo dies schlussendlich realisiert wird. Das aber heißt zugleich auch, dass die Konzepte der Person und der Persönlichkeit als solche aufgrund ihrer Bestimmungslosigkeit unangemessene Konzepte sind, jedoch in Moralität und Sittlichkeit nur von solchen Konzepten abgelöst werden, die Bestimmtheit als zunehmend vernünftige realisieren und so konkret ausarbeiten, was es heißt, dass das Endliche im Unendlichen sein Ansich hat. So wird quasi nicht nur der Körper vom individuellen Geist in Besitz genommen, sondern gezeigt, dass der individuelle Geist immer schon im Besitz des absoluten Geistes ist. Unter Systembedingungen ist es daher richtig zu sagen, dass ich mir den Geist aneigne, wie es auch richtig ist, dass der Geist sich mich aneignet. Die Austauschbarkeit beider ist dabei das eigentliche Problem, insofern Hegel hier eigentlich nur die Selbstbestimmung des Inhaltes selbst denkt. Alles Eigene wird als bloße Partikularität und Eitelkeit gefasst, die nicht festzuhalten sind. Der vernünftige Inhalt ist also nur insofern kein der Person fremder Inhalt, als die Person gar keinen eigenen Inhalt hat. Die Selbstbestimmung der Person bei Hegel ist daher entweder die des Begriffes oder Unwesentliches. Die eigene Identität besteht nur in einer Sich-selbst-Gleichheit in der Reflexion, wie wir sie beim Ich finden und ist damit eine reflexive, aber keine substantielle. Die Identität der Person ist die Identität durch das Allgemeine und mit dem Allgemeinen, darüber hinaus es keine Identität gibt (vgl. Quante [2005]: Die Persönlichkeit des Willens, 84).  Vgl. Quante [2005]: Die Persönlichkeit des Willens, 76.

256

7 Individualität im Kontext

die seinige‘“.⁶¹ Im Recht ist der als einzeln seiende Wille vom allgemeinen Ansich getrennt, weil die Manifestation der Freiheit der Person an den Vertrag gebunden ist, der nie über Personen, sondern nur über Sachen handelt⁶² (GR, 54 (§ 40 A)). Dieser Gegensatz wird in der Moralität aufgehoben, um so nicht nur ansich seiender freier Wille zu sein, sondern – indem die Persönlichkeit, d. h. die Selbstbezüglichkeit, zum Gegenstand des Willens selbst wird – fürsich seiender freier Wille (GR, 96 (§ 104)). Die Moralität hat daher insofern das Subjekt zum Prinzip, als der Wille sich nicht in seiner Einzelheit gegen ein (äußerliches) Allgemeines festhalten kann, sondern sich in seiner Allgemeinheit selbst ergreift: „[D]ie so für sich unendliche Subjectivität der Freyheit macht das Princip des moralischen Standpunkts aus.“ (GR, 96 (§ 104)) Der ‚höhere Boden der Freiheit‘ (vgl. GR, 99 (§ 106)) gestaltet sich in der Moralität als Existenz der Idee in der Einzelheit, die ihr ein reales Moment ist. Das heißt: Der Wille wird nicht als Einzelheit gegen ein Allgemeines verstanden, sondern als Einzelheit in Einheit mit dem Allgemeinen, deren auch in der Moralität noch ausstehende Verwirklichung die Erfahrung des Sollens zur Konsequenz hat. Hegel liefert hier jedoch keine Ethik, die konkrete Handlungsanweisungen anböte. Er entwickelt hingegen grundsätzlich die Spannung zwischen Allgemeinem und Einzelnem als Frage nach der ‚Selbstbestimmung des Willens‘ als Handlung im Angesicht eines ansich seienden Inhalts (GR, 102 (§ 113)) und realisiert hierin konkret die Überwindung des Determinismus der Substanz Spinozas vermittels des Begriffes.War das Subjekt bzw. die Person im abstrakten Recht nur Rechtssubjekt, das seine Freiheit äußerlich auf Sachen bezogen verwirklichte, so nimmt Hegel in der Moralität das Subjekt damit aber auch viel konkreter in den Fokus. Vor dem Hintergrund der Herbeiführung der Identität von ansich und fürsich seiendem Willen muss sich das Subjekt nach allgemeinen, aber noch subjektiven Grundsätzen selbst zum Handeln bestimmen. Hegel führt das in einer Art Handlungstheorie⁶³ aus und handelt dabei Konzepte wie Zurechnungsfähigkeit und Schuld, Vorsatz, Absicht, Zweck, aber auch das Gute und das Gewissen ab.

 Jaeschke [2003]: Hegel-Handbuch, 382.  „Hegel can therefor maintain that in Abstract Right, the freedom of the will (as self-reference) appears only in a thing […] and the conceptual relationship of the particular will to the universal will cannot be directly grasped.“ (Quante [2004]: Hegel’s concept of action, 33)  M. Quante spricht von einer Handlungstheorie, die Hegel hier verhandelt (vgl. Quante [1993]: Hegels Begriff der Handlung bzw. Quante [2004]: Hegel’s concept of action).

7.6 Der objektive Geist – Die Moralität

257

Handlung Damit ist jedoch auch offensichtlich, dass in dieser von Hegel angebotenen Handlungstheorie in gewisser Weise die Spinoza- und Jacobi-Kritik einen wichtigen, wenngleich auch nicht namentlich mit beiden verwobenen, aber inhaltlich direkt darauf bezogenen Höhepunkt findet. Denn der von Spinoza ausformulierte und von Jacobi aufs schärfste kritisierte Nexus von System und Determinismus ist zwar indirekt von Hegel immer schon aufgelöst, indem er Freiheit zum Kern des Systems überhaupt macht. Aber hier adressiert er den Problemkomplex in einem praktischen Kontext, indem Freiheit konkret nicht darin besteht, Einsicht in die Notwendigkeit zu gewinnen. Hier in der Realphilosophie bzw. genauer in der Moralität besteht Freiheit darin, den Willen in einen fürsich freien Willen zu überführen, um die Freiheit „wirklich“ zu machen (GR, 99 (§ 106)), die sich in der Handlung Ausdruck gibt⁶⁴ (vgl. GR, 102 f (§ 113 A)). Der Wille hier „weiß sich als frei, d.i. daß die Freiheit in ihm ist“ (GRS, 203 (§ 105 N)) und ist im Wissen um diese Freiheit die Grundlage für den Vollzug der Handlung. In Kontrast zum abstrakten Recht, wo allein die Legalität vor dem Recht entscheidend war, steht die Freiheit des Willens nun grundsätzlich „als die wesentliche Absicht des Handelnden“ infrage. (GR, 110 (§ 124)) Selbstbestimmung wird somit in der Moralität zum Fokus des Interesses und zum Ordnungsprinzip des gesamten Abschnitts, insofern die Entfaltung des Begriffes hier als eine Entwicklung der Voraussetzungen, Rahmenbedingungen und Konsequenzen der Selbstbestimmung gelesen werden kann. Der Wille an sich ist in seiner Selbstbestimmung eine Voraussetzung dafür, dass das Subjekt als selbstbestimmtes angesprochen werden kann, auch wenn es einem bloß partikularen Willen unterworfen ist. ⁶⁵ Denn weil der Wille sich hier als subjektiver setzt, ist nun auch der Inhalt in der Form von „Zwecken, Vorsätzen,

 „In this way, the freedom of the will, which until now had only expressed itself as taking possession of objects and as a negative, limiting relatedness to other persons, is further developed conceptually into subjective freedom.This freedom consists in the subject determining itself to will the in-itself rational and righteous.“ (Quante [2004]: Hegel’s concept of action, 23)  „The formula ‚self-determination of the will‘ should be separated into two aspects: One is the internal reflection-into-itself of the will as concept, which gives itself existenceD in a particular willing in order to become ‚actual‘ as punitive justice. This counts as an instance of ‚self-determination‘ because the will being-in-itself determines in a free decision the motive of a particular will. This self-relationship is a necessary consequence of the conceptual nature of the will itself. Further – and this is the second aspect – this ‚self-determination‘ must be conceived as a determination that a will free for-itself gives to itself. It is also a self-determination of a particular will. In the moral will – that is, in the determination of the person to the subject – this free self-determination is (implicitly) thought and developed by Hegel as necessary from the conceptual structure of the will itself.“ (Quante [2004]: Hegel’s concept of action, 43)

258

7 Individualität im Kontext

Interessen“ als subjektiver gesetzt und daher insofern unterschieden von einem bloßen Trieb. Unter diesen Bedingungen kann sich das Subjekt entweder dazu bestimmen, „dem an sich seyenden Willen angemessen zu seyn“, was in jenem Sollen erfahren wird, oder aber nicht. Der Wille „enthält eben so die Möglichkeit, dem Begriffe nicht angemessen zu seyn“.⁶⁶ (GR, 101 (§ 111)) Dieser hier geschaffene Freiraum gibt einerseits die begrifflichen Mittel an die Hand, Selbstbestimmung zu denken, um sie jedoch letztlich in gewisser Hinsicht wieder auszuhöhlen. Denn dem Subjekt und seiner Selbstbestimmung wird in seiner Besonderheit zwar ausdrücklich ein „Recht“ eingeräumt, „in der Handlung seine Befriedigung zu finden“.⁶⁷ (vgl. GR, 108 (§ 121)) Diese ist jedoch zu subjektiv. Dies ist deswegen der Fall, weil die Selbstbestimmung noch nicht an der Allgemeinheit des Guten als der „Substanz“ des Willens ausgerichtet ist, die als das Gute überhaupt den Rahmen vorgeben muss, innerhalb dessen das Besondere nur insoweit „Gültigkeit“ hat, als „es ihm gemäß und ihm untergeordnet ist“. (GR, 114 (§ 130)) Der Mangel der Selbstverwirklichung ist in der Moralität keiner des Inhalts, wie es noch im abstrakten Recht der Fall war, sondern einer der Form des Inhalts, der sich am Guten zu orientieren hat. Das Subjekt darf keinen Inhalt haben außer dem, der aus dem Zusammenfall der Einzelheit mit dem ansich seienden Willen, d. h. der Vernunft, gewonnen werden kann bzw. mit ihm konform geht⁶⁸ (vgl. GR, 114 (§ 130)). Die Realisierung der Freiheit versteht sich in erster

 Zur detaillierten Darlegung der Handlungstheorie Hegels vgl. Quante [2004]: Hegel’s concept of action, 99 ff.  Der Mensch hat „ein Recht, sich solche unfreien Zwecke zu setzen, die allein darauf beruhen, daß das Subjekt ein Lebendiges ist“. „Es ist nichts Herabwürdigendes darin, daß jemand lebt, und ihm steht keine höhere Geistigkeit gegenüber, in der man existieren könnte.“ (GRS, 232 (§ 123 Z)) Insofern räumt Hegel der Sphäre der (natürlichen) Existenz einen Raum ein, der ihm zufolge mit den an und für sich geltenden Zwecken nicht in Widerspruch steht. Im Gegensatz zu Kant, dessen Moraltheorie die Implikation mit sich führt, „mit Abscheu zu thun,was die Pflicht gebeut“ (GR, 110 (§ 124 A)), steht bei Hegel z. B. Ruhm nicht im Gegensatz zur (moralischen) Umsetzung einer Pflicht (vgl. GR, 110 f (§ 124)). Darin sieht Hegel den „Wende- und Mittelpunkt in dem Unterschiede des Alterthums und der modernen Zeit“ (GR, 110 (§ 124 A)) und nennt das „persönliche Daseyn“ sogar pathetisch „Leben“. (GR, 112 (§ 127))  G. Gamm stellt die Verbindung zur Logik her: „Die Dialektik muß die bedeutungsvolle Unschärfe jeder Handlung dem Bereich des bloß Zufälligen zuschlagen, weil sie, durch das identitätslogische Vorurteil totalisierender Vernunft (Totalität der Bestimmungen) gebannt, das, was ist, nur dann als wahr und wirklich zu qualifizieren weiß, wenn es bestimmt ist. Sie weiß alles Wirkliche als in sich notwendig bestimmt. Wirkliches Sein ist vernünftiges Bestimmtsein. Anders gesagt, die Subsumtion des Unbestimmtheitsmoments an der Handlung unter das Zufällige oder Bedeutungslose oder seine Dequalifikation als Zufälliges ist mitgesetzt durch dessen Explikation im Rahmen des systemischen Rationalismus totalen (wesenslogischen) Identifizierens. Es allein

7.6 Der objektive Geist – Die Moralität

259

Linie aus dem Subjektiv-Werden der ansich seienden Vernunft in einem Subjekt, womit aber die Objektivität jener Vernunft verwirklicht wird.⁶⁹ Die Besonderheit der Subjektivität wird so nicht aufgehoben, jedoch in einen Rahmen gesetzt, der sie definiert und bestimmt.⁷⁰ Das von Hegel hier nun präsentierte „Recht, nichts anzuerkennen, was Ich nicht als vernünftig einsehe“ (GR, 115 (§ 132 A)), ist damit nicht nur ein Gewinn für die Freiheit des Einzelnen, sondern genauso die Überführung des Konkreten in die Form des Allgemeinen.⁷¹ rechtfertig im Voraussetzungen einholenden, spekulativen Begründungsdiskurs das Prädikat ‚wahr‘.“ (Gamm [1986]: Wahrheit als Differenz, 80)  C. Menke vertritt die These, „daß Hegel hier [in der Phänomenologie, D. A.], wo er die moderne Gestalt der Individualität aus der Perspektive der Tragödie und als Resultat ihrer Erfahrung betrachtet, auch zu einer ganz anderen Bewertung der Ironie gelangt. Als Theoretiker der Tragödie ist Hegel, was er nach verbreiteter Deutung und an vielen Stellen seines Werkes tatsächlich nicht ist: ein Theoretiker der Individualität, und zwar in ihrer dezidiert modernen Gestalt, als ironische Individualität“. (Menke [1996]: Tragödie im Sittlichen, 143) Das seiner individuellen Freiheit inne werdende Subjekt ist ein ironisches (verstellendes und sich setzendes): Denn es sieht sich nicht mehr als Ausdruck einer Tugend (eines Gemeinwesens), sondern setzt sich selbst als das Gute. Das Subjekt wird vom Medium zum Meister des Sittlichen. (Menke [1996]: Tragödie im Sittlichen, 148) Daher ist festzuhalten, dass sich das Bild gegenüber der Phänomenologie in den Grundlinien deutlich geändert hat.  C. Binkelmann sieht dieses Vorgehen Hegels ähnlich kritisch. „Im Gegensatz zu Fichte muss man bei Hegel eher von einer Sinnerfahrung statt einer Sinnstiftung des Subjekts sprechen. […] Der Vollzug subjektiver Freiheit wird der Manifestation der objektiven Freiheit untergeordnet; so wird sich das Subjekt zwar objektiv, verliert aber zugleich die kritische Stellung angesichts der objektiven Wirklichkeit: Deren allgemeingültigen Werten vermag das bloß formale Subjekt nicht, in kritischer Absicht eigene Werte entgegenzusetzen. Widersetzt sich das subjektive Gewissen der objektiven Wirklichkeit, dann verharrt es in sich selbst, gelangt nicht zu vernünftigen Handlungen und unterliegt letztlich der Gefahr, böse zu werden.“ (Binkelmann [2007]: Theorie der praktischen Freiheit, 345)  Von einer Wiederherstellung des Gleichgewichtes zwischen Einzelnem und Allgemeinem oder gar von einer Wiederherstellung der substantiellen Subjektivität in der Figur des Gewissens, die der „abstracten Beschaffenheit des Guten“ als „das Besonderheit setzende, das Bestimmende und Entscheidende“ als Gegengewicht entgegengestellt wird und sich den Ausführungen zum Guten anschließt (GR, 119 (§ 136)), kann nicht geredet werden. Im Kontrast zum vernünftigen und damit objektiven Guten bleibt das Gewissen als Instanz für die Urteilsfindung über Gut und Böse bloß subjektiv und insofern grundsätzlich nicht in der Lage, in der unmittelbaren „Berufung nur auf sein Selbst“ Basis für eine belastbare Entscheidung zu sein (GR, 119 (§ 137 A)). Dem Gewissen haftet eine unansehnliche „Zweideutigkeit“ dahingehend an, dass es „als ein Heiliges behauptet und anerkannt wird“, aber doch nur „subjektive Reflexion des Selbstbewußtseins“ ist, die Anspruch auf eine Objektivität macht, die ihr aber „nur vermöge ihres an und für sich gültigen vernünftigen Inhalts zukommt“. (GR, 120 (§ 137 A)) Dieser Mangel an Vernünftigkeit wird dem Subjekt zugestanden, gebiert aber in der Freiheit, „die eigene Besonderheit über das Allgemeine zum Principe zu machen und sie durch Handeln zu realisieren“, das Böse (GR, 121 (§ 139)). Entsprechend der vorher schon oft gesehenen Verdrängung des Besonderen ins bloß Partikulare, hält Hegel auch

260

7 Individualität im Kontext

7.7 Der objektive Geist – Die Sittlichkeit Die Moralität ist die Sphäre der (endlichen) Subjektivität. Die Überwindung des Mangels besteht nun plakativ gesprochen darin, die Subjektivität der Einzelheit und die Objektivität des Allgemeinen zu einem „lebendigen Guten“ zusammenzuführen. Dieses hat „in dem Selbstbewusstseyn sein Wissen, Wollen, und durch dessen Handeln seine Wirklichkeit“. Im Gegenzug ist das Selbstbewusstsein im Guten auf seine „an und für sich seyende Grundlage“ gestellt.⁷² (GR, 137 (§ 142)) Die ‚Sittlichkeit‘ genannte Einheit beansprucht als Stufe der Entwicklung des Geistes, die Verwiesenheit auf einen äußerlich aufgefundenen Inhalt überwunden zu haben, da sie stattdessen in „an und für sich seyenden Gesetzen und Einrichtungen“ einen „festen Inhalt hat, der für sich nothwendig und ein über das subjective Meynen und Belieben erhabenes Bestehen ist“, weil dergleichen Inhalte nun „durch den Begriff bestimmt sind“. (GR, 137 (§ 144)) Gleichwohl Hegel das subjektive Moment betont, spricht er von Beginn an auch von der „Macht“ des Begriffes, die eine „unendlich festere Autorität“ darstellt, als die Natur es ist und der gegenüber die Individuen sich „nur als ein Akzidentielles verhalten. Ob das Individuum sei“, fährt Hegel fort, „gilt der objektiven Sittlichkeit gleich, welche allein das Bleibende und die Macht ist, durch welche das Leben der Individuen regiert wird“. (GRS, 294 (§ 145 Z)) Dem auch Hegel gegenwärtigen Einwand, das Individuum verschwände unter dieser Übermacht der Sittlichkeit, tritt er sogleich selbst entgegen, indem er darauf verweist, dass die objektiven Gesetze und Einrichtungen „dem Subject nicht ein Fremdes“ sind, sondern dieses darin sein eigenes Wesen erkennt in einer Intimität, wie es selbst

hier fest, „daß nicht auf ihm [dem Standpunkt der Entzweiung von Allgemeinem und Einzelnem, D. A.] stehen geblieben, und die Besonderheit nicht zum Wesentlichen gegen das Allgemeine festgehalten, daß er als nichtig überwunden werde“. (GR, 122 (§ 139 A)) Wenn also auf solche Weise das Festhalten am Besonderen das Böse ist, wird deutlich, welche engen Grenzen der Selbstverwirklichung bei Hegel auferlegt werden.  In der Subjektivität des Gewissens und der Objektivität des Guten ist sie als abstrakt gegeben, aber noch nicht gesetzt. „Dieß Gesetztwerden erreichen sie in ihrer Negativität, darin daß sie, wie sie sich einseitig, jedes das nicht an ihnen haben zu sollen,was an sich an ihnen ist – das Gute ohne Subjectivität und Bestimmung, und das Bestimmende, die Subjectivität ohne das Ansichseyende – als Totalitäten für sich constituiren, sich aufheben und dadurch zu Momenten herabsetzen, – zu Momenten des Begriffs, der als ihre Einheit offenbar wird und eben durch dieß Gesetztseyn seiner Momente Realität erhalten hat, somit nun als Idee ist, – Begriff der seine Bestimmungen zur Realität herausgebildet und zugleich in ihrer Identität als ihr an sich seyendes Wesen ist.“ (GR, 135 (§ 141 A))

7.7 Der objektive Geist – Die Sittlichkeit

261

„Glaube und Zutrauen“ in ihrer Zusammengehörigkeit nicht auszudrücken vermögen.⁷³ (GR, 138 (§ 147 und § 153)) Dies ist Hegel unbedingt zuzugeben, um Verkürzungen in der Darstellung seiner Argumentation zu vermeiden. Das heißt konkret, dass das Einzelne nicht vom Allgemeinen in welcher Form und in welchen Kontexten auch immer rücksichtslos überformt wird. Die in der Begriffslogik entwickelte Figur der Einzelheit erfährt vielmehr insofern Konkretion, als das Individuum, welches selbst als unmittelbares zu begreifen ist, in eine intrinsische und intime Einheit mit der Vermittlung selbst überführt wird, sodass es einerlei ist, ob man sagt, das Allgemeine formt das Individuum oder aber das Individuum formt das Allgemeine. Beides hängt voneinander ab. Andererseits jedoch zeigt sich hier nun die schon mehrfach benannte Problematik der Lösung selbst noch einmal sehr deutlich. Denn Hegel fasst das Individuum hier in diesem Kontext nur als ein solches, „welches sich von ihnen [den objektiven Gesetzen, D. A.] als das Subjective und in sich Unbestimmte oder als [das] besonders Bestimmte unterscheidet“. (GR, 139 (§ 148)) In dieser Disjunktion bzw. Modifikation steckt der Problembestand, den Hegel mittels seiner Problemlösung überhaupt erzeugt. Das so konzipierte Individuum ist nämlich entweder nur das Unbestimmte oder nur das besonders Bestimmte. Das heißt mit anderen Worten, dass es entweder als die leere Selbstbezüglichkeit angesprochen ist, insofern es auch überhaupt nur um das Prinzip der Persönlichkeit gehen kann, oder dass es als auf seine Unmittelbarkeiten fixiertes Individuum in den Blick genommen wird, wobei die Unmittelbarkeit lediglich die bloße Ansammlung zufälliger Eigenschaften meint. Dieser durch die Rahmenbedingungen des Systems vorgegebene Blick auf das Individuum führt konsequenterweise jene zwei Implikationen hinsichtlich der Einzelheit mit sich, die sich durchweg bemerkbar machen. Erstens: Wenngleich Hegel mit der Sittlichkeit das Allgemeine nicht in einer einfachen Identität „als eine zweite Natur, […] an die Stelle des ersten bloß natürlichen Willens“ setzt – das bleibt der Sitte vorbehalten (GR, 141 (§ 151)) –, so verliert doch das Einzelne in letzter Instanz seine mitgebrachte und gegen das Allgemeine in Widerspruch geratende Besonderheit. Jene entstandene Identität zwischen Allgemeinem und Besonderem im Einzelnen soll enger sein als die von Glaube und Zutrauen, in der dann tatsächlich wie bei Glaube und Zutrauen das

 C. Jamme weist darauf hin, dass die Diagnose der Marginalisierung des Individuellen „in keinem Fall auf Hegels praktische Philosophie“ zutrifft, „deren Kern ebendie Individualität bildet, was sich etwa am Moralitätskapitel der Rechtsphilosophie und dann besonders in deren Kapitel über die Sittlichkeit zeigt, wo es um die Einheit von Subjektivität und Interpersonalität im Zeichen des objektiven Geistes (des Allgemeinen, mit dem der Einzelne sich identifiziert) geht“. (Jamme [2009]: Hegels Konzeption der Individualität, 257)

262

7 Individualität im Kontext

eine durch das andere ersetzt werden kann. Allgemeine Bestimmtheit durch den Begriff und besondere Bestimmtheit des Einzelnen werden austauschbare Bestimmungen. So ist dann aber der Mensch erst als vernünftiger Mensch, jedoch nicht als aus seiner Biografie zu verstehendes Individuum und schon gar nicht aus dessen unmittelbar gegenwärtigem Innesein von Interesse. Das schließt Hegel explizit aus. Unter der Maßgabe der absoluten Negativität ist die Allgemeinheit zugleich auch das Moment der Besonderheit insofern, als nur noch aus dem Begriff abgeleitete Inhalte Gültigkeit haben. Vom Individuum mitgebrachte Bestimmungen oder die individuelle und unvertretbare Perspektive der konkreten Person erscheinen unter der Einheitsvision des spekulativen Systems lediglich als Irrationalismus. Nur unter diesen Vorgaben kann Hegel die Pflicht, die dem Individuum aus dem Guten entsteht, leichtweg als „seine Befreyung“ verstehen theils von den Abhängigkeiten, in der es in dem bloßen Naturtriebe stehet, so wie von der Gedrücktheit, in der es als subjective Besonderheit in dem moralischen Reflexionen des Sollens und Mögens ist, theils von der unbestimmten Subjectivität, die nicht zum Daseyn und der objectiven Bestimmtheit des Handelns kommt, und in sich und als eine Unwirklichkeit bleibt. (GR, 139 (§ 149))

Ein so konzipiertes und verstandenes Individuum kann von einem Allgemeinen nur befreit werden, welches ihm allein Substanz und Boden ist. Genau dieser vom systematisch-systemischen Denken vorgegebene Rahmen jedoch ist es, welchen Jacobi grundsätzlich kritisiert und welchem er sich im Sprung entzieht. Dieser zeigt sich auch in Hegels spekulativem System als kein anderer als bei Spinoza oder bei Fichte. Denn Hegel konzipiert zwar das System unter Berücksichtigung der Freiheit, Selbstständigkeit und Individualität. Jedoch ist das Individuum nie eine irreduzibel nur sich selbst in der Erfahrung zugängliche Person, die eine Biografie hat. Als Bedingung für die Zusammenführung von Begriff und Individuum wird also die ursprüngliche Person aus dem System als relevante eliminiert. Das heißt, dass hinsichtlich der Integration von Individualität in Hegels System eine wichtige Unterscheidung getroffen werden muss: Nicht das Individuum in genere ist eliminiert. Es muss als versöhnt mit dem Allgemeinen und als integraler Bestandteil der Wirklichkeit gedacht werden.⁷⁴ Jedoch ein Individuum,

 In der Sphäre der Sittlichkeit wird in der sogenannten bürgerlichen Gesellschaft Selbstverwirklichung des Individuums zum Zentrum. Gerade weil die bürgerliche Gesellschaft dem Staat vorhergeht, gelingt es Hegel, einen neuen und für die Vermittlung von Allgemeinem und Besonderem interessanten Fokus zu bilden, der wichtige Verschiebungen zu vorherigen Positionen impliziert. Das einzelne Individuum ist nämlich nicht nur über diese Bedürfnisbefriedigung in seiner Besonderheit angesprochen, sondern diese Besonderheit führt auch in den Staat hinein und ist ihm nicht per se opponiert. Aber auch diese dem Individuum als Bürger vorbehaltene

7.7 Der objektive Geist – Die Sittlichkeit

263

das nicht gedacht werden kann, weil es überhaupt nur erfahren wird, bleibt der blinde Fleck des Systems. ⁷⁵ Sphäre baut alle Unmittelbarkeit ab. – Hegel arbeitet zunächst ein sogenanntes System der Bedürfnisse aus. Die Besonderheiten, die hier im Mittelpunkt stehen, entspringen grundlegenden, natürlichen Bereichen der Selbsterhaltung wie Nahrung oder Kleidung (vgl. GR, 166 (§ 192)) oder werden aber in der Freilegung der gegenseitigen Abhängigkeit von Bedürfnis und Mittel selbst dem Verantwortungsbereich des Individuums entzogen. Denn nicht nur das Mittel ist abhängig vom Bedürfnis, sondern das Bedürfnis wird auch erzeugt vom Mittel, was nichts anderes sagt, als dass aus dem Angebot der Dinge auch das Bedürfnis entspringt, diese Dinge zu haben, sodass in vielen Hinsichten individuelle Bedürfnisse auf gesellschaftlich erzeugte zurückgeführt werden (vgl. GR, 166 (§ 192)). Zudem wird die Interaktion der nach ihren eigenen Bedürfnissen strebenden Individuen zum Ursprung einer Abhängigkeit, die die Bedürfnisse des Individuums überhaupt zurücktreten lassen, da die Verwirklichung des Selbst gekoppelt ist an die Perpetuierung allgemeiner Strukturen, die es anerkennen und bedienen muss, um selbst seine Bedürfnisse darin getragen zu finden. Diese Bedürfnisse haben selbst aber in dem Maße, wie sie nur in diesen Strukturen getragen werden können, die genuine Zugehörigkeit zu ‚mir‘ schon längst abgelegt. Denn nur die Bedürfnisse können befriedigt werden, die in diesen Strukturen das Mittel zur Befriedigung vorfinden. Sie zeigen sich als in der allgemeinen Struktur selbst erzeugte und getragene Bedürfnisse, in die nicht mehr eingeschrieben ist und an denen folglich auch nicht mehr abgelesen werden kann, ob der Einzelne die Struktur oder sich selbst verwirklicht.  Das Verhältnis von Individuum und Staat ist natürlich in der Sphäre der Sittlichkeit entscheidend. Besonders hier werden Vorwürfe an Hegel laut, abstrakt das Allgemeine (als Staat) zu überhöhen und das Individuum aufzugeben. Aber auch hier gilt es, Hegels Konzeption der absoluten Negativität als Folie zugrunde zu legen und Hegel gegen vorschnelle Verkürzungen zu verteidigen. In dieser Lösung liegt jedoch nach bekanntem Muster genau das Problem. Denn die „für sich wissende und wollende Einzelheit“ kann gar nie in einen unauflösbaren Widerspruch zum Allgemeinen geraten,weil die „Privatperson“ der bürgerlichen Gesellschaft nichts hat,was sie als Individuum mitbrächte, das sich als essentiell Individuelles dem Übergang zum „allgemeinen Leben“ widersetzte. „Privatperson“ bzw. „substantielle Person“ sind nur Rollenbezeichnungen für das Agieren in verschiedenen Sphären, hinter denen,von Hegel ganz bewusst konzipiert, allein die Vernunft steht, die die jeweiligen Inhalte bestimmt. Illustration hierfür ist der Monarch. Der Monarch als die Spitze des Staates ist dabei die wahrhafte Einzelheit, weil sich in ihm die höchste Allgemeinheit manifestiert. Er ist der Staat. Gleichwohl ist er es nicht auf absolutistische Weise, ist doch der Monarch wiederum nur die Stimme der Vernunft, die sich in diesem Monarchen ihren Ausdruck gegeben hat. Das aber heißt: „[M]an braucht zu einem Monarchen nur einen Menschen, der ‚Ja‘ sagt und den Punkt auf das i setzt; denn die Spitze soll so sein, daß die Besonderheit des Charakters nicht das Bedeutende ist.“ (GRS, 451 (§ 280 Z)) Am Monarchen wird konkret sichtbar, dass das höchste Individuum sich dadurch auszeichnet, dass es alle seine Individualität abgelegt hat und sich allein als Verlängerung des Allgemeinen versteht. Am Ende ist der Monarch keine Person mehr, die um der Person willen in ihrer Singularität anerkannt wird, sondern nur noch irgendein Dieses, das für das Allgemeine vollständig transparent geworden ist. Dies erinnert dann in der Tat an jene karikierende Illustration, die Jacobi gibt, dass nämlich besser der Begriff des Freundes geliebt würde und nicht das namentliche Individuum,weil er so „seinen Freund, je wahrhafter und uneigennütziger er ihn liebte, mit desto größerer Gleichgültigkeit“ ins Grab getragen sehen könnte, denn „er behielte ja den Begriff“. (GD, 51)

264

7 Individualität im Kontext

7.8 Verwirklichung der Freiheit – Zeit und Geschichte Insofern bei Spinoza ein gewordenes Werden nicht gedacht werden konnte und zeitliche Existenz auf die azeitliche Essenz zurückgeführt werden musste, aus der die einzelnen Dinge verstanden werden, konnte absichtsvolle Handlung nicht mehr gedacht werden. Zeit war nur eine inadäquate Weise, die Dinge anzuschauen. Zeit und zeitliche Existenz verloren damit unter dem Grundtheorem des Rationalismus ihre ontologische Dignität (Akosmismos) und Handlung ihren Sinn (Determinismus). Zeit wird daher für Jacobi zum Schlüssel. Die konkrete Person ist in der Zeit eingebettet und nur als zeitlich strukturierte mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu denken, gerade im Hinblick auf die für Jacobis Analyse so zentrale Handlungsproblematik.⁷⁶ Aber mit der zeitlichen Handlungsdimension der Person rücken auch die Geschichte und die Biografie in den Fokus, die insofern zum eigentlichen Angelpunkt der Unphilosophie werden, wie das unvertretbare Innesein der Person (als Voraussetzung der Handlung) nicht bloß als allgemeine Selbstbezüglichkeit gedacht werden darf, sondern grundsätzlich in ein konkret geführtes Leben eingelassen ist.⁷⁷ Zeit spielt auch für Hegel eine entscheidende Rolle, insofern jener bei Spinoza bestehende Widerspruch zur alltäglichen Lebenswelt im modifizierten spekulativen System aufgehoben sein soll. Gleichwohl Hegel das Problem der ewigen Zeit in seinen Spätschriften nicht eigens aufgreift, ist doch Zeitlichkeit vermöge der Geschichtlichkeit allgegenwärtig.⁷⁸ Als Medium für die Verwirklichung der Freiheit ist sie zudem eine notwendige Konkretion der in der Logik nur formell begründeten Freiheitsdimension des spekulativen Projekts Hegels. Das Thema der Zeit bzw. Geschichte greift Hegel vorrangig in der Rechtsphilosophie in einem kleinen Abschnitt zur Weltgeschichte, in den Vorlesungen zur Philosophie der Geschichte und in den Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie

 Vgl. z. B. ZE, 204.  Vgl. z. B. SB, 337.  Dass sich das erst im Zuge der Umstellung des Paradigmas von der Substanz zum Subjekt in Jena ergibt, gilt es zu bemerken. Hegels früher Spinozismus schließt das gerade aus, indem er z. B. noch in Glauben und Wissen Jacobi vorhält, dass spekulative Philosophie genau darauf aus ist. „Wenn Jacobi so angelegentlich seine Unterschiede nicht zu vergessen ermahnt, weil durch den Vernunftbegriff, in dem kein Vorher und Nachher, sondern alles nothwendig und zugleich ist, das Unglück entstehe, daß in der höchsten Idee, in der Idee des Ewigen die Endlichkeit und Zeit und Succession verlorengehe, so gleicht wahrhaftig ein solches Abmahnen dem bekannten Winken der ehrlichen Reichsstadtwache, die dem anrückenden und Feuer gebenden Feinde zurief, nicht zu schießen,weil es Unglück geben könnte, – als ob ein solches Unglück es nicht gerade wäre, worauf man ausginge.“ (GW, 353) Wie sehr Hegels Wende zur Subjektivität von Jacobis Einwänden (hinsichtlich der Zeit- und Geschichtlichkeit) geprägt ist, wird hier nochmals deutlich.

