Strukturelle Architektur: Zur Aktualität eines Denkens zwischen Technik und Ästhetik [1. Aufl.] 9783839418178

In den 1960er-Jahren entwickelte sich mit dem Strukturalismus eine neue Wissenschaftsströmung mit Anspruch auf Allgemein

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Strukturelle Architektur: Zur Aktualität eines Denkens zwischen Technik und Ästhetik [1. Aufl.]
 9783839418178

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
I. STRUKTURELLE KONZEPTE
Strukturelles Denken als Methode
Strukturale Ansätze in der Architekturtheorie der sechziger und siebziger Jahre
Strukturelles Denken an der Hochschule für Gestaltung Ulm
Fritz Haller und der Mikrochip. Architektur, Abstraktion und die Miniaturisierung des Technischen
Eine Bestätigung: Geometrische Ansätze des aktuellen Strukturalismusdiskurses in der Architektur
II. STRUKTUREN IM KONTEXT
Baum oder Rhizom? Vom Nutzen und Nachteil struktureller Denkbilder für die Architektur
Peter Eisenman: Von der Syntax des Gegenstands zur Poetik der Landschaft
Micromégas
Erinnerung als Neu-Erschaffung, (Re)Programmierung von Stadt. Eine Versuchsbeschreibung
Hauskybernetik
Autorinnen und Autoren

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Joaquín Medina Warmburg, Cornelie Leopold (Hg.) Strukturelle Architektur

Architekturen | Band 9

Joaquín Medina Warmburg, Cornelie Leopold (Hg.)

Strukturelle Architektur Zur Aktualität eines Denkens zwischen Technik und Ästhetik

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Christina Bisanz und Julia Visevic, TU Kaiserslautern 2010 Redaktion & Lektorat: Cornelie Leopold Übersetzung des Beitrags von Luigi Cocchiarella aus dem Englischen: Cornelie Leopold Übersetzung des Beitrags von Mayka García-Hípola aus dem Spanischen: Joaquín Medina Warmburg Satz: Silke Wienands Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1817-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort | 7

I. S TRUKTURELLE K ONZEPTE Strukturelles Denken als Methode

Cornelie Leopold | 15 Strukturale Ansätze in der Architekturtheorie der sechziger und siebziger Jahre

Claus Dreyer | 37 Strukturelles Denken an der Hochschule für Gestaltung Ulm

Hermann Edel | 55 Fritz Haller und der Mikrochip Architektur, Abstraktion und die Miniaturisierung des Technischen

Georg Vrachliotis | 75 Eine Bestätigung: Geometrische Ansätze des aktuellen Strukturalismusdiskurses in der Architektur

Luigi Cocchiarella | 103

II. S TRUKTUREN

IM

K ONTEXT

Baum oder Rhizom? Vom Nutzen und Nachteil struktureller Denkbilder für die Architektur

Joaquín Medina Warmburg | 121 Peter Eisenman: Von der Syntax des Gegenstands zur Poetik der Landschaft

Mayka García-Hípola | 139 Micromégas

Luc Merx | 155 Erinnerung als Neu-Erschaffung, (Re)Programmierung von Stadt Eine Versuchsbeschreibung

Matthias Castorph, Benjamin Dillenburger | 173 Hauskybernetik

Angèle Tersluisen | 187

Autorinnen und Autoren | 201

Vorwort

Das gegenwärtig wiedererwachte Interesse am Strukturellen in der Architektur wirft zahlreiche Fragen auf. Zunächst gilt es zu klären, welcher Strukturbegriff überhaupt heute zum Tragen kommt. Vielfach wird eine Kontinuität jenes Strukturalismus beschworen, der, von der Linguistik und der Anthropologie ausgehend insbesondere die Geisteswissenschaften bis weit in die 1960er Jahre prägte, auch auf die Architektur und die Stadt übertragen wurde. Doch erst in den 1970er Jahren wurde begonnen, von einer „strukturalistischen Architektur“ zu sprechen. Der Verdacht liegt nahe, dass es sich zu diesem Zeitpunkt bereits XPHLQHQ9HUVXFKGHUEDXKLVWRULVFKHQ.ODVVL¿]LHUXQJJHKDQGHOWKDW also der Absicht entsprang, zeitgleiche Phänomene aufgrund von formalen und konzeptionellen Verwandtschaften zusammenzufassen und sie für einen abstrakten Diskurs verwertbar zu machen. In diesem Fall wurde die Existenz einer transdisziplinären Denkungsart behauptet. Die architektonische Entsprechung sah man am ehesten in einer elementaren und universellen Sprache der Geometrie und der Konstruktion – etwa in Aldo van Eycks „Ästhetik der Anzahl“. Die Ungenauigkeit der bauhistorischen Begriffsbildung wird daran ersichtlich, dass man heute eher die Vielzahl jener „Strukturalismen“ feststellen muss. 'LH*UXQGKDOWXQJEOHLEWMHGRFKELVKHXWHYHUIKUHULVFK'DV9HUWUDXHQ an einen übergeordneten bzw. grundlegenden strukturellen Denkansatz, der die vielfältigen für die Architektur maßgeblichen Faktoren und Teildisziplinen zu integrieren vermag. Nicht zuletzt bleibt dies ein lohnendes Ziel für die Architektur sowohl als künstlerische wie als wissenschaftliche Disziplin. Die Beiträge in diesem Buch knüpfen an solche strukturellen Denkansätze in der Architektur an, beziehen sich weniger auf den historischen Begriff des Strukturalismus. Daher ist im

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Titel nicht von strukturalistischer Architektur sondern von struktureller Architektur die Rede. Woher aber diese unerwartete, teils restaurative Wendung zugunsten von Ansätzen, die noch vor kurzer Zeit als gescheiterte Sackgassen galten? Es ist mehrfach festgestellt worden, dass sich der aktuelle Strukturalismus-Diskurs auf die Architektur und wenige mit ihr verwandten Bereiche beschränkt, wie etwa der sogenannten Design Science. Man könnte daraus schließen, dass diesmal entwurfs-, gar architekturspe]L¿VFKH )UDJHQ GHU 0HWKRGH XQG GHV JHUHJHOWHQ$XIEDXV LP 0LWWHOpunkt stünden. Das trifft teilweise zu. Nicht ein Paradigmenwechsel in den Geisteswissenschaften ist diesmal der Auslöser, sondern vielmehr das Fortschreiten neuer technischer Mittel, allen voran die digitalen 0HWKRGHQ(QWVSUHFKHQGLVWVHOEVWGLHWKHRUHWLVFKH5HÀH[LRQSULPlU auf die Beschreibung und Einschätzung der neuen Entwurfsmethoden und Produktionsverfahren sowie der ihnen innewohnenden Gestaltungspotentiale hin ausgerichtet. In diesem Zusammenhang fallen die Parallelen zu den kybernetischen Ansätzen der 1960er Jahre auf, die sich auf die technischen neuen Entwicklungen bezogen, insbesondere an den neu entwickelten Informationsbegriff anknüpften, der in diesen Zusammenhängen zu einer gemeinsamen Basis für Gestaltung und Technik wurde. Daher scheint ein Erinnern an die kybernetischen strukturellen Denkweisen, wie sie u.a. an der Hochschule für Gestaltung Ulm vertreten wurden, in den aktuellen Debatten regel-basierter und algorithmischer Entwurfsmethoden vielversprechend. Die damaligen ersten Computerkunstexperimente im Umkreis Max Benses mögen als Vorreiter der aktuellen digitalen Entwurfsexperimente in Architektur und Design interpretiert werden. Sind es aber nur die heutigen Rechenleistungen und neue digitale Werkzeuge, über die einige der unerfüllten Desiderate der „strukturalistischen“ Architektur an Aktualität gewonnen haben? Zweifel sind angebracht. Selbst in der verbindlichen und nachvollziehbaren Formentwicklung eines parametrischen Entwerfens lassen sich ästhetische Sehnsüchte ausmachen, die sich leicht bis in die Moderne rückverfolgen ließen. Die ästhetische Bevorzugung des Strukturellen ist aber teils auch als Reaktion gegen die technischen Möglichkeiten

