Syntax-Theorie: Ein zusammengefasster Zugang [Reprint 2013 ed.] 9783110935721, 9783484220553

This volume is an introduction to the two most influential versions of syntactic theory to have emerged during the last

158 75 10MB

German Pages 429 [432] Year 1997

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Syntax-Theorie: Ein zusammengefasster Zugang [Reprint 2013 ed.]
 9783110935721, 9783484220553

Table of contents :
Vorwort des Autors
Vorwort des Bearbeiters der deutschen Fassung
1 Einleitung
1.1 Einführung
1.2 Die Ziele einer syntaktischen Theorie
1.3 Sprachen
1.4 Akzeptabilität und Grammatikalität
1.5 Syntax-Theorie und traditionelle Grammatik
1.6 Der Nutzen syntaktischer Theorien
1.7 Historische Hintergründe
1.8 Zusammenfassung
Übungen
2 Konstituentenstruktur
2.1 Einführung
2.2 Die Motivation für Konstituentenstruktur
2.3 Die Darstellung von Konstituentenstruktur
2.4 Die Ermittlung von Konstituentenstruktur - Kriterien für Konstituenz
2.5 Einige weitere Kategorien
2.6 Zusammenfassung
Übungen
3. Syntaktische Regeln
3.1 Einführung
3.2 Das Wesen von Phrasenstrukturregeln
3.3 Regeln und Sätze
3.3.1 PS-Regeln und Lexikon-Regeln
3.3.2 Transformationsregeln
3.3.3 Regeln und Bäume
3.3.4 Unendlichkeit von Sprache
3.3.5 Prinzipien, Parameter und Minimalismus
3.4 Regeln für unmittelbare Dominanz und lineare Abfolge
3.5 Nicht-lokale Bedingungen für Bäume
3.5.1 Anaphernbindung
3.5.2 Verb-Zweit-Phänomene im Deutschen
3.6 Zusammenfassung
Übungen
4 Syntaktische Kategorien
4.1 Einführung
4.2 Zusätzliche Information über Ausdrücke
4.3 Phrasale und lexikalische Kategorien
4.4 Kategorienübergreifende Generalisierungen
4.5 Merkmale
4.6 Kategorien in Regeln sowie im Lexikon und Kategorien in Bäumen
4.7 Zusammenfassung
Übungen
5 Köpfe und Komplemente
5.1 Einführung
5.2 Komplemente und Adjunkte
5.3 Der Zugang der Aspekte zur Subkategorisierung
5.4 Rektions- und Bindungstheorie und Subkategorisierung
5.5 Phrasen-Struktur-Grammatik und Subkategorisierung
5.6 Komplemente und Bedeutung
5.7 Zusammenfassung
Übungen
6 Subjekte und Prädikate
6.1 Einführung
6.2 Subjekt-Prädikat-Beziehungen
6.3 Subjekte und Prädikate in der Transformationsgrammatik
6.4 Subjekte und Prädikate in der Phrasen-Struktur-Grammatik
6.5 Zusammenfassung
Übungen
7 Nichtkanonische Komplemente und Subjekte
7.1 Einführung
7.2 Nichtkanonische Komplemente
7.3 Nichtkanonische Subjekte
7.4 Aufeinander bezogene (verwandte) Sätze
7.5 Der Ein-Ebenen-Zugang
7.6 Der Mehr-Ebenen-Zugang
7.7 Zusammenfassung
Übungen
8 Grammatische Funktionen
8.1 Einführung
8.2 Probleme bei der Definition von Subjekt und Objekt
8.3 Subjekte und Objekte als Grundeinheiten (primitives)
8.4 Subjekte und Objekte in der Transformationsgrammatik
8.5 Subjekte und Objekte in der Phrasenstruktur- grammatik
8.6 Zusammenfassung
Übungen
9 Passiv-Konstruktionen
9.1 Einführung
9.2 Die Daten
9.3 Der klassische transformationeile Zugang
9.4 Der GB-Zugang
9.5 Der PSG-Zugang
9.6 Einige weitere Daten
9.7 Zusammenfassung
Übungen
10 Hebungs-Sätze
10.1 Einführung
10.2 Die Daten
10.3 Der transformationeile Zugang
10.4 Der PSG-Zugang
10.5 Einige weitere Daten
10.6 Zusammenfassung
Übungen
11 Kontrolle
11.1 Einführung
11.2 Die Daten
11.3 Der GB-Zugang
11.4 Der PSG-Zugang
11.5 Einige weitere Daten
11.6 Zusammenfassung
Übungen
12 Wh-Abhängigkeiten
12.1 Einführung
12.2 Wh-Fragen
12.3 Der GB-Zugang
12.4 Der PSG-Zugang
12.5 Andere wh-Abhängigkeits-Konstruktionen
12.6 Zusammenfassung
Übungen
13 Insel-Beschränkungen
13.1 Einführung
13.2 Die Daten
13.3 Der GB-Zugang
13.4 Der PSG-Zugang
13.5 Schmarotzerlücken
13.6 Logische Form (LF)
13.7 Zusammenfassung
Übungen
14 Abschließende Bemerkungen
14.1 Einführung
14.2 Rektions- und Bindungstheorie
14.3 Phrasen-Struktur-Grammatik
14.4 Die Beziehungen zwischen GB und PSG
14.5 Schlußbemerkungen
14.6 Zusammenfassung
Übungen
Literatur
Glossar
Index

Citation preview

Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft

Herausgegeben von Peter Eisenberg und Helmuth Kiesel

Robert D. Borsley

Syntax-Theorie Ein zusammengefaßter Zugang

Deutsche Bearbeitung von Peter Suchsland

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1997

Die englische Originalausgabe erschien 1991 unter dem Titel "Syntax-Theory. A Unified Approach" im Verlag Edward Arnold, London ©1991, Edward Arnold

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Borsley. Robert D. : ein zusammengefasster Zugang / Robert D. Borsley. Dt. Bearb. von Peter Suchsland. - Tübingen : Niemeyer, 1997 (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft ; 55) Einheitssacht.: Syntax theory NE: Suchsland, Peter [Bearb.]; GT ISBN 3-484-22055-4

ISSN 0344-6735

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG. Tübingen 1997 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Industriebuchbinderei Hugo Nädele, Nehren

Inhalt Vorwort des Autors

IX

Vorwort des Bearbeiters der deutschen Fassung

XI

1

Einleitung

1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 1.8

Einführung Die Ziele einer syntaktischen Theorie Sprachen Akzeptabilität und Grammatikalität Syntax-Theorie und traditionelle Grammatik Der Nutzen syntaktischer Theorien Historische Hintergründe Zusammenfassung Übungen

1 1 5 8 12 13 18 21 21

2

Konstituentenstruktur

25

2.1 2.2 2.3 2.4

Einführung 25 Die Motivation für Konstituentenstruktur 26 Die Darstellung von Konstituentenstruktur 35 Die Ermittlung von Konstituentenstruktur - Kriterien für Konstituenz 41 Einige weitere Kategorien 50 Zusammenfassung 55 Übungen 55

2.5 2.6

1

3.

Syntaktische Regeln

58

3.1 3.2 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.4

Einführung Das Wesen von Phrasenstrukturregeln Regeln und Sätze PS-Regeln und Lexikon-Regeln Transformationsregeln Regeln und Bäume Unendlichkeit von Sprache Prinzipien, Parameter und Minimalismus Regeln für unmittelbare Dominanz und lineare Abfolge Nicht-lokale Bedingungen für Bäume Anaphernbindung Verb-Zweit-Phänomene im Deutschen

58 58 60 60 65 69 71 75

3.5 3.5.1 3.5.2

75 83 83 88

VI

3.6

Zusammenfassung Übungen

4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6

Syntaktische Kategorien Einführung Zusätzliche Information über Ausdrücke Phrasale und lexikalische Kategorien Kategorienübergreifende Generalisierungen Merkmale Kategorien in Regeln sowie im Lexikon und Kategorien in Bäumen Zusammenfassung Übungen

99 99 99 102 106 109

Köpfe und Komplemente Einführung Komplemente und Adjunkte Der Zugang der Aspekte zur Subkategorisierung . . Rektions- und Bindungstheorie und Subkategorisierung Phrasen-Struktur-Grammatik und Subkategorisierung Komplemente und Bedeutung Zusammenfassung Übungen

121 121 121 129

Subjekte und Prädikate Einführung Subjekt-Prädikat-Beziehungen Subjekte und Prädikate in der Transformationsgrammatik Subjekte und Prädikate in der Phrasen-Struktur-Grammatik Zusammenfassung Übungen

146 146 146

4.7

5 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.7

6 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5

7 7.1 7.2 7.3 7.4

Nichtkanonische Komplemente und Subjekte Einführung Nichtkanonische Komplemente Nichtkanonische Subjekte Aufeinander bezogene (verwandte) Sätze

96 96

111 117 117

131 133 139 142 143

151 157 167 167 . .

169 169 170 171 174

VII 7.5 7.6 7.7

Der Ein-Ebenen-Zugang Der Mehr-Ebenen-Zugang Zusammenfassung Übungen

176 178 185 186

8 8.1 8.2

Grammatische Funktionen Einführung Probleme bei der Definition von Subjekt und Objekt Subjekte und Objekte als Grundeinheiten (primitives) Subjekte und Objekte in der Transformationsgrammatik Subjekte und Objekte in der Phrasenstrukturgrammatik Zusammenfassung Übungen

188 188

203 205 205

9 9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 9.6 9.7

Passiv-Konstruktionen Einführung Die Daten Der klassische transformationelle Zugang Der GB-Zugang Der PSG-Zugang Einige weitere Daten Zusammenfassung Übungen

207 207 207 210 214 228 236 244 245

10 10.1 10.2 10.3 10.4 10.5 10.6

Hebungs-Sätze Einführung Die Daten Der transformationeile Zugang Der PSG-Zugang Einige weitere Daten Zusammenfassung Übungen

248 248 248 250 257 261 268 269

11 11.1 11.2 11.3

KontroUe Einführung Die Daten Der GB-Zugang

271 271 271 276

8.3 8.4 8.5 8.6

188 193 196

Vili 11.4 11.5 11.6

Der PSG-Zugang Einige weitere Daten Zusammenfassung Übungen

283 286 291 291

12 12.1 12.2 12.3 12.4 12.5 12.6

Wik-Abhängigkeiten Einführung Wfc-Fragen Der GB-Zugang Der PSG-Zugang Andere w/i-Abhängigkeits-Konstruktionen Zusammenfassung Übungen

294 294 294 296 305 310 316 317

13 13.1 13.2 13.3 13.4 13.5 13.6 13.7

Insel-Beschränkungen Einführung Die Daten Der GB-Zugang Der PSG-Zugang Schmarotzerlücken Logische Form (LF) Zusammenfassung Übungen

319 319 320 328 338 341 345 351 352

14 14.1 14.2 14.3 14.4 14.5 14.6

Abschließende Bemerkungen Einführung Rektions- und Bindungstheorie Phrasen-Struktur-Grammatik Die Beziehungen zwischen GB und PSG Schlußbemerkungen Zusammenfassung Übungen

355 355 355 361 362 365 369 370

Literatur

373

Glossar

387

Index

405

Vorwort des Autors Warum brauchen wir ein neues Lehrbuch über Syntax-Theorie? Eine Antwort auf diese Frage ist, daß in einem Wissenschaftsgebiet, das sich sehr lebhaft entwickelt, neue Lehrbücher immer notwendig sind, und die Syntax-Theorie ist zweifellos ein solches Wissenschaftsgebiet. Man kann jedoch in diesem Zusammenhang eine spezifischere Antwort geben: Es existieren keine Lehrbücher der Art, wie ich es zu schreiben versucht habe. In diesem Buch möchte ich in ein System von Ideen einzuführen, die das Herzstück fast aller Zugänge zur Syntax sind, und ich will zeigen, wie sie sich in zwei umfassenden theoretischen Konzeptionen entwickelt haben: in der Rektions- und Bindungs-Theorie (Government-Binding theory, GB) und in der Phrasen-Struktur-Grammatik (Phrase Structure Grammar, PSG), unter der ich sowohl die Generalisierte PhrasenStruktur-Grammatik (Generalized Phrase Structure Grammar, GPSG) als auch die Kopf-gesteuerte Phrasen-Struktur-Grammatik (Head-driven Phrase Structure Grammar, HPSG) verstehe. Das Buch führt mehr oder weniger gleichzeitig in beide Zugänge ein. Jedes Kapitel fokussiert einen spezifischen theoretischen Gegenstand und zeigt, was GB und PSG dazu zu sagen haben. Andere Lehrbücher sind entweder mit nur einem Zugang befaßt, oder sie betrachten eine ganze Reihe von Zugängen nacheinander. Der erste Typ ist unbefriedigend, wenn man bedenkt, daß es mehr als einen Zugang gibt, der die Aufmerksamkeit von Studierenden verdient. Der zweite Typ erweckt den Anschein, daß die verschiedenen Zugänge unterschiedlicher sind, als es wirklich der Fall ist, und den Eindruck, daß sie ordentlich voneinander getrennte Packungen von Ideen sind, die man nur in Gänze oder überhaupt nicht "kaufen" kann. Das Buch ist eine Einführung in die gegenwärtige Syntax-Theorie und bezieht sich ausführlich auf die jüngere Literatur. Es schenkt jedoch auch Ideen große Aufmerksamkeit, die der Entstehung der aktuellen Zugänge vorausgehen und die auch dann erhalten zu bleiben scheinen, wenn die aktuellen Zugänge wesentlich modifiziert oder gar aufgegeben werden. Der Aufbau des Buches ist so gestaltet, daß diese Ideen besonders hervorgehoben werden. Die meisten Kapitel stellen eine dieser Ideen in den Mittelpunkt. So hebt Kapitel 10 die Idee hervor, daß es eine Klasse von Hebungs-Sätzen mit einem spezifischen Bereich von Eigenschaften gibt. Diese Idee scheint unverzichtbar zu sein, selbst wenn sowohl die GB- als auch die PSG-Analyse sich als unhaltbar erweisen sollten. Ich sage hier wenig über die Geschichte der Ideen, mit denen ich mich befasse. Die Geschichte der Syntax-Theorie ist ein Gegenstand von besonderem Interesse. Ich glaube jedoch nicht, daß die Kenntnis darüber, wie diese Ideen sich entwickelt haben, es leichter macht, sie zu verstehen.

χ Überdies gibt es woanders gute Darstellungen über die Geschichte, insbesondere Newmeyer (1986). Dennoch gebe ich Hinweise darauf, wann und wo die verschiedenen Ideen aufgekommen sind. Ich glaube, es ist wichtig, einen Sinn dafür zu vermitteln, daß die Syntax-Theorie eine Geschichte hat und daß sie nicht von gestern auf heute in ihrer vollen Ausformung auf der Bühne erschienen ist. Natürlich können Leser, die nicht an diesen Dingen interessiert sind, alle Hinweise darauf ignorieren. Jedes Kapitel des Buches enthält Anmerkungen und Übungen. Die Anmerkungen sind nicht nur ein schmückendes Beiwerk des Haupttextes. Sie bauen auf den Erörterungen im Haupttext auf, bieten weitere Information, verweisen auf weitere Probleme und geben wichtige Literaturhinweise. Manche Literatur, auf die verwiesen wird, ist keineswegs leicht zu lesen. Ich gebe aber auch Hinweise auf andere Lehrbücher - ich nehme an, daß das vorliegende Buch nicht das einzige Syntax-Lehrbuch ist, das man zu lesen wünschen könnte. Die Übungen beziehen sich auf die im Text behandelten Probleme und werfen in einigen Fällen verschiedene Fragen auf. Das Buch enthält weiterhin ein Glossar, in dem die wichtigsten Termini, die wir benutzen, zusammengefaßt werden. Das Buch führt auf relativ schmalem Raum in eine Vielzahl von Problemen ein, es ist dementsprechend anspruchsvoll. Allerdings setzt es wenig Wissen über Syntax voraus. Alles, was ich im wesentlichen annehme, ist, daß die Leserinnen und Leser begreifen, daß Linguistik es mit Beschreiben und nicht mit Vorschreiben zu tun hat und daß sie ein wenig mit den Begriffen der traditionellen Grammatik vertraut sind, etwa mit den Wortarten und mit den Satzgliedern. Natürlich ist das Buch leichter für diejenigen zugänglich, die ausführlicheres Wissen über Syntax haben, aber dieses umfangreichere Wissen ist nicht unbedingt erforderlich. Ich bin einer Reihe von Personen zu Dank verpflichtet für die Hilfe, die sie mir bei der Entstehung dieses Buches haben zuteil werden lassen. Besonders dankbar bin ich Dick Hudson (University College London), der ausführliche Kommentare zu einer früheren Version geliefert hat, und Andrew Radford (University of Essex), der umfangreiche Kommentare zu den meisten der Kapitel geschrieben hat. Wertvolle Hinweise habe ich auch von Geoff Horrocks (University of Cambridge) erhalten. Die Kommentare haben zu vielen Verbesserungen des Textes geführt. Für alle verbleibenden Fehler bin ich selbst verantwortlich. Ich bin überdies den Mitarbeitern des Ed ward-Arnold-Verlages für ihre Unterstützung, Ermutigung und Geduld verbunden. Schließlich danke ich meiner Frau, Ewa Jaworska, für ihre Ermutigung und ihren vielfältigen Beistand. Robert D. Borsley

Vorwort des Bearbeiters der deutschen Version Am Ende des Sommersemesters 1993 luden einige meiner Studenten mich zu einem "linguistischen Wochenende" in den Thüringer Wald ein. Wir wollten einige offene Fragen aus den Seminaren des abgelaufenen Semesters, das Konzept einer Magisterarbeit eines der Studenten und auch die Anlage meiner Syntax-Vorlesung für das Wintersemester 1993/94 diskutieren. Zum letzten Punkt schlugen Michael Meng und Ingo Jentsch vor, ich sollte mir doch einmal das Lehrbuch von Robert D. Borsley ansehen, nach dem sie während ihres Aufenthaltes in Edinburgh studiert hatten. Ich griff den Vorschlag auf, nutzte die Sommerpause 1993, mich mit Borsleys Buch vertraut zu machen und meine Vorlesung daran zu orientieren. Ich fand die Darstellung originell und anregend. Allerdings stand ich vor dem Problem, daß ich die Grammatikausbildung vor allem für Studierende der Germanistik zu leisten hatte. Und das hieß vor allem, daß ich - unter Beibehaltung der Konzeption von Borsley - in meine Vorlesung vorwiegend deutsche Beispiele zu diskutieren haben würde. Und so erweiterte sich mein Vorlesungstext gegenüber dem Original von Borsley vor allem dann, wenn ich deutsche Daten beschreiben und erklären wollte, die sich nicht parallel zu den ihnen entsprechenden englischen Daten verhalten oder die eine andere theoretische Diskussion erfoderten. So verlangte die Darstellung des Unterschiedes zwischen dem Englischen als einer SVO- und dem Deutschen als einer SOV-Sprache einen höheren Beschreibungs- und Erklärungsaufwand, zumal für die Analyse deutscher Daten inzwischen Alternativen in der linguistischen Diskussion sind. Meine Studentinnen und Studenten, auch einige meiner Kollegen ermutigten mich, die deutsche Version zu veröffentlichen. Sie ist - wie sich aus dem schon Gesagten ergibt - nicht eine bloße Übersetzung des Textes von Robert D. Borsley. Worin unterscheidet sich die deutsche von der englischen Version? Zunächst einmal: Von der englischen Version ist nichts Wesentliches weggelassen. Wenn es sich machen ließ, wurden englische und deutsche Beispiele parallel behandelt, manchmal wurden nur deutsche, manchmal nur englische Beispiele zur Illustration genommen. Wenn das englische Original Beispiele aus anderen Sprachen erörtert, wird diese Erörterung beibehalten. Die deutsche Version stellt vor allem eine Erweiterung gegenüber dem englischen Original dar, eine Erweiterung, die sich aus der Analyse der deutschen Beispiele ergibt. Die Erweiterung hat im 3. Kapitel der besseren Übersichtlichkeit halber zu einer Binnengliederung der Unterkapitel geführt. Die Irrtümer und Fehler bei der Analyse der deutschen Daten gehen allein zu meinen, nicht zu Robert D. Borsleys Lasten.

XII

Die Anmerkungen sind im Unterschied zum englischen Original numeriert und als Fußnoten gestaltet, die Fußnotenziffern sind an passenden Stellen in den Haupttext eingefügt. Die Übungen wurden in der Form beibehalten, wie sie das englische Original aufweist. Allerdings wurden für die Aufgaben möglichst viele englische durch deutsche Beispiele ersetzt. Anderssprachige Beispiele wurden unverändert beibehalten. Das Literaturverzeichnis wurde gegenüber dem englischen Original vor allem um solche Titel erweitert, die bei der Erörterung der deutschen Daten herangezogen worden sind. Das Glossar ist ebenfalls aus dem englischen Original übernommen (den deutschen Termini folgen in Klammern die englischen), allerdings wurden die Einträge nach der deutschen Schreibweise alphabetisiert. Vielleicht besteht der zusätzliche Nutzen der deutschen Version auch darin, daß sie - im Unterschied zum englischen Original, das im wesentlichen englische Daten und einige Daten aus anderen Sprachen behandelt den Studierenden die Möglichkeit bietet, die Struktur deutscher und englischer Daten und gegebenenfalls die unterschiedlichen Analysen der Daten miteinander zu vergleichen. Ich bin verschiedenen Personen zu Dank verpflichtet: Zuerst Michael Meng und Ingo Jentsch, die mit mir die Idee erörtert haben, Borsleys Buch für eine neue Vorlesung zu verwenden. Vor allem bin ich Robert D. Borsley dankbar, daß er der Veröffentlichung der deutschen Version seine Zustimmung gegeben hat, obwohl sie sich erheblich, auch im Umfang, von seinem Text unterscheidet. Zu danken habe ich ferner dem Verlag Edward Arnold für die Erlaubnis, die deutsche Version beim Max Niemeyer Verlag Tübingen zu publizieren. Peter Eisenberg danke ich dafür, daß er die Aufnahme der deutschen Version in die Reihe Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft unterstützt hat, wie auch dafür, daß er mir zahlreiche wertvolle Hinweise für die Verbesserung des deutschen Textes gegeben hat. Bei Cornelia Krause bedanke ich mich dafür, daß sie mit Einsatz und Gewissenhaftigkeit Korrektur gelesen und nicht nur die schreibtechnischen Fehler angemerkt, sondern auch zahlreiche inhaltliche und stilistische Verbesserungen eingebracht und den Index erarbeitet hat. Schließlich darf ich mich bei Heidrun Keßler bedanken, die in mühevoller Kleinarbeit den Text druckgerecht hergestellt hat. Dennoch gilt auch in diesem Zusammenhang: Verbliebene Fehler und Irrtümer gehen auf mein Konto. Peter Suchsland

1

Einleitung

1.1

Einführung

Man kann Interesse an verschiedenen Aspekten der Sprache haben. So kann man das Lautsystem einer Sprache studieren oder die Möglichkeiten, wie die Sprache die Struktur der Gesellschaft reflektiert, oder wie sie in der Literatur oder in verschiedenen Formen der Propaganda gebraucht wird. Die Syntax-Theorie befaßt sich damit, wie Wörter zu Sätzen kombiniert werden. Das mag als trockene und unattraktive Beschäftigung erscheinen, es ist dennoch eine große intellektuelle Herausforderung. Es ist aber eine potentielle Quelle für Einsichten in das Wesen des menschlichen Geistes. Im vorliegenden Kapitel wollen wir eine Reihe von Präliminarien besprechen, im darauf folgenden mit der eigentlichen Arbeit beginnen.

1.2

Die Ziele einer syntaktischen Theorie

Die Syntax-Theorie - wie der Terminus hier gebraucht wird - ist das Kernstück moderner theoretischer Linguistik und hat ihre Wurzeln in Chomskys Buch Syntactic Structures von 1957. Zwei Ziele dieser Theorie lassen sich nennen: (a)

(b)

Sie ist damit befaßt, Grammatiken zu entwickeln, d.h. präzise Beschreibungen der Syntax verschiedener Sprachen, also der Methoden, mit denen diese Sprachen Wörter zu wohlgeformten Sätzen kombinieren. Sie zielt darauf ab, einen allgemeinen Rahmen für die Bestimmung dessen zu entwickeln, was Sprachen gemeinsam haben und wie sie variieren können, d.h. auf die Entwicklung einer Theorie der Universalgrammatik (UG).

Beide Ziele werden in der Regel nicht getrennt verfolgt. Das zweite Ziel kann keineswegs erst dann in Angriff genommen werden, wenn das erste Ziel erreicht ist. Es verhält sich vielmehr so, daß Syntax-Theoretiker stets sowohl mit der Entwicklung von einzelsprachlichen Grammatiken als auch mit Sprache generell befaßt sind. Forschungen zu Einzelsprachen sind (oder sollten es sein) stets von Ideen darüber geleitet, was Sprache ist und

2 wie sie beschrieben werden kann, wie sie umgekehrt auch zur Überprüfung und Verfeinerung dieser Leitideen beizutragen vermögen. Das zweite Ziel impliziert die Zurückweisung von Auffassungen, daß Sprachen unbeschränkt variieren, sich daher auch in nicht miteinander vergleichbarer Weise unterscheiden. Auffassungen dieser Art wurden in den 50er Jahren vertreten, vgl. Joos (1957). Wenn Sprachen tatsächlich unbegrenzt variieren würden, könnte es keine Theorie einer Universalgrammatik geben. Wir könnten eine Theorie der deutschen, eine Theorie der bairischen, eine Theorie der englischen, eine Theorie der walisischen Grammatik usw. haben, aber eben keine generelle Theorie. Tatsächlich können jedoch Sprachen syntaktisch nicht unbegrenzt variieren. Unterschiede zwischen Sprachen, die etwa dem Lerner einer Fremdsprache gewaltig erscheinen mögen, erweisen sich als viel geringer, wenn man ein ausgefeiltes Beschreibungsinstrumentarium benutzt, mit dem die Gemeinsamkeiten deutlicher sichtbar gemacht werden können. 1 Folgendes ist klar: Es gibt alle möglichen Arten von Situationen, die in Sprachen gerade nicht auftreten. So gibt es keine Sprachen, in denen Fragesätze aus Aussagesätzen so abgeleitet werden, daß man die Wörter, die im Aussagesatz vorkommen, in umgekehrter Reihenfolge anordnet. (1) (2)

(a) (b) (a) (b)

The boy ate the beefburger, Der Junge aß den Beefburger. Beefburger the ate boy the? Beefburger den aß Junge der?

Man kann aber auch keine Regel feststellen, derzufolge für die Bildung eines Fragesatzes aus einem Aussagesatz das zweite Wort des Aussagesatzes an den Anfang des Satzes rücken muß. Englisch und Deutsch könnten auf den ersten Blick durchaus als Sprachen mit einer solchen Regel verstanden werden: (3) (4)

(a) (b) (a) (b)

Stefan will be here, Stefan wird hier sein. Will Stefan be here? Wird Stefan hier sein?

1 Für eine weitere Diskussion der zentralen Annahmen der Syntax-Theorie und für die Verteidigung dieser Annahmen gegen kritische Einwände verschiedenster Art vgl. Newmeyer (1983). Chomsky hat seine Ansichten über das Wesen der Sprache und über Linguistik an vielen Stellen präsentiert. Gut zugängliche jüngere Diskussionen sind Chomsky (1985, 1987) und Chomsky/Huybregts/van Riemsdijk (1982). Es lohnt sich aber auch, frühere Arbeiten wie Chomsky (1972, 1976a, 1980 a) anzuschauen. Botha (1989) bietet eine klare und detaillierte Diskussion von Chomskys Ideen und von verschiedensten kritischen Einwänden, die gegen sie vorgebracht worden sind. Eine sehr interessante philosophische Analyse von Chomskys Ideen findet sich in Pateman (1987). Verschiedene andere Philosophen erörtern Chomskys Ideen in George (1989).

3 Der Fragesatz, der (5) entspricht, ist allerdings nicht (6), sondern (7): (5) (6) (7)

(a) (b) (a) (b) (a) (b)

The boy will be here. Der Junge wird hier sein. •Boy the will be here? •Junge der wird hier sein? Will the boy be here? Wird der Junge hier sein?

Es ist üblich, Sätze, die grammatisch nicht in Ordnung sind, oder Sätze, die zwar grammatisch sind, aber eine unkorrekte Strukturbeschreibung haben, mit einem Asterisk '*' zu kennzeichnen. In (6) sind ungrammatische Sätze so charakterisiert. Die Sache wird schon besser, wenn man statt der Umstellung des zweiten Wortes die Umstellung des ersten Verbs vorschreibt: (8) (9)

(a) (b) (a) (b)

The old man will be here, Der alte Mann wird hier sein. Will the old man be here? Wird der alte Mann hier sein?

Schaut man sich jedoch komplexere Konstruktionen an, so versagt auch diese Vermutung: (10) (11)

(a) (b) (a) (b)

The old man who crossed the street will be here. Der alte Mann, der die Straße überquerte, wird hier sein. ""Crossed the old man who the street will be here? *Überquerte der alte Mann, der die Straße, wird hier sein?

Alle diese Beispiele zeigen: Beliebige Variation ist im Englischen und im Deutschen nicht möglich, aber auch nicht unter den Sprachen, obwohl die Unterschiede zwischen den Sprachen auf den ersten Blick oft beträchtlich zu sein scheinen. Natürlich geschehen in der Sprache manchmal Dinge, von denen man annimmt, sie seien unmöglich. So wurde bis in die 70er Jahre weithin angenommen, daß es keine Sprachen gebe, deren Normalreihenfolge Objekt-Verb-Subjekt oder Objekt-Subjekt-Verb ist, also keine Sprachen, in denen die Bedeutung eines Satzes wie (12) durch Sätze wie (13) oder (14) ausgedrückt würde: (12) (13) (14)

Die Frau ißt eine Bockwurst. Eine Bockwurst ißt die Frau. Eine Bockwurst die Frau ißt.

(Selbstverständlich kann gerade im Deutschen ein Satz wie (13) oder (14) mit der gleichen Bedeutung wie der Satz (12) vorkommen, aber das ist nicht die normale Folge: Man erkennt das an der jeweiligen Plazierung des Satz-Hauptakzents. Der Satz-Hauptakzent liegt im Deutschen normalerweise hinter dem finiten Verb des Aussagesatzes, im Satz (12) also auf

4 der ersten Silbe von Bockwurst. Klarerweise liegt nun aber im Satz (13), wenn er dasselbe bedeuten soll w i e Satz (12) und nicht etwa den Unsinn, daß die Frau von einer Bockwurst gegessen wird, der Haupt-Satzakzent wiederum auf der ersten Silbe von Bockwurst. D i e Wortgruppe eine Bockwurst steht nun aber gerade nicht hinter, sondern vor dem finiten Verb des Aussagesatzes.) In den späteren 70er Jahren wurde allerdings deutlich, daß es Sprachen mit OVS- oder OSV-Reihenfolge als Normalreihenfolge durchaus gibt, namentlich im Amazonasbecken. 2 Diese Story scheint eine Moral zu haben: Es hat im allgemeinen den Anschein, daß vorgeschlagene Universalien, die ziemlich konkrete und an

2

Sprachen werden vielfach gerade danach klassifiziert (in Typen eingeteilt), in welcher Reihenfolge in ihnen jeweils typischerweise Subjekt, Verb und Objekt angeordnet sind. Theoretisch gibt es folgende Typen: (1)

1. 2. 3. 4. 5. 6.

S-V-O S-O-V V-S-O V-O-S O-V-S O-S-V

(Englisch, Französisch, Vietnamesisch) (Deutsch, Japanisch, Koreanisch) (Walisisch, Irisch) (Malegassisch, auf Madagaskar) (Hixkaryana, im Amazonasbecken) (Apurina, im Amazonasbecken)

Das Englische ist (neben dem Französischen und dem Vietnamesischen) der prototypische Vertreter des 1. Typs, das Deutsche - was auf den ersten Blick verwunderlich erscheint - (neben dem Japanischen, dem Tibetanischen und dem Koreanischen) ein Vertreter des 2. Typs. Entscheidend fur diese Einordnung ist aber gar nicht so sehr die Reihenfolge im Hauptsatz - da hat das Deutsche auch, wie es auf den ersten Blick scheint, die 1. Reihenfolge -, sondern die Reihenfolge im Nebensatz: (2) (3)

(a) (b) (a) (b)

daß er zur Schule ging *daß er ging zur Schule *that he to school went that he went to school

Am Unterschied zwischen beiden Beispielpaaren wird deutlich, daß das Englische zum 1., das Deutsche aber zum 2. Typ gehört. (Es wird später zu zeigen sein, daß deutsche Verb-Zweit-Sätze abgeleitete Strukturen sind.) Vertreter des 3. Typs sind das Walisische und das Irische. Vertreter des 4., des 5. und des 6. Typs sind ziemlich selten (auf Madagaskar, im Amazonasbecken). Da es im Deutschen auch - wie es scheint - für diese Typen Beispiele gibt, sind auch solche Strukturen als abgeleitete Konstruktionen zu verstehen: (4)

(a) (b) (c)

Las er das Buch? Das Buch las er (und nicht die Zeitung). daß den Roman niemand las.

In jüngster Zeit hat Kayne (1993) dafür argumentiert, daß die SVO-Struktur universell ist, somit als abstrakte Grundstruktur für alle Sprachen zu gelten habe. Chomsky (1994) hat sich dieser Auffassung angeschlossen.

5 der Oberfläche von Sprachen feststellbare Eigenschaften zueinander in Beziehung setzen, kaum haltbar sind. Wirkliche Universalien scheinen viel abstrakter zu sein. Die verschiedenen Konzepte und Prinzipien, die in den folgenden Kapiteln erörtert werden, sind - zumindest im Rahmen der kanonischen Rektions- und Bindungstheorie der 80er Jahre - aussichtsreiche Kandidaten für Universalien. Es kann jedoch sein, daß sie in verschiedenen Sprachen jeweils etwas unterschiedliche Formen annehmen. Daher sollte - wie Chomsky betont - die Syntax-Theorie nicht allein nach einem Korpus von universellen Prinzipien suchen, sondern sich auch bemühen, die Parameter festzustellen, durch die diese Prinzipien variiert werden. Ein letzter Punkt ist hier zu erwähnen: Im Verlaufe der weiteren Darstellung werden wir andere Sprachen als das Englische und das Deutsche weitgehend vernachlässigen. Die Ideen, mit denen wir uns befassen, werden generell anhand des Englischen und des Deutschen illustriert. Wenn es sich anbietet, werden das Deutsche und das Englische parallel behandelt, wo das nicht möglich ist, werden nur das Deutsche oder nur das Englische herangezogen. Da das Buch für deutschsprachige Leser und insbesondere für Studierende der germanistischen Linguistik bestimmt ist, werden häufig eher deutsche Beispiele als englische präsentiert. Bei der vergleichenden Behandlung englischer und deutscher, aber auch bei der Erörterung nur deutscher Daten wird sich mehrfach zeigen, daß die Daten aus den beiden Sprachen eine je andere theoretische Diskussion erzwingen können.

1.3

Sprachen

Der Terminus "Sprache" ist im vorangegangenen Text in sehr verschiedener Weise benutzt worden. Es ist nun an der Zeit, zu fragen, was eigentlich Sprache ist. Wenn wir den Terminus in der Alltagskonversation verwenden, so denken wir in der Regel an etwas, das eine Gruppe von Menschen gemeinsam hat, vielleicht eine sehr große Gruppe. Dieses Konzept ist allerdings ziemlich problematisch. Angenommen, wir möchten sagen, daß wir die deutsche Sprache beschreiben wollen und dabei diesen Terminus in seinem Alltagssinn verwenden. Was wollen wir dann beschreiben? Das Deutsch, das ein Bauer in Oberbayern spricht, ist nicht identisch mit dem Deutschen, das ein Werftarbeiter in Mecklenburg spricht. Ähnlicherweise ist das Deutsch, das in Österreich gesprochen wird, nicht identisch mit dem Deutschen, das in der Schweiz, oder mit dem, das in Deutschland gesprochen wird. Wenn wir sagen, daß wir an allen Varietäten des Deutschen interessiert sind, was zählt dann als eine

6 Varietät des Deutschen? Hat Walther von der Vogelweide eine Varietät von so etwas wie dem Mittelhochdeutschen gesprochen? Wenn wir uns im Norden des deutschen Sprachraums immer weiter westwärts bewegen, gelangen wir an einen Punkt, an dem wir uns fragen müssen, ob der Dialekt eines Dorfes X, der sich vom Dialekt des Nachbardorfes Y unterscheidet, ihm jedoch auch ähnelt, noch eine Varietät des Deutschen oder schon eine des Niederländischen ist. Wegen derartiger Probleme betrachten manche Linguisten eine Sprache lieber als etwas im wesentlichen Individuelles. Und tatsächlich gibt es ja zahlreiche Untersuchungen über die Sprache Luthers, über die Sprache Schillers, Nietzsches usw. Wirklich hat jedes (normale) Individuum seine Sprache, und es ist höchst unwahrscheinlich, daß zwei Individuen genau die gleiche Sprache haben, schon allein deshalb, weil es unwahrscheinlich ist, daß sie über genau den gleichen Wortschatz verfügen. Dennoch müssen wir bestimmen, was Sprache ist. Definitionen des Terminus "Sprache" hängen weitgehend von den theoretischen Zielen ab, die in unterschiedlichen Richtungen der Linguistik verfolgt werden. Auf Chomsky (1957) gehen automatentheoretisch inspirierte Definitionen wie die folgende zurück: (15)

Eine Sprache ist eine Menge von Sätzen, die ein Sprecher gebraucht.

Da aber feststeht, daß ein Sprecher nicht nur stets ein und dieselbe Menge von Sätzen gebraucht, sondern höchstwahrscheinlich auch immer wieder andere, die in der angenommenen Menge nicht enthalten sind, kann die Definition erweitert werden: (16)

Eine Sprache ist eine Menge von Sätzen, die ein Sprecher gebrauchen könnte.

Nun gibt es aber viele Sätze, die ein Sprecher aus nicht-sprachlichen Gründen niemals benutzen kann. Niemand wird - normalerweise - den Versuch machen, einen Satz zu gebrauchen, der über tausend Wörter lang ist. Das - wie gesagt - ist eine nicht-sprachliche Angelegenheit. Es hat mit der Begrenztheit der menschlichen Konzentrationskraft zu tun, die sich nicht nur beim Gebrauch von Sprache, sondern auch in anderen Arten menschlichen Verhaltens bemerkbar macht. Wie noch zu zeigen sein wird, existiert keine linguistische Möglichkeit, etwa zu bestimmen, wie lang ein Satz in einer Sprache sein könnte oder sein dürfte, anders gesagt: Es gibt nicht den längsten Satz einer Sprache. Daher muß es nichtsprachliche Faktoren geben, die den Gebrauch von Sätzen mit unendlicher Länge ausschließen: eben die Speicherkapazität unseres Kurzzeitgedächtnisses. Die Definition könnte damit nochmals modifiziert werden: (17)

Eine Sprache ist eine Menge von Sätzen, die ein Sprecher gebrauchen könnte, sofern nicht außersprachliche Faktoren wirksam sind.

7 Mit einer solchen Bestimmung wären sicher viele Syntaktiker zufrieden. Im Laufe der letzten Jahrzehnte ist jedoch ein grundsätzlicher Wandel in der Sprachauffassung der modernen Linguistik erfolgt, namentlich in der von Chomsky vertretenen Richtung. Als Sprache gilt nicht mehr eine Menge von (geäußerten oder äußerbaren) Sätzen, sondern das in den Köpfen der Menschen befindliche Wissenssystem, das der Produktion und der Rezeption (der Hervorbringung und der Verarbeitung) einer Menge von (theoretisch unendlich vielen) Sätzen zugrunde liegt. Daraus ergibt sich folgende Bestimmung: (18)

Eine Sprache ist die Menge von Regeln und Prinzipien im Geist (mind/brain) eines Sprechers, die die Menge von Sätzen spezifiziert, die er gebrauchen könnte, sofern nicht außersprachlichen Faktoren wirksam sind.

In Chomskys neuerer Terminologie würde Sprache nach den Definitionen (15) bis (17) als "E-Sprache" für "externalisierte (geäußerte) Sprache" bezeichnet werden, Sprache nach der Definition von (18) hingegen als "ISprache" für "internalisierte (verinnerlichte, innere) Sprache" (ein anderer, früherer und vielleicht auch geläufigerer Terminus für I-Sprache ist "Kompetenz"). Chomsky spricht sich immer wieder dafür aus, daß die ISprache der Untersuchungsgegenstand der Syntax-Theoretiker sein sollte. Daß I-Sprache eine Realität ist, d.h., daß wir tatsächlich eine Grammatik in unseren Köpfen haben, kann man sich leicht an folgendem klarmachen: Wir können zwar die Regeln und Prinzipien in unseren Köpfen nicht "sehen", wir haben also weder als linguistische Laien noch als ausgepichte Linguisten Voraussetzungen, sie nach direkter Beobachtung zu beschreiben, dennoch befolgen wir diese Regeln und Prinzipien ständig. Das zeigt sich darin, daß wir Sätze bilden und verstehen, die diesen Regeln und Prinzipien genügen, vor allem aber auch darin, daß wir Urteile über die Korrektheit der Sätze anderer (oder auch eigener Sätze) fällen und inkorrekte Sätze anderer (oder auch unsere eigenen, wenn wir die Unkorrektheiten bemerken) verbessern können - ohne freilich im allgemeinen die Regeln und Prinzipien als Begründung anführen zu können. Wir können jemandem, etwa einem Ausländer, der einen Fehler macht, sagen: "Lieber Freund, man sagt im Deutschen nicht so, sondern so", aber wir können unsere Korrektur nur in den seltensten Fällen rechtfertigen. Wir sagen daher auch, daß unsere Kenntnis implizite (oder unbewußte), nicht aber explizite (bewußte) Kenntnis der Regeln und Prinzipien ist. Es ist gerade die Aufgabe der Linguistik - und im besonderen der Syntax-Theorie, die implizite Kenntnis explizit zu machen. E- und I-Sprache sind zwei sehr unterschiedliche Konzepte von 'Sprache'. Es ist nicht klar, ob diese Unterscheidung - soweit sie die Praxis der Arbeit an Syntax-Theorie betrifft - wirklich relevant ist. Chomsky und seine Kritiker stimmen in vielen Details der Syntax-Theorie

8

nicht überein, aber es ist zu bezweifeln, ob diese Divergenzen daher rühren, daß die Kontrahenten auf unterschiedlichen Sprachkonzeptionen bestehen. Im weiteren wird sich zeigen, daß die beiden hier zu behandelnden Versionen von syntaktischer Theorie sich auch als in unterschiedliche Wissenschaftsgebiete eingebettet verstehen: Die Vertreter der Rektionsund Bindungstheorie (GB-Theorie, G für government [Rektion] und Β für binding [Bindung]) verstehen die Syntax-Theorie (oder allgemeiner: die Grammatik-Theorie) als kognitive Linguistik und somit als Teil der kognitiven Psychologie, der Psychologie von Wissens- und Überzeugungssystemen. Faktisch argumentiert Chomsky nicht nur dafür, daß eine Sprache ein Korpus von Regeln und Prinzipien im Geist des Sprechers ist, sondern auch dafür, daß die Universalgrammatik als Korpus von Prinzipien und Parametern eine angeborene Komponente unseres Geistes ist. So handelt für Chomsky die Syntax-Theorie letztenendes vom menschlichen Geist. Selbst wenn man nicht bereit ist, Chomsky auf diesem Wege bis zum Ende zu folgen, ist es doch vernünftig, anzunehmen, daß die SyntaxTheorie Einsichten in die Arbeitsweise des menschlichen Geistes liefern kann. Für viele Leute besteht gerade darin die wesentliche Anziehungskraft der Syntax-Theorie. Die Anhänger der Generalisierten Phrasenstruktur-Grammatik (Generalized Phrase Structure Grammar, GPSG-Theorie) verstehen die Syntax-Theorie eher als eine mathematische Disziplin, da sie die den Ausdrücken einer Sprache zugrunde liegenden Regeln und Prinzipien nicht so sehr als mentales (geistiges), sondern eher als mathematisches Objekt studieren. Die Vertreter der Kopf-orientierten Phrasen-StrukturGrammatik (Head-driven Phrase Structure Grammar, HPSG-Theorie) dagegen nehmen wiederum - bei Bewahrung der mathematisch orientierten Zielstellung - Standpunkte ein, die denen von Chomsky nahe sind.

1.4

Akzeptabilität und Grammatikalität

Welchen Gesichtspunkt für die Betrachtung von 'Sprache' wir auch immer einnehmen wollen, wir müssen jedenfalls bestimmen, welche Sätze ein Sprecher gebrauchen kann, wenn keine außersprachlichen Faktoren wirksam sind, oder, wie wir sagen können, welche Sätze für den Sprecher grammatisch sind. Wir tun dies, indem wir die Urteile oder Intuitionen des Sprechers über Sätze benutzen. Diese Intuitionen bestimmen, daß manche Sätze akzeptabel sind, andere hingegen unakzeptabel. Akzeptabilität ist allerdings nicht das gleiche wie Grammatikalität. Das liegt daran, daß Sätze aus ganz unterschiedlichen Gründen unakzeptabel sein können.

9 Sätze können unakzeptabel sein, weil sie Probleme für den Verarbeitungsmechanismus darstellen. Wir betrachten zunächst das folgende englische Beispiel: (19)

The horse raced past the barn fell.

Das Beispiel ist unakzeptabel, weil es den Verarbeitungsmechanismus in die Irre führt. Die Irreführung wird durch die strukturelle Mehrdeutigkeit von raced verursacht: Es kann die Vergangenheitsform, aber auch das Partizip des Verbs race sein. Offensichtlich liegt die Interpretation als Vergangenheitsform näher (eine Verbform, die dem Subjekt folgt, wird zuerst als Prädikat analysiert), so daß die erste Verarbeitung bis zum vorletzten Wort zur Interpretation das Pferd rannte am Stall vorbei führt. Nun taucht aber noch das Verb feil auf, und damit bricht die bisherige Interpretation zusammen, denn das Verb kann nicht mehr untergebracht werden: *das Pferd rannte am Stall vorbei fiel. (Solche Sätze werden üblicherweise als garden-path-Sätze bezeichnet.) Das wird dadurch gestützt, daß der ganz ähnliche Satz (20) vollkommen akzptabel ist: (20)

The horse ridden past the barn fell.

Das liegt daran, daß beim Verb ride die Vergangenheitsform rode strukturell vom Partizip ridden unterschieden ist, so daß in diesem Falle keine Irreführung des Verarbeitungsmechanismus zustande kommt. Man beachte, daß (19) eine reduzierte Version von (21) ist, in ganz ähnlicher Weise, wie (20) eine reduzierte Version von (22) ist: (21) (22)

The horse which was raced past the barn fell. The horse which was ridden past the barn fell.

Analoge Beispiele im Deutschen sind relativ schwer zu konstruieren. Lediglich bei Verben, die ein nicht trennbares Präfix haben und das Partizip auf -t bilden, gibt es einen strukturellen Zusammenfall der Präsensform in der 3. Person mit dem Partizip bzw. mit dem daraus entstandenen Adjektiv. Wenn man nun auf die kanonische Interpunktion des Deutschen verzichtet (unser Ausgangspunkt ist ja gesprochene Sprache), dann können wir garden-path-Sätze wie folgenden finden: (23)

Stefan versucht das Rennen aufzugeben widerstand.

Die Interpretation ist analog zu der von (19). Es gibt auch zu (23) eine Parallele, durch die der Verarbeitungsmechanismus nicht in die Irre geführt wird: (24)

Stefan aufgefordert das Rennen aufzugeben widerstand.

Wie für (19) und (20) gibt es auch zu (22) und (23) parallele verwandte Sätze:

10 (25) (26)

Stefan, der versucht war, das Rennen aufzugeben, widerstand. Stefan, der aufgefordert war/wurde, das Rennen aufzugeben, widerstand.

Wir können auch folgendes Beispiel für das Verhältnis von Grammatikalität und Akzeptabilität betrachten: (27)

The man the girl the boy knows likes is here.

Auch dies ist unakzeptabel, und zwar, weil es für den Verarbeitungsmechanismus zu komplex ist. Das wird dadurch gestützt, daß die verwandten Sätze in (28) und (29) völlig in Ordnung sind: (28) (29)

The man the girls likes is here. The girl the boy knows likes the man.

Man betrachte dazu auch die folgenden deutschen Beispiele: (30) (31)

Derjenige, welcher denjenigen, welcher das Schild, das an der Straße, die nach Weimar führt, stand, umgeworfen hat, anzeigt, erhält eine Belohnung. Derjenige erhält eine Belohnung, welcher denjenigen anzeigt, welcher das Schild umgeworfen hat, das an der Straße stand, die nach Weimar führt.

Beide Sätze sind grammatisch, aber der erste ist eine sog. Selbst-Einbettungs-Konstruktion (self-embedding construction), der zweite eine sog. Rechts-Verzweigungs-Konstruktion (rightbranching construction). Im ersten Fall ist also - wie bei den russischen Matrjoschka-Puppen - jeweils ein abhängiger Satz mitten in den übergeordneten eingefügt, im zweiten Fall ist jeweils ein abhängiger Satz rechts an den übergeordneten Satz angefügt. Man kann sich das schematisch so verdeutlichen: (32)

HSa

HSb NSla

NSlb NS2a

NS2b NS3

(33)

HS NS1

NS2 NS3

Sätze des ersten Typs (Verschachtelungen) sind offensichtlich schwerer zu verarbeiten als Sätze des zweiten Typs. (Dies hängt wiederum mit der Speicherkapazität unseres Kurzzeitgedächtnisses zusammen.) Daher sind Sätze des ersten Typs, wiewohl sie grammatisch sind, weniger akzeptabel als solche des zweiten Typs.

11 Sätze können auch in sehr unterschiedlicher Weise von der Norm abweichen. Wenn man einen weiten Begriff von Grammatik benutzt, der auch - vernünftigerweise - die Semantik einschließt, kann man folgende unterschiedliche Arten von Abweichungen konstatieren: (34)

(a) (b) (c) (d)

*In Kino das Junge ging der. *Der Kind gehte in dem Kino. *Det Kind jing inet Kino. *Das Kino ging in das Kind.

Beispiel (a) ist syntaktisch abweichend (im Grunde Wortsalat, den man nur mit Mühe als Das Kind ging in das Kino interpretieren kann), Satz (b) ist zwar syntaktisch in Ordnung, und man hat auch keine Mühe, den Satz wie oben zu interpretieren, aber er ist morphologisch nicht korrekt. Satz (c) ist phonetisch (zumindest von der Standardnorm) abweichend, syntaktisch und morphologisch aber korrekt, er könnte so etwas wie berlinischen Dialekt andeuten, und Satz (d) ist semantisch unmöglich, syntaktisch, morphologisch und phonetisch aber einwandfrei. Man sieht daran, daß sprachliche Strukturen unterschiedliche Schichten haben, die relativ unabhängig voneinander sind. Alle diese Beispiele sind ungrammatisch (und daher auch unakzeptabel). Sätze können auch unakzeptabel sein, weil sie Kontradiktionen enthalten oder weil sie, wie (34)(d), unseren Kenntnissen über die Welt widersprechen. (35) verdeutlicht den ersten und (36) noch einmal den zweiten Fall: (35) (36)

(a) (b) (a) (b)

Stefan succeeded in seeing Maja but he didn't see her. Stefan gelang es, Maja zu treffen, aber er traf sie nicht. My lawnmover thinks that I don't like it. Mein Rasenmäher glaubt, daß ich ihn nicht mag.

Es zeigt sich also, daß es verschiedene Möglichkeiten gibt, daß Sätze unakzeptabel sind, ohne daß sie ungrammatisch sein müßten. Wenn wir im folgenden unakzeptable Sätze betrachten, so werden das solche sein, die deshalb unakzeptabel sind, weil sie - soweit jeder das weiß - ungrammatisch sind. Es ist aber wichtig, im Gedächtnis zu behalten, daß nicht jeder unakzeptable Satz auch ungrammatisch ist. Natürlich kann man auch fragen, ob es Sätze gibt, die akzeptabel sein können, obwohl sie ungrammatisch sind. Es ist fraglich, ob es solche Sätze überhaupt gibt. Dabei kann man davon absehen, daß es Situationen gibt, in denen ungrammatische Sätze eines Sprechers vom Hörer akzeptiert werden, wenn sie verstehbar sind: Man denke an einfache Versprecher oder auch an fehlerhafte Sätze von Nichtmuttersprachlern. Man hat angenommen, daß die Phrase in (37) akzeptabel ist, wiewohl sie im Englischen (nicht aber im Deutschen) ungrammatisch sein sollte: (37)

(a) (b)

a not unintelligent person eine nicht unintelligente Person

12 Im Englischen kann not im allgemeinen nicht mit einem pränominalen Adjektiv verbunden werden, wohl aber mit dem Adverb very·. (38) (39)

(a) (b) (a) (b)

*a not intelligent person ?eine nicht intelligente Person a not very intelligent person eine nicht sehr intelligente Person

Sprecher scheinen Sätze wie (37a) so zu interpretieren, als käme darin ein Adverb wie very vor und nicht das Präfix un-, und sie daher als akzeptabel anzusehen, obwohl diese Sätze die Regeln verletzen, die von ihnen, den Sprechern, verinnerlicht sind.3

1.5

Syntax-Theorie und traditionelle Grammatik

Die Syntax-Theorie steht, wiewohl der Terminus erst seit Chomskys Arbeit von 1957 eingeführt ist, in engem Zusammenhang mit der traditionellen Grammatikforschung.4 Es gibt jedoch wichtige Unterschiede. Es scheint angemessen, an dieser Stelle auf diese Unterschiede kurz einzugehen. Die späteren Kapitel werden das Bild genauer ausleuchten. Erstens: Die moderne Syntax-Theorie legt großen Wert auf die genaue Bestimmung syntaktischer Analysen. Der Terminus 'generativ' wird obwohl er eigentlich 'erzeugend' bedeutet - häufig als synonym für 'präzise' und 'explizit' verstanden. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die moderne Syntax-Theorie wesentlich von der traditionellen Grammatik, die im Gegensatz dazu meist einen erheblichen Mangel an Präzision und Explizitheit aufweist. Die Betonung von Präzision ist aber gerade eine Angelegenheit seriöser wissenschaftlicher Tätigkeit. Wenn eine Analyse nicht präzise und explizit ist, kann sie nicht überprüft werden. Überprüfbarkeit ist ein entscheidendes Kriterium für Wissenschaftlichkeit. Praktisch bedeutet die Akzentuierung von Präzision, daß Syntaktiker verschiedene Arten von Formalismen benutzen, die in der traditionellen Grammatik überhaupt nicht vorkommen. Anstelle der Behauptung in (40) würde ein Syntax-Theoretiker die Formel in (41) bevorzugen:

3

Für die weitere Diskussion des Unterschieds zwischen Akzeptabilität und Grammatikalität vgl. Newmeyer (1983, 2.2.1) und Horrocks (1987, 1.4). Beispiele wie (2)(a) in Abschnitt 1.4 wurden zuerst in Miller/Chomsky (1963) diskutiert. 4 Hauptbeispiele für traditionelle Grammatiken sind Jespersen (1909-1949), Kruisinga (1925) und Poutsma (1926-29) wie auch Quirk et al. (1985) für das Englische. Auch fludas Deutsche gibt es zahlreiche Beispiele für solche Grammatiken, klassische Arbeiten sind etwa Paul (1916-20), Behaghel (1923-32).

13 (40) (41)

Ein Satz kann aus einer Nominalphrase bestehen, der eine Verbalphrase folgt. S — > NP VP

Das Ergebnis ist, daß Arbeiten auf dem Gebiet der Syntax-Theorie irgendwie ein mathematisches Aussehen annehmen, zumindest für diejenigen, die ein wenig in der Mathematik bewandert sind. Das hängt auch damit zusammen, daß die verschiedensten Bereiche syntaktischer Phänomene in einen systematischen, in sich logisch zusammenhängenden theoretischen Rahmen gestellt werden, so daß diese Phänomene nicht mit unterschiedlichen, theoretisch nicht miteinander verträglichen oder einander widersprechenden Annahmen analysiert werden. Zweitens: In der Syntax-Theorie wird großer Wert auf die Rechtfertigung von Analysen gelegt. Das bedeutet, daß Syntax-Theoretiker nachzuweisen versuchen, daß ihre Analysen gut funktionieren und daß sie insbesondere besser funktionieren als erkennbare Alternativen. Im Gegensatz dazu werden in der traditionellen Grammatik irgendwelche Konstruktionen oft nur deshalb in einer bestimmten Weise analysiert, weil sie immer in dieser Weise analysiert worden sind. Schließlich - wie schon angedeutet - ist die Syntax-Theorie anders als die traditionelle Grammatik nicht nur damit beschäftigt, bestimmte Sprachen präzise zu beschreiben, sondern darüber hinaus auch damit, eine allgemeine Theorie über Sprache zu entwickeln. Das heißt, daß möglicherweise stets auch andere Sprachen relevant sind, wenn man eine bestimmte Sprache analysieren will.

1.6

Der Nutzen syntaktischer Theorien

Es ist wahrscheinlich richtig, wenn man sagt, daß die meisten Syntaktiker an der Syntax um ihrer selbst willen interessiert sind und nicht wegen irgendwelcher praktischer Anwendungsmöglichkeiten, die eine SyntaxTheorie haben könnte. Mitunter ist behauptet worden, daß Syntax-Theorie überhaupt keinen praktischen Nutzen habe. Das war allerdings nie richtig. Die Syntax-Theorie war zumindest potentiell schon immer für zahlreiche Anwendungsbereiche nützlich. Insbesondere hat sie große Wirkungsmöglichkeiten im Sprachunterricht gehabt (obwohl Versuche, diese Wirkungsmöglichkeiten auszunutzen, nicht immer sehr erfolgreich gewesen sind). In den letzten anderthalb Jahrzehnten jedoch hat eine wichtige Entwicklung viel klarer gemacht als früher, daß die Syntax-Theorie von Nutzen ist. Diese Entwicklung besteht in den weit verbreiteten Versuchen, Computer dazu zu bringen, natürliche Sprache zu verarbeiten. Dafür aber sind gerade präzise Beschreibungen von Sprachen notwendig, denn Computer tolerieren - anders als Menschen - keine Ungenauigkeiten.

14 Besonders nützlich wäre es, wenn Computer gesprochene Sprache erkennen und hervorbringen könnten. Mit dem ersten meinen wir die Umwandlung von gesprochener in geschriebene Sprache, mit dem zweiten die Umwandlung von geschriebener in gesprochene Sprache. Computer so weit zu bringen ist eine schwierige Angelegenheit, und die bisherigen Ergebnisse sind eher begrenzt.5 Man kann sich jedoch leicht klar machen, daß für beide Ziele syntaktische Information außerordentlich wichtig ist. Betrachten wir zunächst das Problem der Spracherkennung. Eine wichtige Quelle für Schwierigkeiten - insbesondere im Englischen besteht darin, daß unterschiedliche Wörter mit unterschiedlicher Schreibweise die gleiche Aussprache haben, z.B. das Verb meet und das Nomen meat. Wie kann ein Computer erkennen, daß es sich in (42) um das erste, in (43) hingegen um das zweite Wort handelt? (42) (43)

Can you meet me tomorrow? I bought some meat.

Die Antwort besteht darin, daß der Computer Zugriff auf folgende Information haben muß: (44) (45)

Nur die Grundform eines Verbs ist möglich im Kontext: Can you Nur ein Substantiv ist möglich im Kontext: I bought some .

me.

Nur wenn der Computer über eine präzise Analyse der relevanten Aspekte der englischen Syntax verfügen kann, wird er diese Zugriffsmöglichkeit haben. Es gibt viele andere Wortpaare, die hier erwähnt werden könnten. Eines ist das Verb write und das Adjektiv right. Auch hier benötigt der Computer Information, um erkennen zu können, daß es sich um das erste Wort in (46), um das zweite Wort in (47) handelt: (46) (47)

I made him write a letter. I gave him the right letter.

Andere Beispiele finden sich in den Übungen. Mitunter ist sogar die Schreibweise verschiedener Wörter identisch (abgesehen von der Großund Kleinschreibung), obwohl sie zu unterschiedlichen Wortklassen gehören. Man vergleiche im Deutschen das Adjekt arm und das Nomen Arm: (48) (49)

5

Er ist arm geworden. Er hat den Arm gebrochen.

Für eine allgemeine Diskussion der Computerverarbeitung von Sprache vgl. Gazdar/ Mellish (1987) und Halvorsen (1988). Vgl. auch Pullum (1987) für die Erörterung militärischer Interessen an diesem Forschungsgebiet. Für eine allgemeinere Diskussion der Nützlichkeit der Syntax-Theorie vgl. Newmeyer (1983, 5).

15 Auch hier braucht der Computer syntaktische Information, um die Unterscheidung treffen zu können. Probleme treten auch dann auf, wenn Paare von Ausdrücken eine ähnliche Aussprache haben, z.B. das Verb oil und der Determinierer/Quantor all. Obwohl diese Wörter unterschiedlich ausgesprochen werden, könnte der Computer nicht in der Lage sein, auf Grund der akustischen Evidenz zu entscheiden, welches der beiden Wörter nun tatsächlich produziert worden ist. Auch hier ist wieder syntaktische Information erforderlich, damit er die beiden Fälle differenzieren kann: (50) (51)

I tried to oil the wheels. I talked to all the girls.

Insbesondere muß er wissen, daß das Verb tried sich mit einem Infinitiv verbindet, während sich das Verb talked mit einer Präpositionalphrase verknüpft. Nur wenn der Computer über eine genaue Analyse der relevanten Aspekte der englischen Syntax verfügt, ist das möglich. Ein weiteres Paar ähnlicher Wörter sind das Verb reach und das Adjektiv rieh, wie die folgenden Beispiele zeigen: (52) (53)

I saw her rich aunt. I saw her reach out.

Auch hier wäre der Computer außerstande, auf der Grundlage bloßer akustischer Evidenz zu entscheiden, welches Wort hervorgebracht worden ist, er braucht syntaktische Information, um zu einer Entscheidung zu gelangen. Wir können uns nun der Synthese gesprochener Sprache zuwenden. Hier ist das Hauptproblem, daß unterschiedliche Wörter, die unterschiedlich ausgesprochen werden, mitunter in der gleichen Weise geschrieben werden. Man betrachte das Wort mouth. Dies kann ein Nomen sein. In diesem Fall wird das th wie in thin ausgesprochen. Es kann aber auch ein Verb sein. In diesem Falle wird th wie in then ausgesprochen. In (54) ist es ein Nomen, in (55) ein Verb: (54) (55)

I saw her mouth move. I saw her mouth the answer.

Ein Computer kann dies jedoch nur wissen, wenn er etwas über englische Syntax weiß. Das Wort mouth ist kein Einzelfall. Es gibt viele ähnliche Beispiele, z.B. die folgenden: (56) (57)

They made the council house filthy. They made the council house the family.

In (56) ist house ein Nomen und reimt sich auf mouse, in (57) ist es ein Verb und reimt sich auf cows. Ein anderes interessantes Beispiel ist read.

16 Dieses Wort kann als ein Verb betrachtet werden, das im Präsens und nicht in der 3. Person steht, eine Form, die benutzt werden kann, wenn das Subjekt nicht ein Personalpronomen he, she, it oder ein singularischer Ausdruck wie the boy ist. Es kann aber auch als ein Verb verstanden werden, das im Präteritum steht. Im ersten Fall wird es wie reed, im zweiten Falle wie red ausgesprochen. Man betrachte nun folgende Beispiele: (58) (59)

The boy read the paper. The boys read the paper.

In (58) kann read nur die Präteritalform des Verbs sein. Daher muß es wie red ausgesprochen werden. In (59) hingegen kann es entweder die Präsensform sein, die nicht in der 3. Person Singular steht, oder die Präteritalform. Hier kann es wie red oder wie reed ausgesprochen werden. Warum ist das so? Weil wir in (58) das singularische Subjekt the boy haben und in (59) das pluralische Subjekt the boys. In (58) und (59) sind beide adjazent, d.h. direkt benachbart, zum Verb read. Das muß jedoch nicht so sein: (60) (61)

The boy often read the paper. The boys often read the paper.

Faktisch gibt es keine wirkliche Grenze dafür, wieweit der wesentliche Ausdruck entfernt sein darf: (62) (63) (64) (65)

Which Which Which Which

boy do you think read the paper? boys do you think read the paper? boy did you say you thought read the paper? boys did you say you thought read the paper?

In (62) und (63) stehen drei Wörter zwischen which boy bzw. which boys und read, in (64) und (65) sind es sogar fünf. Wir könnten selbstverständlich noch verwickeitere Beispiele konstruieren. Es handelt sich hier um ein besonders kompliziertes Gebiet der Syntax, das wir erst im 12. Kapitel etwas detaillierter behandeln werden. Jedenfalls ist aber klar geworden, daß die Synthese gesprochener Sprache sehr komplexe Information über Syntax benötigt. Man kann also - um es noch einmal zusammenzufassen - durchaus verschiedenen Nutzen aus den Resultaten syntaktischer Theorien ziehen: 1. Die Entwicklung der Syntax-Theorie ist eine Form der Grundlagenforschung. Der Nutzen solcher Grundlagenforschung besteht darin, daß die Linguistik, speziell die Syntax-Theorie, etwas über wesentliche kognitive Fähigkeiten des Menschen und somit etwas über das Wesen des Menschen ausfindig zu machen vermag. 2. Syntax-Theorie ist eine der Voraussetzungen für den Sprachunterricht, auch wenn sie nicht direkt im Sprachun-

17 terricht vermittelt wird. In den Sprachunterricht können sicher nicht in erster Linie, wenn überhaupt, die formalen Beschreibungs- und Erklärungsinstrumentarien der Syntax-Theorie eingehen, durchaus jedoch der in ihr entwickelte Denkstil (so, wie ja auch aus dem theoretischen und methodischen Instrumentarium des klassischen deskriptiven Strukturalismus bestimmte Denkmuster bis in den Sprachunterricht gelangt sind, man vergleiche nur die allgemein verwendeten Tests wie Ersatz-, Verschiebeoder Weglaßprobe, die seit langem im deutschen Muttersprachunterricht verwendet werden, um - wenigstens auf ungefähre Weise - den Satzgliedstatus bestimmter Wortfolgen zu ermitteln, vgl. dazu auch Kapitel 2). 3. Die Syntax-Theorie ist die entscheidende Grundlage für die automatische Sprachverarbeitung. Auch höchstentwickelte Computer können die Strukturen sprachlicher Äußerungen nur dann analysieren (oder synthetisieren), wenn sie mit einem Programm ausgestattet sind, das eine formale und explizite Grammatik samt dem dazugehörigen Lexikon implementiert. Und diese formale Grammatik (Syntax) müssen die Linguisten zunächst einmal rekonstruieren. Der Computer kann dann natürlich auch wieder als Prüfungsinstanz dafür dienen, ob die implementierte Grammatik (Syntax) zumindest beschreibungsadäquat formuliert ist. Für alle drei Bereiche ist es von Bedeutung, daß Beispiele wie die folgenden (vgl. Bierwisch 1993) angemessen analysiert werden: (66) (67)

Ich kann ihn nicht leiden sehen. Ich kann ihn nicht leiden.

Der Unterschied zwischen den beiden Sätzen besteht nicht nur in folgenden zwei Punkten, nämlich (a) die Bedeutung von leiden ist in den Sätzen (66) und (67) unterschiedlich, und (b) der Satz (66) ist um das Verb sehen länger als der Satz (67). In Satz (66) ist ihn das Subjekt von leiden (im Sinne von 'Leid ertragen'), vgl. die Paraphrase des Satzes (66) durch den Satz Ich kann nicht sehen, wie er leidet. In Satz (67) hingegen ist ihn das Objekt von leiden (im Sinne von 'ausstehen, ertragen'). Dabei ist außer Acht gelassen, daß die Verben können und sehen ihrerseits noch mehrdeutig sind 'physisch/psychisch in der Lage sein' bei können, 'mit dem körperlichen/mit dem geistigen Auge wahrnehmen' bei sehen. Die Analyse der beiden Sätze ist demnach keine triviale Angelegenheit, da die Sätze, wie schon angedeutet, über die vordergründig sichtbaren Unterschiede hinaus grundsätzlich andere syntaktische Strukturen aufweisen.

18

1.7

Historische Hintergründe

Im letzten Abschnitt dieses Kapitels können wir kurz einen Blick auf die Geschichte der Syntax-Theorie und auf ihr gegenwärtiges Szenarium werfen. Wie schon erwähnt, hat die Syntax-Theorie ihre Wurzeln in Chomskys Syntactic Structures. In diesem Buche führte Chomsky einen Zugang zur Syntax ein, der als Transformations-Grammatik (TG) bekannt wurde. Bemerkenswerterweise ist Chomsky seither immer die beherrschende Persönlichkeit in der Syntax-Theorie geblieben. In seinem 1965 erschienenen Buch Aspects of the Theory of Syntax führte er die später so bezeichnete Standard-Theorie oder klassische TG ein. Wir werden den zweiten Terminus in der künftigen Diskussion benutzen, insbesondere in den Kapiteln 9 und 10. In den letzten 25 Jahren hat sich eine Reihe von Alternativen zu TG entwickelt. Die erste wichtige Alternative war die Relational Grammar (RG), die in den frühen 70er Jahren aufkam. Am Ende der 70er Jahre folgte ihr die Lexical Functional Grammar (LFG). Beide werden im Kapitel 8 kurz erörtert. Die prominenteste Theorie in den 80er Jahren war Chomskys Government and Binding Theory (GB), die zuerste 1981 detailliert in Chomskys Lectures on Government an Binding vorgeführt und dann 1986 in wichtigen Punkten in Chomskys Barriers revidiert wurde. Dies ist zwar eine Version von TG, jedoch eine, die sich sehr von der TG der 50er und 60er Jahre unterscheidet. In den 80er Jahren entwickelte sich aber auch die Phrase Structure Grammar (PSG), die zur wichtigsten Alternative der TG avancierte. PSG umfaßt faktisch zwei unterschiedliche, wenn auch verwandte Zugänge zur Syntax: die Generalized Phrase Structure Grammar (GPSG), die 1985 in dem Buch Generalized Phrase Structure Grammar von Gazdar/Klein/Pullum/Sag vorgestellt wurde, und die Head-driven Phrase Structure Grammar (HPSG), die zuerst 1987 in dem Buch Information-Based Syntax and Semantics, Volume 1: Fundamentals von Pollard/Sag ihren Niederschlag fand. Der Begriff PSG wurde ursprünglich von Chomsky für eine Formalisierung der deskripitiven Praktiken der vor-chomskyschen Linguistik verwendet. Wir werden uns im folgenden darauf mit dem Terminus "chomskysche PSG" beziehen. Die PSG der 80er Jahre unterscheidet sich in verschiedenen Hinsichten von der chomskyschen PSG. 6

6

Für eine weitere Diskussion der Geschichte der Syntax-Theorie vgl. Newmeyer (1986) und Horrocks (1987, 2.1, 2.2). Für eine Diskussion der Entwicklung von GB vgl. van Riemsdijk/Williams (1986, aber auch Chomsky (1986b). Chomsky gibt in Chomsky (1957 eine kritisch-analysierende Einfuhrung in das, was wir chomskysche PhrasenStruktur-Grammatik nennen. GPSG wurde zuerst vorgestellt in Gazdar( 1981, 1982), und

19 Wir können die vorangegangen Bemerkungen in der folgenden Tabelle zusammenfassen: 50er 1957 1965 1981 1985 1986 1987

Zugänge zur Syntax, die anschließend als Phrasen-StrukturGrammatiken formalisiert wurden Chomsky: Syntactic Structures Chomsky: Aspects of the Theory of Syntax Chomsky: Lectures on Government and Binding Gazdar/Klein/Pullum/Sag: Generalized Phrase Structure Grammar Chomsky: Barriers; Knowledge of Language. Its Nature, Origin, and Use Pollard/Sag: Information-Based Syntax and Semantics. Volume 1: Fundamentals

Das bisher Gesagte mag deutlich gemacht haben, daß es keinen einzelnen Zugang zur Syntax-Theorie gibt, der sich allgemeiner Zustimmung erfreuen könne. GB ist der am weitesten verbreitete theoretische Rahmen, aber die PSG kann beträchtlichen einfluß verzeichnen, und sowohl die RG als auch die LFG haben noch eine beachtliche Zahl von Anhängern. Mit dem Ende der 80er und dem Beginn der 90er Jahre hat sich jedoch in der von Chomsky geprägten Syntax-Theorie ein radikaler Wandel vollzogen, der zur Aufgabe einer Reihe von Konzepten geführt hat, die gerade auch in diesem Buch vorgestellt und vermittelt werden sollen. Allerdings kann man die neueren Entwicklungen, die unter dem Titel Minimalistische Syntax firmieren, nicht verstehen und nachvollziehen, wenn man die früheren Ansätze nicht verarbeitet hat. Insofern ist das Anliegen, das mit diesem Buch verfolgt wird, durchaus legitimiert. Vielleicht sind die neuesten Vorstellungen des minimalistischen Programms noch nicht reif genug für ein einführendes Lehrbuch dieses Charakters.7 Eine ausführliche Erörterung dieses neuen Zugangs würde aber den gegenwärtigen Rahmen dieses Buches sprengen. Ähnliches gilt in gewissem Maße auch für HPSG. Auch hier gibt es Weiterentwicklungen, die nicht im Detail vorgestellt werden können. Die wichtigsten Arbeiten beider Richtungen sind in einer Tabelle zusammengefaßt:

HPSG wurde zuerst in Pollard (1985) präsentiert. Für eine Diskussion der verschiedenen Bedeutungen des Termins "Phrasenstruktur" vgl. Manaster-Ramer/Kac (1990). 7 Eine Reihe von Arbeiten im Rahmen von Chomskys Minimalismus- und Kaynes Asymmetrie-Annahmen finden sich in Zwart (1994a). Ζ wart (1994b) bietet einen ersten Überblick über die Grundannahmen der Minimalismus-und der Asymmetrie-Konzeption.

20 1989 1991 1992 1994 1994 1995

Pollock: Verb-movement, Universal Grammar, and the Structure of IP Chomsky: Some Notes on Economy of Derivation and Representation Chomsky: A Minimalist Program for Linguistic Theory 1993 Kayne: The Antisymmetry of Syntax Pollard/Sag: Information-based Syntax and Semantics. Volume 2: Topics in Control and Binding Chomsky: Bare Phrase Structure Chomsky: The Minimalist Program

Es gibt auch andere, hier nicht erwähnte Zugänge.8 Mit anderen Worten: Syntaktiker haben viele Meinungsverschiedenheiten. Das kann zu der Frage führen: Wie können wir die Syntaktiker überhaupt ernst nehmen, wenn sie so viele unterschiedliche Auffassungen haben? Eine solche Frage beweist jedoch ein ernsthaftes Mißverständnis hinsichtlich des Wesens der Wissenschaft. Meinungsverschiedenheiten sind etwas völlig Normales, zumal in einer jungen Wissenschaft. Wenn Syntaktiker tatsächlich in allem übereinstimmten, gerade dann könnte man sie nicht ernst nehmen. Einmütigkeit ist ein Charakteristikum von dogmengeleiteten religiösen Sekten oder politischen Parteien, nicht von Wissenschaften. Einige der Meinungsunterschiede sind sehr wichtig, und wir wollen versuchen, sie in den folgenden Kapiteln etwas näher zu beleuchten. Man hofft natürlich, daß diese Meinungsverschiedenheiten möglichst behoben werden, aber das ist nicht einfach. Abgesehen davon gibt es eine Menge von Sprachen, von denen keine, das Englische und das Deutsche eingeschlossen, in einer völlig befriedigenden Weise beschrieben ist. Es ist jedoch wichtig, das Ausmaß an Differenzen nicht überzubewerten. Tatsächlich gibt es ein gewisses Maß an Übereinstimmung, und zwar mehr, als auf den ersten Blick zu erkennen ist. Wenn Menschen Meinungsverschiedenheiten haben, dann neigen sie dazu, ihre unterschiedlichen Positionen zu übersteigern, und Syntaktiker machen darin keine Ausnahme. Die Ähnlichkeiten der Auffassungen sind oft durch terminologische und notationeile Differenzen und auch durch rhetorische Übertreibungen verdunkelt. Faktisch gibt es doch eine beträchtliche Übereinstimmung darüber, was die wichtigsten Phänomene sind, wie sie sich

8 Die wichtigsten der hier nicht erörterten Konzeptionen sind die ^Categoriale Grammatik, die Wort-Grammatik und die Funktionale Grammatik. Für die Kategoriale Grammatik vgl. die Anmerkungen zu Kapitel 5, für die Wort-Grammatik die Anmerkungen zu Kapitel 2. Für die Funktionale Grammatik vgl. Dik (1978, 1980 und 1992).

21 voneinander unterscheiden und wie sie einander ähneln, und auch darüber, welche Konzepte für ihre Darstellung relevant sind. Obwohl es ein solches Maß an Übereinstimmung gibt, ist es eine Tatsache, daß es grundlegende Meinungsverschiedenheiten unter Syntaktikern gibt. Das macht es schwieriger als in anderen Bereichen, sich mit der Syntax-Theorie vertraut zu machen, aber wir hoffen, zeigen zu können, daß es nicht so schwierig ist, wie es den Anschein haben mag.

1.8

Zusammenfassung

Syntax-Theorie ist sowohl mit Einzelsprachen als auch mit Sprache generell befaßt. Es wurde gezeigt, was unter Sprache zu verstehen ist (Sprache als Menge von Sätzen, Sprache als mentales System). Die Unterschiede zwischen Akzeptabilität und Grammatikalität wurden behandelt wie auch die Beziehungen zwischen Syntax-Theorie und traditioneller Grammatik. Außerdem wurde auf Möglichkeiten der Verarbeitung natürlicher Sprache durch Computer verwiesen. Schließlich wurde ein kurzer Überblick über die historische Entwicklung der modernen Syntax-Theorie gegeben und auf wesentliche Unterschiede, aber auch auf unübersehbare Gemeinsamkeiten mehrerer syntaxtheoretischer Ansätze eingegangen.