7.8 Verwirklichung der Freiheit – Zeit und Geschichte

265

auf. Darin wird klar, dass die Geschichte nicht nur ein Element ist, über das Hegel als Menschheits- oder Ideengeschichte der Vollständigkeit halber reflektieren würde. Sie ist vielmehr konstitutives Element für die Wahrheit selbst, insofern in ihr der Geist zu sich selbst in Relation tritt, sich als Geist ergreift und damit die dem subjektiven und objektiven Geist immer noch anhängende Endlichkeit dadurch überwindet, dass der Geist nun nicht nur als bloßes Gesetztsein in der Wirklichkeit auftritt, sondern jenes Gesetztsein als Selbst-Setzung begreift. Mit diesem Schritt führt Hegel jedoch kein Dogma in die Philosophie ein, sondern unterhöhlt vielmehr allen Dogmatismus generell, weil tatsächlich mit dem Element der Geschichte quasi ein metaphysischer Historismus überhaupt zum Prinzip der (metaphysischen) Wahrheit wird.⁷⁹ Mit dem berühmten Satz, dass Philosophie nichts anderes sei als die Zeit in Gedanken erfasst, wird auf nichts anderes abgehoben (vgl. GR, 15 (Vorrede)). Erkenntnis ist an Zeit geknüpft und an die Genealogie der Dinge verwiesen, weil der Geist sich über sich selbst nur Schrittweise aufklärt und sich in unterschiedliche Epochen auslegt, in denen er sich selbst wiederum finden muss. Philosophie ist somit nicht zu unterscheiden von der Geschichte der Philosophie. Generell ist die Weltgeschichte „überhaupt die Auslegung des Geistes in der Zeit, wie die Idee als Natur sich im Raume auslegt“. (VorPGS, 96 f) Der Geist tritt dabei in ein aktives Verhältnis zu sich selbst, das es nicht mehr erlaubt, Subjekt und Objekt dieser Tätigkeit zu unterscheiden, als würde ein Gegenstand bearbeitet oder ein Geschehen analysiert. „Die bestimmte Gestalt des Geistes geht nicht bloß natürlich in der Zeit vorüber“, so Hegel, „sondern wird in der selbstwirkenden, selbstbewußten Tätigkeit des Selbstbewußtseins aufgehoben“. (VorPGS, 103) Dieses Selbstbewusstsein ist nichts anderes als der Geist selbst, der „die Realität, das Bestehen dessen, was er ist, aufhebt“ und damit „zugleich das Wesen, den Gedanken, das Allgemeine dessen, was er nur war“ gewinnt. (VorPGS, 103)⁸⁰

 Vgl. dazu z. B. den Aufsatz Beiser [1993]: Hegels Historicism. Beiser hebt die kritische Komponente stark hervor. Jedoch identifiziert Beiser den Kern des hegelschen Systems nicht in der metaphysischen Dimension des Geistes, sondern schlicht im „thought“, den er aus der Subjektivität des Einzelnen nur dadurch befreit sieht, dass die „thoughts“ über mehrere Generationen reichen und alle daran arbeiten. „Prima facie it would seem that the activity of thought takes place only within the mind of the individual philosopher, so that it is historical only in a trivial sense. But Hegel insists that the full development of the main idea underlying a system of philosophy is not the work of a single philosopher but of a whole generation.“ (Beiser [1993]: Hegels Historicism, 276 f) Damit unterbietet er Hegels eigentlichen Systemgedanken, der zudem den Historismus so integriert, dass sich der (metaphysikkritische) Historismus und der metaphysische Anspruch des Systems nicht ausschließen.  „Bild des Phönix, von dem Naturleben, das ewig sich selbst seinen Scheiterhaufen bereitet und sich darauf verzehrt, so daß aus seiner Asche ewig das neue, verjüngte, frische Leben hervorgeht“

266

7 Individualität im Kontext

Das Resultat dieses Ganges ist also, daß der Geist, indem er sich objektiviert und dieses sein Sein denkt, einerseits die Bestimmtheit seines Seins zerstört, anderseits das Allgemeine desselben erfaßt und dadurch seinem Prinzip eine neue Bestimmung gibt. (VorPGS, 103 f)

Der Geist gibt sich so selbst Bildungsstufen so wie ein Individuum ebenso Stufen in seiner Bildung durchläuft. Jene Übergänge der Stufen in der „Begriffsnotwendigkeit der Veränderung“ (VorPGS, 104) zu begreifen, „ist die Seele, das Ausgezeichnete in dem philosophischen Auffassen der Geschichte“. (VorPGS, 104) In erster Linie gewinnt Hegel daher nicht ein bloß äußerliches Ordnungsschema für die Geschichte, dessen Legitimation durch den Verdacht des Hineinlesens sofort suspendiert würde, sondern ein Medium für die Selbstreflexion des Geistes. Dessen Tätigkeit ist einerseits überhaupt nur in der Geschichte denkbar, und andererseits ist Geschichte überhaupt nur dann mehr als eine chaotische Ansammlung von Geschehnissen, wenn sie als Entwicklung des Geistes verstanden wird. Die Selbstrealisierung des Geistes korrespondiert mit der in den Stufen der Geschichte vorangetriebenen Selbsterkenntnis des Geistes. Dabei ist jene Selbsterkenntnis keineswegs bloß orientiert an der Einheit von Allgemeinem, Besonderem und Einzelnem, sondern am Wissen des Geistes um die Realisierung der Freiheit, die dann ihr Ziel erreicht hat, wenn der Geist sich selbst als jene Freiheit und damit die Freiheit selbst als den Grund aller Bewegung erkannt hat.⁸¹ Zugleich ist es die Freiheit in ihr selbst, welche die unendliche Notwendigkeit in sich schließt, eben sich zum Bewußtsein – denn sie ist, ihrem Begriff nach,Wissen von sich – und damit zur Wirklichkeit zu bringen: sie ist sich der Zweck, den sie ausführt, und der einzige Zweck des Geistes. Dieser Endzweck ist das, worauf in der Weltgeschichte hingearbeitet worden, dem alle Opfer auf dem weiten Altar der Erde und in dem Verlauf der langen Zeit gebracht worden. Dieser ist es allein, der sich durchführt und vollbringt, das allein Ständige in dem Wechsel aller Begebenheiten und Zustände sowie das wahrhaft Wirksame in ihnen. (VorPGS, 33)

Damit ist die Weltgeschichte dem berühmten Zitat nach „der Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit – ein Fortschritt, den wir in seiner Notwendigkeit zu er-

ist unzureichend für die Tätigkeit des Geistes. „Der Geist, die Hülle seiner Existenz verzehrend, wandert nicht bloß in eine andere Hülle über, noch steht er nur verjüngt aus der Asche seiner Gestaltung auf, sondern er geht erhoben, verklärt, ein reinerer Geist aus derselben hervor. Er tritt allerdings gegen sich auf, verzehrt sein Dasein, aber indem er es verzehrt, verarbeitet er dasselbe, und was seine Bildung ist, wird zum Material, an dem seine Arbeit ihn zu neuer Bildung erhebt.“ (VorPGS, 98)  Freiheit ist damit keine isolierbare Bestimmung innerhalb des Systems. E. Angehrn formuliert das so: „Jeder Versuch, den Freiheitsgedanken auf eine Bestimmung innerhalb des Systems festzulegen, läuft Gefahr, ihn verkürzt oder verfälscht darzustellen.“ (Angehrn [1977]: Freiheit und System bei Hegel, 417 f)

7.8 Verwirklichung der Freiheit – Zeit und Geschichte

267

kennen haben“. (VorPGS, 32) Geist, der vermittels der absoluten Negativität in der Logik als die absolute Souveränität bestimmt wurde, die keinerlei Bedingungen hat, die sie sich nicht selbst gegeben hätte, ist in der Realphilosophie durch die Geschichte insofern nicht limitiert, sondern konstituiert, als sie die Stufung im Fortschritt in der Erkenntnis jener absoluten Souveränität bildet. So wie der Geist formell das Sich-offenbar-Werden der Freiheit ist, so ist die Geschichte konkret der manifeste Prozess des Sich-offenbar-Werdens der Freiheit. Dies dokumentiert Hegel in den Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte und der Geschichte der Philosophie. Geist und Freiheit werden dabei nicht nur als austauschbar ausgewiesen. Geist und Freiheit sind überhaupt die Dimension, innerhalb derer alles verortet ist und zu der hin respektive aus der heraus geordnet sich alles erweist. In der Geschichte zeigen sich somit überhaupt der Kern der spekulativen Logik und hierin auch der gesamte Gehalt der hegelschen Philosophie, woraufhin und woraus alles verstanden werden muss, da sich in der Geschichte die Rede von der Freiheit überhaupt enthüllt und erfüllt. Hegels Philosophie ist eine Philosophie der Freiheit, die die Wirklichkeit der Freiheit nur als Verwirklichung der Freiheit zu denken erlaubt, weil Freiheit nur in dem Maße wirklich ist, wie sie als solche begriffen ist. Die Metaphysik des Geistes bleibt hernach ohne konkrete Verwirklichung in der Praxis unvollständig und die Praxis ohne Metaphysik unverstehbar. Letztlich ist beides gar nicht zu trennen und untermauert nur Hegels Anspruch, die Logik als konkrete entwickelt zu haben, die überhaupt nie als eine abstrakte Begriffsakrobatik jenseits von Wirklichkeit in den Studierstuben der Philosophen ihre autonome Sphäre hat. In dieser Metaphysik des Geistes werden einerseits systematische Geschlossenheit und geschichtliche Situierung bzw. Entwicklung ihres Widerspruches enthoben und die Genealogie selbst systematisch integriert.⁸² Es wird ein Werden gedacht, das explizit zeitlich strukturiert ist und nicht als bloß logische Abfolge erschlichen werden muss. Dennoch aber ist es andererseits ein Werden, dem als Realisierung einer Erkenntnis eine logische Struktur eingeschrieben ist. Das Werden hat so einen Ansatzpunkt, eine immanente Weiterentwicklung und einen Abschluss, welche in der Logik formell als absolute Negativität vorgedacht sind. Das Werden bzw. das Werden der Freiheit hat somit ein immanentes Telos, das den Deutungsrahmen für das Werdende zwingend vorgibt. Insofern also Freiheit in der Geschichte hervorgebracht werden muss, jedoch nur innerhalb einer Vorgabe operieren kann und zudem an Individuen gebunden ist, die sich in der Weltgeschichte tatsächlich

 Vgl. dazu auch den Band: Sandkaulen, Gerhardt u. Jaeschke (Hgg.) [Hegel-Studien Beiheft Bd. 52 (2009)]: Gestalten des Bewußtseins.

268

7 Individualität im Kontext

unter dieser Vorgabe betätigen, spitzt sich nun unter diesen Aspekten zugleich die Frage nach dem Nexus von Freiheit und Individuum nochmals kontrovers zu. Die konstitutive Durchdringung von Metaphysik und Praxis bei Hegel impliziert eine Starke Gewichtung des Individuums im Prozess der Realisierung des Geistes in der Geschichte. Denn Begriffsbestimmungen wie Endzweck, Prinzip, Natur etc. sind für sich allein genommen nur formell und keineswegs hinreichend, die Verwirklichung der Freiheit zufriedenstellend in die Praxis umzusetzen. „Es muß ein zweites Moment für die Wirklichkeit hinzukommen“, so Hegel, und dies ist die Betätigung,Verwirklichung, und deren Prinzip ist der Wille, die Tätigkeit des Menschen überhaupt. Es ist nur durch diese Tätigkeit, daß jener Begriff sowie die an sich seienden Bestimmungen realisiert, verwirklicht werden, denn sie gelten nicht unmittelbar durch sich selbst. Die Tätigkeit, welche sie ins Werk und Dasein setzt, ist des Menschen Bedürfnis, Trieb, Neigung und Leidenschaft. Daran, daß ich etwas zur Tat und zum Dasein bringe, ist mir viel gelegen; ich muß dabei sein, ich will durch die Vollführung befriedigt werden. Ein Zweck, für welchen ich tätig sein soll, muß auf irgendeine Weise auch mein Zweck sein. (VorPGS, 36)

Diese subjektive Aneignung des Zwecks nennt Hegel Interesse bzw. Leidenschaft, wenn die ganze Individualität mit Hintansetzung aller anderen Interessen und Zwecke, die man auch hat und haben kann, mit allen ihr inwohnenden Adern von Wollen sich in einen Gegenstand legt, in diesen Zweck alle ihre Bedürfnisse und Kräfte konzentriert. (VorPGS, 36 f)

Jene Leidenschaft ist somit nicht nur die Triebfeder der Tätigkeit zum Verfolg allgemeiner Zwecke, sondern zugleich auch die Inanspruchnahme des ganzen Individuums eben mit seiner Tätigkeit „aus partikulären Interessen, aus speziellen Zwecken oder, wenn man will, selbstsüchtigen Absichten“. (VorPGS, 38) Das Individuum wird als dieses eine bestimmte Individuum eingebunden, zunächst unabhängig von der Frage nach der Angemessenheit seiner partikularen Bestimmungen. Es geht um den individuellen Charakter des Individuums, von dem gesagt werden muss, daß er die ganze Bestimmtheit desselben ausmacht und untrennbar von ihm ist; er [der Mensch, D. A.] ist dadurch das, was er ist. Denn das Individuum ist ein solches, das da ist, nicht Mensch überhaupt, denn der existiert nicht, sondern ein bestimmter. (VorPGS, 38)

Der Mensch als Individuum mit all seinen Bestimmungen ist so gefasst also auf der einen Seite Voraussetzung für die Verwirklichung des Geistes. Gleichwohl wird sich auf der anderen Seite die Frage nach der Angemessenheit des Inhalts gerade aufgrund der Anlage des Systems als einer Verwirklichung des Geistes auf lange

7.8 Verwirklichung der Freiheit – Zeit und Geschichte

269

Sicht nicht abweisen lassen können. Das immanente Telos gibt das Koordinatensystem vor, gemäß dem der Inhalt eingeordnet wird. Die Leidenschaft des Individuums ist in diesem nur eine „leere Form der Thätigkeit“ und der Einzelne „in Rücksicht auf den substantiellen Inhalt ihrer Arbeit Werkzeuge“. (E, 529 (§ 551)) Der Gedanke der Instrumentalisierung des Individuums durch das Allgemeine ist darin nicht fern und wurde vielfach zum Vorwurf an Hegels Rechtsphilosophie gerichtet.⁸³ Verständlich wird dies, wenn die Integration des Individuums in diesen Prozess einem „an und für sich Allgemeinen und Substantiellen“ gegenübergestellt wird, gegenüber welchem „alles andere untergeordnet“ ist, „ihm dienend und Mittel für dasselbe“. (VorPGS, 40)⁸⁴ Gleichwohl Hegels Konzeption tatsächlich mit dieser Frage zu konfrontieren sein wird, liegt das Problem dennoch nicht darin, dass die Vereinigung von Allgemeinem und Einzelnem aufgrund systematischer Erfordernisse oder übersteigerte Erkenntnisansprüche dem Allgemeinen ungerechtfertigte Priorität gegenüber dem Einzelnen einräumt. Das Allgemeine ist weder als Begriff noch als Staat noch als Geschichte eine äußerliche Macht gegenüber dem Einzelnen. Solche Szenarien missachten oder unterschätzen die spekulative Figur der absoluten Negativität, welche es in der Tat

 So z. B. bei K. Marx, K. Popper oder Adorno. Der Band Wyrwich (Hg.) [Hegel-Studien Beiheft Bd. 55 (2011)]: Hegel in der neueren Philosophie versammelt Beiträge über die Hegel-Kritik in den verschiedensten Strömungen der Philosophie.  Eine andere Passage unterstreicht dies: „Der einzige Gedanke, den die Philosophie mitbringt, ist aber der einfache Gedanke der Vernunft, daß die Vernunft die Welt beherrsche, daß es also auch in der Weltgeschichte vernünftig zugegangen sei. Diese Überzeugung und Einsicht ist eine Voraussetzung in Ansehung der Geschichte als solcher überhaupt; in der Philosophie selbst ist dies keine Voraussetzung. Durch die spekulative Erkenntnis in ihr wird es erwiesen, daß die Vernunft – bei diesem Ausdrucke können wir hier stehenbleiben, ohne die Beziehung und das Verhältnis zu Gott näher zu erörtern – die Substanz wie die unendliche Macht, sich selbst der unendliche Stoff alles natürlichen und geistigen Lebens wie die unendliche Form, die Betätigung dieses ihres Inhalts ist. Die Substanz ist sie, nämlich das, wodurch und worin alle Wirklichkeit ihr Sein und Bestehen hat; – die unendliche Macht, indem die Vernunft nicht so ohnmächtig ist, es nur bis zum Ideal, bis zum Sollen zu bringen und nur außerhalb der Wirklichkeit, wer weiß wo, als etwas Besonderes in den Köpfen einiger Menschen vorhanden zu sein; – der unendliche Inhalt, alle Wesenheit und Wahrheit, und ihr selbst ihr Stoff, den sie ihrer Tätigkeit zu verarbeiten gibt, denn sie bedarf nicht, wie endliches Tun, der Bedingungen eines äußerlichen Materials, gegebener Mittel, aus denen sie Nahrung und Gegenstände ihrer Tätigkeit empfinge; sie zehrt aus sich und ist sich selbst das Material, das sie verarbeitet; wie sie sich nur ihre eigene Voraussetzung, ihr Zweck der absolute Endzweck ist, so ist sie selbst dessen Betätigung und Hervorbringung aus dem Inneren in die Erscheinung nicht nur des natürlichen Universums, sondern auch des geistigen – in der Weltgeschichte. Daß nun solche Idee das Wahre, das Ewige, das schlechthin Mächtige ist, daß sie sich in der Welt offenbart und nichts in ihr sich offenbart als sie, ihre Ehre und Herrlichkeit, das ist es, was, wie gesagt, in der Philosophie bewiesen und hier so als bewiesen vorausgesetzt wird.“ (VorPGS, 20 f)

270

7 Individualität im Kontext

erlaubt, das Moment der Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit im Individuum konstitutiv aufeinander bezogen zu vereinen. Im Staat als einer vernünftigen Organisation der Lebenswelt, die die Geschichte als den allgemeinen Zweck zur Realisierung der Freiheit verfolgt, verwirklicht sich das Individuum als Besonderes und Allgemeines gleichermaßen. Das Allgemeine ist nach der Figur der absoluten Negativität der Einzelne in einem strikten Sinne, weil der Einzelne aus dem Allgemeinen überhaupt sein Wesen erhält, aber zugleich auch vice versa. In der konkreten Ausfaltung in der Realphilosophie ist so das scheinbar Übergreifende das Übergriffene selbst, aus dessen Struktur überhaupt das Übergreifende in einer Kontinuität entwickelt wird. Das Übergreifende bringt das immer schon Vorhandene, aber noch Verborgene aus dem Übergriffenen hervor, weil beide, das Übergreifende und Übergriffene, als jene Identität von Relata und Relationalität gedacht werden müssen, die keine vorgängige und damit dem daraus Abgeleiteten äußerliche Substanz zu denken erlaubt. Diese Grundstruktur, die Hegel als die „freye Macht“ beschreibt, die „über sein Anderes“ „aber nicht als ein gewaltsames“, vielmehr als „die freye Liebe“ übergreift (WL2, 35), findet ihren konkreten Niederschlag in verschiedensten Kontexten. Und so gilt dies auch für die im System selbst nicht direkt verhandelten, aber dennoch darin (scheinbar) entstehenden Dualismen zwischen dem Individuum und der Geschichte bzw. zwischen dem Individuum und der Freiheit.⁸⁵ Die neue Ansicht des Logischen, d. h. die absolute Negativität, gibt hierfür das Schema vor. Dem scheinbar bedrohten Individuum steht mit dem Allgemeinen in der Form von Staat oder Geschichte keine äußerliche und vorgängige Macht gegenüber. Es findet darin die Form, in der sich das Individuum selbst entfaltet, weil das Individuum das Allgemeine selbst hervorbringt.⁸⁶ Das gilt für die Entwicklung des Begriffes generell, dessen Konzeption als absolute Negativität als eine Bewegung der Anerkennung konzipiert ist, insofern das Übergriffene durch das Übergreifende überhaupt erst in seinem Wesen enthüllt und so zu sich gebracht und anerkannt wird. Man kann sagen, dass das

 Darauf weist W. Jaeschke hin und bemerkt, dass Hegel hier allerdings die wünschenswerte Klarheit in der Übertragung auf Geschichte vermissen lässt: „Statt aufzuzeigen, wie dieser ‚allgemeine Zweck‘ gleichsam hinter dem Rücken des Bewußtseins der ‚Mittel und Werkzeuge‘ wirkt, wie das Allgemeine in den besonderen Zwecken lebendig ist und sich durch sie vollbringt,verweist Hegel zum einen auf die ‚Logik‚: Sie zeige die spekulative Natur der Vereinigung des Allgemeinen und Einzelnen auf. Für das spezielle Problem der geschichtlichen Vermittlung gibt sie allerdings keinen Aufschluß.“ (Jaeschke [2008]: Die List der Vernunft, 96)  D.Villa stellt diesen wichtigen Punkt anschaulich heraus: „Hegel’s negative view of ‚subjective‘ dissent […] is premised on the assumption that modern freedom is, and should be, a form of being at home in the world. This is the ultimate philosophical content of ‚being with oneself in another‘, as well as the idea that freedom is actual when individuals are ‚with themselves‘ in their social lives.“ (Villa [2008]: Hegel, Tocqueville, and ‚Individualism‘, 72)

7.8 Verwirklichung der Freiheit – Zeit und Geschichte

271

Übergreifende vom Übergriffenen nicht unterschieden ist, da das Übergreifende paradox das Übergriffene eigentlich fundiert, um selbst aber nur aus dem Übergriffenen zu werden. Dies geschieht entsprechend der Logik der absoluten Negativität, nur dies unmittelbar andere zu sein, aus dem sie zu sich zurückkehrt, um aber in dieser Rückkehr überhaupt das zu setzen, aus dem sie zurückkehrt. Daher ist das Übergreifende eigentlich das auf sein Eigenstes zurückgeführte Übergriffene, was in diesem Moment auch kein passiv Übergriffenes mehr ist, sondern ein aktiv Sich-selbst-Ergreifendes. Der Nexus von Freiheit und Individuum ist damit entschärft. Auf Geschichtlichkeit fokussiert, muss festgehalten werden, dass weder das Individuum gegen eine Vernunft und Geschichtlichkeit konzipiert ist noch die Geschichte und Vernunft jenseits der Individuen als Macht. Beides ist hingegen nur aus dem je anderen verständlich und wird explizit aus dem anderen entwickelt. Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit sind in Hegels System (im Gegensatz zu dem Spinozas) wesentliche und konstitutive Elemente. Die Entfaltung der Geschichte ist so von dem Sich-Ergreifen der Individuen in ihrer Freiheit nicht mehr prinzipiell getrennt, weil die Realisierung der Freiheit und die Realisierung der Geschichte strukturell das Gleiche sind und sich gegenseitig bedingen. Das kann genauer so verstanden werden, dass dort, wo Individuen sich in Kontexten des objektiven Geistes bewegen, sie immer schon zusammengeschlossen sind in überindividuellen Zwecken, an denen sie partizipieren. Ihre Partizipation an diesen überindividuellen Zwecken stellt sie zugleich in den weltgeschichtlichen Kontext, in welchem sie in dem Maße in ihrem vernünftigen Handeln Freiheit verwirklichen, wie der Prozess der Geschichte selbst die Bedingungen für vernünftiges Handeln in den politischen Strukturen objektiviert. Geschichte ereignet sich so verstanden immer noch, d. h. die Individuen sehen sich der Geschichte ausgesetzt. Jedoch begegnet ihnen dabei kein Fremdes, wie auch im Staat den Individuen nichts Fremdes gegenübertritt.⁸⁷ Man kann es so formulieren: Eliminierte man das (scheinbar) Übergreifende, den absoluten Geist, in der Geschichte, so eliminierte man zugleich und unweigerlich nicht nur die Einbindung des Individuums in objektive Strukturen der Vernunft wie den Staat, sondern löste auch die vernünftige Zwecksetzung im individuellen Willen der Einzelnen und zugleich die hierfür nötigen Ermögli-

 Vgl. dazu W. Jaeschke: „Der ‚allgemeine Zweck‘, der dem ‚einzelnen Zweck‘ zunächst gegenüberzustehen und diesen durch List in seine Gewalt zu bringen scheint, ist nicht etwas Äußeres, das den einzelnen Zweck ergriffe und ihn hinterrücks überwältigte; es ist vielmehr ein Zweck, der in der ‚Natur des Geistes‘ selber liegt: sein immanentes Telos. Was zunächst als ‚List‘ eingeführt wurde, ist nichts als die interne Logik der Entfaltung des Geistes.“ (Jaeschke [2008]: Die List der Vernunft, 99)

272

7 Individualität im Kontext

chungsbedingungen auf, die sich dem Individuum selbst entziehen. Dennoch muss grundsätzlich festgehalten werden: Was sich gegenüber Jacobi gedreht hat, ist das Konzept der Freiheit selbst. Hegels Individuen sind frei. Handlung ist möglich. Das ist zuzugestehen. Das Problem für Jacobi jedoch liegt dann darin, dass Freiheit erst in der absoluten Idee realisiert ist – mit den entsprechenden, schon so oft nun genannten Konsequenzen für das Selbstverständnis der Individuen. Weil Handlung allein noch mit zu viel Kontingenz behaftet ist, verhindert sie genau genommen die eigentliche Verwirklichung von Freiheit.⁸⁸ Die Verwirklichung von Freiheit kann allein das intrinsisch vom System vorgegebene Ziel der Kohärenz garantieren, das nun die Signatur der Freiheit darin entscheidend modifiziert hat, dass das freiheitstheoretische Ziel nur über die Vollendung des metaphysischen einzuholen ist. Frei ist nur der Begriff, dessen Maßgabe dann überhaupt dafür verantwortlich zu machen ist, dass unter der Priorisierung des metaphysischen Zieles das Individuum nur als Partikularität angesprochen werden kann. Das spricht jedoch noch nicht per se gegen das System. Die Realisierung der Freiheit unter der Maßgabe der Kohärenz bildet noch nicht per se eine Absprungstelle aus dem System. Denn Handlungsfreiheit wird hier nicht negiert.⁸⁹ Die ‚elastische Stelle‘ formiert sich wiederum erst dann, wenn die Rolle der Person näher berücksichtigt wird. Denn was mit Hegels Realisierung der Freiheit zugleich modifiziert wurde, ist das Verständnis von Zeit und Geschichte überhaupt. Indem nämlich in Zeit und Geschichte die Freiheit unter dem Aspekt der Kohärenz realisiert wird, geraten folgerichtig die Zeit und die Geschichte der Person – und damit die Wer-Identität – aus dem Blick. Die Relevanz der Zeit und Geschichte ist im Gegensatz zu Spinoza aufgrund der Dynamisierung des Geistes gesichert, jedoch die Biografie der Person vor diesem Hintergrund für die Wahrheit des Begriffes irrelevante Historie: Ein hauptsächlicher Mißverstand, welcher hiebey obwaltet, ist, als ob das natürliche Princip, oder der Anfang, von dem in der natürlichen Entwicklung oder in der Geschichte des sich bildenden Individuums ausgegangen wird, das Wahre und im Begriffe Erste sey. Anschauung

 C. Hackenesch schreibt: „Hegels Teleologie des Ich sucht sich darüber hinwegzusetzen, daß das Handeln der Menschen, in seiner Kontingenz, darüber entscheidet, ob konkrete Freiheit, Freiheit der Individuen in einer Welt, wirklich wird.“ (Hackenesch [2002]: Der subjektive Geist, 42)  B. Sandkaulen nennt den im System notwendigerweise vorherrschenden Freiheitsbegriff den „Kohärenzbegriff der Freiheit“, der unter dem Druck der systematischen Geschlossenheit im System die Oberhand gewinnt (Sandkaulen [2006]: System und Systemkritik, 29). Für sie jedoch schließt die Realisierung von Kohärenz (in einem monistischen System) unausweichlich „das Freiheitsbewußtsein intentionalen Aufbruchs“ aus. (Sandkaulen [2006]: System und Systemkritik, 33 f) Das scheint jedoch eine zu starke These zu sein.

7.9 Kriterien des Geistes

273

oder Seyn sind wohl der Natur nach das Erste oder die Bedingung für den Begriff, aber sie sind darum nicht das an und für sich Unbedingte, im Begriffe hebt sich vielmehr ihre Realität und damit zugleich der Schein auf, den sie als das bedingende Reelle hatten. Wenn es nicht um die Wahrheit, sondern nur um die Historie zu thun ist, wie es im Vorstellen und dem erscheinenden Denken zugehe, so kann man allerdings bey der Erzählung stehen bleiben, daß wir mit Gefühlen und Anschauungen anfangen, und der Verstand aus dem Mannichfaltigen derselben eine Allgemeinheit oder ein Abstractes herausziehe, und begreiflich jene Grundlage dazu nöthig habe, welche bey diesem Abstrahiren, noch in der ganzen Realität, mit welcher sie sich zuerst zeigte, dem Vorstellen stehen bleibe. Aber die Philosophie soll keine Erzählung dessen seyn, was geschieht, sondern eine Erkenntniß dessen, was wahr darin ist, und aus dem Wahren soll sie ferner das begreifen, was in der Erzählung als ein bloßes Geschehen erscheint. (WL2, 21 f)

Damit ist von Hegel selbst ausgesprochen, dass zwar Zeit bzw. Geschichte und systematisch-systemisches Denken keine Widersprüche sind, jedoch sehr wohl das systematisch-systemische Denken und die Wer-Identität der namentlichen Person. In dem Maße, wie Hegel hier explizit Historie als das nur zu Erzählende und damit als irrelevant abtut, zeigt er, welchen Platz der Einzelne im System einnehmen kann und führt im Zuge dessen auf die Absprungstelle zurück, von der aus Jacobi gesprungen war.

7.9 Kriterien des Geistes Die zu Anfang des Kapitels formulierten Kriterien des Geistes definieren den Gang, der in der Realphilosophie für die Realisierung der Freiheit zurückgelegt werden musste, bringen jedoch auch auf den Punkt, weswegen die namentliche Person Jacobis keinen Eingang in das System finden konnte. Sie zeigen damit in nuce, weswegen Hegels absoluter Geist, der sich im System selbst realisiert, und Jacobis individueller Geist, der die Person als diese eine und keine andere konstituiert, prinzipiell inkompatibel sind. Diese Inkompatibilität war jedoch bei Spinoza schon und ist nun auch bei Hegel immer noch die Absprungstelle für Jacobis Salto mortale. Das Einswerden von Hervorbringendem und Hervorgebrachtem bzw. das Einswerden von Anfang und Ende: Der Mangel der (bloß endlichen) Natur besteht darin, dass das Allgemeine in die schlechte Unendlichkeit hervorgebrachter Einzelner zerfällt, ohne sich darin ergreifen zu können. Damit der Geist dagegen seine erkennende Selbsttätigkeit in die Gleichheit mit sich zurückzuführen kann, darf die ‚schlechte‘ Einzelheit keine zentrale Position einnehmen. Um das Kriterium gänzlich zu erfüllen, dass am Ende der Entwicklung nicht ein Neues steht, sondern das, was die Entwicklung zu Anfang initiierte, muss sich alles auf diesem

274

7 Individualität im Kontext

Wege als Moment erweisen. Die Individualität ist dabei essentiell, nur wird sie vermittelt über den absoluten Bestimmungshorizont der absoluten Idee strukturell erschlossen. Die singuläre Person dagegen muss unter dieser Vorgabe als ‚schlechte‘ Einzelheit verstanden werden. Der Modus der erfahrungsgebundenen und praktisch-existentiell in einen konkreten Vollzug einer singulären Person eingebetteten Innenperspektive wird als irrelevant gar nicht betrachtet. Manifestation bzw. Selbstoffenbarung, in der das Offenbarende und das Geoffenbarte ein und dasselbe sind: Das Sich-Hervorbringen des Geistes als sichwissend ist ein aktives Hervorbringen, was das offenbart, was der Geist ist: das Sich-Wissen. Geist soll das Sich-Offenbaren sein, das nicht nur eine arbiträre Form darstellt, in der ein Inhalt geoffenbart wird, sondern der Inhalt ist das SichOffenbaren selbst. Der Inhalt ist damit in erster Linie ein formaler und allgemeiner. Dies ist Voraussetzung dafür, dass der Geist durch sein Anderes hindurch seine Einheit findet. Mit der Transparenz des Individuums in der realisierten Identität von Allgemeinem, Besonderem und Einzelheit ist das Ziel erreicht, nämlich das Geoffenbarte als Sich-Wissen dieser Identität und das Sich-Offenbarende als den sich-selbst transparenten Begriff zu erweisen. Beides ist dasselbe. Gegen diese Überführung der Sache in bloße (konkret-allgemeine) Form setzte Jacobi die nur sich selbst unmittelbar inneseiende, konkrete Person. Die Wer-Identität der Person ist eine unmittelbare Gewissheit, die aus der Erfahrung gewonnen wird und nicht in der Totalvermittlung aufgehoben werden kann. Idealität: Alle bisher genannten Kriterien des Geistes sind nur dann realisierbar, wenn das Andere der Geist im Modus des Anderen ist und die Substanz des anderen ausmacht. Dies stellt also einen zentralen Angelpunkt des Systems und seiner Einheit dar. Das Konkret-Werden des Geistes, wie es in der Realphilosophie geschieht, gehört zweifelsohne elementar zu diesem Prozess. Dies ist die Konkretion des Geistes, der sich unterschiedliche Formen gibt, die ihr Ansich jedoch in diesem Geist haben – den Jacobi den Geist der Wissenschaft nannte: Dieses Ansich meint bei Hegel zwar keine Substanz mehr. Jedoch heißt dies nichts anderes, als dass es der Prozess der Vermittlung selbst ist, der den Bedeutungshorizont aufspannt, in dem alle Bestimmtheit verortet wird. Jacobis Geist opponiert genau diesem Sinnkriterium und setzt die konkrete Person dagegen, die nur in der unphilosophischen Unmittelbarkeit im Sprung gefasst werden kann. Freiheit: Sie ist die Realisierung der in der Logik entwickelten Einzelheit als Realisierung jener Einheit von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit in systematischer Hinsicht in den Stufen der Realphilosophie und historisch in der Weltgeschichte. Freiheit ist letztlich nur die Realisierung jener Kriterien des Geistes, die die Person nur als allgemeine gelten lassen. Das heißt: Freiheit, die sich in der Kohärenz des Systems realisiert, ist selbst immer schon die Negation der ursprünglichen Einsicht Jacobis.

8 Spielarten des Geistes 8.1 Rückblick Jacobis unphilosophische Kritik an Spinoza verlieh der nachkantischen Philosophie wesentliche Impulse, aus denen sich die Systeme der klassischen deutschen Philosophie formierten. Hätten sie den ‚unphilosophischen Eigensinn‘ Jacobis ernstgenommen, wären sie allerdings nicht in der Lage gewesen, Jacobis Einwände als ‚geistreiche‘ Reflexion beiseite zu stellen. Sie hätten zugstehen müssen, dass diese geistreichen Reflexionen im Gegenteil ans Mark ihrer Systeme rühren. In diesem letzten Kapitel soll nun vor dem Horizont der erarbeiteten Perspektiven auf Jacobi und Hegel abschließend und zugespitzt vor Augen geführt werden, warum auch Hegels System absoluter Negativität die Einwände Jacobis nicht obsolet gemacht hat. Hegel ließ sich von Jacobi in der Tat für die Problematik der Endlichkeit sensibilisieren. In einer ersten Annäherung zeigte sich, dass der metaphysische Aspekt (was ist der Einzelne vor dem Begriff?), der freiheitstheoretische Aspekt (ist der Einzelne frei?) und der ontologische Aspekt seines Systems (ist der Einzelne als selbstständige Entität anzusprechen?) detailliert davon zeugen. Im Rückgriff auf Jacobis Motive spielen diese Aspekte eine zentrale Rolle in Hegels Auseinandersetzung mit Spinoza und den Herausforderungen eines systematischsystemischen Denkens insgesamt. Denn wenngleich Hegel den Rahmen des Monismus nicht verlässt, sondern mehr noch über die Figur der absoluten Negativität verschärft, vermag er es zunächst doch, die von Jacobi als mit dem systematisch-systemischen Denken prinzipiell unverträglich behaupteten Züge praktisch-existentiellen Lebens des Einzelnen in das System selbst zu integrieren. Für Hegel sind Freiheit und Selbstständigkeit des Einzelnen sowie die Zeit integrale Bestandteile seines spekulativ-dialektischen Systems. Jacobis Insistieren auf Unmittelbarkeit ist damit für Hegel als voreiliger und irreführender Rückzug ausgewiesen. Die unphilosophischen Konzepte Jacobis wie Gefühl, Glauben, Unmittelbarkeit, Freiheit, Selbstständigkeit, Ursache und Zeit gehören für Hegel unzweifelhaft zur Domäne des Begriffes selbst und stellen keinen Gegensatz mehr dar. Und es wäre tatsächlich nicht allein Hegels Intention nicht angemessen, sondern auch in Anbetracht der Umsetzung im System nicht gerechtfertigt, Hegels System ein Defizit im Umgang mit dem Endlichen, dem Einzelnen oder dem Anderen zu unterstellen, das darin bestünde, dass Hegels Begriff das Individuelle ignoriere oder unterjoche. Man muss nach den Ergebnissen dieser Untersuchung hervorheben, dass es gerade Jacobis unphilosophische Intervention war, die Hegel zu einer vehementen Kritik des sogenannten abstrakten Verstandesdenkens aus DOI 10.1515/9783110554328-011

276

8 Spielarten des Geistes

eben diesen Gründen veranlasste. Entgegen auch gegenwärtig noch verbreiteten Interpretationen muss Hegels System als eines verstanden werden, das den Reichtum praktisch-existentieller Lebenswelt begrifflich hochdifferenziert zu denken vermag. Hegels spekulativ-dialektisches System gilt es demnach gegen simplifizierende Kritik zu verteidigen. Nachdrücklich ist zu betonen, dass (im Rahmen des metaphysischen Aspektes) der spekulative Begriff so konzipiert ist, Konkretion im Fortgang anzureichern und nicht wie der abstrakte Begriff abzubauen (vgl. Kapitel II). Die spekulative Integration des Endlichen im Unendlichen immunisiert Hegel so nicht nur gegen den (noch von Jacobi gegen Spinoza und Fichte erhobenen) Vorwurf des Nihilismus, sondern erlaubt es ebenso, Einzelheit als vermittelte Unmittelbarkeit zu denken. Damit eröffnet sich der Raum für die Realisierung des freiheitstheoretischen und ontologischen Aspektes, indem die Einzelheit als Selbstständiges angesprochen werden kann, das in der Vermittlung sein freies An-und-für-sichSein verwirklicht. Selbstständigkeit und Vermittlung schließen sich nicht mehr aus, sondern bedingen sich geradezu gegenseitig. Denn Selbstständigkeit ist nur als geistige gehaltvoll zu realisieren, und Geist wiederum ist nur als Selbstvermittlung denkbar. Freie und selbstständige Einzelheit verwirklicht sich damit in der Durchsichtigkeit des Begriffes, der damit keine tote Substanz, sondern lebendige Subjektivität ist (vgl. Kapitel III und IV). Das spekulativ-dialektische System schließt sich nicht zu einem kategorialen Gerüst zusammen, in dem auch der Einzelne verortet werden wird, sondern ist qua Subjektivität die Selbsttransparenz des Einzelnen selbst. Das viel zitierte hegelsche Ganze ist damit kein Opponent des Einzelnen, sondern dessen Verwirklichung.Welche Reichweite und welche konkret lebensweltlichen Konsequenzen dieser Ansatz hat, lässt sich (trotz der hier schon geäußerten Kritik) in der Realphilosophie anschaulich ablesen. Dort werden die Dimensionen der Selbstständigkeit und Freiheit auf der Grundlage der in der Logik erarbeiteten Strukturen vielschichtig entfaltet.