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GHU.RPSOH[LWlWVHU]HXJXQJ]XYHUVWHKHQDOV9HUVSUHFKHQGHU%HZlOtigung der Komplexität zugunsten von nachvollziehbarem Zusammenhang und formaler Synthese. Hier kann man sehr wohl von den architektonischen Aspekten einer übergeordneten, allgemeingültigen +HUDXVIRUGHUXQJ GHU *HJHQZDUW VSUHFKHQ DXV GHU KHXWH ]XU 9HUIgung stehenden, schier unvorstellbaren Datenmenge durch das gezielte Schaffen von Strukturzusammenhängen sinnvolles Wissen entstehen zu lassen; wenn nicht sogar die bloße Verarbeitung von Informationen in ein ästhetisch wertvolles Narrativ zu verwandeln. Diese Herausforderung der Integration gilt insbesondere für die Lehre – etwa für eine Architekturlehre, die ein sinnvolles Ineinandergreifen einzelner Aspekte beabsichtigt und selbst das Kleinste in die großen Zusammenhänge einzuschreiben versucht. Das heißt aber, dass eine strukturelle Architektur, neben den bereits angesprochenen technischen und ästhetischen Erwägungen, auch auf die Einbeziehung des soziokulturellen Kontextes achten muss. Diese Anmerkung ist insofern berechtigt, als einige der strukturellen Ansätze der Vergangenheit gezielt auf die Eigengesetzlichkeit als Weg zur formalen Synthese gesetzt haben. Diese Eigenschaft gleitet leicht in eine ausschließliche Selbstbezüglichkeit ab, die durchaus kritisch zu betrachten ist. Erinnern wir uns der bekannten Parabel vom „defekten“ Sportwagen – technisch wie ästhetisch eine herrliche Maschine, die jedoch schon nach kürzester Zeit von ihrem enttäuschten Besitzer zurückgegeben wurde, ZHLO VLH VHLQHV (UDFKWHQV QLFKW ÄULFKWLJ³ IXQNWLRQLHUWH 6WlQGLJ EOLHE sie vor Ampeln stehen oder im Stau stecken. In Analogie hierzu ließe sich beispielsweise die Entwicklung an der Abteilung Bauen der HfG Ulm verstehen, wo im Zuge der intensiven Detailarbeit an Fragen der Industrialisierung des Bauens die großen Zusammenhänge aus den Augen verloren gingen und letztlich zu architektonisch wie sozial fragwürdigen Hervorbringungen führte. Die Einbeziehung der kontextuellen Umstände in einen strukturellen Zusammenhang eröffnet neue Gestaltungsspielräume und ganzheitliche Betrachtungsweisen und schützt vor einer allzu einschränkenden Verselbständigung der Form in ihrer technischen und ästhetischen Prägung. Dieses Aufbrechen durch ein Denken in Strukturen bedeutet

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jedoch nicht notwendig ein Aufweichen der inneren Logik der Form oder einen Verzicht auf den integrativen Anspruch, sondern gerade die Einbeziehung vielfältiger Bezüge in ihren Relationen zueinander in ein Gesamtsystem. Das vorliegende Buch verstehen wir als Anregung, über eine strukturelle Architektur zwischen Technik und Ästhetik nachzudenken, die auch dem Kontext gerecht wird. Ein Kontext, dessen Deutung auch strukturell angegangen werden kann. Der hier intendierte strukturelle Ansatz darf nicht als ein vereinfachtes Denken missverstanden werden. Das Buch ist im akademischen Umfeld der Architektenausbildung entstanden. Ausgangspunkt war das Bemühen um die Veranschaulichung der für uns gegebenen Zusammenhänge zwischen Geometrie und Geschichte, als zentrales Spannungsfeld für das Verständnis wie für das Schaffen architektonischer Formen. Dabei dienten die Ansätze des Strukturalismus als Basis und Maßstab, um Regeln und Spielräume der Konnexion zu verstehen und zu vermitteln. Für die FortfühUXQJGLHVHU5HÀH[LRQKDEHQZLU$XWRUHQJHZLQQHQN|QQHQGLHWHLOV ausgewiesene Experten in Fragen struktureller Denkweisen sind. Sie stecken im ersten Teil des Buches das Feld der Strukturbegriffe und der dazugehörigen strukturellen Konzepte ab. Für den zweiten Teil haben wir auch Kollegen einbezogen, die in einer kritischen Distanz strukturelles Denken in ihre aktuellen Gestaltungsprozesse einbeziehen und dieses damit im Kontext der Architektur neu positionieren. Im ersten Beitrag erläutert Cornelie Leopold den Strukturbegriff, insbesondere im Zusammenhang der Entwicklung der Mathematik als einer allgemeinen Strukturwissenschaft, und zeigt die Verknüpfungen zu Kybernetik, Semiotik und Ästhetik entsprechend der Theorie Max Benses auf, die Gestaltungsansätze an der Hochschule für Gestaltung Ulm prägten. Strukturalistische Ansätze, wie sie Christian NorbergSchulz, Umberto Ecos und Roland Barthes entwickelten und die einen JUR‰HQ (LQÀXVV DXI GLH$UFKLWHNWXUWKHRULH GHU VHFK]LJHU XQG VLHE]Lger Jahre ausübten, stehen im Mittelpunkt der Ausführungen Claus Dreyers. Wie strukturelles Denken an der Hochschule für Gestaltung Ulm aussah, schließt Hermann Edel in seinem Artikel an und zeigt Methoden der Gestaltung an eigenen experimentellen Studien zu

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ästhetischen Anordnungen auf. Fritz Haller hatte über Konrad Wachsmann Kontakt zum Struktur- und Systemdenken an der HfG Ulm. Georg Vrachliotis stellt die eng mit technischen Entwicklungen verbundenen Forschungen und Umsetzungen zu Bausystemen Fritz Hallers in seinen Bezügen zur Kybernetik dar. Luigi Cocchiarella schließt den ersten Teil des Buches zu „Strukturellen Konzepten“ mit einer Analyse der Zusammenhänge von Geometrie und Repräsentation mit den digitalen Entwicklungen und deren Auswirkungen auf strukturelles Denken in der Architektur ab. Joaquín Medina Warmburg beginnt den zweiten Teil des BuFKHV ]X Ä6WUXNWXUHQ LP .RQWH[W³ PLW HLQHU NULWLVFKHQ 5HÀHNWLRQ GHU strukturellen Denkbilder „Baum“ und „Rhizom“, an Hand derer von Le Corbusier über Aldo van Eyck bis Christopher Alexander in der Architektur im Zusammenhang des Strukturalismus wichtige Auseinandersetzungen geführt wurden. Es wird die Frage aufgeworfen, inwieweit auch die verschiedenen Strukturbegriffe jeweils aus einem VSH]L¿VFKHQ NXOWXUHOOHQ .RQWH[W KHUDXV JHGHXWHW ZHUGHQ PVVHQ ,Q ihrem Beitrag schließt Mayka García-Hípola die Untersuchung an, wie sich der strukturelle Ansatz im Werk von Peter Eisenman von einem syntaktischen objekthaftem Strukturdenken über semantische Ansätze zum poetischen architektonischen Vorgehen unter Einbeziehung der Landschaft und der Geschichte gewandelt hat. Auf komplexe Ordnungsstrukturen und Werkzeuge bezieht sich Luc Merx in der Beschreibung seiner eigenen geschichtsbezogenen Entwurfsarbeit. Doch gleichzeitig ist die Ordnung für ihn genau dann interessant, wenn sie scheitert, unscharf wird und zerbröckelt. Um Strukturen in der realen Stadt aufzuspüren, diese zu erfassen und dann für die algorithmische „Neu-Erschaffung“ von Stadt zu verwenden, geht es Matthias Castorph und Benjamin Dillenburger in einem Experiment mit Architekturstudierenden. Das Buch schließt mit einem Beitrag von Angèle Tersluisen zur Hauskybernetik, in der strukturelles Denken auch auf aktuelle energetische Fragen der Architektur angewandt wird, diese aber nicht isoliert, sondern integriert werden in die Betrachtung eines Hauses als kybernetisches System.

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In den Beiträgen werden sowohl Potentiale als auch Grenzen, Leistungen und Auslassungen, Vorzüge und Gefahren des Strukturellen aufgezeigt. Das Ergebnis gibt keine eindeutige Antwort darauf, wie eine wünschenswert strukturelle Architektur auszusehen bzw. konstituiert zu sein hat. Es macht aber deutlich, dass der Strukturgedanke im Streben nach einer architektonischen Integration von ästhetischen, technischen und kontextuellen Aspekten in einem als System begriffenen Ganzen durchaus fruchtbar sein kann. In diesem Sinne verdient er im aktuellen Diskurs zu Recht wieder Beachtung. Joaquín Medina Warmburg und Cornelie Leopold

I. Strukturelle Konzepte

Strukturelles Denken als Methode CORNELIE LEOPOLD

In der Vergangenheit gab es verschiedene Versuche, Gestaltungsprozesse in der Architektur auf nachvollziehbare rationale Methoden zu gründen. Ausgehend von strukturellen Denkweisen in der Mathematik, die insbesondere mit dem Vorhaben Bourbaki die Mathematik revolutionierten, entwickelten sich in den 1950er und 1960er Jahren neue Ansätze in Gestaltung und Architektur. Zum damaligen Zeitpunkt wurden diese neuen Methoden in Stuttgart von Pionieren der Computerkunst wie z.B. Frieder Nake und Georg Nees aufgegriffen und in Computerkunst-Experimenten umgesetzt. Der Begriff der Information diente als umfassende Plattform für die Vereinigung von Kunst und Technik. An der Hochschule für Gestaltung Ulm wurde in einem kurzen, aber intensiven Experiment der Versuch unternommen, mathematisch strukturelles Denken mit der Gestaltung zu verknüpfen. Max Bense als Philosoph und Wissenschaftstheoretiker sowie Max Bill als Künstler und Architekt verkörperten dort zu Beginn die Verknüpfung des theoretischen Ansatzes mit dem praktischen Gestalten. Trotz ihres kurzen Bestehens, erreichte die HfG einen weltweit großen Wirkungskreis über die Dozenten und Schüler. So ist z.B. erst durch Kurd Alsleben, der an der HfG Ulm Systemtheorie lehrte, das Feld der Computerkunst in den 1970er Jahren an den Kunsthochschulen aufgegriffen worden.1  9JO&KULVWRSK.OWVFK&RPSXWHU*UD¿NlVWKHWLVFKH([SHULPHQWH]ZLVFKHQ]ZHL.XOWXUHQ'LH$QIlQJHGHU&RPSXWHUNXQVWLQGHQHU-DKren:LHQYJO.XUG$OVOHEHQbVWKHWLVFKH5HGXQGDQ]. AbhandOXQJHQEHUGLHDUWLVWLVFKHQ0LWWHOGHUELOGHQGHQ.XQVW. Quickborn 1962.

