Studien zum dritten Buch der aristotelischen Schrift »De anima« 9783666252044, 3525252048, 9783525252048

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Studien zum dritten Buch der aristotelischen Schrift »De anima«
 9783666252044, 3525252048, 9783525252048

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HYPOMNEMATA 104

V&R

HYPOMNEMATA UNTERSUCHUNGEN ZUR ANTIKE UND ZU IHREM NACHLEBEN

Herausgegeben von Albrecht Dihle/Siegmar Döpp/Christian Habicht Hugh Lloyd-Jones/Günther Patzig

HEFT 104

V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T IN G Ö T T I N G E N

HANS-JÜRGEN HORN

Studien zum dritten Buch der aristotelischen Schrift De anima

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Verantwortlicher Herausgeber: Albrecht Dihle

Die Deutsche Bibliothek

-

CIP-Einheitsaufnahme

Horn, Hans-Jürgen: Studien zum dritten Buch der aristotelischen Schrift De anima/ Hans-Jürgen H o r n . G ö t t i n g e n : Vandenhoeck und R u p r e c h t , 1994 ( H y p o m n e m a t a ; H. 104) ISBN 3-525-25204-8 NE: G T

© Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1994 Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck: Hubert & Co., Göttingen

Vorbemerkung Die vorliegende Arbeit ist aus einem Vortrag hervorgegangen, den ich auf Einladung von Pierre HADOT am Pariser College de France halten durfte. Ein herzliches Dankeswort gebührt vor allem Albrecht DIHLE, Arbogast SCHMITT und Joachim SCHRÖDER, die das Entstehen des Buches mit wohlwollendem Rat und förderlicher Kritik begleiteten. Meine Mannheimer Mitarbeiter Sandra EICHFELDER, Andreas FUCHS und Paul GRÖSSLEIN nahmen die Mühe der Korrektur auf sich. Dank schulde ich ferner den Herausgebern der Hypomnemata, die das Manuskript auf Vorschlag Albrecht DIHLES in ihrer Reihe veröffentlichen.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1

Kapitel 1

6

Kapitel 2

23

Kapitel 3

47

Kapitel 4

80

Kapitel 5

100

Kapitel 6

108

Kapitel 7

117

Kapitel 8

140

Kapitel 9

146

Kapitel 10

155

Kapitel 11

167

Kapitel 12

171

Kapitel 13

184

Literatur

188

Index locorum

197

ίσως 8ε και της χαλεχότητος ούσης κατά 8όο τρόχοος, οόκ εν τοις χρ&γμασιν άλλ" έν ήμϊν τό αίτιον αότής- άσχερ γαρ τα τών νυκτερί8α>ν δμματα χρός τό φέγγος έχει τό μεθ' ήμέραν, οδτω και της ημετέρας ψυχής ό νοΰς χρός τα τη φύσει φανερώτατα χάντων. (Arist. metaph.993b7/ll)

Wer es unternimmt, die gedankliche und argumentative Kohärenz der aristotelischen Schrift De anima zu untersuchen, wird kaum Mühe haben, sein Tun zu rechtfertigen. Zum einen ist zwar davon auszugehen, daß ein Werk des Aristoteles mit dem Anspruch auftritt, sich rationaler und darum auch rational kontrollierbarer Verfahren zu bedienen. Die selbstverständlichen Signale dieses Faktums liegen für jedermann greifbar am Tage: Der Text stellt formal eine Kette von Argumentationen dar. Er operiert mit Begründungen und Schlüssen. Er nennt Beispiele, wendet ebensowohl induktive wie deduktive Weisen gedanklicher Verknüpfung an. Eine schier unendliche Vielzahl von Sinn und Zusammenhang stiftenden Partikeln und Konjunktionen ließe den Zweifel an der einheitlichen Faktur des Textes riskant werden, wenn, ja wenn den Interpreten nicht jenseits dieser formalen Hinweise in vielen Einzelheiten ein tiefes Dunkel erwarten würde. Allzu offenkundig sind die Schwierigkeiten, das scheinbar Zusammenhanglose des Textes noch im Hinblick auf eine vorausgesetzte Einheit zu deuten, und dies gilt auch nach mehr als zweitausendjährigem Bemühen der Exegese. Wenn das Exemplar des De anima-Textes, das sich in der Bibliothek des alFarabi befand, die Notiz trug: "Ich habe dieses Buch zweihundertmal gelesen'."1, so werden die Worte des frühesten2 arabischen Kommentators der Schrift De anima wohl auch als ein beredtes Zeugnis dieser Nöte des Erklärers zu verstehen sein. Die bisweilen verzweifelt aussichtslos erscheinende Bemühung, eine klare Gedankenführung in den Texten des dritten Buches zu erkennen, spiegelt sich aber auch in zahlreichen Äußerungen moderner Gelehrter, die im jeweiligen Zusammenhang der vorliegenden Arbeit zitiert werden. Ist es, so mag man angesichts dieses Befundes mit Grund fragen, denn überhaupt noch sinnvoll, einen erneuten Versuch zu unternehmen, das scheinbar Vergebliche dennoch zu wagen? Wäre es nicht weitaus klüger, nach so langer Zeit, nach einer so eindrucksvollen Reihe am Ende doch viele Fragen ungelöst offenlassender Studien die Akten zu schließen, als noch einmal den Weg durch das Labyrinth zu suchen? 1 Nach Ibn Khallikan (III 30 DE SLANE); Zitat: F.E. PETERS, Aristoteles Arabus. The Oriental Translations and Commentaries on the Aristotelian Corpus, Leiden 1968, 44, Anm. 7. 2 Ebd. 44.

2

Einleitung

Solchen Anwandlungen von Resignation stehen freilich sowohl die Bedeutung der in den drei Büchern der Schrift Von der Seele behandelten Gegenstände wie auch der Rang des aristotelischen Denkens entgegen. Sich dem Anspruch der in der Psychologie des Aristoteles erörterten Fragen zu verschließen und sich damit einer Auseinandersetzung mit der ersten maßgeblichen und ungemein einflußreichen Interpretation von ψυχή, αϊσθησις, φαντασία, νόησις usw. in der Geschichte zu entziehen, dürfte wohl kaum der Verantwortung einer historischen Wissenschaft entsprechen, deren Zuständigkeit für diesen Bereich unbestritten ist. Angesichts dieses Befundes wäre es nach unserer Meinung vollkommen verfehlt, die Suche nach der verlorenen Einheit des Textes aufzugeben und auf den Gedanken einer einheitlichen und geschlossenen Argumentation des Aristoteles zu verzichten. Nun räumen wir gern ein, daß die Analyse der aristotelischen Pragmatien über weite Strecken gerade von Kritikern bestimmt wird, die Lücken des gedanklichen Zusammenhangs oder das, was sie hierfür halten, mit aller Deutlichkeit als nicht zu heilende Mängel entweder des aristotelischen Raisonnemen ts oder der Überlieferung seiner Werke diagnostizieren wollen. Es sei nicht bestritten, daß auf diese Weise eine Vielzahl der fruchtbarsten Fragestellungen in die Diskussion der aristotelischen Schriften hineingetragen wurde. Allein der Wert solcher Analysen würde noch eine beträchtliche Steigerung erfahren, wenn der hypothetische Charakter der Prämisse zugestanden würde, auf der sie aufbauen, wenn man aber auf keinen Fall darauf vertrauen wollte, daß ineins mit der Erfolglosigkeit des Versuches, ein einheitliches Verständnis eines Textes zu begründen, auch bereits die objektive Unmöglichkeit eines solchen erwiesen wäre. So lange jedenfalls niemand über verläßliche Kriterien verfügt, das Verständnis eines aristotelischen Textes als angemessen oder als unangemessen zu erkennen, wird der eine Interpret more suo dieses, der andere jenes behaupten, der eine z.B. die Einführung der φαντασία im dritten Kapitel als assez claire3 bezeichnen, der andere hingegen den Text nur unter Inkaufnahme einer gewissen Redundanz verstehen können 4 . So erscheint es uns als dringend geboten, die Möglichkeiten einer kohärenten Argumentation auszuloten. Gelänge es, eine solche zu entdecken, so wäre damit immer noch nicht erwiesen, daß sie der Intention des Aristoteles entspräche, da die Kluft zwischen Rekonstruktion und Original nicht zu schließen ist. Immerhin aber dürften Vorschläge zum besseren Verständnis einer Stelle dann, wenn in ihrem Gefolge noch weitere Partien des Textes verständlicher werden, ein hohes Maß an Wahrscheinlichkeit für sich haben, weil sie gewissermaßen den 'Nerv' eines dem Interpretandum innewohnenden Systems getroffen zu haben scheinen.

3

RODIER 4 0 3 :

"La liaison de cette remarque avec ce qui precede est assez claire."

"The whole context abundantly proves that νύησις and διάνοια are used indifferently." 4

HLCKS 4 5 7 :

voetv and

διανοεΐσθαι,

Einleitung

3

Wird z.B. die offensichtlich ganz unvorbereitete Einführung der φαντασία an der genannten Stelle 427b14 (in Verbindung mit der die eigentliche Schwierigkeit darstellenden kausalen Partikel γάρ) in der von uns u. vorgeschlagenen Weise erklärt, so schließt sich der gesamte erste Teil des dritten Kapitels zu einem einheitlichen Kontext zusammen. Wie aber soll nach allem, was wir oben zur verzweifelten Situation der Text- und Auslegungsgeschichte von De anima bemerkten, eine Analyse des argumentativen Gefüges vorgehen? Worin kann ihr Nutzen gesehen werden, wie verhält sie sich zu den früheren Erklärungen der Schrift? Im ersten Kapitel des zweiten Buches der Metaphysik lesen wir Texte, die als eine Antwort auf die zuletzt formulierte Frage verstanden werden können. Dafür, daß die Betrachtung der Wahrheit einerseits schwierig, andererseits leicht sei, gebe es einen deutlichen Hinweis: Niemand - so heißt es in dem Text, der vielleicht eine Vorlesungsnachschrift des Aristotelesschülers Pasikles von Rhodos5 ist - treffe sie (sc. die Wahrheit) auf eine Weise, die ihr voll und ganz entspreche (άξίως); aber andererseits sei es auch nicht so, daß alle sie verfehlten. Vielmehr sei in dem, was ein jeder über die Natur sage, irgendetwas Bedeutsames enthalten, das im einzelnen vielleicht von keinem oder nur geringem Wert sei, dessen Summe aber einen reichen Ertrag darstelle6. Femer sei es auch nicht richtig, nur denjenigen Dank zu wissen, deren Meinung man teile, sondern auch allen, die eine Sache nur recht oberflächlich behandelt hätten. Denn auch sie hätten etwas beigetragen7. So kann das Verhältnis des neuerlichen Versuchs zu den bisherigen als ein sich Einreihen in die Schar derer, die ihren Beitrag zu einer sukzessiven, die einzelnen Leistungen summierenden Aufhellung des schwierigen Textes bestimmt werden. Da selbst Erklärungsversuche, die einen offensichtlichen Irrweg beschreiten, unter dieses von Aristoteles beschriebene Gesetz fallen, bedarf es der geduldigen Prüfung, wenn nicht aller, so doch möglichst vieler Deutungsansätze, auch dann, wenn die Gesamtdarstellung dadurch belastet zu sein scheint. Aristoteles bringt das Fazit des Gedankens auf eine ebenso prägnante wie sprechende Formel: "Ei μεν γάρ Τιμόθεος μή έγένετο, κολλήν αν μελοκοιίαν ούκ είχομεν ei δε μή Φρΰνις,

5

Zuletzt Η. FLASHAR, in: F. U EBER WEG, Grundriß der Geschichte der Philosophie. Völlig neubearbeitete Ausgabe, Bd. 3, Die Philosophie der Antike, Basel/Stuttgart 1983, 257. 6

Arist. metaph. 993 , 30/ b 4: "Οτι ή περί της αληθείας θεωρία τη μέν χ α λ ε κ ή τη 8έ ί>?ίία. σημεϊον δε τό μήτ'άξίως μηδένα δύνασθαι τ υ χ ε ΐ ν αΰτής μήτε χ ά ν τ α ς ά π ο τ υ γ χ ά ν ε ι ν , άλλ" εκαστον λ έ γ ε ι ν τι χερΐ της φύσεως, και καθ' ένα μέν ή μηθεν ή μικρόν έ χ ι β ά λ λ ε ι ν αύτη, εκ χ ά ν τ ω ν δέ συναθροιζομένων γ ί γ ν ε σ θ α ι τι μέγεθος7

993 b l 1/14: ού μόνον δέ χ ά ρ ι ν έ χ ε ι ν δίκαιον τούτοις ων άν τ ι ς κ ο ι ν ώ σ α ι τ ο τ α ΐ ς δόξαις, άλλά και τοις έ χ ι χ ο λ α ι ό τ ε ρ ο ν άχοφηναμένοις- και γαρ ούτοι σ ο ν ε β ά λ ο ν τ ό τι·

4

Einleitung

Τιμόθεος ούκ ttv έγένετο". 8 Es bedarf - so können wir den Gedanken auf die Exegese eines so schwierigen Traktats anwenden - der gesammelten Bemühung vieler Generationen, um die Texte zu prüfen und ihren Ertrag ans Licht zu bringen. Welcher Weg eröffnet sich nun für die Untersuchung? Steht die Frage nach der Einheit der Argumentation im Zentrum der Suche, so ergeben sich zwei Möglichkeiten: Entweder entbehrt die Schrift genau dieses gedanklichen Zusammenhangs, oder aber sie weist ihn auf, freilich in einer nicht am Tage liegenden Form, so daß es einer sorgsamen Analyse bedarf, um ihn sichtbar zu machen. Sucht man, ohne eine dieser Alternativen zu begünstigen, nach der Strategie, die zur Lösung der Schwierigkeiten den besten Erfolg verheißt, so zeigt sich das Folgende: Selbst dann, wenn die hypothetische Einheit der Argumentation eine reine Fiktion sein sollte, so wäre dies zwingend nur durch das notwendige Scheitern aller Bemühungen um eben diese Einheit zu erweisen. In der Praxis ließe sich diese Bedingung sicherlich nie ganz erfüllen. Wenn sich aber zeigen sollte, daß keinerlei Anzeichen, die für die gesuchte Kohärenz sprechen, zu finden sind, so wird in demselben Maße die entgegengesetzte These von der Zusammenhanglosigkeit des Textes wahrscheinlicher. Nur auf diesem indirekten Wege kann gezeigt werden, daß die eine Seite unserer dialektischen Prämisse9 in eine Absurdität führt, während die andere sich als richtig erweist. Jeder sonstige Weg entbehrt letztendlich der Notwendigkeit, da er die Suche nach einer zugrundeliegenden Kohärenz aufgibt, ohne sicherstellen zu können, daß der Grund für die Divergenzen des Verständnisses in der Sache liegt, oder, wie man auch formulieren mag: ohne ausschließen zu können, daß die Ursache für das Nichtverstehen in dem Interpreten10 zu suchen ist. Die Form, die wir für unsere Studien gewählt haben, ist die einer fortlaufenden Analyse des gedanklichen Zusammenhangs. Sie gleicht deijenigen eines Kommentars, ohne sich freilich dessen Strenge zu eigen zu machen. Zwar hätte es nahegelegen, den Text in eine Folge von Lemmata aufzugliedern und damit auch der Erklärung eine analoge Struktur zu geben. Diese außerordentlich rigide Anlage hätte es uns jedoch nicht ermöglicht, gewissen Fragen sozusagen 'carptim' nachzugehen, andere hingegen, die für die Feststellung einer kohärenten suite des idees weniger bedeutsam zu sein scheinen, zurückzustellen. Bei der Lektüre dieses Versuches könnte der Eindruck entstehen, als seien die Grenzen, die einer philologischen Studie gesetzt sind, in ihm nicht immer gewahrt, als führten manche Reflexionen auf das Feld einer anderen Disziplin, der philosophischen Exegese der aristotelischen Psychologie. 8

993 b 15f.

9

Arist. anal. post. 72*9f.: δ ι α λ ε κ τ ι κ ή μέν (βς.πρότασις) ή ομοίως λαμβάνουσα ό κ ο τ ε ρ ο ν ο δ ν κτλ. 10

Vgl. metaph. 993 b 8/9.

Einleitung

5

Diesem Einwand ist entgegenzuhalten, daß er auf einer offenkundigen Verwechslung der τέλη beider Wissenschaften beruht und deshalb verfehlt ist: Während es nämlich philosophischer Methodik entspricht, die Begriffe der aristotelischen Psychologie zu analysieren, ihr Verhältnis zueinander aufzuklären und auf diese Weise ein Verständnis der aristotelischen Lehre zu entwickeln, obliegt der Philologie die Aufgabe, den Text zu erklären, seinen Implikationen nachzuspüren und auf diese Weise den Inhalt in seiner ganzen Komplexität für eine philosophische Analyse verfügbar zu machen. Ergeben sich etwa, wie dies häufig der Fall ist, mehrere Deutungsmöglichkeiten (z.B. aufgrund vielfacher Bezugsmöglichkeiten eines Pronomens), so wird philologische Kritik gefordert sein, sowohl um diese zu ermitteln, als auch um unter ihnen die nach den Normen der griechischen Sprache wahrscheinlichsten auszuwählen. Da Fragen dieser Art um so schwieriger zu lösen sind, je subtiler die zugrundeliegenden Gedanken sich darstellen, und ferner die früheren Jahrhunderten selbstverständliche philologische Kompetenz jeglicher Beschäftigung mit dem aristotelischen Text heute nicht mehr ohne weiteres vorausgesetzt werden kann, fällt hier unserer Wissenschaft eine große Verantwortung zu. Mehr denn je ist es ihre Pflicht, den Grundbestand an Texten in der ganzen Fülle ihrer Deutungsmöglichkeiten zu erhalten und vor allen Dingen zu verhindern, daß sich durch eine im letzten unbegründete Reduzierung vieler Deutungsmöglichkeiten auf eine einzige ein Unbildung schaffendes Vergessen in der Uberlieferung durchsetzt und der Reichtum, vielleicht auch die schillernden Vieldeutigkeiten der Tradition verlorengehen. Diese wenigen Vorbemerkungen zu dem Weg, den wir gehen, mögen genügen. Wwortreiche Ausführungen zur angewandten Methode kämen dem Eingeständnis einer Schwäche gleich. Wäre doch daraus zu entnehmen, daß man der Überzeugungskraft der Anwendung des gewählten modus procedendi kein rechtes Vertrauen schenkt. Eine sinnvoll gewählte Methode hat sich eben nicht im Reden über sich selbst, sondern allein in der Anwendung zu empfehlen. Wenden wir am Ende dieser Vorbemerkungen den Blick noch einmal zurück auf die in der Schrift des Aristoteles angesprochenen Gegenstände, so gelten noch immer die Worte, mit denen Voltaire die dritte Abteilung seiner Überlegungen zur Psychologie in den 1770 erschienenen Questions sur l'Encyclopidie beschließt: "Enfln, en adorant Dieu de toute notre äme, confessons toujours notre profonde ignorance sur cette äme, sur cette faculti de sentir et de penser que nous tenons de sa bonte infinie. Avouons que nos faibles raisonnements ne peuveru rien öter, rien ajouter ä la revelation et ä la foi. Concluons enfln que nous devons employer cette intelligence, dont la nature est inconnue, ά perfectionner les sciences qui sont l'objet de l'Encyclopidie, comme les horlogers emploient des ressorts dans leurs montres, sans savoir ce que c'est que le ressort."

Erstes Kapitel Das dritte Buch von der Seele wird mit einer zwischen den Ausführungen des zweiten und den nachfolgenden Darlegungen des dritten Buches vermittelnden Partie eröffnet. Dieser überleitende Charakter hat einige Interpreten dazu veranlaßt, die Zugehörigkeit der Passage zu De anima III in Frage zu stellen, so die arabischen Erklärer1. Simplikios begründet die Stellung der fraglichen Argumentation am Anfang des dritten Buches mit ihrem vermittelnden Charakter2. Der Gedankengang, für den sich in Alexanders Schrift Αχορίαι και λύσεις eine frühe Kommentierung erhalten hat3, scheint sich den Nachweis zum Ziel zu setzen, daß es neben den fünf Sinnen δψις, ακοή, δσφρησ ι ς , γβϋσις, αφή keine weiteren Sinne gibt. Die von HICKS 4 als Parallele angeführte Stelle hist. arum. 532b29 stellt nur die These der Fünfzahl auf, ohne den Beweis folgen zu lassen. Von Neueren wird der Beweischarakter des Abschnitts skeptisch betrachtet. Schon Alexander hatte offensichtlich den empirischen Grundzug der Partie hervorgehoben. HICKS stellt die Frage, ob es sich um eine Induktion oder einen Beweis handle, und entscheidet sich für die letztere Alternative5. HAMLYN 6 und andere Gelehrte sehen die Argumentation des Aristoteles als obskur und verworren an. Umgekehrt glaubt RODIER 7 offenbar an einen durchaus gelungenen Beweis, wenn anders man dem Optimismus seiner Darstellung trauen darf. Neuerdings hat MAUDLIN® einen geistreichen und scharfsinnigen Deutungsansatz vorgelegt. Er sieht sich zu seinen Überlegungen durch die zahlreichen 'Unstimmigkeiten' veranlaßt, die er in der von ihm so genannten 'traditionellen Deutung' zu entdecken glaubt. Nach MAUDLINS Auffassung ging die Exegese bisher fälschlich von der Meinung aus, Aristoteles wolle zu Beginn des dritten Buches durch einen großangelegten Beweis die Fünfzahl der Sinne sicherstellen, um sich so Gewißheit über die Vollständigkeit der Darlegungen des zweiten Buches zu den einzelnen Sinnen zu verschaf1 Vgl. Averrois Cordubensis comm.magn. in Arist. De an. libros = CCAA VI 1 (ed. F. STUART CRAWFORD), Cambridge Mass. 1953. Averroes läßt Buch III erst 429'10, also mit dem jetzigen Kapitel III 4 einsetzen und behält das dritte Buch somit der Behandlung der Noetik vor (vgl. CRAWFORD 379ff.). Vgl. auch RODIER 341. HICKS 422. THEILER 130. Ross 268. KAHN 50. 2

Simpl. 172, 11

3

Alex. Aphr. Ά π ο ρ ί α ι και λ ύ σ ε ι ς III 6,90,4

4

422.

5

Ebd.

6

115.

7

Vgl. RODIER 342.

8

De Anima III 1: is any Sense Missing?, in: Phronesis 31, 1986, 51/67.

Erstes Kapitel

7

fen. In Wahrheit sei bereits aus den anschließenden Ausführungen zum Gemeinsinn, ferner auch aus Partien wie De somno 455"14 zu entnehmen, daß Aristoteles nicht die Meinung teile, es gebe nur die genannten fünf Sinne. Vielmehr wolle er deren Zahl um den Gemeinsinn erweitern. Man habe den ersten Teil von III 1 als Niederschlag einer Diskussion mit dem Vertreter einer materialistischen Wahrnehmungstheorie zu verstehen, die in der Form einer Abfolge von Exposition der materialistischen These 424b22/309, Entgegnung des Aristoteles 424b30/425»7 mit einer Entfaltung absurder Konsequenzen des materialistischen Ansatzes und einer schwachen Antwort des Materialisten auf die Einwände des Aristoteles 425'7/13 angelegt sei. So bestechend der Ansatz MAUDLINS unter dem Aspekt der Wiedergewinnung einer sinnvollen Argumentation auch sein mag, so muß er sich doch an den Gegebenheiten des Textes messen lassen: Gibt es, so fragen wir, im Text von De anima ΙΠ 1 an den von MAUDLIN genannten 'Nahtstellen' oder an irgendeiner anderen Stelle Indizien, die es erlauben, MAUDLINS Rekonstruktion mit den textlichen Gegebenheiten zu vereinbaren? Die Frage ist zu verneinen. Wir finden im Text keinen Anhaltspunkt für die von MAUDLIN behaupteten gedanklichen Fugen. Die vermeintlichen Zäsuren ergeben sich nicht aus dem Duktus des Textes, etwa als Nahtstellen, die durch Partikeln markiert wären, sondern sie werden von außen an ihn herangetragen. Das bedeutet aber, daß die entscheidende Voraussetzung des Deutungsversuchs nicht textgerecht, sondern willkürlich gewählt ist. Von ebenso großem Gewicht dürfte der Umstand sein, daß Aristoteles im zweiten Abschnitt des Kapitels entgegen der Auffassung MAUDLINS unmißverständlich darauf besteht, daß der Gemeinsinn kein eigener sechster Sinn ist. An der Formulierung des einleitenden Satzes öti S' ούκ εστίν κ τ λ . fällt die Wahl des Verbums πιστεύσειεν άν τις auf. Abgesehen von der potential abgetönten Form bezeichnet χιστεύειν inhaltlich eine Gewißheit, die man durch Beweise oder auch durch δόξαι 10 oder durch έπαγωγαί" erhalten kann. Es ist mithin über die Form des Arguments, ob es Induktion oder Beweis ist, nichts ausgesagt. Man geht vielleicht nicht fehl, wenn man in der zurückhaltenden Weise der Formulierung den Ausdruck eines eher gedämpften Optimismus des Aristoteles im Hinblick auf die Erfüllung der selbstgestellten Aufgaben sieht12. Πιστεύσειεν άν τις wirkt anstelle eines ein9

MAUDLIN 58.

10

eth. Nie. 1146B29.

11

anal, prior. 2. 68B13

12

Vgl. Arist. rhet. 1378a8, wo auch von 'τοσαΰτα 5ι' & χιστεόομεν Ιξω των αποδείξεων' die Rede ist, ferner De anima 428*21.

Erstes

8

Kapitel

deutigen δηλον oder φανερόν weniger zwingend und damit unverbindlicher. Der unübersichtliche Satz 424b24/425*13 nennt in einer langen Protasis eine Kette von Bedingungen, aus denen erst 425*9 das 'consequens' folgt. Innerhalb der Protasis bezieht sich der erste Teil auf den Tastsinn (bis 424b29), der zweite Teil hingegen auf die Sinne, die eines Mediums bedürfen. Für beide Klassen von Sinnen scheint sich je ein eigener Nachweisversuch abzuzeichnen. Die Interpreten stehen der Argumentation des Aristoteles fast alle ratlos gegenüber. Bezeichnend ist TORSTRIKS Stoßseufzer "Videtur autem post Aristotelem nemo hanc demonstrationem intellexisse. ... Nec ego iruelligo."13 Dennoch glaubt er eine ungefähre Beweisrichtung erkennen zu können, die er folgendermaßen wiedergibt: "Si omnia corpora quae in hoc mundo sunt eorumque passiones omnes seruimus, aliud vero praeter quatuor illa elementa nullum est nec passio ulla vel affectio quae nullius sit horum elementorum, apparet nullum nobis deesse sensum."14 Wir glauben nicht, daß diese Paraphrase den Gedankengang des Aristoteles ausreichend genau beschreibt, ebensowenig wie T R E N D E L E N B U R G S Kommentar15. Auch T R E N D E L E N B U R G bemerkt zu der Stelle: "Prior, quam indicavimus, capitis pars tantas habet difficultates, quantas interpretanda vix tollas. Quod scriptor sibi proposuit, ut non plures esse sensus praeter quinque nostros demonstraret: id ipsos sensus, ipsamque experientiam superat." H I C K S 1 6 scheint mir in seiner Darstellung vor allem durch die falsche Einordnung der zweiten Prämisse ανάγκη τ', εΐπερ έκλείπει τις κτλ. 424 b 26f. die eigentliche Pointe des Beweises bzw. von dessen erstem Abschnitt zu verfehlen. Die Voraussetzungen "(1) All the tangible properties of objects are apprehended by touch, a sense which we possess; (2) As regards sight, hearing and smell, in which perception is through a medium, if the sense is wanting, it is because the sense-organ is wanting." Ross formuliert den 'Beweis' auf die folgende Weise: "We have in fact the sense for everyhing tangible. If we lack a sense, we must lack a sense-organ; but (a) we have the sense-organ for everything tangible, and (b) for the perception of things at a distance, and therefore not tangible we have as media the elements air and water usw." - und trägt damit nur der zweiten Protasis des Bedingungssatzes Rechnung. Wie in den anderen zitierten Darstellungen des Argumentes gelingt es auch Ross nicht, den einzelnen Teilen des aristotelischen Gedankengangs eine klare argumentative Funktion zuzuweisen. Es bleibt unerfindlich,

13

TORSTRK 161.

14

Ebd.

15

TRENDELENBURG 3 4 3 / 4 .

16

HICKS a . O . 4 2 2 f .

Erstes Kapitel

9

warum Aristoteles diesen Weg gewählt und was er sich von den einzelnen Schritten des 'Beweises' versprochen haben soll. Verständnisvoller wirkt die Analyse des Gedankens bei HAMLYN 1 7 : "The argument presented at the beginning of this chapter", so schreibt er, "is both obscure in itself and obscurely set out. This is perhaps inevitable in any argument which seeks to prove something that seems to be a matter of empirical fact - the number of the senses that animals and human beings have." Die eigentliche Analyse des Arguments, die den Gedanken in sieben Abschnitte einteilt, versucht den GrundriB der Argumentation zu erfassen. Aber es scheint, daß eine sozusagen 'wörtliche' Wiedergabe, eine gewissermaßen präzise 'Abschilderung' des aristotelischen Arguments letztlich in die Irre führt. Die Dunkelheit des Gedankens lichtet sich nicht, sondern nimmt eher weiter zu. Gilt dies schon für die sorgsam durchgeführte Analyse von HAMLYN, SO läßt sich derselbe Sachverhalt α fortiori bei den weniger eindringenden Versuchen anderer Gelehrter feststellen. Es gilt, Ausschau zu halten nach einem Ansatz, der einen möglicherweise hinter dem Wortlaut des Textes verborgenen Sinn zu ermitteln vermag. Wenden wir uns zunächst der αφή zu, für die offenbar ein eigener Beweis geführt wird. Den vorherrschenden Eindruck, den die Darlegungen des Aristoteles vermitteln, hat MAUDLIN wohl am treffendsten charakterisiert, wenn er darin "little more than a pun on touching" sieht18. Allzu verwirrend häufen sich in den ersten Zeilen des Kapitels Ausdrücke wie αφή und άχτόν, ohne daß ein Ausweg sichtbar würde, die Gefahr der Tautologie zu vermeiden. Es ist aber fraglich, ob die Kritik ein Recht hat, sich mit diesem ersten Eindruck zu begnügen, und ob in der Tat alle Hilfsmittel ausgeschöpft sind, zu einem möglicherweise angemesseneren Verständnis des Textes zu gelangen. Prüft man in diesem Sinne das Argument, so erscheinen die Worte καϊ vüv (424b24/25) außerordentlich sonderbar. Wenn betont wird, daß wir schon jetzt19 von alledem, wofür der Tastsinn das Wahrnehmungsvermögen ist, Wahrnehmung besitzen, so läßt das nur den Schluß zu, daß hier die Möglichkeit eines konkurrierenden Wahrnehmungsvermögens erörtert wird, das nach Maßgabe des gedanklichen Rahmens nur ein weiterer direkter Sinn sein könnte. In diesem Zusammenhang sei auf eine wichtige sprachliche Besonderheit hingewiesen, die von den Interpreten des Textes offensichtlich nicht genutzt wurde: "Απτεσθαι, άφή, άπτόν, άπτικόν usw. haben nämlich, wie Ari-

17

HAMLYN a . O .

18

MAUDLIN a . O . 53.

19

THEILER a . O . 4 9 .

115.

10

Erstes Kapitel

stoteles gen.et corr. 1,6. 322 b 29ff. ausführt 20 , vielfältige Bedeutung. Neben der 'psychologischen', den Tastsinn bezeichnenden Bedeutung, herrscht die weitere 'physikalische' vor, die das Aneinanderrühren von Körpern, ob sie nun belebt oder unbelebt sind, wiedergibt 21 . Wenn nun ein anderes Sinnesvermögen neben der άφή für diesen Bereich der sinnlichen Wahrnehmung des unmittelbaren Kontaktes ohne die Vermittlung eines Mediums konstruiert werden sollte, so müßte man auf zwei Bausteine zurückgreifen: (1) Das Konstrukt müßte in der Lage sein, an anderes zu rühren, - oder anders formuliert - sowohl dieses als auch die durch den zu konstruierenden Sinn erfahrbaren δντα müßten einander berühren können, also ά π τ ι κ ά oder, wenn man das passive Moment des Berührtwerdens bezeichnen will, ά χ τ ά im 'physikalischen' Sinne sein. (2) Das zu rekonstruierende Vermögen müßte eine αίσθησις sein, also ein Sinnesvermögen, das das Berührte wahrnimmt. Das aus diesen beiden Konstituenten entstandene Vermögen aber wäre nichts anderes als der Tastsinn, über den wir bereits jetzt (και vöv) verfügen. Für den gesamten Bereich der nicht durch ein Medium vermittelten Wahrnehmung gibt es mithin nur ein einziges Vermögen der sinnlichen Wahrnehmung: den Tastsinn. Ein anderes Sinnesvermögen der unmittelbaren Wahrnehmung ist nicht denk- und vorstellbar. Die Formulierung και vöv eröffnet also, wie uns scheint, eine bisher übersehene Deutungsperspektive, die wenigstens für den ersten Teil des Argumentes eine weiterführende Interpretation zuläßt. Hier ist, wie der De anima-Text durch bestimmte Indikatoren kenntlich macht, eine Hypothese faßbar, die gemäß der Intention des ganzen Gedankens einen zweiten Sinn in der Domäne der άφή etablieren möchte. Dieser Versuch scheitert an dem Faktum, daß ein solcher Sinn sich erübrigt, da bereits jetzt die Gesamtmenge aller möglichen und wirklichen direkten Wahrnehmungen durch den Tastsinn erfaßt wird. Der Beweisgang ist demnach indirekt: Die hypothetische Prämisse, es gebe einen solchen Sinn, wird durch den Aufweis seiner Funktionslosigkeit ad absurdum geführt 22 . In welchem Verhältnis aber steht die durch γάρ als Begründung deklarierte Parenthese zu dem ersten Bedingungssatz?: "Alle Eigenschaften (nämlich) des ά π τ ό ν als eines solchen (ή άκτόν) sind uns durch die άφή (und durch keinen anderen Sinn) zugänglich".

20 322 b 29/323"6: σχεδόν μέν ouv, ώσπερ και των άλλων ονομάτων έ κ α σ τ ο ν λ έ γ ε τ α ι πολλαχώς,...οί>τως έχει και περϊ άφής. δμως δε τό κυρίως λ ε γ ό μ ε ν ο ν υ π ά ρ χ ε ι τοις έ χ ο ο σ ι ν θέσιν. θέσις 8' οισπερ (323") και τόπος, και γάρ τ ο ι ς μαθηματικοϊς ομοίως αποδοτέο ν άφήν και τόπον, εί ouv ε σ τ ί ν , ώσπερ διωρίσθη πρότερον, τό &πτεσθαι τό τά έσχατα έ χ ε ι ν αμα, ταϋτα αν ά π τ ο ι τ ο αλλήλων δσα βιωρισμένα μεγέθη και θέσιν έχοντα αμα έχει τα έ σ χ α τ α . 21

Vgl. auch Plat. Tim. 32 Α.

22

Eine ganz ähnliche Beweistechnik wendet Aristoteles weiter unten 425*27 an!

Erstes Kapitel

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Es gibt, so könnte man die Parenthese paraphrasieren, keinen Grund, der dazu berechtigen würde, irgendein άπτόν sofern es denn ein solches (d.h. Gegenstand möglicher Wahrnehmung durch den Tastsinn) ist, von der Erfaßbarkeit durch άφή auszuschließen. Fragen wir noch präziser nach dem Bezug der durch γάρ angedeuteten kausalen Funktion dieser Aussage! Genau genommen, ist es der kollektive Genetiv παντός b24, den der Kausalsatz erläutert. Der Gesamtbereich aller Eigenschaften desjenigen, was an anderes rühren kann, soweit es Gegenstand sinnlicher Wahrnehmung ist, wird durch den Tastsinn unserer Wahrnehmung zugänglich. Die zweite Protasis ist durch die Konjunktion τε sehr eng an die erste angeschlossen und mit ihr zu einer logischen Konjunktion verbunden: "...und da es notwendig ist, daß, wenn wirklich einer der Sinne fehlt, uns auch ein Sinnesorgan fehlt..." 23 . Der hier angesprochene Zusammenhang wird von Aristoteles nirgends näher erläutert. Man denkt zunächst wohl an Stellen wie 423b30 : t o δέ αΐσθητήριον αύτών t o άπτικόν oder 424*25 : δστι μεν ούν ταύτόν, τω δ' είναι έτερον 24 , wo das Verhältnis zwischen αίσθησις und αΐσθητήριον (mitunter implizit) näher umrissen wird. Wenn das αΐσθητήριον des Tastsinns als άκτικόν bestimmt wird, so wird vor allem in Verbindung mit den Überlegungen 425b26ff. deutlich, daß, wenn ein αΐσθητήριον gegeben ist, αϊσθησις daraus mit Notwendigkeit folgt. Dies bedeutet nun aber umgekehrt, daß das Fehlen einer αίσθησις notwendig das Fehlen des entsprechenden αΐσθητήριον zur Folge hat. Da wir uns aber im Besitz des αΐσθητήριον des Tastsinnes wissen, können wir über die Verneinung des 'consequens' 424b26/27 auf das Gegenteil des 'antecedens' schließen. Welche Funktion wird man aber der zweiten Prämisse im vorliegenden Kontext zuweisen? Wenn unsere Deutung zutrifft und sich aus den im Text enthaltenen Spuren das im Folgenden näher beschriebene Gegenargument gegen ein zweites direktes Sinnesvermögen neben dem Tastsinn rekonstruieren läßt, so verbindet sich in der Tat die zweite Prämisse mit der ersten zu einem zusammenhängenden Argument: Aus dem Kondizionalsatz εΐπερ έκλεΐπει τις αίσθησις, και αΐσθητήριον τι (ανάγκη) ήμΐν έκλείπειν folgt mit Notwendigkeit: Nur wenn das entsprechende αΐσθητήριον uns nicht fehlt, dann fehlt auch nicht die zugrundeliegende αίσθησις. Mit anderen Worten: Gäbe es wirklich ein zweites direktes Sinnesorgan neben dem Organ des Tastsinns, so wäre der Rückschluß auf einen solchen zweiten unvermittelt wahrnehmenden Sinn, d.h. also auf einen zweiten konkurrierenden 'Tastsinn', zwingend und damit die These von der Fünfzahl der Sinne 23

424 b 26f.: ανάγκη τ', εϊχερ εκλείπει τις αίσθησις, και αΐσθητήριον τι ήμΐν έκλείχειν, κτλ. 24 Vgl. auch 431*4; s. ferner Ch. KAHN, Sensation and Consciousness in Aristotle's Psychology, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 48, 1966, 67.

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zu Fall gebracht. "Aber", so fahrt unser Text 424b27 fort, "alles, was wir wahrnehmen, indem wir es berühren, ist durch die άφή wahrnehmbar, die wir aber, wie es sich trifft, besitzen." Daß uns ein zweites Organon für eine unmittelbare Wahrnehmung eines (zweiten) Tastsinns fehlt, kommt also nicht von ungefähr, sondern beruht auf der einfachen Tatsache, daß es die entsprechende αϊσθησις selbst nicht gibt, ja auch gar nicht geben kann. Löst man also den Beweisteil, der auf die άφή bezogen ist, aus der komplexen Argumentation, so ergibt sich eine Art 'Abtrennungsregel': "Wenn wir von allem, dessen Wahrnehmung άφή ist, schon jetzt Wahrnehmung besitzen, dann gibt es keinen Platz für einen weiteren unmittelbaren Sinn auf diesem Feld der Wahrnehmung. Nun besitzen wir aber von alledem Wahrnehmung. Also gibt es neben dem Tastsinn keinen weiteren unmittelbaren Sinn. Damit dürfte auch die formale Bedeutung der mit άνάγκη angeschlossenen zweiten Protasis geklärt sein. Die erste Prämisse will nur voraussetzen, daß wir von allem, dessen Wahrnehmung άφή ist, auch Wahrnehmung besitzen, und stützt diese Aussage durch die Parenthese. Durch diesen ersten Schritt der Argumentation wurde aber noch nicht die Möglichkeit eines gänzlich anders wirkenden unmittelbaren Sinnesvermögens ausgeschlossen. Erst durch den zweiten Schritt vollzieht der Gedankengang diesen alles entscheidenden Ausschluß. Im Gefüge der Argumentation bedeutet die soeben beschriebene Operation einen unbedingt notwendigen Schritt: Den Gewinn der sicheren Gewißheit, daß wir bereits im Besitz des gesuchten Sinnes sind. Erst durch diese Absicherung erhält auch die erste Protasis 424b24f. ihr Fundament. Eine weitere αΐσθησις im Bereich der unmittelbaren Wahrnehmung (d.h. ohne vermittelndes μεταξύ) ist also ausgeschlossen. In der Tat ist kein Platz für sie denkbar, da uns durch die άφή die Wahrnehmung eines jeglichen άπτόν und all seiner πάθη möglich ist. Aristoteles betont die universale Kompetenz des Tastsinnes für den gesamten Bereich der άπτά wohl in der Absicht, den Nachweis des Ausschlusses eines 'zweiten' Tastsinnes zwingend zu führen. So schreibt er an zwei Stellen ausdrücklich παντός bzw. πάντα 25 , ferner erscheint b27 δσων elliptisch, das für gewöhnlich mit πάντα korreliert. Der άφή werden im Folgenden die Formen der Wahrnehmung gegenübergestellt, die eines Mediums bedürfen, welches das αίσθητόν dem αίσθητήριον vermittelt. Die Rolle des Mediums übernehmen die sogenannten 'einfachen Körper', die Elemente. Es verhalte sich, sagt Aristoteles, damit so: Wenn durch ein Element mehrere der Gattung nach voneinander verschiedene αισθητά vermittelt würden, so sei derjenige, der das so beschaffene Wahrnehmungsorgan (τό τοιούτον αίσθητήριον) besitze, 25

Vgl. 424 b 24 und 25.

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notwendig in Bezug auf beide wahrnehmungsfähig (άμφοΐν αίσθητικόν είναι). Das Beispiel, das Aristoteles 424b33 anführt, um diesen Sachverhalt zu erklären, hat bei vielen Interpreten Ratlosigkeit hervorgerufen: "Wie wenn das Sinnesorgan aus Luft besteht und die Luft sowohl für Geräusche wie auch für Farbe Medium ist"26. So meint TORSTRIK 27 : "Ea vero plane non intelligo quae leguntur 424b31/34: nam id si verum esset, sequeretur ut qui oculis orbatus auditum haberet, is etiam colores perciperet". In jüngerer Zeit fragt MAUDLIN 28 : " Why should having an ear require one to have an eye just because colour is transmittable through air?" und kommt zu dem Urteil:"...the principle cited is obscure, unsupported, and bizarre." Andere Interpreten scheinen keinerlei Schwieigkeiten mit dem Text zu haben, oder sie gaben jede Bemühung, ihn zu verstehen, längst auf. HICKS behandelt ihn offenbar nicht, Ross referiert ihn in seiner Skizze des Zusammenhangs29, ohne auf ihn des Näheren einzugehen. HAMLYN kritisiert vor allem das Fehlen einer Rechtfertigung der These, daß dann, wenn eine Wahrnehmung durch ein Medium zustandekomme, eine Verwandtschaft zwischen Organ und Medium bestehen müsse, geht des weiteren aber nicht auf die beiden Weisen ein, die Aristoteles für das Verhältnis von αισθητό ν und μεταξύ aufzeigt30. Die Fragen, die sich aus alledem ergeben, sind zahlreich und komplex. Von großer Bedeutung für eine mögliche Lösung des Problems dürfte zunächst eine Klärung der Art der Opposition von Wahrnehmung durch άφή und Wahrnehmung durch ein μεταξύ sein. Wenn der Beweis, den Aristoteles offenbar zu führen gedenkt, nicht bereits bei dieser Vorüberlegung scheitern soll, so muß die Opposition kontradiktorisch gemeint sein. In der Tat formuliert Aristoteles antithetisch: καί δσων μεν αύτών άχτόμενοι αίσθανόμεθα, τη άφή αισθητά έστιν.,.δσα δέ δια των μεταξύ και μη αύτών άχτόμενοι, τοις άχλοϊς. Die Frage ist nun, ob der Ausschluß anderer Formen einer durch die Elemente vermittelten Wahrnehmung durch ein ähnliches Verfahren, wie es im Falle der άφή zur Anwendung kam, abzusichern ist. Hier spielen, wie man leicht einsieht (und auch gesehen hat), die vermittelnden 'einfachen Körper' die entscheidende Rolle31. Geht man davon aus, daß die Medien Körper sind, so handelt es sich auch bei diesen vermittelten Prozessen der 26 424 b 33/34: ο ί ο ν εν έξ άέρος έστί τό αϊσθητήριον, καί ε σ τ ί ν ό άήρ και ψ ό φ ο υ και χρόας. 27

A.a.O. 161.

28

A.a.O. 55.

29

A.a.O. 267.

30

A.a.O. 116.

31

Vgl. z.B. Simpl. 178, 15ff.

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Wahrnehmung um Berührungsvorgänge, die sich lediglich durch ihre Komplexität von der eigentlichen άφή unterscheiden. Im Verlauf des Kondizionalgefüges werden zwei der vier Elemente, Feuer und Erde, als Medien ausgeschlossen, so daß lediglich Wasser und Luft übrig bleiben32. Alle nicht durch Berührung zugänglichen sinnlichen Wahrnehmungen müssen somit durch Luft und Wasser vermittelt werden. Eine andere Möglichkeit besteht nicht. Welche Sinneswahrnehmungen durch diese Medien hindurch wahrgenommen werden können, das wird entscheidend von den Bedingungen der Medien selbst abhängen. Es wird also zu fragen sein, ob die beiden Medien außer den drei Sinnen, deren Wirkung sie vermitteln (d.h. Gesicht, Gehör, Genich), noch für andere Sinne Mittlerfunktion übernehmen können. Wenn der Beweis glücken soll, so kann es diese Möglichkeit weiterer Sinne nicht geben. Die Darstellung beginnt mit einem Überblick über die verschiedenen Weisen des Zusammenwirkens von Sinn und Medium. Zum einen kann ein Medium mehrere αισθητά vermitteln, z.B. die Luft Farbe und Schall. Wer dann ein Wahrnehmungsorgan besitzt, das aus Luft besteht, verfügt auch über die Fähigkeit, beide vermittelten αισθητά wahrzunehmen. Die Logik dieses Argumentes leuchtet ebenso ein, wie sie der Realität zu widersprechen scheint. In der Tat kommt man - das sehen die oben zitierten Gelehrten natürlich ganz richtig - zunächst kaum umhin, anzunehmen, daß das Vorhandensein des aus Luft gebildeten Hörorgans zugleich auch die Fähigkeit der visuellen Wahrnehmung garantiere33. Da es andererseits aber schwerfällt zu vermuten, Aristoteles habe allen Ernstes mit der Möglichkeit gerechnet, akustische und visuelle Wahrnehmung könnten durch ein und dasselbe Sinnesorgan ermöglicht werden, gilt es, nach einem dritten Weg Ausschau zu halten. Der Suche wäre zweifellos dann Erfolg beschieden, wenn 424b32 τό τοιούτον αίσθητήριον in distributivem Sinn etwa so viel wie άεϊ τό τοιούτον αίσθητήριον bedeutet. Die Frage ist, ob ein solcher Sprachgebrauch im Griechischen Parallelen hat. Eine gewisse Ähnlichkeit findet sich in der Formulierung Plat. resp. 365 A 4ff.: Ταϋτα πάντα, έφη, ώ φίλε Σώκρατες, τοιαύτα και τοσαϋτα λεγόμενα άρετής πέρι και κακίας κτλ., wo sich eine distributive Beziehung zu den beiden Termen der Opposition 'Tugend' - 'Laster' abzeichnet. Critias 112 Ε 2ff. verstärkt Piaton den distributiven Charakter durch Zusatz von άεί: Ούτοι μεν ου ν δή τοιοϋτοί τε δντες αϋτοϊ καί τινα τοιούτον άεϊ τρόπον την τε αυτών και την 'Ελλάδα δίκη διοικούντες κτλ. Es scheint also prinzipi32 425 a 5, bzw. "6:τό 8έ πύρ ή ούθενός ή κοινόν πάντων.., γή δε ή ούθενός, ή έν τη αφή μάλιστα μέμικται ιδίως κτλ. 33 Wahrscheinlich haben Simplikios und THEILER als einzige ' τ ο ι ο ύ τ ο ν ' richtig verstanden: Vgl. Simpl. 178,21f: ά ν α γ κ α ϊ ο ν δέ φησι τόν έχοντα τ ο ι ο ύ τ ο ν αίσθητήριον, ύ δ ά τ ι ν ο ν δηλαδή ή άέριον ή κατά την έτέραν έπικράτειαν χ α ρ α κ τ η ρ ι ζ ό μ ε ν ο ν , άμφοΐν α ί σ θ η τ ι κ ό ν είναι, ώς έκϊ δύο ετερογενών τόν λόγον ποιούμενος και δια τούτο ά μ φ ο ΐ ν ειπών. THEILER übersetzt ' τ ο ι ο δ τ ο ν ' mit 'entsprechend'!

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ell möglich, durch den Singular τό τοιούτον die Relation der Ähnlichkeit in einer distributiven Beziehung zum Ausdruck zu bringen. Trifft dies zu, so bedeutet ανάγκη τόν έχοντα τό τοιούτον αίσθητήριον άμφοΐν αισθητικό ν είναι ..."ist deijenige, der über ein jeweils so beschaffenes Wahrnehmungsorgan verfügt, notwendigerweise auch in Bezug auf beide wahrnehmungsfähig." Zum anderen dienen mehrere Medien, Luft und Wasser, zur Übermittlung eines αίσθητόν, z.B. der Farbe. Im Hinblick auf die Fünfzahl der Sinne fehlt lediglich noch der Geruchssinn, der für die durch die Lunge atmenden Lebewesen auf das μβταξό der Luft und für die Fische auf das Wasser als Medium angewiesen ist. Der Geschmackssinn gilt nach II 9. 421M934 als eine Art Tastsinn. Erst an dieser Stelle, 425*3f., erfolgt der Hinweis, daß die αισθητήρια nur von zweien der vier Elemente gebildet sind, d.h. von Luft und Wasser. So erklärt sich auch, wie in einem früheren Stadium der Darstellung, 424b33, ein gleichsam proleptisches35 άμφοΐν erscheinen konnte. Das 424 b 30, b 33 und 425*1 anzutreffende οίον würde man, von hier aus betrachtet, sinngemäß eher durch 'nämlich', 'id est' übersetzen müssen36. Forscht man nach dem an dieser Stelle nicht zur Sprache kommenden medialen Charakter der Medien, d.h. nach der Art und Weise, wie die Wahrnehmungsgegenstände durch die Medien hindurch in die aus denselben Elementen bestehenden Organe übertragen werden können, so ergibt sich nach 425*1/2 (άμφω γάρ διαφανή), daß Luft und Wasser für Farben 'transparent' sind. Der Schall pflanzt sich durch das Medium der Luft bis in das aus demselben Element konstruierte Organ fort, indem er die Luft als einen kontinuierlichen Körper in Bewegung versetzt37. Transparenz und Bewegbarkeit stellen also die medialen Züge des Wassers und der Luft dar. Wie der Geruchssinn hier einzuordnen ist, bleibt unklar. Da der Mensch aber nach 421b15 nur bei der αναπνοή, nicht hingegen, wenn er ausatmet oder die Luft anhält38, zu riechen vermag, scheint auch beim Geruchssinn das Körperhafte der Luft bzw. des Wassers die Vermittlung zu bewirken. 421*16f. und a 27f. betont Aristoteles die Analogie des Geruchs im Verhältnis zum Geschmackssinn. Allerdings ist der letztere beim Menschen unvergleichlich viel schärfer ausgebildet als der erstere. Im Verlauf der Lektüre von II 9 gewinnt man mehr und mehr den Eindruck, daß es sich insofern um eine Analogie, d.h. um eine Einheit von gattungsmäßig Verschie-

34

... δια τό είναι αύτη ν (βο.τήν γεΰσιν) άφήν τινα.

35

Die Prolepsis von άμφοΐν fiel bereits Simplikios, 178, 20 auf.

36

Ein aristotelischer Sondergebrauch von οίον. Vgl. BONITZ 502*7/20. Vgl. 420*3: ψοφητικόν μέν ουν τό κινητικόν ένός άέρος συνεχείς μέχρις ακοής, άκοη βέ συμφυής άήρ. 38 ...έκκνεΰων ή κατέχων τό χνεϋμα. 37

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denem39 handelt, als auch der Geruchssinn ähnlich wie der Geschmack eine gewisse Ähnlichkeit zur άφή aufzuweisen scheint: Während der Geschmack allerdings die Speise in unmittelbarer Berührung kostet, wird der Geruchssinn, wie eben dargelegt, erst durch die Bewegung des Einatmens40 der Luft, d.h. des Mediums aktualisiert. Es scheint, daß dieses Einholen der Atemluft, die Berührung mit dem bewegten, und zwar in seiner Richtung von außen nach innen festgelegten Medium, die Geruchsempfindung entstehen läßt. Geht man nun wie Aristoteles von der Prämisse aus, daß es neben den beiden Spielarten des Tastsinns drei durch Medien vermittelte Sinne gibt, daß andererseits nur zwei Elemente, nämlich Luft und Wasser zur Verfügung stehen, um diese Aufgabe der Vermittlung zu übernehmen, daß diese beiden zufolge ihrer Körperhaftigkeit beweglich sind und als besondere Eigenschaft über Transparenz verfügen, so wird sich die Anzahl möglicher Sinne vermutlich beträchtlich reduzieren. Ob sie sich mit Notwendigkeit auf die drei vorgegebenen Sinne, Geruch, Gehör und Gesichtssinn einschränken läßt, bleibt allerdings dennoch weiter fraglich. Zur Lösung dieser Problematik sollte man einen Schritt nicht unversucht lassen, den Aristoteles bereits beim Nachweis der Ausschließlichkeit des Tastsinns als eines unmittelbaren Sinns ging: den Versuch der hypothetischen Konstruktion mit dem Ziel der 'reductio ad absurdum' der Möglichkeit von weiteren unmittelbaren Sinnen. Waren dort zwei Konstituenten, das bewußtlose Aufeinandertreffen mehrerer σώματα, sowie die Wahrnehmung dieses Zusammenstoßens erforderlich, so finden wir nun gleichfalls zwei Bausteine vor: An die Stelle der unmittelbaren Wahrnehmung tritt hier eine vermittelte. Es muß ferner eines der beiden Medien vorliegen. Insofern beide Körper sind, die als solche in eine kontinuierliche, bis zu einem möglichen Rezipienten reichende Bewegung versetzt werden können41, so bedarf es nur noch eines diese Bewegung auf- und wahrnehmenden Organs, und der neue Sinn wäre hergestellt. Unter der Voraussetzung, daß man, dem Vorbild des Aristoteles folgend, das Gehör in dieser Weise interpretiert42, kann der rückgewonnene Sinn nichts anderes sein als ein Gehör. Entsprechend sei daran erinnert, daß Wasser und Luft ausdrücklich43 nicht als solche, sondern als jene ihnen beiden gemeinsame Natur des 39

Vgl. metaphys. Δ 6. 10ld>34f.

40

Dies ist freilich nach Aristoteles De anima 421 b 19 eine Besonderheit des Menschen.

41

Vgl. 420"3/5: ψοφητικόν μεν ούν τό κ ι ν η τ ι κ ό ν ενός αέρος σ υ ν ε χ ε ί ς μέχρις άκοής. άκοη δε συμφυής άήρ. δια δέ τό έν άέρι ε ί ν α ι , κ ι ν ο υ μ έ ν ο υ τοϋ έξω ό ε ΐ σ ω κ ι ν ε ί τ α ι , διόπερ ού π ά ν τ η τό ζωον ακούει, ουδέ π ά ν τ η διέρχεται ό άήρ. Hier ist allerdings nur von Luft, nicht von Wasser die Rede. 42

Vgl.II 8. 420»3/ b 4.

43 Vgl.II 7. 418 b 7/9: οϋ γάρ η ΰδωρ οϋδ - η άήρ, διαφανές, άλλ' δτι εστι τ ι ς φύσις έ ν υ κ ά ρ χ ο υ σ α ή αΰτή έν τ ο ύ τ ο ι ς άμφοτέροις καϊ έν τ«ρ άιδίω τω ί ν ω σ ώ μ α τ ι .

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Transparenten ihre mediale Funktion übernehmen. Das Transparente definiert Aristoteles 418b4/6: διαφανές δέ λέγω δ έστι μέν όρατόν, ού καθ' αύτό δέ όρατόν ώς άπλώς ειπείν, άλλα δι' άλλότριον χρώμα. Die ένέργεια des Transparenten als eines solchen ist aber das Licht**. In der Polemik gegen Demokrit hatte Aristoteles 419*15ff. unterstrichen, daß das Medium nicht leer sein dürfe, wenn man etwas durch es hindurch wahrnehmen wolle, sondern daß das Transparente durch etwas bewegt werden müsse, damit diese Bewegung sich bis hin zum Sinnesorgan ausbreite. Das Bewegende einer solchen Bewegung kann nur ein όρατόν sein; denn nur ein Sichtbares kann das Transparente in eine kontinuierliche Bewegung versetzen; nur das χρώμα kann, ohne gegen das Gesetz zu verstoßen, daß auf keinen Fall zwei Körper an ein und demselben Platz sein können (418b17), das διαφανές bewegen. Nimmt man auch hier den zweiten Faktor, die Sinneswahrnehmung hinzu, so ergibt sich immer wieder nur das Sehen. Für den Geruch könnte man mit einem analogen Argument auf indirekte Weise die Ausschließlichkeit nachzuweisen versuchen, ohne daß wir das hier noch ausführen müßten. Es kann nicht unser Ziel sein, ein bis ins letzte überzeugendes Argument vorzulegen. Vielmehr haben wir versucht, aus der Darstellung der einzelnen Sinne in Buch Π möglichst viel Material beizuziehen und auf diese Weise den Vorstellungen des Aristoteles ein deutlicheres Profil zu geben. Einmal mehr macht sich an dieser Stelle die besondere Textsorte der Schrift störend bemerkbar und wirkt sich gerade durch die Kürze der Diktion und das Fehlen von Zwischenschritten erschwerend auf das Verständnis aus. Eine Erläuterung verlangt noch der Ausschluß der beiden Elemente 'Feuer' und 'Erde'. In beiden Fällen wird die Begründung für den Ausschluß in Form einer Disjunktion gegeben: ι ό δέ κυρ ή ούθενός ή κοινόν πάντων κτλ. und γή δέ ή ούθενός, ή έν τη άφή μάλιστα μέμικται ιδίως. Gemeint sind in beiden Fällen offensichtlich zwei verschiedene Perspektiven: Zum einen kann das Feuer wegen seiner zerstörerischen Wirkung - wie Simplikios 179, 36 richtig bemerkt - keine mediale Funktion übernehmen, zum anderen sei es, so lautet der Text "6, allem gemeinsam. Der genaue Sinn des Satzes wird sich erst erschließen, wenn geklärt ist, worauf sich die Genetive ούθενός und πάντων beziehen. Aus dem Kontext ergeben sich zwei Möglichkeiten: Nach 424b34f.: και έστιν ό άήρ και ψόφου και χρόας würde man die Genetive mit 'αίσθητόν' bzw. 'αισθητά' verbinden. Die Parenthese 425*6: ούθέν γαρ άνευ θερμότητος αΐσθητικόν legt eher den Anschluß an 'τό αίσθητικόν' nahe. Diese letzte Verbindung gibt einen Sinn; daß in den 'αισθητά' das Feuer als Element

44

418b9/10: φως δέ έστιν ή τούτου ένέργεια, τοδ ίιαφανοϋς ή ίιαφανές.

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des Alls vorhanden sei und wirke, ist dagegen trivial45 und unterscheidet das Feuer von keinem der übrigen Elemente. Selbst Simplikios scheint 179,36 diesem Irrtum zum Opfer zu fallen46. Wie verhält es sich bei der Erde? Die Erde gehört entweder zu keinem Sinn, d.h. sie übernimmt für keinen der bekannten Sinne die Funktion eines Mediums, oder aber sie ist dem Tastsinn in einem besonderen Maße beigemischt47. Der formale Unterschied der beiden Disjunktionen ist augenfällig: Während beim Feuer nur zwei verschiedene Seiten ein und desselben Gedankens sichtbar wurden, handelt es sich bei der Erde um zwei ganz verschiedene Aussagen: Entweder gehört die Erde zu keinem Sinn, oder sie steht in einer innigen Verbindung zum Tastsinn. Wie diese Zusammengehörigkeit zu denken ist, bleibt zunächst ungewiß. Nun ist allerdings zu berücksichtigen, daß durch den Ausdruck έν τη άφη μέμικται (sc. ή γή) ιδίως eine bestimmte Aussage über das Verhältnis von Erde und Tastsinn getroffen wird. Das Tempus bringt zum Ausdruck, daß γή dem Tastsinn beigemischt ist, das Advert) hebt hervor, daß dies in einer den Tastsinn von allen anderen Sinnen unterscheidenden Weise zutrifft. In De sensu 438b30 heißt es: t ö δ' άκτικόν γης 48 . Daß das nicht so zu verstehen ist, als ob irgendein Organ aus Erde bestehe, erklärt Aristoteles im dreizehnten Kapitel von De anima III. Vielmehr scheint der Tastsinn als derjenige Sinn, dessen Aufgabe die Feststellung der Unterschiede von Körpern, sofern ,sie Körper sind,49 ist. Daß dabei zwar nicht nur, aber doch auch, vielleicht sogar in einem besonderen Maße 'Unterschiede der Erde' eine Rolle spielen, läßt sich aus 435a21/24 entnehmen: πάντων γάρ ή άφη των άχτών έστϊν ώσπερ μεσάτης, και δεκτικόν τό αίσθητήριον ού μόνον öoat διαφοραϊ γης είσίν, άλλα και θερμοϋ και ψυχροϋ και των άλλων άπτών άπάντων. Es ist damit klar, daß unter den Elementen nur Wasser und Luft als Materie von Sinnesorganen dienen. Ein Blick in die Wirklichkeit zeige, so meint Aristoteles, daß einige Lebewesen über diese Materie verfügen 50 . Dieser Existenzbeweis, daß es ένια ζωα gebe, für die gelte, daß sie im Besitz von Sinnesorganen der beiden Elemente seien, reicht zu dem Schluß 45

Vgl. gen. et corr. 334 b 31 ff.: " Α κ α ν τ α 8έ τά μ ι κ τ ά σώματα, δσα περί τ ο ν τ ο ϋ μ έ σ ο υ τ ό π ο ν έ σ τ ί ν , έξ ά π ά ν τ ω ν σ ύ γ κ ε ι τ α ι των ά π λ ω ν κτλ. 46 Vgl. zu diesem Punkt HICKS zu ' 5 ; S.425. In De sensu 438 b 20ff. verbindet Aristoteles den Geruchssinn mit dem Feuer. Zu der Genese des Gedankens s. Ross, Parva Naturalia 194. Nach THEILER 130 hat Aristoteles eine ältere Theorie der Zuordnung der Sinne zu den Elementen vor Augen, die auch Plat. Tim. 61 C ff.nachwirke. Vgl. zur Geschichte dieser Theorie THEILER a.O. 47

Dazu ROSS, Parva Natur. 194 zu 438 b 20ff.

48

Vgl. auch De anima 435"22.

49 423 b 27: a n t a t μεν ouv ε ί σ ϊ ν a i δ ι α φ ο ρ α ϊ τοϋ σ ώ μ α τ ο ς ή σώμα 50

425 a 8f.: τ α ΰ τ α 5έ κ α ϊ ν δ ν έ χ ο υ σ ι ν ε ν ι α ζωα.

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425*9f.: κάσαι άρα αί αισθήσεις έχονται υπό των μή ατελών μηδέ κεκηρωμένων. War also die Voraussetzung richtig, daß es außer der klassischen Vierzahl der Elemente kein weiteres gibt, und ferner auch keine Eigenschaft, die keinem der vier bekannten Elemente zukommt, dann dürfte kein Sinn fehlen. Mit anderen Worten: Die Tafel der fünf Sinne ist nach der Meinung des Aristoteles hinlänglich bewiesen. Aber auch für die κοινά kann es keinen spezifischen Sinn geben, die wir mit jedem einzelnen Sinn κατά συμβεβηκός 51 wahrnehmen. Die Liste der κοινά umfaßt hier κίνησις und ihre στέρησις, σχήμα, μέγεθος, άριθμός und 8ν 52 . Der κίνησις kommt insoweit eine Schlüsselrolle zu, als man nach Aristoteles durch sie und mit ihrer Hilfe alle übrigen κοινά erkennt. Wie das gemeint ist, erläutert er anhand eines Beispiels: Zum Beispiel nehmen wir μέγεθος mit Hilfe der Bewegung wahr, insofern wir sie 'ermessen' oder, bildlich gesprochen: 'erfahren'. Dasselbe gilt für σχήμα; denn τό σχήμα ist als ein solches μέγεθος 53 . Στάσις (oder τό ήρεμοϋν) wird durch die στέρησις von Bewegung erfahren. Zahl nimmt man insofern ebenfalls durch στέρησις von Bewegung wahr, als man ihr das συνεχές abspricht. Das συνεχές nämlich ist nach metaph. 1016*5 dasjenige, ου < ή > κίνησις μία καθ' αύτό και μή οιόν τε άλλως54. Die Deutung des nachhängenden και τοις ιδίοις (425*19) in der Literatur zu dieser Stelle erscheint uns unbefriedigend. Offenbar entspricht es der communis opinio, die Worte nur auf das Eine (und damit auf die Zahl) zu beziehen55. To Bv (und damit die Zahl) werde durch jeden einzelnen der fünf Sinne wahrgenommen; denn jeder von ihnen sei in der Lage, ein Eines wahrzunehmen. Die Versuche, der umstrittenen Wendung eine sinvolle Funktion in der Argumentation zuzuweisen, fallen zumeist wenig überzeugend aus. Demgegenüber dürfte eine Rückkehr zu der von der modernen 51 Eine kurze Note zur Auslegungsgeschichte von κατά συμβεβηκός an dieser Stelle findet sich bei MODRAK, Koinfe Aisthesis and the Discrimination of Sensible Differences in de Anima III, 2, in: Canadian Journal of Philosophy 11, 1981, 410 Anm. 16. Vgl. auch HAMLYN 1 1 7 (zu 425*14). 52 428 b 23/4 werden als Beispiel (οίον) nur κίνησις und μέγεθος genannt. Doch vgl. 418*17/18. De sens. 437*9. Zur Problematik des εν, das nur 425*16 erscheint, vgl. Ross 270 (zu 425*14/30). 53

Vgl. 425*18: μέγεθος γάρ t i τό σχήμα.

54

Wie καθ' αύτό hier zu verstehen ist, erklärt Aristoteles im unmittelbar folgenden Satz 1016*7: καθ' αύτά 8έ σ υ ν ε χ ή δσα μή αφή ε ν 55

Vgl. z.B. THEILER 131 (50,5; zu 425*17): "Zahl ist entsprechend Nichteins und wird wahrgenommen auch durch die besondern Einheiten (ISta) der einzelnen Sinne, usw. HAMLYN 118 (ZU 425*14): "Number is also said to be perceived through the special objects; the point is presumably that each sense perceives one thing at a time and hence we perceive the object as one-so unity. A plurality of the senses or a plurality of occasions on which the sense is exercised gives perception of plurality or number."

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Forschung ohne zureichenden Grund zurückgewiesenen Feststellung des Simplikios56 der Kohärenz des Gedankengangs förderlich sein. Selbst dann nämlich, wenn es einen eigenen Sinn für Bewegung gäbe, wäre dieser Sinn auf eine Kooperation mit den fünf einzelnen Sinnen angewiesen; denn jeder Sinn hat ein Eines, das er als sein ίδιον (und d.h. καθ' αύτό) wahrnimmt. Wenn ein solcher Sinn als sein ίδιον Bewegung hätte, so könnte er die ίδια der anderen Sinne allenfalls beiläufig wahrnehmen. Entscheidend für die Lösung der Frage, ob es im Bereich der hier angesprochenen Wahrnehmungen einen sechsten Sinn gibt, etwa einen solchen, dessen ίδιον Bewegung wäre, ist der Sachverhalt, daß es sich bei allen und so auch bei der Bewegung um communia handelt, die Objekt mehrerer Sinne wären und somit bereits durch diese Voraussetzung den Anspruch, als ίδιον Gegenstand eines Sinnes zu werden, verloren haben. Damit ist der Versuch, auf diese Weise mithilfe der κοινά einen sechsten Sinn zu konstituieren, als ein falscher Weg erwiesen, der in die Irre führt. Wenn wir einen solchen sensus communis anwenden, so wird unsere Wahrnehmung nicht etwa eine ιδία αίσθησις der Bewegung sein, sondern sich ganz so darstellen wie die Wahrnehmung des Süßen durch die δψις. Worin diese Analogie besteht, darüber erfahrt der Leser zwar nichts Ausdrückliches. Es dürfte aber nach dem Gesagten klar sein, daß die vorausgesetzte Wahrnehmung eines ίδιον Bewegung durch eine anzunehmende ιδία αίσθησις, also einen speziellen Bewegungssinn, nur im Zusammenwirken mit den fünf übrigen Sinnen denkbar ist. Ohne die Einsicht in diesen Sachverhalt bliebe der folgende Nachweis der Unmöglichkeit einer ιδία αίσθησις των κοινών unverständlich. Unter den Kommentatoren hat im übrigen nur THEILER 5 7 die Frage, wie man sich die Analogie genau vorzustellen habe, in einer eher beiläufigen Weise anklingen lassen, ohne sie eigens zu thematisieren. Die gleichzeitige Wahrnehmung zweier Wahrnehmungsgegenstände, die ίδια verschiedener Sinne sind, ist nach Aristoteles deshalb möglich, weil wir das Glück haben, eine Wahrnehmung von beidem zu besitzen, durch die wir, wenn sie zusammenfallen, simultan erkennen. Wenn das aber nicht der Fall ist, so würden wir keineswegs anders als κατά συμβεβηκός wahrnehmen, zum Beispiel sähen wir Kleons Sohn nicht als Kleons Sohn an, sondern als ein Weißes, dem es beiläufig zukommt, Kleons Sohn zu sein. Beschreiben wir den Gedankengang dieses Abschnitts bis zu diesem Punkt: Der Versuch, eines der κοινά, z.B. κίνησις, zum ίδιον eines separaten sechsten Sinnes zu bestimmen, würde nach Aristoteles zu einer ähnlichen Verknüpfung von Wahrnehmungen führen, wie dies bei der Wahrnehmung des Weißen und des Süßen der Fall ist, wenn beide zusam56 Simpl. 184,5/9: "τό δε και τοις ιδίοις oö μοι ίοκεϊ κρός ιόν αριθμόν, άλλα πρός τό ανωτέρω είρημένον άποδεδόσθαι, ϊνα σύναψης προς τό πάντα γαρ ταϋτα κινήσει αίσθανόμεθα τό και τοις ιδίοις. 57 THEILER 131 (50,10 zu 425«21).

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mentreffen. Wären wir nicht in der glücklichen Lage, beide Wahrnehmungen ins Spiel zu bringen, so würde eine solche Koinzidenz nicht stattfinden, vielmehr träte statt dessen eine Sukzession ein: Man nähme bei dem Beispiel von Kleons Sohn zunächst ein Weißes als ίδιον des Gesichtssinns wahr. Diesem Weißen käme es dann im nachhinein κατά συμβββηκός zu, Kleons Sohn zu sein. Da durch das Fehlen einer zugrundeliegenden Einheit der Wahrnehmung die Simultaneität der Wahrnehmung des komplexen Gegenstandes auseinanderbricht, ist es nicht mehr möglich, einheitlich und zugleich mit dem Gesichtssinn den weißen Farbträger in einer αΐσθησις ιδία und zugleich damit durch Aktivierung der κοινή αίσθησις den Sohn des Kleon wahrzunehmen. Die Beziehung zwischen beiden Sinneswahrnehmungen verliert ihren zwingenden Charakter und wird beiläufig. Kehren wir zum Kern der Überlegung zurück! Wenn also die Wahrnehmung der κοινά vermittels κίνησις zu einer ιδία αϊσθησις führen würde, diese αίσθησις aber nicht anders wahrzunehmen verstünde als jener Gemeinsinn, der süß und weiß zugleich ausmacht, wir aber bereits im Besitz eines solchen Gemeinsinns sind, der nicht etwa κατά συμβββηκός wahrnimmt, so ist nur der Schluß möglich: ούκ άρ' έστίν ιδία 58 . Es gibt keine spezifische Wahrnehmung der κοινά. Der unmittelbar anschließende Satz 425'28f.: ουδαμώς γαρ αν ήσθανόμεθα άλλ' ή οϋτως ωσκερ εϊρηται [τόν Κλέωνος υΐόν ήμας όραν] war in der Vergangenheit umstritten. THEILER findet es seltsam, daß nach so kurzem Abstand derselbe Gedanke wie »24 ausgeführt werde59. TORSTRIK, FÖRSTER und Ross streichen die Worte τόν Κλέωνος υίόν ημάς όραν. Damit verliert sich aber auch in gewisser Weise der Eindruck einer außerordentlich engen Parallele der Beziehungen. Bei genauerem Zusehen stehen die beiden 'parallelen' Sätze an verschiedenen Stellen des Argumentes: An der früheren Stelle wurde im Zuge einer reductio ad absurdum auf die Konsequenzen hingewiesen, die aus der verfehlten Annahme eines spezifischen Wahrnehmungsvermögens für die commuma resultieren würden: Ein solches Vermögen wäre nichts anderes als eine Art Anwendung desselben Vermögens, das uns ermöglicht zugleich die Wahrnehmungen süß und weiß zu vollziehen. Diese Fähigkeit ist aber an die Bedingung geknüpft, daß wir eine Wahrnehmung beider besitzen, durch die wir sie, wenn beide zusammenfallen, zugleich erkennen. Wäre diese Bedingung nicht gegeben, so würden wir nur κατά συμβεβηκός wahrnehmen. Somit ist also klargestellt: Wenn man von der falschen Annahme einer αϊσθησις ιδία der gemeinsamen Wahmehmungsgegenstände ausgeht, so würde eine Weise der Wahrnehmung erfolgen, wie sie bei der gleichzeitigen Erfassung von süß und weiß stattfindet.