8.2 Figuren des Geistes Dies ist auf das Konzept des Geistes zurückzuführen, das Hegel mit Jacobi teilt. Sicherlich gilt es genau auf die Unterschiede zu achten. Wichtige Differenzen sind im Verlauf der Untersuchung immer wieder angesprochen worden. Lohnend ist es jedoch, sich noch einmal die Grundstruktur zu verdeutlichen, die tatsächlich bei beiden den Kern des Geistes ausmacht und eine Gemeinsamkeit darstellt. Daraus lassen sich wichtige Erkenntnisse gewinnen. Das sich selbst erfassende Absolute ist innerhalb der Logik die absolute Idee als die qua absoluter Negativität vollständig mit sich selbst vermittelte absolute

8.2 Figuren des Geistes

277

Subjektivität. Im Gang zudem durch die Natur- und Geistphilosophie ist das Absolute am Ende der sich in der Philosophie selbst transparent werdende absolute Geist. Eben dieser Geist ist dadurch ausgezeichnet, dass er das Absolute selbst ist, indem er das Absolute selbst realisiert. Hegels Geistphilosophie ist eine lebendige Darstellung des Absoluten und keine Theorie des Absoluten. Jede Theorie bliebe unvollständig und widersprüchlich. Denn die unterschiedlichen Entwürfe zu dem, was das Absolute nun sei, sind unhaltbar, insofern sie als Theorie notwendigerweise das Absolute vergegenständlichen. Die erfolgreiche Darstellung des Absoluten ist nur das gesamte System in seinem Vollzug selbst. Zur Idee, die diese Totalvermittlung des Ganzen sein soll, schreibt Hegel: Sie ist erstlich die einfache Wahrheit, die Identität des Begriffes und der Objectivität als Allgemeines, in welchem der Gegensatz und das Bestehen des Besonderen in seine mit sich identische Negativität aufgelößt, und als Gleichheit mit sich selbst ist. Zweytens ist sie die Beziehung der für sich seyenden Subjectivität des einfachen Begriffs, und seiner davon unterschiedenen Objectivität; jene ist wesentlich der Trieb, diese Trennung aufzuheben, und diese das gleichgültige Gesetztseyn, das an und für sich nichtige Bestehen. Sie ist als diese Beziehung der Proceß, sich in die Individualität, und in deren unorganische Natur zu dirimiren, und wieder diese unter die Gewalt des Subjects zurückzubringen und zu der ersten einfachen Allgemeinheit zurückzukehren. Die Identität der Idee mit sich selbst ist eins mit dem Processe; der Gedanke, der die Wirklichkeit von dem Scheine der zwecklosen Veränderlichkeit befreyt und zur Idee verklärt, muß diese Wahrheit der Wirklichkeit nicht als die todte Ruhe, als ein blasses Bild, matt, ohne Trieb und Bewegung, als einen Genius, oder Zahl oder einen abstracten Gedanken vorstellen; die Idee hat, um der Freyheit willen, die der Begriff in ihr erreicht, auch den härtesten Gegensatz in sich; ihre Ruhe besteht in der Sicherheit und Gewißheit,womit sie ihn ewig erzeugt und ewig überwindet, und in ihm mit sich selbst zusammengeht. (WL2, 177)

Das Hauptaugenmerkt gilt hier der Prozessualität, die die Bewegtheit des Ganzen hervorhebt. Ist es nur dieser Vollzug des Ganzen, der die Wahrheit, d. h. das Absolute, zum Ausdruck bringen kann, so ist die Wahrheit nicht fixierbar in einem Ergebnis, sondern ist nur im aktualen Vollzug selbst.¹ Genau das ist nun eben das

 Auf einen im System liegenden und von Hegel explizit ausgetragenen Widerspruch zwischen Vollzug und Begriff macht auch Chr. Menke aufmerksam: „Der Widerspruch im Erkennen enthält verdeckt einen Selbstwiderspruch; denn das Leben, dem es sich entgegensetzt, ist, als Leben des praktischen Begreifens, recht verstanden das lebendige Begreifen, als das auch das spekulative Begreifen selbst sich vollzieht: das Leben, dem es sich entgegensetzt, ist sein eigenes Leben. Es gibt kein Begreifen, auch kein spekulatives Begreifen des lebendigen Begreifens, das nicht zugleich selbst Vollzug des lebendigen Begreifens wäre. Der Selbstwiderspruch des Erkennens ist deshalb ein pragmatischer Selbstwiderspruch: er besteht zwischen dem, was das spekulative Erkennen über das Leben des Begriffs sagt, und dem, was es selbst, als Vollzug dieses Lebens: ist oder tut. Indem das Erkennen über das Leben spricht, entzweit es das Leben; aber das Erkennen

278

8 Spielarten des Geistes

‚Programm‘ von Anfang an gewesen, wenn Hegel die Substanz (die alles statisch in sich bestimmt enthält) ebenso als Subjekt denken will. Denn der Begriff als Subjektivität ist das Wahre als sich bewegendes Ganzes. Das heißt jedoch auch: Dem Absoluten eignet ein Moment des Entzugs, das überhaupt erst durch die absolute Negativität zur Geltung gebracht wird. Dieses Moment des Entzugs ist es gerade, das im Zentrum der Konzeption von Geist sowohl bei Hegel also auch bei Jacobi steht. Denn nur durch dieses Moment ist es überhaupt möglich, einem Determinismus der Substanz oder dem Mechanismus der endlichen Naturrekonstruktion zu entkommen. Oder anders herum formuliert: Weil in der Substanz oder den endlichen Bedingungsgefügen nur fixe Bestimmungen und allumfassendes Bestimmen möglich sind, liegt allein in der Anerkennung eines bestimmenden Entzugs die Öffnung eines Raumes, der dann mit Freiheit, Selbstständigkeit oder Personalität besetzt werden kann. Jacobi opponiert begrifflich-rationalen Systementwürfen und sieht entsprechend diesen Raum für den Entzug in der Unmittelbarkeit des Glaubens und des Gefühls und so im strikten Gegensatz zum Begriff. Für Hegel dagegen ist diese Unbestimmbarkeit zumindest insofern begrifflich zu bewältigen, als der Begriff als die absolute Negativität zu denken ist und damit konstitutiv selbst diese Unbestimmbarkeit ist. Grundlegend für dieses Moment des Entzugs ist jedoch der Modus des Vollzugs. Denn es ist im Entzug auf kein Unerkennbares verwiesen, dem als ganz anderem hier eine entscheidende Rolle zukommen soll. Der Entzug ereignet sich vielmehr in der Selbstbezüglichkeit als solcher: Bei Jacobi im individuellen Selbstbezug in existentieller Praxis; bei Hegel in der Dynamik absoluter Negativität. Sowohl bei Hegel als auch bei Jacobi nimmt somit die Erfahrung einen herausragenden Platz ein.² Denn ohne Erfahrung des Entzugs im Vollzug wird der

kann über das Leben nur sprechen – es kann es also nur entzweien –, indem es das Leben gerade nicht entzweit, sondern vollzieht.“ (Menke [1992]: Der Wendepunkt des Erkennens, 44) Er verfolgt jedoch diesen Punkt nicht eigens weiter. Er führt aber aus, dass nach Hegels Analyse das (theoretische) Erkennen auf die Form der Aussage fixiert ist und daher ein endliches ist, das dem Leben nicht angemessen sein kann. (Menke [1992]: Der Wendepunkt des Erkennens, 45 f)  Hegel redet in der Logik z. B. im Abschnitt über die absolute Idee von einem Selbstbewusstsein der Idee: „die Methode ist das Bewußtsein über die Form der inneren Selbstbewegung ihres Inhalts“. (WL2, 37) Dieses Bewusstsein ist als Sich-Gegenwärtigsein zu verstehen. A. Arndt vertritt die These, dass sich die Idee in uns denkenden Individuen gegenwärtig ist und erfährt. Vgl. dazu Arndt [2012]: Wer denkt absolut?: Im Methoden-Abschnitt am Ende der Logik vergegenwärtigt sich der Begriff retrospektiv, welche logischen Muster seinem Gang zugrunde lagen. Die Methode ist damit „das Wissen des Begriffs von sich in seiner Tätigkeit als Begriff, genauer gesagt: in einer Tätigkeit, sich als Begriff selbst zu erfassen. An dieser Stelle rekurriert Hegel auf ‚uns‘, also diejenigen besonderen Individuen, welche den Gang des reinen Denkens mit- und nachvollziehen.“ (Arndt [2012]: Wer denkt absolut?, 28) Der allgemeine und notwendige Zusammenhang der

8.2 Figuren des Geistes

279

Vollzug nur zu einem Verfahren, das dem Mechanismus nicht entkommt. Geist ist damit an Erfahrung geknüpft, die in letzter Instanz begrifflich nicht fixierbar ist. Geist ist nicht fixierbar. Wie dies für den absoluten Geist Hegels gilt, d. h. für die Subjektivität, so gilt dies ebenso für den individuellen Geist, d. h. für die Wer-Identität. Für den individuellen Geist bedeutet das, dass dessen praktisch-existentieller Vollzug nur im Vollzug selbst erfahren werden kann, der für den abstrakten Begriff wie auch für den spekulativen Begriff nicht fixierbar ist. Für den absoluten Geist heißt dies, dass der spekulativ-dialektische Vollzug des Begriffes gleichermaßen nur im Vollzug erfahren werden kann und als Vollzug ebenfalls nicht fixierbar ist.³ Der absolute Geist ist im Vollzug seiner Realisierung die (sich selbst begrifflich transparente, gleichwohl nicht begrifflich fixierbare) Erfahrung, was er ist. Der individuelle Geist im Vollzug seines Lebens ist die (sich selbst begrifflich nicht transparente) Erfahrung, wer ‚ich‘ bin. In dem Maße aber, wie Hegel diesen Entzug (als sich bewegenden Widerspruch etc.) selbst ins Zentrum rückt und anerkennt, ist es nur verwunderlich, dass er das Moment des Entzugs beim individuellen Geist so konsequent ignoriert. Hegel wäre ein Denker gewesen, der dieses entscheidende Moment in Jacobis Unphilosophie aufs Genaueste durchschaut haben könnte. Insofern die Konzeption Geist überhaupt auf Jacobi zurückgeht und bei Hegel eben dieses Moment des Vollzuges, der nicht fixierbar ist, konstitutiv mit einfließt, liegt der Verdacht nahe, dass Hegel diesen Zug der Unphilosophie ganz bewusst ausblendet. Denn erkennt man diese Charakteristik des Geistes an, besteht keinerlei Hoffnung, in einer Aufhebungsoperation dem Ganzen Herr zu werden. Als Schlüssel für ein adäquates Verständnis des hegelschen Systems gerade hinsichtlich der von Jacobi aufgeworfenen Problemfelder zeigt sich einmal mehr die Figur der absoluten Negativität. Sie begründet die gänzlich neue Logik, auf deren Notwendigkeit Jacobi Hegel aufmerksam gemacht hat: Und diese neue Logik

Denkbestimmungen „denkt sich nicht selbst, sondern wir denken ihn, indem wir den Begriff begreifen. Damit beantwortet sich die im Titel meiner Ausführungen gestellte Frage. Wir denken absolut, indem wir das Absolute denken.Wir können das Absolute aber nur denken,weil wir selbst Moment desjenigen Zusammenhangs sind, den wir als absolut denken. Insofern gilt, dass im Begreifen des Begriffs mit begrifflichen Mitteln ‚Subjekt, Methode und Objekt […] als der eine identische Begriff gesetzt sind‘.“ (Arndt [2012]: Wer denkt absolut?, 30)  A. Arndts These, dass wir als endliche Individuen es sind, in denen sich die absolute Idee denkt und erfährt, wirft hier ein interessantes Licht. Aber es gilt natürlich festzuhalten: „Die reine Selbstbezüglichkeit des Begriffs in der absoluten Methode ist demnach das Ergebnis einer Abstraktion von den bestimmten Verhältnissen, in die der menschliche Geist im Verhältnis zur Natur und zu seinen eigenen geistigen Daseinsweisen steht. Die Idee als absolute Methode ist daher die allgemeine Form des theoretischen und praktischen Verhaltens des menschlichen Geistes zur ‚Welt‘.“ (Arndt [2012]: Wer denkt absolut?, 31)

280

8 Spielarten des Geistes

ist die Logik des Entzugs. Sie ist damit erstens Resultat der unphilosophischen Kritik Jacobis. Sie ist zweitens aber überhaupt die Grundlage, die Hegel die Mittel an die Hand gibt, die von Jacobi formulierte Kritik am systematisch-systemischen Denken so weitgehend außer Kraft zu setzen. Dies muss schlussendlich auf den Umstand zurückgeführt werden, dass die absolute Negativität eine Widerspruchsdynamik in Gang setzt, die erstens von Anbeginn an den immanenten Motor für die Begriffsentwicklung darstellt und zweitens von einfachsten Anfangsbestimmungen über komplexe Begriffskonstellation bis hin zur Systemarchitektur selbst strukturbildend eine Einheit konstituiert, in der Differenz gleichberechtigt eingeschrieben ist – ja die Einheit nur in der Differenz besteht. Diese Dynamik reicht so weit, dass der Systembegriff selbst bis an seine Grenzen ausgeweitet, wenn nicht in gewisser Hinsicht gar aufgelöst wird. Nur so ist es Hegel möglich, Jacobis Bedenken gegenüber dem System eine so weitreichend modifizierte Alternative anzubieten, die einerseits praktisch-existentielle Lebenswirklichkeit zu integrieren weiß, gleichwohl andererseits das systematisch-systemische Denken nicht aufgeben muss. Dabei treibt Hegel den Systembegriff deshalb bis an den Rand seiner Auflösung, weil die Aufhebung der Widersprüche (in dem bekannten dreifachen Sinne) eine Dynamik erforderlich macht, die als Durchlaufen verschiedener Bestimmungen unterbestimmt ist. Die Aufhebung begründet als Vollzug den Modus, in dem die absolute Negativität als Einheit überhaupt mit ihren Bestimmungen Bestand hat – ohne dieses Bestehen je fixieren zu können. Die Aufhebung der Widersprüche in Hegels System läuft nicht auf ein Endresultat hinaus, das in einer obersten Bestimmung bestünde. Das System läuft vielmehr in einen Widerspruch hinein, der am Ende allumfassend geworden ist.⁴ Dieser Widerspruch ist das sich durch, aus und in den Widersprechenden Bewegende, das nur durch, aus und in seiner Bewegung seine Wahrheit hat. Die Identität von Relata und Relation illustriert dies: Alle Relata und damit überhaupt alle Bestimmtheit werden aus der Bezogenheit der Relata untereinander entfaltet, deren Kern im Grunde die Bewegung selbst ist. Aber bestehen alle Relata nur in der Bewegtheit der Relation, so gibt es keine unabhängige Unmittelbarkeit der Relata mehr, in der eine Bestimmtheit bestehen oder aus der eine Relation aufgebaut werden könnte. Die Bestimmtheit der Relata besteht in der Relation, die nur eine dynamische ist, und aus dieser Dynamik erfolgt die Bestimmung. Die Dynamik entzieht sich aber selbst der Bestimmung. Das heißt, das Bestimmen selbst ist keine

 Damit ist auch O. Pöggelers Kritik der Boden genommen, die besagt, dass die Verabsolutierung der Methode in der Logik der Offenheit der Geschichte, die noch in der Phänomenologie zu finden ist, widerspricht (vgl. Pöggeler [1973]: Die Komposition der Phänomenologie des Geistes, 370).

8.2 Figuren des Geistes

281

Bestimmung innerhalb der Bewegung, sondern nur die Bewegung selbst. ⁵ Der Abschluss des Systems als dieses absolute Bestimmen ist somit gar nicht fassbar, sondern immer nur vollziehbar – und darin nicht abschließbar. Der absoluten Negativität ist also ein Entzug konstitutiv eingeschrieben, der zwar das System selbst überhaupt als spekulativ-dynamisches definiert, es aber ebenso einer Fixierung unzugänglich sein lässt. Diese Unabschließbarkeit nun macht ein System nicht unmöglich, aber setzt doch einen Begriff des Systems voraus, der nun weit über das herkömmliche (und Hegel immer wieder unterschobene) Verständnis⁶ hinausgeht. Gemessen an diesem oft unterstellten Verständnis ist das System Hegels eigentlich gar keines. Wollte das System aber dem Entzug Herr werden und damit das System zu einem (fixierbaren) Abschluss bringen, würde das nur um den Preis möglich sein, dass Freiheit und Selbstständigkeit eo ipso verloren wären. Das Subjekt wäre nun wieder als Substanz gedacht. Dass Jacobis Unphilosophie also selbst hoch komplexe Figuren entwickelt, die mit einem epistemischen Fundamentalismus gar nichts zu tun haben, tritt hier offen zu Tage. In der Jacobi-Rezension sieht auch Hegel die Figur der absoluten Negativität sowie das Konzept des Geistes in direkter Linie zu Jacobis Unphilosophie. Behält man diesen Hintergrund im Auge und erkennt auch an, dass Jacobis Insistenz auf den Geist ein philosophisch gehaltvoller Einwand gegen die Alleinphilosophie ist, liest sich Hegels Aufhebungsoperation ganz anders. Man sieht dann sehr deutlich, dass Hegels absolute Negativität nicht Spinoza überbietet und zugleich Jacobi widerlegt, sondern Spinoza überbietet und zugleich die zentrale Stoßrichtung der Systemkritik Jacobis übernimmt, um ihn darin in seinem Anliegen und in seiner Durchführung zu bestätigen. Der Schlüssel hierzu ist die Figur des Geistes, mit der Jacobi und Hegel primär argumentieren. Man kann es zugespitzt so formulieren, dass mit dem Geist selbst ein zentrales unphilosophisches Motiv Jacobis bis ins Mark des spekulativ-dialektischen Systems Hegels einwandert – ohne dass dies von Beginn an abzusehen war und ohne dass dies Hegel selbst sichtbar machen würde. An diesem Punkt dreht sich das Bild vollständig. Dazu jetzt mehr.

 Man könnte vielleicht sagen: so wie das Sehen auch nicht (als Objekt) gesehen wird, sondern sich am Gesehenen zeigt.  So ein Systembegriff beinhaltet zumindest die Forderung, dass alle Begriffsbestimmungen ihren notwendigen Platz im System erhalten und aus dem Systemganzen so nachvollziehbar sind, dass es keine Lücke in der Begründungskette gibt. Das würde dann auch für eine letzte oder erste Bestimmung gelten, die argumentativ schlüssig eingeholt werden müssen. Ein solches System würde dann eo ipso auch die Forderung implizieren, dass ein System kein wie auch immer geartetes Darüber-Hinaus enthalten darf, das aus dem Begründungszusammenhang gewissermaßen herausfällt.

282

8 Spielarten des Geistes

Die Distinktionen zwischen Geist und Buchstabe, zwischen Gefühl und Verstand, zwischen Unmittelbarkeit und Vermittlung, zwischen Vernunft, die den Menschen hat, und jener, die der Mensch hat, sind alle auf die Entdeckung des Entzugs zurückzuführen, die Jacobi am lebendigen Geist, dem göttlichen wie dem individuellen, heraushebt. Auch die Unterscheidungen z. B. von Verstand und Vernunft, Richtigkeit und Wahrheit oder Negativität und absoluter Negativität bei Hegel folgen dieser Einsicht. Diesem Entzug begegnete Jacobi aber mit den Figuren der Unmittelbarkeit, des Glaubens und der individuell-persönlichen Vernunft, für die Hegel über weite Strecken nur Polemik übrighatte. Hegel will sich mit der absoluten Negativität des Begriffes davon absetzen, in der nicht nur der Entzug konstitutiv wird, sondern auch die Unmittelbarkeit, die Jacobi nur in Abgrenzung zum Begriff sah, mit dem Begriff identisch wird. Auf den ersten Blick kann die Differenz in den Konzeptionen des Geistes kaum größer sein. Bis zu dieser Stelle scheint Hegel Jacobi überlegen.⁷ Hinterfragt man diese Darstellung Schritt für Schritt⁸, zeigt sich die philosophische Raffinesse der Unphilosophie Jacobis. Es zeigt sich auch die Strategie Hegels, elementare Figuren Jacobis einfach auszublenden, um diese Überlegenheit auf einfachem Wege zu generieren. Aber die Frage ist: Zeigt sich auch mit Nachdruck, dass das Insistieren auf dem individuellen Erleben der Person mehr ist als bloß eine alternative (und nicht umfassende) Perspektive auf Wirklichkeit, die vielleicht (doch) vom hegelschen System absorbiert wird. Zeigt sich auch, dass dieses Insistieren aus dem hegelschen System selbst wieder als alternativlos hervortritt? In einigen Schritten lassen sich die bisherigen Ausführungen zu diesem Punkt zusammenführen. Und diese Schritte fokussieren gerade die Gemeinsamkeiten und nicht die Unterschiede. Entscheidend ist der Aspekt des Entzugs. Das Erste, das es hierfür herauszuheben gilt, ist, dass dem Entzug überhaupt eine elementare systematische Bedeutung eo ipso zuerkannt wird, die auf Jacobi zurückgeht. Denn, so Hegel in der Jacobi-Rezension: „Jacobi hatte diesen Uebergang von der absoluten Substanz zum absoluten Geiste, in seinem Innersten gemacht, und mit unwiderstehlichem Gefühle der Gewißheit ausgerufen: Gott ist Geist, das Absolute ist frey und persönlich.“ Die Freiheit und Persönlichkeit sind immanente Eigenschaften des Lebendigen. Hegel fährt fort: Gott ist kein todter, sondern lebendiger Gott; er ist noch mehr als der Lebendige, er ist Geist und die ewige Liebe, und ist dies allein dadurch, daß sein Seyn nicht das abstracte, sondern das sich in sich bewegende Unterscheiden [kursiv, D. A.], und in der von ihm unterschiedenen

 Das war auch das formulierte Zwischenergebnis nach der Rekonstruktion Hegels bis einschließlich Kapitel IV.  Dies geschah vornehmlich in Kapitel VI.

8.2 Figuren des Geistes

283

Person Erkennen seiner selbst ist; und sein Wesen ist nur die unmittelbare, d.i. seyende Einheit, in sofern es jene ewige Vermittlung zur Einheit ewig zurückführt, und dieses Zurückführen ist selbst diese Einheit [kursiv, D. A.], die Einheit des Lebens, Selbstgefühls, der Persönlichkeit, des Wissens von sich. (JR, 11)

Das Zweite, das hier festzuhalten ist, betrifft den Entzug selbst. Im Entzug des Geistes sowohl bei Jacobi wie auch bei Hegel liegt nämlich selbst ein Gehalt. Für Hegel ist das überhaupt der sich bewegende Widerspruch des Begriffes – und damit das Ganze, das darin ‚besteht‘. Für Jacobi ist das die Jemeinigkeit der Person – und damit die Wer-Identität. Entscheidend ist: In beiden Fällen geht der im Entzug bestehende Gehalt über den Begriff hinaus. Geist ist mehr als begrifflich-fixierbares Wissen. Die wohl klassische Hegel-Interpretation meint, dass der Begriff alles ist und alles in der kategorialen Struktur des Systems restlos aufgeht, weil er Unmittelbarkeit in die Vermittlung des Begriffes integriert. Für ihn soll der Geist selbst Wissen sein, indem er Begriff ist. Die hier vorgeschlagene Interpretation sagt dagegen, dass er die restlose Integration bewusst nicht vollzieht. Es bleibt im Begriff selbst ein Rest bzw. eine Differenz, weil der Begriff selbst dieses Moment des Entzugs in sich trägt. Man kann also sagen: Auch das System ist mehr als begrifflich-fixierbares Wissen. Die Konsequenz daraus aber ist die, dass er damit Jacobis Unphilosophie (in wesentlichen Teilen⁹) und so Jacobis Einwände gegen das System im Gegenteil bestätigt, weil er den Geist integriert bzw. den Begriff als absolute Negativität und das System als absoluten Geist konzipiert. Denn wenn er selbst den Entzug mit einem konstitutiven Gehalt für das System verbindet – so wie es Jacobi für den individuellen Geist tut –, hält er etwas Unaussprechliches und damit Unaufhebbares für den Geist fest, das für Hegel wie für Jacobi im Vollzug besteht bzw. darin sich zeigt. Wenn Hegel nun Jacobis Unphilosophie darin aufgehoben wissen will, dass er Unmittelbarkeit in Vermittlung bzw. individuellen Geist in absoluten Geist aufgehoben hat, so führt diese Widerlegungsstrategie genau auf Jacobis ursprünglichen Einwand gegen das System zurück: Denn er muss unter diesen Bedingungen selbst eingestehen, dass dies unmöglich ist und der Gehalt des individuellen Vollzugs – nämlich meine WerIdentität – schlicht verloren ist. Also bleibt um des (individuellen) Geistes willen diesem Entzug zu begegnen und Einspruch zu erheben. Jacobi springt in die Unmittelbarkeit und in den Glauben bzw. in die (individuell-persönliche) Vernunft. Er muss – in Anlehnung an Kants Formulierung – das Wissen beschränken, um für das Existieren Platz zu bekommen.Was sich nun aber nach vielen Schritten herausgeschält hat und nur verwundern kann, muss noch benannt werden: Den  Jacobis Verständnis des Begriffes als abstrakten wird Hegel unter keinen Umständen akzeptieren.

284

8 Spielarten des Geistes

Verlust des individuellen Geistes, der sich praktisch-existentiell im Vollzug selbst erfährt, nimmt Hegel als Konsequenz in Kauf und gibt hierfür auch keine Argumente, die in mehr als nur Desinteresse hierfür begründet wären. Von dieser Dimension will Hegel keine Notiz nehmen. Der eigentliche Skandal ist also nicht, dass Hegel das Individuelle nicht denken kann (denn er kann es in wesentlichen Hinsichten), sondern dass Hegel aus systematischen Erwägungen heraus das Individuelle (im Sinne Jacobis: d. h. den individuellen Geist) als Irrelevantes denken will und muss. Alles fällt unter den systemisch sich zusammenschließenden Willen zur absoluten Transparenz – der selbst unbegründet ist und bleiben muss. Hegels Mantra, Unmittelbarkeit ist nur Vermittlung, verfehlt gänzlich den Kern dessen, was bei Jacobi auf dem Spiel steht. Hegel aber erweckt im Zuge seiner Widerlegungsstrategie permanent den Eindruck, es gehe (in dieser Vermittlungsbewegung) nichts verloren. Dass dem jedoch nicht so ist, bestätigt er also (auf einer anderen Ebene) mit seiner eigenen Widerlegungsstrategie (nämlich auf Geist zu setzen), die an Jacobis ursprünglicher Einsicht anknüpft. Nochmals anders: Der Entzug ist als zentrales Element erstens im System bestätigt, aber implizit damit auch zweitens als konstitutives Element im praktisch-existentiellen Vollzug der Person, insofern die Person als geistige eo ipso dieses Moment des Entzugs enthalten muss. Der Gehalt und die systematische Relevanz des Entzugs des Geistes, die Hegel für sich selbst in Anspruch nimmt, widerlegen das, was er so beflissen (als Widerlegung Jacobis) an der Oberfläche behauptet. Dabei ist Folgendes unbedingt zu beachten: Das Einklagen einer (trotz allem) der Vernunft entzogenen Differenz zielt auf keinen ontologischen Befund in dem Sinne, dass es ein Objekt gäbe, das unabhängig vom Vernunft-System bestünde. Es ist vielmehr eine der Vernunft selbst eingeschriebene Differenz, der aber die Vernunft nie (begrifflich) habhaft werden kann. ¹⁰ Diese Differenz ist konstitutiv für die Figur

 Chr. Menke dagegen formuliert das gegenteilige Ziel: „Irreduzible Differenz, das Motiv der Hegel-Kritik gegen die Behauptung einer dialektisch verbürgten Universalität der Vernunft, verlangt also selbst eine differenzierte Betrachtung: Sie ist ein gültiger Einwand nicht gegen das, was Hegel in der Logik sowohl zeigt wie tut, sondern was Hegel in den verallgemeinernden Schlußfolgerungen des Systems in der Logik glaubt gezeigt und getan zu haben. Irreduzible Differenz kann nicht in, sondern nur gegenüber der Vernunft, die die Logik aufweist wie praktiziert, geltend gemacht werden. Der eigentliche Adressat ihrer Kritik ist deshalb Hegels Versicherung, „daß die Vernunft nur eine ist“ und „es verschiedene Vernunften [nicht] geben kann“. (Menke [1992]: Der Wendepunkt des Erkennens, 12) Allein Menke bestätigt letztlich die hier vertretene These, indem er das Ziel spekulativen Erkennens in einem begrifflich nicht mehr fassbaren (bewegten) Widerspruch sieht und mit Adorno formuliert: „Es ist deshalb kein Einspruch gegen Hegel, sondern nur eine Reformulierung der zentralen Idee seines Methodenkonzepts, wenn Adorno die Dialektik philosophischer Reflexion als die ‚Anstrengung‘ definiert, ‚Über den Begriff durch den Begriff hinauszugelangen‘. Ebenso gilt für Hegel wie für Adorno, daß diese Anstrengung, über das Er-

8.2 Figuren des Geistes

285

des Geistes. Sie festzuhalten, heißt zugleich, Jacobis Anliegen nicht nur anzuerkennen, sondern auch gerade vor den Errungenschaften des spekulativ-dialektischen Systems erneut zu bestätigen. Jacobi also nicht so zu rekonstruieren, dass er auf eine unaufhebbare ontologische Differenz setzt (d. h. auf ein ineffabiles Individuum-Ding, an das der Begriff nicht heranreicht), heißt umgekehrt aber auch, Hegel nicht vorzuwerfen, dass sich der (spekulative) Begriff im Abstrakten verliert. Es geht vielmehr um den Modus, wie der (individuelle) Vollzug in den Blick gebracht wird. Veranschaulichen kann dies eine Analogie mit der Musik. Hegels Begriff ist nicht zu unterscheiden von der Sache, sondern bestimmt überhaupt die Sache selbst – so wie die Partitur die sie beschreibende oder abbildende Musik selbst ist. Die Musik gäbe es ohne die Partitur nicht. Die Partitur gäbe es ohne die

kennen hinauszugelangen, keine positiv bestimmbare Erfüllung gewinnt: weder als unberührtes Leben vor allem Erkennen noch als überfliegendes Begreifen jenseits des Erkennens (vgl. 6, 287 f). Die Anstrengung, über den Begriff hinauszugelangen, verwirklicht sich im strikten Sinne allein negativ – durch den Selbstwiderspruch des Erkennens.“ (Menke [1992]: Der Wendepunkt des Erkennens, 59) Im Rückgriff auf den spekulativen Satz stellt Menke fest, dass zwar die Bewegung des Erkennens durch Einzelaussagen und Widersprüche hindurch realisiert wird. „In diesen anderen Aussagen erfüllt sich die Bewegung der Überschreitung aber nicht, denn sie unterliegen selbst wieder der gleichen Begrenzung; der Selbstwiderspruch jeder einzelnen Aussage führt deshalb zu einer nicht stillstellbaren Bewegung durch die Aussagen hindurch.“ (Menke [1992]: Der Wendepunkt des Erkennens, 61) Er kommt zu dem Ergebnis: „Der Selbstwiderspruch der Aussagen konstituiert damit eine Bewegung durch die Aussagen, die selbst nicht aussagbar ist; sie konstituiert eine Bewegung des Textes.“ (Menke [1992]: Der Wendepunkt des Erkennens, 61) In der „durch den Selbstwiderspruch der Aussagen angestoßene ‚Bewegung‘“ (Menke [1992]: Der Wendepunkt des Erkennens, 61) macht Menke die Auflösung des Widerspruches fest. Er gibt auch eine Begründung: „Denn aufgrund der Bewegung zwischen seinen Aussagen ist das (je relative) Ganze eines Aktes spekulativen Erkennens von einer anderen Ordnung als seine Momente, die einzelnen Aussagen; die selbst nicht aussagbare Bewegung zwischen seinen Aussagen befreit das spekulative Erkennen von dem Selbstwiderspruch, dem es in seiner Verpflichtung auf das Aussagen unterliegt.“ (Menke [1992]: Der Wendepunkt des Erkennens, 62) Im Grund spricht Menke auch von einem Moduswechsel bei Hegel: „Denn in der nichtaussagbaren Bewegung durch seine Aussagen gewinnt das Erkennen einen anderen Bezug aufs Leben: es ist weder aussagender Bezug aufs Leben noch, als selbst lebendig, Kapitulation vor dem Leben als „[g]eheimnisvolles“ (8, § 82 Z) Ganzanderes, sondern Zeigen des Lebens in seiner Andersheit. Und zwar zeigt das spekulative Erkennen das Leben eben dadurch, daß es in seiner Bewegung durch die Aussagen das Aussagen begrenzt – dadurch also, daß es nicht Aussage, sondern Text ist.“ (Menke [1992]: Der Wendepunkt des Erkennens, 62) Eine bemerkenswerte Schlussfolgerung zieht Menke, wenn er die Metapher des Textes aufgreifend schreibt: „Als Sache richtiger Lektüre ist der Erfolg der Dialektik aber auch eine Sache gelingenden Schreibens. Für das richtige Lesen und gelingende Schreiben von Texten gibt es jedoch keine Garantien; sie enthalten ein Stück Unableitbarkeit. Gilt das für ihren Erfolg, den des Lesens und Schreibens spekulativer Texte, so auch für den der Dialektik, die sich in ihnen verwirklichen soll: auch der Erfolg der Dialektik unterliegt insoweit der Kontingenz.“ (Menke [1992]: Der Wendepunkt des Erkennens, 63)

