Weltumsegler: Ethnographie eines mobilen Lebensstils zwischen Abenteuer, Ausstieg und Auswanderung [1. Aufl.] 9783839428825

Around the world under sails - how much reality can this dream take? The first German ethnography of »ordinary« circumna

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Weltumsegler: Ethnographie eines mobilen Lebensstils zwischen Abenteuer, Ausstieg und Auswanderung [1. Aufl.]
 9783839428825

Table of contents :
Inhalt
PROLOG
Kapitel 1. Hinführung zu Thema, Theorie & Methode
Kapitel 2. »Die Vorausfahrenden informieren die Hinterherfahrenden«
Kapitel 3. Von See-Touristen, Seevögeln und echten Seglern
Kapitel 4, Vom Abenteuer zum Un-Ruhestand? Zu Kontinuität und Wandel
Kapitel 5. Die Fahrtenyacht als Gefährt(e) und Zuhause
Kapitel 6. Sailing in Solitude, Cruising in Company – Die soziale Praxis
Kapitel 7. Zwischen Traum und Realität: Abenteuer, Ausstieg und Auswanderung
EPILOG & DANK
Schiffe & Reisen
Literatur
»TRANS-OCEAN« IN ZAHLEN

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Martina Kleinert Weltumsegler

Kultur und soziale Praxis

2014-10-29 11-17-31 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 034d380988153630|(S.

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4) TIT2882.p 380988153638

meinen Eltern für ihre Geduld mit mir und dieser Arbeit

Die Kulturanthropologin und Filmemacherin Martina Kleinert durchsegelte mit ihrem Partner für Dreharbeiten in der Südsee den halben Pazifik. Dort entdeckte sie ihr Forschungsfeld der Weltumsegler. Heute lebt sie in Berlin.

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Martina Kleinert

Weltumsegler Ethnographie eines mobilen Lebensstils zwischen Abenteuer, Ausstieg und Auswanderung

2014-10-29 11-17-31 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 034d380988153630|(S.

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Durch eine anteilige Übernahme der Druckkosten gefördert von »Trans-Ocean. Verein zur Förderung des Hochseesegelns e.V«.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: privat Satz: Martina Kleinert Druck: CPI – Clausen & Bosse, Leck Print-ISBN 978-3-8376-2882-1 PDF-ISBN 978-3-8394-2882-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

2014-10-29 11-17-31 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 034d380988153630|(S.

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Inhalt

Prolog | 9 Kapitel 1 Hinführung zu Thema, Theorie & Methode

1.1 »Der erfüllbare Traum« Die Weltumsegelung als Forschungsgegenstand | 11 1.2 Mobilität als Praxis Zur theoretischen Verankerung von Fahrtenseglern | 20 1.3 Die Quellenlage zum Segeln als Lebensstil: eine Spurensuche | 26 1.4 Zur Position der Forscherin | 36 1.5 Zu Konzeption und Prozess der Feldforschung | 42 Kapitel 2 »Die Vorausfahrenden informieren die Hinterherfahrenden«

2.1 Die Geschichte(n) moderner Weltumsegelungen | 57 2.2 Inspiration oder Dekonstruktion? Vom Umgang mit seglerischen Idolen | 76 Kapitel 3 Von See-Touristen, Seevögeln und echten Seglern

3.1 Das Paradoxon der normalen Weltumsegelung | 87 3.2 Das vielschichtige Selbstbild gewöhnlicher Fahrtensegler | 96 Intermezzo | 119 Kapitel 4 Vom Abenteuer zum Un-Ruhestand? Zu Kontinuität und Wandel

4.1 Fakten und Faktoren des Wandels | 121 4.2 Die »alte« Zeit | 133 4.3 Die »neue« Zeit | 156 4.4 »Both ocean cruising boats and the people sailing them have changed« | 186

Kapitel 5 Die Fahrtenyacht als Gefährt(e) und Zuhause

5.1 Segeln im Zeitalter globaler Hypermobilität | 211 5.2 Funktionen und Funktionalität der Fahrtenyacht | 222 5.3 Zur Verhäuslichung der Fahrtenyacht | 236 5.4 Die Erfahrung »Fahrtensegeln« | 250 Kapitel 6 Sailing in Solitude, Cruising in Company Die soziale Praxis

6.1 Bord-Beziehungen | 269 6.2 Heimat-Beziehungen | 286 Intermezzo | 300 6.3 Segler-Beziehungen | 301 Kapitel 7 Zwischen Traum und Realität: Abenteuer, Ausstieg und Auswanderung | 325 Epilog & Dank | 342 Schiffe & Reisen | 345 Literatur | 347

»Trans-Ocean« in Zahlen | 359

In den Interviewauszügen handelt es sich bei den Namen der Gesprächspartner wie auch ihrer Schiffe um anonymisierte Angaben. Der Zusatz (FB), Fragebogen, kennzeichnet schriftliche Antworten. – Um eine gewisse sofortige Kontextualisierung der Interviewauszüge zu ermöglichen, werden diese durch Angaben zu Reisezeitpunkt und -dauer, sowie eventuell vorzeitigem Endpunkt der Weltumsegelung ergänzt. Diese Angaben sind folgendermaßen zu lesen: Beispiel 1: SY GUNDEL, 1972-78 eine komplette Weltumsegelung, in Deutschland (Europa) begonnen und beendet Beispiel 2: SY COSIMA, seit 1994 eine Weltumsegelung »in der Schwebe«, ihr Abschluß wird nicht unbedingt angestrebt Beispiel 3: SY ORNELLA, 1985-87 (NZ) eine Weltumsegelung, die vorzeitig und ungeplant in Neuseeland beendet wurde Informationen zur Schiffsgröße, dem Status als Einhandsegler, Paar oder Familie, dem Alter der Akteure bei Aufbruch oder Besonderheiten der Reiseroute können anhand des anonymisierten Schiffsnamens der Aufstellung SCHIFFE & REISEN entnommen

P ROLOG Ein privater Stoßseufzer der Selbstbeobachtung. Für den 19. August 2001 steht in meinem Reisetagebuch: »Nuku’alofa, Tonga. Abendessen im Waterfront Café mit Frank und Gisela, mit Peter und uns allen, alles ›Yachties‹, nur Segelgeschichten (fühle mich fehl am Platz).« – Frank und Gisela entschieden sich vor Jahren auf ihrer Weltumsegelung, in Tonga zu bleiben, betreiben ein Installations- und Sanitärgeschäft und amtieren als Trans-Ocean-Stützpunktleiter. Auch der fast 70jährige Peter lebt nach einer Weltumsegelung nun im Südpazifik und pendelt zwischen Neuseeland, Tonga und Fiji. Er wartet in der Hauptstadt auf das Flugzeug aus Auckland, mit dem seine Lebensgefährtin nachkommt. Gemeinsam werden sie dann die nördlicheren Ha’apai Inseln des Archipels erkunden. »Wir alle« sind ich und mein Partner Thorolf, sowie Udo. Auch er ein im Pazifik hängengebliebener Weltumsegler, der im neuseeländischen Whangarei Yachties seine Dienste bei Reparaturen und Wartungsarbeiten anbietet. Von ihm hatte Thorolf vier Monate zuvor eine 30 Jahre alte Segelyacht gekauft, die Udo für uns überholte und nach Tonga überführte. In den nächsten zwei Wochen würde er mit uns, als Einführung ins Blauwassersegeln und zur Vorbereitung unserer Reise durch den Pazifik, noch den Zweitagestörn über die ca. 200 Seemeilen zu der bei Charter- wie Weltumseglern überaus beliebten Vava’u Gruppe unternehmen. Dort würde er sich eine Mitsegel-Gelegenheit zurück nach Neuseeland suchen. Vor zwei Tagen erst waren wir aus Deutschland in Tonga gelandet, um das Boot zu übernehmen. Noch sind wir nicht an Bord gezogen, noch sind wir keine einzige Seemeile mit unserer Yacht gesegelt. Allein durch den Besitz der Fahrtenyacht, an deren Saling der von uns mitgebrachte TO-Stander hängt, und eingeführt durch unseren ›Skipper‹, der Peter aus Neuseeland kennt, und Frank und Gisela noch von früheren Reisen, werden wir in Nuku’alofa praktisch sofort in einen Kreis aktiver und ehemaliger Fahrtensegler aufgenommen. Aber »Yachties«, das sind die anderen. – Es befremdet mich, daß der ganze Abend mit »Segelgeschichten« bestritten wird, und die Sprache kaum einmal auf die in meinen Augen viel interessantere Fragen nach der aktuellen Lebenssituation in einem südpazifischen Inselstaat kommt. Ebenso verwundert erlebe ich in den folgenden Wochen und Monaten, wie aufgeschlossen und interessiert andere Fahrtensegler immer wieder auf uns zugehen, wie rasch Einladungen und Hilfsangebote ausgesprochen werden. Wir teilen ganz offensichtlich die Lebenswelt »gewöhnlicher« Weltumsegler. Wir finden ohne unser besonderes Zutun freundliche Aufnahme in eine umfassende »Seglergemeinschaft«. Wir gehören – irgendwie, praktisch von einem Tag zum anderen – durch unser Segelboot zu einer »Szene« von Langfahrtseglern. Und sind jetzt also Yachties.

Abbildung 1: Dresden, 2005 – WELTUMSEGELUNG AUSZEIT »Aussteigen auf Zeit! Wer hat nicht schon einmal davon geträumt? Gerhard und Sabine Schmidt aus Dresden haben sich diesen Lebenstraum erfüllt und sind als erste Sachsen mit der Yacht SUMMERTIME um die Welt gesegelt. «

Kapitel 1 Hinführung zu Thema, Theorie & Methode

1.1 »D ER ERFÜLLBARE T RAUM « D IE W ELTUMSEGELUNG ALS F ORSCHUNGSGEGENSTAND Gibt es eine diffuse Sehnsucht nach der großen Freiheit, die sehr viele Menschen ganz konkret von einer Weltumsegelung träumen lässt? Oder verkörpert eine Erdumrundung auf einer kleinen Segelyacht die Suche einiger weniger nach dem ›letzten Abenteuer‹, auf dem extreme Herausforderungen erfahren und Grenzen überschritten werden können? Eine Umfrage zum Thema »Deutscher Traumurlaub«, die von der Fakultät für Tourismus der Hochschule München und einem Online-Reiseportal durchgeführt wurde, legt nahe, daß zumindest die Vorstellung einer Weltumsegelung recht populär ist. Denn mit 49 Prozent erscheint es gut der Hälfte der Befragten reizvoller, »Einmal um die Welt [zu] segeln«, als eine »Hundeschlittenexpedition durch die Antarktis« (11 %) oder eine »Reise zum Mond« (8 %) anzutreten (Comvel GmbH 2009). Inwiefern verweisen diese Zahlen aber lediglich ganz allgemein auf Fernweh und vage Reise-Sehnsüchte, auf imaginierte Abenteuer und Gegenwelten? Repräsentiert eine Weltumsegelung tatsächlich einen attraktiven »Traum-Urlaub« – oder aber noch weit mehr als das, einen relativ verbreiteten »Lebenstraum«? Anders als eine Hundeschlittenfahrt durch lebensfeindliche Schneewüsten, scheint der Begriff »Weltumsegelung« nicht weniger klischeebehaftet Assoziationen eines ›paradiesischen‹ Lebens hervorzurufen: die einsame Segelyacht, die vor dem palmengesäumten Sandstrand im glasklaren Wasser einer Lagune ankert oder ein stolzer Skipper, der sein Schiff durch sanfte Wellen steuert, mit einem Cocktail in der Hand den tropischen Sonnenuntergang genießend. Weniger verbreitet dürften konkrete Vorstellungen davon sein, welche Anstrengungen, Herausforderungen und Risiken an das Erreichen eines Insel-Paradieses geknüpft sind: etwa bei Ozeanüberquerungen wochenlang auf einer rollenden »Nußschale« zu leben, mit Seekrank-

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heit, Schlechtwetter oder Flaute, oder schlichtweg dem tropischen Klima der ›traumhaften‹ südlichen Breiten zurechtzukommen. Aber auch, was es heißt, dort ganz gewöhnliche Alltagsaufgaben zu bewältigen, von der Großen Wäsche mit nur wenigen Litern Süßwasser bis zum bürokratischen Prozedere des Ein- und Ausklarierens. Viele dieser Aspekte sind weder im stereotypen Bild der Weltreise noch des Abenteuers »Weltumsegelung« enthalten. Das eindeutige Ergebnis dieser Umfrage lässt sich aber auch so deuten, daß eine Weltumsegelung, im Gegensatz zur Mondreise, prinzipiell für jedermann zu realisieren ist. Um die Welt zu segeln muß keine bloße Wunschvorstellung bleiben, sondern ist, wie ein deutsches Seglerpaar seine erste Weltumsegelung im Titel ihres Buches charakterisiert, eben Der erfüllbare Traum (Nölter/Michaelis 2005). Das Plakat zu einem Diavortrag des »1. Sächsischen Weltumseglers« verkündet explizit, daß ein Lebenstraum verwirklicht wurde (Abb. 1). Der Untertitel »3½ Jahre zwischen Traum und Realität« verweist dabei auf das grundlegende Spannungsfeld meiner Arbeit. Realisiert sich in jeder Weltumsegelung immer ein Lebenstraum – und wer träumt ihn? Was motiviert jemanden, auf eigenem Kiel die Welt umrunden zu wollen – sind die Beweggründe mit Abenteuerlust und sportlichem Ehrgeiz, Zivilisationsüberdruß, Natursehnsucht und Eskapismus hinreichend erklärbar? Welche Träume sollen sich in der Weltumsegelung erfüllen – vor allem aber, in welchem Verhältnis stehen sie zu der Realität der »Auszeit – Weltumsegelung«? Basierend auf empirischer Forschung soll in der vorliegenden Studie die Lebenswelt von Fahrtenseglern aus deren Innensicht untersucht werden. Das vielschichtige Selbstbild von »Yachties« spiegelt dabei die Heterogenität der Motive und Ziele derer wieder, die sich für eine räumlich-geographisch nirgendwo fest verortete, mobile Lebensweise entscheiden. Inwiefern ist eine Weltumsegelung eine extravagante, abenteuerliche Form der Weltreise, oder sind Segeln und Leben an Bord der eigentliche Sinn und Selbstzweck des Unterwegsseins? Fahrtensegler verkörpern nicht nur theoretisch, sondern in der gelebten Praxis das Prinzip eines settling in motion, eines sich Einrichten und Verorten in der Bewegung. In welchem Umfang finden sich Weltumsegler aber auch in der Feststellung wieder, »[c]ruisers commit to this esoteric lifestyle mainly because the lifestyle is autotelic« (Lusby/ Anderson 2010: 85). Wie eindeutig läßt sich eine mehrjährige Rundreise per Segelyacht als eine temporäre »Auszeit« von der grundlegenden Entscheidung für einen langfristig und genuin mobilen Lebensstil abgrenzen? Fließend geht das eine in das andere über, gehören die gewöhnlichen Alltagsroutinen des Bordlebens maßgeblich zum außergewöhnlichen Erlebnis »Weltumsegelung« dazu. Das funktionale Gefährt wird dem Fahrtensegler dabei zum emotionalen Gefährten, bilden Schiff und Besatzung eine Einheit, wie es sich einerseits

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in der Personifizierung der Yacht, anderseits in der Identifikation der Seglerinnen und Segler1 mit ihren Schiffen widerspiegelt. Auch wenn es sich bei jeder Weltumsegelung immer um ein in höchstem Maße individualistisches Unterfangen handelt, in dem Unabhängigkeit, Selbstbestimmheit und -verwirklichung zum Ausdruck kommen, verorten sich Fahrtensegler in der ›Seglergemeinschaft‹, dem sozialen Raum der cruising community. Die Flüchtigkeit des Lebensstils ›Segeln‹ ist auch dieser Gemeinschaft inhärent, die nicht lokal verortet werden kann, weder an ein begrenztes Gebiet noch eine begrenzte Personengruppe gebunden ist, sondern aus dem sozialen Beziehungsgeflecht der Segler besteht. Während diese Beziehungen unterwegs in ihren immer nur temporär lokalen Konstellationen einen kontinuierlichen Wandel erleben, erlaubt das Zugehörigkeitsgefühl zur Seglergemeinschaft eine konstante Verortung, über räumliche und zeitliche Grenzen hinweg. Den vielen, die von einer Weltumsegelung träumen, stehen einige wenige gegenüber, die tatsächlich den Schritt wagen, loszusegeln. In all ihrer Außergewöhnlichkeit stellen Weltumsegelungen dennoch ein Stück westlicher Alltagskultur dar, deren spezifische kulturelle und soziale Praxen ihrer Akteure hier präsentiert und analysiert werden. Mag es sich dabei auch um ein gesellschaftliches Randphänomen handeln, dem außerhalb von Seglerkreisen wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, so ist die Lebenswelt von Blauwasserseglern, die Praxis des Fahrtensegelns als gelebte Mobilität, in ihrem Zusammenfall von Reise und Lebensstil, berechtigter Forschungsgegenstand einer Kulturanthropologie, in der »nicht das statistisch Repräsentative, sondern das kulturell Signifikante und Charakteristische« (Kaschuba 2003: 195) im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses steht. Individuelle Weltumsegelungen auf kleinen Booten werden nie ein echtes Massenphänomen werden, aber die Zahl von Langfahrtseglern hat über die Jahrzehnte stetig zugenommen. Tausende von ihnen sind auf den Weltmeeren unterwegs. Bereits vor vierzig Jahren waren Atlantiküberquerer auf Barbados schon eine Alltäglichkeit, hat die Karibik heute für viele Blauwassersegler ihren Reiz verloren, weil sie von Yachties überlaufen ist. Statistiken aber, die etwa begonnene oder vollendete Weltumsegelungen pro Jahr erfassen würden, sucht man vergeblich, werden weder Langzeitsegler noch Fahrtenyachten in irgendeinem Register geführt. Mit Sicherheit läßt sich allerdings sagen, daß Weltumsegelungen als Ausdruck individueller Lebensentwürfe, als selbstbewusste und -bestimmte Entscheidung für einen alternativen Lebensstil, ohne den Wohlstand, die Freiheiten und Möglich-

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Dem gängigen Jargon meines Untersuchungsfeldes gemäß, und zugunsten der Lesbarkeit, verzichte ich auf ein durchgängiges Ausschreiben von Weltumseglerinnen und -segler, Fahrtensegler und -seglerinnen usw. Das allgemein gebräuchliche maskuline Genus »Segler« ist in diesem Kontext ebenso genderneutral zu verstehen wie das Englische cruiser oder yachtie, bzw. das eingedeutschte Yachtie.

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keiten der westlichen Welt nicht denkbar sind, es sich also ausschließlich um ein Phänomen (spät)moderner Industrienationen handelt. Vereinfacht läßt sich zusammenfassen, daß Fahrtensegler mehrheitlich aus den USA, aus Kanada, Großbritannien, Frankreich, aus Deutschland und aus der Schweiz stammen, aus Schweden, Norwegen, Südafrika, Australien und Neuseeland, aber auch belgische, niederländische, spanische, italienische und österreichische Fahrtenyachten unterwegs sind, wie auch Segelschiffe unter polnischer und tschechischer Flagge und Yachties aus Brasilien, Argentinien, Chile, oder auch Japan. 2 Um mich jedoch nicht in beliebigen Einzelfällen zu verlieren, grenzte ich das konkrete Untersuchungsfeld auf deutsche bzw. deutschsprachige Weltumsegler ein, die innerhalb der internationalen Fahrtenseglerszene relativ breit vertreten sind. Dieser Fokus reflektiert dabei auch einen Aspekt der praktischen Organisation der Seglergemeinschaft, und ebenso meinen Zugang zum Feld. Zugleich erleichterte diese Einschränkung meine Forschung auch dergestalt, daß ich mich bei Gesprächen und Interviews kaum mit sprachlichen und interkulturellen Übersetzungsprozessen und potentiell daraus erwachsenen Missverständnissen konfrontiert sah. Außerdem sorgte die Tatsache, daß konsequenterweise der Ausgangspunkt zur Weltreise in Deutschland bzw. im Mittelmeer lag, für eine grundlegende Vergleichbarkeit der Reisen: mit dem Atlantik als dem ersten großen zu überquerenden Meer, mit der Südsee als TraumZiel am anderen Ende der Welt. Dagegen liegen beispielsweise von der Ostküste der USA aus gesehen die »Segelparadiese« der Karibik gleich vor der Haustür, erreichen amerikanische Yachties von der Westküste unmittelbarer als von Europa aus die Inselwelt Polynesiens, sind Herausforderungen und Höhepunkte einer Weltumsegelung insofern zeitlich und räumlich anders verteilt. Außerdem erzählt, trotz der Internationalität der Seglergemeinschaft, jede Nation auch eine spezifisch eigene Geschichte »gewöhnlicher« Weltumsegelungen, finden Reisen zu verschiedenen Zeiten in einem unterschiedlichen gesellschaftlichen Klima statt, tragen nationale soziokulturelle und gesellschaftspolitische Umstände dazu bei, wer wann und wo überhaupt zur Weltumsegelung aufbrechen kann, und auch, wie Reisen rezipiert werden. Durch die Eingrenzung des Feldes auf Segler aus Deutschland, sowie der Schweiz und Österreich3 konnte ich zeitgeschichtlich einen relativ homogenen Bezugsrahmen vorrausetzen, einschließlich gemeinsamer seglerischer Vorbilder – Ausnahmen und Abweichungen als solche leichter erkennen. Implizit

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Diese Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie beruht, mangels statistischer Daten, auf subjektiven Erfahrungswerten von Langzeitseglern, eigener Anschauung im Südpazifik und unsystematischen Angaben aus der Seglerliteratur.

3

Zweifelsohne wäre es interessant, sich in eigenständigen Forschungen national ausdifferenziert allein mit Weltumseglern gerade aus den Binnen- und Alpenländern Österreich und Schweiz zu befassen.

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warf mein Fokus auf »deutsche Weltumsegler« damit aber auch von Anfang an die Frage auf, in welchem Umfang nationale Identitäten bzw. sprachliche Zugehörigkeiten innerhalb der cruising community aufgehoben werden. Der Begrenzung auf deutschsprachige Akteure stelle ich dabei eine sowohl gegenwartsbezogene wie historische Ausrichtung – indem ich mit Fahrtenseglern der vergangen vierzig Jahre sprach – und eine etwas weiter gefasste Definition der eigentlichen »Weltumsegelung« zur Seite. Denn faktisch ist die Welt erst in dem Moment umsegelt, in dem die eigene, ausfahrende Kurslinie übersegelt wird. Im Kontext meiner Arbeit verstehe und gebrauche ich den Begriff »Weltumsegler« jedoch in Hinblick auf die Intention der Akteure: entscheidend ist für mich allein die Absicht, »rund zu gehen«. Denn gerade auch die Umstände, unter denen ursprüngliche Pläne geändert werden, gehören zu dem Gesamtbild dieses Lebensstils. Etwa der freiwillige Ausstieg aus dem Ausstieg, wenn Weltumsegler hängenbleiben und zu Auswanderern werden. Zugleich schließt diese Definition jene Yachties und Fahrtensegler aus, die vor allem saisonal und relativ ›stationär‹ im Mittelmeer oder der Karibik an Bord des eigenen Segelschiffes leben. Ihrem Lebensstil fehlt bei allen Gemeinsamkeiten das für mich entscheidende Moment des zumindest beabsichtigen beständigen Weiterziehens. Ein kulturwissenschaftliches Verständnis gegenwärtiger Fahrtensegler und Fahrtenseglerinnen, deren Unterwegssein auf den ersten Blick als Prototyp eines mobilen Lebensmusters der späten Moderne angesehen werden könnte, ist ohne die Berücksichtigung der historischen Dimension des Phänomens Weltumsegelung nicht möglich. In diesem Kontext spielen allerdings die Entdeckungreisen der frühen Neuzeit, spielen ein Fernando Magellan, Vasco da Gama oder James Cook keine Rolle. Die Geschichte individueller Weltumsegelungen beginnt Ende des 19. Jahrhunderts mit der Reise des Kapitän Joshua Slocum, der erstmals und allein die Welt auf einer kleinen Segelyacht umrundet. Die Transozean-Reisen nachfolgender Langfahrtsegler auf kleinen Booten, die im Laufe des 20. Jahrhunderts in zunehmender Zahl aufbrechen, werden bald schon nicht mehr »als vabanque-Spiel, als reines Abenteuer«, sondern als »sportliche Unternehmen« gesehen, in denen seglerisches und navigatorisches Können unter Beweis gestellt werden, wie es etwa 1931 in der Zeitschrift Die Yacht über die Blauwasserfahrt des Norwegers Eric Tambs mit Familie heißt. Doch neben Abenteuerlust und sportlichem Ehrgeiz spielen auch für diese frühen Weltumsegler persönliche Freiheit, Unabhängigkeit und die Intensität des Lebens unter Segeln eine bedeutende Rolle. Heute ist es freilich immer noch möglich, eine Weltumsegelung als sportliches Extremabenteuer und seglerische Höchstleistung zu gestalten. Weltrekordversuche einzelner Segler, die auf Superyachten zu Non-Stop-Weltumrundungen oder zu spektakulären Alleinfahrten aufbrechen, werden durchaus medienwirksam inszeniert und sorgen für Schlagzeilen. Etwa ein neuer Weltrekord für die schnellste

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Weltumsegelung, wie ihn 2005 die Engländerin Ellen MacArthur mir ihrer Fahrt in nur 71 Tagen aufstellte. Oder wenn, wie 2009, das Vorhaben der dreizehnjährigen Niederländerin Laura Dekker, als jüngste Weltumseglerin in die Geschichte einzugehen, durch Gerichtsbeschluss um ein Jahr verschoben werden muss. Diese sportlichen Extreme stehen quasi an einem Ende eines Kontinuums mit vielfältigen Übergangsformen, dessen anderes Ende »normale« Weltumsegelungen darstellen, in deren mehrjährigem Verlauf entlang »gewöhnlicher« Routen Dutzende von Häfen und Inseln angelaufen werde. Trotzdem bleibt auch eine gewöhnliche Weltumsegelung auf der »Sonntagsroute« für den Einzelnen ein außergewöhnliches Wagnis; es handelt sich zweifelsohne um eine außerordentliche Leistung, es bedarf nach wie vor großen Mutes, aufzubrechen. Allerdings, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und globalen Kontexte für Fahrtensegler haben sich gewandelt, ebenso wie die konkreten segelpraktischen und navigatorischen Anforderungen. Daß Reisen immer auch ein Spiegel ihrer Zeit sind, gilt auch für Weltumsegelungen. Die ersten Atlantiküberquerungen und Erdumsegelungen waren teils wagemutige Abenteuer, teils zweckfreie Vergnügungsreisen, teils wurden sie als sportlich-seglerische Erstleistungen gefeiert. Im Kontext der Weltwirtschaftskrise der 1920er und 30er Jahre wurden Transozeanfahrten aber auch aus ökonomischen Zwängen unternommen. Ein einfaches Segelboot – vom ausgemusterten Fischkutter oder Rettungsboot bis zum Eigenbau – stellte ein erschwingliches Transportmittel dar; es ermöglichte auch mittellos, aus eigener Kraft, eine Überfahrt nach einem der gelobten Auswandererziele von den USA bis Neuseeland anzutreten. Haben sich solche Überlegungen heute gänzlich überholt? Lassen sich zu unterschiedlichen Zeiten grundlegend unterschiedliche Motivationen festmachen? Inwiefern reflektiert das Phänomen Weltumsegelung etwa den von Hartmut Rosa für die 1970er Jahre konstatierten »Beschleunigungsschub«, in dem damit begonnen wurde, Veränderungen im Raum-Zeit-Regime der Moderne zu diagnostizieren (Rosa 2005). Sind es in den 1970er Jahren durchwegs junge Aussteiger, Hippies, Zivilisationsflüchtlinge, die das Segelboot als (Reise)Mittel zum Zweck für sich entdecken? Sind die Weltumsegler des 21. Jahrhunderts allesamt wohlhabende, frühpensionierte, die Annehmlichkeiten wärmerer Gestade suchende Ruhestandsmigranten? Davon ausgehend, in welchem Umfang ein historischer Wandel des Phänomens Weltumsegelung stattgefunden hat, und woran dieser festzumachen ist, richtete sich der Blick im Verlauf der Forschung zunehmend auf die gelebte Praxis des Fahrtensegelns. Auf spezifische Art und Weise bedeutet Segeln als Lebensstil settling in motion, ein sich Einrichten in der Bewegung. Daraus ergab sich schließlich eine dreiteilige Ordnung der vorliegenden Arbeit. Der erste Teil ist als »Hinführung zu Thema, Theorie & Methode« angelegt. Auf einen kursorischen Abriß des theoretischen Rahmens, in dem sich Weltumsegler verorten lassen können (Kapitel 1.2), folgt eine »Spurensuche« nach kultur-

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wissenschaftlichen Quellen zum Fahrtensegeln, wobei dieser Literaturüberblick berücksichtigt, daß das Fahrtensegeln als mobile Lebenspraxis unterschiedliche Einzelaspekte beinhaltet, und entsprechend aus ganz verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden kann (Kapitel 1.3). Die anschließende Hinführung zur Methode beschreibt meinen Weg ins Feld – von der »beobachtenden Teilnahme« zur »teilnehmenden Beobachtung«. Ich möchte erläutern, in welcher Weise meine Position als Ex-Yachtie die eigentliche Forschung bestimmt hat (Kapitel 1.4), sowie deren zeitlich-räumlichen Verlauf und die zur Datengenerierung angewandten Methoden umreissen. Damit verbunden ist abschließend eine detaillierte Vorstellung meines Samples mit einigen Überlegungen über dessen Repräsentativität, sowie der Repräsentation der Stimmen ›meiner‹ Weltumsegler (Kapitel 1.5). Der zweite Teil (Kapitel 2, 3 & 4) kreist um die Geschichte des Phänomens Weltumsegelung und der damit verbundenen Selbstverortung von Fahrtenseglern in zeitlich-historischen wie ideologischen Kontexten. Mit der hier skizzierten historischen Entwicklung individueller Weltumsegelungen im 20. Jahrhundert möchte ich zumindest einige jener cultural heroes vorstellen, die sich mit ihren Reisen in ein kollektives Seglergedächtnis eingeschrieben haben (Kapitel 2.1), und aufzeigen, welchen Einfluß gerade ihre Bücher auf deutschsprachige Weltumsegler hatten, aber auch, wie eigene Erfahrungen den Blick auf seglerische Idole verändern können (Kapitel 2.2). Angesicht der historischen Veränderungen möchte ich dann erörtern, wo sich die Fahrten- und Weltumsegler der letzten vierzig Jahre ihrem Selbstverständnis nach konzeptionell verorten: Zum einen die Frage, wie das von den Akteuren selbst bemühte Bild der »normalen Weltumsegelung« zu verstehen ist (Kapitel 3.1), zum anderen die vielfältigen und -schichtigen Identitätskonzepte, die sich in den Metaphern vom See-Touristen bis zum Rumtreiber spiegeln, mit denen Weltumsegler ihren Reise- und Lebensstil beschreiben. Und welche spezifischen Distinktionen sowohl gegenüber Außenstehenden wie innerhalb der Seglergemeinschaft darin zum Ausdruck kommen (Kapitel 3.2). Gilt auch im Kontext von Weltumsegelungen »früher war alles besser«? Bevor diese Frage beantwortet werden kann, muß untersucht werden, was sich – im Zeitraum der letzten vierzig Jahre – tatsächlich verändert hat und worin dieser Wandel begründet ist; soziokulturelle ebenso wie spezifisch nautische Entwicklungen, vornehmlich die Verbreitung der Satellitennavigation, haben das Erscheinungsbild von Fahrtenseglern grundsätzlich verändert (Kapitel 4.1). Aus der fahrtenseglerischen Innenperspektive und anhand besonders charakteristischer Aspekte – von der individuellen Motivation bis zum Zugehörigkeitgefühl zur cruising community – möchte ich dabei zunächst ein dichtes Bild jener »alten Zeit« umreißen, die in den frühen 1990ern zuende ging (Kapitel 4.2), um ihr dann ein ebenso in sich geschlossenes Bild der »neuen Zeit« gegenüberzustellen (Kapitel 4.3). Daß dieser nicht zuletzt an die materiell-technologischen Entwicklungen geknüpfte Zeitenwechsel als das Ende einer Epoche des Fahrtensegelns verstanden wird, führt anschließend

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zu der Frage, inwieweit dieser Generationenwandel tatsächlich mit einem so weitreichenden Mentalitätswandel einhergeht, wie es dem Selbstverständnis mancher Segler nach der Fall ist (Kapitel 4.4). Settling in motion ist gewissermaßen die Leitfrage des dritten Teils (Kapitel 5, 6 & 7); unter dem Blickwinkel des sich Einrichten in der Bewegung möchte ich hier den Bogen von der Fahrtenyacht, als die den Lebensstil bestimmende materielle Grundlage, bis zur sozialen Praxis der Seglergemeinschaft spannen. Allgemeine Überlegungen über die wesentliche Charakteristik des Reisemittels Segelyacht im 21. Jahrhundert (Kapitel 5.1) leiten über zu seinen mehrdimensionalen Funktionen als Transport- und Verkehrsmittel, als Heimstatt und als Zuhause (Kapitel 5.2). Die Frage nach der »Verhäuslichung« von Fahrtenyachten verbindet sich dabei mit einer Analyse der konkreten Raumnutzung und Dingwelt an Bord (Kapitel 5.3). Die Wechselbeziehung zwischen der Materialität des Reisegefährts und der durch sie bedingten außergewöhnlichen und zugleich alltäglichen Lebenswirklichkeit spiegelt sich in Arbeits-Routinen ebenso wie in spezifischen Natur- und Selbsterfahrungen, wie sie etwa im Flow-Erlebnis zum Ausdruck kommen (Kapitel 5.4). Dabei sind die Einsamkeit einer Ozeanüberquerung und die Geselligkeit in Häfen und Ankerbuchten zwei Seiten ein und desselben Erlebnisses »Weltumsegelung«, und bilden zugleich das Spannungsfeld sozialer Beziehungen ab, in dem sich Fahrtensegler grundsätzlich bewegen: Nähe und Distanz, Verbundenheit und Entfremdung. Die Analyse der sozialen Praxis dieses mobilen Lebensstils beginnt bei den »Bord-Beziehungen« als dem engsten, unmittelbaren Umfeld (Kapitel 6.1), und führt über das Verhältnis der Akteure zu sozialen und räumlichen Netzwerken in der Heimat (Kapitel 6.2) schließlich zu den vielfältigen Erscheinungsformen und dem Selbstverständnis der cruising community, der Seglergemeinschaft mit ihren formalen und informellen Organisationsstrukturen (Kapitel 6.3). Abschließend (Kapitel 7) möchte ich der Frage nachgehen, wie es sich um den Traum von der Weltumsegelung und die Realität des Langzeitsegelns verhält. Wird das »Abenteuer« Segeln zwangsläufig zur »Lebensphilosphie«? Welchen Stellenwert nimmt die Weltumsegelung im Lebenslauf des Einzelnen ein, und wie verhält es sich zu seinem Alter? Unter welchen Umständen folgt auf den temporären Ausstieg die stationäre Migration? Inwieweit trägt die Entscheidung zum open-end Segeln dabei selbst die Züge einer Auswanderung, kann das Langzeitsegeln als ein Seßhaft-Werden in der Bewegung verstanden werden? Und wie tragfähig ist die Perspektive eines permanenten Lebens in Bewegung, auf lange Sicht?

Abbildung 2: Schweden, 1975 – HR Rasmus 35 Riss einer klassischen Fahrtenyacht, die nach wie vor von Blauwasserseglern geschätzt und gesucht wird, und in fast jedem Hafen der Welt anzutreffen ist.