58

425*28.

59

THEILER 131 (50, 21f. zu 425"28ff.).

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Eine solche Weise der Wahrnehmung aber - so lautet die zweite Phase der Argumentation - besitzen wir schon, so daß es ihrer nicht mehr bedarf. Und sie nimmt keineswegs κατά συμβεβηκός wahr, sondern καθ' αϋτό; denn wir würden auf keine Weise anders wahrnehmen, als so, wie oben gesagt wurde (wenn es dieses Vermögen der Wahrnehmung ή μία nicht gäbe). Man kann das Raisonnement auf folgende Weise zu Ende führen: Nun gibt es aber dieses Vermögen. Also kann es die ιδία αΐσθησις των κ ο ι ν ώ ν nicht geben. Erst an dieser Stelle ist der Nachweis geführt. An den beiden Stellen hat der umstrittene Satz seinen Platz. Die Form der Gedankenführung repräsentiert einen Argumentationstyp, wie er z.B. auch 428 b 10/17 auftritt und an anderer Stelle60 von uns zur Erklärung der Einmaligkeit des Tastsinns rekonstruiert wurde. Die gestrichenen Worte τον Κλέωνος υίόν stören den Gedankengang keineswegs. Es ist schwierig zu entscheiden, ob es sich um eine in den Text eingedrungene Glosse oder um eine Folge der mündlichen Vortragsweise handelt, die aus didaktischen Gründen Wiederholungen verwendet. Wenn aber keine anderen Bedenken gegen sie sprechen, sollte man sie nicht aus dem Text entfernen. Die Sinne nehmen Gegenstände, die ihrerseits αισθητά der anderen Sinne sind, auf die oben beschriebene Weise κατά συμβεβηκός wahr, aber nicht als sie selbst, sondern, sofern sie ein gemeinsamer Sinn sind (ή μία), jedesmal wenn die Wahrnehmung sich an ein und demselben Seienden zu ein und derselben Zeit vollzieht, z.B. an der Galle, daß sie bitter und gelb ist. Es sei ja nicht Aufgabe eines (von den beiden) verschiedenen Sinnes, zu bestimmen, daß beide eins seien. Hier liege eine Quelle des Irrtums; denn wenn etwas gelb ist, glaubt man, es sei Galle. Die außerordentlich komplexe Struktur der sinnlichen Wahrnehmung läßt nun in der Tat eine Frage aufkommen: Weswegen besitzen wir überhaupt eine Pluralität von Sinnen? Wäre es nicht besser, wenn uns die Natur mit nur einem einzigen Sinn ausgerüstet hätte? Hierauf weiß Aristoteles eine überzeugende Antwort zu geben, die er allerdings in die Form einer vorsichtigen Frage kleidet. Wir besitzen sie doch wohl, damit die begleitenden und gemeinsamen Eigenschaften nicht so leicht der Wahrnehmung entgehen (z.B. Bewegung, Ausdehnung, Zahl). Wären die Lebewesen nur mit dem Gesichtssinn ausgestattet, so entginge ihnen vieles, ja alles würde ihnen so erscheinen, als ob es dasselbe wäre, weil Farbe (das ίδιον des Gesichtssinnes) und Ausdehnung einander wechselseitig entsprechen61. Da nun aber deutlich ist, daß die κοινά auch in den Gegenständen anderer Sinne zu finden sind, tritt auch klarer hervor, daß jedes κοινόν ein fest umrissener, eigener Gegenstand der Wahrnehmung ist.

60 61

Vgl. den Hingang dieses Kapitels o. lOff.

Insofern Ausdehnung ohne Farbe ebenso undenkbar ist wie Farbe ohne etwas, das sie trägt, also ohne ein Farbiges.

Zweites Kapitel Das zweite Kapitel des dritten Buches ist in der Neuzeit auf vielfältiges Interesse gestoßen. Ohne Zweifel ist dies auf die in der Eingangspartie des Textes anklingende Thematik der αίσθησις αίσθήσεως zurückzuführen, die modernes Denken in besonderem Maße anspricht. Folgt man freilich Catherine OSBORNES bemerkenswertem Deutungsvorschlag1, so liegt eine Konzentration des Denkens auf diese Thematik gerade nicht in der Absicht des Aristoteles. Vielmehr scheint ihm zunächst an der Klärung der Frage gelegen zu sein, auf welche Weise es zu einer Unterscheidung des Bewußtseins der verschiedenen Sinnestätigkeiten kommt. Bezeichnenderweise lesen wir in dem Text an keiner einzigen Stelle Wendungen wie αΐσθανόμβθα öti αϊσθανόμεθα oder αΐσθησις αίσθήσβως, die den reflexiven Bezug der Wahrnehmung auf sich selbst deutlich in den Vordergrund stellen würden, sondern αΐσθανόμβθα ö t i όρώμεν και άκούομβν 2 oder ή της δψεως αΐσθησις 3 - ein Sachverhalt, dem Frau OSBORNE durch die Wahl des Titels ihres Artikels in ausdrücklicher Absetzung von der Tendenz und Zielsetzung einer Arbeit L.A. KOSMANS4 Rechnung trägt. b KOSMAN, der zunächst glaubt, De an. 425 12/20 bei der Suche nach dem reflexiven Vermögen, mit dessen Hilfe wir sehen, daß wir sehen (und hören), eine Entscheidung des Aristoteles für δψις feststellen zu können, trifft an der bekannten Stelle De somn. 455M2 auf den ausdrücklichen Widerspruch des Aristoteles5. Er versucht, diesen Widerspruch in einer durch den Text von De anima nicht gedeckten Weise aufzulösen: Die Stelle aus dem zweiten Kapitel von De somn. spreche nicht dagegen, daß δψις der Sitz der visuellen Bewußtwerdung sei; abgewiesen werde hingegen die Auffassung, diese Bewußtwerdung sei eine 'second-order sight', eine marginale Nebenfunktion der optischen Wahrnehmung. Vielmehr falle die Rolle der Bewußtwerdung der Sinneswahmehmungen dem allgemeinen Vermögen der sinnlichen Wahrnehmung zu, in dem die einzelnen Sinne als dessen Elemente wurzeln. Der Titel des Aufsatzes 'Perceiving that we perceive' exponiert somit bereits in thesenartiger Form das Ergebnis der Argumentation KOSMANS.

Der gleichfalls programmatische Titel, den Frau OSBORNE wählt, bringt hingegen, wie oben bereits angedeutet, hinreichend zum Ausdruck, daß im Mittelpunkt der aristotelischen Argumentation des ersten Teils des zweiten 1

Aristotle, De anima 3.2: How do we perceive that we see and hear?, in: Classical Quarterly 33, 1983, 401/411. 2

425 b 12.

3

Ebd.

b

15/16.

4

Perceiving That We Perceive: On the Soul III.2, in: The Philosophical Review 84, 1975, 499/519. 5

"17: ού γαρ 8ή τ η γε ό ψ ε ι όρ$ δ ι ι όρ$ κτλ.

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Zweites Kapitel

Kapitels von De anima III nicht die Frage nach der Reflexivität der Wahrnehmung schlechthin steht, daß vielmehr gefragt wird, wie in uns das Bewußtsein entsteht, daß wir sehen (und nicht etwa hören) oder hören (und nicht etwa tasten usw.)6. C . OSBORNE weist in ihrer Analyse des zweiten Kapitels eindrucksvoll nach, daß dieses unterscheidende Vermögen identisch ist mit jenem scheinbar eigenständigen Vermögen, das die Gegenstände der verschiedenen Sinne sondert. Einen anderen Weg in der Beurteilung der einzelnen Funktionen der αίσθησις geht Deborah Κ . MODRAK in einem Aufsatz aus dem Jahre 19817. Sie bezieht in die Überlegungen das im zweiten Teil des ersten Kapitels behandelte Vermögen der κοινή αϊσθησις ein und hält es für ausgemacht, daß bei der Wahrnehmung der κοινά wie bei der Unterscheidung der Objekte verschiedener Sinne ein und dieselbe δύναμις am Werke sei: κοινή αίσθησις. Das Fazit von MODRAKS Analyse läßt sich etwa so bestimmen: Die Wahrnehmung der κοινά ist ein Fall der αίσθησις η μία, der auch die Unterscheidung der Sinneswahmehmungen obliegt. Beide Formen von Wahrnehmung sind Aktivitäten desselben Wahrnehmungsvermögens, der κοινή αίσθησις. Wie dies im einzelnen zu verstehen ist, wird im weiteren Verlauf der Darstellung erläutert. Da die Verfasserin aber gerade in der Frage der αίσθησις αίσθήσεως mit L.A. KOSMAN 8 übereinstimmt9 und auch in ihrer großen, 1987 veröffentlichten Arbeit10 diese Position einnimmt, führen ihre Ausführungen, was das Verständnis von De anima III 2 betrifft, nicht über die Ergebnisse von C . OSBORNE hinaus11. Einer Klärung der vielen schwierigen Einzelfragen des Kapitels wollen wir im Zuge einer genaueren Betrachtung des Textes näher zu treten versuchen. Eine die Untersuchung leitende Perspektive wird dabei die Frage bilden, ob die Diskussion der αίσθησις und insbesondere die Darstellung der κοινή αίσθησις in der aristotelischen Seelenschrift an der für Aristoteles sicher maßgeblichen Behandlung desselben Gegenstandes im platonischen Theaetet achtlos vorbeigehen kann. 6

Der Deutungsansatz OSBORNES ist im Grunde bereits von W. BRÖCKER, Aristoteles. 4.Aufl. Frankfurt/M. 1974, 146 vorweggenommen. 7 Koin& Aisthesis and the Discrimination of Sensible Differences in de Anima III.2, in: Canadian Journal of Philosophy 11, 1981, 405/423. 8

Ebd.406 Anm.4.

9

Vgl. MODRAK a.0.406 Anm.4.

10 11

Aristotle, The Power of Perception, Chicago and London 1987, 66.

In ihrem Artikel 'An Aristotelian Theory of Consciousness? , in: Ancient Philos. 1, 1980/81, 160/170 geht Frau Modrak im Anschluß an einen älteren Aufsatz von W.I.R. HARDIE, Concepts of Consciousness in Aristotle, in: Mind 1976, 388/411 der im Titel formulierten Frage nach und kommt zu einer affirmativen Antwort.

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Der Text des zweiten Kapitels beginnt mit einer kausalen Periode: Έχει δ' αίσθανόμεθα δτι όρώμεν και άκούομεν, ανάγκη ή τη δψει αίσθάνεσθαι öti όρ$, ή έτεροι. Das Faktum einer Wahrnehmung, daß wir sehen und hören, ist für Aristoteles evident. Fraglich ist offenbar nur die Art des Sinnes, der dieses αίσθητόν wahrnimmt. Die Alternative, die Aristoteles vorerst in der Schwebe hält12, lautet: Entweder ist dieser fragliche Sinn όψις oder ein anderes Sinnesvermögen. Wenn hier auf der einen Seite der Disjunktion13 nur das Vermögen der όψις erscheint, άκοή aber nicht genannt wird, so gibt das zu Fragen Anlaß: Ist άκοή etwa hier nur mit einer gewissen Achtlosigkeit als ein zweiter Fall in die Diskussion eingebracht, ohne daß die Argumentation auch nur beiläufig noch einmal darauf Bezug nähme?14 Wenn das nicht der Fall ist15, wieso kann dann überhaupt ernsthaft in Erwägung gezogen werden, einer δψις die Differenzierung zu überlassen und zu erkennen, daß wir sehen und hören? Kann der sachliche Grund etwa darin bestehen, daß das eigentliche Erkenntnisziel gerade in der Bestimmung der Differenz zwischen der Wahrnehmung der δψις und deijenigen der άκοή zu suchen ist16? Wieso sollte es in diesem Falle genügen, einen der beiden zu unterscheidenden Sinne zu benennen und den anderen auszusparen, auch dann, wenn man ihn sich zur Not in ή έτέρφ bereits enthalten zu denken vermag? Auch wenn man die Konjunktion καί emstnimmt und nicht das Bewußtsein der Differenz von δψις und άκοή in das Zentrum der Erörterung stellt, sondern ihr Mit- und Beieinander, stellt sich dieselbe Frage. Die Aussage, daß es eine Betätigung des Gesichtssinns gebe, die sowohl das Sehen wie auch das Hören wahrzunehmen vermag, erinnert an die schwierige Stelle 424b32f. Möglicherweise läßt sich von hier aus ein Brükkenschlag zu dem früheren Text herstellen und eine Lösung für die problematische Wendung im ersten Kapitel finden17. Versucht man, das Verhältnis der beiden sich andeutenden Verknüpfungen von δψις und άκοή zu bestimmen, so ist im Falle der Konjunktion (δψις και άκοή) die Differenzierung der beiden Wahrnehmungen άκοή 12

V g l . auch OSBORNE 401 A n m . 4.

13

D.h. auf der Seite, die im Text mit αίσθανόμεθα bezeichnet wird.

14

Dieser Ansicht scheint OSBORNE zu sein (vgl. a.O. 401. 402).

15

Diese Hypothese setzt einen Mangel an argumentativer Konsistenz bei Aristoteles als Grundlage der modernen Interpretation voraus. Wir verschließen keineswegs die Augen vor der Möglichkeit eines solchen Darstellungsmangels, lehnen ihn aber als methodisches Fundament der Exegese im Sinne des in der Einleitung 4ff. Gesagten ab. 16

Ähnlich OSBORNE 406.

17

Vgl. o. lOff.

Vielleicht besteht in der Tat ein Zusammenhang in dem Sinne, daß Aristoteles hier wie dort an eine Art μεσάτης αισθητική denkt und nicht an eines der peripheren Sinnesorgane.

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und δψις die logische Voraussetzung für die Wahrnehmung ihrer Verbindung, die durch καί angedeutet wird. Man kann den ersten Satz des Kapitels auf zweierlei Weise verstehen: (1) Entweder fallt der δψις die Aufgabe zu, wahrzunehmen, worin der Unterschied besteht, wenn wir sehen und wenn wir hören, oder einem anderen Sinn. (2) Entweder wird δψις mit der Aufgabe betraut, wahrzunehmen, daß wir sehen und daß wir hören, oder ein anderer Sinn. Die beiden Ansätze, ein Verständnis dieser Passage zu entwickeln, sind nicht gleichwertig. Die Feststellung der διαφορά, die zwischen den beiden Sinnestätigkeiten des Sehens und Hörens besteht, ist vorrangig. Der zweite Satz 425b14: άλλ' ή αύτη έσται της δψεως και τοϋ υποκειμένου χρώματος, beschreibt eine bei Anwendung der Prämisse zu erwartende Konsequenz. Die Futurform έσται bildet hierfür ein sicheres Indiz. KOSMAN ist wohl der Meinung, diese Folge stelle sich nur dann ein, wenn sich die Seele eines anderen Vermögens (wie es durch den Dativ έτβρςι bezeichnet wird) bedient, und sieht in diesem Faktum ein Argument dafür, daß Aristoteles sich für die δψις entscheide. In Wahrheit trifft die Konsequenz aber auf jeden Fall ein, gleichviel ob wir 'sehen, daß wir sehen', oder ob wir dies vermittels eines anderen Sinnes wahrnehmen. Immer wird nämlich dasselbe Vermögen zugleich das Sehen und das in diesem Sehen Gesehene, die Farbe, wahrnehmen. Es gibt keinen vernünftigen Grund, die Konsequenz nicht ebenso auch für δψει gelten zu lassen. Worin nun die Bedenklichkeit dieses Resultats besteht, sagt der Folgesatz ώστε ή δύο τοϋ αύτοϋ έσονται ή αύτη αύτής. Die sich als Folge der Prämisse einstellende Absurdität ist von doppelter Natur: Zum einen wäre 'dasselbe' Gegenstand zweier Sinne, zum anderen würde ein Sinnesvermögen Gegenstand seiner selbst. Hinsichtlich der ersten Konsequenz ist einschränkend festzustellen, daß sie sich nur auf die ίδια des betreffenden Sinnes beziehen kann; denn sie allein können nach der Definition 418· 11 ff. nur von einem einzigen Sinnesvermögen wahrgenommen werden. Da erst dann, wenn ein αϊσθητόν auf ein αίσθητικόν trifft und beide aus der ersten in die zweite Aktualität übergehen, der einzelne Sehakt κατ' ένέργειαν zustandekommt, impliziert die Wahrnehmung, daß wir κατ' ένέργειαν sehen, die Wahrnehmung des αϊσθητόν, auf das der Sehakt ursprünglich gerichtet ist. Der Umstand, daß ein und dasselbe ίδιον nicht, wie ex definitione für das ίδιον vorauszusetzen, von einem einzigen, sondern von zwei αισθήσεις wahrgenommen wird, trifft in gewissem Sinn für beide Möglichkeiten zu, nämlich dann, wenn man zugibt, daß δψις diesen Sehvorgang zwar als das Sehvermögen und somit als der mit seinem Objekt identische Sinn sieht, aber in der sonst bei Aristoteles üblichen Diktion eben nicht η αύτη sondern fj έτέρα. Somit kann man in der Tat die in dem ώστε-Satz dargelegte Konsequenz für

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beide Fälle vertreten, gleichviel, ob die zur Frage stehende Wahrnehmung nun δψις oder ein anderes Wahrnehmungsvermögen ist18. Die andere Konsequenz wird dagegen nur dann eintreten, wenn deijenige Sinn, der wahrnimmt, daß wir sehen und hören, und deijenige Sinn, dessen Tätigkeit wahrgenommen wird, identisch sind. Worin die Bedenklichkeit dieses Resultates besteht, wird im Folgenden erklärt. 425b15 führt Aristoteles ein wiederum alternativ gefaßtes Argument an: έτι δ' εί και έτερα εΐη ή της δψεως αίσθησις, ή εις άπειρον βϊσιν ή αύτη τις έσται αύτής- Besteht zwischen dem Sinn, durch den wir wahrnehmen, daß wir sehen, und dem Gesichtssinn, mit dem wir Farben wahrnehmen, das Verhältnis der έτερότης, d.h. ist dieser Sinn nicht δψις, so stellen sich nach Aristoteles zwei (unannehmbare) Folgen ein: (1) Es kommt zu einem regressus ad infinitum, oder es stellt sich (2) die Folge ein, daß der die Wahrnehmung wahrnehmende Sinn sich selbst zum Gegenstand hat, was im Widerspruch zur Prämisse, d.h. der vorausgesetzten έτερότης steht. Nehmen wir mit einem anderen Sinn als der δψις wahr, daß wir sehen, so ist die Wahrnehmung dieses Wahrnehmungsakts ein weiterer Wahrnehmungsakt, zu dessen Wahrnehmung es nach Aristoteles einer erneuten Wahrnehmung bedürfte und so fort usque ad infinitum. Die Folgerichtigkeit dieses Gedankens ist von modernen Kritikern19 in Frage gestellt worden. Was für einen Grund könne es dafür geben, daß wir uns der Wahrnehmung dessen bewußt sind, daß wir sehen, daß wir sehen. Allerdings schwächt C. O S B O R N E die Einwände durch einen Hinweis auf die von Aristoteles offenbar als evident betrachtete Voraussetzung αίσθανόμεθα δτι όρωμεν και άκούομεν. "But it is possibleso schreibt die Verfasserin, "that the empirical claim at the start of the chapter rests upon our awareness of the fact that we perceive that we see."20 In der Tat verdient gerade der Umstand Beachtung, daß die Wahrnehmung, δτι όρωμεν darin bestehen muß, daß das Zusammentreffen einer δψις κατ' ένέργειαν und eines όρατόν κατ' ένέργειαν sich in ihr zeigt. Eben dadurch aber wird es selbst zu einem Sehen, das nun seinerseits als ein solches Gegenstand einer reflektiven Bewußtwerdung ist. Daß auf diesen Wahrnehmungsakt wiederum reflektiert

18 H A M L Y N wendet gegen den ωστε-Satz 4 2 5 B 1 4 ein, "It is not clear why Aristotle supposes the consequence to follow. He seems to assume that if I perceive by sense Y that I see X, I must therefore perceive X by Y." Dies folgt in der Tat aus der aristotelischen Konzeption der Wahrnehmung, da ja der Ubergang aus der ersten in die zweite ένέργεια durch das Zusammentreffen von αισθητό Ν und αισθητικών erfolgt. Vgl. HAMLYN 121 f.

(zu 4 2 5 B 1 2 ) . 19 K O S M A N 5 0 1 ; dazu OSBORNE 4 0 4 . H A M L Y N urteilt a.O. 1 2 2 (zu 4 2 5 B 1 5 ) dagegen günstiger: "The second objection is better that the supposition would generate an infinite regress. Leibniz uses a similar argument in connexion with 'apperception'." 20

OSBORNE 4 0 4 .

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wird, läßt eine Iteration plausibel erscheinen, ohne daß sich ein Grund für ein Ende des Prozesses abzeichnet. Die andere Alternative 425b16 ή αύτη τις εσται αϋτής wird dann eintreten, wenn man der Gefahr des infiniten Regresses entgehen will. Nimmt man nämlich statt eines unendlichen Regresses einen ersten und anfänglichen Wahrnehmungsakt an, in dem dann die anderen gründen, so trifft der alternative Einwand ή αύτη τις εσται αύτής. Denn dann muß dieser erste Wahrnehmungsakt sich selbst zum Gegenstand haben, sonst vermag er sich nicht seiner selbst bewußt zu werden. Aber eben dies war ja durch die Voraussetzung (έτέρςΟ ausgeschlossen. Kehrt man also zu der ersten Alternative (όψει) zurück, so folgt aus diesem Sachverhalt eine Schwierigkeit21. Wenn nämlich τό τη δψει αίσθάνεσθαι mit όραν, Sehen, identisch ist, der Gegenstand dieses Sehens aber Farbe ist, oder das, was Farbe hat, so wird, wenn man das Sehende22 sieht, dasjenige, was als ursprüngliches sieht, auch Farbe haben23. Vordergründig erscheint diese Konsequenz absurd. Der Gedanke endet in einer Aporie. Im Zuge der aristotelischen Argumentation aber erweist sich diese Aporie keineswegs als stichhaltig: Einerseits ist die Identifikation von αΐσθησις δψει und όραν nicht zwingend, andererseits fragt es sich, ob der Gedanke, daß das Sehen des Sehens selbst Farbe an sich tragen muß (und also selbst sichtbar ist), wirklich so absurd wäre, wie es zunächst scheint. Zweifel an der Identifikation von αϊσθησις δψει und όραν können sich darauf berufen, daß man auch dann noch zwischen Licht und Dunkelheit zu unterscheiden vermag, wenn ein Sehen im eigentlichen Sinn, d.h. als Wahrnehmung von Farbe unmöglich ist. Daß dem so ist, kann als evident (φανερόν) gelten24. Der Zusatz άλλ' ούχ ωσαύτως läßt die Frage aufkommen, wie die Relation der Verschiedenheit hier zu deuten ist. Die antiken ebenso wie die modernen Erklärer glauben, Dunkelheit werde eben deshalb mit Hilfe der δψις erkannt, weil dieses Vermögen zu der Erkenntnis gelange, daß es nichts sehe25. Diese Interpretation ist aber mit dem 21

425b17: εχει 8' άκορίαν

22

Zu der nicht ganz einsichtigen Korrektur von überliefertem τό όρών in τό όραν, die Ross in seiner O.C.T.Ausgabe vorgenommen hat, vgl. BERNARD 201, Anm. 2; 207, Anm. 20. Allerdings muß man festhalten, daß es nicht um eine Wahrnehmung des Wahrnehmungsorga/ts geht, sondern um das Sehen oder Wahrnehmen des Sehens. Dann aber wäre entweder τό όρων ganz verfehlt, oder man hätte es in derselben Bedeutung wie τό όραν zu verstehen, so daß eine weitere Diskussion müßig wäre. 23

425b17/20: ei γαρ τό τή δψει αίσθάνεσθαί έστιν όραν, όραται 8έ χρώμα ή τό έχον, εΐ όψεταί τις τό όραν, και χρώμα εξει τό όραν πρώτον. 24 Die Partikel τοίνυν hinter φανερόν (425b20) hat schwach kolludierende Bedeutung (gleichsam wie ein abgeschwächtes ουν [vgl. DENNISTON 569. 575]). 25 Simpl.189,15: αύτφ γοΰν τφ μή όραν ή δψις κρίνει, δταν πειρωμένη αύτη μή ύ χ ο χ ί χ τ η τό αϊσθητόν, ωσκερ δταν σκότος η, ενθα και δτι σκότος, και δτι ούχ όρώμεν. εί ouv ενταύθα τφ μή όραν δτι ούχ όρώμεν κρίνομεν [έν] τή δψει.

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überlieferten Text nicht vereinbar; denn sie berücksichtigt nicht, daß δταν μή όρώμεν sich auf beide αισθητά, nämlich auf Licht und Dunkel bezieht, die zudem noch durch καί...καί als Einzelglieder der Konjunktion besonders hervorgehoben sind26. Derselbe Einwand trifft auch auf die übrigen Vertreter der traditionellen Deutung zu. Um einen anderen Weg zu gehen, versuchen wir, die vorgegebenen Bedingungen genau zu beschreiben: "Οψις bezeichnet bei Aristoteles stets das Vermögen der optischen Wahrnehmung, während όραν oder δρασις das aktuelle Sehen bedeutet27. Es wird also hier vorausgesetzt, daß wir zwar über das Sehvermögen (δψις) verfügen, aber (ausdrücklich) nicht ένεργείςι sehen. Nun lehrt aber die Erfahrung, daß es Formen der aktuellen optischen Wahrnehmung gibt, die nicht in der Wahrnehmung von Farbe bestehen und deshalb von der δρασις zu trennen sind. Mit ihrer Hilfe gelingt es uns, sowohl einerseits das Licht, wie andererseits auch das Dunkel ohne Zuhilfenahme der δρασις wahrzunehmen, etwa dann, wenn die ένέργβια eines Sehaktes, das Zusammentreffen des aktuellen αίσθητόν und der αίσθησις κατ' ένέργβιαν durch ein Hindernis nicht zustandekommt. So empfindet man auch bei geschlossenen Augen28 einen Lichteindruck oder dessen στέρησις 29 , das Dunkel. Die Art und Weise dieser optischen Wahrnehmung unterscheidet sich allerdings deutlich von der δρασις (ούχ ώσαύτως). In Bezug zum aktuellen Sehen, also zur δρασις ist 'Licht' nach II 7. 418b9 "ένέργβια des Durchsichtigen, sofern es durchsichtig ist."30 Es ist sozusagen die Farbe des Durchsichtigen31. Bedeutsam ist der Hinweis auf einen Vergleich (οίον χρώμα). Denn das Durchsichtige als ein solches ist erst dann aktueller Gegenstand einer Wahrnehmung, wenn ein Feuer oder eine andere Lichtquelle hinzutritt. Insofern sie das Durchsichtige erhellt, wird ein Sehen κατ' ένέργβιαν seiner gewahr. Unklar ist, was die Wendung άλλ' ούχ ώσαύτως zu bedeuten hat. Schwerlich kann gemeint sein, daß wir das Licht nicht auf dieselbe Weise

μ ε ι ζ ό ν ω ς έν τ φ όραν αύτό 8ή τοΰτο δτι όρώμεν κρινοΰμεν. Zu den übrigen antiken Deutungsansätzen s. RODIER 368 (zu 425b22). HlCKS 436. HAMLYN geht auf die Schwierigkeit nicht ein. Ross bietet 275 (zu b 20/25) einen brauchbaren Lösungsvorschlag. 26

Vgl. R. KÜHNER/B. GERTH, Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache II 2, 3.Aufl. Hannover - Leipzig 1904, § 522, S.249. 27

428»6f.

28

428" 16.

29 Dunkelheit und Licht sind έ ν α ν τ ί α . Erstere verhält sich zu letzterem wie die στερησις zur ε ξ ι ς . Vgl. 418 b 18/20: δοκεΐ τε t o φως έ ν α ν τ ί ο ν ε ί ν α ι τ φ σκότεί' έστι δέ τό σ κ ό τ ο ς στέρησις της τοιαύτης εξεως έκ διαφανούς, ώστε δήλον οτι και ή τ ο ύ τ ο υ καρουσία τ ό φως έστιν. 30

Φ ω ς δέ έ σ τ ι ν ή τούτου ένέργεια, τοΰ διαφανούς η διαφανές.

31

4 1 8 b l l : τό δέ φως οίον χρωμά έστι τοΰ διαφανούς κτλ.

30

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wie das Dunkel mit dem Gesichtssinn erfassen; denn nach eth.Nic. Ε l 3 2 fallen έ ν α ν τ ί α unter ein und dieselbe βύναμις. So kann ούχ ωσαύτως sich nur negierend auf die übliche Weise der Wahrnehmung durch δρασις beziehen. Der Deutungsansatz des Simplikios ist demnach auf den vorliegenden Wortlaut nicht anwendbar. Schwierig gestaltet sich allerdings die Suche nach der διαφορά. Wodurch unterscheidet sich die hier beschriebene besondere Art des Sehens von deijenigen Wahrnehmung durch die δ ψ ι ς , von der bisher ausschließlich die Rede war? Es fragt sich, ob der Fingerzeig, den der Kommentar von Ross zu der Stelle gibt 33 , weiterhilft: 'Sehen' im Sinne einer Aktualisierung der δ ψ ι ς in der δρασις ist Wahrnehmung von Farbe oder von Farbigem 34 . 'Licht' aber kann als ein Etwas, das zwar Farbe annehmen kann, aber als es selbst keine Farbe ist, es sei denn in dem oben mit οίον umschriebenen indirekten Sinn 33 , nicht Gegenstand einer δρασις sein. Im Gegensatz zu dieser von Ross vertretenen Meinung bezeichnet Aristoteles selbst das Durchsichtige als Gegenstand des Sehens (όρατόν), freilich nicht als όρατόν καθ' αύτό, sondern als ein όρατόν δι' ά λ λ ό τ ρ ι ο ν χρώμα, d.h. als einen Gegenstand, der erst dann gesehen wird, wenn sich in ihm ein farbiger Gegenstand zeigt. Innerhalb des weiteren Zusammenhangs hatte das soeben behandelte Argument eine besondere Funktion: Es diente der Entkräftung eines bestimmten naheliegenden Vorurteils, nämlich der Meinung, Wahrnehmung durch δψις sei ein einheitliches Eines. Diese Auffassung schien sich besonders nach den Ausführungen des ersten Kapitels zur Entdeckung der Korrelationen zwischen Elementen und Arten der αίσθησις anzubieten. Da sich im innersten Bereich des die Wahrnehmung des Sehens erst Ermöglichenden, bzw. im Hinblick auf dessen στέρησις bereits eine andere Weise der durch δψις erfolgenden Wahrnehmung auftut, dürften aus dieser Richtung wohl kaum Bedenken bestehen, den Begriff der αΐσθησις όψει als ein η ο λ λ α χ ώ ς λ ε γ ό μ ε ν ο ν zu verstehen und in diesem Tatbestand auch die Lösung für die 425 b 17 genannte Schwierigkeit zu suchen. Das bedeutet, daß zunächst keine bindende Notwendigkeit besteht, an der Vermutung festzuhalten, daß das von der Wahrnehmung "gesichtete" Sehen (τό όρων 36 ) farbig sein muß.

32

eth.Nic. 1129'6f.: ί ύ ν α μ ι ς μ ε ν γ α ρ κ α ι ε π ι σ τ ή μ η β ο κ ε ΐ ι ώ ν ε ν α ν τ ί ω ν ή α ύ τ η είναι κτλ. 33

R o s s 275 (zu 4 2 5 b 2 0 / 2 5 ) . : "...His (Aristotle's) point is that the perception and darkness is different from ordinary sight, which is the perception of colour." 34

Vgl. 4 2 5 b 1 8 : . . . ό ρ α τ α ι ί έ χ ρ ώ μ α ή t ö ε χ ο ν .

35

S . o . A n m . 22.

36

of lighi

Bei d e m Streit, ob 4 2 5 b 1 9 beide Male ö p ö v oder ό ρ ω ν zu lesen ist, sollte berücksichtigt werden, daß τ ό ό ρ ά ν und τ ό ό ρ ω ν fast synonym verwendet werden können. Man vgl. die bei SCHWYZER - DEBRUNNER, Griechische Grammatik Bd.II, ( = H d b . d. Altertumswissenschaft II. I. 2, München 1966, 409 zitierten Beispiele.

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425b22 folgt ein weiteres Argument: §τι δέ και τό όρων εστίν ώς κεχρωμάτισται. Es steht gleichberechtigt auf einer Stufe mit dem ersten Argument, dem Nachweis der Bedeutungsvielfalt von αίσθησις δψει. "Auch das Sehende ist in gewisser Weise farbig31." Wie das gemeint ist, erklärt der Begründungssatz: "Denn jedes Sinnesorgan ist dazu in der Lage, den Wahrnehmungsgegenstand ohne die Materie bei sich aufzunehmenn." Bleiben also φαντάσματα in den Sinnesorganen39 bestehen, wenn die zugrunde liegenden αισθήματα nicht mehr gegenwärtig sind40, - ein Sachverhalt, der von Aristoteles 425b23ff. auf die besondere Struktur des Rezeptionsvorgangs zurückgeführt wird, - so ist δψις offenbar dazu in der Lage, Farbe wahrzunehmen, auch wenn diese mit den ϊβια selbst nicht mehr präsent ist. Wo aber sollte diese anders zu suchen sein als in der Wahrnehmung? Das Argument hat nun im Überblick etwa die folgende Struktur: Wählt man die zweite Möglichkeit und meint, die Wahrnehmung, daß man sehe, sei nicht δ ψ ι ς , sondern eine von ihr verschiedene αίσθησις, so hat man zwischen zwei Möglichkeiten zu entscheiden: Entweder es kommt zu dem oben beschriebenen infiniten Regress, oder man vermeidet diesen durch die Annahme eines endlichen Ursprungs, allerdings um den Preis einer schwer einzuordnenden Konsequenz: Eines der Glieder der nunmehr endlichen Kette von αισθήσεις muß sich selbst zum Gegenstand haben, und zwar nicht wie alle übrigen Glieder, sofern es ein anderes ist, sondern, sofern es ein und dasselbe ist. Die eigentliche Schwierigkeit besteht für Aristoteles aber in Folgendem: Wenn Wahrnehmung mit Hilfe der δψις Sehen ist, der Gegenstand des Sehens aber Farbe bzw. Farbiges ist, so wird das Sehen, wenn einer das Sehen wahrnimmt41, ursprünglich Farbe an sich haben. Im Folgenden wird nun (1) die eine der beiden in die Απορία 42 führenden Prämissen in ihrer Geltung aufgehoben: Τό τη δψει αίσθάνεσθαι 4 3 ist nicht nur όραν, sondern es gibt andere Weisen der Aktualisierung von δψις. Daneben wird (2) die Konsequenz des Gedankens b19: εϊ δψεταί τις τό όραν, και χρώμα Βξει τό όραν πρώτον, die unmittelbar wie eine

37 425*>22ί.: έτι ί έ τό όρων ε σ τ ί ν ώς κεχρωμάτισται38 b

23/25: τό γάρ αϊσθητήριον δεκτικόν t o o αισθητού δνεο της όλης έκαστον. διό καϊ Απελθόντων των αισθητών έ ν ε ι σ ι ν αισθήσεις και φ α ν τ α σ ί α ι έν τ ο ι ς αϊσθητηρίοις. 39

425 b 25: ...έν τ ο ι ς αίσθητηρίοις.

40

425 b 24f.

41

Befremdlicherweise verwendet Aristoteles an dieser Stelle όψεται, obwohl er sich immer noch innerhalb der anderen Alternative ( b 15: ετι 8' ei καϊ έτέρα κτλ.) bewegt. Für die Konzinnität des Arguments hat diese leichte Inkonsequenz freilich keine Bedeutung. 42

Vgl. b 17.

43

Vgl. b 17f.

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Absurdität wirkt, in bestimmtem Sinne als gültig erkannt. Damit ist die das Dilemma bildende Aporie entkräftet. Der zweite Abschnitt behandelt ausführlich die ένέργεια der Wahrnehmung und des Wahrnehmungsgegenstandes, eine Thematik, die im siebten Kapitel wieder aufgegriffen wird. Der einleitende Satz stellt die Identität der ένέργεια von αϊσθητόν und αίσθησις 44 fest, weist zugleich aber darauf hin, daß beide dem Sein nach nicht identisch sind. Einerseits sei es (deshalb) zwar möglich, daß dasjenige, was über Gehör verfügt, nicht höre, und dasjenige, was in der Lage ist, Schall zu verursachen, dies nicht immer tue. Wenn aber dasjenige, was hören könne, wirklich höre und dasjenige, was Schall erzeugen könne, dies wirklich tue, dann komme zugleich mit 44

D.W. HAMLYN, Aristotle's Account of Aesthesis in the De Anima, in: Class Quart NS 9, 19S9, 9, weist zu Recht darauf hin, daß für Aristoteles an verschiedenen Stellen seiner psychologisch« Schriften bald τό αισθητικό ν, bald τό αίσθητήριον, bald αΐσθησις dasjenige δυνάμει sei, was τό αϊσθητόν ενεργείς sei. Zwar könne man unter Hinweis auf 424*24 die βύναμις des αίσθητικφ είναι physisch mit dem Organ identifizieren, aber eben nicht dem είναι nach. Es mache jedoch logisch einen erheblichen Unterschied, ob man von dem einen oder dem anderen (d.h. von αισθητικό ν, αίσθητήριον oder αϊσθησις) sage, es sei potentiell dasjenige, was das Sinnesobjekt aktuell sei. Zu dieser schwierigen Frage gesellt sich noch eine zweite: Trifft wirklich für alle Sinne die Behauptung des Aristoteles zu, daß sie bezüglich der ίδια nicht irren können, sondern immer wahr sind? HAMLYN glaubt a.O. eine Erklärung gefunden zu haben, wie Aristoteles zu der in seinen Augen unklaren Auffassung gekommen sein müsse und wie dies alles zu bewerten sei (10; 16: "A solution to this problem may be arrived at via the consideration that here again A. has been led to generalize from cases where it is sometimes appropriate...to talk in this way to cases where it is not.-...Aristotle's account of aesthesis is transitional..."): Gegen diese Auffassung aber spricht (1) Folgendes: Die Annahme HAMLYNS, daß Aristoteles sich hinsichtlich der Bestimmung und Zuordnung des ίδιον zu einer unerlaubten Ausdehnung der beim Gehörssinn vorgefundenen Verhältnisse auf den Gesichtssinn habe verleiten lassen, dürfte sehr wenig Wahrscheinlichkeit für sich haben. Ein primitiver Irrtum dieser Art an einem so wichtigen Punkt der Analyse würde die Kohärenz des ganzen Zusammenhangs ruinieren. (2) Wenn HAMLYN glaubt, Aristoteles habe aufgrund einer falschen Verallgemeinerung der Farbe fälschlich denselben Status (als ίδιον) im Verhältnis zum Sehen eingeräumt, wie ihn ψόφος im Verhältnis zum Hören einnehme, so muß hierbei doch wohl bedacht werden, was Aristoteles selbst 418*29/ b I3 des weiteren zur Farbe als ίδιον des Sehens sagt: Farbe ist deshalb ίδιον dieses Sinnes, weil sie καθ" αότό όρατόν ist. Das bedeutet, daß sie die Ursache ihres eigenen Gesehenwerdens in sich selbst trägt und nicht einer von außen an sie herangetragenen fremden Ursache bedarf, um das Sehen auszulösen. Das Medium des διαφανές ist zwar der Möglichkeit nach sichtbar, aber es kann erst dann ενεργεί? gesehen werden, wenn etwas sich in diesem διαφανές zeigt, damit es, sofern es durchscheinend ist, sodann gesehen werde. Es bedarf ferner dazu noch des Lichtes, wie Aristoteles ausführt. Aber ohne ein in einer durchscheindenden Leere gegenwärtiges τΐ würde τό διαφανές unsichtbar bleiben. Ein solches τΐ aber steht immer schon in einer bestimmten farblichen Determination; ein vollkommen Farbloses kann es nach griechischer Auffassung nicht geben. Insofern ist Farbe die ενέργεια des όρατόν nämlich dann, wenn ihr eine δραβις als ένέργεια des Sehvermögens gegenübertritt.

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man statt κατ' ένέργειαν ψόφος besser ψόφησις, also 'Schallen', das andere statt κατ' ένέργειαν άκοή eher άκουσις, 'Hören', nennen. Die Einführung dieser 'nomina agendi' verfolgt augenscheinlich den Zweck, den Begriff der Bewegung in die Analyse einzuführen. 426"2 knüpft Aristoteles an eine phys. 202'13ff. u.ö.45 entwickelte These an, derzufolge Bewegung Sein des Bewegten ist. "Wenn", so heißt es hier De an. III 2, "nun die Bewegung, das Wirken [und das Leiden] in demjenigen sind, was gewirkt wird, so müssen auch der aktuelle Schall und das aktuelle Gehör in dem potentiellen Gehör enthalten sein."46 Die von Ross athetierten Worte και τό πάθος sind zwar gut überliefert und finden 426*10 in πάθησις ihre Entsprechung. Da sie aber der Konsequenz des Gedankens im Wege stehen - es soll mit diesen Worten ja gerade vorausgesetzt werden, daß ή κίνησις και ή ποίησις έν τω ποιουμένω seien - muten sie wie eine alte Glosse an, die früh in den Text geriet. Darauf weist auch der offenbare Anklang an 426*10 hin; denn dort fügt sich πάθησις durchaus kohärent und folgerichtig in den Bau des Gedankens ein. So muß man wohl Kritikern wie Ross und THEILER Recht geben47. Bewegung und Wirken vollziehen sich im κινοόμενον oder ποιούμενο ν4g. Letzteres ist, sofern es in Bewegung begriffen ist, ein sich Verwirklichendes. Sofern diese Verwirklichung49 aber noch in ihrem Vollzug begriffen und somit nicht vollendet ist, ist das κινούμενον ein δυνάμει δν. Vor diesem Hintergrund gewinnt der hypothetische Satz 426*2/4 εϊ δη έατιν ή κίνησις και ή ποίησις.,.έν τω ποιουμένω, ανάγκη και τόν ψόφον και την άκοήν την κατ' ένέργειαν έν τή κατά δύναμιν είναι" an Kontur. Da Bewegung stets in demjenigen wirkt, was bewegt wird, dieses aber ein δυνάμει δν ist, müssen ψόφος κατ' ένέργειαν und άκοή κατ' ένέργειαν in der άκοή κατά δύναμιν stattfinden, ein Sachverhalt, der durch den nächsten Satz noch einmal unterstrichen wird: ή γάρ τοϋ ποιητικού και κινητικού ένεργεια έν τω πάσχοντι έγγίνεται 50, wobei έν τω πάσχοντι als Synonym zu έν τή δυνάμει άκοή aufzufassen ist. Das Argument, das den Ort festzulegen bemüht ist, an dem die aktuelle Wahrnehmung sich vollzieht, und als diesen Ort das jeweilige Sinnesorgan 45

Z . B . De an. 414*4. V g l . HAMLYN 124 (zu 426*2).

46

426*2/4: ei 8ή έστιν ή κίνησις και ή κοίησις [και ι ό κάθος] έν τφ ποιουμένω, ανάγκη και τόν ψόφον και την άκοήν την κατ' ένέργειαν έν τή κατά δύναμιν είναι· 47

Vgl. d a z u THEILER 133 ( 5 1 , 2 6 zu 426*2).

48

Vgl. phys. 202*13/14: Και τό άπορούμενον δε φανερόν, δτι έστϊν ή κίνησις έν τφ κινητφ· έντελέχεια γάρ έστι τούτου [και] ΰχό τοΰ κινητικού 49 Bewegung definiert Aristoteles phys. 201*10f.: ή τοΰ δυνάμει δντος έντελέχεια, η τοιούτον, κίνησίς έστιν. 50

426*4/5. Τό πάσχον und τό κοιούμενον bzw. κινούμενον sind hier Bezeichnungen für dieselbe Sache.

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bestimmt, dürfte auf die Ausführungen des Sokrates Theaet. 184 C/D zielen. Dort wird die Frage diskutiert, ob etwa unsere Ohren und Augen dasjenige seien, womit und in dem (οΐς) sich das Sehen oder Hören vollziehe, - daß also unsere Augen sehen und unsere Ohren hören, - oder ob sich nicht ein Sehendes und Hörendes nur ihrer Hilfe beim Sehen und Hören bediene, ob Augen und Ohren also vielmehr dasjenige seien, durch das hindurch ein Sehen sehe und ein Hören höre. Die Erkenntnis, daß άκουσις, δρασις und die übrigen Wahrnehmungstätigkeiten als Bewegungen zu interpretieren sind, fuhrt zu der oben von Aristoteles dargelegten Konsequenz. Eine Entscheidung bahnt sich offenbar insofern an, als der Akt der Wahrnehmung sich in der αίσθησις vollzieht, wobei offenbar zunächst an einer klaren Distinktion zwischen αίσθησις, αϊσθητικόν und αίσθητήριον, den drei in diesem Zusammenhang genannten Begriffen, nicht viel gelegen ist. Die gedankliche Verbindung der Bemerkung über das unbewegt Bewegende51 mit der Argumentation, in die sie eingelassen ist, ist zunächst schwer zu durchschauen. Die Kommentatoren merken bestenfalls eben diesen Sachverhalt an 52 , jedoch ohne die Schwierigkeit als solche zu beheben oder wenigstens eine Lösungsmöglichkeit vorzutragen. Aus der Tatsache, daß die ένέργεια des der Möglichkeit nach Wirkenden (ποιητικόν) und Bewegenden (κινητικών) in dem κοιούμενον oder κινούμενον oder π ά σ χ ο ν entsteht, folgt zwar mit Notwendigkeit, daß dieses ποιούμενον bewegt ist. Daß hingegen das Bewegende in Bewegung begriffen ist, läßt sich aus einer Analyse des hier beschriebenen Vorgangs nicht zwingend nachweisen53. Wenn man diese Bemerkung des Aristoteles als seltsam empfunden hat, so läßt sich die Berechtigung dieses Gefühls in gewissem Sinne von der Argumentation aus rechtfertigen: Einem Sachverhalt die Notwendigkeit abzusprechen, wie Aristoteles es hier tut, scheint zunächst eine eher beiläufige und für das Ganze einer analytischen Beschreibung des Wahrnehmungsaktes wenig ergiebige Aussage zu sein. Erst wenn man den Satz wiederum im Zusammenhang eines Dialogs mit dem platonischen Theaetet sieht, wird manches deutlicher: Dort wird die Gleichsetzung von έπιστήμη und αΐσθησις gerade aufgrund der protagoreischen bzw. herakliteischen Prä-

51

426'5/6: 8νό ούκ α ν ά γ κ η τό κ ι ν ο ΰ ν κ ι ν ε ϊ σ θ α ι .

52

Vgl. THEILER 133: "Die folgende Bemerkung über das Unbewegte hier nicht erwartet" (sie!). 53 Im Rahmen einer naturphilosophischen Wesensanalyse der Bewegung wird sich dann freilich ergeben, daß das Bewegende auch immer schon ein Bewegtes ist, daß alle Bewegung endlich aber von einem unbewegten Beweger ihren Ursprung nimmt. Vgl. metaph. 1073*23/31. Aber in De anima III 2 sind die Grenzen der Untersuchung viel enger gezogen und auf den Wahrnehmungsakt selbst eingeschränkt.

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misse, daß alles in Bewegung sei, abgewiesen54. Die auf Protagoras oder die Herakliteer zurückgehende Voraussetzung des Homo-mensura-Satzes, die Voraussetzung, daß alles in Bewegung sein müsse, - ist durch den bloßen Hinweis auf die Nichtnotwendigkeit des Bewegtseins eines Bewegenden zu Fall gebracht55. Im Zuge einer analytischen Deskription der Wahrnehmung markiert Aristoteles vier Stufen der ένέργεια, von denen jeweils zwei paarweise einander zugeordnet sind. Am besten läßt sich dieser Sachverhalt beim Gehör veranschaulichen, weil die Sprache für alle vier Phasen des Vorgangs eigene Benennungen zur Verfügung stellt: ή μεν ούν τοδ ψοφητικοΰ ένέργειά έστι ψόφος ή ψόφησις, ή δέ τοϋ ακουστικού άκοή ή ακουσις 56. Die nomina agendi ψόφησις und άκοοσις bezeichnen die Phase der zweiten Aktualität des Erschallens bzw. des Hörens, während ψόφος und άκοή, die zunächst beides, die Anlage und die Verwirklichung, bedeuten können, die Stufe der zweiten Potentialität bzw. der ersten Aktualität bezeichnen. Dieselben Verhältnisse wie beim Gehör bzw. beim Hörbaren treffe man auch bei den übrigen Sinnen und ihren Gegenständen an. Wie nämlich sowohl χοίησις wie auch χάθησις in dem Bewegten, aber auf keinen Fall in dem Bewegenden (oder Wirkenden) enthalten sind, so wirkt auch die ένέργεια sowohl des Wahrnehmbaren (αίσθητόν) wie diejenige des Wahrnehmungsvermögens (αίσθητικόν) in dem letzteren57. H A M L Y N bezweifelt in seinem weiter oben zitierten Artikel58 , daß die Übertragung auf die anderen Sinne rechtens sei. Das Verhältnis von αίσθητικόν zu αίσθητόν ist nach H A M L Y N beim Gehörssinn ein ganz anderes als beim Gesichtssinn59. Farbe und δρασις verhalten sich demnach nicht wie άκουσις und ψόφησις. So wird HAMLYN das bereits von Aristoteles selbst notierte Fehlen einer eigenen Bezeichnung für die zweite ένέργεια von Farbe als ein begründetes Defizit auslegen. Daß das Denken der Sprache vorgreift, ist eine Erfahrung, die gerade bei der Analyse der Bewegung zu begegnen scheint. So beklagt Aristoteles 54 Plat. Theaet. 183 C: έκιστήμην t e αϊσθησιν oö συγχωρησόμεθα κατά γε την τοδ χάντα κ ι ν ε ΐ σ θ α ι μέθοδον κτλ. Vgl. dazu J. MCDOWELL, Plato, Theaetetus. Translated with Notes. = Clarendon Plato Series, Oxford 1973, 184 (zu 183 B-C). 55

Die metaphysischen Implikationen (Hinweis auf den ersten Beweger), die HLCKS 439 (zu 426*5) hier zu erkennen glaubt, vermögen wir nicht festzustellen. 56

426*6/7.

57

426*9/11.: ώσπερ γαρ και ή κοίησις και ή πάθησις εν τ φ π ά σ χ ο ν τ ι , άλλ' ούκ έν τω ποιοΰντι, οϋτω και ή τοϋ αισθητού ένέργεια και ή τοϋ αισθητικού έν τω αισθητικά. 58 59

S. Anm. 44.

Ebd. 10: "Colour is not related to vision as sound is to hearing. The notion of sound already contains a connexion with the notion of hearing, but the same is not true of the notions of colour and vision."

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etwa phys. 201Ί3, daß eine gemeinsame Bezeichnung für αϋξησις καϊ φθίσις fehle; dasselbe könnte er im Hinblick auf γένεσις καϊ φθορά sagen60. Dieser Mangel ist keineswegs beiläufig, sondern verrät eine fehlende Distinktion, eine ungenügende Zergliederung der Phänomene, deren Aufbau sich dem Betrachter deshalb verschließt, weil er der Sprache noch nicht zum Bewußtsein gelangt ist61. Eben dieses fehlende Differenzierungsvermögen kritisiert Aristoteles im nachfolgenden Kontext an seinen Vorgängern, den Naturphilosophen62. Da nämlich die ενέργεια des Gegenstandes der Wahrnehmung und diejenige des Wahrnehmungsvermögens eine einzige, μία, sei, während ihr Sein verschieden sei, so würden etwa im Falle des Hörens der ψόφος κατ' ένέργειαν und die άκοή κατ' ένέργειαν zugleich erhalten bleiben, bzw. vergehen. Für die Entsprechungen κατά δύναμιν treffe das hingegen keineswegs zu. Dieser Unterschied sei den älteren Naturphilosophen entgangen63, weshalb sie zu der undifferenzierten Auffassung gelangten, es gebe weder weiß noch schwarz ohne den Gesichtssinn. Dies sei wohl wahr in Bezug auf αίσθητόν und αΐσθησις κατ' ένέργειαν, hingegen verfehlt im Hinblick auf beide κατά δύναμιν. Im dritten Abschnitt des Kapitels wird die Struktur des Verhältnisses von αίσθητόν und αίσθητικόν behandelt. Wieder fällt die Wahl auf die άκοή als besonders anschauliches Beispiel. In diesem Zusammenhang ist freilich eine textliche Schwierigkeit in Rücksicht zu ziehen. Das Problem der richtigen Wortstellung 426*27 beschäftigt die Forschung seit dem Altertum. Die Handschriften bieten in ziemlicher Einhelligkeit die Lesart εί δ' ή συμφωνία φωνή τις κτλ., wohingegen moderne Herausgeber seit T R E N D E L E N BURG64 zu der Vertauschung der beiden Substantive neigen und der Lesart εί δ' ή φωνή συμφωνία τις κτλ. den Vorzug geberf 5 . Gegen diese Deutung hat in unseren Tagen Andrew B A R K E R Einspruch erhoben66: Durch die Umstellung von Subjekt und Prädikat verliere das Argument, dessen Bestandteil der fragliche Satz ist, seine Gültigkeit. Denn wenn man davon ausgehe, daß φωνή den Laut der menschlichen Stimme 60

Vgl. auch phys. 226"29/33: ή 6έ κατά τό ποσόν τό μεν κ ο ι ν ό ν ανώνυμος, καθ' έκάτερον 8' α ϋ ξ η σ ι ς και φθίσις...ή δε κατά τόπον και τό κ ο ι ν ό ν καϊ τό ί δ ι ο ν ανώνυμος, έ σ τ ω δέ φορά καλουμένη τό κοινόν· 61 THEILER macht 133 (52,If. zu 426" 14) darauf aufmerksam, daß mindestens χ ύ μ ω σ ι ς später bezeugt sei. - Vgl. Stephan, in Hippocr. 1, 154 DIETZ. 62

Vgl. nächste Anm.

63

420 b 5/421"6.

64

TRENDELENBURG 3 5 9 .

65

Z.B. Ross in beiden Ausgaben. Die modernen Interpreten schließen an die antike Exegese an, die auf Plutarchs Vorschlag, statt ει S' ή συμφωνία κτλ. lieber εί δή συμφωνία κτλ. abzutrennen und sodann, wie es Simplikios rät, φωνή τ ι ς als Subjekt, συμφωνία als Prädikat zu lesen. Das Nähere dazu bei RODIER 374f. 66

Aristotle on Perception and Ratios, in: Phronesis 26, 1981, 248/266; bes. 249ff.

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bezeichne, so sei άκοή durchaus dazu in der Lage, über den Laut der menschlichen Sprache hinaus selbst vollkommen ungeformte ψόφοι zu hören. Von einer vorauszusetzenden συμφωνία der menschlichen Stimme aus auf eine entsprechend harmonische Struktur des Hörsinns zu schließen, sei daher nicht erlaubt. BARKERS eigene Lösung, die zu der Wortfolge der Handschriften zurückkehrt, unterstellt für φωνή die musikalische Spezialbedeutung und nimmt in der Argumentation eine Einschränkung der άκοή auf den Bereich der musikalischen συμφωνία vor. Dann wäre zwar der plumpe logische Fehler vorerst vermieden. Unklar bliebe jedoch, weshalb Aristoteles sich an dieser Stelle auf die Musik in einem engeren Sinn zurückziehen sollte. Im Blick auf die Gesamtökonomie der Argumentation wäre man dann von einem sinnvollen Resultat immer noch sehr weit entfernt. Zu denken gibt die absolute Unbekümmertheit der antiken Interpreten bei der Deutung der Stelle. Sollten sie wirklich den doch nicht allzu subtilen logischen Fehler übersehen haben, oder hatte für sie φωνή eine andere Bedeutung, die ihnen das formale Verständnis des Argumentes erleichterte? Wir glauben, daß φωνή hier unter keinen Umständen auf eine im engeren Sinne musikalische Bedeutung eingeschränkt ist67, sondern ähnlich wie φθόγγος jeden sinnvollen, artikulierten Laut im weitesten Sinne des Wortes bedeutet (Der Gegensatz wäre ψόφος), vor allem aber sprachliche Äußerungen bezeichnet. Zwar ist das Altgriechische ähnlich wie das Chinesische oder das Magyarische eine Sprache mit musikalischem Akzent, differenziert also vermittels musikalischer Intervalle Bedeutungen. Das heißt aber noch nicht, daß es hier um Musik im strengen Sinne des Wortes, um Gesang oder Instrumentalmusik geht. Jedenfalls findet so der umfassende musikalische Bezug, der durch συμφωνία angedeutet wird, eine mögliche Erklärung. Dieser Ansatz stimmt mit dem lexikalischen Befund überein. Zum einen ist φωνή Laut eines beseelten Wesens68, zum anderen aber nicht etwa jeder Laut, sondern nur der bezeichnende oder bedeutungsvolle Laut69. Deshalb sind auch nur wenige Wesen70 dazu in der Lage, φωναί hervorzubringen bzw. zu rezipieren. Da im Zentrum der Schrift von der Seele eben beseelte Wesen stehen, die naturgemäß zu den sens. 437*9 genannten όλίγοι zählen, gilt für diese die erste Prämisse: ή δέ φωνή συμφωνία, exhaustiv. Wie haben wir συμφωνία nun zu verstehen? Was ist die genaue Bedeutung dieses Wortes? An anderer Stelle definiert Aristoteles συμφωνία als

67

was sprachlich auch ganz unüblich wäre.

68 b

5: ή δέ φωνή ψόφος τίς έστιν έμψυχου'

69 b

32: σημαντικός γάρ $ή τις ψόφος έστΐν ή φωνή· 70 De sens. 1. 437*9/11: ...ή 8'άκοή τάς τοδ ψόφου διαφοράς μόνον, όλίγοιςϋ τάς της φωνής·

καϊ

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Verhältnis von Zahlen in Höhe und Tiefe71. Verfügt die Stimme über die Qualität der συμφωνία, so ist sie ein wohlmodulierter, geformter Schall, der einerseits Bedeutung zu vermitteln, andererseits ein entsprechend konstruiertes Rezeptionsvermögen anzusprechen vermag. Darüber hinaus kann das Wort auch ganz im Sinne von 'Harmonie' metaphorisch verwendet werden72, ein Umstand, der die Übertragung auf die anderen Sinne ermöglicht. Diese wichtige semantische Einzelheit scheint in der Diskussion um die Stelle keine Beachtung gefunden zu haben. BARKER hatte zudem übersehen, daß Aristoteles in der Schlußfolgerung nicht schlechthin von λόγος redet, sondern ausdrücklich vermerkt ...ανάγκη και την άκοήν λόγον τινά είναι, also eine Art λόγος sei. Da die άκοή Intervalle in der Maßbestimmtheit ihrer Verhältnisse wahrzunehmen vermag, muß sie selbst λόγος-hafte Züge aufweisen. Es ist damit nicht gesagt, daß diese Besonderheit für jede άκοή (BARKER: every άκοή) zutrifft, sondern nur für diejenige, die eine φωνή zu vernehmen imstande ist. Wenn diese Auffassung zutrifft, wäre einerseits der von BARKER gerügte Fehler, andererseits die durch BARKERS Emendationsvorschlag zustandekommende Beschränkung der Aussage auf den speziell musikalischen Sachverhalt vermieden. Letzterer würde kaum sinnvoll in den umfassenden Bau des Gedankens einzufügen sein. Versuchen wir, den Gang der Argumentation nachzuzeichnen! Wir übernehmen die Emendation TRENDELENBURGS bzw. des Oxford-Textes und lesen: ei δ' ή φωνή συμφωνία τις κτλ. (1) φωνή ist eine Art συμφωνία, (2) Συμφωνία ist ein (in Zahlen ausdrückbares) Schwingungsverhältnis. (3) Stimme und Gehör sind gewissermaßen73 ein und dasselbe. Aus diesen drei Prämissen zieht Aristoteles den Schluß, daß die (φωναί rezipierende) άκοή notwendig ein bestimmtes (ebenfalls sich an Zahlen ori71 Vgl. anal. post. 90" 18: . . . λ ό γ ο ς ά ρ ι θ μ ω ν έ ν ό ξ ε ϊ ή βάρει. Vgl. dazu R o s s , Aristotle's Prior and Posterior Analytics. A Revised Text With Introduction and Commentary, Oxford 1957, 613 (zu 90*18/23). ZELLER - MONDOLFO, Bd.II, 454/455. Eine Diskussion der verschiedenen Möglichkeiten, die der Text zum Verständnis von σ υ μ φ ω ν ί α bietet, gibt HICKS 441 (zu 426*27). Er scheint allerdings die Analytikstelle nicht zu berücksichtigen. Simplikios 194,19 und, an ihn anschließend, TRENDELENBURG 359 (zu 426*27) beharren auf der Applikation des σ υ μ φ ω ν ί α - B e g r i f f s auf die έ ν α ν τ ί α oder ά κ ρ α unter den Prädikaten der Stimme. Sie stehen zueinander in zahlenmäßig zu erfassenden Verhältnissen. 72 73

Vgl. etwa Arist. top. 123*34. 37; 139 b 37.

426*27/30: ε ί 8' ή φ ω ν ή σ υ μ φ ω ν ί α τ ί ς ε σ τ ί ν , ή $έ φ ω ν ή κ α ι ή ά κ ο ή ε σ τ ί ν ώ ς ε ν έ σ τ ι [καϊ έ σ τ ι ν ώς ο ύ χ ε ν τ ό α ύ τ ό ] , λ ό γ ο ς 8' ή σ υ μ φ ω ν ί α , α ν ά γ κ η κ α ί τ ή ν ά κ ο ή ν λ ό γ ο ν τ ι ν ά ε ί ν α ι . Die von TORSTRDC getilgte negative Hälfte der zweiten Prämisse entspricht der Gegenüberstellung von ψ ό φ ο ς und ά κ ο ή κ α τ ά 8 ύ ν α μ ι ν bzw. κ α τ ' έ ν έ ρ γ ε ι α ν und stört das Argument keineswegs. Möglicherweise fühlte sich TORSTRK durch die etwas kleinlich wirkende 'Vollständigkeit' des Tableaus zu seiner Athetese veranlaßt, zumal das Argument auch ohne diese Worte um nichts weniger 'vollständig' wäre.

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entierendes) Verhältnis sei74. Dies dürfte - wie er glaubt - auch der Grund dafür sein, daß über die Maßen heftige Sinneseindrücke die Grenzen der Wahrnehmung sprengen75. Der Streit, ob die Bestimmung des Sinnes als λόγος sich auf das Verhältnis der konträren Wesenseigenschaften zueinander oder auf das Verhältnis des ψόφος zur άκοή bezieht76, ist einerseits zwar im Sinne TRENDELENBURGS ZU entscheiden, ist aber letztendlich müßig, weil ja, wie gezeigt, auch das entsprechende Wahrnehmungsvermögen notwendig die Struktur eines zahlenmäßig berechenbaren Verhältnisses aufweist, so daß die Beziehung zwischen diesen beiden λόγοι wiederum ein λόγος ist. Deshalb seien diese konträren Prädikate, wenn sie rein und unvermischt in den λόγος eingemischt würden, erfreulich. Noch erfreulicher aber sei die (maßvolle, maßbestimmte) Mischung, - im Hinblick auf die φωνή also συμφωνία. Die entscheidende Einsicht, die in der dritten Partie des Kapitels vermittelt wird, ist die Bestimmung des Sinnes, so weit er auf verhältnismäßig erfaßbare Gegenstände, z.B. φωναί, bezogen ist, als eines λόγος. Diese Erkenntnis einer mehrdimensionalen Verhältnismäßigkeit im Bereich der αίσθησις stellt den beherrschenden, den weiteren Verlauf der Erörterung tragenden Gedanken dar. Er ist etwa für die Analyse des siebten Kapitels von der größten Bedeutung. Der vierte und letzte Abschnitt des zweiten Kapitels 426b8/427a16 ist der Frage gewidmet, wie wir Unterschiede zwischen den verschiedenen Sinnesempfindungen feststellen, z.B. zwischen weiß und süß. Dabei werden die Ergebnisse der ersten Teile der Argumentation vorausgesetzt. So greift die Einleitung dieses Abschnittes auf den zweiten Teil zurück, ferner aber auch auf Resultate des zweiten Buches: Jeder Sinn bezieht sich auf den ihm zugrundeliegenden Wahrnehmungsgegenstand, also das ίδιον. Der Sinn selbst hat seinen Sitz in dem Wahrnehmungsorgan, sofern es ein solches ist. Die Funktion des Sinnes besteht darin, die Unterschiede des zugrundeliegenden Wahrnehmungsgegenstandes zu beurteilen. So ist es Aufgabe des

74 426*30/b7: και δια τοΰτο και φθείρει εκαστον υπερβάλλον, καϊ τό όξύ και τό βαρύ, τήν άκοήν- ομοίως δε και εν χυμοϊς τήν γεϋσιν, και έν χρώμασι τήν όψιν τό σφόδρα λαμκρόν ή ζοφερόν, και έν όσφρήσει ή ισχυρά οσμή, καϊ γλυκεία και πικρά, ώς λόγου τινός όντος της αϊσθήσεως. διό καϊ ηδέα μέν, δταν ειλικρινή και άμιγή δντα άγηται εις τόν λόγον, οίον τό όξύ ή γλυκύ ή άλμυρόν, ήδέα γάρ τότε όλως δέ μάλλον τό μικτόν, συμφωνία, ή τό όξϋ ή τό βαρύ [άφη δέ τό θερμαντόν ή ψυκτόν] ή δ' αϊσθησις ό λόγος- υπερβάλλοντα δέ λύει ή φθείρει.- Vgl. auch

429*3 l / b 3 . 75

Vgl. vorige Anm. u. HlCKS 441. Der Hinweis auf den Tastsinn ist für den Gedanken in ärgerlicher Weise störend und überflüssig. DlTTENBERGER hat den Passus άφη . ψοκτόν zu Recht getilgt. 76

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Gesichtssinns, weiß und schwarz, des Geschmackssinns, süß und bitter zu unterscheidea Ebenso wie hier, verhält es sich bei allen Sinnen 77 . Neben dieser Funktion des Sinnes, die Eigenschaften des ihm jeweils zugrundeliegenden Gegenstandes zu unterscheiden, haben aber die einzelnen Sinne noch eine bedeutende Aufgabe: die Differenzierung der Sinneswahrnehmungen über die Grenzen eines Sinnes hinaus, also z.B. zwischen weiß und süß usf. Da wir diesen Unterschied vollziehen, besitzen wir auch ein Vermögen, das uns dazu in den Stand versetzt. Dieses Vermögen kann nur αϊσθησις sein; denn die Gegenstände, auf die das Erkenntnisvermögen gerichtet ist, sind αισθητά. Damit ist bereits eine wichtige Vorentscheidung gefallen. Auf der Suche nach weiteren Strukturmerkmalen des Wahrnehmungsvermögens, mit dem die διαφοραί festgestellt werden sollen, schließt Aristoteles zunächst 'das Fleisch 1 , wie er sagt, als ε σ χ α τ ο ν αισθητήριον aus 78 . Die Bedeutung dieser Worte ist in der Aristotelesexegese lange umstritten gewesen 79 . Heute scheint Einverständnis darüber zu herrschen, daß ε σ χ α τ ο ν αισθητήριον jene letzte Einheit des sensus communis darstellt, die auch mit derselben Bezeichnung Γ 7. 431*19 erscheint 80 . Unklarheit besteht aber immer noch in der Frage, welcher Grund dazu Veranlassung geben konnte, das Ι σ χ α τ ο ν αισθητήριον mit σάρξ gleichzusetzen, bzw. diese Gleichsetzung eigens zurückzuweisen. Der einzige Interpret, der sich mit dieser zentralen Frage auseinandergesetzt hat, ist RODIER81. Dieser Gelehrte entdeckt eine weitgehende Analogie zwischen dem Tastsinn und dem sensus communis82. Ά φ ή sei weniger speziell und komplexer als die anderen Sinne. Der Tastsinn sei der einfachste Sinn, über den alle Lebewesen verfügen müßten, wohingegen es sehr wohl Lebewesen gebe, die ohne die übrigen Sinne existieren. Die Analogie reiche so weit, daß der Tastsinn eben dort seinen Sitz habe, wo auch der sensus communis wohne, im Zentralorgan der Seele (ό

77

4 26 b 8/12: έκαστη μεν ouv αϊσθησις τοϋ υποκειμένου αισθητού εστίν, υπάρχουσα έν τώ αίσθητηρίω fi αισθητήριον, καϊ κρίνει τάς τοϋ υποκειμένου αισθητού διαφοράς, οίον λευκόν μέν καϊ μέλαν δψις. γλυκύ δέ και πικρόν γεϋσις. ομοίως δ' έχει τοΰτο καϊ έπϊ των άλλων. 78

426 b 12/15: έπεϊ δέ και τό λευκόν καϊ τό γλυκύ και έκαστον των αισθητών προς εκαστον κρίνομεν. τ ι ν ϊ καϊ αίσθανόμεθα οτι διαφέρει, ανάγκη δη αίσθήσειαισθητά γάρ έστιν. 79

Vgl. TRENDELENBURG 361 (zu 426 b 15).

80

Das Verdienst, auf diese übersehene Beziehung aufmerksam gemacht zu haben, ge-

bührt, so weit ich sehe, R. HICKS (446, zu 426 B 16). Vgl. auch THEILER 134 (53,3; zu 426B16). 81

82

RODIER 3 8 2 / 3 8 5 .

Ebd. 384: "De tous les sens, le toucher est, en effet, celui qui a le plus d'analogie avec le sens commun."

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περί την καρδίαν τόπος). 83 Diese Analogie birgt natürlich eine gewisse Gefahr der Verwechslung in sich, die durch die Widerlegung des Aristoteles 426b16ff. gebannt würde. Trotz der Plausibilität, durch die sich diese Überlegungen auf den ersten Blick auszuzeichnen scheinen, fragt es sich dennoch, ob eine solche Analogie tatsächlich hinreichende Gründe für Wortwahl und besondere Wendung des Gedankens bietet, oder ob nicht vielmehr ein äußerer Anlaß im Hintergrund des Textes steht, etwa eine eigentümliche Wahrnehmungstheorie, wie sie für Demokrit überliefert ist. Immerhin zitiert Aristoteles selbst in seiner kleinen Schrift über die Wahrnehmung eine solche Lehre des Demokrit, in der άφή die Rolle des alle anderen Sinne umgreifenden Hauptvermögens der sinnlichen Wahrnehmung übernimmt84. Wir halten es für sehr wahrscheinlich, daß die seltsame Wendung des Gedankens in dieser oder einer ähnlichen Theorie der Wahrnehmung ihren Grund hat85. Der Beweis, daß σαρξ nicht das έσχατον αίσθητήριον ist, wird auf die folgende Weise geführt: Wäre der sensus communis Fleisch, so müßte die Instanz, der die Unterscheidung von weiß und süß obliegt, diese Unterscheidung durch einen Berührungsakt86 vornehmen. Aber einem auf sich gestellten Sinn ist es nicht möglich zu beurteilen, daß das Süße vom Weißen verschieden ist. Vielmehr ist es unbedingt notwendig, daß beide αισθητά einem, und nur einem Richter, dem aber beide Sinnesempfindungen offenbar (δήλα) sein müssen87, zur Beurteilung und Unterscheidung vorgelegt werden. Anderenfalls käme man, so fahrt Aristoteles fort, ja auch selbst dann zur Erkenntnis der Verschiedenheit von weiß und süß, "wenn ich das eine, du das andere wahrnähmst". Die Entscheidung darüber, daß 83

Ebd.: "L'analogie va si loin que lapartie commune de tous les organes des sens speciaux, Vorgane central, siige du sens commun, est aussi celui du toucher" (mit Hinweis auf part. an. 653 b 23 und 656"27). 84 Vgl. Arist. de sens. 442"29 = VS 68 [Democr.] Α Fr. 119: Δημόκριτος και οϊ πλείστοι των φυσιολόγων λέγουσι κερί αίσθήσεως, άτοκώτατόν τι κοιοδσιν· πάντα γάρ τα αισθητά άκτά χ ο ι ο δ σ ι ν . καίτοι εΐ οΰτα> t o u t ' εχει, ί ή λ ο ν ώς και των άλλων αισθήσεων έκαστη άφή τίς έστιν. HAMLYN beachtet leider die historische Dimension an dieser Stelle ebenso wenig, wie dies die andern Kommentatoren tun. 85

Damit sind RODIERS Ausführungen durchaus vereinbar. Es ist möglich, daß sich Aristoteles aus doppeltem Anlaß genötigt sah, die Lehre, die er für im höchsten Maße töricht erachtete, zu bekämpfen. Die nicht eben gewöhnliche Sprache dieser Stelle, vor allem die Erwähnung des Nomens 'σάρξ' macht es u.E. aber unwahrscheinlich, daß hier nicht eine Theorie der sinnlichen Wahrnehmung im Hintergrund steht, die deshalb, weil sie die Bedeutung des μέσον für die Wahrnehmung außer Acht läßt (oder besser: gar nicht kennt), dem Fleisch nicht die Rolle eines solchen μέσον zugedenkt, sondern es als den eigentlichen Sinn ansieht. Möglicherweise ist auch Plat. Theaet. 184 C/D gegen diese Lehre gerichtet. 86 426B16 scheint ESSENS Konjektur αύτό eine überzeugende Verbesserung des beziehungs- und funktionslosen αϋτοΰ. 87

426 b 18: .. άλλα δει ένί τ ι ν ι άμφω ί ή λ α είναι.