286

8 Spielarten des Geistes

Musik nicht. Beide stehen in einem Verhältnis der Identität, insofern es rein formal nichts in der Musik gibt,was nicht die Partitur beschreiben bzw. bestimmen würde. Beide stehen jedoch ebenso in einem Verhältnis der Nicht-Identität, insofern die Partitur eine formale Beschreibung der Musik ist, deren Gehört-Werden durch den Vortrag der Musiker von der bloßen Beschreibung unterschieden werden muss. Es kann nicht behauptet werden, dass die gehörte Musik formal etwas anderes wäre als die auf der Partitur niedergeschriebene Musik, zumal die Musiker die Partitur für ihren Vortrag zugrunde legen. Dennoch aber ist der Modus, wie die Musik jeweils in den Blick gebracht wird, ein fundamental anderer. Wenngleich also aus formaler Perspektive gar kein Unterschied festgemacht werden kann, so ist es doch Jacobi, der den Modus des Vollzuges zum Entscheidenden erhebt und gegen das System stark machen möchte. Hegels widersprüchliche Widerlegungsstrategie besteht nun, in diesem Bild gesprochen, darin, die Ununterscheidbarkeit von Musik und Partitur nachzuweisen, indem sich Hegel selbst als Instrument des Absoluten versteht und das all-eine Absolute als umfassende Wirklichkeit zum erklingen bringt – und zum erklingen bringen muss, weil alles bloße Verweisen auf das Absolute vermittels einer Partitur an der Sache vorbeiginge: weil es überhaupt zu einer Sache gemacht würde. Das ist aber zugleich der Kern des von Jacobi so hartnäckig wiederholten Einspruchs gegen das System selbst. Hegels Kritik an Jacobis Unmittelbarkeit zeigt sich noch einmal mehr als unbegründet. Denn erstens übersieht der Vorwurf, bei Jacobi habe „der Uebergang von der Vermittlung zur Unmittelbarkeit, mehr die Gestalt einer äußerlichen Wegwerfung und Verwerfung der Vermittlung“ (JR, 11), den entscheidenden Punkt. Hegel berücksichtigt nämlich nicht das unphilosophische Eindringen in das System selbst, aus dem heraus der Sprung erfolgt. Der Rückzug auf die Unmittelbarkeit ist keinesfalls als äußerlich zu bezeichnen. Unmittelbarkeit ist für Jacobi nicht die Gegebenheit von Etwas, sondern der Modus der Auseinandersetzung mit etwas, von dem ich sagen kann, dass es sich gar nicht anders zeigt als in meiner Erfahrung. Es ist also nicht der Anspruch damit verbunden, etwas zu wissen, sondern der Anspruch, etwas zur Geltung zu bringen. Das geschieht auch nicht unter Absehung aller Reflexion als Behauptung wie zum Auftakt der Phänomenologie in der sinnlichen Gewissheit, sondern erst am Ende im Durchgang durch Jacobis sogenannte Alleinphilosophie. Zudem geht es im Rückgriff auf die Unmittelbarkeit nicht darum, mich hier und jetzt als Wahrheit zu behaupten, sondern dass ich mich nur dann adäquat erschließe, wenn ich mich unmittelbar in meinem Lebensvollzug erfahre. Und das entspricht dem Wechsel von der Frage danach, was wir über Existenz sagen können, zum Existieren selbst. Der Sprung in die Unmittelbarkeit besteht also nicht darin, gegen besseres Wissen eine Unmittelbarkeit als Wahrheit festzuhalten, sondern das Paradigma des Fragens nach der

8.2 Figuren des Geistes

287

Wahrheit selbst zu verweigern und damit auch von der Unmittelbarkeit in einer ganz anderen Weise zu sprechen. Man kann sogar sagen, dass das Insistieren auf Unmittelbarkeit bei Jacobi eben nicht beabsichtigt, dem Diktum zu widersprechen, dass es nichts gebe, was nicht zugleich Vermittlung und Unmittelbarkeit ist – und also nur Unmittelbarkeit sei. Es kommt vielmehr darauf an, den individuellen praktisch-existentiellen Vollzug (als unmittelbaren) festzuhalten und gänzlich den Horizont der Frage zu verlassen. Diese Unmittelbarkeit kann Hegel nicht (wie in der sinnlichen Gewissheit) am eigenen Maßstab gemessen über sich selbst hinaustreiben. Denn diese Unmittelbarkeit hat gar keinen Maßstab, an dem sie selbst gemessen werden kann. Es ist hierbei der entscheidende Punkt, dass der Sprung die Voraussetzung für einen solchen Vergleich hinter sich lässt. Daher ist zweitens die Unmittelbarkeit des Geistes dann ebenso wenig „der Unmittelbarkeit seines Wahrnehmens des Steines gleich“. (JR, 12) Der Rückzug auf die Unmittelbarkeit ist nur die Anerkennung einer Grenze des Begriffes, die Gott oder die individuelle Person gerade nicht zu leblosen Dingen herabsetzt, sondern sie im Gegenteil in ihrer Lebendigkeit zur Geltung bringt. Es zeugt insofern umso mehr von einem fundamentalen Missverständnis, Jacobis Glauben bzw. seine individuell-persönliche Vernunft des Lebendigen durch den Hinweis auf die angebliche „substantielle Form seiner Vernunftanschauung“ (JR, 13) auf die gleiche Stufe mit der Substanzmetaphysik Spinozas zu stellen. Jacobis Systemkritik, die sich in der Stoßrichtung mit Hegels Systemkritik einig weiß, wird so gänzlich verkehrt. Was Hegel Jacobi unterschiebt, ist in der Tat eine unaufhebbare (ontologische) Differenz, ein absolut Unmittelbares, wo es doch Jacobi ganz anders um eine im Vollzug sich manifestierende Differenz geht, die er im Moduswechsel der Erkenntnis anzuerkennen sucht. Hält Hegel im Prinzip im Verweis auf den Begriff und die Vermittlung Jacobi vor, nicht zu wissen, wovon er redet, wenn er Existenz oder Ich sagt, kann Jacobi diesen Vorwurf ebenso umdrehen. Denn Existenz ist keine Sache, keine Bestimmung, sondern ist nur existentieller Vollzug, der sich dem Begriff entzieht. Die berechtigte Gegenfrage an Hegel wäre,wovon er redet, wenn er vom Begriff oder der absoluten Idee redet. Die problematische Signatur des Systems Hegels zeigt sich vor der genauen Rekonstruktion der Unphilosophie Jacobis, die sich als weitaus komplexer darstellte, als Hegel dies in seiner Aufhebungsoperation zugestehen möchte. Der ‚springende Punkt‘ enthüllte sich im Moduswechsel von der prinzipiell Grund und Ursache vermischenden Abgeschlossenheit der begrifflich-rationalen Erkenntnis zur Anerkennung der praktisch-existentiellen Singularität der sich unvertretbar und unmittelbar inne seienden Person, die um der unmittelbaren Erfahrung (der Freiheit) des Akteurs willen das Prinzip der Erkenntnis wird. Hegel benutzt im Grunde Jacobi als bloßen Stichwortgeber für seine eigene SpinozaKritik, unterschlägt aber gerade den unphilosophischen Aspekt der Einwände

288

8 Spielarten des Geistes

Jacobis. Er muss daher trennen, was nicht getrennt werden darf: Jacobis Spinoza/ Antispinoza bleibt in der Darstellung Hegels viel zu einseitig, indem im Ignorieren der Unphilosophie Jacobis dessen Kritik an Spinoza lediglich als ein äußerlicher Standpunkt erscheinen muss, der willkürlich eingenommen wird. Unter Berücksichtigung der Komplexität der Unphilosophie allein zeigt sich, wie Hegels Projekt Jacobi nur scheinbar aufzuheben vermag. Die in Hegels System implizierten Spannungen, die Jacobi auch schon aus anderen Systementwürfen haben springen lassen, können hier noch einmal dargelegt werden. Sie resultieren letztlich daraus, dass nach Hegels Problemanalyse Lebendigkeit, Freiheit, Personalität und Individualität dem System Spinozas mangeln und erst sein eigenes System diese Anforderungen realisiert. Für Jacobi gilt jedoch, dass Lebendigkeit, Freiheit, Personalität und Individualität der konkreten Person unbedingt zugeschrieben werden können müssen, deren irreduzibel singuläres Innesein selbst zum Schlüssel für die ihr zugeschriebenen Eigenschaften wird. Dabei lässt sich die Differenz zu Hegel tatsächlich allein aufgrund der im Nebensatz festgehaltenen Kondition festmachen. Es geht nämlich Jacobi um den individuellen Geist, der sich nur unmittelbar erfährt, und nicht, wie Hegel, um den absoluten Geist, der sich im System selbst transparent wird. Die Inkompatibilitäten dieser zwei Modi sollen nun abschließend resümiert werden.

8.3 Leben Lebendigkeit beabsichtigte Hegel dem spekulativen Begriff vermittels dessen Selbstbewegtheit aus seiner Negativität zu implantieren.¹¹ Diese Lebendigkeit als Selbstbewegtheit jedoch hat nichts mit jener Lebendigkeit zu tun, die Jacobi als Vollzug der konkreten Person zum Zentrum seiner Unphilosophie macht. Hegels Bewegung des Begriffes in der Wissenschaft der Logik ist eine Bewegung der Form als solcher und zu unterscheiden vom tatsächlichen praktisch-existentiellen Leben eines Individuums, das er selbst in der Realphilosophie nicht unter dem von Jacobi visierten Aspekt adressieren kann, insofern Hegel auch da allein die Struktur als solche erschließt. Der dabei zu berücksichtigende Umstand, dass Hegels Begriff nun gerade nicht einem Seienden bloß (abstrakt) gegenübersteht, sondern der Begriff das allein bewährte Selbst- und Weltverhältnis darstellt, ist keine Lösung des Problems, sondern eine Perpetuierung. Denn die Etablierung der konkre-

 Einen kurzen Abriss über die Entwicklung des Lebensbegriffs beginnend mit der Frankfurter Zeit über die Jenaer Systemfragmente bis hin zur Phänomenologie des Geistes gibt Arndt [2009]: Gestalten des Bewußtseins.

8.3 Leben

289

ten Allgemeinheit als einem verbindlichen und alternativlosen ‚Horizont‘ der Selbst- und Weltverständigung schließt alle Unmittelbarkeit (im unphilosophischen Sinn verstanden als Lebensvollzug selbst) aus und lässt allein die Selbstreflexion des Begriffes (als allgemeine) gelten. Die Lebendigkeit, die Jacobi einfordert, ist keine logische Kategorie, die ein Synonym für Dynamik ist, sondern der praktisch-existentiell verankerte Vollzug der singulären Person, deren Lebendigkeit keine abgeleitete Form der Selbstvermittlung des Begriffes sein kann, weil diese Lebendigkeit qua irreduzibler Vollzug ursprünglich ist. Anders formuliert: Ist der Vollzug, sowohl der individuelle als auch der begriffliche, mehr als der Begriff, entzieht sich dieser nicht nur der begrifflichen Fixierung, sondern widersetzt sich ebenso einer begrifflichen Ableitung. Für den spekulativen Begriff heißt dies, dass dessen lebendiger Vollzug selbst keine Bestimmung sein kann. Für die individuelle Person hat dies zur Folge, dass deren lebendiger Vollzug nicht adäquat in eine Vermittlung des Begriffes überführt werden kann. Die Jemeinigkeit der Person, die in dem Vollzug je besteht, geht in dieser Überführung verloren und kann demnach nur als ursprünglich gedacht werden. Eine Ableitung der Lebendigkeit aus dem Denken ist nicht möglich, wie auch eine Übertragung von ‚Lebendigkeit‘ auf das (reine) Denken den ursprünglich von Jacobi intendierten Gehalt verlieren muss. Eine entscheidende Rolle spielt zudem die Immanenz des Begriffes, durch die nicht nur die Identität von Begriff und Sache behauptet werden konnte, sondern die überhaupt so zu verstehen war, dass die Theorie-Sache-Relation abzulösen ist von einer Relation, die beschrieben wurde wie das Verhältnis zwischen Sprache und Sprechen.¹² Man kann vor diesem Hintergrund zugestehen, dass sich die Verbindung von reinem Begriff und Lebendigkeit deswegen nicht verbietet, da der Begriff das Innerste der Sache selbst wird. Das spekulative System ist so eine darstellende Verwirklichung des Absoluten und damit „nicht nur dessen Begriffs-, sondern auch dessen Lebensform. In ihm durchdringen sich Vermittlung bzw. Mitteilung seines Seins und die Unmittelbarkeit seiner Allgegenwart […].“¹³ Was als großartige Umsetzung der Ambitionen Hegels gesehen werden kann, entpuppt sich jedoch als Hypothek für die Konzeption des Einzelnen mit den entsprechenden Konsequenzen in der Realphilosophie. Denn Hegel kann das Absolute nur zur Darstellung bringen, indem er die Verwirklichung des Systems so anlegt, dass der Philosoph als denkender Hervorbringer quasi ver-

 Vgl. das Kapitel IV: Figuren der Andersheit.  Rühle [1989]: Jacobi und Hegel, 181.

290

8 Spielarten des Geistes

schwindet – obwohl der Philosoph (als Einzelner) unabdingbar ist.¹⁴ Wichtig ist: Er verschwindet natürlich nicht, weil es nunmehr nur den Begriff gäbe. Vielmehr ist der Begriff ja nur als spekulative Einheit von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit. Allerdings: Der Philosoph als die konkrete Person, um deren unvertretbares und begrifflich nicht explizierbares, weil nur in der Erfahrung nachvollziehbares Innesein es Jacobi ging, wird im Rahmen des Absoluten schlicht uninteressant. Denn wird er in das System integriert, so nur noch als Medium für diese Bewegung des Begriffes, ohne ein Eigenes einbringen zu dürfen oder als diese konkrete Person von Interesse sein zu können. Damit verschwindet jedoch unabänderlich genau die Lebendigkeit aus dem Blickfeld, die Jacobi als allein sinnvolle einfordert. Konsequent ist dieser Zug von Hegel allemal, denn jede Unmittelbarkeit des Philosophen, durch die er aus sich auf anderes bezogen ist, resultierte prinzipiell in eine inadäquate Abbildung des Absoluten. Der Überstieg über den (einzelnen) Philosophen ist in Hegels System demnach zwar nicht so angelegt, dass das Absolute (gegen die Einzelheit des Philosophen) selbst zum einzigen Akteur wird. Das Absolute ist selbst nur jene Bewegung im Einzelnen. Jedoch wird die Relevanz auf die allgemeine Selbsterkenntnis des Absoluten beschränkt. Indem der Philosoph an Wahrheit interessiert ist und Vernunft ‚besitzt‘,

 Hegel schreibt in einem Brief an H. F.W. Hinrichs: „Was das andere betrifft, daß die Vorstellung hervorgehe, das Absolute habe sich in meiner Philosophie begriffen, so wäre viel darüber zu sagen; das Kurze aber ist, daß, wenn von Philosophie als solcher die Rede ist, nicht von meiner Philosophie die Rede sein kann, daß aber überhaupt jede Philosophie das Begreifen des Absoluten ist – ebendamit nicht eines Fremden, und das Begreifen des Absoluten somit allerdings ein Sichselbst-Begreifen desselben ist […].“ (Hegel [1952]: Brief an Hinrichs, 215 f) Die problematische Verortung des Einzelnen macht V. Rühle zum Gegenstand. Dabei greift er darauf zurück, dass Hegel den lebendigen Geist einer Philosophie im Blick hat, den der Interpret – letztlich selbst jener Geist – zum Leben erwecken muss, um dabei jedoch darin das Absolute als Selbstproduktion tätig zu finden. Er zitiert hierzu die Differenzschrift: „Kein philosophisches System kann sich der Möglichkeit einer solchen Aufnahme entziehen; jedes ist fähig, geschichtlich behandelt zu werden. Wie jede lebendige Gestalt zugleich der Erscheinung angehört, so hat sich eine Philosophie als Erscheinung derjenigen Macht überliefert, welche es in eine todte Meinung und von Anbeginn an in eine Vergangenheit verwandeln kann. Der lebendige Geist, der in einer Philosophie wohnt, verlangt, um sich zu enthüllen, durch einen verwandten Geist gebohren zu werden […].“ (DIFF, 9) (Vgl. Rühle [1989]: Verwandlung der Metaphysik, 25 ff) – A. Arndt macht auf die zentrale Stellung des einzelnen (Philosophen) aufmerksam, der den Begriff denken muss (vgl. Arndt [2012]: Wer denkt absolut?). Ebenso arbeitet K. Drilo eindringlich den Zusammenhang von Begriff und Einzelnem bzw. von System und Leben heraus (vgl. Drilo [2003]: Leben aus der Perspektive des Absoluten). Diesen Positionen möchte die auch hier vertretene These nicht widersprechen, allerdings möchte sie sie insofern ergänzen, als auf das Unzureichende in der Konzeption des Einzelnen hingewiesen wird, das sich vor dem Hintergrund des Moduswechsels bei Jacobi zeigt.

8.3 Leben

291

muss und darf er nur noch der Sache zusehen.¹⁵ Dabei ist das Interesse an Wahrheit natürlich Grundlage dafür, in die begründete Erkenntnis des Wirklichen einzusteigen, die konsequent in das System „aus einem Stück“ mündet. Aber so ist es dementsprechend in der Tat Jacobis Anliegen, das Interesse an Wahrheit als zu einseitig zurückzulassen und es im Interesse der konkreten Person für das Wahre zu übersteigen. Denn trotz oder gerade wegen der in der absoluten Idee aufgehobenen Einzelheit gerät das kommunale Ansich (d. h. das Subjekt) und nicht die Singularität des Endlichen in den Fokus. Das Individuum ist in einem solchen Konzept nur die Reflexivität des Absoluten selbst, deren Wahrheit und Suffizienz dadurch abgesichert ist, dass das Endliche im Unendlichen, d. h. im Begriff, sein Ansich hat. Damit ist sichergestellt, dass nicht die singuläre Reflexion auf Besonderheiten oder die Jemeinigkeit der Person, sondern allein die Verwirklichung der reflexiven Struktur der Vernunft zielführend ist.¹⁶ Die Einzelheit ist damit die Instanz der Bestimmung, aber der Begriff allein die Hinsicht der Bestimmung.¹⁷

 Dieses Zusehen der Sache ist ja in der Phänomenologie des Geistes und der Wissenschaft der Logik eben gerade der Clou.  Adorno analysiert das Problem bei Hegel auf ganz ähnliche Weise: „Wenn man von Idealismus bei Hegel trotz allem reden kann, dann liegt das nicht nur an metaphysisch-logischen Voraussetzungen wie etwa der des absoluten Subjekts, der absoluten Identität allein, sondern es liegt auch in diesem Moment drin, daß das Allgemeine, das ja gegenüber dem Besonderen immer Begriff, immer Idee ist, bei ihm die Vorherrschaft gewinnt vor dem Besonderen; daß es trotz der angeblichen Dialektik von Allgemeinem und Besonderem das wahrhaft Seiende sein soll. Es herrscht also hier, wenn Sie so wollen, ein Widerspruch, ein nicht dialektischer Widerspruch, in der Hegelschen Philosophie selbst: insofern als sie auf der einen Seite die Dialektik von Allgemeinem und Besonderem fordert und in einem sehr großartigen Maß in vielem durchführt, dann aber doch das Besondere in eben dem Sinn, den ich Ihnen entwickelt habe, gar nicht so furchtbar ernst nimmt, sondern die Tendenz hat, zum Allgemeinen überzulaufen […] und das Bewußtsein der Nichtidentität, das das Besondere immer nur als ein Leiden, als ein schmerzliches Bewußtsein hat, dann schließlich seiner eigenen Substantialität zu entkleiden […].“ (Adorno [2001]: Zur Lehre von der Geschichte und der Freiheit, 63) Bei Adorno jedoch bleibt dunkel, worin genau die Vorherrschaft des Allgemeinen bestünde. Es ist nicht klar, ob Adorno ein abstraktes Verständnis vom Allgemeinen zugrunde legt, zumal er wenige Augenblicke vorher den Begriff als konkret-allgemeinen zeigt, dennoch aber oft auch den Begriff als eher abstrakten rekonstruiert. Adornos These präzisierend, soll in diesem Abschnitt deutlich werden, worin genau die „Entkleidung der Substantialität des Endlichen“ besteht und welche Auswirkungen es konkret hat, dass das Unendliche das Ansich des Endlichen ist.  Diese Unterscheidung zwischen Instanz bzw. Hinsicht der Selbstbestimmung trifft ursprünglich C. Menke in Hinblick auf Autonomie und Authentizität bei Hegel (vgl. Menke [1996]: Tragödie im Sittlichen). Die Rede von Autonomie und Authentizität würde hier jedoch in Bezug auf Jacobi problematisch sein. Autonomie lässt sogleich an eine Gesetzesautonomie denken, die bei Jacobi so nicht vorkommt. Freiheit gewinnt der Mensch nur aus seiner konkreten Existenz, die eingebettet ist in das Unbedingte, das er nicht begrifflich beweisend ergreifen, sondern dessen er

292

8 Spielarten des Geistes

Das heißt also: Hegel muss entweder den Standpunkt des Philosophen und damit die eigentliche Lebendigkeit als fixen, unabbaubaren Standpunkt beibehalten, um das konkrete Individuum nicht nur als Schwundstufe zu integrieren – und gibt so das Absolute preis. Oder er gibt den Standpunkt des signifikanten Philosophen auf, um das System selbst zu einer Darstellung des Absoluten werden zu lassen – und reduziert so den Philosophen tatsächlich auf eine Projektionsfläche für die Begriffsentwicklung des Absoluten. Der Standpunkt des Absoluten stellt somit einen ‚View from no-where‘¹⁸ dar, der den Philosophen in der Totalvermittlung der absoluten Idee aufgehen lässt.¹⁹ Er (als singuläre Person) ist überflüssig, weil erstens dessen personengebundener Modus der Erkenntnis nicht von Relevanz ist und zweitens die Durchsichtigkeit selbst verhindern würde. Somit ist er sogar störend. Im Philosophen liegt selbst die Opazität, die der Durchsichtigkeit, die Hegel anstrebt, im Wege steht. Man hat also entweder den ‚View from now-here‘ und damit die intrinsische Angewiesenheit auf dessen Verfasstheit, ohne je Durchsichtigkeit erreichen zu können. Oder man hat den ‚View from no-where‘, der die Durchsichtigkeit garantiert, aber ohne je wieder auf das Individuum zurückkommen zu können, denn der ‚View from no-where‘ verwirft im Modus begrifflich-vernünftiger Selbst- und Weltverständigung den Standpunkt der singulären Person, die sich nur praktisch-existentiell ergreifen kann. Der ‚View from now-here‘ und damit die Person sind selbst konstitutiv und irreduzibel für das Wissen selbst.²⁰ Denn ein absolutes Wissen als ‚View from no-where‘ ist erstens

sich nur als Grundlage allen Daseins intuitiv vergewissern kann. Um Authentizität geht es Jacobi auch nicht, insofern das unmittelbare Innesein der Person nicht substantialistisch missverstanden werden darf als fixer Wesenskern, den es freizulegen gilt. Die Grundfrage ist nicht die nach Eigentlichkeit, sondern die nach Unmittelbarkeit.  Dieser Ausdruck ist populär geworden durch Nagel [1992]: Der Blick von Nirgendwo. Zu beachten ist hier, dass Nagel natürlich nicht den spekulativen Standpunkt Hegels berücksichtigt.  In Bezug auf Fichte formuliert dies auch Sandkaulen [2011]: Ichheit und Person, 67.  Dies verbindet A. F. Koch mit der Indexikalität: Er vertritt die Irreduzibilität des Indexikalischen und die Notwendigkeit, für die Wirklichkeit der Welt konkrete raumzeitliche Subjektivität zu denken, die nicht deswegen für die Erkenntnis unumgänglich ist, weil es neben der objektiven Wirklichkeit (die sich als unbeteiligte Allwissenheit qualifiziert) auch noch einen subjektiven Wirklichkeitsbereich geben müsste, der, weil indexikalisch, der Allwissenheit unzugänglich ist (vgl. Koch [1990]: Subjektivtät in Raum und Zeit, 28). „Worauf es ankommt“, so Koch die hier vertretene These formulierend und zugleich wesentlich transzendentalphilosophisch erweiternd, „ist die Einsicht, daß die objektive Wirklichkeit von sich aus und als solche es erfordert, Gegenstand indexikalischen, also ‚beteiligten‘ Wissens zu sein. ‚Keine Entität ohne Identität‘, lautet eine bekannte Quinesche Formel. […] Was das bedeutet, kann man auch so zum Ausdruck bringen: Zum System der Partikularien, also zum raumzeitlichen Universum, gehört wesentlich Subjektivität. Es gäbe weder Raum noch Zeit noch Partikularien, wenn es nicht irgendwo und irgendwann in Raum und Zeit solche Partikularien gäbe, in denen sich Subjektivität verkörpert.“ (Koch [1990]:

8.4 Freiheit

293

kein in der Welt verortetes Wissen mehr und baut damit zweitens nicht nur eine Unvollständigkeit ab, sondern beseitigt eine konstitutive Dimension von Wirklichkeit selbst.²¹ Jacobi nennt das Nihilismus. Absolutes Wissen ist damit nur eines um den Preis seiner Unvollständigkeit. Nur das endliche, an eine konkrete Person gebundene Wissen, vermag in diesem Sinne umfassend zu sein.²² Von einem anderen Blickwinkel gesagt: Endlichkeit wird von Hegel definiert als die Nichtübereinstimmung mit dem Begriff. Das ist überhaupt das Merkmal der Endlichkeit. Endlichkeit, die sich als nicht-allgemeine und im Widerstand zum Begriff als konkrete, singuläre Person erhalten möchte, ist dem eigenen Wesen zuwider, weil es sich als Endlichkeit erst da vollendet, wo es mit seinem Begriff zusammengeht. Geht es aber mit seinem Begriff zusammen, ist es per definitionem nicht mehr singuläres, unmittelbar sich erfahrendes Endliches, sondern in der Allgemeinheit des Begriffs gänzlich aufgehendes und bestimmtes Sein.

8.4 Freiheit Die Erfordernisse des Systems selbst machen es unmöglich, dass das Endliche als Singuläres, d. h. als namentliche Person, festgehalten werden kann. In seiner Identität mit dem Begriff bestimmt es sich adäquat nur aus dem Begriff. Hegel löst zudem nicht die Notwendigkeit, die mit einem systematisch-systemischen Denken verbunden ist. Vielmehr bleibt sie die Signatur auch des hegelschen Systems.

Subjektivtät in Raum und Zeit, 28) Koch macht aber ebenso darauf aufmerksam, dass das Indexikalische nicht in (deskriptive) Transparenz überführt werden kann, ohne das Indexikalische (d. h. die ursprüngliche Lebendigkeit im Sinne Jacobis) selbst zu verlieren: „Daß hier jetzt das und das geschieht, gilt in dieser Indexikalität nur, sofern es hier und jetzt ein erkennendes Subjekt gibt, welches den Gedanken vollziehen kann, daß das und das jetzt hier geschieht. Denn wenn wir auf das Subjekt am Ort des Geschehens verzichteten, müßten wir die indexikalischen Ausdrücke ‚hier‘ und ‚jetzt‘ bzw. das Tempus verbi als durch Beschreibungen ersetzt denken […] und die betreffende Wahrheit verlöre ihren indexikalischen Charakter.“ (Koch [1990]: Subjektivtät in Raum und Zeit, 29)  Diese Formulierung darf im Hinblick auf Hegel nicht überstrapaziert werden. Denn Hegel beseitigt keineswegs die Einzelheit als konstitutives Element der Wirklichkeit, sondern erlaubt es im Gegenteil, die Einzelheit als dieses zu denken. Allerdings geht es ja in der hier vorliegenden Fragestellung nicht um die Einzelheit als solche, sondern um die Jemeinigkeit der Person. Im Gegensatz zu Hegel wird im Ausgang von Jacobi diese Jemeinigkeit als zentrales Element in den Blick gebracht.  Anknüpfend an Jacobi muss ergänzt werden, dass dieses an eine konkrete Person gebundene Wissen in einem sehr weiten Sinne verstanden werden muss und eben nicht nur begrifflichdiskursives Wissen, sondern auch vernünftig-intuitives Wissen umfasst.

294

8 Spielarten des Geistes

Allein die Implementierung hat sich mit der Transformation der Substanz zum Subjekt geändert.²³  B. Sandkaulen hat diese Verwicklungen akribisch herausgearbeitet und in Bezug auf eine Ambivalenz in Hegels Widerlegung des Spinoza ausführlich dargelegt (vgl. Sandkaulen [2008]: Die Ontologie der Substanz). Im Folgenden wird der sehr komplexe Aufsatz in wenigen Zügen in Bezug auf das Problem der Notwendigkeit wiedergegeben: Nach Sandkaulen präsentiert Hegel zwei Spinoza-Versionen. Die erste ist diejenige, anhand der er scheinbar an Jacobi orientiert bei Spinoza die Differenz in Gefahr sieht und entsprechend die Ziele als Realisierung dessen ausgibt, was Jacobi einfordert. Diese Version findet sich in der Wesenslogik im Abschnitt über das Absolute und – wie oben auch zitiert – in den Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie oder der JacobiRezension. Dies ist somit eine prominente Version, die Hegel auch nach der Wissenschaft der Logik weiterhin propagiert hat.Weil er Spinoza als den präsentiert, der Substanz und Modi nur äußerlich aufeinander bezieht und dem Endlichen im Absoluten als einer abstrakten Identität keine Eigenständigkeit und Freiheit zukommen kann, folgt hieraus die Notwendigkeit einer Stabilisierung des Endlichen in Freiheit, die es über die absolute Negativität einzuholen gilt. Die zweite Version dagegen, die sich am Anfang der Begriffslogik bzw. als die Überwindung des Substantialitätsverhältnisses in der Wesenslogik (nach der offiziellen Verhandlung Spinozas) findet, ist in jeder Hinsicht inkompatibel zu der ersten. Obwohl es in der ersten Variante am Ende der Wesenslogik so scheint, als sei der Kern der Verhandlung Spinozas bereits erreicht gewesen, wird in der zweiten Variante, die bis zum Beginn der Begriffslogik reicht, behauptet, in der Wesenslogik sei „der Mangel dieses Systems sowohl der Form als [der] Materie nach aufgezeigt worden. Ein anderes aber“, so Hegel, „ist die Widerlegung desselben“. (WL2, 14) Als würde die Widerlegung jetzt erst erfolgen, resümiert Hegel den Übergang zur Begriffslogik, um dann noch einmal mit einer Kritik an Spinoza anzuheben. Hier aber macht sich der Schwenk bemerkbar. Denn die erste Version sah bei Spinoza die abstrakte Identität als die Verfehlung, die behoben werden muss, aber – so präsentiert – nicht behoben werden kann. Als völlig falsche Identität birgt sie nämlich kein Potential zur Weiterentwicklung zur Subjektivität. So bleibt nur die zweite Version, die nach diesem ‚Aufzeigen des Mangels‘ die eigentliche Weiterentwicklung leisten kann, indem sie eine andere, nämlich weit weniger aussichtslose Ausgangslage präsentiert. Die Version, die nun Spinoza keine abstrakte Identität unterstellt, in der Substanz und Modi nur äußerlich aufeinander bezogen sind, sondern das Immanenzverhältnis von Substanz und Modi berücksichtigt, bringt eine ganz andere Absicht zu Tage: Es gilt die Einheitsvision Spinozas nicht aufzubrechen, sondern auszubauen. In der am Anfang der Begriffslogik gegebenen Zusammenfassung der zweiten Version weist Hegel auch sogleich darauf hin, dass die Voraussetzung der „Freyheit und Selbständigkeit des selbstbewußten Subjects“ (WL2, 15), wie wir sie bei Jacobi finden, in diesem Falle als eine äußerliche zu brandmarken ist, die verworfen werden muss. Hegel verweist zudem darauf, dass die Einheit von Substanz und Modi bei Spinoza „nur innre Nothwendigkeit“ sein konnte. Indem also der Zusammenhang von beiden noch nicht entwickelt ist, ist es nicht die Notwendigkeit selbst, die bemängelt wird, sondern die Umsetzung der Notwendigkeit, die „Identität als ein blindes“ (WL2, 15) nur denken konnte. Nicht die Differenz muss im Sinne Jacobis herausgearbeitet, sondern die Einheit in ihrer Notwendigkeit gedacht werden. Also „nicht die Identität, sondern die Unmittelbarkeit dieser Identität im Substantialitätsverhältnis ist der Punkt, um dessen Überwindung es geht“. Die vermittelte Aufhebung in der absoluten Negativität soll dies leisten. Dennoch, so muss aber m. E. betont werden, resultiert diese Notwendigkeit nicht in einem Determinismus. Hegel will ein Werden und Anfangen-Können denken, das dem Einzelnen konstitutiv zukommt.

8.4 Freiheit

295

Aufgrund der Unmöglichkeit, innerhalb des Systems ein Werden des Werdens zu denken, enthielt die Substanz alle Wirklichkeit nur als schon bestimmte und den Einzelnen nur als Modus, der in der Bestimmtheit durch die Substanz vollständig determiniert ist. In dieser Identität von Wirklichkeit und Möglichkeit des Einzelnen, die aus der Anlage der Substanzkonzeption folgt, ist der Einzelne einer Notwendigkeit unterworfen, die es unmöglich macht, dass der Einzelne die Instanz der Bestimmung ist.²⁴ Bei Hegel hingegen wird die Substanz dynamisiert und als Subjekt gedacht. Das hat zur Folge, dass die Wirklichkeit und darin der Einzelne gerade nicht vollständig bestimmt sind, weil keine vorgängige Substanz gedacht wird, aus der heraus die Bestimmung erfolgt (ist). Subjekt, d. h. Geist, die Wirklichkeit und der Einzelne sind zunächst durch eine Nichtidentität bestimmt. Daher ist die Wirklichkeit zu einer Möglichkeit hin geöffnet, in der der Einzelne auch als Instanz der Bestimmung auftritt. Die Substanzmetaphysik Spinozas impliziert in Hegels Augen nur unzulängliche, äußerliche Notwendigkeit und legt das Bedingte auf seine Bedingung nur äußerlich fest. Indem der Begriff nun die Sache selbst ist und die Sache daher innerlich aufschließt, bleibt kein Raum mehr, von Unfreiheit durch den Begriff zu sprechen. Der Begriff bestimmt sich als Einzelheit selbst. In dem Maße, wie der Begriff als die Vernunft und der Einzelne identisch sind, gibt es kein Außenverhältnis zwischen dem Einzelnen und einer Bestimmung durch die Vernunft. Der Wunsch nach einem kohärenten Weltbild führt demnach gar nicht in eine Hete-

 Unendliche Modi stellen die strukturellen Rahmenbedingungen dar, unter denen die endlichen Modi stehen, ohne dass aber die endlichen Modi aus den unendlichen Modi direkt abgeleitet würden und daher die endlichen Modi bestimmten. Die endlichen Modi entspringen vielmehr individuellen Essenzen, die diesen Modi zugrunde liegen. W. Bartuschat nennt es einen „Tatbestand“ für Spinoza, den er als gegeben aufnimmt und selbst nicht noch einmal ausweist. (Bartuschat [2007]: Nur hinein, nicht heraus, 108) – Für diesen außerordentlich wichtigen Punkt siehe auch die Studie von Kisser [1998]: Selbstbewusstsein und Interaktion. Kisser beschreibt die Individuation bei Spinoza als einen über Attribute und unendliche Modi vermittelten Prozess, der gegenüber Aristoteles eine Umkehrung der begrifflichen Verhältnisse impliziert, „denn die Form steht nicht mehr als Aktualisierendes oder Bestimmendes einer bestimmbaren Materie gegenüber. Als Affektion der Form ist nun vielmehr die Materie das Bestimmende, während die Form das Bestimmbare wird.“ (Kisser [1998]: Selbstbewusstsein und Interaktion, 55) Das Attribut wird also durch den Modus intern strukturiert, d. h. in Abhängigkeit von der Form (des Attributs) durch die gegenseitige Abhängigkeit der Modi modifiziert. „Das Individuum wir durch diese genetische Erklärung als eine Stelle in einem System bestimmt, d. h. es ist das, was es ist, in Abgrenzung von dem,was es nicht ist. Das Individuum wird so nicht mehr in der Differenz zum Allgemeinen, als ein Fall dessen gedacht, sondern in Differenz zum Ganzen als eine Stelle gedacht. Individualität ist daher nicht nur Unteilbarkeit, sondern auch Einzigartigkeit.“ (Kisser [1998]: Selbstbewusstsein und Interaktion, 57) Gleichwohl gilt es nicht zu vergessen, dass diese Einzigartigkeit im determinierten Gesamtzusammenhang zu denken ist.