Übungen Übung 1 Die Sätze in (1) können als verwandt mit den Sätzen in (2) betrachtet werden. Entsprechendes gilt für das Verhältnis der Sätze in (3) und (4) Suchen Sie andere einander ähnliche Sätze und zeigen Sie, daß die Feststellungen in (5) und (6) keine befriedigende Beschreibung dieser Beziehung sind! (1) (a) (b) (c) (2) (a) (b) (c) (3) (a) (b)

Ben sah Debby. Ben machte Debby Schwierigkeiten. Ben befahl Debby abzuhauen. Debby wurde gesehen. Debby wurden Schwierigkeiten gemacht. Debby wurde abzuhauen befohlen/befohlen abzuhauen. Es scheint so, daß Ben zu spät kommt, Es ist sicher, daß Debby das tun wird.

22 (c) Es ist gewiß, daß Debby hier sein wird. (4) (a) Ben scheint zu spät zu kommen. (b) Debby ist sicher, das zu tun. (c) Debby wird gewiß hier sein. (5) Sätze wie in (2) können aus Sätzen wie in (1) durch eine Reihe abgleitet werden, darunter die Bewegung des dritten Wortes an Satzanfangs. (6) Sätze wie in (4) können aus Sätzen wie in (3) durch eine Reihe abgleitet werden, darunter die Bewegung des fünften Wortes an Satzanfangs.

von Operationen die Position des von Operationen die Position des

Übung 2 Formen Sie die Sätze in (1) bis (3) so um, wie sie sein müßten, wenn Deutsch eine Sprache mit der Reihenfolge Verb-Subjekt-Objekt wäre! Formen Sie die Sätze in (4) bis (6) so um, wie sie sein müßten, wenn Deutsche eine Sprache mit der Reihenfolge Objekt-Verb-Subjekt wäre! (1) (2) (3) (4) (5) (6)

Gentlemen bevorzugen Blondinen. Zuviele Köche verderben den Brei. Donald Duck machte eine großartige Entdeckung. Was immer er tut langweilt sie. Der Mann, den sie mag, verabscheut sie. Die Tatsache, daß er zu spät kam, überraschte alle.

Übung 3 Alle folgenden Sätze sind in irgendeiner Weise unakzeptabel. Versuchen Sie, die Ursache der Unakzeptabilität zu bestimmen, insbesondere auch, ob die Sätze ungrammatisch sind oder nicht! (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8)

Dies ist ein vierseitiges Dreieck. Er schaffte es, den Felsbrocken anzuheben, aber er konnte ihn nicht anheben. Sie bin intelligent. Ich habe nie einen intelligenteren Mann als Maria gesehen. Wer hast du mit ihm gesprochen? Ich hörte den Duft des Käses. Dreimal vier ist dreizehn. Das Buch wurde das Buch Maria überreicht.

Übung 4 Jedes der folgenden Satzpaare enthält zwei Wörter mit der gleichen Aussprache, aber mit unterschiedlicher Schreibung. Zeigen Sie in all diesen Fällen, ob grammatische Information ausreichend ist, die richtige Schreibung zu garantieren, und - wenn das so ist zeigen Sie, welche grammatische Information dafür notwendig ist! Benutzen Sie dazu irgendeine grammatische Terminologie, die Ihnen vertraut ist!

23 (1) (a) (b) (2) (a) (b) (3) (a) (b) (4) (a) (b) (5) (a) (b) (6) (a) (b)

I think he ate snails. I gave him eight snails. He was standing under the beech. He was walking along the beach. I had read the book. I had the red book. We told him to wait. We told him the weigth. The floor in the cottage was uneven. The flaw in the argument was obvious. This is made of steel. This made him steal.

Übung 5 Jedes der folgenden Satzpaare enthält zwei Wörter mit der gleichen Schreibweise, aber mit unterschiedlicher Aussprache. Zeigen Sie in all diesen Fällen, ob grammatische Information ausreichend ist, die richtige Aussprache zu garantieren, und - wenn das so ist - zeigen Sie, welche grammatische Information dafür notwendig ist! Benutzen Sie dazu irgendeine grammatische Terminologie, die Ihnen vertraut ist! (1) (a) (b) (2) (a) (b) (3) (a) (b) (4) (a) (b) (5) (a) (b)

This is the Student that read the book. This is the student that must read the book. The content of the book was dreadful, He was content with the situation. I saw her protest in the paper, I saw her protest in the street. He has some live ammunition, He wants to live in France. I'd read that book by the time I was ten. I'd read that book if you asked me to.

2.

Konstituentenstruktur

2.1

Einführung

Nachdem wir im letzten Kapitel eine Reihe einführender Betrachtungen angestellt haben, können wir nun damit beginnen, die zentralen Ideen der Syntax-Theorie zu erörtern. Alle Syntaktiker stimmen darin überein, daß Sätze nicht nur eine lineare Struktur haben (Ketten von Wörtern verschiedener Art sind), sondern auch eine hierarchische Struktur aufweisen. Die meisten Syntaktiker stimmen auch darin überein, daß Sätze in Phrasen gruppiert sind, d.h. in Form von Konstituentenstrukturen.1 Es

1

Überlegungen, die aus der Valenztheorie kommen, nämlich, daß es zwischen bestimmten lexikalischen Kategonen Abhängigkeiten gibt, also etwa zwischen Verben und Substantiven, zwischen Präpositionen und Substantiven, zwischen Substantiven und Determinierem, sind im Rahmen formaler Abhängigkeits- oder Dependenz-Grammatiken in Regeln für den Aufbau von Sätzen formuliert worden. Ein Beispielsatz aus dem Abschnitt 2.2 ist: (1)

(daß) der Junge über das Mädchen ärgerlich war

Die Regeln für die Erzeugung dieses Satzes im Rahmen einer Abhängigkeitsgrammatik haben folgendes Aussehen: (2)

(a) (b) (c) (d)

V —> A —> Ρ —> Ν —>

ΝA * Ρ * *Ν Det *

Diese Regeln sind wie folgt zu lesen: (a) von einem Verb hängen links ein Ν und ein A ab (der Stern gibt die Stellung der jeweils auf der linken Seite der Regel stehenden Kategorie an), (b) von einem A hängt links ein Ρ ab, (c) von einem Ρ hängt rechts ein Ν ab, (d) von einem Ν hängt links ein Det ab. Aus diesen Regeln ergibt sich die Struktur (3): V

(3) Ν Det

Ρ Ν Det

der

Junge

über

das

Mädchen

ärgerlich

war

26 wird im folgenden gezeigt, w i e Konstituentenstrukturen motiviert sind und w i e sie in Form von Bäumen oder in Form von indizierten Klammerausdrücken repräsentiert werden können. Es wird weiter ausgeführt, w i e der Aufbau von Konstituentenstrukturen ermittelt werden kann und w e l c h e Zwischenkategorien (neben den lexikalischen w i e V , Ν , Α , Ρ und den phrasalen Kategorien S, V P , N P , A P , PP) dabei angenommen werden können oder müssen.

2.2

Die Motivation für Konstituentenstruktur

W a s also ist die Motivation für die Annahme, daß Sätze eine Konstituentenstruktur haben? D i e allgemeinste Antwort besteht darin, daß e s ohne die Annahme einer solchen Struktur mehr oder weniger schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist, zu bestimmen, was in einer Sprache zulässig ist oder nicht. D i e s wird sofort deutlich, wenn wir zu bestimmen versuchen, w a s ohne diese Annahme möglich ist und was nicht. W i e kann man bestimmen, was in einer Sprache möglich ist und w a s nicht, wenn man annimmt, daß Sätze Wortketten verschiedener Art sind?

Den einzelnen lexikalischen Kategorien werden dann (wie in der Konstituentenstrukturgrammatik) die lexikalischen Einheiten zugeordnet. Man sieht, daß eine Grammatik diesen Typs ohne phrasale Kategorien auskommt. Im Prinzip können AbhängigkeitsStruktur-Grammatiken und Konstituenten-Struktur-Grammatiken die gleichen Sätze (Satzmengen) erzeugen. In diesem Sinne sind die beiden Typen von Grammatiken (oder Syntaxen) äquivalent, aber nur schwach äquivalent, da sie zwar die gleichen Sätze abzuleiten gestatten, ihnen jedoch jeweils andere Strukturen zuschreiben. Auch solche Strukturen lassen sich durch indizierte Klammerungen äquivalent zur Baumschreibweise darstellen: (4) [ v IN IDBI der] [N Junge]] [A [ P [ P über][N fv war]].

das] [N Mädchen]]] [A ärgerlich]]

Strukturen wie (3) oder (4) dürfen allerdings nicht wie Konstituentenstrukturen gelesen werden: also nicht wie Ν und A konstituieren ein V oder Det konstituiert ein Ν usw., sondern so, wie es bei der Beschreibung der Regeln formuliert ist: Ν und A sind links von V abhängig, Ρ ist links von A abhängig, Ν ist rechts von Ρ abhängig, Det ist links von Ν abhängig. Die mit den Kategorien durch gestrichelte Linien im Baum verbundenen oder die direkt von kategorial indizierten Klammern eingeschlossenen Wörter sind dann zu lesen wie der ist ein Det, Junge ist ein Ν usw. Die Dependenz-Grammatik hat ihre Wurzeln in Tesnière (1959). Matthews (1981) bietet eine Einführung. In den letzten Jahren hat die Dependenz-Grammatik eine zentrale Rolle im Rahmen der sogenannten Wort-Grammatik gespielt, die in Hudson (1984, 1990) entwickelt worden ist. Eine Grammatik des Deutschen, die auf der Dependenztheorie fußt, ist Eisenberg (1986, 21989)

27 Man betrachte die folgenden Sätze. Es sei daran erinnert, daß das Englische eine Sprache vom Typ SVO, das Deutsche aber eine vom Typ SOV ist, so daß wir - zunächst jedenfalls - für das Deutsche nur Nebensätze mit der Endstellung des Verbs anführen, ohne schon die Konjunktion daß in die Analyse einzubeziehen. Wir werden später zeigen, daß deutsche Verb-Zweit-Sätze abgeleitete Konstruktionen sind: (1)

(a) The boy was angry about the girl. (b) (daß) der Junge über das Mädchen ärgerlich war.

Die Sätze in (1) bestehen aus Wörtern, die folgenden Wortklassen (in der Reihenfolge des Auftretens der Wörter) angehören: (2)

(a) Det Ν V Α Ρ Det Ν (Englisch) (b) Det Ν Ρ Det Ν A V (Deutsch)

Dabei steht Det für 'Determinierer' (z.B. Artikel), Ν für 'Nomen' (Substantiv), V für 'Verb', Ρ für 'Präposition'. Man könnte nun annehmen, daß der Satz S sich unmittelbar aus Konstituenten des Typs Det, N, V usw. aufbaut, so wie dies in den Bäumen (3) angedeutet ist. (3)

(a)

der Junge

Mädchen

verärgert

Diese Bäume könnten durch die folgenden Regeln abgeleitet werden: (4)

(a) (b)

S — > Det Ν V Α Ρ Det Ν (Englisch) S — > Det Ν Ρ Det Ν A V (Deutsch)

Wir können die Regel (4)(a) so interpretieren, daß sie für das Englische festlegt, daß ein S aus einem Det besteht, dem ein Ν folgt, dem ein V folgt, dem ein A folgt, dem eine Ρ folgt, dem ein Det folgt, dem schließlich wieder ein Ν folgt. (Entsprechend kann die Regel (4)(b) für das Deutsche interpretiert werden.) Regeln dieser Art ergeben eine flache Struktur, sie bieten auch keine wirkliche Generalisierung. Zwar kann man eine Menge von Sätzen finden, denen ähnliche bzw. gleiche Strukturen

28 wie (3) zugeschrieben werden könnten. Allerdings gibt es eine noch viel größere Zahl von Sätzen, die anders strukturiert sind. Und für alle diese anderen Sätze müßten jeweils zu (4) analoge Regeln formuliert werden. Die Kategorie S (für Satz) hätte gewissermaßen unendlich viele Expansionsregeln. Damit wäre aber weiter nichts gewonnen, als würden wir jeden Satz dadurch beschreiben, daß wir jedes seiner Wörter der Reihe nach in eine Wortklasse einordnen. Über die Struktur des Satzes haben wir eigentlich nichts erfahren. Wenn man also annehmen möchte, daß Sätze nichts anderes als Ketten von Wörtern sind, so müßte man bestimmen, was mit einer Menge von Regeln wie (4) möglich ist. Es ist jedoch klar, daß dies kein befriedigender Zugang ist. Wenn wir übereinstimmen, daß es keinen längsten Satz gibt, dann würde die Bestimmung dessen, was in einer Sprache möglich ist, wenn man Regeln dieser Art formuliert, eine nie zu erfüllende Aufgabe sein. Selbst wenn wir uns auf Sätze mit einer Länge von nicht mehr als dreißig Wörtern beschränken wollten, erhielten wir eine gewaltige Zahl von Regeln. Es ist außerdem klar, daß - wie schon gesagt - dieser Zugang Generalisierungen kaum zuläßt. In (l)(a) haben wir Det + Ν am Beginn und am Ende des Satzes. Es scheint, daß darin - zumindest für das Englische - eine Generalisierung steckt. Wenn wir jedoch nur Regeln wie in (4) haben, ignorieren wir eine solche Generalisierung. Mit Regeln dieser Art könnten wir ebenso gut Det + Ν nur am Anfang, nur am Ende oder in beiden Positionen haben. Wir müssen also nach einem anderen Zugang Ausschau halten. Man könnte nun prüfen, ob es bestimmte feste Übergänge zwischen Wörtern bestimmter Klassen gibt, d.h. für jede Kategorie prüfen, welche Kategorie ihr folgen kann. Auf den ersten Blick scheint es, daß etwa die Reihenfolge zwischen Det und Ν fest ist, daß also Det immer links von Ν steht. Damit würden die Sätze in (1) zugelassen, die in (5) hingegen nicht: (5)

(a) (b)

*Boy the was angry about girl the. '''(daß) Junge der über Mädchen das ärgerlich war

Solange man sich jedoch im Rahmen der Annahme bewegt, daß ein Satz aus einzelnen Wörtern besteht, wie in (2) bis (4) dargestellt, kann man leicht Gegenbeispiele für die Vermutung finden, daß der Artikel immer links vom Nomen stehen müßte. Generell kann man vielmehr feststellen, daß es keine Beschränkungen für das Aufeinanderfolgen von Wörtern verschiedener Klassen innerhalb eines Satzes gibt. Beispiele aus dem Deutschen: (6)

(a) (b)

weil Studenten Bächer brauchen, Der Junge tat es.

Ν+Ν Ν + V

29 (c) (d) (e)

Röslein rot. Er schickte den Brief an Maria. Er schenkte dem Mädchen das Buch.

Ν + A Ν + Ρ Ν + Det

(f) (g) (b) (0 0)

Er liebt Bächer. als er ihn kommen sah Er liebt alte Autos. Sie fuhren nach Weimar. Sie sahen den Mann.

V V V V V

+ + + + +

Ν V Α Ρ Det

00 (1) (m) (n) (o)

Der alte Herr kam über die Straße. weil er schwarz sieht eine schlanke junge Dame Er ist stolz auf seinen Sohn. so groß der Mann auch sein mag

Α Α Α Α Α

+ + + + +

Ν V Α Ρ Det

(P) (q) (r) (t)

Er handelt mit Wein. Man bekommt hier nichts zu essen. mit jungen Mädchen für Kinder bis zu drei Jahren mit den jungen Mädchen

Ρ Ρ Ρ Ρ Ρ

+ + + + +

Ν V Α Ρ Det

(u) (V) (w) (χ) (y)

Der Mann ging über die Straße. Er sah einen Ball und wollte den haben. der alte Herr die über drei Stockwerke hohen Häuser der die Kinder liebende Vater

Det Det Det Det Det

(•)

+ + + + +

Ν V A Ρ Det

Übergangsbeschränkungen sind so nicht feststellbar, die Lösung des Problems kann daher nicht mit Annahmen über die Reihenfolge gefunden werden, jedenfalls solange nicht, wie man sich im Rahmen der Überlegung bewegt, daß Sätze unmittelbar aus Wörtern bestehen. Man kann nun einen anderen Zugang wählen. Man prüft, ob Wörter komplexere Strukturen unterhalb von Sätzen bilden, ob solche komplexeren Strukturen noch komplexere Strukturen bilden usw. usf., bis man schließlich zu dem Punkt gelangt, an dem aus komplexen Strukturen die komplexe Struktur des Satzes entsteht. (7) (8) (9)

(a) (b) (a) (b) (a) (b)

[Stefan] was angry about [Maja] (daß) [Stefan] über [Maja] ärgerlich war [The old man] was angry about [the young girl] (daß) [der alte Mann] über [das junge Mädchen] ärgerlich war [Stefan and Ben] were angry about [Maja and Debby] (daß) [Stefan und Ben] über [Maja und Debby] ärgerlich waren

Die eingeklammerten Teilstrukturen sind NPs (Nominalphrasen). In (7) bestehen sie aus einem N, in (8) aus Det + A + N, in (9) aus Ν + and/und, + N. Man kann nun aus den Beispielen folgende Regel für den Satz ableiten:

30 (10)

(a) (b)

S — > NP V A Ρ NP (Englisch) S — > NP Ρ NP A V (Deutsch)

Für die NP selbst kann man dann folgende Regel formulieren (die im Englischen wie im Deutschen gilt): (11)

NP — > {[Det Ν], N, [Det Α Ν], [Ν und Ν]}

Die geschweifte Klammer ist als oder zu lesen. D.h., eine NP besteht aus Det + Ν oder Ν oder Det + Α + Ν oder Ν und Ν. Damit ergibt sich für unsere Sätze bereits eine reichere Struktur: (12)

(a)

S

A

(12)

NP

Det

Ν

the

boy

NP

was

angry

(b)

about

Det

Ν

the

girl

S

NP' Det

Ν

I

I

der

Junjge

über

das

Mädchen

ärgerlich

war

Nun können NPs aber auch aus [Det + N] und [Det + N], also aus NP und NP bestehen: (13)

(a)

Stefan and his mother

(b)

der kleine Junge und der alte Mann

Damit können wir die Regel (11) erweitern: (14)

NP — > {[Det Ν], N, [Det Α Ν], [Ν und Ν], [NP und NP]}

Genau genommen können wir auch den vorletzten Ausdruck in der geschweiften Klammer streichen, da ja mit dem zweiten Ausdruck bereits gewährleistet ist, daß eine NP aus einem bloßen Ν bestehen kann. Damit sind keineswegs schon alle Möglichkeiten für den Aufbau von NPs erschöpft, für eine erste Illustration soll das jedoch genügen. Solche Betrachtungen, die die Erkenntnis der Existenz von NPs stützen, sind auch für die Erkenntnis der Existenz anderer Phrasentypen hilfreich. Es gibt erstens Evidenz für Verbalphrasen (VPs). Beispielsweise scheinen die Optionen, die nach einem Subjekt möglich sind, das - im

31

Englischen wie auch normalerweise im Deutschen - die erste Position in einem einfachen Satz belegt, beliebig zu sein. Der hier entscheidende Unterschied zwischen dem Englischen und dem Deutschen besteht wieder darin, daß Englisch eine SVO-Sprache, Deutsch aber eine SOV-Sprache ist. Das zeigt sich an der Position des Verbs in der VP: (15)

(al) (a2) (bl) (b2) (cl) (c2) (dl) (d2)

The boy [slept] (daß) Hans [schläft] The boy [saw the girl] (daß) der Junge [das Mädchen sah] The boy was [angry about the girl] (daß) der Junge [über das Mädchen ärgerlich] war The boy [came and went] (daß) der Junge [kam und ging]

(16) zeigt, daß diese Optionen in einer anderen Position erscheinen können. Sie können im Englischen einem Modalverb folgen, im Deutschen einem Modalverb vorausgehen2 : (16)

(al) (a2) (bl) (b2) (cl) (c2) (dl) (d2)

The boy may [sleep] (daß) der Junge [schlafen] kann The boy may [see the girl] (daß) der Junge [das Mädchen sehen] kann The boy may [be angry about the girl] (daß) der Junge [über das Mädchen ärgerlich sein] kann The boy may [come and go] (daß) der Junge [kommen und gehen] kann

Wir können diese Daten dadurch beschreiben, daß wir VP in die Regeln für S einführen und bestimmen, was genau eine VP ist. Wir können VP mit der Regel (17) einführen und mit der Regel (18) bestimmen, was eine VP sein kann: (17)

(18)

(a) (bl) (b2) (a) (b)

S — > NP VP (Deutsch und Englisch) S — > NP M VP (Englisch) S — > NP VP M (Deutsch) VP — > {V, [V NP], [V A Ρ NP], [V and V]} (Englisch) VP — > {V, [NP V], [P NP A V], [V und V]} (Deutsch)

Wir können nun die Regeln noch etwas vereinfachen: Erstens können wir fakultative Konstituenten in runde Klammern schreiben. Das würde für (17) so etwas wie (17') ergeben: (17')

2

(a) (b)

S — > NP (M) VP (Englisch) S — > NP VP (M) (Deutsch)

In Kapitel 10 wird gezeigt, daß Modalverben in der PSG als Verben analysiert werden, in GB jedoch als Elemente der Kategorie I (oder INFL oder INFLECTION).

32 Zweitens können wir - wie in der Mathematik - die gemeinsamen Faktoren ausklammern. Das ergibt für (18) so etwas wie (18'): (18·)

(a) (b)

VP — > V ({NP, [Α Ρ NP], [and V]}) (Englisch) VP — > ({NP, [P NP A], [V und]}) V (Deutsch)

Diese Veränderung in unseren Regeln ergibt nun für (1) folgende Repräsentationen:

(18) bzw. (18') sind jedoch noch nicht zufriedenstellend. Jede VP kann mit irgendeiner anderen VP-Sequenz verbunden werden, vgl. (20): (20)

(al) (a2) (bl) (b2) (cl) (c2)

The boy arrived and saw the girl. (daß) der Junge ankam und das Mädchen sah The boy arrived and sent the book to her. (daß) der Junge ankam und ihr das Buch schickte The boy saw the girl and sent the book to her. (daß) der Junge das Mädchen sah und ihm das Buch schickte

Das legt nahe, die Regel (18) folgendermaßen zu revidieren ((21') hat wieder die entsprechenden notationellen Vereinfachungen): (21) (21')

(a) (b) (a) (b)

VP VP VP VP

—> —> —> —>

{V, [V NP], [V Α Ρ NP], [VP and VP]} {V, [NP V], [Ρ NP A V], [VP und VP]} {[V ({[NP], [A Ρ NP]})], [VP and VP]} {[({[NP], [P NP A ]}) V], [VP und VP]}

Es gibt auch Evidenz für Präpositionalphrasen (PPs). Die Sequenz Ρ + NP, die in (1) erscheint, kann nämlich in unterschiedlichen Positionen auftreten:

33 (22)

(a) (bl) (b2)

It was about the girl that the boy was angry. (daB) über das Mädchen der Junge ärgerlich war. Über das Mädchen war der Junge ärgerlich.

(22)(a) ist ein sogenannter Spaltsatz {cleft sentence) des Englischen. (22)(bl) mag als Nebensatz im Deutschen leicht abweichend sein, (b2) hingegen als Aussagesatz ist völlig in Ordnung. Aussagesätze haben im Deutschen das finite Verb an zweiter Stelle, und vor das finite Verb kann ein beliebiges Satzglied rücken, es muß nicht das Subjekt sein. Wie es zur Struktur des deutschen Aussagesatzes kommt, werden wir später zeigen, das Beispiel an dieser Stelle soll nur illustrieren, daß P-NP-Sequenzen auch im Deutschen problemlos verschiedene Positionen einnehmen können. (22) legt nahe, die Sequenz Ρ + NP als PP zu analysieren. Wir können damit (21) durch (23) ersetzen und in (24) bestimmen, woraus eine PP besteht. (23) (23') (24)

(a) (b) (a) (b)

VP — > VP — > VP — > VP — > PP — >

{V, [V NP], [V A PP], [VP and VP]} {V, [NP V], [PP A V], [VP und VP]} {[V ({[NP], [A PP]})], [VP and VP]} {[({[NP], [PP A]}) V], [VP und VP]} Ρ NP

Damit gelangen wir zur folgenden Darstellung von (1):

Det

I angry

about

the

I girl

34

Nun läßt sich aber zeigen, daß auch diejenige Sequenz in (1), die aus dem Adjektiv und der PP besteht, in anderen Positionen erscheinen kann: (26)

(a) (bl) (b2)

What the boy was was angry about the girl. (daß) über das Mädchen verärgert der Junge war Über das Mädchen verärgert war der Junge.

(26)(a) ist ein sogenannter Pseudo-Spalt-Satz des Englischen. (Für die deutschen Beispiele (bl,2) gilt das über (22)(bl,2) Gesagte.) Die Sequenz A + PP (Englisch) bzw. PP + A (Deutsch) kann demnach als AP analysiert werden. Wir ersetzen daher (23) durch (27) und führen (28) ein, um zu bestimmen, wie eine AP beschaffen sein kann. (27) (27') (28)

(a) (b) (a) (b) (a) (b)

VP — > VP — > VP — > VP — > AP—> AP — >

{V, [V NP], [V AP], [VP and VP]} {V, [NP V], [AP V], [VP und VP]} {[V ({[NP], [AP]})], [VP and VP]} {[({[NP], [AP]}) V], [VP und VP]} A PP (Englisch) PP A (Deutsch)

Der Unterschied der Sequenzen A + PP bzw. PP + A im Englischen und im Deutschen ist übrigens bemerkenswert: Im Englischen steht A am linken Rand der AP, so wie V am linken Rand der VP steht; im Deutschen steht A am rechten Rand der AP, wie V am rechten Rand der VP steht. Es hat allerdings den Anschein, daß im Deutschen A nicht nur am linken, sondern auch am rechten Rand der AP stehen kann: (29)

(a) (b)

(daß) der Vater stolz auf seinen Sohn ist (daß) der Vater auf seinen Sohn stolz ist

Es zeigt sich jedoch, daß A in bestimmten Konstruktionen, nämlich dann, wenn eine AP attributiv verwendet wird, am rechten Rand dieser AP stehen muß und nicht am linken Rand stehen darf: (30)

(a) (b)

'''der [stolze auf seinen Sohn] Vater der [auf seinen Sohn stolze] Vater

Auch hier ist die Annahme sinnvoll, daß nur eine Reihenfolge die zugrunde liegende ist, nämlich die mit dem rechtsständigen Adjektiv (wir werden im Kapitel 4 sehen, daß diese dem Adjektiv und dem Verb im Deutschen gemeinsame Eigenschaft, in der Grundposition am rechten Rand ihrer jeweilen Phrase zu stehen, sich an einem bestimmten Merkmal festmachen läßt). Mit (27) und (28) können wir unsere Sätze abermals weiter strukturieren:

35 (31)

(a)

Det der Junge

über

I

das

Ν

I

Mädchen

ärgerlich

war

Damit ist fürs erste die optimale Strukturanalyse von (1) hergestellt, die uns zeigt, daß ein Satz nicht nur aus einer Folge von Wörtern besteht, sondern aus Komplexen von Konstituenten, die sich zu immer größeren Komplexen mit einer hierarchischen Struktur verbinden. Insbesondere haben wir vier phrasale Kategorien unterhalb der Kategorie S erkennen können: NP, VP, AP und PP. Im Abschnitt 2.5 werden wir sehen, daß es Evidenz für weitere Kategorien gibt.

2.3

Die Darstellung von Konstituentenstruktur

Wir können nun überlegen, wie die Konstituentenstruktur dargestellt werden kann. Eine Möglichkeit haben wir schon kennengelernt. Es gibt jedoch noch eine andere Möglichkeit, mit der wir uns vertraut machen müssen, und es gibt eine ganze Reihe von weiteren Problemen, mit denen wir uns zu beschäftigen haben. Konstituentenstrukturen lassen sich im Prinzip auf zweierlei Weise darstellen: Die erste Darstellungsweise hat die Form von bezeichneten

36 Baumdiagrammen wie die in den letzten Abschnitten schon benutzten. Baumdiagramme sind Mengen von Positionen oder Knoten, die mit syntaktischen Kategorien benannt sind und die in bestimmter Weise aufeinander bezogen sein können. Die zweite Darstellungsweise hat die Form von Ausdrücken mit indizierter Klammerung (labelled bracketing). Für (1) können wir dann folgendes notieren: (32)

(a)

[S [NP ID« the] [N boy]] [VP[V was] [„UangiyKpptp about] [NPI^ the]

[Ν girl]]]]]] (b)

(daß)[s [Np [a* der] [N Junge]] [ w U [PP [ P über] [NP Mädchen]]] [A ärgerlich]] [ v war]]]

das] [N

Beide Darstellungsweisen sind vollständig äquivalent, beide liefern genau die gleiche syntaktische Information. Welche Darstellungform man wählt, hängt von den jeweiligen Bedürfnissen ab, die mit der Darstellung erfüllt werden sollen. Beide haben Vor- und Nachteile. Baumdarstellungen sind, insbesondere für den weniger Geübten, anschaulicher und übersichtlicher. Sie sind allerdings sehr platzraubend. Klammerdarstellungen haben gerade die umgekehrten Eigenschaften, sie sind für den weniger Geübten nicht so leicht zu überschauen, vor allem wird die Hierarchie der Konstituentenstruktur optisch nicht so sinnfällig, dafür sind sie allerdings erheblich sparsamer im Platzverbrauch, sie können auch über Zeilengrenzen hinweg laufen. Ein wichtiger Test, ob man die Klammerung exakt ausgeführt hat, besteht darin, daß man prüft, ob die Anzahl der nach rechts geöffneten und die Anzahl der nach links geöffneten Klammern identisch sind. Allerdings ist, wenn die Anzahl übereinstimmt, keine Garantie dafür gegeben, daß man die Klammern richtig gesetzt hat. Man muß nun jedoch weder in der Baum-, noch in der Klammerdarstellung alle Details ausführen, wenn sie für ein Problem nicht von Interesse sind. Sind wir beispielsweise interessiert an der internen Struktur der VP, so müssen wir nicht unbedingt alle neben und in ihr vorkommenden Phrasen weiter analysieren. Für diesen Zweck benutzt man in der Baumschreibweise Dreiecke, die von der darzustellenden Kategorie zu den lexikalischen Einheiten gezeichnet werden, in der Klammerschreibweise läßt man einfach die nicht benötigten indizierten Klammern weg: (33)

s NP

the

VP

boy

was

angry

about

the

girl

37 (34)

(daß)

[ s [NP der Junge][vp

[PP über das Mädcben][A ärgerlich][v war]]]]

Innerhalb einer Konstituentenstruktur gibt es eine Reihe von Beziehungen, die von erheblicher grammatischer Bedeutung sind. Eine der wichtigsten ist folgende: (35)

Dominanz Ein Knoten X dominiert einen Knoten Y gdw. (genau dann, wenn) es einen ausschließlich abwärts im Baum führenden Pfad von X zu Y gibt.

In (31) dominiert der Knoten PP die Knoten P, NP, Det und N, der Knoten AP dominiert die Knoten A, PP, P, NP, Det und Ν usw. Neben dieser Relation gibt es eine weitere: (36)

Unmittelbare Dominanz Ein Knoten X dominiert einen Knoten Y unmittelbar gdw. (genau dann, wenn) es einen ausschließlich abwärts im Baum führenden Pfad von X zu Y gibt, und es existiert kein Knoten Z, so daß Χ Ζ und Ζ Y dominiert.

(36) besagt im Unterschied zu (35), daß es auf dem abwärts führenden Pfad im Baum zwischen X und Y keinen anderen Knoten Ζ gibt. In (31) dominiert PP unmittelbar Ρ und NP (aber nicht Det und N). Diese Relation kann benutzt werden, um grammatische Funktionen, d.h. Satzglieder im Sinne der traditionellen Grammatik, zu definieren. So gilt etwa folgendes: (37) (38)

Subjekt Eine NP, die unmittelbar von S dominiert wird, ist das Subjekt des Satzes. Objekt Eine NP, die unmittelbar von VP dominiert wird, ist das Objekt des Satzes.

Mit (35) und (36) lassen sich nun auch die Begriffe 'Konstituenz' und 'Unmittelbare Konstituenz' bestimmen: (39) (40)

Konstituenz X ist eine Konstituente von Y gdw. Y X dominiert. Unmittelbare Konstituenz X ist eine unmittelbare Konstituente von Y gdw. Y X unmittelbar dominiert.

Außerdem werden gewisse Relationen zwischen Knoten mit (weiblichen) Verwandtschaftsbezeichnungen charakterisiert: (41) (42) (43)

Mutterknoten X ist die Mutter von Y gdw. Χ Y unmittelbar dominiert. Tochterknoten X ist die Tochter von Y gdw. Y X unmittelbar dominiert. Schwesterknoten X und Y sind Schwestern gdw. sie die gleiche Mutter haben.

Für Konstituentenstrukturen gibt es nun zwei wesentliche Beschränkungen. Erstens: Es wird generell gefordert, daß diskontinuierliche

38 Konstituenten unzulässig, d.h., daß folgende Strukturen nicht erlaubt sind: (44)

Im Baum (43) überkreuzen sich unzulässigerweise zwei Äste (oder Kanten), und die diskontinuierliche Konstituente ist B, da ihre Konstituenten D und F nicht eine ununterbrochene Kette bilden, sondern durch E voneinander getrennt sind. Zweitens: Ein Tochterknoten darf nicht zwei verschiedene Mutterknoten haben.

Der Knoten E ist sowohl Tochter der Mutter Β als auch Tochter der Mutter C. Genau das soll nicht zugelassen sein.3 Diese Restriktionen schließen Analysen aus, die an und für sich ganz plausibel erscheinen: (46)

He put the cat out.

In gewissem Sinne gehören put und out zusammen. Man beachte, daß das folgende Beispiel eine Alternative zu (46) ist: (47)

He put out the cat.

Das könnte zu der Überlegung führen, daß put und out in (47) eine Konstituente bilden, obwohl sie nicht adjazent sind. Mit anderen Worten, man könnte meinen, daß (47) die Struktur (48) hat:

he

put

the

cat

Wiewohl diskontinuierliche Konstituenten und " Mehrfachmütter " generell zurückgewiesen werden, gibt es Vorschläge, auf welche Weise man sie zulassen könnte. Vgl. insbesondere McCawley (1982, 1987), Ojeda(1987, 1988). Sampson (1975) spricht sich für einen Zugang zur Behandlung von Pronomina aus, der "Mehrfachmütter" voraussetzt. Borsley (1980) kritisiert diese Argumentation.

39 Diese Analyse ist jedoch ausgeschlossen, weil diskontinuierliche Konstituenten unzulässig sind. Diese Restriktion verbietet auch, im Deutschen Aussagesätze so wie im Englischen zu behandeln. In deutschen Aussagesätzen gäbe es nämlich dann diskontinuierliche Konstituenten, wenn das Verb komplex ist oder auch ein trennbares Präfix enthält:

Hans Hans Hans

Bücher Bücher Bücher

gekauft kaufen vor

Man könnte nun annehmen, daß sich die in (49) rechts stehenden Teile des Verbs ursprünglich als kontinuierliche Konstituenten unter dem links stehenden V befunden haben und erst mit einem späteren Schritt nach rechts bewegt worden wären. Dann müßte das Deutsche eine Struktur wie das Englische haben: (50)

(a) (b)

John has bought books, John will buy books.

Dies ist jedoch nicht der Fall: (51)

(a) (b) (c)

*Hans hat gekauft Bücher. *Hans wird kaufen Bücher. *Hans liest vor Bûcher.

Wenn man die entgegengesetzte Annahme macht, nämlich, daß die beiden Teile des Verbs sich als kontinuierliche Konstituenten unter einem rechts stehenden V befinden, dann kommt man der Sache schon näher: (52)

(a) (b) (c)

(weil) Hans Bücher gekauft hat. (weil) Hans Bücher kaufen will. (weil) Hans Bücher vorliest.

Nun zeigt sich ein weiterer Grund, warum für das Deutsche angenommen werden muß, daß V am rechten Rand der Verbalphrase steht: Die beiden Bestandteile des Verbs erscheinen in der rechten Position als kontinuierliche Konstituenten.

40 (53)

NP NP Hans Hans Hans

V

Bûcher Bûcher Bücher

gekauft hat kaufen wird vor-liest

Damit bestätigt sich die schon erwähnte Hypothese, daß das Deutsche im Grundsätzlichen eine SOV-Sprache ist. Das Problem, wie man nun deutsche Aussagesätze darstellen soll, ohne diskontinuierliche Konstituenten hinnehmen zu müssen, werden wir im nächsten Kapitel besprechen. Betrachten wir nun noch Konstruktionen, die durch das Verbot ausgeschlossen sind, daß ein Tochterknoten zwei Mutterknoten hat. Auch hier scheint es Analysen zu geben, die ganz pausibel erscheinen: (54)

(al

S

(b

Stefan

Maja

zu

mögen

scheint

In beiden Fällen hat die NP, die Stefan dominiert, zwei Mütter: den SKnoten des übergeordneten und den S-Knoten des untergeordneten Satzes. Im Englischen dominiert überdies der untergeordnete S-Knoten diskontinuierliche Konstituenten: die NP, die Stefan dominiert, und die VP, die to like Maja dominiert, sind durch das V, das seemed dominiert, voneinander getrennt. Die Analysen des englischen und des deutschen Beispiels sind daher ausgeschlossen.

41

2.4

Die Ermittlung von Konstituentenstruktur - Kriterien für Konstituenz

Wir können nun überlegen, wie wir die Konstituentenstruktur eines Satzes ermitteln können. Dabei sind zwei Probleme zu bedenken: ein ziemlich komplexes und ein relativ einfaches. Die bisherige Diskussion legt folgende Annahme nahe: (55)

Konstituente (1) Eine Sequenz von Kategonen ist dann eine Konstituente, wenn diese Sequenz in irgendeiner anderen Position im Satz erscheinen kann.

So haben wir angenommen, daß die Sequenz Det + Ν eine Konstituente ist, weil sie sowohl vor einem Verb als auch nach einer Präposition auftreten kann. Dies ist jedoch etwas zu einfach. Das Problem besteht darin, daß bestimmte Sequenzen von Kategorien in einem Satz eine Konstituente sein können, in einem anderen jedoch nicht. Aus diesem Grunde müssen wir (55) durch die komplexere Annahme (56) ersetzen: (56)

Konstituente (2) Eine Sequenz von Wörtern ist eine Konstituente, wenn sie in einer anderen Position in einem verwandten Satz auftreten kann.

Eine Reihe von Typen verwandter Sätze werden in den folgenden Kapiteln betrachtet. Um zu verstehen, warum wir die komplexere Annahme machen müssen und wie wir praktisch Konstituentenstrukturen ermitteln können, wollen wir zunächst folgende englische Beispiele betrachten: (57) (58)

Stefan looked up Maja's nose. Stefan looked up Maja's number.

Man könnte annehmen, daß sowohl up Maja's nose als auch up Maja's number PPs sind. Man beachte nun aber, daß es zu (57) einen verwandten Spalt-Satz gibt, nicht aber zu (55): (59) (60)

It was up Maja's nose that Stefan looked. *It was up Maja's number that Stefan looked.

Das legt nahe, up Maja's nose als eine PP zu bestimmen, nicht aber up Maja 's number. Daraus folgt, daß wir für (57) und (58) folgende Strukturen haben:

(62)

S

Stefan

looked

up

Maja's number

Im Englischen lassen sich viele Satzpaare dieser Art finden. Man betrachte erstens die folgenden: (63) (64)

Stefan painted a picture of Maja. Stefan gave a book to Maja.

Der Ausdruck a picture of Maja kann in verschiedenen Positionen in einer ganzen Reihe verwandter Sätze erscheinen, der oberflächlich ähnliche Ausdruck a book to Maja hingegen nicht: (65)

It was a picture of Maja that Stefan painted.

(66)

*It was a book to Maja that Stefan gave.

Zweitens können wir Pseudo-Spalt-Sätze heranziehen: (67)

What Stefan painted was a picture of Maja.

(68)

*What Stefan gave was a book to Maja.

Drittens können wir Passiv-Konstruktionen betrachten: (69) (70)

A of Maja Majawas was given painted Stefan. *Apicture book to by by Stefan.

Schließlich können wir Topikalisierungen beobachten, d.h. Bewegungen eines Ausdrucks an die Spitze des Satzes, vor das Subjekt, die aus Gründen der Emphase erfolgen: (71) (72)

A picture of Maja Stefan painted. *A book to Maja Stefan gave.

So gibt es denn verschiedene Evidenz dafür, daß a picture of Maja, aber keine Evidenz dafür, daß a book to Maja eine Konstituente ist. Daher können wir folgende Strukturen vorschlagen:

43 (73)

S

NP

VP

ν Stefan (74)

painted

NP a picture of Maja

S

NP

VP

Stefan

V

NP

PP

I

Z ^

z^w

gave

a book

to Maja

Die letzten Beispiele zeigen, daß man verschiedene Arten verwandter Sätze betrachten muß, wenn man die Konstituentenstruktur eines Satzes ermitteln will. Es ist allerdings zu betonen, daß eine angenommene Konstituente nicht in jeder anderen Position im gesamten Bereich der verwandten Sätze vorkommen können muß. So kann up Maja's nose in (57) nicht in einer anderen Position in einem verwandten Passiv-Satz erscheinen: (75)

*Up Maja's nose was looked by Stefan.

Wir wollen nun im weiteren vorwiegend, wenn auch nicht ausschließlich, anhand des Deutschen eine Reihe von Testverfahren einführen, die dazu dienen können, Konstituenten zu ermitteln. Dabei genügt es, daß wir uns innerhalb eines Satzes bewegen und nicht das Feld verwandter Sätze bemühen müssen. In der Linguistik gibt es seit langem (insbesondere durch den amerikanischen deskriptivistischen Strukturalismus der 30er Jahre) gut eingeführte linguistische Tests für die Zusammengehörigkeit von Wörtern als Wortgruppen. Mehrere dieser Tests haben sogar Eingang in die Schulgrammatik gefunden, etwa bei der Bestimmung dessen, welche Wortfolgen in deutschen Sätzen ein Satzglied darstellen. Als erstes haben wir folgenden Test: (76)

Substitutionstest (Ersatzprobe): Eine Wortfolge, die sich durch eine andere ersetzen läßt, ohne daß die Satzhaftigkeit der Wortfolge verloren geht, kann eine Konstituente sein.

Dieser Test läßt sich durch folgende Beispiele (die zum Teil aus von Stechow/Sternefeld (1988) stammen) illustrieren: (77)

(daß) {die langen Winterabende, die Winterabende, Winterabende, Goethe und Kohl, alle} mich in Melancholie versetzen

44 (78)

(daß) {*langen Winterabende, lange Winterabende, *diealle Winterabende, alle Winterabende, sie} mich in Melancholie versetzen

Die alternativen Wortfolgen in (77) erweisen sich so als Konstituenten, und zwar nach allem, was wir schon wissen, als Konstituenten vom Typ Nominalphrase. Bemerkenswert daran ist, daß bestimmte Wörter für sich genommen phrasale Konstituenten sind. Das gilt in Beispiel (77) und (78) insbesondere für das Wort alle und für das Wort sie. In Beispiel (78) zeigt sich aber auch, daß ein Wort zuviel oder ein Wort zuwenig den Konstituentenstatus einer Wortfolge ausschließen kann. Der nächste Test setzt voraus, daß wir noch einmal einen informellen Vorgriff auf die Darstellung von Aussagesätzen im Deutschen machen. Wir haben die Form mit der Endstellung des finiten Verbs, also die Form mit einer VP, in der das V am rechten Rand steht, als Grundform bestimmt. Diese Struktur gehorcht dem Verbot diskontinuierlicher Konstituenten und entspricht der Annahme, daß das Deutsche eine SOVSprache ist. Wir wollen nun annehmen, daß im Deutschen die finite Form des Verbs aus dem Satz heraus an die Satzspitze bewegt werden kann: (79)

L Va, [s ... t v J ]

Mit tvfi„ (t für Spur, englisch trace·, Vfm für Verbum finitum) wollen wir die Position verdeutlichen, die das Verb ursprünglich eingenommen hat. Sätze mit dieser Struktur erscheinen insbesondere als Entscheidungsfragen, als Fragen, auf die man hauptsächlich mit ja oder nein antworten kann. (80)

[„ war [s der Junge über das Mädchen ärgerlich t v r J]

Im Deutschen kann dann vor das finite Verb ein Ausdruck rücken, der nicht unbedingt das Subjekt sein muß (Deutsch ist keine SVO-Sprache, sondern eine SOV-Sprache mit Verb-Zweit-Effekt): (81)

[„XPLV fm [ s ... tXP... t v J ]

Dies nun ist die Struktur, die typischerweise deutsche Aussagesätze haben. Dabei ist ΐχρ die Position, die die vor dem finiten Verb stehende XP ursprünglich eingenommen hat. Wir lassen an dieser Stelle noch offen, was α und ß für Kategorien sind. (82)

(a) (b)

[ß der Junge [„ war [s tXP über das Mädchen ärgerlich tvrm]] [ß über das Mädchen [„ war [s der Junge tXP ärgerlich t v r J]

Der nächste Test benutzt diese Fähigkeit einer Sequenz, die Position vor dem finiten Verb einzunehmen, als Kriterium für deren Status als Konstituente. (83)

Rangiertest (Verschiebeprobe): Eine Wortfolge, die sich vor das finite Verb im deutschen Aussagesatz, in das

45 Vorfeld, setzen läBt, ohne daß die Satzhañigkeit der Gesamtkonstruktion verloren geht, kann eine Konstituente sein.

Die folgenden Beispiele verdeutlichen das: (84)

(a) (b) (c) (d) (e)

Es versetzen mich die langen Winterabende in Melancholie. Die langen Winterabende versetzen mich in Melancholie. *Langen Winterabende versetzen die mich in Melancholie. *Die versetzen langen Winterabende mich in Melancholie. *Winterabende versetzen die langen mich in Melancholie.

In der traditionellen Grammatik gilt in der Regel dieser Test als das wesentliche Kriterium für die Bestimmung, ob eine Wortfolge ein Satzglied ist oder nicht. Im Hinblick auf den Satzgliedstatus einer solchen rangierfáhigen Wortfolge gibt es jedoch Probleme: (85)

(a) (b) (c)

Er wird doch wohl noch das Bier austrinken können. Das Bier austrinken wird er doch wohl noch können. Austrinken können wird er doch wohl das Bier noch.

Ganz zweifellos ist in (b) eine Konstituente ins Vorfeld gerückt, die "größer" als nur eine Objekt-NP ist, nämlich so etwas wie mindestens eine VP (oder vielleicht sogar ein Satz mit einer besonderen Struktur). VPs sind nun aber im Sinne der traditionellen Grammatik keine Satzglieder. Andererseits ist in (c) eine Wortfolge ins Vorfeld verschoben worden, die nicht ohne weiteres als Konstituente zu verstehen ist: (86)

[, Er [„ wird [ s t xp [ w [T das Bier austrinken]] können] t VB J]

Das Verb austrinken ist das Verb der untergeordneten Struktur γ (deren kategorialen Status wir hier nicht bestimmen wollen), das Verb können ist das Verb des übergeordneten Satzes. Damit nun die Wortfolge austrinken können in die Vorfeldposition gerückt werden kann, muß durch einen Reanalyseprozeß gesichert werden, daß sie eine Konstituente bildet, d.h., aus der in (86) vorliegenden Teilkonstruktion (87)(a) muß so etwas wie (87)(b) gebildet werden: (87)

(a) (b)

[, ... [„ ... [ s [vp [ r das Bier austrinken] [ v können]]]]] [j ... [„ ... [ s [y, [Ύ das Bier t] [ v austrinken können]]]]]

Hier gibt t die ursprüngliche Position von austrinken an. Nunmehr ist eine Konstituente (ein komplexes Verb) entstanden, die den Platz vor dem finiten Verb einnehmen kann. Als nächstes betrachten wir den Pro-Formen-Test, der ein Spezialfall des Substitutionstests ist: (88)

Pro-Formen-Test: Eine Wortfolge, die man durch ein Prowort ersetzen kann, ohne daß die Satzhañigkeit der Konstruktion verloren geht, kann eine Konstituente sein.

46 Er wird durch folgende Beispiele illustriert: (89)

(a) (b) (c) (d)

Adam und Eva lebten im Paradies glücklich und zufrieden. Sie lebten im Paradies glücklich und zufrieden. Sie lebten dort glücklich und zufrieden. Sie lebten dort so.

Adam und Eva, im Paradies, glücklich und zufrieden erweisen sich als Konstituenten, da sie durch die Pro-Formen sie, dort und so ersetzt werden können. Weiterhin betrachten wir den Koordinierungstest. Wir haben schon gesehen, daß überall, wo eine phrasale Kategorie erscheinen kann, auch (mindestens) zwei Instanzen dieser Kategorie auftauchen können, die dann mit and/und oder mit or/oder verknüpft werden. Diese Verknüpfung wird als Koordination bezeichnet. Betrachten wir zunächst folgende Beispiele: (90)

(a) (b) (c)

Kohl und die langen Winterabende deprimieren mich. Kohl machte eine großzügige, aber keineswegs haltbare Möchten Sie Tee oder Bier!

Versprechung.

Es ist oft angenommen worden, daß durch Koordination nur zwei Glieder der gleichen Kategorie verknüpft werden können. Das ist jedoch nicht notwendigerweise so: (91)

(a) (b)

Ben is healthy and of sound mind, (daß) Ben gesund und guten Mutes ist

In (91)(a) ist eine AP mit einer PP koordiniert, in (b) mit einer NP. (92)

(a) (b)

I am hoping to get an invitation and optimistic about my chances. (daß) ich guter Hoffnung, eine Einladung zu bekommen, und optimistisch bezüglich meiner Aussichten bin

In (92)(a) ist eine VP mit einer AP koordiniert, in (b) wiederum eine NP mit einer AP. 4 Es hat jedoch den Anschein, daß nur Konstituenten koordiniert werden können: (93) (94)

Stefan looked up Maja's nose and up Debbie's nose. *Stefan looked up Maja's number and up Debbie's number.

Wir haben schon gesehen, daß es Evidenz dafür gibt, daß up Maja 's nose eine Konstituente ist, up Maja 's number hingegen nicht. Wenn Koordination nur Konstituenten erfassen kann, so erwarten wir, daß (93) grammatisch, (94) aber ungrammatisch ist. Der Koordinierungstest kann also wie folgt bestimmt werden:

4

Das Faktum, daß unterschiedliche Kategorien koordiniert werden kömien, und die Frage, welche Konsequenzen das hat, ist in Sag et al. (1985) beleuchtet und erörtert.

47 (95)

Koordinierungstest: Zwei Wortfolgen, die durch eine koordinierende Konjunktion verbunden sind, können eine Konstituente sein.

Die durch und, aber und oder verknüpften Wörter bzw. Wortfolgen, von denen wir in der Formulierung des Tests nicht gefordert haben, daß sie identisch sein müssen, erweisen sich als Konstituenten. Ein Typ von Sätzen stellt jedoch ein Problem für die Annahme dar, daß nur Konstituenten koordiniert werden können: (96)

(a) (b)

Stefan likes but Maja hates the man next door. Stefan verehrt, aber Maja haßt den Mann von nebenan.

Interessanterweise können im Deutschen solche Konstruktionen nur in Verb-Zweit-Sätzen vorkommen: (97) (98)

*(daß) der Stefan verehrt, aber der Paul den Mann von nebenan haßt *(daß) der Stefan den Mann von nebenan verehrt, aber der Paul haßt

In Verb-End-Sätzen muß das Objekt des ersten Konjunkt pronominal wieder aufgenommen werden: (99)

(daß) der Stefan den Mann von nebenan verehrt, aber der Paul ihn haßt.

In (96) haben wir Sequenzen, die aus einem Subjekt und dem folgenden Verb bestehen und von einer ähnlichen Sequenz gefolgt werden. Unter den üblichen Annahmen ist die jeweils erste Sequenz keine Konstituente, weil das Verb Bestandteil einer VP ist. Es gibt für solche Fälle jedoch noch eine andere Betrachtungsweise. Es ist zu beachten, daß es nach likes/verehrt und hates/haßt eine Intonationspause gibt. Dies legt nahe, daß wir es hier mit der Koordination von zwei Sätzen zu tun haben, von denen jedem eine letzte Konstituente fehlt, denen aber eine Konsitutente folgt, die als letzte Konstituente für beide Sätze fungiert, also etwa: (100)

[[[s Stefan likes e] but [ s Maja hates e]] the man next door]

Das e steht für englisch empty {leer) und soll das Fehlen der finalen Konstituente in den beiden koordinierten Sätzen andeuten. Die folgenden Beispiele sind ähnliche, aber komplexere Fälle: (101)

(a) (b)

Stefan talked to and Maja talked about the man next door. (daß) Stefan mit dem und Maja über den Mann von nebenan sprach

Im Deutschen gibt es dabei einen Kasuskonflikt: mit verlangt den Dativ, über den Akkusativ. Das zeigen die beiden Artikel. Anders als im Englischen müssen daher die Artikel als eigentliche Kasusindikatoren adjazent zu jeder der beiden Präpositionen bleiben. Da das Nomen Mann im Singular selbst keinen morphologischen Unterschied zwischen Akkusativ und Dativ sichtbar machen muß, ist der Kasuskonflikt so-

48 zusagen paralysiert. Wäre die deutsche Struktur völlig parallel zur Englischen aufgebaut, würde sie ungrammatisch: (102)

*(daß) Stefan mit und Maja über den Mann sprach.

Wenn wir die Beispiele in (101) ähnlich wie die in (96) analysieren, haben wir für das Englische kein Problem: the man next door ist eine NP, die als Konstituente von beiden Konjunkten fungieren kann. Für das Deutsche aber haben wir insofern ein Problem, als die für beide Konjunkte zuständige Sequenz Mann von nebenan keine phrasale Kategorie ist und somit keine Konstituente sein dürfte. Wenn man die Beispiele (100) und (101)(a) so analysiert, wie eben vorgeschlagen, hat man keine Schwierigkeit, den koordinierten Strukturen den Status von Konstituenten zuzuschreiben, sie sind Konstituenten vom Typ S. Konstruktionen dieser Art, in denen es eine gemeinsame Konstituente außerhalb der beiden Konj unkte gibt, werden als Sätze mit Anhebung des rechten Knoten (Right-node Raising) bezeichnet. Das deutsche Beispiel in (101)(b) ist jedoch insofern komplexer, als hier nicht nur die Sequenz Mann von nebenan, sondern auch das Verb sprach im ersten Satz fehlt. (101)(c) mit dem Verb auch im ersten Satz wäre ungrammatisch: (101)

(c)

*(daß) Stefan mit dem sprach und Maja über den Mann von nebenan sprach

Man muß daher nicht Right-node Raising annehmen, man braucht nur Koordination von zwei Sätzen zu konstatieren, von denen der erste an den Stellen Lücken {gapping) hat, wo der zweite lexikalische Besetzungen aufweist. Die Lücken des ersten Satzes werden dann wie die Besetzungen des zweiten Satzes interpretiert: (101)

(b)'

(daß) [[s [NP Stefan] [ w [PP [ P mit] [NP dem] [N e]]] [ v e]]] und [ s [NP Maja] [yp [pp [p über] [NP den] [N Mann von nebenan]]] [ v sprach]]]]

Ähnliche Probleme für die Koordination werfen auch folgende Sätze auf: (103) (104)

(a) (b) (a) (b)

Stefan painted a picture of Maja and a picture of Debbie. (daß) Stefan ein Bild von Maja und ein Bild von Debbie malte Stefan gave a book to Maja and a record to Debbie, (daß) Stefan Maja ein Buch und Debbie eine CD gab

Wir haben gesehen, daß es Evidenz dafür gibt, daß a picture of Maja eine Konstituente ist, nicht jedoch a book to Maja. Daher würden wir erwarten, daß zwar (103) grammatisch ist, nicht aber (104). Warum ist (104) grammatisch? Die Antwort wird durch folgendes Beispiel nahegelegt: (105)

(a) (b)

Stefan likes beer, and Ben wine. (daß) Stefan Bier und Ben Wein mag

49 Auch hier haben wir koordinierte Sätze. Im englischen Fall fehlt dem zweiten, im deutschen Fall dem ersten ein Verb. Sätze dieser Art weisen Lücken auf (gapping). Möglicherweise gehören Sätze wie die in (101)(b) und (104) ebenfalls zu den Ga/J/wig-Konstruktionen, d.h., sie haben koordinierte VPs, deren erster bzw. zweiter das Verb fehlt. Wir werden auf solche Konstruktionen noch einmal kurz im Kapitel 8 zurückkommen. Koordinations-Konstruktionen sind also ein ziemlich komplexes Phänomen, im großen und ganzen ist jedoch die Annahme vertretbar, daß eine Sequenz von Kategorien eine Konstituente ist, wenn sie mit einer ähnlichen Sequenz koordiniert werden kann, wie wir dies in (95) formuliert haben. Wir wollen nun noch einige weitere Tests besprechen, die Evidenz für die Konstituentenhaftigkeit von Sequenzen liefern. Wir betrachten zunächst die Möglichkeit, bestimmte Sequenzen in einem Satz zu tilgen, unter der Voraussetzung, daß der Satz - wenn auch semantisch ärmer grammatisch bleibt: (106)

Eliminierungstest (Weglaßprobe): Eine Wortfolge, die sich streichen läßt, ohne daß die Satzhaftigkeit der verbleibenden Wortfolge verloren geht, kann eine Konstituente sein.

Folgende Beispiele von der Art, wie wir sie schon beim Koordinierungstest kennengelernt haben, vgl. (96), zeigen das: (107)

(a) (b)

Paul liebt ooino Muttor, aber Karl haßt seine Mutter, Paul wohnt in Rom, und Karl arbeitet in Rom.

Die durchgestrichenen, weglaßbaren Wortgruppen sind Konstituenten. Ein weiterer Test besteht darin, daß man auf bestimmte Fragen mit einer bestimmten Sequenz antworten kann: (108)

lnterrogationstest (Fragetest): Eine Wortfolge, die als Antwort auf eine Frage dienen kann, kann eine Konstituente sein.

Folgende Beispiele verdeutlichen das: (109)

(a) (b) (c)

(d) (e)

(f) (g)

(h)

Wer hat das Buch gekauft? - Mein Vater. Wann fährst du in Urlaub? - Im September. Wo liegt Quimper? - In der Bretagne. Wohin fahren Sie? - Nach Frankreich. Wie hast du das Problem gelöst? - Ganz einfach. Womit hast du die Konservendose geöffnet? - Mit Hammer und Sichel. Was haben Sie gestern in der Stadt gemacht? - Bücher für meinen Freund gekauft. Warum kommt Klaus heute zu Fuß? - Weil sein Auto kaputt ist.

So erlaubt denn die Betrachtung verschiedener verwandter Sätze und die Verwendung unterschiedlicher Tests, die Konstituentenstruktur von Sätzen

50 mit einiger Zuverlässigkeit zu bestimmen. Wir werden in späteren Kapiteln nicht mehr viel Zeit darauf verwenden, die Details der von uns angenommenen Konstituentenstrukturen zu rechtfertigen, es dürfte aber klar geworden sein, daß diese Rechtfertigung in der hier vorgeführten Weise durchaus möglich ist.5

2.5

Einige weitere Kategorien

Bisher haben wir im wesentlichen zwei Typen von Kategorien kennengelernt: lexikalische Kategorien wie V, Ν, A und Ρ und die entsprechenden phrasalen Kategorien VP, NP, AP und PP. Wenden wir uns nun der Frage zu, ob es außer den lexikalischen und den phrasalen Kategorien innerhalb der Konstituentenstruktur auch noch andere Kategorien geben muß. Wir betrachten folgendes Beispiel: (110)

(a) (b)

every painting of Maja and photograph of Debbie jedes Bild von Maja und Foto von Debbie

(110)( a) und (b) sind NPs, wie sich zeigt, denn sie können in typischen NP-Positionen, wie der des Subjekts eines Satzes, erscheinen: (111)

(a) (b)

Every painting of Maja and photograph of Debbie pleased Ben. Jedes Bild von Maja und Foto von Debbie gefiel Ben.

Innerhalb jeder der beiden NPs ist eine [N + PP]-Sequenz mit einer anderen [N + PP]-Sequenz koordiniert. Dies legt nahe, daß diese Ketten Konstituenten sind. Wie können wir sie bezeichnen? Wir können sie nicht mit Ν bezeichnen, wenn lexikalische Kategorien nur aus einem Wort bestehen sollen. Wir können sie aber auch nicht mit NP bezeichnen, weil sie nicht in Positionen auftreten können, in denen NPs erscheinen. Keine dieser Sequenzen kann als Subjekt eines Satzes fungieren: (112) (113)

(a) (b) (a) (b)

*Painting of Maja pleased Ben. "Bild von Maja gefiel Ben. ^Photograph of Debbie pleased Ben. *Foto von Debbie gefiel Ben.

Wenn die in diesen Beispielen vorkommenden [N + PP]-Sequenzen keine Ns und keine NPs sein können, brauchen wir eine andere Kategorie. Wir können die Kategorie N' oder Ν1 (N-bar bzw. Ν-one-bar, N-Strich bzw. N-eins-Strich) benennen. Mit dieser Kategorie können wir den Ausdrükken in (110) folgende Struktur zuweisen: 3

Für die Diskussion weiterer Möglichkeiten, syntaktische Strukturen zu analysieren, vgl. Radford (1988, 2.8).

51

every painting jedes Bild

of Debbie von Debbie

of Maja von Maja

Ähnlich wie (110), aber nicht genauso, ist (115): (115)

(a) (b)

most paintings of Maja and photographs of Debbie alle Bilder von Maja und Fotos von Debbie

Die Ausdrücke in (115) sind mehrdeutig: mostlalle kann ausschließlich paintings of Maja/Bilder von Maja qualifizieren, aber auch sowohl paintings of Maja/Bilder von Maja als auch photographs of Debbie/Fotos von Debbie : (116) (117)

(a) (b) (a) (b)

most paitings of Maja and (some) photographs of Debbie alle Bilder von Maja und (einige) Fotos von Debbie most paintings of Maja and most photographs of Debbie alle Zeichnungen von Maja und alle Fotos von Debbie

Diese Ambiguität hängt damit zusammen, daß die pluralischen Ausdrücke photographs of Debbie/Fotos von Debbie vollständige NPs sein können, wie sich an folgendem zeigt: (118)

(a) (b)

Photographs of Debbie pleased Ben. Fotos von Debbie gefielen Ben.

Für (116) muß man dann folgende Struktur annehmen: (119)

most paintings of Maja alle Bilder von Maja

photographs of Debbie Fotos von Debbie

Für (117) hingegen müßte folgende Struktur gelten:

52 (120) 0) Det

Ν' Ν'

most paintings alle Bilder

CONJ

of Maja von Maja

and und

Ν'

photographs Fotos

of Debbie von Debbie

Is Ν PP Nur in einer solchen Struktur kann sich der Determinierer alle auf die Wortfolgen Bilder von Maja und Fotos von Debbie gleichermaßen beziehen. Nehmen wir an (jüngere Entwicklungen der Theorie mit der Etablierung gesonderter Determinierer- und Quantorenphrasen vernachlässigend), daß der Determinierer die NP gewissermaßen abschließt, daß er also erst mit einer Schwesterkonstituente eine NP bildet, so kann die Schwester selbst keine NP sein, sie kann aber - in unserem Beispiel - auch nicht einfach ein Ν sein. Das wird deutlich, wenn man sich klar macht, daß diese Schwester selbst aus einer Koordination von gleichartigen Konstituenten besteht. Keine dieser koordinierten Konstituenten kann aber ein Ν sein, weil sie mehr als ein Ν enthält: nämlich jeweils zusätzlich noch eine PP. Damit haben wir einen Kategorientyp gefunden, der zwischen den lexikalischen und den phrasalen Kategorientypen liegt. Wir wollen ihn als eine erste Projektionsstufe von N, als N' oder N1 bezeichnen. Die NP wäre dann eine zweite Projektionsstufe von N. Wie man am Beispiel sieht, können auch solche Zwischenkategorien koordiniert werden. Entsprechende Zwischenkategorien kann man auch zwischen anderen lexikalischen und phrasalen Kategorien ausfindig machen. Betrachten wir zunächst adjektivische Koordinationen: (121)

(a) (b)

so fond of Maja and hostile towards Debbie so von Maja angetan und gegenüber Debbie feindselig

Auch (121) hat eine Interpretation, in der sich so auf beide Adjektive bezieht. Für eine solche Interpretation müßten wir die Struktur (122) annehmen: (122)

[jy, so [ a . [ a . [pp von Maja] [A angetan]] und [A. [ pp gegenüber Debbie] [A feindselig]]]].

Die andere Interpretation, in der sich so nur auf angetan bezieht, hat dann folgende Struktur: (123)

[AP [AP so von Maja angetan] und

gegenüber Debbie feindselig]]

53 Als nächstes sehen wir uns präpositionale Koordinationen an: (124)

(a) (b)

a mile beyond the river and towards the wood eine Meile jenseits des Flusses und vor dem Wald

Die Maßangabe eine Meile kann sich wiederum sowohl auf die Präposition jenseits als auch auf die Präposition vor beziehen: (125)

[PP eine Meile [p- jenseits des Flusses] und [p. vor dem Wald]]

Wenn sich eine Meile jedoch nur auf jenseits bezieht, erhalten wir eine andere Struktur: (126)

[pp [pp eine Meile jenseits des Flusses] und [PP vor dem Wald]]

Entsprechendes ergibt sich für koordinierte Verbalphrasen: (127)

schnell nach Hause gehen und die Arbeit erledigen

Auch hier haben wir beide Interpretationsmöglichkeiten: (128) (129)

[yp schnell [ v . [y nach Hause gehen] und [ v . die Arbeit erledigen]]] [yp [yp schnell nach Hause gehen] und [yp die Arbeit erledigen]]

Es hat den Anschein, als lieferte uns die Koordination Evidenz dafür, daß für alle lexikalischen Kategorien X nicht nur eine volle phrasale Kategorie XP anzusetzen ist, sondern dazwischen noch eine Kategorie vom Typ X'. Die Theorie, die sich mit den verschiedenen Projektionsstufen von Kategorien befaßt, ist in den verschiedensten Versionen der SyntaxTheorie ein zentraler Bestandteil. Sie heißt X-bar-Theorie, im Anschluß an die früheste Notationsversion, in der die erste Projektionsstufe einer Kategorie mit einem darüber geschriebenen Querstrich (bar), die zweite mit zwei darüber geschriebenen Querstrichen usw. gekennzeichnet wurden. Das X ist - wie schon gesagt - eine Variable über die Menge der Kategorien, die jeweils projiziert werden könnten, also zunächst einmal über die Menge der lexikalischen Kategorien, formal: (130)

χ « {V, N, A, P}

Die X-bar-Theorie liefert somit ein sehr generelles Schema für den Aufbau von Konstituentenstrukturen: (131)

X ' — > ... X M . . .

Die Punkte bedeuten, daß X'"1 eine rechte oder eine linke Schwester haben kann, aber nicht beides, so daß (131) zu verstehen ist als eine Alternative: (132)

(a) (b)

X¡ — > X1 — >

XM ... ... Χ'"'

Dieses X-bar-Schema ist eine allgemeine Konstruktionsanweisung für den Aufbau von Phrasenstrukturen. Nehmen wir an, alle phrasalen Katego-

54

rien, also VP, NP, AP und PP, wären V2, Ν2, Α2 und Ρ 2 . Dann würde das Schema besagen, daß etwa V2 zwei Töchter hätte, nämlich die Variable [...], die so etwas wie YP sein könnte, und eine V-artige Kategorie, die genau eine Projektionsstufe niedriger als V2, demzufolge also V1, ist. V1 seinerseits würde dann wieder zwei Töchter haben: abermals eine Variable [...], die so etwas wie ZP sein könnte, und eine V-artige Kategorie, die wiederum genau eine Projektionsstufe niedriger als V1 ist, also Vo oder einfach V. Das könnte eine Struktur wie (133) ergeben: X2 = XP

(133)

χ1

YP = Xo = X

ZP =

Wenn wir für X entweder V, Ν, A oder Ρ einsetzen, erhalten wir jeweils die Struktur von VP, NP, AP oder PP. Nun zeigen allerdings die gerade behandelten Beispiele mit Koordinationen, daß sie diese strenge Form des X-bar-Schemas nicht erfüllen. Wir haben in allen Fällen mit dem Faktum zu tun, daß X1 oder X' aus Konstituenten besteht, die (neben einer Konjunktion) Tochterkonstituenten von der gleichen Projektionsstufe dominieren, also gerade nicht solche, die, wie das Schema eigentlich fordert, eine Projektionsstufe weniger haben. Das führt zu der Annahme, daß das X-bar-Schema in einer abgeschwächteren Version angewandt werden muß: (134)

X' — > ... XJ ..., für j < i

Diese schwächere Version erlaubt, daß Mutterknoten Töchterknoten von der gleichen Projektionsstufe wie die der Mutterknoten dominieren. Damit erhalten wir - generell gesagt - die Möglichkeit, Konstituenten zu erweitern, ohne ihren Rang zu erhöhen. Dies wird sich vor allem dann als vorteilhaft erweisen, wenn wir freie Angaben in der Konstituentenstruktur unterbringen müssen, unter Umständen aber auch in anderen Fällen. Insbesondere die mit (117), (120) und (123) diskutierten Fälle könnten dann auch etwas anders behandelt werden. Die Erweiterungen so, eine Meile und schnell müßten dann nicht die AP, PP oder VP abschließen, sondern könnten dann wiederum als Erweiterungen der jeweiligen X'-Projektion verstanden werden. Auf die X-bar-Theorie wird in späteren Kapiteln noch einzugehen sein.6

6

Für weitere Diskussion der Struktur von Hauptphrasentypen im Englischen vgl. Radford (1988, 4 und 5), Huddieston (1984, 4,6 und 8), und Baker (1989, 2,3 und 5).

55

2.6

Zusammenfassung

Behandelt wurde die Basisannahme, daß Sätze eine Konstituentenstruktur haben. Es wurde die Motivation für diese Annahme geliefert, und es wurden technische Probleme der Darstellung solcher Strukturen erörtert. Untersuchungsmethoden für die Ermittlung von Konstituentenstrukturen wurden vorgeführt und die Gründe für die Annahme von Zwischenkategorien (im Sinne der X-bar-Theorie) diskutiert.

Übungen Übung 1 Erstellen sie einen Baum für (1), indem Sie die in (2) gegebene Information nutzen! (1) (2)

The boy was showing the girl his scars. The boy ist eine NP. Was ist ein V. Showing ist ein V. The girl ist eine NP. His scars ist eine NP. Showing the girl his scars ist eine VP. The boy was showing the girl his scars ist ein S.

Übung 2 Ubersetzen Sie die folgenden Ausdrücke mit indizierter Klammerung in Baumdiagramme! Lassen Sie keine Information weg und fugen Sie keine Information hinzu! Vernachlässigen Sie aber die satzeinleitende Konjunktion daß\ (1) (2) (3)

(daß) [ s [NP Ben] [ v p [ pp [ p nach] [NP Debbie]] [A verrückt]] [ v ist]]] (daß) [ s [NP der Student] [VP [ w [NP das Buch] [ v gelesen]] [ v hat]]] [ s [ v hat] [Np er] [y, [PP [ P mit][NP dem Professor]] [ v gesprochen]]]

56 Übung 3 Übersetzen Sie die folgenden Baumdiagiamme in Ausdrücke mit indizierter Klammerung! Fügen Sie keine Information hinzu und lassen Sie keine weg! (1)

(daß)

wir

(2)

ihn

ernsthafter

zu arbeiten

aufforderten

Ben

geärgert

wurde

S

(daß) (3)

Debbie von S

Ρ

I

put

the book

I

on

NP

Δ

the shelf

57

Übung 4 Betrachten Sie den Baum in (1) und beantworten Sie die darauf folgenden Fragen! (1)

S

Det

(daß) der (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8)

Mann

einen

schickte

Welche Welche Welche ten und Welche Welche Welche Welche

Übung 5 Versuchen Sie, die Konstituentenstruktur der folgenden Sätze zu bestimmen, indem Sie Gebrauch von verschiedenen Testverfahren machen! (1)

(») (b)

(2)

C, C2 ... C„

59 Solche Regeln bestehen aus einer linken und einer rechten Seite, die durch einen Pfeil voneinander getrennt sind. Die linke Seite besteht aus einer einzigen Kategorie, die rechte aus einer Sequenz von einer Kategorie oder von mehreren Kategorien. Manchmal haben solche Regeln - wie wir bereits in Kapitel 2 gesehen haben - eine komplexere Form: So können in einer Regel runde Klammern auftreten, um eine darin eingeschlossene Kategorie als fakultativ zu kennzeichnen, es können auch geschweifte Klammern auftreten, um die Elemente einer darin eingeschlossenen Menge als alternative Optionen zu charakterisieren. Runde und geschweifte Klammern können miteinander kombiniert sein. Im folgenden werden wir uns auf einfache PS-Regeln konzentrieren und erst in einem späteren Abschnitt dieses Kapitels noch einmal kurz auf komplexere Regeln eingehen. Man kann PS-Regeln unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachten. Eine Möglichkeit besteht darin, sie als Anweisung für die Konstruktion von Bäumen in der Richtung von oben nach unten (top to bottom) zu verstehen. Aus dieser Perspektive besagt das Schema (1) folgendes: (2)

Interpretation von PS-Regeln (a) Eine Kategorie C0 kann expandiert werden als eine Reihe von aufeinander folgenden Kategorien C,, C2, ..., Cn.

Alternativ dazu können solche Regeln als Anweisung für die Konstruktion von Bäumen in Richtung von unten nach oben (bottom to top) verstanden werden. Dann kann (1) folgendermaßen verstanden werden: (3)

Interpretation von PS-Regeln (b) Eine Reihe aufeinander folgender Kategorien C,, C2, ..., C„ kann zu einer Kategorie Q, verbunden werden.

Es gibt gute Gründe, einen etwas anderen Blickwinkel für die Betrachtung von PS-Regeln zu wählen. Wir sind damit befaßt, festzustellen, was in einer Sprache möglich ist und was nicht, aber nicht damit, wie Sprecher ihre Sätze tatsächlich aufbauen. 1 Letzteres ist eine Aufgabe für die Forschung von Psychologen (oder Psycholinguisten). Daher ist es seit McCawley (1968) üblich geworden, PS-Regeln als Bedingungen für lokale Bäume zu betrachten, wobei ein lokaler Baum aus einer Kategorie und deren Töchtern besteht. (1) kann dann wie (4), (5) oder (6) interpretiert werden:

Obwohl Phrasenstrukturregeln standardgemäß als Bedingungen für lokale Bäume betrachtet werden, werden sie im allgemeinen als Instruktionen für die Bildung von Bäumen von oben nach unten oder von unten nach oben in Parsingsystemen behandelt, d.h. in Computersystemen, die Sätzen Strukturen zuweisen. Vgl. Gazdar/ Mellish (1989,5.) für eine entsprechende Erörterung.

60 (4) (5) (6)

Interpretation von PS-Regeln (c) Eine Kategone Q kann unmittelbar eine Reihe von aufeinander folgenden Kategorien C„ C2 C„ dominieren. Interpretation von PS-Regeln (d) Eine Reihe aufeinander folgender Kategorien C,, C^, ..., C„ kann unmittelbar von einer Kategorie Q, dominiert werden werden. Wohlgeformtheitsbedingung Ein lokaler Baum, der aus einer Kategorie C0 besteht, die unmittelbar eine Reihe aufeinander folgender Kategorien C„ C2, ..., Cn dominiert, ist wohlgeformt.

Dies sind unterschiedliche Möglichkeiten, das gleiche auszudrücken. PS-Regeln konstatieren, daß bestimmte Strukturen möglich sind. Mit anderen Worten: Sie erlauben oder lizenzieren bestimmte Strukturen. Es gibt einen einzigen Fall, wo von einer PS-Regel gesagt werden kann, sie fordere eine bestimmte Struktur. Dieser Fall liegt dann vor, wenn es keine andere Regel mit der gleichen Kategorie auf der linken Seite gibt. Wenn wir die Regel X — > Υ Ζ haben, und es gibt keine andere Regel, die X auf der linken Seite hat, dann muß X ein Y und ein dem Y folgendes Ζ unmittelbar dominieren. Um ein konkretes Beispiel zu nehmen: Wenn eine Sprache die Regel NP — > Det Ν hat und keine andere Regel mit NP auf der linken Seite, dann muß eine NP ein Det und ein ihm folgendes Ν unmittelbar dominieren. Es besteht Konsens in der Syntax-Theorie darüber, daß PS-Regeln allein keine zufriedenstellende Grammatik liefern können. Es gibt Auffassungen, denenzufolge sie nicht einmal eine notwendige Komponente der Grammatik sind. Sie sind sowohl aus der GB- als auch aus der PSGTheorie verbannt worden. Dennoch ist es wichtig, ein Verständnis von solchen Regeln zu haben.