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sie verschieden sind, muß aber ein Eines fällen und aussprechen, das den Zugriff auf alle zu unterscheidenden αισθητά hat. Nun sind weiß und süß verschieden. Also trifft ein und dasselbe die Unterscheidung. Der Aufbau des Argumentes ist nicht einfach zu durchschauen: Zunächst wird (1) die allgemeine These aufgestellt, es sei mehreren auf sich gestellten Urteilsinstanzen, die nur für ein αΐσθητόν zuständig seien und auch nur seiner ansichtig werden könnten, unmöglich, über die Verschiedenheit dieses αΐσθητόν von anderen8' zu urteilen. Deshalb müsse, so wendet Aristoteles (2) die These ins Positive, ein ein und selbiges Vermögen, dem die zu unterscheidenden Eigenschaften zugänglich sind, urteilen, daß das gegebene αΐσθητόν, etwa das Süße, von einem anderen, etwa dem Weißen, verschieden sei. Der nächste Schritt stellt einen Rückgriff auf die Erfahrung dar: (3) Das Süße ist vom Weißen verschieden. Also89, so lautet (4) die conclusio, ist das Urteilende das Eine und Selbe. Das Urteil setzt aber (5) ein ν ο ε ΐ ν voraus und dieses (6) ein αΐσθάνεσθαι. Der Sinn dieser Operation besteht darin, nachzuweisen, daß nur ein einheitliches Vermögen der Wahrnehmung über das zu Differenzierende zu befinden hat und dieser Aufgabe auch gerecht werden kann. Damit ist neben der ersten Festlegung, nach der das gesuchte 'kritische' Erkenntnisvermögen αϊσθησις zu sein hat, eine zweite erfolgt. Die Darstellung des Aristoteles fördert schließlich noch ein drittes Strukturmerkmal dieses Sinnes zu Tage. Nach dem überleitenden Satz 426b22/23 heißt es: Daß es auch nicht möglich ist, (das Gesonderte) zu gesonderten Zeiten zu unterscheiden, soll aus dem Folgenden klar werden: Wie nämlich das ein und selbe ausspricht, daß das Gute verschieden sei vom Schlechten, so ist auch dann, wenn es sagt, das eine sei vom anderen verschieden, "dann, wenn" nicht beiläufig (κατά συμβεβηκός) gemeint. Ich verstehe aber κατά συμβεβηκός so: wie ich jetzt sage, es sei verschieden, statt: es sei jetzt verschieden. Vielmehr lautet die Aussage: sowohl jetzt, als auch daß jetzt.90" Κατά συμβεβηκός ist das Zeitadverb νϋν in dem zitierten ersten Fall deshalb nicht, weil die Zeitbestimmung νΰν sich auf die unmittelbare Präsenz der Unterscheidung bezieht, die in einem einzigen Augenblick (vüv) 88

Bezeichnend ist hier die Verwendung des Plurals έτερα. während sonst stets der Singular έτερον benutzt wird. Der zusammenfassende Uberblick über beide und ihr reziprokes Verhältnis ist unter den in der Protasis gegebenen Bedingungen absurd. 89

Zur Rolle von dpa als Partikel der conclusio eines Schlusses vgl. R. KÜHNER - B. GERTH, Ausführliche Grammatik der griech. Sprache Dritte Aufl., II 2, Hannover/Leipzig 1 9 0 4 , 3 2 2 ; J . H U M B E R T , Syntaxe Grecque, 3 E 6dition Paris 1 9 6 0 , § § 6 6 5 . 6 8 0 / 6 8 2 ; vgl. auch J.D. DENNISTON, The Greek Particles. Second edition, Oxford 1954, 40 u. bes. 41. 90

426B24/28:

ώσπερ γαρ τό αύτό λέγει δτι έτερον ι ό αγαθόν και ι ό κ α κ ό ν , οϋτω και δτε θάτερον λέγει δτι έτερον και θάτερον, ού κατά συμβεβηκός τό δτε (λέγω 8'. οϊον νΟν λέγω δτι έτερον, ού μέντοι δτι νΰν έτερον), άλλ' οϋτω λέγει, και νΰν και δτι νΰν- άμα άρα.

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erfolgt. Diese Augenblicklichkeit, die Konzentration der Unterscheidung auf einen Augenblick sieht Aristoteles als wesentlich für den Vollzug der διαφορά an. In der Substantialität des νϋν, der unmittelbaren Gegenwärtigkeit des Unterscheidungsaktes, der eben nicht sukzessive erfolgt, besteht das dritte Strukturmerkmal des Erkennens unterschiedlicher αισθητά. Welchen Sinn aber hat die Form des 426b24ff. entwickelten Vergleichs :... ώσχερ ... οϋτως in der Argumentation? Im Zuge seiner Analyse fragen wir nach dem ύ χ ο κ ε ί μ ε ν ο ν des Vergleichs: Was wird überhaupt verglichen? Wie auf der einen Seite ein und dasselbe aussagt, (ταύτό λέγει), das Gute und das Schlechte seien verschieden, (δτι έτερον τό άγαθόν και τό κακόν), so gilt andererseits, daß dann, wenn man sagt, das eine Glied der Opposition sei verschieden, zugleich auch das andere verschieden ist. Wie das Urteil, Α und Β seien verschieden, zu ein und derselben Zeit gebildet wird, so wird die Einheit der Zeit auch dann gewahrt, wenn man nur eines der beiden Glieder der Opposition als verschieden erkennt. Die Form des Vergleichs ermöglicht über die Feststellung analoger Strukturen die exakte Bestimmung des mit δτε angegebenen Zeitbezuges als eines substantiellen und nicht beiläufigen Verhältnisses. Dieses Ineins der Aussage über die Verschiedenheit des Verschiedenen kommt dieser Aussage nicht beiläufig zu, da in der relationalen Aussage, wenn sie vollständig ist, der Bezug enthalten sein muß. Sage ich also: Α ist von Β verschieden, so erkenne ich A und Β ihre Verschiedenheit nicht sukzessiv in zwei verschiedenen Urteilen, sondern durch meine Aussage zu ein und derselben Zeit zu. Hingegen kommt es auf den Zeitpunkt, zu dem ich diese Verschiedenheit ausspreche, im Hinblick auf die Verschiedenheit selbst nicht wesentlich, sondern allenfalls beiläufig, d.h. also κατά συμβεβηκός an. Die Konsequenz dieses Sachverhalts nennt 426b28/29: ώστε άχώριστον και έν άχωρίστω χρόνω. Ά χ ώ ρ ι σ τ ο ν bezieht sich dabei natürlich auf das eine einheitliche κρίνον, dessen ταύτότης soeben als Grundbedingung des Unterscheidungsvorgangs ausgewiesen wurde. Dieses Urteilsvermögen ist nicht von sich selbst ablösbar, so daß es έν κεχωρισμένοις, in voneinander getrennten Organen seinen Sitz hätte. Der 426b29 erhobene Einwand bringt das Ergebnis dieser Überlegungen jedoch ins Wanken: Verstößt das Argument ώστε άχώριστον και έν άχωρίστω χρόνω nicht gegen den Satz vom Widerspruch? Unmöglich sei es, so heißt es bei Aristoteles, daß sich dasselbe, sofern es ein Unteilbares (άδιαίρετον) sei, in entgegengesetzte Richtungen bewege, und noch dazu in unteilbarer Zeit (και έν άδιαιρέτω χρόνω). Das nachfolgende Beispiel entfaltet beide Möglichkeiten der Unterscheidung, die Unterscheidung von Gegensätzen innerhalb der Grenzen der Zuständigkeit eines Sinnes, aber auch die Feststellung von Unterschieden der αισθητά über die Grenzen der Zuständigkeit eines Sinnes hinaus: Denn wenn etwas süß ist, so bewegt es die Wahrnehmung oder das Denken auf diese Weise, das Bittere aber auf die entgegengesetzte Weise und das Weiße noch anders. Urteilt also das

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Urteilende wirklich in einem ungeteilten Urteilsakt zu ein und derselben unteilbaren Zeit als ein der Zahl nach Unteilbares, das nicht von sich selbst getrennt werden kann, ist aber dem Sein nach durchaus ein getrennt Wirkendes (κεχωρισμένον)? Wie öfters in vergleichbaren Fällen, so wird auch hier in einer Doppelfrage der Kern der Lösung sichtbar. Die Differenzierung zwischen einer 'Ungeteiltheit' der Zahl und dem Ort nach und einer 'Geteiltheit' dem Sein nach 91 , erlaubt es offenbar, die Widersprüche zu versöhnen. In einer bestimmten Weise (έστι πως ώς) nehme das κρίνον als ein Geteiltes (ώς διαιρετόν) das Geteilte, d.h. also wohl das Süße und das Bittere und das Weiße wahr. Da aber aus den weiter oben ausgeführten Gründen ein der Zahl und dem Raum nach ungeteiltes Vermögen für die Beurteilung der Verschiedenheit unerläßlich und unabdingbar ist, muß auch dieses άδιαίρετον vorausgesetzt werden. Aber mit dieser Feststellung ist noch nicht geklärt, ob der Widerspruch wirklich gelöst ist, oder ob uns in der Form einer Beschreibung des Widerspruchs nur eine Scheinlösung narrt92. Für diesen letzteren Eindruck sprechen die schwierigen Überlegungen des Kapitelendes. Denn nur der Möglichkeit nach ist ein Identisches und Unteilbares beides Gegensätzliche zugleich (z.B. weiß und schwarz), der Wirklichkeit nach ist das Identische 'geteilt' (διαιρετόν) und immer nur einer der beiden Gegensätze. Das αίσθητικόν (bzw. νοητικόν) ist somit auch nicht in der Lage, die Formen eines Gegensatzpaars wie 'weiß' und 'schwarz' zugleich bei sich aufzunehmen, wenn in dieser Aufnahme der Formen αίσθησις bzw. νόησις 9 3 besteht. So wird also die sich vor 427"6 scheinbar anbahnende Lösung wieder verworfen. Dennoch bleibt der Gedanke eines Nebeneinanders von zwei Aspekten als Fundament einer nun freilich andersgearteten Lösung erhalten, die er mit dem Schlüsselwort στιγμή (bzw. πέρας) kennzeichnet. 'Punkt' oder 'Grenze' 94 . Wie der Punkt, so heißt es 427"9ff., zugleich eines und zwei ist, so ist auch das unterscheidende Vermögen < zugleich unteilbar und > 95 teilbar.

91 427*2/5: ap' ouv αμα μεν και αριθμώ άδιαίρετον και ά χ ώ ρ ι σ τ ο ν τό κρίνον, τ φ ε ΐ ν α ι δέ κεχωρισμένον; έστι 8ή πως ώς τό διαιρετόν των διηρημένων α ι σ θ ά ν ε τ α ι , ε σ τ ι δ' ώς η άδιαίρετον- τω είναι μέν γαρ διαιρετόν, τ ό π φ δέ καϊ αριθμώ άδιαίρετον. 92

Aristoteles fragt 427*5f.: ή οό% οίόν τε; 93 427*9: ...εϊ τ ο ι ο ϋ τ ο ν ή αϊσθησις και ή νόησις. 94 Beide, σ τ ι γ μ ή und πέρας, erscheinen an mehreren Stellen nebeneinander, s.z.B. außer 427" 13 auch metaph. 1 ΟόΟ615 f. 95

Die notwendige Ergänzung des in den Hss ausgefallenen και αδιαίρετος kann sich auf die antiken Erklärer berufen (vgl. en Apparat der O.C.T.Ausgabe von Ross zu 427*10), die den vollständigen Wortlaut entweder in ihrem Text vorfanden oder ihn selbständig korrigierten.

Zweites Kapitel

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Der Punkt ist gegenüber der μονάς dadurch bestimmt, daß er zwar wie diese αδιαίρετος ist, aber eine θέσις aufweist, d.h. seinem Ort nach bestimmt sein muß % . Femer kann nach mathematischer Auffassung in einem Punkt eine Berührung erfolgen97. RODIER98 und HICKS99 haben in ihren Erläuterungen zu 427· 10 das parallele Material aus Aristoteles, ersterer vor allem aus der Physik100, letzterer aus der Metaphysik101, angeführt. Da gerade metaph. 1002*34/b2 dazu geeignet ist, die Vorstellungen des Aristoteles zu verdeutlichen, sei dieser Text hier zitiert: δταν γαρ απτηται ή διαιρήται τά σώματα, αμα ότέ μεν μία άπτομένων ότέ δέ δύο διαιρουμένων γίγνονται· Bisweilen berühren sich Körper in einem Punkt, bisweilen trennen sich Körper, die zuvor einander in einem Punkt berührten, so daß dann gewissermaßen 'zwei Punkte' entstehen. Der Punkt ist an sich κατά τό ποσόν unteilbar. Insofern er zugleich der Anfang und das Ende einer Linie sein kann, ist er im Hinblick auf diese Doppelfunktion eine δυάς l02 . Wie der Vergleich mit dem Punkt zu verstehen ist, zeichnet sich nun klarer ab: Das einleitende ώσχερ, 427» 10, stellt den Vergleich des Unterscheidungsvermögens mit dem Punkt her. Die von BIEHL rekonstruierte Korrespondenz zwischen ταύτη und dem aus überliefertem ή verbesserten η ermöglichte die Wiederherstellung des Argumentes durch Ross, der einerseits zwingend καϊ αδιαίρετος einfügte, andererseits statt μία ή δύο die Lesart μία και δύο in den Text übernahm. Sofern nun das κρίνον unteilbar ist, ist es ein Eines und 'zugleich', d.h. in ein und demselben Augenblick, sofern es aber als ein διαιρετόν besteht, bedient es sich desselben 'Punktes' zweimal. Insofern es sich also zweimal (des Punktes als) einer Grenze bedient, erkennt es in gewisser Hinsicht, jeweils für sich getrennt, die Unterschiede verschiedener (hier zweier) αισθητά. Die όμοιότης, die dem Aristoteles auffallt, stellt das Verhältnis des κ ρ ί ν ε ι ν zu seinen κεκριμμένα oder κριτά dar. Die hier von Aristoteles in gedrängter Kürze behandelte Thematik wird im siebten Kapitel erneut aufgegriffen. Zunächst aber wendet sich die Darstellung anderen Problemen zu. Bevor wir diesen Überlegungen aber folgen können, gilt es, die eingangs erwähnte These Catherine OSBORNES erneut aufzugreifen. Ist der Auffassung zuzustimmen, daß es im vorliegenden 96

metaph. 1016b26. 31; 1084b26. 1069*12 u.a.; vgl. ΒΟΝΓΓΖ Ind.Ar. 701 b 25ff.

97 metaph. 1069*11/14: ev οϊς 8e μή ε σ τ ί ν αφή, ούκ εστί αύμφυσις έν τούτοιςώστ' ούκ εστι στιγμή μονάδι τ α ύ τ ό ν ταϊς μέν γαρ όκάρχει τό ακτεσθαι, ταΐς δ' οϋ κτλ. 98

RODIER 394.

99

HICKS 450.

100

263*23. 262*21 usw.

101

1002*32.

102

Vgl. bes. phys. 263«23ff.

46

Zweites

Kapitel

Kontext jedenfalls nicht dominant um die αΐσθησις αίσθήσεως gehe, sondern um eine Theorie der Möglichkeit der Bewußtwerdung von Unterschieden der Wahrnehmungen? Haben also die einleitenden Zeilen des zweiten Kapitels nur eine dienende Funktion, oder sprechen sie den eigentlichen Gegenstand des zweiten Kapitels an? Der Überblick über das gesamte zweite Kapitel zeigt, daß in der Tat vier Themen verhandelt werden, die miteinander in einem schwer faßbaren Zusammenhang zu stehen scheinen. Der erste Gedanke kreist um die Frage, ob wir mit der δ ψ ι ς oder mit einem anderen Sinn wahrnehmen, daß wir sehen und hören. Der zweite Abschnitt verfolgt das Verhältnis von αίσθησις und αϊσθηχόν auf den verschiedenen Ebenen der Modalität. Nach dem Kernsatz ή γαρ του π ο ι η τ ι κ ο ύ και κινητικοί» ε ν έ ρ γ ε ι α έ ν τ ω π ά σ χ ο ν τ ι έ γ γ ί ν ε τ α ν διό ούκ ά ν ά γ κ η τό κ ι ν ο δ ν κινεΐσθαι. 1 0 3 hatte Aristoteles geschlossen, εί δη έ σ τ ι ν ή κ ί ν η σ ι ς και ή π ο ί η σ ι ς έ ν τω π ο ι ο υ μ έ ν ω , ά ν ά γ κ η και τ ο ν ψόφον και την άκοήν την κατ' έ ν έ ρ γ ε ι α ν έν τή κατά δ ύ ν α μ ι ν είναι 1 0 4 . Im dritten Teil der Argumentation wird die Struktur der αΐσθησις auf λ ό γ ο ι zurückgeführt. Der vierte Teil behandelt komplexe Wahrnehmungen. Der Versuch, diese vier Themen oder auch nur die Resultate der einzelnen Argumente miteinander zu verbinden, scheint zunächst keinen sinnvollen Fortschritt zu ergeben. Hier gilt es, weitere Nachforschungen anzustellen. Die Richtung, in der man wohl zu suchen hat, mag auf folgende Weise angedeutet werden: Es dürfte kaum ein Zufall sein, wenn der zweite Abschnitt mit der Feststellung beginnt, daß die ε ν έ ρ γ ε ι α τοϋ αισθητού und die έ ν έ ρ γ ε ι α της αίσθήσεως ein und dieselbe sei, wenn auch ihr Sein verschieden bleibe. Die Konsequenz, die sich daraus für die Wahrnehmung, deren Objekt das Sehen und Hören ist, ergibt, besteht in der Identität der έ ν έ ρ γ ε ι α des Sehens, sofern es reflexiv auf sich selbst gerichtet ist, und der έ ν έ ρ γ ε ι α des Sehens, sofern es auf ein ϊδιον, also auf Farbe gerichtet ist und dem Sehen der erstgenannten Art zum αίσθητόν wird. Beide sind einerseits identisch, dem Sein nach aber verschieden. Daß im umgekehrten Sinn der Reflex der Wahrnehmung auf die Wahrnehmungen des Sehen und Hörens usw. an den Anfang einer Theorie der αϊσθησις gehört, weil sich nur auf diese Weise die Möglichkeit der Bildung einer Wahrnehmungstheorie begründen läßt, liegt auf der Hand. Das zweite Kapitel des dritten Buches aber stellt - und damit kehren wir zum Beginn unserer Ausführungen über diesen Text zurück - eine Art abschließender Darstellung der Wahrnehmungslehre des zweiten Buches dar, der grundsätzliche Erwägungen dieser Art gut anstehen.

103

426 a 4/6.

104

426'2.

Drittes Kapitel In einer für Aristoteles nicht ungewöhnlichen Weise1 beginnt das dritte Kapitel mit einem Satz, der formal ein Anakoluth ist. Dem Interpreten stellt sich angesichts dieses Befundes die Aufgabe, zu prüfen, ob nicht doch auch in der formal unvollständigen Periode ein Schlußsatz verborgen ist, der auf die deutlich feststellbaren und als solche identifizierbaren propositiones zurückbezogen bleibt und sich zu ihnen wie die conclusio zu den Prämissen fügt. Der erste Kausalsatz Έχει δέ δύο διαφοραΐς κτλ. faßt die beiden Kriterien zusammen, anhand deren diejenigen, die eine Definition der Seele versuchen, vorzugehen pflegen: Aristoteles nennt Ortsbewegung, sowie νοεΐν, φρονεϊν, αίσθάνεσθαι. Die an betonter Stelle 427*17 genannte Zweizahl veranlaßt den Leser, νοεΐν, φρονεϊν und αίσθάνεσθαι als vielfache Umschreibung ein und desselben Erkenntnisvorganges aufzufassen. Der zweite Nebensatz δοκεΐ δέ καϊ τό φρονεϊν ώσχερ αίσθάνεσθαι τι είναι spricht den durch δύο bereits angedeuteten Sachverhalt klar aus. Durch δοκεΐ allerdings schwächt Aristoteles die Unmittelbarkeit der Aussage ab und gibt zu erkennen, daß er ihr nicht unbedingte Gültigkeit zumißt. Die zweite Prämisse expliziert also die erste, aber doch in einer Form, die offenläßt, inwieweit der Glaube an die Ungeschiedenheit von νοεΐν, φρονεϊν und αίσθάνεσθαι τι Verbindlichkeit beanspruchen kann. Für die Deutung des indefiniten Pronomens τι eröffnen sich zwei Möglichkeiten: Die erstere und m. E. wahrscheinlichere Auslegung sieht hier den bei Aristoteles und Piaton oft belegten Ausdruck "eine bestimmte Art von X". Die logische Funktion dieses Sprachgebrauches besteht darin, die Herstellung einer vollkommenen Äquivalenz zwischen zwei Begriffen abzuweisen. In diesem Fall würde zwischen νοεΐν und φρονεϊν einerseits und αίσθάνεσθαι andererseits eben keine absolute Identität anzunehmen sein, sondern nur eine partielle. Die andere Möglichkeit, die auch von HICKS 2 in Erwägung gezogen wird, besteht darin, τί als Objekt zu αίσθάνεσθαι zu verstehen. Diese Auffassung läßt sich dadurch begründen, daß αίσθησις sich in der Aktualisierung des αίσθητικόν im αίσθητόν verwirklicht. Erst in der intentionalen Beziehung auf ein Objekt wird die ένέργεια της αίσθήσεως möglich. Ich halte diese Argumentation nicht für überzeugend, weil die Wendung αίσθάνεσθαι τι in der griechischen Sprache nicht in der von HICKS vorausgesetzten Weise verstanden wurde, sondern analog zu καρτερία τις oder κίνησίς τις u.a.m. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß die zweite Prämisse als Explikation der ersten Protasis sehr viel vorsichtiger formuliert ist, als die den 1

RODER

2

A.a.O. 454.

397.

48

Drittes Kapitel

Alten zugeschriebene Lehre sich darstellt: και οϊ γε αρχαίοι τό φρονεϊν και τό αίσθάνεσθαι ταύτόν εϊναί φασιν - ώσπερ και Εμπεδοκλής εΐρηκε κτλ. (427«21ff.). Zu diesem Eindruck großer Behutsamkeit trägt auch die Konjunktion 'wie', ώσκερ, bei3. Es könnte also möglich sein, daß dieser Schein einer partiellen Identität, oder formulieren wir noch vorsichtiger: einer gewissen Vergleichbarkeit (ώσπερ) von Aristoteles bejaht wird, wohingegen er die den Alten zugeschriebene Lehre nicht teilt. Für diejenigen, die eine Definition der Seele versuchen, stellt sich also das Verhältnis der intellektuellen Vermögen so dar, daß zwischen διάνοια und φρόνησις einerseits und einer gewissen Art von Wahrnehmung andererseits eine unbestimmte Beziehung von wenigstens partieller Identität, bzw. Vergleichbarkeit besteht. Der Grund für dieses Verhältnis wird in der Parenthese έν άμφοτέροις γάρ τούτοις κρίνει τι ή ψ υ χ ή και γνωρίζει των δντων genannt. Ähnlichkeit der Funktion soll nach einer ganz bestimmten Ansicht also sachliche Nähe garantieren. Freilich bleibt die Frage offen, ob die außerordentlich vage formulierte Gleichheit der beiden Erkenntnisweisen denn überhaupt zur Reduktion der διαφοραί auf zwei, wie sie in der ersten Prämisse explizit erscheint, ausreicht. Die bis hierher noch einigermaßen formal konzinn angelegte Exposition einer kausalen Periode, die nur um eine interne, parenthetisch eingeschaltete Begründung erweitert ist, gerät in der Fortsetzung formal aus den Fugen: 427*21 schließt sich eine historische Bemerkung an, durch die deutlich wird, daß wenigstens die alten Denker, d.h. vorsokratische Philosophen oder Homer, die Identifikation von αίσθάνεσθαι und φρονεϊν bzw. νοεί ν in praxi vollzogen haben. Die von Aristoteles so ausgelegten Texte, Emp. fr. 106 und 108, bzw. σ 136, werden z.T. metaphys. 1009b19ff. ausführlicher und um weitere Texte vermehrt zitiert. Die entscheidende Wendung der Deutung des Aristoteles ist, daß das ν ο ε ΐ ν wie das αίσθάνεσθαι als σωματικόν verstanden wird. Mit σωματικόν spielt Aristoteles auf die vorsokratische These an, die Seele bestehe wie der Kosmos im ganzen aus den einfachen Körpern, den Elementen. Je nachdem, ob die Denker, auf die Aristoteles sich beruft, der Welterklärung ein Element oder deren mehrere zugrunde legen, besteht nach der von Aristoteles referierten Theorie auch die Seele aus einem oder mehreren Elementen4. 409b24 formuliert Aristoteles die Intention, die die genannten Denker lenken mochte: λέγουσι μεν γάρ, ϊ ν ' αίσθάνηταί τε των όντων καί έκαστον γνωρίζη. Ein mögliches Mißverständnis weist

3

Wir beziehen uns hier auf das 4 2 7 M 9 in dem β ο κ ε ϊ - S a t z erscheindende (όακερ

4

Vgl. De an. 4 0 4 b 1 0 f f .

Drittes Kapitel

49

ab: "They put forward the theory, not, of course, in order that the soul may perceive reality, but in order that its perception of reality and knowledge may be explained." Nach der Uberzeugung des Aristoteles liegt der von Homer und vorsokratischen Philosophen wie Empedokles vertretenen Anschauung von der Identität der Erkenntnisvermögen φρονεΐν, bzw. νοεϊν und αισθάνεσθαι die Voraussetzung zugrunde, Erkenntnis sei γνωρίζειν τω όμοίω τό δμοιον. Die angehängte Partizipialkonstruktion 409b27f. ωσχερ αν ει την ψυχήν τά πράγματα τιθέντες ist von HICKS als Implikation der eben zitierten Voraussetzung gedeutet worden. Er übersetzt6: "For it is assumed that like is known by like; which implies that soul is identical with the things that it knows." - und erklärt den Passus7: "The assumption underlying all these views is that 'like knows like'. As Aristotle puts it, they supposed that the assumption 'like knows like' involved the identification of the soul with all the things which it knows." Es ist jedoch zu bedenken, daß die vorgetragene Deutung der Konjunktion ώσπερ αν εί nicht gerecht wird. Wir haben vielmehr davon auszugehen, daß den Vertretern der von Aristoteles charakterisierten Theorie der Erkenntnis des Gleichen durch das Gleiche die hier von Aristoteles angedeutete Konsequenz nicht bewußt war und daß sie eines jener αδύνατα darstellt, von denen er 409b25 sagt: άναγκαϊον δέ συμβαίνειν κολλά καϊ αδύνατα τω λόγω. Aristoteles hat damit die Intention genau umschrieben, von der sich die genannten Philosophen haben leiten lassen: Sie wollen den Erkenntnisprozeß als einen Vorgang erklären, der sich im Bereich des δμοιον vollzieht und übersehen dabei, daß die fundamentale Verschiedenheit des Erkennenden von den möglichen Gegenständen der Erkenntnis nicht erklärt wird. Vergleicht man damit die aristotelische Kritik an der Lösung, die Anaxagoras vorschlägt8, so tritt diese Intention um so klarer hervor: Anaxagoras stellt den νοΰς allem übrigen Sein als ein von diesem radikal Verschiedenes gegenüber. Nichts habe er mit allem übrigen gemein. Zwischen ihm und der Welt möglicher Erkenntnisobjekte vermittelt keine Brücke. So bleibt Anaxagoras nach der Überzeugung des Aristoteles den Nachweis der Möglichkeit von Erkenntnis schuldig. Demgegenüber findet Empedokles diesen Übergang; aber nach der Darstellung des Aristoteles zahlt er den Preis, daß er die Erklärung der Möglichkeit von Irrtum nicht zu geben vermag. Aristoteles entwickelt diese Kritik allerdings nicht in dem zusammenfassenden Text des ersten Buches I 5, wo Aristoteles auf einen anderen Mangel der Erkenntnis des Gleichen HICKS 5

5

A.a.O. 289 z.St.

6

A.a.O. 39.

7

A.a.O. 289.

8

405 b 19ff.

Drittes Kapitel

50

durch das Gleiche aufmerksam macht, nämlich auf die Unmöglichkeit, aus der genannten Voraussetzung die Erkenntnis des σύνολον abzuleiten, d.h. die Erkenntnis der Idee, die der jeweiligen Elementarverbindung Form und Einheit verleiht, bleibt unerkannt und unerklärt. Die Widerlegung der beiden konträren Positionen, der empedokleisch platonischen einer Erkenntnis des Gleichen durch das Gleiche und der anaxagoreisehen von der Unvermischtheit der Erkenntnis, bildet eines der bestimmenden Themen der ersten Hälfte des dritten Buches von De anima. Mit dem berühmten Satz des Anaxagoras wird sich Aristoteles im vierten Kapitel9 befassen, das oben angedeutete Scheitern der 'Erkenntnis des Gleichen durch das Gleiche' stellt er im vorliegenden Zusammenhang dar. Aristoteles führt die zuvor angedeutete Auffassung des Empedokles bzw. Homers auf den Grundsatz des γνωρίζειν τω όμοίφ τό ομοιον zurück. Mit wenigen Strichen skizziert er die Widerlegung der These. Ist sie nämlich nicht dazu geschaffen, den Irrtum zu erklären, so wird sie einer Macht nicht gerecht, die offensichtlich das Leben beherrscht. Das Lebewesen halte sich längere10 Zeit hindurch im Irrtum auf. Der Irrtum sei ihm in hohem Maße eigentümlich. Die These trete zwar mit dem Anspruch auf, das Erkennen zureichend zu bestimmen, versage aber vor der αχάτη. Aus der durch die Auffassung von Dichtern und Denkern wie Homer und Empedokles begründeten Lage entsteht nach Aristoteles das folgende Dilemma: Hält man an der Voraussetzung fest, daß das Gleiche durch das Gleiche wahrgenommen und erkannt werde, so ergibt sich: Entweder ist alles, was sich zeigt, wahr; dann aber ist der Irrtum in der Tat unerklärbar. Oder man sucht der nicht zu leugnenden Realität des Irrtums Rechnung zu tragen; dann freilich muß man den Irrtum als εναντίον zu der Erkenntnis der Wahrheit, d.h. als Kontakt mit dem Ungleichen, als θίξις τοϋ άνομοίou interpretieren. Gegen diesen zunächst oberflächlich einleuchtenden, plausiblen 'Ausweg' argumentiert Aristoteles in dem folgenden Satz 427 b 5f.: δοκεϊ δέ και ή απάτη καί ή έπιστήμη των εναντίων ή αύτη είναι. HICKS gibt zahlreiche Belege für ein und dieselbe έπιστήμη, die auf εναντία gerichtet ist. Für den Irrtum allerdings zitiert er keinen Belegtext11. Wenn sich aber άπάτη als εναντίον zu έπιστήμη verhält, erstere άνομοίου θίξις, letztere hingegen γνώσις τοϋ όμοιου τω όμοίφ ist und ferner ein und dasselbe Wissen stets auf εναντία gerichtet ist, so müßte der Irrtum selbst als Gegenstand einer möglichen έπιστήμη durch eine Erkenntnis des Gleichen durch das Gleiche erfaßt werden. Dann wäre die These, daß Erkenntnis und Wahrnehmung des Gleichen durch das Gleiche sei, nicht mehr aufrechtzuerhalten, weil sie der Voraussetzung widerspräche, Irrtum sei Berührung des Ungleichen. 9

Vgl.u. 84ff.

10

Der Komparativ 'länger' ist wohl zu ergänzen: 'ab in der

11

A.a.O. 455 (zu 427 b 5).

Wahrheil'.

Drittes Kapitel

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Die in der Form eines indirekten Beweises durchgeführte Widerlegung der These von der Erkenntnis des Gleichen durch das Gleiche hebt sich als eigenständige schlüssige Partie aus dem locker gefügten Bau des einleitenden Satzes ab. Unverzichtbarer Bestandteil dieser Substruktur ist der dilemmatische Schlußsatz, der durch διό eingeleitet wird ( 4 2 7 B 2 ) . Demgegenüber ist gegen Plutarch12, Simplikios13, Johannes Philoponos und unter den Neueren H . BONITZ 14 und D. Ross15 zu sagen, daß aus der Falschheit des Satzes von der Erkenntnis des Gleichen durch das Gleiche noch nicht zwingend die Falschheit der Behauptung folgt, φρονεΐν, bzw. νοεΐν seien mit αϊσθάνβσθαι identisch. Die Widerlegung dieser Identitätsbehauptung erfolgt denn auch mit ganz anderen Argumenten ab 4 2 7 B 6 . Der mit öti eingeleitete Satz greift zwar thematisch über die 'reductio' und schließt wieder an die zweite Prämisse bzw. ihre geschichtliche Entfaltung 427 A 1 9 / 2 6 an. Er kann aber wohl kaum als Schlußsatz des ganzen einleitenden Argumentes in Anspruch genommen werden, da er selbst erst durch die auf ihn folgende Begründung gestützt wird. Mit δτι beginnt also der eigentliche Nachweis der Nichtidentität von φρονεΐν bzw. νοεΐν und αϊσθάνεσθαι. Die Partikelkombination μεν ouv spiegelt die vermittelnde Struktur des Satzes; denn DENNISTON unterscheidet drei Bedeutungen dieser Junktur, die retrospektive, prospektive und transitorische Funktion16. Diese drei Kennzeichnungen beschreiben genau die vielfältigen Beziehungen, die den öxi- Satz mit der ihn umgebenden Argumentation verbinden. Stellt man nun abermals die Frage nach dem Schlußsatz der einleitenden Periode, so müssen wir es wohl entweder bei einem non liquet belassen, d.h. den Anakoluth als einen solchen nicht nur für die grammatische Form, sondern auch für die gedankliche Konstruktion anerkennen, oder auf die Lösung zurückgreifen, die Johannes Argyropulos und, ihm nachfolgend, im vorigen Jahrhundert Adolf TORSTRIK vorschlagen. Argyropulos glaubt, den Gang der Argumentation folgendermaßen ergänzen zu können: "Considerandum est si quid intersit inter intelligere et sentire;" TORSTRIK rekonstruiert den griechischen Text: σκεκτέον et τι διαφέρει τό νοεΐν τοϋ αϊσθάνεσθαι und will seine Konjektur in den Text aufgenommen wissen. Wir glauben, daß diese Deutung im Kern richtig ist. Freilich bedarf der Gedankengang noch einiger Klärung: Genauer dürfte man die Intention des Aristoteles treffen, wenn man die von TORSTRIK richtig formulierte Frage in Zusammenhang mit dem 4 2 7 A 2 7 12

Bei Joh. Phil. 489,10.

13

Simpl. 204f. (zu 427 b 6ff.).

14

Aristotelische Studien 227ff.

15

A.a.O. 284.

16

The Greek Particles, 470ff. Vgl. dazu Verf. Aristote, Traite de l'äme III 3 et le concept aristotelicien de la φ α ν τ α σ ί α , in: Les Etudes Philosophiques, 1988, 225.

Drittes Kapitel

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zitierten Grundsatz der Erkenntnis des Gleichen durch das Gleiche und der vorauszusetzenden Körperlichkeit des νοϋς zu begreifen sucht. Die Richtung des Gedankens ist somit festgelegt: Es geht darum, den Schein der schlechthinnigen Identität von ν ο ε ΐ ν und α ί σ θ ά ν ε σ θ α ι , der für die Alten nach Darstellung des Aristoteles offenbar Gewißheit war, zu zerstreuen, auf diesem Wege die Idee der Körperlichkeit des Erkennens (in der zwiefachen Weise des Denkens und des Wahrnehmens) zu widerlegen, um damit der γ ν ώ σ ι ς τ ο ϋ ό μ ο ι ο υ τ ω όμοίω als herrschendem Prinzip des Erkennens den Boden zu entziehen. Dieser gesamte Komplex ist allerdings mindestens in formaler Hinsicht zunächst nicht Bestandteil des Hauptstranges der Argumentation, sondern erscheint gewissermaßen parenthetisch auf der Ebene der zweiten Prämisse, an die er sich fast assoziativ anfügt: "Es hat aber den Anschein, daß ... - Die Alten waren gar der Meinung usw..." 1 7 . Der gesamte Zusammenhang von 427·21 (και οϊ γε αρχαίοι) bis zu dem nur scheinbar rekapitulierenden ö t i - Satz 427 b 6 ist also trotz seiner Bedeutung für das Folgende als ein Exkurs zu beurteilen, der scheinbar den zentralen Weg der Argumentation verläßt. In Wahrheit aber trügt dieses Bild: Der vermeintlich rekapitulierende Satz, aber auch die gesamte Argumentationsstruktur der ersten Kapitelhälfte erheben unsere Vermutung zur Gewißheit, daß der Plan des Argumentes etwa folgendes Gesicht hat: (1) Da man die Seele hauptsächlich anhand zweier Kriterien definiert, nämlich der Ortsbewegung und der Erkenntnis in der vielfältigen Form des φ ρ ο ν ε ΐ ν , ν ο ε ΐ ν und α ί σ θ ά ν ε σ θ α ι , (2) φ ρ ο ν ε ΐ ν und ν ο ε ΐ ν aber offenbar mit einer Art Wahrnehmung vergleichbar sind, die Alten gar Identität von ν ο ε ΐ ν und αίσθάνεσθαι behaupten, weil sie beide für somatisch erachten und sowohl Denken wie auch Wahrnehmung Formen der γ ν ώ σ ι ς t o ü όμοιου τω όμοίω seien, eben dieser Grundsatz aber das Dilemma erzeugt, daß entweder i. alle φ α ι ν ό μ ε ν α wahr sind und es keinen Irrtum gibt, oder ii. Wissen nicht über den Bezug auf die ε ν α ν τ ί α verfügt,... Die Apodosis kann nun kaum lauten wie der 427 b 6 anhebende δτι-Satz, sondern muß in der Tat die Notwendigkeit der Prüfung dieses Sachverhalts enthalten, da nur sie aus den beiden Prämissen folgt. Die andere offene Frage ist die nach der Bewegung. Aristoteles handelt in den Kapiteln 9ff. des dritten Buches darüber. Für die Apodosis wäre dann also die folgende Gestalt vorauszusetzen: (3) Es gilt also a) zu prüfen, ob der unter (2) a. genannte Sachverhalt den Tatsachen entspricht oder nicht, b) dem Kriterium der Ortsbewegung nachzugehen.

17

427M9f., bzw. »21f.

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Wie bereits oben erklärt18, beginnt die eigentliche Widerlegung der Identitätsbehauptung 427b6. Für die Nichtidentität von φρονεϊν und αίσθάνεσθαι führt Aristoteles einen zwingenden Grund an: An der Wahrnehmung haben alle Lebewesen teil, an der φρόνησις nur wenige. Die Exklusivität der Begabung zur φρόνησις wird also dazu benutzt, die Nichtäquivalenz der beiden Erkenntnisvermögen zweifelsfrei zu erweisen. Die von Aristoteles zitierten Belege für archaische Identifikation von φρονεϊν/νοεϊν und αίσθάνεσθαι verwenden die beiden ersteren Begriffe 'promiscue'19. Diese Tatsache legt es nahe, auch bei einem Nachweis der Nichtidentität der intellektuellen Vermögen mit der Wahrnehmung auf eine weitergehende Differenzierung zu verzichten. In der Tat aber läßt Aristoteles auf das erste Argument, die Abweisung der Identität von φρόνησις und αΐσθησις, ein zweites folgen, das die Nichtidentität von νοεΐν und αίσθάνεσθαι beweisen soll. Dabei ist zu bedenken, daß Aussagen, die die Nichtäquivalenz von Termen zum Inhalt haben, außerordentlich schwach sind. Unter diesem Gesichtspunkt gäbe es wenig Grund, eine Mehrzahl von fast synonymen Begriffen, die intellektuelle Fähigkeiten bezeichnen, als nichtidentisch mit der Wahrnehmung zu erweisen. Es würde vollkommen ausreichen, den geforderten Beweis nur für den Kembegriff der ganzen Reihe zu führen. Dennoch geht Aristoteles einen anderen Weg, dessen Begründbarkeit zu ermitteln Aufgabe der Erklärung ist. Der 427b8 ansetzende zweite Beweis entwickelt eine Art 'Tafel' der verschiedenen Erkenntnisvermögen und gliedert sie nach ihrem Bezug zur Richtigkeit: άλλ' ούδέ τό νοεΐν, έν ω έστί τό όρθώς και τό μή όρθώς, τό μεν όρθως φρόνησις και έπιστήμη και δόξα αληθής, τό δε μή όρθως τάναντία τούτων κτλ.20. Dabei fällt auf, daß φρόνησις wie έπιστήμη und δόξα αληθής stets 'richtig' sind, daß man also nur unter der Bedingung von φρονεϊν, von έπίστασθαι und δοκεΐν (im Sinne der δόξα αληθής) sprechen kann, wenn ihnen das όρθώς innewohnt. Νοεΐν hingegen ist bald richtig, bald nicht richtig. Es ist demnach keine Grundbedingung für die Wirklichkeit eines Denkens, daß das in diesem und von diesem Denken Gedachte richtig ist, während man immer und nur dann von 'Klugheit' spricht, wenn sie das όρθως in sich schließt. Wendet man das Kriterium des unterschiedlichen Wahrheitsbezuges der beiden Erkenntnisvermögen auf die Analyse des gedanklichen Gefüges, so weist die φρόνησις einen überraschenden Zug von Übereinstimmung mit der αϊσθησις auf: Φρόνησις ist stets wahr; αΐσθησις ist, jedenfalls auf ihrer ersten Stufe als αΐσθησις των ιδίων, ebenfalls stets wahr. Unter dem

18

S.o. 52ff.

19

Empedoldes φρονεϊν, Homer νόος.

20

Vgl. dazu die Stellenhinweise bei THEILER 135 (zu S. 54,24f. der Übers.).

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Gesichtspunkt ihres Wahrheitsbezuges hätte also wenigstens der Versuch einer Identifikation von φρόνησις und αϊσθησις nahegelegen. Noeiv weist dagegen unter diesem Hinblick keinerlei Ähnlichkeit zu αΐσθησις auf. Um wieviel weniger Berechtigung hat also die Identifikation von voeiv und αίσθάνεσθαι! Hinzu kommt, daß gegenüber der allen Lebewesen eigenen Wahrnehmung für die διάνοια ähnlich wie auch für φρόνησις eine strikte Exklusivität gilt: Nur solche Lebewesen, die mit Logos begabt sind, verfügen auch über νοεϊν. Die begriffliche Differenzierung von φρόνησις und διάνοια stellt sicher einen bedeutenden Erkenntnisfortschritt gegenüber der Epoche des Denkens dar, die durch die von Aristoteles zitierten Texte repräsentiert wird. Im Zusammenhang der vorliegenden Argumentation ermöglicht sie die Struktur eines argumentum α fortiori, das etwa so zu formulieren wäre: Wenn schon die Identifikation von «ρρόνησις und αΐσθησις, die doch auf Grund eines ähnlichen Wahrheitsbezuges nahegelegen hätte, nicht möglich ist, um wieviel weniger denkbar ist dann die Identifikation von διάνοια und αίσθησις, zwischen denen die das erste Paar verbindende Strukturähnlichkeiten nicht bestehen. Die Vermutung, daß es sich in der Tat um ein argumentum α fortiori handelt, wird auch durch die Verwendung der Partikelkombination άλλ' ούδέ nahegelegt, für die DENNISTON diese Funktion unter Hinweis auf andere Belegstellen nachgewiesen hat21. Wenn aber sowohl inhaltliche wie auch sprachliche Indikatoren in dieselbe Richtung führen, so sollte man sich der Annahme der genannten argumentativen Struktur nicht verschließen. Wie fügt sich der 427b14 anschließende begründende Satz in das Gewebe? Wie ist das offenbar völlig unvorbereitete Erscheinen des Begriffes φαντασία zwingend zu erklären? Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, diese Stelle aus dem Zusammenhang zu verstehen? Seit jeher hat kaum ein anderer Passus des Kapitels in demselben Maße wie dieser viel diskutierte Text die Aufmerksamkeit der Erklärer erregt. Von den neueren Kommentatoren haben sich allerdings nur RODIER 22 und HICKS 2 3 der Stelle ausführlicher angenommen. Ross geht in seinem die Besprechung des Kapitels einleitenden Überblick24 und auch in seiner Kommentierung der Stelle25 eher beiläufig auf den Text ein, THEILER interpretiert γάρ unter Hinweis auf 417b5 als nachholend26. Seine weiteren Bemerkungen verfolgen die Problematik, um die es uns geht, nicht weiter

21

A.a.O.

22

A.a.O. 403.

23

A.a.O. 456f.

24

A.a.O. 281.

23.

Zu der 'varia lectio' ά λ λ ' ούδέ δέ vgl.

25

A.a.O. 284.

26

A.a.O. 136.

EUCKEN

32.

Drittes Kapitel

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und können hier außer Betracht bleiben. HAMLYN 2 7 glaubt, der Satz sei "presumably meant to meet a hypothetical objection that imagination is found in all animals." RODIER 2 8 hält den Anschluß φαντασία γάρ...für "assez clair"; νοεΐν finde sich nur bei vernunftbegabten Wesen; denn die φαντασία, die nur gewissen Lebewesen zukomme, sei nicht das Denken29. Γάρ soll nach Simplikios30 deshalb von Aristoteles in den Text gesetzt sein, weil διάνοια nur den vernünftigen Lebewesen zukomme. RODIERS Ansatz läßt - darin besteht seine Schwäche - im Unklaren, weswegen Aristoteles die Verschiedenheit der φαντασία von der Wahrnehmung ebenso deutlich hervorhebt. Sie wird nur der Betonung der Verschiedenheit der φαντασία von der διάνοια gerecht. HICKS möchte γάρ auf die Einteilung der νόησις in φρόνησις, έπιστήμη und δόξα άληθής 427 b 9/ll zurückbeziehen. Der γάρ-Satz wäre dann so zu interpretieren: In der 'divisio' des Begriffes voeiv fehlt φαντασία; denn φαντασία ist nicht nur von αίσθησις, sondern auch von διάνοια verschieden. Daß diese Deutung zu einer ziemlich redundanten Aussage führt, räumt 31 HICKS selbst ein: "The whole context abundantly proves that νοεΐν and διανοεΐσθαι, νόησις and διάνοια are used indifferently." In seiner klassischen Studie deutet FREUDENTHAL 32 die Stelle als Abweisung eines möglichen Einwandes gegen die These der Nichtidentität von Wahrnehmung und Denken. Dieser Einwand müßte etwa so formuliert werden: Als einen der beiden Gründe, die gegen die Identität von Denken und Wahrnehmung sprechen, nannte Aristoteles die Exklusivität des Denkens gegenüber der Teilhabe aller Lebewesen an der Wahrnehmung. Wie aber verhält es sich dann mit φαντασία, die ebenfalls nicht allen Lebewesen gegeben ist, die aber dennoch eine Art αΐσθησις ist? Aristoteles weist diesen Einwand nach FREUDENTHAL durch den Hinweis darauf zurück, daß φαντασία nicht nur von φρόνησις, sondern auch von αϊσθησις verschieden sei, so daß das vorige Argument seine Stichhaltigkeit verlöre. Wenn HICKS auch diesen Lösungsvorschlag wegen der an sich zwar nicht unmöglichen, im vorliegenden Falle aber besonders kühnen Ellipse, die

27

Η AML Υ Ν a.O. 130.

28

RODIER a.O. 403. Übersicht über ältere Literatur z.St. a.a.O. 408f. Hier ist vor allem F. SUSEMIHLS Theorie hervorzuheben (Phil. Wochenschr. 1882, 1283), der entweder 427 b 14/24 ganz streichen möchte, oder es doch mindestens für eine an falscher Stelle eingerückte Passage hält. 29

Ebd.

30

205,16ff.

31

A.a.O. 457.

32

J. FREUDENTHAL, Über den Begriff des Wortes Φ Α Ν Τ Α Σ Ι Α bei Aristoteles, Göttingen 1863, 10.

Drittes Kapitel

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voraussetzen muß, zu Recht für "questionable" hält33, scheint FREUDENTHALS Vorschlag nach unserer Meinung den Gegebenheiten des Textes von allen angebotenen Lösungen noch am ehesten gerecht zu werden. In der Tat erhielte so die Kausalpartikel eine sinnvolle Bedeutung, und in der Tat legt der Wortlaut φαντασία γάρ έτερον die negative Bezugnahme auf eine vorausgegangene Identifikationsbehauptung nahe. Zu den Schwächen der Erklärung FREUDENTHALS gehört aber unzweifelhaft das Fehlen einer vernünftigen Begründung dafür, daß mit 427b14 eine radikale Verschiebung der Thematik des aristotelischen Raisonnements erfolgt. Von jetzt an steht eindeutig und kompromißlos der Begriff φαντασία im Zentrum des Nachdenkens. Wie aber kommt es dazu? Was ist hier geschehen? Es scheint methodisch nicht gerechtfertigt, die Prämisse von Robert HICKS zu übernehmen, der von einer so lockeren Fügung des Gedankengangs ausgeht, daß man sich fragt, wozu denn eine Analyse der Argumentation überhaupt noch dienen soll34. Wir versuchen deshalb, einen anderen Weg zu gehen, der vielleicht eine klarere und exaktere Entscheidung darüber ermöglicht, ob nicht doch eine sinnvolle Einfügung des umstrittenen Textabschnittes in den Gedankengang denkbar ist. Selbst wenn diese Prüfung negativ ausfallen sollte, dürfte die Mühe nicht vergebens gewesen sein. Der Ertrag bestünde dann im Gewinn einer verläßlicheren Position für denjenigen, der dem Argument von III 3 die Stringenz absprechen möchte. Um der Aufgabe, einen Lösungsvorschlag zu entwickeln, näherzutreten, sei die Vorüberlegung angestellt, über was für Hilfsmittel denn der Interpret des Textes verfügt, wenn er die überraschende Wendung φαντασία γάρ ετερον κτλ. einordnen will. So weit ich sehe, bieten sich drei Hilfen an, von denen wir ausgehen können: (1) Die Aussage des Satzes 427b14: φαντασία γαρ δτερον καϊ αίσθήσεως καϊ διανοίας, αϋτη τε ού γίγνεται άνευ αίσθήσεως, καϊ άνευ ταύτης ούκ έστιν ύπόληψις 35 . (2) Die kausale Funktion dieses Satzes, angezeigt durch die Partikel γάρ. (3) Der allgemeine Kontext der Argumentation. Von einer kausalen Beziehung der Einführung des Begriffes φαντασία auf die vorausgehende Partie des Textes (2) kann man angesichts der guten textlichen Bezeugung von γάρ nicht absehen. Eine exakte Begrenzung desFREUDENTHAL

33

A.a.O. 456.

34

A . a . O . 453.

35

Daß ύ π ό λ η ψ ι ς nicht als 'Vermutung' (RODIER sagt 'croyance') zu verstehen ist, sondern als Oberbegriff für die Formen intellektueller Erkenntnis, macht RODIER 403 deutlich. Dies dürfte auch der Sinn des angehängten Hinweises auf eben diese Funktion von ύ π ό λ η ψ ι ς sein, mit dem der erste Hauptteil des Kapitels endet. Vgl. zu der Rolle von ύ π ό λ η ψ ι ς im Zusammenhang der Stelle auch HAMLYN 130. Vgl. MODRAK (1987) 114. Die Verf. erklärt mit Bezug auf 427 B 25/26, daß ύ π ό λ η ψ ι ς Gattungsbegriff der rationalen Vermögen ε π ι σ τ ή μ η , 8 ό ξ α und φ ρ ό ν η σ ι ς sowie ihrer Gegenteile sei. Zu dieser letzteren Wendung s. MODRAK ebd.

Drittes Kapitel

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sen, was wir 'vorausgehende Partie des Textes' genannt haben, läßt sich nicht festsetzen. Als Frage können wir diesen Sachverhalt formulieren: Was soll durch den γάρ-Satz begründet werden? Die Aussage des Satzes (1) gibt eine inhaltliche Begründung, die dieses Unbekannte begründen soll. Setzen wir diesen Inhalt in die soeben formulierte Frage ein, so lautet sie: Wie lautet jenes X, das durch die Aussage, daß φαντασία sowohl von αίσθησις als auch von διάνοια verschieden sei und daß φαντασία nicht ohne αίσθησις, ύχόληψις nicht ohne φαντασία vorkomme, begründet werden soll? Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir auf den Kontext der Argumentation ( 3 ) zurückgreifen. Zunächst ist mit FREUDENTHAL festzuhalten, daß das vorauszusetzende X Identität von αίσθησις und φαντασία oder von διάνοια und φαντασία entweder explizit oder implizit behauptet hat. Eine explizite Form der Behauptung ist abzuschließen, wenn man nicht willkürlich eine Textlücke annehmen will. Die Frage, die wir also an den Zusammenhang richten, lautet nunmehr: Wo ist implizit in der vorausgehenden Partie des Textes die Identität von φαντασία und αΐσθησις oder von φαντασία und διάνοια behauptet? Das zentrale Thema des ersten Abschnittes von III 3 ist, wie erinnerlich, der Erweis der Nichtidendtät von φρόνησις/νοεΐν und αίσθάνβσθαι. Von dieser Partie aus gesehen, kann die mit φαντασία γάρ eingeleitete Begründung kaum eine andere Funktion haben als die endgültige Widerlegung der im ersten Teil des Kapitels bekämpften vorsokratischen These. In dieser müßte man dann auch die implizite Behauptung der Identität von φαντασία und αίσθησις, oder von φαντασία und ύχόληψις suchen. Offenbar hat bereits Julius PACIUS 36 versucht, den Satz 427b14ff. als Widerlegung der Identität von Denken und Wahrnehmung zu erklären. Die Mittel, die er dazu einsetzte, erwiesen sich allerdings als untauglich. Sein Versuch mußte scheitern: probat enim (sc.Aristoteles) distinctionem inter sensum et ratiocinationem ex eo quod inter utrumque collocatur phantasia, quae ab utroque separatur, nam si ambo extrema differunt medio, multo magis differunt inter se. Das argumentum α fortiori, das er entwickelt, wird von HICKS zu Recht aus zwei Gründen verworfen: Es entspricht nicht den Gegebenheiten des Textes, der ausdrücklich von έτερον und nicht etwa von μέσον spricht, was bei Annahme des Vorschlages von PACIUS vorauszusetzen wäre. Außerdem ist es nicht erlaubt, von der Verschiedenheit zweier Dinge im Verhältnis zu einem dritten auf die Verschiedenheit der beiden ersteren im Verhältnis zueinander zu schließen. Dennoch haben PACIUS, HICKS und die anderen Erklärer etwas übersehen, was ihnen zweifellos geholfen hätte, den Text besser zu verstehen. Sie haben es versäumt, die Bedeutung der zweiten Hälfte des Satzes 427b15f. 36

Aristotelis De anima, graece et latine, cum commentario, Frankfurt a.M. 1596, 356.

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Drittes

Kapitel

αϋτη τε ού γ ί γ ν ε τ α ι άνευ αϊσθήσεως, και άνευ ταύτης ούκ έ σ τ ι ν ύ π ό λ η ψ ι ς für die Argumentation ernsthaft fruchtbar zu machen. Aus den in den beiden Satzabschnitten enthaltenen vier Prämissen: (a) φαντασία ist nicht äquivalent mit αϊσθησις, (b) φαντασία ist nicht äquivalent mit ύπόληψις, (c) φαντασία impliziert αίσθησις, (d) ύ π ό λ η ψ ι ς impliziert φαντασία, folgt nämlich zwingend, daß αΐσθησις und ύπόληψις nicht äquivalent sein können: Da man die Prämisse (b) auch in der folgenden Weise formulieren kann: ( b ' ) φαντασία impliziert nicht ύ π ό λ η ψ ι ς , oder ύπόληψις impliziert nicht φαντασία, und beide Formulierungen (b) und (b 1 ) äquivalent sind, folgt aus (d) und (b): (1) φαντασία impliziert nicht ύπόληψις. Entsprechend folgt aus (c) und (a): (2) αίσθησις impliziert nicht φαντασία. Die These, die es zu beweisen gilt, lautet nun: Aus (a), (b), (c) und (d) folgt, daß αΐσθησις und ύ π ό λ η ψ ι ς nicht äquivalent sind. Es empfiehlt sich, den Beweis indirekt zu führen. Dann müßte die zu widerlegende Ausgangsthese lauten: i. αίσθησις und ύ π ό λ η ψ ι ς sind äquivalent. Daraus folgt: ii. αΐσθησις impliziert ύπόληψις. Aus ii. und (d) folgt: iii. αϊσθησις impliziert φαντασία. Dieser Satz jedoch widerspricht (2). Wenn iii. aber (2) widerspricht, dann widerspricht iii. erst recht (c) und (a), da (2) aus (c) und (a) folgt. Damit ist die Unhaltbarkeit der Gegenthese und zugleich die Richtigkeit der Ausgangsbehauptung bewiesen. Überblickt man nun das gedankliche Gefüge vom Einsatz unserer Überlegungen bis hierher, so fällt auf, daß der Nachweis der Nichtidentität von Wahrnehmung und Denken bereits längst geführt ist. Es fragt sich also, ob die Interpretation eine redundante Beweisführung in Kauf zu nehmen gedenkt, oder ob sie eine andere Erklärung für den scheinbaren Pleonasmus geben kann. Um diesen letzteren Zweck zu verfolgen, vergegenwärtigen wir uns die Argumentation seit Beginn des dritten Kapitels: Aristoteles beginnt mit einer Widerlegung des die vorsokratische These der Identität von αΐσθησις und ύ π ό λ η ψ ι ς tragenden Grundsatzes τό δ μ ο ι ο ν τω ό μ ο ί ω γ ν ω ρ ί ζ ε ι ν . Durch Hinweis auf die Unvereinbarkeit des Irrtums mit dem Grundsatz fällt dieser. Ein zweiter Schritt führt zur direkten Widerlegung der Identität von Denken und Wahrnehmung. Dieser Gedanke ist selbst zweiteilig gegliedert. Er wird parallel für φ ρ ο ν ε ΐ ν und ν ο ε ΐ ν durchgeführt. Die beiden Kriterien, an denen sich die Nichtidentität von φρονεΐν bzw. ν ο ε ΐ ν und

Drittes Kapitel

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αίσθάνεσθαι entscheidet, sind der jeweilige Wahrheitsbezug der Erkenntnisvermögen sowie ihre vorhandene oder nichtvorhandene Exklusivität. Damit ist die Nichtidentität der genannten Erkenntnisvermögen offenbar (φανερόν). Aus den vier Prämissen 427b14ff. wird nun vom Begriff der φαντασία aus die Unvereinbarkeit der Annahme eines eigenen Erkenntnisvermögens φαντασία mit der Identität von Denken und Wahrnehmung zwingend erwiesen. Zwar legen bereits (3) und (4) implizit den Schluß nahe, daß im Falle einer Äquivalenz von αίσθησις und ύχόληψις auch φαντασία von diesen nicht mehr zu scheiden sei. Doch erst die Verbindung aller vier Prämissen zeigt klar, daß die Annahme einer φαντασία die Nichtäquivalenz von Wahrnehmung und Denken zur Voraussetzung hat. Aus dieser Sicht gliedern die drei Schritte den ersten Teil des dritten Kapitels, geben ihm einen streng gefügten und zur φαντασία hinführenden Aufbau. Die begründende Partikel γάρ erfüllt ihre Funktion, indem durch den Nachweis der Unvereinbarkeit von φαντασία und Äquivalenz der Wahrnehmung und des Denkens die zuvor erfolgten Schritte zur Auflösung dieser Äquivalenz ihren Sinn erhalten. Sie schaffen den Raum für eine Behandlung der φαντασία, die von nun an im Zentrum des Nachdenkens steht. 427b16 beweist Aristoteles zunächst die zweite Prämisse, d.h. die Nichtäquivalenz von φαντασία und ύχόληψις bzw. διάνοια. Das Kriterium ist τό έφ' ήμϊν. Δοξάζειν ist hier als das zugehörige Verb zu ύπόληψις/διάνοια aufzufassen37. Δοξάζειν ist nicht in unserer Verfügbarkeit, sondern entscheidet sich am Kriterium der Wahrheit oder Falschheit. Daneben gibt es ein zweites, mit έτι angeschlossenes Argument, das in dieselbe Richtung weist: έτι δέ δταν μέν δοξάσωμεν δεινόν τι ή φοβερόν, εύθύς συμπάσχομεν, όμοίως δέ καν θαρραλέον- κατά δέ τήν φαντασίαν ωσαύτως έχομεν ώσχερ αν εί θεώμενοι έν γραφή τά δεινά ή θαρραλέα (427b21/24). Eine ύπόληψις des Furchtbaren ergreift uns danach unmittelbar, während φαντασία des Schrecklichen eine Reaktion in uns hervorruft, die deijenigen auf ein Gemälde mit einer Darstellung des Schrecklichen ähnelt. Die Stellen aus den Parva naturalia und anderen Texten, die gegen das letztere der beiden Argumente ins Feld geführt werden, sind sicher allesamt nicht stichhaltig. So kann man etwa De insomn. 3 460b3 und 462*13 durch den Hinweis auflösen, daß hier die Grenze zwischen Einbildung und Erscheinung nicht klar gezogen ist. Die Aussage des Aristoteles bezieht sich aber zweifellos auf Situationen, in denen der Betrachter sich der Tatsache, daß er einer φαντασία gegenübersteht, klar bewußt ist. Die mittelbare Wirkung der φαντασία, die mit ihrer eigenartigen Stellung zu 'wahr' und 'falsch' zusammenhängt, wird hier nicht thematisiert, 37

Vgl. RODIER 408 zu 427 b 20.

60

Drittes Kapitel

sondern sie dient nur als Kriterium für die Beurteilung des Verhältnisses von φαντασία und ύπόληψις. Gegen das erste der beiden Argumente wurden Einwände erhoben. SuSEMIHL glaubt, auch das Denken unterliege dem menschlichen Willen, so daß wir denken können, wann immer wir dazu willens sind. Er übersieht freilich, daß eben dann, wenn wir uns entschlossen haben zu denken, dieses Denken sogleich in der Scheidung von άληθεύειν und ψεύδεσθαι steht, während φαντασία als der letzten Instanz nur unserem Willen untergeordnet ist. Eine ähnliche Erklärung scheint auch H A M L Y N 3 8 vorzuschlagen: Mit Bezug auf 427b17f. meint er: "It is not absolutely clear that this is correct, since we can at any rate set out to believe things or make ourselves believe things." Dann räumt er aber ein: "On the other hand, truth and falsity are certainly essential characteristics of belief, while they are not pertinent to imagination in the same way." Nachdem 427b25f. ύπόληψις als Oberbegriff deijenigen intellektuellen Vermögen verwendet wird, die sich im όρθώς erfüllen, d.h. der έπιστήμη, der δόξα (wohl verkürzt für δόξα αληθής), der φρόνησις sowie deren εναντία - also in ähnlicher Funktion, wie an früherer Stelle νοεϊν als Oberbegriff dieser Vermögen erschien, - wirkt der Rekurs auf τό ν ο ε ϊ ν , zwei Zeilen später, ohne Zweifel verwirrend. Noch erstaunlicher nimmt sich die nun allerdings mit δοκεϊ eingeführte Einteilung dieses Begriffes ν ο ε ϊ ν in die beiden Unterbegriffe φαντασία und ύπόληψις aus: περί δέ τοϋ νοεϊν, έπεϊ έτερον του αίσθάνεσθαι, τούτου δέ τό μεν φαντασία δοκεϊ είναι τό δέ ύπόληψις, περί φαντασίας διορίσαντας οϋτω περί θατέρου λεκτέον. Bei näherem Zusehen freilich zeigt sich, daß die beiden Einteilungen 427 b 10f. bzw. b25f. und 427b27 nicht miteinander konkurrieren. Während an den beiden zuerst genannten Stellen sich verschiedene Weisen des Erkennens wie Arten zu ihrer Gattung verhalten, besteht nach 427b14 zwischen αΐσθησις, φαντασία und ύπόληψις eine transitive Relation. Diese miteinander kooperierenden und aufeinander aufbauenden Erkenntnisvermögen lassen erst im Zusammenwirken νόησις entstehen. Durch die 427b27 skizzierte Einteilung wird der Begriff gewissermaßen in der 'Vertikalen' ausgeleuchtet, indem seine Konstituenten als Teile figurieren. Da von der Wahrnehmung bereits das zweite Buch und die ersten Kapitel des dritten Buches handeln, kann sich Aristoteles hier auf φαντασία und ύπόληψις beschränken. Vielleicht ist auch das eigentliche Motiv, das der Untersuchung der φαντασία zugrunde liegt, die Erforschung der νόησις, und erst im Zusammenhang damit die Rolle der φαντασία im Prozeß des Erkennens. Φαντασία würde dann mehr zusr Seite des Denkens neigen, ein Zug, der sich für bestimmte ihrer Formen nach den Ausführungen des

38

A . a . O . 131.

Drittes Kapitel

61

neunten Kapitels und der anschließenden Textpartien bestätigt. Νοεΐν wäre als ein der ύπόληψις übergeordneter Begriff von höherem Allgemeinheitsgrad zu verstehen. Der ganze Satz 427b27/29 ist eine Kausalperiode, mit deren Hilfe Aristoteles seine weitere Verfahrensweise erläutert. Da Denken und Wahrnehmen nicht äquivalent sind und da Denken einesteils φαντασία, anderesteils ύπόληψις zu sein scheint, stellt sich die Aufgabe, zunächst φαντασία und sodann ύκόληψις zu erklären. Damit eröffnet Aristoteles explizit die Untersuchung der φαντασία, die sich über den gesamten zweiten und dritten Teil des Kapitels erstreckt. Zu den schwierigsten Partien des gesamten Textes zählt der Konditionalsatz 428» 1/5. Hält man an der überlieferten Form des Textes fest, so kommt man nicht umhin, die *3 einsetzende Apodosis μία τις δστι τούτων δύναμις ή έξις καθ' ας κρίνομεν και άληθεύομεν ή ψεοδόμεθα als Aussagesatz zu begreifen. Dann würde von der φαντασία etwas ausgesagt, was im Folgenden gerade widerlegt würde. Sie würde dann zu den Erkenntnisvermögen zählen, gemäß denen wir wahre oder falsche Urteile fallen, d.h. der Wahrnehmung, der δόξα, der έχιστήμη, dem νοϋς. In Wahrheit aber setzt Aristoteles alles daran, im Folgenden die Nichtäquivalenz von φαντασία mit jedem dieser vier Begriffe nachzuweisen: Zunächst zeigt er, daß φαντασία nicht αΐσθησις ist39. Ihre Nichtäquivalenz mit έπιστήμη und νοΰς und anderen Formen der Erkenntnis, die stets wahr sind, legt er 428· 16f. dar. Sodann schließt der Beweis der Nichtäquivalenz von φαντασία und δόξα an40. Bereits B Y W A T E R hatte mit Hinweis auf 428"9 den Text durch eine Konjektur zu heilen versucht: Er fügte vor μία die Worte ζητώμεν ει ein. ROSS hielt an diesem Grundgedanken fest, änderte aber die indirekte Frage durch Zusatz von i p a und Verzicht auf ζητώμεν εί in eine direkte, weitaus einfachere Fragekonstruktion um41. Wie nun diese Konjekturen von Ross und B Y W A T E R zu beurteilen und ob sie im Sinne der Kohärenz des Gedankens notwendig sind, kann erst entschieden werden, wenn auch die Protasis der Periode in Betracht gezogen ist. Der Nebensatz enthält zwei scheinbar voneinander unabhängige Bedingungen: (1) Wenn die φαντασία das ist, wodurch ein φάντασμα in uns entsteht, und (2) wenn wir φαντασία nicht in metaphorischem Sinne gebrauchen. Die erste Bedingung ist durch die Partikel δή eingeleitet. Aristoteles rekurriert auf eine allgemein bekannte und als wahr geltende Wortbedeutung42. Er schließt alle metaphorische Bedeutung, die dem Wort unterlegt werden kann, aus. Bis heute hat sich trotz vieler Deutungsvorschläge der 39 40

428»5/16. 428"18/B9.

41

A.a.O. 286.

42

DENNISTON 2 0 3 / 2 0 4 .

62

Drittes Kapitel

wirkliche Sinn dieser Worte ei μή τι κατά μεταφοράν λέγομεν nicht erschlossen. Nach unserer Auffassung besteht der Grund dieser Dunkelheit darin, daß alle bisherigen Deutungsversuche bestrebt waren, einen metaphorischen Gebrauch des Wortes φαντασία zu ermitteln, von dessen Verwendung Aristoteles abzusehen empfehle. Alle diese Lösungsvorschläge lassen freilich einen zwingenden Grund vermissen, weshalb Aristoteles in einer wenn auch eher beiläufigen Form den Gedanken der Benutzung einer Metapher von sich weist. Die Worte fügen sich jedoch sinnvoll in den Gedanken ein, wenn man (1) beachtet, daß sie am Beginn der Suche nach einer Definition der φαντασία stehen, und wenn man (2) berücksichtigt, daß Aristoteles an mehreren Stellen seines Werkes nicht nur vor dem Gebrauch metaphorischer definienda, sondern auch vor demjenigen ebensolcher defimentia warnt43. Die erste der beiden Warnungen ergibt, wie die vielen fruchtlosen Bemühungen der Tradition zeigen, an der vorliegenden Stelle keinen Sinn. Legt man hingegen die zweite zugrunde, so fordert Aristoteles mit den Worten ei μή τι κατά μεταφοράν λέγομεν den Verzicht auf ein metaphorisches definiens der φαντασία 44 . Er mag dabei die platonischen Definitionsvorschläge im Auge haben, die er im weiteren Verlauf der Erörterung behandelt und zurückweist. Die Vermutung liegt nahe, daß Aristoteles gerade den Fehler, vor dem er warnt, an diesen Definitionsversuchen vorzufinden glaubt. Alles Wichtige haben wir an anderer Stelle dargelegt45. So gesehen, legen die beiden Bedingungen ein bestimmtes Wortverständnis von φαντασία zugrunde, das durch die Worte καθ' ήν λέγομεν φάντασμα ήμΐν γίγνεσθαι inhaltlich beschrieben und durch die Fortsetzung καί μή ει τι κατά μεταφοράν λέγομεν formal eingegrenzt wird. Von der Basis dieses Vorwissens aus wird implizit die Frage nach dem τί έστιν der φαντασία gestellt. Eine Reihe von Definitionsvorschlägen wird nach und nach abgewiesen. Wenn schon das in der ersten Bedingung formulierte Vorverständnis von φαντασία als Bildung eines in uns entstehenden φάντασμα nicht eben einen Begriff von φαντασία als eines Vermögens nahelegt, das wahr und falsch urteilt, so ist diese Bedeutung für φαντασία durch die vier genannten Begriffe αΐσθησις, δόξα, επιστήμη und νοΰς und die ausdrückliche Abweisung ihrer Äquivalenz zu φαντασία vollends ausgeschlossen. BYWATER und Ross haben also aus guten Gründen den Text geändert. Bevor wir uns den Argumenten zuwenden, mit denen Aristoteles die einzelnen Äquivalenzen widerlegt, sollte die Frage entschieden werden, ob die 43 Z.B. anal.post. 97 b 37. Vgl. dazu J. BARNES, Aristotle's Posterior Analytics. Translated with Notes (Clarendon Aristotle Series), Oxford 1975, 239. Dort weitere Belege. 44 Möglicherweise ist ei μή τ ι . . . λ έ γ ο μ ε ν in prägnantem Sinn zu verstehen: "Wenn ein X nicht metaphorisch definieren wollen..."

wir

45 Verf., Metapher und φ α ν τ α σ ί α , in: Archiv für Geschichte der Philosophie 1993 (im Druck).

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vier genannten δυνάμεις ή έξεις, καθ' ας άληθεόομεν ή ψευδόμεθα ein exhaustives Schema dieser Vermögen bilden. Diese Frage ist von großer Bedeutung für die Erörterung am Ende des Kapitels. Es ist darauf hinzuweisen, daß gegenüber anderen Listen wie 427b8ff. φρόνησις fehlt. Freilich dürfte, da νόησις φρόνησις impliziert, damit kaum irgendeine schwerwiegende Verschiebung der Argumentation verbunden sein. Daß für Aristoteles der exhaustive Charakter der Übersicht über die wahrheitsdefinit urteilenden Vermögen gesichert war, ergibt sich aus der Formulierung λείπεται άρα κτλ.46 zu Beginn der Widerlegung der Äquivalenz von δόξα und φαντασία. Für die Korrektheit der Argumentation ist dies zunächst einmal wichtig. Für die Beurteilung des Überlieferungszustandes unseres Textes ergibt sich rückwirkend aus diesem Befund noch ein zusätzliches Argument: Ist die Liste der vier δυνάμεις offen gedacht, d.h. als eine beliebig fortsetzbare Reihe von Beispielen, kann 428a3f. die Aussageform beibehalten werden. Ist die Liste aber, wie wir aus 428" 18 schließen, exhaustiv gemeint, so kann nicht an der Aussageform des Hauptsatzes festgehalten werden. Wiederum erfolgt die Abgrenzung des Begriffs φαντασία von den einzelnen in der Liste genannten Vermögen durch eine Widerlegung der Äquivalenz. Φαντασία ist nicht Wahrnehmung. Von den fünf Argumenten, die Aristoteles gegen die Identifikation von φαντασία und Wahrnehmung vorbringt, billigt HAMLYN47 nur dem letzten "... any cogency" zu. Im Folgenden sei untersucht, ob dieses Urteil zutrifft. Das erste Argument des Aristoteles 428*6/8 fußt auf der Unterscheidung von δύναμις und ένέργεια της αίσθήσεως4*. Φαντάσματα kann es selbst dann geben μηδβτέρου υπάρχοντος τούτων, so z.B. Traumvisionen. Die Deutung des absoluten Genetivs ist besonders schwierig; denn will man das Vorhandensein einer Potenz der Wahrnehmung während des Schlafes oder anderer Formen der Bewußtlosigkeit in Abrede stellen, so widerspräche man klar anderen Aussagen des Aristoteles, z.B. auch dem unmittelbar folgenden Satz:...αϊσθησις μεν άβι κάρεστιν (»8). Eine Konjektur ESSENS49 würde diesem Bedenken dadurch Rechnung tragen, daß sie die δόναμις zwar akzeptiert, die ένέργεια der Wahrnehmung aber für den Zustand des Schlafes ausschließt: μή δέ τοΰ δευτέρου ύπάρχοντος. Dann aber wäre 428*15/16 eine leere Wiederholung.

46

428*18.

47

A.a.O. 131.

