Diagrammatik des Denkens: Descartes und Deleuze [1. Aufl.] 9783839424544

In der Geschichte des Denkens gibt es mindestens zwei große Brüche - verbunden mit den Namen Descartes und Deleuze. Das

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Diagrammatik des Denkens: Descartes und Deleuze [1. Aufl.]
 9783839424544

Table of contents :
Inhalt
Danksagung
Einleitung. Oder: Wie anfangen?
I. Was kann ein Denkdiagramm? Vom Diagramm zur Diagrammatik
I.1 Affektion. Was kann eine Denkfigur?
I.2 Konzeption. Was kann ein Diagramm?
I.3 Perzeption. Denkbewegung und Diagramm
I.4 Vom Denkdiagramm zur Diagrammatik
II. Das Projekt des Anfangs in der neuzeitlichen Philosophie: Descartes’ Denkdiagramm
II.1 Der Vater der modernen Philosophie. Was heißt anfangen?
II.2 Die wissenschaftliche Methode. Denkbewegung und Erzählung
II.3 Metaphysik. Die Denkfiguren Descartes’
II.4 Affektion, Konzeption und Perzeption. Das Denkdiagramm Descartes’
III. Deleuze. Vom Bild des Denkens zu den Denkdiagrammen
III.1 Vom Bild des Denkens zur Idee
III.2 Denkdiagramm I: Spinoza – Vom Virtuellen zum Aktuellen
III.3 Denkdiagramm II: Leibniz – Vom Aktuellen zum Virtuellen
III.4 Diagrammatik als Präphilosophie
Konklusion. Oder: Wie schließen?
Literatur
Abbildungen

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André Reichert Diagrammatik des Denkens

Edition Moderne Postmoderne

André Reichert ist Philosoph und lebt in Berlin.

André Reichert

Diagrammatik des Denkens Descartes und Deleuze

Diese Arbeit ist als Dissertation im Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften an der Freien Universität Berlin eingereicht worden. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat die Publikation dieses Bandes durch die Förderung des Graduiertenkollegs »Schriftbildlichkeit« unterstützt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Satz: André Reichert Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2454-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Danksagung | 7 Einleitung. Oder: Wie anfangen? | 9 I.

Was kann ein Denkdiagramm? Vom Diagramm zur Diagrammatik | 21

I.1 I.2 I.3 I.4

Affektion. Was kann eine Denkfigur? | 34 Konzeption. Was kann ein Diagramm? | 37 Perzeption. Denkbewegung und Diagramm | 61 Vom Denkdiagramm zur Diagrammatik | 67

II.

Das Projekt des Anfangs in der neuzeitlichen Philosophie: Descartes’ Denkdiagramm | 73

II.1 Der Vater der modernen Philosophie. Was heißt anfangen? | 73 II.2 Die wissenschaftliche Methode. Denkbewegung und Erzählung | 84 II.3 Metaphysik. Die Denkfiguren Descartes’ | 93 II.4 Affektion, Konzeption und Perzeption. Das Denkdiagramm Descartes’ | 109 III.

Deleuze. Vom Bild des Denkens zu den Denkdiagrammen | 155

III.1 Vom Bild des Denkens zur Idee | 156 III.2 Denkdiagramm I: Spinoza – Vom Virtuellen zum Aktuellen | 177 III.3 Denkdiagramm II: Leibniz – Vom Aktuellen zum Virtuellen | 201 III.4 Diagrammatik als Präphilosophie | 226 Konklusion. Oder: Wie schließen? | 247 Literatur | 259 Abbildungen | 273

Danksagung

Trotz der Tatsache, dass auf dem Cover nur ein Name geführt wird, ist ein Projekt wie dieses niemals ein individuelles Unternehmen. Es verdankt sich den unterschiedlichsten Unterredungen, zufälligen Zusammenkünften, Arbeitsumfeldern, Vorträgen, Nachfragen und v.a. auch Anstößen, die eher indirekt, jedoch sehr effektvoll waren. All diesen Begegnungen verdankt sich der Text. Ein solches Unternehmen ist auch immer auf Fürsprecher, auf Gönner und auf günstige Gelegenheiten angewiesen. Für Unterstützungen aller Art will ich deshalb danken: Theresa Elze, Christian Driesen, Stefan Höhne, Alexander Friedrich, Katja Barthel, René Umlauf, Daniel Jurisch, Steven Black, Ulrich Johannes Schneider, Sybille Krämer, Rainer Totzke, John Mullarkey, James Williams, Silvia Reichert und Gerhard Dirmoser. Ich will mich weiterhin bei den unterschiedlichen Institutionen bedanken, die auch unglaublich wertvolle Diskussionsforen in dieser Zeit bildeten: m0m0-Leipzig, DFG-Graduiertenkolleg »Schriftbildlichkeit«, das Department für Philosophie in Dundee, das philosophische Kolloquium von Sybille Krämer. Ich will mich auf diesem Weg bei allen bedanken, die mich bei diesem Projekt begleitet und unterstützt haben, auch bei denjenigen, die hier nicht namentlich genannt worden. Auch euch sei gesagt: Herzlichen Dank!

Berlin im Mai 2013, André Reichert

Einleitung. Oder: Wie anfangen?

Wenn ein neuer Begriff auftaucht, sind die Versprechen groß und die Einsätze vielfältig. Er verspricht neue Beschreibungen, neue Übergänge, vielleicht neue Diskussionspartner und auch neue Begegnungen. Tagungen werden organisiert, erste Veröffentlichungen lassen nicht lange auf sich warten. In kürzester Zeit findet er in den unterschiedlichsten Gebieten einen Einsatz, differenziert sich und es wird schwierig den Überblick zu behalten. An dieser Stelle befinden wir uns mit dem Begriff des Diagramms. Er hat sich bereits von der einfachen Bezeichnung grafischer Informationsvisualisierung abgelöst und sein Einsatzfeld vergrößert. Von hier an gibt es zwei Möglichkeiten weiterzumachen: 1. Um Orientierung zu schaffen und mögliche neue Ansätze aufzuzeigen, schreibt man eine Zusammenfassung der Arbeiten zum Thema. Das haben Christoph Ernst und Matthias Bauer in ihrer sehr gelehrten Studie zur Diagrammatik vollzogen. Hier wird eine Medientheorie des Diagramms vorgeschlagen, die diverse Ansätze versammelt: Unter der Ägide von Peirce wird diese einem Ähnlichkeitsdenken unterstellt (die Funktionsweise des Diagramms basiert immer auf einem Ähnlichkeitsverhältnis zu seinem Gegenstand) und mit Kant in den Bereich der Schematisierungen der Einbildungskraft überführt, die jedoch das Paradigma der Ähnlichkeit nicht hinter sich lassen. Damit ist der neue Begriff von Beginn an sehr voraussetzungsvoll, was seine ganze Operativität begrenzt. 2. Dagegen gibt es eine andere Geschichte des Diagramms, die zwar kürzer, dennoch nicht weniger wirkungsvoll ist. Sie besteht in verstreuten kleinen Ansätzen und hat bis dato noch keine Überblicksdarstellung erfahren. Diese Geschichte spielt vor allem in Frankreich und zählt zu ihren Hauptakteuren Gilles Deleuze, Michel Foucault, Michel Serres, François Châtelet und Andere. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist nun nicht, jene Geschichte zusammenfassend darzustellen, auch wenn ich das in Ansätzen tun werde. Vielmehr werden hier Entwürfe formuliert, denen ich nachgehen möchte. Dies liegt auch in der Besonderheit dieses anderen Diagrammbegriffs. Er bezeichnet kein Ähnlichkeits-

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verhältnis, eher einen Prozess fortlaufender Differenzierung, eine Modulation1 und Variation. Das Diagramm ist dabei auch nicht begrenzt auf visuelle Darstellungen, nicht einmal die einer Einbildungskraft, vielmehr setzt das Diagramm hier tiefer an. Es ist ein Begriff geworden, der sich sogleich vom Begriff der Struktur absetzt. Das Diagramm bezeichnet hier eine Weise der Strukturierung des Gegebenen, die nicht mehr über starre Oppositionen funktioniert und auch nicht totalisiert. Vielmehr beschreibt das Diagramm Bewegungszusammenhänge, eine ganze Ontologie der Bewegungen und Variationen, die sich gegen Verfestigungen richtet: Ein »revolutionäres« gesellschaftliches Diagramm etwa zeigt neue Bewegungen auf, die das herrschende Machtdiagramm variieren2. Ein neues Diagramm des Malens zeigt neue Verbindungen auf der Leinwand auf, die die repräsentierende Figur auf der Leinwand variieren.3 Der zweite Weg, um auf die Fülle der Vorarbeiten zum Begriff des Diagramms zu reagieren, besteht also nicht darin, den Diskurs zusammenzufassen. Er liegt darin, neu anzufangen, indem man an diese anderen Autoren anschließt und ihre Bestimmungen des Diagrammbegriffs konzeptualisiert, um den Begriff zu schärfen und seinen Einsatz in einem neuen Feld zu probieren. Dies soll allerdings immer auch in Auseinandersetzung mit jenem Begriff des Diagramms passieren, der auf Ähnlichkeit basiert, um so beide Diagrammbegriffe zu präzisieren. In dieser Arbeit werde ich die beiden Diagrammtypen einerseits als Wissensdiagramme (1. Typ) und andererseits als Denkdiagramme (2. Typ) bezeichnen, und zeigen, wie sie in philosophischen Texten am Werk sind. Denkdiagramme bilden dabei den Texten implizite Bewegungszusammenhänge, die die ganze Operation des Textes anleiten. Einzelne Operationen bezeichne ich dann als Denkfiguren. Denkfiguren sind spezifisch geformte Denkbewegungen und bilden somit eine erste Formung der ungeordneten Denkbewegungen, die im Denkdiagramm gebündelt werden und sich in Wissensdiagrammen zu einer Struktur verfestigen. Wissensdiagramme schreiben dann Relationen und Verhältnisse fest, die sich im Denkdiagramm noch durch eine Operation ergaben, 1

Den Begriff der Modulation entleihe ich Gilbert Simondon, der damit den Prozess einer Veränderung in der Zeit beschreibt. Vgl. Simondon: L’individuation à la lumière des notions de forme et d’information. (Bei der ersten Nennung wird der Titel vollständig angegeben, bei wiederholter Nennung dann in einer Kurzfassung.) Der Begriff setzt weiterhin einen allgemeinen Zusammenhang voraus, der nicht überschritten werden kann, und in dem alles mit allem zusammenhängt. Er beschreibt dann eine Veränderung ohne Transzendierung, auch keine Transformation, sondern eine Variation, die den gesamten Zusammenhang, das Diagramm, betrifft.

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Vgl. Deleuze: Kein Schriftsteller: ein neuer Kartograph.

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Vgl. Deleuze: Francis Bacon – Logik der Sensation.

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durch die nächste Operation aber wieder verändert wurden. Die Diagrammatik des Denkens schließlich bildet das Verfahren der Lektüre von philosophischen Texten, die das Zusammenspiel von Denkdiagrammen und Wissensdiagrammen vorführt. Die Klärung dieser Begriffe wird ein Ziel dieser Arbeit sein. Der neue Begriff des Denkdiagramms fokussiert nun nicht auf die Materialität von Diagrammen, wie sie sich uns etwa in Informationsvisualisierungen darstellen, vielmehr beschreibt er den Materialitäten implizite Bewegungen. Somit drückt er auch einen Materialismus aus, jenen der materialen Bewegungen des Denkens.4 Was meint hier nun aber Bewegung? Das Diagramm beschreibt keine Ortsveränderungen, als ob ein Begriff in der Zeit von A nach B ginge. Es sollen vielmehr Bewegungen beschrieben werden, die einen Text charakterisieren. Liest man einen Text genau, kann man etwa folgende Bewegungen bemerken: an dieser Stelle weicht der Text von der gängigen Meinung ab5, hier verbindet er einen Begriff des Diagramms von Peirce mit einem medientheoretischen Vokabular6, da führt er eine Geste des Nicht-Verstehenwollens ein, mit der er sich der Vereinnahmung verweigert7. Der Begriff der Bewegung beschreibt nun aber nicht nur die unterschiedlichen Zurücknahmen, Neuansätze, Interventionen, Wiederholungen, Absetzungen usw., sondern zeigt ebenfalls, wie sich dadurch 4

Damit richte ich mich gegen eine Lesart Deleuzes, die seine Konzeption des Virtuellen allzu spirituell versteht. Dagegen muss man genau die Materialität der Prozesse der Strukturierung des Aktuellen herausarbeiten, wie dies etwa Catherine Malabou (in all ihren Arbeiten, und im Speziellen in ihrem Denken der Plastizität) vollzieht. Vgl.: Malabou: Dialektik und Dekonstruktion: ein neues »Moment«.

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Peter Bexte hat darauf hingewiesen, dass Descartes in seiner Philosophie immer auf den gesunden Menschenverstand abzielt, mit ihm argumentiert und sein ganzes Denken gegen eine Verstellung desjenigen richtet, was man, nur durch das natürliche Licht angeleitet, erkennt. Betrachtet man hingegen seine Analyse der Optik, die das Sehen analog zum Tasten eines Blinden versteht, steht diese dem gesunden Menschenverstand entgegen. Vgl. Bexte: Blinde Seher. Wahrnehmung von Wahrnehmung in der Kunst des 17. Jahrhunderts, S. 81-110.

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Vgl.: Bauer/Ernst: Diagrammatik. Einführung in ein kultur- und medienwissenschaftliches Forschungsfeld.

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Hier kann man z.B. auf das Aufeinandertreffen von Derrida und Gadamer verweisen, wo Derrida Gadamers Vereinnahmungsgeste des Verstehenwollens, mithin des guten Willens, durch eine Bewegung des Sich-Nicht-Einlassen-Wollens reagiert und den bösen Willen beschwört, mithin die Böswilligkeit als Grundbewegung des Philosophierens ausweist. Vgl. die von Martin Gessman herausgegebene Dokumentation dieses Treffens samt der Einzelbeiträge in: Derrida/Gadamer: Der ununterbrochene Dialog.

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den Bewegungen vorgängige Verfestigungen – ein Begriff, gegen den sich die Bewegung richtet, eine vorgängige Meinung oder eben ein festschreibendes Wissensdiagramm – verändern. Die Bewegung eines Textes wird damit immer von ihrer Intervention her und mit Blick auf die Veränderung, die sie hervorbringt (ein neuer Begriff etwa oder eine neue Metapher), beschrieben. Die Denkbewegungen bilden somit einen Zusammenhang, der nicht derjenige eines repräsentierenden Wissensdiagramms ist und auch keine andere feststehende Entität, sondern einen Zusammenhang von Bewegungen, der selbst beweglich, variabel ist. Damit unterscheide ich Denk- und Wissensdiagramme über ihre Funktion: Wissensdiagramme repräsentieren einen Gegenstand, Denkdiagramme intervenieren, um etwas Neues hervorzubringen. Nehmen wir ein Beispiel um den Zusammenhang von Denkdiagramm und Wissensdiagramm genauer zu fassen: In der Analyse von Fußballspielen benutzt man seit geraumer Zeit diverse Techniken der Visualisierung. So kann man an einem Bildschirm eine Spielszene anhalten und mittels Inskriptionen Relationen aufzeigen: Hier ist die Lücke zwischen den Mannschaftsteilen zu groß, da wird dem Stürmer zu viel Platz gelassen. Dieses Wissensdiagramm zeigt Relationen auf, von denen es behauptet, dass sie jenen auf dem Spielfeld ähnlich sind. Für den Trainer und die Spieler kommt es nun aber darauf an, das implizite Diagramm zu finden, das den Relationen zugrundeliegt: Welche Bewegungen haben dazu geführt, dass das Mittelfeld so weit von der Abwehr entfernt steht? Welcher Spielzug und welche Laufwege haben dem Stürmer diesen Platz geschaffen und wie können wir besser darauf reagieren? Man muss also die Bewegung finden, die einen Zustand hervorbringt, um ihn zu variieren. Denn diese Bewegungen bilden einen Zusammenhang, ein ganzes Diagramm, das die Voraussetzungen des Wissensdiagramms darstellt. Verändert man die Bewegungen, ändert sich auch das Wissensdiagramm. Dieser Zusammenhang lässt sich auch auf die Philosophie übertragen, denn auch hier gibt es den Texten implizite Operationen. Liest man etwa die Texte Descartes’ das erste Mal, ist man überrascht, wie beweglich, wie tastend und experimentierend sich seine Philosophie ausdrückt. Das steht im starken Gegensatz zu dem Descartes, der als der Erfinder des Cogito bekannt ist. Denn dieser Descartes hat den ersten Begriff gebildet, mit dem die neuzeitliche Philosophie ihren Anfang nimmt. Bei weiteren Lektüren jedoch fällt auf, dass man das Cogito gar nicht so einfach findet. Vielmehr probiert der cartesische Text diverse Denkbewegungen aus und interveniert in die unterschiedlichsten Diskurse. Diese Denkbewegungen werden schließlich zu neuen Denkfiguren verfügt und in den Schriften zur Metaphysik beständig wiederholt: in Argumentationen, anhand von Beispielen und Metaphern. Und je nach Einsatz und Ausbildung des Denkdia-

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gramms variiert auch der Begriff des Cogito bei Descartes. So intervenieren in philosophischen Texten die Denkbewegungen in vorgängige Wissensdiagramme und bilden einen neuen Zusammenhang. Wenn Descartes bspw. die Bewegung des methodischen Zweifels noch vor der Erschaffung des ersten Begriffs vollzieht, dann interveniert er in die unterschiedlichsten Diskurse von der aristotelischen Schulphilosophie bis hin zu einem Wissenschaftsverständnis seiner eigenen Zeit. Gleichzeitig aber schafft er neue Denkräume, die das Terrain für einen neuen Begriff erschaffen, den Begriff des Cogito. Damit setzt der Begriff diese Bewegungen voraus, auch wenn hier ein neuer Typ von Voraussetzung auftritt. Descartes benutzt nicht andere Begriffe, um das Cogito zu definieren, aber er setzt ein Denkdiagramm voraus, das die Intervention von Denkbewegungen in eine vorgängige Verfestigung des Denkens beschreibt. Damit muss das Denkdiagramm gerade nicht als Visualisierung vorliegen, es fordert vielmehr eine genaue Lektüre als ein Nachvollziehen der Bewegungen des Textes. Die Diagrammatik des Denkens bildet nun das Verfahren, die unterschiedlichen Denkbewegungen aufzuspüren, um aufzuzeigen, was für ein Denkdiagramm sie ausbilden, wenn sie zeigt, gegen welches Wissensdiagramm es sich richtet. Die Diagrammatik bezieht die Denkdiagramme aufeinander, wenn sie vorführt, wie ein Denkdiagramm das andere moduliert. Damit bildet sie aber keine Methode. Eine Methode ist von ihrem Gegenstand ablösbar und kann so in den unterschiedlichsten Gebieten eingesetzt werden, immer mit dem Versprechen, etwas Wahres darüber zu sagen. Dagegen leistet das Verfahren eine Einlassung, wenn es mit seinem Gegenstand verschmilzt. Es ist stets lokal und ändert sich, wenn es in einem anderen Gebiet zum Einsatz kommt. Es zeigt keine Wahrheit, sondern führt ein Funktionieren vor. Damit bleibt das Verfahren stets mit dem Gegenstand verbunden und kann sich auch ändern, wenn neue Funktionsweisen auftreten. Das Verfahren der Diagrammatik besteht nun darin, sich auf die Texte einzulassen, die argumentativen, metaphorischen, zeichnenden, kurz: die sprachlichen und die gezeichneten Bewegungen des Textes nachzuvollziehen und herauszufinden, gegen welche Verfestigungen sie sich richten, worin sie intervenieren, um was vorzubereiten? Durch diese Charakteristik der Diagrammatik bietet sich ein »close reading« der Texte an, um sich in die Sprache zu begeben und die darin wirksamen Bewegungen aufzufinden. Die nachfolgende Arbeit wird in einigen Passagen verfestigte Diskurse und andere Wissensdiagramme referieren, um sich danach in die Lektüre eines Textes zu vertiefen und zu beobachten, welches Denkdiagramm in die Verfestigung interveniert. Dabei soll das Verfahren der Diagrammatik Denk- und Wissensdiagramme vorführen, was auch durch das unterschiedliche Verhältnis, welches beide Diagrammtypen in unterschiedlichen Texten eingehen, dazu führt, dass

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sich das Verfahren selbst verändern kann. In den Lektüren von Descartes und Deleuze werde ich unterschiedliche Bezüge von Denk- zu Wissensdiagrammen vorführen, und zeigen, wie man beide Philosophien durch diese Begriffe aufeinander beziehen kann. Nun treten Wissens- und Denkdiagramme aber nicht nur als Strukturierungsweisen in der Sprache auf, sondern es finden sich bei Descartes und Deleuze auch gezeichnete Diagramme. Hier werden auf der Fläche Bewegungen entworfen, die eine Strukturierung ausbilden. Diese Bewegungen werden gezeichnet und können zugleich in der Betrachtung nachvollzogen werden. Der ausgebildeten Strukturierung können nun je nach Diagrammtyp verschiedene Funktionen zukommen. Handelt es sich um ein gezeichnetes Wissensdiagramm, dann projiziert es eine Struktur in einen anderen Bereich – eine im Denken gefundene Strukturierung kann so als feste Struktur für eine körperliche Anordnung geltend gemacht werden. Die Behauptung eines Wissensdiagramms der Anatomie des Menschen bei Descartes liegt dann darin, Relationen und Zusammenhänge der Zeichnung für den Aufbau des menschlichen Körpers, der Relation der Organe und ihr Zusammenspiel festzuschreiben. Ein gezeichnetes Denkdiagramm hingegen entwirft eine Strukturierung auf der Fläche, um in den Ort, an dem es auftritt, zu intervenieren. Eine gezeichnete Strukturierung in Deleuzes Leibniz-Buch wird eine neue Denkbewegung hervorbringen, die in den Text interveniert und ihm eine neue Richtung gibt. Damit ergibt sich eine Matrix von vier unterschiedlichen Diagrammtypen: impliziten Denk- und Wissensdiagrammen, die den Text von innen her strukturieren, und explizite Denk- und Wissensdiagramme, die eine bildliche Ordnung in den Text einführen, um ihn umzubilden oder in andere Bereiche zu verlängern. Den Übergang von einem Diagrammtyp zu einem anderen beschreibt der Begriff der Denkfigur. Während Figur, je nach der Geschichte, die man ihr zuschreibt, einmal eher den stabilen Schemata, ein anderes mal den rhythmischen Bewegungen zugeschlagen werden kann, so beschreibt der Begriff der Denkfigur in seinen neuesten Vorkommen zumeist eine implizite Bewegung. Denkfiguren bezeichnen hier metaphorische Bewegungen8, philosophische Gedanken9 8

Vgl. z.B. die Untersuchung von Müller-Tamm: Abstraktion als Einfühlung. Zur Denkfigur der Projektion in Psychophysiologie, Kulturtheorie, Ästhetik und Literatur der frühen Moderne.

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Die »Denkfigur« als Bewegung eines philosophischen Gedankens hat Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch philosophischer Auseinandersetzung gefunden und wird für die unterschiedlichsten Operationen gebraucht. Bis dato hat noch niemand eine Analyse dieser Verwendungsweisen vorgenommen. Es steht aber zu vermuten, dass, sollte man dies unternehmen, man gerade nicht den Ansatz verfolgen sollte, alle Ver-

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oder auch sehr bewegliche Argumentationen10. Gerade das Verständnis der Denkfigur als Bewegung öffnet ihn aber auch wieder auf die zeichnenden Bewegungen in visualisierten Schemata.11 Da mit Denkfigur nun aber nicht alle möglichen Bewegungen beschrieben werden, sondern schon immer neuartige Bewegungen, muss der Begriff konkretisiert werden. Im Zusammenhang einer Diagrammatik des Denkens bezeichne ich mit Denkfiguren eine abweichende Denkbewegung, die eine gewöhnliche Bewegung moduliert, und als neue Denkbewegung in einen verfestigten Zusammenhang interveniert. So kann ein gezeichnetes Diagramm eine neue Denkfigur ermöglichen, die in das Diagramm des Textes interveniert, oder umgekehrt. Ein Wissensdiagramm wird diese neue Denkfigur verfestigen, sie in eine Struktur bringen und diese in einen anderen Bereich projizieren, repräsentieren. Die Diagrammatik muss dann diese abweichenden Bewegungen auffinden und den Zusammenhang bestimmen, den sie zwischen Wissens- und Denkdiagramm ausbilden. Es stehen nun die beiden Einsatzbereiche des Verfahrens der Diagrammatik fest: Einerseits dient es dem Auffinden und in Beziehung setzen von den philosophischen Texten impliziten Denk- und Wissensdiagrammen, um aufzuzeigen, welches Denkdiagramm ein Text als Voraussetzung von Begriffen ausbildet. Das Verfahren der Diagrammatik beschreibt nun die tastenden Bewegungen, die Prozesse der Modulierung und Verfestigung derselben und macht die Texte in ihrer Beweglichkeit sichtbar. Denn keine Philosophie behauptet einfach ein feststehendes System: Die Erarbeitung des Systems präfiguriert die ersten Begriffe. Hier stellt sich die Frage, wo eine Diagrammatik ansetzt und wie sie auf die Bewegungen und ihre Modulierungen stößt? Wichtig sind hier vor allem die Anfänge und Wiederholungen. Denn ein philosophischer Text beginnt selten mit wendungen klar zu definieren und festzulegen, da wohl gerade die Unschärfe des Begriffs und sein weites Bedeutungsspektrum Anlass zu seiner Verwendung bietet. 10 So wie sich Argumentationen in nahezu allen Wissenschaften finden, so wird auch der Begriff der Denkfigur neuerdings in den unterschiedlichsten Gebieten verwendet. Damit werden die Disziplinen aber auch vergleichbar, wenn man die Denkfiguren miteinander in Beziehung setzt. Einen guten Überblick über die Vielfalt der Denkfiguren in den verschiedenen Fächern bietet Dirmoser: Denkfiguren – Verwendung von Diagrammen in Wissenschaft und Kunst. 11 Vgl. hier die ganzen Arbeiten von Gerhard Dirmoser. Einen guten Überblick über das Spektrum der Denkfiguren verschafft auch der Tagungsbericht zu dem in Zusammenarbeit mit Alexander Friedrich organisierten Workshop: »Was sind Denkfiguren. Figurationen unbegrifflichen Denkens in Metaphern, Diagrammen und Kritzeleien« auf: http://cultdoc.uni-giessen.de/wps/pgn/home/KULT_ online/ tagungsbericht10- 2011/ (Zugriff: 10.09.2011).

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dem ersten Begriff, sondern er erschafft ein Territorium und ein Problem, in dem der erste Begriff operiert und eine Lösung darstellt. Dabei treten oft Argumentationen auf, die weniger auf Wahrheit oder Richtigkeit zielen als eher eine kreative Bewegung vollführen, etwas als unwichtig aus- oder einen neuen Bereich erschließen. Metaphern erscheinen, die die Bewegungen verfestigen, es werden Beispiele vorgeführt, die dem ersten Begriff Operationen seines Einsatzes vorbilden. Zudem gibt es in philosophischen Texten stets Wiederholungen, verschiedene Ausgaben, Wiederaufnahmen und auch Revisionen. Diese dienen häufig der Verfestigung der Denkbewegungen und deren Etablierung. Eine Wiederholung kann aber auch eine Denkbewegung variieren, um einen neuen Begriff zu erschaffen oder den alten zu schärfen. In diesem Einsatzbereich geht es also darum, diejenigen Textstellen zu finden, die einen Anfang oder einen Einsatzpunkt, einen problematischen Fall oder eine überraschende Entdeckung markieren, um von hier den Experimentierraum des Textes und seine begrifflichen oder eben wissensdiagrammatischen Konsequenzen zu beschreiben. In philosophischen Texten tauchen aber auch diagrammatische Anordnungen auf. Diese reichen von gezeichneten Diagrammen und Wissensbildern bis hin zu den durch das Inhaltsverzeichnis angegebenen Anordnungen. Der zweite Einsatzbereich des Verfahrens der Diagrammatik ist nun durch eine schriftbildliche Perspektive12 bestimmt, wenn es jenen Text-Bild-Verhältnissen besonderen Wert zuschreibt. Hier tritt eine neue flächige Ordnung auf, die auch andere Opertionen ermöglicht. Auf der Fläche kann man das Gebiet vermessen, Relationen herstellen und Strukturierungen entwerfen. Die Diagrammatik beschreibt aber nicht einfach die Verfasstheit und das Funktionieren dieser Darstellungen, sondern bestimmt sie gerade aus ihrer Operativität. Damit muss man die schriftbildichen Elemente eines Textes immer aus dem Ort heraus beschreiben, an dem sie auftreten. Auf eine Beschreibung der Philosophie Foucaults folgt in einem Text Deleuzes ein gezeichnetes Diagramm, das einen neuen Zusammenhang herstellt, der auch eine neue Denkfigur eröffnet. Diese tritt daraufhin in die Ordnung des fortlaufenden Textes ein, wird hier vereindeutigt und affiziert das vorher Gesagte. Die beiden Einsatzbereiche der Diagrammatik bleiben nun aber nicht nebeneinander stehen, denn es geht darum, gerade ihre Verbindung zu beschreiben. Die Verbindung wird immer durch eine Denkfigur geleistet, die im Text gefun12 Vgl. hierzu die neueren Arbeiten von Sybille Krämer sowie die des Graduiertenkollegs »Schriftbildlichkeit«. Zusammengefasst meint Schriftbildlichkeit eine Eigenschaft von Schriften, die darin besteht, dass sie eine bildliche Dimension haben. So kommen z.B. musikalische Notationen, Bilderschriften ganz allgemein, diagrammatische Artefakte oder sogar Handschriften als Bilder in den Blick und werden nicht sogleich auf ihren Charakter als aufgeschriebene Sprache befragt.

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den und auf die Fläche projiziert, oder, wenn sie im Zeichnen auftritt, wieder in den Text überführt wird. Das Ziel der Diagrammatik ist damit, Denkfiguren in philosophischen Texten aufzufinden und vielleicht auch zu erneuern, um Interventionen gegen verfestigte Meinungen, überlieferte Begriffe oder wirkmächtige Wissensdiagramme zu ermöglichen. Der dem entsprechende Aufbau der Arbeit wird sich dann wie folgt gestalten. Im ersten Kapitel werde ich die Begriffe der Denkbewegung, der Denkfigur, des Denk- und Wissensdiagramms sowie die hier verfolgte Diagrammatik in Absetzung zu anderen Entwürfen einer Diagrammatik erläutern. Mit der neu konzipierten Diagrammatik reagiere ich auf ein Problem philosophischer Praxis, die die philosophischen Texte kaum mehr zu lesen braucht, um zu wissen, dass Descartes mit dem Begriff des Cogito den Anfang in der neuzeitlichen Philosophie macht und dass Deleuze ein Postmoderner ist. Das Verfahren einer Diagrammatik des Denkens nimmt dabei Anleihen beim Diskurs der Schriftbildlichkeit, allgemeiner Diagrammatik aber auch bei entlegeneren Autoren, die bis jetzt noch nicht so starken Eingang in den Diskurs gefunden haben. Diese neue Diagrammatik ebenso wie der neue Begriff des Denkdiagramms werden zusammen neues Licht auf die Untersuchungen zu Diagrammen werfen, verweisen sie doch gerade auf die Voraussetzungen von gezeichneten Diagrammen, die bis dato zumeist unhinterfragt übernommen werden. In den beiden nachfolgenden Kapiteln zeige ich Einlassungen der Diagrammatik auf die Metaphysik Descartes’ und die Philosophie Deleuzes. Warum nun aber diese beiden Autoren, was bringen sie für die Diagrammatik? Die kurze Antwort lautet: Bei beiden Philosophen finden sich Denk- und Wissensdiagramme. Darüber hinaus können beide auch als Vorläufer der Diagrammatik betrachtet werden, denn in ihren Texten finden sich Gedanken, die für unser Projekt fruchtbar gemacht werden können. Bei Descartes findet man zuerst, entgegen der vorherrschenden Meinung, er habe in der Philosophie einen neuen Anfang durch den Begriff des Cogito geschaffen, einen Begriff von Denkbewegung. Diese beschreibt er als Teil seiner Methode. Die Denkbewegungen bilden die »Wege«, die das »Gemälde« seiner metaphysischen Schriften hervorbringen. Seine Metaphysik kann dann durch Annäherungsversuche, Zurücknahmen, die großen Gesten und die Wiederholungen beschrieben werden, die ein cartesisches Denkdiagramm ergeben. Dieses Denkdiagramm wird in der cartesischen Wissenschaft verfestigt und schließlich in den diversen Wissensdiagrammen, die den Textkorpus Descartes’ bevölkern, auf die Fläche projiziert. An Descartes können also die Ausbildung eines konkreten Denkdiagramms sowie dessen Übergänge zu Wissensdiagrammen nachvollzogen werden. Gleichzeitig werden so Bestim-

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mungen für das Verfahren der Diagrammatik wie auch für das Verhältnis der unterschiedlichen Diagrammtypen gewonnen. Deleuze hingegen beginnt mit der Konstatierung eines Wissensdiagramms, mit dem Aufzeigen einer Struktur des Denkens, die unterschiedlichste Philosophien bestimme. Dieses Wissensdiagramm führt Deleuze mit Descartes ein. Dagegen erarbeitet er einen Begriff der Idee, der wieder genau jene Operationen andeutet, die für das Denkdiagramm charakteristisch sind. Das Projekt Deleuzes besteht dann darin, das verfestigte cartesische Denken, so wie es Kant, Hegel und auch noch Bergson wiederholen, auf das ihm implizite Denkdiagramm zurückzuführen. In seinen Büchern über Spinoza und Leibniz wird Deleuze andere Denkdiagramme entwickeln, indem er die Denkfiguren Descartes’ moduliert. Schließlich wird dieses Kapitel darin münden, dass auch Deleuzes gezeichnete Denkdiagramme nachvollzogen werden, um die in ihnen entstandenen Denkfiguren zu beschreiben; dies mit Bezug auf die Intervention, die sie im Text bewirken, wenn sie eine postcartesische Philosophie hervorbringen. Die Einlassung der Diagrammatik auf die Philosophien Descartes’ und Deleuzes führt also einerseits die neuen Begriffe und ihren Zusammenhang vor. Dadurch wird das Verfahren andererseits aber auch konkretisiert und geschärft, was auch, je nach Gegenstand, zu dessen Variation führen wird. Man könnte fragen: Was bringt diese Diagrammatik für die Philosophien von Descartes und Deleuze? Ein Teil der Antwort wurde bereits vorweggenommen. Er liegt im Versprechen einer genauen Lektüre, die vor den tradierten Grenzen keinen Halt macht. Denn es geht gerade um den Zusammenhang der verschiedenen Texte und deren Variation, nicht um bereits vorausgesetzte Unterschiede und überliefertes Wissen. Dabei soll die überlieferte Gelehrsamkeit im Umgang mit den Texten natürlich nicht einfach suspendiert werden. Sie dient vielmehr der Schärfung des Verfahrens und der Relationierung der Ergebnisse. Der andere Teil der Antwort betrifft das Verhältnis von Descartes und Deleuze. Bisher wurden beide Philosophien noch nicht zusammen betrachtet, und wenn doch, dann eher im Vorbeigehen, wobei klar war, dass Deleuze als »postmoderner Theoretiker« ein Gegner Descartes’ sein müsse. Durch die genaue Lektüre der impliziten Denkbewegungen wie auch durch das Nachvollziehen der Funktion und Wirkungsweise der gezeichneten Diagramme werden beide auf einer anderen Ebene vergleichbar. Die Ausprägung ihrer Denk- und Wissensdiagramme kann in Beziehung gesetzt und verglichen werden. Darüber hinaus wird man in der Genese des deleuzeschen Werks bemerken, dass Descartes eine beständige Referenz seines Denkens darstellt. Ist Descartes zu Beginn der Erfinder des Bild des Denkens, gegen das Deleuze ein bildloses Denken hervorbringen will, so bilden die untersuchten philosophiehistorischen Bücher Deleu-

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zes indirekte Auseinandersetzungen mit dem cartesischen Denkdiagramm. In seinem letzten Buch über Philosophie, wird diese positiv als Kunst definiert, Begriffe zu erschaffen, als deren Prototyp Descartes fungiert. Dieser Wandlung der Referenz auf Descartes werde ich in der Arbeit nachgehen und so das Verhältnis von Deleuze zu Descartes neu bestimmen. Dabei wird es das Ziel sein, dass sich beide Philosophien gegenseitig erhellen, wenn Deleuzes Blick Descartes’ Philosophie neu verständlich macht, umgekehrt aber auch Descartes’ Metaphysik Deleuzes Philosophie als eine Reaktion darauf vorführt und von hier aus neu erschließt. Das Problem, an dem sich die Diagrammatik abarbeitet und das alle Teile dieser Arbeit begleitet, ist dasjenige der Voraussetzung. Die genaue Formulierung dieses Problems für das jeweilige Gebiet wie auch das Auffinden einer Lösung wird alle Kapitel antreiben. Im Bereich der Diagrammatik geht es um die Voraussetzungen materialer Diagramme, die als Denkdiagramm konzeptualisiert werden. Im Teil über Descartes wird man sehen, wie Descartes alle Voraussetzungen ausschließt, was wiederum einen neuen Typ von Voraussetzung einführt: das cartesische Denkdiagramm. Auch Deleuzes philosophisches Projekt kann über das Explizieren der Voraussetzungen des Denkens und die Modulation dieser Voraussetzungen beschrieben werden. Führe ich das Problem und die verschiedenen Lösungsansätze in den unterschiedlichen Gebieten der Diagrammatik, der Metaphysik Descartes’ oder etwa der Philosophie Deleuzes vor, dann, um eine produktive Verwicklung der Bereiche zu erzielen. Die Arbeit ist damit also selbst diagrammatisch, wenn sie die unterschiedlichen Gebiete des Denkens aufeinander bezieht und sich genau in jenem Zwischenbereich einrichtet, der ihre Beziehung zueinander reguliert und variiert. Somit ist auch klar, dass es nicht darum gehen kann, jegliche Voraussetzungen auszuschließen. Vielmehr kommt es darauf an, sie zu kontrollieren und auch zu variieren, um neue Lösungen zu kreieren, schließlich auch neue Probleme zu entwerfen. Die Frage, die diese Arbeit stellt, kann dann nicht lauten: Was ist das Problem des Anfangs? Sie erschöpft sich in den Variationen, die darin liegen, wenn man fragt: Wie anfangen?

I. Was kann ein Denkdiagramm? Vom Diagramm zur Diagrammatik »Allein ich werde in diesem Bericht gern aufzeigen, welches die Wege sind, denen ich gefolgt bin, und so mein Leben wie auf einem Gemälde darstellen«.1 DESCARTES »Ein neues Denken, positiv und positivistisch, die Diagrammatik, die Kartographie.«2 DELEUZE

In der Philosophie vertraut man häufig dem gesprochenen Wort und entflieht den Texten in die Verständigung und die Vermittlung: Man gibt sich recht oder widerspricht sich. Dabei favorisiert man die Formen der gesprochenen Sprache, wenn gefragt wird: Was ist die Behauptung des Textes, was ist seine These, was die Idee? In dieser Art von Übung lernt man die Verkürzung und die Polarisierung, und vergisst beinahe, dass Philosophen nur selten in einer Position aufgehen, sondern gedacht haben, was Texte produzierte. Hier unterschlägt man also zumindest eines: dass die Philosophie in Schriften zu uns kommt. Was heißt es nun aber, dass eine Philosophie einen Textkörper hat? Es meint zum einen, dass man die Texte als Schriften ernst nehmen sollte. Als solche sind sie materiell vorhanden und stehen als bildliche Artefakte dem 1

Descartes: Discours de la méthode, S. 7; AT VI, S. 5 (Descartes wird immer zuerst aus einer deutschen Ausgabe, dann aus der Gesamtausgabe zitiert: Descartes: Œuvres de Descartes, Hg.: Adam/Tannery. Auf die Abkürzung AT folgt dann der Band in römischen Ziffern und die Seitenzahl.)

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Deleuze: Kein Schriftsteller: Ein neuer Kartograph, S. 128.

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Blick zur Verfügung. Dabei kommt nicht nur den Schriften eine bildliche Komponente zu, vielmehr bemerkt man, dass Schriften den Text auch immer schon überschreiten, dann, wenn sie Bilder einflechten oder Diagramme generieren. Diese schriftbildliche Perspektive3 wird nun in einer Diagrammatik des Denkens ergänzt durch die einer Philosophie impliziten Diagramme, ohne die der Körper eines Textes unvollständig bliebe. Denn es sind die impliziten Denkbewegungen und die Denkdiagramme, die einen Text von innen her strukturieren, die ihm eine Anordnung vorschreiben und die Möglichkeit von schriftbildlichen Phänomenen im Text überhaupt eröffnen. So bilden implizite Denkbewegungen und -diagramme einen neuen Typ von Voraussetzung – keine Axiomatik, sondern eher vorsichtige, vorbegrifflichen Bewegungen –, der die Thesen, Propositionen und auch die sichtbaren Komponenten eines Textes präfiguriert. Damit soll der Materialismus, der Schriften aufgrund ihrer Bildlichkeit bestimmt, ergänzt werden durch einen Materialismus der Bewegungen und Figurierungen, der die Bildlichkeit von Schriften überhaupt erst verständlich macht. Denn von hier aus werden nicht nur die bildlichen Ausprägungen des Textes bestimmbar, sondern auch deren Variation und Veränderlichkeit. Man wird den Texten nicht gerecht, wenn man ihnen widerspricht, oder sie auf alle möglichen Kontexte hin strapaziert. Vielmehr muss man die Texte aus sich heraus ihre Probleme und ihre Lösungsansätze generieren lassen. Welche Diskurse nehmen sie auf und welche Denkfiguren bringen sie hervor? – das sind Fragen an den Text einer Philosophie. Versucht man den Text nicht auf anderes hin zu transzendieren, so wird man feststellen, dass er nicht nur sagen lässt, sondern auch sichtbar macht. Was nun aber sehen lässt in einem philosophischen Text, sind nicht seine signifikativen Elemente, also diejenigen, die Bedeutung zusprechen, sondern die Denkfiguren, die eine Philosophie durchziehen. Eine Diagrammatik des Denkens hat zum Ziel, die Denkfiguren genauso wie die Bedeutungsproduktion eines Textes in die Analyse einzubeziehen und ihr spezifisches Verhältnis zu bestimmen. Dabei errichtet sie eine Ebene, welche die unterschiedlichen Texte verbindet, indem sie aufzeigt, wie eine Philosophie die

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Vergleiche zum Begriff der »Schriftbildlichkeit« die Arbeiten von Sybille Krämer. Weiterführend ist auch die Lektüre des Bandes von: Krämer/Cancik-Kirschbaum/ Totzke: Schriftbildlichkeit: Wahrnehmbarkeit, Materialität und Operativität von Notationen wie auch die folgende Ausgabe der Zeitschrift Sprache und Literatur empfehlenswert: Krämer/Giertler: Schwerpunkt Schriftbildlichkeit. Siehe zum Diagramm als »Hybrid« von Schrift und Bild, das Eigenschaften von beiden Darstellungstypen in sich trägt Mersch: Visuelle Argumente. Zur Rolle der Bilder in den Naturwissenschaften, S. 97.

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Denkfigur einer anderen variiert und so ganz neue Denkräume erschließt, die wiederum einen neuen Diskurs fordern. Beginnt man beim Körper einer Philosophie, der ihr eine Räumlichkeit gibt, die man entwickelt und in andere Bereiche verlängert, dann wird man ganz neue Verbindungen entdecken, die in ihrer Konversion in die Formen der gesprochenen Sprache immer unbeachtet bleiben. Die Bewegung dieser Arbeit wird darin bestehen, dass sie die schriftbildlichen Artefakte in den Texten von den impliziten Diagrammen eines Denkens her bestimmt.4 Die Kritik einer phonozentrischen Ausrichtung der Philosophie kann also nicht beim Ausweis einer Körperhaftigkeit der Philosophie stehen bleiben, indem sie auf die Materialität der Schriften hinweist. 5 Vielmehr muss sie zu jener zweiten Körperlichkeit gelangen, die die Texte durchzieht, präfiguriert und wieder refiguriert, und so den Schriftkörper erst entstehen lässt. Wie man nun von der zweiten zur ersten Körperlichkeit gelangt, und wieder zurück, ist das Problem einer Diagrammatik des Denkens. In dieser Arbeit will ich zeigen, wie man von einem impliziten Denkdiagramm zu einem gezeichneten Diagramm kommt und wie man umgekehrt ein gezeichnetes Diagramm auch wieder mit den Operationen eines Textes in einen Zusammenhang stellt. Der Begriff der Denkbewegung soll nun auf das Problem des Zusammenhangs von expliziten diagrammatischen Anordnungen und den Texten impliziten diagrammatischen Operationen antworten. Beginnt man bei der Phänomenalität von Schriften, so erblickt man unumstößliche Anordnungen, feste Strukturen, etablierte Relationen, kurz: eine Räumlichkeit, die allem einen festen Platz zu-

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Dieses Argument habe ich an anderer Stelle weiter ausgeführt: Reichert: Diagrammatik als Präphilosophie und Metaphysik. Von einer schriftbildlichen Perspektive zu einer Perspektivierung von Schriftbildlichkeit.

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Jacques Derrida hat die Kritik am Phonozentrismus der Philosophie in seiner Grammatologie in prominenter Weise hervorgebracht. Er wendet sich Schrift und der Schreibung zu, indem er die Prozesse und die Operationen der Schrift in den Vordergrund rückt, dies gegen einen vermeintlichen Sinn des Textes. Seine Kritiker haben ihm daraufhin vorgeworfen, dass seine Bestimmung der Schrift nicht das ganze Phänomen der Schrift birgt, vielmehr Operationen ausweist, die auch außerhalb der Schrift gelten. Dagegen fordern sie von der Phänomenalität von Schrift auszugehen. In meiner Arbeit verfolge ich einen Ansatz, der beide Lager verbinden könnte, wenn ich gerade die Verbindung von Phänomenalität und Operationen der Schrift herausstellen will. Lohnenswert wäre hier eine Untersuchung, inwiefern die Grammatologie Derridas bereits eine Diagrammatologie der impliziten Denkdiagramme und deren Modulation und Intervention ist, was in dieser Arbeit leider nicht geleistet werden kann.

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weist. Dabei verliert man die tastenden Operationen, das Experimentieren und auch das Revidieren, was Texte ausmacht und ihre festen Anordnungen überhaupt erst hervorgehen lässt. Geht man umgekehrt von einem Sinn des Textes aus, den es zu erschließen gilt, dann muss die Phänomenalität von Texten lediglich überwunden werden, um zum Sinn zu gelangen. Der Begriff der Denkbewegung versucht nun beide Ebenen neu zu fassen und zu verbinden. Der Sinn eines Textes ist niemals einfach, vielmehr ist ein Text immer ein Prozess. Er beginnt mit den ersten Bewegungen, die Oppositionen zu anderen Diskursen herstellen, das Gebiet der Untersuchung erweitern oder etwa an etwas Etabliertes anschließen, um es zu verändern. Diese ersten Bewegungen werden im Text moduliert und mit anderen Bewegungen verbunden. So entsteht ein ganzes Geflecht von Denkbewegungen in einem Text, die sich auch in gezeichneten Diagrammen ausdrücken. Hier werden im Zeichnen die Bewegungen des Textes verlangsamt, zu einer Anordnung von Relationen verfestigt, was eine neue Denkfigur ergeben kann, die wiederum in den Text eingeht. Der Text erscheint so als Experimentierraum von Denkbewegungen, als ein dynamischer Prozess, der nachvollzogen werden muss. Wenn Descartes den Discours de la méthode mit dem Satz beginnt: »Der gesunde Verstand ist die bestverteilte Sache der Welt«6 dann drückt er keinen Sachverhalt aus, der bereits Bestand hat. Vielmehr vollführt er eine Operation, die alle Menschen als verstandesbegabt ausweist. Daraufhin wirft er ein, dass sich die Menschen beständig streiten. Wie kann das sein, wenn sie doch alle gleichermaßen Verstand haben? Er entwirft nun eine Bewegung, die unterschiedliche Meinungen auf die Erziehung zurückführt, die den Verstand trüben. Damit wird der Vielzahl der Meinungen ein Grund entgegengesetzt, der Verstand, der die unterschiedlichen Meinungen vereinheitlicht und anordnet, indem er ihnen eine gemeinsame Basis gibt. So drückt der Satz keinen Sinn aus, sondern präfiguriert eine Denkbewegung, die in den unterschiedlichsten Zusammenhängen wiederholt wird, da sie das cartesische Denkdiagramm bestimmt. Während die erste Körperlichkeit von Texten über einen erweiterten Schriftbegriff7 bestimmt werden kann, erscheinen die konkreten Ausprägungen von Schriften samt ihren Diagrammen und Zeichnungen doch aus dieser Perspektive relativ zufällig – es könnte immer auch ein anderes Diagramm in einem Text auftauchen. Dagegen könnte man den impliziten Körper eines Textes wie folgt bestimmen: Er ist schicksalhaft, aber nicht notwendig. Jedem philosophischen

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Descartes: Discours, S. 3; AT VI, S. 3.

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Vgl. hierzu Grube/Kogge/Krämer: Schrift. Kulturtechnik zwischen Auge, Hand und Maschine.

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Text inhäriert ein Denkdiagramm, das die möglichen Denkbewegungen und Denkräume festlegt und damit andere ausschließt. Insofern ist der Körper eines Denkens schicksalhaft. Er ist hingegen nicht notwendig, da es immer auch möglich ist, neue Denkbewegungen zu erproben, damit neue Denkräume zu eröffnen und so vielleicht das ganze Diagramm zu wechseln. Diese Denkfiguren zu bergen, tritt eine Diagrammatik des Denkens an, um so die Körperlichkeit eines Denkens aufzuzeigen, also dasjenige, was den Begriffen und damit der Rationalität schicksalhaft vorausgeht. Vielleicht ergeben sich so auch wieder Übergänge der Philosophie in die Nichtphilosophie. Dies zwar nicht durch eine einfache Anwendung; möglicherweise gelingt es jedoch, einige Strategien zu ergründen, ein vorbegriffliches Denken in Bewegungen und deren neuen Figurierungen aufzufinden, das auch in ganz anderen Bereichen Intervention ermöglicht. Eine Diagrammatik des Denkens versucht, die philosophischen Schriften insofern ernst zu nehmen, als dass sie die diskursiven Elemente genauso wie die figürlichen Elemente in den Texten als wesenhaft unterschiedene Formen berücksichtigt, die sich gegenseitig voraussetzen. Auf der einen Seite die Thesen, Begriffe und Wahrheiten, auf der anderen Seite die figurierten Denkbewegungen. So stehen sich diskursive und figürliche Einheiten in den Texten gegenüber, intervenieren ineinander und transformieren sich: Elemente des Sagbaren fordern eine neue Figur des Denkens, und genauso verlangt eine neue Denkfigur eine Neukonfiguration des Diskurses. Diese beiden Formen stehen also nicht in einem Verhältnis der Korrespondenz, noch repräsentieren sie einander. Sie sind grundlegend heterogene Formen, die sich ständig in Beziehung zueinander setzen, ohne diese Beziehung zu hierarchisieren. Dabei verweisen die beiden Formen auf etwas Drittes, das ihre Bewegungen aufeinander bezieht und ihre spezifische Form der Verwicklung festlegt.8 Das ist der Ort des Diagramms und der Einsatzbereich einer Diagrammatik, welche die Diagramme aufspürt, sie aufeinander bezieht und sie so ineinander übergehen lässt oder in Widerspruch zueinander bringt. Diagrammatik verweist auf eine Zusammensetzung der griechischen Vorsilbe »dia« und des Wortstamms »gramma«. »Gramma« ist der Buchstabe und verweist auf den »grammatikos«, den Grammatiker.9 Dieser bezeichnete jemanden, der die philologische Tätigkeit der Textkritik ausführte. »Dia« heißt im

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Vgl. zu dieser Definition des Diagramms auch Langer: Diagrammatologie, S. 75f.: »Das Diagramm ist eine Einheitsform, die heterogene Strukturen aufeinander bezieht, ohne sie unter eine stabile Bedeutung oder eine konstante Form zu subsumieren«.

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Diesen Vergleich ziehen auch Bauer/Ernst: Diagrammatik. Einführung in ein kulturund medienwissenschaftliches Forschungsfeld, S. 9f.

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griechischen »zwischen«, »durch«, »auseinander« und »zer-«. In der Zusammensetzung meint die Diagrammatik die Tätigkeit, zwischen den Buchstaben zu lesen, durch die buchstäblichen Bedeutungen hindurch, den Text auseinanderlegen, zerlesen, um den Mechanismus aufzufinden, der den Text trägt, ihm eine Anordnung gibt und seine Bewegung entwirft. Die Diagrammatik ist aber keine universell einsetzbare Methode, die notwendig zur Wahrheit führen wird. Eher sollte man sie als ein Verfahren10 charakterisieren, das weniger reduziert, vielmehr in die Texte zurückgeht, um in ihnen ihre Bewegung aufzufinden. Ein so konzipiertes Verfahren setzt kein festes Fundament voraus, sondern interessiert sich gerade für die anfänglichen, vorbegrifflichen Bewegungen des Denkens, die sie nachvollzieht. Diese ersten Denkfiguren relativieren bestehende Diskurse und eröffnen neue Denkräume, die wiederum einen neuen Diskurs fordern. So wischt die große Denkfigur Descartes’, die den »Umsturz aller Meinungen«11 verlangt, Bedeutungszuschreibungen traditioneller Philosophie sowie einen Typ von Meinung weg, um von Neuem anzufangen. Doch dieser Neuanfang besteht nicht in der Setzung eines ersten Begriffs, dem »Cogito« etwa, anhand dessen man die Welt aus den Angeln heben könnte, nein, vielmehr gehen diesem Begriff Denkfiguren voraus, die andere Figuren des Denkens ausschließen und so einen neuen Denkraum eröffnen. Und erst das Zusammenspiel dieser Figuren mit den signifikativen Elementen ergibt ein Denkdiagramm. Die Frage nun: »Was kann ein Denkdiagramm?«, ersetzt einerseits die Frage nach dem Sein der Diagramme (Was ist ein Denkdiagramm?) und andererseits die Frage nach dem Erkenntnisgewinn von Diagrammen (Was erkennt man mit einem Diagramm?). Denn das Denkdiagramm liegt transversal zu derartigen Ebenen. Hat es einerseits mit der Strukturierung des Denkens zu tun, so legt es jedoch keine Struktur hinter dem Denken frei, vielmehr entfalten sich im Denken lokale Anordnungen, die ein Denken figurieren, bis es dieser Strukturierung

10 Auch Petra Gehring hat das Diagramm als »Ort und Verfahren des Denkens in der Schrift« bestimmt. Vgl. Gehring: Paradigma einer Methode. Der Begriff des Diagramms im Strukturdenken von M. Foucault und M. Serres, S. 89. 11 Descartes beginnt die erste Meditation mit dem Satz: »Schon vor einer Reihe von Jahren habe ich bemerkt, wieviel Falsches ich in meiner Jugend habe gelten lassen und wie zweifelhaft alles ist, was ich hernach darauf aufgebaut, dass ich daher einmal im Leben alles von Grund aus umstoßen und von den ersten Grundlagen an neu beginnen müsse, wenn ich jemals für etwas Unerschütterliches und Bleibendes in den Wissenschaften festen Halt schaffen wollte.« Descartes: Meditationes de prima philosophia, S. 31; AT VII, S. 17.

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wieder entflieht, um sich neu zu verfügen. Andererseits geben Denkdiagramme auch nichts zu erkennen, was außerhalb ihrer liegt und das sie mittels Repräsentation in eine neue Sichtbarkeit überführten. Deshalb schlage ich vor, zuerst einmal implizite und explizite Diagramme über ihre Materialität zu unterscheiden. Explizite Diagramme entstehen durch Inskriptionen auf einer Fläche, die aus unterschiedlichen Formen von Linien (die unterschiedlich stark formalisiert sind, bis hin zum Buchstaben) und leerer Fläche bestehen. Ihre Funktionsweise besteht in der Repräsentation: Sie entwerfen Relationen und Verhältnisse und überführen diese in eine Sichtbarkeit. Diese simultan erfahrbare Übersicht einer Struktur wird dann in einen externen Sachverhalt projiziert, wobei die Behauptung ist, dass das Diagramm eine unsichtbare Struktur sichtbar und auch bearbeitbar macht.12 Die impliziten Diagramme sind gerade nicht bildlich, bilden vielmehr Konstellationen von materialen Bewegungen, die sich in der Zeit vollziehen und einen Raum eröffnen. Sie intervenieren in verfestigte Sachverhalte, Aussagen, Meinungen usw., indem sie eine neue Denkfigur entwickeln, die von den gewohnten Bewegungen abweicht, und so dem Denken eine neue Richtung gibt. Die Intervention richtet sich dabei niemals gegen einen externen Sachverhalt, vielmehr nimmt das implizite Diagramm eine Bewegung auf und moduliert sie. Erst wenn die variierte Denkbewegung dem Text eine neue Richtung gibt, kann von einer Intervention gesprochen werden. Nehmen wir ein Beispiel: Eine graphische Darstellung der Aktienkurse trifft Aussagen über die Höhe des Aktienkurses und die Bewegungen in einem gewissen Zeitraum, aus denen auch Tendenzen abgelesen werden können. Die Funktion dieser Diagramme besteht in der Darstellung von Relationen, die vom Betrachter in einen dem Diagramm externen Sachverhalt projiziert werden. Das Diagramm verschafft Übersicht und Einsicht, macht auch Handlungen möglich, die sich wieder auf den repräsentierten Sachverhalt beziehen. Das Ziel ist aber, dass gerade nichts Neues entsteht, sondern eine richtige Erkenntnis oder Bewertung zu einer adäquaten Handlung führt. Das implizite Diagramm hingegen bspw. der Bewegungen an der Börse, inklusive der Allianzen und Komplizenschaften, der Kursveränderungen und Stabilisierungen, der öffentlichen Verlautbarungen und inoffiziellen Gerüchte auch über die Börse hinaus, kurz: eine Interaktion von Körperanordnungen und Zeichenregimen, interveniert in die Behauptung des expliziten Aktienkursdiagramms, in die Meinungen und gewohnten Verhaltensweisen und bildet so neue Bewegungen heraus, die im expliziten Diagramm gerade nicht angelegt sind.

12 Vgl. zur Bestimmung expliziter Diagramme als Inskriptionen, die einen Körper zu einer Fläche machen und so simultan erfassbar werden: Krämer: Punkt, Strich, Fläche. Von der Schriftbildlichkeit zur Diagrammatik.

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Während das explizite Diagramm also transzendiert und eine Ähnlichkeit behauptet, so weicht das implizite Diagramm von den Gewohnheiten ab, indem es in etablierte Vollzüge eine neue Bewegung einbringt, die diese verändert. Die Veränderung des impliziten Bewegungszusammenhangs interveniert dann auch in das explizite Diagramm. Diese Intervention bildet so immer eine Ebene der Immanenz, auf der alles mit allem interagiert, ohne Entzug oder Aufhebung. Überschreitet das materiale Diagramm den Sachverhalt vertikal, wobei sich gerade nichts ändert, so bildet das implizite Diagramm also einen horizontalen Zusammenhang, der die unterschiedlichsten Formen durchzieht und sie miteinander in Interaktion bringt. Die Diagrammatik des Denkens muss nun den einmal eingeschlagenen Wegen bspw. eines »diagrammatic turn« in den Kunstwissenschaften widerstehen.13 Operiert man dort mit den dem Diagramm vorgängigen und überhistorischen Oppositionen – zentral-peripher, oben-unten usw. –, mit denen man immer schon eine Hierarchisierung voraussetzt, muss es hier gerade darum gehen, das Diagramm im Vollzug der Denkbewegungen entstehen zu lassen, um so den Raum eines Denkens nicht schon im Voraus festzulegen. Deshalb auch das vorläufige Misstrauen gegenüber den materiellen Diagrammen, nehmen sie doch immer schon eine Vorstrukturierung vor.14 Dabei ist es vorerst unentscheidbar, ob ein Denken durch Punkt und Linie, oder nur durch Linien, durch wiedererkennbare Bilder oder durch andere Zeichen ausgedrückt werden kann. Auch die sich anschließenden Fragen bleiben unentscheidbar. Welche Rolle spielt beispielsweise das Weiß eines Blatt Papiers, im Unterschied etwa zu den gezeichneten Figuren: Ist es die dem Denken vorgängige Leere oder gerade die Fülle der dem Denken vorausgehenden Meinungen? Um einem speziellen Denken seinen diagrammatischen Ausdruck zu verleihen, beginne ich nicht mit der Analyse der materiellen Diagramme in den philosophischen Texten, wenngleich eine Philosophie des Denkdiagramms und das Verfahren einer Diagrammatik sich als notwendige

13 Zum Ausruf des »diagrammatic turn« vgl. Bogen/Thürlemann: Jenseits der Opposition von Text und Bild. Überlegungen zu einer Theorie des Diagrammatischen, S. 2. 14 Michel Serres hat das Diagramm als Modell des Denkens vorgeschlagen, das Strukturen des Realen in schematisierten Netzen repräsentiert (Serres: Hermes I. Kommunikation, S. 9-23). Da nun aber nicht jedes Denken netzförmig strukturiert ist, halte ich Serres’ Methode für eine Diagrammatik des Denkens nicht zielführend. Astrit Schmidt-Burkhart hat gezeigt, wie die Strukturierung des Diagramms variieren kann – sei es Baum-, Kreis- oder Netzdiagramm – was gleichzeitig eine Vorstrukturierung des Wissens darstellt (Schmidt-Burkhardt: Wissen als Bild. Zur diagrammatischen Kunstgeschichte).

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Vorarbeit zu diesen Fragen verstehen. Im Laufe dieser Arbeit werden dann auch diagrammatische Darstellungen im Werk von Descartes und Deleuze auf ihren Status als explizite Denkdiagramme gerade auf ihre Intervention hin befragt werden, um so den Begriff des Denkdiagramms in seiner ganzen Weite zu bestimmen. Ein solcher Entwurf einer Diagrammatik unterscheidet sich von einer diagrammatischen Medientheorie15. Wenngleich sich Bauer und Ernst in ihrem Entwurf einer Diagrammatik nicht darauf reduzieren wollen, eine Gattungslehre der Schaubilder zu geben16, so werden sie doch diese phänomenologische Perspektive nicht verlassen. Sie ergänzen zwar eine Konzeption materialer Diagramme um immaterielle Diagramme, sie verpassen es jedoch, das interventionalistische Potential dieser Konstellation auszuschöpfen. Diagramme bleiben repräsentational, und selbst eine pragmatistische Öffnung scheint dem zugrundeliegenden Prinzip der Ähnlichkeit nicht zu entkommen. Dies liegt an zwei Vorentscheidungen, die sich mit den Namen Charles S. Peirce und Immanuel Kant verbinden. Mit Peirce bleibt das Diagramm dem Prinzip der Ähnlichkeit unterstellt; mit Kant bleibt es begrenzt auf die Tätigkeit der Einbildungskraft. Bauer und Ernst charakterisieren die Diagrammatik wie folgt: »Die Diagrammatik ist ein Entwurfs- und ein Erkenntnisverfahren, das eine besondere Beziehung zu Diagrammen unterhält.«17 Der Zweiteiligkeit des Verfahrens korrespondiert die Öffnung der Klasse der Diagramme hin auf die Vielfalt der Peirceschen Zeichentypen. Für Peirce erkennen Menschen, indem sie mit Zeichen handeln. Ein Zeichen ist für Peirce immer dreigliedrig: es besteht aus Repräsentamen, einem Objekt und einem Interpretamen. Repräsentamen, das wahrgenommene, zeichenhafte Phänomen, und das Objekt, der Gegenstand, auf den sich das Zeichen richtet, werden vom Interpretanten in eine Beziehung gesetzt. Diese Beziehung wird nun von Peirce differenziert, u.a. durch die berühmte Unterscheidung von Ikon, Index und Symbol. Das Ikon ist ein Zeichen, das in einer Ähnlichkeitsbeziehung zum Objekt steht (z.B. Karten). Indexikalische Zeichen sind durch eine kausale Beziehung bestimmt (Rauch zeigt Feuer an) und symbolische Zeichen funktionieren über Konvention (bspw. Verkehrsschilder). Peirce schlägt das Diagramm nun der Klasse der Ikone zu, was den Kern der Charakterisierung der Diagrammatik bei Bauer und Ernst ausmacht, wenn sie Zeichen immer aus einem Ähnlichkeitsverhältnis entwickeln – Ikonizität. Das

15 Vgl. Bauer/Ernst: Diagrammatik. 16 Vgl. hierzu die sehr informative Studie von Bonhoff: Das Diagramm. Kunsthistorische Betrachtung über seine vielfältige Anwendung von der Antike bis zur Neuzeit. 17 Bauer/Ernst: Diagrammatik, S. 17.

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Diagramm ist hier immer eine Repräsentation, das eine Strukturrelation abbildet, die ihrem Gegenstand ähnlich ist.18 Dadurch erkennen wir vom Gegenstand, was den Relationen im Diagramm ähnelt. Doch das ist nur die eine Funktion der Diagrammatik, die andere besteht in ihrem Entwurfscharakter, der eine Hervorbringung von Neuem verspricht. Doch auch hier bleiben sie dem Paradigma der Ähnlichkeit unterstellt, da der neue Entwurf hier immer so gedacht wird, dass er im Diagramm schon angelegt ist, aus ihm herausgelesen werden kann. Für diesen Umstand beanspruchen sie den Begriff der Virtualität: Er bezeichnet hier die im Aktuellen angelegten Möglichkeiten.19 Mit Deleuze werden wir sehen, dass eine Radikalisierung dieses Begriffs auf die Realitäts- und Realisierungsbedingung von Aktualität damit einhergeht, die Möglichkeit als vom Aktuellen vorgegeben zu betrachten, was eine Hervorbringung von etwas Neuem (und noch nicht im Aktuellen Angelegten) gerade in Frage stellt.20 Die andere Referenz der medientheoretischen Diagrammatik geht auf Kants Begriff des transzendentalen Schemas zurück, an den auch Peirce bereits angeschlossen hat: »He [Kant] drew too hard a line between the operations of observation and of ratiocination. He allows himself to fall into the habit of thinking that the latter only begins after the former is complete; and wholly fails to see that even the simplest syllogistic conclusion can only be drawn by observing the relations of the term in the premises and conclusion. His doctrine of the schemata can only have been an afterthought, an addition to his system after it was substantially complete. For if the schemata had been considered early enough, they would have overgrown his whole work.«21

18 Auch Frederick Stjernfelt, der im Anschluss an Peirce eine Diagrammatologie entwickelt, definiert die Diagramme »as that special sort of icons which represent the internal structure of those objects in terms of interrelated parts«. Stjernfelt: Diagrammatology. An Investigation on the Borderlines of Phenomenology, Ontology, and Semiotics, S. ix. 19 »Die Rekonfigurationen sind in der Konfiguration bereits virtuell angelegt.« Siehe Bauer/Ernst: Diagrammatik, S. 14. Siehe zum »Virtualitätsprinzip« auch: Bauer/Ernst: Diagrammatik, S. 24. 20 Deleuze schließt hier an Bergson an, von dem er den Begriff der Virtualität genau wie auch die Kritik des Begriffs der Möglichkeit übernimmt. Vgl. Bergson: Das Mögliche und das Wirkliche. 21 Peirce: Collected Papers, 1.35.

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Die Formulierung des Begriffs des transzendentalen Schemas ist bei Kant in den Problemkreis der Frage eingebettet: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich? Kants Antwort läuft bekanntlich darauf hinaus, dass er Kategorien annimmt, die vernünftig sind und gleichzeitig die Mannigfaltigkeit der Erscheinung ordnen. Das Schema dient Kant nun dazu, den Übergang vom Begriff zur Empirie aufzuzeigen, wenn der Begriff des Hundes bspw. nicht auf alle empirischen Hunde verweist, sondern zuerst auf ein Schema von Hund, das dann wiederum empirische Hunde klassifizieren lässt.22 Das transzendentale Schema schließlich bildet die Bedingung der Möglichkeit, dass wir uns mittels reiner Verstandesbegriffe auf die Empirie beziehen können. »Nun sind aber reine Verstandesbegriffe, in Vergleichung mit empirischen (ja überhaupt sinnlichen) Anschauungen, ganz ungleichartig und können niemals in irgendeiner Anschauung angetroffen werden. Wie ist nun die Subsumtion der letzteren unter die erste, mithin die Anwendung der Kategorie auf Erscheinungen möglich, da doch niemand sagen wird: diese, z.B. die Kausalität, könne auch durch Sinne angeschaut werden und sei in der Erscheinung enthalten … Nun ist klar: dass es ein Drittes geben müsse, was einerseits mit der Kategorie, andererseits mit der Erscheinung in Gleichartigkeit stehen muss, und die Anwendung der ersteren auf die letzte möglich macht. Diese vermittelnde Vorstellung muß rein (ohne alles Empirische) und doch einerseits intellektuell, andererseits sinnlich sein. Eine solche ist das transzendentale Schema.«23

Sind Verstandesbegriffe und Erfahrungsinhalte ungleichartig, Kants Ausdruck für unähnlich, so ist es die Aufgabe des transzendentalen Schemas, beide einander ähnlich zu machen. Das Schema selbst ist dadurch sinnlich und intelligibel zugleich. Hätte Kant nun mit dem Begriff des Schemas seine Philosophie begonnen, so Peirces These, dann wäre die ganze Aufteilung von Intelligiblem und Sinnlichem, von Verstand und Erfahrung bei Kant anders ausgefallen. Denn dann hätte er gerade mit den Mischverhältnissen begonnen und wäre wohl nicht mehr bis zur Trennung beider Bereiche fortgeschritten. Denn das Schema ist für Kant immer ein sinnlich-intelligibles Erzeugnis der Einbildungskraft24. Dennoch verweist es auf die Vorgängigkeit des Verstandes, der es überformt. Mit Deleuze wird sich das Diagramm vom Verstand lösen, was die Beschreibung sinnlichintelligibler Prozesse unabhängig von der Ordnung des Verstandes macht, mithin

22 Vgl. zum Beispiel des Schemas des Hundes: Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 180. 23 Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 177f. 24 »Das Schema ist an sich selbst jederzeit nur ein Produkt der Einbildungskraft«. Ebd., B 179.

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sich die Verfasstheit des Verstandes durch das Denken materieller Figurationen selbst verändert. Damit wird das Ähnlichkeitsverhältnis zugunsten eines Differenzverhältnisses verschoben, das gerade die Produktivität der Abweichung hervorhebt. Wenn Kant das Schema aber nun als Tätigkeit beschreibt, fügt er der Bestimmung eine neue Komponente hinzu, die Zeit. Sind Ähnlichkeitsverhältnisse innerhalb der Zeichenklassifikation bei Peirce noch als rein räumliche Relationen gedacht, so betrachtet Kant diese »verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele«25 als einen Prozess von Denkbewegungen, die eine Strukturierung hervorbringen. Diese gedanklichen Bewegungen bilden damit ein Verfahren, nicht nur ein Vermögen, sondern die Tätigkeit, Begriffe und Erfahrung zusammen zu bringen.26 Den Prozessaspekt von Diagrammen27 bringen auch Bauer und Ernst in Anschlag, indem sie auf die pragmatistische Dimension von Peirces Überlegungen hinweisen. Hierzu muss man auch die Tätigkeit des nahezu wahnsinnigen Zeichnens von Diagrammen, Graphen, wiederholten Gedichtabschriften mit unterschiedlichen Handschriften, graphischen Problemlösens und -stellens jeder Art rechnen, die die Peirceschen Manuskripte übervölkern.28 Diesen pragmatischen Zug finden Bauer und Ernst vor allem in Peirces Verständnis der Abduktion begründet, die für Peirce entgegen den Verfahren der Induktion und Deduktion etwas Neues hervorbringt. Die Abduktion hat einen hypothetischen Charakter, wenn sie einem vorgegebenen Problem durch das Fingieren hypothetischer Lösungen unterschiedliche Lösungsangebote macht. So hat für Peirce jeder Diagrammentwurf, das zeigen Bauer und Ernst sehr anschaulich, diesen fiktiven, probierenden, und auch rekonfigurierenden Charakter. Dennoch bleibt selbst diese Kunst, dieser Experimentierraum, hier immer an die Ähnlichkeit gebunden, auch wenn diese im Fall der Abduktion hergestellt ist. Stellt man aber die Operativität von Diagrammen und damit die Produktion von etwas Neuem durch das Diagramm ins Zentrum der Überlegung, und weniger die neue Erkenntnis eines Verstandes innerhalb einer festen Ordnung, dann muss man dieses Ähnlichkeitsprinzip aufgeben: dann sind die Diagramme eine Modulation von Be-

25 Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 180. 26 Vgl. zum Tätigkeitsaspekt des transzendentalen Schemas bei Kant und dessen Fruchtbarkeit für eine Theorie der Diagrammatik auch: Krämer: Operative Bildlichkeit. 27 Vgl. zur Prozessualität von und zum prozessualen Umgang mit diagrammatischen Gebilden auch Bender/Marinnan: The Culture of Diagram. 28 Vgl. zur Kritik der bisherigen Editionen von Peirce sowie zur Aufarbeitung dieses reichen Materials die diesbezüglichen Arbeiten von Benjamin Meyer-Kramer.

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wegungen, etwa als Ablenkung einer Argumentation durch eine Metapher, oder als eine neue Richtung, die sich im Zeichnen ergeben hat, die eine Intervention in eine verfestigte Strukturierung bilden, wenn sie einen neuen Diskurs fordern oder sein Gebiet verschieben. Selbst die gezeichneten Diagramme erscheinen dann als Verlängerung der Bewegungen impliziter Diagramme, die auf dem Blatt Papier in der Zeit verändert werden und so wiederum das implizite Diagramm variieren können. Eine so verstandene Diagrammatik ist dann keine Medientheorie mehr, sie ist eher prämedial, wenn sie die Bewegungen, ihre Abweichungen in Denkfiguren, ihre Konstellierung in Denkdiagrammen und deren unterschiedliche Weisen der Modulation, Variation und Intervention untersucht. Im Folgenden wird das Denkdiagramm über die drei Aspekte der Affektion, der Konzeption und der Perzeption genauer bestimmt. Als affektiven Charakter der Denkdiagramme bezeichne ich den Umstand, dass eine Denkfigur einerseits den Eintritt einer anderen Ordnung ins Denken ermöglicht, andererseits aber auch das Figürliche eines Denkens Effekte auf außerphilosophische Figuren haben kann. Als Konzeption bildet das Denkdiagramm eine Anordnung von Denkfiguren und Bedeutungszuschreibungen, die durch das Denkdiagramm eine Aufteilung finden, welche sich wiederum von einer vorherigen Aufteilung unterscheidet. Und als Perzeption eröffnen die Diagramme einen neuen Blick auf ein Denken, geben neue Möglichkeiten des Sehens und Operierens durch die Entfaltung von Denkräumen. Diesen drei Aspekten werden drei Autoren zugeordnet. In einem ersten Schritt leite ich den Begriff der Denkfigur von Jean-François Lyotard her. In einem zweiten Schritt wird der Begriff des impliziten Diagramms zusammengesetzt, wie er sich verstreut in den Texten von Gilles Deleuze findet bzw. in den Büchern, die er zusammen mit Félix Guattari verfasst hat. Abschließend, in einem dritten Schritt, wird der Übergang von einem impliziten Denkdiagramm hin zu den gezeichneten Diagrammen mit Hilfe der Theorie der mathematischphysikalischen Diagramme von Gilles Châtelet vollzogen. Dabei wird uns die Beziehung der Denkbewegungen zu den Diagrammen interessieren. Beginnen wir nun mit dem Befund, auf den die Diagrammatik reagiert: Was vermag das, was bisher in den philosophischen Texten nicht beachtet wurde, und was nicht im Diskursiven oder Rationalen aufgeht, kurz: Was kann eine Denkfigur?



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I.1

A FFEKTION . W AS KANN

EINE

D ENKFIGUR ?

Jean-François Lyotard entwirft in seinem Buch Discours, Figure ein Denken des Textes, das sich nicht auf die Bedeutung von Wörtern und damit auf die sogenannte Tiefe von Texten beschränkt, sondern gerade die Flächigkeit von Texten betont, in der man sich bewegt, wenn man einen Text liest. Diese Bewegung auf der Fläche sei das, was in der Bedeutung immer vergessen werde.29 Es zeichnet einen Text gerade aus, nicht nur in der Zuschreibung von Bedeutung aufzugehen. Vielmehr entwirft jeder Text auch eine Bewegung, welche die Bedeutungen ins Spiel bringt, während sie andere Bedeutungen durchkreuzt. Diese von den Bedeutungen zu unterscheidenden Bewegungen bezeichnet Lyotard nun als Figuren. Der Text (verstanden als signifikativer Diskurs) wird damit auf zweierlei Weisen überschritten: Einmal nach außen durch die figurativen Bilder und andererseits nach innen, durch die reinen Figuren oder das Figurale, das den signifikativen Diskurs zuallererst herausbildet. Lyotard nähert sich dem Figuralen über die Kunst, die sich dem Diskurs widersetzt, indem sie die Bedeutung verweigert und sich ganz der Figur widmet. Am weitesten sei an dieser Stelle Stéphane Mallarmé gegangen mit dem Coup de dés, den er als das reine Buch projektierte. Dieses sollte gelingen, indem man den Wörtern die Referenz auf Außersprachliches abschneidet, um so das reine Kunstwerk zu schaffen, das nicht mehr durch die Zufälligkeit des NichtSprachlichen bestimmt wird. So gelangte Mallarmé zu topologischen Anordnungen der Schrift, die, dem Figuralen der Sprache entnommen, die Eigenbewegung der Schrift in ihrer Notwendigkeit vorführen sollten (Abb. 130). Das Resultat sind Konstellationen von Wörtern, die sich zwar wie jeder andere französische Text von oben nach unten und von links nach rechts lesen lassen. Dennoch sind die Zwischenräume der Wörter nicht auf die linguistischen Einheiten zurückzuführen, sondern, nach Lyotard, Ausdruck des darunter liegenden Figuralen, das die Identitätsbedingungen der Zeichen auflöst und so die Wörter auf der Seite vielfältige Konfigurationen annehmen lässt. Mallarmé geht sogar soweit, diese durch Notwendigkeit erzeugten figuralen Anordnungen an Sternenkonstellationen zu messen, wenn die eine Doppelseite in der Anordnung der Wörter die Konstellation der Sterne im Sternbild des großen Bären wiederholt. So findet der Text zurück in das Außersprachliche über die von der Figur erzeugte Anordnung. Umgekehrt erkennt Mallarmé aber auch im Figuralen, also

29 Lyotard: Discours, Figure, S. 9. 30 Die vollständigen Nachweise für alle Abbildungen finden sich im Abbildungsverzeichnis am Ende der Arbeit.

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Abbildung 1: Mallarmés Coup de dés

Quelle: Mallarmé, Stéphane: Sämtliche Dichtungen, S. 254f.

in den Bewegungen, welche die Wörter auf der Seite verteilen, die Unmöglichkeit des Ausschlusses des Zufalls, verweisen sie doch auf andere, nichtsprachliche Bewegungen. Denn die Bewegungen der Sprache bleiben immer eingewebt in die Bewegungen von Körpern, was Mallarmé dazu führte, das Projekt des reinen Buches als gescheitert zu betrachten. Lyotard nun interessiert an diesem Projekt, dass die strikte Trennung von Bedeutung und Figur dazu führte, eine andere Ordnung in den Text einzuführen: das Affektive. Denn, so Lyotard, schneidet man der Figur die Bedeutung ab, so erhält sich doch der Eindruck, den man mit der Figur verbindet, verstanden als die (Gemüts-) Bewegung, die in der Figur zum Ausdruck kommt. Dies gilt nun aber nicht nur für die figürlichen Anordnungen der Sprache in der Poesie Mallarmés, sondern auch für das, was Lyotard mit Valéry »figures de la pensée« 31, Denkfiguren nennt. Die Denkfiguren überschreiten den Diskurs nun nicht nach 31 Lyotard: Discours, Figure, S. 62.

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Außen auf die figurativen Bilder, sondern nach innen, auf die dem Diskurs innewohnenden Figuren, welche die Bedeutungen zuallererst hervorbringen. Der Diskurs inkorporiert somit durch die Denkfiguren eine ihm äußerliche Ordnung, welche die Festigkeit der Bedeutung verflüssigt und so für einen neuen Sinn öffnet.32 In diesem Sinne kann Lyotard von der Figur sagen, sie sei innerhalb des Diskurses und gleichzeitig draußen.33 Denn die Figur arbeitet im Innersten, indem sie vor jeder Bedeutung eine Bewegung vollzieht, die eine Anordnung von Elementen offenbart, welche wiederum die Bedeutung konstituieren. Gleichzeitig ist die Figur Ausdruck eines Äußeren und damit Affekt, wenn sie eine nicht auf Rationalität basierende, grundlose Bewegung in den Diskurs einführt, die ihn zuallererst konstituiert: die Denkfigur.34 Zerstört man damit nun aber nicht die Möglichkeit des Wahren, wenn man die Rationalität und die Möglichkeit von Bedeutung auf den ihnen vorgängigen Figuren fußen lässt? Was also bedeutet das Affektive der Rationalität? Zunächst einmal die Zeit- und Ortsgebundenheit des Rationalen, also die Unmöglichkeit einer reinen, für alle Zeit gültigen Wahrheit. Anders gesagt: Jeder Entwurf einer Figur richtet sich gegen die ihm vorgängigen Bedeutungen sowie andere Figuren und muss deshalb immer auch als Strategie verstanden werden: Warum diese und nicht jene Denkfigur, wozu führt uns diese Figur, welche andere Figur wäre auch noch möglich? Anders gesagt: Jede Affektion eines Diskurses führt auch zu einer speziellen Konzeption des Diskurses. Diese spezielle Konzeption, die sich der Art der Affektion verdankt, führte bei Mallarmé zu einer spezifisch sichtbaren Anordnung der Wörter auf dem Papier. Mallarmé entkleidet den Diskurs seiner prosaischen und kommunikativen Funktion und enthüllt ihm ein Vermögen, das ihn selbst übersteigt: das Vermögen, sichtbar zu sein und nicht nur lesbar, verstehbar. Aber auch wenn man die Denkfigur in anderen Diskursen nicht sehen kann, so ist es doch sie, die sehen lässt (so wie man mit Foucault sagen könnte, dass auch der Diskurs im

32 Jean-Luc Nancy hat diesen Gedanken als das Projekt der Philosophie formuliert: »Das Denken der Bedeutung bestimmt die Philosophie als den Diskurs, der die Projektion trägt und das Projekt ankündigt: sie ist der »visionäre« Diskurs par excellence. Insofern ist die Philosophie dasjenige, was Sinn verleiht, indem sie Bedeutungen ausarbeitet und vorstellt.« Nancy: Das Vergessen der Philosophie, S. 57. 33 »La figure est dehors et dedans.« Siehe Lyotard: Discours, Figure, S. 13. 34 »La figure-forme est la présence du non-langage dans le langage. Elle est quelque chose d'un autre ordre qui est logé dans le discours et lui confère son expressivité.« Ebd., S. 51.

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Grunde nichts sagt, sondern festlegt, was man Wahres sagen kann35). Jede sichtbare Anordnung von Wörtern auf einer Seite ist Effekt einer Denkfigur, die sie verteilt hat. Damit bekommt man den Text als einen Körper über seine genaue Anordnung in den Blick, die genau so ist, wie sie ist, und nicht anders sein kann. Lyotard geht sogar noch weiter, wenn er die Figur nicht nur in den Zwischenräumen der Wörter am Werk sieht, sondern sie auch (an Stelle einer Bedeutung) in die Wörter hineinverlegt: »eine Art Schema, die im Wort eingeschlossen ist, das Modell seines Vorgehens, eine motivierte Choreographie«36. Jedes Wort habe dieses innere Schema, das die möglichen Aktionen festlegt, die es eingehen kann. Das sei vergleichbar mit einer Choreographie, die, wenn auch implizit, mögliche Bewegungsabläufe, vergleichbar dem Tanz, vorschreibt. Virtuell hat so jedes Wort eine festgelegte Anzahl von möglichen Bewegungen, Aktionen, die es eingehen kann. Die Denkfigur wählt dann genau eine aus, die sie aktualisiert. Das darf nun aber nicht dazu führen, nur eine begrenzte Anzahl von Denkfiguren oder gar eine Typologie derselben anzunehmen, sind sie es doch gerade, die die Möglichkeit von etwas Neuem im Diskurs, eines neuen Diskurses eröffnen. Dies gelingt, indem sie eine Bewegung aufnehmen, die sie modulieren und so gegen eine Verfestigung richten. Die Denkfigur beschreibt so immer eine Abweichung und keine Essenz, eine Bewegung und keinen Zustand. Die Denkfiguren bevölkern damit ein Zwischenreich, nicht ganz Form, aber auch kein zugrundeliegendes Wesen oder Idee: eher eine dynamische Konzeption von impliziten Figuren und signifikativen Elementen, die sich gegenseitig voraussetzen und ineinander intervenieren. Die Verteilung der Figuren und signifikativen Elemente ist nun der Ort des Diagramms, an dem sich auch ein neuer Diskurs formieren kann.

I.2

K ONZEPTION . W AS

KANN EIN

D IAGRAMM ?

Dieser Frage, wie es also möglich ist, dass etwas Neues auftaucht, widmet sich auch Gilles Deleuze in den unterschiedlichen Konzeptionen seines Begriffs des Diagramms. Dieser Begriff schließt an den impliziten Charakter der Denkfiguren an. Denn das Diagramm ist für Deleuze gerade kein schriftbildliches Artefakt,

35 Vgl. Foucault: Die Ordnung des Diskurses. 36 Lyotard: Discours, Figure, S. 64: »une sorte de schème qui est inclus dans le mot, sa formule d’action, une choréographie motivée.« (Übersetzung A.R.) Nur auf Französisch vorhandene Zitate werden von mir im Haupttext übersetzt, und in der Fußnote im Original angegeben.