3.3

Regeln und Sätze

3.3.1 PS-Regeln und Lexikon-Regeln Ehe wir uns damit beschäftigen, warum viele Syntax-Theoretiker PSRegeln verworfen haben, wollen wir einige allgemeine Betrachtungen über die Beziehungen zwischen Regeln und Sätzen anstellen. Erstens: Mit einer Menge von Regeln allein können wir nicht bestimmen, ob irgendwelche Sätze mögliche Konstruktionen sind oder nicht. Um dies tun zu können, brauchen wir nicht einfach eine Menge von Regeln, sondern eine solche Menge von Regeln, die mit einer Menge von Wörtern verbunden ist, die je zu besonderen lexikalischen Kategorien

61 gehören (d.h. eine Menge von Regeln, die mit einem Lexikon verbunden ist). Wir können das mit den Regeln in (7) und den Lexika in (8) illustrieren: (7)

Syntaktische Regeln (a) S — > NP VP (b) NP — >DetN (cl) VP — > V NP (Englisch) (c2) VP — > NP V (Deutsch) (dl) VP — > V S (Englisch) (d2) VP — > S V (Deutsch)

(8)

Lexikon-Regeln (Englisch) (al) boy Ν (bl) Ν girl dog (cl) Ν saw (dl) V V (el) thought (fl) the Det a Det (gl)

Lexikon-Regeln (Deutsch) (a2) Junge Ν (b2) Mädchen Ν (c2) Hund Ν (d2) V sah (e2) dachte V (f2) der, das Det Det ein, einen (gl)

Unter den Bäumen, die von (7) und (8) zugelassen werden, befinden sich die folgenden: (9)

(a)

der Junge

ein

Diese Bäume enthalten die folgenden lokalen Bäume, wobei (10)(b) zweimal erscheint und (cl) die englische und (c2) die deutsche Variante ist:

62 (10)

(a)

NP' (cl)

VP VP

(c2) NP

VP

NP

(10)(a) ist möglich oder lizenziert durch die Regel (7)(a). (10)(b) ist durch (7)(b) lizenziert und (10)(cl) bzw. (c2) durch (7)(cl) bzw. (c2). Die Zuordnung von lexikalischen Einheiten zu lexikalischen Kategorien ist durch die Lexika lizenziert. Somit ist jeder Aspekt dieser Struktur legitimiert. Daher identifizieren unsere Regeln und unsere Lexika The boy saw a girl bzw. (daß) der Junge ein Mädchen sah als mögliche Sätze des Englischen bzw. des Deutschen. Anders gesagt: Die Regeln und die Lexika generieren neben anderen auch diese Sätze. Ein weiterer Baum, den unsere Regeln und das englische Lexikon erlauben, ist der folgende:

the

boy

thought the

girl

saw

the

dog

In diesem Baum haben wir alle lokalen Bäume, die in (10) aufgeführt sind, zusätzlich haben wir den durch (7)(dl) lizenzierten: (12)

Somit sind auch in (11) alle lokalen Bäume lizenziert, und die Zuordnung von lexikalischen Elementen und lexikalischen Kategorien ist durch das englische Lexikon in (8) lizenziert. Somit ist wiederum jeder Aspekt dieses Baumes legitimiert und ein weiterer Satz generiert. Wir wollen nun noch einige terminologische Fragen besprechen. Man muß mehrere Arten von Knoten in einem Baum unterscheiden: (a) terminale und (b) nichtterminale Knoten. Terminale Knoten eines Baumes sind die Knoten, die mit Einheiten aus dem Lexikon, vereinfacht gesagt,

63 mit Wörtern, besetzt sind. Nichtterminale Knoten sind alle anderen Knoten eines Baumes, also sowohl solche, die mit Bezeichnungen von Wortklassenkategorien, also mit V, Ν, A und P, als auch solche, die mit Bezeichnungen für entsprechende phrasale Kategorien, also mit VP, NP usw. besetzt sind, ferner solche, die mit Bezeichnungen für Zwischenkategorien versehen sind (für solche Kategorien, die weder lexikalische noch phrasale Kategorien sind). Schließlich gehört zu den nichtterminalen Knoten auch der Knoten, der mit der Bezeichnung für die Satzkategorie charakterisiert ist. Unter den nichtterminalen Knoten spielen die Knoten mit lexikalischen Kategorien eine besondere Rolle: Sie sind die präterminalen Knoten. Ein Baum, der bis zu seinen präterminalen Knoten konstruiert ist (aber ohne terminale Knoten), repräsentiert jeweils eine ganze Klasse von Sätzen. Entscheidend dabei ist, daß nicht die Kette der präterminalen Knoten allein eine zusammenhängende Klasse repräsentiert: Man betrachte folgende Kette von präterminalen Knoten: (13)

Det

Ν

Det

Ν

V

V

Sowohl der Satz (14) als auch der Satz (15) entsprechen dieser Kette: (14) (15)

(daß) der Kommissar den Verdächtigen mitgehen ließ (daß) der Kommissar den Verdächtigen mitnehmen ließ

Man überlegt sich aber leicht, daß in (14) den Verdächtigen das Subjekt von mitgehen ist (auch wenn die NP im Akkusativ steht), in (15) hingegen den Verdächtigen das Objekt von mitnehmen ist. Es ist daher nicht angemessen, trotz der - auf den ersten Blick - für beide Sätze gleichen präterminalen Kette diese Sätze in eine Klasse einzuordnen (man kann natürlich eine solche Klasse bilden, aber sie bietet keine ernsthaften Einsichten in die Struktur der Sätze). Man muß folglich den gesamten Baum oberhalb der präterminalen Kette berücksichtigen, wenn man zu einer wirklichen Klassenbildung gelangen will. In solchen Bäumen können dann aber leere Kategorien auftreten, entweder leere phrasale oder leere lexikalische Kategorien. Spätestens dann erweist sich, daß die präterminalen Ketten von Sätzen wie (14) und (15) gar nicht identisch sind. Wir haben es bei (14) und (15) etwa mit folgenden Gebilden zu tun: (16) (17)

(daß) [ s [NP der Kommissar] [VP [ s [NP den Verdächtigen] [ w [ v mitgehen]]] [ v ließ]]] (daß) [ s [NP der Kommissar] [yp [ s [NP e] [VP [NP den Verdächtigen] | v mitnehmen]]] [ v ließ]]]

Die NP den Verdächtigen in wird (16) vom eingebetteten S unmittelbar dominiert und ist somit per definitionem das Subjekt des eingebetteten nichtfiniten Satzes - ein Subjekt, das im Akkusativ statt in dem für "normale" Subjekte üblichen Nominativ steht. In (17) hingegen wird nun die

64 NP den Verdächtigen von der VP des eingebetteten nichtfiniten Satzes dominiert und ist somit per definitionem das Objekt des eingebetteten nichtfiniten Satzes. Der eingebettete nichtfinite Satz in (17) hat ebenfalls ein ungewöhnliches Subjekt, nämlich ein leeres. Dieses leere Subjekt hat durchaus eine Interpretation: Es wird so verstanden wie das indefinite, unbestimmte Pronomen man in finiten Sätzen. Man kann sich diese Überlegungen zu (16) und (17) dadurch klar machen, daß man statt des Verbs lassen das Verb veranlassen oder das Verb zulassen in die beiden Sätze einsetzt. Diese Verben erlauben anders als lassen nicht nur infinite, sondern auch finite Sätze als Ergänzungen: (18) (19)

(daß) der Kommissar veranlaßte, daß der Verdächtige mitging (daß) der Kommissar veranlaßte, daß man den Verdächtigen mitnahm

Hier werden die syntaktischen Relationen Subjekt und Objekt in den untergeordneten Sätzen klar. Es wird erkennbar, warum in (16) bzw. (18) der/den Verdächtige/n Subjekt sein muß und nicht Objekt sein kann·, mitgehen ist ein nichttransitives Verb, es kann also gar kein Objekt nehmen, im Unterschied zu mitnehmen in (17) bzw. (19), das ein transitives Verb ist und deshalb ein Objekt nehmen muß, vgl. die folgenden ungrammatischen Fälle: (20) (21)

*(daß) der Kommissar veranlaßte, daß der Beamte den Verdächtigen mitging *(daß) der Kommissar veranlaßte, daß der Beamte mitnahm

Die Diskussion sollte zeigen, daß Bäume (ohne ihre terminalen Knoten) Klassen von Sätzen determinieren oder repräsentieren. So repräsentiert etwa folgender Baum alle Sätze, die ein Subjekt und ein Objekt haben: (22)

S

NP

V

Die NPs, die Subjekt bzw. Objekt repräsentieren, dürfen jedoch in diesem Zusammenhang nicht in ihre (möglichen) Konstituenten zerlegt werden; denn wir wollen nicht sagen, daß wir je verschiedene Satztypen je nach der internen Struktur der in ihnen vorkommenden NPs haben. Insofern gehören also Sätze wie (23)

(a) (b) (c)

daß der Mann das Buch kaufte daß Hans das Buch kaufte daß Hans es kaufte

usw. demselben Satztyp an. Man sieht, daß die Konstruktion von Bäumen bereits eine beträchtliche Generalisierung liefert.

65

3.3.2

Transformationsregeln

Schwieriger wird die Behandlung des deutschen Äquivalents von (ll)(a), nämlich (ll)(b). Es gibt zwar auch im Deutschen den Satz Der Junge dachte, das Mädchen sah den Hund, aber wir können diesen Satz nicht mit unseren bisherigen Regeln generieren. Das liegt an der Regel (7)(d2), die - wie auch die Regel (7)(c2) - auf der Annahme beruht, daß in deutschen VPs das Verb am rechten Rand steht, weil das Deutsche eine SOVSprache ist und nicht eine SVO-Sprache wie das Englische, vgl. (ll)(bl): (11)

(bl)

S

Det

(weil) der Junge (daß)

das

Ν

Mädchen

NP

V

Det

Ν

den

Hund

sah

dachte

Wir haben keine Möglichkeit, die subordinierenden Konjunktionen weil und daß mit unseren bisherigen Regeln in der Struktur unterzubringen. Wir haben die Konjunktionen dennoch hinzugefügt, um die Konstruktion leichter interpretierbar zu machen. Ein Satz wie der Junge, das Mädchen den Hund sah, dachte würde man nicht so ohne weiteres als einen deutschen Satz akzeptieren. Aber auch mit den subordinierenden Konjunktionen ist der in Klammern stehende Nebensatz, der wiederum einen in Klammern stehenden Nebensatz enthält, nicht gut: Paul ärgerte sich, [weil der Junge, [daß das Mädchen den Hund sah], dachte]. Die Konstruktion kommt erst dann in Ordnung, wenn der am tiefsten eingebettete Nebensatz hinter den übergeordneten Nebensatz gerückt wird: Paul ärgerte sich, [weil der Junge dachte [daß das Mädchen den Hund sah]]. Die Verschiebung des am tiefsten eingebetteten Satzes wird Extraposition genannt. Extraposition gehört zu einem Typ syntaktischer Regeln, die wir bisher nur kurz erwähnt haben, zum Typ der Transformationsregeln (TRegeln). T-Regeln operieren auf Bäumen, sie bilden Bäume auf Bäume ab. Im Rahmen der Standard-Theorie der 50er und 60er Jahre hatten TRegeln (die der chomskyschen Grammatik-Theorie den Namen Transformationsgrammatik - TG - eingebracht haben), folgende Eigenschaften. Erstens: Jede T-Regel muß eine Strukturbeschreibung (SB) haben. Diese

66 Strukturbeschreibung liefert eine Segmentierung von syntaktischen Konstruktionen. Die betreffende T-Regel kann nur auf solche Konstruktionen angewandt werden, die die Segmentierung der Strukturbeschreibung erfüllen können. Zweitens: Jede T-Regel schließt eine Strukturveränderungsvorschrift (SV) ein. SVs können die Tilgung, die Substitution oder die Adjunktion von Elementen vorsehen, unter der Voraussetzung, daß die Bedeutung der Konstruktion sich nicht ändert. Drittens: T-Regeln können zusätzliche Bedingungen hinsichtlich ihrer Geltung enthalten, also etwa, ob ihre Anwendung fakultativ oder obligatorisch ist. Wir wollen nun eine T-Regel suchen, die uns die Herleitung von (ll)(b2) aus (1 l)(bl) ermöglicht. Wir wollen die Regel Extrapositionfiniter Objektsätze im Deutschen nennen: (24)

Extraposition finiter Objektsätze im Deutschen SB: X [ VP Sfa 1 [ 2 SV: 1 [[ 0 Bedingung: obligatorisch

V] 3] 3] + 2]

-Y - 4 - 4

In unserem Beispiel (1 l)(b) ist X = 1 = (weil) der Junge, Sfm = 2 = (daß) das Mädchen den Hund sah, V = 3 = dachte (wobei 2 und 3 eine VP bilden), Y = 4 = 0 (Y ist ein leeres Segment). (ll)(bl) erfüllt also die SB von (24). Daraufhin kann die SV von (24) auf (ll)(bl) angewandt werden. Diese besagt, daß X = 1 unverändert bleibt, daß Sfm = 2 durch ein leeres Segment ersetzt wird, daß 3 unverändert bleibt, daß Srin nunmehr an die VP adjungiert wird, die aus dem leeren Segment und 3 besteht, und daß Y = 4 = 0 unverändert bleibt. Daraus ergibt sich nun der Baum (ll)(b2): (11)

(b2)

weil der Junge

Ein Baum wie (ll)(b2) ist nicht mehr allein durch die PS-Regeln in (7), sondern durch die PS-Regeln in (7) und durch die T-Regel in (24) lizenziert. Dabei hat (24) den Baum (ll)(bl) auf den Baum (ll)(b2) abgebildet.

67 In ähnlicher Weise kann man auch die Strukturtypen deutscher Sätze ableiten, in denen das finite Verb nicht die letzte Position einnimmt, also den Strukturtyp, in dem es die erste Position, und den, in dem es die zweite Position einnimmt. (25)

Verbumstellung SB: [s X 1

-

SV: [s2 + [sl Bedingung: Entscheidungsfrage

V J 2

0]]

Eine wichtige Voraussetzung für das Funktionieren dieser T-Regel besteht darin, daß X nicht mit einer subordinierenden Konjunktion beginnt (X kann durchaus noch eine weitere Konjunktion enthalten, sie darf aber nicht am Beginn von X stehen - wir wollen annehmen, daß diese Voraussetzung in der Bedingung Entscheidungsfrage steckt). Betrachten wir nun noch einmal unseren Satz (ll)(bl), hier als (26) wiederholt. Dabei haben wir erstens die satzeinleitende Konjunktion weil aus ( l l ) ( b l ) entsprechend der genannten Voraussetzung weggelassen und zweitens die satzeinleitende Konjunktion daß des eingebetteten Satzes so in den Satz integriert, daß sie an den Satz, den sie einleitet, adjungiert ist (später werden wir andere Lösungen einführen): (26)

[ s [NP der Junge] [yp [ s daß [ s das Mädchen den Hund sah]] [ vfm dachte]]]

Die Kette terminaler Knoten läßt sich nun entsprechend der SB von (25) segmentieren: X = 1 = der Junge daß das Mädchen den Hund sah, Vfin = 2 = dachte, wobei 1 und 2 ein S sind. Nun kann die SV angewandt werden: Vfm = 2 = dachte wird links an S adjungiert, X = 1 = der Junge, daß das Mädchen den Hund sah bleibt unverändert, Vfm = 2 = dachte wird an seiner ursprünglichen Position durch ein leeres Segment 0 ersetzt. Das Resultat dieser Strukturveränderung ist (27): (27)

[ s [Vrm dachte] [S[NP der Junge] [yp [ s daß [ s das Mädchen den Hund sah]] [va. OU]]

Danach muß noch Extraposition erfolgen. Wir können nun zeigen, daß deutsche Aussagesätze, die typischerweise Verb-Zweit-Sätze sind, sich durch T-Regeln ableiten lassen. In der Standard-Theorie ging man davon aus, daß es eine bestimmte Regelordnung gibt. So wurde angenommen, daß Verb-Zweit-Sätze aus Verb-Erst-Sätzen abgeleitet wurden, anders gesagt, daß Verb-Zweit-Sätze aus Verb-LetztSätzen nur über Verb-Erst-Sätze derivierbar sind. Wie wir schon im 2. Kapitel angedeutet haben, entstehen Verb-Zweit-Sätze dadurch, daß eine maximale phrasale Konstituente P™" aus dem Feld hinter dem finiten Verb (aus dem Mittelfeld) in das Feld vor dem finiten Verb (in das Vorfeld) rückt. Die entsprechende T-Regel sieht folgendermaßen aus:

68 (28)

Vorfeldbesetzung

SB:

[s

V«,,

-

[s X

-

1 2 SV [s 3 + [s 1 [s 2 Bedingungen: (a) S Aussage, (b) P""" = Satzglied von S

P3 0

-Y]] -

4 -4]]]

Voraussetzung ist allerdings, daß P™" ein Satzglied desjenigen Satzes ist, den das in der SB bestimmte finite Verb konstituiert, und nicht etwa ein Satzglied in einem untergeordneten Satz. Sätze wie IDen Hund dachte der Junge, daß das Mädchen sah oder IDas Mädchen dachte der Junge, daß den Hund sah sind zumindest standardsprachlich fragwürdig. Schlechter noch sind Sätze mit anderen Verben im übergeordneten Satz: *Den Hund wußte der Junge, daß das Mädchen sah oder *Das Mädchen wußte der Junge, daß den Hund sah. Verben, die die Extraktion von Satzgliedern aus untergeordneten Sätzen eher tolerieren (wie denken) als andere (wie wissen), werden als Brückenverben bezeichnet. Um solche Fälle zunächst auszuschließen, haben wir die entsprechenden Voraussetzungen informell in die Bedingungen von (28) gesteckt. Satz (27) erfüllt nun durchaus die SB von (28), und zwar in zweifacher Weise. Erstens: Vfin = 1 = dachte, X = 2 = 0, P"" = 3 = der Junge, Y = 4 = daß das Mädchen den Hund sah. Zweitens: Vrm = 1 = dachte, X = 2 = der Junge, P1"" = 3 = daß das Mädchen den Hund sah, Y = 4 = 0. In beiden Fällen ist die Gesamtkonstruktion ein S. Nun kann die SV angewandt werden: Entweder wird P™" = der Junge oder P™" = daß das Mädchen den Hund sah links an das äußerste/oberste S adjungiert. Im ersten Falle bleiben X = 0 und Y = daß das Mädchen den Hund sah unverändert, im zweiten Falle bleibt X = der Junge und Y = 0 unverändert, und in beiden Fällen wird das jeweilige P™" an seiner ursprünglichen Stelle mit einem leeren Segment repräsentiert: (29)

(a) (b)

[ s [NP der Junge][s [ νΒη dachte] [ s [NP 0] [ w [ s daß [ s das Mädchen den Hund sah]] [VBn 0]]]]] [ s [ s daß [ s das Mädchen den Hund sah]] [ s [ vñn dachte] [ s [NP der Junge] [ w [ s 0] [ vfin 0]]]]]

In der GB-Theorie sind T-Regeln dieser Art schrittweise eliminiert worden. Es stellte sich heraus, daß solche konstruktionsspezifischen Regeln zu speziell sind und nicht der Lernbarkeitsbedingung genügen. Bereits Ross (1967) stellte in seiner berühmt gewordenen Dissertation heraus, daß es eine ganze Reihe von Beschränkungen gibt, die verschiedenen, voneinander unabhängigen T-Regeln gemeinsam sind, eine Idee, die in Chomsky (1973) aufgegriffen und fortgeführt wurde. Beim Übergang von der Regel-Grammatik zur Prinzipien-und-ParameterGrammatik im Sinne von Chomsky (1981) schließlich blieb von den unüberschaubar gewordenen Transformations-Apparaten für die Gramma-

69 tikfragmente der verschiedensten Sprachen nur noch eine einzige Regel übrig, nämlich die Regel Bewege a oder gar Affiziere a. Diese sehr unspezifische Regel, die alles zu erlauben scheint, wird im Rahmen der GB-Theorie durch verschiedene Prinzipien in ihrer Wirkungsweise beschränkt. Wir gehen darauf in einem der nächsten Abschnitte dieses Kapitels noch einmal kurz ein.

3.3.3

Regeln und Bäume

Bei den Überlegungen zu Konstituentenstrukturen im 2. Kapitel haben wir bereits gesehen, daß Kategorien auf unterschiedliche Weise konstituiert sein können. Wir haben Regeln kennengelernt, die, technisch gesprochen, mehrere Ausgänge haben, d.h. auf der rechten Seite des Pfeils mehrere Zeilen haben, die wir durch die geschweifte Alternativklammer zusammengefaßt haben (der Einfachheit halber schreiben wir im folgenden diese Zeilen hintereinander, trennen sie aber durch Semikolon voneinander). Regeln dieser Art generieren daher nicht nur einen (lokalen) Baum, sondern eine Klasse von (lokalen) Bäumen. Wir wollen zur Illustration noch einmal die Regel für die Expansion von Verbalphrasen im Deutschen benutzen und ausbauen. (30)

VP — > ({AP; NP; PP; NP NP; NP PP; PP PP; S; NP S}) V

Diese Regel läßt sich weiter zusammenfassen: (31)

VP — > ({AP; (NP) {NP, S}; ({NP, PP}) PP}) V

Mit der Regel (30/31) können folgende Teilbäume erzeugt werden: (32)

(a)

VP

(b)

VP

AP (f)

VP

NP

S

(i)

VP



(h)

PP

V

VP



NP

ΡΡ

V

PP

V

/ κ PP

V

Die einzelnen Teilbäume kommen in den folgenden Beispielen vor: (33)

(a) (b)

daß daß Hans Hans [[schläft]] [[ziemlich intelligent] [ist]]

70 (c) (d) (el) (e2) (fl) (f2) (g) (h) (i)

daß daß daß daß daß daß daß daß daß

Hans Hans Hans Hans Hans Hans Hans Hans Hans

[[ein Buch] [liest]] [[seinem Freund] [ein Buch] [schenkt]] [[hofft], [daß sein Freund ihn besucht]] [[ihn zu besuchen] [hofft]] [[ihm] [verspricht], [daß er ihn besuchen wird]] [[seinem Vater] [den Onkel zu besuchen] versprach] [[in die Stadt] [fährt]] [[sein Auto] [in die Garage] [fährt]] [[mit seinem Freund] [über den Urlaub] [spricht]]

Die Beispiele (el) und (fl) weichen von den Regeln ab, nach denen sie gebildet sind: Im eingebetteten Satz steht das Verb nicht am linken, sondern am rechten Rand der VP. Dies ist wiederum das Ergebnis der Transformation (24), die verbietet, daß eingebettete finite Objekt-Sätze in der Position verbleiben, in der sie durch PS-Regeln erzeugt worden sind. Dieses Verbot gilt - wie die Regel ja auch besagt - nicht für eingebettete infinite Objekt-Sätze, wie (33)(e2) und (f2) zeigen. Allerdings müssen die infiniten Sätze nicht links vom Verb stehen bleiben, sie können nach rechts gerückt werden: (34)

(a) (b)

daß Hans [[hofft] [ihn zu besuchen]] daß Hans [[seinem Vater] [versprach] [den Onkel zu besuchen]]

Dies ist wiederum nicht in allen Fällen erlaubt - es gibt Verben, die infinite Sätze einbetten, aber deren Verschiebung nach rechts verbieten (das sind sogenannte kohärente Konstruktionen): (35)

(a) (b)

daß Hans [[krank zu sein] [scheint]] *daß Hans [[scheint] [krank zu sein]]

Wenn man mit Regeln wie (30)/(31) Bäume erzeugt, kann man, wenn man die terminalen Knoten berücksichtigt, drei Ebenen unterscheiden: (a) die Phrasenebene, (b) die Wortklassenebene und (c) die Wortebene: s

(36)

VP

NP

(b) Det Ν

f--l

(c) der Mann

Det

Ν

Det

dem

Kind

einen

t

,

1

Ν

1

Apfel

V schenkt

Analog zur Unterscheidung zwischen nichtterminalen und terminalen Ketten können wir zwischen nichtterminalen und terminalen Regeln unterscheiden. Nichtterminale Regeln haben auf ihrer rechten Seite keine

71 lexikalischen Einheiten, terminale Regeln haben auf der rechten Seite lexikalische Einheiten. Nichtterminale Regeln erzeugen alle lokalen Teilbäume innerhalb der (a)-Ebene und solche, die von der (a)- in die (b)Ebene übergehen. Regeln, die Teilbäume erzeugen, die von der (a)- in die (b)-Ebene übergehen, können wir auch als präterminale Regeln bezeichnen. Terminale Regeln erzeugen Teilbäume, die von der (b)- in die (c)Ebene übergehen.

3.3.4

Unendlichkeit von Sprache

Man kann sich nun wieder die Frage vorlegen, wieviele Sätze von präterminalen und terminalen Regeln zusammen erzeugt werden können. Die Antwort ist vielleicht überraschend, sie ist dennoch klar: Eine Grammatik kann theoretisch eine unendlich große Menge von Sätzen generieren. Die Regeln erlauben nämlich, daß jedes S ein anderes S dominiert, und dies ad infinitum. Formal: (37)

S0 dominiert S,, S, dominiert S2, S2 dominiert..., ... dominiert S„.

Eine Grammatik (eine Menge von Regeln und ein Lexikon) generieren genau dann eine unendlich große Menge von Sätzen, wenn mindestens eine Regel zuläßt, daß ein Exemplar der Kategorie a ein (anderes) Exemplar der Kategorie α dominiert. Wenn eine Grammatik dies zuläßt, heißt das, daß sie Rekursion oder Rekursivität erlaubt. Rekursivität kann wie folgt bestimmt werden: (38)

Rekursivität Eine Regel ist rekursiv gdw. auf der rechten Seite einer Regel eine Kategorie vorkommt, die auf der linken Seite dieser Regel oder auf der linken Seite einer anderen Regel der gleichen Grammatik vorkommt.

Dafür mögen folgende Beispiele stehen: (39) (40)

(a) (b)

NP Ν' S

—> —> —>

DetN' Ν NP NP S VP

Mit (39) kann man Konstruktionen wie (41)

der Onkel des Freundes meines Bruders.

ableiten, mit (40) solche wie (42)

daß Paul, als er den Zug verpaßt hatte, ein Taxi nahm.

Durch Rekursivität wird die Möglichkeit ausgeschlossen, eine grammatisch definierbare Grenze für den längsten Satz anzugeben. Hier zeigt sich wieder die Sinnfälligkeit, zwischen Grammatikalität und Akzeptabilität zu

72 unterscheiden: Ein theoretisch unendlich langer Satz kann grammatisch sein, er kann aber nicht verarbeitet werden und wird insofern unakzeptabel. Fazit: Wenn Bäume Generalisierungen über Sätze liefern, so liefern uns Regeln eine weitere Generalisierung: Regeln repräsentieren Klassen von Bäumen. Dies gilt insbesondere, wenn man eine Grammatik als eine Menge von Regeln versteht. Eine Grammatik erzeugt dann eine (infinite) Menge von Bäumen, und jedem Baum entspricht wiederum eine (infinite) Menge von Sätzen. Wir können nun überlegen, was erforderlich ist, wenn man für irgendeine Konstruktion in irgendeiner Sprache eine Analyse liefern will. Typischerweise hat ein Syntax-Theoretiker eine Reihe von Zielen. Das erste Ziel besteht darin, eine Menge von Regeln zu entwickeln, die, wenn ein passendes Lexikon vorhanden ist, die Beispiele dieser Konstruktion vollständig und ausschließlich erzeugen. Die Bestimmung und ausschließlich ist dabei wesentlich. Es ist relativ leicht, alle Elemente einer bestimmten Satzmenge zu erzeugen, wenn man sich damit zufrieden gibt, daß darunter auch ungrammatische Sätze sind. Anstelle unserer früheren Regeln könnten wir die folgende haben: (43)

S — > WORT (S)

Wenn wir ein Lexikon annehmen, in dem unsere bisherigen Wörter nicht mehr mit unterschiedlichen lexikalischen Kategorien wie Ν, V, Α, Ρ , sondern nur noch mit der Kategorie WORT bezeichnet werden, können wir folgende Struktur erhalten: (44)

s

WORT

S WORT WORT

the boy

saw

a

I girl

In (44) haben wir zweifellos einen grammatischen Satz. Das Problem ist natürlich, daß eine Regel wie (43) jede beliebige Sequenz von Wörtern generiert, d.h., daß sie auch jede ungrammatische Sequenz generiert. Klarerweise kann das keine befriedigende Analyse von irgendwelchen Strukturen sein. Daher ist die Forderung wichtig, daß keine Analyse un-

73 grammatische Sequenzen zulassen darf. Mit anderen Worten: Wir fordern, daß eine Analyse die Fakten richtig erfassen soll. Eine Analyse, die dieser Forderung genügt, gilt üblicherweise als beobachtungsadäquat. Ein weiteres Ziel von Syntax-Theoretikern besteht darin, die Analysen so einfach wie möglich zu machen. Das bedeutet insbesondere, daß jede mögliche Generalisierung, die aus den Daten abgeleitet werden kann, erfaßt werden soll. Wenn beispielsweise in einer Sprache das Subjekt dem ihm assoziierten Verb immer folgt, so sollte dies nur einmal formuliert werden und nicht so, daß das Subjekt sowohl dem einen, als auch dem anderen wie auch dem dritten usw. Typ von Verben folgt. Eine Analyse, die alle zugänglichen Generalisierungen erfaßt, wird üblicherweise als beschreibungsadäquat betrachtet. Natürlich kann es sein, daß nicht unmittelbar einsichtig ist, welches die zugänglichen Generalisierungen sind. So ist keineswegs klar, ob es eine einzige Generalisierung gibt, die (46) und (47) als Alternativen von (45) ausschließt: (45) (46) (47)

Stefan talked to Maja. »Stefan to Maja talked. »Stefan talked Maja to.

Die meisten Syntax-Theoretiker würden eine solche Generalisierung annehmen, wie wir im nächsten Abschnitt zeigen werden. Es ist aber auch nicht ohne weiteres klar, ob es eine einzige Generalisierung gibt, die (50) und (51) als Alternativen zu (48) und (49) ausschließt: (48) (49) (50) (51)

(a) (b) (a) (b) (a) (b) (a) (b)

Stefan believes himself to be a genius. daß Stefan sich nach Amerika fliegen sah Stefan is believed to be a genius. ?daß Stefan nach Amerika fliegen gesehen wurde »Stefan believes himself is a genius. »daß Stefan sich nach Amerika fliegt sah »Stefan is believed is a genius. »daß Stefan nach Amerika fliegt gesehen wurde

In GB wird, wie wir in Kapitel 9 sehen werden, hierfür eine einzige Generalisierung angenommen. Ein letztes Ziel besteht darin, eine Analyse zu entwickeln, die mit unserem Wissen über andere Sprachen verträglich ist. So ist eine Analyse, die sich ohne Schwierigkeiten auf vergleichbare Konstruktionen in anderen Sprachen ausdehnen läßt, einer Analyse vorzuziehen, die das nicht leistet. Eine Analyse englischer Relativsätze, die sich zu einer Analyse walisischer Relativsätze erweitern läßt, ist besser als eine, die sich nicht in dieser Weise ausweiten läßt. Entsprechend ist eine Analyse, die mit dem verträglich ist, was man über menschliche Sprache im allgemeinen annimmt, einer Analyse vorzuziehen, die damit nicht verträglich ist. Wenn man beispielsweise annimmt, daß Sprachen nur

74 einer bestimmten Art von Regeln unterliegen, so wird man versuchen, von jeder Konstruktion, mit der man befaßt ist, eine Analyse zu entwikkeln, die nur von solchen Regeln Gebrauch macht. Nur dann, wenn es sich als unmöglich erweist, eine Sprache in einer Weise zu analysieren, die mit den Annahmen darüber verträglich ist, was Sprachen wirklich sind, wird man eine Analyse akzeptieren, die mit diesen Annahmen unverträglich ist, und in der weiteren Arbeit diese Annahmen revidieren. Eine Analyse, die diesem Ziel nahekommt, wird allgemein als erklärungsadäquat charakterisiert. Abschließend seien die Adäquatheitsstufen für linguistische (grammatische/syntaktische) Theorien noch einmal zusammengefaßt: (52) (a)

(b)

(c)

Adäquatheitsstufen Beobachtungsadäquatheit Eine grammatische Theorie ist beobachtungsadäquat gdw. sie die korrekten und nur die korrekten Sätze einer Sprache erzeugt. Beschreibungsadäquatheit Eine grammatische Theorie ist beschreibungsadäquat gdw. sie (1) die korrekten und nur die korrekten Sätze einer Sprache erzeugt und (2) diesen Sätzen korrekte Strukturbeschreibungen zuweist. Erklärungsadäquatheit Eine grammatische Theorie ist erklärungsadäquat gdw. sie (1) die korrekten und nur die korrekten Sätze einer Sprache erzeugt, (2) diesen Sätzen korrekte Strukturbeschreibungen zuweist und (3) mit diesen Strukturbeschreibungen universelle Eigenschaften von Sprachen erfaßt.

Grammatiken, die sich hinsichtlich (a) gleich verhalten, gelten als schwach äquivalent. Grammatiken, die sich hinsichtlich (a) gleich, aber auch hinsichtlich (b) so verhalten, daß sie den von ihnen erzeugten Sätzen zwar verschiedene, aber ineinander übersetzbare Strukturbeschreibungen zuweisen, gelten als stark äquivalent. Konstituenten- und Abhängigkeitsstrukturgrammatiken sind schwach äquivalent, da sie zwar die gleichen Satzmengen erzeugen könnten, ihre Strukturbeschreibungen aber nicht ineinander übersetzbar sind. Verschiedene Versionen von Phrasenstrukturgrammatiken können hingegen durchaus stark äquivalent sein. Grammatiken für einzelne natürliche Sprachen, die zugleich dem Anspruch auf Erfassung von universellen Eigenschaften natürlicher Sprachen genügen, liegen nur in Bruchstücken vor, die Entwicklung erklärungsadäquater Theorien steht - trotz aller wichtigen Schritte in die richtige Richtung noch immer an den Anfängen ihrer allerdings auch erst sehr kurzen Geschichte von weniger als drei Jahrzehnten.2

2

Für weitere Diskussion über Adäquatheitsebenen vgl. Horrocks (1987, 1.5.) und Radford (1988, 1.6.).

75

3.3.5 Prinzipien, Parameter und Minimalismus In den letzten 15 Jahren ist namentlich im Rahmen der Rektions- und Bindungs-Theorie das Regelkonzept weitgehend aufgegeben worden. Regeln gelten nur noch als angemessenes Mittel für Grammatiken, die sich mit dem Ziel der Beschreibungsadäquatheit begnügen. Theorien mit dem Anspruch auf Erklärungsadäquatheit haben an die Stelle der Formulierung von sprach- und konstruktionsspezifischen Regeln die Suche nach generellen übersprachlichen und konstruktionsungebundenen Prinzipien und sprachspezifischen Parametern gesetzt. Ein solches Prinzip ist etwa das schon erwähnte X-bar-Schema für den Aufbau von Phrasenstrukturen; und die Bewegung von Konstituenten, die durch die Transformationsregel Bewege a ausgelöst wird, ist durch eine ganze Reihe verschiedener anderer Prinzipien restringiert. Seit dem Ende der 80er Jahre ist die Entwicklung der Syntax-Theorie noch einmal in eine neue Phase eingetreten, die unter dem Stichwort Minimalistisches Programm firmiert. Manfred Bierwisch (1993:31) hat diese Phase folgendermaßen charakterisiert: "Der Umbau des Prinzipien-und-Parameter-Modells im Sinn des ... minimalistischen Programms ist in wesentlichen Punkten dem Umbau der regelbasierten Standard-Theorie zum Prinzipien-und-Parameter-Modell vergleichbar: Wieder geht es darum, speziellere Bedingungen auf allgemeinere zurückzuführen, die durch entsprechende Randbedingungen differenziert werden. Der frühere Schritt hatte von einzelsprachlichen Regeln zu universalgrammatischen Prinzipien geführt, der neue Schritt führt von diesen Prinzipien zu allgemeinen Bedingungen struktureller Ökonomie. Zugleich werden die lernabhängigen Spezifika, durch die sich die Sprachen unterscheiden, mit jedem dieser Schritte deutlicher als Effekte der Randbedingungen, die in den Schnittstellen liegen, erkennbar: Sie wandern aus den grammatischen Regeln in die Parameter, die dann als abhängig vom lexikalischen Wissen verstanden und schließlich ganz von ihm absorbiert werden. Das grammatische Berechnungsregime ist nun nicht mehr ein parametrisierter Schaltplan für die Organisation möglicher Grammatiken, sondern ein allgemeines Operationsschema, das komplexe Repräsentationssysteme in bestimmter Weise minimalisiert. "

3.4

Regeln für unmittelbare Dominanz und lineare Abfolge

Wir haben schon angedeutet, daß sowohl GB als auch PSG PS-Regeln verwerfen. PS-Regeln verfehlen Generalisierungen über die Reihenfolge von Konstituenten. Daher wird in beiden Theorien angenommen, daß sie durch zwei unterschiedliche Arten von Regeln ersetzt werden sollen.

76 Unter den PS-Regeln einer Grammatik des Englischen sind folgende: V1 — > Ν' — > A1 — > Ρ1 — >

(53) (54) (55) (56)

V ({NP; PP; S; NP PP; NP S; PP S}) Ν ({PP; S}) A ({PP; S}) Ρ {NP; PP; S; NP PP}

Mit den PS-Regeln (53) bis (56) lassen sich die kursiv gedruckten Konstruktionen in (57) bis (60) generieren: (57)

(a) (b) (c) (d) (e) (f)

(58)

(a) (b)

(59)

(a) (b)

(60)

(a) (b) (c) (d)

Stefan saw Maja. Stefan talked to Maja. Stefan sees Maja read the book. Stefan put the book on the shelf. Stefan persuaded Maja to visit him. Stefan said to Maja that he liked her. a picture of Maja. the belief that the earth is flat. Stefan is afraid of spiders. Stefan is afraid that there is a spider in the bath. Stefan is in the bath. Stefan appeared from behind the wall. Stefan arrived before Ben arrived. Stefan was in charge with Ben out of the country.

Diese Regeln verschenken eine Reihe von Verallgemeinerungen über die lineare Abfolge der Konstituenten. Die für das Englische wichtigste Verallgemeinerung ist: (61)

Reihenfolgebeziehung (Englisch) 1 Eine lexikalische Kategorie geht jeder phrasalen Kategorie, die ihre Schwester ist, voraus.

Dies gilt im Englischen generell, also sowohl für Verben (57), für Substantive (58), für Adjektive (59) als auch für Präpositionen (60). Das illustrieren die Regeln (53) bis (56). Genau gegen diese Generalisierung verstoßen die Beispiele (46) und (47). Eine andere wichtige Generalisierung für das Englische ist folgende: (62)

Reihenfolgebeziehung (Englisch) 2 Eine NP geht jeder anderen phrasalen Kategorie, die ihre Schwester ist, voraus.

Das wird durch die Regeln (53) und (56) illustriert: Wenn eine NP zusammen mit einer anderen XP als Schwester vorkommt, geht die NP der XP voraus. Eine weitere Generalisierung ist: (63)

Reihenfolgebeziehung (Englisch) 3 Ein S folgt allen seinen Schwestern.

Das wird durch die Regel (53) exemplifiziert.

77 Betrachten wir nun entsprechende Fälle im Deutschen: V1 — > Ν1 — > A1 — > Ρ1 — >

(64) (65) (66) (67)

({AP; NP; PP; NP NP; NP PP; PP PP; S; NP S}) V Ν ({NP; PP; NP PP; (PP) S;}) ({NP; PP; S}) A Ρ {NP (S); PP (S); S;}3

Für (64) vgl. die Beispiele unter (34) im vorigen Abschnitt, hier als (68) wiederholt: (68)

(a) (b) (c) (d) (el) (e2) (fi) (ß) (g) 00 (i)

daß daß daß daß daß daß daß daß daß daß daß

Hans Hans Hans Hans Hans Hans Hans Hans Hans Hans Hans

t seinem Freund] [über den Urlaub] [spricht]]

Für (65), (66) und (67) seien folgende Beispiele angeführt: (69)

(70)

(71)

(a) (b) (c) (d) (a) (b) (c) (d) (e) (f) (a) (b) (c)

[mit der Lösung] zufrieden [dem Vater] ähnlich [das Problem zu lösen] bereit intelligent die Lösung [des Problems] das Problem [mit dem Computer] der Transport [der Möbel] [in die neue Wohnung] der Versuch, [das Problem zu lösen] die Bitte [an Hans], [das Problem zu lösen] das Auto über [das Problem] bis [zu sieben Jahren] (dar)über, [wie das Problem zu lösen ist]

3

Mit den Regeln (64) bis (67) sind nicht alle Möglichkeiten erschöpft. Einige Konstruktionen, die unter solche Möglichkeiten zu fallen scheinen, sind anders zu erklären: Erstens: Genitivische Attribute in Konstruktionen wie das Auto meines Bruders oder genitivische logische Subjekte in Konstruktionen wie der Versuch Pauls, das Problem zu lösen sind - jedenfalls im Rahmen der Rektions- und Bindungs-Theorie - nicht ohne weiteres unter Regeln wie (1)

(a) (b)

Ν1 — > Ν NP Ν1 — > Ν NP S

zu bringen, da weder Genitivattribute noch Genitivsubjekte bei Substantiven den Status von Komplementen (Ergänzungen) haben. Dieses Problem soll hier nicht weiter ausgeführt werden.

78 W i e für das Englische gilt für das Deutsche: D i e PS-Regeln verschenken Generalisierungen. 4 D i e Generalisierungen für das Deutsche sind j e d o c h andere als für das Englische. So gilt die Generalisierung (61) für das Deutsche nicht in gleicher W e i s e w i e für das Englische. Wenn man sich die Regeln (64) und (66) einerseits und (65) und (67) andererseits ansieht, kann man aber zu folgender Generalisierung gelangen: (72) (a) (b)

Reihenfolgebeziehung (Deutsch) 1 Die lexikalischen Kategorien Verb und Adjektiv folgen allen phrasalen Kategorien, die ihre Schwestern sind. Die lexikalischen Kategorien Substantiv und Präposition gehen allen phrasalen Kategorien, die ihre Schwestern sind, voraus.

Wir werden später sehen, daß man die Regel (72) vereinfachen kann, wenn man auf syntaktische Merkmale Bezug nimmt. Komplizierter für das Deutsche ist die Bestimmung der Reihenfolgebeziehungen von phrasalen Kategorien untereinander, also der Schwesterkonstituenten von lexikalischen Kategorien (und des Subjekts) untereinander. Man betrachte folgende Beispiele im Deutschen: (73)

(a) (b) (c)

weil Knispel seit drei Wochen seinem Hund Geduld beibringt. weil Knispel seit drei Wochen Geduld seinem Hund beibringt. weil Knispel Geduld seit drei Wochen seinem Hund beibringt.

Sprachen mit sehr freier Wort-Ordnung liefern einen weiteren Hinwand gegen Phrasenstrukturregeln. Man betrachte beispielweise eine Sprache, in der V', Ν', A' und P' genau die gleichen Konstituenten wie das Englische erlauben, in der sie aber in einer beliebigen Reihenfolge erscheinen können. Wenn wir PS-Regeln annehmen, so müssen wir viel mehr Regeln für eine solche Sprache formulieren als für das Englische. So müssen wir beispielsweise die beiden folgenden Regeln haben, wo wir für das Englische nur die erste der beiden Regeln brauchten: (1)

(a) (b)

V' V'

—> —>

V NP NP V

Ebenso würden wir alle folgenden Regeln benötigen, wo wir im Englischen nur die erste brauchten:

V, NP

Nur (90)(a) entspricht der englischen LP-Regel (61). Es ist anzumerken, daß ID- und LP-Regeln einen unterschiedlichen Status haben. ID-Regeln sind - wie PS-Regeln - permissiv. Sie konstatieren, daß bestimmte Situationen möglich sind. LP-Regeln hingegen sind imperativ. Sie konstatieren, daß bestimmte Situationen notwendig sind, und schließen daher andere Situationen aus.

83 PS-Regeln können nur dann durch ID- und LP-Regeln ersetzt werden, wenn die Reihenfolge von Schwesterkategorien konstant bleibt, unabhängig davon, was ihre Mutterkategorie ist. Wenn zwei Schwesterkategorien mit einer Mutterkategorie in einer, mit einer anderen Mutterkategorie aber in anderer Reihenfolge erscheinen können, dann ist es nicht möglich, die PS-Regeln durch separate ID- und LP-Regeln zu ersetzen. Somit sind wir zur folgenden Feststellung genötigt: (92)

Reihenfolge von Schwesterkategorien: Schwesterkategonen haben die gleiche Reihenfolge unabhängig davon, was ihre Mutterkategone ist.

Dies ist eine der wichtigsten Annahmen, die GB und PSG teilen.

3.5

Nicht-lokale Bedingungen für Bäume

3.5.1

Anaphernbindung

Zwischen der Rektions- und Bindungs-Theorie und der Phrasen-StrukturGrammatik gibt es einen wichtigen Unterschied. Die bisher betrachteten Regeln haben eine eng begrenzte Reichweite: Sie beziehen sich ausschließlich auf lokale Bäume (eine Ausnahme dazu sind die Transformationsregeln gewesen). Es gibt jedoch reguläre Beziehungen zwischen den Konstituenten eines Satzes, die über lokale Bäume hinausreichen können. Wir müssen also fragen, ob wir nicht-lokale Bedingungen für Bäume benötigen. Die PSG nimmt an, daß solche Bedingungen nicht gebraucht werden, GB hingegen sieht solche nicht-lokalen Bedingungen für Bäume als notwendig an. Es ist nicht schwierig, Daten zu finden, die nahelegen, daß solche nicht-lokalen Bedingungen notwendig sind. Betrachten wir zunächst die folgenden Beispiele, die die Reflexiva himself enthalten. (93) (94)

Stefan scratched himself. *Himself scratched Stefan.

Wie läßt sich dieser Kontrast erklären? (93) und (94) haben als Bäume in gröbster Vereinfachung - die Struktur: (95)

s VP

NP

V Stefan

scratched

NP himself

84 (96)

*S

Himself

V

NP

scratched

Stefan

Nimmt man nun Bedingungen an, die sich nicht auf lokale Bäume beschränken, also nicht auf die beiden lokalen Bäume [ s NP VP] und [VP V NP] unseres Beispiels, sondern auf den gesamten Baum [¡¡ NP [VP V NP]], so können wir mit folgender Bedingung (93) zulassen und (94) ausschließen: (97)

Reflexiv-Bindung Ein Reflexivum6 muß einen Antezedenten haben, der es c-kommandiert (k-beherrscht).

(Im 9. Kapitel werden wir eine stärkere Beschränkung einführen.) Das Antezedens eines Reflexivums ist derjenige Ausdruck, der bestimmt, auf wen oder was das Reflexivum sich bezieht. C-Kommando (K-Herrschaft) kann im Anschluß an Tanja Reinhart (1976) wie folgt definiert werden: (98)

c-Kommando Ein Knoten a c-kommandiert einen Knoten ß gdw. weder a ß noch ß α dominiert und der erste verzweigende Knoten (d.h. ein Knoten mit mehr als nur einer Tochter), der a dominiert, auch β dominiert.

Dies läßt sich an folgendem abstrakten Baum demonstrieren:

D

E

F

G

6

Ziemlich ähnlich wie Reflexivpronomen verhalten sich die Reziprokpronomen each other/einander. So haben wir folgende Fälle: The boys scratched each other (1) (•) Die Jungen kratzten einander. (b) *Each other scratched the boys. (2) (») TEinander kratzten die Jungen. (b) The boys talked to each other (3) (a) Die Jungen sprachen miteinander. (b) The boys' mothers talked to each other. (4) (a) Die Mütter der Jungen sprachen miteinander. (b) (4) ist grammatisch, aber nur the boys' mothers/die Mütter der Jungen kann als Antezedens für each other/einander fungieren, nicht the boys '/der Jungen.

85 In (99) c-kommandiert A gar nichts, weil es alle anderen Knoten im Baum dominiert. Β c-kommandiert C, F und G (natürlich nicht A, D und E), C c-kommandiert B, D und E (nicht A, F und G), D c-kommandiert E und sonst nichts, E c-kommandiert D und sonst nichts, F c-kommandiert G und sonst nichts, G c-kommandiert F und sonst nichts. Schwesterkonstituenten c-kommandieren also einander, ansonsten ist die Relation durchaus unsymmetrisch: Β c-kommandiert wohl (außer C) auch F und G, aber weder G noch F c-kommandieren ihrerseits Β usw.7 Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkt die Bäume (95) und (96), so zeigt sich, daß Stefan zwar in (95), nicht jedoch in (96) das Reflexivum himself c-kommandiert. Daher ist der Satz (94) ungrammatisch. Nicht ganz so klar ist die Angelegenheit im Deutschen: (100) (101) (102) (103)

(daß) Stefan sich kratzte (daß) sich Stefan kratzte Stefan kratzte sich. ?Sich kratzte Stefan.

Wenn man annimmt, daß in (101) das Reflexivum nicht nur nach links, sondern auch nach oben verschoben worden ist, sollte Stefan das sich nicht mehr c-kommandieren können und der Satz somit ungrammatisch sein. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Struktur so zu analysieren, daß die richtige Vorhersage getroffen wird. Die einfachste Annahme ist die, daß (100) und (101) auf verschiedenen Ebenen angesiedelt sind, daß (101) von (100) abgeleitet ist, nachdem für (100) die Erfülltheit der Bedingung (97) geprüft ist. (100) wäre dann eine syntaktische Repräsentation, (101) hingegen eine phonologische Repräsentation. In (101) steht sich in einer Position, in der es keinen Akzent bekommen kann (in der sog. Wackernagel-Position). Für (102) und (103) können wir folgende Bäume annehmen: (104)

s NP

s \ NP

Stefan

7

kratzte 0

VP NP

V

sich

0

Andere dem c-Kommando ähnliche Relationen sind zu verschiedenen Zeiten in der Geschichte der Syntax-Theorie angewandt worden. Für eine technische Diskussion des gesamten Bereichs der Relationen vgl. Barker/Pullum (1990).

86 (105)

S

NP

VP NP

Sich

kratzte

Stefan

I

0

V

I0

Wenn die Analyse in (105) korrekt ist, haben wir eine Erklärung dafür, warum (103) ungrammatisch ist: sich wird nicht von Stefan c-kommandiert. Dieses Urteil wird allerdings nicht von allen Sprechern des Deutschen geteilt. Manche Sprecher halten (106) in bestimmten Kontrastkontexten für möglich: (106)

'Sich hat Stefan gekratzt, nicht Maja.

Wenn man freilich statt der Reflexivkonstruktion sich kratzen die Reflexivkonstruktion sich schämen in (106) einsetzt, erhält man ein ziemlich eindeutiges Ergebnis: (107)

*Sich schämte Hans.

Hier lassen sich keine Kontrastkontexte bilden, in denen (107) besser würde: (108)

'''Sich hat Stefan geschämt, nicht Maja.

Bei kratzen ist das Reflexivum austauschbar mit einem Argument, es ist also selbst ein Argument, bei schämen ist das Reflexivum nicht mit einem Argument austauschbar, es ist also selbst kein Argument. Daher ist (107) mit größerer Klarheit ungrammatisch als (105). (107) ist auch keine mögliche phonologische Repräsentation, weil sich als Nicht-Argument keinen Akzent bekommen könnte - sich kann nur dann einen Akzent aufnehmen, wenn es das Komplement einer Präposition wie in (110)(b,c,d) oder das Komplement eines Verbs wie in (104)/(106) ist. Wenn das Reflexivum einen Akzent zu tragen vermag, kann die ganze PP bzw. die NP, die sich enthält bzw. repräsentiert, an die Satzspitze rücken wie in (109)(d), (110)(d) oder (106). Möglicherweise gelten im Deutschen anders als im Englischen - zusätzliche Bedingungen für die Bewegung von Reflexiva, die Argumentstatus haben. Wie immer wir die Beispiele analysieren oder bewerten, es ist klar, daß die Beziehung zwischen einem Reflexivum und seinem Antezedenten nicht innerhalb eines lokalen Baumes angesiedelt sein muß. Bedingung (97) erklärt auch den folgenden Kontrast:

87 (109)

(110)

(a) (b) (c) (d) (a) (bl) (b2) (cl) (c2) (dl) (d2)

Stefan talked to himself. daß Stefan mit sich sprach. Stefan sprach mit sich. Mit sich sprach Stefan. *Stefan's mother talked to himself. '"daß Stefans Mutter mit sich sprach. daß Stefans Mutter mit sich sprach, *Stefans Mutter sprach mit sich. Stefans Mutter sprach mit sich. *Mit sich sprach Stefans Mutter. Mit sich sprach Stefans Mutter.

In (110)(b) kann sich nicht auf Stefan bezogen werden, sondern nur auf Stefans Mutter. Das wird an folgender, wiederum vereinfachter Analyse deutlich:

(112)

S

NP

Ν

PP

Ρ

daß Stefans

Mutter

I mit

V

NP

I

sich

spricht

Die NP Stefans Mutter ist eine NP mit zwei Tochterknoten. Die NP Stefan als eine Tochter dieser NP kann die NP mit dem Reflexivum sich nicht c-kommandieren. Sehr wohl c-kommandiert aber die gesamte NP Stefans Mutter die NP mit dem Reflexivum sich. Dies funktioniert im Deutschen genauso wie im Englischen, obwohl das Englische mit seiner ansonsten viel dürftigeren Morphologie beim Reflexivum anders als das Deutsche Genus- (und Numerus-)Kongruenz hat. Im Englischen lautet der analoge Satz wie in (110)(a). Der Unterschied zwischen dem Deutschen und dem Englischen besteht im folgenden: Das englische (110)(a) ist im

88 Gegensatz zum deutschen (110)(b) von vornherein ungrammatisch, d.h., (110)(a) kann nicht die Lesart haben, daß die Mutter von Stefan mit sich selbst spricht. Diese Lesart wird ausgeschlossen, weil himself nicht im Genus mit mother kongruiert. Und die Lesart, daß die Mutter Stefans mit Stefan spricht, ist ausgeschlossen, weil das Antezedens Stefan die Anapher himself (die mit ihm im Genus durchaus kongruieren würde) nicht c-kommandiert. (110)(b) ist zwar, anders als (110)(a), grammatisch einwandfrei (weil im Deutschen die Genuskongruenz zwischen Anapher und Antezedens nicht gefordert ist), aber die Interpretation (110)(b2), daß die Mutter Stefans mit sich selbst spricht, wird erzwungen, weil die Lesart (110)(bl), daß Stefans Mutter mit Stefan spricht, aus den nämlichen Gründen wie bei (110)(a) ausgeschlossen ist. Analog sind die Verhältnisse bei (110)(c) und (110)(d). Zwei Anmerkungen sind zu machen: Erstens: Eine Bedingung wie (97) hat in gewisser Hinsicht den Status einer LP-Regel: Sie legt fest, daß bestimmte Situationen notwendig und damit andere Situationen ausgeschlossen sind. Zweitens: Wenn wir Bedingungen wie (97) annehmen, kann es sein, daß ein Baum nicht wohlgeformt ist, obwohl alle seine lokalen Bäume wohlgeformt sind. Wir haben hier einen wichtigen Gegenstand der Syntax-Theorie beleuchtet. An ihm zeigt sich nun tatsächlich einer der großen Unterschiede zwischen GB und PSG. Den anderen großen Unterschied werden wir im 7. Kapitel behandeln.8

3.5.2

Verb-Zweit-Phänomene im Deutschen

Ein wichtiges Phänomen des Deutschen, das Beziehungen von Konstituenten über die Grenzen von lokalen Bäumen hinaus involviert, sind die Strukturtypen von Sätzen. Wir haben schon mehrfach und auf verschiedene Weise zu zeigen versucht, wie die unterschiedlichen Strukturtypen von Sätzen behandelt werden können. Die Grundidee dabei war, daß der Typus des Verb-Letzt-Satzes die zugrunde liegende Struktur repräsentiert, aus der die Typen des Verb-Erst- und des Verb-Zweit-Satzes abgeleitet werden müssen. Ein wesentliches Motiv für diese Idee war, daß wir Strukturen mit diskontinuierlichen Konstituenten vermeiden wollten. Außerdem muß man den Aufwand scheuen, der entstehen würde, wenn man für Sätze wie die folgenden PS-Regeln schreiben wollte:

8

PSG-Analysen von Reflexiva, die keinen Gebrauch von nicht-lokalen Bedingungen für Bäume machen, sind in Hukari (1989) und Pollard/Sag (1990) entwickelt worden.

89 (113)

(a) (b) (c) (d)

(daß) der Junge den Hund mag Mag der Junge den Hund? Der Junge mag den Hund. Den Hund mag der Junge.

Man müßte, obwohl die syntaktischen Beziehungen der Konstituenten untereinander in allen vier Sätzen gleich sind, vier unterschiedliche Mengen von PS-Regeln formulieren. Es ist sinnvoller, anzunehmen, ein Satz wie (113)(b) entsteht aus (113)(a) dadurch, daß das finite Verb mag an die Spitze des Satzes rückt, und ein Satz wie (113)(c) oder (d) entsteht dadurch, daß die NP der Junge oder die NP das Mädchen vor das finite Verb rückt. Wir hatten dazu Transformationen benutzt, aber zunächst offengelassen, in welchen Positionen nach den Transformationen das finite Verb und die Konstituente vor dem finiten Verb stehen. Wir hatten später ausgehend von der Überlegung, daß solche Umformungen aus Sätzen wieder Sätze machen - das finite Verb an den S-Knoten adjungiert und die Konstituente, die vor das finite Verb tritt, wieder an den S-Knoten adjungiert, der das finite Verb und den Ausgangssatz umfaßt. Diese Überlegungen sind im weiteren zu revidieren. Wir hatten auch auf die Möglichkeit verwiesen, daß mit der Verwendung von separaten ID- und LP-Regeln anstelle von PS-Regeln möglicherweise T-Regeln überflüssig werden. Dies ist jedoch nicht der Fall. Nehmen wir die folgenden beiden ID-Regeln an: (114) (115)

s VP

—> —>

NP, VP V, NP

Wenn wir ferner annehmen, daß es für die von diesen beiden ID-Regeln erzeugten Strukturen keine beschränkenden LP-Regeln gibt, können wir vier verschiedene Strukturen ableiten, mit dem Wortmaterial von (113) also: (116)

(a) (b) (c) (d)

Der Junge mag den Hund. (daß) der Junge den Hund mag Den Hund mag der Junge. Mag den Hund der Junge?

Mit unseren Regeln können wir nur (116)(d), aber nicht (113)(b) generieren. (113)(b) ist aber ein natürlicherer deutscher Fragesatz als (116)(d). Wir können (113)(b) auch nicht durch eine irgendwie geartete LP-Regel erzwingen. Wir werden also bei der Konstruktion von Grammatiken nicht ohne Transformationen auskommen. Bevor wir uns dem Problem zuwenden, wie diese Transformationen in der neueren Entwicklung der Theorie aussehen und wie sie restringiert sind, wollen wir vier verschiedene Hypothesen über die Struktur von

90 Sätzen vorstellen, die im Rahmen von GB entwickelt und auch für die Analyse deutscher Sätze benutzt worden sind. Erste Strukturhypothese: In Chomsky (1981) wurden folgende syntaktische Basisregeln angenommen: (117) (118)

(a) (b)

S1 S S

—> —> —>

COMP S NPINFL VP (Englisch) NP VP INFL (Deutsch)

Mit diesen Regeln wird ein neuer Typ von Kategorien eingeführt. Wir hatten bisher nur mit den lexikalischen Kategorien V, Ν, Α, Ρ und ihren Projektionen V1, Ν1, A1, P1 sowie VP, NP, AP, PP zu tun. In (117) und (118) tauchen nun Kategorien wie COMP und INFL auf. COMP steht für Komplementierer (complementizer) und INFL für Verbalflexion (inflection). COMP ist zunächst die Position für eine Teilklasse von subordinierenden Konjunktionen, und zwar für solche, die Komplementsätze einleiten, also Sätze, die den Status notwendiger Ergänzungen haben. INFL vertritt ein Bündel von Merkmalen, das die morphologische Charakterisierung eines Verbs etwa nach Tempus, Modus, Numerus und Person steuert. Da INFL adjazent zum Verb sein soll, steht es im Englischen links, im Deutschen rechts von VP. COMP und INFL sind funktionale Kategorien. In (117) ist S1 eine Projektion von S, in (121) ist nicht klar wovon S eine Projektion sein könnte. Mit (117) und (118) kann man folgende syntaktische Analyse erhalten: (119)

(a) (b)

[ s , [COMP that] [ s [NP Stefan] [ mFL -s] love- Maja]]] [si [COMP daß] 1s UP Stefan] [VP Maja lieb-] -t]]]

INFL und V müssen im Verlaufe der weiteren Derivation so miteinander verbunden werden, daß sich loves und liebt ergibt. Wenn die COMPPosition nicht mit einem Komplementierer besetzt ist, bietet sie - im Deutschen - den Platz für das finite Verb: (120)

[S1 [ C0MP liebtj [ s [NP Stefan] [ w Maja e j e¡']]

Der Struktur (120) liegt die Annahme zugrunde, daß V zunächst aus der Position e¡ nach INFL, also in die Position e¡' und dann aus der Position e¡' in die COMP-Position bewegt worden ist. (120) ist Repräsentant eines Verb-Erst-Satzes. Für die Herleitung des Verb-Zweit-Satzes hat es im Rahmen dieser Strukturhypothese zwei Lösungen gegeben. Erstens: Bewegung einer Konstituente aus S heraus in eine Adjunkt-Position von COMP. Zweitens: Bewegung einer Konstituente aus S heraus an eine Position, die von einer weiteren S-Projektion, nämlich S2 dominiert wird. (121) und (122) illustrieren diese Möglichkeiten: (121) (122)

Stefan^ [C0MP liebtj] [ s e¡ [ w Maja e j &,']] [S2 [Np Stefan]j [S] [COMP liebtj [ s e¡ [ν, Maja e j e,']]] [ S , [COMP INP

91 (122) setzt eine Regel voraus, die (117) vorangehen muß: (123)

S2 — > T O P S '

TOP bezeichnet eine Topikalisierungs-Position, die der Position des Vorfelds im deutschen Verb-Zweit-Satz entsprechen würde. Zweite Strukturhypothese: Die Lösungen in (121) und (122) sind aus prinzipiellen Gründen nicht befriedigend. Regeln wie (117) und insbesondere (118) entsprechen nicht der X-bar-Theorie. Mit den Modifikationen, die in Chomsky (1986b) an der ersten Strukturhypothese vorgenommen worden sind, kann dieses Defizit ausgeschlossen werden. Die Modifikation besteht darin, daß funktionale Kategorien wie lexikalische Kategorien dem X-bar-Schema unterworfen werden. Damit ergeben sich die Strukturhypothesen (124) für das Englische und (125) für das Deutsche:

Stefan

Maja lieb-

C steht für COMP, CP für Complementizer Phrase, I für INFL, IP für Inflection Phrase. IP entspricht dem S in (117) und (118), S ist nunmehr eine Projektion von INFL. C1 entspricht dem S1 von (117), S1 erweist sich nun aber - in radikaler Umkehr der Blickrichtung - nicht mehr als Projektion von S, sondern als Projektion von COMP. CP könnte als Entsprechung von S2 in (123) angesehen werden. SpecC ist die Spezifikator-Position der C-Projektion, eine Position, in der Fragewörter landen können, eine Position, die aber auch dem Vorfeld im deutschen Satz entspricht. SpecC ist keine Argument-Position. Specl ist die Spezifikator-

92 Position der I-Projektion und eine Argument-Position, typischerweise die des Subjekts (dies gilt jedenfalls für das Englische und dort mindestens auf der syntaktischen Oberfläche). Im Rahmen dieser Hypothese können auf kohärente Weise die Strukturtypen deutscher Sätze analysiert werden: (126)

(a)

[ C P S p e c C [ c , C [„, X P , [„ [

w

... X P 2 . . . ( V J V ] I]]]]

(b)

[ C P S p e c C [ C 1 C [„, X P , [„ [

w

. . . X P 2 . . . ( V M ) e-J [, V r I ] ] ] ] ]

(c)

Icp S p e c C [ C 1 [ c [, V ¡ - I ] - C ] [„, X P , [„ [

(dl)

[CP [SpecC XP,]j

w

. . . X P 2 . . . ( V J e-J e , ' ] ] ] ]

[ c , [ c [, V ¡ - I ] - C ] [ „ e¡ [,, [

w

... XP2 ... ( V J

e-J

. . . ej . . . ( V J

e-J

e-,']]]] (d2)

[CP [SpecC X P J j

[ c , [ c [, V j - I ] - C ] [„, X P , [„ U

ei'ffl] (126)(a) ist die Ausgangsstruktur. In (b) ist der Teil des Verbs, der nicht infinit ist, also kein Partizip, kein Infinitiv und kein trennbares Präfix ist, noch anders: der am weitesten rechts stehende Verbstamm, nach I bewegt worden, er erhält dort seine morphologische Charakterisierung. In (c) ist, unter der Voraussetzung, daß diese Position nicht anderweitig belegt ist, das nunmehr finit gemachte V in die C-Position bewegt worden. In (d) ist nun entweder das Subjekt oder eine Phrase aus der VP in die SpecCPosition bewegt worden. (127)

(a)

[ c p S p e c C [ c , d a ß [ „ S t e f a n [„ [

w

(b)

[ c p S p e c C [ c , C [p, S t e f a n [„ [

B ü c h e r g e k a u f t e,] h a t , ] ] ] ]

w

(C)

ICP S p e c C [ c , hat, [Q> S t e f a n [„ [

(dl)

[ c p StefaOj [ c , hat, [Q, e¡ [|, [

(d2)

top B ü c h e r ; [ c , hat, [„, S t e f a n [„ [

w

Bücher gekauft hab-] -t]]]]

B ü c h e r g e k a u f t e¡] e , ' ] ] ] ]

w

B ü c h e r g e k a u f t e¡] e , ' ] ] ] ] w

e¡ g e k a u f t e,] e , ' ] ] ] ]

So lassen sich auch Ableitungen mit anderen, komplexeren Verben machen: Von lesen werd- oder von vorles- wird jeweils nur werd- bzw. les- von V nach I und dann von I nach C bewegt. Entsprechendes gilt von einer Form mit größtmöglicher Komplexität wie geschlagen worden sein werd-: Nur werd- begibt sich auf den Weg von V nach I und von I nach C. Wenn eine Struktur wie (127)(a) vorliegt, d.h., wenn die C-Position mit einer subordinierenden Konjunktion besetzt ist, kann normalerweise, jedenfalls im Standarddeutschen, die SpecC-Position nicht besetzt werden: (128)

* I c h w e i l ) , g e s t e r n d a ß H a n s B ü c h e r g e k a u f t hat.

Die unter (127)(c) stehende Konstruktion ist die typische Struktur für deutsche Entscheidungsfragen (Fragen, auf die man mit ja oder nein oder vielleicht o.ä. antworten kann), sie kommt allerdings auch bei uneingeleiteten Nebensätzen vor: (129)

Liest Stefan Bücher vor?

(130)

Liest Stefan Bücher vor, lauschen alle Kinder andächtig.

93 In (127)(dl, d2) liegen die typischen Strukturen deutscher Aussagesätze vor. Unter bestimmten Bedingungen können Verb-Zweit-Sätze als Nebensätze erscheinen: (131)

Stefan sagt, er liest gern Bücher vor.

Strukturen wie (127)(c) und (d) verstoßen nicht gegen das Verbot von diskontinuierlichen Konstituenten. Die Operation, mit der wir den Übergang von (127)(a) zu (127)(b), von (127)(b) zu (127)(c) und von (127)(c) zu (127)(d) bewerkstelligt haben, ist wieder eine Transformation. Die Transformation, die wir benutzt haben, ist die Regel Bewege a (Move a). Dabei ist α eine Variable für Kategorien: Beim Übergang von (127)(b) zu (127)(c) ist a = Vfin, beim Übergang von (127)(c) zu (127)(d) ist a = NP. Die Operation, die mit der Regel Bewege a ausgeführt wird, überschreitet in beiden Fällen die Grenzen eines lokalen Baumes. Die Regel Bewege a scheint auf den ersten Blick eine unspezifische und inhaltslose Regel zu sein, die alles erlaubt. Dem ist jedoch nicht so. Es gibt eine beträchtliche Zahl von unabhängigen Beschränkungen, die die Anwendung der Regel erzwingen oder verbieten, die den Ausgangs- und den Zielpunkt der Bewegung und die ihre Reichweite definieren. Darauf kann an dieser Stelle nicht ausführlich eingegangen werden. Mit (135) sollen lediglich einige Hinweise gegeben werden. (132)

Beschränkungen für Bewegung (a) α kann nur eine lexikalische oder eine phrasale Kategorie sein (also keine Zwischenkategorie). (b) Ein Kopf-Element kann nur aus einer Kopf-Position in eine KopfPosition bewegt werden. (c) An einer SpecC-Position kann nur eine maximale, also phrasale Kategorie landen. (d) An eine besetzte Position darf nichts bewegt werden. (e) Die Besetzung einer leeren Position kann blockiert sein, wenn eine andere Position in bestimmter Weise besetzt ist.

(132)(a) wird durch unsere Beispiele in (127) belegt: V ist eine X-Kategorie, NP ist eine XP-Kategorie. (132)(b) läßt sich an (127) illustrieren: Ausgangspunkt, Zwischenlandepunkt und Zielpunkt der Bewegung eines verbalen Kopfes sind Kopfpositionen: die V-, die I- und die C-Position. (132)(c) wird durch die Fälle in (127)(d) demonstriert: In SpecC erscheinen nur NPs, also maximale Projektionen. (132)(d) läßt sich mit (127)(a) veranschaulichen: Wenn die C-Position wie in (127)(a) mit einer subordinierenden Konjunktion besetzt ist, kann sie nicht noch mit dem finiten Verb besetzt werden. (132)(e) wird am Beispiel (128) deutlich: Wenn eine subordinierende Konjunktion in der C-Position steht, kann die SpecC-Position nicht besetzt werden. Es gibt hierbei Unterschiede zwischen den Sprachen, aber auch zwischen den Dialekten einer Sprache:

94 (133)

Ich kenne den Mann [der [wo [e das Bier gesoffen hat]]]

In (133) steht im eingeklammerten Relativsatz das Pronomen der (das Subjekt) in der SpecC-Position, wo (eine Art von Relativsatzindikator im Bairischen) in der C-Position. Das eigentliche Relativpronomen ist aus der Subjektposition e herausbewegt worden. Die unter (132) informell und nicht erschöpfend zusammengefaßten Beschränkungen für Bewegung können auch als Beschränkungen für nicht-lokale Bäume aufgefaßt werden: Alle mit (127) illustrierten Bewegungen bei der Herleitung von Verb-Zweit-Strukturen im Deutschen sind Bewegungen über die Grenzen von lokalen Bäumen hinaus. Dritte Strukturhypothese: Im Anschluß an Pollock (1989) wurde in GB eine Aufgliederung der INFL-Kategorie in mehrere eigenständig projizierende funktionale Kategorien vorgeschlagen. Ausgangspunkt der Überlegungen waren Daten aus dem Sprachvergleich, insbesondere zwischen dem Englischen und dem Französischen. Darauf kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Das Resultat der Überlegungen ist die Annahme, daß es statt I nunmehr die Kategorien Τ für Tempus {tense), AGRs für Subjekt-Kongruenz (agreement) und AGRo für Objekt-Kongruenz und ihre Projektionen gibt. Damit erhält die Ausgangsstruktur für Sätze folgendes Aussehen: (134)

[ c p SpecC [ c , C [TP SpecT [T1 Τ [AGR,P SpecAGRs [AOR>1 AGRs [AGRoP SpecAGRo [AGRO, A G R O [ w SpecV [ v , V ComplV ]]]]]]]]]]

Die Wanderung des Verbs aus der V-Position heraus erfolgt über die Positionen der funktionalen Köpfe AGRo und AGRs bis in die Position des funktionalen Kopfes T. Das Objekt wandert aus der ComplV-Position nach SpecAGRo, und dort wird via Kongruenz mit AGRo sein Kasus geprüft. Das Subjekt wandert aus SpecV nach SpecAGRs und dann nach SpecT, wo jeweils seine Kasus-, seine Personal- und Numerus- sowie seine Tempusmerkmale geprüft werden. Die Herleitung deutscher VerbZweit-Sätze erfolgt dann im weiteren wie im Rahmen der zweiten Strukturhypothese. Vierte Strukturhypothese: Haider (1986, 1993) hat gezeigt, daß man im Rahmen der GB-orientierten Syntax-Theorie nicht gezwungen ist, die zweite oder dritte Strukturhypothese als universell gültig für alle Sprachen zu akzeptieren. Zwei wichtige Argumente sprechen dafür, daß im Deutschen eine gesonderte I-Projektion nicht erforderlich ist. Erstens: Es gibt im Deutschen - anders als im Englischen - Sätze, die kein Subjekt haben: (135)

daß gestern in der Mensa getanzt wurde.

Es handelt sich dabei um die sogenannten subjektlosen Passivsätze, auf die wir im 9. Kapitel noch ausführlicher eingehen werden. In diesen

95 Sätzen ist eine Specl-Position nicht erforderlich. Zweitens: Im Englischen ist für die Zuweisung des Nominativs an eine NP stets eine Specl-Position notwendig, im Deutschen ist dies nicht der Fall. Im Deutschen kann der Nominativ in die VP hinein zugewiesen werden. Das wird bei ergativischen und passivischen Verben deutlich: (136) (137)

daß [vp einem Regisseur ein besserer Gag einfallen] sollte. daß [ v p einem Kind der Ball gestohlen worden] ist.

Aus solchen und anderen Daten kann man mit Haider (1986,1993) für das Deutsche folgende Strukturhypothese ableiten: (138)

[CP SpecC [ c , C [ w SpecV [ v , ComplV V]]]]

C ist jetzt eine funktionale Kategorie, die hinsichtlich des Merkmals 'Finitheit' positiv oder negativ spezifiziert sein kann. Wenn sie mit [+finit] spezifiziert ist, kann sie dennoch mit einem Komplementierer besetzt werden. Dann wird das Finitheitsmerkmal in die V-Position verdrängt und bildet dort mit dem Verbstamm das finite Verb (oder prüft dort die Finitheitsmerkmale der Verbform). Wenn C nicht mit einem Komplementierer besetzt ist, wird das Verb aus der V in die C-Position gehoben und erhält dort seine finite Form (oder wird dort auf seine Finitheitsmerkmale überprüft). Anders als in den anderen Strukturhypothesen erscheint V-Bewegung hier nur als Bewegung in einem einzigen Schritt. Die Verb-Zweit-Struktur ergibt sich dann - wie bei den anderen Hypothesen - durch die Bewegung einer XP in die SpecC-Position: (139)

(a) (b) (c) (d)

[CP SpecC [ c , daß [vp der Junge [ v ¡ das Mädchen liebt]]]] [CP SpecC [ c , liebt [yp der Junge [ v , das Mädchen]]]] [CP der Junge [C1 liebt [vp e [Vl das Mädchen e]]]] [CP das Mädchen [ cl liebt [vp der Junge [Vl e e]]]]

96

3.6

Zusammenfassung

In diesem Kapitel wurden verschiedene Typen syntaktischer Regeln behandelt und das Wesen von Phrasenstrukturregeln und von Transformationsregeln erörtert. Ferner haben wir das Verhältnis von Regeln, Bäumen und Sätzen besprochen. Weiterhin wurden die Haupteinwände gegen Phrasenstrukturregeln erörtert, nämlich, daß sie Verallgemeinerungen über die Reihenfolge von Konstituenten ausschließen. Es wurde die Möglichkeit diskutiert, diesen Einwänden dadurch zu begegnen, daß man getrennte Regeln für unmittelbare Dominanz und für lineare Präzedenz annimmt. Außerdem wurden Daten präsentiert, die zeigen, daß für bestimmte Bereiche nicht-lokale Bedingungen für Bäume angenommen werden müssen - hierin zeigte sich ein wesentlicher Unterschied zwischen GB und PSG. In diesem Zusammenhang wurden Hypothesen über die Struktur von Sätzen, insbesondere im Deutschen, behandelt.

Übungen Übung 1 Entwickeln Sie ein Baumdiagramm, das jede der folgenden PS-Regeln mindestens einmal benutzt! Beachten Sie, daß die Regeln für das Englische formuliert sind! Modifizieren Sie die Regeln, wenn dies für das Deutsche erforderlich ist! Setzen Sie passende englische oder deutsche lexikalische Einheiten ein. Beachten Sie, daß COMP eine Abkürzung für Komplementierer ist, für eine Kategorie, deren wichtigster Vertreter im Englischen that und im Deutschen daß ist! (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8)

S S NP NP VP VP PP S1

—> —> —> —> —> —> —> —>

NP M VP NP VP Det Ν Ν V S1 V PP Ρ NP COMP S

97 Übung 2 Schreiben Sie alle PS-Regeln auf, die für die Erzeugung der folgenden Ausdrücke erforderlich sind! (1)

ts U [DC. the] [N man]] [M may] [ w [ v have] [ w [ v been] U [A fond] [ pp [ p of] [NP [DM the] [N woman]]]]]]] [Si [COMP daß] [ s [NP loa der] [N Mann]] [ w [ w [ pp [ p von] [NP der] [N Frau]]] [A begeistert]] [ v gewesen]][v sein]][M dürfte]]]

(2)

Übung 3 Wenn Grammatik G, nur aus Regel (1), Grammatik G2 aus den Regeln (1 ) und (2), Grammatik G, aus den Regeln (1), (2) und (3) besteht usw., in welcher der Grammatiken G, bis G ( können die PS-Regeln Hann durch separate ID- und LP-Regeln ersetzt werden? (1) (2) (3) (4) (5) (6)

A A Β Β Β C

—> —> ... > —> ... > —>

ΒC CΒ ΒC A C CΒ CA

Übung 4 Welche der folgenden Beispiele entsprechen der Forderung, daß ein Reflexivum ein es c-kommandierendes Antezedens haben muß, und welche der Beispiele entsprechen dieser Forderung nicht? Benutzen Sie Baumdiagramme, um Ihre Antwort zu verdeutlichen! (1) (2) (3) (4) (5) (6)

(a) (b) (a) (b) (a) (b) (a) (b) (a) (b) (a) (b)

He told Maja a story about herself. daß er Maja eine Geschichte über sich erzählte Pictures of themselves please most people. Bilder von sich gefallen den meisten Leuten. Most people are pleased by pictures of themselves. Die meisten Leute sind über Bilder von sich erfreut. We talked Maja about herself. Wir erzählten Maja von sich. Was Maja scratching herself? Hat Maja sich gerade gekratzt? The picture of herself that Maja painted was terrible. Das Bild von sich, das Maja gemalt hat, war schrecklich.