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1.2 M OBILITÄT ALS P RAXIS – Z UR THEORETISCHEN V ERANKERUNG VON F AHRTENSEGLERN Mobilität als Gesellschaftsprinzip l Segeln als serious leisure l Die Weltumsegelung als Welt-Reise l Leben unter Segeln als lifestyle migration

Ebenso wenig, wie es die Weltumsegelung gibt, bietet sich zur Diskussion der zahlreichen unter diesem Begriff zusammengefassten Varianten von Reise- und Lebensformen ein eng gefaßter begrifflicher und theoretischer Bezugsrahmen an. Zum Verständnis und der Analyse der verschiedenen, sich zeitlich und räumlich weniger ablösenden, sondern vielmehr überlagernden Praxen eines Lebens unter Segeln und seiner vielfältigen Komponenten aus einer kulturanthropologischen Perspektive4 ist es notwendig, sowohl auf Konzepte der Freizeit- und Lebensstilforschung, der Reise- und Tourismusforschung wie nicht zuletzt der Migrations- und Mobilitätsforschung zurückzugreifen. Deren Zusammenfallen beziehungsweise Ineinandergreifen am konkreten Untersuchungsgegenstand möchte ich hier skizzieren. Mobilität als Gesellschaftsprinzip Während das Thema an sich nicht neu ist, wie Ramona Lenz in ihrer kritischen Auseinandersetzung mit dem in den Sozial- und Kulturwissenschaften postulierten mobility turn ausführt (Lenz 2011), erfährt die Mobilität seit den 1990ern doch eine neue Aufmerksamkeit, wie sie zuletzt im »neuen Mobilitätsparadigma« (Sheller/ Urry 2006) zum Ausdruck kommt. »All social life, of work, family, education and politics, presume relationships of intermittent presence and modes of absence depending in part upon the multiple technologies of travel and communications that move objects, people, ideas, images across varying distances.« (Urry 2002: 47)

Trotz ihrer Kritik eines zu umfassendem Erklärungsanspruchs, wie er etwa von Urry aus Bewegung und Beweglichkeit abgeleitet wird, und der grundsätzlich eurozentristischen Ausrichtung bzw. westlichen Vereinnahmung von Mobilität, versteht Lenz eben jenen mobility turn doch als eine Aufwertung von Mobilität als gelebte Normalität und analytischen Begriff (Lenz 2001: 18). Auf John Urry geht dabei

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Als Promovendin des Göttinger Instituts für KA/EE habe ich mich für die grundsätzliche Verwendung des Begriffes Kulturanthropologie entschieden. Da die Diskussion um die Benennung des »Vielnamenfaches«, die in ihrer jeweiligen Form institutionelles Selbstverständnis, disziplinäre Paradigmenwechsel und historische Prozesse widerspiegelt, ausreichend dokumentiert ist (Bendix 2004), verzichte ich hier auf weitere Ausführungen.

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aber auch die Thematisierung von Mobilitäten in der Mehrzahl zurück, die jedoch nicht getrennt behandelt, sondern gerade in ihrem komplexen Ineinandergreifen begriffen werden sollten. Neben der physischen Bewegung des Menschen schließt Urrys Konzept des postdisziplinären New Mobilities Paradigm explizit die Mobilität von Objekten und Ideen, aber auch die virtuelle und kommunikative Mobilität ein (Urry 2007: 47). Die Diskurse um diese Bewegungen, aber auch die potentielle Beweglichkeit bzw. Motilität sind für Johanna Rolshoven Ausgangspunkt der Mobiles Culture Studies, und damit ebenfalls vor der Hintergrund der in den westlichen Gesellschaften »neu-entdeckten« Mobilität das realistische und idealistische Prinzip der späten Moderne. »Im Rahmen der Mobile Culture Studies, die Beweglichkeit, Gerichtetheit und Bewegung als Eckpunkte des Systems Mobilität annehmen, wird Mobilität zum Ausgangspunkt für die Kulturanalyse. Dazu müssen wir Abschied nehmen vom umgangssprachlichen Gebrauch des Wortes Mobilität, in dem Bewegung und Bewegtheit als Bedeutung miteinander verschmelzen.« (Rolshoven/Winkler 2009: 99)

Damit löst sich Mobilität aus einer lokal-geographischen Verortung hin zur Bewegung als Erfahrungsraum, und vor allem Erfahrungsbereicherung. Die Veralltäglichung des Wanderns und Pendels und damit auch Wohnen als eine mehrörtige Alltagspraxis sind dabei als potenzierte Handlungsoptionen, und somit als Ausdruck der Wahlmöglichkeiten des spätmodernen Menschen zu sehen, der sich in veränderten Raum-Zeit-Konzepten für oder gegen eine Lebensform bzw. einen Lebensstil entscheidet (vgl. Baumann 2003; Rosa 2005). »Als lebensweltliche Kulturtechnik ist Multilokalität eine Strategie der mobilen Akteure, um die Umkehrbarkeit von Alltagsmobilitäten zu gewährleisten. Dies macht Multilokalität übrigens eher zu einem Akt des Verbindens als des Trennens, des Nähern als des Fliehens.« (Rolshoven/Winkler 2009: 99)

So sehr selbstgewählte Mehrörtigkeit als Bereicherung empfunden werden kann, so abhängig ist sie von Mobilitätssystemen, von Transport- und Kommunikationsmitteln. Dies trifft auch oder gerade auf das im Gegensatz zu Auto- oder Aeromobilität als marginal zu betrachtende Mobilitätssystem zu, in dem sich Fahrtensegler bewegen. Umso wichtiger ist in ihrem Fall die Kommunikation. Denn jede Multilokalität birgt auch das Risiko von Desozialisierung bzw. sozialer Ausgrenzung. Mobilität als Gesellschaftsprinzip stellt immer auch die Frage nach der Verhandlung von Identität und Zugehörigkeit. Die unterschiedlichen Erfahrungswelten des Wanderers gegenüber dem Seßhaften, die schon Georg Simmel (1908) gegenüberstellte, stehen für Rolshoven dabei nicht im Widerspruch zueinander.

22 | W ELTUMSEGLER »Aus der Perspektive des Seßhaften ist Mobilität Fortbewegung, mit der doppelten Bedeutung des transporttechnischen ›vorwärts‹ und des sozialen ›weg‹. Aus der Perspektive des sich Fortbewegenden ist Mobilität jedoch eine Praxis der Delokalisierung, die unterschiedliche Alltagssphären voneinander entkoppelt. Das spielt sich an mehreren Orten ab – daheim, im Unterwegssein, am Arbeits- oder Ausbildungsort, an anderen Orten, an denen Begegnungen stattfinden, Alltagsbesorgungen unternommen oder Ferienzeiten verbracht werden – und es bleibt doch ein und dasselbe Leben.« (Rolshoven/Winkler 2009:102)

Im Falle der Weltumsegelung wird das Unterwegssein zu einem zentralen Aspekt der Lebenswelt. Da eine Segelyacht mehr als nur ein Verkehrsmittel ist, um von A nach B zu gelangen, nimmt das Segeln an sich maßgeblich Einfluß auf das Handeln und Erlebnis sowohl einer Weltreise wie auch des Blauwassersegelns als dauerhafte Wanderexistenz. In der Yacht materialisiert sich die tatsächliche beziehungsweise imaginierte Freiheit und Unabhängigkeit ebenso wie die Intensität des Segelns als mobile Praxis. In der Weltumsegelung fallen die Welt-Reise, im Sinne einer tatsächlichen Weltumrundung in diversen Etappen, mit der spezifischen Fortbewegung des Segelns zusammen, wodurch sich je nach Gewichtung unterschiedliche, auch fächerübergreifende theoretische Verankerungen innerhalb von Mobilitätsdiskursen und über sie hinaus anbieten. Segeln als serious leisure Obwohl im Kontext einer Weltumsegelung das Segeln einerseits nur mit Einschränkung als Freizeitbeschäftigung betrachtet werden kann, weisen Fahrtenseglerbiographien andererseits häufig eine Entwicklung vom Hobby- und Urlaubs-Segeln hin zur Weltumsegelung auf. Dabei wird im Lebensstil Segeln – auch bei einer Weltumsegelung als »Auszeit« vom eigentlichen Arbeitsleben – die Kategorie Arbeit, allerdings losgelöst von ihrer ökonomischen Bedeutung, keineswegs vollständig durch Freizeit ersetzt, differenzieren Langzeitsegler zwischen Arbeitstätigkeiten bzw. notwendigen Pflichten und Freizeitaktivitäten. In diesem Zusammenhang bietet sich das von dem kanadischen Soziologen Robert A. Stebbins entwickelte Konzept des serious leisure als ein theoretischer Bezugsrahmen zum Verständnis »gewöhnlicher« Weltumsegler dar, zielt er doch auf eine Kategorie von »Freizeit« ab, die arbeits-ähnliche Züge trägt und spezifische Erfahrungen beinhaltet. Stebbins definiert in Abgrenzung zu den alltäglicheren, kurzfristigeren bzw. einmaligen Freizeitformen des casual und project-based leisure das serious leisure als »[s]ystematic pursuit of an amateur, hobbyist, or volunteer core activity sufficiently substantial, interesting, and fulfilling in nature for the participant to find a career there acquiring and expressing a combinatin of its special skills, knowledge, and experience.« (Stebbins 2007: xi)

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Dem momentanen Aufwand, dem zeit- und kostenintensiven, persönlichen Einsatz stehen im serious leisure die daraus gezogene tiefe und erfüllende Befriedigung gegenüber, der gewissermaßen langfristige, dauerhafte Nutzen in Form von Selbstverwirklichung und Selbstbestätigung, wodurch Stressmomente, Enttäuschungen, gelegentliche Unzufriedenheit oder Langeweile aufgewogen werden (Stebbins 2007:13-15). Angesichts der Komplexität und Mehrdimensionalität des kulturellen Phänomens »Weltumsegelung« weist Stebbins serious leisure perspective allerdings nur eine beschränkte Reichweite auf, kann das Langfahrtsegeln in seiner Totalität damit nicht erfasst werden. Die Weltumsegelung als Welt-Reise Daß Freizeit und Arbeit in keinem gegensätzlichen, sondern einem komplementären Verhältnis stehen, Freizeit (immer) auch Arbeit beinhaltet, wird in der (soziologischen) Freizeittheorie generell seit den 1990er Jahren diskutiert. Zur gleichen Zeit setzte sich auch in der kulturanthropologischen Tourismusforschung (vlg. Cantauw 1995) durch, anstelle von (Urlaubs)Reisen als »Gegenalltag« Urlaub und Alltag nicht weiter als getrennte, sondern sich gegenseitig beeinflußende und bedingende Erfahrungsräume zu betrachten, und im Zuge dessen die »Touristisierung des Alltäglichen« beziehungsweise die »Veralltäglichung im Tourismus« als solche zu untersuchen (Gyr 2001: 482). In der Weltumsegelung fallen Freizeit und (Arbeits)Alltag in besonderem Maße zusammen, ist Reisen mit einer Segelyacht selbst Arbeit und von alltäglichen Routinen bestimmt. Wenn Burkhard Lauterbach in seinen Überlegungen zu einer kulturwissenschaftlichen Tourismusforschung zwei miteinander in Verbindung stehenden Alltage charakterisiert, nämlich einen »Alltag zuhause« und einen »Alltag in der Fremde« (Lauterbach 2006: 50), so trifft dies, aufgrund des in aller Regel bestehenden Abstands zu einem Arbeits- bzw. Erwerbsalltag, auch auf Langzeit-Segelreisen zu. Allerdings muß hinsichtlich der erfahrenen »Fremde« hier einbezogen werden, daß durch die Yacht als Reisemittel ein vertrautes »Zuhause« mitreist, wodurch das Erlebnis der Fremde entscheidend geprägt wird. Wenn die Weltumsegelung durch Heimatbesuche oder längere Landaufenthalte unterbrochen wird, so empfinden Segler dies als »Urlaub«, womit sich die Verhältnisse vollends umkehren. »Alltag« und »Freizeit«, »Arbeit« und »Urlaubsreise«, aber auch das »Fremde« und das »Vertraute« sind somit als mehrdeutige Kategorien zu verstehen, denen in der Praxis des Fahrtensegelns zumindest teilweise neue Bedeutungen zugeschrieben werden. Ganz konkret stellt sich aufgrund der touristischen Handlungsmuster vieler Blauwassersegler an Land, der Wahl ihrer Destinationen und auch ihrer Motivation grundsätzlich die Frage, ob Weltumsegelungen als primär (individual)touristische Reisen betrachtet werden müssen. Wenn man die von Lauterbach auch für eine kulturanthropologische Perspektive empfohlene, einer Einführung in die touristische Berufspraxis entnommene Definition heranzieht, daß man unter Tourismus »alle

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Reisen, unabhängig von ihren Zielen und Zwecken, zusammen[faßt], die den zeitweisen Aufenthalt an einem anderen Ort als dem Wohnort einschließen und bei denen die Rückfahrt Bestandteil der Reise ist« (Mundt 1998 zitiert nach Lauterbach 2006: 17), so fällt auch die Weltreise mit einer Segelyacht darunter; das Prinzip der Erdumrundung ist, zunächst, mit einer eindeutigen Rückkehrabsicht verbunden. Gleichwohl ist festzuhalten, daß individuelle Weltumsegelungen gewissermaßen außerhalb des globalen Systems »Tourismus« stattfinden bzw. dieses nur randständig berühren. Dennoch gilt es zu untersuchen, wo und wann sich Fahrtensegler selbst, wo und wann ihr Gegenüber sie als Touristen klassifizieren. Daß die cruising community einen zwar weniger umfangreichen, aber dennoch dem Tourismus vergleichbaren Wirtschaftsfaktor darstellt, zeigt eine in und für Neuseeland durchgeführte Vorabstudie in der angewandten Tourismusforschung, die weiterführende Untersuchungen über die Rolle internationaler Blauwassersegler für regionale, wirtschaftliche Entwicklungen im pazifischen Raum anregen möchte (Koth 2010). Abstrakter gefasst läßt sich auch mit der Weltumsegelung als Welt-Reise, auf der das Reisen zum Lebensstil wird, an der Mobilität als Gesellschaftsprinzip anknüpfen. Von Baumann (1997) etwa werden die zwischen Metapher und spätmoderner Lebensbeschreibung oszillierenden Begriffe des Touristen, des Vagabunden oder des Pilgers zur Charakterisierung selbstbestimmter, spätmoderner Lebensentwürfe an sich herangezogen. Leben unter Segeln als lifestyle migration Ganz allgemein zeigt sich, daß sowohl in Motiven wie in Praxen der Segler eher Überlagerungen als klare Trennlinien erkennbar sind, und eine eindeutige Zuordnung des Phänomens Weltumsegelung schwer fällt. Neben touristischen Elementen weisen gerade zeitgenössische Reisen, die ohne zeitliche Begrenzung angetreten werden, Parallelen zur transnationalen Ruhestandsmigration auf. Segler teilen, z.B. im Falle Neuseelands, nicht nur Beweggründe, sondern auch geographische Ziele mit westlichen Wohlstands- und Lebensstilmigranten, die im vergangenen Jahrzehnt zunehmend zum Gegenstand auch kulturanthropologischer Forschung werden. Dabei liegt mehrheitlich eine Relokalisierung innerhalb der westlichen Welt vor, wobei in erster Linie das wärmere Klima südlicher Gefilde, und daran geknüpfte Freizeit- und Alltagsgestaltungsmöglichkeiten der eigentliche Anziehungspunkt sind, was durch den Begriff der amenity migration zum Ausdruck gebracht wird (Nokielski 2005). Diese lifestyle migration als eine auf dem Wohlstand westlicher Gesellschaften beruhender Form der freiwilligen Migration, die eben nicht ökonomisch motiviert ist, entspricht der Suche nach einem »besseren Leben«. Als Grundprinzip hinter Phänomenen wie Ruhestandsmigration, counterurbanisation oder Zweitwohnsitzen steht Selbstentfaltung und -verwirklichung, sowie das Bedürfnis nach einer höheren Lebensqualität (Benson/O'Reilly 2009). Weltumsegelungen fügen sich insofern in das Konzept des Lebensstilmigranten ein, als auch die

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Entscheidung zum Langzeitsegeln quasi als Lebensprojekt betrachtet werden kann; das »bessere Leben« und Freiheitsversprechen wird jedoch nicht im Umzug an einen anderen geographischen Ort gesehen, sondern in der Mobilität der Segelyacht – die in diesem Sinne als eigenständiger Ort verstanden werden muß. Daß die Yacht hierbei allerdings mehr als nur die Funktion eines saisonalen ›Ferienhauses‹ einnimmt, mehr als ein auf Urlaub beschränktes Domizil bzw. Reisemittel darstellt, schlägt den Bogen zu den Überlegungen, daß eine Weltumsegelung trotz wesentlicher Überschneidungen eben mehr als nur ein (temporäres) Freizeit- oder Urlaubsvergnügen darstellt. Das Untersuchungsfeld second home, das in den letzen Jahren in den Fokus soziologischer und soziogeographischer, zunehmend aber auch kulturwissenschaftlicher Forschung geriet, bietet dennoch weitere theoretische Anknüpfungspunkte zum Verständnis von Weltumseglern. Denn die selbstgewählte Mehrörtigkeit von Zweithausbesitzern, wie etwa transnationalen Ruhestandsmigranten, stellt ebenfalls einen Lebensstil dar, in dem sich Mobilität, Materialität und Zugehörigkeit auf bestimmte Art und Weise verbinden (Bendix/Löfgren 2007: 15). Das Wandern selbst, »in der Form des Pendelns zwischen vertrauten Orten« wird zu einer den Lebensentwurf und die Identität des Wandernden bestimmenden Lebensform (Nokielski 2005: 314). Anstelle des Pendelns setzt der Lebensstil Segeln dagegen prinzipiell das stete Weiterziehen, die Weltumsegelung die Zirkulation voraus, weshalb die Frage nach Zuhause und nach der gefühlten Zugehörigkeit sich als noch komplexer erweist. Die zugrunde liegenden Motivationen, Praxen und Erscheinungsformen eines »Zweiten Zuhauses« wurden bereits in großer Bandbreite untersucht; sie reicht von vergleichenden und Einzelfall-Studien zur saisonalen, transnationalen Ruhestandsmigration (Nokielski 2005), insbesondere von Briten, Norwegern oder Dänen an spanischen bzw. portugiesischen Mittelmeerküsten (King/Warnes/Williams 2000; King/Patterson 1998; Haug/Dann/Mehmetoglu 2007; Williams/Patterson 1998; Rodríguez/Fernández-Mayoralas/Rojo 1998; Blaakilde 2007), über norddeutsche Feriendomizile in Schweden (Müller 2002) oder die süddeutsche Variante des Ferienhauses in der Toskana (Seidl 2009) bis zu transkontinentalen deutschen lifestyle Migranten bzw. commuter migrants in Neuseeland (Schellenberger 2011). »(Südliche) Zweitwohnsitze« wurden dabei sowohl als Phänomen an der Schnittstelle zwischen Tourismus und Migration (Hall/Williams 2002; Hall/Müller 2004; Gustafson 2002; Bell/Ward 2000) wie im Kontext einer kulturwissenschaftlichen Mobilitätsforschung (Rolshoven 2002) diskutiert. Im Sinne einer Suche nach einem better way of life, einem selbstbestimmten und sinnhafteren Lebensstil können Weltumsegelungen zu allen Zeiten und in allen Formen durchaus als ein (Sonder)Typus der lifestyle migration betrachtet werden, auch wenn die ersten Erdumrundungen in kleinen Segelyachten dann gewissermaßen avantgardistische Erscheinungen eines als spätmodern klassifizierten Phänomens darstellen. Dabei hat keineswegs eine eindeutige, lineare Entwicklung von der

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Weltumsegelung als (zeitlich begrenzte) Abenteuerreise hin zum Langzeit-Fahrtensegeln als dauerhaft multilokalem Lebensstil stattgefunden, allenfalls kann von einem graduellen Bedeutungswandel, einer allmählichen Umkehrung vorherrschender Handlungsmuster gesprochen werden. Die Synchronizität von phänomenal vergleichbaren Reisen, die aus unterschiedlicher Motivation heraus unternommen werden, die aber vor allem in ihrer Dauer wiederum völlig individuell gestaltet werden, führt zu einem steten Aufeinandertreffen durchaus differenzierbarer Fahrtensegler›Typen‹ innerhalb einer Zeit und Raum übergreifenden cruising community, die sich temporär und in sich veränderlich doch immer wieder aufs Neue lokalisiert. So sehr Weltumsegelungen der »alten Zeit« auf den ersten Blick den Eindruck erwecken, es handelte sich um klar abgesteckte Reisen und temporäre Auszeiten, die in der »neuen Zeit« von einer vielörtigen, transnationalen Ruhestandsmigration abgelöst worden sei, so ist dennoch festzuhalten, daß allen Weltumsegelungen – heute wie damals – das verbindende Prinzip der Mobilität zugrunde liegt, es sich ungeachtet aller graduellen Unterschiede um das Paradoxon des wenn nicht dauerhaften, doch zumindest längerfristigen settling in motion, eines SeßhaftWerdens in der Bewegung handelt

1.3 D IE Q UELLENLAGE ZUM S EGELN EINE S PURENSUCHE

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L EBENSSTIL :

Vom Camping als Urlaub und Lebensstil l Urlaubs-Yachties l Segeln als Lebensstil

Vom Camping als Urlaub und Lebensstil In den 1950ern hießen die kleinen (Küsten)Segelschiffe französischer Urlauber »schwimmende Wohnwagen« (rouloutte flotante) (Griffet 2001: 656). Heute bemühen Weltumsegler selbst gerne das Bild, daß Blauwassersegeln eigentlich »Camping auf dem Wasser« sei. Worauf beziehen sich diese Vergleiche, wo stossen sie an ihre Grenzen? Ich nehme sie zum Anlaß, meine Spurensuche durch die kulturwissenschaftliche Literatur bei Forschungen zum Camping zu beginnen, finden sich gerade hier, ob als touristische Praxis oder mobiler Lebensstil, bei aller Differenz der Phänomene wichtige Anknüpfungspunkte. Urlaubs-»Yachties« und »YachtTouristen« erweitern dann den Bezugsrahmen, bis hin zu den wenigen vorliegenden Studien, in denen das Segeln, bzw. cruising, als Lebensstil in seiner Eigentlichkeit und Komplexität diskutiert wird. Aufgrund seiner Popularität wird Camping inbesondere in den USA bereits in den 1960ern zum Forschungsgegenstand von Soziologen. Das Campingleben wird als sich selbst genügende, autotelische Aktivität verstanden, der Campingplatz als play

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world, in der ein vereinfachter Gegenentwurf zum Alltag inklusive alltäglicher Routinen gelebt werden kann, wobei hinsichtlich der von Frauen und Männern übernommenen Rollen in symbolischer Arbeit und Spiel große Unterschiede erkennbar sind (Burch 1964). Camping geht mit einer Einschränkung von Besitz, einer weniger komplexen physischen Umgebung, aber auch mit einer Vereinfachung der sozialen Beziehungen einher. »Es geht um die Erfahrung einer anderen sozialen Realität mit nicht-gewöhnlichem Charakter, die den Eindruck der Unabhängigkeit, Unkompliziertheit, Naturnähe, unmittelbaren Sozialkontakten erlaubt, dem Spiel Raum gibt, soziale Differenzen verwischt, vor allem aber die Rekonstruktion der Alltagswelt unter verfremdeten Umständen erlaubt. In dieser merkwürdigen Spannung von Vertrautem und Neuem, Routine und – begrenzter – Kreativität entfaltet sich die Sozialwelt des Camping.« (Hennig 1999: 37f)

Wohl lassen sich bestimmte Teilaspekte übertragen, erscheint die Grundmotivation durchaus vergleichbar. Auch Raveneau stellt einerseits die These auf, daß Camping eine Gegenwelt bildet, in der sich Naturnähe und Konsumgesellschaft verbinden, und auf dem Campingplatz temporär eine gemeinschaftliche Subkultur entsteht, die auf »kollektiven Erfahrungen in einer hauptsächlich individualistischen Gesellschaft« beruht (Raveneau/Sirost 2001). Andererseits weist er auf eine fehlende Differenzierung hin, da in der Forschung letztlich ausschließlich Camping als ein gewöhnliches Touristenphänomen, bei dem das städtische, komfortable Leben im Urlaub reproduziert wird, behandelt wird, und die Variante einer spezialisierten, ja professionalierten Freizeit- und Urlaubsform, die von der Suche nach Abenteuer und Naturnähe motiviert ist, unberücksichtigt bleibt. Übertragen auf Blauwassersegler läßt sich fragen, ob hier die Suche nach Gemeinschaft, nach kollektivem Erleben oder doch nach individuellem Abenteuer überwiegt? Inwieweit stellen gewöhnliche Weltumsegelungen heute professionalisierte Risikoerlebnisse dar? Aus einer spezifisch französischen Perspektive auf die im Laufe des 20. Jahrhunderts stattgefundene Vereinnahmung der Küste durch zeltende Urlauber, die an der Grenze zwischen Land und Meer einen temporären Bruch mit moralischen, physischen und sozialen Normen, eine Rückkehr in die »wilde« Natur und die Gemeinschaft Gleichgesinnter erleben, verknüpft sich die Praxis des Camping am und später auch auf dem Wasser ganz konkret mit Aspekten des (Fahrten)Segelns (Griffet 2001). Bemerkenswert ist dabei vor allem, daß sich Griffet des von Bernard Moitessier geprägte Bild des »schwimmenden Dorfes« (le village flottant) bedient. Während der berühmte französische Weltumsegler damit die flüchtige Fahrtenseglergemeinschaft charakterisiert, die sich auf den Ozeanen der Welt irgendwo, irgendwann wiedertrifft, überträgt Griffet diese Metapher auf ein allgemeingültiges Lebensgefühl und eine Gemeinschaft aller Urlauber und »Abenteurer« am und auf dem Wasser, gleich ob Strand, Küste oder Hochsee, gleich ob segelnd oder nicht.

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Aber gerade auch hinsichtlich der Bedeutung von Sozialkontakten finden sich innerhalb der Campingforschung Gegenstimmen, bemüht man sich um eine Dekonstruktion der These vom Camper als einer homogenen Touristengruppe. So stellt Werner Georg etwa fest, daß das Bild des »vom modernisierten Alltag sozial überforderten Campers, der auf dem Campingplatz vorindustrielle Sozialbeziehungen simulieren möchte«, in seinem Fallbeispiel nur auf eine Minderheit zutrifft, während das Freizeitverhalten der Mehrheit, die am Urlaubsland selbst passiv-desinteressiert ist, einem Rückzug in die Familie entspricht (Georg 1993). Angesichts der Flüchtigkeit der Seglergemeinschaft stellt sich umso mehr die Frage, welche Rolle das soziale Umfeld der Mit-Segler spielt. Wie interessiert sind Weltumsegler am kulturell Anderen, inwiefern stellt auch das Leben an Bord einen Rückzug ins Private, ins Persönliche dar? Mit dem von Gabriele Hofmann (1994b) herausgegebene Band der Frankfurter Kulturanthropologie-Notizen zum »Dauercamping« als temporär-permanente Wohnform rückt schließlich eine Verstetigung dieser touristischen Praxis ins Blickfeld, die in ihrer Vielschichtigkeit untersucht wird. Der Band beleuchtet neben der materiellen Kultur und dem sich Einrichten in Wohnwagen und Dauercampingplatz (Özkan 1994) auch die Selbstdarstellung, die camperinterne Differenzierung von »echten« Freizeit-, Urlaubs- oder Dauercampern und einem sich daraus ableitenden Gemeinschaftsgefühl (Kruse 1994). Der Blick richtet sich auf die das Selbstverständnis von Campern bestimmende Kategorie der Freiheit (Fuchs 1994) ebenso wie auf das Mobilitätsverständnis von Dauercampern, die sich bewusst für eine Freizeitwohnform »zwischen Mobilität und Verharren« entscheiden (Hofmann 1994a). Auch wenn die Lebenswelt eines Dauercampingplatzes kaum etwas mit einer Weltumsegelung gemein zu haben scheint, weisen nicht nur Wohnwagen und Fahrtenyacht, sondern das ebenfalls sehr ausdifferenzierte Selbstverständnis der jeweiligen Akteure grundlegende Gemeinsamkeiten auf. Daß Camping mehr als nur eine Urlaubspraxis sein kann, zeigen auch die Ethnologen Dorothy und David Counts (1997) in ihrer empirischen Studie über das amerikanische Phänomen des RVing als dauerhaft mobilem Lebensstil. Wie verwandt sind das Wohnen und Reisen in Caravans bzw. recreational vehicles und das Wohnen und Reisen mit einer Segelyacht? Es liegt nahe zu fragen, inwieweit es sich, über phänomenologische Parallelen hinaus, um unterschiedliche Varianten ein und desselben spätmodernen Phänomens handelt? Die Counts untersuchen die gegenwärtige Praxis des RVing im Kontext eines aktiv und sinnvoll gestalteten Ruhestands, als eine selbstbestimmte Alternative zu herkömmlichen Lebenswelten im Alter.5 Während Wohnwagen und Segelschiff hinsichtlich ihrer eingeschränkten

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Sie verstehen ihre Studie dabei auch als praktischen Ratgeber. – Daß es sich in Nordamerika um eine (relativ) gewöhnliche, weit verbreitete Alltags-Praxis handelt, zeigt ihr

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räumlichen Bedingungen durchaus vergleichbar sind, liegt in der Fortbewegung des mobilen Lebensraumes selbst ein fundamentaler Unterschied: Auch wenn das Manövrieren mit einem Anhänger oder einem 6-Meter-Wohnwagen ein wenig Übung verlangt, so ist Autofahren doch Alltagskönnen, stellen Straßen und Autobahnen einen vertrauten Verkehrsraum dar, der es immer erlaubt, im Notfall anzuhalten und Hilfe zu organisieren. Dahingegen erfordert Segeln ein gewisses spezifisches Können, und auch Wissen, um sich dem Verkehrsraum See zu stellen; in wesentlich höherem Maße ist man auf See auf sich gestellt, bedingen das Meer und das Gefühl, auf langen Strecken der Natur ausgeliefert zu sein bzw. sich ihr anzuvertrauen, völlig unvergleichliche psychische und körperliche Erfahrungen. Urlaubs-Yachties Einer an den Bootsbesitz geknüpften Form des cruising als leisurly sailing practice, wie sie etwa Laurier (1999) untersucht, steht die touristische Praxis des cruising auf einer gecharterten Segelyacht gegenüber. James Lett (1983) betrachtet in seiner Studie zum Charter Yacht Tourism auf den British Virgin Islands sein Untersuchungsfeld allerdings nicht als Segler, sondern als »people at play«. Die Karibik verhieß dabei gerade in den 1980ern eher noch als heute das Ideal des »globalen Strandes« (Löfgren 2002), das bei Lett als »sun, sand, surf, and sex« charakterisiert wird (1983: 36), werben die Virgin Islands als »yachting paradise«.Vor dem Hintergrund, Tourismus generell als eine besonders wertgeschätzte Form des Spiels zu betrachten, weist der Chartertourismus gleich mehrere Charakteristika auf: die Freiheit, den Urlaub selbst zu gestalten, an keine Fahrpläne gebunden zu sein, sich unabhängig (bis auf das Wetter) bewegen zu können und frei über seine Zeit zu verfügen. Ebenso der Umstand, daß die außer-gewöhnliche Umgebung ein außer-gewöhnliches, regel- bzw. normüberschreitendes Verhalten erlaubt, dessen sich die Akteure dabei wohl bewusst sind. »There is a pervasive comradery with the crews of other bareboat yachts, charter yacht tourists are gregarious and convivial. They share a common and consuming interest, sailing, and they speak a common dialect, one that is liberally sprinkled with nautical terms.« (Lett 1983: 44)

Eingang in die Populärkultur. In dem Road Movie ALL ABOUT SCHMIDT (USA, 2002; R: A. Payne), in dem Jack Nicholson als einsamer Witwer mit einem Motor Home unterwegs ist, spiegeln sich auch »gewöhnliche« RVer. – Dagegen ist ALL IS LOST (USA, 2013, R: J.C. Chandor), mit Robert Redford als havariertem Einhandsegler, der überhaupt erste Spielfilm, der das Setting des Fahrtensegelns aufgreift (und ohne dabei die Geschichte einer bestimmten Weltumsegelung nachzuerzählen).

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Das auffällige Verhalten der Chartertouristen versteht Lett als eine Umkehrung der »central sexual and social ideologies of tourists home culture«, als ein auf dem Moment der verpflichtungs- und alltagfreien Urlaubszeit basierenden liminoides Phänomen im Sinne Victor Turners. Charter-Yachties bilden eine Gemeinschaft in der »Gegenwelt« des Urlaubs, die mit Lett von betont sexuellem, bzw. sexuell freizügigem Verhalten ebenso geprägt ist wie von der Bedeutungslosigkeit üblicher Distinktionsmerkmale wie Beruf oder soziale Stellung, dem gleichen Auftreten und Aussehen bis hin zu einer »aggressivly friendly« Geselligkeit untereinander. Als temporäres anti-strukturelles Verhalten übernimmt der Charterurlaub Ventilfunktion für das »ordentliche« Alltagsleben, in das die Touristen zuverlässig wieder zurückkehren, um die gewöhnliche Ordnung zu bestätigen. Interessanterweise kommen Fahrtensegler, die, wenn auch in geringerer Zahl, die Virgins Islands besuchen, in dieser Studie noch nicht einmal als Randfiguren vor. Welche Rückschlüsse können daraus auf das Verhältnis von Charter- und Langzeityachties gezogen werden? Welche Aspekte der hier beschriebenen comunitas 6 finden sich auch in der Fahrtenseglergemeinschaft wieder – oder erleben Langfahrtsegler eine völlig andere Kategorie von Kameradschaft, Geselligkeit und Gleichheit? Wie sind offensichtliche Parallelen zu beurteilen – sind sie als seglerische, oder als nationale Eigenheiten zu verstehen? Haben amerikanische cruiser mehr mit amerikanischen Charteryachties gemein als mit deutschen Fahrtenseglern – wo verlaufen welche Grenzen, wo liegen die Gemeinsamkeiten? Oder ist Letts Beschreibung als die Analyse eines spezifischen Zeitphänomens, einer bestimmten geographischen Region zu deuten? Die Südsee lockte zwar als imaginatives Paradies schon im 19. Jahrhundert zivilisationsmüde Aussteiger jeglicher Art, zum konkreten Reiseziel wohlhabender Europäer wurden die pazifischen Inseln erst ab den späten 1970ern. 7 Vor dem Hintergrund solcher Südsee-Reisen als Modeerscheinung untersuchte der Ozeanist Hans Fischer (1984) die Erwartungshaltung und das Selbstverständnis europäischer Samoa-Touristen. Neben »Hotel-«, »Gästehaus-« und »Kreuzfahrt-Touristen« führt Fischer dabei »Yacht-Touristen« auf und belegt damit das Auftreten (europäischer) Fahrtensegler, verortet sie zugleich jedoch primär als Touristen mit einem spezifischen Reisemittel, der Yacht. Ihre charakteristischen Aktivitäten sind »[h]äufige Besuche auf den Booten, Besuch der Hotel-Bars und Interaktion mit

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Turners Konzept der comunitas wird im Kontext der Tourismusforschung, neben Letts Anwendung auf die temporäre Gemeinschaft von Chartertouristen, anderswo in der nicht minder mobil-flüchtigen Situation des Campingplatzes verortet (vgl. Raveneau 2001).

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Zu Geschichte und Gegenwart des Tourismus in Ozeanien siehe den Sammelband von Hall und Page (1996), sowie melanesienspezifisch die Arbeit von Ngaire Douglas (1996).

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Hotel-Touristen« (Fischer 1984: 54). Implizit verweist Fischer mit seiner Beschreibung damit auf die cruising community als dem hauptsächlichen sozialen Interaktionsort, berücksichtigt aber auch die Nutzung touristischer Infrastrukturen durch Segler und einen Austausch zwischen ihnen und konventionell reisenden SamoaBesuchern. Wenn er zu dem Ergebnis kommt, daß sich Samoa-Reisende mehrheitlich ihren persönlichen Südsee-Traum erfüllen möchten, allerdings sowohl »Aussteiger« als auch vermögende Touristen dabei ein nur oberflächliches Interesse an »authentischer« samoanischer Kultur und Lebensweise bewegt, regt dies die Frage an, in welchem Ausmaß Weltumsegler dagegen gerade die Unabhängigkeit ihres Reisemittels nutzen, um »anders« zu reisen. Als typische Vertreter einer ungeplanten, »zufälligen« Auswanderung, nach Abbruch der Weltumsegelung, tauchen Yachties dagegen in der Migrationsstudie der Kulturanthropologin Brigitte Bönisch-Brednich über deutsche Auswanderer in Neuseeland auf. Die Autorin stellt darin deutsche Weltumsegler der frühen 1970er vor, »die nach einer längeren Pause in Neuseeland letztendlich auf halber Strecke ›hängenblieben‹« (Bönisch-Brednich 2002:124). Auch wenn der diese Studie bestimmende Ansatz der Periodisierung von Auswanderergruppen nur eingeschränkt auf Weltumsegler zu übertragen ist, ließe sich davon ausgehend aber doch fragen, ob das Hängenbleiben – insbesondere an der »Halbzeitstation« Neuseeland – ein Merkmal gerade der Fahrtensegler der 1970er Jahre war; und ob die von Bönisch-Brednich für die 1990er Jahre konstatierte »Lifestyle-Migration« nicht auch von jenen Yachties gelebt wird, die heute mit einem residence permit in Neuseeland an Bord leben, saisonal aber »zu den Inseln« segeln. Segeln als Lebensstil Würde man die Spurensuche nach Quellen über die kulturwissenschaftliche Literatur hinaus ausdehnen, sähe man sich mit einer kaum mehr zu überblickenden Fülle von Seglerliteratur konfrontiert, von Reiseschilderungen und Handbüchern von, über und für (künftige) Weltumsegler: Ausdruck einer enormen seglerischen Nachfrage, wobei die »Hinterherfahrenden« neben pragmatischen Aspekten des Lebens an Bord und konkreter Reiseverläufe ebenso die Motive der »Vorgefahrenen« interessieren. Mitte der 1970er Jahre, zu einer ersten Hochzeit des Fahrtensegelns, verfasst Don Holm 8 die erste und, soweit mir bekannt, auch einzige Chronik: The Circumnavigators: Small Boat Voyagers of Modern Times (Holm 1974). Bei seiner Analyse von über 100 Segelreisen beschränkt er sich dabei nicht

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Der Amerikaner und passioniere Segler stand jahrelang der Joshua Slocum Society International (gegr. 1955) vor, die das Andenken an Slocum pflegte, über »adventures of small boat sailors« berichtete und regelmäßig Fahrtenberichte ihrer Mitglieder publizierte. – 2011 löste sich die JSSI auf (www.joshuaslocumsocietyintl.org vom 07.09.12).