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Wenn nun heute unter den Begriffen des regelbasierten und parametrischen Entwerfens mit digitalen Werkzeugen strukturelle Ansätze aktuell werden, so scheint man sich erst langsam an diese frühen Ansätze zu erinnern. In den letzten Jahren gab es ein neues Interesse von jungen Wissenschaftlern und Künstlern an der gegenseitigen Befruchtung von Philosophie, Technik und Ästhetik in Stuttgart in der Pionierphase der Computerkunst. In dem 2004 anlässlich des Symposiums Stuttgart &RPSXWHULQ7KHRULHXQG.XQVW an der Akademie Schloss Solitude erschienen Bandes Ästhetik als ProgrammUHÀHNWLHUHQGLH$XWRUHQ GHQ*UXQGIUGLHLQ9HUJHVVHQKHLWJHUDWHQHQ$UEHLWHQ%HQVHV „Ein Grund für dieses Vergessen ist vermutlich das Höchstmaß an mathematischer Formalisierung und Abstraktion, mit dem sich […] Benses informationstheoretische Konzeptualisierungen der ‚transklassischen Maschine‘ geltend machten.“2

Das ist sicher einer der Gründe. Aber auch die schwer zugänglichen Schriften Benses zur Semiotik, die er in seinen späteren Jahren zu einem ontologisch fundierten System in numerischer Schreibweise ausgearbeitet hat, haben vermutlich dazu beigetragen. An der HfG Ulm wurden sowohl mathematische als auch informationstheoretische und semiotische Denkweisen als Fundament für die Gestaltung verwendet. Tomás Maldonado und Gui Bonsiepe beschreiben in ihrem Aufsatz :LVVHQVFKDIWXQG*HVWDOWXQJ3 von 1964 als für GLH *HVWDOWXQJ UHOHYDQWH PDWKHPDWLVFKH 'LV]LSOLQHQ .RPELQDWRULN Gruppentheorie, Kurventheorie, Polyedergeometrie und Topologie. Eingebettet sind die mathematischen Disziplinen in die Suche nach einer Methode für die Gestaltung. Entgegen der Meinung einiger Kritiker des Experiments Ulm wurde dort die Gestaltung nicht auf mathe-

 %DUEDUD%VFKHU+DQV&KULVWLDQYRQ+HUUPDQQ&KULVWRSK+RIIPDQQ bVWKHWLNDOV3URJUDPP0D[%HQVH'DWHQXQG6WUHXXQJHQ. Berlin 2004, 5.  7RPiV0DOGRQDGR*XL%RQVLHSH:LVVHQVFKDIWXQG*HVWDOWXQJ,Qulm 10/11, 1964.

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matische Methoden reduziert. So schreiben Maldonado und Bonsiepe LQGLHVHP$XIVDW] „Das Aufgebot der angeführten mathematischen Disziplinen sollte nicht zu dem sich vielleicht anbietenden Schluss verleiten, dass schöpferisches Denken und Handeln, sowohl im Bereich der Wissenschaft als auch im Bereich der Gestaltung, total algorithmisiert werden können. Denn es ist falsch, die Beziehung des Gestalters zu den ihm aufgetragenen Problemen in einem Modell in Form eines einfachen determinierten Systems abbilden zu wollen, wo HVVLFKGRFK±ZLHEHLMHGHPVFK|SIHULVFKHQXQGHU¿QGHULVFKHQPHQVFKOLFKHQ Verhalten – um einen Prozess handelt, der – wenn überhaupt – dann nur mit Modellen auf der Stufe der komplexen probabilistischen Systeme abgebildet bzw. dargestellt werden kann. Bestritten wird hier nicht die in einem beVWLPPWHQ5DKPHQZRKOP|JOLFKH4XDQWL¿]LHUXQJXQG)RUPDOLVLHUXQJYRQ Gestaltungsproblemen, welches Vorgehen darauf zielt, die Lösung dieser Probleme zu optimieren oder zu suboptimieren.“4

In den aktuellen Entwicklungen eines regelbasierten und algorithmischen Entwerfens in der Architektur scheinen Bezüge zum mathematisch strukturellen Denken unabdingbar. Die teils beliebig erscheinenden digitalen Experimente sollten sich dieser Methoden besinnen. Vermutlich kann erst mit den heutigen digitalen Möglichkeiten das Potential dieses methodischen Instrumentariums umfassend erkannt werden. Die Ansätze eines mathematisch strukturellen Denkens sollen hier zusammenfassend dargestellt werden, um eine Basis herzustellen. Einige historische Wurzeln des Begriffs der Struktur versuchen im folgenden deutlich zu machen, worauf sich eine Methode des strukturellen Denkens stützen kann.

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Ebd., 20-21.

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Struktur und System Das Wort Struktur bezieht sich vom Wortursprung her auf das lateinische Wort structura, das ordentliche Zusammenfügung, Bau, Zusammenhang bedeutet bzw. als Verb lateinisch struere schichten bzw. zusammenfügen. Der Begriff Struktur tauchte in der deutschen Sprache im 17. Jahrhundert auf und wurde zunächst in der Architektur in der Bedeutung .RQVWUXNWLRQ auf Bauwerke bezogen, dann auch in anderen Wissenschaften, z.B. in der Botanik eingeführt. Bei Immanuel Kant tritt der Begriff der Struktur im Zusammenhang der Naturerforschung auf, er bezieht ihn auf einen lebendigen Organismus und wird als „Lage und Verbindung der Teile eines nach HLQKHLWOLFKHP =ZHFN VLFK ELOGHQGHQ 2UJDQLVPXV³ GH¿QLHUW5 Es tritt bei ihm also der Gedanke auf, dass eine Struktur zu erforschen bedeutet, ein Ganzes in Teile zu zerlegen, aber die Lage und Verbindung der Teile entscheidend das Ganze des Organismus ausmachen. Damit verknüpft sich der Strukturbegriff bereits mit dem Systembegriff. Teile, Elemente werden zu einer Einheit verbunden, stehen in einem System in Relationen untereinander und bilden ein Ganzes. Diese Relationen, also die Art und Weise wie diese aufeinander bezogen sind, bilden die Struktur des Systems. Ein System funktioniert, entsteht bzw. erhält sich durch die Struktur. Systeme organisieren und erhalten sich durch Strukturen. Der Begriff der Struktur steht also mit dem des Systems in enger Beziehung. Ein Ganzes in Teile zu zerlegen und die Teile zu einem neuen Ganzen zusammenzufügen war Thema der Studienprojekte „Es war einmal ein Würfel …“ von Architekturstudierenden im Sommersemester 2010 in einem Geometrieseminar an der TU Kaiserslautern. In diesem Beispiel wurde das Ganze des Würfels mit einer Teilungsstruktur versehen, wodurch sich ein System im Kleinen einstellt, das neue systematische Kompositionen ermöglicht.

 ,PPDQXHO .DQW .ULWLN GHU 8UWHLOVNUDIW. 1790. Ausgabe Leipzig 1930, §66, 304.

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$EELOGXQJ :UIHO]HUOHJXQJXQG1HXNRPSRVLWLRQYRQ*HRUJ0OOHU

4XHOOH0RGHOOIRWR*HRUJ0OOHU

In diesem Beispiel wird deutlich, dass damit selbstverständlich noch keine Architektur entsteht, aber doch Möglichkeiten einer Morphologie auf systematischer Grundlage erprobt werden können. Elemente in einem System zu betrachten geht zurück auf Johann Heinrich Lambert,6 elsässischer Mathematiker, Logiker, Physiker und Philosoph, der von Systematologie gesprochen hatte. Er formulierte bereits 1782 einen umfassenden Systembegriff, bei dem Gebilde beliebiger Art zu Systemelementen werden können. Systeme sind für ihn die ]ZHFNPl‰LJ]XVDPPHQJHVHW]WHQ Ganzen. Er knüpft damit an den Kantschen Strukturbegriff an. Die Systemtheorie wurde schließlich auf der Grundlage von Kybernetik und Informationstheorie in den 1950er Jahren systematisch ausgearbeitet und stellte eine wichtige

 *HR6LHJZDUW +J -RKDQQ+HLQULFK/DPEHUW7H[WH]XU6\VWHPDWRORJLH XQG]XU7KHRULHGHUZLVVHQVFKDIWOLFKHQ(UNHQQWQLV. Hamburg 1988.

