Was sind menschliche Personen?: Ein akttheoretischer Zugang 9783110321708, 9783110319088

Was sind menschliche Personen? Was zeichnet sie aus? Sind alle Menschen Personen? Sind sie es während ihres ganzen Leben

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Was sind menschliche Personen?: Ein akttheoretischer Zugang
 9783110321708, 9783110319088

Table of contents :
Inhalt
Autoren
Einleitung
Operatio demonstrat substantiam
„Homo quodammodo totum ens“Überlegungen zum Methodenproblemeiner Anthropologie
Tätigsein und die Erste-Person-Perspektive*
Personsein – Indexikalität – Selbstbewusstsein
„Natura facit habilem,ars potentem, usus vero facilem“Disposition, Fertigkeit und Personalität
Menschliche Freiheit und die aufkommendenGehirn- und Verhaltenswissenschaften*
Personalität und FreiheitZur Kritik des Kompatibilismus
Wohin führt die kausale Handlungstheorie?

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Bruno Niederbacher, Edmund Runggaldier (Hgg.) Was sind menschliche Personen? Ein akttheoretischer Zugang

Bruno Niederbacher Edmund Runggaldier (Hgg.)

Was sind menschliche Personen? Ein akttheoretischer Zugang

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2008 ontos verlag P.O. Box 15 41, D-63133 Heusenstamm www.ontosverlag.com ISBN 978-3-86838-013-2 2008 No part of this book may be reproduced, stored in retrieval systems or transmitted in any form or by any means, electronic, mechanical, photocopying, microfilming, recording or otherwise without written permission from the Publisher, with the exception of any material supplied specifically for the purpose of being entered and executed on a computer system, for exclusive use of the purchaser of the work Printed on acid-free paper FSC-certified (Forest Stewardship Council) Printed in Germany by buch bücher dd ag

Inhalt

Autoren Vorwort Einleitung Bruno Niederbacher SJ

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Operatio demonstrat substantiam Edmund Runggaldier SJ

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„Homo quodammodo totum ens“ Überlegungen zum Methodenproblem einer Anthropologie Günther Pöltner

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Tätigsein und die Erste-Person-Perspektive Lynne Rudder Baker

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Personsein – Indexikalität – Selbstbewusstsein Thomas Schärtl

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„Natura facit habilem, ars potentem, usus vero facilem“ Disposition, Fertigkeit und Personalität Hans Kraml

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Menschliche Freiheit und die aufkommenden Gehirn- und Verhaltenswissenschaften Timothy O’Connor

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Personalität und Freiheit: Zur Kritik des Kompatibilismus Johannes Brachtendorf

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Wohin führt die kausale Handlungstheorie? Georg Gasser

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Autoren

Johannes Brachtendorf, Professor für Philosophie am Institut für philosophische Grundfragen der Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen. Georg Gasser, Projektmitarbeiter am Institut für Christliche Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck. Hans Kraml, Universitätsdozent am Institut für Christliche Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät und am Institut für Philosophie der Universität Innsbruck. Bruno Niederbacher SJ, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Christliche Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck. Timothy O’Connor, Professor of Philosophy, Department of Philosophy, Indiana University, Bloomington. Günther Pöltner, Professor für Philosophie am Institut für Philosophie der Universität Wien. Lynne Rudder Baker, Professor of Philosophy, University of Massachusetts, Amherst. Edmund Runggaldier SJ, Guardini Professor an der Humboldt Universität zu Berlin. Thomas Schärtl, Assistant Professor für Systematische Theologie an der Catholic University of America in Washington D.C.

Vorwort Unterschiedliche Deutungen des Begriffs der Person führen zu Differenzen in politischen, juristischen, ethischen und weltanschaulichen Einstellungen. Die Fortschritte in der Neurobiologie und die Entdeckungen der Funktionen des menschlichen Gehirns haben in den letzten Jahrzehnten rein naturalistische Deutungen verstärkt und erschüttern das klassische, christlich geprägte Menschenbild. Verschiedene Mitglieder des Instituts für Christliche Philosophie an der Universität Innsbruck haben in Zusammenarbeit mit Forschern aus Philosophie, Theologie und Naturwissenschaft diese Herausforderung aufgegriffen und im Rahmen des österreichischen FWF-Forschungsprojekts „Der Begriff der Person und die Herausforderung des Naturalismus“ (P17394) darüber gearbeitet. Im Laufe der Forschungsarbeiten und Auseinandersetzungen stellte sich heraus, dass der altbewährte, aber zum Teil vernachlässigte akttheoretische Zugang Vorteile für die Klärung des Begriffs der Person bietet. Daher organisierten wir zu der einschlägigen Thematik eine Tagung vom 22.-24. Februar 2008 im Kardinal König Haus in Wien. Dieses Buch vereinigt die Beiträge, die mit Ausnahme des Artikels von Timothy O’Connor, der damals verhindert war, auf jener Tagung gehalten wurden.

Bruno Niederbacher SJ

Edmund Runggaldier SJ

Einleitung Bruno Niederbacher SJ, Innsbruck

1. Die Frage Was sind menschliche Personen? Was zeichnet sie aus? Welche Eigenschaften sind es, die etwas zu einer menschlichen Person machen? Sind alle Menschen Personen? Sind sie es während ihres ganzen Lebens? Oder nur in bestimmten Lebensabschnitten? Diese Fragen bewegen. Von ihrer Beantwortung hängt viel ab: für unser Verständnis von uns selbst, für unseren Umgang miteinander. Entsprechend häufig finden Auseinandersetzungen darüber statt, entsprechend vielfältig sind die Zugänge zur Frage, entsprechend zahlreich die Veröffentlichungen. 2. Der akttheoretische Zugang Der Zugang zur Frage Was sind menschliche Personen? in diesem Buch ist akttheoretisch. Die Inspiration kommt aus der aristotelisch-thomistischen Tradition. Will man das Wesen oder die Natur von etwas erkennen, so muss man untersuchen, was es kann, welches seine Vermögen sind. Und will man erkennen, was es kann, muss man auf das Acht geben, was es tut und worauf sich sein Tun bezieht. Der methodische Grundsatz besagt also: Die typischen Tätigkeiten eines Dinges geben Aufschluss über seine Vermögen, und seine Vermögen geben Aufschluss über sein Wesen. 3. Die Voraussetzungen Freilich ist dieser akttheoretische Zugang nicht unumstritten und voraussetzungsfrei. Er setzt voraus, dass es so etwas wie Substanzen gibt, die durch die Zeit hindurch dieselben bleiben und mit der Zeit mitgehen. Er setzt voraus, dass Substanzen eine vorgegebene Natur haben, die man erNiederbacher, Bruno / Runggaldier, Edmund, Hgg. (2008), Was sind menschliche Personen? Ein akttheoretischer Zugang. Heusenstamm: Ontos Verlag, 11-16.

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kennen kann. Er setzt weiter voraus, dass diese Dinge Verschiedenes tun und bewirken können, dass sie Vermögen bzw. Dispositionen haben, etwas zu tun, etwas zu bewirken; dass ihnen eine bestimmte Art von Kausalität zukommt, nämlich Agenskausalität. Er setzt weiter voraus, dass sie auch ab und zu etwas tun und bewirken, das typisch für diese Art von Dingen ist. Und schließlich setzt der akttheoretische Zugang eine gewisse Teleologie voraus. All diese Voraussetzungen sind äußerst umstritten. Edmund Runggaldier SJ reflektiert in seinem Beitrag diese ontologischen Grundannahmen und steht gegenüber rein empiristischen, reduktionistischen und konventionalistischen Standpunkten für einen differenzierten Realismus ein. Auch der Beitrag von Günther Pöltner ist stark der Methodenfrage gewidmet. Zunächst argumentiert er für die Unverzichtbarkeit einer philosophischen Anthropologie. Sie müsse zwar die Ergebnisse der positiven Einzelwissenschaften ernst nehmen, dürfe aber nicht durch diese ersetzt werden. Sie sei eigenständig. Ihre Frage laute: Was heißt es für uns Menschen, zu sein? Zweitens entfaltet Pöltner den klassischen Grundsatz, wonach sich das Menschsein des Menschen und sein Können in seinen ursprünglichen Vollzügen und dem damit Vollzogenen erschließt. Drittens versucht er, diesem Grundsatz entsprechend, das Wesen des Menschen zu bestimmen. Der Mensch könne nach allem fragen. Er sei auf alles hin offen. Dieser Allbezug, der in jedem Einzelvollzug anwesend ist, mache das Wesen des Menschen aus. Der Mensch sei Person, weil er ein relationales, weltoffenes Wesen sei. 4. Charakteristische Tätigkeiten Lynne Rudder Baker arbeitet sich ebenfalls über den Begriff der Tätigkeit (action) bzw. des Tätigseins (agency) zum Begriff der Person vor. Sie unterscheidet verschiedene Grade von Tätigsein: minimales, rationales und moralisches Tätigsein. Minimales Tätigsein erfordere die Fähigkeit, etwas zu tun, das nur durch Einstellungen wie Wünsche und Überzeugungen erklärbar ist, wie sie beim praktischen Schließen verwendet werden. Rationales Tätigsein erfordere darüber hinaus die Fähigkeit, die eigenen Wün-

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sche und Überzeugungen zu bewerten. Moralisches Tätigsein, also Handeln, erfordere schließlich darüber hinaus die Fähigkeit, anzuerkennen, dass man etwas tut und in der Vergangenheit getan hat. All diese Formen des Tätigseins involvieren nach Baker die Fähigkeit der Perspektive der ersten Person. Auch hier gebe es Grade: robust und rudimentär. Eine robuste Perspektive der ersten Person zu haben heiße, an sich selbst als sich selbst denken zu können. Eine rudimentäre Perspektive der ersten Person zu haben heiße, empfindend, nachahmungsfähig und minimal tätig zu sein. Nach diesen begrifflichen Unterscheidungen ist Baker in der Lage auf die Frage einzugehen, was menschliche Personen sind. Ihre Antwort lautet: x konstituiert genau dann eine menschliche Person zum Zeitpunkt t, wenn x ein menschlicher Organismus ist und x eine rudimentäre oder robuste Perspektive der ersten Person hat. Eine besondere Herausforderung stellt die Lösung des Problems dar, warum Kleinkinder Personen sind, Schimpansen aber nicht, obwohl Kleinkinder nur und Schimpansen auch über eine rudimentäre Perspektive der ersten Person verfügen. Die Fähigkeit der Ersten-Person-Perspektive, die Tätigkeit, sich auf sich selbst zu beziehen, „Ich“ zu sagen und dabei irrtumsimmun ins Schwarze zu treffen – diese Tätigkeit weckt philosophisches Staunen und eine Fülle von Fragen: Wie ist sie zu beschreiben, wie zu verstehen? Was verrät sie uns über die Eigenart von Personen? Diesen Fragen geht Thomas Schärtl auf dem Weg über die Sprachphilosophie nach. Bezüglich der Referenz von „Ich“ unterscheidet er drei Meinungen: (1) „Ich“ sei kein referierender Ausdruck, (2) „Ich“ habe zwar eine der Referenz ähnliche Funktion, die aber dennoch nicht als Referenz gedeutet werden dürfe, (3) „Ich“ sei ein referierender Ausdruck. Schärtl macht auf Schwierigkeiten der ersten beiden Meinungen aufmerksam und attackiert mit Hector-Neri Castañeda ihren semantischen Hintergrund, nämlich Gottlob Freges Unterscheidung zwischen dem Bezugsgegenstand („Bedeutung“) und seiner begrifflichen Gegebenheitsweise („Sinn“), und das Dogma: Keine Referenz ohne Sinn. Obwohl Schärtl der Meinung (3) zustimmt, bleibt er beim Ziehen ontologischer Schlüsse vorsichtig – auch wegen des Problems unbotmäßiger Verdinglichung. Für die Bestimmung des Personseins ergibt sich aus seinen Überlegungen über Selbstreferenzialität und Indexikalität zumindest so viel: Personen sind Wesen, die einander verstehen und sich miteinander

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verständigen können, und zwar gerade aufgrund dieser eigenartigen Tätigkeit, sich auf sich selbst zu beziehen. 5. Von den Tätigkeiten zu den Vermögen Menschen können nach allem fragen. Sie können rational tätig sein, sie können handeln. Sie können „Ich“ sagen und damit bar jeglicher Identifikationskriterien mit traumwandlerischer Sicherheit auf sich selbst Bezug nehmen. Aber was ist mit diesem „Können“ gemeint? Wie sind Dispositionsausdrücke zu verstehen, wie ist ihre Verwendung zu deuten? Gibt es Dispositionen, Vermögen, Fähigkeiten? Manche empiristisch eingestellte Philosophen leugneten die Existenz von Dispositionen. Andere dachten, Dispositionsausdrücke würden lediglich zu Erklärungszwecken verwendet. Hans Kraml hingegen behauptet, bei Dispositionszuschreibungen gehe es in erster Linie darum, anzugeben, wie sich Materialien, Dinge und Lebewesen in bestimmten Situationen verhalten. Die für den Menschen charakteristische Disposition sei die Rationalität: eine Disposition zur Herstellung gewünschter Zustände und zur Koordination des eigenen Handelns mit dem anderer handelnder Wesen. Eine Person sei – ganz in der Tradition des Boethius – jedes Wesen, das zu Wesen mit der Disposition zum Erwerb des Vernunftgebrauchs gehöre. Damit wird der dispositionale Charakter der Rationalität herausgestrichen und Entwürfen gegenübergestellt, welche den aktuellen Vernunftgebrauch als notwendige Bedingung für Personsein erachten. 6. Das Vermögen der Willensfreiheit Zu den charakteristischen Fähigkeiten von Personen gehört es, so haben wir gesehen, sich auf andere und anderes zu beziehen, sich auf sich selbst zu beziehen, die Perspektive der ersten Person zu haben, aber auch handelnd in den Verlauf der Geschehnisse einzugreifen. Personen erfahren sich als Urheber von Handlungen. Sie halten sich in ihrem Wollen für frei und meinen, dass sie zwischen alternativen Handlungsmöglichkeiten wäh-

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len können. Doch eine Reihe neuerer naturwissenschaftlicher Entdeckungen aus Neurowissenschaft (z.B. das Libet-Experiment) klinischer Psychologie (z.B. das Syndrom der fremden Hand) und Sozialpsychologie scheint Willensfreiheit als Illusion zu entlarven. Mit Hilfe einiger handlungstheoretischer Unterscheidungen setzt sich Timothy O’Connor mit diesen Befunden kritisch auseinander und kommt zum Ergebnis, dass sie keine Gefahr für unseren Glauben an die Willensfreiheit darstellen. Andererseits müsse eine zu idealisierte Auffassung menschlicher Freiheit korrigiert werden. Erstens müsse sie der Tatsache Rechnung tragen, dass Verhalten eingeübt wird und dann fast automatisch abläuft. Zweitens müsse sie der Tatsache Rechnung tragen, dass Wahlfreiheit nicht eine An/AusEigenschaft ist, sondern in Abstufungen auftritt. Wir seien mehr oder weniger frei, weil wir uns verschiedener Einstellungen, Einflüsse und Faktoren mehr oder weniger bewusst sein könnten. In diesem Sinn könne Freiheit wachsen. Manche Philosophen werten die Ergebnisse der empirischen Wissenschaften als Bestätigung ihrer kompatibilistischen Auffassung. Kompatibilisten behaupten, Willensfreiheit sei mit einem kausalen Determinismus vereinbar. Unser Wählen sei demnach in einen fugenlosen kausalen Fluss von Ereignissen eingebettet. Ihnen gegenüber stehen die sogenannten Libertarier. Libertarier beharren auf der Inkompatibilität von Willensfreiheit und kausalem Determinismus. Sie nehmen an, dass Handelnde durch Gründe direkt wählen können. Nun wird Libertariern häufig vorgeworfen, ihre idealistische Freiheitsauffassung führe letztlich zu einem Verständnis des Willens als anonyme und unberechenbare Größe. Denn ein Wille, der über all meinen Präferenzen, Neigungen und Überlegungen frei schwebe, sei nicht mehr mein Wille, sondern eine fremde Instanz, die aus einem kausalen Vakuum kommend über mich hereinbräche. Fährt der Kompatibilismus diesbezüglich besser? Johannes Brachtendorf bestreitet dies. In seiner Auseinandersetzung mit den kompatibilistischen Auffassungen von Harry Frankfurt und Peter Bieri kommt er zum Schluss: Sie können den Ansprüchen der Moral nicht gerecht werden. Denn moralische Forderungen richteten sich nicht nur auf unsere Wünsche erster Ordnung, unsere Handlungen, sondern auch auf unser Wollen, auf die Ausrichtung unserer Liebe. Wäre diese einfach vorgegeben und selbst nicht mehr rational kriti-

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sierbar, so werde Moral funktionslos, Verantwortung hinfällig und Bestrafung eine Machtfrage der gerade herrschenden Lebensform. Georg Gasser geht auf eine ontologische Hintergrundannahme kompatibilistischer Theorien ein. Er nimmt die kausale Handlungstheorie unter die Lupe, der zufolge Handlungsgründe Ursachen sind, Ereignisse im kausalen Fluss allen natürlichen Geschehens. Diese These scheine zunächst attraktiv. Sie mache verständlich, wie Handlungsgründe mit Handlungen verknüpft sind, nämlich: effizienzkausal; sie komme mit einer Art von Erklärung für alle natürlichen Vorgänge aus, nämlich mit der Erklärung durch Ursache-Wirkungs-Beziehungen; sie werde schließlich der Tatsache gerecht, dass Handlungen sich in Körperbewegungen manifestieren, für die man neurophysiologische Ursachen annimmt. Allerdings: Werde eine solche kausale Theorie des Handelns konsequent weitergedacht, führe sie dazu, Handlungen als a-personale Vorgänge und Handelnde nur mehr als Orte aufzufassen, in denen bestimmte Ereignisse ablaufen. Damit werde man aber der Erfahrung und subjektiven Perspektive der handelnden Person nicht gerecht: der Erfahrung, im Licht von Absichten und Überlegungen Entscheidungen zu treffen und Handlungen auszuführen. 7. Schluss Diese kurze Einleitung nannte die Fragestellung, skizzierte die Methode ihrer Beantwortung und gewährte einen Einblick in die wichtigsten Themen und Thesen der nun folgenden Artikel. Mögen diese einen Beitrag leisten zur Erkenntnis dessen, was menschliche Personen sind!

Operatio demonstrat substantiam Edmund Runggaldier SJ, Berlin Einleitung Das scholastische Prinzip „operatio demonstrat substantiam“ besagt, dass die Tätigkeitsweisen, die Aktionen und Reaktionen (operationes) eines Individuums seine Art, sein Wesen (substantia) aufzeigen. Will man bestimmen, was die Art eines Lebewesens ist, so hat man dem Prinzip entsprechend seine typischen Verhaltensweisen zu untersuchen. Was sind aber die ontologischen Voraussetzungen dieser akttheoretischen Methode, die Eigenart eines Lebewesens aus der Eigenart seiner Vollzüge zu erschließen? Obwohl prima facie plausibel, setzt dieses methodische Vorgehen die klassische Substanzontologie voraus, die als obsolet und überwunden gilt. Im Rahmen der analytischen Ontologie werden aber heute dennoch Positionen vertreten, die der aristotelischen Substanzontologie entsprechen. Dieser Beitrag soll daher die ontologischen Thesen umreißen, die einerseits heute wieder thematisiert werden und die andererseits Voraussetzung dafür sind, dass die vorgeschlagene Methode der Begriffsbestimmung von Lebewesen, also auch der menschlichen „Person“, sinnvoll ist. Zu diesen Thesen gehören: 1. Es gibt Individuen, aristotelische Substanzen – heute „drei-dimensionale Kontinuanten“ (endurers) genannt –, die im Laufe ihrer Existenz mit sich selbst identisch bleiben, obwohl sie sich verändern. 2. Die „sortalen“ Ausdrücke, mit denen man die Art oder Sorte eines Individuums angibt, sind nicht primär oder nicht ausschließlich konventionalistisch zu verstehen. 3. Diachrone Identität, also auch personale Identität durch die Zeit, muss nicht erst konstituiert werden, sie ist vorgegeben. 4. Die Bedeutung der Ausdrücke für natürliche Arten kann durch Untersuchung der für eine Art typischen Exemplare vertieft werden. Niederbacher, Bruno / Runggaldier, Edmund, Hgg. (2008), Was sind menschliche Personen? Ein akttheoretischer Zugang. Heusenstamm: Ontos Verlag, 17-35.

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5. Es gibt Agens-, Agentenkausalität. Sie soll aber nicht als Konkurrentin der wissenschaftlichen Ereigniskausalität aufgefasst werden. 6. Vollzüge, Tätigkeiten setzen reale Vermögen (powers) voraus. 7. Die Aussagen über natürliche Arten lassen Raum für die Unterscheidung zwischen normal und abnormal sowie zwischen proper function und dysfunction. Die Unterscheidung zwischen rein deskriptiven und normativen Aussagen ist folglich zu relativieren. 8. Deskriptive Aussagen über natürliche Arten können auch in Hinblick auf Ziele und Zwecke gedeutet werden. Diese Thesen gelten als aristotelisch, werden aber heute im Rahmen der analytischen Ontologie wieder debattiert. Ob man sie akzeptiert, hängt auch davon ab, wie man Ontologie versteht und welche Rolle man ihr zuschreibt. Wenn Ontologie als die Branche der Philosophie verstanden wird, die die Frage nach den letzten Kategorien des umfassend Wirklichen behandelt, so berücksichtigt sie auch die Prämissen der lebensweltlichen Alltagspraxis. Wer diese umfassendere Sicht von Ontologie teilt, wird die genannten Thesen nicht von vornherein im Namen von Wissenschaftlichkeit ablehnen. 1. Diverse Ontologien Weit verbreitet sind heute naturalistische, vier-dimensionalistische RaumZeit-Ontologien: Alles, was es gibt, fällt in die Raum-Zeit und ist auch zeitlich ausgedehnt. In solchen Ontologien ist die Unterscheidung zwischen Dingen und Ereignissen nicht mehr sinnvoll, weil alles auch zeitlich ausgedehnt und aus zeitlichen Phasen zusammengesetzt ist. Man nennt folglich diese vier-dimensionalistischen Ontologien auch „Ereignisontologien“.1 Als Hauptvertreter derartiger Ontologien gilt Quine, der als konsequenter Naturalist auch zu ihren Konsequenzen steht: Sprechen wir von Dingen oder Lebewesen, so beziehen wir uns auf vier-dimensionale

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Siehe besonders: Loux (1998) und Lowe (1996).

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„Raum-Zeit-Würmer“ oder bestimmten Portionen von stuff, die in der Raum-Zeit einen bestimmten Platz einnehmen.2 Der naturalistisch geprägte vier-dimensionalistische Ontologe versteht die Erste-Person-Perspektive rein subjektiv. Lediglich die Beobachterbzw. Dritte-Person-Perspektive oder die wissenschaftliche Zugangsweise ist für ihn von ontologischer Relevanz. Durch sie und nur durch sie könne man ausfindig machen, was die Wirklichkeit und ihre Gesetzmäßigkeiten seien. Die subjektive Teilnehmer-Perspektive führe zwar zu nützlichen Konstruktionen wie der des Ich oder Selbst; diesen Konstruktionen entspreche aber nichts in der Wirklichkeit. In seiner alltäglichen Lebenswelt setzt der Mensch aber faktisch andere ontologische Positionen voraus, vornehmlich die Überzeugung, dass die Dinge – Lebewesen mit eingeschlossen – lediglich drei-dimensional sind. Die Dinge gehen gleichsam mit der Zeit mit: Was zu jedem Zeitpunkt ihrer Existenz real ist, ist nicht lediglich ein zeitlicher Ausschnitt oder eine Phase. Konform dieser Einstellung entwickelten verschiedene analytische Philosophen in den letzten Jahrzehnten multikategoriale drei-dimensionalistische Ontologien. Für sie gibt es nicht nur die eine Grundkategorie der Ereignisse oder der vier-dimensionalen „Würmer“, sondern zusätzlich zu den vier-dimensionalen Ereignissen drei-dimensionale Dinge, genannt „Kontinuanten“ (endurers), und Eigenschaften.3 Über die Vor- und Nachteile der jeweiligen Ontologien gibt es heute eine angeregte Debatte. Die Auseinandersetzung hängt mit unterschiedlichen Auffassungen von Zeit und Veränderung zusammen. Ich kann auf die Debatte hier nicht eingehen, meine aber, dass die Entscheidung für die eine oder andere ontologische Position maßgeblich – wie bereits angedeutet – davon abhängt, welche Funktion man der Ontologie zuteilt. Versteht man sie als erste umfassende Philosophie, die alle Lebensbereiche tangiert, so engt man sie nicht auf eine rein theoretische Branche ein. Im Ringen um die Klärung ontologischer Grundfragen wird man auch die faktischen Voraussetzungen der alltäglichen Lebenswelt, der praktischen Rationalität mitsamt den subjektiven Seiten berücksichtigen. 2 3

Quine (1960). Siehe: Loux (1998), Lowe (1996).

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Nach dieser umfassenderen Sicht hat Ontologie zu klären, wie die unterschiedlichen Perspektiven zueinander stehen, vornehmlich, wie die subjektive Erfahrung mit der – zumindest prinzipiell – allen Menschen zugänglichen Welt der Wissenschaft zusammenhängt. Ontologie soll nicht jene Aspekte ausklammern, von denen die Naturwissenschaft um ihrer Ziele willen absehen muss, die aber für unser Handeln und für die Bewältigung des Alltags von zentraler Relevanz sind. Sie soll auch die Voraussetzungen der Alltagserklärungen von Handlungen berücksichtigen, vornehmlich die indexikalischen Erfahrungen und die Teilnehmer-, Erste-Person-Perspektive der Handelnden. Besonders die indexikalische Erfahrung des „Jetzt“ ist für die Erklärung von Handlungen unerlässlich. Wenn die handlungsrelevanten indexikalischen Überzeugungen wahr sind, muss es einen Grund für ihre Wahrheit geben. Das ist eine ontologische Fragestellung. Die ausschlaggebenden Gründe für den Drei-Dimensionalismus ergeben sich m.E. aus dieser umfassenden Sicht, also auch aus der subjektiven Selbsterfahrung. Dass wir als menschliche Personen drei-dimensionale, immer im Jetzt existierende endurers sind, resultiert zuallererst aus der Analyse unseres Handelns und aus der für unser Leben wichtigen indexikalischen Dreiteilung in Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit. Für die praktische Rationalität ist der gegenwärtige Augenblick von ganz anderer Relevanz als ein gewesener oder ein noch zukünftiger. Die einen sind nicht mehr aktuell und die anderen sind es noch nicht.4 Dürften wir lediglich auf objektiv fassbare zeitliche Beziehungen bauen und uns nur auf sie verlassen, wären gewisse Entscheidungen sowie Emotionen wie Angst und Hoffnung unerklärlich. Entscheidungen sowie Emotionen erklären wir durch indexikalische Überzeugungen: x handelt bzw. hat Angst, weil x überzeugt ist, dass etwas Schreckliches demnächst zutreffen wird; x fühlt sich erleichtert, weil x weiß, dass das Schreckliche vorbei ist.5 Man kann für wissenschaftliche Zwecke den methodischen Vier-Dimensionalismus gelten lassen, aber für eine umfassende Deutung des Menschen ist es dennoch angebracht anzunehmen, dass menschliche Personen 4 5

Runggaldier (2007). Siehe das „Thank-Goodness-Argument“ nach Prior, in: Müller (2002), 193-221.

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drei-dimensional sind. Für rein wissenschaftliche Zwecke dürfte es zwar günstig sein, so an die Wirklichkeit heranzugehen, als ob alles auch zeitlich ausgedehnt wäre und sich nichts durch die Zeit bewegte. Daraus folgt aber nicht, dass dem tatsächlich so ist. Die Voraussetzungen unserer Lebenswelt, unseres Handelns, unserer Entscheidungen und Emotionen sprechen für einen ontologischen Drei-Dimensionalismus. Wenn diese Überlegungen stimmen, so ist die ontologische Voraussetzung, dass es drei-dimensionale Individuen ( , aristotelische Subtanzen im ersten Sinne) gibt, die während ihrer ganzen Existenz immer im aktuellen Jetzt existieren, nicht obsolet. Die These, dass die substantia ( , Substanz im zweiten Sinne) des Trägers aus den operationes erschlossen werden kann, ist im Kontext einer multi-kategorialen drei-dimensionalistischen Ontologie durchaus nachvollziehbar. 2. Personen und sortale Ausdrücke (sortals, kinds) Die genannten ontologischen Optionen des Vier- und Drei-Dimensionalismus hängen zusammen mit unterschiedlichen Auffassungen der Rolle der sortalen Ausdrücke, d.h. der Ausdrücke, mit denen die Art eines Dinges angegeben und auf die Frage, was es ist, geantwortet wird, und „Person“ ist ein solcher Ausdruck. Sortale Ausdrücke können entweder rein konventionalistisch oder realistisch gedeutet werden. Im ersten Fall werden ihre Verwendungsregeln und die damit gekoppelten Identifizierungskriterien auf kulturell bedingte Festsetzungen (Konventionen) zurückgeführt, im zweiten Fall auf Entdeckungen und gezielte Forschungen der Exemplare der einschlägigen Art. Die hier vorgeschlagene Methode „operatio demonstrat substantiam“ setzt einen – wie auch immer gearteten – Realismus in der Deutung sortaler Ausdrücke voraus. Vertritt man eine vier-dimensionalistische Raum-Zeit-Ontologie, so wird man jegliche Konstitution von Dingen oder sonstigen Einheiten, auch von Personen, konventionalistisch deuten. Auch darin ist Quine konsequent: Die Kriterien, die uns in der faktischen Setzung von Dingen leiten, sind lediglich praktisch-pragmatischer Art. Was man aus dem in der

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Raum-Zeit Verteiltem als Einheit herausgreift, das sei von faktischen Konventionen abhängig bzw. ergebe sich aus Festsetzungen.6 Vor dem Hintergrund derartiger Ontologien wird man unweigerlich auch den Begriff der menschlichen Person konventionalistisch deuten. Heute sind in der Tat kulturelle und philosophische Auffassungen weit verbreitet, denen zufolge der Ausdruck „Person“ in seiner Bedeutung konventionalistisch festgelegt und somit stark kulturabhängig ist.7 Dieser Standpunkt kann aber nicht allein durch Rekurs auf das sprachphilosophische Prinzip, dass durch die Intension (meaning) eines sortalen Ausdrucks auch seine Extension (reference) festgelegt ist, begründet werden. Im Kontext der Sprachanalyse war es zwar selbstverständlich, sortale Ausdrücke rein konventionalistisch zu deuten. Die heutige Debatte über die Verwendungsregeln der sortalen Ausdrücke und die Festlegung ihrer Bedeutung bzw. ihres Bezugs (Referenz) zeigt aber, dass auch realistische Deutungen – zumindest in bestimmten Kontexten – angebracht sind. Die generelle sprachanalytische These, dass durch die Bedeutung festlegt ist, was die notwendigen und hinreichenden Bedingungen dafür sind, dass etwas unter einen Ausdruck fällt, wurde zumindest für die sortalen Ausdrücke für natürliche Arten korrigiert: Ihre Bedeutung (zusammen mit den Identitfizierungs- und Reidentifizierungskriterien) wird durch einen langwierigen Prozess der Erforschung von Exemplaren der jeweiligen Art angepasst. Es handelt sich hierbei um ein Wechselspiel zwischen Entdeckungen und Bedeutungsanpassungen. Die Stereotypen – also jene Merkmale, die für eine Art typisch sein sollen – werden nicht ein für allemal fixiert. Durch Definitionen der sortalen Ausdrücke bemüht man sich zwar, hinreichende und notwendige Bedingungen für ihre Extension zu bestimmen. Derartige Bestimmungen werden aber durch neue Erkenntnisse über die Weise, sich zu entwickeln, zu agieren und reagieren, immer wieder adaptiert. Selbst wenn die Begriffsbestimmungen zufriedenstellend und für praktische Zielsetzungen bestens geeignet sein sollten, sind sie für das

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Quine (1960). Siehe: Hirsch (1982).

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tiefere oder umfassendere Verständnis dessen, was die jeweilige Art ausmacht, nicht hinreichend. Was menschliche Personen sind, kann dann nicht allein durch konventionelle Festsetzungen bestimmt werden, sondern muss auch – zumindest zum Teil – durch Untersuchung der für sie typischen operationes erschlossen werden. Auch für die Begriffsklärung von Personen legt sich also eine Art Balance zwischen entdeckten und konventionell festgesetzten Bestimmungen nahe. 3. Personale Identität In vier-dimensionalistischen Ontologien kann es keine diachrone Identität und somit auch keine personale Identität durch die Zeit geben. Wenn nämlich alles auch zeitlich ausgedehnt ist und somit aus zeitlichen Phasen oder „Teilen“ zusammengesetzt ist, kann sich nichts durch die Zeit als es selbst bewegen. Damit die Rede von diachroner Identität überhaupt sinnvoll ist, muss es drei-dimensionale Individuen, die als Ganze zu verschiedenen Zeitpunkten existieren, geben können. Diese dürfen nicht zeitlich ausgedehnt sein, sondern müssen immer im Jetzt existieren. Die Geschichte zeigt, dass die Annahme von diachroner Identität wegen der Erfolge der modernen wissenschaftlichen Methoden ins Wanken geriet. In der praktischen Philosophie hat man sie allerdings auch in der Moderne beibehalten: Zumindest wir selbst bleiben als menschliche Personen mit uns selbst identisch. Im Laufe der Moderne drifteten die Bereiche der theoretisch-wissenschaftlichen Vernunft einerseits und der praktischen andererseits immer weiter auseinander. Wenn aber die oben genannten Prämissen der Alltagspraxis und der praktischen Rationalität gültig sind, so sind wir mit uns selbst identisch bleibende Kontinuanten. Wenn aber wir als lebendige Organismen Kontinuanten sind, so sind es auch unsere Organe, ja auch die letzten zellularen Einheiten, aus denen wir bestehen, also gilt auch für unseren Organismus, dass er mit sich selbst identisch bleibt, auch wenn er sich verändert und im Laufe der Zeit seine Zellen austauscht. In drei-dimensionalistischen Kontinuanten-Ontologien gibt es diachrone Identität. Ein Kontinuant bleibt vom ersten Moment seiner Existenz bis zu

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seinem Zerfall mit sich selbst identisch. Empirische Forschungen können beitragen, besser zu verstehen, worin die diachrone Identität besteht, sie muss aber nicht erst „konstituiert“ oder konstruiert werden – die diachrone Identität ist vorgegeben. Im Kontext von vier-dimensionalistischen Ontologien hingegen muss die im Alltag angenommene diachrone Identität von Organismen weginterpretiert und durch schwächere Relationen wie Kontinuitäts- oder Ähnlichkeitsrelationen ersetzt werden. Dass wir im Laufe unseres Lebens mit uns selbst identisch bleiben, bedeute letztlich nichts anderes, als dass unsere zeitlichen Abschnitte oder Phasen in einer Art Kontinuitäts- oder Ähnlichkeitsbeziehung zueinander stehen. Vier-dimensionalistische Ontologen bemühen sich daher, Kriterien zu entwickeln, um das, was wir im Alltag personale Identität nennen, konventionalistisch zu „konstituieren“. Die einen neigen zu organischen Kriterien, die anderen zu psychologischen oder Erinnerungskriterien. Drei-dimensionalistische Ontologen nehmen statt dessen an, dass Kriterien zwar hilfreich sind, um die Identität festzustellen, dass aber personale Identität nicht von sprachlichen Festsetzungen oder kulturellen Konventionen abhängig ist. Sie ist – wie mehrmals betont – vorgegeben. Drei-Dimensionalisten unterscheiden somit zwischen Kriterien und Bedingungen personaler Identität. Um Missverständnisse zu vermeiden, sei noch angemerkt: Wer im Sinne der drei-dimensionalistischen Kontinuanten-Ontologien annimmt, dass es diachrone Identität, auch personale Identität gibt, erhebt damit nicht den Anspruch, angeben zu können, worin sie besteht. Um annehmen zu können, dass ein Organismus im Laufe seines Lebens mit sich selbst identisch bleibt, muss er nicht wissen, was seine Identitätsbedingungen sind. Er kann aber danach forschen und untersuchen, wie sich die typischen Exemplare einer Art im Laufe ihres Lebens entwickeln und verändern. 4. Kenntnis der natürlichen Arten Indem man die typischen Exemplare einer Art untersucht, vertieft man die Kenntnis der Art und folglich auch der Bedeutung der Ausdrücke für diese

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natürliche Art. Dass jemand die Zugehörigkeit zur Art angeben kann, indem er den richtigen sortalen Ausdruck dafür verwendet, reicht noch nicht aus, um von ihm anzunehmen, er wisse, worin die Art besteht. Die Kenntnis einer natürlichen Art kann sich nicht in der Vertrautheit mit dem sortalen Ausdruck erschöpfen. Die Bedeutung eines sortalen Ausdrucks „F“ zu kennen impliziert zwar, dass man zumindest prinzipiell etwas als F zu identifizieren und zu reidentifizieren vermag, dass man in etwa auch seine Persistenzbedingungen kennt. Dazu braucht es eine gewisse rudimentäre Kenntnis der typischen Eigenschaften und Verhaltensweisen der Fs. Im Wissen und Verstehen, was die Art eines bestimmten Lebewesens ist, gibt es Gradunterschiede. Man kann etwas nur in groben Zügen oder auch gründlich verstehen. Die Vertiefung der Kenntnis der Verhaltensweisen kann auch in Hinblick auf ein besseres und umfangreicheres Verstehen der Art erfolgen. Was anfänglich nur erahnt wird, kann so vertieft werden. Die Kenntnis eines sortalen Ausdrucks kann und soll durch Kenntnisse der typischen Verhaltensweisen, der typischen operationes der Exemplare der entsprechenden Art ergänzt und vertieft werden. Um gründlicher wissen und besser verstehen zu können, was das sortal eines Lebewesens ist, müssen wir ausfindig machen, was es wie tut, was die Wirk- und Reaktionsweisen sind, und wie es durch die Zeit persisiert. So werden wir auch seine Identitätsbedingungen besser kennen lernen. Bei welchen Verhaltensweisen soll nun die Erforschung des sortals „Person“ ansetzen? Auf jeden Fall sollen jene Vollzüge dabei sein, zu denen menschliche Personen einen privilegierten Zugang haben. In allen begrifflichen Bestimmungen von „Person“ ist die Selbstbezüglichkeit, die Fähigkeit der reditio super se ipsum, wesentlich. Zu berücksichtigen ist ferner die Erfahrung der Intentionalität ganz allgemein sowie die Erfahrung, Urheber von Handlungen zu sein. Ich erfahre mich selbst nicht nur als Denkenden und Wahrnehmenden, sondern auch als Handlenden. Aber auch unsere unbewussten sensitiven und organischen Vollzüge gehören dazu. Wenn man für ein umfassendes Verständnis von Ontologie plädiert, wird man menschliche Personen als drei-dimensionale Kontinuanten (endurers) konzipieren, denen sowohl die genannten Vermögen der Selbst-

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Bezüglichkeit und Intentionalität als auch organische Vermögen zukommen. Wir sind nicht gezwungen, die Bereiche der theoretischen und praktischen Rationalität dermaßen auseinanderzureißen, dass wir einem Dualismus verfallen müssten: hier Drei-Dimensionalität der Intentionalität mit personaler Identität, dort Vier-Dimensionalität des Organischen ohne Intentionalität und ohne diachrone Identität. 5. Agentenkausalität/Agenskausalität Das Bemühen um eine tiefere Begriffsbestimmung von „Person“ anhand des akttheoretischen Prinzips „operatio demonstrat substantiam“ setzt voraus, dass Personen Verschiedenes bewirken und tun können; dass sie also einheitliche Wirk- und Funktionszentren bilden, denen verschiedene aktive sowie passive Vermögen zukommen. Will man von der Eigenart ihrer operationes ausgehen, so muss man voraussetzen, dass diese operationes Träger haben, die sie hervorbringen – dass Personen also agentia sind. Folglich muss zumindest in bestimmten Kontexten die Rede der Agentenkausalität als sinnvoll erachtet werden. Vorausgesetzt werden muss eine vielschichtige Kausalitätsauffassung, die für Agentenkausalität Raum lässt, dabei aber die in den Naturwissenschaften etablierte Ereigniskausalität nicht ausschließt. Dass es Agentenkausalität geben kann, ist zwar nach wie vor umstritten, wird aber gerade unter analytischen Ontologen neu thematisiert.8 Was wirkt, – so ein heute weit verbreiteter naturalistischer Standpunkt – sind nicht Dinge, sondern Ereignisse. Ereignisse werden zu den Antezedensbedingungen gezählt, auf die man rekurriert, wenn man Geschehnisse erklärt. Zur Erklärung von Vollzügen, Verhaltensweisen, Tätigkeiten reiche die Annahme von Ereigniskausalität, d.h. von kausalen Relationen zwischen Ereignissen. Man brauche keine Agentenkausalität, keine Subjekte, die Träger oder Ursprung von operationes wären. Dass Personen Verschiedenes hervorbringen, dass sie tätig werden und verschiedene

8

Siehe: Keil (2000).

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Vermögen haben, die sie im Laufe der Zeit umsetzen, wird daher schon allein aufgrund ontologischer Prämissen weginterpretiert. Für wissenschaftliche Naturerklärungen muss man zweifelsohne nach dem bewährten deduktiv-nomologischen Erklärungsschema vorgehen und somit das jeweilige explanandum auf Antezedensbedingungen und gesetzesartige – und seien es nur statistische – Zusammenhänge zurückführen. Man muss aber diese Erklärungsart nicht dahingehend verallgemeinern, dass man die Realität von Agenten überhaupt leugnet. Auf die einschlägige aktuelle Debatte kann ich hier nicht eingehen. Das kräftigste Argument für die Agentenkausalität scheint allerdings auch hier die Selbsterfahrung zu sein, die sich in der Überzeugung niederschlägt, dass wir als menschliche Personen in den Gang der Geschichte eingreifen und – bis zu einem gewissen Grad – bestimmen können, was geschehen wird. Diese Selbsterfahrung führt zur Überzeugung, dass wir als Kontinuanten agentia sind, die Verschiedenes hervorrufen, wofür wir also Ursache sind. Diese Überzeugung muss allerdings differenziert ausgefaltet werden, um Missverständnisse und Fehleinschätzungen zu vermeiden.9 Man muss ferner die Agentenkausalität nicht auf uns, auf bewusst Handelnde, einengen. Auch die sonstigen Lebewesen können agentia in dem Sinne sein, dass sie Verschiedenes Hervorrufen und bewirken. So wird man nicht vorschnell folgendem Dualismus verfallen: Bei bewusst intentional handelnden Subjekten gibt es Agentenkausalität, in der Natur dagegen lediglich Ereigniskausalität. Auf der einen Seite hätten wir Subjekte, die in Freiheit verantwortlich handeln können, auf der anderen Seite lediglich Mengen von Ereignissen, die in Kausalketten aneinandergereiht sind. 6. Vermögen, potentiae Das akttheoretische scholastische Prinzip „operatio demonstrat substantiam“ setzt ferner voraus, dass es operationes, Vollzüge oder Tätigkeiten überhaupt gibt, und dass ihnen entsprechende Vermögen, potentiae, aktive Dispositionen, zugrunde liegen. Will man methodisch dem Prinzip ent9

Siehe: Meixner (2001).

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sprechend vorgehen, können Vermögen nicht reine Fiktion sein, sie müssen wirklich sein. Vornehmlich die Postulierung von potentiae galt und gilt aber als obsolet. Prädizieren wir Vermögen von Dingen und Lebewesen, so schreiben wir ihnen nach dem herkömmlichen empiristischen Deutungsschema keine Eigenschaften zu, sondern sprechen nur Konditionalsätze aus: Wenn sich die einschlägigen Dinge in bestimmten Situationen befinden, so geschieht das und das. Aber auch dieser Standpunkt wird in neueren Arbeiten hinterfragt. Vieles spricht dafür, dass Dispositionen reale Eigenschaften sind und nicht problemlos durch Konditionalsätze weginterpretiert werden können.10 Die Frage nach der Realität der potentiae hängt zusammen mit der Frage nach der Realität der Dispositionen im Allgemeinen und den powers im Besonderen. Die neuere Diskussion macht deutlich, dass die Inhalte der beiden Begriffe weder auf ihre Manifestationen, noch auf die Bedingungen der Manifestationen reduzierbar sind. Ebenfalls problematisch ist es, sie mit den Tiefenstrukturen ihrer Träger oder der Substanzen, denen sie zukommen, gleichzusetzen. Besonders Moleküle oder chemische Elemente zeichnen sich durch ihre Dispositionen aus. Ihre Identität ist weder von Konventionen noch von Interessen, Psychologien, Praktiken oder Entscheidungen abhängig. Gerade im Streben nach Erkenntnissen über die Grundelemente der Chemie wird ersichtlich, wie wichtig der objektive Aspekt in der Postulierung von Dispositionen, Tendenzen und Kräften ist.11 Dinge verhalten sich nicht nur aufgrund externer stimuli, sondern auch aufgrund intrinsischer Bedingungen. Auf der externen Seite finden wir oft bloß auslösende Ursachen, während wir auf der internen Seite Vermögen, Fähigkeiten, befähigende Gegebenheiten, oder – in Fred Dretskes Terminologie12 – strukturelle Ursachen finden. Das mechanische Modell veranschaulicht die Kräfte, die von außen wie auf Billard-Kugeln einwirken, und ist somit geeignet, mechanische Veränderungen zu deuten. Das andere Modell ist die vom Inneren herrührende Aktivität eines Lebewesens bzw. die Aktivität von chemischen Elementen. 10 11 12

Siehe: Mumford (1998). Siehe: Molnar (2006) und Ellis (2002). Dretske (1993), 121ff.

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Wenn wir die vielfältigen Veränderungen in der Natur deuten wollen, dürfen wir uns nicht auf das erste Modell beschränken.13 Nach Nancy Cartwright sind Vermögen sogar ein Teil der wissenschaftlichen Deutung der Welt und können nicht eliminiert werden.14 Sie sind insofern nicht mysteriös, als sie auch wissenschaftlich gemessen werden können. Selbst physikalische Gesetze können und sollten auf Vermögen zurückgeführt werden. Gängige Argumente gegen die Annahme von Vermögen oder Dispositionen – sie seien obskur bzw. nicht fassbar – erweisen sich als problematisch, jedenfalls als nicht hinreichend, um aus ontologischen Gründen das genannte Prinzip „operatio demonstrat substantiam“ abzulehnen. 7. Eigenart der Aussagen über Arten Das akttheoretische Prinzip setzt nicht voraus, dass sich in gleichen Situationen die Individuen einer bestimmten Art immer auf dieselbe Weise verhalten. Es besagt aber, dass sich die Individuen in der Regel oder normalerweise so verhalten wie ein typisches Exemplar der entsprechenden Art. Selbst in ganz gleichen Umweltsituationen können sie in ihrem Verhalten stark variieren. Daraus folgt, dass nicht alle Wirkungen und Verhalten, die ein Individuum faktisch an den Tag legt, aufschlussreich für seine Art sind. Aussagen über natürliche Arten dürfen folglich nicht ohne Präzisierungen wie all-quantifizierte Aussagen verstanden werden. Dass sich Tiger so und so verhalten bzw. sich so und so entwickeln, muss nicht auf alle Exemplare der Art zutreffen. Es gibt nämlich auch atypische bzw. kranke Tiger. Trotz ihres abweichenden Benehmens sind sie aber dennoch Tiger. In der heutigen Debatte über allgemeine Aussagen in der Biologie wird dieses Problem thematisiert. Heute wird eine differenziertere Sicht der Aussagen über Arten vertreten als die der logischen Empiristen. Diese Sicht lässt Raum für die Unterscheidung zwischen normal und abnormal, sowie zwischen typisch und atypisch, bzw. Funktion und Dysfunktion. Das führt unweigerlich zu einer Relativierung der Unterscheidung zwischen 13 14

Siehe: Harrè (1975), 82 ff. Cartwright (1989).

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rein deskriptiven und normativen Aussagen: Beschreibt man eine Art, so gibt man an, wie sich die normalen Individuen der Art in normalen Umweltbedingungen verhalten bzw. verhalten sollen. Empiristen und Konventionalisten neigen dazu, Aussagen über natürliche Arten als universelle Quantifikationen über die Individuen einer Menge zu deuten. Diese Aussagen müssten aber falsch sein, sobald auch nur eine Instanz die Prädikate oder die Ausdrücke im Bereich des Allquantors nicht erfüllte. Der Biologe und der Alltagsmensch nehmen aber an, dass Aussagen über natürliche Arten – wie gesehen – zutreffend sein können, auch wenn nicht alle Individuen diese Aussagen erfüllen. Wir sind bereit, Ausnahmen zu akzeptieren. Und wenn der Großteil der Individuen einer Art degeneriert ist, können die Beschreibungen der typischen Verhaltensweisen auch nur auf eine Minderheit zutreffen. Daraus folgt aber nicht, dass die untypischen und abnormalen Individuen nicht zur Spezies zu rechnen wären. Begegnen wir solchen, so betrachten wir sie als eben abnormal, von der Norm abweichend. Aussagen wie „Katzen öffnen ihre Augen am sechsten Tag nach ihrer Geburt“ beziehen sich auf die normale Entwicklung einer durchschnittlichen Katze. Natürlich setzt das Öffnen der Augen gewisse Bedingungen voraus, aber diese sind nicht wie Antezedensbedingungen in der Physik zu verstehen, die es erlauben, Voraussagen zu treffen. Selbst wenn alle Voraussetzungen für die Entwicklung einer Baby-Katze optimal sein sollten, kann es doch passieren, dass sie sich nicht so entwickelt wie ein normales Individuum. Die genannten Regelmäßigkeiten sind – wie Normen – mit Deviationen kompatibel. Verstöße heben die Norm nicht auf. Empirische Gegebenheiten, die den allgemeinen Aussagen widersprechen, sind oft lediglich Zeichen für Anomalien. Wenn hier von Normen in der Natur die Rede ist, so soll das nicht im Sinne von Handlungsnormen missverstanden werden. Der normative Aspekt von Aussagen über natürliche Arten drückt aber sehr wohl Regeln für das aus, was wir von einem normalen Exemplar einer gegebenen Art erwarten dürfen oder sollen, beispielsweise von einer gesunden, typischen Katze. Sie drücken aus, wie gelungene Exemplare einer Art auszusehen und wie sie sich zu verhalten haben.

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Wir mögen nun diese Normen analog zu industriellen Normen betrachten, die bestimmen, wie eine Maschine eines gegebenen Typus auszusehen und zu funktionieren hat. Natürlich ist es nur eine Analogie, denn im Falle von Artefakten suchen wir den Verantwortlichen, wenn das design einer Maschine schlecht ist und ihre Exemplare daher schlecht funktionieren. In der Natur suchen wir nicht nach dem Verantwortlichen. Trotzdem haben wir Standards, die es uns ermöglichen, zwischen gesunden und gut funktionierenden Individuen auf der einen Seite und schlecht funktionierenden, kranken oder deformierten Individuen auf der anderen Seite zu unterscheiden. Auch Ruth Millikan räumt ein, dass sie von normativen Auffassungen Gebrauch gemacht hat, als sie den technischen Terminus „proper function“ einführte: „Normative terms are used to indicate any kind of measure from which actual departures are possible […] ‘With that kind of sky in the west it ought to be sunny tomorrow.’”15 Es mag irritierend sein, von Normen im Bereich der Natur zu sprechen, da Normen im engeren Sinne in den Bereich menschlicher Handlungen fallen. Die genannten Überlegungen sprechen aber dafür, die klare Trennung zwischen deskriptiven und normativen Aussagen über Natürliches zu relativieren. Aus dem Gesagten folgt, dass der für die Anwendung des Prinzips „operatio demonstrat substantiam“ vorausgesetzte ontologische Realismus mit einem gewissen normativen Aspekt in der Bestimmung des Begriffs der menschlichen Person durchaus verträglich ist. 8. Teleologischer Aspekt Schließlich streitet man sich heute auch über die Rehabilitierung der Teleologie. Können und sollen Aussagen über Arten in Hinblick auf Ziele und Zwecke gedeutet werden? Empiristen und Konventionalisten neigen dazu, die teleologische Rede auf den praktischen Bereich menschlicher Handlungen zu beschränken. Vermeintlich teleologische Erklärungen von

15

Millikan (2002), 116.

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Naturgegebenheiten hätten – wenn überhaupt – lediglich eine heuristische Rolle. Aber im Alltag sprechen wir – und offensichtlich auch Biologen – von Funktionen als Dispositionen, einen spezifischen Beitrag zur Erlangung eines bestimmten Ziels oder Ausgangs zu leisten: Nieren haben beispielsweise die Funktion, das Blut zu reinigen, oder das Herz die Funktion, Blut zu pumpen. Nieren und Herzen tun zwar viele andere Dinge, das sind aber nicht ihre eigentlichen Funktionen. Man versteht erst dann, warum ein Organ da ist oder wozu es dient, wenn man seine eigentliche Funktion (proper function) erfasst hat. Wie soll man aber eine proper function von einem zufälligen kausalen Beitrag unterscheiden können, wenn man nicht auf Ziele oder Zwecke Bezug nehmen könnte? Heute fragt man daher wieder: Können und sollen Aussagen über Organismen und natürliche Arten ganz allgemein in Hinblick auf Ziele und Zwecke gedeutet werden? Ist das auch umstritten, so wird zumindest die Frage nicht ausgeklammert, wie man die Funktion von Organen, Teilen oder Zügen eines Organismus bestimmen soll. Die Funktion selbst kann nämlich nicht im faktischen kausalen Beitrag zu einem bestimmten output bestehen, denn dann wäre alles Mögliche die eigentliche Funktion (proper function) eines Organs, nämlich auch das, was ein Organ an Begleiterscheinungen mit sich bringt oder an zufälligen Folgen bewirkt.16 Bestimmte Züge oder Abläufe sind normal bzw. entsprechen den Standards eines typischen Individuums einer Art in Hinblick auf ein bestimmtes Ziel. Schreibt man Organismen zielgerichtetes Verhalten zu, bedeutet dies aber nicht, dass man ihnen Intentionen im menschlichen Sinne zuschreibt. Um den Heliotropismus von Pflanzen teleologisch zu beschreiben, müssen wir den Pflanzen keine mentalen Haltungen zuweisen. Man setzt voraus, dass die Zielgerichtetheit im Verhalten von Lebewesen in einem nicht-mentalen Sinne analysierbar ist.17 Wenn menschliche Personen auch lebendige Organismen sind oder aus solchen bestehen, so dürfte es – vorausgesetzt, die bisherigen Bemerkungen zur natürlichen Teleologie stimmen – angebracht sein, nicht nur ihr 16 17

Siehe: Toepfer (2004). FitzPatrick (2000).

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bewusstes Handeln, sondern auch ihre sonstigen Verhaltensweisen teleologisch zu verstehen. Darin gibt es Ähnlichkeiten mit aristotelischen Intuitionen zu zielgerichteten Prozessen. André Ariew z.B. sieht Aristoteles’ Ausführungen zur Teleologie vornehmlich gegen den Materialismus gerichtet – gegen die These, dass Materie und ihre Ursachen genügen, um natürliche Geschehnisse zu erklären. Sie sind dazu geeignet, manche Geschehnisse und Prozesse zu erklären, aber nicht alle. Wir stellen nämlich immer wieder fest, dass auch die Natur Missbildungen und Behinderungen kennt: „According to Aristotle, the materialist cannot explain what goes wrong when mistakes occur or what goes right when developed […] things work.”18 Wir müssen teleologische Redeweisen nicht auf bewusst zielgerichtetes menschliches Verhalten begrenzen. Zielgerichtetheit ist nicht notwendig eine mentale Eigenschaft. Funktionsaussagen haben nicht nur einen heuristischen Wert, sondern können auch informative Aussagen über den gesollten Beitrag von Eigenschaften, Teilen oder Prozessen zum Erreichen eines Zieles sein. Schluss Das Prinzip „operatio demonstrat substantiam“ und die entsprechende akttheoretische Methode, aus den Verhaltensweisen (operationes) und Vermögen (potentiae) auf die Eigenart menschlicher Personen zu schließen, setzen die gemeinsame Lebenswelt, in der wir Menschen miteinander interagieren, voraus. Diese gemeinsame Lebenswelt bildet den Hintergrund der aristotelischen Substanzontologie sowie der entsprechenden Varianten in der analytischen Ontologie. Anliegen dieses Beitrags war es, auf diese ontologischen Grundannahmen aufmerksam zu machen und sie von rein empiristischen und konventionalistischen Positionen abzuheben. Was Personen sind, können wir vertiefen, indem wir die für sie typischen Verhaltensweisen und Vermögen untersuchen. Das ist aber nur sinnvoll, wenn menschliche Personen, Kontinuanten (endurers) mit diachroner 18

Ariew (2002), 17.