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auf Erstleistungen9, sondern nimmt bewusst einige jener »ereignislosen«, »anonymen« Weltumrundungen auf, die seinerzeit bereits die Mehrheit aller stattfindenden Weltumsegelungen darstellen (ebd. 287). »Who are these people? What are they really seeking? What motivates them to undertake the risks involved in crossing vast oceans in tiny ships, […], the possibility of accident and sickness, fearful uncertainties of the unknown, and the inevitable and exasperating red tape of many petty customs and port officials in foreign lands? Certainly, there is nothing easy or simple about a bluewater voyage. – Are these people seeking adventure? Romance? Escape? [...] Are they anachronisms in a world that no longer has use for explorers and pioneers? Are they bums, dropouts, copouts, or just plain nuts?« (Holm 1974: xi)

Die erste wissenschaftlich kontextualisierte Antwort auf diese Frage liefert der Australier Jim MacBeth mit dem Fazit »that cruisers, as cultural ›heroes‹, can be seen as affirmative deviants« (MacBeth 1985). MacBeth, auf den sich in dieser Hinsicht auch sämtliche nachfolgenden Studien beziehen, versteht Langzeitsegler als Subkultur mit einer gemeinsamen Ideologie und Weltanschauung, die sich gleichermaßen durch ihre gesellschaftskritische und schöpferische Haltung auszeichnet; oder, wie er es immer wieder auf den Punkt bringt, ist cruising »both critical and creative« (MacBeth 1985, 1992, 2000). Sein Untersuchungsfeld sind jene committed long-term ocean cruisers, die sich dauerhaft für das Segeln als Lebensstil entschieden haben. Aus sozio-psychologischer Perspektive untersucht er ihre Motivation, ihre Erwartungen, Werte und Einstellungen sowie den schrittweisen Prozess des Hineinwachsens in diese spezifische Subkultur, die sich nach MacBeth maßgeblich über die ausgesprochene Freiheitssuche ihrer Mitglieder definiert. Die kritische Komponente dieses autotelischen Lebensstils stellt die Flucht bzw. der Ausbruch aus der modernen Gesellschaft dar (»escape from modern society«), ihr gegenüber steht die Kreativität des Seglers, selbstbestimmt eine Vorstellung des »guten Lebens« umzusetzen, ein befriedigendes, selbstverantwortliches, auch einfacheres und naturnäheres Leben zu führen. MacBeth stellt das Fahrtensegeln auf der einen Seite als einen grundsätzlich sozialkritischen Gegenentwurf zu der in der modernen, westlichen Konsum- und Überflussgesellschaft erlebten Selbst- und

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Es handelt sich, wie Autor betont, um eine subjektive Auswahl, »the best and most representative of these voyagers« vorzustellen, wobei allerdings ausschließlich englischsprachige Segelliteratur berücksichtigt wird. (Bemerkenswert die kommentierte Bibliographie, in der er Publikationen von 159 Seglern aufführt). Nur zwei deutsche Segelreisen werden erwähnt: Rollo Gebhards Einhandweltumsegelung mit der SOLVEIG III (1967-1970) und Walter Königs Reise mit der ZARATHRUSTRA (1965-69), der mit 27 Fuß bis dahin kleinsten deutschen Segelyacht (Holm 1974: 317-322 u. 350-352).

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Naturentfremdung dar, auf der anderen Seiten betont aber auch er, daß weniger der Wunsch nach gesellschaftlicher Veränderung als die persönliche Selbst-Entwicklung Segler dazu bewegt, sich für dieses Leben zu entscheiden. »Cruising, then and the people who engage in it as a lifestyle, is a subculture in which the individual’s own needs are paramount. On the one hand, there is an escape from the restriction of modern society, on the other, there is clearly an attempt to set up an alternative to that way of living inherent in modernity. It is also clear, that neither the escape nor the created lifestyle can be seen as direct contributors to the improvement of the society of which the cruisers are so condemnatory. Cruising is affirmative mainly for the individual.« (MacBeth 1985: 322)

Die Gültigkeit von MacBethsThese der »affirmative« oder »positive deviance«, daß Fahrtensegler einerseits aus gesellschaftlichen Zwängen fliehen, andererseits Abenteuer, Herausforderung oder die Erfüllung eines Traumes suchen, wird in den Studien von Gayle R. Jennings zwar bestätigt, sie verbindet damit jedoch die Kritik, daß MacBeth in seinem Bild einer amorphen Subkultur genderspezifische Aspekte völlig außer Acht ließ, und betont demnach den grundsätzlich feministischen Ansatz ihrer eigenen Forschung (Jennings 1999, 2005). Jennings bemüht sich, ausdrücklich zwischen spezifisch männlichen und spezifisch weiblichen Erfahrungen des Langzeitsegelns zu differenzieren, um die Sichtbarkeit von Frauen zu erhöhen, sowohl was das Fahrtensegeln an sich wie seine wissenschaftliche Analyse angeht.10 Sie ergänzt die Frage nach der Motivation von Fahrtenseglern überdies um den Aspekt des touristischen Erlebens, stellt das Reisen neben die grundsätzliche Freiheitssuche und den selbstgewählten Ausstieg aus dem »Zentrum« an die »Ränder« der westlichen modernen Gesellschaft. Die ethnographischen Studien von MacBeth und Jennings sind dabei als Momentaufnahmen der jeweils zeitgenössischen Seglerszene zu betrachten. Durch das Jahrzehnt, das zwischen ihren eigentlichen Forschungsphasen liegt, behandeln sie bereits unterschiedliche Seglergenerationen, wobei ein sich abzeichnender Wandel, etwa im Durchschnittsalter und Wohlstand des jeweiligen Samples erkennbar, nur am Rande erwähnt wird. Heute läßt sich rückblickend festhalten, daß der Zeitpunkt dieser beiden Untersuchungen zum ocean cruising als Subkultur letztlich mit dem Ende einer fahrtenseglerischen Epoche zusammenfällt, wie ich in Kapitel 4 ausführlich darlegen werden. Dieser Umstand, der insbesondere mit technischen Entwicklungen (v.a. der Satellitennavigation) zusammenhängt, ist für die damaligen

10 Während Jennings aus diesem in teils umfangreichen Interviewpassagen sowohl weibliche wie männliche Informanten zu Wort kommen läßt, und themenspezifisch die unterschiedlichen Sichtweisen hervorhebt, greift MacBeth in diesem Kontext ausschließlich auf Zitate aus einer damals wie heute männlich dominierten Seglerliteratur zurück.

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Segler wie für die Forscher offensichtlich noch von keiner rechten Bedeutung. Er wird ebenso wenig thematisiert wie die Geschichte des Fahrtensegelns im 20. Jahrhundert überhaupt. Hinsichtlich der Zukunft weist Jennings, die selbst die Ergebnisse von MacBeth bestätigt, zumindest darauf hin, daß sich Motive und Erfahrungen von Langfahrtseglern wandeln können bzw. werden. Welchen Einfluß aber kommunikationstechnologische Entwicklungen ganz konkret auf die von ihr als zentrale Kategorie verstandene connectivity der Segler haben könnten, d.h. auf deren Verbundenheit mit dem Partner oder der Herkunftsgesellschaft, dem Umgang mit emotionalen Bindungen infolge der Entscheidung für die Wanderexistenz des Fahrtensegelns, war in den 1990ern offensichtlich noch gar nicht abzusehen. Und MacBeth, der seine Studie von 1985 mit einer geradezu visionären Beschreibung der Zukunft des Fahrtensegelns beschließt, in der er nicht nur die immer weiter wachsende Zunahme von Fahrtenseglern, die Überfüllung beliebter Segelreviere, sondern auch die zunehmenden Technisierung von Fahrtenyachten und die Abhängigkeit von elektronischen Geräten heraufbeschwört, läßt die tatsächlich eingetretene Entwicklung dennoch in späteren Veröffentlichungen außen vor. Seine in den 1980ern postulierte kritische Grundhaltung von Langzeitseglern vertritt er auch zwanzig Jahre später, wenn er cruising weiterhin als eine indirekte Gesellschaftskritik, eine individuelle Suche nach einem »utopischen«, besseren Lebensstil beschreibt (MacBeth 2000). Dagegen versteht der norwegische Anthropologe Rolf Scott eine Erdumrundung per Segelyacht primär als innere Reise und persönliche Entwicklung, als das Durchlaufen von Initiations- und Übergangsprozessen im Sinne Arnold van Genneps und Victor Turners rites de passage (Scott 2002). Er konstatiert, daß die räumliche und zeitliche Dimension einer Weltumsegelung spezifische Transformationsprozesse des Einzelnen bedingt, so daß die beabsichtigte Weltumrundung als temporäre Auszeit und in sich geschlossene Reise vom Langfahrtsegeln als Lebensstil, als dauerhaft mobile Seglerexistenz, abgelöst wird. »What are the incentives for making long-distance cruising a personal project people aim for, and how do they deal with the separation from their secure life ashore? How do they deal with the ocean after setting sail, and what makes many cruisers embrace this life with such a vigour, that they extend their timeframe for cruising considerably, some indefinitely? The life at sea changes a person and the impact seems relative to the amount of time spent on a cruise, and distance sailed.« (Scott 2002: 5)

Die Seglergemeinschaft, basierend auf solchen geteilten Erfahrungen, wird dagegen erst in der wesentlich jüngeren Studie und wiederum im Kontext der leisure studies von Carolin Lusby und Stephen Anderson behandelt. Sie verstehen die Bildung eines spezifischen Zusammengehörigkeitsgefühls unter Fahrtenseglern wie Lett (1983) es 25 Jahre früher für Chartersegler formulierte als eine anti-strukturelle

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comunitas im Sinne Turners (Lusby/Anderson 2008). Schließlich wurden Blauwassersegler jüngst auch in einer australischen Pilotstudie zur Rolle des internationalen (Fahrten)Yacht-Tourismus für die Wirtschaft der »unterentwickelten« Inseln des Südpazifik berücksichtigt (Koth 2010). Im Gegensatz zu den anderen Untersuchungen, die sich in erster Linie auf teilnehmende Beobachtung und narrative Interviews stützen, testet Koth, inwieweit angesichts der flüchtigen Mobilität der Segler Fragebögen das Feld erweitern können. Sie setzt auf die Partizipation von Seglern, die sich in einem bestimmten, beinahe ausschließlich von amerikanischen Fahrtenseglern frequentierten Internet-Forum 11 eingeschrieben haben; und resümiert, daß dieses Vorgehen eine zu starke nationale Zentrierung bedingt, und künftige Forschungen wesentlich differenzierter angelegt werden müssten.12 Insbesondere angesichts der seit den 1980ern enorm gestiegenen Zahl von Fahrtenseglern bin ich ganz dezidiert der Meinung, daß es eines in vielerlei Hinsicht differenzierten Zuganges zum Untersuchungsfeld bedarf, um unzulässige Verallgemeinerungen über die, wie Jennings aus feministischer Perspektive zeigte, eben nur auf den ersten Blick als homogene Gruppe erscheinenden Fahrtensegler zu vermeiden. Dabei stellt eine an der Nationalität der Segler ausgerichtete Unterscheidung nur eines von vielen möglichen Kriterien dar, dessen Reichweite durchaus diskutiert werden kann. Dies gilt ganz sicher auch für meine in der Einleitung dargelegte Entscheidung für deutschsprachige Segler und das Auswahlkriterium einer beabsichtigten Weltumsegelung. Auch dann lassen sich Generalisierungen jedoch nie ganz vermeiden, sind diese in gewissem Maße zulässig und notwendig, und auch ich spreche im Folgenden von den Seglern. Neben den Gemeinsamkeiten möchte ich dabei aber, gewissermaßen relativierend, die individuell sehr unterschiedlichen Biographien der Weltumsegler meines Samples aufzeigen. Pauschale Aussagen, ob über die Motive der Segler, über ihre Entwicklungsprozesse und das Hineinwachsen in den Lebensstil, oder über das, was Langzeitsegler »wirklich« suchen, möchte ich hinterfragen bzw. den Leser dazu ermutigen, dies vor diesem Hintergrund zu tun.

11 Koth kontaktiert die yahoo-group-list »pacificpuddlejump«, deren Mitglieder an der gleichnamigen, gemeinschaftlichen Pazifiküberfahrt von der amerikanischen Westküste nach Tahiti teilnehmen. Für diese selbstorganisierte Rally melden sich bis zu 150 v.a. US-amerikanische Fahrtenyachten, die individuell starten, aber im Vorfeld und unterwegs untereinander Funkkontakt halten und sich austauschen, und alle denselben Zielhafen ansteuern, wo das Tourismusbüro von Französisch Polynesien eine Willkommensparty für sie veranstaltet wird. (www.pacificpuddlejump.com) 12 Dabei weisen schon MacBeth (1985) und Jennings (1999) auf eine ungleich gewichtete nationale Zusammensetzung ihrer jeweiligen Sample hin, die zu einer unbeabsichtigten Konzentration einmal US-amerikanischer, einmal australischer Fahrtenyachten führen.

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1.4 Z UR P OSITION

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»alles Yachties, nur Segelgeschichten« l Zur Forschungsposition als Ex-Yachtie

»alles Yachties, nur Segelgeschichten« Die Weltumsegelung als prozesshaftes Hineinwachsen in das Leben als Fahrtensegler, spezifische Bewährungsproben und der allmähliche Kompetenzgewinn, durch den der Status des erfahrenen Seglers erreicht wird, lassen sich in mancherlei Hinsicht mit der von Kaschuba beschriebenen »physischen, psychischen und biographischen Investition« der Feldforschung vergleichen, die als »rite de recherche« dem ethnowissenschaftlichen Novizen ermöglicht, sich zu bewähren und symbolisches Kapital seiner Profession zu erlangen (Kaschuba 2003: 201; s.a. SchmidtLauber 2007: 222). Rolf Scott betont, daß das Leben auf See einen Menschen verändert, und diese Veränderung umso nachhaltiger wirkt, je länger und je weiter man segelt, wobie es zu bedenken gilt, daß sich hierin gerade auch seine subjektive Lebenserfahrung widerspiegelt Tatsächlich weisen in all jenen Studien, die sich mit dem flüchtigen Lebensstil des Langzeitsegelns beschäftigen, ihre Autoren und Autorinnen explizit darauf hin, daß eine persönliche Nähe zum Untersuchungsfeld gegeben ist, daß wissenschaftliche und seglerische Interessen zusammenfallen. So verweist MacBeth auf seine Erfahrungen als langjähriger Bootseigner und Segler, und segelt ein halbes Jahr als teilnehmender Beobachter auf verschiedenen cruising yachts im Pazifik mit, Jennings lebt zur Zeit der eigentlichen Forschungsphase mit ihrem Ehemann als live-aboards in einer australischen Marina, nachdem sie zuvor zweieinhalb Jahre lang in den Gewässern von Papua Neuguinea und Indonesien gesegelt sind. Scott reflektiert neben seinem distanzierten Blick auf die eigene Weltumsegelung ausführlich seine Rolle als »well-integrated and experienced W[estern] S[ea] N[omad] doing research on WSN« (Scott 2002: 29) während der späteren Feldforschungsphasen. Er betont den autoethnographischen Charakter seiner Arbeit, und analysiert die Innenperspektive der tatsächlich gelebten eigenen Praxis. 13 Als erfahrener, bewährter Weltumsegler ist Scott ein Vertreter seines Untersuchungsfeldes, hebt jedoch die gerade durch den zeitlichen Umfang seiner Forschung mögliche und angestrebte »Objektivierung« der eigenen, subjektiven Erfahrungen hervor, um dadurch zu einem wissenschaftlichen Verständnis zu gelangen (Scott 2002: 28-31). Auch ich bewegte mich im Feld der Weltumsegler als »Ex-Yachtie«, was sich in spezifischer Weise auf den Forschungsprozess auswirkte. Bevor ich aber auf dessen Verlauf zu sprechen komme, möchte ich zunächst meine eigene Sozialisation in der cruising community vorstellen.

13 Zur autoethnographischen Forschung in der Kulturanthropologie und unterschiedliche Erscheinungsformen siehe auch die Ausführungen von Brigitte Bönisch-Brednich (2012).

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Abbildung 3: Tongatapu, 2001 – Einzug auf der PANTA REI Thorolf dokumentiert in den ersten Tagen unserer Reise, wie wir unser Gepäck, die Koffer und Kisten der Filmausrüstung, mit dem Dinghi an Bord bringen.

21. August 2001. Zwei Tage nach dem ersten Abendessen unter Yachties. Der Umzug auf unser Segelschiff erfolgt etappenweise, wir bringen zunächst Gepäck und Ausrüstung an Bord. Es liegt immer noch in einem Hafenbecken in Tongas Hauptstadt Nuku’alofa, per Heckleinen festgemacht an einer für ausländische Fahrtenyachten reservierten Mole. Neben ihr als einzige weitere Yacht die StahlSlup des deutschen Fahrtenseglers, der auf seine neuseeländische Lebensgefährtin wartet. Wieder halte ich in meinem Tagebuch fest, daß es für Langfahrtsegler offenbar neben ihren Booten und dem Segeln wenig interessante Gesprächsthemen gibt: »Mittags noch Tee an Bord, mit Udo und mit Peter (dem 69-jährigen). Immer diese Yachtgeschichten. Glaube nicht, daß ich auch mal so reden werde.« Ich empfand nicht nur keinerlei Zugehörigkeit zu einer offensichtlich existierenden cruising community¸ sondern hatte vielmehr ein ausgeprägtes Abgrenzungsbedürfnis gegenüber allen anderen Seglern, gleich ob Chartertouristen oder Weltumsegler. Yachties waren die Anderen, zu ihren Segelgeschichten fehlte mir offenbar der Zugang. Ich erlebte – in den Herausforderungen des Segelns ebenso wie in den Begegnungen mit Fahrtenseglern – die für ethnographische Feldforschungen charakteristische »Fremderfahrung als Selbsterfahrung« (Kohl 2000: 15) gewissermaßen unter umgekehrten Vorzeichen. Ohne vorab formulierte Forschungsabsicht entdeckte ich

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durch alltägliche soziale Interaktionen ein unerwartet großes Feld, das meine kulturwissenschaftliche Neugier weckte. Im Rückblick zeigt sich, daß das eigene Unbehagen und meine ›Befremdung‹ in dieser Phase zur bewussten »Veranderung«, einer m.E. überzogenen Verfremdung der segelnden »Anderen« (Kaschuba 2003: 198) führten, um mich zunächst meiner eigenen Position und Haltung zu einem mir völlig fremden Lebensstil zu vergewissern. Letztlich trugen diese zwar intensivst teilnehmenden, aber wenig systematischen Beobachtungen zur Entwicklung erster konkreter Forschungsfragen bei: Welche Motivation bewegt Weltumsegler? Sind Yachties Abenteurer und ausgeprägte Individualisten? Aber warum dann alle auf den gleichen Routen? Worauf begründete sich diese Seglergemeinschaft, die wir offensichtlich erlebten? Weshalb gehörten wir dazu, obwohl wir anders unterwegs waren? Oder blieben wir eben doch außen vor? Wir segelten weder allein um des Segelns willen noch befanden wir uns auf einer Weltumsegelung. Darin unterschieden mein Partner Thorolf und ich uns ganz grundlegend im Anlass, der uns dennoch zu Yachties machte. 20 Monate lang lebten und segelten wir auf und mit unserer PANTA REI, einem soliden, klassischen 35Fuß-Fahrtenschiff 14 . Der Zweck unserer Reise durch den westlichen Süd- und Nordpazifik war allerdings die Produktion einer mehrteiligen ethnographischen Fernseh-Dokumentation15 über Rituale und mythisch-historisch bedeutsame Stätten in Polynesien, Melanesien und Mikronesien. Die besonderen Umstände der Dreharbeiten – daß wir ausschließlich zu zweit drehten, monatelang an Bord lebten und von Drehort zu Drehort segelten – waren uns weder vorgeben worden, noch wurden sie in den Filmen selbst thematisiert. Die Filmproduktion bestimmte aber den Ablauf unserer Reise. Im Vorhinein festgelegte Drehorte mussten zu bestimmten Terminen und Zeiten erreicht werden, Ankerplätze konnten nur selten primär nach seglerischen Gesichtspunkten gewählt werden. Teils sachliche, teils sehr persönliche Überlegungen führten zu der Entscheidung für eine Segelyacht als Reise- und Transportmittel. Einmal konnten so die im Pazifik horrenden Flug- und Übernachtungskosten vermieden, und relativ unabhängig Inseln und Atolle abseits üblicher Verkehrsrouten angesteuert werden. Segelnd sollten wir, unserem ethnologischen Selbstverständnis gemäß, letztlich auch andere Zugänge und Einblicke in die Lebenswelt Ozeanien erhalten. Zum anderen erkannte

14 Eine Hallberg Rassy Rasmus (35 Fuß/10,5 m), Baujahr 1973, GFK, die in Neuseeland lange Jahre an Land stand. Den Kontakt zum Voreigner vermittelte eine Bekannte, die in den 1990ern um die Welt gesegelt, und Thorolfs Ansprechpartnerin für eine erste Reiseplanung und die Schiffsuche war. Ein Indiz für die grundsätzliche Hilfsbereitschaft unter Seglern wie dafür, daß ›man‹ sich in der Fahrtenseglerszene recht weitläufig ›kennt‹. 15 MYTHEN DER SÜDSEE (D 2005, 5x45 Minuten; Arcadia Filmproduktion im Auftrag des Bayerischen Fernsehens)

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Thorolf diesen Filmauftrag aber auch als Möglichkeit, bereits mit Ende Zwanzig, und nicht erst im Ruhestand, seinen Traum vom Segeln zu realisieren. Ich ließ mich von Thorolfs rationalen Argumenten zu den organisatorischen Vorteilen und überdies der Machbarkeit eines solchen Unterfangens überzeugen, dabei ebenso wenig wie er mit dem Segeln, geschweige denn dem Leben auf einer kleinen Hochseeyacht vertraut. Auch dieser völlige Mangel an einschlägigen praktischen Erfahrungen, die kurze Ausrüstungsphase und eine meinerseits nur sehr halbherzig verfolgte theoretische Vorbereitung, ist so unter Fahrtenseglern doch nur sehr selten anzutreffen. Dies vermittelten uns viele Langzeit- und Weltumsegler, die wir unterwegs trafen, die unser Unternehmen häufig als umso mutiger ansahen. Mein anfänglicher Überdruss an Yachtgeschichten und dem häufig monothematischen Austausch mit anderen Seglern über Reparaturen, Bootsausrüstung und -eigenschaften, über Bezugsquellen für rostfreie Schrauben oder die einzig wahre Schwerwettertaktik, über die immer gleichen, oberflächlichen Fragen nach Woher und Wohin und was man dort erleben muss, an all den guten und gut gemeinten Ratschlägen, nahm offensichtlich mit dem Voranschreiten der eigenen Reise ab. Schon nach einem Monat finden sich in meinem Tagebuch keinerlei Einträge mehr über die anfangs so leidigen »Segelgeschichten«. Dies mag daran liegen, daß einerseits eine gewisse Gewöhnung meinerseits an das seglerische Umfeld und Seglerspezifische Unterhaltungen stattfand, ich anderseits aber auch lernte, mitzureden. Das Zusammentreffen mit anderen Yachties, das im Verlauf unserer Reise durch Verlassen der so genannten Barfuß-Route ohnehin seltener wurde, lernte ich als Gelegenheit zum Austausch mit einem verständigen Gegenüber schätzen, wurde dies zum Raum, um von eigenen Segelerlebnissen berichten zu können. Insgesamt stellte sich meine Reise sicherlich als ein fortdauernder Prozess des Lernens und Erfahrens dar, als persönliche Entwicklung ebenso wie in der Zunahme seglerischer Kompetenzen. Das alltägliche Leben an Bord, vor Anker wie insbesondere auf See während tage- und wochenlanger Überfahrten, zählt sicherlich zu den intensivsten und nachhaltig prägendsten Erfahrungen meines Lebens. Blauwassersegeln birgt eben immer auch ein Moment der existenziellen Bedrohung in sich, welches in der Normalität des Landlebens selten so deutlich zutage tritt. Das sich vollkommen Einlassen-Müssen auf die Situation, da auf See ein Anhalten, Verschnaufen, Rasten nicht möglich ist, erfordert Vertrauen ins eigene Können ebenso wie absoluten Verlass auf Partner und Boot. Fast zwei Jahre, die ich nicht missen möchte, bin ich gesegelt und habe – allerdings unter den Prämissen der Filmproduktion – das Leben eines Yachtie geführt. Gleichwohl habe ich mich nie selbst als Yachtie noch als Seglerin verstanden. Meine Skepsis gegenüber dem Fahrtensegeln als solchem, dem keine konkrete Aufgabe wie etwa unser Filmen zugrunde liegt, wurde anfangs durch das Erleben vor allem beschwerlicher Momente dieses Lebensstils – etwa den beschränkten Platzverhältnissen nebst ständig notwendigen Reparaturen und entsprechendem Chaos an Bord – sehr bestärkt. Doch irgendetwas

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musste ja den überraschend vielen Langfahrtseglern, denen ich begegnete, erstrebenswert erscheinen. Wodurch wurden sie für ihre Mühsale entschädigt? Nach und nach bekam ich einen Eindruck davon, was Langzeitsegeln unter anderen Vorzeichen und Umständen, mit einem weniger reparaturbedürftigen Boot und ohne Zeitdruck, bedeuten könnte. Auch ich erlebte beglückende Momente, in denen mich das Segeln freute, und entwickelte durchaus ein gewisses Verständnis für den Wunsch, die Welt zu umsegeln. Gleichzeitig erwuchs daraus die Frage, ob Fahrtensegeln heute noch das ist, was es laut Büchern und vor allem Erzählungen langjähriger Yachties einmal gewesen sein musste. Wer kann sich diese Leben heutzutage überhaupt noch leisten? Was geben Weltumsegler für die Erfüllung ihres Traumes auf? Und ist ein langjähriges oder sogar dauerhaftes Leben unter Segeln wirklich so befriedigend und erstrebenswert, wie Fahrtensegler es darstellen? Zur Forschungsposition als Ex-Yachtie Nicht zuletzt waren es meine generellen Zweifel an der Sinnhaftigkeit einer Weltumsegelung, die den Anstoß gaben, den persönlichen Erfahrungen und Eindrücken einen im Sinne Bourdieus (2002) selbst-objektivierenden Blick der Kulturwissenschaftlerin auf das komplexe Phänomen Weltumsegelung überindividuell gegenüber zu stellen. Hatte bereits das zum Gelingen der eigenen Segelreise notwendige Hineinfinden in den Alltag eines Langfahrtseglers dabei genau jenes ständige »Beobachten und Verstehen mittels lernender Erfahrung« erfordert, das als die Grundlage jeder ethnologischen Feldforschung gilt (Schmidt-Lauber 2007: 221), so begleitete meine Identität und Rolle als Ex-Yachtie mich auch während der eigentlichen Forschungsphasen. Früher oder später wurde ich immer gefragt, ob ich denn selbst gesegelt sei. Daß ich von einer in Ansätzen vergleichbaren Segelreise berichten konnte, verwies auf einen gemeinsamen Erfahrungshorizont, der mich als Forscherin als ein »verständiges«, mit der Lebenswelt meiner Gesprächspartner vertrautes Gegenüber legitimierte. Als Ex-Yachtie und damit ehemaliges »Mitglied« der von mir untersuchten Seglergemeinschaft waren mir Jargon und Umgangsformen der Segler untereinander nicht fremd (vgl. Raisborough 2007). Dies schloß jedoch nicht aus, daß mir im Gespräch immer wieder auch seglerisch Selbstverständliches wie die Windverhältnisse der Passatroute erläutert wurde, wodurch sich meine Gegenüber mir, der Kulturwissenschaftlerin und damit akademischer »Expertin«, als »praktische« Experten für das Fahrtensegeln mit entsprechendem Fachwissen und -können verorten konnten. Die im Laufe der Feldforschung stattfindenden Besuche an Bord von Fahrtenyachten weckten wohl eine Fülle sinnlicher Erinnerungen: das Schaukeln, das Klappern der Fallen im Mast, ein Regenschauer in einem vom Sonnensegel geschützten Cockpit oder das unmittelbar vertraute Raumgefühl unter Deck. In solchen Momenten verdeutlichte die bewusste Beobachtung der sinnlichen Wahrnehmung-

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Abbildung 4: Atlantik, 1995 »Schwierige Versorgung an Bord« »Es sind keine schönen Fotos, die wir Dir schicken, aber ganz typische. So haben wir unsere Segelreise im Kopf (und Herzen).« – Aus der Antwort einer Weltumseglerin auf meine Bitte nach den drei Bildern, die für ihre Reise stehen.

en der Forscherin, wie sie Regina Bendix (2006) entsprechend einer mit allen Sinnen umfassenden Ethnographie fordert, eine nachhaltig prägende sensorische und somatische Dimension des Fahrtensegelns. Gerade die ›leibhaftig‹ geteilten, sinnlichen Erfahrungen des Blauwassersegelns spielten auch für meine Akzeptanz im Feld eine wichtige Rolle. Ich kannte die psychischen und physischen Herausforderungen des Langstreckensegelns, für den Einzelnen und im Zusammenleben mit dem Partner. Durch die Dauer unserer Segelreise konnte ich dies auch in Hinblick auf die zeitliche Dimension einer Weltumsegelung nachvollziehen. Ich hatte das praktische Wissen und die körperliche Praxis des Segelns, und damit verbunden intensive sinnliche Eindrücke des Bordalltags auf einer Fahrtenyacht, unmittelbar erlebt. Etwa das Rollen einer Yacht an einem schlechten Ankerplatz; auf einem krängenden Schiff hart am Wind, weil der Kurs unbedingt angelegt werden muß, tagelang »in Schieflage« zu wachen, zu kochen, zu schlafen; Seekrankheit, körperliche Erschöpfung durch ständige Bewegung und Schlafmangel infolge Wachwechsel auf See, sowie deren Überwindung, wenn nach den ersten Tagen wieder »Seebeine« gewachsen sind. Der »siebte Sinn«, mit dem Veränderungen in den Schiffsbewegungen selbst im Schlaf als bedeutungslos oder alarmierend eingeordnet werden können. Die physisch intensive Erfahrung der Enge und des Platzmangels unter Deck, und demgegenüber die immense Weite und Leere des Ozeans. Trotz gewisser nostalgischer Momente, in denen ich an meine Pazifikreise erinnert wurde, trotz der Gespräche über Reiserouten und bestimmte Ziele, bei dem

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ich als Ex-Yachtie mit spezifischen regionalen Kenntnissen in einen konkreten Informationsaustausch treten konnte, stand immer meine Rolle als Forscherin und Wissenschaftlerin im Vordergrund, bestimmte sie die soziale Interaktion mit den Yachties und ihrem Umfeld. In Anlehnung an Ulf Hannerz (1996) betrachte ich meinen Forschungsansatz dabei als eine Form des studying sideways, dessen grundlegendes Erkenntnisinteresse von den Akteuren selbst geteilt wird. In Gesprächen untereinander wie mit Nicht-Seglern reflektieren Yachties nicht nur das Wie, sondern auch das Warum ihres Lebens unter Segeln. Allerdings sehe ich mich weder als Vertreterin noch Sprecherin der von mir untersuchten Akteure. Es geht mir vielmehr um eine kritische Auseinandersetzung mit dem Lebensstil Fahrtensegeln, ohne Weltumsegelungen einerseits idealisieren oder andererseits als von Seglern fälschlicherweise positiv besetzte Praxis dekonstruieren zu wollen. Als Ethnologin begegnete ich meinen Gesprächspartnern – den Yachties, deren Lebensstil ich studierte und die ihre Weltumsegelungs-Erfahrungen mit mir teilten – jedoch mit jenem mit »abenteuerlicher Neugier« gepaarten, auf einer gewissen, grundsätzlichen Sympathie beruhenden Respekt, wie ihn der Kultursoziologe und leidenschaftliche Feldforscher Roland Girtler einfordert. Im dritten der von ihm formulierten 10 Gebote der Feldforschung zieht Girtler (2004) die Konsequenz: »Du sollst niemals abfällig über deine Gastgeber und jene Leute reden und berichten, mit denen du Bier, Wein, Tee oder sonst etwas getrunken hast.« Das stete Bemühen um die Balance von Nähe und Distanz, das darin zum Ausdruck kommt, stellt in der Verschriftlichung, in der ich eben von all jenen berichte, mit denen ich zusammensaß, einen ebenso zentralen Aspekt dar wie im Feld selbst. Bevor ich mich aber, die Heranführung zum Thema insgesamt abschließend, der Frage nach der Repräsentation und Repräsentativität ›meiner‹ Weltumsegler zuwende, möchte ich zunächst meine Forschungsmethoden und den Verlauf des Forschungsprozesses darlegen.

1.5 Z U K ONZEPTION

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Die Herausforderung der delokalisierten Seglergemeinschaft l Von der Methodenvielfalt in einem flüchtigen Feld l Zu Fragen der Repräsentativität und Repräsentation

Die Herausforderung der delokalisierten Seglergemeinschaft Die Herausforderung beruht auf der Frage, inwiefern sich das Untersuchungsfeld Fahrtensegler, dem sich mittels eines multimethodischen Forschungsansatzes genähert werden soll, konkret räumlich verorten läßt. Die physische und konzeptionelle Mobilität der Weltumsegler erlaubt keine ›klassische‹ ethnographische Feldforschung. Daß dieser lokalisierende Forschungsansatz unter den veränderten sozialen und politischen Bedingungen der Globalisierung, einer zunehmenden Delokalisie-

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rung von Wirtschaft, Kultur und Gesellschaftsstrukturen der späten Moderne generell weitergedacht werden musste, wird seit den frühen 1990er Jahren in den Ethnowissenschaften problematisiert und diskutiert (vgl. Appadurai 1997; Clifford 1997; Marcus 1995). Im Kontext der Anpassung einer traditionellen Feldforschung an den globalen Wandel forderte George E. Marcus die multi-sited ethnography, die kulturellen Praxen und ihren Akteuren ebenso wie ihren »Geschichten« auf Reise-, Migrations- und Kommunikationswegen folgen soll, und damit umfassender gedacht ist als die häufig anzutreffende Reduzierung auf eine Mehrörtigkeit der Forschung (vgl. Peterson 2009: 41ff.). In der Europäischen Ethnologie prägte Gisela Welz (1998) in ihrem grundlegenden Aufsatz zu multilokalen Forschungskonzeptionen darüber hinaus den Appadurai entlehnten Begriff der Moving Targets, der gleichfalls mobile Akteure wie Ideen beinhaltet. Eine im eigentlichen Sinne von Marcus durchgeführte multi-sited ethnography einer Weltumsegelung besteht letztlich im mehrjährigen Mit-Segeln. Voraussetzung dafür ist allerdings, sich auf dem begrenzten Raum einer Segelyacht der extremen Intensität menschlichen Miteinanders auszusetzen, einer sozialen Interaktion ohne wirkliche persönliche Rückzugsräume, aus der heraus Spannungen und Konflikte erwachsen. Rolf Scott, der diesen Ansatz verfolgte, war vor die Aufgabe gestellt war, sich an Bord als forschender Ethnologe, als erfahrener Fahrtensegler und als Mensch einzubringen, seinen Stand als temporär mitsegelnder »Gast« oder vollwertiges Crewmitglied zu verhandeln (vgl. Scott 2002).16 Von Vornherein ließ mich meine Pazifikreise nicht nur realistisch einschätzen, was es bedeuten würde, auf einem fremden Schiff mitzusegeln. Sie erlaubte mir auch, durch den bereits erlebten Alltag auf See, mich als Forscherin auf eine teilnehmende Beobachtung beziehungsweise »Beobachtung der Teilnahme« (Kane/Zink 2004) gerade der sozialen Aktivitäten an Land zu beschränken. Dennoch fand diese Forschung »mehrörtig« statt. Die geographische multisitedness ergab sich einerseits aus den verschiedenen Wohnorten ehemaliger Weltumsegler, andererseits aus der Tatsache, daß Weltumsegler sich je nach Saison in bestimmten Regionen konzentrieren – im südpazifischen Sommer ist Neuseeland ein solcher Ballungsraum. Letzteres führt zu einer temporären, physischen (Re)Lokalisierung der Seglergemeinschaft. Die bereits für Segler früherer Jahrzehnte attraktiven geographischen Räume führen dazu, daß ein Zusammentreffen von ehemaligen und aktiven Weltumseglern begünstigt wird, und unter diesem Aspekt eine verschiedene Segler-Jahrgänge und Segler-Generationen umfassende Gemeindestudie vor Ort ermöglicht wird. Über die individuellen Reise- bzw. Segler-

16 Generell ist es schwierig, »Hand-gegen-Koje« auf einer Fahrtenyacht mitgenommen zu werden. Wenn, sind es in aller Regel Einhandsegler, die überhaupt dazu bereit sind, sehen sich gerade Frauen so potentiell auch mit einer sexuellen Erwartungshaltung konfrontiert.