48

FREUDENTHAL 55 Anm. 3 glaubt, daß nach δρασις (*7) mindestens ein Satz ausgefallen sei. 49

E. ESSEN, Das dritte Buch der aristotelischen Schrift über die Seele in kritischer Übersetzung, Jena 1896, 21.

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64

R O D I E R übernimmt den geistreichen Lösungsvorschlag der späten Neuplatoniker Simplikios und Johannes Philoponos50. Sie argumentieren folgendermaßen: Die Phantasie ist nicht äquivalent mit der Wahrnehmung. Wahrnehmung ist entweder potentiell oder aktuell. Nun kann es φαντασία geben sowohl ohne aktuelle, als auch ohne potentielle Wahrnehmung51. Wodurch unterscheidet sich diese Deutung, die leider in der Auslegungsgeschichte der Stelle ohne nachhaltige Wirkung blieb, von der üblichen? Simplikios formuliert 209,1 selbst den entscheidenden Unterschied: "ού τω ζώφ μήτε της ένεργείας μήτε της 8υνάμει ύχαρχούσης αίσθήσεως. τούτο γάρ αδύνατον, άλλα ταΐς φαντασίαις μηδετέρας ένυκαρχούσης κτλ. Daß also die δύναμις der Wahrnehmung auch dann am Lebewesen besteht, wenn es in der Bewußtlosigkeit des Traums unfähig ist, sie zu aktualisieren, wird nicht bestritten. Der Exeget bezieht das Begriffspaar hier lediglich streng auf das sich im φάντασμα zeigende τϊ und behält die leitende Absicht des Aristoteles im Blick: die Widerlegung der Äquivalenz von φαντασία und αίσθησις δυνάμει bzw. ένέργεια αΐσθήσεως. Hier kann man argumentieren: (1) φαντασία ist nicht mit der ενέργεια der Wahrnehmung äquivalent; denn im Schlaf gibt es keine ένέργεια der Wahrnehmung. Sie ist aber (2) auch nicht mit der δύναμις der Wahrnehmung äquivalent; denn φαντασία ist aktuell, eine aktuelle Wahrnehmung aber war bereits oben ausgeschlossen worden, und eine potentielle Wahrnehmung kann nicht mit der aktuellen φαντασία äquivalent sein. Stimmt man dieser Deutung zu, so hat man freilich zwischen einer Wahrnehmung schlechthin und einer besonderen, nur auf das τϊ gerichteten Wahrnehmung zu unterscheiden. Erstere besteht während des Schlafs ungebrochen weiter, letztere ist in der φαντασία des Traums sowohl als δύναμις wie auch als ένέργεια nicht mit der φαντασία eines τϊ vereinbar. Begegnet dem Schlafenden im Traum etwa das Bild eines längst Verstorbenen, so begegnet uns ein φάντασμα, für das man sich weder auf eine aktuelle, noch auf eine potentielle Wahrnehmung berufen könnte, die zum Zeitpunkt des φάντασμα als υπάρχουσα angesprochen werden könnte. Unter der Voraussetzung dieser Deutung würde verständlich werden, warum Aristoteles das Beispiel der Traumerscheinung anführt. Hätte er in der Tat lediglich die ενέργεια der Wahrnehmung ausschließen wollen, so hätte er im Falle des Gesichtssinnes nicht auf einen Zustand der Bewußtlosigkeit zu rekurrieren brauchen. Das bloße Schließen der Augen hätte be-

5 0

51

RODIER

418 mit Berufung auf Simpl. 209,1 und Joh. Philop. 498,13.

Vgl. K G . M I C H A E L I S , Z U Aristoteles' De anima I I I 3 , Neu Strelitz 1 8 8 2 , 1 7 : "Das Träumen ist also ein Vorstellen, bei welchem die Wahrnehmung weder als δυνατόν, noch als ένέργεια betheiligt ist."

Drittes Kapitel

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reits eindrucksvoll52 die Präsenz von Vorstellungen ohne das Vorhandensein aktueller Wahrnehmung demonstriert. SCHOFIELD 53 sucht einen Ausweg aus den Schwierigkeiten im Vorschlag einer anderen Übersetzung von υπάρχοντος, das er durch 'in question' wiedergeben möchte. Er räumt freilich selbst ein, daß man klarer und leichter das griechische Partizip mit 'present' übersetze. Damit aber gerate man in große Schwierigkeiten, insofern die Stelle der gleich anschließenden Behauptung 'sense perception is always present' ins Gehege komme. SCHOFIELD ist überzeugt: "My translation attempts to capture what Aristotle (as the Greek commentators saw) must have been meaning to say: see Rödler and Hicks ad I. I suspect a similar use of the word at PA 11,64205." Der Verweis auf die griechischen Kommentatoren sowie auf RODIER dürfte unbegründet sein. HICKS, der ganz anders argumentiert, ist fälschlich als Gewährsmann für die Interpretation herangezogen worden. Die Übersetzung SCHOFIELDS hilft kaum weiter. Das zweite Argument, das gegen die Äquivalenz von φαντασία und Wahrnehmung ins Feld geführt wird, lautet 428*8: είτα αΐσθησις μέν άεί πάρεστι, φαντασία δ' oö. HAMLYN 5 4 stellt fest, die φαντασία betreffende Bemerkung stehe in Widerspruch zu den Implikationen 427b14ff. und verweist auf seine Erläuterungen zu b14/16: " The significance of the last few words of the section (gemeint sind die Zeilen b14/16) is that they are presumably meant to meet a hypothetical objection that imagination is found in all animals (on which contrast 428a8ff., 428" 16, and 434a5ff.)." Um einem Mißverständnis vorzubeugen, wollen wir verdeutlichen, daß HAMLYN mit 'implications' nicht die implikative Struktur der Argumentation meint, sondern das Resultat seiner Deutung bezeichnen will: Die äußere Gestalt des Raisonnements läßt vermuten, daß es einen Einwand gegen Aristoteles, den wir implicite mitzudenken haben, widerlegt. Der aristotelische Text ist also in sich kohärent und nicht widersprüchlich. a HAMLYN 55 macht in unserem Zusammenhang auf die 434 5 von Aristoteles entwickelte Einteilung des Begriffes φαντασία aufmerksam. Danach ist nur eine Art der φαντασία, nämlich die φαντασία βουλευτική logosbegabten Lebewesen vorbehalten und auf diese eingeschränkt, während die andere allen Lebewesen gegeben ist. So kann HAMLYN seine Note zur Stelle mit der Bemerkung abschließen: "The implication is that the present remark holds good for only one kind of imagination." Aber es ist

52

Vgl. dazu das fünfte Argument!

53

M. SCHOFIELD, Aristotle on the Imagination, in: Aristotle on Mind and the Senses. Proceedings of the Seventh Symposium Aristotelicum, ed. by G.E.R. LLOYD and C.E.L. OWEN, Cambridge o.J., 110/111; vgl. auch Anm. 46. 54

A.a.O. 130.

55

A.a.O. 132 (zu Punkt 2).

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Drittes Kapitel

festzuhalten, daß für den Nachweis der Nichtäquivalenz von Wahrnehmung und φαντασία die festgestellte Nichtidentität bereits vollends genügt. Die mit der Aufzählung der Tiere 428*10/11 zusammenhängenden Probleme sind in der Literatur zu De anima III 3 zu Genüge behandelt worden. Wir können uns daher kurz fassen. Dies gilt um so mehr, als die Frage für die hier nachzuzeichnende Argumentation und das Problem ihrer Kohärenz von geringem Belang ist. Das Argument des Aristoteles jedenfalls zeichnet sich, wie wir glauben, deutlich ab, wenn auch nach unserer Meinung die Pointe der Argumentation in der Literatur verkannt wurde. Auf eine falsche Bahn wurde die Exegese u.E. durch eine Konjektur FREUDENTHALS geleitet, der das überlieferte αεί als äquivalent mit πδσιν erklärte. Dabei scheint er demselben Irrtum zum Opfer gefallen zu sein, dem wir auch z.B. bei der Besprechung von 427b14ff. begegneten und der in der ungenügenden Berücksichtigung des argumentativen Kontextes bestand. Auch im Falle von 428"8ff. darf man die Grenzen des zu erörternden Lemmas nicht zu eng ziehen. Auch hier ist der folgende (Konditional)-Satz mit in die Untersuchung einzubeziehen. Vor allem hat eine verantwortliche Erklärung dem Sinn und der Bedeutung des Ausdrucks ε ν ε ρ γ ε ί ς ("9) nachzuspüren. Wenn man άεί mit πασι glossiert, so wäre dieser Dativ Plural eine verkürzte Form für πασι τοις ζώοις. Ich halte diese Konjektur für alles andere als zwingend. Daß Wahrnehmung der Grundzug aller Lebewesen ist, ist dem Leser der Schrift bekannt. Ebenso weiß er, daß alle Lebewesen über Wahrnehmung verfügen. Das Argument aber scheint umgekehrt darauf abzuzielen, daß Wahrnehmung allen Lebewesen immer (oder: von Natur her) zukommt, und zwar - wie wir aus dem ersten Argument wissen - entweder als ενέργεια, oder, wenn diese an ihrem Wirken gehindert wird, immerhin doch als δύναμις. Eben dies aber läßt sich von φαντασία gerade nicht sagen; denn aus 427 b 17/20 wissen wir, daß φαντασία an den Willen des Vorstellenden gebunden ist56. Er wird nur dann vorstellen, wenn er vorstellen will. Das aber bedeutet: Φαντασία ist nicht άεί gegenwärtig wie die Wahrnehmung. Sie ist selbst bei Wesen, die mit Vorstellungsfähigkeit begabt sind, an das Wollen und somit an eine andere Bewegungsursache gebunden. "Wären sie aber", so fährt Aristoteles fort, "der ένέργεια nach ein und dasselbe, so müßte es möglich sein, daß allen Tieren φαντασία zukäme." In der Tat wären dann selbst die allerniedrigsten Tiere wie der Wurm von der Befähigung zur φαντασία kaum auszuschließen. Dagegen aber spricht unsere Erfahrung57.

56

Dazu aber braucht Aristoteles das Argument 428 a 7 μηδετέρου υ π ά ρ χ ο ν τ ο ς τ ο ύ -

των. 57

428" 10: δ ο κ ε ΐ δ' οϋ κτλ.

Drittes Kapitel

67

Auch dem dritten Argument des Aristoteles billigt HAMLYN wenig Überzeugungskraft zu58. Er hält die Behauptung des Aristoteles, Wahrnehmung sei immer wahr, für "α gross exaggeration, not uncharacteristic of Aristotle 's remarks about perception in these sections; it applies properly only to perception of the special objects." Aber auch hier gilt unser Einwand gegen HAMLYNS Position zum zweiten aristotelischen Argument: Wenn auch nur ein einziger Teilbereich der αίσθησις die zugrunde gelegte Bedingung erfüllt (wie es die αΐσθησις των ιδίων tut), so ist damit die Nichtäquivalenz bereits erwiesen. Daher ist es nicht im mindesten erforderlich, den Begriff der Wahrnehmung hier eingehender zu differenzieren. Von einer groben Übertreibung zu sprechen, halte ich daher für unangebracht. Umgekehrt ist auch die zweite Behauptung, daß die Mehrzahl aller φαντασίαι irrig sei, nicht unberechtigt; ihre Unwahrheit rührt aus dem Fehlen einer unmittelbaren Beziehung auf den Gegenstand, auf das υπάρχον, wie später die Stoiker formulieren, oder anders gewendet: aus der Mittelbarkeit ihrer Objektsbeziehung, die durch die Wahrnehmung vermittelt wird. Ψευδής bedeutet hier etwa so viel wie 'unscharf, 'undeutlich'. Das vierte Argument operiert gerade mit diesem Sachverhalt: Die Formulierung 0ταν ένεργώμεν ακριβώς κτλ. ist merkwürdig. Wahrscheinlich hat HICKS Recht, wenn er sie mit den Worten δταν ακριβώς τη ένεργείςι αίσθανώμεθα umschreibt59. Die Hervorhebung des αίσθητόν allerdings hat wohl ihre eigene Bedeutung. Wenn sich der Gegenstand der Sinneswahrnehmung klar und deutlich zeigt, dann sprechen die Wahrnehmenden nicht von φαντασία sondern von Wahrnehmung. Von φαντασία ist vielmehr dann die Rede, wenn wir nicht deutlich wahrnehmen [,ob es wahr oder falsch ist]. Die Konjektur von Ross60 κότερον macht den Text, der in seiner überlieferten Gestalt nicht verständlich ist, jedenfalls lesbar. Dennoch ergibt die indirekte Frage in dieser Form keinen vernünftigen Sinn. Vermutlich hat HAMLYN61 Recht, wenn er sie eigentlich wie HICKS für streichenswert hält. Der Satz wäre auch vollständig, wenn er nach αίσθανώμεθα enden würde62. Aristoteles rekurriert in diesem vierten Argument auf die präzise sprachliche Benennung der Sachverhalte. Nicht etwa dann, wenn wir einen Gegenstand genau wahrnehmen, sprechen wir von φαντασία oder φάντασμα, sondern vielmehr im entgegengesetzten Fall, wenn wir nur unscharf und verschwommen wahrnehmen.

58

A.a.O. 132.

59

HICKS 4 6 3 ( z u 4 2 8 " 13).

60

Ross, editio maior, 1961, z.St.; s. ferner den Apparat der editio minor.

61

A.a.O. 132.

62

428Ί5.

68

Drittes Kapitel

Das letzte Argument der Reihe, - wenn es denn als ein eigenes geführt werden darf und nicht nur eine Fortsetzung des letzten Gedankens ist, - erinnert an ein bereits früher genanntes Argument: Auch demjenigen, der die Augen geschlossen hält, erscheinen als φαντάσματα Gesichte. Er kann nicht wahrnehmen, da er die Sinnesorgane an der ένέργεια des Sehens hindert. Dennoch verwirklicht sich an ihm φαντασία. Überschauen wir die fünf Argumente des Aristoteles, mit denen er die Äquivalenz von φαντασία und Wahrnehmung widerlegt, so stellt sich unwillkürlich die Frage nach der Verknüpfung der einzelnen vorgebrachten Gründe. Sind sie wahllos aufgegriffen und aneinandergereiht, oder fügen sie sich zu einem Gebäude der Argumentation? In einer zusammenfassenden Übersicht wollen wir versuchen, diese Frage zu beantworten. Das erste Argument weist die Nichtäquivalenz von Wahrnehmung und φαντασία vermittels der Einführung des Begriffspaares δύναμις und ένέργεια am Beispiel der Traumerscheinungen nach. Geht man von der zu widerlegenden These, d.h. von der behaupteten Identität von φαντασία und αΐσθησις aus, so genügt bereits ein einziger Fall möglicher Nichtidentität, um die Ausgangsthese zu Fall zu bringen. Eben diese Funktion erfüllt das erste der von Aristoteles entwickelten Argumente: Zwar wäre es unmöglich, φαντασία ganz von der αΐσθησις zu lösen; denn nach 427b15 impliziert φαντασία die Wahrnehmung. Somit ist festgelegt, daß sich jede φαντασία irgendwie auf die Möglichkeit von αίσθησις bezieht. Auch im Träumenden ist das Wahrnehmungsvermögen schlechthin δυνάμει gegenwärtig. Selbst das Traumgesicht ist ohne eine vorherige Wahrnehmung nicht denkbar. Aber im Traum kann im Hinblick auf das φάντασμα des Traumbildes und das darin erscheinende υπάρχον oder τΐ weder ε ν ε ρ γ ε ί ς noch δυνάμει Wahrnehmung anwesend sein. Es gibt also trotz der 427b15 genannten und auch zweifellos zutreffenden Implikation die Möglichkeit eines φάντασμα, das in gewissem Sinne ohne αΐσθησις wirklich ist. Von der Ökonomie der Argumentation aus gesehen, liegt es auf der Hand, daß dieses Argument allenfalls die Rolle eines σημεΐον spielen kann, das vom Einzelfall auf das Allgemeine verweist. Das zweite Argument belegt durch den Rekurs auf die Erfahrung, daß die These von der Äquivalenz von φαντασία und αϊσθησις an der Realität, wie sie sich uns im δ ο κ ε ΐ ν präsentiert, scheitert. Im Hinblick auf die Dauer des παρεΐναι verhalten sich φαντασία und Wahrnehmung kontradiktorisch (άεί - ούκ άεί), wenn unsere δόξα von der Tierwelt richtig ist. Wie oben erklärt, kann im dritten Argument άεί αληθής nur auf eine bestimmte Art Wahrnehmung bezogen werden, nämlich auf die αϊσθησις των ιδίων. Immerhin genügt die Berufung auf diese eine Art bereits vollkommen als Basis für einen Beweis der Nichtäquivalenz. Da φαντασία von dem sie auslösenden αίσθητόν ablösbar ist und daher nicht der όρθότης im Sinne eines über sie entscheidenden Kriteriums un-

Drittes Kapitel

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terliegt63 mag ihr eine 'Richtigkeit' in diesem Sinne höchstens κατά σομβεβηκός zukommen. Der Wahrheitsbezug von Wahrnehmung und φαντασία ist demnach - das kann analytisch aus ihren Begriffen gefolgert werden - nicht identisch. Das vierte Argument projiziert diese Erkenntnisse auf die Weise, nach der bei der Verwendung der Begriffe αΐσθησις und φαντασία gemeinhin verfahren wird, und stellt die Entsprechung fest. Demnach stehen φαντασία und Wahrnehmung zwar miteinander in einem nicht näher bezeichneten Zusammenhang, aber doch so, daß ihre Anwendungsbereiche sich gerade nicht decken. Den Beschluß bildet ein im Kern bereits früher 64 zugestandenes Argument, das aber hier in anderer Absicht neu verwendet wird. Es markiert auf eindrucksvolle Weise, daß auch bei der Abwesenheit der ένέργεια von Wahrnehmung φαντασία entstehen kann. Der Zusammenhang der fünf Argumente stellt sich in Kürze also folgendermaßen dar: Argument (1) eröffnet als Hinweis die Argumentation. Die Argumente (2) und (3) zeigen die Nichtäquivalenz von φαντασία und αΐσθησις am Kriterium ihres Zeit- und ihres Wahrheitsverhältnisses auf. Argument (4) sichert und bestätigt das Ergebnis durch den Rekurs auf die übliche Verwendung der Begriffe 'φαντασία' und 'Wahrnehmung'. Argument (5) steigert und verschärft Argument (4). Der gesamte Komplex des Beweisgefüges beweist im Nachhinein die erste der 427 b 14ff. entwickelten Prämissen65: φαντασία γαρ έτερον...αίσθήσεως. Zugleich löst der Nachweis der Nichtidentität von Wahrnehmung und φαντασία den ersten Punkt der Liste 428*4 ein. Mehr skizziert als ausgeführt wird das Argument, das Aristoteles gegen eine Identifikation von φαντασία und έχιστήμη, bzw. νοϋς verwendet (428a16/18): άλλα μην ούδέ των άεΐ άληθβυουσών ούδεμία δσται, οίον έπιστήμη ή νοΰς· εστι γαρ φαντασία και ψευδής. Was Aristoteles meint, wird deutlich, wenn man 427 b 8ff. heranzieht. Allerdings zeigt sich dann auch eine Inkonsistenz in der Begrifflichkeit, die es jedenfalls zu beachten gilt. Die Nichtäquivalenz von φαντασία und den genannten Erkenntnisvermögen wird nämlich erklärt durch den Hinweis darauf, daß diese Vermögen άληθεύουσαι seien. Für den νοΰς jedoch hatte Aristoteles 427b8f. noch festgestellt: άλλ' ούδέ τό νοεΐν, έν ω έστί τό όρθώς

63 427 b 17/21. 64

425 b 24ff; vgl. auch De insomn.2, 459 b 5/20, femer 463 (zu 428*16; THEILER 133, Anm.55,29 irrt dagegen, wenn er zu ' 1 6 sagt:..."schon früher bemerkten, nämlich "17"... (sie! Gemeint ist wohl 428 a 7). 65

Vgl. o. 58ff.

Drittes Kapitel

70

καϊ τό μή όρθώς κτλ. 6 6 . Hier dagegen wird ν ο ϋ ς in speziellerem Sinn als eines der 'immer die Wahrheit erfassenden Vermögen' genannt. Wenn έ χ ι σ τ ή μ η und ν ο ΰ ς zu den Vermögen rechnen, die sich nur dann verwirklichen, wenn sie auch Wahrheit erfassen, kann φ α ν τ α σ ί α aus dem bereits *12 genannten Grund nicht mit ihnen äquivalent sein. Mehr Aufmerksamkeit widmet Aristoteles der Widerlegung der Identität von φ α ν τ α σ ί α und δόξα. Seit TORSTRIK ist die communis opinio der Forschung in einer bestimmten Weise festgelegt. Die Mehrzahl der Forscher glaubt, in den Zeilen '19/24 erscheine dasselbe Gegenargument gegen die Äquivalenzthese in zwei inhaltlich parallelen Fassungen, die historisch als Spuren zweier verschiedener Entstehungsphasen des Textes zu erklären seien. TORSTRIK hält die mit ε τ ι einsetzende vermeintliche Parallelfassung für die ältere Version. Er fühlt sich durch die angeblich ungelenkere Formulierung in dieser Ansicht bestätigt. Mit Ausnahme von G. RODIER sind Texteditoren und Kommentatoren TORSTRIK gefolgt. Der O.C.T. von Ross athetiert diese 'ältere' Fassung. RODIER begründet seine Ablehnung damit, daß er die Parallelität beider Abschnitte bestreitet. Das von TORSTRIK angezweifelte Argument enthalte weiterführende Elemente, die man nicht einfach außer acht lassen könne: "Car la proposition η'est pas la reproduction pure et simple de la precedente, mais marque un progrts dans la demonstration." Diesen Fortschritt beschreibt er folgendermaßen: "La premiere prouve que I'imagination η'est pas la meme chose que la δόξα parce que Γ imagination appartient ä beaucoup d'animaux qui soru incapables de χίστις. La seconde ajoute que cette seconde ορέΓαηοη suppose, ά son tour, la raison, laquelle fait difaut a nombre d'animaux qui possedent I' imagination. La repetition meme de la proposition fait mieux sentir la marche de /' argument." Um etwas mehr an Klarheit in dieser schwierigen Frage zu gewinnen, gilt es zunächst, festzuhalten, daß die beiden Argumente einander überaus ähnlich sind. Die Entsprechungen sind zum Teil sogar fast wörtlich. Dennoch erscheint uns der von RODIER eingeschlagene Weg einer kritischen Prüfung der richtigere zu sein, wobei allerdings vorerst dahingestellt bleiben mag, ob sein Resultat zutrifft oder nicht. Unsere Prüfung des Zusammenhangs wird zusätzlich erschwert durch eine kritische Bemerkung H A M L Y N S : "It is possible Aristotle means something less strong than conviction by πίστις, e.g. acceptance. For it does not seem obviously true that belief always implies conviction. Aristotle's point also seems to imply in any case that animals cannot have beliefs (on which contrast 434alCff.). This too is not obviously so61." Der erste der beiden kritischen Einwände H A M L Y N S kann nur im Hinblick auf den griechischen Text geprüft und entschieden werden. Es ist sogar rat-

66

Vgl. auch anal. post.

67

HAMLYN 132.

II 19. 100 b 5/14.

Drittes Kapitel

71

sam, den allgemeinen Sprachgebrauch des Aristoteles in Hinsicht auf die beiden Begriffe δόξα und πίστις, bzw. dieses Schema erweitert um πειθώ und λόγος, als Basis für die Diskussion zu nutzen. Zu δόξα äußert sich Aristoteles ausführlicher eth. Nie. Ζ 10. 1142b 13: ...δόξης δ' όρθότης αλήθεια, άμα δέ και ωρισται ήδη καν ού δόξα έστίν. άλλα μην ούδ' άνευ λόγου ή ευβουλία, διανοίας άρα λείπεται. αϋτη γάρ ούπω φάσις. και γάρ ή δόξα ού ζήτησις άλλά φάσις τις ήδη κτλ. Diese von ΒΟΝΙΤΖ, ind. Arist. 203b10 zur Unterscheidung der δόξα von διάνοια zitierte Stelle wirkt auch im Verhältnis zu φαντασία erhellend. Denn δόξα impliziert danach ein Urteil, das seinerseits eine Überzeugung voraussetzt. Den aristotelischen Sprachgebrauch hinsichtlich πίστις charakterisiert b BONITZ, ind.Arist. 595 8/10: "persuasionis firmitas, sive ea ex argumentis et rationibus, sive ea ex sensu et experientia orta est, atque eas res quae ad efficiendam eam persuasionem conferunt." Vom griechischen Sprachgebrauch aus im allgemeinen und von der aristotelischen Sprache aus im besonderen ist es demnach kaum zu bezweifeln, daß δόξα πίστις impliziert. Die Behandlung des zweiten von H A M L Y N vorgetragenen Einwandes verschieben wir auf später. Schwieriger als das Verhältnis von δόξα und πίστις ist dasjenige von πίστις und πειθώ zu beurteilen. Bereits seit Piaton68 erscheint πειθώ als Bezeichnung für eine aus Überzeugung gewonnene Gewißheit69. Häufig erscheint πειθώ als Gegenbegriff zu βία oder ανάγκη, um so die Genese einer durch Einsicht in die Gründe eines Sachverhaltes gewonnenen Überzeugung zu markieren. Aristotelische Schlüsseltexte sind metaph. 1009Ί7 und vor allem eth.Eud. Β 8. 1224*14.; «38/b270. Inwiefern πίστις ein πεπεΐσθαι, oder was äquivalent ist, eine πειθώ, diese aber wieder λόγος ist, dürfte nach dem Gesagten klar sein. Zur δόξα gehört notwendig die Entschiedenheit einer φάσις, diese Entschiedenheit ist πίστις; diese entschlossene πίστις fußt auf begründeter, freiwillig, nicht unter Zwang entstandener Einsicht. Sie setzt ihrerseits das Vermögen des Logos voraus. Nach dieser begrifflichen Klärung stellen wir erneut die Frage nach der Kohärenz der Passage 428" 19/24. Die Antwort hängt unter anderem davon ab, wie der Anschluß des Satzes 428"24: φανερόν τοίνυν δτι ούδέ κτλ. zu verstehen ist. Ferner bedarf der Bezug von διά τε ταϋτα, "26/7, der Klärung. Vor allem dieser letztere Anschluß soll hier untersucht werden. Die einfachste Form, eine Beziehung zu der zurückliegenden Partie der Ar68

Resp. 411 D; 548 B; Phaidr. 270 B; Leg. Ill

Β u.a.

69

F. DLRLMEIER, Aristoteles Eudemische Ethik, übersetzt und kommentiert, Berlin 1979, 276 (33,18; zu eth. Eud. 1224"14 mit Verweis auf "38/ b 2) spricht von Gesprächen der Seele mit sich selbst. 70

Zu π ε ι θ ώ vgl. DlRLMEIER a.a.O.; Chr. KlRWAN zu Metaph. Γ 5. 1009· 16. S.106.

Drittes

72

Kapitel

gumentation herzustellen, besteht darin, ταϋτα auf das συμπέρασμα der voraufgehenden Gedanken zu beziehen, nämlich auf die These, φαντασία sei nicht δόξα. Die Argumente, mit denen dieses Resultat erzielt wurde, spielen dabei weiter keine Rolle. Die Ausdehnung der refiitatio auf die modifizierten Formeln δόξα μετ' αίσθήσεως, δόξα δι' αίσθήσεως, συμπλοκή δόξης καί αϊσθήσεως wäre dann als einfacher Schluß α fortiori zu denken: "Wenn φαντασία schon nicht δ ό ξ α ist, um wieviel weniger dann δόξα μετ' αίσθήσεως, usw." Nicht befriedigend gelöst erscheint die Frage, warum Aristoteles überhaupt auf die Modifikationen eingeht und warum er es gerade hier tut. Man kann freilich historisch argumentieren und auf die für Aristoteles entstehende Notwendigkeit verweisen, auf eine entscheidende geschichtliche Position, diejenige Piatons, einzugehen. Mit dieser Motivation wäre aber die eigentliche Frage nur zurückgestellt, nicht beantwortet: "Warum hat Aristoteles gerade an dieser Stelle mit deutlichen Signalen (φανερόν τ ο ί ν υ ν , διά τ ε τ α ϋ τ α ) auf eine sinnvolle Einfügung in den Kontext die platonischen Definitionen behandelt?" Zudem verhält sich diese Erklärung der Partie, wie oben bereits angedeutet, gleichgültig gegenüber den beiden nach T O R S T R I K 'konkurrierenden' Argumenten " 1 9 / 2 2 bzw. » 2 2 / 2 4 . Eine andere Möglichkeit, διά τε ταϋτα zu beziehen, stellt der Anschluß an die unmittelbar vorausgehende Argumentation dar, wobei es offen bleibt, an welche der beiden Versionen zu denken wäre. Die Lösung dieser Frage bleibt sodann einer genaueren Prüfung vorbehalten. Der Aufforderung der auf Kohärenz hindeutenden Signale folgend, wenden wir uns der zuletzt genannten Deutungsmöglichkeit zu und unterziehen uns der soeben charakterisierten Aufgabe: Δ ό ξ α impliziert nach Version (1) und (2) πίστις. Diese impliziert nach Version (2) des weiteren πειθώ, diese λόγος. Da φαντασία ihrerseits zwar αϊσθησις, nicht aber ύπόληψις, διάνοια, νοΰς oder λ ό γ ο ς impliziert, sondern deren Implikat ist, ist nachgewiesen, daß sie nicht äquivalent sind. Die kürzere der beiden Versionen, der die Editoren gemeinhin den Vorzug vor der ausführlicheren geben71, vermag nicht jenes Maß an begrifflicher Präzision zu vermitteln, das für die Distinktion erforderlich ist. Der Versuch, αΐσθησις als διαφορά ins Spiel zu bringen und auf diese Weise die Rückbindung der δόξα an die Sinneswahrnehmung wiederherzustellen, entkräftet den grundsätzlichen Einwand gegen die Äquivalenz von φαντ α σ ί α und δόξα nicht. Wenn auch die Einbettung der modifizierten Definitionsvorschläge platonischer Provenienz in das Gedankengefüge durch unseren Erklärungsversuch einsehbarer werden mag, - wenn auch die Anbindung wenigstens an die eine der beiden 'Versionen' eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich

71

THEILER

beruft sich etwa auf die Umständlichkeit der 'ältere(n)

lierung ( v g l . a.a.O. 137).

zweite(n)"

Formu-

Drittes Kapitel

73

hat, so bleibt doch immer noch die Frage offen, warum zwei bis zu einem bestimmten Grad parallele Argumente unmittelbar aufeinander folgen. Eine mögliche Erklärung für diese Besonderheit wäre die folgende: Aristoteles argumentiert, wenn er eine Äquivalenz mehrerer Begriffe als unmöglich erweisen will, im dritten Kapitel gewöhnlich mit zwei Beweismotiven: (1) er weist nach, daß die zu untersuchenden Erkenntnisvermögen einer unterschiedlich großen Anzahl von Klassen von Lebewesen zukommen und aus diesem Grunde nicht als identisch angesehen werden können (Exklusivität); (2) er weist nach, daß die Vermögen, deren Äquivalenz fälschlich behauptet wird, sich im Hinblick auf die Scheidung von 'wahr' und 'falsch' unterschiedlich verhalten (Wahrheitsverhältnis). Das Schema ist im Falle der αίσθησις - φαντασία, wo Aristoteles besonders ausführlich und sorgfältig analysiert, um einige Argumente erweitert; im Falle der έχιστήμη bzw. des νοδς und der φαντασία ist nur das unterschiedliche Wahrheitsverhältnis der δυνάμεις genannt. Im Hinblick auf die Beziehung von φαντασία und δόξα erweist sich nun der Rekurs auf das Wahrheitsverhältnis als wirkungslos, da es bei beiden offenbar von der gleichen Art ist. Aber vor dem Hintergrund dieser Gleichartigkeit zeigt sich alsbald der Unterschied: Er liegt in der die δόξα abschließenden und sie zur φάσις verdichtenden πίστις. Unter diesem Aspekt kann dann auch wieder eine klare Aussage über die Exklusivität der zur Frage stehenden Vermögen getroffen werden (»20/21). Durch die Entfaltung der Implikationen von δόξα, «22/24, gewinnt der Gewißheitsanspruch und damit dann auch der Wahrheitsbezug der δόξα an Kontur. Mit διά τε ταΰτα καϊ διότι werden zwei Teile der Argumentation, beide gegen die platonischen Formeln gerichtet, miteinander verbunden. Dem einen dieser Teile haben wir bereits Aufmerksamkeit gewidmet72, den jetzt anschließenden hat K. LYKOS in einem kritischen, die Interpretation von Ross73 korrigierenden Aufsatz behandelt74. Wir können an das von LYKOS und HAMLYN 75 formulierte Ergebnis anschließen und diesen Abschnitt daher kurz fassen. Aristoteles will zunächst sichergestellt wissen, daß δόξα und αίσθησις, die Bestandteile der φαντασία - Definition also, auf ein und dasselbe Objekt gerichtet sind. Die aus den Elementen ή τοϋ λευκοϋ δόξα und ή τοϋ λευκοϋ αΐσθησις gebildete συμπλοκή soll nach der Voraussetzung φαντασία sein. Hier ist also nicht etwa eine Verbindung von ebendieser αΐσθησις τοϋ λευκοϋ mit z.B. einer δόξα τοϋ άγαθοϋ gemeint. Φαίνεσθαι heißt also Folgendes: Dasjenige Objekt meinen, da man (d.h. das Subjekt des Meinens) auch wahrnimmt, und zwar nicht auf eine bloß akzi72

Vgl. o. 73f.

73

ROSS, editio maior, 1961, 287/288.

74

Aristotle and Plato "On Appearing", in: Mind 73, 1964, 496/514.

75

Vgl. a.a.O. 132 (zu 428»24)

74

Drittes Kapitel

dentelle Weise. Wenn also φαντασία darin besteht, daß δόξα und αίσθησις beide auf denselben Gegenstand gerichtet sind und beide gemeinsam φαντασία entstehen lassen, so ist zu bemerken, daß das in der Vorstellung erscheinende Vorstellungsbild falsch sein kann, während das auf sie bezogene Urteil der δόξα richtig ist. So vermittelt die φαντασία von der Sonne die Vorstellung einer Scheibe von nicht mehr als einem Fuß Durchmesser. Nach der αληθής δόξα aber ist die Sonne größer als die gesamte Erde. Traut man nun dem von der φαντασία vermittelten Eindruck unter der Voraussetzung, daß φαντασία ein Eines aus αΐσθησις und δόξα ist, so gerät man in ein Dilemma: Entweder (a) man hält an diesem Eindruck fest; dann entspräche die δόξα dem sinnlichen Eindruck und hätte sich gewandelt. Derjenige, der zuvor im Besitz der αληθής δόξα war, hätte diese verloren. Dieser Verlust freilich wäre nur dann möglich, wenn sich entweder der Gegenstand, auf den sich die αληθής δόξα bezog, verändert hätte (was nicht der Fall ist), oder deijenige, der die αληθής δόξα zuvor besaß, diese vergessen hätte, was auch nicht der Fall ist. Oder (b) - dies das zweite Horn des Dilemmas - deijenige, dem die Sonne als eine Scheibe von fußgroßem Durchmesser erscheint, hält an der richtigen Meinung fest und ist überzeugt, die Sonne sei um ein Vielfaches größer als die Erde; dann freilich wäre dieselbe δόξα zugleich wahr und falsch; denn als Element der φαντασία muß δόξα ja auch den Eindruck einer fußgroßen Scheibe vermitteln, also eine δόξα ψευδής sein. Mit der Entwicklung dieses Beweises ist die Ausgangsthese widerlegt. Aristoteles faßt zusammen: Φαντασία ist weder eines der 428 a 4ff. genannten Vermögen, noch eine συμπλοκή aus mehreren von diesen. Nach den elenktischen Partien des zweiten Abschnittes entwickelt Aristoteles im dritten Teil des Kapitels 428b10 bis zum Kapitelende eine Definition der φαντασία. Die Methode, die er bei diesem Versuch anwendet, ist trotz vieler guter Einzelerkenntnisse in der Exegese alles andere als geklärt. Den vielleicht radikalsten Einwand gegen die gedankliche Kohärenz des eröffnenden Satzes 428b10 erhob TORSTRIK in seinem ' Commentarius criticus'. Er schreibt mit Bezug auf b 10/17: "Haec verba mira laborant et prorsus insolita apud Aristotelem ταυτολογίφ et repetitione: postquam enim omiseris quae omitti possunt, hoc invenies enuntiatum: έχειδή ή φαντασία δοκεϊ ούκ ävεν αίσΘησέως γίγνεσθαι αλλ' αίσθανομένοις και ών αϊσθησίς έστιν, εϊη αν ούτε άνευ αίσθήσεως ένδεχομένη οΰτε μή αίσθανομένοις ύπάρχειν." 76 Der Kommentar, den TORSTRIK ZU dieser verkürzten Fassung der Eröffnungsperiode des dritten Teils gibt, fällt denn auch im Hinblick auf die logische Verknüpfung des Passus vernichtend aus:

76

TORSTRIK 174.

Drittes Kapitel

75

"Hoc est quod vocant 'idem per idem', et adeo non potest fern, ut pro certo affirmaverim verba bll: ή δέ φαντασία κίνησίς τις δοκεϊ είναι και ούκ αν ευ αίσθήσεως γίγνεσθαι αλλ' αίσθανομένοις και ων αϊσθησίς έστιν ab Aristotele non hoc esse loco scripta." TORSTRIK sieht hier eine deutliche Bestätigung seiner genetischen Theorie, derzufolge Abschnitte der von ihm als vollständiger angenommenen Erstfassung des Textes sich in Form von Marginalglossen erhalten hätten und dann später in den knapperen, mehr andeutenden Zusammenhang der zweiten Fassung geraten seien77. Seine Interpretation beschließt TORSTRIK mit einem Rekonstruktionsvorschlag folgenden Wortlautes: άλλ' έχειδή έστι κινηθέντος τουδί κινεϊσθαι έτερον ύχό τούτου, έστι δέ γίνεσθαι κίνησιν ύχό της ένεργείας της αίσθήσεως, και ταύτην όμοίαν ανάγκη είναι τη αίσθήσει, είη αν αΰτη ή κίνησις ούτε άνευ αίσθήσεως ένδεχομένη ούτε μή αίσθανομένοις ύχάρχειν. Ohne unmittelbar auf TORSTRIKS Darlegungen einzugehen, entwickelt HICKS 78 Ansätze zu einer angemesseneren Lösung des Problems. Seine Analyse zeichnet den Gedankengang der Periode in befriedigenderer Weise nach: Ein System von drei in den χροτάσεις der Periode genannten Bedingungen wird von der zur Frage stehenden Bewegung erfüllt. Offen bleibt freilich nach HICKS' Interpretation die besondere Stellung und Funktion des Satzes im Gewebe der Argumentation des Kontextes. Ross wendet gegen TORSTRIK ein, dieser habe nicht die Bedeutung von δστιν in den Zeilen 10 und 13 bemerkt. Seine Paraphrase scheint den Sachverhalt annähernd richtig wiederzugeben: "But since it is possible that when one thing is moved, another should be moved by it, and since imagination seems to be a movement, and not to occur in the absence of perception, but only for creatures that perceive, and to be only of things that can be perceived, and since it is possible that a movement should be set up by the activity of perception, and necessary that this movement should be like the original perception, it may be inferred (in the absence of any alternative account of imagination) that this movement can neither happen without perception nor belong to things that do not perceive. "79 Auch Ross hält also den von TORSTRIK gestrichenen Passus keineswegs für entbehrlich, wenn er sich auch ähnlich wie HICKS ZU der Sache selbst nicht äußert. Wie aber soll man sich entscheiden? Handelt es sich bei den anstößigen Worten nicht tatsächlich um eine Dublette? Oder hat man nicht vielmehr damit zu rechnen, daß der formale Anstoß gerade den Blick auf einen zentralen Punkt des Gedankens lenkt und so den Weg zu einem Verständnis öffnet?

77

Ebd.

78

A.a.O. 467.

79

Ross 288.

76

Drittes Kapitel

Die erste Protasis der Periode formuliert ein bekanntes aristotelisches Prinzip: Ein von einer Bewegung Bewegtes kann seinerseits ein anderes in Bewegung versetzen. Der Gedanke, der etwa im achten Buch der Physik eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung der Lehre von der Ewigkeit der Welt spielt80, nimmt auch hier eine Schlüsselstellung ein. Die zweite Protasis ist vorsichtig formuliert: ...ή δέ φαντασία κίνησίς τις δοκεΐ είναι κτλ. In der Tat dürfte die These nicht unproblematisch sein. Daß sie aber zweifelsfrei im aristotelischen Sinne eine Bewegung ist, folgt daraus, daß sich im Erscheinen eines φάντασμα eine άλλοίωσις desjenigen vollzieht, dem das φάντασμα erscheint. Wenn aber φαντασία eine Bewegung ist, so ist die Möglichkeit impliziert, daß sie selbst einer anderen Bewegung ihr Bewegtsein verdankt. Im Hinblick auf diese Möglichkeit muß man sicherlich auch die von TORSTRIK beanstandeten Worte verstehen. Wenn nämlich zu dieser Möglichkeit, die zunächst noch nicht näher bestimmt werden kann, eine unübersehbare Ähnlichkeit zur αίσθησις hinzukommt, und diese selbt wiederum eine Bewegung ist, denn liegt die Vermutung verführerisch nahe, daß φαντασία mit einer von der αίσθησις qua Bewegung ausgelösten Bewegung identisch ist. Daß φαντασία die αΐσθησις impliziert, erfuhren wir mit fast denselben Worten 427b15f. Dies bedeutet im einzelnen, daß φαντασία nur solchen Wesen zukommt, die αϊσθανόμενοι sind, und daß es sie nur von Objekten gibt, die auch Objekte möglicher Wahrnehmung sind. Im Rückgriff auf die einleitende Protasis der Periode und den in ihr formulierten Grundsatz kann Aristoteles nun auf die Möglichkeit hinweisen, daß auch von der ενέργεια der Wahrnehmung (nicht etwa von deren δύναμις) eine Bewegung ausgelöst werden kann, die - wollte man sie konstruieren - der αΐσθησις gleichgeartet sein müßte. Wenn diese Bedingungen erfüllt würden, dann müßte eine solche Bewegung, die sich von der αΐσθησις abstoße, auf wahrnehmende (d.h. auf wahrnehmungsfähige) Wesen beschränkt sein. Wer über eine solche Bewegung verfügt, wie sie Aristoteles als eine von der ενέργεια der αΐσθησις ausgelöste begrifflich konstruiert, der müßte vieles 'ihr gemäß tun und leiden'. Ferner könnte sie sowohl wahr, als auch falsch sein. Die Schlußzeilen des fraglichen Satzes werden i.a. von den Kommentatoren nicht eigens berücksichtigt. Gelegentlich verraten Paraphrasen oder Übersetzungen, wie unzureichend das Verständnis der Stelle immer noch ist. So fügt etwa HICKS81 dem Satzschluß και είναι καϊ άληθή και ψευδή unnötigerweise ein Subjekt hinzu und gibt die Übersetzung: "Imagination, too, may be both true and false." - Damit wird deutlich, daß er den ganzen 80

Arist. phys. 257 a 10f.: δ ή λ ο ν γάρ ο τ ι κ ι ν ε ί τ α ι καϊ ύπό τοΰ α ν ω τ έ ρ ω κ ι ν ο ϋ ν τ ο ς τ ό κ ι ν ο ύ μ ε ν ο ν π α ν , καϊ μ ά λ λ ο ν ύ π ό τ ο ΰ προτέρου τ ω ν κ ι ν ο ύ ν τ ω ν . 81

A.a.O. 127.

Drittes Kapitel

77

Zusammenhang mißversteht; denn diese letzte Bemerkung des Satzes bezieht sich immer noch auf die postulierten Merkmale einer aus der aktuellen Wahrnehmung abgeleiteten Bewegung. Es geht aber in diesem Abschnitt um nichts anderes als um die Frage, ob das Spektrum festgestellter Übereinstimmung von Eigenschaften dieser Bewegung und der φαντασία ausreicht, um eine Identifikation der φαντασία mit ihr vorzunehmen. Zu diesen Eigenschaften rechnen auch die beiden letzten: (1) Dasjenige, das diese Bewegung an sich trägt, sie gewissermaßen 'besitzt' und über sie verfügt, muß sowohl in seinem Tun wie auch in seinem Leiden in vielfacher Weise von ihr, d.h. von dieser angenommenen Bewegung bestimmt sein; und (2) Sie kann sowohl 'wahr' als auch 'falsch' sein. Diese letztere Eigenschaft erläutert Aristoteles in der folgenden Perikope. Das zuerst genannte Postulat läßt vermuten, daß Aristoteles glaubt, eine von der αϊσθησις ausgelöste Bewegung müsse sich im Leben des Wesens, das die Bewegung an sich erfahrt, entscheidend auswirken. Es steht zu erwarten, daß eine solche Bewegung, die etwa noch als wirkend gedacht sein kann, wenn die Auslösung nicht mehr präsent ist, ihr έχον nachhaltig beeinflußt, und zwar in allem, was sie tätig angreift oder an sich erleidet. Im Sinne der Bewegungslehre des Aristoteles kann man auch darauf verweisen, daß gemäß dem in der ersten Protasis genannten Grundsatz jede Bewegung eine andere zeugt. So wird auch die κίνησις, die von der ένέργεια der αϊσθησις ausgeht, ihrerseits wirkend und zugleich auch leidend eine neue Bewegung aus sich entlassen. Wie es um das Wahrheitsverhältnis der Bewegung bestellt ist, erklärt Aristoteles unter Hinweis auf die auflösende αΐσθησις. Nur die αίσθησις των ιδίων ist in der Mehrzahl der Fälle wahr. Die von ihr ausgehende erste Form der Bewegung ist, wenn die αΐσθησις präsent ist und bleibt, wahr. Die zweite, auf die συμβεβηκότα der ίδια gerichtete Wahrnehmung setzt sich bereits in bedenklicher Weise dem Irrtum aus: Ob der weiße Gegenstand unter den Bäumen ein Wäschestück ist oder ein Mensch, - darin irrt die Wahrnehmung oft. Dasselbe gilt von der Bewegung, die sich von einer solchen αϊσθησις löst. Für die κοινά, Wahrnehmungsgegenstände, die mehreren Sinnen gemeinsam sind, wie κίνησις oder μεγέθη trifft Ähnliches zu, und Entsprechendes läßt sich auch für die Bewegung festhalten, die in dieser Wahrnehmung ihren Ursprung nimmt. Je größer die Ferne, in die eine auslösende Wahrnehmung gerückt ist, um so anfälliger wird die ausgelöste Bewegung für Täuschung. Ergibt sich nun bei einem Vergleich der in ihren grundlegenden Eigenschaften beschriebenen φαντασία und dieser zunächst nur konstruierten Bewegung eine vollkommene Übereinstimmung, so hat man eine hinreichende, aber noch keine notwendige Bedingung für eine Identifikation von φαντασία und der fraglichen Bewegung an der Hand: Immer dann, wenn eine Bewegung mit exakt den genannten Eigenschaften ist, treffen wir auf φαντασία.

78

Drittes Kapitel

Die notwendige Bedingung würde u.E. der Satz 428b30f. formulieren: εϊ oov μηθέν μεν άλλο έχει τα εϊρημένα ή φαντασία κτλ. Nur dann nämlich, wenn nichts anderes die genannten Bedingungen erfüllt, dann ist φαντασία diese Bewegung. Unter der Voraussetzung der Korrektheit unseres Lösungsvorschlages würde man vom Ende des Gedankens aus die planende Absicht, die dem Aufbau der Argumentation Form und Gefüge verliehe, erkennen. Die Aufzählung der 428*4 genannten Erkenntnisvermögen, die wir bereits oben unter Hinweis auf 428b18 als exhaustiv gemeinte Liste erkannten, nennt alle δυνάμεις, die Anspruch auf eine Identifikation mit φαντασία erhoben. Nacheinander widerlegt Aristoteles diesen Anspruch in jedem einzelnen Fall. Der elenktische Teil des Kapitels bezöge also aus der Bemühung, die conditio necessaria zu erfüllen, seinen Sinn. In ihrer Bedeutung aber unklar ist die zweite Prämisse des Schlusses, dessen conclusio die Definition der φαντασία ist: τοϋτο δ' έστί τό λεχθέν. Befremdlich ist zunächst, daß sowohl Subjekt wie auch Prädikat dieses Satzes im Neutrum Singular stehen. Grammatikalisch wäre also nur ein Anschluß an μηθέν άλλο möglich. Da femer weder das Demonstrativpronomen noch das Partizip Passiv leicht faßbar sind, hat die Stelle zu mancherlei Vermutungen Anlaß gegeben. Die sachlichen Schwierigkeiten dürften auch der Grund dafür sein, daß die textliche Überlieferung der Stelle nicht ganz eindeutig ist. H I C K S folgt in seiner Textgestaltung der Lesart von Ε εί ούν μηθέν μεν άλλο Ι χ ο ι ή τά εϊρημένα ή φαντασία. Die zweite Prämisse greift dann nach seiner Interpretation der Passage auf 428 b ll zurück und sichert die dort vorsichtig mit δοκεΐ είναι formulierte Aussage ab: τοϋτο δ' έστί τό λεχθέν... Dies mag zwar auf den ersten Blick plausibel erscheinen. Es fragt sich aber, ob diese Lösung sich aus der Logik des bis zu dieser Stelle entwikkelten Gedankengangs wirklich zwingend ergibt. Wir sind der Meinung, daß dies nicht der Fall ist. Mit Ausnahme der knappen Bemerkung: "It seems best to treat these words parenthetical," gibt Ross in seinem Kommentar keine interpretatorischen Hinweise zum Verständnis des Passus, sondern argumentiert im Apparat seiner Ausgabe rein überlieferungsgeschichtlich. Die Aussage wirkt recht enttäuschend, da sie weder dazu beiträgt, den Inhalt der fraglichen Worte zu verstehen, noch etwa dazu, die Äußerung des Aristoteles glaubhaft in den Argumentationszusammenhang einzugliedern. Die Frage ist also offenbar noch immer ungelöst. Halten wir aber an der Ross'schen Textgestaltung fest und deuten wir die erste Prämisse des 428b30 beginnenden Konditionalsatzes als die notwendige Bedingung für die Identifikation der hypothetischen Bewegung, deren Begriff 428b10ff. konstruiert wurde, mit der φαντασία, wie sie sich uns immer schon darstellt, so kann man die vorgebliche Parenthese aus ihrer Beiläufigkeit erlösen. Wenn nämlich - wie durch die elenktische Partie

Drittes Kapitel

79

428*l/b9 bewiesen - keines der anderen Erkenntnisvermögen die von Aristoteles entwickelten Eigenschaften aufweist, sondern einzig die φαντασία, dieses aber mit dem Genannten identisch ist, so folgt daraus, daß φαντασία usw. ist. Wir schlagen vor, τούτο formal auf μηθέν άλλο zu beziehen, d.h. es inhaltlich als Pronomen für φαντασία zu verstehen, und τό λεχθέν als die konstruktiv aus der Wahrnehmung gewonnene Bewegung zu begreifen. Dann ist die in ihrer Bedeutung umstrittene zweite Prämisse des hypothetischen Satzes genau der Ort, an dem die Identifikation der beiden Bewegungen vollzogen wird, der φαντασία und der aus der ένέργεια der Wahrnehmung abgeleiteten hypothetischen Bewegung. Immer und mir dann (oder: Genau dann), wenn die entsprechenden Eigenschaften einer Bewegung, die sich aus der aktuellen Wahrnehmung herleitet, vorliegen, ist φαντασία. Φαντασία ist Bewegung, die in der Aktualität der Wahrnehmung ihren Ursprung hat.

Viertes Kapitel Das vierte Kapitel des dritten Buches beginnt mit der Formulierung der Aufgabe. Der Bereich, den es zu erforschen gilt, ist der erkennende und denkende Seelenteil. Das Konjunktionenpaar τ ε . κ α ί (429*10/11) ist Indiz dafür, daß Erkennen und Denken hier als Einheit zu begreifen sind. Die genaue Bedeutung von φρονεΐν bedarf noch einer Klärung1. Doch sei hier auf die Einleitung des dritten Kapitels hingewiesen2. Scheinbar unentschieden bleibt die alternative Frage, ob der erkennende und denkende Seelenteil von den anderen Teilen der Seele3 ablösbar ist, oder ob er zwar κατά μέγεθος nicht ablösbar, κατά λόγον aber doch ablösbar sei. Schon die alternative Form läßt aber keinen Zweifel an der grundsätzlichen Entscheidung des Aristoteles für eine Ablösbarkeit des νοητικόν aufkommen. Lediglich die durch κατά indizierte Hinsicht bleibt offen. An den zu erforschenden Teil der Seele wird 429« 12f. die doppelte Frage gerichtet, worin seine διαφορά bestehe und wie denn das Denken eigentlich geschehe: τίν' έχει διαφοράν, και πώς ποτέ γίνεται τό νοεΐν. Διαφορά bezeichnet hier den Unterschied des denkenden Seelenteils von den anderen μόρια της ψυχής. Die Beantwortung dieser Frage wird auch Aufschluß über die offene Alternative bezüglich der Ablösbarkeit des νοητικόν geben können. Wenn nämlich die Differenz zu den übrigen Seelenteilen aufgeklärt ist und sich damit auch zugleich eine Antwort auf die Frage findet, wie denn eigentlich das Denken geschehe, so entscheidet sich auch jene Frage, wie die denkende Seele sich von den anderen Seelenteilen lösen lasse, ob schlechthin, - und das schließt auch den räumlichen Aspekt ein, - oder nur begrifflich4. Die Verbindung der beiden Fragen nach der διαφορά und der Vollzugsweise des Erkennens ist wohl so zu verstehen, daß nach Aristoteles in der ενέργεια des Denkens das die διαφορά darstellende Moment zu sehen ist. Gelingt es also, eine Antwort auf die Frage πώς ποτέ γίνεται τό ν ο ε ΐ ν zu finden, so ist damit auch die διαφορά zu den übrigen Seelenteilen umrissen. Daß unser Text diesen Weg einschlägt, macht sogleich der nächste Satz deutlich: εί δη έστι τό νοεΐν ώσπερ τό αίσθάνεσθαι κτλ. Hier wird auf die Art und Weise des Denkens reflektiert und eben damit an die zitierte Frage angeknüpft. Gleichzeitig wird durch die Gegenüberstellung zu

1

Vgl. MODRAK 1987, 114ff.

2

Vgl. o. 49ff.; femer MODRAK a.O. 114 zu φρόνησις und φρονεΐν.

3

429*11: ...είτε χ ω ρ ι σ τ ο ύ δ ν τ ο ς είτε και μή χωριστοδ. Vgl. dazu RODIER 435, der im Anschluß an Plut. Ath. bei Joh. Philop. 520,34 von "...Ϊinterpretation la seule admissible" spricht. S. auch u. Anm. 26. 4

Vgl. dazu HICKS 475; Ross 291.

Viertes Kapitel

81

αίσθάνεσθαι die Bemühung um Abgrenzung zu den übrigen Seelenteilen faßbar. Der Suchweg wird bestimmt durch die beiden Strukturmomente von διαφορά, Identität und Andersheit5. Das Denken scheint Gemeinsamkeiten mit der Wahrnehmung aufzuweisen, die es mit dieser vergleichbar machen (ώσκερ). Es wird jedenfalls vorausgesetzt, daß das für das Zustandekommen eines Denkens konstitutive Verhältnis von νοητόν zu νοητικόν ähnlich beschaffen sei wie das Verhältnis von αίσθητόν zu αίσθητικόν. Durch eine alternative Formulierung wird versucht, dieses Verhältnis zu erfassen: ...πάσχει ν τι αν είη ύχό τοϋ νοητοΰ ή τι τοιούτον έτερον (429« 14f.). H A M L Y N nimmt Anstoß daran, daß Aristoteles zu Beginn seiner Diskussion der Wahrnehmung II 5 zwar die Auffassung vertreten habe, Wahrnehmung sei ein χαθεί ν (a form of being affected), dann freilich infolge einer sich immer mehr verfeinernden Differenzierung in der Beurteilung des Verhältnisses bis in die Nähe einer Zurückweisung dieser These gelangt sei7. Greift Aristoteles trotz der an früherer Stelle, 417b2/5, vorgenommenen Unterscheidung der Bedeutungen von κάσχειν hier auf eine elementare Form seiner Wahrnehmungstheorie zurück und überträgt sie auf den Intellekt? Welcher Zweck könnte damit verfolgt werden? Die fortschreitende Differenzierung der These fuhrt zwar zu einem immer genaueren Verständnis des Wahmehmungsvorganges, und Aristoteles stellt auch zu Recht fest, daß Wahrnehmung in bestimmter Hinsicht kein παθεϊν sei8; es gilt jedoch, Vorsicht zu üben und daran zu denken, daß die Negation mehrdeutig ist. Die Erkenntnis mag in einer gewissen Beziehung tatsächlich passiv, d.h. rezeptiv sein, in anderer Beziehung aber ist sie es nicht. An dem Grundverhältnis einer Aktualisierung des αίσθητικόν durch ein αίσθητόν hält Aristoteles jedoch nach Ausweis von 431"4ff. unbedingt, fest. Dieses Grundverhältnis, das letztlich gewisse passive Züge aufweist, ist vermutlich auch hier angesprochen, wenngleich diese passiven Elemente bei eingehender Analyse bereits auf der Ebene der Wahrnehmung und erst recht auf deijenigen des Denkens in den nicht mehr bestimmenden Hinter6

5

Vgl. Arist. metaph. 1018*12: Διαφορά λέγεται δσ' Ετερά έστι τό αύτό τι όντα

κτλ. 6

136 (zu 429"13).

7

Vgl.

431'5/7:

ού γάρ πάσχει ούβ' άλλοιοΰται (sc. τό αίσθητικόν).

MODRAK 2 1 4

A N M . 16. 8

Die von HICKS 4 9 5 (zu 4 2 9 B 2 9 ) formulierte Warnung ist ernst zu nehmen: "We cannot too strongly emphasise the strained meaning put upon all these terms when they are transferred from the mutual action and reaction of things corporeal to the mental sphere: χάσχειν is ένεργεΐν 417° 15, bl (cf. 431a4 sqq.), τό χάσχον is άχαθές (429° 15), and the process, which is really εις αύτό έχίίοσις και εις έντείέχειαν 417b6sq. is not only said to be ή ixi τάς £ξεις μεταβολή καϊ την φύσιν 41 ftlSsq., but is even more improperly described as άλΧοίωσις, κίνησις, πάθος." usw.

Viertes Kapitel

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grand zurücktreten. Auf der Stufe vorbereitender Überlegungen jedoch verschlägt dies wenig. Es scheint der Absicht des Textes zu entsprechen, Wahrnehmung und Denken in enger Verknüpfung zu interpretieren, - ein Leitmotiv, das seine Berechtigung dann später erkennen lassen wird. So stehen Gemeinsamkeiten der Struktur wenigstens als Ausgangsbasis im Vordergrund9. Geht man also davon aus, daß sich das Denken ähnlich wie die Wahrnehmung verhalte, d.h. Denken und Wahrnehmung auf ähnliche Weise strukturiert seien, so dürfte, wie Aristoteles meint, die folgende Konsequenz zu erwarten sein: Entweder erleidet das νοητικόν etwas vom νοητόν, oder es tritt etwas anderes dieser Art ein. Die erstere Alternative würde ihrerseits zu der bei Aristoteles nicht eigens vermerkten Folge führen, daß die Aktualisierung des Denkens durch das Zusammentreffen eines Denkgegenstandes mit einem νοητικόν bewirkt wird, d.h. also: daß das Denken ähnlich wie die Wahrnehmung mit Notwendigkeit erfolgen würde. Aber bereits für die φαντασία, die nach Stellen wie 427b14/16 zwischen Denken und Wahrnehmung vermittelt, stellt Aristoteles fest, daß sie nicht immer (άεί) sei10. Das Denken aber ist wie die φαντασία unserer freien Verfügung unterworfen und wird nicht nur und immer dann mit mechanischer Zwangsläufigkeit ausgelöst, wenn ein νοητόν auf ein νοητικόν trifft. Die Weiterführung des Gedankens mit der Partikel άρα 429" 15 wirkt auf den ersten Blick hart11, besonders dann, wenn man an der durch die sprachliche Form nahegelegten Auffassung festhält, es handle sich um eine beide Optionen offenhaltende wirkliche Alternative. Dann stellt der Anschluß mit απαθές άρα κτλ. eine brüske Zurückweisung der ersteren Alternative dar. Geht man aber davon aus, daß Aristoteles die beiden Optionen nicht als alternative Möglichkeiten auffaßt, sondern zunächst noch sehr von fern ein allgemeines passives Grundverhältnis anspricht, das zwischen νοητόν und νοητικόν besteht, und sodann in einem zweiten Schritt diesen Ansatz korrigiert, weil bei näherem Zusehen bestimmte Strukturmomente der Wahrnehmung die Deutung des Vorgangs als παθεΐν eher in Frage stellen, so verliert die Fügung viel von ihrer gedanklichen Anstößigkeit12.

9 Dasselbe Verfahren wendet Aristoteles übrigens auch II 5 an, wo es 417*14/16 heißt: πρώτον μεν ουν ώς t o o αύτοΰ δ ν τ ο ς τοϋ κάαχειν και τοϋ κ ι ν ε ΐ σ θ α ι και τοΰ ένεργεϊν λέγομεν. - Zu 429"13ff. vgl. auch W. BERNARD, Rezeptivität und Spontaneität der Wahrnehmung bei Aristoteles = Saecula spiritalia 19, Baden - Baden 1988, 181.

>°428 a 8ff.: είτα α ΐ σ θ η σ ι ς μεν άεί χάρεστι, φαντασία 8' ού.. 11

12

V g l . z . B . TRENDELENBURG 3 8 3 ( z u 4 2 9 · 1 5 ) .

HAMLYN scheint a.O. 136 von der Voraussetzung auszugehen, es handle sich doch um eine wirkliche Alternative: "so that it is really the second alternative put forward at the beginning of this section which is in fact accepted." - wenn anders er die Formulierung 'alternative' nicht rein formal meint.

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Was aber ist nun sachlich konkret mit τοιούτον έτερον gemeint? Die Antwort liest man 429*15/18: 'Απαθές άρα δει είναι, δεκτικόν δέ τοΰ είδους και δυνάμει τοιούτον άλλά μή τοϋτο, και όμοίως έχειν, ώσχερ τό αίσθητικόν χρός τά αισθητά, οϋτω τον νοΰν χρός τά νοητά. Die mit άρα eingeleitete Konklusion wird in vierteiliger Form gegeben: (1) Das Denken ist danach zwingend άχαθές. Es ist ebenfalls mit Notwendigkeit (2) δεκτικόν τοΰ είδους. Es ist (3) notwendig δυνάμει τοιούτον, άλλά μή τοϋτο. Auch wenn die νόησις prinzipiell keinem χάθος ausgesetzt ist, muß sich (4) der νοϋς zu den νοητά ähnlich verhalten wie das αίσθητικόν zu den αισθητά. In der Verknüpfung von άχαθές bzw. δεκτικόν είναι ist die Rolle der Partikel δέ zu beachten. Zwar muß die νόησις ähnlich wie die αίσθησις ein άχαθές sein; aber sie ist zwingend aufnahmefähig für das είδος. Der Akzent liegt deutlich auf dieser zweiten Teilkonsequenz. Da Denken und Erkennen als Aufnahmefähigkeit für das είδος bestimmt werden, die ΰλη also nicht aufgenommen werden kann, kann auf das Zusammengesetzte immer nur in der Form des τοιούτον verwiesen werden, wohingegen es selbst niemals in seiner Unmittelbarkeit in der Seele angetroffen wird. So kann am Ende gleichsam zusammenfassend und dennoch weiterführend die in 429· 13f. als Hypothese formulierte Beziehung zwischen αΐσθάνεσθαι und ν ο ε ΐ ν als Analogie in der Form αίσθητικόν : αισθητό ν :: νοητικό ν zu νοητόν entfaltet werden. Das Verhältnis ist zwar nicht direkt passivisch, aber als Rezeptivität des είδος dem Passiv ähnlich. Auch der folgende Satz 429" 18/20 ist durch άρα wohl als Schlußfolgerung13 ausgewiesen. Da sich das ν ο ε ΐ ν analog zum αΐσθάνεσθαι als ein bestimmtes Verhältnis zwischen νοητικόν und νοητόν enthüllt und da der νοϋς ferner alles14 denkt, kann er mit nichts eine wie auch immer bestimmte Mischung eingehen. Der Zweck, den Aristoteles in Auslegung des im Hintergrund stehenden Anaxagoraswortes15 nennt, lautet: ϊνα γνωρίζη, 'damit er erkenne'. Die Begründung, die 429*20 folgt, besteht in dem Hinweis, das Fremde, das beiläufig, nebenbei erscheine16, sei (dem Erkennen) 13 DENNISTON 41 mit Verweis auf E. DES PLACES, Etudes sur quelques particules de liaison chez Piaton, Paris 1929, 229 zum inferentiellen Gebrauch von άρα. DENNISTON schreibt ebd.: "But in Aristotle the particle has become completely devitalized, and is a pure connective, not emphatic." (Verweis auf part.anim. 642*13); zu άρα und seiner relativen Verbreitung in den aristotelischen Schriften s. R. EUCKEN, De Aristotelis dicendi ratione. Pars I. Observationes de particularum usu, Diss. Göttingen 1866, 50/51. 14 Vgl. Plat. Tim. 50 E; J. BARNES, Aristotle's Concept of Mind, in: Articles on Aristotle. Ed. by J. BARNES, M. SCHOFIELD, R. SORABJI, 4. Psychology and Aesthetics, London o.J., 39. 15

VS 39 fr.B 12 DIELS-KRANZ. Vgl. Arist. metaph. 989 B 14/21; phys. 256 B 24/26; De

an. 4 0 5 * 1 3 / 1 7 . 16

Anders verteilt BERNARD 182 Anm. 3 die syntaktischen Gewichte. Er möchte καρεμφαινόμενον als auf ein unpersönliches Subjekt bezogen denken, das stellvertretend für

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hinderlich und stehe im Wege: Παρεμφαινόμενον γαρ κ ω λ ύ ε ι τό ά λ λ ό τ ρ ι ο ν και άντιφράττει. Da der νοϋς alles denkt, gibt es offenbar nur ihn selbst und das von ihm Gedachte. Das sich in das Denken Einmischende heißt im Text τό ά λ λ ό τ ρ ι ο ν . Dieses Wort kann 'sachfremd 1 oder gar 'feindlich' bedeuten. Die Frage, die der Text nicht beantwortet, lautet: Was ist dieses ά λ λ ό τ ρ ι ο ν , von dem gesagt wird, daß es sich bei Wege zeige? Nach Ausweis der Partikel γάρ muß der Satz π α ρ ε μ φ α ι ν ό μ ε ν ο ν γάρ Κωλύει τό ά λ λ ό τ ρ ι ο ν και ά ν τ ι φ ρ ά τ τ ε ι die Begründung dafür enthalten, daß der νοϋς unvermischt ist. Ferner soll offenbar aus der Tatsache, daß ein Fremdes, das sich beiläufig zeige, die Erkenntnis verhindere, folgen, daß der νοΰς die Natur der δύναμις aufweise. Dasjenige, was den Prozeß des Erkennens stört, muß also von der Art der έ ν έ ρ γ ε ι α sein. Das aber bedeutet, daß zunächst einmal jedes είδος, das sich dem νοΰς zeigt, seine Herrschaft einschränkt. Als Konsequenz der Unvermischtheit des νοϋς soll sich nach Maßgabe des Textes 17 ergeben, daß die Natur des Denkens reine Potentialität sei, ein Sachverhalt, aus dem gefolgert wird: ό άρα κ α λ ο ύ μ ε ν ο ς της ψ υ χ ή ς νοϋς...ούθέν έ σ τ ι ν ένεργείφ. των όντων 1 8 πριν ν ο ε ΐ ν (429"22/24). Die Fragen, die sich aus diesem Zusammenhang ergeben, lauten: Wieso folgt aus dem Umstand, daß der νοϋς unvermischt ist und daß etwas, das sich beiläufig zeigt, das Erkennen verhindert, jene Konsequenz...ώστε μηδ' αύτοΰ ε ί ν α ι φ ύ σ ι ν μηδεμίαν άλλ' ή ταύτην, ότι δυνατός? Wieso kann man ferner behaupten, der νοΰς sei nichts von allem Seienden κατ' έ ν έ ρ γ ε ι α ν , bevor er denke? Wenn er nur der Möglichkeit nach ist, wie kann er dann überhaupt etwas der Wirklichkeit nach sein? Die Lösung dieser Fragen ist z.T. bei H A M L Y N 1 9 angedeutet. Der νοΰς denkt nach 429*18 alles und wird dabei mit allem, was immer er denkt, in gewisser Weise (πως) identisch. Bevor er ein bestimmtes τΐ denkt, besteht diese Identität nur potentiell. Das Denken ist als ein Vermögen präsent,

ε ί δ ο ς steht,und τ ό ά λ λ ό τ ρ ι ο ν als Objekt verstehen. Diese Interpretation scheint uns aber aus sprachlichen Gründen bedenklich, wenn man nicht ändert, sondern an dem überlieferten Text festhält; denn einmal ist der für BERNARDS Deutung vorauszusetzende Bezug von π α ρ ε μ φ α ι ν ό μ ε ν ο ν auf ε ί δ ο ς keineswegs gegeben; zum anderen denkt man bei der Verteilung von π α ρ ε μ φ α ι ν ό μ ε ν ο ν ohne Artikel und ά λ λ ό τ ρ ι ο ν mit Artikel unwillkürlich an das Standardmuster 'Subjekt mit Artikel' und 'Prädikatsnomen ohne Artikel'. So wird man wohl eher geneigt sein, an der herkömmlichen Interpretation festzuhalten. Zudem ist u.E. bei der Übersetzung von π α ρ ε μ φ α ι ν ό μ ε ν ο ν dem Präverbativ παρ- nicht Rechnung getragen (Incidentally ...[LSJ]). 17 Daß es sich um eine Konsequenz handelt, folgt aus ώ σ τ ε . Daß es sich um eine gedachte Konsequenz handelt, signalisiert die Infinitivkonstruktion. 18

Zu τ ά ό ν τ α an dieser Stelle vgl. HlCKS 501 (zu 430" 14).

19

Ebd. 136.

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nicht als Wirklichkeit, so lange der νοΰς nicht auf ein τϊ gerichtet ist20. Es fragt sich, von welcher Art die Potentialität des Denkens vor der Ausrichtung auf ein t i ist. Handelt es sich um erste oder zweite Potentialität, d.h. um erste Aktualität? Die Antwort muß lauten: Um zweite Potentialität bzw. erste Aktualität; denn die Potentialität des Denkens kann nicht in einer bloßen Disposition zum Vermögen des Denkens bestehen. Sie bedarf der Ausbildung der Denkfähigkeit als einer Voraussetzung. Der Widerspruch zwischen der Feststellung der absoluten Potentialität des Denkens und der doch deutlich zum Ausdruck kommenden Zuversicht des Aristoteles, der νοΰς werde sich im Denken eines νοητόν aktualisieren, läßt sich wohl kaum lösen. Man kann aber darauf hinweisen, daß hier in zwei verschiedenen Hinsichten von ένεργεια die Rede ist: Die grundsätzlich auf alles gerichtete Bewegung des Denkens bleibt eben deshalb auch in der ένεργεια des Denkens eines τϊ immer ein sich der Welt öffnendes Vermögen. 429a23 fugt Aristoteles zur Erläuterung des Ausdrucks ό άρα καλούμενος της ψυχής νοΰς eine Parenthese ein: "Ich verstehe aber", so heißt es an dieser Stelle, "unter νοΰς dasjenige Vermögen, mit dem die Seele denkt und etwas für wahr hält21." Weshalb gibt er diesen Hinweis, dessen es doch auf den ersten Blick gar nicht bedarf? Die Bemerkung kann nur dann einen Sinn haben, wenn eine Möglichkeit der Verwechslung besteht, die mit ihrer Hilfe ausgeschlossen werden soll. In der Tat besteht gerade in Hinsicht auf den göttlichen νοΰς, der reine ενέργεια ist, Anlaß zu sorgsamer Differenzierung22. Es ist bezeichnend, daß der νοΰς ποιητικός des fünften Kapitels von gewissen antiken Interpreten23 als der göttliche νοΰς angesehen wurde24. 429a24 fährt Aristoteles fort: "Deshalb ist es auch nicht vernünftig, anzunehmen, er (sc. der νοΰς) sei mit dem Körper vermischt." Wenn der νοΰς (der Seele) Potentialität ist, die nur dann ihre Grenze findet, wenn der νοΰς ein τϊ denkt, so kann er wohl kaum mit dem Körper "vermischt" sein, der κατ' ένέργειαν ist. So wird aus der Bestimmung des νοΰς als Potentialität auf die Unmöglichkeit einer Bindung des νοΰς an den Körper geschlossen. An der früheren Stelle (429M8) folgte die Unvermischtheit des νοΰς aus 20

Vgl. dazu den Lösungsvorschlag der antiken Kommentatoren zu 428 a l6 und unsere Behandlung dieses Problems o. 76ff. 21 Zu dem Bedeutungsunterschied von ύχολαμβάνειν und διανοεϊσθαι an dieser Stelle s. BONITZ, Index 799 b 26/30. Vgl. auch TRENDELENBURG z.St. 387. - 429 a 10 verwendet Aristoteles in derselben Ausdrucksabsicht γινώσκειν und φρονεΐν. 22

Von fern kündet sich hier ein Gedanke an, der in einer berühmten Lehre des Poseidonios seinen Niederschlag gefunden hat: Vgl. Poseidonios F 267 (aus Arius Didymus 27,462,13) THEILER und dazu THEILERS Kommentar 140/142. 23

Alex. Aphrod. De an. mantissa 108ff.

24

Vgl. die Übersicht über die Deutungsgeschichte bei Ross 41ff., bes. 42.