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Identität sind, wenn sortale Ausdrücke nicht nur konventionalistisch zu verstehen sind, wenn es Agenten/Agenskausalität gibt und wenn Vermögen (potentiae) real sind. Wir haben gesehen, dass diese Möglichkeiten nicht bereits aus vermeintlich wissenschaftlichen Gründen geleugnet werden müssen. Wenn für die Beschreibung einer natürlichen Art ganz allgemein auch normative Aspekte eine Rolle spielen, so muss das um so mehr für die Identifizierung entsprechender Verhalten und Vermögen von menschlichen Personen gelten. Ein realistischer Zugang schließt das nicht aus. Hierzu waren die Bemerkungen über natürliche Teleologie und die Unterscheidungen zwischen typisch/atypisch, zwischen normal/anormal wichtig. Wenn ein Individuum die typischen Verhaltensweisen und Vermögen nicht realisiert, so folgt allein daraus noch nicht, dass es kein Individuum der Art der menschlichen Personen ist. Literaturangaben Ariew, André, ed. (2002), Functions: New essays in the philosophy of psychology and biology. Oxford: Oxford University Press. Cartwright, Nancy (1989), Nature’s Capacities and their Measurement. Oxford: Clarendon Press. Dretske, Fred (1993), Mental Events as Structuring Causes of Behaviour, in: Heil, John / Mele, Alfred, eds. (1993), Mental Causation. Oxford: Clarendon Press, 121-136. Ellis, Brian (2002), The Philosophy of Nature. A Guide to the New Essentialism. Chesham: Acumen. FitzPatrick, William J. (2000), Teleology and the Norms of Nature. New York – London: Garland Publishing. Harré, Rom / Madden, Edward H. (1975), Causal Powers. A Theory of Natural Necessity. Oxford: Blackwell. Hirsch, Eli (1982), The Concept of Identity. Oxford: Oxford University Press. Keil, Geert (2002), Handeln und Verursachen. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann.

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„Homo quodammodo totum ens“ Überlegungen zum Methodenproblem einer Anthropologie Günther Pöltner, Wien 1. Unverzichtbarkeit einer philosophischen Anthropologie In der Anthropologie geht es darum, ein begründetes, weil ausgewiesenes Wissen um den Menschen zu gewinnen. Dieses Wissen ist vielfältig – je nach der gewählten Zugangsart. Der Mensch ist Gegenstand einer Reihe von Wissenschaften, die ihn alle unter speziellen Gesichtspunkten erforschen. Dementsprechend gibt es z.B. eine biologische, psychologische, kybernetische Anthropologie, eine Sozialanthropologie, eine Kulturanthropologie. Unter dieser Vielfalt nimmt die philosophische Anthropologie eine besondere Stellung ein. Das hängt mit dem allgemeinen Verhältnis von einzelwissenschaftlicher Forschung und philosophischem Fragen zusammen. Beide – Einzelwissenschaften (positive Wissenschaften) und Philosophie – haben eine gemeinsame Basis: die lebenspraktische Erfahrung des Miteinanderlebens.1 Wegen dieses gemeinsamen Bodens sind beide aufeinander verwiesen. Der Unterschied zwischen den positiven Wissenschaften und der Philosophie liegt (verkürzt gesagt) in der Fragehinsicht und Frageabsicht. Das bedeutet in unserem Fall: Einzelwissenschaftliche Anthropologien und philosophische Anthropologie müssen einerseits füreinander offen sein und andererseits ihre Eigenständigkeit bewahren. Eine philosophische Anthropologie kann sich deshalb nicht am Vorgehen einzelwissenschaftlicher Anthropologien orientieren.

1

Die lebenspraktische Erfahrung deckt sich nicht mit der alltäglichen Erfahrung, sondern umfasst auch die hohen Erfahrungen positiver wie negativer Art. Der Begriff der Erfahrung ist hier im weitesten Sinn zu nehmen und nicht auf das Experiment, die methodisch herbeigeführte Erfahrung, einzuschränken.

Niederbacher, Bruno / Runggaldier, Edmund, Hgg. (2008), Was sind menschliche Personen? Ein akttheoretischer Zugang. Heusenstamm: Ontos Verlag, 37-54.

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Nach einem Wort von Carl Friedrich von Weizsäcker verdankt die positive Wissenschaft „ihren Erfolg unter anderem dem Verzicht auf das Stellen gewisser Fragen“.2 Damit ist gemeint, dass sich die positiven Wissenschaften von allem Anfang an in einer Abstraktion, d.i. einer bewussten Ausblendung und Ausklammerung von Wirklichkeitsdimensionen bewegen. Die positiven Wissenschaften verdanken sich einem methodischen Reduktionismus, der ihre Ergebnisse im Hinblick auf die Bedeutung, die sie für unser Selbst- und Weltverständnis haben, interpretationsbedürftig macht. Die einzelwissenschaftlichen Ergebnisse müssen in denjenigen Kontext reintegriert werden, dessen methodisch bewusste Ausblendung ihre Findung erst ermöglicht. Deshalb kann die Frage danach, was der Mensch ist, zwar nicht ohne die Einzelwissenschaften, aber nicht schon allein durch sie beantwortet werden. Leben aber die positiven Wissenschaften vom Nicht-Stellen gewisser Fragen, dann lässt sich der hermeneutische Schlüssel für ihre Interpretation nicht ihnen selbst entnehmen. Er liegt vielmehr in demjenigen Kontext verborgen, durch dessen methodische Ausklammerung überhaupt erst so etwas wie einzelwissenschaftliche Forschung möglich wird. ‚Verborgen’ meint, nur auf dem Wege einer methodisch-kritischen Reflexion zu gewinnen. Dieser Kontext besteht in der jeder Fachwissenschaft uneinholbar voraus und zugrunde liegenden lebenspraktischen Erfahrung und dem in ihr eingeschlossenen anthropologischen Vorverständnis. Von diesem implizierten anthropologischen Vorverständnis lebt jede Anthropologie – einzel-wissenschaftliche wie philosophische.3 Der Unterschied liegt darin, dass die Einzelwissenschaften das anthropologische Vorverständnis bloß als Absprungsbasis ihrer Vergegenständlichung gebrauchen. Sie lassen es im Verfolg ihrer Untersuchungen zurück und können zu ihm aus methodischen Gründen nie mehr zurückkehren. Philosophie hingegen benützt es nicht bloß, sondern versucht, es methodisch-kritisch zu reflektieren, d.h. die lebenspraktische Erfahrung auch theoretisch ernst zu nehmen. In dieser Ernstnahme liegt die Unverzichtbarkeit sowie der Prüfstein einer philosophischen Anthropologie. 2 3

Weizsäcker (1978), 167. Ohne das anthropologische Vorverständnis könnte ein Archäologe Funde niemals als von Menschen herrührend diagnostizieren. Was es aber heißt Mensch zu sein, das sagen dem Archäologen weder die Funde noch die Archäologie.

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2. Eigenständigkeit und Grundfrage einer philosophischen Anthropologie Die Grundfrage einer philosophischen Anthropologie lautet: Wer/Was ist der Mensch als Mensch. ‚Als Mensch’ bezeichnet die einer philosophischen Anthropologie eigentümliche und sie in ihrer Eigenständigkeit auszeichnende Fragehinsicht und Frageabsicht. Als Mensch – das heißt, es wird nach dem Menschsein des Menschen gefragt. 2.1 Verbaler Sinn von ‚sein’ Gefragt wird, was es für uns Menschen heißt zu sein? ‚Sein’ ist demnach nicht in einem bloß logischen Sinn zu verstehen. Bloß logisch genommen kann auch von einer Statue gesagt werden, sie sei ein Mensch.4 ‚Sein’ ist in diesem Zusammenhang vielmehr verbal zu verstehen – ‚sein’ wie ‚leben’. Freilich: Was ‚leben’ heißt, das zeigt sich uns in erster Linie nicht im Blick auf die nicht-menschlichen Lebewesen, sondern erschließt sich uns in unserem eigenen Dasein. Es wird nach der Seinsweise von uns Menschen gefragt – wir Menschen sind auf andere Weise als es Tiere, Pflanzen, Gebrauchsdinge oder ‚bloße’ Dinge sind. Deshalb gehen ja auch Menschen mit ihresgleichen anders um als mit Gebrauchsdingen. 2.2 Verschränkung von Anthropologie und Ontologie Wird nach der Seinsweise des Menschen gefragt wird, kommen unweigerlich ontologische Implikationen ins Spiel. Das bedeutet keineswegs, dass sich eine philosophische Anthropologie einer fertigen, in ihrer Herkunft unausgewiesenen ontologischen Begrifflichkeit bedienen könnte, sondern heißt, dass sie mit der sachlichen Verschränkung von Anthropologie und Ontologie ernst zu machen hat. Anthropologie ist implizite Ontologie, und Ontologie ist implizite Anthropologie. Ontologische Grundbegriffe werden im Blick auf den Menschen gewonnen. Was z.B. Selbständigsein (Substanzialität, Subsistenz) besagt, erschließt sich in unserem eigenen Dasein und nicht in erster Linie an der Eigenständigkeit von Gebrauchsdingen. Und die ursprüngliche Form von Kausalität ist die menschliche Freiheit – 4

„Im logischen Gebrauche ist es lediglich die Copula eines Urteils,“ so Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 626.

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ein Umstand, der in den üblicherweise geführten Debatten um Kompatibilität oder Nicht-Kompatibilität von menschlicher Willensfreiheit mit Naturkausalität methodisch kaum ernst genommen wird. Eine philosophische Reflexion hat nicht die Aufgabe, menschliche Grunderfahrungen (wie z.B. die Freiheitserfahrung) wegzuerklären, sondern sie auszulegen und begreiflich zu machen. Der Mensch muss sich in einer Ontologie – und damit in einer Anthropologie – wiederfinden können. 2.3. Bedeutung und Schwierigkeit der Fragestellung: Der Mensch als Menschenwesen Die philosophisch-anthropologische Frage ist wie kaum eine andere bedeutsam und schwierig zugleich. Bedeutsam, weil es in ihr um uns selbst geht – tua res agitur. Was in Frage steht, ist der Fragende selbst. Schwierig, weil sie besondere methodische Sorgfalt nötig hat. Denn der Mensch hat den Hang, sich von dem her zu verstehen, was nicht er selbst ist. In diesem Sinn hat Augustinus die methodische Mahnung ausgesprochen, der Mensch möge sich wegkennen von dem, von dem er nicht mit Sicherheit wissen kann, dass er es ist, sondern sich als den zu erfassen suchen, als den er sich sicher weiß.5 Und Heideggers Hinweis ist nach wie vor bedenkenswert, der Mensch möge sich nicht länger als Lebewesen mit einer besondern Ausstattung, sondern als Menschenwesen verstehen lernen.6 Dieser Hinweis ist aktueller denn je – man denke nur an die gegenwärtig umlaufenden naturalistischen Interpretationen des Menschen.

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„Nicht also wie einen Abwesenden suche er sich zu erblicken; er sorge sich darum, dass er sich wie einen Gegenwärtigen unterscheide. Nicht suche er sich zu erkennen, als ob er sich noch nicht kännte, sondern von einem anderen, das er kennt, soll er sich wegkennen.“ (Augustinus, De Trinitate X, 9) „Sind wir überhaupt auf dem rechten Wege zum Wesen des Menschen, wenn wir den Menschen und solange wir den Menschen als ein Lebewesen unter anderen gegen Pflanze, Tier und Gott abgrenzen? Man kann so vorgehen, man kann in solcher Weise den Menschen innerhalb des Seienden als ein Seiendes unter anderen ansetzen. Man wird dabei stets Richtiges über den Menschen aussagen können. Aber man muss sich auch darüber klar sein, dass der Mensch dadurch endgültig in den Wesensbereich der Animalitas verstoßen bleibt, auch dann, wenn man ihn nicht dem Tier gleichsetzt, sondern ihm eine spezifische Differenz zuspricht“ (Brief über den Humanismus, Gesamtausgabe 9, 323).

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3. Zur Methodik einer philosophischen Anthropologie 3.1 Anfang der Fragestellung – das ursprüngliche Vertrautsein Wie bei jeder anderen Fragestellung kommt es auch hier vor allem auf den rechten Zugang und Frageansatz an. Wie kommt unser Menschsein als solches überhaupt in den Blick? Wie wird es selbst zum Thema eines Nachdenkens? Eine mögliche Antwort auf diese Frage ist der Fragevollzug selbst. Im Fragen wird uns unser Menschsein zum Thema, genauer: in einer FrageErfahrung, d.h. einer ein Fragen aus sich entlassenden Erfahrung. Im Fragen – in einem Selbstvollzug, also im Vollzug meines Menschseins wird dieses thematisch. Denn fragen kann ich, weil ich Mensch bin. Wie aber wird es darin thematisch? Als etwas, in dem wir uns für gewöhnlich bereits unthematisch bewegt haben. Für gewöhnlich – und das heißt sowohl im Alltag als auch in den positiven Wissenschaften – sind wir mit diesem und jenem beschäftigt (Mitmenschen, Gebrauchsdingen etc.), nicht aber damit, was es heißt, Mensch zu sein. Wir sind thematisch mit den Gegenständen befasst, mit dem Gesehenen, mit dem Gehörten, weder aber mit unseren Akten – dem Sehen, dem Hören – noch auch damit, dass wir in diesen Akten uns selbst als Menschen präsent sind. Im Fragen wird mit einem Mal thematisch, was vordem bereits unthematisch mit-gegenwärtig gewesen ist, ohne durch die Thematisierung den Charakter der Mit-Gegenwart abzustreifen. Unsere Seinsweise als Mensch, so zeigt das Fragen, ist uns nichts Fremdes, nichts, was mühsam errechnet werden müsste oder könnte, sondern etwas ursprünglich Vertrautes. Wir leben in einer ursprünglichen Erschlossenheit unserer selbst. Indem wir nach uns selbst fragen, wird uns ausdrücklich bewusst, dass wir mit unserer Seinsweise als Mensch schon vertraut sind. Der bewusste Rückgang auf das ursprüngliche Vertrautsein mit dem Menschsein, auf unsere Selbsterschlossenheit, ist das eigenständige und tragende Prinzip – die ARCHE, das durchstimmende und durchherrschende Vonwoher – einer philosophischen Anthropologie.

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3.2 Methodische Orientierung am ursprünglich Vollzogenen 3.2.1 Per obiecta ad essentiam Die Rede von einem Thematisch-werden verlangt Ergänzung und Differenzierung. Dabei empfiehlt es sich, sich an einen methodischen Grundsatz zu halten, der von Thomas von Aquin immer wieder ins Spiel gebracht und im Aristoteleskommentar zu De anima folgendermaßen formuliert wird. Da der menschliche Geist sich nicht direkt und unmittelbar, sondern über das von ihm Vollzogene erfasst, sei es notwendig, „ut scilicet per obiecta cognoscamus actus, et per actus potentias, et per potentias essentiam animae.“7 Was die Seinsweise des Menschen ausmacht, wird über die Potenzen und Akte, und diese über das in ihnen Vollzogene zugänglich und fassbar. Wer nach dem Grundbestand (substantia) eines Seienden – danach, was etwas in erster Linie ist, nach der grundlegenden Seinsweise (essentia) eines Seienden – fragt, muss sich an den entsprechenden Vollzug (operatio, actus) halten, in dem sich die substantia manifestiert. „operatio enim rei demonstrat substantiam et esse ipsius.“8 Genauer gesagt, manifestiert sich im Vollzug zunächst ein aus der Seinsweise sich ergebendes Können. Unter ‚Potenz’ ist das aktive Können gemeint („potentiae autem animae sunt operativae, talis enim est potentia formae“9). Können besagt: Von sich aus hervorgehen lassen, Anfang sein können. Der Mensch ist Urheber seiner Vollzüge, er besitzt das „dominium sui actus.“10 Weil ich Mensch bin, sind mir bestimmte Vollzugsmöglichkeiten eröffnet (kann ich z.B. fragen, urteilen, frei handeln) – nicht umgekehrt. Dieses mein Können ist die Folge (‚Ausfluss’) meines Menschseins, es entspringt ihm („omnes potentiae animae […] fluunt ab essentia animae sicut a principio“11). Thomas spricht von einer „emanatio“12 bzw. „naturalis resultatio“ („potentia animae ab

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In II De anima, lect. VI, n. 308. Summa contra Gentiles II, 79, n. 1600. In II De anima, lect. V, n. 281. Summa contra Gentiles II, 48, n. 1242 Summa Theologiae I, 77, 6 „emanatio propriorum accidentium a subiecto (der dem Wesen entspringenden Potenzen) non est per aliquam transmutationem; sed per aliquam naturalem resul-

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essentia fluit, non per transmutationem, sed per naturalem quandam resultationem, et est simul cum anima“13). Dass das Können dem Menschsein entspringt, meint nicht, dass dadurch erst etwas zu einem Menschen wird, etwas aus etwas zu etwas anderem wird (non per transmutationem). Der Mensch wird nicht erst dadurch Mensch, dass er im Laufe seiner Entwicklung gewisse Fähigkeiten erlangt. Mit dem Menschsein sind vielmehr schon dessen wesentliche Möglichkeiten grundgelegt (potentia … est simul cum anima). Mit der Entwicklung eines Menschen bilden sich die Bedingungen heraus, unter denen allein sich seine Wesensmöglichkeiten eröffnen können. Können bedeutet aber immer Vollziehen-können, jedes Können ist das Können eines Vollzugs, in welchem es sich manifestiert. Deshalb unterscheiden sich die Potenzen nach den entsprechenden Akten („potentia secundum id quod est, dicitur ad actum; unde oportet quod per actum definiatur potentia“14). Worin das Menschsein eines Menschen liegt, zeigt sich in seinen Vollzügen. Und da die Vollzüge ihre Bestimmtheit vom Vollzogenen (obiectum) erhalten („actus autem ex obiectis speciem habent“15), müssen wir uns an das ursprünglich Vollzogene eines Seienden halten, weil sich in ihm dessen Seinsweise erschließt. Wenn wir also danach fragen, was es für uns Menschen heißt zu sein, müssen wir uns an das vom Menschen ursprünglich Vollzogene halten. – In Anlehnung an den methodischen Grundsatz des Thomas lässt sich das Prinzip einer philosophischen Anthropologie wie folgt differenzieren. 3.1.2 Implikativer Charakter der Selbsterschlossenheit Da wäre erstens auf den implikativen (transzendentalen) Charakter der Selbsterschlossenheit hinzuweisen. Die Selbsterschlossenheit kommt nie

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tationem, sicut ex uno naturaliter aliud resultat, ut ex luce color“ (Thomas von Aquin, Summa Theologiae I, 77, 6 ad 3). Summa Theologiae I, 77, 7 ad 1 De anima a. 13 De anima a. 13. Im Sehen erschließt sich mir ein Gesehenes. Ohne Gesehenes auch kein Sehen, ohne Gesehenes bleibt kein leeres Sehen zurück, sondern es ist dann mit dem Sehen selbst nichts. Das Anwesendsein eines Gesehenen macht die Vollzugswirklichkeit des Sehens aus. Die Bestimmtheit eines Wissens ist das Gewusste. Die Frage nach jemandes Wissen wird mit dem Gewussten beantwortet.

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rein für sich vor, sondern ist in unsere Vollzüge eingebettet. Sie ist kein zweiter, neben den auf Gegenstände gerichteten Vollzügen auch noch vorkommender Vollzug, sondern durchzieht all unsere Vollzüge. Sie ist ein Strukturmoment und besitzt einen transzendentalen Charakter: Sie geht in die Akte konstitutiv ein und ist in ihnen mit-gegenwärtig. Die Einsicht in das eigene Menschsein wird in allen Akten mit-vollzogen. (Es wird hier bewusst von Vollzügen, Akten und nicht von Handlungen gesprochen, weil unter Handlungen üblicherweise sittlich-praktische Vollzüge verstanden werden. Zwar ist jede menschliche Handlung ein Akt, aber nicht jeder Vollzug eine Handlung im strengen Wortsinn.) 3.1.3 Ursprünglichkeit der Selbsterschlossenheit Da wäre zweitens auf die Ursprünglichkeit der Selbsterschlossenheit hinzuweisen. Die Selbsterschlossenheit bildet ein ursprüngliches Moment der menschlichen Vollzüge. Das Wort ‚ursprünglich’ ist nicht im entwicklungspsychologischen Sinn zu verstehen, mit ihm ist nicht das lebensgeschichtlich zuerst Fassbare, sondern die Unhintergehbarkeit und Unableitbarkeit gemeint. Die Selbsterschlossenheit ist prinzipiell nicht als Resultat eines Lernprozesses erklärbar (man kann nicht lernen, sich selbst anwesend zu sein), nicht mehr auf etwas (im Vergleich zu ihr) Bekannteres zurückzuführen. Selbsterschlossenheit ist weder als Systemeigenschaft16 noch als Gehirnfunktion17 erklärbar. Denn jede Rückführung macht ihrerseits wiederum von ihr Gebrauch. In ihrer Ursprünglichkeit gehört sie zu den transzendentalen Ermöglichungsgründen unserer Vollzüge. Weil wir uns selbst erschlossen sind, können wir fragen. 3.1.4 Fraglichkeit der Selbsterschlossenheit Wie aber das Fragen weiter zeigt, ist mit der Ursprünglichkeit nicht schon eine begrifflich-thematische Aneignung gegeben, sondern nur deren Mög16

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Wer sie als Systemeigenschaft erklärt, hat mich selbst bereits vor aller Erklärung zur Eigenschaft eines Systems uminterpretiert. Diese die Erklärung überhaupt erst in Gang bringende Umdeutung ist mit unserer lebenspraktischen Erfahrung unvereinbar. Ich erfahre mich nicht als Eigenschaft von etwas anderem. Gehirnfunktionen sind faktische Vorbedingungen von Selbsterschlossenheit, nicht aber diese selbst. Ich selbst bin mir erschlossen, nicht aber mein Gehirn.

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lichkeit eröffnet. Oder mit einem Wort Hegels: „Das Bekannte überhaupt ist darum, weil es bekannt ist, nicht erkannt“.18 Unsere Seinsweise als Mensch ist uns bekannt, d.h. sie liegt nicht offen zutage, sondern verbirgt sich in unseren Vollzügen. Deshalb müssen wir fragen, d.h. die Selbsterschlossenheit thematisieren und auslegen. Das ‚Müssen’ ist freilich ein bedingtes Müssen, ein Müssen, zu dem wir uns selbst bestimmen. Ob wir uns auf die anthropologische Frage einlassen oder nicht, steht in unserer Freiheit. 3.2 Philosophische Anthropologie als formale Vollzugsanalyse 3.2.1 Der formale Charakter der Vollzugsanalyse Eine philosophische Anthropologie hat die Aufgabe, die ursprüngliche Einsicht in unser Menschsein auszulegen, d.h. sie auf ihre Ermöglichungsgründe hin begrifflich aufzuschließen. In solch einer Auslegung wird das Menschsein zum Phänomen im strengen Wortsinn. Phänomen ist zwar das Sich-zeigende, aber gerade nicht das schon offen zutage Liegende, sondern dasjenige, was erst entborgen, aus der Verborgenheit hervor ins Offene gebracht werden muss. Was „vorgängig und mitgängig, obzwar unthematisch, sich schon zeigt“19 muss zum thematischen Sich-zeigen gebracht werden. Erst das zum thematischen Sich-zeigen Gebrachte ist Phänomen im strengen Wortsinn.20 Anders gesagt: In einer philosophischen Anthropologie geht es um eine formale Vollzugsanalyse. Sie ist Vollzugsanalyse, weil sich nur im Vollzug zeigt, was Mensch zu sein heißt, und sie ist formal, weil es nicht um eine Analyse und Einteilung der Vollzugsinhalte, sondern um die Entfaltung der Grundstruktur der Vollzüge geht, es also nicht darum zu tun ist, unter den menschlichen Vollzügen einen be18 19 20

Hegel, Phänomenologie des Geistes (1952), 28. Heidegger, Gesamtausgabe 2 (= Sein und Zeit), 42. Daran ist immer noch gegen das alte Vorurteil zu erinnern, wonach Phänomenologie sich in einer bloßen Beschreibung erschöpfe und deshalb (z.B. durch eine nach Gründen fragende Metaphysik) ergänzt werden müsse. Dieses Vorurteil geht schon deshalb daneben, weil das angeblich bloß zu Beschreibende gerade nicht vorliegt, sondern erst zum Vorliegen gebracht werden muss. Darüber hinaus geht es nicht um Bestimmungen eines Sich-Zeigenden, sondern um die Gründe von dessen SichZeigen.

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sonders charakteristischen ausfindig zu machen – z.B. Werkzeuggebrauch, aufrechter Gang. Gefragt wird vielmehr nach den konstitutiven Zügen, die in jedem menschlichen Vollzug so zum Tragen kommen, dass deren Leugnung sich in einen performativen Widerspruch verwickelt. Menschliche Vollzüge sind keine beobachtbaren Vorkommnisse. Sie sind weder einer Fremdbeobachtung noch einer Selbstbeobachtung (Introspektion) zugänglich.21 Was Sehen, Hören, was Fragen heißt, das wird in keiner Beobachtung fassbar, sondern das erschließt sich einzig im Vollziehen selbst. Das Beobachten (der Vollzug des Beobachtens) ist kein beobachtbarer Gegenstand. Menschliche Vollzüge müssen nicht und können auch gar nicht zugänglich gemacht werden, weil sie ihr eigener Zugang sind. Vollzüge thematisieren heißt nicht, sie beobachten, sondern auf sie reflektieren. Vollzüge sind keine beobachtbaren Daten, sondern das, wodurch Daten gegeben sind. Das Gegebensein eines Gegenstandes ist keine gegenständliche Bestimmung. Die naturalistischen Interpretationen des Menschen sind die Folge der Unfähigkeit, den Unterschied von Gegebenem und dessen Gegebensein, von Gegenwärtigem und dessen Gegenwart zu realisieren. 3.2.2 Das Subjekt als Urheber der Vollzüge Vollzüge sind keine freischwebenden Vorkommnisse, sondern allemal jemandes Vollzüge. Es bedeutet bereits eine unzulässige Umdeutung, hier von ‚mentalen Ereignissen’ zu reden, für die dann entsprechende Ursachen zu suchen sind. Es gibt keine subjektlosen Vollzüge. Wenn von Akten die Rede ist, ist in Wahrheit allemal von Selbstvollzügen die Rede. (Die Physik als Wissenschaft ist kein subjektloses mentales Geschehen – sie macht sich ja bekanntlich nicht von selbst – sondern eben der Selbstvollzug eines Menschen). Ich bin zwar Urheber meiner Vollzüge, nicht aber deren Ursache – das Ursache-Wirkung-Verhältnis als gegenständliche, Verschiedenheit implizierende Kausalrelation verstanden. Vollzüge sind Selbstvollzüge: Indem 21

Das wird auch in der Debatte um den Unterschied von Dritte-Person-Perspektive und Erste-Person-Perspektive zu wenig berücksichtigt.

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ich etwas vollziehe, vollziehe ich darin mich selbst. Ich als Vollziehender und ich als Vollzogener bin ein und derselbe, nicht jedoch wie Ursache und Wirkung verschieden. Ich selbst bin Urheber der Vollzüge, weshalb sie die meinen sind. Ich selbst nehme wahr, denke, überlege, frage, unterlasse etwas – nicht aber etwas in mir, etwas von mir Unterschiedenes. (Selbst die gegenteilige Meinung wäre von mir selbst vollzogen.) Zwar handle ich z.B. aufgrund gewisser Überlegungen, ich lasse mich von bestimmten Motiven leiten – es sind aber nicht meine Überlegungen, die handeln, und nicht meine Motive, die sich leiten lassen, sondern ich selbst bin es. Und es sind auch nicht einzelne Organe, welche wahrnehmen, denken, handeln. Es sieht nicht mein Auge, es denkt nicht mein Gehirn, sondern ich selbst bin es, der dies tut. Die Instanz der Selbstzuschreibung ‚mein’ Gehirn, ‚mein’ Auge ist nicht das Auge, nicht das Gehirn. (Wer es anders meint, betreibt plumpe Gehirnmythologie.) Der ganze Mensch vollzieht sich selbst – nimmt wahr, denkt, überlegt etc. Und weil ich selbst der Ursprung meiner Vollzüge bin, kann ich gegebenenfalls für meine Vollzüge zur Verantwortung gezogen werden. Die Einsicht in die Urheberschaft meiner Vollzüge ist allerdings keine Annahme – Annahmen (Hypothesen) sind etwas Vorläufiges und im Falle ihrer Falsifizierung durch andere Annahmen ersetzbar – sondern einer der Ermöglichungsgründe von Annahmen. Annahmen sind ja wiederum jemandes Annahmen. Ich selbst bin nicht eine Annahme meiner selbst, bin nicht etwas von mir auf Probe Angenommenes, sondern ein solchen Unsinn Annehmender. Die Behauptung, ich selbst sei nicht der Ursprung meiner Vollzüge, stelle ja wiederum ich selbst auf – und nicht etwas in mir oder hinter mir. Ich kann mich zwar von mir selbst distanzieren, aber dann bin wiederum ich selbst es, der dies tut. Wie der Ausfall oder die Beeinträchtigung von Vollzügen zeigen, haben Vollzüge faktische Voraussetzungen (= ontische Vorbedingungen). Ohne funktionierende Organe (Wahrnehmungsorgane, Gehirnfunktionen) sind Vollzüge nicht möglich. Es sind notwendige, mich selbst als Mensch konstituierende Bedingungen, die allerdings nicht in den Vollzug selbst eingehen und in ihm deshalb auch nicht mit-gegenwärtig sind (Ich nehme etwas – z.B. Menschen in einem Hörsaal sitzend – wahr, nicht aber meine Gehirnfunktionen). Die Funktion dieser ontischen Vorbedingungen lässt sich

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zwar durch Angabe von Antezedensbedingungen und entsprechenden Naturgesetzlichkeiten erklären. Wer aber die ontischen Vorbedingungen erklärt hat, hat noch nicht die durch sie bedingten Vollzüge erklärt. Vollzüge lassen sich nicht als naturale Ereignisse erklären – das Erklären selbst ist ja kein naturales Ereignis. 3.3 Das Entbergen als Grundzug menschlicher Vollzüge – homo quodammodo totum ens Freilich: In den Vollzügen manifestiert sich nicht einfach, welchen Wesens das Subjekt ist, sondern zunächst ein von dessen Seinsweise eröffnetes Können. Ich selbst kann dies, Ursprung meiner Akte sein, kann mich selbst vollziehen. Und ich kann dies, weil ich Mensch bin (potentiae fluunt ab essentia). Dieses mein Können ergibt sich aus meinem Menschsein. Dieses manifestiert sich in jenem. Insofern es mit meinem Menschsein eröffnet ist, ist es ein prinzipielles Können. Sehen, Hören, Denken, Streben – all das sind Vollzüge, deren Können nicht eine erlernte Fähigkeit ist, sondern sich von selbst ergibt – freilich unter der Voraussetzung der Funktionstüchtigkeit der entsprechenden ontischen Vorbedingungen. Dabei ist hier auf eine Fundierungsrichtung aufmerksam zu machen: Weil wir Menschen sind, können wir dieses und jenes, nicht aber umgekehrt. Wir sind nicht deshalb Menschen, weil wir uns vollziehen können. Das Menschsein hängt nicht am Können, sondern umgekehrt.22 Gewiss kann jemand am faktischen Ergreifen seiner Wesensmöglichkeiten (temporär oder dauernd) gehindert sein. Aber deshalb hat er nicht aufgehört Mensch zu sein, noch ist er noch kein Mensch, wenn er sie noch nicht ergreifen kann. Am faktischen Vollzug der Wesensmöglichkeiten gehindert 22

Ob wir es mit einem Menschen oder etwas anderem zu tun haben, können wir an den Vollzügen erkennen (so wie wir ein Lebewesen an seinen Lebensfunktionen erkennen können). Aber die Vollzüge begründen nicht das Menschsein. Die Vollzüge müssen als menschliche erfasst werden, was nur deshalb geht, weil sich in ihnen das Menschsein manifestiert, so dass sie umgekehrt dessen Zugang sein können (operatio demonstrat substantiam). Deshalb greift der Rekurs auf sogenannte ‚moralisch relevante Eigenschaften’ im Unterschied zu einem moralisch irrelevanten ‚biologischen Leben’ ins Leere. Eigenschaften können nur deshalb moralisch relevant sein, weil sich in ihnen das ‚moralisch relevante’ Menschsein manifestiert. Mensch zu sein ist aber keine Eigenschaft.

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sein heißt nicht, etwas anderes geworden zu sein. Die Möglichkeit solcher Hinderung zeigt, dass die ontischen Vorbedingungen des Vollzugs mir selbst nichts Äußerliches sind, sondern mir innerlich zugehören. Diese innerliche Zugehörigkeit spricht sich in dem Satz aus: Ich bin mein Leib. Die naturale Entwicklung meines Leibes ist die Geschichte meiner selbst. Ich selbst bin einmal so dagewesen, dass ich mir selbst und anderen verborgen gewesen bin. 3.3.1 Selbstvollzug als Vollzug der Weltoffenheit Eine philosophische Anthropologie steht als formale Vollzugsanalyse letztendlich (mit Thomas von Aquin formuliert) vor der Frage nach dem vom Menschen ursprünglich Vollzogenen, d.i. nach dem Grundzug menschlichen Vollziehens. Dieser liegt im Entbergen, Präsenthaben – im Vollzug der Weltoffenheit. Indem ich mich selbst vollziehe, bin ich in einer charakteristischen Weise auf anderes – seien es Mitmenschen, Lebewesen, bloße Dinge, formale Sachverhalte etc. – bezogen, nämlich so, dass dieses andere mir präsent ist, sich als das andere meiner selbst zeigt. Sehen heißt, Gesehenes, Hören heißt Gehörtes anwesend haben. Dieses Anwesendsein, Sich-zeigen des anderen macht mein Sehen zum Sehen, mein Hören zum Hören. Mein Selbstvollzug und das Gegenwärtigsein des anderen sind nicht zwei Vollzüge, sondern ein einziger. Es gibt hier kein Davor und Danach. Nicht leuchtet zuerst etwas, und dann nehme ich es wahr, sondern das Leuchten geschieht als mein Sehen. Das Vorliegen eines mathematischen Problems geschieht als mein Nachdenken darüber. Das Sich-Zeigen, die Präsenz (von was auch immer) ereignet sich als unser Gewahren. Eines als das andere. Als Sehender bin ich das Gesehene, als Denkender das Gedachte. Es herrscht hier die Identität eines einzigen Vollzugs, eine energetische Identität.23 Ich werde natürlich nicht im ontischen Sinn das Gesehene. Dieses bleibt, was es ist, und ich selbst bleibe der, der ich bin. Die energetische Identität, gemäß der ich als Sehender das Gesehene bin, ist nicht mit der ontischen Identität zu verwechseln, gemäß der jegliches ist, was es ist. 23

So heißt es bei Thomas, der hier den Aristoteles zitiert: „sensibile in actu est sensus in actu, et intelligibile in actu est intellctus in actu“ (Summa Theologiae I, 14, 2).

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Diese wird in der Vollzugsidentität nicht aufgehoben, sondern kommt in ihr allererst zum Vorschein. Es ist uns aber nicht nur das andere, und es sind nicht nur wir uns selbst präsent, sondern es ist uns darin auch noch die weltweite Offenheit mit-gegenwärtig, kraft der wir ‚Fremdgegenwart’ und Selbstgegenwart unterscheiden können, jene Helle mit-gegenwärtig, in der jegliches in seinem konkreten Sein erscheinen kann (als so und so seiend, als etwas Wirkliches, als Mögliches, als Erstrebenswertes etc), kraft der alles Sich-Richten auf etwas und die Unterscheidung von Seinsweisen überhaupt erst möglich wird. Sie ist das ursprünglich Vollzogene, in dem sich zeigt, wer/was der Mensch im Grunde ist. Weil uns nicht bloß etwas gegenwärtig ist, sondern darin noch die weltweite Offenheit mit-gegenwärtig ist, (weil wir frei für sie sind), können wir nach schlechthin allem fragen, können wir uns auf dieses und jenes als etwas so und so Bedeutsames beziehen, können wir frei Stellung nehmen, können wir Begrenzungen relativieren, gibt es für uns Unterschiede wie richtig/falsch, gut/böse, nützlich/sinnvoll. Im Selbstvollzug wird die Weltoffenheit mit-vollzogen. Deshalb ist der Mensch ein personales Wesen, ein Vernunft- und Freiheitswesen. Der Mensch ist Person, weil er ein relationales Wesen sein, d.h. im Weltbezug stehen kann. Bei Thomas heißt es in Fortführung des aristotelischen Gedankens: Der Mensch ist als geistig-personales Wesen (d.h. kraft seiner anima intellectiva) gewissermaßen alles: homo est quodammodo totum ens.24 Das Wesen des Menschen liegt darin, im Allbezug zu stehen. ‚Gewissermaßen’, d.h. in Form der „convenientia“,25 der Übereinkunft, d.i. der Antwort – nicht im Sinne einer Erwiderung, sondern der Entsprechung.26 Denn uns selbst vollziehend bringen wir die Dinge zu ihrem Anwesen. Deren Erscheinenkönnen wird in unserem Vollzug nicht gesetzt, sondern ist in ihm allemal vorausgesetzt. 24

25 26

„anima data est homini loco omnium formarum, ut sit homo quodammodo totum ens“ ( In III De anima, lect. XIII, n. 790). In De Veritate, wo wiederum Aristoteles zitiert wird, heißt es: „anima, quae quodammodo est omnia“ (De Veritate 1, 1). De Veritate 1, 1. Das vom Menschen ursprünglich Vollzogene ist nach Thomas das ursprünglich Vernommene (conceptum): „quod intellectus primo concipit quasi notissimum […] est ens“ (De Veritate 1, 1).

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3.3.2 Der Leib als Wesensmedium personaler Weltoffenheit Der Mensch ist Person, weil er das weltoffene Wesen ist – das aber ist er als leibliches Wesen. Die Leiblichkeit wäre von der Weltoffenheit her zu bestimmen. Um den Menschen als leibliches Wesen in der rechten Weise bestimmen zu können, ist von denjenigen Vollzügen auszugehen, in denen der Leib als Leib gegeben ist. Das aber sind nicht Vergegenständlichungen, sondern einer personalen Einstellung entspringende Vollzüge. Nur in personaler Einstellung zeigt sich uns der Leib als Leib. Nicht umsonst sind die höchsten Vollzugsformen des Miteinanderseins die höchsten Formen der Leiberfahrung und umgekehrt. Diese ursprüngliche Leiberfahrung weist zwei Akzentuierungen auf, die sich auf die Formeln bringen lassen: ‚Ich bin mein Leib’ und ‚Ich habe meinen Leib’. 3.3.2.1 Einheit von Person und Leib Nehme ich einen Leib wahr, so sehe ich weder ein Körperding noch einen Organismus, sondern ich sehe jemanden. Wenn ich deinen Leib verletze, verletze ich unmittelbar dich selbst, und in deine Augen blickend sehe ich unmittelbar dich selbst. Wo immer ich deinen Leib gewahre, dort habe ich es unmittelbar mit dir selbst zu tun – gleichgültig, in welchem Zustand du dich gerade befindest. Dein Leib – das bist du selbst, mein Leib – das bin ich selbst. Und wer einen Leichnam sieht, sieht jemanden, der gewesen ist. Mit ‚ich’ meine ich mich selbst in der Ganzheit meiner leiblich-zeitlichen Existenz – mit Coreth gesprochen: mich in meiner ‚Ich-Ganzheit’27 – nicht aber eine meiner Lebensphasen, die Phase der Selbstanwesenheit, in der ich mich zum Gegenstand einer Selbstreflexion machen kann. Wir sagen ja zu Recht: ‚Ich bin dann und dann geboren worden’. Ich selbst bin es gewesen, obwohl ich damals noch nicht habe zu mir ‚ich’ sagen können. Jemand zu sein ist nicht gleichbedeutend mit ‚selbstbewusst’ sein. Jemand zu sein impliziert auch, sich selbst einmal verborgen gewesen zu sein. Das Zu-sich-Kommen aus der Selbstverborgenheit ist keine Vorgeschichte, an deren Ende jemand steht, sondern bereits jemandes Geschichte.

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Coreth (1980), 83.

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Leiberfahrung ist unmittelbar Personerfahrung. Diese Erfahrung zeigt weder die Differenz von einem Außen und Innen noch von einem Davor und Dahinter. Ich stoße weder auf ein somatisches Außen, das mich auf ein psychisches Innen verweist, noch stehe ich vor einem sinnlichen Davor, das mich animiert, auf ein nicht-sinnliches Dahinter zu schließen. Dein Leib – das ist die Weise deiner Anwesenheit, du in deinem Glück, du in deiner Traurigkeit. Der Leib ist der jeweilige Mensch selbst. Wer leibhaftig da ist, ist selbst da. 3.3.2.2 Differenz von Person und Leib Neben den genannten Erfahrungen gibt es auch solche, die eine Differenz in der Einheit meiner selbst sichtbar machen. In der Krankheit z.B. zeigt der Leib eine Eigenständigkeit, die sich in mir gleichwohl gegen mich richtet. Mein Leib ist von Gesetzen bestimmt, über die ich letzten Endes nichts vermag.28 Daraus, dass ich mein Leib bin, folgt nicht, dass ich nichts anderes wäre als mein Leib. Angesichts jener Erfahrungen, in denen mein Leib in Differenz zu mir selbst tritt, ist vielmehr zu sagen, ich bin mein Leib, indem ich meinen Leib habe. Ungeachtet ihrer Einheit unterscheiden sich Person und Leib. Weil ich meinen Leib habe, kann ich mich zu ihm verhalten. Mich zu ihm verhaltend, verhalte ich mich zwar immer zu mir selbst – aber die Tatsache, dass ich mich zu meinem Leib verhalte, zeigt, dass ich mit meinem Leib nicht in der Weise identisch bin, dass ich nichts anderes wäre als mein Leib. Die Selbstzuschreibung – ‚mein Leib’ – (wie auch seine Vergegenständlichung) nimmt nicht mein Leib, sondern nehme ich selbst vor. Handeln ist zwar immer leibhaftiges Handeln, aber es handelt nicht mein Leib, sondern ich selbst handle.

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Freilich darf aus diesen Erfahrungen nicht auf eine falsche Entgegensetzung von Natur und Freiheit geschlossen werden. Die Gesetzmäßigkeit der Natur schließt Freiheit nicht aus, sondern ermöglicht sie. Schon aus diesem Grund ist die These haltlos, Freiheit sei eine von unseren Gehirnen erzeugte Illusion.

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3.3.2.3 Einheit-in-Differenz: der Leib als Wesensmedium personaler Weltoffenheit Die Formeln vom Leibsein und Leibhaben dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Sie gelten gleicherweise. Die Erfahrungen im lebenspraktischen Miteinandersein decken beide ab. Leibsein und Leibhaben sind die beiden Momente jener dynamischen Identität-in-Differenz, die unser menschliches Dasein ausmacht. Die hier auftauchende Schwierigkeit besteht in der Aufgabe, der in der Einheit waltenden Differenz begrifflich gerecht zu werden, d.h. sie weder in einen Substanzendualismus29 auseinanderfallen zu lassen noch monistisch-naturalistisch zu einer TrägerEigenschafts-Differenz herunterzuschrauben. Will man beides vermeiden, so bietet sich der Terminus ‚Wesensmedium’30 an – eine u.E. tragfähige Ausgangsbasis für die Ausarbeitung einer Ontologie des Leibes. Der Leib ist das Wesensmedium personalen, d.h. weltoffenen Selbstseins – und man wird wohl sagen müssen: der ganze Leib, nicht bloß eines seiner Organe, z.B. das Gehirn.31 Mein Leib ist Wesensmedium, weil ich mein Leib bin. Mein Leib ist Wesensmedium, weil ich meinen Leib habe, und nicht er, sondern ich selbst mein Dasein vollbringe und die Instanz seiner (freilich immer nur partiell möglichen) Vergegenständlichung bin. Wo der Leib reines Wesensmedium ist, ist er ganz er selbst, und können wir ganz wir selbst sein, weil wir ungebrochen die ureigensten Wesensmöglichkeiten des Miteinanderseins vollziehen können. „Alle Erfahrung nämlich zeigt, dass das Leibhafte immer gerade dann, wenn ein Mensch in besonders charakteristischer und höchster Weise menschlich existiert, auf eine eigentümliche Weise in vollkommene Unbeachtetheit entschwindet [...] In solch wahrhaft mensch-

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30 31

Zur Vermeidung unnötiger Missverständnisse ist es ratsam, nicht gleich von Dualismus zu reden, wo sachlich notwendige Unterscheidungen anzubringen sind. Wer den Menschen, wie es Thomas von Aquin tut, als Einheit zweier Seinsprinzipien begreift, verschreibt sich nicht einem Dualismus, weil Seinsprinzipien keine Substanzen, nichts selbständig Seiendes sind. Der Ausdruck stammt von Welte (1965), 85 f. Die Diskussion über das Verhältnis von Geist und Gehirn bewegt sich in einer Leibvergessenheit.

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lichem Verhalten ist für den Handelnden selbst der Leib qua Leib-Körper überhaupt nicht mehr da“.32 Die vorgetragenen Überlegungen waren als Bemerkungen zum methodischen Vorgehen einer philosophischen Anthropologie gedacht. Überlegungen zum methodischen Vorgehen haben programmatischen Charakter. Sie bleiben vorläufig. Literaturangaben Augustinus, Aurelius, De Trinitate. Boss, Medard (1975), Grundriss der Medizin und Psychologie, 2. Aufl. Bern: Verlag Hans Huber. Coreth, Emerich (1980), Was ist der Mensch? Grundzüge einer philosophischen Anthropologie, 3. Aufl. Innsbruck: Tyrolia. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1807), Phänomenologie des Geistes, zitiert aus: Hamburg 1952 (PhB 114): Meiner. Heidegger, Martin, Gesamtausgabe. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann. Kant, Immanuel (1787), Kritik der reinen Vernunft. Riga. Thomas von Aquin, De anima. Thomas von Aquin, Summa contra Gentiles. Thomas von Aquin, Summa Theologiae. Thomas von Aquin, De Veritate. Weizsäcker, Carl Friedrich von (1978), Deutlichkeit: Beiträge zu politischen und religiösen Gegenwartsfragen. München – Wien: Hanser. Welte, Bernhard (1965), Auf der Spur des Ewigen. Freiburg: Herder.

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Boss (1975), 273.

Tätigsein und die Erste-Person-Perspektive* Lynne Rudder Baker, Amherst Es ist nichts Neues, dass Sie und ich sowohl Tätige als auch Personen sind. Tätigsein und Personsein sind sicherlich verknüpft, aber es ist nicht offensichtlich, wie sie verknüpft sind. Ich glaube, dass eine Person zu sein und eine Tätige zu sein eng miteinander verbunden sind durch das, was ich eine „Erste-Person-Perspektive“ nenne: Alle Personen und alle Tätigen haben Erste-Person-Perspektiven. Und doch ist die Verknüpfung zwischen Personsein und Tätigsein nicht ganz offensichtlich. Es gibt unterschiedliche Arten von Tätigen und unterschiedliche Arten von Erste-Person-Perspektiven. Einerseits sind alle Personen Tätige, aber nicht alle Tätigen sind Personen; andererseits sind alle moralisch Tätigen Personen, aber nicht alle Personen auch moralisch Tätige. In diesem Artikel hoffe ich, die Beziehungen zwischen Personsein und Tätigsein auszufalten. Im ersten Teil werde ich allgemeine Aspekte von Tätigsein diskutieren. Dann werde ich meine Sicht von Personen und Erste-Person-Perspektiven kurz zusammenfassen. Hiernach werde ich die Implikationen entfalten, die sich ergeben, wenn man die Diskussion von Tätigsein und Erste-Person-Perspektiven zusammen nimmt. Schließlich werde ich moralisches Tätigsein näher betrachten. 1. Aspekte des Tätigseins Vier miteinander eng verwobene Begriffe sind zu klären: Tätigsein, Tätigkeit, intentionale Erklärung und praktisches Überlegen. Beginnen wir mit *

Anmerkung des Übersetzers Bruno Niederbacher SJ: Der folgende Text stellt die Übersetzung des Vortrags dar, den Lynne Rudder Baker unter dem Titel „Agency and the First-Person Perspective“ am 23.02.2008 im Kardinal König Haus in Wien gehalten hat. Da die Ausdrücke „agency“, „agent“ und „action“ einen weiteren Sinn haben als die deutschen Ausdrücke „Handeln“, „Handelnder“ und „Handlung“, wähle ich die etwas neutraleren Ausdrücke „Tätigsein“ für „agency“, „Tätige/Tätiger/Tätiges“ für „agent“ und „Tätigkeit“ oder „Handlung“ für „action“. Ich danke Johannes Frank für die sorgsame Prüfung der Übersetzung.

Niederbacher, Bruno / Runggaldier, Edmund, Hgg. (2008), Was sind menschliche Personen? Ein akttheoretischer Zugang. Heusenstamm: Ontos Verlag, 55-77.

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dem Tätigsein: Was ist ein Tätiges? Ein Tätiges ist ein Wesen, das fähig ist, etwas zu tun, wobei die relevante Bedeutung von „etwas tun“ folgendermaßen verstanden werden kann: (ET) Ein Wesen x tut etwas [in dem für Tätigsein relevanten Sinn] dann und nur dann, wenn x etwas hervorbringt, das nur durch Bezug auf die Überzeugungen, Wünsche oder Absichten von x angemessen erklärt werden kann. Ein Wesen, das die Fähigkeit hat, etwas im Sinn von (ET) zu tun, ist ein Tätiges. Die Dinge, welche Tätige tun, dürfen entsprechend als Tätigkeiten charakterisiert werden.1 (Einige Dinge, die wir tun – z.B. Nahrung verdauen oder älter werden – sind nicht durch Überzeugungen, Wünsche und Absichten erklärbar – sie sind daher überhaupt keine Tätigkeiten; solche Dinge sind nicht relevant für diese Diskussion.) Tätigkeiten sind Dinge, die in Übereinstimmung mit (ET) getan werden können, und Tätige sind Wesen, die Dinge in Übereinstimmung mit (ET) tun können. Wenn jemand etwas tut, das mit (ET) übereinstimmt, dann tut sie etwas, das nur mit Hilfe ihrer Einstellungen erklärbar ist. Ich werde Erklärungen, welche Tätigkeiten mit Hilfe von Einstellungen erklären „intentionale Erklärungen“ nennen. Tätigkeiten, welche durch intentionale Erklärungen erklärt werden, sind Manifestationen von Tätigsein. Angenommen, Sie fahren ein Auto, sehen ein Kind auf die Straße laufen und weichen auf den Straßenrand aus. Ihr Ausweichen manifestiert ihr Tätigsein und hat eine intentionale Erklärung (Sie wollten verhindern, dass Sie das Kind anfahren). Wenn Sie hingegen stattdessen einen Herzinfarkt gehabt hätten, der es verursachte, dass Sie auf den Straßenrand ausgewichen sind, so hätte Ihr Ausweichen keine intentionale Erklärung und es wäre keine Tätigkeit gewesen. Was eine intentionale Erklärung erklärend macht, ist Folgendes: Wenn die Tätige andere Einstellungen gehabt hätte, hätte sie das, was sie getan hat, verhindern

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Tätigkeiten sind konstituiert durch Ereignisse. Sowohl Tätigkeiten als auch Ereignisse sind Exemplifizierungen von Eigenschaften.

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können. (Hätten Sie das Kind anfahren wollen, wären Sie nicht ausgewichen.) Die Einstellungen der Tätigen sind bei intentionalen Erklärungen mit ihren Tätigkeiten derart verknüpft, dass ihre Einstellungen in – vielleicht primitivem – praktischem (Mittel-Ziel) Überlegen verwendet werden können, das mit dem Handeln der Tätigen zum Abschluss kommt. So kommen wir zur folgenden These: (HE) Wenn x etwas hervorbringt, das nur durch den Bezug auf die Überzeugungen, Wünsche oder Absichten von x angemessen erklärt werden kann, dann kann x primitiv praktisches (MittelZiel) Überlegen ausüben. Aus (ET) und (HE) folgt, dass die Fähigkeit, etwas [in dem für Tätigsein relevanten Sinn] zu tun, begrifflich mit der Fähigkeit, primitiv praktisches (Mittel-Ziel) Überlegen auszuüben, verknüpft ist. Das heißt: (PÜ) Wenn x etwas [in dem für Tätigsein relevanten Sinn] tut, dann kann x (zumindest) primitiv praktisches (Mittel-Ziel) Überlegen ausüben. Die erklärende Kraft von intentionalen Erklärungen kommt daher, dass gute intentionale Erklärungen das praktische Überlegen der Tätigen aus ihrem Gesichtspunkt heraus erfassen: Sie geben den Grund dafür an, dass sie tat, was sie tat. Das praktische Überlegen, welches intentionale Erklärungen erfassen, mag einfach sein, kaum der Rede wert: Ich möchte es wärmer haben und glaube, dass der beste Weg dazu darin besteht, näher zum Feuer hin zu rücken; also bewege ich mich näher zum Feuer hin. Lassen Sie mich auf vier weitere Aspekte praktischen Überlegens aufmerksam machen: Erstens, praktisches Überlegen findet immer in der ersten Person statt: Die Tätige stellt aus ihrem eigenen Gesichtspunkt der ersten Person heraus Überlegungen darüber an, was zu tun ist. Es ist dieser Gesichtspunkt der ersten Person der Tätigen, welches ihr Überlegen mit dem verknüpft, was sie tatsächlich tut. Trotzdem muss die Tätige nicht einen Erste-Person-

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Begriff von sich selbst haben. Eine Hündin, zum Beispiel, überlegt aus ihrem Gesichtspunkt heraus über ihre Umgebung. Sie ist am Ursprung dessen, worüber sie Überlegungen anstellen kann. Sie vergräbt einen Knochen an einem bestimmten Ort und wühlt ihn später wieder aus. Obwohl wir nicht genau wissen, wie es ist, eine Hündin zu sein, können wir uns ihrem praktischen Überlegen von ihrem Gesichtspunkt aus annähern: Will Knochen; Knochen ist dort begraben; also geh dorthin. Die Hündin ist sozusagen automatisch im Mittelpunkt ihrer Welt, ohne ein Selbstverständnis haben zu müssen. Zweitens, wie das Hundebeispiel auch zeigt, erfordert praktisches Überlegen nicht, dass Tätige eine natürliche Sprache haben. Obwohl es – wie ich später zeigen werde – hinsichtlich des Tätigseins einen großen Unterschied zwischen Wesen mit und ohne Sprache gibt, erklären Theoretiker sowie Leute im Alltag erfolgreich Verhalten, indem sie Geschöpfen ohne natürliche Sprache praktisches Überlegen zuschreiben. Wenn wir nicht annehmen, dass derartige Geschöpfe primitives praktisches Überlegen ausüben, bleibt uns überhaupt keine Erklärung ihres Verhaltens mehr übrig. Drittens, Wesen, die praktisch überlegen – ob nun primitiv oder nicht –, mag es gar nicht bewusst sein, dass sie überlegen. Sogar Wesen wie Sie und ich, die Sprache besitzen und auf ausgeklügelte Weise praktisches Überlegen ausüben können, sind sich oft ihres eigenen Überlegens nicht bewusst. Wenn ich zum Kardinal König Haus zur Tagung komme, öffne ich die Tür. Und ich öffne sie absichtlich: Ich will hineingehen und ich glaube, dass der beste Weg, dorthin zu gelangen, darin besteht, die Tür zu öffnen. Obwohl ich nicht an meine Einstellungen oder an die Tür denke, ist meine Tätigkeit doch durch eine intentionale Erklärung und das darin gefasste einfache praktische Überlegen erklärt. Viertens, einige Tätigkeiten sind versehentlich oder nicht beabsichtigt. Aber insofern sie überhaupt Tätigkeiten sind, berufen sich ihre Erklärungen auf Einstellungen, die beim praktischen Überlegen verwendet werden. Wenn ich Ihnen, während ich näher zum Feuer rücke, versehentlich auf den Fuß trete, dann war mein Ihnen-auf-den-Fuß-Treten meine Tätigkeit – eine nicht beabsichtigte Tätigkeit. Mein Ihnen-auf-den-Fuß-Treten wird dadurch zu einer Tätigkeit, dass es teilweise durch meine Einstellungen

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erklärt wird: Ich wollte näher ans Feuer rücken und ich achtete nicht darauf, wohin ich trat. Das heißt: Etwas, das ich tat (näher zum Feuer zu rücken), war beabsichtigt, und etwas, das ich tat (Ihnen auf den Fuß zu treten) war nicht beabsichtigt. Aber beides waren meine Tätigkeiten: Mein Zum-Feuer-Rücken und mein Ihnen-auf-den-Fuß-Treten. Oder man bedenke ein etwas komplizierteres Beispiel. Angenommen ein Kindermädchen, das ein Kleinkind baden sollte, verbrühte das Kleinkind versehentlich. Angenommen, das Kindermädchen beabsichtigte nicht, das Baby zu verbrühen, sondern verwechselte den Heißwasserhahn mit dem Kaltwasserhahn. Obwohl sie nicht das tat, was sie beabsichtigte, so hat ihr Verbrühen des Kleinkindes dennoch eine intentionale Erklärung: Sie wollte das Baby baden und glaubte, der beste Weg, dies zu tun, bestehe darin, den Heißwasserhahn um 90 Grad zu drehen, den Kaltwasserhahn aber um 180 Grad. Also drehte sie einen Hahn um 90 Grad, den anderen um 180 Grad. Da sie aber die Hähne verwechselte, kam es dazu, dass sie das Baby verbrühte. Obwohl das Verbrühen gänzlich unbeabsichtigt war, bedarf es einer intentionalen Erklärung, die sich auf eine falsche Überzeugung darüber beruft, welcher Hahn heißes Wasser führt. Man kann nichts aus Versehen tun, wenn man es nicht auch beabsichtigt tun kann. So kann man auch Fehler als Manifestationen von Tätigsein sehen.2 Wir haben also mehrere aufeinander bezogene Begriffe: Tätigsein, Tätigkeit, praktisches Überlegen und intentionale Erklärung. Diese miteinander verzahnten Begriffe können folgendermaßen charakterisiert werden: Ein Tätiges =df ein Wesen, das fähig ist, etwas zu tun (wie in (ET)), das nur mit Bezug auf sein primitives praktisches Überlegen (wie in (PÜ)) erklärt wird. Eine Tätigkeit =df etwas, das ein Tätiges hervorbringt (wie in (ET)). Eine intentionale Erklärung =df eine Erklärung einer Tätigkeit eines Tätigen mit Hilfe der intentionalen Einstellungen des Tätigen, die in praktischem (Mittel-Ziel) Überlegen verwendet werden (wie in (PÜ)). 2

Dies ist ein abgeleitetes Beispiel aus Austin (1961), 123-152.