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biographien konnten Verbindungen innerhalb der delokalisierten, weil räumlich verstreuten Seglergemeinschaft aufgespürt werden. Das seglerische Selbstverständnis, eine gewisse geteilte soziale Identität, das gemeinsame Zugehörigkeitsgefühl, wird darin einschließlich seiner historischen Dimension erkennbar. In Anlehnung an die Überlegungen von Sherry Ortner zur Feldforschung ihrer Newark Studie ließe sich auch hier von einer post-community sprechen, als eine sich verändernde, in Raum und Zeit transformierte Gemeinschaft (Ortner 1997). Zwar nahmen qualitative Interviews die zentrale Rolle in der Datengenerierung ein, der Prozess der Datenerhebung selbst stellte aber durch die unterschiedlichen Orte, an denen ich mich zu Interviews traf, doch eine eingeschränkte teilnehmende Beobachtung dar. Überdies wurden in den Gesprächen sowie durch ihre äußeren Umständen die Strukturen der Seglergemeinschaft zeitlich und räumlich differenzierter sichtbar, als dies von Bord einer individuellen Fahrtenyacht aus der Fall gewesen wäre (vgl. Ortner 1997: 62). Von der Methodenvielfalt in einem flüchtigen Feld Die aus meiner eigenen Segelreise fortbestehenden Kontakte zu Weltumseglern, sowie die Tatsache, daß Fahrtensegler heute in aller Regel auch an Bord E-Mails empfangen können, vereinfachten den (Wieder)Einstieg ins Feld. Mit der Vorstellung meines Projektes und Bitte um Weitervermittlung wandte ich mich an jene Segler, die wir im Pazifik persönlich oder »auf der Funke« getroffen hatten. Auf diese Weise erhielt ich weit über einhundert E-Mail-Adressen von Yachten, die sich auf Weltumsegelung bzw. Langfahrt befanden. Unabhängig ihres jeweiligen Standortes konnte ich sie, auf den Weg der Adressenvermittlung und auf die eigene Reise verweisend, als Bekannte von Bekannten anschreiben. Das Schneeballsystem, das ich damit in Gang brachte, setzte sich mit den ersten Interviews fort, die ich im Sommer 2006 in Bayern, in Hamburg, Cuxhaven und Kiel führte, erhielt ich kontinuierlich Empfehlungen und Kontaktdaten immer weiterer Segler. Die Reaktionen auf mein Anschreiben reichten von der bedingungslosen Bereitschaft, mir zur Verfügung zu stehen, über vereinzelt skeptische Nachfragen zur Zielsetzung meines Projektes bis zu Kritik an dem (vermeintlichen) Auswahlkriterium, auf diese Weise ausschließlich einen Kreis untereinander befreundeter Segler zu berücksichtigen. Da es prinzipiell möglich ist, völlig ortsunabhängig weltweit mit Yachties in Verbindung zu treten, hatte ich ursprünglich auch an einen standardisierten Fragebogen gedacht, um ein möglichst umfangreiches Datenset mit Angaben zu Reisedauer, Reiseroute, Schiffsgröße, Alter der Segler, etc. zu erhalten, und damit den Mangel an statistischen Daten auszugleichen. Da ich diesen Fragebogen nicht ungefragt an mir vermittelte Adressen verschicken wollte, die Resonanz auf meine erste Anfrage aber eher verhalten war, schickte ich letztlich als Alternative zu einem direkten Interview einen Katalog von ca. 30 Fragen an zwanzig Segler, die

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für mich anderweitig unerreichbar waren. Die Kommunikation per E-Mail erleichtert es dabei zwar, in eine Art Dialog zu treten, erlaubte Nachfragen oder die Diskussion einzelner Punkte, ließ Raum für Anmerkungen und Erläuterungen, ist mit einer freien Gesprächsführung jedoch nicht zu vergleichen. Bis Ende 2007 erhielt ich insgesamt dann auch nur acht dieser Fragebögen zurück. Häufiger als in den Gesprächen äußerten Yachties hier allerdings, daß sie meine Fragen als Anstoß begriffen, die eigene Reise bewusst zu reflektieren: »Übrigens war das Beantworten deiner Fragebögen auch für uns sehr interessant. So eine Art Aufarbeitung unserer seglerischer Vergangenheit …« Um von Anfang an einer einseitigen Erschließung eines begrenzten Bekanntenkreises und sozialen Netzes entgegenzuwirken (Schmidt-Lauber 2007: 231), wandte ich mich zu Beginn meiner Forschung auch an »Trans-Ocean«, den »Verein zur Förderung des Hochseesegelns« und Interessensverband deutschsprachiger Weltumsegler (vgl. Kap. 6.3). Eine entsprechende Anzeige in dem vierteljährlich erscheinenden Mitteilungsblatt (TO 2006/113), das die gut 6000 Vereinsmitglieder erhalten, sollte mein Anliegen unabhängig von persönlichen Empfehlungen verbreiten. Der Verweis auf die Anzeige diente mir als Anknüpfungspunkt in Gesprächen und erleichterte meinem Gegenüber die Einordnung meines Anliegens und meiner Person. Dabei konnte ich wiederholt feststellen, daß mein Interesse an Weltumseglern und die stattfindende Forschung von den Yachties selbst als geradezu selbstverständlich aufgefasst wurde, die Tatsache aber, mit diesem Forschungsgegenstand eine Promotion bestreiten zu können, mich immer wieder nötigte, die Europäische Ethnologie als ernstzunehmende Wissenschaft erklären und verteidigen zu müssen. Insofern begleitete mich anfangs, trotz meiner Vertrautheit mit der cruising community und der Akzeptanz als Ex-Yachtie, doch auch die von Lindner (1981) geprägte »Angst des Forschers vor dem Feld«, wenn ich in dieser Weise mit meinem »Selbstbild als Wissenschaftler« konfrontiert wurde. In Deutschland führte ich Interviews mit »frühen« Weltumseglern der 1970er Jahre, mit gerade eingetroffenen Rückkehrern, mit einem Segler auf »Heimaturlaub« und solchen, deren Aufbruch noch bevorstand. Während meines Forschungsaufenthaltes in Neuseeland besuchte ich zwischen Dezember 2006 und März 2007 verschiedene Segelreviere und Häfen: Auf der Südinsel die seaside resort city Nelson (43.000 Einwohner), die explizit als Zielhafen für neuseeländische und auswärtige Fahrtenyachten wirbt (580 Liegeplätze). Auf der Nordinsel traf ich deutsche Segler unter anderem in Auckland, das mit der im Zentrum gelegenen Westhaven Marina mit ca. 1800 Liegeplätzen eine der größten Marinas der südlichen Hemisphäre besitzt, vor allem aber im 160 km nördlicheren Whangarei (49.000 Einwohner). Als wirtschaftliches Zentrum der subtropischen Region Northland und als offizieller neuseeländischer Einklarierungshafen verfügt Whangarei über eine speziell auf in- wie ausländische Segler ausgerichtete Infrastruktur, darunter die mitten im Stadtzentrum gelegenen Town Basin Marina (mit

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ca. 300 Liegeplätzen), drei weitere, kleinere Marinas, diverse Werften, Schiffsausrüster, Handwerksbetriebe und allgmeinen Versorgungsmöglichkeiten. Die etwa eine Autostunde entfernte Bay of Islands mit ihren 144 Inseln zählt nicht nur zu den beliebtesten touristischen Destinationen Neuseelands, sondern ist auch Zielregion einheimischer wie überseeischer Wohlstands- bzw. Ruhestandsmigration. Dort stellte die bei Russell (ca. 800 Einwohner), einst erste Hauptstadt Neuseelands, gelegene Matauwhi Bay als geschützter Naturhafen jahrzehntelang einen besonderen Anziehungspunkt für Weltumsegler dar. Das nahe gelegene Opua (ca. 600 Einwohner) war und ist von den pazifischen Inseln kommend der günstigste, und damit auch am häufigsten angelaufene Einklarierungshafen. Im Jahr 2000 eröffnete hier ein Marina-Neubau mit ca. 300 Liege- und Mooringplätzen, weshalb in der Matauwhi Bay wesentlich weniger Weltumsegler »übersommern« als in früheren Jahren. Da sich in der Saison 2006/07 mehrere deutsche Weltumsegler für die Opua Marina entschieden hatten, und überdies in der Umgebung von Opua und Russell auch mehrere seit den 1970ern hängengebliebene Yachties ansässig sind, fand hier ein bedeutender Anteil meiner Forschung statt. Bis auf wenige Ausnahmen, in denen sich kurzfristig nur ein Treffen im Café organisieren ließ, wurden sämtliche Interviews in einer persönlichen Umgebung geführt, wurde ich bereitwillig in deutsche und neuseeländische Wohnzimmer und an Bord der Fahrtenyachten eingeladen. Allen Gesprächen lag ein einheitlicher Leitfaden zugrunde, der sicherstellte, das trotz der individuellen Ausrichtung auf den jeweiligen Gesprächspartner auch in den in aller Regel sehr entspannten Gesprächssituationen möglichst ›alle‹ Themenkomplexe angesprochen wurden (vgl. SchmidtLauber 2001). Aus meiner häufig gestellten Einstiegsfrage »Wie seid Ihr auf die Idee gekommen, die Welt zu umsegeln?« entwickelten sich in aller Regel »eroepische«17 Gespräche, in die ich mich, wie Roland Girtler es als 7. Gebot der Feldforschung versteht, als »Mensch«, und damit auch als Ex-Yachtie, einbrachte und bemühte, auch für ausschweifende Segelgeschichten die entsprechende »Muße« aufzubringen (Girtler 2004: 66ff.). Das Erzählen von sich, von Reise- und Segelerlebnissen, ist fahrtenseglerische Alltagspraxis. Auch untereinander tauschen sich Yachties in zumeist anekdotenhaften Geschichten aus. Kaum ein Tag verging ohne informelle Gespräche mit Seglern unterschiedlicher Nationalitäten, mit hängengebliebenen Yachties und gebürtigen Neuseeländern, mit Hafenmeistern und Marina-Managern. Ich traf mich auf Booten, die ankerten und zu denen ich mit dem Dinghi abgeholt wurde, die bequem zugänglich an Marina-

17 Roland Girtler bezieht sich bei der Bezeichnung des »ero-epische Gesprächs« auf die griechischen Begriffe für Frage (Erotomai) und Erzählung (Epos), und betont damit, daß die Rollen des Fragenden und Erzählenden sowohl von Forscher wie Beforschten eingenommen werden sollen (Girtler 2004).

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Abbildung 5: Whangarei, 2007 – Town Basin Marina Blick auf die Steg-Liegeplätze der TBM, links im Bild die Veranda des REVA’S.

stegen lagen oder in Werften aufgepallt an Land standen. Ich besuchte das Friday Night Dinner im Russell Boating Club und im Opua Cruising Club, dienstags stieß ich in Whangarei zur berühmt-berüchtigten Sailor’s Happy Hour im REVA’S, ich nahm an einem vom Marina-Management organisierten Potlach-BBQ teil und an wöchentlichen Volkstanz-Treffen. Ich war bei Yachties »immer auf einen Kaffee an Bord willkommen«, saß zu allen Tageszeiten mit ihnen zusammen, erlebte gegenseitige Besuche und spontane Essenseinladungen, begleitete Langzeitsegler auf ihren samstäglichen Einkaufstouren zu Wochenmärkten und schließlich, ausgerichtet im TO-Stützpunkt Paihia, sogar auf eine Segler-Hochzeit. Als »diejenige, die über Weltumsegler forscht«, wie es sich rasch unter ihnen herumsprach, konnte ich innerhalb der sich zum Zeitpunkt der Forschung in Whangarei und Umgebung lokalisierten cruising community eine provisorische, aber eindeutige Position einnehmen. Der landbasierte Feldaufenthalt gewährte mir die notwendige Unabhängigkeit, um mit verschiedenen »Seglerkreisen« ins Gespräch zu kommen, wobei die Segler selbst recht gut im Bilde waren, mit wem ich mich traf oder wen ich für ein Interview zu gewinnen suchte. Die physische Distanz, die durch den Rückzugsort der unabhängigen Unterkunft im Vergleich zu einer Koje auf einer Fahrtenyacht gegeben war, erleichterte es mir, mich als Forscherin unter den Seglern weitestgehend neutral, d.h. unabhängig persönlicher Anti-

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pathien oder schwelender Konflikte zu bewegen. Der räumliche Abstand diente zugleich der Aufrechterhaltung der notwendigen analytischen Distanz zu meinem Untersuchungsfeld. Ich konnte und wollte mich der Beobachtung meiner Forschung durch die Segler, der im Feld unweigerlichen »Reziprozität der Beobachtung« (vgl. Lindner 1981; Schmidt-Lauber 2007) keinesfalls entziehen, mir jedoch gewisse Freiräume bewahren. Daß sich meine Gesprächspartner dabei untereinander über meine Forschung und die Kongruenz meiner Fragen austauschten, erfuhr ich durch entsprechende, beiläufig geäußerte Bemerkungen. Als ich einem Ehepaar meine auch als solche deklarierte Standardfrage nach drei Bildern, die für ihre Reise stehen, stellte, wurde ich mich mit einem freundlichen »Da habe ich aber anderes gehört, von Irmgard hast Du 150 Bilder bekommen« eben auch an meine Position als temporärer Gast innerhalb langjährig bestehender Beziehungsgeflechte erinnert. Schließlich konnte ich in Neuseeland meine Forschung auf die Fahrtenyachten selbst und damit die Sach- und Dingwelt einer Weltumsegelung ausweiten. Die Bedeutung des Schiffes als Gefährt und Gefährte, als funktionales Transportmittel und Heimstatt der Segler spiegelt sich auch im Umgang der Weltumsegler mit ihren Yachten wider. Während im Gespräch abstrakte Konzepte von Zuhause erörtert werden konnten, setzte ich zur systematischen Erfassung und Dokumentation der konkreten Wohn- und Lebenswelt von Weltumseglern die Fotokamera als Werkzeug der visuellen Beobachtung und Datenerhebung im Sinne John Colliers ein (Collier/Collier 1986). Obwohl das systematische fotografische Beobachten, der Einsatz der Kamera als visual notebook, eine die teilnehmende Beobachtung um spezifische Aspekte komplementierende Bereicherung darstellt, kommt ein explorativer Gebrauch der Kamera als kulturwissenschaftliche Forschungsmethode kaum zur Anwendung. Wie Thomas Overdick in seiner für die Europäische Ethnologie grundlegenden Arbeit zur Fotografie als Instrument und Medium der ethnographischen Forschung und Repräsentation ausführt, geht es in der zwar seit gut zwanzig Jahren regelrecht boomenden »volkskundlichen Fotoforschung« »um die Forschung über Bilder, nicht jedoch um die Forschung mit Bildern« (Overdick 2010: 291). Während zweifelsohne jede Fotografie immer nur einen im Moment der Aufnahme gewählten Realitätsausschnitt wiedergeben kann, die vermeintlich »objektive« Aufnahme immer der Sichtweise des Fotografen auf die Wirklichkeit entspricht – auch der fotografierende Forscher komponiert ein Bild – gilt zugleich, daß es sich bei der Fotografie um ein umfassendes Aufzeichnungsmedium handelt, das auch jene Details, die dem Beobachter in der Situation entgehen oder unwichtig erscheinen, sowie die räumliche Ordnung präzise festhält. Fotografien sind nicht objektiv dokumentierend, wie Overdick auch in seiner Kritik an Colliers realistic approach ausführt, sondern stellen immer nur eine fotografische Möglichkeit dar, wobei es insbesondere den fotografischen Produktionsprozess zu berücksichtigen gilt (Overdick 2010: 207-212). Doch je nach Forschungskontext und Erkenntnisinteresse eröffnet der reflektierte Gebrauch der Kamera neue An- und Einsichten.

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Colliers Ansatz des fotografischen cultural inventory basiert auf der Annahme, daß der visuelle Charakter eines Raumes Aussagen über Menschen und ihre Handlungen zuläßt: »The value of an inventory is based upon the assumption that the ›look‹ of a home reflects who people are and the way they cope with the problems of life« (Collier/Collier 1986: 45). Zumeist als home inventory umgesetzt handelt es sich dabei einerseits um ein Inventar im eigentlichen Sinne, in dem Dinge systematisch dokumentiert werden, andererseits ermöglichen diese Fotografien eben auch Aussagen über wirtschaftliche Verhältnisse, über Nutzung, Gestaltung und Einrichtung (Collier 1986: 45-63). In diesem Sinne strebte ich ein yacht inventory aller von mir besuchten Fahrtenyachten an. Dabei ging es mir nicht darum, die Sachwelt von Weltumseglern en detail zu erfassen. Angesichts der materiellen Fülle der Dinge an Bord, die allerdings größtenteils verstaut sind, beschränkte ich mich in erster Linie auf den zentralen Wohnraum unter Deck, um diesen mittels fotografischer Momentaufnahmen konsequenter und umfassender als es angesichts der Flüchtigkeit des Feldes schriftlich möglich gewesen wäre, festzuhalten. Die »Sichtbarmachung« der Beziehung zwischen Mensch und »Ding«, zwischen Segler und Yacht, erfolgt dabei nicht nur über die Bilder, vielmehr noch über die Beobachtung des fotografischen Prozesses. Daß ich mich an Bord der verschiedenen Fahrtenyachten uneingeschränkt umsehen, und den persönlichen Lebensraum an und unter Deck auch fotografisch festhalten konnte, trug erheblich zum Verständnis bei, wie privater und öffentlicher Raum auf einer Segelyacht individuell verhandelt wird.

Abbildung 6: Paihia, 2007 Gegenperspektive Die fotografierende Forscherin wird selbst zum Objekt.

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Neben insgesamt zwölf yacht inventories fotografierte ich auch bei verschiedenen Zusammenkünften und Aktivitäten der cruising community. Aus diesen Momentaufnahmen, die etwa bei der Hochzeitsfeier von und mit Langzeit- und Weltumseglern entstanden, lassen sich Rückschlüsse auf die sozialen Interaktionen und Beziehungen der Segler ziehen (Collier 1986: 77-97). Sämtliche entstandenen Forschungsfotografien sollen letztlich auch zu der von Thomas Overdick beschriebenen vielstimmigen Erzählweise beitragen, bei der die sprachliche Beschreibung um eine sinnliche Erfahrung ergänzt wird, die in der »Anschaulichkeit« der Fotografien begründet liegt (vgl. Overdick 2010). Nicht zuletzt, und auch Overdick betont dies in seiner Diskussion der Fotografie als empirisches Forschungsinstrument, setzt ihr Einsatz das Einverständnis der Fotografierten voraus, gilt es, Forschungsinteressen offenzulegen und zu kommunizieren, sowie gerade auch die materiellen Ergebnisse mit dem zu teilen (ebd. 219-220). Meine Rolle als Forscherin gegenüber den Seglern war eindeutig, ob während der »formalen«, durch den Einsatz des Aufnahmegerätes charakterisierten Interviews, oder informelle Zusammenkünfte mit der Kamera begleitend. Die »Rückgabe« meiner Fotografien gestaltete sich durch den Einsatz digitaler Fotografie als überaus einfach. So konnte ich Aufnahmen teils gleich auf an Bord befindliche Notebooks übertragen, per E-Mail an die Fotografierten weiterleiten oder mich mit entsprechenden FotoCDs unmittelbar für mir entgegengebrachte Gastfreundschaft erkenntlich zeigen. Zu Fragen der Repräsentativität und der Repräsentation Nicht nur der Feldaufenthalt in Neuseeland, sondern der gesamte Prozeß der Kontaktaufnahme und des Austausches mit Weltumseglern vom heimischen Schreibtisch aus ist m.E. als kollaborative beziehungsweise partizipatorische Forschung zu verstehen. Dabei teile ich allerdings die Ansicht André Gingrichs, daß anstelle des in den postmodernen Ethnowissenschaften zentral gewordenen Begriffes der Kollaboration von »temporärer und punktueller Zusammenarbeit«18 gesprochen werden sollte. Die Zusammenarbeit zwischen mir und den von mir studierten Weltumseglern fand in einem zeitlich begrenzten und von mir als Forscherin abgesteckten Rahmen statt, der nicht zwangsläufig in einem joint intellectual effort, einer co-interpretation oder einem collaborative writing mündet (vgl. Lassiter 2005). Bevor ich auf die Frage nach der Repräsentation meines Untersuchungsfeldes und der dabei angewandten Textualisierungsstrategie eingehe, möchte ich angesichts der Heterogenität von Weltumsegelungen zunächst einige Bemerkungen zur Repräsentativität meines Samples einfügen. Inwiefern handelt es sich

18 Ich beziehe mich auf einen Diskussionsbeitrag Gingrichs während des Symposiums »ReVision – Die Kultur(en) der Gesellschaft. Horizonte und Perspektiven der Europäischen Ethnologie«, am 23. Januar 2010 in Berlin (Instut für EE/Humboldt-Universität Berlin).

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bei meiner Definition »gewöhnlicher« Weltumsegelungen um eine Konstruktion, in der sich Yachties selbst wiederfinden, oder steht sie aus ihrer Perspektive im Widerspruch zu der von ihnen erlebten Realität? Für Lassiter sind es gerade die Differenzen von Forscher und Beforschten, die eine kollaborative Forschung ausmachen, und auch in der Verschriftlichung Eingang finden sollten (Lassiter 2008). Ich zog von Anfang an eine Trennlinie zwischen »gewöhnlichen« und »prominenten« Weltumseglern, die ganz grundlegend die Konstituierung meines Samples mitbestimmte.19 Daß bei aller Anteilnahme der Yachties an meiner Forschung ein unterschiedliches Verständnis hinsichtlich des Untersuchungsgegenstandes bzw. differenzierende Erkenntnisinteressen vorlagen, zeigte sich dann unter anderem daran, daß von mir ganz offensichtlich erwartet wurde, mich in besonderem Maße für »außergewöhnliche« Weltumsegelungen zu interessieren: ich müsse doch gerade mit dem Einhandsegler, der gegen den Wind um die Welt segelte und momentan letzte Vorbereitungen zur Pazifiküberquerung traf, sprechen wollen! (Auf fahrtenseglerische Bewertungskriterien des Besonderen, Selbstwahrnehmungen und daraus abgeleitete Distinktionsmechanismen werde ich in Kapitel 3, zur »Gewöhnlichkeit« normaler Weltumsegelungen, zurückkommen.) Teilweise erhielt ich konkrete Hinweise und Ratschläge, welche Themen ich »eigentlich« berücksichtigen sollte. Vor dem Hintergrund der eigenen Entscheidung, in Deutschland »alles verkauft« zu haben und nur noch auf dem Boot zu leben, schrieb mir etwa ein Seglerpaar: »Und was die Fragen an Langzeitsegler mit ›open end‹ angeht, so wären für mich als Interviewer die Fragen der Altersvorsorge und damit auch der Krankenversicherung von Bedeutung. Wie planen Weltenbummler ohne den Gedanken an Rückkehr ihr Alter bzw. altern? Wie haben sie die Frage der Krankenversicherung gelöst?«

Während für mich dabei relevant ist, was »Sicherheit« für Segler bedeutet, wie sie mit Risiken – und dem Alter – umgehen, zielt die hier zitierte Fragestellung eher auf die logistische Organisation einer Weltumsegelung ab. Allerdings ist es keineswegs das Ziel dieser Studie, segel-praktische Antworten zu liefern, sondern die soziokulturelle Wirklichkeit »Weltumsegelung« zu beschreiben. Auffallend ist auch, daß Segler in den Interviewgesprächen mit Formulierungen wie »Und das ist

19 Die Charakterisierung einer Weltumsegelung als »normal« bzw. »gewöhnlich«, womit ich auf die Selbstbeschreibung einiger Segler zurückgreife, erschien mir gerade auch sinnvoll als Abgrenzung zu prominenten Weltumseglern, die durch Extremfahrten, Erstleistungen oder »unmögliche« Routen, eine entsprechende Selbstvermarktung und mediale Berichterstattung einer größeren, nicht-seglerischen Öffentlichkeit bekannt werden. Allerdings sind, wie ich private wie im wissenschaftlichen Umfeld immer wieder feststellen konnte, auch namhafte Segler keineswegs so allgemein bekannt, wie angenommen.

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ja vielleicht auch interessant« meine Aufmerksamkeit auf bestimmte Aspekte zu lenken suchten und sich dadurch mir gegenüber als »Experten« im Fahrtensegeln auszuweisen, indem eigene Beobachtungen, Meinungen und Wertungen dargelegt wurden, die in ihren Augen für meine Forschung relevant seien. Ich erachte dies auch als eine mehr oder weniger unbewusste Strategie, mit dem Machtverhältnis zwischen Forscher und Erforschten umzugehen. Denn mit dem Hinweisen auf das eigentlich Interessante wird der Wissensvorteil des Praktikers gegenüber der Forschenden hervorgehoben, gleichzeitig spiegelt sich darin aber das Bedürfnis, den eigenen, reflexiven Blick auf das Umfeld (und auf sich selbst), durch mein wissenschaftliches Erkenntnisinteresse von einem »Experten« bestätigt zu bekommen. Jede Weltumsegelung ist einzigartig, in ihrem Verlauf wie im Erleben der Akteure. Ebenso individuell wie die jeweiligen Segelreisen sind die Geschichten und Biographien der Segler und Seglerinnen, die die Grundlage dieser Studie bilden. Im Vergleich der verschiedenen Reisen lassen sich dabei einerseits die Besonderheiten einzelner Reisen, andererseits überindividuelle Gemeinsamkeiten der Praxis Fahrtensegeln als solche erkennen. Ohne von vornherein, außer hinsichtlich der Herkunft der Segler, die von mir untersuchten Weltumsegelungen in irgendeiner Hinsicht weiter einzugrenzen – weder in Hinblick auf Dauer oder Route, auf Yachttyp, Größe oder Ausstattung, auf Größe oder Alter der Besatzung – ergab es sich, daß ich bestimmten Reise-Typen überhaupt nicht, einigen selten und anderen wiederholt begegnete. Wie repräsentativ bestimmte Reisen für ihre Zeit sind, was Motivation und Alter der Segler, Ausstattung der Yacht und gewählte Reiseroute betrifft, werde ich im zweiten Teil dieser Arbeit mit dem Versuch eines Vergleiches der »alten« und der »neuen« Zeit zu beantworten suchen. Mein eigentliches Sample besteht aus 46 »Weltumsegelungen«,, beziehungsweise unmißverständlicher und im Jargon des Untersuchungsfeldes ausgedrückt, aus 46 Schiffen. 20 Neben einer deutschen Mehrheit waren darunter auch vier Schiffe, die unter Schweizer Flagge segelten. Die frühesten Weltumsegler, die ich sprach, waren 1972 gestartet, die letzten, die zum Zeitpunkt der Forschung bereits unterwegs waren, 2005. 14 Aufbrüche fallen in die 1970er und 1980er Jahre, in 16 Fällen in die Jahre zwischen 1990 und 1999, zwölf Fahrtenyachten waren ab dem Jahr 2000 gestartet, und viermal stand der Aufbruch unmittelbar bevor. In zwei Fällen handelte es sich zum Zeitpunkt meiner Forschung bereits um die zweite Weltumsegelung. Daneben beinhaltet mein Sample 18 ›einfache‹ Erdumrundungen,

20 Daß es sich im Übrigen bei allen Schiffen um klassische Einrumpfboote, die i.d.R. als Slup oder Ketsch geriggt waren, handelt, stellt kein eigentliches Auswahlkriterium dar, spricht aber für die verhältnismäßig seltene Entscheidung für einen Katamaran oder Trimaran als Fahrtenschiff.

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die komplett erfolgt oder vorzeitig und endgültig in Neuseeland abgebrochen worden waren. 23 Fahrtenyachten wurden zum Zeitpunkt der Forschung aktiv gesegelt, ihre Besatzungen befanden sich schon oder noch auf Weltumsegelung (vgl. SCHIFFE & REISEN im Quellenverzeichnis). Da, wie ich in Kapitel 6.1 erläutern werde, selbst Einhandsegler zeitweise in Begleitung segeln, aus Paaren im Verlauf der Reise manchmal Familien, manchmal aber auch Einhandsegler werden, kann ich hier nur eine etwas vereinfachte Darstellung über die Besatzungen meines Samples wiedergeben: Nur in zwei Fällen setzte sich die Crew aus männlichen Freunden zusammen. Ihnen und acht Schiffen, mit denen männliche Einhandsegler unterwegs waren, standen 36 Fahrtenyachten gegenüber, auf denen gemischtgeschlechtliche (Ehe)Paare die Besatzung bildeten, in einem Falle mit vierjähriger Tochter an Bord. Ich gehe davon aus, daß die Zusammensetzung meines Samples damit durchaus, vor allem was deutschsprachige Weltumsegler angeht, die auf den Weltmeeren gegenwärtig vorherrschenden Verhältnisse widerspiegelt. Bestärkt darin werde ich durch die Erfahrungswerte der Segler selbst und denen ihres direkten Umfeldes, z.B. Hafenkapitäne oder Marina-Manager, mit denen ich sprach. An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf einen Aspekt der bereits beschriebenen Interviewsituationen zurückkommen, der die Frage nach der Repräsentativität der für diese Studie ausgewählten Weltumsegelungen aus einer weiteren Perspektive beleuchtet. Primär aus pragmatischen Gründen, aber auch der Logik folgend, daß Boot und Besatzung als Einheit angesehen werden, es sich trotz aller Subjektivität persönlichen Erlebens um eine Weltumsegelung handelt, habe ich mich bei den Interviews mit segelnden (Ehe-)Paaren darum bemüht, diese gemeinsam zu befragen. In einigen wenigen Fällen ergaben sich zufällig (zeitweise) Einzelgespräche. Unter den Paaren, die ich per Fragebogen erreichte, wählte eines von sich aus eine komplett getrennte Beantwortung, in den übrigen Fällen wurde teils zu einzelnen Fragen differenziert. Bei Paar-Interviews mit abwesendem Partner wurde häufig explizit darauf hingewiesen, daß er oder sie einen Sachverhalt anders erzählen, eine andere Meinung vertreten würde. Seltener forderten sich Partner in den gemeinsamen Interviews auch gegenseitig auf, mir gegenüber eine offensichtlich bekannte gegenteilige Sichtweise oder Meinung darzulegen. Einerseits war ich mir darüber im Klaren, daß in den gemeinsam bestrittenen Interviews prinzipiell weniger Raum für eigenständige, divergierende Sichtweisen der Akteure gegeben war, da die Segler und Seglerinnen mir gegenüber ja auch ein bestimmtes Bild von sich als Paar zu vermitteln suchten. Durch die soziale Interaktion innerhalb der sich beständig verändernden cruising community meine ich aber auch, daß Weltumsegler und -seglerinnen generell in der Selbstdarstellung geübt bzw. sich der Bedeutung von Selbstund Fremdwahrnehmung bewusst sind. Anderseits entsprachen diese Treffen, abgesehen vom mitlaufenden Aufnahmegerät, einer alltäglichen Gesprächssituation,

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wie sie bei den in der Tat häufig vorkommenden Besuchen von Yachties untereinander vorkommt. Allerdings lassen diese Paar-Gespräche zuweilen auch deutlich erkennen, inwieweit eine Erzählung der Weltumsegelung angestrebt wird, und wem dabei die jeweilige Benennungsmacht zukommt, wer bestimmte Ereignisse oder Erlebnisse »richtig« erinnert. Leider läßt sich in der Verschriftlichung, die um des Leseverständnisses willen mit ihren Zeilensprüngen ein geordnetes Nacheinander der Antworten suggeriert, das mündliche Ineinandergreifen, das Ins-Wort-Fallen, Korrigieren oder Ergänzen laufender Sätze, schlicht die häufig zeitgleiche Mehrstimmigkeit eines lebendigen Paar-Gespräches nur sehr unzureichend wiedergeben. Daß bei späteren, informellen Zusammenkünften unter anderen Umständen mir gegenüber bzw. in meiner Anwesenheit, etwa in einer reinen Frauenrunde, auch andere Ansichten geäußert wurden, wirft unter anderem ein Licht auf eine von Yachties immer wieder angesprochene Problematik, die aber selbstverständlich immer nur bei anderen Seglerinnen beobachtet wird: daß es nicht unbedingt ein gemeinsamer Lebenstraum war, um die Welt zu segeln. Ich habe mich bewusst gegen eine Fokussierung auf genderspezifische Sichtweisen zum Lebensstil Fahrtensegeln entschieden, da ich dies für eine um Grundlagen bemühte Studie als zu spezifisch erachte; für einen dezidiert feministischen Ansatz verweise ich auf die Arbeit von Gayle Jennings (2005). Folglich bin ich mir aber auch dessen bewusst, daß die von mir befragten Ehepaare (und Einhandsegler), ihre individuellen Biographien, eben nicht als uneingeschränkt repräsentativ für ›alle‹ Weltumsegler zu betrachten sind, so sehr ich mich auch darum bemühe, in meiner Beschreibung des Fahrtensegelns die Perspektive der Männer und Frauen gleichwertig und ausgewogen einzubeziehen. Aus der Reflexion darüber, wessen Stimme(n) ich als Grundlage für diese Studie heranziehe, ergibt sich zwangläufig die Frage, wie diese in den Text einfließen. Dabei ist es mein Grundanliegen, die Weltumsegler und -seglerinnen mit ihren eigenen Stimmen sprechen zu lassen. Doch bin ich als Autorin diejenige, die ihre Worte kontextualisiert und im Rahmen des von mir formulierten Erkenntnisinteresses interpretiert (vlg. Counts 1997: xiv u. xxx). Im Kontext dieser Arbeit gilt Ulf Hannerz Konzept des studying sideways aber auch insofern, als daß sich die »Szene« ausgiebig mit sich selbst beschäftigt, Weltumsegler sehr wohl für sich selbst sprechen. Sie tun dies in Form von Handbüchern, Erlebnisberichten und Reiseschilderungen, im Internet auf Weltumsegler-Portalen und -Foren, auf individuellen Reise-Blogs, semi-privaten Rundbriefen und -mails, nicht zuletzt auch institutionalisiert in Vereinen und Interessensverbänden. Weltumsegler erforschen mit mehr oder weniger systematischen Ansätzen das Umfeld ihrer Mit-Segler und veröffentlichen die Ergebnisse ihrer Umfragen in einschlägigen Fachzeitschriften. Klaus Hympendahl stellt 25 Fragen an Weltumsegler, die klären sollen, wer eigentlich »diese Segler« sind: So denken sie wirklich (Hympendahl 1991). Fast

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zwanzig Jahre vorher befragte Bobby Schenk sieben »Yachties« über ihre Erlebnisse und Erfahrungen als »Globetrotter unter Segeln« (Schenk 1974). In den folgenden Kapiteln möchte ich mich vor allem durch die Wiedergabe der in den Gesprächen mit mir geäußerten Standpunkten und Geschichten der Segler, und dies nicht nur in »gelegentlichen Belegzitaten« (Berg/Fuchs 1999: 36), einer Selbst-Repräsentation von Yachties annähern. Dabei behalte ich mir jedoch die alleinige Interpretation ihrer Aussagen vor, strebe trotz der sicherlich leichter als etwa in transkulturellen ethnographischen Forschungen realisierbaren Umsetzung keine umfassende Kollaboration im Sinne Lassiters an, keine über den während der Feldforschung selbst stattgefundenen Dialog mit den Akteuren hinausgehende KoInterpretation oder gar gemeinsame Autorenschaft (Lassiter 2005: va. Kapitel 8). Von Seglerseite wurde immer wieder Interesse an meiner Arbeit geäußert; nicht nur von einigen Interviewpartnern, die den Ergebnissen entgegen sehen, »um zu wissen, wo man selbst steht«. Daher gehe ich davon aus, daß meine Analyse der Fahrtenseglerszene auch in selbiger rezipiert werden wird. Wenn ich meine Forschung mit und unter Yachties nun mit diesem Buch abschließe, und dieses in das Feld zurückgetragen und gelesen werden wird, hoffe ich sehr, daß sich sowohl die direkt an der Zusammenarbeit Beteiligten als auch daran unbeteiligte Weltumsegler und Weltumseglerinnen – trotz aller Differenzen zu meiner Interpretation, die es unweigerlich auch geben wird – darin wiederfinden.