98 Übung 5 Leiten Sie schrittweise Verb-Zweit-Sätze aus den Verb-Letzt-Sätzen ab! Benutzen Sie dazu entweder das CP-IP-Satzmodell von Chomsky oder das CP-VP-Satzmodell von Haider! Notieren Sie zu den einzelnen Schritten die Baumdiagramme oder die indizierten Klammerausdrücke! (1) daB Paul seinem Bruder ein Buch gegeben haben wird (2) daß Paul behauptete, daß sein Bruder ihm das Buch geschenkt hat (3) daß Paul das Buch geschenkt bekommen haben will

4

Syntaktische Kategorien

4.1

Einführung

In Kapitel 2 haben wir syntaktische Kategorien eingeführt, und in Kapitel 3 haben wir sie in verschiedenen Typen von Regeln benutzt. Was aber sind syntaktische Kategorien wirklich? Das ist eine zentrale Frage für die Theorie. In der Chomskyschen Phrasenstrukturgrammatik bis hin zu Aspects of the Theory of Syntax, also in der Chomskyschen Formalisierung der deskriptiven Praxis seiner Vorgänger, sind syntaktische Kategorien einfache, unanalysierbare Entitäten. Es wird zu zeigen sein, daß syntaktische Kategorien sowohl im GB- als auch im PSG-Ansatz als komplexere Entitäten erscheinen, die aus kleineren Elementen aufgebaut sind. In diesem Kapitel soll geklärt werden, warum das so ist. Ein Grund besteht darin, daß wir eine reichere Klassifizierung von Ausdrücken brauchen, als sie durch die bisher zur Verfügung stehenden Kategorien möglich war. Ein anderer Grund rührt von der Beziehung zwischen lexikalischen und phrasalen Kategorien her. Ein weiterer ergibt sich aus den Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen lexikalischen bzw. phrasalen Kategorien. Es werden Merkmale zu betrachten sein, aus denen sich die bisher benutzten Kategorien aufbauen. Schließlich wird die Beziehung zwischen Kategorien in Regeln und im Lexikon einerseits und Kategorien in Bäumen andererseits behandelt werden.

4.2

Zusätzliche Information über Ausdrücke

Im 2. Kapitel wurden drei Mengen von Kategorien eingeführt, denen sprachliche Ausdrücke zugeordnet werden können: (1) lexikalische Kategorien, (2) Zwischenkategorien (intermediäre Kategorien) und (3) volle phrasale Kategorien. Im allgemeinen ist es erforderlich, mehr über sprachliche Ausdrücke zu sagen als nur festzustellen, zu welchen Kategorien sie gehören. So muß man über ein Wort wie Mann nicht nur sagen, daß es ein Ν ist, man muß auch konstatieren, daß es im Singular steht. Entsprechend muß man von sang nicht nur feststellen, daß es ein V, sondern auch, daß es im Präteritum und entweder in der 1. oder in der 3. Person und im Singular steht (würde man das englische sang betrachten, so genügte die Feststellung, daß es ein präteritales V ist, da sich im Englischen im Präteritum keine weiteren Differenzierungen nach Person und Numerus

100 zeigen). Wir müssen also den kategorialen Charakterisierungen sogenannte Merkmalsspezifizierungen hinzufügen. Merkmalsspezifizierungen haben die Eigenschaft, daß sie aus einem Merkmal und einem Wert (für dieses Merkmal) bestehen. Merkmale sind so etwas wie PLURAL oder PRÄTERITUM. Werte sind entweder + oder -, oder sie sind numerisch (wie 1, 2 und 3 bei der Bewertung des Merkmals PERSON), oder sie sind schließlich selbst Merkmale (auf diese Möglichkeit wird später einzugehen sein). Wir könnten nun die beiden Wörter Mann und sang folgendermaßen charakterisieren: (1)

(a) (b)

man Mann

N[-PLUR] N[-PLUR]

In diesem Beispiel haben wir in beiden Sprachen genau eine Merkmalsspezifizierung, öfter brauchen wir jedoch mehr als nur eine. Für das englische Verb sang würden wir zwar ebenfalls nur eine benötigen, für das deutsche Verb sang jedoch schon mindestens drei: (2)

(a) (b)

sang sang

V[+PRÄT] (Englisch) V[+PRÄT; 1 oder 3PERS; -PLUR] (Deutsch)

Wir führen folgende notationstechnische Konvention für die Fälle ein, in denen wir mehrere Merkmalsspezifizierungen brauchen: Innerhalb einer eckigen Klammer, die die Menge der Merkmalsspezifizierungen enthält, werden unterschiedliche Merkmalsspezifizierungen durch Semikolon voneinander getrennt. Beispiel (2)(b) zeigt bereits, daß wir bei der Charakterisierung eines Wortes bzw. einer Wortform mit mehr als einer Merkmalsspezifizierung rechnen müssen (für Beispiel (1) könnten wir ausführlicher sein, wenn wir die Genusmerkmale, für Beispiel (2), wenn wir Modusmerkmale berücksichtigen wollten). Einige weitere Beispiele: Für bestimmte Verwendungsweisen von had, hatte, was, war müssen wir nicht nur sagen, daß es sich um ein V und um ein Präteritum handelt, sondern auch, daß es ein Hilfsverb (Auxiliar) ist, mit anderen Worten, daß es ein Element ist, das im Englischen vor dem Subjekt erscheinen kann (im Deutschen haben diese Eigenschaft nicht nur Auxiliare). Betrachten wir die Verben had und war in (3): (3)

(a) (b)

Had he been there? War er hier gewesen?

Hier benötigen wir folgende Kategorie: (4)

(a) (b)

had war

V[ + PRÄT; +AUX] V[+PRÄT; 1 oder 3PERS; -PLUR; +AUX]

Für Wörter wie you und du müssen wir nicht nur sagen, daß sie Ns sind, sondern auch, daß sie Pronomina in der 2. Person sind. Für das deutsche

101 du müssen wir anders als für das englische you überdies noch angeben, daß es ein Singular ist: (5)

(a) (b)

you du

N[+PRO; 2PERS] Nt+PRO; 2PERS; -PLUR]

Für I oder ich müssen wir sowohl im Englischen als auch im Deutschen nicht nur sagen, daß es sich um ein Ν und ein Pronomen handelt, sondern auch, daß es für die erste Person steht und singularisch ist: (6)

(a) (b)

I ich

N[+PRO; 1PERS; -PLUR] N[ + PRO; 1PERS; -PLUR]

Genau genommen müßten wir außerdem noch sagen, daß I und ich im Nominativ stehen, im Unterschied etwa zu me im Englischen bzw. mir, mich im Deutschen, die im Akkusativ bzw. im Dativ und Akkusativ stehen. Mit diesem Problem werden wir uns im 9. Kapitel beschäftigen. Es scheint also, daß wir den meisten sprachlichen Ausdrücken nicht nur eine Basiskategorie zuweisen müssen, sondern auch verschiedene Merkmalsspezifikationen, die zusätzliche Information über sie bieten. Das liefert eine Rechtfertigung für die Vorstellung, daß syntaktische Kategorien komplexe syntaktische Einheiten sind.1 Eine andere Notationsvariante für solche Darstellungen sieht folgendermaßen aus: (7)

(a)

man

Γ

I L (b)

Mann

Γ

I L (8)

(a)

(b)

sang

sang

Γ

I L ρ I I I

Ν -PLUR Ν -PLUR V +PRÄT V +PRÄT 1/3PERS -PLUR

-| I J -| I J -, (Englisch) I J -η (Deutsch) I I I

1 Die Auffassung, daß syntaktische Kategorien komplexe Einheiten sind, wird ursprünglich Harman (1963) zugeschrieben, aber sie fand erst dann allgemeine Anerkennung, nachdem sie von Chomsky (1965/70) aufgegriffen worden war. Chomsky schlug anfangs noch nicht vor, daß alle Kategorien komplex sind, sondern zunächst nur, daß dies für lexikalische Kategorien zutreffe. Erst in Chomsky (1970) wurde angenommen, daß alle Kategorien als Merkmalsmengen aufzufassen sind. Für weitere Diskussion von komplexen Kategorien und ihrem deskriptiven Potential vgl. Shieber (1987) und Gazdar/Mellish (1989, 7.).

102 (9)

(a)

(b)

(10)

(a)

(b)

(11)

(a)

(b)

h a d

w a r

y o u

d u

I

c i h

Γ

V

-,

I

+PRÄT

I

I L

+AUX

I J

r

V

-,

I

+PRÄT

I

I

1/3PERS

I

I

-PLUR

I

I L

+AUX

I J

Γ

Ν

-,

I

+PRO

I

I L

2PERS

I J

r

Ν

π

I

+PRO

I

2PERS

I

I L

-PLUR

I J

ρ I

Ν +PRO

-, I

I

1PERS

I

I L

-PLUR

I J

Γ

Ν

I

π

I

+PRO

I

1PERS

I

I

I L

-PLUR

I J

Wir werden im weiteren beide Notationskonventionen benutzen.

4.3

Phrasale und lexikalische Kategorien

Weitere Evidenz für die Komplexität von Kategorien läßt sich aus dem Faktum ableiten, daß phrasale Kategorien mit lexikalischen Kategorien korrespondieren oder, anders gesagt, daß sie Projektionen von lexikalischen Kategorien sind. Das wurde schon von Harris (1951) beobachtet, dann von Chomsky (1968) aufgegriffen, in den 70er Jahren unter dem Namen X-bar-Theorie ausgearbeitet und insbesondere durch Jackendoff (1977) bekannt gemacht. Diese Theorie ist bereits in knappen Zügen in Abschnitt 2.5 im Zusammenhang mit der Einführung von Zwischenkategorien skizziert worden. Hier soll nun noch einmal darauf eingegangen werden. NP und N' korrespondieren mit N, indem sie typischerweise in Strukturen folgender Art auftreten:

103 (12)

In (12) ist Ν unmittelbar von Ν' dominiert, und Ν' ist seinerseits wieder unmittelbar von NP dominiert. Ν wird gewöhnlich als Kopf (head) von Ν', N' wiederum als Kopf von NP bezeichnet. Häufig wird jedoch auch Ν als der Kopf von NP verstanden. Man könnte, um eine Unterscheidung zu treffen, sagen, daß N' der unmittelbare Kopf von NP und Ν der letztendliche Kopf von NP ist. Entscheidend ist, daß NP und N' ihren nominalen Charakter vom letztendlichen Kopf ableiten. AP und A' korrespondieren mit A in der gleichen Weise:

A Bei Strukturen dieser Art spricht man davon, daß die X-Ebene die nullte Projektionsstufe von Χ, X' die erste Projektionsstufe von X und XP (eigentlich X" oder Χ""") die zweite und die maximale Projektionsstufe von X ist (es gibt in der Literatur andere Annahmen darüber, wie groß die Anzahl der Projektionsstufen von Kategorien sein kann; die im Augenblick am weitesten verbreitete Hypothese ist Χ™" = X " = X2 = XP). Entsprechendes kann man für VP und V' sowie für PP und P' im Verhältnis zu V bzw. Ρ annehmen. Es muß jedoch betont werden, daß Strukturen wie (12) und (13) nicht den einzig möglichen Strukturtyp darstellen. Wir wollen - wie vielfach auch sonst in der Literatur annehmen, daß es Strukturen gibt, die zwar eine Erweiterung, nicht aber eine Erhöhung der betreffenden Projektionsstufe darstellen. Ein typischer Fall sind pränominale adjektivische Attribute (im Deutschen und im Englischen) oder postnominale adjektivische Attribute (wie im Französischen)2: (14)

2

(a) (b) (c)

der blaue Himmel the blue heaven le ciel bleu

Für eine Erörterung von pränominalen Adjektiven vgl. Radford (1988, 4.7). Adverbien werden allgemein als eine spezielle Art von Adjektiven analysiert und Adverbphrasen als eine besondere Art von Adjektivphrasen. Für weitere Diskussion vgl. Radford (1988).

104 Die dazugehörige Struktur ist (15)(a) für das Englische und das Deutsche, (15)(b) für das Französische: (15)

(a)

Ν' AP

(b)

N'

N'

N*

AP

Man sieht an (15), wie die Erweiterung der Projektionsstufe X' ohne eine Erhöhung bewerkstelligt wird: Die AP wird links bzw. rechts so an N' angefügt oder - wie der Fachterminus heißt - Chomsky-adjungiert, daß AP die Schwester und zugleich die Tochter von N' ist, und zwar nach folgender Bedingung: (16)

Adjunktion (1) Ein Knoten a wird an einen Knoten β rechts oder links so angefügt, daß a die Schwester und die Tochter von Β gleichzeitig ist.

(16) kann auch als eine Anweisung zur (graphischen) Modifikation von (lokalen) Bäumen umformuliert werden: (17)

Adjunktion (2) Wenn eine Kategorie Β um eine Kategorie a erweitert werden soll, ohne daß β seine Projektionsstufe erhöhen soll, so schreibe a links oder rechts neben B, schreibe β nochmals über α und B, und verbinde das obere ß mit α und dem unteren B.

Ähnliche Strukturen hat man über längere Zeit auch für koordinierte Konstruktionen angenommen (zu neueren Überlegungen, die besser mit der X-bar-Theorie in Einklang stehen, vgl. Meng 1994): (18)

(a) N'

N· '

KONJ

(b) N'

NP NP~"

KONJ

NP

Eine Illustration für (18)(a) ist: (19)

(a)

die Erweiterung einer Projektion, aber Nichterhöhung dieser Projektion.

Für (18)(b) ist eine Illustration: (19)

(b)

die Erweiterung einer Projektion, aber die Nichterhöhung dieser Projektion.

Man sieht den Unterschied zwischen der (a)- und der (b)-Form daran, daß in (a) der Determinierer gleichzeitig für beide Konjunkte der koordinierten Konstruktion gilt. In (a) sind also tatsächlich nicht zwei vollständige phrasale Kategorien, sondern nur zwei X'-Ebenen-Kategorien koordiniert. In (b) hingegen taucht im zweiten Konjunkt der koordinierten Konstruktion der Determinierer nochmals auf, so daß hier wirklich zwei volle XPs

105 koordiniert sind.3 Welche Schlußfolgerungen lassen sich aus dem bisher Gesagten ziehen? Die wichtigste ist, daß wir unsere bisherigen Kategorien, nämlich die lexikalischen (auf der untersten Ebene), die intermediären (auf der mittleren Ebene) und die phrasalen (auf der obersten Ebene) mit Merkmalsspezifizierungen darstellen können. Wir können ein Merkmal [NOMINAL] ansetzen, das die Werte + oder - annimmt, und wir können ein Merkmal [EBENE] oder auch [BAR] ansetzen, das die Werte 0, 1 oder 2 annimmt (mitunter wird in der Literatur für diese Merkmalsspezifizierung nur der Wert, aber nicht das Merkmal selber eingetragen). Wir erhalten somit für die einzelnen Projektionsstufen von Ν folgende Merkmalsspezifizierungen: (20)

(a) (b) (c)

[ +NOMINAL; OEBENE] [ +NOMINAL; 1EBENE] [+NOMINAL; 2EBENE]

oder [ +NOMINAL; 0] oder [ +NOMINAL; 1] oder [ +NOMINAL; 2]

Ähnlich kann man mit den anderen lexikalischen Kategorien A, V und Ρ und ihren Projektionen verfahren. Anstelle der Angabe in (l)(b) bzw. (7)(b) für Mann haben wir nun die Angabe (21): (21)

Mann

N[+NOMINAL; OEBENE; -PLUR]

Revisionen dieser Art liefern weitere Evidenz dafür, daß Kategorien komplexe Einheiten sind. In einem der nächsten Kapitel wird zu zeigen sein, daß mit solchen Revisionen eine Reihe unterschiedlicher Strukturen erzeugt werden kann, und zwar mit einer einzigen ID-Regel. Auf volle phrasale Kategorien bezieht man sich oft mit dem Terminus "maximale Projektion", vielfach werden daher die Bezeichnungen Ν™", V"1" usw. benutzt anstelle der Bezeichnungen NP oder VP usw.4

3

Für eine Diskussion von Koordinationsstrukturen vgl. Sag et al. (1985) und Goodall (1987). 4

Die Tatsache, daß phrasale Kategeorien mit lexikalischen Kategorien zusammengehen, wurde in Lyons (1968) beleuchtet. Die wichtigste Präsentation der X-bar-Theorie, wie sie in den 70er Jahren entwickelt war, stellt Jackendoff (1977) dar. Für die Diskussion technischer Aspekte der X-bar-Theorie vgl. Kornai/Pullum (1990). In Chomsky 1994 wird die X-bar-Theorie gänzlich zugunsten eine Theorie der nackten Phrasenstruktur (bare phrase structure) aufgegeben.

106

4.4

Kategorienübergreifende Generalisierungen

Weitere Evidenz für die Komplexität von Kategorien kommt aus den kategorienübergreifenden Generalisierungen (cross-categorial generalizations). Das sind Generalisierungen, die verschiedene lexikalische oder phrasale Kategorien gleichzeitig erfassen. Solche Generalisierungen waren in den 70er Jahren ein Interessenschwerpunkt. Sie legen nahe, daß der grundlegende kategoriale Status einer Kategorie bereits ein komplexes Phänomen ist. Wir haben für das Deutsche bereits gesehen, daß die verbale und die adjektivische Kategorie gemeinsame Eigenschaften haben: (22)

Kopfposition von Verben und Adjektiven (Deutsch) 1 Köpfe von Verbal- und von Adjektivphrasen sind im Deutschen rechtsständig.

Das kann an folgenden Beispielen illustriert werden: (23) (24)

(a) (b) (a) (b)

weil Hans das Buch kaufen will, *weil Hans kaufen das Buch will. der auf seinen Sohn stolze Vater, *der stolze auf seinen Sohn Vater.

Außerdem kennen wir im Deutschen eine Gemeinsamkeit der nominalen und der präpositionalen Kategorie: (25)

Kopfposition von Nomina und Präpositionen (Deutsch) 1 Köpfe von Nominal- und von Präpositionalphrasen sind im Deutschen linksständig.

Das sieht man an folgenden Beispielen: (26) (27)

(a) (b) (a) (b)

Pauls Versuch, das Problem zu lösen. *Pauls das Problem zu lösen Versuch. Paul schläft unter der Brücke. *Paul schläft der Brücke unter.

Man sieht, daß im Deutschen Verben und Adjektive einerseits und Substantive und Präpositionen andererseits gemeinsame Eigenschaften haben. Auch für das Englische kann man solche gemeinsamen, bei anderen Kategorienpaaren auftretenden Eigenschaften beobachten, beispielsweise: (28)

of-Einsetzung (Englisch) 1 Substantive und Adjektive können im Englischen den NPs, die sie als Komplemente haben, nicht direkt einen Kasus zuweisen; zwischen diesen Kategorien und den Komplement-NPs muß das den Kasus zuweisende Element of eingeschoben werden.

107 Das zeigen die Beispiele (24) und (25): (29) (30)

(a) (b) (a) (b)

Stefan is afraid of spiders, *Stefan is afraid spiders. Stefan's fear of spiders, *Stefan's fear spiders.

Weiter gilt folgende Gemeinsamkeit von Verben und Präpositionen: (31)

Kasuszuweisung (Englisch) 1 Verben und Präpositionen können im Englischen den NPs, die sie als Komplemente haben, direkt einen Kasus zuweisen, sofern diese NPs in direkter Nachbarschaft zu den Vs bzw. Ps stehen (adjazent zu ihnen sind).

Das zeigen die folgenden Beispiele: (32) (33)

Stefan is in the kitchen. Stefan reads the book.

Außerdem gilt für das Englische noch folgende Generalisierung über Präpositionen und Substantive: (34)

Bedingung für die Besetzung der Fokusposition in Spaltsätzen (Englisch) 1 Die maximalen Projektionen von Präpositionen und Substantiven, also PPs oder NPs, können im Englischen in der Fokusposition von Spaltsätzen (cleft sentences) erscheinen.

Damit gilt, daß die maximalen Projektionen von Verben und Adjektiven, also VPs und APs, im Englischen nicht in der Fokusposition von Spaltsätzen vorkommen können. Spaltsätze werden im Englischen so gebildet, daß eine XP aus einem Satz an die Satzspitze geschoben wird, und zwar innerhalb der Konstruktion it was XP that, so daß man folgende Gesamtstruktur annehmen kann: (35)

It was XP¡ that... e-,

Nachstehende Beispiele demonstrieren nun die Geltung von (34): (36) (37)

(a) (b) (a) (b)

It was [NK Stefan] that Maja was arguing with e¡. It was [ p n with Stefan] that Maja was arguing e¡ *It was [AK very foolish] that Maja was e¡. *It was [νκ gone home] that Maja was e,

Wie kann man diese Generalisierung über Kategorien hinweg erfassen? Wenn man mit vier lexikalischen Kategorien auskommt, so kann man aus der Einsicht, daß zu deren Unterscheidung zwei Merkmale mit jeweils zwei Werten genügen, zu folgender Charakterisierung der lexikalischen Kategorien gelangen:

108 (38)

Merkmalsmatrix

[+N]

[-N]

[+V]

Adj

Verb

[-V]

Subst

Präp

Statt (38) kann man (39) schreiben: (39)

(a) (b) (c) (d)

Verb Adjektiv Präposition Substantiv

= = = =

[+V; -N] [+V; +N] [-V; -N] [-V; +N]

Jeweils zwei lexikalische Kategorien haben eine Merkmalsspezifizierung, d.h. ein Merkmal und einen Wert, gemeinsam. Paare mit gemeinsamen Merkmalsspezifizierungen bilden "natürliche Klassen" ,5 So haben wir eine natürliche Klasse, deren Elemente die Merkmalsspezifizierung [ + V ] gemeinsam haben, nämlich Verben und Adjektive. Die Elemente dieser natürlichen Klasse haben im Deutschen die Kopfposition am rechten Rand ihrer phrasalen Kategorie; im Englischen können sie nicht in der Fokusposition eines Spaltsatzes auftreten. Wir haben weiter eine natürliche Klasse, deren Elemente die Merkmalsspezifizierung [-V] gemeinsam haben, Substantive und Präpositionen. Die Elemente dieser natürlichen Klasse haben im Deutschen die Kopfposition am linken Rand ihrer phrasalen Kategorie; im Englischen haben sie die Möglichkeit, in der Fokusposition eines Spaltsatzes zu erscheinen. Eine andere natürliche Klasse ist die, deren Elemente die Merkmalsspezifizierung [+N] gemeinsam haben, sie umfaßt Substantive und Adjektive. Für das Deutsche haben Substantive und pränominale attributive Adjektive die Eigenschaft, daß sie eine Kasuscharakterisierung erhalten; im Englischen haben sie die Eigenschaft, keinen Kasus zuweisen zu können (eine Eigenschaft, die man für diese natürliche Klasse im Deutschen nicht in der gleichen Weise reklamieren kann). Die letzte natürliche Klasse schließlich ist die, deren Elemente die Merkmalsspezifizierung [-N] gemeinsam haben, also Verben und Präpositionen. Die Elemente dieser natürlichen Klasse weisen im Englischen wie im Deutschen an Komplement-NPs einen Kasus zu. Wenn man diese klassenbildenden Merkmalsspezifizierungen benutzt,

5

Die Analyse des grundlegenden kategorialen Status von Kategorien in Termen der Merkmale Ν und V wurde in Chomsky (1974) eingeführt. Sie wurde in GB und GPSG, nicht aber in HPSG aufgegriffen. HPSG nimmt lediglich ein Merkmal MAJ (für major) mit den Werten Ν, V, Α, Ρ usw. an.

109 kann man die Generalisierungen (22), (25), (28), (31) und (34) vereinfachen: (22') (25') (28')

(31*)

(34')

Kopfposition von Verben und Adjektiven (Deutsch) 2 Köpfe von [ + V]-Kategorien sind im Deutschen rechtsständig. Kopfposition von Nomina und Präpositionen (Deutsch) 2 Köpfe von [-V]-Kategorien sind im Deutschen linksständig. of-Einsetzung (Englisch) 2 [+N]-Kategorien können im Englischen NPs, die sie als Komplemente haben, nicht direkt einen Kasus zuweisen; zwischen diese Kategorien und den Komplement-NPs muß das Kasus zuweisende Element of eingeschoben werden. Kasuszuweisung (Englisch) 2 [-N]-Kategorien können im Englischen NPs, die sie als Komplemente haben, direkt einen Kasus zuweisen, sofern diese NPs in direkter Nachbarschaft zu diesen Kategorien stehen (adjazent zu ihnen sind). Bedingung für die Besetzung der Fokusposition in Spaltsätzen (Englisch) 2 Die maximalen Projektionen von [-V]-Kategorien können im Englischen in der Fokusposition von Spaltsätzen (cleft sentences) erscheinen.

Mit diesen Veränderungen erhalten wir anstelle der in (20) angeführten Notation für die einzelnen Projektionsstufen von N, also N°, N1 und N2 = NP die nachstehende Notation: (40)

(a) (b) (c)

[ + N; -V; 0] [ + N; -V; 1] [ + N ; -V; 2]

Für das Beispiel (l)(b) können wir ebenfalls eine veränderte Notation einführen: (41)

Mann:

[ + N; -V; 0; -PLUR]

Auch damit haben wir wieder Evidenz dafür gewonnen, daß Kategorien komplexe Einheiten sind.

4.5

Merkmale

Die vorangegangene Erörterung legt nahe, daß syntaktische Kategorien Mengen von Merkmalsspezifizierungen mit einer numerischen Angabe für ihren phrasalen Status sind. Aber was genau ist eigentlich eine Merkmalsspezifizierung? Wir können sagen, daß eine Merkmalsspezifizierung ein Merkmal zusammen mit einem Wert aus einer größeren Zahl von möglichen Werten ist. Über Merkmale ist jedoch mehr zu sagen. Erstens: Die numerische Angabe für den phrasalen Status einer Kategorie kann als eine Merkmalsspezifizierung verstanden werden, wenn

110 man EBENE oder BAR als Merkmal und 0,1 und 2 als die entsprechenden Werte nimmt. Dazu vergleiche man (42): (42)

(a) (b) (c)

[ + N ; -V; OBAR] [ + N ; -V; 1BAR] [ + N ; -V; 2BAR]

Zweitens: Man kann eine andere Notationskonvention wählen und die Reihenfolge von Merkmalen und Werten umkehren. Statt der Darstellung in (42) kann man die in (43) wählen (dabei trennt ein Komma den Wert von seinem vorgehenden Merkmal): (43)

(a) (b) (c)

[N, + ; V,-; BAR.O] [N, + ; V,-; BAR,1] [N, + ; V,-; BAR,2]

Drittens: Wir können Merkmalswerte haben, die komplexer als ' + ' oder oder als einfache numerische Werte sind. Innerhalb der PSG-Theorie sind verschiedene Arten von komplexen Merkmalswerten benutzt worden. Bei der Behandlung von nichtkanonischen Komplementen und Subjekten (Kapitel 7) und bei der Behandlung von wh- Abhängigkeiten (Kapitel 12) benutzt GPSG Merkmale, deren Werte wiederum Kategorien sein können. Bei der Behandlung von Köpfen und Komplementen macht HPSG von Merkmalen Gebrauch, die Listen von Kategorien als Werte nehmen können. 6 Viertens: In Regeln und Bäumen werden üblicherweise vereinfachte Schreibweisen für Kategorien benutzt. Während eine vollspezifizierte Kategorie wie in (44) ausschauen soll, kann man stattdessen auch (45) oder (46) verwenden, wenn die Details in (44) in bestimmten Zusam menhängen irrelevant sind. (44) (45) (46)

[N, + ; V,-; BAR,2; PERS.3; PLTJR,-] [NP PERS.3; PLUR,-] NP

Der Gebrauch von (46) ist die Regel bei der Darstellung von Bäumen, wenn andere Eigenschaften vernachlässigt werden können. Wir werden daher in verschiedenen Zusammenhängen von den unterschiedlichen

6 HPSG und eine Reihe von anderen Zugängen haben von Merkmalen Gebrauch gemacht, die eine Anzahl von anderen Merkmalen als deren Werte haben. Solche Merkmale erlauben eine einfache Erklärung von Situationen, in denen eine Anzahl von Merkmalen den gleichen Wert in Kategorien haben, die auf sie in irgendeiner Weise bezogen sind. HPSG und andere Zugänge erlauben auch negative und disjunkte Merkmalswerte. Mit anderen Worten, sie erlauben, zu sagen, daß ein Ausdruck keinen besonderen Wert für ein bestimmtes Merkmal hat oder daß er einen von zwei möglichen Werten für ein bestimmtes Merkmal hat. Vgl. Kartunnen (1984) für weitere Diskussion.

Ill Notationen Gebrauch machen, ohne dafür jedesmal eine besondere Begründung dafür anzugeben.7

4.6

Kategorien in Regeln sowie im Lexikon und Kategorien in Bäumen

Ein weiteres Problem sind die Beziehungen zwischen Kategorien in Regeln und im Lexikon auf der einen und von Kategorien in Bäumen auf der anderen Seite. Wir betrachten zunächst Kategorien in Regeln. Anschließend wenden wir uns Kategorien im Lexikon zu. Die Kategorien in Bäumen müssen den Kategorien in Regeln entsprechen. Wenn eine Regel eine NP enthält, dann muß der Baum, auf den die Regel angewandt werden soll, eine NP enthalten (er darf nicht etwa nur aus einer VP bestehen). Man muß nun fragen, was "entsprechen" bedeutet. Man kann dazu folgendes vorschlagen: (47)

Entsprechung von Kategorien 1 Eine Kategorie in einem Baum entspricht einer Kategorie in einer Regel gdw. die beiden Kategorien identisch sind.

Dieser Vorschlag kann nur dann als ausreichend gelten, wenn Kategorien einfache und unanalysierbare Ganzheiten sind. Da wir gesehen haben, daß Kategorien komplexe und damit analysierbare Einheiten sind, kann (47) kein ausreichender Vorschlag sein. Man kann dies an folgendem einfachen Beispiel illustrieren: (48) (49)

(a) (b) (a) (b)

Stefan Stefan Stefan Stefan

saw the girl, sah die Oma. saw the girls, sah die Omas.

Die Beispiele sind identisch bis auf den Umstand, daß (48) Objekte im Singular, (49) hingegen Objekte im Plural hat. Man muß im Deutschen 7

Eine Reihe von Syntaktikern, insbesondere Abney (1987), hat dafür argumentiert, daß NPs in Wirklichkeit Projektionen von Determinierern (D) und folglich DPs sind. Beispiele wie die folgenden scheinen diese Ansicht zu stützen: (1)

all of the men.

Hier befindet sich das einzige Ν men innerhalb einer PP und kann daher nicht der Kopf der gesamten Phrase sein. Es scheint also plausibel, anzunehmen, daß der Det all ein Kopf ist. Es gibt allerdings auch Beispiele von Strukturen, die traditionellerweise als NPs betrachtet werden, die keinen offenen Determinierer aufweisen. Beispiele dieser Art werfen einige Zweifel an der Idee auf, daß solche Phrasen DPs sind. Dies ist ein wichtiges, noch zu lösendes Problem.

112 wie im Englischen Singular und Plural stets voneinander unterscheiden: (50)

(a) (b)

(51)

(a) (b)

The girl {likes/*like} Stefan Die Oma [Subjekt] {liebt/*lieben} Stefan. The girls {like/*likes} Stefan Die Omas [Subjekt] {lieben/*liebt} Stefan.

Insofern müssen wir annehmen, daß die VPs in (48)(a) und (49)(a) die folgenden Strukturen haben: (52)

(a)

Γ I v,+ I N,I BAR,1

I

L

r I v,+ I N.I BAR.O

Γ I V,-

I Ν,+ I Β AR,2 I PLUR,-

L

L

saw (53)

(a)

the girl Γ I V,+ I N,I BAR,1 L

Γ v,+ I I

N,BAR,0

L

r I

V,-

I N,+ I BAR,2 I PLUR, + L

saw

the girls

113 (52)

(b)

die Oma

(53)

(b)

die Omas

Die Bäume (52) und (53) sind ähnlich, aber nicht identisch, weil die NPs unterschiedliche Werte für das Merkmal PLURAL haben. Falls wir annähmen, daß die Kategorien in Bäumen mit den entsprechenden Kategorien in den Regeln identisch sein sollten (wie in (47) formuliert), würden wir in die Zwangslage geraten, für die Herleitung von (52) und

114 (53) zwei verschiedene Phrasenstruktur- oder ID-Regeln benutzen zu müssen, also etwa: (54)

Γ

-

I ν,+ IN,I BAR,1 L-

I I V,+ I -» I Ν,I I BAR,0 - I L

1

Γ

1

Γ

I I j -ι

I I j j

π

N,+ V,Β AR,2 PLUR,-

L

(55)

r I V,+ I Ν,ι BAR.1 L

π ι I I - I L

r ι V.+ I Ν,I BAR,0

π I ι | -I

r I I | I

I I | j J

Ν,+ V,BAR,2 PLUR, +

π ι ι | I

Da diese Bäume weitgehend identisch sind, ist es unbefriedigend, für ihre Erzeugung zwei verschiedene Regeln in Anspruch zu nehmen. Das läßt sich vermeiden, wenn wir die Annahme (47) durch die Annahme (56) ersetzen: (56)

Entsprechung von Kategorien 2 Eine Kategorie in einem Baum entspricht einer Kategorie in einer Regel, gdw. die letztere die erstere einschließt (subsumiert).

(56) setzt eine Bestimmung von "einschließen" bzw. "subsumieren" voraus: (57)

Einschluß von Kategorien Eine Kategorie X subsumiert eine Kategorie Y gdw. Y alle Merkmalsspezifikationen von X enthält möglicherweise zusammen mit zusätzlichen Merkmalsspezi fìkationen.

Unter diesen Voraussetzungen können wir die Regeln (53) und (54) durch die folgende Regel ersetzen: (58)

r I v,+ I Ν,I BAR,1

π I I I

L

J

v,+ N,BAR.O

N, + V,BAR,2

Entscheidend ist, daß die zweite Kategorie auf der rechten Seite der Regel nicht das Merkmal PLURAL enthält. Somit subsumiert diese zweite Kategorie sowohl die NP-Kategorie in (54) als auch die NP-Kategorie in (55), da die NP-Kategorien in (54) und auch in (55) alle Merkmalsspezifizierungen der NP-Kategorie auf der rechten Seite von (58) enthalten (zusammen mit dem zusätzlichen Merkmal PLURAL, das nun in (54) und

115 in (55) jeweils unterschiedlich spezifiziert ist).8 Regeln, die komplexe Kategorien enthalten, können also in Verbindung mit dem Prinzip (56) eine ganze Reihe von unterschiedlichen Situationen abdecken. Somit benötigt eine Analyse, die komplexe Kategorien benutzt, weniger Regeln als eine Analyse, die einfache Kategorien benutzt, vermutlich sogar viel weniger. Darin besteht ein wesentlicher Vorteil von komplexen Kategorien. Wir können uns nun der Beziehung zwischen Kategorien im Lexikon einerseits und Kategorien in Bäumen andererseits zuwenden. Wir wollen wieder annehmen, daß die Kategorien einander entsprechen müssen. Wenn eine lexikalische Einheit im Lexikon als ein Ν identifiziert ist, dann kann sie auch nur in einer N-Position in einem Baum erscheinen. Wieder müssen wir fragen, was "entsprechen" bedeuten soll. Es könnte bedeuten, daß die Kategorien identisch sind. Wie schon zuvor bleibt das eine unbefriedigende Lösung. Das wird deutlich, wenn wir das deutsche Substantiv Wagen und das englische Substantiv sheep betrachten. Beide können sowohl Singular als auch Plural sein (Wagen jedenfalls im Standarddeutschen, also wenn wir von dem süddeutschen Plural Wägen absehen). Somit kann den beiden Substantiven im Lexikon folgende Kategorie zugewiesen werden: (59)

[V,-; N, + ; BAR,0]

(59) enthält keinen Wert für das Merkmal PLURAL. Man betrachte nun die folgenden Sätze: (60) (61)

(a) (b) (a) (b)

Der Wagen stand auf der Straße, The sheep was in the garden. Die Wagen standen auf der Straße, The sheep were in the garden.

(60) enthält ein Verb, das ein singularisches Subjekt fordert, (61) eines, das ein pluralisches Subjekt fordert. Das suggeriert, daß die Subjekte Strukturen wie die folgenden haben:

8

Für weitere Diskussion zur Subsumtion vgl. Shieber (1987, 3.) und Gazdar und Mellish (1989, 7.).

116 (62)

(63)

N,+

[n,+

V,BAR.2 PLUR,-

I BAR.2 I PLUR, +

I V,. L

Ì~N,+

I V,I BAR,0 I PLUR, + L

Wagen

die the

Wagen sheep

Der Unterschied zwischen dem Deutschen und dem Englischen besteht darin, daß die Spezifizierung für das Merkmal PLURAL im Deutschen auf den Determinierer durchschlägt, im Englischen nicht. Abgesehen davon können wir, wenn wir (62) und (63) als korrekte Darstellungen betrachten, nicht einfach sagen, daß eine Kategorie in einem Baum und eine Kategorie im Lexikon dann einander entsprechen, wenn sie identisch sind. Vielmehr müssen wir folgendes konstatieren: (64)

Entsprechung von Kategorien 3 Eine Kategorie in einem Baum entspricht einer Kategorie im Lexikon, gdw. die letztere die erstere subsumiert.

Insofern haben wir die gleiche Relation zwischen Kategorien im Lexikon und Kategorien in Bäumen wie zwischen Kategorien in Regeln und Kategorien in Bäumen. Man könnte zu der Annahme neigen, daß das Beispiel (62)/(63), insbesondere für das Englische, ein Spezialfall ist und daß Kategorien in Bäumen generell mit den entsprechenden Kategorien im Lexikon identisch sind. Tatsächlich sind aber Fälle wie (62)/(63) ziemlich häufig. Mindestens im Rahmen von PSG wird angenommen, daß eine lexikalische Einheit mit einer spezifischeren Kategorie in einem Baum assoziiert wird. Darauf wird noch zurückzukommen sein. Man muß darauf hinweisen, daß (64) - auf den ersten Blick in kontraintuitiver Weise - besagt, daß Kategorien mit einem höheren BAR-Wert in Kategorien mit einem

117 niedrigeren Β AR-Wert subsumiert, also eingeschlossen sind.9 Man darf Subsumption also nicht mengentheoretisch verstehen.

4.7

Zusammenfassung

Syntaktische Kategorien erscheinen nicht als unanalysierbare Einheiten, sie sind vielmehr komplexe Gebilde, die sich aus kleineren Elementen aufbauen. Aus der Notwendigkeit einer reicheren Klassifizierung von Ausdrücken ergeben sich Motivationen für diese Annahmen. Weitere Motivation kommt aus der Beziehung zwischen lexikalischen und phrasalen Kategorien, ferner aus der Relevanz kategorienübergreifender Generalisierungen. Merkmale sind elementare Bausteine für Kategorien. Bei der Betrachtung des Verhältnisses von Kategorien in Regeln und im Lexikon und von Kategorien in Bäumen zeigt sich, daß eine Kategorie in einem Baum mit einer entsprechenden Kategorie in einer Regel oder im Lexikon genau dann zusammenspielt, wenn die letztere die erstere subsumiert. Kategorien in Bäumen können daher spezifischer sein als die entsprechenden Kategorien in Regeln oder im Lexikon.

Übungen Übung 1 Ersetzen Sie die informelle Klassifizierung der Ausdrücke in den folgenden Feststellungen durch präzise Kategorisierungen, für die Sie die Merkmale Ν, V, BAR usw. benutzen sollten! (1) (2) (3) (4) (5)

9

Gewesen ist das Partizip II eines Auxiliarverbs. Ihn ist ein Pronomen der 3. Person Singular im Akkusativ. Größer als Ben ist eine Adjektiv-Phrase im Komparativ. Die Omas ist eine feminine NP im Plural. Bild von Debbie ist ein neutrales N1 im Singular.

Das Wesen von syntaktischen Kategorien hat weniger Aufmerksamkeit in GB als in PSG gefunden. Dennoch liegt mit Muysken/van Riemsdijk (1985) eine Sammlung von weitgehend GB-basierten Arbeiten über Merkmale und Verwandtes vor.

118 Übung 2 Bestimmen Sie diejenigen lexikalischen Kategorien in den folgenden Bäumen, die keine ihnen entsprechenden phrasalen Kategorien haben, und diejenigen phrasalen Kategorien, die keine ihnen entsprechenden lexikalischen Kategorien haben! Gehen Sie von der Annahme aus, daß jede Kategorie, die nicht lexikalisch ist, eine phrasale Kategorie ist!

119

Übung 3 Erörtern Sie, welche der folgenden Fakten mit Hilfe der Merkmale Ν und V, wie sie in 4.4 eingeführt worden sind, problemlos beschrieben werden können und welche nicht! (1)

(2)

Im Englischen können NPs, APs und PPs, aber nicht VPs in satzinitialer Position von wh-Fragen erscheinen. Die betreffenden Phrasen sind eingeklammert. (a) [Which house] did you buy? (b) [How tall] is your son? (c) *[Read which book] he may? Im Walisischen kongruieren finite Verben und Präpositionen mit einem nachfolgenden Pronomen. Das illustrieren die anschließenden Beispiele: (a) Gwelais i Emrys. sah-l.Sg. ich Emrys 'Ich sah Emrys.' (b) Gwelasant hwy Emrys. sah-3.Pl. sie Emrys 'Sie sahen Emrys.' (c) arnaf i auf-l.Sg. ich 'auf mich' (d) arnynt hwy auf-3.Pl. sie 'auf sie'

120 (3)

(4)

Im Polnischen sind Adjektive und Nomina kasusmarkiert. Das illustriert folgendes Beispiel: (a) Jan wyglada mi na intelligentnego Jan-NOM sieht mir-DAT auf intelligent-AKK 'Jan sieht mir intelligent aus' Im Walisischen geht einem nichtfiniten Verb und einem Nomen ein Klitikum voraus, wenn ihm ein Pronomen folgt. Das zeigen die folgenden Beispiele: (a) ei mam ef 3.Sg.M. Mutter er 'seine Mutter' (b) Ceisiodd he ei weld ef. versuchte sie 3.Sg.F. sehen er 'Sie versuchte ihn zu sehen.'

Übung 4 Welche der folgenden Kategorien sind von welchen anderen der folgenden Kategorien subsumiert? (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8)

[BAR,2; [BAR,2; [BAR,2; [BAR,0; [BAR,2] [BAR,2; [BAR,2; [BAR,0;

N , + ; V,-] N, + ; V,-; KASUS,AKK] N,-; V, + ; VFORM.FIN; PRÄT. + ] N, + ; V,-; KASUS,AKK] N, + ; V,-; PERS.3; PLUR,-] N,-; V, + ; VFORM.FIN] N, + ; V,-]

5

Köpfe und Komplemente

5.1 Einführung Bisher haben wir das wichtige Faktum vernachlässigt, daß lexikalische Einheiten derselben Klasse, V, Ν, A oder P, sich in ihrem Verhalten unterscheiden können. Besonders wichtig ist, daß lexikalische Köpfe ein und derselben Klasse sich dadurch voneinander unterscheiden können, mit welchen Kategorien sie eine Verbindung eingehen können, oder, genauer gesagt, dadurch, welche Komplemente sie nehmen können. Das wird durch folgende Beispiele illustriert: (1)

(2)

(al) (a2) (bl) (b2) (al) (a2) (bl) (b2)

Stefan put the book on the shelf. daß Stefan das Buch ins Regal stellte •Stefan put Ben that he should work harder. •weil Stefan Paul stellte, daß er fleißiger arbeiten solle Stefan persuaded Ben that he should work harder. weil Stefan Paul überzeugte, daß er fleißiger arbeiten solle •Stefan persuaded the book on the shelf. •daß Stefan das Buch ins Regal überzeugte.

Die Verben put und stellen nehmen eine NP und eine PP als Komplemente, wohingegen die Verben persuade und überzeugen eine NP und ein S als Komplemente nehmen. Daher sind die (a)-Beispiele grammatisch, die (b)-Beispiele aber ungrammatisch. Wir brauchen deshalb eine Subklassifizierung von lexikalischen Kategorien nach dem Kriterium, welche Komplemente bestimmte Teilmengen von Köpfen einer lexikalischen Kategorie nehmen. Dieses Problem ist allgemein als das Subkategorisierungsproblem bekannt, es war und ist seit den 60er Jahren eine der wichtigsten Aufgaben für die Syntax-Theorie. In diesem Kapitel soll geklärt werden, was unter Komplementen zu verstehen ist, und weiter, worin sich Komplemente von Adjunkten unterscheiden. Dann soll die Subkategorisierung betrachtet werden, die in Chomskys Aspects of the Theory of Syntax entwickelt worden ist. Ferner sollen der GB- und der PSG-Zugang zur Subkategorisierung behandelt werden. Schließlich wird der Zusammenhang von Komplementen und Bedeutung betrachtet.

5.2 Komplemente und Adjunkte Im Englischen folgen die Komplemente den lexikalischen Köpfen, denen sie zugeordnet sind. Im Deutschen gehen - in der zugrundeliegenden

122 Struktur - die Komplemente den [+V]- Köpfen voraus. Allerdings sind nicht alle Konstituenten, die den Köpfen in einer Phrase folgen (im Englischen) oder in einer Phrase vorausgehen (im Deutschen) tatsächlich auch Komplemente. Manche von ihnen sind sogenannte Adjunkte. In (3) ist Maja ein Komplement, aber in the garden/im Garten ist ein Adjunkt, und in (4) ist to London/nach London ein Komplement, aber on Thursday/am Donnerstag ist ein Adjunkt: (3) (4)

(a) (b) (a) (b)

Stefan saw Maja in the garden, daß Stefan Maja im Garten sah Stefan went to London on Thursday. daß Stefan am Donnerstag nach London fuhr

Die Unterscheidung zwischen Komplementen und Adjunkten ist für alle Kategorien relevant, sie soll hier jedoch nur im Zusammenhang mit Verben behandelt werden. Ein wichtiger Unterschied zwischen Komplementen und Adjunkten besteht darin, daß Komplemente mit spezifischen lexikalischen Köpfen auf eine Weise verknüpft sind, wie dies für Adjunkte nicht gilt. Genauer: Bestimmte lexikalische Köpfe erscheinen gleichzeitig mit bestimmten Komplementen, während Adjunkte eines bestimmten Typs generell in jeder Phrase möglich sind, unabhängig davon, was deren Kopf ist. So kann man in the garden/im Garten oder on Thursday/am Donnerstag problemlos in die Beispiele (l)(a) und (2)(a) einbauen. Ein zweiter wichtiger Punkt ist, daß Komplemente dazu tendieren, obligatorisch zu sein, daß Adjunkte hingegen stets optional (oder fakultativ) sind. Wenn also eine Konstituente obligatorisch ist, so muß sie ein Komplement sein. Wenn eine Konstituente optional ist, kann sie entweder ein Komplement oder ein Adjunkt sein. Die folgenden Beispiele zeigen, daß Maja in (3) obligatorisch ist, während in the garden/im Garten optional ist: (5)

(al) (a2) (bl) (b2)

*Stefan saw in the garden. *daß Stefan im Garten sah Stefan saw Maja. daß Stefan Maja sah

Daher muß Maja ein Komplement sein, in the garden/im Garten könnte ein Komplement oder ein Adjunkt sein. Komplemente tendieren dazu, obligatorisch zu sein, sie sind aber nicht in jedem Falle obligatorisch. Es gibt Komplemente, die optional sind. Man betrachte folgende Beispiele: (6)

(al) (a2) (bl) (b2)

Stefan was eating the carrot. daß Stefan gerade die Möhre aß. Stefan was eating. daß Stefan gerade aß.

123 In (6)(al) folgt was eating eine NP, in (a2) geht aß eine NP voraus. Wie (b) zeigt, sind diese NPs weglaßbar, also optional. Dennoch gibt es gute Gründe für die Annahme, daß diese NPs Komplemente und nicht Adjunkte sind. Einer der Gründe liegt darin, daß auch (6)(b) so verstanden wird, daß Stefan irgendetwas aß, wir wissen vielleicht nur nicht, was er aß. Ein anderer Grund liegt darin, daß die NPs bei den semantisch verwandten Verben devour/verschlingen obligatorisch sind. Man sieht das an (7)(a) und (b): (7)

(al) (a2) (bl) (b2)

Stefan was devouring the carrot. daß Stefan gerade die Möhre verschlang. *Stefan was devouring. *daß Stefan gerade verschlang.

Wir werden sogleich noch weitere Gründe anführen. Es wird allgemein angenommen, daß es einen strukturellen Kontrast zwischen Komplementen und Adjunkten gibt. Speziell wird angenommen, daß Komplemente mit einer lexikalischen Kategorie verbunden sind und mit ihr eine verwandte intermediäre Kategorie bilden, während Adjunkte sich mit einer beliebigen Kategorie verbinden und nur wieder eine Kategorie des gleichen Typs formen. Ein Beispiel dafür ist folgendes: (8)

Adjunkt

Komplement eilig

eine Möhre

X I

verschlingen

went

to London

on Thursday

Wenn man eine solche Annahme über einen strukturellen Kontrast zwischen Komplementen und Adjunkten macht, kann man eine Erklärung für die folgenden Daten bekommen: (9)

(al) (a2) (bl) (b2)

(10)

(al) (a2) (bl)

Stefan will wash his socks in the bathroom and Ben will do so too. daß Stefan im Bad seine Socken waschen wird und daß Ben das auch tun wird Stefan will wash his socks in the bathroom and Ben will do so in the kitchen. daß Stefan im Bad seine Socken waschen wird und daß Ben in der Küche das auch tun wird Stefan will put his socks in the bathroom and Ben will do so too. daß Stefan seine Socken ins Bad legen wird und daß Ben das auch tun wird. *Stefan will put his socks in the bathroom and Ben will do so in the kitchen.

124 (b2)

*daß Stefan seine Socken ins Bad legen wird und daß Ben das auch in die Küche tun wird.

Wenn man annimmt, daß waschen ein NP-Komplement nimmt, während legen ein NP- und ein PP-Komplement nimmt, dann erhalten wir damit folgende Strukturunterschiede:

im Bad

seine Socken

waschen

seine Socken

ins Bad

legen

Unter der Voraussetzung dieser Strukturen müssen wir folgende Annahme machen, wenn wir die Daten in (9) bis (12) erklären wollen: (13)

Interpretationsbedingung für do so (too)/das (auch) tun Do so (too) bzw. das (auch) tun beziehen ihre Interpretation von einem vorV1.

In (11) sind sowohl im Bad seine Socken waschen als auch seine Socken waschen V'-Konstituenten. Somit leitet das auch tun seine Interpretation sowohl in (9)(a) als auch in (9)(b) von einem V1 ab. Im Gegensatz dazu ist in (12) seine Socken ins Bad legen ein V1, aber seine Socken legen ist kein V1. Daher kann das auch tun nur in (10)(a), aber nicht auch in (10)(b) seine Interpretation von einem V1 ableiten. Damit haben wir eine Möglichkeit gefunden, Komplemente von Verben und Adjunkte von Verben voneinander zu unterscheiden. Man kann das do so/das auch tun auch benutzen, um festzustellen, daß bei eat/essen ein optionales Komplement vorliegt. Dazu betrachte man folgende Daten: (14)

(al) (a2) (bl) (b2)

Stefan ate a carrot and Maja did so too. daß Stefan eine Môhre aß und Maja das auch tat '•'Stefan ate a carrot and Maja did so a radish. *daß Stefan eine Möhre aß und Maja das auch einen Rettich tat

In (14)(a) bezieht das do so/das auch tun seine Interpretation von ate a carrot bzw. eine Möhre aß. In (14)(b) leitet das do so/das auch tun seine Interpretation von ate bzw. aß ab. Da aber diese Beispiele nicht gramma-

125 tisch sind, können wir schließen, daß ate/aß allein keine V'-Projektion sein kann und somit a carrot/eine Möhre ein Komplement sein muß.1 Welche Komplemente lexikalische Köpfe nehmen, hängt von der Analyse der Sätze ab, in denen sie erscheinen. Es gibt wenig Meinungsverschiedenheiten auf diesem Gebiet. Jeder Linguist wird einräumen, daß es viele verschiedene Möglichkeiten bei Verben, aber beträchtlich weniger bei Substantiven, Adjektiven und Präpositionen gibt. Jeder Linguist wird auch zustimmen, daß im Englischen nur Verben und Präpositionen, nicht aber Substantive und Adjektive NP-Komplemente nehmen, daß hingegen im Deutschen sowohl Verben und Präpositionen wie auch Adjektive und Substantive NP-Komplemente haben können. Es gibt jedoch Meinungsverschiedenheiten über Daten wie die folgenden: (15)

Stefan considers Ben to be a fool.

Innerhalb von GB würde man eine Struktur wie in (16) annehmen, innerhalb von PSG hingegen eine Struktur wie in (17):

Stefan

considers

NP

VP

Ben

to be a fool

1 Die Tatsache, daß englisches do so für die Unterscheidung zwischen verbalen Komplementen und verbalen Adjunkten benutzt werden kann, war zuerst in Lakoff und Ross (1976) herausgestellt worden. In genau der gleichen Weise wie do so seine Interpretation von einem vorausgehenden V ableitet, leitet one seine Interpretation von einem vorausgehenden N1 ab. Es bietet daher eine Möglichkeit, zwischen nominalen Komplementen und nominalen Adjunkten zu unterscheiden. Man betrachte den folgenden Kontrast:

(1) (2)

The student from Korea is more dedicated than that one from Japan. *This student of linguistics is more dedicated than that one of psychologie.

In beiden Fällen leitet one seine Interpretation von student ab. Die Tatsache, daß (1) grammatisch ist, legt nahe, daß from Korea ein Adjunkt ist. Die Tatsache, daß (2) ungrammatisch ist, legt auf der anderen Seite nahe, daß of linguistics ein Komplement ist. Vgl. Radford (1988, 5 . 2 ) für weitere Diskussion.

126 s

(17)

NP

VP

ν· ν Stefan

considers

NP Ben

VP to be a fool

In der ersten Analyse nimmt considers ein S-Komplement, das man in Anlehnung an Radford (1988) als exzeptionellen Satz (exceptional clause) bezeichnen kann, wohingegen in der zweiten Analyse considers eine NP und eine VP als Komplemente nimmt. Ähnliche Meinungsverschiedenheiten gibt es hinsichtlich folgender Beispiele: (18) (19) (20) (21)

Stefan considers Ben foolish. Stefan considers Ben a fool. Stefan wanted Ben out of the room. Stefan made Ben do it.

Nicht für alle englischen Beispiele gibt es strukturell äquivalente deutsche Beispiele. Das deutsche Verb betrachten verhält sich anders als das englische Verb consider. Zwischen der ersten NP und der zweiten NP bzw. der AP muß die Partikel als auftreten. (22) (23)

daß Stefan Ben als verrückt betrachtet daß Stefan Ben als einen Narren betrachtet

Das deutsche Verb wünschen ermöglicht keine vergleichbaren strukturell zweideutigen Konstruktionen: (24)

daß Stefan ihn zur Hölle wünschte

Erstens ist (24) phraseologisch und folgt nicht einem produktiven Muster: (25)

?daß Stefan ihn nach Köln wünschte

Zweitens ist bei einer Analyse sowohl im GB- wie auch im PSG-Format anzunehmen, daß wünschen - in dieser Version - eine NP und eine PP als Komplemente nimmt (in anderen Versionen kann es zwei NPs als Komplemente oder eine NP und ein S als Komplemente wählen, z. B. jemandem Glück wünschen, jemandem wünschen, daß ...). Man kann jedoch ihn zur Hölle kaum als einen exzeptionellen Satz interpretieren. Exzeptionelle Sätze haben nämlich unter Umständen ein temporalisiertes, d.h. nicht exzeptionelles Pendant, und in diesem Pendant erscheint stets die Kopula sein: (26)

(a) (b)

daß Stefan Ben in der Hölle wähnte daß Stefan wähnte, daß Ben in der Hölle ist

127 Zu (24) gibt es kein temporalisiertes (b)-Pendant mit der Kopula sein: (27)

(a) (b)

daß Stefan ihn zur Hölle wünschte (=24) *daß Stefan wünschte, daß er zu der Hölle ist

Zu (27)(a) könnte es allenfalls eine sententielle Entsprechung wie (27)(c) geben: (27)

(c)

daß Stefan wünschte, daß er zur Hölle fáhrt

Das hängt mit der Präposition zu zusammen. Sie ist eine direktionale Präposition, die den Dativ regiert. Das ist im Deutschen für direktionale Präpositionen außergewöhnlich. Die Präposition zu hat auch nicht eine direktionale und eine stative Variante, wie das bei anderen Präpositionen der Fall sein kann, etwa bei an, in oder auf. Daher ist (27)(b) ungrammatisch. Dem englischen make entspricht im Deutschen am besten das Verb lassen in seiner kausativen Variante: (28)

daß Stefan Ben es tun ließ

Im Englischen haben die Beispiele (18) bis (21) im Rahmen einer GBAnalyse jeweils stets ein einziges S-Komplement und zwar in Gestalt eines Small Clauses (SC), im Rahmen einer PSG-Analyse hingegen zwei getrennte Komplemente. So hat (18) eine Analyse wie (29) in GB und wie (30) in PSG: (29)

S

Stefan

considers

NP

AP

Ben

foolish

128 Abgesehen von Beispielen dieser Art herrscht weitgehende Übereinstimmung bezüglich der Zahl und der Art von Komplementen, die von einzelnen lexikalischen Einheiten gefordert werden.2·3 2

Die Konstituentenstruktur von Sätzen wie (16) und (18) bis (21) im Text ist extensiv diskutiert worden, aber das Problem blieb letztlich ungelöst. McCloskey (1988) bemerkt: "It is one of the enduring embarassements of the field that this apparently routine question of constituency has proven so diffcult to resolve one way or the other. " Die wichtigsten früheren Diskussionen bieten Postal (1974) und Bresnan (1976). Williams (1983) bietet eine wichtige Kritik des GB-Zugangs der Small-clause-Aiii\yse. Postal und Pullum (1988) enthält einige wichtige jüngere Kritikpunkte, die Exceptional-clause- und die Small-clause-Analyse betreffend. Fürsprecher der Small-clause-Analyse haben dafür argumentiert, daß Ketten wie die eingeklammerte Kette im folgenden Beispiel ein weiteres Argument der von ihnen favorisierten Analyse liefert: (1)

With [Ben in charge], anything is possible.

Vgl. dazu Hoekstra (1984) und Beukema/Hoekstra (1984). Ein entscheidendes Argument zugunsten der Small-clause-A^naiyse kommt insbesondere aus der Θ-Theorie. Man kann annehmen, daß consider zwei θ-RoUen vergibt, eine an das Subjekt, die AGENS sein kann oder etwas Ahnliches, und eine an ein Komplement, die nichts anderes als PROPOSITION sein kann. Propositionen haben aber prototypischerweise eine kategoriale Realisierung als S. Von kanonischen Sätzen aber verlangen wir, daß sie ein Subjekt und ein Prädikat haben. Genau dies ist in (18) im Text und in dem Beispiel (1) dieser Anmerkung der Fall: Ben ist das Subjekt zum Prädikat to be a fool, Ben ist auch das Subjekt zum Prädikat (be) in charge. Proponenten von small clauses sind sich allerdings nicht einig über den Status des Small-clause-Knotens. Im vorliegenden Buch wird durchgängig die Kategorienbezeichnung SC gewählt in der Annahme, daß die Kategorie small clause mit der Kategorie des Prädikats nicht verwandt ist. Eine Reihe von Syntaktikern hat jedoch vorgeschlagen, daß small clauses Projektionen der Köpfe des Prädikats sind, das sie enthalten. Stowell (1981) schlägt vor, daß small clauses die Form wie in (2) haben, Chomsky (1986) hingegen nimmt an, daß sie die Form wie in (3) haben: (2)

XP

Χ

(3)

...

XP

Χ

Vgl. Radford (1988) für weitere Diskussion. 3

Ein wichtiger Punkt bezüglich der Subkategorisierung ist, daß lexikalische Köpfe oft gerade nicht einen bestimmten Typ von PP, sondern eine PP, deren Kopf eine bestimmte Präposition ist, selegieren. Man vgl.: (1) (2)

He relies {on, *in, *by, *with, *from} her. He is fond {of, *to, *for, *by, •with} her.

PSG benutzt ein Merkmal PFORM, dessen Wert der Name der Präposition ist, um eine PP als mit einer spezifischen Präposition ausgestattet zu identifizieren. Somit nimmt in PSG das Verb relies eine PP[PFORM,ON] und das Adjektiv/οηΛ eine PP[PFORM,OF],

129

5.3 Der Zugang der Aspekte zur Subkategorisierung Bis zum Ende der 70er Jahre akzeptierten die meisten Syntaktiker den Zugang zur Subkategorisierung, wie er von Chomsky in Aspekte der Syntax-Theorie (Chomsky 1965/1970) entwickelt worden war. Dieser Zugang hat jedoch eine ernsthafte Schwäche. Man muß diese Schwäche verstehen, um begreifen zu können, warum in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten andere Zugänge entwickelt worden sind. Im Rahmen der Aspekte sind Phrasen-Struktur-Regeln angenommen worden. Wenn man Phrasen-Struktur-Regeln zugrunde legt, kann man folgende Regeln für die Ableitung verschiedener Verbalphrasen formulieren: (31)

(a) (b) (c) (d) (e) (f)

v· V' V' V' ν· V'

... > ... > ... > - - >

... > ... >

V NP V PP V SV NP PP V NP S V

Diese Regeln erlauben die Herleitung folgender kursiv gedruckter Ketten in (33): (32)

(a) (b) (c) (d) (e) (f)

(daß) (daß) (daß) (daß) (daß) (daß)

Stefan schlief Stefan Maja sah Stefan nach Leipzig fahr Stefan nach Leipzig zu fahren beabsichtigt Stefan das Auto in die Garage fuhr Stefan Maja nach Leipzig zu fahren überredete

Um nun die Subkategorisierungfakten erklären zu können, hat man in der Aspekte-Theorie jedem lexikalischen Kopf einen Subkategorisierungsrahmen zugeordnet, der anzeigt, welche Komplemente der betreffende Kopf zuläßt. Für die Verben in (33) (schlafen, sehen, fahrenlt beabsichtigen, fahren2, überreden) müssen wir folgende Subkategorisierungsrahmen annehmen: (33)

(a) (b) (c) (d) (e) (f)

schlafen sehen fahren, beabsichtigen fahren2 überreden

[0 J [NP J [PP J [S _] [NP PP J [NP S J

Jeder dieser Rahmen enthält das Symbol '_', dem eine oder mehrere Kategoriensymbole vorausgehen. Das Symbol deutet die Position des Verbs innerhalb dieser Rahmen an. Der erste Rahmen enthält das Symbol 0 , das anzeigt, daß das Verb schlafen normalerweise keine Komplemente

130 nimmt oder zuläßt. Alle anderen Rahmen enthalten "normale" Kategoriensymbole, durch die indiziert wird, wieviele und welche Kategorien das betreffende Verb verlangt.4 Dieser Zugang erfaßt die Fakten recht gut. Er hat jedoch eine ernsthafte Schwäche, die zuerst in Heny (1979) formuliert worden ist. Sie besteht in einer bestimmten Redundanz. Eine Betrachtung der Subkategorisierungsrahmen in (33) zeigt, daß sie mit den rechten Seiten der Regeln in (31) identisch sind. Der einzige Unterschied ist, daß statt der Kategorie V, die in den Regeln auftritt, nun der Positionsstrich auftaucht. Das heißt, daß die Subkategorisierungsrahmen Information wiederholen, die schon in Regeln ausgedrückt ist. Solche Redundanz ist unbefriedigend. Das hat nichts damit zu tun, daß die Regeln Phrasenstrukturregeln sind. Dieselbe Redundanz würde auftreten, wenn wir ID-Regeln hätten. Man kann diese Schwäche auf zwei Wegen überwinden. Entweder man findet eine Möglichkeit, Regeln wie (31) zu vermeiden, oder man findet eine Möglichkeit, die Subkategorisierungsrahmen wie (33) überflüssig zu machen. Beide Wege sind in den letzten Jahren beschritten worden.

4

Unter bestimmten Umständen ist es möglich, etwas als ein zusätzliches Komplement zu bestimmen: (1) (2) (3) (4) (5)

Das Problem ist schwieriger, [als wir dachten] Sie sind zutraulicher, [als sie es üblicherweise sind] Er ist genau so ängstlich, [wie sie es uns gesagt hatte] Stefan ist so müde, [daß er die Augen kaum offen halten kann] Maja ist zu intelligent, [als daß man sie betrügen könnte]

In (1) und (2) ist die eingeklammerte Kette nur möglich, weil wir die Komparativformen schwieriger/zutraulicher und nicht die Grundformen schwierig/zutraulich haben. In (3) bis (5) sind die eingeklammerten Ketten in vergleichbarer Weise nur deshalb möglich, weil wir im übergeordneten Satz Modalpartikeln wie so und zu haben. Für weitere Diskussion dieser zusätzlichen Komplemente vgl. Jackendoff (1977, 8.). Der GPSGZugang zur Subkategorisierung wird in Gazdar et al. (198S) erörtert. Die Version von HPSG, die im Text vorgestellt wurde, ist im wesentlichen die in Borsley (1987) vorgeschlagene. Wie im nächsten Kapitel angedeutet wird, involviert die in Pollard/Sag (1988) vorgeschlagene Version von HPSG ein SUBCAT-Merkmal, das sowohl anzeigt, welche Komplemente eine lexikalischer Kopf nimmt, als auch, welche Art von Subjekt er fordert.

131

5.4 Rektions- und Bindungs-Theorie und Subkategorisierung Die Rektions- und Bindungs-Theorie hat die erste der beiden Optionen gewählt. Seit Stowell (1981) wurden Regeln wie (31) aufgegeben. Statt dessen wird jetzt eine einzige kategorienneutrale ID-Regel angenommen. Man kann diese Regel als Kopf-Komplement-Regel bezeichnen und folgendermaßen formulieren: (34)

Kopf-Komplement-Regel X* — > X, YP*

Eine intermediäre phrasale Kategorie kann also unmittelbar eine entsprechende lexikalische Kategorie zusammen mit einer beliebigen Anzahl von vollen phrasalen Kategorien dominieren. (Das hinter dem Kategoriennamen stehende Zeichen * bedeutet hier 'beliebige Anzahl'.) Die Regel (34) ist kategorienneutral, weil sie nicht auf eine bestimmte Kategorie Bezug nimmt. Diese Regel setzt das im letzten Kapitel eingeführte Merkmalssystem voraus, in dem verwandte lexikalische und intermediäre Kategorien miteinander identifiziert werden. Wir können nicht fordern, daß Kategorien in Bäumen mit den entsprechenden Kategorien in Regeln identisch sein müssen. Wenn eine solche generelle Regel wie (34) gegeben ist, werden die entsprechenden Kategorien in den Bäumen immer spezifischer als die Kategorien in den Regeln sein. Die Regel (34) schließt die in Jackendoff (1977) und in Stowell (1981) vertretene Annahme ein, daß Komplemente stets maximale Projektionen sind. Die Regel (34) läßt allerdings alle möglichen Arten von nicht wohlgeformten lokalen Bäumen zu. Beispielsweise erlaubt sie den folgenden Baum: (35)

Daß (34) lokale Bäume zuläßt, die nicht wohlgeformt sind, ist nichts Neues gegenüber anderen ID-Regeln. Die Regel in (36) erlaubt beide Bäume in (37): (36) (37)

V' — > V, NP (a) V· V

(b) NP

NP

V

(37)(a) ist für das Deutsche durch die Forderung ausgeschlossen, daß eine lexikalische Kategorie mit dem Merkmal [+V] jeder phrasalen Kategorie folgt, die ihre Schwester ist. Strukturen wie (35) werden ausgeschlossen,

132 wenn von syntaktischen Strukturen gefordert wird, daß sie die Subkategorisierungsanforderungen deqenigen lexikalischen Einheiten erfüllen, die in ihnen enthalten sind. Diese Forderung ist im Projektionsprinzip zum Ausdruck gebracht worden, das wir folgendermaßen formulieren können: (38)

Projektionsprinzip Syntaktische Repräsentationen sind Projektionen des Lexikons insofern, als sie die Subkategorisierungseigenschaften der lexikalischen Einheiten beachten.

(Die kanonische Formulierung des Projektionsprinzips in Chomsky (1981) sieht etwas anders aus, weil sie erstens in anderen Termen formuliert ist und weil sie zweitens die Strukturerhaltung auf verschiedenen syntaktischen Repräsentationsebenen und deren Zusammenhang gewährleisten soll. Trotzdem bringt die in (38) gewählte Formulierung eine essentielle Eigenschaft des Projektionsprinzips zum Ausdruck.) Sofern (38) gegeben ist, wird (35) ausgeschlossen, denn es gibt kein Verb, das drei NP-Komplemente fordert (oder zuläßt), und es gibt folglich kein Verb, das in einer solchen Struktur auftreten könnte. Die Antwort auf die Frage, ob ein lokaler Baum wohlgeformt ist oder nicht, ist eine komplexe Angelegenheit. Ein lokaler Baum mit einem lexikalischen Kopf muß mit der Kopf-Komplement-Regel, mit dem Projektionsprinzip und schließlich mit den Bedingungen für lineare Präzedenz zusammenspielen. Das sei mit den folgenden Beispielen illustriert: (39)

(a)

V'

(b)

N'

^PP^

ν

^PP^

V

zu Maria

sprach

zu Maria

sprach

(d)

(c) NP

V

V

PP

I Maria

I sprach

ι sprach

^ ^ zu Maria

(39)(a) ist wohlgeformt. Es entspricht der Kopf-Komplement-Regel, dem Projektionsprinzip und den LP-Bedingungen. Alle anderen lokalen Bäume sind nicht wohlgeformt. Der Baum (39)(b) ist nicht wohlgeformt, weil er nicht die Kopf-Komplement-Regel erfüllt (V wird von N' und nicht von V' dominiert). Der Baum (39)(c) ist nicht wohlgeformt, weil er nicht dem Projektionsprinzip entspricht. Hier muß vermerkt werden, daß wir im Deutschen mehrere "Varianten" des Verbs sprechen haben, von denen hier zwei zu erwähnen sind: zu/mit jemandem sprechen und jemanden sprechen. Die semantischen Unterschiede sind allenfalls subtil, die syn-

133 taktischen sind offensichtlicher. Für die erste Variante sind Erweiterungen durch PPs möglich, für die zweite nicht: zu/mit jemandem über etwas sprechen, aber 'jemanden über etwas sprechen. Wir nehmen an, daß in allen Bäumen von (39) die erste Variante steht. Der Baum (39)(c) ist dann deshalb nicht wohlgeformt, weil die erste Variante von sprechen keine NP als Komplement zuläßt. Man kann die Varianten unterschiedlich indizieren, um die Sache zu verdeutlichen: sprechen, und sprecheti2. Der Baum (39)(c)' erscheint als nicht wohlgeformt, weil statt spreche«2 mit der NPKomplement-Forderung hier sprechent mit der PP-Komplement-Forderung steht und somit die Subkategorisierungsbedingung für sprechen, nicht erfüllt ist: (39)

(a)'

V

zu María

(c)·

sprach,

V

Maria

sprach,

Der Baum (39)(d) schließlich ist nicht wohlgeformt, weil er die Bedingungen für die lineare Präzedenz verletzt, die ja für das Deutsche vorsehen, daß Komplemente des Verbs (in der Tiefenstruktur) dem Verb vorausgehen. Man sieht, daß wir hier (mit diesem GB-Zugang) einen Weg haben, mit dem wir die Redundanz des Aspekte-Zugangs vermeiden können.

5.5 Phrasen-Struktur-Grammatik und Subkategorisierung Wir können uns nun der PSG zuwenden. Hier sind zwei Zugänge zur Subkategorisierung entwickelt worden. Die Generalized Phrase Structur Grammar (GPSG) wählt die letzte der beiden am Ende von Abschnitt 5.3 erwähnten Optionen: Sie verzichtet auf Subkategorisierungsrahmen. Die Head-driven Phrase Structure Grammar (HPSG) folgt hingegen der GBTheorie und greift die erste der beiden Optionen auf: Sie gibt die kategorienspezifischen Regeln auf. GPSG nimmt ein Merkmal SUBCAT an, das als Wert eine zufallige Zahl nimmt. Innerhalb von GPSG können wir folgende ID-Regeln für die Expansion von VPs bzw. V's haben: (40)

(a) (b)

(c) (d)

V' V' V'

ν·

... ... ... ...

> > > >

V[SUBCAT, V[SUBCAT, VfSUBCAT, V[SUBCAT,

1] 2], NP 3], PP 4], S

134 (e) (f)

V' V'

—> —>

V[SUBCAT, 5], NP, PP VfSUBCAT, 6], NP, S

Um zu sichern, daß schlafen im richtigen Kontext erscheint, müssen wir sagen, daß es nicht nur ein V ist, sondern ein V[SUBCAT, 1], Dementsprechend müssen wir, um zu sichern, daß sehen im richtigen Kontext erscheint, sagen, daß es nicht nur ein V ist, sondern ein VfSUBCAT, 2]. Analoges gilt für die anderen Verben. Bei einem solchen Verfahren benötigt man keine Subkategorisierungsrahmen. HPSG benutzt ebenfalls ein Merkmal SUBCAT. In HPSG nimmt dieses Merkmal als Wert nicht eine beliebige Zahl an, sondern eine Liste von Kategorien. Diese Liste wird als SUBCAT-Liste bezeichet.5 Sie soll genau die Komplemente einschließen, die der lexikalische Kopf fordert (eine etwas andere Position soll im nächsten Kapitel betrachtet werden). Mit Pollard/Sag (1988) soll angenommen werden, daß die Kategorien in einer Ordnung aufgelistet sind, die der Ordnung ihres Erscheinens im Baum entgegengesetzt ist. Wenn also ein Kopf eine NP nimmt, die von einer PP gefolgt wird, so bekommt er die Darstellung [SUBCAT, ]. Die Liste ist in spitze Klammern eingeschlossen, und ihre Einheiten sind durch Komma voneinander getrennt. Innerhalb dieser Version des PSG-Rahmens haben wir folgende Kategorien für die Verben in (32): (41)

(a) (b) (c) (d) (e) (0

VfSUBCAT, V[SUBCAT, VfSUBCAT, VfSUBCAT, VfSUBCAT, VfSUBCAT,

] ] ] ] ] ]

In (41)(a) ist der Wert von SUBCAT die leere Liste < > . Das bedeutet, daß keine Komplemente gefordert bzw. zugelassen sind. Phrasale Kategorien haben ebenfalls den Status VfSUBCAT, < >], da sie keine Komplemente fordern oder zulassen. NP und PP sind Abkürzungen für N[SUBCAT, < > ] bzw. PfSUBCAT, < >]. Die Bedeutung von S soll im nächsten Kapitel betrachtet werden. Kategorien wie die in (41) interagieren mit einer einzigen kategorienneutralen Kopf-KomplementRegel und mit einem generellen Prinzip, das als Subkategorisierungs-

5

Der Wert von SUBCAT ist faktisch eine Liste von Zeichen, Kombinationen von syntaktischer, semantischer und phonologischer Information - so in Pollard/Sag (1988) bzw. eine Liste von SYNSEM-Objekten, Kombinationen von syntaktischer und semantischer Information - so in Pollard/Sag (1994). Insofern haben wir in der Darstellung in unserem Text ein wenig simplifiziert, indem wir den Wert von SUBCAT als eine Liste von Kategorien behandelt haben.

135 Prinzip bekannt ist. In etwas vereinfachender Weise kann die Regel wie folgt formuliert werden: (42)

Kopf-Komplement-Regel la X [ S U B C A T , < > ] — > X[SUBCAT, < · . · > ] , C *

' < . . . > ' steht für eine beliebige Liste, die leere Liste eingeschlossen, und C * für eine beliebige Anzahl von Komplementen.6 Wir können die Regel wie folgt paraphrasieren: (43)

Kopf-Komplement-Regel lb Eine Kategone, die keine Komplemente fordert, kann eine verwandte Kategorie, die Komplemente fordert, zusammen mit einer beliebigen Anzahl von Komplementen unmittelbar dominieren.

Nichts in dieser Regel bietet Gewähr dafür, daß wir die korrekte Anzahl und Art von Komplementen bekommen. Dies leistet hingegen das Subkategorisierungs-Prinzip. Es läßt sich wie folgt formulieren: (44) Subkategorisierungs-Prinzip Wenn ein Kopf und seine Mutter unterschiedliche Werte für SUBCAT haben, dann müssen die Kategorien, die in der SUBCAT-Liste des Kopfes, nicht jedoch die, die in der SUBCAT-Liste der Mutter stehen, mit den Schwestern des Kopfes identisch sein.