296

8 Spielarten des Geistes

ronomie des Einzelnen durch das sich selbst transparente System (wie es Jacobi sieht), sondern wird als Autonomie des Einzelnen selbst gedacht.²⁵ Der Einzelne ist damit keiner Notwendigkeit unterworfen, sondern durch die anfängliche Nichtübereinstimmung von Begriff und Wirklichkeit in eine ihm aufgegebene Verwirklichung gestellt, deren Grund und Ziel jedoch die begriffene Identität von Begriff und Wirklichkeit ist.²⁶ Bei Hegel findet sich in zweiter Instanz jene Identität von Substanz und Wirklichkeit bzw. von Möglichkeit und Wirklichkeit als wiederherzustellende, die als ursprüngliche bei Spinoza für die Eliminierung der Autonomie sorgte. Man kann sagen: Die ursprüngliche Identität eliminiert die Freiheit, weil sie Verwirklichung undenkbar macht. Die zu-verwirklichende Identität eliminiert die Unmittelbarkeit, weil sie Ursprünglichkeit undenkbar macht. Die wiederherzustellende Identität impliziert nicht nur das Ungenügen der (nicht aus der Identität von Identität und Nicht-Identität begriffenen) Nicht-Identität, son-

 Jacobi schreibt: „Die Freyheit des Menschen ist das Wesen des Menschen selbst, das ist, der Grad seines würklichen Vermögens oder der Kraft mit welcher er das ist, was er ist. In so fern er allein nach den Gesetzen seines Wesens handelt, handelt er mit vollkommener Freyheit.“ (SB, 76 f) Hegel sagt das auch.  Dieses Ergebnis steht m. E. nicht im Widerspruch zu B. Sandkaulens Diagnose in dem eben zitierten Aufsatz Sandkaulen [2008]: Die Ontologie der Substanz, in dem sie die mit der Einheit verbundene Notwendigkeit herausarbeitet, auf die Hegel in seinem System setzt. So schreibt sie: „[I]n der unmittelbaren Exekution der Notwendigkeit hat die Substanz [nach Hegels Analyse, D. A.] in der Tat nicht zu viel, sondern zu wenig Macht. Erst die Macht des Begriffs wird dafür sorgen, dasjenige zentrale Problem wirklich zu lösen […].“ (Sandkaulen [2008]: Die Ontologie der Substanz, 271) Sie schreibt zwar: „Nun kann es nichts mehr geben, das nicht von der Identität der Notwendigkeit im Innersten betroffen wäre.“ Aber sie fährt fort: „Wesentlich kann ihr nichts mehr entkommen.“ Dies meint im Grund auch die Rede von der ‚aufgegebenen Identität‘, die die Hinsicht der Bestimmung ist, die durch das Erklärungsparadigma vorgegeben ist. Es gilt also unbedingt, die Implementierung der Notwendigkeit von der im System Spinozas zu unterscheiden. Zudem hebt sie ebenso den hier herausgearbeiteten Punkt heraus, dass genau mit der absoluten Negativität der Einzelne nicht einfach ausgelöscht, sondern in seinem Recht auch eingesetzt wird, jedoch dies gravierende Konsequenzen für das Selbst- und Weltverhältnis nach sich zieht. In Sandkaulens Worten: „Die genea-logische Rekonstruktion Spinozas in Gestalt der zweiten Version kommt in dem Moment ins Ziel, in dem es im Namen des Subjekts überhaupt sinnlos geworden ist, von Unterschieden anders als von aufgehobenen Unterschieden zu sprechen. Das bedeutet nicht, daß das endliche Subjekt im Absoluten zugrundegegangen sei. Dies ist zweifellos eine Hegel-Saga, die es sich viel zu einfach macht, insofern man umgekehrt ebenso sagen kann, daß das Absolute im endlichen Subjekt zugrundegegangen ist. Mit anderen Worten: was in der logischen Reflexion im Übergang von der objektiven zur subjektiven Logik zugrundegegangen ist, ist die Relevanz eines ontologischen Unterschieds – zwischen Endlichem und Unendlichem ebenso wie zwischen den Endlichen untereinander.“ (Sandkaulen [2008]: Die Ontologie der Substanz, 273 f)

8.4 Freiheit

297

dern gibt auch generell den Modus vor, unter dem allein unser Selbst- und Weltverhältnis verbindlich erfasst ist. Denn das Individuum wird aus der Identitätsperspektive der Vernunft verstanden und erst da als Endliches anerkannt unter prinzipieller Ausblendung von (irreduzibler) Ursprünglichkeit. Das Endliche als die Nichtübereinstimmung mit dem Begriff zu fassen, heißt, den Begriff, d. h. das Unendliche, als das Ansich des Endlichen zu setzen und die Ursprünglichkeit als defizitär zu bestimmen, weil der Begriff – und das heißt auch zugleich das Endliche – im Rekurs auf die Ursprünglichkeit nicht zu seinem An-und-für-sich-Sein gelangen kann. Das Defizit ist zugleich synonym mit der Unfreiheit des Begriffes, da der Begriff letztlich nur in der vollständigen Durchsichtigkeit und damit nach Abbau der Unmittelbarkeit aller Zusammenhänge frei ist. Ist nun aber das sich in seiner Unmittelbarkeit erhaltende Endliche per se die Nichtübereinstimmung mit dem Begriff (weil der Begriff das Ansich des Endlichen ist), kann es als unmittelbares, d. h. sich nicht aus der Totalitätsperspektive des Absoluten verstehendes Endliches gar nie frei sein. Es ist erst frei, wenn der Begriff mit sich selbst gänzlich zusammengegangen ist – und daher alle (partikulare) Endlichkeit aufgehört hat. Alle wahre Bestimmtheit ist die des Begriffes und nicht die der (sich selbst nur in der Erfahrung unmittelbar zugänglichen) Person bzw. alle wahre Bestimmtheit der Person ist nur die des Begriffes. Mit der Überwindung der Ursprünglichkeit und damit der (raumzeitlich verorteten und handelnden) konkreten Person verliert aber zugleich (wirkliche) Freiheit²⁷ ihren Ort in der Welt, weil alle Freiheit in der Welt per definitionem noch Spuren von Unfreiheit an sich trägt, die erst in der absoluten Idee überwunden sind. Zudem: Die Person muss aus intrinsischen Kohärenzbedürfnissen des Systems in der (Selbst‐)Bestimmung des Begriffes aufgehen. Das impliziert eine Aufhebung des individuellen Inneseins der Person in das allgemeine Innesein des Begriffes, die entsprechend keine vollständige Vermittlung der Momente sein kann, weil sie den Gehalt ursprünglicher Wirklichkeit (manifest im Selbst- und Weltverhältnis der konkreten Person) verlieren muss. Im Gegensatz zu der Strategie Jacobis, aus dem System der begrifflich-rationalen Bedingungen ins Unbedingte der praktisch-existentiell erfahrbaren Person zu springen, überführt Hegel das System der begrifflich-rationalen Bedingungen in ein System des spekulativ-vernünftigen Unbedingten. Wirkliche Freiheit ist darin nur diesem Unbedingten vorbehalten. Konsequenterweise wird diese Freiheit (in Hegels Augen) gerade nicht vom Springenden verwirklicht, sondern verhindert. Genauso gilt aber für Hegel auch, dass diese absolute Freiheit der absoluten Idee

 Auch gilt es, auf die Grenzen der Formulierung aufmerksam zu sein. Denn wenngleich wirkliche Freiheit erst der absoluten Idee zukommt, gibt es doch in der Welt verwirklichte Freiheit, die sich graduell realisiert.

298

8 Spielarten des Geistes

den Springenden (als den irreduzibel Individuellen) in seiner Inadäquatheit ausgewiesen und hinter sich gelassen hat. Die absolute Freiheit, die Hegel realisiert, ist eine solche, die es nicht mehr erlaubt, die konkrete Person in den Blick zu bringen. Damit ist jedoch im Grunde jene Konstellation reproduziert, die bei Jacobi zur Absprungstelle wird. Allerdings hat sich die Absprungstelle signifikant geändert.War es die absolute Unfreiheit in Spinozas System, die Jacobi springen ließ, so ist es unter den geänderten Rahmenbedingungen die absolute Freiheit, die Jacobi erneut zum Springen bringt. Eine ähnliche Konsequenz ergibt sich, betrachtet man den Reflexionsbegriff Hegels. Hegel kritisiert generell die Reflexionsphilosophie, worunter (für Hegel) auch Jacobi fällt. Reflexionsphilosophie lässt die Reflexion aus dem Subjekt hervorgehen und bindet sie damit an ein Subjekt als ein Erstes. Wie im Falle des Philosophen muss das Subjekt hier immer vorausgesetzt werden und fällt somit auch immer aus der Begründungskette heraus, weil es diese selbst konstituiert. Das Subjekt ist ein blinder Fleck. Hegel dagegen will mit seinem eigenen spekulativen Reflexionskonzept diese Abhängigkeit umkehren. Die Reflexion des Begriffes lässt das Subjekt aus sich hervorgehen. Alles ist damit aufgelöst in die absolute Vermittlung, in der es kein Erstes mehr geben kann. Sie selbst ist die Bewegung von Nichts zu Nichts, die also kein Substrat mehr hat, von dem sie abhängig wäre.²⁸ Der ‚alte‘ Begriff der Reflexion wird innerhalb der absoluten Reflexion als Nebenprodukt in der äußeren Reflexion abgeleitet. Nur so fallen dann bei Hegel Absolutes, Reflexion und Subjektivität wirklich in eins. Das endliche Subjekt aber kann nicht als letzte Instanz selbst als Prinzip der Ankerpunkt sein. Daraus folgt aber: Der Subjektivitätsbegriff, aus dem Freiheit ge „Das Neue an Hegels Reflexionsbegriff ist durch drei Momente gekennzeichnet: 1. Die Reflexion tritt als eine gegenüber dem Bewußtsein verselbstständigte ‚objektive logische Struktur‘ auf. 2. Mit der Ablösung der Reflexion vom reflektierenden Subjekt wird diese zur objektiven Bewegung der Denkbestimmungen. Die Entwicklung der Denkbestimmungen durch ihre eigne Reflexion erflogt ohne Rückbezug auf ein denkendes Subjekt. 3. Die Darstellung der Kategorienbewegung in der Wissenschaft der Logik beruht auf der logischen Bewegung der ‚absoluten Reflexion‘, welche sich als systematische Einheit von setzender, äußerer und bestimmender Reflexion darstellt.“ (Iber [1990]: Metaphysik absoluter Relationalität, 133) – Iber schreibt weiter: „Der Begriff der ‚Reflexion überhaupt‘ impliziert weiterhin die Entdeckung einer sich in allen Kategorien durchhaltenden logischen Struktur, die die Funktion des Denkens als solchem ist. Es ist dies der Gedanke der selbstbezüglichen Negativität. Allgemein ist daher der logische Begriff der Reflexion als Verhältnis von Selbstbeziehung und Negation bestimmt.“ (Iber [1990]: Metaphysik absoluter Relationalität, 134) – Angemerkt an dieser Stelle sei nur noch, dass die neue Reflexion von Nichts zu Nichts wie ein Protest gegen Jacobis Nihilismusvorwurf erscheint, der zudem nicht nur nachweisen will, dass die Form bzw. der Begriff der wahrhafte Inhalt sein kann (und nicht Nichts), sondern in einer Steigerung sogar die Gründung alles Wahrhaften in der Bewegung vom Nichts zum Nichts ausweist.

8.5 Die Person

299

wonnen wird, ist per se so konzipiert, dass immer schon das einzelne Subjekt als relevanter Akteur notwendiger Weise abgebaut ist und die Freiheit der Subjektivität nie gänzlich für das endliche Subjekt in Anspruch genommen werden kann. Das verhindert das Konzept. Man kann auch hier sagen: Freiheit für das Subjekt ist in dem Maße realisiert, wie die konkrete Person (in ihrer Vollzugsperspektive der irreduziblen Jemeinigkeit) in die (personenlose, allgemeine) Reflexionsstruktur überführt wurde und nur noch als Subjekt an sich gedacht wird, das mit der absoluten Idee identisch ist. Dass hier Jacobis prinzipieller Einwand wiederum greift, ist offensichtlich. Denn die Absprungstelle bildete auch schon in Anbetracht der Substanzmetaphysik Spinozas genau der mit dem Kohärenzbedürfnis des systematisch-systemischen Denkens zusammenhänge Verlust der konkreten Person.²⁹

8.5 Die Person Trotz der offenbaren Bemühungen um die Integration des Individuums in das System, ist gerade das singuläre Innesein der Person nicht als Moment in einem übergeordneten Prozess der Selbstverwirklichung des Begriffs (formal, d. h. theoretisch-distanzierend) zu denken.³⁰ Aller wesentliche Inhalt ist durch die universelle Struktur des Geistes bestimmt bzw. aller individuelle Inhalt ist ge-

 B. Sandkaulen hebt bereits hervor, dass „offenkundig unter dem dominierenden Druck des Kohärenzbegehrens, Freiheit selber in ein Kohärenzgeschehen verwandelt wird. Nicht da also, wo jemand die urheberschaftliche Initiative ergreift, unter widrigen Umständen an ihr festhält und für seine Handlungen persönlich einsteht, herrscht Freiheit; sondern Freiheit herrscht idealerweise da, wo jeglicher Widerstand und mit ihm auch die Subsistenz der handelnden Subjekte in vollkommene Übereinstimmung aufgehoben ist.“ (Sandkaulen [2006]: System und Systemkritik, 29) Ihre dort formulierte Schlussfolgerung, „daß dem Bedürfnis nach Kohärenz das Freiheitsbewußtsein intentionalen Aufbruchs grundsätzlich unzugänglich bleiben muß“ (Sandkaulen [2006]: System und Systemkritik, 33 f), halte ich in Anbetracht des hegelschen Ansatzes, wie bereits erwähnt, für nicht gerechtfertigt. Die Absprungstelle bildet daher dann nicht mehr die Unmöglichkeit der Freiheit, sondern die Aufhebung der Person zum Subjekt, um Freiheit vollständig zu realisieren.  C. Hackenesch schreibt: „Das Ich aber, das Hegel meint, ist nicht das Individuum, sondern dies ‚allgemeine Selbst‘, das das ‚Tun aller‘ bedeuten soll, Indem diesem ‚Tun aller‘ die Wesensbestimmung des Geistes unterlegt ist, in ihm sich also nicht eine bloße ‚volonté des tous‘, sondern die ‚Versöhnung‘ von Einzelnem und Allgemeinem artikuliert, erlangt es gegenüber dem Individuum ein Recht, das weit über das ‚abstrakter Allgemeinheit‘ hinausreicht. Hier ist der Anspruch des Allgemeinen dem Individuum nicht nur konfrontiert, sondern es soll in diesem Anspruch sein eigenes Wesen anerkennen, dies, nur in ihm als ein Individuum seine Wahrheit zu besitzen.“ (Hackenesch [2001]: Selbst und Welt, 11)

300

8 Spielarten des Geistes

messen an der zu verwirklichenden Vernunft nur partikular. ³¹ Singularität ist bei Hegel so gefasst nur Resultat einer Realisierung einer Struktur. ³² Bei Jacobi war sie dezidiert Ursprünglichkeit der Person. Der allen Individuen gemeinsame Geist ist damit bei Hegel der Grund und die epistemische und praktische Hinsicht der Selbstbestimmung.³³ So kann man sagen: Nur weil durch die Transformationen

 Übertragen auf den Komplex Sprache thematisiert C. Hackenesch die gleiche Problematik, wenn Hegel das (subjektive) Meinen gegenüber dem urteilenden (und objektiven) Satz abwertet. „Das Meinen ist an ein einzelnes Subjekt gebunden, präziser: in es eingeschlossen; das, was wir bloß meinen, ist kein bestimmter Gedanke, der unabhängig von uns eine Bedeutung hätte, die auch für Andere existiert. Das ‚bloß Gemeinte‘ ist für Hegel ‚das Unwahre. Unvernünftige‘, das der Wahrheit des Gedankens unendlich unterlegen ist. ‚Wahrheit ist es,vor der die Meinung erbleicht.‘ Sie erbleicht, so wohl Hegels Unterstellung, weil sie angesichts der imponierenden Kraft des Gedankens die völlige Unbedeutsamkeit ihrer Individualität einsieht.“ (Hackenesch [1987]: Die Logik der Andersheit, 128 f) Von dieser Richtung herkommend sieht sie Hegels Philosophie eine radikal antiindividualistische. „Dies Individuelle ist für Hegel das absolut Bedeutungslose, das er ausgrenzt, ohne zu glauben, damit für seinen Begriff von Wahrheit etwas verloren zu haben. Die bloße Individualität ist nichts, weil sie unbestimmt ist, keine Differenz, Unterscheidung in sich trägt […]. Ihre Unbestimmtheit ist von anderer Art als die des noch Unbestimmten […]. Die ‚vorsprachliche‘ Meinung ist unbestimmt, weil sie prinzipiell jenseits des Einheitszusammenhangs des Geistes liegt; ihre Unmittelbarkeit ist absolut, ihr Inhalt wird nicht ‚aufgehoben‘ und also bewahrt, sondern in der Allgemeinheit der Sprache ‚verkehrt‘, er kommt gar nicht ‚zu Worte‘. – Würde Hegel diesen Inhalt, der nur einer einzelnen Meinung angehört und (weil nicht aussagbar) nicht vermittelbar ist, nicht als irrelevant abtun, sondern in seiner wenn auch nur je individuellen Bedeutsamkeit anerkennen, so hätte er zugelassen, daß der Unendlichkeit des Geistes eine Grenze gesetzt wird. […] Das ‚Unaussprechliche‘ hat daher für Hegel nicht die Bedeutung eines ‚Mystischen‘, es ist nur das Unwahre, nicht Moment der Wahrheit (wie der Irrtum), sondern ein absolut Belangloses, Zufälliges, das die Existenzweisen des Geistes nicht berührt.“ (Hackenesch [1987]: Die Logik der Andersheit, 131 f)  Betroffen davon ist auch die Freiheit. Jacobi gewinnt sie in Abgrenzung zu Spinozas Fatalismus aus der substantiven Vernunft als ursprüngliche Handlungsfreiheit, Hegel dagegen in Abgrenzung zu Spinoza als vermittelte Handlungsfreiheit.  Dies formuliert Hegel als Programm schon in der Phänomenologie des Geistes als Bildung. Das System ist das „Werden der Wissenschaft überhaupt, oder des Wissens“. „Die Aufgabe, das Individuum von seinem ungebildeten Standpunkte aus zum Wissen zu führen, war in ihrem allgemeinen Sinn zu fassen, und das allgemeine Individuum, der Weltgeist, in seiner Bildung zu betrachten.“ (PG, 24) „Das besondre Individuum ist der unvollständige Geist“ (PG, 24), der sich zum Wissen bilden muss. „Die Bildung des Individuums in dieser Rücksicht besteht, von seiner Seite [des Individuums, D. A.] aus betrachtet, darin, daß es dieß Vorhandne erwerbe, seine unorganische Natur in sich zehre und für sich in Besitz nehme. Dieß ist aber [von der Seite des allgemeinen Geistes als der Substanz, D. A.] nichts anders, als daß der allgemeine Geist oder die Substanz sich ihr Selbstbewußtseyn gibt, oder ihr Werden und ihre Reflexion in sich [hervorbringt, D. A.].“ (PG, 25) – B. Sandkaulen beleuchtet den Bildungsbegriff Hegels und dessen systematische Stellung in der Phänomenologie ausführlich. Sie wendet ein, dass das Konzept der Bildung gerade nicht zur absoluten Wissenschaft führt. Nicht jedoch das singuläre Individuum steht in ihrer

8.5 Die Person

301

des hegelschen Systems universaler Geist und singuläres Individuum (in gewisser Hinsicht) austauschbar geworden sind, ist das Individuum im System ein freies. Der Grund der Selbstbestimmung ist der absolute Geist. Ist das Individuelle partikular, heißt das jedoch nicht, dass es Jacobis Wer-Identität ist, die in der Vermittlung der absoluten Idee ein Korrektiv hinsichtlich der Einordnung ins Ganze und so auch hinsichtlich seiner Bewertung erfährt. Das heißt also nicht, dass der konkret-allgemeine Begriff eine Wer-Identität z. B. in der Form des Selbstgefühls in die Realphilosophie integriert, um es dann weiterzuführen, weiter zu bestimmen und in seine Wahrheit zu überführen.³⁴ Man muss vielmehr sagen, dass ‚meine‘ praktisch-existentielle, im Leben verankerte Jemeinigkeit – also ‚meine‘ WerIdentität – gar kein Moment der Reflexion des Begriffes in sich sein kann.³⁵ Meine Jemeinigkeit ist gar nie eine Begriffsbestimmung, selbst wenn Bestimmungen wie das Selbstgefühl oder das Selbstbewusstsein in der Realphilosophie ausführlich behandelt werden. ³⁶ Denn die Jemeinigkeit ist ein Gehalt, der im Gegensatz zu z. B. Ich, Einzelheit, Seele etc. keinen Ort in der Begriffsentwicklung hat, weil sie keinen logischen Gehalt hat, keine Ableitung erfahren kann und sich nicht an Hand vor-

Argumentation im Mittelpunkt. Bildung, wie sie Hegel selbst implementiert, so Sandkaulen, überwindet sich nicht selbst in der Stillstellung der Verflüssigung im absoluten Wissen, sondern behält konstitutiv eine Offenheit. Denn Hegel zeige nicht, wie der Schritt von einer offenen Selbstreflexion (in der Bildung) zu einer geschlossenen Einheit (im absoluten Wissen) vonstattengehen könne (vgl. Sandkaulen [2009]: Wissenschaft und Bildung).  B. Sandkaulen thematisiert die Spannung zwischen einerseits der Würdigung des irreduziblen Selbstgefühls in Hegels Anthropologie und der Notwendigkeit der Aufhebung eben desselben in das Denken bzw. das Allgemeine (vgl. Sandkaulen [2011]: Die Seele ist der existierende Begriff, 46 ff).  C. Hackenesch formuliert ähnliche Einwände: „Hegel leugnet die Bedeutung der Individualität, Grenze der Allgemeinheit des Denkens, der Sprache zu sein; er begreift die Allgemeinheit nicht als verselbständigten Ausdruck der Individuen, sondern als Totalität alles Denkens und Sprechens wie alles Seienden überhaupt. Der Begriff dieser Totalität ist die Logik, und jedes Denken, das ‚wahr‘ sein will, hat diesem Begriff zu folgen, so wie es die Sprache immer schon tut, indem sie seinen geistigen Gehalt ‚manifestiert‘. Das Denken gewinnt seine Bedeutung aus dem Logos, und jedes Individuum besitzt Wirklichkeit allein, indem es in seiner Existenz die Wirklichkeit des Logos bestätigt – das Unsagbare des Individuums verweist nicht auf die Grenze des Allgemeinen, sondern auf die eines Denkens, das die Totalität des Logos nicht zu erfassen vermag.“ (Hackenesch [1987]: Die Logik der Andersheit, 279 f)  B. Sandkaulen untersucht die Debatte zwischen Jacobi und Fichte hinsichtlich der Frage nach der Person. Sie hebt den Sachverhalt heraus, dass das, worum es Jacobi essentiell geht, „nämlich das ‚lebendige und fühlende Selbst‘, notwendig zum blinden Fleck gerät, womit zugleich die jemeinige Innenperspektive der Person im toten Winkel der Konstruktion verschwindet“. (Sandkaulen [2011]: Ichheit und Person, 54)

302

8 Spielarten des Geistes

läufiger Begriffe bestimmen lässt. ³⁷ Die Jemeinigkeit ist nur ein erfahrbarer Gehalt. Diese ist nicht zu marginalisieren und als bloße vorreflexive Selbstvertrautheit abzutun, deren Wahrheit überhaupt erst noch gehoben werden muss. Hierin ist die entscheidende Absprungstelle aus dem begrifflich-rationalen Denken zu sehen, das dieses ‚mich‘ prinzipiell verlieren muss. Das ist die ursprüngliche Einsicht Jacobis. Denn diese individuelle Fundamentalerfahrung als vorreflexive Selbstvertrautheit zu lesen, heißt, sie erstens auf strukturelle Elemente bzw. Momente im Kontext des Selbstbewusstseins zu reduzieren. Es bedeutet zweitens, sie implizit immer schon abzuwerten, weil ihr eigentlicher Gehalt im Bewusstsein, Selbstbewusstsein und auf lange Sicht in der absoluten Idee geborgen werden muss. Und das heißt drittens, das Phänomen der Jemeinigkeit lediglich aus der begrifflichtheoretischen Rekonstruktions- und nicht aus der praktisch-existentiellen Vollzugsperspektive in den Blick zu nehmen. Die Person als dieser praktisch-existentielle Vollzug tritt im Theorierahmen hinter das Ich, das Subjekt und das Selbstbewusstsein zurück.³⁸ Darum geht es gerade bei Jacobi um die Umkehrung der Verhältnisse: Nicht jedoch so, dass der Person nun die Stelle des ‚ersten Prinzips‘ eingeräumt würde. Dies hieße ja nur, sich ebenfalls im Rahmen begrifflicher Rekonstruktion zu bewegen. Die Umkehrung geschieht vielmehr so, dass das Begründungsparadigma selbst durchkreuzt wird, indem die Erfahrungsund Vollzugsperspektive der Person Geltung gewinnt. Dieses unphilosophische In-den-Blick-Bringen heißt dann wiederum, es nicht allein als Phänomen zu theoretisieren, sondern sich in diesen Vollzug zu versetzen ³⁹, um den darin liegenden Gehalt nachvollziehend zu bergen. Der Moduswechsel, den die Unphilosophie vollzieht, besteht darin, das irreduzible und ursprüngliche Innesein der Person als Fundamentalerfahrung nicht nur gelten zu lassen, sondern selbst zu vollziehen. Dieser Moduswechsel von begrifflich-rationaler Erkenntnis zu praktischexistentieller Erfahrung ist der Schlüssel der Unphilosophie. Somit ist die Erfahrung des eigenen Ichs konstitutiv für das (in einem weiten Sinne verstandene) Wissen der Wirklichkeit, indem nur sie ein Wissen um die Ursprünglichkeit erlaubt, das  Der Modus des In-den-Blick-Bringens als praktisch-existentieller gegen einen rein rationalen macht schon Jacobis Spinoza-Kritik aus – selbst wenn die Argumentation stärker im Brief an Fichte in den Vordergrund tritt. Denn die Feststellung ‚meiner‘ Freiheit und ‚meiner‘ Individualität, auf der das Widersprechen der Spinozabriefe folgt, fußt nämlich unmittelbar in jenem Fundamentalgefühl, das sich nur dann zeigt, wenn man sich für die Perspektive des Lebens entscheidet. So bringt Jacobi gezielt „die praktische Frage der Lebensführung ins Spiel“. (Sandkaulen [2009]: Fürwahrhalten ohne Gründe, 262)  Vgl. Siep [1992]: Personbegriff und praktische Philosophie, 82.  Auf diesen entscheidenden Punkt macht B. Sandkaulen auch immer wieder aufmerksam (vgl. Sandkaulen [2000]: Grund und Ursache, 269 oder vgl. auch Sandkaulen [2009]: Fürwahrhalten ohne Gründe, 268).

8.5 Die Person

303

nur im Vollzug selbst (immer wieder aktualisierend) Bestand haben kann. Auch wenn die hegelsche Einzelheit als weltlich verortet zu denken ist, eliminiert ein absolutes Wissen als ‚View from no-where‘ eben diesen Aspekt. Es baut damit nicht, wie Hegel behauptet, Insuffizienz ab, sondern eliminiert in der Aufhebung der Endlichkeit des Wissens zugleich diejenige Endlichkeit der Person, die eben nicht allein in der Begrenztheit besteht, sondern im praktisch-existentiellen Lebensvollzug als ‚View from now-here‘. Person-Sein ist damit weder in seinem ursprünglichen Innesein noch in seinem existentiellen Vollzug begrifflich-rational einzusehen und auch nicht abzuleiten, sondern nur im Vollzug zu erfahren. Konsequenterweise hat das Person-Sein in diesem Sinne immer eine praktische Seite, die direkt die uns aufgegebene Lebensführung konkret betrifft. Dass der Begriff nicht das ‚wirkliche‘ Individuum in diesem Vollzug begreifen kann, sagt nicht, dass der Begriff von der Wirklichkeit losgelöst wäre.⁴⁰ Es sagt auch nicht, dass ein ineffabiles Individuum als eben ineffabiles vorausgesetzt ist, an das der Begriff nun quasi per definitionem nicht heranreicht. Es besagt vielmehr, dass die Wer-Identität des Individuums allein in der erfahrbaren Unmittelbarkeit liegt und diese Wirklichkeit nicht aufgehoben werden kann, ohne das Phänomen dabei zu zerstören.⁴¹ Es geht also um den nicht-logischen und nicht  So argumentiert S. Kierkegaard, der Hegel vorhält, nie Existenz erreichen zu können: „Was die Philosophen über die Wirklichkeit sagen, ist oft ebenso irreführend, wie wenn man bei einem Trödler auf einem Schilde liest: Wäschemangel. Würde man mit seiner Wäsche kommen, um sie mangeln zu lassen, so wäre man angeführt; denn das Schild steht dort nur zum Verkauf.“ (Kierkegaard [20006]: Entweder – Oder, 42)  M. Heidegger bringt es auf den Punkt: Existenz ist nur existierend zu begreifen (vgl. Heidegger [2001]: Sein und Zeit, 12). „Die Frage der Existenz ist ein ontische ‚Angelegenheit‘ des Daseins. Es bedarf hierzu“, so Heidegger, „nicht der theoretischen Durchsichtigkeit der ontologischen Struktur der Existenz“. (Heidegger [2001]: Sein und Zeit, 12) Auch B. Sandkaulen macht auf die Verwandtschaft zwischen Jacobi und Heidegger aufmerksam. Sie sagt jedoch, es komme „auch hier auf den maßgeblichen Unterschied an. Was Jacobi im Wechsel von der Beobachter- in die Teilnehmerperspektive geltend macht, sind nicht primär die Wirkungszusammenhänge des Lebens, nicht das Geworfensein des Daseins, indem sein Seinsverständnis je schon einbehalten ist. Der Akzent liegt hier auf unserem personalen Handlungsbewusstsein, auf dem ‚Bewußtsein unserer Selbsttätigkeit bei der Ausübung unseres Willens‘, das wir ‚ungeachtet unserer Endlichkeit und Natursklaverei‘ unseren Taten selbstverständlich unterlegen.“ (Sandkaulen [2009]: Fürwahrhalten ohne Gründe, 270) Es ist jedoch sowohl bei Heidegger als auch bei Jacobi das in der Praxis sich zeigende Selbst- und Weltverhältnis, das die Grundlage der theoretischen Reflexion auf die Zusammenhänge bildet. Der hier vorgeschlagene Ansatz plädiert dafür, dies als den Angelpunkt der Systemkritik Jacobis zu verstehen. Die Verwandtschaft zwischen beiden ist insofern zentral. Beide verwehren sich gegen ein bloß theoretisches Erschließen des Daseins, sondern sehen im praktisch-existentiellen Vollzug die Grundlage für ein angemessenes Verständnis des Daseins. Und so verbietet es sich auch für Heidegger, das Dasein „als Fall und Exemplar einer Gattung von Seiendem als Vorhandenem“ zu verstehen. (Heidegger [2001]: Sein und Zeit, 42) Und

304

8 Spielarten des Geistes

bestimmbaren, dennoch nicht irrationalen oder mystischen Gehalt der Unmittelbarkeit der Erfahrung des lebendigen Vollzuges des eigenen Lebens, der unabdingbar an den Vollzug selbst gekoppelt ist.⁴² Weil es aber gerade in der Logik darum geht, die Gehalte logisch spekulativ-dialektisch zu bestimmen, bleibt der nur unmittelbar im Vollzug des Lebens erfahrene Gehalt jenseits des Systems.