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sondern vielmehr eine Operation impliziter Strukturierung. Dabei löst sich der Begriff des Diagramms aus der Sprachlichkeit, der die Denkfigur bei Lyotard noch verhaftet blieb. Das Diagramm beschreibt vielmehr eine Konstellation von sprachlichen und körperlichen Bewegungen, die in allen gesellschaftlichen Bereichen bis hin zur Kunst und zur Macht am Werk sind, was diese Bereiche auch vergleichbar macht. Der Diagrammbegriff taucht zuerst in einem Text über Foucault auf (1975) – Kein Schriftsteller: Ein neuer Kartograph –, von dem er ihn übernimmt, um ihn zu konkretisieren, bleibt er doch bei Foucault noch neben anderen Begriffen, wie dem Dispositiv, dem Programm oder dem Schema reichlich unbestimmt stehen. Mit dem Begriff des Diagramms denkt Deleuze nun Aufteilungen der Macht sowie neue Umverteilungen, namentlich »revolutionäre Diagramme«. Daraufhin taucht der Begriff in den Tausend Plateaus (1980) wieder auf, wo ihn Félix Guattari und Gilles Deleuze benutzen, um (mit Bezug auf Peirce) gegen eine Semiotik des Signifikanten eine Semiose der Territorialitätsbewegungen von Zeichen und Körpern so beschreiben zu können, dass man weder auf ein rein sprachliches, noch auf ein rein körperliches Modell zurückgreifen muss. Dagegen wird hier ein diagrammatisches Modell entworfen, das die Formen der Äußerung sowie der Körper unterscheiden lässt und ihre gegenseitigen Interventionen beschreibbar macht. In Francis Bacon – Logik der Sensation (1981) taucht der Begriff des Diagramms dann im Bereich der Kunst, oder genauer: im Umfeld malerischer Praxis und in veränderter Form wieder auf. Hier dient der Begriff dazu, die Produktion einer neuen Figur auf der Leinwand als Gegenentwurf zu den repräsentativen Figurationen zu fassen. Und schließlich kommt Deleuze auf den Begriff des Diagramms an der Stelle zurück, wo er ihn erstmals aufgenommen hat. In Foucault (1986) zieht er die verschiedenen Ansätze zum Begriff des Diagramms zusammen, um ihn anderen Begriffen anzunähern: dem »Werden« und den »Kräften«. Auch hier wird es wieder darum gehen, durch den Begriff des Diagramms das Auftauchen des Neuen zu fassen, indem man die Möglichkeit von Widerstand im Feld gesellschaftlicher Macht verortet und so ein revolutionäres Potential in der diagrammatischen Verfasstheit der Macht selber ausmacht. Im folgenden Kapitel sollen diese unterschiedlichen Diagrammbegriffe bei Deleuze herausgearbeitet werden, um den Begriff eines impliziten Denkdiagramms genauer zu bestimmen. Das Diagramm der Disziplinarmacht Der Begriff des Diagramms tritt bei Deleuze erstmals in einem Artikel mit dem Titel Kein Schriftsteller: Ein neuer Kartograph auf, in dem er sich Foucaults Überwachen und Strafen widmet. Nachdem Deleuze herausstellt, worin die

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implizite Kritik am damals in Frankreich vorherrschenden Marxismus besteht, zeigt er auf, worin die Neuerung in der Analyse der Macht in Foucaults Buch liegt. Wurde die Macht im marxistischen Diskurs als etwas begriffen, dass man besitzen kann und dessen Eigentümer die Mächtigen sind, so umfasst die Macht bei Foucault das gesamte soziale Feld. Damit bestimmt sich auch die Funktionsweise der Macht nicht mehr über die Repression, vielmehr erscheint bei Foucault eine ganze Mikrophysik der Macht, welche die Produktivität der Macht bis ins kleinste Detail nachvollzieht. Die Charakterisierung der Disziplinarmacht, wie sie in Überwachen und Strafen vorgenommen wird, schildert Deleuze nun anhand des Panopticons, das als Paradefall, genauer: als das Diagramm der Disziplinarmacht fungiert. Das Panopticon geht auf Jeremy Bentham zurück und legt eine Anordnung von Gefangenen und Überwachenden in einem Gefängnis fest. Es beschreibt eine Architektur, die im Zentrum einen Turm vorsieht, in dem sich der Aufseher befindet. Um ihn herum, in der Peripherie, befinden sich die Gefangenen, wobei die Zellen zur Mitte hin nur durch eine Gittertür abgeschlossen sind. Mit der vorgeschriebenen Anordnung geht eine spezifische Sichtbarkeit einher. Während der Zentralturm verspiegelt ist und so nicht von der Peripherie her durchsichtig ist, sind die Zellen vom Turm aus einsehbar, was noch verstärkt wird durch ein Fenster im hinteren Teil jeder Gefängniszelle. Von da aus wird die Zelle mit Licht durchflutet, der Gefangene für den Aufseher (und auch für die anderen Gefangenen) absolut sichtbar, während derselbe für den Gefangenen unsichtbar bleibt. Foucault spricht nun aber nicht nur vom konkreten Panopticon als spezifischer Gefängnisarchitektur Jeremy Benthams, sondern vom Panoptismus. Zum einen sicherlich, weil dieser Plan eines Gefängnisses so nie realisiert wurde. Zum anderen, weil Foucault im Panopticon nicht nur eine beliebige Gebäudeformation sieht, sondern vielmehr eine Technologie der Beherrschung von Körpern vermutet. Dabei geht Foucault nicht dazu über, aus der Nichtrealisiertheit des Gefängnisses auf dessen utopischen Charakter zu schließen, oder gar darin Benthams persönlichen Traum auszumachen. Es ist vielmehr Ausdruck einer Physik der Macht, die, losgelöst vom Gefängnis, in ganz unterschiedlichen Bereichen wiederkehrt. Somit erscheint das Panopticon als idealtypisches Modell, das auf der Formel beruht: »Sehen, ohne gesehen zu werden«37.

37 Deleuze: Kein Schriftsteller: ein neuer Kartograph, S. 115. Das Panopticon findet Foucault in den unterschiedlichsten Bereichen am Werk: »Zum einen nämlich ist dieses Modell nicht an eine spezielle Figur wie den Kreis gebunden: ein Halbkreis, ein Stern, eine Pyramide können den gleichen Zweck erfüllen. Der Zellenwagen von 1837 wird ein auf Fortbewegung ausgerichtetes Transit-Panopticon sein. Zum anderen be-

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Foucault erweitert mit dem Panopticon seine Analyse der Aussagen um die Analyse der Körperanordnungen, wenn er von einem speziellen Modell der Gefängnisarchitektur zur Charakterisierung der Disziplinargesellschaft übergeht. Der Panoptismus als deren Herzstück ist dabei immer auch eine Strategie, die dem Ziel der Beherrschung der Körper dient. Er drückt sich aber nicht nur in einer expliziten Figur politischer Technologie aus, wie dem Kreisbau Benthams beispielsweise, sondern kann seinen Ausdruck auch in einer Sternform usw. erhalten, solange die implizite Figur von Zentrum und Peripherie, samt der spezifischen Sichtbarkeit, die sie installiert, gewahrt bleibt. Die Körperverteilung, die das Panopticon vornimmt, beschreibt ein Feld möglicher Perzeption, dessen Gegenstände jedoch nicht präexistieren. Zur gleichen Zeit konstituiert sie aber auch ein Aussagefeld, wo dieselben Gegenstände als Objekte eines möglichen Wissens dienen. So drückt sich das Panopticon als eine Machttechnologie nicht nur in einer Verteilung der Körper aus, sondern liefert auch einen ganzen Diskurs vom Menschen: »Perzeptive Überwachung und gelehrte Beobachtung. So wird das Gefängnis unlösbar mit einem Sehen verbunden sein, aber auch mit einem Wissen, das dem Häftling in jedem Augenblick folgt und tendenziell seine gesamte Biographie umfasst, und dieses Wissen steht nicht nur am Ursprung der Kriminologie, sondern unterhält zahlreiche direkte und indirekte Beziehungen zur Konstitution der Wissenschaften vom Menschen. Es ist die Dissymetrie: »sehen, ohne gesehen zu werden«, die hier als Umwandler dient: sie setzt einen Kreislauf, in dem das Perzeptionsfeld sich in ein Wissensfeld umwandelt, das seinerseits Perzeption zurückerstattet. Mehr noch, der große und vollständige Kreislauf lautet: Macht – (Perzeption) – Wissen.«38

Die Anordnung der Körper im Panopticon führt zu einer Perzeption der Gefangenen, welche wiederum ein Wissen über die Gefangenen liefert. Und dieses Wissen weist zurück zur Perzeption der Gefangenen und zum Diskurs über die Delinquenz. Dieser löst einerseits den Diskurs des Souveräns ab und wirkt an-

schränkt sich das Modell nicht ausschließlich auf das Gefängnis: schon nach Benthams Vorstellungen ist es gleichermaßen im Krankenhaus, in der Werkstatt, in der Schule, in der Kaserne, in jedem begrenzten Überwachungs- und Kontrollraum anwendbar. Das 18. und 19. Jahrhundert sehen eine Überfülle architektonischer Entwürfe, die unter verschiedenen Gestalten, Bezeichnungen und Verwendungen dasselbe Ziel verfolgen.« Ebd. 38 Deleuze: Kein Schriftsteller: ein neuer Kartograph, S. 115f.

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dererseits auf die Verteilung der Körper. Die Körper und Aussagen sind wiederum über die Perzeption aufeinander bezogen und wirken aufeinander ein. Doch wie kann man nun das Panopticon bestimmen, ist es doch gerade kein von außen auferlegtes Modell? Vielmehr wirkt es von innen, ist »eine Maschine, die funktioniert«39. Deleuze bestimmt diese Maschine durch zwei Komponenten: erstens durch die reine Funktion des »Sehens, ohne gesehen zu werden«, also die implizite Figur des Panopticons, die unabhängig von den körperlichen, wahrnehmbaren Anordnungen ist und den kategorialen Formen, in denen sich diese Figur verkörpert. Und zweitens durch die reinen Materien, die »menschliche Vielheit«, die es zähl- und kontrollierbar macht: Delinquenz-, Hospital-, Schul-, Arbeits- oder Militärsubstanzen. Und da es sich um eine reine Funktion und eine reine Materie handelt, spricht Deleuze von einer abstrakten Maschine, die selbst von den Formen, in denen diese Funktionen wirken, wie auch von den Substanzen, in denen die Materien qualifiziert sind, abstrahiert. Deshalb ist das Panopticon streng genommen also kein von außen auferlegtes Modell, sondern ein von innen her wirkendes Diagramm. Foucault bestimmt das Panopticon wie folgt: »Aber das Panopticon ist nicht als Traumgebäude zu verstehen: es ist das Diagramm eines auf seine ideale Form reduzierten Machtmechanismus; sein Funktionieren, das von jedem Hemmnis, von jedem Widerstand und jeder Reibung abstrahiert, kann zwar als ein rein architektonisches und optisches System vorgestellt werden: tatsächlich ist es eine Gestalt politischer Technologie, die man von ihrer spezifischen Verwendung ablösen kann und muss.«40

Steht das Diagramm bei Foucault noch lose neben dem Schema oder etwa dem Dispositiv des Panoptismus, wird es bei Deleuze zum entscheidenden Begriff nicht nur in der Beschreibung des Panopticons, sondern in Foucaults gesamter Machtanalyse. Denn bildet es weder eine ideologische Superstruktur, noch eine transzendente Idee, so wird das Diagramm dennoch von jeder Körperanordnung und jeder Aussage bereits vorausgesetzt und ist darin tätig. Genauso wenig hat es »mit einer ökonomischen Infrastruktur zu tun, die schon in ihrer Substanz qualifiziert und in ihrer Form und ihrem Gebrauch definiert ist.«41 Worauf es für Deleuze beim Begriff des Diagramms ankommt, ist die Immanenz. Das Diagramm fügt dem gesellschaftlichen Feld keine weitere Dimension von außen her

39 Deleuze: Kein Schriftsteller: ein neuer Kartograph, S. 116. 40 Foucault: Überwachen und Strafen, S. 264. 41 Deleuze: Kein Schriftsteller: Ein neuer Kartograph, S. 117.

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hinzu, sondern ist mit diesem streng koextensiv, drückt sich darin aus und unterwirft es einer restlosen Parzellierung. So richtet das Diagramm selbst in den kleinsten Details Machtbeziehungen ein. Deleuze bestimmt die Immanenz des Diagramms der Macht nun an zwei Begriffspaaren: Anonymität – Individuierung und Kontinuität – Kontiguität. Die Macht wirkt anonym und realisiert sich weniger über denjenigen, der sie in Gang setzt, als vielmehr, wie Deleuze sagt, maschinal, d.h. sie funktioniert ausnahmslos in jedem ihrer Teile. Und sie funktioniert umso besser, wenn jedes Individuum für ihr Funktionieren sorgen muss und jeder Überwachende selbst überwacht werden kann. Das schließt nun nicht die strengsten Ordnungen aus, sondern verweist nur darauf, dass selbst der Aufseher immer Teil der Ordnung ist, die von der Maschine produziert wird. Gemäß dem anderen Begriffspaar muss man sich die Immanenz des Machtdiagramms einerseits als kontinuierlich vorstellen. Der Panoptismus regiert die Schule, die Armee, die Fabrik usw. Andererseits zieht der Panoptismus überall Trennwände ein, parzelliert das Gefängnis, konkretisiert den überwachenden Blick, individualisiert die Gefangenen, segmentarisiert den Alltag. Blieb die Beschreibung des Diagramms bis jetzt noch sehr den Formen der Institutionen verhaftet, so lässt der Gedanke der Immanenz der Macht Deleuze nun dazu übergehen, das Diagramm vor den qualifizierten Formen zu verorten. Das Diagramm operiert demnach nicht mit Formen (Gefängnis) und Substanzen (Gefangener), sondern mit reinen Funktionen (sehen, ohne gesehen zu werden) und Materien (jede beliebige menschliche Vielheit). Die Aufgabe des Diagramms der Disziplinarmacht liegt darin, die Funktionen und die Materien so in Interaktion zu versetzen, dass sie eine relativ stabile Ordnung produzieren, die zur Disziplinierung der Menschen führt. Wenn das Diagramm nun Körperverteilungen auf der einen Seite und Diskursformationen auf der anderen produziert, die, in ein Verhältnis gegenseitiger Voraussetzung und Interaktion gestellt, jegliches Tun und Sagen strukturieren, so kommt dem Diagramm der Status einer immanenten, gemeinsamen Ursache des gesellschaftlichen Feldes zu, wenngleich sie aber nicht als vereinheitlichend qualifiziert werden darf. Denn das Diagramm der Macht verwirklicht sich immer nur teilweise, ändert sein Funktionieren auch in der jeweiligen Zeit. So kam dem Gefängnis in dem von Foucault untersuchten Zeitraum die Rolle eines Modells der Disziplinarmacht zu, da es die Machtbeziehungen exemplarisch verwirklichte, was historisch sicherlich variiert und in jeder Zeit eigens analysiert werden müsste. Zusammenfassend bestimmt Deleuze die Immanenz des Diagramms bei Foucault folgendermaßen:

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»Es ist also das einem gesellschaftlichen Feld koextensive Diagramm, das 1. die gesellschaftliche Maschine als abstrakte definiert, 2. zu einem bestimmten Moment die konkreten gesellschaftlichen Maschinen, die das Diagramm verwirklichen sollen, organisiert und ineinanderfügt, und 3. eine selektive Rolle spielt hinsichtlich der Techniken im strengen Sinne, die von den gesellschaftlichen Maschinen eingesetzt werden.«42

Das Diagramm ist abstrakt, weil es durch Funktionen und Materien wirkt, die sich in den konkreten Maschinen (Institutionen) verwirklichen. Die konkreten Maschinen formalisieren die Funktionen der abstrakten Maschine (Diagramm) und bilden so sich gegenseitig voraussetzende Formen von Aussagen und Körpern aus. Dabei wählen sie spezielle Techniken aus, welche die Funktionen gemessen an der zu bearbeitenden Materie am besten durchsetzen. Die Komponenten des Diagramms sind also die folgenden: immanente Aufteilung der Funktionen und Materien, Organisation der Interaktion der unterschiedlichen Formen und Auswahl der Techniken zur bestmöglichen Konkretisierung des abstrakten Diagramms. Bleibt abschließend die Frage, ob es mit Deleuze nur ein Diagramm gibt oder mehrere. Und wenn es mehrere gibt, wie ist ihr Zusammenhang? Wie kommt man von einem Diagramm zum nächsten? Deleuze antwortet direkt: »Es ist schwierig, diesen Fragen gegenüber auf Begründungen zu verzichten und ein Diagramm zu denken, das von reinen Mutationen angetrieben wird. Gleichwohl funktioniert ein Diagramm niemals als Repräsentation einer objektivierten Welt; es organisiert vielmehr einen neuen Typ von Realität. Das Diagramm ist keine Wissenschaft, sondern stets eine politische Angelegenheit. Es ist kein Subjekt der Geschichte, es ist nicht das, was die Geschichte überragt. Es macht Geschichte, indem es die vorangegangenen Realitäten und Bezeichnungen auflöst und im gleichen Zuge neue Auftritts- und Erfindungspunkte, unerwartete Zusammentreffen und unwahrscheinliche Kontinuen konstituiert. Man verzichtet auf gar nichts, wenn man die Gründe aufgibt. Ein neues Denken, positiv und positivistisch, die Diagrammatik, die Kartographie.«43

Die Diagramme mutieren so zu anderen Diagrammen, ihr Übergang ist immer eine immanente Modulation, keine Transzendierung. Nach Deleuze wäre es dann möglich, die Geschichte der gesellschaftlichen Diagramme zu schreiben. Dabei müsste man aber auf Begründungen verzichten, warum ein neues Diagramm auftaucht, warum jetzt und warum hier. Denn das Diagramm entfaltet eine ei-

42 Deleuze: Kein Schriftsteller: Ein neuer Kartograph, S. 124. 43 Ebd., S. 128.

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gene Realität und damit eine neue Zeitlichkeit und auch einen neuen Raum. Das Diagramm, das einzig in der Konzeption von Funktionen und Materien besteht, aktualisiert sich zwar in konkreten Formen und Substanzen, hat aber selber weder Form, noch Substanz. Und es verhält sich zu anderen Diagrammen wie eine zufällige Abweichung, eine grundlose Mutation, die eine neue Funktion festlegt, andere Techniken auswählt und so eine neue Substanz bestimmt. Der zentrale Turm des Panopticons erinnert noch an den Platz des Königs und den Blick des Souveräns. Der ganze Aufbau des Panopticons lässt noch die höfische Architektur assoziieren. Dennoch haben diese Elemente durch das Diagramm der Disziplinarmacht eine ganz andere Funktion erhalten: Der anonyme Blick ersetzt den Platz des Königs, die spezifische Sichtbarkeit, die sich zwischen Überwachendem und Gefangenem abspielt, ersetzt die höfische Aufführung. Das Diagramm entwickelt auf diese Weise zwei Arten von Zeitlichkeit. Einmal die Zeit der reinen Ereignisse, Simultaneität: Alle Diagramme sind gleichzeitig virtuell vorhanden und verketten sich bzw. treten in Widerspruch zueinander. Und dann die Zeit der Aktualisierungen: Ein virtuelles Diagramm aktualisiert sich und fügt sich so in eine Sukzession ein, bildet eine neue Ordnung, die eine andere, ihr vorgängige, variiert. So folgt die Disziplinarmacht bei Foucault auf die souveräne Macht. Aber auch die Disziplinarmacht wird nicht auf ewig bestehen, ein »revolutionäres Diagramm« kündigt sich immer schon an. »Die Ausdrucksform dieser Kämpfe [gegen die bestehenden Machtverhältnisse] muss man finden, sich an ihren Verbindungen beteiligen, Stück für Stück des revolutionären Diagramms konstruieren, aus dem gleichzeitig ein neues Tun und ein neues Sagen hervorgehen: ein Kontinuum oder ein Zusammentreffen von allem, was flieht, gilt es herbeizuführen, von allem, was dem Disziplinardiagramm entrinnt, von allem, was die Parzellierung unterläuft.«44

Das Diagramm ist also nicht nur als ordnend, strukturierend zu verstehen, sondern ist immer auch destabilisierend. Es erschüttert eine bestehende Ordnung und verweist damit auch immer auf die eigene Erschütterbarkeit. Es bildet stets eine Konzeption von Funktionen und Materien, die aber immer auch selbst eine Rekonzeption ist und auf ihre eigene Rekonzeption wartet. Und genau das bezeichnet auch die Tätigkeit des Diagramms im Griechischen. Das griechische »diagramma« verweist auf das Verb »diagramein«/»diagrafo«. Dieses meint nicht nur etwas, das durch Linien aufgezeichnet wird, eine erste Strukturierung.

44 Deleuze: Kein Schriftsteller: Ein neuer Kartograph, S. 133.

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Sondern es hat auch noch eine zweite Bedeutung: etwas durchstreichen, verwischen, auslöschen. »The connection between making figures and making them disappear is more than a philological curiosity because it suggests writing on a wax tablet where writing with a stylus would involve crossing over the marks that had been drawn previously. In this sense, diagramma embodies a practice of figuring, defiguring, refiguring, and pre-figuring.«45

Das Diagramm als Transzendental der Sprache Das Charakteristikum des Diagramms der Macht, wie es Deleuze bei Foucault entlehnt und selbst weiter entwickelt hat, besteht in seiner Immanenz. So ist es das Diagramm der Disziplinarmacht, das die Verteilung der Körper und die Produktion des Diskurses der Delinquenz vornimmt, indem es denselben inhäriert. Das Diagramm ist dabei weit davon entfernt, etwas zu repräsentieren, geschweige denn ein von außen auferlegtes Modell. Vielmehr geht es den Körperformationen sowie den Aussageformen voraus und verteilt sie im Raum. Das Diagramm ist dabei selbst veränderbar, wenn es neue Bewegungen der Körper oder der Zeichen aufnimmt. Welches Verhältnis beide Formen nun aber zueinander einnehmen, bildet das Problem, das Deleuze und Guattari in den Tausend Plateaus interessieren wird. Hier gibt es zwei Kapitel über das Verhältnis von Körpern und Aussagen, die Postulate der Linguistik und Über einige Zeichenregime, in denen der Begriff des Diagramms jeweils eine zentrale Rolle spielt. In Über einige Zeichenregime schließen Deleuze und Guattari an die Kritik des Signifikanten von Lyotard an46, indem sie die Trias der Zeichen, so wie sie Charles S. Peirce entworfen hat, aufnehmen, jedoch aufgrund ihrer Verhaftetheit in der Signifikation verändern. So bezeichnen sie mit Ikon, Index und Symbol eben keine Beziehungen von Signifikant und Signifikat, sondern unterschiedliche Beziehungen von Territorialität und Deterritorialisierung. Oder um es mit andern Worten zu sagen: Bewegungen, die in der Überschreitung eines Raumes denselben neu erschaffen. Dies gelingt im eigentlichen Sinne aber nur dem Diagramm, das Deleuze und Guattari außerhalb dieser Trias verorten, also nicht, wie Peirce, der Klasse der Ikone zuschlagen. Denn allein das Diagramm sei in der

45 Knoespel: Diagrams as piloting devices in the philosophy of Gilles Deleuze, S. 147. 46 Bereits im Anti-Ödipus schließen Deleuze und Guattari an »die erste generalisierte Kritik des Signifikanten« durch Lyotard an. Vgl. Deleuze/Guattari: Anti-Ödipus, S. 312.

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Lage, das Territorium absolut zu deterritorialisieren, eine neue Aufteilung des Raumes vorzunehmen. Das Ikon hingegen verspiele diese Möglichkeit des Zeichens, als andere Form in die Verfügtheit körperlicher Anordnungen zu intervenieren, da es ihnen durch strukturelle Ähnlichkeit verhaftet bleibt (Reterritorialisierung). Der Index gehe in seiner Funktion auf, Territorialitätszeichen zu sein, also Bewegungen in einem Territorium anzuzeigen. Das Symbol ist nach Deleuze und Guattari durch eine relative Deterritorialisierung gekennzeichnet, insofern es den Formen der Körper Formen der Äußerung entgegensetzt, die grundsätzlich von ersteren unterschieden sind. Dennoch bleiben diese Zeichen dem Territorium verhaftet, da sie mittels Konventionen funktionieren und so an Gesetzmäßigkeiten der körperlichen Welt gebunden bleiben. Einzig das Diagramm ermöglicht also die Intervention sprachlicher Zeichen in die Verfügtheit von Körpern, indem ihm die Möglichkeit zugeschrieben wird, die unterschiedlichen Formen der Körper und der Aussagen im Raum zu verteilen und die Intervention beider Formen ineinander festzulegen. Das Diagramm ist dabei den beiden Formen immanent und wirkt durch sie hindurch. Deshalb ist es auch keine vorgängige Idee, sondern entsteht erst durch die Aktualisierung der beiden Formen. Körper und Aussagen auf diese Weise zu trennen und sie weder in einem Verhältnis einfacher Kausalität (vom Nicht-Diskursiven zum Diskursiven aufsteigend), oder umgekehrt, ihre Beziehung gerichtet vom Signifikant zum Signifikat zu verstehen, noch in ein Verhältnis wechselseitiger strukturaler Symbolisierung zu stellen, verdanken Deleuze und Guattari dem Zeichentheoretiker Louis Hjelmslev. Dieser entwirft das Zeichen analog zur Unterscheidung von signifié und signifiant bei Saussure, wobei er hier von Inhalt und Ausdruck spricht und diese Terme vom spezifischen Zeichen löst. Denn Inhalt und Ausdruck charakterisieren nicht das Zeichen, wie noch bei Saussure, sondern die Zeichenfunktion, welche die wechselseitige Voraussetzung von Inhalts- und Ausdruckselementen garantiert. Diese Bezeichnungen, Inhalt und Ausdruck, werden weiterhin nach Form und Substanz unterschieden: So kann man eine Inhaltssubstanz von einer Inhaltsform unterscheiden, einen Bereich ungeformter Materie von dessen Formung (Kontinuum der Bedeutungen und spezifische Formen). Genauso unterteilt Hjelmslev auch in eine Ausdruckssubstanz und eine Ausdrucksform (Lautkontinuum und spezielle Phoneme). Diese beiden Bezeichnungen (Inhalt und Ausdruck) sind dabei völlig arbiträr, gehen also nicht auf eine spezifische, ihnen zugehörige Essenz zurück, eher sind sie operational und relativ zueinander bestimmt. Es geht hier darum, bei Hjelmslev immer noch im Bereich der Sprache, ein Gemisch mittels einer ersten Unterscheidung zu analysieren, die weitere Unterscheidungen – nach Inhalt und Ausdruck – nach sich

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zieht. Diese erste Unterscheidung zeichnet nun jedoch keinen Anfang aus, sie erschließt dagegen ein heterogenes Feld von der Mitte her. Die beiden Bereiche sind dabei weder nur in eine Richtung kausal bestimmt, noch repräsentiert die eine Form die andere; sie setzen sich gegenseitig voraus und intervenieren ineinander. So bestimmt Hjelmslev die Relation der beiden Formen als einen Austausch, »die grundlegende Relation, die der wirkliche Schlüssel zum Verständnis von Sprachen im linguistischen Sinne ist«.47 Mit Hjelmslev gelangt man also in einen Bereich der Sprache vor der eindeutigen Signifikation, in einen Raum der Verwicklung von Formungen, von Figurationen und Rekonfigurationen, die der Ideologie des narrativen Dispositivs vorausgehen und es unterlaufen.48 In ihrem Buch über Kafka. Für eine kleine Literatur (1975) haben Deleuze/Guattari versucht, mit diesem Vokabular Inhalts- und Ausdruckssegmente im Werk Kafkas zu unterscheiden und zu bestimmen, wie sich der Austausch zwischen beiden Formen organisiert (Inhaltsformen: Gesenkter Kopf, erhobener Kopf, aber dann auch »Kopf-über-stürzen«, »Sich Überkugeln« opponieren den Ausdrücken: Portrait, Klang, etc.). Es ergeben sich so zwei Reihen von Inhaltsund Ausdruckssegmenten in den Texten Kafkas, die ineinander intervenieren und sich gegenseitig transformieren, was Deleuze und Guattari dazu führte, etwas Drittes zu unterstellen: eine oder mehrere Maschinen Kafkas, welche die Materien und ihre Formung bestimmen und aufeinander beziehen. Dennoch taucht der Begriff des Diagramms hier noch nicht auf. In den Tausend Plateaus geht es Deleuze/Guattari nun darum, diese Maschinen als Diagramme zu definieren, welche die verschiedenen Elemente der Inhalts- und der Ausdrucksform verteilen, und den Austausch zwischen beiden festlegen. Inhalts- und Ausdrucksform werden dabei nicht mehr nur als Innersprachliche gefasst, vielmehr dienen sie der Unterscheidung von Körperformationen und Zeichenformen sowie deren wechselseitigen Austauschbeziehungen.

47 Hjelmslev: Die strukturale Analyse der Sprache, S. 68; vgl. auch das »Relative« und das »Oppositive« in: Hjelmslev: Prolegomena zu einer Sprachtheorie, S. 62. In der Analyse von Inhalts- und Ausdrucksformen geht es also um Reihen heterogener Segmente und deren Eingriffe ineinander, nicht, wie das Thürlemann nahelegt, um die Korrespondenz von Inhalt und Ausdruck, die uns auf die Fährte des Diagramms bringt: »Das Diagramm, auch »Schema« genannt, ist eine Diskursform, die darauf abzielt, Strukturen der Inhaltsebene auf der Ausdrucksebene möglichst direkt darzustellen.« Thürlemann: Vom Bild zum Raum, S. 182. 48 Zur Rede vom »narrativen Dispositiv« und dem darunter liegenden Figuralen vgl. auch den kleinen Text: Lyotard: Über eine Figur des Diskurses.

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Würde man nun ein Segment dem anderen voranstellen, so würde das vielfältige Spiel der Interventionen zwischen den beiden Formen verdeckt, es würde eine lineare Referenz entstehen. Eine derartige Konzeption der Gefüge, ein solche Maschine wäre nicht abstrakt genug, nach Deleuze/Guattari: »Denn eine richtige abstrakte Maschine bezieht sich auf das gesamte Gefüge: sie lässt sich als das Diagramm dieses Gefüges definieren. Sie ist nicht sprachlich, sondern diagrammatisch und supralinear.«49 Die abstrakte Maschine ist diagrammatisch, weil ihre Funktion im Figurieren und Strukturieren besteht, und sie ist supralinear, weil die Elemente keine feste lineare Ordnung haben. Das Diagramm wird hier als eine abstrakte Maschine definiert, welche die verschiedenen Elemente der beiden Formen der Körper und Aussagen mittels abstrakter Linien im Raum verteilt, zerstreut. Die abstrakten Linien unterteilen dabei weder den Raum in ein Innen und ein Außen, noch verbinden sie einen Punkt mit einem anderen. Vielmehr laufen die abstrakten Linien gerade an den (präexistenten) Punkten vorbei, um sie zu differenzieren. Denn das Diagramm als abstrakte Maschine zeigt keinen Zustand von Gefügen (aktuellen Konstellationen von heterogenen Elementen) an, vielmehr entwirft es die Kräfte, die in ihnen tätig sind, die Weise, in der körperlose Attribute oder Ausdrücke und Körper oder Inhalte ineinander eingreifen. In den Tausend Plateaus wird der gesellschaftliche Bereich nun unterschieden in die Menge körperlicher Modifikationen (Inhaltsebene) und die Menge der körperlosen Transformationen (Ausdrucksebene), die sich aufeinander beziehen und ineinander intervenieren. Wie sich diese Beziehung strukturiert, wird geregelt durch das Diagramm eines jeweiligen Gefüges, das eine Supralinearität entfaltet, d.h. eine Ebene, auf der die Elemente keine festgelegte, vorstrukturierte Ordnung mehr haben (Signifikant – Signifikat, Basis – Überbau). Somit entwirft das Diagramm die wechselseitige Durchdringung von Sprache und Körpern. Das Diagramm kann also niemals reine Sprache sein, denn, so Deleuze/Guattari, die Sprache ist vom Diagramm abhängig und nicht umgekehrt. Man dürfe nun aber nicht dazu übergehen, ein Diagramm jenseits der Materien und Formen anzunehmen, noch liege es diesen zeitlich voraus. Vielmehr wird in den Tausend Plateaus erneut die Immanenz des Diagramms unterstellt, die Zwischenstellung zwischen den unterschiedlichen Formen, aus der heraus sie dieselben verteilt. Dem Diagramm als abstrakter Maschine kommt also die Funktion zu, eine Inhalts- und eine Ausdrucksform zu unterscheiden und zu verteilen, wobei es selbst weder Inhalt und Ausdruck, noch Form und Substanz hat, abstrakt bleibt.

49 Deleuze/Guattari: Tausend Plateaus, S. 127.

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Denn das Diagramm ist total destratifiziert – es betrifft also nicht nur einen, sondern wirkt in den unterschiedlichsten Bereichen. Dann kann es, das wird noch zu zeigen sein, von jedem einzelnen Bereich aus verändert werden. So funktioniert das Diagramm nicht, um zu repräsentieren, nicht einmal etwas Reales, sondern konstruiert ein Reales, das kommen soll, es entwirft einen neuen Typ der Realität. Es ist nicht außerhalb der Geschichte, sondern immer eher vor der Geschichte, in jedem Moment, wo das Diagramm die Punkte der Schöpfung oder der Potentialität konstituiert. Deshalb spricht Noèlle Batt mit der Stimme Jakobsons auch vom »Esse in Futuro« des Diagramms bei Deleuze: Das Diagramm repräsentiert nicht, sondern schreibt etwas vor, ist rein konstruktiv, indem es einen Raum entwirft.50 Das Diagramm, in dieser Weise verstanden, darf aber nicht dazu führen, es mit einer Axiomatik zu verwechseln, da es nicht darum geht, das System der Bewegungen – Deleuze und Guattari sagen Linien – einem punktuellen, statischen System zu unterstellen, das selbst nicht beweglich ist. Die Pointe des Diagramms besteht hingegen genau darin, Bewegungen zu entwerfen, selbst aber auch beweglich zu sein.51 Das Diagramm ist selbst in permanentem Wandel, wird verändert durch neue Verbindungen, die außerhalb der bestehenden Formen von Inhalt und Ausdruck liegen, welche die jeweilige abstrakte Maschine präfiguriert. Diese Mutation der Diagramme ist dadurch zu erklären, dass die abstrakte Maschine zwar die Inhalts- und Ausdrucksformen je nach Bereich verteilt, selbst aber einen Platz zwischen seinen Einsatzbereichen besitzt. Innerhalb der Bereiche aktualisiert sich die abstrakte Maschine in konkrete Maschinen. Das Diagramm arbeitet im Inneren verschiedenster Bereiche, ist diesen immanent und kann von da aus auch verändert werden: Es »genügt, die Fluchtlinien zu verlängern, die in den Schichten wirksam sind, die durchbrochenen Linien zu schließen und die Prozesse der Deterritorialisierung zu verbinden, um eine Konsistenzebene wiederzufinden, die sich in die unterschiedlichsten Systeme der Stratifizierung einfügt und von einem zum anderen springt.«52

50 Batt: L'Éxpérience diagrammatique: Un nouveau régime de pensée, S. 8. 51 Vgl. dazu James Williams: »A diagram is then itself in movement and designed to convey displacement and change, rather than provide a static representation of a given state or even a representation of a passage from one static position to another.« In: Williams: gilles deleuze's logic of sense. A critical introduction and guide, S. 79. 52 Deleuze/Guattari: Tausend Plateaus, S. 200.

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Man muss diejenigen Funktionen, die das Diagramm zu hemmen versucht, wiederfinden, ihnen ihre Operativität wiedergeben und so ein neues Diagramm konstruieren, das eine neue Verteilung von Körpern und Aussagen vornimmt. Schließlich muss die erste Definition des Diagramms als immanenter Verteilung zweier Formen, was die Wandelbarkeit der Diagramme (Konzeption und Rekonzeption) einschloss, erweitert werden um das Verhältnis der durch das Diagramm präfigurierten Formen. Die Beziehung der beiden Formen bestimmt das Diagramm als Intervention. Die Aussageformen fordern eine Veränderung der Körperformationen (Performativität)53 und umgekehrt verlangen auch neue Körperformationen einen neuen Typ von Aussage, einen neuen Diskurs. Die Immanenz des Diagramms ist dabei der Versuch, diese Beziehung nicht als einfache Referenz zu beschreiben. Vielmehr gestaltet das Diagramm aus seiner Zwischenposition heraus die Beziehung der beiden Formen in der Entfaltung einer Supralinearität. In diesem Sinne könnte man vom Diagramm als Transzendental sprechen, da es die Beziehung von Sprache und Körpern regelt und so den Raum möglicher Erfahrung weder als rein sprachlich, noch als rein bildlich, sondern eben diagrammatisch bestimmt. Damit ist das Diagramm aber keinem Verstand implizit, sondern erfasst verschiedenste Konstellationen von Körpern und Zeichen. Das Verhältnis der beiden Formen ist dabei relativ stabil, was die Veränderung ihrer Aufteilung mit einbegreift: ein dynamischer Metaschematismus. Das Diagramm der Malerei Nachdem Deleuze den Begriff des Diagramms im Bereich der Politik, sowie im Bereich der Interaktion von Körpern und Sprache bestimmt hat, findet das Diagramm hier nun seinen Einsatz in der Malerei, als Verfahren künstlerischer Hervorbringung. Im zwölften Kapitel über »Das Diagramm« von Francis Bacon

53 Deshalb kommt auch Austin und seiner Analyse der Sprechakte eine ausgezeichnete Rolle in der Theorie der Sprache zu, wie sie Deleuze und Guattari hier vorschlagen. In Verlängerung von Austin ist damit auch die Idee zu verstehen, eine Theorie der Semantik der Sprache auf eine Pragmatik zu bauen, also die Pragmatik nicht nur als Ergänzung von Logik, Syntax und Semantik zu fassen: »›Hinter‹ den Aussagen und Semiotisierungen gibt es nur Maschinen, Gefüge und Deterritorialisierungsbewegungen, die durch die Stratifizierungen der unterschiedlichen Systeme hindurchgehen und den Koordinaten der Sprache wie der Existenz ausweichen. Deshalb ist die Pragmatik keine Ergänzung der Logik, Syntax oder Semantik, sondern im Gegenteil das grundlegende Element, von dem alles übrige abhängt.« Ebd., S. 203.

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– Die Logik der Sensation beschreibt Deleuze die vorbereitende Arbeit des Malers zur Realisierung eines Bildes. Dabei bezieht er sich auf die Gespräche Bacons mit David Sylvester (1975, 80, 87), wobei Deleuze die französische Variante zitiert (1976), sowie auf die Gemälde Bacons, die in einer Auswahl im zweiten Band reproduziert werden. Dieses Kapitel über »Das Diagramm« antwortet auf das Problem des Anfangs in der Malerei. Oder anders gesagt: Deleuze interessiert an Bacon, wie er von der weißen Leinwand zu einem fertigen Gemälde kommt. Das Vorgehen Bacons schildert Deleuze nun wie folgt: Wenn der Maler beginnt zu malen, dann ist die Leinwand nicht leer, sondern immer schon gefüllt mit anderen Bildern, die sich im Atelier befinden oder die er im Kopf hat. Diese Bilder sind alle schon auf der Leinwand, sei es virtuell oder eben aktuell. Jedenfalls bevölkern diese Klischees, wie sie Deleuze nennt, immer schon die Leinwand. Ein Klischees ist eine primäre Figuration, die auf etwas außerhalb der Leinwand verweist und ist sozusagen »präpiktural; sie ist vor dem Malakt bereits auf der Leinwand gegeben und nicht das Resultat.«54 Die Frage, wie man von der Figuration zur Figur kommt, die in sich selbst alle Relationen bündelt, wie es Bacon also schafft, etwas Neues auf der Leinwand entstehen zu lassen, bildet das Problem, auf das Deleuze eine Antwort sucht. Bacons Methode stellt eine Überschreitung des Sichtbaren dar, indem er, wie Derridas blinder Maler, rein haptische Markierungen ins Bild setzt55, blinde und zufällige Markierungen, welche die Figurationen überlagern, einerseits, um die Klischees auszulöschen, andererseits, um die Bedingungen für etwas zu schaffen, das auftauchen kann, sich präsentieren und suggeriert wird: »Die Zeichen sind gemacht, und man überprüft sie dann, wie man es bei den Kurven eines Diagramms tun würde. Und in diesem Diagramm sind die verschiedensten Möglichkeiten enthalten. [...] Sehen Sie, wenn Sie zum Beispiel an ein Portrait denken, da hat man ein-

54 Ruf: Fluchtlinien der Kunst, S. 119. 55 Auch Derrida betont das notwendige Moment der Blindheit in der Malerei, wenn er den Maler so beschreibt, dass er im Prozess des Malens die Sichtbarkeit hin auf die Erinnerung überschreitet. Vgl. Derrida: Aufzeichnungen eines Bilden, das Selbstportrait und andere Ruinen. Derrida spielt hier mit der Doppeldeutigkeit von »regarder« (schauen) und »re-garder« (zurück-bewahren, behalten), worauf Michael Wetzel hingewiesen hat. Vgl. hierzu seinen Aufsatz: Wetzel: »Ein Auge zuviel«. Derridas Urszenen des Ästhetischen: S. 134, Fn. 14. Deleuze begreift nun das Haptische bei Bacon als Einbruch des Zufälligen, des Nicht-Geordneten, was sich auch gegen die Erinnerung richtet.

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mal den Mund an eine bestimmte Stelle gesetzt, aber plötzlich merkt man, wenn man sich das als ein Diagramm vorstellt, dass der Mund auch quer über das Gesicht verschoben werden könnte. Und irgendwie würde man gerne in einem Portrait eine Sahara der menschlichen Erscheinung verwirklichen – es ähnlich machen, aber so, dass es die Weite der Sahara zu haben scheint.«56

Wie bereits erwähnt, hat Deleuze die französische Übersetzung der Gespräche Bacons mit Sylvester zitiert, die, genau wie die deutsche, an dieser Stelle mit Diagramm übersetzt, wo im englischen Original »a sort of graph«57 steht. Ein Graph hat nun aber die Funktion der Repräsentation: eine Singularität wird in einem zweidimensionalen Raum repräsentiert, indem sie homogenisiert und vergleichbar gemacht wird. Jedoch sollte man nicht zu vorschnell urteilen und etwa vermuten, dass Deleuze hier ein Fehler unterlaufen wäre. Es ist davon auszugehen, dass Deleuze Bacons Methode als einen diagrammatischen Gebrauch eines Graphen darstellt. Denn wenn er die Operativität des Graphen hervorhebt, indem man die Kurve verlängern oder an einen anderen Ort versetzen kann, geht es gerade nicht mehr darum, welche Daten die Kurve repräsentiert. Man eröffnet den Experimentierraum des Diagramms. Das Resultat kann dabei dem zu Repräsentierenden ähnlich werden, aber eben nicht mit ähnlichen Mitteln. So betont Bacon bezüglich des Gemäldes Painting (Abb. 2), dass es gerade nicht willentlich, auch nicht um der Ähnlichkeit willen, sondern zufällig entstanden ist: »Ich habe versucht, einen Vogel darzustellen, der auf einem Feld niedergeht, [...] aber plötzlich deuteten die Linien, die ich gezogen hatte, etwas ganz anderes an, und aus dieser Andeutung ist das Bild entstanden. Ich hatte nie die Absicht, das Bild so zu machen, ich hatte es mir nie so vorgestellt. Es war wie eine Reihe unvorhergesehener Ereignisse, von denen das eine notwendig auf das andere folgt.«58

Was das Diagramm nun produziert, ist also nicht das Chaos, sondern schon eine Ordnung. Man könnte in Painting mit guten Gründen einen Mann mit Regenschirm vor einem Stück aufgehangenen Fleisches identifizieren. Entscheidend ist nun aber, und das ist das Vermögen des Diagramms, wie Bacon zu dieser Figur gekommen ist: Ohne Absicht, also nicht willentlich, sondern durch eine neue

56 Sylvester: Gespräche mit Francis Bacon, S. 56. 57 Darauf hat auch Noèlle Batt aufmerksam. Vgl.: Batt: L'expérience diagrammatique: un nouveau régime de pensée . 58 Sylvester: Gespräche mit Francis Bacon, S. 12.

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Verbindung der Elemente auf der Leinwand, die eine Figur andeutete. Diese Figur einmal ausgemacht, erfolgt alles andere notwendig, nur ist die Figur und damit auch das Diagramm selbst nicht notwendig. Es hätten auch andere Markierungen auf der Leinwand sein können, die andere Verbindungen ermöglichen. Die Modulation der vorgegebenen Figuration ist hingegen das, was das Diagramm ausmacht: in einer vorgegebenen Konzeption experimentieren, indem man zufällige Varianten ausprobiert, um eine neue Konzeption zur Erscheinung zu bringen.

Abbildung 2: Bacons Painting

Quelle: Deleuze, Gilles: Francis Bacon – Logik der Sensation, Bd. 2, Nr. 30.

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»Das Diagramm ist die operative Gesamtheit der Striche und Flecken, Linien und Zonen. [...] Das Diagramm ist zwar ein Chaos, aber auch der Keim von Ordnung und Rhythmus. Es ist ein gewaltsames Chaos im Verhältnis zu den figurativen Gegebenheiten, aber ein Keim von Rhythmus im Verhältnis zur neuen Ordnung der Malerei: Es enthüllt »tieferliegende Empfindungsschichten«, sagt Bacon. Das Diagramm beendet die vorbereitende Arbeit und leitet den Malakt ein. Es gibt keinen Maler, der nicht diese Erfahrung von Chaos/Keim machte, wo er nichts mehr sieht und zu versinken droht: Zusammenbruch der visuellen Koordinaten.«59

In Study of Isabel Rawsthorne (Abb. 3) verlängert Bacon den Mund horizontal derart, dass er die Grenzen des Gesichts auflöst und so die Figuration durchbricht, da die neu aufgerichtete Figur nun keinerlei Ähnlichkeit mehr mit dem Vorbild besitzt. Vielmehr ist es Ausdruck oder Suggestion einer Empfindung, die auf den Einbruch des Haptischen60 im Malakt verweist und sich im möglichen Betrachter verlängern kann. So besteht auch im Bacon-Buch das Diagramm nicht nur in der Konzeption einer neuen Ordnung, die eine andere ersetzt, sondern ebenfalls im Affektiven, das die Sichtbarkeit doppelt überschreitet: Als Wegfall der sichtbaren Koordinaten des Bildes für den Maler aber eben auch als Effekt im Betrachter. Für Deleuze lassen sich nun unterschiedliche Kunstrichtungen anhand des Kriteriums des Diagramms unterscheiden: Die abstrakte Malerei entwickelt weniger ein Diagramm als einen symbolischen Code, gemäß den großen Oppositionen. Hingegen im abstrakten Expressionismus löscht das Diagramm alles aus und wird das Gemälde selbst. Bacon schließlich erfindet eine dritte Weise der Produktion eines Gemäldes: sie ist nicht von einem Code abhängig, dem die Empfindung fehlt. Sie setzt sich aber auch den Wucherungen des Diagramms entgegen, wenn sie die Leinwand ganz ausfüllen. Aus dem Diagramm muss etwas entstehen, es ist Zwischenstation, Passage. Die figurativ gegebenen Elemente dürfen nicht ganz verschwinden. Eine Unbestimmtheitszone bildet sich zwischen ihnen, der Ort des Diagramms, aus dem eine neue Figur entsteht. Deshalb muss das Diagramm auch immer begrenzt sein, darf nicht das ganze Bild und jegliche Möglichkeit von Anordnung mit sich reißen.

59 Deleuze: Francis Bacon – Logik der Sensation, 1. Bd., S. 63f. 60 Deleuze insistiert hier auf der physischen (Châtelet wird sagen: gestischen) Dimension des Diagramms, das im griechischen »grammein« (einritzen) dem Diagramm eingeschrieben ist, als der vorgängige physische Akt, der die Fläche des Diagramms zuallererst herstellt.

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Abbildung 3: Study of Isabel Rawsthorne von Bacon

Quelle: Deleuze, Gilles: Francis Bacon – Logik der Sensation, Bd. 2, Nr. 68.

Das Diagramm platziert sich so zwischen einem digitalen Code und dem Analogen einer Präsentation des Diagramms. Damit entsteht eine Bewegung, die beide Ebenen durchkreuzt, um etwas Neues zu schaffen, eine neue Figur. Das bezeichnet Deleuze als die Analogizität des Diagramms61: nicht Transformation einer

61 Hier widerspricht Deleuze auch Nelson Goodman, der das Diagramm dem Digitalen zugeschlagen hat und es damit in der reinen Lesbarkeit eines Graphen aufgehen lässt. Vgl. dazu Goodman: Sprachen der Kunst, S. 163-166. Die Pointe Deleuzes besteht

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Anordnung in eine andere, sondern die eine Bewegung auf der Leinwand, vom Einbruch des Haptischen ins Figurative bis zur Suggestion einer neuen Figur62. Diese Bewegung verweist auf nichts außerhalb der Leinwand, bildet vielmehr eine Bewegung, die eine Ebene schafft und füllt. Deshalb führt Deleuze hier auch die Begriffe der Deformation und der Modulation ein, um das Diagramm als einen Prozess zu beschreiben. Das Diagramm stürzt eine feste Ordnung ins Chaos, findet den Weg von einer Struktur zu den Bewegungen, die es moduliert, um so eine neue abweichende Bewegung zu finden, die es eine neue Figur erschaffen lässt. Das Diagramm als Begriff und Praxis 1986 widmet Deleuze Foucault eine Monographie und fasst so den Diagrammbegriff seiner vorigen Arbeiten in Auseinandersetzung mit dem Autor zusammen, von dem er ihn einst geborgt hatte. Es findet sich darin der einstige Text von 1975 in leicht veränderter Form wieder.63 Gleich geblieben ist die Konzeption der Macht als immanentes Diagramm des gesellschaftlichen Feldes. Zudem werden die Ausarbeitungen des Diagrammbegriffs aus den Tausend Plateaus sowie aus dem Bacon-Buch eingearbeitet. So drückt sich das Diagramm als abstrakte Maschine mit einer Inhaltsform (Körperverteilungen) und einer Ausdrucksform (Diskurs über die Delinquenz) aus, die beide nach Hjelmslev eigene Substanzen haben, die sie formalisieren. Und auch die Ausdrucksform lässt sich weiterhin unterscheiden in Inhalt und Ausdruck, die signifikativen Elemente und die impliziten Figuren, die sie verteilen und modulieren. Und wie in der Auseinandersetzung mit dem Maler Francis Bacon ist das Diagramm noch kein Ende oder Abschluss, an dem man ankommen kann und der bspw. Erkenntnisse über seinen Gegenstand liefert, sondern eine Fährte, der man folgen muss, um eine neue Figur zu errichten oder die Konditionen eines neuen Diagramms zu skizzie-

nun aber nicht darin, das Diagramm der reinen Fülle, dem Analogen Goodmans, zuzuordnen. Denn das Diagramm steht hier zwischen Analogem und Digitalem, bildet einen Eigenraum mit einer eigenen Zeit, der dennoch mit Relationen operiert. 62 Vgl. das 13. Kapitel über »Die Analogie« in: Deleuze: Francis Bacon – Logik der Sensation. 63 Auch Noèlle Batt bemerkt, dass sich inhaltlich keine großen Veränderungen zwischen den beiden Texten über Foucault als den Kartographen der Macht verzeichnen lassen: »Disons, pour faire brèf, que les mêmes informations se trouvent dans les deux textes, mais différement distribuées.« Batt: L'expérience diagrammatique: un nouveau régime de pensée, S. 16.

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ren. Daran anschließend muss bemerkt werden, dass die in der ersten Version auftretende Möglichkeit »revolutionärer Diagramme« sich nun anders ausgedrückt findet, wenn Deleuze den Begriff des Diagramms an den des »Werdens« annähert. Deleuze betont die Operativität der Macht, da sie bei Foucault kein Wesen oder Attribut darstellt, das diejenigen, die sie besäßen, als Herrschende qualifizierte vor denjenigen, auf die sie angewendet wird. Vielmehr ist die Macht ein Verhältnis, das durch die herrschenden Kräfte genauso wie durch die beherrschten Kräfte hindurchgeht. Als Verhältnis ist das Diagramm instabil und fließend, hört nicht auf, Materien und Funktionen zu durchziehen, um sie zu mutieren. Neue Bewegungen können dann auch wiederum das ganze Diagramm verändern: Deleuze sagt, jedes Diagramm ist im Werden. Es repräsentiert niemals eine vorgängige Welt, es produziert einen neuen Typus von Realität, eine neues Modell der Wahrheit. Nicht mehr sagen, was ist, sondern bestimmen, wie sich etwas vollzieht. Aus diesem »Wie« gewinnt die Analyse Funktionen, Fiktionen, die gemacht werden müssen, um die Ausformungen dessen, was es gibt, zu verstehen und zu verändern. Damit ist das Diagramm kein Subjekt der Geschichte, aber auch nicht außerhalb derselben. »Es macht die Geschichte, indem es die vorherigen Realitäten und Bedeutungen auflöst und dabei ebensoviele Punkte der Emergenz oder der Kreativität, der unerwarteten Verbindungen und der unwahrscheinlichen Übergänge bildet. Es fügt der Geschichte ein Werden hinzu.«64

So gibt es eine Geschichte der Körperanordnungen und Aussagetypen, kurz, der Gefüge im deleuzeschen Sinne. Aber das Diagramm verdoppelt diese Geschichte in einem Werden der Diagramme, das sich in den Modulationen der Funktionen und der Materien ausdrückt. Diese Geschichte des Werdens der Kräfte muss unterschieden werden von der Geschichte der Formen, da sie einerseits eine ganz andere Zeitlichkeit aufweisen, andererseits aber auch ineinander eingreifen können. Tritt ein neues Diagramm auf, ändern sich die Formen des Inhalts und des Ausdrucks und die Bestimmung ihrer Beziehung zueinander. Da sich das Diagramm aber diesen Aktualisierungen nicht entzieht, selbst kein Außen des Aktuellen bildet, kann sich auch das gesamte Diagramm verändern, wenn eine neue Ausdrucksform auftaucht oder sich die Körper auf eine neue Weise anordnen. Damit taucht die Möglichkeit von Allianzen auf, die sich über ganz verschiedene

64 Deleuze: Foucault, S. 54.

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Bereiche erstrecken, aber dennoch eine Serie neuer Körperanordnungen vollziehen oder eine neue Ausdrucksform in Umlauf bringen. »Das Diagramm manifestiert hier seinen Unterschied zur Struktur, insofern die Allianzen ein dehnbares und transversales Netz weben, das senkrecht zur vertikalen Struktur steht, eine Praxis, ein Verfahren, oder eine Strategie definieren, die verschieden sind von jeder Kombinatorik, und ein instabiles, in permanentem Ungleichgewicht befindliches physisches System bilden anstelle eines geschlossenen Austauschsystems«.65

Während die Struktur einen ersten Widerspruch oder eine einmal ausgemachte Binarität vertikal durch alle Schichten durchhält und vervielfältigt, ist es das Anliegen des Diagramms, eine Oberfläche zu denken, die die verschiedenen Schichten diagonal durchzieht. Auf dieser Fläche zeichnen sich Funktionen ein. Diese Funktionen differenzieren die singulären Aussagen und Anordnungen bzw. werden selbst durch neue Aussagen und Anordnungen moduliert. Damit geht das Diagramm auch nicht in einer reinen Räumlichkeit auf, »weil jedes Diagramm eine raum-zeitliche Mannigfaltigkeit ist.«66 Versucht man mit der Struktur noch rein räumlich organisierte Oppositionen zu denken, ist das Diagramm der Versuch, die Prozesse der Aufteilung, der Modulation, der Intervention zu denken, also zeitliche Vollzüge, die einen Raum konstruieren, und auch umgekehrt räumliche Beziehungen, die zeitliche Bewegungen fordern. Auf der Suche nach einem Begriff des Denkdiagramms, der die Voraussetzungen von aktuellen Diagrammen bildet und gleichzeitig in den aktuellen Diagrammen am Werk ist, sind wir zuerst auf den Begriff der Denkfigur bei Lyotard gestoßen. Der Begriff der Figur wurde von Lyotard in seiner Doppeldeutigkeit fruchtbar gemacht. Einerseits bezeichnete er die bildlichen Gestalten in Texten, andererseits den Texten implizite Bewegungen. Die figurierten Denkbewegungen treten in Interaktion mit signifikativen Elementen, in die sie intervenieren und so neue Diskurse produzieren. Wenngleich Lyotard die Diskurse so für affektive Bewegungen öffnete, blieb der Begriff der Denkfigur hier noch dem Bereich des Diskursiven verhaftet, wo er einzig seine Wirkung entfaltet. Deleuze schließt an den Gedanken an, dass es den aktuellen Formen implizite Bewegungen gibt, die sie figurieren, defigurieren und refigurieren. Jedoch erweitert er deren Wirkung auf ganz andere Bereiche: Macht, Kunst, Gesellschaft. Das Diagramm bildete so einen veränderten Strukturbegriff, der jedoch nicht feste Elemente dichotomisch aufeinander bezieht, sondern Bewegungen in einen

65 Deleuze: Foucault, S. 54. 66 Ebd., S. 53.

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Zusammenhang bringt. Dieser Zusammenhang bildet eine Ebene, die nicht hierarchisiert ist. Die Bewegungen verändern sich so gegenseitig, nehmen auch andere Bewegungen aus anderen Feldern auf, was zur Variation des gesamten Diagramms führt (Deleuzes revolutionäre Diagramme). Als Bewegungszusammenhang inhäriert das Diagramm den unterschiedlichsten Formen und bildet so eine Ebene der Immanenz, d.h. es durchzieht auch hart unterschiedene Bereiche und verbindet sie durch ein Interventionsverhältnis. Für Deleuze hat das Diagramm niemals etwas mit Repräsentation zu tun, denn hier würde der Gegenstand des Diagramms transzendiert. Vielmehr bildet das Diagramm ein Transzendental der Hervorbringung aktueller Formen, was jedoch selbst nicht stabil, sondern im Werden ist. Das Werden der Diagramme geschieht auf zweierlei Weise: einmal gerät das Diagramm mit anderen Diagrammen in ein Verhältnis, was zur Modulation des Diagramms führt. Andererseits ist das Diagramm aber auch von den konkreten Schichten und Formen aus erreichbar. Wenn neue Formen auftauchen, entstehen auch neue Bewegungen, die das Diagramm affizieren. Das führt dazu, dass Deleuze das Diagramm nicht als den aktuellen Formen vorgängige Idee konzipiert (hier wäre die Veränderung des Diagramms fragwürdig), sondern als Passage zwischen zwei Formen. Eine feststehende Figuration kann durch das Auftreten anderer, neuer Bewegungen in ein Chaos gestürzt werden, das jedoch bereits ein Keim von Ordnung ist, der einen Bewegungszusammenhang ergibt, welcher neue Relationen und Verhältnisse hervorbringt. Hier ist der Ort der Entstehung einer neuen Figuration, was Deleuze als Figur bezeichnet. In der letzten Fassung des Diagrammbegriffs in Foucault zieht Deleuze die vorigen Bestimmungen zusammen und definiert das Diagramm als Kräfteverhältnis im Werden. Das Diagramm operiert hier nicht mehr mit Formen, sondern mit Punkten, singulären Punkten, die die Applikation einer Kraft markieren. Jeder Punkt ist bereits das Resultat einer Intervention durch die Funktion, verweist auf eine Kraft, die ihn moduliert und so neu hervorgebracht hat. Und gleichzeitig treten die Punkte in ein Verhältnis, affizieren sich und sind damit immer in einem instabilen Zustand. Das Diagramm ist so eine Aussendung, eine Verteilung von Singularitäten, die eine Fläche bevölkern und in Resonanz zueinander stehen. Das nennt Deleuze die topologische Orientierung und den dynamischen Charakter des Diagramms, im Unterschied zum räumlich strukturierten und relativ stabileren Wissen: »Das Wissen betrifft die geformten Materien (Substanzen) und die formalisierten Funktionen, die sich Segment für Segment auf die beiden großen formellen Bedingungen, Sehen und Sprechen, Licht und Sprache, verteilen: es ist folglich geschichtet, archiviert

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und relativ starr segmentiert. Im Gegensatz hierzu ist die Macht diagrammatisch: sie mobilisiert nicht-geschichtete Materien und Funktionen und arbeitet mit einer sehr geschmeidigen Segmentierung. Sie geht in der Tat nicht durch Formen, sondern durch Punkte hindurch, einzelne Punkte, die jedes mal die Anwendung einer Kraft, der Aktion oder Reaktion einer Kraft im Verhältnis zu anderen darstellen, dass heißt eine Affektion als »stets lokalen und instabilen Machtzustand«. Von da aus ergibt sich eine vierte Definition des Diagramms: es handelt sich um eine Ausstrahlung, eine Verteilung von Singularitäten.«67

Abschließend wurde das implizite, virtuelle Diagramm von den festen Formen des Wissens abgesetzt. Wissen ist hierarchisch, repräsentational und ziemlich stabil. Dagegen beschreibt das Diagramm Prozesse, die in die verfestigten Formen intervenieren, indem sie ein Geflecht von Bewegungen bilden, die sich gegenseitig modulieren. Während das Wissen eine Struktur reproduziert, beschreibt das Diagramm die Produktion neuer Figurierungen, die von den gegebenen Verhältnissen abweichen und so auch neue Strukturen fordern. Von hier aus möchte ich zu einer ersten Definition des Denkdiagramms kommen. Während Deleuze die impliziten Diagramme der Macht, der Zeichenregime und der Kunst beschrieben hat, will ich mit dem Begriff der Denkdiagramme philosophische Operationen in Texten beschreiben. Diese Denkbewegungen bilden eine Oberfläche, die sich durch die unterschiedlichsten Formen hindurch zieht: Metaphern, Argumentationen, Beispiele, aber auch Zeichnungen usw. Damit ist das Denkdiagramm den Texten immanent, bringt die verschiedenen Formen hervor und kann von diesen aus auch verändert werden. Eine neue Metapher kann eine neue Denkfigur hervorbringen, die das immanente Denkdiagramm verändert, ihm eine neue Operation einschreibt. Unterteilte Deleuze stets in Funktionen und feststehende Elemente, die durch das Diagramm verteilt und in ihrem Verhältnis bestimmt werden, so will ich mit der Beschreibung des Denkdiagramms Denkfiguren und signifikative Elemente in ihrer gegenseitigen Intervention beschreiben. Eine Denkfigur muss dann immer aus dem Verhältnis bestimmt werden, das sie zu einem Diskurs hat, bzw. es muss gezeigt werden, welchen Diskurs sie vorbereitet. Ich unterteile Diagramme schließlich in Denk- und Wissensdiagramme. Während die Denkdiagramme also den Prozess der Verteilung von diskursiven Elementen und den Denkräumen beschreiben, legen die Wissensdiagramme die feste Struktur der Elemente fest, indem sie diese repräsentieren. Es soll damit nicht nur darum gehen, implizite Prozesse zu beschreiben, sondern immer auch gezeigt werden, gegen welche Verfestigung

67 Deleuze: Foucault, S. 103.

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sich diese richten bzw. auch in welchen Festschreibungen die Denkfiguren kristallisieren. So hat auch Deleuze die neue Figur bei Bacon aus einer verfestigten Figuration heraus beschrieben. Die virtuellen Diagramme stehen immer gegen eine verfestigte Struktur und verfestigen sich auch selbst, lagern sich ab. Es braucht diesen Gegenbegriff, da es auch um eine Veränderung der aktualen Welt geht. So lässt ein neues Denkdiagramm auch immer neue Wissensdiagramme entstehen. Zusammenfassend kann man sagen: Wissensdiagramme sind Strukturrepräsentationen, während Denkdiagramme Bewegungsinterventionen bilden. Im ersten Fall wird eine räumliche Konstellation von einem Bereich in einen anderen repräsentiert. Im zweiten Fall geht es darum, die Bewegung der Repräsentation, die das Wissensdiagramm beherrscht, zu vervielfältigen und so verschiedene Figurationen von Denkbewegungen hervorzubringen. Diese Unterscheidung von Wissens- und Denkdiagrammen liegt nun quer zu derjenigen von impliziten und expliziten Diagrammen. Denn nicht jedes gezeichnete Diagramm geht immer in der Funktion der Repräsentation auf, genau wie nicht jede implizite Strukturierung tastend vorgeht und sich selbst moduliert. Fragen wir also: Was sind explizite Denkdiagramme und was ist ihr Zusammenhang mit den impliziten Bewegungen des Denkens?

I.3

P ERZEPTION . D ENKBEWEGUNG

UND

DIAGRAMM

Der Übergang vom Begriff des immanenten Diagramms hin zu den gezeichneten Diagrammen blieb bei Deleuzes Ansätzen zu einer Theorie des Diagramms bisher unbeachtet. Wenn, wie oben vorgeschlagen, die gezeichneten Denkdiagramme mit den immanenten Diagrammen in ein Verhältnis treten, dann kann dies nicht jenes der Repräsentation sein, muss vielmehr in Prozessen von Intervention, Modulation und Variation gesucht werden. Ein Denker, der über die gezeichneten Diagramme nachgedacht hat und sie nicht sogleich den Technologien der Repräsentation zugeschlagen hat, ist Gilles Châtelet. Darüber hinaus hat er versucht, das Zusammenspiel von Denkbewegungen (er sagt »Gesten des Denkens«) und gezeichneten Diagrammen zu ergründen, was ihn für die Theorie der Denkdiagramme produktiv macht. Gilles Châtelet beschäftigt sich in seinem Buch Figuring Space mit den Diagrammen von Mathematikern und Physikern. Dabei verfolgt er eine neue Wahrnehmung der beiden Disziplinen. Diese versucht er zu schärfen, indem er sich gegen die aristotelische Unterscheidung von physikalischen und mathematischen Gegenständen richtet. Während die physikalischen Gegenstände nach Aristoteles beweglich und final strukturiert sind, jedoch eine separierte Existenz

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haben, so sind die mathematischen Gegenstände unbeweglich und notwendig, nur im Denken separierbar und dadurch überhaupt erst zur Existenz erhoben. Und auch wenn sich die Hierarchisierung beider Naturen und Disziplinen in der Neuzeit umkehren wird, von der aristotelischen Physik als zweiter Philosophie hin zur Vorbildhaftigkeit der Mathematik für die Wissenschaften, so bleibt doch die Unterscheidung bestehen. Das ist der Einsatzpunkt von Châtelet und seinem Nachdenken über Diagramme, die den mathematischen und den physikalischen Raum überblenden. Die Frage, auf die Diagramme antworten, lautet: Wie kommt man vom mathematischen Raum zum physikalischen Raum und zurück? Diesen Sprung schafft das Experiment, genauer: das Gedankenexperiment. Stößt man in der Mathematik auf ein theoretisches Problem, so mobilisiere man eine virtuelle Ebene, in der sich mathematischer und physikalischer Raum verschwistern. Châtelet beschreibt Gedankenexperimente vom Badewannenexperiment des Archimedes bis hin zum einsteinschen Photonenexperiment so, dass der Wissenschaftler sich virtuell in die Situation versetzt, um so die mathematische Intuition zu stimulieren. Zwischen den physikalischen und den mathematischen Raum schiebt sich so ein virtueller, ein Denkraum, der durch ein verkörpertes Denken hergestellt wird. Diese virtuellen Verkörperungen des Denkens nennt Châtelet Gesten. Châtelet entdeckt »a new space of gestures which has not as yet been elucidated and cut out as structure.«68 Diese Gesten sind bei Châtelet aber nicht substantiell. Vielmehr gewinnen sie ihre Souveränität aus ihrer Operativität, also aus dem Eingreifen in einen Raum, das ihn gleichzeitig strukturiert. Diese Strukturierung des Denkraums befreit von den Voraussetzungen eines physikalischen Raums und kann so Entscheidungen im mathematischen Raum suggerieren. Damit ist die Geste auch kein Resultat, vielmehr implizite Relation, Entfaltung einer neuen Ebene, die sie bevölkert: »The gesture envelops before grasping and sketches its unfolding long before denoting or exemplifying: already domesticated gestures are the ones that serve as reference.«69 Die Geste muss als ein Verhältnis vorgestellt werden, das in einem flachen Denkraum vollzogen wird und auch andere Verhältnisse produziert. Die Geste affiziert auch immer weitere Gesten. Wichtig ist Châtelet also das aktivische Verständnis der Denkbewegungen, sie also als körperliche Gesten zu beschreiben und nicht auf ein Medium zu reduzieren, dessen Aufgabe im Verweis auf anderes besteht. Vielmehr muss

68 Châtelet: Figuring Space, S. 7. 69 Ebd., S. 10.

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dieser virtuelle Raum geschaffen, dieses körperhafte Denken vollzogen und als eine eigene Realität mit Effekten beschrieben werden.70 Die Körperlichkeit der Denkbewegungen ist in einem zweiten Schritt auch der Grund für ihr Drängen auf Sichtbarkeit. Und hier ahnt Châtelet die Produktivität von Mathematik und Physik in den Zeichnungen, welche die Theorien vorbereiten, in den veröffentlichten Texten jedoch zumeist fehlen. Diese Zeichnungen beschreibt er nun als Diagramme, welche die Denkbewegungen kartographieren und so auf dem Blatt Papier eine Ebene schaffen, die der wissenschaftlichen Intuition behilflich ist: »It will come as no surprise then that we pay particular attention to the dynasties of gestures of cutting out, to diagrams that capture them mid-flight, to thought experiments.«71 Châtelet interessieren aber nicht die einzelnen Diagramme, sondern er will uns dafür sensibilisieren, dass wir sie daraufhin befragen können, wie sie den geometrischen Raum entdecken und wie dieser Raum als Denkraum genutzt werden kann. So untersucht er eine Problemgeschichte der Wissenschaft, indem er die unterschiedlichen Technologien (Gedankenexperimente, Diagramme) als produktive Maschinen untersucht, um aus ihnen die Präzisierung des Problems als auch die Idee der Lösung abzulesen. Dabei bilden die Diagramme von Oresme, über Faraday bis hin zu Feynman eine Geschichte der (bis dato unbeachteten) mathematisch-physikalischen Technologien, von denen Châtelet zeigt, dass sie zentral für die mathematische Intuition sind.72 Doch wie hängen nun Diagramme und Gesten zusammen, oder, um die Frage unserer Arbeit wieder aufzunehmen, wie kommt man von den Denkbewegungen zu einem gezeichneten Diagramm? Châtelet gestaltet die Beziehung wie folgt: »A diagram can transfix a gesture, bring it to rest, long before it curls up into a sign, which is why modern geometers and cosmologers like diagrams with their peremptory power of evocation. They capture gestures mid-flight; for those capable of attention, they are the moments where being is glimpsed smiling. Diagrams are in a degree the accomplices of poetic metaphor. But they are a little less impertinent – it is always possible to seek solace in the mundane plotting of their thick lines – and more faithful: they can prolong them-

70 Vgl. zur Bestimmung der Geste bei Chátelet: Knoespel: Diagrammatic writing and the configuration of space, S. 9f. 71 Châtelet: Figuring Space, S. 10. 72 »That is why two different rhythms underpin the ›history of ideas‹: the one, completely discontinuous, of ›ruptures‹, ›paradigms‹ and their refutations, and the other of the problematic latencies that are always available for reactivation and full of treasures for those who can reawaken them.« Ebd., S. 69.

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selves into an operation which keeps them from becoming worn out. Like the metaphor, they leap out in order to create spaces and reduce gaps: they blossom with dotted lines in order to engulf images that were previously figured in thick lines. But unlike the metaphor the diagram is not exhausted: if it immobilizes gestures in order to set down an operation, it does so by sketching a gesture that then cuts out another. The dotted line refers neither to the point and its discrete destination, nor to the line and its continuous trace, but to the pressure of the virtuality [...] that worries the already available image in order to create space for a new dimension: the diagram’s mode of existence is such that its genesis is comprised in its being. We could describe this as a technique of allusions.«73

Die gezeichneten Diagramme werden auch hier nicht als Zeichen verstanden, eher als Mittel der Verlangsamung des Denkens.74 Die Geste wird als Bewegung des Denkens eingefroren, auf das Blatt Papier gebannt, damit sie andere Denkbewegungen evozieren kann: das Diagramm als Experimentierraum des Denkens. Dieser Experimentierraum repräsentiert nun nichts, was außerhalb seiner selbst liegt, sondern, so Châtelet, projiziert in dasjenige, was es vorgibt zu repräsentieren, eine Virtualität. Damit ist das Diagramm nicht statisch, besteht es doch in der wechselseitigen Durchdringung von mathematischen, Denk- und physikalischen Räumen, die sie in beständigem Austausch hält. Auf der anderen Seite fixiert das Diagramm ein Geflecht von Bewegungen, um einen Raum für die mathematische Intuition zu schaffen, indem sie ihr suggestives Potential75 aktivieren: Diagramme unterbrechen die lineare Ordnung des Textes für eine supralineare flächige Ordnung, die eine Ausdehnung derjenigen Buchstabenfolge bewirkt, die in der Legende firmiert. Diese ausgedehnten Figuren kondensieren, verdichten und konzentrieren das Denken und bilden so eine Angriffsfläche für die Intuition, indem sie ihr durch die Auswahl einer Figuration ähnliche Figurationen genauso suggerieren, wie auch ausgeschlossene Figurationen.

73 Châtelet: Figuring Space, S. 10. 74 »The diagram never goes out of fashion: it is a project that aims to apply exclusively to what it sketches; this demand for autonomy makes it the natural accomplices of thought experiments.« Ebd., S. 11. 75 Auch Alexis de Saint-Ours unterstreicht den Stellenwert der Suggestion in der Bestimmung der Operativität des Diagramms bei Châtelet: »Il est important de souligner qu’il n’y a pas d'innocence ou de neutralité de la notation. Tout le génie des créateurs de diagrammes consiste à essayer de rendre la notation suggestive, allusive, parlante; à l'opposé d’un formalisme muet, mort ou aveugle«. De Saint-Ours: Les Sourirs de l'être, S. 47.

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Das Diagramm als gezeichnete Technologie überträgt so die Körperlichkeit des Denkens in den Körper des Diagramms. Dieser Diagrammkörper verlangsamt das Denken und gewinnt so eine Sichtbarkeit, eine Perzeption des Denkprozesses. Und in dieser Sichtbarkeit tritt das Denken nun in eine andere Ordnung ein, in der sein Körper andere Körper assoziieren lässt, sich mit anderen Perzeptionen verbindet. Damit kann das Diagramm auch als Ort beschrieben werden, an dem intuitiv neue Einsichten entstehen können. Aber nicht nur Einsichten, denn auch im Probieren mit der Hand kann der Denkraum, vermittelt über den geometrischen Raum, umstrukturiert werden und so einen neuen Text erfordern. Derart schafft der Eigenraum des Diagramms auch eine Eigenzeitlichkeit, in der das Denken nicht in vorgefertigten Bahnen verharrt (deshalb der Ausweis der Gesten als vorzeichenhaft und noch nicht formalisiert), sondern experimentell Wege ausprobieren und diese produktiv machen kann. Dieses Zusammenspiel von Denkbewegungen und dem Diagramm hebt Châtelet besonders hervor, wenn er das Diagramm zusammen mit der wissenschaftlichen Metapher beschreibt. In der Definition der wissenschaftlichen Metapher bezieht er sich auf Maxwell: »The figure of speech or of thought by which we transfer the language and ideas of a familiar science to one with which we are less acquainted may be called Scientific Metaphor.«76 Beide, die Metapher und das Diagramm sind Verkörperungen der Gesten des Denkens. Während das Diagramm eine Geste verlangsamt, figuriert die Metapher eine Geste. Der Raum des Denkens wird so als ein Kontinuum der Denkbewegungen vorgestellt. Diese Denkbewegungen sind dabei völlig ungeordnet und deshalb auch so produktiv für die Intuition. Indem diese Denkbewegungen (Châtelets Gesten) nun aber in eine Theorie eingehen, wird die eine spezielle Denkbewegung im Diagramm festgeschrieben oder in der Metapher kanalisiert und so figuriert. Gezeichnetes Diagramm und Denkbewegung (deren eine Ausprägung eben die Metapher ist) bleiben aufeinander bezogen, Châtelet betont sogar die Notwendigkeit beider in Zusammenarbeit als fundamental für die mathematischphysikalische Wissenschaft: »If the allusive stratagems can claim to define a new type of systematicity, it is because they give access to a space where the singularity of the diagram and the metaphor may interlace, to penetrate further into the physico-mathematic intuition and the discipline of the gestures which precede and accompany ›formalisation‹. This interlacing is an operation where each component backs up the others: without the diagram, the metaphor would only be a short-lived fulguration because it would be unable to operate: without the meta-

76 Châtelet: Figuring Space, S. 181f.

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phor, the diagram would only be a frozen icon, unable to jump over its bold features which represent the images of an already acquired knowledge; without the subversion of the functional by the singular, nothing would come to oppose the force of habit.«77

Die singuläre Bewegung, die das Diagramm entfaltet, und die spezielle Denkbewegung (wie sie bspw. als Metapher auftritt) müssen sich überlagern, ineinander weben, in einen Austausch treten, um das Auftreten des Neuartigen gegen das bereits Bekannte zu stellen. Denn ein gezeichnetes Diagramm allein würde sich in die Reihe der Wissensbilder einordnen, zu einem Wissensdiagramm werden, und damit sein schöpferisches Potential und auch seine Operativität verlieren. Eine Denkbewegung, die sich nicht in einem gezeichneten Diagramm niederschlägt, bleibt eine Intervention, die ihren Eingriff selbst nicht variieren kann, fehlt ihr doch der Eigenraum und die Eigenzeitlichkeit, die das Diagramm dem Text entgegenstellt und so einen Ort der Operativität in den Text, in dem es auftaucht, verwirkt. Nun können wir die Unterscheidung von Denkdiagramm und Wissensdiagramm erweitern. Während die impliziten Denkdiagramme die Denkbewegungen verteilen, aufeinander beziehen und ihre Intervention im Text festlegen, bildet das explizite, gezeichnete Denkdiagramm einen Ort im Text, der auf das implizite Denkdiagramm einwirken kann. Das virtuelle Diagramm eines Textes kann sich im Textkörper aktualisieren und so modulierbar werden. Aktualisierte Denkdiagramme intervenieren dann in das virtuelle Diagramm eines Textes und verändern diesen. Dem Wissensdiagramm fehlt die Operativität, da es immer schon zu spät kommt78, Strukturen abbildet und keine neuen Denkbewegungen, d.h. Denkfiguren produziert. Es gibt aber auch virtuelle Wissensdiagramme, die Konstellationen von Denkbewegungen zu einer Struktur verfestigen. Der Zusammenhang von verfestigten Strukturrepräsentationen, die immer die gleiche Struktur wiederholen, und beweglichen variierenden Strukturierungen, die in die Verfestigungen intervenieren, zeigt sich dann nicht nur in virtuellen oder aktuellen Diagrammen, sondern auch in deren Interaktion.

77 Châtelet: Interlacing the singularity, the diagram and the metaphor, S. 33. 78 Astrit Schmidt-Burkhardt hat auf die unterschiedliche Zeitlichkeit der Diagramme hingewiesen und die Diagramme in solche unterschieden, die dem Gegenstand vorausgehen, ihm gleichzeitig sind und jene, die ihrem Gegenstand nachfolgen. Vgl. Schmidt-Burkhardt: Wissen als Bild. Zur diagrammatischen Kunstgeschichte, S. 163187.

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I.4

V OM D ENKDIAGRAMM

ZUR

DIAGRAMMATIK

Von der Bestimmung des Denk- und des Wissensdiagramms soll nun zu einer Diagrammatik des Denkens übergegangen werden, um das Verfahren zu beschreiben, mit dem man die unterschiedlichen Diagramme philosophischer Werke herausarbeiten und in Interaktion bringen kann. Wie verfährt nun eine Diagrammatik? Wenn die Philosophie nicht mehr als rein geistige Aktivität oder Wesenheit erscheint, sondern in einer Körperlichkeit besteht, dann muss eine Diagrammatik zuerst diese Körperlichkeit bergen. Als Körper eines Denkens haben wir nun nicht die Schriftbildlichkeit von Texten beschrieben, sondern die impliziten Bewegungen, die ein Text entwirft. Diese können auch in schriftbildlichen Artefakten zu finden sein, aber eben nicht nur. Man muss diesen Punkt finden, an dem ein Text eine Aussage verändert, einen ersten Begriff erschafft oder sich wiederholt, um eine Verfestigung wieder zu verflüssigen. Man muss den Ort finden, an dem ein Denken von Neuem anfängt, alle expliziten Voraussetzungen ausschließt, um diesen neuen Typ von Voraussetzung zu bilden, den ich das Denkdiagramm nenne. Das Denkdiagramm ist damit gerade nicht zuerst über seine Medialität bestimmt, sondern über seine Operationsweise. Es stürzt die vorgängigen Meinungen, verfestigten Aussagetypen und Diskursordnungen in ein Chaos und behält nur die Bewegungen bei, die eine neue Ordnung hervorbringen können. Das Denkdiagramm definiert sich also immer über Bewegungen und deren Abweichungen. Eine abweichende neue Denkbewegung nenne ich eine Denkfigur, die als Metapher, gezeichnetes Denkdiagramm oder als Argumentation in eine Struktur interveniert, indem es eine neue Strukturierung eröffnet. 79 Die Dia-

79 Dieser Zusammenhang von Denkbewegungen und Denkfiguren macht klar, dass eine Diagrammatik des Denkens auch denkbar weit entfernt vom »diagrammatic reasoning« ist, geht es dort doch gerade um die Formalisierung von Denkoperationen, we-niger um das Erschaffen von abweichenden, neuen Denkfiguren. Vgl. hierzu folgende Sammelbände: Chandrasekaran u.a. (Hg.): Diagrammatic Reasoning; Anderson u.a. (Hg.): Diagrammatic Representation and Reasoning; Hegarty u.a. (Hg.): Diagrammatic Representation and Inference. Vgl. zum ganzen Feld der Diagramme, Diagrammatik, Diagrammatologie und diagrammatischen Visualisierungen jeder Art die Arbeiten von Gerhard Dirmoser, der wie kaum ein anderer dieses Feld erschließt, indem er selbst den Diskurs zu Diagrammen diagrammatisch darstellt, moduliert und wieder

neu

10.09.2011).

zusammensetzt:

http://gerhard_dirmoser.public1.linz.at/

(Zugriff:

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grammatik bildet dann immer das Verfahren, die neuen Bewegungen aufzufinden und zu zeigen, welches Denkdiagramm sie entwerfen. Sie kann ein Denkdiagramm aber nur vorführen, wenn sie aufzeigen kann, in welches Wissensdiagramm es interveniert und in welchem Wissensdiagramm es sich selbst möglicherweise verfestigen wird. Ein Diagramm des Denkens kann nun auch nicht, wie wir mit Deleuze gezeigt haben, in der Repräsentation oder in einer anders gearteten Zeichenhaftigkeit aufgehen, sondern muss in den philosophischen Texten eine Ebene entfalten, auf der sich die Funktionen und Materien verteilen (mit Lyotard können wir von Denkfiguren und signifikativen Elementen reden). Das dem Text immanente Denkdiagramm legt so eine Verteilung von Denkfiguren fest (Konzeption), die in die unterschiedlichsten Diskurse intervenieren. Dabei modulieren die Denkfiguren andere Denkfiguren und intervenieren in die signifikativen Elemente eines Textes, indem sie die lineare Referenz in die Supralinearität des Diagramms umbiegen. Auf diese Weise stellt das Zusammenspiel von Denkfiguren und signifikativen Elemente das implizite Diagramm eines Textes her, das immer auch andere Denkdiagramme destabilisiert, wenn es andere Denkfiguren ausschließt. Das Denkdiagramm als Konzeption und Rekonzeption einer Anordnung des Textes besitzt nun auch einen affektiven Teil, wie wir mit Lyotard gezeigt haben. Denn die Denkfiguren gehen dem ersten Begriff voraus und strukturieren dabei eine Ebene vor der Rationalität. Diese Strukturierung besteht in der Intervention von Denkfiguren und signifikativen Elementen. Durch das Auftreten von Affekten geraten die Verfestigungen in Bewegung. Es sind die Denkfiguren, die Bewegungen in den Diskurs einführen, die ihm äußerlich sind und doch im Innersten konstituieren, indem sie die signifikativen Elemente des Textes durchziehen. Diese erste Intervention affiziert nun weitere Interventionen, die insgesamt das Diagramm eines Textes bilden. Den perzeptiven Charakter des Denkdiagramms haben wir mit Châtelet beschrieben, wenn er die Körperlichkeit der Denkfiguren im Begriff der »Geste des Denkens« ausdrückt. Die Gesten sind Denkbewegungen, die zu Denkfiguren moduliert und etabliert werden. Eine Denkfigur kann nun auch aufgezeichnet, eingefroren werden in einem gezeichneten Diagramm, das die lineare Ordnung des Textes für eine supralineare Anordnung unterbricht. Derart entsteht ein Eigenraum im Text, der auch eine eigene Zeitlichkeit entfaltet. Denn im gezeichneten Diagramm können nicht nur die Denkfiguren kartographiert werden. Im Experimentieren auf der Fläche werden auch zeichnend neue Verteilungen von Denkfiguren und signifikativen Elementen vorgenommen. Damit ist das ge-

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zeichnete Diagramm keine äußerliche Illustration, sondern kann in das immanente Diagramm eines Textes eingreifen. In den folgenden Kapiteln soll nun in einem ersten Schritt das Denkdiagramm Descartes’ entwickelt werden. Darüber hinaus werden in einem zweiten Schritt die immanenten wie auch die gezeichneten Denkdiagramme Deleuzes erschlossen, wie sie sich in seinen philosophiehistorischen Untersuchungen zeigen. Wenn die Diagrammatik keine vom Text ablösbare Methode bildet, dann führt sie auch nicht zu irgendeiner den Text transzendierenden Allgemeinheit. Vielmehr bildet sie ein Verfahren, das sich in die Texte hineinbegibt, um in ihnen das Zusammenspiel von Denkfiguren und signifikativen Elementen aufzufinden. Dabei reduziert die Diagrammatik den Text nicht zugunsten einer These oder gar einer Aussage, sondern sie kartographiert alle Bewegungen, die den Text durchziehen: die großen Gesten wie die Zurücknahmen, die berühmten Figuren wie die Wiederholungen und Abbrüche. Besondere Aufmerksamkeit gilt schließlich auch den Bildern und gezeichneten Diagrammen, die den Text unterbrechen. Sie werden daraufhin analysiert, wie sie in den Text intervenieren, das immanente Diagramm eines Textes modulieren, oder durch ein Wissensdiagramm repräsentieren. Da die Denkdiagramme einen Zusammenhang von Denkfiguren bilden, der dem ersten Begriff einer Philosophie vorausgeht, zielt die Diagrammatik auf das Problem des Anfangs in der Philosophie. Das Problem des Anfangs beschreibt die Schwierigkeit der Selbstbestimmtheit des Denkens und damit der Kontrolle über die Voraussetzungen. So hat Descartes als »der wahrhafte Anfänger«80 unter den Philosophen dem ersten Begriff seiner Philosophie, dem Cogito, den methodischen Zweifel vorangestellt, um keinerlei explizite Voraussetzungen in die Philosophie einzuführen. Die Diagrammatik wird nun herausarbeiten, wie dieser erste Begriff Descartes’ kein voraussetzungsloser Neuanfang ist, vielmehr ein ganzes Denkdiagramm voraussetzt, das diesen ersten Begriff determiniert. Dem Cogito gehen Denkfiguren voraus, die andere Denkfiguren ausschließen und damit in Meinungen genauso wie in tradiertes Wissen intervenieren. Aus diesen Interventionen entstehen Denkräume, die die cartesische Wissenschaft vorstrukturieren. An dieser Stelle werden auch beispielhaft Zeichnungen und Abbildungen aus Descartes’ Texten in die Bestimmung des Denkdiagramms miteinbezogen. Die cartesische Konzeption des Denkens muss schließlich auch in seinen Wiederholungen als Rekonzeption (Modulation) einer vorgängigen Konzeption des Denkens analysiert werden. Denn das Denkdiagramm ist immer

80 Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, 3. Bd., S. 331.