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Voraussetzung für die Entwicklung der Technik dar, auf deren Grundlage sich die Computerwissenschaften entwickelten. Als Fundament für die Systemtheorie fungierte der Strukturbegriff, LQGHPVLFK6WUXNWXUXQG6\VWHPLQGHU0LQLPDOGH¿QLWLRQHLQHU6WUXNWXUYHUNQSIHQ6WUXNWXULVWHLQH0HQJHYRQ5HODWLRQHQGLHGLH(OHmente eines Systems miteinander verknüpfen.

Strukturbegriff der Mathematik Dieser sehr allgemeine Strukturbegriff knüpft an den der Mathematik an, die sich in den 1930er Jahren als eine allgemeine StrukturwissenVFKDIWDXVELOGHWH3DXO%HUQD\VIRUPXOLHUWHEHUHLWV „Diese Abstraktion, welche als die formale oder mathematische Abstraktion bezeichnet werden möge, besteht darin, dass von einem Gegenstand […] die strukturellen Momente, d.h. die Art seiner Zusammensetzung aus Bestandteilen hervorgekehrt und ausschließlich in Betracht gezogen wird. Man kann GHPQDFKDOVPDWKHPDWLVFKH(UNHQQWQLVHLQHVROFKHGH¿QLHUHQZHOFKHDXIGHU strukturellen Betrachtung von Gegenständen beruht.“7

Grundlegend für diesen Standpunkt war die Axiomatisierung der Euklidischen Geometrie durch David Hilbert.8 Er verwendet hierfür „drei verschiedene Systeme von Dingen“, nämlich Punkte, Geraden und Ebenen, und „drei grundlegende Beziehungen“, OLHJHQ ,Q]LGHQ] ]ZLVFKHQ $QRUGQXQJ und NRQJUXHQW .RQJUXHQ] . Dabei spielt es keine Rolle, was diese Dinge sind. Sie sind ausschließlich implizit durch ihre 9HUNQSIXQJLQHLQHP$[LRPHQV\VWHPGH¿QLHUW+LOEHUWVROOLQVHLQHU Vorlesung gesagt haben, man müsse jederzeit an Stelle von „Punkte, Geraden, Ebenen“ „Tische, Stühle, Bierseidel“ sagen können.  3DXO%HUQD\V'LH3KLORVRSKLHGHU0DWKHPDWLNXQGGLH+LOEHUWVFKH%HZHLVWKHRULH1DFKGUXFNLQ3DXO%HUQD\V$EKDQGOXQJHQ]XU3KLORsophie der Mathematik. Darmstadt 1976, 23.  'DYLG +LOEHUW Grundlagen der Geometrie /HLS]LJ  1HXDXÀDJH Stuttgart 1999.

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$EELOGXQJ Mutterstrukturen und Multiple Strukturen der Mathematik Spezielle Strukturen mathematische Einzeldisziplinen und Modelle Beispiel Euklidische Ebene Geometrie

Multiple Strukturen Beispiel Geometrie

Mutterstrukturen (Grundstukturen) Ordnungsstrukturen

Algebraische Strukturen

Topologische Strukturen

Anordnung, Relationen, Netz, ...

Verknüpfung mit Eigenschaften Gruppe, Körper, Vektorraum, ...

Nachbarschaft, Umgebung, ...

4XHOOH=HLFKQXQJ&RUQHOLH/HRSROG9

Die unter dem Pseudonym publizierende Mathematikergruppe Bourbaki10 arbeitete schließlich daran, die Mathematik als eine Strukturtheorie aufzubauen, indem sie die gesamte Mathematik nach einigen IXQGDPHQWDOHQ 6WUXNWXUHQ GHQ 0XWWHUVWUXNWXUHQ QHX RUGQHWH Ordnungsstrukturen (z.B. Netz, Gitter), algebraische Strukturen (z.B. Gruppe, Körper), topologische Strukturen (z.B. Nachbarschaft, Stetigkeit). Diese Grundstrukturen führen dann gemäß dem Bourbakischen 9

Vgl. hierzu die allgemein verständliche Darstellung zu den mathematiVFKHQ6WUXNWXUHQYRQ3LHUUH%DVLHX['LH$UFKLWHNWXUGHU0DWKHPDWLN Denken in Strukturen5HLQEHNEHL+DPEXUJ$XÀDJH 10 1LFRODV %RXUEDNL Éléments de mathématique. Paris 1939 ff.;  / $UFKLWHFWXUHGHV0DWKpPDWLTXHV'HXWVFK'LH$UFKLWHNWXUGHU 0DWKHPDWLN,Q&KULVWLDQ7KLHO +J Erkenntnistheoretische GrundlaJHQGHU0DWKHPDWLN Hildesheim 1982, 288-301.

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Aufbau der Mathematik zu multiplen Strukturen oder auch Mischstrukturen und unter Hinzunahme weiterer Axiome zu speziellen Strukturen (Abb. 2), die für die mathematischen Einzeldisziplinen stehen.11 Die Mathematik als allgemeine Strukturwissenschaft gründete sich auf die Begriffe Menge, Relation und Transformation. Ist in einer 0HQJH YRQ (OHPHQWHQ HLQH 5HODWLRQ GH¿QLHUW VR HQWVWHKW HLQH 2UGnungsstruktur, die z.B. in einem Graphen visualisiert werden kann. Am Graph aller Teiler der Zahl 30 und am Graph der Figur Würfel/ Quader (acht Punkte und Verbindungslinien) wird deutlich dass, beide geordnete Mengen die gleiche Struktur besitzen (Abb. 3). Hier kommt es nur darauf, welche Knoten miteinander verbunden sind und welche nicht. Daher ist es nicht notwendig die Würfelform anzudeuten, sondern es kann auch die planare Darstellung des Würfelgraphen (Abb. 3, rechts) gewählt werden. Dem Würfel als geometrische Figur sind multiple Strukturen zuzuordnen. Graphen sind geeignete mathematische Modelle, um Beziehungen zwischen den Elementen einer Menge von Objekten zu studieren. Ä'LHVH %H]LHKXQJHQ GH¿QLHUHQ HLQH 6WUXNWXU DXI GHU %HREDFKWXQJVPHQJH:LUN|QQHQGDKHUDXFKVDJHQ*UDSKHQGLHQHQ]XU6\Qthese oder Analyse von Strukturen auf Mengen.“12 Mind Maps und Concept Maps knüpfen an die Graphentheorie an und sind heute weit verbreitete leistungsfähige Methoden, um Ideen und Wissen zu strukturieren. Interessant sind hierzu die Arbeiten Gerhard Dirmosers,13 der sich mit der Rolle von Diagrammen und in diesem Zusammenhang mit „Formfragen als Ordnungsfragen in Kunst und Wissenschaft“ beschäftigt. Darin bezieht er sich auf Charles Sanders Peirce, der in seinen

11 9JO3LHUUH%DVLHX['LH$UFKLWHNWXUGHU0DWKHPDWLN'HQNHQLQ6WUXNWXren5HLQEHNEHL+DPEXUJ$XÀDJH 12 *RWWIULHG 7LQKRIHU *UDSKHQWKHRULH 6WUXNWXUHQ XQG 6\PPHWULHQ ,Q 5DLQHU(%XUNDUG:ROIJDQJ0DDVV3HWHU:HLEHO +J =XU.XQVWGHV IRUPDOHQ'HQNHQV. Wien 2000, 102. 13 9JO KWWSJHUKDUGBGLUPRVHUSXEOLFOLQ]DWDUW)RUPIUDJHQB'HQN¿JXUHQSGI XQG KWWSJHUKDUGBGLUPRVHUSXEOLFOLQ]DW)8'HQN¿JXUHQB Diagrammatik.pdf (Stand 26.08.2011).

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Diagrammen ein Mittel sehe, die Denkbewegung zu verlangsamen, zu kontrollieren und offenzulegen. $EELOGXQJ 7HLOHUGHU=DKOXQG:UIHOJUDSKDOV2UGQXQJVVWUXNWXUHQ P7

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Wie eine solche Denkweise in Graphen für die Architektur fruchtbar gemacht werden kann, zeigt das Beispiel der Analyse von Grundrissen dreier Häuser von Frank Lloyd Wright in den Arbeiten von Lionel March und Philip Steadman15 in Abbildung 4. Der Graph veranschaulicht, dass alle drei Grundrisse auf gleichen Raumverbindungen beruhen, obwohl sie sich in unterschiedlichen Formen ausdrücken. Die Reduktion der Betrachtung des Grundrisses auf die Raumverbindungen ermöglicht, ein allgemein anwendbares Grundrisskonzept zu entwickeln, ohne die Architektur darauf zu reduzieren. Der mathematische Strukturbegriff wird besonders am Beispiel einer algebraischen Struktur, z.B. der Gruppe, deutlich. Eine Gruppe ist eine Menge von Elementen, in der eine Verknüpfung der ElemenWHGH¿QLHUWLVWGLHEHVWLPPWH%HGLQJXQJHQHUIOOWZLH$VVR]LDWLYLWlW Existenz eines neutralen Elements und inverser Elemente.