Abbildung 7: Neuseeland, 2007 – Bordbibliotheken Vertraute Buchrücken der immer gleichen Klassiker und Standardwerke, die auf so vielen weitgereisten Fahrtenyachten zu finden sind.

Kapitel 2 »Die Vorausfahrenden informieren die Hinterherfahrenden«1

2.1 D IE G ESCHICHTE ( N ) MODERNER W ELTUMSEGELUNGEN Von Büchern und (Vor)Bildern l Die Ur-Fahrt l Von den ersten fünfzig Jahren (18951945) l Die Nachkriegsjahre und der Boom der 1960er l Seglerinnen und Segler der jüngeren Vergangenheit l Namhafte Weltumsegler und die anonyme Mehrheit

Reisen bedingt das Erzählen von und über die Reise. Schilderungen bestandener Abenteuer und persönlicher Herausforderungen in fernen und fremden Ländern faszinieren Zuhörer und Leser. Auch Erzählungen von und über Weltumsegelungen bedienen diese vielfältigen Erwartungen. Seit den ersten Berichten über wagemutige Transatlantikfahrten in kleinen Booten im 19. Jahrhundert haben sie einen festen Platz im weiten Feld der Reise- und Abenteuerliteratur. Epochenübergreifende Klassiker unter den Segelbüchern2 sorgen dafür, daß einige Ausschnitte aus der Vergangenheit des Fahrtensegelns in der Gegenwart noch sehr präsent, andere Fahrten wieder in Vergessenheit geraten sind. Über das Phänomen Weltumsegelung zu sprechen, ohne bestimmte Segler und ihre Schiffe, bestimmte Routen und Reisen zu benennen, die darüber verfassten Bücher zu zitieren, und ihre Fahrten zumindest ansatzweise historisch zu kontextualisieren, ist unmöglich. Im Folgenden möchte ich daher kursorisch die Entwicklungsgeschichte moderner Weltumsegelungen auf kleinen Fahrtenyachten darstellen, Anfänge und Vorläufer, 1

Im Bericht über das Trans-Ocean-Treffen 2008 heißt es: »Denken sie auch künftig an die Bemerkung des Weltumseglerpaares Dinse/Voß von der SJ ›Stella Maris‹. ›Die Vorausfahrenden informieren die Hinterherfahrenden‹!« (TO 2009/Nr.123: 15).

2

Eine vergleichende Textanalyse könnte zeigen, inwieweit es sich bei Segelliteratur um high risk narratives handelt, in denen Natur- und Selbsterfahrung als körperliche und geistige Herausforderung reflektiert und auf spezifische Art und Weise dargestellt wird, vergleichbar mit den Beschreibungen von Bergbesteigungen (Manning 1999).

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Verstrebungen und Vernetzungen, einige Eck- und Wendepunkte aufzeigen. Vor diesem Hintergrund möchte ich im zweiten Teil dieses Kapitels – über die Inspiration und Dekonstruktion seglerischer Idole – ansatzweise diskutieren, welche konkrete Bedeutung seglerischen Persönlichkeiten der Vergangenheit, und ihre Reiseschilderungen, für die »Hinterherfahrenden« haben. Von Büchern und (Vor)Bildern Die Reisen »großer« Segler, ihre Namen, und auch die ihrer Schiffe, und nicht zuletzt die Titel ihrer Bücher, sind im kollektiven Fahrtensegler-Gedächtnis fest verankert. MacBeth schreibt den allgemein bekannten historischen wie (seinerzeit) zeitgenössischen Seglerpersönlichkeiten – Slocum, Hiscock oder Moitessier – eine explizite Vorbildfunktion als Kulturheroen und role model zu, an denen sich nachfolgende Seglergenerationen orientieren: »[…] there exists a de facto charismatic ›leadership‹ in the cruising subculture« (MacBeth 1992: 323). Über ihre Funktion als Ideen- und praktische Ratgeber hinaus stellen die Berichte und Bücher jener »Vorausgefahrenen« wirksame Instrumente zur seglerischen Selbstverortung dar. Inwiefern werden ihre Fahrten, und ihr Lebensstil, aber zum konkreten Vorbild genommen, inwiefern herrscht eine kritische Distanz gegenüber den »Alten« vor? Die Schilderungen vergangener und zeitgenössischer Weltumsegelungen inspirieren nachfolgende Blauwassersegler im Kleinen und im Großen, sie dienen teils als handfeste Informationsquelle. Vor allem sind sie aber, bei aller Wiederholung der an sich gleichen Geschichte, immer auch Beweis und Referenz der Realisierbarkeit einer Weltumsegelung. Jörg: Gut, nach dem dritten Buch weiß ich’s dann halt, weil, es ist eigentlich immer das Gleiche, so mehr oder weniger, aber das hat uns schon viel gebracht. Die Bücher – das war so unsere Informationsquelle. […] Sabine: Also ich hab die sehr gerne gelesen, die Bücher, ja. Jörg: Und IRON LADY halt, die Website. Und das war’s. - Aber was wir zum Beispiel nie gemacht haben: Wir waren nie in diesen Foren drin, […] wo alle super, super wichtig sind. Von ganz vielen Menschen, die eigentlich nie losfahren, wo jeder alles besser weiß. Und wir haben ganz schnell festgestellt, daß man da mal reingucken kann, aber daß es eigentlich nichts für uns ist. Ne, sagen wir mal, wir haben an den Büchern gesehen, daß es geht. SY DOLCEVITA, seit 2004

Die meisten Weltumsegler des 20. und 21. Jahrhunderts kennen die Langfahrtsegler, die vor ihnen die Ozeane befahren und die Welt umrundet haben, aus deren Büchern, auch wenn das Internet mit seinen Möglichkeiten persönlicher Webseiten und interaktiver Blogs neue Möglichkeiten der Reise-Dokumentation und Erzählung eröffnet hat und das Spektrum in dieser Hinsicht erweitert. Die Frage, in welchem Umfang Langfahrtsegler auf ihrer Reise einer master narrative folgen, das

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eigenen Erleben von den gerade online-veröffentlichten Geschichten und Bildern anderer longdistance cruiser bestimmt wird, wird aktuell am Beispiel schwedischer Transozeansegler erforscht.3 Wird Urrys tourist gaze im Falle von Fahrtenseglern zum nautical tourist gaze? Als touristische Praxis einer permanenten Suche nach den aufgrund der ständigen Reproduktion bekannten Orten, die von dem Reisenden mit der Imagination verglichen, zitiert und wiederum reproduziert werden (Urry 1990), ist ein solch nautischer tourist gaze tatsächlich nachweisbar, zumindest was die ganz konkreten Bilder angeht. Über die Jahrzehnte hinweg werden Weltumsegelungen in den immer gleichen Motiven fotografiert und repräsentiert (Kleinert 2010). Selbstreflexiv und sich der reproduktiven Praxis in der Fotografie bewusst, stellen manche Segler nicht nur fest, daß sich die Aufnahmen in allen Büchern gleichen, sondern daß, »logischerweise«, ihre eigenen Bilder auch keine Ausnahme davon darstellen (vgl. Interview DOLCEVITA, S.80). Suchen sie aber entsprechend auch nach vergleichbaren Erlebnissen? In welchem Umfang lassen sich die Reisen der »Vorausfahrenden« überhaupt reproduzieren?

Abbildung 8: Joshua Slocums Reise mit der SPRAY (Christopher Richard, aus Lopes (1997), mit freundlicher Genehmigung der Autorin)

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An der Universität Stockholm verfasst die Ethnologin Hanna Jansson aktuell eine Doktorarbeit zum Thema der Schilderung und Konstruktion von Orten und Erlebnisräumen von Atlantik-Seglern. Vor dem Hintergrund »klassischer« Erzählungen liegt ihr eigentlicher Fokus auf Segler-Webseiten, Foren und Blogs (Persönliche Kommunikation, im Februar/Mai 2012 und Februar 2014).

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Die Ur-Fahrt Mit der Einhand-Weltumsegelung des eingebürgerten Amerikaners Kapitän Joshua Slocum4, der ersten modernen, individuellen Erdumrundung auf einer kleinen Segelyacht, nimmt die Geschichte ihren Anfang. Mit seiner aus einem abgewrackten Rumpf in Eigenarbeit wieder aufgebauten 37 Fuß Slup SPRAY bricht Slocum im April 1895 in Newport/Massachusetts auf und kehrt im Juni 1898 dorthin zurück. Seine Reise führt zunächst nach Gibraltar, dann dem Ost-West-Passat folgend entlang der Ostküste Südamerikas, durch die Magellanstraße in den Pazifik, nach Australien, um das Kap der Guten Hoffnung, und nach einer weiteren Atlantikquerung über die Karibik zurück an die amerikanische Ostküste. Er folgte der seinerzeit üblichen Route, auf der sich auch die Großsegler, die Windjammer und Klipper der Handelsschiffahrt bewegten, und richtete sich wie sie nach den vorherrschenden Windsystemen. Maßgeblich sind vor allem die beständig wehenden Passatwinde, die Englischen tradewinds, beidseitig der äquatorialen Kalmen, die wegen der dort auftretenden Flauten gefürchtet waren. Die Route von Slocums Weltreise, wie auch der seiner Nachfolger, richtete sich außerdem nach der jeweils günstigen Jahreszeit, um extreme Wetterlagen, d.h. vor allem die Gefahr tropischer Wirbelstürme, Taifune, Hurrikane und Zyklone zu vermeiden. Während Slocums Reise selbst als Ur-Fahrt aller nachfolgenden Erdumrundungen an Bord kleiner Segelyachten gilt, so nimmt die im Anschluß veröffentlichte und rasch zum Bestseller avancierte Reiseerzählung Sailing alone around the World (Slocum 1999 [1900]) diese Rolle für das Genre der (Weltum)Seglerliteratur ein.5 Wie in zahlreichen der später veröffentlichen Bücher von Weltumseglern findet sich auch bei Slocum ein technischer Anhang: Grundriß und Segelplan der SPRAY, sowie Erklärungen des Autors zu baulichen und segelpraktischen Eigenschaften seines Schiffes, vor allem dem von ihm angewandten Selbststeuerprinzip. 6

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Joshua Slocum (*1844 in Wilmot/Nova Scotia, verschollen 1909 mit der SPRAY auf einer Reise von Vineyard Haven/Mass. in Richtung Karibik). Als Kapitän der amerikanischen Handelsmarine befuhr er verschiedene Routen, ab 1864 mit Ehefrau Victoria (†1885 Bs.As./Argentinien) und nach und nach mehreren Kindern an Bord. Verschiedene Biographen haben sich mit ihm beschäftigt (Slocum 1950; Teller 1995; Lopes 1997).

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Die Entstehungsgeschichte von Sailing alone around the World zeichnet Thomas Philbrick in der Neuauflage von 1999 nach (Slocum 1999: xv-xli). - Auch über einen 1887 erlittenen Schiffbruch vor Brasilien, den anschließenden Bau eines 35-Fuß Segelschiffes und der Heimfahrt in die USA veröffentlichte Slocum einen Reisebericht (Slocum 1890).

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Einige nachfolgende Weltumsegler nahmen sich Slocums Yacht, mit der er die Hochseetauglichkeit kleiner Segelschiffe bewiesen hatte, ganz konkret zum Vorbild, und machten sich in mehr oder weniger exakten Nachbauten der Spray auf den Weg.

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Abbildung 9: Sydney, ca. 1900 SPRAY under Sail Von den ersten fünfzig Jahren (1895 – 1945) 1895 bricht Slocum, 51 Jahre alt, mit der jahrelangen Erfahrung als Kapitän der amerikanischen Handelsmarine zu seiner dreijährigen Einhand-Weltumsegelung auf. Bereits drei Jahre nach seiner Rückkehr ist es mit dem Deutsch-Kanadier John Voss ebenfalls ein Berufs-Kapitän, der gemeinsam mit dem Reporter Norman Luxton den Plan zur nächsten Weltumsegelung entwickelt.7 Um Slocums Leistung noch zu übertreffen, treten sie die Reise nicht in einer gewöhnlichen Segelyacht, sondern mit einem 38-Fuß-langen, modifizierten Einbaum-Kanu der NoothanIndianer Britisch-Kolumbiens an. Voss’ Buch über die Fahrt der TILIKUM, die 1901 an der Westküste Kanadas begann, über den Pazifik, Nordaustralien, das Kap der Guten Hoffnung nach Brasilien und schließlich London führte, wo sie 1904 vorzeitig endete, trägt in der deutschen Erstausgabe von 1929 den Titel: Im Segelboot über die Weltmeere. Abenteuerliche Reisen des Kapitän Voß von ihm selbst geschildert (Voss 1929). Die Neuheit und der absolute Abenteuercharakter derartiger Segelreisen machen die Schiffe und ihre

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John Voss (*1858 in Moordiek/Schleswig-Holstein †1922 Victoria/Kanada) muß allerdings ab Fiji, nachdem Norman Luxton dort von Bord geht, zur Weiterfahrt immer wieder verschiedene Seeleute anheuern. Ab Australien wird die Reise davon überschattet, daß Voss’ Mitsegler nach der Abfahrt in rauer See über Bord geht. Die Darstellung eines Unfalls wird von verschiedenen Seiten angezweifelt, und Voss des Mordes verdächtigt.

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Besatzungen selbst zu großen Attraktionen. Sowohl Slocum als auch Voss sind umgekehrt darauf angewiesen, die ihnen zuteil werdende Aufmerksamkeit auch zur Deckung ihrer Reisekosten zu nutzen. Neben kürzeren Erlebnisberichten, die von Heimatzeitungen veröffentlicht werden, nimmt ihre Bekanntheit in dem Grade zu, in dem internationale und lokale Zeitungen über die ungewöhnlichen Reisenden berichten. Slocum etwa beginnt in Australien regelmäßig (Lichtbild)Vorträge über seine Erlebnisse zu halten. Je nach Gelegenheit und Nachfrage wird auch das Segelboot ausgestellt, die TILIKUM etwa wird 1902 zur Präsentation vor dem Rathaus von Melbourne und an anderen Stationen sogar per Wagen an Land transportiert – und nimmt dabei in einem Verkehrsunfall so großen Schaden, daß die Fortsetzung der Reise zeitweilig gefährdet scheint. Die nächsten individuellen Weltumsegelungen, bei denen der Zugang zum Pazifik durch die Eröffnung des Panamakanals im Jahre 1914 maßgeblich erleichtert wurde8, finden allerdings erst wieder in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg statt. Einige dieser frühen Segler erlangten nationalen Ruhm, ja internationale Berühmtheit, ihre Fahrten – und ihre Bücher – schrieben sich in die Annalen des Segelns ein. Doch trotz Erstleistungen sind viele von ihnen heute mehr oder weniger in Vergessenheit geraten, werden sie am ehesten noch in einem spezifisch nationalen Kontext erinnert. Etwa der Amerikaner Harry Pidgeon9, der 1921 mit 46 Jahren auf der selbstgebauten 34-Fuß-Yawl ISLANDER nach ersten Pazifik-Reisen zu seiner ersten Einhand-Erdumsegelung aufbrach, die eigentlich als ein »Bummel durch die Inselwelt des Stillen Ozeans« (Yacht 1926) begann. Durch die erneute Weltumrundung 1932-1937 wurde Pidgeon zum ersten zweifachen Einhand-Weltumsegler. Oder der französische Tennis-Champion Alain Gerbault10, den mit Anfang Dreißig eigentlich die Südsee lockt; bei einem Besuch an Bord der Yacht von Ralph Stock (der 1919 mit Schwester ‚Peter’ und einem Freund auf seiner DREAMSHIP erstmals dorthin aufgebrochen war) findet er sein Traumboot und geht mit dem Kutter FIRECREST dann schließlich doch rund (1923-29). Der norwegische Journalist und

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Bis dahin stellte die Magellanstraße bzw. das Umrunden von Kap Hoorn, in den stürmischen hohen Breiten des Südatlantiks, den Roaring Forties, die entsprechend risikoreiche Verbindung zwischen Atlantik und Pazifik dar.

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Harry Pidgeon (*1874 Iowa/USA †1955 L.A./USA) umrundet die Welt als Erster auf der Route durch den Panamakanal. Zu seiner dritten Weltumsegelung bricht er 1947 dann mit Ehefrau Margaret auf, erleidet im heutigen Vanuatu Schiffbruch und verstirbt in den USA über dem Bau einer weiteren Yacht.

10 Alain Gerbault (*1893 Laval/Frankreich †1941 Dili/Ost-Timor) kehrte nach seiner Weltumsegelung wieder per Segelyacht nach Ozeanien zurück und verfasste noch mehrere Bücher über pazifische Inseln.

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Schriftsteller Erling Tambs11, der 1928 mit seiner Frau Julie auf dem umgebauten Lotsenkutter TEDDY zur Auswanderung aufbrichtern. Noch vor der Atlantiküberquerung kommt in Portugal Sohn Toby, 1931 in Neuseeland Tochter Tui zur Welt. Im folgenden Jahr erleidet die Familie dort Schiffbruch und verliert das Boot. In Deutschland erscheint sein Buch über diese Langfahrt mit Frau und Kindern 1934 unter dem Titel Hochzeitsreise aber wie! Im Lotsenkutter durch zwei Weltmeere, und auch als er einige Jahre später, während einer Atlantikregatta, bei Sturm durchkentert, verarbeitet Tambs seine Reise- und Segelerfahrungen in einem Buch: Kreuzfahrten des Grauens! Den Nimbus des elitären und positiv besetzten Reisens verliert das Fahrtensegeln spätestens in den Jahren der Weltwirtschaftskrise. Langfahrten werden nicht mehr nur aus sportlichem Ehrgeiz oder zum Vergnügen unternommen; ein Segelboot stellt schlichtweg ein erschwingliches Transportmittel dar, wirtschaftlicher Not und prekären Verhältnisse zu entfliehen. 1926 etwa faßt ein gewisser Paul Müller, Anfang Dreißig, nach einer 14-jährigen Haftstrafe, den Plan, die USA auf eigenem Kiel zu erreichen. Zwei Jahre später kann er sein Vorhaben »Von Hamburg nach Amerika«, um bei Erfolg dort seine Braut Agathe zu ehelichen und ein neues Leben zu beginnen, mittellos und unter widrigsten Umständen mit der nur 5,5 Meter langen Elbjolle AGA in die Tat umsetzen und erreicht nach 67 Tagen die amerikanische Ostküste. Von Pech verfolgt kehrt er nach wenigen Jahren nach Deutschland zurück. 1949 startet Müller mit seiner Tochter zu einer erneuten Auswanderung per Segelboot, bei der er 1950 vor Afrika seinen Tod findet. Daß einige Etappen der zweiten Reise überhaupt bekannt sind, ist dabei dem französischen Segler JacquesYves Le Toumelin 12 zu verdanken, der in dem Bericht seiner Weltumsegelung (1946-1952) – Mit KURUN um die Welt – von einem Zusammentreffen der Yachten auf den Kanaren berichtet (Schult 2008: 98-115). Die Jahre des Zweiten Weltkrieges stellen im Hinblick auf Transozeanreisen amerikanischer und europäischer Fahrtensegler eine Zäsur dar, während der, von wenigen Ausnahmen abgesehen, kaum größere Segelfahrten unternommen werden. Die überhaupt einzige bekannte Weltumsegelung während der Kriegsjahre ist die Einhand-Erdumrundung des Argentiniers Vito Dumas 13 (LEGH II), der 1942-43 erstmals entlang der antarktischen, »unmöglichen« Route südlich des 40. Breitengrades von West nach Ost in nur vier Etappen segelt. Und darüber – natürlich – auch ein Buch verfasst (Dumas 2002).

11 Erling Tambs (* 1888 Larvik/Norwegen †1967). 12 Jacques-Yves Le Toumelin (*1920 Bretagne †2009). 13 Vito Dumas (*1900 Buenos Aires, †1965 Tigre/Bs.As.) hatte bereits 1931 mit der 8-mYacht LEGH I den Atlantik überquert. Nach der Erdumrundung in 272 Tagen mit der LEGH II (9,55 m) unternahm Dumas mit dieser Yacht noch weitere Langfahrten.

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Über die Nachkriegsjahre und den Boom der 1960er Nach dem Krieg setzt zunächst die Reise von Le Toumelin die mit Gerbault begonnene Serie erfolgreicher und verehrter französischer Weltumsegelungen fort, indem er zwischen 1946 und 1952 die Welt auf einer selbstgebauten Segelyacht umrundet. Außerdem sind es auch wieder etliche britische und amerikanische Einhandsegler, und zunehmend auch Paare, die sich teils aufgrund der noch prekären ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse im erschütterten Nachkriegseuropa zur Auswanderung entschließen, aber auch von Freiheitsdurst, Abenteuerlust, Fernweh oder sportlicher Tatendrang getrieben auf die Weltmeere ziehen. Nur einige von ihnen können an dieser Stelle vorgestellt werden. Die Briten Susan und Eric Hiscock 14 unternehmen mit ihrer 30 Fuß-Slup WANDERER III als erstes Ehepaar sogar zwei dreijährige Weltumsegelungen, 195255 und 1959-1963. Nach ihrer ersten Weltumrundung ziehen sie komplett an Bord, und erst die verwitwete Susan kehrte in ihren letzten Lebensjahren wieder an Land zurück. Seinerzeit waren sie eine Ausnahmeerscheinung, da sie durch das Fahrtensegeln selbst ihr Auskommen fanden. Seit seinen ersten Langfahrten rund um England und Schottland schrieb und fotografierte Hiscock für Fachzeitschriften und Yacht-Magazine, zwischen 1939 und 1983 verfaßte er ein gutes Dutzend auch international sehr erfolgreiche, mehrfach wiederaufgelegte Ratgeber und Reiseberichte, u.a. Around the World in Wanderer III, Cruising Under Sail oder Voyaging under Sail (Hiscock 1957, 1965, 1970). Die Hiscocks hielten Vorträge und standen auf Bootsmessen mit und über ihre Yacht(en) Rede und Antwort. Teils dokumentierten sie ihre späteren Reisen auch für das britische Fernsehen. Sie wurden (zumindest in Seglerkreisen) rasch bekannt und berühmt, und werden bis heute von Yachties als bedeutende Seglerpersönlichkeiten geachtet, die die Standards einer »normalen« Weltumsegelung setzten. »The Hiscocks did not go to sea to experience hair-raising adventures. All of their voyages were carefully planned and flawlessly executed, with few surprises, and in the proper way for a middleaged British couple seeking only personal tranquillity and the freedom of long ocean passages. In their quiet and competent way […] they came to epitomize, perhaps more than any yachtsmen in British history, the proper seagoing citizen.« (Holm 1974: 138)

14 Susan (*1913 Isle of Wight †1995 Isle of Wight) und Eric Hiscock (*1908 Isle of Wight †1986 Whangarei/NZ) lernen sich beim Jollensegeln kennen und heiraten 1941. Der Erfolg seines Buches über ihre Hochzeitsreise zu den Azoren mit der 21 Fuß-Slup WANDERER II

ermöglicht den Kauf des größeren Schiffes und die anschließende Weltumsege-

lung. 1968 brechen Hiscocks dann mit der 49-Fuß Stahl-Ketsch WANDERER IV nach Neuseeland auf, umrunden 1976 schließlich ein drittes Mal die Welt. Ihre Schiffe werden immer noch gesegelt, die WANDERER IV traf ich 2007 im Yachthafen von Nelson/ NZ an.

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Auch deutsche Weltumsegler der frühen 1970er segelten selbstverständlich mit Hiscocks Büchern an Bord, waren seine Werke vielen die sprichwörtliche Bibel in allen Fragen des Fahrtensegelns, Eric Hiscock selbst – wie eine Weltumseglerin erklärte, die das Ehepaar Ende der siebziger Jahre kennen lernte – der godfather der Weltumsegler. Persönliche Begegnungen mit dem damals bereits legendären Seglerpaar, das sich zu jener Zeit auf seiner mittlerweile dritten Weltumsegelung befand, waren bemerkenswerte Ereignisse. Ihr Zusammentreffen mit den Hiscocks auf Cocos Keeling im Indischen Ozean im September 1974 findet so auch Eingang in einen der Berichte, die die Crew der NICOLAO COELHO regelmäßig an Verwandte und Freunde sandte: »Schon bei unserer nächtlichen Ankunft hatten wir sie bemerkt: am Morgen kam der berühmte Eric Hiscock, der Mann, der durch seine Bücher, die auf jeder Yacht zu finden sind, zum Präzeptor der Fahrtensegler wurde, mit seiner Frau Susan im Dinghi längsseits und begrüsste uns nach englischer Yachtetikette. Seit Port Moresby waren wir ständig auf Hiscocks Spuren gesegelt, nun hatten wir ihn endlich erwischt. Nachdem alle, die ihm begegnet waren, ihn als schon stark vom Alter gezeichnet beschrieben hatten, waren wir erstaunt, jetzt einen zwar alten, aber vital-rüstigen, lebhaft-amüsanten Herrn vor uns zu haben. Mit seiner schönen Yacht ›Wanderer IV‹, die wenige Meter vor uns ankerte, war auch er am Ende einer mehrjährigen Weltumsegelung auf der Heimreise nach Europa.« SY NICOLAO COELHO, 1973-75 (Bericht Nr. 10/12)

Zehn Jahre vor dieser Begegnung, und etwa zehn Jahre nachdem die Hiscocks das erste Mal zur Weltumsegelung starteten, sind es die Hamburger Elga und ErnstJürgen Koch15, die als erstes deutsches Ehepaar von 1964 bis 1967 mit dem 9,60Meter-Kielschwertkreuzer KAIROS eine dreijährige Weltumsegelung unternehmen, die sie gut acht Jahre lang geplant und vorbereitet hatten. Ob die erste erfolgreiche Reise der Hiscocks Vorbild oder Anstoß zur eigenen Unternehmung war, läßt sich hier nicht beantworten, dessen Bücher dürften jedoch ebenfalls zu den »Reisebeschreibungen anderer Weltumsegelungen« gehört haben, die, wie Koch ganz allgemein schreibt, der vorbereitenden Lektüre dienten (Koch 1968: 9). Auch die Kochs gingen Ende der siebziger Jahre erneut und mit einer größeren KAIROS II auf Langfahrt: einer Transatlantikfahrt an die Ostküste der USA (1978-1982) folgte noch eine weitere in die Karibik (1982-1985). Über alle drei Reisen liegen Bücher von Ernst-Jürgen Koch vor, zu denen seine Frau die Fotografien beisteuerte.

15 Elga (*1928 Hamburg †2014 La Palma) und Ernst-Jürgen Koch (*1923 Hamburg †2003 La Palma) setzten sich nach ihrer dritten Langfahrt 1985 auf den Kanaren zur Ruhe, wo E-J. Koch die zweite und dritte Reisebeschreibung verfasste. Ihre KAIROS I wird noch aktiv gesegelt (TO Nr. 145/ 2014; www.ejkoch.de).

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Während der Reisen selbst schrieb Ernst-Jürgen Koch Artikel für Hamburger Zeitungen, für Segelmagazine und die Zeitschrift ihres Segelclubs, hinterher hielt das Ehepaar Vorträge über ihre Reisen, und von der Fachzeitschrift Yacht (1967) wurde auch Elga Koch als Expertin interviewt: zur Rolle der Frau der Bord!

Abbildung 10: SY KAIROS, ca.1965 – Elga und Ernst-Jürgen Koch »In dieser Kajüte lebten wir über 3 Jahre. Im Hintergrund Durchblick zu den Vorschiffs-Kojen.« - So die originale Bildunterschrift ins Kochs »Hundeleben in Herrlichkeit«. Bemerkenswert die arbeitsteilige Selbstrepräsentation: er an der Schreibmaschine, sie nähend.

Die Kochs beeinflussten direkt oder indirekt viele deutsche Fahrtensegler der 1970er Jahre. Die ebenfalls aus Hamburg stammende Crew der NICOLAO COELHO, die 1973 aufbrach, übernahm sämtliche Seekarten der Kochs, mitsamt derer Positionsmarkierungen, weshalb der Routenverlauf der eigenen Reise streckenweise zwangsläufig verglichen wurde. Vor allem aber ermöglichte Kochs Hundeleben in Herrlichkeit (1968), der sehr persönlich und anschaulich geschriebene Bericht ihrer Weltumsegelung, die Fahrt nachzuvollziehen. Wie intensiv seinerzeit Segler diesen Bericht rezipierten, wie nachhaltig er sie prägte, zeigte sich auch, wenn andere Weltumsegler der frühen 1970er im Gespräch ihre eigenen Erfahrungen immer wieder zu entsprechenden Situationsbeschreibungen bei Koch in Bezug setzen. Diese Bücher konnten der Anstoß sein, ein Segeln jenseits der bekannten Reviere der Ost- und Nordsee überhaupt in Erwägung zu ziehen.

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Irmgard: Weißt du, wenn du schon ein Schiff hast, und segelst immer im Urlaub, immer nach Schweden oder nach Norwegen, […] Dänemark oder Helgoland, das ist immer das Gleiche. Und wenn man dann die Kochs oder die Hiscocks … Till (unterbricht): Die werden ja jetzt auch mutiger, die Deutschen, die fahren auch mal nach Island, oder Grönland. Irmgard: Ja. – Ich denke, zurückdenkend, das war schon beeinflussend, wenn man die Bücher gelesen hat. SY IRMA, 1973-74 (NZ)

Mit den 1960er Jahren beginnt sich ein Wendepunkt in der Geschichte des Fahrtensegelns abzuzeichnen. Die Zahl gewöhnlicher Weltumsegelungen nimmt immer weiter zu, auch wenn es noch die Jahre einiger spektakulärer Erdumrundungen sind, die über ihre Medienpräsenz allgemein bekannt werden. In die Sechziger fällt die Reise des Amerikaners Robin Lee Graham16, der mit seiner 23 Fuß-Slup DOVE als der bis dahin jüngste Segler einhand die Welt umrundet (1965-1970). U.a. berichtet er über seine Reise für das National Geographic Magazin, in dem seine Schilderungen ganz prosaisch mit A Teen-ager Sails the World Alone betitelt werden (Graham 1968). Sein Buch über die Reise erscheint 1973 in Deutschland als Mein Schiff war die Taube. Die wahre Geschichte eines 16jährigen Jungen, der allein die Welt umsegelte auf der Suche nach Liebe und Abenteuern. Während einer meiner Gesprächspartner, der in etwa in Grahams Alter und nur wenige Jahre später, also unter vergleichbaren Umständen unterwegs war, diesen verheißungsvollen Untertitel für die eigene Reise völlig unzutreffend fand, wirft er doch ein Bild auf zeitgenössische Imaginationen einer Weltumsegelung. Wie Graham bricht 1965 auch Walter König auf und segelt in vier Jahren in dem umgebauten Rettungsboot ZARATHUSTRA von nur sieben Meter Länge mit dem bis dahin kleinsten Boot alleine um den Globus. Noch während König unterwegs ist, umrundet der 26-jährige Wilfried Erdmann17 als »wilder Segler«, der keinem Verein oder Yachtclub angeschlossen ist (Erdmann 1997: 449), die Welt in nur zwei Jahren (1966-1968). Mit seiner 25-Fuß Holz-Slup KATHENA legt er dabei lediglich sechs Zwischenstops ein: in Las Palmas, St. Vincent, Panama, Tahiti, Port Moresby und Kapstadt. Durch diese Fahrt wird Erdmann zum allerersten deutschen Einhand-Weltumsegler, der unter anderem im Aktuellen Sportstudio darüber berichtete, und»[s]eitdem [...] für das Segeln, damit und davon [lebt]«18.

16 Robin Lee Graham (*1949 Orange/Kalifornien) heiratete während der Weltumsegelung Patti Ratteree, mit der er sich nach seiner Reise in Montana niederlässt. Bereits 1974 wird in den USA ein Spielfilm über seine Reise produziert (THE DOVE, Regie: Charles Jarrott). 17 Zu Wilfried Erdmann (*1940 Pommern) siehe v.a. www.wilfried-erdmann.de. 18 www.wilfried-erdmann.de/leben/leben (vom 20.06.2011).

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Während Erdmann seine Einhandweltumsegelung auf der üblichen Route antritt, hat sich ebenfalls 1966 der prominente britische Pilot und Segler Francis Chichester19 das Ziel gesetzt, die Welt im Südpolarmeer auf der kürzesten Route um die berüchtigten Kaps zu umrunden, und dabei weniger Zeit als die früher auf dieser Route segelnden, für ihre Schnelligkeit berühmten Clipper zu benötigen. Mit nur einem Zwischenstop in Sydney gelingt dem 65-jährigen mit seiner GYPSY MOTH IV eine Umsegelung in 226 Tagen, wofür er 1967kurz nach seiner Rückkehr von der britischen Königin Elizabeth II in den Adelsstand erhoben wird. Mit dieser bis dahin schnellsten Weltumsegelung geht eine Ära seglerischer Pionierleistungen mit herkömmlichen, kleinen Segelschiffen zuende, haben Erdumrundungen mit Fahrtenyachten schon länger den Reiz des sensationell Neuen verloren und sind, wenn auch noch nicht alltäglich, so doch schon »gewöhnlich« geworden. Ebenfalls in den Sechzigern unternimmt auch der Bayer Rollo Gebhard20, teils allein, teils mit Freunden, ausgedehnte Langfahrten im Mittelmeer sowie eine Atlantiküberquerung, bevor er 1967 mit dem 7,30 Meter Kunststoff-Fahrtenkreuzer SOLVEIG III zu seiner ersten, dreijährigen Weltumsegelung aufbricht; die er, wie schon vorherige Reisen, auch im Film festhält. Durch seine Vorträge und Fernsehfilme wird Gebhard, von der tz München einmal zum »Seebär der Nation« erhoben, einem großen Publikum bekannt, und natürlich schreibt auch er diverse Bücher über seine Segelreisen. Als erster Deutscher umrundet er zweimal die Welt, wovon er in Ein Mann und sein Boot. Vier Jahre allein um die Welt (Gebhard 1980) berichtet. Über die dritte Weltumsegelung (1983-1991), mit seiner späteren Ehefrau Angelika, gibt es neben seinem Buch Leinen los – wir segeln um die Welt (Gebhard 1986) schließlich auch ihre Reiseschilderung: Mit Rollo um die Welt (Gebhard 2004). Trotz der immer zahlreicher stattfindenden Transozeanreisen ist Chichesters Solofahrt doch immer noch eine Sensation, die zumindest in Großbritannien ein regelrechtes Chichester fever auslöst. Vor dem Hintergrund einer offensichtlich breiten Begeisterung für das Fahrtensegeln beziehungsweise entsprechende Rekordversuche ruft die Sunday Times zu einer Nonstop-Regatta (von West nach Ost) um die Welt auf, zu der sich etwa ein Dutzend britische und französische Segler anmelden. Berühmt-berüchtigt wurde das Golden Globe Race dabei nicht nur durch die Tatsache, daß der Brite Robin Knox-Johnston mit seiner 10 Meter Ketsch SUHAILI das Rennen deswegen gewinnt, weil er als einziger der neun angetretenen Teilnehmer überhaupt nach 313 Tagen in seinem Ausgangshafen ankommt. Weniger

19 Sir Francis Chichester (*1901 †1972). 20 Rollo Gebhard (* 1921 Salzburg †2013 Bad Wiessee) unternahm mit der SOLVEIG III die Weltumsegelung im kleinsten Boot, das heute, nach zweifacher Erdumrundung (19671970, 1975-1979), im Deutschen Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven steht. Das Ehepaar Gebhard unternahm weitere Langfahrten, unter anderem 2001 durch Russland.