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auch destabilisierend bis hin zu dem Punkt, wo es seine eigene Konzeption nicht mehr aufrecht erhalten wird und einem neuen Denkdiagramm weichen muss. Im Anschluss an das Denkdiagramm Descartes’ sollen ausgewählte philosophiehistorische Arbeiten von Gilles Deleuze kartographiert werden. Die Denkdiagramme in den Büchern über Spinoza und Leibniz antworten dabei auf ein Problem, das Deleuze mit dem Bild des Denkens beschrieben hat. Dabei kritisiert er diejenige Philosophie, die den Bereich des Denkens dem Bereich des Empirischen nachbildet, d.h. Strukturen des Empirischen in den Bereich des Denkens kopiert. So löst man das Denken einerseits soweit vom Empirischen ab, dass es keinerlei Interaktion mehr zwischen beiden Bereichen gibt (außer der Repräsentation). Und andererseits verliert das Denken die Möglichkeit, sich selbst im Denken zu verändern, etwas Neues zu produzieren. Die Denkdiagramme zielen nun nicht mehr auf das Empirische, da die Philosophien nicht mehr auf ihre außerphilosophischen Referenzen hin befragt werden. Die Diagrammatik konstruiert eine Ebene, auf der sich das Denken bewegt, Denkfiguren etabliert, die sich zu einem Denkdiagramm formieren und sich zu einem anderen Denkdiagramm in Widerspruch bringen. Die Denkdiagramme sind Orte der Schöpfung, an denen sich ein neues Denken ausbildet. In den Büchern über Spinoza und Leibniz wird zu zeigen sein, wie Deleuze aus der Auseinandersetzung mit einem anderen Denken ein Denkdiagramm produziert. Diese Denkdiagramme, und das ist dann die Pointe der Zusammenstellung von Descartes und Deleuze, kann man in Widerspruch zum Denkdiagramm Descartes’ bringen, wobei sich zeigen lässt, wie Deleuze die Denkfiguren Descartes’ variiert und so ein neues Denken hervorbringt. Wenn nun, um diesen Teil abzuschließen, die Diagrammatik ein Verfahren ohne vorgängiges Fundament bildet, dann wird sie sich in der Lektüre von Descartes und Deleuze auch verändern. Denn sie arbeitet nicht nur an Texten, sondern sie hängt von ihnen ab. In der Lektüre Descartes’ wird sich die Diagrammatik als repräsentationale zeigen, wenn sie das Denkdiagramm Descartes’ birgt, um dann zu dessen Repräsentationen in Wissensdiagrammen überzugehen. Denkdiagramm und Wissensdiagramm werden bei Descartes hierarchisiert und stehen in einem Repräsentationsverhältnis. Kein Wissensdiagramm, nicht einmal ein gezeichnetes Diagramm wird bei Descartes in die Verfasstheit des Denkdiagramms intervenieren. Bei Deleuze hingegen wird sich die Diagrammatik selbst ändern, wenn sie von Denkdiagrammen zu gezeichneten Diagrammen, von Wissensdiagrammen zu einem neuen Denkdiagramm übergeht. Diese interventionalistische Diagrammatik wird dann selbst die Wissensdiagramme in die Immanenz des Diagrammatischen mit einbeziehen; dann bildet die Repräsentation auch nur eine Denkfigur, die moduliert werden kann. Wenn sich das Verfahren

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selbst verändert, so wird doch eines bleiben: Der Diagrammatik des Denkens wird es immer darum gehen, die impliziten Bewegungen aufzufinden, um ein Denkdiagramm zu konstruieren. Dieses Denkdiagramm steht in einer Verbindung mit anderen Denk- und Wissensdiagrammen. Die Aufgabe der Diagrammatik wird dann darin bestehen, die unterschiedlich materialisierten Diagramme in Interaktion zu bringen und so ihren Zusammenhang zu bestimmen, indem versucht werden soll, die Veränderungen auf den unterschiedlichen Ebenen zu beschreiben.

II. Das Projekt des Anfangs in der neuzeitlichen Philosophie: Descartes’ Denkdiagramm

II.1 D ER V ATER DER MODERNEN P HILOSOPHIE . W AS HEISST ANFANGEN ? In einem Brief vom 8. Februar 1645 bedankt sich Johann Amos Komenský (Comenius) bei einem befreundeten polnischen Astronomen, Jan Hevelius, für ein übersandtes Exemplar der gerade erschienenen Principia philosophiae (Amsterdam 1644) von René Descartes, in dem er ihm einen ersten Eindruck seiner Lektüre schildert und Descartes als einen »befreundeten Menschen« 1 bezeichnet. Comenius lernt die Philosophie Descartes’ über seine Londoner Freunde um Samuel Hartlib kennen, die diese intensiv diskutierten. Diese Londoner Freunde waren es auch, die das Interesse Descartes’ auf die pansophischen Arbeiten Komenskýs gelenkt hatten. Im Jahre 1642 kam es dann zu einer persönlichen Begegnung der beiden Denker in der Nähe der holländischen Stadt Leiden im Hause Descartes’, wo sie mehrere Stunden über einige Thesen der Principia philosophiae diskutieren, mit deren Ausarbeitung Descartes gerade beschäftigt war. Diese Vorgänge erscheinen als gegenseitige Interessensbekundung zweier Philosophen, die gemeinsam diskutieren und vielleicht sogar zusammen hätten arbeiten können. Trotz alledem findet sich in den letzten Aufzeichnungen und Arbeitsnotizen Komenskýs, die er kurz vor seinem Tode geschrieben hat, der folgende Absatz: »Sollte hier – oder unter einem besonderen Titel auch etwas zu

1

Blekastad: Comenius. Versuch eines Umrisses von Leben, Werk und Schicksal das Jan Amos Komenský, S. 238f.

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den Philosophen gesagt werden? – Hierher gehört, dass der Cartesianismus das Krebsgeschwür der Philosophie ist.«2 Nicht Descartes, aber der Cartesianismus wird hier als Geschwür bezeichnet, das unaufhaltsam wächst und die gesamte Philosophie zu überwuchern droht. Das cartesianische Denken, so könnte man die Aussage des Comenius weiterinterpretieren, hat nicht zu der Befreiung des Denkens aus festgelegten Schranken beigetragen, sondern hat ihm neue Schranken auferlegt, hat dem Denken eine neue Autorität gegeben, die den Rahmen des Denkens festlegt. Eine neue Schule ist auf den Plan getreten, die Philosophie hat sich einen neuen Vater adoptiert, um den sie einen ganzen Kult erfunden hat: »Du, Vater, bist der Dinge Erfinder, du bist’s, der Vater-/ lehren uns darbringt reich, und aus deinen Blättern, Erlauchter,/ wie auf blumiger Trift die Bienen alles benaschen,/ weiden genauso wir uns ab alle goldenen Worte,/ goldene, immer zumal am würdigsten ewigen Lebens.«3

Mit diesen als Motto vorangestellten Versen huldigte Lukrez Epikur, wie auch Cicero Herodot als den »pater historiä« oder Isokrates als den »pater eloquentiä« verehrte. Der Titel des Vaters war schon den römischen Dichtern und Denkern bekannt, und stellte einen respektvollen Umgang her mit einem Vorgänger, dessen Errungenschaften dies wert waren. Diese Beispiele waren auch unter modernen Philosophen bekannt. So findet sich die Beschreibung vom »Vater der modernen Philosophie« bei nicht wenigen Philosophen, wobei bemerkenswerter Weise beinahe immer derselbe gemeint ist, wie Martial Gueroult zur feierlichen Ehrung Descartes’ anlässlich seines 300. Todestages betont: »Es gibt eine allge-

2

Comenius: Clamores Eliæ, S. 47. Klaus Schaller übersetzt in »pestilentissimus« mit »Krebsschaden« und legt damit den Akzent auf eine spezifische Artung des Denkens bei Descartes. Vgl.: Schaller: Die Pädagogik der »Mahnrufe des Elias«, S. 100. Hier kann man Komenskýs Abwehr gegen den Versuch der Entfesselung der Vernunft aus der theologischen Verhaftung anschließen und die zitierte Aussage danach interpretieren. Da sich Comenius nun aber weder direkt auf Descartes (sondern auf den Cartesianismus) bezieht, noch eine Aussage über dessen Denken trifft, erscheint mir die Übersetzung Ulrich Kunnas von »pestilentissimus« mit »Krebsgeschwür« passender, da Comenius gerade auf die Cartesianer anspielt, auf die Wucherung des cartesianischen Denkens in der Nachfolge von Descartes. Vgl.: Kunna: Das »Krebsgeschwür der Philosophie«, S. 7.

3

Titus Lucretius Carus: De rerum natura. Welt aus Atomen, S. 171.

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meine Übereinkunft, nach der alle Philosophen Descartes den Titel des Vaters der modernen Philosophie zusprechen.«4 Dies bedeutet natürlich nicht, dass sich beinahe alle Philosophen einig gewesen wären, was den Inhalt der cartesischen Philosophie betrifft. Trotzdem ist es zum Gemeinplatz geworden, Descartes als den »Vater der modernen Philosophie« zu bezeichnen.5 Hans-Peter Schütt zeichnet nach, wie sogar schon im 18. Jahrhundert aus dem »Vater der modernen Philosophie« der »Großvater der neueren Philosophie«6 und dann später bei Husserl der »Erzvater« wurde: »kein Philosoph der Vergangenheit hat auf den Sinn der Phänomenologie so entscheidend gewirkt wie Frankreichs größter Denker René Descartes. Ihn muss sie als ihren eigentlichen Erzvater verehren.«7 In Die Adoption des »Vaters der modernen Philosophie« zeigt Schütt, dass derartige Zuschreibungen, wie das Zitat aus Husserls Pariser Vorträgen schon vermuten lässt, weniger das Resultat eingehender Rezeption, als vielmehr das Produkt kalkulierter Projektion darstellen. Die Vaterschaftsbekundung muss als eine geistige Verwandtschaft gelesen werden, die nachträglich hergestellt, sozusagen adoptiert wurde. Dabei wird dann oft, wie Schütt an einigen Beispielen ausführt, die eigene Position mit dem historischen Ereignis Descartes dort vermischt, wo eine Trennung eher zum Verständnis der cartesischen Philosophie beigetragen hätte. Wovon spricht nun aber die an Descartes adressierte Vaterschaft? Was bedeutet die Wendung vom »Vater der modernen Philosophie«, und, was versteht man eigentlich unter der »modernen Philosophie«? Das deutsche Adjektiv »mo-

4

Gueroult: Descartes père de la philosophie moderne, S. 15: »C’est d’un commun accord que tous les philosophes confèrent à Descartes le titre de Père de la Philosophie moderne.« (Übersetzung A.R.) Vgl. zum Thema des Vaters auch die Klappentexte, die die bekannten Descartes-Einführungen anpreisen: Von »René Descartes gilt als ›Vater der modernen Philosophie‹.« (Perler: René Descartes) bis zu »Mit Descartes beginnt die neuzeitliche Philosophie.« (Poser: René Descartes) ist hier alles vertreten.

5

Diese Ambivalenz hebt auch John Cottingham hervor, wenn er betont: »His reputation is a strangely ambivalent one: on the one hand, the revered ›father of modern philosophy‹; on the other hand, the reviled source of such dangerous errors that the label ›Cartesian‹, by the end of the twentieth century, has for many philosophers become almost a term of abuse«. Cottingham: Descartes, S. 1.

6

Nach Hamann verdiene Descartes »die Ehre, als ein Großvater der neueren Philosophie angesehen zu werden«. Hamann: Über Descartes, S.219.

7

Husserl: Pariser Vorträge, S. 3.

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dern« ist eine Übernahme des französischen »moderne« aus dem 18. Jahrhundert, das auf das spätlateinische »modernus« zurückgeht, was »neu« bedeutet. Das lateinische Adjektiv »modernus« ist abgeleitet von dem Temporaladverb »modo«: »nur, soeben, gerade, jetzt eben, erst«. Das deutsche »modern« wurde im 18. Jahrhundert häufig als Gegensatz zu antik oder alt verwendet und bedeutete anfangs nur »neu, neuzeitlich«, wie man bei Hamanns »Großvater der neueren Philosophie« schon vermuten konnte. Unter dem Einfluss von »Mode« erhält »modern« auch die Bedeutung »dem Zeitgeschmack entsprechend« und steht dann für »modisch, elegant, vornehm«. 1890 erfindet dann Hermann Bahr den Begriff der »Moderne«8 und bezeichnete damit »die neueste Zeit« im Gegensatz zur Antike; »modernisieren« bildet dann den letzten Schritt in der Etymologie von »modern« und heißt so viel wie »dem neuesten Entwicklungsstand, dem neuesten Geschmack anpassen«.9 Die Anwendung des Begriffspaares »modern« – »antik« auf die Philosophie teilt nun die Philosophie in eine moderne oder neue, vielleicht sogar neumodische Philosophie und eine antike Philosophie, eine Philosophie der Alten. Insofern kann man in der Philosophie auch von einer Moderne und einer Antike sprechen, bleibt nur die Frage, ab wann man die Moderne ansetzt, kurz, wie man sie definiert. Nicht wenige Philosophen sind der Meinung, Hegel war »der erste Philosoph, der einen klaren Begriff der Moderne entwickelt hat«10. Nimmt man diese Aussage ernst, so erhält die Tatsache, dass Hegel zufolge die Moderne in der Philosophie mit Descartes beginnt, zusätzliches Gewicht. Hegel beginnt in seinen Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie den Artikel über Descartes mit der folgenden Passage: »René Descartes ist in der Tat der wahrhafte Anfänger der modernen Philosophie, insofern sie das Denken zum Prinzip macht. Das Denken für sich ist hier von der philosophierenden Theologie verschieden, die es auf die andere Seite stellt; es ist ein neuer Boden. Die Wirkung dieses Menschen auf sein Zeitalter und die neue Zeit kann nicht ausgebreitet genug vorgestellt werden. Er ist so ein Heros, der die Sache wieder einmal ganz von vorne angefangen, und den Boden der Philosophie erst von Neuem konstituiert hat, auf den sie nun erst nach dem Verlauf von tausend Jahren zurückgekehrt ist. Die große Wirkung, die Cartesius auf sein Zeitalter und die Bildung der Philosophie überhaupt gehabt hat, liegt vornehmlich darin, auf eine freie und einfache, zugleich populare Weise mit Hintanset-

8

Bahr: Studien zur Kritik der Moderne.

9

Vgl. den Eintrag »modern«, in: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, 2. Bd. (M-Z), S. 882.

10 Wie in diesem Fall Habermas: Der philosophische Diskurs der Moderne, S. 13.

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zung aller Voraussetzung von dem popularen Gedanken selbst und ganz einfachen Sätzen angefangen, und den Inhalt auf Gedanken und Ausdehnung oder Sein geführt, dem Gedanken gleichsam diesen seinen Gegensatz hingestellt zu haben. Mit Hintansetzung aller Voraussetzung hat er vom Denken angefangen, und zwar in Form des bestimmten, klaren Verstandes; dieses Denken kann man nicht spekulatives Denken, spekulative Vernunft nennen. Es sind feste Bestimmungen, aber nur des Gedankens, von denen er anfängt und fortgeht; dieses ist die Weise seiner Zeit. Was die Franzosen exakte Wissenschaften nannten, Wissenschaften des bestimmten Verstandes, haben mit dieser Zeit angefangen. Philosophie und exakte Wissenschaft ist nicht getrennt gewesen; erst später trat Trennung Beider ein.«11

Diese Einleitung in die cartesische Philosophie ist ein Lobgesang auf den »Heros«, der die Philosophie auf einen neuen Boden gestellt hat, indem er es wagte, ganz von vorne anzufangen. Hegel bezeichnet Descartes als den »wahrhaften Anfänger der modernen Philosophie«, wobei zu vermuten steht, dass ihm die Zweideutigkeit dieser Formulierung durchaus bewusst war. Denn er bescheinigt ihm mit »Hintansetzung aller Voraussetzungen … vom Denken angefangen«, gleichwohl kein »spekulatives Denken« entwickelt zu haben. Was am cartesischen Denken nun aber »modern« ist, es sogar die »moderne Philosophie« beginnen lässt, ist, dass es das Denken zum Prinzip gemacht habe, zu einem Prinzip der Innerlichkeit12. Eine Innerlichkeit gewinne das Denken bei Descartes, indem es alles ihm Äußerliche zurückweist – »das von sich ausgehende Denken«13: »Damit hat nun aber die Philosophie ihren eigentlichen Boden wiedergewonnen, dass das Denken vom Denken ausgeht, als einem in sich Gewissen, nicht von etwas Äußerem, nicht von etwas Gegebenem, nicht von einer Autorität, sondern schlechthin von dieser Freiheit, die darin ist: ›Ich denke.‹«14

Hier wird ersichtlich, dass Descartes mit seinem Cogito 15 den nächsten Generationen von Philosophen eine gewisse Vorarbeit geleistet hat, in der sie eine Freiheit ausgedrückt fanden. Dabei ist Hegel aber keinesfalls der erste, bei dem

11 Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, 3. Bd., S. 331f. 12 Ebd., S. 328. 13 Ebd. 14 Ebd., S. 343. 15 Das Cogito ist der Titel und die Abkürzung für den berühmten Satz Descartes’: »Cogito ergo sum«, oder auf Deutsch: »Ich denke, also bin ich«.

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sich eine produktive Aneignung des cartesischen Begriffs findet. Vor ihm müsste mindestens noch Kant genannt werden. In der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft hat Kant unter dem Titel »Deduktion der reinen Verstandesbegriffe« dem Cogito des Descartes ein Denkmal gesetzt. Hier schreibt Kant: »Das: Ich denke, muss alle meine Vorstellungen begleiten können; denn sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was gar nicht gedacht werden könnte, welches eben so viel heißt, als die Vorstellung würde entweder unmöglich, oder wenigstens für mich nichts sein.«16

Ohne viel von der Philosophie Kants zu verstehen, erahnt man doch die Wichtigkeit, die Kant dem cartesischen Cogito einräumt, indem er eine derart absolute Aussage trifft (Alle meine Vorstellungen müssen vom »Ich denke« begleitet werden können). Etwas später präzisiert Kant, »dass alle meine Vorstellungen in irgend einer gegebenen Anschauung unter der Bedingung stehen müssen, unter der ich sie allein als meine Vorstellungen zu dem identischen Selbst rechnen, und also, als in einer Apperzeption synthetisch verbunden, durch den allgemeinen Ausdruck Ich denke zusammenfassen kann.«17

Kant nimmt den Begriff des Cogito in seine Philosophie auf und betont, dass dieser die Bedingung für alle unsere Vorstellungen darstellt. Ohne diese Bedingung wären alle unsere Vorstellungen unmöglich, da es dann nicht unsere Vorstellungen wären. Wenn Kant Descartes dann auch kritisiert, mit dem Hinweis darauf, dass Descartes nicht alle Vermögen des Verstandes erfasst habe, der Verstand bei Descartes nur denke, aber beispielsweise keine Anschauungen habe18, so bestätigt Kant doch die Verortung des Cogito am Anfang der Philosophie:

16 Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 131f. 17 Ebd., B 138. 18 Die Textstelle lautet wie folgt: »Aber dieser Grundsatz ist doch nicht ein Prinzip für jeden überhaupt möglichen Verstand, sondern nur für den, durch dessen reine Apperzeption in der Vorstellung: Ich bin, noch gar nichts Mannigfaltiges gegeben ist. Derjenige Verstand, durch dessen Selbstbewusstsein zugleich das Mannigfaltige der Anschauung gegeben würde, ein Verstand, durch dessen Vorstellung zugleich die Objekte dieser Vorstellung existierten, würde einen besonderen Akt der Synthesis der [sic., des] Mannigfaltigen zu der Einheit des Bewusstseins nicht bedürfen, deren der

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»Aber für den menschlichen Verstand ist er [der Grundsatz: Ich denke] doch unvermeidlich der erste Grundsatz, so, dass er sich sogar von einem anderen möglichen Verstande, entweder einem solchen, der selbst anschaute, oder, wenngleich eine sinnliche Anschauung, aber doch von anderer Art, als die im Raume und der Zeit, zum Grunde liegend besäße, sich nicht den mindesten Begriff machen kann.«19

Friedrich Heinrich Jacobi, ein Zeitgenosse Kants, geht sogar so weit zu sagen, das ganze »System« Kants sei die »bis aufs höchste getriebene Ausführung des Cartesischen Satzes: cogito ergo sum«20. Wenn er das kantische »System« auf das Cogito zurückgeführt, erscheinen die Ausführungen Kants als Vollendung der mit Descartes beginnenden Philosophie. Dagegen legt Martin Heidegger noch stärker den Akzent auf den Anfang der Philosophie, wenn er Kant nicht einmal die Fortführung des Cogito zugesteht, da dieser, was die »Subjektivität des Subjekts«, was den Anfang der Philosophie betrifft, »dogmatisch die Position Descartes’«21 nur übernommen haben soll. Jedoch ist auffällig, dass Kant selbst den Platz des großen Neuerers der Philosophie anders besetzt. Vergeblich sucht man hier den Namen Descartes’. Vielmehr findet man den Verweis auf die großen Metaphysiker Leibniz und Locke und die wiederholte Nennung Humes als den entscheidenden Kritiker derselben: »Seit Lockes und Leibnizens Versuchen, oder vielmehr seit dem Entstehen der Metaphysik, soweit die Geschichte derselben reicht, hat sich keine Begebenheit zugetragen, die in Ansehung des Schicksals dieser Wissenschaft hätte entscheidender werden können, als der Angriff, den David Hume auf dieselbe machte. Er brachte kein Licht in diese Art von Erkenntnis, aber er schlug doch einen Funken, bei welchem man wohl ein Licht hätte anzünden können, wenn er einen empfänglichen Zunder getroffen hätte, dessen Glimmen sorgfältig wäre unterhalten und vergrößert worden.« 22

Die kantische Skizze von der Philosophie und ihrem Neuanfang sieht nun anders aus: Vor dem Neuanfang gab es die Metaphysik und die gesamte Philosophie

menschliche Verstand, der bloß denkt, nicht anschaut, bedarf.« Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 138f. 19 Ebd., B 139. 20 Jacobi: Brief an Georg Forster (20.12.1788), S. 518. 21 Heidegger: Sein und Zeit, S. 26. 22 Kant: Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, A 8.

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war metaphysisch, dogmatisch sagt Kant an anderer Stelle. Daraufhin gab es den großen Angriff David Humes, ein Ereignis, das die Philosophie qua Metaphysik in ihren Grundfesten erschüttert hat. Erst jetzt ist die Philosophie sozusagen bereit für eine Transformation, die Kant selbst durchführt, indem er selbst zum empfänglichen Zunder wird und in der Philosophie Licht werden lässt: »Ich gestehe frei: die Erinnerung des David Hume war eben dasjenige, was mir vor vielen Jahren zuerst den dogmatischen Schlummer unterbrach, und meinen Untersuchungen im Felde der spekulativen Philosophie eine ganz andre Richtung gab.«23 Aus dem dogmatischen Schlummer erwacht und zur Erneuerung der Philosophie bereit, hat Kant erst einmal alle Philosophen gruppiert. Der cartesische Standpunkt fand sich nun unter dem Titel des »skeptischen«, »problematischen« oder eben »empirischen Idealismus«, was wohl eher eine Karikatur der Philosophie Descartes’ darstellt. Einerseits, um zu resümieren, gesteht Kant dem cartesischen Cogito also zu, die Bedingung unserer Vorstellungen zu sein, des Weiteren auch die erste Grundlage des menschlichen Verstandes zu bilden. Andererseits verschweigt Kant beinahe die cartesische Philosophie, wenn er sie eher schematisch eingruppiert, was auf ein Konkurrenzverhältnis zu deuten scheint, das Kant zwischen seiner Philosophie und der cartesischen vermutet. Schütt drückt es so aus: »Descartes ist nicht der skeptische Opponent eines empirischen Realismus, als den ihn Kant hinstellt, eher ist er ein Konkurrent Kants um die bessere Widerlegung des Skeptizismus.«24 Interpretiert man die Passagen Kants auf diese Weise, so scheint auch er in der cartesischen Philosophie einen Neuanfang zu erblicken, auch wenn er denselben selbst wiederholen will, um die Transformation der Philosophie zu Ende zu bringen.25

23 Kant: Prolegomena, A 13. 24 Schütt: Die Adoption des »Vaters der modernen Philosophie«, S. 64. 25 Damit hatte Kant eine Ordnung zur Betrachtung der Philosophiegeschichte fixiert, die für die Kantianer ersten Ranges bestimmend bleiben sollte. So empfahl Karl Leonhard Reinhold denjenigen Philosophen, die »die bisherige Philosophie gründlich studieren und die Möglichkeit einer künftigen Philosophie als Wissenschaft richtiger beurteilen« wollen, neben der Kritik der reinen Vernunft die »unentbehrlichen Hauptbücher« von Locke (Essay), Leibniz (Nouveaux Essais) und Hume (Enquiry concerning Human Understanding), aber eben nicht Descartes. Vgl. Reinhold: Ausführliche Darstellung des negativen Dogmatismus oder metaphysischen Skeptizismus, S. 159-206. Zu dieser Generation von Kantianern gehörte auch Karl Heinrich Heydenreich, welcher der Philosophie Descartes’ eine Abhandlung widmete, wohl aber weniger, um dessen Leistungen zu ehren, sondern vielmehr, um seine Philosophie von dem Stand-

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Das cartesische Projekt, das Problem des Anfangs für die Philosophie gestellt zu haben, nahm auch Johann Gottlieb Fichte in seiner Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre auf. Er beginnt seine Ausführungen mit den folgenden beiden Sätzen: »Wir haben den absolut-ersten, schlechthin unbedingten Grundsatz alles menschlichen Wissens aufzusuchen. Beweisen oder bestimmen lässt er sich nicht, wenn er absolut-erster Grundsatz sein soll.26 Hier artikuliert sich die Vorstellung, dass man nach dem ersten Satz suchen muss, um mit dem Philosophieren beginnen zu können. Descartes’ erster Satz in diesem grundsätzlichen Sinn lautet: Ich denke, also bin ich. Fichte fand den folgenden: A ist A (oder: A = A).27. Dieser lässt sich nun auch so ausdrücken: Ich = Ich, oder: Ich bin Ich. Diesen wiederum kann man reduzieren auf: Ich bin. 28 Insofern wird man bei Fichte in zweifacher Hinsicht an das cartesische Projekt erinnert: einmal in dem Bestreben, einen ersten Satz zu finden, von dem die Philosophie ihren Anfang nehmen kann; andererseits in dem direkten Zitat, das einen möglichen Ausdruck des ersten Grundsatzes der Wissenschaftslehre darstellt. »Ich bin« lautet der zweite Teil des cartesischen Grundsatzes: »Ich denke, also bin ich«. Glaubt man dem Tagebucheintrag von Jens Baggesen, der mit Fichte über derlei Probleme diskutiert habe, so scheint Fichte in einem wahren Rausch gewesen zu sein, nicht nur die Philosophie auf einen ersten Satz zurückzuführen, sie also auf einen Anfang zu verpflichten, sondern eben auch diesen ersten Grundsatz auf ein einziges Wort zu reduzieren. Dabei ging es ihm darum, alles Kontingente, Empirische oder bloß Faktische aus diesem Satz zu entfernen, unter der stillschweigenden Voraussetzung, dass danach überhaupt etwas übrig bleibt. Fichtes Äußerungen werden hier wie folgt erinnert: »So schnitt Aristoteles schon ein gut Stück ab – und Cartesius so viel bis er das Cogito allein übrig behielt. ICH DENKE heißt: ich verbinde Vorstellungen – Da kam Reinhold und

punkt Kants aus zu beurteilen: »was Descartes tat, scheint mir, ich gestehe es, nicht des Geräusches wert, welches dadurch in der Welt veranlasst worden.« Heydenreich: Über die Philosophie des Descartes, v.a. S. 62-84. Schließlich kommt auch Hegel zu dem Schluss: »Es ist im ganzen wenig von seiner Philosophie zu sagen.« Vgl. Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, S. 335. Man muss aber darauf hinweisen, dass nicht Hegel selbst, sondern Karl Ludwig Michelet für die Gestalt der Vorlesungen verantwortlich ist, die er aus einem Manuskript Hegels und verschiedenen Mitschriften zusammengestellt hat. 26 Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794), S. 285. 27 Ebd., S. 286. 28 Ebd., S. 288f.

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schnitt noch mehr ab, indem Er sagte: Ich stelle vor, und so kam Er der Gattung am allernächsten – ich bekenne, dass ich nicht einsehe, wie man jetzt mehr wegschneiden könne als die Vorstellung, und diese weggeschnitten bleibt nichts zurück als das Ich! Getroffen! gefunden! vollkommen! rief er [Fichte] aus. ›Jetzt sagen sie mir Ihr erstes Prinzip, das Prinzip der gesamten Philosophie, ihren ersten Satz:‹ – Hier haben Sie ihn! Ich bin. –«29

Diese gesamte Diskussion zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Hegel Descartes als denjenigen bezeichnete, der das Problem des Anfangs als erster stellte, »der wahre Anfänger der modernen Philosophie«. In dieser Zweideutigkeit des »Anfängers«, die Hegel mit Blick auf Kant und dessen Nachfolger (möglicherweise sogar strategisch) konstatierte, entfaltete sich die cartesische Position, als einerseits diejenige, die »mit Recht« das Projekt der Erneuerung der Philosophie anging, und andererseits dabei stümperhaft vorgegangen sei. Sicher ist in all diesen Auseinandersetzungen eine gewisse strategische Schicht abzuziehen, vielleicht könnte man soweit gehen und die Aussagen Hegels nur auf die Abwertung der kantischen Philosophie beziehen, vielleicht bestünde auch die Möglichkeit, sich mit einem gewissen Recht voll und ganz auf die Seite derjenigen Kantianer zu schlagen, die die cartesische Philosophie ganz und gar als unbedeutend erachten. Aber selbst dann bliebe trotzdem noch eine sich wiederholende Referenz auf Descartes und das Problem des Anfangs in der Philosophie, sei es nun richtig oder falsch gestellt, bedeutend oder unbedeutend ausgearbeitet, der dieses Kapitel nachgehen will. Es wird zu zeigen sein, wie diese Referenz auf Descartes keine rein begriffliche ist, sondern dass hier vielmehr ein Denkdiagramm Descartes’ übernommen wird. Denn es ist nicht der Fall, dass diejenigen Philosophen, die Descartes attestieren, den Anfang in der Philosophie geschaffen zu haben, eben auch das Cogito als Anfang setzen würden. Was sie übernehmen sind die Denkfiguren Descartes, die als neuer Typ von Voraussetzung dem Denken einen Einsatz geben. Vielleicht ist das das Pestilenzartige des cartesischen Denkens, was Comenius bereits geahnt hat. Das Ziel des Kapitels wird nun sein, diese Denkfiguren bei Descartes durch eine textnahe Lektüre aufzuzeigen, denn es bleibt der Einwand, den sich Martin Heidegger vorlegte: »Aber wird mit diesen kritischen Erörterungen Descartes nicht eine Aufgabe untergeschoben und dann als von ihm nicht gelöst ›nachgewiesen‹, die ganz und gar außerhalb seines Horizontes lag?«30

29 Zitiert nach: Fichte: Nachgelassene Schriften 1793-1795, S. 13. 30 Heidegger: Sein und Zeit, S. 98.

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Vielleicht, so könnte man mit Alexander Koyré weiter argumentieren, ist Descartes gar nicht so sehr der Erneuerer der modernen Philosophie, wie es ihm immer wieder mehr oder weniger deutlich bescheinigt wurde. Vielleicht überschätzt man das Problem des Anfangs bei Descartes, schließlich kann man hinreichend begründen: »dass Descartes nicht nur Thomas und Augustin, sondern auch Bonaventura, Duns Scotus und Suarez gekannt hat. Er hat sie gekannt und ist von ihnen beeinflusst worden. Er ist ihr Schüler und setzt ihre Arbeit fort, sein natürlicher Platz ist in der Strömung der neuplatonisch-christlichen Gedankenwelt; er ist ihr vollgültiger Repräsentant. Das ist nur eine Wahrscheinlichkeit, sagten wir, doch uns kommt sie der Gewissheit gleich.«31

Dennoch muss festgehalten werden, dass Descartes in der Philosophiegeschichte auf den Anfang verpflichtet wurde, folgt man der doch ziemlich einheitlichen Referenz. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass die Philosophie notwendig einen Anfang hat, oder von einem Anfang aus argumentieren muss. Es kann sogar angefügt werden, dass Descartes selbst in der Antwort auf die ersten Einwände gegen die Meditationen die Unmöglichkeit aufzeigt, mit dem Vater anzufangen, denn auch dieser hätte wiederum einen Vater usw. Somit muss man den Unterschied betonen, der zwischen Descartes’ Vaterrolle in der Geschichtsschreibung der neuzeitlichen Philosophie und dem Anfang in Descartes’ Philosophie besteht. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels werde ich nachvollziehen, wie Descartes in seinen Texten die Idee eines Anfangs der Philosophie zuerst konstruiert. Erst der Prozess des Auffindens des Cogito wird die erste Wahrheit der Philosophie vorstrukturieren, von wo aus eine alles umfassende, einheitliche Wissenschaft ihren Ausgang nehmen kann. Indem ich dann den Übergang von Descartes’ Denkdiagramm zu seinen Wissensdiagrammen aufzeige, will ich zwei sehr unterschiedliche Positionen von Descarteskommentatoren vermitteln. Einerseits gibt es diejenige Position, die im Cogito das Fundament der cartesischen Wissenschaft sieht32 und andererseits jene Kommentatoren, die das Cogito als Fun-

31 Koyré: Descartes und die Scholastik, S. 159. Auch Ernst Cassirer versucht Descartes eher in seiner Zeit zu lesen, wenn er die epochal bedingten Analogien zwischen dem literarischen Werk Corneilles und der cartesischen Moral untersucht. Vgl.: Cassirer, Descartes. Lehre – Persönlichkeit – Wirkung, S. 71-117. 32 Siehe v.a. Gueroult: Descartes selon l’ordre des raisons.

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dament der Wissenschaft leugnen33. Letztere betonen die pragmatisch orientierte Wissenschaft bei Descartes, die gerade geistige und körperliche Aktivitäten vermischt und nicht mehr so einfach trennen lässt. Jedoch gelingt es ihnen dann nicht mehr, den Zusammenhang von Wissenschaft und Metaphysik auszuloten. Die Diagrammatik will nun aufzeigen, dass das cartesische Denkdiagramm als Fundament der Wissenschaft bereits körperliche und geistige Bestimmungen vermischt, wenn die Denkoperationen der Metaphysik in der Zeit einen Raum erschließen. Obwohl es in der Metaphysik gefunden wird, so schafft es doch wieder den Übergang zur Wissenschaft bei Descartes, wenn sich das Denkdiagramm in Wissensdiagrammen verfestigen wird. So kann das Cogito ein Anfang sein und dennoch keinen starken Dualismus von Körper und Geist aufrechterhalten.

II.2 D IE WISSENSCHAFTLICHE M ETHODE . D ENKBEWEGUNG UND E RZÄHLUNG Wir haben eine durchgängige Referenz in der Geschichte der Philosophie aufgefunden, die sich auf Descartes als denjenigen bezieht, der in der Formulierung des Cogito der neuzeitlichen Philosophie ihren Anfang geschaffen habe, von dem aus sie beginnt zu denken. Wenn wir in die Werke Descartes’ schauen, fällt jedoch auf, dass man das Problem des Anfangs und erst recht jenes »Cogito ergo sum«, mit dem Descartes den Anfang in der neuzeitlichen Philosophie macht, nicht einfach findet. Zuallererst muss deshalb konstatiert werden, dass der Anfang der Philosophie bei Descartes nicht mit dem Beginn seines Philosophierens zusammenfällt.34 Denn die ersten Texte, die er verfasst, enthalten keinen ersten Grund, welcher der Philosophie und der Wissenschaft einen Boden bereitet. Vielmehr handelt es sich hier um einige kleinere Traktate, einen über das Fechten, über Musik oder etwa einen über die Göttlichkeit seiner vorahnenden Träume einer methodengeleiteten, fundamentalen Wissenschaft35. Die erste größere

33 Vgl. hier v.a.: Gaukroger: Descartes’ System of Natural Philosophy; Clarke: Descartes’s Theory of Mind; Alanen: Descartes’ Mind-Body Composites, Psychology and Naturalism; Zittel: Theatrum philosophicum. 34 Der Anfang des Denkens ist eine logische Operation und somit nicht rein biografisch rekonstruierbar, wie das die Interpretationen von Zittel oder Grimaldi nahelegen. Vgl. Zittel: Theatrum philosophicum; Grimaldi: Descartes et ses Fables. 35 Der Traktat über das Fechten ist nicht überliefert, das Musicae Compendium liegt jedoch vor. Vgl. zu den frühen Schriften und insbesondere zur Schilderung von Des-

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Abhandlung trägt dann den Titel Regulae ad directionem ingenii (1628), ein Text, der Regeln zur Leitung und Schärfung des Ingeniums, der Geisteskraft, formuliert. Dieser blieb unvollendet und enthält aber auch noch nicht das Cogito. Zuerst im Discours de la méthode (1637), einem auf französisch verfassten Text, findet sich ausformuliert: »Je pense, donc je suis« (Ich denke, also bin ich), was den Anfang der Philosophie und die Grundlage allen Wissens bilden soll. Ab hier taucht es in fast jedem Buch in leichter Variation auf, so in den auf Latein geschriebenen und in der Sorbonne eingereichten Meditationes de prima philosophia (1641), dann in den Principia philosophiae (1644) und schließlich in der Inquisitio veritatis per lumen naturale (1647)36. Obwohl die Regulae nicht das Problem des Anfangs stellen und es noch weniger in der Formulierung des »Cogito ergo sum« lösen, explizieren sie doch die Methode, derer sich Descartes in der Herleitung des Cogito im Discours bedienen wird. Dort wird die Methode in vier Grundsätzen37 zusammengefasst, oder vielmehr vier Maximen, die den gesamten Text der Regulae voraussetzen. So werden die Voraussetzungen expliziert, die in den Discours eingehen und das Auffinden des Cogito strukturieren. Besondere Aufmerksamkeit gilt nun den Regulae, da Descartes darin einen Begriff von Denkbewegung entwirft, der die Methode zum Auffinden des Cogito anleiten wird. Wenn wir jetzt mit Descartes diesen Begriff der Denkbewegung entwickeln, sind wir noch nicht dabei, das implizite Denkdiagramm der metaphysischen Texte Descartes nachzuvollziehen. Vielmehr zeigen wir in diesem Kapitel zuerst, dass Descartes selbst die Denkbewegung als Vorbereitung des Cogito konzeptualisiert. In den Regulae sollten 36 Regeln formuliert werden, die eine Methode beschreiben, wie man zur Lösung eines Problems gelangt. Von diesen 36 Regeln sind in dem überlieferten Text jedoch nur 21 enthalten, da er unvollendet blieb. Dennoch skizziert er die Grundzüge jener Methode, die im wesentlichen darin besteht, ein Problem solange zu zergliedern, bis man auf einzelne Elemente trifft, die man intuitiv einsehen, verstehen kann. Im Anschluss daran soll man

cartes’ Träumen: Baillet: Das Leben des René Descartes. Claus Zittel schafft einen Zusammenhang zwischen einer Auslegung dieser Träume und den Bildern bei Descartes. Vgl. Zittel: Theatrum philosophicum. Selbstverständlich weist Zittel darauf hin, dass Descartes’ Träume nur durch seinen Biographen Adrien Baillet übermittelt sind, der Descartes reichlich überstilisiert. Dennoch gilt es als gesichert, dass es Träume dieser Art gab, die Descartes in seinem Philosophieren geprägt haben. 36 Genaue Stellennachweise sowie eine Diskussion der Varianten des Cogito folgen weiter unten. 37 Descartes: Discours, 2.7-2.10; AT VI, S. 18ff.

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diese Elemente in einer Denkbewegung verbinden, um den problematischen Sachverhalt zu erfassen, woraufhin man den Gedanken formulieren können muss. Hier taucht bei Descartes der Begriff der Denkbewegung auf, der dem formulierten Gedanken vorausgeht, ihn strukturiert. Explizit formuliert Descartes in der 7. Regel: »Zur Vervollständigung der Wissenschaft ist es nötig, das, was zu unserem Vorhaben gehört, insgesamt und Stück für Stück in zusammenhängender und nirgends unterbrochener Bewegung des Denkens [continuo et nullibi interrupto cogitationis motu] zu durchmustern und es in einer hinreichenden und geordneten Aufzählung [sufficienti et ordinata enumeratione complecti] zusammenzufassen.«38

Ein Schritt jener Methode, die auch im Discours zur Auffindung des Anfangs der Wissenschaft dient, führt nun hier den Begriff der Denkbewegung39 ein, an dieser Stelle mit Blick auf die Erkenntnis eines Sachverhalts. Nachdem man das Problem in seine Einzelteile zerlegt hat, die man intuitiv durchschaut (Descartes nennt Ausdehnung, Figur, Bewegung, Größe als die Elemente, aus denen sich alles zu Erkennende zusammensetzt), folgt nun der Schritt, in dem man die Elemente in einer Bewegung des Denkens zusammenfügt. Dabei soll diese Bewegung ohne Unterbrechung sein und nicht Schritt für Schritt vorgehen, und sie soll auch keine Sprünge beinhalten, damit eine kontinuierliche Bewegung die Vollständigkeit des Problems erzeugen kann. Diese kontinuierliche Denkbewegung muss anschließend in eine Erzählung münden (enumeratio ist hier der Begriff aus der Rhetorik für eine möglichst vollständige Erzählung40). Interessant ist nun, dass im lateinischen Original »cogitationis motu« steht, was im Deutschen zu Recht mit »Bewegung des Denkens« übersetzt wurde, was also

38 Descartes: Regulae ad directionem ingenii, Regel 7, S. 41; AT X, S. 387. 39 Dennis L. Sepper weist ebenfalls auf diese Stelle hin und stellt einen Zusammenhang her zwischen der diskursiven Rationalität der Meditationes und den »motion of cogitation« in den Regulae. Sepper: The texture of thought. Why Descartes’ Meditationes is meditational, and why it matters, S. 742. 40 Das Verständnis von enumeratio nicht nur als schrittweises Aufzählen, sondern vor allem auch als Erzählung findet sich auch bei Zittel: Theatrum philosophicum, S. 137. Weiterführend stellt Desmond M. Clarke eine Verbindung von enumeratio als Erzählung und der deductio bei Descartes her. Deduzieren meint hier auch eine möglichst detailreiche Erzählung. Siehe Clarke: Descartes’ Use of ›Demonstration‹ and ›Deduction‹.

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das Denken (cogitatio) mit dem Begriff der Mechanik für Bewegung (motus) zusammenbringt. Doch das ist innerhalb der Regulae problematisch, da hier der Bereich des Denkens und der Bereich der zu erkennenden Welt unterschieden werden, wobei der Begriff der Bewegung eines jener Elemente sein soll, aus denen sich die erkennbare, körperliche Welt zusammensetzt. Die Frage ist nun, warum Descartes, wenn er die Welt des Geistigen und die Welt des Körperlichen implizit trennt, den Begriff der Bewegung, der für die körperlichen Naturen reserviert zu sein scheint, auch auf das Denken anwendet. Um herauszufinden, warum Descartes hier den Begriff der Denkbewegung verwendet, ob sie eine körperliche Natur hat oder ob der Begriff der Bewegung sowohl für den Bereich des Denkens des Geistes wie auch für die körperliche Welt gilt, müssen wir uns der berühmten Regel 12 widmen, die darauf eine Antwort zu geben verspricht. Hier zerlegt Descartes das Ingenium, die Geisteskraft, in ihre Vermögen: den Verstand (intellectus), die Einbildungskraft (imaginatio), wie auch die Sinne (sensus) und Gedächtnis (memoria) aus der eine Intuition (intuitio) entstehen kann, also ein deutliches Durchschauen der einfachen Proportion. Andererseits beschreibt er hier, was die Gegenstände der einzelnen Vermögen sind. Wenn wir verstanden haben, wie diese Vermögen nun zusammenarbeiten und was ihre spezifischen Gegenstände sind, wissen wir auch, wie es sich mit den Denkbewegungen verhält. Im Durchgang durch die Erkenntnissituation schildert Descartes das Zusammenspiel und die Fähigkeiten der verschiedenen Vermögen. »In uns gibt es nur vier Fähigkeiten, die wir dazu gebrauchen können, nämlich Verstand, Einbildungskraft, Sinne und Gedächtnis. Die Wahrheit zu erfassen ist allerdings allein der Verstand befähigt, gleichwohl muss er von der Einbildungskraft, den Sinnen und dem Gedächtnis unterstützt werden, damit wir ja nichts unterlassen, was in unseren Kräften steht.«41

Das Zusammenspiel der Vermögen gestaltet sich nun wie folgt: Die Sinne empfangen passiv eine Figur von der Außenwelt, wobei diese Figur eine des Lichts, des Tons, von Duft oder Geschmack sein kann. Doch was bedeutet hier Figur? Descartes wählt das Beispiel der Farben, die wir durch die Sinne wahrnehmen und in ihre einzelnen Elemente zergliedern: »Zum Beispiel mögen sie darüber, was Farbe ist, annehmen, was sie wollen, sie werden dennoch nicht leugnen,

41 Descartes: Regulae, Regel 12, S. 75; AT X, S. 411.

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dass sie ausgedehnt ist und folglich gestaltet.«42 Jede Farbe lässt sich nun zerlegen in »ausgedehnt sein« und »gestaltet sein«, was im Lateinischen »figuratum esse« heißt. Die Figur meint bei Descartes die Gestalt eines Dings, seine Kontur. Die Kontur ist es, welche die spezielle Farbe von anderen Farben unterscheiden lässt. Sie kann weiterhin auch abgelöst, gezeichnet werden. Die gezeichneten Figuren stehen dann als Zeichen dem Verstand zur Verfügung, um Differenzen zu notieren. Weiterhin können abgelöste Konturen – gezeichnete Gestalten jedweder Art – benutzt werden, um andere Unterschiede auszudrücken. Doch kehren wir zurück zur Erkenntnissituation. Die Figur wird von den Sinnen empfangen, woraufhin sich die Sinne und auch die gesamte körperliche Disposition43 des Erkennenden verändern, man könnte vielleicht sagen: in Spannung versetzen und so die anderen Vermögen aufmerksam machen. So kann sich die Figur, die wir durch die Sinne empfangen haben, in die Phantasie eindrücken. Die vollständige Reihe lautet: Die verschiedenen Sinne empfangen unterschiedliche Daten, die sie dem Gemeinsinn weitergeben. Dieser ermittelt die eine Figur, die sich in den Sinnen noch verschiedentlich ausdrückt. Diese Figur prägt der Gemeinsinn nun in die Phantasie ein, mittels der Einbildungskraft. Anschließend wird dieser Eindruck im Gedächtnis aufbewahrt. Einbildungskraft und Gedächtnis bezeichnen hier Vermögen den Eindruck zu erzeugen und aufzubewahren, die Phantasie hingegen ist der Ort, an dem diese Vermögen tätig sind. Descartes führt aus, »dass diese Phantasie ein wirklicher Teil des Körpers ist und von solcher Größe, dass seine verschiedenen Abteilungen sich mit mehreren voneinander verschiedenen Figuren bekleiden können und sie gewöhnlich längere Zeit aufbewahren. In diesem Falle ist sie [die Phantasie] gerade das, was man das Gedächtnis nennt.«44

Dazu ergänzt Descartes noch in Regel 14, »dass die Phantasie selbst mitsamt den in ihr hervortretenden Ideen nichts anderes sei als ein wahrer und realer, ausgedehnter und gestalteter Körper.«45 Ist die Phantasie nun aber bei Descartes ein

42 Descartes: Regulae, Regel 12, S. 77; AT X, S. 413. 43 Eine Untersuchung, die Zusammenhänge und Unterschiede der Diskussion des Begriffs der körperlichen Disposition im 17. Jahrhundert und dem Dispositiv bei Foucault wie auch dem Diagramm bei Deleuze herstellt, könnte sehr fruchtbar für die Diskussion einer Diagrammatik des Denkens sein, würde aber den Rahmen dieser Arbeit sprengen. 44 Descartes: Regulae, Regel 12, S. 79ff; AT X, S. 414. 45 Descartes: Regulae., Regel 14, S. 123; AT X, S. 441.

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Körper und damit die Ideen, die in ihr erzeugt und aufbewahrt werden, selbst auch körperlich, dann wird verständlich, warum Descartes von der Gestalt eines Dinges über die körperlichen Ideen zu den gezeichneten Figuren übergehen kann, da sie alle eine Materialität haben, die spezifisch gestaltet ist. So schließt sich dann der Kreis der Repräsentation, indem die gezeichnete Figur die Idee einer Figur repräsentiert, die wiederum die Gestalt eines Dinges repräsentiert, wobei die Gestalt eines Dinges wiederum die gezeichnete Figur repräsentieren kann und immer so fort. Treffender als das Bild des Kreises wäre wohl eher dasjenige einer Spirale, die ihren eigenen Anfang verwischt, also die Bewegung des Kreises, die einmal vollzogen, den Anfang variiert. Das ist die Verkettung der Figuren, die sich in der Ordnung der Körper vollzieht. Weiterhin »muss man sich vorstellen, dass die bewegende Kraft bzw. die Nerven selbst im Gehirn entspringen, in dem sich die Phantasie befindet, von der sie verschiedenartig bewegt werden wie der Gemeinsinn vom äußeren Sinne oder wie die ganze Schreibfeder von ihrem unteren Ende. Dies Beispiel zeigt auch, wie die Phantasie viele Bewegungen in den Nerven verursachen kann, von denen sie gleichwohl gar keine Bilder in sich ausgeprägt findet, dafür aber ganz andere, aus denen jene Bewegungen folgen können; denn die ganze Schreibfeder bewegt sich nicht wie ihr unteres Ende, ja im Bereich ihres oberen Endes rückt sie augenscheinlich in einer ganz anderen und entgegengesetzten Bewegung vor. Von hier aus lässt sich auch verstehen, wie die Bewegungen anderer Lebewesen alle entstehen können, obwohl man ihnen überhaupt keine Erkenntnisse, sondern nur rein körperliche Phantasie zubilligt; ebenso auch, wie in uns alle jene Handlungen zustande kommen, die wir ohne jeden Beistand der Vernunft ausführen.«46

Die Phantasie versetzt den Körper in Bewegung, aufgrund der Vorstellung, die sie sich macht, derart, dass sie vom Gehirn aus die Nerven in Bewegung versetzt. Das führt dazu, dass sich der Körper bewegt. Für das Projekt einer Diagrammatik des Denkens besonders interessant ist nun die Unterscheidung wie auch der Übergang von der extensiven, gezeichneten Figur einerseits zu der intensiven, kontinuierlichen Bewegung andererseits. Die Einbildungskraft erzeugt eine Gestalt, die mit den Gestalten, die sich im Gedächtnis finden, abgeglichen werden. Hier wird nun die eingegebene Figur mit den Gedächtnisinhalten abgeglichen. Je nach der damit verbundenen Assoziation reagiert der Körper: Feuer = heiß Æ fliehen; Tiger = Gefahr Æ rennen; Ball = rund Æ treten. Der Abgleich mit dem Gedächtnis führt dazu, dass der Körper die adäquate und eingeübte Bewegung vollführt. Während also die Bewegung daraus resultiert, dass die geisti-

46 Ebd., Regel 12, S. 81; AT X, S. 414f.

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gen Vermögen zusammenspielen und einen Impuls an die Nerven weitergeben, die wiederum die Muskeln bewegen, so gehen die Gestalten von den erkannten Körpern über die Sinne, den Gemeinsinn und die Einbildungskraft ins Gedächtnis, wo sie verglichen und aufbewahrt werden. Das wird nun aber nur dadurch gewährleistet, dass die Vermögen ihren Ort in der Phantasie haben, welche selbst körperlich ist. Doch wie verhält es sich nun mit dem Denken? Wieso kann das Denken in Bewegung sein und vielleicht sogar extensive Figuren nutzen? Auf die Beschreibung der unbewussten Phantasie folgt in der Beschreibung der Erkenntnis der bewusste Verstand, oder wie Descartes sagt, die Geisteskraft, das Ingenium. Hier wird der körperliche Zirkel der Figuren durch die Reihe der geistigen Erkenntnis unterbrochen. Descartes konstatiert, dass die Kraft, durch die wir die Dinge im eigentlichen Sinne erkennen, rein geistig ist. Die Geisteskraft zeichnet aus, »dass sie eine einzige ist, die einmal zugleich mit der Phantasie Figuren vom Gemeinsinn empfängt, ein andermal sich denen zuwendet, die im Gedächtnis aufbewahrt sind, oder auch neue bildet, von denen die Einbildungskraft so besetzt wird, dass sie oft nicht ausreicht, zugleich Ideen vom Gemeinsinn aufzunehmen oder sie an die bewegende Kraft [vim motricem] gemäß der natürlichen Einrichtung des Leibes weiterzuleiten. Bei all diesem leidet die erkennende Kraft [vis cognoscens] manchmal, manchmal handelt sie und ahmt einmal das Siegel, einmal das Wachs nach; was hier jedoch nur als Analogie zu nehmen ist, denn in den körperlichen Dingen findet man nichts, was diesem Vorgang in jeder Beziehung ähnlich wäre. Und so ist es eine und dieselbe Kraft, deren Handlung, wenn sie sich zugleich mit der Einbildungskraft dem Gemeinsinn zuwendet, »Sehen«, »Berühren« usw. genannt wird, wenn der Einbildungskraft allein, sofern diese verschiedene Figuren angenommen hat, »Sich Erinnern« genannt wird, wenn sie sich ihr zuwendet, um neue zu zeichnen »Sich etwas Einbilden« oder »Begreifen« heißt, wenn sie schließlich allein handelt, »Verstehen« genannt wird; wie diese Letztere geschieht, werde ich an seinem Ort ausführlicher darstellen.«47

Die vis cognoscens, die begreifende Kraft, ist die Kraft, die überhaupt erst die Erkenntnis möglich macht. Von ihr wird unterstellt, dass sie rein geistig und eine, also einheitlich ist. Sie wird unterschieden von der vis motrix, der bewegenden Kraft, welche wiederum dafür sorgt, dass die körperliche Einbildungskraft ihre Eindrücke in Bewegungen des Körpers übersetzt. Analog zur Kraft, die macht, dass sich der Körper bewegt, gibt es nun noch eine geistige Kraft, die macht, dass etwas begriffen wird. Begreifen heißt nun bei Descartes, dass Fi-

47 Descartes: Regulae, Regel 12, S. 81f; AT X, S. 415f.

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guren von der Einbildungskraft oder aus dem Gedächtnis sich in den Geist einprägen.48 Andererseits heißt Begreifen aber auch Figuren in der Einbildungskraft bilden, was wiederum zu Bewegungen des Körpers führt. So kann man nun unterscheiden zwischen der Tätigkeit der vis cognosco, dem Begreifen und dem, was es begreift, der cognitio. So müsste man übergehen von den extensiven Figuren, wie sie sich in der körperlichen Welt finden, zu den intensiven Figuren, den Denkfiguren. Wie auch die cogitatio, das Denken, die extensive raumergreifende Bewegung inkorporiert, und durch intensive Bewegungen seine Tätigkeit vollführt, denkt, indem das Denken Bewegungen vollführt, die das Gedachte strukturieren, was uns die körperliche Welt begreifen lässt. Denn der Gedanke, auf den es Descartes hier ankommt, lautet folgendermaßen: Während die Tiere die Gestalten nur passiv aufnehmen und dementsprechend reagieren können, so können Menschen auch selbst Figuren formen und Bewegungen aktiv initiieren, auch wenn es keinen direkten äußeren Grund gibt, auf den die Bewegung des Körpers direkt reagiert. Dieses formende Moment der vis cognosco kann nur so verstanden werden, dass sie selbst Figuren erschafft, indem sie die Bewegungen des Denkens ins Denken derart eingräbt, dass sich eine intensive Denkfigur ergibt, die wiederum durch die vis motrix in Bewegungen des Körpers übersetzt werden kann und zu einem spezifischen Umgang mit den extensiven Figuren führt. Wie man aber nun in Gedanken eine neue Figur zeichnet, das soll nach Descartes an anderer Stelle erläutert werden, wird de facto aber in den Regulae nicht weiter ausgeführt. Fassen war aber noch einmal den Unterschied von extensiv und intensiv zusammen. Während Descartes den Begriff der Bewegung für die körperliche Welt zu reservieren scheint, so taucht er dennoch in der Bestimmung des Denkens auf. Damit hat sich der Begriff verdoppelt. Diese Doppelung fasse ich durch die Bestimmungen von Extensivität und Intensivität. Eine extensive Bewegung vollzieht ein Körper im Raum. Diese kann auch unterbrochen sein. Desweiteren führt sie gerade nicht zur Vermischung von Körpern, sondern beschreibt die Ortsveränderung eines Dings. Eine intensive Bewegung ist eine Bewegung des Denkens, die eine körperliche Bewegung nachvollzieht. Der Nachvollzug ist dabei eine kontinuierliche Operation, die in feste Entitäten des Denkens interveniert und diese verändert. Eine Denkbewegung vollzieht sich so, auch im Rahmen von Descartes’ Regulae, in der Zeit und schafft Denkräume. Eine kon-

48 Cognitio muss hier mit Begreifen übersetzt werden, nicht mit Erkenntnis, wie das die an Kant orientierte und damit anachronistische Übersetzung durch Lüder Gäbe tut. Denn Descartes meint hier ein unsinnliches Wahrnehmen und Formen gleichermaßen, was aber noch nicht die einseitige kantische Erkenntnissituation voraussetzt.

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krete Figurierung einer Denkbewegung wird als intensive Figur bezeichnet, die sich dann auch in extensiven Figuren ausdrücken kann. Nun sind wir beim Ingenium angekommen, wenn Descartes diesen Punkt abschließend der körperlichen Phantasie die Geisteskraft entgegenstellt, und deren Wechselbeziehung wie folgt zusammenfasst: Diese vis cognoscens »ist ›Ingenium‹, wenn sie bald neue Ideen in der Phantasie zeichnet, bald sich mit den bereits gezeichneten beschäftigt. Und wir betrachten sie als tauglich für jene ganz entgegengesetzten Handlungen, und zwar wird der Unterschied in diesen Bezeichnungen im Folgenden zu beachten sein. Wenn der aufmerksame Leser sich dieses alles so vorgestellt hat, wird er leicht daraus entnehmen, welche Hilfen von jedem einzelnen Vermögen gefordert werden müssen und wieweit die Kräfte des Menschen [hominum industria] vergrößert werden können, um die Mängel seiner natürlichen Erkenntniskraft auszugleichen.«49

Die begrifflichen Unterschiede zwischen den Tätigkeiten der Phantasie und des Ingeniums habe ich versucht über die extensiven und die intensiven Bewegungen und Figuren zu rekonstruieren, denn Descartes bleibt diese schuldig.50 Auffällig ist aber der Plural der Kräfte des Menschen, welche die Vermögen zur Entfaltung bringen und die so noch eine dritte Klasse zwischen den körperlichen Dingen und den geistigen Vermögen bilden. Die Kräfte produzieren neue Bewegungen und Figurationen, denn wie anders soll man verstehen, dass die vis cognoscens zeichnet, als dass sie in einer Bewegung eine Figur entwirft. So nimmt sich auch das Projekt der Regulae als ein solches aus, das dem Kraftwerk des Menschen (hominum industria) zur Produktion verhilft, indem sie die Bewegungen des Denkens wie der Körper rekonstruiert und in einen Zusammenhang bringt. Es hebt dabei die produktive, gestaltende Kraft der Denkbewegungen hervor, die von der Erschaffung neuer Denkfiguren bis zur Herstellung neuer Körper reichen wird. Die Denkbewegung meint hier die Herstellung eines Zusammenhangs, der die Elemente in eine Ordnung bringt und selbst nur in der Bewegung besteht. In der Ordnung der Bewegung verändern die Elemente ihren Zustand, wenn sie diese verkörpern. Die Bewegung verändert aber nicht nur die Elemente, sondern

49 Descartes: Regulae, Regel 12, S. 83; AT X, S. 416. 50 Auch Claus Zittel nimmt den Doppelcharakter von extensiven und intensiven Bewegungen in die Bestimmung der Aktivität des Ingeniums der Regulae mit hinein, wenn er es als »physio-psychisch agierendes … Vermögen« beschreibt. Vgl. Zittel: Theatrum philosophicum, S. 84. Damit wird das Ingenium dem gestischen Denken Châtelets vergleichbar, was wir mit dem Begriff der Denkbewegung ausdrücken.

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auch eine gegebene Gestalt, eine fertige Figur, die sie in ihre Elemente auflöst und diese in einen neuen Zusammenhang bringt, wenn sie in einer neuen Bewegung verbunden werden. Hier erscheint der Zusammenhang von Denkdiagramm und Wissensdiagramm auch im Denken von Bewegung und Figur bei Descartes. Ist für Descartes die Figur aber erst einmal nur dem Bereich der Repräsentation zugeschlagen, so will ich ihn im Folgenden auch für die Denkbewegungen verwenden. Denn mit Lyotard kann man eine neue, abweichende Denkbewegung als Denkfigur bezeichnen. Schließlich wäre das auch an die Regulae anschließbar, wie ich es oben mit dem Begriff der intensiven Figur zu verdeutlichen versuchte.

II.3 M ETAPHYSIK . D IE D ENKFIGUREN D ESCARTES ’ Während wir das Cogito in den Regulae noch nicht finden konnten, so verspricht der Discours de la méthode derjenige Gründungstext der neuzeitlichen Philosophie zu sein, der mit dem Cogito in der Philosophie einen neuen Anfang schafft. Zu fragen bleibt jedoch, wie man nun die Regulae einordnen kann, stehen sie doch zeitlich vor jenem Anfang. Durch den Begriff der Denkbewegung findet man den Übergang. Sind die Bewegungen des Denkens zuerst noch in die Erkenntnissituation eingebettet, also in die Erkenntnis körperlicher Gegenstände, so werden sie nun in Bezug auf geistige Gegenstände thematisiert, und damit ist vollzogen, was in den Regulae nicht mehr formuliert ist. Den Discours nennt Descartes nun explizit eine Erzählung (une histoire) und eine Fabel51: »Da ich aber diese Schrift nur als einen Bericht [une histoire] vorlege oder – wenn sie lieber wollen – als eine Fabel, worin unter manchen nachahmenswerten Beispielen sich vielleicht auch einige andere finden werden, denen man mit gutem Grund nicht folgt, so hoffe

51 Nicolas Grimaldi rekurriert sehr stark auf diese Stelle und leitet daraus ab, dass die gesamte Metaphysik Descartes’ auf der Einbildungskraft beruht, was, wie ich im Folgenden zeigen will, zu kurz greift. Denn während die Einbildungskraft, wie vorher in den Regulae gezeigt, sich auf die extensiven Figuren richtet, so haben wir es hier in der Metaphysik mit den intensiven Denkfiguren zu tun. Das Verhältnis von intensiven und extensiven Figuren zu klären, soll ein Ziel dieser Arbeit sein, kann aber nicht damit erledigt werden, dass man diesen Unterschied wegwischt. Vgl.: Grimaldi: Descartes et ses fables.

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ich, sie wird einigen nützlich sein, ohne jemandem zu schaden, und jeder wird mir für meinen Freimut Dank wissen.«52

Descartes will seinen Discours also explizit nicht als Abhandlung oder Unterweisung verstanden wissen, sondern als Erzählung, als enumeratio. Wenn wir das zusammenlesen mit der enumeratio der Regulae, dann bildet die Erzählung den letzten Schritt der Methode. Die Denkbewegungen fassen die Einzelelemente zusammen, erzeugen einen Zusammenhang, der dann in eine Erzählung münden muss. Und auch die Denkbewegungen finden sich im Discours des Öfteren gekennzeichnet in der Metapher der Wege des Denkens: »Allein ich werde in diesem Bericht gern aufzeigen, welches die Wege sind, denen ich gefolgt bin, und so mein Leben wie auf einem Gemälde darstellen«53. Die Wege stehen hier für die Bewegungen des Denkens, die in dieser Erzählung sukzessive nachvollzogen werden können, wobei die Erzählung als Ganzes ein Gemälde dieser Denkbewegungen darstellt. Insofern gibt es hier eine zeitliche Konstellation, die uns an das Verhältnis von Denkbewegungen und Denkdiagramm erinnert. Während die Denkbewegungen nachvollzogen werden müssen, so liegt dem gesamten Text ein Diagramm des Denkens zugrunde, das die Denkbewegungen und die diskursiven Elemente anordnet und ineinander intervenieren lässt. So werden wir auch hier versichert, dass die Wege, auf denen wir Descartes folgen, ein Gemälde, ein Ganzes ergeben, dass sich aus diesen Wegen zusammensetzt. Wenden wir uns nun der Konstruktion des Anfangs der Philosophie zu, indem wir das Denkdiagramm Descartes’ herausarbeiten. Die erste Aussage des Discours lautet nun aber nicht »Ich denke also bin ich« – diese, soviel kann bereits vorweggenommen werden, fällt erst im vierten Teil, da Descartes zuallererst die sie ermöglichenden Denkbewegungen auffinden und in Denkfiguren etablieren muss – sondern folgendermaßen:

52 Descartes: Discours de la méthode, S. 7; AT VI, S. 6. Vgl. hierzu auch den Brief Descartes’ an Mersenne vom März 1637: »Ich habe nicht ganz verstehen können, was sie gegen den Titel einwenden; denn ich sage nicht ›Abhandlung von der Methode‹ (»Traité de la méthode«), sondern ›Erzählung über die Methode‹ (»Discours de la méthode«), was soviel heißt wie ›Vorbericht‹ (»Préface«) oder ›Nachricht (»Avis«) von der Methode‹, um darauf hinzuweisen, dass ich nicht die Absicht habe, sie zu lehren, sondern nur über sie reden will«. AT I, S. 349. 53 Descartes: Discours, S. 7; AT VI, S. 5.

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»Der gesunde Verstand ist die bestverteilte Sache der Welt; denn jedermann glaubt, so wohl damit versehen zu sein, dass selbst einer, der in allen anderen Dingen nur sehr schwer zu befriedigen ist, für gewöhnlich nicht mehr davon wünscht, als er besitzt.«54

Dieser erste Satz bezieht sich auf einen Witz und wendet ihn in eine Aussage über das Sein.55 Dieser Witz geht wie folgt: Alle Menschen beschweren sich über einen Mangel an Gedächtnis, Vorstellungskraft, an Gehör- oder Sehsinn, jedoch würde sich nie jemand über einen Mangel an Verstand beschweren. Die Operation Descartes’ besteht nun darin, aus diesem Witz eine Aussage über die Konstitution des Menschen vorzunehmen: Alle Menschen besitzen zu gleichen Teilen Verstand. Daraus entsteht nun ein Problem, da man nämlich erklären muss, wieso sich die Menschen streiten und doch allzu oft uneinig sind. Denn wenn alle Menschen gleichermaßen mit Verstand begabt sind, dann müssten sie sich doch über verstandesmäßige Inhalte einigen können. Descartes nimmt diesen Einwand direkt auf: Die Verschiedenheit unserer Meinungen rührt also nicht daher, »dass die einen vernünftiger sind als die anderen, sondern nur daher, dass wir unser Denken in verschiedenen Bahnen bewegen [nous conduisons nos pensées par diverses voies]« ... »und die nur sehr langsam vorgehen, können sehr viel weiter kommen, wenn sie immer dem geraden Weg folgen, als es denen gelingt, die laufen und vom Wege abirren.«56

Es ist nicht der Mangel an Verstand, der die Menschen streiten lässt, sondern, dass sie ihr Denken in jenen Bahnen bewegen, d.h. verschiedene Denkbewegungen vollziehen und so zu unterschiedlichen bedeutungszuschreibenden Aussagen gelangen. Das Projekt des Discours besteht nun darin, die Denkbewegungen zu begradigen, sie also zu ganz bestimmten Denkfiguren zu formen und alle anderen Denkbewegungen auszuschließen. So fordert diese erste Aussage nun auch die erste Denkbewegung, welche die Erzählung des Discours und damit das cartesische Denken vorstrukturiert: Die Erfindung eines Grundes (der Verstand), der die Verschiedenheiten (Meinungen) vereinheitlicht. Ist es hier die anthropologische Aussage über den einen Verstand aller Menschen, der garantiert, dass unsere Meinungsverschiedenheiten nur einen unterschiedlichen Gebrauch des Verstandes voraussetzen, also gerade nicht die Verschiedenheit

54 Descartes: Discours, S. 3; AT VI, S. 3. 55 Vgl. hierzu: Deleuze: Differenz und Wiederholung, S. 173. 56 Descartes: Discours, S. 3ff.; AT VI, S. 4f.

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des Verstandes postulieren, so überführt Descartes diese Denkbewegung daraufhin von der philosophischen Anthropologie in die Wissenschaft: »Von Kindheit an habe ich wissenschaftliche Bildung genossen, und da man mir einredete, dass man sich mit Hilfe der Wissenschaften eine klare und gesicherte Kenntnis alles für das Leben Nützlichen aneignen könne, so wünschte ich sehnlich, sie zu erlernen. Doch sobald ich den ganzen Studiengang durchlaufen hatte, an dessen Ende man für gewöhnlich unter die Gelehrten aufgenommen wird, änderte ich völlig meine Meinung. Denn ich fand mich verstrickt in soviel Zweifel und Irrtümer, dass es mir schien, als hätte ich aus dem Bemühen, mich zu unterrichten, keinen anderen Nutzen gezogen, als mehr und mehr meine Unwissenheit zu entdecken. ... So nahm ich mir denn die Freiheit, von meinem Fall auf alle anderen zu schließen und anzunehmen, dass es eine Lehre von der Art, wie man sie mich früher hatte hoffen lassen, auf der Welt nicht gebe.«57

Was nach Descartes die Wissenschaft, so wie er sie erlebte, vermissen ließ, war die eine Lehre, die klare und gesicherte Kenntnisse bietet, aber auch nützlich für das Leben ist. Diese eine Lehre, die alle Gebiete gleichzeitig erfasst, und die jedermann gleichermaßen vernünftig einsieht, konnte er nicht finden. Stattdessen widersprachen sich die Disziplinen und sogar in ein und derselben Disziplin waren sich Wissenschaftler nicht einig. Die Bewegung des untergeschobenen einen Grundes verschiebt sich hier zur erwünschten Vereinheitlichung der Wissenschaft, einer allgemeinen Lehre, welche die unterschiedlichsten Disziplinen eint. Doch wie könnte das geschehen? Indem Descartes von der Bewegung des einen Grundes über die Vereinheitlichung des Wissens nun die Denkfigur des Mangels installiert – die auch in den Regulae bereits aufschien: Der Mangel an einem Grund, einem Fundament der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, der auch in seiner Absenz eine angestrebte Wissenschaft vereinheitlicht. Auf ein Referat des Parcours seiner wissenschaftlichen Erfahrungen in den verschiedenen Disziplinen folgt nun die Auszeichnung zweier besonderer Wissenschaften: »Ganz besonders gefielen mir die mathematischen Disziplinen wegen der Sicherheit und Evidenz ihrer Beweisgründe, aber noch sah ich ihren wahren Nutzen nicht. Ich glaubte nämlich, dass sie nur in der Technik Verwendung fänden und war erstaunt, dass man bei so sicheren und vertrauenswürdigen Fundamenten nichts Erhabeneres darauf gebaut hatte, so wie ich umgekehrt die moralischen Schriften der Heiden des Altertums mit außeror-

57 Descartes: Discours, S. 7ff.; AT VI, S. 4f.

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dentlich stolzen und prächtigen Palästen verglich, die nur auf Sand und Staub gebaut sind.«58

Descartes verkettet die mathematisch präzise Genauigkeit und Festigkeit des einen Fundaments der Mathematik mit der Erhabenheit moralischer Aussagen in den Schriften des heidnischen Altertums über die Figur des Mangels. Den ersten ermangelt es der Erhabenheit, den zweiten des einen festen Fundaments. An der Verkettung der Wissenschaften erahnt man bereits die Konzeption einer Wissenschaft, die uns fehlt, die auf einem festen Grund erbaut ist, aus dem die erhabensten Wissenschaften erwachsen sollen, oder, um in Descartes’ Bild zu bleiben, auf deren Fundament das ganze Haus der Wissenschaft gebaut werden soll. Das Bild des Hauses verstärkt wiederum den einen Grund der Wissenschaft, das Fundament, das unsichtbar ist und auf dem alles andere aufbaut. Derart wird die Denkbewegung nun stabilisiert über die Festschreibung der Bewegung in einer Metapher. Das unsichtbare, aber einzig für Stabilität und Sicherheit sorgende eine Fundament, welches das gesamte einheitliche Haus der Wissenschaften trägt, verfestigt nun die neue Denkbewegung zur Denkfigur, die später, wie wir sehen werden, mehrfach wiederholt werden wird. Den ersten Teil des Discours beschließend, wird nun die Figur des Mangels wiederholt und eine neue Denkbewegung produziert. Descartes kommt von der Charakterisierung der verschiedenen Wissenschaften auf sein Studium der Philosophie: »Von der Philosophie will ich nur soviel sagen: Ich sah, dass sie von den ausgezeichnetsten Köpfen einer Reihe von Jahrhunderten gepflegt worden ist und daß es gleichwohl noch nichts in ihr gibt, worüber nicht gestritten würde und was folglich nicht zweifelhaft wäre; ich war also nicht so vermessen, zu hoffen, mir würde es damit besser ergehen als den anderen. Und wenn ich überlegte, wie viele verschiedene Meinungen es über einen und denselben Gegenstand geben kann, die alle von Gelehrten verteidigt werden, und dass doch immer nur eine einzige wahr sein kann, so galt mir alles bloß Wahrscheinliche für nahezu falsch.«59

Die wiederholte Figur des Mangels drückt sich wie folgt aus: Es gibt so viele plausible Meinungen, die nicht alle zugleich wahr sein können, da es nur eine Wahrheit gibt, die wir aber nicht kennen, derer es uns mangelt. Würden wir sie aber kennen, so könnte man eine Wissenschaft aufbauen, die nur aus wahren

58 Descartes: Discours, S. 13; AT VI, S. 7f. 59 Ebd., S. 15; AT VI, S. 8.

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Sätzen besteht; alles andere könnte als unwahr ausgeschlossen werden. Auf die Denkfigur des Mangels folgt so die Denkfigur des Zweifels. Descartes rät davon ab, sich mitten in das Gefecht der verschiedenen Positionen zu begeben, viel eher, so empfiehlt er, sollte man alles, was nur wahrscheinlich ist, für falsch halten. Der Übergang der Denkfiguren präsentiert sich nun wie folgt: Wenn es vielen unterschiedlichen Meinungen an dem Fundament mangelt, was die eine Wahrheit garantiert, dann bleibt einzig die Möglichkeit eines Neuanfangs, der alles, von dem man absolut sicher ist, dass es wahr ist, ausschließt, um zu der einen und ersten Wahrheit zu gelangen, welche die Einheit der Wissenschaften garantiert. Da Descartes an dieser Stelle die Wahrheit noch nicht gefunden hat, er sich also noch nicht im Bereich gesicherter Wissenschaft befindet, gehen die Argumentationen auch nicht in ihrem Wahrheitsgehalt auf. Vielmehr drücken die Denkfiguren kreative, geformte Bewegungen aus, die den Bereich der Wissenschaft zuerst vorstrukturieren. Die Denkfiguren sind somit vorrational, d.h. noch nicht diskursiv und vorbegrifflich, wenngleich sie den Bereich des Rationalen konstituieren. Das heißt aber nicht, dass sie weniger sind als eine Argumentation, sie sind im Gegenteil mehr, da sie ein Fundament der Wissenschaft und das Kriterium für Wahrheit zuallererst ausbilden. Die Operation des Textes wird sich nun in der Formung der Denkbewegungen zu konkreten Denkfiguren vollziehen, was bekannte Motive einwebt (anthropologische Hypothesen, überlieferte Themen und auch bekannte Metaphern), um durch die ganze Operation des Textes den Raum des Denkens und Wissens neu zu erkunden, wenn sich die Denkfiguren auch gegenseitig modulieren. Durch die Denkfigur des Mangels und die Denkfigur des Zweifels hat Descartes die Bedingungen für den philosophischen Diskurs des Neuanfangs geschaffen. Beginnt man mit dem Mangel des Einen, dann muss an diese Stelle das Eine treten, auf dessen Suche sich die Philosophie macht. Da diese Suche nun durch die Figur des Zweifels gestaltet wird, ist es für Descartes’ Wissenschaftsverständnis Sache der Philosophie, der fundamentalen Wissenschaft, diesen Neuanfang zu vollziehen. Schließlich wird die Figur des Zweifels auf die Konstitution des Menschen zurückgebogen, indem Descartes auf seine eigene Situation rekurriert und dabei allgemein feststellt, dass die Irrtümer, mit denen ihn das Studium der Wissenschaften infizierte, das natürliche Licht verdunkelten und unfähig machten, auf die Vernunft zu hören. Die verschiedenen, mannigfaltigen Meinungen, Einsichten und Überzeugungen können dann dazu führen, schafft man es nicht, sie ganz zu überblicken und ihnen eine Einheit zu geben, dass man gar nichts mehr klar einsieht. Descartes’ Konsequenz daraus bestand darin, dass er viel gereist ist,

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anstatt weiter Wissenschaft zu treiben, da sich in den praktischen Urteilen der Menschen mehr Wahrheit finde. So setzt Descartes noch einmal an einer anderen Stelle an, indem er nicht mehr vom Fundament her denkt, sondern von den wahren und nützlichen Urteilen her, wobei natürlich die Denkfigur dennoch aufgerichtet bleibt, nur von der anderen Seite vollzogen wird, was bereits eine andere Figur andeutet. Im zweiten Teil des Discours nimmt die Erzählung den autobiographischen Bericht wieder auf und man erfährt, dass sich Descartes nach seinen Studien nach Deutschland begab, wo er der Krönung Ferdinands von Böhmen und Ungarn zum Kaiser beiwohnte, und später am 30-Jährigen Krieg teilnahm. Als nun der Winter hereinbrach, schloss sich Descartes in der Nähe von Ulm in seine Stube ein, »ohne von Sorgen oder Leidenschaften geplagt zu sein«60, so dass Descartes »hier alle Muße fand, mich mit meinen Gedanken zu unterhalten«61. In dem Bild der abgeschlossenen Stube im kalten Winter – die Sorgen und Leidenschaften bleiben ausgesperrt, das Gespräch mit den Gedanken findet im Warmen statt – wird nun eine Trennung gesetzt, zwischen dem, was einen sorgt (die äußere Welt), und den Gedanken, zwischen einem Außen und einem Innen, die charakteristisch für das cartesische Denkdiagramm bleiben wird. Descartes fährt mit der Erzählung der ersten Gedanken fort, die ihm in der abgeschlossenen warmen Stube gekommen sind, indem er die beiden Denkfiguren des Mangels und des Zweifels wiederholt: »Einer der ersten führte mich auf die Überlegung, dass Werke, die aus mehreren Stücken bestehen und von der Hand verschiedener Meister stammen, häufig nicht so vollkommen sind wie Arbeiten eines einzelnen. So kann man beobachten, dass Bauten, die ein Architekt allein unternommen und ausgeführt hat, für gewöhnlich schöner und harmonischer sind als solche, die mehrere versucht haben umzuarbeiten, indem sie alte, zu anderen Zwecken gebaute Mauern benutzten. Ebenso sind jene alten Städte, die – anfangs nur Burgflecken – erst im Laufe der Zeit zu Großstädten geworden sind, verglichen mit jenen regelmäßigen Plätzen, die ein Ingenieur nach freiem Entwurf auf einer Ebene absteckt, für gewöhnlich ganz unproportioniert; zwar findet man oft ihre Häuser – betrachtet man jedes für sich – ebenso kunstvoll oder gar kunstvoller als in anderen Städten, – wenn man jedoch sieht, wie sie nebeneinander stehen, hier ein großes, dort ein kleines, und wie sie die Straßen krumm und uneben machen, so muss man sagen, dass sie eher der Zufall so verteilt hat und nicht die Absicht vernünftiger Menschen.«62

60 Descartes: Discours, S. 19; AT VI, S. 11. 61 Ebd. 62 Ebd., S. 19 ff.; AT VI, S. 11f.

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Es ist genau dieser Gedanke, der ihm als erstes gekommen ist, der die Denkfigur des ersten Teils aufnimmt: Dem vielfältigen, unproportionierten, zufällig Aussehenden fehlt der eine Grund, das vernünftige Fundament, welches das Ganze vereinheitlicht, ihm eine Ausrichtung und ein Maß gibt. Wenn das Ganze eines Grundes ermangelt, fehlt ihm auch das Ziel, eine Stadt, ein Land zu werden, das sich zum Guten entwickelt. Damit wird die Universalität des Mangels nochmals ausgestellt, da es nicht darauf ankommt, einem Haus in der Stadt einen Plan unterzuschieben, die ganze Stadt muss einem Plan gemäß erbaut sein, wie auch das gesamte Wissen einem Plan folgen soll, der dann eine alles umfassende Ordnung generiert. Im darauffolgenden Gedanken wird der Mangel in den Zweifel überführt, denn, so argumentiert Descartes, wenn uns die eine vernünftige Basis fehlt, dann kann alles, was wir für vernünftig halten, streng genommen nur irrtümlich sein: »Und ebenso kam mir ferner der Gedanke, dass wir ja alle einmal Kinder waren, bevor wir Männer wurden und uns lange Zeit von unseren Trieben und unseren Lehrern regieren lassen mussten, die häufig miteinander im Streit waren und uns vielleicht beide nicht immer zum Besten rieten und dass es uns deshalb fast unmöglich ist, so reine oder so begründete Urteile zu fällen, wie sie ausfallen würden, wenn wir seit dem Zeitpunkt unserer Geburt im Vollbesitz unserer Vernunft gewesen wären und nur sie uns immer geleitet hätte.«63

Auffällig ist hier, wie Descartes vom Streit zum Irrtum übergeht, denn Streit könnte ja auch für einen produktiven Austausch, für die Entwicklung eines eigenen Urteils usw. stehen. Die neue Denkbewegung aktualisiert aber nur diejenige Verwendung, die den Streit mit dem Irrtum verbindet: Wenn sich diejenigen, die uns belehren, über dasjenige, was sie uns lehren, streiten und sich damit nicht einig sind, dann können sie uns nicht die eine Wahrheit beigebracht haben, denn über die kann man nicht streiten. Insofern können wir uns unserer Urteile nicht sicher sein, da wir sie von unseren Lehrern erlernt haben, sind damit also vor Irrtümern nicht geschützt: Wenn nun die Möglichkeit besteht, dass wir denken, wir wüssten die Wahrheit, uns aber stattdessen irren, dann müssen wir uns unserer Irrtümer entledigen. Denn wer will sich schon irren, wenn er denkt, dass er etwas Vernünftiges sagt? Durch diese Suggestion ist die Denkbewegung jetzt in die richtige Richtung gedrängt und kann nun das Bild der Stadt weiter entwerfen und zum Haus des Wissens übergehen:

63 Descartes: Discours, S. 21ff.; AT VI, S. 13.

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»Freilich beobachten wir nicht, dass man alle Häuser einer Stadt niederreißt, bloß in der Absicht, sie in anderer Gestalt und mit schöneren Straßen wieder anzulegen, aber wir beobachten wohl, dass manch einer sein eigenes Haus abreißen lässt, um es wieder aufzubauen, und dass er manchmal sogar dazu gezwungen ist, wenn Gefahr droht, dass es von selbst einstürzt und seine Fundamente nicht ganz sicher sind. Ganz analog war ich überzeugt, dass es in der Tat nicht sinnvoll wäre, wenn ein Privatmann sich zum Ziel setzte, einen Staat durch eine grundlegende Veränderung aller Verhältnisse und durch einen auf Neuordnung abzielenden Umsturz zu reformieren, ja, dass es auch nicht einmal sinnvoll wäre, das System der Wissenschaften zu reformieren oder die Lehrmethoden in den Schulen, dass aber ich, bezüglich all der Meinungen, die ich bisher unter meine Überzeugungen aufgenommen hatte, nichts besseres unternehmen könne, als sie einmal ernstlich wieder abzulegen, um sie nachher entweder durch andere, bessere zu ersetzen oder auch durch dieselben, wenn ich sie an der Vernunft gemessen haben würde. Ich war der festen Überzeugung, dass es mir dadurch gelingen würde, mein Leben weit besser zu führen, als wenn ich nur auf alten Fundamenten baute und mich nur auf Grundsätze stützte, die mir in meiner Jugend eingeredet wurden, ohne dass ich je geprüft hätte, ob sie wahr sind. Denn obschon mir verschiedene damit verbundene Schwierigkeiten auffielen, so waren sie doch jedenfalls nicht ohne Abhilfe und mit denen nicht zu vergleichen, die sich bei einer Reform der geringfügigsten Staatsangelegenheit einfinden. Diese großen Körper sind schwer wiederaufzurichten, wenn sie am Boden liegen, ja sogar schwer aufrecht zu halten, wenn sie schwanken, und ihr Sturz ist allemal furchtbar. Was weiter ihre Mängel betrifft, wenn sie Mängel haben – wie denn schon ihre Verschiedenheit allein hinreichend beweist, dass einige von ihnen mangelhaft sind –, so hat die Gewohnheit sie ohne Zweifel sehr gemildert, ja sie hat sogar eine ganze Menge davon unmerklich beseitigt oder verbessert, für die unsere Klugheit nicht so gut Rat schaffen könnte; und endlich sind sie fast immer erträglicher, als es ihre Änderung sein würde, ebenso wie die großen Straßen, die sich zwischen den Bergen hinwinden, durch den Verkehr nach und nach so eben und bequem werden, dass man weit besser daran tut, ihnen zu folgen, als einen geraden Weg zu nehmen, über Felsen zu klettern und bis in die Tiefe von Abgründen hinabzusteigen.«64

Descartes überführt den Gedanken, dass eine Stadt auf einen Plan zurückgehen müsse, in die Warnung, dass daraus nun aber nicht folgen darf, dass man etwas den Gedanken Äußerliches anzweifeln darf. Damit verbindet sich auch ein Übergang von einer Denkbewegung zur nächsten, welche die Wörter neu aktualisiert. Angezweifelt werden soll nichts dem Denken Äußerliches, vielmehr wird alles, was im Denken ist, aber nicht im Denken wurzelt, angezweifelt, d.h. der Zweifel bezieht sich auf das Denken selbst. Damit wird das Bild einer äußer-

64 Descartes: Discours, S. 23ff.; AT VI, S. 13f.

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lichen Konstruktion (Stadt) erweitert zur eigenen innerlichen Konstruktion (das eigene Gebäude der Gedanken). Erst hier kann dann zum Zweifel übergegangen werden: nur die eigene Konstruktion kann für Descartes von Grund auf angezweifelt werden. Die gegenseitige Durchdringung von Zweifel und Mangel lässt Descartes nicht verschiedene Konstruktionen nebeneinander stellen, wenn dieselben nicht aufeinander aufbauen, denn das verweist, wie er sagt, auf ihren Mangel, den Mangel an dem Einen, das die verschiedenen Konstruktionen vereinheitlicht. Davon zu unterscheiden ist nun die den Gedanken äußerliche Welt, deren unproportionierte Einrichtung nicht angezweifelt werden darf; vielmehr setzt Descartes hier auf die Gewohnheit. Er führt aus, dass die Wiederholung die Unebenheiten begradigen, die Gewöhnung einen Umgang mit den Gegebenheiten finden wird. Aber das schlägt er explizit nur der dem Denken äußerlichen Welt zu. Für das Denken ist das nicht akzeptabel, was Descartes sogar dazu führt, die einfache Übernahme von Wissen als gefährlich zu deklarieren und einzig den Zweifel als zu Sicherheit in den Gedanken führend ausweist. Mit dem Wechsel der Denkfigur des Zweifels von der dem Denken äußerlichen zur ihm innerlichen Welt wurden die beiden Seinsbereiche bereits implizit geschieden, die rein geistige und die rein körperliche Welt, was dann explizit im vollständigen Vollzug des Zweifels exerziert wird. Aufgrund dieser Unterscheidung wird Descartes später argumentieren, dass die beiden Seinsbereiche auch völlig unterschiedliche Regeln besitzen. Vollständig unterschieden und hierarchisiert werden sie nun aber erst im vierten Teil des Discours, wo Descartes die Denkfigur des Zweifels wieder aufnimmt und ihre ganze Operativität entfaltet. Descartes fragt sich hier, wie er sich seiner zweifelhaften Meinungen erwehren und wie er wissen könne, dass eine Meinung von anderen, gleich plausiblen wahr ist: »Schon vor langer Zeit hatte ich bemerkt, dass man, was das Tun und Lassen betrifft, manchmal Meinungen, von denen man weiß, dass sie sehr ungewiss sind, gerade so folgen müsse, als wären sie unzweifelhaft ... da ich mich aber damals auf die Suche nach der Wahrheit begeben wollte, glaubte ich, ich müsse ganz das Gegenteil tun und all das als völlig falsch verwerfen, wofür ich mir nur den geringsten Zweifel ausdenken könnte, um zu sehen, ob danach nicht irgendeine Überzeugung zurückbliebe, die gänzlich unbezweifelbar wäre. Daher wollte ich, da unsere Sinne uns manchmal täuschen, voraussetzen, dass es nichts Derartiges gäbe, wie sie es uns glauben machen.«65