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60 Minimales Tätigsein

Tätigsein tritt graduell auf. Der generische „Tätige“ wie ich ihn gerade charakterisiert habe, kann als minimal Tätiger erachtet werden. Dann gilt: Minimales Tätigsein =df die Fähigkeit, etwas zu tun, das nur durch Einstellungen erklärbar ist, die bei praktischem (Mittel-Ziel) Überlegen verwendet werden. Rationales Tätigsein Manche Tätige sind mehr als minimal Tätige. Eine rational Tätige (wie ich sie nennen werde) ist eine minimal Tätige, welche die Fähigkeit zweiter Ordnung hat, ihre Überzeugungen und Wünsche zu bewerten. Sie hat nicht nur Überzeugungen, Wünsche und Absichten, sondern weiß auch, dass sie Überzeugungen, Wünsche und Absichten hat. Eine rational Tätige überlegt nicht nur, was sie tun will, sondern kann auch Präferenzen und Ziele reihen, Überzeugungen bewerten und versuchen, Konflikte zwischen ihnen zu lösen. Sie kann nicht nur überlegen, was sie tun will, sondern auch, welche Überzeugungen, Wünsche und Absichten sie haben sollte. Sie kann Wünsche zweiter Ordnung über ihre Wünsche haben. Sie kann entscheiden, welche Art von Person sie sein will, und kann sich bemühen, den Charakter zu bekommen, den sie haben will. Sie kann ihre Wünsche nicht nur als ihre eigenen identifizieren, sondern auch Wünsche (zweiter Ordnung) nach Wünschen (erster Ordnung) haben, die sie haben möchte.3 Daher: Rationales Tätigsein =df minimales Tätigsein + Besitz von angemessenen Einstellungen zweiter Ordnung (z.B. Wünsche hinsichtlich der eigenen Wünsche). Moralisches Tätigsein Ein moralisch Tätiger zu sein heißt, verantwortlich zu sein für das, was man tut, Urteilen von Lob und Tadel unterworfen zu sein. Moralisches Tätigsein erfordert nicht nur, dass man Einstellungen zweiter Ordnung im Allgemeinen hat, wie sie ein rational Tätiger hat, sondern auch, dass man 3

Siehe Frankfurt (1971), 5-20.

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sehr spezifische Einstellungen zweiter Ordnung hat: Um ein moralisch Tätiger zu sein, muss man fähig sein, die Tatsache anzuerkennen, etwas zu tun und früher getan zu haben (wie in (ET)). Moralisches Tätigsein =df rationales Tätigsein + Einsehen, dass man etwas tut und in der Vergangenheit getan hat. Für wie viel von dem, was eine moralisch Tätige tut, ist sie moralisch verantwortlich? Meiner Ansicht nach ist eine moralisch Tätige außer Kraft setzbar verantwortlich für alles, was sie tut (in Übereinstimmung mit (ET)). Damit meine ich, dass gewöhnlich eine moralisch Tätige moralisch für alles verantwortlich ist, was sie herbeiführt, das nur durch Bezug auf ihre Überzeugungen, Wünsche und Absichten angemessen erklärt werden kann. Eine moralisch Tätige ist für ihre Tätigkeiten verantwortlich, außer es gibt besondere Bedingungen, welche die Verantwortung zu Fall bringen. Für ihre Tätigkeiten moralisch verantwortlich zu sein ist der Standardzustand für Tätige, die erfassen, dass sie etwas tun und in der Vergangenheit etwas getan haben. Die Bedingungen, welche eine Anschuldigung moralischer Verantwortung zu Fall bringen, sind laut Tradition Nichtwissen und Beeinträchtigung – Nichtwissen eines Tätigen von relevanten nichtmoralischen Handlungsumständen oder Beeinträchtigung durch eine von außen einwirkende Kraft oder andere Tätige. Es gibt Standardbeispiele für jede der beiden Arten von Bedingungen. Ein Beispiel für Nichtwissen eines relevanten nichtmoralischen Umstands ist das Nichtwissen, dass die Brücke, auf die Sie mit dem Schulbus zusteuern, weggeschwemmt wurde. Angenommen, Sie sind ein aufmerksamer Schulbusfahrer, voll Sorge für die jungen Leute. An einem unglücklichen Tag jagen Sie den Schulbus in den reißenden Fluss. Dass Sie den Bus in den Fluss gelenkt haben, war eine Tätigkeit von Ihnen. Sie ist intentional erklärt durch Ihre Einstellungen: Sie wollten die Kinder heil nach Hause bringen, und Sie dachten, so zu fahren wie Sie es taten, sei der beste Weg, die Kinder heil nach Hause zu bringen (wie in der Vergangenheit). Trotzdem sind Sie nicht moralisch verantwortlich für die Verletzung der Kinder. Es gab keine Möglichkeit für Sie, zu erfahren, dass die Brücke von einem Blitzschlag getroffen und weggeschwemmt wurde. Ihr Nicht-

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wissen der Umstände bringt die Anklage der moralischen Verantwortung zu Fall. Die zweite Art von zu Fall bringender Bedingung ist Beeinträchtigung dessen, was die Tätige tut. Ein häufig benutztes Beispiel dafür ist der weit hergeholte Fall des verrückten Neurowissenschaftlers, welcher das Gehirn der Tätigen so manipuliert, dass sie etwas tut, das sie sonst nicht getan hätte. Nötigung und Zwang zählen auch als außer Kraft setzende Bedingungen, die mit der Tätigkeit der Tätigen interferieren. Leider können wir nicht alle Umstände aufzählen, welche die Anklage für moralische Verantwortung zu Fall bringen. Dies ist im weiten Sinn eine aristotelische Sicht moralischer Verantwortung, und ich meine, dass sie richtig ist. Ich habe drei Arten von Tätigsein besprochen: minimales Tätigsein, rationales Tätigsein, moralisches Tätigsein. Nun wollen wir uns Personen und Ersten-Person-Perspektiven zuwenden. 2. Personen und Erste-Person-Perspektiven Was ist nun eine Person? Eine Person, so meine ich, ist ein Wesen, das wesentlich eine Erste-Person-Perspektive hat. Sie und ich, wir haben robuste Erste-Person-Perspektiven; wir haben eine einzigartige begriffliche Fähigkeit, an uns als uns selbst zu denken – nicht nur zwischen uns und anderen zu unterscheiden, sondern auch die Unterscheidung zwischen uns und anderen begrifflich zu fassen. Wir haben die begriffliche Fähigkeit, an uns zu denken ohne einen Namen, eine Beschreibung oder einen anderen Ausdruck in dritter Person zu verwenden. Ich kann unterscheiden zwischen den Gedanken „Ich bin froh, dass ich glücklich bin“ und „Ich bin froh, dass Lynne Baker glücklich ist“. Ich könnte auch dann froh sein, dass ich glücklich bin, wenn ich unter Amnesie leiden und nicht wissen würde, dass Lynne Baker glücklich ist. Um zwischen Gedanken an mich als mich und Gedanken an mich als Lynne Baker oder als die höchst gewachsene Frau im Raum oder als die Person im Spiegel zu unterscheiden, muss ich eine robuste Erste-Person-Perspektive haben.4 4

Wir können die Eigen- oder Fremdzuschreibung einer robusten Ersten-PersonPerspektive mit Hilfe eines Asterisk „*“ angeben. Um mir selbst eine robuste Erste-

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Wir machen nicht nur Erfahrungen, sondern wir wissen auch, dass wir Erfahrungen machen. Wir haben nicht nur Überzeugungen und andere Einstellungen, sondern wir wissen auch, dass wir sie haben. Wir interagieren nicht nur mit Dingen in unserer Umgebung, sondern wir wissen auch, dass wir dies tun. Eine robuste Erste-Person-Perspektive befähigt uns, zu wissen, dass wir (wir selbst) mit Dingen in unserer Umgebung interagieren, und zu wissen, dass wir (wir selbst) Erfahrungen machen. Eine robuste Erste-Person-Perspektive ist eine Eigenschaft, die eine differenzierte begriffliche Fähigkeit erfordert. Ich nehme einen starken Einwand vorweg: Ein menschlicher Säugling hat nicht die begrifflichen Mittel, an sich selbst als sich selbst zu denken. Er macht Erfahrungen und interagiert mit den Dingen in seiner Umgebung, aber er hat keinen Erste-Person Begriff von sich selbst als sich selbst. Impliziert dies, dass menschliche Säuglinge keine Personen sind, dass eine Person erst dann ins Dasein kommt, wenn eine begriffliche Fähigkeit vorhanden ist, an sich selbst als sich selbst zu denken? Nein. Obwohl wir Sprachbenützer robuste Erste-Person-Perspektiven haben, beginnen menschliche Personen mit rudimentären Erste-PersonPerspektiven.5 Ein Wesen hat eine rudimentäre Erste-Person-Perspektive dann und nur dann, wenn (i) es ein empfindendes [sentient] Wesen ist, (ii) es eine Fähigkeit zur Nachahmung hat, und (iii) es sich so verhält, dass dies nur durch Zuschreibung von Überzeugungen, Wünschen und Absichten angemessen erklärbar ist. Dies sind die Arten von Eigenschaften – Eigenschaften, welche Personen ausmachen, im Unterschied z.B. zur Eigenschaft, ein Herz zu haben –, die wir auf spezifische Weise mit einer Person verbinden. Man beachte, dass ich rudimentäre Erste-Person-Perspektiven nicht mit Hilfe des Begriffs der Potentialität definiere. Die Eigenschaft, ein empfindendes, intentionales Wesen mit der Fähigkeit zur Nachahmung zu

5

Person-Perspektive zuzuschreiben, wie in „Ich glaube, dass ich in Wien bin“, werde ich schreiben: „Ich glaube, dass ich* in Wien bin“. Um Ihnen eine robuste Erste-Person-Perspektive zuzuschreiben, wie in „Sie glauben, dass Sie in Wien sind“, werde ich schreiben: „Sie glauben, dass Sie* in Wien sind.“ Es gibt nicht einen genau angebbaren Moment, an dem eine Person ins Dasein kommt. In der natürlichen Welt kommt alles graduell ins Dasein – Personen, Organismen, Artefakte, Kunstwerke.

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sein, heißt nicht, eine Art von Potential zu haben. Der Ausdruck „Fähigkeit“ sollte als eine vorliegende Fähigkeit verstanden werden, nicht als eine Fähigkeit, eine Fähigkeit zu entwickeln.6 Aus der Sicht der Entwicklungspsychologen spricht viel dafür, dass neugeborene Kinder diese Bedingungen für rudimentäre Erste-Person-Perspektiven erfüllen. (i) Kleinkinder sind offensichtlich empfindungsfähig. (ii) Sie weisen bereits im Alter von 42 Minuten von Natur aus Imitationsverhalten auf: Sie imitieren es, die Zunge herauszustrecken oder den Mund zu öffnen.7 (iii) Und Kleinkinder zeigen offensichtlich abwehrendes Verhalten als Reaktion auf ein sich näherndes Objekt.8 Da Kleinkinder empfindende, intentionale Wesen mit Imitationsfähigkeit sind, haben sie rudimentäre Erste-Person-Perspektiven und sind Personen. Dieser Schluss bringt einen weiteren Einwand mit sich: Viele nichtmenschliche Säugetiere – nicht nur nicht-menschliche Primaten, sondern auch Hunde, Katzen und andere Tiere – erfüllen ebenfalls die Bedingungen dafür, rudimentäre Erste-Person-Perspektiven zu haben. Wenn der Ansatz einer rudimentären Erste-Person-Perspektive in einem menschlichen Organismus den Beginn einer Person anzeigt, warum zeigt der Ansatz einer rudimentären Erste-Person-Perspektive zum Beispiel in einem Schimpansen nicht den Beginn einer Person an? Die Antwort lautet, dass Schimpansen nicht zu Arten gehören, welche robuste Erste-Person-Perspektiven aufweisen.9 Der Unterschied zwischen einem menschlichen Kleinkind und einem Schimpansen liegt darin, dass das menschliche Kleinkind zu einer Art gehört, welche typischerweise eine robuste Erste-Person-Perspektive aufweist. Das Kleinkind ist eine Person, die durch einen menschlichen

6 7

8

9

Die Unterscheidung zwischen einer vorliegenden Fähigkeit und einer Fähigkeit, eine Fähigkeit zu haben, wird anschaulich gemacht von Pasnau (2002), 115. „Diese Daten beweisen direkt, dass eine primitive Fähigkeit zu imitieren Teil der biologischen Ausstattung des normalen Kindes ist“, sagen Gopnik / Meltzoff (1999), 171. Dieses abwehrende Verhalten bei Kleinkindern im Alter von 10 Tagen hat drei Komponenten: Kleinkinder erweitern die Augen, ziehen den Kopf ein und fahren mit den Händen zwischen Gesicht und Objekt. Siehe Bower (1974), 84. Povinelli / Prince (1998) berichten, dass „es wenig Anzeichen dafür gibt, dass Schimpansen überhaupt etwas von mentalen Zuständen verstehen.”

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Organismus konstituiert ist, wie ich später erläutern werde. Der Schimpanse ist einfach ein Organismus. Die Beziehung zwischen dem menschlichen Organismus und der menschlichen Person (oder dem menschlichen Lebewesen) ist das, was ich „Konstitution“ nenne: Konstitution ist eine vollkommen allgemeine Beziehung von Einheit-ohne-Identität zwischen Dingen zweier grundlegend verschiedener Arten: ein Stück Bronze und eine Statue; ein Stück Plastik und ein Führerschein; ein menschlicher Organismus und eine menschliche Person. Ein Organismus ist wesentlich biologisch, aber nicht wesentlich erst-persönlich; eine Person ist wesentlich erst-persönlich, aber nicht wesentlich biologisch. (Nach dem Tod könnte eine Person einen Auferstehungsleib haben, der nicht biologisch ist.)10 So ist eine Person nicht identisch mit dem Organismus, aus dem sie besteht. Der Unterschied zwischen einem menschlichen Kleinkind und einem Schimpansen könnte klarer gemacht werden durch eine Unterscheidung zwischen dem nicht-abgeleiteten Besitz einer Eigenschaft und dem abgeleiteten Besitz einer Eigenschaft.11 Ein Wesen x hat die Eigenschaft F auf abgeleitete Weise dann und nur dann, wenn x F kraft seiner Konstitutionsbeziehungen zu etwas hat, das F auf nicht-abgeleitete Weise hat. Wenn ein menschlicher Organismus eine rudimentäre Erste-Person-Perspektive entwickelt, dann kommt ein neues Wesen – eine Person – ins Dasein. Der menschliche Organismus konstituiert dann eine Person, welche die rudimentäre Erste-Person-Perspektive wesentlich hat. Der Organismus hat dann die rudimentäre Erste-Person-Perspektive auf abgeleitete Weise – kraft der Tatsache, dass er etwas (eine Person) konstituiert, das er auf nicht-abgeleitete Weise hat. Wenn ein Schimpanse eine Erste-Person-Perspektive entwickelt, so kommt kein neues Wesen ins Dasein. Die rudimentäre Erste-Person-Perspektive ist also nicht abgeleitet – das heißt: sie hängt nicht von irgendwelchen Konstitutionsbeziehungen ab. Ein Schimpanse ist grundlegend ein Tier [animal] – ein Wesen, das eine Erste-Person-Perspektive kontingenterweise hat; ein menschliches Kleinkind ist

10 11

Siehe Rudder Baker (2007), 333-348. Es mag sein, dass nicht alle Eigenschaften auf abgeleitete Weise besessen werden. Siehe Rudder Baker (2007).

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grundlegend eine Person – ein Wesen, das eine Erste-Person-Perspektive wesentlich hat. Um es metaphorisch auszudrücken: Wenn ein menschlicher Organismus eine rudimentäre Erste-Person-Perspektive entwickelt, dann gibt er sie der Person, welche der Organismus konstituiert, weiter; und der Organismus hat die rudimentäre Erste-Person-Perspektive auf abgeleitete Weise (kraft dessen, dass er eine Person konstituiert) und kontingenterweise (kraft dessen, dass er existiert, bevor er fähig ist, eine Erste-Person-Perspektive aufrecht zu erhalten). Die Person hingegen hat die rudimentäre Erste-PersonPerspektive auf nicht-abgeleitete Weise und wesentlich. Wenn der Schimpanse eine rudimentäre Erste-Person-Perspektive entwickelt, so hat der Schimpanse nichts, dem er sie weitergeben könnte; es wird nichts weiter konstituiert. Eine rudimentäre Erste-Person-Perspektive ist eine funktionale Eigenschaft, welche in menschlichen und nicht-menschlichen Organismen unterschiedliche Rollen hat. In nicht-menschlichen Organismen hat eine rudimentäre Erste-Person-Perspektive eine rein biologische Rolle für Überleben und Fortpflanzung. In menschlichen Organismen hat eine rudimentäre Erste-Person-Perspektive eine zusätzliche Rolle: eine Person ins Dasein zu bringen, die der Organismus dann konstituiert. Die neu existierende Person hat eine rudimentäre Erste-Person-Perspektive auf nicht-abgeleitete Weise, und der menschliche Organismus hat sie auf abgeleitete Weise. Normalerweise beginnt die neu existierende Person eine robuste Erste-Person-Perspektive zu entwickeln. Obwohl also eine erwachsene Person eine robuste Erste-Person-Perspektive hat, so kommt eine Person ins Dasein, wenn ein menschlicher Organismus eine rudimentäre Erste-Person-Perspektive entwickelt. Kurz: (MP) x konstituiert eine menschliche Person zum Zeitpunkt t dann und nur dann, wenn x ein menschlicher Organismus ist (nichtabgeleitet) und x eine rudimentäre oder robuste Erste-PersonPerspektive zu t hat. (MP) betrifft nur menschliche Personen, die notwendigerweise körperlich sind (obwohl sie nicht notwendigerweise jene Körper haben, die sie ha-

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ben). Vielleicht gibt es nicht-menschliche Personen – Silikon-Personen (konstituiert durch die Verbindung von Silikonteilen) oder Gott (der nicht durch etwas konstituiert ist). (MP) schweigt über nicht-menschliche Personen. Ich vermute, dass die Entwicklung einer robusten Ersten-Person-Perspektive Hand in Hand geht mit dem Erlernen einer natürlichen Sprache. Gewiss sind unsere Hinweise, die für robuste Erste-Person-Perspektiven sprechen, sprachlich: Das Wesen, das behauptet, „Ich wünschte, dass ich ein Filmstar wäre,“ bezieht sich nicht nur auf sich selbst (mittels des ersten Vorkommens von „Ich“), sondern schreibt sich auch einen Bezug in erster Person zu (mittels des zweiten Vorkommens von „ich“). Diese Art von Behauptung manifestiert eine robuste Erste-Person-Perspektive. Sobald ein Kleinkind mehr über sein physisches und soziales Umfeld lernt, sobald es sprechen lernt, erweitern sich seine begrifflichen Fähigkeiten explosionsartig. Es kann viel mehr und verschiedene Arten von Gedanken hegen. Wenn es entdeckt, ein Subjekt von Erfahrungen unter anderen solchen Subjekten zu sein, erwirbt es eine robuste Erste-Person-Perspektive. Aber die Person, die es ist, hat schon seit der Zeit existiert, in welcher der Organismus, der es konstituiert, soweit entwickelt war, eine rudimentäre Erste-Person-Perspektive aufrecht zu erhalten. Zusammenfassend: Personen haben Erste-Person-Perspektiven wesentlich. [Menschliche] Personen sind konstituiert durch Organismen, welche Erste-Person-Perspektiven nicht-wesentlich haben. 3. Personen und Tätige Die große Trennlinie besteht zwischen solchen Tätigen, die robuste ErstePerson-Perspektiven haben und solchen Tätigen, die nur rudimentäre Erste-Person-Perspektiven haben. Ich werde zeigen, dass alle Tätigen rudimentäre Erste-Person-Perspektiven haben und dass alle Wesen mit rudimentären Erste-Person-Perspektiven – seien sie nun menschlich oder nicht – minimal Tätige sind; dass aber nur Wesen mit robusten Erste-PersonPerspektiven rational und moralisch Tätige sind.

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Hier sind einige Hinweise, die dafür sprechen, dass alle Personen und einige Wesen, die keine Personen sind, minimal Tätige sind. Man denke zunächst an Indizien, die dafür sprechen, dass Kleinkinder (Personen mit rudimentärer Erste-Person-Perspektive) minimal Tätige sind. Bereits mit zwei Monaten zeigen Kleinkinder Problemlösungsverhalten. Wenn ein Experimentator ein Licht installiert, das ein Kleinkind durch die Bewegung des Kopfes nach links einschalten kann, dann lernen die meisten Kleinkinder schnell, dass ihre Kopfbewegung nach links das Licht einschaltet. Sie schalten das Licht immer wieder ein und dann nimmt die Rate der Kopfbewegungen nach links dramatisch ab. Der Experimentator verändert dann die Bedingungen, sodass das Licht durch eine rechte Kopfbewegung eingeschaltet wird. Wenn das Kleinkind den Kopf nach links bewegt, geht das Licht nicht mehr an. Es macht eine schnelle Abfolge von Linksbewegungen. Früher oder später bewegt es den Kopf nach rechts, und das Licht schaltet sich ein. Dem folgt eine hohe Anzahl an Kopfbewegungen nach rechts, die dann abnehmen. Mit Änderungen der Experimentsbedingungen kann ein Kleinkind auch komplexe Folgen von Bewegungen meistern, wie etwa rechts-rechts-links-links. Das Kleinkind scheint wenig Interesse am Licht selbst zu haben. Es schaut nur, ob es an ist ohne ihm weitere Aufmerksamkeit zu schenken. Ein Experimentator bemerkte: „Das Kleinkind scheint Hypothesen zu testen und Bewegungsfolgen auszuprobieren, um herauszufinden, welche im Moment funktioniert. Wenn die richtige Folge entdeckt ist, wird sie einige Male getestet und dann fallen gelassen [...] Aus dem Verhalten der Kleinkinder ist recht offensichtlich, dass die Lichtquelle nicht der motivierende Faktor ist [...] [Es] scheint, dass die Lust am Problemlösen hinreichend ist, um Kleinkinder zu körperlicher und geistiger Tätigkeit zu motivieren.“12 Als Problemlöser sind Kleinkinder minimal Tätige. Man beachte darüber hinaus einige wissenschaftliche Gründe dafür, dass einige nicht-menschliche Sinnenwesen minimal Tätige sind. Die Zeitschrift Science berichtet über eine Untersuchung, die zeigt, dass Bonobos und Orang-Utans nicht nur Werkzeuge verwenden können, um eine Frucht 12

Siehe Bower (1974), 8-9. Danke an Gareth B. Matthews, der mich auf diese Quelle hinwies.

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aus einem mechanischen Apparat herauszubekommen, sondern dass sie auch vorausplanen können.13 Man brachte ihnen zuerst bei, ein Werkzeug zu verwenden, um eine Frucht aus einem mechanischen Apparat herauszubekommen. Weiter gab man ihnen Werkzeuge, von denen einige für die Aufgabe geeignet waren, andere nicht. Dann nahm man sie aus dem Testraum, brachte sie in einen Warteraum und nach einer Stunde wieder zurück in den Testraum. Maßgeblich öfter als durch Zufall vorhergesagt, nahmen die Affen geeignete Werkzeuge und brachten sie nach der Wartezeit wieder mit sich. Wir haben also starke Gründe dafür, dass Kleinkinder (Personen) und nicht-menschliche höhere Tiere (die keine Personen sind) Tätige sind. Diese Gründe stützen empirisch meine Definitionen von „rudimentärer Erste-Person-Perspektive“ und „minimal Tätige“, zusammen mit der These (PÜ).14 Aus diesen Definitionen folgt, dass jedes Wesen mit rudimentärer Erste-Person-Perspektive – ob menschlich oder nicht – ein minimal Tätiges ist. Die Gründe legen es nahe, dass die Definitionen tatsächlich durch wirkliche Wesen erfüllt werden. Aus meiner Theorie von Personen ergibt sich ein großer Unterschied zwischen minimal Tätigen einerseits und rational und moralisch Tätigen 13

14

“Apes Able to Think Ahead,” Scientific American.com, May 19, 2006. http://www.sciam.com/print_version.cfm?articleID=000C4698-F1DE-146CB1DE83414B. Zugegriffen am 23.05. 2006. Die Affen „wählten ein geeignetes Werkzeug aus, transportierten es und bewahrten es auf, nicht, weil sie es im Augenblick brauchten, sondern weil sie es in Zukunft brauchen würden.” Hier ist das Argument: 1. Wenn x eine rudimentäre Erste-Person-Perspektive hat, dann ist x fähig, ein Verhalten einzunehmen, das nur durch die Zuschreibung von Überzeugungen, Wünschen und Absichten erklärbar ist. (Aus der Definition von „rudimentäre Erste-Person-Perspektive“) 2. Wenn x fähig ist, ein Verhalten einzunehmen, das nur durch Zuschreibung von Überzeugungen, Wünschen und Absichten erklärbar ist, dann ist x fähig, praktisches (Mittel-Ziel) Überlegen auszuüben. (aus PÜ) 3. Wenn x fähig ist, ein Verhalten einzunehmen, das nur durch Zuschreibung von Überzeugungen, Wünschen und Absichten erklärbar ist, das in praktischem (Mittel-Ziel) Überlegen verwendet wird, dann ist x ein minimal Tätiges. (aus 1, 2 und der Definition von „minimal Tätiges“) ∴ 4. Wenn x eine rudimentäre Erste-Person-Perspektive hat, dann ist x ein minimal Tätiges.

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andererseits. Rational und moralisch Tätige erfordern Einstellungen zweiter Ordnung. Jeder, der eine Einstellung zweiter Ordnung hat, hat eine robuste Erste-Person-Perspektive. Es folgt dann, dass alle rational und moralisch Tätigen robuste Erste-Person-Perspektiven haben. Weiters ist das Umgekehrte wahr für alle rational Tätigen: Alle Wesen mit robusten ErstePerson-Perspektiven sind rational Tätige. Aber ich bin nicht sicher bezüglich des Umkehrschlusses für moralisch Tätige. Ich weiß nicht, ob alle Wesen mit robusten Erste-Person-Perspektiven moralisch Tätige sind oder nicht. Wenn es möglich ist, eine Art von Amnesie zu haben, sodass man nicht weiß, etwas in der Vergangenheit getan zu haben, obwohl man immer noch andere Arten von Gedanken zweiter Ordnung hat, so wäre eine Person, die daran leidet, keine moralisch Tätige.15 Zusammenfassend: Ein Wesen x ist dann und nur dann ein minimal Tätiges, wenn x eine rudimentäre Erste-Person-Perspektive hat; x ist dann und nur dann ein rational Tätiges, wenn x eine robuste Erste-Person-Perspektive hat, und x ist nur dann ein moralisch Tätiges, wenn x eine robuste Erste-Person-Perspektive hat. Da alle rational und moralisch Tätigen robuste Erste-Person-Perspektiven haben, sind alle rational und moralisch Tätigen Personen. Ich versuche, diese Beziehungen in drei Abbildungen zusammenzufassen: Abbildung 1 zeigt, dass alle und nur Wesen mit rudimentären Erste-Person-Perspektiven (ob nun Personen oder nicht) Tätige sind; Abbildung 2 zeigt, dass alle rational und moralisch Tätigen robuste Erste-Person-Perspektiven haben. Abbildung 3 zeigt, dass alle Personen (Wesen, die wesentlich Erste-Person-Perspektiven haben) minimal, rational und/oder moralisch Tätige sind.

15

Eine schizophrene Person jedoch mit robuster Erste-Person-Perspektive und dem Wissen, etwas in der Vergangenheit getan zu haben, wäre immer noch eine moralisch Tätige. Wenn es aber für alles, was sie tat, eine moralisch außer Kraft setzende Bedingung gäbe, könnte es sein, dass es nichts gäbe, wofür sie verantwortlich wäre.

Tätigsein und die Erste-Person-Perspektive

Minimales Tätigsein

Rationales und moralisches Tätigsein

rudimentäre EPP

nicht-menschliche Org.

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robuste EPP

menschliche Org. (abgeleitete EPP)16

(Abbildung 1)

Person (nicht abgeleitete EPP)

(Abbildung 2)

Person

rudimentäre EPP

minimales Tätigsein

robuste EPP

spezifische Einstellungen 2. Ordnung fehlen

spezifische Einstellungen 2. Ordnung vorhanden

rationales Tätigsein

moralisches Tätigsein

(Abbildung 3)

16

Das heißt: Der menschliche Organismus hat eine rudimentäre Erste-PersonPerspektive im abgeleiteten Sinn kraft dessen, dass er etwas (eine Person) konstituiert, welche sie im nicht-abgeleiteten Sinn hat.

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4. Moralisches Tätigsein Ich möchte schließen, indem ich einen näheren Blick auf moralisches Tätigsein werfe. Ich glaube, dass moralisches Tätigsein eng damit verknüpft ist, eine robuste Erste-Person-Perspektive zu haben, dass Wesen mit robusten Erste-Person-Perspektiven moralisch für das verantwortlich sind, was sie tun, wenn es nicht eine die Verantwortung außer Kraft setzende Bedingung gibt. Andere Philosophen glauben, dass moralische Verantwortung weit mehr erfordert. Sie denken, dass man nur dann moralisch verantwortlich ist, wenn man die äußerste Kontrolle über die eigenen Handlungen hat. Diese entgegengesetzte Sicht, die ich „libertarisch freien Willen“ nenne,17 erfordert, dass wir ursprüngliche Gewalt über die Entscheidungen und Handlungen haben, für die wir verantwortlich sind.18 Diese ursprüngliche Kraft erfordert, dass unsere Entscheidungen und Tätigkeiten (zumindest jene, für die wir moralisch verantwortlich sind) ihren Ursprung nicht in etwas haben, das jenseits der Kontrolle der Tätigen liegt. So schreibt der berühmte Libertarier Roderick Chisholm: „Wenn wir verantwortlich sind, und wenn das, was ich zu sagen versucht habe, wahr ist, dann haben wir ein Prärogativ, das einige nur Gott zuschreiben würden: Jeder von uns ist, wenn er handelt, ein unbewegter erster Beweger. Im Tun dessen, was wir tun, verursachen wir, dass bestimmte Ereignisse geschehen, und nichts – oder niemand – verursacht, dass wir es verursachen, dass diese Ereignisse geschehen.“19

17

18 19

„Libertarisch freier Wille“ ist eine Abkürzung für „eine libertarische Auffassung des freien Willens“, so wie „Newtonsche Gleichzeitigkeit“ eine Abkürzung ist für „eine Newtonsche Auffassung der Gleichzeitigkeit“. Peter van Inwagen hat sich vehement über meine Verwendung eines Ausdrucks wie „libertarisch freier Wille“ beschwert. Daher setze ich fest, was „libertarisch freier Wille“ bezeichnet. Da „freier Wille“ ein philosophischer Kunstausdruck ist, hat er (pace van Inwagen) keine eindeutige vortheoretische Bedeutung. „Libertarisch freier Wille“ und „kompatibilistisch freier Wille“ sind so harmlos wie „Newtonsche Gleichzeitigkeit“ und „Einsteinsche Gleichzeitigkeit“. All diese Ausdrücke sind klar und eindeutig. Siehe Kane (1998), 4. Chisholm (1966), 11-44.

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Andernorts habe ich ausführlich dafür argumentiert, dass kein menschliches Wesen diese Art von libertarischer Kraft hat.20 Ich glaube nicht, dass moralische Verantwortung irgendwelche unverursachten Ereignisse erfordert oder die äußerste Kontrolle der Tätigen über die Tätigkeiten und Entscheidungen, für die sie verantwortlich ist. Es ist Fantasterei anzunehmen, dass man unabhängig ist von Erziehung, Charakter, Genen und Umgebung. Wir sind Ursprung der Tätigkeiten, für die wir moralisch verantwortlich sind, nur in folgendem begrenzten Sinn: Wir, Wesen mit robusten ErstePerson-Perspektiven, können überlegen und entscheiden, was wir tun. Wir sind aber nicht die Ursprünge unserer selbst oder unserer Charaktere oder der Einstellungen, die zu unseren Entscheidungen führen. Unsere ErstePerson-Perspektiven gestatten uns die begrenzte Kontrolle über unsere Charaktere und Einstellungen, die wir haben; aber, pace Libertarismus, wir sind nicht die letzte Quelle dessen, was wir tun.21 Hier möchte ich nur einige Beispiele von Tätigkeiten anführen, welche mir als paradigmatische Handlungen erscheinen, deren Vollzieher moralisch verantwortlich sind. Wenn jedoch die libertarische Sicht korrekt ist, sind die Tätigen in diesen Beispielen für ihre Tätigkeiten nicht verantwortlich. Erstens, der Führer eines Stammes – sagen wir des Stammes der Xe – will alte Untaten, welche den Vorfahren der Xe durch die Vorfahren der Ye zugefügt wurden, rächen, und er befiehlt den Xen, die Ye umzubringen. Die Quelle seines Befehls, die Ye umzubringen, liegt in den alten Untaten, welche seinen Vorfahren zugefügt wurden. Wenn seine Überzeugungen, Wünsche, Erziehung, sein Charakter, sein Verständnis der Geschichte etc. hinreichend dafür sind, dass er den Befehl erteilt, dann hat er nicht die äußerste Kontrolle, welche Libertarier für moralische Verantwortung fordern. Und wenn der Libertarismus wahr ist, sollten wir ihn nicht für das Massaker verantwortlich halten, das er befohlen hat. Zweites Beispiel: Eine Philanthropin glaubt, dass sie vielen Menschen hilft, wenn sie einem bestimmten Dorf Millionen von Dollar spendet, um 20 21

Siehe Rudder Baker (2006), 307-330; und Rudder Baker (2003), 460-478. Chisholm steht als Libertarier natürlich nicht alleine da. Andere bekannte Libertarier sind Robert Kane, Timothy O’Connor, Alvin Plantinga, Eleonore Stump und Peter van Inwagen.

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seine Wasservorräte zu reinigen. Sie will den Leuten helfen, und da sie kein Interesse daran hat, Anerkennung zu finden, gibt sie das Geld anonym. In der kausalen Geschichte ihrer Wohltätigkeit befindet sich ihre Überzeugung, dass dieses Dorf unreines Trinkwasser hat. Diese Überzeugung stammte von dem, was sie las, und was sie las wurde zum Teil durch die tatsächlichen schrecklichen Bedingungen im Dorf verursacht – worüber sie keine Kontrolle hatte. Wenn also ihre Überzeugungen etc. hinreichend sind für ihre Wohltätigkeit, ist die Philanthropin nicht der letzte Verursacher. Sie hat keine äußerste Kontrolle, da die hinreichende Bedingung ihrer Wohltätigkeit – ihre Überzeugungen, Wünsche, ihr Charakter, Wohlstand, usw. – ihre Quellen außerhalb ihrer hatte. Es ist natürlich, die Philanthropin für lobenswert zu halten. Wenn jedoch der Libertarismus wahr ist, dann ist sie nicht lobenswert. Ihre Menschenfreundlichkeit hatte Quellen, die außerhalb ihrer Kontrolle lagen. Ich denke also, dass die Berufung auf den libertarisch freien Willen kein brauchbarer Weg ist, um moralische Verantwortung zu verstehen. Wesen mit Erster-Person-Perspektive, die wissentlich und ohne Beeinträchtigung handeln, sind gewöhnlich verantwortlich für das, was sie tun. Eine robuste Erste-Person-Perspektive gibt uns begrenzte Kontrolle über unsere Wünsche. Im Unterschied zu anderen Tieren können wir entdecken, was unsere Ziele sind; wir können sie bewerten und versuchen, sie zu verändern. (Tätige mit bloß rudimentärer Erster-Person-Perspektive können aufgrund ihrer Wünsche tätig sein, sie können aber nicht versuchen, ihre Wünsche zu ändern.) Die teilweise Kontrolle über unsere Wünsche, welche durch unsere robusten Erste-Person-Perspektiven gefordert ist, hat zur Folge, dass wir auch dann nicht bloß Marionetten sind, wenn der Determinismus wahr sein sollte: Wir tragen zu dem bei, was unsere Tätigkeiten verursacht. Wir können unsere Wünsche erster Ordnung, welche unsere Absichten hervorbringen, modifizieren. Wir können versuchen, jene Personen zu werden, die wir sein möchten, auch wenn unser Wunsch, eine bestimmte Art von Person zu sein, zweifelsohne Ursachen jenseits unserer Kontrolle hat. Das Herz des Libertarismus liegt darin, dass eine Tätigkeit, für die jemand moralisch verantwortlich ist, keine hinreichenden Bedingungen hat, die jenseits der Kontrolle der Tätigen liegen. Ich möchte hier nicht den

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Begriff der moralischen Verantwortung zu analysieren versuchen. Ich möchte nur eine hinreichende Bedingung dafür vorschlagen, dass eine Tätige für eine Entscheidung oder Tätigkeit X moralisch verantwortlich ist. Diese hinreichende Bedingung ist eine Abwandlung der Bedingung von Harry Frankfurt.22 Ich nenne sie die „Reflektierte-Billigungs-Ansicht“: (RB) Eine Tätige S ist verantwortlich für eine Entscheidung oder eine Tätigkeit X, wenn X geschieht und: (i) S will X, (ii) S will es, X zu wollen (iii) S will X, weil sie es will, X zu wollen, und (iv) S würde auch dann X wollen, wenn sie die Herkunft ihres Willens, X zu wollen, kennen würde.23 Das heißt: Eine Tätige ist moralisch verantwortlich für etwas, auch wenn ihre Gründe dafür, dies zu tun, auf Faktoren jenseits ihrer Kontrolle zurückführbar wären – vorausgesetzt, dass sie dennoch auf die Weise gehandelt hätte, auf die sie gehandelt hat, wenn sie gewusst hätte, woher ihre Gründe gekommen waren. Die gesamte Sicht von (RB) ist mit Voraussetzungen einer robusten Erste-Person-Perspektive besetzt. Die Bedingungen (ii), (iii) und (iv) erfordern ausdrücklich, dass S eine robuste Erste-PersonPerspektive hat. (RB) zeigt, dass eine hinreichende (aber nicht notwendige) Bedingung dafür, dass ein Tätiger für seine Tätigkeit moralisch verantwortlich ist, darin besteht, dass der Tätige die Überzeugungen und Wünsche, aufgrund deren er handelt, billigt. Er bejaht sie als seine eigenen. Wenn er aufgrund solcher Wünsche handelt, ist er – der Tätige selbst, nicht bloß einige Er-

22 23

Frankfurt (1971), 5-20. Zu sagen, dass S auch dann X wollen würde, wenn sie die Herkunft ihres Willens, X zu wollen, kennen würde, bedeutet: Wenn S gewusst hätte, dass ihr Wille, X zu wollen, kausale Antecedentien hat, welche auf Faktoren zurückgehen, die jenseits ihrer Kontrolle liegen, und wenn sie gewusst hätte, dass diese kausalen Antecedentien in der kausalen Geschichte ihres Willens, X zu wollen, eine Rolle spielen, und dass sie jenseits ihrer Kontrolle liegen, dann hätte sie immer noch X gewollt, und es gewollt, X zu wollen, und X gewollt, weil sie es wollte, X zu wollen.

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eignisse, die in ihm ablaufen – in das, was er tut, einbezogen.24 Wenn ich sagen kann: „Diese Wünsche spiegeln wider, wer ich bin, und das ist die Art von Person, die ich sein will,“ dann bin ich sicherlich moralisch verantwortlich, wenn ich aufgrund dieser Wünsche handle – ob nun die Quellen dieser Wünsche jenseits meiner Kontrolle waren oder nicht. Dies macht den Determinismus für moralische Verantwortung irrelevant. 5. Ergebnis Personsein und Tätigsein sind also eng aber nicht offensichtlich aufeinander bezogen. Wir haben gesehen, dass alle Personen Tätige sind, dass aber nicht alle Tätigen (z.B. Schimpansen, Hunde) Personen sind. Und wir haben gesehen, wie alle rational und moralisch Tätigen Personen sind, aber nicht alle Personen (z.B. Kleinkinder) rationale und moralisch Tätige. Was diese Verflechtungen rechtfertigt, ist die Tatsache, dass die Konstitutions-Sicht zugleich die Fugenlosigkeit des Reichs der Sinnenwesen [animal] und die ontologische Einzigartigkeit von Personen erfasst. Konkurrierende Sichtweisen bejahen entweder die Fugenlosigkeit des Reichs der Sinnenwesen und lassen die ontologische Einzigartigkeit von Personen aus (wie es der Naturalismus typischerweise tut), oder bejahen die ontologische Einzigartigkeit von Personen und lassen die Fugenlosigkeit des Reichs der Sinnenwesen aus (wie es der Dualismus typischerweise tut). Ich kenne außer der Konstitutions-Sicht keine Sichtweise, welche beides bejaht: die Einheit des Reichs der Sinnenwesen und die ontologische Einzigartigkeit von Personen.25

24

25

Gemäß der Konstitutions-Sicht hat der Tätige irreduzible Personen-Zustände, die (vielleicht) durch Gehirnzustände konstituiert sind, mit denen aber die PersonenZustände nicht identisch sind. Ich danke Gareth B. Matthews, mit dem ich ein Doktorandenseminar über die Erste-Person-Perspektive leitete, und von dem ich so viel gelernt habe.

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Literaturangaben Austin, John L. (1961), A Plea for Excuses, in: Austin, John L. (1961), Philosophical Papers. Oxford: Clarendon Press, 175-204. Bower Thomas G.R. (1974), Development in Infancy. San Francisco: W.H. Freeman and Co. Chisholm, Roderick (1966), Freedom and Action, in: Lehrer, Keith, ed. (1966), Freedom and Determinism. New York: Random House, 11-44. Frankfurt, Harry (1971), Freedom of the Will and the Concept of a Person, in: Journal of Philosophy 68 (1971), 5-20. Gopnik, Alison / Meltzoff, Andrew N. (1994), Minds, Bodies, and Persons: Young Children’s Understanding of the Self and Others as Reflected in Imitation and Theory-of-Mind Research, in: Parker, Sue / Mitchell, Robert / Boccia, Maria, eds. (1994), Self-Awareness in Animals and Humans. Cambridge: Cambridge University Press, 166-184. Kane, Robert (1998), The Significance of Free Will. New York: Oxford University Press. Pasnau, Robert (2002), Thomas Aquinas on Human Nature. Cambridge: Cabridge University Press. Povinelli, Daniel J. / Prince, Christopher G. (1998), When Self Met Other, in: Ferrari, Michel / Sternberg, Robert J., eds. (1998), Self-Awareness. New York: The Guilford Press, 37-107. Rudder Baker, Lynne (2003), Why Christians Should Not Be Libertarians: An Augustinian Challenge, in: Faith and Philosophy 20, 460-478. Rudder Baker, Lynne (2006), Moral Responsibility Without Libertarianism, in: Noûs 40/2, 307-330. Rudder Baker, Lynne (2007), Persons and the Metaphysics of Resurrection, in: Religious Studies 43, 333-348. Rudder Baker, Lynne (2007), The Metaphysics of Everyday Life: An Essay in Practical Realism. Cambridge: Cambridge University Press.

Personsein – Indexikalität – Selbstbewusstsein Thomas Schärtl, Washington D.C. Drei derartig aufgeladene Ausdrücke in einer Überschrift zusammen zu spannen ist philosophischer Leichtsinn, eigentlich unverantwortlich. Man kann mit der Frage, was Personen sind, ein Leben verbringen. Das Gleiche gilt für das Rätsel Selbstbewusstsein. Man wird wohl kaum über dieses Thema schreiben wollen, ohne sich am Ende in die Debatten im Kontext des Deutschen Idealismus hineinzuwühlen. Nicht unbedingt einfacher ist die Situation beim Themenfeld Indexikalität. Die beeindruckende Studie von Eros Corazza1 belegt, dass allein die akkurate semantische und logische Analyse dieses Phänomens ein kompliziertes Unterfangen darstellt. 1. Problemzusammenhänge Andererseits steht die Verzahnung dieser Themen für eine Art philosophische Schule, in deren Tradition ich mich hineinbegebe: Klaus Müller hat in seiner Habilitationsschrift das semantische Phänomen der Indexikalität mit Selbstbewusstseinsphilosophie verklammert (angeleitet von Autoren, die u.a. auch aus dem Kontext der sprachanalytischen Philosophie stammen) – eine Klammer, die vielleicht dabei helfen könnte, den eigenartigen Status von Personen (in einem Universum voller Dinge) zu klären.2 Ich werde ebenfalls versuchen, über den Status von Personen im Umweg über das Phänomen der Selbstreferenz etwas zu sagen. Man kann nicht verschweigen, dass an die Verbindung dieser Begriffe auch eine Erwartungshaltung geknüpft ist und dass es, umgekehrt, Befürchtungen gibt, die adressiert werden müssen. Die erste Erwartungshaltung bezieht sich auf ein mögliches epistemologisches Guthaben, das sich aus einer Analyse des Selbstbewusstseins gewinnen ließe – eine erste, unumstößliche Gewissheit oder ein Schatz von Wissen, der uns über alle 1 2

Vgl. Corazza (2004). Vgl. Müller (1994).

Niederbacher, Bruno / Runggaldier, Edmund, Hgg. (2008), Was sind menschliche Personen? Ein akttheoretischer Zugang. Heusenstamm: Ontos Verlag, 79-115.

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möglichen Zweifel hinweghelfen könnte. Ob sich dies am Ende nicht jedoch als ungerechtfertigter philosophischer Spekulationsgewinn herausstellt, müsste eigens diskutiert werden. Die zweite Erwartung bezieht sich auf aktuelle Auseinandersetzungen mit dem Naturalismus. Edmund Runggaldier hat wiederholt darauf hingewiesen, dass die Irreduzibilität der Ich-Perspektive dem Programm einer vollständigen Naturalisierung gewissermaßen ein logisches Ende setzen muss.3 Unter vollständiger Naturalisierung wäre hier – vorsichtig formuliert – eine vollständige Weltbeschreibung aus der Dritten-Person-Perspektive allein und nur unter Heranziehung von physikalischen Eigenschaftsbestimmungen zu verstehen. Nicht um die Wiederaufnahme einer an und für sich spannenden Diskussion – verbunden mit der Frage, wieso sich die Ich-Perspektive nicht naturalisieren lässt, sondern um die ontologischen Folgefragen geht es im folgenden Beitrag vorrangig. Und das bringt mich zu den Befürchtungen: Man kann nicht leugnen, dass Philosophen Bauchschmerzen bekommen, wenn sie einen von „dem Selbst“, „dem Ich“ etc. reden hören. Aber worauf verpflichtet uns das Phänomen von Indexikalität und Quasi-Indexikalität genau? Müssen wir am Ende gar annehmen, dass eine Person – um hier etwas schematisierend den Theorieansatz von Ernest J. Lowe aufzunehmen4 – ein Selbst ist, das gleichsam ein ausdehnungsloses, immaterielles metaphysisches Atom darstellt und (vielleicht nur kontingenter Weise) einen Körper5 besitzt6? Diese Frage drückt eine weitere Befürchtung aus, die ebenfalls angesprochen werden muss: das Problem unbotmäßiger Verdinglichung. Stellvertretend deutlich und aussagekräftig scheint mir in 3 4 5

6

Vgl. Runggaldier (2002). Vgl. hierzu Lowe (2001). Vgl. ähnlich auch Rudder Baker (2001). Ich gestehe, dass ich mir nicht vollkommen sicher bin, ob Lynne Baker in dieser Richtung interpretiert werden möchte, weil sich dualistische Koordinaten im System einer Material-Constitution-View, der Baker zuzurechnen ist, noch einmal verschieben, so dass man am Ende zwischen der Person einerseits (wobei hier der Aspekt des Denkens und der Selbstreferenzialität eingefangen werden soll) und dem menschlichen Tier (was offenbar auf die organische Seite des Menschseins anspielt) zu unterscheiden hätte. Zur weiteren Diskussion dieses Ansatzes vgl. Olson (2007); Rudder Baker (2000). Vgl. in dieser Richtung auch Lund (2005).

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diesem Rahmen Franz von Kutscheras Warnung und Problemanzeige zu sein: Die Rede von ‘dem Ich’ suggeriert nun eine Auffassung, nach der Subjekte Gegenstände sind, die wir ebenso – wenn auch mit anderen Prädikaten – beschreiben können wie physische Dinge. Schon Kant hat aber betont, dass das ‘Ich denke’ alle meine Vorstellungen begleiten können muss. Man kann das auch so ausdrücken: Alle Aussagen, die ich mache, sind nur dann korrekt, wenn sie mit der Tatsache verträglich sind, dass ich sie mache. Ich kann mich also nicht vollständig beschreiben, weil unter den Eigenschaften, die ich mir zuspreche jene fehlt, dass ich mir all diese Eigenschaften zuspreche. […] Wenn jemand etwas über sich selbst aussagt, […] so ist durch das Pronomen ‘ich’ die Identität der Person, über die er etwas aussagt, mit ihm selbst als Sprecher deutlich. […] Wenn man aber von ‘dem Ich’ redet, so geht dieser Rückbezug verloren, und damit wird der Annahme Vorschub geleistet, man könne über sich wie über andere Gegenstände sprechen. Darin liegt auch die Problematik der Annahme seelischer Substanzen.7

Man könnte über von Kutscheras Ausführungen eigens diskutieren – seine Interpretation Kants mag lückenhaft oder zumindest disputabel sein. Analoge Anfragen könnte man an das Ideal der vollständigen Beschreibung haben, dem man – streng genommen – ja auch bei relativ simplen Dingen der Alltagswelt praktisch nicht nachkommen kann. Andererseits enthält seine Anmerkung eine berechtigte Warnung vor voreiligen Verdinglichungen, die sich bei einem ungeklärten Sprachgebrauch aufdrängen mögen. Von Kutscheras eigener Vorschlag ist jedoch durchaus wegweisend und befindet sich in einer atmosphärischen Nähe zu den hier anzustrengenden Überlegungen: Mit dem Begriff des Erkenntnissubjekts verbinden sich also eine Fülle von Konfusionen. Wir vermeiden sie, indem wir unter ‘Subjekten’ einfach Personen, Menschen im normalen Sinn dieses Wortes verstehen, nicht irgendwelche rein seelischen oder geistigen Entitäten.8

Irgendwie scheint von Kutschera vorauszusetzen, dass Personen9 keine rein seelischen oder geistigen Entitäten sind. Das leuchtet dann ein, wenn 7 8 9

Kutschera (1981), 333f. Kutschera (1981), 336. Allerdings ist der hier vorformulierte Übergang von Subjekt zu Person etwas schnell vollzogen. Mit welchem Recht und auf welcher Grundlage können wir das, was wir mit Subjekt meinen, mit Person gleichsetzen? Dieses, dem ersten Anschein nach bloß terminologische Problem hat schon deshalb Konsequenzen, weil sich im Anschluss an Dieter Henrich eine Theorieform entwickelt hat, die relativ strikt zwi-

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man sich vor Augen hält, dass wir Personen psychische und physische Eigenschaften gleichermaßen zuschreiben können. 2. Indexikalität und Quasi-Indexikalität Ob die Erkundung von Selbstreferenzialität und Indexikalität etwas für den Personbegriff abwirft, hängt in einem gewissen Rahmen davon ab, was wir meinen, wenn wir „ich“ sagen. Dabei ist der Aspekt des Meinens zunächst einmal ausgesprochen tückisch, weil wir – herkömmlicher Weise, in der Spur Freges sozusagen – beim Meinen an die Assoziation von Sinn bzw. Sinncharakteristika und an identifikatorische Spezifikationen denken könnten. Diese semantischen Werkzeuge sind erforderlich, um aufzuklären, was ich meine, wenn ich Ausdrücke wie „nachblauer BMW“ oder „Helmut Kohl“ verwende. Im Blick auf die Verwendung des Ausdrucks „ich“ sind diese Werkzeuge nicht nur überflüssig, sondern sogar störend. Wenn ich den Ausdruck „ich“ verwende, dann habe ich keine spezifischen Charakteristika vor Augen, die mir bei der Identifikation dessen, was mit

schen Subjekt- und Personperspektive unterscheidet und mit dem ersten Ausdruck die Ich-Perspektive benennt, mit dem zweiten Ausdruck jedoch die Außenperspektive, die Dritte-Person-Perspektive einzufangen sucht. Vgl. Henrich (1982), 125181; Henrich (1982), 99-124; vgl. dazu auch die Zusammenschau und Analyse bei Müller (1994), 517-557. Demgemäß sind über Selbstbewusstsein verfügende Entitäten aus der Ich-Perspektive Subjekte (weil ihnen eine unhintergehbare Selbstreferentialität eigen ist), während sie aus der Außenperspektive Personen (und damit nicht bloß Dinge) sind. Auf diese begrifflichen Eigenarten zu verweisen ist aber auch deshalb wichtig, weil die von Henrich etablierte Unterscheidung einigermaßen quer zu aktuellen Anverwandlungen des Leib-Seele-Problems liegt, in denen man zwischen dem Selbst einerseits und dem biologischen Körper andererseits zu differenzieren versucht. Während die letztgenannten philosophische Diskussion ontologisch im Grunde zum Dualismus verpflichtet, der interessanterweise kein Seele-Körper-Dualismus, sondern (vielleicht sogar radikaler noch als Descartes es jemals ausbuchstabiert hatte) ein Ich-Körper-Dualismus ist, tut dies Henrichs Ansatz nicht. Er lässt sich ontologisch in verschiedene Richtungen ausdeuten (und prima facie könnte man hier ein Spektrum entwerfen, das am einen Ende einen konsequenten ontologischen Idealismus hätte und an seinem anderen Ende einen anomalen Monismus im Sinne Davidsons), was eine zunächst begrüßenswerte Flexibilität mit sich bringt.

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„ich“ gemeint ist, helfen müssen oder auch nur helfen könnten. Ganz im Gegenteil: Die Sicherheit des Zugriffs auf mich selbst durch den Gebrauch des Ausdrucks „ich“ wäre empfindlich gestört, müsste ich erst – gewissermaßen umständlich – nach Identifikationskriterien Ausschau halten. Es ist nun genau diese Stelle, an der sich die philosophische Debatte entzündet hat und immer wieder entzünden wird. Wie Edmund Runggaldier10 gezeigt und wie die jüngere Studie von Eros Corazza11 in ähnlicher Weise dargelegt hat, stehen zwei Wege offen, um mit dieser Situation umzugehen: Man könnte – einigen Andeutungen von Ludwig Wittgenstein und dem Ansatz von Elizabeth Anscombe12 folgend – behaupten, dass es bei der Verwendung des Ausdrucks „ich“ gar nicht um ein Spiel des Meinens und Referierens geht. Oder man könnte hier von einem Sonderfall des Meinens und Referierens sprechen, der – bindet man die Überlegungen von Klaus Müller sprachphilosophisch zurück – vielleicht sogar prototypisch ist. Beide Alternativen wären genauer zu untersuchen (was hier nur skizzenhaft geschehen kann); eine Replik auf die erstgenannte Alternative (und etwaige Zwischenformen) muss hier genügen, weil eine Ausfaltung des Alternativkonzepts in eine egologisch fundierte Eigennamentheorie münden muss und die Frage zu beantworten hätte, ob diesem Ansinnen schon dadurch entsprochen ist, dass man im Gebrauch von logischen Eigennamen eine versteckte Indexikalität oder eine Quasi-Indexikalität aufdeckt. Wie auch immer das Resultat ausfallen mag, es führt uns so oder so zum erwähnten Grundgedanken zurück, der besagt, dass beim Gebrauch des Ausdrucks „ich“ die Trefferquote immer maximal und die Gefahr der Missidentifikation immer gleich Null ist – was man von logischen Eigennamen selbst dann nicht behaupten kann, wenn man ihre Treffsicherheit durch eine ontosemantische Patenschaft abgestützt hat. Denn selbst dann, wenn das Resultat im Blick auf die Treffsicherheit hier ebenso maximal wäre, blieben doch Gelenkstellen sichtbar, die sich beim Gebrauch des Wortes „ich“ gar nicht erst zeigen würden – es sei denn man entledigt sich dieser Gelenkstellen, wie Hector-Neri Castañeda, auf den noch einzugehen ist, in einem großflächig angelegten Alternativentwurf. 10 11 12

Runggaldier (2002), 172f. Corazza (2004), 178-180. Vgl. Anscombe (1994), 84-109.