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die seglerischen Leistungen sind es als die menschlichen Dramen, die erinnert werden: Schiffbrüche und Totalverluste, unfreiwillige und freiwillige Aufgaben, der spektakuläre Betrugsversuch eines Teilnehmers, der dann auf See verschollen blieb. Daß nur ein Jahr bevor der erste Mensch den Mond betreten sollte eine EinhandSegelregatta weltweit für Aufsehen sorgte, erklärt Holm durch die selbstgewählte Herausforderung, der sich Segler auf einer Transozeanreise stellen: »Then, in the middle of this decade, appeared the ultimate diversion, the epitome of useless and unproductive effort: the single-handed around-the-world race in a wind-driven yacht. Because it was so expensive, so exquisitely unnecessary, it appealed to the perverse side of human instinct, not because of the competitive aspects (Damon Runyon once described a yacht race as being as exciting as watching the grass grow), but perhaps because it was merely one man doing his thing and accepting a challenge he did not have to.« (Holm 1974: 245)

Auch der Franzose Bernard Moitessier21, der sich durch verschiedene Langfahrten bereits einen Ruf als »unverbesserlicher« Segler erworben hatte, nahm an diesem Rennen teil. Seine 12 Meter Stahl-Ketsch JOSHUA – die den Namen des Urvaters aller modernen Weltumsegelungen führte und somit Moitessiers seglerische Selbstverortung verdeutlicht – wird für die nächsten Jahre zum Inbegriff des optimalen Fahrtenschiffs. Sein Bericht Cap Horn à la voile: 14216 milles sans escale (dt. Kap Hoorn – der logische Weg), in dem er 1967 die mit seiner Ehefrau Francoise unternommene Reise aus der Südsee zurück nach Frankreich schildert, in deren Verlauf er Kap Hoorn gegen den Wind umrundet, wird ein Bestseller. Zur Legende wird Moitessier jedoch, als er sich ein Jahr später im Golden Globe Race, das er als Favorit angetreten hatten, weit über halber Strecke und sicher in Führung liegend gegen die Rückkehr nach England entscheidet. Stattdessen segelt er hinter Kap Hoorn weiter ostwärts, erneut um das Kap der Guten Hoffnung und Kap Leeuwin, erneut durch den Indischen und Pazifischen Ozean – wieder nach Tahiti, wo er schließlich nach 10 Monaten auf See ankommt. Auf dem in dieser Zeit geführten Tage- und Logbuch beruht das wohl bekannteste seiner Bücher, La longue route; seul entre mers et ciels (dt. Der verschenkte Sieg, 2008), in dem er neben dem äußeren Reiseverlauf vor allem die innere Persönlichkeitsentwicklung schildert, die ihn zum Ausstieg aus dem Rennen bewog. Neben philosophischen Gedanken über das Wesen des Segelns bietet das Buch im Anhang angehenden Fahrtenseglern auch ganz praktische Ratschläge zu Segelgarderobe und Bekleidung, Trinkwasserverbrauch und Gesundheit, aber auch Kosten und eventuelle Verdienstmöglichkeiten während einer Weltumsegelung. Moitessiers Verzicht auf Siegerruhm und Geldgewinn für eine Rückkehr zu den »friedlichen« Inseln der Südsee

21 Bernard Moitessier (*1925 Hanoi/Vietnam †1994 Paris).

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trug wesentlich zu seinen Ruf als radikaler und idealistischer Segler bei, der das Fahrtensegeln als Selbstfindungsprozess verkörpert. Wie ich im Anschluß an diesen geschichtlichen Abriß weiter ausführen werde, führt eigenes Erleben bei vielen Yachties allerdings zu einer Neubewertung hinsichtlich dessen, was eine großartige oder außergewöhnliche Leistung ausmacht. Auch, weil bei aller Individualität das eigene Tun doch immer mit dem anderer verglichen, Beurteilungen neu verhandelt werden. Gemessen an seinen eigenen Erfahrungen erachtet etwa ein zweifacher Weltumsegler die regelrechte Glorifizierung Moitessiers als äußerst fragwürdig. Kai: Natürlich habe ich die einschlägige Segelliteratur gelesen. Aber Moitessier habe ich erst gelesen, als ich schon unterwegs war. Und Moitessier wird ja immer so sehr hochgelobt, ja, und das ist der Segel-Guru der Franzosen. Und ich hab den gelesen, und ich kann das eigentlich nicht so bestätigen. Wenn der zum Beispiel solchene Bronze-Sätze schreibt wie: »Der kürzeste Weg zu sich selbst ist eine Weltumsegelung«. Hat er geschrieben. Da kann ich sagen: ne, nein, das stimmt nicht. (sehr betont) D a s s t i m m t n i c h t . Und seine Dinge, die da so hochgejubelt werden, aus »Der Verschenkte Sieg«, daß er also in Führungsposition auf seiner Regatta lag und dann aber gesagt hat, die will ich gar nicht gewinnen, ich segel nach Französisch-Polynesien zurück. Das ist doch eigentlich normal. Das ist nichts Großartiges. Wenn einer seinen Rappl kriegt, kriegt er seinen Rappl. [...] Und ich habe mir erstmal vorgenommen: Südamerika will ich noch mal, auf jeden Fall, aber Buenos Aires ist der südlichste Punkt meiner Reise. […] Ich war da ja schon 65, als ich das zweite Mal aufbrach. Und so. Aber als ich in Buenos Aires war, da hab ich meinen Rappl gekriegt. Wenn ich jetzt hier schon bin, dann geh ich auch noch mal um Kap Hoorn. Ja. So. Also wenn sich jemand irgendetwas vornimmt, und diese Entscheidung trifft, ist das nach meiner Meinung, ganz egal wozu er sich entscheidet, eigentlich alles normal. Und braucht nicht hochstilisiert zu werden. Und das hat man bei Moitessier gemacht. SY ANNA PERENNA, 1998-2003 & 2003-09

Moitessiers »Ausstieg« fällt freilich in die Zeit gesellschaftspolitischer Veränderungen, in der vor allem junge Menschen Freiheit und Selbstverwirklichung in neuen, selbstbestimmten, alternativen Lebensstilen und -welten suchten und fanden. Ein Aussteigen mit dem Segelboot wird ab den 1970ern auch durch Entwicklungen im Bootsbau begünstigt: erschwinglichere Serienboote kommen auf den Markt, anstelle von Holz oder Stahl kommt das kostengünstigere und weniger wartungsintensive GFK (glasfaserverstärkter Kunststoff) als Baumaterial zum Einsatz, auch im Eigenbau. Diese Jahre werden auch die Hochzeit der Ferrozement- bzw. Stahlbetonboote, die als extrem preisgünstige Alternative prinzipiell ›jedermann‹ den Bau und Besitz einer Yacht ermöglichen. Immer leistungsfähigere mechanische Selbststeueranlagen erleichtern das eigentliche Blauwassersegeln, zugleich werden elektronische Geräte zur Kommunikation und zur Navigation entwickelt, die im Laufe weniger

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Jahrzehnte dem Einsatz auf kleinen Booten angepasst und immer günstiger im Erwerb werden. In Kapitel 4 beleuchte ich ausführlicher die Frage, wie sich der Wandel in der technischen Ausstattung auf den Lebensstil Weltumsegelung auswirkt, und vor allem, welche Bedeutung die Segler selbst dieser Entwicklung beimessen. Seglerinnen und Segler der jüngeren und jüngsten Vergangenheit Was die Seglerliteratur antrifft, sind es ab den 1970ern auch vermehrt die Bücher deutscher Weltumsegler, die in der wachsenden Fahrtenseglerszene rezipiert werden. Darunter auch Berichte außergewöhnlicher Segel-Expeditionen: etwa Burghard Pieske, der 1991/92 in einem nachgebauten Wikingerschiff den Atlantik überquerte und 1998 in einer offenen Schaluppe auf den Spuren des Kapitän William Bligh von der BOUNTY segelte, oder Klaus Hympendahl, der 2008/09 bei seiner Lapita-Voyage auf Katamaran-Nachbauten polynesische Migrationswege erkundete. »Gewöhnliche« Yachties mögen hiervon zwar gerne lesen, streben deswegen aber nicht unbedingt selbst vergleichbare Unternehmungen an. Gleiches gilt für die Reisen und Bücher jener Fahrtensegler wie Arved Fuchs oder dem Ehepaar Wilts, die extreme Regionen wie das Nordmeer oder die Antarktis besegeln. Durch meinen nur schlaglichtartigen Abriß der Geschichte möchte ich keinesfalls einzelne Segler über Gebühr hervorheben, ebensowenig hier nicht aufgeführte Segler und Seglerinnen in irgendeiner Form durch Nicht-Nennung herabsetzen. Im Folgenden beschränke ich mich auf die Vorstellung einiger Personen bzw. deren Bücher, auf die im Gespräch mit mir häufiger Bezug genommen wurde.

Abbildung 11: Deutschland, 1977 »Komm wir segeln um die Welt« Der im Original natürlich farbige Buchumschlag des Bestsellers, der über 400.000-mal verkauft wurde.

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Obwohl segelnde Paare ja seit den 1920ern keine Seltenheit mehr sind, sorgt 1975 die erste Schilderung einer modernen Weltumsegelung aus Sicht der Frau in Deutschland für Furore unter Fahrtenseglern und -seglerinnen. Beate Kammler 22 schreibt über ihre vierjährige Weltumsegelung mit Ehemann Peter in den Jahren 1970-1974 mit der MAUNA KEA den Bestseller Komm wir segeln um die Welt, der heute, mittlerweile in der 10 Auflage, um den Untertitel Der ehrliche Bericht einer mutigen Frau werbewirksam ergänzt wurde. Im Klappentext heißt es: »[…] So unternimmt Beate Kammler die Beschreibung ihres Versuchs, sich in einer technischen, salzüberkrusteten Männerwelt zurechtzufinden, mit der sie schließlich nach nervendem Kampf ihren Frieden macht. Als erste Weltumseglerin spricht sie offen von den psychologischen Schwierigkeiten der Anpassung einer Frau an endlose Tage auf See. Sie spart die bordspezifischen Probleme nicht aus und nicht die Aggressionen, die so sicher kommen wie Sturm und Flaute. Sie prägt im Zorn das aufbegehrende Wort von der Bordfrau als ›Sexualproviant‹, und ihr Gesicht ist oft nicht nur vom Gischt der Sturmseen nass.« (Kammler 1977)

Auch wenn die angesehenen Segelautoritäten, und -autoren, wie beispielsweise Eric Hiscock oder Ernst-Jürgen Koch die Ebenbürtigkeit ihrer Ehefrauen als kompetente Reise- und Segelpartnerinnen betonen, erscheinen die Schilderungen der gemeinsam unternommenen Weltumsegelungen doch unter seinem Namen, wird die Reise somit auch als eigentliche Leistung des Mannes verstanden. Wenn Beate Kammler das Fahrtensegeln als »salzverkrustete Männerwelt« charakterisiert, zieht dies unweigerlich die Fragen nach sich, ob diese Auffassung generell von zeitgenössischen, und nachfolgenden, Seglerinnen geteilt wird, wie repräsentativ das von ihr präsentierte Bild der Weltumseglerin war – oder bis heute ist; und wie die von ihr kritisierte, aber nicht grundsätzlich in Frage gestellte Rollenverteilung an Bord damals, und heute, von (mit)segelnden Frauen empfunden und verhandelt wurde. Im Kontext des »Bordalltags« auf Weltumsegleryachten und der »BordBeziehungen« (Kap. 6.1) werde ich auf diese Themen zurückkommen. Vor der Sensation der weiblichen Autorenschaft trat bei Beate Kammlers Bericht zumindest in den Hintergrund, daß es sich bei ihrer Reise um eine ganz normale und völlig unspektakuläre Weltumsegelung auf der Passatroute handelte, über die sich ein weiterer Bericht eines Mannes vielleicht weniger erfolgreich hätte verkaufen lassen. Dabei stimme ich grundsätzlich mit Jennings überein, daß es sich bis in die späten 1990er hinein bei der Seglerliteratur generell um einen männlich

22 Beate Kammler (*1943 Frankfurt/Oder) und Peter Kammler (*1940) wurden nur ein Jahr nach ihrer Weltumsegelung geschieden. Während sie vom Segeln Abstand nahm, segelte Peter mit einem neuen 14-m-Schoner wieder los. Mit seiner zweiten Ehefrau Dagmar, seit der Karibik dabei, ließ er sich schließlich als Rinderzüchter in Neuseeland nieder.

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dominierten Diskurs handelt (Jennings 1999: 8-16). In aller Regel sind es Männer, die über ihre Reisen schreiben, gleich ob diese allein oder mit Partnerin unternommen wurden, schreiben sie sich als Autoren in das kollektive Segler-Gedächtnis weitaus stärker ein, als ihre damit auch in der Literatur auf die Nebenrolle der »mitsegelnden« Ehefrau reduzierten Partnerinnen, denen kaum genuin eigene seglerische Ambitionen oder Interessen zugesprochen werden. Insofern verwundert es nicht, daß in den meisten der bis in die 1990er ebenfalls in aller Regel von männlichen Seglern verfassten Handbüchern und Ratgebern »Bordfrauen« typischerweise zwei Aufgaben- und Verantwortungsbereiche zugestanden werden: Küche, und gegebenenfalls Kinder! Erst seit Ende der 1970er finden dann immer wieder auch Einhand-Erdumrundungen von Seglerinnen23 statt. Zehn Jahre nach Chichesters Rekord unterbietet die gebürtige Neuseeländerin Naomi James24 seine Bestzeit für eine Weltumsegelung auf der Kap-Route, als sie bereits nach 272 Tagen wieder in Dartmouth/ England einläuft. Über ihren Reisebericht Ich und der Ozean (1979) schreibt ein deutscher Journalist: »Ich kenne keinen anderen Bericht von Ozeanseglern, der so unaufdringlich und deshalb eindringlich gehalten ist, so ehrlich im Understatement, das korrekt mit Fakten verbunden ist, und der soviel Charakter zeigt. In der Tat war James alles andere als ein segelndes Dummchen. Die Yacht war schließlich nur Vehikel für die eigentliche Reise; und die ging nicht hinein in Geo- oder Ozeanographie.« (Rost 1979)

Auch die Erdumrundungen von James’ Nachfolgerinnen dürften zumindest immer auch als Reise zu sich selbst angelegt gewesen sein, wobei das Ringen um Erstleistungen ebenso eine Rolle gespielt haben dürfte. So sichert sich die bei ihrem Aufbruch erst 18-jährige Tania Aebi25, die 1985-87 mit ihrer 8-m-Slup VARUNA die

23 Als allererste Weltumseglerin gilt die polnische Schiffbauingenieurin Krystyna Chojnowska-Liskiewicz (*1936), die bereits 1976 auf der 9,5 Meter Yacht MAZUREK von den Kanaren startete, und ihre Reise auf der Passatroute durch den Panamakanal nach 401 Tagen, im gleichen Jahr wie James, 1978, dort wieder beendete. 24 Die Neuseeländerin Naomi James (*1949), in ihrer Jugend Turnierreiterin, kommt durch ihren Ehemann, den britischen Profi-Segler Rob James, erst mit Ende Zwanzig zum Segeln, und startet nach kaum zweijähriger Segelerfahrung zur Einhand-Erdumrundung. Wie zuvor Chichester wird sie für ihre Leistung von der britischen Queen geadelt. 25 Tanja Aebi (*1966) schrieb über ihre Reise auf 26-Fuß-Slup VARUNA das Buch Maiden Voyage (dt. Die Welt im Sturm erobert), und lebt heute im ländlichen Vermont/USA. Sie organisiert Chartertörns, hält Vorträge und schreibt für Segelmagazine. 2007 segelte sie mit ihren Söhnen von der Karibik in die Südsee (www.taniaaebi.com vom 17.09.2012).

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Erde auf der Passatroute umrundet, den Titel der ersten amerikanischen und zugleich jüngsten Weltumseglerin. 1988 ist die Stuttgarterin Gudrun Calligaro 26 schließlich die erste Deutsche, die allein zur Weltumsegelung aufbricht. Über ihre Reise auf der 9,30-Meter Slup MÄDCHEN, die sie entgegen der üblichen Richtung ostwärts, dabei aber entlang üblicher Stationen, wie Teneriffa, Kapstadt, Whangarei oder Panama um die Welt führt, schreibt sie das Buch Ein Traum wird wahr (1991). Ein weiteres namhaftes Ehepaar, dessen »Segler-Karriere« eine Weltumsegelung in den frühen 1970ern aufweist, sind der Münchner Bobby Schenk und Ehefrau Karla27. 1971-1974 sind auch sie auf der Passatroute mit ihrer 10-Meter GFKYacht THALASSA unterwegs. Bevor er 1983 als Jurist in den bayerischen Staatsdienst eintritt, lassen sie sich einige Jahre auf Moorea nieder, besegeln die Südsee auch wieder Ende der 1990er, und segeln und leben zwischen 2000 und 2010 schließlich auf ihrem 14,30-Meter Katamaran THALASSA. Wie andere Fahrtensegler auch, schrieb Bobby Schenk bereits in den 1970ern Artikel für ein Fachmagazin, in seinem Falle für die Yacht, und tat sich später auch als Autor zahlreicher Fachbücher für Fahrtensegler hervor: darunter ein Klassiker zur vereinfachten, praxisnahen Astronavigation und das mehrfach neu aufgelegte Standardwerk Blauwassersegeln (Schenk 1999). Seit Jahren veranstaltet Schenk auf verschiedenen Bootsmessen (z.B. 2011 auf der INTERBOOT Friedrichshafen) »Bobby Schenk’s (sic) Blauwasserseminar«: Es richtet sich an »Weltumsegler in spe, Fahrtensegler, Träumer und Blauwassersegler«, und wirbt damit, daß »Weltumsegler und Segelprofis« ihre Erfahrungen und ihre Fachwissen weitergeben, ob zur Wahl der richtigen Yacht oder zu Fragen der Bordelektronik.28 Auf der »exclusiv by Yacht-online« zu findenden Homepage von Bobby Schenk finden sich Artikel, Reportagen und Kolumnen zu verschiedenen für Blauwasser- und Langfahrtsegler relevanten Themen. In einer Rubrik »Who is who im Weltumsegeln« führt Schenk (v.a. deutsche) Weltumsegler auf, die einen kurzen, standardisierten Fragebogen zu Schiff und Ausrüstung, Kosten und Versicherung, zu den schönsten und schlimmsten Plätzen usw. beantworten. Die Auswahl der präsentierten Weltumsegler findet allerdings nach für mich nicht nachvollziehbaren Kriterien statt, liegt den 59 Eintragungen (Dezember 2012) keine erkennbare, schlüssige Ordnung zugrunde. Im Juli 2011 stellt Schenk in dieser Rubrik eine statistische Auswertung29

26 Gudrun Calligaro (*1948), die seit Kindertagen segelt, wird für ihre Einhandweltumsegelung u.a. mit dem TO-Preis ausgezeichnet. Sie ist bis heute als Seglerin aktiv. 27 Karla (*1932) und Bobby Schenk (*1939 München). Beide lernten vor 50 Jahren Segeln und machten später auch den Pilotenschein. Karla hat, erstaunlich genug, eine Atlantikquerung mehr als ihr Ehemann vorweisen. 28 www.yacht.de/schenk/n000/blauhh11.html (vom 16.07.2011). 29 www.yacht.de/schenk/who/statistik.html (vom 16.07.2011).

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der ersten fünfzig von ihm erfassten Weltumsegelungen vor. Diese spiegelt zwar generelle Tendenzen wieder, z.B. die deutliche Dominanz von Paaren gegenüber Einhand- und Freundescrews, oder von Einrumpfbooten gegenüber Katamaranen, aufgrund der in meinen Augen völlig unsystematisch zusammengestellten Daten, auf denen sie basiert, kann jedoch von einem »repräsentativen Querschnitt durch die (deutsche) Weltumseglerszene« kaum die Rede sein. Neben Bobby Schenk gilt in Deutschland vor allem Wilfried Erdmann als unermüdlicher Segler und anerkannter Fachautor. Bereits ein Jahr nach der Rückkehr von seiner Einhandweltumsegelung bricht er erneut auf, und umrundet mit Ehefrau Astrid in drei Jahren auf der KATHENA ITI (29 Fuß) die Welt zum zweiten Mal (1969-1972). Nur wenig später folgen drei Jahre Südseesegeln mit Frau und dreijährigen Sohn Kym (1976-1979), wofür die 10 Meter GFK-Slup KATHENA FAA direkt vor Ort in Neuseeland gekauft wird. 1984/85 beendet Erdmann als Solosegler, in einer neugebauten 35-Fuß Slup KATHENA NUI nach 271 Tagen auf See als erster Deutscher eine Nonstop-Weltumsegelung in West-Ost-Richtung. Auf für einen Blauwassersegler eher ungewöhnliche Fahrten wie dem »Jollen-Sommer« in Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 1990, und späteren Rundfahrten der Ost- und Nordsee mit Ehefrau Astrid, folgt 2000/2001 eine weitere Nonstop-Weltumsegelung auf der bewährten KATHENA NUI, diesmal aber von Ost nach West gegen den Wind, bei der Erdmann 343 Tage allein auf See verbringt. Durch seine Reisen und aufgrund seiner über ein Dutzend darüber veröffentlichten Bücher – u.a. Gegenwind im Paradies (1980), Die magische Route (1993) oder Allein gegen den Wind (2002) – kann er als der wohl bekannteste deutsche, bis heute aktive Weltumsegler gelten. Die Erfahrungen seines Seglerlebens hat Erdmann unter anderem in dem Buch Segeln mit Winfried Erdmann. Planung und Praxis. Erfahrungen eines Weltumseglers (1997) zusammengefasst, das ich auch in vielen Bücherschapps der von mir besuchten Fahrtenyachten vorfand. Ihm scheint es überdies tatsächlich gelungen zu sein, die Leidenschaft Fahrtensegeln zum (mehr oder minder) einträglichen Beruf gemacht zu haben. Zum ausschließlichen Lebensstil in Form eines dauerhaften Lebens ausschließlich an Bord und auf dem Wasser ist ihm das Segeln indes nicht geworden. Namhafte Weltumsegler und die anonyme Mehrheit Wie läßt sich die Entwicklungsgeschichte moderner Weltumsegelungen anhand der hier geschilderten Reisen zusammenfassen? Eine Periodisierung in Vorkriegs- oder Nachkriegssegler, eine Typisierung verschiedener Fahrtensegler oder Reiseformen erscheint willkürlich. Die zunehmende Zahl an segelnden Ehepaaren etwa löst weder Einhandsegler noch Familiencrews ab, ebenso sind Serienyachten in den letzten Jahrzehnten zwar die Regel geworden, haben den Eigenbau dabei aber keineswegs komplett verdrängt oder abgelöst. Vor allem beginnen sich spätestens ab den 1950er und 60er Jahren zunehmend verschiedene »Seglergenerationen« zu

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überschneiden. Wenn etwa bekannte Segler wie das Ehepaar Hiscock oder Koch zu immer neuen Fahrten aufbrechen, treffen sie auf immer neue »Segler-Jahrgänge«, und gehören dennoch zu der sich im Moment formierenden und lokalisierenden Seglergemeinschaft. Der aufgrund der historischen Umstände anfangs sehr übersichtliche Kreis von direkt und indirekt miteinander bekannten Fahrtenseglern ist mit der weltweit längst Tausende von Yachties umfassenden Fahrtenseglerszene von heute nicht zu vergleichen. Dennoch zeigte sich in meiner Forschung allein im angewandten Schneeballsystem, wie umfangreich das Netz persönlich und vom Hören-Sagen bekannter Mit-Segler ist, wie sich die Akteure über die engeren Segler-Jahrgänge hinaus als Weltumseglergemeinschaft verstehen. In den Gesprächen wurden dabei Begegnungen oder freundschaftliche Beziehungen gerade zu namhaften Seglern teils beiläufig erwähnt, teils explizit betont, wobei ganz selbstverständlich angenommen wurde, daß ich mit den Namen und Büchern dieser Kulturheroen der Weltumseglerszene vertraut war. Weitaus häufiger und ausführlicher wurden aber Anekdoten über Begegnungen und Erlebnisse mit ganz »gewöhnlichen« Mit-Seglern erzählt, wurden neben den eigenen auch fremde Lebensgeschichten, Schicksale und Reisen der Mit-Yachties vor mir ausgebreitet.

2.2 I NSPIRATION ODER D EKONSTRUKTION ? V OM U MGANG MIT SEGLERISCHEN I DOLEN Mit der wachsenden Zahl derer, die sich im Laufe der letzten 120 Jahre in immer kürzeren Abständen in Slocums Kielwasser begaben, folgten auf die ersten Sensationsberichte zunehmend Schilderungen ganz »normaler« Weltumsegelungen. Infolgedessen wuchs das schriftlich überlieferte Erfahrungswissen, auf das jene, die von der großen Fahrt träumen, zurückgreifen konnten, während sich durch die se Berichte zugleich die Vorstellungen der Realität Weltumsegelung stetig konkretisierten und durch kontinuierlich hinzukommende Neuerscheinungen aktualisieren. Welche Rolle spielen diese Bücher und Erzählungen allerdings für die Erwartungshaltung der Akteure, wie wirken sie sich auf das Erleben der eigenen Reise aus? In welchem Maße einzelne Segelbücher die generelle Zunahme von Weltumsegelungen beeinflusst haben, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Und mit dem Internet als zusätzlicher Informationsquelle, mit seinen unzähligen Weltumsegler-Webseiten, -Blogs sowie diversen Fahrtensegler-Foren, müsste zur Beurteilung der gegenwärtigen Situation die Fragestellung in dieser Hinsicht erweitert werden. Nichtsdestoweniger ziehen angehende Weltumsegler noch immer das in der einschlägigen Literatur verschriftlichte Erfahrungswissen zur Vorbereitung heran. Als Anstoß, als ursächliche Anregung wurden mir in den Gesprächen immer

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wieder die Bücher von Hiscock, Koch und Moitessier, von Beate Kammler bis Gudrun Calligaro, von Wilfried Erdmann und Bobby Schenk genannt. Die allererste Lektüre, die einem mehr oder weniger zufällig, manchmal schon als Kind, eröffnet, daß das Abenteuer Weltumsegelung ein sehr wohl realisierbarer Traum sein kann, prägt sich nachhaltig ein, auch wenn mit den Jahren der eigenen Erfahrung gegenüber dem gleichen Autor, bzw. dem Genre insgesamt, eine ambivalente Haltung eingenommen wird. MK: Habt Ihr viel Seglerliteratur gelesen? Johann: Na, es war ja immer der Traum, so was. Daher kommt es ja irgendwo auch. Du liest die Bücher, und kommst dann da drauf. Und …, also gelesen, ich hab die alle gelesen. Bettina: Fing eigentlich an mit dem Vortrag von Bobby Schenk, da haben wir… Johann: Ne, schon vorher fing des an. Ich hab schon als Kind, mein erstes Buch war vom … Bettina: …dieses Segelbuch, ja genau,… Johann: …ja, von den Fahrtenseglern, das war der Rollo Gebhardt, das hab ich schon als kleines Kind gelesen, Ein Mann und sein Boot. So als Taschenbuch gab’s des. Bettina: Ich mein, des war so der einzige. Johann: Ja, ich mag so was nicht mehr lesen. Ich mein, das ist irgendwo immer alles dasselbe. SY HELENA, 1995 - 2003 (NZ)

Bereits vorhandene Segelkenntnisse, einer gewissen Vertrautheit mit der Materie tragen sicherlich dazu bei, daß die Lektüre eines Weltumseglerberichts den Traum von der Weltreise auf eigenem Kiel überhaupt weckt. Der konkrete literarische Anstoß erfolgt dennoch häufig ganz zufällig. MK: Wie bist Du auf die Idee gekommen… Jochen:… zu segeln? MK: … um die Welt zu segeln jetzt? Jochen: Um die Welt bin ich ja noch nicht. - Eigentlich durch Amerika. Ich hab ja in Amerika gewohnt, von ’68 bis ’72 […] und da bin ich im Buchladen über die Bücher von Hiscock gekommen. Dieser olle Hiscock. Und der ist ja ’55 um die Welt gesegelt, das erste Mal. Und der hatte ein nettes Buch geschrieben. Und die hab ich verschlungen. Und ich konnte ja segeln. Ich segel seit meinem dreizehnten Lebensjahr […]. SY BOSTON, seit 1997

Die Idee zur Weltumsegelung kann natürlich ebenso spontan aus einer persönlichen Umbruchs- oder Krisensituation heraus entstehen, in der durch die zufällige Lektüre eines Segelbuchs auch bei einem Nicht-Segler die entscheidende Richtung festgelegt wird.

78 | W ELTUMSEGLER Willi: Irgendwie in der Zeit hab ich auch das Buch von Bobby Schenk gelesen, wo er rumgesegelt ist. Und da hab ich mir gedacht, weißte wat, jetzt kauf’ste dir ein Schiff und segelst um die Welt. Und drei Wochen später hab ich das MARLENCHEN gehabt. SY MARLENE, 1999-2004 (NZ)

Ein anderer Segler berichtete, daß er als Student im Bücherschrank eines Freundes auf Moitessiers Der verschenkte Sieg stieß – »und das ist irgendwie hängengeblieben« –, wodurch er sich für das Hochseesegeln zu interessieren begann und schließlich auch den Plan zur Weltumsegelung fasste. Daß ein bestimmtes Segelbuch oder ein Autor am Anfang der eigenen Segelbegeisterung stand, verhindert nicht, daß mit zunehmendem Erfahrungsgewinn eine Neubewertung in Hinblick auf Unterhaltungswert und Glaubwürdigkeit des Autors erfolgen kann. »Packend« geschriebene Bücher enthalten nicht unbedingt jenes praktische, handfeste Wissen, daß der eigenen Reise dienlicher ist und insofern höher geschätzt wird als die Schilderung bestandener, unglaublicher Abenteuer. Johann: Die Segelerfahrung war dann schon da, aber gleichzeitig war schon von früher her irgendwo [etwas]. Du liest die Bücher von Schenk und Koch und den ganzen Kameraden, und träumst dann auch davon. MK: Gab es ein bestimmtes Buch? Bettina:: Pieske. (lacht) Aber das darfst du nicht sagen. Johann: Das meiste ist Stuss, was die schreiben, der beste ist noch der Erdmann. Wilfried Erdmann, der schreibt ehrlich. SY HELENA, 1995-2003 (NZ)

In den Gesprächen zeigte sich, daß für die Bewertung von Segelliteratur zwar auch schriftstellerische Qualitäten eine Rolle spielen, mehr aber noch die Ehrlichkeit des Autors oder der Autorin als das entscheidende Kriterium angesehen wurden. Maria: Also, Bücher kannst du im Grunde genommen vergessen. Da wird gelogen und erstunken. Karl: Also, mit Büchern haben wir eigentlich nur Enttäuschungen erlebt, das ist vielleicht mal ganz interessant. MK: Gab es Bücher, die Euch inspiriert haben – oder Vorträge? Karl: Mhm, nein. Aber, ja, vielleicht ein einziges Buch von diesen literarischen Büchern, also von der normalen Weltumseglerliteratur. Das war damals das Buch von der Beate Kammler. Maria: Ja. Karl: Wobei, das Buch selber war eigentlich gar nicht mal so gut. Maria: Aber die hat so schön ehrlich geschrieben.

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Karl: Die hat so schön ehrlich geschrieben. Und, dann haben wir auch ihn noch mal kennen gelernt, als sie schon wieder auseinander waren, und er war auch ein Superkerl. Also der hat mir sehr imponiert. Alles andere, was danach kam, das ist alles kalter Kaffee. SY ELBE, 1995-2010

Dabei liegt der Beurteilung eines Berichtes als ehrlich, auch als »wirklichkeitsnah«, die selbsterfahrene Realität der eigenen Fahrtensegelpraxis zugrunde. Vor der Folie des eigenen Erlebens werden die Schilderungen anderer Segler wesentlich kritischer gelesen. Während einerseits zwar nicht erwartet und auch nicht angestrebt wird, eine beschriebene Reise »nachzuerleben«, fällt das Urteil über offensichtliche Übertreibungen oder Erfindungen gerade namhafter Segler mitunter harsch aus. Insbesondere dann, wenn sich von einem Erfahrungsbericht auch konkrete, handfeste Informationen über ein bestimmtes Segelrevier erwartet worden waren, die sich vor Ort als unbrauchbar herausstellten. Maria: Hömma, wir haben das Buch von Hal Roth dabei gehabt, Zwei gegen Kap Hoorn. […] Weil, es gibt ja nicht viel Literatur von da unten. Und gibt ja auch nicht viel Hafenhandbücher und all so ein Zeug. Karl: Das war ja das Tolle eigentlich an dem ganzen Patagonien, am ganzen Süden von Argentinien und Chile, daß es endlich mal nichts gab. […] Es gab dann so ein paar handgeschriebene Zettelchen, die wir dann unterwegs uns so ausgetauscht haben. […] Aber da hatten wir eben als Literatur da runter, als reine Reiseliteratur, von dem Amerikaner Hal Roth und seiner Frau, als sie mit der WHISPER unterwegs waren und da runter gesegelt sind. Und, wir haben den Hal Roth auch selber persönlich noch zufällig kennengelernt, auf den Kanaren. Steht sogar in unserem Gästebuch noch schön drin. Maria: Wir lagen da doch gleich neben ihm. Karl: Ja, ja. Und dann haben wir ein paar dieser Sachen, die er da so beschrieben hat, nachvollzogen, bzw. waren in der gleichen Gegend […]. Und haben dann nur festgestellt: Was für ein blöder Segler ist der. Von Tuten und Blasen keine Ahnung, oder er hat nur gelogen. SY ELBE, 1995-2010

Da eine Weltumrundung in einer normalen Yacht längst keine Sensation an sich mehr darstellt, fällt es entsprechend schwer, über eine weitere normale Weltumsegelung, die auf der gleichen, üblichen Route stattfindet, eine neue Geschichte zu erzählen. An diesem Umstand bemisst sich die Wertschätzung »ehrlicher« Berichte, während zugleich erhebliche Kritik an dramatisch überhöhten bzw. verdichteten Schilderungen geübt wird, an der (möglichen) Selbstprofilierung der Autoren als besonders wagemutig um eines besseren Verkaufserfolges willen. Jörg: Ne, da lügt keiner, glaub ich. Das ist einfach so, daß jeder halt seine eigene Erfahrung macht. … Gut, natürlich musst du, wenn du ein Buch schreibst, auch erzählen, daß die

80 | W ELTUMSEGLER Wellen hoch waren und daß du mit Ach und Krach vorbei gekommen bist an dem Horrorwind oder -sturm. Sonst liest das ja keiner. Sabine: Also diese Bücher, die wir gelesen haben, von den Seglern, die diese Barfußroute genommen haben, die sind alle gleich. Letztendlich sind die alle gleich. Jörg: Ja, das fand ich auch. Sabine: Da sind teilweise die gleichen Bilder drin. Also, du glaubst, daß es die gleichen Bilder sind. Jörg: Und unsere Bilder sehen auch so aus, ist ja logisch, ne. […] Sabine: Das ist genau interessant, bevor du losfährst. Wenn du fährst, legst du die Bücher weg. MK: Hattet ihr noch welche dabei? Jörg: Wir haben alle dabei. – In eins, oder zwei, hast Du, glaub ich, nochmal reingeguckt. SY DOLCEVITA, seit 2004

Vielleicht verlieren die Reiseberichte anderer Segler, mit denen das eigenen Handeln, die eigenen Erlebnisse und Empfindungen verglichen werden können, heute vor allem auch dadurch an Bedeutung, daß erheblich mehr Fahrtensegler unterwegs sind, mit denen der Informations- und Erfahrungsaustausch persönlich und direkt stattfinden kann, und nicht zuletzt dank moderner und unter Yachties allgemein verbreiteter Kommunikationstechnologien (vom Kurz- und Langwellenfunk inklusive Internetzugang bis zum Satellitentelefon) ist er quasi überall und jederzeit möglich. Ein Nachschlagen und Nachlesen bei »Vorausgefahrenen« ist nur noch eine Möglichkeit unter vielen. Trotz allem stehen ihre Bücher in aller Regel immer noch zuhauf in den Bücherschapps von Fahrtenyachten, neben nautischen Handbüchern, cruising guides, Cornells Standardwerk zur Routenplanung (vgl. Kap. 3.1) und allgemeinen Reiseführern. Für spätmoderne Weltumsegler werden gerade frühe Reisebeschreibungen, wie jene erste von Slocum, ob der großen zeitlichen Distanz als historischer Bericht wieder interessant. In der jüngeren Vergangenheit, in der wesentlich weniger Veröffentlichungen vorlagen, hatten gerade zeitgenössische Berichte wie der eines Eric Hiscock oder Ernst-Jürgen Koch eine wesentlich größere Bedeutung. Ihre Beschreibungen galten als Referenz, wurden sie und ihre Fahrten zu Vorbildern, an denen man sich ganz praktisch orientierte. Wenn die Hiscocks ihre WANDERER III von 30 Fuß (9,8 Meter) als ideale Fahrtenyacht beschrieben, dann galt diese Angabe einem deutschen Segler 1970 als quasi absolute Angabe, die eigene Yacht auch nicht größer bauen zu müssen. Peter: Aber Hiscock war schon irgendwo die Bibel für mich, nich. Da hat man immer nachgeguckt, wenn man was baute: was hat Hiscock, wie hat der das gemacht, und so weiter. Und klar, wenn man dann irgendwo was anders fand, dann hat man schon versucht, abzuwägen. Wie haben die das gelöst, oder so. Aber, (schmunzelt) Hiscock war das Nonplusultra. SY GUNDEL, 1972-78

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Ebenso wie die von den Hiscocks in ihren Büchern beschriebene Ausrüstung und Verproviantierung von damaligen Fahrtenseglern häufig als konkrete Handlungsanweisung herangezogen wurde, gleich ob es darum ging, welchen Anker und welche Kettenstärke gefahren wurde, oder mit wieviel Liter Süßwasserverbrauch pro Kopf und Tag zu rechnen sei – »was Hiscock nicht an Bord hatte, das brauchte man nicht«. So glaubte man zumindest, bis die Erfahrungen der eigenen Reise dazu in Relation gesetzt werden konnten. Die im Ton von Tage- und Logbucheinträgen gehaltene Reisebeschreibung von Ernst-Jürgen Koch ermöglichte es in den frühen 1970ern, sich ein aktuelles und realistisches Bild dessen zu machen, was auf einer Weltumsegelung zu erwarten war. Gerade weil Umstände und Reiseroute vergleichbar waren, seinerzeit aber noch ein gehörig Maß an Ungewissem bereithielten, bot sich für »Hinterherfahrende« die parallele Lektüre an, auch wenn keineswegs angestrebt wurde, die Reise eins zu eins nachzuvollziehen. Jan: Aber ich weiß, daß wir das immer mitgelesen haben. Das heißt, daß wir deren Erfahrungen, wenn die irgendwo ankamen - der Koch hat ja sehr schön geschrieben, der, finde ich, ist ein toller Autor. Und das haben wir damals durchaus empfunden als so eine Vorbereitung auch für die Orte, wir sind ja fast auch immer an dieselben Orte gekommen. Und von daher - Ich erinnere heut noch so Formulierungen, wie er in der Biscaya morgens aufwacht, und sagt, ›Wasser polterte über Deck‹ oder solche Sachen. Das war damals - heute kommt einem das ein bißchen banal vor - aber damals, das war ’ne ungewöhnliche Formulierung. Und ja, doch, da erinnere ich noch einiges von. Und in dem Sinne, als Begleitung, hat es eine Rolle gespielt. Als Vorbild, in so einem echten Vorbildsinne, nicht. Dazu war der eigene Wunsch, das zu machen, zu groß. Ich weiß aber noch, wie der Koch sagte – wir erzählten ihm, wir hatten ein Plastikboot, die KAIROS war ja ein Stahlschiff – und er erzählte sofort, warum er ein Stahlschiff für so was besser findet als ein Plastikschiff. Das hat mich aber nicht animiert zu sagen, oh Gott, ich kann das mit einem Plastikschiff nicht machen. SY NICOLAO COELHO, 1973-75

Die Reaktion des damals 21jährigen Jan von der NICOLAO COELHO, deren vierköpfige Besatzung das Ehepaar Koch in Hamburg auch persönlich kennen lernt und sich direkt mit ihnen austauschen konnte, verdeutlicht, daß das »Expertenwissen« erfahrener Weltumsegler aber auch sorgfältig abgewogen wird. Die Erfahrungen der »Vorausfahrenden« werden als Anstoß und Begleitung der eigenen Unternehmung geschätzt, aber die eigene Weltumsegelung als eine davon letztlich unabhängige und individuelle Unternehmung betrachtet. Wie hoch die Wertschätzung ausfallen kann, zeigt sich daran, daß sowohl das Beschriebene als auch die Beschreibung selbst, ebenso wie das Zusammentreffen mit den Autoren bekannter Bücher, nachhaltig erinnert werden.