65 Descartes: Discours, S. 51ff.; AT VI, S. 31.

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Descartes spricht hier also nicht vom Finden der Wahrheit, sondern von der Suche und damit vom Ausprobieren und Experimentieren, von den Bewegungen, die seinen Weg dahin kennzeichnen. Da er sich eben noch nicht im Reich der Wahrheit und Gewissheit befindet, folgt er auch jenen Wegen, von denen er nur glaubt, dass sie ihn in die richtige Richtung leiten. Damit wird der Bereich der Denkbewegungen als vorrational klassifiziert, wenngleich er, wie ich im Fortgang zeigen will, konstitutiv für die erste Wahrheit und die Strukturierung der daraus folgenden Wissenschaft ist. Angezweifelt werden nun also nicht mehr nur die Meinungen und Aussagen, von denen man nicht ganz sicher ist, ob sie zutreffen, sondern alles, was uns die Sinne darbieten. Damit ist bereits eine Klassifikation der Dinge angedeutet in einerseits diejenigen, die sich unseren Sinnen zeigen und andererseits solche, die nicht mit den Sinnen wahrnehmbar sind. Indem alle Sinnesinhalte angezweifelt werden, konstatiert Descartes in einem Denkraum des Inneren, dass nichts von der Außenwelt wahr ist: »Endlich erwog ich, dass uns genau die gleichen Vorstellungen, die wir im Wachen haben, auch im Schlafe kommen können, ohne dass in diesem Falle eine davon wahr wäre, und entschloss mich daher zu der Fiktion [de feindre], dass nichts, was mir jemals in den Kopf gekommen, wahrer wäre als die Trugbilder meiner Träume. Alsbald aber fiel mir auf, dass während ich auf diese Weise zu denken versuchte, alles sei falsch, doch notwendig ich, der es dachte, etwas sei. Und indem ich erkannte, dass diese Wahrheit: »ich denke, also bin ich« so fest und sicher ist, dass die ausgefallensten Unterstellungen der Skeptiker sie nicht zu erschüttern vermöchten, so entschied ich, dass ich sie ohne Bedenken als ersten Grundsatz der Philosophie, die ich suchte, ansetzen könne.«66

Die Denkfigur des Zweifels wird damit ausgedehnt auf alles, was wir durch die Sinne erfahren haben. Dies geschieht, indem unterstellt wird, dass alle unsere Sinneseindrücke auch von Träumen stammen könnten, wir also kein Kriterium zur Unterscheidung haben zwischen wahren Sinneseindrücken und jenen, denen eine traumhafte Natur eignet. Deshalb vollzieht Descartes die Fiktion, dass alle unsere Sinneseindrücke falsch seien. Dieser fiktiven Denkfigur entspricht nun kein körperlicher Zusammenhang, sie ist reine Bewegung, welche die Inhalte des Denkens affiziert. Diese Affektion schließt alles, was wir für wahr halten, aus, nur eben nicht, dass wir, die wir für wahr halten, zweifeln usw., Bewegungen vollziehen. Wir müssen etwas sein, können nicht aus dem Denken ausgeschlossen werden. Nachdem der Zweifel nun bis zu demjenigen getrieben ist, der zwei-

66 Descartes: Discours, S. 53; AT VI, S. 31f.

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felt, ist die Denkfigur vollständig vollzogen. Die erste unanzweifelbare Wahrheit scheint gefunden; ein neuer Diskurs ist geboren, derjenige des Cogito als dem Fundament der Wissenschaft vom Geist und von den Dingen: »Sodann untersuchte ich aufmerksam, was ich denn bin, und beobachtete, dass ich mir einbilden könnte [pouvais feindre], ich hätte keinen Körper und es gäbe keine Welt noch einen Ort, an dem ich mich befinde, dass ich mir aber darum nicht einbilden könnte, dass ich selbst nicht wäre; ganz im Gegenteil sah ich, dass gerade aus meinem Bewusstsein, an der Wahrheit der anderen Dinge zu zweifeln, ganz augenscheinlich und gewiss folgte, dass ich bin, sobald ich dagegen nur aufgehört hätte zu denken, selbst wenn alles übrige, dass ich mir jemals vorgestellt habe, wahr gewesen wäre, ich doch keinen Grund mehr zu der Überzeugung hätte, ich sei gewesen. Daraus erkannte ich, dass ich eine Substanz bin, deren ganzes Wesen oder deren Natur nur darin besteht, zu denken und die zum Sein keines Ortes bedarf, noch von irgendeinem materiellen Dinge abhängt, so dass dieses Ich, d.h. die Seele, durch die ich das bin, was ich bin, völlig verschieden ist vom Körper, ja dass sie sogar leichter zu erkennen ist als er, und dass sie, selbst wenn er nicht wäre, doch nicht aufhörte, alles das zu sein, was sie ist.«67

Der Diskurs des Cogito hebt an mit der Unterscheidung von Geist und Körper. Vom Körper habe ich zuallererst kein sicheres Wissen, ich kann mir vorstellen, dass es ihn nicht gibt. Was ich mir aber nicht vorstellen kann, ist, dass ich es nicht war, der gezweifelt hat. Hätte ich aber wirklich nicht gezweifelt, so hätte ich auch kein sicheres Wissen, dass es mich gibt. Insofern hat die Denkfigur diese Erkenntnis überhaupt erst ermöglicht und eben auch grundlegend strukturiert. Denn indem durch den Zweifel Innen und Außen des Denkens geschieden wurden, fiel hier bereits die Entscheidung, dass es zwei Bereiche gibt, die ihr Sein allein aus sich generieren, nicht vom jeweils anderen abhängen. Für den Geist lautet nun das Argument: Wenn ich es war, der zweifelt, dann muss ich auch gewesen sein. Diese klare und deutliche Einsicht findet sich nun auf den Körper angewendet, wenn Descartes die vorher angedeutete Denkfigur der Klarheit an dieser Stelle voll entwickelt: »Darauf erwog ich im allgemeinen, was erforderlich ist, damit ein Urteil wahr und gewiss sei; denn soeben hatte ich ja eines gefunden, von dem ich wusste, dass es diese Eigenschaft besitzt, und meinte daher, ich müsse ebenfalls wissen, worin diese Gewissheit besteht. Nun hatte ich beobachtet, dass in dem Satz: »Ich denke, also bin ich« überhaupt nur dies mir die Gewissheit gibt, die Wahrheit zu sagen, dass ich klar einsehe, dass man, um

67 Descartes: Discours, S. 53ff.; AT VI, S. 32f.

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zu denken, sein muss, und meinte daher, ich könne als allgemeine Regel annehmen, dass die Dinge, die wir ganz klar und deutlich begreifen, alle wahr sind, dass aber nur darin eine gewisse Schwierigkeit liege, richtig zu merken, welche es sind, die wir deutlich begreifen.«68

Die Denkfigur der Klarheit gibt dem Diskurs des Cogito eine weitere Strukturierung: Nur was ich klar einsehe, was sich mir klar und deutlich zeigt, das hat auch ein Sein. So wie ich klar einsehe, dass ich denke, woraus folgt, dass ich in diesem Moment auch existieren muss, so trifft das auch auf alle anderen Sachen zu, die ich klar einsehe. Aus der Herleitung des Cogito wird das Kriterium für Wahrheit abgeleitet, dass all das wahr ist, was man klar und deutlich einsieht. Dieses Kriterium gilt für alle geistigen und körperlichen Naturen gleichermaßen und begründet damit die Wissenschaft der Einsichten. Descartes hat aber selbst bemerkt, dass dieses Kriterium ungenügend ist, weil man es nicht gut unterscheiden kann vom Für-wahr-halten, vom Glauben, nicht einmal vom Träumen. Wenn ich nun aber dieses Kriterium nicht besser definieren kann, dann kann ich auch keine gewissen Einsichten klassifizieren. Desweiteren ist auch das Cogito argumentativ nicht zu rechtfertigen. Das Argument lautete, dass, wenn ich gezweifelt habe, ich auch gewesen sein muss, woraus abgeleitet wurde, dass ich jetzt bin. Dagegen spricht, was Descartes in der Wiederholung des Ereignisses des Cogito in den Meditationes sich selbst vorwerfen wird, dass ein höheres geistiges Wesen denkbar ist, welches mir nur vorspielt, dass ich zweifle, ich vielleicht in Wirklichkeit gar nicht selbst denke, und man könnte noch weiter gehen: ich vielleicht sogar an eine Maschine angeschlossen bin, die denkt und Individuationen dieses Denkens spontan suggeriert und wieder zusammenfallen lässt. Auch das zeitliche Problem wird sich Descartes später selbst vorlegen: Daraus, dass ich gewesen bin, folgt nicht, dass ich jetzt bin. Auch hier wird erst ein göttliches Wesen absichern müssen, dass die Zeit kontinuierlich verläuft und dass ich vorher und jetzt der Gleiche bin. Um nun die Trennung von denkendem und körperlichem Sein, sowie deren Identität zu garantieren, greift Descartes direkt im Anschluss auf den ontologischen Gottesbeweis zurück: »Als ich mir nun weiter überlegte, dass ich zweifelte, dass also mein Wesen nicht ganz vollkommen wäre, – denn ich sah klar, dass Erkennen eine größere Vollkommenheit ist als Zweifeln – wurde ich auf die Untersuchung geführt, woher mir der Gedanke an ein vollkommeneres Wesen als ich gekommen sei, und erkannte deutlich, dass er von einem Wesen herrühren müsse, das in Wirklichkeit vollkommener ist. Was die Vorstellungen be-

68 Descartes: Discours, S. 55; AT VI, S. 33.

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trifft, die ich von einigen anderen Dingen außer mir hatte, wie vom Himmel, von der Erde, vom Licht, von der Wärme und von tausend anderen, so war ich bei ihnen nicht in Verlegenheit zu wissen, woher sie kämen, denn da ich nichts in ihnen bemerkte, was sie mir vortrefflicher zu machen schien, als ich es bin, konnte ich annehmen, dass sie, sollten sie wahr sein, von meiner Natur abhängen, soweit sie einige Vollkommenheit in sich schließt, und dass ich sie, sollten sie es nicht sein, dem Nichts verdanke, d.h. dass sie nur wegen meiner Mängel in mir sind. Aber das konnte auf die Vorstellung von einem vollkommeneren Wesen als ich nicht zutreffen; denn sie dem Nichts entlehnen, das ist augenscheinlich unmöglich, und da es sich nicht weniger widerspricht, dass das Vollkommenere aus dem weniger Vollkommenen folge und davon abhängig sei, als das etwas aus nichts hervorgeht, so konnte ich sie nicht von mir selbst haben, so dass nur übrigblieb, dass sie von einem in Wahrheit vollkommeneren Wesen, als ich es bin, in mich gepflanzt worden ist, von einem Wesen, das sogar all die Vollkommenheiten in sich birgt, von denen ich mir eine Vorstellung machen konnte, d.h. um es mit einem Wort zu sagen, von Gott. Hinzu kam, dass ich ja gewisse Vollkommenheiten erkannte, die ich selbst nicht besaß, und dass ich daher nicht das einzige Wesen war, das »existierte« (ich werde hier mit Ihrer Erlaubnis so frei sein, die scholastischen Termini zu benutzen), sondern dass es notwendig noch ein anderes vollkommeneres Wesen geben müsse, von dem ich abhänge, und von dem ich all das empfangen hatte, was ich besaß.«69

Durch die Figur des Mangels wird hier die Figur der Klarheit präfiguriert. Zweifeln ist mangelhafter als Erkennen, nur Erkennen verweist auf ein Fundament, von dem aus erkannt wird. Die Variation der Ausschlussbewegung – was nicht sicher ist – der Figur des Zweifels erscheint die Einschlussbewegung – was ich klar erkenne, das existiert – in der Figur der Klarheit. Damit werden diejenigen Dinge, deren Sein vorher bezweifelt wurde, wieder zur Existenz berufen, jedoch in einer neuen Ordnung, die sich durch das ganze cartesische Diagramm ergeben wird. Als letzte Denkfigur ergibt die Figur der Repräsentation bereits aus der bisherigen Konstellation, wenn Descartes nun das eine Fundament, das klar erkannt wurde, auf ein den beiden Substanzen gemeinsames Fundament hin projiziert. Gott beendet dann die Operation des cartesischen Denkdiagramms, wenn der Mangel auf ein vollkommenes Wesen hin repräsentiert wird. Der Gottesbeweis beruht auf der Annahme, dass unsere Vorstellungen immer auf etwas außer ihrer selbst rekurrieren – Repräsentation. Insofern wir uns nun Vollkommenheiten vorstellen, die keine Entsprechung in der körperlichen Welt haben, unsere eigene Vollkommenheit aber übersteigen, dann müssen diese Vorstellungen von einem höheren Wesen stammen, als wir es sind. Dieses voll-

69 Descartes: Discours, S. 55ff.; AT VI, S. 33f.

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kommenere Wesen muss deshalb existieren, da es unsere Vorstellungen affiziert hat. Wenn dieses vollkommene Wesen also existiert, dann wird es uns nichts vorspielen, da das nicht vollkommen wäre, sondern es wird diese Welt schaffen, in der es Geistiges und Körperliches gibt, die für sich selbst identisch sind, wobei – das führt Descartes daraufhin aus – dem geistigen Sein ein Vorrang zukommt. Da es vollkommener ist, zeugt es von der Göttlichkeit der Erkenntnis. Der Gottesbeweis gesteht damit das Scheitern der argumentativen Herleitung des Cogito ein, genau wie er die absolute Selbständigkeit des Cogito relativiert, da es aufzeigt, dass dessen Sein von Gott abhängt. Insofern wird erst im nachgeschobenen Gottesbeweis die Unterscheidung der geistigen und körperlichen Substanz endgültig vollzogen. Daraus müsste aber folgen, dass Descartes in einer anderen Darstellung seiner Wissenschaft, die dann die Herleitung des Cogito von den Anfangsgründen vornehmen würde, mit dem Gottesbeweis beginnen müsste, aus dem dann res cogitans und res extensa, sowie die ganze Wissenschaft folgen. Descartes wird die Herleitung des Cogito in seinem folgenden Werk sogar noch dreimal wiederholen, jedoch wird er niemals mit dem Gottesbeweis beginnen, vielmehr immer zuerst die Denkfiguren entwickeln, die den Diskurs des Cogito produzieren und daraufhin erst den Gottesbeweis nachschieben – mit Hintansetzung aller (begrifflichen) Voraussetzungen. Das Problem besteht nun darin, dass der geforderte Neuanfang, von dem die Wissenschaft nach Descartes ausgehen soll, eine einfache Wiederholung der scholastischen Philosophie wäre. Hier beginnt man mit der Erkenntnis Gottes, woraufhin man die Dinge klassifiziert, in unbelebte und belebte, unbeseelte und beseelte usw. Weiterhin basiert aber auch der Gottesbeweis, so wie ihn Descartes erläutert, auf den Denkfiguren des Mangels (die Mangelhaftigkeit des Menschen, das Fehlen der Vollkommenheit, das Auffüllen dieses Mangels durch die Erkenntnis) und der Denkfigur des Zweifels und der damit vollzogenen Trennung von äußerer und innerer Welt, weiterhin der klaren Erkenntnis, wie auch der Repräsentation. Denn auf dieser Teilung wie auch auf der Unterstellung, dass beide Welten existieren, basiert die Konzeption der geistigen Vorstellung, die immer etwas repräsentiert, das es in der Welt gibt, mit der Descartes den ontologischen Gottesbeweis beginnt. Der dritte Grund, warum Descartes die Denkfiguren wiederholen muss und nicht einfach in einer anderen Darstellung die Herleitung des Cogito weglassen kann, liegt darin, dass sie nicht nur den Gottesbeweis, sondern die gesamte Wissenschaft vorstrukturieren, so wie Descartes sie konzipiert. Der Mangel führt das feste Fundament ein, das aus einer ersten Wahrheit besteht. Was diese Wahrheit auch konkret sei, sie sorgt für die erste klare Einsicht, zu der alle anderen Einsichten analog sind. So folgt aus dem einen Grund die Einheit der Wissenschaft. Sie wird durch die Figur des Zweifels

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in zwei Bereiche geteilt, die Wissenschaft vom Geist und die Wissenschaft von den Körpern. Beide Gegenstände der Wissenschaft haben ein eigenes Sein und folgen damit eigenen Regeln. Da die Denkfiguren diese angestrebte Wissenschaft vorbilden, werden sie nun in den Meditationes, den Principies und auch in der Recherche wiederholt und weitergeformt, wobei die Wiederholungen die Aus-sagen und die Denkfiguren variieren. Dennoch wird durch diese Wiederholung eine Gewöhnung erzielt, die dem Denken Denkfiguren einprägt und damit das Kontinuum der Denkbewegungen beschränkt. Die Diagrammatik des Cogito zeigte bis hierher, dass im Discours ein Diskurs der Wissenschaft produziert wird. Dort gibt es verschiedene Meinungen auch in der gleichen Disziplin, was Descartes durch den Streit gekennzeichnet hat. Dieser Typ von Wissenschaft wurde transformiert hin zum Diskurs des Cogito als der ersten Wahrheit, auf der aufbauend eine einheitliche Wissenschaft entstehen können soll. Die neue Wissenschaft soll dann nicht mehr durch den Streit der Meinungen, sondern durch die gemeinsame klare und deutliche Erkenntnis aller Wahrheiten gekennzeichnet sein. Doch wie gelang Descartes diese Transformation? Beim Nachvollzug des Discours fiel auf, dass Descartes dieser Übergang weniger argumentativ in einem logischen Sinne gelang, sondern durch das Ausprobieren von Denkbewegungen und deren Formung und Wiederholung. So grub die Denkfigur des Mangels der Wissenschaft erster Prägung das Fehlen eines ersten Grundes, einer ersten Wahrheit ein, welche die verschiedenen Meinungen vereinheitlichte und ihnen so eine Ordnung gab. Die Ausformung dieser Ordnung und auch der ersten Wahrheit wurde durch die Figur des Zweifels erreicht, indem alles, was nicht klar und deutlich eingesehen werden kann, aus dem Denken ausgeschlossen wurde. Damit blieb eine einzige Wahrheit übrig, das Cogito, das dann auch in die Verfassung einer neuen Wissenschaft70 repräsentiert werden kann.

70 Der Terminus der »cartesischen Wissenschaft« hat viele der neueren Descartesinterpretationen bestimmt. Vgl. hierzu Cottingham: Descartes as sage: spiritual askesis in Cartesian philosophy, S. 188f. In der deutschen Forschung ist vor allem zu nennen: Zittel: Theatrum philosophicum, der, und das bleibt zu kritisieren, jedoch die Verbindung von Wissenschaft und Metaphysik bei Descartes’ nicht aufzeigt. Dagegen hat Daniel Garber nachgewiesen, dass Philosophie und Wissenschaft im 17. Jahrhundert miteinander verwoben sind und aus ihrem Zusammenhang verstanden werden müssen. Vgl. Garber: Descartes Embodied. Meine Darstellung der cartesischen Wissenschaft will nun gerade diese in ihrem Zusammenhang mit der Metaphysik darstellen, wenn sie das Wissensdiagramm aus seiner Genese aus dem cartesischen Denkdiagramm beschreibt.

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II.4 AFFEKTION , K ONZEPTION UND P ERZEPTION . D AS D ENKDIAGRAMM D ESCARTES’ Zu Beginn dieses Kapitels habe ich aufgezeigt, wie es in der Geschichte der Philosophie eine Beschwörung des Anfangs des Denkens gibt, die sich mit einer Referenz auf Descartes verbindet. Descartes habe mit dem Cogito den Anfang in der Philosophie gemacht, was bedeutet, dass er ohne Voraussetzung einen ersten Begriff geschaffen habe. In unserer Lektüre haben wir dann festgestellt, dass Descartes in seinem ersten größeren philosophischen Text das Cogito noch gar nicht formuliert. In den Regulae haben wir vielmehr ein Problem ausgemacht, das den Begriff der Denkbewegung betrifft, da hier auf das Denken angewendet wird, was nur der körperlichen Welt zugesprochen wurde: die Bewegung. Schließlich sind wir in der Lektüre des Discours auf eine Erzählung jener Denkbewegungen gestoßen, die ein Denkdiagramm präfigurieren, das jene Operationen des Ausbildens des Cogito anleitet, und damit das Cogito vorstrukturiert. Dieses Denkdiagramm bildet somit eine neue Art von Voraussetzung, die zwar das Cogito vorbildet, jedoch keine expliziten Begriffe in Anschlag bringt. Das Cogito ist also der erste Begriff, wenngleich er ein spezifisches Denkdiagramm voraussetzt. Das Denkdiagramm haben wir im ersten Kapitel über die drei Aspekte Affektion, Konzeption und Perzeption charakterisiert. Die Affektion des Denkdiagramms besteht in der Absetzung eines vorgängigen Diskurses und bringt das Denken in Bewegung. Es bilden sich dann erste Formungen von Denkbewegungen aus, die wir als Denkfiguren bezeichnen. Weiterhin affizieren sich die Denkfiguren auch gegenseitig, was den Aspekt der Konzeption des Denkdiagramms hervorbringt. Als Konzeption verfügt das Denkdiagramm die Denkfiguren, eröffnet Denkräume und strukturiert so den Bereich des Denkens vor. Diese Strukturierung verfestigt sich schließlich in Perzeptionen, die eine Wahrnehmung festlegen, ihr eine Struktur geben. Im Folgenden will ich die unterschiedlichen Ausprägungen des cartesischen Denkdiagramms sowie des Cogito im Werk von Descartes aufzeigen, indem ich jenen Aspekten des Denkdiagramms folge. Affektion – die Gemütsbewegungen Die Operation des Denkdiagramms ist vorrational, vorbegrifflich, wenn sie dem Cogito und damit der ersten Wahrheit vorausgeht und sie aber gleichzeitig konstituiert. Diese Vorbegrifflichkeit bildet den affektiven Aspekt des Denkdiagramms Descartes’. Affektiv ist das Denken Descartes in drei Stufen: Erstens,

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wenn Descartes manche Denkbewegungen verfestigt und andere Bewegungen des Denkens ausschließt; zweitens, wenn die Denkbewegungen zu Denkfiguren geformt sind und in einen verfestigten Diskurs eingreifen, ihn affizieren; drittens wenn die Denkfiguren sich gegenseitig affizieren, anordnen, Denkräume und so eine Konzeption bilden. Liest man Descartes das erste Mal, so sind einem jene Stellen, in denen er scheinbar wahllos Tiraden loslässt, recht befremdlich. Doch bei der wiederholten Lektüre bemerkt man, dass sie eine Gemütsbewegung ausdrücken, die eine Wirkung auf sein Denken hat und somit an der Ausformung des cartesischen Denkdiagramms teilhat. So schimpft Descartes bspw. über diejenigen, welche die Unmittelbarkeit der eigenen Existenz nicht einsehen: »Indessen – mögen uns auch die Sinne mit Bezug auf zu kleine und entfernte Gegenstände bisweilen täuschen, so gibt es doch am Ende sehr vieles andere, woran man gar nicht zweifeln kann, wenngleich es aus denselben Quellen geschöpft ist; so z. B. dass ich jetzt hier bin, dass ich, mit Winterrock angetan, am Kamin sitze, dass ich dieses Papier mit den Händen betaste und ähnliches; vollends dass diese Hände selbst, dass überhaupt mein ganzer Körper da ist, wie könnte man mir das abstreiten? Ich müsste mich denn mit ich weiß nicht welchen Wahnsinnigen vergleichen, deren ohnehin kleines Gehirn durch widerliche Dünste aus ihrer schwarzen Galle so geschwächt ist, dass sie hartnäckig behaupten, sie seien Könige, während sie bettelarm sind, oder in Purpur gekleidet, während sie nackt sind, oder sie hätten einen tönernen Kopf, oder sie seien gar Kürbisse oder aus Glas; – aber das sind eben Wahnsinnige, und ich würde ebenso wie sie von Sinnen zu sein scheinen, wenn ich mir sie zum Beispiel nehmen wollte.«71

Dieser berühmte Ausschluss der Wahnsinnigen72 ist nun, neben der Unglaublichkeit der Härte Descartes’, vor allem deshalb schwer nachvollziehbar, da ihn Descartes systematisch nicht zu brauchen scheint. Dennoch ist er deswegen notwendig, weil Descartes hier die Unmittelbarkeit einführt und etabliert, dasjenige also, was ich klar und deutlich einsehe. Man darf das Unmittelbare nicht leugnen, denn darauf basiert seine Methode der unmittelbaren Einsicht, die zum Cogito führt und das Herzstück seiner wissenschaftlichen Methode prägt. Desweiteren ist für Descartes das unmittelbare Verständnis seiner Begriffe wichtig, da sie nichts explizit voraussetzen sollen, sondern in einer Figurierung des Denkens bestehen. Und dieser Leser »kann nicht so beschränkt sein, dass es ihm an

71 Descartes: Meditationes, S. 33; AT VII, S. 28f. 72 Siehe hierzu die Diskussion zwischen Derrida und Foucault. Vgl. bspw. die Zusammenfassung bei Schneider: Michel Foucault, S. 41ff.

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Licht fehlte, um, was Zweifeln, Denken, Existenz seien, mit genügender Deutlichkeit zu erkennen«73. Descartes schlägt sich auf die Seite der idiotae – der einfachen Menschen – erfindet den Einfältigen, der keine Vorbildung in Philosophie hat, jedoch mit dem natürlichen Licht begabt ist, um die evidentesten Sachen zu erkennen. Der Idiot ist der absolut Unwissende, an dem sich so nur das Allgemein-Menschliche zeigen lässt: »Gleichwohl gebrauchen aber die Gelehrten oft so spitzfindige Unterscheidungen, dass sie das natürliche Licht zerstreuen, und finden sogar da Dunkelheiten, wo jeder Bauer sich auskennt«.74 Deswegen ist den Gelehrten nicht zu trauen, wenn es um das Allgemein-Menschliche geht. Jeder Bauer, jeder Idiot, jedermann weiß besser, was richtig und was falsch, was gut und was schlecht ist. Darüber würde sich ein Gelehrtenkreis nicht so schnell einigen können. Durch die Allianz mit dem Idioten gelingt es Descartes, alle diejenigen auszuschließen, die seine Voraussetzungen nicht teilen, sich nicht von seinem Diskurs repräsentieren lassen. Denn der Idiot hat scheinbar keine Voraussetzungen, er weiß ja nichts. Wenn Descartes nun sagt, er spreche für Jedermann, für jeden Bauer, jeden Idioten, so schlägt er sich auf die Seite derjenigen, die voraussetzungslos denken. Alle, die nicht so denken, wie er, sind entweder Gelehrte auf Abwegen oder wahnsinnig. Die Rhetorik des Ausschlusses bei Descartes ist vielfältig und überzeugend durch ihre Härte: »Niemand ist nämlich so stumpfsinnig, dass er nicht sähe, dass er sich, solange er sitzt, in gewisser Weise von sich selbst, sofern er auf seinen Füßen steht, unterscheidet; aber nicht jeder trennt ebenso deutlich die Natur der Lage von dem übrigen in diesem Gedanken Enthaltenen, noch kann er behaupten, dass sich dann außer der Lage nichts verändere. Wir machen hier nicht umsonst darauf aufmerksam; denn oft pflegen Schriftsteller so geistreich zu sein, dass sie sich ein Verfahren haben einfallen lassen, selbst gegen diejenigen Sachen blind zu sein, die an sich evident sind und die sogar jeder Bauer weiß. Das widerfährt ihnen immer, wenn sie versuchen, jene an sich selbst bekannten Sachverhalte an etwas Evidenterem aufzuzeigen, entweder nämlich erklären sie dann etwas anderes oder überhaupt nichts […] Und machen sie nicht wirklich den Eindruck, als murmelten sie Zaubersprüche, die eine geheime, für das menschliche Erkenntnisvermögen unfassbare Kraft haben, wenn sie sagen, dass die Bewegung, etwas das doch jeder kennt, die Verwirklichung des in der Möglichkeit Seienden sei, sofern es in der Möglichkeit ist? Wer versteht denn diese Worte, wer weiß nicht, was Bewegung ist, und wer gibt nicht zu, dass man hier einen Knoten in einer Binse gesucht hat. Man muss also sagen, dass solche

73 Descartes: La recherche de la vérité par la lumière naturelle, S. 77; AT X, S. 523. 74 Descartes: Regulae, Regel 14, S. 125; AT X, S. 442.

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Sachverhalte niemals durch irgendwelche Definitionen erläutert werden dürfen, damit wir nicht zusammengesetzte anstelle der einfachen Naturen in die Hände bekommen, sondern dass jedermann nur diese, nachdem er sie von allen anderen abgesondert hat, vermöge des Lichtes seiner Erkenntniskraft aufmerksam in der Intuition erfassen muss.«75

Nachdem Descartes die Figur der Klarheit etabliert hat, tut er dies auch mit den anderen Denkfiguren. Der Mangel wird eingeführt durch eine Polemik der Wissenschaft, die nach ihm nur aus verschiedenen Meinungen besteht. Deshalb streiten sich die Wissenschaftler, was nicht als konstitutiv für die Wissenschaft, sondern als bloße Meinungsverschiedenheit und Rechthaberei von Descartes bewertet wird. Ihnen fehlt es an Wahrheit, so wie es der ganzen Wissenschaft an einem Fundament fehlt. Und auch die Figur des Zweifels wird ohne viele Argumente gegen andere Denkbewegungen abgesichert, wenn Descartes klarmacht, dass sich der Zweifel nur auf die eigenen Gedanken, aber nicht auf die Einrichtung der Welt beziehen darf: »Deshalb werde ich nie diese unruhigen Wirrköpfe gutheißen können, die, ohne durch Geburt oder Lebensstellung zur Verwaltung öffentlicher Angelegenheiten berufen zu sein, in Gedanken fortwährend auf diesem Gebiete reformieren, und wenn ich denken müsste, dass es in dieser Schrift nur das Geringste gäbe, was mich in den Verdacht einer solchen Tollheit bringen könnte, so würde ich es sehr bedauern, ihre Veröffentlichung zugelassen zu haben. Niemals ging meine Absicht weiter als auf den Versuch, meine eigenen Gedanken zu reformieren und auf einem Boden zu bauen, der ganz mir gehört.«76

Die affektiven Beschimpfungen Descartes’ bewirken jedoch nicht nur die Modulierung und Etablierung der Denkfiguren, vielmehr sind die Denkfiguren selbst affektiv. Sie affizieren und transformieren bestehende Diskurse, ohne dass sie selbst gerechtfertigt werden könnten. Es hätte immer auch eine andere Denkfigur sein können, die einen anderen Eingriff in die bestehenden Diskurse vornimmt. Derart übertragen die Denkfiguren immer eine Gemütsregung ins Denken, die in die Aussagen interveniert und diese transformiert. So affiziert die Denkfigur des Mangels die herrschende Vorstellung von Wissenschaft und diffamiert sie als haltloses Streitgespräch und als reine Meinungsverschiedenheit, ohne an der Wahrheit interessiert zu sein. Auch die Figur des Zweifels affiziert die allgemeinmenschlichen Meinungen, dass wir einen Körper haben, dass es eine Welt gibt, dass wir für wahr halten, was wir für wahr halten, in dem sie all

75 Descartes: Regulae, Regel 12, S. 99; AT X, S. 425ff. 76 Descartes: Discours, S. 25. AT VI, S. 14f.

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diese »Meinungen« als nicht gesichertes Wissen klassifiziert, als bloße Vermutung. Drittens schließlich affizieren sich die Denkfiguren auch gegenseitig, modulieren sich und strukturieren so die möglichen Räume des Denkens und die »guten« Operationen des Denkens. Während die Figur des Mangels immer einen ersten Grund sucht, so bietet die Figur des Zweifels eine Möglichkeit dazu, alles auszuschließen, bis nur noch eine Sache nicht angezweifelt ist. Darüber hinaus schafft der Mangel eine Ordnung in der nichtklassifizierten Verschiedenheit, eine Einheit, die vom Ausschluss klassifiziert wird, indem durch den Zweifel in geistige Naturen und körperliche Naturen unterschieden werden kann. Beginnt man mit dem Mangel, dann führt er dazu, dass er sich demjenigen, das er ordnet, immer entzieht, wodurch das zu Ordnende niemals endgültig geordnet werden kann. Der Zweifel erschafft daraufhin eine erste Unterscheidung, die alles andere immer weiter differenzieren kann. Diese zwei Denkfiguren affizieren sich schließlich gegenseitig, wenn die Mangelhaftigkeit des Zweifels diesen zur Figur der Klarheit moduliert. Die Figur der Klarheit wendet dann den Mangel in die Re-präsentation: sie projiziert dasjenige, was klar und deutlich eingesehen werden kann, in die Existenz gemäß der Ordnung des Denkens. In den Wiederholungen des Cogito werden wir nun beobachten, welche Denkfiguren hier aufgerufen werden, ob neue auf den Plan treten und wie sie sich verändern, desweiteren auch, in welche Diskurse sie intervenieren, was auch zur Veränderung des Co-gito selbst führen kann. Konzeption – die Wiederholungen In einem viel diskutierten und dennoch nicht besonders folgenreichen Aufsatz hat Jaako Hintikka eine Analyse des Cogito vorgeführt, die dasselbe weniger als Schlussfolgerung, sondern als performativen Akt versteht. Der Satz »Ich denke, also bin ich.« wurde verschiedentlich als syllogistischer Schluss verstanden, bei dem man aus einer Prämisse eine Konklusion zieht, vermittelt über das »also«, streng nach der Form: »wenn x, dann y«. Dass dieser Schluss nicht funktioniert, hat Descartes selbst bereits betont und nach ihm auch viele seiner Kommentatoren. Dennoch blieb unklar, was das Cogito dann ist, wenn es keine Schlussfolgerung darstellt. Kommen wir zuerst zu der Frage, warum die Schlussfolgerung nicht funktioniert. Hintikkas Antwort lautet: Indem wir in der Prämisse bereits »Ich denke« schreiben, haben wir bereits eine existentielle Voraussetzung getroffen, die die Konklusion expliziert: »Ich bin«, was die Schlussfolgerung tautologisch macht.

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Oder anders gesagt: Im »ich denke« wird bereits die Existenz von »Ich« vorausgesetzt, was es doch erst zu beweisen galt: »The truth of a sentence of the form (1) turns entirely on existential presuppositions. If they are given up, the provability of (1) goes by the board. My point may perhaps be illustrated by means of an example constructed for us by Shakespeare. Hamlet did think a great many things; does it follow that he existed?«77

Weiterhin ist in einer rein logischen Auffassung des Cogito problematisch, dass die Prämisse variiert werden könnte, was jedoch die Konklusion nicht verändern würde: »Ich schreibe, also bin ich.«; »Ich träume, also bin ich.«; »Ich irre, also bin ich.« erfüllen für Descartes nicht denselben Zweck wie das Cogito. Descartes selbst betont vielmehr, dass man im denkenden Vollzug des Cogito intuitiv die Selbstevidenz des Seins wahrnimmt. An anderen Stellen sagt Descartes, dass jemandes Existenz intuitiv klar ist, ohne das Cogito hierfür zu veranschlagen. Überhaupt ist die Rede von dem Cogito irreführend, vielmehr – das haben wir bereits betont – variiert das Cogito von Formulierung zu Formulierung: »Je pense, donc je suis.«78; »Ego sum, ego existo.«79; »Ego cogito, ergo sum, sive existo.«80; »Ego cogito, ergo sum.«81; »Cogito, ergo sum.«82; »Verum etiam est te, qui dubitas, esse.«83 Hintikka leitet von der existentiellen Voraussetzung, die den Satz des Cogito zwar tautologisch, aber konsistent machen, über zur existenzialen Inkonsistenz: Es gibt Sätze, die sind für sich absolut konsistent: »Descartes existiert nicht.«, können aber inkonsistent werden, wenn sie von demjenigen ausgesagt werden, der als Subjekt des Satzes fungiert, vergleichbar dem Satz: »Ich bin stumm.« Hintikka zeigt damit, dass existentielle Inkonsistenz kein Merkmal von Sätzen ist, sondern von Aussagen, da sie die Relation von Aussage und Sprecher betrifft. Dieses Merkmal nennt Hintikka den »performativen Charakter« von Aussagen, der nun aber nicht nur Sprechakte, sondern auch Denkakte erfasst:

77 Hintikka: Cogito, Ergo Sum: Inference or Performance?, S. 8. 78 Descartes: Discours, S. 54; AT VI, S. 33. 79 Descartes: Meditationes, S. 47; AT VII, S. 25. 80 Descartes: Objectiones et Responsiones, S. 127; AT VII, S. 140. 81 Descartes: Principia, S. 2; AT VIII, I, S. 7. 82 Descartes: Gespräch mit Burman, S. 6f. 83 Descartes: Recherche, S. 54f.; AT X, S. 515.

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A »transition from «public« speech-acts to «private« thought-acts, however, does not affect the essential features of their logic. The reason why Descartes’ attempt to think that he does not exist necessarily fails is for a logician exactly the same as the reason why his attempt to tell one of his contemporaries that Descartes did not exist would have been bound to fail as soon as the hearer realized who the speaker was.«84

Hintikka versteht das Cogito als einen Denkakt, der der existenzialen Inkonsistenz entgegengesetzt ist, wenn der Vollzug des Denkens die Aussage selbstverifiziert. Im Akt des Denkens vergewissert sich das Ich seiner Existenz. Hintikka hat nun gezeigt, dass Cogito und Sum nicht über eine Schlussfolgerung verbunden sind, sondern durch einen performativen Akt des Denkens. Leider hört die Analyse Hintikkas hier auf. Dabei fragt man sich doch jetzt gerade, was das für die Texte Descartes, für seine ganze Philosophie bedeutet. Mithin wiederholt Descartes nicht nur das Cogito, sondern auch die es konstituierenden Denkfiguren. Denn niemals tritt das Cogito selbstständig in den Texten Descartes auf, vielmehr muss immer zuerst das ganze Denkdiagramm erschaffen werden, was die Performanz des Cogito, den Denkakt präfiguriert. Auf diesen Punkt hat auch Dennis L. Sepper aufmerksam gemacht, indem er den Blick auf die »movements of thoughts« in den Meditationes gelenkt hat. Diese Denkbewegungen, die den Begriffen vorausgehen und diese vorstrukturieren, bilden so eine Textur des Denkens: »Cartesianism has preserved the texts of Descartes but perhaps not the texture and contexture of his thought.« 85 Sepper führt die Textur des cartesischen Denkens über den Begriff der Meditation ein, der einmal eine Einladung an den Leser meint, mit Descartes zusammen zu denken. Für einen Leser des 17. Jahrhunderts beinhaltet der Begriff weiterhin eine Konnotation, die auf eine mentale Praxis verweist, die sich mit geistigen Exerzitien verschränkt. In jedem Fall meint der Begriff aber eine Praxis des Denkens, die Sepper zwischen den psychologischen Denkvollzügen und der Kontemplation verortet. Während ersteres passives Nachvollziehen meint, steht letzteres für die geistige Einsicht. Meditation meint nun eine Verbindung beider, einen Denkvollzug, der geistige Einsichten produziert, was Sepper »discursive reason«86 nennt. Im Vollzug des Textes werden Denkbewegungen ausprobiert und gefunden, die eine Einsicht, wie etwa die des Cogito hervorbringen. Damit ist jener Typ der Voraussetzungen jenes ersten Begriffs beschrieben, der in der spezifischen Textur des es hervorbringenden Denkens zu suchen ist.

84 Hintikka: Cogito, Ergo Sum: Inference or Performance?, S. 13f. 85 Sepper: The texture of thought, S. 746. 86 Ebd., S. 742.

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Mit dem Verfahren der Diagrammatik des Denkens werde ich nun die Wiederholungen des Denkdiagramms aufspüren und versuchen, jene Textur und damit jene Logik der Performanz des Cogito aus der Ausprägung und Wiederholung der cartesischen Denkfiguren herzuleiten. Zuerst wiederholt Descartes die Denkfiguren, die den Diskurs des Cogito produzieren, in den Meditationes de prima philosophia. Er beginnt wieder mit denselben Denkfiguren, auch wenn die wahren Argumente für das Cogito und der Unterscheidung von Geist und Körper im Gottesbeweis liegen87, der erst im dritten Teil der Meditationen nachgeschoben wird und dessen Konsequenzen erst im sechsten und letzten Teil gezogen werden. Jedoch bereits der erste Satz der ersten Meditation verwebt die Denkfiguren des Mangels und des Zweifels ineinander, wenn er fordert, alle Meinungen für falsch zu nehmen und nach einem festen Grund des Wissens zu suchen, der bis dato fehlt: »Bereits vor einigen Jahren habe ich bemerkt, wieviel Falsches ich von Jugend an als wahr habe gelten lassen und wie zweifelhaft alles ist, was ich später darauf aufgebaut habe, so dass einmal im Leben alles von Grund auf umgeworfen und von den ersten Fundamenten her erneut begonnen werden müsse, wenn ich irgendwann einmal das Verlangen haben würde, etwas Festes und Bleibendes in den Wissenschaften zu errichten.«88

Erneut bringt Descartes in Anschlag, dass seine Überzeugungen bis auf seine Erziehung und Unterrichtung im Jugendalter zurückreichen, er sie dort unkritisch übernommen hat und sie seit dem für wahr hält. Er suggeriert, dass alles, was er später erlernt hat, durch diese unsicheren Überzeugungen fundiert wird und dadurch bezweifelbar ist. Was diesen unterschiedlichen Meinungen nun fehlt, ist das sichere Fundament, von dem ausgehend man etwas dem Wandel sich Entziehendes, Bleibendes in der Wissenschaft errichtet: sicheres Wissen. Diese Figuration des zu erlangenden Wissens projiziert er nun auf die bereits be-

87 Vgl. den Brief von Descartes an Mersenne vom 28.01.1641, worin Descartes den sechs Meditationen Titel gibt. Während die zweite Meditation, die das Cogito herleitet nur »De Mente humana quod ipsa sit notior quam corpus« (Über den menschlichen Geist ... dass er leichter als der Körper zu erkennen ist) heißen sollte, verdient erst die sechste Meditation, in der die Konsequenzen aus den Gottesbeweisen gezogen werden, den Titel: »De Existentia rerum materialium et reali mentis a corpore distinctione« (Über das Wesen der materiellen Dinge – und über den wirklichen Unterschied zwischen Seele und Körper). Bense: Descartes: Briefe 1629-1650, S. 232f.; AT III, S. 297. 88 Descartes: Meditationes, S. 33; AT VII, S. 17.

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stehenden Wissenschaften, indem er vom Singular zum Plural der Fundamente übergeht, die zu erschüttern sind, um das eine Fundament zu errichten: »Deshalb wird es auch gar nicht nötig sein, alles einzeln [die Überzeugungen] durchzugehen, was eine unendliche Arbeit wäre, sondern ich will unverzüglich auf die Prinzipien selbst losgehen, auf die sich alles stützte, das ich einst geglaubt habe; denn wenn die Fundamente untergraben sind, fällt alles, was auf ihnen errichtet ist, von selbst zusammen.«89

Die Denkfigur des Mangels erfasst nun alles als Meinung, indem sie die Aussagen, die nicht von einer inneren Gewissheit getragen werden, ebenfalls dem Bild des Wissens annähert: sie fußen auf Fundamenten. Aber das sind eben keine festen, gesicherten Fundamente, und ohnehin verweisen sie nicht auf ein einziges ihnen zugrundeliegendes Fundament, das sie alle trägt. Indem nun alles angezweifelt werden soll, worin man sich täuschen kann, wird der Mangel auch inhaltlich angereichert, da nun klar ist, dass das, woran es dem Wissen ermangelt, dasjenige sein muss, worin man sich nicht täuscht: eine Wahrheit. Wie gestaltet sich nun in den Meditationen der Zweifel, der sich auf die Prinzipien seiner Überzeugungen richtet. Auch hier beginnt Descartes mit den Sinnen: »Nun habe ich alles, was ich bislang als ganz wahr habe gelten lassen, entweder von den Sinnen oder vermittelt durch die Sinne erhalten. Aber ich habe entdeckt, dass die Sinne zuweilen täuschen, und Klugheit verlangt, sich niemals blind auf jene zu verlassen, die uns auch nur einmal betrogen haben.«90

Der Zweifel suggeriert die Ausschließbarkeit aller Dinge, die uns durch Sinnesvermittlung zugekommen sind, indem er auf die Ununterscheidbarkeit von Träumen und Wachen referiert. In den Träumen scheinen uns Dinge real, die es nicht sind, also könnte auch alles andere, was wir durch die Sinne erfahren haben, geträumt sein. Das ist weniger argumentativ sicher als suggestiv und in der Geste bestimmt. Doch auf diese Ausschlussbewegung folgt sofort die Einschlussbewegung: »Aber obwohl uns die Sinne zuweilen bei winzigen und weit entfernten Dingen täuschen, so gibt es gleichwohl doch manches andere, an dem schlichtweg nicht gezweifelt werden kann, obwohl es aus ihnen geschöpft wird: wie etwa, dass ich jetzt hier bin, beim Feuer

89 Descartes: Meditationes, S. 33ff.; AT VII, S. 18. 90 Ebd., S. 35; AT VII, S. 18.

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sitze, mit einem Wintermantel bekleidet bin, dieses Papier mit meinen Händen berühre und dergleichen.«91

Wurde vorher aus der Ununterscheidbarkeit von Traum und Wirklichkeit auf die Bezweifelbarkeit des Wirklichen geschlossen und damit die Bewegung des Ausschlusses in Gang gesetzt, so formuliert Descartes nun ein Kriterium für die Bewegung des Einschlusses: Alles, was ich klar und deutlich einsehe, das ist auch wahr und damit Teil der einen Ordnung des Wissens. Wie dieses Kriterium sich nun aber zur Ununterscheidbarkeit von Traum und Wirklichkeit verhält, bleibt an dieser Stelle unklar. Sicher ist nur, dass die Ausschlussbewegung nicht im unendlichen Zweifel aufgeht, sondern in die Denkfigur der Klarheit übergehen muss, wenn sie die eine, erste Wahrheit aufgefunden hat, von wo aus sich dann alle anderen Wahrheiten wie an einer Kette aufreihen. Ausschluss- und Einschlussbewegung verwickeln sich gegenseitig. Während ich klar einsehe, dass ich hier sitze, so kann bezweifelt werden, dass es real ist. Insofern ist vielleicht alles was mir real erscheint, nur geträumt. Dennoch, so Descartes weiter, müssen meine Traumbilder ja etwas anzeigen, das ich außerhalb des Traumes erfahren habe. Und selbst wenn das Traummaterial in der Zusammensetzung fiktiv ist, so müssen doch die Elemente, zumindest die Farben einen realen Kern haben. Was aber, wenn es einen Gott gibt, so fährt er fort, der uns Körper, Elemente, Farben nur vortäuscht, dann könnten auch unsere Traumbilder, eigentlich jegliche Vorstellungen nur auf den Täuschungen dieses Gottes beruhen. Derart schließt Descartes zwar aus, dass wir unseren Sinnen vertrauen können, dass unsere Vorstellungen die Realität garantieren, auch dass es einen guten Gott gibt, dem man blind vertrauen kann und der so die gute Einrichtung der Welt garantiert. Im gleichen Zuge schließt er aber ein, dass es einen Bereich der Vorstellungen und einen der Außenwelt, weiterhin auch den Ort eines allmächtigen Gottes außerhalb dieser Dichotomie gibt und strukturiert so den Raum des Denkens, dem es allein noch an der ersten Wahrheit ermangelt. Da die Funktion der Denkfigur des Zweifels eben darin besteht, jenen Raum des Denkens zu strukturieren, mitnichten aber den Zweifel an eine fundamentale, existentielle Grenze zu treiben, bricht der Zweifel hier ab, da sein Ziel, den Denkraum zu strukturieren, indem die Figur der Klarheit ins Werk gesetzt wird, bereits erreicht ist. So kann die Figur des Zweifels nun in die Figur des Mangels umschlagen, um so die erste klare und deutliche Einsicht aufzuspüren. Die zweite Meditation beginnt nun wie folgt:

91 Descartes: Meditationes, S. 35; AT VII, S. 18.

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»Ich bin durch die gestrige Meditation in Zweifel gestürzt worden, die ich nicht vergessen kann; außerdem sehe ich nicht, durch welche Überlegungen man sie auflösen kann, sondern ich bin derartig verwirrt, dass ich, gleichsam als wäre ich unvermutet in einen tiefen Strudel hineingezogen worden, weder auf dem Grund Fuß fassen, noch zur Oberfläche emporschwimmen kann. Aber ich will mich herausarbeiten und es erneut auf dem Wege versuchen, den ich gestern eingeschlagen hatte: Ich will alles beseitigen, das auch nur den geringsten Zweifel zulässt, gerade so, als ob ich sicher erfahren hätte, dass es insgesamt falsch ist. Auch will ich solange weiter vorangehen, bis ich irgendetwas Sicheres erkannt habe, oder wenigstens dies als sicher, dass es nichts Sicheres gibt. Nichts außer einem festen und unbeweglichen Punkt verlangte Archimedes, um die gesamte Erde von ihrem Ort fortzubewegen, und es ist Großes zu erhoffen, wenn ich auch nur das Geringste herausfinden werde, das sicher und unerschütterlich ist.«92

Auch wenn der Mangel hier inhaltlich anders belegt wird als im Discours, es hier also nicht mehr um das fehlende Fundament der Meinungen geht, sondern um den fehlenden Halt desjenigen, der im Zweifel begriffen ist, so vollzieht sich dennoch hier die gleiche Bewegung des Denkens, die dem Denken das Fehlen eines ersten Anfangs eingräbt. Ging im Discours die Figur des Mangels dem Zweifel voraus, so bereitet in den Meditationen der Zweifel im Zusammenspiel mit der Figur der Klarheit den Mangel vor. Und auch wenn Descartes hier vorgibt, den einen festen Punkt finden zu wollen, von dem aus er das gesamte Wissen und Denken aus den Angeln heben könnte, so gelingt dies durch die Etablierung von Denkfiguren, die das, was Denken und Wissen ist, stillschweigend umformen. Sind die Denkfiguren nun einmal etabliert und aufeinander bezogen, mithin produktiv ineinander verwickelt, inszeniert sich der Diskurs des Anfangs. Auf eine Folge von Selbstbefragungen folgt der Ebenenwechsel hin auf den Akt des Sich-Fragens und Antwortens: »Aber woher weiß ich denn ... Gibt es etwa irgendeinen Gott ... der mir diese Gedanken eingibt? Weswegen aber sollte ich dies meinen ... Bin ich selbst also irgendetwas? ... Bin ich nicht derartig mit dem Körper und den Sinnen verbunden, dass ich ohne sie nicht sein kann? Aber ich habe mich überredet, dass es überhaupt nichts in der Welt gibt, keinen Himmel, keine Erde, keine Geister, keine Körper – und dass demnach auch ich nicht bin? Keineswegs: Wenn ich mich zu etwas überredet habe, bin ich selbst sicherlich gewesen. Aber es gibt einen, ich weiß nicht welchen, allmächtigen und äußerst verschlagenen Betrüger, der mich ständig mit äußerster Hartnäckigkeit täuscht. Zweifelsohne bin ich selbst

92 Descartes: Meditationes, S. 47; AT VII, S. 23f.

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also, wenn er mich täuscht; und er möge mich täuschen, soviel er kann, niemals wird er bewirken, dass ich nichts bin, solange ich denken werde, dass ich etwas bin; so dass schließlich, nachdem ich es zur Genüge überlegt habe, festgestellt werden muss, dass dieser Grundsatz Ich bin, ich existiere, sooft er von mir ausgesprochen oder durch den Geist begriffen wird, notwendig wahr ist.«93

In der Formulierung der ersten Wahrheit geht Descartes schließlich vom suggerierten Schluss »Je pense, donc je suis« hin zur Performativität 94 des Ausspruchs »Ego sum, ego existo«. Gegen die scheinbar argumentative Herleitung des Cogito im Discours erscheint die erste Wahrheit in den Meditationen als unmittelbare Einsicht, die daraus resultiert, dass ich etwas sage und es daraufhin selbst wahrnehme. Die Idee ist also, dass der Diskurs des Cogito in seinem Vollzug sein Objekt hervorbringt, eben jenen Vollzug des Denkens und Sagens, der daraufhin wiedererkannt und intuitiv eingesehen wird. Aber auch hier ist zu konstatieren, dass diese erste Wahrheit nicht wie ein Gedankenblitz aus heiterem Himmel aufschlägt, sondern natürlich darauf basiert, dass das Denken auf einen Anfang verpflichtet wird, dessen es ihm ermangelt, und der allein eine Ordnung des Wissens garantiert, weiterhin, dass es in Innen und Außen geteilt ist, der Zweifel die Klarheit präfiguriert, die wiederum das Denken vorstrukturiert hat, kurz, dass dieser ersten Wahrheit ein spezifisch geformtes Denken vorausge-

93 Descartes: Meditationes, S. 47ff.; AT VII, S. 24f. 94 Vgl. hierzu den bereits besprochenen Text von Hintikka: Cogito, Ergo Sum: Inference or Performance? sowie die daran anschließende Diskussion, von ihm selbst referiert: Hintikka: Cogito, Ergo Sum as an Inference and a Performance. Hintikka bezieht sich hier ebenfalls auf den Fakt, dass Descartes die Argumente für die Einsicht des Cogito erst in der 6. Meditation gibt, so etwa insistiert er: »the problem remains how Descartes came to assert this thesis in the first place in the second meditation« (Ebd., S. 487). Auch argumentiert er, wie bereits gesehen, dass das »Cogito, ergo sum« kein syllogistischer Schluss sein kann, der einen neuen Anfang bereitet: »the major premise everything that thinks, is, or exists, would have to be known previously« (Ebd., S. 492). Es müsste also vorausgesetzt werden und würde so den voraussetzungslosen Anfang verstellen. Deshalb muss man, da bin ich mit Hintikka einverstanden, das Cogito in den Meditationes als einen performativen Akt verstehen, den man im Vollzug erfährt. Aber auch hier bleibt noch dasjenige Zeitproblem, das in der Verzögerung zwischen dem Akt und dessen Erfahrung besteht, deren Überbrückung einen kontinuierlichen Begriff der Zeit voraussetzt, wie auch diese erste intuitive Einsicht bereits die Denkfiguren voraussetzt, die das Denken auf eine Wahrheit verpflichten, ihm Innen und Außen, Aktivität und Passivität bereits einschreiben.

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gangen sein muss, damit dieser Ausspruch überhaupt eine erste Wahrheit sein kann, aus der die Wissenschaft folgt.95 Weiterhin wird auch die Hypothese Gottes als dem guten und allmächtigen Schöpfer der Welt erst in der sechsten Meditation die kontinuierliche Zeit und die Identität der Substanzen garantieren, die den Übergang vom Sagen zum Hören und damit Erfüllen zuallererst ermöglicht. Es bleibt zu konstatieren, dass auch in den auf Latein geschriebenen und an der Sorbonne dem hohen wissenschaftlichen Rat eingereichten Meditationen nicht die Ordnung der Argumentation die Anordnung des Textes bestimmt, sondern vielmehr das Zusammenspiel von Denkfiguren und Aussagen. Das cartesische Denkdiagramm hat so einen Zusammenhang von Denkfiguren etabliert, die im Begriff des Cogito verfestigt werden und so zur Errichtung eines neuen Diskurses und damit zur Präfigurierung des Denkens in der Gewöhnung an dieselben führte: Ich »will Ihnen unter uns sagen, dass diese sechs Meditationen alle Grundlagen meiner Physik enthalten. Man darf es aber bitte nicht sagen; denn diejenigen, die Aristoteles begünstigen, würden dann vielleicht mehr Schwierigkeiten machen, sie zu billigen; und ich hoffe, dass diejenigen, die sie lesen, sich unmerklich an meine Prinzipien gewöhnen und ihre Wahrheit einsehen werden, ehe sie bemerken, dass sie die des Aristoteles zerstören«96.

Descartes macht in diesem Brief implizit für das Denken geltend, was er explizit nur der Ordnung der Körper zuschreibt: die Gewöhnung. Dieser Sachverhalt wird nicht weiter erklärt, weshalb wir weiterhin davon ausgehen, dass es zwischen Denken und Körpern einen Zwischenbereich gibt, den Bereich der Bewegungen und Kanalisierungen, die auch durch Gewöhnung figuriert werden: das Denkdiagramm. Es fällt nun aber auf, dass an dieser Stelle der Diskurs des Cogito gar nicht mit dem »Cogito ergo sum« beginnt, sondern mit dem Sich-selbst-vernehmen im Akt des Denkens, wenn ich sage: »Ich bin, ich existiere.« Dies bildet jedoch nicht die erste Wahrheit, sondern nur das Kriterium für die klare und deutliche

95 Auch Sepper betont, dass der ersten Wahrheit der Meditationes Denkoperationen vorausgingen, die das Cogito prägen: »At the outset of Meditation II he quickly repeats the process that he undertook in the first Meditation by recalling to mind the original sensations, then the doubts, and so forth … It is in the course of the meditatio of the previous cogitations that he sees the truth of ›I am, I exist‹.« Sepper: The texture of thought, S. 744. 96 Bense: Descartes: Briefe 1629-1650, S. 232f.; AT III, S. 297f.

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Einsicht. Im Anschluss fragt sich Descartes, was denn dieses Ich ist, was er denn da eigentlich klar und deutlich einsieht: Nicht, dass er einen Körper hat – hier könnte ihn ein boshafter Gott täuschen – also auch nicht, dass er geht oder sich ernährt, insofern er keinen Körper hat, und nicht, dass er sinnlich wahrnimmt. »Denken? Hier werde ich fündig: Das Denken ist es; es allein kann nicht von mir getrennt werden. Ich bin, ich existiere; das ist sicher. Wie lange aber? Nun, solange ich denke; denn vielleicht könnte es auch geschehen, dass ich, wenn ich alles Denken unterließe, sogleich völlig aufhörte zu sein. Ich lasse jetzt nichts gelten, außer dem, was notwendig wahr ist: demnach bin ich genau genommen nur ein denkendes Ding, das heißt: Geist, bzw. Gemüt, bzw. Verstand, bzw. Vernunft – Ausdrücke, deren Bedeutung mir zuvor bekannt waren. Ich bin ein wahres und wahrhaftig existierendes Ding; welcher Art Ding aber? Ich sagte es bereits, ein denkendes.«97

Das Denken ist nun diejenige Eigenschaft, von dem das Ich nicht getrennt werden kann. Ich kann mir vorstellen, dass ich keinen Körper habe, dass es keine Welt gibt, aber wenn ich mir das vorstelle, dann übe ich ein Vermögen meines Denkens aus, dann denke ich. Insofern, so lautet die Schlussfolgerung, ist dieses Ich ein denkendes Ding. Damit ist das Ereignis des cartesischen Denkens vollzogen, d.h. die Denkfiguren sind geformt und aufeinander bezogen, so dass sich nun die Denkräume der Wissenschaft ergeben. Die Figur des Zweifels schied ein Innen und ein Aussen des Denkens und ging dann über in die Figur der Klarheit, die das Kriterium für sicheres Wissen lieferte. Diese Figuren wurden dann mit der Figur des Mangels konfrontiert, die diesem Denken einen festen, sicheren Grund konstruierte, das denkende Ding, das als Erstes klar und deutlich eingesehen werden kann. Diese erste Wahrheit vereinheitlicht nun die wissenschaftlichen Erkenntnisse, entzieht sich aber gleichzeitig immer und sorgt durch diesen Entzug für die Unabschließbarkeit der Wissenschaft, da es sich selbst nicht in die Ordnung des Wissens fügt. Das so erschlossene cartesische Denkdiagramm, das in den Meditationen das erste Mal wiederholt und somit gefestigt wurde, findet sich nun im Wachsbeispiel seiner Beweglichkeit und Variation beraubt und in einen Repräsentationszusammenhang gestellt. Im Wachsbeispiel werden die Denkfiguren und die Aussagen, in die sie intervenieren, festgeschrieben und im Wissensdiagramm der Rekognition angeordnet. Dieses Wissensdiagramm liegt nun aber nicht materiell vor, sondern wird implizit in Descartes Diskussion des Wachsbeispiels zusam-

97 Descartes: Meditationes, S. 53; AT VII, S. 27.

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mengefügt, um so die Ergebnisse des neuen Diskurses zu repräsentieren. Durch das implizite Wissensdiagramm werden die körperliche und die geistige Welt hierarchisiert, genau wie auch die Vermögen des Menschen, das Denken und die geistige Einsicht. Was im Denkdiagramm noch experimentell im Spiel war, erhält im Wissensdiagramm eine feste Richtung. Hier wird nun ein Stufenmodell der Erkenntnisvermögen und die Abhängigkeit der Körper vom Geistigen fixiert und als Wahrheit behauptet. Das Wissensdiagramm der Rekognition hebt jetzt mit der Schwierigkeit an, dass als Kriterium für die Wahrheit die klare und deutliche Erkenntnis ermittelt wurde, wir aber meinen würden, dass wir die Körper eher klar und deutlich einsehen als den Geist. Dabei verlieren sich die Denkfiguren im Kontinuum chaotischer Denkbewegungen, um anschließend dann wieder figuriert zu werden: »Bislang aber scheint es gleichwohl – und ich kann nicht umhin, das zu meinen –, dass die körperlichen Dinge, deren Bilder durch mein Denken gebildet werden, und die die Sinne allein erkunden, sehr viel deutlicher erkannt werden als jenes ich weiß nicht welches Etwas von mir, das nicht unter die Anschauung fällt – obgleich es in der Tat seltsam ist, dass Dinge, die ich als zweifelhaft, unbekannt und mir fremd bemerke, deutlicher von mir verstanden werden als das, was wahr ist, was erkannt ist, mit einem Wort: als ich selbst. Aber ich sehe wohl, was hier vor sich geht: es bereitet meinem Geist Vergnügen, abzuirren, und noch erträgt er es nicht, in den Grenzen der Wahrheit gehalten zu werden. Meinetwegen! Lassen wir ihm noch einmal die Zügel ganz locker, damit, wenn sie bei späterer Gelegenheit wieder angezogen werden, er es leichter erträgt, gelenkt zu werden.«98

Ist der Diskurs des Cogito nun einmal eröffnet und das Kriterium für die Wahrheitsproduktion gefunden, so kann sich jedoch dieser Diskurs nicht mehr zurückbiegen auf seine Bedingungen. Die erste Wahrheit ist nicht diejenige, die das Wahrheitskriterium am besten erfüllt, oder anders: was man in der Welt leicht einsieht, fällt nicht damit zusammen, was sich dem Denken als leicht darstellt. Um die Fixierung der Unterscheidung der beiden Welten und ihre Relation geht es nun im Folgenden. Dabei werden die Zügel des Denkens jetzt heftig angezogen, das Denken in seine neuen Schranken verwiesen: »Betrachten wir jene Dinge, von denen man gemeinhin meint, sie insgesamt am deutlichsten zu verstehen, nämlich die Körper, die wir berühren, die wir sehen; und zwar nicht die

98 Descartes: Meditationes, S. 59; AT VII, S. 29f.

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Körper überhaupt, denn solche allgemeinen Erfassungen sind gewöhnlich ziemlich verworren, sondern einen Körper im besonderen. Nehmen wir zum Beispiel dieses Wachs«99.

Descartes führt nun aus, dass dieses Stück Wachs, gerade aus dem Bienenstock entfernt, den Geschmack des Honigs noch nicht verloren hat, den Geruch von Blumen verströmt, eine spezifische Farbe, Gestalt und Größe hat. Es ist kalt und hart und wenn man darauf schlägt, gibt es einen Ton ab. Setzt man dieses Stück Wachs nun aber dem Feuer aus, so ändern sich diese Eigenschaften: der Geschmack geht verloren, ebenso der Geruch, die Farbe ändert sich, ebenso die Größe, es wird warm und flüssig, und wenn man es anschlägt, gibt es keinen Ton mehr von sich. Die Frage, die sich Descartes nun stellt, ist die Folgende: Ist es immer noch dasselbe Stück Wachs, auch wenn sich scheinbar alle seine Eigenschaften verändert haben? Denn was die Vermögen des Geschmackssinns, des Geruchsinns, das Sehvermögen, Tastsinn und Gehör nun empfangen, hat sich völlig verändert, und trotzdem, so Descartes, bleibt es dasselbe Wachs. »Vielleicht war es das, was ich nun denke: dass nämlich das Wachs selbst eben weder jene Süßigkeit des Honigs, noch der betörende Geruch der Blumen, noch die weiße Farbe, noch die Gestalt, noch der Ton gewesen ist, sondern ein Körper, der mir kurz zuvor mit jenen hervorstechenden Eigenschaften erschien, und nun mit davon verschiedenen. Was aber genau ist das, was ich mir so vorstelle? Berücksichtigen wir das genau und schauen wir, was übrigbleibt, wenn wir alles entfernen, was nicht zum Wachs gehört: nämlich nichts anderes als ein ausgedehntes Etwas, biegsam und veränderlich.«100

Das Biegsame und Veränderliche des Wachses, so argumentiert Descartes, ist nichts, was man sich (bildlich) vorstellen kann, man kann es nur mit dem Geist (mens) klar und deutlich einsehen. Auf diese Weise werden nun in der Rekognition zuerst die Vermögen des Denkens hierarchisiert. Die Sinne und die Vorstellungen kleben so an den Eigenschaften der Körper, dass sie einer koordinierenden Fähigkeit unterstehen müssen, der Einsicht des Geistes. Diese Vereinheitlichung der Vermögen gelingt über den Gemeinsinn als Vermittler zwischen geistiger Einsicht und den Vermögen, indem er die Vermögensinhalte konzentriert und dem Geist zur Einsicht vorstellt: »Wir wollen also den Faden unserer Gedanken wieder aufnehmen, indem wir unsere Aufmerksamkeit darauf lenken, ob ich damals, als ich es zuerst angesehen und geglaubt

99

Descartes: Meditationes, S. 59; AT VII, S. 30.

100 Ebd., S. 61; AT VII, S. 30f.

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habe, das Wachs durch den äußeren Sinn selbst zu erkennen – oder zumindest durch das, was Gemeinsinn genannt wird, d.h. durch die Anschauungskraft –, oder ob ich nicht vielmehr jetzt vollkommener und evidenter erfasse, was das Wachs ist, nachdem ich nicht nur eingehender untersucht habe, was es ist, sondern auch, wie es erkannt wird [cognoscere] ... Was aber kann ich über diesen Geist selbst, bzw. über mich selbst sagen? Noch lasse ich nämlich nicht gelten, dass irgendetwas anderes in mir ist außer Geist. Was, sage ich, bin ich selbst, der ich dieses Wachs so deutlich zu erfassen [percipere] scheine? Sollte ich mich selbst nicht nur viel wahrer, viel sicherer, sondern auch viel deutlicher und evidenter erkennen? Denn wenn ich aufgrund dessen, dass ich das Wachs sehe, urteile, dass es existiert, ergibt sich doch wohl sicherlich daraus, dass ich es sehe, noch viel evidenter, dass ich selbst existiere. Es mag nämlich sein, dass das, was ich sehe, nicht wirklich Wachs ist; es mag auch sein, dass ich nicht einmal Augen habe, durch die mir irgendetwas erscheint; aber es kann schlicht überhaupt nicht sein, dass, wenn ich sehe, bzw. (was ich jetzt nicht unterscheide) wenn ich denke, dass ich sehe, ich selbst, der Denkende, nicht irgendetwas bin.«101

Das Wissensdiagramm der Rekognition ist hier nun voll entfaltet. Während die Vermögen in ihren Grenzen bleiben und damit immer an eine Perspektive auf den Körper gebunden sind, so schafft es der Gemeinsinn, diese Perspektiven zu vereinigen. Das Gesamtbild des erfassten Körpers bietet er nun dem Geist zur Einsicht an und nur der Geist kann die verschiedenen Bilder des Gemeinsinns vergleichen und dadurch in die Wandlungen und die sich erhaltenden Aspekte eines Körpers Einsicht haben. In diesem Stufenmodell findet sich nun die Denkfigur des Mangels integriert, indem von den verschiedenen sich widersprechenden Vermögensinhalten übergegangen wird zu der einen, sich nicht zeigenden Eigenschaft – die Ausdehnung. Diese findet sich komprimiert in der Unterstellung, dass es dasselbe Wachs bleibt, auch nach dem Erhitzen. Der Mangel strukturiert nun auch die Suche, die von verschiedenen Vermögen zu einem Zeitpunkt t1 übergeht zu den Vermögen zu einem Zeitpunkt t2 bis hin zur zeitüberschreitenden Fähigkeit der einen Einsicht, die Gemeinsinn und Sinne koordiniert. Im Anschluss an die Ermittlung der Hierarchie der Vermögen des Denkens werden nun Denken und Körper über die fixierte Figur des Zweifels in eine feste Relation gestellt. Denn, so argumentiert Descartes, wenn ich mich auf ein Stück Wachs wiederholt beziehe, dann kann es sein, dass ich das träume, oder dass es mir ein böser Gott vorspielt; der Umstand aber, dass ich mich denkend auf etwas beziehe, heißt, dass ich denke. Und wenn ich das wiederholen kann, dann muss

101 Descartes: Meditationes, S. 65; AT VII, S. 32f.

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auch mein geistiges Vermögen das gleiche bleiben, egal, ob ich wirkliches, geträumtes oder vorgespieltes Wachs erkenne. Von meiner Identität kann ich nun auch auf die Identität des Wachses schließen, wenn er sich meinem Geist mehrfach präsentiert. Damit wird die Priorität des Geistes und die Abhängigkeit des Körpers vom Geist festgezurrt. Im Wissensdiagramm wird die Struktur der Wissenschaft festgehalten und kann nun von hier aus in die Gebiete des Wissens repräsentiert werden. »Und so bin ich letztendlich von selbst dort angelangt, wohin ich wollte. Denn da mir nunmehr bekannt ist, dass die Körper selbst nicht eigentlich durch die Sinne oder durch das Vorstellungsvermögen, sondern durch den Verstand allein erfasst werden, und dass sie nicht dadurch erfasst werden, dass sie berührt oder gesehen werden, sondern allein dadurch, dass sie eingesehen werden, so erkenne ich sehr genau, dass nichts leichter oder auch evidenter von mir erfasst werden kann als mein Geist. Aber weil die Gewohnheit einer alten Meinung nicht so schnell abgelegt werden kann, ist es angebracht, hier innezuhalten, damit dieser neue Gedanke sich durch längeres Verweilen bei dieser Meditation mein-em Gedächtnis tiefer einprägt.«102

Descartes legt hier die Spur, der wir im abschließenden Teil über die gezeichneten Bilder und Diagramme folgen wollen. Während das implizite Denkdiagramm die Opposition von bedeutungszuschreibenden Aussagen und Denkfiguren organisiert und so Denkräume eröffnet, schreibt das implizite Wissensdiagramm diese vorher noch tastenden Bewegungen fest, kartographiert die entstehenden Räume und übersetzt die operativen Figuren in ein repräsentierendes Modell. Das implizite Wissensdiagramm verlangt dann nach gezeichneten Wissensdiagrammen, die zeichnend die festgelegten Strukturierungen wiederholen und in ein beliebiges Material repräsentieren und damit reproduzieren. Nun macht Descartes aber nicht direkt den Sprung in die Wissenschaft, also in seine Physik, deren Grundlegung die Metaphysik war, indem er die Metaphysik hinter sich lässt, sondern er wiederholt das Denkdiagramm auch in den Principia und in der Recherche nochmals. Warum aber diese Wiederholung, wenn es doch um eine Grundlegung geht. Dann würde ein einmaliger Beweis ja genügen, zumal er nun auf französisch für das gemeine und auf Latein für das Fachpublikum bereits erfolgte? Scheinbar setzt Descartes wirklich auf die Gewöhnung, die er im Discours ja nur den Einrichtungen der körperlichen Welt zugestand, im Bereich des Geistes müsse hingegen alles, was nicht intuitiv einsichtig ist, bezweifelt werden. Geht es ihm hier nun um die Verbreitung einer Wahrheit, oder

102 Descartes: Meditationes, S. 67; AT VII, S. 33f.

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doch um die Prägung des Denkens? Wenn die erste Wahrheit so einfach einzusehen wäre, dann bestünde gar kein Grund, sie zu wiederholen. So ist es wohl tatsächlich Descartes’ Anliegen, den Bewegungen des Denkens feste Bahnen zuzuweisen, es in Denkfiguren zu organisieren. Wobei es dann egal ist, was die erste Wahrheit ist, verlangt die Figur des Mangels nur irgendeinen Anfang. Und ob der Zweifel nun zum »Ich denke« führt, oder etwa zum »Ich«, wie das bei Fichte geschieht, ist dann egal, Hauptsache, er errichtet einen ersten Dualismus von Denken und Körper, auch wenn dieser argumentativ nicht vollständig einzuholen ist. Schließlich ist der Anfang selbst bei Descartes in Bewegung, verfestigt sich in Figuren, gestaltet die Denkräume und schafft Übergänge in die körperliche Welt – eine ganze Formwerdung von einem Kontinuum der ungeordneten Denkbewegungen über deren erste Formung zu Denkfiguren bis hin zur festen Form des Wissensdiagramms. Doch schauen wir uns die Wiederholungen an und bestimmen wir den strategischen Einsatz der Wiederholungen des Anfangs des Denkens. Vielleicht verstehen wir dann besser, warum Descartes das Ereignis des Anfangs des Denkens nicht vergehen lassen kann. In den Principia, die 1644 auf Latein in Amsterdam erschienen, tritt der durch die Meditationes bereits berühmt gewordene Philosoph erneut an sein Publikum und präsentiert in systematischer Darstellung einen Grundriss seiner Wissenschaft. Er beginnt diesen Entwurf mit den Paragraphen über die menschliche Erkenntnis, die das Denkdiagramm aufführen, kommt im zweiten Teil zu den Prinzipien der materiellen Dinge. Im dritten Teil führt er seine theoretischen Überlegungen zu Astronomie und Kosmologie aus und abschließend, im Teil über die Erde, gibt es Abrisse zu Meteorologie, Geologie und Chemie. Nur projektiert blieben Teil fünf und sechs, über die Lebewesen (Botanik und Zoologie) und über den Menschen. Insofern müssen auch die Prinzipien als unvollendet gelten, wenngleich Descartes sie so veröffentlicht hat. Descartes beginnt, obgleich es sich um eine systematische Abhandlung handelt, wiederum nicht mit den ersten Argumenten, sondern mit der Beschreibung einer Situation, die bereits die Denkfiguren des Mangels und des Zweifels ins Werk setzt: »Weil wir als sprachlose Wesen geboren werden und schon viele Urteile über sinnlich wahrnehmbare Dinge gefällt haben, bevor wir uneingeschränkten Gebrauch von unserer Vernunft machen können, werden wir durch vielerlei Vorurteile von der Erkenntnis des Wahren abgehalten. Von diesen Vorurteilen können wir uns, wie es scheint, nicht anders

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befreien, als indem wir es uns auferlegen, einmal im Leben an allem zu zweifeln, worin wir auch nur den geringsten Verdacht der Ungewissheit antreffen werden.«103

Während der Mensch in der damaligen von Aristoteles dominierten Philosophie als vernünftig und sprachbegabt definiert wurde, als animal rationale, führt Descartes aus, dass der Mensch als Kind noch keinen vollen Gebrauch von seiner Vernunft machen und so nicht in alles intuitiv Einsicht haben kann und deshalb viel für wahr nimmt, was es nach Prüfung durch die Vernunft nicht wäre. So beginnt Descartes nicht mit einer übernommenen Definition des Menschen, die explizit ein Verständnis von Animalität und Rationalität voraussetzen würde, sondern interveniert in diesen Diskurs, indem er das Denken in Bewegung versetzt. Gleichzeitig unterschreibt Descartes aber implizit, dass jeder Mensch eine Vernunft hat, mit der er die eine Wahrheit einsehen kann. Da der Mensch diese Möglichkeit nun aber verspielt hat, wenn er als Kind unreflektiert Meinungen übernimmt, ist diese Fähigkeit des Menschen verlorengegangen. Deshalb ermangelt es dem Menschen der Möglichkeit, die eine Vernunft zu benutzen, da er nicht mehr unterscheiden kann zwischen wahren Einsichten und bloßen Meinungen. Der Weg des Denkens, der nun zur Wiedererlangung der geistigen Einsicht führt, wird jetzt über die Figur des Zweifels figuriert. Der zweite Satz lautet: »Vielmehr wird es nützlich sein, das, was wir bezweifeln, sogar für falsch zu halten, damit wir um so klarer ermitteln, was eigentlich das im Prozess des Erkennens Sicherste und Einfachste sei.«104 Die Denkfigur des Zweifels wird nun in einer weiteren Formung nur auf das Denken beschränkt, wenn Descartes fordert: »Hingegen muss der Zweifel einstweilen allein auf die Betrachtung der Wahrheit eingeschränkt werden.«105 Die Figur des Zweifels passiert nun die »sinnlich und bildlich vorgestellten Dinge«, die Trauminhalte, die mathematischen Beweise, selbst den allmächtigen Gott um dann zur ersten Erkenntnis und dem Anfang des Denkens vorzustoßen: »Wenn wir auf diese Weise alles zurückweisen, das wir auf irgendeine Weise bezweifeln können und sogar als falsch unterstellen, dann fällt es uns zwar leicht, zu unterstellen, dass es keinen Gott gebe, keinen Himmel, keine Körper, und dass zudem wir selbst weder Hände noch Füße und zuletzt überhaupt keinen Körper besitzen, aber dass wir, die wir derartige Gedanken verfolgen, nichts sind, lässt sich nicht ebenso leicht unterstellen. Denn offenbar ist es widersprüchlich, anzunehmen, dass dasjenige, das denkt, in eben derselben

103 Descartes: Principia philosophiae, S. 11; AT VIII, I, S. 5. 104 Ebd. 105 Ebd.

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Zeit, in der es denkt, nicht existieren sollte. Und deshalb ist die Erkenntnis, ich denke, daher bin ich [ego cogito, ergo sum], die überhaupt erste und sicherste, auf die jeder regelgeleitet Philosophierende stößt.«106

Das Cogito wird hier als die erste Erkenntnis des ordnungsmäßigen Philosophierens ausgewiesen, doch bleibt auch hier wieder zu konstatieren, dass der Mangel und der Zweifel diese Ordnung zuallererst aufgestellt haben, indem sie dem Denken die Idee eines Anfangs eingravieren, der auf eine spezifische Weise hergestellt werden muss, nämlich indem ich das Denken derart figuriere, dass ich im Zweifeln einen körperlichen und einen geistigen Bereich unterscheide und diese hierarchisiere: »Dies ist der beste Weg, die Natur des Geistes und dessen Unterschied zum Körper zu begreifen. Wenn wir nämlich untersuchen, was wir, die wir unterstellen, dass alles, was von uns verschieden ist, falsch ist, denn nun sein mögen, dann sehen wir ganz zuverlässig, dass keine Ausdehnung, weder Gestalt noch Ortsbewegung, wie überhaupt nichts dergleichen, das dem Körper zugesprochen wird, zu unserer Natur gehört, sondern allein das Denken.«107

Interessant an diesem Zitat ist, dass Descartes Gestalt und Ortsbewegung gerade nicht dem Denken, sondern der Ausdehnung zuschlägt, er gleichzeitig am Anfang vom Weg (des Denkens) spricht. Offensichtlich ist hier eine andere Bewegung angesprochen, die nicht Ortsveränderung ist, sondern intensive Bewegung des Denkens. Diese wandelt sich nun von Mangel und Zweifel hin zur Figur der Klarheit, die das Kriterium für Wahrheit offenbart. Warum wiederholt Descartes nun aber an dieser Stelle die Denkfiguren des Mangels, des Zweifels und der Klarheit? Ein Ansatz zur Beantwortung dieser Frage kann in seinem impliziten Bezug auf Aristoteles gesehen werden. Wenn Descartes das Denkdiagramm nun aufruft, so um in den aristotelischen Diskurs zu intervenieren, der den Menschen als animal rationale definiert. Damit ist es aber kein wirklicher Anfang, denn es setzt eine Verfestigung des aristotelischen Denkens immer schon voraus. Ohne die Definition des Menschen durch Aristoteles, den Ausweis der Fähigkeit des Menschen, dass er der Vernunft fähig ist, es ihrer aber in den Meinungen ermangelt, würde Descartes auch hier nicht die erste Wahrheit als Anfang einführen können. Deshalb muss er auch hier das Denkdiagramm des Cogito aktualisieren, um seinen Plan einer universellen Wissen-

106 Descartes: Principia philosophiae, S. 15; AT VIII, I, S. 6f. 107 Ebd., S. 15ff.; AT VIII, I, S. 7.

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schaft genau wie sein Wissensdiagramm der menschlichen Vermögen nicht grundlos zu konstatieren. Der letzte Einsatzbereich des Denkdiagramms fällt in die Recherche de la vérité par la lumière naturelle. Das Dialogfragment fand sich im handschriftlichen Nachlass des 1650 verstorbenen Descartes und wurde von Henri Gouhier108 auf die Zeit nach der Veröffentlichung der Principia datiert, also um 1647 – auch wenn es Argumente für eine frühere Entstehungszeit gibt. Der komplette Titel in der deutschen Übertragung lautet »Die Suche nach [der] Wahrheit durch das natürliche Licht, welches ganz rein und ohne Zuhilfenahme der Religion oder der Philosophie die geistige Weltsicht eines kultivierten Menschen bestimmt und bis zu den Geheimnissen der bemerkenswertesten Wissenschaften vordringt«. Der Titel zeigt die uns bereits bekannte Verbindung von Produktion eines Menschenbildes und Wissenschaft. Der einzige Dialog Descartes’ verteilt nun nicht seine Thesen auf verschiedene Rollen, sondern entfaltet einen Streit um das Wesen des Wissens zwischen Epistemon und Eudoxus, deren Richter Poliander, der einfache ungebildete Mensch ist. Epistemon (der Wissende) hat hier die Rolle des Schulphilosophen inne, während Eudoxus (der Wohlmeinende) – seine Nähe zu Descartes’ eigener Position ist unstrittig – jemand ist, der durch gutes Urteilsvermögen zu einer unverstellten und entwicklungsfähigen Weltsicht gelangt ist. Dem Dialog ist ein Vorwort vorangestellt, das den kultivierten Menschen als jemanden beschreibt, der weniger Bücher liest, um dafür mehr Zeit für gute Taten übrig zu haben »und die sollte ihn seine eigene Vernunft lehren, wie wenn er nur sie als Lehrmeisterin gehabt hätte.«109 Da dieser kultivierte Mensch nun aber auch in seiner Kindheit falschen Ratschlägen unkritisch folgte, desweiteren von den verschiedenen Lehrmeinungen der Lehrer durchsetzt wurde, so »findet sich sein Geist fast zwangsläufig mit einer Unzahl falscher Vorstellungen besetzt, noch bevor die Vernunft die Führung übernehmen konnte, und er bedarf dann besonderer Geistesgaben oder wenigstens weiser Ratschläge, um die falschen Lehren, die ihn vereinnahmt haben, wieder loszuwerden, sowie die ersten Grundlagen für ein sicheres Wissen zu schaffen und all die Wege zu entdecken, auf denen er sein Wissen zur größtmöglichen Entfaltung zu bringen vermag.«110

108 Gouhier: La Pensée réligieuse de Descartes. 109 Descartes: Recherche, S. 27; AT X, S. 495. 110 Ebd., S. 27; AT X, S. 496.