14 Vgl. Basieux, 76. 15 /LRQHO 0DUFK 3KLOLS 6WHDGPDQ 7KH *HRPHWU\ RI (QYLURQPHQW $Q ,QWURGXFWLRQWR6SDWLDO2UJDQL]DWLRQLQ'HVLJQ Cambridge (Mass.) 1974, 27 f.

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$EELOGXQJ 'UHL+lXVHU3URMHNWHYRQ)UDQN/OR\G:ULJKWD/LIH+RXVH E5DOSK-HVWHU+RXVHF9LJR6XQGW+RXVHXQG*UDSK GHU5DXPYHUELQGXQJHQ

4XHOOH/LRQHO0DUFK3KLOLS6WHDGPDQ7KH*HRPHWU\RI(QYLURQPHQW$Q ,QWURGXFWLRQWR6SDWLDO2UJDQL]DWLRQLQ'HVLJQ. Cambridge (Mass.) 1974, 27f.

Beispiele für eine Gruppe sind sowohl die Menge der ganzen Zahlen mit der Addition als Verknüpfung als auch die Menge der Symmetrietransformationen mit der Hintereinanderausführung als VerknüpIXQJ0LWGLHVHU%HWUDFKWXQJNDQQGHU%HJULIIGHU6\PPHWULHQHXGH¿niert werden. In einer Symmetriegruppe werden die Muster betrachtet, die bei gewissen Kongruenztransformationen mit sich selbst zur Deckung kommen. Damit ist es möglich, alle Flächenornamente in sieb]HKQYHUVFKLHGHQH6\PPHWULHJUXSSHQ]XNODVVL¿]LHUHQ'LH7UDQVIRUmationen heißen dann die Symmetrien des Musters. Abbildung 5 zeigt drei Ornamente der gleichen 6\PPHWULHJUXSSH S. Durch 6-zählige Drehungen eines Fundamentalbereichs kann jeweils die Translations-

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zelle des Musters erzeugt werden. Die Muster unterscheiden sich in ihren Fundamentalbereichen, nicht aber in den enthaltenen Transformationen, d.h. in ihren Symmetrien. Sie haben also die gleiche Struktur. $EELOGXQJ'UHL2UQDPHQWHGHUJOHLFKHQ6\PPHWULHJUXSSHS

4XHOOH=HLFKQXQJHQ&RUQHOLH/HRSROG16

Aus dieser Betrachtungsweise, gegründet auf den Begriff der TransIRUPDWLRQ HQWZLFNHOWH VLFK HLQ YHUDOOJHPHLQHUWHU 6\PPHWULHEHJULII DI¿QH 7UDQVIRUPDWLRQHQ 3HUVSHNWLY7UDQVIRUPDWLRQHQ HWF HUZHLtern den zuvor auf Kongruenztransformationen eingeschränkten Symmetriebegriff, der heute immer noch verbreitet ist. Durch diese Systematik eröffnen sich auch für die Gestaltung neue Wege für die Transformationen von Formen, obwohl beim Entwerfen der Inhalt des Fundamentalbereichs eine Rolle spielt, von dem die Mathematik in ihrem strukturellen Denken gerade absieht. Der Gruppenbegriff ist also in der Mathematik eine allgemeine Struktur, die sowohl auf Zahlen als auch auf geometrische Elemente anwendbar ist, womit sich Hilberts Vorstellung im Zusammenhang der Axiomatisierung der Geometrie erfüllte. Wird die Geometrie unter dem Transformationsbegriff betrachtet, so können danach Geometrische Strukturen unterschieden werden. Die Transformationsgruppen, unter denen bestimmte geometrische EigenVFKDIWHQLQYDULDQWEOHLEHQGH¿QLHUHQGDQQGLHJHRPHWULVFKH6WUXNWXU 16 /LQNV XQG 0LWWH QDFK 2UQDPHQWHQ DXV ,VVDP (O6DLG $\VH 3DUPDQQ Geometric Concepts in Islamic Art. London 1976, 78 und  UHFKWV HU]HXJW PLW morenaments von Martin von Gagern, www.morenaments.de (Stand 26.08.2011).

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Diese neue Betrachtung von Felix Klein im Erlanger Programm17 führte zu einem völlig neuen Verständnis der Geometrie und war ein wesentlicher Beitrag zur Entwicklung der Mathematik als Strukturwissenschaft. Zunächst beginnen wir mit der 3URMHNWLYHQ*HRPHWULH mit den Invarianten Punkt und Gerade. Bei der $I¿QHQ*HRPHWULHkommen als zusätzliche Invarianten Parallelität, Teilverhältnis und Flächeninhaltsverhältnis hinzu. In der Ähnlichkeitsgeometrie bleiben zusätzlich Streckenverhältnisse und Winkel erhalten. Die Geometrie mit den meisten Invarianten ist dann die .RQJUXHQ]JHRPHWULH mit der zusätzlichen Invarianten Streckenlänge. Damit wird der algebraische Begriff der Gruppe verwendet, um die verschiedenen Arten von Geometrien zu strukturieren. Ganz andere Arten von Strukturen stellen Topologische Strukturen dar. Es werden Zusammenhangsverhältnisse und Nachbarschaften beWUDFKWHW(VLVWNHLQH0HWULNGH¿QLHUW'DPLWVLQGVRXQWHUVFKLHGOLFKH Gebilde wie Pyramide, Kugel, Quader oder ein zusammenhängendes amorphes Gebilde topologisch äquivalent, während ein einfaches Band und das Möbiusband sowie Kugel und Torus Beispiele für topologisch nicht äquivalente Gebilde sind. An der HfG Ulm wurde die Topologie als bedeutende neue mathematische Disziplin in den Lehrplan eingeführt. Tomás Maldonado und Gui Bonsiepe schreiben dazu in :LVVHQVFKDIWXQG*HVWDOWXQJ „Die Topologie bereitet den Gestalter darauf vor, die Probleme, die er täglich lösen muss, anders anzugehen. Mit ihrer Hilfe erfährt er, dass es nicht ausschließlich Dimensions-, Form- und Positionsprobleme sind, sondern auch Probleme der Ordnung, Kontinuität und Nachbarschaft. Mit anderen Worten, die Topologie leitet den Gestalter an, die Welt der technischen Gegenstände nicht allein metrisch, sondern auch ametrisch zu verstehen. Was hingegen die Anwendung der Topologie auf der konkreten Ebene der Praxis der

17 )HOL[ .OHLQ Vergleichende Betrachtungen über neuere geometrische )RUVFKXQJHQErlangen 1872. The University of Michigan Historical Mathematics Collection, KWWSTXRGOLEXPLFKHGX 6WDQG 9JO Beitrag von Luigi Cocchiarella in diesem Buch.

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Produktgestaltung betrifft, so können die Resultate weder überzeugen noch befriedigen.“18

Es scheint, dass es erst in den letzten Jahren beginnt, die Möglichkeiten der Topologie in der Architektur zu begreifen, wie das Mobius House (1993-98) von Ben van Berkel zeigt, in dem das Möbius Band als abstraktes Diagramm und nicht als Form umgesetzt wurde. Andere aktuelle Architekturbeispiele lassen das in dem Zitat oben ausgedrückte Verständnis der Topologie zum Teil vermissen, indem sie allzu rasch topologische Betrachtungen in Formen übersetzen. Wie in anderen Bereichen war die Denkweise an der HfG Ulm wohl ihrer Zeit voraus. In der weiteren Entwicklung der Mathematik entstand bereits in den 1940er Jahren die Kategorietheorie, die als allgemeine Theorie mathematischer Strukturen aufgefasst werden kann. Der Begriff der Morphismen spielt in der Kategorietheorie eine wichtige Rolle. Morphismen sind Abbildungen, die Strukturen bewahren. Wie mathematische Strukturen gestaltungsrelevant sein können XQGDOV0HWKRGH]XU*HVWDOW¿QGXQJGLHQHQN|QQHQVHLDQHLQHPZHLteren Beispiel aus der metrischen Geometrie verdeutlicht. Überlegungen zur Gestaltung eines völlig regelmäßigen Polyeders aus gleichen regelmäßigen Polygonen führen zu den sogenannten Platonischen .|USHUQ Tetraeder, Oktaeder, Ikosaeder, Hexaeder (Würfel) und Dodekaeder. Wenn nun das Ziel besteht, einen Körper zu schaffen, der runder erscheint, sich also stärker einer Kugel nähert, so entsteht schnell die Idee, die Ecken der Platonischen Körper abzuschneiden, allerdings zu dem Preis, dass Körper entstehen, die aus unterschiedlichen regelmäßigen Polygonen bestehen. So können die $UFKLPHGLVFKHQ.|USHU entwickelt werden. Der Körper, der dem Fußball zugrunde liegt, ist einer der Archimedischen Körper, das DEJHVWXPSIWH ,NRVDHGHU, das aus dem Ikosaeder durch abschneiden der Ecken entwickelt wurde, dann aus Fünfecken und Sechsecken besteht.19 Wird das Dualitätsprin18 7RPiV0DOGRQDGR*XL%RQVLHSH:LVVHQVFKDIWXQG*HVWDOWXQJ,Qulm 10/11, 1964, 41. 19 9JO &RUQHOLH /HRSROG Geometrische Grundlagen der Architekturdarstellung. Stuttgart 1999, 118.