Dies gewährleistet, daß ein lexikalischer Kopf genau die Komplemente erhält, die er verlangt, und keine anderen. Die Kategorie in (41)(b) wird

6 Die HPSG-Idee, daß Kategorien Information darüber einschließen sollten, mit welchen anderen Kategorien sie kombinierbar sind, hat ihren Ursprung in der sogenannten Kategorialen Grammatik, einem Zugang zur Grammatik, der ursprünglich zwischen den beiden Weltkriegen von dem polnischen Logiker Ajdukiewicz entwickelt worden ist. In einer Version der Kategorialen Grammatik haben, abgesehen von einer kleinen Anzahl von Basiskategorien, alle Kategorien die Form α/ß oder ß\a, wobei a und ß selbst Kategorien sind. Ein Ausdruck vom Format α/β verbindet sich mit einem ihm folgenden Ausdruck vom Format ß zu einem Ausdruck vom Format a . Ein Ausdruck vom Format ß\a verbindet sich mit einem ihm vorausgehenden Ausdruck vom Format ß zu einem Ausdruck vom Format a . Im Rahmen dieses Zugangs kann eine VP als NP\S kategorisiert werden, als eine Kategorie also, die mit einer vorausgehenden Kategorie vom Typ NP eine Kategorie vom Typ S bildet. Ein transitives Verb kann dementsprechend als (NP\S)/NP kategorisiert werden, d.h., als eine Kategorie, die in einem ersten Schritt mit einer folgenden Kategorie vom Typ NP eine Kategorie vom Typ NP\S bildet, aus der dann in einem zweiten Schritt mit einer vorausgehenden Kategorie vom Typ NP schließlich eine Kategorie vom Typ S gebildet wird. (Man kann die Notation der Kategorialen Grammatik vereinfachen, wenn man davon ausgeht, daß innerhalb dieses Rahmens die Reihenfolge der eine Verbindung eingehenden Kategorien keine Rolle spielt.) Die Kategoriale Grammatik steht im Brennpunkt wissenschaftlichen Interesses. Für eine Einführung vgl. Lyons (1968, 6 . 3 . ) und Flynn (1983). Für jüngere Entwicklungen der Kategorialen Grammatik vgl. Oehrle/Bach/Wheeler (1988).

136 mit der Regel (43) und dem Prinzip (44) interagieren und den Baum (45) zulassen: (45)

r

V

-,

I SUBCAT, < >

NP

r I

V SUBCAT, < N P >

L

I J

Entsprechend wird die Kategorie in (41)(e) mit (42/43) und (44) interagieren und den Baum (46) lizenzieren: (46)

ρ V I I SUBCAT, < >

I

L

-, I I

SUBCAT,

I

J

In dieser Analyse ist ebenso wie in der GB-Analyse die Frage, ob ein lokaler Baum wohlgeformt ist oder nicht, ein komplexes Problem. Ein lokaler Baum mit einem lexikalischen Kopf muß übereinstimmen mit der Kopf-Komplement-Regel, mit dem Subkategorisierungs-Prinzip und mit den Anforderungen für lineare Präzedenz. Dies sei wieder an folgenden Bäumen illustriert: (47)

(a) V [SUBCAT, < > ]

zu Maja

sprach

(b)

Ν [SUBCAT, < > ]

zu Maja

sprach

137 V

(c) V [SUBCAT, < > ]

NP

[SUBCAT, < > ]

V

V

[SUBCAT, < P P > ]

Maja

sprach

PP [SUBCAT, < P P > ]

sprach

Δ

zu Maja

Nur (47)(a) ist für das Deutsche ein wohlgeformter lokaler Baum. Er entspricht der Kopf-Komplement-Regel, stimmt mit dem Subkategorisierungs-Prinzip überein und erfüllt die Anforderungen an lineare Präzedenz für deutsche Verb-End-Sätze. Alle anderen lokalen Bäume in (47) sind nicht wohlgeformt: Der Baum (47)(b) entspricht nicht der HPSG-Kopf-Komplement-Regel. Der Baum (47)(c) erfüllt nicht das Subkategorisierungs-Prinzip. Man sieht bei dieser Gelegenheit, daß die SUBCAT-Liste von sprechen PP enthält und daß im Widerspruch dazu eine NP als Schwester des Kopfes auftaucht. Nicht die unterstrichene, im Teilbaum repräsentierte Konstruktion daß Stefan Maia sprach ist ungrammatisch, sondern die ihr zugeordnete Strukturbeschreibung. Es zeigt sich, daß sich das in der PSG-Variante einfacher darstellen läßt als in der GB-Variante. Der Baum (47)(d) schließlich verletzt die Bedingungen für lineare Präzendenz, man vgl. einen Satz wie *daß Stefan sprach zu Maria. Das Subkategorisierungs-Prinzip bereitet ein technisches Problem. Eine lexikalische Einheit kann einer Kategorie in einem Baum zugeordnet werden, die spezifischer als die entsprechende Kategorie im Lexikon ist. Wie im letzten Kapitel bereits gezeigt wurde, muß so etwas zugelassen werden. Für das Verb sehen hatten wir folgende lexikalische Kategorisierung vorgeschlagen: (48)

VfSUBCAT, < N P > ]

Die SUBCAT-Liste enthält eine NP ohne Numerusspezifizierung. Daher kann das Verb sah entweder ein singularisches oder ein pluralisches Komplement nehmen: (49) (50)

daß Maja die Spinne sah daß Maja die Spinnen sah

Unter der Voraussetzung des Subkategorisierungs-Prinzips hat sah in (49) die Kategorie (51) und in (50) die Kategorie (52): (51)

V[SUBCAT, < NP[PLUR,-J > ]

(52)

V[SUBCAT, < N P [ P L U R , + ] > ]

138 Beide sind mit (48) abgedeckt. Somit gibt es hier kein Problem. Wie wir in späteren Kapiteln sehen werden, ist diese Ausgestaltung von Kategorien durch das Subkategorisierungs-Prinzip von ziemlicher Bedeutung innerhalb von HPSG. Zu dieser Analyse ist noch zu sagen, daß wir die Verben nicht als lexikalisch oder ihre Mütter nicht als phrasal identifiziert haben. In (42) und (43) sind die Verben und ihre Mütter durch das Merkmal SUBCAT unterschieden. Dies wird oft der Fall sein, da ein Verb häufig ein Komplement oder mehrere Komplemente fordert, während dies für seine Mutter nicht zutrifft. Es gibt aber selbstverständlich Verben, die selbst auch kein Komplement fordern, vgl. intransitive Verben wie run im Englischen oder träumen im Deutschen. Es gibt auch viele Substantive und Adjektive, die kein Komplement fordern. Um solche Einheiten von ihren Müttern unterscheiden zu können, benutzt HPSG das Merkmal LEX mit den Werten ' + ' für lexikalische Kategorien und '-' für phrasale Kategorien. Wenn man dieses Merkmal benutzt, erhält man [+LEX] in den verbalen Kopf-Kategorien von (41), (45) und (46), hingegen [-LEX] in den Kategorien der Mütter. (NP bzw. PP sind die Abkürzungen für N[LEX; SUBCAT, < > ] bzw. P[-LEX; SUBCAT, < > ] ) . Allerdings muß nun die Kopf-Komplement-Regel reformuliert werden: (53)

Kopf-Komplement-Regel 2a X[-LEX; SUBCAT, < > 1 — > X[+LEX; SUBCAT, < . . . > ] , C*

Das kann man wie folgt umschreiben: (54)

Kopf-Komplement-Regel 2b Eine phrasale Kategorie, die keine Komplemente fordert, kann eine verwandte lexikalische Kategorie, die ihrerseits Komplemente fordert, zusammen mit einer beliebigen Anzahl von Komplementen unmittelbar dominieren.

Auf diese Weise stellt das Merkmal LEX sicher, daß lexikalische Köpfe und ihre Mütter stets unterschieden werden, und zwar auch dann, wenn der Kopf kein Komplement erfordert. Dies soll jedoch in der weiteren Diskussion vernachlässigt werden. Eine natürliche Frage an dieser Stelle ist: Wie werden volle und intermediäre phrasale Kategorien in diesem Rahmen unterschieden? Sie werden faktisch folgendermaßen unterschieden: Bei intermediären Kategorien sind Merkmalsspezifizierungen vorhanden, mit denen angezeigt wird, daß sie einen Spezifizierer besonderer Art fordern. Bei vollen phrasalen Kategorien fehlen genau solche Merkmalsspezifizierungen. Dies soll hier nicht weiter verfolgt werden. Hier wie in GB haben wir einen Zugang zur Subkategorisierung, der die Redundanz der Aspekte-Theorie vermeidet. Oberflächlich unterscheiden sich die Zugänge der GB- und der PSG-Theorie erheblich vonein-

139 ander. Es sollte jedoch deutlich geworden sein, daß sie in Wirklichkeit einander sehr ähnlich sind.

5.6 Komplemente und Bedeutung Das Problem, welche Komplemente ein Kopf nimmt, hat etwas mit der Bedeutung des Kopfes zu tun. Beispielsweise ist die Tatsache, daß sterben ein intransitives Verb ist, das kein Komplement nimmt, klarerweise mit der Tatsache verbunden, daß es einen Prozeß bezeichnet, der ein einziges Individuum (oder eine einzige Individuengruppe) involviert. Dieses Individuum wird durch das Subjekt des Verbs identifiziert. Entsprechend ist die Tatsache, daß töten ein transitives Verb ist, das ein NP-Komplement verlangt, mit der Tatsache verbunden, daß es eine Aktion bezeichnet, an der zwei Individuen (oder zwei Individuengruppen) beteiligt sind. Der Täter wird durch das Subjekt, das Opfer wird durch das Komplement identifiziert. Man kann fragen, ob wir etwas Präziseres über die Beziehung zwischen Komplementen und Bedeutung zu sagen haben als das oben Erwähnte. Insbesondere die GB-Thorie hat eine positive Antwort auf diese Frage angeboten. Eine Behauptung von GB ist, daß die Anzahl der Komplemente, die ein lexikalischer Kopf nimmt, aus dessen lexikalischen Eigenschaften vorhersagbar ist. Diese Behauptung macht die Einführung des Begriffs der semantischen Rolle oder der Θ-Rolle erforderlich.7 Dieser Begriff kann an folgendem Beispiel illustriert werden: (55) (56)

daß Stefan von London nach Brighton ging daß Stefan das Buch in das Regal stellt

Die NP Stefan bezeichnet in beiden Fällen den Agenten, das AGENS, den Täter, denn sie identifiziert die Entität, die für die Aktion, die Handlung verantwortlich ist. In (55) bezeichnet die PP von London die QUELLE (den Ausgangspunkt) der Aktion und die PP nach Brighton das ZIEL (den Endpunkt) der Aktion. In (56) bezeichnet die NP das Buch das THEMA 7

Thematische Rollen wurden in die Syntax-Theorie als thematische Relation in Gruber (1965) eingeführt, und ihre Position in der transformationellen Grammatik wurde in Jackendoff (1972) konsolidiert. In den 60er und 70er Jahren waren sie das Kernstück einer Theorie, die als Kasus-Grammatik bekannt geworden ist und in der man sich auf sie mit dem Begriff des (semantischen) Kasus bezog. Vgl. Fillmore (1968, 1977) und Anderson (1971, 1977). Jackendoff (1983, 1987) plädiert dafür, θ-RoUen in Termen semantischer Repräsentationen, die mit lexikalischen Einheiten verbunden sind, zu definieren. Zur jüngeren Diskussion über Θ-Rollen vgl. Wilkins (1988).

140 (den Gegenstand) der Aktion und die PP in das Regal eine LOKALISIERUNG. Man könnte vermuten, daß die PP in das Regal analog zur PP nach Brighton ein ZIEL, einen Endpunkt bezeichnet. Allerdings gibt es einen nicht unwesentlichen Unterschied: In (55) wird eine Situation beschrieben, in der die Aktion von Stefan in Brighton endet: Stefan befindet sich also am Ende in Brighton. In (56) hingegen wird eine Situation beschrieben, in der am Ende der Aktion von Stefan das Buch im Regal lokalisiert ist. Hier endet also nicht die Aktion von Stefan im Regal: Nicht Stefan als der Handelnde befindet sich am Ende im Regal, sondern das Buch als der Gegenstand, an dem er seine Handlung vollzogen hat. Das THEMA identifiziert die Person oder den Gegenstand, (mit) der oder dem etwas geschieht, das ZIEL identifiziert einen Ort. In GB wird vorgeschlagen, daß jeder lexikalische Kopf mit einer bestimmten Anzahl von Θ-Rollen verbunden ist und daß jedes Komplement vom Kopf eine solche Θ-Rolle zugewiesen bekommen muß. Eine Konsequenz dieser Annahme besteht darin, daß die Anzahl von Komplementen, die ein lexikalischer Kopf nimmt, typischerweise gleich der Anzahl der Θ-Rollen minus eins ist, da eine der Θ-Rollen des lexikalischen Kopfes an das Subjekt zugewiesen wird. Allerdings muß dabei auch berücksichtigt werden, daß manche Verben keine Θ-Rolle an die Subjektposition vergeben. Man kann folgende terminologische Verabredung treffen: Alle Komplemente und das Subjekt sind die Argumente eines Kopfes. Alle Komplemente sind interne Argumente: Sie befinden sich in der VP bzw. in V1. Das Subjekt ist externes Argument: Es befindet sich außerhalb der VP. Alle Positionen, die ein lexikalischer Kopf für Argumente zur Verfügung stellt, sind Argumentpositionen. Die Gesamtheit der Argumentpositionen ist die Argumentstruktur des Kopfes. Interne Argumente müssen eine Θ-Rolle erhalten: Ihre Positionen sind zugleich ΘPositionen. Das externe Argument muß nicht immer eine Θ-Rolle erhalten: Die Position des externen Arguments ist somit nicht unbedingt eine Θ-Position. Einzelheiten werden im nächsten Kapitel erörtert. Wenn ein lexikalischer Kopf all seinen Komplementen Θ-Rollen zuweist, so folgt daraus, daß die postverbale NP it in den folgenden Beispielen kein Komplement von believe bzw. consider sein kann: (57)

(a) (b)

I believe it to be easy to fool Mary, I consider it easy to fool Mary.

Wie im nächsten Kapitel gezeigt werden soll, wird in GB das it solcher Beispiele als ein Element analysiert, das keine Θ-Rolle trägt.8 Hieraus 8

Die Annahme, daß in Komplementposition keine leeren Elemente (dummies) erscheinen, ist von Postal/Pullum (1988) auf der Basis von Beispielen folgender Art vertreten worden:

141 gewinnen wir Argumente dafür, daß die Verben believe und consider je ein einziges klausales Komplement nehmen und nicht - wie in PSG vorgeschlagen wird - je zwei voneinander unterschiedene Komplemente. In GB ist ferner angenommen worden, daß das Wesen der Komplemente, die ein lexikalischer Kopf nimmt, weitgehend von semantischen Bedingungen determiniert ist. Es ist möglich, daß ein Komplement mit bestimmten semantischen Eigenschaften normalerweise als eine NP, ein Komplement mit bestimmten anderen semantischen Eigenschaften hingegen normalerweise als eine PP erscheint. Dennoch ist aus semantischen Bedingungen nicht vollständig voraussagbar, in welcher kategorialen Form die Komplemente erscheinen. Folgende Daten belegen das: (58) (59)

(a) (b) (a) (b)

It is likely that Stefan will be late, It is probable that Stefan will be late. Stefan is likely to be late. *Stefan is probable to be late.

Vergleichbare Beispiele gibt es auch im Deutschen, bei den deutschen Beispielen handelt es sich allerdings um Komplemente zu Verben bzw. zu Funktionsverbgefügen : (60) (61)

(a) (b) (a) (b)

Es scheint, daß Hans zu spät kommt, Hans scheint zu spät zu kommen. Es hat den Anschein, daß Hans zu spät kommt, *Hans hat den Anschein zu spät zu kommen.

Während im Englischen probable keine infinite Einbettung zuläßt, erlaubt im Deutschen den Anschein haben keine infinite Einbettung. Unabhängig von dem Unterschied zwischen dem Englischen und dem Deutschen kann man bei den Beispielen davon ausgehen, daß likely und probable, scheinen und den Anschein haben jeweils paarweise die gleiche, zumindest aber eine sehr ähnliche Bedeutung haben. Die Beispiele in (60) und (61) zeigen aber, daß sie paarweise nicht die gleichen Komplemente nehmen. Man betrachte in diesem Zusammenhang noch folgende Beispiele: (62)

(63)

(1) (2) (3) (4)

(al) (a2) (bl) (bl) (al) (a2) (bl) (b2)

I asked what time it was. Ich erfragte, welche Zeit es war. I inquired what time it was. Ich erkundigte mich, welche Zeit es war. I asked the time. Ich erfragte die Zeit. *I inquired the time. •Ich erkundigte mich die Zeit.

I take it that you will pay. I have it on good authority that the CIA was never informed. Don't spread it around that I am giving you that assignement. John will see to it that you have a reservation.

142 Auch hier haben die Beispiele in (62) die gleiche Bedeutung, was auch heißt, daß ask und inquire, erfragen und sich erkundigen etwa dieselbe Bedeutung haben. Jeweils beide nehmen ein Komplement, das eine Frage identifiziert, und bei jeweils beiden kann das Komplement ein Satz sein. Die Beispiele in (63) jedoch zeigen, daß nur ask und erfragen, nicht aber inquire und sich erkundigen auch ein Komplement erlauben, das die Form einer NP hat. 9 Von der Bedeutung eines lexikalischen Kopfes hängt also ab, welche Komplemente dieser Kopf nimmt. Aus der Bedeutung eines lexikalischen Kopfes ist aber nicht vollständig vorhersagbar, in welcher Form die Komplemente dieses Kopf erscheinen.

5.7 Zusammenfassung Wir haben uns in diesem Kapitel mit der Frage befaßt, wie sich lexikalische Köpfe, die der gleichen Klasse angehören, im Hinblick auf die von ihnen geforderten oder zugelassenen Komplemente unterscheiden, mit dem Phänomen also, das traditionellerweise unter dem Stichwort "Subkategorisierung" diskutiert wird. In 5.2 haben wir zunächst die Unterscheidung zwischen Komplementen und ihnen oberflächlich ähnlichen Adjunkten erörtert. In 5.3 haben wir den Zugang betrachtet, den die Aspekte zum Subkategorisierungsproblem gewählt hatten. Dieser Zugang benutzt sowohl eine Reihe von kategorienspezifischen Regeln für die Kombinationen von Köpfen und Komplementen als auch auch Subkategorisierungsrahmen im Lexikon, er weist demzufolge einen bestimmten Grad an Redundanz auf. Um diese Redundanz zu vermeiden, mußte entweder das eine oder das andere der beiden Instrumentarien eliminiert werden. In 5.4 wurde gezeigt, wie GB kategorienspezifische KopfKomplement-Regeln eliminiert und welche Rolle dabei das Projektionsprinzip spielt. In 5.5 wurde zunächst der GPSG-Zugang betrachtet, in dem die Subkategorisierungsrahmen im Lexikon eliminiert werden, und dann der HPSG-Zugang, der - wie der GB-Zugang - die kategorienspezifischen Kopf-Komplement-Regeln eliminiert. In Verbindung mit letzterem beleuchteten wir das Subkategorisierungs-Prinzip. In 5.6 schließlich betrachteten wir die Beziehungen zwischen Komplementen und Bedeutung und schlugen die Annahme vor, daß nur partiell, jedoch nicht 9

Gegenwärtige Ideen in GB über die Relationen zwischen Komplementen und Bedeutung gehen auf Pesetsky (1982) zurück. Jackendoff (1985) bietet eine interessante Diskussion dieser Relation. Pollard/Sag (1988, 5.3.) plädieren dafür, daß Subkategorisierung nicht auf semantische Erwägungen zurückgeführt werden kann. Der likely/probable-Koatrast wird in Hudson (1972) beleuchtet, der ask/inquire-Kontrast in Grimshaw (1979).

143 vollständig, aus semantischen Eigenschaften eines lexikalischen Kopfes vorhersagbar ist, welche Komplemente er nimmt.

Übungen Übung 1 Entscheiden Sie, welche der präverbalen Konstituenten in den folgenden Beispielen Komplemente des Verbs und welche Adjunkte sind! Entwickeln Sie angemessene Subkategorisiemngsrahmen für die Verben! (1) (2) (3) (4)

daß er auf seinem Schreibtisch ein Bild seiner Frau hat daß er im Park den Mann von der Botschaft traf daß wir vor der Party die Stereoanlage aus der Diele ins Schlafzimmer brachten daß ich diese Woche den Studenten eine Aufgabe zu Präpositionalphrasen gestellt habe (5) daß sie mir, als ich sie interviewte, intelligent vorkamen (6) daß sie uns letzte Woche fleißiger zu arbeiten schienen.

Übung 2 Erklären Sie, wieso die Ungrammatikalität von (2) und (3) ein Argument gegen die Annahme zu liefern scheint, daß him to be a genius in (1) ein exzeptioneller Satz ist! Erklären Sie anschließend, wieso die Ungrammatikalität von (5) und (6) dieses Argument unterminiert! Zeigen Sie als nächstes, wieso die Grammatikalität von (7) ein Argument zugunsten der Annahme liefert, daß him to be a genius ein exzeptioneller Satz ist! Zeigen Sie schließlich, wieso die Grammatikalität von (8) dieses Argument schwächt! (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8)

Everyone considered him to be a genius. '''Him to be a genius was considered by everyone. *What everyone considered was him to be a genius. Everyone thought he was a genius. *He was a genius was thought by everyone. *What he thought was he was a genius. We consider him to be a genius and her to be a fool. We gave him a hamster and her a snake.

144

Übung 3 Schreiben Sie HPSG-Bäume mit passenden Kategorien für die eingeklammerten Ketten in folgenden Sätzen! Vernachlässigen sie die interne Struktur von Komplementen! (1) (2) (3) (4) (5) (6)

daB sie [ihm sagten, daß er verwechselt worden sei] daB wir [mit ihr über die Situation sprachen] daß er [von jenseits der Grenze kam] daB er [Geschichten über Drachen mag] daB es [für jeden offensichtlich war, daB er log] daB sie [warteten, bis das Bier herauslief]

Übung 4 Manche walisische Präpositionen haben eine Reihe unterschiedlicher Formen, von denen jede genau in einer der Situationen benutzt wird, in denen typische deutsche Präpositionen vorkommen. Die folgenden Beispiele illustrieren den ganzen Umfang von Formen der Präpsoition gan 'mit'. (1) gan mit /*ef er

y der /*hi sie-Sg

bachgen /y Junge die /*ni /•chwi wir ihr

(2) gennyf mit

/•ef er

der

i /*ti ich du bachgen Junge

(3) gennyt mit /*y der

/*i ich

bechgyn Jungen /•hwy sie-Pl

/*ti du

/*chwi ihr

/*hwi sie-Pl

die

/•hi /•ni sie-Sg wir bechgyn Jungen

ti /*i du ich bachgen Junge

/*ef er /•y die

/*hi /*ni sie wir bechgyn Jungen

/•chwi ihr

/*hwi sie

(4) ganddo mit /*y der

ef /*i er ich bachgen Junge

/*ti du

/•chwi ihr

/*hwi sie

die

/*hi /*ni sie wir bechgen Jungen

(5) ganddi mit /*y der

hi /*i sie ich bachgen Junge

/•ti du / •y die

/•ef /*ni er wir bechgen Jungen

/*chwi ihr

/*hwi sie

(6) gennym mit /*y der

ni /*i wir ich bachgen Junge

/•ti du

/•ef /*hi er sie bechgen Jungen

/•chwi ihr

/*hwi sie

i*y

I*y

/ *y

>*y

den

145 (7) gennych mit l*y

der (8) ganddynt mit t*y

der

chwi /•i ich ihr bachgen Junge

/•ti du /•y den

/*ef /*hi er sie bechgen Jungen

/*ni ihr

/•hwi sie

hwi / •i sie ich bachgen Junge

/•ti du /•y den

/*ef /*hi er sie bechgen Jungen

/•ni ihr

/•chwi sie

Ermitteln Sie Kategorien vom HPSG-Typ mit passenden SUBCAT-Merkmalsspezifizierungen für jede dieser Formen!

6

Subjekte und Prädikate

6.1

Einführung

Ein typischer Satz im Englischen, Deutschen und in vielen anderen Sprachen besteht aus einem Subjekt und einem Prädikat. Das Subjekt bezieht sich oft, jedoch nicht immer, auf den Gegenstand (topic) des Satzes, d.h. auf das, worüber im Satz geredet wird. Das Prädikat sagt etwas über dasjenige oder denjenigen aus, auf das oder den das Subjekt sich bezieht. In der gleichen Weise, in der lexikalische Köpfe bestimmte Komplemente nehmen, verbinden sich Prädikate mit bestimmten Subjekten. Die folgenden Beispiele zeigen das: (1) (2)

(a) (b) (a) (b)

*daß Stefan Maja redete '"Stefan talked Maja. *daß er sie mögen *They likes her.

(1) ist ungrammatisch, weil der lexikalische Kopf reden/talk nicht das geeignete Komplement (in diesem Falle nicht das richtige Objekt) hat. (2) ist ungrammatisch, weil das Prädikat sie mögen/likes her nicht das geeignete Subjekt hat. Für dieses Problem muß jede syntaktische Theorie eine Erklärung bieten. In diesem Kapitel werden wir zunächst die verschiedenen Möglichkeiten der Kongruenz zwischen Subjekten und Prädikaten betrachten. Anschließend werden wir die GB-Ideen über Subjekte und Prädikate behandeln. Schließlich wollen wir die Rolle von Subjekten und Prädikaten in PSG untersuchen.

6.2

Subjekt-Prädikat-Beziehungen

Subjekte und Prädikate können auf verschiedene Weise miteinander kongruieren. Erstens: Finite Verben variieren im Englischen und im Deutschen ihre Form entsprechend der Person und dem Numerus des Subjekts. Das zeigen die folgenden Beispiele: (3) (4)

(a) (b) (a) (b)

He knows her. Er kennt sie. *He know her. *Er kennen sie.

Die Formen knows/kennt erscheinen mit einem Subjekt in der 3. Person Singular, die Formen know/kennen hingegen mit einem Subjekt in anderer Personen- und Numerus-Charakterisierung. In anderen Sprachen, etwa im

147 Russischen, im Polnischen oder in anderen slawischen Sprachen gibt es darüber hinaus zumindest im Präteritum Kongruenz zwischen dem Prädikat und dem Subjekt hinsichtlich des Genus: (5)

(a) (b)

Ivan Ivan Olga Olga

pisal schrieb-3.Ps/Sing/Prät/Mask písala schrieb-3.Ps/Sing/Prät/Fem

knigu. ein Buch knigu. ein Buch

Die preteritale Verbform pisal erscheint mit einem Subjekt, das nicht nur in der 3. Person Singular stehen, sondern auch ein Maskulinum sein muß. Die präteritale Verbform písala fordert ein Subjekt, das nicht nur in der 3. Person Singular stehen, sondern auch ein Femininum sein muß. (Person-, Numerus- und Genus-Merkmale werden auch als ^-Merkmale zusammengefaßt.) Zweitens: Einige Prädikate fordern oder erlauben ein sogenanntes expletives (oder pleonastisches) Subjekt: ein Subjekt ohne semantische Funktion bzw. ohne Θ-Rolle. Das illustrieren folgende Beispiele: (6)

(7)

(al) (a2) (bl) (b2) (al) (a2) (bl) (b2)

daß es den ganzen Tag regnete It rained all day. *daß Stefan den ganzen Tag regnete *Stefan rained all day. daß es leicht war, Maja zu necken It was easy to fool Maja. *daß Stefan leicht war, Maja zu necken *Stefan was easy to fool Maja.

Hier haben wir zwei Prädikate, die ein solches expletives es/it fordern: (den ganzen Tag) regnen/rain (all day) und leicht sein, Maja zu necken/be easy to fool Maja. (Wir werden etwas später zeigen, daß die beiden es/it in (6) und in (7) einen unterschiedlichen Status haben. Das ist aber für die momentane Diskussion noch nicht relevant. Näheres vgl. Abschnitt 3.) Daß es/it ein Ersatzgebilde {dummy) ist, erkennt man daran, daß man seine Referenz nicht erfragen kann, wie das bei normalen Personalpronomina der Fall ist1: (8) (9)

(a) (b) (a) (b)

*Was/wer regnete den ganzen Tag? *What rained all day? *Was/wer war leicht, Maja zu necken? *What was easy to fool Maja?

Weiterhin sind folgende Fälle einschlägig:

1 Für eine weitere Diskussion der Eigenschaften des Dummies it vgl. Postal/Pullum (1988) und Bennis (1986).

148 (10)

(al) (a2) (bl) (b2)

There is a man in the field. Da war ein Mann auf dem Feld, *There is reading a book. *Da ist beim Lesen eines Buches.

Sie zeigen, daß manche, aber nicht alle Prädikate das Dummy there/da zulassen. Daß there/da in diesem Kontext ein Dummy ist, erkennt man daran, daß es nicht in der gleichen Weise von einer hinweisenden, eine Lokalisierung andeutenden Geste begleitet werden kann, wie dies beim folgenden Beispiel möglich ist 2 : (11)

Stefan is there.

Drittens: Einige, aber wiederum nicht alle Prädikate erlauben einen Satz in der Subjektposition: (12)

(al) (a2) (bl) (b2)

Daß Stefan zu spät kam, ärgerte Maja. That Stefan was late annoyed Maja, *Daß Stefan zu spät kam, schlug Maja. *That Stefan was late kicked Maja.3

Ein wichtiger hier anzumerkender Punkt bezüglich der Sätze mit dem Dummy there/da ist, daß das Verb mit der folgenden NP kongruiert, die als sein Subjekt verstanden wird:

2

(1) (2)

(a) (b) (a) (b)

There is/*are a fly in the soup. Da/Es ist/*sind eine Fliege in der Suppe. There are/*is two flies in the soup. Da/Es *ist/sind zwei Fliegen in der Suppe.

Für das Deutsche gilt - wie man sieht - das gleiche für das Dummy es. Das Verhalten dieser Dummies ist ein Hinweis darauf, daß sie keine echten Subjekte sind. Die Subjekte in den obigen Beispielen sind genau die Nominalphrasen, mit denen das Verb kongruiert. 3 Eine Reihe von Syntaktikern, insbesondere Koster (1978) und Stowell (1981, Kapitel 3) haben dafür argumentiert, daß Sätze, die in einer Subjektposition zu stehen scheinen, in Wirklichkeit Sätze in einer Topik-Position sind. Mit anderen Worten, solche Sätze besetzen die gleiche Position wie in dem folgenden Beispiel, nur daß die Subjektposition leer ist: (1)

That Stefan was late nobody would believe.

Evidenz dafür, daß diese Sätze nicht die Subjektposition besetzen, kommt aus der Ungrammatikalität der folgenden Beispiele: (2) (3)

*Did that Stefan was late annoy Maja? *I think that that Stefan was late annoyed Maja.

Hier haben wir Sätze, die nur Subjekte sein können. Man beachte jedoch, daß ähnliche Beispiele mit einem whether-Satz viel besser sind: (4) (5)

Is whether (or not) Ben did it of any importance? I think that whether (or not) Ben did it is of no importance.

149 Viertens: Einige Redewendungen (idioms) fordern spezifische NPs als Subjekte: (13)

(a) (b)

daß nun endlich die Katze aus dem Sack ist The cat is out of the bag.

Das spezifische, vom Prädikat aus dem Sack sein/be out of the bag geforderte Subjekt ist die Katze/the cat. Dies kontrastiert mit dem folgenden Beispiel, in dem wir in der Subjektposition unterschiedliche nicht-expletive und nicht-spezifische, also untereinander austauschbare NPs haben können, die sich mit dem phraseologischen Prädikat auf die Pauke hauen/kick the bucket verbinden: (14)

(a) (b)

daß {Maja/sie/das Mädchen von nebenan} auf die Pauke gehauen hat. {Maja/She/The girl next door} kicked the bucket.

Alle bisherigen Beispiele waren finite Sätze. Wir haben teilweise die gleichen Phänomene in nichtfiniten Sätzen. 4 Auch hier können je nach dem auftretenden Verb expletive it/there-Dummies gefordert und andere Subjekte verboten sein, vgl. (15) und (16). Es können aber auch expletive Subjekte unzulässig sein (17): (15) (16) (17)

(a) (b) (a) (b) (a) (b)

It is possible for it to rain all day. •It is possible for Stefan to rain all day. It is possible for it to be easy to fool Maja. •It is possible for Stefan to be easy to fool Maja. It is possible for there to be a man in the field. *It is possible for there to be reading a book.

Hier liegen dieselben Grammatikalitätsverhältnisse vor wie in den Fällen, in denen die Prädikate in nichteingebetteten finiten Sätze erscheinen, also wie in (6), (7) und (10). Eingebettete infinite Sätze können im gleichen Kontext kein satzförmiges Subjekt haben: (18)

*It is possible for that Stefan was late to annoy Maja.

Es sieht so aus, als könnten zumindest einige Typen von Sätzen in der Subjektposition auftreten. Ein Argument, das gegen Subjektsätze spricht, findet sich in Abschnitt 3. 4 Für das Englische lassen sich - da es insgesamt größere Möglichkeiten hat, infinite Konstruktionen mit einem expliziten Subjekt zu bilden - mehr Beispiele anführen als für das Deutsche. Im Deutschen beschränken sich infinite Sätze mit explizitem Subjekt im wesentlichen auf die sog. Acl-Verben. Dabei gibt es eine merkwürdige Beschränkung: Die nichtfinite Satzeinbettung eines Acl-Verbs darf kein Kopulaverb enthalten (vgl. (3)): (1) (2) (3) (4)

Ich sehe ihn ins Haus kommen. Ich sehe, daß er ins Haus kommt. *Ich sehe ihn im Haus sein. Ich sehe, daß er im Haus ist.

150 Allerdings kann im Englischen, nicht aber im Deutschen, eine Redewendung mit einem spezifischen Subjekt in infiniter Konstruktion erscheinen: (19)

(a) (b)

It is possible for the cat to be out of the bag. *Es ist möglich, die Katze aus dem Sack zu sein.5

Ähnliche Verhältnisse wie in den englischen Beispielen (15) bis (17) haben wir in solchen deutschen Beispielen, in denen die Satzeinbettung finit oder infinit sein kann: (20)

(a) (b) (c) (d)

daß ich es den ganzen Tag regnen sehe *daß ich Ξ ί φ η den ganzen Tag regnen sehe daß ich sehe, daß es den ganzen Tag regnet *daß ich sehe, daß Stefan den ganzen Tag regnet

(20)(a) würde in GB eine Analyse erfahren, in der die Einbettung als ein einziges Komplement von sehen, und zwar in Form eines exzeptionellen Satzes erscheint. In PSG würde es zu sehen mindestens zwei Komplemente geben, nämlich es und (den ganzen Tag) regnen. Wie auch immer die Analyse vorgenommen wird, in jedem Falle verhalten es und (den ganzen Tag) regnen sich zueinander wie Subjekt und Prädikat. In der GB-Analyse gibt es damit keine Probleme. In der PSG-Analyse muß die zusätzliche Verabredung eingeführt werden, daß dieses es, das in einer PSG-Analyse nicht in der GB-typischen Subjekt-Konfiguration auftritt, als funktionelles Subjekt interpretiert werden muß, obwohl es scheinbar den Status eines Komplements hat. Ein anderes Beispiel, dessen Einbettung als satzförmig oder nichtsatzförmig verstanden werden kann, ist folgendes: (21)

(a) (b)

I consider it easy to fool Maja. *I consider Stefan easy to fool Maja.

In GB werden die Einbettungen wie die von (15) bis (17) und von (19)(a) als exzeptionelle Sätze, die von (20)(a) und von (21)(a) als Small Clauses, in PSG hingegen als aus zwei gesonderten Komplementen bestehend

5

Es ist wichtig, daß das englische for in den obigen Konstruktionen keine Präposition ist, die eine NP als Komplement verlangt. Es ist vielmehr eine Präposition, die einen infiniten Satz als Komplement nimmt. Es ist also eine subordinierende Konjunktion. Die gesamte /or-Konstruktion ist ihrerseits ein Komplement zum Verb des Matrixsatzes, so daß for als ein Komplementierer gelten kann. Im Deutschen gibt es ebenfalls subordinierende Konjunktionen, die nicht-finite Sätze als Komplement nehmen wie um ... zu, ohne ... zu, anstatt ... zu, es ist jedoch fraglich, ob solche mit diesen Konjunktionen eingeleiteten nicht-finiten Sätze Komplemente sind, ob also diese Konjunktionen Komplementierer sind (für die Annahme, daß auch einige solcher Infinitive den Status von Komplementen haben können, plädiert Eisenberg (1992)).

151 behandelt. Wiederum ist deutlich, daß die Einbettungen Subjekte und Prädikate haben müssen, und wiederum können wir die entsprechenden NPs als funktionelle Subjekte interpretieren, wenn wir mit PSG annehmen, daß die Einbettungen nicht den Status von Sätzen haben.

6.3

Subjekte und Prädikate in der Transformationsgrammatik

Wir können nun die GB-Auffassungen über Subjekte und Prädikate etwas näher betrachten. Dabei sind zwei Punkte hervorzuheben. Erstens: In GB wird im Anschluß an Rothstein (1983) generell angenommen, daß Prädikate Subjekte fordern. Man kann dies wie in (22) formulieren: (22)

Subjektforderung Ein Prädikat muß ein Subjekt haben.6

Diese Forderung wird häufig mit dem Projektionsprinzip in Verbindung gebracht, um daraus das Erweiterte Projektions-Prinzip abzuleiten. 7 Eine Konsequenz davon soll zunächst am folgenden polnischen Beispiel erörtert werden (das Polnische gehört wie andere slawische und einige romanische

6

In früheren Arbeiten zur Rektions- und Bindungstheorie, z.B. in Chomsky (1981, 1982) wurde angenommen, daß nicht Prädikate, sondern Sätze eine Subjekt fordern. Rothstein (1983) argumentiert dafür, daß vielmehr Prädikate Subjekte fordern, und dieser Standpunkt ist in Chomsky (1986) akzeptiert worden. 7 Das Projektionsprinzip in seiner einfachsten Form besagt, daß die internen Argumentpositionen, die eine lexikalische Einheit fordert (subkategorisiert), auf alle syntaktischen Repräsentationsebenen projiziert werden müssen. Wenn also ein Verb wie geben zwei Objekte fordert, so müssen diese zwei Objekte in den Repräsentationen der Tiefenstruktur, der Oberflächenstruktur und der Logischen Form auftreten oder zumindest wieder auffindbar sein. Die klassische Formulierung findet sich in Chomsky (1981:29). Das Erweiterte Projektions-Prinzip dehnt die Forderung der Projektion von Argumentpositionen auf die externe Argumentposition aus unter der Voraussetzung, daß alle diese Argumentpositionen zugleich auch Positionen sind, denen eine Θ-Rolle zugewiesen wird. Wenn also ein Verb wie geben zwei Objekte und ein Subjekt fordert und θ-markiert, dann muß außer den beiden Objekten auch das Subjekt in den Repräsentationen der Tiefenstruktur, der Oberflächenstruktur und der Logischen Form auftreten oder auffindbar sein. Die entsprechende kanonische Formulierung steht in Chomsky (1981:38) bzw. in Chomsky (1982:10).

152 zu denjenigen Sprachen, die kein offenes pronominales Subjekt haben müssen): (23)

(a)

(b)

Ja widzialem Ich seh-1. Pers/Sing/Prät/Mask 'Ich sah Stefan' Widzialem Seh-1. Pers/Sing/Prät/Mask 'Ich sah Stefan'

Stefana. Stefan-Akk Stefana. Stefan-Akk

Beide polnischen Sätze haben die gleiche Bedeutung: Falls (23)(a) wahr (oder falsch) ist, muß auch (23)(b) wahr (oder falsch) sein. Es kann nicht der eine wahr und der andere zugleich falsch sein. Das gilt unter den Voraussetzungen, daß der Sprecher beider Sätze die gleiche Person ist und daß mit dem Namen Stefan in beiden Fällen auf die gleiche - vom Sprecher vermutlich verschiedene - Person Bezug genommen wird. Der Unterschied zwischen den Sätzen liegt in der Emphase. Ein Sprecher, der den Satz (23)(a) benutzt, will hervorheben, daß er und niemand anderes Stefan gesehen hat. Unter der Voraussetzung von (22) muß das (b)-Beispiel in (23) ebenso ein Subjekt haben wie das (a)-Beispiel. Im Rahmen der GB-Analyse wird genau dies angenommen: (23)(b) hat ein Subjekt, allerdings ein etwas eigenartiges, nämlich ein Pronomen ohne phonetische Substanz. Es wird mit pro wiedergegeben.8 (23)(b) hat dann folgende Struktur: (24)

[ s [Np pro] [yp [ v widzialem] [NP Stefana]]]

Anstelle von pro können wir auch e für die Subjekts-NP schreiben, um anzudeuten, daß sie phonetisch leer (empty) ist. Sprachen, die Strukturen wie (24) aufweisen, werden oft als Null-Subjekt- oder pro-drop-Sprachen bezeichnet.9 Das gegenwärtige Deutsch kennt solche Strukturen nicht. Allerdings gibt es im Deutschen eine Konstruktion, die von einigen Linguisten mit dem Pro-drop-Phänomen in Verbindung gebracht wird. Es handelt sich um die sogenannten subjektlosen Passivsätze: (25)

daß gestern im Klub getanzt wurde.

Es ist keineswegs klar, ob hier ein leeres Subjekt mit />ro-Eigenschaften vorliegt (dieser Standpunkt wird in Grewendorf (1988:146) vertreten), ob hier überhaupt kein Subjekt vorhanden ist (dafür plädiert Fanselow (1991: 8

Dieses pro wird von PRO unterschieden. Während pro ein leeres Subjektpronomen in finiten Sätzen ist, ist PRO ein leeres Subjekpronomen in infiniten Sätzen. (Die beiden Versionen leerer Subjekte unterscheiden sich jedoch nicht nur in ihrer Distribution darauf kann hier nicht näher eingegangen werden.) 9 Null-Subjekt-Sprachen (Pro-Drop-Sprachen) haben im allgemeinen eine reiche Verbmorphologie, die so verstanden werden kann, daß sie das Subjekt überflüssig macht. Für die Diskussion solcher Sprachen vgl. Jaeggli/Safir (1989).

153 79ff)), ob hier ein leeres, aber von pro verschiedenes Subjekt vorkommt (diese Auffassung wird in Suchsland (1989:280, Anm. 8) angedeutet) oder ob hier die Nullvariante eines Expletivums vorliegt (diese Annahme macht Chomsky (Chomsky 1955:288ff)). Die Prädikate solcher Konstruktionen haben sehr eingeschränkte morphosyntaktische Eigenschaften: Sie können zwar im Tempus und im Modus variieren, jedoch nicht in Person und Numerus - sie sind auf die dritte Person und auf den Singular festgelegt: (26)

(a) (b) (c) (d) (e) (f)

daß im Klub getanzt wird. daß im Klub getanzt werde. daß im Klub getanzt wurde. daß im Klub getanzt würde. *daß im Klub getanzt werdest. *daß im Klub getanzt werden.

Das nichtvorhandene oder leere Subjekt dieser Konstruktion unterscheidet sich von pro durch seine eingeschränkten Interpretationsmöglichkeiten: Es kann sich nur um das Äquivalent eines unbestimmten Pronomens der 3. Person Singular handeln. Das Deutsche hat ein solches Pronomen. Es kann nur in der Subjektposition der den Beispielen in (26) entsprechenden Aktivsätze erscheinen. Es ist das Indefmit-Pronomen man. Die Grammatikalitätsverteilung ist die gleiche wie in (26): (27)

(a) (b) (c) (d) (e) (£)

daß man im Klub tanzt. daß man im Klub tanze. daß man im Klub tanzte. (Indikativ) daß man im Klub tanzte. (Konjunktiv) *daß man im Klub tanzest. *daß man im Klub tanzen.

Es spricht also einiges dafür, das nicht offen vorhandene Subjekt in solchen Passivkonstruktionen des Deutschen vom pro-Subjekt in anderen Sprachen zu unterscheiden oder es als einen eingeschränkten Spezialfall von pro zu behandeln. Letzteres würde bedeuten, daß es im Deutschen nur den Spezialfall, nicht aber den Normalfall von pro gäbe. Es ist aber auch denkbar, die Annahme von Fanselow (1991:82) zu verfolgen und dafür zu plädieren, daß in Konstruktionen wie (26)(a)-(d) überhaupt kein Subjekt vorliegt und daß dann der Defaultfall für die Prädikatsmorphologie, eben die 3. Person Singular, eintritt. Dieser Fall ist auch dann gegeben, wenn das Subjekt in Satzform auftritt: (28)

Daß Stefan zu spät kam, ärgerte Maja.

Die Koordination von Subjektsätzen bewirkt keine Pluralbildung am Prädikatsverb - im Gegensatz zur Koordination von Subjekt-NPs: (29)

(a) (b)

Stefan und Ben ärgerten Maja, *Stefan und Ben ärgerte Maja.

154 (30)

(a) (b)

Daß Stefan zu spät kam und daß Ben überhaupt nicht erschien, ärgerte Maja. *Daß Stefan zu spät kam und daß Ben überhaupt nicht erschien, ärgerten Maja.

Daten wie die in (30) haben zu der Auffassung geführt, vgl. u. a. Fanselow (1991:116ff), daß es möglicherweise keine Subjektsätze gibt oder daß sie sich nicht in einer Position befinden, von der aus sie mit dem Prädikatsverb kongruieren müßten. Allerdings gibt es Fälle, wo man annehmen muß, daß Nebensätze sich in der Position des Subjekts befinden können, vgl. die Diskussion der Beispiele (32) und (33) und Anm. 3. Damit wäre auch der Defaultwert bezüglich Person und Numerus beim Prädikatsverb erklärbar. Wenn es im Deutschen Sätze gibt, die kein Subjekt haben, kann man die Forderung (22) bzw. das Erweiterte Projektions-Prinzip nicht aufrecht erhalten. Man muß dieses Prinzip abschwächen und sagen, daß Sätze möglicherweise ein Subjekt haben, vgl. Fanselow (1991:82). Zweitens: Ein weiterer wichtiger Punkt bezieht sich auf die Möglichkeiten von Dummy-Subjekten und betrifft den Begriff der Θ-Rolle. In der GB-Theorie wird angenommen, daß lexikalische Köpfe jedem ihrer Komplemente eine Θ-Rolle zuweisen, nicht unbedingt aber auch ihrem Subjekt. Wenn ein lexikalischer Kopf seinem Subjekt eine Θ-Rolle zuweist, so sagt man, daß das Subjekt eine externe Θ-Rolle hat. Wenn der lexikalische Kopf seinem Subjekt keine Θ-Rolle zuweist, so sagt man, daß das Subjekt keine externe Θ-Rolle hat. Wenn nun ein lexikalischer Kopf seinem Subjekt keine externe Θ-Rolle zuweist, erscheint ein Quasi-Subjekt. Auf diese Weise können wir das Auftreten von es bei den Prädikaten regnen, schneien oder geben erklären: (31)

(a) (b)

Es regnet und es schneit. Es gab in der DDR selten Bananen.

Im vorigen Abschnitt haben wir das es fit als Quasi-Subjekt und das es/it bzw. da/there als Platzhalter nicht auseinandergehalten (vgl. die Beispiele unter (6) und (7) sowie die an dieser Stelle geführte Diskussion). Betrachtet man unter den jetzt eingeführten θ-theoretischen Überlegungen Beispiele wie (7) und (10), so stellt man fest, daß sie neben dem es/it oder da/there durchaus ein Subjekt aufweisen, das auch eine Θ-Rolle hat (in (7): Maja zu necken, in (10): a man/ein Mann) . Allerdings steht das Subjekt nicht an seiner ursprünglichen Stelle, es ist umgestellt worden.10 An seiner Stelle steht das es/it bzw. da/there, und dies ist die eigentliche Verwendung dieser Elemente als Platzhalter des Subjekts. Wenn das

10

Innerhalb der GB-Theorie werden Subjekte von normalen Sätzen als Spezifizierer von I (oder INFL oder INFLECTION) analysiert.

155 Subjekt ein extraponierter Satz ist, muß dieser Platzhalter auch im Nebensatz erscheinen: (32)

Ben weiß, daß es leicht ist, Maja zu necken.

Dieses es darf nicht erscheinen, wenn sich der Subjektsatz an seiner ursprünglichen Stelle oder auch in präfiniter Position befindet: (33)

(a) (b) (c) (d)

Ben weiß, daß Maja zu necken leicht ist. Maja zu necken ist leicht. *Ben weiß, daß Maja zu necken es leicht ist. *Maja zu necken ist es leicht.

Der Platzhalter bleibt jedoch erhalten, wenn vor dem finiten Verb eine andere Konstituente steht: (34)

Nicht immer ist es leicht, Maja zu necken.

An diesem Beispiel sieht man, daß es hier wirklich ein Korrelat zum Subjekt ist und nicht ein Element, das nur die Struktur des Verb-ZweitSatzes sichert. Eine weitere Version von es hat genau diese Funktion: die Sicherung der Verb-Zweit-Struktur: (35)

Es schenkte einst ein alter König seiner jungen Frau ein prächtiges Schloß.

Wird die Position vor dem finiten Verb anderweitig besetzt, so muß dieses es wieder verschwinden: (36)

Einst schenkte ein alter König seiner jungen Frau ein prächtiges Schloß.

Darin unterscheidet sich das es in (35) von dem Personalpronomen es in (38), im allgemeinen auch vom Quasi-Subjekt es in (39) und vom Subjekt-Platzhalter-es in (42): In diesem Falle ist es kein Subjekt. Es handelt sich hier vielmehr um ein Positions-Platzhalter-ey. Ein solches Positions-Platzhalter-ej ist auch das es in subjektlosen Passiv-Verb-ZweitSätzen wie (37): (37)

Es wurde ihm geholfen.

Das Element da/there kann offensichtlich nicht an die Stelle des QuasiSubjekts es/it treten, vgl. (39) und (40). Es kann auch nicht ein SubjektPlatzhalter-es/zY ersetzen, wenn dies das Korrelat zu einem verschobenen Subjektsatz ist, vgl. (42). Es kann jedoch das Subjekt-Platzhalter-ej/;? ersetzen, wenn dies das Korrelat zu einer verschobenen Subjekt-NP ist, vgl. (43). Schließlich kann es auch als (nicht obligatorisches) Korrelat zu einem verschobenen eingebetteten Objekt-Satz auftreten, vgl. (44). (Das da bekommt allerdings leicht eine temporale oder lokale Interpretation.) Die folgenden Beispiele illustrieren diese Verwendungsweisen:

156 (38)

(39)

(40)

(41)

(42)

(43)

(44)

(a) (b) (c) (d) (a) (b) (c) (d) (e) (a) (b) (c) (a) (b) (c) (d) (e) (a) (b) (c) (a) (b) (c) (a) (b) (c)

Es ist nicht im Garten. Im Garten ist es nicht. •Im Garten ist nicht. •Da ist nicht im Garten. Es gibt heute Bananen im Angebot. Im Angebot gibt es heute Bananen. •Im Angebot gibt heute Bananen. •Da gibt heute Bananen im Angebot. Da gibt es heute Bananen im Angebot. Es scheint mir, daß Hans krank ist. Mir scheint (es), daß Hans krank ist. ?Da scheint mir, daß Hans krank ist. Es wurde gestern im Klub getanzt. Da wurde gestern im Klub getanzt. Gestern wurde im Klub getanzt. •Gestern wurde es im Klub getanzt. Gestern wurde da im Klub getanzt. Es ist leicht, Maja zu necken. Maja zu necken ist leicht. •Da ist leicht, Maja zu necken. Es kamen drei Männer aus L.A. Drei Männer kamen aus L.A. Da kamen drei Männer aus L.A. Stefan weiß, daß Maja durch die Prüfung gefallen ist. Stefan weiß es, daß Maja durch die Prüfung gefallen ist. •Stefan weiß da, daß Maja durch die Prüfung gefallen ist.

Das Verb scheinen

hat einige Besonderheiten, vgl Olsen ( 1 9 8 1 ) , darunter

die Eigenschaft, daß das bei ihm vorkommende es sich wie ein PositionsPlatzhalter verhält, also beliebig wieder verschwinden kann, vgl. ( 4 0 ) ( b ) . Der Satz ( 4 0 ) ( c ) kann grammatisch sein, wenn es ein Personalpronomen ist: . . . das Ballett...

Gestern

wurde es im Klub

getanzt.11

11 Ein weiterer Punkt, der hier angemerkt werden soll: In GB wird angenommen, es gebe Sätze, die ein Nicht-Dummy-Subjekt haben, obwohl ihrer Subjektposition keine ΘRolle zugewiesen wird. Dies betrifft die Problematik von Passiv- und von Hebungssätzen und wird hier nicht weiter behandelt.

157

6.4

Subjekte und Prädikate in der Phrasen-StrukturGrammatik

Wir können nun sehen, wie Subjekte und Prädikate in der PSG behandelt werden. Dabei lassen sich zwei Wege beobachten. Der erste, in Pollard/Sag (1988) entwickelt, behandelt Subjekte als die Realisierung einer weiteren Kategorie in der SUBCAT-Liste. SUBCATListen sind in PSG Bestandteile von komplexen Kategorien für lexikalische Elemente. Wenn ein Verb beispielweise zwei Komplemente fordert, erscheinen diese in der Kategoriendarstellung - stark vereinfacht folgendermaßen (wobei die SUBCAT-Liste aus den Kategorien besteht, die sich in den spitzen Klammern befinden): (45)

gibt V[SUBCAT < N P , N P > ]

Wird das Subjekt in die SUBCAT-Liste aufgenommen, so erhält ein Verb wie liebt, das ein NP-Komplement und ein Subjekt in der 3.Person Singular nimmt, eine Kategorisierung wie in (46): (46)

liebt V[SUBCAT < N P , NP[+3.SG]>]

Entsprechend hätte das Verb gibt, das zwei NP-Komplemente sowie ein NP-Subjekt in der 3. Person Singular nimmt, die Kategorisierung wie in (47): (47)

gibt V[SUBCAT ]

Wenn wir solche Kategorien voraussetzen, brauchen wir eine KopfKomplement-Regel, die ausschließt, daß ein Kopf sich mit allen Kategorien seiner SUBCAT-Liste verbindet: Die letzte Kategorie der SUBCATListe, das Subjekt, ist von der Verbindung mit dem Kopf ausgenommen. Diese letzte Kategorie erscheint als die SUBCAT-Liste des Mutterknotens. Der Mutterknoten für die Kategorie in (47) ist eine VP mit etwa folgender Kategorisierung: (48)

einem Kind einen Apfel gibt VP[SUBCAT < N P [ + 3 . S G ] > ]

Für die Verbindung von Subjekt und Prädikat wird dann eine Regel benötigt, die eine VP-Kategorie, die ein einziges Element, das Subjekt, in ihrer SUBCAT-Liste fordert, mit einem entsprechenden Element des Kontextes verbindet. Einen anderen Zugang zu Subjekten hat GPSG entwickelt. Dieser Zugang benutzt in der Darstellung der Kategorien von Verben ein

158 kategorienbewertetes Merkmal, um anzuzeigen, welche Art von Subjekt ein Element fordert. In Gazdar et al. (1985) wird dieses Merkmal AGR genannt. In Hukari (1989) wird es SUBJ genannt. SUBJ soll hier im weiteren benutzt werden. Wenn wir dieses Merkmal annehmen, erhalten wir statt (46) und (47) (49) und (50): (49)

liebt

Γ I I IL (50)

V SUBCAT, < N P > SUBJ, NP [+3.SG]

j

gibt

r

V

ι

I SUBCAT, I SUBJ, NP I [ + 3.SG] L

Um das SUBJ-Merkmal ausnutzen zu können, müssen wir sicherstellen, daß das Prädikat denselben Wert für das Merkmal hat wie sein Kopf. Das kann man mit folgender Formulierung der Kopf-Komplement-Regel bewerkstelligen: (51)

Kopf-Komplement-Regel (format) XfSUBCAT, < > ; SUBJ, Y] — > X[SUBCAT, < . . . > ; SUBJ, Y], C*

Ύ ' steht hier für eine beliebige Kategorie (in (49)/(50) ist Y = NP[+3.SG]). (51) läßt sich wie folgt paraphrasieren: (51')

Kopf-Komplement-Regel (verbat) Eine Kategorie, die keine Komplemente, aber ein Subjekt einer bestimmten Art erfordert, kann eine verwandte Kategorie und einer beliebige Anzahl von Komplementen (C*) unmittelbar dominieren. Die dominierte verwandte Kategorie kann ihrerseits Komplemente fordern und verlangt die gleiche Art von Subjekt wie die dominierende verwandte Kategorie. (Daher erscheint das SUBJMerkmal auch auf der rechten Seite von (51).)

Die Kategorie, die keine Komplemente, aber ein bestimmtes Subjekt fordert, ist X[SUBCAT, < > ; SUBJ, Y], < > zeigt an, daß keine Komplemente gefordert werden. Y ist eine Variable für die Kategorie, die das Merkmal SUBJ als Wert annehmen kann. Das X links und rechts des Pfeiles der Regel bezeichnet die Verwandtschaft der dominierenden und der (einen) dominierten Kategorie. Die dominierten Kategorien sind einerseits X[SUBCAT, < . . . > , SUBJ, Y] und andererseits C*, eine beliebige Anzahl von Komplementen. < . . . > heißt, daß die dominierte

159 verwandte Kategorie beliebige Komplemente nehmen kann. [SUBJ, Y] auf beiden Seiten der Regel (51) besagt, daß die dominierte verwandte Kategorie die gleiche Art von Subjekt nimmt wie die dominierende verwandte Kategorie. Legt man (51) zugrunde, so erhält man folgenden Baum: (52)

V/S [SUBCAT, < > ]

NP [ + 3.SG]

Stefan

Γ V/VΡ I SUBCAT, < > I SUBJ, NP I [+3.SG] L

liebt

-, I I I J

Maja

Der untere Teil des Baumes ist durch die angeführte Kopf-KomplementRegel lizenziert, die mit dem Subkategorisierungs-Prinzip interagiert. Der obere Teil des Baumes ist durch die Subjekt-Prädikat-Regel, die Subjektforderung (22), lizenziert. In dieser Analyse werden VP und S als ähnliche Kategorien behandelt. Sie sind identisch bis auf einen einzigen Unterschied: S fehlt das Subjekt-Merkmal. Wir können nun zu den Daten zurückkehren, die wir in den ersten Abschnitten erwähnt haben. Um diese Daten erklären zu können, brauchen wir die richtigen Kategorien. Die Beispiele müssen daher neu analysiert werden. Zunächst seien die Beispiele in (4) aufgegriffen: (4)

(a) (b)

Er kennt sie. *Er kennen sie.

Die Kategorie, die wir für kennt in (4)(a) benötigen, ist die gleiche Kategorie, die wir in (49) für liebt formuliert haben. (4)(a) selbst hat die gleiche Struktur wie (52). (4)(b) können wir nun ausschließen, wenn wir dem Verb kennen die folgende Kategorie zuschreiben:

160 (53) kennen/know r I I I

L

V SUBCAT, SUBJ, NP [-3.SG]

-, I I I J

Das ist für das Deutsche jedoch nicht ausreichend. Im Englischen gibt es im Präsens nur zwei voneinander unterscheidbare Verbformen: knows für die 3. Person Singular, know für alle anderen Personen im Singular und im Plural. Das deutsche Konjugationssystem ist morphologisch komplexer, so daß wir mit der Distinktion [+3.SG] und [-3.SG] nicht auskommen: (54)

(a) (b)

kenne, kennst, kennt, kennen, kennt, kennen fahre, fahrst, fahrt, fahren, fahrt, fahren

Würde man nur (54)(a) berücksichtigen, so könnte man auf die Idee kommen, daß im Singular alle drei Personen voneinander unterschieden sind, die 3.Sg aber mit der 2.PI und die 1.P1 mit der 3.PI identisch ist. Bedenkt man (54)(b), so muß man von der Annahme abrücken, daß die 3.Sg mit der 2.PI identisch ist. Wir können daher nur an der Identität von 1. und 3.PI festhalten. (Die Angelegenheit würde noch komplexer, wenn wir erstens die Formen des Konjunktivs Präsens und zweitens die Formen des Indikativs und des Konjunktivs Präteritum einbeziehen wollten.) Daraus ergeben sich einige Konsequenzen für die Merkmalscharakterisierung von NPs im Deutschen. Das Personen- und das Numerus-Merkmal müssen getrennt repräsentiert werden. Das Personen-Merkmal können wir mit PERS angeben, seine Werte sind 1, 2 oder 3. Das Numerusmerkmal können wir mit SING(ULAR) oder mit PLUR(AL) kennzeichnen, die Werte sind + oder -. Im weiteren wird [-PLUR] für Singular und [+PLUR] für Plural gewählt. Wenn wir nun die finite Form kennen so repräsentieren wollen, daß sie sowohl die 1. als auch die 3. PI darstellen kann, müssen wir (53) folgendermaßen abwandeln: (55) r I I I I

L

kennen V SUBCAT, SUBJ, r NP I PERS, {1,3} I PLUR, + L

-, I I J

-, I I I I J

Die Klammer um die Werte 1 u. 3 zeigt an, daß sie alternativ sind, d.h., die Kategorisierung für die Verbform kennt muß geändert werden:

161 (56)

kennt

I

SUBCAT, < N P > SUBJ, Γ NP I PERS, 3 I PLUR, L

I

Die Verbform kennt muß noch eine weitere Kategorisierung erhalten: (57)

kennt

Γ

V

I SUBCAT, < N P > I SUBJ, NP r I I PERS, 2 I I PLUR, + L L

I -, I I J

Man kann nun wegen der tatsächlichen phonetischen Identität der beiden Verbformen die Kategorisierungen von (55) und (56) miteinander zu einer einzigen verbinden: (58)

kennt

SUBCAT, < N P > SUBJ, r NP I PERS, 3 I PLUR, -

L r NP I PERS, 2 I PLUR, + L

Hier deutet die geschweifte Klammer die Alternative an, daß die Verbform entweder die eine oder die andere Person-Numerus-Charakterisierung hat. Wir können uns nun den Beispielen in (6) und in (10) zuwenden: (6) (10)

(a) (b) (a) (b)

daß es den ganzen Tag regnete. *da8 Stefan den ganzen Tag regnete There is a man in the field, "There is reading a book.

Im Rahmen von PSG werden die im vorigen Abschnitt besprochenen Unterschiede zwischen den Verwendungsweisen der Expletiva nicht gemacht. Sie werden generell als Dummies für Subjekte behandelt und

162 von normalen NPs durch ein Merkmal NFORM unterschieden, das als Werte NORM, THERE/DA und IT/ES hat. Gewöhnliche NPs sind [NFORM, NORM], Das Dummy-es/fr ist dann [NFORM, ES/IT], das Dummy -da/there entsprechend [NFORM, DA/THERE], Unter Nutzung dieses Merkmals wird dem Verb regnete die Kategorie (59) zugeschrieben: (59)

regnete v

Γ

I SUBCAT, < > I SUBJ, NP I [NFORM, ES] L

η I I I J

Entsprechend wird dem Verb be in einer seiner Varianten die Kategorie (60) zugewiesen: (60)

be

r

ν

I SUBCAT, < P P , N P > I SUBJ, NP I [NFORM, THERE] L

-, | I | J

Man sieht, daß unter diesen Voraussetzungen in einem Satz wie (61)

There were three unicorns in the garden.

die NP three unicorns nicht mehr als Subjekt, sondern als Komplement zu verstehen ist. Mit Kategorisierungen wie in (59) und (60) werden die Beispiele in (6)(a) und (10)(a) als grammatisch zugelassen, die in (6)(b) und (10)(b) als ungrammatisch ausgeschlossen. (Selbstverständlich kann das Verb be/sein andere Subjekte nehmen, entweder muß dann die Kategorisierung mit alternativen Werten für NFORM der Subjekts-NP versehen werden, oder es muß für be/sein mehrere Kategorisierungen geben.) Betrachten wir die Beispiele unter (12): (12)

(a) (b)

Daß Stefan zu spät kam, ärgerte Maja, *Daß Stefan zu spät kam, schlug Maja.

Hier darf nur dem Verb ärgerte, nicht aber dem Verb schlug die Kategorie (62) zugeschrieben werden: (62)

ärgerte Γ V I SUBCAT, < N P > I SUBJ, {NP,S} L

-, I I J

163 Damit wird ausgedrückt, daß nur ärgerte, nicht aber schlug alternativ zu einer NP auch einen Satz als Subjekt erlaubt. Unter der Voraussetzung, daß wir eine geeignete Analyse für die Infinitivpartikel to/zu haben, läßt sich diese Lösung auf die Fälle (15) bis (17) ausdehnen: (15)

(a)

(b) (16)

(a)

(17)

(a)

(b) (b)

It is possible for it to rain all day. •It is possible for Stefan to rain all day. It is possible for it to be easy to fool Maja. •It is possible for Stefan to be easy to fool Maja. It is possible for there to be a man in the field. •It is possible for there to be reading a book.

Eine andere Lösung müssen wir für Beispiele wie in (20) suchen. (20)

(a) (b) (c) (d)

weil ich es den ganzen Tag regnen sehe *weil ich Stefan den ganzen Tag regnen sehe weil ich sehe, daß es den ganzen Tag regnet *weil ich sehe, daß Stefan den ganzen Tag regnet

Verben wie sehen/see sind Acl-Verben. Im Englischen gehören diese Verben in eine größere Gruppe von sog. ECM-(Exceptional Case Marking-)Verben, die durch Verben wie expect oder consider repräsentiert wird. Im Deutschen beschränken sich die ECM-Verben im wesentlichen auf die Gruppe der Acl-Verben. Die deutschen Entsprechungen zu den anderen ECM-Verben des Englischen erlauben die Einbettung infiniter Sätze nicht. Deutsche wie englische Acl-Verben unterscheiden sich von anderen Verben mit infiniten Einbettungen dadurch, daß sie keine Infinitivpartikel zu/to in der Einbettung gestatten (diese Eigenschaft haben sie mit den Modalverben gemeinsam). Innerhalb von PSG haben Verben wie in (20)(a) kein satzförmiges Komplement. Wir brauchen zur Behandlung dieser Beispiele daher wieder angemessene Kategorien für die einbettenden Verben. Für das englische expect können wir folgende Kategorie annehmen: (63)

expect

r I I I I

V SUBCAT,
I [NFORM, a] I |

L

J

r

SUBJ, NP J

Die Kategorie besagt, daß erstens expect ein VP- und ein NP-Komplement in der SUBCAT-Liste hat, daß zweitens als Subjekt des VP-

164 Komplements das NP-Komplement fungiert (beide haben das Merkmal NFORM mit dem Wert a) und daß es drittens ein eigenes Subjekt hat. Für das deutsche Verb sehen würden wir folgendes schreiben können: (64)

sehen

V r VP I +INF; I SUBJ, NP I [NFORM, α]

SUBCAT,
I [NFORM, α] I j

ι

J

SUBJ, NP

Wenn man berücksichten will, daß der Infinitiv bei sehen ohne zu, bei expect aber mit to stehen muß, kann man ein zusätzliches Merkmal für die VP einführen, genau genommen ein Merkmal, das sich auf [+INF] bezieht. Das würde die Modifikationen (65) für expect und (66) für sehen ergeben: (65)

expect

SUBCAT,
I [NFORM, α] I I |

L

J

SUBJ, NP L

(66)

sehen

r

SUBCAT,
I [NFORM,α] I I | J

SUBJ, NP L

J

In (63) bis (66) ist 'VP' eine Abkürzung für V[SUBCAT, < >], oder, um präziser zu sein, für V[-LEX; SUBCAT, < >]. [-LEX] besagt, daß es sich bei der so gekennzeichneten Kategorie nicht um eine lexikalische

165 Kategorie handelt, sondern um eine Kategorie, die eine Projektion davon ist. Die wesentliche Eigenschaft dieser Kategorie besteht darin, daß das NFORM-Merkmal innerhalb des Wertes für das SUBJ-Merkmal in der ersten (zweiten) Kategorie der SUBCAT-Liste mit dem NFORM-Merkmal innerhalb der zweiten (ersten) Kategorie der SUBCAT-Liste identisch ist. Das Subkategorisierungs-Prinzip sorgt dann dafür, daß diese Kategorien mit den Schwestern von expect bzw. von sehen identisch sind. Dieses Prinzip läßt sich wie folgt bestimmten: (67)

Subkategorisierungs-Prinzip Wenn ein lexikalischer Kopf und sein Mutterknoten unterschiedliche Werte für SUBCAT haben, dann müssen die Kategorien, die in der SUBCAT-Liste des Kopfes, aber nicht in der SUBCAT-Liste des Mutterknotens stehen, mit den Schwestern des Kopfes identisch sein.

Das bedeutet, daß die Variablen, ζ. Β. α in (65) und (66), durch normale Werte oder Konstante ersetzt, oder, um eine technischere Redeweise zu gebrauchen, instantiiert werden. Um den Daten gerecht zu werden, müssen wir sichern, daß die Variablen stets in der gleichen Weise eingesetzt werden (wie in einer mathematischen Gleichung). Das kann mit folgender Stipulation erreicht werden: (68)

instantiierungs-Bedingung Wenn eine Kategone X eine Kategorie Y einschließen soll, müssen alle Vorkommen ein und derselben Variable in X in der gleichen Weise in Y instantiiert werden.

Eine Kategorie im Lexikon muß die entsprechende Kategorie in einem Baum einschließen. Wenn (68) gegeben ist, kann (63) bzw. (65) nur dann die entsprechende Kategorie im Baum einschließen, wenn die beiden NFORM-Merkmale den gleichen Wert haben. Damit wird gesichert, daß expect ein NP-Komplement von der Art nimmt, die als Subjekt von seinem VP-Komplement gefordert wird. Für consider kann man folgende Kategorisierung vorschlagen: (69)

consider

Γ SUBCAT,
I [NFORM, a ] |

L

J

r

j

Diese Kategorisierung ist der in (63) sehr ähnlich. Die beiden NFORMMerkmale haben die gleiche Variable α als Werte. Im Zusammenspiel mit dem Subkategorisierungs-Prinzip und mit der Instantiierungs-Bedingung

166 wird gewährleistet, daß consider ein NP-Komplement von der Art nimmt, die von seinem AP-Komplement als Subjekt gefordert wird. So läßt sich die Subjekt-Prädikat-Relation in den folgenden Fällen erklären, ohne daß man wie in GB annehmen müßte, es lägen Satzeinbettungen vor: (70) (71)

(a) (b) (a) (b)

I expect it to rain all day. *I expect Stefan to rain all day. I consider it easy to fool Maja. *I consider Stefan easy to fool Maja.

Wenn die Komplement-AP von consider als Kopf easy hat, der als Subjekt eine NP mit [NFORM, IT] fordert, dann kann das NP-Komplement von consider nur eine NP mit [NFORM, IT] sein. Anderenfalls kann die AP des Baumes nicht in die AP des Lexikoneintrages von consider eingeschlossen sein. Wir wollen nun ein deutsches Beispiel heranziehen: (72)

daß Maja Stefan als einen Helden/als leichtsinnig betrachtet

Wir könnten annehmen, daß die a/s-Phrasen Präpositionalphrasen sind. Dabei ist die Präposition als aus zwei Gründen eine Präposition besonderer Art. Erstens: Sie weist keinen bestimmten Kasus an eine NP zu. Sie dient eher als Transportmittel für einen Kasus, der schon an eine andere NP zugewiesen worden ist und nun als Kongruenzkasus auf diejenige NP übertragen wird, die das Komplement von als ist. Zweitens: Die Präposition als kann APs als Komplemente nehmen. Die Kategorisierung von betrachten sieht dann so aus: (73)

betrachten

r SBCT < r

Ρ PFORM, ALS SUBJ< r NP I SUBJ, NP I [NFRM α]

NP [NFRM α]

L Γ AP

I SUBJ, NP I [NFORM α] L

Das Verb betrachten fordert nicht nur eine NP und eine PP als Komplemente, sondern es legt zugleich auch den Wert der Form der Präposition mit als fest. Auf diese Weise ist die Forderung ausgedrückt, daß das funktionale "Subjekt" der "Präpositionalphrase" (das NP-Komplement von betrachten) mit dem Subjekt des NP- oder mit dem Subjekt des AP-

167 Komplements von als identisch sein muß. Genau genommen ist nicht die PP das subjektheischende Prädikat, sondern die in ihr enthaltene NP oder AP, und die "Präposition" als könnte auch als eine nichtverbale Kopula verstanden werden.

6.5

Zusammenfassung

In diesem Kapitel haben wir das Verhältnis von Subjekten und Prädikaten untersucht. Zunächst haben wir in 6.2 die verschiedenen Möglichkeiten der Kongruenz zwischen Subjekten und Prädikate betrachtet. Anschließend haben wir in 6.3 GB-Überlegungen zu Subjekten vorgestellt. Schließlich haben wir in 6.4 erörtert, wie Subjekt-Prädikat-Strukturen im Rahmen von PSG behandelt werden können.

Übungen

Übung 1 Bestimmen Sie die Subjekte in den folgenden Sätzen, indem Sie sich, soweit es angemessen ist, auf verwandte Sätze beziehen! Beachten Sie, daß ein komplexer Satz mehr als ein Subjekt haben kann! (1) (2) (3) (4) (5)

daß aller Wahrscheinlichkeit nach nichts dabei herauskommt Warum hast du gesagt, daß da ein Problem ist? Ob es notwendig ist, etwas zu tun, ist keineswegs klar Unter keinen Umständen sollte es zugelassen werden, daß du hier wärest. Daß scharfe Blicke auf ihn geworfen wurden, ist klar.

Übung 2 Betrachten Sie jedes it bzw. es in den folgenden Beispielen und versuchen Sie, zu entscheiden, welche davon Dummies sind und welche nicht! (1) (2) (3)

(a) (b) (a) (b) (a) (b)

It is likely that it will upset Maja, Es scheint, daß es Maja umwirft. It is likely to upset Maja. Es scheint Maja umzuwerfen. I found it easy to solve the problem. Ich fand es leicht, das Problem zu lösen.

168 (4) (5) (6)

(a) (b) (a) (b) (a) (b)

I found it easy to solve, Ich fand es leicht zu lösen. It was said that it is dangerous. Es wurde gesagt, daB es gefährlich ist. It seems that it is easy to eat. Es scheint, daB es leicht zu essen ist.

Übung 3 Im Text haben wir gezeigt, daß Polnisch eine Null-Subjekt-Sprache ist. Unter dieser Voraussetzung ist es plausibel, anzunehmen, daß (1) zwei unterschiedliche Strukturen hat. Ermitteln Sie diese Strukturen! (1)

Stefan jest intelligentny i Stefan ist intelligent und 'Stefan ist intelligent und arbeitet hart'

ciçzko hart

pracuje. arbeitet

Übung 4 Entwickeln Sie PSG-Kategorien, wie sie im Text entwickelt worden sind, für die kursiv gedruckten Wörter in den folgenden Beispielen! (1) (2) (3) (4) (5)

daß er sich bei ihr über ihr Verhalten beschwerte. Daß er zu spät kam, legt nahe, daß er nicht sehr eifrig ist. Es scheint mir, daß er sehr extravagant ist. Er sagte ihr, daß er kommen werde. Daß er hier war, überzeugte jeden, daß man ihm vertrauen kann.

7

Nichtkanonische Komplemente und Subjekte

7.1

Einführung

In den beiden letzten Kapiteln haben wir Kopf-Komplement-Strukturen und Subjekt-Prädikat-Strukturen betrachtet. Solche Strukturen spielen eine zentrale Rolle in Sprachen. Selbstverständlich gibt es noch andere wichtige Arten von Strukturen. Besonders wichtig sind Sätze, die sogenannte 'nichtkanonische Komplemente' oder 'nichtkanonische Subjekte' haben.1 Der Rest des Buches wird in der Hauptsache Sätzen solcher Art gewidmet sein. Dieses Kapitel dient als eine Einführung in die folgenden Kapitel. Wir werden daher diejenigen Satztypen erörtern, die sich in diese beiden großen Klassen einordnen lassen, und wir werden generellere Begriffe betrachten, mit deren Hilfe sie analysiert werden können. Zunächst gewann man aus solchen Sätzen Evidenz für einen transformationalistischen Zugang zur Grammatik. Heute jedoch ist diese Position umstritten. Wir werden am Anfang eine Reihe von Sätzen betrachten, die nichtkanonische Komplemente aufweisen, und im weiteren Verlauf werden wir eine Reihe anderer Sätze anschauen, die nichtkanonische Subjekte involvieren. Alsdann werden wir zeigen, daß viele Sätze, die ein nichtkanonisches Komplement oder ein nichtkanonisches Subjekt enthalten, verwandte Sätze mit einem kanonischen Komplement oder einem kanonischen Subjekt haben. Dann werden wir den monostratalen (auf eine Ebene bezogenen)

1

Ebenso wie nichtkanonische Komplemente und Subjekte finden wir auch nichtkanonische Adjunkte: (1)

(a) (b)

(2)

(a) (b)

(3)

(a) (b)

When do you think she did it? Wann, denkst du, daß sie es getan hat? Why do you think they left? Warum, denkst du, daß er gegangen ist? Where do you think he is going? Wo, denkst du, geht er hin?

In diesen Beispielen können die wh-/w-Wörter when, why, where, wann, warum und wohin als nichtkanonische Adjunkte angesehen werden. Die folgenden Sätze haben die Adjunkte in kanonischer Position: (4)

(a) (b)

(5)

(a) (b)

(6)

(a) (b)

I think she did it on Friday. Ich denke, sie hat es am Freitag getan. I think she left because she was tired. Ich glaube, sie ist gegangen, weil sie müde war. I think he is going to Bangor. Ich denke, daß er nach Jena gegangen ist.

170 PSG-Zugang und schließlich den multistratalen (auf mehrere Ebenen bezogenen) TG- und GB-Zugang zu solchen Sätzen betrachten.

7.2

Nichtkanonische Komplemente

Nichtkanonische Komplemente sind Konstituenten, die als Komplemente von lexikalischen Köpfen fungieren, d.h. die Subkategorisierungsanforderungen dieser Köpfe erfüllen, aber nicht als Schwestern der Köpfe erscheinen, wie das normalerweise bei Komplementen, also bei kanonischen Komplementen, der Fall ist. Nichtkanonische Komplemente können in verschiedenen Arten von Sätzen auftreten. Wir betrachten zunächst whFragen (oder, in deutscher Notation, w-Fragen). Wî-Fragen sind Fragen, die Fragewörter (w-Wörter) unterschiedlicher Art, wie wer, was oder wie, enthalten und spezifischere Antworten erfordern als nur ja oder nein. Ein typisches Beispiel ist: (1)

(a) (b)

Wen hat Stefan [ w geärgert]? Who did Stefan [y, annoy]?