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dem Umstand, daß der νοϋς alles denkt und denken kann. An der zweiten Stelle (429»24) ist die Nichtvermischung mit dem Körper durch die Modalität des νοΰς begründet. Sowohl von den Objekten des Denkens wie auch von der Natur des Denkens selbst her erweist sich die Unvermischtheit und Unvermischbarkeit des νους als zwingend. Ginge der νοϋς nämlich eine Bindung mit dem Körper ein, so würde er bestimmte Qualitäten, z.B. Wärme oder Kälte annehmen 25 , oder er würde ebenso wie das α ί σ θ η τ ι κ ό ν mit einem eigenen Organ 26 ausgestattet. Da dies aber nicht der Fall sei, treffe auch die Voraussetzung nicht zu. Wie ist das letzte "oder" zu verstehen? Werden hier mehrere Konsequenzen ohne Bezug auf einen inneren Zusammenhang aneinandergereiht? Das scheint in der Tat der Fall zu sein: Aristoteles nennt als erste Konsequenz das Eingehen des ν ο δ ς in qualitative Bestimmtheit, als zweite sodann die Anbindung des νους an ein spezifisches Organ nach dem Vorbild der Sinnesorgane. Problematisch ist die zweite dieser Folgen: Für Aristoteles würde die Vermischung des νοϋς mit dem Leib die Organhaftigkeit des Denkens implizieren, ein Gedanke, der nach Erläuterung verlangt. Allerdings verunklärt an dieser Stelle eine Schwierigkeit der Textüberlieferung den Gang der Argumentation. Einige Handschriften (CW), aber auch Simplikios (Lemma) und Sophonias27 lassen 429*26 das ή vor κάν fortfallen. Ross 28 u.a. folgen ihnen darin. Geht man einmal davon aus, daß ...ή ψ υ χ ρ ό ς ή θερμός, ή καν δ ρ γ α ν ό ν τι ε ί η zu lesen wäre, so würde man verstehen: "Denn er (sc. der νοΰς) würde dann ein hinsichtlich seiner Qualität bestimmter werden, entweder warm oder kalt, - ja sogar ein όργανον würde ihm zukommen wie dem αίσθητικόν. Nun aber ist nichts davon der Fall". Ross nimmt Anstoß daran, daß im Falle der Einfügung eines weiteren ή vor καν das zweite Glied der Disjunktion besonders stark hervorgehoben würde, so daß nach seiner Meinung der verfehlte Eindruck entstünde, die Bindung des νοΰς an ein körperliches Organ sei noch materialistischer als der Umstand, daß er warm oder kalt sei 29 . FÖRSTER liest statt eines Ή δ ι α ζ ε υ κ τ ι κ ό ν ein Ή und möchte wohl beide Gedanken auf diese Weise in einen zwingenden Zusammenhang bringen: Der νοϋς werde, so dürfte FÖRSTER argumentieren, eine bestimmte Be-

25

429"25: π ο ι ό ς τ ι ς γάρ αν γ ί γ ν ο ι τ ο , ή ψ υ χ ρ ό ς ή θερμός κτλ.

26

Das "Organ" würde den Geist beeinträchtigen und würde ihm nicht die freie Entfaltung, die 4 2 9 , 1 8 f f . ( . . . π ά ν τ α VOET) gemeint ist, ermöglichen. Vgl. MODRAK 115. 27

Soph. 124,33; vgl. Ross 292 (zu 429*26).

28

Ebd.

29

Ross 292 (zu 429"26): "The editors read ή leäv..., but that would imply that the view that reason has a bodily organ is more materialistic than the view that it is cold or hot; which it is not."

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schaffenheit annehmen, kalt oder warm werden, sofern ihm ein Organ zufalle, so wie der Sinneswahrnehmung. Der Zusammenhang der beiden von Aristoteles genannten unmöglichen Konsequenzen, die sich aus der Hypothese eines mit dem Leib 'vermischten' νοϋς ergeben, läßt sich aber vielleicht noch etwas grundsätzlicher fassen: Gegenüber dem accidens einer qualitativen Bestimmtheit dürfte die strenge Bindung an ein Körperorgan, auf das der νοΰς mit all seiner Wirksamkeit zur Wahrnehmung aller seiner Funktionen angewiesen wäre, die weitergehende Abhängigkeit von der Sphäre des Somatischen darstellen. Unter dieser Perspektive läge in der Reihenfolge der aufgezählten Konsequenzen schon eine deutliche Steigerung, die freilich eine andere Pointe aufwiese als die von Ross gerügte verfehlte Klimax. Vor allem wäre dieses όργανον auch dann, wenn sich der νους selbst ähnlich wie das αίσθητικόν durch Immaterialität auszeichnen würde, ein ernstes Hindernis bei der Aufnahme reiner Formen30. Da darin aber das eigentliche έργον der denkenden Seele besteht, erhält der wahrscheinlich auf Piaton zurückgehende Gedanke, die Seele sei der Ort der είδη, allerdings mit zwei Einschränkungen Beifall: Zum einen trifft diese Aussage nicht auf die ganze Seele, sondern nur auf ihren noetischen Teil zu, zum anderen ist die noetische Seele nur δυνάμει mit den είδη identisch und nur insofern deren Ort. Gerade der zweite Teil dieses Urteils verdient besonderes Interesse: Soll diese Feststellung bedeuten, daß auch im Falle des Erkennens, dann also, wenn ein Wissen aus der Potentialität in die Aktualität übergeht, die εϊδη der Möglichkeit nach, nicht der Wirklichkeit nach in der Seele sind? Die Klarheit der Darstellung leidet wahrscheinlich dadurch beträchtlich, daß Aristoteles dieses Begriffspaar im Hinblick auf das Denken in mehreren Beziehungen benutzt. Richtet sich das Denken auf einen bestimmten Gegenstand, auf ein τι, so wird es aus der δύναμις in die ένέργεια überführt. Die πράγματα werden dann in gewisser Weise (πως) mit dem νοϋς eins; aber diese Identität besteht eben nur der Möglichkeit nach, so wie ja auch der νοϋς selbst κατά δύναμιν besteht. Von der Seite des νοΰς aus sind nun die Gemeinsamkeiten zur αΐσθησις wie auch die Unterschiede zu ihr aufgezeigt. Das anschließende Argument 429"29 sucht Aufschlüsse über Identität und Divergenz der beiden Erkenntnisvermögen durch eine Verlagerung der Aufmerksamkeit auf die Erkenntnisgegenstände und ihre Wirkung auf die jeweiligen Vermögen zu gewinnen31. Daß der denkende Seelenteil sich scharf von der Wahrnehmung ab30

Vgl. Dean. II 11; bes. 424»2.

31 429b29/430®5: ή τό μέν π ά σ χ ε ι ν κατά κοινόν τι διήρηται πρότερον, δτι δυνάμει πώς έ σ τ ι τά νοητά ό νοδς, αλλ' έντελεχείψ ο ύ ί έ ν , πριν αν vofj· δυνάμει 8' οΰτως ωσκερ έν γραμματεία) φ μηθέν ενυπάρχει έντελεχείςι γεγραμμένον δπερ σ υ μ β α ί ν ε ι έπϊ τοϋ νοΰ. καϊ αυτός δέ νοητός έστιν ώσπερ τά νοητά, επί μέν γάρ των δ ν ε υ ΰλης τό αΰτό έστι τό νοοϋν καϊ τό νοούμενον. ή γάρ επιστήμη ή θεωρητ ι κ ή και τ ό οΰτως έ π ι σ τ η τ ό ν τό αΰτό έστιν.

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hebt, wird gerade an der unterschiedlichen απάθεια, der Leidensunfähigkeit beider deutlich: Das Sinnesorgan ist körperabhängig und damit an die begrenzte Belastbarkeit des Organismus gebunden. In unmittelbarer Reaktion auf starke Geräusche ist der Gehörsinn zeitweilig taub, unfähig, einen Laut wahrzunehmen. Unmittelbar nach grellen Lichtreizen ist auch die Rezeptionsfahigkeit des Auges vorübergehend ausgeschaltet, das Auge ist geblendet. Der νους hingegen vermag, wenn er ein σφόδρα νοητόν, einen besonders intensiv zu bedenkenden Gegenstand gedacht hat, das, was weniger intensiv zu bedenken ist, um nichts weniger eingehend zu denken, sondern eher noch eingehender als zuvor. Der Grund ist nach Aristoteles darin zu suchen, daß das αίσθητικόν der Körperlichkeit unterworfen, der νοϋς hingegen ablösbar ist. Es liegt auf der Hand, daß χωριστός an dieser Stelle anders bezogen ist als in der Eingangspassage des Kapitels32, wo es die Ablösbarkeit von den anderen Seelenteilen meint33. Der Schlußsatz des ersten Teils von Kapitel 4 knüpft an Ausführungen des zweiten Buches an (417a21/b5). Wenn der νοδς ganz in derselben Weise zu allem einzelnen wird, wie man es vom Wissenden annimmt, der κατ' ένέργειαν weiß, so ist er selbst dann in gewisser Weise δυνάμει, allerdings nicht auf die gleiche Weise wie in der Zeit, bevor er erkannte oder erfand. Eine gewisse Unstimmigkeit scheint dadurch zu entstehen, daß das hier angesprochene Wissen an der Bezugsstelle in II 5 der zweiten Stufe des Wissens κατά δύναμιν entspricht, das eigens noch einer Überführung in die ένέργεια bedarf34. Die Ausübung der δξις des Wissens ist dann nach dieser Anwendung der Begrifflichkeit επιστήμη κατ' ένέργειαν. Um die beiden Stellen miteinander in Einklang zu bringen, schlägt T H E I L E R 1 4 0 vor, "...ό < μ ή > κατ' ένέργειαν" zu lesen35. Aber die Charakterisierung des Wissens als Zustand von ένέργεια ατελής wird aus der Darstellung des Aristoteles weit klarer als durch die vermeintliche Richtigstellung36. Wie das Wissen ist der νοϋς der Möglichkeit nach identisch mit der gesamten Fülle des der Möglichkeit oder Wirklichkeit nach Seienden. Aber wie der Wissende erst dann über die εξις des Wissens verfügt, wenn er es zuvor erworben hat, so ist auch der Denkende erst dann ein ένεργείρ νοών, wenn er die Fähigkeit des Denkens in sich entwickelt hat37. 32

Vgl. 429M1.

33

S.o. 90.

34

Vgl. 417"30 und die anschließende Ergänzung von Ross (zu 417"30a) ...αμφότεροι μεν ouv οΐ πρώτοι, κατά ί ό ν α μ ι ν επιστήμονες < δ ν τ ε ς , ε ν ε ρ γ ε ί ? γ ί ν ο ν τ α ι επιστήμονες, >κτλ. 35

58,14 (zu 429 b 5ff.).

36

THEILER a.O.: " ...obgleich schon Theophrasi den falschen Text vor sich hatte" usw.

37

Ä h n l i c h BRÖCKER 1 5 9 .

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Daß diese Interpretation nicht in die Irre führt und die Hinzufügung der Negation mindestens redundant ist, bestätigt die Parenthese 429b7: "Dies aber tritt dann ein, wenn der νοΰς ganz aus sich selbst zu wirken vermag." Und wenn es noch einer weiteren Verdeutlichung bedarf, so leistet sie der abschließende Satz καν αύτός δι' αύτοϋ τότε δύναται νοεϊν (429b9/10)3S. Im Rahmen der Gesamtaufgabe, die sich Aristoteles nach den Eingangsworten des vierten Kapitels stellt, hat die Argumentation 429b9 ein erstes Ziel erreicht. Als της ψυχής νοΰς hat sich das Denken auf νοητά einzulassen. Von der Seite des νοΰς aus gesehen, bewahrt er sich auch in dieser Beziehung zu den Gegenständen des Denkens seine Souveränität und Unvermischtheit. Er vermag nur durch sich selbst zu wirken, bleibt also in Hinsicht auf sein έ ν ε ρ γ ε ϊ ν rein und ungemischt, "herschend", d.h. erkennend39. Der zweite Teil des Kapitels wechselt nun die Perspektive. Nicht mehr der νοδς steht im Zentrum der Betrachtung, sondern das νοητόν, oder genauer: das νοητόν in seiner Wirkung auf das νοητικόν. Zwei Arten von νοητά, die entweder von zwei verschiedenen Vermögen oder von ein und demselben Vermögen, das sich aber verschieden verhält, zu beurteilen sind40, werden einander gegenübergestellt: ή σάρξ und τό σαρκϊ είναι, τό ΰδωρ und τό ΰδατι είναι, τό μέγεθος und τό μβγέθει είναι. Der Grund dafür, daß es sich dabei mindestens um zwei verschiedene Weisen des κ ρ ί ν ε ι ν handele, besteht nach Aristoteles darin, daß Fleisch oder Wasser nicht ohne Stoff seien, vielmehr so wie Stülpnasigkeit als ein τόδε έν τωδε bestünden. Die grundsätzliche Bedeutung dieses Verhältnisses entwickelt Aristoteles metaph. 1025b30/1026»1641. Es handelt sich bei der ersteren hier angespro38

Diese Stelle wurde lesbar durch BYWATERS Emendation, der δέ αύτόν in δι' αύτοϋ verbesserte. Vgl. dazu THEILER a.O. und den Apparat der Ausgabe von Ross in O . C . T . 39 Vgl. 429" 19/20. 40 429 b i3: "...ή άλλφ ή άλλως έχοντι κτλ." 41 έστι δε των οριζομένων και των τί έστι τά μέν ώς τό σιμόν τά δ' ώς τό κοίλον. διαφέρει δε ταϋτα δτι τό μέν σιμόν συνειλημμένον έστϊ μετά της ΰλης (έστι γάρ τό σιμόν κοίλη £ίς), ή δέ κοιλότης άνευ ΰλης αισθητής, ei δή πάντα τά φυσικά όμοίως τφ σιμφ λέγονται, οίον βϊς όφθαλμός πρόσωπον σάρξ όστοΰν, δλως ζωον, φύλλον ρίζα φλοιός, όλως φυτόν (ούθενός γάρ άνευ κινήσεως ό λόγος αυτών, άλλ' αεί έχει ϋλην), δήλον πώς δει έν τοις φυσικοϊς τό τί έστι ζητεΐν καϊ όρίζεσθαι, καϊ διότι καϊ κερί ψυχής ένίας θεωρήσαι τοΰ φυσικοϋ, δση μή άνευ της ΰλης έστίν. δτι μέν ουν ή φυσική θεωρητική έστι, φανερόν έκ τούτων- άλλ' έστι καϊ ή μαθηματική θεωρητική- άλλ' εί άκινήτων και χωριστών έστί, νϋν άδηλον, δτι μέντοι ένια μαθήματα η ακίνητα καϊ η χωριστά θεωρεί, δήλον. εί δέ τί έστιν άίδιον καϊ άκίνητον καϊ χωριστόν, φανερόν δτι θεωρητικής τό γνώναι, ού μέντοι φυσικής γε [περί κινητών γάρ τίνων ή φυσική] ούδέ μαθηματικής, άλλά προτέρας άμφοϊν. ή μέν γάρ φυσική κερί χωριστά μέν άλλ' ούκ άκίνητα, τής δέ

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chenen Art von Gegenständen des Denkens (σάρξ, ϋδωρ, μέγεθος etc.) um solche, die nur in Verbindung mit dem materiellen Substrat gedacht werden können, an dem sie erscheinen. Sie sind also von diesem stofflichen ύκοκ ε ί μ ε ν ο ν nicht ablösbar. Die Begriffe der zweiten Art dagegen eröffnen sich nur dem Denken. Sie sind zwar, wie der Text nicht mehr eigens deutlich zu machen braucht, ebenfalls an ihre jeweilige Grundlage zurückgebunden; aber als Gegenstände des Denkens verlangen sie von dem Denken, das sie denkt, unmittelbar keinen Rekurs auf die Relation des τόδε έ ν τωδε, sondern werden als χ ω ρ ι σ τ ά (oder: κ ε χ ω ρ ι σ μ έ ν α ) behandelt. In der Klammer 429 b l 1/12: οΰτω δέ και έφ' έτερων κ ο λ λ ώ ν , άλλ' ούκ έπϊ πάντων· έπ' έ ν ί ω ν γαρ ταότόν έ σ τ ι verweist Aristoteles darauf, daß in der offenbar überwiegenden Anzahl der Fälle die oben beschriebene δυάς nach dem Modell 'ή σάρξ - τό σαρκϊ ε ί ν α ι ' besteht, daß in einigen Ausnahmen aber beide νοητά in eins zusammenfallen. Metaph. 1037»33 wird dies etwa für die πρωται ούσίαι, für τό άγαθόν, τό καλόν, τό 8ν, τό ε ί ν α ι , τό ά π ε ι ρ ο ν etc. behauptet. Unter der Voraussetzung der Richtigkeit der prinzipiellen Unterscheidung ergibt sich nunmehr die Frage nach Konsequenzen auf den in reiner Unabhängigkeit schaltenden, von jeder Vermischung mit der ΰλη freien νοΰς in aller Dringlichkeit. Der Kausalsatz 429b 10/13 42 formuliert in der Protasis den vorausgesetzten Tatbestand zweier Arten von νοητά und in der Apodosis in Form einer Disjunktion zwei denkbare Konsequenzen aus dem Sachverhalt. Es liegt auf der Hand, daß das soeben erst gewonnene Ergebnis des ersten Teils, die Sicherung des anaxagoreischen Ansatzes, in Bedrängnis gerät. Läßt sich der Anspruch des νοΰς noch aufrechterhalten, von aller ΰλη rein und frei zu sein, wenn einer seiner Gegenstände nur in der Einbindung in Materie denkbar ist? Die in der Disjunktion der Apodosis vorgetragenen beiden alternativen Möglichkeiten nehmen denn auch entweder zwei voneinander verschiedene Erkenntnisvermögen an, oder sie stellen das Bild eines einheitlichen νοΰς vor, der sich aber, je nachdem ob er νοητά der ersteren oder der letzteren Kategorie denkt, jeweils anders verhält. Denkt er ein άλλο έν άλλω, so muß er sich auf die Stofflichkeit, in der das zu Bedenkende sich findet, einlassen. Denkt er das τί ην ε ί ν α ι , also ein χ ω ρ ι σ τ ό ν , so ist er selbst χωριστός43. Gegenstände der ersteren Art mit ihrer engen Bindung an die ΰλη legen eine Abgrenzung des νοΰς zur sinnlichen Wahrnehmung nahe, stellen aber μαθηματικής ε νια περί ακίνητα μεν ού χωριστά δέ ίσως άλλ' ώς έν ϋλη· ή δέ πρώτη καϊ περί χωριστά καϊ άκίνητα. 42 έ χ ε ι δ' άλλο έστϊ τό μέγεθος καϊ τό μεγέθει είναι, καϊ ϋδωρ και ΰδατι ε ί ν α ι (ούτω δέ καϊ έφ' έτερων πολλών, άλλ' οόκ έπϊ π ά ν τ ω ν έπ' ένίων γάρ τ α ύ τ ό ν έστι) τό σαρκϊ είναι και σάρκα ή ά λ λ φ ή άλλως έ χ ο ν τ ι κρίνει, κτλ. 43

Man beachte, daß χωριστός hier selbstverständlich etwas ganz anderes bedeutet als in der Einleitungssequenz des Kapitels!

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zugleich auch Formen des Zusammenspiels der beiden Erkenntnisvermögen dar. Die Abgrenzung wird 429b 14/15 vorgenommen: "Mit dem Wahrnehmungsvermögen beurteilt X das Warme oder Kalte"44. Der Satz wirft zwei Fragen auf: Welches Subjekt ist für X einzusetzen? Fallen τό θερμόν και τό ψυχρόν nicht analog zu ή σάρξ etc. in die Kompetenz des νοΰς? 45 Das für X zu substituierende Subjekt ist nach der communis opinio ein allgemeines wie ό κρίνων oder 'man'46, vielleicht aber auch ή ψυχή, die Seele, die sich ihres Wahrnehmungsvermögens als eines Instrumentes der Erkenntnis bedient. Es scheint aber eher aus der Konsequenz des Gedankens, des konzentrierten Nachdenkens über das νοβΐν des νοΰς und seine Beziehung zur ϋλη oder mit anderen Worten aus der Reflexion auf die Unabhängigkeit des νοΰς im weiter oben dargelegten Sinn zu folgen, daß man als Subjekt ό νοϋς einzusetzen hat. Zur Beantwortung der zweiten Frage ist zunächst zu bedenken, daß Wärme und Kälte Eigenschaften der sogenannten einfachen Körper, d.h. der Elemente sind und damit zuallererst in die Zuständigkeit des Tastsinns fallen47. Die Verbindung der Adjektive mit dem neutralen Artikel läßt jedoch Ausdrücke entstehen, die formal νοητά der ersten Kategorie wie ή σάρξ oder τό ΰδωρ zum Verwechseln ähnlich sehen. Es zeichnet sich somit ab, daß die Wahrnehmung hier in die νόησις, in das Denken eingebunden wird. Beide Erkenntnisvermögen vereinigen sich bei der Erfassung des Wannen und des Kalten. Wie diese Kooperation der beiden Erkenntnisvermögen vonstatten geht, wird hier nicht näher auseinandergesetzt, sondern lediglich angedeutet. Wir verstehen in diesem Sinne den nachhängenden Relativsatz 429b15/16: και ων λόγος τις ή σάρξ. 'Warm', 'kalt', 'trocken', 'feucht' sind die Λάθη der Elemente, aus denen alle Dinge bestehen48. So kann auch das Fleisch als ein bestimmtes Verhältnis dieser πάθη gedeutet werden. Diese Deutung vorzunehmen, ist allerdings Aufgabe des νοΰς. Wie der νοΰς sich nun unter der Wirkung des doppelten Gegenstandes selbst darstellt, ob seine Unvermischtheit auch weiterhin Bestand hat, oder ob er sich nicht doch auf die Welt des Bewegten einlassen muß, ist zu fragen. Die Auskunft, die der Text gibt, ist eindeutig: άλλω 8e...(429b16), d.h. also: "Mit einem anderen Vermögen". Das Erkenntnisvermögen, dem die Erkenntnis des τί ην είναι obliegt, ist ein anderes als dasjenige, das die 44

τ ώ μέν ouv α ϊ σ θ η τ ι κ φ τ ό θερμόν καϊ τ ό ψ ο χ ρ ό ν κ ρ ί ν ε ι κτλ.

45

Es versteht sich, daß unsere zweite Frage bereits die Substitution von X durch ό ν ο ΰ ς als Subjekt ausschließt. S. dazu die folgende Anm. 46

Vgl. HlCKS 488 (zu 429 b 14); THEILER 140 (58,20).

47

Nicht hierher gehört die Feststellung, das Feuer finde sich irgendwie in allen Sinnen (425 a 5). 48

De gen. et corr. 330"30ff.

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Welt des Zusammengesetzten, der in ϋλη eingebetteten Formen zum Gegenstand hat. Der Zusatz 'aber' (δέ) stellt die Beziehung zu τω μέν ούν αίσθητικω her. Gerade die Korrespondenz der Partikeln legt nahe, daß hier die im ersten Teil des Kapitels thematisierte Frage der Unvermischtheit und Einheit des νοϋς weiter bedacht wird. Was sollte in diesem Zusammenhang die in den Gedanken einbrechende, höchst unmotiviert wirkende Bemerkung, wir (oder irgendein anderes "allgemeines" Subjekt) würden uns bei der Erkenntnis des Warmen oder Kalten der Wahrnehmung bedienen? Dieser Gedanke wäre trivial und würde den Zusammenhang des Argumentes sprengen, statt seine Kohärenz zu fördern. Die Auskunft, die der Text in Hinsicht auf das Verhalten des νοΰς zu den verschiedenen Gegenständen gibt, ist allerdings nicht mit den beiden Worten άλλω δέ erschöpft. Vielmehr eröffnet er für die Andersheit des Organons zwei alternative Möglichkeiten: "...ήτοι χωριστώ ή ώς ή κεκλασμένη έ χ ε ι κρός αΰτήν 0ταν έκταθη". Das hier näher bezeichnete Vermögen ist also entweder abgelöst, oder es verhält sich, wie sich die gebrochene Linie zu sich selbst verhält, wenn sie gestreckt ist49. Der Sinn des dunklen Bildes ist in der Tradition viel diskutiert worden, ohne daß sich eine überzeugende Lösung abzeichnete50. Bereits im Altertum war man bemüht, die beiden "Äste" desselben Vermögens mit bestimmten Erkenntnisvermögen gleichzusetzen51, - ein Gedankenspiel, das bis in die Neuzeit fortgesetzt wurde. Meist übersah man dabei, daß doch wohl dasjenige Vermögen gemeint sein muß, mit dem τό σαρκί είναι erkannt wird. Dieses Vermögen verhält sich so, wie sich die gebrochene Gerade zu sich selbst verhält, wenn sie ausgestreckt ist. Der springende Punkt bei der Verwendung dieses Bildes scheint aber weniger in der Identifizierbarkeit der beiden Äste eines einheitlichen Vermögens zu bestehen als in der Art des Sichverhaltens. Man wird wohl nicht leugnen können, daß σάρξ und τό σαρκί είναι auf das engste zusammenhängen, auch wenn sie dem Begriff nach eine ebenso unbestreitbare Zweiheit darstellen. Ganz dasselbe Verhältnis setzt auch die eine der beiden Alternativen für das Denkvermögen voraus: Die Einheit einer Geraden, die einmal κεκλασμένη ist und sich als solche zu sich selbst als einer gestreckten Geraden verhält. Geht man von BARNES' klassischer Definition der inflection aus52, so wird eine Gerade dann in einem Punkt gebrochen, wenn ihr an diesem 49

Zu κ ε κ λ α σ μ έ ν η vgl. die Ausführungen bei Ross zu anal. post. 76 b 9 (S. 539) und

BARNES ZU d e r s . St. (S. 135). 50

Eine Übersicht über die verschiedenen Deutungsvorschläge bietet MODRAK 113 U. 213, Anm. 2. Zuletzt CH. KAHN, Some Problems in Aristotle's Theory of Nous. Paper Presented at the Conference on Aristotle's Philosophy of Mind and Modern Theories of Cognition, 1985. 51

Themist. 96,27/30 (die beiden νοητά); Simpl. 232,30/233,3; vgl. bes. 232,39ff. (Simpl. findet zu einer Interpretation, die der unsrigen ähnelt). 52

BARNES a.O. 135: " A line AC inflects at Β if the angle ABC Φ

180°."

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Punkt die Fortsetzung ihres gestreckten Weges von 180° verwehrt und sie zur Um- oder Abkehr gezwungen wird. Wenn es sich also bei dem zweiten Ast um eine gebrochene Gerade handelt und dieser besondere Umstand von Bedeutung für die Erschließung des Bildgehaltes sein sollte, so würde es naheliegen, hier an ein Sich versperren, an ein Sichversagen des durch den νοΰς angesprochenen Objektes zu denken. Dem unmittelbaren Zugriff des νοΰς versagt sich aber ή σάρξ, der Gegenstand der Sinne zunächst, während τό σαρκϊ είναι, der dem Denken unmittelbar zugängliche, ihm angemessene Gegenstand ist. So ergibt sich also als Fazit der Überlegungen das Bild eines ganz bestimmten Verhaltens zweier Operationen des Denkens, deren eine auf die Erkenntnis der σύνθβτα gerichtet ist, wohingegen die andere von diesen gerade absieht, um zu ihrem xi ijv είναι vorzustoßen. Dieses Verhalten ist somit ein Zusammenwirken, ein Miteinander. Beide Ansätze des Denkens wurzeln in ein und demselben Vermögen, verhalten sich zueinander aber als verschiedene und erschließen in ihrem gemeinsamen Werk den ganz entsprechend strukturierten Erkenntnisgegenstand. Der folgende Satz 429b18/19 hebt mit πάλιν an. Welche Rolle spielt der hier genannte Sachverhalt für die Argumentation? Dient er lediglich einer vielleicht aus anderer Sicht gewonnenen Bestätigung eines bereits geklärten Sachverhalts? Die mathematischen Gegenstände, von denen hier die Rede ist, zeichnen sich durch unterschiedliche Grade der Abstraktion aus. Der geometrische Gegenstand, z.B. die γραμμή εύθεΐα, steht der Anschauung um ein beträchtliches näher als der arithmetische. Ersterer nimmt im Verhältnis zu letzterem die Stellung des σιμόν ein. Das geometrische νοητόν ist mit dem συνεχές verbunden. Im Falle der mathematischen Gegenstände ist die Trennung von σύνθετον und τί ήν είναι nicht selbstverständlich53. Wenn man aber von dieser Voraussetzung ausgeht, - und Aristoteles setzt hier die Trennung54 - so ist für τό εύθεϊ είναι ein anderes Vermögen zuständig. Greifen wir nun noch einmal die Frage nach der Anknüpfung mit πάλιν auf! Handelt es sich um eine beiläufige Wiederholung oder um eine notwendige Ergänzung des Gedankengangs? Nach metaph. Ε I richtet sich theoretische Erkenntnis auf drei Arten von Gegenständen: (1) auf diejenigen, die ablösbar und unbewegt sind, (2) auf diejenigen, die zwar unbewegt, aber nicht ablösbar sind, (3) auf diejenigen, die bewegt und nicht ablösbar sind55. Die drei theoretischen Wissenschaf-

53

Vgl. phys. 200*16/17: ...έκεΐ γαρ τό εύθύ τοδί εστίν, Ανάγκη τό τρίγωνον δύο όρθαΐς ϊσας ε χ ε ι ν άλλ' ούκ έ*εϊ τοδτο, εκείνο κτλ. 54 Anal. post. 71*12/17 weist in eine ähnliche Richtung. De an. 429 b 20: έστω γαρ δοάς. Vgl. metaph. 1025b32/1026«32. 55

1025 b 32/1026"32.

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ten, die sich mit diesen Gegenständen beschäftigen, sind in der umgekehrten Reihenfolge die Physik, die Mathematik und die erste Philosophie. Der gesamte Bereich der theoretischen Erkenntnis in seiner dreiteiligen Gliederung ordnet sich - und dies ist offenbar das Argumentationsziel dieser Partie - in Hinsicht auf den νους begrifflich (im Sinne der aristotelischen Wendung κατά λόγον) zu einer auf mehreren Ebenen wirkenden Zweiheit der Gegenstände des Erkennens und der entsprechenden Erkenntnisvermögen. In Physik und Mathematik läßt sich ein vermittelnder Übergang beobachten, der von der an die Anschauung gebundenen Form des Erkennens zum reinen Denken ohne Anschauung übergeht. Eine Entscheidung darüber, wie die zwei Gegenstände auf der einen und die zwei Vermögen auf der anderen Seite zusammenhängen, fällt an dieser Stelle nicht. Die Alternative von 429b13 erscheint 429b21 emeut, diesmal allerdings aus der Argumentation deduziert56, während sie in der früheren Passage als Aufstellung der möglichen Optionen gedacht zu sein schien. Der gleichfalls konkludierende Satz 429b21f.: όλως άρα ώς χωριστά τά πράγματα της ύλης, οΰτω και τά κερί τόν νοϋν. enthüllt vom Ende des Gedankengangs her die Kohärenz der Überlegungen des ganzen Kapitels, die wir bereits weiter oben vorweggenommen haben57. So wie es also Formen der Ablösbarkeit von der ϋλη bei den Objekten des Erkennens gibt58, so verhält es sich auch mit dem νους. Hier wird also der Knoten geschürzt, der die Ausführungen von 429*10 bis zu diesem Punkt zusammenschließt. Hier tritt nun mit einer gewissen Zwangsläufigkeit aufs neue die anaxagoreische Frage in den Vordergrund: Wie verhält es sich mit der Einheit des νοϋς? Droht er nicht angesichts der Vielzahl seiner Objekte ebenfalls in eine Vielheit zu zerfallen? Der Text stellt die Frage so: Wenn der νοϋς im Sinne des Anaxagoras etwas Einfaches und Lebensunfähiges ist und nichts mit einem anderen gemein hat, wie kann er dann unter der Voraussetzung, daß das Denken eine bestimmte Weise des παθεϊν ist, überhaupt denken? Die These, daß das Denken eine Art παθεϊν sei, führt zu dem Schluß, daß es ein π ο ι ε ΐ ν geben muß, das diese Wirkung des Erleidens verursacht. Wenn aber ein Verhältnis von Ursache und Wirkung, von ποεϊν und παθεϊν das Denken begründet, dann ist ein κοινόν vorauszusetzen, in welchem der Prozeß der Einwirkung des π ο ι ε ΐ ν auf den 'leidenden' νοϋς abläuft. In diesem Sinne dürfte wohl der erklärende Zusatz 429b25 zu verstehen sein. Sofern nämlich beiden ein Gemeinsames zugrundeliegt, scheint das eine tätig zu sein, das andere zu leiden.

56

Vgl. 429 b 20/21: έτέρω άρα ή ετέρας έ χ ο ν τ ι κρίνει.

57

S.o. 82ff.

58

Unter πράγματα της ϋλης χωριστά hat man sich Begriffe wie τό σαρκϊ ε ί ν α ι u.a. vorzustellen.

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Es fällt auf, daß hier Voraussetzungen angenommen werden, die in der Einleitungssequenz des Kapitels 429*15 ausgeschlossen wurden. Dort war aus der Verschiedenheit des νοϋς im Verhältnis zur Wahrnehmung geschlossen worden, das Denken müsse απαθές sein. Dies kann nur gerechtfertigt sein, wenn sich aus der Entwicklung des Gedankens andere Einsichten ergeben haben, die zur Annahme der Prämissen führen. Es scheint in der Natur des νοΰς selbst angelegt zu sein, sich an die Objekte zu halten und sich selbst in ihnen wiederzufinden. Der einerseits als richtig erkannte Satz des Anaxagoras wird von der Objektseite aus aufgerollt: Die νοητά sind ihrer Struktur nach vielfältig. Sofern der νοϋς und das νοητό ν aber etwas gemeinsam haben, - und das muß der Fall sein, weil Denken als ein χάσχβιν ein χοιβΐν voraussetzt, erweist es sich, daß das Denken einerseits leidet, das νοητόν andererseits tätigen Einfluß ausübt. Mit dem ersten Einwand gegen eine uneingeschränkte Geltung des Spruches des Anaxagoras hängt ein zweiter aufs engste zusammen, der 429b26 erscheint: έτι 6' ei νοητός και αύτός. Wie kann der νοΰς sich selbst als ein νοητόν begegnen, wenn zwischen νοϋς und νοητόν keine Brücke besteht?59 In diesem Falle sind zwei Hypothesen denkbar: Entweder ist der νοΰς an sich selbst intellegibel; m.a.W. Der νοΰς wäre sowohl νοητικόν wie auch νοητόν. Dann aber gäbe es keinen Grund, nicht auch das Umgekehrte vorauszusetzen: Da alles νοητόν der Art nach eines ist (8v δέ τι τό νοητόν είδει: 429*28), müßte dem νοητόν in derselben Weise νοΰς zukommen60. Eben dies trifft aber nicht zu. Oder aber - dies die Alternative: - der νοΰς hat 'etwas Vermischtes' an sich, d.h. er trägt an sich Elemente, die ihn mit dem νοητόν verbinden, ja ihn zu einem νοητόν machen wie alles andere61. Dagegen spräche allerdings die 429b23 erhobene Forderung, der νοΰς müsse einfach sein62.

59

THEILER übersetzt 429 B 26: "...ferner, ob er auch selber denkbar ist." Er faßt also offensichtlich diesen Satz als indirekte Frage auf, die parallel zu B 24: κώς ν ο ή σ ε ι κ τ λ . von ά π ο ρ ή σ ε ι ε 8' ά ν τ ι ς abhängt. Der Satz könnte dagegen natürlich auch als Kondizionalsatz gelten, der parallel zu ει τό ν ο ε ΐ ν κ ά σ χ ε ι ν τί έ σ τ ι ν ( B 24/25) steht. Während eine indirekte Frage, wenn überhaupt, dann nur in einem überaus losen, argumentativ schwächlichen Zusammenhang mit dem Gedanken stünde, fügen sich die beiden hypothetischen Sätze in planvoller Steigerung in die Argumentation: "Wie kann der ν ο ΰ ς denn überhaupt denken, wenn (1) Denken ein χ ά σ χ ε ι ν τι ist und wenn zudem (2) der ν ο ΰ ς auch noch selbst dieses ΤΙ sein kann?* Vgl. auch HAMLYN 559, während seine Erläuterungen a.a.O. 138 die kondizionale Deutung vorauszusetzen scheinen. 60

Vgl. 429 b 27: ή γαρ τ ο ι ς ά λ λ ο ι ς νοΰς υπάρξει.

61

Vgl. 429 b 27/29:...ei μή κατ' ά λ λ ο α υ τ ό ς νοητός, εν βέ τι τό ν ο η τ ό ν ε ΐ δ ε ι , ή μ ε μ ι γ μ έ ν ο ν τ ι ε ξ ε ι , δ π ο ι ε ί ν ο η τ ό ν α ύ τ ό ν ώσ*ερ τ ί λ λ α . 62

F. NUYENS, L' Evolution de la Psychologie d'Aristote, Louvain/Paris 1973, 293f.

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Die Argumentation gründet in der Annahme, daß das Denken ein κ ά σ χ ε ι ν t i ist. Geht man nun von der Hypothese aus, der anaxagoreische Satz gelte uneingeschränkt, wie sich dies im ersten Teil des Kapitels abzuzeichnen schien, so stellen sich nach der Darlegung des Aristoteles die näher beschriebenen Folgen ein: Es bleibt unerfindlich, wie ein Denken dann überhaupt zustande kommen kann. Vor allem aber dürfte das Phänomen äußerst schwer zu erklären sein, wie der νοΰς sich selber denkt. Beides aber ist unbestreitbar: Es wird gedacht, und aus dieser Feststellung folgt: Der Geist denkt sich selbst. Also muß die anaxagoreische Hypothese falsch sein. Gerade an den zuletzt formulierten Einwand, wie man es denn erklären wolle, daß der νοΰς sich selbst zum νοητόν werde, knüpfen die Überlegungen 429 b 27/29 an. Die Konsequenzen werden entwickelt, die sich aus diesem Ansatz ergeben. Die Futurformen ύ χ ά ρ ξ ε ι und £ξει haben in aristotelischen Argumentationen häufig die Funktion, gedachte Folgen, die sich aus bestimmten Hypothesen ergeben würden, zu bezeichnen 63 . Will man an dem anaxagoreischen Satz festhalten, so muß man mit dem Faktum rechnen, daß der νοΰς sich selbst denkt. Dann aber steht man vor der Notwendigkeit zu erklären, wieso der νοΰς seine Unvermischtheit zu behaupten vermag. Alle Bemühungen, die in diese Richtung gehen, scheitern im Absurden: Entweder wird allem Übrigen, d.h. allem, was durch die behauptete unüberbrückbare Kluft vom unvermischten νοΰς getrennt ist, νοΰς zugrundeliegen. Dann aber kann die Hypothese nicht aufrechterhalten werden. Oder aber man hat davon auszugehen, daß der νοΰς selbst sich als ein ν ο η τ ό ν nicht grundsätzlich von anderen νοητά unterscheide. Er trage selbst etwas Gemischtes an sich, das ihn zu einem νοητόν wie alle anderen mache. Daß dieser Lösungsvorschlag wiederum der Hypothese widerspricht, bedarf keiner weiteren Ausführungen. Noch ein weiterer Versuch, der Schwierigkeiten Herr zu werden, verbirgt sich in der ersten Alternative: Wenn 429 b 27/28 einer Auflösung der Einheit des νοητόν vorgebeugt wird, die das sich hier abzeichnende σόφισμα ermöglicht hätte, der νοΰς sei zwar durch sich selbst denkbar, aber als ein νοητόν κατ' αλλο, als ein in anderer Hinsicht oder Beziehung Gedachtes als alles übrige. Alle diese Ansätze können kaum als Lösungen des Problems gelten. Sie stellen eher Scheinlösungen dar, die mit der anaxagoreischen Hypothese nicht zu vereinbaren sind. Vielmehr hat man von der 429 b 28 festgestellten Einheit des νοητόν der Art nach auszugehen. In dem dritten, mit ή eingeleiteten Satz 429 b 29/31 gehört die Konjunktion nicht mehr in die alternative Formulierung der unmöglichen Konsequenzen, sondern bezeichnet, wie Ross z.St. 294 zu Recht bemerkt, einen Lösungs-

63

Vgl. metaph. 987"27ff.; s. femer dazu H.-J. HORN, Stoische Symmetrie und Theorie des Schönen in der Kaiserzeit, in: ANRW II Bd.36,3, 1989. 1457 Anm. 15.

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Vorschlag des Aristoteles64. Dieser Versuch bezieht sich auf die Darlegungen 417b2/765. Man darf von einer solchen Lösung erwarten, daß sie die im ersten Teil des Kapitels gewonnenen Einsichten in die Unabhängigkeit des νοϋς nicht übersieht, sondern ein Modell des Verstehens entwickelt, in das sich diese Ergebnisse einfügen lassen. Worin bestehen nun die Resultate des ersten Teils? Es zeigte sich, daß der νοϋς ein άκαθές sein muß, ferner, daß er aufgrund der Tatsache, daß er alles denkt, zwingend unvermischt ist. Die Frage, womit er unvermischt sei, klingt in der Darstellung nicht an. Es ist aber zu vermuten, daß zunächst an eine Unvermischtheit mit den νοητά gedacht ist. Später, 429*24/25, wird μεμΐχθαι dann auf die Vermischung mit dem Körper spezialisiert66. Nach 429"20 besteht der Zweck dieser Unvermischtheit in der Ermöglichung des Erkennens (iva κράτη, τοΰτο δ' έστιν ϊνα γνωρίζη). Nach "21 folgt der rein potentiate Charakter des νοδς eben aus seiner Unvermischtheit67. Ein letztes wichtiges Ergebnis des ersten Teils besteht in der Differenzierung zwischen der Potentialität des νοδς vor dem νοεϊν und der Aktualität, die durch das-vo«iV erreicht wird. "Kehren"wir nun zu dem aristotelischen Lösungsvorschlag in der Schlußpassage des zweiten Teils zurück! Aristoteles beruft sich zunächst auf ein früher gewonnenes Resultat, das ihm den Ausgleich mit der απάθεια des νοΰς ermöglicht. Es ist zu differenzieren zwischen einem πάσχειν, dessen Aktualisierung mit einer Vernichtung des δυνάμει δν verbunden ist, und einer zweiten Form, die im Erhalt des der Möglichkeit nach Seienden in der Wirklichkeit besteht. Wie das Wissen des Grammatikers, so ist auch der νοϋς von der letzteren Art. Was ist mit diesem Hinweis auf lange zuvor Erörtertes gewonnen? Zwar ist der νοϋς auf der Ebene der δύναμις mit den νοητά identisch, aber eben nur dort. Er ist der Möglichkeit nach die ganze Fülle des Gedachten und Denkbaren; auf der Ebene der έντελέχεια hingegen ist er nichts von alledem, bevor er sein Vermögen aktualisiert. So liegt er bereits wie eine Schreibtafel, auf der noch nichts wirklich geschrieben steht. Einerseits ist er frei von allen Bindungen der νοητά, solange er sie nicht wirklich denkt. Andererseits aber ist er, wie bereits ausgeführt, der Möglichkeit nach das 64

Ross a.O.: "ή" indicates, as it often does in Α., the beginning of a tentative (sometimes not very tentative) solution of a difficulty raised earlier, etc." 65

Vgl. Ross 294; HAMLYN z.St., der allerdings 417B 16 hervorhebt.

66

Gerade die Verneinung durch οΰβέ (429*24) legt nahe, daß hier eine besondere Art von Vermischung, nämlich die mit dem Leibe, ausgeschlossen werden soll. 67 Schon aus diesem Grunde verbietet es sich von selbst, einerseits zwar auf die 'Formel' und ihr wiederholtes Erscheinen 429 B 30 einzugehen (HAMLYN 138), andererseits aber den anaxagoreischen Gedanken keiner weiteren Erwähnung zu würdigen (z.B. Ross z.St. 2 9 4 ) .

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Gedachte in seinem ganzen Reichtum. Also ist er auf die νοητά verwiesen und durch sie gebunden. Die Spannung des anaxagoreisehen und des empedokleischen Ansatzes scheint damit in ihrer Widersprüchlichkeit ausgetragen. Auch die Schwierigkeit, daß der νοϋς selbst νοητός sei, so wie alle anderen νοητά, wird mit der Begründung behoben, daß bei den Objekten ohne Materie das Denken und das Gedachte ein und dasselbe seien68. HICKS weist darauf hin, daß damit die χρώται ούσίαι gemeint seien69, die weder σομβεβηκότα aufwiesen, noch die mit einer ένέργεια verbundene δύναμις des Gegenteils. Die Gleichung von vooüv und νοούμενον gilt nur für die Stufe der δύναμις, während sie auf deijenigen der ένέργεια nach metaph. 1074b30ff. keineswegs zutrifft. Theoretische Wissenschaft und auf solche Weise Gewußtes lassen die behauptete Identität von vooüv und νοούμενον deutlich erkennen70. Solange ein theoretisches Wissen nicht aktualisiert wird, also nur potentiell vorhanden ist, sind Wissendsein71 und das, was gewußt wird, ein und dasselbe. Die Feststellung der Notwendigkeit, nach Ursachen dafür zu suchen, warum der νοΰς nicht immer denke, scheint nach der Meinung einiger Exegeten eher beiläufig zu sein72. Ob sich dies wirklich so verhält, ist jedoch fraglich. Zunächst bedarf dieses Urteil freilich einer Klärung. Bezeichnen 'beiläufig' oder 'parenthetisch' das Verhältnis der Frage zu der von Aristoteles hier verhandelten Thematik, oder ist damit lediglich eine im Hinblick auf die Bedeutung des Gedankens als unangemessen empfundene Kürze der Darstellung charakterisiert? Was für eine Garantie besteht denn für die Kohärenz eines der Möglichkeit nach bestehenden νοΰς? Solange er nicht έντελεχείρ denkt, ist auch das Denken sich selbst nur der Möglichkeit nach ein νοητόν. Die antiken Kommentatoren, aber auch einige neuere Erklärer haben die Bedeutung des Problems erkannt und sich um eine Lösung bemüht73. WALLACE 74 und Su-

68 430»3f.: έ κ ϊ μέν γάρ τ ω ν α ν ε ο δ λ η ς τό α ό ι ό έ α τ ι τό ν ο ο δ ν και τό νοούμενονVgl. dazu auch MODRAK 1980/81, 166. 69

HICKS 497 (zu 430*3); ΒΟΝΓΓΖ ad metaph. Θ, c. 10, S. 410.

70

Vgl. HICKS 597 (zu 430*4) und die dort angegebenen Belege.

71

Man beachte die im Deutschen schwer wiederzugebenden Praesensformen des Partizips, die ατελές-Charakter haben! 72 HICKS 497 (zu 430*5); TRENDELENBURG glaubt mit fragwürdiger Begründung an eine Einfügung von fremder Hand (400). ROSS 295 (zu 430*5/6) stellt nur lapidar fest: "A. does not appear to discuss this question anywhere." 73 74

Einen Überblick über die Kommentierung dieses Passus gibt RODIER 458 (zu 430*5).

E. WALLACE, Aristotle's Psychology in Greek and English, with Introduction and Notes, Cambridge 1882, 271 (vgl. RODIER 458).

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verweisen wohl zu Recht auf das folgende Kapitel, wo 430*21f. die Frage erneut anzuklingen scheint. Der mit έν δέ τοις ΰλην δχουσιν beginnende Satz 430"6 ist offenbar auf 430*3f.: έπϊ μεν γαρ των άνευ όλης κτλ. bezogen. Wenn dies zutrifft, so muß man ihn im engen Zusammenhang mit der durch γάρ angedeuteten kausalen Bedeutung des früheren Satzes sehen. Seine genauere Funktion würde dann wohl darin bestehen, den νοϋς νοητός und alle immateriellen νοητά aus der Gesamtmenge der νοητά auszugrenzen und ihnen die mit ολη verbundenen νοητά gegenüberzustellen. Alles, was über ύλη verfügt, gehört der Möglichkeit nach zu den νοητά. Am Ende ergibt sich also eine Konsequenz, die in modifizierter Gestalt sowohl dem anaxagoreischen, als auch dem empedokleischen Ansatz entspricht, dem νοϋς auf der einen Seite die Unvermischtheit nicht versagt, ihn aber auf der anderen Seite auch auf die νοητά bezogen sieht. Diese Folgen werden in den letzten Zeilen des Kapitels entwickelt: Unter der Voraussetzung des aristotelischen Vorschlags wird den materiellen νοητά kein νοϋς zukommen. Herrschen ist immer ein Herrschen über etwas. Der Herrschaftsbereich des νοΰς erstreckt sich über alles, was seinem Zugriff offensteht, über alles, was gedacht werden kann. In gewisser Weise ist der νοϋς das Gedachte der Möglichkeit nach, aber so wie eine Schreibtafel, auf der nichts geschrieben steht76. Insofern ist er losgelöst von aller ΰλη und in gewisser Weise, aber nicht schlechthin (άχλως) unvermischt. Erst wenn er έντελεχείςι zu denken beginnt, wird er in gewisser Weise identisch mit dem Gedachten, aber ohne die Materie. Er geht also eine gewisse Verbindung (oder Mischung) mit den νοητά ein, allerdings nur mit der Form des Gedachten. In dieses modifizierte anaxagoreische Modell läßt sich auch die Denkbarkeit des νοΰς einordnen. Er selbst - so heißt es im Text - ist denkbar wie die anderen νοητά 77 . Er lebt in der ständigen Möglichkeit des Zugriffs auf sich selbst, und zwar überall dort, wo er sich nicht selbst mit Bewußtsein denkt. Erst, wenn er auf sich reflektiert, läßt er sich auf sich selbst ein und wird mit sich identisch. Die schlechthinnige Unfähigkeit, etwas zu erleiden, erfahrt also ebenso wie auch die schlechthinnige Unvermischtheit des νοΰς eine Modifikation. Unvermischt und leidensunfähig ist der νοΰς in gewissem Sinne (πως). SEMIHL75

75

F. SUSEMIHL, Philologischer Anzeiger 1873, 690; Bursians Jahresber. 34,29;

7 9 , 1 0 3 . V g l . RODIER 4 6 4 (zu 4 3 0 » 2 1 / 2 2 ) .

76 429 b 30ff.: ...δτι δυνάμει πώς έστι τά νοητά ό νοϋς, αλλ' έντελεχείφ οϋδέν, πριν αν νοη- δυνάμει δ' ούτως ωσπερ έν γραμματεία) φ μηθέν ενυπάρχει έντελεχεί$ γεγραμμένον77

430>2/3: και αυτός δέ νοητός έβτιν οόσκερ τά νοητά.

Fünftes Kapitel Die Interpretation des fünften Kapitels gehört zu den schwierigsten Aufgaben der Exegese der Schrift De anima1. Wir wollen unsere Überlegungen auf einige bisher nicht mit der gebührenden Aufmerksamkeit bedachte Fragen richten. Zu diesen rechnet einmal die Problematik der Einbettung des fünften Kapitels in den Kontext des dritten Buches, insbesondere die Frage des Anschlusses von III S an das vierte Kapitel, zum anderen die Kohärenz des Gedankenganges im fünften Kapitel selbst. Da einerseits im vierten Kapitel zwei Formen des νοϋς einander gegenübergestellt werden, der herrschende νοϋς αμιγής des Anaxagoras und der sich auf die νοητά einlassende und mit ihnen vermischte νοϋς, andererseits im fünften Kapitel gleichfalls zwei Formen des νοϋς, allerdings mit anderer Benennung, die Diskussion bestimmen, stellt sich unmittelbar die Frage nach dem Verhältnis dieser beiden Paare zueinander2. Der einleitende Kausalsatz geht von einer strukturellen Übereinstimmung der Natur im ganzen (...έν άχάση φύσει) und des νοϋς aus. Da es in ihr eines gebe, was für jede Gattung der Stoff sei, und ein anderes, was Ursache und Wirkvermögen (έτερον δέ τό αίτιον και ποιητικόν κτλ.) für sie sei, weil es alles schaffe,...so müßten diese Unterschiede auch in der Seele vorliegen3. Wenn die Seele nach 415b8 Ursache und Prinzip des lebenden Körpers ist4, so gehört sie unbestreitbar zur Natur im ganzen und kann somit unter das vorausgesetzte Naturgesetz gestellt werden. Allerdings stößt man sogleich auf eine Schwierigkeit; wie kann nämlich die Seele, die doch selber Ursache und Prinzip genannt wird und d.h. doch wohl: άρχή της κινήσεως, - ihrerseits wieder ΰλη sein, obwohl sie doch eher der Seite des είδος zuzurechnen ist? Auf diese Frage gibt der Text selbst eine Antwort: Die in Parenthese formulierte Erläuterung 430"11 τοϋτο δέ ö πάντα δυνάμει έκεΐνα verdeutlicht die Perspektive, in der hier wie an mehreren Stellen von der Materialität des νοϋς gesprochen wird. Insofern der νοϋς mit jedem νοητόν identisch werden, also 1

Vgl. F. BRENTANO, Die Psychologie des Aristoteles, insbesondere seine Lehre vom Ν Ο Υ Σ Π Ο Ι Η Τ Ι Κ Ο Σ . Nebst einer Beilage über das Wirken des aristotelischen Gottes, Mainz 1867 (Ndr. Darmstadt 1967). 2 Diese Frage wurde nach meiner Kenntnis bisher kaum in der Literatur zum S.Kapitel thematisiert. Doch vgl. jetzt L.A. KOSMAN, What does the Maker Mind Make?, in: Essays

o n A r i s t o t l e , e d . b y M . C . NUSSBAUM a n d A . OKSENBERG RORTY, O x f o r d 1 9 9 2 , 3 4 3 . 3

430®10/14.: 'Eitei δ'(ώσπερ) έν άπάση τή φύσει έστϊ [τι] τό μεν ΰλη έ κ ά σ τ φ γένει,.,.άνάγκη και έν τη ψ ο χ η ύ π ά ρ χ ε ι ν ταύτας τάς διαφοράς. HICKS 499 (zu 430" 10) hält entgegen der communis opinio an έπεϊ &' ώσπερ fest und hält καί ("13) für die Entsprechung. Zur Begründung der Athetese von ωσπερ vgl. Ross 296 (zu 430*10/11). Bedenken äußert THEILER 143 (zu «10). Inhaltlich besteht zwischen beiden Versionen des Textes kein gravierender Unterschied. 4

415 b 8: έ σ τ ι δέ ή ψ υ χ ή τοϋ ζ ώ ν τ ο ς σώματος αιτία και άρχή.

Fünftes Kapitel

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alles werden kann und gewissermaßen durch das είδος des zu Erkennenden, das er bei sich aufnimmt, seine Bestimmung erfahrt, so wie ein aus Stoff und Form Zusammengesetztes durch die prägende Wirkung der Form seine μορφή erhält, und da er, bevor er diese Verbindung mit dem νοητόν nicht eingeht, wie die Materie nur der Möglichkeit nach ist, weist diese Seite des νοδς die charakteristischen Eigenschaften der ΰλη auf. In der aristotelischen Sicht der Seele enthüllt sich eben dieser Zug als die materielle Seite des νοΰς. Ihr steht als wirkende Ursache der νοδς ποιητικός 5 gegenüber. Ross stellt einen Teil des bei Themistios zitierten Fragekatalogs des Theophrast an den Beginn seiner Interpretation des fünften Kapitels6: Die Frage nach der Doppelnatur des νοϋς, nach dem Zusammenhang der beiden Naturen des νοϋς, wie man sich ihr Zusammenspiel vorzustellen habe, wie das Fürsichsein eines jeden der beiden Teile zu verstehen sei, werden mit eindringlicher Schärfe formuliert. Verfolgen wir die von Theophrast nicht gestellte Frage nach der Beziehung der beiden Formen des νοδς im fünften mit dem Paar des vierten Kapitels! Zunächst einmal darf die scheinbare Nähe eines sich auf die νοητά einlassenden νοδς einerseits und eines im Prozeß des Denkens die Funktion der Materie übernehmenden παθητικός νοδς nicht zu vorschnellen Identifikationen führen. Wenn auch in beiden Zusammenhängen von ΰλη die Rede ist, so doch in je und je verschiedener Perspektive: An der früheren Stelle werden unter den νοητά solche, die an den Stoff zurückgebunden sind, von immateriellen Gegenständen des νοΰς unterschieden. Insofern aber der Umstand, daß der νοδς sich überhaupt auf νοητά einlassen muß, um sein Werk zu verrichten, gegen die anaxagoreische Konzeption eines νοδς άμιγής ins Feld geführt wird, diese Frage aber in der Diskussion des vierten Kapitels keine Lösung findet (und angesichts der besonderen, vom Erkenntnisobjekt ausgehenden Richtung der Argumentation auch wohl kaum eine solche finden kann), drängt der Gang der Überlegung auf eine zwingende Klärung. Das entscheidende Verbindungsstück zwischen der Argumentation des vierten und deijenigen des fünften Kapitels dürfte daher in der nicht zu Unrecht am Ende von Kapitel 4 mehrmals hervorgehobenen Beziehung des νοδς auf sich selbst als sein eigener Erkenntnisgegenstand sein. Die im ersten Teil des vierten Kapitels mit guten Argumenten vertretene Position des herrschenden und unvermischten νοδς ist, wie die Überlegungen des zweiten Teils zeigen, nicht vereinbar mit der eigentlichen Tätigkeit des νοδς, dem Denken, weil dieses sich nicht einmal selbst denken könnte, würde es sich nicht auf νοητά einlassen. Diese Unvereinbarkeit kann aber, 5

Zu diesem Ausdruck und seiner erst nach Aristoteles erfolgten Prägung s. KOSMAN a.O. 342 Anm. 2. 6 Ross 41 nach Them. 108,18/28. Der gesamte Abschnitt über Theophrasts Rezeption des Kapitels sollte intensiver bedacht werden (107,30/109,3).

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wenn man an der unvermittelten Einheit des νοΰς festzuhalten beabsichtigt, nicht behoben werden. Nur eine Differenzierung des νοϋς, der gewiß zum einen den herrscherlichen und von allem unabhängigen Zug aufweist, zum anderen ebenso unbezweifelbar von Objekten abhängt, die er denkt, - mit anderen Worten: der Ersatz eines 'entweder - oder' durch ein 'sowohl - als auch' kann hier zu einer zwingenden Lösung führen. So ist der Zusammenhang zwischen den beiden Formen des νοϋς in den beiden Texten nicht etwa mit platter Identität zu verwechseln, es handelt sich vielmehr um zwei Seiten ein und derselben Sache 7 . Hat man nun am νοϋς eine materielle Seite festgestellt, die darin besteht, daß er δυνάμει alles werden kann, so ist eine Bewegungsursache erforderlich, die das Denken aus der 8ξις in die ένέργεια überführt. Auf der Stufe der Wahrnehmung bedarf es einer solchen Suche nicht; denn immer dann, wenn ein αίσθητόν auf ein αίσθητικόν trifft, löst es in doppelter Weise den Übergang aus der Potentialität in die Aktualität aus: Sowohl das αίσθητόν wird zu einem wirklich Wahrgenommenen, als auch das Wahrnehmen selbst wandelt sich aus einem der Möglichkeit nach wahrnehmenden Vermögen zu einem wirklichen Wahrnehmen. Dieser Vorgang vollzieht sich also mit Notwendigkeit, während Freiheit hier keinen Spielraum findet. Anders verhält es sich bei der νόησις. Ob die Seele denkt oder nicht, hängt von der Entscheidung unseres Willens ab. Mithin muß es in der Seele eine Instanz geben, die das Denken durch einen Impuls auszulösen vermag. Sie wird von Aristoteles als eine Seite des νοΰς interpretiert, eben als jener (anonyme,) aktive, andere νοΰς 8 . Die Wirkweise des νοΰς ποιητικός wird 430" 12 mit dem Verhältnis der τ έ χ ν η zur Materie verglichen und *15 durch die Zusätze ώς δξις τις und οίον τό φως κτλ. erläutert. Τ έ χ ν η verfügt im Gegensatz zum Stoff über eine die Herstellung leitende Einsicht in die einzelnen operationalen Schritte, die zur Erreichung des τέλος erforderlich sind. Die bewegende oder wirkende Ursache liegt bei der technischen Herstellung nicht in dem Entstehenden, sondern έν άλλω, d.h. in dem die τ έ χ ν η ausübenden τεχνίτης. Im analogen Fall des νοΰς της ψυχής fällt diese Rolle dem νοΰς ποιητικός zu. Der νοΰς ποιητικός sei ferner, so heißt es "15, ώς δξις τις, also eine Art ένέργεια oder κίνησις (des Habens bzw. Gehabtwerdens)9. Diese Feststellung gibt Aufschluß über die Frage, welche ένέργεια gemeint ist: die erste oder die zweite ένέργεια. Legt man die Bestimmung der Bewe-

7

Vgl. jetzt auch KOSMAN a.O. 346.

8

S. dazu auch MODRAK 126.

9

Vgl. dazu metaph. 1022 b 4/14; hier bes. 4/5.

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gung in der Physik10 zugrunde, so ist diese Form des νοΰς ποιητικός eine ενέργεια ατελής. Der νοϋς παθητικός, der der Möglichkeit nach ist, bedarf zu seiner Verwirklichung eines der Wirklichkeit nach Seienden11, das aber als ένέργεια άτελής zwischen δύναμις und ένέργεια τετελεσμένη vermittelt. Nimmt man den Vergleich mit dem Licht ernst, so hat man seine historischen wie auch seine systematischen Implikationen zu berücksichtigen. Der geschichtliche Bezug zu Piatons Ausführungen im sechsten Buch des Staates12, zum Sonnengleichnis, liegt auf der Hand. Man kann die bei Aristoteles angedeutete Argumentation gleichsam als die Bemühung interpretieren, den platonischen Gedanken zu Ende zu denken. Ένούσης που έν δμμασιν δψεως και έπιχειροϋντος τον έ χ ο ν τ ο ς χρήσθαι αύτη, παρούσης δέ χρόας έν αύτοΐς, έάν μη παραγένηται γένος τρίτον ίδίςι έπ' αύτό τοϋτο πεφυκός, οίσθα ότι ή τε δψις ούδβν δψεται, τά τε χρώματα έσται αόρατα 13 . In dieser Rolle als γένος τρίτον wird auch bei Aristoteles das Licht beansprucht. Ohne dieses wird weder deijenige, der wahrnehmen will, in Wirklichkeit wahrnehmen, noch wird das Wahrnehmbare wirklich wahrgenommen. Die Funktion des Lichtes kann man in dem platonischen Kontext als notwendige Bedingung für das Zustandekommen der Wahrnehmung des Sehens betrachten. Bei Aristoteles wird die Wirkweise des νοΰς ποιητικός mit dem Licht verglichen. Welchen Sinn hat nun dieser Vergleich mit dem Licht? Auch hier hat man sich das Dasein des νοϋς ποιητικός als eine notwendige Bedingung vorzustellen, deren Fehlen das Denken unmöglich macht, so wie das Fehlen des Lichtes die έ ν τ ε λ έ χ ε ι α der Farben und ihrer Wahrnehmung verhinden würde. Man hat dabei die Überlegung anzustellen, ob es sich um einerr Übergang aus der Potentialität in die erste Aktualität oder um einen solchen aus der ersten in die zweite Aktualität handelt. KOSMAN weist darauf hin, daß die Frage nur entsteht, wenn man nicht erkennt, daß das Licht beide Aktualitäten ermöglicht, - wenn man also gleichsam von einem linearen und eindimensionalen Modell der aristotelischen Lehre von der Aktualität ausgeht14. Die Frage nach der hinreichenden Bedingung wird im Text nicht gestellt. Man könnte an die freie Willensentscheidung einer Person denken, die sich

10 Arist. phys. 200 b 12/202 b 29. Vgl. auch De an. 431·6: ή γάρ κ ί ν η σ ι ς t o ü ά τ ε λ ο δ ς έ ν έ ρ γ ε ι α κτλ. 11

V g l . a u c h BRÖCKER 1 6 4 .

12

508 Α ff. Vgl. RODIER 460 (zu 430» 16): HlCKS 501 (zu 430" 15). Zuletzt KOSMAN a.O. 348ff. 13

507 D 11/E 2.

14

KOSMAN a . O . 3 4 9 .

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dazu entschließt, das Vermögen des ν ο ε ΐ ν zu aktualisieren. Das Denken liegt ja έφ' ήμΐν 1 5 . Die Einführung eines νοΰς π ο ι η τ ι κ ό ς vermögen wir deshalb nicht wie HAMLYN16 als "distinction...made by Aristotle only in a metaphysical way" zu verstehen 17 , sondern als den Versuch, der komplexen Gestalt des Denkens in einer angemesseneren Beschreibung Rechnung zu tragen. Auf diesen νοΰς treffen die anaxagoreischen Prädikate zu: Er ist χ ω ρ ι σ τ ό ς , απαθής und αμιγής und von seiner οΰσία her ένέργεια. Diese Aussage scheint der Charakterisierung des νοϋς ποιητικός als einer εξις 1 8 zu widersprechen; denn τη ούσίςι ων έ ν έ ρ γ ε ι α soll doch wohl ein Sein bezeichnen, das nichts ist als schlechthin ένέργεια. Auch die 430*23 aufgeführten Prädikate, die dem νοΰς π ο ι η τ ι κ ό ς nach dem Tod zukommen sollen, nämlich Unsterblichkeit und Ewigkeit weisen in diese Richtung. Dennoch ist dieser sich auf einen vermeintlichen Widerspruch berufende Einwand nicht zwingend; denn die Aussage, der π ο ι η τ ι κ ό ς νοϋς sei ούσίςι έ ν έ ρ γ ε ι α ist mit der früheren Aussage, der νοΰς sei δ ξ ι ς , vereinbar. Daß dieser νοΰς zwar nicht göttlich, aber nach Aristoteles dem göttlichen νοΰς verwandt ist, hat Ross 19 zutreffend bemerkt. Mit dem Satz 430» 18/19: άεϊ γαρ τιμιώτερον τό π ο ι ο ΰ ν τοΰ π ά σ χ ο ν τ ο ς και ή ά ρ χ ή της «λης greift Aristoteles ein Motiv der oben zitierten Platonstelle auf. Nachdem der platonische Sokrates Glaukon auf das τ ρ ί τ ο ν γ έ ν ο ς als unerläßliche Bedingung für das Zustandekommen der Wahrnehmung des Sehens aufmerksam gemacht hat, weist er ihn auf die Identität des rätselhaften τ ρ ί τ ο ν γ έ ν ο ς hin: Τ ί ν ο ς δή λ έ γ ε ι ς , έφη, τούτου; "Ό δή σϋ καλείς, ην δ' έγώ, φως. Wenig später20 heißt es dann vom Licht: Ού σμικρςί άρα ίδέρ ή τοΰ όράν αίσθησις και ή τοΰ όράσθαι δύναμις των άλλων σ υ ζ ε ύ ξ ε ω ν τιμιωτέρω ζυγω έζύγησαν, εϊπερ μή άτιμον τό φως. 'Αλλά μην, έφη, π ο λ λ ο ϋ γε δει άτιμον είναι - Der Gedanke, der sich in dieser Passage verbirgt, geht davon aus, daß das Sehen ein τ ί μ ι ο ν 2 1 ist. Dann muß dasjenige, was όράν und όράσθαι wie durch ein Joch verbindet und unter ihm gleichsam zusammenspannt, was also den Akt des Sehens durch seine Präsenz erst möglich macht, nämlich das Licht, in einem noch ungleich höheren Maße über diese Eigenschaft verfügen (Piaton nennt das Joch τιμιώτερον). Das Licht aber ist für Aristoteles ein 15

Vgl. 427b18.

16

H A M L Y N 1 4 0 (ZU 4 3 0 M 0 ) .

17

Vgl. auch a.O.: "there is no indication in his words that the active intellect plays any role other than that of a metaphysical ground for the actualization of the potentialities which make up the soul." 18

Vgl.430"15.

19

Ross 45.

20

507 Ε 6/508 A 3.

21

Das folgt aus der Litotes (εϊπερ) μή άτιμον (τό φώς).

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Bild des νοϋς ποιητικός. Der Kreis schließt sich also. In höherem Ansehen steht immer das Tätige gegenüber dem Leidenden und die αρχή gegenüber der ΰλη. Zwei Fragen harren noch einer Antwort: (1) Was verbirgt sich hier genau hinter dem griechischen Wort 'άρχή'? (2) Wie hat man die kausale Partikel γάρ zu interpretieren? Im allgemeinen wird άρχή mit 'Prinzip' 22 oder 'Gestaltendes Prinzip' 23 , 'Ursache und Prinzip' 24 oder ähnlich wiedergegeben. SMITH 25 wählt die Formulierung 'originating force', THEILER übersetzt 'Urgrund' 26 . Gemeint ist in jedem Fall das herrschende Prinzip der Formgebung, also das είδικόν (oder είδητικόν). Im Gang der Argumentation ist die Rolle der Partikel γάρ 430*18 noch vollkommen ungeklärt. Offenbar bildet eine bestimmte Wertschätzung die Grundlage für die Prädikation des νοδς an der angegebenen Stelle. Γάρ kann sich dabei formal auf die gesamte Reihe der vier Prädikate (χωριστός, απαθής, άμιγής, τή ούσίςι ων ένέργεια) oder auf das letzte allein beziehen. Die zweite Möglichkeit ist vorzuziehen, weil in dem mit der Partikel eingeleiteten Kausalsatz gerade die Komponente des Wirkens die zentrale Rolle spielt. Dann müßte man unmittelbar vor dem mit γάρ eingeleiteten Satz einen Gedanken ergänzen, der dem νοϋς ποιητικός das Prädikat τίμιος zuspräche. Will man dies nicht als bloße Spekulation, sondern mit Grund aufrechterhalten, so muß man erklären, weshalb Aristoteles es unterlassen konnte, den für das Verständnis wesentlichen Satz einzufügen. Hier ist abermals auf Piaton zu verweisen, dessen Prägung τιμιωτέρω ζυγω im Hintergrund der Erörterung steht. Die folgenden Worte von τό δ' αυτό (430*19) bis χρόνω (*21) stimmen exakt mit dem ersten Satz des siebten Kapitels überein. Wie ist diese Dublette zu verstehen? Wird man ihre argumentative Funktion an beiden Stellen als sinnvoll beurteilen, oder an der einen mehr als an der anderen? Unternimmt man einmal den Versuch, die Kohärenz der Argumentation an diesem Punkt zu retten, so kann man zuallererst auf die Betonung der Identität von νοΰς und νοητόν verweisen, die offenbar zu Beginn der fraglichen Perikope vorgenommen wird. Befremdlich ist dann aber die begriffliche Verschiebung, die sich in einer offensichtlich mühelos vom νοϋς zur επιστήμη hinübergleitenden Darstellung findet. Zwar stehen νοΰς und επιστήμη auch sonst vielfach nebeneinander27, aber nie so übergangslos 22

HAMLYN 60: 'thefirst

23

LASSON 68.

24

HICKS 135: 'the cause or

principle'. principle'.

25

SMITH, in: The Complete Works of Aristotle. The Revised Oxford Translation. Edited by J. BARNES Bd. I, Princeton 1984, 684. 26

THEILER 59.

27

Z.B. 428*18 u.ö. Vgl. auch 430*4/5.

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und unbegründet wie hier. So werden sie etwa 428*18 beide als Elemente der Klasse der stets wahre Aussagen bildenden Erkenntnisweisen genannt. An einer anderen Stelle, 429b5f., wird ein Vergleich zwischen dem νοος κατ' ένέργειαν und dem Wissen κατ' ένέργειαν durchgeführt. Immerhin würde nach der Sonderung der beiden Formen des νοϋς eine Darstellung ihrer inneren Verbundenheit und Einheit zu erwarten sein. In Wahrheit ist aber davon, abgesehen vom ersten Satz (430* 19f.), nicht die Rede. Vielmehr trennt der umstrittene Textabschnitt Wissen und Gewußtes alsbald wieder voneinander, indem er sie auf der Stufe der δύναμις betrachtet. Dort kann das Wissen jedenfalls im Individuum zeitliche Priorität vor dem Gewußten beanspruchen, im ganzen, d.h. im Zusammenhang der Gattung aber nicht einmal der Zeit nach. Mit anderen Worten: Der Abschnitt leistet nur partiell, d.h. mit seinem ersten Satz, was er eigentlich leisten müßte und führt in seiner Diskussion des früher oder später in eine ganz andere und mit dem Argument nicht zu vereinbarende Richtung. Eine letzte, noch der Klärung bedürftige Frage stellt die Fortsetzung des Textes über die Grenze der Dublette hinaus. Der gemeinsame Wortlaut der beiden Kapitel endet nämlich mit dem Dativ χρόνφ, der zitierte Satz 430®19ff. aber fügt noch die Worte άλλ' ούχ ότέ μέν νοεί ότέ δ' ού νοεί hinzu. Vor allem das adversative άλλά muß daraufhin geprüft werden, ob es sich auf den unmittelbar vorhergehenden Text beziehen läßt, oder ob man einen besseren Bezug zu einem früheren Abschnitt herstellen kann. Geht man einmal von der Hypothese aus, daß die umstrittene Perikope an dieser Stelle des fünften Kapitels ihren angestammten Platz einnehme, so müßte άλλ' ούχ ότέ μέν νοεί ότέ δ' ού νοεί inhaltlich daran anschließen, daß das mögliche Wissen im Individuum zeitlich früher, im ganzen aber nicht einmal der Zeit nach früher sei. Dagegen aber sprechen zwei schwere formale Bedenken: (1) ist die Verbindung von έπιστήμη als Subjekt mit einem Prädikat νοεί nicht zu akzeptieren. Man müßte also den oben gerügten Wechsel des Subjekts von νοδς zu επιστήμη diesmal in der umgekehrten Richtung abermals vollziehen; (2) άλλά markiert eine deutliche Antithese. Wogegen aber soll sie sich richten? Ergibt sich etwa aus dem Umstand, daß letztendlich im Zusammenhang des γένος άνθρώπινον das aktuelle Wissen doch im Gegensatz zu den Verhältnissen beim einzelnen Menschen auch der Zeit nach früher ist als das potentielle Wissen, die Konsequenz, daß der νοϋς bisweilen denkt, bisweilen nicht denkt. Eben dies jedoch müßte vorausgesetzt werden, wenn der folgende Satz mit άλλά eingeleitet würde. Geht man nun von der entgegengesetzten Hypothese aus, d.h. setzt man voraus, daß der unsichere Abschnitt τό δ' αύτό έστιν κτλ. an dieser Stelle nicht in den Text gehört, so müßte sich der Anschluß an die Perikope vor dem dann zu athetierenden Abschnitt bewerkstelligen lassen. In diesem Falle schließt der Satz άλλ' ούχ ότέ μέν νοεί ότέ δ' ού νοεϊ entweder an die unmittelbar voraufgehende Wertung oder an die durch diese

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begründete Charakterisierung des νοΰς ποιητικός als χωριστός, αμιγής, απαθής und τή ούσίςι ών ένέργεια an. In der Tat folgt nach 429b9 aus der ένέργεια des νοϋς noch nicht der Ausschluß des ότέ μεν νοεί ότέ δ' ού νοεί. Also würde in diesem Zusammenhang άλλά durchaus einen Platz haben. Der Kontext ließe sich dann in der folgenden Weise umschreiben: Die wirkende Seite des Geistes ist losgelöst, der Leidensfahigkeit enthoben, unvermischt und der ούσία nach ένέργεια. Damit ist freilich nach 429b9 und 4305f. keineswegs ausgemacht, daß der νοϋς nicht bald denkt, bald nicht denkt. Der wertende Satz 430* 18f. ist, wie oben dargelegt, einerseits Rezeption eines platonischen Motivs, andererseits logisch dem hier herangezogenen Text untergeordnet. Der Schlußsatz des fünften Kapitels scheint mir unmittelbar auf den der Dublette vorausgehenden Kontext Bezug zu nehmen. Seine Aussage stellt gleichsam die Klimax des Gedankens dar. Erst dann, wenn der νοϋς ποιητικός ganz fur sich ist, wenn er von seiner υλη, also dem ihn mit der somatischen Welt vermittelnden νοΰς παθητικός befreit ist, vermag er ganz das zu sein, was er ist. Im Hinblick auf die Frage, ob der wirkende Geist denn immer denke, ist die Antwort implizit in der Formulierung 430*22/23 χωρισθείς 6' έστι μόνον τοΰθ' δπερ έστί 28 enthalten. Nur der wirkende Geist ist unsterblich und ewig. Die Tatsache, daß wir keine Erinnerung an diesen νοΰς ποιητικός besitzen, ist so zu erklären, daß der wirkende νοΰς selbst nicht über die νοητά mit den δντα verbunden und vermischt ist, wir seiner also weder in der Erinnerung noch in der unmittelbaren Anschauung ansichtig werden können. Der παθητικός νοΰς hingegen ist vergänglich. Er unterliegt (wohl als ein Zusammengestztes) dem Schwund und vermag deshalb nicht, die Brücke der Erinnerung zu einem unvergänglichen νοΰς zu schlagen. Diese Feststellung der Unzugänglichkeit des νοΰς ποητικός für uns bezieht sich allerdings ausschließlich auf das τί έστιν, nicht dagegen auf das δτι; denn dieses letztere, so führt es der Text aus, erfahren wir unverstellt und direkt, indem wir denken. Ohne den wirkenden νοΰς nämlich kann kein Denkendes denken. Gerade diese Schlußbemerkung και άνευ τούτου ούθέν νοεί nennt also rückwirkend den Grund für den Ansatz des νοΰς ποιητικός und fundiert somit den Weg, den die Darstellung beschreitet. Mit der Ausnahme des vermutlich später eingeschobenen Satzes lassen sich also die vermeintlichen disiecta membra dieses Kapitels in einen sehr engen Zusammenhang bringen. Auch wenn der Gedanke selbst im uns vorliegenden Werk des Aristoteles keine weitere Ausarbeitung fand, tut dies der Bedeutung des Gedankens, der zwingenden Kraft seines Ansatzes keinen Abbruch.