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Das Ziel dieses Dialogs formuliert Descartes im Anschluss ganz explizit. Es geht ihm darum, dass jedem Einzelnen eröffnet wird: » wie er in sich selbst, und ohne von andern etwas borgen zu müssen, das vollständige und für seine Lebensführung unerlässliche Wissen findet«111. Descartes mobilisiert hier den unwissenden Einzelnen, der unverbildet ist und dennoch das natürliche Licht besitzt, also vernunftbegabt ist. Das natürliche Licht muss nur wiedergefunden werden. Darauf aufbauend kann er ein gutes Leben führen, was ihn auch zu neuen Erkenntnissen befähigt. Denn wenn man nur die erste Erkenntnis macht, werden sich alle weiteren Erkenntnisse ergeben, da sie »auf wunderbare Weise miteinander verbunden«112 sind. Damit wird der erzieherische Anspruch Descartes augenfällig, gibt er als Ziel dieses Dialogs nichts Geringeres an, als dass Jeder, der Ungebildete sogar noch mehr, nicht nur zur Vernunft fähig ist, sondern dass jedermann die erste Erkenntnis finden und darauf hin ganz einfach zu den höchsten Erkenntnissen aufsteigen kann. Der Dialog beginnt nun mit dem Einsatz Polianders, der sich den beiden Lehrmeistern gegenüber findet und fragt, was sie ihn denn lehren können. Daraufhin antwortet zuerst Epistemon, der Schulphilosoph, dass die erste Weisheit, die er ihm vermitteln kann, der Wissensdurst ist, den er sich als unheilbare Krankheit vorstellen soll, denn, um so mehr man weiß, desto mehr wolle man auch wissen. So pflanzt ihm Epistemon im ersten Satz den Mangel ein, den Mangel an Wissen: »Und da seelische Mängel uns nur bedrücken, wenn wir von ihnen wissen, so sind Sie immer noch besser dran als unseresgleichen: Sie merken nicht, dass Ihnen gar Vieles fehlt, während es uns bewusst ist.«113 Führt der Mangel bei Epistemon dazu, dass er sein Wissen immer mehr erweitern will, muss Poliander nun erst einmal überzeugt werden, dass ihm überhaupt etwas fehlt. Hier springt ihm Eudoxus, der Cartesianer, zur Seite: »Wie können Sie, Epistemon, als bedeutender Gelehrter annehmen, es gebe eine in der Natur überall verbreitete Krankheit ohne ein Heilmittel? Ich wenigstens glaube nicht nur, dass es in jedem Landstrich genügend Früchte und Bachläufe gibt, um den Hunger und den Durst aller zu stillen, sondern auch ausreichend viele erkennbare Wahrheiten auf jedem Gebiet, um die Wissbegierde gesunder Köpfe voll zufriedenzustellen.«114

111 Descartes: Recherche, S. 27; AT X, S. 496. 112 Ebd. 113 Ebd., S. 33; AT X, S. 499f. 114 Ebd., S. 33; AT X, S. 500.

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Eudoxus untermauert den Mangel nun, indem er ihn als eine Krankheit stilisiert, die zu beheben es jedoch eine Medizin gibt. Gegen das Kranke des mangelnden Wissens stellt er die gesunden wissbegierigen Köpfe. Um Poliander nun aber nicht abzuschrecken, parallelisiert er dieses Gesunden mit den »natürlichen« Bedürfnissen nach Essen und Trinken, von denen es genug für alle gebe, worin das Versprechen liegt, dass auch Poliander seinen Mangel überwinden könne. Und Poliander akzeptiert, dass der mangelhaft ist: »Ich glaube, dass damit alle Wünsche erfüllt würden und wäre schon glücklich, wenn Sie mir nur einige Lehrsätze streng beweisen würden, welche so hervorstechen, dass jedermann sie wirklich kennt«115. Darüber, wie man nun zu den streng bewiesenen Lehrsätzen kommt, geraten Epistemon und Eudoxus in einen Streit. Während das Wissen für Epistemon mit viel Arbeit und lebenslangem Forschen verbunden ist, wirbt Eudoxus mit dem uns bereits bekannten Weg. Der Mangel müsse nicht durch das gesamte Wissen behoben werden, sondern es reicht eine erste Wahrheit, aus der sich alle anderen ergeben: »Und um in diesen ganzen Gedankengang einzutreten, muss man prüfen, worin die erste Erkenntnis der Menschen besteht, in welchem Teil der Seele sie zu Hause ist und wie es kommt, dass sie anfangs so unvollkommen ist.«116 Darauf antwortet Epistemon mit dem Bild der Seele als Maler: »Die Sinne, die Neigungen, die Lehrer und der Verstand sind die ungleichen Maler, welche an diesem Bild arbeiten. Die am wenigsten Fähigen machen sich zuerst ans Werk, als da sind unvollkommene Sinne, ein blinder Instinkt und dummdreiste Ammen. Der beste Maler, der Verstand, kommt zuletzt dran. Er braucht noch mehrere Lehrjahre, muss lange dem Vorbild seiner Meister nacheifern, bevor er einen ihrer Fehler zu verbessern wagt. Dies ist m.E. eine der Hauptursachen, weshalb für uns die Erkenntnis so schwierig ist ... Der Maler mag noch so sehr nach allen Regeln seiner Kunst allmählich diesen oder jenen Strich verbessern; er mag aus eigenen Stücken hinzufügen, was fehlt. Und doch wird er niemals so gut arbeiten, dass nicht grobe Fehler zurückbleiben, eben weil schon zu Anfang die Zeichnung falsch angelegt, die Figuren schlecht platziert und die Proportionen schlecht gewahrt waren.«117

Für Epistemon ist der Mangel fundamental und unausweichlich. Man braucht die besten Meister, die im Umgang mit dem Verstand geübt und nahezu fehlerfrei sind. Aber auch sie sind durch die anthropologische Konstitution mangelhaft, und man muss lange bei ihnen gelernt haben, um auch ihre Fehler zu erkennen

115 Descartes: Recherche, S. 39; AT X, S. 503f. 116 Ebd., S. 43; AT X, S. 506f. 117 Ebd., S. 45; AT X, S. 507f.

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und korrigieren zu können. Eudoxus kennt nun einen Ausweg, indem er die Figur des Mangels durch die Figur des Zweifels umlenkt und beherrschbar macht: »Ihr Gleichnis macht das erste Hindernis, dem wir begegnen, gut sichtbar. Aber Sie unterließen es, das Mittel zu nennen, mit dem man sich dagegen wappnet. Es besteht darin, finde ich, dass Ihr Maler besser daran täte, mit dem Schwamm über das Bild zu gehen und die Zeichnung wegzuwischen, die dort schon steht, statt seine Zeit mit Korrekturen zu vergeuden. Ebenso sollte jeder Mensch, wenn er das Lebensalter der Erkenntnis erreicht hat, mit einem herzhaften Entschluss alle unvollkommenen Ideen aus seinem Vorstellungsvermögen tilgen, die sich bis zu diesem Zeitpunkt darin festgesetzt haben.«118

Descartes nimmt das Bild des Malers119 auf und moduliert die Figur des korrigierenden Aufbaus zur Figur des Zweifels. Dabei fällt auf, dass Eudoxus an Epistemon anschließt, ihm das Modell der Seele entlehnt und auch die Annahme, dass, bevor die Vernunft zum vollen Einsatz kommt, die Sinne bereits Unwahrheiten in der Seele installiert haben. Damit ist der Anfang dieser Wissenschaft des Eudoxus abhängig von den Annahmen der Schulphilosophen. Das Neue ist nun aber, dass er sie moduliert, umlenkt und durch neue Figuren des Denkens auch neue Räume des Denkens eröffnet, hier bspw. den Raum eines ersten Anfangs. Die erste Wahrheit, der es Poliander ermangelt, kann nur gefunden werden, indem alles, was er zu wissen glaubt, ausgeschlossen wird. Und Poliander stimmt ein: »Sie haben mich überzeugt, und ich werde mich bemühen, mir diese Schwierigkeiten in ihrer ganzen Stärke vor Augen zu halten. Ich will ganz aufmerksam daran zweifeln, ob ich nicht etwa mein Leben lang geträumt habe; ob alle von mir gehegten Ideen in meinen Geist nur durch die Pforten der Sinne Eingang finden konnten ... Folglich werde ich nicht nur unsicher sein, ob Sie auf der Welt sind, ob es eine Erde, eine Sonne gibt, sondern so-

118 Descartes: Recherche, S. 45; AT X, S. 508. 119 Ein Vergleich mit der Technik Francis Bacons, so wie sie Deleuze erläutert, ist an dieser Stelle aufschlussreich. Während Descartes’ Maler die misslungene Figuration komplett wegwischt, so bestand Bacons Technik darin, nur teilweise zu wischen, bis sich neue Relationen ergeben haben, die zu einer neuen Figur führen können. Während Bacon also aus der Mitte der alten Figuration heraus malt, geht es Descartes’ Maler darum neu zu beginnen. Wie man nun aber genau etwas Neues malt, das nicht immer schon fehlerhaft ist, diese technische Frage bleibt hier offen. Jedoch scheint es bei Descartes’ Maler auch einen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit des Wischens und dem Anfang zu geben.

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gar ob ich Augen habe, Ohren, einen Körper, ja ob ich mit Ihnen spreche und Sie mit mir; und so alle Tatsachen betreffend.«120

Poliander wiederholt hier die Figur des Zweifels, wobei er genau in der bekannten Reihenfolge vorgeht. Auf das Misstrauen an der Authentizität der Sinnesdaten, gewonnen durch das Traumbeispiel, wird zuerst an den Sinnen gezweifelt, dann an den allgemeinmenschlichsten Überzeugungen über die Welt, daran, dass er einen Körper hat, schließlich an der Situation, in der er sich befindet. Aber er zweifelt gerade nicht an der Einrichtung der Welt und vor allem nicht an den Ausführungen des Eudoxus. Dieser macht ihm Versprechungen, die ihm gleichzeitig vorzeichnen, welche Bewegung und in welcher Reihenfolge sich die versprochene Erkenntnis vollzieht: »Sie brauchen mir nur zuzuhören, und ich werde Sie viel weiter bringen, als Sie meinen. Denn ich bin dazu entschlossen, ausgehend von diesem umfassenden Zweifel als von einem festen und unbeweglichen Punkt, die Erkenntnis Gottes, Ihrer Selbst und aller Dinge dieser Welt hervorgehen zu lassen.«121

Poliander ist nun vollständig verzückt und das Projekt des Eudoxus hat sich hier bereits vollzogen: Poliander kann gar nicht mehr anders als folgen, da sein Denken nun bereits gebahnt ist. Er sucht nur noch nach dem ersten Fundament, der ersten Wahrheit und ist bereit alles auszuschließen. Der Einfältige akzeptiert somit bereits den Anfang, die Unterscheidung von wahr und falsch, die von Innen und Außen und folgt dem cartesischen Denkdiagramm geradlinig: »Das sind wirklich große Versprechungen, und wenn es sich so verhält, verlohnt es sich gewiss, Ihrer Forderung Genüge zu tun. Halten Sie also nur ihr Versprechen, und wir werden unsern Part erfüllen.«122 Nun muss Eudoxus ihm nur noch beibringen, wie die Denkfigur des Zweifels und des Mangels zusammenspielen, wie sie sich gegenseitig affizieren und so aufzufüllende Denkräume eröffnen: »Da Sie also nicht leugnen können zu zweifeln, und im Gegenteil gewiss ist, dass Sie zweifeln (und zwar in dem Maße gewiss, dass Sie daran gar nicht zweifeln können), so ist auch wahr, dass Sie, der Sie zweifeln, sind. Und dies ist so wahr, dass Sie ebenso wenig daran zweifeln können.«123

120 Descartes: Recherche, S. 53; AT X, S. 514. 121 Ebd., S. 55; AT X, S. 515. 122 Ebd. 123 Ebd.

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Poliander, der noch nicht ganz in das neue Denken eingeübt ist, wiederholt zwar die Denkfiguren, tappt aber sogleich in die erste Falle: »Also werde ich sagen, ich sei ein Mensch.«124 Da der Begriff des Menschen jedoch zu voraussetzungsvoll ist, damit kein Anfang sein kann, muss er weiter raten: »Ich drückte aus, dass ich ein bestimmtes Ganzes bin, bestehend aus zwei Armen, zwei Beinen, einem Kopf und allen übrigen Teilen, aus denen es sich zusammensetzt; es ist das, was menschlicher Körper genannt wird, was außerdem Nahrung aufnimmt, geht, empfindet und denkt.«125

Doch falsch! Es ist ja nicht der Körper, der zweifelt: »Jetzt begreife ich wirklich ... dass das, was ich bin, sofern ich zweifle, keineswegs das ist, was ich meinen Körper nenne. Ja ich weiß nicht einmal, ob ich einen Körper habe, da Sie mir gezeigt haben, dass ich an ihm zweifeln kann. Ich füge dem noch hinzu, dass ich freilich nicht absolut ausschließen kann, einen Körper zu haben. Indes, obwohl wir alle jene Verdächtigungen unangetastet lassen, so bilden sie doch kein Hindernis, meiner Existenz sicher zu sein. Im Gegenteil bestärken sie mich noch mehr in der Gewissheit, dass ich existiere und dabei kein Körper bin.«126

Gefunden! Die Übung hatte Erfolg. Nicht nur, dass Poliander die von Eudoxus gewünschte erste Wahrheit gefunden hat, nein besser, er hat die Denkfiguren übernommen und in richtiger Weise ineinander gefügt. Er hat den einen Anfang gefunden, der gleichzeitig Körper und Geist trennt und dem Geist die Vorrangstellung gibt. Er ist bereit für die cartesische Wissenschaft und wird dem Epistemon vorwerfen, ein wackliges Fundament und keine einheitliche Wissenschaft zu haben, er wird ihm seinen Mangel vorwerfen und ihm den Zweifel als das probate Mittel empfehlen. Doch leider bricht der Dialog hier ab, auch er bleibt unabgeschlossen. Auch wenn der Dialog von Descartes nicht zur Veröffentlichung autorisiert wurde, so zeigt er doch auf ein wesentliches Ziel der Wiederholungen: Die Einübung in ein neues Denken.127 Während die Schulphilosophie damit beschäftigt

124 Descartes: Recherche, S. 57; AT X, S. 515. 125 Ebd., S. 61; AT X, S. 517. 126 Ebd., S. 63; AT X, S. 518. 127 Eine wirklich interessante Studie, die an den Aspekt der Einübung und Gewöhnung bei Descartes anschließt, ist Nolte: Philosophische Exerzitien bei Descartes. Nolte begreift die philosophischen Exerzitien Descartes’ vor dem Hintergrund stoischer,

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war, die Dinge zu klassifizieren, in lebendige und tote, in beseelte und unbeseelte und Fragen beantwortete, die Einordnungen betrafen, etabliert das cartesische Denkdiagramm hier eine Schieflage. Als Cartesianer beginnt man mit dem eigenen Denken, erst dann können sich die Körper zeigen, wobei man nie sicher sein kann, ob es denn die Körper wirklich gibt.128 Während Aristoteles sich in unendlichen Definitionsgefechten übte, deren explizite Voraussetzungen die Schulphilosophie schon gar nicht mehr einsah, beginnt der Cartesianer mit impliziten Voraussetzungen, wenn er ein ganzes Denkdiagramm erschafft. Dabei kann er nicht mehr unterscheiden zwischen Denken und Zweifeln, wenn sich Denken im Vollzug als Zweifel darstellt. Und jeder Anfang beginnt mit der Konstruktion eines Mangels: an Verstand, an Wissen, an Sicherheit, an Festigkeit, an Wahrheit, an Gewissheit. Wenn schließlich Hegel nicht den Begriff des Cogito übernimmt, so übernimmt er doch das Problem des Anfangs und versucht es durch die Figurierung impliziter Voraussetzungen zu lösen. Der voraussetzungslose Anfang in der Phänomenologie des Geistes arbeitet sich auch an einem gewählten Vorgänger ab, namentlich an Kant. Und man müsste das kantische und das hegelsche Denkdiagramm aufspüren, um aufzuzeigen, wie der Anfang hier gelingt, also welche Denkfiguren Hegel variiert und welchen neuen Diskurs die Modulierung produziert. Schließlich könnte man ausgehend von Descartes bspw. eine ganze Geschichte des Mangels schreiben. In dieser könnte man zeigen, wie Hegel seine Geschichten der Kunst oder der Philosophie auf sich zulaufen lässt. So bildet seine Position dasjenige, dessen es allen Vorgängern ermangelte, wenn er ihnen nachträglich ihr Fundament gibt. Auch Kant wiederholt bereits den Mangel in seiner Aufteilung der Philosophie, in Empiristen und Rationalisten, die allein er vereinigt. Beide Positionen sind mangelhaft und erfahren ihren Grund, verspätet, durch die kantische Philosophie, aus der heraus die Philosophiegeschichte sinnvoll erscheint. Schließlich weiß auch Fichte um den Mangel eines Fundaments

militärischer sowie geistliche Exerzitien seiner Zeit und weist das methodische Denken Descartes als »gelenktes, diszipliniertes Denken« (Ebd., S. 198) aus. 128 Vgl. hierzu auch Alquié: Wissenschaft und Metaphysik bei Descartes. Alquié legt großen Wert darauf, dass man Descartes’ Konzeption der Erkenntnis nicht als einen gewissen »Kantismus« begreift, »in dem die Erkenntnis … das Maß selbst der Wissenschaft wäre und einen Typ von vom Sein unabhängig definierbarer Objektivität erschüfe. Mitnichten. Es ist gerade das Sein, das Descartes anstreben will.« Descartes zielt »nicht vom Sein zur Erkenntnis, sondern von der Erkenntnis zum Sein.« Ebd., S. 38.

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und konstruiert, im vollen Sinne cartesianisch, eine Geschichte des Abschneidens und Verkürzens des ersten Grundes, auf dem eine ganze Wissenschaftslehre fußt. Dies sind nur Hinweise über die Verflechtung von Denkfiguren und Denkdiagrammen, wie man sie in der Philosophiegeschichte ausmachen könnte. Sie bilden damit eine eigene Geschichte und möglicherweise auch ganz neue Übergänge. Perzeption – Die Verfestigungen Jedes Denkdiagramm gewinnt dem Denken eine Figürlichkeit ab, die sich in den Bewegungen, die es vollzieht, herstellt. Da diese Denkfiguren nun nicht einfach nur argumentative Folgerungen darstellen, die entlang einer mehr oder weniger klassischen Logik operieren, entwerfen sie vielmehr eine eigene Logik, die sich in sprachlichen und gezeichneten Bilder verkörpert. Ohne jene Verfestigungen würde die Operativität der Denkfigur verloren gehen, sie wäre nur ein kurzes Aufblitzen. Die Wiederholungen arbeiteten sich bereits an diesem Problem ab, indem sie versuchten, eine Einübung und eine Gewöhnung an das cartesische Denkdiagramm herzustellen. Eine Stabilisierung der Gewöhnung geht nun von den Metaphern des cartesischen Denkens aus, welche die Denkfiguren in Bilder übersetzen. Diese Perzeptionen entreißen dem experimentellen Denken eine Bildhaftigkeit, welche die Operativität und die Strukturierung des Denkens konservieren. Die Perzeptionen setzen somit keinen Wahrnehmungsapparat voraus, vielmehr stellen sie zu allererst eine Wahrnehmung her. Hierzu zählen auch die gezeichneten Diagramme im Werk Descartes’, da sie eine Wahrnehmung von etwas produzieren, das sonst unsichtbar ist. Metaphorische Perzeptionen In allen Einsätzen des cartesischen Denkdiagramms ist uns das Bild des Hauses begegnet. Das Bild des Hauses stand für die Wissenschaften, die aufeinander aufbauen und auf einem festen Fundament fußen. Das Fundament ist in diesem Bild unsichtbar und dennoch für die Stabilität verantwortlich. Derart sollte die erste Wahrheit sein, die man wiederfinden muss, um nicht auf Sand oder wackligen Fundamenten zu bauen. Das feste Fundament ist der eine Mangel, der das gesamte Haus zusammenhält. Bei Descartes gibt es unvollständige Häuser, wir erinnern uns an das Beispiel der Mathematik als sicheres Fundament, ohne Haus und die moralischen Schriften des Altertums als prunkvolle Paläste ohne Fundament. Es gibt missratene Häuser, von denen Poliander erfährt. Eudoxus äußert sich wie folgt über das Wissen des Epistemon: »ich sehe es als ein missratenes

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Haus an, dessen Fundamente nicht fest sind.«129 Und immer fällt die Diagnose gleich aus: »Ich weiß kein besseres Mittel, um Abhilfe zu schaffen, als es ganz niederzureißen und ein neues aufzurichten.«130 Das missratene, auf Sand gebaute Haus ist immer dasjenige, was abgerissen werden muss, um es ganz von Neuem aufzubauen. Hier findet sich der Zweifel vorgezeichnet. Alle Konstruktionen, die ebenfalls als auf Fundamenten fußend dargestellt wurden, müssen abgebaut werden, um ein neues, festes Fundament zu finden, auf dem man ein neues Haus des Wissens bauen kann. Das Bild des Hauses wurde später noch durch das Bild des Malers ergänzt. Auch hier geht es um die Vorzeichnung des Zweifels, wenn der Maler das schlecht begonnene Bild wegwischt und von Neuem beginnt. Im Discours gibt es weiterhin die Überlegung, dass, wer nach der Wahrheit strebt und das alte Wissensgebäude eingerissen hat, eine Behausung für die Zwischenzeit benötigt. Da das fertige Haus der Wissenschaft für das gesicherte Wissen steht, dass zu einem guten Leben befähigt, verbirgt sich hierin das Problem der Moral. Wenn wir das gesamte Haus einreißen, darf das nicht dazu führen, dass wir auch jedes Lebenswissen und jegliche moralischen Überzeugungen mit verabschieden. Hier gibt sich Descartes, weil es ihm an einer ausgearbeiteten Ethik mangelt, einige praktische Maximen. Eine davon lautet: »in meinen Handlungen so fest und entschlossen zu sein wie möglich und den zweifelhaftesten Ansichten, wenn ich mich einmal für sie entschieden hätte, nicht weniger beharrlich zu folgen, als wären sie ganz gewiss. Hierin amte ich die Reisenden nach, die, wenn sie sich im Walde verirrt finden, nicht umherlaufen und sich bald in diese, bald in jene Richtung wenden, noch weniger an einer Stelle stehen bleiben, sondern so geradewegs wie möglich immer in derselben Richtung marschieren und davon nicht aus unbedeutenden Gründen abweichen sollten, obschon es im Anfang bloß der Zufall gewesen ist, der ihre Wahl bestimmt hat; denn so werden sie, wenn sie nicht genau dahin kommen, wohin sie wollten, wenigstens am Ende irgendeine Gegend erreichen, wo sie sich wahrscheinlich besser befinden als mitten im Wald.«131

Auf den Zweifel folgt die Klarheit. Hat man ein erstes Prinzip gefunden, dann muss man ihm auch folgen. Wie der Zweifel zum Verlust jeglicher Gewissheit führt, so befindet sich der Reisende im dunklen Wald. Es kommt nun darauf an, eine Richtung einzuschlagen, eine Bewegung zu vollziehen, um nicht im chaotischen Kontinuum aller möglichen Bewegungen zu verharren. Hat man diese

129 Descartes: Recherche, S. 47; AT X, S. 509. 130 Ebd. 131 Descartes: Discours, S. 41; AT VI, S. 24f.

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Bewegung eingeschlagen, muss man sie beibehalten, die Bewegung figurieren und kanalisieren. Dann bleibt man nicht im Chaos, sondern wird irgendwann Licht erblicken, eine Ordnung errichten. Während das Bild des Reisenden also einerseits die Klarheit aufzeichnet, indem sie den Gedanken bebildert, dass, wenn man sich einmal auf ein Prinzip geeinigt hat, dieses auch beibehalten werden muss, so ist es auch eine Bebilderung der Denkfigur selbst. Die Baumstämme eröffnen einen Raum, der voller virtueller Bewegungen ist. Man kann sich beliebig oft und beliebig lange darin verirren. Descartes’ Lösung ist weder stillzustehen noch wild umherzuirren, sondern eine Bewegung aufzunehmen, sie zu befestigen und zu wiederholen. So wie der Reisende, der sich für eine Richtung entschieden hat, sich in diese Richtung projiziert, dieser Repräsentation folgt, sie wiederholt und immer sofort, um irgend wann aus dem Dunkel ins Licht, in eine neue Gegend zu gelangen, in der er sich einrichten kann. Hier setzt in Descartes’ Schriften die Metaphorik des Weges ein. Wie Antonio Negri gezeigt hat, kommt dieser Metaphorik eine besondere Rolle zu, da sie keine Analogie zur Welt ausdrückt, was die barocke Metapher ausmacht, sondern einen direkten Zugriff auf das Beschriebene leistet.132 Die Metapher funktioniert so nicht analog zur Welt, sondern deckt diese auf, wenn Descartes das Denken bahnt und die Wege seines Denkens darstellt, die ihn zur Erkenntnis der Welt führten. Peter Bexte hat darauf hingewiesen, dass Descartes in der Metapher des Weges den Lebensweg und die Wege seines Denkens überblendet.133 So gelingt ihm die Bahnung des Denkens durch die Beschreibung von Lebensvollzügen. Das geht, wie Bexte zeigt, bis in die Titelgebung zurück, wenn Descartes seine Schrift über die Methode nicht Traktat oder Untersuchung, sondern »Discours« nennt. »Discours« verweist auf discurrere, was auseinander bzw. hin- und herlaufen meint. Der Discours hat sich in der Lektüre auch als eben jenes Hin- und Herlaufen, als Ausprobieren von Denkbewegungen dargestellt, die ein ganzes Denkdiagramm entworfen haben, ein Gemälde der Wege des Denkens.134

132 Negri: Political Descartes, S. 37f. 133 Bexte: Blinde Seher, S. 85ff. Vgl. zur autobiographischen Lesart von Descartes’ Metaphorik in Bezug auf die Lebensführung: Ossenkopp: Was ist ein Philosoph? (In Vorbereitung). Ossenkopp zeigt sehr gut den Zusammenhang von Descartes’ Denken des Lebens und der Lebendigkeit des Denkens bei Descartes. 134 Vgl. hierzu auch den Brief an Mersenne vom 27.02.1637, AT I, S. 349, in dem Descartes auf dem weniger theoretischen, als einübenden, praktischen Aspekt seiner Methodenschrift beharrt, was sich im Titel des Discours ausdrücke.

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Ein konkretes Gemälde, das der ganzen cartesischen Wissenschaft eine feste Struktur sowie vorgegebene Richtungen vorgibt, findet sich in einem berühmten Brief Descartes’ formuliert. »Die gesamte Philosophie ist also einem Baume vergleichbar, dessen Wurzel die Metaphysik, dessen Stamm die Physik und dessen Zweige alle übrigen Wissenschaften sind, die sich auf drei hauptsächliche zurückführen lassen, nämlich auf die Medizin, die Mechanik und die Ethik. Unter Ethik verstehe ich dabei die höchste und vollkommenste Sittenlehre, die, indem sie die gesamte Kenntnis der anderen Wissenschaften voraussetzt, die letzte und höchste Stufe der Weisheit bildet.«135

So ist schließlich auch der große Entwurf der Wissenschaften von Descartes zu verstehen. Die Metaphysik bleibt unsichtbar und sorgt dennoch für Wachstum und Stabilität aller anderen Wissenschaften. Aber es muss sogleich vermerkt werden, dass dieses Diagramm in der Repräsentation verbleibt, denn es wurde niemals eingelöst, diente immer der Aussicht. Die Ethik hat Descartes nie geschrieben, auch keine vollständige Physik, Medizin oder Mechanik. Und selbst die Metaphysik, die Wurzel des Baumes, kann nicht als abgeschlossen gelten, vielmehr treibt sie immer noch aus, produziert beständig neue Stränge. Dennoch ist der große Baum der Wissenschaften ein konkretes Diagramm, das die gesamte cartesische Wissenschaft virtuell begleitet. Gezeichnete Perzeptionen Betrachtet man nun den gesamten Textkorpus Descartes’ und nicht nur die metaphysischen Schriften, so fällt auf, dass viele seiner Bücher reich illustriert sind.136 Das ist umso überraschender, wenn man bedenkt, dass Textbücher über Philosophie, sogar über Naturphilosophie in der Renaissance, ganz ohne visuelle

135 Vgl. Descartes Brief an Picot, der später den Principia philosophiae vorangestellt wurde, in: Descartes: Die Prinzipien der Philosophie. Mit einem Anhang, enthaltend Bemerkungen René Descartes’ über ein gewisses in den Niederlanden gegen 1647 gedrucktes Programm, S. XLII; AT IX, II, S. 14. 136 Aufgabe dieses Kapitels kann es nun nicht sein, die Bilder bei Descartes erschöpfend zu behandeln, da das den Rahmen der Arbeit sprengen würde. Mir geht es v.a. um den Zusammenhang von Metaphysik und den Bildern bei Descartes, der an einem Beispiel verdeutlicht werden soll. Deshalb werde ich mich hier auch nicht Descartes’ Geometrie zuwenden, da ihr Zusammenhang mit der Diagrammatik eine eigene Arbeit bilden würde.

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Unterstützung funktionierten. In der aristotelischen Tradition wurden Naturphänomene als Wirkungen betrachtet, die man aus ihren Ursachen zu erklären hat. Diese Erklärungen beanspruchten Begriffe wie Materie und Form, Substanz und Akzidenz, aber gerade keine detailgenauen Illustrationen.137 Auf diesen Befund, dass man geradezu überrascht ist von der Fülle der visuellen Formen in den Büchern Descartes’, reagierte die neueste Descartesforschung in Anlehnung etwa an die Studien Bredekamps zu Leibniz, Gallilei138 usw. So findet bspw. Zittel bei Descartes »eine Schule des Sehens«139, wenn er in seinem monumentalen Buch zu den Bildern bei Descartes die diversen Vorkommen und Funktionen der Bilder analysiert. Dies wird auch nicht zuletzt durch die häufigen Wiederholungen der Bilder unterstützt (manche Bilder werden bis zu neun Mal gezeigt), die, so Descartes, dem Leser das neue Wissen eingravieren.140 Wenn die Bilder aber nun mit dem Eingravieren, also prozessual beschrieben werden, dann muss man sie auch in ihrer Prozessualität interpretieren. Damit ist nun aber nicht mehr das Experimentieren der Metaphysik gemeint, sondern das Verfestigen der Bewegungen, die Einübung. Im Avertissement zu Le Monde drückt es Claude Clerselier wie folgt aus: »er versuchte verschiedentlich sich eine Figur vorzustellen, die auf das antwortete und es befriedigte, was er im Geist hatte.«141 Damit kommt den Bildern bei Descartes die Rolle der Verfestigung des in der Metaphysik Erreichten zu, indem sie als Perzeptionen die Wahrnehmung leiten. Auffällig an den neuen Interpretationen Descartes’, die gerade die Bilder ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken, ist, dass sie häufig die Verbindung zur Metaphysik verlieren, auch wenn sie die Verbundenheit von Metaphysik und

137 Vgl. Lüthy: Where Logical Necessity Becomes Visual Persuasion: Descartes’s Clear and Distinct Illustrations, S. 96f. 138 Siehe z.B. die Studien von Bredekamp: Die Fenster der Monade – Gottfried Wilhelm Leibniz‘ Theater der Natur und Kunst, oder etwa Bredekamp: Galilei der Künstler – Der Mond, die Sonne, die Hand. 139 Vgl. Zittel: Theatrum philosophicum, S. 21. 140 Lüthy weist auf die Stelle in De l’homme hin, in der Descartes Memorieren und Eingravieren parallelisiert, vgl. Descartes: AT VIII, S. 179ff. Lüthy schreibt: »In De l’homme, Descartes in fact compares memorization to engraving. In the same way in which the repeated imprinting of needles will produce a stronger and clearer pattern on the linen cloth …, he explains, so the exposure of the senses to the same impression will produce a stronger and clearer memory of it.« Lüthy: Where Logical Necessity Becomes Visual Persuasion, S. 98. 141 AT XI, S. xix.

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Wissenschaft betonen.142 Oft wird diese Verbindung, die Metaphysik und Wissenschaft im 17. Jahrhundert hatten, jedoch nur strategisch konstatiert, um auch in den Bildern nach Wissenseffekten, bzw. nach Philosophie zu suchen. Dennoch muss festgehalten werden, dass die Verbindung von Wissenschaft und Metaphysik ihre Unterscheidbarkeit und auch unterschiedliche Bedeutung nicht ausschließt. Bei Descartes gilt dies ganz besonders, da er die Metaphysik höher erachtete, wenn sie die Prinzipien findet, die den Wissenschaften zugrunde liegen. Auch die in dieser Forschung häufig gebrauchte Wendung: ›Alle Interpreten stürzen sich nur auf die Einleitung, wenn sie den Discours lesen, vergessen aber diejenigen Texte, welche sie einleitet (Dioptrique, Les Météores, La Géometrie)‹, muss abgemildert werden, ist doch die Einleitung und die Grundlegung das Geschäft des Philosophen – auch und gerade im 17. Jahrhundert. Damit muss man danach fragen, was die Verbindung von Metaphysik und Wissenschaft ist, will man den Einsatz der Bilder bei Descartes bestimmen. Einen Versuch in diese Richtung unternimmt Christoph Lüthy, wenn er die Bilder bei Descartes von den klaren und deutlichen Ideen her versteht und damit direkt gegen Aristoteles gewendet sieht, anhand der: »Principia philosophiae (1644), whose ambition it was to replace Aristotle’s prima philosophia and libri naturals. Much of the suggestive force of this Cartesian alternative to Aristotle resides precisely in its visual appeal.« Lüthy fährt dann fort: »it will be argued that his figurae constitute one of the facets of Descartes’s ›clear and distinct ideas‹, serve as a bridge between logical deduction and rhetorical persuasion, and are therefore also caught up in the tension between metaphysics and mechanical physics that characterizes the Principia.«143

Lüthys Argument für die Beschreibung der Bilder im Anschluss an die Konzeption der klaren und deutliche Idee lautet: Wenn es Descartes in den Prinzipien

142 Zittel richtet sich gegen eine Trennung von Philosophie und Wissenschaft, wenn er schreibt: »Denn diese Grenzlinien sind mit Blick auf die frühe Neuzeit besonders unsinnig. Philosophen und Wissenschaftshistoriker, die sich der frühen Neuzeit widmen, befassen sich nicht nur mit derselben Periode, sondern auch oft mit denselben Personen und manchmal sogar auch mit den gleichen Texten.« Zittel: Theatrum philosophicum, S. 16. Damit macht Zittel ein Argument dafür, dass auch die Untersuchung der Bilder Descartes’ für die Philosophie interessant ist. Jedoch interessiert ihn selbst die Philosophie Descartes’ nicht so, dass er, wie bereits bemerkt, selbst in seinem Buch Rückschlüsse auf die Metaphysik wagen würde. 143 Lüthy: Where Logical Necessity Becomes Visual Persuasion, S. 103.

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nur darum gegangen wäre, das Cogito zu begründen, den Skeptizismus zu widerlegen und die Existenz Gottes zu beweisen, dann hätten die Prinzipien nur einen ersten Teil. Aber auf diesen metaphysischen Teil folgen, wie bereits oben erwähnt diverse Abhandlungen zur Naturphilosophie. Den Zusammenhang stellt Lüthy nun über die Bestimmung des Denkens bei Descartes her, wenn er die Bilder als Deduktionen der Metaphysik begreift 144, denen jedoch auch ein persuasiver Anteil zukommt. Was kann Deduktion nun aber hier im Unterschied zu Aristoteles heißen? Für Lüthy folgen die Bilder den klaren und deutlichen Ideen. Jedoch bemerkt Lüthy, dass sich die Definition von »klarer und deutlicher Idee« in den Principia ändert. »While in part I of the book, this expression designates conceptual clarity regarding entirely undepictable metaphysical entities, it refers to the picturability of unmetaphysical entities in parts III and IV.«145 Das bedeutet jedoch nicht, dass Descartes durch die Bilder auch neue Rückschlüsse für die Metaphysik zieht, vielmehr drückt die veränderte Definition dieselbe Denkfigur aus. Führte eine begriffliche Intuition zur Repräsentation derselben ins Sein, so wird in den Bildern bei Descartes eine wissenschaftliche Einsicht in das jeweilige Gegenstandsfeld repräsentiert. Gegen ein spezielles Verständnis der Bilder als Repräsentationen richtet sich wiederum Lüthy, wenn er schreibt: »his ‚ideas‘, and a fortiori their graphic visualizations, neither represent reality nor resemble it.«146 Dabei ist gesagt, dass die Bilder keine vorgängige Realität auf der Fläche präsentieren, sondern einen Zusammenhang der Einsicht auf die Fläche und damit in deren Gegenstand repräsentieren, projizieren. Vom Denkdiagramm zum Wissensdiagramm! »It is as if Descartes, playing the role of the malin génie, wished to feed the reader’s mind with false realities.«147 In der Diagrammatik des cartesischen Denkdiagramms ist aufgefallen, dass der Denkfigur der Klarheit eignet, dass sie zur Projektion, zur Repräsentation überleitet. Was ich klar sehe, das ist auch: ich denke, also bin ich. Es wäre nun eine besonders lohnenswerte Aufgabe, die Bilder bei Descartes auf ihren Zusammenhang mit dem cartesischen Denkdiagramm zu befragen. Da es mir aber vor allem um das cartesische Denkdiagramm und damit eher um die Genese des

144 Lüthy: Where Logical Necessity Becomes Visual Persuasion, S. 106: »Still, the deductive mode clearly represents his ideal.« Im Anschluss an diese Feststellung konstatiert Zittel bei Descartes ein «nicht-logisches Deduktionsverständnis«. Zittel: Theatrum philosophicum, S. 65. 145 Lüthy: Where Logical Necessity Becomes Visual Persuasion, S. 107. 146 Ebd., S. 126. 147 Ebd., S. 127.

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Wissensdiagramms bei Descartes geht, werde ich dies nur exemplarisch vorführen. Während die metaphorischen Perzeptionen eine Denkbewegung modulieren und so das cartesische Denkdiagramm figurieren, besteht die Funktion der gezeichneten Perzeptionen im Übergang vom Denkdiagramm zum Wissensdiagramm. Verblieb dieser in den Meditationen noch im Impliziten, finden sich im Traité de l’homme nun gezeichnete Darstellungen der Prozesse im Menschen. Das Denkdiagramm stellt die Denkfiguren experimentell her und verkettet sie zu einem Bewegungszusammenhang, den sie gegen signifikative Aussagen richtet und so einen neuen Diskurs produziert. Die Aufgabe des impliziten Wissensdiagramms besteht darin, die Struktur des neuen Diskurses festzuzurren. Es ergibt sich eine Stufenfolge des Denkens, welche die Funktionen des Geistes hierarchisiert. Die Sinne sind rein passiv und beschränkt in ihrer Wahrnehmung. Der Gemeinsinn koordiniert die Sinne und fügt ihre Eindrücke zu einem Bild zusammen, das er dem Geist zur Einsicht vorstellt. Der Geist schließlich ist nicht nur passiv, sondern kann eben auch Bilder, oder besser Perzeptionen herstellen, welche die Sinne wahrnehmen lassen. Diese Strukturierung des Denkens hat Descartes im Traité de l’homme auch zeichnend festgehalten und so in die Anatomie des Menschen repräsentiert. Der experimentelle Charakter des Denkdiagramms findet sich am Anfang von Descartes’ Essay, wenn er seiner Wissenschaft vom Menschen einen hypothetischen Charakter verleiht. Denn man kann ja nie wissen, ob man einen Körper hat, ob es eine Welt gibt usw. Der Traité de l’homme beginnt mit den Worten: »Diese Menschen seien zusammengesetzt, wie wir, aus Seele und Körper.«148 Das ist keine Aussage über die Welt, sondern eine der Wissenschaft, die auf dem cartesischen Denkdiagramm basiert, wenn er sich den Menschen vorstellt, ihn aber nicht beschreibt, so wie er ist. Im Zentrum der Beschreibung steht die Hirndrüse (besser bekannt als Zirbeldrüse), die Descartes als den Sitz von Einbildungskraft, Gemeinsinn und Gedächtnis erfindet. Was in den Regulae noch die Fiktion eines Organs der Phantasie darstellte und in den Meditationen als nicht dem Geist zugehörig ausgeschlossen wurde, ist hier in die menschliche Konstitution eingeschrieben. In der folgenden Abbildung 4 sieht man diese Hirndrüse (Drüse H), der Ort, wo der Körper auf den Geist trifft.

148 »Ces hommes seront composés, commes nous, d’une ame et d’un corps.« (Übersetzung A.R.) AT XI, S. 119. Da der Traité de l’homme nicht auf Deutsch vorliegt, stehen meine Übersetzungen im Haupttext, das Original in der Fußnote.

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Descartes beschreibt die Prozesse, die von der Drüse H ausgehen, folgendermaßen: »In der mit M bezeichneten grafischen Darstellung können sie sehen, dass die Lebensgeister, die aus der Drüse H herauskommen – die den mit A bezeichneten Teil des Gehirns erweitert, alle seine Poren leicht geöffnet hat – von dort in Richtung B strömen, dann zu C und schließlich hin zu D, von wo sie sich in alle Nerven verteilen und auf diese Weise alle Netze spannen, aus denen diese Nerven und das Gehirn zusammengesetzt sind, so gespannt, dass die Handlungen, die nicht genug Kraft haben, um sie zu bewegen, sich leicht von der einen Extremität zur anderen kommunizieren, ohne dass die Umwege, die sie nehmen, sie behindern.«149

Abbildung 4: Die Zirbeldrüse

Quelle: René Descartes: Traité de l’homme. S. 849.

149 Descartes: Traité, S. 850, AT XI, S. 174: »Vous pouvez voir, en la figure marquée M (Fig. 27), que les esprits qui sortent de la glande H, ayant dilaté la partie du cerveau marquée A, et entrouvert tous ses pores, coulent de là vers B, puis vers C, et enfin vers D, d’où ils se répandent dans tous ses nerfs, et tiennent par ce moyen tous les petits filets, dont ces nerfs et le cerveau sont composés, tellement tendus, que les actions qui ont tant soit peu la force de les mouvoir, se communiquent facilement de l’une de leurs extrémités jusques à l’autre, sans que les détours des chemins par où ils passent, les en empêchent.« (Übersetzung A.R.).

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Hierbei handelt es sich um die wissenschaftliche Beschreibung einer Maschine, die das menschliche Gehirn repräsentiert150. Es werden Prozesse beschrieben, wo Lebensgeister von A nach B gehen, gewisse Klappen passieren und letztlich die Kommunikation von Geist und Körper gewährleisten. Betrachtet man aber nur den menschlichen Körper, ohne seinen unsterblichen Rest, so geht alles von der Drüse H aus, »wo sich der Sitz von Einbildungskraft und Gemeinsinn befindet«151, aus der die Ideen stammen, »das heißt für die Formen und Bilder, welche die vernunftbegabte Seele unmittelbar wahrnimmt, wenn sie dank der Vereinigung mit dieser Maschine irgendein Objekt vorstellt oder empfindet.«152 »Und beachten sie, dass ich sage, sie stellt vor oder empfindet; um so mehr, da ich unter dem Namen der Idee alle Eindrücke verstehen will, die die Lebensgeister empfangen können, wenn sie aus der Drüse H herauskommen, und die sich alle dem Gemeinsinn mitteilen, weil die von der Präsenz der Objekte abhängen. Aber sie [die Eindrücke] können aus mehreren anderen Umständen hervorgehen, so wie ich es im Folgenden ausführen werde, und dann müssen sie der Einbildungskraft zugeschrieben werden.«153

Ideen sind Eindrücke, die die Lebensgeister erhalten, wenn sie aus der Drüse H herausströmen. Während sie von der Präsenz der Objekte oder aber auch von anderem abhängen, so können diese Lebensgeister doch immer der Drüse H zugeschrieben werden, wenn sie sich entweder dem Gemeinsinn oder der Einbildungskraft mitteilen.

150 Descartes betont wiederholt, dass seine Beschreibungen zur Wirklichkeit in einem Repräsentationsverhältnis stehen: »Or, si c’est le corps d’un enfant que notre machine représente« ... »elle représentera le corps d’un homme plus agé«. (Übersetzung A.R.) Descartes: Traité, S. 811; AT XI, S. 121. 151 Ebd., S. 851; AT XI, S. 176: »où est le siège de l’imagination, et du sens commun«. (Übersetzung A.R.). 152 Ebd., S. 851f.; AT XI, S. 177: »c’est-à-dire … les formes ou images que l’âme raisonnable considérera immédiatement, lorsqu’étant unie à cette machine elle imaginera ou sentira quelque objet.« (Übersetzung A.R.). 153 Ebd., S. 852; AT XI, S. 177: »Et notez que je dis, imaginera, ou sentira; d’autant que je veux comprendre généralement, sous le nom d’Idée, toutes les impressions que peuvent recevoir les esprits en sortant de la glande H, lesquelles s’attribuent toutes au sens commun, lorsqu’elles dépendent de la présence des objets; mais elles peuvent aussi procéder de plusieurs autres causes, ainsi que je vous dirai ci-après, et alors c’est à l’imagination qu’elles doivent être attribuées.« (Übersetzung A.R.).

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»Aber ich sage ihnen nur noch dies, wie die Spuren dieser Ideen über die Arterien zum Herzen gelangen und so in das gesamte Blut ausstrahlen; und wie sie [die Kinder] sogar manchmal von gewissen Handlungen der Mutter bestimmt sein können, wenn sie sich in die Gliedmaßen des Kindes eindrücken, die sich im Mutterschoß formen. Aber ich wäre zufrieden ihnen nochmals zu sagen, wie sie sich eindrücken im inneren Teil des Gehirns ... wo sich der Sitz des Gedächtnisses befindet.«154

Die Lebensgeister strahlen in den ganzen Körper aus, so auch in den Teil des Gehirns, wo das Gedächtnis sitzt, in das sich die Ideen eindrücken. Die Lebensgeister hinterlassen eine Spur, indem sie sich ins Gehirn eindrücken oder kleine Netze falten: »die kleinen Netze zu falten und verschiedentlich anzuordnen, denen sie auf ihren Wegen begegnen, gemäß den verschiedenen Weisen, wie sie sich bewegen.«155 Auf diese Art und Weise erklärt Descartes auch, dass die Wahrnehmung durch das Gedächtnis beeinflusst werden kann. Da sich die Ideen, die Eindrücke der Dinge, in das Gedächtnis eindrücken, kann es passieren, dass gewisse andere Eindrücke, die nur in einem kleinen Maße abweichen, von dem, was man normalerweise sieht, unter die normalen Eindrücke subsumiert werden. Damit habe ich den Eindruck, ein komplettes Gesicht zu sehen, obwohl ich nur zwei Augen und eine Nase sehe: »Was zeigt, wie die Erinnerung eines Dinges angeregt sein kann von einer anderen Erinnerung eines anderen Dinges, die einst gleichzeitig im Gedächtnis eingedrückt wurde. Wie wenn ich zwei Augen sehe mit einer Nase, so stelle ich mir sofort eine Stirn und einen Mund vor und die gesamten anderen Teile eines Gesichts, weil ich nicht gewöhnt bin, das Eine ohne das Andere zu sehen; und wenn ich Feuer sehe, so erinnere ich mich an dessen Wärme, weil ich sie einst gespürt habe, als ich es sah.«156

154 Descartes: Traité, S. 852, »Et je pourrais ajouter ici, comment les traces de ces idées passent par les

artères vers le cœur, et ainsi rayonnent en tout le sang; et comment

même elles peuvent quelquefois être déterminées, par certaines actions de la mère, à s’imprimer sur les membres de l’enfant qui se forme dans ses entrailles. Mais je me contenterai de vous dire encore, comment elles s’impriment en la partie intérieure de cerveau ... où est le siège de la mémoire.« (Übersetzung A.R.). 155 Ebd.; AT XI, S. 177f.: »de plier et disposer diversement les petits filets qu’ils rencontrent en leurs chemins, selon les diverses façons dont ils se meuvent«. (Übersetzung A.R.). 156 Ebd., S. 853f.; AT XI, S. 179: »Ce qui montre comment la souvenance d’une chose peut être excitée par celle d’une autre, qui a été autrefois imprimée en même temps

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Wenn ich ein Feuer sehe, dann weiß ich schon, dass es heiß sein wird, ohne dies getestet zu haben. Denn jedermann weiß schon, dass Feuer heiß, Eis kalt und Wasser nass ist. Anhand der Abbildung 5 kann Descartes nun erklären, dass die Hand nicht zum Feuer geht, weil die Gehirndrüse in Verbindung mit dem Gedächtnis Teilchen solcher Art ausströmen lässt, die eben bewirken, dass die Hand B nicht zum Feuer A geht. Die Maschine des Körpers funktioniert so ohne jegliche Einwirkung von außen, die Eindrücke der Seele sind eingedrückte Lebensgeister, die aus der Gehirndrüse heraus in den ganzen Körper strömen. Der Körper ist beständig in einem Dialog mit sich selbst befangen, aber er kommuniziert nicht mit seiner Umwelt. Abbildung 5: Hand und Feuer bei Descartes

Quelle: René Descartes: Traité de l’homme. S. 865. qu’elle en la mémoire. Comme, si je vois deux yeux avec un nez, je m’imagine aussitôt un front et une bouche, et toutes les autres parties d’un visage, parce que je n’ai pas accoutumé de les voir l’une sans l’autre; et voyant du feu, je me ressouviens de sa chaleur, parce que je l’ai sentie autrefois en le voyant.« (Übersetzung A.R.).

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Descartes erklärt den Vorgang, in dem die Hand vom Feuer zurückweicht nun gerade nicht durch die Hitze des Feuers (da das Feuer heiß ist, geht die Hand vom Feuer weg), aber auch nicht durch Sinne oder die Einbildungskraft (ich sehe Feuer, ich stelle mir Feuer vor, deshalb weicht die Hand dem Feuer). Denn in beiden Fällen würde die Aktivität des menschlichen Körpers durch Einflüsse von außen erklärt. Descartes’ Erklärung dreht dieses Schema um, indem er das in der Metaphysik erarbeitete Denkdiagramm zu einer Struktur menschlicher Konstitution verfestigt. In Descartes’ Beschreibung geht die Aktivität vom menschlichen Denken aus. Das reine Denken weist die Vermögen an: die Sinne zur Wahrnehmung, die ihrerseits durch die Einbildungskraft schematisiert und schließlich mit dem Gedächtnis abgeglichen wird. Ich sehe, rieche und höre etwas, das die Einbildungskraft zu einem Feuer zusammensetzt. Das Gedächtnis gleicht das Produkt der Einbildungskraft mit ähnlichen Erinnerungen ab und stellt fest, dass Feuer heiß ist und dem menschlichen Körper Schaden zufügt. Das Denken koordiniert die Vermögen, bezieht sie aufeinander und weist schließlich den Körper an, die Hand zurückzuziehen. Damit ist die Hierarchie von Denken und Körper gewahrt, wenn das Denken nur für sich arbeitet, aktiv ist, dem Körper wie auch der körperlichen Welt vorgibt, was zu tun ist. Während im Denkdiagramm die Denkbewegungen in Gang gesetzt wurden und so ein Denkdiagramm ergaben, finden sich im gezeichneten Wissensdiagramm die Denkfiguren zu einer festen Struktur verfügt und als menschliche Konstitution repräsentiert. Hier finden wir das implizite Wissensdiagramm nun in der Zeichnung aktualisiert. Im gezeichneten Wissensdiagramm Descartes’ sehen wir nun die Denkfigur des Mangels, die sich im impliziten Wissensdiagramm in der regulativen Funktion des reinen Denkens verfestigt, in der Hirndrüse im Zentrum des Kopfes dargestellt. Es bildet das Zentrum und das Fundament der menschlichen Vermögen, das den Körper anweist und so die körperliche Welt ordnet. Die Denkfigur des Zweifels, die im Wachsbeispiel Denken und Körper trennt und hierarchisiert, bestimmt die gesamte Operation des Diagramms: Beide Bereiche sind getrennt, wobei nicht vom Körper, sondern vom Denken die ganze Handlung ausgeht. Schließlich findet sich auch die Denkfigur der Klarheit eingebaut, wenn der Geist die Vermögen zur Tätigkeit derart anhält, dass sie einen klaren und deutlichen Eindruck der Außenwelt produzieren, ihn dem Denken zur Einsicht geben, was zur angewiesenen Handlung führt. Die so bestimmte Struktur menschlicher Handlungsweisen wird im Wissensdiagramm auf der Fläche festgeschrieben und für alle Menschen behauptet, als allgemeinmenschliche Konstitution repräsentiert. Derart bildet die Denkfigur der Repräsentation den Abschluss des cartesischen Denkdiagramms, das im Wissensdia-

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gramm mündet. Von hier wird sich bei Descartes keine Rückbewegung auf das Denkdiagramm ergeben, indem man beispielsweise im Zeichnen eine neue Denkfigur entwickelte, die das ganze Denkdiagramm moduliert. Der Grund dafür liegt in den spezifischen Denkfiguren begründet, wenn sie geistige und körperliche Welt derart scheiden, dass von der körperlichen Welt kein Einfluss auf die geistige erfolgen kann. Das Zusammenspiel von Mangel, Zweifel, Klarheit und Repräsentation verstellt diese Möglichkeit. Das ganze Diagramm müsste variiert werden, um eine derartige Intervention zu ermöglichen. ***

Im vorangegangenen Kapitel über Descartes’ Denkdiagramm hat sich gezeigt, dass Descartes in keinem seiner metaphysischen Bücher mit dem Begriff des Cogito, sondern vielmehr durch die Wiederholung eines Denkdiagramms anfängt. Die metaphysischen Bücher fußen auf einer Methode, die Descartes in den Regulae auseinanderlegt. Zusammengefasst beschreibt diese Methode, dass man, ein kompliziertes Problem vorausgesetzt, die Elemente auffinden muss, die dieses Problem zusammensetzen. Wenn diese Elemente ausfindig gemacht wurden, soll man sie durch eine kontinuierliche »Bewegung des Denkens« (»nullibi interrupto cogitationis motu«157) in einer Reihe verbinden, um anschließend eine vollständige Erzählung des Problems zu geben (»sufficienti et ordinata enumeratione complecti«158). Die metaphysischen Bücher schließen hier an, indem sie Erzählungen von Bewegungen des Denkens geben, die Descartes als denjenigen vorführen, der mit ihnen experimentiert und sie in Denkfiguren stabilisiert und etabliert. Der jeweilige Ausdruck einer Denkfigur hängt immer von dem Diskurs ab, in den sie interveniert. Im Discours de la méthode zum Beispiel zielt Descartes auf die Pluralität der Debatten in den Wissenschaften. In Descartes’ Erzählung klingt das wie folgt: Alle Disziplinen streiten gegeneinander und selbst Wissenschaftler einer Disziplin befinden sich in einem unauflösbaren Disput. Descartes beschreibt hier die Debattenkultur der Wissenschaft als Streit, die man auch als produktive Auseinandersetzung, von der Wissenschaft unabhängige Strategie usw. beschreiben könnte. Die Denkfigur des Mangels wählt nun aber den Streit aus, um die Relation der Wissenschaften zu charakterisieren, geht über zum Missverständnis und präfiguriert sogleich die Lösung: Es mangelt an einem Verständnis des Wissens, im Grunde mangelt es an einer Wissenschaft, an einem Fundament aller Wissenschaften, von dem her sich auch die eine Methode der

157 Descartes: Regulae, Regel 7, S. 41; AT X, S. 387. 158 Ebd.

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Wissenschaften ergibt. Die Denkfigur des Mangels interveniert nun also in Vorverständnisse der Wissenschaften, indem sie die Wissenschaften als unproduktive, streitende Vielheit darstellt, der es eines Fundamentes und damit auch einer Methode ermangelt, die für alle Wissenschaften gleichermaßen gilt und so die Missverständnisse der Wissenschaften untereinander behebt. Indem Descartes diese Denkfigur des Mangels vorführt, kreiert er auch ein neues Verständnis der Wissenschaften, einen neuen Diskurs, der die Wissenschaft als auf einem Fundament fußend und einer Methode folgend vorstellt. Wenn das nun das Ziel gewesen wäre, dann würde sich auch die Frage danach erübrigen, worin dieses Fundament bestünde und was die Methode sei; es würde genügen, diese Denkfigur zu etablieren. Der ausschlaggebende Punkt ist nun aber, dass Descartes diese Denkfigur in jedem seiner metaphysischen Bücher wiederholt, was, so meine Argumentation, er deshalb tun muss, weil sie den Begriff des Cogito als Fundament der Wissenschaften vorstrukturiert. Wie wir gesehen haben, ist die Figur des Mangels nicht ausreichend, um das Cogito hervorzubringen, da sie bis zu diesem Punkt nur einen Modus des Produzierens bildet (das den Mangel auffüllt), jedoch kein Territorium hat, kurz: Das Fundament muss erst gefunden werden. Descartes etabliert deshalb eine Denkbewegung des Ausschlusses. In seinem berühmten methodischen Zweifel schließt Descartes verschiedene Inhalte des Denkens aus. Indem er das tut, erschafft er einen Raum des Außen und einen Raum des Inneren des Denkens. So findet das Denken sein Territorium im Inneren, wenn alles ihm Äußerliche ausgeschlossen wurde. Der konkrete Modus des Produzierens schließlich wird durch die Figur der Klarheit vorstrukturiert. Diese wird folgendermaßen vorgeführt: Wenn ich denke, dann muss ich in dem Moment, in dem ich denke, sein. Wenn ich also klar einsehe, dass ich gedacht habe, ist es wahr, dass ich gewesen bin. Diese Denkfigur präfiguriert so das Kriterium für Wahrheit (das, was ich klar einsehe), das reproduziert und verlängert wird durch die Figur der Repräsentation. Das »Ich denke«, das ich selbst klar einsehe, projiziert das Wahrheitskriterium in andere Bereiche: Alles, was ich klar einsehe, ist. Das Territorium und der Modus der Produktion sind gefunden, der Grund für den Diskurs des Cogito ist präfiguriert, das Fundament der cartesischen Wissenschaft hergestellt.159 Zusammen bilden diese Denkfiguren das cartesische Denkdiagramm, das Descartes im Discours de la méthode, den Meditationes, der Recherche de la

159 Das ist auch der Grund, warum Denkfiguren keine Argumente sind, da sie nicht wahr sind, sondern die Begriffe der Wahrheit, des Denkens, der Wissenschaft usw. präfigurieren. Die Denkfiguren sind eher kreative, formende Bewegungen des Denkens, die eine konkrete Ausprägung eines Denkens vorstrukturieren.

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vérité und selbst in den Principia wiederholt. Das Diagramm beschreibt aber nicht nur die Interventionen in vorgegebene Diskurse durch Denkbewegungen, sondern ist vielmehr selbst beweglich, da ja die Denkfiguren vom Diskurs abhängen, in den sie intervenieren (Scholastik, Aristotelische Philosophie, die Vermögenslehre des Menschen). Dennoch kann es als das cartesische Denkdiagramm beschrieben werden, da es dieselben Denkfiguren aufruft, welche den einen Bereich des Denkens, der cartesischen Wissenschaft und der menschlichen Vermögen vorstrukturieren. Das cartesische Denkdiagramm verlangt nun auch nach einem Wissensdiagramm, in dem sich die Bewegungen zu einer Struktur verfestigen. Descartes’ Wissensdiagramm zeigte sich in seiner Vermögenslehre, die die Denkfiguren erstarren lässt und so die Struktur menschlicher Vermögen festschreibt. Das Denkdiagramm projiziert sich in den Bereich menschlicher Konstitution: Der Streit der Vermögen verweist auf ein fehlendes Fundament, das allein den Vermögen eine Ordnung gibt. Dies ist das reine Denken, das von den Inhalten befreit ist, die nicht dem Denken zugehören. Desweiteren stellt es das Kriterium für Wahrheit bereit, dasjenige, was klar und deutlich erkannt wird und erschafft so die Ordnung des Denkens, die schließlich als Ordnung der Körper repräsentiert wird. Dieses im Text implizite Wissensdiagramm wird von Descartes nun auch gezeichnet, auf die Fläche projiziert. Aber es ist nicht nur das eine Wissensdiagramm, das gezeichnet wird. Es ist vielmehr das Wissensdiagramm als solches, das in der Repräsentation besteht, der Projektion einer Struktur, die durch das Denkdiagramm präfiguriert wurde. Descartes hat also ein Denkdiagramm und einen Typus von Wissensdiagrammen entworfen, was nicht nur den Umgang mit Diagrammen über lange Zeit bestimmt, sondern auch das Denken präfiguriert. Denn einen Begriff kann man relativ leicht ersetzen, aber ein Denkdiagramm ist, weil beweglich und nicht an feste Begriffe gebunden, sehr stabil. Descartes hat jedoch nicht nur jeweils ein Denk- und einen Typus von Wissensdiagrammen entwickelt, sondern auch deren Beziehung geregelt. Zuerst muss das Denkdiagramm im Denken gefunden werden, dann kann es sich in Wissensdiagrammen verhärten. Dieser Übergang vom Denkdiagramm zum Wissensdiagramm ist bei Descartes immer eine Repräsentation. Somit kann auch die Diagrammatik Descartes’ als repräsentationale beschrieben werden, da sie das Verhältnis von Denkdiagramm und Wissensdiagramm als Repräsentationsverhältnis herausgearbeitet hat. Wie wir bereits gesehen haben, besteht bei Descartes keine Möglichkeit der Intervention des Wissensdiagramms in das Denkdiagramm, denn hierfür müsste sich zuerst das ganze Denkdiagramm ändern.

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Wenn wir uns im folgenden Kapitel der Philosophie Gilles Deleuzes widmen, dann tun wir das unter zwei Perspektiven: 1. Seine Philosophie wird gelesen als eine Auseinandersetzung mit dem cartesischen Denkdiagramm. 2. Deleuze findet einen neuen Umgang mit gezeichneten Diagrammen, indem er sie nicht als Repräsentationen, sondern als gezeichnete Denkdiagramme versteht. Damit wird sich Descartes’ repräsentationale Diagrammatik hin zu einer interventionalistischen Diagrammatik bei Deleuze verschieben. Denn bei Deleuze intervenieren nicht nur die Denkdiagramme in verfestigte Diskurse, vielmehr kann auch ein Wissensdiagramm in ein Denkdiagramm intervenieren. Weiterhin wird sich auch der Charakter der gezeichneten Diagramme ändern, wenn Deleuze im Zeichnen neue Denkfiguren findet, die in das Denkdiagramm eines Textes intervenieren. Von der Repräsentation zur Intervention bis hin zur Repräsentation als Intervention – dies wird die Bewegung der Diagrammatik im nächsten Kapitel sein.

III. Deleuze. Vom Bild des Denkens zu den Denkdiagrammen

Die Auseinandersetzung Deleuzes mit Descartes ist bis heute in der Forschung unzureichend beleuchtet worden: Keine Monographie widmet sich diesem Thema, und in den Sammelbänden zu Deleuze und der Philosophiegeschichte fehlt jeder Beitrag über Deleuze und Descartes. Dies ist umso erstaunlicher, da Deleuze oft mit dem französischen Meisterdenker in Kontakt kam, schließlich hat er auch bei den großen französischen Kommentatoren Descartes’ (Alquié, Gueroult) Vorlesungen gehört.1 Zwar hat Deleuze selbst Descartes nie eine eigenständige Studie gewidmet, gleichwohl durchzieht dieser sein Werk als eine beständige Referenz. So taucht Descartes in den frühen philosophiehistorischen Büchern Deleuzes (Über Spinoza, Kant, Nietzsche) genauso prominent auf, wie in den eigenen philosophischen Entwürfen (Differenz und Wiederholung, Logik des Sinns). In den Arbeiten mit Félix Guattari wird Descartes ebenfalls wiederholt aufgerufen (v.a. Tausend Plateaus) bis hin zu den letzten Büchern über Philosophie und Literatur (Was ist Philosophie?, Kritik und Klinik). Damit kann man zuerst einmal konstatieren, dass Descartes Deleuze durch all seine Schaffensperioden hindurch als Referenz begleitet hat. Bemerkenswert ist nun aber, dass dieser Bezug nicht aus einer gesicherten Position heraus geschieht, vielmehr wandelt sich die Bewertung der cartesischen Philosophie als ein Denken, das man hinter sich lassen muss (was auch eine Auseinandersetzung einschließt), in Differenz und Wiederholung, hin zu einem Prototypen der Begriffserfindung in Was ist Philosophie?. Das folgen1

Vgl. Dosse: Gilles Deleuze et Félix Guattari. Biographie croisée, S. 122ff. Dem Autor der Biographie wird unter anderem von Jean-Pierre Faye berichtet, einem Klassenkameraden Deleuzes am Gymnasium Louis-le-Grand in Paris: »il y avait quelqu’un qui dans cette khâgne d’Alquié parlait presque au premier rang du cogito chez Husserl, et c’était Deleuze«. Ebd., S. 121.

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de Kapitel will der Frage nachgehen, wie es zu dieser Veränderung in der Bewertung Descartes’ kommen konnte. Um diese Frage zu beantworten werde ich: 1. die Kritik Deleuzes an Descartes aus Differenz und Wiederholung darstellen, 2. die philosophiehistorischen Bücher Deleuzes über Spinoza und Leibniz als eine teils explizite, teils implizite Auseinandersetzung mit dem cartesischen Denkdiagramm lesen und 3. die Neubewertung Descartes’ in Was ist Philosophie? als Entwurf einer philosophischen Diagrammatik erläutern. Dieser Ansatz wird die Diagrammatik anleiten, wenn sie jetzt bei Deleuze das Verhältnis von Denk- und Wissensdiagramm nachvollzieht.2

III.1 V OM BILD

DES

D ENKENS ZUR I DEE

Die deutsche Rezeption der Arbeiten Gilles Deleuzes war in den 70-er und 80-er Jahren eher psychoanalytisch und politisch geprägt, in den 90-er Jahren verlagerte sich das Interesse auf die Ästhetik, und erst 2003 erschien das erste Buch über die Philosophie Gilles Deleuzes, das ihn gleich zu einem (jedoch besseren) Kantianer gemacht haben wollte.3 Im englischsprachigen Raum lässt sich diese Aufzählung nicht so klar darstellen, aber man kann dennoch unterscheiden zwischen jener »Deleuze-Industrie«, die Deleuze nicht zu lesen braucht, um deleuzianisch oder antideleuzianisch zu sein, den wahrhaften Deleuzianern, die einen Modus des Denkens in andere Bereiche verschieben, ohne noch viel Deleuze zitieren zu

2

Insofern wird dieses Kapitel die anderen Bücher Deleuzes nur insoweit behandeln, als sie die Lektüre der zu untersuchenden Bücher unterstützen.

3

Zur psychoanalytischen und politischen Lektüre v.a. des Antiödipus siehe Theweleit: Männerphantasien (1977), Kamper: Über die Wünsche. Ein Versuch zur Archäologie der Subjektivität (1977), Tholen: Schizo-Schleichwege. Beiträge zum Anti-Ödipus (1981), Frank: Was ist Neostrukturalismus? (1983). Die Wende hin zur Ästhetik vollzogen v.a. die Lektüren von Hesper: Schreiben ohne Text. Die prozessuale Ästhetik von Gilles Deleuze und Félix Guattari (1994), Fahle/Engell: Der Film bei Deleuze/ Le cinéma selon Deleuze (1997), Ott: Vom Mimen zum Nomaden (1998). 2001 schlug das Interesse von Ästhetik hin zur Philosophie Deleuzes bereits um bei Schaub: Gilles Deleuze im Wunderland. Zeit- als Ereignisphilosophie, sowie Schaub: Gilles Deleuze im Kino. Das Sichtbare und das Sagbare (zweiteilige Dissertation) und mündete schließlich in den verbesserten Kantianismus bei Rölli: Gilles Deleuze: Philosophie des transzendentalen Empirismus (2003).

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müssen, und den ernsthaften Kommentatoren.4 In Frankreich wiederum ist die Rezeption stark durch die Vereinnahmung Deleuzes durch Alain Badiou und Slavoj Žižek beeinflusst, bzw. durch diejenigen, die sich Deleuzes Schüler nennen (aber auch eher an einer Versöhnung Badious und Deleuzes arbeiten).5 Wenn Mark Rölli, als bekanntester Interpret der Philosopie Deleuzes in Deutschland, diese als einen transzendentalen Empirismus beschreibt, einen Empirismus als Transzendentalphilosophie, dann bezieht er sich auf ein Zitat aus dem Kapitel über »Das Bild des Denkens« in Differenz und Wiederholung.6 Von hier aus kann er einen Kantianismus entfalten, der in einer neuen Formulierung der Vermögenslehre besteht. Die Auseinandersetzung Deleuzes mit Kant fußt ihrerseits jedoch auf einer Auseinandersetzung Deleuzes mit Descartes, die Rölli außen vor lässt. Erst von hier aus, so meine These, wird verständlich, was ein Bild des Denkens ist und warum der transzendentale Empirismus eine Antwort auf das Bild des Denkens darstellt. Doch beginnen wir von vorn. Im Kapitel über »Das Bild des Denkens« scheint Deleuze eine ganze philosophische Tradition von Platon bis hin zu Heidegger und Bergson, die Philosophien von Descartes, Kant und Hegel inbegriffen, zu disqualifizieren, indem er sie verdächtigt, ein Bild des Denkens zu wiederholen. Der Verdacht bezieht sich darauf, dass jene Philosophien ein Bild vom Denken implizit vorausgesetzt haben, ohne es zu variieren oder kritisch zu hinterfragen. In dieser Interpretation würde das Bild des Denkens darin bestehen, die Strukturen vom Bereich des Empirischen in das Transzendentale zu projizieren, abzubilden. Diese Strukturen würden vom Philosophen implizit vorausgesetzt, wobei Philosophieren dann

4

Die Bezeichnung Deleuze-Industrie verweist auf den häufigen Bezug auf Deleuze in den unterschiedlichsten Gebieten. Ihre Vertreter müssen hier nicht zitiert werden, aber man erkennt sie im Grunde daran, dass sie vor allem über Re- und Deterritorialisierungen oder diverse Werdensprozesse reden, was bei ihnen jedoch keinerlei philosophische Auseinandersetzung einschließt. In dieser Arbeit soll es aber gerade um die Philosophie Deleuzes in Auseinandersetzung mit der Philosophie Descartes’ gehen. Als die Deleuzianer, die nicht immer explizit Deleuze zitieren, sind zu nennen: Nick Land, Ian Buchanan und John Mullarkey. Sehr gute Kommentatoren der Philosophie Deleuzes sind James Williams, Jeffrey Bell, Christian Kerslake.

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Siehe v.a. Alain Badiou, Slavoj Žižek, Eric Alliéz.

6

»Der Misskredit, in den heute die Lehre von den Vermögen geraten ist, dieses trotz allem durchweg notwendige Teilstück im System der Philosophie, erklärt sich durch die Verkennung dieses spezifisch transzendentalen Empirismus, den man vergeblich durch einen Abklatsch des Transzendentalen vom Empirischen ersetzte.« Deleuze: Differenz und Wiederholung, S. 186.

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darin bestünde, diese zu explizieren.7 Aber dieses Verständnis vereinfacht den Ansatz Deleuzes und führt in die Irre: Einerseits ist er nicht dafür bekannt, philosophiehistorisch zu vereinfachen, und andererseits kann er selbst zu dieser Zeit eher als ein poststrukturalistischer denn als ein historischer Denker gelten, was zu der Vermutung führt, dass das Bild an den Strukturbegriff anschließt.8 Beginnen wir also mit einer vorläufigen Definition des »Bild des Denkens« (Image de la pensée). Um das zu tun, müssen wir uns bewusst sein, dass das französische »pensée« einen Gedanken und das Denken allgemein zugleich meint. Also gibt es zwei Weisen, den Titel zu verstehen: 1. Es gibt einen speziellen Gedanken, den Bild-Gedanken, den Deleuze dem Gedanken-ohne-Bild entgegensetzen wird. 2. Dieser Gedanke zeichnet ein allgemeines Denken aus, wie es sich im Bild-Denken figuriert und so ein Bild davon gibt, was Denken ist. Deleuze beginnt das Kapitel über »Das Bild des Denkens« in Differenz und Wiederholung mit einem speziellen Gedanken, den er explizit Descartes entleiht. Dieser Gedanke hängt mit dem Problem des Anfangs in der Philosophie zusammen, das darin bestünde, alle expliziten oder objektiven Voraussetzungen des Denkens auszuschließen. Das Beispiel stammt aus Descartes’ zweiter Meditation, wo Descartes es ablehnt, den Menschen als animal rationale zu definieren, da das die Begriffe der Animalität und der Rationalität explizit voraussetzen würde, dieser Begriff des Menschen also keinen ersten Anfang bilden kann. Das ist der Grund, warum Descartes das Cogito als die erste Definition präsentiert, die keine weiteren Begriffe voraussetzt. Wie wir im vorangegangenen Kapitel gesehen haben, setzt Descartes mit dem Begriff des Cogito jedoch die Denkfiguren voraus, die zu seiner Herstellung dienten. Deleuze argumentiert nun auch für einen neuen Typ von Voraussetzungen, den das Cogito fordert, und er nennt sie implizite oder subjektive Voraussetzungen. Denn das Cogito setze implizit voraus, dass jedermann weiß, was Ich, Denken und Sein bedeute. Das Argument Deleuzes lautet also, dass die Definition des Cogito: »Ich denke, Ich bin« (wie es in den Meditationes heißt), implizit voraussetzt, dass das Ich ein denkendes Ding, dass das Denken immer die Aktivität eines Ichs und dass Sein Denken sei. Die Bewegung, die diese Voraussetzungen nun aktiviert, und an der Deleuze hier

7

Sehr interessant wäre an dieser Stelle auch ein Vergleich mit Brandoms monumentaler Studie Making it Explicite, in der die Philosophie als die Tätigkeit ausgewiesen wird, die das den unterschiedlichen Praxen Implizite expliziert, wozu hier leider aber der Platz fehlt.

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Schließlich taucht der Begriff der Struktur auch im Text auf, vgl. Deleuze: Differenz und Wiederholung, S. 235f. Im Kapitel über das Bild des Denkens schreibt Deleuze auch über die Beschaffenheit von »transzendentalen Strukturen«. Ebd., S. 194.

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interessiert ist, ist die folgende: Descartes definiert das Ich explizit als ein denkendes Ding, eine res cogitans, womit er es implizit für jedermann geltend macht. Jedermann ist ein Ich, jedermann denkt subjektiv, jedermanns Sein besteht in seinem Denken.9 Deleuze macht dann eine Unterscheidung zwischen dem Inhalt und der Form dieses Gedankens, wobei es weniger der Inhalt dieses Gedankens ist, der ihn interessiert, sondern mehr, was er »die Form der Repräsentation«10 nennt. Das ist die Form des Gedankens oder, wie ich es formulieren würde, die Denkfigur der Repräsentation, die wir oben als Bestandteil des cartesischen Denkdiagramms analysiert haben. Diese Denkfigur ist es schließlich, die Deleuze aus Descartes isoliert und in den Philosophien von Kant, Hegel, Heidegger bis hin zu Bergson wiederfindet11. Das ist die erste Bedeutung des Bildes des Denkens: es wiederholt eine Denkfigur, die im Abbilden, im Repräsentieren besteht und die uns ein Bild davon gibt, was Denken ist. Deleuze kritisiert also weder Descartes, noch das Cogito, sondern die Denkfigur der Repräsentation. Dabei ist nicht diese Figur an sich zu devaluieren, sondern die einfache Wiederholung derselben, die das Denken zu einer Struktur verfestigt. Deleuze schließt nun an die Kritik der Repräsentation eine Kritik des Modells der Rekognition, der Erkenntnis, an. Dieses Modell wird wiederum an einer Lektüre Descartes’ entwickelt, seine bekannte Rekognition eines Stück Wachses in der zweiten Meditation. Descartes unterscheidet hier, wie wir zuvor gesehen haben, zwei unterschiedliche Zustände des Wachses: einmal den normalen Zustand, wie wir ihn in Kerzen vorfinden und dann den Status, nachdem man es erhitzt hat. Während jedes Vermögen zwar verschiedene Daten des erkannten Objektes vor und nach dem Erhitzen liefert – unterschiedlich ist, was ich rieche, was ich berühre, was ich mir vorstelle – so ist es doch die selbe Ausdehnung des Objektes, die ich denke. Das Denken gibt dem wahrnehmenden Ich und seinen Vermögen eine Einheit, wie es diese auch in das Objekt projiziert. Indem das Cogito die Vermögen vereinheitlicht, so Deleuzes Lektüre, wird aus dem vorausgesetzten gesunden Menschenverstand (Ich, das eins ist, will nur die Wahrheit, ich will wissen, was ist) ein philosophischer Begriff, der Gemeinsinn, welcher die Einheit der Vermögen in der Erkenntnis eines idealen Objekts beschreibt. Dieses Modell fordert nun die Repräsentation, indem der Gemeinsinn in alle empirischen Akte von Rekognitionen repräsentiert wird. Die Repräsentation erschafft so die beiden Räume des Denkens, die faktische Welt und die Welt des reinen Denkens. Sie sind unterschieden durch die Repräsentation und

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Deleuze: Differenz und Wiederholung, S. 170.

10 Ebd., S. 175. 11 Ebd., S. 173-196.

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werden verbunden über das Modell der Rekognition. Was Deleuze hier als das Modell der Rekognition beschreibt, war in unserer Analyse bereits als das cartesische Wissensdiagramm bezeichnet worden. Das Wissensdiagramm verfestigt das Denkdiagramm, das aus Bewegungen des Denkens Räume und Funktionen des Denkens im Vollzug herstellte. Im Wissensdiagramm werden diese Operationen verfestigt, in eine Struktur überführt. Diese Struktur wird mittels der Denkfigur der Repräsentation in den Bereich der faktischen Welt abgebildet, kopiert. Indem Deleuze im Folgenden diese Denkfigur variiert, will er auch das Wissensdiagramm wieder in ein Denkdiagramm überführen, die Struktur, die das Denken sich gibt, hin auf das Kontinuum der Denkbewegungen öffnen, um ein neues Denkdiagramm zu entwickeln. Dies ist nun also die zweite Bedeutung des Bild des Denkens: Es beschreibt den Prozess, der ein bewegliches Denken in einer Struktur verhärten lässt, den Übergang von einem Denkdiagramm zu einem Wissensdiagramm. Damit drückt das Bild des Denkens eine dem Denken implizite Gefahr aus, zu verhärten, sich in einem Wissensdiagramm einzurichten. Hierauf richtet sich die Kritik Deleuzes, dass Kant, Hegel und Bergson, indem sie das Modell der Rekognition von Descartes übernehmen, in eine Struktur des Denkens fallen, die aus dem Denken ein Modell, ein Wissensdiagramm macht. Wenn Deleuze diese Gefahr ausweist, geht es ihm aber nicht darum, diese Philosophien zu degradieren, vielmehr erkennt er das Bild als implizite Struktur des Denkens an, wenn er diese Philosophien in Auseinandersetzung mit dieser Struktur darstellt. Insofern ist das Bild des Denkens kein historisches Faktum, das von Ausprägung zu Ausprägung variiert. Deshalb gibt es auch nur ein Bild des Denkens, das sich historisch zeigt. Es kann nicht auf ein anderes Bild hin transzendiert werden, vielmehr beschreibt Deleuze die Immanenz des Bildes, an dem sich verschiedene Denker in der Geschichte abgearbeitet haben und in das sie zurückgefallen sind. Das Bild des Denkens fixiert so den Zusammenhang von Denkdiagramm und Wissensdiagramm, wie er uns bei Descartes begegnete, der Strukturierung von Denkfiguren in einem Wissensdiagramm, das sich durch die Geschichte zieht. Deleuze kritisiert aber nicht eine Denkfigur und ein Wissensdiagramm, um es auf andere Denkfiguren hin zu transzendieren, seine Kritik ist immanent. Er adoptiert diese Denkfigur der Repräsentation, wenn er ein Bild des Denkens postuliert. Die Kritik besteht dann darin, zu zeigen, dass das Bild des Denkens nur wenige Denkfiguren erlaubt, andere ausschließt, was zu einer Verarmung des Denkens führt. Die dritte Bedeutung des Bildes des Denkens lautet, dass alle Philosophie im Abbilden, verstanden als Repräsentation, besteht – wenn er beispielsweise die Konstruktion des expliziten Modells der Rekognition als Figurierung einer impliziten Struktur des allgemeinen Denkens versteht. Deleuze findet

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diese Figurierung des Denkens nicht nur bei Descartes, sondern auch bei Platon, Hegel, Heidegger oder auch in Kants Unterscheidung zwischen dem Empirischen und dem Transzendentalen. Deleuze ist dabei nicht nur daran interessiert, die Gleichförmigkeit dieser Philosophien auszuweisen. Er bestimmt auch die unterschiedlichen Kämpfe gegen das Bild des Denkens, die Absetzungsmanöver und auch die Rückfälle in eine Strukturiertheit des Denkens. So sei Kant derjenige, der den Bereich des Transzendentalen vom Bereich des Empirischen absetze, der die Zeit in das Subjekt einführe und damit dem Bild zu entkommen scheint. Doch mit der Formulierung der Rekognition in der Kritik der reinen Vernunft als der dritten Synthese, in der alle anderen Synthesen gipfeln, werden die Denkvermögen doch wieder dem Regulativ unterstellt, das sich in der Form des Objekts als Korrelat des »Ich denke« ausdrücke, auf das sich nun alle Vermögen beziehen müssen. »Es ist klar, dass Kant damit die sogenannten transzendentalen Strukturen auf die empirischen Akte eines psychologischen Bewußtsein durchpaust: Die transzendentale Synthese der Apprehension wird unmittelbar von einer empirischen Apprehension induziert usw. Zur Vertuschung eines so deutlich sichtbaren Vorgehens unterdrückt Kant diesen Text in der zweiten Auflage. Besser vertuscht, besteht die Abklatschmethode nichtsdestoweniger fort, mit all ihrem »Psychologismus.«12

Indem Deleuze nun das Bild des Denkens auf andere Philosophien projiziert, entdeckt er auch ein Denken, das sich widersetzt, das nicht durch Repräsentation, sondern vielmehr durch Intervention funktioniert, das die Unterscheidung der beiden Welten nicht akzeptieren kann, sondern dagegen Differenzen, aber auch Kontinuitäten entdeckt, die diese Differenzen affizieren. Dieses Denken beginnt im Denken, durch die Verflüssigung des Bildes, indem es neue Bewegungen ausprobiert, die den Bild-Gedanken modulieren. Es wiederholt die Denkfigur der Repräsentation, was deren Variation einschließt und gerade nicht das gleiche repetiert. Insofern taucht hier ein neuer Typ von Wiederholung auf, nicht mehr die Eingewöhnung in das Ähnliche, sondern die Wiederholung, die eine Variation und Abweichung produziert. Eine neue Denkfigur kann dann eine neue Strukturierung des Transzendentalen vornehmen, den Bereich des Denkens refigurieren. Die immanente Kritik und Modulation akzeptiert auch, dass es einen

12 Deleuze: Differenz und Wiederholung, S. 176f.

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Bereich des Denkens gibt, aber es stellt diesen nicht der faktischen Welt gegenüber, vielmehr ist er überall am Werk. 13 Um dieses andere Denken zu beschreiben, das sich dem Bild des Denkens widersetzt, müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass es drei Versionen dieses Kapitels in Deleuzes Werk gibt, die dieses neue, bildlose Denken14 hervorbringen wollen. Die erste Formulierung des »Bild des Denkens« findet sich in Nietzsche und die Philosophie (1962), darauf wird es in Proust und die Zeichen (1964) erneut aufgegriffen, um dann schließlich in Differenz und Wiederholung (1968) seinen letzten Ausdruck zu finden. Im Kapitel über »Ein neues Bild des Denkens« fungiert Nietzsche als derjenige, der sich dem durch Descartes geprägten Bild des Denkens widersetzt. Jenes wird hier durch drei Thesen wesentlich bestimmt: 1. Das Denken wird vorgestellt, als dasjenige, was das Wahre formal besitze oder in sich berge. Denken ist dabei der natürliche Vollzug eines Vermögens, das zur Wahrheit führt. 2. Man kommt vom Weg des Wahren ab aufgrund von Kräften, die dem Denken äußerlich sind (Körper, Leidenschaften, sinnliche Interessen). Weil wir nicht nur denkende Wesen sind, verfallen wir dem Irrtum, wenn wir das Falsche für das Wahre nehmen. Im Denken ist der Irrtum also nur Effekt äußerlicher, dem Denken entgegengestellter Kräfte. 3. Mittels einer Methode wenden wir den Irrtum ab, indem wir den Effekt fremder Kräfte ausschalten, die das Denken stören und ablenken. Die Methode lässt uns somit in den Bereich eintreten, was zu allen Zeiten und an allen Orten gleichermaßen gilt. Bei Nietzsche findet Deleuze ein Denken formuliert, das allen drei Postulaten des Bildes des Denkens widerspricht. Nietzsche ersetzt die Vorstellung einer abstrakt-allgemeinen Wahrheit durch konkrete Wirkungen eines Sinns oder Realisierungen eines Wertes. Dies gelingt ihm, indem er die Frage nach dem »Was?« durch die Fragen nach dem »Wer?«, »Wo?«, »Wann?« und »Mit wel-

13 Deleuze wird Bücher über das Denken des Kinos, das Denken der Kunst, das Denken der Psychoanalyse, und das Denken der Wissenschaften schreiben. Von hier aus erklären sich auch die Übergänge, die er in vielen Büchern machen kann, die eine Figur des Denkens durch unterschiedlichste Bereiche verfolgen, um sie zu variieren und mit andern Figuren in einen Zusammenhang zu bringen und so einen Begriff zu schaffen. 14 Vgl. hierzu folgendes Zitat: »Entsprechend würde sie [eine Philosophie ohne Voraussetzungen] ihre echte Wiederholung in einem bildlosen Denken finden, und sei es um den Preis größter Zerstörungen, größter Demoralisierungen und einer Hartnäckigkeit der Philosophie, die nur das Paradox als Verbündeten hätte und auf die Form der Repräsentation wie auf das Element des Gemeinsinns verzichten müsste.« Deleuze: Differenz und Wiederholung, S. 173 (Hervorhebung A.R.).

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chem Ziel?« ersetzt. Dabei bleibt die Was-Frage nicht einmal als Regulativ bestehen.15 Es kommen so konkrete Gemengelagen in den Blick (was Deleuze mit »Sinn« bezeichnet). Für Nietzsche machen das Wahre und das Falsche keine Kategorien des Denkens aus, vielmehr gibt es das Vornehme und das Gemeine, das Hohe und das Niedrige (»Wert«). Dieser Unterteilung entspricht die Aufteilung der Kräfte, die sich des Denkens bemächtigen. Nietzsche unterscheidet hier aktive und reaktive Kräfte, produzierende und reproduzierende. Für Nietzsche geht es hier nicht darum, die Kräfte des Außen des Denkens auszuschließen, vielmehr muss das Denken an die Kräfte des Außen angeschlossen werden. Während das Bild des Denkens diese Kräfte immer verbirgt16, muss es für Nietzsche darum gehen, das Denken wieder an jene Kräfte anzuschließen, um ein neues Bild des Denkens herzustellen. Nicht mehr der Irrtum ist dann die Gefahr, die dem Denken von außen her droht, sondern die Dummheit, die das Denken von innen her einholt. »Die Dummheit macht eine Struktur des Denkens schlechthin aus, keine Art, sich zu täuschen. Sie bringt de jure den Un-Sinn des Denkens zum Ausdruck … Man kennt einfältige Gedanken, einfältige Reden, die gänzlich aus Wahrheiten bestehen; aber diese sind niedrig, Erzeugnisse einer niedrigen, platten Seele, schwer wie Blei … Dies drückt in Wirklichkeit ein von reaktiven Kräften dominiertes Denken aus.«17

Während die reaktiven Kräfte das Denken verleiten, die konkreten niedrigen Wahrheiten zu reproduzieren, sind es schließlich die aktiven Kräfte, die das Denken etwas Neues produzieren lassen, die aus dem Denken eine wirkliche Aktivität machen. Dieses neue Denken beginnt nicht als natürlicher Vollzug eines Vermögens, sondern durch eine Gewalt, die sich durch die Kräfte mitteilt. »Dem Denken muss sich eine Gewalt in Form eines Gedanken aufdrängen, eine Macht muss es zwingen zu denken, es einem Aktiv-Werden aussetzen.«18 Hier

15 Vgl. Deleuze: Die Methode der Dramatisierung. Vgl. aber auch: Deleuze: Differenz und Wiederholung, S. 239f. 16 Deleuze: Nietzsche und die Philosophie, S. 114: »Also verbirgt das dogmatische Bild des Denkens: die Arbeit der bestehenden Kräfte, die das Denken als reine Wissenschaft bestimmen, die Arbeit der etablierten Mächte, die sich idealiter im Wahren, wie es an sich ist, zum Ausdruck bringen.« 17 Ebd., S. 115. Vgl. auch Derridas Diskussion der Dummheit bei Deleuze in: Derrida: Séminaire 1. La bête et le souverain, S. 202ff. und allgemein die Diskussion der Dummheit und im Besonderen bei Deleuze in Ronell: Dummheit, S. 28f. 18 Ebd., S. 119.