Sehr ähnlich ist der eingeklammerte subordinierte Satz im folgenden Beispiel: (2)

(a) (b)

Ich frage mich [wen Stefan [ w geärgert hat]] I wonder [who Stefan [ w annoyed]]

In beiden Beispielen gibt es kein NP-Komplement innerhalb der VP, das im Deutschen dem lexikalischen Kopf geärgert (hat) vorausgeht oder im Englischen dem lexikalischen Kopf annoy(ed) folgt, wenn wir, wie bisher auch schon, weiterhin annehmen, daß im Deutschen die Komplemente dem verbalen (oder adjektivischen) Kopf vorausgehen, ihm im Englischen aber folgen. Genau das ist aber normalerweise notwendig, wie (3) zeigen soll: (3)

(a) (b)

*Stefan hat [yp geärgert] *Stefan annoyed.

Die Erklärung für das Fehlen des NP-Komplements in den VPs von (1) und (2) ist klar: Das ννΛ-Λν-Wort, das sich außerhalb der VP befindet, fungiert als Komplement. Diese Annahme wird dadurch gestützt, daß wir in die Verbalphrasen der Beispiele (1) und (2) keine NP-Komplemente einführen können: (4) (5)

(a) (b) (a) (b)

*Wen hat Stefan [yp sie geärgert]? *Who did [yp Stefan annoy her]? *Ich frage mich [wen Stefan [yp sie geärgert hat]] *I wonder [who Stefan [yp annoyed her]]

171 Wenn das w/i-/w-Wort in (1) und (2) als NP-Komplement von geärgert (hat) oder annoy(ed) fungiert, dann sind (4) und (5) aus den gleichen Gründen wie (6) ungrammatisch: (6)

(a) (b)

*Stefan hat [ w ihn sie geärgert] *Stefan [VP annoyed her him]

In allen drei Fällen ist eine spezifische Subkategorisierungsforderung doppelt erfüllt worden. Ein anderer Typ von Sätzen mit nichtkanonischen Komplementen sind Passiv-Konstruktionen: (7)

(a) (b)

daß Maja [VP geärgert] wurde Maja was [VP annoyed]

Auch hier soll dem lexikalischen Kopf der VP kein Komplement vorausgehen bzw. folgen. Wir können das leicht erklären, wenn wir annehmen, daß das Subjekt Maja als Komplement fungiert. Dies wird wieder dadurch gestützt, daß wir in die VPs von (7) keine Komplemente einfügen können: (8)

(a) (b)

*Maja wurde [VP (den) Stefan geärgert] *Maja was [VP annoyed Stefan]

Wenn Maja in (7) als Komplement fungiert, dann ist (8) aus den nämlichen Gründen wie (4), (5) und (6) ungrammatisch: Ein Subkategorisierungserfordernis ist zweifach erfüllt worden.

7.3

Nichtkanonische Subjekte

Nichtkanonische Subjekte sind Konstituenten, die als Subjekte von Prädikaten fungieren, obwohl sie keine Schwestern der Prädikate sind. Wiederum sind verschiedene Satzstrukturen einschlägig, und wieder können wir mit w/î-/w-Fragen beginnen. Relevant sind die eingeklammerten subordinierten Sätze in (9) und (10): (9) (10)

(a) (b) (a) (b)

Wer denkst du [ s hat Maja geärgert]]? Who do you think [ s [VP annoyed Maja]]? Ich frage mich, wer du denkst, daß [ s [VP Maja geärgert] hat] I wonder [who you think annoyed Maja]

In beiden Fällen geht dem Prädikat Maja geärgert (hat)Zannoyed Maja kein Subjekt unmittelbar voraus. Das ist normalerweise aber erforderlich: (11)

(a) (b)

*Du denkst, [ s hat [ w Maja geärgert] 1 *You think [ s [ w annoyed Maja]]

Auch das können wir leicht erklären, wenn wir annehmen, daß das wh/w-

172 Wort in (10) als Subjekt dient. Man vgl. die Ungrammatikalität der folgenden Beispiele: (12) (13)

(a) (b) (a) (b)

*Wer denkst du [ s er hat [ w Maja geärgert]]? *Who do you think [ s he [yp annoyed Maja]]? *Ich frage mich, wer du denkst, [ s er hat [yp Maja geärgert]] *I wonder who you think [ s he [ w annoyed Maja]]

Wenn das w/i-/w-Wort als Subjekt von Maja geärgert (hat)/annoyed Maja in (9) und (10) auftritt, dann sind die Fälle (12) und (13) aus demselben Grund ungrammatisch wie (14): (14)

(a) (b)

*daß [ s er sie [yp Maja geärgert hat]] *[s He she [yp annoyed Maja]]

In (12), (13) und (14) liegt ein Prädikat mit zwei Subjekten vor. Ein anderer hier relevanter Typ von Strukturen sind sogenannte Hebungssätze: (15)

(a) (b)

daß Stefan [ s [yp ein Narr zu sein]] schien Stefan seemed [ s to [yp be a fool]]

Hier gehen den Prädikaten ein Narr zu sein/to be a fool innerhalb des eingebetteten Satzes keine Subjekte unmittelbar voraus, wie das normalerweise gefordert ist: (16)

(al) (a2) (bl) (b2)

daß sie [s Stefan [-yp- als einen Narren]] betrachten They consider [ s Stefan [yp to be a fool]] *daß sie [ s [-yp- als einen Narren]] betrachten *They consider [ s [ w to be a fool]]

Die einfachste Erklärung besteht in der Annahme, daß in (15) Stefan nicht nur als Subjekt von schien/seemed auftritt, sondern auch als Subjekt von ein Narr zu sein/to be a fool. Das wird durch die Ungrammatikalität von (17) bekräftigt: (17)

(a) (b)

*daß Stefan [ s Ben [yp ein Narr zu sein]] schien *Stefan seemed [ s Ben [yp to be a fool]]

Stefan ist das Subjekt von schien/seemed und zugleich von ein Narr zu sein/to be a fool und Ben ein weiteres Subjekt von ein Narr zu sein/to be a fool. Daß die NP Ben wirklich Subjekt ist, erkennt man daran, daß sie unmittelbar von S dominiert wird. Das deutsche Beispiel hat ohne die indizierte Klammerung zwei grammatische Lesarten, wie man sich mit folgenden Kasusmarkierungen verdeutlichen kann: (18)

(a) (b)

Der Stefan schien dem Ben ein Narr zu sein, Dem Stefan schien der Ben ein Narr zu sein.

173 Im (a)-Fall ist dem Ben, im (b)-Fall dem Stefan optionales Dativ-NPKomplement von scheinen. Im (a)-Fall ist der Stefan, im (b)-Fall der Ben das Subjekt sowohl von scheinen als auch von ein Narr zu sein. Entscheidend dafür, daß (17)(a) als ungrammatisch beurteilt wird, ist also die Strukturbeschreibung des Beispiels: Nur in der Strukturbeschreibung zeigt sich, daß ein Narr zu sein zwei Subjekte hat, einmal Stefan (wie in (15)) als Subjekt des übergeordneten und als Subjekt des untergeordneten Satzes, und einmal Ben als Subjekt des untergeordneten Satzes. Dadurch hat der untergeordnete Satz eben zwei Subjekte: Stefan und Ben. Man kann sich das daran verdeutlichen, daß (17)(a) einen verwandten und völlig gleichbedeutenden Satz wie (19) hat: (19)

*Es scheint, daß [ s Stefan Ben [ w e i n Narr ist]]

Das ist ein ungrammatischer Satz, wenn Stefan und Ben auf zwei verschiedene Personen referieren, Stefan Ben also nicht als Doppelname interpretiert wird. Auch Passivsätze gehören hierher: (20)

(a) (b)

daß Stefan [ s [-VP- als ein Narr]] betrachtet wird Stefan is considered [ s UT to be a fool]]

Diese Konstruktionen sind mit denen in (15) vergleichbar. Stefan ist sowohl das Subjekt von betrachtet wird/is considered als auch das Subjekt von als ein Narr betrachtet wird/is considered to be a fool. Die Einfügung eines gesonderten Subjekts für das erste Prädikat hat wieder Ungrammatikalität zur Folge: (21)

(a) (b)

*daß Stefan [ s Ben [-vp- als ein Narr]] betrachtet wird *Stefan is considered [ s Ben [y, to be a fool]]

Auch hier haben als ein Narr/be a fool zwei Subjekte: Stefan und Ben. Man muß eine Anmerkung zu Beispielen wie (16) machen. Im Rahmen von PSG ist Stefan in (16)(a) nicht nur Subjekt des eingebetteten Prädikats, sondern auch Komplement des übergeordneten Verbs. Nach PSG ist Stefan hier sowohl ein nichtkanonisches Subjekt als auch ein nichtkanonisches Komplement.

174

7.4

Aufeinander bezogene (verwandte) Sätze

Die bisher betrachteten Sätze haben in vielen Fällen verwandte Sätze, die kanonische Subjekte oder kanonische Komplemente aufweisen. Mit (1) und den untergeordneten Sätzen in (2) sind folgende Sätze verwandt: (22) (23)

(a) (b) (a) (b)

Stefan hat [ w wen geärgert]? Stefan [ w annoyed who]? Stefan hat [vp hat jemanden/wen geärgert] Stefan [VP annoyed someone]

(22) ist eine Echo-Frage, d.h. eine Frage, mit der der Sprecher auf eine (nicht vollständig verstandene) Feststellung eines anderen Sprechers reagiert. (23) kann als eine indefinite Feststellung betrachtet werden (sie enthält ein indefinites Pronomen; im Deutschen können w-Wörter auch als Indefinitpronomen auftreten). Mit (7) sind folgende indefinite Feststellungen verwandt: (24)

(a) (b)

Jemand hat [vp Maja geärgert] Someone [vp annoyed Maja]

Bezogen auf die Sätze in (9) und die subordinierten Sätze in (10) haben wir folgende verwandte Sätze: (25) (26)

(a) (b) (a) (b)

Du denkst, daß [ s wer [vp Maja geärgert] hat]? You think [ s who [ w annoyed Maja]]? Du denkst, daß [ s jemand/(irgend)wer [ w Maja geärgert] hat] You think [ s someone [yp annoyed Maja]]

Mit (15) verwandt sind: (27)

(a) (b)

Es schien, daß [ s Stefan [vp ein Narr ist]] It seemed that [ s Stefan [VP was a fool]]

Schließlich haben wir den mit (20) verwandten folgenden Satz: (28)

(a) (b)

daß jemand [ s Stefan [vp als einen Narren]] betrachtet Someone considers [ s Stefan [vp to be a fool]]

Somit haben alle bisher behandelten Beispiele mit ihnen verwandte Sätze, die ein kanonisches Subjekt bzw. ein kanonisches Komplement haben. Das ist nicht immer der Fall. Wir betrachten zunächst (29) und dann (30): (29) (30)

(a) (b) (a) (b)

Wen zum Teufel hat [ s Stefan [vp geärgert]]? Who the hell did [ s Stefan [ w annoy]]? Ich frage mich, wen zum Teufel [ s Stefan [VP geärgert] hat] I wonder who the hell [ s Stefan [yp annoyed]]

175 Keines von den beiden folgenden Beispielen scheint völlig in Ordnung: (31) (32)

(a) (b) (a) (b)

'Stefan hat [ w wen zum Teufel geärgert]? +Stefan [ w annoyed who the hell]? *Stefan hat [^jemanden zum Teufel geärgert]? *Stefan [ w annoyed someone the hell]?

Vielleicht ist das deutsche Beispiel (31)(a) möglich, das englische (b) und das englische und das deutsche in (32) sind es offensichtlich nicht. Daß (31)(a) etwas besser ist als (b), wird daran liegen, daß die englische NP the hell eine deutsche PP zum Teufel als Entsprechung hat. Es gibt daher eine grammatische, aber mit anderem Sinn versehene Interpretation für (32)(a). Sie bedeutet, daß Stefan jemanden solange geärgert hat, bis er zum Teufel gegangen ist. Die PP zum Teufel wird als ein Richtungsadverbiale zu ärgern und nicht als emotionale Hervorhebung von wen/jemanden verstanden. Bei genauerer Betrachtung des Problems stößt man auf die zentrale Rolle des Akzents und des Intonationsverlaufs: (31)(a) ist nur dann analog zu (29)(a) möglich, wenn der Hauptakzent auf wen liegt und zum Teufel sich ohne Pause und ohne Akzent anschließt. (32)(a) und (31)(a) sind in der angedeuteten Interpretation hingegen nur möglich, wenn der Hauptakzent auf Teufel liegt. Demnach haben zumindest (29)(b) und (30) keine verwandten Sätze wie (31)(b) und (32). Das ist vergleichbar mit der folgenden Situation: (33)

(a) (b)

Stefan wird verdächtigt, [ s [ w ein Spion zu sein]] Stefan is rumoured [ s [ w to be a spy]]

Die nächsten Sätze sind nämlich wieder ungrammatisch: (34)

(a) (b)

*Man verdächtigt, [ s Stefan ein Spion zu sein]] *They rumour [ s Stefan [ w to be a spy]]

Die in (34)(a) enthaltene phonetische Kette ist freilich wieder grammatisch, wenn wir statt der Strukturbeschreibung von (34) die von (35) haben: (35)

Man verdächtigt Stefan, [ s [ w ein Spion zu sein]]

In (34)(a) kann Stefan nicht das kanonische Subjekt von ein Spion zu sein sein, somit kann (34)(a) kein mit (33)(a) verwandter Satz sein, der ein kanonisches Subjekt in seiner Einbettung hat. (35) ist zwar ein mit (33)(a) verwandter Satz, aber in (35) ist Stefan nicht kanonisches Subjekt der Einbettung. Schließlich können wir noch folgendes Beispiel betrachten: (36)

(a) (b)

Stefan neigt dazu, [ s [ w Maja zu ärgern]], Stefan tends [ s [ w to annoy Maja]].

Hierzu gibt es keine Gegenstücke, wie (37) beweist: (37)

(a) (b)

*Es neigt dazu, daß [ s Stefan [ w Maja ärgert]], *It tends that [ s Stefan [vp annoys Maja]]

176 Somit gibt es auch keine mit (36) verwandten Sätze, in deren Einbettungen Stefan als kanonisches Subjekt auftreten könnte.2 Wohl aber finden wir Beispiele wie (37)(a'): (37)

(a')

Stefan neigt dazu, daß er Maja ärgert.

Das Problem wird in einem späteren Kapitel behandelt.

7.5

Der Ein-Ebenen-Zugang

Wie sollen nun nichtkanonische Komplemente und Subjekte behandelt werden? Man kann zwei Zugänge unterscheiden: den monostratalen und den multistratalen Zugang. Für die monostratal Herangehensweise ist die syntaktische Struktur eines Satzes jeweils nur ein einziger Baum, für die multistratale Herangehensweise kann die syntaktische Struktur eines Satzes aus einer Anzahl aufeinander bezogener Bäume bestehen. Wir betrachten zunächst das erste Vorgehen. Wenn die Struktur eines Satzes ein einziger Baum ist, dann kann man Sätze mit nichtkanonischen Subjekten und Prädikaten nur unter der Voraussetzung korrekt behandeln, daß man lexikalische Köpfe und Prädikate als sensitiv für bestimmte Kategorien betrachtet, die höher im Baum angesiedelt sind. Wir können das anhand von mehreren schon eingeführten Beispielen demonstrieren. Wir betrachten zunächst die Einbettungen von (2): (38)

S

NP

VP

V who wen

Stefan Stefan

annoyed geärgert hat

Wenn das die einzige Struktur des Satzes ist, muß das Verb annoyed! geärgert hat sensitiv für das weiter oben im Baum befindliche

2

Das Faktum, daß Beispiele wie (29) und die untergeordneten Sätze in (30) keine verwandten Sätze mit einem normalen Komplement haben, wurde von Brame (1978) herausgestellt. Daß Sätze wie (33) keine verwandten Sätze mit normalem Subjekt haben, wurde in Postal (1974) verdeutlicht.

177 who/wen sein. Die Situation in (38) ist mit der von (7)(b) vergleichbar: (39)

NP

VP V

VP

I V Maja

was

annoyed

Wenn dies wiederum die einzige Struktur des Satzes ist, dann muß das Verb annoyed sensitiv für die weiter oben im Baum situierte NP Maja sein. Betrachten wir nun die eingebetteten Sätze in (10). Diese hätten eine Struktur wie (40) für das Deutsche und (41) für das Englische:

178 Die VP Maja geärgert hat/annoyed. Maja muß sensitiv für die oberste NP wer sein. Schließlich können wir (15)(b)(=42) betrachten: (42)

s

Stefan

seemed

to be a fool

Wenn der Satz nur eine syntaktische Strukturebene aufweist, muß das Prädikat be a fool für die weiter oben im Baum stehende NP Stefan sensitiv sein. Wenn wir also einen monostratalen Zugang zum Phänomen der nichtkanonischen Komplemente und Subjekte wählen, muß entweder ein lexikalischer Kopf oder ein Prädikat für eine höher im Baum befindliche Kategorie sensitiv sein. Dies ist, wie zu zeigen war, im wesentlichen die Herangehensweise von PSG.

7.6

Der Mehr-Ebenen-Zugang

Wir können uns nun dem multistratalen Zugang zuwenden. Wenn die syntaktische Struktur eines Satzes mehr als einen Baum involvieren kann, müssen lexikalische Köpfe und Prädikate nicht für eine weiter oben im Baum befindliche Konstituente sensitiv gemacht werden. Stattdessen wird der Satz mit (mindestens) einer zusätzlichen abstrakten Struktur verbunden, in der das nichtkanonische Komplement oder Subjekt sich in der kanonischen Position befindet. Dabei verwenden wir im folgenden das im 3. Kapitel bereits eingeführte CP-IP-Satzmodell nach Chomsky (1986b): Wir betrachten zunächst den eingebetteten Satz in (2)(a). Hier ist zusätzlich zu der Strukturbeschreibung in (38) eine weitere, abstraktere Strukturbeschreibung möglich, in der wen in seiner kanonischen Komplement-Position steht:

179

Man sieht nicht nur, daß wen in seiner kanonischen Komplement-Position ist, sondern auch, daß im Baum (43) zwei Stellen freigehalten sind: nämlich erstens SpecC als Landeplatz (landing site) für wen und zweitens C. Von C wird angenommen, daß es in w/i-Konstruktionen das Merkmal [+WH] enthält, das die Bewegung von w/i-Elementen nach SpecC sichert. [+T] steht für Tempus-Merkmale und andere aus ihnen folgende Merkmale. (7) kann in entsprechender Weise behandelt werden. Auch hier gibt es für (7)(a) zu der gewöhnlichen Struktur in (39) eine zugrundeliegende abstraktere Struktur wie in (44):

Die Komplement-NP Maja ist in ihrer kanonischen Position. Man beachte, daß hier noch die Specl-Position (die Subjekt-Position) freigehalten ist. Als nächstes können wir die subordinierten Sätze in (10)(a) untersuchen:

180 (45)

(Ich frage m i c h ) ^

e] [C1 [ „

d u ] [ „ t v p [cP tspocC e ] [ c i [ c d s ß ]

[n> [speci w e r ] [,, [vp M a j a g e ä r g e r t ] [ , h a t ] ] ] ] ] d e n k - ] [ , - s t ] ] ] ] ]

Hier ist wer in seiner kanonischen Subjekt-Position. Das Verb denk- des übergeordneten Satzes befindet sich in seiner kanonischen RechtsaußenPosition. Auch in dieser Struktur sind Leerstellen enthalten: Die obere und die untere SpecC-Position sind leer. Die obere SpecC-Position wird in (46) mit wer besetzt, die untere SpecC-Position kann als Zwischenlandeplatz für wer dienen, denn die Bewegung von w-Elementen muß zyklisch erfolgen, darf also keine leere SpecC-Position überspringen (die Gründe dafür können hier nicht ausgeführt werden). Das obere C ist leer und bleibt leer, wenn die Schwester-IP ein eingebetteter Satz sein soll, wie dies in (10)(a) vorgesehen ist. Aus (45) ergibt sich (46): (46)

[ c p [specc w e r j [ C 1 [ „ [¡¡„d d u ] [ „ [ „ [ y , t¡ d e n k - ] [ , - s t ] ] [ c , [ S p c c C t ¡ ' ] [ c , [ c d a ß ] [n> [speci t j [ „ [VP M a j a g e ä r g e r t ] [ , h a t ] ] ] ] ] ] ] ] ]

Die w-NP wer ist aus der Specl-Position in die nächsthöhere SpecCPosition bewegt worden und von dort in die oberste SpecC-Position. Die beiden Positionen sind mit tj und tj' gekennzeichnet. Jedes t markiert eine Spur (trace). Die eingebettete CPj ist extraponiert und an I1 adjungiert worden. Auch hier gibt die Spur t¡ die ursprüngliche Position der CP an. Die Adjunktion an I1 ist dadurch motiviert, daß eine Adjunktion an VP, wie wir sie im 3. Kapitel provisorisch angenommen hatten, in der jetzt benutzten CP-IP-Strukturhypothese ungrammatisch wird: (47)

*Wer du [n [

w

[ v p t c p g e d a c h t ] [cp d a ß M a j a g e ä r g e r t h a t ] ] [ , h a s t ] ] ?

In (47) ist die extraponierte CP durch die Adjunktion an VP zwischen den Kopf der VP und den Kopf der IP gerückt, und das führt zur Ungrammatikalität. (Dieses Faktum liefert eines der Argumente, mit denen Haider (1993) die Annahme der CP-IP-Hypothese für das Deutsche bestreitet.) Schließlich wollen wir noch (15)(a), das deutsche Pendant zu (15)(b)(=42), betrachten. Hier können wir eine abstrakte Struktur bestimmen, in der Stefan in der kanonischen Subjekt-Position steht:

181

Stefan

schien

tNP' e

e

tNP

ein Narr zu sein [-ΊΈΜΡ]

tv

tv.,

Vergleicht man nun (48) und (49), so kann man feststellen: Die erste und die zweite leere Position (von links nach rechts) von (48) sind in (49) mit

182 Stefan bzw. mit schien besetzt. Die dritte leere Position in (48) ist die Specl-Position (die Subjekt-Position) der obersten IP. Diese Position muß Stefan in (49) durchlaufen haben, bevor er in die oberste SpecC-Position gelangen kann. Sie ist also in (49) mit einer Zwischenspur t ^ ' belegt. Die vierte leere Position in (48) ist die SpecC-Position des eingebetteten Satzes. Sie bleibt auch in (49) leer (möglicherweise wird die gesamte CPEtage des eingebetteten Satzes getilgt, möglicherweise wird CP aber nur auf eine bestimmte, hier nicht zu erklärende Weise durchlässig für Rektion gemacht; das ist notwendig, da Spuren regiert sein müssen, vgl. Kapitel 9.4 zum Rektions-Begriff). Die fünfte leere Position in (48) ist die Kopf-Position der eingebetteten CP. Sie bleibt - wie die vierte leere Position von (48) - in (49) leer bzw. sie wird mit der gesamten C-Projektion getilgt. Die vierte leere Position von links in (49), die in (48) mit Stefan besetzt war, ist die Ausgangsspur von Stefan. Die beiden rechten leeren Positionen in (49) sind in (48) mit schein- und [+T] besetzt. Sie sind in (49) die Spuren, die schein- bzw. schien auf seinem Weg von V über I nach C des übergeordneten Satzes hinterläßt. Der Weg von (48) zu (49) oder der von (45) zu (46) ist genau der Zugang, den die klassische TG und die GB-Theorie gewählt haben. Dabei lassen sich zwei Typen von Bewegungen unterscheiden. Einerseits haben wir Bewegungen, die damit enden, daß eine Kategorie an eine andere adjungiert wird - das ist der Fall in der Ableitung von (45) zu (46), wo wir den Objektsatz wer Maja geärgert hat aus seiner VP heraus bewegt und rechts an das höhere I1 angehängt haben. Andererseits haben wir Bewegungen, die damit enden, daß eine Kategorie eine vorhandene leere Kategorie substituiert - das ist der Fall bei allen anderen Bewegungen, die sich in den hier betrachteten Beispielen vollziehen lassen. Die leeren Kategorien, in die substituiert wird, sind Landeplätze. Die Ausgangsstrukturen, die Subjekte und Komplemente an ihren kanonischen Positionen haben, heißen 'syntaktische Tiefenstrukturen' oder 'D-Strukturen' (deep structure), die Endstrukturen werden 'syntaktische Oberflächenstrukturen' genannt oder auch 'S-Strukturen' (surface structure). SStrukturen sind aber noch nicht Strukturen der Phonetischen Form (PF). Das erkennt man daran, daß S-Strukturen leere Kategorien verschiedenster Art aufweisen, die in der PF-Struktur dann nicht mehr erscheinen. Der Übergang von der D-Struktur zur S-Struktur unterliegt einem Prinzip der Strukturerhaltung. Das gilt für den Übergang via Substitution wie für den Übergang via Adjunktion: Auch bei Adjunktion bleiben Spuren zurück, und die Kategorie, an die adjungiert wird, behält ihren Status, d.h. die Projektionsstufe, die sie ursprünglich hatte. Die bislang betrachteten Beispiele sind relativ einfach. Es gibt komplexere Fälle, bei denen die abstrakte Struktur, die einem Satz zugeordnet ist, mit einer noch abstrakteren Struktur verbunden werden muß. Wir

183 können das an den folgenden eingeklammerten subordinierten Sätzen in (50) verdeutlichen: (50)

(a) (b)

Ich frage mich, [wer du denkst, daß geärgert wurde] I wonder [who you think was annoyed]

Die normale Struktur dieser Sätze sieht folgendermaßen aus (bei den Beispielen lassen wir für die deutschen Fälle die Extraposition des subordinierten Satzes, d.h. des Komplementsatzes von denkst, der Einfachheit halber außer Betracht): (51)

(a) (b)

Ich frage mich [CP wer [„> du [ w denkst [CP daß [•> [ w geärgert wurde]]]]]] I wonder [ c p who [p> you [ w think [CP [p [ w was annoyed]]]]]]

Für das Englische kann man von einer Konvention Gebrauch machen, derzufolge alle nicht-verzweigenden Knoten, also der untere CP- und der untere IP-Knoten in (51)(b), getilgt werden, so daß (51)(b') daraus abgeleitet wird: (51)

(b')

I wonder [ c p who [φ you [vp think [vp was annoyed]]]]

In diesen Beispielen sind wer bzw. who nichtkanonische Subjekte. Sie erscheinen nicht als Schwestern von geärgert wurde bzw. was annoyed. Das legt nahe, daß wir folgende Strukturen benötigen: (52)

(a) (b)

Ich frage mich, [CP [•> du [ w denkst [CP daß [„> wer [VP geärgert wurde]]]]]] I wonder [CP [•> you [ w think [„> who [γρ was annoyed]]]]]

Aber auch hier sind wer bzw. who nichtkanonische Subjekte. Sie sind nämlich nichtkanonische Komplemente, da sie nicht Schwestern von geärgert bzw. annoyed sind. Daraus folgt, daß wir noch eine weitere Struktur benötigen: (53)

(a) (b)

Ich frage mich, [CP [„, du [w denkst [CP daß [„> e [ w w- geärgert wurde]]]]]] I wonder [CP [„> you [ w think [ρ e [ w was annoyed who]]]]]

In (53)(a) haben wir das w-Wort nur mit w- notiert, da im Deutschen der Nominativ und der Akkusativ dieses Wortes voneinander unterschieden sind. Im Englischen kann who sowohl Akkusativ als auch Nominativ sein. Wir wollen - in Übereinstimmung mit der GB-Theorie - annehmen, daß das w-Wort in (53)(a) noch keinen Kasus hat, sondern ihn erst in der Position bekommt, die es in (52)(a) einnimmt. Die Situation in (53) ist dieselbe wie in dem eingebetteten eingeklammerten Satz in (54): (54)

(a) (b)

Ich frage mich, [wer du denkst, daß Maja zu ärgern schien] I wonder [who you think seemed to annoy Maja]

184 Die explizitere Struktur von (54) ist dann die folgende: (55)

(a) (b)

Ich frage mich [cp wer [p du [ w denkst [ c p daß [p e [ w e [y,, Maja zu ärgern]] schien]]]]]] I wonder [CP who [ρ, you [ w think [CP [ρ e [ w seemed [ρ e [yp to annoy Maja]]]]]]]]

In (55) ist die am tiefsten eingebettete C-Projektion getilgt, damit die Spur im mittleren Specl die Spur im untersten Specl regieren kann (CP wäre eine Barriere, vgl. Kapitel 9.4 zum Rektionsbegriff). Auch in (55) sind wer und who nichtkanonische Subjekte, weil sie als Subjekte der Prädikate Maja zu ärgern schien/seemed to annoy Maja fungieren, aber nicht deren Schwestern sind. Die tieferliegenden Strukturen sind dann: (56)

(a) (b)

Ich frage mich [CP [p du [yp denkst [CP daß [p wer [yp [p e [VP Maja zu ärgern]] schien]]]]]] I wonder [CP [p you [yp think [CP [ρ who [y, seemed [p e [ w to annoy Maja]]]]]]]]

Bei der Bewegung der w- Wörter aus dem untersten Specl in den mittleren Specl erfolgt die erwähnte Tilgung der unteren C-Projektion. Aber auch in (56) sind wer und who noch immer nichtkanonische Subjekte zu den Prädikaten Maja zu ärgern/to annoy Maja, denn sie sind nicht Schwestern dieser Prädikate. Somit brauchen wir eine noch tiefer liegende Struktur: (57)

(a) (b)

Ich frage mich [CP [p du [yp denkst [ c p daß [p e [VP [cp [p w- [ w Maja zu ärgern]]] schien]]]]]] I wonder [ρ you [ w think [ c p [ρ e [y, seemed [CP [ρ who [y, to annoy Maja]]]]]]]]]

In diesen Strukturen ist die C-Projektion der unteren Einbettung noch vorhanden, da die w-Wörter noch in ihrer Ausgangsposition sind. Die deutschen Beispiele sind insofern nicht unproblematisch, als bei der Ableitung von (56) aus (57) sich die lineare Abfolge von w-Wortes und Maja zu ärgern schien nicht ändert. Es ändern sich nur die hierarchische Beziehung und die Kasus-Situation: In (57) ist die w-NP zwar die Schwester von Maja zu ärgern, aber sie hat keinen Kasus. Deutlicher bezüglich der Reihenfolge von seemed, who und to annoy Maja sind die englischen Beispiele. Wenn man den Weg von who verfolgt, so sieht man, daß es in (57)(b) die Schwester von to annoy Maja ist und rechts von seemed steht, in (56)(b) dagegen die Schwester von seemed to annoy Maja ist und links von seemed steht. Im Englischen hat sich also tatsächlich eine sichtbare Bewegung vollzogen. Im Grunde müßten wir jedoch noch genauer sein. Auf dem Wege von (57) zu (56) und von (56) zu (55) müßten wir für wer bzw. who noch eine Zwischenstruktur annehmen, nämlich:

185 (58)

(a) (b)

Ich frage mich [CP [„ du [vp denkst [CP wer daß [p, e [yp [•> e [y? Maja zu ärgern]] schien]]]]]] I wonder [CP [n> you [γρ think [CP who [•> e [γρ seemed [CP [•> e [vp to annoy Maja]]]]]]]]]

In (58) gibt es außer den Ausgangsspuren für die w-Wörter in den Subjektpositionen des untersten und des mittleren Prädikats noch Zwischenspuren, die die w-Wörter auf ihrem Weg in die oberste SpecC-Position in der mittleren SpecC-Position hinterlassen haben. Es ist also möglich, daß der Weg von der syntaktischen D-Struktur zur syntaktischen S-Struktur über mehrere intermediäre syntaktische Strukturen erfolgen muß. Die untergeordneten Sätze im folgenden Beispiel sind dafür relevant: (59)

I wonder [who they said [was believed [to have been injured]]]

Es sollte keine allzu schwierige Aufgabe sein, die hinter dieser S-Struktur liegenden Strukturen herauszufinden. Für die Transformationsgrammatik ist die vollständige Struktur eines Satzes also eine Sequenz von verschiedenen Strukturen, eine Sequenz von verschiedenen Bäumen.3

7.7

Zusammenfassung

In diesem Kapitel haben wir eine Reihe von Satztypen betrachtet, die entweder ein nichtkanonisches Subjekt oder ein nichtkanonisches Komplement involvieren. Das sind Konstituenten, die als Subjekt eines Prädikats oder als Komplement eines lexikalischen Kopfes fungieren, sich aber nicht in der kanonischen Position für Subjekte bzw. Komplemente befinden. In 7.2 haben wir eine Reihe von Beispielen eingeführt, in denen nichtkanonische Komplemente vorkommen, in 7.3 eine Reihe von Beispielen mit einem nichtkanonischen Subjekt. In 7.4 beleuchteten wir das Faktum, daß manche Sätze mit nichtkanonischem Komplement bzw.

3

Wir haben eine ganze Reihe von Problemen, die mit dem multistratalen Zugang der GB-Theorie zu Sätzen mit nichtkanonischen Komplementen und Subjekten verbunden sind, nur angedeutet oder auch gar nicht behandelt. Das betrifft etwa die Spuren-Theorie, die Rektions-Theorie mit ihrem Kernstück, dem Empty Category Principle (ECP), die Subjazenz-Theorie und die Barrieren-Theorie. In jeder dieser Theorien haben sich im Laufe der 80er und 90er Jahre weitreichende und teilweise radikale Entwicklungen ergeben, die von der Rekonstruktion von Theorie-Details über Versuche der gemeinsamen Fundierung mehrerer Theorien bis zur Aufgabe einer ganzen Reihe dieser Theorien geführt haben. Die Darstellung dieser Entwicklungen bedarf eines eigenen Buches.

186 nichtkanonischem Subjekt verwandte Sätze mit dem entsprechenden kanonischen Komplement bzw. Subjekt haben. In 7.5 führten wir den Einebenen-Zugang zu diesen Sätzen vor, wie er in der PSG beschritten wird, in 7.6 den Mehrebenen-Zugang, wie ihn die Transformationsgrammatik einschlägt.

Übungen Übung 1 Bestimmen Sie in den folgenden Beispielen die nichtkanonischen Komplemente und Subjekte sowie die mit ihnen verbundenen lexikalischen Köpfe bzw. Prädikate! (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8)

Wem, denkst du, hat er etwas über sie gesagt? He is expected to create a good impression. Das Auto wurde bis morgen zu reparieren versprochen. Wen schien er zu ärgern? She proved to be a disaster. Wer, sagte er, suche ihn? They are considered to be too old. Wer, glaubte Stefan, schien krank zu sein?

Übung 2 Alle folgenden Sätze haben entweder ein nichtkanonisches Komplement oder ein nichtkanonisches Subjekt. Suchen Sie für jeden Fall einen verwandten Satz mit einem kanonischen Komplement bzw. Subjekt! (1) (2) (3) (4) (5) (6)

He has been given a week to complete his assignement. Welches Buch, hat sie gesagt, wolle sie kaufen? Er scheint mir absolut für den Job geeignet zu sein. Who do you think she was talking about? Welcher Mann, denkst du, wird den Preis gewinnen? It has often seemed to be likely that he will resign.

187

Übung 3 Entwickeln Sie vollständige TG-Analysen mit D-Strukturen, mit S-Strukturen und, sofern es notwendig ist, mit Zwischenstrukturen für die folgenden Sätze! (1) (2) (3) (4) (5) (6)

Welche Bücher brachte sie in die Mansarde? Dieses Buch wurde 1843 geschrieben. Er stellte sich als ein großer Erfolg heraus. Wem, sagte sie, hat sie das Buch gegeben? Er scheint genarrt worden zu sein. They are believed to have been arrested.

8

Grammatische Funktionen

8.1

Einführung

Bevor wir die Konstruktionen näher betrachten, die wir im letzten Kapitel beleuchtet haben, wollen wir uns mit grammatischen Funktionen bzw. grammatischen Relationen vertraut machen. Damit ist ein Begriff wie 'Subjekt' gemeint, von dem wir in früheren Diskussionen weitgehend schon Gebrauch gemacht haben, oder ein Begriff wie 'Objekt', der in traditionelleren Grammatikbeschreibungen oft anstelle von 'Komplement' verwendet wird. Können diese Begriffe definiert werden? Oder gehören sie zu den undefinierbaren Elementarbegriffen (primitives) der syntaktischen Theorie? Das sind wichtige Fragen für die Theorie. Abgesehen von allem anderen bevorzugen wir eine einfachere Theorie gegenüber einer komplexeren. Somit scheint es wünschenswert zu sein, die Anzahl der Undefinierten Elementarkonzepte gering zu halten. Häufig wird - wie wir gesehen haben - angenommen, daß Konzepte wie 'Substantiv', 'Verb' usw. keine elementaren Einheiten sind, sondern in Termen bestimmter Merkmale definierbar sind. Die beiden Zugänge, die wir in diesem Buch in den Mittelpunkt rücken, GB und PSG, setzen generell die Definierbarkeit der Terme "Subjekt" und "Objekt" voraus. Es gibt jedoch Zugänge, denenzufolge sie nicht definiert werden können und somit elementare Einheiten sind. Dieses Problem ist ein wichtiger Gegenstand der SyntaxTheorie. Wir wollen zu Beginn einige Probleme zu beleuchten, die bei den an und für sich klaren Definitionen von Subjekt und Objekt auftauchen. Danach wollen wir zwei Ansätze betrachten, in denen Subjekt und Objekt als Primitiva verstanden werden. Anschließend soll die Auffassung des Subjekts und des Objekts in GB betrachtet werden. Am Ende wollen wir die Rolle von Subjekt und Objekt in PSG betrachten.

8.2

Probleme bei der Definition von Subjekt und Objekt

Wie lassen sich die Begriffe 'Subjekt' und 'Objekt' definieren? Es gibt in beiden Fällen Probleme. Wir betrachten zunächst das Subjekt. In der bisherigen Diskussion haben wir herausgestellt, daß Subjekte sich mit Prädikaten verbinden. Somit könnte man folgende Definition vorschlagen: (1)

Subjekt 1 Ein Subjekt ist ein Ausdruck, der sich mit einem Prädikat verbindet.

189 Was aber soll man unter 'sich mit einem Prädikat verbinden' verstehen? Es könnte bedeuten 'die Schwester eines Prädikats sein'. Sofern man GBAnnahmen zugrunde legt, läßt sich eine solche Bestimmung auf die bisher betrachteten Beispiele anwenden. Wenn man jedoch PSG-Annahmen favorisiert, läßt sie sich nicht auf unsere Beispiele beziehen. Auf der Grundlage von PSG-Annahmen sind - anders als auf der Basis von GBAnnahmen - die kursiven Ketten in den folgenden Beispielen keine Sätze, sondern separate Komplemente der vorausgehenden bzw. folgenden Verben: (2) (3)

(a) (b) (a) (b)

Stefan considers Ben to be a genius. daß Stefan Ben die Straße überqueren sah Stefan considers Ben a genius. daß Stefan Ben in Berlin wähnte

Das Subjekt Ben ist in diesen Beispielen sowohl die Schwester des folgenden bzw. vorausgehenden Prädikats to be a genius/die Straße überqueren/a genius/in Berlin als auch die Schwester des vorausgehenden bzw. folgenden Verbs considers/sah/wähnte. Ben hätte also sowohl den Status eines Komplements (als Schwester von sah) als auch den Status eines Subjekts (als Schwester von die Straße überqueren). So erscheinen aus der Perspektive von PSG die Beispiele (2) und (3) als Problem für die Bestimmung (1). Es gibt jedoch noch ernsthaftere Probleme. Sie betreffen insbesondere verbinitiale Sätze im Englischen und im Deutschen. Relevante Beispiele sind folgende Fragesätze: (4)

(a) (b)

Is Stefan in town? Ist Stefan in der Stadt?

Im Englischen können, im Unterschied zum Französischen und zum Deutschen, nur Auxiliarverben in Satzanfangsposition bzw. vor dem Subjekt stehen: (5)

(a) (b)

*Knows he the answer? Weiß er die Antwort?

Auch in walisischen Aussagesätzen steht das Verb vor dem Subjekt: (6)

Gwelodd Emrys ddraig. sah Emrys Drachen 'Emrys sah einen Drachen1

Selbst im Deutschen kennen wir (markierte) Aussagesätze mit Verberststellung: (7)

Bin ich doch gestern um drei auf den Markt gekommen. Hat doch tatsächlich noch der Emil mit seinen grünen Tomaten dagestanden.

Warum sind solche Beispiele problematisch? Sie sind es deshalb, weil sie kein solches Prädikat enthalten, wie wir es in bisherigen Beispielen

190 vorgefunden haben. In jedem dieser Beispiele sind die Elemente, die ein Prädikat bilden, durch das Subjekt voneinander getrennt. Das legt die Vermutung nahe, daß (1) keine befriedigende Definition ist. Probleme treten auch beim Versuch auf, den Begriff Objekt' zu definieren. Hier kann man zunächst an folgende Bestimmung denken: (8)

Objekt 1 Ein Objekt ist eine NP, die sich mit V verbindet, um V' oder VP zu bilden.

Es gibt aber Sätze, in denen das Objekt nicht die einzige Konstituente ist, die sich mit V verbindet, um V1 oder VP zu bilden: (9) (10)

(a) (b) (a) (b)

daß Stefan das Buch an Maja schickte, Stefan gave the book to Maja daß Stefan Maja (dazu) überredete, daß sie nach Hause gehen solle, Stefan persuaded Maja that she should go home.

In (9) haben wir zusätzlich zum NP-Objekt das Buch/the book noch die PP an Maja/to Maja, in (10) neben dem NP-Objekt Maja noch den Satz daß sie nach Hause gehen solle/that she should go home. Diese Beispiele sind deshalb kein Problem, weil die zusätzlichen Konstituenten keine NPs sind. Ein Problem taucht jedoch auf, wenn wir die sogenannten DoppelObjekt-Sätze haben: (11) (12)

(a) (b) (a) (b)

daß der Stefan (Nominativ) der Maja (Dativ) einen Roman schenkte Stefan gave Maja a book. daß die Maja dem Stefan einen Schraubenschlüssel reichte Maja handed Stefan a spanner.

In diesen Fällen haben wir zwei NPs, die sich mit einem V verbinden, um V1 oder VP zu konstituieren. Unsere Definition wird demzufolge beide als Objekte identifizieren. Der Terminus "Doppel-Objekt-Satz" legt nahe, daß diese Schlußfolgerung richtig ist. Es gibt jedoch Evidenz dafür, daß das nicht zutrifft. Im allgemeinen verhält sich im Englischen wie im Deutschen nur die verbnächste der beiden NPs wie ein Objekt, im Englischen also die linke, im Deutschen die rechte. Für die meisten Sprecher des Englischen kann nur die erste NP in der Verbalphrase eines Passivsatzes fehlen, nicht die zweite: (13) (14)

(a) (b) (a) (b)

Maja was given a book, *The book was given Maja. Stefan was handed a spanner, *A spanner was handed Stefan.

Im Deutschen stellen sich die Verhältnisse anders dar. Der Unterschied zwischen den beiden NPs zeigt sich nicht daran, daß die verbnähere NP aus der Verbalphrase des Passivsatzes herausbewegt werden muß, die verbfernere hingegen nicht. Die verbnähere NP kann vielmehr an Ort und

191 Stelle bleiben. Der Unterschied zwischen den beiden NPs zeigt sich darin, daß in deutschen Passivsätzen nur die verbnähere NP den Nominativ erhalten kann, nicht die verbfernere. Die verbfernere NP behält den ihr im Aktiv zugewiesenen Kasus auch im Passiv: (15) (16)

(a) (b) (a) (b)

daß der Maja (Dativ) ein Roman (Nominativ) geschenkt wurde. *daß die Maja (Nominativ) einen Roman (Akkusativ) geschenkt wurde. daß dem Stefan (Dativ) ein Schraubenschlüssel (Nominativ) gereicht wurde *daß der Stefan (Nominativ) einen Schraubenschlüssel (Akkusativ) gereicht wurde.

Allerdings hat das Deutsche noch eine andere Version der Passivbildung. Das Passiv in (15) und (16) ist mit dem Auxiliarverb werden gebildet. In den folgenden Beispielen wird es mit dem Auxiliarverb bekommen oder kriegen konstruiert. Bei dieser Konstruktionsvariante bekommt die verbfernere NP den Nominativ, die verbnähere behält den Akkusativ. Die Grammatikalitätsverteilung ist dann entgegengesetzt zu der in (15) und (16): (17) (18)

(a) (b) (a) (b)

'''daß der Maja einen Roman geschenkt bekam, daß die Maja einen Roman geschenkt bekam. '"daß dem Stefan einen Schraubenschlüssel gereicht bekam, daß der Stefan einen Schraubenschlüssel gereicht bekam.

Schließlich hat das Deutsche Doppel-Objekt-Sätze, in denen nicht die verbnähere, sondern die verbfernere NP im Passiv den Nominativ erhält: (19)

(a) (b)

daß der Angklagte des Mordes beschuldigt wurde '"daß des Mordes der Angeklagte beschuldigt wurde

Die verwandten Aktivsätze sind: (20)

(a) (b)

daß man den Angeklagten des Mordes beschuldigte *daß man des Mordes den Angeklagten beschuldigte

Schließlich muß man von Fällen wie (9)(a), in denen die PP ein Richtungsadverbiale ist (die Präposition ist nicht durch das Verb schicken festgelegt: man kann etwas in NP, nach NP, auf NP usw. schicken), von Fällen folgender Art unterscheiden: (21)

daß Hans seinen Freund über den Vorfall/von dem Vorfall unterrichtete

Das Verb unterrichten läßt nur diese beiden Präpositionen zu, PPs dieser Art gelten daher als Präpositionalobjekte. Traditionellerweise wird zwischen direkten und indirekten Objekten (DO bzw. 10) unterschieden. Im Englischen ist das verbnächste und aus der VP herausbewegbare Objekt das direkte Objekt, das verbfernere und nicht aus der VP herausbewegbare Objekt das indirekte Objekt. Wenn man nun auch die satzförmigen Komplemente in (10) als Objekte versteht, dann ist im

192 Englischen der eingebettete Satz 10, im Deutschen dagegen DO. Das wird deutlich, wenn man (22) betrachtet: (22)

(a) (b)

Stefan persuaded Maja [to go home] daß Stefan Maja [nach Hause zu gehen] überredete

Wenn man ferner die Fälle (19) bis (21) berücksichtigt, so stellt man fest, daß im Deutschen nicht immer das verbnächste, direkte (oder verbadjazente) Objekt im Passiv den Nominativ erhält, sondern immer nur das verbnächste, das keinen lexikalisch (durch Verb oder Präposition) zugewiesenen Kasus hat. Unter diesem Gesichtspunkt scheint es sinnvoll, die Bestimmung (8) so zu reformulieren, daß nicht der Terminus "Objekt", sondern der Terminus "Komplement" definiert wird. (23)

Komplement Ein Komplement ist eine XP, die sich mit einem V verbindet, um V' oder VP zu bilden.

Man kann dann verschiedene Arten von Komplementen unterscheiden: NP-Komplemente (die prototypischen direkten oder indirekten Objekte), CP/IP-Komplemente (die prototypischen Objektsätze) und PP-Komplemente. PP-Komplemente mit frei wählbarer, etwa direktionaler oder lokaler Präposition sind obligatorische Adverbiale, PP-Komplemente mit nicht frei wählbarer, sondern vom Verb selegierter Präposition (es kann auch eine kleine Zahl alternierender Präpositionen vom Verb selegiert sein) sind Präpositionalobjekte. Unter diesem Gesichtspunkt stellen uns Doppel-Objekt-Sätze bei dem Versuch, das Objekt zu definieren, vor ernsthafte Probleme. Verbinitiale Sätze bringen ein weiteres Problem für die Definition von "Objekt". Betrachten wir Beispiel (5) unter der Annahme, daß es (19) als Strukturanalyse hat:

weiß

er

die Antwort

t

Die am weitesten rechts stehende NP sollte als Objekt angesehen werden können, aber sie verbindet sich nicht mit dem Verb zur einer V1- oder VP-Konstituente. Auch unter diesem Gesichtspunkt scheint die oben gegebene Definition für 'Objekt' nicht befriedigend.

193

8.3

Subjekte und Objekte als Grundeinheiten

(primitives)

Probleme wie die eben besprochenen haben viele Syntaktiker zu der Annahme geführt, Subjekt und Objekt seien Primitiva. Dabei sind zwei Zugänge wichtig. Erstens: die Lexical Functional Grammar (LFG), derzufolge Subjekte und Prädikate grammatische Funktionen sind. Zweitens: Die Relational Grammar (RG), derzufolge sie grammatische Relationen sind. Der erste Zugang wurde seit dem Ende der 70er Jahre verfolgt, der zweite Zugang hat seine Ursprünge bereits in den frühen 70er Jahren. Für LFG hat die syntaktische Struktur eines Satzes zwei Komponenten: eine Konstituenten-Struktur (oder c-Struktur) und eine funktionale Struktur (oder f-Struktur). Wir können das an einem einfachen Beispiel verdeutlichen: (25)

daß Stefan Maja mag.

(25) hat (26) als c-Struktur und (27) als f-Struktur: (26) COMP

daß

Stefan

(27) I SUBJ [PRED 'STEFAN'] I PRED ['LIKE '] I OBJ [PRED 'MAJA'] L

| | | J

PRED ist die Abkürzung für 'Prädikat'. 'Prädikat' hat hier eine andere Bedeutung als die bisher zugrunde gelegte. Sie kommt aus der Logik und meint das semantisch wichtigste Element eines Satzes oder einer Phrase. (27) macht deutlich, daß Stefan das Subjekt und Maja das Objekt ist. (27) unterscheidet sich beträchtlich von einer Konstituentenstruktur, man könnte aber die Information von (27) wie folgt präsentieren:

194 Dies sieht wie eine Konstituentenstruktur aus. In LFG spielt nun aber die f-Struktur eine zentrale Rolle. Sie ist für die Beschreibung mehrerer Phänomene wesentlich: für die Kopf-Komplement-Relation, für die Subjekt-Prädikat-Relation und für verschiedene andere Phänomene, die in den folgenden Kapiteln betrachtet werden sollen. Für die RG ist die syntaktische Struktur eines Satzes eine Sequenz von regelhaft miteinander verbundenen relationalen Netzen, so wie für die Transformationsgrammatik ein Satz eine Sequenz von regelhaft miteinander verbundenen Konstituentenstrukturen ist. Das folgende ist ein einfaches Beispiel für ein relationales Netz:

Hier identifizieren bezeichnete Pfeile oder Bögen die grammatische Funktion der Konstituenten. Der Bogen ' 1 ' identifiziert Stefan als Subjekt des Satzes, der Bogen 'P' bestimmt ärgerte als Prädikat (in dem soeben eingeführten Sinne), und der Bogen '2' charakterisiert Ben als das Objekt des Satzes. Für RG gibt es keine separate Konstituentenstruktur. Was an Konstituentenstruktur notwendig ist, wird in das relationale Netz integriert. Wenn (29) das einzige Netz wäre, das dem Satz Stefan ärgerte Ben zugeordnet würde, könnte ärgerte Ben nicht als Konstituente behandelt werden. Für das englische Äquivalent zu (29), für den Satz Stefan annoyed Ben, könnte man mit einem einzigen relationalen Netz auskommen. Für viele andere Sätze müßten wir aber eine ganze Reihe solcher Netze beanspruchen. Das gilt schon für das englische Passiv Ben was annoyed. Dafür gibt es das zugrundeliegende Netz (30)(a) und das abgeleitete Netz (30) (b):

Die Ableitung von (30)(b) aus (30)(a) erfordert einen Relations-Veränderungs-Prozeß, wie die entsprechende Derivation in der Transformationsgrammatik einen Bewegungs-Prozeß verlangt. In der jüngeren RG gibt es nicht mehr eine Sequenz von relationalen Netzen, sondern ein einziges komplexes relationales Netz. Anstelle der beiden Netze in (30) erscheint dann ein komplexeres Netz wie in (31):

195 (31) 2 Ben

was annoyed

e

In dieser Version sind die Bögen nicht nur mit Bezeichnungen für grammatische Funktionen versehen, sondern auch mit Koordinaten, die anzeigen, auf welcher Ebene (auf welchem Stratum) der jeweilige Ausdruck die in Frage stehende grammatische Funktion hat. Auf diese Weise indiziert (31)mit 2cu daß Ben das Objekt im ersten Stratum, und mit lc 2 , daß Ben zugleich das Subjekt im zweiten Stratum ist usw. Alternativ zu (31) läßt sich die Information wie folgt repräsentieren: (32)

Ben

was annoyed

e

Eine Darstellung wie in (32) wird als ein stratisches oder stratales Diagramm bezeichnet.1 Der horizontale Bogen trennt das obere (erste) vom unteren (zweiten) Stratum. 2 im ersten, 1 im zweiten Stratum am Bogen zu Ben drückt dann wieder die Doppelfunktion als Objekt (im ersten Stratum) und als Subjekt (im zweiten Stratum).

8.4

Subjekte und Objekte in der Transformationsgrammatik

Wie anfangs angedeutet, wird in beiden theoretischen Zugängen, die Hauptgegenstände dieses Buches sind, generell angenommen, daß die Terme "Subjekt" und "Objekt" definiert werden können. Wir wollen zunächst sehen, wie dieser Standpunkt innerhalb der TG vertreten wird. 2

1 Die wichtigste Literatur zur Relational Grammar (RG) ist Perlmutter (1983) und Perlmutter/Rosen (1984). Balke (1990) bietet eine Einführung. Eng verwandt mit der RG ist die Arc Pair Grammar, die zuerst in Johnson/Postal (1980) präsentiert wurde. Die Lexical Functional Grammar (LFG) hat ihre Wurzeln im Rahmen der Realistic Transformational Grammar von Bresnan (1978). Die wichtigste Literatur ist Bresnan (1982a). Als Lehrbucheinführungen vgl. Horrocks (1987, 4.) und Seils (1985,4.). 2

Die Frage, ob die Begriffe 'Subjekt' und 'Objekt' definiert werden können, wurde schon in Chomsky (1965/1970) aufgeworfen. Chomsky schlug damals vor, daß 'Subjekt' und 'Objekt' definiert werden können als eine NP, die von S- bzw. vom VP-Knoten

196 Die früheren Definitionen (1) und (8) können im TG-Rahmen aufrechterhalten werden. Die problematischen S-Strukturen lassen sich aus unproblematischen D-Strukturen ableiten. Wir können annehmen, daß die Beispiele in (4) einem Prozeß der Verbvoranstellung unterliegen:

Stefan

is

Stefan

in town

in town

Legt man diese Analyse zugrunde, so verbindet sich im linken Baum Stefan mit einem Prädikat genau wie ein normales Subjekt. Dementsprechend können wir für das deutsche Beispiel (6) folgende Derivation annehmen: (34) COMP

COMP

die Antwort

weiß

weiß

die Antwort

In dieser Analyse verbindet sich im linken Baum er mit einem Prädikat wie ein normales Subjekt. Insofern bringen verbinitiale oder Verb-ErstSätze keine Probleme für unsere Subjekt-Definition in (1), jedenfalls nicht im TG-Rahmen. Eine Anmerkung sollte zu diesen Analysen gemacht werden: Die Verbvoranstellung wurde hier als eine Bewegung nach COMP behandelt, d.h., wir haben hier die Strukturhypothese aus Chomsky (1981) benutzt. Wir haben jedoch in früheren Kapiteln einen anderen Weg vorgeführt, der auf der Strukturhypothese aus Chomsky (1986b) fußt. Auf diesen Weg wollen wir im 12. Kapitel noch einmal eingehen.

unmittelbar dominiert werden. Wir haben von dieser Definition im 2. Kapitel Gebrauch gemacht. Für eine extensive GB-basierte Diskussion von grammatischen Funktionen, die eine Vielzahl von Sprachen einbezieht, vgl. Marantz (1984). Für eine Kritik der Auffassung, daß grammatische Funktionen Primitiva sind, wie sie insbesondere innerhalb von LFG entwickelt worden ist, vgl. Williams (1984b).

197 Verbinitiale Sätze sind auch kein Problem für unsere Definition von Objekten in (8), wenn diese Sätze in der angedeuteten Weise transformationeil hergeleitet werden. In der D-Struktur ist das Objekt eine NP, die sich mit einem Verb verbindet, um eine V1- oder eine VP-Kategorie zu konstituieren, gerade so, wie dies in subjektinitialen Sätzen geschieht. Welche Probleme bereiten Doppel-Objekt-Sätze für unsere Definition in (4)? Ein Weg zur Aufrechterhaltung unserer ursprünglichen Definition könnte in einer Annahme bestehen, die im wesentlichen auf Larson (1988a) beruht. Dieser Annahme zufolge sind VPs von einer abstrakteren Struktur durch einen Bewegungprozeß abgeleitet worden. Wir können DStrukturen annehmen, in denen ein Verb, das ein Objekt und ein weiteres Komplement fordert, sich mit dem weiteren Komplement verbindet und eine transitive Verbphrase (TVP) konstitutiert, die sich dann mit dem Objekt verknüpft und eine VP bildet. Das ergibt für das Beispiel (13)(b) eine Konstruktion wie die folgende: (35)

s

V Stefan

Maja

I

gave

NP the book

Die S-Struktur davon kann durch die Bewegung des Verbs gave abgeleitet werden: (36)

Stefan

s

gave

Maja

the book

Sofern man TVPs in allen Sätzen voraussetzt, bekommt man die folgende Derivation eines einfachen Satzes, in dem das Verb nur ein Komplement hat:

198 (37)

S NP

S VP

NP =

NP

VP

>

TVP

V

V Stefan

Maja

likes

VP NP

Stefan

likes

Maja

Wenn man diesen Zugang zu VPs wählt, kann man ein Objekt wie folgt definieren: (38)

Objekt 2 Ein Objekt ist eine NP, die sich (in der Tiefenstruktur) mit einem TVP verbindet.

Diese Bestimmung ist der ursprünglichen in (8), wie leicht zu ersehen ist, sehr ähnlich. 3 Für das Deutsche hat in jüngerer Zeit Fanselow (1992b) einen anderen Weg zur Behandlung von Verben mit zwei Komplementen vorgeschlagen. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Frage, ob es in deutschen Sätzen eine Grundreihenfolge der Konstituenten gibt, von der alle anderen Varianten abzuleiten sind (für eine solche Annahme vgl. Heidolph/Flämig/Motsch (1981), Suchsland (1993)). In Fanselow (1992a) wurde gezeigt, daß es kaum Evidenz für das Vorhandensein von Larsonschen VPs im Deutschen gibt. Wenn im Deutschen der Kopf der VP stets rechtsständig ist, müßten wir für eine deutsche VP im Larson-Format folgende Struktur annehmen:

3

Larsons transformationeile Analyse von VPs, die wir in 8.4 einführten, bezieht sich auf die PSG-Analyse von Jacobson (1987), die ihrerseits auf der Analyse fußt, die in Dowty (1982) im Rahmen der Montague-Grammatik entwickelt worden ist. Larsons Analyse wird in Jackendoff (1990) kritisiert. Verschiedene GB-Analysen von DoppelObjekt-Sätzen finden sich in Stowell (1981b, 5.), Kayne (1981) und Baker (1988,5.).

199

NP3 ist das in der Spezifikator-Position von VP3 basisgenerierte Subjekt, VP2 ist das Komplement von V3. In der Spezifikator-Position von VP2 befindet sich NP2 als basisgeneriertes indirektes Objekt, VP! ist das Komplement von V2. In der Spezifikator-Position von VP, befindet sich NP, als direktes Objekt, VP0 ist das Komplement von V,. Die Spezifikator-Position und die Komplement-Position von VP0 ist leer, und V0 ist die D-strukturelle Position des zwei Objekte fordernden Verbs. Das Verb muß von seiner Ausgangsposition V0 bis zu seiner Zielposition V3 eine Reihe von Zwischenlandungen vollziehen. Anders aber als im Englischen verändert sich dabei die Reihenfolge von Argumenten und Verb relativ zueinander nicht. Die Bewegung des Verbs hat damit kein beobachtbares Ergebnis. Deshalb ist die Annahme von Larsonschen VPs für das Deutsche problematisch. Fanselows Vorschlag sieht daher etwas anderes vor:

NP2

VP, NP"

Γ τ· v„

Hier gibt es nicht mehrere Positionen für verbale Köpfe, sondern alle Argumente von V0 erscheinen als Schwestern von VP. Dies gilt allerdings

200 nicht für direktionale PP- oder für AP-Komplemente. Argumente dafür kommen aus der Position der Satz-Negation. Die Negation nicht nimmt immer die kleinste VP, in unserem Falle also VP0 als Komplement: (41)

daß Hans seinem Freund das Buch nicht

geschenkt hat]

Dazu vergleiche man aber Strukturen folgender Art (vgl. auch Suchsland, 1993): (42) (43)

(a) (b) (a) (b)

daß Hans das Auto nicht [ v r o [ pp in die Garage] gefahren hat] *daß Hans das Auto [ypo [pp in die Garage] nicht gefahren hat] daß Hans mir nicht sehr vorsichtig] erschien] *daß Hans mir [YPO [AP sehr vorsichtig] nicht erschien]

Wenn man die Hypothese aufrecht erhalten will, daß nicht die kleinste VP als Komplement nimmt, dann müssen das PP-Komplement in die Garage in (42)(a) und das AP-Komplement sehr vorsichtig in (43)(a) sich innerhalb der kleinsten VP befinden. Andererseits können in (42)(b) und in (43)(b) die Verben gefahren hat und erschien nicht die kleinste VP repräsentieren. Wenn sie es täten, müßten die beiden (b)-Sätze grammatisch sein. Evidenz für diese Annahme kommt aus dem Befund, daß im Deutschen, anders als im Englischen, maximale Projektionen, und somit auch VPs in die SpecC-Position gerückt werden können. Dabei sind die Akzente von Bedeutung - wir geben hier die Akzente durch Unterstreichung der akzenttragenden Silben an. (44)

(a) (b) (c)

Gefahren hat Hans das Auto in die Garage, (nicht geschoben). In die Garage gefahren hat Hans das Auto, (nicht auf den Hof). Das Auto in die Garage gefahren hat Hans, (nicht das Fahrrad in den Schuppen').

Für die Annahme, daß direktionale PP-Komplemente sich tatsächlich innerhalb der kleinsten VP befinden, spricht auch, daß bei einer VPTopikalisierung diese PP kaum links vom NP-Komplement auftauchen kann: (44)

(d)

?In die Garage das Auto gefahren hat Hans, (nicht in den Schuppen das Fahrrad).

(44)(d) wird besser, wenn der Satzakzent nur auf Auto liegt: (44)

(e)

In die Garage das Auto gefahren hat Hans, (nicht das Fahrrad).

Liegt der Satzakzent hingegen auf Garage, wird der Satz deutlich schlechter: (44)

(f)

*In die Garage das Auto gefahren hat Hans, (nicht in den Schuppen).

Problematisch scheint aber auch eine VP-Topikalisierung, bei der das VPinterne PP-Komplement zurückbleibt:

201 (44)

(g)

?Das Auto gefahren hat Hans in die Garage.

Auch hier tragen Akzentverhältnisse zur Verbesserung oder Verschlechterung der Sätze bei. Am besten ist der Satz, wenn der Akzent auf gefahren liegt, schlechter wird er, wenn der Akzent auf einer anderen Konstituente liegt: (44)

(h) (i) (j) (k)

?Das Auto gefahren hat Hans in die Garage, ??Das Auto gefahren hat Hans in die Garage ??Das Auto gefahren hat Hans in die Garage ??Das Auto gefahren hat Hans in die Garage

Wie immer man diese Fälle bewerten will, sie stehen im Zusammenhang mit der von Fanselow vertretenen Annahme, daß die Argumente, die sich außerhalb der kleinsten VP befinden, in verschiedenen Reihenfolgen auftreten können. Fanselow zeigt, daß man die unterschiedlichen Reihenfolgen nicht durch die Annahme erklären kann, es gebe eine einheitliche Grundreihenfolge, von der aus die unterschiedlichen Varianten durch Scrambling abgeleitet werden könnten. Mit dieser Annahme müßte man in Kauf nehmen, daß bei der anschließenden Topikalisierung eine VP mit Spuren in SpecC gerückt wird. Diese Spuren sind aber in dieser Position nicht mehr antezedensregiert (d.h. von einem Antezedens c-kommandiert und mit ihm koindiziert): (45)

(a) (b) (c) (d)

[yp Kindern solche Bücher schenken] ¡ sollte man [ w tj. [y, tj Solche Bücher schenken], sollte man [ w [Kindern|j tj. (yp Kindern t¡ schenken] ¡ sollte man [yp [solche Bücherjj tj. IVP tk Schenken] sollte man [YP [Kindern]j [YP [solche Bücher]k TJ]]

Das gilt für die mit j bzw. k indizierten Spuren in (45)(a) und (b). Die von Webelhuth/den Besten (19888a,b) vertretene Ansicht, daß in solchen Fällen die Antezedensrektion (auf der Ebene der Logischen Form) rekonstruiert werden kann, ist angesichts der Argumente, die Fanselow anführt, nicht haltbar. Damit wird die Annahme, daß es im Deutschen eine feste Basisreihenfolge der Argumente innerhalb von VP gibt, in Frage gestellt. Es scheint vielmehr folgende alternative Basisstrukturen zu geben: (46)

(a) (b)

daß man [ w Kindern [yp solche Bücher [yp schenken]]] sollte daß man [yp solche Bücher (yp Kindern [yp schenken]]] sollte

Von (46) aus sind dann Topikalisierungen von VPs möglich, die keine Spuren mehr enthalten, weil vor der Topikalisierung Scrambling nicht mehr notwendig ist. Die zu (45) analogen Strukturen sehen dann so aus: (47)

(a) (b) (c) (d)

[yp Kindern [yp solche Bücher [yp schenken]]]; sollte man t¡ [yp Solche Bücher [yp schenken] sollte man [yp Kindern t¡] [yp Kindern [yp schenken]], sollte man [yp [solche Bücher] t¡] [yp Schenken] sollte man [yp Kindern [yp solche Bücher tj]]

202 Statt (d) könnte auch (e) stehen: (47)

(e)

[VP Schenken] sollte man [ w solche Bücher [ v p Kindern t¡]]

Allerdings sind damit nicht alle Probleme ausgeräumt. Der Fanselowsche Zugang bietet keine Erklärung dafür, wie das Zurückbleiben einer ursprünglich vor der innersten (kleinsten) VP stehenden Negation zustande kommt. Die Negation wird von der Topikalisierung nicht erfaßt. Das bleibt unerklärt, wenn Scrambling nicht im Spiele sein soll. Es ist also unklar, wie man von (48)(a) zu (48)(b) gelangt, wenn nicht zuvor die Negation lieber nicht von ihrer Schwesterkonstituente schenken wegbewegt worden ist. Erst nach dieser Bewegung der Negation kann aus solche Bücher und schenken eine Konstituente werden, die topikalisierbar ist: (48)

(a) (b)

daß man [yp Kindern [ w solche Bücher [ w lieber nicht [yp schenken]]] sollte [VP Solche Bücher t¡ schenken] ¡ sollte man [VP Kindern [VP [lieber nicht], [VP

TÜL]

Die Situation entspricht der von Fanselow bei Webelhuth/den Besten kritisierten: Die topikalisierte VP enthält eine Spur, die nicht antezedensregiert ist. Die Lösung kann aber auch nicht in der Annahme bestehen, die Negation könne als Satznegation frei an jede VP der komplexen VP adjungiert werden: (49)

(a) (b)

daß man Kindern lieber nicht solche Bücher schenken sollte daß man lieber nicht Kindern solche Bücher schenken sollte

An (49)(a) und (b) wird deutlich, daß die Negation in solchen Positionen nicht nur als Satz-, sondern eben auch als - um mit Jacobs (1982) zu reden - Sondernegation fungiert. Das Problem soll hier jedoch nicht weiter verfolgt werden.4

4

Einen anderen Weg für die Behandlung von komplexen Verbalphrasen mit mehreren Komplementen hat Haider (1993) vorgeschlagen. Haider geht davon aus, daß es universell nur rechtsrekursive Strukturen gibt (Basic Branching Conjecturé). Im Deutschen verbindet sich die Rechtsrekursivität mit der regressiven Lizenzierungsrichtung (rechtsständiges V, Rektion nach links), im Englischen mit der progressiven Lizenzierungsrichtung (linksständiges V, Rektion nach rechts). Die Lizenzierungsrichtung ist sprachspezifisch - sie hängt mit der Position eines Kopfes in einer Phrase zusammen. Für das Deutsche sind daher keine Larsonschen VPs erforderlich. Objekte verbinden sich hier immer mit V-Projektionen. Ahnliche Überlegungen finden sich bei Kayne (1993). Kayne führt ein Axiom der linearen Korrespondenz ein, das er auf dem streng asymmetrischen c-Kommando aufbaut. Er leitet daraus die Universalität der SVOStruktur ab. Diese Idee ist von Chomsky (1994) akzeptiert worden.

203 Es gibt zum Problem der Verben mit zwei Objekten einen weiteren Punkt anzumerken: Ein Unterschied zwischen der Struktur in (35) und standardnäheren Strukturen wie (36) besteht darin, daß (36) die beiden Komplemente als eine Konstituente behandelt: (50)

[Vp [Np Maja U

[NP the book]]]]

Eine gewisse Evidenz für diese Annahme kommt aus Koordinationsfällen wie den folgenden: (51)

Stefan gave Maja the book and Sue the record.

(51) ist Beispielen aus dem 2. Kapitel sehr ähnlich, die wir zur Demonstration der Schwierigkeiten für die Auffassung benutzt hatten, daß nur Konstituenten koordiniert werden könnten. Wenn man die skizzierte Analyse voraussetzt, so bieten solche Beispiele kein Problem für diese Auffassung. Allerdings verhalten sich Ketten wie Maja the book in anderer Hinsicht gerade nicht wie eine Konstituente. Es ist daher fraglich, ob die Analyse solcher Ketten als Konstituenten wirklich ein Vorteil ist.

8.5

Subjekte und Objekte in der Phrasenstruktur grammatik

Wir können nun untersuchen, welche Rolle Subjekte und Objekte in der PSG-Theorie, insbesondere in der HPSG-Theorie, spielen. Im 6. Kapitel haben wir zwei unterschiedliche Zugänge zu Subjekten vorgestellt. In dem einen werden sie als Realisierung einer zusätzlichen Kategorie der SUBCAT-Liste verstanden, in dem anderen als Realisierung des Wertes eines separaten SUBJ-Merkmals. Beim ersten Zugang könnte das Subjekt wie folgt definiert werden: (52)

Subjekt 1 Ein Subjekt ist ein Ausdruck, der das letzte Element in einer SUBCAT-Liste realisiert.

Beim zweiten Zugang können wir folgende Definition annehmen: (53)

Subjekt 2 Ein Subjekt ist ein Ausdruck, der die Kategorie realisiert, die den Wert eines SUBJ-Merkmals darstellt.

Beim ersten Zugang ist das Subjekt kein Grundelement. Beim zweiten Zugang kann es als ein Grundelement betrachtet werden. Diesen Zugang akzeptieren die Relationale und die Lexikalisch-Funktionale Grammatik als partiell richtig.

204 Bei jedem dieser beiden Zugänge wird eine Regel für die Ableitung von verbinitialen Sätzen gefordert. Beim zweiten Zugang kann diese Regel folgendermaßen formuliert werden: (54)

Verbvoranstellmgs-Regel X[SUBCAT, < > ] — > XfSUBCAT, < . . . > ; SUBJ, Y], Y, C

Diese Regel kombiniert ein Verb gleichzeitig mit den von ihm geforderten Komplementen und mit dem von ihm verlangten Subjekt. Wenn wir in (55) die Kategorie für ist annehmen, dann lizenziert (54) den Baum in (56): (55)

r V I SUBCAT, < P P > I SUBJ, NP I [3PERS, -PLUR] L

(56)

-, I I | J

V [SUBCAT, < > ]

Wir können nun zu Objekten übergehen. Wenn Subjekte die Realisierung einer zusätzlichen Kategorie in der SUBCAT-Liste sind, dann können wir Objekte wie folgt definieren: (57)

Objekt 1 Ein Objekt ist eine NP, die die vorletzte Kategorie in der SUBCAT-Liste eines Verbs realisiert.

Wenn andererseits Subjekte die Realisierung des Wertes einer besonderen Kategorie als Wert eines SUBJ-Merkmals sind, dann können Objekte so definiert werden:

205 (58)

Objekt 2 Eine Objekt ist eine NP, die die letzte Kategorie in der SUBCAT-Liste eines Verbs realisiert.

Welcher der beiden Auffassungen wir uns auch anschließen: Wir müssen einräumen, daß Objekte keine Grundelemente sind.

8.6

Zusammenfassung

In diesem Kapitel haben wir uns mit dem Status der Begriffe 'Subjekt' und Objekt' befaßt. Wir haben überlegt, ob sie definiert werden können oder ob sie zu den Basistermen oder Grundelementen der Syntax-Theorie gehören. In 8.2 haben wir einige Probleme beleuchtet, die für Definitionen dieser Konzepte auftreten. In 8.3 haben wir auf zwei grammatiktheoretische Konzeptionen verwiesen, die Subjekte und Objekte als Grundelemente betrachten: die Lexikalisch-Funktionale Grammatik (LFG) und die Relationale Grammatik (RG). In 8.4 haben wir dargestellt, wie Subjekte und Objekte in einem transformational istischen Rahmen bestimmt werden können. Damit verband sich die Behandlung von Verben mit zwei Objekten. Es wurde gezeigt, daß für das Englische und für das Deutsche unterschiedliche Hypothesen über den Aufbau von VPs formuliert werden müssen. In 8.5 schließlich betrachteten wir die Verhältnisse in der PSG. Dabei behandelten wir zwei unterschiedliche Herangehensweisen. Bei der einen ist das Subjekt kein Grundelement, bei der anderen ist dies jedoch der Fall. Für Objekte gilt, daß sie in keinem der beiden Zugänge als Grundelemente erscheinen.

Übungen Übung 1 Entwickeln Sie Analysen für die folgenden Sätze, die mit der Annahme verträglich sind, daß das Subjekt ein Ausdruck ist, der sich mit einem Prädikat verbindet! Nehmen Sie, falls es erforderlich ist, einen Verb-Bewegungs-Prozeß an! Bedenken Sie, daß die Konstituenten einer VP nicht in allen Sprachen die gleiche Reihenfolge haben müssen!

206 (1)

(2)

(3)

(4)

Naomi-ga kare-wo Naomi-NOM er-AKK 'Naomi fand ihn' Japanisch (Gunji, 1987) Nividy kisoa ho'an kaufte Schwein fur 'Rakoto kaufte irgendein Schwein Malegassisch (Pullum, 1977) Toto-komo yonoye Mensch-COLLECTIVE aß 'Der Jaguar (fr)aß Leute' Hixkaryana (Pullum, 1980) Anana nota apa. Ananas ich bringe 'Ich bringe Ananas' Apurina (Pullum, 1980)

mituketa. fand

ny ankizy Rakoto. die Kinder Rakoto für die Kinder' kamara. Jaguar

Übung 2 Liefern Sie Analysen, bei denen Sie für die englischen Beispiele eine TVP-Kategorie benutzen, für die deutschen Beispiele aber komplexe VPs im Sinne von Fanselow (entsprechend (40) im Text)! (1) (2) (3) (4)

daß er das Buch an sie übergab She told him that she would be early. daß ich ein paar Blumen für sie kaufte He worded the letter carefully.

Übung 3 Entwickeln Sie HPSG-Analysen, wie sie in 8.5 eingeführt worden sind, für die folgenden walisischen Sätze! Vernachlässigen Sie die interne Struktur der Komplemente und nehmen Sie an, daß yn hwywr in (2) eine AP und ddarllen y Uyfr in (3) eine VP ist. (1)

(2)

(3)

(4)

Prynodd Emrys geffyl. kaufte Emrys Pferd 'Emrys kaufte ein Pferd' Mae Megan yn hwywr. ist Megan in spät 'Megan kam zu spät' Ceisiodd Megan ddarllen versuchte Megan lesen 'Megan versuchte das Buch zu lesen' Rhoddodd Emrys y llyfri gab Emrys das Buch 'Emrys gab Megan das Buch'

y das

Uyfr. Buch

i an

Megan, Megan

9

Passiv-Konstruktionen

9.1

Einführung

Wir können uns nun einigen Daten zuwenden, die wir bereits im 7. Kapitel eingeführt haben. Wie wir dort gesehen haben, bietet das Passiv ein wichtiges Beispiel für Sätze mit nicht-kanonischem Komplement oder nicht-kanonischem Subjekt. In diesem Kapitel sollen Passiv-Konstruktionen näher betrachtet werden. Es wird geprüft, wie sie analysiert werden können. Zunächst gelangen einige relevante Daten ins Blickfeld, dann wollen wir sehen, wie Passiv-Konstruktionen innerhalb der klassischen TG analysiert werden. Als nächstes wollen wir uns mit dem davon deutlich unterschiedenen Zugang der GB-Theorie beschäftigen. Danach soll gezeigt werden, wie Passiv-Konstruktionen in der PSG analysiert werden. Schließlich wollen wir noch einige weitere Daten behandeln.