28 Über den Bezug von μόνον entweder zu χωρισθείς oder zu τοδθ' öjcep έστί besteht keine Klarheit. Zu den Deutungsmöglichkeiten vgl. HlCKS 506 (zu 430*22); Ross

47/48.

Sechstes Kapitel Im ersten Satz des sechsten Kapitels erscheint statt des den vorigen Abschnitt beherrschenden νοΰς nunmehr das nomen agendi νόησις. Dieser Sachverhalt ist keineswegs beiläufig; vielmehr bezeichnet er einen Wechsel der angelegten Perspektive: Stand im vierten Kapitel das Verhältnis von νοΰς und νοητόν im Mittelpunkt und wurde daran anschließend im fünften Kapitel der Bezug eines von den Objekten des Denkens losgelösten, unvermischten νοΰς zu dem die νοητά denkenden νοϋς bedacht, so wendet sich die Darstellung nunmehr der Tätigkeit des Denkens und seinen Gegenständen zu. Die Objekte des Denkens, die hier zuerst genannt werden, sind die αδιαίρετα. Das privative Adjektiv erlaubt zwei Übersetzungen: Es kann sowohl 'unteilbar' wie auch 'ungeteilt' heißen. Die Forschung schwankt zwischen beiden Bedeutungen1. H A M L Y N verweist auf 430b8: άδιαίρετον γάρ ένεργείςι, wo das Wort nur 'undivided' heißen könne, und empfiehlt diese Bedeutung auch für das gesamte Kapitel2. Die αδιαίρετα sind nach seiner Deutung "the essences of Chapter 4 in their simplest and basic form as 'inflmae species'." Dieser Auffassung ist auch im Hinblick auf part, animal. 1.2/3 zuzustimmen3. Das Denken dieser αδιαίρετα gehört nach Aussage des ersten Satzes zu einem Bereich, in dem es den Irrtum nicht gibt. Wahr und falsch setzen eine synthetische Struktur des Denkens voraus, eine σόνθεσις νοημάτων, von Gedanken also, die durch den νοϋς gleichsam zur Einheit verbunden sind4. Es handelt sich um zusammengesetzte und darum auch teilbare Einheiten. In den άδιαίρετα erkennt H A M L Y N , wie bereits dargelegt, die im zweiten Teil des vierten Kapitels 429b10ff. erscheinenden essences5, d.h. also: τό μεγέθει είναι usw. als infimae species. Aristoteles ziehe hier eine voll1

V g l . LASSON 6 8 ; THEILER 5 9 ; d o c h s. RODIER, B d . I, 185; SMITH 6 8 4 ; HLCKS 137.

2

HAMLYN 142 ( z u 4 3 0 * 2 6 ) . BERTI, T h e I n t e l l e c t i o n o f I n d i v i s i b l e s , in: G . E . R . LLOYD

and C.E.L OWEN, Aristotle on Mind and the Senses, Proceedings of the Seventh Symposium Aristotelicum, Cambridge 1978, 144, Anm. 22. 3

Vgl. z.B. 642 b 30; s. dazu D.M. BALME, Aristotle's De partibus Animalium I and De Generatione Animaliuml. Translated with Notes. Oxford 1972, 101/119. 4 430"26/28: Ή μεν οδν των αδιαιρέτων νόηαις έν τ ο ύ τ ο ι ς περί α ούκ έστι τ ό ψεϋδος, έν οίς δε και τό ψεϋδος και τό αληθές, β ύ ν θ ε σ ί ς τις ήδη νοημάτων ώσπερ εν όντων κτλ. 5

HAMLYN 142 (zu 430"26). Vgl. hierzu den ο. Anm. 2 zitierten Aufsatz BERTIS, der sich mit Recht gegen die Annahme einer vielleicht nicht einmal für Piaton (Staat, Buch VI. 505 Ε bis 511 E) vorauszusetzenden intuitionistischen Deutung der Erkenntnis der άδιαίρετα wendet, die er als τά καθόλου auffaßt, und als einzigen Weg menschlichen Erkennens den der Zeit unterworfenen Prozeß der ε π α γ ω γ ή für De anima III 6 voraussetzen möchte. Vgl. bes. a.O. 158f.

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kommene Parallele zu den Gegenständen der Wahrnehmung. Wie es auf der Seite des νοϋς die άδιαίρετα und σύνθετα gebe, so auch dort ίδια eines jeden Sinnes, im Hinblick auf welche die Wahrnehmung nicht irren könne, und zusammengesetzte Gegenstände der Wahrnehmung, eben die κοινά, bei denen der Irrtum möglich sei6. Es ist hier nicht unsere Aufgabe7, auf die außerordentlich zentrale Stellung dieses Gedankens in der aristotelischen Erkenntnistheorie näher einzugehen. Gründet doch in dieser Irrtumsfreiheit der Erkenntnis des Einfachen offenbar die Gewißheit eines Wirklichkeit erschließenden Zugangs, den der νοος zu seinen Objekten findet. Wir haben vielmehr der Bedeutung des 430*29 eingerückten Empedokleszitats nachzugehen. Bekanntlich gibt Simplikios an anderer Stelle8 die beiden folgenden Verse ebenfalls an. Der Sinn des Zitats an sich ist zwar auch gerade durch die von dem späten Neuplatoniker vorgenommene Auffüllung des Textes verständlich. Die Frage nach der Notwendigkeit der Berufung auf Empedokles bleibt jedoch bestehen: Ist im Verlauf der Argumentation ein zwingender Grund erkennbar, der das Zitat in seiner Unentbehrlichkeit oder mindestens in seiner sinnerschließenden Funktion verdeutlichen könnte? Wir haben weiter oben9 zu zeigen versucht, daß große Teile der Ausführungen des dritten Buches eine Auseinandersetzung mit den gegensätzlichen Positionen des Anaxagoras und des Empedokles darstellen. Wenn nun in einem Abschnitt, in dem es um den unmittelbaren Zugang des Denkens zum Ungeteilten geht, dieser Zugang aber als Zugriff des freien und herrschenden νους auf seine Gegenstände verstanden10 und ausgerechnet in diesem Zusammenhang Empedokles zitiert wird, so könnte dies den Sinn haben, daß für die Wahrheit eines Satzes in gut dialektischer Weise das Zeugnis des Gegners in Anspruch genommen wird. Im vorliegenden Falle wäre dieses Verfahren nicht ohne Pointe, da sich im dritten Kapitel des dritten Buches als eine Konsequenz des auf Piaton und Empedokles zurückgehenden Satzes τω όμοίω τά δμοια γ ι ν ώ σ κ ε ι ν die Unmöglichkeit des Irrtums ergab, hier aber gerade die Möglichkeit des Irrtums - 430 b lf. heißt es bezeichnenderweise τό γαρ ψεΰδος έν συνθέσει άεί·, von αλήθεια ist hier nicht die Rede! - an die Bedingung der Synthesis geknüpft wird11. Für den 6 Ebd. mit Hinweis auf interpr. 16"9ff., metaph. 1012 a 2ff., 1027 b 17ff., 1051 b 17ff. Hinzuzufügen wäre zu dieser Liste noch categ. 2*7ff. 7

S. dazu die in der Einleitung vorgenommene Eingrenzung unserer Aufgabe.

8

In Arist. De caelo 587,1. Bei D.-K. findet sich der ganze Ausschnitt als Fragment Β 57. Vgl. HICKS 513: γ υ μ ν ο ί 8' έ κ λ ά ζ ο ν τ ο βραχίονες εϋνιδες ώμων/όμματα t ' ο ΐ < α > έ κ λ α ν α τ ο π ε ν η τ ε ύ ο ν τ α μετώπων. 9 10

1

Vgl. ο. 99ff. MODRAK 2 1 3 A N M . 4 ; v g l . a u c h metaph.

1051B23/33.

' Der oft in Verbindung mit dieser Lehre des Aristoteles zu findende Hinweis auf metaph. θ 10, 105! b 17ff. führt insoweit in die Irre, als 'wahr' und 'falsch' hier auf einer

110

Sechstes Kapitel

synthetischen Aufbau der Natur aus einfachen, nicht zusammengesetzten Bausteinen liefert aber Empedokles selbst ein Zeugnis. Gerade diese Unterscheidung von Einfachem und Zusammengesetztem bildet die entscheidende Voraussetzung für die Zuweisung der Wahrheitswerte an die σύνθετα Wenn Empedokles nicht von 'Wahrheit' und 'Irrtum', sondern von 'Φιλότης' und 'Νεϊκος' spricht, so wäre außerdem zu fragen, ob er sich nicht lediglich einer historisch gebundenen Ausdrucksform zur Bezeichnung ein und derselben Sache bedient12. Daß die Synthesis Voraussetzung der Möglichkeit von Wahrheit und Irrtum ist, läßt sich gut verdeutlichen: So verbindet deijenige, der die Aussage ή δέ διάμετρος ασύμμετρος formuliert, die beiden als κεχωρισμένα bezeichneten Elemente τό άσύμμετρον und ή διάμετρος zu dem wahren Satz, daß die Diagonale im Quadrat der Quadratseite inkommensurabel sei. Κεχωρισμένα bezieht sich in dieser Formulierung auf den Umstand, daß τό άσύμμετρον und ή διάμετρος als selbständige νοήματα bestanden, bevor sie der einigende νοδς zu der synthetischen Aussage verknüpfte13. Der geometrische Sachverhalt, auf den hier angespielt wird, ist als wissenschaftlicher Satz immer gültig und somit nicht hinsichtlich seiner Gültigkeit auf eine bestimmte Zeit eingeschränkt. Wird eine Aussage aber auf Vergangenes oder Zukünftiges bezogen, so setzt man die Zeit14 im Denken hinzu, was nach Aristoteles ebenfalls zu einer synthetischen Aussage führt. Warum aber fährt der Text nun mit begründendem γάρ fort? Τό γαρ ψεϋδος έν συνθέσει άεί. Befremdlich wirkt auch, wie bereits festgestellt, die Auslassung von άλήθεια neben ψεύδος. Warum also lesen wir hier nur einen Hinweis auf Synthesis als Bedingung des Irrtums, nicht der Wahrheit? Eine Aussage, die eine zeitliche Einschränkung der genannten Art erfährt, gehört in den Bereich des 'vergänglichen' Wissens, der φθαρτά, das gerade infolge seiner zeitlich beschränkten Gültigkeit dem Irrtum in einem besonderen Maße ausgesetzt ist. Auch der nächste Satz ist 430b2 mit γάρ angeschlossen, nimmt also seinerseits begründend Bezug auf den unmittelbar vorausgehenden Satz τό γάρ ψεϋδος έν συνθέσει άεί. Der gewöhnliche Fall eines Irrtums, wenn sich der Urteilende versieht und einem Subjekt ein falsches Prädikat zuspricht, z.B. etwas Weißes nicht 'weiß' nennt, bedient sich einer Synthesis von weiß und nicht weiß15. Wenn hier der Widerspruch als Synthesis geanderen Ebene verstanden sind, als dies an der von uns behandelten De anima Stelle der Fall war. 12

Man vgl. die Fragmente Β 58 und 59.

13

Ähnlich HAMLYN, der übersetzt: "...so too these things, previously separate, combined" etc. Vgl. a.O. 61.

are

14 Vgl. dazu De interpr. Kap. 2 und HAMLYN 142 (zu 430"26), der aber zu diesem Text lediglich feststellt, er besage nur " ...that all verbs signify time in addition - not just verbs future and past tenses." 15

430B2/3.

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111

deutet wird und es wenig später heißt, man könne all diese Synthesen auch durchaus im umgekehrten Sinn als διαιρέσεις auffassen16, so kann sich dies - wie HAMLYN ZU Recht bemerkt17 - nur auf die komplexe Struktur der zugrundeliegenden Aussagen beziehen, deren Relationen zu ihren Konstituenten bald als Synthese, bald als Dihaerese beschrieben werden können. Welche der beiden Erklärungsarten jeweils Anwendung finde, hänge davon ab, ob die Beschreibung von Begriffen oder von Urteilen ihren Ausgang nehme18. Wenn HAMLYN die Lückenhaftigkeit und Unvollständigkeit der kurzen Bemerkung des Aristoteles kritisiert, so kann man einwenden, daß es hier gar nicht um die Frage geht, aus welcher Art von Synthesis Urteile bestehen. Vielmehr genügt für das Argument allein die Tatsache, daß es sich so verhält, d.h. daß Irrtum und Wahrheit an die komplexe Struktur von Aussagen gebunden sind. Was zuvor an elementaren Aussagen vorgeführt wurde, stellt sich 430b4/6 in lebensnäherer Komplexität dar: Irrtum und Wahrheit betreffen nicht nur die Aussage, daß Kleon weiß oder nicht weiß sei, sondern auch, daß er es war, oder sein wird. Das Präsens scheint die Auffassung nahezulegen, daß es uneingeschränkt gelte, daß der Sachverhalt 'Kleon ist weiß' somit aus der Zeit herausgehoben sei. So ergibt sich zwingend die Frage nach der Begründung der Einheit dieser Aussagen. Diese Aufgabe fallt dem νοΰς zu; er bewirkt die Einheit der νοήματα κεχωρισμένα 1 9 . In dem nun einsetzenden Abschnitt 430b6/20 wird die νόησις als Betätigung des Einheit stiftenden νοΰς in ihrem Wirken vorgeführt. Die Prämisse, von der die Darlegung ihren Ausgang nimmt, lautet: τό δ' άδιαίρετον έ χ ε ι δίχως, ή δυνάμει ή ένβργείρ. Dieser Ansatz macht es möglich, eine bestimmte Strecke (τό μήκος) als (ένβργείςΟ άδιαίρετον 2 0 festzulegen. Δυνάμει ist diese Strecke selbstverständlich teilbar. Da die νόησις dieses ένεργείρ άδιαίρετον sich in einer durch diese Operation bestimmten Zeit vollzieht, ist diese Zeit selbst wiederum ένεργβίςι αδιαίρετος. Der Möglichkeit nach kann sie entsprechend geteilt werden. Warum das so ist, wird von Aristoteles an dieser Stelle nicht ausgeführt. Wirft man aber einen Blick auf seine Analyse der Zeit im vierten Buch der Physik, so erfährt man, daß Zeit άριθμός κινήσεως ist. Das Denken ist als νόησις eine ποίησις und als solche Bewegung, deren 'Gezähltwerden' 21 die zugehörige Zeit dieses Vorganges ist. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch der folgende Satz ^ f . : όμοίως γάρ ό 16 43o b 3f.: ε ν δ έ χ ε τ α ι δέ κ α ι δ ι α ί ρ ε σ ι ν φ ά ν α ι π ά ν τ α . 17

HAMLYN 143 (a.a.O.).

18

Zur philosophischen Kritik des Gedankens vgl. HAMLYN a.a.O.

19

430 b 5f.: τ ό δέ ε ν χ ο ι ο ϋ ν , τ ο ΰ τ ο ό ν ο ΰ ς ε κ α σ τ ο ν .

20

Zu dem Ausdruck έ ν ε ρ γ ε ί φ ά δ ι α ί ρ ε τ ο ν vgl. 430 b 8.

21

Vgl. phys. 2 1 9 b l . 8ff., 220 b 8ff.

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Sechstes Kapitel

χρόνος διαιρετός και αδιαίρετος τ φ μήκει. Dies erhellt daraus, daß es vollkommen unmöglich ist zu bestimmen, was der νοΰς in einer jeden der beiden Hälften dachte; denn diese Hälften bestehen als solche nur der Möglichkeit nach, solange die Teilung nicht ενεργείς vollzogen wird22. Nur der Möglichkeit nach ist nämlich die Zweiteilung der νόησις einer Strecke. Erst wenn sie Wirklichkeit geworden ist, wenn also beide Hälften getrennt für sich gedacht werden, ist zugleich damit auch die Zeit geteilt23. Konstruiert man nun aber aus einer Addition der beiden Hälften das Ganze, d.h. denkt man die beiden Hälften jede für sich (χωρίς), so scheint damit die obige These von der νόησις eines μήκος άδιαίρετον έν άδιαιρέτω χρόνω widerlegt. Die gilt freilich nur per accidens, da der νοδς die gewählte Strecke nicht als eine solche geteilt denkt und denken kann, sondern nur durch Anwendung desselben Prinzips, d.h. indem er die δυνάμει bestehenden Teilgrößen seiner Wahl wiederum jeweils als μήκος άδιαίρετον έν άδιαιρέτφ χρόνω denkt, diese Teilgrößen sich der Möglichkeit nach wiederum zu den entsprechenden öXa zusammensetzen lassen24. Die νόησις denkt das μήκος stets als άδιαίρετον. Aber nichts hindert, in beiläufiger Weise zwei oder mehr μήκη zu einer größeren Einheit zusammenzusetzen. Diese Addition ist nur akzidentell, weil sie dem Denkvorgang und dem in ihm gedachten Gegenstand nicht als ihm selbst eigen zukommt, sondern gleichsam von außen an ihm vorgenommen wird. Der den ersten Teil des Kapitels beschließende Satz 430b17/20: ένεστι γαρ κάν τούτοις τι άδιαίρετον, άλλ' ίσως ού χωριστόν, ö ποιεί δνα τον χρόνον και τό μήκος, και τοΰθ' όμοίως έν απαντί έστι τω σονεχεΐ, και χρόνω και μήκει. liefert eine Erklärung für die κατά σομβεβηκός bewirkte Einigung. Auch in den jeweils getrennt und für sich betrachteten Hälften bzw. in der für ihr Denken aufgewendeten Zeit besteht die übergeordnete Einheit, aus der sie durch Teilung hervorgegangen sind, in einer gewissen Weise fort, ohne daß dies χωριστόν zu verstehen wäre. Was hier beispielhaft für μήκος und χρόνος aufgezeigt wurde, gilt nach Aristoteles für den Gesamtbereich des Kontinuierlichen. Dies mag in der Tat mit dem Zusammenhang von Bewegung und Zeit zu begründen sein. Dem quantitativ Unteilbaren, dessen Grenze durch den Einheit stiftenden νοϋς bestimmt wird, stellt Aristoteles eine andere Art des άδιαίρετον gegenüber: das von seiner Form her (εΐδει) Unteilbare25. War im ersteren Fall die νόησις der Einheitsgrund des άδιαίρετον, so liegt die Einheit der 22

430 b 10/l 1: OÜKOOV ε σ τ ί ν ε ι π ε ί ν έ ν τ φ ή μ ί σ ε ι τ ί έ ν ό ε ι έ κ α τ έ ρ ω ού γάρ ε σ τ ί ν , α ν μή δ ι α ι ρ ε θ η , ά λ λ ' ή δ υ ν ά μ ε ι . 23 430 b I 1/13: χ ω ρ ί ς 6' έ κ ά τ ε ρ ο ν ν ο ώ ν τ ω ν η μ ί σ ε ω ν δ ι α ι ρ ε ί και τ ό ν χ ρ ό ν ο ν αμα· τ ό τ ε δ' ο ϊ ο ν ε ϊ μήκη. 24 BYWATERS Transposition von 430 B 14/15 nach B 20 wirkt überzeugend. Zum mindesten kann die Entfernung des störenden Passus, der den B 13 mit εί δ' ώς ansetzenden Zusammenhang auseinanderreißt, als gesichert gelten. 25

V g l . phys.

262'30.

Sechstes Kapitel

113

letzeren Art im νοητόν. Außer diesen beiden Arten von αδιαίρετα, denjenigen, die von der Sache her als solche gewissermaßen φύσει vorliegen, und denjenigen, die durch eine Art θέσις des Denkens entstanden sind, dürfte es keine weiteren mehr geben. Wenn es 433b20/21 heißt: ή δέ στιγμή και πασα διαίρεσις, και τό οΰτως άδιαίρετον, δηλοϋται ώσζερ ή στέρησις, so wird hier eine wichtige Feststellung über die Form getroffen, wie dieses Unteilbare der zweiten Art evident wird. Der Punkt ist »ach metaph. 106015/16 χέρας bzw. διαίρεσις γραμμής. Die Beziehung der einzelnen Teile dieses Satzes stellt sich also folgendermaßen dar: Der Punkt ist eine Art διαίρβσις. Wie diese spezielle Form der διαίρεσις, so wird eine jede nach der Weise der στέρησις ans Licht gebracht. Für die Erklärung dieser zweiten Art des άδιαίρετον dürfte also στέρησις die Rolle eines Schlüsselbegriffs spielen. Punkt oder vüv 26 sind selbst αδιαίρετα, ihre Funktion besteht jedoch darin, anderen als διαιρέσεις zu dienen27. Worin aber besteht das besondere der Erkenntnisweise von στέρησις und was bezeichnet der von Aristoteles hergestellte Gleichheitsbezug genau? Sofern die hier angesprochene δήλωσις das Werk der Sprache ist28, dürfte die logische Bedeutung von στέρησις, wie sie Aristoteles metaph. 1022b32/3629 beschreibt, gemeint sein. Nach dieser Erklärung ist στέρησις eine Art άπόφασις. Weiter führt eine Stelle der Kategorienschrift30. 'Blind' bedeutet nicht einfach 'μή έχον δψιν', sondern "nicht sehen können, wenn man von Natur her über das Sehvermögen veifligt."31 Man kann also für eine δήλωσις κατά στέρησιν oder στερήσεως δίκην zwei Konstituenten nennen: Zum einen ist στέρησις stets auf eine έξις zu beziehen und beide 2i

Wenn an der o. A n n . 25 zitierten Physikstelle auch γραμμαί und έ π ι φ ά ν ε ι α ι als διαιρέσεις genannt werden, so ist auch ihnen das Prädikat άδιαίρετον zuzusprechen, weil die Linie als Grenze einer Fläche planimetrisch ausdehnungslos und somit unteilbar ist. Dasselbe gilt für die Fläche als Begrenzung eines Körpers unter stereometrischem Aspekt. 27 Die Kollision der beiden Bezeichnungen 'διαίρεσις' und 'άδιαίρετον 1 ist somit nur scheinbar eine solche! 28

Arist. rhet. 1404 b 3: ...ό λογος ...έάν μή βηλοϊ ού ποιήσει τό έαυτοΰ έργον.

29

...και όσαχως δέ αϊ άπό τοϋ α αποφάσεις λέγονται, τ ο σ α υ τ α χ ω ς και αϊ στερήσεις λ έ γ ο ν τ α ι ' α ν ι σ ο ν μεν γάρ τ φ μή έ χ ε ι ν ισότητα πεφυκός λέγεται, άόρατον δέ και τ φ όλως μή ε χ ε ι ν χρώμα και τ φ φαύλα>ς, καϊ ακούν και τω μή ε χ ε ι ν δλως πόδας και τ φ φαύλους. 30 cat. 12 a 26/31: Στέρησις δέ και έξις λέγεται μέν κερί ταύτόν τι, οίον ή δ ψ ι ς και ή τυφλότης περί όφθαλμόν- καθόλου δέ ειπείν, έν φ πέφυκεν ή έξις γ ί γ νεσθαι, κερί τοϋτο λ έ γ ε τ α ι έκάτερον αύτων. έστερήσθαι δέ τότε λέγομεν έκαστον των της έξεως δεκτικών, δ τ α ν έν φ πέφυκεν ΰ π ά ρ χ ε ι ν και δτε πέφυκεν ε χ ε ι ν μηδαμως ϋπάρχη. 31

"31/33: νωβόν τε γάρ λέγομεν οϋ τό μή έ χ ο ν οδόντας, και τυφλόν ού τό μή έ χ ο ν δψιν, άλλά τό μή έ χ ο ν δτε πέφυκεν εχειν-

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sind κερί ταύτό gesagt. Zum anderen bezeichnet στέρησις das Fehlen von etwas, das von Natur her vorliegen muß. Da auch diese Weise der δύναμις denselben Namen έξις trägt, erkennt man eine στερησις, indem man den Blick auf die in der στέρησις verneinte έξις in ihrer zweifachen Gestalt richtet. Außerdem hat man jenes Identische (ταύτό) zu berücksichtigen, an welchem die έξις (und entsprechend auch die στέρησις) besteht. HAMLYN erklärt im Rahmen seiner Deutung der folgenden Zeilen: " This leads him [sc. Aristoteles] to consider our understanding of other privative notions."32 In der Unverbindlichkeit des Anschlusses {..."of other privative notions") entspricht diese Auslegung nicht den Gegebenheiten des Textes, der mit dem bestimmten Artikel operiert: και δμοιος ό λόγος έπι των άλλων. Es dürfte sich also wohl kaum um eine assoziative Anknüpfung beiläufiger Materialien handeln, sondern vielmehr um eine systematische Erschließung der Möglichkeit des Erkennens der αδιαίρετα είδει. Die angeführten Beispiele: die Erkenntnis des Schlechten oder des Schwarzen leiten von der στέρησις zu den έναντία über33, dem zweiten großen Bereich des Entgegengesetzten. Erkennen scheint sich in einer noch unbestimmt gelassenen Weise (πως) des εναντίον zu bedienen. Die folgenden Erläuterungen dienen offenbar der Klärung dieser Struktur. Das erkennende Subjekt muß potentiell das έναντίον des zu Erkennenden sein. Dies ist nach allgemeiner Auffassung34 der Sinn des korrupten Textes 430b23/24: δει δε δυνάμει είναι τό γνωρίζον και + ένεϊναι έν αύτω +. Von den vielen Konjekturen zu dieser Stelle kommen u.E. FÖRSTERS Vorschlag έκεΐνα έν αύτω und (vielleicht mit noch höherer Wahrscheinlichkeit) THEILERS Lösung έναντίον αύτω in Betracht. Hinter τό γνωρίζον muß im ersteren Falle ein Ausdruck wie έκάτερον (oder weniger wahrscheinlich έναντίον) ergänzt werden, im letzteren Fall bedürfte es keines Zusatzes. Es bleibt dann allerdings die formale Frage bestehen, weshalb sich die Argumentation angesichts des symmetrischen Verhältnisses nicht mit der einen Richtung zufrieden gibt, sondern die Umkehrung eigens hinzufügt, - eine Frage, die bisher noch niemand gestellt hat, die aber vielleicht Klarheit darüber zu geben vermag, ob der inhaltliche Rahmen, den man an der Stelle zu erkennen glaubt, richtig getroffen ist. Nun wäre eine gedankenlose und überflüssige Spiegelung der Relation δει δυνάμει είναι τό γνωρίζον (sc. έκεϊνο oder έκάτερον) als Verstoß gegen das Ökonomieprinzip ziemlich unwahrscheinlich. So gilt es zu fragen, ob der angezweifelte Gedankenschritt, so redundant er vielleicht auf 32

HAMLYN 144 (zu 430 b 20).

33 Es scheint hier nicht zwischen konträrer und kontradiktorischer Opposition unterschieden zu sein. - Die vierte Art des Gegensatzes, die Relation, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. 34 Vgl. z.B. J.A. SMITH, in: The Complete Works of Aristotle (The Revised Oxford Translation) Vol. I 685: "That which cognizes must be its objects potentially, and they must be in it."

Sechstes Kapitel

115

den ersten Blick erscheinen mag, nicht im Gang der Argumentation eine wichtige Funktion erfüllt, so daß sich die Umkehrung des symmetrischen Verhältnisses als eine sinnvolle Operation erweist. Gerade in den anschließenden letzten Zeilen des sechsten Kapitels wendet sich der Blick wieder zurück von den νοητά auf die vom Beginn des Kapitels an in den Vordergrund gerückte νόησις, auf das denkende Subjekt. Es muß von der Art sein, daß es der Möglichkeit nach beide έναντία in sich schließt - oder, radikaler formuliert, - beides potentiell ist: gut und schlecht, schwarz und weiß etc. Eben darin aber unterscheidet sich der menschliche νοΰς von einem anderen, der kein έναντίον an sich hat, der deshalb nur sich selbst zu denken vermag und als reine ένέργεια von allem endlichen Sein abgelöst ist35. Von hier aus gesehen, scheint uns die oben aufgestellte Bedingung erfüllt zu sein. Dem Passus καϊ ένβΐναι έν αύτω oder einem sich dahinter verbergenden έ ν α ν τ ί ο ν αύτω kommt im Kontext der Argumentation die Rolle einer Brücke zu, die zwischen zwei Weisen der Erkenntnis des άδιαίρετον vermittelt, den beiden Formen, die im sechsten Kapitel beschrieben werden auf der einen Seite und der 430b24/26 dargelegten. Sofern die formale Sinnzuordnung im Zusammenhang des Argumentes als Kriterium für die Rekonstruktion des Textes in Anspruch genommen wird, dürfte hier zum mindesten ein ähnlicher, möglicherweise sogar der von THEILER vorgeschlagene Wortlaut zu postulieren sein. Die beiden anderen verderbten Stellen in der Schlußphase des Kapitels sind im Hinblick auf die Rekonstruktion des Gedankengangs von einer untergeordneten Bedeutung. An der ersten Stelle mag TORSTRIK Recht haben, wenn er τών αιτίων durch των δντων ersetzt; Beachtung verdient THEI36 LERS scharfsinniger Hinweis , daß es sich bei den von ZELLER athetierten Worten vielleicht um Verderbnis des richtigen Wortlauts der soeben diskutierten Passage b29 handle. Die andere angezweifelte Lesart + τοΰ ιδίου + (430b29) wird von THEILER37 zwar zu Recht wegen der merkwürdigen Verbindung von όραν mit dem Genetiv hervorgehoben, sodann aber mit Hinweis auf ähnliche Konstruktionen bei βϊδέναι, γιγνώσκειν, άκούειν und vor allem αίσθάνεσθαι gestützt. Schwieriger ist zu entscheiden, ob 430b26 TORSTRIK ZU folgen und an Stelle der überlieferten Lesart κατάφασις nicht vielmehr άπόφασις zu lesen sei. BERNARD hat unter Hinweis auf einen Xenophontext TORSTRIKS stärkstes sprachliches Argument entkräftet und gezeigt, daß ώσπερ gele-

35 4 30 b 24/26: εί δέ τ ι ν ι μηδέν έστιν έναντίον + τών αιτίων + , αύτό έαυτό γ ι ν ά σ κ ε ι καϊ ενέργεια έστι καϊ χωριστόν. 36

THEILER 1 4 6 .

37

THEILER

Vgl. dazu

BERNARD

3.

a.O. (61,1; zu b 29). Vgl. dazu auch

BERNARD

191 Anm. 29.

116

Sechstes Kapitel

gentlich in der Tat synonym zu οίον verwendet wird38. Dennoch bleibt es fraglich, ob diese Bedeutung hier weiterhilft. Sowohl die Befürworter des überlieferten Textes wie auch diejenigen, die κατάφαβις in άχόφασις ändern wollen, müssen sich fragen lassen, worin denn der jeweilige Fortschritt für das Verständnis der Argumentation bestehen soll. Geht man von der Voraussetzung aus, daß φάσις wie άχόφανσις verwendet ist, so ist schwerlich einzusehen, welche Funktion ein zudem mit ganz untypischem ώσχερ hinzugefügtes Beispiel denn erfüllen könnte. Warum ist dann nur die Affirmation, nicht aber die Negation genannt? Es erscheint uns ferner methodisch außerordentlich fraglich, auf einen außerhalb des aristotelischen Oeuvres so selten, im Werk des Aristoteles, so weit ich sehe, überhaupt nicht vertretenen Sprachgebrauch zur Erklärung einer Textstelle zurückzugreifen, für die zudem ein ungemein geläufiger und von Aristoteles stets angewandter Ausdruck (οίον zur Einführung von Beispielen) zur Verfügung stand. So kommt man wohl nicht umhin, trotz Xen. mem. 3,3,12 an dem üblichen vergleichenden ώσπβρ festzuhalten. Daraus resultiert dann allerdings doch eine Lösung, wie sie TORSTRIK vorgeschwebt haben mag, d.h. das überlieferte Word φάσις wäre dann kein Synonym zu άπόφανσις, sondern zu κατάφασις, das 43027 von den Hss tradierte κατάφασις mithin unhaltbar und nach TORSTRIKS Vorschlag durch άπόφασις zu ersetzen. Des von Ross aus der Hss W in den Text aufgenommenen καί bedarf es nicht unbedingt, um den alternativen Sinn der Passage herauszustellen. Vor dem Hintergrund der Opposition synthetischer und intuitiver Erkenntnis und der aristotelischen Darlegungen zur Bedeutung des έναντίον für ein Erkennen der ersteren Art halten wir TORSTRIKS Lösung für die überzeugendere Entwicklung eines Textverständnisses. So hat jede Affirmation wie auch jede Negation die Struktur eines τί κατά τίνος, und jede von ihnen ist entweder wahr oder falsch. Demgegenüber ist beim νοδς zwischen einem synthetisch operierenden Denken, das die soeben beschriebene Form des τϊ κατά τίνος aufweist, und einem ganz anders wirkenden Denken zu differenzieren, das als νοΰς τοΰ τί έστι κατά τό τί ήν είναι, wie es 430b28 heißt, wahr ist, also nicht über die Möglichkeit des Irrens verfügt. Dieses auf die stofflosen Formen und ihr Wassein gerichtete Erkennen ist infallibel wie Wahrnehmung, wenn sie auf ihre spezifischen Gegenstände (τα ίδια) gerichtet ist, wohingegen αΐσθησις, die ein κοινόν zum Gegenstand hat, z.B. das Sehen, das jenes Weiße als einen Menschen wahrnimmt, dem Irrtum ausgesetzt ist.

38 BERNARD 190 Anm. 27. 191 Anm.30 mit Hinweis auf K. OEHLER, Die Lehre vom noetischen und dianoetischen Denken bei Plato und Aristoteles, Hamburg 2. Aufl. 1985, 161. - Zu TORSTRIKS Auffassung der Stelle vgl. seine Ausführungen a.O. 196/198 (zu 430 b 26). Als Beleg für ώσπερ in der Bedeutung 'wie zum Beispiel' führt BERNARD Xen. mem. 3,3,12 an.

Siebtes Kapitel Wie der größte Teil des gesamten siebten Kapitels so präsentiert sich auch der Beginn nach Meinung der meisten Forscher in einer trostlosen Inkohärenz der Argumentation. TORSTRIK eröffnet seine Besprechung des ersten Abschnittes bis τετελεσμένου mit den Worten: "Hae laciniae neque inter se neque cum iis quae praecedunt vel sequuntur quidquam haberu commune." Sodann nimmt er Anstoß am Fehlen einer Entsprechung zu τό μεν αίσθητόν 1 . 431*1/7 stelle sich als ziemlich törichte Einfügung eines im Kem aristotelischen Gedankens durch einen unbekannten Editor dar, der mehr Pietät als Sachkunde habe walten lassen. Streiche man diese Passage ersatzlos, so schließe sich der Text nahtlos zusammen. 431*17/20 hält TORSTRIK für eine entweder verstümmelt überlieferte oder, nach seiner Auffassung wahrscheinlicher, für eine von Aristoteles unvollendet zurückgelassene Formulierung2. TRENDELENBURG erkennt wie TORSTRIK zwar den Gedankengang im Großen und schreibt: "redit quaestio, quomodo mens res cogitet, ita tarnen, qua ratione cognitionem cupiditas sequatur, appareat.", bemerkt sodann aber zur Struktur der Argumentation: "Quem singula communem finem expetant, non satis liquet, ut hic illic magis fortuito quam necessario filo contineri videantur." Dementsprechend verzichtet TRENDELENBURG in seinem Kommentar auf eine Erläuterung des Zusammenhangs im Detail. Lediglich von der Dublette der ersten Zeilen nimmt er mit Bezug auf Simplikios Notiz, entscheidet aber, daß der Text hier weniger verzichtbar sei als 4308 3 . HICKS referiert den Gedankengang der ersten Phase des siebten Kapitels mit folgenden Worten: "Actual knowledge is identical with the thing known. Although in the individual potential knowledge, i.e. the faculty of knowing, precedes actual knowledge, no such priority attaches to it absolutely. For all becoming implies some actual existence as its cause. Thus we find that it is the sensible object which raises the sense from potential to actual existence a transition which, properly speaking, is no passive affection or qualitative change at all, but rather an activity: and if we do call it motion, of which qualitative change is a species, we put a different meaning on the term motion, motion being by the definition activity of what is incomplete, while activity in the absolute sense, activity of that which is complete, is something distinct from motion in the ordinary sense."4 HICKS fügt in sein Referat ein unscheinbares 'Thus' ein, das in der griechischen Vorlage keine Entsprechung findet. Deuten wir diesen Zusatz richtig, so sieht HICKS einen 1

2

431*4. TORSTRIK

a.a.O.

3

TRENDELENBURG 423: "Capitis initium (...) Themistius praetermittit, Simplicius vero tanquam repetitionem agnoscit. His verbis, si quo loco, facilius illo, quam hoc carueris." 4

A.a.O. 525.

118

Siebtes Kapitel

kausalen Zusammenhang zwischen dem allgemeinen Satz έστι γαρ έξ έ ν τ ε λ ε χ ε ί ^ δντος πάντα τα γιγνόμενα und dem φαίνεται.,.ποιοϋνSatz. Zu eben dieser Verknüpfung aber besteht, wenn man sich an den Originaltext hält, keinerlei Anlaß. Im Gegensatz zu TRENDELENBURG und vor allem zu Alexander von Aphrodisias ist HICKS der Meinung, daß die Dublette am Kapitelanfang an beiden Stellen, also 430»19ff. und hier sinnvoll und gerechtfertigt sei5: "In chapter 5 it is absolutely necessary and here the clause "3 έστι γάρ κτλ. will not stand without it." Er glaubt also an die Möglichkeit einer Wiederholung desselben Wortlauts6. THEILER 7 geht ebenfalls von einer mehr zufalligen Gliederung des Kapitels aus. Das Kapitel enthalte ..."eine Zahl von Einzelüberlegungen, schwach assoziativ aneinandergereiht," es fehle die Durchformung. Ross 8 schließt an TORSTRIK und TRENDELENBURG an, ohne wesentlich neue Argumente in die Diskussion einzubringen: "TORSTRIK pointed out that this chapter is not a connected discussion, but a series of scraps put together by an early editor." Die harten Schnitte sieht er 43 W , 7, 17, 20; b l , 12 und markiert sie in seiner Edition durch Gedankenstriche. TORSTRIKS "pietätvoller Editor" wird erneut bemüht: "We suppose" - bemerkt Ross am Ende des seine Kommentierung des Kapitels einleitenden Referats - "that an early editor found these scraps in Aristotle's 'Nachlass', and simply strung them together in order that none of the Master's words should be lost to posteriority."9 Eine ähnliche, vielleicht noch weitergehende Auffassung vertritt D.W. H A M L Y N 1 0 : " This chapter is a collection of fragments. The text is uncertain in places and the argument often suspect. The same is true of the next chapter." Der Überblick über die hier skizzierte Diskussion zeigt, daß die Mehrzahl der neueren Interpreten den fragmentarischen Charakter der Argumentation hervorzuheben bemüht ist. Daß der Text sich einem nach Zusammenhang und Kontinuität des Gedankens suchenden Leser mindestens zunächst nicht erschließt, ist wohl kaum zu bestreiten. Dennoch haben ernstzunehmende Exegeten wie Julius Pacius keinen Anlaß gesehen, das Kapitel als eine bis zur Unverständlichkeit zerrüttete Sammlung von Bruchstücken aufzufassen, mag ihre Erklärung auch häufig nicht den Ansprüchen einer modernen Interpretation genügen. Immerhin scheint es, wenn man sich im weitesten Sinne um ein Verständnis des Textes bemüht, d.h. unter Umständen auch die Unver5

HICKS a . a . O .

6

A . a . O . : "Why should not Aristotle

7

THEILER 146.

8

A . a . O . 303.

9

Ebd.

10

A . a . O . 145.

repeat himself

etc."

Siebtes Kapitel

119

ständlichkeit der Passage mit Gründen darzulegen sucht, drei Möglichkeiten zu geben, auf den Text zu reagieren: (1) Man hält den Abschnitt für undeutbar, für eine grund- und zusammenhanglose Aufhäufung möglicherweise originalen Materials, oder: (2) Man hält ihn zwar für prinzipiell deutbar, aber doch so, daß man dem Wortlaut mit reichlichen Ergänzungen zu Hilfe kommen muß, um auf diese Weise eine mutmaßliche Rekonstruktion des Originals zu erhalten, oder: (3) Man versucht den Text trotz aller Schwierigkeit, soweit dies möglich ist, ohne Hinzunahme, und wenn das nicht möglich ist, unter sparsamem Einsatz von Rekonstruktionen zu begreifen. Diese drei Reaktionen sind wissenschaftlich nicht gleichwertig. Da man zur ersten nur dann berechtigt ist, wenn man den stringenten Nachweis der Undeutbarkeit führen könnte, und da die dritte Reaktion ökonomischer ist als die zweite, kann der Weg, den jeder Deutungsversuch zu nehmen hat, nur mit dieser dritten Methode beginnen. Leichtfertige Harmonisierungsbemühungen ziehen sich dabei ebenso den Vorwurf des Unernstes zu wie die Kapitulation vor den Schwierigkeiten. So dürfte die Aufgabe einer sachgemäßen und von den vorhandenen Gegebenheiten ausgehenden Interpretation darin bestehen, nach Bedingungen zu suchen, unter denen sich die vielen, scheinbar isolierten Gedanken zu einem Mosaik zusammenfügen. Gibt es diese Bedingungen nicht, so bleibt die Suche erfolglos. Solange der Text aber als argumentierendes Schriftwerk auftritt, erhebt er Anspruch auf die Entwicklung eines einheitlichen Verständnisses. Mag am Ende auch die Enttäuschung stehen, der Pflicht der Suche ist der Exeget darum nicht enthoben. Die erste, von keinem der Kommentatoren zufriedenstellend gelöste Frage besteht in der Unklarheit des Übergangs von έχιστήμη zu αΐσθησις, 431*4, mit der mehr andeutenden als ausführenden Darlegung zum τέλειον-Charakter der Wahrnehmung. Erschwert wird die Erklärung dieser Stelle durch den Umstand, daß die entscheidenden Worte, wie bereits weiter oben ausgeführt", eine Dublette darstellen, d.h. den Wortlaut von 430· 19/21 exakt wiederholen. An diesem Befund entzündete sich, wie kaum anders zu erwarten, eine lebhafte Diskussion, die die Geschichte des Textes seit der Antike durch die Jahrhunderte begleitete. Unter den alten Erklärern kennt Alexander den Text an beiden Stellen, Thermistios übergeht ihn an der späteren Stelle, was vielleicht dafür spricht, daß die Dublette in der ihm vorliegenden Fassung des Textes getilgt war, Simplikios und Johannes Philoponos scheinen die sinnvolle Verknüpfung der Dublette, die sie wohl anmerken, nicht in Frage zu stellen. Von den Neueren glaubt TRENDELENBURG, der Kontext der Argumentation erlaube eher an der früheren Stelle als in der Einleitung von III 7 einen Verzicht auf die entsprechenden Worte 12 . TORSTRIK ist der Meinung, der Passus erscheine an beiden Stellen 11

Vgl.o. 106. 120.

12

A.O. 423 (zu 431*1): "...His verbis, si quo loco.facilius

illo, quam hoc carueris."

120

Siebtes Kapitel

nicht in derselben Intention. Mit Bezug auf 431*1/4 meint er: "ad metaphysica, non ad psychologiam pertinet."13 HICKS will die umstrittene Passage an beiden Stellen erhalten wissen14. Ross hingegen nimmt den Satz 430« 1 9 / 2 2 in den Text seiner kommentierten Ausgabe auf, setzt ihn aber zur Gänze, d.h. von τό δ' αύτό έστιν bis νοεί in eckige Klammem. In THEILERS Übersetzung entfallen die Zeilen M 9 / 2 2 1 5 , während HAMLYN sie zwar im fünften Kapitel überträgt, aber die Worte "Actual knowledge is identical with its object; but potential knowledge is prior in time in the individual but not prior even in time in general," die im Original 430*19/21: τό δ' αύτό...ολως δ' ούδέ χρόνω entsprechen, an der früheren Stelle in eckige Klammern setzt"16 Die Exegese ist also deutlich gespalten. Einige Interpreten neigen zu einer Athetese des Satzes an der früheren Stelle, andere gewinnen ihr nur dort einen Sinn ab, wieder andere sehen keinen Grund, sie auch nur an einer der beiden Stellen des Buches aus dem Text zu entfernen. Wir verzichten darauf, schon hier einen weiteren Lösungsversuch zu unternehmen. Das Problem wird, wenn überhaupt, nur im Zusammenhang mit einer Gesamtinterpretation des Kapitels aufgeklärt werden können. Lassen wir uns zunächst auf das Nebeneinander von έπιστήμη und αίσθησις ein, ohne dessen Sinn weiter zu hinterfragen, so bemerken wir, daß Aristoteles die beiden Begriffe in vier Relationen betrachtet: Die erste besteht in dem Verhältnis von Erkenntnis zu Erkenntnisgegenstand, die zweite stellt das Verhältnis von δύναμις und ένέργεια, die dritte dasjenige von früher oder später und die vierte dasjenige von Individuum und Gesamtheit oder Klasse aller Erkennenden dar. Nicht alle genannten Relationen werden konsequent auf beide Erkenntnisweisen, επιστήμη und αΐσθησις, angewandt. Die beiden letzteren Relationen erscheinen ausdrücklich nur bei der έπιστήμη. Ferner fällt auf, daß das siebte Kapitel mit dem Satz Τό δ' αύτό έστιν ή κατ' ένέργειαν έπιστήμη τφ πράγματι beginnt und mit der Feststellung δλως δέ ό νοϋς έστιν ό κατ' ένέργειαν τα πράγματα endet. Niemand wird leugnen, daß zwischen beiden Aussagen eine nicht geringe Ähnlichkeit besteht. Beide behaupten die Identität eines intellektuellen Vermögens mit seinem Gegenstand, erstere noch ausdrücklicher als letztere. Allerdings ist zu beachten, daß die grammatischen Subjekte έπιστήμη resp. νοΰς nicht identisch sind. Ihr Verhältnis erläutert Aristoteles anal. post. 7 2 B 2 4 . , 85*1. 88 b 35ff. 17 . Νοϋς unterscheidet sich von έπιστήμη extensional dadurch, 13

A . O . 199.

14

HICKS 5 2 5 ( z u 4 3 1 * 1 ) .

15

V g l . THEILER 5 9 .

16

HAMLYN 60. Die Streichung HAMLYNS ist also etwas weniger umfangreich als diejenige von Ross. 17

Weitere Belege BONITZ, Ind. 275 b 7ff.

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daß er andere Vermögen wie αΐσθησις, φαντασία, δόξα, τέχνη usw. einschließt, und intensional dadurch, daß er άρχή έπιστήμης ist'8. Da nun in diesem Kapitel an zwei herausgehobenen Stellen, die auch sonst leitmotivisch wiederkehrende Feststellung von der Identität der Erkenntnis mit ihrem Gegenstand erscheint, dürfte die Vermutung nicht von der Hand zu weisen sein, daß ihr für den gesamten Text des siebten Kapitels eine gliedernde und strukturierende Bedeutung zukommt. Möglicherweise vollführt die Darlegung den Weg von der ersten These (Identität des aktuellen Wissens mit seinem Gegenstand) zu der zweiten, durch δλως generalisierten Form dieser These. Es soll hier versucht werden, auf dem Boden dieser Vermutung dem Text des siebten Kapitels näherzutreten und den bisher von den Interpreten vermieten Zusammenhang der Argumentation zu rekonstruieren. Auf der Stufe der έπιστήμη κατ' ένέργβιαν fallen die Verwirklichung der έπιστήμη und diejenige ihres Gegenstandes, des κραγμα, zusammen; sie sind identisch. Auf der Ebene der έπιστήμη κατά δύναμιν gilt diese Gleichung nicht, wenn man 429*22/24 berücksichtigt: Der sogenannte νοδς der Seele sei, bevor er denke, nichts von dem, was er denke, der Wirklichkeit nach. Im einzelnen erkennenden Subjekt ist also das Wissen κατά δύναμιν als ein noch nicht auf ein bestimmtes κραγμα bezogenes, mithin noch nicht zur Identität von έπιστήμη und κραγμα gelangtes Wissen früher als das aktuelle Wissen, das die Identifikation mit seinem Gegenstand bereits vollzogen hat. Im Hinblick auf die Gattung aller Wissenden aber, d.h. nicht unter der auf das Individuum eingeschränkten Perspektive, ist das aktuelle Wissen nicht nur der Zeit, sondern auch dem Begriff nach früher als das potentielle Wissen. Diese These begründet Aristoteles unter Berufung auf den allgemeinen Satz, daß alles Werdende έξ έντβλβχβίςι δντος sei, ein Sachverhalt, den er metaph. θ 8 ausführlicher darstellt". Wir haben bei unserer Interpretation des früher bzw. später ganz selbstverständlich eine Vorentscheidung über den Bezug von früher getroffen, die so selbstverständlich gar nicht ist. Die Exegese ist einhellig der Ansicht, der gesuchte Bezug des Komparativs früher sei έπιστήμη κατ' ένέργειαν, eine Meinung, der wir uns grundsätzlich auch anschließen möchten, freilich mit einer gewissen Modifikation. Für dieses Verständnis der Stelle spricht vor allem der Umstand, daß an Passagen wie metaph. Δ 11 1019"6ff. stets der potentielle und der aktuelle Begriff im Hinblick auf ihre fragliche Priorität untersucht werden. Zu bedenken aber ist Folgendes: Die Feststellung des Aristoteles, έπιστήμη κατ' ένέργειαν sei mit ihrem Gegenstand, τω πράγματι, iden18 19

Vgl. bes. anal. post. 88 b 35ff.

Zu der Priorität der κατ' έ ν έ ρ γ ε ι α ν έκιστήμη im Verhältnis zum Wissen κατά 8ύναμιν vgl. auch 415M6/21 und MODRAK 31.

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tisch, läßt zunächst die Vermutung zu, daß diese Eigentümlichkeit ihr als einer solchen, d.h. als aktueller Wissenschaft, nicht aber der Wissenschaft als einer solchen zukomme; denn so, wie Aristoteles 429"22/24 auf der Unbestimmtheit des νοΰς κατά δόναμιν beharrt, dessen Identität mit seinem Objekt erst in der Aktualisierung zustandekomme, so führt er metaph. 1087M6/18 für επιστήμη aus: ή μεν δύναμις (sc. της επιστήμης) ώς ΰλη καθόλου ούσα και αόριστος τοϋ καθόλου και αορίστου έστίν, ή δ' ένέργβια ώρισμένη και ώρισμένου, τόδε τι ούσα τοΰδε τίνος κτλ., charakterisiert also den Übergang aus der Potentialität in die Aktualität als einen transitus aus der Unbestimmtheit eines Allgemeinen in die Bestimmtheit des τόδε τ ι , bzw. des πράγμα. Hier besteht also implizit auch ein Prioritätsverhältnis zwischen Wissen κατά δύναμιν und χραγμα, wobei Priorität wiederum nicht auf die zeitliche Bedeutung eingeschränkt ist. Es ist weder mit Bestimmtheit zu ermitteln, noch abzuschließen, daß Aristoteles diese zweite Möglichkeit, den Komparativ πρότερα zu beziehen, ebenfalls im Auge hatte. Sie besteht aber, wie oben dargelegt, als eine Möglichkeit, die der Text einräumt. Der nächste Satz ermittelt die Wirkursache der Überführung einer Wahrnehmung aus der Potentialität in die Aktualität. Eben diese Frage nach demjenigen, was diese μεταβολή bewirkt, unterbleibt in den einleitenden Zeilen mit Hinblick auf die επιστήμη. Doch scheint Aristoteles auf 417 b 19ff. zurückzugreifen, wo er beide Erkenntnisweisen behandelte: Bei der Wahrnehmung liege die Wirkursache der ενέργεια der Wahrnehmung "außerhalb" (des Wahrnehmenden), έξωθεν; gemeint ist der jeweilige Wahrnehmungsgegenstand, das όρατόν, άκουστόν usw. Die Ursache dieses Umstandes sieht Aristoteles darin, daß Wahrnehmung κατ' ένέργειαν auf τά καθ' έκαστα gerichtet sei, Wissen hingegen als seinen Gegenstand das καθόλου habe, von dem er sagt, daß es "irgendwie in der Seele" sei. Daraus ergebe sich, daß das Denken der Verfügbarkeit des Willens unterliege, wohingegen die Auslösung der ένέργεια der Wahrnehmung an das Vorhandensein eines αίσθητόν gebunden sei und somit nicht freiwillig ausgeübt werden könne20. 431*4 fügt Aristoteles, wie bereits gesagt, an die wenigen Bemerkungen zur επιστήμη eine ebenso kurze, gedrängte Notiz zur αΐσθησις. Φαίνεται δέ τό μεν αίσθητόν έκ δυνάμει δντος τοϋ αισθητικού ενεργείς, π ο ι ο ύ ν Wiederum rückt der Erkenntnisgegenstand, hier das αίσθητόν, in den Vordergrund der Betrachtung. Allerdings tritt das αίσθητικόν an die Stelle des eigentlichen Korrelats, der αΐσθησις. Wie bereits 425 b 26ff. dargelegt, fallen, der επιστήμη entsprechend, auch bei der Wahrnehmung die ενέργεια der αΐσθησις und diejenige des Wahrnehmungsgegenstandes, das πράγμα also, zusammen, so wie es Aristoteles dort am Beispiel des Lautes, bzw. des Hörens demonstriert: Erst 20

417 b 24; vgl. dazu auch 427 b 17/20.

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wenn sich das Vermögen, einen Lauteindruck in einem αίσθητικόν hervorzubringen, aktualisiert und ψόφος zu ψόφησις wird, wandelt sich άκοή zu άκουσις. Auch bei der Wahrnehmung läßt sich also auf der Stufe der ενέργεια keine Priorität des einen oder anderen mehr feststellen. Dieser Komplex scheint mir hier vorausgesetzt, ohne daß er eigens erwähnt wird. Auf der Stufe der δύναμις tritt freilich eine gravierende Änderung ein: Auch hier greift Aristoteles auf frühere Darlegungen zurück, - ein willkommener Hinweis, den wir als Stütze für unsere Hinzuziehung von 425 b 26 in Anspruch nehmen wollen. Dem Satz 431*5 ού γαρ χ ά σ χ ε ι ούδ' άλλοιοϋται weist die Partikel γάρ die Funktion einer Begründung für die Behauptung "4/5 zu: "Offenbar überführt der Wahrnehmungsgegenstand das Wahrnehmungsvermögen in aktuelle Wahrnehmung, oder: das der Möglichkeit nach Wahrnehmende in ein aktuell Wahrnehmendes; denn", - so heißt es dann - "es erleidet nichts und wandelt sich auch nicht." Die mit φαίνεται eingeleitete These ist eine Konsequenz der nicht von Wandlung oder Erleiden betroffenen Wahrnehmungsfähigkeit. Daß aber Wahrnehmung in solcher Weise nicht bewegt werden kann, ist Resultat einer früheren Überlegung. In der Tat hat Aristoteles diesen Zusammenhang bereits 417»21ff. erklärt: 'Verwirklichung eines der Möglichkeit nach vorhandenen Wissens' kann zwei verschiedene Bedeutungen haben: Wenn ein von der Natur zum Wissen Geborener, der aber noch unwissend ist, durch Lernen ein Wissender wird, so hat der Übergang aus der δύναμις in die ένέργεια den Charakter einer μεταβολή έξ έναντίας έξεως. Im zweiten Fall, dem des Arithmetikers oder Grammatikers, die ihre Kunst gerade nicht ausüben, besteht der Wandel in der Überführung eines vorhandenen, aber nicht aktualisierten Wissens in die ενέργεια. Entsprechend ist auch das χ ά σ χ ε ι ν im ersten Fall Vernichtung (φθορά) des Gegenteils durch das Gegenteil, nämlich des Unwissens durch das Wissen, im zweiten Fall aber eher Erhaltung (σωτηρία) des der Möglichkeit nach bestehenden Wissens durch die Aktualisierung. So muß man hier entweder überhaupt darauf verzichten, von άλλοίωσις zu sprechen, oder aber es handelt sich um ein έτερον γένος αλλοιώσεως 2 1 . Aristoteles führt 417 b 16ff. aus, die erste μεταβολή des Wahrnehmenden geschehe im Akt der Zeugung. Sei aber ein Lebewesen erst einmal gezeugt, so besitze es wie das Wissen so auch die Wahrnehmung.22 Der Sinn dieses Satzes erschließt sich nur, wenn man die Andeutung έ χ ε ι ήδη, ώσπερ έπιστήμην..., so wie es der Wortlaut nahelegt, als έξις της επιστήμης, also als eine δύναμις der zweiten oben entwickelten Art 21 22

417 b 6f.

417 b 16/18: t o ü 8' αισθητικό» ή μέν πρώτη μεταβολή γ ί ν ε τ α ι οπό t o o γενν ώ ν τ ο ς , δ τ α ν δε γεννηθη, εχει ήδη, ωαχερ έκιστήμην, και τό αίσθάνεσθαι.

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versteht, deren Übergang in die ενέργεια als σωτηρία zu interpretieren ist. Unter dieser Voraussetzung ist αϊσθησις im Wahrnehmenden als έξις anwesend und bedarf der Aktualisierung. Da die Ursache für diese μεταβολή nach 427b 17/20 nicht wie beim Meinen oder Denken im Wollen liegt, der Erzeuger des wahrnehmenden Wesens aber schon oben, 417b16, ausgeschlossen ist, kann die Aktualisierung des αίσθητικόν nur in der Wahrnehmung, bzw. im αίσθητόν liegen. Der Strukturvergleich von Wissen und Wahrnehmung erweist sich nach alledem als zwingend notwendig für ein Verständnis des schwierigen Begründungszusammenhangs 4 3 1 , 4 / 5 ; denn nur, wenn zuvor vermittels einer Analyse der έχιστήμη κατά δύναμιν nachgewiesen ist, daß von zwei verschiedenen Weisen von Potentialität des Wissens gesprochen werden kann, wird es möglich, αίσθησις κατά δύναμιν im oben näher ausgeführten Sinn durch vergleichende Zuordnung als έξις zu verstehen. Der Satz φαίνεται δε τό μέν αίσθητόν έκ δυνάμει δντος τοΰ αισθητικού ένεργείςι ποιοϋν bezeichnet exakt die μεταβολή aus der έξις der Wahrnehmung in ihre έντελέχεια. Nur unter dieser Voraussetzung haben die nachfolgenden, durch γάρ als kausal ausgewiesenen Worte tatsächlich eine begründende Funktion: ού γάρ πάσχει ούδ' άλλοιοΰται. Den folgenden Satz 431*6: διό άλλο είδος τοδτο κινήσεως übersetzt HAMLYN offenbar im Gefolge des Kommentars von Ross23 und gegen HICKS24 und 2 THEILER 25 : "Hence this is a different form from movement." * Abgesehen von sprachlichen Bedenken, die gegen diese Übersetzung sprechen, sei hier auf die Parallele 4 1 7 B 7 verwiesen, wo eine analoge Übertragung ausgeschlossen ist: ...δκερ ή οϋκ έστιν άλλοιοϋσθαι (εις αύτό γάρ ή έκίδοσις και είς έντελέχειαν) ή έτερον γένος άλλοιώσεως. Es ist zwar aus dem Kontext verständlich, warum Ross und HAMLYN ihre Formulierung wählen. Dennoch halte ich es für wahrscheinlicher, daß Aristoteles ähnlich wie an der früheren Stelle άλλοίωσις als είδος κινήσεως, so hier den Gattungsbegriff im partitiven Genetiv verwendet. Wenn man überhaupt im Falle der αΐσθησις von einer Bewegung sprechen wollte, so müßte es sich schon um eine ganz andere Art Bewegung handeln; denn Bewegung im engeren Sinne ist ένέργεια τοΰ άτελοΰς. Schlechthinnige ενέργεια ist freilich davon verschieden. Sie ist ένέργεια τοΰ τετελεσμένου 2 7 . Von dieser Art des Übergangs aus der έξις in das eigene τέλος aber ist eben αϊσθησις. Sie ist keine bloße Bewegung, sondern 23

Ross 301.

24

HICKS 1 4 1 .

25

THEILER 6 1 .

26

HAMLYN 6 3 .

27

Vgl. dazu J. AcKRILL, Aristotle's Distinction between Energeia and Kinesis, in: New Essays on Plato and Aristotle. Edited by R. BAMBROUGH, London 1965, 121/141.

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ένέργεια τοΰ τετελεσμένου, - ein Umstand, der für die Kohärenz des ersten Teils von Kapitel 7 und für die Verbindung mit dem zweiten Abschnitt von der größten Bedeutung ist. Nachdem nun dieser grundsätzliche ένέργεια-Charakter der Wahrnehmung festgestellt ist, verwendet Aristoteles statt der bis dahin überwiegend benutzten Begriffe αίσθητόν und αίσθητικόν Infinitive wie αίσθάνεσθαι, φάναι, ν ο ε ΐ ν , ήδεσθαι, λυχεϊσθαι und έ ν ε ρ γ ε ΐ ν , ferner finite Formen wie διώκει und φεύγει. Dies indiziert einen Perspektivenwechsel von einer mehr genetisch orientierten Betrachtung der αίσθησις zu einer Untersuchung der Wirkweise der Wahrnehmung. Diese Wirkweise der Wahrnehmung gleicht, so fährt der Text fort, dem bloßen φάναι und ν ο ε ΐ ν , d.h. dem bloßen Ansprechen oder Anrühren28 des nicht Zusammengesetzten, Einfachen und Unteilbaren29. Ganz ähnlich verfährt die auf ihre ίδια gerichtete αίσθησις. Stellt sich aber bei der Wahrnehmung der Eindruck des ήδύ oder λυπηρόν ein, so ist gleichsam eine zusammengesetzte Aussage vorauszusetzen, in der einem Subjekt, dem αίσθητόν, etwas zu- oder abgesprochen wird30. Die Konsequenz eines solchen Urteils führt zur Ausbildung eines Verlangens oder einer Ablehnung (διώκει ή φεύγει). Der Zusammenhang zwischen ηδονή und λ ύ χ η einerseits und αϊσθησις andererseits wird in der folgenden Begriffsbestimmung näher erläutert: Η δ ο ν ή bzw. λύκη bestehen in der ένέργεια der αισθητική μεσάτης πρός τό αγαθόν ή κακόν η τοιαϋτα. Die Deutung von αισθητική μεσάτης ist nicht umstritten. Allgemein wird 424*4 zitiert. Danach steht das Sinnesorgan gleichsam in der Mitte zwischen den extreme der Gattung von Sinnesgegenständen, für die der entsprechende Sinn zuständig ist. Er darf der Aktualität nach keines der beiden έναντία sein, muß aber der Potentialität nach beide έναντία zugleich sein. Hier steht diese αισθητική μεσάτης freilich nicht nur zwischen den αισθητά als solchen, also z.B. schwarz und weiß, sondern mit diesen verbinden sich offenbar gewisse Reize, die beim αίσθητικόν bald ein Verlangen bald Ablehnung auslösen. Sofern ein όρέγεσθαι nach 433 , 28 31 immer auf ein αγαθόν bzw. auf ein φαινόμενον αγαθόν abzielt, kann Aristoteles das Verhalten der Wahrnehmung in Analogie zur διάνοια als κατάφασις bzw. άπόφασις deuten. Etwas ausführlicher und daher erhellender als in der außerordentlich gedrängten Kürze des De anima-Textes formuliert er die Analogie eth. Nie. 6.2. 1139"22: δπερ έν διανοίςι κατάφασις και άπόφασις, τοδτ' έν όρέξει δίωξις καϊ φυγή.

28

Vgl. metaph. 1051 b 24: θ ι γ ε ΐ ν .

29

V g l . HICKS 5 2 7 .

30

ο ί ο ν κ α τ α φ α β α ή άποφασα.

31

Vgl. auch eth. Eud. 2. 1235 b 25.

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Schwierigkeiten bereitet der Zusatz ή τοιαύτα (431Ί1). Wie schon Johannes Philoponos und, sich auf ihn berufend, R . H I C K S gesehen haben, relativiert dieser Ausdruck fj τοιαύτα das Gute und Schlechte in der Bestimmung der Lust bzw. der Unlust. Die Relativierung ist notwendig, da es sich bei αγαθόν und κακόν nicht um das an sich Gute und Schlechte, sondern um das dem wahrnehmenden Subjekt in der Wahrnehmung Erstrebenswerte oder zu Verabscheuende handelt. Δίωξις und φυγή sind zwei einander entgegengesetzte Formen derselben ένέργεια der αισθητική μεσάτης. Auf diesem ένεργβια-Charakter der Lust besteht Aristoteles auch eth. Nie. 1153"9ff., wo ausdrücklich ausgeschlossen wird, daß Lust γένεσις, oder jede Lust mit einem Werdeprozeß verbunden sei. Vielmehr sei sie ένέργβια und τέλος, nicht aber etwas, das zum τέλος hinführe (,also κίνησις). Die Begründung für den ένέργβια-Charakter der αίσθησις und der Lust lesen wir eth.Nic. 10,4. 1174*13/19: δοκεϊ γαρ ή μεν δρασις καθ' ό ν τ ι ν ο δ ν χρόνον τελεία είναι· ού γάρ έστιν ένδεής ούδενός, δ εις ύστερον γενόμενον τελειώσει αύτής τό είδος, τοιοότφ δ' έοικε και ή ηδονή· δλον γάρ τι έστί, και κατ' ούδένα χρόνον λάβοι τις αν ήδονήν ης έπϊ κλείω χρόνον γινομένης τελειωθήσεται τό είδος, διόπερ ούδέ κίνησίς έ σ τ ι ν Αίσθησις und ήδονή gleichen sich darin, daß beide ένέργειαι sind, nicht hingegen κινήσεις 3 2 . Wie das Sehen seinen Zweck in der Verwirklichung seiner selbst erfüllt, und zwar auch dort, wo es gleichsam schlafend als έξις auf ein αίσθητόν zu warten scheint, das es zum Leben erweckt, nicht hingegen wie das technische Herstellen eines Gegenstandes, das sein τέλος außerhalb seiner selbst erreicht (nämlich in dem Kunstwerk) ebenso trägt Freude ihr τέλος stets in sich. Sie ist ένέργεια τελεία und nicht etwa wie die Bewegung eine ένέργεια ατελής. 431*12 stellt Aristoteles, wenn der Text richtig überliefert ist, die These auf: και ή φυγή δέ και ή δρεξις ταύτό, ή κατ' ένέργειαν. Er erweitert die Behauptung in den folgenden Zeilen: και ούχ έτερον τό όρεκτικόν, ούτ' αλλήλων ούτε τοδ αισθητικού- άλλα τό είναι άλλο. Der Text ist in der Forschung sehr umstritten. Am entschiedensten zweifelt T R E N D E L E N B U R G an der Richtigkeit der Überlieferung. Er nimmt τοϋτο für ταύτό an und liest ή κατ' ένέργειαν für ή κατ' ένέργειαν, das seiner Ansicht nach mit ή τοιαύτα, 431»11, korrespondiere. Seine Paraphrase33 lautet: "quatenus res in universum vel bonae vel malae sunt (ή τοιαύτα), animus vel gaudet vel dolet; quatenus in nos ipsos agunt, vel concupiscimus, vel fiigimus." Abgesehen davon, daß die von T R E N D E L E N B U R G angenommene 32

Vgl. (Ζ 17 et θ stotelicum Being and 33

dazu AcKRILL a.O.; P. AUBENQUE, La pensee du simple dans la Metaphysique 10), in: Etudes sur la Metaphysique d' Aristote. Actes du VIe Symposium Aripubliis par Pierre AUBENQUE, Paris 1979, 69/88; L.A. KOSMAN, Substance, Energeia, in: Oxford Studies in Ancient Philosophy 2, 1984, 123ff., bes. 125.

TRENDELENBURG 4 2 5 .

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Opposition von ή τοιαύτα und η κατ' ένέργειαν in der unterstellten Bedeutung höchst ungewöhnlich und ohne Parallele wäre, haben, wie oben dargelegt, bereits antike Erklärer die einschränkende Wirkung von η τοιαύτα klar erkannt. Der Zusammenhang verbürgt zudem, wie H A M L Y N 146 zutreffend sieht, die Richtigkeit der Überlieferung. Die Frage ist nur, ob seine Bemerkung: "The assertion that actual avoidance and desire are the same is a hard saying." den Kern der Sache trifft. Natürlicher und selbstverständlicher als der von TRENDELENBURG behauptete künstliche Gegensatz dürfte die Opposition von aktueller φυγή bzw. δρεξις und potentieller φυγή und δρεξις sich in den Zusammenhang fügen (όρεκτικόν, bzw. φευκτικόν). Wenn Aristoteles die auf die Förderung der Annehmlichkeit und die Fernhaltung aller Unannehmlichkeit gerichtete Bestrebung der Seele als ein und dieselbe bezeichnet, so ist er formal im Recht. Zu fragen ist, warum er auf der Stufe der Potentialität das αίσθητικόν eigens mit einbezieht und damit, wie Ross34 bemerkt, von seinem sonstigen Sprachgebrauch abweicht. Möglich ist, daß Aristoteles die beiden Begriffe δρεξις und φυγή auch auf der Ebene der Potentialität an αϊσθησις gebunden wissen will. Daß sie in der Aktualität nur in Verbindung mit der αισθητική μεσάτης denkbar seien, hat er zuvor entwickelt. Der kurze Nachsatz άλλα τό είναι άλλο. schränkt die Behauptung der Identität von δρεξις, φυγή und αΐσθησις, wie man wohl sagen kann, auf den λόγος ein, d.h. als zwei denselben Zweck verfolgende Bewegungen der Seele, die aber als Streben nach der Lust und als Vermeidung der Unlust ihrem Sein nach verschieden sind, ja in schroffem Gegensatz zueinander stehen. Bis zu dieser Stelle 431*14 handelt der Text von der αίσθησις und ihrer dreifachen Gestalt als bloßer αΐσθησις, als δρεξις und als φυγή, ferner von der Einheit dieser drei Stücke. Nun wendet er sich der διάνοια zu35. Die drei folgenden Sätze scheinen eng zusammen zu gehören: Der erste lautet: "Der dianoetischen Seele kommen die Vorstellungsbilder (φαντάσματα) gleichsam wie Wahrnehmungsbilder (αισθήματα) zu." Der zweite δταν δε αγαθόν ή κακόν φήση ή άκοφήση, φεύγει ή διώκει, entspricht auf der Stufe des Denkens dem analog gebauten Satz 431·9: δταν δέ ήδύ ή λυκηρόν, οίον καταφασα ή άχοφασα διώκει ή φεύγει auf der Ebene der Wahrnehmung. Große Schwierigkeiten bereitet den Erklärern der mit διό angeschlossene dritte Satz. H A M L Y N schreibt dazu: "Aristotle's view about the dependence of thought on images probably arises from his view about the dependence of higher faculties on the lower ones. But the 'hence' in the last sentence is nevertheless odd, as is indeed the structure of the whole passage."

34

Ross 304.

35

431M4ff.