8.6 Modi der Erkenntnis Hegels spekulativ-dialektisches System etabliert eine „neue Ansicht des Logischen“ und begründet einen gänzlich neuen Modus des Erkennens, der in der Selbstbewegtheit des Begriffes besteht, die Hegel auch – im Kontext der Realphilosophie – Geist nennt. Hegel versteht das im Kern als Metaphysikkritik. Aber auch Jacobis Unphilosophie fällt dieser Kritik anheim, gleichwohl festzuhalten ist, dass es ursprünglich Jacobi war, der um des Geistes willen eine gänzlich neue Ansicht des Logischen begründet hat. Dies ist ebenso ein neuer und gänzlich originärer Modus des Erkennens zu nennen, der sich jedoch konstitutiv an die singuläre Person knüpft (ohne nur schlicht ein Empirismus sein zu wollen).⁴³ auch er redet vom Dasein explizit als Wer im Gegensatz zum bloßen Was des bloß Vorhandenen (vgl. Heidegger [2001]: Sein und Zeit, 45). Gleichwohl ist die Durchführung der Daseinsanalyse bei Heidegger ein theoretisches Projekt, das die Konsequenzen eines solchen Moduswechsels ausbuchstabiert. Jacobi hat hingegen im Verweis auf die allein mögliche (praktische) „Enthüllung des Daseins“ eine solche Geschlossenheit, wie wir sie bei Heidegger finden, nicht angestrebt. – Auf den ersten Blick überraschend und ganz anders sieht P. Cobben eine Verwandtschaft von Heidegger und Hegel vorliegen, wobei er sich insbesondere auf die Phänomenologie des Geistes bezieht. Er plädiert dafür, eine (strukturelle) Verwandtschaft zwischen Sein und Vernunft sowie zwischen Dasein und Bewusstsein zu sehen. Wenngleich es nicht um die detaillierte Bewertung dieser These zu tun sein kann, ist ihr doch insofern zuzustimmen, als sie Hegel als Denker des endlichen Selbst zeigt, der er ohne Frage auch ist. Vor dem Hintergrund des hier gesagten ist allerdings die Grenze des Ansatzes von Hegel und damit auch die Grenze der von Cobben formulierten These deutlich (vgl. Cobben [1999]: Das endliche Selbst).  Das ist kein Gehalt, der in der Erfahrung selbst vorkäme (also etwas, das in der Erfahrung gegeben würde), sondern es ist der Raum der Erfahrung selbst, der sich als mir zugehörig zeigt. Es ist wie beim Sehen: Das Sehen ist selbst nicht gesehen im Sichtbaren, dennoch wissen wir vom Sehen, weil wir um die Sichtbarkeit als solche wissen können, die sich am Gesehenen zugleich mit zeigt.  C. Hackenesch geht in ihrem Aufsatz Wer ist es, der urteilt? in einem weiteren Sinn den Konsequenzen nach, die sich aus der Priorisierung der Erkenntnisperspektive ergeben: „Das Telos der Transparenz, der vergegenständlichenden Thematisierung des Selbst mit dem Ziel, es erkennend sich zu eigen zu machen, ist hier [im Bruch mit der Tradition der Bestimmung der Freiheit als Selbstbewusstsein, D. A.] nicht nur verlassen, sondern diskreditiert. Es erscheint als Ausdruck des philosophischen Mißverständnisses, Individualität als Subjektivität, als ein sich durch Er-

8.6 Modi der Erkenntnis

305

Beiden ist gemein, dass das, was beide je unter Geist verstehen, nie Gegenstand oder Objekt der Erkenntnis sein kann. Es geht also nicht um die Person oder den Begriff als Gegenstand der Erkenntnis, sondern beide sind bei Jacobi bzw. Hegel thematisch als ‚Prinzipien‘ der Erkenntnis. Der Unterschied ist entscheidend und die Konsequenz beträchtlich. Für Hegel ist es die theoretisch-vermittelte Selbstbewegung des Begriffes, die in der Transparenz der absoluten Idee vollendet wird, indem sie sich als die absolute Wirklichkeit erweist. „Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig.“ (GR, 14 (Vorrede)) Für Jacobi ist dagegen der Horizont einer Selbst- und Weltverständigung die praktisch-erfahrene Selbstgewissheit der Person, und das meint generell das an die konkrete Person gebundene Paradigma der Erfahrung. Die Problematik der Person, der Individualität bzw. Individuierung erschließt sich somit vollständig nur vor den signifikanten Differenzen dieser Paradigmen. Beiden Paradigmen ist gemein, dass Begriff bzw. Person selbst nur insofern Prinzipien sind, als sie ein Reflexivum in Anspruch nehmen, das nur aktivisch im Prozess des sich auf sich Zurückwendens Bestand hat. Das setzt je einen Gehalt frei, der nicht sinnvoll fixiert werden kann. Während es jedoch bei Hegel im sich bewegenden Widerspruch (der absoluten Idee) um eine universelle Struktur handelt, enthüllt sich bei Jacobi in der Person eine singuläre Jemeinigkeit. Nur in diesem Modus kann die Person adäquat in den Blick kommen – und nur die Person kann den Modus freilegen. Denn es geht nicht um die Person als eine zu denkende Bestimmung, d. h. nicht darum, was unter Person konzeptionell zu verstehen ist, sondern es geht um die Person als um einen zu erfahrenden Gehalt, der gar kein Gegenstand mehr ist, da entscheidend ist, dass ‚ich‘ es bin, der sich selbst im Vollzug praktisch-existentiell erfährt. Die Person wird daher für die Unphilosophie so wichtig, weil der mit ihr konstitutiv verknüpfte Modus des In-den-Blick-Bringens der Erfahrung zugleich zentral wird: Erfahrung ist nicht denkbar ohne Person, und Person ist nicht denkbar ohne Erfahrung. Die Paradigmen, die für die ‚Erkenntnis des Geistes‘ zugrunde liegen, weisen somit eine überraschende Übereinstimmung, aber auch eine signifikante Differenz auf. Beide Paradigmen sollen dem prinzipiellen Entzug des Geistes gerecht werden können. Die Ebenen jedoch, auf denen je der Geist verortet wird, unterscheiden sich dramatisch. Die Person in ihrer Singularität wird bei Hegel ersetzt durch ein Subjekt als Konkret-Allgemeines. Indem das Endliche im Unendlichen

kenntnis selbst in seinem Sein Begründendes aufzufassen. Faktizität, Endlichkeit, Geworfenheit sind die Vokabeln, mit denen darauf verwiesen wird, daß Reflexion, als Fähigkeit zur Distanz, zur Selbstdistanzierung, dem Individuum vielleicht helfen mag, sich in seiner Welt zu orientieren, daß jedoch ihre Stilisierung zu Struktur von Selbstbewußtsein im Sinne der erkennenden Aneignung unverfügbarer Voraussetzungen von Existenz nur eine in Tautologie mündende Machtphantasie metaphysischen Denkens bedeutet.“ (Hackenesch [1996]: Wer ist es, der urteilt?, 224)

306

8 Spielarten des Geistes

sein Ansich hat, das Subjektivität verwirklicht, verliert das System die WerIdentität aus dem Blick für eine vollständige Bestimmtheit der Was-Identität aus einem Übergreifendem All-Einen, das sich darin selbst bestimmt. Das Ansich des Endlichen ist nicht mehr die individuelle, unvertretbare, unbegreifliche Wer-Identität, die nur einen Namen kennt, sondern die notwendige Realisierung des Absoluten, die mich als reflexives Subjekt als mit anderen gleich bestimmt. ⁴⁴ Hegel übersteigt zwar selbst die Verstandes-Philosophie zu einer Vernunft-Philosophie, die ein an den Naturwissenschaften orientiertes Rationalitätsverständnis zugunsten einer praktisch-existentiellen Vertiefung hin zum Menschen überwinden will. Doch geschieht dies in entscheidender Differenz zu Jacobi: Absolute Negativität bleibt unter dem Grundtheorem des Rationalismus ein Konstruieren an Hand einer Logik, die selbst als spekulative theoretisch-distanzierend operiert. Das liegt immanent in der Anlage der absoluten Negativität begründet: Sie ist sich selbst vermittelnder  Wir verschwinden natürlich nicht einfach oder werden für die Erkenntnis des Absoluten irrelevant (vgl. auch Arndt [2012]: ‚Enthüllung der Substanz‘, 239). Aber wie es sich im Verlauf der Realphilosophie auch gezeigt hat, ist es entscheidend, welche Konsequenzen der spekulative Begriff (d. h. das Denken des Denkens) für das Selbst- und Weltverhältnis zeitigt. Arndt formuliert auch einen Einwand gegen Hegel. Er ist skeptisch, ob denn aus der absoluten Idee in der Logik tatsächlich alle Bestimmtheit (von Natur und Geist) heraus-gedacht werden könne, um die von Hegels Projekt angestrebte Totaltransparenz zu realisieren (vgl. Arndt [2012]: ‚Enthüllung der Substanz‘, 241 f). Der in dieser Untersuchung formulierte Einwand geht in eine andere Richtung. Es geht hier nicht um einen Zweifel an der Vollständigkeit der Bestimmtheit, sondern um den Modus der (begrifflichen) Bestimmtheit als solchen. – H. F. Fulda schreibt zum Verhältnis von absoluter Idee und endlichem Subjekt, dass Hegel ähnlich zu Kant die höchste Einheit über der Kategorie der Einheit sucht, jedoch das nicht in der Apperzeption des ‚ich denke‘ findet. Sie ist zwar in der der Apperzeption, d. h. im selbstbewussten actus ‚ich denke‘. Jedoch darf dies nicht damit verwechselt werden, dass diese Einheit mit einem endlichen Selbstbewusstsein identisch ist (vgl. Fulda [2001]: Das endliche Subjekt der eigentlichen Metaphysik, 79). „Die gesuchte Einheit mag sogar umgekehrt dieses Selbstbewußtsein dahin bringen, daß es in seinem Denken ganz von der Reflexion auf sich loskommt und sich erhebt zu einem Höheren, als das Selbstbewußtsein selber bzw. seine Einheit ist.“ (Fulda [2001]: Das endliche Subjekt der eigentlichen Metaphysik, 79) Es ist wohl nur eine Einheit von Gedankenbestimmungen, nicht eines Selbstbewusstseins; „ja sogar eine, die noch zu unterscheiden ist von der Einheit meines reinen Denkens als eines subjektiven Habens reiner Bestimmungen, die ein objektivier Gedanke sind; zu unterscheiden auch von der Einheit meines Denkens als der aneignenden und dadurch erkennenden Wirksamkeit dieser Gedankenbestimmungen“. (Fulda [2001]: Das endliche Subjekt der eigentlichen Metaphysik, 79) – C. Jamme gibt einen kurzen Abriss über die Verhandlung der Individualität in Hegels frühen Schriften, der einen Eindruck von den notwendigen Umstellungen aus dieser Sicht gibt. Dort umreißt er die Entwicklung der Konzeptionen von Liebe, über Leben zum Geist. Diese Entwicklung ist im Grunde auch schon die vom individuellen Selbst zum allgemeinen Selbst (vgl. Jamme [2009]: Hegels Konzeption der Individualität). – Trotz der hohen Konkretion der Phänomenologie des Geistes trifft die Diagnose letztlich auch auf die dort verhandelte Konzeption der Individualität zu (vgl. z. B. Siep [1995]: Individuality in Hegel’s Phenomenology of Spirit).

8.6 Modi der Erkenntnis

307

Prozess, der als das Unbedingte selbst verstanden werden muss. Das Unbedingte ist dann nicht ein dem Bedingten vorgängiges Erstes – kein Sein, kein Gott, keine Substanz, sondern ein im Bedingten sich selbst transparent werdendes Unbedingtes, das selbst aber nichts anderes als dieser Prozess des unbedingten Transparent-Werdens im Bedingten ist: die Identität der Relata und der Relation. Geht das Bedingte im Unbedingten, oder will man es anders und dennoch im gleichen Sinne sagen: Geht das Endliche im Unendlichen genauso auf, wie das Unbedingte im Bedingten bzw. das Unendliche im Endlichen, dann ist damit zugleich etwas über die Konzeption des Endlichen und damit über die Konzeption des Einzelnen gesagt. Unter dieser Perspektive ist die Person – wie es die Realphilosophie in vielerlei Hinsicht illustriert hat – in ihrer im Vollzug sich zeigenden Einzigkeit, Jemeinigkeit und Individualität, kurz: in ihrer Wer-Identität zu wenig. Diese direkt aus den Erfordernissen der absoluten Negativität fließende Bewertung – dieses ‚Zu-Wenig‘ ist der entscheidende Punkt. Hegel ignoriert das von Jacobi eingeklagte Individuum keineswegs. Hegel ist kein abstrakter Denker, der die eingeklagte Lebendigkeit austrocknet. Die absolute Negativität ist selbst kein Begriffsformalismus, sondern eine eng an die geistige Erfahrung endlicher Individuen gebundene Struktur, die Hegel nicht umsonst Subjektivität oder Geist nennt. Aber der Modus des Welt- und Selbstbezugs der konkreten Person (wie wir sie bei Jacobi finden) wird eliminiert, um ein das ‚Zu-Wenig‘ ergänzendes Mehr zu ermöglichen, was allerdings ein Mehr des Wissens ist. Um dieses Mehr willen verliert Hegel die Person jedoch zur Gänze. Die absolute Negativität gibt den Rahmen bzw. das Koordinatensystem für das Welt- und Selbstverständnis vor. Aus dieser systematisch-systemischen Perspektive wird alles gefärbt und nur unter diesem Licht gesehen. Man kann es so formulieren: Das System ist der ‚Verstehenshorizont‘, in dem alles einen bestimmten Sinn und eine bestimmte Deutung erhält. Der Einzelne, die Person und das Individuelle erhalten daraus ihre Deutung als nur Partikulares. Aus systematischsystemischer Perspektive ist das kein Problem. Denn alles bewegt sich nur innerhalb dieses Horizontes. Damit zeigen sowohl die Logik also auch die Realphilosophie, dass das System keinen Raum für die Person lässt, wie sie die Unphilosophie in den Blick bringt. Jacobi verlässt im Sprung eben diesen Horizont, den das System für absolut hält. Genau besehen aber verlässt Jacobi nicht den absoluten Horizont des Systems, weil es kein Außerhalb gibt, das er in der WerIdentität einer individuellen Person einklagen würde. Er klagt also keine ontologische Differenz ein, die das System verleugnen würde. Man kann es so formulieren, dass nicht der Erweis einer absoluten Vermittlung aller Unmittelbarkeiten im Abschluss des Systems das Problem darstellt. Es ist vielmehr der Ausgangspunkt des systematisch-systemischen Denkens, im Entschluss, rein Denken zu wollen. Auch die Genealogie in der Phänomenologie der Geistes arbeitet immer

308

8 Spielarten des Geistes

schon in diesem ‚Verstehenshorizont‘ begrifflich-systematischer Erkenntnis. Denn der Angelpunkt für das spekulative Unternehmen Hegels ist die Frage nach der Wahrheit: Was sich begründeter Weise sagen lässt. Wenn sich Hegel jedoch entschließt, dem Begründungsparadigma zu folgen, so kann dies selbst nicht begründet werden. Vor dem Anfang der Wissenschaft steht der Anfang mit der Wissenschaft, der notwendig außerhalb der Wissenschaft selbst steht. Hegels Entschluss, rein denken zu wollen, der in der Enzyklopädie explizit und vor der Phänomenologie des Geistes implizit den Anfang initiiert, bleibt damit zunächst ungeschützt, über dessen Mangel jedoch auch der Verlauf und selbst der Abschluss des Systems nicht hinweghelfen kann. Denn wenn das System die Realisierung und Vollendung des Begründungsparadigmas ist, so schließt sich dieses Paradigma in sich selbst ein. Das Problematische dabei ist jedoch, dass sich das System über das Begründungsparadigma ein striktes Sinnkriterium gegeben hat, nach dem allein es operieren kann. Wenn der Entschluss, das Begründungsparadigma zu realisieren und zu vollenden auf die genannte Weise selbst aber ungeschützt bleiben muss, liegt im System als Inbegriff des Begründungsparadigmas intrinsisch ein blinder Fleck, dem es nie Herr werden kann. Jacobis Unphilosophie nun setzt im Grunde genau hier an – an der Achillesferse des Systems. Denn sein Fragen zielt auf kein Außerhalb des Systems, auf kein begrifflich Unzugängliches in dem Sinne, dass der Begriff eine Grenze hätte. Sein Fragen zielt vielmehr mit seiner Unmittelbarkeit auf diese Grundvoraussetzung des Systems selbst, indem er darin etwas anzugeben können meint, das außerhalb des Begründungsparadigmas liegt, ohne zugleich gänzlich dem Sinnlosen und Willkürlichen anheim zu fallen. Jacobis Zug besteht damit genau darin, zum Begründungsparadigma eine Alternative auszuweisen und nicht darin, ein Unbegriffliches, Erstes oder Reines zu finden, das dem Begriff entzogen sein soll. Im Grunde geht es im Kern nicht um die Person, die nur als unbegriffliche gedacht werden können soll, sondern um die praktisch-existentielle Performanz der Person, deren unmittelbarem Gegenwärtigsein eine Gewissheit eignet, die jenseits der begrifflich-rationalen Versicherung die höchste nur zu findende ist – und damit aus sich ihr Recht gegen das Begründungsparadigma ausspricht. Der Unterschied zwischen diesen Widerlegungsstrategien ist dann der zwischen der Person, an die der Begriff nicht reicht, weil dieser unzureichend ist, und der Person, deren unmittelbare Gewissheit in der Enthüllung nicht unzureichend ist, weil das Begründungsparadigma nicht als ein totales anerkannt wird. Nicht also das Wesen des Begriffes ist der Ansatzpunkt, sondern das Sinnkriterium für philosophisch relevante Erkenntnis. Damit sind wir im Kern der Unphilosophie und bei der Grenze des systematisch-systemischen Philosophierens: Die Grenze lässt sich nicht setzen, wie Jacobi sagt, sondern nur auffinden: indem ‚ich mich‘ selbst in einem irreduziblen Vollzug erfahre, der nicht vor aller begrifflichen Vermittlung geschieht, sondern jenseits begrifflicher Ver-

8.6 Modi der Erkenntnis

309

mittlung. Er geschieht jenseits der Vermittlung, weil er sich selbst in seinem Vollzug enthüllt und nicht aus der Binnenlogik begrifflicher Erkenntnis begriffen wird. Damit ist die Unmittelbarkeit Jacobis keineswegs – nicht im Entferntesten – eine vorreflexive, wie es die sinnliche Gewissheit wäre. Sie ist eine un-philosophische in dem oben benannten Sinne, dass sie einerseits Affirmation der Philosophie ist und sich auf dem Boden der Philosophie (und der Reflexion) bewegt, indem sie durch die Alleinphilosophie zunächst hindurchgegangen ist. Sie ist damit selbst auch Ausdruck höchster Reflexion. Sie ist damit auch andererseits Negation der Philosophie, insofern sie aufgrund ihres Durchgangs durch die Alleinphilosophie die Philosophie (d. h. in dem Sinne die Totalität des Begründungsparadigmas) in die Schranken weist. Auf den ersten Blick und auch unter dem Eindruck der Jacobi-Kritik Hegels mag es so erscheinen, als würde Jacobi die Vermittlungsleistung des Begriffes unterschätzt haben. In dem Falle erscheint Jacobis Insistieren auf der Unmittelbarkeit vor der Totalvermittlung des Begriffes als voreilig und ungeschützt. Unter dem Eindruck jedoch der gesamten Darstellung der Unphilosophie zeigt sich die Totalvermittlung als voreilig und ungeschützt. Denn Hegels Entschluss, dem Begründungsparadigma zu folgen, bleibt ungeschützt. Jacobis Entschluss, auf der Unmittelbarkeit der Person zu insistieren, lässt sich dagegen im Rückgriff auf die Konsequenzen des Entschlusses für das Begründungsparadigma ausweisen. Das Begründungsparadigma kann nicht widerlegt werden, weil sich die Widerlegung auf dem gleichen Boden bewegt. Jacobi widerspricht dem Begründungsparadigma. Dieser Widerspruch ereignet sich nicht auf dem gleichen Boden, sondern da, wo die Entscheidung für das Begründungsparadigma selbst getroffen wird. Die von Hegel oft als naiv kolportierte Position Jacobis zeigt sich daher im höchsten Maße als reflektiert und auf Augenhöhe mit den Systementwürfen der klassischen deutschen Philosophie. Auch mit dem Entwurf Hegels. Die absolute Negativität als Identität der Relata und der Relation exekutiert damit weiterhin eben jene Logik, gegen die Jacobi mit ungeheuerlicher Beharrlichkeit gegen Spinoza, Fichte und Schelling grundlegende Einwände erhoben hatte. Zwar kann Hegel auf diese Weise Grundphänomene wie Individualität, Personalität und Lebendigkeit aus dem Begriff erschließen. Sie haben jedoch eine vollkommen andere Bedeutung. Jacobi ging es nicht nur darum, nicht das Endliche ins Nichts zu verlieren, nicht die Selbstständigkeit und Freiheit zu verlieren, sondern ‚mich‘ nicht ins Nichts zu verlieren, nicht ‚meine‘ Selbstständigkeit und ‚meine‘ Freiheit zu verlieren. Er sprang gerade, weil die Jemeinigkeit im System prinzipiell verloren werden muss und die Person darin durch einen allgemeinen Platzhalter ersetzt wird. Man muss vielleicht sagen: Gerade weil Geist und Wissenschaft bei Hegel keine Antagonismen sind, sondern in eine Identität überführt werden, schließt Hegels System Individualität, Personalität und Leben nicht

310

8 Spielarten des Geistes

gänzlich aus. Es transformiert jedoch diese Konzepte konstitutiv: Die Person ist im System strukturell statt biografisch bzw. geschichtlich zu verstehen; es gibt nur eine (aus dem übergreifenden All-Einen erschlossene) Was-Identität statt einer Wer-Identität; die Person wird als Rechtsanspruch statt als individueller, existentieller Vollzug gefasst; es zählt unter dem Kohärenzdruck nur die begriffliche Transparenz statt schauendes Enthüllen. Aufgrund des Moduswechsels ist das im System thematisierte Individuum sozusagen eines, das keine Probleme kennt und daher sich selbst auch nicht zum Problem werden kann. Denn es ist als dieser Platzhalter nicht eingebunden in ein Umfeld, ist mit keinen Anforderungen konfrontiert und hat keine Bedürfnisse und Wünsche – nur die, die ihm strukturell vom System als der Subjektivität generell zugehörig zugeschrieben werden.⁴⁵ Ein solches von Jacobi visiertes Wer hat Geschichte. Hegel formuliert eine ganz ähnliche Einsicht. Er sagt: Alles, was Geist ist, hat Geschichte. Beide unterscheiden sich aber wesentlich darin, dass Jacobi von einer Biografie redet, die offen bleibt, Hegel dagegen von einer Ideengeschichte, die auf einen Abschluss, d. h. auf eine Versöhnung in der Selbsterkenntnis, zuläuft.⁴⁶ Die Einsicht Jacobis hat Hegel igno-

 V. Gerhardt macht das Probleme-Haben zu einem konstitutiven Moment des Individuums. Es ist Struktur von Problemen, so Gerhardt, dass sie uns etwas angehen und unsere eigene Anstrengung herausfordern. Sie sind direkt auf unsere Ansprüche bezogen und stehen in direkter Korrelation zu unserem Selbstverständnis. Probleme werden auf dem Niveau wahrgenommen, auf dem wir uns selbst begreifen (vgl. Gerhardt [1999]: Selbstbestimmung das Prinzip der Individualität, 47). Zudem stellt er heraus, dass es Probleme überhaupt nur für selbstbewusste Wesen gibt. Es gibt nicht generell Probleme, sondern nur Probleme, die jemanden etwas angehen. Ohne ein Selbst, das sich seiner bewusst ist, gibt es daher keine Probleme. Es gibt nur ‚meine‘ Probleme, in denen ich mir zugleich selbst zum Problem werde (vgl. Gerhardt [1999]: Selbstbestimmung das Prinzip der Individualität, 50). Daher ist auch hier die existentielle Einbettung des Individuums von entscheidender Bedeutung (vgl. Gerhardt [1999]: Selbstbestimmung das Prinzip der Individualität).  G. Gamm nimmt dahingehend diverse Subjektivitätstheoretiker unter die Lupe und problematisiert die Aufspaltung des Subjekts in ein Allgemeines und Einzelnes z. B. bei Descartes und Kant. Zu Hegel bemerkt er: „Auf dem Höhepunkt spekulativer Reflexion begegnen wir abermals, wie von Ferne, der cartesianischen Fiktion eines zeit- und wesenlosen Selbst – das, die begriffene Geschichte im Rücken, sich frei über sie erhebt. An der äußersten Grenze kreiswendender Spekulation scheint die Explikation des in seinen geschichtlichen Voraussetzungen sich erinnernden (und verwirklichenden) Geistes der eigenen Selbstdemontage zuzusteuern: er macht sie überflüssig, weil es nichts mehr gibt, das anders wäre als er selbst. […] Die cartesianische Fiktion kehrt wieder in der Metapher der getilgten Zeit, in der ‚Aufhebung‘ eines an die Zeitlichkeit des Daseins preisgegebenen Lebens. Innerhalb und außerhalb der Zeit ist das Leben das Selbst. Die Aufhebung der Zeit ist der (evolutiv) in sich vollendete Kreis der Zeit im imaginären Spiegel göttlichen Bewußtseins.“ (Gamm [1986]: Wahrheit als Differenz, 95) Gamm geht damit noch weiter und sieht selbst die Zeitlichkeit überflüssig werden. – C. Hackenesch schreibt: „Zwar ist, gemäß dem Hegelschen Dictum, daß das Wesen seine Wahrheit erst in der Erscheinung bewährt, Zeit anerkannt als Medium der Darstellung des Wahren, nicht aber als Kern der Existenz des Individuums selbst.

8.6 Modi der Erkenntnis

311

riert. Für ihn ist die Biografie „bloße Historie“, die den Begriff nichts angeht.⁴⁷ Gegen eine solche Ent-Individualisierung des Lebens erhebt Jacobi Einspruch. Für ihn ist Leben historisch im Sinne der Biografie und kein Wesenszusammenhang, wie es Hegel im Zuge des Systems rekonstruieren möchte. Der Modus der Selbstverständigung ist je ein anderer: Bei Hegel findet sich die begrifflich abgesicherte sowie individuell gleich-gültige (d. h. für alle gleiche) und sich (um der Universalität willen) von der konkreten Person distanzierende Erkenntnis aus dem System (im Wissen). Daher ist auch die auf ein Individuum angewiesene Bewegung des Begriffes eine Verständigung durch das Individuum (den Philosophen) über die logische Struktur und im Rahmen dessen über das Individuum per se, das (als einzelnes) nur eine Stellvertreterfunktion für die Vernunft selbst innehat.⁴⁸ Jacobi dagegen springt in die existentiell motivierte und verankerte Enthüllung des Daseins und des Singulären, die dem Singulären einen eigenen philosophischen Status zuerkennt, dabei dennoch auch auf individuell gleich-gültige (d. h. für alle verbindliche) Orientierung am Guten (im Glauben) abzielt. Es ist eine Verständigung durch das Individuum über sich selbst aus sich selbst, zu dem eine individuell-persönliche Vernunft im Hintergrund steht. Der Modus der Selbstverständigung bei Hegel ist epistemisch als Wissen, bei Jacobi praktisch-existentiell als Glaube gefasst, der hier eine entscheidende Rolle spielt. Generell ist zu sagen: Schon in den frühen Auseinandersetzung Hegels mit Jacobi blendet Hegel die praktische Fundierung des Glaubens vollständig aus.⁴⁹ Dieser Glaube ist so gefasst keine Vorstufe zum Wissen, sondern bringt dem Wissen gegenüber eine Eigenständigkeit mit. Dieser Glaube ist dann aber auch keine Voraussetzung für seine Kritik am Wissen, wie dies der Fall wäre, wenn der Glaube Dogmen implizierte, die sich selbst als dem Wissen unzugänglich auswiesen. Wenn bei Jacobi die Selbst- und Weltverständigung mit Glauben in Ver-

Als dieser ist denn auch ihre Bedeutung eine ganz andere, geradezu umgekehrte. Denn der Ausgangsort des Individuums ist gerade die Gegenwart, die nicht die Verwirklichung von ‚Wesensmöglichkeiten‘ bedeutet, sondern faktische Gegebenheit. Die Möglichkeiten sind vielmehr ein durch das Individuum erst zu Gewinnendes, als Dimension mit Freiheit identisch, über seine ‚Faktizität‘ hinaus zu streben, sie zu transzendieren.“ (Hackenesch [2001]: Selbst und Welt, 11) – Es ist auch auf Adorno zu verweisen, der diesen Punkt ebenfalls gesehen und herausgehoben hat, wenn er davon spricht, dass sowohl Kant als auch Hegel das Individuum als zeitliches ignorieren, „denn die Grundschicht beider ist das Subjekt als Begriff, bar seines zeitlichen Inhalts“. (Adorno [1996]: Negative Dialektik, 325) Hinsichtlich der Integration der Zeitlichkeit überhaupt nimmt die hier vorgelegte Studie im Gegensatz zu diesen Interpretationen eine moderatere Haltung ein (vgl. den Abschnitt Verwirklichung der Freiheit – Zeit und Geschichte in Kapitel VII).  Vgl. den schon zitierten Abschnitt in WL2, 21f.  Vgl. Gamm [1986]: Wahrheit als Differenz, 110.  Vgl. Sandkaulen [2009]: Fürwahrhalten ohne Gründe, 266 f.

312

8 Spielarten des Geistes

bindung gebracht wird, so nicht in der Weise, dass sie aus dem Glauben (dogmatisch) gewonnen würde. Das Verhältnis ist gerade umzudrehen. In der praktisch-existentiellen Verankerung ist der Glaube allein die Anerkennung einer nur mir in der Erfahrung zugänglichen Innenperspektive der Person, die prinzipiell kein Gehalt begrifflich-rationaler Ableitung sein kann. Der Glaube ist so keine Erklärungsform, sondern eine Lebensform der Individualität. Daher ist auch der religiöse Glaube, und dies sei explizit herausgestellt, bei Jacobi nicht unwesentlich, weil die Selbst- und Weltverständigung im (religiösen) Glauben eine solche Vollzugsform gefunden hat, die konstitutiv in Rückbindung an ‚mich‘, d. h. an die je individuelle Person und keinesfalls in universeller Perspektive, ihre Entfaltung erfährt. Der religiöse Glaube ist es somit auch, der dann die mit dem Person-Sein verbundene praktische Seite der Lebensführung essentiell umgreift, ihr eine Form und ein Forum gibt.⁵⁰ Für Hegel erscheint die Person leer, der Begriff konkret; für Jacobi ist die Person konkret und der Begriff leer. Unmittelbarkeit bei Jacobi ist damit weder ein mystisches Wissen noch nur ein Wissen von etwas. Ersteres interessiert Jacobi nicht, letzteres ist Jacobi zu wenig (bzw. schon zu viel). Der Gehalt des Sich-gegenwärtig-Seins ist kein Wissen von etwas, einem Gegenstand, der in Kontexten stünde. Eben solches Wissen würde tatsächlich besser vermittelt, d. h. in die Kontexte integriert und aus den Kontexten erschlossen werden. Die Unmittelbarkeit Jacobis hat keine Referenz im Sinne eines Gegenstandes, sondern sie ist die Gegenwärtigkeit selbst als praktisch-existentiell vollzogenes Sich-gegenwärtigSein, das Jacobi als Fundamentalgefühl bezeichnet. Wenngleich Jacobis unmittelbare Sich-Gegebenheit letztlich auch ein Selbstbewusstsein ist (das auch als Struktur rekonstruiert werden kann), so ist der eigentliche Gehalt, den Jacobi freilegt, eben der je nur individuell erfahrbare ursprüngliche Vollzug des eigenen Lebens selbst. Schon Fichtes Wissenschaftslehre und – angesichts der bisherigen Ausführungen und trotz aller spekulativen Wendungen – auch Hegels Wissenschaft der Logik ist der „logische Enthusiasmus“ eigen, „welcher der Alleingeist der Alleinphilosophie wäre“. (AF, 196 f) Der Geist, der das spekulative System Hegels ‚bewohnt‘, ist der wissenschaftliche. Sicher redet Hegel von einer Phänomenologie des Geistes und lässt der Wissenschaft der Logik eine Realphilosophie folgen, in der der Geist eine Schlüsselposition einnimmt. Und es ist auch richtig, dass dieser

 Zum Begriff des Glaubens bei Jacobi vgl. Sandkaulen [2009]: Fürwahrhalten ohne Gründe, 263 ff. Sandkaulen schließt jedoch prinzipiell die Relevanz des religiösen Aspekts des Glaubens aus.

8.6 Modi der Erkenntnis

313

Geist ein sehr konkreter ist, der eben nicht abstrakt ersonnen ist, sondern ein existentielles Fundament in dem Maße mitbringt, wie es Hegel eben (vor dem Problemhorizont Jacobis) nicht allein um kognitive Verarbeitung von Wirklichkeit geht, sondern um lebensweltliche Tiefe seiner Metaphysik.⁵¹ Jedoch ist auch Hegels Geist-Metaphysik „eine reine, das ist, durchaus immanente Philosophie; eine Philosophie aus Einem Stück; ein wahrhaftes Vernunft-System“ (AF, 200), gegen das Jacobi schon in Form der Substanzmetaphysik Spinozas und auch noch in Form der fichteschen Wissenschaftslehre entschieden vorgeht. Denn die entscheidenden Fragen sind nicht gelöst, weil die grundlegenden Strukturen nur teilweise überwunden und oft nur modifiziert wurden. Trotz aller Bemühungen, die fatalistischen Strukturen der Metaphysik aufzubrechen, bleibt es weiterhin unmöglich, „Alles, und zugleich Eins und Etwas zu seyn“ (AF, 204) – wenn damit auf die Person abgehoben wird In Anbetracht der spekulativen Logik Hegels mag dieser Befund überholt scheinen, wo es doch gerade darum zu tun war, das Allgemeine und Einzelne in ihrer Identität zu erweisen. Aber in dem Maße, wie es dieser spekulativen Logik darum geht, die Identität begrifflich zwingend in einer identitären Logik theoretisch distanzierend zu erweisen, verfehlt sie aufgrund ihres Ansatzes Jacobis eigentlichen Punkt. Dieser Ansatzpunkt ist insofern schlagend, als es nicht um eine mystische Spekulation geht, sondern um eine uns allen als Personen nicht nur im alltäglichen Umgang ganz selbstverständliche und auch zugängliche, sondern uns als Personen auch überhaupt konstituierende Erfahrung. Insofern Jacobi die Person als dieses ‚Etwas‘ im Blick hat, das nicht aus einer Vernunft theoretisch gewonnen werden kann, die alles sein möchte, sondern tatsächlich nur in der unvertretbaren Erfahrung zugänglich ist und ‚mich‘ selbst in ‚meiner‘ konkreten Existenz meint, verträgt die Freilegung dieses Gehaltes „keine wißenschaftliche Behandlung“ (AF, 233), sondern erfordert den „unphilosophischen Eigensinn“ im Sprung. Genau dieser dezidiert individuelle Vollzug der Person – und nur dieser – ist für Jacobi der Geist. Und so muss Jacobi gegenüber Fichte – aber auch imaginär gegenüber Hegel – entschieden festhalten: Er, der Geist, muß also draußen bleiben vor den Thoren seiner Wißenschaft; wo sie ist, darf Er Selbst nicht seyn. Darum buchstabieret, wer den Geist zu buchstabieren wähnt, zuverläßig immer etwas anderes, wißentlich oder unwißentlich. Mit anderen Worten: Wir vertilgen nothwendig den Geist, indem wir ihn in Buchstaben zu verwandeln streben, und der sich für den Geist ausgebende Buchstabe lügt. Er lügt, denn es ist nie der Buschstabe des Geistes was sich diesen Nahmen beylegt; es ist, von dieser Seite angesehen, lauter Trug damit, denn der

 Jacobi urteilt: „Darum könnte man sagen, der Spinozismus läugne nicht sowohl das Daseyn eines Gottes, als das Daseyn einer wirklichen und wahrhaften Welt, grade wie sich dieses auch von jedem späteren System der Art sagen ließe.“ (SB, 346) – Genau das trifft eben auf Hegel nicht zu.

314

8 Spielarten des Geistes

Wahrhafte Geist hat keinen Buchstaben. Wohl aber hat auch der Buchstabe einen Geist, und dieser Geist heißet Wißenschaft. (AF, 233)

Hegels Argumentation gegen Spinoza und mithin auch gegen Jacobi ist nun eine dezidiert wissenschaftliche, die zwar dualistische Strukturen wie Allgemeines und Einzelnes oder Natur und Geist, auf die Jacobi noch zurückgreift⁵², wie gesehen aufhebt, jedoch damit noch gar nicht Jacobis eigentlichen Punkt berührt.⁵³ Insofern nämlich die Person in ihrer unvertretbaren Jemeinigkeit nicht allein durch ein deterministisches System, sondern überhaupt durch jedwedes, notwendigerweise theoretisch-distanzierendes wissenschaftliches System verfehlt wird, ist durch Hegels spekulative Logik am Problembestand nichts geändert. Denn die begrifflich-rationale Durchdringung der Wirklichkeit der Person ist eine die wesentlichen Struktureigenschaften rekonstruierende Begriffskonstellation und darin nur eine „unpersönliche Persönlichkeit; jene bloße Ichheit des Ich ohne Selbst“ (AF, 212), das notwendig die Folge bloß wissenschaftlichen Interesses ist. Vor diesem Resultat gilt auch für Hegels spekulatives System des Konkret-Allgemeinen, „daß, mit Einem Worte, lauter rein und baare Unwesenheiten nothwendig zum Grunde gelegt werden müssen, wenn – ein allgemeingültiges streng wißenschaftliches System der Moral zu Stande kommen soll“. (AF, 212)

 Daher sagt Jacobi etwa: „Was der Geist hinzuthut, ist das Nicht-Mechanische, das Nicht nach einem allgemeinen Naturgesetz, sondern aus einer eigenthümlichen Kraft entspringende in den Handlungen, Werken und Characteren der Menschen.“ (AF, 235) – An anderer Stelle sagt Jacobi: Ohne Geist hätten die Philosophen ihre Werke nur „Werke und Thaten im Grunde nur blindlings und gezwungen, der Reihe nach in dem nothwendigen Zusammenhange von Ursache und Wirkung, das ist, dem Naturmechanismus zu Folge hervorgebracht; und die Intelligenz, als nur begleitendes Bewustseyn, hätte dabey überall blos und allein das Zusehen gehabt“. (AF, 235 f) – Gerade die Spekulation Hegels bricht diese Disjunktion von Geist und Natur auf.  B. Bowman spricht von zwei hauptsächlichen Argumentationsstrategien gegen Spinoza: Er relativiert die mechanistische Erklärungsweise, die nicht verabsolutiert werden darf. Und er entlarvt Metaphysik als eine Wissenschaftsideologie (vgl. Bowman [2006]: Spinoza. Ausgangspunkt oder Endstation, 150). Es muss jedoch unbedingt ein dritter und entscheidender Argumentationsstrang hinzugefügt werden. Er enthüllt die Perspektivität unseres individuellen Selbstverständnisses. Jacobi führt nicht einfach ein primäres Selbstverständnis (z. B. dass wir frei sind und absichtsvoll handeln können) gegen die Systemphilosophie Spinozas, sondern überhaupt das Selbstverständnis, indem er auf die individuelle, d. h. unvertretbare Verfasstheit dieses Selbstverständnisses aufmerksam macht.

8.7 Letztes Wort

315

8.7 Letztes Wort Es bestätigt Hegel aufgrund seines Versuches, Leben, Freiheit, Individualität bzw. Personalität zu denken, den Grundkonflikt zwischen Unphilosophie und System. Das bekräftigt Jacobis Impuls, die Person explizit als ein sich dem Begriff Entziehendes und nicht zu Denkendes zu konzipieren.Wenn also Jacobi wie schon zu Beginn zitiert Folgendes schreibt: Der Unterschied zwischen Hegel und mir besteht darin, daß er über den Spinozismus (‚jenes substantielle Absolute, in welchem alles nur untergeht, alle einzelne Dinge nur aufgehoben und ausgelöscht werden,‘) welcher […] auch ihm das letzte, wahrhafte Resultat des Denkens ist, auf welches jedes consequente Philosophiren führen muß, hinauskommt zu einem System der Freiheit, auf einem nur noch höheren, aber gleichwohl demselben (also im Grunde auch nicht höheren) Wege des Gedankens – ohne Sprung, ich aber nur mittelst eines Sprunges, eines voreiligen, von dem Schwungbrete aus des bloß substantiellen Wissens, welches zwar auch Hegel annimmt und voraussetzt, aber anders damit umgegangen haben will, als es von mir geschieht, dessen Methode ihm Aehnlichkeit zu haben scheint mit der, welche wir als lebendige Wesen befolgen bei der Verwandlung von Nahrungsmitteln in Säfte und Blut durch bewußtlose Verdauung, ohne Wissenschaft der Physiologie.