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Um zumindest in Umrissen zu ermitteln, was beim Gebrauch des Wortes „ich“ vor sich geht, ist ein kurzer Rekurs auf das Phänomen der Indexikalität unvermeidlich. Zwei Aspekte sind, als Vorklärungen betrachtet, zu untersteichen: Indexikalische Ausdrücke wie „ich“, „hier“, „jetzt“ unterscheiden sich von Demonstrativa wie „dies“, „dort“, „das da“. Der Unterschied lässt sich vornehmlich dadurch erklären, dass Demonstrativa ohne einen Zeigegestus wertlos sind. Der Akt der Identifikation bleibt unvollständig, wenn kein Zeigegestus hinzutritt; es ist der Gestus, der in gewissem Sinne verbale Mittel ersetzt.13 Anders ist es bei Ausdrücken wie „ich“ und „jetzt“: ein Zeigegestus ist nicht erforderlich. Das schließt nicht aus, dass es Umstände gibt, in denen wir „ich“ oder „jetzt“ doch als Quasi-Demonstrativum verwenden: Angenommen, ich sitze in einer geselligen Runde, habe ein Bier bestellt und ein Kellner kommt mit einem Bier auf meinen Tisch zu und fragt: „Wer hat dieses Bier bestellt?“ Wenn ich auf diese Frage „ich“ antworte und dabei die Hand hebe oder mit dem Finger auf mich selbst zeige, dann kommt ein Akt des Zeigens hinzu, der für andere die Identifikation vereindeutigt (obwohl er für mich unnötig ist). Was den Unterschied zwischen Eigennamen und Indexicals ausmacht, lässt sich an einem kurzen Gedankenexperiment verdeutlichen, das auf Eros Corazza zurück geht14: Nehmen wir an, ich arbeite in einer Kanzlei und ich erhalte einen Telefonanruf, bei dem jemand sagt: „Hallo, ich heiße Josef Meier, könnte ich bitte Ihren Partner sprechen?“ Selbst wenn ich Josef Meier nicht kenne, ist die Information nützlich, ich kann sie an meinen Partner weiterleiten – dank der Tatsache, dass Eigennamen ihre Referenzfunktion relativ unabhängig von Äußerungskontexten ausüben können. Natürlich ist eine bestimmte Art des Vorwissens unerlässlich, um von Eigennamen Gebrauch machen zu können, d.h. um ein Verfahren der ReIdentifikation in Gang setzen zu können. Anders ist der Fall, wenn jemand in dieser Kanzlei anruft und sagt: „Hallo, ich bin es, könnte ich bitte Ihren Partner sprechen?“ Die Information ist praktisch nutzlos. Der Sprecher bewegt sich in einem Äußerungskontext, der nicht meinem semantischen Bewertungskontext entspricht. Damit ich einen Nutzen aus dieser Infor13 14

Corazza (2004), 138f. Vgl. Corazza (2004), 92.

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mation ziehen kann, müssten Äußerungskontext und Bewertungskontext deckungsgleich sein – was nur gelingt, wenn sich der Sprecher und ich in denselben performativen Kontexten bewegen. Die im Beispiel genannte Kommunikationssituation wäre dann und nur dann etwas wert, wenn ich bereits so viel Vorwissen habe, dass ich sagen kann, ich werde am Tag x um y Uhr von z einen Anruf erhalten. Allerdings hat dieses Vorwissen im Grunde das schon ersetzt und erledigt, was sonst eine wichtige Teilaufgabe einer Kommunikationssituation ist: Identifikationen und Re-Identifikationen möglich zu machen; mein Vorwissen hätte von vornherein den Bewertungskontext so spezifiziert, dass die Äußerung nur noch eine einzige Deutung zuließ. Der Unterschied zwischen Eigennamen, Demonstrativa und Indexicals lässt sich mit Eros Corazza folgendermaßen beschreiben: [I]ndexicals, unlike proper names, are tools usually used to make reference in praesentia. As such, a use of an indexical exploits the presence of the referent and this use is acquaintance based, it rests on a recognitional capacity. To be sure, the recognitional capacity involved when one uses a pure indexical differs from the recognitional capacity involved when using a demonstrative expression. For, from the speaker’s or thinker’s viewpoint the paradigmatic use of a demonstrative, unlike the use of a pure indexical, is perception-based. While on the one hand the recognitional capacity rests on the perception of the referent, on the other hand it merely rests on the fact that the speaker/thinker occupies a given perceptual field, i.e. she is egocentrically placed and, thus, has the faculty or potential of acting in a given place.15

Im eben genannten Zitat finden sich zwei Aspekte, die für alle weiteren Überlegungen eine ausgesprochen wichtige Rolle spielen werden: Zum einen die Idee eines „being egocentrically placed“, zum anderen die Rolle, die das „potential of acting“ spielt: 1. Das „egozentrische Platziertsein“ ist eine umständliche Formulierung für eine Art Basistatsache: Ohne den souveränen Gebrauch des Wortes „ich“ könnten wir die Verwendung der Ausdrücke wie „hier“, „jetzt“ oder „heute“ nicht wirklich meistern. Der souveräne Gebrauch des Wortes „ich“ verbunden mit der Tatsache, dass in diesem Fall jede Missidentifikation von vornherein ausgeschlossen ist, nötigt uns, 15

Corazza (2004), 92f.

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irreduzible Perspektivität als Konstante in unserem ‚metaphysischen Universum’ aufzufassen. 2. Der zweite Aspekt offenbart eine grundlegende Tatsache mit Blick auf jeden und jede, der/die den Gebrauch von Indexicals meistert. Er bzw. sie sind nicht nur „egozentrisch“ platziert, sie sind auch in der Lage „instabile“ Kontexte zu erstellen – Äußerungskontexte, die eine Kommunikationssituation schaffen, deren Bewältigung ganz empfindlich vom Äußerer abhängt. Die Kriterien der Bewältigung dieser Kontexte wandern gewissermaßen mit dem Äußerer mit; genauer: da sie ephemer sind, entstehen und vergehen sie mit der Platzierung des Sprechers. Es war Hector-Neri Castañeda, der in unnachahmlich filigraner Weise auf die grundlegende Rolle der Ersten-Person-Perspektive aufmerksam gemacht hat. Dass sich diese Perspektive nicht auf eine gewissermaßen neutrale Dritte-Person-Sicht reduzieren lässt, kann – wie Castañeda 1966 in einem epochalen Artikel16 verdeutlicht hat – vor allem an der Oratio obliqua abgelesen werden. Das wird an Beispielsätzen17 wie dem Folgenden deutlich: (1)

Der Herausgeber von Soul glaubt, dass er Millionär ist.

Aus diesem Satz (1) kann nicht der folgende Satz abgeleitet werden: (2)

Der Herausgeber von Soul glaubt, dass der Herausgeber von Soul Millionär ist.

Wieso diese Ableitung nicht funktionieren kann, macht Castañeda anhand der folgenden Analyse deutlich: But (2) is not the same statement as (1). For (1) does not entail (2). The editor of Soul may know that he himself is a millionaire while failing to know that he is the editor of Soul, because, say, the editor of Soul is poverty-stricken Richard 16 17

‘He’. A Study in the Logic of Self-Consciousness, hier zitiert aus Castañeda (1999a). Vgl. Castañeda (1999a), 38.

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Penniless. Indeed, (2) also fails to entail (1). To see this suppose that on January 15, 1965, the man just appointed to the editorship of Soul does not yet know of his appointment, and that he has read a probated will by which an eccentric businessman bequeathed several millions to the man who happens to be the editor of Soul on that day.18

Natürlich hat der Ausdruck „er“ eine Reihe von alternativen Funktionen; er kann zum Beispiel als Ersatz für eine ostensive Definition, für ein Demonstrativpronomen, für ein Relativpronomen, sogar als Quantor verwendet werden.19 Im angegebenen Fall (1) verweist „er“ jedoch zurück auf das Antecedens des Gesamtsatzes. Castañeda hat dafür den Asteriskus als Notationsinstrument verwendet: „er*“ fungiert als Quasi-Indexical. Was dies für die Frage nach der Stellung des Ausdrucks „ich“ bedeutet, lässt sich ersehen, wenn der Beispielsatz (2) in der Perspektive der Ersten Person wiedergegeben wird: (3)

Ich glaube, dass ich Millionär bin.

Das im Nebensatz genannte „ich“ fungiert gerade nicht als referierender Ausdruck im herkömmlichen Sinne, sondern verweist ebenfalls zurück auf das Antecedens. Auch hier führt die Ersetzung des Ausdrucks „ich“ durch einen Eigennamen aus der Dritten-Person-Perspektive zu einer Sinnentstellung.20 Daher muss eine korrekte (halbformale) Notation lauten: (4)

Ich glaube, dass ich* Millionär bin.

Der Ich-Gebrauch hat eine ganze Reihe von Konsequenzen – sie lassen sich daraus ablesen, dass Aussagen wie „Das ist ein Hund“ – also Aussagen in denen Demonstrativa vorkommen – oder „Hier ist es schön“ – Aussagen, in denen Indexicals verwendet werden – so formuliert werden, dass der Bezug zum Gebrauch des Ausdrucks „ich“ deutlich wird. Der Gebrauch des Ausdrucks „ich“ hat für Castañeda daher referentielle, ontologische und epistemologische Priorität: Wenn ich „ich“ sage, kann mein Referieren nicht fehlgehen. Der Gebrauch des Ausdrucks ist zudem 18 19 20

Castañeda (1999a), 38f. Vgl. Castañeda (1999a), 37f. Vgl. Castañeda (1999a), 46-58.

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grundlegender als der Gebrauch von Eigennamen oder Beschreibungen, die wir benutzen (müssen), um Entitäten aus einer Mehrzahl von Dingen herauszugreifen. Während wir im Fall einer Bezugnahme auf Dinge immer auch von Fehlidentifikation bedroht sind, kann der Gegenstand von „ich“ gar nicht nicht getroffen werden. Castañeda startet seine Analyse, wie diese Beispiele zeigen, von einem epistemischen Kontext aus – einem Kontext, der durch propositional attitudes („glaubt, dass“, „weiß, dass“, aber auch „behauptet, dass“ etc.) gekennzeichnet ist. Für solche Kontexte (von ihm S-Kontexte genannt) hebt Castañeda grundsätzlich u.a. Folgendes hervor: My major contentions are: (a) that the S-uses of ‘he’ are quite different from the other uses of the third-person pronoun; (b) that the S-uses of ‘he’ constitute the employment of a unique logical category, which is not analyzable in terms of any other type of referring mechanism […]; (c) that in each sentence containing tokens of S-used ‘he’ there is at least one such token which is not analyzable, but there may be other tokens which are analyzable in terms of the unanalyzable token of the S-used ‘he’ […].21

Ausgehend von ausführlichen Analysen und anhand verschiedener logischer Probiersteine formuliert Castañeda drei elementare Grundregeln, die den Gebrauch von Quasi-Indexicals bestimmen und uns Aufschluss über die Relevanz des Wortes “ich” geben können: A) Der Gebrauch des Ausdrucks „ich“ in der oratio obliqua entspricht, sofern er uneliminerbar ist, dem Ausdruck „er“ in der oratio obliqua, wenn der in Rede stehende Satz aus der Sicht einer anderen Person formuliert wird.22 B) Das Pronomen „er*“ ist ein im strengen Sinne des Wortes untergeordnetes Pronomen. Für sich betrachtet ist es unvollständig und synkategorematisch. Und das gilt in gleichem Maße auch für den Satzteil, zu dem „er*“ gehört.23 C) Ein Verwendungsvorkommnis (token) von „er*“ ist im strengen Sinne nicht eliminierbar, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind: 1) Das Vorkommnis gehört zur oratio obliqua, die auf ein Antecedens ver21 22 23

Castañeda (1999a), 35. Vgl. Castañeda (1999a), 53. Vgl. Castañeda (1999a), 55.

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weist, das eine epistemische Signatur hat („glauben“, „wissen“, „meinen“) oder 2) das Vorkommnis taucht in mehreren, verschachtelten Kontexten24 auf, die sich aber auf einen grundlegenden epistemischen Ausgangspunkt beziehen lassen.25 Sprachlogisch zeigen Castañedas Untersuchungen, dass man quasi-indexikalische Verweise nicht verstehen kann, wenn man Selbstreferenz und Selbstbewusstsein als Grundgegebenheiten sozusagen leugnen würde. Nur weil wir über diese Grundgegebenheit bereits verfügen, kommen wir kommunikativ mit quasi-indexikalischen Bezugnahmen (auch in verschachtelter Form) zurecht. Indexikalität funktioniert also nur, weil es Selbstreferenz und Selbstbewusstsein gibt. 3. Selbstreferenz und Selbstbewusstsein Doch an dieser Stelle beginnen die Probleme erst richtig. Wenn der quasiindexikalische Gebrauch von „ich“ auf ein echtes Ich-Indexical als Antecedens verweist, worauf verweist das Ich-Indexical denn nun seinerseits? Sollen wir uns ein irgendwie immaterielles Selbst als Referenten des genannten Ausdrucks vorstellen? Ist es also das, was Personen in dieser Welt so einmalig machen könnte und einzigartig zu machen scheint? Bevor wir 24

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Für verschachtelte Kontexte gilt nämlich, dass die Rückbezüge für „er*“ erst genau bestimmt werden müssen, damit ersichtlich wird, was der genannte Satz meint. Die genaue Festlegung der Rückbezüge erfordert die Angabe einer Basisebene („er*1“), damit eine klare Analyse erfolgen kann. Die Bedeutung der beiden folgenden Beispielsätze variiert je nach Abstand des rückbezüglichen „er“ von der Ausgangsebene, obwohl die Sätze gestaltgleich sind; vgl. 1) „Thomas Schärtl denkt, dass er*1 Millionär wäre, wenn der Herausgeber von Soul nicht darauf pochen würde, dass er*2 das Recht habe, noch nicht in den Ruhestand zu treten, solange er*1 nicht ein anderes Journal als Herausgeber geleitet habe“ und dagegen 2) „Thomas Schärtl denkt, dass er*1 Millionär wäre, wenn der Herausgeber von Soul nicht darauf pochen würde, dass er*2 das Recht habe, noch nicht in den Ruhestand zu treten, solange er*1 nicht ein anderes Journal als Herausgeber geleitet habe“. Zum Verschachtelungsproblem vgl. auch Corazza (2004), 301-307. Corazza diskutiert a.a.O. auch Castañedas These der Uneliminierbarkeit. Vgl. Castañeda (1999a), 56.

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diesen Fragen nachgehen, müssen wir uns mit einigen vorgelagerten Grundproblemen befassen. Sie wurzeln alle in der Frage: Ist der Ausdruck „ich“ ein referierender Ausdruck? Dass man diese Frage nur unter Bauchgrimmen mit „ja“ beantworten kann, belegt die philosophische Tradition seit Hume und Kant: Wenn wir nach dem Referenten des Ausdrucks „ich“ zu greifen versuchen, greifen wir geradezu ins Leere. Es lässt sich beim besten Willen kein Ding heranziehen, keine Substanz, kein etwas, das als Referent in Frage kommen könnte – zumindest nicht in der Weise, wie wir normalerweise nach Dingen, Entitäten (sprachlich) greifen würden. Vor dem Hintergrund dieses Problems lassen sich verschiedene Strategien denken, die wir benutzen können, um mit dem in Rede stehenden Problem umzugehen: (1) Der Ausdruck „ich“ ist kein referierender Ausdruck; eine Analyse der Sprache kann zeigen, dass sich die vermeintliche Referenzfunktion auf etwas anderes rückführen lässt. (2) Der Ausdruck „ich“ hat eine besondere Funktion, die der Referenz ähnlich ist, aber aus ontologischen Gründen nicht als Referenz gedeutet werden darf. (3) Der Ausdruck „ich“ hat eine Referenzfunktion, die als solche ontologisch auch durchgeklärt werden kann. Strategie (1) bestimmt den grundlegenden Ausgangspunkt in Elizabeth Anscombes Beschäftigung mit dem Problem der Ersten Person. Strategie (2) beispielsweise lässt sich in dem jüngsten Theorieentwurf von Roderick Chisholm26 wiederfinden. Und Strategie (3) gehört zum genuinen Werk von Castañeda, der die ontologischen Implikationen durch seine so genannte Guise-Theorie einlöst. Zwischen (1) und (2) kommen Entwürfe zu stehen, die die Verwendung der ersten Person für unabdingbar halten, aber dennoch keine klassische Referenzfunktion des Ausdrucks „ich“ angeben möchten. John Perry27 (und – mutatis mutandis – Gareth Evans28) gehören

26 27

Vgl. Chisholm (1992). Perry (1994), 402-424; Perry (2002), 189-213.

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in diese Kategorie.29 Auf die einzelnen Nuancen dieser Strategien wird im Folgenden zurück zu kommen sein. Anscombes Probleme nähren sich aus einem Unbehagen an der Referenzgarantie, die mit dem Ausdruck „ich“ verbunden zu sein scheint.30 Die sollte, ihrer Ansicht nach, als Indikator betrachtet werden, um den Ausdruck „ich“ kritisch und vorsichtig zu behandeln. Die Tatsache, dass der vermeintliche Gegenstand des Ausdrucks „ich“ dunkel bleibt, dass wir ihm keinem Begriff zuordnen können, spricht dafür, den in Rede stehenden Ausdruck gerade nicht als referentiellen einzustufen: Ob ‘ich’ ein Name oder ein Demonstrativum ist, in beiden Fällen bedarf es eines ‘Begriffes’, durch den es seinem Objekt anhängt. Nun, welcher andere Begriff kann vorgeschlagen werden als der des Denkens, des Denkens von Ich-Gedanken, der diese Garantie gegen Fehl-Referenz verbürgt? Es mag sehr schön sein zu beschreiben, was Selbste sind. Aber wenn ich nicht weiß, dass ich ein Selbst bin, dann kann ich mit ‘ich’ kein Selbst meinen.31

An diesem Zitat fällt diagnostisch auf, dass es um eine Fregesche Semantik herum komponiert ist, die Referenz einerseits und Sinn andererseits aneinander bindet. Für diese Sicht bleibt ein Referieren ohne Sinnaspekt (der die Weise vorstellt, wie sich das darbietet, auf das wir Bezug nehmen wollen) ein Unding. Die Weise, wie sich das Ich uns darbieten könnte, ist für Anscombe eigentlich nur das Denken selbst – viel zu unspezifisch und zu leer, um hilfreich sein zu können: Wie denn könnte man die Annahme rechtfertigen, wenn es eine Annahme ist, dass es genau ein Denken gibt, das dieses Denken dieses Gedankens ist, den ich gerade denke – will sagen, genau einen Denker gibt? Wie weiß ich, dass ‘ich’ nicht zehn unisono denkende Denker ist – wenn auch vielleicht gerade darin nicht einmal erfolgreich. Das dürfte der Konfusion der Gedanken, die ich manchmal spüre, Rechnung tragen. – Man ziehe die Entgegnung ‘Legion, denn wir sind viele’ in Betracht, die der Besessene im Evangelium gibt. Vielleicht

28

29

30 31

Vgl. Evans (1994), 500-574. Ich werde auf Evans’ differenzierte und auch begrifflich subtilen Analysen nicht weiter eingehen, obwohl er einem klassischen Selbstbewusstseinsbegriff weit mehr entgegen kommt als Perry. Der Theorievorschlag von Corazza wiederum dürfte sich zwischen (2) und (3) einreihen lassen, weil er eine Selbstbewusstseinstheorie ohne guise-theoretische Verpflichtungen anzuzielen versucht. Hier zitiert aus Anscombe (1994), 96. Ebd.

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sollten wir das ernst nehmen und nicht für einen grammatikalischen Witz halten.32

Allerdings hat dieser Kommentar auch etwas Verräterisches an sich. Und man könnte hier, ganz im Sinne Castañedas, einhaken und festhalten, dass Anscombe mit ihrer Kritik das Phänomen, um das es geht, noch gar nicht erreicht – ja, sozusagen e contrario in seinem Eigenrecht sogar stützt. Denn um zu verstehen, was sie uns sagen will, müssten wir schreiben: „Anscombe denkt über die Möglichkeit nach, dass sie* zehn unisono denkende Denker ist, so dass ihre* bisweilen konfusen Gedanken von verschiedenen Denkern produziert sein könnten.“ Die quasi-indexikalischen Rückbezüge ihres Gedankenexperiments lassen es einfach nicht zu, dass sie aus dem Kreis der Selbstbezüglichkeit, die für das Phänomen Selbstbewusstsein typisch ist, herausspringt. Es ist dann auch nicht mehr verwunderlich, dass Anscombes Auflösung der Selbstreferenzproblematik am Ende nicht überzeugen kann, wenn sie schreibt: Wenn ‘ich’ ein Name wäre, müsste es ein Name für etwas mit dieser Art von Verbindung mit diesem Körper sein und kein außergewöhnlicher Name für diesen Körper, weil sensorische Deprivation und sogar Verlust des Bewusstseins von Haltung usw. kein Verlust des Ichs sind. (So wenigstens müsste man es beschreiben, wenn man ‘Ich’ als Namen auffasste.) Aber ‘ich’ ist kein Name: Diese Ich-Gedanken sind Beispiele für ein reflexives Bewusstsein von Zuständen, Handlungen, Bewegungen usw., nicht eines Objektes, das ich vermittels ‘ich’ meine, sondern dieses Körpers. Diese Ich-Gedanken […] sind nicht vermittelte Begriffe (Wissen oder Glauben, wahr oder falsch) von Zuständen, Bewegungen usw. dieses Objektes hier, von dem ich herausfinden kann (wenn ich es nicht schon weiß), dass es E.A. ist. Wovon ich übrigens lernte, dass es ein menschliches Wesen ist.33

Nun besteht kein Zweifel daran, dass wir vorsichtig sein sollten, bei einer eventuellen Referenz des Ausdrucks „ich“ ein etwaiges Ding zu postulieren. Nur führt diese Vorsicht bei Anscombe zu einer eigenartig abschüssigen Bahn: Sie scheint für eine Art Attributionstheorie des Selbstbewusstseins zu votieren; und auf die Frage, wovon es denn Attribut sei, verweist sie auf einen Körper, der offenkundig Elizabeth Anscombe ist. Aber wie lässt sich dieser Schritt rechtfertigen? Ist er überhaupt zu rechtfertigen? Die Tatsache, dass Bewusstseinphänomene nicht unabhängig von physischen 32 33

Anscombe (1994), 101. Anscombe (1994), 105.

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Phänomenen auftreten, berechtigt nicht zu dem Schluss, dass Bewusstsein ein Attribut eines körperlichen Agglomerates sei. Nehmen wir erneut Castañedas Perspektive zu Hilfe: (a) „E.A. denkt, dass ihr* Denken ein Zustand ihres* Körpers sei.“ Dieser Satz ist verschieden von: (b) „E.A. denkt, dass E.A.s Denken ein Zustand von E.A.s Körper sei“. Die Eigennamen in der oratio obliqua erhalten ihre Eindeutigkeit erst, wenn sie quasi-indexikalisch genommen werden: (c) „E.A. denkt, dass E.A.s* Denken ein Zustand von E.A.s* Körper sei“. Aber dann erfüllen sie praktisch die Rolle des quasi-indexialischen er*/sie*/es*. Der Unterschied zwischen (a) und (b) – vom Sprachanalytischen ins eher Phänomenologische gewendet – zeigt an, dass es eine Differenz zwischen der Bedeutung „E.A.s Körper“ und „mein Körper“ gibt: Woher weiß E.A., dass E.A.s Körper ihr* Körper ist? Überdies operiert Anscombes Analyse mit dem Demonstrativpronomen „dies“ („dieser Körper“). Nimmt man Castañedas Diagnose ernst, dann kann man auch Demonstrativa nur verstehen, wenn man ihnen (gleichsam Fichteanisch: dank einer Absetzungsbewegung des Ich vom Nicht-Ich) einen Bezug zum Gebrauch des „ich“ hinzudenkt, da ein „dies“ ohne ein Koordinatensystem, das auf der durch „ich“ (und damit in Verbindung stehend: „jetzt“ und „hier“) ermöglichten Platzierungshandlung des Ich-Sprechers aufruht, nicht erfolgreich verwendet werden kann. John Perrys Einsatzpunkt ist im Grunde ähnlich. Er bringt das von Anscombe zum Ausdruck gebrachte philosophische Bauchgrimmen in einen Zusammenhang mit einer weitaus grundsätzlicheren ontologischen Frage: Was wird eigentlich mit egologischen Prädikationen zum Ausdruck gebracht? Seine Probleme sind ebenfalls insofern neo-Fregeanisch, als er an der grundsätzlichen Verbindung von Referenz und Sinn für Ausdrücke und für Propositionen festhält, ja festhalten will. Einfache Propositionen setzen sich aus Bestandteilen zusammen, die Referenz und Sinn vorweisen können müssen. Aber bei egologischen Prädikationen sei das gerade nicht der Fall, weil der Hauptbestandteil solcher Aussagen („ich“) über keinen begrifflichen Gehalt verfüge: Der Satz, mittels dessen ich angebe, zu welcher Meinung ich gelangt bin, ist für sich genommen keine Proposition. Es gibt einen fehlenden begrifflichen Bestandteil: eine Bedeutung, für die ich die Referenz bin, oder ein Bündel von Ei-

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Thomas Schärtl genschaften, die nur ich habe, oder ein singulärer Terminus, der nur auf mich referiert.34

John Perry hebt hervor, dass auch ein Umbau im Verständnis dessen, was Propositionen sind35, uns am Ende nicht aus der genannten Kalamität befreien kann: Referenz ohne Begriffliches bleibt unterhalb der Schwelle dessen, was wir für gehaltvolle Aussagen erwarten sollten. Die Annahme von Sonderpropositionen in Form egologischer Prädikationen hält Perry für einen viel zu hohen philosophischen Preis: Wenn man anderswo plausible Gründe für den Glauben an ein Universum findet, das zusätzlich zu unserer gemeinsamen Welt Myriaden von Privatperspektiven aufweist, wird man den Gedanken von eingeschränkt zugänglichen Propositionen ohne Schwierigkeiten einbauen können. Ich kann kein durchschlagendes Argument gegen solche Propositionen noch gegen metaphysische Entwürfe anführen, die ihnen einen Stellenwert einräumen. Aber ich glaube nur an die gemeinsame, tatsächliche Welt und denke nicht, dass das Phänomen der wesentlichen Indexwörter mich zur Preisgabe dieser Ansicht nötigt.36

Perrys Lösung hat einen dispositionstheoretischen Touch und gehört nach wie vor zur Spielart der Attributionstheorien: Mit egologischen Prädikationen drücken wir nicht im eigentlichen Sinne egologische Meinungen aus, sondern zeigen vielmehr Meinungszustände an. Perry verdeutlicht dies an seinem Beispielfall: Stellen wir uns vor, ich entdecke beim Einkauf im Supermarkt eine Zuckerspur auf dem Boden und verfolge sie eine Weile, bis ich feststelle, dass ich selbst diese Spur durch eine aufgeplatzte Packung Zucker in meinem Einkaufswagen verursacht habe. Mein erster Gedanke wird sein: „Mensch, ich mache eine Schweinerei.“ Ist diese Aussage, die sich als egologische Prädikation darstellt, eine echte Proposition? Oder macht sie nur eine bestimmte Angabe zur epistemischen Zugänglichkeit der Proposition „Jemand (ein x) macht eine Schweinerei“ – eine epistemische Zugänglichkeit, die mir irgendwie auch verrät, dass ich mit dem besagten x identisch bin? Perry würde den zweiten Gedanken bejahen, sogar unterstreichen und eine dispositionstheoretische Erweiterung vornehmen:

34 35 36

Perry (1994), 407. Vgl. dazu Perry (1994), 414-417. Perry (1994), 419.

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Wir verwenden Sätze mit Indexwörtern […], um Meinungszustände zu individuieren, zwecks Klassifizierung der Meinungsträger in solchen Weisen, die für die Erklärungen und Voraussagen von Nutzen sind. D.h., auf diese Weise individuierte Meinungszustände gehen in unsere gewöhnliche Theorie über menschliches Verhalten ein sowie in alle komplexen Theorien, die aus ihr erwachsen. Wir erwarten von allen gutmütigen Menschen, die sich in jenem Zustand befinden, der sie zu der Äußerung veranlasst, ‘Ich mache eine Schweinerei’, dass sie ihren Einkaufswagen durchsuchen, unabhängig davon, welche Meinungen sie aufgrund der Tatsache haben, dass sie sich in jenem Zustand befinden. Dass wir Meinungszustände in dieser Weise individuieren, hängt ohne Zweifel mit der Tatsache zusammen, dass ein von uns postuliertes Kriterium dafür, sich in solchen Zuständen zu befinden, zumindest für seriöse, erwachsene Sprecher, in der Disposition besteht, den fraglichen indexikalischen Satz zu verwenden.37

Trotz ihrer Geschliffenheit unterscheidet sich Perrys These hier nicht wesentlich von der älteren These, die auf Wittgenstein zurückgeht und die, etwas verkürzt ausgedrückt, egologische Prädikationen (in ihrer urtümlichen, reinen Form) für Äußerungsakte hält38 und nicht für Aussagen im strengen Sinne des Wortes. Anders gesagt: Perry gibt sich damit zufrieden, Selbstbewusstsein als eine Art Wachheit zu begreifen, die einer Verhaltensdisposition für bestimmte Äußerungsakte (und für die praktischen Konsequenzen dieser Äußerungsakte) zugrunde liegt. So wie ein Kind, das von einer Biene gestochen wird, einen Schmerzenschrei ausstößt39 und ein bestimmtes Verhalten an den Tag legt (das der Ursache des Schmerzes korrespondiert), genauso benimmt sich aus Perrys Sicht der Kunde, der entdeckt, dass er durch seine Unachtsamkeit eine Sauerei im Supermarkt angerichtet hat. Statt „Ich habe diese Schweinerei angerichtet“ hätte der Kunde vielleicht auch nur sagen können: „Sapperlot!“, mit den gleichen praktischen Folgen seiner sprachlichen Performance. Doch Perrys Rekonstruktion hat zwei Haken: 1) Egologische Prädikationen enthalten zu viel vernünftige (und damit auf Wahrheit hin befragbare) Information, um bloß als Äußerungen bzw. Indikatoren für Meinungszustände gehalten werden zu dürfen. 2) Unter der Hand wird die Besonderheit von Selbstbewusstsein zu einem niedrigeren Tarif verkauft; Perry spielt auf eine besondere Zugänglichkeit eines Sachverhaltes an – eine Zu37 38 39

Vgl. Perry (1994), 421. Vgl. Wittgenstein, Das Blaue Buch, 106. Vgl. Wittgenstein, Das Blaue Buch, 107.

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gänglichkeit, die von dem besonderen Meinungszustand gewissermaßen bewirkt wird. Aber in seiner Darstellung hört sich dies so an, als sei die besondere Zugänglichkeit, die „mich“ mit bestimmten Sachverhalten verbindet, sobald ich egologische Sätze verwende, möglicherweise nur ein kontingentes Faktum, so dass der Eindruck entstehen könnte, dass auch Außenstehende in den Genuss dieser besonderen Relation kommen könnten, wenn sie sich beispielsweise in meinen kognitiven Apparat gewissermaßen einloggen könnten. Für Perry haben die hier als Nachteile geschilderten Aspekte einen großen Vorteil: Erstens sieht er sich nicht mehr gezwungen, Sonderpropositionen ontologisch zu würdigen.40 Zweitens stößt die untertarifliche Beschreibung von Selbstbewusstsein eine Tür zur generellen dispositionstheoretischen Analyse von Bewusstsein auf,41 womit Vorsorge dafür getroffen wäre, dass das „Gespenst“ endgültig von der „Maschine“ ferngehalten wird.42 Bevor wir auf weitere Einwände gegen Perry zu sprechen kommen, müssen wir ein Licht auf Roderick Chisholms Attributionstheorie werfen. Er bietet eine interessante Variante der Strategie (2), während Castañeda die von ihm vorgelegte Strategie (3) im Wesentlichen mit einer Kritik an 40 41

42

Vgl. Perry (1994), 423. Vgl. Perry (2002), 211: „We cognize things, times, and places not only objectively, but via their present relationship to us – via agent-relative roles. There are ways of knowing and acting that are tied to such roles, and our knowledge exhibits immunity to misidentification relative to such roles. And knowledge via such roles plays a special motivational role. Finally, because different objects play these roles in our lives at different times, it is invalid to accumulate knowledge about them. “Self” expresses an agent-relative role, that of identity. As with other agent-relative roles, there are special ways of knowing and acting that are associated with identity. […] Unlike most of the other agent-relative roles, identity is permanent. I will have many things in front of me, talk to many people, be in many places, and live through many days in the course of my life. But there is only one person I will ever be identical with, myself.” Wer die Debatten um die Kriterien personaler Identität einer genaueren Analyse unterzieht, wird feststellen müssen, dass Perrys letzter Satz recht mutig ist. Die letztgenannte Anmerkung dient nicht nur dem bloßen Wortspiel. Es geht im Weiteren auch um die Frage, was denn nun genau den Unterschied zwischen Selbstbewusstsein und künstlicher Intelligenz ausmacht. Nimmt man Perrys Analysen als Ausgangspunkt, dann verschwindet der Unterschied zusehends – was, wie ich vermute, Perry auch gar nicht schrecken würde.

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Perry und Chisholm untermauert. Chisholms Ausgangspunkt ist in einem noch stärkeren Maße von sozusagen ontologischen Bedenken getragen. Er möchte einfach nicht, dass es so extravagant aussehende Propositionen, die egologischen Prädikationen zugeordnet werden, gibt. Chisholm gibt für sein Unbehagen auch einige Gründe an. Zum einen scheinen Ich-Propositionen, wenn es sie denn gibt, für andere unzugänglich zu sein, da sie eben nur für mich gelten können. Zudem scheint die Architektur von Ich-Propositionen das Konzept eines individuellen Wesens, einer individuellen Essenz vorauszusetzen, die im Bezugnehmen auf das Selbst erfasst wird. Beide Bürden wiegen für Chisholm viel zu schwer, als dass er sie sich weiterhin43 aufladen würde44. Somit steuert er auf die Hypothese zu, die besagt, „dass es so etwas wie Propositionen der ersten Person nicht gibt, obwohl es durchaus so etwas wie Propositionen gibt, die durch bestimmte Typen wohlgeformter Sätze ausgedrückt werden können, und obwohl es Sätze der ersten Person gibt.“45 Zwischen den Zeilen drückt diese Bemerkung den Grund für das Unbehagen aus und deutet schon Chisholms eigenen Lösungsweg an: Zum einen scheinen Propositionen für ihn so etwas wie Universalien zu sein, zumindest abstrakte Gegenstände, die überzeitlichen und allgemeinen Charakter haben. Es liegt auf der Hand, dass IchPropositionen in diesem Koordinatensystem störend wirken müssen. Zum anderen gilt es, Sätze, die den Ausdruck „ich“ verwenden, in eine Form zu bringen, die ihren eigentlichen Verwendungszweck offen legt und auch darstellt, wo und inwiefern ein propositionaler Gehalt egologischer Prädikationen überhaupt in Sicht kommen kann. Diesem Ziel einer wohlgeformten Darstellung dient denn auch Chisholms grundlegende Unterscheidung zwischen direkter und indirekter Zuschreibung. Was ist darunter zu verstehen? Chisholm meint, dass der Satz „x meint, dass er selbst F ist“46 in der folgenden Form rekonstruiert werden 43

44 45 46

Zur theoretischen Entwicklung der Selbstbewusstseinskonzepte Chisholms vgl. Müller (1994), 323-345. Chisholm hat, wie er selbst anmerkt, phasenweise die Annahme individueller Essenzen vertreten, sich aber später davon distanziert; vgl. Chisholm (1992), 43f. Vgl. Chisholm (1992), 32-36. Vgl. Chisholm (1992), 36. Chisholm (1992), 50.

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soll: „Die Eigenschaft des F-Seins ist so, dass x sie x direkt zuschreibt.“47 Chisholm hat auf eine sehr schnelle Weise das Problem der quasi-indexikalischen Rückbezüglichkeit beseitigt, die Variablen im untergeordneten dass-Satz sind davon unbelastet, weil Chisholm die Rückbezüglichkeit in der „direkten Zuschreibung“ aufgehoben denkt.48 Aber was ist direkte Zuschreibung? Was macht eine Zuschreibung zu einer direkten? Ist es eine privilegierte epistemische Position, die wir voraussetzen müssen, um diese privilegierte Zuschreibung zuzulassen, wie Chisholm andeutet49 (und wenn ja, wäre das dann nicht schnurgerader Cartesianismus)? Oder hängt es an den in Rede stehenden Eigenschaften, die direkt zugeschrieben werden dürfen (offensichtlich können nicht alle beliebigen Eigenschaften direkt zugeschrieben werden)? Aber wenn das so ist, woran liegt es, dass bestimmte Eigenschaften direkt zugeschrieben werden können? Liegt es an einer Art Transparenz oder Unmittelbarkeit, die ihnen anhaftet? Diese Fragen legen bereits einen ersten Finger auf die Wunde dieses Konzepts: Wenn man von selbst-transparenten (oder, wie Chisholm dies an anderer Stelle tut, von „selbstpräsentierenden“50) Eigenschaften spricht, dann hat man unter der Hand bereits Bewusstsein als Grundgegebenheit vorausgesetzt, ohne es aber noch einmal eigens philosophisch durchgeklärt zu haben. Die Rede von „direkter Zuschreibung“ entpuppt sich dann aber sehr schnell als philosophische Vermeidungsstrategie, welche die schwere Kost „Selbstbewusstseinstheorie“ in verdauliche Häppchen dank geschmeidiger klingender Begriffe unterteilen möchte. Das macht, aus komplementärer Perspektive, auch noch einmal Chisholms Charakterisierung der indirekten Zuschreibung deutlich: Wenn ich jemand oder etwas zum Gegenstand meiner Erwägungen und meines Nachdenkens mache, dann schreibe ich diesem Gegenstand bestimmte Eigenschaften indirekt zu, während ich mir gleichzeitig Eigenschaften direkt zuschreibe (ein Vorgang, der sich angeblich ohne quasi-indexikalische Rückstände wohlgeformt explizieren lässt).51 Für Chisholm involviert dieser Vorgang zwei Aspekte: Zum einen 47 48 49 50 51

Ebd. Vgl. Chisholm (1992), 58-60. Vgl. Chisholm (1992), 69f. Vgl. Chisholm (1992), 118-121. Vgl. Chisholm (1992), 52.

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muss es eine identifizierende Relation zu dem in Rede stehenden Gegenstand meines Denkens geben; zum anderen muss ich mir selbst eine bestimmte Eigenschaft dabei direkt zuschreiben, die genau einen (anderen) Gegenstand (nämlich mich) aus einer Vielzahl möglicher Gegenstände herausgreifen kann:52 Angenommen zum Beispiel, dass ich mit dir und nur mit dir spreche und dass ich in bezug auf dich meine, dass du einen Hut trägst. In diesem Fall bestünde die Eigenschaft des F-Seins – die Eigenschaft, die ich dir indirekt zuschreibe – im Tragen des Hutes; die identifizierende Relation R, in der ich zu dir und nur zu dir stehe, wäre die des Miteinandersprechens; und die Eigenschaft, die ich mir selbst direkt zuschreibe, wäre die Eigenschaft, mit genau einer Person, die einen Hut trägt, zu reden. Indem ich dir so indirekt eine Eigenschaft zuschreibe, schreibe ich mir eine bestimmte zweiseitige Eigenschaft direkt zu.53

Obwohl das Zitat die Verschränkung der Eigenschaftszuschreibungen herausstreicht – was einen nicht unangenehmen Fichteanischen Touch hat54, insofern als es keine Objektbezugnahme ohne Selbstzuschreibung geben kann, bleibt die Differenz zwischen direkter und indirekter Zuschreibung ein Rätsel. Wenn wir auf Unmittelbarkeit, Selbst-Transparenz, Irrtumsimmunität etc. als Unterscheidungskriterien verweisen, beginnen wir uns langsam im Kreis zu drehen,55 denn es ist ja gerade Bewusstsein und Selbstbewusstsein, was Selbst-Transparenz etc. erklärt und nicht umgekehrt. Chisholm hat das natürlich gesehen, konnte aber nicht mehr anders, als die Differenz zwischen direkter und indirekter Zuschreibung, die durch das Phänomen Bewusstsein und Selbstbewusstsein ermöglicht ist, als fundamentale Tatsache gewissermaßen auf sich beruhen zu lassen.56 Und wie geht Chisholm auf den propositionalen Aspekt von egologischen Sätzen ein? Seine Lösung erinnert an eine vergoldete Form der Wittgenstein-Anscombe-Perry-Linie; denn er spricht bei der Bewertung egologischer Prädikationen nicht von Wahrheit, sondern von Aufrichtigkeit, womit er den Äußerungsaspekt (die performance sozusagen) herausstreicht. 52 53 54

55 56

Vgl. Chisholm (1992), 52f. Chisholm (1992), 53. Vgl. Chisholm (1992), 63; vgl. zu dieser Einschätzung auch: Castañeda, SelfConsciousness, Demonstrative Reference, and the Self-Ascription View of Believing, zitiert aus Castañeda (1999b), 159. Vgl. Müller (1994), 345f. Vgl. Chisholm (1992), 56.

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Den Gedanken, dass auch egologische Prädikationen einen informativen Anteil haben, der nach Wahrheit fragen lässt, rettet er dadurch, dass er einen logischen Zusammenhang zwischen „Ich bin F“ und „Jemand ist F“ postuliert, der als modallogisch verschärftes Konditional spezifiziert wird: Nach dem, was wir über die Wahrheit von ‘Ich bin F’ gesagt haben, sehen wir, dass es für ‘Ich bin F’ unmöglich ist, im Deutschen wahrheitsgemäß gebraucht zu werden, wenn es nicht etwas gibt das F ist. Und man könnte daher sagen, dass der Ausdruck ‘ich bin F’ den Ausdruck ‘etwas ist F’ impliziert.57

Hinsichtlich der Frage, was denn nun den Sinngehalt egologischer Prädikationen ausmache, bietet Chisholm ein nicht unbekanntes Umwegverfahren an: Der Sinngehalt geht auf in der Tätigkeit der direkten Zuschreibung (so dass es nutzlos wird, nach einem etwaigen begrifflichen Gehalt von Ich zu fragen).58 Erneut stehen wir vor der Referenzfrage und finden nur ausweichende Antworten. Daher ist es an der Zeit, den Gordischen Knoten endlich durchzuhauen. Dies gelingt aber nur, wenn wir uns auf Hector-Neri Castañeda und seine Auseinandersetzung mit Perry und Chisholm zurückbeziehen. Dabei greift Castañeda zunächst ein erstes, grundlegendes Dogma an – die Idee, dass es Sonderpropositionen, die in egologischen Prädikationen ausgedrückt werden, nicht geben dürfe, indem er den atmosphärischen Hintergrund dieses Dogmas aufdeckt: The Proposition View is, it seems, forced to recognize that what is thought by tokening a sentence containing a first-person pronoun, whether in a natural language or in the language of the brain, cannot be some objective feature of entity in the world available to everybody. Thus, first-person reference clashes with […] the Classical Proposition View. Worse, it clashes with the opposition to everything private so well entrenched in the current philosophical mainstream. Given the present passion for intersubjectivity, the mere hint of a need to posit privately accessible egos, or selves, or I’s, not to mention, sense contents or pains, as the referents of actual uses of singular-referring terms, is a serious predicament. It rings absurd, ‘crassly implausible to postulate a surd in nature as the referent of the use of the first-person pronoun,’ […] Furthermore, the Classical Proposition View cannot, it seems, maintain that the units of thinking content are identical with the units of communicational content. And once these units diverge, one question pops up: Are the units of reality, or of measuring reality, true propositions, the same as the communicational 57 58

Chisholm (1992), 71. Vgl. Chisholm (1992), 71f.

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units, or are they the same as the units of thought content […] or must they, too, also go their own separate ways.59

Die klassische, semantische Perspektive, die auf Frege zurückgeht, hatte in der Tat den Vorteil, dass die Objektivität des Denkens dadurch gesichert war, dass man zwischen Bezugsgegenstand und Gegebenheitsweise dieses Gegenstandes trennen konnte. Allerdings hatte dies nicht nur angenehme Konsequenzen, wie sich vor allem an epistemischen Kontexten ablesen lies: Es galt, zwischen Meinungen de dicto und Meinungen de re zu trennen,60 Substitutionsvorgänge innerhalb epistemischer Kontexte standen unter modalen Vorbehalten. So haben, wie Perry vorschlägt, De-re-Meinungen die folgende Form: x glaubt von α, dass er so und so ist. Während De-dicto-Meinungen die Form haben: x glaubt, dass α so und so ist. Als einfache Erklärung einer Rückführung von De-re-Meinungen auf De-dicto-Meinungen bietet Perry die Form an: „x glaubt von y, dass er so und so ist gdw. es einen Begriff α gibt, so dass α auf y passt, und x glaubt, dass α so und so ist.“61 Es ist aber fraglich ob dies schon ausreichend ist, um Übergänge zwischen De-re- und De-dicto-Meinungen zu gestatten. Ohne eine modale Anreicherung wird es wohl nicht gehen. Um Existenzpräsuppositionen Rechnung zu tragen, schlage ich eine Version e contrario vor: x glaubt von y, dass er so und so ist gdw. es einen Begriff α gibt, so dass es keine mögliche Welt gibt, in der α nicht auf y passt, und x in keiner möglichen Welt nicht glaubt, dass α so und so ist. Es zeigt sich an dieser Formulierung aber auch, wie steil die Voraussetzungen für Übergänge werden. Sie dienen ja im Grunde dazu, Substituierbarkeit zu gewährleisten. Faktisch frelich stellen sie ausnehmend 59 60 61

Castaneda (1999b), 151. Vgl. hierzu Perry (1994), 409-413. Vgl. Perry (1994), 411f.

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hohe Hürden fur jedwede Substituierbarkeit dar. Um die Gemengelage dieses Problems zu veranschaulichen, bitet Perry ein interessantes Beispiel62: Nehmen wir an, John meint, dass der Dekan klug ist; gleichzeitig ist der Dekan auch Franks Nachbar, was John aber möglicherweise gar nicht weiß. Darf man sagen, dass John glaubt, dass Franks Nachbar klug ist? Nein! Wir haben hier ein gerade klassisches Subtituierbarkeitsproblem vor uns. Meine Vorschlag zur Rückführung von De-re- auf De-dictoMeinungen würde unterstreichen, dass die Frage nur dann bejaht werden kann, wenn gilt: John glaubt von der in Rede stehenden Person, dass sie klug ist, wenn es einen Begriff von „Franks Nachbar“ gibt, so dass es keine mögliche Welt gibt, in der der Begriff „Franks Nachbar“ nicht auf die in Rede stehende Person passt, und wenn John in keiner Welt nicht glaubt, dass Franks Nachbar klug ist. Wie dieses Beispiel zeigt, sind die Hürden für die Übergänge extrem hoch: Da der Dekan in anderen möglichen Welten gar nicht Franks Nachbar ist und da in anderen möglichen Welten John Franks Nachbar entweder gar nicht kennt oder, wenn er ihn kennt, nicht für klug hält, bleibt die Substituierbarkeit von „Dekan“ mit „Franks Nachbar“ verboten. Aber was geht dann eigentlich in Franks Kopf vor, der den Dekan als seinen Nachbarn kennt und – sozusagen für sich – diese Substituierung tagtäglich vornimmt? Wenn Substitutionsvorgänge unter solchen Vorbehalten stehen, dann hat das allerdings den Preis, dass wir die Objektivität unseres Denkens und Sprechens dadurch sicherstellen, dass wir die Bezugsgegenstände von den Gegebenheitsweisen emanzipieren, ohne dann aber genau sagen zu können, wie der Gegenstand, auf den wir uns zu beziehen meinen, noch Gegenstand unseres Denkens sein kann. An genau dieser Stellen haut Castañeda den Gordischen Knoten durch – und zwar so, dass er die Fregesche Dichotomie als solche in Frage stellt: So wie ich es sehe, erreicht das Denken seinen Bezugsgegenstand ohne vermittelnden Sinn, Fregeschen oder sonstigen: Die Bedeutungen singulärer Terme, wie sie in Sätzen als Mittel des Denkens verwendet werden, existieren nur als Neigungen von Sprechern, sich auf Individuen bestimmter Typen zu beziehen; die speziellen Individuen werden durch den Kontext des Sprechens und Denkens ausgesondert. Bedeutungen sind im Grunde nichts als kausale Rahmen, innerhalb deren und relativ zu denen Aspekte von Kontexten, die Formulierungen 62

Vgl. Perry (1994), 410f.

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(tokenings) der Ausdrücke in jemandes Sprache, kausal mit seinem Denken von diesem oder jenem verknüpft sind. Die Kommunikation setzt das Phänomen des Denkens [und hier könnte man ergänzen: Bewusstseins und Selbstbewusstseins, TS] voraus, aber sie formt es auch.63

Gewissermaßen handstreichartig entledigt sich Castañeda des Fregeschen Sinns als Vermittlungsinstanz im Vollzug des Referierens. Ist nach dieser Revolte die klassische Unterscheidung zwischen Extension und Intension überhaupt noch sinnvoll? Um es auf eine Formel zu bringen: Nein – extensionale Kontexte sind (nach dem Durchschlagen des Gordischen Knotens) intensionale und umgekehrt. Die ontosemantischen Folgen dieses intellektuellen Staatsstreichs löst Castañeda mit seiner so genannten Guise-Theorie64 (Theorie der Gestaltungen) ein.65 Castañeda erläutert die Funktion von Guises umrissartig in Hinsicht auf sieben Gesichtspunkte: (i) Sie [die Guise-Theorie; TS] erlaubt keinen semantischen Vermittler zwischen einem singulär Bezug nehmenden Ausdruck […] und seinem Bezugsgegenstand. (ii) Sie umgeht psychologische Vermittler zwischen der Person und dem Bezugsgegenstand, an den sie denkt. (iii) Sie entfernt den Fregeschen Bezugsgegenstand aus der semantischen Ordnung. […] (iv) Sie setzt als Bezugsgegenstände Entitäten, genannt individuelle Gestaltungen, die objektiv den Fregeschen indviduellen Sinnen in etwa analog sind. (v) Sie liefert eine Analyse von Freges primären Gegenständen als Systeme individueller Gestaltungen. (vi) Solche Systeme sind doxastische Objekte: Glaube und Gedanke erreichen sie, aber nicht durch singuläre Bezugnahme, d.h. sie sind nicht die semantischen Endpunkte. (vii) Gedanke und Überzeugung erreichen solche doxastischen Objekte nur durch Gestaltungen, als abgebildete Systeme von Gestaltungen […].66 Wegen (v)-(vii) vermitteln individuelle Gestaltungen zwischen gewöhnlichen Objekten […] und Personen, die an sie denken. Jedoch ist, wie (vi) und (vii) klarmachen, diese Vermittlung nicht semantisch, sondern doxastisch.67

63 64 65 66 67

Castañeda (1994), 459-480, hier 461. Zu ausführlicheren Darstellungen vgl. Castañeda (1989). Zur weiteren Diskussion vgl. Orilia (1998); Tomberlin (1983). Castañeda (1994), 461f. Castañeda (1994), 462.

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Die Guise-Theorie steht, wie Klaus Müller glasklar herausgearbeitet hat,68 im Zentrum von Castañedas Selbstbewusstseinstheorie, sie ist mehr als nur ein Umwegverfahren. Denn mit dem Durchschlagen des Gordischen Knotens ist endlich der Weg frei, dem Ausdruck „ich“ eine Referenz zuzusprechen, ohne von dem Fehlen einer begrifflichen Vermittlerinstanz allzu sehr beunruhigt zu werden: The indexical uses of the first person-pronoun have, therefore, no third-person content, whether this is demonstrative or not. As I explained […], third person demonstrative reference to oneself […] is not identical with first-person reference to oneself qua oneself. […] Consequently, indexical uses of the first-person pronoun have as their proprietary referents very special guises. They are very special in that they refer to an individual guise that is essentially constituted by the making of a first-person to itself. The essence of the substance of an I is just to conceive itself as a subject qua subject.69

Besonders die oben erwähnten Grundsätze (iii) und (iv) legen offen, dass die Differenz zwischen Extension und Intension für Castañeda hinfällig wird – der primäre Sinn ist gewissermaßen der primäre Referent unserer Ausdrücke (et vice versa): […] obviously, once the contrast between primary referent and primary sense disappears, the remaining entities are the primary referents, indeed the only referents of singular reference, and they turn out to be governed by different laws. Certainly, the principles governing the vanished Fregean semantic contrast go by the board. Hence, it is somewhat of a misnomer to call them senses. Let us call them individual guises.70

Worauf ich mich (um ein altes Fallbeispiel heranzuziehen) beziehe, wenn ich „der gegenwärtige König von Frankreich“ denke, ist ein Guise, ein individuierter Denkinhalt, der qua Inhalt eine Objektivität hat. Ob das, woran ich denke, existiert, muss in eine andere Frage gegossen werden: Gibt es, sagen wir, mit Sinneserfahrung verknüpfte Guises, die mit dem in Rede stehenden Guise kon-substantiiert sind? Der klassische Existenzbegriff – ohnehin von allerlei Schwächeanfällen bedroht – muss logischer Weise aufgespalten werden. Eines der Spaltprodukte ist der Konsubstanziierungsbegriff, sehr zum Vorteil für den von Perry erwähnten Beispielfall um John 68 69 70

Vgl. Müller (1994), 221-229. Castañeda, The Self and the I-Guises, Empirical and Transcendental, zitiert aus Castañeda (1999c), 187. Castañeda (1999c), 191.

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und Frank: Für Frank sind „der Dekan“ und „mein Nachbar“ Guises, die miteinander verbunden sind, während diese Verbindung für John nicht besteht, so dass man nur von einer kontingenten Konsubstanziierung sprechen kann. Castañeda macht das Phänomen kontingenter Konsubstantiierung am klassisch-tragischen Fall von Jokaste deutlich. Die Tragödie kam über Theben, weil der vorherige König von Theben Ödipus’ Vater war und Ödipus unwissentlich (für Ödipus und Jokaste) seine Mutter zur Frau genommen hatte. Unter Fregeschem Vorzeichen sind die semantischen Schnittmuster dieses Falles höchst kompliziert. Mit Hilfe der Guise-Theorie lässt sich das Ganze aber entzerren. Dies hat dann auch Konsequenzen für den klassischen Identitätsbegriff: Genuine identity between Oedipus’ father and the previous king of Thebes does not hold: they are distinct individuals. Their difference belongs both to reality and to Jocasta’s mind; it underlies Jocasta’s belief, recorded in premise […] that they are, also, not contingently the same, i.e., not consubstantiated. The individuals, the previous King of Thebes and Oedipus’ father, are different (i.e. nonidentical); yet in spite of Jocasta’s belief, they are consubstantiated (i.e., contingently the same). They are, therefore, constitutive of a big unitary chunk in the world: they are thin slices of such a chunk, and we call them individual guises.71 […] Guise Theory accepts that there are (at least) two distinct relations of the sameness family: genuine identity governed by Leibniz’s law […] and the contingent, factual, existential sameness […], hereafter called consubstantiation.72

Castañedas Kritik an Chisholm wiederum richtet sich kritisch gegen die Errungenschaften der Attributionstheorie; sie habe, aus seiner Sicht, nicht die Kraft, wirklich das Phänomen Selbstbewusstsein zu erreichen. Was sie erreicht, ist allenfalls das Phänomen Bewusstsein. Castañeda erläutert dies am Beispiel einer Forscherin, die ganz in die Beobachtung eines Ameisenhügels versunken ist. Es trifft für ihren Zustand nun tatsächlich zu, dass sie sich die Eigenschaft „Beobachterin sein“ direkt zuschreiben kann. Aber – vergegenwärtigen wir uns ihre Selbstvergessenheit – aktuelles Selbstbewusstsein ist damit noch nicht eingeholt, lediglich ein Aufmerksamkeitszustand, der ganz ohne explizite Bezugnahme auf „mich selbst“ auskommen kann.73 Chisholms Attributionstheorie ist aus diesem Grunde außer Stande, dem Phänomen Selbstbewusstsein gerecht zu werden; sie kann die Hierar71 72 73

Castañeda (1999c), 185. Ebd. Vgl. Castañeda (1999b), 160.