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Abbildung 12: Malediven, 2004 – Dinghis am Strand Aus der fotografischen Repräsentations-Auswahl einer neunjährigen Weltumsegelung: ein Fahrtensegleridylle mit Strand und Palmen. In Gesellschaft Gleichgesinnter, wie Ankerfeld und Dinghis verraten.

Diese Art der Seglerliteratur vermittelte und vermittelt einerseits einen Eindruck, wie eine Weltumsegelung verlaufen kann, und liefert durch die Schilderung der besuchten Häfen, Inseln und Länder auch Anregungen, bestimmte Stationen überhaupt anzulaufen. Zwar wird an Erfahrungsberichte nicht die Erwartung gestellt, en detail das How-to einer Weltumsegelung zu liefern, allerdings werden daraus doch ganz konkrete Vorstellungen zum Leben und Reisen an Bord einer Fahrtenyacht abgeleitet. Im Kontext des eigenen Erlebens stellt sich dann durchaus heraus, daß ganz entscheidende Aspekte des Alltags Weltumsegelung, wenn überhaupt, nur zwischen den Zeilen herauszulesen sind. Gerade die Tatsache, daß es sich zwar um eine individuelle Reise, die aber in einem unerwartet großen Feld Gleichgesinnter unternommen wird, erscheint selten ausdrücklich beschrieben. Andere Boote und Mit-Segler spielen zwar immer eine Rolle, aber auf die enorme Zahl weltumsegelnder Yachties, und auch auf die (mögliche) enge Vernetzung innerhalb der Seglergemeinschaft wird nur selten explizit Bezug genommen. Die von den Beschreibungen der Vorbilder beeinflusste Erwartung weicht bereits in den frühen 1970ern von der in diesem Fall 10, 15 Jahre später selbst erlebten Realität erheblich ab. Peter: Ich hatte gedacht, daß es viel weniger sind. So von dem, was Hiscock eben geschrieben hatte, nich, da tauchten immer die gleichen Namen auf, BEYOND zum Beispiel oder so.

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Und wenn er die mal wieder traf und so. Und außer ihm lag noch eine andere Yacht im Hafen, oder so, in dem Stil. Ja, und das hatte sich schon total geändert. Aber es ist natürlich heutzutage noch mal, ja, exponentiell gewachsen. Aber, das hat uns schon gewundert. Als wir dann schon in Spanien waren. Aber das war ne schöne Erfahrung, Gleichgesinnte zu treffen. SY GUNDEL, 1972-78

Gut vierzig Jahre später wissen die meisten angehenden Blauwassersegler »irgendwo« schon vor der Reise, »daß man sich trifft«, daß sie sich innerhalb einer grösseren cruising community bewegen werden. Doch beruhen die Vorstellungen von der Konstitution der Seglergemeinschaft, der Intensität sozialer Kontakte unter Fahrtenseglern zunächst auf der Darstellung in Büchern. Die selbst erlebte Wirklichkeit läßt die Beschreibungen dann gewissermaßen hinter sich zurück; in aller Regel wird davon berichtet, daß die darauf begründeten Erwartungen – die gesamte Reise, weniger einzelne Stationen berücksichtigend – übertroffen wurden. Rückblickend wird dabei allerdings reflektiert, daß die in Büchern beschriebenen Reisen freilich auch aus anderen Motiven unternommen wurden, oder zumindest »verkaufsträchtiger« davon erzählt wird. MK: Hast Du das so erwartet, oder hat dich das überrascht, als du die anderen Yachties trafst? Willi: Also überrascht, weiß ich nicht. Aber erwartet hab ich das auch nicht, weil die Bücher, […] die reden nicht so groß von Freundschaften. Sondern, die fahren [dahin], und lernen die Leute kennen, die kriegen dann ein Bananenbrot geschenkt, und dann fahren sie [weiter]. Im Prinzip, die ganzen Seglerbücher, die ich gelesen hab, die sind ganz anders als dat, was ich empfunden hab. Und so wie ich dat erlebt hab. […] Bobby Schenk oder Burghard Pieske, oder die anderen, die hatten da vorher schon die Idee dahinter, so was zu vermarkten MK: Mhm. Aber hast du die ganzen Bücher gelesen? […] Willi: Ja, hab ich natürlich. Hier: Input, Input, Input – du willst ja irgendwie auch Information, willst ja auch wat zum Träumen haben und so. […] Und dann gibt’s noch so’n Buch, Blue Ship. Kenn’ste das? MK: Ne Willi:. Zwei so Jungburschen, die mit’m Katamaran losgezogen sind? […] Und die haben auch von Trinidad geschrieben, und hier von ihren Erlebnissen da. Dat waren so richtig wilde Typen - mit Wein, Weib und Gesang. Und da hab ich gesagt – Uff, dat machste auch. Trinidad, da muss ich hin. Und dann bin ich da hingefahren. Und war auch so. Ich wusste gar nicht, wo Trinidad liegt, ne. […] Und dann bin ich da auch zum Karneval hin, und dann hab ich’s natürlich auch krachen lassen. SY MARLENE, 1999-2004 (NZ)

Reisen beginnen im Kopf. Auch Weltumsegelungen. Die Reisebeschreibungen außerordentlicher wie »gewöhnlicher« Weltumsegelungen regen zum Träumen an, sie liefern die notwendigen Bilder, um sich das Leben an Bord und auf fernen

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Inseln vorzustellen und auszumalen. Sie können sich ganz direkt auf die Reiseplanung auswirken, wenn etwa durch die Lektüre der Wunsch geweckt wird, doch auch den Karneval auf Trinidad erleben zu wollen. Während diese Seglerliteratur nach wie vor »Hinterherfahrenden« häufig einen ersten Anstoß liefert, selbst auf Weltumsegelung zu gehen, und die Berichte »Vorausfahrender« anfangs auch als ganz praktische Ratgeber fungieren, verlieren sie diese konkrete Funktion im Laufe der Reise mit dem Zuwachs persönlicher Erfahrungen. Überdies wird auch das sich stets Wiederholende der darin beschriebenen Erlebnisse, Bilder und Geschichten bemängelt, während zugleich das eigene Erleben, und vor allem der persönliche Austausch mit anderen Fahrtenseglern in der aktuellen Situation an Bedeutung gewinnt. Aber auch wenn im Moment des selbst Unterwegssein die eigenen Eindrücke im Vordergrund stehen, und es nicht mehr sonderlich interessant ist, von den Reisen anderer zu lesen, sind Bücher von Erdmann, Schenk & Co eigentlich immer an Bord der Fahrtenyachten zu finden. Teilweise spielen diese Bücher dann wieder eine Rolle, wenn es im Verlauf der Reise zu einer Begegnung mit den ja häufig weiterhin segelnden Autoren der Bücher kommt. Eine persönliche Widmung ist eine bleibende Erinnerung an solch ein Treffen, vor allem jedoch wird dem Austausch mit den Menschen hinter den Büchern, die teils erheblichen Einfluß auf die eigene Entscheidung zur Weltumsegelung hatten, mit Spannung entgegengesehen. Mir wurden dabei auch von Enttäuschungen berichtet, wenn sich dann beim gemeinsamen Abendessen herausstellt, daß ein namhafter Segler sich in persona als weit weniger interessant oder erfahren herausstellt, als seine Werke vermuten lassen. Grundsätzlich zeigten die Erzählungen, sowohl über desillusionierende Begegnungen wie auch über aus diesen Treffen erwachsenen guten Freundschaften, daß zwischen »anonymen« und namhaften Fahrtenseglern deren Prominenz im Umgang miteinander keinerlei Rolle spielt. Läßt sich diese Beobachtung aber darauf reduzieren, daß ja schließlich alle segeln, sie sich auf der gleiche Route bewegen, das gleiche Können und Wissen Vorraussetzung dazu ist, man als Weltumsegler den gleichen Alltag an Bord (auf See, vor Anker oder im Hafen) erlebt, ihnen allen die gleichen Umstände begegnen, die gleichen Erfahrungen gemacht werden – kurz, das Fahrtensegeln zum gleichen, geteilten Lebensstil wird, der die cruising community als solche verbindet? Im Kern handelt es sich bei der Praxis des Fahrtensegelns dabei immer um eine höchst individuelle und selbstbestimmte Art des Reisens und Lebens. Im nächsten Kapitel möchte ich daher zunächst der Frage nachgehen, unter welchen Umständen eine Weltumsegelung als »normal«, wann als herausragende Leistung empfunden wird? Und wie sich emische und etische Perspektive darin unterscheiden. Welche Rolle spielt eine landläufige Konnotation auch normaler Weltumsegelungen als außergewöhnliche Unternehmung für die Verbundenheit wie das Selbstverständnis von »gewöhnlichen« Fahrtenseglern? Das Bild der Vorausfahrenden, die die Hinterherfahrenden informieren, verweist darüber hinaus auf eine über Zeit und

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Raum hinweg verbundene und vernetzte Seglergemeinschaft. Daher möchte ich anschließend diskutieren, wie Segler sich selbst innerhalb dieser ideellen Gemeinschaft verorten. Wer grenzt sich wem gegenüber ab – nicht nur nach außen, sondern auch innerhalb der cruising community. Aufschlussreich sind hierbei die zur Selbstbeschreibung herangezogenen Begrifflichkeiten und Metaphern, in denen das vielschichtige Selbstbild von Fahrtenseglern zum Ausdruck kommt.

Abbildung 13: Atlantik, ca. 1980 – »Im Passat«

Abbildung 14: Neuseeland, 2007 – Fahrten- und Weltumsegler, allein und zu zweit

Kapitel 3 Von See-Touristen, Seevögeln und echten Seglern

3.1 D AS P ARADOXON

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Die Tage, als eine Transozeanfahrt eine Pionierleistung darstellte, sind seit langem vorbei. Zwar waren bis in die 1970er Jahre die ersten deutschen Weltumsegelungen noch Thema überregionaler Presseberichte, aber zunehmend verloren Weltreisen per Segelboot ihren Sensations-Charakter, wurden sie zu einer nur noch selten beachteten »Alltäglichkeit«. Zu einem Medienereignis wird das Fahrtensegeln erst wieder, wenn die Umstände so außergewöhnlich oder so dramatisch sind, daß über ein seglerisches Interesse hinaus Aufmerksamkeit garantiert ist. Der 1981 an Bord der APOLLONIA auf einer Atlantiküberquerung stattgefundene Doppelmord, den ein auf den Kanaren an Bord genommener Mitsegler am Schiffseigner und dessen Freundin verübte, bezeugt durch das vierte, verletzt überlebende Crewmitglied (vgl. Mauz 1982), ging als einer der »großen Kriminalfälle« ins kollektive Gedächtnis der Bundesrepublik ein.1 Dreißig Jahre später, im Herbst 2011, wird über den Raubmord an einem deutschen Weltumsegler auf der polynesischen Insel Nuku Hiva (Marquesas/West-Pazifik) berichtet, brachte sein »Tod im Paradies« es auf den Titel des Stern2. Neben menschlichen Dramen finden ansonsten gerade noch Super-

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Zumindest wird die Geschichte dieses Verbrechens in der seit 2000 unter dem Titel »Die großen Kriminalfälle« ausgestrahlten Sendereihe der ARD auch über zwanzig Jahre später wieder aufgegriffen wird (MORD IN DER KARIBIK – DIE TODESFAHRT DER APOLLONIA, EA 8.06.2004, NDR).

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Dieser Titel zeigt eine triste Insellandschaft mit Palmen und Bergspitzen vor grauverhangenem Himmel, in einem kleinen Foto das Gesicht des Seglers: »Tod im Paradies. Wie der deutsche Weltumsegler Stefan Ramin in der Südsee sein Glück suchte und dabei sein Leben verlor«. Der Artikel über den »Traum eines Aussteigers, der sich zum Albtraum entwickelt«, ist erwartungsgemäß mit Aufnahmen aus ›glücklichen‹ Seglertagen illustriert:

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lative oder spektakuläre Rekordversuche die Beachtung der Medien: die jüngste Weltumseglerin aller Zeiten, oder der Antritt zu einer zweifachen Einhand-NonStop-Erdumrundung. Doch wie stehen ganz »gewöhnliche« Weltumsegler zu dieser medialen Aufmerksamkeit? Woran bemisst sich für sie eine »große«, außergewöhnliche Leistung? Es ist der Standpunkt des Betrachters, der maßgeblich bestimmt, wann und unter welchem Umständen eine Weltumsegelung als außergewöhnlich, als anspruchsvoll, oder als ganz normal angesehen wird; objektive Kriterien lassen sich dafür nicht anführen. Mit seiner Kritik daran, daß Wilfried Erdmanns Unterfangen einer Non-Stop-Weltumsegelung gegen den Wind von der Presse als herausragende, besonders achtenswerte Leistung »bejubelt«, dagegen aber kaum je etwas über die anonym und unbemerkt die Welt umsegelnde Mehrheit berichtet wird, legt Kai, Mitte Sechzig und Einhand auf seiner bereits zweiten Weltumsegelung unterwegs, zugleich seinen subjektiven Bewertungsmaßstab offen. Kai: Und über diese Weltumsegler hier, da hört man nichts. Sieht man nichts, liest man nichts, hört man nichts. Und es ist viel anspruchsvoller. Hier in die kleinsten Riffpassagen zu gehen, bei scheißigem Wind und Wetterverhältnissen. Unter schwierigsten Umständen sich Kontakt zu schaffen zur Bevölkerung. Viele Dinge zu sehen, interessiert zu sein .... Das ist doch viel schwieriger, viel, viel anspruchsvoller, als loszusegeln und wieder anzukommen, ohne jemand zu sehen, ohne nichts – bloß mit seinen eigenen Konservendosen zu leben. SY ANNA PERENNA, 1998-2003 & 2003-09

In seinen Augen bewältigen gewöhnliche Weltumsegler die eigentlich größere, weil wesentlich vielschichtigere Herausforderung: sie sind nicht allein mit der Dimension des Blauwassersegelns konfrontiert. Zwar ist seglerisches Können und Wissen gefragt, aber die spezifische Aufgabe, sich als Reisender zu bewähren, den Boots-Alltag zu bewältigen, vor allem aber das Segeln als Lebensstil auch dauerhaft als sinnhaft zu erleben, erachtet Kai als wesentlich herausfordernder. Ist deswegen gerade eine »gewöhnliche« Weltumsegelung eine außergewöhnliche Leistung? Inwiefern entspricht diese Wahrnehmung dem Selbstbild ›aller‹ Fahrtensegler und seglerinnen? Und der Fremdwahrnehmung durch Nicht-Segler? Schon die große Zahl zeitgenössischer Weltreisen per Segelyacht führt dazu, daß die Akteure selbst von »normalen« Weltumsegelungen sprechen. Dies schließt

beim Tauchen, am strahlend-weißen Sandstrand, an Bord in Hängematten entspannend. Der im Zusammenhang mit dem Verschwinden des Seglers geäußerte Kannibalismusverdacht erwies sich zwar als abwegig, gab allerdings prächtige Schlagzeilen für die Boulevardpresse ab (Kruse 2011). – Im Jahr danach erscheint Blauwassersegeln. Eine Weltumsegelung, die zum Albtraum wurde von Ramins Partnerin Heike Dorsch (2012).

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für gewöhnlich auch ein, nicht nur eine an Jahreszeiten und den Passatwinden ausgerichtete günstige, sondern die letztlich »bequemste« Route um die Welt zu wählen. Während es für Slocum seinerzeit noch keine Alternative zum stürmischen Weg durch die Magellanstraße gab, entscheiden sich für die Route über Südamerika heute Segler, die sich bewußt nicht bzw. nicht nur auf der »Allerweltsroute« bewegen wollen. Mehrheitlich wird seit Jahrzehnten, bedingt durch die Vorliebe für Warmwasserreviere und tropische Inseln als sehnsuchtsbehaftete Ziele des typischen Weltumseglers, standardmäßig auf der so genannten Barfußroute3 gesegelt, von der manche Segler auch als »Schokoladen-« oder »Sonntagsroute« sprechen. Auf einer »normalen«, dreijährigen Weltumsegelung folgt nach Englischem Kanal oder Mittelmeer und der Atlantikquerung eine Saison Karibik, dann die Durchquerung des Panamakanals zu Beginn der pazifischen Saison, in der üblicherweise über Französisch Polynesien, Fiji, Samoa und Tonga nach Neuseeland gesegelt wird, um dort die nächste cyclone season abzuwarten. Von dort führt der Weg über den Indischen Ozean und dann über Rotes Meer und Suezkanal oder über Südafrika und das Kap der Guten Hoffnung schließlich zurück nach Europa. Gerade auf dieser Route kommt es jahreszeitlich bedingt an gewissen Nadelöhren zur temporären Lokalisierung der Fahrtenseglergemeinschaft im größeren Umfang. Wenn sich auf den Kanaren Ende November die Atlantiküberquerer versammeln, um eine günstige Wetterlage zum »Sprung« in die Karibik, oder in Neukaledonien oder Tonga das passende »Wetterfenster« zur Fahrt nach Neuseeland abzuwarten. Die Besonderheit einer gewöhnlichen Weltumsegelung hängt schließlich von der eigenen Biographie und der eigenen Position ab, wird sie vor allem durch die Umstände bestimmt, die zum Vergleich herangezogen werden. Sowohl gegenüber Nicht-Seglern wie innerhalb der cruising community erfolgt so eine Abgrenzung durch spezifische Distinktionsmechanismen. Dabei sind die Kriterien des »Besonderen« wie des »Normalen« ebenso wie das Selbstbild von Seglern kontextabhängig, wird beides situativ differenziert und ausgehandelt (vgl. Kap. 3.2). Wie sehr der konkrete Standort den Standpunkt mitbestimmt, zeigt sich, wenn die Frage nach der »Gewöhnlichkeit« einer gerade beendeten Weltumsegelung nur wenige Tage nach Rückkehr im Yachtclub Wedel bei Hamburg, dem Heimathafen, gestellt wird. MK: Habt Ihr eine ganz gewöhnliche Weltumsegelung gemacht? Gibt es das überhaupt? Elke: Das ist so schwer zu sagen. Manchmal kann man nur sagen, wir haben eigentlich die Barfußroute gemacht, die so um den Äquator geht. Wir haben nicht solche Sachen gemacht

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Barfußroute, weil klimabedingt die meiste Zeit auf Schuhwerk verzichtet werden kann. Englischsprachige Fahrtensegler sprechen von dieser Route als dem Coconut Milk Run, in Hinblick auf die in den populären tropischen Segelrevieren ubiquitäre Kokospalme.

90 | W ELTUMSEGLER wie Ihr, in Yap [FSM/Nordpazifik] oder so. Aber andererseits, wenn Du das von hier vergleichst, es ist immer die Perspektive, ist es schon was ganz Besonderes. Muß ich sagen. Michael: Ich würd’ schon sagen, es war ’ne ganz normale Weltumsegelung. Ganz normal. Aber mit vielen, vielen Varianten, kleinen Varianten. Wir haben viel Spaß daran gehabt, und das war ja der Sinn der Sache. Was ist normal, überhaupt. Gibt’s das überhaupt. Die anderen, wenn wir hier herkommen, die anderen Menschen, die uns umgeben, die träumen alle davon, ja, und wir negativeren das mit einer ›normalen‹ Weltumsegelung. Ne, das gilt nicht. Elke: Und sie machen es trotzdem nicht! Michael: Nein, das war … für uns war das eine Super-Weltumsegelung. Und das ist was Einmaliges. Wir haben da immer von geträumt, und den Traum haben wir erfüllt. SY BRIGHT DAY, 1997-2006

Gegenüber der großen Mehrheit von Möchtegern-Weltumseglern, gegenüber den Vielen, die von einer Erdumrundung mit der eigenen Yacht träumen, aber nicht alles daransetzen, loszusegeln, kann sich derjenige, der tatsächlich aufbricht, eindeutig abgrenzen und positionieren, läßt dieser Umstand allein seine Entscheidung als außer-gewöhnlich erscheinen. Vor allem, wenn es nicht unveränderliche äußere Umstände sind, die das Ablegen verhindern, sondern es an Mut bzw. Entschlusskraft mangelt. Hubert: Jeder Segler, der das Segeln liebt, hat den Traum, um die Welt zu segeln. Also ich möchte sagen, fast jeder. Viele haben nicht die Möglichkeit, weil sie noch im Job sind oder was auch immer. Viele haben auch nicht die Entschlusskraft, die finden tausend Gründe, um nicht zu gehen, obwohl sie gehen könnten und sagen, ah, das wäre toll und alles. Zu sagen: Gut, ich segel’ weg, verkauf mein Haus, um ein Boot zu kaufen, da mußt du schon ... Da muß man durch. Das schaffen viele nicht. SY COSIMA, seit 1994

Auf der anderen Seite gilt längst, »[w]eil ja immer ’ne Menge Boote unterwegs sind«, das die eigene Leistung mit der von weltweit hunderten, ja tausenden von anderen Yachties in Bezug gesetzt werden kann und muß. Mit Blick auf die vielen »vorausgefahrenen« und gegenwärtigen Mit-Segler, die, wie man selbst, den Mut zum Aufbruch finden und mit entsprechender Ausdauer ihren Traum realisieren, erscheint die eigene Weltumsegelung freilich als wesentlich weniger ungewöhnlich. MK (FB): Habt Ihr das Gefühl, etwas Besonderes geleistet zu haben? Steffi & Klaus (FB): Viele haben einen Traum, und trauen sich nicht, zu versuchen, diesen zu verwirklichen. In diesem Sinne: Ja. Ansonsten sind jedes Jahr viele hunderte unterwegs, in diesem Sinne sind wir ein Paar von vielen. - Das Besondere für uns war, das Netz der sozialen Sicherheit in Deutschland zu verlassen. SY AELLO, 1991-95

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Der Referenzpunkt hinsichtlich der Außergewöhnlichkeit einer Weltumsegelung bildet das soziokulturelle Umfeld und die aktuelle Umwelt der Fahrtensegler. In den 1990ern die »soziale Sicherheit in Deutschland« zurückzulassen, und damit im Widerspruch zu als grundsätzlich geltenden gesellschaftlichen Werten zu handeln, unterscheidet sich nur graduell von der seglerischen Selbstwahrnehmung der 1970er Jahre, als eine Weltumsegelung durchaus als etwas »Exotisches«, etwas »Anderes«, aber deswegen nicht unbedingt als etwas Besonderes angesehen wurde. Das damals wie heute Risikobereitschaft und Entschlossenheit, Mut und ausgeprägtes Selbstvertrauen vorausgesetzt werden können, wird durch das InBeziehung-Setzen zu den Mit-Seglern relativiert, womit zugleich das Gleichheitsund Gemeinschaftsgefühl innerhalb der cruising community beschworen wird. Annegret: Es war mutig, aber was Besonderes? Wir hatten ja all die anderen, die es auch machten. Weißt Du, … wenn du da drin bist – jeder segelt. Hans: Na ja, aber man war sich dessen schon bewusst. Wir wussten, daß von hundert, die es machen wollen, geht einer raus. Die Quote derjenigen, die aufgeben, bevor sie überhaupt mal losgehen, ist sehr, sehr hoch. Annegret: Aber ich kam mir nicht vor, als wenn ich was Besonderes mache. Hans: Nein, es war nichts Besonderes, sondern es war nur was anderes eben. Im Verhältnis zu den Leuten, die eben zuhause sind. Die jeden Tag ins Büro gehen zu einer Arbeit. Zu diesem Zeitpunkt war das doch ein bisschen ungewöhnlich. Annegret: Doch Besonders? Hans: Na ja, es war halt doch ein ganz anderes Leben Annegret: So hab ich das nicht empfunden, während ich das gemacht habe. Ich fand das ganz normal. Weil alle meine Freunde waren auch auf Schiffen. SY ANNIE, 1974-77 (NZ)

Die »Exotik« einer Weltumsegelung, die für ihre Zeit »ungewöhnliche« Entscheidung für ein Leben unter Segeln wird im Moment des Tuns zur Normalität, die Einzigartigkeit der Reise durch die Gemeinschaft der Mit-Segler, dem in der Flüchtigkeit des Lebensstil beständigen und damit auch dominierendem sozialen Umfeld, relativiert. Die Dauer des Unterwegssein und die stete Wiederholung von Aufbruch und Ankunft tragen sicherlich dazu bei, daß auch die Rückkehr an den Ausgangspunkt, und damit der erfolgreiche Abschluß einer Weltumsegelung, nicht als großartige Leistung, sondern eher im Sinne einer weiteren, gewöhnlichen Reiseetappen empfunden wird. Peter: Ich finde nicht, daß wir – jedenfalls, ich kann mich nicht entsinnen - daß wir so das Gefühl hatten, wir hätte da nun was Tolles gemacht. Gudrun: Ne, überhaupt nicht

92 | W ELTUMSEGLER Peter: Sondern ganz im Gegenteil, ich hab mir manchmal gedacht, die armen Leute, die die ganze Zeit hier geblieben sind, die haben viel mehr geleistet. (lachen beide) Gudrun: Also ich glaube auch, wenn man da so unterwegs ist und das macht, dann empfindet man das ja nicht. Erstmal, weil da so viele unterwegs sind. Und dann empfindet man das nicht als ’ne Leistung oder was Besonderes, was man da macht. Und wenn man das dann geschafft hat, ja, dann freut mich sich, man kommt ja wieder an und das ist auch schön. Peter: Und es war ein Privileg, das man’s machen konnte, durfte. Gudrun: Und man hat sich quasi darüber gefreut, daß man so eine lange Auszeit gehabt hat, und soviel erleben durfte. Aber nicht, daß man jetzt ’ne besonders große Leistung oder was Tolles, Großes vollbracht hat. Das Gefühl war überhaupt nicht da. Nee. SY GUNDEL, 1972-78

In der Diskussion über die Besonderheit respektive die Gewöhnlichkeit normaler Weltumsegelungen zeigte sich immer wieder, daß bereits während der Reise das eigene Erleben und Erfahrungen reflektiert werden. Dazu gehört sowohl das Bewusstsein, sich im Moment durch die Entscheidung zu Segeln von (gleichaltrigen) Daheimgebliebenen zu unterscheiden, als auch infolge dieser Entscheidung einen grundsätzlich anderen Lebenslauf zu gestalten. Das individuelle Handeln, das Bestreben nach Selbstverwirklichung und die persönlichen Erfahrungen werden vor dem Hintergrund gemeinsamer gesellschaftlicher Normen und Wertvorstellungen betrachtet. Während die Weltumsegelung rückblickend uneingeschränkt als Privileg bewertet wird, erschien der selbstgewählte, temporäre Ausstieg insbesondere den damals zwischen 20 und 35 Jahren alten Seglern in Relation zu den Biographien von Schulfreunden und Kommilitonen zeitweise auch als die eigene Zukunft gefährdend. Jan: Gegenüber den Leuten hier [in Deutschland] haben wir das auch sehr [empfunden], da mussten wir uns da immer sozusagen drin bestärken, daß wir da was Besonderes machen, damit wir da nicht in den Neid der fortgeschrittenen Ausbildung verfielen. Wenn wir, ich weiß nicht, nach Galapagos kamen, und da war noch ein anderes Boot, dann hat man sich gegenüber den Galapagos-Leuten nicht als jetzt irgendwie was Besonderes empfunden, eigentlich nicht. SY NICOLAO COELHO, 1973-75

Einerseits die erlebte Besonderheit in Relation zur Herkunftsgesellschaft, andererseits das Aufgehen in der Gewöhnlichkeit innerhalb der Seglergemeinschaft. Hinzu kommt die Fremdwahrnehmung der Akteure am jeweiligen Ankunftsort, die im Laufe der Zeit mit der zahlenmäßigen Zunahme von Yachties zwar ebenfalls eine Entwicklung vom Einmaligen zum keineswegs mehr Un-Gewöhnlichen durchlaufen hat, dabei aber, etwa in der häufig beobachteten Faszination, die Weltumsegler auf andere Reisende ausüben, ihre intrinsische Besonderheit nicht verloren

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hat. Je weniger Yachties, desto ungewöhnlicher ihr Erscheinen, desto größer die Attraktion ihres Anders-Reisens, und desto größer ihrerseits das Bewusstsein, »irgendwie was Besonderes« zu tun und vor Ort »besondere Leute« zu sein. MK (FB): Habt Ihr das Gefühl, etwas Besonderes geleistet zu haben? Anja & Jörg (FB): Irgendwie schon. Zumal man das ständig gesagt bekommt. SY ACHERON, 1978-87

Obgleich eine seinerzeit noch seltene, und dadurch auch besondere Unternehmung, charakterisieren gerade Akteure der 1970er Jahre ihre Weltumsegelung dagegen weniger als außergewöhnliche Leistung, sondern als besonderes Privileg: Durch persönlichen Einsatz, Einschränkung und glückliche Umstände bereits mit Anfang Zwanzig oder Dreißig in der Lage zu sein, ein Boot zu erwerben und sich einen mehrjährige »Ausstieg« leisten bzw. unterwegs erarbeiten zu können. Doch im Gegenzug entschieden sich Weltumsegler gegen gängige Ausbildungs- oder Berufskarrieren, und damit auch häufig auch für einen existenziellen, zumindest risikobehafteten Verzicht auf materielle oder soziale Sicherheiten wie Altersvorsorge, Kranken- oder Rentenversicherung. Auch wenn der Lebensstil Segeln – aus emischer Perspektive – über SeglerGenerationen hinweg und ganz generell häufig als ein gefühlt »privilegiertes Leben«, begründet im selbstbestimmten Handeln, der Freiheit des Segelns und daran geknüpften intensiven Erfahrungen, repräsentiert wird, kann sich dieses Empfinden im Laufe der Reise-Jahre auch wieder relativern, wie ein Gespräch in größerer Runde mit aktiven Fahrtenseglern der Generation 60+ zeigte: wenn das Besondere, das anfängliche Abenteuer mehr und mehr zum gewöhnlichen Alltag wird. Als Betty und Franz nach den ersten beiden Jahren ihrer auf fünf Jahre angelegten Weltumsegelung konstatieren, daß sie sich jeden Tag freuen, dieses Leben führen zu können, und daß sie es als ein »privilegiertes Leben« erachten, erwidert Walter, der mit seiner Frau bereits auf fünfzehn an Bord verbrachte Jahre zurückblickt, daß man da in den ersten Jahren »euphorischer« wäre. Schmälert die zunehmende Routine, die Normalität des Lebensstils die Intensität des Erlebens? Wie verändert sich der Alltag Weltumsegelung und die persönliche Erfahrung, wenn dieses Leben nicht mehr Privileg oder als besondere »Auszeit« empfunden wird? Die wechselseitige Bedingtheit von Reisedauer und Reiseerfahrungen, vom Altern auf der Weltumsegelung, von Erwartungen, Lebensplänen und der normativen Kraft des Faktischen, möchte ich am Schluß dieser Arbeit, in Kapitel 7, wieder aufgreifen. Gleichwohl wird das Spannungsfeld zwischen dem temporären Abenteuer Weltumsegelung, samt Rückkehr ins Vertraute, und den Prozessen, die stattdessen zu einem dauerhaften Ausstieg unter Segeln oder aber auch zur Auswanderung in der Fremde führen, aus verschiedenen Blickwinkeln in der gesamten Arbeit beleuchtet.