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zip der Geometrie auf ein Polyeder angewandt, so entsteht ein duales 3RO\HGHU GDGXUFK GDVV GLH 0LWWHOSXQNWH GHU 6HLWHQÀlFKHQ GHV NRQvexen Polyeders als neue Ecken miteinander verbunden werden. Die 6HLWHQÀlFKHZLUGDOVRGXUFKGHQ(FNSXQNWGHVQHXHQGXDOHQ3RO\HGHUV ersetzt. Wird dieses Dualitätsprinzip auf die Archimedischen Körper angewandt, so erhält man die sogenannten &DWDODQLVFKHQ.|USHU. Da bei einem Archimedischen Körper in jeder Ecke gleich viele Kanten aufeinander stoßen, bestehen die Catalanischen Körper nun wieder aus lauter gleichen, aber nicht regelmäßigen Polygonen, allerdings stoßen dann in den Ecken nicht mehr überall gleich viele Kanten aufeinander, sondern so viele Kanten wie die bei der Dualisierung durch den QHXHQ(FNSXQNWHUVHW]WH6HLWHQÀlFKH(FNHQEHVD‰:HQQQXQLQHLQHU praktischen Gestaltungsaufgabe das Ziel besteht, das Objekt mit mögOLFKVWJOHLFKHQ6HLWHQÀlFKHQDEHUGRFKrunder als einen Platonischen Körper zu gestalten, so erscheint ein Catalanischer Köper als die folgerichtige Lösung. Dieses Strukturprinzip sprachlich zu beschreiben ist komplizierter als der Strukturgedanke, der sich visuell sehr viel leichter erschließt. Abbildung 6 zeigt rechts eine Lampe, die nach diesem Dualitätsprinzip aus dem Archimedischen Körper Ikosidodekaeder zum Catalanischen Körper Rhombentriakontaeder entwickelt wurde. In den Knoten der Lampe stoßen hier jeweils drei oder fünf Kanten aufeinander, da der duale Körper aus Dreiecken und Fünfecken bestand. Ein ähnliches Dualitätsprinzip gilt auch in der Graphentheorie, so dass dieses auch anwendbar ist, wenn es nur um Kanten und Knoten JHKWRKQHGDVVHLQH0HWULNGH¿QLHUWZXUGH Gleichzeitig wird exemplarisch klar, dass sich das Designobjekt nicht nur aus dem geometrischen Strukturprinzip konstituiert. Funktionalität, Materialität und Fügung spielen im Gestaltungsprozess eine entscheidende Rolle und müssen sich in einem Gesamtsystem des Entwurfsobjektes aufeinander beziehen. Das mathematische Strukturprinzip der Dualität wird gestaltungswirksam, ohne dass die Gestalt völlig darüber determiniert ist. Entscheidend ist die Modellierung eines Gesamtsystems, in dem die verschiedenen relevanten Systemelemente in ihren Beziehungen zu einander betrachtet werden, sowie die selektiven Prozesse des Entwerfenden.

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$EELOGXQJ,NRVLGRGHNDHGHUGXDOHV3RO\HGHU Rhombentriakontaeder und Lampenobjekt

4XHOOHKWWSGHZLNLSHGLDRUJZLNL&DWDODQLVFKHUB.|USHU (Stand 27.08.2011); Lampe nach IQ-light, Designer Holger Strøm, Foto Luc Müller.

Diese Überlegungen zu mathematischen Strukturen sollen erläutern, in welcher Weise die Mathematik als eine allgemeine Strukturwissenschaft betrachtet werden kann und damit ihre Anwendung auf sehr unterschiedliche Wissenschaften möglich wurde.

Strukturalismen Der Anspruch des Strukturbegriffs ist ein ganzheitlicher, dass heißt, es besteht der Anspruch, Komplexitäten zu durchdringen und für alle Wissenschaften grundlegend zu sein. Zusammen mit der Semiotik wurde der Strukturbegriff zur Grundlage der Entwicklung verschiedener Strömungen des Strukturalismus. Strukturalismus wurde in den 1960er Jahren zum Sammelbegriff interdisziplinärer Methoden, die Strukturen und Beziehungsgefüge kultureller Symbolsysteme, z.B. Sprache, untersuchten. Damit wurde der Versuch unternommen auch die Geisteswissenschaften auf rationale Methoden zu gründen. „Strukturen sind für den Strukturalismus intelligible Regeln der Komplexe und Ganzheiten der Wirklichkeit, die sich aus ihrer gegenseitigen Relation bestimmen und als solche formal-übertragbaren Cha-

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rakter aufweisen.“20 Da sich sehr unterschiedliche Strömungen auf den Strukturalismus beziehen, wollen wir hier besser von Strukturalismen sprechen und betonen damit den Aspekt der Methoden. Bei aller Unterschiedlichkeit der verschiedenen Strukturalismen, so kann doch nach Jean Piaget eine Synthese gefunden werden. Piaget, Psychologe und Wissenschaftsphilosoph, arbeitete für Strukturen in den verschiedenen Wissenschaften (Mathematik, Logik, Physik, Biologie, Psychologie, Linguistik und Sozialwissenschaften) eine umIDVVHQGH'H¿QLWLRQYRQ6WUXNWXUKHUDXV21 Der Strukturalismus wende sich gegen den Historizismus, den Funktionalismus und bisweilen auch gegen den Subjektivismus im Allgemeinen. „In erster Annäherung ist eine Struktur ein System von Transformationen, das als System […] eigene Gesetze hat und eben durch seine Transformationen erhalten bleibt oder reicher wird, ohne dass diese über seine Grenzen KLQDXVZLUNVDPZHUGHQRGHUlX‰HUH(OHPHQWHKLQ]X]LHKHQ0LWHLQHP:RUW eine Struktur umfasst die drei Eigenschaften Ganzheit, Transformation und Selbstregelung. In zweiter Annäherung […] muss sich die Struktur zu einer Formalisierung eignen.“22

Diese Formalisierung kann sich nach Piaget in logisch-mathematischen Gleichungen äußern oder durch ein kybernetisches Modell vermittelt werden. Wir wollen uns hier auf den so charakterisierten Strukturalismus beziehen. Strukturen gehören damit zunächst der Ebene des Denkens an. Wenn die Strukturen wahrnehmbar gemacht werden sollen, müssen diese durch Zeichen vermittelt werden, sie müssen sich materialisieren. Die Wahl der Mittel für das Zeichen entscheidet über den Vermittlungskanal. Dieser Gedanke kann verdeutlicht werden, wenn eine Struktur sich sowohl in Tönen als auch in Bildern materialisiert. Ein Versuch in diese Richtung unternahmen wir in dem Projekt 20 *HRUJL6FKLVFKNRII +J 3KLORVRSKLVFKHV:|UWHUEXFK Stuttgart 1982. Strukturalismus, 673. 21 -HDQ3LDJHWDer Strukturalismus2OWHQ2ULJLQDOLe structuralisme. Paris 1968. 22 Ebd., 8.

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.ODQJVLFKWHQ23 in dem Studierende der Musikkomposition und der Architektur Gestaltungsexperimente realisierten. $EELOGXQJ3URMHNWÄ3XQNWXQG/LQLH³DXV.ODQJVLFKWHQ

4XHOOH-LK\XQ.LP0DUWLQ:LVQLRZVNL3XQNWXQG/LQLH,Q&RUQHOLH/HRSROG6RXQG6LJKWV±$Q,QWHUGLVFLSOLQDU\3URMHFW1H[XV1HWZRUN-RXUQDO, Band 8, Nr. 1, Basel 2006, 129.