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In der Tat ist die argumentative Verknüpfung der Stelle in hohem Maße undurchsichtig. Zweifelt man nun nicht von vornherein im Sinn der oben zitierten Stellungnahme an der Kohärenz des Passus, so muß man zunächst διό ernstnehmen. Da es inhaltlich auf den vorhergehenden Satz zu beziehen ist, muß dieser in der folgenden Weise paraphrasiert werden: Weil jedesmal dann, wenn die Seele (etwas) als gut zustimmend beurteilt oder als schlecht ablehnt, sie begierig ist, es zu verfolgen, bzw. sie von dem Verlangen beseelt ist, es zu vermeiden, deshalb denkt die Seele niemals ohne φάντασμα. Die Dunkelheit des Zusammenhangs wird noch dadurch erhöht, daß - wie bereits oben festgestellt - der mit δταν eingeleitete Satz 431"15ff. eine Wiederaufnahme von 431a9 zu sein scheint. Die Analyse gerade dieser beiden Sätze aber vermittelt möglicherweise Anhaltspunkte zu einem Verständnis dieser Passage. Die auf die Wahrnehmung bezogene Aussage "9 ist sprachlich etwas anders formuliert als der die dianoetische Seele betreffende Satz «15. Die finite Verbform im Konjunktiv, die ö t a v eigentlich verlangt, ist nämlich «9 ausgespart, während es '15 heißt: δταν.,.φήση ή άχοφήση. An der früheren Stelle sind die beiden Ausdrücke des Bejahens und Verneinens in das Partizip Präsens gerückt. Der gravierendste Unterschied in der Formulierung beider Stellen besteht also darin, daß "9 καταφασα ή άκοφασα und διώκει ή φεύγει beides Präsensformen sind, während "15/16 φήση und άποφήση Aoriste, φεύγει und διώκει aber wieder Präsentien sind. Dieser Sachverhalt läßt sich nun so deuten, daß im Falle der Wahrnehmung das Verlangen nach dem im Wahrnehmungsbild erscheinenden Gegenstand, bzw. das Zurückweichen vor ihm an die Präsenz dieses Bildes und damit an die Präsenz des in diesem Bild erscheinenden öv gebunden ist. Da das φάντασμα sich aber vor dem αίσθημα gerade dadurch auszeichnet, daß es fortbesteht, wenn die unmittelbare αΐσθησις vergangen ist, kann man den Satz 43l a 15 so deuten, daß das zustimmende oder verneinende Urteil seine Verbindlichkeit eben nicht wie im Falle der Wahrnehmung mit dem Ende der Präsenz des αίσθημα verliert, sondern diese behält. Diese Kontinuität aber ist nur dann möglich, wenn über die Gegenwart der αισθήματα hinaus ein Vorstellungsbild fortbesteht. Wenn somit auch eine Verknüpfung zwischen dem Faktum des διώκειν ή φεύγειν und der Notwendigkeit von φαντάσματα besteht, erhebt sich eine zusätzliche Schwierigkeit dadurch, daß in dem mit διό angeschlossenen Satz eine Notwendigkeit ganz anderer Art aus dem vorigen Satz gefolgert wird: Die Seele - so heißt es dort - vollziehe das Denken niemals ohne φάντασμα. Dabei ist freilich zu bedenken, daß Urteilsbildung grundlegende Tätigkeit des (dianoetischen) νους, also ν ο ε ΐ ν ist. Darin dürfte auch der Grund dafür bestehen, daß an der ersteren Stelle "9 οίον καταφασα ή άποφασα zu lesen steht, also nur eine Analogie zur Urteilsfindung des νοϋς vorausgesetzt wird, so wie umgekehrt die Bilder der φαντασία den αισθήματα analog zugeordnet sind. So läßt sich also unter Berufung auf

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διώκειν ή φεύγειν als Erkenntnisgrund die Notwendigkeit der Bindung jedenfalls des praktischen νοδς an φαντάσματα behaupten. Noch hat die Forschung keine tragfeste Brücke entwickelt, die von diesem Ergebnis zu dem besonders merkwürdigen Satz bzw. Satzfragment führen könnte, dessen Einleitung 431M7 mit ώσχερ anschließt. Einige Interpreten sehen dies zwar mit wünschenswerter Klarheit, glauben dann allerdings an eine Kohärenz des Gedankens über die von der communis opinio wohl zu Recht angenommene Lücke hinaus36. Trotz dieser partiellen Lösungsvorschläge aber ist kaum zu verkennen, daß der mittlere Abschnitt des siebten Kapitels im Hinblick auf seine argumentative Funktion sich in vollkommene Dunkelheit hüllt und es zu einer Aufhellung der Zusammenhänge noch großer Anstrengungen bedarf. Immerhin sind die Erklärer nicht aller Hilfsmittel beraubt, so desolat sich diese Passage unter der Perspektive der Kohärenz auch darstellen mag. Das vielleicht bedeutsamste Instrument zur Lösung der anstehenden Fragen dürfte in einer konstruktiven Besonderheit mindestens der Partie 431a8ff. bis zum Kapitelende, wenn nicht gar des gesamten Kapitels, zu sehen sein: An der eben genannten Stelle klingt ein Vergleich von Wahrnehmung und Denken an. In den Abschnitten «9/14, bzw. 14/17 wird Verlangen, bzw. Abneigung im Bereich der Wahrnehmung, bzw. der dianoetischen Tätigkeit der Seele thematisiert. 431*15 stellt wiederum die Konjunktion οίον eine Beziehung zwischen φαντάσματα und αισθήματα her. Ähnliches gilt für 431b2/4, bzw. b4/5. In dieselbe Richtung weist die von der Exegese zumeist richtig gedeutete, so unerhört komprimierte Gegenüberstellung έκεΐ.,.ένταΰθα (431b9), bei der sich έκεϊ auf die Sinnlichkeit und ένταΰθα auf das νοεΐν beziehen. Zusammenfassend kann man also feststellen, daß der gesamte Abschnitt, der hier in Rede steht, in der Form einer vergleichenden Gegenüberstellung von Wahrnehmung und dianoetischem Denken angelegt ist. Das schwierigste Problem der Deutung wird also in der Zuordnung der jeweiligen Passage zu der einen oder anderen Seite der Opposition bestehen. Es scheint so, als habe sich die Exegese den Zugang zu einer sachgemäßen Analyse des Argumentationsgefüges durch die ungenügend differenzierende, gleichsam eindimensionale Lektüre selbst verstellt. Vielleicht eröffnet sich auf der Grundlage des soeben entwickelten Ansatzes auch eine Möglichkeit, 431*17ff. ώσπερ δε ό άήρ κτλ. besser zu verstehen und diesen Text in den Gedankengang einzuordnen. Da nämlich eine direkte syntaktische Verknüpfung des ώσπερ-Satzes mit dem voraufgehenden Satz unmöglich ist, kann der ώσχερ- Abschnitt unter syntaktischem Aspekt nur ein defektiver Vergleichssatz sein. Der Vergleich verlangt eine Fortsetzung durch das korrelative οϋτως. Sein Fehlen führte folgerichtig zur Annahme einer lacuna 431 "20. In der Rekonstruktion des 36

Ross 303 (zu 431*8/17); 304/6 (zu 431*17/20, bzw. *20/ b l); vgl. auch RODIER 498 (zu 431*17/20); HAMLYN 148 (zu 431*17). MODRAK 122 (zu 431*17).

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οΰτως-Gedankens wird also eine erste Aufgabe der Deutung dieser Stelle bestehen. Führt man sich den Tenor des Raisonnements der unmittelbar vorhergehenden Partie vor Augen, so fällt auf, daß der Gesichtspunkt der Identität von Wahrnehmung und δρεξις, bzw. φυγή sowohl auf der Stufe der Aktualität wie auf deijenigen der Potentialität im Vordergrund steht und daß 431*14 mit τη δε διανοητική ψυχή der oben angedeutete Perspektivenwechsel expresses verbis vollzogen wird, insofern an die Stelle der αισθήματα der unmittelbaren Sinneswahrnehmung nun φαντάσματα treten, und zwar ο ι ο ν αισθήματα. Es scheint also von daher ein Interesse der Darstellung an einer Vergleichung beider Erkenntnisvermögen, der Wahrnehmung und der dianoetischen Erkenntnis zu bestehen. Geht man nun davon aus, daß in dem ώσκερ-Satz eine Aussage über die Genese eines aus den Wahrnehmungen aller Sinne in der αισθητική μβσότης zusammenlaufenden Wahrnehmungsbildes (αίσθημα) formuliert ist, so kann für den οΰτως-Satz vermutet werden, (a) daß dort Entsprechendes für die Genese des Denkens in φαντάσματα zur Sprache kam. So wie alle Sinneseindrücke in einem zentralen Sinn zusammenlaufen, so würden die vielen heterogenen, von ihnen ausgelösten Bewegungen der φαντάσματα in dem einen νοϋς sich vereinen, oder aber (b), daß sich die von der Wahrnehmung absondernden φαντάσματα vor (oder in) derselben zentralen Instanz einfinden und ihrer Krisis unterliegen. Nun dürfte ebenso wie die Identität von αΐσθησις, δρεξις und φογή offenbar 431Ί1/14 als notwendige Bedingung von λύπη und ήδονή gedacht ist, auch diejenige von φαντασία, δρεξις, bzw. φυγή für das Wirken der dianoetischen Seele vorauszusetzen sein, d.h. also für die hier zur Frage stehende Entscheidung zwischen άγαθόν und κακόν, die der praktische νοδς zu treffen hat. Auch der folgende, scheinbar beziehungslos angefügte Text τίνι δ' έπικρίνει κτλ. (431·20) läßt sich in seinem neuerlichen Rekurs auf die sinnliche Wahrnehmung nur dann in einen Zusammenhang mit dem im siebten Kapitel verhandelten Gegenstand bringen, wenn man bereit ist, die Opposition von αίσθησις und διανοητική ψυχή als eine der Koordinaten der formalen Gliederung des Abschnitts gelten zu lassen. Unter dieser Prämisse kann es wohl kaum überraschen, wenn dieses Unterscheidungsvermögen wiederum zuerst auf der Ebene der Sinnlichkeit explizit diskutiert wird. Die Analogie auf der Ebene des νοεΐν wäre dann wiederum nicht ausgeführt, weil sie sich zwingend aus dem für die αϊσθησις Festgestellten ergibt. Auf der Stufe der dianoetischen Seele gibt es ein dem Wahrnehmungsbild entsprechendes und von ihm ausgelöstes Vorstellungsbild (φάντασμα), auf das sich die Seele bezieht, indem sie entweder nach ihm verlangt, oder sich ihm versagt. Jedesmal, wenn die Seele 'gut' oder 'schlecht' sage, verhalte sie sich in dieser Weise. Damit wird, wie oben gesagt, die Unterschei-

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dungsfähigkeit der dianoetischen Seele angesprochen. Das Problem, wie die Seele als eine und selbige in der Lage sei, einerseits konträre, andererseits komplexe, die Zuständigkeit des einzelnen Sinnes und damit auch der an die αίσθησις gebundenen φαντασία überschreitende Eigenschaften zu unterscheiden, scheint ebenso defektiv nur auf der Ebene der Sinnlichkeit gedacht wie der auch nach allgemeiner Auffassung unvollständige Vergleich ώσχερ δβ ό άήρ κτλ. (431« 17). In der Forschung hat der Abschnitt 431*21/bl hauptsächlich zwei entgegengesetzte Auslegungen erfahren: Die eine geht wohl auf NEUHÄUSER37 zurück und wird besonders von HAMLYN38 vertreten. Die andere ist diejenige von Ross. Nach der ersteren Theorie soll και ταϋτα (*22) τό γλυκύ und τό θερμόν bedeuten. Sie seien 8v auf analoge Weise, d.h. in ihren Beziehungen zu den entsprechenden, gleichfalls geeinten Sinnesvermögen. Der Zahl nach seien sie (d.h. ταϋτα) eins, insofern sie Eigenschaften ein und derselben Sache seien. Für die Deutung von έκεϊνα gibt es nach diesem Vorschlag zwei alternative Möglichkeiten: a) 'weiß' und 'schwarz'; b) 'bitter' und 'kalt' (als opposita von 'süß' und 'warm'). HAMLYN glaubt freilich, hinter έκβΐνα verberge sich ein Hinweis auf eine Erwähnung der betreffenden Sinne, die in dem durch die Lücke verlorenen Abschnitt gestanden haben müsse. Aufgrund dieser Prämissen versteht HAMLYN den Text folgendermaßen: Aristoteles sage, es mache keinen Unterschied, ob die Gegenstände der Sinne bloß verschieden, oder ob sie 'opposita' seien. Sie müßten eine Einheit darstellen. Wie die Gegenstände Α und B, so müßten sich auch die Sinneswahrnehmungen C und D zueinander verhalten. Mit έναλλάξ sei dann eine Analogie mit vertauschten Gliedern gemeint: A : C :: Β : D. Nun können Α und Β zu ein und demselben όχοκβίμβνον gehören, so daß man sagen kann, sie seien numerisch (αριθμώ) eins, aber dem Sein nach verschieden. Dasselbe treffe auch für die Wahrnehmungen C und D zu, so daß man von 'numerisch einer Perzeption mit verschiedenen Formen der Äußerung'39 sprechen könne. Dasselbe gelte auch für andere Sinneswahrnehmungen. Es mache keinen Unterschied, ob Α und Β entgegengesetzte oder bloß verschiedene Eigenschaften seien40. Ross entwickelt folgenden, von ihm selbst als 'tentative interpretation' bezeichneten Lösungsvorschlag41: Ein einziges Erkenntnisvermögen ver37 J. NEUHÄUSER, Aristoteles' Lehre von dem sinnlichen Erkenntnisvermögen und seinen Organen, Leipzig 1878, 53/60. 38

HAMLYN 147 (zu 431 , 20).

39

HAMLYN a.O.147: "...numerically one faculty of perception with different manifestations. " 40

Vgl. auch 426 b 29ff. De sensu 449 a 3ff.

41

ROSS 305 (zu 431»20/ b l).

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halte sich gewissermaßen neutral zwischen zwei perzeptiblen Qualitäten und bilde damit eine Art 'Grenze' zwischen ihnen. Die beiden Eigenschaften (z.B. Süße und Hitze) seien per analogiam geeint, d.h.: süß verhalte sich zu bitter wie heiß zu kalt. Ferner seien sie eins der Zahl nach, d.h. als Attribute eines und desselben Subjektes. Sie stünden zueinander in eben demselben Verhältnis wie jene anderen, also bitter und kalt, zueinander; denn wie könne die Frage, wie die Seele zwischen zwei heterogenen Qualitäten unterscheide, wohl schwieriger zu beantworten sein als diejenige, wie sie zwischen homogenen konträren Qualitäten differenziere? Die textlichen Änderungen, die Ross vornehmen muß, um seinen Vorschlag auf eine sinnvolle Grundlage zu stellen, sind im Kommentar a.O. dargelegt. Sie sind im wesentlichen heute als notwendig anerkannt. Lediglich das 431a23 hinzugefügte έκάτερον würde die andere Deutung ebenso empfindlich stören, wie es für die von Ross angebotene Lösung notwendig ist. Die oben beschriebene auslegungsgeschichtliche Situation ist dadurch gekennzeichnet, daß HAMLYN glaubt, die vier Glieder der Proportion setzten zwei Qualitäten und zwei Sinneswahrnehmungen in eine wechselseitige Beziehung, während Ross der Meinung ist, die vier Terme der Analogie bezeichneten vier Qualitäten, von denen zwei homogen und konträr und zwei heterogen sind42. Er kann sich dabei auf die Parallele des zweiten Kapitels berufen43. Dem Verständnis der Stelle dürfte es sicher förderlich sein, wenn man diese von Aristoteles selbst durch die Bemerkung εϊρηται μέν και πρότερον ins Spiel gebrachte frühere Behandlung derselben Thematik 426b10ff. heranzieht, zumal dieser Text gerade in jüngerer Zeit viel kritische Aufmerksamkeit gefunden hat44. Es ist aber zugleich auch zu bedenken, daß mit λεκτέον δέ και ωδε einmal sich anzudeuten scheint, daß es sich hier im siebten Kapitel doch um eine von der früheren Auffassung entweder ganz oder teilweise abweichende Darstellung handelt, und daß zum anderen dieser Neuansatz Notwendigkeit für sich beanspruchen könne. Wägt man nun ab, welche der beiden für 431"20ff. angebotenen Interpretationen die größere Wahrscheinlichkeit für sich hat, so dürfte die Erklärung von Ross vorzuziehen sein. Sie zeichnet sich zudem durch größere Ökonomie aus; denn einmal muß sie nicht wie HAMLYNS These auf die doppelte Voraussetzung a) der Existenz einer lacuna und b) eines Verweises von έκεΐνα 4 5 auf ein Bezugswort, das in der Lücke gestanden 42

Die Position von Ross kommt deijenigen RODIERS nahe. Vgl. RODIER 519, bzw.

501. 43

426 b 10/14.

44

Vgl.0.37. Vgl. auch Ch. KAHN, Sensation and Consciousness in Aristotle's Psychology, in: Archiv f.Geschichte der Philosophie 48, 1966, 55. 45

431 »23.

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haben soll, zurückgreifen und somit vollkommen spekulative Prämissen annehmen. Zum anderen bedarf es nach den Ausführungen von O S B O R N E 4 6 der Identifikation von C und D mit den einzelnen speziellen Sinnen gar nicht, um diese ins Spiel zu bringen. Sie sind in ihren αισθητά bereits präsent, weil ihre ένέργεια sich ja nur in der ένέργεια der Wahrnehmungsgegenstände erfüllt. So bleibt am Ende die zentrale Frage: Worin besteht denn der Grund für die Einführung dieser bereits früher behandelten Problematik. Welche Notwendigkeit zwingt Aristoteles, hier den Gedanken wieder aufzugreifen. Kein Interpret hat diese Frage bisher auch nur zu stellen versucht. Und dennoch dürfte von ihrer Beantwortung das Verständnis des Kapitels abhängen. Da es in dem gesamten Abschnitt um die Grundlegung der Praxis geht, ist wohl die Vermutung nicht fehl am Platz, daß Aristoteles mit den Ausführungen 431*17/bl letztlich den Nachweis zu führen beabsichtigt, daß die Seele nie ohne φάντασμα denkt. Notwendige Bedingung für diese dianoetische Tätigkeit der Seele ist offenbar die Einheit der Seele und die Einheit des Gedachten, die beide in Analogie zur Wahrnehmung gesehen werden. Die Rolle, die dabei dem φάντασμα zufällt, ist zwar nicht näher erläutert. Durch seine Ablösbarkeit von der zugrundeliegenden αΐσθησις aber kann es eine Vermittlerfunktion zwischen νόησις und αΐσθησις übernommen haben, insofern es eine Simultaneität von heterogenen oder konträren, homogenen Vorstellungen ermöglicht, zugleich damit aber auch einen Weg eröffnet, diese Vorstellungen zu denken. Dieses Denken ist ein Auseinanderlegen (κρίνβιν) der Unterschiede des zugleich Vorliegenden. Den entscheidenden Schritt in Richtung auf die Praxis tut Aristoteles 431 b 2ff. Der Kern der Aussage läßt sich in drei Sätzen beschreiben: (1) Das Denkvermögen47 denkt die είδη in den φαντάσματα. (2) Dem Denkvermögen ist in den φαντάσματα zugewiesen, was es begehren, bzw. meiden soll. (3) Das Denkvermögen wird auch außerhalb der Wahrnehmung, d.h. außerhalb der unmittelbaren Präsenz des Wahrnehmungsgegenstandes bewegt, zum Handeln bestimmt. Der mit olov anschließende Satz führt ein Beispiel ein. Worin aber besteht dieser spezielle Beispielcharakter? Mithilfe der Wahrnehmung wird zunächst das Feuer wahrgenommen, als κοινόν αϊσθητόν nimmt die Seele wahr, daß dieses Rötliche, das offenbar Feuer ist, bewegt wird. An dieser Stelle geselle sich, so meinte Simplikios, zur Wahrnehmung der Begriff des Signalfeuers und führe so die Erkenntnis herbei, daß der Feind nahe. Die entscheidende Einsicht ist damit freilich, wie wir glauben, verkannt; denn gezeigt werden soll doch gerade, daß das Denken (der Begriffe) sich 46

ClassQuart 33, 1983, 401/411; bes. 405/408. Vgl. dazu o. 23ff.

47

μέν ο δ ν ist hier wohl prospektiv zu deuten; vgl. DENNISTON 473.

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im Medium der φαντάσματα vollziehe. Wenn das Paradeigma also seiner in der Konjunktion ο to ν angedeuteten Funktion gerecht werden soll, so muß a) deutlich werden, daß der das Zeichen des Signalfeuers Empfangende die Begriffe 'Signalfeuer', 'Zeichen', 'Feind' in und vermittels φαντάσματα denkt. Erst diese Vorstellungsbilder, Residuen früherer Wahrnehmungen, verbinden die unmittelbare Wahrnehmung der geschwungenen Fackel mit dem Begriff des Feindes oder, ganz allgemein, der Gefahr. Ohne das Medium des φάντασμα wäre die Vereinigung von Begriff und αίσθημα nicht möglich. Φαντάσματα verbürgen als Garanten der Kontinuität des Bewußtseins das Zustandekommen der Erkenntnis, die in dem Satz zum Ausdruck kommt: "Dies ist ein Signalfeuer, das mir die Ankunft des Feindes ankündigt!" So ist der angedeutete Einzelfall als ein Beispiel ausgewiesen, das für den oben mit (1) bezeichneten Satz steht. Dem durch die Konjunktion ausgedrückten Anspruch, als Beispiel für die b 2 ausgesprochene Sache zu stehen, wird das Fackelparadeigma aber wohl auch noch in anderer Weise gerecht, die allerdings nur implizit mitgedacht ist und nicht eigens zur Ausführung kommt. Das Bedrohliche der Nähe des Feindes, das in der Vorstellung begegnet, vermittelt dem Empfänger des Zeichens das φευκτόν, das ihm bestimmend zugemessen ist, bzw. das διωκτόν, das sich für ihn daraus ergibt. Diese Komponente des Beispiels ist selbstverständlich; denn Flucht oder Gegenwehr stellen ja die Reaktionen dar, die vom Zeichengeber intendiert sind. Sie zu ermöglichen, ist der eigentliche Zweck des Signalfeuers. Damit gibt der Einzelfall auch für (2) ein Beispiel. Wie oben bereits dargelegt, ist das Denken gebunden an das nach dem Vergehen des unmittelbaren Wahrnehmungsbildes verharrende φάντασμα, das sich mit bedrängender Präsenz dem νοητικόν aufdrängt. Dieser Zug entspricht der Komponente (3) der Aussage b 2f. Befremdlicherweise schließt der nächste Satz mit der recht unverbindlich klingenden Konjunktion 5τε an. Man hat aber zu berücksichtigen, daß das Fackelparadeigma einen Fall bezeichnet, den man in das von Aristoteles b8 entwickelte Zeitraster einordnen kann, indem man λογίζεσθαι και βουλεύεσθαι τά γενόμενα πρός τά καρόντα (oder umgekehrt) formuliert. Es wäre also möglich, daß Aristoteles die beiden Dimensionen aufzeigen möchte, in denen φαντάσματα auf das Handeln bezogen sind: in der Vergegenwärtigung von aus der Vergangenheit entlehnten Vorstellungen und in der im Folgenden beschriebenen Weise. Bisweilen nämlich - so heißt es 431b6 - wägt man anhand der Vorstellungen oder Gedanken in der Seele, gleichsam schauend, die Zukunft an der Gegenwart ab und geht planend mit sich zu Rate. Stellt man fest, daß dort das ήδύ oder auch das λυπηρόν wartet, so wird man hier entweder dieses meiden oder jenes verfolgen. Seit der Antike ist die Bedeutung der beiden Ortsbestimmungen umstritten. Seit Simplikios ist die Auffassung belegt, der hier indizierte Gegensatz

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sei deijenige von Sinnlichkeit und Denken. Gestützt wird diese Auffassung durch die nur in der αΐσθησις sinnvolle Verwendung von ήδύ und λυπηρόν als Zwecken der entsprechenden Verhaltensweisen. Zu außerordentlichen Schwierigkeiten führt sodann aber das zweite Koordinatenpaar, μέλλοντα und παρόντα. Wie sollen sich Sinnlichkeit einerseits und Denken andererseits zu Zukunft und Gegenwart fügen? Immerhin ist der eben angeführte korrespondierende Gebrauch der Ortsadverbien gut aristotelisch und durch Texte wie metaph. 990b34/991*l4i belegt, wohingegen zeitliche Bedeutung für ένταΰθα zwar häufiger, für έκεϊ dagegen selten49 nachgewiesen ist. Es ist freilich zu fragen, ob denn hier wirklich eine zeitliche Bedeutung unbedingt gefordert ist. Ένταΰθα und έκεϊ können nämlich, - und das ist gleichfalls gut aristotelisch - logisch gliedernd, das Nähere und das Fernere bezeichnen50. Dann entfällt die eben skizzierte Schwierigkeit. Evidenter noch als im Fackelparadeigma zeigt sich hier, wie sehr das Denken auf die Vorstellung angewiesen ist; denn das einzelne zukünftige Angenehme oder Unangenehme kann man nicht wissen, aber ebensowenig auch anschauen. So bleibt nur die Möglichkeit der vorausgreifenden Imagination, die in Vertretung der Anschauung das gegenwärtige Verhalten bestimmt. Die Worte και όλως έν πράξει werden von Ross u.a. als και όλως εν πράξει gelesen. Die geringfügige Änderung würde πράξει in eine Verbform umdeuten. Für 6v müßte die Funktion 'eines von beiden' angenommen werden, was bereits größere Bedenken auslösen dürfte. Wir halten jedoch die Lesart der Handschriften für die wahrscheinlichere; denn einmal scheint άνευ πράξεως formal auf έν πράξει bezogen zu sein. Zum anderen hat gerade an dieser Stelle die Verallgemeinerung des Resultates, nämlich des Angewiesenseins der Handlung auf die φαντασία βουλευτική eine besondere Bedeutung. Die bestimmende Rolle der φαντάσματα für die νόησις fände eine Entsprechung in einer ebenso zentralen Stellung der φαντάσματα im Reich der πράξις. Eine leichte sprachliche Schwierigkeit sei allerdings nicht verschwiegen: Im Text fehlt das für den Sinn nicht ganz unerhebliche οΰτως oder ωσαύτως - ,ein Defekt, der allerdings nicht zu schwer wiegen dürfte. Bemerkenswert ist die Methode, die Aristoteles in dieser Argumentation verfolgt: Wie so oft, stoßen sich seine Überlegungen ab von einer alltäglichen Verhaltensweise, der sich niemand entziehen kann. Anhand einer Analyse dieser Verhaltensweise, über die auch folglich niemand streitet, weist er ein Verborgenes nach, - in unserem Fall die φαντάσματα als not48 ταύτα Se ένταΰθα οΰσίαν σημαίνει κάκεΐ' vgl. auch 1079*31, wo der Satz wörtlich wiederkehrt. 49

LIDDELL-SCOTT S.V.:

50

Vgl. meteor. 390*Ί4.

"...rarely".

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wendige Bedingung des Denkens und ihr Wirken in der πραξις. Was aber für ήδύ und λυπηρόν in Zukunft im Verhältnis zur Gegenwart gilt, das ist für αγαθόν und κακόν im allgemeinen vorauszusetzen, gilt also ολως εν πράξει, weil Handeln in der vorausgreifenden Wahl eines τέλος und der daraus gewonnenen Ableitung der προς τό τέλος hinführenden Mittel besteht. Warum aber fahrt Aristoteles mit der Bemerkung fort, daß losgelöst von der Praxis das Wahre und das Falsche demselben genus angehörten wie das Gute und das Schlechte? Welche Funktion hat schließlich die nach HAMb LYN 5 1 vollkommen isolierte Schlußsequenz 1 2 / 1 9 ? Leider haben die Kommentatoren es stets versäumt, diese für die Kohärenz der Argumentation nicht unerheblichen Fragen zu stellen. Ausgehend von der Praxis, für die Aristoteles durch das Fackelparadeigma und vor allem durch die nachfolgende Feststellung die Bedeutung der φαντάσματα sichergestellt hat, scheint er nunmehr die Wirkung der φαντάσματα auf die Theorie zu bedenken. Das Verhältnis von wahr und gut, bzw. von falsch und schlecht wird 431b10 als Zugehörigkeit zu einer einheitlichen Gattung bestimmt. Der spezifische Unterschied besteht darin, daß αληθές und ψευδός schlechthinnige Geltung beanspruchen, während άγαθον und κακόν in ihrer Geltung auf einen Willen, der sie verfolgen oder meiden kann, eingeschränkt sind. Die 431b12 anschließenden Ausführungen werden von den Interpreten im allgemeinen als isolierte Gedanken angesehen52, die mit ihrer Umgebung in keinerlei erkennbarem Zusammenhang stehen53. Kommentatoren wie H I C K S oder RODIER schweigen zu der Frage der Kohärenz. Vielleicht liegt dies daran, daß man zunächst den Zusammenhang 43i b 12 als unterbrochen ansah und sodann die weitere Suche nach gedanklicher Kohärenz aus verständlichen Gründen, aber vielleicht dennoch zu vorschnell aufgab. Wir verfolgen einen anderen Weg. Sieht man von der auf spätere Behandlung verweisenden Überleitung 431b17 ab, so stellt der unmittelbar voraufgehende kurze Satz ολως δέ ό νους έ σ τ ί ν ό κατ' βνέργειαν τα πράγματα seinem Gewicht zufolge den eigentlichen Schlußsaiz dieses Kapitels dar. Das einleitende Adverb ολως nimmt verallgemeinernd auf die vorausgehende Darstellung Bezug und deutet somit bereits formal einen argumentativen Zusammenhang an. Blickt man nun water zurück, so stößt man auf Ausführungen zur Abstraktion. Durch das Verfahren der άφαίρεσις gelingt es, aus μορφή und ΰλη Zusammengesetztes unter bewuSter Absehung von seiner Materialität als bloße Form zu Gesicht zu bekommen. Das Beispiel des σιμον beschreibt die Verfahrensweise mit wünschenswerter Genauigkeit, Eine solche 51

52

(zu 43lfc12). S. die vorige Anm

HAMLYN 3.48

ö ROSS, .ed.auu. 303. HAMLYN 14S a.a.O.

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Abstraktion liegt dann vor, wenn man σιμότης nicht als solche, sondern als κοιλότης betrachtet. So konstruiert das Denken die mathematischen Gegenstände, indem es sie, die nicht κεχωρισμένα sind, wie κεχωρισμένα denkt, sooft es sie denkt. Durch die ένέργεια des Denkens also produziert das Denken seine πράγματα. Die verallgemeinernde Bemerkung des Schlußsatzes dehnt diese für die Mathematik charakteristische Verfahrensweise auf das Denken schlechthin aus54. Der Nebensatz δταν vofj έκεΐνα ist von zentraler Bedeutung, weil er die in der Verallgemeinerung als einschränkende Bedingung erscheinende ένέργβια ausdrückt. Die Frage, ob auch eine Anbindung der Ausführungen zur Abstraktion (431b12) an die ihnen vorausgehende Darstellung möglich ist, harrt noch ihrer Beantwortung. Denkbar wäre ein Versuch des Aristoteles, mithilfe der Überlegungen zur Abstraktion das schwierige Verhältnis von wahr und gut, bzw. von falsch und schlecht zu erläutern. In der Tat werden wahr und falsch als άνευ πράξεως und als schlechthin geltend bestimmt (431b10), während gut und schlecht auf κραξις und auf den Handelnden bezogen sind. Aber trotz aller Ähnlichkeit entsprechen sich die beiden Begriffspaare einander nicht genau, wenn anders unsere Auslegung des Kapitelschlusses das Richtige getroffen hat; denn des Wahren wird man wohl kaum durch eine Abstraktion von der Praxis ansichtig. Wie aber, wenn das den Text Zusammenschließende etwas ganz anderes wäre? Wenn es um das ginge, was beide Weisen des Erkennens, den theoretischen und den praktischen νοος, verbindet, nämlich die 431b7 genannten φαντάσματα als Medium des Denkens? Noch einmal greifen wir auf den 431b2ff. dargelegten Sachverhalt zurück: Bisweilen - so heißt es b6 - denkt und erwägt der Erkennende55 durch die in seiner Seele bestehenden φαντάσματα oder νοήματα, gleichsam sehend, das Zukünftige im Vergleich zum Gegenwärtigen. Wenn hier von Vorstellungsbildern oder Gedanken die Rede ist, so ist oder einschließend gemeint. Die Wahrnehmung der σιμότης muß gewissermaßen ein Vorstellungsbild entstehen lassen, dessen Grenze zum Gedanken, zum νόημα, fließend ist. Es entspricht der Mittelstellung der φαντασία zwischen αϊσθησις und νόησις, daß ihre Produkte im Hinblick auf erstere als φαντάσματα und im Hinblick auf letztere als νοήματα erscheinen. Die letzten Zeilen des Kapitels stellen die Frage, ob es denn dem nicht seiner Ausdehnung entäußerten νους überhaupt möglich sei, einen Gegenstand zu denken, der selber ein κεχωρισμένον sei, und verweist für die Beantwortung dieser Frage auf einen späteren Zeitpunkt. So können auch 54 Während wir mit HAMLYN den Zusatz von η 431 b 16, den BONITZ für unabdingbar hielt, als überflüssig ansehen, scheint uns die von Ross vorgenommene Hinzufügung von ό ν τ α ebd. sprachlich notwendig. 55

Subjekt zu λ ο γ ί ζ ε τ α ι und βουλεύεται dürfte irgendein Erkennender sein, entsprechend zu b 5 ο ί ο ν α ί σ θ α ν ό μ ε ν ο ς κτλ.

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wir an dieser Stelle den Versuch einer Auslegung vorläufig abschließen. Da der Zusammenhang des Kapitels aber aus vielen Gründen große Schwierigkeiten bereitet, geben wir eine Zusammenfassung unseres Deutungsvorschlages in der Form einer Übersichtsskizze. Der die gesamte Argumentation beherrschende Leitgedanke ist die These der Identität von Erkennendem und Erkenntnisgegenstand. So steht (1) am Beginn die Behauptung, daß Wissenschaft κατ' ένέργειαν mit ihrem Gegenstand identisch sei. Wissenschaft κατά δύναμιν ist zwar im Individuum früher als ihr Gegenstand. Im Ganzen aber bleibt diese Einschränkung ohne Bedeutung, weil alles der Möglichkeit nach Seiende letztlich aus einem έντελεχβίφ δν herzuleiten ist. Αίσθησις κατ' ένέργειαν ist (2) ebenfalls mit ihrem Gegenstand identisch. Die Art der ένέργεια wird näher bestimmt. (3) Αίσθάνεσθαι ist als ein agere dem φάναι und νοεΐν ähnlich. Verbindet sich aber mit der bloßen Wahrnehmung die Empfindung des Angenehmen oder des Unangenehmen, so scheint die Seele eine Zustimmung oder Ablehnung zu vollziehen, die sich in δρεξις oder φυγή äußert. "Ηδεσθαι und λυχεΐσθαι werden als τό ένεργεϊν τή αισθητική μεσότητι χρός τό αγαθόν ή κακόν, η τοιαύτα definiert. Die ένέργεια von Wahrnehmung ist auf die Präsenz von Wahrnehmbarem eingeschränkt. Die αισθητική μεσάτης wird im Hinblick auf Verlockendes oder Abstoßendes aktiviert. (4) Der dianoetischen Seele stehen die φαντάσματα οίον αισθήματα zur Verfügung. Der Prozeß der Entscheidung für oder gegen etwas auf der Stufe der διάνοια ist an φαντάσματα gebunden, weil sie allein die Dauer der Präsenz des νοητόν als eines φανταστόν gewährleisten. (5) In dem defektiven Vergleichssatz 431*17ff. wird der Weg der Entstehung eines φάντασμα nachgezeichnet, wobei der mit ωσχερ eingeleitete Teil sich auf αΐσθησις bezieht, der fehlende οϋτως-Teil die Ebene der φαντασία erreicht haben dürfte. Der Vorgang wird für δψις und άκοή durchgespielt. Das letzte Zentrum der αίσθησις ist die eine Mitte, in der die Wahrnehmungen zusammenfließen. Sie ist Einheit, aber zugleich dem Sein nach Vieles, Das zuletzt über sie Ausgesagte führt zu der Frage, wie die Seele komplexe Wahrnehmungen unterscheiden könne. - (6) Der Unterscheidungsakt, d.h. also die Praktizierung der Grenzfunktion und damit die Scheidung der φαντάσματα wird vorgeführt bei heterogenen und homogenen πράγματα. Zwischen ihnen besteht die Einheit der Analogie. Da die Dauer der Vorstellungen gewährleistet sein muß, sind φαντάσματα vorauszusetzen. - (7) Der Satz τά μεν ούν είδη τό νοητικόν έν τοις φαντάσμασι νοεί, και ώς έν έκείνοις ώρισται αύτφ τό διωκτόν και φευκτόν (431b2ff.) hat die Funktion einer Zusammenfassung. Hierbei scheint deutliches Gewicht auf die Tatsache gelegt zu sein, daß auch έκτός της αϊσθήσεως das νοητικόν bewegt wird. Die Frage, wie es denn möglich sei, daß in Abwesenheit von Wahrnehmungen das Verlangen ausgelöst werden kann, ist hier spürbar im Hintergrund wirksam. - (8) Fackelparadeigma: Man sieht den Lichtschein und die Bewegung und verbindet damit

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'Feind'. Im Bild der geschwenkten Fackel denkt man den Begriff 'Feind'. (9) 431b7/10: λογίζεται και βουλεύεται τα μέλλοντα προς τά παρόντα' και οταν είπη ώς έκεϊ τό ήδϋ ή λυπηρόν, ένταϋθα φεύγει ή διώκει-καϊ όλως έν πράξει. Letzteres soll wohl eine Generalisierung auf die gesamte Praxis sein. Es ergibt sich allerdings die Frage, wie die oben zu b5 festgestellte Einschränkung sich zu der durch δλως indizierten Generalisierung verhält.

Achtes Kapitel Die Anfang und Ende des siebten Kapitels markierende Aussage, επιστήμη κατ' ένέργειαν und πράγμα bzw. ό νοΰς ό κατ' ένέργειαν und πράγματα seien identisch, bildet den Beginn der Ausführungen des achten Kapitels1. Die Aussage wird auf die Seele ausgedehnt, was auch keineswegs ohne Vorbild ist, sondern an Stellen wie 409b26/28 gemahnt, wo der Gedanke auf die Verfechter der Lehre von der Erkenntnis des Gleichen durch das Gleiche zurückgeführt wird, d.h. also auf Piaton und Empedokles. Wenn diese Verbindung, die etwa HICKS herausstellt2, unter einer geschichtlichen Perspektive sicher zutrifft, so ist doch festzuhalten, daß Aristoteles den genannten Grundsatz δμοια όμοίω jedenfalls in der platonischempedokleischen Form zurückweist. Wenn er also in einem zentralen Bereich seiner Psychologie den Satz von der Identität der Seele und der πράγματα aufstellt, eine These, die der Auffassung der oben genannten Denker sehr nahekommt, so darf vorausgesetzt werden, daß die Basis, auf die sich Aristoteles stützt, eine radikal andere ist. In diesem Zusammenhang ist die genaue Bedeutung von συγκεφαλαιώσαντες nicht ohne Gewicht. Simplikios3 wollte dem Wort mit der Begründung, der nachfolgende Text enthalte kein R6sum6 der voraufgegangenen Darlegungen, den Sinn von συμπληρώσαντες geben. RODIER, der sich der Argumentation des Simplikios anschließt, weist auf synonyme Formulierungen wie τέλος bzw. Κολοφώνα oder κεφαλήν έπιθεΐναι bei Piaton hin4. Ebensowenig dürfe man εϊπωμεν πάλιν (*>21) den Sinn 'aufgreifen' 5 , 'wiederholen' geben. Für πάλιν sei vielmehr die von BONITZ Ind. Ar. 559b13 notierte Bedeutung einer Progressivpartikel zu unterstellen6. HICKS und Ross lehnen diese Interpretation strikt ab. Ersterer sieht keinen Grund für die Unterstellung von Sonderbedeutungen für συγκεφαλαιώσαντες und πάλιν und weist vor allen Dingen TRENDELENBURGS Vermutung zurück, Aristoteles knüpfe mit πάλιν gewissermaßen ohne Vorbehalte an Piaton oder Empedokles an7. Ross erklärt σογκεφαλαιώσαντες als ingressiven Aorist, bestreitet also den zusammenfassenden Charakter des Abschnitts nicht und glaubt, aus der Wahl des Tempus herauslesen zu müssen, daß das R6sum£ hier allererst beginne8. HAMLYN 1

431 b 20/21: Növ 8e, περί ψ υ χ ή ς τα λ ε χ θ έ ν τ α σ υ γ κ ε φ α λ α ι ώ σ α ν τ ε ς , ε ΐ π ω μ ε ν π ά λ ι ν δ τ ι ή ψ υ χ ή τα ό ν τ α πώς έ σ τ ι π ά ν τ α ' 2

HICKS 543 (zu 431 b 21).

3

280,11.

4

Plat. leg. 707 C; 957 B; Gorg. 505 D; Pol. 277 B; Phileb. 66 D etc.

4

RODIER 520 (zu 431 b 20).

6

"Omnino progressum in narrando enumerando quaerendo

7

TRENDELENBURG 437 (zu 431 b 21).

8

Ross 308 (zu 431 b 20).

signifiedt."

Achtes Kapitel

141

schließlich stellt den zusammenfassenden Charakter des achten Kapitels zwar nicht in Abrede, hält es aber für fragmentarisch, unzusammenhängend und unfertig9. Sein Haupteinwand richtet sich gegen die für eine Zusammenfassung viel zu frühe Stelle im Rahmen des Buches. So seien Zweifel an der Authentizität des Kapitels mindestens im Rahmen der Schrift De anima angebracht. Wenn heutzutage auch niemand mehr daran zu denken scheint, den resümierenden Charakter des Kapitels in Frage zu stellen, so trifft man in keiner Arbeit und vor allem in keinem Kommentar auf eine zureichende Begründung für den zu beobachtenden Sinneswandel der Forschung. Dieser erstaunliche Befund und die im Raum stehenden Zweifel an der Echtheit des Kapitels veranlassen uns zu einer Prüfung der Frage, ob das achte Kapitel wirklich als Zusammenfassung bezeichnet werden kann. Diese Untersuchung müßte zugleich die Bedingungen der Notwendigkeit einer Zusammenfassung an der Stelle der Argumentation ans Licht fördern, an der das achte Kapitel seinen Platz hat. Eine unmittelbare Konsequenz dieser Überlegungen wäre im Falle des Gelingens des geforderten Nachweises die Verteidigung der Authentizität des Textes im Gefüge des dritten Buches von De anima. Bereits die erste dieser Fragen wurde in der Vergangenheit niemals konsequent bedacht, woraus sich auch die eigentümliche Unsicherheit der Forschung erklärt, die sich in der Abgabe nicht zureichend begründeter Voten niederschlägt. Was also - so fragen wir, diese Frage entfaltend, - wird in der durch σογκεφαλαιώσαντες angedeuteten Weise zusammengefaßt? Auf welchen Kontext bezieht sich genau die Zusammenfassung? Wie wird der zu eruierende Sachverhalt zusammengefaßt? Es scheint geraten, bei der Beantwortung dieser Fragen vom Inhalt dessen auszugehen, was sich als συγκεφαλαίωσις darstellt, d.h. also: "...öxi ή ψυχή τά δντα πώς έστι πάντα." 10 Der überraschendste Zug dieses Ergebnisses, mit dem es über alle bisherigen Aussagen zur Identität von Erkenntnisvermögen und Erkenntnisgegenstand hinausgeht, besteht in der Universalität (πάντα!) der Aussage. Sie ist zwar 431 "Iff. und 417b31ff. unausgesprochen gegenwärtig, kommt aber nach Art einer Zusammenfassung, die nicht nur bereits Geklärtes wiederholend aufgreift, sondern weiterführend erläutert, 431b21 zur Sprache. Die δντα bestehen in ihrer Gesamtheit nach b22 aus zwei Gruppen, den αισθητά und den νοητά. Diese Teilung ist offensichtlich hier vollständig gemeint und läßt kein Drittes zu. So gliedert sich die eingangs zitierte Identitätsthese 431b22 in zwei Untersätze: έστι δ' ή έπιστήμη μέν τά έπιστητά πως und ή δ' αΐσθησις τά αισθητά. Die Frage πώς δε τοδτο, δει ζητεϊν stellt einen verfahrenstechnischen Hinweis dar, der die Funktion der anschließenden Ausführungen bestimmt.

9 10

HAMLYN 1 4 9 : B

431 21.

"...rather scrappy and crude."

Achtes Kapitel

142

Im Anschluß an Gedanken vom Beginn des siebten Kapitels rekapituliert der folgende Satz 431b24/25 die Analyse von έκιστήμη und αίσθησις im Hinblick auf Erkenntnissubjekt und Erkenntnisgegenstand einerseits und im Hinblick auf Potentialität und Aktualität andererseits. Wenn HAMLYN a.O. fragt: "Why must the potential correspond to the actual in this way and what is the significance of the corespondenceV, so ist daran zu erinnern, daB die 'geometrische' Darlegung dieses Sachverhaltes Ergebnisse rekapituliert, die 425b26ff. und 431*lff. mit wünschenswerter Ausführlichkeit behandelt wurden. Da erst das Zusammentreffen eines αΐσθητόν und eines αίσθητικόν eine αίσθησις κατ' ένέργειαν erzeugt, scheint die Frage nicht mit Bedacht gestellt. Der nächste Schritt der Auslegung besteht in der Klärung der durch das Adverb κώς bezeichneten Einschränkung der Identifikation. Die Hinsicht, unter der allein von Selbigkeit gesprochen werden kann, kommt also hier zur Sprache. Da der Stein nicht als ein σύνθετον" in der Seele sein kann, sondern nur als είδος, ist die Identifikation auf dieses zu beziehen. Aus eben dieser Tatsache, daß Seele und είδος zu ein und demselben verschmelzen, zieht der Text eine Konsequenz, die mit ώστε angeschlossen wird12. Es folge daraus, daB es sich mit der Seele ähnlich wie mit der Hand verhalte; denn die Hand sei όργανον όργάνων, der νοΰς aber sei είδος ειδών und die αίσθησις endlich sei είδος αισθητών. HAMLYN deutet die Wendung όργανον όργάνων sicher zutreffend als 'tool of tools', versteht sie aber vielleicht in einem allzu begrenzten Sinn: Sie werde gebraucht, um Werkzeuge zu führen13. Obwohl die Intention des Bildes im großen nicht unklar bleibt, ist doch die genaue Bedeutung des Vergleichs problematisch14. Angesichts dieser Unklarheit ist der Text als einzige verläßliche Grundlage einer erneuten Prüfung zu unterziehen; denn auch die Übersetzungen weichen in einigen, vielleicht nicht unwesentlichen Punkten voneinander ab. Der zu diskutierende Satz ist der Anm. 12 zitierte ώστε ή ψυχή ώσπερ ή χείρ έστιν κτλ. Zuerst und vorab wird eine gewisse Gleichheit von Seele und Hand ausgesprochen. Diese Gleichheit ist keine Selbigkeit sondern eine Gleichartigkeit, Ähnlichkeit: Die Seele ist (oder verhält sich) ähnlich wie die Hand. Die durch ώσπερ indizierte Gleichheit ist nun aber nach metaph. 1018Ί5 und 1054b3ff. vieldeutig. Es ist zu fragen, um welche der verzweigten Bedeutungen von όμοιότης es sich bei dem Vergleich denn handelt. Als Hypothese schlagen wir die Deutung dieser Gleichheit als Analo11

Das Wort selbst erscheint hier nicht. 12 432"l: ώστε ή ψ υ χ ή ωσκερ ή χ ε ί ρ έ σ τ ι ν - και γάρ ή χ ε ι ρ δ ρ γ α ν ό ν ό ρ γ ά ν ω ν , και ό ν ο ΰ ς ε ΐ δ ο ς ε ΐ δ ω ν και ή α ΐ σ θ η σ ι ς ε ί ί ο ς α ι σ θ η τ ώ ν . 13

14

HAMLYN

έστιν

149.

HAMLYN meint: "...but the parallel between this and the form offorms provides elegance than illumination." (Vgl. a.O).

more

Achtes Kapitel

143

gie der Funktionen vor, als jene ίσότης λόγων, die Aristoteles in den zoologischen Schriften häufig in Anspruch nimmt (Kiemen - Lungen z.B.) Auf diese Funktionsanalogie könnte die Formulierung δργανον οργάνων Bezug nehmen. Es fragt sich allerdings, ob dies, wie man vermuten könnte, nur unter der (zweifelhaften) Voraussetzung möglich wäre, daß δργανον auch in übertragenem Sinn zu verwenden wäre. Eben dieser übertragene Sprachgebrauch aber ist bei Aristoteles nirgends belegt. Simplikios, dessen Stimme immerhin nicht überhört werden sollte, negiert ausdrücklich, daß die Seele ein δργανον sei is . Dennoch muß trotz der genannten Gegengründe der Gesichtspunkt der Funktionalität als Richtschnur der Deutung beachtet und festgehalten werden. Der folgende Satz wird durch καί, kombiniert mit der Partikel γάρ, eingeleitet und soll demnach doch wohl den Vergleich erläutern und begründen. In diesem kausalen Satzgefüge aber wird, wie bereits gesagt, die Hand als δργανον όργάνων bezeichnet. Bedenkt man, daß das δργανον nach part. anim. 645b14 als Mittel zur Erlangung eines Zweckes bestimmt ist, also die Funktionalität der Hand hervorgehoben wird, so liegt es nahe, daß Seele und Hand im Hinblick auf ihre jeweiligen Funktionen verglichen werden, und daß das Ergebnis dieses Vergleiches in den analogen paronomastischen16 Formeln 'δργανον όργάνων' und 'είδος ειδών' seinen Niederschlag findet. Da δργανον offenbar nicht in einer die Sphäre des Somatischen und die Psyche überformenden Bedeutung herangezogen werden kann, ist die durch ωσχερ bezeichnete Gleichheit nur durch eine Analogie zu fassen: Wie die Hand als oberstes δργανον sich zu den übrigen δργανα verhält, so verhält sich die Seele als oberstes είδος zu den vielen βΐδη, mit denen sie eins wird17. Zur Klärung der wichtigen Frage, wie die beiden folgenden Kola des Satzes mit dem bisher betrachteten ersten Kolon inhaltlich verknüpft sind, empfiehlt sich eine Untersuchung der drei den Satzbau regulierenden Konjunktionen καί. Das erste καί ist in Verbindung mit der Kausalpartikel γάρ mit 'denn...auch' wiederzugeben18; die beiden anderen καί sind eng aufeinander bezogen und sind 'sowohl als auch' oder einfach reihend 'und...und' zu übersetzen. Die beiden Erkenntnisvermögen νοϋς und αΐσθησις stehen für die Seele. Entschließt man sich, das erste καί (γάρ19) 15

282,13/17.

16

Nur der Form nach sprechen wir von 'Paronomasie'. Die Verbindungen sind inhaltlich jeweils klar aufeinander bezogen und nicht bloße Bedeutungssteigerungen im Sinne der Paronomasie. 17 Zu der terminologischen Inkonsequenz (είδος ειδών statt είδος νοητών neben είδος αισθητών) vgl. THEILER 148f., der die Forschungslage gut wiedergibt. 18

και γάρ bilden eine sehr eng miteinander verbundene Gruppe. Vgl. dazu DENNISTON

307. 19

307).

καί...γάρ bilden eine sehr eng miteinander verbundene Gruppe (vgl. DENNISTON

Achtes Kapitel

144

mit 'denn auch' zu übersetzen, so würde sich die Möglichkeit eröffnen, die Struktur der Zweckmäßigkeit, die für die Hand vindiziert wird, implizit auch für die Seele anzunehmen. Aber auch ohne diese 'responsive' Deutung des ersten καί 2 0 folgt aus der den Satz einleitenden Kausalpartikel γάρ, wie oben dargelegt, und den drei konnektiv verwendeten Partikeln καί, daß hier an eine Gleichheit der Funktion gedacht ist. Wenn wir das Argument richtig verstehen, ergibt sich die folgende Analogie: Die Seele verhält sich zu den είδη wie die Hand zu den όργανα. Da nun das όργανον nach part. anim. 645b14 dadurch bestimmt ist, daß es um der Erlangung eines Zweckes willen besteht, kann die Formel όργανον όργάνων nur bedeuten, daß die Hand nicht nur andere Werkzeuge führt, sondern das Instrument ist, dessen sich die Seele bei der πραξις bedienen kann und das sie in der von der φύσις bereitgestellten Ausstattung der menschlichen Natur vorfindet21. So ist die Hand neben dem νοΰς πρακτικός die eine grundlegende Bedingung von πραξις. Sprachlich wird diesem Sachverhalt die paronomastische Genetivkonstruktion gerecht, die steigernd wirkt22. Wenn die Hand aber als 'Organ der Organe' oder als 'Werkzeug der Werkzeuge' bezeichnet wird, so muß sie in jemandes Dienst stehen als die vermittelnde Mitte zwischen demjenigen, von dem sie geführt wird, und demjenigen, das sie selbst 'handhabt'. Dieses sie Führende kann nur der bereits angesprochene νους πρακτικός sein, der natürlich ein Vermögen der Seele ist. Vielleicht wird in diesem Zusammenhang auch die Funktion der begründenden Partikel 'γάρ' deutlich. Sie leitet die Erklärung der These von der Gleichheit der Seele und der Hand ein: "...denn auch die Hand ist Werkzeug der Werkzeuge, und der νοΰς ist είδος ειδών, und die Wahrnehmung είδος αισθητών." Dieser Satz wird also ausdrücklich als Begründung für die Behauptung der Gleichheit der beiden benutzt. Die Annahme der in der Zusammenfassung ausgesprochenen These, ή ψυχή τα όντα πώς έστι πάντα führt zu der schwierigen Frage, wie denn die όντα mit den Seelenvermögen eins werden können. Davon, daß dies άνευ ΰλης geschehen soll, war schon die Rede. Unklar bleibt freilich, ob es neben den 'sinnlich wahrnehmbaren Größen' (παρά τά μεγέθη τά αισθητά) 23 ein von ihnen losgelöstes τι gibt. Für Aristoteles ist die Frage prinzipiell entschieden, wenn er auch 432*4 ein einschränkendes ώς δοκεϊ einfügt. Die hier angesprochene δόξα bezeichnet gewiß nicht das Festhalten

20

DENNISTON 2 8 9 .

21

Vgl. dazu part. anim. 687M0. 19. 20. 22; b 4.

22

DEBRUNNER

- SCHWYZER

II

700;

E.

HOFMANN,

Ausdrucksverstärkung.

Un-

tersuchungen zur etymologischen Verstärkung und zum Gebrauch der Steigerungsadverbia im Baltoslavischen und in anderen indogermanischen Sprachen. Göttingen 1930 = Ergänzungshefte zu KZ Nr.9. 23

Vgl. THEILERS Übersetzung 62f.

145

Achtes Kapitel

an einer grund- und haltlosen 'Meinung'; sie hält die Frage nur insoweit offen, als der Dialog mit der platonischen Ideenlehre in den Augen des Aristoteles zu dem oben dargestellten Ergebnis zu führen scheint. Weil aber, wie es scheint, nichts neben den 'sinnlich wahrnehmbaren Größen' als ein Abgelöstes besteht, so haben in den wahrnehmbaren είδη die denkbaren ihren Ort24. Was unter den 'denkbaren' Formen zu verstehen ist, wird durch die Apposition τά τε έν αφαιρέσει λεγόμενα και δσα των αισθητών Εξεις και πάθη erläutert. Wie diese Unterscheidung genau zu deuten ist, konnte bis heute nicht zweifelsfrei ermittelt werden25. Immerhin scheint die Verwendung von έν αφαιρέσει λεγόμενα auf die Differenzierung von mathematischen Gegenständen und Gegenständen der Physik hinzudeuten, da άφαίρεσις in diesem Zusammenhang häufig erscheint26 und in der gewohnten Diktion des Aristoteles etwa die σιμότης des Sokrates meint, sofern sie unter Absehung von der Materie κοιλία ist. Mit Εξεις και χάθη των αισθητών wäre dann in dem aristotelischen Modell die σιμότης als in ϋλη eingebettete Befindlichkeit und Eigenschaft der αισθητά gemeint, sofern sie als eine solche und nicht als κοιλία betrachtet wird27. Die beiden, oben durch τέ.,.καί zu einer engen Einheit28 verbundenen είδη των αισθητών stellen also den Bereich dar, in dem νοητά allein vorgefunden werden. Weil somit der Weg der νόησις nur über die αϊσθησις führt, kann unter Verzicht auf Wahrnehmung niemand etwas erkennen oder verstehen29. Die ·9 angeschlossene und wiederum mit dem Voraufgehenden eng verknüpfte30 These, daß man, wenn man etwas erfasse, dies notwendigerweise zugleich mit einem Vorstellungsbild (φάντασμα) erfasse, wird klarer, wenn man auf die Ausführungen des dritten Kapitels zurückgreift.

24 432·3/6: έχει 6έ ούίέ χραγμα ούθέν ίστι χαρά τά μεγέθη, ώς ίοκεϊ, τά αισθητά κεχωρισμένον, έν τοις εϊβεσι τοις αίσθητοΐς τά νοητά έστι, τά τε έν άφαιρέσει λεγόμενα και δσα των αισθητών έξεις και χάθη. 25 Τ Η EILER zitiert Parallelen für den Gebrauch von έξεις και χάθη in einer Bedeutung, die derjenigen von είδη (in Gegenüberstellung zur Materie) ähnelt (vgl. a.O. 149). 26 Vgl. z.B. 429b18. 431b12.

27

Vgl. zu dem gesamten Abschnitt MODRAK 122 Vgl. dazu R . K Ü H N E R / B . G E R T H , Ausführt. Grammatik der griech. Sprache 3.Aufl., Hannover/Leipzig 1904, § 522, 249. 28

II

2,

29 432*7/9: και 8ιά τούτο οότε μή αίσθανόμενος μηθέν ούθέν äv μάθοι ούίέ ξυνείη, όταν τε θεωρη, ανάγκη άμα φ ά ν τ α σ μ α τι θεωρεΐν30

S.o. zu der Bedeutung von τέ.

Neuntes Kapitel Zu Beginn des neunten Kapitels heißt es, die Seele sei im Hinblick auf zwei Vermögen bestimmt, das κριτικόν und das Vermögen der Ortsbewegung1. Da von Wahrnehmung und νοΰς, in denen das κριτικόν besteht, bereits die Rede war, ist nunmehr vordringlich von der Bewegung zu sprechen. Worin die leitende Frage der Untersuchung besteht, wird im Folgenden näher bestimmt: "Es ist in Bezug auf das Bewegende zu untersuchen, was es denn eigentlich sei an der Seele." Dasjenige, was die Körperbewegung bewegt, wird zunächst mit dem Zentrum des Lebens eines Lebewesens, seiner ψυχή, in Verbindung gebracht, diese Verbindung aber noch wenig differenziert mit dem Genetiv des Bereiches wiedergegeben2. Im Hinblick auf eine genauere Fassung des Bewegenden sind zwei alternative Möglichkeiten denkbar: Entweder ist das κινητικόν ein Seelenteil oder es ist die gesamte Seele. Wenn es aber ein Teil der Seele ist, ist es dann ein eigener Seelenteil neben den hinlänglich bekannten und schon genannten, oder ist es einer von ihnen? 432·22 hebt Aristoteles die Selbstverständlichkeit der Alternative 'Teil' 'Ganzes' auf durch den Hinweis auf die Fraglichkeit der Rede vom 'Teil der Seele'. Läßt man sich auf die Prämisse ein, es gebe Seelenteile, so kann man in gewisser Weise ihre Unbegrenztheit der Zahl nach behaupten3. Die herkömmlichen Zwei- oder Dreiteilungen der Seele wurden nach Prinzipien entwickelt, die auch die Ausgrenzung anderer Teile gestatten. Zu denken ist hier vornehmlich an das Plat. resp. 434 D benutzte Prinzip, es sei unmöglich, daß ein Gegenstand zu derselben Zeit in gleicher Lage und Beziehung das Entgegengesetzte tue oder leide. Aristoteles versteht Piatons Prinzip einer Ableitung der Seelenteile als Versuch einer Antwort auf die Frage nach der Abtrennbarkeit der Seelenteile (πότερον χωριστόν κτλ.) 4 . Ihr folgend (wenn auch nicht in in der speziellen Form von resp. 436), gelangt Aristoteles zu unendlich vielen weiteren Seelenvermögen, in die er die Seele einteilen könnte, wenn zuvor die zentrale απορία gelöst wäre, in welcher Bedeutung man denn überhaupt von Seelen teilen sprechen könne, ob sie etwa nur dem Begriff nach (λόγω), oder auch dem Orte nach (τόπω) voneinander getrennt seien. Der aristotelische Beweis für die Abtrennbarkeit der θρεπτική ψυχή von den anderen 1

432M6/17.

2

Die Problematik des Neben- und Miteinander von intellektuellen und 'biologischen' Vermögen in der Seeleneinteilung des Aristoteles bat S. MANSION, Soul and Life in the De Anima, in: Aristotle on Mind and the Senses. Proceedings of the Seventh Symposium Anstotelicum, Cambridge 1978,9 behandelt. 3 Εχει δέ άκορίαν ευθύς κώς τε Set μόρια λ έ γ ε ι ν της ψυχής και πόσα. τρόπον γάρ τ ι ν α άχειρα φαίνεται, και ού μόνον α τίνες λέγοοσι διορίζοντες, λ ο γ ι σ τ ι κ ό ν και θυμικόν καϊ έκιθυμητικόν, οϊ δέ τό λόγον εχον καϊ τό δλογον. 4

Vgl. 413 b 14.

Neuntes Kapitel

147

Seelenteilen besteht darin, daß es sehr wohl Wesen gebe, an denen das θρεπτικό ν losgelöst von den anderen Vermögen, z.B. Ortsbewegung, Wahrnehmung, Denkvermögen, Begehren, Vorstellungsvermögen etc. vorkomme, wohingegen das Umgekehrte ausgeschlossen sei. Das θρβκτικόν ist im übrigen nicht identisch mit dem έχιθυμητικόν. Es ist 'Bewegung im Hinblick auf Ernährung', ferner 'Wachstum und Schwinden'5. Die Wesen, die über das θρεχτικόν, losgelöst von den übrigen Seelenteilen, verfügen, dürften die Pflanzen sein6. Über die anderen Teile der Seele wird im weiteren folgende Aussage getroffen:... μείζω διάστασιν δχοντα τούτων. Diese lapidare Feststellung bedarf der Erläuterung. In der exegetischen Literatur freilich fand sie wenig Beachtung. RODIERS Übertragung sei als erste zitiert: Sie lautet: "...qui ont entre elles plus de difference (que celles-ci)."1 - TORSTRIK und TRENDELENBURG gehen nicht auf den Passus ein. - THEILER übersetzt: '...wird es noch andere Teile geben, die einen größeren Abstand als die genannten haben. " 8 - Ross überträgt: "...that there are farther apart than these·,"9 - Ähnlich übersetzt SMITH: "we shall find parts far more distinctly separated from one another than these. " I 0 HICKS formuliert ähnlich: "...that there are other parts separated by a greater distance than these."" - HAMLYN wählt schließlich noch eine weitere Variante: "...there will clearly be other parts too with a greater disparity between them than these."11 Mit Ausnahme von RODIER gehen alle Übersetzer und Kommentatoren über diesen Satz des Aristoteles hinweg. Sie scheinen ihm keine Beachtung zu schenken, obwohl er alles andere als klar und evident ist. RODIER gibt διάστασις mit "Differenz" wieder, hält das griechische Wort also für ein Synonym zu διαφορά. Er stützt seine Deutung durch den Verweis auf einen Passus der Einleitung des nächsten Kapitels, wo allerdings nicht διάστασις, sondern das Verbum διαφέρειν erscheint13. Diese Deutung ist nicht falsch, aber noch wenig deutlich. Es hätte näher gelegen, die Stelle

5

413424f.: ...im κίνησις ή κατά τροφήν και φθίσις τε και αϋξησις. Siehe die vorige Anmerkung; ferner 413b7f.: θρεχτικόν >ΐ3/ΐ8 : έ χ ε ι 8' ϊ β τ ι τρία, gv μεν τό κ ι ν ο ϋ ν , >εύτερον 8' φ κ ι ν ε ί , ί τ ι τ ρ ί τ ο ν τ ό κ ι ν ο ύ μ ε ν ο ν , τ ό δε κ ι ν ο ϋ ν Ι ι τ τ ό ν , τό μέν ά κ ί ν η τ ο ν , τ ό >έ κ ι ν ο ϋ ν και κ ι ν ο ύ μ ε ν ο ν , ε σ τ ι δε τ ό μέν ά κ ί ν η τ ο ν τ ό χ ρ α κ τ ό ν α γ α θ ό ν , τό 8έ κ ι ν ο ϋ ν και κ ι ν ο ύ μ ε ν ο ν τ ό ό ρ ε κ τ ι κ ό ν ( κ ι ν ε ί τ α ι γαρ τό κ ι ν ο ύ μ ε ν ο ν η ό ρ έ γ ε τ α ι , και ή δ ρ ε ξ ι ς κ ί ν η σ ί ς τ ί ς έστ ι ν , ή ένεργείφ), τό 8έ κ ι ν ο ύ μ ε ν ο ν τό ζφον·- Zu der 'triadischen' Formel vgl. J.B. SKEMP a.a.O. 9ff. SKEMP macht auf die davon abweichende Gruppierung 433 b 15 aufmerksam. Eine Diskrepanz läßt sich beim zweiten Element der Aufzählung beobachten: φ κ ι ν ε ί ist verschieden von τ ό ό ρ ε κ τ ι κ ό ν . Ersteres wird als ό ρ γ α ν ο ν , das j a σοοματικόν sei, bezeichnet, letzteres ist nach 432 b 2 u.ö. einer der 'Seelenteile'.- SKEMPS Beobachtung deckt zwar eine begriffliche Ungenauigkeit auf. Es ist aber zu beachten, daß es 429 b 5 heißt: τ ό μέν γ ά ρ α ϊ σ θ η τ ι κ ό ν ούκ &νευ σώματος. Dasselbe gilt auch vom ό ρ ε κ τ ι κ ό ν , wie ein Blick auf 431'13f. beweist. Wenn nun in der einen Trias das Vermögen ό ρ ε κ τ ι κ ό ν , in der anderen das ό ρ γ α ν ο ν genannt ist, dessen es sich bedient, um zu bewegen, so sollte man dieser Diskrepanz nicht zu viel Gewicht beimessen. - SKEMP sieht 433 b 17 in der Lesart der

Zehntes Kapitel

164

Strittig ist seit TORSTRIK35 die Lesart κινούμενον 4 3 3 B 1 7 . Er zieht όρεγόμενον mit der Begründung vor, daß nicht jedes Bewegte bewegt werde, sofern es verlange. Wenn ein Stein geworfen werde, so werde er nicht bewegt, sofern er Verlangen trage. So müsse also die Grenze der Klasse des sich Bewegenden reduziert werden auf die όρεγόμενοι. Diese Argumentation verkennt aber die Funktion von ή, die in der Begrenzung der Aussage auf einen bestimmten, fest umrissenen Aspekt besteht36. Außerdem hat man hier κινουμβνον sc. ζώον zu verstehen, da es nicht um Bewegung schlechthin, sondern um den motus animalium geht37. Die zweite Konjektur TORSTRIKS greift den Text in der von Johannes Philoponos im Lemma des Kommentars zitierten Fassung auf, ändert aber das disjunktive ή in den Artikel ή, schreibt also ή ένεργεί^. Als Beleg für die Richtigkeit seiner Auffassung führt er De an. 431*12 καϊ ή δρεξις.ή κατ' ένέργειαν an. Diesem Hinweis auf die Differenzierungen der ersten Hälfte des siebten Kapitels ist wohl zuzustimmen, da die im Prinzip nicht falsche Aussage ή ένέργεια beträchtlich unschärfer und unverbindlicher wäre als der durch TORSTRIKS Konjektur entstandene Text. Das Verlangen als ein wirkliches Verlangen ist eine Art Bewegung. Dasjenige, dessen sich das Verlangen als eines Werkzeuges bedient, ist körperlicher Natur. Deshalb hat man den Gegenstand seiner Betrachtungen in dem zu wählen, was gemeinsames Werk des Leibes und der Seele ist38. Das unbewegt Bewegende, von Aristoteles mit dem πρακτόν αγαθόν identifiziert, ist das τέλος, um dessentwillen das Handeln überhaupt vollzogen wird. Es ist insofern unbewegt, als es seinerseits keines Anstoßes bedarf, um Gegenstand eines Begehrens zu werden, sondern durch das bloße Zusammentreffen eines όρεκτικόν mit ihm wird es als όρεκτόν Bewegungsursache für die κατ' ένέργειαν δρεξις. Das όρεκτικόν, das auf solche Weise in Bewegung versetzt wird, bewegt seinerseits das Lebewesen. Daß diese Bewegung eine intellektuelle ist, die durch Vorstellung und Denken bewirkt wird, wurde oben bereits ausgeführt. Wenn sich diese Bewegung des όρεκτικόν ihres Körpers als Hilfsmittels bedient, so ergibt sich der von Aristoteles 433b 19/20 angesprochene Befund, daß man bei der Erforschung der Bewegung des Lebewesens seine Aufmerksamkeit auf die Wirkungen zu richten hat, die beiden Sphären, der Leiblichkeit wie der HSS C und Χ ό ρ ε γ ό μ ε ν ο ν eine Glosse, die in den Text geriet. Wichtiger ist die Frage, ob in der Parenthese 433 b 18 ή ενέργεια (mit korrektivem ή [ = 'der eher'], oder gemäß TORSTRIKS Vorschlag η ε ν ε ρ γ ε ί ? zu lesen ist. SKEMP entcheidet sich für die erstgenannte Möglichkeit mit der Begründung, die Bezugnahme auf die Antithese ή ενεργεία δρεξις ή δυνάμει δ ρ ε ξ ι ς sei an dieser Stelle irrelevant. 35

TORSTRIK 2 1 6 .

36

Vgl. z.B. Xen. mem. 2,1,18; Arist. Dean. 431*11; phys. 201*11; metaph. 1003*21.

37

Die Gleichsetzung wird im übrigen 433 b 19 ausdrücklich vollzogen. 38 433bi9/2i; ψ J e κ ι ν ε ί ό ρ γ ά ν φ ή δρεξις, ήβη τ ο ύ τ ο σ ω μ α τ ι κ ό ν έ σ τ ι ν - 8 ι ό έν τ ο ΐ ς κ ο ι ν ο ΐ ς σώματος καϊ ψ υ χ ή ς εργοις θεωρητέον κερί αϋτοϋ.

Zehntes Kapitel

165

Seele gemeinsam sind. Das Resultat der Darlegungen des Aristoteles, die Konklusion des 'obskuren' Satzes dürfte damit in dem mit διό nachgeschobenen Satz zu suchen sein (433b19ff.). Die abschließende Hervorhebung des Hauptpunktes faßt die Identität von αρχή und τελευτή in der Verursachung der Bewegung des Lebewesens in einem Bild: Wie Ruhe und Bewegung, das Konkave und das Konvexe bei 'Zapfen' und 'Ring' der Türangel zusammenfallen, so ist auch bei dem werkzeughaft Bewegenden das Ende der Bewegung zugleich deren Anfang. Die Pfannen in Türsturz und Schwelle bleiben in Ruhe, während der Zapfen sich in ihnen und aus ihnen Halt gewinnend und sich auf sie stützend dreht und seine Bewegung sodann auf den Türflügel überträgt39. Dem λόγος nach, also begrifflich, sind Zapfen und Ring verschieden; der Größe nach sind sie nicht voneinander zu trennen, insofern die Pfanne nichts anderes als die Höhlung darstellt, in die der Zapfen eingepaßt wurde. Wenn nun, wie es im Text begründend heißt, alles durch Stoß oder Zug bewegt wird40, so ist sowohl für die eine wie auch für die andere Bewegungsart ein Ruhepunkt erforderlich, von dem sich die Bewegung abstößt oder an dem sie Halt findet, um ihre Zugkraft zu entfalten. Deshalb muß es etwas geben, das wie das Zentrum eines Kreises in Ruhe bleibt, von wo aus sich dann eine Bewegung abstößt. Mit welchem Konnotat sind diese Bilder nun zu verbinden? Das Adverb όργανικώς 433b21 gibt zu verstehen, daß der Aspekt auf die Sphäre der organischen Bewegung eingeschränkt ist41. In diesem Ausschnitt der Bewegung sind offenbar zwei Konstituenten einer κίνησις κατά τόπον festzustellen: ein Verharrendes, von dem sich jedes 'Stoßen' abstößt, an dem jedes Ziehen seinen Halt findet, und ein Bewegendes, das von hier seinen Ausgang nimmt. Der Vergleich mit De motu animalium 10, der schon in der Antike vorgenommen wurde42, läßt vermuten, daß es sich bei diesem κινούν όργανικώς um das ζωτικόν (oder σόμφυτον) πνεύμα handelt, in dem eine vom Herzen ausgehende Kraft, die sich in Zug und Stoß darstellt, wirkt. Dieser organische Bewegungsvorgan vermittelt zwischen dem ursprünglichen Beweger und dem bewegten Körper des Lebewesens. Von ersterem empfangt er seine Bewegung und an letzteren gibt er sie weiter. Wieso fallen nun άρχή und τελευτή zusammen, wie Aristoteles es 433b22 feststellt? Die Antwort besteht wohl darin, daß der Körper als be39 Zwei Vorschläge, das Bild aufzulösen, finden sich bei den alten Erklärern: Alexander (ap. Simpl. 304,1 Iff ) denkt an einen feststehenden Zapfen (χερόνη); um ihn kreist ein Ring (κρίκος), der am Türflügel befestigt ist.- Plutarch von Athen zieht den Gedanken an eine συμπλοκή δύο κρίκων vor, von denen der eine in den anderen eingelassen ist. Zu ηρεμία und κίνησίς vgl. De motu anim. Kap.2. 40

433 b 25: π ά ν τ α γάρ ώσει και Ελξει κινείται -

41

So auch Simpl. 303,25: δκερ βηλαβή μετά την όρεξιν μέν έ σ τ ι ν

42

Vgl. Simpl. a.O. 303,22.

166

Zehntes Kapitel

wegt Bewegendes zugleich auch μόνως κινούμενον also Bewegtes dieser Bewegung ist, so daß 'Anfang' und 'Ende' identisch sind. Die Rückbindung der organischen Bewegung des Körpers an das όρεκτικόν wird 433b27/28 unterstrichen: Inwiefern das Lebewesen ein verlangendes Wesen ist, insofern ist es auch fähig, sich selbst zu bewegen. Das όρβκτικόν ist stets mit φαντασία verknüpft. Jede φαντασία aber ist entweder dem νοϋς oder der Wahrnehmung verbunden. Wir haben den zwischen νοΰς und αϊσθησις vermittelnden Charakter der φαντασία gebührend hervorgehoben. Der Deutungsvorschlag von Ross43 kommt zu einem annehmbaren Resultat: "In the light of these passages we may conclude that by φαντασία αίσθητική Aristotle means the imagination which follows directly on perception, without any planning as to how the imagined pleasure may be attained, and thai by φαντασία λογιστική he means imagination which involves some planning. What is here called rational imagination is in 434a7 definitely called deliberative imagination." 44

43 44

Ross 317f.