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liegt der Sinn der Bejahung bei Nietzsche. Das Denken bejahen heißt, es einem Zwang durch die Kräfte aussetzen. Das Denken denkt nie allein, sondern immer nur durch die Einwirkung von Kräften. Dabei wird eine Typologie der Kräfte notwendig, oder sogar eine Topologie. Denn die Wahrheit ist bei Nietzsche nicht mehr etwas, das man aus einem Brunnen schöpfen kann, vielmehr ist jede Wahrheit diejenige eines Trägers, einer Zeit und eines Ortes. Ein neues Denken muss diese diagrammatischen Situationen aufsuchen, die zum Denken zwingen und aus ihm etwas Aktives und Affirmatives machen. Während das Bild also die Herkunft der Kräfte, die es prägen, verschweigt, muss es einem neuen Denken darum gehen, diese Kräfte wiederzufinden, das dem Bild unterliegende Denkdiagramm aufzuspüren, um es zu variieren. Wie der Übergang von den Kräften hin zur neuen Figurierung eines Denkens funktioniert, erklärt Deleuze im Kapitel über »Das Bild des Denkens«, so wie es sich in Proust und die Zeichen findet. Deleuze steigt in die Auseinandersetzung mit Proust an dieser systematischen Stelle ein: Ihm zufolge ist dasjenige, was zwingt, das Leitmotiv der Wiedergefunden Zeit. Dabei wird unterschieden in Eindrücke, die uns zwingen zu schauen, Begegnungen, die uns zu interpretieren zwingen und Ausdrücke, die uns zu denken zwingen. Für Deleuze kann die literarische Arbeit Prousts ein neues Denken aber nicht nur unvollkommen ausdrücken (wobei der vollkommene Ausdruck dann erst eine philosophische Repräsentation dieses impliziten Denkens wäre), vielmehr zeigt es sich hier direkt, weshalb er eine lange Passage Prousts zitiert: »Die Wahrheiten, die der Verstand unmittelbar und eindeutig in der Welt des hellen Tageslichtes aufgreift, besitzen weniger Tiefe, weniger Notwendigkeit als diejenigen, die das Leben uns ohne unser Zutun in einem Eindruck mitgeteilt hat, der zwar materiell ist, weil er durch die Sinne in uns dringt, aus dem wir aber das geistige Element herauslösen können … Ich musste versuchen, die Empfindungen als Zeichen ebenso vieler Gesetze und Ideen zu interpretieren, indem ich zu denken, das heißt aus dem Halbdunkel hervortreten zu lassen und in ein spirituelles Äquivalent umzusetzen versuchte, was ich empfunden hatte … Ob es sich um Reminiszenzen wie bei dem Geräusch der Gabel oder dem Geschmack der Madeleine oder um Wahrheiten handelte, die in Gestalt von Figuren niedergeschrieben sind, deren Sinn ich in meinem Kopf suchte, wo sie, Kirchtürme, wildwachsendes Gras, eine komplizierte und rankenreiche Zauberschrift ergaben, ihr erstes Charakteristikum bestand darin, dass ich nicht frei war zu wählen, dass sie mir als solche gegeben waren. Und ich spürte, dass dies die Signatur ihrer Echtheit sein musste. Ich hatte die beiden ungleichen Pflastersteine, an die ich gestoßen war, in jenem Hof nicht gesucht. Aber gerade die zufällige, unvermeidliche Form, unter der ich dieser Empfindung be-

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gegnet war, bedeutete gleichsam eine Gegenprobe auf die Wahrheit der Vergangenheit, die sie wiedererweckte, der Bilder, die sie auslöste, weil wir daran ihr Bemühen erkennen, wieder zum Licht emporzusteigen, weil wir die Freude der wiedergefundenen Wirklichkeit verspüren … Das innere Buch aus jenen unbekannten Zeichen (erhaben hervortretenden Zeichen, schien es, die meine Aufmerksamkeit suchte, an die sie streifte, die sie umkreiste wie ein Taucher, der in die Tiefe steigt), bei seiner Lektüre konnte mir niemand mit irgendeiner Regel beispringen, denn eben diese Lektüre stellt einen Schöpfungsakt dar, bei dem kein anderer uns ersetzen oder auch nur mit uns zusammenwirken kann … Die vom reinen Verstand gelieferten Ideen haben nur eine logische Wahrheit, eine mögliche Wahrheit, ihre Wahl ist beliebig. Das Buch mit den figurativen, nicht von uns eingezeichneten Charakteren ist unser einziges Buch. Nicht, dass Ideen, die wir selbst gestalten, nicht logisch richtig sein könnten, aber ob sie wahr sind, wissen wir nicht. Nur der Eindruck, wie hauchdünn auch seine Substanz zu sein scheint, wie unwahrscheinlich seine Spur, ist ein Kriterium für Wahrheiten und verdient daher als einziges, vom Geist aufgenommen zu werden, denn nur jener ist imstande, wenn dieser die Wahrheit daraus abzuleiten weiß, ihn zu größerer Vollendung zu führen und ihm reine Freude zu schenken.«19

In dieser Passage aus der Wiedergefundenen Zeit von Marcel Proust findet Deleuze ein Denken skizziert, dass dem Bild des Denkens widersteht. Es drängt sich durch Zeichen auf, es ist kein Akt der Freiheit oder des guten Willens. Man hat es nicht gesucht, es beruht eher auf einer Begegnung mit Figuren, die neue Denkfiguren im Denken hervorbringt. Zentral ist hierbei der Begriff des Zeichens, auf den Deleuze fokussiert. Das Zeichen ist keine Repräsentanz von etwas nicht Zeichenhaftem, es geht Deleuze nicht einmal um die Referenz auf etwas anderes. Das Zeichen meint hier eine materielle Figuration, die von einer geistigen Figuration begleitet wird. Somit dreht er die Zeichenrelation um, die von einem Symbol zu einem Ding geht, und ersetzt sie durch die Figuration eines Dings, die sich als Figuration im Denken ausdrückt. Deshalb kann Deleuze auch davon sprechen, dass man den Zeichen begegnet. Diese Begegnung ist es nun, die dem Denken einen Zwang antut. Es handelt sich hierbei nicht um eine vorhergesehene, gewollte Begegnung, sondern um eine Gewalt, die einem angetan wird. Dieser emphatische Begriff einer Begegnung zielt deshalb auch weniger auf die Begegnung zweier Menschen, sondern auf das einflussreiche Aufeinandertreffen einer körperlichen Figuration und eines Denkens. Daraus leitet sich auch die erste Definition des Denkens ab, die Deleuze hier formuliert:

19 Zitiert nach: Deleuze: Proust und die Zeichen, S. 157f.

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»Was zu denken zwingt, ist das Zeichen. Das Zeichen ist Objekt einer Begegnung; aber gerade die Kontingenz der Begegnung steht für die Notwendigkeit dessen ein, was sie zu denken gibt. Der Akt des Denkens entspringt nicht einer einfachen natürlichen Möglichkeit. Er ist im Gegenteil die einzige wahrhafte Schöpfung. Die Schöpfung ist die Genese des Denkaktes im Denken selbst. Diese Entstehung nun impliziert etwas, was dem Denken Gewalt antut, die es seiner natürlichen Starre entreißt, seinen nur abstrakten Möglichkeiten. Denken ist immer interpretieren, dass heißt ein Zeichen explizieren, entwickeln, entziffern, übersetzen.«20

Denken besteht im Explizieren von etwas im Zeichen Implizitem, es geht darum, dieses Implizite zu entwickeln, zu dechiffrieren und in andere Bereiche zu übersetzen. Dieses Denken geht nun nicht mehr von der Klarheit und Deutlichkeit der Elemente aus. Vielmehr beginnt es im Dunklen, Undeutlichen. Denn, wenn es die Fähigkeit hat, das Zeichen zu explizieren und in eine Idee zu entwickeln, dann, so Deleuzes Schlussfolgerung, weil die Idee im Zeichen schon da ist, »in eingehülltem und zusammengerolltem Zustand, im dunklen Zustand dessen, was zu denken zwingt.«21 Die Zeichen werden vom Verstand interpretiert. Dabei ist der Verstand nicht mehr jener abstrakte und willkürliche Verstand, der durch eigene Anstrengung logische Wahrheiten findet, der seine eigene Ordnung hat und den Kräften des Außen überlegen ist. Es handelt sich vielmehr um einen unwillkürlichen Verstand, der den Zwängen der Zeichen und damit den Kräften des Außen unterliegt, dem eine Anstrengung aufgezwungen wird, die ihn zu notwendigen Wahrheiten und zur Figurierung einer eigenen Ordnung nötigt. Während im Bild des Denkens die Verstandesordnung immer zuerst kommt, hängt die neue Konzeption des Verstandes an der Eigentümlichkeit der Zeichen, die darin besteht, sich an den Verstand zu wenden, ihm insofern vorauszugehen; der Verstand kommt hier also immer danach. »Willkürlich« und »unwillkürlich« bezeichnen die unterschiedliche Ausübung eines Vermögens. In der willkürlichen Ausübung ist es egal, ob wir ein Ding wahrnehmen, erinnern, einbilden oder verstehen. Es entsteht keine tiefere Wahrheit, wenn ich ein Ding im Gedächtnis, in der Wahrnehmung oder im Denken repräsentiere. Wichtig ist hier, dass die Vermögen harmonisch zusammenarbeiten, eins das andere auch ersetzen kann. In der unwillkürlichen Ausübung der Vermögen entdeckt und erreicht jedes Vermögen seine eigene Grenze, verspürt seine eigene unersetzliche Kraft in der eigenen Notwendigkeit und erhebt sich zu

20 Deleuze: Proust und die Zeichen, S. 80. 21 Ebd.

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einer transzendenten Ausübung, die die Verfassung des Denkens selbst variiert. Die indifferente Wahrnehmung wird nun durch ein Empfindungsvermögen ersetzt, das die Zeichen empfängt. Darauf entdeckt jedes Vermögen nur das, was nur es selbst interpretieren kann. Jedes Vermögen expliziert einen Zeichentypus, der nur ihm Gewalt antut.22 »Allein die Empfindungsfähigkeit ergreift das Zeichen als solches; allein Verstand, Gedächtnis oder Imagination explizieren die Bedeutung in jeweils einer Art von Zeichen; allein das reine Denken entdeckt die Essenz, ist gezwungen, die Essenz als hinreichenden Grund des Zeichens und seiner Bedeutung zu denken.«23

Der Essenzialismus Deleuzes darf hier aber nicht falsch verstanden werden, da es nicht darum geht, eine unveränderliche Wesenheit zu bergen. Denn, was in den Dingen liegt, ist keine feste Form, sondern eine Figur, wie Proust schreibt. Um den Essenzialismus und auch den Idealismus von Deleuze richtig zu verstehen, müssen wir nachvollziehen, wie er zu deren Formulierung gekommen ist. Die erste Referenz expliziert er in seinem Proustbuch. Sie geht auf Platon zurück, eine andere zielt auf Bergson und ist nur implizit eingegangen in die Formulierung eines neuen Bild des Denkens. »Proust ist Platoniker« schreibt Deleuze, wenn er bspw. bei der Beschreibung des Themas von Vinteuil von Essenzen und Ideen spricht. Bei Platon findet sich nun auch ein Denken formuliert, das aus Begegnungen resultiert und auf Gewalttätigkeiten basiert. In einer Passage des Staats unterscheidet Platon die Dinge in der Welt in Bezug auf ihre Relation zum Denken.24 Es gibt nun einerseits Dinge, die das Denken untätig lassen oder ihm nur den Vorwand einer scheinbaren Tätigkeit geben und andererseits welche, die zu denken geben, zum Denken zwingen. Während die Ersten Dinge des Wiedererkennens sind, bei denen alle Vermögen harmonieren und kontingent ausgeübt werden, so sind die Zweiten Dinge, die zum Denken zwingen, die uns Gewalt antun, denen wir begegnen. Das sinnliche Zeichen tut uns Gewalt an, die nur empfunden werden kann. Die Empfindung bewegt das Gedächtnis, was die Seele in Bewegung versetzt, die ihrerseits das Denken bewegt, indem sie den Zwang der Empfindungsfähigkeit an das Denken weitergibt und es so die Essenz zu denken zwingt, die gedacht werden muss. Dass hier jedes Vermögen an seine Grenze gerät und die-

22 Vgl. zur Diskordanz der Vermögen und somit ihrer unwillkürlichen Ausübung auch die Diskussion bei Lyotard: Der Widerstreit, S. 217ff. 23 Deleuze: Proust und die Zeichen, S. 82. 24 Platon: Der Staat, VII, 523b-525b.

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se einholt, bezeichnet Deleuze als den transzendenten Gebrauch der Vermögen. Das Zeichen wird so von der Empfindung wahrgenommen, von der Seele und vom Gedächtnis interpretiert und vom reinen Denken erfasst. Gegen diesen Platonismus wendet Deleuze nun aber ein, dass der Verstand bei Platon noch den Begegnungen vorausgehe, wenn er sie hervorruft, anregt und organisiert. Bei Proust findet er dagegen die Bereitschaft, sich für Begegnungen, sich sogar für ihre Gewalt ohne jede Berechnung zu öffnen. Dieser Unterschied bringt viele weitere mit sich. Wenn die Gewalt der Begegnung dem Verstand vorgängig ist, dann ist es auch eher diese Gewalt, die sich dem Denken einschreibt, als der gute Wille des Verstandes oder die vorgängige Ordnung des Denkens. Daher gibt es hier auch eine andere Konzeption der Essenz, die bei Platon noch unveränderlich war. Proust redet an dieser Stelle von Figuren, die sich in unser Denken einprägen, bei Nietzsche war es eine Kräftekonstellation, die sich ins Denken überträgt. Am ausführlichsten denkt Bergson darüber nach, den Deleuze ungenannt in diesem Kapitel referiert und dem er zwei Jahre nach dem Proustbuch eine eigene Monographie widmen wird.25 Während Deleuze die Essenz nicht mehr unveränderlich, sondern vielmehr dynamisch denkt, was die vorausgegangene Platondiskussion verdeutlichen sollte, so trifft das auch auf die Konzeption der Idee zu. Zur Idee gelangen wir, indem wir einen unwillkürlichen Gebrauch unserer Vermögen machen. In Bergsons Text über die Intellektuelle Anstrengung26 finden wir eine parallele Unterscheidung zwischen einem Gebrauch unserer Vermögen, der ohne Anstrengung verfährt und einen, der Anstrengung aufbringen muss. Wie Deleuze betonte, geht es hier nicht um einen Unterschied des Gebrauches des gesamten Vermögensapparates, sondern um unterschiedliche Weisen des Gebrauches eines Vermögens. Bergson nimmt das Beispiel der Erinnerung. Wenn wir ohne Anstrengung erinnern, dann werden Bilder auf einer Ebene aneinandergereiht und der Intellekt verbindet sie in einer horizontalen Bewegung. Erinnern wir hingegen mit Anstrengung, dann passiert der Intellekt die unterschiedlichen Ebenen der Erinnerung in einer vertikalen Bewegung, um auf einer höheren Ebene Bilder ins Bewusstsein zu rufen. Die erste Weise zu erinnern kann von Bild zu Bild auf einer Ebene übergehen, da die Bilder homogen sind, wobei die repräsentierten Objekte sich unterscheiden. Hingegen im angestrengten Erinnern leitet ein Objekt die Operation des Intellekts auf allen Ebenen, wobei jenes unterschiedlich

25 Deleuze: Bergson zur Einführung. Schließlich hat Deleuze bereits 1957 eine Textsammlung von Bergson herausgegeben: Deleuze (Hg.): Mémoire et vie. Siehe hierzu Deleuze: Die einsame Insel, S. 28. 26 Bergson: L’effort intellectuelle.

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repräsentiert wird. Die Operationen der Verknüpfung von Bildern unterscheidet Bergson einmal als eine extensive Aneinanderreihung; mit Anstrengung besteht die Operation in einer intensiven immer konkreteren Bestimmung eines Objekts. Insofern ist auch die intensive Bestimmung extensiv, wird aber auf jeder Ebene variiert; intensiv meint hier eine kontinuierliche Bewegung, die einen Raum, die Strukturierung des Objekts, eröffnet. Die letzte Unterscheidung der beiden Arten von Erinnerungen betrifft den Vorgang selbst. Im ersten Fall haben wir es mit Bewegungen zu tun, die automatisch ablaufen, weil sie eingeübt sind. Hingegen im zweiten Fall handelt es sich um Bewegungen, die Anstrengung benötigen, um eine neue Verbindung zwischen zwei Ebenen aufzubauen. Hier haben wir es also mit revolutionären Bewegungen zu tun, die sich gegen die gewohnten Erinnerungsbewegungen richten, indem sie neue Relationen herstellen und so ein Objekt konkretisieren, d.h. eine Bewegung figurieren. Die beiden Arten des Erinnerns gehen schließlich auch mit unterschiedlichen Erinnerungsinhalten einher. Wenn ich mich an etwas erinnere, indem ich ohne Anstrengung Bilder aufkommen lasse, dann, so führt Bergson aus, erreiche ich nie das Ganze der zu erinnernden Situation. Wenn ich aber mit Anstrengung versuche die Situation zu spezifizieren, dann beginne ich bereits mit dem Ganzen der Situation, was Bergson das »Schema« einer Situation nennt. Dieses Schema meint nun aber keine starre Struktur einer Situation, sondern die Bewegung, die eine Situation hervorbringt. Diese Bewegung gilt es wiederzufinden und sie im Erinnern zu wiederholen. Bergson nennt sie daher auch das »dynamische Schema. Wir verstehen, dass diese Darstellung weniger die Bilder selbst enthält, als vielmehr die Richtungen anzeigt, die man verfolgen, und die Operationen, die man vollziehen muss, um sie zu rekonstituieren.«27 Insofern der Akt des Wiederherstellens der Situation in Gedanken mit dem Erkennen des Objekts zusammenfällt, kann man hier im Grunde auch nicht von einer Repräsentation sprechen. Denn es geht bei Bergson nicht darum, ein Objekt beim Erinnern zu repräsentieren, sondern darum, wie das Erinnern durch das Objekt in Gang gesetzt wird, was wiederum das Objekt in seiner Gänze zuallererst hervorbringt. Diesen Prozess bezeichnet er als dynamisches Schema. Das Schema ist auch nicht zu verstehen als ein Bild des Ganzen oder ein Extrakt der Bilder, es ist auch keine abstrakte Idee dessen, was alle Bilder zusammengenommen bedeuten. Vielmehr ist es die Bewegung des Erinnerns, welche die Inhalte der Erinnerung neu verbindet.

27 Bergson: L’effort intellectuelle, S. 936f.: »schéma dynamique. Nous entendons par là que cette representation contient moins les images ells-mêmes que l’indication des directions à suivre et des operations à faire pour les reconstituer.« (Übersetzung A.R.)

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Bergsons Beispiel für das dynamische Schema ist der Schachmeister, der verschiedene Spiele simultan spielt, ohne lange auf das jeweilige Brett zu schauen.28 Er sieht die Bewegung des Zugs, was mentale Bilder im Gedächtnis des Schachmeisters induziert, die ihn schnell entscheiden lassen. Die mentalen Bilder sind nun aber keine Repräsentation des Schachbretts mit seinen Figuren. Der Schachmeister vollbringt vielmehr die Anstrengung, das gesamte Spiel zu rekonstituieren. Das funktioniert nicht über den äußerlichen Aspekt einer jeden Figur, sondern über ihre Macht, ihre Position und ihren Wert. Präsent im Geist eines Spielers ist also eine Komposition von Kräften, die in einer Relation aus verbündeten und feindlichen Kräften besteht. Wenn der Spieler in Gedanken die Geschichte des Spiels von Anbeginn nachvollzieht, dann rekonstituiert er die sukzessiven Ereignisse, die das präsente Kräfteverhältnis hervorgebracht haben. So erhält er eine Idee des Ganzen, was ihn befähigt in jedem Moment die Elemente (mögliche Züge) zu visualisieren. Jedes Spiel hat so auch seinen eigenen Charakter, es gibt dem Spieler einen Eindruck sui generis. Dieser physiognomische Unterschied im Ausdruck der Spiele führt schließlich dazu, dass der Schachmeister sie nicht in Gedanken verwirrt. Das Schema bezeichnet bei Bergson also nicht eine statische Konstellation, sondern die gedankliche Genese der Situation. Um diese zu spezifizieren, ist es notwendig, transversal zu den Schichten des Denkens eine Bewegung zu vollführen, die das Schema vorschreibt. Diese Bewegung verbleibt nicht auf einer Ebene, sondern kreuzt verschiedene Ebenen. Das meint hier transversal29: Von den materialen abweichenden Bewegungen zu einer neuen Denkfigur. Die Pointe ist die gleiche, wie in Deleuzes Proustbuch. Die Idee eines Dinges kann man nur haben, da sie im Ding bereits angelegt ist. Dabei gibt es keine äußerliche, unveränderbare Idee, die es wiederzuerkennen gilt. Sie keimt in der Begegnung und muss im Denken ohne Vor-Bild entwickelt werden, sie ist wesentlich schöpferisch.30 Bei Bergson haben wir die Idee insofern weiter spezifiziert, als dass es sich um eine schematische Idee handelt. Diese im Denken zu entwickeln fordert

28 Über die Richtigkeit der Analyse des Schachmeisters lässt sich sicher streiten. Uns kommt es aber nur auf die Entwicklung des Begriffs des dynamischen Schemas an, das in diesem Zusammenhang erläutert wird. 29 Vgl. zum Begriff der Transversalität: Guattari: Psychanalyse et transversalité, sowie das dazu von Deleuze verfasste Vorwort: Deleuze: Drei Gruppenprobleme. 30 Henning Teschke erläutert die Auseinandersetzung Proust-Platon genauer. Uns ging es hier um die Konzeption eines neuen Bild des Denkens, das in seiner endgültigen Fassung dann an Descartes orientiert wird. Vgl. Teschke: Sprünge der Differenz, S. 361-391.

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Anstrengung, stößt das Vermögen an seine Grenze und lässt es einem anderen Vermögen die empfundene Bewegung mitteilen. Im Denken gilt es diese Bewegung aufzunehmen und sie gegen die gewöhnlichen Denkbewegungen zu richten. Eine gelungene Denkbewegung bemisst sich danach, was man mit ihr hervorbringen kann, welche neuen Übergänge und Relationen sie erschafft. Nur eine produktive Denkbewegung wird zur Denkfigur etabliert, d.h. wiederholt und verfestigt. Dieser Übergang von der Denkbewegung zur Denkfigur fand sich auch in dem eingangs angeführten Zitat, in dem Proust von der logischen Wahrheit die notwendige Wahrheit unterschied. Letztere bieten sich uns in Reminiszenzen oder »in Gestalt von Figuren« dar, deren Sinn man suchen muss, weil man ihn noch nicht kennt. Für Proust ist es wichtig, dass einem diese Figuren zustoßen, dass man sie also nicht selbst ersinnt. Nur so können sie einen dazu zwingen, sie in Gedanken zu entfalten, indem man die Bewegungen enthüllt, die sie hervorgebracht haben, auch wenn es einige Anstrengung kostet. Die Denkfigur wiederholt die materielle Figur, der man begegnet. Für Proust ergibt sich die Welt so als ein Buch voller Figuren. Denken kann dann nur heißen, sich von diesen Figuren erfassen zu lassen und ihnen ihre schematische Idee abzugewinnen und im Denken zu entfalten. Der Begriff der Figur begegnete uns bereits in Descartes’ Regulae, wo er in der Regel 14 mit der körperlichen Idee zusammengebracht wurde. Der Zusammenhang war hier einer der Repräsentation. Man nimmt eine Figur wahr, bildet sie in der Einbildungskraft nach in Form einer körperlichen Idee, die die Figur repräsentiert. Die körperliche Idee kann nun als gezeichnete Figur wiederum symbolisiert werden. Die symbolisierte Figur steht in einem Zeichenverhältnis zu einem Ding, was die Identität des Dings unterstellt und über eine nachträgliche Differenz festigt. Das erste Verhältnis ist eines der Repräsentation, das zweite ein Zeichenverhältnis, sie sind unterschieden über ihre Motiviertheit. Deleuze wird in Differenz und Wiederholung nun beide aufgrund ihres gemeinsamen Verständnisses der Differenz kritisieren. Während Descartes die Nachträglichkeit der Differenz betont, wird es Deleuze darum gehen, aus dem Spiel der Differenzen die Identität und auch die Ähnlichkeit hervorgehen zu lassen. Die körperliche Idee kann durch die verschiedenen Medien und Vermögen aufgrund eines Ähnlichkeitsverhältnisses hindurchgehen, und sei es nur eine Ähnlichkeit der Struktur oder Relation. Bei Deleuze hingegen finden wir die Figur nun über ein Unähnlichkeitsverhältnis eingeführt. Die Figur ist die Bewegung, die nicht gewöhnlich ist, die sich nicht einpassen lässt, sondern die vielmehr durch ihre Abweichung hervorsticht und zur Produktion eines neuen Zusammenhangs, einer neuen Identität führt, die ähnlich ist, auch wenn sie auf anderen Kräfteverhältnissen basiert. Somit sind sich Figuren bei Deleuze nicht ähnlich,

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sie intervenieren vielmehr in gewöhnliche Bewegungen und sind dadurch v.a. schöpferisch.31 Hier schließt nun auch der Schemabegriff von Bergson an, den Deleuze in die Konzeption der Idee einführen wird. Das Schema meint zuerst keine Repräsentation einer Ähnlichkeit. Zweitens darf es nicht verwechselt werden mit dem Schema Kants32, das eine Verbindung von Abstrakta und Empirischem bezeichnet, die in Gedanken hergestellt wird. Das Schema von Bergson geht dem Denken, dem Ich voraus. Es basiert auf einer Begegnung, auf einem äußerlichen Anstoß, der in Gedanken entwickelt wird. Es bezeichnet einen Bewegungszusammenhang, der sich in Bildern ausdrücken kann, aber niemals darin aufgeht, die Bilder vielmehr wieder in Bewegung bringen muss. Diesen Zusammenhang mag Deleuze vor Augen gehabt haben, als er das Kapitel über die diagrammatische Idee in ihrem Verhältnis zur Struktur des Denkens als Bild des Denkens betitelte. Ein anderer Weg wird über die Multiplikation der Bilder führen, so etwa in seinen Kinobüchern33, und auch hier wird Bergson sein Fürsprecher sein. Was dem Bild entkommt, ist ein Denken, das nicht von sich aus anfängt, sondern eines, dass sich mit den Figuren, den Kräfteverhältnissen oder den materialen Bewegungen verbindet – von daher das Motto Deleuzes: »Zerstörung des Bilds eines Denkens, das sich selbst voraussetzt, Genese des Denkakts im Denken selbst.«34 Das Bild des Denkens wird in Differenz und Wiederholung,

31 Vgl. hierzu die beiden Figurenbegriffe bei Didi-Hubermann (Figur als Unähnlichkeit) und Agamben (Figur als Ähnlichkeit). Vgl. die Diskussion von Auerbach bei DidiHubermann: Die leibhaftige Malerei, und Agamben: Signatura rerum. Über die Methode. 32 Vgl. die Erläuterungen zum Schematismus bei Kant im 1. Kapitel dieser Arbeit, S. 30ff. 33 Deleuze: Das Bewegungs-Bild. Kino I, Deleuze: Das Zeit-Bild. Kino II. 34 Deleuze: Differenz und Wiederholung, S. 182. Vgl. hierzu auch die Einführung in das Werk Deleuzes von Michaela Ott, die den Fokus auch auf die Produktion und Vervielfältigung der Denkbewegungen in den Büchern Deleuzes legt: »Unter dem Namen Deleuze wird folglich ein Feld dualer Denkprozesse, von Problemverlagerungen und erweiterungen und Begriffsmodulationen nachzuzeichnen sein. Zu rekonstruieren wird sein, wie in das Feld philosophischer Begriffsentfaltung nach und nach Denkpläne literarischer Texte und semiotische Analysen von Malerei und Film eingefaltet werden und die Konzentration auf die Begriffsperson des Mimen ins Kollektive, Nomadische und Geopolitische entpersönlicht wird. Die als singulär herausgestellten Denkpositionen werden dank der nomadisierenden Bewegung dieses Denkens untereinander verbunden und mit immer neuen Wissensfeldern wie der Naturgeschichte,

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wie wir am Anfang dieses Kapitels gesehen haben, mit Descartes eingeführt und beschreibt eine dem Denken immanente Struktur, in die das Denken immer wieder zurückfällt, wie etwa bei Kant, Hegel und Bergson. Im Aufruf zur Zerstörung liegt nun der Aspekt der Affektion, der für die Erschaffung eines Denkdiagramms charakteristisch ist. Das geschaffene Bild soll durch ein neues Denken abgelöst werden. Derart findet Deleuze den Bereich des Kontinuums der Denkbewegungen wieder, bringt mithin das Denken selbst wieder in Bewegung. Zusammenfassend können wir festhalten: Das Bild des Denkens besteht v.a. in drei Komponenten. 1. Durch die Einführung von impliziten Voraussetzungen wird das Denken auf einen Anfang verpflichtet, der darin besteht, das implizit Vorausgesetzte zu explizieren. 2. Das Bild etabliert ein Modell der Rekognition, was zur Unterscheidung der Ebene des Denkens und der Ebene der Dinge führt. 3. Diese beiden Ebenen werden durch die Figur der Repräsentation verbunden, indem sie Strukturierungen der einen in die andere kopiert. Diese Grundoperationen des Bildes zeichnet Deleuze nun in acht Postulaten nach und entwickelt jeweils einen Begriff der Idee, der 1. sich dem Anfang entzieht, indem er auf einen konkreten vorliegenden Fall zurückgeht. 2. Die Idee beschreibt die Parallelität von Denken und Dingen und deren Immanenzverhältnis. 3. Die Figur der Projektion wird durch die genetische Perspektive der Idee zur Intervention von Dingen und Denken, oder in Deleuzes Sprache: zur Intervention von aktuellen Bewegungen und deren virtuellen Doppel, und damit in die der Aktualität vorgängigen Strukturierung der Wirklichkeit. Während die Postulate das Bild des Denkens nach Deleuze charakterisieren, so ist es die Idee, welche sie durchkreuzt, um ein neues Denken zu figurieren. Deleuzes Begriff der Idee unterscheidet sich nun aber von den Begriffen der Idee bei Platon oder Hegel. Eine kurze Charakteristik beider Begriff der Idee könnte aus deleuzescher Perspektive wie folgt aussehen: Bei den Griechen entstand ein Begriff der Idee, der sich von den konkreten Vermischungen und Bewegungen der aktualen Welt unterschied, indem er eine Festigkeit ausdrückte, die es so in der Welt nicht gab. Diese Festigkeit erlaubte es, die Bewegungen der Welt zu klassifizieren. Die Idee war etwas, das nichts ist, außer das, was sie ist, d.h. ein reiner Zustand: Etwas, das gerecht ist und nur gerecht, ist die Idee des Gerechten; etwas, das gut ist und nichts anderes als gut,

der Linguistik, der Ethnologie in Korrespondenz versetzt. »Wechselseitige Wiederholung« bezeichnet à la longue nicht nur Deleuzes Methode der Gegenlektüre anderer Denker, sondern zunehmend das Verhältnis seiner Schriften untereinander, die sich wechselseitig reflektieren und ihr Immanenzfeld selbst einer minorisierenden Begriffsbewegung unterstellen.« Ott: Gilles Deleuze zur Einführung, S. 29.

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ist die Idee des Guten. Konkret reden wir von einem guten Leben, wenn jemand gute Taten vollbrachte und sein Leben diesen guten Taten widmete, indem er beispielsweise den Armen hilft. Diese Tat ist aber nicht nur gut, sie ist auch selektiv, impliziert ein Leben mit armen Menschen usw. Die Idee des Guten ist hingegen nur gut und nichts als gut. Sie erlaubt es uns nun konkrete Bewegungen zu unterscheiden in gute, weniger gute, nicht gute usw. Während die Welt sich hier permanent in Bewegung findet, sich permanent verändert, ist die Idee des Guten stabil, unveränderlich.35 Hegel entwickelt die Idee als Verbindung von Begriff und Realität. Der Begriff entfaltet eine Bewegung, er realisiert sich in einer Bewegung und die Verbindung beider, des Begriffs und der Realität, nennt Hegel die Idee, das also, worin Begriff und Realität des Begriffs in eins fallen. Wir sehen hier, dass die Idee nicht mehr als feste, unveränderliche den Veränderungen und Bewegungen der Welt entgegensteht, vielmehr ist hier die Idee die Bewegung des Begriffs in seiner Realisierung. Damit vereinheitlicht sie die Bewegungen, da diese Philosophie der Idee nur noch eine Bewegung denken kann, die des Begriffs.36 Ich will im Folgenden dafür argumentieren, dass Deleuze schließlich die Bewegung weiterführt, die von Platon über Hegel ging, indem er einen Begriff der Idee entwickelt, der die reine Veränderlichkeit denkt, als »Komplexe, Vielheiten von Bezügen und entsprechenden Singularitäten«37, so seine Definition der Ideen. Was heißt das? Die aktuale Welt zeichnet sich für Deleuze, wie auch für Platon, dadurch aus, dass sie beständig in Bewegung ist. Jedoch sind die aktualen Bewegungen für Deleuze dadurch gekennzeichnet, dass sich nicht wirklich (d.h. strukturell) etwas verändert. Nehmen wir beispielsweise den Ausdruck einer »schnellebigen Zeit«. Er impliziert, dass sich heute alles im permanenten Wandel befindet. Es stimmt auch, dass es einen Imperativ zur Bewegung und Beweglichkeit gibt. Aber tatsächlich verändert sich doch im Grunde relativ wenig, wenn ich nicht in Berlin bin, sondern in Dundee, oder Irvine. D.h. die aktualen Bewegungen sind im Grunde sehr stabil; Deleuze sagt, das Aktuale verfes-

35 Vgl. zu dieser Charakteristik der Idee bei Platon diejenige, die Deleuze selbst im Abécédaire gab, unter dem Buchstaben »H comme Histoire de la Philosophie«, an die meine Charakteristik anschließt. 36 Vgl. hierzu Grant: The Chemistry of Darkness, S. 37. Ian Hamilton Grant zeigt hier Deleuzes Nähe zu Schelling und dessen Naturphilosophie, die sich gegen Hegels Reduktion der Bewegungen des Aktuellen zugunsten der einen vernünftigen Bewegung, um die Multiplikation der Bewegungen bemüht. 37 Deleuze: Differenz und Wiederholung, S. 210.

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tigt die virtuellen Bewegungen, die der Gegenwart zugrundeliegenden Prozesse der Veränderung. Für Deleuze besteht nun jedes Ding nicht nur aus einem aktualen, sondern auch aus einem virtuellen Teil. Ein Ding ist bei Deleuze immer ein Prozess, eine Bewegung, keine feste Identität, wie James Williams gezeigt hat.38 Also was heißt es, anzunehmen, dass jede Bewegung einen aktualen und einen virtuellen Teil hat? Während der aktuale Teil eine Bewegung verfestigt, variiert der virtuelle Teil die Bewegung beständig. Das Virtuelle bildet eine Vielheit von Singularitäten, eine reine Differenzierung, die Veränderungen im Aktuellen hervorbringt. Wenn jedes aktuelle Ding sein Virtuelles hat, dann ist das zuerst eine Verdoppelung des Aktualen in seine strukturierende Bewegung. Diese Strukturierung kann nun im Virtuellen variiert werden und sich neu aktualisieren, eine neue Strukturierung im Aktualen ausdrücken. Während bei Platon die Idee also eine unveränderliche Festigkeit bildete, die konkrete Mischung analysieren und auswählen lässt, bildete sie bei Hegel eine Bewegung des Begriffs, der konkrete Bewegungen in einer Bewegung ausgerichtet hat. Bei Deleuze dient die Idee nun zuerst zur Multiplikation der Bewegungen des Aktualen, zur Schöpfung neuer Bewegungen. Damit befindet er sich in einer Tradition, die die Dynamik höher schätzt als das Stabile: Eine Linie führt dabei über Bergson (und Simondon) zu Deleuze. Diese Höherschätzung provozierte Kritiken eines versteckten Platonismus, der die Idee höher schätzt als das Aktuale, und eines Hegelianismus, der das Aktuale nur als nachträgliche Realisierung eines Begrifflichen (bei Hegel), eines Virtuellen (bei Deleuze) denkt. Peter Hallward39 hat die Kritik des versteckten Platonismus bei Deleuze am treffendsten vorgebracht. Während Badiou in Deleuze noch die eine stabile transzendente Idee am Werk sah40, könnte man mit Hallward nun antworten, dass die Idee bei Deleuze vielleicht doch keine stabile Einheit ist. Sie ist eine Dynamik, die Gegenstände abweichen lässt und neue Denkakte entstehen lässt. Dennoch versteckt sich darin eine Konzeption des Virtuellen, die das gewöhnliche Aktuale (die normalen Bewegungen) und das kreative Virtuelle (die neuen Figuren) unterscheidet. Hallward vermutet dahinter eine Konzeption, die politisch unbrauchbar ist, da man im Aktuellen keine wirklichen Veränderungen herbeiführen kann, man so also auf das Virtuelle hoffen müsse. Dabei übersehen Hallward wie auch Badiou, dass es für Deleuze nicht zwei ontologisch getrennte

38 Williams: Objects in manifold times: Deleuze and the speculative philosophy of objects as processes. 39 Hallward: Out of this world. 40 Badiou: Deleuze: Das Geschrei des Seins.

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Bereiche, des Aktuellen und des Virtuellen gibt, er tatsächlich immer deren Verwicklung betont. Denn es kommt für Deleuze gerade darauf an, mit dem Begriff der Idee einen immanenten Zusammenhang zu beschreiben: vom Zwang durch die Figur, die sich in einer Denkfigur ausdrückt, die als dynamische Schematisierung die unterschiedlichen Ebenen des Bewusstseins durchquert. Wenn man Deleuze nun Idealismus vorwirft, dann zielt man dabei immer auf eine Höherschätzung des Ideellen gegenüber dem Aktuellen, in der sich eine Transzendenz verbergen könnte. Es kommt nun aber darauf an zu zeigen, dass Deleuze einen Begriff der Idee entwirft, der vollständig in der Doppelbewegung von Aktualisierung (des Virtuellen im Aktuellen) und Gegenverwirklichung (des Aktuellen im Virtuellen) gedacht werden muss. Erst dann entfaltet sich die volle Dynamik eines Begriffs der Idee bei Deleuze. Diese Doppelbewegung soll in den folgenden Kapiteln vorgeführt werden. Ein deleuzescher Idealismus zielt dann nicht auf die Wiedereinführung einer Transzendenz in das Denken, sondern vielmehr auf verschiedene Weisen der Intervention, immer jedoch mit dem Fokus auf die Neuerschaffung, auf die Kreation.41 Es ist kein platonischer Idealismus, der unveränderliche Ideen annimmt. Denn für Deleuze ist die Idee ganz im Gegenteil reine Veränderlichkeit. Es handelt sich auch nicht um einen hegelschen Idealismus, der nur die Bewegung des Begriffs denken lässt, geht es doch Deleuze gerade um die Vervielfältigung der Bewegungen, die zu neuen Begriffen führen müssen. Deleuze räumt der Idee einen Platz in seinem Denken ein, weil die Idee das Problem des Neuen entwirft. Mit Deleuzes Begriff der Idee fragt man sich, wie das Neue möglich ist. Und auch wenn die Idee oder eben das Virtuelle vor dem Aktuellen herausgehoben ist, dann führt das Immanenzdenken jedoch immer dazu, die Interventionen der beiden Bereiche ineinander und eben in beide Richtungen zu denken. Dieser Idealismus betrifft immer Bewegungen, die sich unterschiedlich aktualisieren und in ihrer Gegenverwirklichung auch die Ideen selbst in Bewegung versetzen. So lässt sich bei Deleuze nicht mehr klar zwischen einem Materialismus der Bewegungen, der auch einen Idealismus des Virtuellen einschließt, einem Empirismus des Begriffs oder auch einem Rationalismus der Begegnung unterscheiden. Vielleicht ist das der Sinn eines deleuzeschen Idealismus, dass er gleichzeitig ein transzendentaler Empirismus ist: ein dynamischer Idealismus der materialen Bewegungen, der Denkfiguren und ihrer Beschleunigungen aber auch Verlangsamungen, die sich bis in die Begriffe verlängern, auf der Ebene der

41 Unter »I comme Idee« im Abécédaire definiert Deleuze die Idee wie folgt: »L’Idée, c’est la création.«

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Begriffe vielleicht wieder variiert werden, und so eine neue Intervention in die materialen Bewegungen ermöglichen. Vielleicht ist das eine neue Interpretation des Anspruchs der Philosophie, die »ihre Zeit in Gedanken erfaßt«42. Im Folgenden werde ich zeigen, wie bei Deleuze konkrete Denkdiagramme an diesen Begriff der Idee anschließen, um so genau jenes produktive Verhältnis von Aktuellem und Virtuellem zu betonen. Zuerst werden wir in Deleuzes Buch über Spinoza das Denkdiagramm des Ausdrucks nachvollziehen, wie es in der Auseinandersetzung Deleuzes mit Descartes über die Philosophie Spinozas entsteht. Hier geht es um den Prozess der Aktualisierung der Substanz in den Attributen und Modi, wodurch Deleuze das Denkdiagramm Descartes’ variieren wird. Darauf soll dann Deleuzes Auseinandersetzung mit Leibniz und dem Barock als Modulation cartesischer Denkfiguren gelesen werden, wo ausgehend von einem aktuellen Diagramm sowie aktuellen Faltungen ein virtueller Begriff der Falte entwickelt wird. Aus dieser Doppelbewegung von Aktualisierung (vom Virtuellen zum Aktuellen) und Gegenverwirklichung (vom Aktuellen zum Virtuellen) wird sich schließlich die Charakterisierung der Philosophie durch Deleuze ergeben, die ich dieses Kapitel abschließend mit dem Begriff der Präphilosophie beschreiben will, in der das produktive Verhältnis von gezeichneten Diagrammen und virtuellen Denkdiagrammen am Beispiel Descartes’ vorgeführt wird.

III.2 D ENKDIAGRAMM I: S PINOZA – V OM V IRTUELLEN

ZUM

AKTUELLEN

In Logik des Sinns wie auch in Spinoza und das Problem des Ausdrucks in der Philosophie betont Deleuze, dass eine Philosophie an den Begriffen gemessen werden muss, die sie erfindet oder deren Sinn sie erneuert, und die den Dingen und den Handlungen einen neuen Zuschnitt verpassen.43 Darin liegen zwei Gedanken: 1. Die Aufgabe einer Philosophie ist es demnach, Begriffe zu erschaffen oder den Sinn von Begriffen zu erneuern, gemäß einer neuen Fragestellung oder eines neuen Problems. 2. Das Problem betrifft immer den Zusammenhang von Denken und Handeln, den die neuen oder erneuerten Begriffe auf eine andere Weise gestalten. Dieser Zusammenhang ersetzt denjenigen Descartes’ von Denken und Dingen, indem er mehr auf Bewegungen (Handlungen) und Wirkungen

42 Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, S. 26. 43 Deleuze: Spinoza und das Problem des Ausdrucks, S. 285; Deleuze: Logik des Sinns, S. 19ff.

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von Bewegungen (Dingen) fokussiert. Deleuze wird diese Unterscheidung in seiner ganzen Philosophie wiederholen, was deren Differenzierung einschließt. Vielleicht drückt sie sich aber am deutlichsten in seinem letzten Text über Das Aktuelle und das Virtuelle aus. Deleuze argumentiert hier nicht für eine Unterscheidung von aktueller Welt und möglichen Welten (wie Leibniz), sondern eher für eine Differenz von aktuellen und virtuellen Elementen in der realen Welt. Das Virtuelle strukturiert die Realität, während das Aktuelle diese Strukturierungen verhärtet, indem es sie konkretisiert. Deshalb ist das Virtuelle für Deleuze real, denn es ist Teil der realen Welt und nicht absent in einer anderen Welt. Damit kritisiert er auch nicht die reale Welt ausgehend von einer imaginierten Welt (wie etwa Marx’ Kritik des Kapitalismus vom Standpunkt eines möglichen Kommunismus aus), sondern er will die Veränderung der realen Welt von der Realität aus erklären. Um diese Veränderung zu beschreiben, führt Deleuze zwei Prozesse an, den einen vom Virtuellen (Bewegungen) zum Aktuellen (Dinge) und den anderen vom Aktuellen (Dinge) zum Virtuellen (Bewegungen). Den ersten nennt er Aktualisierung, den zweiten bezeichnet er hier als Kristallisierung. Die Aktualisierung beschreibt, wie das Virtuelle, verstanden als reine Differenzierung, sich in der aktuellen Welt ausdrückt. Die Kristallisierung auf der anderen Seite beschreibt den Prozess, der das Aktuelle und das Virtuelle in eine Verbindung bringt, ausgehend jedoch vom Aktuellen. Für Deleuze ist die Realität damit konstituiert durch aktuelle und durch virtuelle Elemente, wobei deren Verbindung nicht nur vom Virtuellen, sondern auch vom Aktuellen aus geschieht.44 Ich will im Folgenden nun zeigen, wie Deleuze beide Bewegungen denkt, vom Virtuellen zum Aktuellen wie auch vom Aktuellen zum Virtuellen. Wird in Leibniz und der Barock ausgehend von aktuellen Prozessen eine virtuelle Idee beschrieben, so geht Deleuze in Spinoza und das Problem des Ausdrucks umgekehrt vor. Er beschreibt die Konstitution des Virtuellen so, dass es sich im Aktuellen ausdrückt, ohne jedoch in das cartesische Denkdiagramm zurückzufallen, mitsamt seinen Hierarchisierungen und Trennungen durch die Figuren des Mangels, des Zweifels, der Klarheit, wie auch der Repräsentation. Dagegen formuliert Deleuze nun eine Philosophie der Immanenz, die von der Fülle ausgeht und den Mangel ersetzt; eine Philosophie der Explikation und der Implikation, die

44 So liest man auch bei James Williams: »But pure difference, or difference in itself, can only be thought of as well determined in relation to the actual – in Deleuze’s words, there is a relation of ›reciprocal determination‹ between the virtual and the actual.« Williams: Gilles Deleuze’s Difference and Repetition, S. 11.

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den Zweifel und die Repräsentation ersetzen und ein Denken der adäquaten Idee, die die klare und deutliche Erkenntnis bei Descartes variieren. Während Deleuze in Differenz und Wiederholung Descartes als den Erfinder des dem Bild des Denkens unterliegenden Denkdiagramms charakterisiert, das durch die Idee wiedergefunden wurde, so geht es ihm in seinem Buch über Spinoza eher darum, eine postcartesische Philosophie, also ein neues Denkdiagramm zu erschaffen, das sich im Denken des Ausdrucks zeigt. Das Besondere an Deleuzes Lektüre von Spinoza liegt nun darin, dass er dem Ausdruck eine zentrale Rolle im Denken Spinozas einräumt, auch wenn dieser Begriff bei Spinoza selbst wenig ausgearbeitet scheint. Pierre Macherey hat darauf hingewiesen, dass das Substantiv expressio nicht ein einziges Mal in der Ethik auftaucht, vielmehr wird die Idee des Ausdrucks durch die Be-nutzung des Verbs exprimere nahegelegt, das in unterschiedlichen Formen auftaucht (expressa, exprimatur, exprimere, exprimerem, exprimet, exprimit, exprimunt, exprimuntur) 45: »One may therefore say that although the concept of expression does not explicitly appear in Spinoza’s text in the nominal form expressio, it is nevertheless at work there, as it were activated by the verbal forms that reflect not so much some static idea, as a scheme of enactment that is fundamental aspect of the very activity of expression.«46

Was Macherey die Idee des Ausdrucks nennt, und was er von der Logik und dem Weg (path) des Ausdrucks unterscheidet, ist also nicht so sehr eine statische Idee, sondern das Schema der Aufführung (scheme of enactment) des spinozistischen Denkens. Als solches drückt es sich in Verben aus und bildet die impliziten Prozesse, die konkrete Aussagen und Begriffe hervorbringen und ausrichten. Damit ist dieses Schema dem Begriff des Denkdiagramms sehr nahe. Fast könnte man sagen, dass es dem Text zugrunde liegt und die Begriffe und Aussagen Spinozas inszeniert. Es ist aber niemals nur eigenständiger Entwurf, sondern arbeitet sich immer an einer Verfestigung, einem ihm vorgängigen Wissensdiagramm, einem Bild des Denkens, ab. Macherey selbst betont die über Spinoza vermittelte Auseinandersetzung Deleuzes mit Descartes, indem er Spinoza und das Problem des Ausdrucks in eine Reihe stellt mit zwei anderen Auseinandersetzungen mit Spinoza. Martial Gueroult gibt nahezu zeitgleich mit Deleuze den ersten Band seiner geplanten monumentalen Studie über Spinoza heraus, mit

45 Eine vollständige Liste der Vorkommen des Verbes exprimere in Spinozas Werk findet sich bei Boscherini: Lexicon Spinozanum. 46 Macherey: The Encounter with Spinoza, S. 144.

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dem Titel Gott, die allerdings nach dem Erscheinen des zweiten Bandes, Seele, unterbrochen wird. 1969 veröffentlicht Alexandre Matheron sein Individu et Communauté chez Spinoza. Was diese Bücher verbindet, ist die Wiederaufnahme eines Denkers, der im französischen akademischen Raum wenig Beachtung fand in einer Zeit der strukturalistischen und phänomenologischen Dominanz und der einen Fluchtpunkt aus dem Cartesianismus versprach: »By insisting on Spinozas’s Anticartesianism, they tended to make him into a radical critic of the illusions of subjectivity and consciousness in which the contrasting Postcartesianism of French-style phenomenology had been stepped.«47

Deleuzes Buch über Spinoza erscheint zeitgleich mit Differenz und Wiederholung als zweiter Teil seiner Thèse d'Etat (Habilitation)48. Man kann die Auseinandersetzung mit Spinoza als Explikation der Voraussetzungen des Entwurfs seiner Differenzphilosophie fassen. Meine Lektüre wird dabei auf die Auseinandersetzung mit Descartes fokussieren, die darin stattfindet. Die Hypothese der Lektüre wird damit sein, dass die Auseinandersetzung mit Descartes notwendig war, um das Denken von Differenz und Wiederholung vorzubereiten, wenn hier die Voraussetzungen für den »eigenen«49 philosophischen Entwurf gefunden werden.

47 Macherey: The Encounter with Spinoza, S. 140. 48 Bei Deleuzes Biograph François Dosse liest man, dass Alquié, der berühmte Kommentator Descartes’, der Betreuer dieser Arbeit war. Dosse schreibt, dass Deleuze in diesem Buch sich seinem Betreuer radikal entgegensetzt, der stets den cartesischen Dualismus gegen den spinozistischen Monismus verteidigt habe. Vgl. Dosse: Gilles Deleuze et Félix Guattari. Biographie croisée, S. 177. 49 Die Unterscheidung von Deleuzes Texten in »eigene« Entwürfe und Entwicklung anderer Denker ist gerade deshalb problematisch, weil Deleuze niemals an der einen Stelle eigene Gedanken entwickelt, an anderer Stelle reine Kommentare schreibt, vielmehr umgekehrt sich seine Philosophie immer in Auseinandersetzung mit einem Fall entwickelt. Das Bild des Findens und Explizierens von Voraussetzungen in Auseinandersetzung mit einem anderen Denken scheint mir deshalb eine angemessenere Beschreibung für alle Texte. Man könnte dann sagen, dass in Differenz und Wiederholung das Bild des Denkens den Fall bildete, an dem sich Deleuzes Denken entzündete und dessen Voraussetzungen es offenlegte. Jetzt im Buch über Spinoza bildet zumindest für unsere Lektüre Spinozas Philosophie als »anticartesische Reaktion« den Ansatzpunkt für Deleuzes Entwicklung eines Denkdiagramms.

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Tatsächlich durchzieht Descartes das Buch Deleuzes von Anfang bis Ende als durchlaufender Bezugspunkt, gegen den Deleuze die anticartesische Reaktion positioniert: namentlich bei Spinoza und Leibniz. Das »anti« zeigt bereits an, dass hier eine Affektion stattfindet, eine Zurückweisung und Absetzung, die das Denken in Bewegung bringt. Es wird nun aber gerade nicht darum gehen, Descartes’ Philosophie zu überschreiten, vielmehr wird das cartesischen Denkdiagramm immanent variiert, wenn Deleuze nun die Denkfiguren Descartes’ moduliert. Dabei interessiert Deleuze nicht nur eine Form des Postcartesianismus, sondern auch deren unterschiedliche Ausprägungen bei Spinoza und Leibniz. Der Postcartesianismus richtet sich dabei nicht nur auf die Kritik der Illusionen der Subjektivität oder des Bewusstseins, was für Macherey den Ansatz bildet, er setzt tiefer an. Der Postcartesianismus Deleuzes betrifft das Denkdiagramm, was Macherey dann auch die Logik des Ausdrucks nennt und nicht nur dessen Aufführungen: »The logic of expression is basically a logic of power, one might even say a logic of live or a logic of movement, essentially different from the traditional logics of representation«.50 Die Triade des Ausdrucks Wie charakterisiert Deleuze nun die Logik des Ausdrucks bei Spinoza? Der Ausdruck bildet für ihn stets ein triadisches Verhältnis: Die Substanz drückt sich in Attributen aus, Attribute wiederum drücken sich in Modi aus; die Idee drückt einen Gegenstand aus, beide zusammen drücken wiederum etwas Drittes, ihre Hervorbringung aus usw. Damit zielt der Ausdruck immer auf ein Drittes, das zwei Entitäten, die zur Identifikation neigen, in Bewegung versetzt und moduliert. Deleuze eröffnet so eine Ebene, den zureichenden Grund, der den Dualismen eine Genese eingräbt und sie so variiert. Diese genetische Perspektive wird die gesamte Lektüre Spinozas bestimmen und so eine Opposition zu Descartes anleiten, aus der sich sogar neue Allianzen bilden. Die vorrangigste gehen dabei Spinoza und Leibniz ein: »Unabhängig voneinander scheinen die beiden Philosophen [Spinoza und Leibniz] auf die Idee des Ausdrucks gebaut zu haben, um die Schwierigkeiten des Cartesianismus zu überwinden, um eine Naturphilosophie zu entwerfen, und sogar um das, was Descartes erreicht hatte, in Systeme zu integrieren, die der cartesianischen Weltanschauung zutiefst feindlich sind. Wenn man bei Leibniz und bei Spinoza in einem gewissen Grad von Anti-

50 Macherey: The Encounter with Spinoza, S. 146f.

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cartesianismus sprechen kann, dann gründet dieser Anticartesianismus in der Idee des Ausdrucks.«51

Während das Denkdiagramm bei Descartes dem Denken einen Vorrang gegenüber den Dingen gab und somit eine Hierarchie in das Sein einführte, geht es Leibniz und Spinoza nun darum, die Explikation immer zusammen mit einer Implikation zu denken. Die Modi und die Monaden drücken die Welt aus in dem Maße, wie sie sie einschließen. Damit wird Descartes’ Unterscheidung von Innen und Außen übergangen zugunsten der Entwicklung dessen, was sich ausdrückt, einer Darstellung des Einen im Vielen. Das Eine bleibt im Ausgedrückten aber auch eingeschlossen, es bleibt eingeprägt in das, wodurch es entwickelt wird. Weil sich Implikation und Explikation nicht wiedersprechen, verweisen sie auf ein synthetisches Prinzip: die complicatio. Diese drei Begriffe sowie das »Ineinandergreifen der Begriffe konstituiert den Ausdruck«52. Deleuze setzt nun gegen die Beschwörung des Umbruchs und des Neuanfangs bei Descartes auf eine Kontinuität des Denkens, indem er darauf hinweist, dass Spinoza die neuplatonische Tradition aufnimmt, erneuert und sie gegen das cartesische Denken wendet. Im Neuplatonismus ist Gott derjenige der alles kompliziert (i.S. von enthalten, umfassen), alles jedoch expliziert ihn und schließt ihn ein (wenn die Modi Gott explizieren, implizieren sie sein Wesen als Hervorbringung). Gott ist die komplizierte Natur, und diese Natur expliziert ihn und impliziert ihn, sie schließt ihn ein und entwickelt ihn. Die Explikation ist nun nicht verstandesgemäß gedacht bei Spinoza, wie Deleuze betont, noch der Substanz irgendwie hinzugefügt, denn »Explizieren ist alles andere als die Operation eines Verstandes, der den Dingen äußerlich bleibt; es bezeichnet zunächst die Entwicklung des Dings in sich selbst und im Leben.«53 Die Explikation fällt damit nicht mit dem Ausdruck zusammen, bildet vielmehr einen Teil der Trias des Ausdrucks, der aus Explikation, Implikation und Komplikation besteht. Die Explikation setzt die Idee des Ausdrucks voraus. Zuallererst beschreibt der Ausdruck damit eine Relation, die der Substanz (die alles kompliziert), dem Attribut (das die Substanz expliziert) und dem Modus

51 Deleuze: Spinoza und das Problem des Ausdrucks, S. 20f. Die »Idee des Ausdrucks« (kleingeschrieben im Original) kann hier nicht mit der Idee (mit großem I) im Bild des Denkens gleichbedeutend verstanden werden, dagegen sprechen auch die unterschiedlichen Schreibungen im Französischen. 52 Ebd., S. 20. 53 Ebd., S. 21.

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(der die Substanz impliziert) vorausgeht.54 Diese triadische Struktur wird Deleuze nun in der Ethik am Werk sehen; so auch in der Beziehung von Substanz, Attribut und Wesen: »Der Ausdruck stellt sich als Triade dar. Wir müssen Substanz, Attribute und das Wesen unterscheiden. Die Substanz drückt sich aus, die Attribute sind Ausdrücke, das Wesen ist ausgedrückt. Solange man nur zwei Teile in der Beziehung erkennt, welche der Ausdruck darstellt, bleibt seine Idee unverständlich.«55

Während die Substanz sich nun nicht der Welt entzieht, sondern mit dem Prozess des Ausdrückens in der Welt identifiziert wird, ist das Attribut für Deleuze das Resultat des Ausdrückens. Das Wesen dagegen muss immer ausgedrückt sein, ist somit im Attribut, verweist aber auf die Substanz. Erst durch das Attribut ist somit das Wesen von der Substanz unterschieden, durch das Wesen jedoch ist auch erst die Substanz von ihren Attributen unterschieden. Diese Triade macht nun das Denkdiagramm des Ausdrucks aus, das Deleuze gegen Descartes wendet. Figur der Fülle gegen den Mangel Im Folgenden werden wir versuchen nachzuvollziehen, welche Denkfiguren Deleuze mit Spinoza entwickelt, und wie sie weiterhin das cartesische Denkdiagramm modulieren. Dabei werden wir die Definition der auftauchenden Begriffe beschränken, da auch Deleuze diese nicht ausführt, vielmehr wird es darum gehen, welche Relationen die Begriffe Spinozas zueinander einnehmen, kurz: welche Denkfiguren sie hervorbringen. Das erste Problem liegt nun für Deleuze darin – durch die Cartesianer Gueroult und Alquié geschult –, gegen Descartes’ Zweisubstanzenlehre die eine Substanz bei Spinoza als den einen Prozess des Ausdrückens zu rechtfertigen. Damit einher geht der Versuch, im Ausdruck ein positiv Unendliches als das absolut Unendliche der Substanz zu denken. Denn die Substanz soll nicht negativ bestimmt werden, wie Descartes etwa über den Mangel an Erkenntnis oder die Unvollkommenheit des Verstandes die göttliche

54 Auch James Williams betont, dass Deleuze in seinem Spinozabuch Relationen entwirft, keine Entitäten: »Expressionism in Philosophy, an intricate study of Spinoza’s achievements in maintaining complex relations between substance, attributes and forms without eliminating their difference.« Williams: Gilles Deleuze's Logic of sense: a critical introduction and guide, S. 5. 55 Deleuze: Spinoza und das Problem des Ausdrucks, S. 29.

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Substanz einführt. Das Problem des ersten Buches der Ethik ist für Deleuze dann, wie man etwas positiv Unendliches unterteilen, unterscheiden kann. Das positiv Unendliche ist das, was man am Anfang positiv setzt und dann unterteilt. Das negativ Unendliche taucht nur aus der Bestimmung des Endlichen heraus auf, nur als Negation des Endlichen. Das ist, was Merleau-Ponty als das »Geheimnis des großen Rationalismus« bezeichnet hat, die »unschuldige Weise, ausgehend vom Unendlichen zu denken«, die im Spinozismus ihre Vollendung findet.56 Um die eine Substanz zu rechtfertigen und die Denkfigur der Fülle hervorzubringen, diskutiert Deleuze drei Weisen der Unterscheidung bei Descartes und Spinoza. Der dreifachen Unterscheidung von Substanzen, Modi und Attributen korrespondieren bei Descartes drei Weisen der Unterscheidung: reale, modale und rationale Unterscheidung. Bei Descartes lässt der Schöpfergott von einer modalen Unterscheidung zu einer realen Unterscheidung übergehen. Die reale Unterscheidung wird also von einer Unterscheidung der Dinge begleitet, d.h. von einer ihr entsprechenden numerischen Unterscheidung. Oder anders gesagt: Descartes kann von Vorstellungen zur Ontologie übergehen, indem er von einer aktuellen Vorstellung unterschiedener Seinsarten zur Setzung zweier Substanzen übergeht. Dieses Problem Descartes’ bildet den Hintergrund, vor dem sich der Anfang der Ethik für Deleuze abspielt. Für Spinoza kann es nicht mehrere Substanzen desselben Attributes geben, das wäre mangelhaft, da sich dann die Substanzen über die Modi unterscheiden würden. Denn eine numerische Unterscheidung verlangt nach einer äußeren Ursache, auf die sie verweist. Die Substanz ist aber gerade dadurch gekennzeichnet, dass sie sich selbst verursacht. In der Anmerkung zum 8. Lehrsatz des ersten Buches der Ethik betont Spinoza, dass man aus einer numerischen Unterscheidung keine reale machen kann, da man dann von der Ebene der Modi einfach zur Ebene der Substanz wechseln würde, von den Modi also auf die Substanz schlösse. Modi verweisen jedoch immer nur auf andere Modi, weil sie nicht aus sich selbst existieren können. Wenn Descartes nun aber sagt, dass es etwas gibt, das aus sich heraus existieren kann, gleichzeitig aber numerisch unterschieden werden muss, dann, so Deleuze, vermischt er die Ebenen. Denn nur Modi existieren in dieser äußerlichen Kausalität. Substanzen und Attribute partizipieren nicht an einer Kausalbeziehung, können sich insofern auch nicht selbst äußerlich sein, indem sie sich selbst verursachen. »Kurz, die äußere Kausalität und die numeri-

56 Merleau-Ponty: Les Philosophes Célèbres, S. 136.

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sche Unterscheidung haben ein gemeinsames Schicksal: sie finden Anwendung einzig und allein auf Modi.«57 Somit schließt Spinoza, dass es nur eine Substanz für dasselbe Attribut gibt und weiterhin, dass es auch nur eine Substanz für alle Attribute geben kann.58 Der entscheidende Schritt von Descartes zu Spinoza, der Deleuze interessiert, liegt darin, dass Spinoza die Unterscheidungen von Descartes übernimmt – die reale, die modale und die rationale – ihre Beziehungen zueinander aber variiert. Am stärksten betrifft das die reale Unterscheidung, die Deleuze bei Spinoza als rein qualitativ und formal bestimmt deutet, wobei sie jegliche Teilung ausschließt. Eines der wichtigsten Anliegen der Ethik besteht dann für Deleuze darin zu zeigen, dass die reale keine numerische Unterscheidung ist. Somit kann es nur eine Substanz geben. Deleuze liest also die ersten acht Axiome der Ethik als Herleitung der einen Substanz gegen Descartes’ Zweisubstanzenlehre, wo sonst die Kommentatoren von einer Setzung der ersten Substanz bei Spinoza ausgegangen sind. Indem Deleuze diese Herleitung vornimmt, fängt Spinoza für ihn nicht mit einer Setzung an, sondern mit einer Variation des cartesischen Denkens. Das gelingt ihm durch die Modulation der Denkfiguren Descartes’, was das gesamte Diagramm verändert. Deleuze entwirft nun die Figur der Fülle als Variation der Figur des Mangels. Die Figur des Mangels wurde in der Ablehnung der numerischen Unterscheidung für die Substanz als ein Prozess des Ausdrückens variiert; dies zugunsten einer Substanz, die die komplette Fülle umfasst, die sich im gesamten Sein gleichermaßen ausdrückt. Damit geht für Deleuze einher, dass die Substanz auch nicht mehr als transzendent vorgestellt werden kann, vielmehr muss sie immanent in den Attributen wirken: »das Wesen der Substanz existiert nicht außerhalb der Attribute, die sie ausdrücken, so dass sogar jedes Attribut ein gewisses ewiges und unendliches Wesen ausdrückt. Das Ausgedrückte existiert nicht außerhalb seiner Ausdrücke, jeder Ausdruck ist wie die Existenz des Ausgedrückten.«59

Die Substanz ist hier also nichts anderes als der Prozess des Ausdrückens in der ganzen Welt, die Hervorbringung der Modi, wobei diese Hervorbringung durch die Attribute qualifiziert wird. Damit gibt es keinerlei Transzendenz mehr, kei-

57 Deleuze: Spinoza und das Problem des Ausdrucks, S. 39. 58 Spinoza: Ethik, I, 8-9. 59 Deleuze: Spinoza und das Problem des Ausdrucks, S. 40.

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nen Entzug oder Rest. Dagegen konzipiert Deleuze eine Philosophie der Immanenz, die sich auf keinerlei Außen stützt, sie muss vielmehr alle Relationen aus sich selbst heraus hervorbringen. Damit kann auch der Begriff der Immanenz nicht mehr nur aus seinem Gegensatz zur Transzendenz entworfen werden. Christian Kerslake definiert den Begriff der Immanenz dann wie folgt bei Deleuze: »Formally, a philosophy of immanence is a philosophy that does not appeal to anything outside the terms and relations constructed by that philosophy. Ontologically, a philosophy of immanence promises that thought is capable of being fully expressive of being; there is no ›transcendence‹ of being to thought.«60

Im Denken der Immanenz des Ausdrucks kann man das Wesen nur als aktualisiert denken, und das Aktuelle nur in Verbindung mit einem Wesen – nichts entzieht sich, alles hängt mit allem zusammen. Manche Kommentatoren haben eingewendet, dass die Substanz bei Spinoza nicht vollständig in der Immanenz der Welt aufgehe, da neben den Ausdrücken das nicht Ausgedrückte der Substanz trotzdem zu existieren scheine. Robert Piercey hat auf diesen Punkt hingewiesen. In dieser Hinsicht ist Deleuze spinozistischer als Spinoza. Für Deleuze jedenfalls ist die spinozistische Substanz ausschließlich der Prozess des Ausdrückens – ohne jede Reserve oder Rest.61 Wenn die Substanz nun mit einem Prozess identifiziert wird, dann können auch die Attribute keine Eigenschaften mehr sein. Gottes Attribute sind nicht länger Vollkommenheit, Allmächtigkeit usw., Attribute sind dann Verben, die alle das Wesen einer Bewegung qualifizieren. Die Substanz ist die Bewegung, die Veränderlichkeit, der reine Prozess des Ausdrückens, der von den Attributen qualifiziert wird: »die Attribute [sind] bei Spinoza eigentliche Verben mit einem Ausdruckswert: als dynamische Attribute sind sie nicht mehr vielfältigen Substanzen attribuiert, sondern sie attribuieren etwas einer einzigen Substanz.«62

60 Kerslake: Immanence and the Vertigo of Philosophy, S. 2. 61 Robert Piercey argumentiert dafür, dass die Substanz bei Spinoza in der Lage ist, ohne die Modi zu existieren, wohingegen die Modi immer von der Substanz abhängen. Piercey schließt von hier auf die Transzendenz der Substanz bei Spinoza. Da in Deleuzes Lektüre die Substanz jedoch mit dem Prozess des Hervorbringens der Modi zusammenfällt, diese auch virtuell in den aktuellen Modi persistieren, macht es keinen Sinn, von einer nicht-aktualisierten, transzendenten Substanz bei Deleuzes Spinoza zu reden. Vgl. Piercey: The Spinoza-Intoxicated Man: Deleuze on Expression, S. 280. 62 Deleuze: Spinoza und das Problem des Ausdrucks, S. 42.

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Im Kapitel über die »göttlichen Namen« führt Deleuze vor, wie ein Verständnis eines transzendenten Gottes diesen immer über propria, also Eigenschaften, erklärt: Güte, Vollkommenheit usw., wobei Gott selbst dann immer das Unausdrückliche ist, der sich aber in seinen propria in der Welt ausdrückt. Ein immanenter Gott hingegen besteht nur in seinen Attributen, die sich in der Welt ausdrücken, Gott hat hier nichts Unausdrückbares, sondern er besteht nur darin, vollständig in der Welt aufzugehen. Die Attribute sind dabei unendlich viele. Wenn wir davon nur Denken und Ausdehnung erkennen, so Spinozas Argument, dann weil wir aus einem Modus der Ausdehnung und einem Modus des Denkens konstituiert sind. Die Attribute setzen dabei keinerlei Offenbarung voraus, sie verweisen nur auf das natürliche Licht. Wie kann man nun aber die Attribute unterscheiden, ohne auf einen transzendenten Standpunkt zurückzugreifen? Die Ausdehnung wird durch das Denken verneint, jedoch nicht in dem Sinn, dass sie kein Denken ist. Somit wird nicht ausgesagt, dass die Ausdehnung schlechthin nicht unendlich ist, sondern nur als Ausdehnung unendlich ist. »Die Verneinung impliziert hier also keinerlei Opposition oder Mangel. Die Ausdehnung erleidet als solche keine Unvollkommenheit oder Beschränkung, die von ihrer Natur abhingen«63 Die Attribute sind dagegen immer bejahend: »Die Attribute werden von der Substanz formal bejaht. Die Attribute werden formal von der Substanz ausgesagt, deren Wesen sie konstituieren, und von den Modi, deren Wesen sie enthalten. Spinoza erinnert unaufhörlich an den bejahenden Charakter der Attribute, welche die Substanz definieren, wie auch an die Notwendigkeit für jede gute Definition, selbst bejahend zu sein. Die Attribute sind Bejahungen. Aber die Bejahung ist in ihrem Wesen immer formal, wirklich, univok – und in diesem Sinn ausdrückend.«64

Gegen das negative Moment des Mangels entwirft Deleuze mit Spinoza eine Philosophie der Bejahung (und damit der Immanenz). Der Mangel an Erkenntnis führt bei Spinoza nicht zur Transzendierung des Erkennenden, vielmehr bestimmt er Erkanntes, Erkenntnisse und Erkennende positiv. Alle Positivitäten befinden sich hier auf einer Ebene. Will man sie bestimmen, muss man sie bejahen, als Gegebenheiten anerkennen. Spinozas Philosophie der Bejahung wird von Deleuze zurückgeführt auf die Aufnahme einer cartesischen Idee durch Spinoza. Durch die reale Unterscheidung gelangte Spinoza zu einer Logik der Bejahung. Bei Descartes führte die reale Unterscheidung dazu, zwei unterschiedene

63 Deleuze: Spinoza und das Problem des Ausdrucks, S. 54. 64 Ebd., S. 55.

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Seiten (Denken und Ausdehnung) je ihre Positivität bewahren zu lassen, statt sie nur durch ihren Gegensatz zu definieren. Non opposita sed diversa. »Die reale Unterscheidung schien eine neue Konzeption der Verneinung anzukündigen, ohne Opposition oder Mangel, aber auch eine neue Konzeption der Bejahung, ohne Eminenz oder Analogie. Wenn dieser Weg im Cartesianismus allerdings nicht begangen wird, dann aus einem oben schon angeführten Grund: Descartes gibt der realen Unterscheidung noch einen numerischen Wert, eine Funktion der substantiellen Teilung in der Natur und in den Dingen.«65

Bei Descartes gibt es dann aber Beschränkungen, die das Ding aus seiner Natur heraus fordert, Ideen mit ganz geringer Realität, »mangelhafte Naturen«66. »Dadurch wird wieder eingeführt, was die reale Unterscheidung hinauszuwerfen bestimmt war: der Mangel, die Eminenz.«67 Bei Spinoza findet Deleuze dagegen ein Denken der Fülle in der einen ausdrückenden Substanz formuliert. Dies veranlasst ihn eine Allianz von Spinoza und Duns Scotus gegen Descartes zu formieren, für den die reale Unterscheidung ebenfalls nicht numerisch ist, sondern formal.68 Dieser Ausdruck der »formalen Unterscheidung« findet sich so bei Spinoza nicht. Deleuze hingegen benutzt ihn aber, denn er formuliert das Bestreben Spinozas, die reale Unterscheidung als qualitative aber nicht als numerische zu fassen. Die Attribute sind für Spinoza also qualitativ unterschieden, sie sind jedoch quantitativ eins. Die Substanz ist dasselbe für alle Attribute, sie ist dasselbe wie alle Attribute. Alle Attribute besitzen damit eine Identität im Sein zur gleichen Zeit, wie sie sich in ihrer Formalität unterscheiden. Die Figur der Fülle moduliert den Mangel. Während diese Denkfigur den Vielfalten einen Grund eingegraben hat, um sie von hier aus zu vereinheitlichen und anzuordnen, so ist die Operation der Denkfigur der Fülle eine andere. Bei Spinoza führt der Grund (die Substanz) der Vielfalten (Modi) nicht dazu, dass diese vereinheitlicht würden, vielmehr variiert er die Vielfalten, indem er ihre Variation ausdrückt. Die Substanz ist den Modi immanent und verwickelt sie mit ihrer Genese, wenn sie sie beständig hervorbringt.

65 Deleuze: Spinoza und das Problem des Ausdrucks, S. 55. 66 Ebd. 67 Ebd., S. 55f. 68 Vgl. zur formalen Unterscheidung bei Duns Scotus die Einführung: Honnefelder: Johannes Duns Scotus, S. 46f.

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Figur des Parallelismus gegen den Zweifel Wie der Mangel bei Descartes zum Zweifel überleitete, so lässt Deleuze die Figur der Fülle in den Parallelismus münden. Die Figur des Parallelismus führt Deleuze mit der neuen Konzeption der Attribute bei Spinoza ein. Die Attribute sind keine Eigenschaften mehr, sondern Qualifizierungen der Hervorbringung. Den Parallelismus findet Deleuze in Spinozas Variation zweier Gottesbeweise Descartes’ entwickelt, die er wie folgt formuliert: 1. Ich habe eine Idee der Vollkommenheit, und ich existiere, dann muss folglich auch die Ursache dieser Idee existieren. – 2. Wenn ich mich selbst als Substanz hervorbringen könnte, dann würde es mir leicht fallen, auch meine Eigenschaften hervorzubringen. Beide Gottesbeweise beziehen die Quantitäten objektiver Realität auf Quantitäten formaler Realität, oder sie führen die Quantitäten der Realität in die Beziehungen des Ganzen zum Teil ein (wenn ich die ganze Substanz hervorbringen kann, kann ich auch ihre Teile hervorbringen). Spinoza kritisiert nun die beiden Gottesbeweise, um »das Argument der Quantitäten an Realität durch ein Argument der Vermögen zu ersetzen.«69 Deleuze, im Gewand von Spinoza, wirft Descartes dann immer dasselbe vor: er habe das Relative für das Absolute genommen. Im Beweis a priori hat Descartes das Absolute und das unendlich Vollkommene gleichgesetzt, das unendlich Vollkommene ist aber nur ein Relatives, ein proprium Gottes (a priori Beweis). In seinem Beweis a posteriori nehme Descartes die Quantität an Vollkommenheit oder Realität für ein Absolutes, obwohl sie nur ein Relatives sei. Spinoza hingegen nehme »Transformationen an den cartesischen Beweisen vor: das absolut Unendliche als zureichender Grund und Natur des unendlich Vollkommenen; das Vermögen als zureichender Grund der Quantität an Realität.«70 Die Kurze Abhandlung Spinozas wiederholt den ersten Beweis von Descartes fast im Wortlaut. Der zweite aber fehlt. Spinoza versucht dann aber das Argument der Quantität an Realität zu überschreiten, zugunsten eines Arguments, das sich auf das Vermögen gründet: der endliche Verstand hat nicht die »Macht«, das Unendliche zu erkennen, noch auch eher dieses als jenes zu erkennen. Er »kann« aber etwas erkennen, deshalb muss etwas formal existieren, das ihn bestimmt eher dieses als jenes zu erkennen. Er »kann« auch das Unendliche begreifen, deshalb muss Gott formal existieren. Descartes sagte, dass es mindestens soviel formale Realität in der Ursache einer Idee gibt, wie objektive Realität in der Idee selbst. Spinoza ersetzt dieses Axiom nun, indem er fragt, warum die

69 Deleuze: Spinoza und das Problem des Ausdrucks, S.77. 70 Ebd.

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Ursache der Idee Gottes auf formale Weise all das enthalten muss, was diese Idee objektiv enthält. Der Verstand hat bei Spinoza nun nicht mehr Vermögen zu erkennen als seine Gegenstände zu existieren und tätig zu sein; »das Vermögen zu denken und zu erkennen kann nicht größer sein als ein korrelierendes Vermögen, notwendig zu existieren.«71 Der Parallelismus der Vermögen von Denken und Sein gibt keinem der beiden einen Vorrang, da beide im Gleichen gründen, oder, wie Deleuze sagt, die gleiche Ursache ausdrücken. Während bei Descartes also Denken und Ausdehnung hierarchisch unterschieden waren, indem das Denken die Ausdehnung zuerst ausschließt und ihr dann seine Form gibt, argumentiert Spinoza für einen Parallelismus der Vermögen, wobei das eine immer von einer Entsprechung des anderen begleitet wird.72 Aus diesem Parallelismus heraus fällt auch der Beweis a posteriori leichter, da nicht mehr das Denken der Existenz vorausgeht. Der Parallelismus erlaubt, direkt aus der Idee und der Existenz auf die Existenz Gottes zu schließen. Bei Spinoza schließt der Parallelismus nun jede Art von Transzendenz aus, da er darin besteht, gleiche Verknüpfungen auf das gleiche Prinzip zurückzuführen, was kein Eingreifen von außen möglich macht. Und er schließt auch jede Hierarchisierung des Seins aus, da nicht das eine Attribut das andere bestimmt, sie vielmehr alle das Sein Gottes ausdrücken und nur von ihm verursacht werden können. Gott ist dann die reine Hervorbringung, die von den Attributen qualifiziert wird und in der Aktualisierung in den Modi modifiziert wird. Die Substanz ist das Prinzip des Hervorbringens, die Attribute formen das Hervorgebrachte und der Modus drückt die Veränderung im Aktuellen aus.73

71 Deleuze: Spinoza und das Problem des Ausdrucks, S. 78. 72 Vgl. hierzu auch Armstrong: Some Reflections on Deleuze’s Spinoza. Composition and Agency, S. 51f.: »Spinoza posits a strict parallelism between mind and body: the mind must be understood as the idea of an actually existing body. On Spinoza’s view there can be no real causality between mind and body just because the mind and the body are one and the same thing but conceived under the autonomous attributes of thought and extension. […] Thus, countering a Cartesian conception of the eminence of the mind over the body, Spinoza asserts that an action in the mind is simultaneously an action of the body just as a passion in the mind must also be a passion in the body. […] When the body is affected by an external body this affection will be accompanied by an idea of it in the mind.” 73 Vgl. zur Konzeption der Welt bei Spinoza als permanente Veränderung auch folgende Stelle: »ein sich änderndes unendliches Universum, das dem Allvermögen Gottes entspricht«. Deleuze: Spinoza und das Problem des Ausdrucks, S. 181.

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Aus dem Argument der Vermögen bestimmt sich auch der epistemologische Parallelismus, wie auch die Identität des Seins von Gegenständen und Ideen. »Ein Modus eines Attributs und die Idee dieses Modus sind ein und dasselbe, ausgedrückt auf zwei Weisen, unter zwei Vermögen.«74 Gott besitzt zwei Vermögen, Existieren und Tätigsein einerseits, Denken und Erkennen andererseits. Diese Vermögen fallen aber nicht mit den Attributen zusammen, vielmehr gibt es unendlich viele Attribute. Wir erkennen aber nur zwei Attribute, da unsere Erkenntnis beschränkt ist und wir nur aus einem Attribut der Ausdehnung und einem des Denkens zusammengesetzt sind. Die beiden Vermögen sind dann die zwei Hälften des Absoluten, die unendliche Existenz und das unendliche Denken, die sich aber über die unendlich vielen Attribute ausdrücken. Alle Attribute sind dann gleich mit Bezug auf ihre Existenz und Tätigkeit, sie sind aber nicht gleich mit Bezug auf das Vermögen des Denkens, da nur das Attribut des Denkens das Vermögen des Denkens bedingt. Etwas kann existieren und tätig sein, ohne ausgedehnt oder denkend zu sein. Aber es kann nicht außer im Denken erkannt werden. Das Vermögen zu denken und zu erkennen wird durch das Attribut Denken erfüllt. Damit, so könnte man argumentieren, bekommen nun auf der Ebene des Vermögens des Denkens die Attribute eine Schieflage, werden hierarchisiert. Spinozas Argument dagegen lautet nun aber: nur weil alle Attribute in Gleichheit existieren, verleiht diese Gleichheit dem Denken besondere Macht, in einem außerhalb der Gleichheit der Attribute liegenden Bereich: »Das Attribut Denken ist für das Vermögen zu denken, was alle Attribute (das Denken eingeschlossen) für das Vermögen zu existieren und tätig zu sein sind.«75 Das ist die genaue Umkehrung Descartes’, dort steht zuerst die Hierarchisierung, die es dann einzuebnen gilt, i.S. einer Harmonisierung von Denken und Ausdehnung. Die Hervorhebung des Denkens bei Spinoza meint, dass der Aspekt der Veränderung, der jede Hervorbringung charakterisiert, auf das Denken zurückgeht: »Nicht allein das objektive Wesen dessen, was von Gott hervorgebracht wird, sondern auch die objektiven Wesen der Attribute, sogar das objektive Wesen Gottes, sind der Bedingung unterworfen, im Attribut Denken ›gebildet‹ worden zu sein. In diesem Sinn ist die Idee Gottes nur ein Modus des Denkens und Teil der natura naturata.«76

74 Deleuze: Spinoza und das Problem des Ausdrucks, S. 104. 75 Ebd., S. 108. 76 Ebd.

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Der epistemologische Parallelismus setzt nun die Gleichheit der Vermögen voraus, so wie der ontologische Parallelismus die Gleichheit der Attribute verlangt. Damit gibt es nun keine Hierarchisierung der Attribute mehr und keine Ausschlussbewegungen. Die Figur des Parallelismus beginnt nun nicht bei einem Bereich und versucht den anderen daraus zu entwickeln, sondern geht von der Fülle der verschiedenen Qualitäten aus und verwickelt sie in einen Austausch. Eine neue Denkfigur drückt sich dann in einer neuen materialen Figuration aus. Eine neue Bewegung der Körper muss auch im Denken einen Ausdruck finden. Beide Bereiche verwiesen damit auf ein Drittes, das sie ausdrücken. Figur der Adäquation gegen die Klarheit Auf die Figur des Parallelismus folgt die Adäquation. Sie moduliert die Denkfigur der Klarheit bei Descartes, indem sie die Fülle und den Parallelismus in Anschlag bringt und durch deren gegenseitige Affizierung den klaren Ideen Descartes’ einen Grund eingräbt, der diese dynamisiert. Eine wahre Idee nennt Spinoza die adäquate Idee. Adäquat bezeichnet hier aber nicht die Korrespondenz von Idee und Gegenstand, sondern die innere Übereinstimmung der Idee, mit dem was sie ausdrückt, indem sie auf ein gleiches Prinzip verweisen. Die Dreierstruktur erlaubt auch hier wieder die Dynamisierung einer Identifikation. Wahre Erkenntnis ist sie dann, wenn sie das Wesen des Dinges expliziert. Sie expliziert das Wesen eines Dinges, indem sie dessen Ursache ausdrückt, d.h. sie muss die Erkenntnis der Ursache einschließen. Die adäquate Idee ist die ihre Ursache ausdrückende Idee. Bei Spinoza müssen wir von den Eigenschaften eines Dinges eine genetische Definition geben, aus der sich zumindest alle erkannten Eigenschaften ergeben und eigentlich auch andere, die wir nicht erkennen.77 Aus dem Zusammenfallen von Erkenntnis und Ding ergibt sich dann die adäquate Idee. Hier schließt der Begriff des geistigen Automaten von Spinoza an. Der geistige Automat meint die Gesetze des Denkens und Erkennens, die parallel zu den Gesetzen der Verkettung der Dinge und deren Ursache verlaufen. Wir haben bei Spinoza ein Vermögen zu denken und zu erkennen, insofern wir an dem göttlichen Vermö-

77 Das ist auch der Grund für das spezielle Interesses von Spinoza an der Mathematik, wenn er nicht die analytische Geometrie wie Descartes favorisiert, sondern die synthetische Methode Euklids und die genetischen Konzeptionen Hobbes’. So definiert Spinoza die Ebene durch die Bewegung einer Strecke, den Kreis durch die Bewegung einer an einem Ende fixen Strecke, die Kugel durch die Bewegung eines Halbkreises. Vgl. Robinson: Kommentar zu Spinozas Ethik, S. 234.

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gen zu denken partizipieren. Insofern genügt es, dass es etwas dem Teil und dem Ganzen Gemeinsames gibt, damit nicht nur eine klare und deutliche Erkenntnis, sondern auch eine adäquate Erkenntnis möglich ist. Für Spinoza entspricht jeder Idee etwas, denn nichts kann ohne die Ursache, die es sein macht, erkannt werden. Die Ordnung der Ideen entspricht damit der Ordnung der Dinge. Gegen das psychologische Bewusstsein bei Descartes, dem die klaren und deutlichen Ideen erscheinen, bestimmt Spinoza die Seele als geistigen Automaten. Die Seele hat damit auch Gesetzmäßigkeiten, wie auch die Dinge. Beide Gesetzmäßigkeiten entsprechen einander, indem sie das eine Prinzip ausdrücken. Ideen sind adäquat, insofern sie sich auf Gott als auf ein einheitliches Prinzip beziehen. Bei Spinoza gibt es aber auch inadäquate Ideen, die eine Affektion ausdrücken, nicht aber deren Ursache. Man könnte nun vermuten, dass hier der fundamentale Mangel der Erkenntnis wieder eingeführt wird. Deleuze liest Spinoza aber als Empiristen, insofern er die Freiheit oder die Wahrheit nicht unterstellt und sich fragt, wieso wir sie gelegentlich nicht haben, sondern umgekehrt, indem er sich fragt, wie wir überhaupt zur Wahrheit oder zur Freiheit kommen. Spinozas Frage ist dann: Wie ist die Hervorbringung der adäquaten Idee möglich, wenn wir gleichzeitig notwendig so viele inadäquate Ideen haben, die uns vom Vermögen zu denken abbringen. Die inadäquate Idee zeigt eine Affizierung an, gibt aber keine Erkenntnis der Ursache dieser Affizierung. Sie ist also Mangel an Ursachenerkenntnis, aber, und das ist die interessante Wende, sie ist positiv bestimmt als Affizierungsprodukt. Die inadäquate Idee muss nicht verworfen werden, sondern kann zur adäquaten Idee führen, wenn wir die Gemeinsamkeit bestimmen, die positiv in unserer Affizierung wie auch in der affizierenden Ursache liegt. Spinoza beginnt auch hier bei der Positivität, die bejaht werden muss, und nicht beim Mangel, beim Negativen. Spinozas Lehre von der Wahrheit will Descartes’ Konzeption vom Klaren und Deutlichen durch die adäquate Idee ersetzen. Spinoza verwirft den Begriff der klaren und deutlichen Idee nicht, betont jedoch immer, dass sie auf eine adäquate Idee zurückgehen muss. Leibniz’ Formulierung, die Erkenntnis sei eine Art Ausdruck78, bezieht Deleuze hier auch auf Spinoza. Deleuze leitet nun aus der Favorisierung des Ausdrucks bei Leibniz und Spinoza eine unfreiwillige Übereinstimmung von beiden gegen den Cartesianismus ab, die sich gegen die klare und deutliche Erkenntnis der Idee bei Descartes richtet und wesentlich in den folgenden 3 Punkten besteht: 1. Das Klare und Deutliche bei Descartes beschränkt sich auf den Vorstel-

78 Leibniz: Monadologie und andere metaphysische Schriften, S. 79.

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lungsinhalt der Idee, er ist nicht bis zum unendlich viel tieferen Ausdrucksinhalt vorgedrungen (zur Genese des Vorstellungsinhalts). Damit hat er das Adäquate nicht als notwendigen und zureichenden Grund des Klaren und Deutlichen ergründet. 2. Descartes ist nicht über die Form eines psychologischen Bewusstseins hinausgegangen; er hat die logische Form der Idee, durch die sie sich expliziert, und nach der sich auch die Ideen miteinander verketten, nicht erreicht. 3. Descartes hat die Einheit von Form und Inhalt nicht ausgearbeitet, d.h. den geistigen Automaten, der das Reale produziert, indem er seine Ideen in der gehörigen Form hervorbringt. Deleuze lässt nun Spinoza gegen Descartes einwenden: 1. Ein Vorstellungsinhalt ist nur Erscheinung, die von einem tieferen Ausdrucksinhalt abhängt. 2. Die Form eines psychologischen Bewusstseins ist oberflächlich in Bezug auf die wahre logische Form. 3. Der sich in der Verkettung der Ideen darstellende geistige Automat ist die Einheit der logischen Form und des Ausdrucksinhalts. Die klare und deutliche Idee ist bei Descartes, wie wir in den Regulae gesehen haben, Grundlage der Methode, sie wird in der Ausübung dieser Methode in der Metaphysik aber andererseits selbst bewiesen. Diese Methode ist Analyse (von der Wirkung schließe ich auf die Ursache), die von den komplizierten Problemen zu den einzelnen Elementen vordringt, und von hier die Lösung zusammensetzt. Descartes behauptet dann, dass nur die Analyse uns sehen lasse »wie die Wirkungen von den Ursachen abhängen«79. Deleuze zitiert in einer Fußnote Alquié, der die Schwierigkeiten mit dieser Aussage herausstreicht. Deleuze will nun aber ausprobieren, ob man diese Stelle nicht doch buchstäblich verstehen kann und liest Descartes damit gegen den Strich. Denn hier scheint Descartes der Analyse zuzusprechen, was eigentlich der Synthese zukommt, nämlich aus der Erkenntnis der Ursache eine Erkenntnis der Wirkung zu erhalten. Nach Descartes haben wir eine klare und deutliche Erkenntnis der Wirkung (das wir ein denkendes Sein sind) bevor wir die Ursache dafür erkennen. In den Regulae schreibt Descartes, dass man jedoch zumindest eine diffuse Erkenntnis der Ursache haben muss, um die Wirkung zu erkennen.80 Die Ursache müsse zumindest implizit mitgedacht werden, die Erkenntnis der Wirkung hängt aber nicht von einer vollkommeneren Erkenntnis der Ursache ab. Umgekehrt hängt die klare und deutliche Erkenntnis der Ursache von der klaren und deutlichen Erkenntnis der Wirkung ab. Diese Methode bestimmte auch noch die Meditationen und die anderen metaphysische Schriften, wenn Descartes zuerst das Cogito

79 Vgl. Die französische Übersetzung der Meditationes, AT IX, S. 121. 80 Descartes: Regulae, Regel 12. 17.

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klar und deutlich erkennt und davon ausgehend auf dessen Ursache in Gott folgert. Spinozas Kritik an der analytischen Methode lautet nun: Wenn wir von der Wirkung zur Ursache übergehen, dann erkennen wir nichts von der Ursache, was wir nicht bereits in der Wirkung erkannt haben; so erhalten wir niemals eine adäquate Erkenntnis. Was für Deleuze heißt: Wir wissen nicht, wie die Wirkung entstanden ist, bzw. wie sie sich weiterentwickeln kann. Hier schloss auch die Kritik des Bildes des Denkens an, denn ein solches Denken würde dann nur darin bestehen, das Implizite zu explizieren, könnte hingegen aber nichts Neues erkennen. Spinoza fordert gegen Descartes die synthetische Methode, die zeigt, wie die Erkenntnis der Wirkung von der Erkenntnis der Ursache abhängt. Spinoza ist hier Aristoteliker 81, der sagt, dass die Wirkung erst erkannt ist, wenn die Ursache selbst und zuerst besser erkannt ist. Die Ursache liegt der Wirkung nicht nur voraus, sie liegt ihr auch in der Ordnung der Erkenntnis voraus, weil sie mehr als die Wirkung erkannt werden muss. Das Klare und Deutliche hat damit für Deleuze insofern keine Grundlage, als dass diese sich aus dem Adäquaten als solchem ergibt. Nur durch die Ursache könne man das Wesen erkennen. Die Ursache verknüpft zwischen Attribut, Subjekt und dem Grund oder dem Prinzip. Spinoza und Descartes kann man aber nicht so unterscheiden, dass man etwa sagt, Descartes stelle eine Methode für die Erkenntnis, Spinoza eine Methode für die Seins-ordnung auf. Denn Descartes erweitert die Methode auf das Sein, wie Spinoza auch behaupten wird, dass seine Methode die wahre Methode der Erfindung, die einzige im Bereich der Erkenntnis gültige Methode darstellt. »Der richtige Weg der Erfindung ist also, aus einer gegebenen Definition Gedanken zu bilden.«82 Der Unterschied geht auf das ganze Denkdiagramm zurück, das sich von Descartes zu Spinoza verändert hat. Deleuze charakterisiert die synthetische Methode wie folgt: 1. Sie ist reflexiv, da sie uns unser Vermögen zu verstehen erkennen lässt. 2. Sie erfindet oder fingiert von der Wirkung her eine Ursache: Die Methode ist »konstruktiv oder genetisch«83. 3. Sie ist deduktiv, da die Form und die Materie des Wahren in der Verkettung identisch sind.