Wenn dies Jacobi schreibt und daran unmittelbar anschließt: „Er mag wohl recht haben, und gern wollte ich mit ihm alles noch einmal durchversuchen, was die Denkkraft allein vermag, wäre nicht der Kopf des Greises zu schwach dazu.“ – dann ist dem in Anbetracht der bisherigen Ergebnisse berechtigter Weise nicht zuzustimmen. Jacobi muss auch hier springen.⁵⁴ Generell räumt Hegel dem Einzelnen nicht nur deswegen eine eminente Rolle ein, weil sich das Allgemeine immer auch im Einzelnen konkretisieren muss. Der Einzelne wird auch in der Enzyklopädie nach dem Verwerfen der Phänomenologie des Geistes als Einleitung in sein System mit seinem Entschluss, rein denken zu wollen, zum Anfang des Systems überhaupt.⁵⁵ Nun wird der Einzelne vor den hier

 Auch K. Hammacher sieht dies so – wenngleich nicht nach eingehender Auseinandersetzung mit speziell diesem Thema. Er schreibt: „Wenn er dann auch in altersweiser Resignation kein direktes Urteil mehr fällt über die kritische Haltbarkeit eines solchen bruchlosen Überganges – wie ihn Hegel annimmt – so zeigen doch die ironischen Reserven sehr deutlich, wie er die Ebenen der Vereinbarung sieht. Sein der Daseinserfahrung verpflichtetes Denken läßt keine Aufhebung durch einen Übergang zu, sondern nur eine kritische Unterscheidung der als Möglichkeiten gegenüberstehenden Positionen, die nur durch einen Umschwung der Orientierung erreicht werden kann.“ (Hammacher [1969]: Die Philosophie Friedrich Heinrich Jacobis, 91)  Bei aller Emphase auf den Entschluss hier, bleibt doch zu beachten, dass Hegel den dezisionistischen Charakter immer wieder abschwächt. „Ich darf wünschen und hoffen, daß es mir gelingen werde, auf dem Wege, den wir betreten, Ihr Vertrauen zu gewinnen und zu verdienen; zunächst aber darf ich nichts in Anspruch nehmen als dies, daß Sie Vertrauen zu der Wissenschaft,

316

8 Spielarten des Geistes

präsentierten Konsequenzen des Systems erneut mit seinem Entschluss, nicht mehr rein denken zu wollen, das Ende desselben. Er kam – nach Hegel – nur durch Entschluss in das System und kommt – nach Jacobi – nur durch Entschluss aus dem System.⁵⁶ Denn auch das spekulative System Hegels führt in einen Nihilismus: Eine solche Wahl aber hat der Mensch; diese Einzige: das Nichts oder einen Gott. Das Nichts erwählend macht er sich zu Gott; das heißt: er macht zu Gott ein Gespenst; denn es ist unmöglich, wenn kein Gott ist, daß nicht der Mensch und alles was ihn umgiebt blos Gespenst sey. Ich wiederhole: Gott ist, und ist außer mir, ein lebendiges, für sich bestehendes Wesen, oder Ich bin Gott. Es giebt kein drittes. Finde ich Gott nicht – so, daß ich ihn setzen muß: Ein Selbstseyn – außer mir, vor mir, über mir; so bin ich selbst, Kraft meiner Ichheit, ganz und gar was so genannt wird, und mein erstes und höchstes Gebot ist, daß ich nicht haben soll andere Götter ausser Mir, oder jener Ichheit. Ich weiß alsdenn und begreife vollkommen, wie dem Menschen jene thörichte, abgeschmackte, im Grunde Gottlose Abgötterey mit einem Wesen außer ihm entsteht; diesen Wahn ergründend, deducirend und construirend, vernichte ich ihn auf immer. (AF, 220 f)

Der Philosoph entscheidet sich für die konsequente Philosophie am Anfang. Der Philosoph entscheidet sich konsequent gegen die Konsequenz der Philosophie. Auf diese Weise schließt sich auch ein Kreis.

Glauben an die Vernunft, Vertrauen und Glauben zu sich selbst mitbringen. Der Mut der Wahrheit, Glauben an die Macht des Geistes ist die erste Bedingung des philosophischen Studiums; der Mensch soll sich selbst ehren und sich des Höchsten würdig achten. Von der Größe und Macht des Geistes kann er nicht groß genug denken; das verschlossene Wesen des Universums hat keine Kraft in sich, welche dem Mute des Erkennens Widerstand leisten könnte; es muß sich vor ihm auftun und seinen Reichtum und seine Tiefen ihm vor Augen legen und zum Genusse bringen.“ (E3S, Anhang, 404) Das heißt, der Mut ist nicht individuell, sondern jedem eigen, der sich unbefangen der Philosophie nähert (vgl. E, 69 f (§ 26)).  H. Schnädelbach formuliert dies (freilich nicht in Bezug auf Jacobi) auf diese Weise: „So kann man sagen: weil die philosophische Wissenschaft nach Hegel keinen objektiven Anfang hat, zieht sich das subjektive Anfangen zu einem reinen Entschluß zusammen, in den Hegelschen ‚Kreis von Kreisen‘ einzutreten, wobei alle objektiven Begründungen immer schon diesem hermetischen Systemzusammenhang angehören. […] Bei Hegel geht die vollständige Begründung des Wissens in objektiver Hinsicht in reine Dezision über, was das subjektive Anfangen betrifft, denn sie läßt dem Subjekt kein Argument, daß es sein eigen nennen könnte; darum kann man wohl auch nur durch pure Dezision wieder aus Hegels System heraustreten.“ (Schnädelbach [2000]: Hegels ‚Enzyklopädie‘, 60)

Literatur Quellenliteratur Adorno, T. W. [1996]: Drei Studien zu Hegel, Gesammelte Werke hrsg. v. Rolf Tiedemann, Bd. 5, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Adorno, T. W. [1996]: Negative Dialektik, Gesammelte Werke hrsg. v. Rolf Tiedemann, Bd. 6, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Adorno, T. W. [2001]: Zur Lehre von der Geschichte und der Freiheit, Nachgelassene Schriften, Abteilung IV: Vorlesungen hrsg. v. Theodor W. Adorno Archiv, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Boethius [1988]: Contra Eutychen et Nestorium, In: Boethius (Hrsg.): Die fünf theologischen Traktate. Übersetzt von M. Elsässer, Hamburg: Meiner. Fichte, J. G. [1971]: Sonnenklarer Bericht an das größere Publikum über das eigentliche Wesen der neuesten Philosophie (1801), Fichtes Werke hrsg. v. Immanuel Herman Fichte, Bd. 2, Berlin: De Gruyter. Hegel, G. W. F. [1968]: Differenz des Fischte’schen und Schelling’schen Systems der Philosophie, Gesammelte Werke hrsg. v. Hartmut Buchner und Otto Pöggeler, Bd. 4, Hamburg: Meiner. Hegel, G. W. F. [1968]: Glauben und Wissen, Gesammelte Werke hrsg. v. Hartmut Buchner und Otto Pöggeler, Bd. 4, Hamburg: Meiner. Hegel, G. W. F. [1978]: Wissenschaft der Logik. Erster Band. Die objective Logik (1812), Gesammelte Werke hrsg. v. Friedrich Hogemann und Walter Jaeschke, Bd. 11, Hamburg: Meiner. Hegel, G. W. F. [1980]: Phänomenologie des Geistes, Gesammelte Werke hrsg. v. Wolfgang Bonsiepen und Reinhard Heede, Bd. 9, Hamburg: Meiner. Hegel, G. W. F. [1981]: Wissenschaft der Logik. Zweiter Band. Die subjektive Logik (1816), Gesammelte Werke hrsg. v. Friedrich Hogemann und Walter Jaeschke, Bd. 12, Hamburg: Meiner. Hegel, G. W. F. [1985]: Wissenschaft der Logik. Erster Teil. Die objektive Logik. Erster Band. Die Lehre vom Sein (1832), Gesammelte Werke hrsg. v. Friedrich Hogemann und Walter Jaeschke, Bd. 21, Hamburg: Meiner. Hegel, G. W. F. [1986]: Jenaer Systementwürfe I – Das System der spekulativen Philosophie. Fragmente aus Vorlesungsmanuskripten zur Philosophie der Natur und des Geistes, Werke hrsg. v. K. Düsing und H. Kimmerle, Hamburg: Meiner. Hegel, G. W. F. [1986]: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Werke in 20 Bänden Bd. 20, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Hegel, G. W. F. [1989]: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830). Dritter Teil. Die Philosophie des Geistes. Mit den mündlichen Zusätzen, Werke in 20 Bänden Bd. 10, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Hegel, G. W. F. [1989]: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830). Erster Teil. Die Wissenschaft der Logik. Mit den mündlichen Zusätzen, Werke in 20 Bänden Bd. 8, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Hegel, G. W. F. [1989]: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830). Zweiter Teil. Die Naturphilosophie. Mit den mündlichen Zusätzen, Werke in 20 Bänden Bd. 9, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Hegel, G. W. F. [1990]: Frühe Schriften, Werke in 20 Bänden Bd. 1, Frankfurt/M.: Suhrkamp. DOI 10.1515/9783110554328-012

318

Literatur

Hegel, G. W. F. [1990]: Jacobi-Rezension, Gesammelte Werke hrsg. v. Friedrich Hogemann und Christoph Jamme, Bd. 15, Hamburg: Meiner. Hegel, G. W. F. [1992]: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), Gesammelte Werke hrsg. v. Wolfgang Bonsiepen und Hans-Christian Lucas, Bd. 20, Hamburg: Meiner. Hegel, G. W. F. [1993]: Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse. Mit Hegels eigenhändigen Notizen und den mündlichen Zusätzen, Werke in 20 Bänden Bd. 7, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Hegel, G. W. F. [1999]: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Werke in 20 Bänden Bd. 12, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Hegel, G. W. F. [2009]: Grundlinien der Philosophie des Rechts, Gesammelte Werke hrsg. v. Klaus Grotsch und Elisabeth Weisser-Lohmann, Bd. 14/1, Hamburg: Meiner. Hegel, G. W. F. [2011]: Vorlesungen über die Philosophie des Geistes, Gesammelte Werke hrsg. v. Christoph Johannes Bauer, Bd. 25/2, Hamburg: Meiner. Heidegger, M. [2001]: Sein und Zeit, Tübingen: Niemeyer. Hoffmeister, J. [1969]: Briefe von und an Hegel, Hamburg: Meiner. Jacobi, F. H. [1815]: Jacobi’s auserlesener Briefwechsel, hrsg. v. F. Roth, Bd. 1, Leipzig: G. Fleischer. Jacobi, F. H. [1815]: Jacobi’s auserlesener Briefwechsel, hrsg. v. F. Roth, Bd. 2, Leipzig: G. Fleischer. Jacobi, F. H. [1998]: Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn (2. erw. Aufl. 1789), Werke hrsg. v. Klaus Hammacher und Walter Jaeschke, Bd. 1.1, Hamburg: Meiner/frommann-holzbog. Jacobi, F. H. [1998]: Vorbericht zu Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn (3. erw. Aufl. 1819), Werke hrsg. v. Klaus Hammacher und Walter Jaeschke, Bd. 1.1, Hamburg: Meiner/frommann-holzbog. Jacobi, F. H. [1998]: Wider Mendelssohns Beschuldigungen, betreffend die Briefe über die Lehre des Spinoza (1786), Werke hrsg. v. Klaus Hammacher und Walter Jaeschke, Bd. 1.1, Hamburg: Meiner/frommann-holzbog. Jacobi, F. H. [1998]: Woldemar, Werke hrsg. v. Klaus Hammacher und Walter Jaeschke, Bd. 7.1, Hamburg: Meiner/frommann-holzbog. Jacobi, F. H. [2000]: Von den Göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung (1811), Werke hrsg. v. Klaus Hammacher und Walter Jaeschke, Bd. 3, Hamburg: Meiner/frommann-holzbog. Jacobi, F. H. [2004]: David Hume über den Glauben oder Idealismus und Realismus. Ein Gespräch (1787), Werke hrsg. v. Klaus Hammacher und Walter Jaeschke, Bd. 2.1, Hamburg: Meiner/frommann-holzbog. Jacobi, F. H. [2004]: Einleitung in des Verfassers sämmtliche philosophische Schriften (1815), Werke hrsg. v. Klaus Hammacher und Walter Jaeschke, Bd. 2.1, Hamburg: Meiner/frommann-holzbog. Jacobi, F. H. [2004]: An Fichte, Werke hrsg. v. Klaus Hammacher und Walter Jaeschke, Bd. 2.1, Hamburg: Meiner/frommann-holzbog. Jacobi, F. H. [2007]: Zufällige Ergießungen eines einsamen Denkers in Briefen an vertraute Freunde, Werke, Kleine Schriften II. 1787 – 1817 hrsg. v. Klaus Hammacher und Walter Jaeschke, Bd. 5.1, Hamburg: Meiner/frommann-holzbog. Kant, I. [1968]: Kritik der reinen Vernunft, Kants Gesammelte Schriften hrsg. v. der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften Bd. 3, Berlin/New York: De Gruyter.

Forschungsliteratur

319

Kierkegaard, S. [20006]: Entweder – Oder, München: DTV. Schelling, F. W. J. [1812]: Denkmal der Schrift von den göttlichen Dingen etc. des Herrn Friedrich Heinrich Jacobi und der ihm in derselben gemachten Beschuldigung eines absichtlich täuschenden, Lüge redenden Atheismus, Tübingen: J. F. Cotta’schen Buchhandlung. Schlegel, F. [2007]: Schriften zur Kritischen Philosophie 1795 – 1805, hrsg. v. A. Arndt und J. Zovko, Hamburg: Meiner. Wolff, C. [1739]: Theologia naturalis, Officina Rengeriana.

Forschungsliteratur Historisches Wörterbuch der Philosophie [HWPh]. Ahlers, R. [2006]: Das Leben des Systems, In: Hegel-Jahrbuch. Ahlers, R. [2007]: Parallelismus und Transzendentalismus. Körper und autonomes Subjekt. Spinoza, Pascal und Jacobi, In: Christoph Asmuth (Hrsg.): Transzendentalphilosophie und Person. Leiblichkeit, Interpersonalität, Anerkennung, Bielefeld: Transcript Verlag. Althof, D. [2011]: Das Einzelne als das Andere des Begriffes. Hegels Einzelheit als Antwort auf Jacobi, In: Elisabeth Johanna Koehn, Daniela Schmidt, Johannes-Georg Schülein, Johannes Weiß und Paula Wojcik (Hrsg.): Andersheit um 1800. Figuren – Theorien – Darstellungsformen, Paderborn: Wilhelm Fink. Angehrn, E. [1977]: Freiheit und System bei Hegel, Berlin/New York: De Gruyter. Arndt, A. [1994]: Dialektik und Reflexion. Zur Rekonstruktion des Vernunftbegriffs, Paradeigmata Bd. 15, Hamburg: Meiner. Arndt, A. [1999]: ‚Neue Unmittelbarkeit‘. Zur Aktualisierung eines Konzepts in der Philosophie des Vormärz, In: W. Jaeschke (Hrsg.): Der Streit um die Romantik (1820 – 1854). Mit Texten von v. Eichendorff, Feuerbach, Fichte, Hegel, Heine, Schlegel u. a. und Kommentar, Hamburg: Meiner. Arndt, A. [2000]: Anfangende Reflexion, In: Andreas Arndt und Christian Iber (Hrsg.): Hegels Seinslogik. Interpretationen und Perspektiven, Berlin: Akademie Verlag. Arndt, A. [2004]: Mystizismus, Spinozismus und Grenzen der Philosophie. Jacobi im Spannungsfeld von F. Schlegel und Schleiermacher, In: Walter Jaeschke und Birgit Sandkaulen (Hrsg.): Friedrich Heinrich Jacobi. Ein Wendepunkt der geistigen Bildung der Zeit, Hamburg: Meiner. Arndt, A. [2006]: Die Subjektivität des Begriffes, In: A. Arndt, C. Iber und Günter Kruck (Hrsg.): Hegels Lehre vom Begriff, Urteil und Schluss, Berlin: Akademie Verlag. Arndt, A. [2009]: Leben, In: B. Sandkaulen, W. Jaeschke und Volker Gerhardt (Hrsg.): Gestalten des Bewußtseins. Genealogisches Denken im Kontext Hegels, Hamburg: Meiner. Arndt, A. [2012]: ‚Enthüllung der Substanz‘. Hegels Begriff und Spinozas dritte Erkenntnisart, In: Violetta Waibel (Hrsg.): Affektenlehre und amor Dei intellectualis. Die Rezeption Spinozas im Deutschen Idealismus, in der Frühromantik und in der Gegenwart, Hamburg: Meiner. Arndt, A. [2012]: Wer denkt absolut? Die absolute Idee in Hegels Wissenschaft der Logik, In: Revista Eletrônica Estudos Hegelianos 9 /16. Arndt, A. und Iber, C. (Hrsg.) [2000]: Hegels Seinslogik. Interpretationen und Perspektiven, Berlin: Akademie Verlag.

320

Literatur

Asmuth, C. [2007]: Negativität. Hegels Lösung der Systemfrage in der Vorrede der Phänomenologie des Geistes, In: Synthesis Philosophica 43 /1. Bartuschat, W. [2007]: Nur hinein, nicht heraus. Hegel über Spinoza, In: D. Heidemann und Chr. Krijnen (Hrsg.): Hegel und die Geschichte der Philosophie, Darmstadt. Baum, G. [1969]: Vernunft und Erkenntnis. Die Philosophie F.H. Jacobis, Bonn: Bouvier. Baum, M. [1986]: Die Entstehung der Hegelschen Dialektik, Bonn: Bouvier. Behler, E. [1995]: Die Konzeption der Individualität in der Frühromantik, In: T.S. Hoffmann und S. Majetschak (Hrsg.): Denken der Individualität: Festschrift für Josef Simon zum 65. Geburtstag, Berlin/New York: De Gruyter. Beiser, F. C. [1993]: Hegels Historicism, In: Frederick C. Beiser (Hrsg.): The Cambridge companion to Hegel, Cambridge (GB)/New York: Cambridge University Press. Binkelmann, C. [2007]: Theorie der praktischen Freiheit. Fichte – Hegel, Quellen und Studien zur Philosophie Bd. 82, Berlin/New York: De Gruyter. Binkelmann, C. [2011]: Leben – Zweifel – Wissen, In: Elena Ficara (Hrsg.): Die Begründung der Philosophie im Deutschen Idealismus, Würzburg: Königshausen & Neumann. Bollnow, O. F. [19662]: Die Lebensphilosophie F. H. Jacobis, Stuttgart: Kohlhammer. Bonsiepen, W. [1977]: Der Begriff der Negativität in den Jenaer Schriften Hegels, In: Hegel-Studien Beiheft 16. Bonsiepen, W. [2004]: Philosophie, Nicht-Philosophie und Unphilosophie, In: Birgit Sandkaulen und Walter Jaeschke (Hrsg.): Friedrich Heinrich Jacobi. Ein Wendepunkt der geistigen Bildung seiner Zeit, Hamburg: Meiner. Bowman, B. [2004]: Unendliche Bestimmtheit und wahrhafte Individualität in Hegels Logikentwurf von 1804/05, In: Hegel-Jahrbuch – Die Eigenbedeutung der Jenaer Systemkonzeptionen Hegels. Bowman, B. [2006]: Spinoza. Ausgangspunkt oder Endstation der Systemphilosophie?, In: Birgit Sandkaulen (Hrsg.): System und Systemkritik. Beiträge zu einem Grundproblem der klassischen deutschen Philosophie, Kritisches Jahrbuch der Philosophie hrsg. v. Klaus-MIchael Kodalle, Bd. 11, Würzburg: Königshausen & Neumann. Bowman, B. [2013]: The Metaphysics of Absolute Negativity, New York: Harvard University Press. Braitling, P. [1991]: Hegels Subjektivitätsbegriff. Eine Analyse mit Berücksichtigung intersubjektiver Aspekte, Epistemata Reihe Philosophie Bd. 99, Würzburg: Königshausen & Neumann. Bubner, R. [1980]: Zur Sache der Dialektik, Stuttgart: Reclam. Cobben, P. [1999]: Das endliche Selbst. Identität (und Differenz) zwischen Hegels Phänomenologie des Geistes und Heideggers Sein und Zeit, Würzburg: Königshausen & Neumann. Cramer, W. [1976]: Das Absolute und das Kontingente. Untersuchungen zum Substanzbegriff, Frankfurt/M.: Klostermann. Danz, C. [2011]: System und Leben bei Fichte und Schelling, In: Christian Danz und Jürgen Stolzenberg (Hrsg.): System und Systemkritik um 1800, Hamburg: Meiner. Drilo, K. [2003]: Leben aus der Perspektive des Absoluten. Perspektivenwechsel und Aneignung in der Philosophie Hegels, Würzburg: Königshausen & Neumann. Düsing, K. [1976]: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur

Forschungsliteratur

321

Dialektik, Hegel-Studien Beiheft hrsg. v. Walter Jaeschke und Ludwig Siep, Bd. 15, Bonn: Bouvier. Düsing, K. [1986]: Die Idee des Lebens in Hegels Logik, In: Rolf-Peter Horstmann und Michael John Petry (Hrsg.): Hegels Philosophie der Natur. Beziehungen zwischen empirischer und spekulativer Naturerkenntnis, Stuttgart: Klett-Cotta. Düsing, K. [1987]: Vernunfteinheit und unvordenkliches Daßsein. Konzeptionen der Überwindung negativer Theologie bei Schelling und Hegel, In: Karen Gloy und D. Schmidig (Hrsg.): Einheitskonzepte in der idealistischen und gegenwärtigen Philosophie, Bern: Lang. Düsing, K. [1990]: Endliche und Absolute Subjektivität. Untersuchungen zu Hegels philosophischer Psychologie und zu ihrer spekulativen Grundlegung, In: L. Eley (Hrsg.): Hegels Theorie des subjektiven Geistes in der ‚Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse‘, Stuttgart/Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog. Düsing, K. [1991]: Von der Substanz zum Subjekt. Hegels spekulative Spinoza-Deutung, In: Manfred Walther (Hrsg.): Spinoza und der deutsche Idealismus, Würzburg: Königshausen & Neumann. Düsing, K. [1999]: Die Entstehung des spekulativen Idealismus. Schellings und Hegels Wandlungen zwischen 1800 und 1801, In: Walter Jaeschke (Hrsg.): Der Streit um die Gestalt einer Ersten Philosophie (1799 – 1807), Hamburg: Meiner. Düsing, K. [2002]: Subjektivität und Freiheit. Untersuchungen zum Idealismus von Kant bis Hegel, Stuttgart/Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog. Düsing, K. [2004]: Von der Substanzmetaphysik zur Philosophie der Subjektivität. Zum Paradigmenwechsel Hegels in Jena, In: H. Kimmerle (Hrsg.): Die Eigenbedeutung der Jenaer Systemkonzeptionen Hegels, Berlin: Akademie Verlag. Emundts, D. [2012]: Erfahren und Erkennen. Hegels Theorie der Wirklichkeit, Frankfurt/M.: Klostermann. Falk, H.-P. [2002]: Die Wirklichkeit, In: Anton Friedrich Koch und Friedricke Schick (Hrsg.): G. W. F. Hegel: Wissenschaft der Logik, Klassiker Auslegen Bd. 27, Akademie Verlag. Fetzer, D. [2007]: Jacobis Philosophie des Unbedingten, Paderborn: Schöningh. Fichte, J. G. [1925]: Briefwechsel, hrsg. v. Hans Schulz, Bd. 2, Leipzig. Fichte, J. G. [1970]: Briefe 1793 – 1795, Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Reihe III hrsg. v. Reinhard Lauth und Hans Jacob, Bd. 2, Stuttgart: Frommann-Holzbog. Fulda, H. F. [1965]: Das Problem einer Einleitung in Hegels Wissenschaft der Logik, Frankfurt/M.: Vittorio Klostermann. Fulda, H. F. [1978]: Unzulängliche Bemerkungen zur Dialektik, In: Rolf-Peter Horstmann (Hrsg.): Seminar. Dialektik in der Philosophie Hegels, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Fulda, H. F. [1984]: Vorbegriff und Begriff von Philosophie bei Hegel, In: Dieter Henrich und Rolf-Peter Horstmann (Hrsg.): Hegels Logik der Philosophie. Religion und Philosophie in der Theorie des absoluten Geistes, Stuttgart: Klett-Cotta. Fulda, H. F. [1990]: Idee und vereinzeltes Subjekt in Hegels Enzyklopädie, In: Lothar Eley (Hrsg.): Hegels Theorie des subjektiven Geistes in der ‚Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse‘, Stuttgart: Frommann-Holzboog. Fulda, H. F. [2001]: Das endliche Subjekt der eigentlichen Metaphysik, In: Jürgen Stolzenberg (Hrsg.): Subjekt und Metaphysik. Konrad Cramer zu Ehren aus Anlass seines 65. Geburtstages, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

322

Literatur

Gamm, G. [1981]: Der Wahnsinn der Vernunft. Historische und erkenntniskritische Studien zur Dimension des Anders-Seins in der Philosophie Hegels, Bonn: Bouvier Verlag. Gamm, G. [1986]: Wahrheit als Differenz, Frankfurt/M.: Athenäum. Gamm, G. [1997]: Der deutsche Idealismus. Eine Einführung in die Philosophie von Fichte, Hegel, Schelling, Stuttgart: Reclam. Gawoll, H.-J. [1998]: Die Verwandlung der Unmittelbarkeit. Zu den Anfängen von Hegels Auseinandersetzung mit Jacobi, In: Hegel-Jahrbuch. Gawoll, H.-J. [1998]: Von der Unmittelbarkeit des Seins zur Vermittlung der Substanz. Hegels ambivalentes Verhältnis zu Jacobi, In: Hegel-Studien 33. Gawoll, H.-J. [1999]: Glauben und Positivität. Hegels frühes Verhältnis zu Jacobi, In: M. Bondeli und H. Linneweber-Lammerskitten (Hrsg.): Hegels Denkentwicklung in der Berner und Frankfurter Zeit, München: Wilhelm Fink Verlag. Gawoll, H.-J. [2000]: Der Ort des Wahren. Jacobis und Hegels Wissenschaft vom Sein, In: Andreas Arndt und Christian Iber (Hrsg.): Hegels Seinslogik. Interpretationen und Perspektiven, Berlin: Akademie Verlag. Gerhardt, V. [1999]: Selbstbestimmung das Prinzip der Individualität, Reclams Universal-Bibliothek Bd. 9761, Stuttgart: Reclam. Grießner, W. [2011]: Die Auflösung der Entgegensetzung von System und Leben im Element der Anerkennung, In: Christian Danz und Jürgen Stolzenberg (Hrsg.): System und Systemkritik um 1800, Hamburg: Meiner. Hackenesch, C. [1987]: Die Logik der Andersheit. Eine Untersuchung zu Hegels Begriff der Reflexion, Frankfurt/M.: Athenäum. Hackenesch, C. [1996]: Wer ist es, der urteilt? Zum aporetischen Geltungsanspruch von Individualität, In: Simone Dietz, Heiner Hastedt, Geert Keil und Anke Thyen (Hrsg.): Sich im Denken orientieren. Für Herbert Schnädelbach, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Hackenesch, C. [2001]: Selbst und Welt. Zur Metaphysik des Selbst bei Heidegger und Cassirer, Cassirer-Forschungen Bd. 6, Hamburg: F. Meiner. Hackenesch, C. [2002]: Der subjektive Geist. Hegels Begriff des Menschen, In: Hegel-Jahrbuch. Halbig, C., Quante, M. und Siep, L. [2001]: Direkter Realismus. Bemerkungen zur Aufhebung des alltäglichen Realismus bei Hegel, In: Ralph Schumacher (Hrsg.): Idealismus als Theorie der Repräsentation?, Paderborn: Mentis. Hammacher, K. [1969]: Kritik und Leben II. Die Philosophie Friedrich Heinrich Jacobis, München: Fink. Hammacher, K. [1971]: Jacobi und das Problem der Dialektik, In: Klaus Hammacher (Hrsg.): Friedrich Heinrich Jacobi. Philosoph und Literat der Goethezeit, Frankfurt/M. Hegel, G. W. F. [1952]: Brief an Hinrichs, In: Johannes Hoffmeister (Hrsg.): Briefe von und an Hegel, Bd. 2, Hamburg. Henrich, D. [1974]: Formen der Negation in Hegels Logik, In: Hegel-Jahrbuch. Henrich, D. [1978]: Hegels Logik der Reflexion. Neue Fassung, In: Dieter Henrich (Hrsg.): Die Wissenschaft der Logik und die Logik der Reflexion, Hegel-Studien Beiheft hrsg. v. Walter Jaeschke und Ludwig Siep, Bd. 18, Bonn: Bouvier. Henrich, D. [1982]: Logische Form und reale Totalität. Über die Begriffsform von Hegels eigentlichem Staatsbegriff, In: Dieter Henrich und Rolf-Peter Horstmann (Hrsg.): Hegels Philosophie des Rechts. Die Theorie der Rechtsformen und ihre Logik, Stuttgart: Klett-Cotta.

Forschungsliteratur

323

Henrich, D. [1989]: Die Anfänge der Theorie des Subjekts (1789), In: Axel Honneth, Thomas McCarthy, Claus Offe und Albrecht Wellmer (Hrsg.): Zwischenbetrachtungen. Im Prozeß der Aufklärung, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Henrich, D. [1992]: Der Grund im Bewußtsein, Stuttgart: Klett-Cotta. Henrich, D. [2001]: Andersheit und Absolutheit des Geistes. Sieben Schritte auf dem Weg von Schelling zu Hegel, In: Dieter Henrich (Hrsg.): Selbstverhältnisse, Stuttgart: Reclam. Henrich, D. [2003]: Erkundung im Zugzwang. Ursprung, Leistung und Grenzen von Hegels Denken des Absoluten, In: Klaus Vieweg und Wolfgang Welsch (Hrsg.): Das Interesse des Denkens – Hegel aus heutiger Sicht, München: Wilhelm Fink Verlag. Henrich, D. [2010]: Anfang und Methode der Logik, In: Dieter Henrich (Hrsg.): Hegel im Kontext, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Henrich, D. [2010]: Hegel und Hölderlin, In: Dieter Henrich (Hrsg.): Hegel im Kontext, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Henrich, D. [2010]: Historische Voraussetzungen von Hegels System, In: Dieter Henrich (Hrsg.): Hegel im Kontext, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Hirsch, W. [1993]: Der Mensch – Wer oder Was?, In: Klaus Held, Wolfgang Janke und Jochem Hennigfeld (Hrsg.): Kategorien der Existenz. Festschrift für Wolfgang Janke, Würzburg: Königshausen & Neumann. Hoffmeister, J. [1969]: Briefe von und an Hegel, Hamburg: Meiner. Höhn, G. [1971]: Die Geburt des Nihilismus und die Wiedergeburt des Logos. F.H. Jacobi und Hegel als Kritiker der Philosophie, In: Klaus Hammacher (Hrsg.): Friedrich Heinrich Jacobi. Philosoph und Literat der Goethezeit, Frankfurt/M. Horstmann, R.-P. [1980]: Über das Verhältnis von Metaphysik der Subjektivität und Philosophie der Subjektivität in Hegels Jenaer Schriften, In: Hegel-Studien Beiheft 20. Horstmann, R.-P. [1985]: Ontologischer Monismus und Selbstbewußtsein, In: Dieter Henrich (Hrsg.): All-Einheit. Wege eines Gedankens in Ost und West, Stuttgart: Klett-Cotta. Horstmann, R.-P. [1990]: Wahrheit aus dem Begriff. Eine Einführung in Hegel, Anton Hain Bd. Nr 6, Frankfurt/M.: Hain. Horstmann, R.-P. [1995]: Die Grenzen der Vernunft. Eine Untersuchung zu Zielen und Motiven des Deutschen Idealismus, Weinheim: Beltz Athenäum. Horstmann, R.-P. [2002]: Hegel über Unendlichkeit, Substanz, Subjekt. Eine Fallstudie zur Rolle der Logik in Hegels System, In: (Hrsg.): Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus (2003) / International Yearbook of German Idealism (2003), Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus Bd. 1, Berlin: De Gruyter. Horstmann, R.-P. [2006]: Hegels Ordnung der Dinge. Die ‚Phänomenologie des Geistes‘ als ‚transzendentalistisches‘ Argument für eine monistische Ontologie und seine erkenntnistheoretischen Implikationen, In: Hegel-Studien 41. Hösle, V. [1998]: Hegels System. Der Idealismus der Subjektivität und das Problem der Intersubjektivität, Hamburg: Meiner. Hutter, A. [2007]: Hegels Philosophie des Geistes, In: Hegel-Studien 42. Iber, C. [1990]: Metaphysik absoluter Relationalität. Eine Studie zu den beiden ersten Kapiteln von Hegels Wesenslogik, Berlin/New York: De Gruyter. Iber, C. [1999]: Subjektivität, Vernunft und ihre Kritik. Prager Vorlesungen über den Deutschen Idealismus, Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft Bd. 1412, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Iber, C. [2000]: Kleine Einführung in Hegels Logik, In: Andreas Arndt und Christian Iber (Hrsg.): Hegels Seinslogik. Interpretationen und Perspektiven, Berlin: Akademie Verlag.

324

Literatur

Iber, C. [2002]: Hegels Konzeption des Begriffs, In: Anton Friedrich Koch und Friedricke Schick (Hrsg.): G. W. F. Hegel: Wissenschaft der Logik, Klassiker Auslegen Bd. 27, Akademie Verlag. Iber, C. [2013]: Hegels Paradigmenwechsel vom Bewußtsein zum Geist, Hegel und die Phänomenologie des Geistes. Neue Perspektiven und Interpretationsansätze hrsg. v. Michael Gerten, Würzburg: Königshausen & Neumann. Iser, W. [1988]: Das Individuum zwischen Evidenzerfahrung und Uneinholbarkeit, In: Manfred Frank und Anselm Haverkamp (Hrsg.): Individualität, Poetik und Hermeneutik Bd. 13, München: W. Fink. Ivaldo, M. [2004]: Wissen und Leben. Vergewisserungen Fichtes im Anschluss an Jacobi, In: Birgit Sandkaulen und Walter Jaeschke (Hrsg.): Friedrich Heinrich Jacobi. Ein Wendepunkt in der geistigen Bildung der Zeit, Hamburg: Meiner. Ivaldo, M. [2011]: Wissen und Leben in Hinblick auf die Frage des ‚Systems‘. Jacobi und Fichte, In: Elena Ficara (Hrsg.): Die Begründung der Philosophie im Deutschen Idealismus, Würzburg: Königshausen & Neumann. Jaeschke, W. [1978]: Äußerliche Reflexion und immanente Reflexion. Ein Skizze der systematischen Geschichte des Reflexionsbegriffes in Hegels Logik-Entwürfen, In: Hegel-Studien 13. Jaeschke, W. (Hrsg.) [1993]: Der Streit um die Gestalt einer Ersten Philosophie (1799 – 1807), Hamburg: Felix Meiner Verlag. Jaeschke, W. (Hrsg.) [1994]: Religionsphilosophie und spekulative Theologie: Der Streit um die Göttlichen Dinge (1799 – 1812), Hamburg: Felix Meiner Verlag. Jaeschke, W. [1999]: Der Messias der spekulativen Vernunft, In: Klaus-MIchael Kodalle (Hrsg.): Fichtes Entlassung, Würzburg: Königshausen & Neumann. Jaeschke, W. [2003]: Hegel-Handbuch. Leben – Werk – Schule, Stuttgart/Weimar: Metzler. Jaeschke, W. [2004]: Eine Vernunft, welche nicht die Vernunft ist. Jacobis Kritik der Aufklärung, In: Walter Jaeschke und Birgit Sandkaulen (Hrsg.): Friedrich Heinrich Jacobi. Ein geistiger Wendepunkt in der Bildung seiner Zeit, Hamburg: Meiner. Jaeschke, W. [2008]: Die List der Vernunft, In: Hegel-Studien 43. Jaeschke, W. [2012]: Von der Vernunft zum Menschen, In: M. Wunsch (Hrsg.): Von Hegel zur Anthropologie. Gedenkband für C. Hackenesch, Würzburg: Königshausen & Neumann. Jamme, C. [2009]: Hegels Konzeption der Individualität in den Jugendschriften, In: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 34 /2. Jonkers, P. [2002]: The Importance of the Pantheism-Controversy for the Devlopment of Hegel’s Thought, In: Hegel-Jahrbuch. Jonkers, P. [2007]: F. H. Jacobi, ein ‚Galimathias‘ der spekulativen Vernunft? Einige Bemerkungen zu Hegels Jacobi-Deutungen in seinen Jenaer Schriften, In: D. Heidemann und Chr. Krijnen (Hrsg.): Hegel und die Geschichte der Philosophie Darmstadt. Kahlefeld, S. [2000]: Dialektik und Sprung in Jacobis Philosophie, Würzburg: Königshausen & Neumann. Kisser, T. [1998]: Selbstbewusstsein und Interaktion. Spinozas Theorie der Individualität, Würzburg: Königshausen & Neumann. Kobusch, T. [1993]: Die Entdeckung der Person. Metaphysik der Freiheit und modernes Menschenbild, Freiburg: Herder. Koch, A. F. [1990]: Subjektivtät in Raum und Zeit, Frankfurt/M.: Vittorio Klostermann.