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chie von Bewusstsein (Bewusstseinsebenen) nicht einholen.74 Aus eben diesem Grund zieht Chisholm einen Fichteanismus an, der übertrieben wirken könnte: Die Idee einer Verschränktheit von direkter und indirekter Zuschreibung ergib nur dann einen Sinn, wenn man auch einer nichtreflektierten Bezugnahme auf anderes einen Platz einräumt. Aber dieser Platz ist mangels fehlender Ebenenunterscheidung in Chisholms Theorie nicht vorhanden.75 Castañeda deutet die Alternative an, die sich von Chisholms Standardformulierung der direkten Zuschreibung abstößt; sie lautete: „Die Eigenschaft des F-Seins ist so, dass x sie x direkt zuschreibt.“76 Castañedas Hinweis ist aufschlussreich: The semantics of thinking and consciousness […] is twofold. Besides unreflective, merely cross-referring self-reference to ‘x’, there is reflective, genuine selfreference, which not just refers back to x, but refers back to x qua the thinker x is. My answer is ‘Yes.’ Furthermore, I am prepared to find within reflective consciousness several layers of thinking.77

Castañeda selbst lässt Elemente Fichteschen Denkens ausdrücklich zu; er beharrt aber auf einer Hierarchie von Bewusstseinsebenen – gerade um dem lebensweltlichen Phänomen „Selbstbewusstsein“ gerecht zu werden. 4. „Das Selbst“ – und die Person Wenn wir uns – nach dieser Reise durch ein Labyrinth von Fragen nach der Referenz des Wortes „ich“ – ein Bild von einer konsistenten Antwort auf die eingangs aufgeworfene Frage nach der Referenz des Wortes „ich“ machen wollen, so sollten wir zunächst festhalten: 1) Dass der Ausdruck „ich“ als Indexausdruck auf etwas Bezug nimmt, kann nur dann geleugnet werden, wenn man bereit ist, vor dem Phänomen der Selbstreferenz die Augen zu verschließen. Attributionstheorien gleich welcher Spielart machen sich dieser Blindheit schuldig.

74 75 76 77

Vgl. Castañeda (1999b), 161. Vgl. Castañeda (1999b), 164. Vgl. Anm. 47. Castañeda (1999b), 168.

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2) Die Einzigartigkeit dieser Referenz – ihre Erfolgsgarantie sowie ihre epistemischen Konsequenzen – bleiben nach wie vor ein philosophisches Mysterium. Die einzigen Erklärungen, die man so nennen kann, sind reduktionistische „Erklärungen“, die aber dem Phänomen nicht gerecht werden. Der Selbstbewusstseinstheoretiker muss hier zum Phänomenologen werden; er steht vor einem Phänomen, das er nicht im eigentlichen Sinne herleiten kann. Das ist der Grund, warum allen Selbstbewusstseinstheorien – wie man gerade an Chisholm und z.T. soagar an Castañeda ablesen kann – am Ende ihrer anti-reduktionistischen Analysen die Luft buchstäblich ausgeht. Das Phänomen Selbstbewusstsein ist hinzunehmen. 3) Geht man – analytisch und phänomenologisch – diesem Grundtatbestand (so gut es geht) weiter nach, so stellt sich heraus, dass Gegenstand der Referenz und Selbstvollzug der Referenz (spekulativ gesprochen) dialektisch-identisch sind: Sobald wir das Phänomen der Selbstreferenz auch um der Abstraktion willen vom Selbstreferieren abtrennen, zerplatzt es begrifflich. 4) Castañedas Guise-Theorie versucht, das Selbstreferieren in seiner Bezüglichkeit noch einmal einzuholen, muss aber am Ende zugestehen, dass der Bezugsgegenstand dünn bleibt. Wenn das „ich“ in der Tradition Humes und Kants geradezu als schwarzes Loch betrachtet wird, dann hat das eine gewisse Berechtigung. Was die Selbst-Referenz einerseits trifft, ist ein Ich-Guise; dieses Ich-Guise ist ontologisch ‚dünn’ und bleibt dünn. Aber darin liegt andererseits auch ein erheblicher Vorteil: Es kann gar nicht mit den „thick particulars“ – den alltäglichen Gegenständen der Welt, die ihrerseits doxastische „chunks“ von Guises sind, verwechselt werden. Jedem Verdinglichungsversuch wird so der Weg abgeschnitten. Kants Warnungen,78 die sich als Unbehagen bei Wittenstein und Anscombe atmosphärisch niederschlagen, wird so entsprochen. 5) Als doxastische Objekte sind die Gegenstände in der Welt für uns Gegenstände des Wissens, der Untersuchung, des Befragens. Wir bilden uns Meinungen über sie, die irrtumsanfällig sind und epistemischer 78

Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 404.

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Prozeduren bedürfen. Unsere Referenz ist davon insofern nicht betroffen, als wir uns im Akt des Referierens auf Denkinhalte beziehen, die als Guises Objektivität für sich beanspruchen dürfen.79 Erst im Umweg über Fragen der Instantiierung (in der Terminologie Castañedas: der Konsubstantiierung) werden wir mit der Frage nach Wirklichkeit versus Fiktion, Existenz (im engen Sinne) versus Einbildung konfrontiert. Halten wir aber für einen Moment inne, um noch einmal darüber nachzudenken, was Ich-Guises nun genau sind. Sie haben mit anderen Guises gemeinsam, dass sie Denkinhalte darstellen, auf die wir uns beziehen können. Aber Ich-Guises sind dünn, augenblickshaft, „ephemer“: An I-guise is, in the light of the preceding discussion, a rather thin individual which is the proprietary subject of a given experience, and vanishes when the experience vanishes.80

Das hat in ontologischer Hinsicht einige pikante Folgen: Es gibt eine Vielzahl von Ich-Guises, ihre Verfugung und Verbindung muss a fortiori geklärt, sie muss kriterial ausgewiesen und kann nicht vorausgesetzt werden. Denn theoretisch bleibt eine Möglichkeit gegeben, die z.B. David Lund81 ausführlicher diskutiert: nämlich dass mit dem ephemeren Wechseln der Ich-Guises auch das Subjekt wechselt. Dieser Gedanke mag kontra-intuitiv und abwegig, intellektuell aufwändig erscheinen, aber das wischt ihn philosophisch noch nicht vom Tisch. Wie stabilisiert und verdichtet sich das Subjekt angesichts der Vielzahl ephemerer Ich-Guises? Castañeda delegiert diese Frage am Ende an das Problem personaler Identität durch die Zeit: The main point is that in this case we are not dealing with synchronic existential sameness, but with diachronic existential sameness, which we may call transubstantiation. The main differences between these two samenesses are these: in the case of consubstantiation we have the principles of a sameness that relate[s] individual guises pairwise, whereas in the case of transubstantiation we have principles of sameness that tackle systems of guises; consubstantiation is less con79

80 81

Dass dies eine anti-realistische Komponente hat, scheint Castañeda auch bereitwillig zuzugeben. Vgl. Castañeda, Metaphysical Internalism, Selves, and the Indivisible Noumenon (A Fregeo-Kantian Reflection on Descartes’s Cogito), zitiert aus Castañeda (1999d). Castañeda (1999c), 198. Vgl. Lund (2005), 126-134.

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ventional than transubstantiation; consubstantiation deals with experiences at times and provides the basis for the principles of transubstantiation to apply. In short, the fluidity and richness of the sameness relations is what we need here.82

Wir müssen also danach fragen, was Kriterien personaler Identität sind. Castañeda verweist uns an ein Netzwerk von Kriterien: die Kontinuität meines Körpers, der Zusammenhang meiner Erinnerungen, die Tatsache, dass Erinnerungen aus Erfahrungen stammen, dass sie untereinander in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen – solche und ähnliche Kriterien bilden den Grundstock, um nach der „ontologischen Dichte“ des Ich-Sprechers zu fragen. Und weil es sich dabei um echte Fragen handelt, sind alle meine Auskünfte über das, was meine Identität durch die Zeit ausmacht, grundsätzlich problematisierbar. Das Phänomen der Selbstreferenz ist einem Wissen-wie vergleichbar, das ein Wissen-dass möglich macht; aber es kann nicht an die Stelle epistemischer Prozeduren treten, die dann nötig werden, wenn ich mich nach den Kriterien meiner Identität durch die Zeit frage: Persons are complexes of bodies that behave in certain ways, have certain types of experiences, and are, therefore, connected to particular families of I-guises along their histories. These histories include experiences of identification of given I’s with other individuals, and these identifications cover a spectrum of cases that range form a theoretical leap involving an I-guise and a family of thirdperson guises to cases in which, through memory, an I is equated with persons, so to speak, form inside. Most commonly personal identifications involve combinations of these two models.83

Auch ein urtümliches Mit-Sich-Vertrautsein reicht als Grundlage für die Feststellung diachroner personaler Identität nicht aus, denn es gehört ganz zur Eigenart des Ich-Sagens selbst und hat deshalb einen rein transzendentalen Charakter: Dass die Welt, die ich erfahre, meine Erfahrungswelt ist, verdankt sich einem Mit-sich-Vertrautsein, das meine Erfahrungen grundiert und mein Denken mit den Guises anreichert, auf die ich mich faktisch beziehe.84 Es ergibt auch keinen Sinn, in meiner Erfahrungswelt nach dem genauen Gegenstand dieses urtümlichen Mit-Sich-Vertrautseins zu suchen oder gar, sich Auskünfte zu erhoffen, indem man einen Blick hinter den Vollzug der Selbstreferenz zu wagen versucht. Es gibt kein „in“ und „da-

82 83 84

Castañeda (1999c), 199. Castañeda (1999c), 199f. Vgl. Castañeda (1999c), 197f.

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hinter“ im gegenständlichen Sinne, denn das transzendentale Ich ist meine Erfahrungswelt qua Erfahrungsvollzug. Vor diesem Hintergrund ist es auch klar, warum es keinen Sinn ergibt, von einem immateriellen Selbst als Grundlage meiner Selbstreferenz zu sprechen; das Selbst ist, wenn man sich auf diese Terminologie einlassen möchte, weder materiell noch immateriell, weil diese Dichotomie nur auf Gegenstände unserer Erfahrungswelt sinnvoll angewendet kann. Zu solchen Schlüssen kommt Castañeda in der Spur Kants85 – und bleibt ihnen treu, nicht ohne einzuräumen, dass es möglicherweise sinnvoll ist, unabhängig von der „Natur des Selbst“ über die Existenz einer Seele nachzudenken.86 Er verwahrt sich dagegen, von den I-Guises ausgehend weit reichende (vielleicht sogar ausschließende) Schlüsse auf ein irgendwie zugrunde liegendes Substrat zu ziehen: An I-Guise is the I of an experience. An I, a Here, and a Now, constitute the inner framework of an experience. They are mutually irreducible and irreducible to the contents of experience. They are all exhausted by the experience they demarcate: they are most ephemeral and subjective. Because I-guises overlap through overlapping specious presents, which underwrite the unity of the consciousness of each episode of consciousness of succession, there is a concept of a synchronical experiential I or self as a manifold of overlapping I-guises. Beyond the internal aspects of experience, there are concepts of self erected upon manifolds of experiential I’s by layers of consubstantiations. We also have operative concepts of the self as an enduring entity. These selves are simply networks of consubstantiations and transubstantiations built around overlapping I’s as well as successive I’s, embellished with physical, psychological, and sociological guises as allowed by the context of surrounding environment and institutions we belong to. That context imbues such networks with special patterns of consubstantiations and transubstantiations.87

Die Frage, was wir sind, was wir als Personen sind, lässt sich vom Phänomen des Selbstbewusstseins her allein nicht in befriedigender Ausführlichkeit beantworten. Dass Castañeda vor diesem Hintergrund diese Frage erneut delegiert – delegiert an eine wissenschaftliche Metaphysik, die als Rahmentheorie eine Mehrzahl von Disziplinen umgreifen sollte, ist nicht verwunderlich. Und ich vermute, dass dieser Akt der Delegation dem eingangs von mir zitierten Vorschlag von Kutscheras zuarbeiten könnte: Per85 86 87

Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 407-410. Vgl. Castañeda, Persons, Egos, and I’s, zitiert aus Castañeda (1999e), bes. 247-249. Castañeda (1999c), 201.

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sonen sind Menschen. Wir können das allerdings nur auf der Grundlage wissenschaftlicher Metaphysik behaupten – einer Metaphysik, die sich einen Reim auf wissenschaftliche Daten zu machen versucht. Denn – rein selbstbewusstseinstheoretisch formuliert – dass sie Subjekte sind, schließt ihre physikalische Realisierung weder aus noch ein. Was wir über Personen sagen wollen, lässt sich selbstbewusstseinstheoretisch allein nicht mehr befriedigend erläutern: Nonetheless, it is of the utmost importance to fasten to three facts: (i) the evanescence of the I’s presupposes some underlying constant phenomenal as well as noumenal reality; (ii) that evanescence neither requires nor runs against the view that the constant element in phenomenal reality is a pattern of diachronic connections among physical individuals; (iii) likewise, neither is the lastingness of the I’s required for, nor does is fleetingness oppose, the thesis of a noumenal soul.88

An anderer Stelle habe ich dafür votiert,89 die Frage nach dem Ich und die Frage nach der Seele sauber zu trennen. Vor dem Hintergrund einer wissenschaftlich-spekulativen Metaphysik, der die Detailbestimmung personaler Identität zukommt, ist es nicht unplausibel, Seele als Struktur zu deuten, die sachlogisch den von Castañeda erwähnten Netzen und Netzwerken entspricht, die nötig sind, wenn wir eine gute Erklärung für die Perduranz von Personen haben wollen. Aber – können wir nicht immerhin eine Minimalbestimmung formulieren, um zu sagen, was Personen sind? Ich würde diese Frage durchaus bejahen: Wenn wir auf einige Eingangsüberlegungen zurückblicken, können wir sagen, dass Personen Wesen sind, die kommunikative Kontexte herstellen können in einer Weise, die es nicht erlaubt, die semantische Bewertung dieser Kontexte von der Erstellung der Kontexte, von ihrer Vollzugsform sozusagen, zu trennen. Das wird besonders an Indexicals deutlich, die wir nicht verstehen können, wenn wir die Erstellung des semantischen Kontexts nicht adäquat in Rechnung stellen. In spekulativen Worten ausgedrückt und mit Dieter Henrich in Anlehnung an Fichte gesprochen: Selbstreferenz ist eine „Aktivität, der ein Auge eingesetzt ist“:90

88 89 90

Castañeda (1999e), 248. Vgl. Schärtl (2008). Henrich (2001), 57-82, hier 75.

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Das Auge ist der Aktivität nicht eingesetzt wie eine Plombe in einen Zahn oder ein Bein in einen Stuhl, so als ob die Aktivität durch die ihre eigene Fähigkeit des Gewahrens behindert oder ergänzt würde. Vielmehr ist die Weise, in der sie überhaupt Aktivität ist, im vornhinein bestimmt, und positiv bestimmt, durch ihre Fähigkeit und Eigenschaft des Gewahrens. Das Auge ist das Auge einer Aktivität in derselben Weise, in der die Orientierungsfähigkeit dem Menschen als aktivem Wesen zukommt. Die Aktivität verfügt wesentlich über die Kraft der Orientierung – nur dass im Falle des Selbstbewusstseins diese Orientierung eine solche auf sich im Verständnis des eigenen Selbstverhältnisses ist.91

Der beste Weg, die Eigenart von Personen zu beschreiben, beginnt mit der Beschreibung einer besonderen Tätigkeit: der Selbstreferenz. Personen sind Wesen, die diese Art von Tätigkeit aufnehmen können und sie in einer geradezu traumwandlerischen Sicherheit ausführen. Wer sich philosophisches Staunen noch bewahrt hat, muss das Vorkommen von Wesen, die diese Tätigkeit meistern können, eigenartig finden – eigenartig in einem Universum voller Sterne und voller Staub. Denn Sterne und Staub führen derartige Tätigkeiten nicht aus, sie kommunizieren nicht, sie sind nicht in der Lage, den Vollzug einer Kommunikation so in Rechnung zu stellen, dass daraus ein Bewertungskontext für eben diese Kommunikation selbst wird. Dass wir Kommunikation in einem Universum voller Sterne und Staub nicht ohne physikalische Realisierungen vollbringen können, sagt ebenfalls etwas über die Eigenart von Personen aus. Aber – um hier erneut auf Castañeda zurückzugehen – nichts spricht dafür zu meinen, dass die physikalische Realisierung für die in Rede stehende Tätigkeit eine notwendige Bedingung darstellt. Auch wenn sich aus einer Theorie der Selbstreferenz noch keine große inhaltliche Beschreibung des Personseins gewinnen lässt,92 fällt ohne die Berücksichtigung dieses Phänomens prak91 92

Henrich (2001), 76. Dieter Henrich hat dies allerdings ausgehend von einer existenziellen Auslegung des in der Selbstreferenz aufscheinenden Selbstverhältnisses versucht (und andere sind ihm darin gefolgt, wie z.B. auch Klaus Müller) und unter den Begriff der Selbsterhaltung gebracht, der eine Leitidee für eine selbstbewusstseinstheoretisch angeleitete Phänomenologie sein kann. Aber nach wie vor bleibt, auch in diesem Konzept, die konkrete Inhaltlichkeit an phänomenologische Erwägungen gebunden. Der Selbsterhaltungsbegriff dient allerdings dazu, Ordnung in das Reich der Phänomene zu bringen. Vgl. Henrich (2001) 109-130, bes. 120f.: „Zunächst ist es das seiner selbst bewusste und handlungsfähige Einzelwesen, also die Person, die auf Selbsterhaltung angewiesen ist und zu ihr imstande ist. Der Zusammenhang zwi-

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tisch alles in sich zusammen. Donald Davidson hat (in einer freundlichen Antwort auf Dieter Henrich) unterstrichen, dass wir das Phänomen des Verstehens nicht mehr verstehen können, wenn wir die Erste-Person-Perspektive streichen. Wenden wir diesen Gedanken ins Positive, so können wir für eine Minimalbestimmung von Personsein sagen, dass Personen jene Wesen sind, die dank einer besonderen Tätigkeit und dank der Eigenart dieser besonderen Tätigkeit (der Möglichkeit, sich auf sich selbst zu beziehen), einander verstehen können.93 Literaturangaben Anscombe, Gertrude Elizabeth Margaret (1994), Die erste Person, in: Frank (1994), 84-109. Castañeda, Hector-Neri (1989), Thinking, Language, and Experience. Minneapolis: University of Minnesota Press. Castañeda, Hector-Neri (1994), Bedeutung, Glaube und Bezugnahme, in: Frank (1994), 459-480. Castañeda, Hector-Neri (1999a), ‘He’. A Study in the Logic of SelfConsciousness, in: Hart / Kapitan (1999), 35-60. Castañeda, Hector-Neri (1999b), Self-Consciousness, Demonstrative Reference, and the Self-Ascription View of Believing, in: Hart / Kapitan (1999), 143-179.

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schen beiden reflexiven Beziehungen lässt sich leicht begreifen, wenn man Selbstbewusstsein von vornherein funktional als Bedingung ansetzt, kraft deren sich rationale Wesen im Dasein zu behaupten vermögen. Mit diesem Ansatz zwar nicht identisch, aber ihm leicht zuzuordnen ist die sprachtheoretische Aufklärung von Selbstbewusstsein, welche das, was Selbstbewusstsein heißt, aus der Verwendung des Personalpronomens in der ersten Person singularis erklärt: Im Kommunikationsprozess, in dem auf Einzeldinge Bezug genommen wird, dient dieses Pronomen dazu, auf jenes besondere Einzelding zu verweisen, welches die Person des Sprechers ist. Verhält es sich im Prinzip so, dann ist auch klar, dass die Verstehbarkeit von ‘Selbstbewusstsein’ jederzeit vom Gedanken eines Einzeldinges unter Einzeldingen abhängt, von dem zugleich auch deutlich ist, dass es der Erhaltung bedarf und der Selbsterhaltung insofern, als sein Dasein von eigenem Tun abhängig ist, das unterlassen werden oder verfehlt sein kann.“ Vgl. Davidson (2001), 85-91.

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„Natura facit habilem, ars potentem, usus vero facilem“ Disposition, Fertigkeit und Personalität Hans Kraml, Innsbruck 1. Einleitung Menschliche Tätigkeiten sind untrennbar mit Dispositionen verbunden, also mit Möglichkeiten und Fähigkeiten zur Ausübung von Aktivitäten aller Art. Dabei kann man von vornherein mehrere Formen unterscheiden, die durchaus eine recht unterschiedliche Rolle spielen und auch unterschiedlich betrachtet werden müssen. Unabhängig von der Vorbereitung dieses Papiers, aber ungefähr zeitgleich, stieß ich auf das im Titel verwendete Zitat, das sinngemäß zu verstehen gibt, dass die Natur einem Menschen gewisse Eignungen vorgibt, die Kunst Fähigkeiten ausbildet und die Übung zur Geschicklichkeit führt. Alle drei Fälle stellen Handlungsdispositionen dar, die jedoch eine recht unterschiedliche Rolle spielen. Um dem Thema der Handlungsdispositionen Konturen zu geben, sind einige sprachliche Klärungen voranzuschicken. Ganz oberflächlich kann man Dispositionen als den Besitz von Eigenschaften oder Beziehungen auffassen, die unter bestimmten Bedingungen in Erscheinung treten oder wirksam werden und danach sowohl dauerhaft bestehen bleiben als auch wieder verschwinden können.1 Normalerweise wird davon ausgegangen, dass sowohl Dinge und Materialien als auch Lebewesen, insbesondere auch Menschen, solche Dispositionen haben können. Die Kenntnis derartiger Dispositionen ist für unser alltägliches Handeln von größter Bedeutung, ob es sich um Materialien handelt oder um Menschen. Es ist für den Gourmet wichtig zu wissen, dass 1

Zu einer solchen Umschreibung und ähnlichen Versionen siehe z.B. Art. „Disposition“ in: Metzler-Philosophie-Lexikon (1999), 117a. Art. „Disposition“ in: The Oxford Companion to Philosophy (1995), 203a.

Niederbacher, Bruno / Runggaldier, Edmund, Hgg. (2008), Was sind menschliche Personen? Ein akttheoretischer Zugang. Heusenstamm: Ontos Verlag, 117-133.

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bestimmte Pilze giftig und andere grauslich sind, es ist für die Schüler wichtig zu wissen, welche Lehrer reizbar und welche geduldig sind, und es mag schwierig sein, überhaupt Zusammenhänge zu finden, in denen nicht Dispositionen eine ganz wichtige Rolle spielen. Das Ganze wäre auch nicht weiter aufregend, hätte es nicht in der Geschichte Philosophen gegeben und unter diesen solche, die sich partout in den Kopf gesetzt hatten, nur das für wirklich zu halten, was direkt und aktuell wirksam ist.2 Auch das wäre nicht weiter schlimm gewesen, wenn nicht zugleich vertreten worden wäre, dass Wissenschaft in der Darstellung der Wirklichkeit bestehe. Und selbst das könnte man noch leicht hinnehmen, wenn nicht mit Wissenschaft ein beträchtliches Prestige und bei entsprechender Propaganda auch ganz schön viel Geld verbunden wäre. Natürlich sind Prestigewert und Geldfluss in anderen Bereichen um einiges höher, aber die entsprechenden ökologischen Nischen sind nur wenigen Leuten zugänglich, vor allem wenigen von denen, die sich für wissenschaftliche Themen überhaupt interessieren. 2. Dispositionen Von einem alltäglichen Standpunkt aus hätte man ja mit Dispositionen recht einfach umgehen können. Man hätte sagen können, irgendein Gegenstand x würde über eine Disposition D dann verfügen, wenn es eine Eigenschaft E gibt, die dieser Gegenstand hat, wenn er in eine Situation S gebracht wird, wobei diese Eigenschaft nach dem Eintreten der betreffenden Situation an dem Gegenstand erhalten bleiben kann oder wieder verloren gehen kann, sobald die genannte Situation nicht mehr besteht. Ein zerbrechlicher Gegenstand zerbricht nur einmal, ein durchsichtiger bleibt es, auch wenn er in einem finsteren Zimmer aufbewahrt wird. Eine solche Beschreibung wirft natürlich einige Probleme auf, etwa wie eine für das Auftreten der Eigenschaft bedeutsame Situation charakterisiert werden kann und was an der Situation das Entscheidende ist, vor allem auch, wann eine Situation aufhört, eine für die Disposition relevante Situa2

Vgl. Carnap (1978), 3-16.

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tion zu sein, aber solche Fragen wären vielleicht lösbar. Allerdings bleibt die Tatsache bestehen, dass man dabei immer wieder von Prädikatoren Gebrauch macht, die im Grunde genommen Dispositionen zu verstehen geben. Selbst Farbprädikate geben ja in gewissem Sinn Dispositionen an. Hier gelangt man in ein Zirkularitätsproblem, wenn es einem darum geht, nicht einzelne Dispositionen zu definieren, sondern zu definieren, was eine Disposition ist unter Rückgriff auf eine Sprache, die frei ist von der Verwendung von Dispositionsprädikaten. Das Problem stellt sich in aller Schärfe, wenn die Ansicht vertreten wird, Dispositionen seien dazu da, das Verhalten von Materialien, Dingen oder Lebewesen zu erklären. Hier fühlt man sich fatal an Molières Spott über den Rückgriff auf eine „vis dormitiva“ zur Erklärung der Wirksamkeit eines Schlafmittels erinnert. Andererseits können Strukturbeschreibungen von Materialien nur dann etwas zum Verständnis der Dispositionen beitragen, wenn sie wiederum Dispositionszuschreibungen enthalten. Greift man auf deduktiv-nomologische Erklärungen nach dem H-O-Schema zurück3, dann erweisen sich die dabei zu verwendenden Naturgesetze letzten Endes als verkappte Dispositionszuschreibungen. Damit zeigt sich aber nur die mittlerweile wohl ziemlich weit verbreitete Feststellung, dass ein strenger Empirismus mit unserem alltäglichen Umgang mit der Welt genauso wenig zurechtkommt wie mit unseren Wissenschaften. Wenn aber Dispositionen lediglich das sind, was in gesetzesartigen Aussagen behauptet wird, wozu dient dann der Gebrauch von Dispositionsausdrücken in den verschiedenen Gebieten unserer Sprache? Es kann einen Bereich von Fällen geben, in denen dieser Gebrauch der Sprache tatsächlich für Erklärungszwecke eingesetzt wird, das muss gar nicht bestritten werden.4 Der weitreichende Gebrauch von Dispositionsprädikaten ist aber nicht dadurch plausibel zu machen, dass wir eben in unserer vorwissenschaftlichen Welt geneigt sind, alles mit banalen Trivialitäten à la vis dormitiva und folklorepsychologischen Handlungszweckzuschreibungen zuzukleistern. Ein näherer Blick auf unsere Verwendung der Rede von Dispositionen kann uns bald nahe legen, dass es gar nicht Erklärungen sind, für die wir in 3 4

Siehe Hempel / Oppenheim (1948). Siehe dazu Jansen (2004).

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den meisten Fällen Dispositionen in Anspruch nehmen, sondern dass diese eine ganz andere Aufgabe zu erfüllen haben und dazu auch geeignet sind. Dazu zunächst einige begriffliche Absprachen. Die Rede von Erklärungen ist notorisch vieldeutig, und in mancherlei Sinn liefern Dispositionszuschreibungen ohne weiteres Erklärungen. Einem Kind, das sich darüber wundert, dass ein Stück Zucker im Wasser immer kleiner wird und schließlich verschwindet, kann die Erklärung, dass Zucker eben wasserlöslich sei, durchaus nützlich sein. In einem gewissen Sinn ist es aber keine Erklärung. Es wird nämlich nicht gesagt, warum Zucker im Wasser verschwindet, sondern lediglich erklärt, dass das immer so ist. Es ist, sprechakttheoretisch gesehen, fast ein Deklarativsatz, der dem Kind zur Verfügung gestellt wird. Erklärungen-Warum? haben aber einen anderen Charakter. Sie führen nämlich einen Sachverhalt oder Vorgang auf einen anderen Sachverhalt oder Vorgang zurück. Dabei handelt es sich um einen zweistelligen Sprechakt, eine in der Philosophie vernachlässigte Sorte, die meines Wissens nur in der Linguistik bislang genauer untersucht worden ist.5 Ein Sachverhalt wird im Sinn der Erklärung-Warum? dadurch erklärt, dass er auf einen anderen Sachverhalt zurückgeführt wird, mit dem er nach einer Gesetzmäßigkeit, die sich in der Sprache als Regel darstellen lässt, verbunden ist. Den Umstand, dass ein Stab im Wasser gebrochen erscheint, erkläre ich dadurch, dass Licht beim Übergang von einem dichteren Medium in ein dünneres Medium vom Lot gebrochen wird. Stäbe im Wasser haben die Disposition, gebrochen zu erscheinen, was dadurch erklärt wird, dass Licht die Disposition zur Refraktibilität hat. Hier wird, wie auch im Fall der Erklärung der Wasserlöslichkeit durch den Hinweis auf eine besondere Molekularstruktur, eine Disposition durch eine weitere Disposition auf einer anderen Ebene erklärt. Das sind Erklärungen-warum?, und sie sind zwar philosophisch oder definitionstheoretisch mit Problemen behaftet, aber für wissenschaftliche und vor allem technische Zwecke durchaus passend. Es werden dabei aber jedenfalls nicht Termini für Unbeobachtbares, eben Dispositionstermini, auf Termini für Beobachtbares zurückgeführt, damit ja alles seine wissenschaftstheoretische Richtigkeit hat. Vielmehr werden die Dispositionen nur tiefer gelegt, bis man 5

Klein (1987).

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den dispositionalen Zusammenhang als gegeben hinnimmt. Alle Erklärung muss schließlich einmal ein Ende haben, und dieses Ende besteht darin, etwas als Faktum hinzunehmen. Das schließt nicht aus, dass man sich zu einem späteren Zeitpunkt wieder an die Sache heranmacht und die Erklärung in einem weiteren Spiel um eine weitere Stufe tiefer legt. Wozu aber dieses Spiel? Das Spiel hat seinen Sinn darin, dass es in erster Linie gar nicht um Erklärungen geht, sondern um Kenntnisse über das Verhalten von Stoffen und Dingen im Zusammenhang mit dem Handeln der Menschen. Der Hinweis auf die Wasserlöslichkeit von Zucker erklärt mir nicht merkwürdige Verhaltensweisen von Zucker, sondern hindert mich daran, Zucker in einer zu feuchten Umgebung aufbewahren zu wollen. Die Kenntnis der Löslichkeit von Zucker wird von mir regelmäßig benützt, wenn ich mich morgens weigere, Zucker in meinen Kaffee werfen zu lassen, damit er nicht noch schlechter schmeckt. In jedem Chemielehrbuch werden bei den einzelnen Elementen und Materialien deren Eigenschaften angeführt, die allesamt als Dispositionen auftreten. Dabei wird nichts erklärt, sondern die Verwendbarkeit der Materialien angegeben. Eine solche Angabe ist vielleicht nicht Inhalt großartiger wissenschaftlicher Theoriebildung oder deren Resultat, sie ist aber im Rahmen des menschlichen Handelns als technischer Hinweis gar nicht entbehrlich, daher auch nicht Gegenstand irgendeiner Naturalisierung. So weit die Präliminarien zu handlungstheoretischen Überlegungen. 3. Handlungen Menschliche Handlungen sind Tätigkeiten, die sich auf unterschiedliche Weise darstellen lassen. Sie sind jedenfalls immer auch Naturvorgänge oder einfache Ereignisse. Das heißt, man kann sie als solche darstellen. Wenn sie aber im Zusammenhang von Tätigkeiten auftreten, die mit anderen gemeinsam ausgeführt werden, müssen sie als Betätigungen von Dispositionen dargestellt werden. Nur so und in diesem Sinn können die anderen Beteiligten etwas mit den Bewegungen und Vorgängen anfangen. Meine Handbewegung muss als Fall eines Grußes aufgefasst werden, sonst

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bedeutet sie nichts, sondern verdrängt lediglich Luft. Grüßen aber ist die Betätigung einer Disposition, sich mit anderen in ein bestimmtes Verhältnis zu setzen – umgangssprachlich heißt das, sich anständig zu benehmen –, und alle unsere Handlungen können als Ausübungen von dispositional vorliegenden Fähigkeiten oder Fertigkeiten verstanden werden. Es ist jedenfalls so, dass wir, wenn wir die Tätigkeiten anderer wahrnehmen, diese immer als Ausdruck von Dispositionen aufnehmen, nicht, weil wir ein so starkes Bedürfnis nach Erklärungen hätten, sondern weil wir einfach Interpretationen erzeugen wollen, die es uns erlauben, unsere eigenen Tätigkeiten mit denen der anderen in Zusammenhang zu bringen. Man muss nun allerdings zugestehen, dass in einem umgangssprachlich harmlosen Sinn diese Darstellungen der Tätigkeiten anderer (oder der eigenen Tätigkeiten) durchaus auch als Erklärungen aufgefasst werden können. Sie sind aber keine (kausalen) ErklärungenWarum?, sondern Erklärungen, die mit zu erwartenden weiteren Aktivitäten zu tun haben. Man kann sie als Erklärungen im Kontext propositionaler Zusammenhänge auffassen und in diesem Sinn als Begründungen bezeichnen,6 auch wenn es selbst für diesen Fall wieder mehrere mögliche Varianten gibt. Die Rede von Begründungen ist wenigstens genau so weitläufig wie die von Erklärungen, und auch wissenschaftliche Abgrenzungsversuche haben wohl nicht wesentlich größere Trennschärfe. Bei alledem bleibt zunächst auf der ersten Oberfläche eines klar. Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen den Fällen, in denen wir für Zwecke der erfolgreichen Ausführung eigener Tätigkeiten die Regelmäßigkeiten der Abläufe von Vorgängen in unserer Umgebung kennen wollen, damit wir sie in der für unsere Zwecke zielführenden Weise einberechnen können, und den Fällen, in denen wir wissen wollen, was andere Tätige um uns herum vorhaben, damit wir unsere eigenen Tätigkeiten so einrichten können, dass sie mit den Tätigkeiten der anderen nicht in Konflikt geraten, und damit wir diese anderen dazu veranlassen können, ihrerseits ihre Tätigkeiten mit den von uns geplanten verträglich zu gestalten. Der wesentliche Unterschied besteht hier nicht in etwas, das von jedem 6

So jedenfalls lautet der Vorschlag von Linguistenseite bei Klein (1987), 19.

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neutralen Beobachter festgestellt werden könnte, sondern in etwas, wofür ein neutraler Beobachter gar kein Vokabular zur Verfügung hat, wenn er nicht parasitisch von seiner sonstigen Situation als je immer schon mindestens in anderen Fällen Beteiligter Gebrauch macht. Was soll das nun heißen? Um das zu klären, bedarf es eines kleinen Umwegs. 3.1 Technisches Handeln Die meisten Eigenschaften von Materialien, die wir im täglichen Leben und in technischen Zusammenhängen benötigen, sind im wesentlichen Dispositionen. Leitfähigkeit, Halbleitereigenschaften, Supraleitung, Elastizität, Festigkeit und alles Mögliche von dieser Art sind keine beobachtbaren Eigenschaften von Dingen, sondern Abkürzungen für Verhaltensweisen in Experimenten oder in technischer Verwendung. Die Wichtigkeit der Feststellung solcher Dispositionen steht außer Frage, auch wenn ihr Auftreten der Erkenntnistheorie empiristisch orientierter Philosophen Schwierigkeiten bereitet. Die Kenntnis dieser Dispositionen erlaubt es uns, in unserem Handeln Dinge und Materialien zu benützen und mit Vorgängen und Abläufen zu rechnen, die für die Ergebnisse unseres Handelns eine wichtige Rolle spielen. Da unser Handeln aber gewöhnlich nicht nur mit äußeren Umständen zu rechnen hat, sondern auch mit anderen Handelnden, stellen sich diesen gegenüber ganz ähnliche Anforderungen. Allerdings gilt hier von vornherein ein beträchtlicher Unterschied zum Fall der Benützung der Situationsgegebenheiten, die in Form von Sachverhalten und Verläufen von Sachverhaltsänderungen zu berücksichtigen sind. Andere handelnde Wesen stellen natürlich auch Situationsgegebenheiten dar. Ein Mensch in meinem Weg ist einerseits in ähnlicher Weise undurchdringlich wie ein Holzklotz, wie einen solchen kann ich ihn umgehen oder etwa auch beiseite schieben. Menschen haben in diesem Sinn eine Reihe von Dispositionen, die andere Gegenstände auch haben. Aber sie können auch ganz anders in Betracht gezogen werden. Sie haben nämlich eine Reihe weiterer Dispositionen, die etwas Zusätzliches darstellen. Die Grunddisposition in diesem Sinn könnte man als Koordinationsdisposition bezeichnen. Es ist nämlich möglich, mit Menschen über die Fortsetzung der in Angriff genommenen Tätigkeiten zu verhandeln und Absprachen über das weitere Vorgehen zu treffen, die eine

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Abstimmung des Handelns mit den anderen erlauben. Solche Abstimmungen der Tätigkeiten sind natürlich auch bei Tieren vorhanden, und die menschlichen Möglichkeiten müssen wohl auch eine mit den Tieren gemeinsame Basis haben. Es ist aber für den Menschen charakteristisch, dass er sich mit Hilfe der Sprache Handlungspläne ausmalen kann und zusammen mit anderen erlernen kann, was man alles unternehmen kann und muss, um gewünschte Zustände in einer gegebenen Situation herbeizuführen, wenn diese nicht von selbst eintreten. Sowohl die Kenntnis von Zusammenhängen zwischen gewünschten Zuständen und zu deren Herbeiführung erforderlichen Aktivitäten als auch das Vermögen, Aktivitäten gezielt einzusetzen, sind Dispositionen, die ihrer logischen Form nach den Dispositionen von Materialien ähnlich sind, die aber nichts mit dem Übergang von Zuständen in andere Zustände zu tun haben. Es sind gerade diese Dispositionen, die für die Personalität des Menschen wesentlich sind. Es handelt sich dabei grob gesagt einmal um die Dispositionen, Tätigkeiten im Hinblick auf die Herbeiführung gewünschter Zustände zu planen, Sachgüter zur Ausführung der Tätigkeiten aufzufinden oder herzustellen, und zum anderen sich mit anderen Tätigen darüber ins Einvernehmen zu setzen, welche Pläne ausgeführt und welche Tätigkeiten zur Herbeiführung des Geplanten zugelassen werden. Beide Dispositionskomplexe sind in der herkömmlichen Philosophie zusammengefasst als die Disposition der Rationalität, die seit Aristoteles als Besonderheit des Menschen im Zusammenhang mit der Sozialnatur gilt, die als Disposition zur Geselligkeit mit ihren Konsequenzen der Zusammenarbeit und Konfliktträchtigkeit verstanden wird. Rationalität ist also einerseits die Disposition, a) im Zusammenhang mit der Herbeiführung gewünschter Zustände geeignete Zweck-Mittel-Ketten zu bilden und festzuhalten, und andererseits b) im Zusammenhang mit dem Handeln innerhalb einer Gesellschaft von anderen handelnden Wesen geeignete Formen der Koordination der Tätigkeiten zu entwickeln und festzuhalten. 3.2 Soziales Handeln Wir gehen davon aus, dass der Mensch in der Lage ist, auf Grund von Einsicht Tätigkeiten, die den erwünschten Zweck nicht herbeiführen, auf-

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zugeben und neue Wege zu ersinnen, den Zweck doch noch zu erreichen, oder den bisher angestrebten Zweck zu modifizieren oder überhaupt fallen zu lassen. Es ist im menschlichen Handeln grundsätzlich so, dass viele Zwecke deswegen verfolgt werden, weil sie als Teilzwecke oder einfach als Mittel zu weiterreichenden Zwecken gelten können. Die Unterscheidung von Zwecken und Mitteln ist nicht eine ontologische Unterscheidung, sondern eine praktische im Rahmen der Handlungsverläufe, die ein menschliches Leben ausmachen. Ferner gehen wir davon aus, dass der Mensch in der Lage ist, angesichts des Handelns anderer mit diesen Übereinkünfte und Absprachen zu entwickeln, die darauf gerichtet sind, Konflikte und gegenseitige Behinderungen zu beseitigen und damit die Möglichkeit der Fortsetzung des Handelns zu gewährleisten, oder auch darauf, Konflikte, die sich so nicht beseitigen lassen, zu isolieren, um in Umgehung der problematischen Fälle weiter zu handeln, oder schließlich auch darauf, Konflikte in einer Weise auszutragen, die weiteres Handeln nicht gänzlich unmöglich macht. Wie gesagt, wir gehen davon aus, dass Menschen dazu in der Lage sind, also Dispositionen besitzen, die dem dienen könnten. Wir können leider nicht davon ausgehen, dass Menschen tatsächlich so handeln, dass sie ihre Konflikte in einer Weise bewältigen, die für die Fortsetzung des Handelns aller offen ist. Wir gehen aber grundsätzlich so vor, dass wir den Menschen die Disposition zusprechen, dem zu folgen. Auch das nennen wir Rationalität, gerade wenn von dem ethisch relevanten Gesichtspunkt am Handeln die Rede ist. Anders gesagt, wir halten diese Disposition für die definierende Charakteristik des Ethischen. Sie ist die Grundlage dafür, überhaupt einen Sollensanspruch wahrnehmen zu können. 4. Dispositionen und Personsein Seit der bekannten Formulierung des Boethius, personae est definitio „naturae rationabilis individua substantia“7, hat man den Vernunftbezug 7

Boethius (1988), 74. Der Text in PL 64,1343 C bietet statt „rationabilis“ die Lesart „rationalis“, die jedoch textkritisch ausgeschieden werden muss, auch wenn sie in die Tradition eingegangen ist.

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immer als wesentlich für das Personsein erachtet. Das textkritische Problem bezüglich „rationabilis“ – „rationalis“ übergehe ich hier. In der Geschichte wurde das „rationabilis“ stillschweigend praktisch immer als „rationalis“ zitiert.8 Das muss man aber als einen Fehler betrachten, der den Sinn der boethianischen Definition zerstört und unmittelbar zu der Interpretation führen kann, die gelegentlich im Anschluss an Überlegungen von John Locke vorgebracht wurde. John Locke war sich des dispositionalen Charakters seiner Darstellung der Person nicht bewusst. Vielleicht war er sich der damit gegebenen Problematik ebenfalls nicht bewusst. Die Umschreibung des Personbegriffs bei Locke wird aber oft in einer aktualisierenden Form übernommen. Locke verwendet Dispositionsterme, und seine Umschreibung des Personbegriffs ist jedenfalls aus der Ferne von der des Boethius abhängig. Weder Boethius noch John Locke gehen jedoch davon aus, dass eine Person nur ein Wesen ist, das aktuell seine Vernunft gebraucht oder gebrauchen könnte. Eine Person ist jedes Wesen, das zu Wesen mit der Disposition zum Erwerb des Vernunftgebrauchs gehört. Das gilt für die Definition von John Locke indirekt, es ist aber in der Verwendung des Ausdrucks „rationabilis“ bei Boethius direkt festgehalten. So ist also auch für den Personbegriff überhaupt das Auftreten von Dispositionen wesentlich und für die Charakterisierung der Person die Verwendung von Dispositionstermen unvermeidlich. Damit ist aber auch klar, dass für das Personsein nicht die Manifestation einer bestimmten Tätigkeit, sondern zunächst einmal lediglich die Disposition entscheidend ist. Es ist ja auch nicht anders möglich, außer man will für den Fall von Personen intermittierende Existenz annehmen, was ontologisch auch kein Problem sein müsste, aber vielleicht eben doch überflüssig ist. Nehmen wir also statt dessen den Fall von Eigenschaften oder Tätigkeiten in Kauf, die nur unter ganz bestimmten Umständen auftreten. 8

Weder die „Patrologia latina“ noch die Tradition können als Zeugen für das Verständnis des Boethius gelten. „Rationabilis“ besagt selbstverständlich nicht „vernünftig“ wie das „rationalis“ der Tradition. Es bedeutet aber meines Erachtens auch nicht nur „verständig“, wie das in der Übersetzung von Michael Elsässer, Hamburg: Meiner 1988 (PhB 397) vorgeschlagen wird. Es kommt in der lateinischen Tradition des öfteren hauptsächlich im Sinn von „zur Vernunft befähigt“ vor, wie der Gebrauch des Ausdrucks nahelegt.

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Nach der boethianischen Definition sind diese Dispositionen nicht unbedingt Dispositionen eines Einzelfalls, sondern einer Natur. Eine Person ist ja ein Individuum einer mit bestimmten Dispositionen ausgestatteten Natur. Nun ist der Naturbegriff durchaus nicht völlig unproblematisch zu verwenden, und die Rede von „Natur“ oder „Wesen“ ist heutzutage in weiten Kreisen ziemlich anrüchig. Man müsste sich natürlich auch nicht an die boethianische Definition halten, aber ich verwende diese einmal, weil es keine bessere gibt und weil die meisten Philosophen, die den Terminus „Person“ diskutieren, dabei durchaus mit etwas rechnen, das wesentliche Merkmale aus der boethianischen Definition aufweist. Betrachten wir also die Rede von der Natur und lassen einmal dahingestellt, dass die Vernünftigkeit eine Disposition zu einer ganzen Reihe von Dispositionen ist. Wenn von der Natur gewisser Einzelfälle gesprochen wird, so ist es nicht erforderlich, zu den Einzelfällen hinzukommende oder in den Einzelfällen auftretende Entitäten anzunehmen, sondern es genügt wiederum, die bei diesen Einzelfällen auftretenden Besonderheiten, die sich in bestimmten Umständen als Erscheinungen oder Tätigkeiten der Einzelfälle ausdrücken können, zur Kenntnis zu nehmen. Die Rede von der Natur von Dingen zielt ja darauf ab, ein Wissen um die jedenfalls zu erwartenden Eigenheiten der betreffenden Dinge zusammenzufassen. Ein Lebewesen zu sein bedeutet für bestimmte Dinge, unter gewissen Umständen auf eine ganz bestimmte Weise in Erscheinung zu treten und tätig zu werden. Mit anderen Worten: bestimmte Dispositionen zu haben. Das hat zur Folge, dass man das Personsein überhaupt nicht an bestimmte Ausübungen von Tätigkeiten binden kann, sondern lediglich an das Vorliegen von Dispositionen. Die Zugehörigkeit zu einer logischen, ja sogar zu einer zoologischen Art genügt grundsätzlich dafür, eine Person zu sein, weil der Einzelfall damit über die entsprechende Disposition verfügt, auch wenn diese aus welchen Gründen auch immer nie zur Auswirkung kommt. Zucker bleibt auch auf einem Planeten, auf dem es gar kein Wasser gibt, wasserlöslich. Ein Wesen ist eine Person, wenn sie zu einer Art gehört, in der Lebendigkeit und Vernunftbegabung zu den anerkanntermaßen erwarteten Dispositionen gehören. Artzugehörigkeit ist übrigens keine Disposition, weil für ihre Definition keine Einbeziehung von Bedingungen, unter denen sie auftritt, erforderlich ist.

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Man kann das Ganze auch unter einem sprechakttheoretischen Blickwinkel betrachten. Um einen referentiellen Akt im Sinne Searles (der Einfachheit halber) zu vollziehen, muss ein Sprecher in der Lage sein, dem Hörer die Identifikation des Referenzgegenstandes zu ermöglichen. Das kann letzten Endes nur über etwas geleistet werden, das beiden auch außersprachlich zugänglich ist. Das sind im Allgemeinen nicht Dispositionen, auch wenn man eine Reihe von verzwickten Merkwürdigkeiten konstruieren könnte. Wenn ich wissen will, ob bei einem Unfall Personen zu Schaden gekommen sind, kann ich mich nicht auf die Manifestation der Rationalität versteifen. Alle Toten wären dann keine Personen, die zu Schaden gekommen sind. Wenn ich wissen will, auf wen Gesetze der Rechtspflege zutreffen, kann ich mich nicht darauf beschränken, zu untersuchen, wer gerade denkt. Mit anderen Worten: dispositionale Charakterisierungen sind nicht geeignet, Kriterien für die Zugehörigkeit von jemandem oder etwas zu einer Art von Gegenständen zu liefern. Die Art der Gegenstände muss schon bekannt sein, damit man mit dispositionalen Darstellungen etwas anfangen kann. Um ein wohlbekanntes historisches Beispiel zu gebrauchen: In der Antike gab es einen Streit zwischen den späteren Akademikern und den Aristotelikern über die richtige Definition des Menschen. Im Gefolge des Aristoteles war der Mensch „definiert“ worden als „vernunftbegabtes Lebewesen“, in der späteren Akademie, in der sich einige Skepsis ausgebreitet hatte, betrachtete man als korrekte Definition „ungefiederter Zweibeiner“. Der Verlauf der Geschichte mit dem gerupften Huhn ist ja jedermann als Kalauer bekannt. Worauf ich aufmerksam machen will, ist, dass hier zwei gegenläufige Interessen zum Vorschein kommen. Die Akademiker wollten eine Definition, mit deren Hilfe sie ein ihnen begegnendes Wesen als Menschen identifizieren konnten, eine Definition, die den Gebrauch des Wortes „Mensch“ festlegt. Die Peripatetiker operierten seit Aristoteles mit einer Definition, die es ihnen gestatten sollte, für den Umgang das Wesentliche über anderweitig bereits als Menschen (oder als irgendwelche andere Sorten von Wesen) identifizierte Wesen zur Verfügung zu haben. Das ist genau der Unterschied zwischen Beschreibungen, die es einem gestatten, bestimmte Dinge als Bestimmtes zu identifizieren, und solchen, die es einem erlauben, mit anderweitig bereits zugänglichen Dingen in einer bestimmten Weise umzugehen.

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Es erhebt sich dann die Frage, wozu man den Begriff der Person überhaupt benötigt. Aristoteliker lehnen seine Verwendung im ethischen Zusammenhang gewöhnlich ab, weil sie erstens natürlich auch bei Aristoteles keinen Hinweis auf einen vergleichbaren Begriff finden, Aristoteles kommt mit dem Begriff des Menschen als eines sozialen und sprachfähigen Wesens aus, und weil sie andererseits eine dualistische Trennung zwischen dem Menschen als Körperding und Lebewesen und seinem eigentlichen Kern als Person nicht haben wollen. Beispiele dafür sind, wahllos, aber hier vielleicht prominent herausgegriffen, Martha Nussbaum und Friedo Ricken. Nun ist natürlich im Grunde genommen jeder Begriff, der durch andere umschrieben werden kann, entbehrlich. Es ist außerdem eine Tatsache, dass für ethische Überlegungen eben nicht die Betätigung einer Disposition von Bedeutung ist, sondern allein die Tatsache, dass diese Disposition bei Wesen, die zu solchen Wesen gehören, unter denen derartige Dispositionen wesentlich sind, vorhanden ist. Eine Ethik kann es nur unter Wesen geben, die über gerade jene Dispositionen verfügen, die im Begriff der Person zusammengefasst sind. Der entscheidende Punkt ist in meinen Augen, dass das nicht nur Menschen sein müssen, aber dass es jedenfalls die Menschen sind. Wenn einmal Wesen auftauchen sollten, die über Dispositionen zum Verständnis normativer Regelungen verfügen, sind wir verpflichtet, diesen gegenüber eine Ethik zu entwickeln. Im Mittelalter dachte man in diesem Zusammenhang natürlich an Gottes Verhältnis zu sich selbst und an die Engel. An den Beispielen, auch wenn sie bestenfalls eine bestimmte Art darstellen, mögliche Welten in die Diskussion einzubeziehen, könnte man erkennen, dass man mit mehreren Schichten von Dispositionen rechnen muss. Auf diesen Gesichtspunkt wollte ich mit meinem Titel9 aufmerksam 9

Richard Fishacre zitiert in seinem Sentenzenkommentar Buch 3, Distinction 13, Quaestio 3, einen Teil dieses Satzes, der sich auch bei Albertus Magnus (1978), 28 b, findet und Marius Victorinus zugeschrieben wird, bei dem ich wörtlich den Satz nicht finden konnte. Vgl. Ps.-Beda Venerabilis (1850), 1048C: „Nam, ut inquit Victorinus, natura facit habilem, ars facilem, usus vero potentem.“ Diese Version ist evidentermaßen falsch. Es gibt von diesem Text auch keine kritische Edition. Die mittelalterlichen Verweise auf Victorinus dürften allerdings auf diese oder eine verwandte Autoritätensammlung zurückgehen. Zur Quelle siehe: Marius Victorinus (2006), 6.110-112.114.

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machen, in dem ja drei Termini für Typen von Dispositionen vorkommen, nämlich Eignung (habilitas), Fähigkeit (potentia) und Geschicklichkeit (facilitas). Sie alle können als Fälle eines Könnens oder eben als Dispositionen verstanden werden. Sie stehen übrigens zueinander in einer Implikationsbeziehung, wobei über den Wortgebrauch nicht gestritten zu werden braucht. Das Zitat stammt aus der Zusammenfassung der Rhetorik des Marius Victorinus. Dort wird auf die Tatsache abgezielt, dass zunächst einmal unter Menschen die Eignung zum Sprechen gegeben ist, weil im allgemein erwarteten Normalfall jeder Mensch die erforderlichen Anlagen zum Sprechen hat, auch wenn sie einmal bei einem einzelnen Fall nicht völlig richtig ausgebildet sein sollten und daher nicht oder nicht vollständig funktionsfähig sind. Ferner kann auf dieser Basis jeder Mensch zu sprechen lernen. Das allerdings ist keine Sache der Natur, sondern des Unterrichts und damit der Kunst, aus der sich die Fähigkeit zu sprechen bildet. Und schließlich gelangt jeder Mensch durch den regelmäßigen Gebrauch der Sprache zu jener Übung, die ein müheloses Sprechen erlaubt und die entsprechende Geschicklichkeit hervorbringt. Das geht dann bei manchen Menschen so weit, dass ihr Redefluss nicht mehr zu stoppen ist. Mit seiner Zugehörigkeit zu den Menschen verfügt der Mensch über die Eignung zu koordinativer und kooperativer Tätigkeit, die als Handeln verstanden werden kann. Mit dem sozialen Lernen erwirbt er die Fähigkeit zu richtigem Handeln sowohl in Bezug auf die äußeren Bedingungen der Erreichung der Handlungsziele als auch in Bezug auf die Erfordernisse des Handelns im Zusammenleben mit gleichermaßen handlungsfähigen Wesen. Und durch regelmäßigen Gebrauch dieser Fähigkeit erwirbt er schließlich Geschicklichkeit im Handeln und Tüchtigkeit im Umgang mit anderen, das hieße im aristotelischen Sinn: Tugend. Als Person hat jeder Mensch wegen seiner Abstammung von anderen Menschen zu gelten. Das geht daraus hervor, dass das charakteristisch personale Verhalten unter Menschen gelegentlich tatsächlich auftritt, woraus sich die Annahme ergibt, dass diese Disposition eben unter Menschen vorhanden ist. Wegen des dispositionalen Charakters des Personseins kann die tatsächliche Manifestation nicht ausschlaggebend sein, jemanden zu den Personen zu rechnen. Wenn aber jemand sich tatsächlich als Person betätigt, dann entsteht auch die Erwartung, dass diese Betätigung bestimmten Anforderungen zu

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entsprechen beginnt, dass sich also Fähigkeit und Tüchtigkeit einstellen. Im Sinn des Aristoteles wären das die Bedingungen für ein gutes Leben oder für ein glückliches Leben, für Eudämonie. Für Aristoteliker mit einem fähigkeitsorientierten Ansatz in der Theorie der gerechten Gesellschaft hängt das gute Leben zusammen mit der Möglichkeit der Entfaltung der Personalität im genannten Sinn. Ich rede nicht von Persönlichkeit, denn damit kann man die individuell auf Grund der besonderen Umstände des jeweils tatsächlich geführten Lebens mit den in diesem auftretenden Ereignissen ausgestaltete Form des Mensch- und Personseins meinen, auf die es hier gerade nicht ankommt. Dabei ist für den gesellschaftlichen Zusammenhang wichtig, dass die Betrachtung von Eignung, Fähigkeit und Fertigkeit oder Geschicklichkeit und Tüchtigkeit nicht auszureichen scheint. Diese betreffen den Einzelnen, durchaus auch in seinem Umgang mit anderen, aber sie sind nicht ausreichend im Umgang mit Institutionen, wie sich bei näherer Betrachtung herausstellt. Das hat Martha Nussbaum, die im Anschluss an Amartiya Sen einen Fähigkeitenansatz zur Theorie des guten Lebens vertritt, veranlasst, von einer eigenen Sorte von Dispositionen zu sprechen, nämlich von „capabilities“ im Englischen. Dieser Ausdruck ist kaum im Deutschen wiederzugeben, aber man kann auf dem Hintergrund des Gesagten eine Annäherung plausibel machen. Natürlich besagt „capability“ zunächst einmal so viel wie „Fähigkeit“ oder „Tauglichkeit“. Ein gutes Leben besteht für jeden Menschen darin, genug Möglichkeiten zu haben, ihr oder sein Leben in der selbst für richtig erachteten Weise führen zu können mit den eventuellen Einschränkungen, die sich daraus ergeben, dass es möglich sein muss, dass alle zusammen ihr je für sich für richtig erachtetes Leben führen. Die im Zusammenhang des gesellschaftlichen Zusammenlebens wesentliche Frage ist, nach welchen grundlegenden Gesichtspunkten ein gesellschaftliches Leben mit diesem aristotelisch-platonischen Ziel des guten Lebens zu organisieren ist. Es kommt dann darauf an, den Menschen nicht nur im Privaten die Betätigung ihrer Fähigkeiten zuzugestehen, sondern sie auch in die Lage zu versetzen, diese Fähigkeiten zu betätigen. So würde ich als „capabilities“ im engeren Sinn diejenigen Fähigkeiten verstehen, für deren Betätigung auch die nötigen Umstände hergestellt sind, sodass die oder der Einzelne auch Zugang zu der entsprechenden Betätigung hat. Diese Umstände

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zu garantieren ist Sache der Gesellschaft, sie zu benützen ist dann Sache der oder des Einzelnen. Von Natur aus, auf Grund der Beschaffenheit der Hände, kann jeder Mensch schreiben, aber die Tätigkeit des Schreibens auszuüben ist nur möglich, wenn das Schreiben auch gelernt wurde. Die Kunst des Schreibens existiert, aber erst wer Gelegenheit hat, sich diese Kunst auch anzueignen, besitzt die „capability“ dazu. Dispositionen und ihre Verzweigungen und die Dispositionen, die zur Betätigung der Dispositionen bestehen, machen unser Personsein aus. Dieses erweist sich dann als ethische Aufgabe. Menschen und in diesem Sinn Personen sind wir sowieso. Literaturangaben Albertus Magnus (1978), Summa Theologiae I, in: Siedler, Dionys, u.a., Hgg. (1978), Opera Omnia 34, p. 1. Münster: Aschendorff. Boethius, Anicius Manlius Severinus (1988), Contra Eutychen et Nestorium, in: Boethius, Anicius Manlius Severinus, Die Theologischen Traktate. Lateinisch-deutsch. Übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Michael Elsässer. Hamburg: Meiner (PhB 397). Carnap, Rudolf (1978), Dispositions and Definitions, in: Tuomela, Raimo, ed. (1978), Dispositions. Dordrecht: Reidel (Synthese Library Vol. 113), 3-16. Hempel, Carl Gustav / Oppenheim, Paul (1948), Studies in the Logic of Explanation, in: Philosophy of Science 15, 135-175. Honderich, Ted, ed. (1995), The Oxford Companion to Philosophy. Oxford: Oxford University Press. Jansen, Ludger (2004), Dispositionen und ihre Realität, in: Halbig, Christoph / Suhm, Christian, Hgg. (2004), Was ist wirklich? Neuere Beiträge zu Realismusdebatten in der Philosophie. Frankfurt am Main u.a.: Ontos Verlag (Epistemische Studien 3), 117-137. Klein, Josef (1987), Die konklusiven Sprechhandlungen. Studien zur Pragmatik, Semantik, Syntax und Lexik von Begründen, Erklären-

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warum, Folgern und Rechtfertigen. Tübingen: Niemeyer (Reihe Germanistische Linguistik 76). Marius Victorinus (2006), Explanationes in Ciceronis Rhetoricam. Cura et studio Ippolito, Antonella. Turnhout: Brepols (Corpus Christianorum Series latina CXXXII). Prechtl, Peter / Burkhard, Franz-Peter, Hgg. (1999), Metzler-PhilosophieLexikon. Begriffe und Definitionen. 2. erweiterte und aktualisierte Auflage. Stuttgart – Weimar: Metzler. Ps.-Beda Venerabilis (1850), Sententiae sive axiomata philosophica ex Aristotele et aliis praestantibus collecta. Migne, Jacques-Paul, Patrologiae cursus completus. Series latina, Paris: Petit-Montrouge. Bd. 90, 965-1090.