81 Jean-Luc Marion liest Descartes’ Regulae als eine Art kontroversen Dialog mit Aristoteles, vgl. Marion: L’ontologie grise de Descartes. 82 Spinoza: Abhandlung über die Verbesserung, S. 94. 83 Deleuze: Spinoza und das Problem des Ausdrucks, S. 145.

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»Reflexion, Genese und Deduktion sind also die drei Momente, welche zusammen die synthetische Methode konstituieren. Auf diese Momente baut Spinoza, um den Cartesianismus zu überwinden und zugleich dem abzuhelfen, was am Aristotelismus nicht genügen kann.«84

Bei Descartes fehlt die Angabe eines Grundes, aus dem die Ursache von sich aus zu sein erreicht wird und auf direkte Weise im Begriff oder in der Natur begründet werden könnte. Diesen Grund entdeckt Spinoza, wenn er die propria und die göttliche Natur, das Absolute und das Unendliche, unterscheidet. »Die Attribute sind die immanenten formalen Elemente, welche die absolute Natur Gottes konstituieren. Diese Attribute konstituieren das Wesen Gottes und damit zugleich dessen Existenz; sie drücken das Wesen aus und damit zugleich die sich daraus notwendigerweise ergebende Existenz; darum fällt die Existenz mit dem Wesen zusammen. So konstituieren die Attribute den formalen Grund, der aus der Substanz, in ihr selbst, auf direkte, nicht mehr auf analogische Weise, eine Ursache von sich macht.«85

Gott bringt für Spinoza hervor, wie er existiert. D.h., er ist reine Hervorbringung, weshalb Spinoza gegen alle Formen des Negativen vorgeht: »Spinoza prangert nicht allein die Einführung des Negativen ins Sein an, sondern sämtliche falsche Auffassungen der Bejahung, in denen Reste des Negativen überleben. Diese Reste findet und bekämpft Spinoza bei Descartes und bei den Cartesianern. Der spinozistische Begriff der Immanenz hat keinen anderen Sinn: Er drückt die doppelte Univozität der Ursache und der Attribute aus, d.h. die Einheit der Wirkursache mit der formalen Ursache, die Identität des Attributs als das, was das Wesen der Substanz konstituiert, und als das, was durch die Wesen der Geschöpfe impliziert ist.«86

Das eine Sein, das ohne Rest oder Reserve positiv bestimmt werden muss (Immanenz), wird hier weiterhin bestimmt als univok: Es gibt keine Stufung des Seins in verschiedene Seinsbereiche, damit auch keine Kategorien, die dieselben trennen. Das, was Gott hervorbringt, ist nur durch den Prozess des Ausdrückens qualifiziert und damit in der Positivität seiner Hervorbringung zu bestimmen. Die Reduktion der Geschöpfe bei Spinoza auf Modi oder Modifikationen heißt jedoch nicht, dass ihnen jedes Wesen oder eigenes Vermögen abgespro-

84 Deleuze: Spinoza und das Problem des Ausdrucks, S. 145. 85 Ebd., S. 147. 86 Ebd., S. 148.

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chen werden. Sie unterscheiden sich natürlich von der Substanz, die in sich ist, während die Modi in anderem sind. Aber sie haben formal dieselbe Ursache: Dieselben Attribute konstituieren das Wesen des einen und sind durch das Wesen des anderen impliziert. »Die Immanenz also ist die neue Gestalt der Theorie der Univozität bei Spinoza. Die synthetische Methode führt ganz natürlich auf die Setzung dieses gemeinsamen Seins oder dieser immanenten Ursache.«87 Im Ausdruck sieht Deleuze die große anticartesische Reaktion, wie er es nennt, die sich mit der Wiederentdeckung der Natur und ihres Vermögens, der Logik und der Ontologie verbindet. Ausdruck ist hier ein Begriff der Immanenz, der sich gegen die Emanation und gegen die Schöpfung richtet. Er richtet sich gegen die Transzendenz eines dem Sein übergeordneten Einen, genau wie er ein der Schöpfung übergeordnetes Sein ablehnt. Leibniz und Spinoza finden den Begriff im 17. Jahrhundert wieder und nutzen ihn, um gegen Probleme des Cartesianismus vorzugehen. Dabei erläutert Deleuze das Buch über Spinoza abschließend Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten zwischen Spinoza und Leibniz. Beide werfen sie Descartes vor, eine zu schnelle oder zu leichte Philosophie entworfen zu haben. Descartes bleibe überall im Relativen, ihm fehle der zureichende Grund, das Wesen und die wahre Natur. In den Gottesbeweisen fehle Descartes ein dynamisches Prinzip, von denen die propria und die Realitätsquantitäten abhängen. Descartes gehe nicht bis zu einer vollen Bestimmung der Idee, bleibt vielmehr bei einer äußerlichen Bestimmung stehen, wenn er sie als klar und deutlich bestimmt, was wiederum nur ein proprium ist. So gehe er nicht über den Vorstellungsinhalt der Idee und die Form des psychologischen Bewusstseins hinaus: Er verfehle den immanenten Inhalt der Idee genau wie die wahre logische Form und die Einheit beider (geistiger Automat). Von der rein äußerlichen Bestimmung der Idee könne man auch nur zu einer äußerlichen Bestimmung des Seins kommen: den Realitätsquanten. Somit komme Descartes nur auf die reale Unterscheidung zu sprechen, die für ihn numerisch ist, die rationale, die für ihn abstrakt ist, die modale, die für ihn akzidentell ist. Das Individuum könne Descartes nur als Zusammengesetztes von Seele und Körper denken, wobei diese Zusammensetzung, der Prozess seiner Kausalität, ebenso wie das Unendliche oder seine Freiheit, im Dunkeln bleiben. Leibniz und Spinoza gehen gegen diese Ausformungen des Cartesianismus vor, indem sie nach einem im Absoluten operierenden zureichenden Grund fragen.

87 Deleuze: Spinoza und das Problem des Ausdrucks, S. 148.

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»Sie glauben, dass vieles, was der Cartesianismus erreicht hat, nicht in Frage gestellt werden kann, selbst solche Dinge wie eben die Eigenschaften des unendlich Vollkommenen, die Realitätsquantität, des Klaren und Deutlichen, des Mechanismus etc. Spinoza und Leibniz sind Post-Cartesianer im selben Sinn wie Fichte, Schelling und Hegel PostKantianer sind. Es handelt sich für sie darum, die Grundlage zu erreichen, woraus sich all die eben aufgezählten Eigenschaften ergeben, ein Absolutes wiederzuentdecken, das dem cartesischen »Relativismus« gewachsen ist.«88

Spinoza führt das Absolute gegen das unendlich Vollkommene als Eigenschaft Gottes ein, das sich in den qualitativen Formen ausdrückt, die das Absolute aber nicht numerisch unterscheiden. Leibniz sucht auch ein absolutes Sein hinter dem Unendlichen, eine Natur Gottes hinter der Eigenschaft. Wie Spinoza sucht auch Leibniz intensive Vermögensquantitäten, die den Realitätsquantitäten unterliegen. Beide kritisieren Descartes’ Erkenntnis der Idee, die er als klar und deutlich beschreibt, was eher mit dem Wiedererkennen und mit Nominaldefinitionen zusammengeht als mit Realdefinitionen. Die wahre Erkenntnis ist dann eine Art Ausdruck und muss den Vorstellungsinhalt der Idee hin auf einen immanenten, wirklich ausdrückenden Inhalt überschreiten. Die Form des psychologischen Bewusstseins muss hin auf einen logischen explikativen Formalismus überschritten werden. Der geistige Automat stellt die Einheit der neuen Form und ihres Inhalts dar. Das Individuum wird von den Kausalitäten auf nicht-kausale Entsprechungen zurückgeführt. Die reale Kausalität ist dann nur eine Art Entsprechung. Monade und Modus sind die Individuen als Ausdruckszentren. Figur der Intervention gegen die Repräsentation Leibniz und Spinoza unterscheiden sich auch in ihrer Formulierung des Ausdrucks. Leibniz fasst den Ausdruck in Quid sit idea? als Entsprechung im Habitus zweier Dinge, wobei das eine immer besser ausdrückt, was das andere beherrscht: ein Gesetz, eine Form. Der Ausdruck ist für Deleuze nun aber bei Leibniz immer auf eine Analogie, eine Harmonie hin ausgerichtet. Gegen diese symbolische Philosophie des Ausdrucks stößt Deleuze bei Spinoza auf eine differentielle Philosophie des Ausdrucks. Denn der Ausdruck als Hervorbringung bringt immer etwas Neues hervor, das gerade abweicht vom Bestehenden. »Das Ausgedrückte ist der Sinn: tiefer als der Zusammenhang der Kausalität, tiefer als der Zusammenhang der Vorstellung. Es gibt einen der Realität folgenden Mechanismus der

88 Deleuze: Spinoza und das Problem des Ausdrucks, S. 288.

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Körper, es gibt einen der Idealität folgenden Automatismus der Gedanken; wir nehmen aber erst wahr, dass die körperliche Mechanik und der geistige Automat die ausdrücklichsten sind, wenn sie ihren »Sinn« und ihre »Entsprechung« erhalten, wie jenen zureichenden Grund, der im Cartesianismus fehlte. Wir können nicht sagen, was wichtiger ist: die Differenzen zwischen Leibniz und Spinoza in ihrer Bewertung des Ausdrucks, oder ihr gemeinsamer Rückgriff auf diesen Begriff als Grundlage einer post-cartesischen Philosophie.«89

Man könnte es auch umgekehrt sagen: Für Deleuze war es unumgänglich, sich an Descartes abzuarbeiten, da erst eine postcartesianische Philosophie, die das Denkdiagramms Descartes’ variiert hat, neue sich unterscheidende Formen des Denkens hervorbringen kann, die nicht mehr das Bild des Denkens wiederholen. Dies ist Deleuze mit Spinoza durch das Denkdiagramm des Ausdrucks gelungen, das dem cartesischen Denken eine genetische Perspektive eingeschrieben hat, die das Prinzip der Hervorbringung in den Dingen selbst am Werk sieht. Dadurch ist eine neue Konzeption der Denkfiguren entstanden. Die Idee eines immanenten Gottes, der die reine Fülle ohne jegliche Transzendenz oder Negativität ausdrückt, variiert die Figur des Mangels bei Descartes. Die Hervorbringung wird formal nach Attributen qualifiziert, was jedoch bei Spinoza nicht zu einer Quantifizierung der Substanz führt. Die Substanz ist eine, die sich in den verschiedenen Attributen gleichermaßen ausdrückt. Der Parallelismus der Attribute variiert die Figur des Zweifels bei Descartes, die bei diesem zu einer Hierarchisierung von Denken und Dingen führt. Für Spinoza hat jede Idee eine Entsprechung in den Dingen und umgekehrt hat auch jedes Ding eine Entsprechung in einer Idee. Idee und Ding stehen aber nicht in einem Korrespondenzverhältnis, verweisen vielmehr auf ein Prinzip: die Substanz als Hervorbringung der Attribute. Die adäquate Idee schließlich drückt nicht nur ihre Affizierung durch das Ding aus, sondern auch die beiden gemeinsame Ursache. Diese fehlte in Descartes’ Bestimmung des Klaren und Deutlichen. Indem Deleuze nun diese Ursache bei Spinoza als genetisches Prinzip versteht, dynamisiert er das Verhältnis von Ding und Idee bei Descartes. Beide Modi stehen allerdings in einem Verhältnis der Entsprechung, ihre Dynamik erhalten sie durch das Prinzip der Hervorbringung, also die eine Substanz, die sich in ihnen aktualisiert. Die gegenseitige Affizierung der bereits hervorgebrachten Figuren variiert dann auch die Repräsentation Descartes’, welche die Strukturen des Denkens in die Strukturen der Dinge projizierte, ausgehend von einer Priorität des Denkens. Bei Deleuzes Spinoza beschreiben Fülle, Parallelismus und Adäquation nun diverse Inter-

89 Deleuze: Spinoza und das Problem des Ausdrucks, S. 296.

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ventionen, die die Vielfalten produktiv verwickeln, auch über ihre unterschiedlichen Qualifizierungen hinaus. Eine neue abweichende Bewegung drückt sich in der Variation eines anderen Bereichs aus, kann hier moduliert werden und wiederum einen anderen Ausdruck hervorbringen.

*** Durch die Fokussierung auf Ausdrucksverhältnisse bei Spinoza – was neue Denkfiguren hervorgebracht hat – variiert Deleuze das gesamte Denkdiagramm Descartes’. Doch er bleibt Post-Cartesianer, denn es geht ihm immer noch darum, durch die Erschaffung von Denkfiguren ein Denkdiagramm zu entwerfen, das in andere Denkdiagramme interveniert. Dabei hat sich der Status des Denkens freilich geändert, stellt es in Deleuzes Lektüre von Spinoza eine Weise der Variation des Gegebenen dar. Jedoch nicht in dem Sinne, dass das Denken die Dinge verändert. »Thinking is always the result of the encounter between bodies«, kommentiert Armstrong Deleuze an dieser Stelle. 90 Die Ideen und die körperlichen Begegnungen müssen bejaht werden, es geht darum, sie zu erleben und sie im Denken zu wiederholen. So erfährt man die Bewegungen und Veränderungen der Körper in Denkbewegungen und Denkfiguren, die neue Formen zu denken und zu leben hervorbringen. In diesem Kapitel haben wir nun gesehen, dass Deleuze nicht schematisch die Bereiche des Virtuellen und des Aktuellen trennt, sondern dass es ihm um die Bewegung geht, die beide Bereiche verbindet. In der Auseinandersetzung mit Spinoza hat Deleuze ihre Verknüpfung in der Form der Aktualisierung beschrieben. Die Variation des virtuellen Denkdiagramms von Descartes ergab ein Denkdiagramm, das den Bereich des Virtuellen – die Substanz und ihre Qualifizierung in den Attributen – mit Blick auf dessen Aktualisierung in den Modi konzipiert. Damit hat die Veränderung des Denkdiagramms auch eine andere Konzeption der aktualen Modi zur Folge, da sie immer eine neue Hervorbringung ausdrücken, sich somit beständig verändern. Deshalb zielt Deleuze in seinem zweiten Buch über Spinoza auch auf dessen Begriff der Affekte, die die Veränderlichkeit der Modi erläutern.91 Hierhin gehört auch der Ausspruch De90 Armstrong: Some Reflections on Deleuze’s Spinoza. Composition and Agency, S. 53. 91 Deleuze: Spinoza. Praktische Philosophie. Interessanterweise taucht in dem hier angegebenen Vokabular Spinozas nicht mehr der Begriff des Ausdrucks auf. Das liegt wohl daran, dass Spinozas Philosophie nicht den Ausdruck zum Thema hat, sondern der Ausdruck es ist, mit dem Deleuze diese Philosophie in seinem ersten Buch über Spinoza exponiert.

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leuzes: man müsse immer in der Mitte beginnen, Spinoza von der Mitte her lesen, da es Deleuze genau um die Verwicklung von Virtuellem und Aktuellem geht, um ihre Vermischungen. Im folgenden Kapitel soll nun der umgekehrte Weg gegangen werden. Hier wird es nicht mehr darum gehen, die Denkfiguren Descartes’ zu modifizieren, indem man ein anderes virtuelles Diagramm erschafft. Vielmehr findet Deleuze in der Auseinandersetzung mit Leibniz und dem Barock im aktuellen Zeichnen von Diagrammen, in konkreten Analysen von Architektur oder bspw. der Kostümkunde neue Denkfiguren, die er wiederum gegen das cartesische Denkdiagramm wendet. Hier werden die Perzeptionen das Denkdiagramm nicht verfestigen, bis hin zur Repräsentation in Wissensdiagrammen. Im Gegenteil: Die Perzeptionen werden Bewegungen entfalten, die das Denkdiagramm zuallererst hervorbringen.

III.3 D ENKDIAGRAMM II: LEIBNIZ – V OM AKTUELLEN

ZUM

V IRTUELLEN

Deleuze hat nicht nur geschrieben, sondern auch gezeichnet. Neben sieben Karikaturen, die für meinen Zusammenhang weniger wichtig sind, finden sich auch in seinen Philosophiebüchern ab einem bestimmten Moment wiederholt gezeichnete Diagramme.92 Dafür muss man gar nicht die Manuskripte kontaktieren – was man auch gar nicht kann, da es kein Archiv für seine Vorarbeiten usw. gibt – vielmehr bevölkern diese Diagramme seine autorisierten Texte. Zuerst tauchen diese Zeichnungen in den Tausend Plateaus auf, dann auch in Foucault und Die Falte. Leibniz und der Barock und schließlich in Was ist Philosophie?. Während Deleuze zumindest Ansätze zu einer Theorie des virtuellen Diagramms gegeben hat, wie ich im ersten Kapitel dieser Arbeit gezeigt habe, so blieben seine gezeichneten Diagramme von ihm unkommentiert. Im folgenden Kapitel werde ich zuerst einige dieser Diagramme vorstellen, um dann an einem konkreten Beispiel den Zusammenhang von gezeichnetem aktuellem und virtuellem Diagramm bei Deleuze erläutern. Ich wähle dafür weiter unten das Diagramm zu

92 Henning Schmidgen hat auf die zeichnerische Praxis bei Deleuze zuerst hingewiesen, im Speziellen auch auf die sieben Karikaturen, die Deleuze gezeichnet hat. Diese werde ich nicht weiter kommentieren, da sie keine Denkdiagramme darstellen. Vgl. hierzu Schmidgen: Begriffszeichnungen. Über die philosophische Konzeptkunst von Gilles Deleuze.

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Leibniz, da es eine Auseinandersetzung mit Descartes und dessen virtuellen aber auch aktuellen Diagrammen einschließt. Zuerst tauchen die gezeichneten Diagramme in den mit Félix Guattari zusammen verfassten Tausend Plateaus auf. Hier unterbrechen sie den Text und seine formalisierte Linienführung zugunsten einer freieren, nicht schematisierten Linie, die den Raum des Textes als Fläche wahrnehmbar macht. Auf der Fläche erscheinen so zaghafte, tastende Strukturierungen, die auch variiert werden. So erscheinen in der Abb. 6 mehrere Variationen von Gesichtern, die ihren probierenden, experimentierenden Charakter bewahrt haben. Denn alle diese Zeichnungen Deleuzes sind in ihrer handgefertigten Form in die Bücher eingegangen, sind nie schematisiert worden.93 Abbildung 6: Gesichter

Quelle: Deleuze, Gilles; Guattari, Félix: Tausend Plateaus, S. 252.

93 Dies trifft zumindest für die originalen französischen Veröffentlichungen vollständig zu, teilweise aber nicht für die Übersetzungen. Zum Problem der Übersetzung der Diagramme siehe S. 208f. dieser Arbeit.

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Christian Driesen hat diese kleinen Zeichnungen der Tausend Plateaus unter dem Begriff der Bildtaktiken zusammengefasst94: »Sie entwerfen nicht mehr Diagramme des Denkens, sondern folgen einem Modus der Taktik.«95 Insofern betreffen diese Kritzeleien, wie sie Driesen nennt, nicht mehr das Ganze eines Denkens, sondern reagieren auf ein konkretes Problem. Ihr Status ist so immer minoritär, da sie keine große Strategie vorbereiten, sondern durch verschiedene Taktiken sich einem Problem entgegen stellen. In der Abb. 6 sehen wir mehrere Diagramme, die auf das von Deleuze und Guattari vorher diskutierte Problem von schwarzem Loch und weißer Wand antworten. Schwarzes Loch und weiße Wand bilden in ihrem Zusammenspiel die strukturelle Voraussetzung jeglicher Subjektivierung, was sie in die Nähe eines Bildes des Denkens rückt, das gewisse Bewegungen und Anordnungen favorisiert und andere Bewegungen ausschließt, Kräfte blockiert, einen Möglichkeitsraum festlegt. Driesen schreibt: »Es handelt sich um den Versuch, das Gesicht selbst als Bild des Denkens und Handelns zu verstehen, wobei nichtgeformte Intensitäten (Mann, Frau) zu festen Identitäten gemacht werden, um sie in einem unauflöslichen Verhältnis (der Mann, die Frau, das Paar) doppelt zu binden.«96

An dieses Problem der jeder konkreten Erscheinung vorgängigen Gesichthaftigkeit97, die bereits ordnet, sichtbar aber auch unsichtbar macht, schließen die Diagramme nun an. Sie kombinieren weiße Flächen und schwarze Punkte, von einer »einfachen Maschine« bis hin zu einer »Vermehrung der Augen«, die das Gezeichnete kaum noch als Gesicht zu erkennen gibt. Dennoch entwerfen sie kein neues Bild des Denkens, was Driesen oben mit den »Diagrammen des Denkens« anspricht, sondern drücken minoritäre Taktiken aus: Kombinieren, Variieren, Modulieren, statt Transformieren, Umstürzen, Neuanfangen. Sie bilden keine neue Voraussetzung des Denkens, entwickeln aber im Zeichnen neue Konstellationen, neue Strukturierungen, die auch andere Denkfiguren ermöglichen.

94 Driesen: Kritzeln als abstrakter Expressionismus, hier v.a. das Kap. zu »Bildtaktiken«, S. 297-302. 95 Ebd., S. 297. 96 Ebd. 97 Werner Kogge hat in einem Aufsatz die elementare Gesichthaftigkeit der Schrift untersucht, indem er sie in ihrer Materialität nicht als Bild, sondern physiognomisch als Gestalt, Gesicht begreift. Vgl. Kogge: Elementare Gesichter: Über die Materialität der Schrift und wie Materialität überhaupt zu denken ist.

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Denn indem sie das Bild des Gesichts an die Oberfläche holen und problematisieren, wird es als Voraussetzung expliziert und kann als Zeichen im deleuzeschen Sinne dienen, indem es zum Denken zwingt. In dem Fall der Kritzeleien wird ein Denken der Hand mobilisiert, wenn sie im Zeichnen neue Bewegungen ausprobiert, die sich den Gesetzen der Fläche unterstellt (auffällig sind die symmetrischen Anordnungen aller Zeichnungen), sie mit anderen, eher affektiven, vielleicht das Problem abwehrenden Gesetzmäßigkeiten98 kombiniert und so Gesichter entwirft, die nicht mehr klaren Identitäten oder bekannten Subjektivierungsformen zuzuordnen sind. Diese in den Tausend Plateaus erschienen Zeichnungen sind mithin nicht die einzigen Diagramme Deleuzes, die sich taktisch einem Problem widmen, vielmehr machen das alle Diagramme Deleuzes. Dem Problem kommt dabei immer die Rolle eines Bildes des Denkens zu, das als Voraussetzung des konkreten Denkens, dieses vorstrukturiert, im Zeichnen an die Oberfläche gezogen und hier moduliert wird. Während in den Tausend Plateaus (1980) gehäuft kleine Zeichnungen auftauchen, so gibt es in dem 1986 erschienenen Foucault nur eine, die kurz vor Ende des Buches den Text aufsperrt: »Foucaults Diagramm«. Es nimmt die Denkbewegungen des Buches auf, setzt sie auf der Fläche in eine Beziehung und versucht so eine neue Denkfigur entstehen zu lassen. Bereits in der Einleitung habe ich einen Text Deleuzes über Foucault99 diskutiert, in dem er ihn als einen neuen Kartographen charakterisiert. Der neue Kartograph ist derjenige, der die Reichweite des Diagramms der Macht vermisst, oder besser, die Macht des Diagramms in seinen sichtbaren und sagbaren Hervorbringungen ermisst. Dieser Text findet in leicht veränderter Form Eingang in die Monographie zu Foucault und bildet hier das zweite Kapitel. Es kontrastiert das erste Kapitel über den Foucault der Aussagenanalyse und fungiert so als methodische Erweiterung des Sagbaren um das Sichtbare. An diesen ersten Teil des Buches (»Vom Archiv zum Diagramm«) schließt nun der Hauptteil an, in dem Deleuze versucht, das Neue an Foucaults Denken herauszustellen, ihn als Philosophen sichtbar werden zu lassen (»Topologie: ›Anders Denken‹«). Im Begriff der »Topologie« des Denkens deutet sich bereits an, dass der Begriff des Diagramms auf die Philoso-

98 Driesen spricht deshalb von Kritzeleien, da er vor allem auf den affektiven Aspekt der Diagramme abhebt und sie so in eine Reihe mit den Zeichnungen von Lascaux oder etwa den abyssinischen Graffiti stellt. Kritzeleien sind hier Ritzungen, die im Angesicht einer Gefahr entstehen und diese bannen wollen, so wie die Diagramme im Angesicht eines Problems, dieses im Zeichnen variieren und so mögliche Lösungen ausprobieren, die auf das Problem antworten. 99 Vgl. Deleuze: Kein Schriftsteller: ein neuer Kartograph.

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phie, auf das Denken erweitert werden muss und nicht allein dem Bereich der Macht verhaftet bleibt, evoziert er doch ein Denken, dass sich auf der Fläche organisiert, Nachbarschaften konstruiert, verschiedenste Gebiete produktiv verwickelt. So wird im ersten Teil des Hauptteils der Begriff der Schichten mit dem Wissen gekoppelt, wobei sich die (historischen) Schichten in Sagbares und Sichtbares teilen. Doch diese Aufteilung verweist schon auf den zweiten Teil, indem das Denken (Foucaults) wesentlich als Äußerlichkeit bestimmt wird, als ein sich dem Außen aussetzen, um ihm Denkfiguren abzuringen, die dann ins Innere zurückwirken, sich in den Schichten absetzen und so zu dieser ersten Teilung in Sichtbares und Sagbares führten. Das stratifizierte, archivierte, einer harten Segmentarität entstammende Wissen wird hier der mobilisierenden, verteilenden und immanenten Macht entgegengesetzt. Im letzten Teil der »Topologie« des Denkens erscheint dann die einzige Zeichnung des Buches (Abb. 7), sie unterbricht den linearen Text für eine supralineare Logik von »Foucaults Diagramm« (Diagramme de Foucault). Die Mehrdeutigkeit, die der Genitiv bereits andeutet, kann zum einen beschränkt werden, da es sich um eine Zeichnung von Deleuze handelt. Es bleibt jedoch offen, ob die Zeichnung Foucaults Denken portraitiert (Illustration) oder umgekehrt, das Diagramm die Denkfiguren Deleuzes kartographiert und in das immanente Diagramm des Textes eingreift. Abbildung 7: Foucaults Diagramm

Quelle: Deleuze, Gilles: Foucault, S. 168f.

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Die Zeichnung kann einerseits verstanden werden als gezeichnetes Diagramm, welches das implizite Diagramm Foucaults repräsentiert, dasjenige, was die Funktionen und Materien seines Denkens anordnet: Foucaults Denken gräbt sich hinter die Schichten des Wissens, um die Strategien der Diskurse und bildlichen Artefakte offen zu legen. In diesen Strategien kommt das Denken an jene Grenze, die Linie des Außen, wo es auf nicht-diskursivierte Affekte trifft – von den Schreien der Wahnsinnigen bis zu den Klagen der Inhaftierten. Diese Affekte und Bewegungen, die sich dem formalisierten Wissen wiedersetzen, nimmt Foucault in seine Geschichten wieder auf und integriert sie damit in den Diskurs seiner Zeit. Das ist die absurd erscheinende Bewegung Foucaults: mit Blick auf die verfestigten Diskurse der Gegenwart in die Archive gehen, um in der Vergangenheit die Bewegungen und Figuren wiederzufinden, die sich in unseren heutigen Diskursen versteinert haben, um schließlich diese Bewegungen rückzubeziehen auf die Gegenwart für eine andere Zukunft. Oder in Bezug auf das, was bei Foucault Denken heißt, nun weniger heideggerianisch, eher nietzscheanisch verstanden: »Die Vergangenheit gegen die Gegenwart denken, der Gegenwart Widerstand entgegensetzen, nicht für eine Rückkehr, sondern »zugunsten, hoffentlich, einer künftigen Zeit« (Nietzsche), das heißt, indem man dem Außen die aktive und gegenwärtige Vergangenheit zurückgibt, damit sich schließlich etwas Neues ereignet, damit Denken [penser] stets zum Denken [pensée] gelangt. Das Denken denkt seine eigene Geschichte (Vergangenheit), jedoch um sich von dem zu befreien, was es denkt (Gegenwart), um schließlich »anders denken« zu können (Zukunft).«100

Das Diagramm kann zweitens aber auch als gezeichnetes Denkdiagramm verstanden werden, das in die immanente Verteilung von Formen des Sagbaren und Sichtbaren im Text Deleuzes eingreift. Als solches schafft das Diagramm einen Eigenraum, indem es den Schriftraum unterbricht. Dieser Eigenraum entsteht durch den zeichnenden Nachvollzug der kartographierten Denkfiguren, die das Buch Deleuzes strukturieren. So kartographiert Deleuze seine Unterscheidung von Schichten des Sagbaren (links) und Schichten des Sichtbaren (rechts). Daraufhin zeichnet er den Bereich der Strategien ein, welche die Schichten stützen (1. Kapitel des Hauptteils über das »Wissen«). Im Durchgang durch die nichtgeschichteten Strategien offenbaren sich Affekte, Schreie, und chaotische Bewegungen, die dem Wissen entgehen und ein Außen des Denkens markieren (2. Kapitel des Hauptteils über die »Macht«). Schließlich wird die Linie des Außen

100 Deleuze: Foucault, S. 168f.

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verlängert um die Auswucherung, die über den Bereich der Strategien drüber gezeichnet und mit »Falte (Zone der Subjektivierung)« (Pli (zone de sujectivation)) beschriftet wird. Damit entsteht nicht nur im Zeichnen eine Nähe des Denkens von Wissen-Macht-Komplexen und dem späteren Denken der Subjektivierung bei Foucault, vielmehr erscheint auch die Subjektivierung in der Zeichnung als Falte, oder als Schleife (zwei Seiten später wird Deleuze über die »Schleife« und die »Punkte« bei Foucault schreiben).101 »Die Falte« wird jedoch als Begriff weder bei Foucault noch in Deleuzes Monographie zu Foucault ausgearbeitet, bildet aber den Schlüsselbegriff des nächsten Buches von Deleuze. Denn die Subjektivierung als Falte zu konzeptualisieren, wird das Projekt sein, dass Deleuze in seinem Leibniz-Buch angeht: auf das 1986 erschienene Foucault wird 1988 Die Falte. Leibniz und der Barock folgen. Das gezeichnete Diagramm repräsentiert so nichts, was außerhalb des Buches liegt, sondern interveniert in die Denkbewegungen des Buches. Es nimmt Bewegungen auf und erschafft so eine Strukturierung auf der Fläche102. Dieser Prozess findet im aktuellen Zeichnen statt und bildet so die Eigenzeitlichkeit des Diagramms, was im Überzeichnen deutlich wird. In der Bewegung wird damit der Raum des Diagramms vermessen, strukturiert und wieder umstrukturiert. Es ergeben sich dann auf der Fläche Möglichkeiten, die allein gedanklich nachzuvollziehen zumindest schwierig gewesen wären, wie die Punkte, die jenseits der Linie des Außen liegen. Wenn es ein Außen des Denkens gibt, dann wäre es absurd dieses Außen zu denken. Aber im Zeichnen kann man diesen Raum erschließen, denn das Zeichnen lässt einen eine andere Perspektive einnehmen. Während es in der rein gedanklichen Beschwörung eines Außen unmöglich wäre, spezifische Behauptungen über das Außen zu treffen, da es als Grenze der Überlegungen fungiert, so ermöglicht die Perspektive des Diagramms den Überflug und die Zusammenschau der Relationen bis hin zu den Grenzbegriffen und darüber hinaus. Im Anschluss an das Diagramm ist es dann der Text, der diese Strukturierungen und Relationen aufnehmen muss und sie in ein Narrativ verwandelt. Hier wird dann der Zusammenhang hergestellt von unverbundenen

101 Es scheint so, als ergäbe sich der Begriff der Falte und später der Schleife sowie der Punkte bei Foucault aus der zeichnerischen Praxis. In diesem Fall würde das Diagramm sogar das Vokabular des Textes ändern. 102 Vgl. hierzu die Arbeiten Sybille Krämers zur Diagrammatik, die auf den Aspekt der Flächigkeit stark abhebt und darüber nachdenkt, was das Spezifische des Denkens auf der Fläche ist. Siehe v.a. Krämer: Operative Bildlichkeit. Von der ›Grammatologie‹ zu einer ›Diagrammatologie‹? Reflexionen über erkennendes Sehen; Krämer: Punkt, Strich, Fläche. Von der Schriftbildlichkeit zur Diagrammatik.

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Singularitäten (Punkte), die sich auf der Linie des Außen ansammeln, in den Strategien verbunden und auf den Schichten angeordnet werden. Hier werden die Relationen des Diagramms vereindeutigt und in bedeutungszuschreibenden Aussagen verknappt. Später treten die Zeichnungen in Deleuzes Werk noch im Buch über Leibniz und den Barock und in Was ist Philosophie? wieder auf. Letztere werde ich im letzten Unterkapitel besprechen, da Deleuze hier selbst den Übergang von implizitem und explizitem Diagramm zumindest begrifflich herstellt. Anhand des Diagramms »Das 4 Haus« will ich zuerst einmal darauf aufmerksam machen, dass diese Diagramme auch übersetzt wurden, wenngleich oft auch fehlerhaft. Was kann das bei einer Zeichnung heißen? In der französischen Ausgabe sind sowohl die Zeichnung wie auch die beistehenden Beschriftungen handschriftlich (Abb. 8). In der deutschen Ausgabe hat man den geschriebenen Text in gedruckte Typen überführt. In der englischen Ausgabe hat man das ganze Diagramm schematisiert (Abb. 9). Dies ist nicht nur problematisch, da hier der bewegliche, tastende, ausprobierende Charakter der Zeichnungen verlorengeht, sondern auch weil sie so ihre ganze Erscheinung verändern. Abbildung 8: La maison baroque

Abbildung 9: The Baroque House

Quelle: Deleuze, Gilles: Leibniz et le Baroque, S. 7.

Quelle: Deleuze, Gilles: The Fold. Leibniz and the Baroque, S. 5.

In der Variation des Diagramms in der englischen Ausgabe, in der die eine Hälfte des Dachs des Hauses fehlt, kann man nun auch eine Taktik sehen. Die Schematisierung ist wohl kaum durch eine minoritäre Taktik geprägt und auch das Fehlen des Daches bedeutet eher eine Nachlässigkeit. Aber man könnte es auch als das Resultat einer Lektüre sehen, die Deleuzes Übergang von einer Monadologie zu einer Nomadologie bereits vollzogen hat, in der das Anliegen des Buches, dass sich im Originaldiagramm zeigt, den fensterlosen Raum der Monade

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zu öffnen, sie in Kontakt mit der materialen Welt zu bringen, bereits verwirklicht hat, indem die Monade hier bereits durchlöchert ist. Aber für den Nachvollzug des Buches ist es wohl eher hinderlich, da die Denkfigur, die im Zeichnen entstanden ist, und die von da an das ganze Buch bestimmen wird, überflüssig und nicht mehr nachvollziehbar ist.103 Ich hatte bereits erwähnt, dass Deleuze auch sieben Zeichnungen hinterließ, die er auf der Ausstellung eines jungen polnischen Künstlers im Jahre 1973 in Paris gezeigt hat.104 Auch wenn es sich bei diesen Zeichnungen nicht um Denkdiagramme handelt, so sagen sie doch etwas über die Diagramme in Deleuzes Büchern aus. Die Zeichnungen sind Karikaturen, die einmal einen fleischigen Mann mit übergroßen, unförmigen Händen und Füßen zeigen, ein anderes Mal eine Frau, fast ohne Oberkörper, jedoch mit affenähnlich langen Armen, oder auch eine gepunktete, vierbeinige Gestalt mit Kaktushintern, neben der eine aufrechte, tanzende Figur steht, die einen Stab hält. In allen Karikaturen gibt es wiedererkennbare Figurationen, die dennoch durch Überzeichnung, Verkleinerung, Umformung, Entfremdung verändert werden. Die Karikaturen schillern so zwischen Unkenntlichkeit und Suggestion, die auch für Deleuzes Diagramme charakteristisch ist. Wie in den Karikaturen werden auch hier Relationen übernommen und variiert. Sie gehen nicht von einer Ähnlichkeit aus, sondern schaffen über die Konstellation der verfremdenden Elemente eine Ähnlichkeit, die suggestiv ist. So kann etwa Deleuzes Foucaultdiagramm auch als eine Libelle im Überflug gesehen werden, oder auch als eine Steckrübe, die merkwürdig über dem Feld schwebt. Dieses suggestive Potential der Diagramme verleitet nun dazu, den Text, in dem sie auftreten, zu verlassen. Aber vielleicht kommt man auch auf einen neuen Zugang zu Foucault oder aber auch zu einer ganz anderen Praxis.105

103 Vgl. hierzu auch Knoespel: Piloting Devices, 152ff., der zuerst auf die Variationen des Diagramms des barocken Hauses in den unterschiedlichen Übersetzungen aufmerksam gemacht hat. Knoespels Interpretation geht nun aber von Kognitionen aus, die das Diagramm begleiten und unterstellt so immer eine Erkenntnissituation, während der Begriff der Denkbewegung diesen Kognitionen entgegen »tiefer« gelegt ist, bezieht er sich doch auf die Voraussetzungen des Denkens und richtet sich so gerade gegen die Rekognition als festes Modell allen Denkens. 104 Die Zeichnungen wurden abgedruckt in Henning Schmidgen (Hg.): Ästhetik und Maschinismus. Texte zu und von Félix Guattari, S. 17-24. 105 Hierzu passt Deleuzes spätere Erinnerung zweier Leserbriefe zu seinem Leibnizbuch: Die eine stamme angeblich von einem Papierfalterverein, die andere von einem Surfer-Club, die in dem Satz kulminierten: Le pli, c'est nous!

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Zudem verschwindet der humoristische Aspekt der gezeichneten Diagramme fast komplett, wenn man sie schematisiert und nähert sie eher denen von Jacques Lacan an, der seine wissenschaftliche Psychoanalyse mithilfe von mathematischen Graphen anschaulich machte.106 Aber genau darum ging es Deleuze nicht. Seine Diagramme sind eher spielerischer Natur, ein Experimentierfeld, das dann auch wieder auf den Text zurückwirkt.107 Wie in den Karikaturen werden auch hier Relationen hergestellt, durch Verzeichnungen variiert, was eine neue Denkfigur entstehen lassen kann, die dann den Text präfiguriert. Abbildung 10: Das barocke Haus

Quelle: Deleuze, Gilles: Die Falte. Leibniz und der Barock, S. 13.

106 Vgl. die Graphen in: Lacan: Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens im Freudschen Unbewussten, S. 179, 183, 191. 107 Man könnte hier einen Unterschied zwischen Königswissenschaft und nomadischer Wissenschaft sehen, wie ihn Deleuze und Guattari in Tausend Plateaus machen, wobei man Deleuzes gezeichnete Diagramme der nomadischen Wissenschaft zuordnet, deren Prinzipien veränderlich sind, die im Zeichnen auch verändert werden. Der nomadische Wissenschaftler fällt mit dem Baumeister zusammen, der seinen Plan entwirft, indem er ihn in den Sand zeichnet, während der technische Zeichner, der Ingenieur als Königswissenschaftler, einen festen Plan konstruiert, nach dem sich der Baumeister richtet. Vgl. dazu auch: Driesen: Kritzeln als abstrakter Expressionismus, 298f.

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Das abgebildete Diagramm (Abb. 10) findet sich am Anfang von Die Falte. Leibniz und der Barock. Das Buch eröffnet mit einer abstrakten Definition des Barock: »Die ins Unendliche gehende Falte ist das Charakteristikum des Barock.«108 Darauf folgt eine Diskussion der Neuen Abhandlungen über den menschlichen Verstand109 von Leibniz, in denen Deleuze den Begriff der Falte auffindet, woraufhin dann das gezeichnete Diagramm mitten im Text auftaucht, ohne explizit an dieser Stelle besprochen zu werden. Was passiert also in den Neuen Abhandlungen, an die das Diagramm anzuschließen scheint? In diesem Text diskutieren Philalethes, der Freund der Wahrheit – eine Charakteristik der philosophischen Position von John Locke – und Theophilus, der Freund des Göttlichen, mithin des göttlichen Wissens – die Position Leibniz’. An der von Deleuze besprochenen Stelle diskutieren beide nun über die Verfasstheit des Verstandes. Philalethes schlägt eine Metapher vor, wenn er betont, dass man sich den Verstand als eine dunkle Kammer vorstellen solle, die durch einige Öffnungen unterbrochen sei. Durch diese gelangen nun Eindrücke von außen in den Verstand. Die Verstandestätigkeit läge dann darin, diese Eindrücke in eine Ordnung zu versetzen. Theophilus schließt an diese Metaphorik an, plädiert aber für eine Verkomplizierung. Die dunkle Kammer müsse, nach Theophilus, nun mit einer von Falten zergliederten Leinwand bespannt sein. Die alten Falten repräsentieren dann die eingeborenen Ideen, während die Eindrücke neue Falten werfen. Die Verstandestätigkeit bestünde dann darin, die alten und die neuen Falten in Schwingung zu versetzen. Damit verlässt Theophilus die Metaphorik der dunklen Kammer und überführt sie hin zu einer der musikalischen Harmonie der Falten. Deleuzes Diagramm des »barocken Hauses« schließt genau an diese Stelle an, nicht aber der Text. Denn im Zeichnen wird die Bewegung des Philalethes wiederholt, der den Verstand als eine von einigen Öffnungen unterbrochene dunkle Kammer vorstellt. Deleuze zeichnet der dunklen Kammer jedoch ein Obergeschoss ein, wenn er im Zeichnen auch die Bewegung des Theophilus wiederholt, die über die Falten von einem extensiven Teil des Verstandes zu einem intensiven Teil übergeht. Im Zusammenzeichnen der beiden Bewegungen treten nun auch winzige Öffnungen zwischen Untergeschoss und Obergeschoss auf, durch die die extensiven in die intensiven Falten übergehen. Das Nachzeichnen der Bewegungen hat diese verlangsamt und so eine Strukturierung eröffnet. Die entstandene Struktur des Hauses gibt dann eine Denkfigur preis, die in den Bewegungen der Metaphern noch nicht vorhanden war. Die Denkfigur

108 Deleuze: Die Falte. Leibniz und der Barock, S. 11. 109 Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, Kap. 12, § 1.

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geht dabei über die Eindrücke von außen in das Innere eines extensiven Verstandes und bildet hier extensive Falten, aus denen die intensiven Falten emergieren. Diese Denkfigur wird das gesamte Buch präfigurieren, wenn Deleuze aus den Falten der Kostümkunde, der Architektur, der barocken Skulptur usw. eine spezifische Weise des Faltens im Barock herausarbeitet. Besonders interessant an diesem Diagramm ist nun, dass es selbst diese Bewegung wiederholt. Das gezeichnete Diagramm verlangsamt eine (metaphorische) Bewegung des Textes, es materialisiert sie auf der Fläche des gezeichneten Diagramms, um eine neue Bewegung, eine neue Denkfigur hervorzubringen.110 Diese ist neu, da sie zwei Bewegungen (der beiden Metaphern) zusammen zeichnet und so einen Übergang von der Extensivität zur Intensivität der Falten bahnt, der gedacht werden muss und damit den Fortgang des Buches bestimmt. Die Funktion dieses Diagramms besteht also nicht in der Repräsentation, sondern in der Intervention. Diese transzendiert den Text nicht, sie entfaltet vielmehr einen immanenten Zusammenhang, der nichts aufhebt und nichts suspendiert, vielmehr den Zusammenhang von allem mit allem auslotet. Diesen Gesamtzusammenhang der impliziten Bewegungen eines Textes, die seine Metaphern, Begriffe und gezeichneten Diagramme vorstrukturieren, beschreibt der Begriff des virtuellen Denkdiagramms. Genau wie das virtuelle Denkdiagramm besteht auch das aktuelle Denkdiagramm aus Bewegungen, die es aufnimmt, moduliert und zu einer Strukturierung verfügt. Das aktuelle Denkdiagramm neigt jedoch eher zur Verfestigung von Relationen, während das virtuelle Denkdiagramm selbst beweglich bleibt. Jedoch kann auch das gezeichnete Diagramm anders gesehen werden, auf andere Zusammenhänge bezogen werden, in andere Taktiken eingebunden sein. Anhand der gezeichneten Diagramme von Deleuze konnte man nun sehen, dass, auch wenn Deleuze das an diesem Beispiel nicht theoretisiert hat, er auch dem Aktualen eine Kreativität unterstellt, von der aus das Virtuelle wieder erreicht werden kann.111 Im Zeichnen und Verzeichnen, im Figurieren, Defigurie-

110 Hier schließe ich an einen Gedanken von Krämer an, die betont, dass durch die Inskription aus einem (Buch-) Körper eine zweidimensionale Fläche wird. Ich möchte nun aber noch ergänzen, dass diese Fläche aus ihrer Prozessualität verstanden werden muss, wenn sie aus der Inskription entsteht und auch wieder in eine Denkbewegung übergeht. Siehe Krämer: Punkt, Strich, Fläche. Von der Schriftbildlichkeit zur Diagrammatik. 111 Ein Hinweis dazu kann in der »pragmatistischen Wende« gesehen werden, wenn man so will, die Deleuze zusammen mit Guattari seit den Tausend Plateaus vollzogen hat, indem die ontologische Perspektive um eine Analyse konkreter Handlungen

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ren und Refigurieren entfalten die Diagramme ein Potential der Variation, das auch wieder auf die Begriffe, sogar auf das virtuelle Denkdiagramm zurückwirkt und so eine neue Intervention in ein Wissensdiagramm, Deleuzes Bild des Denkens, verwirklichen kann. In Das Aktuelle und das Virtuelle nennt Deleuze diesen Prozess Kristallisation. Entgegen der Aktualisierung des Virtuellen im Aktuellen beschreibt sie den Prozess, in dem eine aktuelle Form oder Formation mit dem Prozess seiner Genese, dem Virtuellen, zusammenfällt und so dynamisiert wird, sich verändert. Die Metapher des Kristalls beschreibt hier eine aktuelle Formation, ohne Zentrum, die an ihren Grenzen wächst und so die Struktur der ganzen Formation auch über sich hinaus verändern kann. Deleuze ersetzt mit dem Begriff der Kristallisation den der Gegenverwirklichung112, der auch eine ethische Komponente besaß113, zugunsten einer Perspektive auf Formations- und Deformationsprozesse. In beiden Fällen geht es darum das Aktuelle mit dem Virtuellen zu verbinden. In der Gegenverwirklichung wird das Ereignis, das den aktuellen Zustand hervorgebracht hat, wieder erreicht und in seinen Effekten transformiert. In der Kristallisation wird eine aktuelle Form mit virtuellen Formationsprozessen verwickelt, was zur Veränderung der Form führt. Mit dem Begriff der Kristallisation schließt Deleuze an Gilbert Simondon an. Für Simondon beschreibt der Begriff einen transduktiven Prozess, also eine Bewegung der Formvariation von einem Material zu einem anderen Material. In seinem Buch über Individuation erläutert er diesen Prozess als Formgebung und Formannahme vom Unbelebten bis zum Belebten.114 Kristallisation meint dann die

ergänzt wird. Genau zu dieser Zeit tauchen auch die gezeichneten Diagramme in den Büchern auf und bilden Akte des Denkens, die auch auf die ontologischen Bestimmungen zurückwirken. Vgl. Zum Pragmatismus bei Deleuze: Rölli: A pragmatism of difference? Gilles Deleuze’s pragmatic move beyond structuralism. 112 Deleuze: Logik des Sinns, S. 188ff. Vgl. zum Begriff der Gegenverwirklichung auch Schaub: Gilles Deleuze im Wunderland. Zeit- als Ereignisphilosophie, S. 18f. 113 Vgl. Ott: Vom Mimen zum Nomaden. Lektüren des Literarischen im Werk von Gilles Deleuze, S. 74. Und auch Berreth: Schauspieler seiner eigenen Ereignisse werden – Zum Subjektbegriff in systemischen Aufstellungen und bei Deleuze, v.a. S. 35ff. 114 Simondon: L'Individuation á la lumière des notions de forme et d’information, S. 67-97. Einen Teil dieses Textes, der die Habilitation von Simondon darstellt, hat Deleuze sehr emphatisch rezensiert. Siehe: Deleuze: Gilbert Simondon, Das Individuum und seine physikobiologische Genese. Vgl. zum Wechselspiel von Formgabe und Formannahme weiterhin auch den Begriff der Plastizität bei Malabou: Dialektik

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Strukturierung eines nicht unstrukturierten, sondern »metastabilen« Feldes: ausgehend von einem strukturierenden Keim werden Verfestigungen in anderen Bereichen erzeugt, die jedoch immer auch wieder in weniger geformte Zustände zurückfallen und neu kristallisieren.115 Simondon geht es also immer darum, materiale Formen und deren Verflüssigung sowie Übergänge von Formungen auf andere Formen zu beschreiben, und damit die Unterscheidung von Form und ungeformtem Stoff zu unterlaufen. Deleuze nun benutzt den Begriff, um aktuale Formen so zu beschreiben, dass sie mit ihrem virtuellen Doppel verwickelt werden können, was zu aktualen Formveränderungen führt. Ihn interessiert damit vor allem der Übergang vom materialisierten Aktualen zum Virtuellen. Die gezeichneten Diagramme Deleuzes können nun als Kristallisationen beschrieben werden, wenn sie das aktuelle Diagramm mit dem virtuellen Diagramm in Kontakt bringen, indem das aktuelle Diagramm eine Denkfigur hervorbringt, die vom virtuellen Denkdiagramm wiederholt wird und dieses so in Bewegung versetzt. Am Beispiel des »barocken Hauses« hat Deleuze zwei Metaphern von Leibniz aufgenommen, die als Gegensatz gelesen werden können, um sie im Zeichnen zu verbinden. Das ergab jene Denkfigur, die über die extensiven Falten zu den intensiven Falten überging. Diese Denkfigur richtet sich nun gegen Descartes’ Denkdiagramm, das über den Mangel und den Ausschluss den Bereich des Geistigen vor dem Bereich des Körperlichen favorisierte, und von ihm aus den Modus und die Struktur von Körpern bestimmte. Deleuze beginnt nun bei der materialen Fülle von Faltungen, aus denen sich das Charakteristikum des Barock, der Begriff der Falte bildet. Der erste Teil des Buches wird nun von den Faltungen der Materie zu den Falten der Seele übergehen, um zu bestimmen, was barock ist. Im zweiten Teil analysiert er die seelischen Faltungen ausgehend von Leibniz‘ Begriff der Monade mit besonderer Beachtung des zureichenden Grundes, wie auch der Prädikation. Abschließend im dritten Teil geht es um den Zusammenhang von Körpern und Seelen, die Übergänge vom einen zum anderen mit dem Ausblick auf eine Nomadologie, die weniger am Modell des festen Hauses ausgerichtet ist als am nomadischen Leben. Zentral für die Bestimmung des Charakteristikum des Barock ist der Begriff der Falte, der die Denkfiguren des neuen Denkdiagramms in sich zusammenbringt und diese Bewegungen verteilt auf die Bestimmung anderer Begriffe:

und Dekonstruktion: ein neues »Moment«, und: Malabou: Ontologie des Akzidentellen. Essay zur zerstörerischen Plastizität. 115 Siehe auch Simondon: Form, Information, Potentiale. Ich danke Michael Cuntz für diesen Hinweis.

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Monade, Seele, Prädikat, Körper… Die Falte bildet nun aber keinen Umbruch oder Neuanfang, Deleuze sagt: »Er [der Barock] erfindet die Sache nicht neu: es gibt die vielen aus dem Orient stammenden Falten, die griechischen, römischen, romanischen, gotischen, klassischen usw. Falten. Sondern er krümmt die Falten um und um, treibt sie ins Unendliche, Falte auf Falte, Falte nach Falte. Die ins Unendliche gehende Falte ist das Charakteristikum des Barock. Und zunächst differenziert er sie nach zwei Richtungen, nach zwei Unendlichen, wie wenn das Unendliche zwei Etagen besäße: die Faltungen der Materie und die Falten in der Seele.«116

Deshalb beschreibt Deleuze den Barock auch nicht als Essentialismus, sondern als Manierismus, da es sich um eine Weise handelt, mit den Falten umzugehen. Später wird Deleuze den Manierismus bei Leibniz auch vom Essentialismus bei Descartes absetzen.117 Während der Essentialismus ein festes Attribut für die Substanz behauptet, so ist der Manierismus flüssiger, »die Spontanität der Weisen ersetzt darin die Wesentlichkeit des Attributs.«118 Der Begriff der Falte bezieht sich also auf keine Wesenheit, sondern auf unterschiedliche Bewegungen, die er in sich birgt und damit die festen Identitäten dynamisiert. Damit wird er mit dem Ausdruck vergleichbar, der auch etwas Drittes zu den Binaritäten in Beziehung bringt und sie in Bewegung versetzt. An einer Stelle wiederholt sich sogar eine Formulierung aus dem Buch über Spinoza: »Explizieren – Implizieren – Komplizieren bilden die Triade der Falte, je nach den Variationen des Vielfältig-Einen.«119 Diese triadische Struktur wird nun auch das Leibnizbuch bestimmen und die Gegensätze mit ihrer Genese, dem Virtuellen in Kontakt bringen und sie so verschieben, variieren. Der Begriff der Falte verweist somit zuerst einmal auf einen Zwischenraum zwischen zwei Komplexen – der so auch erst im Zeichnen aufgetaucht ist. Zwischen den körperlichen Falten und den seelischen Falten gibt es die Zwischenfalte, oder Zwiefaltung, wie man mit Heidegger sagen könnte, eine »Zwischen-Zwei«120, von der aus sich die anderen Falten ergeben. Hier ist sie eine Bewegung, aus der die beiden Komplexe hervorgehen und in Zusammenhang gebracht werden. Diese Bewegung ist aber nicht stabil, sondern wird selbst umgefaltet, abgeknickt, umgeleitet. Deshalb ist Entfalten für Deleuze auch nicht

116 Deleuze: Die Falte, S. 11. 117 Ebd., S. 91, 95, 97. 118 Ebd., S. 95. 119 Ebd., S. 44. 120 Ebd., S. 24.

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der Gegenbegriff zu Falten, sondern meint die Entwicklung, das Weitertreiben und auch das Umlenken der Bewegung der Falte.121 Diesen Zusammenhang erläutert Deleuze anhand der Inflexion. Die Inflexion meint hier eine Beugung oder Biegung, die Änderung der Richtung einer Bewegung aus einer inneren Kraft heraus. Deleuze führt sie mit Paul Klee ein und richtet sie gegen den »Cartesianer Wassily Kandinski, für den die Winkel hart sind, der Punkt hart ist, durch eine äußere Kraft in Bewegung gebracht. Für Klee dagegen durchläuft der Punkt als »nichtbegrifflicher Begriff des NichtGegensatzes« eine Inflexion.«122 Die Inflexion ist hier die Beugung einer Bewegung aus einer inneren Kraft heraus. Anhand eines Schemas von Bernard Cache führt Deleuze diese Umkehrung einer Bewegung vor und bezieht sie auf den Spitzbogen. Der Spitzbogen ergibt sich aus der Umkehrung einer Beugung, einer Bewegung und deren Umklappung. Dieses Element kombiniert mit der Umkehrung dieser Bewegung ergibt die gotische Skandierung (Abb. 11). Abbildung 11: Faltungen bei Klee und Cache

Quelle: Deleuze, Gilles: Die Falte. Leibniz und der Barock, S. 30f.

121 Deleuze: Die Falte, S. 152: Das »Entfalten [ist] niemals das Gegenteil der Falte, sondern die Bewegung, die von den einen zu den anderen geht.« 122 Ebd., S. 29.

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Die Inflexion bezieht sich damit immer auf die virtuelle Weiterführung einer Bewegung und deren Abweichung: »So ist die Inflexion das reine Ereignis der Linie oder des Punktes, das Virtuelle, die Idealität par excellence.«123 Als Virtuelles bildet sie den zureichenden Grund allen Seins. Der Grund wird nun aber als Mitte oder Übergang zweier Komplexe gefasst, aus dem heraus sich die beiden Bereiche strukturieren. Die Denkfigur des »barocken Hauses« hat dann die Richtung vorgegeben. Die materialen Falten werden virtuell verlängert, umgebogen, abgelenkt und so auf die seelischen Falten gerichtet. Damit geht Deleuze immer von der Fülle der Falten aus, nicht von einem Mangel, wenn er konkrete Faltungen beschreibt, sie aber umformt und transformiert. Aber es können auch in den Seelen neue Faltungen auftauchen, die dann von den Falten der Materie verdoppelt werden. Deleuze unterstellt hier, wie bereits bei Spinoza, keine gegenseitige Verursachung der beiden Bereiche, sondern einen Parallelismus, der durch den zureichenden Grund, die Falte, dynamisiert wird. Da die Falte nun als Bewegung, reine Veränderung, als das Virtuelle par excellence gedacht wird, aktualisiert sie sich auch in veränderten Begriffen. So bezeichnet bspw. der Begriff des Gegenstandes wie auch der Begriff des Subjekts keine festen, stabilen Formen mehr im Barock. Wenn die Falte alles mit allem faltet, diese Faltungen entfaltet und so neue Bewegungen ermöglicht, dann ist der Gegenstand auch keine feste Form mehr, sondern reine Funktionalität. Deleuze schlägt vor: »Nennen wir diesen neuen Gegenstand Objektil. Wie Bernhard Cache zeigt, ist das eine sehr moderne Konzeption des technologischen Gegenstands: sie verweist nicht mehr auf die Anfänge des industriellen Zeitalters, als die Idee des Standards noch einen Schein an Wesen wahrte und ein Gesetz der Konstanz auferlegte (»von den Massen und für die Massen produzierter Gegenstand«), sondern auf unsere heutige Situation, wo die Fluktuation der Norm die Permanenz eines Gesetzes ersetzt, sobald der Gegenstand durch Variation seinen Platz in einem Kontinuum einnimmt, sobald Produktionstechnik oder numerisch gesteuerte Maschinen die Prägung ersetzen.«124

Der neue Gegenstand des Barock partizipiert nicht an einem Wesen, sondern an der Fluktuation, die von der Faltung ausgeht. Man merkt hier bereits, dass der Barock für Deleuze nicht an eine Epoche gebunden ist, vielmehr macht er Übergänge auf bis in die Gegenwart, denn, wie wir später sehen werden, ist der Manierismus des Barock für Deleuze niemals abgeschlossen und sogar ein Pro-

123 Deleuze: Die Falte, S. 30. 124 Ebd., S. 35.

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jekt für die Gegenwart. Dem Begriff des Objektils folgt nun auch ein neuer Begriff des Subjekts, das Deleuze Subjektil125 nennen wird. Deleuze wird auch hier »von der Welt zum Einschluss in den Subjekten«126 übergehen, da sonst die Metaphern vom Gesichtspunkt und Spiegel bei Leibniz, wie Deleuze ausführt, jeden Sinn verlören. Denn das Subjekt spiegelt die Welt bei Leibniz bzw. verharrt in einem Gesichtspunkt auf einen Bezirk der Welt. Da aber die Welt und deren Objektile an der Fluktuation der Faltung partizipieren, wird auch das Subjekt beweglich, indem es von der Variation erfasst wird. Den Übergang von den Objektilen zu den Subjektilen schafft Deleuze durch die Konstruktion einer Nähe von Inflexion und Prädikation. Für Leibniz sind die Subjekte durch ihre Prädikate gekennzeichnet: Adam ist der, der sündigt. Sextus der, der Lukrezia vergewaltigt. Der Begriff Adams schließt nun das Prädikat sündigen ein und drückt sich in diesem Prädikat aus. Das Prädikat ist für Deleuze aber keine Eigenschaft oder eine Zustandsbeschreibung, sondern ein Ereignis, das dem Subjekt widerfährt und dass seine Spezifik ausmacht. In welchem Sinne Deleuze hier von Ereignisprädikaten redet, erklärt sich über die Inflexion. Das Prädikat drückt eine Bewegung aus, die sich in der Welt findet, verlängert diese aber auf eine ganz bestimmte Weise. Die spezifische Bewegung, ihre Abweichung und deren Verlängerung ist das Prädikat, in dessen Gesichtspunkt das Subjekt verharrt, das es spiegelt. »Man geht von der Welt als einer Reihe von Inflexionen oder Ereignissen aus: sie ist eine reine Emission von Singularitäten. Nehmen wir zum Beispiel diese drei Singularitäten: erster Mensch sein, in einem Garten der Lüste leben, eine Frau haben, die aus der eigenen Rippe stammt. Und dann eine vierte: sündigen. Solche Ereignis-Singularitäten stehen mit »gewöhnlichen« oder »regelmäßigen« […] im Verhältnis. Eine Singularität ist von einer Wolke gewöhnlicher oder regelmäßiger Singularitäten umgeben, und man kann sagen, dass alles bemerkenswert oder singulär ist, insofern man überall eine Inflexion durchgehen lassen kann, die einen singulären Punkt aufrichtet.«127

Adams gewöhnliche Singularitäten, so gewöhnlich wie das eben bei Adam sein kann, sind die ersten drei: der erste Mensch sein, in einem Garten der Lüste leben, eine Frau haben. Aber die vierte Singularität ist das Ereignis, das die ande-

125 Den Begriff des Subjektils verwendet auch Derrida zur Beschreibung von Antonin Artauds Zeichnungen, wobei Subjektil hier den Malgrund bezeichnet, der von Artaud durchstoßen wird. Vgl. Derrida: Das Subjektil entsinnen. 126 Deleuze: Die Falte, S. 46. 127 Ebd., S. 101.

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ren Singularitäten durchkreuzt und so das ganze Subjekt, Adam, verändert. Dass das Subjekt von diesen Ereignisprädikaten mitgezogen wird, bildet einen großen Unterschied zu Descartes, den Deleuze herausstellt. Er betrifft die Perzeption, die bei den Cartesianern den Gegenstand repräsentiert, bei einem Leibnizianer jedoch einen Impuls, eine Ablenkung, eine Umkehrung einer Bewegung ausdrückt: »Die Cartesianer behaupteten einen Geometrismus der Perzeption, bei dem die klare und deutliche Perzeption allerdings geeignet war, die Ausdehnung zu repräsentieren. Die dunklen und verworrenen Perzeptionen dagegen operieren nur als konventionelle Zeichen, welche der Repräsentativität, also der Ähnlichkeit, entkleidet sind. Der Gesichtspunkt von Leibniz ist ein gänzlich anderer, wie es bei ihm auch weder dieselbe Geometrie noch denselben Status der Ähnlichkeit gibt. Es sind die sinnlichen Qualitäten als verworrene oder sogar dunkle Perzeptionen, die, dank einer projektiven Geometrie, einem Ding ähneln und die von daher »natürlichen Zeichen« sind. Und das, dem sie ähneln, ist weder die Ausdehnung noch auch die Bewegung, sondern die Materie in der Ausdehnung, die Schwingungen, Spannkräfte, »Tendenzen oder Anstrengungen« in der Bewegung.«128

Diese Tendenzen, Schwingungen, Ablenkungen usw. bilden nun für Leibniz die Welt. Diese Welt ist dunkel in den Monaden enthalten und sie drücken nur einen kleinen Teil davon klar aus: Adam drückt das Sündigen klar aus. Der körperliche Ausdruck der Monade ist der geistigen Perzeption parallel. Die Welt ist dann der Ort der Falten, zwischen den Seelen und den Körpern, der Ort, aus dem die beiden Bereiche ihre Dynamik erhalten, die sie ausdrücken. Unsere Welt ist die beste aller möglichen Welten, so Deleuze, da sie diejenige ist, die sich aktualisiert. Sie ist nicht gut, sondern die beste, da sie die gute Form, den wohlgeformten Körper oder die gut ausgestattete Seele, in Bewegung versetzt und variiert. Die beste aller möglichen Welten ist dann die »Welt im Fortschreiten«129. Subjektile und Objektile sind nun nur zwei Begriffsschöpfungen, die sich aus der Analyse konkreter Faltungen und deren Inflexionen für Deleuze ergeben. Das ist das Besondere an diesem Buch: Man kann hier von einem Schema von Cache, über die Mathematik der Inflexion hin zu einer Diskussion eines philosophischen Begriffs gelangen: Eine Falte auffinden, sie entfalten und wieder falten. Alain Badiou hat einen für unsere Zwecke sehr guten Text über Die Falte geschrieben, indem er selbst als Cartesianer auftritt und versucht, Deleuzes Buch zusammenzufassen und sich dazu zu positionieren. Der Cartesianer findet hier

128 Deleuze: Die Falte, S. 157. 129 Ebd., S. 125. Siehe dazu auch Ebd., S. 103f., 131.

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vor allem drei Punkte bemerkenswert. Deleuzes Konzeption des Mannigfaltigen, den Begriff des Ereignisses und den des Subjekts. Alle Punkte markieren einen Unterschied zum Cartesianismus. Den Begriff der Ereignisprädikate und den des Subjektils habe ich oben schon besprochen. Konzentrieren wir uns also nun auf den des Mannigfaltigen: Badiou liest nun sehr genau und bemerkt sofort, dass das Mannigfaltige für Deleuze keine Menge von Punkten ist, sondern das, was vielfach gefaltet ist: »kaum hat man die ersten zwanzig Zeilen gelesen, stößt man auf den folgenden Satz: ›Mannigfaltig ist etwas, das nicht nur viele Teile hat, sondern vor allem vielfach gefaltet ist.‹ (5) Man könnte versucht sein, einzuwenden, dass ein Mannigfaltiges nicht aus Teilen, sondern aus Elementen besteht.«130

Deleuze entgegnet nun dem Cartesianer, dass die Welt nicht analytisch in Punkte, Linien und Flächen zerlegbar ist, sondern immer schon aus Synthetisierungen der Elemente in Figuren besteht: »Die Einheit der Materie, das kleinste labyrinthische Element, ist die Falte, nicht der Punkt, der nie ein Teil, sondern immer nur das einfache Ende einer Linie ist.«131 Während der Cartesianer nun einen Grundbaustein sucht, von dem aus sich alles zusammensetzen lässt, ist die Falte für Deleuze das kleinstmögliche Element. Die Falte ist auch kein Grundelement, vielmehr lässt sie keine festen Elemente und Oppositionen bestehen, sie entdeckt dagegen Figurationen, verlängert sie bis hin zu deren De- und Refiguration. Dennoch findet der Cartesianer Badiou die Bestimmung des Punktes beim Leibnizianer Deleuze. »Aber wir müssen sogleich hinzufügen, dass Leibniz-Deleuze zwischen mindestens drei Arten von Punkten unterscheidet: dem materiellen, physischen Faltungspunkt, der ›elastisch oder plastisch‹ ist; dem Punkt der Mathematik, der einerseits reine Konvention (sofern er als Randpunkt einer Strecke betrachtet wird), andererseits ›Situs, Brennpunkt, Ort, Schnittpunkt von Krümmungsvektoren‹ ist; und drittens dem metaphysischen Punkt, der Seele oder dem Subjekt, der den Gesichtspunkt (die Position) besetzt, den der mathematische Punkt im Gewebe der Faltungspunkte anzeigt. Wir müssen also zwischen ›Inflexionspunkten, Positionspunkten und Inklusionspunkten‹ (32) unterscheiden.«132

130 Badiou: Deleuze, Leser von Leibniz, S. 135. 131 Deleuze: Die Falte, S. 16. 132 Badiou: Deleuze, Leser von Leibniz, S. 136.

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Badiou fällt gleich auf, dass diese Punkte zwar bei Deleuze unterscheidbar, aber nicht unabhängig voneinander bestimmbar sind. Sie bilden bereits Figurationen, die aufeinander verweisen, die ineinander verschlungen sind und keinen wirklichen Anfang bilden. Deshalb schließt Badiou, »dass die Philosophie für Deleuze weniger Inferenz als Erzählung ist.«133 Denn Deleuze philosophiert nicht mit der Geste des Umsturzes oder des Neuanfangs, da das den Mangel voraussetzen und in die Bestimmung des Seins integrieren würde. Deleuze beginnt in der Mitte, wie das bereits erwähnte Diktum lautet, inmitten der Fülle des Seins richtet er sich ein, beschreibt die Formungen und Verformungen und konstruiert seine Begriffe von diesen reichen Beschreibungen aus. Auch das ist ein Grund für die oft ungewöhnlichen Begriffe bei Deleuze, da er sie nicht ausschließlich aus der Philosophiegeschichte gewinnt, sondern aus der konkreten Beschreibung – was aber nicht ausschließt, dass sie sich an philosophischen Problemen abarbeiten. Ein klassisches philosophisches Problem, dass auch Badiou erläutert, ist dasjenige des Einen und des Vielen und deren Beziehung zueinander. Wenn das Mannigfaltige nun selbst aus Einheiten besteht, den Falten, und auch das Eine beständig gefaltet und damit mannigfaltig wird, dann löst Deleuze hier den Gegensatz in die »Quasiverhältnisse Eines/Eines und Vieles/Vieles«134 auf. Diese Verhältnisse müssen nun beschrieben werden, denn »sie können weder deduziert noch aus einer Axiomatik oder einer anderen anfänglichen Entscheidung gefolgert werden.«135 So werden die gewöhnlichen Gegensätze verkompliziert zugunsten einer hell-dunklen, graduellen Beschreibung. Denn für Deleuze gibt es nicht mehr den Gegensatz klar und dunkel, mit Leibniz gibt es hier immer Grade dessen, was die Monade nur dunkel und was sie klar ausdrückt. Es gibt keine reinen Zustände mehr, wenn es überall Partizipationen gibt, über unbewusste Mikroperzeptionen, die jede klare Perzeption begleiten. Badiou notiert: »Diese Methode ist typisch für Leibniz, Bergson und Deleuze. Sie verrät eine subjektive, im Aussageakt angelegte Aversion gegen das ideale Thema des Klaren, das von Platon (der als Sonne gedachten Idee) bis zu Descartes (der klaren Idee) reicht und zugleich Metapher für einen bestimmten Begriff des Vielen ist – jener Begriff, der besagt, dass die Elemente, durch die es gebildet wird, sich von Rechts wegen ungetrübt dem Denken darbieten und dieses sie nach ihrer Zugehörigkeit unterscheiden kann.«136

133 Badiou: Deleuze, Leser von Leibniz, S. 137. 134 Ebd. 135 Ebd. 136 Ebd., S. 138.

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Es geht Deleuze, wie Badiou bemerkt, aber nicht darum gegen die Figur des Klaren nun das Dunkle zu beschwören. Er variiert eher den Gegensatz von klar und dunkel, indem er die Figur der Klarheit verschiebt: ›das, was ich klar einsehe, ist‹, hin zu: ›wenn ich sehe, nehme ich immer Nuancen wahr, deren Variation ich halluziniere‹. Halluzinieren, oder wie Leibniz es sagt, Perzipieren drückt die Welt, die in der Monade ist, zuallererst aus, meint hier, dass die Welt nicht aus meiner Einsicht hervorgeht (wie bei Descartes), sondern, dass die Welt der Einsicht vorausgeht. Die Welt ist hell-dunkel, deshalb sind auch unsere Wahrnehmungen der Welt nuanciert. Badiou schließt die Überlegungen über das Mannigfaltige bei Deleuze ab, indem er einen alten Gegensatz wiederbelebt, der den Unterschied zwischen dem mathematischen, auf Punkten aufbauenden Denken des Anfangs und demjenigen der Zusammensetzungen und Mischverhältnisse ausdrücken soll: »In der Tat gab es immer nur zwei Schemata oder Paradigmata des Mannigfaltigen, das mathematische und das organizistische, Platon oder Aristoteles. Der Menge die Falte oder Descartes Leibniz entgegensetzen, heißt das organizistische Schema wiederbeleben.«137

Die Alternative, die Badiou stellt, ist kurz gefasst die Folgende: »Tier oder Zahl: das ist die crux der Metaphysik.«138 Damit wechselt er jedoch die Metapher, womit er Deleuze unrecht tut. Denn das Tier ist sterblich, liegt für Badiou sogar schon im Sterben, wenn man seine letzten Sätze liest: »wir können uns von diesem Ineinander nur trennen um den Preis des Untergangs. Aber es ist zugleich dasjenige, an dem wir zugrunde gehen, wenn wir sorglos uns mit ihm zufrieden geben.«139 Auch wenn Deleuze mit Leibniz vom Organischen redet, so unterschlägt Badiou, dass er genauso auch das Anorganische in Anschlag bringt. Das Anorganische ist für Deleuze nicht belebt, nur weil es bewegt ist und sich verändert. Vor allem ist es nicht teleologisch gedacht, sondern besteht in der Variation ohne Ziel oder Zweck. Der zentrale Begriff schließlich, die Falte, ist auch keine rein organische Metapher, sondern ein Formbegriff, der die Variation mit einschließt. Insofern ist bei Deleuze nicht alles organisch, vielmehr ist selbst das Organische gefaltet. Überall Faltungen und Entfaltungen zu sehen, das heißt, Bewegungen, deren Verlängerungen und ihre Ablenkungen beschreiben. Desweiteren muss man zei-

137 Badiou: Deleuze, Leser von Leibniz, S. 139. 138 Ebd. 139 Ebd., S. 161.

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gen, zu welchen Figuren sich die Bewegungen zusammenschließen und wie sie sich material ausdrücken. Von diesen Materialisierungen geht Deleuze dann auch wieder auf die Figuren und deren Bewegungen zurück. Das ist der ganze Zirkel von Aktualisierung und Kristallisation. Wie Joe Hughes beschrieben hat, funktioniert dieser nur, weil Deleuze nicht nur das Aktuelle und das Virtuelle denkt, sondern das Virtuelle nur eine Passage auf dem Weg zu den unverbundenen Singularitäten ist, wie bspw. im Foucault-Diagramm. Damit haben wir eine Ebene der unverbundenen Singularitäten, deren Realisierung im Virtuellen und die Aktualisierung des Virtuellen im Aktuellen. Die Singularitäten sind nun keine Elemente, sondern Faltepunkte, bereits Figuren, die sich im Virtuellen stabilisieren und dann in festen Formen aktualisieren. Deleuzes Begriffe sind hier die statische und die dynamische Genese. Während die statische Genese nur die Aktualisierung des Virtuellen im Aktuellen bezeichnet, so besteht umgekehrt die dynamische Genese in der Verbindung des Virtuellen mit den reinen Singularitäten.140 Dies gelingt nur vom Aktuellen aus, wenn sich ein neues aktuelles Diagramm ergeben hat, das sein virtuelles Doppel mitreißt und es so auf neue, noch unverbundene Singularitäten treffen lässt. Der wohl schwierigste Begriff nicht nur bei Leibniz, sondern auch bei Deleuze ist der des vinculum. Aber da er genau ins Zentrum unserer Untersuchung führt, müssen wir ihn, dieses Kapitel abschließend, zumindest in seinen Grundzügen bestimmen. Denn er zeigt, dass die Welt der Faltungen für Deleuze keine organische ist, wie Badiou behauptet, sondern eine diagrammatische. Das vinculum ist nun ein Begriff, der die Einheit des Körpers der Monade garantieren soll, da er ja keine eigene Substanz ist, andererseits die Monade reine Innerlichkeit ist, weshalb sie den Körper, ihr Außen, nicht umschließen oder zusammenhalten kann. Der ganze Punkt, den Deleuze macht, besteht darin, dass die Monade nicht den Körper hervorbringt. Jede Monade hat einen Körper, der untrennbar von ihr ist. Die Einheit des Körpers wird bereitgestellt durch die Organisation der Monaden. Das vinculum bildet schließlich das Band, dass die herrschenden Monaden (diejenigen, die einen größeren Bezirk klar ausdrücken) und die beherrschten Monaden, Monaden und Untermonaden verbindet. Wenn ein Komplex A sich zusammensetzt aus den Elementen BCD, dann ist es das vinculum, das die spezifische Anordnung von BCD so festlegt, dass sie den Komplex A ergibt. Da jede Monade immer ihren Körper hat, setzt sich so der Körper A zusammen.

140 Hughes: Deleuze and the Geneses of Representation, S. 103f. Die Begriffe der »statischen und dynamischen Genese« finden sich bei Deleuze auch schon früher, vgl: Deleuze: Logik des Sinns, S. 143-161.

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Abbildung 12: Das vinculum

Quelle: Deleuze, Gilles: Die Falte. Leibniz und der Barock, S. 181.

Die Faltungen zeichnen für Deleuze keinen Weltorganismus aus, sondern die diagrammatische Verfasstheit der Welt. Wenn die Seelen den Körpern immanent sind, dann kann es nicht mehr darum gehen, wie die Seelen die Körper erschaffen, sondern wie sie sie vernetzen. Das ist der Einsatz des vinculum. Das vinculum bestimmt Proportionen und Anordnungen von Körpern zu einem größeren körperlichen Zusammenhang. Dabei ist das vinculum als Faltung verstanden selbst veränderlich. Taucht ein neuer Körper auf und geht in einen körperlichen Zusammenhang ein, kann sich der ganze Zusammenhang verändern und damit auch das vinculum. Aber auch durch eine neue Idee oder geistige Faltung variiert das vinculum die Anordnung von Körpern. Das vinculum ist insofern immanentes Diagramm körperlicher Anordnungen, was selbst (Deleuze schreibt hier Fluxion, siehe Abb. 12) variiert: Kein Organizismus der Falten, sondern eine Diagrammatik der Relationen. Deleuze beginnt also in der Mitte der Faltungen, untersucht Architektur, Mathematik, Metaphysik, ohne einen großen Umbruch zu setzen, neu anzufangen. Die Falte ist weiterhin keine Metapher, die ein bereits vollzogenes Denkdiagramm verfestigt und in einen anderen Bereich repräsentiert. Die Falte beschreibt eher Veränderungen, Variationen und Interventionen, ohne sich von ihnen abzuheben. Keine der Faltungen ist mangelhaft, auch ihr Durcheinander und ihre Ungeordnetheit bedürfen keines vereinheitlichenden Fundaments. Vielmehr bringt Deleuze sie in Kontakt, verlängert sie, lenkt sie ab, um so zu neuen Begriffen zu kommen, die ein Problem vielleicht besser fassen lassen. Gegen den Mangel wiederholt Deleuze die Denkfigur, die bereits im Spinoza-

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buch auftrat: Was formal unterschieden ist, ist ontologisch eins141, was real unterschieden ist, ist gleichzeitig untrennbar: Monaden und Körper befinden sich in einer Harmonie142. Was also qualitativ unterschieden werden kann, körperliche oder extensive Falten und seelische oder intensive Falten, ist ontologisch eins, beide partizipieren sie an der Zwischenfalte, den Faltungen der Welt. Dieser Zwischenbereich der intensiven-extensiven Falten, der Bewegungen und ihrer Ablenkungen, die einen Raum eröffnen und eine Strukturierung ermöglichen, das ist die Erfindung, die Deleuze mit Leibniz macht. Er schafft den Übergang und damit die Verbindung der beiden Bereiche. Zwischen beiden, der Seele und dem Körper, gibt es keine Beeinflussung, keine Interaktion, da beide real unterschieden sind, d.h. sie folgen anderen Gesetzen.143 Dennoch gibt es eine ideale Tätigkeit, die beide in Ursache/Wirkungs-Zusammenhänge setzt, jedoch nur insofern sie die eine Welt ausdrücken: die eine aktualisiert, die andere realisiert die Welt. Dabei drücken die beiden Bereiche aber nur einen kleinen Teil der Welt klar aus, den Rest verworren. Gerade diese verworrenen Teile sind es nun, die die gewöhnlichen Bewegungen ablenken, neue Figuren entstehen lassen, die sich dann auch wieder in dem anderen Bereich aktualisiert oder realisiert. Beide Etagen gehören dem einen Haus an, beide partizipieren an der veränderlichen Falte (Fluxion), die sie trennt und verbindet. Somit gibt es auch keine Repräsentation, kein Aufeinanderfalten oder Ausfalten, sondern den einen Prozess des Faltens und Entfaltens. Deleuze muss dann nicht erklären, wie aus dem unteren Geschoss das obere Geschoss entsteht oder umgekehrt. Sondern er zeigt, wie beide Geschosse an der Falte partizipieren und selbst Falten aktualisieren. Falten heißt dann niemals Kopieren, oder Abbilden, sondern eine Bewegung aufnehmen, sie ablenken und weiterleiten. Deleuze beendet das Buch über die Falte, indem er von der Monadologie zur Nomadologie übergeht. Denn im Fokussieren auf die Prozesse des Faltens und Entfaltens haben sich auch Dissonanzen ergeben, Brüche, die die Wohlgeordnetheit des Hauses, wie auch dessen harmonische Aufteilung der beiden Etagen fragwürdig erscheinen lassen. Eine Erweiterung des Bereichs der Falten verlangt auch nach neuen Perzeptionen: Vom Haus zum fahrenden Volk. Denn das Charakteristikum des Barock ist die Falte, nicht das Haus, die Denkfigur also, die jede feste Opposition mit sich reißt und gemäß dem vinculum neu anordnet. Im Barock geht es immer um Vermischungen von Materiellem und des Intelligiblem, die heute ununterscheidbar geworden sind:

141 Deleuze: Die Falte, S. 76. 142 Ebd, S. 176. 143 Ebd., S. 194.

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»Wir bleiben Leibnizianer, obwohl es nicht mehr die Zusammenklänge sind, die unsere Welt oder unseren Text ausdrücken. Wir entdecken neue Weisen zu falten und neue Hüllen, wir bleiben aber Leibnizianer, weil es immerzu darum geht zu falten, zu entfalten, wieder zu falten.«144

III.4 D IAGRAMMATIK

ALS

P RÄPHILOSOPHIE

Während die Beziehung Deleuzes zu Descartes bis dato in der Forschung kaum, und wenn, dann nur am Rande beleuchtet wurde, so konnte ich mit dem Verfahren der Diagrammatik aufzeigen, dass, über die wenigen expliziten Referenzen hinaus, Deleuze sich mit Descartes auf vielfältige Weise auseinandersetzt. Diese Auseinandersetzung hat sich bis hierher wie folgt dargestellt: 1. In Differenz und Wiederholung hat Deleuze in der Formulierung eines Bild des Denkens den für Descartes’ Philosophie charakteristischen Zusammenhang von Denkdiagramm und Wissensdiagramm herausgestellt145. Das Bild besteht aus dem Modell der Rekognition, wie es sich in Descartes’ Wachsbeispiel findet, und der Figur der Repräsentation, die die Struktur des Modells in andere Bereiche abbildet. In unserer Analyse Descartes’ ist das der Prozess der Verfestigung des cartesischen Denkdiagramms in seinem impliziten Wissensdiagramm und dessen Repräsentation in andere Bereiche. Von diesem Zusammenhang behauptet Deleuze, dass er auf die Philosophie Descartes’ zurückgeführt werden kann, und dass er von da aus ein Bild dessen abgegeben hat, was Denken ist. Dieses Bild des Denkens zeichnet Deleuze dann in seinen Wiederholungen in der Philosophie Kants, Hegels bis hin zu Heidegger und Bergson nach. Gegen das Bild des Denkens fordert Deleuze ein bildloses Denken, dass sich in seinem Begriff der Idee abzeichnet. Der Begriff der Idee, so konnte gezeigt werden, verweist auf einen Begriff des dynamischen Schemas bei Bergson. Er zeichnet den Begriff des Denkdiagramms vor, das dem Bild des Denkens unterliegt und versucht diese Ebene des Denkens wiederzufinden. Damit wird eine Auseinandersetzung mit Descartes ermöglicht, die nicht mehr in der Kritik des Wissensdiagramms besteht, sondern eine Variation des cartesischen Denkdiagramms fordert. 2. Neben der Formulierung einer »eigenen« Philosophie stehen in Deleuzes Werk Studien zur Geschichte der Philosophie. Hier widmet er einzelnen Den-

144 Deleuze: Die Falte, S. 226. 145 Siehe auch Kapitel II dieser Arbeit: »Das Projekt des Anfangs in der neuzeitlichen Philosophie: Descartes’ Denkdiagramm«.