9.2

Die Daten

Ein typisches Passiv hat eine Subjektposition. Im Englischen kommt dazu eine Form des Verbs be, im Deutschen eine Form des Verbs werden (beim sog. Vorgangs-Passiv) oder eine Form des Verbs sein (beim sog. Zustands-Passiv). Im Deutschen kann aber auch eine Form der Verben bekommen oder kriegen der Bildung einer besonderen Version des Passivs dienen. Ferner gehört zum Passiv ein Partizip II, das im Englischen wie im Deutschen für die Bildung sowohl von Passiv-Formen (passiv participle) als auch von (zusammengesetzten) Zeitformen des Verbs (past participle) genutzt wird. Die beiden Formen des Partizips sind identisch, ihre syntaktischen Eigenschaften jedoch unterschiedlich. Außerdem hat das Passiv-Verb kein Komplement, wenn das entsprechende Aktiv-Verb nur ein Komplement hat, dafür hat das Subjekt bestimmte Eigenschaften dieses fehlenden Komplements. Die Konstituente, die im Aktiv-Satz das Subjekt ist, kann in der Passiv-Konstruktion durch eine von/durch-PP im Deutschen bzw. eine ty-PP im Englischen optional eingeführt werden, sie hat dann den Status eines Adjunkts. Das ist im Deutschen nicht möglich, wenn im Aktiv-Satz das Indefinitpronomen man Subjekt ist (es ist dann nur eine von/durch-PP mit dem Indefinitum jemand zulässig).1 Wenn

1 Das Merkmal von Passiv-Konstruktionen, daß sie eine PP mit dem Kopf by zulassen, mit der man - vereinfacht gesprochen - auf das AGENS referieren kann, vernachlässigen wir in diesem Kapitel weitgehend. Diese Phrasen haben in der jüngeren GB-Theorie

208 schließlich der Aktiv-Satz das Subjekt man, aber kein Akkusativ-Objekt enthält, kann die entsprechende Passiv-Konstruktion kein Subjekt haben. Das alles illustrieren für das Deutsche zunächst folgende Beispiele: (1)

(a) (b)

(2)

(3)

(4)

(5)

(6) (7)

(a) (b) (c) (a) (b) (c) (d) (a) (b) (c) (a) (b) (a) (b) (a) (b) (c)

daß der Schachweltmeister < Subjekt > den Herausforderer < Akkusativ-Komplement> schlug < Aktiv-Verb > daß der Herausforderer < Subjekt > (von dem Schachweltmeister < optionale vo/i-PP, Subjekt im Aktiv-Satz > ) geschlagen < Partizip II> wurde daß der Stefan der Maja einen Roman schenkte daß der Maja (von dem Stefan) ein Roman geschenkt wurde daß die Maja (von dem Stefan) einen Roman geschenkt bekam daß man den Herausforderer schlug daß der Herausforderer geschlagen wurde daß der Herausforderer (*von man) geschlagen wurde daß der Herausforderer (von jemand(em)) geschlagen wurde daß man den Herausforderer geschlagen hat daß der Herausforderer geschlagen worden ist daß der Herausforderer geschlagen ist daß man jetzt im Klub viele Walzer tanzt daß jetzt viele Walzer (von jemand(em)/*von man) im Klub getanzt werden daß man jetzt im Klub tanzt daß jetzt im Klub getanzt wird daß man jetzt genug getanzt hat daß jetzt genug getanzt worden ist daß jetzt genug getanzt ist

W e n n im Englischen in einem Aktiv-Satz die erste postverbale Konstituente, genauer, die erste Konstituente einer infiniten Satzeinbettung nach dem Matrix-Verb, ein Dummy-it/there sein kann oder sein muß, dann kann oder muß dieses it/there auch das Subjekt der Passiv-Konstruktion sein. In dieser Hinsicht gibt es Parallelen zwischen den Fällen (8) und (9) einerseits und (10) und (11) andererseits: (8) (9) (10) (11)

{It/*Stefan} is believed [[to be easy] [to annoy Fred]] {There/Stefan} is believed [to be a dragon in the wood] They believe [[it/*Stefan][to be easy to annoy Fred]] They believe [[there/Stefan][to be a dragon in the wood]]

Im Englischen und im Deutschen kann das Subjekt des Passiv-Satzes ein Satz sein, wenn das Komplement des entsprechenden Aktiv-Satzes ein Satz ist. Daher sind die Daten in (12) parallel zu denen in (13):

beträchtliche Aufmerksamkeit gefunden, vgl. insbesondere Jaeggli (1986) Baker/Johnson/Roberts (1989).

und

209 (12) (13)

(a) (b) (a) (b)

That he is a fool is {believed/*kicked} by everyone. Daß er ein Narr ist, wird von allen geglaubt/*geschlagen. Everyone {believes/*kicks} that he is a fool, Alle glauben/*schlagen, daß er ein Narr ist.

Schließlich gilt im Englischen, nicht aber im Deutschen: Wenn die erste postverbale Konstituente in einem Aktiv-Satz als Teil einer Redewendung verstanden wird, kann auch das dieser Konstituente entsprechende Subjekt in einem Passiv-Satz so verstanden werden: (14) (15)

(a) (b) (a) (b)

The cat is believed to be out of the bag. *daß die Katze aus dem Sack zu sein geglaubt wurde They believe the cat to be out of the bag. *weil man die Katze aus dem Sack zu sein glaubte

Das deutsche Verb glauben kann temporalisierte (auch idiomatische) Sätze als Komplemente nehmen. Diese Sätze können als Subjekt in der PassivKonstruktion auftreten (17). Es kann auch SC-Konstruktionen als Komplemente nehmen. Weder die SC-Komplemente noch das Subjekt der SCKonstruktion dürfen die Subjekt-Position im Passiv einnehmen (18). Das Verb glauben kann aber keinen exzeptionellen Satz (mit akkusativischem Subjekt und infinitem Voll- oder Kopulaverb) als Komplement nehmen, daher kann weder ein solches Komplement noch das Subjekt eines solchen Komplements in der Subjekt-Position eines Passivsatzes erscheinen (16). Deshalb gibt es auch keine deutschen Entsprechungen zu den englischen Fällen (8) bis (11). (16) (17) (18)

(a) (b) (a) (b) (a) (b)

*daß die Katze aus dem Sack zu sein geglaubt wurde, *weil man die Katze aus dem Sack zu sein glaubte. weil geglaubt wurde, daß die Katze aus dem Sack ist. weil man glaubte, daß die Katze aus dem Sack ist. *weil die Katze aus dem Sack geglaubt wurde, weil [[man] [[die Katze aus dem Sack] [glaubte]]].

Einige weitere Daten, die zeigen, daß auch im Englischen das Passiv nicht ausschließlich mit einer Form von be gebildet werden muß, sind: (19) (20) (21)

Stefan had Maja followed. Stefan got arrested. This is a book given to Maja.

In (19) ist followed ein Passiv-Partizip mit Maja als seinem Subjekt. In der GB-Analyse würde für diese beiden Ausdrücke angenommen, daß sie einen Small Clause bilden. Innerhalb von PSG würden sie als zwei separate Komplemente von had betrachtet. In (20) haben wir ein PassivPartizip als Komplement von get (diese Konstruktion entspricht der deutschen ¿»efawnmen/fcriegen-Passiv-Konstruktion, mit dem Unterschied, daß gerade diese Konstruktion nicht wörtlich ins Deutsche übertragbar ist,

210 weil das bekommen/kriegen-Passiv nur das Dativ-, nicht aber das Akkusativ-Objekt des Aktivs zum Subjekt des Passivs machen kann: (22)

*Stefan bekam eingesperrt.

In (21) haben wir einen Passiv-Ausdruck, der als relativsatzartiges Adjunkt zu einer NP fungiert. Vergleichbare Konstruktionen gibt es auch im Deutschen: (23)

(a) (b) (c)

Dies ist der Brief, gestern an Maja überreicht. Dies ist der Brief, der gestern an Maja überreicht wurde. Dies ist der gestern an Maja überreichte Brief.

9.3

Der klassische transformationelle Zugang

Wie wir bereits gesehen haben, wird innerhalb der TG ein typischer Passiv-Satz von einer abstrakteren Struktur abgeleitet, die ein normales Komplement oder ein normales Subjekt enthält. So bekommen wir für das Englische folgende Derivationen:

e

was deceived

Ben

Ben

was

deceived

Analog kann man für das Deutsche verfahren: (25)

jyp =

=

=

>

ν

wurde

Ben

betrogen

wurde

Der Unterschied zwischen dem Englischen und dem Deutschen liegt darin, daß im Englischen eine offene Bewegung stattfindet: Ben wandert aus der postverbalen Komplementposition des Aktiv-Satzes in die präverbale Subjekt-Position des Passiv-Satzes. Im Deutschen dagegen findet keine solche offene Bewegung statt: Ben wandert aus der präverbalen

211 Komplement-Position des Aktiv-Satzes in die präverbale Subjekt-Position des Passiv-Satzes. Wenn man eine freie Adverbialbestimmung einfügt, kann man auch im Deutschen die Bewegung sichtbar machen: (26)

(a) (b) (c)

daß [man [gestern [Ben betrog]]] daß [e [gestern [[Ben [betrogen]] wurde]]] daß [Ben [gestern [[[betrogen]] wurde]]]

Dieses Argument ist jedoch nicht stichhaltig, wenn man davon ausgeht, daß freie Adverbiale in der zugrundeliegenden Struktur nicht nur links, sondern auch rechts vom Komplement des Haupt-Verbs stehen können. Dafür plädiert Fanselow (1992). Wir werden im nächsten Kapitel auf die von Haider (1993) für das Deutsche vorgeschlagene Satzstruktur zurückkommen, die es ermöglicht, auf überflüssige, weil leere Bewegung von NPs zu verzichten. Man kann fragen, wodurch Derivationen wie (24) und (25)/(26) lizenziert werden. Wir betrachten zunächst die Antwort der klassischen TG, also des Typs von TG, der in den 60er Jahren vorherrschend war. Dann untersuchen wir die deutlich davon unterschiedene Antwort der moderneren TG, also der Rektions- und Bindungs-Theorie. Für die klassische TG ist eine Derivation wie (24) oder (25)/(26) deshalb zulässig, weil eine Regel, bekannt als Passiv-Transformation, dies erlaubt. Wir können die Regel für das Englische wie in (27), für das Deutsche wie in (28) formulieren: (27)

(28)

Passiv-Transformation (Englisch) NP, be V 1 2 3 4 2 3 Anwendungsbedingung: Obligatorisch Passiv-Transformation (Deutsch) NP, NPj V 1 2 3 2 0 3 Anwendungsbedingung: Obligatorisch

-

NP2 4 0

===>

werd4 4

===>

Diese Regeln bestehen - wie wir schon im 2. Kapitel gesehen haben - aus drei Komponenten. Die oberste Zeile ist die 'Struktur-Beschreibung' (SB). Sie identifiziert den Baumtyp, auf den die Regel angewandt wird. Für das Englische wird die Regel auf einen Baum angewandt, der aus einer NP, einem Verb und einer NP besteht, wobei das Verb der ersten NP unmittelbar folgt und die zweite NP dem Verb unmittelbar folgt. Jeder Baum, der so strukturiert ist, erfüllt die Strukturbeschreibung der Regel. Die beiden nächsten Zeilen sind die 'Struktur-Veränderungsvorschrift' (SV). Sie geben an, welche Veränderungen die Regel zuläßt bzw. vorschreibt. In unserem Falle zeigt sie an, daß NP, durch NP 2

212 ersetzt werden muß und daß NP2 an der ursprünglichen Position nichts hinterläßt. Die letzte Zeile bestimmt, daß die Regel auf jeden Baum, der ihre Strukturbeschreibung erfüllt, angewandt werden muß. Die Obligatheit der Anwendung dieser Regel wird durch die Anwesenheit der Auxiliarverben be bzw. werden determiniert. Für das Deutsche gilt Entsprechendes. Die Regeln (27) und (28) müssen nur die unterschiedlichen Reihenfolgebeziehungen von Verben und Komplementen im Englischen und im Deutschen berücksichtigen, sind aber ansonsten identisch. Mit dieser Analyse werden die Fakten im großen und ganzen richtig behandelt. Dennoch gibt es einen gewichtigen Einwand gegen diese Analyse. Sie wirft nämlich eine Reihe von Fragen auf, zu denen sie selbst jedoch keine interessanten Antworten beisteuern kann. Die erste Frage dieser Art kann so formuliert werden: (29)

Passiv-Problem 1 Warum ist eine Bewegungstransformation in Passiv-Strukturen erforderlich?

So können wir fragen, warum Ben in der Ausgangsstruktur von (24) nicht in seiner Objekt-Position verbleiben kann. Wenn wir annähmen, daß it in die Subjekt-Position eingesetzt wäre, erhielten wir (30): (30)

*It was deceived Ben.

Die klassische TG würde darauf antworten, daß die Regel (27) obligatorisch ist und folglich so etwas nicht erlaubt. Diese Antwort ist freilich nicht befriedigend. Wenn wir das deutsche Beispiel (25), in dem wir die Eigennamen mit einem Artikel versehen, betrachten, erhalten wir eine andere Antwort: (31)

(a) (b)

*daß es den Ben betrogen wurde daß der Ben betrogen wurde

Bildet man aus (31)(b) einen Aussagesatz, so hat man unter anderem folgende Optionen: (31)

(c) (dl) (d2)

L Der Ben [B wurde [ s [ w betrogen]]]] [„ Es [ s wurde [ s der Ben [yp betrogen]]]] [„ Es [B wurde [ s [yp der Ben betrogen]]]]

Man könnte jetzt folgendermaßen argumentieren: Wenn die NP d- Ben nicht in die Subjekt-Position, die in (31)(a) es einnimmt, bewegt wird, kann sie nicht den richtigen Kasus NOMINATIV bekommen, sondern müßte den falschen Kasus AKKUSATIV behalten. Damit hätten wir die Bewegung nicht nur dadurch motiviert, daß sie von der Regel als obligatorisch festgelegt ist. (Wir haben aber auch schon gesehen, daß im Deutschen anders als im Englischen - die Bewegung des Objekts in die SubjektPosition nicht zwingend ist, weil der Nominativ auch an eine Position in

213 der VP, also an die Position zugewiesen werden kann, die die NP d- Ben in (25) ursprünglich einnimmt.) Man muß beachten, daß das grammatische deutsche Beispiel (31)(dl,2) keine Parallele zum ungrammatischen englischen Beispiel (30) ist. Im Gegensatz zum englischen Beispiel befindet sich in (dl) das Objekt des Aktiv-Satzes im deutschen Beispiel nach einer Bewegung in der Subjekt-Position des Passiv-Satzes oder, wenn wir keine Bewegung annehmen wollen, in (d2) in der ursprünglichen Position. Demzufolge befindet sich im deutschen Beispiel das es aber auch nicht in der Subjekt-Position des Passiv-Satzes, wie dies für das it im englischen Beispiel zutrifft, sondern in einer davon verschiedenen SpezifiziererPosition. In der GB-Analyse wird deutlicher werden, in welchen Positionen sich es und it jeweils aufhalten. Zweitens könnten wir fragen: (32)

Passiv-Problem 2 Warum ist in den Aktiv-Sätzen, die den Passiv-Sätzen entsprechen, Bewegung nicht zulässig?

Warum können wir beispielsweise nicht eine Derivation wie die folgende erhalten? (33)

(a) (b)

[ s [NP e] [ w [V deceived] [NP Ben]]] = = = > [ s [NP Ben] [ w [ v deceived]]]

Die klassische TG würde darauf nur antworten, daß es keine Regel gibt, die so eine Bewegung erlaubt. Auch diese Antwort ist nicht befriedigend. Schließlich können wir folgende Frage formulieren: (34)

Passiv-Problem 3 Warum haben wir gerade diese Art von Bewegung?

Warum können wir aus der Struktur (37) die Struktur (35), aber nicht die Struktur (36) ableiten? (35) (36) (37)

[ s [NP Stefan] [vp [ v is] [VP [ v believed] [ s [yp to like Maja]]]]] *[s INF Maja] [YP [ v is] [ w [v believed] [ s [NP Stefan] [ w to like]]]]] [s [NP e] [VP [vis] [VP [ v believed] [ s [NP Stefan] [ w to like Maja]]]]]

Die klassische TG würde darauf antworten: Die Regel (27) für das Englische erlaubt ausschließlich die Bewegung der NP, die unmittelbar dem Verb folgt, das unmittelbar der Form von be folgt. Wiederum würde gelten, daß (36) nicht von (37) abgeleitet werden kann, weil die Regel es nicht erlaubt. Auch diese Antwort ist nicht aufschlußreich. Im Deutschen gibt es weder eine Ableitung von (38) noch von (39) aus (40), da (40) überhaupt nicht möglich ist: (38)

*daß [S [NP der Stefan] [yp [yp [ s [yp den Ben zu mögen]][v geglaubt]] [ v wird]]]

214 (39) (40)

*daß [ s [NP den Ben] [y, [VP [ s [NP der Stefan] [ w zu mögen]] [ v geglaubt]] [ v wird]]] *daß [ s [NP e] [VP [Vp Is [NP der Stefan] | w den Ben zu mögen]][v geglaubt]] [ v wird]]]

Das hängt mit der diskutierten Eigenschaft des deutschen Verbs glauben zusammen, daß es Einbettungen von exzeptionellen Sätzen nicht zuläßt. Obwohl die Passiv-Analyse der klassischen TG die Daten erfolgreich behandelt, kann sie doch nicht als zufriedenstellend angesehen werden. 2

9.4

Der GB-Zugang

Wir können uns nun mit dem Zugang der GB-Theorie zum Passiv beschäftigen. Ein wesentliches Merkmal dieses Zugangs besteht darin, daß er bessere Antworten auf die soeben formulierten Fragen gibt als die klassische TG im Stile der Standard-Theorie der 60er Jahre. Wir wollen noch einmal die Leitlinie der klassischen TG formulieren: (41)

Bedingungen für Bewegungen (TG-Rahmen) Eine Bewegungsoperation ist nur dann möglich, wenn sie von einer Regel ausdrücklich zugelassen wird.

Mit anderen Worten: Eine Bewegungsoperation ist unmöglich, wenn sie nicht von einer Regel erlaubt wird. Im GB-Rahmen wird dagegen folgende, davon sehr deutlich unterschiedene Leitlinie formuliert: (42)

Bedingungen für Bewegungen (GB-Rahmen) Jede Bewegungsoperation ist möglich, wenn sie nicht gegen eine Beschränkung verstößt.

Das heißt: Alle Bewegungsoperationen sind zugelassen, wenn sie nicht durch irgendeine Beschränkung untersagt sind. Diese Annahme kommt in einer Idee zum Ausdruck, die zuerst in Chomsky (1980b) vorgetragen wurde und die besagt, daß es nur eine einzige Transformationsregel gibt. Diese Regel wird standardgemäß wie folgt formuliert: (43)

Bewegungsregel (GB-Rahmen) Bewege α!

Dies scheint im wesentlichen eine Legitimierung dafür zu sein, daß man irgendetwas irgendwohin bewegen kann. Die Regel zeigt wieder, daß wir nicht fordern können, Kategorien in Bäumen müßten mit den entsprechen-

2

Für eine ausführliche Diskussion der klassischen TG vgl. Horrocks (1987 , 2.1) und Newmeyer (1986,3.).

215 den Kategorien in Regeln identisch sein. Beispielsweise darf eine Regel, nach der eine NP bewegt werden soll, nicht auf bestimmte Kasusmerkmale, die eine NP in einem Baum hat, Bezug nehmen (im Deutschen kann eine NP mit ihrem Kasus, den sie in einer Baumposition erhalten hat, bewegt werden, im Englischen nicht). Bewegung wird entweder als Substitution oder als Adjunktion definiert. Ein Typ von Substitution ist die Bewegung einer NP in eine leere NP-Position. Dies ist als NP-Bewegung bekannt. Natürlich kann nicht jede beliebige NP an jede beliebige NP-Position verschoben werden. In der GB-Theorie muß daher eine Reihe von grammatischen Prinzipien mit dieser Regel interagieren können. Dadurch werden genau die wirklich vorkommenden Bewegungsprozesse legitimiert. In GB müssen Bewegungsprozesse den gleichen Status haben wie lokale Bäume in GB und in PSG. In beiden Theorien hängt der Umstand, ob ein bestimmter lokaler Baum wohlgeformt ist oder nicht, keineswegs von einer einzelnen Regel ab, sondern von einer Anzahl verschiedener Faktoren. Ebenso hängt in GB der Umstand, ob ein Bewegungsprozeß legitimiert ist oder nicht, keineswegs von einer einzelnen Regel ab, sondern von einer Reihe unterschiedlicher Faktoren. Wir können nun zunächst prüfen, wie GB eine Antwort auf das PassivProblem 1 ermöglicht: Warum brauchen wir beim Passiv überhaupt Bewegung? Die Antwort involviert, wie wir schon am deutschen Beispiel (31) angedeutet haben, den Begriff 'Kasus', der traditionellerweise in Verbindung mit Kontrasten folgender Art benutzt wird: (44) (45)

(a) (b) (a) (b)

I saw Stefan, *Me saw Stefan. Stefan saw me. »Stefan saw I.

Das Deutsche scheint auf den ersten Blick die (b)-Fälle nicht auszuschließen: (46) (47)

(a) (b) (a) (b)

Ich sah Stefan, Mich sah Stefan. Stefan sah mich, Stefan sah ich.

Es ist klar, woran das liegt: In (46)(b) ist mich nicht Subjekt (nicht in einer Subjektposition), sondern Objekt wie in (47)(a), und in (47)(b) ist ich nicht Objekt (nicht in einer Objektposition), sondern Subjekt wie in (46)(a). Das hat damit zu tun, daß Deutsch eine SOV-Sprache mit VerbZweit-Phänomenen ist. Das bedeutet, daß vor dem finiten Verb nicht nur ein Subjekt, sondern auch ein anderes Satzglied, etwa ein Objekt, stehen kann. Ein Personalpronomen kann als Subjekt allerdings nur in V-Zweit-,

216 normalerweise aber nicht in Verb-Erst- oder in Verb-End-Strukturen rechts vom Objekt stehen: (48) (49)

(a) (b) (a) (b)

Sah ich Stefan? *Sah Stefan ich? daß ich Stefan sah. *daß Stefan ich sah.

Im Gegensatz dazu kann ein pronominales Objekt in allen Satzstrukturen hinter oder vor dem Subjekt auftreten. Für die Verb-Zweit-Strukturen haben das (46)(b) und (47)(a) demonstriert. Für Verb-Erst- und VerbEnd-Strukturen sollen es die folgenden Beispiele verdeutlichen: (50) (51)

(a) (b) (a) (b)

Sah Stefan mich? Sah mich Stefan? daß Stefan mich sah. daß mich Stefan sah.

Damit soll angedeutet werden, daß die einschlägigen Phänomene im Deutschen komplexer zu sein scheinen als im Englischen. Die Standardannahmen für die englischen Beispiele (44) und (45) sind folgende: In der Subjekt-Position stehen Nominativ-Formen, und somit befindet sich auch I als ein Nominativ in der Subjekt-Position. Hingegen stehen die Akkusativ- oder Objektiv-Formen in der Objekt-Position, und somit ist auch me als ein Akkusativ in einer Objekt-Position. Da im Englischen die Kasus-Positionen eindeutig strukturell fixiert sind (eine unmittelbar von S dominierte NP ist das Subjekt, eine unmittelbar von VP dominierte NP ist das Objekt), rührt die Ungrammatikalität von (44)(b) und (45)(b) daher, daß ein akkusativisch markiertes Pronomen in der Subjekt-Position bzw. daß ein nominativisch markiertes Pronomen in der Objekt-Position steht.3 In der GB-Theorie wird angenommen, daß alle NPs mit phonetischem Inhalt (oder mit lexikalischer Belegung), also alle nicht-leeren NPs, einen

3

In der GB-Theorie wird angenommen, daß die Kongruenz-Merkmale, die mit einem finiten Verb verbunden sind, dem Subjekt eines finiten Verbs Kasus zuweisen, und daß eine Präposition ihrem Komplement einen Kasus zuweist. Es wird aber auch angenommen, zumindest für das Englische, daß Nomina und Adjektive überhaupt keinen Kasus zuzuweisen vermögen oder daß sie eine andere Art von Kasus zuweisen, der durch die Präposition of realisiert wird. Beide Annahmen erklären den Umstand, daß im Englischen Nomina und Adjektive niemals ein NP-Komplement auf der S-Struktur haben. Für das Deutsche gilt diese Einschränkung jedoch nicht: Im Deutschen können sowohl Nomina als auch Adjektive einen Kasus zuweisen, Nomina weisen adjazenten NPs den Genitiv zu (die Pflege der Mutter), Adjektive weisen verschiedene Kasus zu (des Treibens müde, dem Vater ähnlich, einen Betrag schuldig). Für eine lehrbuchmäßige Diskussion der GB-Annahmen über Kasus vgl. Haegeman (1991, 3.).

217 Kasus haben müssen. Das wird durch den sogenannten Kasusfilter ausgedrückt: (52)

Kasusfilter Eine NP mit phonetischem Inhalt (mit lexikalischer Belegung) muß einen (abstrakten) Kasus haben.

Man muß sich die Unterscheidung zwischen abstraktem Kasus und morphologischem Kasus (bzw. morphologischer Kasusform oder morphologischer Realisierung des abstrakten Kasus) klar machen. Wenn wir das Deutsche betrachten, so haben wir vier abstrakte Kasus: (53)

Abstrakte Kasus im Deutschen Das Deutsche hat die abstrakten Kasus NOMINATIV, GENITIV, DATIV und AKKUSATIV.

In anderen Sprachen kann das anders sein: Im Russischen gibt es sechs, im Polnischen sieben abstrakte Kasus, im Englischen offensichtlich nur drei, wenn man den sächsischen Genitiv dazu rechnet. Den abstrakten Kasus können nun aber sehr unterschiedliche morphologische Kasus zugeordnet werden: (54)

Abstrakte und morphologische Kasus im Deutschen (Singular) NOMINATIV

GENITIV

DATIV

AKKUSATIV

MASKULINA

Tag Bär

Tages Bären

Tag(e) Bären

Tag Bären

FEMININA

Frau Biene

Frau Biene

Frau Biene

Frau Biene

NEUTRA

Kind Herz

Kindes Herzens

Kind(e) Herzen

Kind Herz

Die Tabelle (54) enthält nur einige Illustrationen zur morphologischen Realisierung von abstrakten Kasus im Deutschen, und auch dies nur für den Singular. Die Illustrationen sollen folgendes leisten: In der Spalte NOMINATIV zeigt sich, daß dieser Kasus morphologisch nicht realisiert ist. Das heißt aber nicht, daß die Nomina, die in dieser Spalte auftreten, keinen Kasus haben. Unter bestimmten strukturellen Bedingungen erhalten sie den abstrakten Kasus NOMINATIV. Sie haben nur dann keinen abstrakten Kasus, wenn sie in einer strukturellen Konfiguration auftreten, in der ihnen kein solcher Kasus zugewiesen werden kann (was weiter unten genauer belegt werden soll). In der Spalte GENITIV sehen wir, daß ein und derselbe abstrakte Kasus teils unterschiedlich (bei MASKULINA und bei NEUTRA), teils gar nicht (bei FEMININA) morphologisch realisiert wird. In der Spalte DATIV sehen wir etwas Ähnliches wie in der Spalte

218 GENITIV, in der DATIV-Spalte ist aber bei bestimmten MASKULINA und

NEUTRA die morphologische Kasusrealisierung optional. In der Spalte AKKUSATIV wird erkennbar, daß sie fast wie die ΝΘΜΠΜΑΤΐΝ-Spalte aussieht (d.h., es gibt fast keine AKKUSATIV-Realisierung), bei bestimmten MASKULINA erfolgt jedoch die morphologische Kasusrealisierung obligatorisch (umgangssprachlich findet sich jedoch auch ein Akkusativ wie den Bär). Man sieht an diesen wenigen Beispielen, daß es innerhalb der Genera MASKULINUM und NEUTRUM im Singular verschiedene

Paradigmen der morphologischen Kasusrealisierung gibt. Entscheidend ist, daß morphologische Nicht-Realisierung von abstrakten Kasus nicht das Nicht-Vorhandensein von abstrakten Kasus bedeutet. Eine spezifischere Annahme über Kasus als die in (53) formulierte ist (55): (55)

Kasuszuweisung Eine Aktiv-Form eines transitiven Verbs weist einer NP, die sie regiert, einen Kasus zu. Das entsprechende Passiv-Partizip des gleichen Verbs hat diese Fähigkeit nicht.

Man kann sich dies noch einmal am deutschen Beispiel (31), hier wiederholt als (56), verdeutlichen: (56)

(a) (b)

*daß es den Ben betrogen wurde daß der Ben betrogen wurde

(55) setzt Klarheit über den Begriff von Rektion voraus. Rektion und Kasuszuweisung werden in der GB-Theorie - anders als in konventionelleren Grammatiken - separiert. Dort wird Rektion mit Kasuszuweisung identifiziert. In diesem Sinne regiert das Verb geben einen Dativ und einen Akkusativ, die Präposition bei einen Dativ. In der GB-Theorie ist Rektion eine Relation in einem Baum und nur die Voraussetzung für die Zuweisung eines Kasus. Rektion ist notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für Kasuszuweisung: Bestimmte von V oder auch von Ρ regierte Kategorien können - zumindest im Deutschen oder im Englischen - gar keinen Kasus nehmen. Das gilt für von V und Ρ regierte Sätze, denn Sätze können keinen Kasus nehmen, oder für von V regierte APs oder VPs, für die das gleiche gilt. Es gibt in der Literatur unterschiedliche Definitionen für 'Rektion'. 4 Hier wollen wir eine sehr vereinfachte Version angeben:

4

Rektion wird ausführlich in Aoun/Sportiche (1983) und Chomsky (1981, 3.2.1) diskutiert. Es ist auch wesentlicher Gegenstand von Chomsky (1986), wo Rektion in Termen eines Barrieren-Begriffs definiert wird, der auch für die Subjazenz-Bedingung relevant ist, die wir in Kapitel 13 erörtern werden. Für eine lehrbuchmäßige Behandlung vgl. Haegeman (1991, 2.4.).

219 (57)

Rektion Ein lexikalischer Kopf regiert entweder (a) sein Komplement oder (b) das Subjekt eines exzeptionellen Satzes oder (c) das Subjekt eines Small Clauses, wobei der exzeptionelle Satz oder der Small Clause das Komplement des lexikalischen Kopfes ist.

In der kanonischen GB-Theorie sind - wie wir schon gesehen haben 'normale' Satz-Komplemente 'erweiterte' Sätze mit einer Struktur wie der folgenden: (58) COMP

S

Eine komplexere Struktur, die wir schon in früheren Kapiteln kurz eingeführt haben, wird im 12. Kapitel ausführlicher behandelt. Die COMP-Kategorie kann mit einem Komplementierer (einer Teilklasse von subordinierenden Konjunktionen) wie daß im Deutschen oder that im Englischen besetzt oder sie kann unter Umständen leer sein. Die S'Kategorie ist in Bresnan (1970) eingeführt worden. Die Struktur in (58) schützt das Subjekt eines normalen eingebetteten Satzes vor der Rektion von außen. Exzeptionelle Sätze und Small Clauses sind hingegen keine 'erweiterten' Sätze, daher können ihre Subjekte von außen regiert werden. 3 Betrachten wir nun englische Passiv-Konstruktionen, in denen keine Bewegung erfolgt ist: (59)

(a) (b) (c)

*It was deceived Ben. *It was considered Ben to be a genius. *It was considered Ben a genius.

In (59)(a) ist die NP rechts vom Partizip ein Komplement, in (b) ist sie das Subjekt eines exzeptionellen Satz-Komplements, in (c) ist sie das Subjekt eines S/na/Z-C/aMse-Komplements. Unter der Voraussetzung von (57) müssen diese NPs durch die Passiv-Partizipien regiert sein. Berücksichtigt man jedoch dazu (55), dann weisen die Passiv-Partizipien diesen NPs keinen Kasus zu. Daher verletzen diese Beispiele den Kasusfilter (52). Damit haben wir eine Erklärung für die Notwendigkeit des Auftretens von Bewegung in englischen Passiv-Konstruktionen. Ohne Bewegung bekämen wir eine Verletzung des Kasusfilters und damit U ngrammatikal ität. Dieser Zugang sagt interessanterweise voraus, daß Bewegung dann nicht notwendig ist, wenn die vom Passiv-Partizip regierte Konstituente

220 keine NP ist. Die folgenden Beispiele verdeutlichen, Voraussage korrekt ist. (60)

(a) (b) (c)

daß

diese

Everyone believes that Stefan is a spy. That Stefan is a spy is believed by everyone. It is believed by everyone that Stefan is a spy.

In (60)(a) haben wir ein aktivisches Verb mit einem Satz-Komplement. In (b) und (c) haben wir ein verwandtes Passiv-Partizip. In (b) erscheint der eingebettete Satz in Subjekt-Position, in (c) hingegen verbleibt er in Komplement-Position. Man kann diesen theoretischen Ansatz auf bestimmte Konstruktionen im Deutschen übertragen. Man könnte annehmen, daß im Deutschen Bewegung erforderlich ist, damit eine NP wie in (31)(b) ihren korrekten Kasus erhält. Nun haben wir schon anhand von (25) gezeigt, daß diese Bewegung nicht sichtbar wird. Das englische Beispiel (60)(c) hat gezeigt, daß nicht alle Komplemente, sondern nur NP-Komplemente bewegt werden müssen. Man kann daher fragen, ob es im Deutschen Daten gibt, die nicht nur zeigen, daß Bewegung von NPs nicht erforderlich, sondern auch nahelegen, daß sie nicht zulässig ist. Voraussetzung dafür ist, daß der Nominativ in die VP hinein zugewiesen werden kann und nicht nur an eine Subjekt-Position außerhalb der VP. Daten dieser Art sind von Haider (1986/93) und von Fanselow (1991, 1992a, 1992b, 1993) vorgewiesen und diskutiert worden. Sie betreffen nicht allein passivische Verben (61)(b), sondern auch Verben, die als "ergativische" oder "unakkusativische" Verben (62) bezeichnet werden. (61) (62)

(a) (b)

[„ daß [, man [Y einem Kind den Ball gestohlen hat]]] [„ daß [ß [T einem Kind der Ball gestohlen worden ist]]] [„ daß [B [, meinem Freund der Versuch gelungen ist]]]

Zweifellos haben stehlen und gestohlen werden sowie gelingen jeweils zwei Komplemente, von denen das erste, verbfernere auf lexikalischem Wege den Dativ erhält. Bei aktivischem stehlen erhält das zweite, verbnähere Komplement den Akkusativ (61)(a). In (61)(a) ist die mit ß indizierte Kategorie ein S und die mit 7 indizierte eine VP. Beim passivischen gestohlen werden und beim ergativischen gelingen erhält das erste, verbfernere Komplement den Dativ, das zweite, verbnähere hingegen den Nominativ. Wollte man nun die Zuweisung des Nominativs an die verbnäheren Komplemente mit Bewegung erklären, müßte man unangemessenen Aufwand betreiben. Es gibt im Prinzip zwei Möglichkeiten. Erstens: Wir nehmen an, daß die NPs d- Ball und d- Versuch zunächst in die Subjekt-Position der Kategorie ß = S bewegt worden sind, dort den Nominativ "abgeholt" und sich dann wieder auf ihre ursprüngliche Position zurückgezogen haben. Das würde bedeuten, daß wir die NPs wie

221 in einem Fahrstuhl nach oben und dann wieder nach unten im Baum fahren lassen müßten. Statt (61)(b) brauchten wir dann ( 6 1 ) ^ ) und (b2): (61)

(b,) (b2)

L daß [„ der Ball [ γ einem Kind e gestohlen worden ist]]] L daß [ß e [Ύ einem Kind der Ball gestohlen worden ist]]]

Für sprachliche Derivationen und Repräsentationen gelten aber gewisse Ökonomie-Bedingungen (vgl. Chomsky 1989, 1995). Eine Auf- und Abbewegung (abgesehen von anderen Problemen, die sich daraus ergeben) widerspricht solchen Prinzipien. Zweitens: Wir nehmen an, daß die beiden NPs d- Ball und d- Versuch in die Subjekt-Position von ß = S bewegt worden sind und dort den Nominativ erhalten. Um sie nun nicht wieder nach unten wandern lassen zu müssen und dennoch die Reihenfolge Dativ - Nominativ - Verb erlangen zu können, müßte nun die Dativ-NP vor die Nominativ-NP bewegt werden. Statt (61)(b2) könnten wir (61)(b3) aus (61)(b,) ableiten: (61)

(b3)

[„ daß [„ einem Kind [„ der Ball [ γ e e gestohlen worden ist]]]]

Auch hier ist der Aufwand erheblich, der erforderlich ist, eine Reihenfolge zu restituieren, die in der Aktiv-Konstruktion gegeben ist (außerdem gibt es auch bei diesem Verfahren eine Reihe von zusätzlichen Problemen, auf die an dieser Stelle nicht eingegangen werden soll). Die ökonomischste Lösung des Problems besteht darin, daß die beiden Argument-NPs sowohl in (61)(b) als auch in (62) innerhalb von γ = VP verbleiben und der Nominativ in die VP hinein dem verbnäheren NPArgument zugewiesen wird. Wir können uns nun der zweiten unserer drei Fragen zuwenden: Warum haben wir im Englischen keine vergleichbare Bewegung in AktivKonstruktionen? Die GB-Antwort auf diese Frage involviert das Konzept der Θ-Rollen, die von lexikalischen Köpfen, wie im 5. und im 6. Kapitel erörtert, vergeben werden. Wir machen folgende zentrale Annahme: (63)

NPs und Θ-Rollen (Theta-Kriterium 1. Teil) Keine NP kann mehr als eine Θ-Rolle haben.

Eine spezifischere Annahme über Θ-Rollen ist folgende: (64)

Subjekte und Θ-Rollen Aktive transitive Verben haben eine externe Θ-Rolle, d.h., sie weisen ihren Subjekten eine Θ-Rolle zu. Die verwandten Passiv-Partizipien sind dazu nicht in der Lage.

(64) zeigt einen zweiten Unterschied zwischen Passiv-Partizipien und den verwandten Aktiv-Verben oder einen weiteren Aspekt, unter dem PassivPartizipien als 'defektiv' erscheinen. Die Gültigkeit von (64) wird dadurch gestützt, daß das Dummy-/r in Passiv-Konstruktionen wie (60)(c)

222 erscheint, in denen keine Konstituente in die Subjekt-Position bewegt worden ist. Wie wir im 6. Kapitel gezeigt haben, erscheint ein Dummy-;/ nur in solchen Subjekt-Positionen, denen keine Θ-Rolle zugewiesen werden kann. Zwei weitere Annahmen sind hier von Bedeutung. Die erste war ein wichtiger Bestandteil der TG seit Chomsky (1973): (65)

Bewegung und Spuren Bewegung hinterläßt eine Spur, d.h., eine leere Kategorie, die mit der bewegten Kategorie koindiziert ist.

Zugunsten dieser Annahme sind verschiedene Arten von Evidenz vorgebracht worden.5 Die wichtigste ist, daß die Annahme eine interessante Erklärung bestimmter Beschränkungen für Bewegung erlaubt. Sie erlaubt die weiterführende Annahme, daß das Projektions-Prinzip, das wir im 6. Kapitel eingeführt haben, auf allen Ebenen der syntaktischen Struktur gilt, also nicht nur auf der Ebene der Tiefenstruktur. Wenn Bewegung eine Spur hinterläßt, erhalten wir (für das Englische) folgende Oberflächenstruktur einer typischen Passiv-Konstruktion: (66

Ben was

deceived

e

(Anstelle von e könnte auch t für trace stehen.) Eine ähnliche Struktur bekommen wir, wenn wir ein Objekt in die leere Subjekt-Position eines einfachen Aktiv-Satzes bewegen: S

(67) NP¡

VP

V Ben deceived

5

NP¡ e

Frühe Argumente für die Ansicht, daß Bewegungsprozesse eine Spur hinterlassen, wurden in Wasow (1972) und Fiengo (1974) vorgebracht.

223 Die letzte hier relevante Annahme ist dann: (68)

θ-RoUen-Vererbung Eine NP ererbt eine Θ-Rolle von ihrer Spur.

Das erklärt die Tatsache, daß Stefan in (69) und (70) in der gleichen Weise verstanden wird: (69) (70)

Stefan was chosen. Someone chose Stefan.

Wir wollen nun die Implikationen dieser Annahmen betrachten. Wenn (68) gilt, ererben die Subjekte in (66) und (67) Θ-Rollen von ihren Spuren. Da Passiv-Partizipien keine Θ-Rollen an ihre Subjekte vergeben, hat das Subjekt in (66) genau eine Θ-Rolle und stimmt daher mit der Beschränkung (63) überein. Wenn aktivische transitive Verben ihren Subjekten Θ-Rollen zuweisen, dann muß das Subjekt in (67) zwei G-Rollen haben. Damit verletzt es die Beschränkung (63). Weiter: In der GB-Theorie wird, wie im 5. Kapitel angemerkt, angenommen, jedes Komplement habe eine Θ-Rolle. (63), der erste Teil des Θ-Kriteriums, interagiert mit dieser Annahme, um die Bewegung in eine Komplement-Position auszuschließen. Somit werden der Bewegung durch (63) sehr strenge Beschränkungen auferlegt. Diese Argumentation kann mit Modifikationen auf das Deutsche übertragen werden: Auch in deutschen Aktiv-Konstruktionen kann ein internes Argument nicht an die Stelle des externen Arguments gerückt werden: (71)

(a) (b) (c)

daß man das Buch liest daß das Buch gelesen wird *daß das Buch liest

Wenn das Aktiv-Verb lesen zwei Θ-Rollen vergibt, so geht gemäß (64) in (71)(a) die eine an man und die andere an das Buch. Wenn das PassivPartizip gelesen (wird) eine Θ-Rolle nur an sein internes Argument vergeben kann, so erhält gemäß (64) das Argument das Buch diese ΘRolle. Wie im Englischen wird das Buch in (71)(a) und (b) als Gegenstand des Lesens verstanden. Die Interpretation von (71)(c) hingegen verläuft anders, wenn vorausgesetzt wird, daß keine Bewegung angenommen werden muß. Würden wir Bewegung annehmen, hätten wir folgende Struktur: (72)

*daß [das Buch [ e liest]!.

Wenn wir nun (68) akzeptieren, müssen wir annehmen, daß das Buch die Θ-Rolle des internen Arguments von e ererbt. Wir müssen aber auch dabei bleiben, daß das aktivische Verb lesen eine Θ-Rolle an die Position

224 des externen Arguments vergibt. Da nun das Buch nach Bewegung in dieser Position gelandet ist, muß es zwei Θ-Rollen erhalten: die des internen und die des externen Arguments. Dies ist - wie im Englischen - ein Verstoß gegen (63). Wenn wir keine Bewegung annehmen, erhalten wir folgende Struktur: (73)

*daß [ e [das Buch liest]].

Wir können nun (63) folgendermaßen ergänzen: (74)

Θ-Rollen und NPs (Theta-Kriterium 2. Teil) Jede θ-RoUe muß eine (und nur eine) NP als Träger haben.

Unter diesem Blickwinkel ist klar, daß in (73) die eine der beiden ΘRollen, die das Aktiv-Verb lesen vergibt, nämlich die für das externe Argument, keinen Träger findet. Das ist ein Verstoß gegen (74).6 Schließlich wollen wir auf die letzte unserer drei Fragen zurückkommen: Warum haben wir gerade diese Art von Bewegung? Für die Beantwortung dieser Frage verweisen wir darauf, daß die Oberflächenstruktur in (75)(a) möglich ist, daß aber die Strukturen in (76)(a) und (77)(a) keine möglichen Oberflächenstrukturen sind: (75)

(a) (b)

(76)

(a) (b)

(77)

(a) (b)

Ben¡ is believed [ s e¡ to like Maja] *Ben wird geglaubt, [ s e¡ Maja zu mögen] •Maja¡ is believed [ s Ben to like e j •Maja wird geglaubt [ s Ben zu mögen e j •Beni is believed [ s . that [ s e¡ likes Maja]] •Ben wird geglaubt [s· daß [ s e¡ Maja mag]]

(Die deutschen Beispiele sind wieder generell unmöglich wegen der bereits besprochenen Eigenschaft des deutschen Verbs glauben, keine infiniten Komplemente zu dulden.) Vergleichbare Daten bekommen wir bei Reflexiv-Konstruktionen: (78)

(a) (b)

(79)

(a) (b)

(80)

(a) (b)

Stefan; believes [ s himself, to be clever] •Stefan; glaubt [ s sich¡ klug zu sein] •Stefanj believes [ s Maja to like himself] •Stefaiij glaubt [ s Maja sich¡ zu mögen] •Stefanj believes [ s . that [ s himself is clever]] •Stefan; glaubt [ s . daß [ s sichj klug ist]]

(Die Indices hier deuten an, daß Stefan als Antezedent von himself'/sich

6

Die Standard-Formulierung der Beschränkungen für Θ-Rollen ist etwas anders als die in unserem Text präsentierte. Sie involviert den Begriff der Kette, die aus einer NP und den Spuren besteht, die sie bei einer Bewegung hinterlassen hat. Es ist vorgeschlagen worden, daß Θ-Rollen an Ketten zugewiesen werden und daß eine Kette nicht mehr als eine Θ-Rolle haben kann. Vgl. Chomsky (1981, 6.).

225 verstanden werden soll.) Wenn man die Passiv-Konstruktionen mit den Reflexiv-Konstruktionen vergleicht, scheint die Annahme zwingend, daß die Spuren in den Passiv-Konstruktionen denselben Status wie die Anaphern in den Reflexiv-Konstruktionen haben. Ebenso zwingend ist die Annahme, daß die Restriktionen, die in (79) und (80) verletzt worden sind, die gleichen sein müssen, die in (76) und (77) verletzt worden sind, welcherart auch immer diese Restriktionen sein mögen. In der GB-Theorie werden Reflexiva (und Reziproka) als Anaphern bezeichnet (der Begriff 'Anapher' ist hier also enger gefaßt, aber auch schärfer bestimmt als in traditionelleren Grammatiken), und es wird folgendes Prinzip angenommen: (81)

NP-Spuren Eine NP-Spur, d.h. eine Spur, die durch NP-Bewegung entsteht, ist eine Anapher (hat anaphorische Eigenschaften).

Man beachte, daß mit (81) nicht allen Spuren anaphorische Eigenschaften zugeschrieben werden, sondern lediglich den NP-Spuren. Im 12. Kapitel werden wir sehen, daß es Spuren gibt, die nicht anaphorischen Charakter haben. In der GB-Theorie ist das wesentliche Charakteristikum von Anaphern: (82)

Bedingung für Anaphern Eine Anapher muß in ihrer Rektionsdomäne (governing category) A-gebunden sein.

Um dies verstehen zu können, muß man wissen, was 'Α-gebunden' und 'Rektionsdomäne' heißt. Diese Konzepte kann man folgendermaßen definieren: (83)

A-Bindung Eine Kategorie ß ist Α-gebunden durch eine Kategorie α gdw. (a) a ß c-kommandiert, (b) a sich in einer A-Position (Argument-Position, d.h. in einer SubjektPosition oder in einer Komplement-Position eines Verbs oder einer Präposition) befindet und (c) a und ß koindiziert sind.

(84)

Rektionsdomäne Die Rektionsdomäne einer Einheit a ist die minimale (die kleinste) NP- oder SKategorie, die (a) diese Einheit a und (b) eine Einheit ß, die die Einheit a regiert, enthält.

Die Bestimmung der Rektionsdomäne hängt davon ab, was wovon regiert wird. Wir haben schon angemerkt, daß ein lexikalischer Kopf ein

226 Komplement und das Subjekt eines exzeptionellen Satzes oder eines Small Clause regieren kann. Alle Rektionsdefinitionen haben die folgende Konsequenz: (85)

Rektion durch Kongruenz (agreement) Die Kongruenzmerkmale (AGR[EEMENT]-Merkmale, d.h. die Merkmale für Person und Numerus), die mit einem Verb verbunden sind (und dieses Verb finit machen), regieren dessen Subjekt.

In der kanonischen GB-Theorie wird angenommen, daß die AGRMerkmale an der Oberfläche mit einem Verb verbunden sind, um es finit zu machen. Sie sind Teil der INFL- oder INFLECTION-Kategorie, d. h. einer Kategorie, die aus einem Bündel von Flexionsmerkmalen besteht, aber auch Information über Tempus und Modus enthält. Diese Kategorie erscheint in einigen Versionen der Theorie, insbesondere in Chomsky (1981) in Strukturen wie den folgenden:

NP

I

VP

NP

VP

I

(86)(a) ist die englische Version (mit dem linksständigen lexikalischen Kopf in der VP), (86)(b) ist die deutsche Version (mit dem rechtsständigen lexikalischen Kopf in der VP). Wir haben jedoch schon gezeigt, daß (86)(b) nach Haider (1993) durch eine andere Strukturhypothese zu ersetzen ist. Das I-Element wird in geeigneter Weise mit dem adjazenten (direkt benachbarten) lexikalischen Kopf der VP kombiniert: entweder durch Bewegung von V nach I oder durch Bewegung von I nach V. 7 Wir können nun beobachten, wie (82) die Verteilung der Grammatikalität in den Daten (75) bis (80) voraussagt, die wir hier wiederholen: (75)

(a) (b)

(76)

(a) (b)

(77)

(a) (b)

(78)

7

(a)

Beni is believed [ s e¡ to like Maja] •Ben wird geglaubt, [ s e¡ Maja zu mögen] •Maja¡ is believed [ s Ben to like ej •Maja wird geglaubt [ s Ben zu mögen ej •Ben¡ is believed [ s . that [ s e¡ likes Maja]] •Ben wird geglaubt [ s . daß [ s e¡ Maja mag]] Stefan¡ believes [ s himself to be clever]

Chomsky (1981) schlägt vor, daß V und I durch eine Bewegung von I nach V verknüpft werden, was er als Regel R bezeichnet. Chomsky (1986) hingegen erwägt, Koopman (1984) folgend, daß sie durch eine Bewegimg von V nach I miteinander verknüpft werden. Pollock (1989) meint, daß wir eine Bewegung von V nach I im Falle der Auxiliare be und have haben und Bewegung von I nach V im Falle von anderen Verben. Chomsky (1989) schließt sich dieser Auffassung im wesentlichen an.

227 (79) (80)

(b) (a) (b) (a) (b)

*Stefan¡ glaubt [ s sich¡ klug zu sein] *Stefani believes [ s Maja to like himselfj *Stefan¡ glaubt [ s Maja sich¡ zu mögen] *Stefan¡ believes [s- that [ s himselfi is clever]] *Stefan¡ glaubt [ s . daß [ s sich¡ klug ist]]

Als erstes betrachten wir (75)(a) und (78)(a). Hier werden die Anaphern durch das vorausgehende Verb regiert. Wir hatten vorausgesetzt, daß ein lexikalischer Kopf das Subjekt seines Komplements regiert, wenn das Komplement die Gestalt eines exzeptionellen Satzes hat. Da das Verb in beiden Fällen im Hauptsatz steht, muß dieser die Rektionsdomäne der Anaphern sein. Somit sind die Anaphern innerhalb ihrer Rektionsdomäne Α-gebunden, wie dies von (82) gefordert wird. Als nächstes können wir (76)(a) und (79)(a) betrachten. Hier sind die Anaphern durch das vorausgehende Verb regiert, wenn wir voraussetzen, daß ein lexikalischer Kopf seine Komplemente regiert. Da das Verb im untergeordneten Satz steht, ist dieser die Rektionsdomäne der Anaphern. Somit sind die Anaphern nicht in ihrer Rektionsdomäne Α-gebunden, und wir haben eine Verletzung von (82). Schließlich können wir uns (77)(a) und (80)(a) ansehen. In diesen Beispielen sind die Anaphern nicht durch das vorausgehende Verb regiert, weil das Komplement ein S' und nicht ein S ist. Stattdessen sind sie durch die AGR-Merkmale des nachfolgenden Verbs regiert, wenn wir voraussetzen, daß die AGR-Merkmale eines Verbs dessen Subjekt regieren. Da die AGR-Merkmale des Verbs sich im untergeordneten Satz befinden, ist dieser wiederum die Rektionsdomäne für die Anaphern. Damit sind auch diese Anaphern nicht in ihrer Rektionsdomäne Agebunden, und wir haben eine weitere Verletzung von (82). In diesem Zusammenhang ist anzumerken: (77)(a) wird ohne Komplementierer that nicht besser. Solange das Komplement von believe ein S' ist, ergibt sich kein Problem, auch dann nicht, wenn S' kein COMP enthält. Jedoch ergäbe sich ein Problem, wenn das Komplement von believe ein S wäre. Dann wäre die Spur in der Subjekt-Position durch das übergeordnete Verb regiert und in ihrer Rektionsdomäne A-gebunden. (77)(a) müßte dann grammatisch sein, was aber nicht der Fall ist.8

8

Wenn man die Definition von Rektionsdomäne (governing category) im Text voraussetzt, dann sondert die Bedingung für Anaphern eine Reihe von grammatischen Sätzen als ungrammatisch aus. Sie schließt korrekterweise (1) aus, unkorrekterweise auch (2): (1) (2)

*Ben likes Debbie's pictures of himself. Ben likes pictures of himself.

In (1) ist die Rektionsdomäne fur himself die NP Debbie's pictures of himself. So ist

228 Die GB-Theorie scheint also interessante Antworten auf alle drei Fragen geben zu können, die sich im Zusammenhang mit Passiv-Konstruktionen ergeben. Erstens erklären bestimmte Annahmen über Kasus, warum wir für typische Passiv-Konstruktionen zumindest im Englischen Bewegung brauchen. Zweitens erklären bestimmte Annahmen über Θ-Rollen und Spuren von Bewegung, warum wir in Aktiv-Konstruktionen keine Bewegung haben können. Schließlich erklärt die Annahme, daß NPSpuren anaphorischen Charakter haben, die Unmöglichkeit bestimmter Bewegungstypen. Da sie Antworten auf die Passiv-Probleme gibt, stellt die GB-Theorie auf diesem Gebiet einen deutlichen Fortschritt gegenüber der klassischen TG-Theorie dar. Wir werden auf die hier betrachteten Begriffe im nächsten Kapitel noch einmal zurückkommen.

9.5

Der PSG-Zugang

Wir können nun prüfen, wie Passiv-Konstruktionen in die PSG eingepaßt werden. Genauer gesagt, wir wollen uns ansehen, wie sie innerhalb von HPSG analysiert werden. In bestimmter Hinsicht ist der HPSG-Zugang einfacher als der GB-Zugang. Er benötigt nämlich wieder nur eine Strukturebene, und es gibt keine Bezugnahme auf Spuren, (abstrakten) Kasus, Θ-Rollen oder Bedingungen für Anaphern. Allerdings erfordert der HPSG-Zugang ziemlich komplexe Kategorien. Innerhalb von PSG haben Passiv-Konstruktionen eine einfache Struktur. (87) hat die Struktur (88): (87)

Stefan was sent to Bangor.

himself nicht in seiner Rektionsdomäne gebunden. In (2) ist Rektionsdomäne fur himself die NP pictures of himself. Hier ist himself ebenfalls nicht in seiner Rektionsdo-mäne gebunden. Die Bedingung schließt auch die folgenden Beispiele als ungrammatisch aus: (3) (4)

Ben thought that a picture of himself would please Debbie. Ben thought that there was a picture of himself in the hall.

In beiden Fällen ist die Rektionsdomäne für himself àie NP a picture of himself. Chomsky (1981, 3.2.3.) entwickelt eine komplexere Definition von Rektionsdomäne, die diese Beispiele nicht ausschließt. Vgl. Lasnik/Uriagereka (1988, 2.) für eine lehrbuchgemäße Diskussion diese Problems.

229 (88) NP

V Stefan

was

sent

to Bangor

Analog dazu gilt für das Deutsche: (89)

(daß) Stefan nach Jena geschickt wurde

(90)

Stefan

PP

V

nach Jena

chii geschickt

wurde

Wenn Passiv-Konstruktionen diese Struktur haben, müssen, wie wir bereits in Kapitel 7 angedeutet haben, die Passiv-Partizipien sensitiv für die Anwesenheit einer bestimmten Konstituente sein, die sich höher im Baum befindet. In diesem konkreten Falle muß sent!geschickt für die Anwesenheit von Stefan sensitiv sein. Es ist nicht schwierig, das zu bewerkstelligen. Wir haben schon einen Teil der dafür notwendigen Maschinerie zur Verfügung. Innerhalb von HPSG kann - wie weiter oben angemerkt folgende Kopf-Komplement-Regel vorgeschlagen werden: (91)

Kopf-Komplement-Regel (HPSG) X[SUBCAT, < > ; SUBJ, Y] — > X[SUBCAT, < . . . > ; SUBJ, Y], C*

Unter der Voraussetzung dieser Regel gilt: Wenn sent/geschickt in den Strukturen (89) bzw. (90) das Format [SUBJ, NP[NFORM,NORM]] hat, dann hat die VP, von der sent/geschickt unmittelbar dominiert wird, das gleiche Format. Daher können wir die untere VP wie folgt expandieren:

230 r I I I

(92)

VP +PAS SUBJ, NP [NFORM,NORM]

L

-, I I | J

V + PAS SUBJ, NP [NFORM, NORM]

sent

to Bangor

Für das Deutsche müßten wir entsprechend folgende Struktur annehmen: (93)

r I I ι

VP +PAS SUBJ, NP [NFORM,NORM]

I

L

NP [NFORM,NORM]

nach Jena

geschickt

Wir müssen nun nur noch sicherstellen, daß die höhere VP in (88) bzw. (90) ebenfalls vom Format [SUBJ, NP[NFORM,NORM]] ist. Das kann dadurch geschehen, daß wir der Auxiliar-Verb-Form was/wurde die folgende Kategorie zuschreiben:

231 (94)

γ

V

SUBCAT,
I [NFORM.NORM] I SUBJ, ΝΡ I [NFORM, NORM] L

π

| | I | J

(102) hat NP[NFORM,NORM] als den Wert von SUBJ, weil in (103) die letzte Kategorie im Wert von SUBCAT vom Format NP[NFORM, NORM] ist. Für believed/gemeldet in (100) haben wir die Kategorie in (104), für die verwandten aktivischen Verben in (101) haben wir die Kategorie in (105): (104)

r V I +PAS I SUBCAT, < > I SUBJ, S L

-, I I I J

(105)

r V I SUBCAT, < S > I SUBJ, ΝΡ I [NFORM, NORM] L

-, I I | J

(104) hat S als den Wert von SUBJ, weil die einzige Kategorie im Wert von SUBCAT von (105) S ist. Wir können diese Fakten in eine Regel fassen, die lexikalische Einträge aus lexikalischen Einträgen ableitet. Die Regel muß die Einträge für Passiv-Partizipien aus Einträgen für verwandte aktivische Verben ableiten. Wenn wir die phonologische und die semantische Komponente der Einträge vernachlässigen, können wir die Regel folgendermaßen formulieren: (106)

V[SUBCAT, < . . . , Υ„.,>; SUBJ, YJ = = > V[+PAS; SUBCAT, < . . . > ; SUBJ, Y„.,]

Auf diese Weise kann (102) von (103) abgeleitet werden und (104) von (105).9

9

In der GB-Theorie wird angenommen, daß Passiv-Partizipien durch einen Prozeß entstehen, der ein Passiv-Element mit einem Aktiv-Verb verbindet. In einigen GBVersionen wird angenommen, daß dies ein lexikalischer Prozeß ist. Baker (1988) und Baker/Johnson/Roberts (1989) argumentieren jedoch dafür, daß dies ein syntaktischer Prozeß ist und daß das Passiv-Element seinen Ursprung in INFL hat.

234 In Kapitel 5 haben wir darauf verwiesen, daß die eingeklammerten Ketten in den folgenden Beispielen für die GB-Theorie Sätze, für die PSGTheorie hingegen zwei getrennte Konstituenten darstellen. (107) (108) (109)

(a) (b) (a) (b) (a) (b)

Stefan considered [Ben to be a fool], *daß Stefan [Ben einen Narren zu sein] ansieht Stefan considered [Ben foolish], daß Stefan [Ben als närrisch] ansieht Stefan considered [Ben a fool]. daß Stefan [Ben als einen Narren] ansieht

Die Subjekte der verwandten Passiv-Konstruktionen sind - wie in Kapitel 7 ausgeführt - nicht nur unnormale Subjekte, sondern auch unnormale Komplemente. Wir können nun verstehen, warum solche Beispiele in dieser Weise zu analysieren sind. Wenn wir annehmen, daß zwei separate Komplemente vorliegen, erhalten wir die Kategorie in (110) für das aktivische (preteritale) Verb considered in (107) bis (109): (110)

V

r

SUBCAT, < ρVP I +INF I SUBJ, NP I [NFORM, α] L SUBJ, NP

-, -, , I I | J

NP > [NFORM, α]

L

J

Mit (107) bis (109) verwandt sind folgende Passive: (111) (112) (113)

(a) (b) (a) (b) (a) (b)

Ben was considered to be a fool. *daß Ben ein Narr zu sein angesehen wurde Ben was considered foolish. daß Ben als närrisch angesehen wurde Ben was considered a fool. daß Ben als ein Narr angesehen wurde

Für das Partizip considered in (111) bis (113) haben wir folgende Kategorie: (114) +PAS SUBCAT,
SUBJ.NP

-, I I J

Es gibt nun keine Möglichkeit mehr, mit Hilfe von (106) die Kategorie (114) aus der Kategorie (115) abzuleiten. Wenn der Zugang zum Passiv so wie eben skizziert gewählt wird, gibt es keine Alternative zu der Annahme, daß die Beispiele (107) bis (109) zwei Komplemente haben. Wir haben keine Erklärung für Beispiele wie die folgenden: (116)

It is widely believed that Stefan is a fool.

Hier hat believed folgende Kategorie: (117)

ρ I I I I L

V +PAS SUBCAT, < S > SUBJ, NP [NFORM, IT]

-, I I I I J

Auch diese Kategorie können wir nicht mit Hilfe von (106) aus (107) ableiten. Folglich müssen wir entweder eine andere lexikalische Regel einführen oder solche Kategorien einfach auflisten. Wir haben jedoch eine Erklärung für die Unmöglichkeit von Beispielen wie folgenden: (118)

(a) (b)

(119)

(a) (b)

*Maja is believed Ben to like e. '"Maja wird geglaubt Ben e zu mögen. •Ben is believed that e likes Maja. •Ben wird geglaubt, daß e Maja mag.

Wie wir in 9.4 gesehen haben, werden in der GB-Theorie solche Beispiele durch eine Bedingung für Anaphern ausgeschlossen. Im Rahmen der Analyse, die wir hier skizziert haben, wären die Beispiele nur dann möglich, wenn die folgenden Aktiv-Sätze möglich wären: (120)

(a) (b)

*Stefan believes Maja Ben to like e. *Stefan glaubt Maja Ben e zu mögen.

236 (121)

(a) (b)

*Stefan believes Ben that e likes Maja, *Stefan glaubt Ben, daß e Maja mag.

D a diese Beispiele aber ungrammatisch sind, sind es auch die Beispiele (118) und (119). Somit haben wir nun eine detaillierte PSG-Analyse für PassivKonstruktionen. Sie ist - w i e anfangs gesagt - in bestimmter Hinsicht einfacher als die GB-Analyse, sie involviert aber eben auch ziemlich komplexe Kategorien. 1 0

9.6

Einige weitere Daten

Wir haben gesehen, w i e Passiv-Sätze in der TG, insbesondere in der GBTheorie, und in der PSG, insbesondere in der HPSG-Theorie, analysiert werden können. 1 1 In diesem Abschnitt wollen wir einige weitere relevante Daten betrachten. Wir betrachten zunächst die folgenden Sätze, die allgemein als PseudoPassiv-Sätze bekannt sind: (122)

(123)

(a) (bl) (b2) (a) (bl) (b2)

The scandal was talked about for days. *daß der Skandal tagelang über geredet wurde daß über den Skandal tagelang geredet wurde Ben can be relied on. *daß Ben sich auf verlassen werden kann ?daß sich auf Ben verlassen werden kann

D i e englischen Sätze unterscheiden sich von normalen PassivKonstruktionen darin, daß die fehlende Konstituente offensichtlich nicht das Komplement eines Verbs, sondern das Komplement einer Präposition ist. Wir haben folgende verwandte Sätze:

10 Wie wir in Kapitel 5 anmerkten, nimmt GPSG eine Reihe von unterschiedlichen IDRegeln für aktivische V'-Konstituenten an. GPSG braucht auch eine Reihe unterschiedlicher ID-Regeln für passivische V'-Konstituenten. Die letzteren werden von den ersteren durch eine sogenannte Meta-Regel abgleitet, eine Regel, die ID-Regeln aus IDRegeln ableitet. Vgl. Gazdar et al. (1985, 4.) und für eine lehrbuchmäßige Diskussion Horrocks (1987,3) und Seils (1985, 3.). Eine weitgehend andere GPSG-Analyse für Passiv-Konstruktionen wurde in Zwicky (1987) entwickelt, wo sie eher als eine Art von νν/ί-Abhängigkeiten, wie sie in Kapitel 12 zu diskutieren sind, behandelt werden. 11 Der LFG-Zugang zu Passiv-Konstruktionen wird in Bresnan (1982b) diskutiert. Der Zugang der Relationalen Grammatik (RG) zu Passiv-Konstruktionen wird in Perlmutter/Postal (1983) erörtert. Passiv-Konstruktionen in der verwandten Bogen-Paar-Gramraatik (Arc Pair Grammar) werden in Postal (1986) diskutiert.

237 (124) (125)

(a) (b) (a) (b)

They talked about the scandal for days, daß man tagelang über den Skandal redete You can rely on Ben. daß du dich auf Ben verlassen kannst

Hier liegen offensichtlich Präpositionen mit gewöhnlichen Komplementen vor. Wie können wir solche Pseudo-Passiv-Sätze analysieren? Es ist vielfach angenommen worden, daß sie sich faktisch nicht wesentlich von normalen Passiv-Sätzen unterscheiden. Man hat postuliert, daß das Verb und die ihm folgende Präposition ein komplexes Verb der folgenden Form bilden: (126)

V V

Ρ

Bei einer solchen Analyse ist die fehlende Konstituente das Komplement eines Verbs genau wie beim normalen Passiv. Diese Analyse wird durch das Faktum gestützt, daß zwischen dem Verb und der Präposition in diesen Pseudo-Passiv-Sätzen kein Adverb auftreten darf, wie dies in anderen Sätzen möglich ist. So sind (127) und (128) ungrammatisch, (129) und (130) hingegen sind grammatisch: (127) (128) (129) (130)

*The scandal was talked repeatedly about for days. *Ben can be relied absolutely on. They talked repeatedly about the scandal for days. You can rely absolutely on Ben.

Wenn wir in den Pseudo-Passiv-Sätzen ein komplexes Verb haben, müssen wir auch ein komplexes Verb in den verwandten Aktiv-Sätzen annehmen. Die verwandten Aktiv-Sätze können klarerweise ein einfaches Verb mit einem PP-Komplement aufweisen. Das zeigen (129) und (130), aber auch die folgenden Beispiele: (131) (132) (133) (134)

It was about the scandal that they talked for days. They talked about the scandal and about who was to blame. It is on Ben that you can rely. You can rely on Ben and on Maja.

Die Beispiele zeigen, daß about the scandal und on Ben Konstituenten sein können. Offensichtlich müssen wir zwei unterschiedliche Analysen für Beispiele wie (124) und (125) zulassen. Die eine verlangt ein komplexes Verb mit einem NP-Komplement, die andere ein einfaches Verb mit einem PP-Komplement. In der TG wird allgemein angenommen, daß die erste Analyse folgendermaßen aus der zweiten abgeleitet ist:

238 (135

V

PP Ρ

=

NP

NP

V

>

V

Dabei wird Ρ rechts an V adjungiert und der nicht mehr verzweigende Knoten PP getilgt. Dieser Prozeß verändert die Struktur der VP, ohne die Reihenfolge der lexikalischen Elemente zu modifizieren. Er wird als Reanalyse bezeichnet. 12 Im Deutschen gibt es keine Pseudo-Passiv-Konstruktionen dieser Art. Präpositionen können im Deutschen normalerweise nicht stranden: (136) (137)

Man dachte an den Vorfall. *Der Vorfall wurde an gedacht.

Das kann man damit erklären (vgl. Bayer 1990), daß im Deutschen Verben und Präpositionen in entgegengesetzte Richtungen regieren (Verben nach links, Präpositionen nach rechts). Da aber die kanonische Rektionsrichtung die des Verbs ist, ist eine Extraktion aus PPs nicht möglich. Diese Auffassung läßt sich dadurch stützen, daß aus bestimmten PPs durchaus extrahiert werden kann, nämlich aus solchen, in denen die NP links von der Präposition steht, und zwar in Gestalt der Proform da(r): (138) (139) (140)

Man redete seit vierzehn Tagen davon. Da wurde seit vierzehn Tagen von geredet. Davon wurde seit vierzehn Tagen geredet.

(139) und (140) zeigen, daß beide Möglichkeiten gegeben sind: Die NP da wie auch die PP davon kann in der präfiniten Position des deutschen Verb-Zweit-Satzes und daher als Konstituente auftreten. Auch im Deutschen sollte es daher eine Struktur mit und eine Struktur ohne Reanalyse geben. Die Reanalyse kann folgendermaßen aussehen:

Ρ

V

Wir können uns nun einer anderen Klasse von Strukturen zuwenden. Es handelt sich um NPs, die ein deverbales Nomen, d.h. ein Nomen, das

12

Die Ansicht, daß Pseudo-Passiv-Konstruktionen einen Reanalyse-Prozeß involvieren, wurde in van Riemsdijk (1978) sowie in Hornstein/Weinberg (1981) vorgebracht. Diese Position wurde in Koster (1987) kritisiert.

239 von einem Verb abgeleitet ist, enthalten: (142)

(a) (b)

the Viking's destruction of the monastery the king's betrayal of the country

Diese NPs entsprechen in Form und Inhalt den folgenden Aktiv-Sätzen: (143)

(a) (b)

The Vikings destroyed the monastery, The king betrayed the country.

Es ist daher natürlich, die NPs in (146)(a) und (b) als Aktiv-NPs zu bezeichnen. Daneben gibt es auch folgende NPs: (144)

(a) (b)

the monastery's destruction by the Vikings the country's betrayal by the king

Diese NPs entsprechen wiederum den folgenden Passiv-Sätzen: (145)

(a) (b)

The monastery was destroyed by the Vikings, The country was betrayed by the king.

Wiederum ist es sinnvoll, solche NPs als Passiv-NPs zu kennzeichnen. Es gibt schließlich einen dritten Typ von NPs: (146)

(a) (b)

the destruction of the monastery by the Vikings the betrayal of the country by the king

Sätze, die wie verwandte Sätze aussehen, sind jedoch ungrammatisch: (147)

(a) (b)

*It was destroyed the monastery. *It was betrayed the country by the king.

Dennoch scheint es angebracht, Konstruktionen wie die unter (146) als Passiv-NPs zu betrachten. Im Deutschen gibt es analoge Phänomene: (148) (149) (150) (151)

(a) (b) (a) (b) (a) (b) (a) (b)

Caesars Zerstörung von Rom Müllers Beleidigung Meyers Caesar zerstörte Rom. Müller verletzte die Bestimmungen. Roms Zerstörung durch Caesar Meyers Beleidigung durch Müller Rom wurde durch Caesar zerstört. Meyer wurde von/durch Müller beleidigt.

Konstruktionen wie die in (148) und (150) sind im modernen Deutschen allerdings nur mit Eigennamen in der "Subjekt"-Position" üblich. Mit anderen NPs in dieser Position wirken solche Konstruktionen antiquiert: (152) (153)

des Direktors Rausschmiß der Mitarbeiterin des Kaisers Zerstörung der Stadt

240 Statt solcher Konstruktionen sind folgende Konstruktionen üblich, die den englischen Konstruktionen in (146) entsprechen: (154) (155)

der Rausschmiß der Mitarbeiterin durch den Direktor die Zerstörung der Stadt durch Caesar

Im Deutschen scheint es grammatische Entsprechungen zu den englischen Beispielen in (146) zu geben: (156) (157)

Es wurde das Kloster von den Wikingern zerstört. Es wurde das Land vom König betrogen.

Diese Konstruktionen resultieren aus der Eigenschaft des Deutschen, eine XV-Sprache mit Verb-Zweit-Phänomen zu sein. Wenn das finite Verb in die C°-Position bewegt, aber keine andere Konstituente vor das finite Verb gerückt wird, muß in der SpecC-Position ein Expletivum ausbuchstabiert werden. Das ist nicht das Quasi-Argument-es der "Witterungsverben", sondern das konstruktionsspezifische es, das zur Sicherung der Verb-Zweit-Struktur erforderlich sein kann (wir haben auf die Unterschiede schon im 6. Kapitel hingewiesen). In der PSG hat es wenig Diskussion über diese Art von Daten gegeben, aber in der TG stellen sie seit Chomsky (1970) einen wichtigen Interessenfokus dar. In der GB-Theorie ist vorgeschlagen worden, Nomina wie destruction und betrayal so zu behandeln, als hätten sie ein NP-Komplement in der D-Struktur wie die mit ihnen verwandten Verben. (142)(a) hat dann folgende D-Struktur: (158)

NP

the Vikings

destruction

the monastery

Für die Ableitung der S-Struktur von (142)(a) müssen wir die Regel der o/-Einsetzung anwenden. Im Englischen können Nomina ihren Komplementen keinen Kasus zuweisen. Durch die Anwendung der ofEinsetzung können Verletzungen des Kasusfilters vermieden werden. Das Deutsche unterscheidet sich in dieser Hinsicht vom Englischen. Nomina können den Genitiv zuweisen. Die NP, die den Genitiv erhalten soll, muß sich aber in unmittelbarer Nachbarschaft zum kasuszuweisenden Nomen befinden, also adjazent zu ihm sein: (159)

(a) (b)

der Transport der Möbel in die neue Wohnung *der Transport in die neue Wohnung der Möbel

241 Im Deutschen gibt es auch ein Analogon zur ¿»/-Einsetzung, nämlich die von-Einsetzung. Sie ist im allgemeinen optional: (160)

(a) (b)

die Zerstörung Roms die Zerstörung von Rom

Sie ist dann obligatorisch, wenn die Komplement-NP des Nomens keine offene Kasusmarkierung erhalten kann. Dieser Fall tritt ein, wenn die Komplement-NP im indefiniten Plural steht: (161)

(a) (b) (c) (d) (e) (f) (g)

der Raub von Gemälden *der Raub Gemälde der Raub der Gemälde der Raub des Gemäldes der Raub von dem Gemälde der Raub eines Gemäldes der Raub von einem Gemälde

Für (144)(a) können wir folgende D-Struktur annehmen: (162)

NP

destruction

the monastery

by the Vikings

(162) entspricht (158) mit dem Unterschied, daß SpecN eine leere NP ist und daß wir eine PP by the Vikings haben. Um die S-Struktur von (144)(a) abzuleiten, bewegen wir die NP the monastery in die leere SpecN-Position. Dann besteht nicht die Notwendigkeit, die ¿»/-Einsetzung anzuwenden, weil eine NP in der SpecN-Position den sogenannten angelsächsischen Genitiv erhält und die zurückgelassene NP-Spur keinen Kasus benötigt. Schließlich haben wir für (146)(a) folgende D-Struktur: (163)

the

destruction

the monastery

by the Vikings

(163) entspricht (162), aber in SpecN steht ein Determinierer. Wir können jetzt the monastery nicht bewegen, weil keine leere Position als Lan-

242 deplatz zur Verfügung steht. Deshalb ist wieder ¿»/-Einsetzung erforderlich, um die Verletzung des Kasusfilters zu vermeiden.13 Wir können uns nun noch den sogenannten unakkusativischen oder ergativischen Sätzen zuwenden. Sie werden durch folgende Beispiele illustriert: (164) (165) (166)

(a) (b) (a) (b) (a) (b)

The vase smashed, daß die Vase zerbrach The ice melted. daß das Eis schmolz The ship sank. daß das Schiff versank

Diese Sätze sind folgenden Passiv-Konstruktionen ähnlich: (167) (168) (169)

(a) (b) (a) (b) (a) (b)

The vase was smashed. daß die Vase zerbrochen wurde The ice was melted. daß das Eis geschmolzen/geschmelzt wurde The ship was sunk. daß das Schiff versenkt wurde

Diese Ähnlichkeit vorausgesetzt, kann man vorzuschlagen, solche Fälle wie Passiv-Konstruktionen zu analysieren. Das ist in der GB-Theorie generell akzeptiert worden. Hier werden unakkusativische Verben als Basisverben behandelt, die wie Passiv-Verben eine Subjekt-Position haben, der sie keine Θ-Rolle verleihen, und ein NP-Komplement nehmen, dem sie keinen Kasus zuweisen können. Wegen dieser Eigenschaften ist auch bei solchen Verben die Bewegung des NP-Komplements möglich und auch notwendig. Man kann für das englische Beispiel (164) folgende Derivation ansetzen: (170)

S

the vase

the vase

smashed

Es gibt freilich Unterschiede zwischen unakkusativischen und passivischen Verben: So lassen beispielsweise Passiv-, aber nicht Unakkusativ-Konstruktionen eine ¿^-Phrase zu, mit der auf das AGENS referiert werden kann. Daher haben wir folgende Kontraste:

13 Williams (1982) argumentiert im Gegensatz zu der im Text präsentierten Ansicht, daß NP-Bewegung auf die Kategorie S eingeschränkt ist und nicht innerhalb von NPs erfolgen kann.