Vgl. M.C. NUSSBAUM, Aristotle's De motu animalium. Text with Translation , Commentary and Critical Essays, Princeton 1978, 221 ff. Essay 5: The Role of 'Phantasia' in Aristotle's Explanation of Action.

Elftes Kapitel Die Absicht des Aristoteles, eine allgemeinverbindliche Bestimmung der Ortsbewegung des Lebewesens mit Hilfe eines Erkenntnisvermögens zu treffen, wird scheinbar durchkreuzt durch die Tatsache, daß auch ganz einfache Lebewesen über dieses Vermögen verfügen, sich also örtlich bewegen können, diese ατελή in ihrer einfachsten Organisationsform aber lediglich mit dem Tastsinn1 ausgestattet sind. Verfügen sie über φαντασία und έκιθυμία? Wenn das όρεκτικόν nach 433b28/29 an das Vorhandensein einer φαντασία gebunden ist, durch die ein όρεκτόν vorgestellt und der entscheidende Impuls auf das Verlangen ausgelöst werden kann, so müßte man die Ortsbewegung dieser Lebewesen anders erklären; die Definition hätte ihre Allgemeinverbindlichkeit verloren. Die Frage nach der έχιθυμία läßt sich insofern beantworten, als die oben charakterisierte Gruppe von Lebewesen offensichtlich zu Schmerz und Freude fähig ist. Nach den Ausführungen von 431 "9ff. folgt daraus, daß sie mit Notwendigkeit über έχιθυμία verfügen (434*3/4). Die Frage nach der φαντασία aber muß neu gestellt werden: "Wie könnte bei diesen Wesen φαντασία bestehen?" Der mit einem disjunktiven ή angeschlossene Vergleichssatz2 gehört trotz der harten Fügung (Fragesatz - Vergleich) sehr eng zu dem in der Frage anklingenden Argument. Der Zusammenhang zeichnet sich deutlicher ab, wenn man die ausgesparten Teile der Argumentation zu ergänzen versucht: Das Gewicht, das in dem mit ή διαζευκτικόν eingeleiteten Satz das Adverb αορίστως erhält, legt die Vermutung nahe, daß φαντασία als Vermögen bestimmter Vorstellungen die Bewegung des Lebewesens in eine bestimmte Richtung zu lenken vermag. Der Vergleichssatz geht von der Voraussetzung aus, daß 'unvollkommene' Lebewesen sich in einer unbestimmten Weise bewegen. Die sprachlich in die Form eines Vergleichs gekleidete Operation stellt den Rückschluß von der Unbestimmtheit des Bewirkten auf die Unbestimmtheit der Ursache dar. "Kann den άτελή überhaupt φαντασία innewohnen?", so fragt der Text und fahrt fort: "Wenn ja, dann in einer unbestimmten Weise; denn auch die von ihr beeinflußte Bewegung ist ja unbestimmt."3 Die in den einfachen Wesen präsente φαντασία steht der Wahrnehmung unmittelbar nahe; sie ist die von Aristoteles am Ende des zehnten Kapitels eingeführte φαντασία αισθητική. Da sie an die αίσθησις des Tastsinns

1 Die Hss bieten 434*2 die Lesart άφή. Ross glaubt, in αφή verbessern zu müssen, und nimmt die Konjektur in den Text auf. Wir halten diese Änderung für entbehrlich. 2 3

434M/5.

a.O.:...*0tepov ε ν δ έ χ ε τ α ι φ α ν τ α σ ί α ν ύκάρχει καϊ ταΰτ' ενεστι μεν, αορίστως δ' έ ν ε σ τ ι ν .

Elftes Kapitel

168

allein gebunden ist, reicht ihre Fähigkeit, eine Bewegung klar und bestimmt auf ein όρεκτόν hin zu lenken, gewiß nicht aus. Während nun diese αισθητική φαντασία auch in den übrigen Lebewesen vorhanden ist, findet sich die bald βουλευτική, bald λογιστική φαντασία genannte Vorstellung nur in Wesen, die mit Überlegung begabt sind; denn die Entscheidung, ob dieses oder jenes getan werden soll, ist ja das Werk eines λογισμός. Sie muß auf einem einheitlichen Maß beruhen, mit dessen Hilfe das 'Größere' zu ermitteln ist. In ihm ist das όρεκτόν zu sehen, dem das Lebewesen folgt. Der λογισμός versetzt es in die Lage, aus mehreren Vorstellungsbildern ein einziges zu bilden, eben dasjenige des ausgewählten όρεκτόν. Der Unterschied zwischen den ατελή ζώα und den λογιστικά scheint darin zu bestehen, daß erstere nicht über δόξα verfügen. Die Problematik des Anschlusses von 434*10 και αίτιον τοϋτο τοϋ δόξαν μή δοκεΐν δχειν, δτι τήν έκ συλλογισμού ούκ έχει αϋτη δε έκείνην hat man längst gesehen. TORSTRJK versieht den mit και αίτιον (•10) beginnenden Satz mit einer crux4. Ebenso verfährt er auch vor διό (•11). RODIER versteht ή δε βουλευτική έν τοις λογιστικοΐς (434·7)...*οιεΐν ( a 10) als Parenthese, möchte also και αίτιον τοϋτο κτλ. unmittelbar an den Text anschließen, der dieser Parenthese vorausgeht. HICKS und, ihm folgend, Ross lassen den Einschub erst mit πότερον (·7) beginnen. Daß ή έκ συλλογισμού (sc. φαντασία) gleichbedeutend mit λογιστική oder βουλευτική φαντασία ist, haben ebenfalls HICKS und Ross5 schon gesehen. Die Begrenzung der Parenthese ist in zweifacher Perspektive von Bedeutung: Zum einen hängt der Bezug von καϊ αίτιον τοϋτο κτλ., wie bereits gesagt, an der Festlegung des Umfangs dieses Einschubs. Zum anderen entscheidet sich daran auch die Frage, welches Subjekt zu δοκεΐν έχειν ( * 1 1 ) zu ergänzen ist, ferner auch, ob BYWATERS Athetese von αϋτη δέ έκείνην sinnvoll erscheint. Simplikios scheint zwar πασαν φαντασίαν, περί οδ ό λόγος ergänzen zu wollen und glaubt, »11 τήν έκ συλλογισμού δόξαν verstehen zu müssen6. Es hat den Anschein, daß nur unter der Bedingung, daß man an diese oder eine ähnliche Lösung glaubt, also ein Femininum zum Subjektsakkusativ von δοκεΐν έχειν bestimmt, sich der von BYWATER athetierte Ausdruck beibehalten läßt. Das Argument würde sich dann folgendermaßen darstellen: "Für den Umstand, daß X nicht über Urteil zu verfügen scheint, ist die Ursache darin zu sehen, daß X zwar keine συλλογιστική φαντασία besitzt, wohl aber diese 'jene'. Um das Rätsel der Bedeutung des argumentativen Zusammenhangs schärfer zu erfassen und möglicherweise 4

TORSTRIK 106.

5

HICKS 5 6 7 .

6

3 1 0 , 3.

Ross 319.

Elftes Kapitel

169

auch einer Lösung zuzuführen, sollte man den folgenden Satz διό τό βουλευτικόν ούκ έχει ή δρεξις hinzunehmen. Dieser Satz stützt sich auf die ihm vorausgehende Aussage7. Geht man von dieser Voraussetzung aus, so gibt es in der Tat einen Sinn, wenn man mindestens in dem mit öti eingeleiteten Satz ή αισθητική φαντασία zum Subjekt machen würde. Diese impliziert zwar nicht die λογιστική φαντασία, wohl aber letztere die αισθητική φαντασία. Aus diesem Grunde kann man dann sagen, daß das Verlangen nicht als es selbst βουλευτικόν besitzt, weil es ein Verlangen gibt, das sich nur auf jene unvollkommene und unklare Vorstellung stützt. Darin liegt seinerseits wiederum der Konflikt begründet, von dem im Folgenden gehandelt wird. Wie aber läßt sich die Verbindung in die andere Richtung, d.h. die argumentative Kohärenz mit dem ersten Teil des elften Kapitels herstellen? Hier stoßen wir auf unüberwindliche Schwierigkeiten, die den von Simplikios und den anderen Erklärern vertretenen Ansatz als nicht haltbar erscheinen lassen. Mit seiner Feststellung: "The subject of έχειν is doubtless τά Άλλα ζωα%.", hat H I C K S sicher das Richtige getroffen. Der Satz hieße dann: "Die Ursache dafür, daß die άτελή (oder: τά άλλα ζώα) nicht über δόξα zu verfügen scheinen, besteht darin, daß sie die aus einem συλλογισμός hervorgehende δόξα (oder φαντασία) nicht besitzen9. Im Falle dieser Interpretation kommt man nicht umhin, die Wendung αϋτη δε έκείνην als einen wohl durch "13 verursachten Kopistenfehler10 anzusehen. In den grammatischen Zusammenhang fügt sie sich jedenfalls dann nicht mehr ein. Der mit διό anschließende Satz verbindet sich mit dem vorausgehenden so, wie wir es oben zu zeigen versuchten. Er stellt eine wichtige Brücke zu dem "12 formulierten Gedanken dar. Denn daß δρεξις bald von planendem Denken geführt, bald von έκιθυμία getrieben wird, so daß bald 'diese jene', bald 'jene diese' besiegt, ist Konsequenz des Umstandes, daß δρεξις nicht notwendig mit βουλευτικόν verbunden ist. Von ihrer Natur her ist stets die 'höhere' (ή άνω) mehr zum Herrschen bestimmt und wirkt bewegend. Der Vergleich des Aufeinanderprallens mehrerer όρέξεις mit dem Zusammenstoß von Kugeln11 hat Ross schön erklärt12. Antike Exegeten wie 7

Vgl. die Verknüpfung mit διό.

8

HICKS 5 6 7 .

9

THEILER übersetzt S.67 anders. Er faßt den δτι-Satz kausal auf ("...weil es die aus einem Schluß hervorgehende Vorstellung nicht hat".). 10

CORNFORD sieht in αϋτη ί έ έκείνην eine Verschreibung aus αϋτη 8έ κ ι ν ε ί

( 4 3 4 ' 1 9 , vgl. d a z u THEILER 153). 11 Die Ergänzung von σφαϊραν durch ESSEN, Das dritte Buch der aristotelischen Schrift über die Seele in kritischer Ubersetzung, Jena 1896, 62 Anm. 26, ist zweifellos richtig. 12

ROSS 3 1 9 .

Elftes Kapitel

170

Alexander und Plutarch von Athen13 scheinen einen falschen Weg einzuschlagen, wenn sie an Abweichungen einer Himmelssphäre von ihrer Bahn denken, weil das System der Himmelsbewegungen für Aristoteles die Konnotation des Geordneten hat, während der Zusammenprall zweier Kugeln hier in enger Nachbarschaft zu der Metapher des Siegens steht. Es ist also offenbar eher an eine Spielsituation gedacht. Wenn die Natur sich durchsetzt, also das Denken nicht in seiner Tätigkeit behindert wird, siegt die 'höhere' Vorstellung (oder δρεξις). 'Höher' kann sie deshalb genannt werden, weil sie im Gegensatz zu den ατελή ζώα die vollkommeneren Lebewesen auszeichnet. Die drei Bewegungen, die sich an dem Lebewesen vollziehen, sind die von der αισθητική φαντασία ausgelöste, die vom βουλευτικόν bewirkte und die aus einer Kollision beider Vorstellungsweisen hervorgegangene Bewegung. Der intellektuelle Seelenteil bewegt sich bei alledem nicht, sondern bleibt in Ruhe. Da an der ύπόληψις oder am λόγος - man kann synonym auch sagen: an der δόξα - zwei Schichten zu differenzieren sind, nämlich die eine, auf das καθόλου gerichtete, von der anderen, die sich auf das καθ* έκαστον bezieht, ist zu untersuchen, welche von ihnen unmittelbar bewegend wirkt. Der allgemeine Satz stellt fest, daß ein Mensch von einer ganz bestimmten Beschaffenheit eine Handlung von einer ganz bestimmten Beschaffenheit zu verrichten habe. Der auf das einzelne gerichtete λόγος stellt fest, daß die Handlung χ von der im allgemeinen λόγος gefordertem Art ist und daß ich als Handelnder von der Beschaffenheit bin, die der allgemeine λόγος fordert. Entscheidet man nun, welcher der beiden Sätze Bewegungsursache für das Lebewesen ist, so kann dies nur entweder der Untersatz oder die Verbindung beider Sätze des praktischen Syllogismus sein, nicht hingegen der Obersatz für sich allein. Der Obersatz tendiert dabei mehr zur Ruhe, der Untersatz keineswegs.

13

Bei Simpl. 310,30ff.

Zwölftes Kapitel Das Argumentationsziel der ersten Sequenz des zwölften Kapitels besteht in dem Nachweis, daß kein beseelter Körper, der nicht ortsgebunden ist, ohne αίσθησις sein kann. Dieser Nachweis erfolgt in zwei Schritten: (1) Jedes Lebendige und Beseelte besitzt mit Notwendigkeit vom Beginn seines Lebens bis zu dessen Vergehen die Fähigkeit, sich zu ernähren. Diese Feststellung wird damit begründet, daß alles Werdende wächst, eine Blüte erlebt und schwindet, dies alles ohne Ernährung aber unmöglich wäre. (2) Wahrnehmung besteht nicht mit Notwendigkeit in allem Lebendigen; denn Weder können Wesen, die einen einfachen Körper besitzen, über den Tastsinn verfügen, was aus den Analysen von Β 11 folgt. Wenn die μβσότης αισθητική nämlich von dem im Körper selbst befindlichen Medium zu trennen ist, kann auch der Tastsinn nur an einem zusammengesetzten Körper vorliegen. Noch kann es ein Lebewesen geben, das nicht mit diesem Sinn ausgestattet ist. Die Worte ουτε άνευ ταύτης οϊόν τε οόθβν είναι ζωον hat TORSTRIK1 im Gefolge von Überlegungen TRENDELENBURGS2 athetiert; Ross glaubt auch, daß sie hier argumentenfremd seien3, möchte sie aber a30 einrücken. Wenn auch auf den ersten Blick gegen das Argument der Irrelevanz des Passus für den Zusammenhang kaum ein Einwand möglich sein mag, so darf dennoch nicht übersehen werden, daß die Hss 434*27/28 nicht wie Ross in seiner kommentierten Ausgabe gem lesen möchte, οότε γαρ ... ένδέχεται αύτην δχειν bieten, sondern άφήν δχειν. Die Verwendung dieses elementarsten aller Sinne ist viel weniger selbstverständlich als der Rückbezug auf αϊσθησιν («27) durch das Pronomen αύτήν und bedarf der Erläuterung. Es wäre nun möglich, daß der von TORSTRIK athetierte zweite οΰτε-Satz diese Erklärung enthielte. Worin der Grund für άφήν δχειν zu suchen wäre, dürfte etwa so zu formulieren sein: Wenn der Versuch der Verknüpfung einfacher Organisationsformen des Lebens mit dem einfachsten strukturierten Sinn, der von allen Sinnen am weitesten verbreitet ist, scheitert, so läßt sich eine Verbindung mit den übrigen Sinnen α fortiori ausschließen. Der Tastsinn stellt gewissermaßen die Mindestbedingung für ein mit αίσθησις begabtes Lebendiges vor. Für die Demonstration eignet er sich deswegen so ausgezeichnet, weil er nicht eines außer ihm seienden Mediums bedarf, sondern dieses Medium, zwischen Sinn und Körperoberfläche gelegen, gleichsam 1

TORSTRK 2 2 0 .

2

TRENDELENBURG 458 (zu 434"27). Anders als TORSTRIK stellt er eine Alternative zur Wahl: Entweder habe man ούβέ statt οΰτε zu lesen, oder die fraglichen Worte seien zu athetieren: "Itaque aut verba οότε Sveo ταύτης οϊόν τε ούθέν είναι ζφον uncis includas aut scribas ο ΰ ί έ , i.e. nec tarnen sine tactu (ταύτης) ullum animans esse potest." 3

Ross 321.

172

Zwölftes Kapitel

mit dem Sinnesorgan verwachsen ist, so daß die Mehrschichtigkeit des Leibes, die mit der Grundbedingung der άκλότης unvereinbar ist, evident wird wie wohl sonst bei keinem der anderen Sinne, den mit ihm verwandten Geschmackssinn ausgenommen. Nun enthält der von TORSTRIK ausgeschlossene Satz in der Tat einen Hinweis auf den grundlegenden, erst das Lebewesen als ein solches konstituierenden Charakter des Tastsinns. Erkennt man die Lesart άφήν an, - und die Überlieferung drängt uns zunächst dazu - so genügt der Ausschluß der άφή prima facie keineswegs, um den zur Rede stehenden einfachen Formen des Lebens jede Form von Sinneswahrnehmung abzusprechen. Es bedarf also notwendig eines erläuternden Zusatzes, daß der Ausschluß von άφή den Ausschluß jeder Form von Sinneswahrnehmung bedeutet. Dies ist die logische Funktion des von TORSTRIK athetierten ούτε-Satzes. Es ist freilich einzuräumen, daß durch die stilistische Parallele der drei aufeinanderfolgenden mit οόχβ eingeleiteten Sätze der Eindruck einer Anapher entsteht, in der parallele Satzglieder eine gleichgeordnete und gleichrangige Funktion ausüben. Der so entstehende Anschein formaler Abmndung und Geschlossenheit läßt in Wirklichkeit ein höchst unlogisches Argumentationsgefüge Zustandekommen. In Wahrheit verhält sich der zweite οΰτε-Satz (•28/29) zu dem ersten ("27/28) als Erläuterung, und nur der erste und der dritte (29/30) stehen auf einer Stufe der Argumentation. Wie aber fügt sich der nicht umstrittene dritte οδτε-Satz in den Gedanken? Neben allen einfachen Wesen, die nicht einmal den elementarsten Sinn, den Tastsinn besitzen können, ist auch alles Lebendige ausgeschlossen, das nicht im Besitz der Fähigkeit ist, die Formen der Gegenstände ohne die diesen zugehörige Materie aufzunehmen; denn diese Fähigkeit ist Grundbedingung der Wahrnehmung. Der nächste Satz τό δέ ζωον άναγκαΐον αϊσθησιν έ χ ε ι ν scheint nicht dem dritten ούτε-Satz untergeordnet, sondern führt wiederum auf den Gedanken der teleologischen Anlage der Natur zurück. Das Lebewesen muß mit Notwendigkeit über Wahrnehmung verfügen, wenn anders die Natur nichts vergebens tut. Der von Ross mit leichter Korrektur von ούτε in ουδέ hierher übertragene zweite οΰτε-Satz ("30a) ist, von der Argumentation aus gesehen, nicht nur entbehrlich, sondern sogar störend, weil der nachfolgende Kondizionalsatz im Gesamtgefüge viel besser piaziert ist, wenn er statt an "30a an "30 anschließt. ' Wenn die Natur nicht Vergebliches tut' bezieht sich auf die Notwendigkeit, daß ein Lebewesen mit αΐσθησις ausgestattet ist, und nicht darauf, daß ohne diese αΐσθησις ein Wesen nicht ein Lebewesen ist. Hält man also an der Einfügung von Ross fest, so zerstört man den direkten syntaktischen und logischen Bezug zwischen der Apodosis "30 und der kondizionalen Protasis "31 durch einen unnötigen Einschub. Auch dieses indirekte Argument für die Athetese von οΰτε κτλ. »28/29 entfällt somit.

Zwölftes Kapitel

173

Der folgende Satz ist mit γάρ angeschlossen, leitet also die Begründung dafür ein, daß das Lebewesen notwendig über αΐσθησις verfügt, wenn anders die Natur nichts vergeblich tut. Denn, so heißt es, alle von Natur her seienden Dinge bestehen um eines Zweckes willen ("ένεκα too) oder sind συμπτώματα των ένεκά του. Dieser letztere Ausdruck bedarf der Erklärung. Unter einem σύμπτωμα versteht Aristoteles an dieser Stelle etwas, das sich im Verfolg des eigentlichen ϋνεκά του beiläufig einstellt; σύμπτωμα ist also wohl synonym mit άπό τύχης. Nun erst wird deutlich, was der Kondizionalsatz ei μηθέν μάτην ποβϊ ή φύσις eigentlich besagt: Wenn also jeder Körper, der zwar die Fähigkeit der Ortsbewegung, nicht aber der Wahrnehmung besitzt, zugrunde geht und nicht sein τέλος erreicht, was doch das eigentliche Werk der Natur ist, so hat kein Körper, der nicht ortsgebunden ist, eine Seele ohne Wahrnehmung. Die Begründung dafür, warum ein Lebewesen über αϊσθησις verfügen müsse, wenn es nicht zugrundegehen soll, gibt die mit πώς γάρ κτλ. eingefügte Parenthese 434 b l/7. Wie nämlich soll es sich ernähren? Denn die ortsbeständigen Lebewesen können dort ihre Nahrung gewinnen, wo sie von Natur her ihren Platz haben. Bis zu diesem Punkt ist die Argumentation nachvollziehbar4. Die Fortführung des Arguments ist in der Exegese unzureichend behandelt. Es dürfte sich wohl kaum bei den Worten ούχ οΐόν τε δε σώμα έ χ ε ι ν μεν ψυχήν καϊ νοϋν κριτικόν, αΐσθησιν δε μή έχειν, μή μόνιμον 6ν, γενητόν δε um eine beziehungslos angereihte Sequenz handeln. Durch die Partikeln μεν - δέ 5 sind beide Sätze als Teile einer zweiteiligen Periode aufeinander bezogen; dem υπάρχει entspricht ούχ οιόν τε κτλ. Verhält sich nun auch der Sinn analog zu dieser formalen Zweigliedrigkeit, so hat man in der folgenden Weise zu verbinden: Denn einerseits gibt es für die ortsbeständigen Wesen Nahrung dort, wo sie wachsen, so daß sie der führenden Wahrnehmung nicht bedürfen, andererseits ist es unmöglich, daß ein Körper zwar eine Seele und kritischen Verstand besitzt, wenn er nicht ortsbeständig, wohl aber geworden ist. So wird also ein Wesen, das zwar über Bewegung, nicht aber über eine Führung dieser Bewegung durch αϊσθησις verfügt, sein τέλος nie erreichen; denn auf der einen Seite hat es nicht die Möglichkeit, sich wie die μόνιμα auf dem Fleck zu ernähren und zu erhalten, die deshalb auch keiner αΐσθησις bedürfen. Auf der anderen Seite ist eine solche intellektuelle Führung eines nicht ortsbeständigen, aber gewordenen Wesens, die zwar νοϋς κριτικός ist, aber ohne die Hilfe der αΐσθησις auskommen soll, ebenfalls unmöglich. Die Betonung der Nichtseßhaftigkeit erfolgt deshalb, weil das πορευτικόν Bedingung der Möglichkeit des hier gemeinten Lebewesens ist. Gewordensein impliziert nach

4

V g l . a u c h HAMLYN 154.

5

434B2/3.

Zwölftes Kapitel

174

434*23/25 αδξησις, άκμή und φθίσις und führt somit auf die Notwendigkeit der σωτηρία durch Selbsterhaltung und Nahrung. Von hier aus gesehen, stört der 434b4f. zu lesende Passus άλλα μην ούδέ άγένητον·. Dies gilt um so mehr, als der dann folgende Text b 5/7 offenbar an den Satz vor άλλα μην κτλ. anknüpft. Die Unmöglichkeit, daß ein Körper eine Seele und kritischen Verstand besitze, hingegen keine Wahrnehmung, dabei nicht ortsgebunden, aber geworden sei, wird so bewiesen (oder zu beweisen versucht), daß Aristoteles von der unmöglichen Voraussetzung ausgeht, es gebe einen solchen Körper. Wenn es also (1) einen solchen Körper gibt und (2) die Natur nichts umsonst tut, so muß der Besitz von Seele und kritischem Verstand ohne Ortsgebundenheit entweder für das σώμα γβνητόν oder für die Seele von größerem Vorteil sein als dann, wenn noch αίσθησις hinzukommt. Nun ist aber keines von beiden der Fall. Weder nämlich denkt die Seele mehr, noch wird der Körper deswegen eine bessere Verfassung erlangen. Δι* έ κ ε ΐ ν ο bezieht sich auf das Fehlen der αίσθησις. Warum wird auch der Körper keinen Vorteil aus der Abwesenheit der Wahrnehmung ziehen können? Weil das Wahrnehmungsvermögen nach 429b4/5 nicht ohne den Körper ist, wohingegen der νοδς von ihm (sc. dem Körper) getrennt (χωριστός) besteht. An der zitierten Stelle legt Aristoteles auch dar, wie man sich das μάλλον ν ο ε ΐ ν des νοϋς wohl vorzustellen habe: άλλ' ό νοϋς οταν τι νοήση σφόδρα νοητό ν, ούχ ήττον νοεί τα ύποδεέστερα, άλλα και μάλλον· 6 . Dies ist sicherlich nur ein bei Wege sich aus dem anderen Kontext abhebender Fall; aber er weist jedenfalls eine konkrete Möglichkeit der Anwendung dieses Ausdrucks im Zusammenhang der aristotelischen Seelenlehre nach. Wenn also der νοΰς vom Körper losgelöst wirkt, so kann das Fehlen der αΐσθησις kaum von Vorteil für den Körper sein. Es wird eher für ihn wie eine Verarmung von Möglichkeiten, zur Außenwelt in Verbindung zu treten, wirken. Überschaut man zum Beschluß dieses ersten Teils des zwölften Kapitels noch einmal die Argumentation als eine ganze, so zeigt sich, daß kein Schritt überflüssig oder irreführend ist. Lediglich der Passus άλλά μην ούδέ άγένητον κτλ. fügt sich nicht in die Kohärenz des Ganzen7. Der zweite Abschnitt des Kapitels untersucht zunächst, wie der Körper beschaffen sein muß, der αϊσθησις besitzt, und sodann, von welcher Art der Sinn sein muß, über den ein πορευτικόν σώμα als unabdingbaren Besitz verfügen muß. Der Körper kann nur entweder einfach (άπλοϋν) oder gemischt (μικτόν) sein. Die Opposition dieser beiden Prädikate bezieht sich auf die elementare Konstitution der σώματα. Ein einfacher Körper besteht aus 6 7

429 b 3/4.

Dabei ist dieser Zusatz keineswegs unzureichend überliefert. Sowohl die Hss wie auch Alexander und Sophonias lasen den Satz. T o r s t r k strich die Lesart allerdings. Vgl. auch Hamlyn 155.

Zwölftes Kapitel

175

einem einzigen Element, ein gemischter Körper besteht aus einer μεΐξις von Elementen. Die Annahme, er sei einfach, würde zu der verfehlten Konsequenz führen, daß der Körper dann nicht über αφή verfüge. Daß er diese aber notwendig besitzen muß, geht aus Folgendem hervor: Da (1) das Lebewesen ein beseelter Körper ist, (2) jeder Körper aber tastbar, d.h. durch άφή wahrnehmbar ist, ist mit Notwendigkeit auch der Körper des Lebewesens in der Lage zu tasten, wenn das Lebewesen sich selbst erhalten soll. Dieser Schluß von der Tastbarkeit des Lebewesens, sofern es Körper ist, auf die Tastfähigkeit des Lebewesens ist zunächst nicht einsehbar. Es gilt, bestimmte Voraussetzungen zu klären. Wie bereits früher dargelegt, würde in einem 'einfachen' Körper die für die Wirkung des Sinnes unerläßliche Differenz von αίσθητήριον und μέσον nicht gegeben sein. Aristoteles selbst formuliert den Sachverhalt in Β 11. 422 b 17ff. mit wünschenswerter Klarheit8. Der spezifische Zug des Tastsinns wird so beschrieben, daß anders als beim Gehörssinn oder beim Gesicht nicht ein Sinnesgegenstand das jeweilige Medium und dieses sodann den Sinn in Bewegung versetzt, sondern der Sinn zusammen mit dem Medium, dem zwischen der αισθητική μεσάτης und dem Berührten liegenden 'Fleisch', angestoßen werde, so wie der Schild und der den Schild führende Krieger zugleich bewegt werden9. Die Frage ist nun, ob so wie Aristoteles es behauptet, unter der in dem Kondizionalsatz ausgesprochenen Bedingung aus den beiden Prämissen (1) und (2) die 434 b 13 entwickelte Schlußfolgerung zu ziehen ist. Folgt unter der Bedingung, daß das Lebewesen sich selbst zu erhalten hat, aus der Lebewesenhaftigkeit und aus der Körperlichkeit die Begabung mit dem Tastsinn? Jeder Körper ist als ein solcher berührbar. Es wird nicht ausgeführt, warum sich dies so verhält. Man geht aber wohl nicht fehl in der Annahme, daß diese Eigenschaft damit zusammenhängt, daß der Körper als βάθος πεπερασμένο ν 10 eine Grenze hat und damit selbst an anderes stoßen, bzw. von anderen Körpern angerührt werden kann. Da das Lebewesen nicht allein dadurch bestimmt ist, daß es Körper ist, sondern zuerst und vor allem dadurch, daß es eine Seele hat, also ein έμψυχον σώμα genannt werden kann, so muß auch die Komponente der ψ υ χ ή für die Erklärung fruchtbar gemacht werden. Αΐσθησις aber ist konstitutiv für die Seele, so daß die in der Definition des Körpers hervorgehobene Begrenztheit die physikalische Bedingung der Berührung und die Seele 8 Vgl. bes. 423 b 20/26: αΰτοϋ 8e τοΰ αισθητηρίου άκτομένου out' εκεί οΰτ' ένταΰθα γένοιτ' äv αΐσθησις, οίον εϊ τις σωμά τι λευκόν έπΐ τοΰ όμματος θείη τό εσχατον. η και βήλον δτι έντός τό τοΰ άχτοϋ αίσθητικόν. οοτω γαρ αν συμβαίνοι όπερ και έκΐ των άλλων- επιτιθεμένων γάρ έκΐ τό αίσθητήριον ούκ αισθάνεται, έπϊ 8έ τήν σάρκα έχιτιθεμένων αισθάνεται- ώστε τό μεταξύ τοΰ άχτικοϋ ή σάρξ. 9

423 b 15ff. 10 metaph. 1020Μ4.

176

Zwölftes Kapitel

als Zentrum der Empfindung die psychische Bedingung des Tastsinns darstellen. Fraglich bleibt aber nach wie vor, wie der Übergang von der Berührung zum Tastsinn zu bewerkstelligen ist. Die Argumentation des Aristoteles vermittelt in diesem Punkte zunächst den Eindruck einer gewissen Zirkelhaftigkeit. Nur dann scheint das Argument schlüssig, wenn man bereits von der Existenz der άφή ausgeht. Erkennt man dem Körper aufgrund seiner Körperhaftigkeit das Prädikat άχτόν zu, so ist dies nur möglich, wenn es eben auch eine άφή gibt, die dieses άχτόν wahrnimmt. Man entrinnt diesem Zirkel allerdings dann, wenn man das άχτόν hier nicht als ein solches nimmt, sondern als die Eigenschaft, die einem Körper zufolge seiner Solidität und seiner Begrenztheit zukommt, - die Eigenschaft nämlich, daß er an andere Körper anstoßen kann. Diese Eigenschaft kann sodann Gegenstand einer Wahrnehmung, eines Fühlens werden und wäre erst, wenn sie auf ein ά χ τ ι κ ό ν trifft, ein άχτόν im strengen Sinne des Wortes. Im Argumentationsgefuge des Satzes 434bl 1/14 erfüllt der Passus άχτόν δέ τό αισθητό ν άφή die Aufgabe, eben diesen Übergang sichtbar zu machen". 12 HAMLYN bemerkt in seinem Kommentar : "The argument for the necessity of touch is in part somewhat obscure." Er meint allerdings, ein Spiel des Aristoteles mit einer gewissen Ambiguität des Wortes 'touch' beobachten zu können. Die Pointe bestehe darin, daß ein belebter Körper, wenn er von anderen berührt werden könne, selbst andere berühren müsse, wenn er überleben wolle13. Gerade der am Ende stehende, eher unscheinbar wirkende Kondizionalsatz ei μέλλει σώζεσθαι τό ζώον (434b14) bedarf einer stärkeren Hervorhebung, als ihm bei HAMLYN14 u.a. zuteil wird.; denn diese Erinnerung an den teleologischen Leitgedanken läßt in Verbindung mit der besonderen Eigenart des Tastsinns, die per contrarium durch die Wendung δι' έτερων αίσθάνεσθαι 1 5 in dem folgenden begründenden Satz angesprochen wird, nur den Schluß zu, daß das Lebewesen über den Tastsinn verfügen muß. Ross hat in seiner kommentierten Ausgabe16 einige Worte aus dem Text herausgenommen: Er streicht die Erklärung άχτόν δέ τό αίσθητόν άφή und wenig später καί, ersteres mit der Autorität der Paraphrase des Themi-

11

Vgl. dazu auch u. 185.

12

HAMLYN 1 5 5 .

13

A.a.O.: "The point is that if the animal body is touched by other bodies, it must be able to touch other bodies, i.e. be capable of perceiving them by touch, if it is to survive. It must, as he (sc. Aristotle) goes on to say, be capable by this means of taking some things aiul avoiding others." 14

HAMLYN a.O.; ferner z.B. Ross 323.

15

434 b 15.

16

434 b 12/13.

Zwölftes Kapitel

177

stios, letzteres ohne Stützung17. Er begründet seine Athetese von άπτόν δέ τό αίσθητόν άφή logisch: Der Subjektsbegriff τό αίσθητόν άφή sei im Gegensatz zu dem Prädikatsbegriff άπτόν nicht distributiv. Für άπτόν verweist er auf die vorhergehende Aussage σώμα δέ άπαν άπτόν 18 . Diese scharfsinnige Beobachtung deckt zwar eine Inkohärenz des Argumentes auf, aber der Schluß auf die Notwendigkeit einer Tilgung, den Ross aus diesem Befund zieht, ist verfehlt. Vielmehr muß an irgendeiner Stelle des Argumentes eine Einschränkung des άπτόν auf das αίσθητόν άφη vorgenommen worden sein, wenn der Gedankengang schlüssig sein soll. Man hat also wohl zu verstehen: "Da nämlich das Lebewesen beseelter Körper ist, jeder Körper aber berührbar, berührbar (im Falle des beseelten Körpers) aber das durch Berührung Wahrnehmbare ist, usw." Die Schwierigkeit, die darin besteht, daß άπτόν auf engstem Raum in zwei verschiedenen Bedeutungen erscheint, sei nicht verharmlost! Sie sollte andererseits allerdings in ihrer Bedeutung auch nicht überschätzt werden. Derlei findet sich bei Aristoteles auch anderenorts19. Gewichtiger ist die Struktur des Gedankengangs: Aus der Menge aller Körper wird die Teilmenge der beseelten Körper herausgegriffen, der Lebewesen. Jeder Körper besitzt die Eigenschaft 'άπτόν'. Der beseelte Körper verfügt über ein άπτόν besonderer Art, das αίσθητόν άφή ist. Die substantielle Eigenschaft des festen Körpers wird zu einem Gegenstand möglicher Sinneswahmehmung. Dann aber ist eine αίσθησις des Tastens vorauszusetzen. Aus diesen Überlegungen ergibt sich nunmehr: Der von Ross athetierte Passus ist ein wichtiger Bestandteil des aristotelischen Arguments. Wer ihn streicht, verstümmelt den Gedankengang. Hätte es noch eines Beweises bedurft, so hätte ihn Ross mit seinen Bedenken gegen άπτόν δε τό αίσθητόν άφή selbst geliefert. Auch das von Ross beanstandete και zu streichen, besteht nach unserer Auffassung nicht der geringste Anlaß. Die Konjunktion ist wohl mit άπτικόν (b13) zu verbinden, nicht mit τό τοϋ ζώου σώμα. Noch nicht ausgeschöpft ist der am Ende des Satzes angehängte Bedingungssatz. Merkwürdigerweise soll aus den drei Prämissen des Kausalsatzes b l l eine als notwendig bezeichnete Konklusion folgen, deren άνάγκη dann aber schließlich noch einmal an eine Bedingung geknüpft wird. Warum bedarf es dieser conditio, und weshalb steht sie allein am Ende? Offenbar reichen die drei angeführten Prämissen nicht aus, um die Notwendigkeit der Schlußfolgerung zu begründen. Vielleicht läßt der Übergang vom άπτόν eines Körpers zum αίσθητόν άφή eines beseelten Körpers nur die Möglichkeit, nicht aber die Notwendigkeit eines άπτικόν aus sich hervorgehen. 17

Ross ed. raai., krit.App. z.St.

18

434 b 12.

19

Vgl. H.-J. HORN, Zum neunten Kapitel der aristotelischen Poetik, in: RhMus 131, 1988, 131 ff.

178

Zwölftes Kapitel

Der bestimmende Grund für die Notwendigkeit eines Tastsinns besteht in der natürlichen Aufgabe des Lebewesens, sich selbst zu erhalten. Bereits früher war darauf verwiesen worden, daß die besondere Konstruktion des Tastsinns, der über ein in den Körper selbst eingelagertes μέσον verfügt, das Lebewesen gegenüber feindlicher Bedrohung besonders gefährdet erscheinen läßt. Die übrigen Sinne, Geruch, Gesicht und Gehör, verfügen über ein außerhalb des Lebewesens gelegenes Medium, das eine Distanz zwischen möglichen Gefahrenquellen und dem Lebewesen herstellt 0-14). Wäre also ein Lebewesen, das an ein anderes stößt, nicht mit der Fähigkeit sinnlicher Wahrnehmung ausgerüstet, so besäße es kein Mittel, Widrigem auszuweichen, Erfreuliches aber an sich zu ziehen. Es wäre dann auch nicht in der Lage, sich selbst zu erhalten. Der 434 b 18 anschließende Satz beginnt mit διό, weist also den vorangehenden Ausführungen eine kausale Funktion für den nunmehr darzulegenden Sachverhalt zu. Worauf aber ist διό genau zu beziehen? Selbstverständlich ordnet sich der mit διό anknüpfende Gedanke in den größeren Zusammenhang des Argumentes ein. Unmittelbar aber scheint er auf den letzten Satz bezogen zu sein: Ohne ein άκτόμενον, das über Wahrnehmung verfügt, wird sich das Lebewesen unmöglich im Dasein erhalten können. Das erklärt auch, warum der Geschmackssinn wie eine Art Tastsinn ist. Zu beachten ist der genaue Wortlaut der Formulierung. Ώσπερ deutet an, daß γβδσις und άφή nicht identisch, sondern nur ähnlich sind. Diese Ähnlichkeit besteht eben darin, daß auch der Geschmackssinn kein Medium außerhalb des Lebewesens, dessen γβϋσις er ist, besitzt, sondern daß dieses wie beim Tastsinn in der σάρξ des Lebewesens besteht. Der Gegenstand, der durch den Geschmack ertastet wird, ist die Nahrung (τροφή). Sie aber besteht in Körpern, die mögliche Gegenstände des Tastsinns sind. Geräusch, Farbe und Geruch dienen nicht als Nahrung, bewirken kein Wachstum und keinen Schwund, sind also auch nicht unmittelbar mit der σωτηρία des Lebewesens verbunden. Daher sei auch die γεΰσις notwendigerweise eine Art άφή, da sie Wahrnehmung des άπτόν und des θρεπτικόν sei ( b 22). Die hier behauptete Notwendigkeit der Konsequenz bedarf einer genaueren Untersuchung. Die eigentliche Begründung enthält der angehängte διάSatz. Der Geschmack ist zum einen Wahrnehmung und als solche gerichtet auf die Nahrung, die in festen Körpern besteht. Diese sind ex definitione άπτά. Zugleich ist der Gegenstand des Geschmackssinns Nahrung. Dies wird eigens betont, um die Unentbehrlichkeit des Sinnes für das Lebewesen und seinen Bestand hervorzukehren, die Argumentation also auf das zentrale Motiv der Teleologie zurückzuführen. Die Argumentation entwickelt sich also in der folgenden Form: (1) Geschmack ist bezogen auf Nahrung (τροφή).

Zwölftes Kapitel

179

(2) Nahrung ist tastbarer Körper. (3) Die Gegenstände der drei übrigen Sinne (Geräusche, Farben, Gerüche) sind nichts Nahrhaftes. Sie bewirken weder Wachstum noch Schwund, scheiden also für die τροφή aus. (4) Daher muß die γεΰσις eine Art αφή sein, weil gilt: (5) Die γεϋσις ist Wahrnehmung des ά*τόν und des θρεκτικόν. Den beiden zuletzt genannten Bedingungen wird aber nur die γεϋσις, sofern sie eine Art άφή ist, gerecht. Alle anderen Sinne kommen dagegen nicht in Betracht. Aus den weiter oben genannten Gründen sind Tastsinn und Geschmack für die Erhaltung der Lebewesen notwendig. Es ist evident, daß es ohne Tastsinn kein Lebewesen gibt. Für die übrigen Sinne gilt zweierlei: Sie dienen dem Wohlbefinden der Lebewesen, an denen sie bestehen, und sie finden sich bekanntlich nicht bei jeder Gattung der Lebewesen. Aber bei einigen Lebewesen, z.B. bei demjenigen, das der Ortsbewegung fähig ist, bestehen sie notwendigerweise; denn wenn sich ein solches Wesen am Leben erhalten soll, so darf sich seine Wahrnehmung nicht auf den unmittelbaren Kontakt beschränken, es muß auch aus der Ferne wahrnehmen können. Der Kapitelschluß legt die Bedingungen fest, unter denen ein Wahrnehmungsvermögen 'von fern' (άποθεν) wirken kann20. Dies (d.h. αϊσθάνεσθαι άκοθεν) ist dann möglich, wenn das Lebewesen fähig ist, durch das Dazwischenliegende hindurch (δια τοϋ μεταξύ) wahrzunehmen in der Weise, daß jenes (τό μεταξύ) von dem Gegenstand der Wahrnehmung (το αίσθητόν) affiziert und bewegt wird, es selbst (das αίσθητικόν oder das ζφον) aber von jenem. Wie aus früheren Stellen, besonders aber aus 434*>29 hervorgeht, handelt es sich beim Prozeß dieser Wahrnehmung um Bewegung. Offen bleibt zunächst aber die Frage, welche Form der Bewegung hier vorauszusetzen sei. Der folgende Vergleichssatz21 (ώσπερ.οϋτως) setzt 'Ortsbewegung' und 'Veränderung' (άλλοίωσις) in Beziehung zueinander und stellt bei beiden Bewegungsarten mit einer Ausnahme (πλην οτι.) offensichtlich dieselben Strukturmerkmale fest. Es ist davon auszugehen, daß die Ortsbewegung als die hinsichtlich des Bewegungscharakters zugänglichste Form der Bewegung die strukturellen Erkenntnisse vermitteln soll, die verdeckt in der άλλοίωσις vorliegen. Die 20 434b26ff.: εί γαρ μέλλει σώζεσθαι, ού μόνον δει άκτόμενον αίσθάνεσθαι άλλά και δποθεν. τοδτο δ' 8ν εΐη, εί διά τοϋ μεταξύ αίσθητικόν είη τ φ εκείνο μέν ΰπό τοϋ αισθητού πάσχειν και κινεϊσθαι, αυτό δ' ύκ' εκείνου. 21 434b29/43S*3: ώσπερ γαρ τό κινοϋν κατά τόπον μέχρι του μεταβάλλειν ποιεί, και τό ωσάν ετερον ποεϊ ώστε ώθεΐν, καϊ έστι διά μέσου ή κίνησις, και τό μέν πρώτον κινοϋν ώθεϊ ούκ ώθούμενον, τό δ' εσχατον μόνον ώθεΐται οϋκ ωσαν. τό δέ μέσον άμφω, πολλά δέ τά μέσα, οϋτω και έπ' αλλοιώσεως, πλην δτι μένοντα έν τω αΰτφ τόπω άλλοιοϋται, οίον εί εις κηρόν βάψειέ τις, μέχρι τούτου έκινήθη, εως έβαψεν-

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Zwölftes Kapitel

Bewegung, die, ausgehend vom αισθητό ν durch das Medium hindurchwirkend auf das αϊσθητικόν zielt, ist also wohl αλλοίωσις. Bedeutsam dürfte der Anschluß des Vergleichs an die vorausgehende Partie mittels der Partikel γάρ sein. Der Vergleich 434b29ff. dient also zur Begründung der 434 b 27/29 aufgestellten These. Der Vergleich wird von Aristoteles nicht explizit durchgeführt. Lediglich die Ortsbewegung beschreibt er hinsichtlich ihres Aufbaus eingehend: (1) Sie bewirkt ein μβταβάλλειν bis zu einem gewissen Punkt (του ist Verbesserung TORSTRIKS aus τοϋ). THEILER weist darauf hin, daß μεταβάλλειν sowohl für Ortsbewegung als auch für Veränderung 'brauchbar' sei22. (2) Bewegung erfolgt durch ein Medium. (3) Das erste Bewegende stößt an, ohne selbst angestoßen zu werden. (4) Das letzte wird nur angestoßen, ohne selbst zu stoßen. (5) Das μέσον wird angestoßen und stößt selbst anderes. (6) Die μέσα liegen in einer Vielzahl vor. Die mit οϋτως eingeleitete άλλοίωσις-Seite des Vergleichs erschließt sich nicht mit derselben Klarheit. Allerdings ist die Richtung der Interpretation festgelegt durch die zentrale Aussage des Vergleichs, die Behauptung der Identität oder mindestens der weitgehenden Ähnlichkeit der Bauform beider Bewegungsarten. Das heißt also: Wenn der von Aristoteles angestellte Vergleich von Ortsbewegung und qualitativer Bewegung zutrifft, so müssen sich die aus der Analyse der φορά gewonnenen und oben aufgelisteten Strukturelemente mit der durch πλην δτι bezeichneten Ausnahme in der άλλοίωσις wiederfinden. So muß auch die Bewegung κατά τό ποιόν bis zu einer gewissen Grenze (μέχρι του) eine Veränderung bewirken. Es bedarf bei der άλλοίωσις ebenfalls eines μέσον; das erste Bewegende wird hier wie dort nicht selbst bewegt, das letzte wird nur bewegt, ohne selbst noch eine Bewegung auszulösen, während die vermittelnden Phasen, die viele an Zahl sind, sowohl bewegt werden, als auch selbst bewegen. Ausdrücklich führt Aristoteles diesen Vergleich nur für die Punkte (1) (μέχρι του) und (2) (die Tradierung der Bewegungsfähigkeit) aus, wobei implizit auch das unter (3) angesprochene μέσον (hier: die Luft) berücksichtigt wird: Die Luft wird bewegt, sie ist tätig und wird affiziert. Sie steht also als μέσον zwischen χρώμα und σχήμα, von denen sie bewegt wird, und bewegt ihrerseits die δψις 2 3 . Zur Erläuterung der recht kurz gehaltenen Ausführungen des Aristoteles zu den einzelnen Phasen einer Bewegung führt G. RODIER 24 eine Stelle aus 22

THEILER 155 (zu b 29ff.).

23

435 a 8/10: 8ιό π ά λ ι ν ο ύ τ ο ς (sc. ό άήρ) τήν ό ψ ι ν κ ι ν ε ί , ώσπερ αν ei τό ε ν τω κηρφ σημεϊον ί ι ε δ ί ί ο τ ο μέχρι τοϋ πέρατος. 24

RODIER 570f.

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181

der Schlußpartie des achten Buches der Physik25 an und verweist ferner auf Joh. Philop. 605,6. Die Physikstelle löst das Problem, wie etwas, das sich bewegt, in dieser Bewegung fortfahren kann, wenn die bewegende Ursache aufgehört hat, mit dem von ihr Bewegten in Berührung zu sein. Die Lösung dieser Schwierigkeit sieht Aristoteles darin, daß das erste Bewegende nicht nur bewirkt, daß etwas bewegt wird, sondern zugleich dieses Bewegte dazu befähigt, selbst auf ein Nachfolgendes bewegend einzuwirken. 435« 1 f. nimmt Ross in seiner editio minor einen Engriff in den überlieferten Text vor. Er wählt statt des tradierten Wortlauts πλην δτι μένοντος ... άλλοιοϊ die Lesart πλην δτι μένοντα άλλοιοΰται. In seiner kommentierten Ausgabe nimmt er den Vorschlag freilich wieder zurück und bezeichnet ihn als 'not strictly necessary'26. Die Konjektur schien Ross deshalb zunächst notwendig, weil der Bezug der überlieferten Lesart μένοντος allem Anschein nach schwierig herzustellen ist. Worauf kann dieser absolute Genetiv μένοντος 435" 1 nun in der Tat bezogen werden? Welche Möglichkeiten des Anschlusses stehen zur Verfügung? HICKS sieht einen Weg der Verbindung mit dem die Wahrnehmung auslösenden Gegenstand (...ausgenommen daß das κινοϋν κατ' άλλοίωσιν bewegt, bzw. verändert, während das αίσθητόν an ein und demselben Ort verharrt.), oder mit dem die Sinneswahrnehmung empfangenden Wahrnehmungsvermögen (...während das von der άλλοίωσις betroffene αΐσθητικόν an ein und demselben Ort verharrt). HICKS selbst macht sich die zuletzt beschriebene Position zu eigen27. Die erste Möglichkeit scheidet aus sprachlichen Gründen aus, weil das αίσθητόν, das die Bewegung der αίσθησις auslöst, mit dem κινοϋν, d.h. mit dem Subjekt des Satzes, identisch ist. In einem solchen Fall ist aber ein absoluter Genetiv μένοντος mit Bezug auf das Subjekt ausgeschlossen. Auch die zweite Lösung befriedigt kaum, da nicht einzusehen ist, warum das wahrnehmende Vermögen unbedingt an einem Platz verharren soll. Es muß also eine dritte Lösung geben, die von der Kritik bisher nicht gesehen wurde. Bei der Sichtung eventueller Lösungsmöglichkeiten gilt es folgende Hinweise zu beachten, die der Kontext anbietet: (1) Der zu erklärende Ausdruck ist Teil eines Vergleichs, dessen mit ώσπερ eingeleiteter erster Teil (434b29ff.) leichter zugänglich ist. Bei der Interpretation des durch οοτω eingeleiteten zweiten Teils (435Ί) kann also auf den ersten Teil zurückgegriffen werden. (2) Da αίσθησις hier als άλλοίωσις gesehen wird, d.h. als eine von der φορά verschiedene Bewegungsart, darf man vermuten, daß die unterschei-

25

Arist. phys. 266 b 27/267«17.

26

Ross 324. Vgl. auch THEILER 155 (zu 68,26ff.).

27

HICKS 582 (zu 435»1).

182

Zwölftes Kapitel

denden Merkmale beider Bewegungsformen Gegenstand der zu rekonstruierenden Aussage sind. (3) Der Bereich, auf den sich diese Aussage bezieht, sind die μέσα, bzw. die Vermittlung der Bewegung durch sie hindurch. (4) 435*4f. spricht Aristoteles von der Luft als Medium und verwendet in diesem Zusammenhang das Verbum μένειν: ό 5' άήρ έπϊ πλείστον κινείται και ποιεί και πάσχει, έαν μένη και εις ή. Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen kommen wir zu der Überzeugung, daß sich der Genetiv μένοντος (435*1) auf das Medium bezieht, das wie die Luft an ein und derselben Stelle verharrt, wohingegegen sowohl αίσθητόν als auch αίσθητικόν nicht zwingend an einen Ort gebunden sind. Während die Vermittlung einer Ortsbewegung durch ein mechanisches Anstoßen und Angestoßen werden, also durch Ortswechsel geschieht, bleibt das Medium der αϊσθησις bei der Vermittlung der άλλοίωσις an seinem Platz. Zu μένοντος wäre also sinngemäß τοϋ μέσου zu ergänzen. Die Veränderung des genus verbi άλλοιοΐ in άλλοιοΰται wäre dann überflüssig und sinnentstellend. Welche Funktion hat nun das mit οίον angeschlossene Beispiel? Die meisten modernen Kommentare schweigen: TORSTRIK und TRENDELENBURG, HICKS, THEILER und HAMLYN übergehen diese Frage. Lediglich RODIER 28 führt zu 435"2f. Themistios 228,13 an und verweist ferner auf den arg verderbten Text Simpl. 325,35, auf Joh. Philop. 605,13 und auf Sophon. 149,35. Aber auch diese Texte geben keinen befriedigenden Aufschluß über die Funktion des Exempels. So steht uns als einziger Anhaltspunkt für eine Beantwortung der von uns gestellten Frage der Aristotelestext selbst mit seinen Signalen zur Verfügung. Sowohl in dem Paradeigma selbst wie darüber hinaus auch in der gesamten Schlußpartie des Kapitels bis zur Kapitelfuge steht das μέχρι ου im Zentrum der Überlegungen. Wenn man dem Wachs ein Siegelbild aulprägt, so weicht das Wachs so weit zurück, wie man das Bild, oder genauer: die Hohlform eindrückt29. Der Stein steht hier als Beispiel eines schwer oder überhaupt nicht beweglichen Stoffes. Wasser und Luft jedoch lassen sich demgegenüber dann, wenn sie in Ruhe verharren und eine Einheit bilden, weithin (bzw. am weitesten) bewegen, so daß Farbe oder Gestalt durch sie hindurchgehen, wie wenn das Wachs den Eindruck bis zum anderen Ende (μέχρι τοϋ πέρατος) weitergeben würde. Die gegen empedokleische und platonische Vorstellungen polemisierende Bemerkung zur Reflektierung der 28

29

RODIER 5 7 3 .

Man vgl. dazu 435*2/10: ...oiov ei εις κηρόν βάψειέ τις, μέχρι τ ο ύ τ ο υ έ κ ι ν ή θ η , ε ως εβαψεν- λ ί θ ο ς δέ οϋδέν, ά λ λ ' υδωρ μέχρι πόρρω- ό 8' άήρ έπϊ π λ ε ί σ τ ο ν κιν ε ί τ α ι και π ο ι ε ί και π ά σ χ ε ι , έάν μένη και εις η· διό καϊ περί Ανακλάσεως β έ λ τ ι ο ν ή τήν ό ψ ι ν έ ξ ι ο ϋ σ α ν ά ν α κ λ α σ θ α ι τ ό ν αέρα π ά σ χ ε ι ν ύπό τοϋ σ χ ή μ α τ ο ς καϊ χ ρ ώ μ α τ ο ς , μ έ χ ρ ι περ ου α ν η εις. έπΐ δε τοϋ λ ε ί ο υ έ σ τ ϊ ν εις- διό π ά λ ι ν ο ύ τ ο ς τήν ό ψ ι ν κ ι ν ε ί , ωσπερ αν εί τό έν τω κηρφ σημεϊον δ ι ε δ ί δ ο τ ο μέχρι τοϋ π έ ρ α τ ο ς .

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183

δψις 3 0 sind in diesen Gedanken eingebunden und bedürfen keiner weiteren Erhellung. Im Mittelpunkt der Ausführungen des Aristoteles steht ohne Zweifel das μέχρι του, d.h. die Erklärung, wieso es möglich ist, daß eine άλλοίωσις sich in einem Medium bis zu dessen äußerster Begrenzung durch das αίσθητικόν fortbewegen kann. Diese Funktion erfüllt die in der Kommentierung stark vernachlässigte Partie, mit der das zwölfte Kapitel endet.

30

Vgl. dazu De sensu 437b10.

Dreizehntes Kapitel Die einleitenden Überlegungen des dreizehnten Kapitels greifen auf 434 b 10ff. zurück, freilich mit einer anderen Akzentsetzung. An der früheren Stelle wird die grundlegende Bedeutung des Tastsinns für das Lebewesen hervorgehoben. Wenn es aber kein Lebewesen ohne Tastsinn gibt, so kann der Körper des Lebewesens aus den oben dargelegten Gründen1 nicht einfach sein. Zur Begründung dieses Sachverhaltes weist Aristoteles auf die Rolle des Tastsinns für das Lebewesen hin: Ohne ihn sei es ihm unmöglich, ein anderes Wahrnehmungsvermögen zu besitzen. Jeder belebte Körper sei nämlich, wie bereits dargelegt, mit dem Tastsinn ausgestattet. Vergegenwärtigt man sich, daß das Ziel der Argumentation in dem Nachweis besteht, daß der Körper eines Lebewesens nicht einfach, d.h. nicht aus einem einzigen Element gebildet sein kann, so gilt es, die Ausführungen des Textes dieser Beweisfunktion zuzuordnen. Der entscheidende Gesichtspunkt, der dabei zu berücksichtigen ist, besteht in der Rolle des μεταξύ, also des Mediums für die αίσθησις. Die übrigen Elemente außer der Erde können zwar zu Sinnesorganen werden, aber sie bewirken die Wahrnehmung dadurch, daß sie vermittels eines anderen und durch Medien wahrnehmen. Der Tastsinn allein berührt die Gegenstände selbst und trägt daher auch seinen Namen. Und doch zeigt es sich bei näherem Zusehen, daß sich auch die Wahrnehmung der anderen Sinne auf Berührung zurückführen läßt. Aber sie nehmen durch ein anderes (δι' έτερου), d.h. durch ein Medium, wahr, der Tastsinn hingegen allein durch sich selbst2. Dabei wird der Gang der Argumentation durch die starke Betonung der unvermittelten Wirkweise des Tastsinns im Gegensatz zu der vermittelten der übrigen Sinnesvermögen eher verunklärt. Die Formulierungen 435" 17: ή δ' αφή τω αύτών απτεσθαί έστιν und "18: καίτοι κ αϊ τά άλλα αισθητήρια αφή αισθάνεται, άλλά δι' ετέρου' αϋτη δέ δοκεϊ μόνη δι' αύτής. erwecken den Eindruck, als argumentiere der Text hier gegen seine eigene These3. In Wahrheit aber steht seit 422b34/423"44 für Aristoteles5 fest, daß auch άφή auf ein Medium angewiesen ist. Zudem ist das Lebewe-

1 2

s.o. 173

435 a 14/19.

3

435" 11 f.

4

423B26:...üaxe τό μεταξύ τοΰ αχτικοΰ σάρξ.

5

C. FREELAND, Aristotle on the Sense of Touch, in: Essays on Aristotle's De Anima; ed.by M.C. NUSSBAUM and A. OKSENBERG RORTY, Oxford 1992, 230 macht darauf aufmerksam, daß das andere Argument 423B20/26 fehlerhaft sei, weil es eine Parallelisierung von Tast- und Gesichtssinn voraussetze, die es doch allererst zu beweisen gelte.

Dreizehntes Kapitel

185

sen als Körper tastbar, zugleich aber als Lebewesen tastfähig6 und kann somit folgerichtig nicht von einfacher Struktur sein. Man hat den Aufbau des Argumentes also wohl folgendermaßen zu verstehen: Sowohl der Tastsinn, als auch erst recht die übrigen Sinne, die ihrerseits ja auch nach 435Ί8 spezielle Formen des Tastsinns sind, bedürfen eines anderen Elements, um ihre Wirkung zu entfalten. Ein Motiv für die starke Hervorhebung des Tastsinns könnte darin vermutet werden, daß die Analyse des σώμα δμψοχον dessen Mehrschichtigkeit als notwendige Voraussetzung einer Wirkung des Tastvermögens klar nachzuweisen vermag, während bei den anderen Sinnen eben diese Mehrschichtigkeit zwar für das Funktionieren des Sinnes vorausgesetzt werden muß, aber eigentlich nur analog über die Deutung des jeweiligen Sinnes als einer Art άφή auf den Bau des σώμα δμψυχον bezogen werden kann. In der Folge gelangt Aristoteles auf einem anderen Weg zu demselben Ergebnis: Die Argumentation wendet sich den einzelnen Elementen zu und prüft am Beispiel der Erde, ob sie der Körper eines Lebewesens sein können. Die Prüfung fällt nach 435'19/b3 für alle Elemente negativ aus. Man könnte aus diesem Umstand den Schluß ziehen: Wenn keines der Elemente Körper eines Lebewesens sein kann, so ist damit ausgeschlossen, daß es der elementaren Konstitution nach einfache Körper von Lebewesen gibt. Eine Erklärung fordert der doppelte Hinweis auf das Medium als notwendige Bedingung der übrigen Sinne außer dem Tastsinn. Warum steht neben δι' έτερου der mit καί angeschlossene Ausdruck δια των μεταξύ? Entweder ist dieses καί explikativ, so daß der zweite Ausdruck den ersteren nur erläutert, oder der Doppelausdruck ist als echte Konjunktion zweier einander ergänzender, paralleler Aussagen gedacht. In diese letztere Richtung könnte die Differenzierung des Numerus weisen; δι' έτέρου würde dann auf den Umstand zu beziehen sein, daß die verschiedenen Formen der sinnlichen Wahrnehmung im Unterschied zum Tastsinn auf ein außerhalb des Körpers des Lebewesens befindliches Medium angewiesen sind, während δια τών μεταξύ gerade durch den Plural die Vielzahl der Einzelphasen bezeichnet, die das Bild von Farbe und Gestalt usw. bis zur Affektion des Sinnesvermögens, d.h. bis zur Berührung, bis zum Aufeinandertreffen von αΐσθητόν und αίσθητικόν zu durchmessen hat7. Die doppelte Bezeichnung des Mediums (δι' έτέρου.,.διά τών μεταξύ) scheint durchaus nicht beiläufig, sondern bedeutungsvoll gemeint zu sein. Die Relation der έτερότης wird zunächst hervorgehoben. Das Element des Mediums ist ein anderes, im Verhältnis zum vorherrschenden Baustoff des

6 7

434 b 13f. Vgl. auch 435« 1.

186

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Organismus8. Es hat den Anschein, daß Aristoteles aus dieser, nach seiner Auffassung konstitutiven έτερότης des Mediums im Verhältnis zum Erkennenden die Überzeugung gewinnt, daß die Elemente der Medien nicht Materie der Körper sein können. In dieses Bild fügt sich auch der Hinweis, daß aus den Elementen der Medien durchaus αισθητήρια gebildet sein könnten. Am ehesten könnte noch der Tastsinn aus dem Element Erde bestehen. Doch auch er fällt nach der Meinung des Aristoteles unter das Gesetz; denn der Tastsinn hat zwar als seinen Gegenstand zunächst das Element Erde und seine Eigenschaften soweit sie von diesem Sinn wahrgenommen werden können, aber nicht nur dieses, sondern auch warm und kalt und alles andere Tastbare. Da der Tastsinn also nur durch sich selbst wahrnimmt und nicht etwa eines Βτβρον bedarf, kann er nicht aus Erde bestehen. Deshalb nehmen wir auch mit den Teilen, die aus Erde sind, wie Haaren oder Knochen, nicht wahr, eben weil sie aus diesem Element bestehen. Wo aber kein Tastsinn ist, da kann es auch keinen anderen Sinn geben, dieses Sinnesorgan aber besteht weder aus dem Element Erde, noch aus irgendeinem anderen Element. Aus diesen Darlegungen erhellt die grundlegende Bedeutung des Tastsinns. Nimmt man dem Lebewesen allein dieses Vermögen, so muß es sterben. Ferner ist es für ein Wesen unmöglich, den Tastsinn zu besitzen, wenn es nicht zugleich ein Lebewesen ist. Auch bedarf es außer der Tastfähigkeit keines weiteren Sinnes, um ein Lebewesen zu sein. Um die herausgehobene Stellung des Tastsinns zu beweisen, stellt er die unterschiedlichen Auswirkungen von Funktionsstörungen der Wahrnehmung durch Sinneseindrücke von übermäßiger Heftigkeit in den übrigen vier Sinnen denjenigen im Tastsinn gegenüber: Während z.B. grelle Lichtblitze oder übermäßig starke Geräusche die jeweiligen Organe zerstören können, lassen sie den Gesamtorganismus im übrigen unbehelligt, es sei denn, daß diese Sinnesempfindungen mit lebensbedrohenden Wirkungen andere Art verbunden sind, die dann tödlich wirken. In diesem Fall ist die zerstörerische Auswirkung auf das gesamte Lebewesen aber nicht per se mit dem Sinneseindruck verbunden, sondern lediglich per accidens. Demgegenüber kann ein übermäßig starker Sinneseindruck, der den Tastsinn betrifft, zwar ebenso wie bei den übrigen vier Sinnen zunächst den Tastsinn vernichten. Da aber an diesem das Leben des Lebewesens hängt, geht zugleich mit dem Tastsinn auch das Lebewesen selbst zugrunde, weil es allein über dieses Vermögen verfügen muß, um ein Lebewesen zu sein. Den Tastsinn besitzt das Lebewesen um der Erhaltung des Lebens willen; die anderen Sinne dienen seinem Wohlbefinden, der Einrichtung behaglicher Lebensumstände. 8 Das gilt auch, wenn die angesprochenen Organe (Ohr, Auge etc.) aus den Stoffen der Medien bestehen.

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Wenn die Darlegungen des dritten Buches mit einer solchen Betonung der Bedeutung des Tastsinns ausklingen, so unterstreicht dieser Umstand in einer fast programmatischen Weise den Grundcharakter der Schrift, die der somatischen Verankerung psychischer Vorgänge nachspürt. Der entscheidende, dem Lebewesen Welt eröffnende Sinn ist der Tastsinn, und zwar in der doppelten Weise, daß er einmal notwendige und hinreichende Bedingung für die Aussage 'X ist ein Lebewesen' ist und zugleich mit allen anderen Sinnen als deren Grundzug verbunden bleibt; denn sie unterscheiden sich ja nur darin von der αφή, daß das αίσθητόν das Lebewesen nicht unmittelbar anrührt, sondern ein Medium, das den Kontakt an die αΐσθησις weiterleitet.

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Anaxagoras fr. Β 12 D.K.: 83 Anm. 15

Alex. Aphr. ap. Joh. Philop. in Ar. De an. 590,39f: 163 Anm. 31 Apor. III 6,90,4: 6

Aristoteles categoriae 2*7ff.: 109 Anm. 6 12-26/31: 113 Anm. 30 12"31/33: 113 Anm. 31 interpr. 16*9ff.: 109 Anm. 6 Kap. 2: 110 Anm. 14 anal, priora 68b13: 7Anm. 11 72«9f.: 4 Anm. 9 anal. post. 71*12/17: 93 Anm. 54 72b24: 120 85« 1: 120 88 b 35ff.: 120 88 b 35ff.: 121 Anm. 18 90*18: 38 Anm. 71 97b37: 62 Anm. 43 100»5/14: 70 Anm. 66 topica 120*37: 37 Anm. 72 123*34: 37Anm. 72 139b37: 37Anm. 72

phys. 192b24: 157 Anm. 31 200*16/17: 93 Anm. 53 200 b 12/202 b 29: 104 Anm. 10 201*10f.: 33 Anm. 49 201*11: 167 Anm. 36 201*13: 33. 36 202*13/14: 33 Anm. 48 219 b l: 113 Anm. 21 220 b 8ff.: 113 Anm. 21 226*29/33: 35 Anm. 60 256b24/26: 83 Anm. 15 257*10f.: 76 Anm. 79 262*21: 44 Anm. 101 263*23: 44 Anm. 101; 45 Anm. 103 262*30: 114 Anm. 25 266b27/267*17: 184 Anm. 25 gen. et corr. 330*30ff.: 91 Anm. 48 334 b 31ff.: 18 Anm. 45 meteor. 390"14: 137Anm. 50 de anima I und II 404 b 10ff.: 48 Anm. 3 405*13/17: 83 Anm. 15 405 b 19ff.: 49 Anm. 7 409b24: 48 409b25: 49 409 b 26/28: 142 409 b 27f.: 49 413'24f.: 150 Anm. 5 413 b 7f.: 150 Anm. 6 4\y>\tf.:163Anm. 22 413b14: 149 Anm. 4 413b27/29: 163 Anm. 22 415*16/21: 123 Anm. 19 415b8: 101 Anm. 4

198

Index

417'lff.: 143 417*14/16: 82 Arm. 9 417*15: 81 Anm. 8 417"21 ff.: 123 417*21 /b5: 88 417*30: 88 Anm. 34 417*30a: 88 Anm. 34 417*1: 81 Anm. 8 417b2/5: 81 417»2/7: 97 417*5: 54 417b6f.: 81 Anm. 8; 123 Anm. 21 417*7: 124 417b15f.: 81 Anm. 8 417b16: 97 Anm. 65; 123 Anm. 22; 123 417»19ff.: 122 417*24: 122 Anm. 20 417b31ff.: 141 418b7/9: 16 Anm. 43 418b9: 17 Anm. 44; 29 418 b l 1: 29 Anm. 31 420-3: 15 Anm. 37; 16 Anm. 41; Anm. 42 420*5: 36 Anm. 63; 37 Anm. 68 420*32: 37 Anm. 69 422*17ff.: 175 422*34/423"4: 184 423*15ff.: 175 Anm. 9 423*20/26: 175 Anm. 8; 184 Anm. 5 423*27: 18 Anm. 49 424*2: 87Anm. 30 424*24: 32 Anm. 44 De sensu 437*9: 19 Anm. 52; 37 Anm. 70 438*20:ff.: 18 Anm. 46; Anm. 47 442*29 (=VS 68 [Democr.] fr. A 119): 41 Anm. 84 449a3: 131 Anm. 40

locorum

De insomn. 459*5/20: 69 Anm. 64 460*3: 59 462· 13: 59 part. anim. 642*5 : 65 642*13: 83 Anm. 13 I 2/3: 108 642*30: 108 Anm. 3 645*14: 143; 144 653*23: 41 Anm. 83 656*27: 41 Anm. 83 687*10: 144 Anm. 21 687*19ff.: 144 Anm. 21 De motu animal. Kap. 2: 165 Anm. 39 700*ff.: 156 Anm. 7 700*20: 161 metaph. 987*27ff.: 96 Anm. 63 990*34/991*1: 135 993*30/*4: 3 Anm. 6 993*8/9: 4 Anm. 10 993*11/14: 3 Anm. 7 993* 15f.: 4 Anm. 8 1002*32: 45 Anm. 101 1002*34/*2: 45 1003*21: 164 Anm. 36 1009*16: 71 Anm. 70 1009*19: 48 1012*2ff.: 109 Anm. 6 1016*7: 19 Anm. 54 1016b26ff.: 45 Anm. 96 1016*34: 16 Anm. 39 1018*12ff.: 81 Anm. 5; Anm. 15 1018*15: 142 1019*6ff.: 121 1020*14: 175 Anm. 10 1022*4/14: 102 Anm. 9 1022*32/36: 113

148

Index

Ε 1: 93 1025b30/1026*16.: 89Anm. 41 1025b32/1026*32: 93 Anm. 54; 93 Anm. 55 1027b17ff.: 109Anm.6 1037*33: PO θ 8: 121 1051b17ff.: 109 Anm. 6; Anm. 11. 105 l b 23/33: 109 Anm. 10 1051b24: 125 Anm. 28 1054b3ff.: 142 1055*3/10: 160 Anm. 23 1055*4ff: 160 1060"15f.: 44 Anm. 94 1060Ί5/16: 1134 1069*11/14: 45 Anm. 96; 97; 1073*23/31: 34 Anm. 53 1074b30ff: 98 1079*31: 135 Anm. 48 1084b26: 45 Anm. 96 1087*16/18: 122

locorum

fr. Β 59: 110 Anm. 12 fr. Β 106: 48 fr. Β 108: 48 Homer Od. σ 136: 48 Job.Philop. in Arist. De an. 489,10: 51 Anm. 12 498,13: 64 Anm.50 605,6: 181 605,13: 182 Piaton Theaet. 183 C: 35 Anm. 54 184 C/D: 34 Pom. 277 B: 140 Anm. 4

eth. Nie. 1112»llff.: 158 Anm. 16 Ε 1: 30 1129*6f.: 30 Anm. 32 1139*22: 125 1142b13: 71 1146b29: 7 Anm. 10 1153*9ff.: 126 1174*13/19: 126

Phüeb.

eth. Eud. 1224*14: 71 Anm. 69 1224'38/»2: 71 1235b25: 125 Anm. 31

505 D: 140 Anm. 4

rhet. 1378*8: 7Anm. 12 1404b3: 113 Anm. 28 Empedocles fr. Β 58: 110 Anm. 12

199

66 D: 140 Anm. 4 Phaedr. 270 B: 71 Anm. 68 Gorgias

Resp. 365 A4ff.: 14 411 D: 71 Anm. 68 434 D: 146 436: 146 505 Ε/511 E: 108 Anm. 5 507 D 11/E2: 103 Anm. 13 507 Ε 6/508 A 3: 104 Anm. 20 508 Äff.: 103 Anm. 12 548 71Anm. Anm.2168 Timaeus 32 A:B:10

200

Index

locorum

50 Ε: 83 Anm. 14 61 Cff.: 18 Anm. 46

in Ar. De caelo 587,1: 109 Anm. 8

Criüas 112 E 2 f f . : 14

Sophon. in Ar. De an. 124,33: 86 Anm. 27 149,35: 182

leges 707 C: 140 Anm. 4 722 B: 71 Anm 68 957 B: 140 Anm. 4 Plut. Ath. ap. Joh. Philop. in Ar. De An. 520,34: 80 Anm. 3 591,Iff.: 163 Anm. 31 Posid. F 267 THEILER: 85 Anm. 22 Simpl. In Ar. De an. 172,11: 6 Anm. 2 178,15ff.: 13 Anm. 31 178,20: 15 Anm. 35 178,21 f.: 14Anm. 33 184,5/9: 20 Anm. 56 189,15: 28 Anm. 25 204f.: 51 Anm. 13 205,16ff.: 55 Anm. 30 209,1: 64 Anm. 50 232,30/233,3: 92 Anm. 51 280,11: 140 Anm. 3 282,13/17: 143 Anm. 15 292,15ff.: 151 Anm. 24 293,14/17: 151 Anm. 26 293,1: 151 293,37: 150 Anm. 22 300,14/30: 163 Anm. 31 300,20: 162 Anm. 29 303,22: 165 Anm. 42 303,25: 165 Anm. 41 310,3: 168 Anm. 6 310,30: 170 Anm. 13 325,35: 182

Themist. in Ar. De an. paraphr. 96,27/30: 92 Anm. 51 107,30/109,3: 101 Anm. 6 108,18/28: 101 Anm. 6 228,13: 182 Xenopb. memorabilia 2,1,18: 164 Anm. 36 3,3,12: 116 Anm.38