Menschliche Freiheit und die aufkommenden Gehirn- und Verhaltenswissenschaften* Timothy O’Connor, Bloomington Es gibt eine ganze Palette zeitgenössischer Ansichten über die Metaphysik der menschlichen Willens- und Handlungsfreiheit – welche schematische Anforderung der Entscheidungs- und Handlungsausführungsprozess erfüllen muss, um wirklich als frei und angemessenerweise als Gegenstand von Lob oder Tadel zu zählen. Für meinen Zweck genügt es in diesem Rahmen, bloß die Hauptfamilien zu erwähnen. Spätestens seit dem 17. Jahrhundert wurde es üblich, philosophische Ansichten über die Freiheit je nach ihrer Einstellung zur Kompatibilität von Freiheit und kausalem Determinismus in der natürlichen Ordnung einzuteilen. „Kompatibilistischen“ Ansichten zufolge, deren einzelne Arten ich hier nicht aufzähle, ist die Wahl ein Mechanismus, durch den die vorherrschenden Wünsche und Absichten eines Handelnden zusammen mit seinen Überzeugungen darüber, wie man sie verwirklichen kann, unvermeidlich die entsprechenden Handlungen auslösen. Den meisten kompatibilistischen Ansichten zufolge wird das, was den Willen oder die Wahl von anderen natürlichen Mechanismen unterscheidet, durch John Fischers Ausdruck gründebezogen [reasonsresponsive] wiedergegeben, ein Mechanismus, der durch die eigenen Ziele und Wünsche des Handelnden aktiviert wird. Manche werden zu dieser schlichten Darstellung weitere Anforderungen hinzufügen. So behaupten Harry Frankfurt und andere, dass ein freier Wille eine hierarchische Struktur haben muss: die Wünsche erster Ordnung, welche jemandes Wahl verursachen, müssen durch ein Wollen höherer Ordnung, von den Wün*

Anmerkung des Übersetzers Bruno Niederbacher SJ: Der folgende Text stellt die Übersetzung des Artikels „Human Freedom and the Emerging Sciences of Brain and Behavior“ von Timothy O’Connor dar, der im Original erscheint in: Ellis, George F. R. / Murphy, Nancey / O’Connor, Timothy, eds. (forthcoming), Downward Causation and the Neurobiology of Free Will. New York: Springer Publications. Ich danke für die freundliche Druckerlaubnis. Ich danke auch Johannes Frank für die sorgsame Prüfung der Übersetzung und für zahlreiche wertvolle Korrekturvorschläge.

Niederbacher, Bruno / Runggaldier, Edmund, Hgg. (2008), Was sind menschliche Personen? Ein akttheoretischer Zugang. Heusenstamm: Ontos Verlag, 135-155.

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schen erster Ordnung bewegt zu werden, bestätigt werden – ein Wollen, dass man die Art von Person ist, die regelmäßig von dieser Art von Motivation zum Handeln bewegt wird. (Suchtkranke könnten Menschen sein, die üblicherweise nicht von den Wünschen bewegt sein wollen, die sie faktisch zur Erfüllung ihrer Sucht bewegen.) Allen kompatibilistischen Ansichten zufolge, ob sie nun schlicht oder ausgeschmückt sind, ist die Fähigkeit, zu wählen oder Willensakte zu formen, in einen nahtlosen kausalen Fluss von Ereignissen eingebettet, welche die Geschichte des Universums konstituieren. (Jede kausale Unbestimmtheit im Entscheidungsprozess ist bestenfalls irrelevant für das, was Freiheit ausmacht, und schlimmstenfalls potenziell unterminierend.) Die Entwicklung und Verfeinerung von kompatibilistischen Sichtweisen schreitet eilig voran. Doch die letzten beiden Jahrzehnte haben auch das Wiederaufleben von „inkompatibilistischen“ Theorien gesehen. Alle Inkompatibilisten, die annehmen, dass freier Wille möglich ist, behaupten, dass das Wählen eine Art indeterministisches Vermögen ist, durch das ich, geleitet durch Gründe, meine Wahl „direkt“ bestimme. Dieses Vermögen einer direkten Bestimmung oder Wahl wird auf eine von drei Weisen gedacht: erstens als eine nicht-deterministische Variante der kompatibilisitischen Sicht, der zufolge es das Vermögen der Überzeugungen, Wünsche und vorausgehenden Absichten von jemandem ist, seine Entscheidungen zu verursachen; zweitens als eine sui generis nicht-kausale Variante eines aktiven Vermögens; oder drittens als ein sui generis agens-kausales Vermögen (ein grundlegendes Vermögen einer Person, eine ausführende Absicht zu formen, in bestimmter Weise zu handeln). Die Weise, wie Gründe die Ausführung einer solchen Wahlfähigkeit leiten, wird entweder dem Wesen nach effizienzursächlich (aber nicht-deterministisch) oder rein teleologisch oder als Verbindung von beiden verstanden. Wenn wir diese vielen Ansichten sehen, sollten wir nicht die Tatsache aus den Augen verlieren, dass die meisten von ihnen dieselben Merkmale von Freiheit ausdrücken möchten, die aus einem vortheoretischen Gesichtspunkt aus gesehen als zwingend erscheinen. Wir können diese zugrundeliegende Gemeinsamkeit kenntlich machen, indem wir beobachten, dass bei all diesen Ansichten es die Freiheit und Verantwortung von Menschen erfordert, dass wir drei sehr allgemeine Fähigkeiten haben und

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ausüben: (i) ein Gewahrsein und Empfinden von Handlungsgründen (einschließlich moralischer Handlungsgründe); (ii) die Fähigkeit, unsere eigenen Wünsche und Absichten zu wägen und auch kritisch zu prüfen, und gelegentlich unsere übergeordneten Ziele neu zu bewerten; und (iii) die Fähigkeit, aufgrund von Gründen zu wählen, welche Handlung wir in einer gegebenen Situation vollziehen sollen. Das vielleicht bemerkenswerteste Merkmal in der philosophischen Auseinandersetzung um den freien Willen in den letzten Jahren ist das Aufkommen von Skeptikern bezüglich des freien Willens, die bestreiten, dass wir frei sind, und ihren etwas gemäßigteren Cousins, den Revisionisten. Letztere empfehlen, dass wir unsere alltägliche Auffassung über den freien Willen revidieren, um ihn für Leute wie dich und mich passend zu machen, die (wie der Psalmist sagt) ein wenig, und vielleicht ziemlich geringer geschaffen wurden als die Engel. In manchen Fällen gründen diese entleerenden Ansichten in dem Urteil, dass die Idee der Willensfreiheit sich einer kohärenten Entfaltung entzieht. In vielen anderen Fällen aber meint man, das Problem sei ein empirisches: Was Freiheit (im vollem vortheoretischen Sinn) erfordert, so sagt man, läuft überwältigenden Belegen aus solchen Naturwissenschaften zuwider, die auf die eine oder andere Weise das Wollen und die Entstehung menschlicher Handlung tangieren. Ein derartiger Schluss wurde von einigen Naturwissenschaftlern selbst befürwortet und hat damit angefangen, Einlass in die verbreitete Vorstellung der Leute zu gewinnen. Dieses empirische Argument werde ich hier behandeln. Ich werde zuerst versuchen zu zeigen, dass hinter einigen Auffassungen der Skeptiker zuweilen Verwirrung und Fehlerhaftigkeit begrifflicher Art steckt. Dann beginne ich, mich der Herausforderung zu stellen, die übrig bleibt, wenn die Verwirrungen ausgemacht und beseitigt sind. 1. Die Wissenschaften vom Wollen und Handeln: Empirische Herausforderungen gegen den freien Willen an drei Fronten Ich beginne mit der Zusammenfassung einiger der wichtigen empirischen Ergebnisse, die für die Existenz und das Wesen des freien Willens im

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Menschen relevant sind. Diese Ergebnisse kommen von drei weiten Forschungsbereichen: der Neurowissenschaft, der Untersuchung psychischer Störungen und der Sozialpsychologie. 1.1 Neurowissenschaft In den letzten drei Jahrzehnten hat die Neurowissenschaft viele faszinierende und zum Teil überraschende Ergebnisse über menschliches Handeln zu Tage gefördert. Ich beschäftige mich hier mit Fällen, in denen Handlungen künstlich erzeugt werden aber zum Konfabulieren über Handlungen führen; Fällen, in denen eine nicht bewusst wahrgenommene Reizung des Gehirns maßgeblich eine scheinbar freie Wahl beeinflussen kann, und zuletzt mit den viel diskutierten Untersuchungen über den Zeitpunkt der vorbereitenden Gehirnaktivität angesichts der Erfahrung der Handlungsurheberschaft. Bei den Konfabulationsfällen waren Neurochirurgen, die an den Gehirnen von wachen Patienten operierten, in der Lage, durch elektrische Stimulation motorischer Zentren im Gehirn ein Verhalten wie etwa das Heben der Hand einzuleiten.1 Wir haben guten Grund zu glauben, dass die Patienten keine bewusste Entscheidung trafen, ihren Arm zu bewegen. Wenn sie aber unmittelbar danach gefragt wurden, warum sie ihre Arme bewegt haben, neigten sie dazu, offensichtlich ehrlich, rationale Erklärungen dafür zu konfabulieren, z.B. „Ich wollte deine Aufmerksamkeit wecken.“ Bei den Untersuchungen externer Gehirnstimulation wurden die Personen aufgefordert, auf ein Zeichen hin frei zu wählen, ihren linken oder rechten Zeigefinger zu bewegen. Während sie auf das Zeichen warteten, wurde heimlich ein großer Magnet über das motorische Zentrum der rechten oder linken Gehirnhälfte bewegt. Es ergab sich, dass die Personen eine gesteigerte Neigung zeigten, jene Finger zu bewegen, die der stimulierten Gehirnhälfte gegenüber lagen. Zugleich glaubten sie, dass sie dies freiwillig und ohne erkennbaren Einfluss von außen wählten.2

1 2

Siehe Delgado (1969) und Gazzaniga (1994). Siehe Brasil-Neto et al. (1992).

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Schließlich gibt es die berühmten Untersuchungen von Benjamin Libet3 über den Zeitpunkt der Erfahrung des Wollens (Untersuchungen, die seitdem durch Haggard, Lau und anderen verfeinert wurden). Libet erdachte ein Experiment, bei dem Personen aufgefordert werden, innerhalb einer kurzen Zeitspanne (ca. 30 Sekunden) ihren Finger zu bewegen. Der Versuchsleiter ordnet an, dies zu tun, wann immer sie wollen – und zwar spontan, ohne vorher eine Entscheidung zu treffen. Gleichzeitig müssen sie auf eine spezielle Uhr mit einem sehr schnellen Zeiger blicken und sich den Zeigerstand genau zu dem Zeitpunkt merken, an dem sie den „Drang“ oder „Wunsch“ spüren, den Finger zu bewegen. Während des Experiments misst ein Apparat die elektrische Aktivität im Gehirn der Personen. Libet entdeckte, dass eine Zunahme dieser Aktivität („Bereitschaftspotential“ genannt) immer dem von den Probanden angegebenen Zeitpunkt der Erfahrung des Willens, den Finger zu bewegen, vorausging. Libet ermittelte das Durchschnittsergebnis von hunderten von Experimenten und setzte fest, dass das Bereitschaftspotential der „Erfahrung des Willensentschlusses“ durchschnittlich 400 Millisekunden vorausging. Dies ist im Kontext neuraler Aktivität ein beachtlicher Zeitabstand. Libet und andere zogen daraus den Schluss, dass der „bewusste Wille“ nicht Urheber willentlichen Handelns ist, sondern Folge eines unbewussten physischen Prozesses, der die Handlung auslöst. 1.2 Psychische Störungen Ich wende mich nun den psychischen Störungen zu. Es gibt viele abnormale klinische Phänomene, aber zwei verdienen besondere Aufmerksamkeit, wenn man die Beziehung zwischen dem Willen und zielgerichtetem Handeln untersucht. Beim Syndrom der fremden Hand (Alien-Hand-Syndrome) führt die Hand einer Person reibungslos komplexe Bewegungen aus um ein scheinbares Ziel zu erreichen (z.B. jemand nimmt das Glas mit Wasser, das einem anderen gehört, in die Hand), aber die Person behauptet, diese Bewegungen nicht beabsichtigt zu haben. Sie sind im Allgemeinen nicht gewollt und verursachen Verlegenheit. (Viele von uns denken hier an Peter Sellers’ Hauptrolle in Stanley Kubricks Film Dr. Strange3

Libet (1985).

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love.) Und einige schizophrene Patienten berichten von der Empfindung, dass andere Tätige ihre Handlungen kontrollieren, obwohl es guten Grund gibt zu glauben, dass die Handlungen tatsächlich aus den – wenn auch unbewussten – Absichten der Patienten selbst hervorgehen. In beiden Fällen handeln die Betroffenen zweckbezogen und unter keiner erkennbaren Kontrolle durch äußere Handelnde oder Ursprünge, und doch fehlt ihnen irgendwie die Empfindung, Urheber ihrer Handlungen zu sein. Einige Skeptiker bezüglich des freien Willens lenken die Aufmerksamkeit auf diese Fälle. Denn das „Gefühl der Freiheit“ oder das Gefühl, das zu kontrollieren, was man tut, ist wohl Grundlage unserer Überzeugung, dass wir bis zu einem gewissen Grad tatsächlich frei sind, zu wählen. Und sie denken, diese und andere Fälle machen die Annahme plausibel, dass das Gefühl der Handlungsurheberschaft auch in normalen Fällen de facto nicht so etwas wie die direkte Wahrnehmung unserer eigenen Handlungsurheberschaft ist. Dieses Gefühl mag eine eigene physiologische Quelle haben, aus der ein kausaler Weg zur zielgerichteten Wahl und Handlung führt. 1.3 Sozialpsychologie Schließlich beachten wir die Untersuchungen der Sozialpsychologie, die mit weniger technischem Aufwand betrieben werden. In seinem provokanten und unterhaltsamen Buch The Illusion of Conscious Will erörtert der Psychologe Daniel Wegner eine Reihe von Untersuchungsergebnissen, die zeigen, dass Menschen für die Erzeugung falscher Meinungen hinsichtlich der eigenen Handlungsurheberschaft im Allgemeinen sehr anfällig sind.4 In einer Untersuchung, die dem Ouijabrettspiel nachgebildet ist, wird eine Versuchsperson aufgefordert, die Computermaus in Übereinstimmung mit einem Komplizen des Versuchsleiters zu bewegen. Es wird ihnen gesagt, dass sie frei wählen können, wie sie den Cursor auf dem Bildschirm bewegen, obwohl der Komplize die Auswahl sanft beeinflusst. Wenn die Versuchspersonen vor der Bewegung der Maus die Tonbandaufzeichnung eines Wortes hören (z.B. „Schwan“), das mit dem gewählten Ziel des Komplizen übereinstimmt, dann haben sie eine gesteigerte Neigung zu berichten, dass sie absichtlich handelten als sie die Auswahl tra4

Wegner (2002).

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fen. Andere Untersuchungen haben gezeigt: Wenn man Versuchspersonen veranlasst, über jemanden negative Gedanken zu haben, bevor dieser vorgibt, die negativen Folgen zu erleiden, dann sind die Versuchspersonen stärker geneigt, sich selbst für das Ergebnis verantwortlich zu sehen (Zum Beispiel: Du sagst der Versuchsperson, sie soll negative Gedanken über jemanden haben bevor sie einen Voodoo-Fluch über eine Voodoo-Puppe spricht, und lässt das Opfer des Fluches Kopfschmerzen vortäuschen.) In ähnlicher Weise verhält es sich hier: Visiert jemand vor der Übertragung eines Sportereignisses den Sieg seines Favoriten an, so führt dies zu gesteigerten Empfindungen, dass er dadurch irgendwie das Ergebnis beeinflusst hat. Ein Beispiel in die andere Richtung: Das dauerhafte Zeugnis anderer kann Menschen dazu führen, fälschlich zu glauben, dass sie früher einmal eine bestimmte Handlung vollzogen haben. Und wieder andere Untersuchungen haben gezeigt, dass das trügerische Gespür, die Handlungen einer anderen Person direkt zu kontrollieren, formbar ist. Dies sind Beispiele für induzierte falsche Überzeugungen hinsichtlich der Handlungsurheberschaft. Eine zweite Art von Ergebnis in der Sozialpsychologie besteht im überraschenden Grad, mit dem häufig verkannte situationsbedingte Faktoren individuelle moralische Entscheidungen beeinflussen. Eine Vielfalt von Untersuchungen zeigt, dass der Prozentsatz von Personen, die bereit sind, jemandem in Not zu helfen, maßgeblich oder gar dramatisch von z.B. folgenden Faktoren abhängt: Wie viele andere Personen, die helfen könnten, werden wahrgenommen? Wie eilig hatten sie es zur Zeit? Unterscheidet sich der Lärm oder Geruch in der Umgebung vom Normalzustand?5 Es scheint, dass diese situationsbedingten Faktoren das Verhalten manchmal besser voraussagen lassen als die allgemeinen Charakterzüge des Subjekts, wie es sie darstellt. In der Ansicht von einigen6 können diese Ergebnisse für die menschliche Freiheit eine zweifache Herausforderung darstellen: (i) unsere Handlungen könnten stark beeinflusst sein durch zufällige situationsbedingte Faktoren, die wir nicht kontrollieren und deren Einfluss uns oft nicht bewusst ist; (ii) seit Aristoteles ist es üblich, menschliche Verantwortung darin zu verankern, dass wir 5 6

Doris (2002), Doris / Stich (2006). Nahmias (2007) und Nahmias (forthcoming).

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Entscheidungen treffen, die mit der Zeit den Charakter mitformen, aus dem wiederum Vieles an späterem Verhalten hervorgeht. Die skeptische Behauptung besteht darin, dass dieser allgemeine moralische Charakter für die Erklärung unseres Verhaltens nicht so bedeutsam ist wie angenommen. 2. Einige begriffliche Mittel zur Entkräftung der Herausforderungen Wir haben nun einige der empirischen Ergebnisse vor uns, welche die Ansicht bedrohen sollen, dass Menschen in ihrem Handeln frei sind, und dass sie für ihr Handeln verantwortlich sind. Beim Durchdenken der verschiedenen Fälle muss die Verschiedenheit einer Reihe von handlungsbezogenen Begriffen beachtet werden: - minimal freiwillige Handlung: eine Handlung, die eher „automatisch“ erfolgt als dass sie bewusst gewollt ist, aber – bewusst oder unbewusst – mit einer oder mehreren der eigenen Wünsche oder Absichten zusammenfällt und keinen äußeren oder inneren Zwang aufweist. - das Wollen oder bewusste Bilden einer Absicht zu handeln: ein zielgerichtetes und ausführendes bzw. handlungsauslösendes Ereignis. Man bedenke, dass dies auf zweifache Art auftritt: eines, das gegenwartsbezogen ist (entscheiden, hier und jetzt zu handeln), und eines, das zukunftsbezogen ist (jetzt entscheiden, zu einem bestimmten zukünftigen Zeitpunkt oder beim Erfassen eines angemessenen Reizes zu handeln). - Drang oder Bedürfnis: ein gefühlter Wunsch, eine Handlung auszuführen, die befriedigend sein kann oder nicht. - Überzeugung, welche die eigene Handlung betrifft: Wir haben oft Überzeugungen darüber, was wir tun wollen (und warum), Überzeugungen darüber, was wir jetzt tun (und warum) und Überzeugungen darüber, was wir unlängst getan haben (und warum). Inwieweit diese Arten von Überzeugungen mit einander verbunden sind, ist eine empirische Frage. - Überzeugung über die weitreichende kausale Bedeutung der eigenen Basis-Handlungen: Wir haben auch Überzeugungen über die mehr

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oder weniger unmittelbaren Folgen unserer Basis-Handlungen (das sind jene geistigen Handlungen oder körperlichen Bewegungen, die wir direkt steuern). Diese Überzeugungen sind im Allgemeinen von beobachtbaren Anhaltspunkten abgeleitet, obwohl die Ableitung selten bewusst erfolgt. - Erfahrung des Wollens oder Bildens einer Absicht: Wenn wir uns bewusst für einen Handlungsablauf entscheiden, hat dies eine „handlungshafte phänomenale Qualität“ („actish phenomenal quality“, wie Ginet sagt) – wir erleben uns als jene, welche ihre Basis-Handlungen wollen oder beabsichtigen. (Manchmal, wenn wir mit einer schwierigen Entscheidung ringen, involviert dies die zusätzliche Qualität der Anstrengung.) Es handelt sich um eine empirisch/theoretische Frage, wie sich dieses Erleben zum Wollen oder Beabsichtigen selbst verhält. - allgemeines „Empfinden der Urheberschaft“: Es scheint richtig zu sagen, dass es eine vergleichsweise durchgängige aber phenomenologisch weniger ausgeprägte Erfahrung gibt, Urheber dessen zu sein, was wir tun; eine Erfahrung, die mit jeder Art minimal bewusster Tätigkeit zusammenfällt. Dies hat keine offensichtliche begriffliche oder gar erkenntnismäßige Beziehung zur spontanen, natürlichen Überzeugung, dass unsere Handlungen metaphysisch frei sind, obwohl es helfen mag, diese Überzeugung kausal zu erhalten. Es sollte ziemlich unumstritten sein, dass jede dieser Kategorien wirkliche und unterscheidbare Phänomene herausgreift. Aufmerksame Philosophen aber, die neuere Studien der Psychologie und Neurowissenschaft über das Wollen lesen, werden häufig bedrängt, mit einiger Sicherheit Bezüge zwischen der einen oder anderen dieser Kategorien und der „Erfahrung des Willens“ oder der „bewussten Entscheidung“ herzustellen – Ausdrücke, die im Allgemeinen undefiniert oder unterbestimmt verwendet werden. Wenn wir jedenfalls diese Unterscheidungen fest im Auge behalten, dann können wir leicht sehen, dass einige der empirischen Ergebnisse, die ich erörtert habe, keine offensichtliche Bedrohung für den Glauben an die menschliche Freiheit darstellen.

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2.1 Ex post facto Konfabulation Gazzanigas neurochirurgische Patienten, welche Gründe für künstlich ausgelöste Armbewegungen lieferten, haben eindeutig nach dem Geschehen konfabuliert. Dies geschieht vielleicht infolge eines natürlichen psychologischen Mechanismus, der Kohärenz zwischen den eigenen Überzeugungen und den Beobachtungen der eigenen Bewegungen herzustellen versucht. Und Sozialpsychologen haben gezeigt, dass man jemanden veranlassen kann, den Ablauf einer Handlung zu konfabulieren, um Übereinstimmung mit dem scheinbar ehrlichen Zeugnis anderer herzustellen, die behaupten, diese Handlung beobachtet zu haben. Aber der Wissenschaftler, der diese Fälle unabsichtlicher, ex post facto Bildung oder Revision von Handlungsüberzeugungen zur Notiz nimmt, sollte nicht versucht sein, sich teilweise mitschuldig zu machen, indem er zugibt, dass dort eine Erfahrung des Wollens vorlag, welche in die erfundene Darstellung der Ereignisse hineinpasst! Wir haben hier unerhebliche Fälle unseres gelegentlichen Hanges zu falscher Erinnerungsbildung vor uns, und nicht Fälle von trügerischen Erfahrungen des Willens. 2.2 Irrtümliche Überzeugungen über die weitreichenden Folgen der eigenen Handlungen Man bedenke als nächstes die Untersuchungen, die nahelegen, dass man die so genannte „Erfahrung von Handlungsurheberschaft“ im Fall von Ereignissen, die man faktisch nicht kontrolliert, wie z.B. das Krankwerden einer Person oder das Spiel einer Mannschaft, bis zu einem bestimmten Grad herbeiführen kann, indem man die Versuchspersonen einfache Handlungen vollziehen lässt, z.B. absichtlich bestimmte Gedanken zu hegen. Ob hier die gleiche „Erfahrung von Handlungsurheberschaft“ vorliegt, wie sie normales absichtliches Handeln begleitet, ist sehr zweifelhaft. Aber was hier offensichtlich vor sich geht, ist Folgendes: Die Personen werden veranlasst, falsche Überzeugungen über die unmittelbaren Wirkungen ihrer Basis-Handlungen zu bilden. Es ist zwar beunruhigend, dass unsere Neigung zu solcher Überzeugungsbildung ohne gute Gründe so leicht verstärkt werden kann. Aber dies scheint wiederum unerheblich, wenn es um die Frage unserer Kontrolle über unsere eigenen Basis-Handlungen durch den Willen geht.

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2.3 Automatismus: Minimal freiwillige Handlungen, die nicht durch ein Gefühl von Handlungsurheberschaft begleitet sind Beispiele für Automatismen sind das Syndrom der fremden Hand und die schizophrene Überzeugung, das eigene Verhalten werde von außen kontrolliert. Wir können auch an nicht-klinische, episodische Fälle denken, etwa an das Phänomen des Tischrückens unter Spiritisten im 19. Jahrhundert. (Leute setzen sich um einen Tisch und berühren dessen Kante sanft mit ihren Fingerspitzen. Während sie auf eine Botschaft einer toten Person warten, zeigen empfindliche Instrumente an, dass sie den Tisch ein bisschen zu drehen beginnen – obwohl sie ehrlich meinen, dass sie gänzlich passive Beobachter des Geschehens sind.) Solche Fälle liegen dem skeptischen Ziel näher, insofern sie anzeigen, dass ein Gefühl von Handlungsurheberschaft für Handlungsurheberschaft nicht notwendig ist, zumindest im Sinn von minimal freiwilliger Handlungsurheberschaft. Allerdings sollten solche Fälle auf dem Hintergrund der tiefgreifenderen Tatsache der Automatizität gesehen werden: Für eine Menge unseres Verhaltens gibt es ein Gefühl der Urheberschaft, aber wir wollen oder beabsichtigen die Handlungen nicht bewusst. (Routine oder gelerntes fachmännisches Verhalten sind die klarsten Fälle. Sie unterstreichen auch den Nutzen der Automatizität. Wie William James beobachtete: Wir gehen umso leichter am Balken entlang, je weniger wir uns darum kümmern, wie wir unsere Füße darauf setzen.) Diese umfassende Automatizität wurde lange in unser vortheoretisches Verständnis von uns selbst als Handelnde aufgenommen. Und es sind nicht Handlungen dieser Art, von denen wir meinen, dass sie metaphysische Freiheit direkt aufweisen, sondern andere, die seltener sind und die ich gleich zu charakterisieren versuche. Die fremde Hand und schwerwiegende Formen von Schizophrenie sind nur deshalb auffallend und ungewöhnlich, weil die unbewusst erzeugte Handlung mit den bestehenden Absichten des Handelnden in Konflikt steht – zumindest mit jenen Absichten, die er nach Überlegung billigen würde. Sie sind nicht durch das übliche „Gefühl der Urheberschaft“ begleitet. Die Tatsache, dass unterbewusste Prozesse bewusstes Verhalten mit diesen Merkmalen erzeugen können, sagt nichts über die Wahrheit oder Falschheit unserer vortheoretischen Auffassung von uns als Wesen, welche die Fähigkeit freier Wahl haben. Sie sprechen nicht für eine skeptische Sicht menschlicher Freiheit

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und gegen eine Sicht, der zufolge wir erhebliche Freiheit haben. Denn ihre Daten stehen nicht im Widerspruch zu dem, was unser alltägliches vortheoretisches Verständnis erwarten ließe. Anstatt unsere Alltagsauffassung mit solchen Fällen vermeintlich zu widerlegen, könnte ein Skeptiker versuchen zu argumentieren, dass diese Fälle durch eine alternative Sicht einfach besser erklärt werden, z.B. durch jene Sicht, die Wegner vorschlägt. Ihr zufolge werden alle Handlungen durch unterbewusste Mechanismen erzeugt, in die der „bewusste Wille“ nicht eingeht. Ich werde nicht versuchen, dieses mögliche Argument im Detail zu entwickeln und darauf einzugehen. Aber ich bemerke, dass es die schwierige und umstrittene Frage aufwirft, ob und wie stark wir rational berechtigt sind, eine empirische Untersuchung mit der starken Annahme zu beginnen, dass unsere Überzeugung der Freiheit korrekt ist. Philosophen sind damit vertraut, dass nicht weiter begründete aber wesentliche Ausgangsannahmen unvermeidlich sind. Philosophen sind darin geschult, alle Arten von radikalen skeptischen Hypothesen über die Welt und unsere Beziehung zu ihr zu bedenken, wenn es auch nicht zu ihrer täglichen Praxis gehört. Für Naturwissenschaftler ist es natürlich etwas anderes. Ihre Forschung erfährt durch solche phantastischen philosophischen Überlegungen keine Unterstützung. Dies ist nur insofern ein Problem, als es bei manchen zur falschen Auffassung über den Naturwissenschaftsbetrieb führen könnte, nämlich dass er auf überhaupt keinen grundlegenden Voraussetzungen beruht. Es wird im Allgemeinen anerkannt, dass Naturwissenschaft voraussetzen muss, dass die Erfahrung nicht gänzlich trügerisch ist – es gibt eine Welt außerhalb unseres Geistes; dass unsere grundlegenden Formen des deduktiven und induktiven Schließens gültig sind; und dass Gesetze, welche in den beobachteten Teilen des Universums gelten, für die nicht beobachteten Teile verallgemeinert werden können. Es wird seltener festgestellt, dass Naturwissenschaftler beim Testen ihrer Theorien die grundlegende (zwar nicht vollkommene aber doch hochgradige) Verlässlichkeit ihrer Methoden der Intervention voraussetzen müssen. Das heißt: Wenn wir die Daten, die in einem Bereich insgesamt erhoben wurden, akzeptieren wollen, müssen wir voraussetzen, dass sie sich aus Einzelprozessen ergeben, die unter anderem die bestehenden Absichten derer widerspiegeln, die sie gesammelt haben. Wären sich die Handelnden bei

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der Durchführung eines Experiments nicht verlässlich dessen bewusst, was sie tun und warum sie es tun, hätten wir wenig Grund, die Bedeutung ihrer Ergebnisse zu akzeptieren. 2.4 Die Libet Fälle Ich wende mich nun den Ergebnissen von Libet zu. In seinem Experimentsaufbau gibt es einen leichten Anstieg elektrischer Aktivität im motorischen Kortex, und zwar einige Hundert Millisekunden vor dem Zeitpunkt, den die Versuchsperson als Beginn ihres bewussten Dranges oder Wunsches, die Hand zu bewegen, angibt. Man beachte, dass im Experiment die Versuchsperson am Beginn einwilligt, innerhalb eines kurzen Zeitraums eine bestimmte Handlung auszuführen. Es muss nur noch der genaue Zeitpunkt ihrer Ausführung bestimmt werden. Obwohl es noch mehr dazu zu sagen gäbe, sollten wir hier eine sehr offensichtliche Tatsache nicht ignorieren: Mit der Einwilligung im beschriebenen Experiment mitzuwirken, hat der Handelnde bereits entschieden, eine bestimmte Art von Handlung auszuführen. In unserer Terminologie ausgedrückt: Er bildet, für einen besonderen Handlungstyp Ø (z.B. das Handgelenk zu bewegen), die zukunftsbezogene Absicht zu Øen. Es wurde kein Beweis dafür erbracht, dass es einen leichten Anstieg eines Bereitschaftspotentials für diese Art von Entscheidung gibt. Libet und Wegner würden jedoch sagen, dies sei belanglos. Denn der Handelnde fährt fort, eine andere augenscheinlich freie Absicht zu bilden, die Handlung hier und jetzt auszuführen. Und seine Wahl weist einen neuronalen Vorgänger auf, der mit der Bewegung selbst verbunden ist. Aber verhält es sich wirklich so? Al Mele weist darauf hin, dass Libet in der Beschreibung der Anweisung, welche der Versuchsleiter der Versuchsperson erteilt, verschiedene Ausdrücke austauschbar verwendet: „Drang [urge],“ „Verlangen [desire]“, „Wunsch [wish]“ und „Absicht [intention]“.7 Die Versuchsperson wird aufgefordert, den genauen Zeitpunkt von Drang/Verlangen/Wunsch/Absicht anzugeben; und zwar für jede einzelne Bewegung, die während eines einzigen Durchgangs ausgeführt wird. Aber dieser Aufbau und diese Anweisungen regen zu Deutungen an, die 7

Mele (1997).

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sich scharf von Libets Deutungen unterscheiden. Erstens ist es wohl kaum eine „spontane“ Handlung. Obwohl die Versuchspersonen aufgefordert werden, den Zeitpunkt ihrer Handlungen nicht vorauszuplanen und stattdessen auf den Drang/das Verlangen zu handeln zu warten, ist der Handlungstyp selbst vorausgeplant. Auch sein timing ist in einem erheblichen Grad vorausgeplant. Denn die Versuchspersonen werden aufgefordert, ihre Bewegung innerhalb einer Zeitspanne von dreißig Sekunden auszuführen. Zweitens: Die Versuchspersonen werden aufgefordert, sich genau zu beobachten, um den Zeitpunkt des Bewegungsimpulses festzumachen. Dadurch leitet der Versuchsleiter die Versuchspersonen an, die Rolle eines Beobachters bezüglich der eigenen bewussten Erfahrung einzunehmen, und im Besonderen darauf zu warten, dass ein ungeplanter Drang auftritt. Dies unterstützt sicherlich eine passive Haltung. Nachdem man sich entschieden hat, dass man sich bewegen wird, achtet man nun auf den Drang, dies zu tun, um danach zu handeln. Ich würde sagen: Die vorgeformte Absicht, auf den erwarteten rechten „inneren“ Wink hin zu handeln, führt dazu, dass ein unbewusster Prozess ausgelöst wird, der das Auftreten (oder vielleicht die Entwicklung) eines bewussten, aber nicht aktiv geformten, appetitiven Zustandes fördert. Im vorliegenden Zusammenhang besteht die Normalfunktion dieses Zustandes darin, die vorausgeplante Tätigkeit auszulösen, wenn durch den Handelnden kein „Veto“ in letzter Sekunde eingelegt wird. In einer anderen Untersuchung bestätigt Libet die Möglichkeit derartiger Vetos nach der Erfahrung eines solchen Dranges. Obwohl Libets Pionieruntersuchungen ein fruchtbares Feld neurowissenschaftlicher Forschung eröffneten, haben sie keine negativen Implikationen für die menschliche Freiheit. Sie sind aber insofern hilfreich als sie zeigen, dass der genauen Phänomenologie verschiedener Fälle des Wollens oder Wünschens zu handeln größere Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. Man fragt sich zum Beispiel, ob einige oder alle Personen eine wachsende Erwartung erfahren, dass sie im Begriff sind zu handeln; eine Erwartung, die zuerst nicht eindringlich erfahren wird. Klarerweise haben bewusste intentionale Zustände (wie unsere Wahrnehmungszustände) phenomenale Aspekte, die wir nicht leicht artikulieren können; und, was wichtig ist: unser Gewahrwerden dieser tritt graduell auf. Dies werde ich in Kürze herausheben.

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3. Philosophische und naturwissenschaftliche Auffassungen des Willens: Auf dem Weg zu einer Begegnung Bis jetzt habe ich hauptsächlich Behauptungen angegriffen, welche den freien Willen auf der Grundlage interessanter und mannigfaltiger neuerer Untersuchungen entlarven wollen. Dennoch glaube ich, dass derartige Ergebnisse doch die Notwendigkeit aufzeigen, philosophische Auffassungen über den Willen feiner abzustimmen. Philosophen – besonders die Inkompatibilisten unter uns – haben zu einfache und idealisierte Auffassungen menschlicher Freiheit. Aber die sich ständig weiter ansammelnden empirischen Daten und aufkommenden Teiltheorien ergeben ein chaotisches Bild, das die Zerbrechlichkeit unserer Freiheit unterstreicht. Einige Elemente dieses Bildes können nicht leicht in diese idealisierten philosophischen Theorien integriert werden. Eine Sache, die philosophische Theorien zu stark zu idealisieren neigen, wurde bereits genannt: Da Automatizität so verbreitet ist, müssen Freiheit und Verantwortung für vieles, was wir tun, als „Erbe“ von vergleichsweise wenigen direkt frei getroffenen Entscheidungen gesehen werden. Obwohl einige Philosophen dies in ihr Denken über den Willen integriert haben, ist es immer noch nicht hinreichend gewürdigt, so dass Philosophen oft so schreiben, als würden wir ständig explizite und überlegte Entscheidungen treffen. In diesem letzten Abschnitt werde ich eine weitere notwendige Anpassung in unserer philosophischen Theoriebildung vorschlagen: mehr Platz für bewusstes Wissen in unserer Auffassung von Willensfreiheit zu gewähren. Diese Anpassung führt ziemlich direkt zu einer bemerkenswerten Folge: Obwohl Willensfreiheit eine grundlegende Fähigkeit der Wahl erfordert, deren Wesen in der Tradition sehr umstritten war, handelt es sich um eine Eigenschaft des Willens, die in Graden auftritt und sich in einem Individuum über die Zeit hin ändern kann.8 8

Die philosophische Sichtweise von Freiheit, in die ich diese Elemente aufnehmen will, ist eine agenskausale Theorie. Viele Philosophen meinen, dass die Herausforderungen, den freien Willen mit den aufkommenden Gehirn- und Verhaltenswissenschaften in Einklang zu bringen, für die agenskausale Sicht schwerer sind als für andere Sichtweisen, auch für andere indeterministische Sichtweisen. Aber dies ist zweifelhaft. Alle diese Sichtweisen scheinen eine starke antireduktionistische An-

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Einige der oben zusammengefassten Studien heben hervor, wie maßgeblich wir in unserer Entscheidungsfindung durch Umgebungsfaktoren beeinflusst sein können, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Und es ist bekannt, dass unsere eigenen Motivationen uns manchmal weitgehend oder gänzlich verborgen sind. In solchen Fällen – so schlage ich vor – ist unsere Freiheit verringert, da es uns nicht möglich ist, unsere unbewussten Motivationen oder leitenden Überzeugungen einer kritischen Prüfung zu unterziehen und auf überlegtere Weise zu entscheiden, was wir tun sollen. Nun tritt das Gewahrsein derartiger Faktoren graduell auf, und zwar entlang mehrerer Dimensionen. Ich nenne drei solche Dimensionen, die alle freiheitsrelevant erscheinen: - der Grad des Gewahrseins von y, für jeden beeinflussenden Faktor y (Wunsch, Absicht, Überzeugung oder Umstand); - die relative „Menge“ der ganzen Motivationsstruktur einer Person (die Ganzheit der beeinflussenden Faktoren), deren sie sich bewusst ist; - der Grad der Wahrscheinlichkeit, dass ein unbewusster Einfluss y ein Faktor ist, den man reflektierend billigte, wenn man sich des Einflusses von y bewusst würde. (Es ist eine Sache, durch einen gegenwärtig unbewussten aber gut in meinem Charakter integrierten Wunsch oder Vorsatz teilweise zum Handeln bewegt zu werden, es ist jedoch eine andere Sache, durch einen Faktor motiviert zu sein, dessen Relevanz ich, wenn ich gefragt würde, zurückwiese – zum Beispiel durch den Geräuschpegel in der Umgebung.)9 Es gibt mindestens noch eine Graddimension zu unseren Motivationen, die meiner Meinung nach maßgeblich unsere Freiheit betrifft. Der mittelalterliche Philosoph Robert Grosseteste lädt an einer Stelle ein, uns vorzustel-

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nahme über die mentalen Zustände und die Wahlfähigkeit angesichts der dafür zuständigen physischen Zustände zu erfordern. Sobald aber die starken ontologischen Verpflichtungen dieser anderen Sichtweisen deutlich gemacht werden, verringert sich der Unterschied der Stärke der Annahmen in den beiden Theorien. Denn betroffen ist nicht die Frage, ob ein top-down kausaler Faktor eingeführt werden muss, sondern lediglich welche Art davon. Ein Kollorarium der Freiheitsrelevanz dieser Bedingungen besteht darin, dass man die Freiheit vergrößern kann, wenn man sich der typischen unbewussten Einflüsse auf menschliche Entscheidungsfindung besser bewusst wird.

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len, dass Gott einen Engel schafft, der nur einen einzigen Augenblick existiert.10 (Hier muss ich meine Leser, die mehr mit Naturwissenschaft als mit Philosophie vertraut sind, bitten, Nachsicht mit mir zu haben.) Wir sollen uns vorstellen, dass der Engel in diesem Augenblick seine Freiheit durch einen augenblicklichen Willensakt ausübt. Um sinnvolle Bedenken über die Kohärenz von Grossetestes Gedankenexperiment zu umgehen, wollen wir das Leben des Engels um einige Sekunden verlängern. Wir werden auch annehmen, dass der Engel mit einer gänzlich entwickelten Psyche (der typisch engelhaften Art) ins Leben springt, vollendet mit einem Bündel von Pseudo-Erinnerungen einer langen, charakterformenden Lebensgeschichte. Und er kommt – ganz so wie in Grossetestes Erzählung – mit einer Disposition, etwas schnurstracks zu entscheiden. Schließlich wollen wir uns vorstellen, dass er zwischen einer Mehrzahl attraktiver Alternativen entscheidet, dass er sich seiner Motivationen völlig im Klaren ist, und dass er die Fähigkeit hat, sich selbst zu bestimmen, jede von ihnen auszuführen. Kurz: Sein Wille tritt als signifikant frei in Erscheinung. Hier ist meine Frage: Ist unser Engel (nennen wir ihn „Angelo“) bei seiner einzigen Wahl genauso frei wie ein intrinsisch gleiches Gegenstück („Angela“), die sich von Angelo nur insofern unterscheidet, als dass sie wirklich eine Geschichte hat, eine Geschichte, angefüllt von vielen früheren Entscheidungen, die ihre gegenwärtigen Neigungen und Absichten teilweise geformt haben? Es scheint nicht so zu sein. Denn für Angela waren die Faktoren, die ihre Wahl formten, bis zu einem bestimmten Maß von ihr selbst hervorgebracht. Für Angelo aber nicht. Wie Angelo hat sie zwar mit einer Menge von bloß „gegebenen“ psychischen Dispositionen und Verhaltensdispositionen begonnen. Aber indem sie regelmäßig bestimmte Entscheidungen traf, spiegelte ihre psychologische Verfassung mit der Zeit immer weniger diese „Gegebenheit“ wider und immer mehr etwas, das ihre eigene freie Schöpfung war. Und so ist es auch bei uns. Wir kommen mit starken Neigungen auf die Welt, die durch die besonderen Umstände, in denen wir aufwachsen, ent10

Siehe sein Werk Über Willensfreiheit, übersetzt ins Englische durch Lewis, Neil (1991). Die Ansichten von Grosseteste haben (über Heinrich von Ghent) Johannes Duns Scotus, den Erzverfechter der Willensfreiheit, beeinflusst.

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wickelt werden. Alle diese Tatsachen sind für uns bloß „gegeben“. Sie bestimmen, welche Entscheidungen wir zu treffen haben, welche Optionen wir berücksichtigen werden (und wie ernsthaft), bis wir ein Alter erreichen, wo wir mehr überlegen. Aber angenommen, dass wir das Glück haben, nicht durch traumatische Ereignisse geschlagen zu sein, die unsere psychologischen Möglichkeiten für immer begrenzen, und dass wir – auf der positiven Seite – einer angemessen reichen Fülle horizonterweiternder Gelegenheiten ausgesetzt sind: dann wird die Verfassung unseres Wählens immer stärker unsere vorhergehenden Entscheidungen widerspiegeln. Auf diese Weise wächst unsere Freiheit mit der Zeit. Ein weiterer Grund, dies für richtig zu halten, ist folgender: Man stelle sich ein Szenario mit einem Handelnden wie unsereinem vor, mit der Ausnahme, dass seine Psyche regelmäßig manipuliert wird, indem einige seiner Präferenzen und ihr „Gewicht“ verändert werden. Dank der wunderbaren drahtlosen neuronalen Interventionstechnik des späten 21. Jahrhunderts geschieht all dies ohne dass er irgendetwas bemerkt. Auch wenn sein Vermögen zu wählen stark bleibt, scheint es klar, dass wir urteilen müssen, dass seine Freiheit, seine Autonomie, abgenommen hat.11 Die Unversehrtheit des Selbstformungsprozesses ist ein Element der Freiheit oder der Freiheit der kostbarsten Art. Dieser Schluss spiegelt sich in entsprechenden Urteilen über moralische Verantwortung wider. Wenn Angelo und Angela eine moralisch bedeutsame Sache erwägen, beide bis zu einem bestimmten Grad sowohl zu einer tugendhaften als auch zu einer lasterhaften Handlung neigen, und die tugendhafte Handlung wählen, dann scheint Angela lobenswerter. Die Handlung ist in einem höheren Grad ihre eigene. Mithin ist eine vierte, vernachlässigte Dimension der Freiheit eine geschichtliche: der Grad, in dem die Motivation y ein Ergebnis der eigenen früheren Entscheidungen des Handelnden ist. Ich vermute, dass es eine entsprechende, aber schwerer darstellbare Bedingung hinsichtlich der Überzeugungen gibt, die ebenfalls die eigenen Entscheidungen formen: Ich bin in dem Maß freier, in dem ich nicht durch Überzeugungen beeinflusst bin, welche von schadhaften Mechanismen hervorgebracht werden, oder 11

Mele (1995), Ch.9, argumentiert dafür und Clarke (2003, 16 n.4,77) pflichtet ihm bei. Eine widerstreitende Sicht vertritt Dennett (2003), 281-7.

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durch wichtige falsche Überzeugungen, welche aus nicht-schuldhaftem Missbrauch normalerweise funktionierender Mechanismen hervorgehen. (Die durch Halluzination erzeugten Überzeugungen bei Schizophrenen sind Extremfälle von dem, was ich hier meine.) Es ist eine offene empirische Frage, inwieweit jedes Individuum diese Bedingungen bemerkt – auch wenn die von Philosophen am meisten beachtete grundlegende Fähigkeit zu wählen gegenwärtig und regelmäßig ausgeübt wird. Und so können uns empirische Gehirn- und Verhaltenswissenschaften viel über das Ausmaß und den Umfang menschlicher Freiheit beibringen, sobald wir den Fehler einsehen, zu meinen, es sei eine Allesoder-Nichts-Frage. Menschliche Freiheit ist in Wahrheit immer begrenzt, zerbrechlich und veränderlich über die Zeit und über Handelnde hinweg. Sie gehört zu den Dingen, die graduell auftreten: eine Tatsache, die nicht nur unsere philosophisch- naturwissenschaftliche Theoriebildung, sondern auch unser gegenseitiges Verständnis und Urteil voneinander durchdringen sollte.12 Literaturangaben Brasil-Neto, Joaquim, et al. (1992), Focal Transcranial Magnetic Stimulation and Response Bias in a Forced Choice Task, in: Journal of Neurology, Neurosurgery, and Psychiatry 55, 964-966. Clarke, Randolph (2003), Libertarian Accounts of Free Will. New York: Oxford University Press. Delgado, José Manuel Rodriguez (1969), Physical Control of the Mind: Toward a Psychocivilized Society. New York: Harper and Row. Dennett, Daniel (2003), Freedom Evolves. New York: Viking. 12

Eine Fassung dieses Artikels wurde als Hauptvortrag auf der Tagung der American Catholic Philosophical Association im Jahr 2007 gehalten. Ich bekam hilfreiche Rückmeldungen und Kritiken von Alex Pruss, Timothy Noone und Robert Kane. Ich habe auch von der Diskussion mit verschiedenen Teilnehmern des von der John Templeton Foundation organisierten Symposiums über „Top-Down Causation and Volition“ in Yosemite National Park im April 2007 sehr profitiert. Einige Zeilen des Textes stammen von meiner Veröffentlichung (2005) und wurden für diesen Artikel adaptiert.

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Timothy O’Connor

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Menschliche Freiheit und die Gehirn- und Verhaltenswissenschaften

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Personalität und Freiheit Zur Kritik des Kompatibilismus Johannes Brachtendorf, Tübingen

1. Willensfreiheit und Personalität In den letzten Jahren hat die Diskussion um die Freiheit in der deutschsprachigen Philosophie einen deutlichen Schub erhalten. Schon die Zahl der jüngst erschienenen Monographien zum Thema belegt dies. Ich erinnere an Peter Bieri: Das Handwerk der Freiheit (2001) (dieses Buch hat die aktuelle Diskussion geradezu initiiert), Michael Pauen: Illusion Freiheit? (2004), Achim Lohmar: Moralische Verantwortlichkeit ohne Willensfreiheit (2005); Gottfried Seebaß: Handlung und Freiheit (2006); Geert Keil: Willensfreiheit (2007), und Eberhard Schockenhoff: Theologie der Freiheit (2007). Auch Peter Bieris (alias Pascal Mercier) Bestseller: Nachtzug nach Lissabon (2004) gehört als philosophischer Roman in diese Reihe. In diesen Büchern geht es weniger um die Frage: Freiheit, ja oder nein? Denn alle genannten Autoren verstehen sich als Freunde und Verteidiger der Freiheit. Zur Debatte steht vielmehr, ob Freiheit einen Indeterminismus erfordert oder ob sie mit dem Determinismus vereinbar ist. Die erstgenannte Position ist als Libertarismus bekannt, die zweite als Kompatibilismus. Dem naiven Zeitgenossen mag der Libertarismus als die einzig freiheitsverträgliche Position erscheinen, denn wie, so wird er sich fragen, soll von Freiheit die Rede sein können, wenn das Handeln und das Wollen prädeterminiert sind, so dass der Mensch gar keine Möglichkeit hat, anders zu handeln und zu wollen, als er es eben tut. Ihren Aufschwung hat die gegenwärtige Freiheitsdiskussion allerdings dem Kompatibilismus zu verdanken, der von Bieri, Pauen und Lohmar engagiert – und bei Bieri auch mit literarischem Niveau – vorgetragen wird. Selbst in Deutschland scheint der Kompatibilismus gegenwärtig mehr Anhänger zu finden, obwohl der Libertarismus mit den Büchern von Seebaß, Keil und Schockenhoff neuerdings sein Haupt wieder erhoben hat. In der englischsprachigen Welt doNiederbacher, Bruno / Runggaldier, Edmund, Hgg. (2008), Was sind menschliche Personen? Ein akttheoretischer Zugang. Heusenstamm: Ontos Verlag, 157-180.

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Johannes Brachtendorf

miniert zweifelsohne der Kompatibilismus, was auch damit zu tun hat, dass Autoren wie Hobbes, Locke und Hume diese Position vertraten. Meines Erachtens reicht der Kompatibilismus jedoch weit hinter den neuzeitlichen Empirismus zurück. Schon Augustinus macht deutlichen Gebrauch von kompatibilistischen Argumenten, um das Verhältnis von Freiheit und Gnade zu bestimmen.1 Tatsächlich trägt der Kompatibilismus mitunter Züge einer säkularisierten Gnadenlehre. Seine gegenwärtige Attraktivität verdankt der Kompatibilismus aber zweifellos der Tatsache, dass er Freiheit mit einem naturgesetzlichen Determinismus vereinbar machen will. Wer der These von der kausalen Geschlossenheit der physischen Welt anhängt, findet hier die Möglichkeit, dennoch an dem für die soziale Welt unverzichtbaren Begriff der Verantwortlichkeit festzuhalten, und wer meint, dass die neurophysiologischen Vorgänge im Gehirn das Wollen und Handeln determinieren, kann als Kompatibilist weiterhin von Freiheit sprechen.2 Für den Kompatibilismus der Gegenwartsphilosophie spielt Harry Frankfurt eine besondere Rolle. Seine Aufsätze seit den 70er Jahren enthalten, oft in knapper Form, fast alle Ideen, die Bieris und Pauens Freiheitskonzept tragen, und Bieri bekennt sich auch ausdrücklich zu Frankfurt als seinem Referenzautor. Frankfurt geht es primär um den Begriff der Person, und um das Personsein erläutern zu können, entwickelt er eine kompatibilistische Theorie der Willensfreiheit; auch Bieri stellt seine Überlegungen in den Kontext einer „beschreibenden Metaphysik des Personseins“. Der gegenwärtige Freiheitsdiskurs ist also mit der Frage nach der Personalität eng verbunden.

1 2

Vgl. dazu Brachtendorf (2007) und Brachtendorf (2006). Gerhard Roth hat zunächst behauptet, die Hirnforschung könne die Determiniertheit unseres Wollens beweisen und habe somit die Freiheitsthese destruiert. Diese Auffassung hat Peter Bieri als abenteuerliche Metaphysik kritisiert (vgl. Bieris Beitrag im Spiegel 2/2005, S. 124-125), denn der Kompatibilismus zeige, dass Determination Freiheit keineswegs ausschließe. Inzwischen ist Roth zu der These übergegangen, die Hirnforschung widerlege nur eine bestimmte Vorstellung von der Freiheit, nämlich die indeterministische, während die kompatibilistisch gedachte Freiheit von den Ergebnissen der Neurologie unberührt bleibe. Vgl. Roth (2004).