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kern philosophische Portraits, die eine Entwicklung des Denkens von Deleuze nicht nur nicht ausschließen, sondern befördern. So wird Spinoza und das Problem des Ausdrucks oft gelesen als eine Explikation der Voraussetzungen des zeitgleich erschienen Differenz und Wiederholung. Meine These ist nun, dass Deleuze dies in dem Maße tut, wie er das Denken des Ausdrucks bei Spinoza als eine »anticartesische Reaktion« begreift und entwickelt. In der Lektüre dieses Buches sind wir von der Ebene des Bild des Denkens (Wissensdiagramm) zur Ebene des Denkdiagramms vorgedrungen und konnten zeigen, wie Deleuze Spinozas Philosophie als Variation des cartesischen Denkdiagramms profiliert. Dies gelingt ihm, indem er die Denkfiguren Descartes’ variiert: die des Mangels hin zur Fülle, die des Zweifels hin zum Parallelismus, die der Klarheit hin zur Adäquation, die der Repräsentation zur Intervention. Auf diese Weise änderten sich die von Descartes implizit entwickelten Unterscheidungen von zwei Substanzen, deren Hierarchisierung und auch die Zusammenführung beider. Auch der Weg von einem Denkdiagramm zu einem Wissensdiagramm mittels Repräsentation wurde zugunsten verschiedener Prozesse der Modulation und Intervention verstellt. 3. Sind wir in der Lektüre von Deleuzes Spinoza auf der Ebene des virtuellen Denkdiagramms, so gehen wir in Die Falte. Leibniz und der Barock auf die Ebene der aktuellen Denkdiagramme. In beiden Büchern wird das Projekt eines bildlosen Denkens verfolgt, das die Denkfiguren in ihrer Prozessualität vorführt und diese nicht auf repräsentierende Wissensdiagramme hin transzendiert. So wird im Buch über den Barock die Immanenz von Denkfiguren und gezeichneten Figuren behauptet und entwickelt, immer in der Perspektive auf eine Variation des cartesischen Denkdiagramms. Direkt zu Beginn findet sich ein von Deleuze gezeichnetes Denkdiagramm, das die Hierarchisierung Descartes’ von Denken und Dingen auf den Kopf stellt und eine Denkfigur eröffnet, die erlaubt von den Dingen zum Denken überzugehen. Diese Denkfigur präfiguriert das Vorgehen Deleuzes. In gezeichneten Figuren, Schemata und Diagrammen wie auch in aktuellen Faltungen bspw. der Architektur findet Deleuze eine Weise des Faltens, die auch für die Monaden, die Subjektile und die Seelen fruchtbar ist. So gewinnt Deleuze in der Verbindung von aktuellen Faltungen neue philosophische Begriffe. In diesem Vorgehen arbeitet sich Deleuze wiederum an den Denkfiguren Descartes’ ab, indem das Denkdiagramm, das an Spinoza entwickelt wurde, auch hier wieder mit kleinen Verschiebungen Anwendung findet. Die Konzeption, die mit Spinoza gegen Descartes entwickelt wurde, wird nun mit Leibniz und dem Barock rekonzeptualisiert und bildet so eine neue Konzeption. Das Von-der-Mitte-aus-Denken moduliert die Figur des Mangels, der Parallelismus den Zweifel, die Figur des Hell-Dunkels die Klarheit, die Faltung die Repräsen-

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tation. Neben der Variation des virtuellen cartesischen Denkdiagramms, tauchte in diesem Kapitel auch der Typus des gezeichneten Denkdiagramms auf, der nicht repräsentiert, sondern in einen Zusammenhang interveniert, indem er eine neue Denkfigur offenbart. Damit ist im Rahmen des deleuzeschen Denkdiagramms auch ein anderer Umgang mit gezeichneten Diagrammen möglich geworden, wenn sie ein Experimentierfeld der Denkbewegungen und Denkfiguren darstellen, die in den Text, in dem das Diagramm steht, intervenieren. In Was ist Philosophie? schließlich taucht Descartes 1991 ein letztes Mal an bedeutender Stelle im Werk von Deleuze auf.146 Der Text unterteilt sich in Haupttext und Beispiele, an denen der Haupttext entwickelt wird. Das erste Beispiel handelt von Descartes, und ab da werden auch andere Beispiele häufig in Auseinandersetzung mit Descartes entwickelt. Was ist hier passiert? Ist Descartes zum Paradebeispiel für Deleuzes Verständnis von Philosophie geworden? Ist Deleuze nun Cartesianer? Und welchen Sinn hätte es, von Deleuze als Cartesianer zu sprechen? Oder ist Descartes hier eher Deleuzianer geworden? Doch beginnen wir von vorn! Worum geht es in Deleuzes letztem Buch über Philosophie? In diesem Alterswerk fragen sich der Philosoph Gilles Deleuze und der Psychoanalytker-Philosoph Félix Guattari, was denn Philosophie eigentlich sei – ganz für sich betrachtet, aber auch im Unterschied zu Wissenschaft und Kunst, aber auch zur logischen Philosophie. Allen Disziplinen gemeinsam ist, dass sie sich mit dem Chaos auseinandersetzen müssen. Denn sie sind mit überlieferten Begriffen, Meinungen und Klischees übervölkert, deren Voraussetzungen sie nicht einsehen. Die Voraussetzungen zu kontrollieren, bedeutet, hinter diese Verfestigungen zurückzugehen und die chaotischen ungeordneten Bewegungen wiederzufinden. Doch ist dies kein Plädoyer für das Chaos, vielmehr ist allen gemein, dass sie aus dem Chaos auch wieder auftauchen müssen, indem sie eine Ebene aus diesem herausschneiden. So werden Konstellationen von Bewegungen verfestigt und ein Boden für die jeweilige Aktivität geschaffen. Die Kunst entwirft eine Ebene der Komposition, auf denen sie Affekte (Komplexe von Gemütsbewegungen) und Perzepte (Wahrnehmungsordnungen) anordnet. Die Wissenschaft errichtet eine Referenzebene, auf denen sie Funktive (eine Konstellation von Elementen, die eine Referenz ausdrücken) ansiedelt. Schließlich die

146 Bereits 1986 erscheint noch ein Text von Deleuze, in dem das Cogito Descartes’ auftaucht. Diese Analyse des Cogito und seiner Zeitlichkeit bei Descartes, Kant und Rimbaud geht jedoch vollständig in derjenigen von Was ist Philosophie? auf und muss deshalb hier nicht gesondert diskutiert werden. Vgl. Deleuze: Über vier Dichterformeln, die die Philosophie Kants zusammenfassen könnten, S. 43f.

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Philosophie bringt eine Immanenzebene hervor, die von Begriffen bevölkert wird. Allen ist gemeinsam, dass sie dem Chaos eine Ebene abtrotzen. Sie unterscheiden sich jedoch mit Blick auf ihre Hervorbringungen auf dieser Ebene. Damit entwerfen sie alle Denkdiagramme, mit ihren Aspekten der Affektion, der Konzeption und der Perzeption, jedoch entwickeln sie vor allem einen Aspekt, die Kunst die Affekte und Perzepte, die Philosophie die Konzepte, also Begriffe. Die Wissenschaft verbindet die Aspekte mit einer Referenz und sie gipfelt in der Erschaffung von Wissensdiagrammen, wenn sie Perzeptionen mit einer Referenz koppelt. Sache der Philosophie sind nun die Begriffe. Die philosophische Tätigkeit wird wie folgt definiert: »Die Philosophie ist die Kunst der Bildung, Erfindung, Herstellung von Begriffen.«147 Philosophie findet die Begriffe also nicht vor, sie muss sie produzieren.148 Wissenschaften, Künste und Philosophie sind alle schöpferisch, wobei nur die Philosophie Begriffe erschafft. Eine Begriffsschöpfung trägt immer die Signatur dessen, der sie erschaffen hat. Die prototypische Begriffserfindung wird nun Descartes zugestanden, andere Begriffe werden daran gemessen. Gleich das erste Beispiel widmet sich dem Cogito. »Zunächst müssen die vorangehenden Analysen mit dem Beispiel eines signierten philosophischen Begriffs belegt werden, der zu den bekanntesten gehört, mit dem Beispiel des kartesianischen Cogito nämlich, das Ego bei Descartes: eines Begriffs vom Ich. Dieser Begriff besitzt drei Komponenten, Zweifeln, Denken, Sein (woraus man nicht schließen sollte, daß jeder Begriff dreigliedrig ist). Die Gesamtaussage des Begriffs als Mannigfaltigkeit lautet: Ich denke, ›also‹ bin ich, oder noch vollständiger: Ich, der ich zweifle, ich denke, ich bin, ich bin ein Ding, das denkt. Dies ist das stets wiederholte Ereignis des Denkens, wie es von Descartes gesehen wird.«149

Deleuze und Guattari führen das Cogito nicht nur als Begriffserfindung ein, sondern auch als gezeichnetes Diagramm. Das Diagramm (Abb. 13) fasst die Bewegungen des Cogito zusammen und wird wie folgt kommentiert: »Der Begriff verdichtet sich im Punkt I, der alle Komponenten durchläuft und in dem I'Zweifeln, I''-Denken, I'''-Sein zusammenfallen. Als intensive Ordinaten versammeln sich die Komponenten in Nachbarschafts- und Ununterscheidbarkeitszonen, die den Übergang einer zur anderen gewährleisten und ihre Untrennbarkeit konstituieren: Eine erste Zone

147 Deleuze/Guattari: Was ist Philosophie?, S. 6. 148 Ebd., S. 12: »Begriffe erschaffen heißt zumindest, etwas tun.« 149 Ebd., S. 32.

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liegt zwischen Zweifeln und Denken (ich, der ich denke, ich kann nicht daran zweifeln , daß ich denke), die zweite zwischen Denken und Sein (man muß sein, um denken zu können). Die Komponenten präsentieren sich hier als Verben, was aber keine Regel darstellt, es genügt, daß dies Variationen sind.«150

Abbildung 13: Das Diagramm des Cogito

Quelle: Deleuze, Gilles; Guattari, Félix: Was ist Philosophie?, S. 32f.

Ein Begriff ist für Deleuze/Guattari niemals einfach, sondern besteht immer aus Komponenten. Diese Komponenten verfügt der Begriff zu einem Ganzen, sie sind dann untrennbar: qualitativ aber nicht numerisch unterschieden, so wie die Attribute Spinozas.151 Der Begriff bindet unterschiedliche Komponenten zu150 Deleuze/Guattari: Was ist Philosophie?, S. 32f. 151 Vgl. hierzu auch folgende Aussage: Dem Begriff ist eigen, dass »er die Komponenten in ihm unzertrennbar macht: deutlich geschieden, heterogen und dennoch nicht voneinander trennbar«. Ebd., S. 26.

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sammen und »durchläuft« sie in einer Bewegung. Dabei ändert sich das I zu I' usw., die Bewegung durch die Komponenten hindurch macht das Ich selbst zu einer Bewegung, was seine Veränderung mit einschließt: Deleuze und Guattari nennen diesen Prozess ein Werden (im Unterschied zum gleichbleibenden Sein). Die Bewegung verläuft nun vom Zweifeln über das Denken zum Sein. Die freibleibenden Flächen des Diagramms werden als »Nachbarschafts- und Ununterscheidbarkeitszonen« definiert, was die Untrennbarkeit der Komponenten genau wie den Übergang von der einen zur anderen sichert. Der Begriff des Cogito wird hier also nicht als erster Begriff verstanden, von dem sich alle anderen Begriffe ableiten (dazu müsste man den ersten Begriff transzendieren), sondern als immanenter Zusammenhang von Bewegungen, die das Ereignis des Denkens für Descartes ausmachen. Dennoch bildet das Cogito einen Anfang, wenn es die »intensive Ordinaten« des Denkens ausbreitet, die als Transzendental der philosophischen Einschreibung152 dienen. Intensiv steht hier gegen extensiv bzw. ausgedehnt und meint eine unteilbare Bewegung, die als frei bewegliche Ordinate die Ebene des Denkens bildet. Damit ist es zwar immer noch wahr, dass Descartes mit dem Cogito den Anfang in der Philosophie macht 153 – und doch hat sich alles geändert: Ein Begriff ist hier kein Zeichen für anderes, sondern verfügt unterschiedliche Komponenten auf einer Ebene zu einem Zusammenhang. Denn die Referentialität biegt sich um, wenn Komponenten nur auf andere Komponenten verweisen. Der Begriff ist dann keine feststehende Einheit, sondern die eine Operation, diese Komponenten wiederholt zu durchlaufen. »Er ist eine Mannigfaltigkeit, wenngleich nicht jede Mannigfaltigkeit begrifflich ist.«154 Neben den begrifflichen Mannigfaltigkeiten gibt es auch die affektiven und diejenigen der Funktive. Jede Mannigfaltigkeit muss nun aber eine Auswahl an Komponenten treffen, denn alle Komponenten zusammen bilden einfach nur das Chaos. Aus diesem Chaos muss der Begriff jedoch herausgeschnitten werden. Man könnte sich nun fragen, warum Begriffe überhaupt geschaffen werden müssen, wozu Begriffe? Die Antwort in diesem Buch klingt klassisch: »Jeder Begriff verweist auf ein Problem, auf Probleme, ohne die er keinen Sinn hätte und die selber nur nach Maßgabe ihrer Lösungen herausgestellt oder begriffen

152 Hier folge ich einer Idee von Sybille Krämer, die das cartesische Koordinatensystem als ein Transzendental der Einschreibung definiert hat. 153 Die Ähnlichkeit des Diagramms zu einer Mitra, einem Bischofshut, ist nicht zu leugnen, vor allem nicht, wenn man in Gedanken I und I'', sowie I' und I''' mit einer Linie verbindet und so das Cogito als Begriff bekreuzigt. 154 Deleuze/Guattari: Was ist Philosophie?, S. 21.

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werden können«.155 Der Begriff ist eine Lösung eines Problems, ohne Probleme machen Begriffe keinen Sinn. Jedoch wird hier keinem Idealismus das Wort geredet, in dem Sinne, dass die Begriffe die Tätigkeit des Geistes ausmachen, der auf Probleme in der Welt reagiert. Denn sie »bilden ihre jeweiligen Probleme«156, finden sie nicht vor. Das Problem fällt mit der Erschaffung des Begriffs zusammen. Ein neuer Begriff schafft also gleichzeitig Problem und dessen Lösung. Damit ist man wieder in einem Register der Intervention, weniger der Repräsentation, denn ein sinnvoller Begriff kann nur ein Problem lösen, indem er sich so aufstellt, dass er einen anderen Begriff überflüssig macht, indem er gerade das Problem verschiebt, auf das er eine Antwort gibt. Somit ergibt sich eine Geschichte von Begriffen: Jeder Begriff hat eine Geschichte, »wenn diese Geschichte auch ein Zickzack ergeben mag und notfalls über andere Probleme oder auf verschiedenen Ebenen verläuft.«157 Je nach Problem variieren die Komponenten des Begriffs. Da sich die Komponenten gegenseitig modulieren, kann so ein ganz anderer Begriff entstehen. »Denn mit einer endlichen Anzahl von Komponenten wird sich jeder Begriff in andere, anders zusammengesetzte Begriffe verzweigen, die jedoch andere Gebiete derselben Ebene konstituieren, anschließbaren Problemen entsprechen und an einer Mit-Schöpfung teilhaben.«158 Fokussiert man nun auf die Komponenten des Begriffs, ergeben sich für Deleuze/Guattari neue Wege, Begriffe miteinander zu vergleichen, es erscheinen auch Brücken, die von einem Begriff zum nächsten übergehen lassen. So kommt man über die Komponenten des Cogito zum Gottesbegriff Descartes’: »Man wird zu anderen Phasen des Seins nur vermittels Brückenschlägen gelangen, die uns zu anderen Begriffen führen. So ist etwa »unter meinen Ideen habe ich die Idee des Unendlichen« die Brücke, die vom Ich-Begriff zu demjenigen Gottes führt, zu jenem neuen Begriff, der selbst drei Komponenten besitzt, die die »Beweise« von der Existenz Gottes als eines unendlichen Ereignisses bilden, wobei der dritte (ontologischer Beweis) die Abschließung des Begriffs garantiert, aber zugleich seinerseits eine Brücke oder Abzweigung zu einem Begriff von Ausdehnung bahnt, insofern er den objektiven Wahrheitswert unserer anderen klaren und deutlichen Ideen gewährleistet.«159

155 Deleuze/Guattari: Was ist Philosophie?, S. 22. 156 Ebd., S. 24. 157 Ebd. 158 Ebd. 159 Ebd., S. 33.

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Vom Cogito zum Begriff Gottes, daraufhin wieder zurück zum Cogito, das sind Bewegungen des Denkens bei Descartes. Nimmt man nun aber eine Komponente weg, bzw. fügt eine neue hinzu, verschiebt sich der ganze Begriff. »Wenn man fragt: Gibt es Vorläufer des Cogito?, so meint man: Gibt es Begriffe, die von früheren Philosophen signiert wären und ähnliche oder fast identische Komponenten besäßen, aber eine davon zu wenig oder andere zusätzlich enthielten, so daß ein Cogito sich nicht würde auskristallisieren können, da die Komponenten noch nicht in einem Ich koinzidieren? Alles schien vorbereitet, und doch fehlte etwas. Der frühere Begriff verwies vielleicht auf ein Problem, das nicht dasjenige des Cogito ist (es bedarf einer Wandlung des Problems, damit das kartesianische Cogito erscheinen kann), oder entwickelte sich gar auf einer anderen Ebene.«160

Deleuze und Guattari können sich dann fragen, warum es beispielsweise bei Platon noch keinen Begriff des Cogito gibt und sie antworten: Platons Philosophie der Idee verweist auf eine Vorzeitigkeit. Solange die Idee dem aktuellen Sein vorausgeht, kann es kein Cogito geben. Es kann vielleicht vorbereitet werden, aber diese Komponente der Ebene verstellt die Möglichkeit des Cogito – als Begriff eines neuen Anfangs, aus dem das Sein, auch das Sein der Ideen hervorgeht. Das nächste Beispiel bildet Kant. Schließlich hat auch er einen Begriff des Cogito entworfen, jedoch mit einer zusätzlichen Komponente. Er erschafft eine transzendentale Ebene, die den Zweifel unnötig macht, was aber auch neue Fragen aufwirft: »wenn ›ich denke‹ eine Bestimmung ist, die als solche eine unbestimmte Existenz (›ich bin‹) impliziert, [man] deswegen nicht schon wisse, auf welche Weise dieses Unbestimmte bestimmbar sei oder in welcher Form es als bestimmt erscheine.«161 Kants Intervention ins Cogito besteht jetzt darin, Descartes vorzuwerfen, dass der Anspruch des Ichs, »Ich bin eine denkende Substanz« zu sagen, durch nichts begründet werden kann. Kant löst dieses Problem durch die Einführung einer neuen Komponente in den Begriff des Cogito. Hat Descartes die Zeit noch ausgeschlossen, so wird sie bei Kant Bestandteil des Cogito, denn nur in der Zeit wird eine unbestimmte Existenz bestimmbar. »Ich bin aber nur als passives und phänomenales Ich in der Zeit bestimmt, als stets affizierbares, modifizierbares und variables Ich. Somit weist das Cogito nunmehr vier Komponenten auf: Ich denke und bin aus diesem Grund aktiv; ich habe eine Existenz; diese

160 Deleuze/Guattari: Was ist Philosophie?, S. 33. 161 Ebd., S. 38.

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Existenz ist bestimmbar in der Zeit als Existenz eines passiven Ichs; ich bin folglich als ein passives Ich bestimmt, das sich seine eigene Denktätigkeit notwendig als ein Anderes vorstellt, von dem es affiziert wird. Dies ist kein anderes Subjekt, vielmehr ist das Subjekt ein anderes…«162

Verstellt die Komponente der Vorzeitigkeit also das Cogito noch bei Platon, so ist es die Komponente der Zeit, die bei Kant das Cogito variiert. Die Unterscheidung der Philosophien verläuft bei Deleuze/Guattari aber nicht nur darüber, dass man die Komponenten der Begriffe benennt, vielmehr verändert sich mit den Komponenten die ganze Ebene. Was ist nun aber die Ebene der Begriffe, was ist die Immanenzebene? Die Immanenzebene ist, wie der Begriff, auch nicht immer schon vorhanden, sondern muss ebenfalls von jeder Philosophie wieder neu aufgerichtet werden. Dafür muss man die überlieferten Begriffe und Meinungen hinter sich lassen, um zu den chaotischen, noch ungeordneten Bewegungen des Denkens vorzudringen. Eine Immanenzebene bildet sich dann aus einem Ausschnitt der Denkbewegungen, die als Ordinaten eine Ebene aufspannen, welche vom Begriff bevölkert wird. Damit besteht der Begriff aus den prozessualen Beziehungen seiner Komponenten. »Die Beziehungen im Begriff sind weder komprehensiv noch extensiv, sondern bloß ordinal, und die Komponenten des Begriffs sind weder Konstanten noch Variablen, sondern reine und einfache Variationen, die gemäß ihrer Nachbarschaft geordnet ist. Sie sind prozessual, modulatorisch.«163

Hier taucht nun auch der Begriff der Modulation auf. Modulation meint eine prozessuale Veränderung einer räumlichen Strukturierung. Deshalb sind die Denkbewegungen nicht nur extensiv, sondern Prozesse, die eine Fläche aufspannen. Sie geben dem Begriff einen spezifischen aber »unregelmäßigen Umriß [contour]«164, wobei dieser Umriss keine Fläche begrenzt, sondern einen inneren Umriss, ein Diagramm ausbildet, oder zumindest ein Geflecht von Ordinaten. Wenn der Begriff diese Fläche bevölkert, dann wendet sich die Perspektive: »Da er sie fortwährend nach einer bestimmten Ordnung ohne Abstand durchläuft, befindet sich der Begriff im Zustand des Überfliegens bezüglich seiner Kompo-

162 Deleuze/Guattari: Was ist Philosophie?, S. 39. 163 Ebd., S. 27. 164 Ebd., S. 21.

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nenten.«165 Die Perspektive des Begriffs ist eine diagrammatische, da er nicht in den Bewegungen befangen ist, sondern sie überfliegt, wie eine Landschaft. Während die Ordinaten eine Fläche aufspannen, so ist der Begriff die intensive Bewegung: das Zusammen der intensiven Tendenzen, Richtungen, Umkehrungen. Der Begriff wird so zur Bewegung, zum Akt, der nie in vollständiger Ruhe ist, auch wenn er ganz langsam wird. »Der Begriff ist … Denkakt, wobei sich das Denken mit unendlicher (und dennoch mehr oder weniger großer) Geschwindigkeit vollzieht.«166 Die Unendlichkeit seiner Geschwindigkeit meint gerade die Unbegrenztheit der Immanenzebene, wenngleich seine Ordinaten endlich sind: »Er ist unendlich in seinem Überfliegen oder seiner Geschwindigkeit, endlich aber in seiner Bewegung, die den Umriß der Komponenten zieht.«167 Während die endliche Bewegung auf die Anzahl der Komponenten verweist, betrifft die unendliche Bewegung die aus dem Chaos gewonnene Immanenzebene. Die unendliche Bewegung wird noch weiter differenziert: »Die unendliche Bewegung ist zweifach, und zwischen beiden besteht nur eine Falte. In diesem Sinne heißt es: Denken und Sein sind ein und dasselbe.«168 Und weiter unten schreiben sie: »Die Immanenzebene hat zwei Seiten, als Denken und als Natur, als Physis und als Nous.«169 Wie ist das nun zu verstehen? Die Ebene bildet einerseits den Grund des Begriffs, andererseits ist sie Natur, außerhalb des Denkens. Denkt man diese Stelle mit der Charakteristik der Zeichen im Buch über Proust zusammen, dann ergibt sich folgender Sachverhalt. Die Natur besteht aus unendlich vielen chaotischen Bewegungen. Viele davon sind gewöhnlich, reproduzieren das Seiende. Aber es gibt auch einige, die abweichen, die die gewöhnlichen Bewegungen in andere Richtungen verlängern und so in die Gewohnheiten intervenieren. Diese neuen Denkfiguren zwingen zum Denken, bilden einen Schock, dem nur denkend nachgekommen werden kann. Die in der Natur abweichende Bewegung wird im Denken wiederholt, was aber deren Variation nicht ausschließt. Insofern kann die Immanenzebene einerseits auf die Bewegungen der Natur verweisen und gleichzeitig auf Bewegungen im Denken und andererseits stimmt es auch, dass beide Bewegungen ein und dasselbe, untrennbar sind. Qualitativ verschieden aber numerisch eins. Auf den Unterschied von endlichen und unendlichen Bewegungen rekurrierend führen Deleuze/Guattari dann für die Immanenzebene einen Begriff des Diagramms ein, den wir bereits

165 Deleuze/Guattari: Was ist Philosophie?, S. 27. 166 Ebd., S. 28. 167 Ebd. 168 Ebd., S. 45. 169 Ebd., S. 46.

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aus den Tausend Plateaus kennen.170 »Die Begriffe sind konkrete Gefüge wie Konfigurationen einer Maschine, die Ebene aber ist die abstrakte Maschine, deren Bestandteile die Gefüge darstellen.«171 Abstrakte Maschine wird in den Tausend Plateaus gleichbedeutend mit Diagramm verwendet. Der Begriff der abstrakten Maschine bezieht sich hier auf ein implizites Diagramm, das Bewegungen und Materien bündelt und gemäß einer Verteilungsnorm aufeinander bezieht. Konkrete Gefüge sind dann konkrete Konfigurationen, die unkörperliche Bewegungen und geformte Materien aufeinander beziehen (Foucaults Panopticon). Wird die Immanenzebene hier als abstrakte Maschine beschrieben, dann besteht sie nur in der Verteilung von Denkbewegungen und -materien und in der Festlegung ihres Bezugs aufeinander. Die Bewegungen Zweifeln, Denken, Sein und die Materie des Egos bezieht die abstrakte Maschine, das Denkdiagramm Descartes’ so aufeinander, dass es das Cogito, das Ereignis des Denkens bei Descartes ergibt. Damit ist auch klar, dass die Zeichnung des Begriffs des Cogito nur das konkrete Gefüge darstellt, nicht aber die Immanenzebene. Denn diese Unterscheidung ist für Deleuze/Guattari wichtig: »Die Immanenzebene ist kein gedachter oder denkbarer Begriff, sondern das Bild des Denkens, das Bild, das das Denken sich davon gibt, was denken, vom Denken Gebrauch machen, sich im denken orientieren … bedeutet.«172

Der schwierige Begriff der Immanenzebene wird nun noch mit dem Begriff des Bildes des Denkens zusammengebracht. Das Bild des Denkens haben wir aber weiter oben als ein Wissensdiagramm gedeutet, jetzt scheint es ein Denkdiagramm zu bezeichnen. Hat sich der Begriff verschoben? Hängt das mit der Ausarbeitung des Begriffs der Idee hin zur diagrammatischen Immanenzebene zusammen? Denn Immanenzebenen versammeln die Voraussetzungen einer Philosophie, um Begriffe herzustellen. Jetzt ist die Perspektive Deleuzes nicht mehr: Gegen das Bild des Denkens muss ein bildloses Denken entworfen werden. Sondern eher: Die Philosophie ist ein Konstruktivismus. Jeder Philosoph bildet seine Immanenzebene und erschafft Begriffe, die diese bevölkern, allerdings immer nach Maßgabe eines Problems, das sie lösen. Damit hat sich auch der Status der Voraussetzungen geändert. Das Projekt der Philosophie ist nicht mehr, ohne Voraussetzung, bildlos zu denken. Vielmehr geht es jetzt darum, die Voraus-

170 Siehe Kapitel I dieser Arbeit, S. 45-50. 171 Deleuze/Guattari: Was ist Philosophie?, S. 43. 172 Ebd., S. 44.

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setzungen zu kontrollieren und zu verändern, um einen neuen Begriff zu erschaffen. Ein weiteres Indiz für die Verschiebung des Begriffs kann auch darin gesehen werden, dass es nicht mehr ein Bild, und ein bildloses Denken gibt, sondern verschiedene Bilder des Denkens. Damit fällt Deleuze nicht hinter seinen Ansatz von Differenz und Wiederholung zurück, vielmehr wird zu zeigen sein, wie der Übergang von der Idee zur Immanenzebene die Repräsentation als eine Bewegung begreifbar macht, die wie alle anderen eine Ebene des Denkens errichten kann. Deleuze/Guattari benutzen nun aber nicht nur den Begriff der abstrakten Maschine, der indirekt auf den des Diagramms verweist, sie beschreiben die Immanenzebene auch mit Bezug auf ihre diagrammatischen Merkmale. Im folgenden Zitat geht es nun um den Unterschied von Begriff und Immanenzebene. Beide bestehen aus Elementen, aus Bewegungen, es kann sogar ein Element auf beiden Seiten auftauchen. Dennoch sind sie wesensmäßig unterschieden: »Wenn der Irrtum selbst ein rechtmäßiges Element ist, das zur Ebene gehört, so besteht er bloß darin, das Falsche für das Wahre zu halten (zu Fall zu kommen), erhält aber einen Begriff nur, wenn man seine Komponenten bestimmt (nach Descartes etwa die beiden Komponenten eines endlichen Verstandes und eines unendlichen Willens). Die Bewegungen oder Elemente der Ebene erscheinen folglich nur als nominale Definitionen im Verhältnis zu den Begriffen, solange die Wesensdifferenz unberücksichtigt bleibt. In Wirklichkeit aber sind die Elemente der Ebene diagrammatische Merkmale, die Begriffe dagegen intensive Merkmale. Die ersteren sind Bewegungen des Unendlichen, letztere dagegen die intensiven Ordinaten dieser Bewegungen, gleichsam originale Schnitte oder differentielle Positionen: endliche Bewegungen, bei denen das Unendliche nur mehr Geschwindigkeit ist und die stets eine Oberfläche oder ein Volumen bilden, einen unregelmäßigen Umriß, der einen Stillstand im Wucherungsgrad kennzeichnet. Erstere sind absolute Richtungen fraktaler Natur, letztere dagegen absolute Dimensionen, stets fragmentarische, intensiv definierte Oberflächen oder Volumina. Erstere sind Anschauungen, letztere Intensionen.«173

Der Diagrammbegriff wird im Text nicht mehr weiter erläutert, wir müssen also dessen Bestimmung aus dem obigen Zitat und den anderen Diagrammbegriffen im Werk Deleuzes zusammenlesen. Die erste Bestimmung ist die Folgende: Verwechselt man die Ebene der Begriffe mit der Immanenzebene, dann erscheinen die Bewegungen der Ebene als bloße Nominaldefinitionen. Diese Abwertung verweist darauf, dass die Bewegungen dann als bloß definiert, aus einer

173 Deleuze/Guattari: Was ist Philosophie?, S. 47f.

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Perspektive bestimmt, erscheinen, sie aber in Wirklichkeit das Reale treffen, weshalb man Realdefinitionen von ihnen geben müsste. Damit wechselt man in die Ontologie. Aber man könnte es auch andersherum sagen. Die Ontologie wird hier diagrammatisch. Im ersten Kapitel dieser Arbeit haben wir gesehen, dass der Diagrammbegriff bei Deleuze, aber auch bei Serres oder Foucault, an den Begriff der Struktur anschließt und diesen verändert. Nicht mehr hinter oder unter den Dingen und Wörtern, sondern darin gibt es Strukturierungen, d.h. Bewegungen, Prozesse, die den Anordnungen eine gewisse Stabilität geben. Bezog sich die Struktur auf feste Elemente und deren dichotomische Beziehungen, so ist das Diagramm eine Konstellation von veränderlichen Bewegungen, die einander modulieren, variieren und transformieren. Desweiteren steht das Diagramm nicht vertikal zu den Erscheinungen, sondern bezieht sie auf einer Ebene aufeinander. Wählt die Immanenzebene nun einen Ausschnitt aus dem Chaos (aus allen Bewegungen des Seins), dann behält sie die diagrammatischen Merkmale bei. Die ausgewählten Bewegungen sind nicht dichotomisch, sondern modulieren und variieren sich gegenseitig. Sie stehen nicht vertikal zu den Begriffen, sondern bilden eine Ebene, auf der der Begriff prozessiert. Die diagrammatischen Merkmale beschreiben dann reale Bewegungen, während der Begriff nur durch die intensiven Merkmale bestimmt ist: durch die Richtungen (Intensionen), Tendenzen und die endlichen Bewegungen der Komponenten, die die Bewegungen dimensionieren. Die Immanenzebene bildet dagegen eine Anschauung, eine Perspektive auf einen Ausschnitt des Chaos, eine spezifische Bewegungskonstellation. Diese Bewegungen sind protoextensiv, da sie eine Ebene aufspannen, die von den intensiven, untrennbaren Bewegungen des Begriffs zusammengehalten wird. So sind Begriff und Immanenzebene geschieden. Was bedeutet das aber für das gezeichnete Diagramm des Cogito? Bevor wir diese Frage beantworten können, müssen wir noch eine andere Zeichnung in die Überlegung miteinbeziehen. In Was ist Philosophie? gibt es noch ein zweites Diagramm, das im Kapitel über die Immanenzebene erscheint, während das Diagramm des Cogito im Kapitel »Was ist ein Begriff?« steht. Das zweite Diagramm portraitiert die Immanenzebene der Philosophie Kants und wird mit Bezug auf Installationen Tinguelys diskutiert. Zuerst parallelisiert Deleuze jedoch die philosophische und die ästhetische Tätigkeit der Geschichte der Philosophie: »Die Geschichte der Philosophie ist vergleichbar mit der Kunst des Portraits. Es geht nicht ums »Ähnlich-Machen«, das heißt um die Wiederholung dessen, was der Philosoph gesagt hat, sondern um die Herstellung der Ähnlichkeit, indem man die von ihm begründete

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Immanenzebene und zugleich die von ihm erschaffenen neuen Begriffe freilegt. Es sind dies mentale, noetische, maschinenhafte Portraits. Und obwohl man sie gewöhnlich mit philosophischen Mitteln verfertigt, kann man sie auch ästhetisch herstellen.«174

Tatsächlich ist dies die einzige Stelle, in der sich Deleuze, hier zusammen mit Guattari, über die gezeichneten Diagramme äußert. Von einer Theoretisierung kann jedoch keine Rede sein. Aber vielleicht ist das auch bereits ein Hinweis: Der Mangel an Theoretisierung und Differenzierung kann auch so gedeutet werden, dass philosophische Tätigkeit und zeichnerische Praxis gerade nicht hart unterschieden werden können. Operieren beide auf der gleichen Ebene? Auf jeden Fall sind sie vergleichbar. Der Hinweis auf die Kunst des Portraits verwickelt die Geschichte der Philosophie mit Deleuzes Analyse der Portraits von Francis Bacon. Auch hier spielte der Begriff des Diagramms eine wichtige Rolle.175 Er war hier Passage, der von einer vorgegebenen Figuration zur neuen Figur führte. Damit hat der Maler das Klischee durchbrochen, durch chaotische haptische Bewegungen, die neue Relationen auf der Leinwand erscheinen ließen. Das ausgebrochene Chaos besitzt nun wiederum einen Keim von Ordnung, die dem Maler dient, etwas Neues zu schaffen. Ist das auch die Tätigkeit des Philosophen? Vorgegebene Begriffe zugunsten realer chaotischer Bewegungen zu durchbrechen, um neue Relationen zu schaffen, die nach neuen Begriffen verlangen? Auf jeden Fall geht es in beiden Fällen nicht um Repräsentation, die sich nach der Ähnlichkeit zum Vorgegebenen richtet. Die Ähnlichkeit wird vielmehr hergestellt, sogar suggeriert, und dennoch haben sich die tragenden Relationen komplett verändert. Eine aus den Bewegungen Kants gewonnene Immanenzebene, die eine Ähnlichkeit mit Kants Philosophie suggeriert, findet sich nun im folgenden gezeichneten Diagramm. Dabei werden im Zeichnen die Bewegungen Kants wiederholt. Das gezeichnete Diagramm verlangsamt diese Bewegungen und macht eine strukturierte Fläche sichtbar: das Denkdiagramm Kants. Deleuze und Guattari setzen diese Zeichnung (Abb. 14) ab von Tinguelys Philosophendiagrammen, was auch das Kantdiagramm genauer bestimmt: »Auf diese Weise [ästhetisch hergestellte Philosophenportraits] hat Tinguely kürzlich monumentale Maschinenportraits von Philosophen vorgestellt, die gewaltige unendliche Bewegungen vollführen, verbundene oder alternative, zusammen- und auseinanderfaltbare Bewegungen, mit Klängen, Blitzen, Seinsmaterien und Denkbildern, die komplexen gekrümmten Ebenen folgen. Und dennoch scheint der Versuch – wenn man sich eine Kritik

174 Deleuze/Guattari: Was ist Philosophie?, S. 64. 175 Siehe Kapitel I dieser Arbeit, S. 50-56.

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Abbildung 14: Das Diagramm Kants 176

Quelle: Deleuze, Gilles; Guattari, Félix: Was ist Philosophie?, S. 65.

176 Deleuze/Guattari erläutern die Operationen des kantischen Denkdiagramms wie folgt: »1. Das ›Ich denke‹ als Rinderschädel, samt Lautsprecher, das fortwährend Ich = Ich wiederholt. 2. Die Kategorien als Universalbegriffe (vier große Titel): vier ausfahrbare und einziehbare Stiele, der Kreisbewegung von 3 entsprechend. 3. Das bewegliche Rad der Schemata. 4. Der seichte Bach, die Zeit als Innerlichkeitsform, in der das Rad der Schemata ein- und auftaucht. 5. Der Raum als Äußerlichkeitsform: Ufer und Grund. 6. Das passive Ich am Grund des Baches und als Verbindungsstück der beiden Formen. 7. Die Grundsätze der synthetischen Urteile, die den Zeit-Raum durchlaufen. 8. Das transzendentale Feld der möglichen Erfahrung, das dem ›Ich‹ des ›Ich denke‹ immanent ist (Immanenzebene). 9. Die drei Ideen oder Illusionen von Transzendenz (sich drehende Kreise mit absolutem Horizont: Seele, Welt und Gott).« Deleuze/Guattari: Was ist Philosophie?, S. 66.

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an diesem großen Künstler erlauben darf – noch nicht ausgereift. Nichts Tänzerisches bei seinem Nietzsche, während doch Tinguely an anderer Stelle die Maschinen so sehr zum Tanzen bringen konnte. Der Schopenhauer bietet uns nichts Entscheidendes, während die Vierfache Wurzel, der Schleier der Maja ganz und gar geeignet schienen, die doppelseitige Ebene der Welt als Wille und als Vorstellung zu besetzen. Der Heidegger berücksichtigt keinerlei Verbergung/Entbergung auf der Ebene eines Denkens, das noch nicht denkt. Vielleicht hätte man größere Aufmerksamkeit der als abstrakte Maschine entworfenen Immanenzebene widmen müssen, und den als Elemente der Maschine erschaffenen Begriffen. Man könnte sich in dieser Hinsicht ein Maschinenportrait Kants vorstellen, Illusionen inbegriffen«.177

Abbildung 15: Arthur Schopenhauer von Tinguely

Quelle: Tinguely, Jean: L’esprit de Tinguely., S. 124.

177 Deleuze/Guattari: Was ist Philosophie?, S. 65f.

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Wenn man den Hinweis ernst nimmt, dass Tinguely in seinen Portraits (Vgl. Abb. 15) die Immanenzebene zu wenig beachtet, Deleuze dies im Kantdiagramm aber tut, dann fragt sich, ob er das auch im Diagramm des Cogito bereits getan hat? Denn dieses Diagramm ist ein Begriffsportrait, das die Komponenten zusammenfasst, die der Begriff durchläuft. Umgekehrt wird auch Kants Begriff des Cogito besprochen mit seiner Ergänzung der Komponente der Zeit, was im Kantdiagramm nur in veränderter Form auftaucht und einen Mechanisimus der ganzen Maschine ausmacht. Müssen wir hieraus schließen, dass das Cogitodiagramm kein Denkdiagramm ist, das die Immanenzebene und die Denkbewegungen nachvollzieht, sondern nur die Komponenten des Begriffs? Dann kann man weiter fragen, welche Art Diagramm im Cogitodiagramm vorliegt. Wenn es kein Denkdiagramm ist, handelt es sich dann um ein Wissensdiagramm? Es kann auf jeden Fall als Repräsentation des Cogito verstanden werden, als zeichnerische Verdoppelung des Begriffs. Gleichzeitig entwirft es auch eine Konstellation von Bewegungen, die jedoch in keinen anderen Zusammenhang intervenieren, da sie auch keine neue Denkfigur erschaffen. Deleuze und Guattari haben jedoch die endlichen Bewegungen des Begriffs und die unendlichen Bewegungen der Immanenzebene unterschieden, und mithin betont, dass die Elemente auf beiden Stufen differenziert werden müssen. Kann man dann vielleicht das gezeichnete Diagramm des Cogito und unsere Analyse des Denkdiagramms des Cogito als Begriff und Immanenzebene zusammendenken? Dann könnte die Komponente Zweifeln die Denkfigur des Zweifels auf der Immanenzebene haben, Denken die Figur der Klarheit, Sein die der Projektion; den Mangel erfüllt der ganze Begriff des Cogito. Wie würde dann aber das gezeichnete Denkdiagramm Descartes’ aussehen? Es müsste auf jeden Fall die Denkfiguren wiederholen, wie auch deren gegenseitige Modulation und die Denkräume aufzeigen, die sich durch die Intervention des Denkdiagramms eröffnen… Es bleibt die Frage nach dem Status des Wissensdiagramms. Führt das Wissensdiagramm nicht wieder eine Transzendenz ein, die erlaubt die Denkbewegungen auf eine andere Stufe zu heben und zu transzendieren? Und wieso ist das kein Problem für Deleuze und Guattari? Schließlich geben sie selbst eine Losung für die Interpretation des Cogito aus, die das Cogito gerade in der Immanenz der Bewegungen halten will, um es nicht gleich zu transzendieren, es als ersten Begriff zu setzen, von dem sich alle anderen Unterscheidungen ergeben: »Selbst das Cogito ist nichts als eine Meinung, bestenfalls eine Urdoxa*, solange man daraus nicht die untrennbaren Variationen zieht, die aus ihm einen Begriff machen, vorausgesetzt, man verzichtet darauf, darin einen Schirm zu finden oder einen Schutz, vorausgesetzt, man hört auf, eine Immanenz vorauszusetzen, die ihm selbst immanent würde,

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um es selbst vielmehr auf eine Immanenzebene zu stellen, der es zugehört und die es wieder aufs offene Meer hinauszieht.«178

Setzt man das Cogito an den Anfang der Philosophie, wobei dieser notwendig auch überschritten werden muss, dann ist man in einem Denken der Transzendenz und Transzendierung. Die Immanenz ist dann immer das Attribut eines Sachverhalts: Das Subjekt selbst ist ein immanenter Zusammenhang von Bewegungen des Denkens, es muss aber transzendiert werden, um zum Wissen, zur Wissenschaft und zur Ethik zu gelangen. Nun ist Descartes selbst aber nie bei dieser Ethik oder einer abgeschlossenen Wissenschaft angelangt. Er hat vielmehr das eine Ereignis des Denkens, das Cogito, beständig wiederholt. Insofern ist er nie wirklich auf einer höheren Ebene angekommen. Die Ansätze zur Wissenschaft sind selbst nur einer Denkbewegung des cartesischen Denkdiagramms entsprungen: die Repräsentation. Das ist der Zusammenhang, den Deleuze und Guattari hier vor Augen haben: Die Transzendenz hat einen Platz nur innerhalb eines Denkens der Immanenz. Sie stellt eine mögliche Bewegung dar, die aber eine Auswirkung auf alle anderen Bewegungen hat, diese affiziert und moduliert. Deshalb konnten sie auch ein Wissensdiagramm des cartesischen Cogito zeichnen, was der Idee einer Immanenzebene nicht widersprach. Denn auch die Figur des Wissensdiagramms, die Repräsentation, ist eine Denkbewegung auf einer Ebene der Immanenz. Insofern kann man davon sprechen, dass Deleuze und Guattari Cartesianer geworden sind: Durch die Verschiebung des Begriffs der Idee auf den der diagrammatischen Immanenzebene mussten sie sich nicht mehr strikt von Descartes absetzen oder die Anticartesianer beschwören. Die diagrammatische Perspektive hat es erlaubt, den Begriff des Cogito als Bewegungszusammenhang zu würdigen. Gleichzeitig ist Descartes der Ausgangspunkt von Was ist Philosophie?, an seinem Beispiel zeigt sich die Philosophie als Praxis der Erschaffung von Begriffen, was ein Denken der Denkbewegungen und die Erschaffung einer Ebene des Denkens einschließt. Insofern sind sie Cartesianer, als Denken auch für sie im Auffinden und Ausschneiden von Denkbewegungen besteht, im Errichten von Denkdiagrammen, die von Begriffen bevölkert werden. Aber gleichzeitig ist Descartes auch Deleuzianer oder DeleuzoGuattarianer geworden, da es nicht mehr sein Ziel ist, einen ersten Begriff zu erschaffen, ohne jede Voraussetzung, aus dem sich eine Wissenschaft allen Seins und eine Ethik des guten Lebens ergeben. Er stürzt die überlieferten Begriffe in ein Chaos, behält nichts über als ein paar Denkbewegungen, die er als neuen Typ

178 Deleuze/Guattari: Was ist Philosophie?, S. 247. Das Zeichen * bedeutet: im Original Deutsch.

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von Voraussetzungen zu einer Immanenzebene verfestigt, um so Begriffe zu konstruieren. Die Diagrammatik des Denkens hat nun gezeigt, dass Descartes genau wie Deleuze Diagramme erschaffen und auch problematisiert haben. Das Denken des Diagramms hat beide auch vergleichbar gemacht. Während wir bei Descartes eine repräsentationale Diagrammatik identifizieren können, die zuerst ein Denkdiagramm errichtet, es dann verfestigt zu einem Wissensdiagramm, das dann in die Welt projiziert wurde, hat Deleuze einen immanenten Zusammenhang von Denk- und Wissensdiagramm entworfen. Hier geht das Denkdiagramm nicht dem Wissensdiagramm notwendig voraus, muss auch nicht auf anderes hin transzendiert werden. Vielmehr ergab sich ein Interventionsfeld, in dem alles mit allem in Zusammenhang gebracht werden kann, ohne Transzendenz oder Entzug. Hier sind auch die Wissensdiagramme Konstellationen von Bewegungen, die in ein Denkdiagramm intervenieren können. Schließlich führt diese Konzeption, die Bewegungen als Grundlage von Verfestigungen betrachtet auch dazu, die Repräsentation selbst als eine Weise der Intervention zu beschreiben. Denn eine Repräsentation ist auch eine Bewegung, die in einen anderen Bereich interveniert. Deleuze kennt dann beide Richtungen der Intervention: Mit Spinoza hat er ein neues Denkdiagramm entwickelt, das dann auch für ein Denken des Körpers und seiner Affizierungen in der Welt fruchtbar gemacht werden kann. Mit Leibniz, aber auch mit Cache oder Klee, hat er durch das Verbinden von gezeichneten Diagrammen eine neue Denkfigur erschaffen, die Falte, die wiederum ein anderes Denkdiagramm errichtet hat. Die Diagrammatik des Denkens hat so eine Ebene gefunden, die noch nicht begrifflich ist, eher vorbegrifflich, die aber die unterschiedlichsten Diagrammatisierungen des Denkens in Beziehung setzt. Die Diagrammatik ist als solche Präphilosophie, da sie die begrifflich verfasste Philosophie mit der unbegrifflichen Nichtphilosophie179 verwickelt, um neue Begriffe zu schaffen, die auch neue Probleme und Lösungen kreieren. Präphilosophie beschreibt die Bewegungen in den unterschiedlichsten Bereichen, die eine Verfestigung hervorbringen, welche aber auch wieder in die sie konstituierenden Bewegungen aufgelöst werden und schließlich verändert werden kann. Die Diagrammatik als Präphilosophie meint aber auch, dass man aus diesen Be-

179 Vgl. hierzu das Projekt von François Laruelle, der Philosophie als neue Praxis entwickelt, die sie von ihrer Autorität befreie, um sie in den ganzen Bereich des Denkens einzubinden. Dieser erweiterte Bereich wird als nichtphilosophisch charakterisiert. Es geht ihm darum, die dem einen Sein immanente Pragmatik als Hervorbringung der Modi zu denken, könnte man, Laruelle durchaus nahe, mit Spinoza sagen. Laruelle: philosophie et non-philosophie.

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wegungen Begriffe bilden muss, die sie in Zusammenhängen verfestigt und vielleicht auch variiert. Somit kann man aus nichtphilosophischen Bewegungen Begriffe schaffen, die andere Begriffe variieren und so vielleicht auch neue Probleme stellen und möglicherweise neue Lösungen angeben. Dabei ist das Neue nicht an sich gut. Es wird nur nötig, wenn das Alte nicht mehr funktioniert, den neuen Bewegungen nicht mehr gerecht wird. Als Präphilosophie ist die Diagrammatik so nicht mehr abgehoben von anderen Bewegungen, beschreibt keinen eigenen Bereich des Denkens mehr, sondern ist vielmehr überall am Werk. Das Denken des Fußballs kann so auch einen neuen Begriff ermöglichen, der vielleicht ein Problem in einem ganz anderen Bereich lösen kann. Damit ist die Diagrammatik auch Metaphysik, in Bergsons Sinn des Begriffs180, denn sie folgt den Bewegungen des Denkens, bis in die Nichtphilosophie hinein, um ein neues Denken, eine neue Denkfigur zu finden. Eine abgelenkte Bewegung bringt eine neue Denkfigur hervor, indem man gezwungen ist, sie im Denken zu wiederholen. Metaphysik meint hier also, dass das Denken auf die Bewegungen der körperlichen Welt insofern folgt, dass es sich in sie hineinbegibt und das Denken der Körperanordnungen nachvollzieht. Metaphysik und Präphilosophie, nach und inmitten der Bewegungen und vor der Philosophie, also noch unbegrifflich, das scheint nur ein unendlich kleiner Ort zu sein. Dennoch ist es die Passage, das Gelenk oder die Weiche, an dem sich alles mit allem verbindet.

180 Vgl. Bergson: Einführung in die Metaphysik.

Konklusion. Oder: Wie schließen?

Wir haben uns in dieser Arbeit dreier sehr unterschiedlicher Diskurse angenommen. Diese blieben nicht unvermittelt nebeneinander stehen, die Diagrammatik des Denkens hat Übergänge zwischen Diagrammdiskurs, Descartes und Deleuze aufgezeigt, die vorher nicht bekannt waren. Abschließend kann es nun nicht darum gehen, die Ergebnisse auf den Punkt zu bringen, einen Schlusspunkt zu setzen. Es sollen vielmehr nochmal die Linien aufgezeigt werden, die diese Arbeit bestimmt haben. Denn aus der Diagrammatik ergibt sich keine Einheit, die die Teile summiert. Sie schafft auch keine Einheit, die mehr als die Summe der Teile ist. Man muss sogar umgekehrt konstatieren, dass die Teile mehr als das Ganze sind. Denn durch die Variationen und Neuzusammensetzung der Teile wird sich das Ganze verändern. Damit ist die Einheit der Diagrammatik eine, die immer von ihren Operationen und Gegenständen abhängt und sich in diesen moduliert. In der Konklusion dieser Arbeit kann es dann auch nicht einfach darum gehen, die erzielten Ergebnisse zu präsentieren, vielmehr muss ein letztes Mal der Zusammenhang der Arbeit dargestellt werden, nachdem man ihn bereits einmal vollzogen hat. So will ich nun abschließend die beiden Hauptlinien dieser Arbeit noch einmal vorführen: die eine von Descartes zu Deleuze, die andere zum Zusammenhang von Denkdiagramm und Wissensdiagramm in den konkreten Diagrammatiken. Zum Schluss werde ich kurz die Konsequenzen dieser Arbeit skizzieren und die Diagrammatik als Metaphysik und Präphilosophie reformulieren.

1.

D ESCARTES

UND

D ELEUZE

Sowohl in der Philosophie Descartes’ als auch bei Deleuze haben wir Denkbewegungen, neue Denkfiguren als auch Denkdiagramme am Werk gesehen. Beide haben kein festes System oder eine andere Anordnung explizit vorausgesetzt,

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sondern diese selbst implizit entwickelt. Damit wurden die Voraussetzungen der Begriffe im Philosophieren selbst geschaffen. Es wurden Denkbewegungen ausprobiert, moduliert und zu einem Diagramm verfügt, um so einen Grund für die Begriffe aber eben auch für die gezeichneten Diagramme zu schaffen. Wenn ich in dieser Arbeit nun Unterschiede zwischen den Philosophien von Descartes und Deleuze herausgearbeitet habe, dann betrafen diese immer die Ebene der Diagramme des Denkens. Bei Descartes ist das Denkdiagramm sehr stabil. In allen Texten zur Metaphysik wurde es wiederholt, was nicht zu dessen Veränderung, sondern zur Eingewöhnung und Einübung in das cartesische Denken führt. Ebenso besteht die Funktion der Metaphern bei Descartes darin, bereits gefundene Denkfiguren zu verfestigen. Schließlich sind es die Wissensdiagramme, die die Operation des Denkdiagramms zu einer Struktur verfestigen und in einen anderen Bereich repräsentieren. Bei Deleuze hingegen wurde das Denkdiagramm überhaupt erst in Absetzung von einem Wissensdiagramm erreicht. Die Ebene der Denkbewegungen musste zuallererst wiedergefunden werden, um es in einem weiteren Schritt zu modulieren. Hier diente das cartesische Denkdiagramm als Folie, vor der Deleuze neue Denkdiagramme erschaffen konnte. In der Allianz mit Spinoza oder in Auseinandersetzung mit Leibniz und dem Barock wurden neue Denkfiguren erarbeitet, die die cartesischen variieren. Je nach Allianz variierte auch das Denkdiagramm bei Deleuze. Damit hat er nicht ein Denkdiagramm geschaffen, sondern vor allem wieder die Ebene der Denkbewegungen gefunden und verschiedene Denkfiguren gegen das cartesische Denken gerichtet. Somit musste er es auch nicht in Metaphern oder Wiederholungen verfestigen. Bei Deleuze hat die Wiederholung eher zur Variation des Denkdiagramms geführt. Und auch den Metaphern kam eine neue Funktion zu. Sie haben das Denkdiagramm nicht verfestigt, sondern haben neue Denkfiguren offenbart. Insofern benutzt Deleuze Metaphern nicht, um etwas zu bebildern, nicht einmal um eine erschaffene Strukturierung in einen anderen Bereich zu übertragen: Metaphern bedeuten für ihn Metamorphosen. Wird ein Problem in einem anderen Feld gestellt, verändert sich auch die Verfasstheit des Problems. Die Falte war keine Metapher für den Übergang von Körpern und Seele, vielmehr sind Körper und Seele Faltungen geworden. Diese manchmal beliebig wirkenden Konstruktionen konnten in dieser Arbeit jedoch aus der Perspektive ihrer Intervention in ein ihnen vorgängiges Wissensdiagramm sowie in ihrer Modulierung des cartesischen Denkdiagramms systematisch dargestellt werden. Descartes’ Denkdiagramm umfasst die Denkfiguren des Mangels, des Zweifels, der Klarheit und der Repräsentation. Die Intervention dieser Denkfiguren blieb bei Descartes zumeist implizit. Dennoch konnten ihnen vorgängige Ver-

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festigungen identifiziert und ihre Operation angedeutet werden. Die Denkfigur des Mangels hat die Definition des Menschen bei Aristoteles als animal rationale in eine implizite Voraussetzung verwandelt, wenn Descartes den Zusammenhang von Verstandesbegabtheit des Menschen und Erziehung bzw. Belehrung ausführt. So gesteht Descartes zu, dass alle Menschen Verstand haben, jedoch, entgegnet er, hat die Erziehung dazu geführt, dass die Menschen nicht mehr wissen, wie sie ihn benutzen. Das eine Fundament menschlichen Denkens muss zuallererst wiedergefunden werden. Die Figur des Mangels bringt dann die anderen Denkfiguren hervor. Die Bewegungen des Ausschlusses all dessen, was nicht aus dem Verstand stammt, werden in der Denkfigur des Zweifels etabliert. Auf die Ausschlussbewegung folgt die Einschlussbewegung: Es wird alles angezweifelt, bis auf das, was wir Kraft unseres natürlichen Lichtes klar und deutlich erkennen. Die Figur der Klarheit stoppt den Zweifel an der Stelle, wo er sich gegen sich selbst zu richten droht. Es kann nicht angezweifelt werden, dass ich zweifle. Das ist die erste Einsicht, die von anderen Zusammenhängen getrennt werden kann. Sie bildet die erste klare und deutliche Erkenntnis, nach deren Vorbild sich alle anderen Erkenntnisse richten müssen. Dies wird durch die Denkfigur der Repräsentation gewährleistet, die jene Erkenntnisse in unterschiedliche Gebiete projiziert. Abgeschlossen ist die Operation des Denkens bei Descartes, wenn sich das Denkdiagramm in Wissensdiagrammen verfestigt. Derart wird es zu einer Struktur, die die Mängel auffüllt, das Ausgeschlossene in der Form klarer und deutlicher Erkenntnis wieder einschließt, und so das Denkdiagramm in andere Zusammenhänge repräsentiert. Damit konnte gezeigt werden, dass Descartes den Anfang in der Philosophie mit dem Cogito macht, mithin das Cogito als das Fundament der Wissenschaften gelten kann, insofern man es aus dem ihm zugrunde liegenden Denkdiagramm her versteht, das sich in den Wissensdiagrammen verfestigt. Damit ist das Cogito als Bewegung ein raumzeitlicher Prozess, der im Vollzug die Denkräume entstehen lässt, sie in eine Ordnung bringt und so den Raum des Wissens vorstrukturiert. Das cartesische Wissensdiagramm verfestigte im Wachsbeispiel das Denkdiagramm im Modell der Rekognition. Das Modell der Rekognition erschuf durch die Figur des Mangels einen Zusammenhang der Vermögen des menschlichen Geistes, in Vermögen unterscheidend, die von den körperlichen Einflüssen abhängen und andererseits das reine Denken, das nur von sich ausgeht. Das reine Denken koordinierte nun die anderen Vermögen, gab ihnen eine Anordnung. Diese Unterscheidung basiert auch auf der Figur des Zweifels, die einen Bereich des Innen und einen Bereich des Außen entgegensetzt, wenn sie Denken und Körper trennt. Die Anordnung der Vermögen mit ihrem vereinheitlichenden Grund wurde schließlich in die Verfasstheit des zu erkennenden Gegenstandes

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projiziert. Wenn Deleuze nun ein Bild des Denkens in der Philosophie kritisiert, geht es ihm vor allem um dieses Modell der Rekognition und dessen Denkbewegung der Repräsentation. Er leitet das Bild des Denkens auch mit Descartes ein und behauptet, dass es seit Descartes die Philosophie geprägt hat. Er klagt dagegen ein, dass Denken aber nicht nur in der Wiederholung eines Bildes bestehen kann, vielmehr müsse das ihm zugrunde liegende Denkdiagramm wiedergefunden und variiert werden. Dies führt er in seinen Büchern über Spinoza und Leibniz vor. Wenn Spinoza mit der einen Substanz beginnt, so Deleuze, dann ist das keine Setzung, sondern stellt bereits eine Auseinandersetzung mit Descartes dar. Denn die Substanz ist bei Spinoza keine verborgene Einheit, die den Vielfalten eine Ordnung gibt. Es ermangelt ihrer auch nicht in der Welt. Vielmehr ist sie der Prozess der Hervorbringung allen Seins, nicht jedoch aus dem Nichts, sondern als Variation des Gegebenen. Die Denkfigur der Fülle geht nun nicht mehr von einem Mangel aus, sondern unterstellt die Immanenz der Substanz in den Modi. Sie beginnt bei der Vielfalt und zeigt den einen Prozess ihrer beständigen Veränderung in der Hervorbringung. Die neue Denkfigur führt nun auch zu anderen Bewegungen, die die Denkfiguren Descartes’ modulieren. Die Hervorbringung wird durch die Attribute des Denkens und der Ausdehnung qualifiziert. Beide Attribute werden damit in ihrer Positivität beschrieben und gehen kein hierarchisches Verhältnis ein. Was im Denken auftritt, drückt sich auch in der Ausdehnung aus, eine körperliche Veränderung wird durch eine Variation im Denken begleitet. Diese Denkfigur des Parallelismus moduliert die Figur des Zweifels, samt der Unterscheidung in Innen und Außen und deren Hierarchisierung. Damit muss sich die Denkfigur der Klarheit genauso verändern wie die Figur der Repräsentation. Die Erkenntnis wird durch die Figur der Adäquation bestimmt: Man erkennt etwas, wenn man einen ausgedehnten Sachverhalt im Denken adäquat ausdrückt. Das Denken geht hier der körperlichen Welt nicht mehr voraus und gibt ihr eine Struktur, vielmehr wird das Denken von Körpern affiziert. Damit ist die Erkenntnis auch nicht mehr Sache eines Bewusstseins, sondern ein Ausdruck im Denken, der seine Affizierung wie auch deren Ursache hervorbringt, Deleuze sagt sogar fingiert. Damit geraten Denken und Ausdehnung nicht in ein Verhältnis der Repräsentation. Eine neue körperliche Figuration zwingt hier vielmehr zu einer neuen Denkfigur, genau wie eine neue Denkfigur sich in der Ausdehnung ausdrückt. Diese Denkfigur der Intervention moduliert schließlich die Figur der Repräsentation, wodurch sich auch das Verhältnis von Denkdiagramm und Wissensdiagramm sowie das von impliziten und expliziten Diagrammen verändert. Jetzt können auch Wissensdiagramme in Denk-

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diagramme intervenieren und so ein vielfältiges Feld von Interventionen eröffnen. In Die Falte. Leibniz und der Barock entwirft Deleuze im Zeichnen die Bewegung der Falte, die zwischen Ausdehnung und Denken verläuft und beide Bereiche ineinander übergehen lässt. Durch die Einführung eines dritten Bereichs wird die Unterscheidung Descartes’ in Denken und Ausdehnung mit einer Genese verwickelt, was beide Bereiche beständig variieren lässt. Diese Denkfigur der Mitte variiert den Anfang Descartes’ und damit die Figur des Mangels und alle anderen Denkfiguren. Sie geht nicht mehr von einem festen Fundament aus, an dem es den körperlichen Vielfalten mangelt, sondern wiederum, wie bei Spinoza, von den Vielfalten. Jedoch werden diese nicht beständig hervorgebracht, sondern hier werden geistige und körperliche Vielfalten miteinander verwickelt, was deren Parallelismus voraussetzt, ihre Hierarchisierung ausschließt. Somit werden körperliche Figurationen in geistigen Figuren wiederholt, und in Begriffen ausgedrückt. Ein Begriff ist nun aber keine Verfestigung einer Denkoperation mehr, sondern fällt mit der Denkfigur zusammen und kann durch eine neue Figuration auch wieder verändert werden. Diesen Zusammenhang haben wir in den Begriffen Objektil und Subjektil nachvollzogen. Es entstand so ein Feld von Interventionen, das die unterschiedlichsten Bereiche durchzog, und damit die Immanenz der Denkfiguren vorführte. Schließlich führte Deleuze in dem mit Guattari zusammen verfassten Text Was ist Philosophie? das Cogito selbst als Bewegungszusammenhang vor. Im gezeichneten Cogitodiagramm vollführte das Cogito die Bewegungen von Zweifeln, Denken und Sein, um wieder von vorn zu beginnen. So wurde das Cogito als Ereignis beschrieben, das Descartes beständig wiederholt. Gleichwohl bewegen wir uns hier schon nicht mehr auf der Ebene des impliziten Denkdiagramms, sondern auf der Ebene des Begriffs und seiner Operationen. Der Begriff wiederholt die Bewegungen, die durch das Denkdiagramm erschlossen wurden, transzendiert diese also nicht, sondern bleibt mit ihnen verwoben. Würde sich eine Denkfigur ändern, so würde auch eine neue Begriffsbewegung den ganzen Begriff verändern. Das Cogito als Fundament der Wissenschaft ist dann, wie in unserer Descarteslektüre, ein Bewegungszusammenhang, der den Raum der Wissenschaft erschließt und diese derart vorstrukturiert. Die Wissenschaft reagiert auf den Mangel, füllt den Grund aus und hierarchisiert die Seinsbereiche durch klare Einsichten. Dadurch, dass Deleuze diesen Schritt absoluter, und vom Denkdiagramm dann auch ablösbarer Verfestigung des Denkens in der Wissenschaft nicht macht, ergibt sich für ihn eine Philosophiegeschichte, die die Begriffe als Variationen von Denkdiagrammen sichtbar macht. Deshalb attackiert er das cartesische Wissensdiagramm in seiner Kritik des Bildes des Denkens. Dies

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geschieht, um das Denkdiagramm Descartes’ wiederzufinden und zu modulieren. Denken besteht für Descartes und Deleuze in den vorbegrifflichen Operationen, die verfestigte Elemente in das Chaos der Denkbewegungen stürzen, um diese zu Denkfiguren zu formen. Der ganze Prozess des Gedankengangs, der verschiedene Denkfiguren interagieren lässt, ergibt einen Zusammenhang, der von Begriffen verfestigt wird, derart, dass der Begriff diese Operationen beständig wiederholt.

2.

V ON

EINER REPRÄSENTATIONALEN ZU EINER INTERVENTIONALISTISCHEN D IAGRAMMATIK

Das Problem, wie die zu einem Denkdiagramm verfügten Denkfiguren und Begriffe, aber auch, wie Denkdiagramm und Wissensdiagramm zusammenhängen, bestimmte die jeweiligen Diagrammatiken von Descartes und Deleuze. Auf eine Bestimmung der Begriffe des Denkdiagramms und des Wissensdiagramms hin, sowie impliziter und expliziter Diagramme, hat die Diagrammatik ihr jeweiliges Zusammenspiel als Verfahren der nachvollziehenden Textlektüre von Descartes und Deleuze konkretisiert. Entgegen der philosophiehistorischen Referenz auf das Cogito als ersten Begriff, der das System der Wissenschaften begründet, sind wir in Descartes’ Regulae auf einen Zusammenhang von Bewegungen und Figuren bei Descartes gestoßen, der für die metaphysischen Texte eine methodische Grundlegung bildete. Durch die Klassifikation der Vermögen in jene, die von sich ausgehen und andere, die durch Eindrücke aus der körperlichen Welt bestimmt sind, entstanden zwei Bereiche des Denkens. Während bspw. die Phantasie extensive Bewegungen nachvollzieht und extensive Figuren erkennt, ist es das Ingenium, das intensive Bewegungen und Figuren ausbildet. Die Charakterisierung von Extensivität und Intensivität sowie deren Verhältnis stellte sich nun folgendermaßen dar. Eine ausgedehnte Bewegung vollzieht sich in einer Ortsveränderung eines Dings, was das Ding gerade nicht verändert, mithin kann sie auch unterbrochen werden. Eine intensive Bewegung ist nun eine Bewegung des Denkens, die kontinuierlich ist und in verfestigte Elemente interveniert. Eine intensive Bewegung kann aus einer extensiven Bewegung herausgelöst werden, wenn man sie in Gedanken nachvollzieht und etwa gegen eine Meinung richtet. Desweiteren kann sie im Denken umgebildet werden und so zu neuen extensiven Bewegungen führen. Dies geschieht über die Figurierung der intensiven Bewegung. Eine neu geformte Denkfigur kann sich in einer extensiven Figur ausdrücken und so wiederum der Phantasie zur Verfügung stehen.

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Descartes’ Bestimmung der Denkbewegung mündete nun in die Erzählung. Eine Denkbewegung muss erzählt werden, was zu den großen metaphysischen Erzählungen Descartes’ überleitete. Hier stellte Descartes die Wege seines Denkens dar, die so ein Gemälde, ein Denkdiagramm ergaben. Das Denkdiagramm ging dem Begriff des Cogito in all seinen Wiederholungen voraus und bildete so die vorbegriffliche Operation des cartesischen Denkens. Hier wurden unterschiedliche Bewegungen ausprobiert und zu einem Zusammenhang von Denkfiguren geformt, der das Denkdiagramm Descartes’ bildete. Dieses Denkdiagramm konnte in allen metaphysischen Schriften Descartes’ nachgewiesen werden, immer ging es dem Begriff des Cogito voraus. Stets legt es die Denkfiguren fest und beschreibt so die Operationen, die den Begriff des Cogito ausbildet. Bei den Wiederholungen fiel auf, dass sie das Denkdiagramm nicht derart variierten, dass sich der Begriff des Cogito verschoben hätte. Die Variationen entstanden durch die unterschiedlichen Gebiete, in die sich das Denken begab und durch die unterschiedlichen Diskurse, in die die Denkfiguren intervenierten. Das Denkdiagramm blieb sich gleich, auch wenn die Teile in unterschiedlicher Reihenfolge auftraten. Denn der Denkprozess der verschiedenen Texte bezog die Denkfiguren so aufeinander, dass sich daraus die gleichen Denkräume ergaben. Damit wurde die Wiederholung als Einübung charakterisiert, wenn sie in der Funktion der Gewöhnung und Etablierung des cartesischen Denkens bestand. Die Gewöhnung diente als Grundlage für die Wissensdiagramme. Auf dem Fundament des cartesischen Denkdiagramms konnten körperliche Zusammenhänge verhärtet, Strukturen menschlicher Konstitution festgeschrieben und Erkenntnisse wissenschaftlicher Intuition geordnet werden. Das Wissensdiagramm überführt derart die Operation des Denkdiagramms in eine Struktur, die Relationen und Verhältnisse festlegt. Die Wissensdiagramme konnten dann auch auf die Fläche projiziert werden und von hier aus Zusammenhänge in unterschiedliche Gebiete repräsentieren. Dabei ist es bei Descartes ausgeschlossen, dass ein neues gezeichnetes Wissensdiagramm – was möglicherweise durch einen Fehler beim Zeichnen oder durch eine Rückwirkung des erkannten Gebietes auf das Diagramm entstanden ist – wiederum in das Denkdiagramm interveniert. Denn der Prozess des Denkdiagramms hierarchisiert das Denken und die Körper derart, dass nur das reine Denken die Ordnung der Körper festlegen kann, aber nicht umgekehrt. Desweiteren endete der Prozess des cartesischen Denkdiagramms in der Repräsentation, die sich zuletzt in den gezeichneten Wissensdiagrammen ausdrückt. Erst durch eine Veränderung des Denkdiagramms sind Interventionen dieser Art wieder möglich. So hat die Diagrammatik das Verhältnis von Denkdiagramm und Wissensdia-gramm bei Descartes als ein Repräsentationsverhältnis bestimmt. Das Denkdiagramm wird im Wissensdiagramm repräsentiert, in

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eine Struktur gefasst und so in andere Bereiche repräsentiert, nicht aber ins Denken. Das wird erst durch die Veränderung der ganzen Diagrammatik von einer repräsentationalen zu einer interventionalistischen möglich, die nun auch das Denkdiagramm verändern muss. Dies ist das philosophische Projekt Gilles Deleuzes, so wie es sich in der Auseinandersetzung mit Descartes entwickelt. Im Bild des Denkens kritisierte Deleuze das implizite Wissensdiagramm Descartes’, so wie es sich in der Analyse des Wachsbeispiels in den Meditationes darstellte. Im Modell der Rekognition wurden die Denkfiguren zu einer Struktur verfestigt. Die einzige Bewegung bestand hier in der Repräsentation dieser Struktur vom Bereich des Denkens in den Bereich der Körper. Wenn Deleuze sich gegen dieses Modell und seine Wiederholungen bei anderen Philosophen richtet und dagegen ein bildloses Denken fordert, dann zielt er vor allem auf das Wissensdiagramm und seine Bewegung der Repräsentation. Ein bildloses Denken richtet sich nun gegen dieses Vorbild, gegen die vorgängige Strukturierung des Denkens, um die Ebene der Denkbewegungen wiederzufinden, neue Denkfiguren zu generieren und dadurch Interventionen der unterschiedlichsten Bereiche ineinander zu ermöglichen. In seinen Auseinandersetzungen mit Spinoza und Leibniz wendet er sich nicht mehr gegen das implizite cartesische Wissensdiagramm, sondern gegen das Denkdiagramm, das ihm vorausgeht. Durch die Modulation des cartesischen Denkdiagramms mit Spinoza entstand ein Feld der Immanenz des Denkens in der körperlichen Welt, das, gegen die Vorgängigkeit des Denkens vor den Körpern bei Descartes, ein Interventionsfeld der unterschiedlichen Denkfiguren und ihrer Verkörperungen eröffnete. Im Buch über Leibniz erscheinen dann auch gezeichnete Diagramme, die eine neue Denkfigur generieren und in das Denkdiagramm des Textes intervenieren. Aber es tauchten auch gezeichnete Wissensdiagramme auf, die einen Sachverhalt aus einem ganz anderen Bereich repräsentieren. Doch die Immanenz des Denkens hat die in ihnen verfestigten Denkfiguren wieder in den Prozess des Denkdiagramms eingewoben. Auch in den Wissensdiagrammen konnten Denkfiguren ausgemacht und herausgelöst werden, um sie wieder in den Denkvollzug eingehen zu lassen. Schließlich tauchte in Was ist Philosophie? ein gezeichnetes Wissensdiagramm des Cogitos auf, das den Begriff repräsentiert, nur eben als Bewegungszusammenhang, der mit dem Denkdiagramm zusammenhängt. Daraufhin zeigen Deleuze und Guattari, wie eine Veränderung des dem Begriff zugrundeliegenden Denkdiagramms in der Geschichte der Philosophie auch eine Veränderung des Begriffs selbst bewirkte. Damit setzt der Begriff nicht nur ein Denkdiagramm voraus, verfestigt seinen Zusammenhang und bildet so das Fundament für Wissensdiagramme, sondern bleibt immer eingewoben in sein Denkdiagramm. Und

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auch die Wissensdiagramme dienen hier nicht mehr nur der Repräsentation, sondern können in die sie hervorbringenden Bewegungen aufgelöst werden und so auch wiederum eine Intervention in das Denkdiagramm bilden. Aus der Perspektive dieser interventionalistischen Diagrammatik gibt es unterschiedliche Grade der Verfestigung von Bewegungen, die jedoch immer in die Bewegungen eingebunden bleiben, sozusagen reaktiviert werden können, will man ihr interventionalistisches Potential wiederbeleben oder gar gegen sich selbst richten. Denn so kann man ein Wissensdiagramm in die es konstituierenden Bewegungen auflösen, sie zu neuen Denkfiguren modulieren und ein neues Wissensdiagramm hervorbringen. Es entsteht ein Interventionsfeld des Denkens, das noch vorbegrifflich, in nichtphilosophischen also noch nicht begrifflich erfassten Feldern am Werk ist. Und dennoch muss es aus der Perspektive der Philosophie darum gehen, diese Denkfiguren in Begriffe zusammenzufassen, nicht jedoch um sie zu transzendieren und zu repräsentieren, sondern um durch eine neue begriffliche Operation möglicherweise eine neue Intervention in die Nichtphilosophie zu ermöglichen.

3.

ZU

EINER D IAGRAMMATIK DES D ENKENS ALS M ETAPHYSIK UND P RÄPHILOSOPHIE

Mit Blick auf die philosophischen Diagramme ergab sich ein Interventionsfeld der unterschiedlichsten Bewegungen. Sprachliche Bewegungen konnten in Argumentationen nachgewiesen werden, in Metaphern wieder auftauchen und schließlich in Zeichnungen eingehen. Dabei wurden die unterschiedlichen Medien vergleichbar über eine prämediale Perspektive auf die sie konstituierenden Bewegungen. Ist eine Bewegung in der Sprache immer linear, wenn sie eine Bewegung vollzieht und diese moduliert, so ist sie im Diagramm supralinear, wenn die Bewegungen eine Intervention und eine Strukturierung ergeben. Diese Strukturierung kann nun auch im Zeichnen variiert werden, wenn die verlangsamten Bewegungen der Zeichnung wieder beschleunigt werden. Im Zeichnen kann man so neue Denkfiguren erschaffen, die dann wieder in den Text eingehen, wenn man sie gegen einen verfestigten Diskurs richten kann. Denkbewegungen bilden damit immer die Voraussetzung von verfestigten Gebilden. Ein Bewegungszusammenhang kann einen ganzen Diskurs bestimmen, der ihn beständig wiederholt. Genauso gehen auch gezeichneten Diagrammen Bewegungen voraus, die sie im Zeichnen erschaffen. Aus dieser Perspektive erscheint es abwegig, gezeichnete Diagramme aus einem Raster heraus zu begreifen, wenn man bspw. festlegt: Was in der Mitte des Diagramms liegt, sei wichtiger als das,

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was nur in der Peripherie auftaucht; was oben steht sei wichtiger, als das, was unten steht usw. Denn die Bewegungen, die das Diagramm hervorbringen, sind selbst die Voraussetzungen, sie bestimmen eine Strukturierung und deren Funktionieren. Dabei geht es nun nicht nur darum, die Voraussetzungen zu explizieren, sondern man muss ihre Produktivität zeigen, wenn man vorführt, welche Operativität eine Bewegung hat. Verliert sie ihre Produktivität, muss die Bewegung variiert werden, bis sie wieder eine neue Intervention ergibt. In der Philosophie hat sich der produktive Aspekt von Denkbewegungen ebenfalls gezeigt. Sie bilden hier keine expliziten Voraussetzungen, wie wenn man in einer Begriffsdefinition andere Begriffe voraussetzt. Bei Descartes und Deleuze fiel auf, dass sie den diagrammatischen Typ von Voraussetzung zuallererst erschaffen. Durch das Nachvollziehen der Bewegungen ergeben sich dann Vorstrukturierungen, die Begriffe vorbilden, ihnen Räume zuweisen und ihre Operationen festlegen. Will man einen Begriff verändern, muss man die Bewegungen variieren, die ihn konstituieren. So erschienen beide Philosophien als Bewegungszusammenhänge. Descartes vollzieht die Bewegung, die das Cogito hervorbringt. Das Cogito stellte den Zusammenhang von Meinungen und Wissen, von einem durch Erziehung im Irrtum befindlichen Subjekt zu einem erkennenden Subjekt her. Damit ist das Cogito als Bewegung immer der Prozess einer Transformation. Diese kommt jedoch nirgendwo an, sondern muss permanent neu vollzogen werden. Ein fester Begriff wird wieder in das Chaos der Bewegungen überführt, um ihn neu aufzurichten. Deleuze hingegen vollzieht den Prozess der Transformation inmitten der Fülle. Die ganze Welt ist schon da, aber es kommt darauf an, sie zu verändern. Dies geschah durch neue Verbindungen und neue Vernetzungen von Bewegungen unterschiedlicher Bereiche. Damit ist die Diagrammatik kein Selbstzweck, sondern entwickelt mit den neuen Bewegungen auch Probleme alter Bewegungen, die sie durch die philosophische Tätigkeit zu lösen versucht. Als solche ist sie Präphilosophie. Der Begriff der Präphilosophie stammt aus den Bestimmungen des Gegenstands der Diagrammatik in Form der vorbegrifflichen Bewegung bei Descartes und der präphilosophischen Immanenzebene, die bei Deleuze den Begriffen vorausgeht. Präphilosophie charakterisiert insofern die Diagrammatik, da sie in der Lektüre philosophischer Texte die vorbegrifflichen Bewegungen auffinden muss. Es geht also nicht um die Bewegungen des Begriffs, sondern um die Bewegungen, die die Begriffe vorstrukturieren. Auf dieser Ebene ergeben sich Übergänge zwischen verschiedenen Philosophien, aber auch Übergänge von Sprache und Bildern in einer Philosophie. Wenn die Präphilosophie gerade die unterschiedlichen vorbegrifflichen Bewegungen nachvollzieht, dann kann sie

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auch in ganz anderen Bereichen fündig werden. Vielleicht findet sich in der Architektur eine Bewegung implementiert1, die zusammen mit einer philosophischen Argumentation einen Denkprozess ergibt. Vielleicht ergibt sich auch in Brettspielen2 eine Lösung, die ein philosophisches Problem neu stellen lässt. Die präphilosophische Diagrammatik begibt sich dann immer in den Vollzug vorbegrifflicher Bewegungen, dennoch geht es ihr darum, Begriffe zu schaffen. Denn sie entfaltet ihr volles Potential, wenn sie diese Bewegungen aufnimmt und sie zu Begriffen verfügt, um auf ein philosophisches Problem zu reagieren bzw. es zu fingieren. Durch die Veränderung der Voraussetzungen des Begriffs kann sie ihm schließlich eine neue Produktivität geben. Die Öffnung der Philosophie auf andere Gebiete hin beschreibt der Aspekt der Metaphysik. Die Diagrammatik ist metaphysisch, da sie die Bewegungen in den Verfestigungen sichtbar macht, sie nachvollzieht und so selbst beweglich bleibt. Damit kann sie nun nicht nur die Denkfiguren in den Diskursen beschreiben (wie Lyotard), und die Bewegungen im Zeichnen aufzeigen (wie Châtelet), sondern auch die Bewegungen bspw. der Kunst, der gesellschaftlichen Anordnungen oder auch von Sprache und Körpern allgemein nachvollziehen (wie Deleuze). Ein Plan, der das Panopticon entwirft, kann im Zeichnen verändert werden, was eine neue Funktion eröffnet, die auch einen anderen Aufbau fordert. Die Diagrammatik ist damit keine Theorie zu einer Praxis mehr, sondern bildet selbst eine Praxis, die sich mit anderen Praxen verwebt. Ein Problem einer Praxis kann dann möglicherweise durch eine andere Praxis gelöst werden, indem man die Bewegungen auffindet, die das Problem bedingen und diese moduliert. Immer wird es dann um verschiedene Stufen von Festigkeit gehen. Dem ungeordneten Kontinuum der Bewegungen muss man die ersten Formungen und Abweichungen derselben in Denkfiguren abgewinnen. Die Denkfiguren bilden ein Denkdiagramm, das Räume und Operationen festlegt. Das Denkdiagramm kann sich im Wissensdiagramm schließlich in einer Struktur verfestigen, die Relationen und Verhältnisse fixiert. Doch immer sind es Bewegungen, die diese Verfestigungen konstituieren. Will man diese verändern, muss man die Bewegungen wiederfinden. Dabei kann es aber nicht darauf ankommen, alle Verfestigung ins Chaos zu stürzen und gar keine Formen mehr auszubilden. Es geht nur

1

Vgl. Deleuzes Auseinandersetzung mit Spitzbögen im Barock, siehe Kapitel III.3 die-

2

Vgl. die neuesten Arbeiten von Steffen Bogen zu Diagrammatik und Brettspielen,

ser Arbeit. zuletzt vorgetragen auf der Konferenz: »Thinking with Diagrams. Space, Inscription, Knowledge« in Berlin unter dem Titel: The diagram as game-plan. Notation in Alfonso el Sabio’s Book of Games (1283).

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um die Variation einer Form, die nicht mehr produktiv ist. Doch am wenigsten produktiv sind die reinen chaotischen Bewegungen, wenn man ihnen keine Form gibt. Ein Denkdiagramm bildet damit eine Art der Verfestigung von Denkfiguren, die jedoch noch keine feste Struktur ausbildet. Es vollzieht vielmehr einen Prozess, einen Zusammenhang von Operationen, der etwas hervorbringt. Dieser Prozess wird über die Aspekte der Affektion, der Perzeption und der Konzeption bestimmt. Denkdiagramme sind affektiv, wenn sie eine Intervention anstreben, wenn sie eine Absetzung vollziehen. Hier entsteht die Bewegung zuallererst. Weiterhin können auch Denkfiguren andere Denkfiguren affizieren, indem sie sie anstoßen, modulieren und so eine Operation ausbilden. Der Zusammenhang der Denkfiguren wurde als Konzeption beschrieben. Die verschiedenen Denkfiguren bilden eine Ebene über die verschiedenen Bereiche hinweg und eröffnen in ihrem Zusammenspiel eine Strukturierung. Der Aspekt der Perzeption beschreibt das Denkdiagramm schließlich als einen Zusammenhang, der etwas sichtbar macht. Er legt damit die Wahrnehmung fest, ordnet die Sinnesdaten und gibt ihnen eine Struktur. Derart bestimmte Operationen vollziehen sich aber auch in ganz anderen Bereichen und gerade nicht nur in der Philosophie. Die Präphilosophie findet das Denken überall am Werk. Präphilosophie ist damit nicht mehr Kritik einer Schule, auch nicht Metaphysikkritik. Sie ist sogar selbst metaphysisch, jedoch in dem oben beschriebenen Sinn. Sie gräbt sich in andere Bereiche ein und findet dort die Denkbewegungen auf. Der Präphilosophie kommt es nun darauf an, die Denkbewegungen nachzuvollziehen und ihre begrifflichen Konsequenzen auszumachen. Insofern könnte man sagen, die Präphilosophie ist Begriffskritik. Ihre Vorgehensweise bildet dabei eine Art Metallurgie, denn die Verwicklung von Nichtphilosophie und Philosophie bringt immer neue begriffliche Legierungen hervor, die neue Probleme entfalten. Der Präphilosoph kann dann auch als Metallurg beschrieben werden. Er führt die diversesten Dinge zusammen, indem er den unterschiedlichen Feldern Prinzipien entwendet und sie in andere Bereiche überträgt. Immer jedoch für eine neue Weise der Produktion! Philosophische Metallurgie.

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Edition Moderne Postmoderne Friedrich Balke, Marc Rölli (Hg.) Philosophie und Nicht-Philosophie Gilles Deleuze – Aktuelle Diskussionen 2011, 342 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1085-7

Michael Fisch Werke und Freuden Michel Foucault – eine Biografie 2011, 576 Seiten, Hardcover, 39,80 €, ISBN 978-3-8376-1900-3

Oliver Flügel-Martinsen Jenseits von Glauben und Wissen Philosophischer Versuch über das Leben in der Moderne 2011, 144 Seiten, kart., 17,80 €, ISBN 978-3-8376-1601-9

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Edition Moderne Postmoderne Anke Haarmann Die andere Natur des Menschen Philosophische Menschenbilder jenseits der Naturwissenschaft 2011, 146 Seiten, kart., 18,80 €, ISBN 978-3-8376-1761-0

Miriam Mesquita Sampaio de Madureira Kommunikative Gleichheit Gleichheit und Intersubjektivität im Anschluss an Hegel Dezember 2013, ca. 224 Seiten, kart., ca. 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1069-7

Sabine Till Die Stimme zwischen Immanenz und Transzendenz Zu einer Denkfigur bei Emmanuel Lévinas, Jacques Lacan, Jacques Derrida und Gilles Deleuze Dezember 2013, ca. 200 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN 978-3-8376-2430-4

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Edition Moderne Postmoderne Mara-Daria Cojocaru Die Geschichte von der guten Stadt Politische Philosophie zwischen urbaner Selbstverständigung und Utopie 2012, 256 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2021-4

Stefan Deines, Daniel Martin Feige, Martin Seel (Hg.) Formen kulturellen Wandels 2012, 278 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1870-9

Christian Dries Die Welt als Vernichtungslager Eine kritische Theorie der Moderne im Anschluss an Günther Anders, Hannah Arendt und Hans Jonas 2012, 518 Seiten, kart., 39,80 €, ISBN 978-3-8376-1949-2

Gerhard Gamm, Jens Kertscher (Hg.) Philosophie in Experimenten Versuche explorativen Denkens 2011, 308 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1681-1

Heike Guthoff Kritik des Habitus Zur Intersektion von Kollektivität und Geschlecht in der akademischen Philosophie Juni 2013, 328 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2424-3

Hilge Landweer, Catherine Newmark, Christine Kley, Simone Miller (Hg.) Philosophie und die Potenziale der Gender Studies Peripherie und Zentrum im Feld der Theorie 2012, 346 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2152-5

Christian Lavagno Jenseits der Ordnung Versuch einer philosophischen Ataxiologie 2012, 228 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1998-0

Martin Müller Private Romantik, öffentlicher Pragmatismus? Richard Rortys transformative Neubeschreibung des Liberalismus Dezember 2013, 786 Seiten, kart., 49,80 €, ISBN 978-3-8376-2041-2

Sibylle Schmidt, Sybille Krämer, Ramon Voges (Hg.) Politik der Zeugenschaft Zur Kritik einer Wissenspraxis 2011, 358 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1552-4

Paul Sörensen, Nikolai Münch (Hg.) Politische Theorie und das Denken Heideggers August 2013, 252 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2389-5

Maximilian Lakitsch Unbehagen im modernen Staat Über die Grundlagen staatlicher Gewalt

Juliane Spitta Gemeinschaft jenseits von Identität? Über die paradoxe Renaissance einer politischen Idee

Mai 2013, 244 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2368-0

2012, 356 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-2236-2

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