In dem Projekt Punkt und Linie z.B. spielten Musiker auf 6XSHUVWULQJV einem Instrument mit zwei Saiten nach Rolf Gehlhaar.24 Die Klänge, QDFKJUD¿VFKQRWLHUWHQPunkten und Linien erzeugt, wurden mit Hilfe HLQHV 7RQDEQHKPHUV LP &RPSXWHU PLWWHOV HLQHV LQWHUDNWLYHQ *UD¿Nsystems auf der Leinwand in Punkte und Linien visualisiert (Abb. 7). Solche Gestaltungsexperimente können die Struktur in ihrer Abhängigkeit ihrer Vermittlung durch Zeichen verdeutlichen. Durch eine semiotische Betrachtung ist zu erkennen, dass sich die in Architektur, Kunst und Technik zu realisierenden Strukturen nicht in reinen Formalismen erschöpfen können, sondern in der Zeichenrelation Bezüge zwischen 0LWWHO 2EMHNW und Interpretant zum Tragen kommen, d.h. das Zeichen wird nach Max Bense in der Syntaktik in seiner 0LWWHOIXQNWLRQ, in der Semantik in seiner %H]HLFKQXQJVIXQNWLRQ und in der Pragmatik in seiner %HGHXWXQJVIXQNWLRQ betrachtet.25 23 &RUQHOLH/HRSROG +J .ODQJVLFKWHQ0XVLNVHKHQ±*HRPHWULHK|UHQ Kaiserslautern 2003; Cornelie Leopold, Johannes Fritsch, Andrea Edel +J .ODQJVLFKWHQ'9'. Kaiserslautern 2004. 24 5ROI*HKOKDDU6XSHUVWULQJ)HHGEDFN3DSHUV, Köln 1971. 25 9JOGLHNRPSDNWH'DUVWHOOXQJGHU6HPLRWLNYRQ(OLVDEHWK:DOWKHU$EULVVGHU6HPLRWLN,QARCH+ 8, 1969, 3-13.

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Kybernetik, Technik und Ästhetik In der Kybernetik26 verknüpft sich das strukturelle mathematische Denken mit den Prozessen der Steuerung und Regelung und damit mit technischen Vorgängen. Max Bense, der die Ideen Norbert Wieners aufgriff, sah die Kybernetik als Metatechnik der Maschinen.27 In seiner Auseinandersetzung mit der Kybernetik hielt er als entscheidenden 6FKULWWIHVW „Dieses Eindringen der Technik in Zonen, die bisher unerreichbar waren, und ihre Umwandlung in Metatechnik, die beständig die Grenzlinie zwischen den sog. materiellen und nichtmateriellen Bereichen verwischt, […]. […] Der Gedanke, mathematisches Denken technisch nachzubilden, durch Maschinen ausführen zu lassen und zu verkürzen, geht mindestens bis auf Pascal zurück.“28

Max Bense bezieht sich außerdem auf die Ansätze Leibniz‘, der unabhängig von Pascal eine Rechenmaschine erdacht und gebaut habe. Mathematisches Denken technisch nachzubilden hat in der Informatik, die ihren Anfang in der Kybernetik nahm, seinen Platz gefunden. Eine Leistung Max Benses ist es, auf der Grundlage der Kybernetik die Trennung von Kunst, Technik und Wissenschaft aufzuheben und diese auf eine gemeinsame Basis zu stellen. Er formuliert in dem Kapitel „Entwicklung zu Strukturen“ im Buch AestheticaÄ(VLVWOHLFKW einzusehen, dass mathematische Strukturen so allgemein und abstrakt sind, dass sie zur Wiedergabe sowohl physikalischer wie ästhetischer Strukturen verwendbar sind.“29 26 =XU 'H¿QLWLRQ YRQ .\EHUQHWLN XQG 5HIHUHQ]HQ YJO GHQ %HLWUDJ YRQ $QJqOH7HUVOXLVHQHauskybernetik in diesem Buch. 27 0D[%HQVH.\EHUQHWLNRGHUGLH0HWDWHFKQLNHLQHU0DVFKLQH,QMerkur   :LHGHUDEGUXFN LQ %DUEDUD %VFKHU +DQV&KULVWLDQ YRQ +HUUPDQQ&KULVWRSK+RIIPDQQÄsthetik als Programm. Max Bense / Daten und Streuungen. Berlin 2004, 51-61. 28 Ebd., 54-55. 29 0D[%HQVH$HVWKHWLFD Baden-Baden 1965, 2. erweiterte Ausgabe 1982, 173.

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Damit ist aber auch gesagt, dass mathematische Strukturen zwar zur Wiedergabe physikalischer wie ästhetischer Strukturen30 verwendbar sind, diese aber nicht miteinander gleichzusetzen sind. In einem Interview beschreibt Elisabeth Walther die Ästhetik als grundlegend für Technik als auch für Architektur und Kunst. „Die Ästhetik, wie Bense sie ins Spiel bringt, ist das Ordnungsprinzip par excellence. Die Ästhetik ist Ordnung, und Ordnung ist wiederum mit Mathematik beschreibbar. Also ist die Ästhetik als Strukturierung der Welt sowohl für Technik als auch für Architektur, Literatur usw. wichtig, für alles, was überhaupt gestaltet wird. Wann immer wir etwas aus dem Chaos des Vorhandenen nehmen und neu zusammenfügen, brauchen wir eine ästhetische Grundlage.“31

Wenn wir also komplexe Systeme wie z.B. die Architektur betrachten, müssen wir mit Strukturierungen arbeiten, um so unseren Betrachtungs- und Gestaltungsgegenstand aus dem Chaos zu erheben und überhaut zugänglich bzw. erzeugbar zu machen. „Wir bewohnen keine Landschaften und Gärten, keine Häuser am sanften Hang oder auf der leichten Dünung, wir bewohnen ein Netz von sichtbaren und nicht sichtbaren Funktionen und Relationen, Strukturen und Aggregaten aus Metallen und künstlichen Gesteinen, die sie Dörfer, Städte, Staaten und Kontinente genannt haben.“32

Max Bense betont hier in dem Essay 7HFKQLVFKH ([LVWHQ] auch die Architektur wie alles Technische strukturell zu durchdringen und da30 9JODXVIKUOLFKHU]XGLHVHP7KHPD&RUQHOLH/HRSROG3UROHJRPHQD]X HLQHU JHRPHWULVFKHQ bVWKHWLN ,Q )ULHGKHOP .USLJ +J  Ästhetische Geometrie - Geometrische Ästhetik. Aachen 2010, 61-66. 31 Interview mit Elisabeth Walther am 28. November 2003 in Stuttgart, Teil 3KLORVRSKLHLQWHFKQLVFKHU=HLW±6WXWWJDUWHU(QJDJHPHQW,Q%DUEDUD %VFKHU+DQV&KULVWLDQYRQ+HUUPDQQ&KULVWRSK+RIIPDQQÄsthetik DOV3URJUDPP0D[%HQVH'DWHQXQG6WUHXXQJHQ. Berlin 2004, 72. 32 0D[ %HQVH 7HFKQLVFKH ([LVWHQ]  ,Q 0D[ %HQVH $XVJHZlKOWH 6FKULIWHQ Band 3. Stuttgart 1998, 122.

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mit algorithmisch abzubilden. Als ästhetisches Objekt ist das architektonische und das technische Objekt aber stets auch ein über einem Repertoire selektiv gesetztes Objekt und damit nicht vollständig determiniert. Redundanz und Innovation müssen im ästhetischen Zustand entsprechend der informationstheoretischen Ästhetik in einem optimalen Verhältnis stehen. Max Bense formuliert hierzu in seiner .OHLQHQ abstrakten Ästhetik „Eine vollkommene Innovation, in der es wie im Chaos nur neue Zustände JlEHZlUHDXFKQLFKWHUNHQQEDU(LQ&KDRVLVWOHW]WOLFKQLFKWLGHQWL¿]LHUEDU Die Erkennbarkeit eines ästhetischen Zustandes benötigt nicht nur die ErNHQQEDUNHLWVHLQHUVLQJXOlUHQ,QQRYDWLRQVRQGHUQDXFKGHUHQ,GHQWL¿]LHUEDUkeit anhand ihrer redundanten Ordnungsmerkmale.“33

Manfred Kiemle, der in seiner Arbeit von 1967 die Architektur unter dem Aspekt der Informationsästhetik untersucht, sieht trotz umfangreicher Berechnungen und Formalismen den Architekturentwurf nicht GDULQDXIJHKHQ(UIRUPXOLHUW „Der Entwurf eines Bauwerks ist alles andere als ein determinierter Prozess, und selbst in den Fällen, in denen eine große Zahl funktioneller, konstruktiver und technischer Faktoren berücksichtigt werden muss, wird die Wahlund Entscheidungsfreiheit nie völlig eliminiert. Der Entwurfsprozess durchläuft eine Hierarchie von Entscheidungsstufen abnehmender Komplexität, wobei die Entscheidungen einer Stufe teilweise determinierte Abläufe zur Folge haben, bis sich auf der nächsten Stufe neue Wahlfreiheiten anbieten.“34

Die Untersuchung Kiemles, die laut Georg Vrachliotis35 Ende der 1960er Jahre als „Bibel“ unter den Berliner Architekturstudierenden 33 0D[%HQVH$HVWKHWLFD Baden-Baden 1965, 2. erweiterte Ausgabe 1982, 356. 34 0DQIUHG.LHPOHÄsthetische Probleme der Architektur unter dem Aspekt GHU,QIRUPDWLRQVlVWKHWLN. Quickborn 1967, 122. 35 *HRUJ 9UDFKOLRWLV 'LH $XWRPDWLVLHUXQJ GHU .ULWLN $UFKLWHNWXUNULWLN XQGPHGLHQWHFKQLVFKH9HUIDKUHQ,QARCH+ 200, 2010, 83.