Personalität und Freiheit – zur Kritik des Kompatibilismus

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Ich werde im Folgenden zunächst die Position Frankfurts vorführen und drei Hauptprobleme dieser Position benennen, nämlich das Rationalitätsdefizit, den Subjektivismus und das Moralproblem. Dann werde ich die Durchformung und Ergänzung der Ideen Frankfurts durch Peter Bieri erörtern. Mit großer Eloquenz legt Bieri die Prinzipien des zeitgenössischen Kompatibilismus dar.3 Besondere Aufmerksamkeit werde ich dem meines Erachtens schlagkräftigsten Argument der Kompatibilisten widmen, das besagt, der so selbstverständlich erscheinende libertaristische Freiheitsbegriff mache, entgegen seiner Intention, Freiheit geradezu unmöglich und sei deshalb zugunsten eines kompatibilistischen Freiheitsbegriffs zu verabschieden. Eine unbedingte Freiheit nämlich, wie der Libertarismus sie vertrete, verliere jeden Kontakt mit der konkreten Person; sie mache den Willen anonym und unberechenbar, so dass er gar nicht mehr der Wille dieser Person sei, womit Urheberschaft und Zurechenbarkeit verloren gingen. Schockenhoffs Gegenargument aus der Unterscheidung von Handlungsgründen und Naturursachen werde ich skeptisch behandeln, nicht weil ich diese Unterscheidung nicht für sinnvoll hielte, sondern weil sie meines Erachtens für den geplanten Zweck nicht ausreicht. Weiterhin versuche ich zu zeigen, dass die drei sich bei Frankfurt zeigenden Probleme bei Bieri und anderen Kompatibilisten fortbestehen oder sich sogar verschärfen. Schließlich sei dargelegt, dass die Einwände gegen den Begriff der unbedingten Freiheit, wie er dem Libertarismus unterstellt wird, letztlich auch den Kompatibilismus selbst treffen. Denn die Person ist nach Frankfurt und Bieri mindestens so anonym und unberechenbar wie der libertaristisch gedachte Wille. 2. Der Kompatibilismus Harry G. Frankfurts In seinem bekanntesten Aufsatz „Willensfreiheit und der Begriff der Person“ (1971) hat Harry Frankfurt, wie der Titel schon sagt, den Begriff der

3

Dagegen gibt Pauen (2004) eine eher schulmäßige Darstellung, die sich aber inhaltlich von Bieris Werk kaum unterscheidet.

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Person mit der Idee der Willensfreiheit verknüpft.4 Handlungsfreiheit bedeutet nach Frankfurt, handeln können wie man will, und Willensfreiheit dementsprechend, wollen können wie man will.5 Man kann sagen, dass die Figur des „Wollen wie man will“ das Grundthema Frankfurts darstellt. Ihre Konsequenzen und Voraussetzungen gilt es zu erheben, wenn man verstehen will, was Personen sind. Nach Frankfurt haben alle bewusstseinsfähigen Wesen Wünsche, die auf eine Realisierung in Handlungen drängen. Personen zeichnen sich aber dadurch aus, dass sie in Distanz zu diesen Wünschen gehen und sie bewerten können. Sie haben übergeordnete Wünsche, also Wünsche zweiter Ordnung, die sich auf die Wünsche erster Ordnung richten, wobei die Letzteren wiederum auf Handlungen zielen. Wenn nun eine Person möchte, dass ein bestimmter Wunsch erster Ordnung handlungswirksam wird, dann ist der Wunsch zweiter Ordnung eine Volition und der nun handlungsbestimmende Wunsch erster Ordnung wird zum Willen der Person. Personsein heißt Volitionen zweiter Stufe zu besitzen und so seinen Willen zu dirigieren, der wiederum die Handlungen bestimmt. Genau in dieser Fähigkeit, den Willen zu lenken, besteht nach Frankfurt die Willensfreiheit. Personen besitzen Willensfreiheit, und d.h. sie können, ja sie müssen sich einen Willen bilden. Die Freiheit liegt darin, dass sie sich denjenigen Willen bilden können, den sie (gemäß ihren Volitionen zweiter Stufe) haben wollen. Die Willensbildung kann durchaus eine schwierige Angelegenheit sein, denn die Person muss eine zweifache Identifikationsleistung erbringen. Sie muss sich identifizieren mit einem bestimmten Wunsch zweiter Stufe, wodurch sie ihn zu einer Volition erhebt, und dann muss sie sich im Licht dieser Volition mit einem Wunsch erster Stufe identifizieren, den sie damit zu ihrem Willen macht. Aber Menschen sind durchaus kompliziert, wie Frankfurt festhält, und sie können sich über ihre 4 5

Ich zitiere die Aufsätze Frankfurts nach der Textsammlung: Harry G. Frankfurt – Freiheit und Selbstbestimmung, hg. v. Betzler / Guckes (2001), hier 65-83. Seebaß weist zu Recht darauf hin, dass der Regresseinwand gegen die Willensfreiheit, wie er etwa von Hobbes und Leibniz geführt wird, hier nicht greift. Denn wenn man theoretisch auch eine dritte, vierte, fünfte etc. Ebene des Wollens veranschlagen könnte, so wird das Phänomen, dass Personen zu ihrem Wollen Stellung nehmen können, dadurch doch nicht beseitigt. Vgl. Seebaß (2006), 123f., 341 Anm. 54, 342 Anm. 58, 175-178.

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Wünsche zweiter Stufe im Unklaren sein oder sich selbst täuschen. Deshalb ist Willensfreiheit nicht einfach gegeben, sondern sie muss erarbeitet werden, was dem einem leichter und dem anderen schwerer fällt. Frankfurt hebt hervor, dass sein Begriff von Willensfreiheit gegenüber dem Problem des Determinismus neutral und daher mit ihm kompatibel sei. Dies ist insofern konsequent, als Willensfreiheit nur das Verhältnis der zweiten Motivationsebene zur ersten betrifft, die Frage nach der Herkunft der Wünsche und der Begründung der Identifikationsakte aber offen lässt. Frankfurt meint, wenn etwa ein Teufel oder ein fortgeschrittener Neurologe durch externe Mittel auf die Wünsche erster Ordnung eines Menschen zugreifen und diese zum Willen erheben könnte, dann verlöre dieser Mensch seine Freiheit, ja er wäre keine Person mehr, sondern eine Marionette. Gelinge es aber dem Teufel oder Neurologen, die Wünsche zweiter Ordnung zu programmieren und auch zu veranlassen, dass ein Mensch sich mit bestimmten dieser Wünsche identifiziere, dann sei dieser Mensch dennoch eine frei handelnde und frei wollende Person, die auch moralische Verantwortung trage für ihr Wollen und Tun.6 Entscheidend für Freiheit und Personalität ist nach Frankfurt nur, dass zwei Motivationsebenen vorhanden sind, und dass eine Person denjenigen Willen hat, von dem sie wünscht, dass es ihr Wille sei. Er schreibt: Da der Wille, der [einen Menschen] im Handeln leitete, sein Wille war, denn er wünschte ja, dass es seiner sei, so kann er nicht behaupten, sein Wille sei ihm aufgezwungen worden, oder er habe der Bildung seines Willens als passiver Beobachter gegenüber gestanden.7

Nicht die Frage des kausalen Ursprungs der Wünsche und der Identifikationsleistungen sei ausschlaggebend, sondern allein die Frage der Aktivität oder Passivität des Menschen. Wer sich mit etwas identifiziere, sei eben kein passiver Zuschauer mehr. Die Frage, ob diese Identifikation mit bestimmten Wünschen nicht vielleicht an mir vorbeilaufe, weil sie von außen veranlasst werde, sei sinnlos, denn es mache keinen Sinn zu fragen, ob sich jemand mit seiner Identifikation mit sich identifiziere.8 6 7 8

Vgl. Frankfurt, Drei Konzepte freien Handelns, in: Betzler / Guckes (2001), 93. Frankfurt, Willensfreiheit und der Begriff der Person, in: Betzler / Guckes (2001), 81. Vgl. Frankfurt, Drei Konzepte freien Handelns, in: Betzler / Guckes (2001), 93.

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Es liegt auf der Hand, dass Frankfurt das Prinzip alternativer Möglichkeiten als Kriterium der Freiheit ablehnt. Nicht, dass ich auch hätte etwas anderes wollen können, ist notwendige Bedingung der Freiheit, sondern dass ich meinen Willen durch einen selbst vollzogenen Akt der Identifikation gebildet habe. Nach Frankfurt beruht Freiheit nicht auf Indifferenz, sondern auf „Entschlossenheit“.9 Dass Freiheit, Verantwortlichkeit und Zurechenbarkeit durchaus keine alternativen Möglichkeiten erfordern, versucht Frankfurt in einem Gedankenexperiment zu zeigen, das in der weiteren Diskussion zum Vorbild sogenannter Frankfurt-Szenarien wurde. Ein skrupelloser Hirnchirurg A möchte die Person C beseitigen und benutzt dazu seinen Freund B, der ebenfalls eine starke Abneigung gegen C besitzt und sogar vorhat, diesen zu töten. A pflanzt nun B ohne dessen Wissen eine Vorrichtung ins Gehirn ein, die dessen Gedanken und Wünsche erkennt und so eingestellt ist, dass sie, falls B in seinem Mordplan unsicher und schwankend wird, dies sofort unterdrückt, so dass B bei seinem Plan bleibt. Faktisch wird B aber nicht unsicher, sondern führt den Mord aus, ohne dass die Vorrichtung ihn aktiv manipulieren muss. Sicher, so Frankfurts Argument, wird man B als frei und verantwortlich ansehen und ihm den Mord zurechnen, obwohl B nicht anders handeln und wollen konnte, als er es tat, denn hätte er anders gewollt, hätte die Vorrichtung sofort eingegriffen und sein ursprüngliches Wollen wiederhergestellt. Daran zeige sich, dass moralische Verantwortung keineswegs die Möglichkeit erfordere, anders zu wollen und zu handeln.10 Dieses Beispiel Frankfurts und viele ähnlich konstruierte vermögen allerdings kaum zu überzeugen, denn natürlich konnte B anders wollen, wenn dieses Wollen auch sogleich künstlich unterdrückt worden wäre. Nichts anderes hätte die Vorrichtung aktivieren können als das neuronale Korrelat eines Anders-wollens. Wenn die Vorrichtung nicht tätig wird, weil B unbeirrt bei seinem Plan bleibt, dann ist B verantwortlich für den Mord, weil er nichts anderes wollte. Wenn er aber anders gewollt hätte, jedoch von der Vorrichtung gezwungen worden wäre, zum alten Vorsatz

9 10

Vgl. Frankfurt, Drei Konzepte freien Handelns, in: Betzler / Guckes (2001), 96. Vgl. Frankfurt, Alternative Handlungsmöglichkeiten und moralische Verantwortung, in: Betzler / Guckes (2001), 53-64.

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zurückzukehren, dann würde er als manipuliert gelten und der Mord könnte ihm nicht zugerechnet werden. Mit dem Begriff der „Entschlossenheit“ deutet Frankfurt bereits die Antwort an, mit der er einer oft vorgebrachten Kritik an seinem Konzept begegnet. Die Kritik richtet sich auf den Status der Wünsche zweiter Ordnung. Worin, so die Frage, gründet eigentlich die Autorität der Wünsche zweiter Ordnung gegenüber denen erster Ordnung? Warum sollten jene, wenn sie doch auch nur Wünsche sind, über diese urteilen dürfen? Wenn man es immer nur mit Wünschen zu tun hat, benötigt man dann nicht Wünsche dritter Ordnung, um auch diejenigen zweiter Ordnung noch einmal bewerten zu können, und so weiter ad infinitum?11 Frankfurt erwidert, dass einige Wünsche als der Person „wesenseigen“ aufgefasst werden müssen.12 Wesenseigene Wünsche haben eine besondere Beziehung zur Person, insofern sie zum Ausdruck bringen, was die Person wesentlich ist. Sie besitzen selbstverständlich Autorität gegenüber anderen Wünschen und stellen eine unhintergehbare Legitimationsinstanz dar. Eine Person erkennt ihre wesenseigenen Wünsche daran, dass die Identifikation mit ihnen aus ganzem Herzen (wholehearted) erfolgt und einen Resonanzeffekt hervorruft, der die ganze Person „durchhallt“. In späteren Aufsätzen bis in die 1990er Jahre hinein arbeitet Frankfurt die Implikationen der Idee „wollen wie man will“ weiter aus, indem er sie gegen bekannte Positionen wie diejenige Aristoteles’ und Kants abgrenzt und auf traditionsreiche Begriffe wie Autonomie, Liebe und Sorge bezieht. Personsein erhält nun einen neuen Akzent. Personen gelten als Wesen, denen sich die Frage stellt: „Wie sollen wir mit uns selbst umgehen, was ist für uns wesentlich und was nicht?“13 Personen streben nach Einheit in ihrem Leben; sie wollen sich zu einem integrierten und beständigen Ganzen machen, und zwar durch Willensbildung. Für etwas Sorge tragen heißt, sich mit diesem zu identifizieren und seinen Willen entsprechend zu 11 12 13

Für eine Zusammenfassung der kritischen Einwände vgl. die Einleitung der Herausgeberinnen in: Betzler / Guckes (2001), 22-25. Vgl. Frankfurt, Identifikation und ungeteilter Wille, in: Betzler / Guckes (2001), 124. Vgl. Frankfurt, Über die Bedeutsamkeit des Sich-Sorgens, in: Betzler / Guckes (2001), 101.

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bestimmen. Nur wer für etwas Sorge trägt, d.h. nur wer sein Leben an letzten Zielen ausrichtet, denen er sich unbedingt verpflichtet fühlt, ist eine Person. Während die früheren Arbeiten noch zu unterstellen scheinen, dass die Person sich ungebunden für gewisse Wünsche zweiter Ordnung entscheiden und sie so zu Volitionen erheben kann, tritt nun die Vorstellung in den Vordergrund, dass das, wofür jemand Sorge trägt, nicht einfachhin seiner Kontrolle untersteht. Die Liebe, so sagt Frankfurt, ist keine Frage der Wahl.14 Eine Person wird von der Liebe zu den letzten Zielen, um die sie sich sorgt, eingenommen und erfährt dann von diesen Zielen her eine volitionale Nötigung zu einer bestimmten Willensbildung und einem bestimmten Handeln: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“, ist die typische Äußerung eines von seiner Liebe volitional Genötigten. Personen müssen sich demnach nicht erst mit Wünschen zweiter Stufe identifizieren, denn zum Personsein gehört, dass man bereits wesentliche Ziele hat. Zwar kann der Mensch Einfluss auf seine Liebe nehmen, doch immer ist die Tatsache, dass er sich bereits um etwas sorgt, die Voraussetzung für Rationalität und Autonomie. Das Argument, das Frankfurt an dieser Stelle vorbringt, wird bei Bieri, Pauen und Lohmar zum Standardargument der Kompatibilisten gegen den Libertarismus. Frankfurt schreibt: Wenn jemandem nichts bedeutsam ist, dann hat eine solche Person keine Grundlage, auf welcher sie zu der Überzeugung kommen kann, dass ihr etwas bedeutsam ist. Wenn sie sich um nichts kümmert, dann ist es ihr nicht möglich, irgendeine überdachte Entscheidung zu fällen, sich um irgendetwas zu kümmern.15

Für Ziele entscheiden kann eine Person sich nach Frankfurt nur, wenn sie bereits Ziele hat. Demnach ist die volitionale Gebundenheit der Person die notwendige Bedingung dafür, dass sie eine rationale Wahl letzter Zwecke treffen kann.

14 15

Vgl. Frankfurt, Autonomie, Nötigung und Liebe, in: Betzler / Guckes (2001), 175. Vgl. Frankfurt, Über die Nützlichkeit letzter Zwecke, Frankfurt, Autonomie, Nötigung und Liebe, in: Betzler / Guckes (2001), 153.

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Wenn ihr volitionaler Charakter unbestimmt ist oder unter der direkten Kontrolle ihres eignen Willens steht, kann sie in keiner durchdachten Weise bei der Bestimmung dessen verfahren, wie sie leben sollte.16

Demnach hat eine Person immer schon letzte Zwecke, und nur in deren Licht kann sie rationale Entscheidungen treffen. Rational bedeutet dabei soviel wie: nicht willkürlich. Müssten wir von einem neutralen Standpunkt, einem Indifferenzstandpunkt aus wählen, wie wir leben wollen, stünde also unser volitionaler Charakter unter der direkten Kontrolle unseres eigenen Willens, dann könnte diese Wahl nach Frankfurt nur willkürlich und somit irrational ausfallen. Rational ist die Wahl, wenn sie gemäß einer volitionalen Prädisposition erfolgt, d.h. wenn sie von einem bereits eingenommenen Standpunkt aus getroffen wird. Dies ist nach Frankfurt auch die Bedingung für Autonomie. „Eine Person handelt autonom nur dann, wenn sich ihre Willensakte von grundlegenden Eigenschaften ihres Willens herleiten.“17 Frankfurt meint damit eine Formel gefunden zu haben, die zunächst sowohl den Kantischen als auch seinen eigenen Autonomie-Begriff abdeckt. Allerdings habe Kant zwar die kontingenten Imperative der Geschicklichkeit vom kategorischen Imperativ der Pflicht unterschieden, doch er habe übersehen, dass es zudem auch noch die Imperative der Liebe gebe, die zwar kontingent, aber trotzdem kategorisch seien. Frankfurt ist generell daran interessiert, neben der Ethik, die es mit unseren Verpflichtungen anderen gegenüber zu tun habe, noch eine Lehre davon zu etablieren, wie wir mit uns selbst umzugehen haben. Ihre Imperative, die Imperative der Liebe, sind nicht unpersönlich, wie die Imperative der Pflicht, sondern sie sind persönlich. Ferner sind sie unbedingt, insofern sie dem (persönlichen) Willen nicht nur zufällig, sondern wesentlich angehören, und darin gründet ihre Autorität – eben die Autorität der Wesensnatur des eigenen individuellen Willens. So wie uns nach Kant die Achtung vor dem Sittengesetz dazu bewegt, autonom, d.h. in Übereinstimmung mit unserem eigenen, wahren Willen zu handeln, so veranlasst uns nach Frankfurt die „Achtung vor uns selbst“,18 uns durch 16 17 18

Vgl. Frankfurt, Über die Nützlichkeit letzter Zwecke, in: Betzler / Guckes (2001) 155. Frankfurt, Autonomie, Nötigung und Liebe, in: Betzler / Guckes (2001), 171. Frankfurt, Autonomie, Nötigung und Liebe, in: Betzler / Guckes (2001), 183.

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die Autorität der eigenen Liebe bestimmen zu lassen. Wollen wie man will, also autonom sein, heißt demnach, sich durch die volitionalen Notwendigkeiten bestimmen zu lassen, die von der Liebe ausgehen, welche wir nicht gewählt, sondern vorgefunden haben. Frankfurts Ansatz ist klarerweise kompatibilistisch. Erklärtermaßen verhält er sich gegenüber dem Determinismus neutral, was näherhin bedeutet, dass er Freiheit auch dann noch gewährleistet sieht, wenn die volitionalen Einstellungen der Person und ihre Identifikationsakte von außen festgelegt werden. Es kommt allein auf die Verschiedenheit der beiden Motivationsebenen an, sowie auf das Tätigsein des Menschen in der Bestimmung der niederen durch die höhere Ebene. Drei Probleme, mit denen diese Position behaftet ist, kristallisieren sich heraus. Erstens weist sie ein Rationalitätsdefizit auf. Rationalität steht nur im Dienst der Liebe oder Sorge. An eine rationale Kritik oder Begründung der Liebe denkt Frankfurt nicht. Daraus entsteht ein Rechtfertigungsproblem, denn unsere höchsten Handlungsgründe sind bei Frankfurt letztlich durch nichts anderes legitimiert als durch ihre Persistenz. Die Wesentlichkeit des Wollens bemisst sich nicht an seiner vernünftigen Ausweisbarkeit, sondern nur an seiner nötigenden Kraft. Zweitens ist Frankfurts Position subjektivistisch, insofern das subjektive Vollziehen des Identifikationsaktes bereits als ausreichend gilt, um Willensfreiheit zu sichern. Manipulation und Kontrolle von außen gelten als unerheblich, sofern der Mensch nur weiterhin in der Lage ist, die Bestimmung seiner Wünsche erster Ordnung gemäß den Volitionen zweiter Ordnung zu vollziehen. Drittens entsteht ein grundsätzliches Problem die Geltung moralischer Forderungen betreffend. Nach Frankfurt ist das vorgängige Bestehen volitionaler Dispositionen eine Bedingung für Personalität. Die Moral erhebt aber Forderungen nicht nur gegenüber unseren Handlungen, sondern auch gegenüber unserem Wollen und schließlich auch gegenüber der Ausrichtung unserer Liebe.19 Gegebenenfalls verlangt sie, dass wir unsere Liebe ändern und unseren Charakter revolutionieren. Natürlich müssen wir jeweils darüber entscheiden, welche Relevanz wir der Moral für unsere Lebensführung 19

Zum Kernbestand der christlichen Ethik gehört etwa die Forderung, den amor sui durch den amor dei zu ersetzen.

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einräumen wollen. Dies tun wir nach Frankfurt aber als Personen, d.h. als Wesen, die bereits charakterlich bestimmt sind und im Lichte dieses Charakters ihre Lebensziele wählen. Wer nun bereits einen moralisch guten Charakter hat, braucht die Moral nicht. Wer hingegen moralisch böse Einstellungen hat, wird sich gegen die Moral entscheiden, ja er kann sich gar nicht für sie entscheiden, weil er damit die Grundlage seines Personseins außer Kraft setzen würde. Damit wird die Moral funktionslos. Dem von ihr erhobenen Sollen entspricht auf Seiten der Person kein Können. Im Folgenden werde ich darstellen, wie Frankfurts Kompatibilismus bei Bieri weiter durchgeformt wird und wie Bieri mit den genannten Schwierigkeiten umgeht. 3. Das Problem der unbedingten Freiheit Die stärkste Waffe des Kompatibilismus stellt sein Argument dar, der libertaristische Freiheitsbegriff laufe auf bloße Zufälligkeit hinaus und könne daher Urheberschaft, Kontrolle und Verantwortung gar nicht sichern, sondern zerstöre sie. Dieses zum Standardrepertoire der gegenwärtigen Kompatibilisten gewordene Argument, findet sich angedeutet bereits in Frankfurts These, eine Bestimmung des Wollens sei nur auf dem Hintergrund bestehender Einstellungen möglich. Libertaristisch gesehen, so argumentiert Bieri, gehöre zur Idee des Personseins, dass der Wille nicht an einen bereits gegebenen Charakter gebunden, sondern unabhängig sei. Echte Urheberschaft bedeute dann, dass der Wille nach allem Abwägen und Überlegen immer noch frei sei, so oder so zu entscheiden. Die Person könne sich über die Gesamtheit der Motive erheben und aus unbedingter Freiheit heraus wählen, welchem der widerstreitenden Motive sie am Ende folge.20 Die Vorstellung eines unbedingten Willens hält Bieri jedoch für absurd, denn ein Wille, der all meinen Präferenzen gegenüber unabhängig wäre, wäre gar nicht mehr mein Wille. Der Wille hätte keinen Zusammenhang mit dem, was mich zu einer bestimmten Person macht. In einem substan20

Bieri (2001), 227.

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tiellen Sinne wäre der Wille nicht mehr mein Wille, sondern er bräche aus einem kausalen Vakuum kommend über mich herein.21 Er stoße mir bloß zu, erscheine mir fremd, sei unberechenbar und zufällig.22 Der absolut freie Wille sei nicht mehr mein Wille, sondern eine losgelöste Instanz, so dass ich als diese bestimmte Person geradezu willenlos wäre, womit mein Wollen und Tun erst recht jede Zurechenbarkeit verlöre. Nach Bieri und anderen müssen wir entweder zugeben, dass der freie Wille an das gebunden ist, was ich bereits bin – dann erhalten wir den kompatibilistischen Freiheitsbegriff; oder wir behaupten, der Wille sei auch gegenüber dem Charakter noch einmal unabhängig – dann löse sich die Freiheit in Zufälligkeit auf. Die Rede von der absoluten Freiheit klingt zunächst übertrieben, denn wer würde ernsthaft behaupten wollen, wir seien absolut frei? Selbstverständlich stehen wir immer in Bedingungszusammenhängen, vollzieht sich unser Wollen doch in konkreten Situationen, die nur bestimmte Möglichkeiten bieten. Natürlich wollen wir immer nur vor dem Hintergrund der je eigenen Lebensgeschichte und innerhalb des sozialen Umfeldes, in dem wir nun einmal stehen. Manche Autoren meinen daher, dass der Libertarismus im Wesentlichen eine von Kompatibilisten geschaffene Karikatur des Freiheitsdenkens sei, und dass die Gegenüberstellung von Kompatibilismus und Libertarismus von vornherein einen Fehler aufweise. Determination ja, Determinismus nein – so könnte man etwa Höffes Position umschreiben. Der Wille ist nach Höffe determiniert, weil er durchaus Bedingungen unterworfen ist. Dennoch sei der Determinismus falsch, insofern er eine umfassende und tiefgreifende Bedingtheit behaupte und somit die Reichweite der Determination überschätze.23 Bieri hat diesen Einwand allerdings kommen sehen. Ihm ist klar, dass seine Schilderung der absoluten Freiheit manchen als ein „lachhaftes Zerr21 22

23

Bieri (2001), 230. „[...] denn nur dadurch, dass ein Wille in einer Innenwelt mit festen Konturen verankert ist, ist er der Wille einer bestimmten Person, also überhaupt jemandes Wille.“ Wäre mein Wille unabhängig vom Rest meiner Innenwelt, dann verstünde man „gar nicht mehr, was es heißen sollte, dass er immer noch mein Wille wäre.“ Bieri (2001), 53; vgl. auch 231. Vgl. Höffe (2007), 230. Eine ähnliche Argumentation findet sich auch bei Seebaß (2006), 230; 236.

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bild“24 erscheinen wird. Doch auch wenn man nicht für absolute, sondern, wie Bieri dies nennt, für „moderate Unbedingtheit“ plädiere, komme doch irgendwann der Punkt, wo man es trotz aller Vorgeschichte für offen halte, was ein Mensch wollen wird.25 Wer Freiheit anders als die Kompatibilisten denken wolle, wer also etwa eine begrenzte Determination ohne umfassenden Determinismus vertrete, komme schlussendlich um das Modell der alternativen Möglichkeiten, zwischen denen nicht mehr nach Gründen entschieden werden könne, nicht herum. Schockenhoff wendet sich gegen die Alternative von Determinismus und Zufälligkeit, indem er (wie viele andere) die Besonderheit von Handlungsgründen im Unterschied zu kausalen Naturprozessen hervorhebt, um so den Begriff der Urheberschaft zu verdeutlichen. Nach Schockenhoff ist zu unterscheiden zwischen einer Bestimmung durch Handlungsgründe einerseits und einer kausalen Determination durch natürliche Wirkursachen andererseits, deren determinierende Kraft jeweils verschieden ist. Urheberschaft für Handlungen basiere nicht auf neuronalen Ursachenketten, sondern auf der Spontaneität der Willensentscheidung einer Person, die sich aufgrund rationaler Überlegung dazu entschließt, sich von bestimmten Gründen leiten zu lassen. Handlungsgründe können im Handeln nur dadurch wirksam werden, dass ein rationales Selbst sich durch Überlegen und Abwägen dazu entschließt, ihnen bestimmende Kraft im eigenen Handeln einzuräumen.26

Dies ist nach Schockenhoff der Weg zwischen der Skylla der naturkausalen Verursachung und der Charybdis des bloßen Zufalls. Rationale Handlungserklärungen durch den Rückgriff auf Gründe lassen Raum für Freiheit, weil es beim Handelnden stehe, wie er die möglicherweise konkurrierenden Handlungsgründe gewichtet. Gleichzeitig mache der Bezug auf Gründe deutlich, dass Freiheit mehr ist als bloße Indeterminiertheit und Zufälligkeit. Der Handelnde sei weder determiniert durch Ursachen, noch agiere er zufällig und somit unverständlich für sich selbst und andere, sondern er handle motiviert durch Gründe.

24 25 26

Bieri (2001), 277. Vgl. Bieri (2001). Schockenhoff (2007), 44.

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So phänomengerecht diese Unterscheidung m.E. auch ist – gegen Frankfurt und Bieri kann sie doch nichts Entscheidendes ausrichten, denn bei der Erklärung von Handlungen durch Gewichtung von Gründen stellt sich ja gleich die weitere Frage, warum denn der Handelnde X dem Handlungsgrund A mehr Gewicht beimisst als dem Handlungsgrund B. Ist er durch seine volitionalen Dispositionen determiniert, so zu gewichten? Das wäre Kompatibilismus. Wenn nein, dann ist der Grund seiner Entscheidung selbst frei angeeignet durch eine Gewichtung, und die nächste Frage lautet: Nach welchen Gründen wurde denn in diesem Fall so gewichtet und nicht anders, usw.? Die Philosophiegeschichte kennt viele Ansätze, die den moralischen Charakter eines Menschen aus einer ursprünglichen Wahl hervorgehen lassen. Zu denken ist etwa an die Schicksalswahl der Seelen vor ihrer Wiedereinkörperung im Schlussmythos der Politeia Platons. Manche wählen das (schlechte) Tyrannen-Dasein, andere die (gute) Philosophen-Existenz. Aber warum? Wenn der Gott schuldlos ist, muss es wohl an den Seelen selbst liegen, doch Gründe für deren Entscheidung sind nicht zu sehen (vgl. Politeia X, 616b–621d). Vielmehr soll die Geschichte ja allererst erklären, wie die Menschen zu Gründen für ihre moralisch relevanten Entscheidungen gelangen. Das Aristotelische Tugendkonzept spart das Problem wohl einfach aus, denn die Habitualisierung des Handelns zum Guten oder Bösen hin setzt damit ein, dass jemand zum zweiten Mal im gleichen Sinne handelt. Die Frage, warum denn die erste Handlung des einen so ausfällt und die des anderen anders, warum der eine in die Aufwärtsspirale zunehmender Tugendhaftigkeit eintritt und der andere in die Abwärtsspirale des Lasters, wird gar nicht gestellt. Sehr wohl stellt Augustinus diese Frage, denn der biblische Sündenfallbericht handelt ja gerade von einer ursprünglichen Wahl. Zwar befanden sich die Menschen nach Augustinus eigentlich nicht in einer Indifferenzposition, weil sie ja in eine Nähe zu Gott hinein geschaffen waren. Aber trotzdem hatten sie zu wählen zwischen der Treue zu Gott und dem von der Schlange angeratenen Seinwollen wie Gott. Ein Grund für die ursprüngliche Wahl des Bösen lässt sich

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auch nach Augustinus nicht finden.27 Kant meint, unser moralischer Charakter gehe aus einer ursprünglichen Maximenwahl hervor. Nehmen wir den kategorischen Imperativ in unsere Maximen auf, dann seien wir radikal gut; tun wir es nicht, dann seien wir radikal böse. Faktisch haben wir alle die zweite Möglichkeit gewählt, und es bedarf einer Revolution des Charakters, um dies zu ändern. Aber warum wir unsere ursprüngliche Wahl so getroffen haben, ist auch nach Kant unbekannt und unerforschlich.28 All diese Konzepte konvergieren darin, dass sie die Gründe, nach denen wir uns in moralisch relevanten Fragen selbst bestimmen, auf eine letzte Wahlentscheidung zurückführen, für deren Ausgang keine Gründe mehr angebbar sind. In der Tat enden auch solche libertaristischen Positionen, die nicht eine absolute, sondern nur eine „moderate Unbedingtheit“ behaupten, in einer Unerklärlichkeit. Insofern bleiben sie von Seiten des Kompatibilismus angreifbar. 4. Die weitere Entwicklung des Kompatibilismus bei Bieri 4.1 Die Funktion des Urteilens – das Rationalitätsproblem Bieri versucht, das Rationalitätsdefizit der Konzeption Frankfurts zu beheben, indem er sie durch die Elemente der Überlegung und des Urteilens anreichert. Durch Überlegen, so Bieri, lenken wir den Willen in eine bestimmte Richtung, üben Macht auf ihn aus und werden sein Urheber und sein Subjekt. Das Ausmaß, in dem uns das gelingt, ist das Ausmaß, in dem unser Wille Freiheit besitzt; das Ausmaß in dem es uns misslingt, ist das Ausmaß seiner Unfreiheit.29 27

28 29

Vgl. Augustinus, De civitate dei XII 6-7. Augustins Einführung einer causa deficiens im Unterschied zur nicht auffindbaren causa efficiens hilft nicht weiter, denn damit wird nur das Abfallen von Gott zur causa (deficiens) aller weiteren bösen Taten erklärt, doch der Ursprung und die Möglichkeit dieses Abfallens bleiben unerklärt, ja werden gerade als unerklärlich behauptet. Vgl. Immanuel Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, Erstes Stück, B 3-63. Bieri (2001), 54.

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Entscheiden heißt nach Bieri, durch Überlegen den Willen bilden. Die Freiheit des Willens liege darin, dass er durch unser Denken und Urteilen bedingt ist.30 Andererseits erklärt Bieri das Urteilen aber im Sinne der Konditionalanalyse von „können“, wie sie G. E. Moore vorgelegt hat. Den Satz „ich hätte anders handeln können“, den Libertaristen als Kriterium der Freiheit ansehen, deutet Moore als, „ich hätte anders gehandelt, falls ich anders gewollt hätte“. Man sieht gleich die kompatibilistische Pointe, denn dieser Satz erlaubt die Fortsetzung: ‚Ich habe aber nichts anderes gewollt, weil ich determiniert war zu wollen, was ich wollte, und deswegen habe ich notwendigerweise so gehandelt.’ In Moores konditionaler Formulierung geht die Alternativität des Handelns also durchaus mit der Determiniertheit des Wollens zusammen. Gegen Moore ist allerdings einzuwenden, dass die Konditionalanalyse den Begriff des praktischen Könnens gar nicht rekonstruiert, sondern eher zum Verschwinden bringt, denn in Moores Umformulierung kommen keine Modalbegriffe mehr vor.31 In Analogie zu Moore deutet Bieri den Satz: „Ich hätte auch etwas anderes wollen können“, als: „Ich hätte etwas anderes gewollt, falls ich anders geurteilt hätte“, mit der möglichen Fortsetzung: ‚Ich habe aber nicht anders geurteilt, und konnte es auch gar nicht, weil mein Urteilen determiniert ist durch meinen Charakter und meine Einstellungen.’ Überlegen und Urteilen haben auch in Bieris Sicht nichts mit der Rechtfertigung grundlegender Einstellungen zu tun, sondern nur mit dem Versuch herauszufinden, welcher unserer Wünsche unseren gegebenen Einstellungen am besten entspricht. Insgesamt zielt Bieris Urteilen ebenso wenig wie Frankfurts rationale Wahl auf eine Kritik des Charakters, sondern nur darauf zu entdecken, wie dieser Charakter genau beschaffen ist und welcher Wunsch zu ihm passt. Wenn Frankfurts Konzeption ein Rationalitätsdefizit aufweist, insofern der Autoritätsanspruch der beharrlichen Einstellungen nicht gerechtfertigt wird, dann wird dieses Defizit durch Bieris Betonung des Überlegens und Urteilens nicht geringer.

30 31

Vgl. Bieri (2001), 80. Zum Begriff des praktischen Könnens und einer Kritik an der Konditionalanalyse vgl. Seebaß (2006), 169-190.

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4.2 Außenperspektive und Innensicht – der Subjektivismus Frankfurts Subjektivismus erweitert Bieri zu einer grundsätzlichen Unterscheidung der Innen- von der Außenperspektive, die für die Begründung des Kompatibilismus zentrale Bedeutung besitzt. Als Beispiel verwendet Bieri immer wieder die Figur des Raskolnikow, der in Dostojewskis „Schuld und Sühne“ eine alte Pfandleiherin erschlägt, um sich ihr Geld anzueignen. In der Außenperspektive wird man sagen müssen, dass Raskolnikow, gegeben den Charakter, den er nun einmal hat, zu dem Urteil kommen musste, es sei besser, die Pfandleiherin zu erschlagen. Doch für die Freiheitsfrage soll nach Bieri allein die Innenperspektive ausschlaggebend sein: Es ist aus dieser Perspektive unmöglich, mir vorzustellen, ich hätte keine Wahl. Das verstieße gegen die Logik der Innenperspektive und widerspräche meiner manifesten, unbezweifelbaren Erfahrung der Freiheit.32

Es gehöre zur Erfahrung des Entscheidens, dass wir die Zukunft unseres Wollens und Tuns als offen erleben33 und dass uns unser Überlegen ergebnisoffen erscheint. Allerdings liege die Offenheit der Zukunft allein im Spiel der Einbildungskraft.34 Doch was zähle sei, dass Raskolnikow selbst seinen Entschluss zum Mord als etwas Neues erfahre und nicht als etwas, das eine viel früher angelaufene Folge von inneren Episoden zum Abschluss bringe.35 Urheberschaft, Spontaneität, Freiheit seien Sache der Innenperspektive, weil Freiheit grundsätzlich nur erlebte und nicht beobachtete Freiheit sein könne.36 Als Kompatibilist hält Bieri es durchaus für möglich, dass Holbachs These zutrifft, die Linie des Lebens sei vollständig vorgezeichnet. Doch wenn man über Freiheit rede, komme es allein darauf an, dass diese Linie ihren Ursprung in mir selbst habe,37 und das sei bereits dadurch der Fall, dass ich mein Wollen herbeiführe, dass ich es mir erarbeite, dass ich entscheide. Dass dies alles gar nicht ergebnisoffen, sondern vorherbestimmt ist, schade der Freiheit gar nicht, solange das Vollziehen 32 33 34 35 36 37

Bieri (2001), 19. Vgl. Bieri (2001), 73. Vgl. Bieri (2001), 284. Vgl. Bieri (2001), 293. Vgl. Bieri (2001), 299. Vgl. Bieri (2001), 313.

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der Überlegung und der Entscheidung nur meine eigene Aktivität sei. In Wahrheit hat also die Linie meines Lebens nur in der Innenperspektive ihren Ursprung in mir selbst. Von außen gesehen läuft sie durch mich hindurch zurück in die Vergangenheit. Urheber meiner Handlungen und meiner Entscheidungen bin ich demzufolge ebenfalls nur in der Innenperspektive. In der Betrachtung von außen löst sich die Urheberschaft auf.38 Mit der Zurückweisung der Außenperspektive verneint Bieri gleichzeitig die Möglichkeit einer echten Selbstdistanzierung. Abstand zu sich selbst besitzt die Person bei Bieri nur im Sinne der Frankfurtschen Willensfreiheit, also nur insofern sie nicht blind ihren Wünschen erster Ordnung folgt. Eine Distanzierung der Person von ihrem Charakter hingegen ist kompatibilistisch gesehen unmöglich. Nach Bieri dürfen wir nicht innerhalb der Person noch einmal unterscheiden wollen zwischen einer Instanz, die eben ihren Charakter hat und demgemäß agiert, und einer zweiten Instanz, die sich bei ihren Identifikationsleistungen beobachtet und dabei fragt, ob ihr Charakter nicht vielleicht von außen festgelegt worden sei und daher gar nicht ihr eigenes, wesentliches Wollen repräsentiere. Ein 38

Tugendhat (1987), 349, vertritt eine kompatibilistische Konzeption, räumt aber eine empfindliche Lücke in seiner Argumentation ein, insofern sie kein Mittel bereitstelle, das erlaube, zwischen einer zwanghaften und einer frei gewählten Ausrichtung der Wünsche zweiter Ordnung zu unterscheiden. In seinem Beitrag „Willensfreiheit und Determinismus“ (2007) verfolgt er wie Bieri die Strategie der Subjektivierung, um trotz der Determiniertheit allen Geschehens Verantwortlichkeit zu sichern (vgl. S. 61-64). Zwar laufe die Reihe der Ursachen des Handelns prinzipiell durch das handelnde Ich hindurch und zurück bis zum Anfang der Welt, doch zumindest das Ich selbst sei nicht in der Lage, sie über sich selbst hinaus zurückzuverfolgen, weil sich die subjektive Sprache des „es liegt an mir“ nicht übersetzen lasse in eine objektive Sprache, die auf das Wort „ich“ verzichte. Die Inkommensurabilität der subjektiven und der objektiven Sprache erzwinge einen „Warumstopp“, also ein Anhalten des Fragens nach weiter zurückliegenden Gründen, so dass genau an diesem Haltepunkt die Idee der Verantwortung zur Geltung kommen könne. Von dieser perspektivisch bedingten Sprachschwierigkeit abgesehen läuft die Ursachenreihe aber durch das Ich hindurch zurück in die Vergangenheit. Tugendhat verwendet für diese Ursachenreihe das Bild eines Bindfadens. Die handelnde Person sei einem Knoten in diesem Faden vergleichbar. Beiderseits der Person ist die Ursachenreihe klar zu sehen. Innerhalb des Knotens existiere sie zwar auch, doch sei sie wegen der Nichtübersetzbarkeit der subjektiven in die objektive Sprache nicht erkennbar.

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solches inneres, kritisches Subjekt kann es nach Bieri nicht geben, denn dieses müsse ein reines, unbedingtes Ego sein, dessen Urteile mir, als dem immer schon so oder so geformten Subjekt nach Bieris Meinung kapriziös vorkommen müssten. Urheberschaft ist nach Bieri immer auf die „ganze Person“ 39 zu beziehen. Faktisch bedeutet die Rede von der „ganzen Person“ aber, dass Bieri der Person die Fähigkeit zur Selbstkritik und zur Selbsttranszendenz abspricht. Bieris Person ist für sich selbst opak. Gemäß der strikten Unterscheidung von Innen- und Außenperspektive liegt die Freiheit der Person für Bieri im Grunde darin, dass, während alle anderen schon wissen, wie sie sich entscheiden wird, nur sie allein es nicht wissen kann, bevor sie sich nicht tatsächlich entschieden hat. Während Bieri dem Libertarismus vorwirft, nicht für Urheberschaft aufkommen zu können, vermag der Kompatibilismus selbst die Urheberschaft nur mithilfe von Thesen zu sichern, die keineswegs selbstverständlich sind: z.B. Freiheit erfordere keine reale, sondern nur eine epistemische Offenheit der Zukunft; oder: Freiheit brauche nicht mehr zu sein als ein subjektives Freiheitsgefühl, ja dürfe gar nicht mehr sein als dies; oder: Personalität schließe die Fähigkeit zu echter Selbstdistanzierung nicht ein, sondern gerade aus. 4.3 Die Ansprüche der Moral Der Einwand aus den Ansprüchen der Moral verbindet sich mit der Frage nach der Verantwortlichkeit und der Zurechenbarkeit. Ist es möglich, einen Verbrecher für die von ihm verübten Taten verantwortlich zu machen, wenn es für ihn keine alternativen Möglichkeiten des Handelns und Wollens gab? Bieri verleiht diesem Thema besonderes Gewicht, indem er in sein Buch immer wieder fiktive Diskussionen des Raskolnikow mit seinem Richter einflicht, der ihn wegen des Raubmordes an der Pfandleiherin verurteilen will. Diese Diskussionen kreisen um das Problem der Schuldfähigkeit des Raskolnikow, der sich auf einen kompatibilistischen Freiheitsbegriff beruft und damit der Bestrafung zu entgehen hofft. Raskolnikow macht geltend, dass er, als er die alte Pfandleiherin erschlug, zwar frei gehandelt habe, insofern er sich mit seinem Wunsch, die Alte zu töten, identi39

Vgl. Bieri (2001), 266.

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fizierte, doch gegeben seinen Charakter und seine grundlegenden Präferenzen konnte er eben gar nicht anders als zu urteilen, dass der Raubmord die seinen Dispositionen entsprechende Handlung und der Wille dazu sein autonomer Wille sei. Seinen Charakter habe er sich aber nicht ausgesucht. Vielmehr unterliege er einer sozialen Determination durch das ärmliche und gewaltbereite Milieu, in dem er aufgewachsen sei. Der Richter akzeptiert Raskolnikows kompatibilistischen Freiheitsbegriff und sieht auch die daraus folgenden Schwierigkeiten für die Zurechenbarkeit, findet aber dennoch einen argumentativen Weg, auf dem er Raskolnikow mit gutem Gewissen ins sibirische Straflager schicken kann. Bieri legt dem Richter dabei das Argument aus Peter Strawsons Aufsatz „Freedom and Resentment“40 in den Mund, das in etwa besagt: Moral ist eine Lebensform, zu der es nun einmal gehört, dass Menschen, die sich nicht auf den moralischen Standpunkt stellen, verantwortlich gemacht und bestraft werden. Ein Prinzip dieser Lebensform liegt darin, sie wenn nötig gewaltsam gegen jene durchzusetzen, die sie nicht teilen – unabhängig davon, ob diese nun alternative Möglichkeiten besaßen oder nicht.41 Diese Lösung des Moralproblems, mit der Bieri Frankfurts Ansatz ergänzt, dürfte wohl ihrerseits problematisch sein, denn Verantwortung wird hier nur dadurch gerettet, dass sie in ein sehr schiefes Licht getaucht wird. Das Verantwortlich-sein verschwindet zugunsten eines bloßen Verantwortlich-gemacht-werdens, das Anhänger einer bestimmten Lebensform zur Legitimation ihrer eigenen Gewalttätigkeit vollziehen. Moral und Unmoral reduzieren sich damit auf Machtfragen. Letztlich ist dies eine Konsequenz der These, dass vernünftiges Wollen und Handeln ein Wollen und Handeln im Dienst unserer fundamentalen Präferenzen darstellen, die selbst nicht mehr rational kritisierbar sind. 4.4 Anonymität und Unberechenbarkeit? Das Hauptargument des Kompatibilismus gegen den Libertarismus lautete, dieser mache den Willen anonym und unberechenbar. Bei näherem Hinse40 41

Die deutsche Übersetzung ist veröffentlicht unter dem Titel „Freiheit und Übelnehmen“, in: Pothast (1978), 201-233. Vgl. Bieri (2001), 357-361.

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hen zeigt sich jedoch, dass das Problem der Anonymität und der Unberechenbarkeit auf seine Weise im kompatibilistischen Konzept der Person wiederkehrt. Nach Bieri messen wir unsere Wünsche an unserem Selbstbild und identifizieren uns mit ihnen oder lehnen sie ab, doch für das Selbstbild gibt es keinen Maßstab mehr, an dem es gemessen und demgemäß es akzeptiert oder verworfen werden könnte. Seine Liebe sucht man sich eben nicht aus. Dennoch gibt es das Phänomen der Veränderung des Selbstbildes, und in seinen Romanen interessiert Bieri sich genau für solche Veränderungen. Paradigmatisch ist hier der Lateinlehrer Gregorius aus dem Roman „Nachtzug nach Lissabon“. Da das Vorhandensein fundamentaler Einstellungen für Frankfurt wie für Bieri die Voraussetzung des Personseins überhaupt ist, können diese Einstellungen nicht selbst wieder unter dem Einfluss der Person stehen. Wir müssten ja sonst ein reines Subjekt annehmen, das sich von den faktischen Dispositionen zu distanzieren vermag. Bei den Veränderungen, deren Realität die Lebenserfahrung lehrt, handelt es sich deshalb, wie Bieri sagt, in gewissem Sinn um ein „subjektloses Geschehen“42, vergleichbar einer „geologischen Umschichtung“43. In mir, in der Person, spielt sich ein inneres Drama ab, für das es keinen „Regisseur“ gibt. So wie das Selbst den Charakter hinnehmen muss, den es hat, so ist es auch an jene anonymen tektonischen Prozesse ausgeliefert, die die Fundamente seines Personseins betreffen. Deshalb ist das Selbst „ein vorübergehendes Gebilde auf schwankendem Grund“.44 Das Selbst fließt, ohne zu wissen wohin. In seinem Roman „Nachtzug nach Lissabon“ legt Bieri dem Arzt Prado diese Daseinsdeutung in den Mund: Gregorius schlug Prados Buch auf und las zum wiederholten Male eine Aufzeichnung, die ihm wie keine andere der Schlüssel zu allem anderen zu sein schien. […] Ich wohne in mir wie in einem fahrenden Zug. Ich bin nicht freiwillig eingestiegen, hatte nicht die Wahl und kenne den Zielort nicht. Eines Tages in der fernen Vergangenheit wachte ich in meinem Abteil auf und spürte das Rollen. […] Ich kann nicht aussteigen. Ich kann das Geleise und die Richtung nicht ändern. Ich bestimme das Tempo nicht. Ich sehe die Lokomotive nicht und kann nicht erkennen, wer sie fährt und ob der Lokführer einen zuverlässigen Eindruck macht. Ich weiß nicht, ob er die Signale richtig liest und es bemerkt, wenn eine Weiche falsch gestellt worden ist. Ich kann das Abteil nicht wech42 43 44

Bieri (2001), 414. Bieri (2001), 415. Bieri (2001), 423.

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seln. […] Ich öffne das Fenster, lehne mich weit hinaus und sehe, dass alle andern dasselbe tun. Der Zug fährt eine sanfte Schleife. Die letzten Wagen sind noch im Tunnel und die ersten schon wieder. […] In den Abteilen liegen Fahrpläne aus. Ich will nachsehen, wo wir halten werden. Die Seiten sind leer. An den Bahnhöfen, wo wir halten, fehlen die Ortsschilder.45

Der Zug, in dem der Arzt Prado sein Leben zu verbringen meint, dürfte wohl jenes fließende Selbst aus Bieris „Handwerk der Freiheit“ sein, auf dessen Fahrt die Person keinen Einfluss nehmen kann, dessen Weg es nicht überschaut und dessen Ziel, falls es eines gibt, es nicht kennt. Offensichtlich mutet der Kompatibilismus dem Menschen mindestens so viel innere Unberechenbarkeit und Anonymität zu, wie er der These von der „moderaten Unbedingtheit“ unterstellt. Was ist damit gewonnen, wenn nicht der Wille anonym und unberechenbar ist, sondern der Charakter, der das Wollen bestimmt? Ist das „fließende Selbst“ nicht ebenso erschreckend wie der moderat unbedingte Wille? Natürlich finden wir uns selbst immer schon mit bestimmten Einstellungen vor, und natürlich verändern sich diese Einstellungen im Laufe des Lebens. Es wäre ja bedauerlich, wenn wir uns als Personen nicht entwickeln könnten. Die Frage lautet aber, ob wir diesen Prozess im Letzten nur hinnehmen können, oder ob wir einzugreifen vermögen. Sind wir darauf eingeschränkt, herauszufinden, wer wir inzwischen geworden sind, oder können wir Einfluss nehmen? Nach Frankfurt ist mir meine Liebe durchaus nicht trivialerweise bekannt, sondern ich muss mich darum bemühen, sie zu erkennen. Bei Bieri heißt dies „Aneignung des Willens“ bzw. „Handwerk der Freiheit“. Aber dem Kompatibilismus zufolge kann ich letztlich immer nur vollziehen, was ich bereits bin. Demgegenüber ist meines Erachtens festzuhalten, dass Personen aktive Wesen sind, die zu ihren kulturellen und lebensgeschichtlichen Prägungen wertend Stellung nehmen können. Der Kompatibilismus hat Recht, wenn er behauptet, zum Personsein gehöre die Fähigkeit, einen Lebensplan zu befolgen und letzte Ziele zu besitzen. Doch die Freiheit der Person erschöpft sich nicht darin, der Orientierung zu folgen, die sie in sich vorfindet, bzw. den Wandlungen des Selbstbildes nachzuspüren, die sich in ihr ereignen. Vielmehr schließt Personalität die Möglichkeit einer kritischen 45

Bieri (2004), 423f.

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Beurteilung des tatsächlichen Wollens und der faktischen Lebensziele ein. Insofern die Moral zu einer solchen Selbstkritik auffordert, kann man sagen, dass Personen moralfähige Wesen sind. Literaturangaben Betzler, Monika / Guckes, Barbara, Hgg. (2001), Harry G. Frankfurt – Freiheit und Selbstbestimmung. Berlin: Akademie Verlag. Bieri, Peter (2001), Das Handwerk der Freiheit. Über die Entdeckung des eigenen Willens. München – Wien: Hanser. Bieri, Peter, alias Pascal Mercier (2004), Nachtzug nach Lissabon. München – Wien: Hanser. Brachtendorf, Johannes (2006), Einleitung zu Augustinus De libero arbitrio – Der freie Wille, eingeleitet, übersetzt und herausgegeben von Johannes Brachtendorf, Paderborn: Schöningh. Brachtendorf, Johannes (2007), Augustine’s Notion of Freedom – Deterministic, Libertarian, or Compatibilistic? In: Augustinian Studies (2007) 38/1, 219-231. Frankfurt, Harry, Alternative Handlungsmöglichkeiten und moralische Verantwortung, in: Betzler / Guckes (2001), 53-64. Frankfurt, Harry, Willensfreiheit und der Begriff der Person, in: Betzler / Guckes (2001), 65-83. Frankfurt, Harry, Drei Konzepte freien Handelns, in: Betzler / Guckes (2001), 84-87. Frankfurt, Harry, Über die Bedeutsamkeit des Sich-Sorgens, in: Betzler / Guckes (2001), 98-115. Frankfurt, Harry, Identifikation und ungeteilter Wille, in: Betzler / Guckes (2001), 116-137. Frankfurt, Harry, Über die Nützlichkeit letzter Zwecke, in: Betzler / Guckes (2001), 138-155. Frankfurt, Harry, Autonomie, Nötigung und Liebe, in: Betzler / Guckes (2001), 166-183. Höffe, Otfried (2007), Lebenskunst und Moral: Oder macht Tugend glücklich? München: Beck.

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Keil, Geert (2007), Willensfreiheit. Berlin – New York: de Gruyter. Lohmar, Achim (2005), Moralische Verantwortlichkeit ohne Willensfreiheit. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann. Pauen, Michael (2004), Illusion Freiheit? Mögliche und unmögliche Konsequenzen der Hirnforschung. Frankfurt am Main: Fischer. Roth, Gerhard (2004), Worüber dürfen Hirnforscher reden – und in welcher Weise?, in: Geyer, Christian, Hg. (2004), Hirnforschung und Willensfreiheit. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 66-85. Schockenhoff, Eberhard (2007), Theologie der Freiheit. Freiburg: Herder. Seebaß, Gottfried (2006), Handlung und Freiheit. Tübingen: Mohr Siebeck. Strawson, Peter, Freiheit und Übelnehmen, in: Pothast, Ulrich, Hg. (1978), Seminar: Freies Handeln und Determinismus. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 201-233. Tugendhat, Ernst (1987), Der Begriff der Willensfreiheit, wiederabgedruckt in: Tugendhat, Ernst (1992), Philosophische Aufsätze. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 334-351. Tugendhat, Ernst (2007), Willensfreiheit und Determinismus, in: Liessmann, Konrad Paul, Hg. (2007), Die Freiheit des Denkens. Wien: Szolnay, 45-67.

Wohin führt die kausale Handlungstheorie? Georg Gasser, Innsbruck Wer der Frage nachgeht, was jemand tut, der geht – wenigstens implizit – auch der Frage nach, wer da etwas tut. Handlungen schreiben wir normalerweise Personen zu. Handeln zu können ist eine derjenigen Eigenschaften, die Personen auszeichnet. Die Analyse menschlichen Handelns geht mit der Frage einher, was menschliche Personen sind. Folgender Beitrag befasst sich mit dem Verhältnis von Handlung und Person innerhalb der kausalen Theorie des Handelns. Durch eine eingehende Analyse dieses weitverbreiteten Ansatzes zur Erklärung und Deutung menschlichen Handelns sollen Implikationen für den Begriff des Handelnden herausgearbeitet werden. 1. Die kausale Theorie des Handelns 1.1. Gründe sind Ursachen Die aktuelle Debatte der Handlungstheorie innerhalb der analytischen Philosophie ist von der kausalen Theorie des Handelns geprägt. Diese kann geradezu als ihre Orthodoxie bezeichnet werden.1 Die Grundthese der kausalen Handlungstheorie besagt, dass ein Ereignis dann als Handlung gelten kann, wenn dieses Ereignis (i) durch die Gründe des Handelnden verursacht wird, und zwar (ii) in der richtigen Art und Weise. „In der richtigen Art und Weise“ besagt, dass die Gründe jene Rolle in der Generierung der Handlung spielen müssen, welche ihnen vom Handelnden zugesprochen wird. Stellen wir uns vor, Josef beabsichtigt, seine Tante zu überfahren. Der Gedanke an diese Tat lässt ihn so unaufmerksam werden, dass er eine Dame auf dem Zebrastreifen übersieht und überfährt, die zufälligerweise seine Tante ist. In einem solchen Fall liegt zwar ein Grund und die dem Grund entsprechende Handlung vor, aber sie sind nicht „in der richtigen Weise“ kausal miteinander verknüpft: Das Überfahren von Josefs Tante 1

Siehe dazu Keil (2000), 18.

Niederbacher, Bruno / Runggaldier, Edmund, Hgg. (2008), Was sind menschliche Personen? Ein akttheoretischer Zugang. Heusenstamm: Ontos Verlag, 181-208.