243 (171)

(a) (b)

(172)

(a)

(173)

(a)

(b) (b) (174)

(a) (b)

(175)

(a) (b)

(176)

(a) (b)

The vase was smashed by the ball. daß die Vase durch den Ball zerbrochen wurde The ice was melted by the flame. daß das Eis durch die Flamme geschmolzen wurde The ship was sunk by a missile. daß das Schiff durch eine Rakete versenkt wurde •The vase smashed by the ball. *daß die Vase durch den Ball zerbrach •The ice melted by the flame. •daß das Eis durch die Flamme schmolz •The ship sank by a missile. •daß das Schiff durch eine Rakete versank

Ein subtilerer verdeutlicht: (177) (178)

(a) (b) (a) (b)

Unterschied

wird

durch

den

folgenden

Kontrast

The vase was smashed intentionally. daß die Vase absichtlich zerbrochen wurde *The vase smashed intentionally, *daß die Vase absichtlich zerbrach

(177) ist ein ganz natürlicher Satz, der besagt, daß das Individuum oder die Individuen, die die Vase zerbrachen, dies absichtlich taten. (178) hingegen ist ein ziemlich unsinniger Satz, weil er besagt, daß die Vase die Absicht hatte, zu zerbrechen. Solche Kontraste werden regelmäßig herangezogen, um zu belegen, daß es in Passiv-Konstruktionen ein implizites AGENS ohne ¿»Y-Phrase gibt, daß es aber in UnakkusativKonstruktionen ein solches implizites AGENS nicht gibt. 14 Für das Deutsche konnten wir schon im 4. Abschnitt dieses Kapitels konstatieren, daß ergativische (unakkusativische) Verben mit zwei Komplementen Evidenz dafür liefern, daß Bewegung des verbnäheren Komplements in die Subjekt- oder Specl-Position nicht notwendig ist, da der Nominativ offensichtlich in die VP hinein zugewiesen werden kann. Entsprechendes gilt auch für passivische Verben mit zwei Komplementen. Wir wollen zum Schluß noch einmal auf das Beispiel (122) zurückkommen, insbesondere auf die deutsche Version (b2). (122)(b2) ist im Gegensatz zu (bl) grammatisch einwandfrei. Es gehört zu dem für das Deutsche typischen Phänomen der subjektlosen Passiv-Sätze, auf das wir bereits im 6. Kapitel ausführlicher eingegangen sind. Die subjektlosen Passiv-Sätze des Deutschen haben - wie wir dort gezeigt haben -

14

Der Terminus Unakkusativ wurde zuerst in der Relationalen Grammatik verwendet. Vgl. z.B. Perlmutter (1983). Der Terminus Ergativ wurde von Burzio (1986) in die GBTheorie eingeführt. Für eine Diskussion der historischen Wurzeln der Unakkusativ/Ergativ-Unterscheidung, vgl. Pullum (1988). Zur Ergativität im Deutschen vgl. Grewendorf (1989)

244 verwandte Aktivsätze, in denen das indefinite Pronomen man als Subjekt fungiert. Aus den subjektlosen Passiv-Sätzen kam - wie wir ferner im Anschluß an Fanselow (1991) und Haider (1993) gezeigt haben - Evidenz dafür, daß im Deutschen unter Umständen nicht nur eine leere, sondern überhaupt keine Subjektposition vorhanden sein muß.

9.7

Zusammenfassung

In diesem Kapitel haben wir Passiv-Konstruktionen näher betrachtet, die ein wichtiges Beispiel für Sätze darstellen, die entweder ein nichtnormales Objekt oder ein nichtnormales Subjekt enthalten. In Abschnitt 9.2 haben wir relevante Daten betrachtet. Dann behandelten wir die transformationellen Zugänge, zuerst in Abschnitt 9.3 den Zugang der klassischen TG, danach in 9.4 den Zugang der GB-Theorie. Wir kritisierten den ersten Zugang, weil er bestimmte Fragen aufwirft, auf die er keine Antworten bietet. Wir haben für den zweiten Zugang gezeigt, daß er solche Antworten ermöglicht. Wir beleuchteten dabei die wesentliche Rolle von Kasus, Spuren, Θ-Rollen und Bedingungen für Anaphern. In 9.5 illustrierten wir, wie Passiv-Konstruktionen in der neueren PSG behandelt werden. Wir machten im wesentlichen Gebrauch von einer lexikalischen Regel, die Passiv-Partizipien von verwandten aktivischen Verbformen abzuleiten gestattet. Schließlich behandelten wir in 9.6 Pseudo-Passiv-Konstruktionen, Passiv-NPs und UnakkusativKonstruktionen.15

15 Wir haben im Text angenommen, daß Passiv-Partizipien den Status von Verben haben. Es ist jedoch klar, daß sie manchmal Adjektive sein können oder sogar sein müssen. Man betrachte die folgenden Beispiele:

(1)

He was very impressed by her work.

Hier geht dem Passiv-Partizip die Grad-Partikel very voraus. Diese kann eigentlich keinem Verb vorausgehen: (2)

*Her work very impressed him.

Very kann jedoch ohne weiteres mit Adjektiven verknüpft werden: (3)

Her work was very impressive.

Die klare Folgerung daraus ist, daß das Passiv-Partizip in (5) ein Adjektiv ist. Man betrachte nun (8): (4)

The island has been uninhabited for years.

Hier schließt das Passiv-Partizip das Negativ-Präfix un- ein. Dieses kann sich im Englischen mit einigen Verben verbinden. So haben wir etwa im Englischen das Verb

245

Übungen Übung 1 Diskutieren Sie die folgenden Beispiele, und zeigen Sie, inwiefern sie nahelegen, daß das Komplement von need passivisch ist, obwohl es die mg-Form eines Verbs enthält! (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10) (11) (12)

This needs mending. •This needs mending the shoe. •He mended. He mended the shoe. This needs investigating. •This needs investigating the problem. •They investigated. They investigated the problem. He needs talking to. •He needs talking to her. •He talked to. He talked to her.

untie. Es kann sich jedoch nicht mit dem Verb inhabit verbinden, wie die folgenden Beispiele zeigen. (5)

*People uninhabited the island for years.

Es verbindet sich jedoch problemlos mit Adjektiven: (6)

The island was uninhabitable.

Wiederum ergibt sich die klare Folgerung, daß das Passiv-Partizip in (4) ein Adjektiv ist. Ein wichtiges Faktum bezüglich adjektivischer Passiv-Partizipien ist, daß sie in bestimmten Situationen, in denen verbale Passiv-Partizipien erscheinen können, nicht auftreten dürfen. Daher haben wir nicht (8) parallel zu (7) oder (10) parallel zu (9): (7) (8) (9) (10)

Ben is known to be unwell. •Ben is unknown to be unwell. Ben was expected to be late. *Ben was unexpected to be late.

Solche Beschränkungen haben die Proponenten von TG dazu geführt, vorzuschlagen, daß es keine NP-Bewegung bei adjektivischen Passiv-Partizipien gibt. Für eine Diskussion des Problems vgl. Wasow (1977, 1980).

246

Übung 2 Im Deutschen gibt es neben dem werrfen-Passiv, dem sogenannten Vorgangs-Passiv, das iew-Passiv, das sogenannte Zustands-Passiv. Das Zustands-Passiv kann man sich als aus dem Perfekt des Vorgangs-Passivs abgeleitet vorstellen: Napoleon hat die Preußen geschlagen (Aktiv), Die Preußen sind (von Napoleon) geschlagen worden (Passiv Perfekt), Die Preußen sind geschlagen (Zustands-Passiv). Die Ableitung besteht dann in der Tilgung des Partizips II des das Vorgangs-Passiv bildenden Auxiliars werden. Jedes der folgenden Beispiele ist problematisch für die Annahme, daß es sich um ein ZustandsPassiv handelt. Erklären Sie, warum das so ist! (1) (2) (3) (4) (5)

Die Stadt war mit Bergen umgeben. Das Haus ist nach einer Gasexplosion eingestürzt. Am Abend des 14. Oktober 1806 waren die Preußen geschlagen. Sie waren verloren. Der Parteivorsitzende war nach der Diskussion sehr verärgert.

Übung 3 Betrachten Sie jede der kursiv gedruckten NPs in den folgenden Sätzen und stellen Sie fest, welche - wenn überhaupt - der GB-Kasus-Zuweisungs-Regeln, die in diesem Kapitel, die Anmerkungen eingeschlossen, eingeführt worden sind, diesen NPs Kasus zuweisen! Nehmen Sie an, daß ein Verb genau dann ein aktivisches transitives Verb ist, wenn es ein Passiv-Partizip hat! (1) (2) (3) (4) (5)

daß er sich erschoß daß er selbst mit ihr gesprochen hat Diesen Leuten, denen kann nicht getraut werden. daß sie Psychologin ist Er ist zu alt, der Ben.

Übung 4 Die folgenden Beispiele sind ein Problem für den GB-Zugang zu Passiv-Konstruktionen, der in diesem Kapitel dargestellt wurde. Erklären Sie, warum das so ist! (1) (2) (3) (4) (5) (6)

They believe under the bed to be a good place to hide. They consider by train to be the best way to travel. Under the bed is believed to be a good place to hide. By train is considered to be the best way to travel. *It is believed under the bed to be a good place to hide. *It is considered by train to be the best way to travel.

Zeigen Sie ferner, warum völlig parallele deutsche Konstruktionen zu diesen Beispielen ungrammatisch sein müssen!

247

Übung 5 Geben sie die Kategorien an, die die lexikalische Regel, die in 9.5 eingeführt worden ist, aus den folgenden Kategorien ableiten kann! (1)

(2)

(3)

r V ι SUBCAT, < P P , NP > I [NFORM, NORM] I SUBJ, NP L r V I SUBCAT, < S , NP > I [NFORM, NORM] I SUBJ, NP L r V I SBCT, < S , I I

-, | | I J n

I | I J

NP > [NFORM, α]

r AP I SUBJ, NP I [NFORM, α] J

I SUBJ, NP L

J

10

Hebungssätze

10.1 Einführung Wir haben in Kapitel 7 gesehen, daß Hebungs-Sätze ein wichtiges Beispiel für Sätze mit einem nichtkanonischen Subjekt bieten. In diesem Kapitel wollen wir solche Sätze genauer ansehen und überlegen, wie sie analysiert werden können. Wir wollen mit der Betrachtung einiger Daten beginnen. Dann werden wir prüfen, wie Hebungs-Sätze innerhalb der TG und insbesondere innerhalb der GB-Theorie behandelt werden können. Danach wollen wir zeigen, wie sie in der modernen PSG analysiert werden. Schließlich werden wir einige weitere Beispiele von Hebungs-Sätzen betrachten. In diesem Kapitel werden sich wenig neue Begriffe finden. Die meisten Konzepte, die für das Problem dieses Kapitels wichtig sind, wurden bereits im letzten Kapitel eingeführt.

10.2 Die Daten Wir können (im Englischen) zwei Typen von Hebungs-Sätzen voneinander unterscheiden. Der eine Typ involviert (a) ein Subjekt, (b) eine kleine Klasse von Verben, die wir Hebungs-Verben nennen können, und (c) einen Infinitiv mit einem verborgenen Subjekt. Der andere Typ involviert (а) ein Subjekt, (b) eine Form von be, (c) eine kleine Klasse von Adjektiven, die wir Hebungs-Adjektive nennen können, und (d) einen Infinitiv mit einem verborgenen Subjekt. Der erste Typ wird durch die Beispiele (1) und (2), der zweite durch (3) und (4) illustriert: (1) (2) (3) (4)

Stefan Stefan Stefan Stefan

seems to be irritating. tends to be irritating. is likely to be irritating. is certain to be irritating.

In beiden Typen fungiert das Subjekt des Matrix-Prädikats zugleich als Subjekt des eingebetteten Infinitivs. Der Infinitiv und nicht das HebungsVerb oder -Adjektiv determiniert den Charakter des Subjekts. Wenn der Infinitiv ein Dummy-Subjekt fordert, dann fordert das Hebungsverb oder das Verb be ein Dummy-Subjekt. So sind die Daten in (5) und (6) parallel zu den Daten in (7): (5) (б) (7)

{It/*Stefan} seems to be easy to annoy Maja. (It/*Stefan} is likely to be easy to annoy Maja. {It/*Stefan} is easy to annoy Maja.

249 Wenn der Infinitiv ein Dummy-Subjekt zuläßt, so gestattet das auch das Hebungs-Verb oder das Verb be. So sind die Daten in (8) und (9) parallel zu denen in (10). (8) (9) (10)

{There/Stefan} seems to be a dragon in the wood. {There/Stefan} is likely to be a dragon in the wood. {There/Stefan} is a dragon in the wood.

Wenn der Infinitiv ein satzförmiges Subjekt erlaubt, dann erlaubt auch das Hebungsverb oder das Verb be ein satzförmiges Subjekt. So sind wiederum die Daten in (11) und (12) parallel zu denen in (13): (11) (12) (13)

That he is a fool seems to be {obvious/*obese} That he is a fool is likely to be {obvious/*obese} That he is a fool is {obvious/*obese}

Wenn schließlich der Infinitiv ein Subjekt mit einer idiomatischen Interpretation erlaubt, so erlaubt das Hebungs-Verb oder das Verb be gleichfalls ein solches Subjekt. Insofern sind (14) und (15) parallel zu

(16):

(14) (15) (16)

The cat seems to be out of the bag. The cat is likely to be out of the bag. The cat is out of the bag.

Für das Deutsche lassen sich ähnliche Beispiele finden, jedoch mit der Einschränkung, daß es im Deutschen keine Hebungs-Adjektive gibt. Zwar hat es den Anschein, als könnten Adjektive wie leicht, schwer, einfach, schwierig als Hebungs-Adjektive fungieren, man vgl. Beispiele wie Es ist leicht/schwer/einfach/schwierig, Stefan zu erziehen vs. Stefan ist leicht/ schwer/einfach/schwierig zu erziehen. In diesen Fällen wäre aber Stefan nicht das Subjekt des Infinitivs, sondern das Objekt, das angehoben worden wäre. Beispiele dieser Art erfordern eine andere Erklärung. Chomsky (1992) hat analoge Fälle, etwa John is easy to please, mit weitreichenden Konsequenzen für die GB-Theorie diskutiert. Das typische Hebungs-Verb im Deutschen ist das Verb scheinen. Für dieses Verb gilt das nämliche wie für das englische seem. Es hängt von der SubjektForderung des eingebetteten Infinitivs ab, was als Oberflächensubjekt des Matrixverbs scheinen auftritt: (17) (18) (19) (20) (21)

Stefan scheint krank zu sein. Es scheint zu regnen. Da scheint ein Drachen im Garten zu sein. Maja zu ärgern scheint leicht zu sein. Die Katze scheint aus dem Sack zu sein.

250

10.3 Der transformationelle Zugang Wir können nun überlegen, wie Hebungs-Sätze beim transformationellen Zugang analysiert werden. Wie wir schon gesehen haben, werden sie bei diesem Zugang aus abstrakteren Strukturen durch einen Bewegungsprozeß abgeleitet. Wenn wir mit der GB-Theorie annehmen, daß Bewegungsprozesse Spuren hinterlassen, erhalten wir die folgenden Ableitungen für (1) und (3):

e

seems Stefan

to

likely

be irritating Stefan seems

Stefan

to

e

to

be irritating

= =

>

be irritating

Diese Strukturen gehen von der Standardannahme in GB aus, daß die Infinitiv-Partikel to/zu ein Element der in früheren Kapiteln eingeführten Kategorie I ist. Warum sind solche Derivationen möglich? In der klassi-

251 sehen TG sind sie deshalb möglich, weil eine Regel der HebungsTransformation dies vorsieht. Das Problem dabei besteht aber - wie bei dem vergleichbaren Zugang zum Passiv, den wir im letzten Kapitel erörterten - darin, daß dieser Zugang verschiedene Fragen aufwirft, auf die er keine erhellenden Antworten bereitstellt. Die erste denkbare Frage ist: (24)

Hebungs-Problem 1 Warum ist Bewegung in Hebungs-Sätzen möglich?

Die einzige Antwort ist - wie gesagt - die, daß die Hebungs-Transformation die Bewegung zuläßt. Zweitens können wir fragen: (25)

Hebungs-Problem 2 Warum ist Bewegung in Hebungs-Sätzen notwendig?

Mit anderen Worten, wir können fragen, warum es keine Sätze wie die folgenden gibt: (26)

(a) (b)

(27)

*It seems Stefan to be irritating, *It is likely Stefan to be irritating. *Es scheint Stefan krank zu sein.

Für den deutschen Satz gilt allerdings, daß er mit einer Strukturbeschreibung korrekt ist, mit einer anderen nicht: (28)

(a) (b)

[CP Es schein^ Stefan^ [y, [ c p [„, e¡ [yp krank zu sein]]] e¡ ]]] *[ cp Es scheint; [„ e [ w [ c p [„, Stefan [yp krank zu sein]]] e¡ ]]]

In (28)(a) ist Stefan aus der unteren IP in die obere IP bewegt worden, aber nicht in die SpecC-Position des Matrix-Satzes. Deshalb muß diese Position mit es bestückt werden. In (b) hingegen ist Stefan in der unteren IP verblieben und nicht angehoben worden, weder in die obere IP noch in die SpecC-Position des Matrix-Satzes. Die Ungrammatikalität der Struktur beruht auf der Nichtanhebung von Stefan. Das Problem besteht darin, daß man (27) die Ungrammatikalität nicht ansehen kann und daß die Anhebung von Stefan in (28)(a) keine Konsequenzen für die Reihenfolge hat: Die Bewegung läuft gewissermaßen leer, ähnlich wie wir dies im Passiv bei der Bewegung einer NP aus der Komplement- in die Subjekt-Position gesehen haben. Im Hinblick auf (26) können wir auf die Frage (25) nur antworten, daß die Hebungs-Transformation obligatorisch ist. Das ist aber keine befriedigende Antwort. Schließlich können wir folgende Frage stellen: (29)

Hebungs-Problem 3 Warum haben wir in Hebungs-Sätzen gerade diese Art von Bewegung?

252

Präziser gesagt, wir können fragen, warum wir die S-Struktur in (30) ableiten können, nicht aber die von (31) und (32): (30) (31) (32)

Stefaiij seems [ s e, to like Maja] '"Maja, seems [ s Stefan to like e¡] »Stefan, seems [ s . that [ s e, likes Maja]]

Wiederum können wir weiter nichts sagen, als daß die in (30) vollzogene Bewegung erlaubt, die in (31) und (32) vollführte hingegen verboten ist. Dies ist abermals keine zufriedenstellende Antwort. Somit erweist sich der klassische transformationelle Zugang zu Hebungs-Konstruktionen in ähnlicher Weise als unbefriedigend, wie er sich schon bei der Behandlung von Passiv-Konstruktionen als problematisch gezeigt hat. Wenn man sich analoge deutsche Beispiele ansieht, so ist die Antwort noch weniger befriedigend. Im Deutschen liegt folgende Situation vor, wenn man das Chomskysche Satzstrukturschema aus Barriers zugrunde legt: (33) (34) (35) (36) (37) (38)

[Cp Der Stefani scheint¡ [•> e,1 [yp [q, e¡° die Maja zu mögen]] e¡]]] [cp Die Maja¡ scheint; [•> der Stefank [ w [,P ev [yp zu mögen]] e¡]]] *[CP Der Stefan¡ scheint¡, [„. E¡' [ w [ w % [CP daß [„. e¡° [VP die Maja mag]]]]]] [CP daß [p> der Stefani [VP In· [vp die Maja zu mögen]] scheint]]] [ c p daß [q> die Maja¡ [ρ, der Stefan [yp [p> e¡ [yp e¡ zu mögen]] scheint]]]] *[CP daß [•> der Stefan; [VP [VP e¡ scheint], [Q, daß [•» e¡ [ w die Maja mag]]]J]]

Nimmt man hingegen das Schema aus Haider (1993) an, so vereinfacht sich die Strukturanalyse: (39) (40) (41) (42) (43) (44)

[Cp Der Stefan, scheintj [yp [yp e¡ die Maja zu mögen] e¡]] [ c p Die Maja¡ scheintj [ w [yp der Stefan e¡ zu mögen] e¡]] *[Cp Der Stefan scheintj, [yp e¡' [yp e^ e¡] [CT daß [yp e¡° die Maja mag]]]] [Cp daß [yp [yp der Stefan die Maja zu mögen] scheint]] [Cp daß [yp die Majai [yp [yp der Stefan e¡ zu mögen] scheint]]] *[CP daß [yp [yp der Stefan; e¡ scheint], [ c p daß [yp e-, die Maja mag]]j ]]

Im Schema von Haider fehlt die IP-Etage. Das hat mehrere Konsequenzen: (a) Das Subjekt muß in der VP basisgeneriert werden und kann dort auch bei Verb-End-Sätzen stehen bleiben. Das zeigen die Beispiele (42) und (43). (b) Der Nominativ muß in die VP hinein an das Subjekt zugewiesen werden können. Im Deutschen muß sich also das Subjekt nicht in die Specl-Position begeben, damit es dort den Nominativ erhält. Es kann in der SpecV-Position verweilen, (c) Das Verb bekommt seine Finitheitsmerkmale innerhalb der VP. Es muß nicht von Vo nach Io bewegt werden. Eine offene V-zu-I-Bewegung läßt sich nicht nachweisen. Verb-Erst-Sätze entstehen aus der direkten Bewegung des Verbs aus der Vo- in die C°-Position. (d) Im Deutschen kann das präinfinitivische

253 Element zu nicht als eine Instanz von I, sondern nur als eine Art Wortbildungselement für die Charakterisierung nichtfiniter Verbformen betrachtet werden, (e) Die SpecC-Position ist für alle möglichen maximalen Projektionen zugänglich, keineswegs nur für das Subjekt. Das macht (40) deutlich. (Die Zugänglichkeit der SpecC-Position für alle möglichen Konstituenten ist auch im Rahmen der Äamm-Hypothese möglich, vgl. (34)). Darin besteht der Unterschied zwischen SVO-Sprachen und XVSprachen mit Verb-Zweit-Phänomen. (f) Innerhalb des Mittelfeldes im Deutschen, also in dem Bereich zwischen der C°- und der V°-Position, muß es Abwandlungen von der kanonischen Reihenfolge der Argumente geben, wobei die kanonische Reihenfolge jeweils von lexikalischen Gruppen abhängt (es gibt nicht nur eine einzige kanonische Reihenfolge der Argumente für alle Verben, sondern verschiedene Verbgruppen haben je unterschiedliche kanonische Reihenfolgen, vgl. Haider (1993)). So zeigt (43), daß auch im Verb-End-Satz das Objekt vor das Subjekt bewegt werden kann. Vergleicht man (30) bis (32) mit (33) bis (38) einerseits und mit (39) bis (44) andererseits, so stellt man fest, daß in (36) wie in (30) eine Bewegung stattgefunden hat, die für die Reihenfolge in (33) keine Konsequenzen hat, die also leer läuft. In (42) hingegen hat keine solche leere Bewegung stattgefunden (genauer: es hat gar keine Bewegung stattgefunden). Weiterhin stellt man fest, daß (31) im Gegensatz zu (34) und (37) bzw. (40) und (43) ungrammatisch ist, daß also im Deutschen Bewegung möglich ist, wo sie im Englischen unzulässig erscheint. Schließlich kann man feststellen, daß sowohl im Englischen als auch im Deutschen, also in (32) wie in (35) und (38) bzw. (41) und (44), die Bewegung aus einem eingebetteten finiten Satz nicht möglich ist. Vergleicht man also Englisch und Deutsch miteinander, zeigt der Zugang der klassischen TG noch weniger Erfolg, als wenn man sich nur auf das Englische beschränken wollte. Erstens muß man fragen, warum im Deutschen eine Bewegung wie in (33) notwendig sein sollte, wenn sie doch gar keinen Effekt für die Reihenfolge der Konstituenten macht. Zweitens muß man fragen, warum im Deutschen eine Bewegung wie in (34), (37) bzw. (40), (43) erlaubt, im Englischen, vgl. (31), aber verboten ist. Eine Antwort, daß die Bedingungen für die Anwendung der Regel der Hebungs-Transformation im Englischen anders sind als im Deutschen, wäre nicht besonders erhellend. Der Zugang zu den Hebungs-Konstruktionen innerhalb der GB-Theorie ist ähnlich wie der Zugang zu den Passiv-Konstruktionen. Die GBTheorie nimmt, wie wir gesehen haben, eine sehr generelle Bewegungsregel an: Bewege al (Move a!). Sie nimmt zugleich an, daß mit dieser unspezifischen Regel eine ganze Reihe grammatischer Prinzipien inter-

254 agieren, die festlegen, welche Art von Bewegung in einer gegebenen Konstellation auftreten kann. Alle Prinzipien, die bei den Passiv-Konstruktionen wirksam sind, treten auch bei den Hebungs-Konstruktionen auf. Betrachten wir zunächst, welche Antwort die GB-Theorie auf die erste unserer Fragen gibt: Warum ist Bewegung in Hebungs-Konstruktionen möglich? Die entscheidende Annahme in diesem Zusammenhang ist folgende: (45)

Θ-Rollen-Zuweisungs-Deftzit von Hebungs-Verben und -Adjektiven Hebungs-Verben und -Adjektive vergeben keine Θ-Rolle an ihre SubjektPosition.

Evidenz dafür kommt aus der Tatsache, daß Hebungs-Konstruktionen oft verwandte Sätze mit einem Dummy-zf/es in der Subjekt-Position haben. Man erinnere sich daran, daß dieses it/es in einer Subjekt-Position auftritt, der keine Θ-Rolle zugewiesen sein kann. So haben wir zum Beispiel parallel zu (1), (3) und (17) die Fälle (46) bis (48) (46) (47) (48)

It seems that Stefan is irritating. It is likely that Stefan will be irritating. Es scheint, daß Stefan krank ist.

Unter der Annahme (45) verhalten sich Hebungs-Verben und -Adjektive wie Passiv-Partizipien und unakkusativische Verben. Bewegung in die Subjekt-Position eines Hebungs-Satzes resultiert ebensowenig wie die Bewegung in die Subjekt-Position eines Passiv- oder Unakkusativ-Satzes darin, daß eine NP zwei Θ-Rollen hat. So wird die Beschränkung, daß keine NP mehr als eine Θ-Rolle haben darf, nicht verletzt. Wir wenden uns nun der zweiten Frage zu: Warum ist Hebung in Hebungs-Sätzen notwendig? Wir haben schon gesehen, daß wir diese Frage nur für das Englische formulieren und dementsprechend nur für das Englische beantworten können. Im Deutschen gibt es nur eine Bewegung, die man nicht sieht und nach deren Notwendigkeit man daher nicht zu fragen braucht. Das legt die Vermutung nahe, daß es im Deutschen keine Hebungs-Sätze bzw. Hebungs-Verben gibt. Wir wollen jedoch den etablierten Terminus nicht über Bord werfen. Hier ist nun die folgende Annahme wesentlich: (49)

Kasus-Zuweisungs-Defizit von Hebungs-Verben und -Adjektiven Hebungs-Verben und -Adjektive weisen einer von ihnen regierten NP keinen Kasus zu.

Dies macht Hebungs-Verben und -Adjektive den Passiv-Partizipien und den unakkusativischen Verben noch ähnlicher. Die Ausgangsstrukturen in den Bäumen (22) und (23) fordern eine NP mit phonetischer Substanz in einer Position, in der ihr kein Kasus zugewiesen werden kann. In beiden Fällen ist deshalb Bewegung erforderlich, um eine Verletzung des

255 Kasusfilters zu vermeiden, d.h. der Forderung, daß eine NP mit phonetischem Inhalt (abstrakten) Kasus haben muß. Für das Deutsche gelten die Bedingungen des Kasusfilters selbstverständlich ebenfalls, sie müssen oder können aber auf andere Art und Weise erfüllt werden: Wenn (49) auch für das Deutsche gilt, eine offene Bewegung aber nicht erkennbar ist, dann muß die NP an ihrer Ausgangsposition verbleiben und dennoch Kasus erhalten können. Wir wollen diesen Punkt hier nicht weiter vertiefen. Schließlich können wir unsere dritte Frage betrachten: Warum haben wir - wieder bezogen auf das Englische - gerade diese Art von Bewegung? Präziser: Warum können wir im Englischen die S-Struktur in (50), aber nicht die in (51) und (52) ableiten? Warum können wir im Deutschen die S-Struktur in (53) und (54) ableiten, aber - wie im Englischen nicht die in (55)? (50) (51) (52) (53) (54) (55)

Stefan seems [ s e-, to like Maja] *Maja¡ seems [ s Stefan to like e-J *Stefan¡ seems [ s . that [ s e-, likes Maja]] (cp daß [yp Ivp der Stefan die Maja zu mögen] scheint]]. [Cp daß [yp die Maja, [y, [ w der Stefan e¡ zu mögen] scheint]]]. *[CP daß [yp [yp der Stefan e¡ scheint], [ c p daß [ w e¡ die Maja mag]]j ]]

Die englischen Beispiele sind analog zu den Passiv-Konstruktionen, die wir im letzten Kapitel betrachtet haben: (56) (57) (58)

Ben¡ is believed [ s e¡ to like Maja] *Maja¡ is believed [ s Ben to like e-J *Ben¡ is believed [ s . that [ s e¡ likes Maja]]

Wir können (50) bis (55) in der gleichen Weise erklären wie diese Beispiele, indem wir folgende Beschränkung annehmen: (59)

Anaphern-Bindung Eine Anapher muß in ihrer Rektionsdomäne Α-gebunden sein.

Dabei sei an folgendes erinnert. Erstens: Eine Kategorie ist dann und nur dann Α-gebunden, wenn sie mit einer sie c-kommandierenden Kategorie in A-Position (Subjekt, Objekt eines Verbs oder einer Präposition) koindiziert ist. Zweitens: Die Rektionsdomäne einer Einheit ist die minimale NP- oder S-Kategorie, die diese Einheit und eine sie regierende Einheit enthält. In (50) ist die Spur durch das vorausgehende Verb regiert unter der Voraussetzung, daß ein lexikalischer Kopf das Subjekt seines Komplements regiert, wenn das Komplement die Gestalt eines exzeptionellen Satzes hat. Das Verb befindet sich im Hauptsatz. Somit ist die Rektionsdomäne für die Spur der Gesamtsatz, und die Spur ist in ihrer Rektionsdomäne Α-gebunden, wie von (59) gefordert.

256 In (51) ist die Spur durch das vorausgehende Verb regiert unter der Voraussetzung, daß ein lexikalischer Kopf seine Komplemente regiert. Da das Verb sich im untergeordneten Satz befindet, ist die Rektionsdomäne für die Spur der untergeordnete Satz. Somit ist die Spur nicht in ihrer Rektionsdomäne Α-gebunden, und wir haben eine Verletzung von (59). In (52) schließlich ist die Spur nicht durch das vorausgehende Verb regiert, weil das Komplement ein S' ist und nicht ein S (S' verhindert die Rektion in den untergeordneten Satz hinein). Stattdessen ist sie durch die Kongruenz-Merkmale des folgenden Verbs regiert unter der Voraussetzung, daß die Kongruenz-Merkmale eines finiten Verbs ihr Subjekt regieren. Da das Verb sich im untergeordneten Satz befindet, ist die Rektionsdomäne für die Spur der untergeordnete Satz. Daher ist die Spur nicht in ihrer Rektionsdomäne Α-gebunden, und wir haben eine weitere Verletzung von (59). Die deutschen Beispiele müssen auf andere Weise analysiert werden. Zunächst muß man überlegen, wie die Rektionsdomäne bestimmt werden soll. Offensichtlich muß die VP so etwas wie eine Rektionsdomäne sein können, wenn wir für das Deutsche die I-Projektion als überflüssig ausschließen wollen. Unter dieser Voraussetzung haben wir keine Schwierigkeiten, (53) und (55) zu erklären: In (53) hat keine Bewegung stattgefunden, also gibt es keine Spur, die in ihrer Rektionsdomäne gebunden werden müßte. Für (55) können wir analog wie für (52) argumentieren. Die Rektionsdomäne für die Spur ist die innere VP (in der eingebetteten CP), in dieser VP ist aber die Spur nicht gebunden (sie kann aber auch nicht von außen gebunden sein, da die CP analog zu S' die ABindung von außen blockiert), so daß eine Verletzung von (59) vorliegt. Was liegt in (54) vor? Der Satz ist offensichtlich grammatisch, also kann keine Verletzung von (59) vorliegen. Andererseits befindet sich die Spur in der inneren VP. Die innere VP müßte daher die Rektionsdomäne der Spur sein, und in dieser Rektionsdomäne ist die Spur nicht gebunden. Liegt also doch eine Verletzung von (59) vor? Wie kommen wir aus diesem Widerspruch heraus? Zunächst ist festzustellen, daß hier tatsächlich eine Bewegung stattgefunden hat: Das Objekt von mögen steht links vom Subjekt von mögen und scheinen (Stefan ist das Subjekt sowohl der VP, die von mögen als auch der VP, die von scheinen projiziert wird), das Objekt befindet sich somit höher im Baum als das Subjekt. Weiterhin kann man konstatieren, daß das Verb scheinen mit einer infiniten Einbettung eine sogenannte kohärente, d.h. nicht auflösbare Konstruktion bildet (dieser Terminus ist in Bech (1955) eingeführt worden). Die Nichtauflösbarkeit dieser Konstruktion zeigt sich u.a. darin, daß die eingebettete infinite Konstruktion nicht postponiert werden kann:

257 (60) (61) (62)

[CP daß [vp [vp der Stefan die Maja zu mögen] scheint]] *[Cp daß [vp β! scheint][vp der Stefan die Maja zu mógen]¡ ] *[CP daß [vp der Stefanj e-, scheint]^ e¡ die Maja zu mogen]¡ ]

(61) und (62) zeigen, daß sich die innere VP nicht extraponieren läßt: weder, wenn sie das Subjekt enthält, noch, wenn das ursprüngliche Subjekt zuvor in die SpecV-Position der übergeordneten VP bewegt worden ist. Die Folgerung aus der Kohärenzeigenschaft solcher Konstruktionen besteht in der Annahme, daß solche Konstruktionen ein komplexes Verb (zu) mögen scheinen bilden und daß dieses komplexe Verb nur eine einzige VP projiziert. Die Struktur ist also: (63)

[ c p daß [vp der Stefan die Maja zu mögen scheint]].

Diese VP ist die Rektionsdomäne sowohl für das Subjekt als auch für das Objekt. Aus ihr kann nun etwas herausbewegt und an sie adjungiert werden, nämlich das Objekt die Maja. Das Ergebnis ist dann: (64)

[CP daß [yp die Maja, [ w der Stefan e, zu mögen scheint]]].

Die Spur befindet sich in der Rektionsdomäne, aber auch das Antezedens befindet sich aufgrund der Adjunktion an die VP nicht außerhalb der VP, die Spur ist also in ihrer Rektionsdomäne gebunden, und auch für (66) bzw. (54) ist somit die Bedingung (59) eingehalten.

10.4 Der PSG-Zugang Wir können nun sehen, wie Hebungs-Sätze innerhalb von PSG, genauer, wie sie innerhalb von HPSG analysiert werden. Wie der HPSG-Zugang zu Passiv-Konstruktionen ist der HPSG-Zugang zu Hebungs-Sätzen in einem gewissen Sinne einfacher als der GB-Zugang, aber wie der HPSGZugang zu Passiv-Konstruktionen benötigt der HPSG-Zugang zu Hebungs-Sätzen komplexere Kategorien. Innerhalb von PSG haben Hebungs-Sätze nur die gewöhnliche einfache Struktur. (1) und (3) haben daher nur die Struktur (65) bzw. (66): (65)

Stefan

s

seems

to be irritating

258

Wenn Hebungs-Sätze genau diese einfache Struktur haben, so müssen die infiniten VPs irgendwie sensitiv für eine bestimmte Konstituente sein, die sich höher im Baum befindet. In diesen Beispielen muß also die VP to be irritating sensitiv sein für die Anwesenheit der NP Stefan. Faktisch haben wir schon gesehen, wie dies bewerkstelligt werden kann. Wir beginnen mit (65). Wir müssen sichern, daß das Subjekt, das von der infiniten VP gefordert wird, auch als Subjekt der höheren VP gefordert oder zumindest zugelassen wird. Wir tun das, indem wir seems derselben Kategorie zuordnen wie das passivische Auxiliar was im letzten Kapitel. Insbesondere können wir folgendes vorschlagen: (67) SUBCAT,


-, I I I j J

Hier haben wieder das SUBJ-Merkmal innerhalb des Wertes von SUBCAT und das übergeordnete SUBJ-Merkmal die gleiche Variable als ihren Wert. Wie zuvor werden diese Variablen durch eine aktuelle Kategorie instantiiert, wenn diese Kategorien in einem Baum auftreten. Wenn (70) gegeben ist und wenn das Komplement von likely die Kategorisierung [SUBJ, NP[NFORM, NORM]] hat, so wird likely die gleiche Charakterisierung bekommen. Die Kopf-Komplement-Regel sichert dann, daß dies

260 auch für die unmittelbar dominierende AP gilt. Gleichermaßen gilt: Wenn (71) gegeben ist und wenn das Komplement von is die Kategorisierung [SUBJ, NP[NFORM, NORM]] hat, so wird auch is diese Charakterisierung bekommen. Die Kopf-Komplement-Regel sorgt dafür, daß dies auch für die unmittelbar dominierende VP zutrifft. Somit erhalten wir in der Mitte des Baumes von (66) die Struktur (72) ohne die Angaben der SUBCAT-Listen: (72)

Γ

r VP I SUBJ, NP I [NFORM, NORM] L

V

r AP I SUBJ, NP I [NFORM, NORM] L

I SUBJ, NP I [NFORM, NORM]

L

r

-, I | J

A

I SUBJ, NP I [NFORM, NORM] L

r VP I SUBJ, NP I [NFORM, NORM] L

I

Somit können wir wie in der GB-Theorie Hebungs-Konstruktionen integrieren, ohne neue Mechanismen einführen zu müssen. Analog kann man für das Deutsche verfahren. Wir nehmen zunächst die einfache Struktur (73) an:

261 Die Verbform scheint können wir dann der Kategorie (67) zuordnen. Bezogen auf den Baum (73) wird diese Kategorie dann genauso wie in (68) spezifiziert, und für die Mitte des Baumes (73) erhalten wir dann folgende Struktur: (74)

Γ VP I SUBJ, NP I [NFORM, NORM]

L

V ι +INF I SUBJ, NP I [NFORM, NORM] L

SUBJ, I | J

NP [NFORM, NORM]

Tatsächlich gibt es eine wichtige Ähnlichkeit zwischen dem PSG- und dem GB-Zugang. In GB hat ein Hebungs-Verb ein Subjekt, das ursprünglich das Subjekt eines Komplement-Satzes ist. So könnte man sagen, daß das Hebungs-Verb sein Subjekt von seinem Komplement-Satz erbt. In PSG verbindet sich ein Hebungs-Verb mit einer bestimmten Art von Subjekt, nämlich mit einem, das vom Komplement gefordert wird. Hier können wir sagen, daß ein Hebungs-Verb die Forderung nach einer bestimmten Art von Subjekt von seinem Komplement erbt. Daher sind die Zugänge, die, oberflächlich betrachtet, so unterschiedlich aussehen, letzlich doch nicht so weit auseinander, wie es den Anschein hat.

10.5 Einige weitere Daten In diesem letzten Abschnitt wollen wir einige weitere Daten betrachten. Insbesondere können wir uns Konstruktionen ansehen, die wie HebungsSätze mit unterschiedlichen Arten von Komplementen ausschauen. In der GB-Theorie erfordern diese Fälle wieder die Art von Bewegung, die wir in 10.3 erörtert haben, und in der PSG-Theorie wird die Sorte von Kategorien benötigt, die wir in 10.4 diskutiert haben. Wir beginnen mit folgenden Beispielen: (75) (76)

(a) (b) (a) (b)

Stefan seemed intelligent, daß Stefan intelligent scheint Ben appears devious, daß Ben verwirrt scheint

262 Diese Sätze sehen aus wie reduzierte Versionen der folgenden normalen Hebungs-Sätze: (77) (78)

(a) (b) (a) (b)

Stefan seemed to be intelligent. daß Stefan intelligent zu sein schien Ben appears to be devious. daß Ben verwirrt zu sein scheint

Wie in normalen Hebungs-Sätzen determiniert das Komplement, welche Art von Subjekt auftreten kann. So sind (79) und (80) parallel zu (81) und (82): (79)

(80)

(81)

(82)

(a) (bl) (b2) (a) (bl) (b2) (a) (bl) (b2) (a) (bl) (b2)

It seems easy to fool Ben. daß es leicht schien, Ben zu necken. daß Ben zu necken leicht schien. It appears difficult to please Maja. daß es schwierig scheint, Maja zu gefallen daß Maja zu gefallen schwierig scheint It is easy to fool Ben. daß es leicht ist, Ben zu necken daß Ben zu necken leicht ist It is difficult to please Maja. daß es schwierig ist, Maja zu gefallen daß Maja zu gefallen schwierig ist

Es scheint so, daß Sätze wie (75) und (76) von der gleichen Art sind wie die normalen Hebungs-Sätze, die wir erörtert haben. Wenn das so ist, dann sollten sie auch auf die gleiche Weise analysiert werden können. Die (b2)-Beispiele in (79) bis (82) machen nun wieder deutlich, daß das deutsche es in diesen Konstruktionen ein Subjekt-Platzhalter ist: Es verschwindet, wenn der infinite Subjekt-Satz selbst seine Position einnimmt. In GB muß dann mit solchen Sätzen die Bewegung des Subjekts eines untergeordneten Satzes in die leere Subjekt-Position eines übergeordneten Satzes verbunden sein. So kann man eine Derivation wie die folgende vorschlagen:

e

seems

Stefan

intelligent

263 Diese Ableitung ist jedenfalls derjenigen sehr ähnlich, die wir für normale Hebungs-Sätze vorgeschlagen haben. Der einzige Unterschied besteht darin, daß wir als Komplement einen Small Clause haben. In PSG sollten wir die gleiche Art von Kategorien für diese Beispiele wie für die normalen Hebungs-Sätze haben. Wir können Kategorien wie die folgenden annehmen: (84)

ρ I SUBCAT, < I I j SUBJ, Y L

V r AP I SUBJ, Y L

n

I J

Dies ist die gleiche Kategorie, die wir für seem als ein normales Hebungs-Verb vorgeschlagen hatten, mit dem Unterschied, daß wir eine AP anstelle von VP[+INF] haben. Ein AP-Komplement bestimmt nicht nur bei seem/scheinen, welche Art von Subjekt auftreten kann. Wir haben die gleiche Situation bei be/sein. In (85) findet sich ein normales Subjekt, weil wir das Adjektiv strong/stark haben, und in (86) steht ein Dummy-i'f-Subjekt, weil wir das Adjektiv likelylàas Funktionsverbgefüge den Anschein haben mit einem vollständigen Satzkomplement finden: (85) (86)

(a) (b) (a) (b)

Ben is strong, daß Ben stark ist It is likely that Ben did it. daß es den Anschein hat, daß Ben es getan hat

In GB folgt daraus, daß wir in (85)(a) wieder eine Bewegung des Subjekts des eingebetteten Satzes in eine leere Subjekt-Position im übergeordneten Satz annehmen müssen, mit anderen Worten, daß wir Derivationen wie die folgende haben: (87)

(a) (b)

e is [¡¡c Ben strong] = = > Ben is Isc e ¡ strong] e [ s c Ben stark] ist = = > Ben¡ [ s c e¡ stark] ist

Innerhalb von PSG legen die Daten nahe, daß be/sein der Kategorie in (84) zugeordnet werden sollte, wenn es ein AP-Komplement nimmt. Wir haben im letzten Abschnitt diese Kategorie auch schon für be/sein angenommen, wenn es ein AP-Komplement nimmt. Damit haben wir zugleich die Annahme gemacht, daß be/sein in einer solchen Situation ein Hebungs-Verb ist.1

1

Der Vorschlag, daß be und die Modalverben Hebungs-Verben sind, stammt von Ross (1969) und wurde weiter ausgebaut in Pullum/Wilson (1977). Innerhalb von GB wurde be als Hebungs-Verb in Stowell (1981, 4.) und in Burzio (1986) analysiert.

264 Ein VP-Komplement von be/sein determiniert ebenfalls, welcher Typ von Subjekt erscheinen kann. So haben wir in (88) ein normales Subjekt, weil es vom Verb run gefordert wird, in (89) hingegen ein Dummy-üSubjekt bzw. eine Quasi-Argument-«, weil es vom Verb rain verlangt wird: (88) (89)

(a) (b) (a) (b)

Ben is running. daß Ben am Laufen ist. It is raining. daß es am Regnen ist.

In GB wäre wieder folgende Analyse zu machen: (90)

(a) (b)

e is Ben running] = = > Ββη is e [sc Ben am Laufen] ist = = > Ben¡

e¡ running] e¡ am Laufen] ist

In PSG müssen wir be/sein, sofern es ein VP-Komplement nimmt, die folgende Kategorie zuweisen: (91) SUBCAT,
Ben¡ was [sc e¡ arrested eJ e [ s c e Ben verhaftet] wurde = = > e [ s c Ββη verhaftet ej wurde = = > Ben¡ [ s c e¡ verhaftet ej wurde

Hier haben wir eine Bewegung von der Objekt-Position in die SubjektPosition eines Small Clause und dann eine Bewegung in die SubjektPosition des übergeordneten Satzes. (87)(b), (90)(b) und (93)(b) zeigen aber, daß im Deutschen diese Hebung wieder eine leere Bewegung ist, da sie nichts an der Reihenfolge der Konstituenten ändert.2 Es gibt einen weiteren Punkt bezüglich des Verbs be. Man betrachte die folgenden Satzpaare: (94) (95)

(a) (b) (a) (b)

A man was running. There was a man running. A vase was broken. There was a vase broken.

In GB werden die Subjekte der (a)-Beispiele aus der Subjekt-Position eines Small Clause herausbewegt, der dem Auxiliar was folgt. Daher kann man annehmen, daß die (b)-Beispiele die gleiche Analyse wie die (a)Beispiele haben, mit dem Unterschied, daß sie die Einsetzung von there involvieren anstelle der Bewegung der Subjekte a man und a vase aus der Subjekt-Position des Small Clause heraus. Man muß allerdings erklären, weshalb die fAere-Einsetzung weit weniger natürlich ist, wenn das Subjekt des Small Clause définit ist, warum also Beispiele wie die folgenden unnatürlich sind, wenn man nicht eine Art von Aufzählung gibt: (96)

*There is Bill running.

Wir wollen jedoch dieses Problem hier nicht weiter verfolgen. 3 Zwei weitere Probleme sollen hier betrachtet werden, die mit Modalverben und der Infinitiv-Partikel to zu tun haben.

2

Beispiele wie die folgenden legen nahe, daB das perfektbildende have, das sich mit einem Partizip II verbindet, ein weiteres Hebungs-Verb ist: (1) (2)

Stefan has run. It has rained.

Dies ist die Position sowohl von Ross (1969) als auch von Pullum/Wilson (1977). 3 Die Analyse von ί/iere-Subjekt-Sätzen, wie sie im Text skizziert wurde, wurde in Stowell (1978) vorgeschlagen. Diese Analyse wurde in Williams (1984a) kritisiert.

266 (97) (98)

Ben {may/must/will} run. It {may/must/will} rain.

In (97) haben wir ein normales Subjekt, weil es von run gefordert wird, in (98) hingegen haben wir ein Dummy-fr-Subjekt oder Quasi-Argumentit, weil es von rain verlangt wird. (99) (100)

I expect Ben to run. I expect it to rain.

Im Rahmen von GB ist das auf das Verb expect Folgende ein Small Clause, im Rahmen von PSG sind das zwei getrennte Komplemente. In beiden Fällen ist Ben das Subjekt von to run und it das Subjekt von to rain. Es ist klar, daß wir im ersten Fall ein normales Subjekt haben, weil das von run gefordert wird, und im zweiten ein Dummy-i'i-Subjekt oder Quasi-Argument-fr, weil dies von rain verlangt wird. Unter diesem Aspekt sieht es so aus, als sei to eine Art von Hebungs-Verb.4 Innerhalb von PSG können wir die Idee, daß Modalverben und die Infinitiv-Partikel to Hebungs-Verben sind, dadurch implementieren, daß wir den ersteren die Kategorie (101) und der letzteren die Kategorie (102) zuweisen: (101) + FIN SUBCAT,
] haben. Borsley (1984) und Borsley (1986) plädieren für eine Analyse der Infinitive in walisischen Kontroll- und Hebungs-Sätzen als reine VPs.

284

In HPSG benötigen wir, um solche Strukturen zulassen zu können, geeignete Kategorien für die Verben tried und persuaded. Für tried können wir vorschlagen: (74) SUBCAT


j

Wenn diese Kategorisierung gegeben ist, fordert das SubkategorisierungsPrinzip die SLASH-Merkmals-Spezifizierung in (92). Somit können wir diese Struktur zulassen, wenn wir die erste Klausel des FOOT-MerkmalsPrinzips revidieren: (95)

FOOT-Merkmals-Prinzip (a) Wenn eine FOOT-Merkmals-Spezifizierung innerhalb einer Kategorie erscheint, dann muß sie auch in ihrer Mutter erscheinen, wenn sie nicht von der Regel, durch die sie lizenziert wird, oder nicht vom Subkategorisierungs-Prinzip gefordert ist.

Ein weiteres Problem soll hier betrachtet werden. Bei der Erörterung des GB-Zugangs in Abschnitt 12.3 haben wir angemerkt, daß wA-Bewegung nur aus einer Kasus-Position heraus möglich ist, und wir haben gezeigt, daß der Kasusfilter dafür eine einfache Erklärung zu bieten scheint. Wir können nun jedoch sehen, daß diese Annahme zu einfach ist. Man betrachte folgende Beispiele: (96) (97) (98) (99)

the man lCP e¡" that [ s e¡' was arrested e¡]] the man [ cp e¡" that [ s e¡' seemed e¡ to be the best]] *the man [CP e¡' that [ s it was arrested ej] *the man [ c p e¡' that [ s it seemed e¡ to be the best]]

Für GB ist mit diesen Fällen Bewegung eines leeren wA-Operators verbunden. In (96) und (97) haben wir zuerst NP-Bewegung und dann whBewegung aus einer Kasus-Position heraus, während wir in (98) und (99) gerade w/j-Bewegung aus einer Nicht-Kasus-Position heraus haben. Da das bewegte Element leer ist, kann der Kontrast zwischen (96)/(97) und (98)/(99) nicht eine Konsequenz des Kasusfilters sein. Wie können wir diesen Kontrast erklären? Eine Möglichkeit besteht darin, daß wir den Kasusfilter durch folgendes Prinzip ersetzen: (100)

Revidierter Kasusfilter Eine NP, die eine Θ-Rolle hat, muß auch einen Kasus haben.

Wenn das leere wA-Element in den verschiedenen Konstruktionen eine ΘRolle hat, dann muß es auch dann einen Kasus bekommen, wenn es keine phonetische Substanz hat. 12 Somit erklärt (100) den Kontrast zwischen

12

Für eine Diskussion des Versuchs, Kasus mit θ-RoUen zu verbinden, wie er in 12.5 eingeführt worden ist, vgl. Bouchard (1984), Davis (1986) und Lasnik/Uriagereka (1988. 6.1.).

316 (96)/(97) und (98)/(99) ganz gut. (100) ist aber einigen Problemen ausgesetzt. Man betrachte erst das folgende Beispiel: (101)

Ben tried to please Debbie.

Der Infinitiv hat ein PRO-Subjekt. Dieses Subjekt hat eine Θ-Rolle, aber keinen Kasus. Wie wir in Kapitel 11 gesehen haben, ist ein wesentliches Merkmal von PRO, daß es in einer Position erscheint, in der ihm kein Kasus zugewiesen wird. Angesichts dieses Faktums stellt (101) eine Verletzung des revidierten Kasusfilters dar, dennoch ist es grammatisch. Man betrachte nun das folgende Beispiel: (102)

*It seems it to be raining.

Hier ist das zweite it in einer Position, in der kein Kasus zugewiesen wird. Da das Dummy-(i keine Θ-Rolle hat, verlangt der revidierte Kasusfilter nicht von ihm, daß es Kasus haben müßte. Somit würde das Beispiel nicht ausgeschlossen. Es hat den Anschein, als liege hier ein Problembereich für die GB-Theorie.

12.6

Zusammenfassung

Wir sind in diesem Kapitel mit wft-Fragen und allgemeiner mit wft-Abhängigkeits-Konstruktionen befaßt gewesen. Wir begannen in 12.2 mit der Betrachtung der grundlegenden Eigenschaften von wh-Fragen. Danach betrachteten wir in 12.3 den GB-Zugang, wobei wir insbesondere die sukzessiv zyklische Analyse komplexer ννΛ-Fragen und die Annahme, daß wA-Spuren R-Ausdrücke sind, beleuchteten. Als nächstes stellten wir den PSG-Zugang dar. Hier führten wir das SLASH-Merkmal und das FOOTMerkmals-Prinzip ein, das die Distribution des SLASH-Merkmals bestimmt. In 12.5 schließlich behandelten wir eine Reihe von anderen whAbhängigkeiten und erörterten, wie sie in GB und in PSG behandelt werden können.

317

Übungen Übung 1 Geben Sie GB-Derivationen mit D-Strukturen, Zwischenstrukturen und S-Strukturen für folgende Beispiele! (1) (2) (3)

Wer, sagtest du, hat das Verbrechen angezeigt? Which book do you think that he looked at? Was erwarten sie, daß er tun wird?

Übung 2 Geben Sie PSG-Bäume mit dem SLASH-Merkmal für jedes der folgenden Beispiele! (1) (2) (3) (4) (5)

Who is she talking to? Was wirst du zu tun versuchen? Was hat er ihr gegeben? Wie dick, denkst du, daß dieses Buch ist? What did he expect to break?

Übung 3 Wir haben in den Kapiteln 9, 10 und 11 angenommen, daß die GB-Bedingung für Anaphern auf der S-Struktur gilt. Zeigen Sie, inwiefern das folgende Beispiele ein Problem für diese Auffassung darstellt! (1)

Welches Bild von sich mag Ben am meisten?

Übung 4 Die folgenden polnischen Beispiele enthalten Relativsätze, die durch ein Wort eingeleitet werden, das wörtlich mit 'was' zu übersetzen ist. Zeigen Sie, wie diese Relativsätze sich von deutschen Relativsätzen unterscheiden, die durch ein w- oder rf-Wort eingeleitet sind, und überlegen Sie, ob sie in Termen von ννΛ-Bewegung analysiert werden sollten! (1)

(2)

(3)

ten student, co pojechal do Warszawy der Student was ging nach Warschau 'der Student, der nach Warschau ging' ten student, co go wszyscy bardzo lubia der Student was ihn alle sehr mögen 'der Student, den alle mögen' ten student, co o nim wszyscy rozmawiali der Student was über ihn alle sprachen 'der Student, über den alle sprachen'

318 (4)

(5)

ten student, co go chcg der Student was ihn wünsch-l.Sg. 'der Student, den ich zu treffen wünsche' ten student, co chce ζ der Student was wünsch-l.Sg. mit 'der Student, mit dem ich zu sprechen wünsche'

spotkaé treffen nim ihm

porozmawiaé sprechen

Übung 5 Die norwegischen Beispiele in (1) bis (4) (nach Maling (1978)) und die mittelenglischen Beispiele in (5) bis (10) (nach Grimshaw (1974)) sind ein Problem für die Auffassung, daß ννΛ-Abhängigkeiten ohne offenes wft-Element genau die gleichen Mechanismen verlangen wie die ννΛ-Abhängigkeiten mit offenen w/î-Elementen. Erklären Sie, warum das so ist!

(1) (2)

(3)

(4)

(5)

(6) (7)

(8)

(9)

(10)

ingen visste, hvem Det er melodien, som keiner wußte wer Dieses ist Lied das, das 'Dieses ist das Lied, von dem keiner weiß wer es schrieb' *Hva visste ingen hvem skrev? Was wußte keiner wer schrieb? 'Wovon wußte keiner, wer es geschrieben hat?' Det er melodien, som Jan spurte, hvem Dieses ist Lied-das das Jan fragte wer 'Dieses ist das Lied, nach dem Jan fragte, wer es schrieb' *Hva spurte Jan hvem skrev? Was fragte Jan wer schrieb? 'Wonach fragte Jan, wer es schrieb?' this bok which (that) I see dieses Buch das ich sehe 'dieses Buch, das ich sehe' •this bok which (that) I make mencioun dieses Buch das ich mache Erwähnung 'dieses Buch, das ich erwähne' this bok of which I make mencioun dieses Buch von dem ich mache Erwähnung 'dieses Buch, das ich erwähne' this bok that I see dieses Buch das ich sehe 'dieses Buch, das ich sehe' this bok that I make mencioun of dieses Buch das ich mache Erwähnung von 'dieses Buch, das ich erwähne' •this bok of that I make mencioun dieses Buch von dem ich mache Erwähnung dieses Buch, das ich erwähne

skrev. schrieb

skrev. schrieb

of von

13

Insel-Beschränkungen

13.1 Einführung Wir sahen im letzten Kapitel, daß ein wichtiges Merkmal von ννΛ-Fragen und von W/Î-Abhängigkeits-Konstruktionen darin besteht, daß sie eine Lücke {gap) in verschiedenen Positionen zulassen. Die folgenden Beispiele liefern dafür eine partielle Illustration: (1)

(a) (b)

(2)

(a) (bl) (b2)

(3)

(a) (b)

(4)

(a) (b)

What did you say? Was hast du gesagt? Who did you talk to? •Wem hast du mit geredet? Mit wem hast du geredet? Who did you think did this? Wer, denkst du, hat das getan? What do you think he did? Was, denkst du, hat er getan?

In (1) ist die Lücke in einer Objekt-Position, in (2) ist sie in der ObjektPosition einer Präposition (das deutsche Beispiel (bl) ist ungrammatisch wegen der Unmöglichkeit des Strandens von Präpositionen), in (3) ist sie in der Subjekt-Position und in (4) in der Objekt-Position eines untergeordneten Satzes. Obwohl es diese verschiedenen Möglichkeiten gibt, ist doch nicht alles erlaubt. Die Lücke kann nicht an beliebiger Stelle auftreten. Die Beschränkungen dafür sind allgemein als Insel-Beschränkungen (island constraints) bekannt, und sie sind ein wichtiger Untersuchungsgegenstand der Syntax-Theorie in den letzten drei Jahrzehnten gewesen. Die früheste Diskussion dieser Probleme gab es in Chomsky (1964) und die erste ausführliche Untersuchung in Ross (1967). In diesem Kapitel wollen wir zunächst die wichtigsten der erwähnten Beschränkungen betrachten. Dann wollen wir sehen, wie sie in der GB- und in der PSG-Theorie behandelt werden. Weiterhin wollen wir uns den als parasitäre Lücken oder Schmarotzerlücken (parasitic gaps) bekannt gewordenen Phänomenen zuwenden, die eng mit den Insel-Beschränkungen verbunden sind. Schließlich wollen wir den Begriff der Logischen Form, den wir bisher nur beiläufig erwähnt haben, einführen, da er ein wichtiges Bestandstück der GB und auch des minimalistischen Programms ist.

320

13.2 Die Daten Wir können eine wichtige Insel-Beschränkung1 dadurch illustrieren, daß wir w/i-Fragen und die mit ihnen verwandten Deklarativsätze vergleichen: (5) (6)

(a) (b) (a) (b)

He saw a picture of someone, Er sah ein Bild von jemandem. A picture of someone was on the table, Ein Bild von jemandem lag auf dem Tisch.

Zu (5) gibt es folgende verwandte Sätze: (7)

(a) (bl) (b2) (b3)

Who did he see a picture of? *Wem sah er ein Bild von? Von wem sah er ein Bild? »Wessen sah er (das/ein)Bild?

Wir können aber im Englischen keine mit (6)(a) verwandte wA-Frage bilden: (8)

(a) (bl) (b2) (b3)

*Who was a picture of on the table? *Wem lag ein Bild von auf dem Tisch? Von wem lag ein Bild auf dem Tisch? *Wessen lag (das/ein) Bild auf dem Tisch?

Worin besteht der Unterschied zwischen (7)(a) und (8)(a)? In (7)(a) befindet sich die Lücke in einem Komplement, in (8)(a) befindet sie sich in einem Subjekt. Einen ähnlichen Kontrast finden wir, wenn wir whFragen betrachten, die mit den folgenden Deklarativsätzen verwandt sind:

1 Die Insel-Beschränkungen, die im Text diskutiert werden, sind nicht die einzigen wichtigen Restriktionen für κ>Λ-Abhängigkeiten. Ein wichtiger Typ von Restriktionen wird durch das folgende polnische Beispiel illustriert:

(1)

*Kim Jan rozmavial Wem Jan redete 'Mit wem redete Jan?'

z? mit?

Hier ist die ννΛ-Phrase eine NP, und das Objekt der Präposition in der folgenden Satzkonstituente fehlt. Das ist - wie auch im entsprechenden deutschen Fall - ungrammatisch. Die einzige Möglichkeit, die intendierte Bedeutung von (1) auszudrücken, gibt das folgende Beispiel wieder: (2)

Ζ kim Jan Mit wem Jan 'Mit wem redete Jan?'

rozmavial? redete?

Hier ist die ννΛ-Phiase eine PP, und in der folgenden S-Konstituente fehlt eine PP. Fall (1) wäre ein Fall von im Polnischen wie im Deutschen nicht möglichem PräpositionsStranden (preposition stranding). Vgl. auch die einschlägigen Ausführungen zum Deutschen im Text.

321 (9) (10)

It is likely that Stefan saw someone. That Stefan saw somenone is likely.

Bezogen auf (9) haben wir (11), bezogen auf (10) haben wir den ungrammatischen Fall (12): (11) (12)

Who is it likely that Stefan saw? *Who is that Stefan saw likely?

In (11) ist die Lücke in einem Komplement-Satz, in (12) hingegen in einem Subjekt-Satz. Es sieht demnach so aus, als könnten wir keine Lücke in einem Subjekt haben. Das ist jedoch nicht ganz richtig. Schon der deutsche Fall (8)(b2) ist ein Gegenbeispiel. Allerdings scheinen deutsche vo«-Phrasen als Genitiv-Äquivalente relativ frei beweglich zu sein gegenüber normalen genitivischen NPs, die sich weder aus einer Komplement- noch aus einer Subjekt-Position herausbewegen lassen, vgl. (7)(b3) und (8)(b3). Man betrachte aber auch das folgende Beispiel: (13)

(a) (b)

What he did is unknown, Was er tat, ist unbekannt.

Hier haben wir eine untergeordnete wA-Frage in Subjekt-Position. Daher befindet sich die Lücke, die diese Position enthält, innerhalb des Subjekts. Der Unterschied zwischen diesem Beispiel und dem Beispiel (12) besteht darin, daß das wA-Element in (13) noch innerhalb der SubjektPosition ist. Mit anderen Worten: Die w/z-Abhängigkeit überkreuzt nicht die Grenze des Subjekts. Es scheint also, daß im Englischen das Überqueren der Grenze eines Subjekts unmöglich ist. Das kann wie folgt formuliert werden: (14)

Subjekt-Bedingung (Subject Condition) Eine ννΛ-Abhängigkeit kann die Grenze eines Subjekts nicht überqueren.

Gängiger Praxis folgend bezeichnen wir diese Beschränkung als SubjektBedingung. Das deutsche Beispiel (8)(b2) verstößt allerdings gegen die SubjektBedingung. Die wA-Abhängigkeit geht über die Subjekt-Grenze hinweg, das Beispiel ist trotzdem grammatisch. In (8)(b3) könnte man einen Verstoß gegen die Subjekt-Bedingung sehen wollen. Allerdings sollte dann (7)(b3) in Ordnung sein, da ja hier die wA-Abhängigkeit nicht über eine Subjekt-Grenze läuft. Dennoch ist (7)(b3) ebenso ungrammatisch wie (8)(b3). Für die Verhältnisse im Deutschen müssen daher andere Erklärungen gesucht werden, was wir hier jedoch nicht unternehmen wollen. Wir können eine zweite Insel-Beschränkung illustrieren, indem wir whFragen in Beziehung zu folgenden Deklarativsätzen betrachten:

322 (15) (16) (17)

(a) (b) (a) (b) (a) (b)

I believe that Stefan saw something. Ich glaube, daß Stefan etwas gesehen hat. I believe the claim that Stefan saw something. Ich glaube das Gerücht, daß Stefan etwas gesehen hat. I know the man who saw something. Ich kenne den Mann, der etwas gesehen hat.

Damit verwandt sind die folgenden Sätze: (18) (19) (20)

(a) (b) (a) (b) (a) (b)

What do you believe that Stefan saw? Was, glaubst du, daß Stefan gesehen hat? *What do you believe the claim that Stefan saw? *Was glaubst du das Gerücht, daß Stefan gesehen hat? *What do you know the man who saw? *Was kennst du den Mann, der gesehen hat?

(18) ist (4) und (11) ähnlich, und es ist nicht überraschend, daß die Beispiele völlig in Ordnung sind. Sowohl (19) als auch (20) sind hingegen ganz unakzeptabel. In beiden Fällen überkreuzt eine w/j-Abhängigkeit die Grenzen eines Satzes und einer diesen Satz enthaltenden NP. In (19) sind die in die N P eingebetteten Sätze Komplemente, in (20) sind sie Relativsätze. Wir können diese Beschränkung als Beschränkung für komplexe NPs formulieren: (21)

Beschränkung für komplexe NPs (Complex NP Constraint, CNP Constraint) Eine wh-Abhängigkeit kann nicht die Grenze eines Satzes und einer NP, die diesen Satz enthält, überqueren.

Wir können mit folgenden Beispielen eine weitere Inselbeschränkung illustrieren: (22) (23)

(a) (b) (a) (b)

I wonder what he did to her. Ich frage mich, was er ihr getan hat. *Who do you wonder what he did to? *Wem fragst du dich was er getan hat?

Die Ungrammatikalität von (23) legt nahe, daß folgende Beschränkung gilt: (24)

Wh-Insel-Bedingung (Wh-Island Condition) Eine vWi-Abhängigkeit kann nicht die Grenze einer untergeordneten w/î-Frage überqueren.2

2

Ein weiterer wichtiger Typ von Beschränkungen läßt sich an folgendem Kontrast illustrieren: (1) (2)

(a) (b) (a) (b)

Whose brother did you meet? Wessen Bruder hast du getroffen? *Whose did you meet brother? »Wessen hast du Bruder getroffen?

323 Eine weitere Beschränkung wird durch folgende Beispiele illustriert: (25) (26)

(a) (b) (a) (b)

He criticized Chomsky whithout reading Aspects. Er kritisierte Chomsky, ohne die Aspekte gelesen zu haben. *What did he criticize Chomsky without reading? *Was kritisierte er Chomsky, ohne gelesen zu haben?

Hier scheint folgende Beschränkung zu gelten, die wir als Adjunkt-InselBeschränkung bezeichnen können: (27)

Adjunkt-Insel-Beschränkung (Adjunct Island Constraint) Eine w/i-Abhängigkeit kann nicht die Grenze eines adverbialen Ausdrucks überschreiten.

Eine ganz andere Beschränkung wird an folgenden Beispielen sichtbar: (28) (29)

(a) (b) (a) (b)

I think that Stefan dislikes someone and that Maja hates Ben. Ich denke, daß Stefan jemanden verabscheut und daß Maja Ben haßt. *Who do you think that Stefan dislikes and that Maja hates Ben? *Wen, denkst du, daß Stefan verabscheut und daß Maja Ben haßt?

In (1) fungiert die gesamte ννΛ-Phrase als das Objekt eines Verbs, und sie kann auch nur als Ganzes umgestellt werden. Das wft-Wort muß in solchen Fällen die PP, in der es vorkommt, mit sich ziehen. Man spricht bildlich vom sogenannten Rattenfänger-Effekt (pied piping). In (2) ist nur whose, der Spezifikator des Objekts, umgestellt worden, es hat also keine Rattenfängerei stattgefunden, und dieses Beispiel ist ungrammatisch. Wir haben einen ähnlichen Kontrast in folgenden Beispielen: (3) (4)

(a) (b) (a) (b)

How tall are you? Wie groß bist du? How are you tall? Wie bist du groß?

(Der Satz (4)(b) ist mit einer exklamativen Intonation in Ordnung, als Frage aber ist er nicht grammatisch.) In (3) fungiert die w/z-Phrase als ein Komplement, und in (4) als der Spezifikator eines Komplements. Es scheint also, daß eine wA-Abhängigkeit im Englischen nicht in einer Spezifikator-Position enden kann. Diese Beschränkung wird gewöhnlich als Links-Verzweigungs-Bedingung (Left Branching Condition) bezeichnet (weil Spezifizierer auf der linken Seite eines umfangreicheren Ausdrucks erscheinen). Im wesentlichen läßt sich die gleiche Beschränkung in vielen anderen Sprachen nachweisen. Das zeigen schon die deutschen Fälle in (3) und (4). Das folgende Beispiel verdeutlicht jedoch, daß es im Polnischen eine solche Restriktion nicht gibt: (5)

(6) (7)

(8)

Czyjego brata spotkaleS? Wessen Bruder traf-2SG? 'Wessen Bruder trafst du?' Czyjego spotkaleé brata? Jaki wysoki jesteS? Wie groß bist-2SG? 'Wie groß bist du?' Jaki jesteá wysoki?

324 Die Ungrammatikalität von (29) suggeriert, daß eine wft-Abhängigkeit nicht die Grenzen einer koordinierten Struktur überschreiten kann. Es gibt jedoch Evidenz dafür, daß die Sache nicht ganz so einfach ist: (30)

(a) (b)

Who do you think Stefan likes and Maja hates? Wen, denkst du, mag Stefan und haßt Maja?

Dies sind ebenfalls w/z-Fragen, die mit (28) verwandt sind. Hier haben wir jedoch Lücken in beiden Konjunkten, wohingegen in (29) nur ein Konjunkt eine Lücke enthält. Es scheint also, daß wft-Abhängigkeiten die Grenzen einer koordinierten Struktur genau dann überschreiten können, wenn sie jedes Konjunkt dieser Konstruktion affizieren. Wir können das wie folgt zusammenfassen: (31)

Beschränkung fiir koordinierte Strukturen (Coordinate Structure Constraint) Eine ννΛ-Abhängigkeit kann die Grenze einer koordinierten Struktur nicht überschreiten, wenn sie nicht jedes Konjunkt affiziert.

Beispiele wie (30) sind Ausnahmen, die unter dem Namen Across-theÄoörßf-Ausnahmen (ATB-Ausnahmen) bekannt sind. Die letzte Beschränkung, die wir hier betrachten wollen, unterscheidet sich von allen anderen. Sie wurde zuerst in Perlmutter (1971) erörtert. Sie wird durch folgende Beispiele erhellt: (32) (33)

(a) (b) (a) (b)

Who do you think saw Stefan? Wer, denkst du, hat Stefan gesehen? *Who do you think that saw Stefan? Wer, denkst du, daß Stefan gesehen hat?

(32) ist (3) ähnlich. (33) zeigt einen interessanten Unterschied zwischen dem Englischen und dem Deutschen. Zunächst sind sowohl das englische als auch das deutsche Beispiel den Fällen in (32) ähnlich, mit dem Unterschied, daß die Beispiele in (33) im subordinierten Satz einen Komplementierer enthalten. Auffalligerweise ist nun das englische (33)(a) ungrammatisch, das deutsche (33)(b) hingegen durchaus grammatisch, wenn vielleicht auch nicht für alle Sprecher des Deutschen. Die Lücke, die das Subjekt hinterläßt, befindet sich hinter dem Komplementierer, d.h., es gibt eine Konfiguration [ ... that!daß [ / . . . ] . . . ] . In Sprachen wie dem Englischen bewirkt das Auftreten dieser Konfiguration offensichtlich Ungrammatikalität. Das ist der sogenannte /Aöi-i-Effekt. Frühe Überlegungen haben solche Konstruktionen durch den ίΛαί-ί-Filter als ungrammatisch auszuschließen gesucht, in späteren Arbeiten, etwa in Chomsky (1986a), wurde die Ungrammatikalität von Konstruktionen, die eine solche ίΛαί-ί-Konfiguration aufweisen, damit erklärt, daß der Komplementierer that eine Art von Barriere (Minimalitäts-Barriere) gegen die Antezedens-Rektion der Spur t durch ihren w/i-Antezedenten errichtet. Wenn man das deutsche Beispiel als grammatisch akzeptiert, kann man

325 zu der Folgerung gelangen, daß - gesetzt den Fall, auch in (33)(b) liegt eine é/q/?-?-Konfiguration vor - die ίΛαί-ί-Konfiguration nicht in allen Sprachen Ungrammatikalität effiziert, mit anderen Worten, daß der that-tEffekt nicht in allen Sprachen auftritt. Für das Englische können wir die Beschränkung wie folgt formulieren: (34)

Komplementierer-Lücken-Beschränkung (Complementizer Gap Constraint) Eine wÄ-Abhängigkeits-Lücke kann nicht in der Subjekt-Position eines Satzes erscheinen, der durch einen Komplementierer eingeleitet ist.

Diese Beschränkung ist insofern von allen anderen Beschränkungen verschieden, als sie Lücken in einer bestimmten Position ausschließt, wohingegen die anderen Beschränkungen wA-Abhängigkeiten verbieten, die sich über verschiedene Grenzen hinweg erstrecken. Diese Beschränkung sondert allerdings unkorrekterweise Beispiele wie das folgende aus, wenn sie eine Lücke in der Subjekt-Position aufweisen: (35)

The man that saw Stefan.

In der vorangegangenen Diskussion haben wir Insel-Beschränkungen bei w/z-Fragen behandelt. Wir hätten sie jedoch auch - zumindest für das Englische - mit anderen ννΛ-Abhängigkeits-Konstruktionen illustrieren können. Wir wollen daher diesen Abschnitt mit der Betrachtung einiger relevanter Relativsatztypen abschließen. Zunächst können wir folgenden Kontrast beobachten: (36)

(37)

(a) (bl) (b2) (b3) (a) (bl) (b2) (b)

the girl who/that he saw a picture of *das Mädchen, dem er ein Bild von gesehen hat ?das Mädchen, wo er ein Bild von gesehen hat das Mädchen, von dem er ein Bild gesehen hat *the girl who/that a picture of was on the table *das Mädchen, dem ein Bild von auf dem Tisch lag ?das Mädchen, wo ein Bild von auf dem Tisch lag das Mädchen, von dem ein Bild auf dem Tisch lag

Die englischen Beispiele zeigen einen ähnlichen Kontrast wie die Beispiele (7)(a) und (8)(a). Die deutschen Beispiele (bl) zeigen Ungrammatikalität wegen Präpositions-Strandens. Die Beispiele (b2) sind regionalumgangssprachlich möglich, weil hier nicht Präpositions-, sondern Postpositions-Stranden vorliegt (wir haben schon an früherer Stelle gezeigt, warum das möglich ist). In der gleichen Weise ähnelt der folgende Kontrast zwischen (38) und (39) dem zwischen (11) und (12): (38) (39)

(a) (b) (a) (b)

the girl who/that it's likely that he saw *das Mädchen, das er scheint, daß er gesehen hat *the girl who/that he saw is likely *das Mädchen, das er gesehen hat, scheint

326 Hier haben wir - zumindest für das Englische - weitere Evidenz für die Subjekt-Bedingung. Als nächstes betrachten wir Beispiele, die den Beispielen (18) bis (20) sehr ähnlich sind: (40)

(41)

(42)

(a) (bl) (b2) (a) (bl) (b2) (a) (bl) (b2)

the girl who/that I believe that Stefan saw ?das Mädchen, das ich glaube, daß Stefan gesehen hat das Mädchen, von dem ich glaube, daß Stefan es gesehen hat *the girl who/that I know the man who saw *das Mädchen, das ich den Mann kenne, der gesehen hat ?das Mädchen, von dem/wo ich den Mann kenne, der es gesehen hat *the girl who/that I believe the claim that Stefan saw *das Mädchen, das ich das Gerücht glaube, daß Stefan gesehen hat ?das Mädchen, von dem/wo ich das Gerücht glaube, daß Stefan es gesehen hat

Der Kontrast zwischen (40) einerseits und (41) und (42) andererseits liefert weitere Evidenz für die Geltung der Beschränkung für komplexe NPs. Im Deutschen allerdings ist schon (40)(bl) ungrammatisch, obwohl hier keine Verletzung der CNP-Beschränkung vorliegt. Andererseits sind mit (41)(b2) und (42)(b2) deutsche Entsprechungen zu den ungrammatischen englischen Fällen aufgeführt, die nicht so schlecht zu sein scheinen. Sie fallen aber nicht unter die CNP-Beschränkung, da die w/z-Abhängigkeit, die in ihnen auftritt, sich nur im Rahmen des obersten untergeordneten Satzes bewegt und sich nicht auf den Komplement- bzw. Relativsatz erstreckt - in diesen Sätzen gibt es keine Lücke, sondern ein resumptives Pronomen. Wir können uns nun Beispielen zuwenden, die denen in (23) und (25) gleichen: (43)

(44)

(a) (bl) (b2) (a) (b)

*the girl who/that I wonder what he did to *das Mädchen, dem ich mich frage, was er getan hat das Mädchen, von dem ich mich frage, was er ihm getan hat *the book which/that he criticized Chomsky without reading *das Buch, das er Chomsky kritisierte, ohne gelesen zu haben

Diese Beispiele liefern Evidenz für die wft-Insel-Beschränkung und für die Adjunkt-Insel-Beschränkung. Als nächstes betrachten wir Beispiele, die denen von (29) und (30) ähnlich sind: (45)

(a) (b)

(46)

(a) (bl) (b2) (b3)

*the man who/that I think Stefan dislikes and Maja hates Ben *der Mann, den ich denke, daß Stefan verabscheut und daß Maja Ben haßt the man who/that I think Stefan dislikes and Maja hates der Mann, den, denke ich, Stefan verabscheut und Maja haßt ?der Mann, den, ich denke, Stefan verabscheut und Maja haßt *der Mann, den, ich denke, daß Stefan verabscheut und Maja haßt

327 (M) (b5) (b6)

*der Mann, den, denke ich, daß Stefan verabscheut und Maja haßt der Mann, von dem ich denke, Stefan verabscheut ihn und Maja haßt ihn der Mann, von dem ich denke, daß Stefan ihn verabscheut und Maja ihn haßt

(45) zeigt eine Verletzung der Beschränkung für koordinierte Konstruktionen im Deutschen wie im Englischen. (46) soll eine ATB(/4cr