Forschungsliteratur

325

Koch, A. F. [1999]: Die Selbstbeziehung der Negation in Hegels Logik, In: Zeitschrift für philosophische Forschung 53. Koch, A. F. [2004]: Unmittelbares Wissen und logische Vermittlung. Hegels Wissenschaft der Logik, In: Birgit Sandkaulen und Walter Jaeschke (Hrsg.): Friedrich Heinrich Jacobi. Ein Wendepunkt der geistigen Bildung der Zeit, Hamburg: Meiner. Koch, A. F. [2006]: Die Problematik des Übergangs von der Schlusslehre zur Objektivität, In: Andreas Arndt, Christian Iber und Günter Kruck (Hrsg.): Hegels Lehre vom Begriff, Urteil und Schluss, Berlin: Akademie Verlag. Koch, A. F. [2006]: Die Prüfung des Wissens als Prüfung ihres Maßstabs. Zur Methode der Phänomenologie des Geistes, In: J. Karásek, J. Kuneš und I. Landa (Hrsg.): Hegels Einleitung in die Phänomenologie des Geistes, Würzburg: Königshausen & Neumann. Koch, A. F. [2011]: Hegel: Die Einheit des Begriffes, In: J. Brachtendorf und J. Herzog (Hrsg.): Einheit und Vielheit als metaphysisches Problem, Tübingen: Mohr Siebeck. Koch, A. F. [2013]: Hegelsche Subjekte in Raum und Zeit, In: Anton Friedrich Koch (Hrsg.): Die Evolution des logischen Raumes. Aufsätze zu Hegels Nichtstandard-Metaphysik, Tübingen: Mohr Siebeck. Koch, O. [2013]: Individualität als Fundamentalgefühl. Zur Metaphysik der Person bei Jacobi und Jean Paul, Hamburg: Meiner. Kondylis, P. [1979]: Die Entstehung der Dialektik. Eine Analyse der geistigen Entwicklung von Hölderlin, Schelling und Hegel bis 1802, Stuttgart: Klett-Cotta. Krijnen, C. [2006]: Philosophie als System. Prinzipientheoretische Untersuchungen zum Systemgedanken bei Hegel, im Neukantianismus und in der Gegenwartsphilosophie, Würzburg: Königshausen & Neumann. Lau, C.-F. [2004]: Hegels Urteilskritik. Systematische Untersuchungen zum Grundproblem der spekulativen Logik, München: Fink. Lauth, R. [1989]: Jacobis Vorwegnahme romantischer Intentionen, In: Reinhard Lauth (Hrsg.): Transzendentale Entwicklungslinien von Descartes bis zu Marx und Dostojewski, Hamburg: Meiner. Lenk, H. [1968]: Kritik der logischen Konstanten, Berlin/New York: De Gruyter. Macherey, P. [1992]: Hegels idealistischer Spinoza, In: Manfred Walther (Hrsg.): Spinoza und der deutsche Idealismus, Würzburg: Königshausen & Neumann. Maimon, S. [1984 (org. 1792/93)]: Salomon Maimons Lebensgeschichte, Frankfurt/M.: Insel Verlag. Martine, B. J. [1984]: Individuals and Individuality, Albany. Marx, W. [1995]: Persönlichkeit und Kreis. Der Systemabschluß in der Konzeption Hegels, In: T.S. Hoffmann und S. Majetschak (Hrsg.): Denken der Individualität: Festschrift für Josef Simon zum 65. Geburtstag, Berlin/New York: De Gruyter. Melamed, Y. Y. [2010]: Acosmism or Weak Individuals? Hegel, Spinoza, and the Reality of the Finite, In: Journal of the History of Philosophy 48/1. Menke, C. [1992]: Der Wendepunkt des Erkennens. Zu Begriff, Recht und Reichweite der Dialektik in Hegels Logik, In: Christoph Demmerling und Friedrich Kambartel (Hrsg.): Vernunftkritik nach Hegel. Analytisch-kritische Interpretationen zur Dialektik, Frankfurt/M.: Surhkamp. Menke, C. [1996]: Trägodie im Sittlichen. Gerechtigkeit und Freiheit nach Hegel, Frankfurt/M.: Suhrkamp.

326

Literatur

Mensching, G. [1996]: Neuentdeckung des Individuationsprinzips im 13. Jh. bei Thomas von Aquin und Duns Scotus, In: Jan Aertsen und A. Speer (Hrsg.): Individuum und Individualität im Mittelalter, Berlin/New York. Mohr, G. [2001]: Der Begriff der Person bei Kant, Ficht und Hegel, In: D. Sturma (Hrsg.): Person. Philosophiegeschichte – theoretische Philosophie – praktische Philosophie, Paderborn: Mentis. Nagel, T. [1992]: Der Blick von Nirgendwo, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Nicolin, G. [1970]: Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen 1, Hamburg: Meiner. Nicolin, G. [1970]: Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen 2, Hamburg: Meiner. Otto, S. [2004]: Spinoza ante Spinozam? Jacobis Lektüre des Giordano Bruno im Kontext einer Begründung von Metaphysik, In: Walter Jaeschke und Birgit Sandkaulen (Hrsg.): Friedrich Heinrich Jacobi. Ein Wendepunkt der geistigen Bildung der Zeit, Hamburg: Meiner. Petzold, D. [2002]: Spinoza – Aufklärung – Idealismus. Die Substanz der Moderne, Assen: Koninklijke van Gorcum. Pinkard, T. [2003]: Objektivität und Wahrheit innerhalb einer subjektiven Logik, In: Anton Friedrich Koch, Alexander Oberauer und Konrad Utz (Hrsg.): Der Begriff als die Wahrheit. Zum Anspruch der Hegelschen ‚Subjektiven Logik‘, Paderborn: Ferdinand Schöningh. Pöggeler, O. [1973]: Die Komposition der Phänomenologie des Geistes, In: Hans Friedrich Fulda und Dieter Henrich (Hrsg.): Materialien zu Hegels ’Phänomenologie des Geistes’, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Prucha, M. [2000]: Seinsfrage und Anfang, In: Andreas Arndt und Christian Iber (Hrsg.): Hegels Seinslogik. Interpretationen und Perspektiven, Berlin: Akademie Verlag. Puntel, L. B. [1973]: Darstellung, Methode und Struktur. Untersuchungen zur Einheit der systematischen Philosophie G.W.F. Hegels, Bonn: Bouvier Verlag Herbert Grundmann. Quante, M. [1993]: Hegels Begriff der Handlung, Stuttgart- Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog. Quante, M. [2004]: Hegel’s concept of action, Cambridge: Cambridge University Press. Quante, M. [2004]: Natur. Setzung und Voraussetzung des Geistes, In: Barbara Merker, Georg Mohr und Michael Quante (Hrsg.): Subjektivität und Anerkennung, Paderborn: Mentis-Verl. Quante, M. [2005]: Die Persönlichkeit des Willens als Prinzip des abstrakten Rechts. Eine Analyse der begriffslogischen Struktur der §§ 34 – 40 von Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts, In: Ludwig Siep (Hrsg.): G. W. F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, Klassiker Auslegen Bd. Band 9, Berlin: Akademie Verlag. Rhonheimer, M. [2001]: Die Perspektive der Moral. Philosophische Grundlagen der Tudendethik, Berlin: Akademie Verlag. Ritter, J. [2005]: Person und Eigentum. Zu Hegels ‚Grundlinien der Philosophie des Rechts‘ §§ 34 bis 81 (1961), In: Ludwig Siep (Hrsg.): G. W. F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts Bd. Bd. 9, Berlin: Akademie Verlag. Rosenkranz, K. [1844]: Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Leben, Berlin: Duncker und Humblot. Rühle, V. [1989]: Jacobi und Hegel. Zur Darstellungs- und Mitteilungsproblematik einer Philosophie des Absoluten, In: Hegel-Studien 24. Rühle, V. [1989]: Verwandlung der Metaphysik. Zur systematischen Darstellung des Absoluten bei Hegel, Fink. Rühle, V. [2006]: Die Zeitlichkeit des Absoluten. Formproblematik und Unbedingtheit spekulativer Erfahrungsprozesse, In: Jindrich Krasek, Jan Kunes und Ivan Landa (Hrsg.):

Forschungsliteratur

327

Hegels Einleitung in die Phänomenologie des Geistes, Würzburg: Königshausen & Neumann. Sandkaulen, B. [2000]: Grund und Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis, München: Fink. Sandkaulen, B. [2001]: Bruder Henriette? Derrida und Jacobi: Dekonstruktion der Freundschaft, In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 49 /5. Sandkaulen, B. [2002]: ‚Was geht auf dem langen Wege vom Geist zum System nicht alles verloren‘. Problematische Transformationen in der klassischen deutschen Philosophie, In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 50/3. Sandkaulen, B. [2004]: Das Nichtige in seiner ganzen Länge und Breite. Hegels Kritik der Reflexionsphilosophie, In: Hegel-Jahrbuch. Sandkaulen, B. [2004]: Daß, was oder wer? Jacobi im Diskurs über Personen, In: Walter Jaeschke und Birgit Sandkaulen (Hrsg.): Friedrich Heinrich Jacobi. Ein Wendepunkt der geistigen Bildung der Zeit, Hamburg: Meiner. Sandkaulen, B. [2006]: Spinoza zur Einführung. Fichtes Wissenschaftslehre von 1812, In: Fichte-Studien 30. Sandkaulen, B. [2006]: System und Systemkritik. Überlegungen zur gegenwärtigen Bedeutung eines fundamentalen Problemzusammenhangs, In: Birgit Sandkaulen (Hrsg.): System und Systemkritik. Beiträge zu einem Grundproblem der klassischen deutschen Philosophie, Kritisches Jahrbuch der Philosophie Bd. 11, Würzburg: Königshausen & Neumann. Sandkaulen, B. [2007]: Das ‚leidige Ding an sich‘. Kant – Fichte – Jacobi, In: J. Stolzenberg (Hrsg.): Kant und der Frühidealismus, System der Vernunft. Kant und der deutsche Idealismus. Kant-Forschungen Bd. 17, Hamburg: Meiner. Sandkaulen, B. [2008]: Die Ontologie der Substanz, der Begriff der Subjektivität und die Faktizität des Einzelnen. Hegels reflexionslogische ‚Widerlegung‘ der Spinozanischen Metaphysik, In: Karl Ameriks und Jürgen Stolzenberg (Hrsg.): Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus (2007) / International Yearbook of German Idealism (2007), Berlin/New York: De Gruyter. Sandkaulen, B. [2008]: Wie geistreich darf Geist sein? Zu den Figuren von Geist und Seele im Denken Jacobis, In: Edit Düsing und Hans-Dieter Klein (Hrsg.): Geist und Psyche. Klassische Modelle von Platon bis Freud und Damsio, Würzburg: Königshausen & Neumann. Sandkaulen, B. [2009]: Fürwahrhalten ohne Gründe. Eine Provokation philosophischen Denkens, In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 57 /2. Sandkaulen, B. [2009]: Wissenschaft und Bildung. Zur konzeptionelle Problematik von Hegels ‚Phänomenologie des Geites‘, In: Volker Gerhardt, Walter Jaeschke und Birgit Sandkaulen (Hrsg.): Gestalten des Bewußtseins. Genealogisches Denken im Kontext Hegels, Hegel-Studien Beiheft hrsg. v. Walter Jaeschke und Ludwig Siep, Bd. 52, Hamburg: Meiner. Sandkaulen, B. [2010]: Dritte Stellung des Gedankens zur Objektivität: Das unmittelbare Wissen, In: Alfred Denker, Annette Sell und Holger Zaborowski (Hrsg.): G. W. F. Hegel, Der ‚Vorbegriff‘ zur Wissenschaft der Logik in der Enzyklopädie von 1830, Freiburg: Alber. Sandkaulen, B. [2010]: System und Leben, In: Olaf Breidbach und Hartmut Rosa (Hrsg.): Laboratorium Aufklärung, München: Wilhelm Fink. Sandkaulen, B. [2011]: Denken und Nachdenken. Zum Philosophiekonzept Hegels im Kontext der Frage nach ‚Transdisziplinarität‘, In: Elena Ficara (Hrsg.): Die Begründung der Philosophie im Deutschen Idealismus, Würzburg: Köngishausen & Neumann.

328

Literatur

Sandkaulen, B. [2011]: Die Seele ist der existierende Begriff. Herausforderungen philosophischer Anthropologie, In: Hegel-Studien 45. Sandkaulen, B. [2011]: Ichheit und Person. Zur Aporie der Wissenschaftslehre in der Debatte zwischen Fichte und Jacobi, In: Christian Danz und Jürgen Stolzenberg (Hrsg.): System und Systemkritik um 1800, Hamburg: Meiner. Sandkaulen, B. [2012]: ‚Ewige Zeit‘. Die Ontologie Spinozas in der Diskussion zwischen Jacobi und Hegel, In: Guiseppe D’Anna (Hrsg.): Ontologia e temporalita, Spinozana Bd. 18, Milano. Sandkaulen, B. [2012]: ‚Individuum est ineffabile‘. Zum Problem der Konzeptualisierung von Individualität im Ausgang von Leibniz, In: Wilhelm Gräb und Lars Charbonnier (Hrsg.): Individualität. Genese und Konzeption einer Leitkategorie humaner Selbstdeutung, Berlin. Sandkaulen, B. [2013]: Jacobis ‚Spinoza und Antispinoza‘, In: Philosophia OSAKA/8. Sandkaulen, B. [2013]: Würde – einige Diskontinuitäten zwischen Kant und der nachkantischen Philosophie, In: Stefan Lang und Lars-Thade Ulrichs (Hrsg.): Subjektivität und Autonomie. Praktische Selbstverhältnisse in der klassischen deutschen Philosophie, Berlin/Boston: De Gruyter. Sandkaulen, B. [2015]: Letzte oder erste Fragen? Zum Bedürfnis nach Metaphysik in einer Skizze zu Kant und Jacobi, In: Markus Gabriel, Wolfram Hogrebe und Andreas Speer (Hrsg.): Das neue Bedürfnis nach Metaphysik, Berlin/New York: De Gruyter. Sandkaulen, B. [2016]: „Ich bin und es sind Dinge außer mir“. Jacobis Realismus und die Überwindung des Bewusstseinsparadigmas, In: Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus / International Yearbook of German Idealism 11 /2013. Schalhorn, C. [2004]: Hegels Jenaer Begriff des Selbstbewusstseins (1801 – 1805/06), In: H. Kimmerle (Hrsg.): Die Eigenbedeutung der Jenaer Systemkonzeptionen, Berlin: Akademie Verlag. Schick, F. [1994]: Hegels Wissenschaft der Logik: Metaphysische Letztbegründung oder Theorie logischer Formen?, Freiburg/München: Verlag Karl Alber. Schick, S. [2006]: Vermittelte Unmittelbarkeit. Jacobis Salto mortale als Konzept der Aufhebung des Gegensatzes von Glaube und Spekulation in der intellektuellen Anschauung der Vernunft, Würzburg: Königshausen & Neumann. Schnädelbach, H. [2000]: Das System, In: H. Drüe (Hrsg.): Hegels ‚Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften‘, Hegels Philosophie. Kommentare zu den Hauptwerken hrsg. v. Herbert Schnädelbach, Bd. 3, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Schumacher, N. [2003]: Friedrich Heinrich Jacobi und Blaise Pascal: Einfluss, Wirkung, Weiterführung, Würzburg: Königshausen & Neumann. Sell, A. [2013]: Der lebendige Begriff. Leben und Logik bei G. W. F. Hegel, Freiburg/München: Karl Alber. Siep, L. [1990]: Leiblichkeit, Selbstgefühl und Personalität in Hegels Philosophie des Geistes, In: Lothar Eley (Hrsg.): Hegels Theorie des subjektiven Geistes in der ‚Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse‘, Stuttgart: Frommann-Holzboog. Siep, L. [1992]: Personbegriff und praktische Philosophie bei Locke, Kant und Hegel, In: Ludwig Siep (Hrsg.): Praktische Philosophie im Deutschen Idealismus, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Siep, L. [1995]: Individuality in Hegel’s Phenomenology of Spirit, In: Karl Ameriks (Hrsg.): The modern Subject. Conceptions of the Self in classical German Philosophy, New York. Siep, L. [2000]: Der Weg der ‚Phänomenologie des Geistes‘. Ein einführender Kommentar zu Hegels ‚Differenzschrift‘ und zur ‚Phänomenologie des Geistes‘, Hegels Philosophie.

Forschungsliteratur

329

Kommentare zu den Hauptwerken hrsg. v. Herbert Schnädelbach, Bd. 1, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Sobotka, M. [2000]: Hegels Abhandlung ‚Womit muß der Anfang der Wissenschaften gemacht werden?‘ und Reinholds ‚Beyträge‘, In: Andreas Arndt und Christian Iber (Hrsg.): Hegels Seinslogik. Interpretationen und Perspektiven, Berlin: Akademie Verlag. Spahn, C. [2007]: Lebendiger Begriff – begriffenes Leben. Zur Grundlegung der Philosophie des Organischen bei G. W. F. Hegel, Epistemata : Reihe Philosophie Würzburg: Königshausen & Neumann. Stederoth, D. [2001]: Hegels Philosophie des subjektiven Geistes. Ein komparatorischer Kommentar, Hegel-Forschungen hrsg. v. Andreas Arndt, Karol Bal und Henning Ottmann, Berlin: Akademie-Verlag. Stolzenberg, J. und Danz, C. (Hrsg.) [2011]: System und Systemkritik um 1800, Hamburg: Meiner. Strauß, C. [1996]: Singularität des Individuums. Eine begriffsgeschichtliche Problemskizze, In: Jan Aertsen und A. Speer (Hrsg.): Individuum und Individualität im Mittelalter, Berlin/New York. Sturma, D. [1997]: Philosophie der Person. Die Selbstverhältnisse von Subjektivität und Moralität, Paderborn: Schöningh. Theunissen, B. [2104]: Hegels „Phänomenologie“ als metaphilosophische Theorie. Hegel und das Problem der Vielfalt philosophischer Theorien. Eine Studie zur systemexternen Rechtfertigungsfunktion der „Phänomenologie des Geistes“, Hegel-Studien. Beiheft Hamburg: Meiner. Theunissen, M. [1978]: Begriff und Realität, In: Rolf-Peter Horstmann (Hrsg.): Seminar, Dialektik in der Philosophie Hegels, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Theunissen, M. [1994]: Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Theunissen, M. [19772]: Der Andere. Studien zur Sozialontologie der Gegenwart, Berlin/New York: De Gryter. Tikal, A. [2012]: Leben als absolute Erkenntnis. Zum philosophischen Anspruch Hegels an der Schwelle zum System, Fink. Timm, H. [1971]: Die Bedeutung der Spinozabriefe für die Entwicklung der idealistischen Religionsphilosophie, In: Klaus Hammacher (Hrsg.): Friedrich Henrich Jacobi. Philosoph und Literat der Goethezeit, Frankfurt/M.: Klostermann. Timm, H. [1974]: Gott und die Freiheit. Studien zur Religionsphilosophie der Goethezeit, Bd. 1, Frankfurt/M.: Vittorio Klostermann. Utz, K. [2001]: Die Notwendigkeit des Zufalls, Paderborn: Schöningh. Utz, K. [2006]: Alles Vernünftige ist ein Schluss. Zur Bedeutung der Hegelschen Schlusslehre für das spekulative Denken, In: Andreas Arndt, Christian Iber und Günter Kruck (Hrsg.): Hegels Lehre vom Begriff, Urteil und Schluss, Berlin: Akademie Verlag. Villa, D. [2008]: Hegel, Tocqueville, and ‚Individualism‘, In: Dana Vialla (Hrsg.): Public Freedom, Princton/Oxford: Princton University Press. Vos, L. D. [2007]: Hegel und Jacobi (ab 1807), In: D. Heidemann und Chr. Krijnen (Hrsg.): Hegel und die Geschichte der Philosophie, Darmstadt. Wald, B. [1996]: rationabilis naturae individua substantia – Aristoteles und der Begriff der Peson im Mittelalter, In: Jan Aertsen und A. Speer (Hrsg.): Individuum und Individualität im Mittelalter, Berlin/New York.

330

Literatur

Wohlfart, G. [1981]: Der spekulative Satz: Bemerkungen zum Begriff der Spekulation bei Hegel, Berlin/New York: De Gruyter. Zantwijk, T. v. [2002]: Schellings Polemik gegen Reinhold und Hegels Kritik an Jacobi. Die Entdeckung epistemischer Kontexte im Kritischen Journal der Philosophie, In: Klaus Vieweg (Hrsg.): Gegen das ‚unphilosophische Unwesen‘, Würzburg: Königshausen & Neumann. Zoeppritz, R. (Hrsg.) [1869]: Aus F. H. Jacobi’s Nachlaß. Ungedruckte Briefe von und an Jacobi und Andere, Leipzig.

Sachregister absolute Negativität 9, 76 – 79, 98, 100, 130, 135 f., 149 f., 153, 155, 157 f., 186, 196, 201, 211, 223, 229, 233, 236, 243, 262 f., 267, 269 – 271, 275 f., 278 f., 281 – 283, 294, 306 f., 309 absolutes Subjekt 9, 53, 58, 69, 75 f., 78, 102, 104 f., 112, 119, 126, 157, 229, 240, 277, 291 Andersheit 9, 54, 64, 77, 79, 83, 105 – 107, 110, 112, 114 f., 117 – 119, 125, 158, 162, 180, 212, 221, 230, 234, 248, 285, 289 Bewusstsein 7, 32, 41, 49 – 51, 53, 61, 72, 80, 82, 84 – 87, 105, 169, 176, 180, 187, 198, 213 f., 218, 233, 236, 238, 243, 245, 252, 278, 302, 304 Dasein 7, 12, 19 – 22, 24, 28 – 30, 33, 36 f., 41, 53, 63 f., 105, 115, 127, 141, 146 f., 152, 154, 160 f., 168, 176, 181 f., 187 f., 195, 198 – 200, 209, 213, 215, 217 f., 220, 234, 238 f., 244, 250 f., 253 – 255, 258, 262, 266, 268, 303, 313 Einzelheit 52, 62, 102, 112, 119 f., 131, 134 f., 137, 143, 149, 157, 160 – 162, 181, 188, 191, 193, 195, 211, 215, 221, 229, 232 f., 245 f., 248 – 251, 253 – 255, 258, 260 f., 270, 273 f., 276, 290, 293, 295, 301 Einzelner/Einzelnes 6, 24, 28, 54, 62 f., 78 f., 96, 130 – 132, 134 – 136, 139, 142, 157 f., 160 f., 166, 171, 203, 206 f., 211, 230 – 233, 236 f., 239, 242, 244 f., 248 – 250, 252 f., 256, 259 – 263, 265 f., 269 – 271, 273, 275 f., 289 f., 294 – 296, 299, 307, 310, 313 – 315 Endliches 15, 20 f., 28 f., 43, 50 f., 53 – 55, 57, 60, 62, 64 f., 74 f., 79, 94, 107, 137 – 143, 151, 153, 242 f., 249, 275 f., 291, 294, 296 f., 306 f. Endlichkeit 50 – 52, 64, 74, 96 f., 137 – 140, 142 f., 152, 155, 161, 228, 234, 243, 249, 251, 264 f., 275, 293, 297, 303, 305

Entzug 15, 38, 42, 49, 63, 147 f., 171, 179, 189, 197, 205 – 207, 215, 249, 272, 289, 305, 315 Erfahrung 27, 32 f., 39, 41, 53, 70 f., 83 f., 110, 124, 126, 132, 164 – 166, 168, 173 – 176, 178, 187, 190 f., 193 – 195, 198, 205, 211 – 214, 219 f., 225, 256, 259, 262, 274, 276, 278, 286 f., 290, 297, 302, 304 f., 307, 312 f. Existenz 15, 21 – 24, 26, 29, 38, 42 f., 111, 116, 131, 147 f., 151, 153, 171, 177, 182, 196, 204, 208, 210, 213, 216, 218, 222, 228, 231 f., 239 f., 252, 254, 256, 258, 264, 266, 286 f., 291, 301, 303, 305, 310, 313 Freiheit 6 f., 26, 28 f., 33, 36, 38, 40 – 42, 48, 54 f., 57, 60 f., 63 f., 66, 68 f., 71, 83, 105, 110 f., 115, 131, 136, 148, 155, 163 f., 166, 168 f., 172, 179, 190, 196, 202 – 204, 206, 209 – 211, 216, 220 f., 229, 235, 240, 243 – 245, 275 – 278, 281 f., 287 f., 291, 294, 296 f., 300, 302, 304, 309, 311, 315 Geist 7, 14 – 17, 26, 29, 39, 42, 45 f., 52 – 54, 56 – 58, 63, 66, 68 f., 73, 75 – 79, 86, 90, 105, 110, 112 – 114, 124 f., 141, 149, 153, 158, 160, 171, 184, 188, 191, 200 – 202, 206 f., 209 – 211, 215 – 217, 219, 290, 295, 299 f., 316 Geschichte 3, 45, 60, 77, 127, 136, 155, 188, 193, 208, 213, 216 f., 230, 280, 294, 310 Glaube 6, 14, 17, 38, 53, 55 f., 60, 73, 97, 128 f., 133, 164 f., 169, 171 f., 174 f., 183, 185, 196 – 198, 200, 202 f., 205, 261, 264, 275, 278, 282 f., 287, 311 f., 316 Gott 7, 13, 15, 29 f., 38, 40 – 42, 44, 46, 51, 57 f., 73 f., 76, 88, 103, 113, 149, 153, 155, 171, 180, 185 f., 197, 202 f., 206, 211, 217, 224, 269, 282, 287, 307, 313, 316 Handlung 262

183 – 187, 204, 209, 216, 218,

332

Sachregister

Idee

9, 51, 58, 68, 76, 80, 83, 87, 95, 98, 105 f., 108, 112, 114, 118, 124 – 128, 131 f., 152, 155, 160, 162, 174, 180 f., 191, 195, 210 f., 213, 221 – 223, 225 f., 228 f., 232 – 234, 238, 243, 250, 256, 260, 264 f., 269, 272, 274, 276 – 279, 284, 287, 291, 297, 299, 301, 305 f. Individualität 6, 13 – 15, 20, 28, 42, 48, 59, 62 f., 67 f., 77, 79, 102, 119 f., 135, 137, 148, 153 f., 157, 196, 198, 209, 212, 215, 219 – 221, 224, 229 f., 232 f., 237 – 239, 241, 248, 252, 259, 261 – 263, 268, 274, 277, 288, 295, 300 – 302, 304 – 307, 309, 312, 315 Individuum 24, 27, 29, 43, 58, 61 – 65, 68, 79, 127, 132, 134 f., 150, 154 – 160, 165, 190, 205, 211, 214 f., 221 f., 225, 228, 231 – 233, 237, 239, 241 f., 248 – 250, 252, 274, 278 f., 285, 288, 291, 295, 297, 299 – 301, 303, 305, 307, 310 f. Irrationalismus 14, 33, 39, 170, 173, 182, 210, 262, 304 Jemeinigkeit 28, 165, 172 f., 190, 192 f., 220 f., 224, 229, 239, 248, 283, 289, 291, 293, 299, 301, 305, 307, 309, 314 Leben 2, 6, 14, 27 f., 41 f., 46, 49, 59, 68, 76, 78, 92, 110, 116, 123 – 125, 127 f., 131, 153, 158, 162, 173, 185, 188, 190, 198, 200 f., 207, 210, 231, 239, 244, 258, 260, 264 f., 277, 285, 288, 290, 301, 306, 309 f., 315 Moduswechsel 95, 165, 169, 173, 187, 190, 194, 197 – 200, 202, 207, 211, 220, 224, 285, 287, 290, 302, 304, 310 Negation 51 f., 63, 66, 68, 77, 166, 175, 177 f., 197, 235, 274, 298, 309 Negation der Negation 51, 137, 147, 150 – 152, 178, 235 Negativität 50, 52, 63, 66, 68 f., 71 – 73, 92, 136 f., 142 – 145, 149 f., 153, 157 f., 177 f., 221, 231, 260, 267, 270, 277, 280 – 282, 288, 294, 296, 298, 307

Notwendigkeit 15, 24 f., 39, 43, 45, 56 f., 66, 82, 90 f., 107, 119, 122, 130, 140, 156 – 159, 162 f., 165 – 167, 180, 185 f., 204, 214, 226, 229 f., 248, 253 f., 257, 266, 279, 292 – 296, 301 Performanz 165, 173, 175 – 177, 220, 254, 308 Person 6, 14 f., 27 f., 41 f., 48, 57, 75 f., 79, 104, 139, 158, 160, 163 f., 221, 224, 229, 236, 238 f., 245, 262 – 264, 272 – 274, 278, 282 f., 297, 299 Persönlichkeit 57, 61, 68, 76 – 78, 153, 158 f., 181, 199, 206, 210, 231, 261, 282 f., 314 Prozessualität 1, 49, 58, 126 f., 172 – 174, 179, 200 f., 205 f., 249, 251, 257, 259, 274 Salto mortale 3, 14, 38, 44, 164, 167, 172, 273 Selbstbewusstsein 28, 53, 63, 78, 85, 183, 197 – 199, 233, 243 – 245, 251, 254, 260, 265, 278, 301, 304, 306, 312 Selbstbezüglichkeit 52 f., 62, 78, 89, 93, 130 f., 137, 139, 142 – 146, 148 – 150, 178, 223, 232, 237 f., 240, 244, 247, 251 – 253, 256, 261, 264, 278 f., 298 Singularität 173, 192 f., 200, 213, 216 f., 230, 252, 263, 287, 291, 300, 305 Spekulation 6, 9 f., 28, 32, 35, 37 f., 40, 43, 49, 52, 56, 58 f., 67, 69, 72, 75, 77 – 79, 167, 169, 171, 178, 186, 192 – 194, 203, 206 f., 211, 221, 225 f., 231, 235, 243, 248, 250, 259, 262, 264, 267, 269 f., 276 f., 279, 284 f., 288 – 290, 292, 298, 306, 308, 310, 312 – 314, 316 Spinoza/Antispinoza 2, 11, 13, 15, 18, 27 f., 39, 41, 54, 56, 58 – 60, 162 f., 176, 288 Spinoza-Kritik 5, 8 f., 18, 59, 62, 68, 102 f., 113, 143, 287, 302 Sprung 7, 10, 16 f., 39 f., 43, 68 f., 74 f., 77 f., 92, 104, 126, 158, 162, 204, 220, 262, 274, 286, 307, 313, 315 Subjekt 6, 24, 49 f., 52, 62, 65 – 67, 69, 77 f., 103 f., 110 – 112, 119 – 121, 123 f., 126 f., 132, 153, 155, 157 f., 174, 191 f.,

Sachregister

194 f., 207 f., 211, 214, 218 f., 222, 232, 236, 244 f., 247, 249 – 251, 255, 257 – 259, 264 f., 278 f., 281, 305 f., 310 f., 316 Subjektivität 9, 51 f., 58, 62, 72, 76 – 78, 87 f., 136 f., 139, 153, 157, 191, 194 f., 201, 211, 221 – 223, 232, 240, 247, 249, 251, 253, 256, 259 – 262, 264 f., 276 – 279, 292, 294, 298, 304, 306, 310 Subjektmetaphysik 78, 98, 218 Substanz 13, 18 f., 22, 24 f., 29, 38, 76 – 79, 82, 87 f., 96, 103 f., 110 – 113, 118 f., 122, 125, 128, 132, 138, 142 f., 149, 158 f., 174, 179, 191, 199, 210, 230, 234 f., 240, 245, 251, 256, 258, 262, 264, 269 f., 274, 276, 278, 281 f., 294 – 296, 300, 307 Substanzmetaphysik 2, 4, 9, 13, 39, 59, 78, 93, 103, 128, 153, 161, 203, 221, 287, 295, 299, 313 Systemkritik 1 – 6, 8, 10, 12, 15, 36, 40, 48, 69, 79, 122, 156, 170, 183, 189, 202, 204, 206, 220 f., 230 f., 247, 281, 287, 303 Unbedingtes 12, 15 f., 33 f., 58, 60, 63, 74, 91 f., 102 – 104, 122, 126, 128 f., 147, 156 f., 168 f., 172, 176, 180 – 182, 184 – 186, 191, 197 f., 273, 291, 297, 307 unendlicher Begriff 11, 58, 72, 80, 83, 91 – 93, 103 f., 110, 128, 136 Unendliches 19 f., 46, 49 – 51, 70, 74 f., 79, 96, 102, 179, 181, 231, 243, 249, 251, 291, 295, 297, 307 Unendlichkeit 23, 25, 30, 48, 50 – 52, 57, 65, 148, 151 f., 203, 228 f., 232 f., 235, 242 f., 249, 273, 300 Unmittelbarkeit 6 f., 14, 17, 27, 34, 37, 40 – 42, 47, 54, 89 f., 93, 96 f., 99, 103 f., 107 – 109, 113 f., 117, 126 f., 131, 136, 138, 187, 190 f., 197 f., 202, 207, 209 f., 219, 222 f., 231 f., 259, 261, 263, 274, 300, 303, 308, 312 Unphilosophie 12, 16 – 18, 28, 31, 40 f., 56, 69, 72, 75, 78 f., 139, 157 f., 162, 221, 239, 254, 264, 274 f., 279 – 283, 286 – 289, 302, 304, 307, 313, 315

333

Ursache 14, 18, 20, 25, 32 f., 40 f., 94, 133, 151, 163, 180 f., 185 f., 193, 197, 203, 213, 275, 287, 314 Vermittlung 6 f., 12, 33, 37, 47 f., 52, 57, 70, 72 – 74, 76 f., 93, 97, 99, 103, 106, 108, 112, 114 f., 117 – 119, 124 f., 127, 130 f., 138, 140, 143, 148, 152, 154, 156, 164, 167, 171, 173 f., 177, 181, 186, 191 f., 194, 203, 207, 210, 212, 216, 223, 236, 247, 249, 261 f., 270, 274, 276, 282 f., 286 f., 289, 297 f., 301, 307 Vernunft 6, 24, 29, 40 f., 43, 48, 50 f., 54, 56, 63, 71, 75 f., 85, 92, 94, 96 f., 123, 133, 135, 137, 139, 158, 162, 164 f., 168, 171, 173 f., 177, 180 f., 184, 187, 191, 198, 217, 219, 225, 230, 246 f., 249, 258, 269, 271, 282 – 284, 287, 290, 295, 300, 304, 306, 311, 313, 316 Verstand 14, 16, 25, 31, 42 f., 48 f., 56, 61, 64, 74 – 76, 94 – 97, 100, 124 f., 133, 137, 162, 168 f., 171, 174, 176, 182, 184, 186, 192, 198, 202 f., 206, 246, 273, 282, 306 Wahres 14 f., 32, 37, 39, 43, 50, 53, 56, 58, 63 f., 67 f., 70, 74 – 77, 84 – 87, 91 – 93, 101, 118 f., 140, 166, 169, 171 f., 174, 178 f., 182 f., 192, 205 f., 214, 269, 272, 278, 291 Wahrheit 16, 19, 27, 30, 32, 36, 39, 43 f., 51, 58, 63, 99, 104, 108, 111 f., 118 f., 123, 128, 138, 141, 152, 158 – 160, 162, 169, 176, 178, 186, 188 f., 192, 194, 203, 217, 219, 221, 224 f., 231, 235 – 237, 239, 243, 246, 248 f., 265, 269, 272 f., 277, 280, 282, 286, 290, 293, 299 – 301, 308, 316 Wer-Identität 165, 212, 224, 229, 251, 272 – 274, 279, 283, 301, 303, 306 f., 310 Widerspruch 12, 19, 21, 35, 48, 57 f., 60, 62, 97, 99 – 101, 107, 110, 120, 124, 140, 144, 147, 150, 163, 170 f., 175, 181, 187, 190, 192, 194 f., 213, 224 f., 230, 244 f., 258, 261, 263 f., 277, 279 f., 283 f., 291, 296, 305, 309

334

Zeit

Sachregister

3, 6, 12 – 14, 32 f., 38, 43, 47 f., 53, 55, 57, 110, 136, 160, 162, 178 f., 184, 190 – 192, 194, 199, 201, 213, 216, 225, 228,

230, 237, 258, 264, 266, 271 – 273, 275, 288, 310