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kursierte, blieb eine der wenigen Umsetzungen der informationstheoretischen Ästhetik in der Architektur. Die Beschreibung des Entwurfsprozesses charakterisiert aktuelle algorithmische Vorgehensweisen zutreffend. Die aufgezeigten Positionen und Theorien Max Benses zu Technik und Ästhetik sollen erahnen lassen, welche Potentiale hierin IU DNWXHOOH LQWHUGLV]LSOLQlUH )RUVFKXQJHQ EHVWHKHQ:LH KlX¿J IKren erste Versuche eines neuen Ansatzes zu einer Überbetonung und Isolierung eines Aspektes. Aber die Einbeziehung des strukturellen Denkens in eine semiotische Denkweise ermöglicht die Sicht auf ein Gesamtsystem, im dem es die drei Ebenen der Syntaktik, der Semantik und der Pragmatik gibt. Wie jedes Zeichen muss auch das architektonische Zeichen in der Pragmatik, die aber Syntaktik und Semantik impliziert, in allen seinen Realitätsbezügen betrachtet werden. Für die Zukunft bleibt es eine spannende Herausforderung, die skizzierten Ansätze auf ihre Umsetzungsmöglichkeiten mittels digitaler Werkzeuge zu überprüfen. Die Weiterentwicklung des strukturellen Denkens als Methode für die Architektur bzw. für Gestaltungsprozesse allgemein sollte an diese Grundlagen anknüpfen.

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Strukturale Ansätze in der Architekturtheorie der sechziger und siebziger Jahre 1 CLAUS DREYER

Das strukturalistische Denken war von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung der Semiotik und Ästhetik in der Architekturtheorie der sechziger und siebziger Jahre. Dabei wurden Konzeptionen unterschiedlicher Provenienz aufgenommen und verfolgt, die zu mannigfaltigen Ergebnissen kamen und miteinander konkurrierten, aber sich teilweise auch ergänzten und miteinander verbanden. Die Wurzeln des strukturalen Denkens reichen weit zurück in die Geschichte der allgemeinen Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie,2 aber der Strukturalismus als Denkmethode, die in den europäischen Human- und Kulturwissenschaften der fünfziger und sechziger Jahre (und noch weit darüber hinaus) verbreitet war, wird am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts von dem Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure mit seinen Überlegungen zur Struktur des sprachlichen Zeichens und der Sprache überhaupt begründet.3 Seine Ansätze wur1

Dieser Text ist in englischer Sprache zuerst erschienen in Tomáš Valena XD +J Structuralism Reloaded. Stuttgart/London 2011, 40-45.  9JO0DQIUHG5LHGHO6\VWHP6WUXNWXU,Q2WWR%UXQQHUXD +J  GeVFKLFKWOLFKH*UXQGEHJULIIH. Stuttgart 1990, Band 6, 285-322.  )HUGLQDQGGH6DXVVXUHCours de linguistique générale. Lausanne 1916. 'HXWVFK *UXQGIUDJHQ GHU $OOJHPHLQHQ 6SUDFKZLVVHQVFKDIW. Berlin $XÀDJH%HUOLQ

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C LAUS D REYER

den lebhaft rezipiert und in den zwanziger und dreißiger Jahren an den sprachtheoretischen Zentren in Prag, Kopenhagen und Moskau weiterentwickelt und ausgebaut, um dann, nach Unterbrechung durch die Phase des zweiten Weltkrieges, in den fünfziger Jahren zu einem umfassenden methodischen (und gelegentlich auch modischen) Paradigma in vielen europäischen Kulturwissenschaften zu werden.4 ,Q HLQHU JDQ] DOOJHPHLQHQ XQG QLFKW VWUXNWXUDOLVWLVFKHQ  'H¿QL tion kann man unter einer Struktur die „Menge der die Elemente eines Systems miteinander verbindenden Relationen und aller dazu isomorphen Relationsgefüge“5 verstehen. Damit sind wesentliche ParameWHU EHQDQQW Elemente, Relationen und zugehöriges System, das als Ganzheit den Gegenstandsbereich bestimmt, dessen Strukturen analysiert oder generiert werden sollen, z. B. Sprachen, soziale Gruppen, kulturelle, technische und naturwissenschaftliche Bereiche, schließlich auch die Künste und die Architektur.6 Von besonderem Interesse sind die Regeln, nach denen die Relationen zwischen den Elementen bestimmt werden, und die, je nachdem, ob sie starr oder dynamisch ausgebildet sind, zu statischen oder zu generativen Strukturen führen können. Auch die Elemente können sowohl objekthaft wie auch prozessual ausgebildet sein, so dass in Verbindung mit dynamischen RGHU DOJRULWKPLVFKHQ 5HJHOQ KRFKNRPSOH[H YDULDEOH XQG ÀH[LEOH Strukturen entstehen können, deren Verhalten „autopoetische“ Prozesse und emergente Ereignisse hervorbringen können, die unvorhergesehene und innovative Zustände im Gesamtsystem kreieren. Damit ist schließlich auch die Frage nach der )XQNWLRQ aufgeworfen, die von der Frage nach den Strukturen und ihren Systemen nicht zu trennen ist, XQGGLHHEHQVRYLHOIlOWLJZLHGLIIHUHQ]LHUWEHDQWZRUWHWZHUGHQNDQQ dynamische oder statische, natürliche oder künstliche, formale oder  9JO0DQIUHG%LHUZLVFK6WUXNWXUDOLVPXV,Q.XUVEXFK XQG)UDQoRLV'RVVH Histoire du Structuralisme3DULV'HXWVFKGeschichte des Strukturalismus. 2 Bände. Frankfurt am Main 1999.  *HRUJ.ODXV +J :|UWHUEXFKGHU.\EHUQHWLN. Frankfurt am Main 1969, Band 2, 625.  9JO GLH 7KHPHQYLHOIDOW LQ *\RUJ\ .HSHV +J 6WUXNWXU LQ .XQVW XQG :LVVHQVFKDIW. Brüssel 1967.

S TRUKTURALE A NSÄTZE

IN DER

A RCHITEKTURTHEORIE

substanzielle, ästhetische oder soziale, generative oder ontologische und viele andere Funktionen können für bestimmte Strukturen geltend gemacht werden. Für den strukturalistischen Ansatz, der hier im Mittelpunkt steht, sind die NRPPXQLNDWLYHQ)XQNWLRQHQ der Angelpunkt, an dem die unterschiedlichen Ansätze auf den verschiedensten Gebieten miteinander konvergieren (wobei ein sehr weit gefasster Kommunikationsbegriff zugrunde gelegt wird, der allerdings oft in einer Engführung auf die nachrichtentechnische Fassung von Shannon/Weaver und die kybernetische Variante von Wiener zurückverfolgt wird).7 .RPPXQLNDWLRQ besteht demnach in der Übermittlung und im Austausch von Informationen, und die Voraussetzungen dafür sind technische, natürliche, soziale, ästhetische und andere Strukturen, die derartige Prozesse ermöglichen. In diesem Zusammenhang kommt das Thema der Zeichen ins Spiel, die als die Elemente angesehen werden, mittels derer Informationen formuliert, codiert und übermittelt werden können, und mit den =HLFKHQ XQG LKUHQ 9HUNQSIXQJHQ .RPELQDWLRQHQ .RQ¿JXUDWLRQHQ und Prozessen wird das Problem der Bedeutung zentral, das in Abhängigkeit von den kommunikativen und zeichenvermittelten Strukturen zu lösen ist. Für die strukturalistischen Ansätze ist typisch, dass die Bedeutung von Zeichen aller Art ein Ergebnis ihrer Position im strukWXUDOHQ6\VWHPHLQHVMHZHLOLJHQ%HUHLFKVXQGGDPLWGHUVSH]L¿VFKHQ Oppositionen zu allen übrigen Zeichen dieses Systems ist. Damit ist die Suche nach Strukturen in allen Bereichen des wissenschaftlichen (und auch künstlerischen) Interesses ausreichend legitimiert und kann sich seit den fünfziger Jahren in der europäischen intellektuellen Landschaft opulent entfalten. Mit Dosse kann man zwei verschiedene methodische Herangehensweisen für die strukturalistische Arbeit unterscheiden8HLQHQV]LHQWLVWLVFKHQ und einen semiologischen Strukturalismus. Der szientistische Ansatz versucht streng methodisch vorzugehen und die Strukturen des jeweiligen Bereichs wie in einem  &ODXGH ( 6KDQQRQ XQG :DUUHQ :HDYHU 7KH 0DWKHPDWLFDO 7KHRU\ RI Communication8UEDQD ,OO 1RUEHUW:LHQHUCybernetics. New