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war nämlich eine unmittelbare Folge von Josefs Unaufmerksamkeit und nicht die unmittelbare Folge von Josefs Absicht, seine Tante zu überfahren. Dieses Beispiel macht deutlich, wie die kausalen Theorie des Handelns ihr Argument in Anschlag bringt: Wenn Gründe nicht „in der richtigen Art und Weise“ in die Generierung einer Handlung einfließen, so bleibt unklar, wie Gründe für das Auftreten einer Handlung relevant sein können. Nur wenn Gründe „in der richtigen Art und Weise“ eine Handlung generieren, können diese Gründe auch als entscheidende Faktoren für das Hervorbringen der entsprechenden Handlung angesehen werden.2 Anders ausgedrückt: Wenn zwischen Grund und Handlung keine Kausalbeziehung „in der richtigen Art und Weise“ vorliegt, dann kann nicht zwischen einem möglichen, aber unwirksamen Handlungsgrund und dem tatsächlich wirksamen Handlungsgrund unterschieden werden. Oft lassen sich nämlich viele gute Gründe für das Eintreten einer Handlung angeben, aber die Wirksamkeit eines Grundes lässt sich nicht daran ablesen, ob ein Grund gut oder weniger gut ist. Es ist ja durchaus möglich, dass ein Verhalten, für das es gute Gründe gibt, durch etwas anderes als diese Gründe hervorgebracht worden ist. Wie die Geschichte von Josef und seiner Tante illustriert, waren Gründe für die Ermordung der Tante zwar in Josef hochgekommen, aber sie haben nicht „in der richtigen Art und Weise“ Eingang in den kausalen Prozess gefunden, welcher zum geplanten Resultat – dem Tod der Tante – führte. Daher, so lautet die Schlussfolgerung der kausalen Theorie des Handelns, muss der Grund für die Handlung auch die Ursache dieser Handlung sein. Sonst könnte ein angegebener Grund zwar verständlich machen, warum diese Handlung vollzogen wurde – der angegebene Grund „passt“ zur stattgefundenen Handlung: Josefs Mordgedanke könnte verständlich machen, warum Josef seine Tante überfahren hat. Aber besagter Grund würde das Eintreten der Handlung nicht erklären, da die Handlung ja nicht wegen dieses Grundes, sondern wegen etwas anderem stattgefunden hat. Die Deutung von Gründen als Ursachen erweist sich somit als sehr attraktiv: Einerseits ermöglicht der Verweis auf den Handlungsgrund eine 2

Mele (1992), 7, bringt diese Überlegung folgendermaßen auf den Punkt: „[…] it is difficult to see how a reason can account for someone’s A-ing if it (or the agent’s having it) does not play a suitable role in the etiology of his A-ing.”

Wohin führt die kausale Handlungstheorie?

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rationale Beurteilung der Handlung. Wir können danach fragen, ob die Gründe, die ausschlaggebend für den Vollzug der Handlung waren, gute oder schlechte bzw. angebrachte oder unangebrachte Gründe waren. Andererseits können Handlungen genau so wie alle übrigen Vorgänge der Wirklichkeit auch als Ursache-Wirkungs-Beziehungen konzipiert werden. Handlungen „scheren nicht aus“ und bilden nicht eine von kausalen Vorgängen separate Klasse, bei der unklar ist, wie das Verhältnis zwischen Gründen und Handlungen zu bestimmen ist. Weiters spricht für eine kausale Bestimmung des Verhältnisses zwischen Gründen und Handlungen, dass Handlungen sich im Normalfall in Körperbewegungen manifestieren. Für Körperbewegungen lassen sich Ursachen neurophysiologischer Art angeben. Daher ist es plausibel anzunehmen, dass diese Körperbewegungen durch Ursachen hervorgerufen werden, die neurophysiologisch realisiert sind und Gründe für Handlungen folglich auf irgendeine Weise mit den Ursachen dieser Körperbewegungen identisch sein müssen. 1.2. Die Redeweise von Gründen Die Behauptung, dass Gründe mit Ursachen identisch sind, ist laut kausaler Theorie des Handelns aber kein Anlass, nicht strikt zwischen der Redeweise von Gründen und Handlungen einerseits und der Redeweise von Ursachen und Wirkungen andererseits zu unterscheiden. Donald Davidson, einer der profiliertesten Vertreter der kausalen Theorie des Handelns, betont ausdrücklich, dass die Rede von Gründen und die Rede von Ursachen zwei verschiedenen und nicht übersetzbaren Beschreibungsweisen der Wirklichkeit angehören. Im Gegensatz zu Beschreibungen im Bereich des Physischen verfügen wir bei Beschreibungen im Bereich des Psychischen nicht über gesetzesartige Zusammenhänge. Wenn wir auch von Regelmäßigkeiten im mentalen Bereich nach der Art „wenn X beleidigt wird, dann wird X in der Regel zornig“ sprechen können, so sind diese Regelmäßigkeiten nicht zu verwechseln mit Gesetzmäßigkeiten, wie sie typischerweise im physischen Bereich auftreten.3 3

Davidson (1993), 312, schreibt etwa: „What then are we ‘ignorant’ about when it comes to explaining psychological events? We don’t know precise laws for explaining and predicting them; but unlike the situation in natural sciences, this isn’t because we haven’t discovered them yet; it’s because there are no such laws.”

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Da sich keine gesetzesartigen Zusammenhänge im Bereich des Mentalen angeben lassen, ist eine Rückführung des Mentalen auf Ursache-Wirkungs-Prozesse, wie sie in der Neurophysiologie oder gar Physik beschrieben werden, laut Davidson unmöglich. Wollte man die postulierte Kausalbeziehung zwischen Grund und Handlung in der Sprache der Naturwissenschaften beschreiben, so käme man zu einer völlig anderen Art der Beschreibung: Nicht mehr von Handlungsgründen und von Handlungen wäre dann die Rede, sondern von neurologischen, chemischen oder physischen Ereignissen, die Kausalbeziehungen zueinander aufweisen.4 Daher ist im Fall menschlichen Handelns die Verwendung eines mentalintentionalen und nicht eines physischen Vokabulars nicht nur berechtigt, sondern sogar gefordert. Die Verwendung dieses intentionalen Vokabulars setzt zwar voraus, dass physische Mechanismen ablaufen, die den Überlegungen und entsprechenden Handlungen zugrunde liegen, aber diese Mechanismen müssen nicht angegeben werden können: Knowledge of the rational abilities of an agent can sustain our confidence that a certain behavioural effect will show up, even if we do not have any knowledge of mechanisms, i.e. of the ways the organism produces this effect. To know that someone has certain beliefs and desires is to have a certain amount of causal information about him; but this sort of causal knowledge is not knowledge of mechanisms or of executing processes.5

Die Gründe eines Handelnden zu kennen, bedeutet folglich, eine Information über kausale Abläufe zu besitzen – auch wenn diese Information relativ offen und vage ist, da durch sie über die spezifische Art und Weise, wie die Handlung hervorgebracht wird, ja nichts ausgesagt wird. 1.3. „Epistemisch-semantischer Dualismus, ontologischer Monismus“ Davidson versucht aufzuzeigen, dass für das Verstehen von Handlungen als Vollzüge rational überlegender Personen der Begriffsapparat der Gründe, Überzeugungen und Absichten zentral ist. Ohne diesen Begriffsapparat könnte menschliches Handeln nicht verstanden werden. Auf die Ontologie hat die Verwendung dieses Begriffapparats laut Davidson aber keine Auswirkungen. Der Bereich des Mentalen stellt nämlich nicht eine 4 5

Davidson (1963/21982), 17. Lanz (1993), 300.

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ontologische, sondern eine rein begriffliche Kategorie dar.6 Die Redeweise vom Bereich des Mentalen bezieht sich nicht auf etwas, was es „in der Wirklichkeit“ als „Mentales“ gibt. Mentale Vorgänge werden als „mentale“ beschrieben, sind ontologisch gesprochen aber physische Vorgänge: Gründe sind deshalb kausal wirksam, weil sie physische Ereignisse sind. Simon Evnine führt deutlich aus, dass Davidson mentalen Eigenschaften kausale Relevanz abspricht – im Gegensatz zu physischen Eigenschaften: They [mentale Ereignisse, Anmerkung G. Gasser] cannot cause what they cause because they have the content they do, since all their causally relevant properties are physical. This in itself does not mean mental events cannot be causes of actions. But it does mean that there is no connection between their having what causal powers they do and their having what propositional content they do.7

Peter Lanz bestätigt diese Leseart der Davidson’schen Position: To see rational causes at work does not commit one to a non-physicalist ontology, bur rather reflects the cognitive needs of rational agents in their interactions among one another.8

Die Redeweise von Gründen hat primär die kognitiven Bedürfnisse von uns Handelnden im Blick. Diese kognitiven Bedürfnisse können nicht in eine Sprache der Ursachen und Wirkungen übersetzt bzw. durch eine solche befriedigt werden. Die Redeweise von Gründen ist sozusagen unhintergehbar, um unser Selbstverständnis als handelnde und soziale Wesen aufrechterhalten zu können.9 Diese Einsicht ist zweifelsohne richtig. Der menschliche Lebensvollzug ist dergestalt, dass wir ohne Begrifflichkeiten wie Gründe, Wünsche und Handlungen nicht auskommen. Würden wir sie durch die Begrifflichkeiten der Ursachen, Wirkungen und Kausalbeziehungen ersetzen, so würden unsere lebensweltlichen Vollzüge zusammenbrechen. Wir wären nicht mehr fähig, uns als rational handelnde Wesen zu begreifen. Wie auch im6 7 8 9

So Davidson (1987/2006), 199-200. Evnine (1991), 161. Lanz (1993), 300. Davidson betont diese Tatsache ausdrücklich, z.B. in Davidson (1987/2006), 200201: „Durch Grund-Erklärungen werden andere Personen für uns nur in dem Maße verständlich, in dem wir etwas von der Art unserer eigenen Denkkräfte am Werk erkennen können. Es wäre ein Irrtum, wollte man annehmen, dies sei lediglich ein Zeichen mangelnder Phantasie oder vielleicht mangelnder Sympathie. Es ist ein zentrales und unersetzliches Merkmal des Intentionalen.“

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mer in concreto die Argumentation für die Unhintergehbarkeit der Sprechweise vom mentalen Bereich gelagert ist, spielt an diesem Punkt keine wesentliche Rolle. Entscheidend ist vielmehr, dass der kausalen Theorie des Handelns zufolge der Unterschied zwischen den Begrifflichkeiten der Gründe und Handlungen und den Begrifflichkeiten der Ursachen und Wirkungen darin besteht, dass letztere Begrifflichkeit dem, was es eigentlich gibt, näher zu stehen bzw. zu entsprechen scheint. Ihr fällt nämlich nicht nur eine erkenntnistheoretische und semantische, sondern auch eine ontologische Relevanz zu. Diese Davidson’sche Explikation der kausalen Theorie des Handelns erinnert stark an jene Position, die Jürgen Habermas unter dem etwas schwammigen Schlagwort „epistemischer Dualismus, ontologischer Monismus“10 zusammenfasst. 1.4. Weiterführungen dieser Position Im Anschluss an diese Position stellt sich die Frage, wie sich die Identitätsbehauptung zwischen Gründen und Ursachen zum vorgeschlagenen semantisch-epistemischen Dualismus verhält: Lässt sich der epistemische und semantische Dualismus angesichts der ontologischen Vorrangstellung des physischen Bereichs aufrechterhalten? Oder legt sich letzten Endes doch eine Umdeutung menschlichen Handelns in eine bestimmte Art physischer Vorgänge nahe? Ein Fundort, diesen Fragen nachzugehen, ist John Searles Theorie der intentionalen Verursachung. Für Searle gibt es in Bezug auf Handlungen zwar zwei mögliche Beschreibungsweisen des vorliegenden „Tatbestands“, aber er warnt davor, aus der Möglichkeit dieser zweifachen Beschreibung große philosophische Schlüsse zu ziehen. Wie Davidson lehnt er eine dualistische Deutung mentaler Zustände ab. Klarer als Davidson macht sich Searle aber gegen eine Favorisierung der physisch-kausalen Beschreibungsweise gegenüber der mental-intentionalen stark. Für Searle drückt die mental-intentionale Beschreibung genauso wie die physisch-kausale Beschreibung den vorliegenden Tatbestand aus: Wenn wir die intentionale Beziehung zwischen Gründen und Handlungen als unumgänglichen Bestandteil unseres kognitiven Apparats auffassen, so soll10

Siehe Habermas (2007), 263-304.

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ten wir diese intentionale Beziehung nicht nur kognitiv, sondern auch ontologisch ernst nehmen. Die Unterscheidung zwischen „mental“ und „physisch“ sei mit sehr großer Vorsicht zu genießen.11 In der Philosophie führe sie nämlich zur „outmoded dualistic/materialistic assumption that the ‘mental’ character of consciousness makes it impossible for it to be a ‘physical’ property.“12 Für die Handlungstheorie bedeutet dies, dass bei Handlungen unabhängig von entsprechenden Beschreibungen ein logisch-begrifflicher Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung dahingehend besteht, dass die Ursache die Wirkung repräsentiert bzw. die Wirkung eine Repräsentation der Ursache ist. Searle verdeutlicht diese Behauptung anhand des Zustands, durstig zu sein: Durstig zu sein geht mit dem Wunsch zu trinken einher. Zu den Erfüllungsbedingungen dieses Wunsches gehört es zu trinken. Wer also im Zustand ist, durstig zu sein, der verspürt den Wunsch zu trinken und dieser Wunsch ist dann erfüllt, wenn man trinkt. Der Wunsch zu trinken repräsentiert die Handlung des Trinkens als seine Erfüllungsbedingung. Diese Repräsentation hängt kausal mit den Erfüllungsbedingungen des entsprechenden Wunsches dahingehend zusammen, dass es zu den Erfüllungsbedingungen des Wunsches gehört, sie herbeizuführen. Mit anderen Worten: Zwischen Durst und Trinken besteht ein intentionaler und kausaler Zusammenhang dahingehend, dass es zum intentionalen Gehalt des Zustandes Durst gehört, trinken zu wollen, und dieser Zustand Durst die Handlung trinken als seine Erfüllungsbedingung kausal auslöst. Searle schreibt: Die Angabe von Ursache und Wirkung unter diesen kausal relevanten Aspekten wird uns – da ja Intentionalität und die Erfüllungsbedingungen dieser Intentionalität zu ihr gehören – logisch zusammenhängende Beschreibungen von Ursache und Wirkung gerade deshalb liefern, weil Ursache und Wirkung selbst logisch zusammenhängen. Sie sind nicht durch die Folgerungsbeziehung logisch verbunden, sondern vielmehr durch den intentionalen Gehalt und Erfüllungsbedingungen. Ich glaube, es zeugt von einer grundlegenden Verwirrung, wenn wir annehmen, dass Ereignisse nur unter einer Beschreibung logisch zusammenhängen können, denn Ereignisse selbst können intentionale Beziehungen haben, die

11 12

Siehe Searle (1992), Kap. 4. Searle (1992), 91.

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sie logisch zueinander in Beziehung setzen, gleichgültig, wie sie beschrieben werden.13

Ontologisch gesehen sind Gründe spezielle Zustände bzw. Ereignisse im Gehirn, die dank ihres intentionalen Gehalts als Wirkungen die Erfüllungsbedingungen dieser Gehalte hervorrufen können. Diese Wirkungen sind im Normalfall Körperbewegungen, durch welche die Handlung ausgeführt wird. Searles Theorie der intentionalen Verursachung besagt somit Folgendes: Intentionale Zustände sind ein bestimmter Typ neurophysiologischer Zustände, welche sich dadurch auszeichnen, dass sie die Erfüllungsbedingungen ihres intentionalen Gehalts repräsentieren und durch diese Repräsentation in Form von Körperbewegungen verursachen. Angewandt auf das obige Beispiel des Durstigseins: Der Zustand, durstig zu sein, geht mit der Absicht zu trinken einher. Der Gehalt dieser Absicht repräsentiert nicht nur seine Erfüllungsbedingungen, nämlich den Durst durch Trinken zu löschen, sondern diese Repräsentation verursacht zugleich die Körperbewegungen, welche das Löschen des Durstes durch Trinken realisieren. Handlungen bestehen aus einem „mentalen“ und einem „physischen“ Bestandteil, wobei der „mentale“ Bestandteil den physischen Bestandteil intentional bereits repräsentiert und als seine Erfüllungsbedingung verursacht.14 Searles Ansicht, die Rede vom „Mentalen“ und „Physischen“ entstamme einem nicht mehr zeitgemäßen Modell des Bewusstseins, führt dazu anzunehmen, dass es eigentlich nur mehr den physischen bzw. biologischen Bereich gibt. Innerhalb dieses Bereichs gibt es dann der Art nach verschiedene Vorgänge, u.a. eben auch Vorgänge, die ihre Erfüllungsbedingungen repräsentieren und intentional verursachen können. Inwieweit eine solche Redeweise einen Vorteil gegenüber der Unterscheidung zwischen „physisch“ und „mental“ darstellt, lasse ich dahingestellt. Zweifelsohne lässt sich aus Searles Ausführungen aber herauslesen, dass Handlungen eine von anderen „natürlichen“ Abläufen verschiedene Struktur haben. Andere „natürliche“ Abläufe lassen sich hinreichend als Abläufe 13 14

Searle (1987), 157. Siehe in diesem Zusammenhang die skizzenhafte Zusammenfassung der Theorie der intentionalen Verursachung durch Searle selbst in Lepore / Van Gulick (1991), 295ff.

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auffassen, die aus Ereignissen bestehen, welche kausal miteinander in Beziehung stehen. Im Fall des menschlichen Verhaltens hat die Ursache hingegen einen Gehalt, und die Erklärung menschlichen Verhaltens ist nur dann eine gültige Erklärung, wenn sie den Gehalt der Ursache berücksichtigt. Ursachen natürlicher Abläufe unterscheiden sich von Handlungsursachen dahingehend, dass nur letztere einen Gehalt haben und dieser Gehalt wesentlich festlegt, was als Folge dieser Handlungsursache gilt und was nicht. Searle geht insofern über Davidson hinaus, als er dafür argumentiert, die Rede von mentalen Zuständen nicht der Rede von physischen Zuständen gegenüberstellen zu wollen. Während bei Davidson die beiden Redeweisen denselben vorliegenden Tatbestand jeweils auf verschiedene Weise beschreiben und erklären, etwa in Form physischer Vorgänge oder in Form von Gründen und Handlungen, wendet Searle gegen eine solche Unterscheidung ein, dass sie den vorliegenden Tatbestand eher verdecke als erläutere. Die Redeweise von Ursache und Wirkung und die Redeweise von Grund und Handlung fallen beim menschlichen Handeln zusammen, da Ursachen von Handlungen intentionale Ursachen sind und Handlungen als ihre Wirkungen vom intentionalen Gehalt verursacht werden. Handlungen sind nicht nur Ereignisketten, die dank entsprechender Beschreibungen in ein intentionales Gewand gekleidet werden, sondern bestimmte Ereignisketten weisen vielmehr „Intentionalität“ als ihren spezifischen „biologischen Bestandteil“ auf, so wie andere Ereignisketten die Verdauung oder Photosynthese.15 Searles Ausführungen sind vielfach unscharf und bedürften der Erläuterung. Kann man Searles Annahmen konkreter ausformulieren? Was heißt es, dass mentale Bestandteile einer Handlung nichts anderes als biologische Zustände mit intentionalem Gehalt sind, die durch diesen intentionalen Gehalt ihre Erfüllungsbedingungen verursachen? Mir scheint, eine mögliche Konkretisierung der Searle’schen Auffassung ist bei Ansgar Beckermann zu finden: Beckermann verweist zu Beginn seiner Argumentation darauf, dass das Feuern von Neuronen kognitiven Gehalt haben kann. Als Beispiel hierfür zieht er die Entdeckung der 15

Searle (1992), 93.

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sogenannten Kantendetektoren heran: Es handelt sich um Neuronenverbände, deren Feuerungsrate stark ansteigt, wenn im Gesichtsfeld der entsprechenden Person eine Kante mit einer gewissen Orientierung liegt. Ähnliche Neuronenverbände wurden anscheinend im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Mimik und Gestik entdeckt.16 Ausgehend von diesen Überlegungen zieht Beckermann den Schluss, dass es sich bei bestimmten neuronalen Prozessen auch um Prozesse des rationalen Überlegens handelt. So wie bestimmte Neuronenverbände in besonderer Weise für das Wahrnehmen von Oberflächenstrukturen oder von Gesichtern zuständig sind, so reagieren andere Neuronenverbände besonders sensitiv auf Argumente und rationale Überlegungen. Die Aktivität dieser auf Bedeutungen sensitiv reagierenden Neuronenverbände ist folglich als Ursache für eine Handlung zu deuten, welche als Reaktion auf die zuvor neuronal verarbeiteten Argumente zu sehen ist. Da diese spezifischen neuronalen Prozesse intentionale Gehalte verarbeiten können, sind sie auch fähig, angemessene Antworten auf diese Gehalte zu verursachen.17 Angewandt auf Searles Überlegungen bedeutet dies: Verläuft die Verarbeitung der (re-) präsentierten Gehalte durch die Neuronenprozesse erfolgreich, so verursacht diese Verarbeitung Körperbewegungen, welche die Erfüllungsbedingungen der (re-) präsentierten Gehalte darstellen und somit zur geplanten Wirkung – der gelungenen Handlung – führen. Von Davidson über Searle zu Beckermann führt keine geradlinige Entwicklungslinie. Alle drei Autoren fühlen sich der kausalen Theorie des Handelns verpflichtet und stellen ein bestimmtes Spektrum von verschiedenen Ausformulierungen dieser Theorie dar. Die Diskussion ihrer Ansätze sollte deutlich gemacht haben, dass in der kausalen Theorie des Handelns beim epistemisch-semantischen Beschreibungsdualismus à la Davidson häufig nicht halt gemacht wird. Wir haben gesehen, dass selbst Davidson diesen Beschreibungsdualismus nicht klar durchhält, sondern physische Beschreibungen im Gegensatz zu mentalen auch ontologisch ernst nimmt. Searle und Beckermann gehen noch einen Schritt weiter und fragen im Gegensatz zu Davidson ausdrücklich danach, wie Ursachen Gründe sein 16 17

Beckermann (2006), 302. Beckermann (2006), 303.

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können bzw. wie eine Realisierung von Gründen in physisch beschreibbaren Ursache-Wirkungs-Relationen ausschauen könnte. Es geht ihnen um die Frage, welche Beschaffenheiten jene Entitäten aufweisen, die als Gründe Ursachen sind. Searles Versuch, Davidsons Beschreibungsdualismus durch die Theorie der intentionalen Verursachung aufzubrechen und Beckermanns Versuch, die Gründe-sind-Ursachen-These neurowissenschaftlich zu untermauern, weisen darauf hin, dass für etliche Sympathisanten der kausalen Theorie des Handelns die Frage, wie Gründe Ursachen sein können, nicht übergangen werden darf. 2. Probleme der kausalen Theorie des Handelns Wenden wir uns nach der Darstellung der kausalen Theorie des Handelns ihrer Bewertung zu. Kern der kausalen Theorie des Handelns ist die These, dass Gründe Ursachen sind. Aus dieser These ergibt sich die Forderung, Gründe ereignishaft zu deuten, da Ursachen normalerweise als Ereignisse aufgefasst werden. Im folgenden Abschnitt soll der Frage nachgegangen werden, was es heißt, dass Gründe qua Ursachen als Ereignisse aufzufassen sind. Ich werde in diesem Zusammenhang drei mögliche Problembereiche ansprechen, die mit dieser Identitätsthese einherzugehen scheinen: (1) Die Frage, ob der Begriff des Grundes einer Handlung (reason for action) nicht auf unklare Weise verwendet wird; (2) die Frage, ob die kausale Theorie des Handelns klar zwischen wirksamen und nicht-wirksamen Gründen unterscheiden kann und (3) die Frage, ob in der kausalen Theorie des Handelns nicht eine starke Tendenz weg von personalen hin zu subund a-personalen Erklärungsmustern von Handlungen besteht. 2.1. Gründe, Ursachen und Ereignisse Eine entscheidende Frage für den Vertreter der kausalen Theorie des Handelns ist, wie sich Gründe in die Kategorie der Ereignisse einordnen lassen. Was als Grund in Frage kommt, steht nicht von vornherein fest. Vielmehr ist es der Handelnde, der aus einer Vielzahl ihm zugänglicher Gründe einige herausgreift und zu seinen Gründen macht. Indem ein möglicher

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Grund für eine Handlung zum Grund des Handelnden wird, wird das Verhalten des Handelnden prinzipiell versteh- und nachvollziehbar. Die Handlung wird im Lichte des Handlungsgrundes für andere Personen zugänglich. Peter Hacker weist auf diese Funktion von Gründen in der Erklärung menschlichen Handelns ausdrücklich hin. In saying that he is V-ing because it is the case that R, A is not merely citing the fact that R is a reason for him to V; he is declaring it to be his reason for V-ing, endorsing a particular teleological explanation of his V-ing, and taking responsibility for it under the description ‘V-ing, for the reason that R’.18

Falls Hackers Ausführungen korrekt sind, so besteht die primäre Funktion von Gründen darin, eine Handlung durch eine bestimmte Sichtweise, nämlich der des Handelnden, zu erklären. Mithilfe von Gründen können wir überhaupt erst verstehen, welche Erklärungen für die zur Debatte stehende Handlung herangezogen werden können. Ist es aber sinnvoll zu sagen, dass eine kausale Beziehung zwischen Handlungsgrund und Handlung hergestellt wird, wenn der Handelnde aus der Vielzahl möglicher Gründe einen Grund herausgreift und dieser Grund zum Handlungsgrund wird? Es ist schwierig zu sehen, wie Gründe in die Kategorie der Ereignisse eingeordnet werden können, da der wesentliche Aspekt eines Grundes sein intentionaler Gehalt ist. Dank dieses Gehalts kann eine Handlung überhaupt erst gedeutet und einem Handelnden zugeschrieben werden. Vertreter der kausalen Theorie des Handelns sind sich des Unterschieds zwischen Gründen i.S. intentionaler Gehalte und Ursachen i.S. von Abläufen durchaus bewusst: Gründe eignen sich nicht als Ursachen – wenigstens nicht unmittelbar –, da ihnen ein ereignishafter Charakter abgeht. Daher wird oftmals auf die Änderungen intentionaler Einstellungen bzw. auf das Auftauchen neuer Gründe als die eigentlichen Gründe des Handelns verwiesen, da Veränderungen sehr wohl als Ereignisse aufgefasst werden können. In Ausführungen der kausalen Theorie des Handelns fällt es auf, dass der Unterschied zwischen konkret datierbaren Änderungen intentionaler Einstellungen und den intentionalen Gehalten, auf die sich diese Einstellungen beziehen, meistens nur unscharf markiert wird. Davidson schreibt:

18

Hacker (2007), 223.

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Typically, in fact, the connection between an agent’s having certain attitudes and his acting is closer than these remarks suggest, for it is changes in the attitudes, which are events, and which are often unmentioned causes. (…) And we can often turn a causal explanation which mentions beliefs and desires into an explanation which refers to an event or events by saying the cause of the action was the advent of one or both of the belief-desire pair.19

Dieses Zitat macht deutlich, wie Gründe zu Ursachen uminterpretiert werden. Nicht das, was geglaubt wird, oder das, was gewünscht wird, macht verständlich, warum die Handlung vollzogen worden ist. Es sind vielmehr Änderungen in den intentionalen Einstellungen des Handelnden, etwa die plötzliche Gewissheit, dass p, oder die Angst, dass p, bzw. das Aufkommen oder Abflauen eines Wunsches, die als Ursachen für die zu erklärende Handlung herangezogen werden. Diese Interpretation ist aber durchaus problematisch, wie im folgenden Beispiel deutlich wird: Wenn wir sagen, dass Josef endlich handelt, weil ihm der richtige Gedanke „in den Kopf geschossen“ ist, so erklärt ein Verweis auf das plötzliche Auftauchen des entscheidenden Gedankens nicht, warum Josef so handelt, sondern nur warum Josef jetzt und nicht zu einem anderen Zeitpunkt so handelt. Das Auftauchen des entscheidenden Handlungsgrundes vermag den Zeitpunkt des Handlungsvollzugs erklären. Es bleibt aber der intentionale Gehalt des jeweiligen Grundes, der erklärt, warum diese und nicht eine andere Handlung vollzogen worden ist bzw. warum genau diese Handlung aus der Sicht des Handelnden zu tun war. Der Übergang von „beliefs“ und „desires“ i.S. intentionaler Gehalte zu „changes“ intentionaler Einstellungen oder „advents“ neuer „beliefs“ und „desires“ ist nicht ohne weiteres gerechtfertigt. Erleichtert wird dieser Übergang durch den unterschiedlichen Gebrauch der Ausdrücke „belief“ und „desire“. Zum einen können mit „beliefs“ und „desires“ intentionale Zustände oder Einstellungen gemeint sein, etwa der Zustand sich vor etwas zu fürchten, sich heftig etwas zu wünschen oder der Zustand des Überzeugtseins. Zum anderen kann man sich mit diesen Ausdrücken auf den Gehalt dieser intentionalen Einstellungen beziehen, d.h. auf das, wovon man überzeugt ist, bzw. auf das, was man sich wünscht. In einer Passage aus John Bishops Natural Agency wird der nicht leicht zu bemerkende 19

Davidson (1993), 288.

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Übergang von der einen Verwendungsweise zur anderen besonders deutlich: Actions typically occur because their agents had reasons for performing them, and these reasons, it seems consist in sets of mental states – beliefs, desires, intentions, and the like. Thus, CTA [the causal theory of action, Anmerkung G. Gasser] proposes that an action consists in an event (or events) with a special kind of mental event-causal history […].20

Während Bishop sich zu Beginn mit reasons noch auf den intentionalen Gehalt zu beziehen scheint, geht er im restlichen Abschnitt dazu über, reasons mit intentionalen Vorgängen im Handelnden bzw. Einstellungen des Handelnden gleichzusetzen. Eine solche Gleichsetzung ist aber nicht ohne weiteres gerechtfertigt. Intentionale Einstellungen sind in stärkerer oder schwächerer Form gegeben. Sie tauchen in verschiedener Intensität und Stärke auf und können durch den Wechsel der Aufmerksamkeit unterbrochen werden bzw. ganz aufhören. Gründe scheinen solche Eigenschaften nicht aufzuweisen. Die Art und Weise, wie ich mich auf einen Grund beziehe, kann sich natürlich ändern, aber der intentionale Gehalt des Grundes bleibt von solchen Änderungen psychischer Einstellungen unbetroffen: Ich kann felsenfest davon überzeugt sein, dass X der Fall ist; ich kann nur vermuten, dass X der Fall ist oder ich kann mit relativer Gewissheit annehmen, dass X der Fall ist. Zu verschiedenen Zeitpunkten kann ich mich in unterschiedlichen Einstellungen zu einem intentionalen Inhalt befinden. Der intentionale Gehalt selbst ändert sich dadurch aber nicht. Es ist naheliegend, Gründe für Handlungen mit dem intentionalen Gehalt zu identifizieren, nicht mit möglichen intentionalen Einstellungen, die wir gegenüber dem intentionalen Gehalt einnehmen können. Intentionale Einstellungen mögen die konkrete Ausführung der Handlung beeinflussen, aber der Grund für die Handlung bleibt in den jeweiligen Fällen derselbe. Wer gewiss ist, dass X zum Ziel führt, der handelt schnell und selbstsicher, wer hingegen unsicher ist, vorsichtig und zögerlich; aber trotz der unterschiedlichen Handlungsausführung ist der Grund für die Handlung derselbe, nämlich der Inhalt der Überzeugung, dass X zum Ziel führt. Angesichts dieses Befundes stellt sich die Frage, wie die kausale Handlungstheorie vorgehen soll. Wenn Gründe Ursachen sind, so müssen 20

Zitiert nach Meixner (2001), 351.

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Gründe Teile von Kausalbeziehungen sein. Die einzige mögliche Lösung scheint darin zu liegen, die Unterscheidung zwischen dem intentionalen Gehalt, auf den man sich auf unterschiedliche Weise beziehen kann, und den Veränderungen intentionaler Einstellungen zugunsten einer Theorie aufzugeben, der zufolge nicht die Gehalte, auf die sich intentionale Einstellungen beziehen, für das Verstehen von Handlungen relevant sind, sondern die intentionalen Einstellungen selbst bzw. Änderungen derselben. Nur intentionale Einstellungen i.S. eines Vorgangs im Handelnden können stricto sensu Ursachen einer entsprechenden Handlung sein. In Ansätzen der kausalen Theorie des Handelns ist, soweit ich sehen kann, allerdings nicht allzu viel argumentative Arbeit geleistet worden, warum die Unterscheidung zwischen intentionalen Gehalten und intentionalen Einstellungen vernachlässigt werden kann. Argumentationsarbeit hierfür wäre aber notwendig, um den Eindruck zu beseitigen, dass es sich um eine mögliche Schwachstelle handelt, welche die kausale Theorie des Handelns übergeht, indem sie rasch und unauffällig zwischen verschiedenen Verwendungsweisen von „reasons“, „beliefs“, „desires“ und „attitudes“ hin- und herwechselt. 2.2. „Bloße Gründe“ und „wirksame Gründe“ in der kausalen Theorie des Handelns Wenn Gründe Ursachen sind, so handelt es sich um „wirksame Gründe“: Wie wir bereits gesehen haben, ist das Standard-Argument der kausalen Theorie des Handelns ein Argument für die kausale Wirksamkeit von Gründen: Es ist plausibel anzunehmen, dass ein Grund nur dann eine Handlung erklären kann, wenn er nicht nur inhaltlich zur Handlung „passt“, sondern auch im Hervorbringen der Handlung kausal wirksam war.21 Dieses Argument operiert mit der sogenannten kontrastiven WarumFrage. Kontrastive Warum-Fragen fragen danach, warum X im Gegensatz zu Y der Fall ist bzw. warum X im Gegensatz zu Y die vorliegende Tatsache erklärt. Um solche Fälle, in denen es darum geht, einen Kontrast zu 21

In der Literatur wird dieses Argument auch als „Davidon’s Challenge“ bezeichnet. Siehe Mele (2003), 38.

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erklären, adäquat zu begreifen, genügt es nicht, nur die eingetretene Tatsache alleine zu erklären. Vielmehr muss erklärt werden, warum gerade diese Tatsache eingetreten ist und nicht eine der anderen ebenfalls möglichen Alternativen.22 Kontrastive Warum-Fragen sind dann zufriedenstellend beantwortet, wenn aufgezeigt wird, was die Tatsache von ihren vermeintlichen Alternativen unterscheidet, d.h. was dazu geführt hat, dass aus den möglichen Alternativen eine zur Tatsache wurde und die andere eine bloße Möglichkeit blieb. Die Antwort der kausalen Theorie des Handelns auf die Frage, warum jemand aufgrund von X und nicht aufgrund von Y handelt, wo doch X und Y als Gründe zur Auswahl stehen, bleibt dürftig: Eigentlich wird nur darauf verwiesen, dass diese Frage am besten damit beantwortet wird, dass X eben auch die Ursache der Handlung war, während Y nicht den Status der Ursache für sich in Anspruch nehmen kann. Damit ist obige Frage aber keineswegs beantwortet. Wir wollen ja wissen, warum X im Gegensatz zu Y Ursache der Handlung war, in Anbetracht der Tatsache, dass X und Y als respektable Gründe für die Handlung in Frage kommen. Der Verweis auf den kausalen Status von X im Gegensatz zu Y hat eher den Anschein einer Vertröstung als den einer zufriedenstellenden Antwort. Was wir wissen wollen ist nicht, dass Y keine Rolle in der Ätiologie der Handlung spielt, sondern warum Y keine Rolle spielt – angesichts der Tatsache, dass Y so wie X einen möglichen Handlungsgrund darstellt und ebenso wie X auch dem Handelnden zugänglich ist.23 Für die kausale Theorie des Handelns stellt sich die Frage, wie mit nicht handlungswirksamen Gründen umzugehen ist: Warum werden diese Gründe nicht handlungswirksam, obwohl sie ante actum allem Anschein nach einen genauso vernünftigen Handlungsgrund darstellen? Worin be22

23

Lipton (1991), 38: „One reason why explaining a contrast is sometimes harder than explaining the fact alone is that explaining a contrast requires giving causal information to distinguish the fact from the foil, and information that we accept as an explanation of the fact alone may not do this.” Dickenson (2007), 15: „How do we make sense of cases in which an agent has reasons that are non-efficacious (not causes)? What’s needed is an explanation that explicitly takes into account how a reason can be present in an agent and yet not be efficacious in producing the action.”

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steht der entscheidende Unterschied zwischen Gründen als Ursachen und Gründen, die nicht kausal wirksam werden? Die kausale Theorie des Handelns kann diese Frage nicht einfach durch den Verweis beantworten, dass diese und nicht andere mögliche Gründe die entscheidenden Gründe für die zur Debatte stehende Handlung waren, weil ansonsten nicht diese, sondern eine andere Handlung verursacht worden wäre. Vielmehr gilt es aufzuzeigen, woran sich der Unterschied zwischen wirksamen und nicht wirksamen Gründen festmachen lässt. 2.3. A-Personale Gründe Gründe zeichnen sich dadurch aus, dass sie einem Handelnden zugänglich sein müssen. Intentionale Gehalte verweisen auf jemanden, der einen Zugang zu diesen intentionalen Gehalten hat. Wenn Gründe und Handlungen aber durch eine Kausalbeziehung aufeinander bezogen sind, so genügt es prinzipiell, wie bei anderen Ereignisfolgen auch, die kausalen Umstände und ihre Wirkmechanismen zu kennen, um zu wissen, warum dieses Ereignis eingetreten ist. Der Fokus auf die Kausalrelationen droht die Perspektive des Handelnden für das Verstehen von Handlungen überflüssig zu machen. Kausale und intentionale Beziehungen schließen einander insofern aus, als kausale Vorgänge vom objektiven Standpunkt aus begriffen werden können, während intentionale Beziehungen auf die Perspektive des Handelnden angewiesen sind. Wir erhalten nur über die subjektive Perspektive des Handelnden einen Zugang zu seinen möglichen Handlungsgründen. Dies gilt aber nicht für Ursachen: Ursachen können, sie müssen aber nicht, dem Handelnden zugänglich sein. 24 Eine rational vollzogene Handlung setzt voraus, dass der Handelnde im Lichte seiner Handlungsgründe eine Handlung möglichen Alternativen vorzieht. Wenn eine Handlung aber verursacht ist, so scheint sich die Frage 24

Kim (1998), 78: „For when you deliberate, you must call on what you want and believe about the world – your preferences and information – from your internal perspective, and that’s the only thing you can call on. […] Reasons for action, therefore, are necessarily internal reasons, reasons that are cognitively accessible to the agent. That is one crucial respect in which reasons for action differ from causes of actions: reasons must, but causes need not, be accessible to the agent.”

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nach der Auswahl zu erübrigen: Liegen entsprechende Bedingungen vor, so tritt die Wirkung ein. Zwischen Gründen als Inhalten, die dem Handelnden zugänglich sind und im Lichte derer eine Handlung vollzogen wird, und Ursachen als auslösenden Faktoren, die nicht an eine bestimmte subjektive Perspektive gebunden, sondern prinzipiell für jeden zugänglich sind, scheint eine Unverträglichkeit zu herrschen, die nicht aufgelöst werden kann. Die Rede von Bewusstsein, Gründen und Handlungen ist an eine Erste-Person-Perspektive25 geknüpft, die Rede von Ursachen und Kausalbeziehung hingegen ist es nicht. In einer Ontologie, welche die Erste Person berücksichtigt, wird der Handelnde als Abwägender von Gründen vorausgesetzt, der im Lichte dieser Gründe entscheidet und handelt. Wer bzw. was kommt als Träger von Gründen in Frage, wenn die Frage nach Gründen innerhalb einer Theorie der Ursachen verhandelt wird? Es legt sich wohl nahe, Gründe als Bestandteile neurophysiologischer Abläufe im Gehirn eines Lebewesens zu konzipieren. Träger von Gründen im eigentlichen Sinne gibt es in diesem Modell nicht mehr, da Gründe selbst zu einem Teilaspekt komplexer neurophysiologischer Abläufe werden. Letzten Endes landen wir bei komplexen Beschreibungen neurophysiologischer Abläufe, die verschiedene Aspekte und Funktionen aufweisen. Al Mele gibt unumwunden zu: In cases of overt action what is triggered is obviously a physical process; and the triggering intentions, consequently, are realized in physical states – or so, at least someone with my philosophical prejudices would content. For this reason, a fully detailed answer to the question how, in a particular human being, the acquisition of a particular proximal intention triggers a particular set of actional mechanism capable of issuing in overt action will properly be cast (at least partly) in the language of neuro-physiology (or perhaps physics).26

Falls ich Mele an dieser Stelle richtig lese, so vertritt er die Ansicht, dass die Neurophysiologie (oder gar die Physik) das letzte Wort in der Erklärung menschlichen Handelns zu sprechen hat. Uns vertrauten Handlungserklärungen scheint der Status der Vorläufigkeit anzuhaften – sie sind solange brauchbar, bis die „hard sciences“ das Instrumentarium und Vokabular entwickelt haben, um menschliches Handeln vollständig als neurophysiologischen bzw. physischen Vorgang beschreiben zu können. Die 25 26

Searle (1992), 95. Mele (1992), 178.

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Stoßrichtung ist in einer solchen Argumentation klar vorgegeben: Die Rede von Personen, die Gründe abwägen und im Lichte dieser Gründe handeln, scheint zwar in der Umgangssprache von Relevanz zu sein. Wenn wir aber genau wissen wollen, was Handlungen sind – wie sie intentional vorbereitet, realisiert und ausgeführt werden – so sollten wir nicht auf der Ebene des Handelnden und seiner Perspektive suchen, sondern im subpersonalen Bereich neurophysiologischer Mechanismen. Diesen Eindruck bestätigt auch Elisabeth Pacherie, welche die kausale Theorie des Handelns mit empirischen Befunden zu ergänzen versucht. Dabei entwirft sie ein facettenreiches und in weiten Teilen plausibles Bild, welche Regulationsmechanismen und Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit wir handeln können.27 In eine ähnliche Richtung wie Mele weisend, schreibt sie: [...] in a naturalistic non-dualistic framework, personal-level mental states are constituted or realized by complex physical states and a personal-level account of behavior must be backed up by a subpersonal explanation of how mental causation works. Subpersonal and personal-level explanations are pitched at different levels of generality and should therefore be seen as complementary rather than mutually exclusive. [kursiv G.Gasser]28

Pacherie weist zwar darauf hin, dass die verschiedenen Erklärungsebenen aufeinander bezogen und nicht als einander ausschließend verstanden werden sollten. Aber die Frage stellt sich trotzdem, was es eigentlich heißt, dass „personal-level mental states“ in komplexen physischen Zuständen realisiert werden. Es ist unstrittig, dass es Aufgabe der Wissenschaft ist, die komplexen physischen Zustände zu untersuchen, die menschliches Handeln ermöglichen. Legt die Untersuchung dieser physischen Mechanismen aber auch nahe anzunehmen, dass in solch präzisen und detailreichen subpersonalen Erklärungen die eigentlichen Erklärungen für das Verstehen von Handlungen zu suchen sind? Man kann sich nur schwer des Eindrucks entziehen, dass es der kausalen Theorie des Handelns zufolge letzten Endes der Neurophysiologie überlassen ist, zu erklären, was wirklich vor sich geht, wenn gehandelt wird. Ähnlich wie wir bereits bei Davidson gesehen haben, scheint die Rede von Handelnden, die im Lichte 27 28

Siehe z.B. Pacherie (2000) und (2006). Pacherie (2006), 160.

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ihrer Gründe entscheiden, vom epistemisch-semantischen Standpunkt des menschlichen kognitiven Apparats aus gesehen zwar sinnvoll, aber unter ontologischer Rücksicht bedeutungslos zu sein. Halten wir fest: Ich habe dafür argumentiert, dass die Akzeptanz der kausalen Theorie des Handelns in eine bestimmte Richtung weist. Es lässt sich wohl ohne zu übertreiben eine große Sympathie feststellen, Fragen danach, was Handlungen zu Handlungen macht und wie wir Handlungen erklären sollen, innerhalb eines Rahmens zu verhandeln, der eigentlich aus neuronalen Mechanismen, subpersonalen Kontrollsystemen und handlungssteuernden Reaktionsschemata besteht. Aus dem Zusammenwirken all dieser komplexen Prozesse, welche eine empirische Kognitionswissenschaft langsam zu entwirren beginnt, entsteht unsere subjektive Erfahrung ein Handelnder zu sein. Unser subjektiver Zugang zum Handeln ist wie die Spitze eines Eisberges, die aus dem Wasser ragt: Wir sehen die Spitze, wissen aber nicht, was sich darunter verbirgt und den Verlauf der Spitze im Wasser festlegt. Der eigentliche Teil bleibt unseren Augen verborgen. Anders ausgedrückt: Die kausale Handlungstheorie kann keinen wirksamen Damm gegen die Gefahr errichten, dass Handlungserklärungen von einer personalen auf eine a- und subpersonale Ebene abrutschen, in der kognitive Mechanismen und neurologische Systeme als Ursachen unseres Handelns angeführt werden. Die Suche nach Ursachen scheint geradezu danach zu verlangen, die personale Ebene zugunsten tiefer liegender subpersonaler Ebenen zu verlassen. Letzten Endes sind es diese Ebenen, wo Ursachen ihre Wirkkraft entfalten und falls überhaupt, dann nur in abgeleiteter Weise, die Rede rechtfertigen, dass wir als handelnde Personen unsere Handlungen vollziehen.29 2.4. Die Auflösung des Handelnden Stricto sensu führt das Abrutschen von einer personalen auf eine sub-personale Ebene dazu, dass Handlungen in a-personale Vorgänge aufgelöst werden. Wenn Ereignisse Ursachen von Handlungen sind, so erübrigt es sich letzten Endes, auch noch den Handelnden für die Erklärung von Handlungen ins Spiel zu bringen. Handelnde werden vielmehr zu Orten, an 29

Siehe dazu auch Baker (1993), 93.

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denen Ursachen von Handlungen auftreten. Irving Thalberg bemerkte bereits vor geraumer Zeit: More precisely, he [the agent, Anmerkung G. Gasser] is like an arena where ‘his’ calculations, his perceptual judgements, his noble and base inclinations, perhaps his repressed fantasies, his conscious terrors, rages, lusts and devotions, either contend or bend with each other.30

Nicht Handelnde qua Handelnde sind für die Erklärung menschlicher Handlungen interessant, sondern Handelnde insofern sie Orte sind, an denen wir Ursachen von Ereignisketten lokalisieren, die wir Handlungen nennen. Handelnde werden zu Bündeln möglicher Ursachen für Handlungen. Damit verschwindet letzten Endes der Handelnde qua Subjekt als unumgänglicher Referenzpunkt für das Verstehen von Handlungen. Diese Schlussfolgerung ist zweifelsohne problematisch, nicht nur für unser Alltagsverständnis als Handelnde, sondern auch weil i.e.S. nicht mehr zwischen Handlungen und natürlichen Vorgängen unterschieden werden kann. Etliche Kognitionswissenschaftler und Philosophen sind durchaus bereit, diesen Preis zu zahlen. Im Grunde legt es die kausale Theorie des Handelns sogar nahe, diesen Preis zu zahlen. Wenn es „agent-involving mental states and events“31 sind, welche Handlungen verursachen und diese ontologisch gesprochen eigentlich physische Zustände und Ereignisse sind, dann erscheint die Frage nach dem Handelnden selbst als sekundär. David Velleman hat das Problem klar gesehen, dass „[...] the causal role assigned to the agent by common sense reduces to, or supervenes on, causal relations among events and states of affairs.“32 Wie soll mit diesem Befund umgegangen werden? Für die kausale Theorie des Handelns gibt es nach meinem Dafürhalten zwei Möglichkeiten, wobei beide Deutungen die Rede von Personen als Handelnden stricto sensu aufgeben. Wer die Rede von handelnden Personen irgendwie in einem realistischen Sinn retten will, wird in Richtung eines „homunkularen Ansatzes“33 argumentieren, d.h. intentionale Fähigkeiten und Leistungen der handelnden Person werden auf natürliche Vorgänge innerhalb der Per30 31 32 33

Thalberg (1975/1980), 220. Siehe auch Velleman (2000), 123-129. Ich übernehme die Redeweise von Schlosser (2008), 3. Velleman (2000), 130. Zu homunkularen Ansätzen in den Kognitionswissenschaften siehe Keil (2003).

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son zurückgeführt. Jemand kann mit gutem Recht als handelnde Person bezeichnet werden, da Systeme in dieser Person „Handlungs-Funktionen“ haben und diese „Handlungs-Funktionen“ indirekt auf die Person selbst übertragen werden können – schließlich befinden sich die Systeme ja in der Person. Velleman selbst entscheidet sich für eine homunkular angehauchte Position, indem er die Rede von handelnden Personen, wenigstens in einem indirekten Sinn, als zulässig ansieht, weil es handlungsinitiierende und -ausführende Systeme innerhalb der handelnden Person gibt. 34 Die zweite Möglichkeit besteht darin, die Rede von handelnden Personen in einem realistischen Sinn gänzlich fallen zu lassen und als Illusion anzusehen. Natürlich gibt es handlungsinitiierende und handlungsausführende Systeme, aber diese Systeme haben mit bewussten Entscheidungen und folglich auch mit Handlungen, so wie sie uns vom common sense her vertraut sind, nichts zu tun. Die Überzeugung, bewusst gehandelt zu haben, nimmt vielmehr die Rolle einer nachträglichen Interpretation eines Verhaltens als Handlung ein. So schreibt Marc Jeannerod in Bezug auf Bewusstsein und Handeln: The role of consciousness should rather be to ensure the continuity of subjective experience across actions which are – by necessity – executed automatically. Because it reads behavior rather than starting it, consciousness represents a background mechanism for the cognitive rearrangement after the action is completed, e.g. for justifying its results, or modifying the factors that have been at the origin of the movement if the latter turned out to be unsuccessful.35

Noch deutlicher bringt es Daniel Wegner auf den Punkt: Der eigentliche Grund, warum im Normalfall das, was wir tun, dem, was wir zu tun beabsichtigen, entspricht, liegt darin, dass wir über einen Mechanismus der Selbstzuschreibungen von Handlungen verfügen und nicht darin, dass wir als Handelnde wissen, was wir tun bzw. tun wollen. Handlungen unterscheiden sich von bloßen Prozessen der Natur nicht darin, dass Handlun34

35

Velleman (2000), 138: „A person is a fighter of infections and a digester of food in the sense that his parts include infection-fighting and food-digesting systems. Similarly, a person may be an initiator of actions – and hence an agent – in the sense that there is an action-initiating system within him, as system that performs the function in virtue of which he qualifies as an agent and which are ordinarily attributed to him in that capacity.” Jeannerod (2006), 37.

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gen im Lichte von Überlegungen und Absichten eines Handelnden getroffen werden. Handlungen unterscheiden sich vielmehr darin, dass der menschliche Organismus über einen Selbstzuschreibungsmechanismus verfügt, der mit einem spezifischen Gefühl des Entscheidens bzw. Handelns einhergeht. Wegner schreibt: These observations suggest that we feel conscious will as we perform our actions primarily in the case of actions that are caused by controlled processes. These processes allow us the conscious thoughts, self-observed actions, and time and attention necessary to draw causal influences about how our minds seem to be involved in producing our behaviors. In drawing these inferences, we accumulate the picture of a virtual agent, a mind that is apparently guiding the action.36

Wegners Position macht deutlich, wohin die kausale Theorie des Handelns letzten Endes führt: Wenn Gründe Ursachen sind, so gilt es im Hinblick auf eine angeblich empirisch fundierte Erklärung von Handlungen, die Rede von Gründen und sich frei entscheidenden Handelnden in eine Sprache kausaler Verursachung umzudeuten. Eine konsequente Weiterführung der kausalen Theorie des Handelns scheint sich derjenigen Begrifflichkeiten zu entledigen, die für das Verständnis menschlicher Handlungen von Nöten sind. Handelnde und ihre Gründe werden durch Systeme, Mechanismen und Ursachen ersetzt. Wenn wir uns als Handelnde begreifen, so ist dies letzten Endes die Folge bestimmter Mechanismen, aus deren Aktivität sich subjektiv das Gefühl, gehandelt zu haben, entwickelt. Die „ontologischen Taktangeber“37 unseres Handelns sind aber sub-personale Prozesse und Zustände. In der Ontologie bleibt der Handelnde vollends auf der Strecke, in der Epistemologie bleibt dem vermeintlichen Handelnden nur die subjektive Vorstellung, ein Handelnder zu sein. Falls diese Argumentation korrekt ist, so kann man innerhalb des Begriffs- und Erklärungsrahmens der kausalen Theorie des Handelns nicht mehr von freien Handelnden und bewusst vollzogenen Handlungen sprechen. Besser sollte man von „Quasi-Handelnden“, „Quasi-Entscheidungen“ und „Quasi-Freiheit“ sprechen38, da wir uns ja nur subjektiv als frei

36 37 38

Wegner (2005), 30. Siehe (Wingert) 2006, 253. Keil (2007), 79.

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Handelnde begreifen bzw. wir uns – konstruktivistisch formuliert – als solche entwerfen.39 3. Schlussfolgerung Ich habe versucht, deutlich zu machen, wohin die kausale Theorie des Handelns führt. Das Hauptproblem der kausalen Theorie habe ich darin verortet, dass eine konsequente Anwendung des Gründe-sind-UrsachenAnsatzes Gründe durch Ursachen und Handelnde durch sub-personale Systeme und Mechanismen ersetzt. Eine konsequente Weiterführung der kausalen Theorie des Handelns kommt nicht umhin, die Rede von Gründen des Handelnden als Rede von Zuständen im Handelnden umzudeuten. Inwieweit die Rede von freien Entscheidungen in der Folge nicht in eine façon de parler aufgrund unserer kognitiven Bedürfnisse mündet, die eines fundamentum in re entbehrt, ist eine weitere Frage, welche die kausale Theorie des Handelns nicht umgehen kann. Auf jeden Fall scheint unser Alltagsverständnis von Handlungen auf einer Ontologie zu fußen, in der frei Handelnde vorausgesetzt werden. Bereits Henrik von Wright machte sich dafür stark, dass unser Konzept des Handelns bzw. die Zuschreibung von Handlungen einen Begriffsrahmen impliziert, der die Freiheit des Handelnden voraussetzt.40 Das Problem der kausalen Theorie des Handelns liegt darin, dass kausale Beziehungen in der Welt die subjektive Perspektive des Handelnden nicht fassen können. Ebenso wenig kann aufgezeigt werden, dass selbstbestimmtes und freies Handeln die Wirkung einer bestimmten Ursache ist, die zu den Ursachen bei „natürlich“ ablaufenden Vorgängen noch hinzukommt. Selbstbewusstes und freies Handeln kann nicht durch „Ursachen der Freiheit“ i.S. eines „Freiheitsaufweises“ angezeigt werden. Daher stellt sich die Frage, ob ein Erklären, Deuten und Verstehen menschlichen Handelns über Kausalrelationen überhaupt möglich ist. Anhand der kausalen Theorie des Handelns habe ich dafür zu argumentieren 39

40

Mit einem solchen Konstruktivismus sympathisiert offensichtlich Walde (2006), 200-202. Von Wright (1980), 78-79. Siehe auch Keil (2007), 78-80.

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versucht, dass dies nicht der Fall ist. Ich neige dazu anzunehmen, dass dies auf die sogenannten agenskausalen Varianten ebenso zutrifft, insofern in diesen Ansätzen neben Ereignissen nur ein zusätzlicher Kausalfaktor – der Handelnde selbst – ins Spiel gebracht wird.41 Es legt sich nahe zu überlegen, ob Ansätze in der Tradition der Handlungserklärungen durch Gründe nicht besser dafür geeignet sind, menschliches Handeln zu erklären,42 während kausale Ansätze für Erklärungen jener Vorgänge reserviert werden sollten, die keiner Berücksichtigung einer Ontologie der Ersten Person bedürfen. Einen Versuch wert sind Überlegungen in diese Richtung angesichts der aufgezeigten Probleme allemal. Literaturangaben Beckermann, Ansgar (2006), Neuronale Determiniertheit und Freiheit, in: Köchy, Kristian / Stederoth, Dirk, Hgg. (2006), Willensfreiheit als interdisziplinäres Problem. Freiburg – München: Verlag Karl Alber, 289304. Clarke, Randolph (1995), Toward a Credible Agent-Causal Account of Free Will, in: O’Connor, Timothy, ed. (1995), Agents, Causes, and Events: Essays on Indeterminism and Free Will. New York: Oxford University Press, 201-215. Clarke, Randolph (1996), Agent Causation and Event Causation in the Production of Free Action, in: Philosophical Topics 24/2, 19-48. Davidson, Donald (1963/21982), Actions, Reasons, and Causes, in: Davidson, Donald (21982), Essays on Actions and Events. Oxford: Clarendon Press, 3-19.

41

42

Siehe z.B. die Ansätze von O’Connor (1995 und 2000) und Clarke (1995 und 1996). So schreibt etwa Clarke (1995), 207: „Agent causation is a relation, the first relatum of which is an agent or person and the second relatum of which is an event. […] The only difference between the two kinds of causation concerns the types of entities related, not the relation.” Siehe etwa neuerdings Nida-Rümelin (2005) und Hacker (2007), Kap. 6 und 7.

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Philosophy

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