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Neben der subjektiven Wertung dessen, was ein privilegiertes Leben ausmacht, erscheinen Weltumsegler daneben gerade in der Fremdwahrnehmung aufgrund ihres Reise- und Transportmittels als privilegierte Reisende in einem konkret materiellen bzw. ökonomischen Sinne. Fahrtensegler sind (beinahe) ausnahmslos auch die Eigner ihrer Boote. Und Lauriers Feststellung, daß ein Segelschiff vielerlei Investitionen erfordert und »a particularly powerful symbolic position in both the signification of social status and the imagination of leisure« einnimmt (Laurier 1999: 196), gilt auch für Fahrtenyachten, obwohl diese nicht nur temporär, sondern langfristig bis dauerhaft als Wohnung, Verkehrsmittel und letztlich alltäglicher Gebrauchsgegenstand genutzt werden. Allerdings impliziert eine Segelyacht, für Aussenstehende, eben doch immer auch die Funktion als Statussymbol, sowie Vorstellungen eines spezifischen, elitären Freizeitvergnügens; ganz gleich, wie weit eine Fahrtenyacht häufig schon im Aussehen bezeugt, daß Seetüchtigkeit und Wohnkomfort wichtiger als ästhetische Ideallinien sind, und wie wenig die Alltagspraxis Fahrtensegeln mit den stereotypen Träumereien vom feinen Yachtleben gemein hat. Die Beobachtung, daß Schweizer Caravan-Besitzern, die sich anstelle ihres automobilen Wohn-Gefährts eine Binnenyacht zulegen, «der Bootsbesitz […] ein bedeutungsvolles Moment des sozialen Aufstiegs [markiert]« (Rolshoven 2007a: 164), läßt sich aber gerade deswegen so nicht auf Fahrtensegler zu übertragen. Einerseits weisen im Rückblick die Reisebiographien vieler Fahrtensegler zwar eine ähnlich stringente, sich gewissermaßen steigernde Entwicklung auf: anfangs mit Zelt und Rucksack, später mit Wohnwagen und Wohnmobil, und schließlich die Fahrtenyacht als optimales Mittel des selbstbestimmten Reisens. Anderseits gilt es aber, die Totalität, mit der eine Fahrtenyacht als Heimstätte und Transportmittel genutzt wird, zu berücksichtigen. Ungeachtet dieses Einwandes gilt gleichwohl, daß die Entscheidung für eine Weltumsegelung, das Reiseerlebnis selbst, immer auch kulturelles Kapital im Sinne Bourdieus darstellt und einen spezifischen Statusgewinn begründet. Daß allerdings in vielen Fällen nicht nur die Freiheit des Segelns durch den Verzicht auf Altersvorsorge oder berufliche Sicherheit einhergeht, sondern ebenso wie die Reise auch der Bootsbesitz durch finanzielle Einschränkung im Vorfeld und durch Eigenleistung ermöglicht wird, und das Schiff auch eine Wohnung an Land ersetzen kann, erscheint für Außenstehende weit weniger verständlich als aus der Innensicht der Mit-Segler. Sabine: Na gut, wir sprechen ja manchmal drüber, daß wir sagen …daß die Leute das glauben. Nicht, daß mir das jetzt was ausmachen würde. Aber die Menschen denken, wenn du ein Boot hast, bist du reich, das ist einfach so. Jörg: Bist du ja auch. (lacht) Sabine: Ja. Nein. Jetzt musst du es mal so sehen, es gibt ja diese Sorte von Booten und diese Sorte von Booten. Und wir haben uns ja richtig krumm gemacht. […]Und daß wir dann ein ganzes Jahr lang richtig im Dreck hier gewühlt haben, und – daß wir viele Sachen selber

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machen, und teilweise dafür sehr spartanisch gelebt haben usw. Das haben wir uns untereinander schon oft mal so gesagt. Jörg: Aber ich kenn niemanden, der sagt, boah, ihr habt ein Boot, Wahnsinn. Sabine: Ne, aber ich glaube, daß es viele Leute denken. Wenn du in Deutschland jemandem sagst, daß wir beide, in unserem Alter, ein Boot haben, dann denken die […] irgendwie, ›wie kommt Ihr denn zu einem Boot?‹. Jörg: Mh, mir fällt das nicht auf. Weil für mich ist es ja eben, es fühlt sich nicht so an, als wären wir die Supertypen. Sabine: Nein, für mich fühlt sich das ja auch nicht so an. Jörg: Aber das ist ganz interessant, daß hast Du (an MK gerichtet) wahrscheinlich auch mal festgestellt. Die Leute, die auf’m Land leben, die empfinden das vielleicht ein bisschen so, aber du bist ja hier nix Besonderes. Hier bist du was Besonderes, wenn du ein großes Boot hast. Aber daß du ein Boot hast, ist nichts Besonderes, weil - alle haben eins. Sonst wären die nicht hier (lacht). Und wir haben das kleine Pissboot irgendwie, deswegen sind wir eigentlich am Ende der Fahnenstange, am unteren natürlich. SY DOLCEVITA, seit 2004

Abbildung 15: Whangarei, 2007 – Town Basin Marina

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3.2 D AS VIELSCHICHTIGE S ELBSTBILD F AHRTENSEGLER

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Die Anderen: »segelnde Touristen« und »echte Segler« l »Wir sind ja eigentlich Touristen« l Die Freiheit »richtiger« Fahrtensegler

Die Anderen: »segelnde Touristen« und »echte Segler« Die im Jargon übliche Reduktion einer jeden Segelyacht, gleich ob alt oder neu, groß oder klein, zum »Boot«, kann als Reflektion der Bedeutung des Gefährts als alle Seefahrer verbindendes Element verstanden werden. In einer ebenso egalisierenden Art und Weise sprechen Langzeit-, Blauwasser- und Weltumsegler von sich einfach als »Segler«. Dabei wird dieser unspezifische Überbegriff synonym für unterschiedliche Praxen des Fahrten- oder Langzeitsegelns verwendet, wird damit primär ein geteilter, spezifischer Lebensstil, eine Geisteshaltung, ja ein Lebensgefühl umrissen. Nur manchmal beinhaltet die Identifikation als Segler eine explizit segelbiographische Komponente: daß man bereits als Jugendlicher oder Student mit dem Segelsport begonnen hat, als Vereinsmitglied oder Freizeitsegler an Regatten teilnahm; oder aber daß man auch beruflich zur See fuhr. Trotz der Allgemeinheit des Begriffes, und obwohl auf spezifizierende Zusätze wie Langfahrt-, Langzeit-, Hochsee- oder Blauwassersegler im üblichen Sprachgebrauch der Fahrtenseglerszene verzichtet wird, steht unausgesprochen und einvernehmlich fest, daß Chartertouristen und Urlaubs-Segler gleichwohl ausgeschlossen sind. Welchen Begrifflichkeiten bedienen sich aber Fahrten- und Weltumsegler, um ein differenzierteres Selbstbild zu zeichnen, und wer sind die »Anderen«? In seinen Überlegungen zum ocean cruising als Subkultur geht MacBeth davon aus, daß der Begriff des cruisers generell zu unspezifisch verwendet wird. Sowohl innerhalb wie über die yachting community hinaus negiere man damit ganz grundsätzliche Unterschiede zwischen (Fahrten)Seglern. 4 Von Segelliteratur ausgehend regt er an, drei Kategorien des cruising zu unterscheiden (MacBeth 1992: 320): Erstens, day-sailors, die für eine begrenzte Zeit in einem begrenzten Segelrevier unterwegs sind, d.h. Kurzzeit-Urlaubssegler; zweites, short-term cruisers, die zwischen 6 und 12 Monaten unterwegs sind, d.h. Kurzzeit-Fahrtensegler; drittens, die eigentlichen cruiser (bzw. voyager), also Langfahrt- oder Langzeitsegler, worunter MacBeth sowohl mehrjährige Weltumsegler wie auch solche ohne

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Wie wenig im Deutschen differenziert wird, zeigt die Kurzbesprechung der jüngsten Slocum-Biographie (Wolff 2011). Der Autor würdige »die Lebensleistung des ersten Freizeit-Dauerskippers« (Die ZEIT 2011: 68). Slocums Erdumrundung mit Begrifflichkeiten von Urlaubsseglern zu beschreiben legt nahe, daß hier ein Nicht-Segler kommentiert, dem kategoriale Unterschiede zwischen solchen und solchen Seglern gleichgültig sind.

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Rückkehrpläne zusammenfasst. Völlig offen bleibt dabei jedoch, inwieweit diese in der zeitlichen Dauer begründete Kategorisierung von den Akteuren selbst geteilt wird. Fühlen sich tatsächlich alle Segler, die das für MacBeth entscheidende erste Jahr hinter sich gebracht haben, als Gleichgesinnte und zur gleichen »Subkultur« zugehörig? Meiner Meinung nach greift gerade hier auch MacBeth zu kurz, wenn er vernachlässigt, inwieweit darüber hinaus kategoriale Unterschiede auch unter Langzeitseglern bestehen. Cruiser ist nicht gleich cruiser, und Yachtie nicht gleich Yachtie. Ganz explizit distanzieren sich Weltumsegler am häufigsten gegenüber jenen ausgesprochenen Urlaubsseglern bzw. Freizeitskippern, die, häufig auch in Gruppen, einen zwei- oder dreiwöchigen Segeltörn auf einer Charteryacht unternehmen, und heute im Mittelmeer wie insbesondere auch in der Karibik zu Hunderten unterwegs sind. »Echte Fahrtensegler« seien gerade dort nur noch selten zu finden, beinahe ausschließlich handele es sich um »segelnde Touristen«. Daß ein generelles, seglerisches Gemeinschaftsgefühl hier also offensichtlich an eine Grenze stößt, läßt sich darauf zurückführen, daß die Erwartungen und Erfahrungen von Kurzzeitseglern, die im doppelte Sinne teure Urlaubstage auf einer gecharterten Yacht verbringen, erheblich andere sind als jene von Langfahrtseglern, denen das eigene Segelschiff auf mehrere Jahre als Zuhause dient. Sei es die Erfahrung einer wochenlangen Ozeanüberquerung im Vergleich zu reinen Tagestörns zwischen Inseln, Marinas und ausgewiesenen Ankerplätzen. Sei es der Alltag an Bord als außergewöhnliches Urlaubserlebnis oder dauerhaft alltägliche Routine. In welchem Maße dabei doch auch Verständnis für die Situation der »Anderen« bzw. unterschiedliche Bedürfnisse aufgebracht wird, hängt im Wesentlichen von individuellen Erfahrungen und Grundeinstellungen ab. Barbara & Franz (FB): Die Haltung der Langzeitsegler ist zwangsläufig eine andere als von Charterseglern. Trotzdem sind uns Begegnungen mit Chartergästen von Charterschiffen wichtig. Schliesslich haben wir so angefangen und unsere ersten Erfahrungen gemacht. SY LIBITINA, 1991-94 & seit 1996

Häufiger als eine solch generelle Offenheit gegenüber Charterseglern, die hier mit dem Rückblick auf die eigene Entwicklung zum Langzeit- und Weltumsegler begründet wird, ist eine abweisende Einstellung auszumachen. Es wird hervorgehoben, daß man als Fahrtensegler eben »anders« segelt. Diese soziale Distinktion bezieht sich mit der zeitlichen Dimension auf die Ganzheitlichkeit des Fahrtensegelns, das eben kein zeitweiliges Freizeitvergnügen, sondern langfristiger und umfassender Lebensstil ist. Als Charter-Yachttourismus stellt das Segeln und Leben an Bord eine zeitlich begrenzte Urlaubsaktivität dar, die aufgrund der räumlichen Distanz und außergewöhnlichen Umstände vor allem die Umkehrung alltäglicher Normen und Verhaltensweisen erlaubt. Als »people at play« (Lett 1983) können

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charternde Yachttouristen in der Ausnahmesituation des Urlaubs ›spielerisch‹ Regeln und Grenzen der eigentlichen sozialen und kulturellen Ordnung temporär überschreiten. Dagegen kann Langfahrtsegeln grundsätzlich einmal als Variante eines serious leisure verstanden werden: als langfristiger Lebensstil stellt das Segeln einen weniger freizeitbetonten als arbeitsintensiven, »gewöhnlichen« Alltag dar. Blauwassersegler zeichnen sich gegenüber »Freizeitskippern« in der Regel auch durch ein umfangreicheres, bzw. nicht nur in der Theorie, sondern der Praxis erworbenes und angewandtes Wissen und Können aus, haben sie gerade day sailors gegenüber die Erfahrungen von Nachttörns, von tage- und wochenlangen Ozeanüberquerungen etc. voraus. Diese Distinktion geht jedoch nicht mit einer räumlichen Abgrenzung einher. Denn bestimmte Segelreviere, ob Mittelmeer, Karibik oder die tonganischen Vava’u Inseln im Südpazifik, sind bei Fahrten- wie Charterseglern gleichermaßen beliebt, und prinzipiell gleichermaßen zugänglich und erreichbar – auch wenn die einen per Flugzeug anreisen, die anderen dort auf eigenem Kiel einlaufen. Gerade »echte Fahrtensegler«, die bestrebt sind, »anders« zu segeln und zu reisen, sehen sich infolgedessen in von Charter- und Langfahrtseglern gleichermaßen frequentierten Regionen mit dem Problem konfrontiert, ihre unterschiedliche Einstellung nach außen zu vermitteln. Einen anderen Zugang zur lokalen Bevölkerung zu suchen kann bzw. muß dann auch beinhalten, die besonderen Umstände der eigenen Reise, in Kauf genommene Mühen und beschränkte finanzielle Möglichkeiten zu erklären. So sieht es zumindest Wulf, der wie seine Partnerin Claudia die 2001 begonnene Weltumsegelung regelmäßig für mehrmonatige Arbeitsaufenthalte in der Schweiz unterbricht, um eben nicht erst im Pensionsalter aufbrechen zu können. Wulf: Also nicht, daß ich das Gefühl hab, ich muß mich rechtfertigen, aber vielfach hab ich die Erfahrung gemacht, die Leute sind froh um die Information. Und ich mach das auch ganz gezielt, damit sie nicht das Gefühl haben, alle Yachties sind gleich. Ich empfinde eher so – das hab ich im Mittelmeer schon empfunden – daß sehr viele Segler auch den Fehler machen, sehr elitär aufzutreten, und so, ich bin jetzt hier. Aber das hängt jetzt einerseits an der Chartersegelei. Wenn du ein Boot charterst, da sind sechs – ich sag jetzt mal – deutsche, biersaufende Männer an Bord, die haben vierzehn Tage Karibiksegeln, die zahlen alle dreitausend Euro. Die Leben wie die Krösuse, und lassen das auch alle wissen rundherum. Die geben Trinkgelder, der boatboy kriegt das Doppelte, die Amerikaner geben tips im Rahmen eines Monatslohns und solchen Scheiß. Und ich denke, die machen ein Stück weit auch den Markt kaputt, oder die normale Beziehung ist dann nicht mehr möglich. SY TROLL, 2001-08

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Ein »elitäres« Auftreten von Yachties, gleich ob es sich um charternde Touristen5 oder Langzeitsegler handelt, kann unterschiedlich begründet sein. Nicht zuletzt hängt es in hohem Maße von der Persönlichkeit eines Seglers ab: von seiner Anspruchshaltung an ein Gastland oder seinem Rollenverständnis als Besucher in fremden Ländern, seinem Verständnis und Umgang mit kulturellen Eigenheiten, einem anti-touristischen Anspruch »besser zu reisen« (vgl. Hennig 1997). Hinzu kommt jedoch, daß Segelsport und yachting generell immer noch mit dem Nimbus des elitären Vergnügens behaftet sind (vgl. Laurier 1999). Allerdings läßt sich auch feststellen, daß der vergleichbare Erfahrungshorizont von Transozean- und Langfahrtseglern, das Meer als geteilter Lebensraum, der allen die prinzipiell gleichen Bedingungen bietet, zum gemeinsamen Nenner von Weltumseglern gleich welcher soziokultureller Herkunft wird. Das Egalisierende und Verbindende des gemeinsamen Interesses wird von Seglern selbst gerne beschworen (vgl. Kap. 6.2 & 6.3). Welche Rolle spielt innerhalb dieser Seglergemeinschaft dann das symbolische Kapital berühmter oder wesentlich »erfahrener« Langzeitsegler, die sich durch ihre Reisen einen Namen in der yachting community und (Blauwasser)Seglerszene gemacht haben? Anhand des Abrisses der historischen Entwicklung habe ich mich bemüht zu zeigen, welchen Einfluß gerade die Bücher »vorausgefahrener« Weltumsegler auf nachfolgende Segler haben, inwieweit die »Vorausfahrenden« selbst, in einem mehr oder weniger weit gefassten Sinn, zum Vorbild genommen werden. Bilden prominente Fahrtensegler, die sich aktiv vermarkten, die Bücher über Reisen schreiben und in Vorträgen davon berichten, also gewissermaßen professionell um die Erde segeln, eine eigenständige Kategorie? Wo stehen sie innerhalb der cruising community? Betrachtet man eine Weltumsegelung bzw. das Fahrtensegeln als Lebensstil in Anlehnung an Stebbins als serious leisure, stellt sich ja vorerst die Frage, ob eine solche Aktivität überhaupt professionell ausgeübt werden kann. Der von Stebbins vertretene Ansatz, daß eine professionelle Ausübung einer Aktivität des serious leisure mit der Erwirtschaftung eines Einkommens einhergeht, läßt sich auch auf Weltumsegelungen übertragen, berücksichtigt man die in großer Zahl publizierten Erfahrungsberichte und kommerziellen Vortragsveranstaltungen einiger Fahrtensegler. Im Bezug zu amateurs und hobbyists definiert Stebbins den professional als jemanden, »who is dependent on the income from an activity that other people pursue with little or nor numeration as leisure«; der professional wird darüber hin-

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Schon Lett beschreibt, daß Chartertouristen ein auffallend auffälliges Verhalten an den Tag legen, aber am liebsten unter sich bleiben: »On the whole, charter yacht tourists tend to talk more loudly, joke more profanely, laugh more freely, and dance more suggestively than do other tourists. The conviviality shared among the charter yacht tourists is generally not extended to the resort tourists and other ›landlubbers‹.« (Lett 1983: 44)

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aus aber eben auch mit seiner Aktivität sichtbar und übt amateurs gegenüber eine gewisse Vorbildfunktion aus (Stebbins 2007: 6-7). Die Bekanntheit eines »professionellen« Fahrtenseglers bedeutet jedoch keineswegs, daß seine Unternehmungen oder Leistungen als uneingeschränkt vorbildhaft angesehen werden. Kai: Winfried Erdmann ist für mich ein gewisses … Vorbild kann ich nicht sagen, aber ein anspruchsvoller Segler, weil er das gemacht hat, was er gemacht hat. Nämlich in jungen Jahren. Als junger Mann hat er sich in Spanien ein Boot gekauft und gesagt, ich segele jetzt um die Welt. Das ist anerkennenswert, zumal in der Zeit, 1960, oder 63, das ist außergewöhnlich. […] Was er jetzt gemacht hat, was so hochgejubelt wird in der Presse, gegen den vorherrschenden Wind mit seinem Schiff einmal non-stop um die Welt. Mh. Hör mal, weshalb macht der das, der braucht Geld. Der verdient sich mit seinem Segelkram Geld. SY ANNA PERENNA, 1998-2003 & 2003-09

Die eigene fahrtenseglerischen Erfahrung führt bei diesem Einhandsegler zu einer zwiespältigen Einstellung: einerseits die Achtung vor Erdmanns erster Erdumrundung, als gewöhnliche Weltumsegelungen eben noch nicht alltäglich waren, anderseits erhebliche Skepsis gegenüber einer späteren professionellen Unternehmung, da hier primär ökonomische Beweggründe vermutet werden, die die Leistung gewissermaßen schmälern. Wo verläuft aber die Grenze, ob eine Weltumsegelung ausschließlich um ihrer selbst willen unternommen wird, ob es sich allein um die Realisierung eines Lebenstraumes oder die Bewältigung einer seglerische Herausforderung handelt, oder ob versucht wird, durch eine entsprechende Vermarktung Kosten aufzufangen bzw. die Reise im größeren Umfang kommerziell auszuwerten? Als Differenzierungskriterium spielen Medienaufmerksamkeit, Selbstvermarktung, schriftstellerische Ambitionen und daraus folgende eventuelle wirtschaftliche Erfolge keine Rolle, sehen die von mir befragten Fahrtensegler keinen grundlegenden Unterschied zwischen den wenigen »prominenten« und den mehrheitlich »normalen« Weltumsegelungen. Gehört man nach dem ersten Jahr an Bord also doch automatisch zu den eigentlichen cruisers im Sinne Macbeths, gehören alle Langzeitsegler zu einer »Szene«, ganz gleich wer weshalb wann und mit welchen Plänen aufgebrochen ist? Wie ist dann aber zu werten, wenn von »echten Seglern« gesprochen wird? Kann dies ein Indiz dafür sein, daß sich innerhalb der Fahrtenseglerszene eine im weitesten Sinne hierarchische Ordnung ausbildet? Welche Kriterien müssen erfüllt werden, um überhaupt dazuzugehören? In der Opua Marina entdeckt mich Barbara zufällig am Steg und holt mich mit dem Dinghi an Bord der PETITE. Kennen gelernt hatte ich die Mittfünfzigerin erst einige Tage zuvor. Im ›Opua Cruising Club‹ saß ich während des freitäglichen Fish & Chips Essens, dem Abschluß der wöchentlichen Club-Regatta, mit ihr und ihrem Partner Klaas gemeinsam an einer Tischrunde deutscher Segler. Ich nutze die Ein-

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ladung an Bord zu einem spontanen Interview. Sie hat sich als Grundschullehrerin für fünf Jahre beurlauben lassen, um mit ihrem zehn Jahre älterem Lebensgefährten um die Welt zu segeln; das Haus in Deutschland ist untervermietet. Vor über dreieinhalb Jahren sind sie aufgebrochen, Barbara war in der Zwischenzeit ein einziges Mal auf »Heimaturlaub«, jetzt verbringen sie gerade ihre erste Saison in Neuseeland. Hier war vor kurzem noch Barbaras Tochter zu Besuch, mit der sie eine mehrwöchige Autoreise über die Nord- und Südinsel unternahm. Ich erfahre an diesem Vormittag von ihnen und durch den regen VHF-Funkverkehr, daß die Vorbereitungen für eine in zwei Tagen stattfindende Hochzeit eines Schweizer Fahrtenseglers in vollem Gange sind. Auch alle anderen deutschen Segler, die ich in dieser Marina kenne, sind damit beschäftigt. – Als ich nachmittags mit Barbara den Küstenweg von Opua nach Paihia wandere, kommen wir auf Doris und Wolf zu sprechen, die mit ihrer Yacht NOMAD im Süden Neuseelands unterwegs sind. Die Österreicher segeln bereits zum zweiten Mal um die Welt; sie haben über die erste Reise ein Buch geschrieben, in ganz Österreich Vorträge gehalten und es gibt auch einen Fernseh-Film über sie. Ich kenne ihre Webseite, und stand mit ihnen in Neuseeland schon in E-Mail-Kontakt, aber durch unterschiedliche Reiserouten und Zeitpläne kam kein Treffen zustande. Barbara verblüfft mich mit der Aussage, daß, im Gegensatz zu ihnen selbst, Doris und Wolf ja »echte Segler« sind. – Kann man aber ein ›unechter‹ Segler sein, wenn man auf eigenen Kiel um die halbe Welt bis nach Neuseeland gesegelt ist? »Doris und Wolf sind halt wirklich für’s Segeln da«, das sei der Unterschied zwischen ihnen und der Besatzung der NOMAD. Denn die eigene Weltumsegelung sei ja in der festen Absicht angetreten worden, sie in fünf Jahren durchzuführen und dann wieder in Deutschland als Lehrerin zu arbeiten. Anders als diese »echten Segler« möchten sie, Barbara und Klaas, wie aber auch die Mehrheit aller Fahrtensegler, mit denen sie in den vergangen Jahren zusammengetroffen waren, eigentlich nur von A nach B kommen. Barbaras subjektive Definition von echten Seglern bemisst sich damit am Grad der erkennbaren Leidenschaft für das Segeln, der Ausschließlichkeit, mit der dies als Lebensstil verfolgt wird. Daß die Weltumsegelungen der NOMAD auch vermarktet werden, Doris und Wolf durchaus die Öffentlichkeit suchen und an einer kommerziellen Auswertung ihrer Reisen interessiert sind, um Schiffsunterhalt und weitere Langfahrten zu finanzieren, spielte in diesem Kontext offensichtlich keine Rolle. »Wir sind ja eigentlich Touristen« Bei einer normalen, mehrjährigen Weltumrundung per Segelschiff überwiegen – auch wenn das Ankommen nicht so explizit im Vordergrund steht – letzten Endes die Land- gegenüber den Seetagen, liegt das Schiff mehr Zeit vor Anker, in Häfen oder Marinas, als es auf hoher See gesegelt wird. Dennoch gilt, daß vor dem Hinter-

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grund der jeweiligen (seglerischen) Biographie, persönlicher Interessen und individueller Beweggründe aber doch jeder unterschiedlich segelt. So sehr sich gerade aufgrund der einheitlichen Route gewöhnliche Weltumsegelungen gleichen, auch und gerade in den Augen vieler Segler selbst, so einmalig ist doch jede dieser Reisen für den Einzelnen. Was die Motivation zur Weltumsegelung angeht, spielt, wie ich im vorherigen Kapitel gezeigt habe, die Inspiration durch fahrtenseglerische Idole und deren Bücher eine gewisse Rolle. Dieser Anstoß verbindet sich mit sich wiederholenden, allgemeinen Themen: die Suche nach Abenteuern und persönlicher Herausforderung, touristischen Motive wie Reiselust und Fernweh, aber auch Natursehnsucht und -nähe oder Segelleidenschaft (vgl. v.a. Jennings 1999). Mit Lusby/Anderson (2010) sind »Freiheit« und »Liebe zur See« die Hauptmotive des ocean cruising dar, wobei unter erstes Selbstverwirklichung, Herausforderung, Eskapismus, Entschleunigung und Reisen fallen, letzteres die Achtung vor der Natur und eine Einstellung des Leave no wake umfasst. Allerdings gehen die beiden Autoren in ihrer Studie weder darauf ein, ob oder in welchem Umfang diese Motive von Fahrtenseglern generell geteilt werden, noch inwiefern unterschiedliche persönliche Schwerpunkte das Zugehörigkeitsgefühl zur cruising community beeinflussen. Gerade weil es sich aber um einen spezifischen Lebensstil handelt, bei dem das Leben an Bord einer Yacht, Segeln und das Naturerlebnis Meer, mit dem Reisen und dem Erleben fremder Länder und Kulturen zusammenfällt, ist die Frage nach dem Selbstverständnis in Hinblick auf Distinktionsmechanismen innerhalb der Fahrtenseglergemeinschaft durchaus relevant. Ist man entweder Segler, oder Reisender, oder immer Sowohl-als-Auch? Weist eine Weltumsegelung nicht ein ausgesprochen touristisches Moment auf, wenn, nach dem Warum der eigenen Reise gefragt, viele Segler sagten, sie möchten »Land und Leute« kennenlernen? Die explizite Identifikation als Segler bezieht sich manchmal tatsächlich darauf, daß das spezifische Transport- und Reisemittel der Segelyacht im eigentlichen Sinne genutzt und auf den Einsatz von Motorkraft verzichtet wurde. Hans und Annegret, die sich Ende der 1970er Jahre nach vier Jahren Fahrtensegeln in der neuseeländischen Bay of Islands niederließen, verwiesen auf diese immanente Bedeutung, als ich fragte, ob sie sich auf ihrer Reise eigentlich als Yachties verstanden: Hans: Ja, im Englischen schon [als] yachties. Fahrtensegler eben. Ja, so haben wir uns schon gesehen. MK: Oder habt Ihr Euch mehr als Segler gesehen. Hans: Ja, Segler. Ja. Wir segelten ja auch noch sehr viel. Wir haben in den vier Jahren wahrscheinlich keine hundert Liter Diesel verbraucht Annegret: [...] Nicht immer den Motor an, nur im Hafen. Rein, raus. Sonst nicht. Wir waren Segler, first and foremost. SY ANNIE, 1974-77 (NZ)

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Die ausgeprägte Abneigung, mit ihrer Segelyacht zu motoren, empfanden sie gerade im Vergleich zu amerikanischen Seglern, die sichtbar größere Dieselvorräte an Bord mit sich führten, schon damals als Ausnahme. Heute, noch dazu bei der generell stärkeren Motorisierung der Schiffe, spielt die Frage, unter welchen Umständen auf einer Segelyacht der Motor eingesetzt wird – wenn es nicht aus Sicherheitsaspekten unbedingt erforderlich ist, sondern schwache Winde oder Flauten der Grund sind – gerade im Kontext der Motivation und damit zusammenhängend des Selbstverständnisse sogar eine größere Rolle als vor vierzig Jahren. Als dieses Ehepaar dreißig Jahre nach ihrem ersten Karibik-Aufenthalt einen Urlaubstörn in den British Virgin Islands unternimmt, stellt es für sich fest, daß dort kaum mehr »echte Fahrtensegler«, sondern fast ausschließlich »segelnde Touristen« auf Charteryachten unterwegs seien. Generell scheint eine primäre Identifikation als Segler über die Jahrzehnte in den Hintergrund zu rücken. Dafür gewinnt das Moment des Reisens – und des Ankommens – an Bedeutung und spiegelt sich entsprechend im Selbstbild wider. Weltumsegler bedienen sich eines besonderen Reisemittels, der Segelyacht, sehen sich selbst aber durchaus als Touristen. MK: Habt Ihr Euch als Yachties gesehen? Ich fand, mit dem Segelboot unterwegs, kann man gar nicht anders angesehen werden. Claudia: Ich hab mich immer eher als Touristin gesehen. Also einfach, weil wir vorher auch schon sehr viel gereist sind. […] Und weil wir sehr viel gemacht haben, also auf den Inseln, an Land. Ist ja kein so ein großer Unterschied, oder, vom Gefühl her, daß du halt Tourist bist. SY FLAHERTY, 1995-99

Daraufhin gefragt, wie ihr Verhältnis zu anderen, nicht mit dem Segelboot reisenden Touristen gewesen sei, wurde erläutert, daß sie eigentlich andere touristische Interessen verfolgten, weshalb es selten zu solchen Treffen gekommen sei. Für (gewöhnliche) Touristen wiederum kann es ein außergewöhnliches Reiseerlebnis sein, einmal »echte« Weltumsegler persönlich kennen zulernen, sich gar an Bord einer Fahrtenyacht aufzuhalten, wodurch Boot und Besatzung selbst zu Objekten einer touristischen Neugier werden. MK: Wie war das, wenn Ihr Touristen getroffen habt? Georg: Ich würd da sagen, wir haben die gar nicht wahrgenommen. Claudia: Manchmal wollten welche einfach bei uns mal auf’s Boot kommen. Und einfach da sitzen. – Und dann haben sie uns ein bißl ausgefragt, aber wir haben eigentlich nie so richtig Kontakt geschlossen. Weil - die hatten immer ganz andere Programme. Also, wir wollten immer viel gehen dann, und Leut, die Einheimischen kennenlernen, und so. Und diese Art von Touristen, die wir da getroffen haben, die haben mit den Einheimischen eigentlich gar nicht viel am Hut gehabt, eher also Angst gehabt, einen Kontakt zu knüpfen, also. Aber ich hab mich trotzdem, ich persönlich hab mich als Touristin empfunden.

104 | W ELTUMSEGLER Georg: Ja, mei, es ist bei uns ja auch ein bisschen anders gewesen. Ich war vorher mal ein halbes Jahr in Südamerika unterwegs mit’m Rucksack, und dann war ich drei Monate in Afrika, im Dorf. Und Du warst ja auch, weiß net wie lang, in Marokko am Dorf. Claudia: Und war selber Studienreiseleiterin und so. Für mich war das Reisen halt einfach etwas ganz Wichtiges, und etwas ganz Schönes. Und ich empfind mich halt immer als neugierige Touristin, sag ich jetzt mal so. SY FLAHERTY, 1995-99

Mit dem Verweis auf frühere, alternativ gestaltete Reisen und längere Aufenthalte vor Ort, die gerade von Individualtouristen mit scheinbar intensiveren Erfahrungen und größere Nähe zu fremden Kulturen assoziiert sind (vgl. Binder 2005), zeigen diese Weltumsegler, daß es sich bei ihnen um erfahrene Reisende handelt, die sich von Haus aus jenseits pauschaltouristischer Pfade bewegen. Sie belegen damit darüber hinaus aber auch das ausgeprägte Alltagsbewusstsein einer grundsätzlich antitouristischen Haltung (vgl. Hennig 1997). Aufgrund dieser eindeutigen Positionierung kann Claudia auf die von vornherein auf vier Jahre beschränkte Weltumsegelung als besondere, aber doch (individual)touristische Reisepraxis zurückblikken, sich selbst aber gerade aufgrund der reflektierten, prinzipiell – sowohl im übertragenen wie im konkreten Sinne des Segelns – unterschiedlichen Annäherung an die Fremde als »neugierige Touristin« charakterisieren. Letztlich spielt für das Selbstbild der Weltumsegler die persönliche (Reise)Biographie die entscheidende Rolle, ist es im Falle selbstverständlich von der persönlichen Einstellung und Interessen abhängig, wie fremden Kulturen und Menschen begegnet wird. Gleichwohl werden die Mit-Segler der cruising community, über das geteilte Interesse am Segeln hinaus, als grundsätzlich Gleichgesinnte empfunden. 6 Dieses Gemeinschaftsgefühl hängt dabei auch mit der Abgrenzung gegenüber konventionelleren Touristen, einem gemeinsamen »AndersReisen« zusammen, worin sich wiederum eine allgemein verbreitete Haltung des Anti-Touristen widerspiegelt, der massentouristische Praktiken ablehnt und als Individualreisender den »besser Reisenden« verkörpert (Hennig 1997: 39). Regina: Nur daß wir inzwischen, oder überhaupt sagen: die, die per Segelboot losgehen, sind sowieso in jeder Beziehung eher eine Elite, und auch ein bisschen offener als die, die hinterm Ofen sitzen Volker: Oder die mit Neckermann losreisen. SY AINU, seit 1997

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»Kurzzeitig-orientierte« Mit-Segler, von denen praktisch immer die Rede ist, wenn über die Karibik gesprochen wird, sind allerdings ebenso automatisch davon ausgeschlossen.

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Ein entscheidendes, verbindendes Element ist dabei vor allem aber auch der Umstand, daß es im Verhältnis zu all jenen, die von einer Weltumsegelung träumen, doch nur ausgesprochen wenige sind, die den Mut haben, aufzubrechen. In diesem Sinne ist hier die Charakterisierung der Fahrtensegler als Elite zu verstehen. Eine Weltumsegelung bedeutet zwar, sich mit der Segelyacht grundsätzlich für eine andere Art des Reisens zu entscheiden. Allerdings ist damit keineswegs per se der Anspruch verbunden, »besser« zu reisen, oder ein anderes, gar »authentischeres« Erleben zu suchen. Implizit klingt ein solches touristisches Echtheitsstreben zwar an, wenn Sabine und Jörg davon sprechen, daß sie vor ihrem Aufbruch wohl dachten, auf ihrer Reise würden sie »wirklich die ursprüngliche Welt kennenlernen«, und später davon enttäuscht waren, wie wenig »traditionell« sie die Inseln der Südsee antrafen, die doch vielfach von und für (Pauschal)Touristen erschlossen sind. Allerdings handelt es sich dabei nicht wirklich um die von MacCannell (1999) beschriebene Enttäuschung des Touristen über inauthentische Erfahrungen, die in einer fortwährenden Suche nach dem »Echten« mündet (vgl. Bendix 1994). Denn sie erachten vielmehr die eigenen Erfahrungen, etwa mit den vielgepriesenen polynesischen Inseln, als notwendigen Lernprozess, um erst aufgrund des eigenen Erlebens beurteilen zu können, ob touristische Attraktionen und Orte eigentlich überschätzt und besser gemieden werden sollten. Gerade auch als Segler müsste, um sich Regionen abseits der gängigen Route zu erschließen, um »Anderes« zu sehen und zu erleben, mehr Zeit aufgewendet werden. Auch bei Sabine wird eine längst im allgemeinen Bewusstsein etablierte anti-touristische Grundhaltung erkennbar, wenn sie sagt, daß sie zu der »schmerzhaften« Erkenntnis gelangt sind, eigentlich ja auch nur »Touris« zu sein. Mit der Ironie des postmodernen Touristen, und des sich gleichwohl von allen anderen Reisenden grundsätzlich unterscheidenden Seglers, können sie ihre Reisepraxis dennoch selbstbewußt und reflektiert als eigentlich touristisch klassifizieren. Jörg: Wir haben so schon relativ schnell gelernt, daß man jegliche Reiseführer und Cruising Guides usw. so lesen muß, daß man das, was da beschrieben ist, vermeidet. […] Aber daß man letztendlich die ganze Route vermeiden sollte, […] das haben wir jetzt erst gelernt. Und andererseits ist es aber so, wir würden es bei allem Neuen, was man entdeckt, immer wieder so machen. Ein Beispiel ist auch hier Neuseeland-Nordinsel. Haben wir bereist mit dem Auto, vier Wochen lang. Natürlich haben wir alle touristischen Plätze angefahren. Den Riesenbaum hier, und die Superbucht da. Aber, das gehört eben dazu. […] Wir sind sehr individuelle Touristen, natürlich. Und wir vielleicht noch ein Stück mehr als andere. Aber wir sind auch nicht die, die so extrem sind, die eben halt alles, was klassisch touristisch ist, vermeiden und nur Umwege gehen. Weil wir einfach auch ein bisschen mainstream sind, muß man einfach so sagen. Wir wollen das auch gesehen haben, wir wollen die blöde Höhle, wie die Glühwürmchen da glühen, die wollen wir auch sehen. Sabine: Ja. Uns ist es schmerzhaft bewusst geworden, daß wir nix anderes als Touris sind.

106 | W ELTUMSEGLER Jörg: Ja. Und wie gesagt, beim zweiten Mal, beim nächsten Mal, oder eben halt, wenn man mehr Zeit hätte, würden wir das anders machen. Dann würden wir sagen, ok, aber nur mit dem Wissen, wir haben es gesehen, also gehen wir woanders hin. […] Und wir machen uns da auch keine Vorwürfe draus, daß wir das so verpasst haben, teilweise eben Dinge nicht gesehen haben, und eben nur das gesehen haben, was alle anderen auch gesehen haben, ne. Beim nächsten Mal würden wir das sicher anders machen. Aber nur mit der Erfahrung. Nicht ohne. Ohne diese Erfahrung würden wir das nie anders machen, das geht nicht. SY DOLCEVITA, seit 2004

Generalisierte Aussagen darüber, inwieweit Weltumsegler an Land eher »klassisch touristisch« unterwegs sind, oder aber nach Möglichkeit »alternativ« reisen, lassen sich angesichts der Heterogenität der Segler weder für frühere noch gegenwärtige Segler-Generationen treffen. Umgekehrt läßt sich lediglich festhalten, daß sich weder das individualistische Moment des Segelns generell in der Reisepraxis an Land fortsetzt, noch daß alle Fahrtensegler von einem ausgeprägten Echtheitsstreben und der Suche nach authentischem Erleben (Bendix 1994) getrieben sind. Wenn einige Segler – damals wie heute – es vorziehen, mit den lokalen, öffentlichen Transportmitteln ein Land oder eine Insel zu erkunden, fallen ideologische teils mit pragmatisch-ökonomischen Überlegungen zusammen. Wenn, wie in Neuseeland von der gegenwärtigen Seglergeneration häufig berichtet wurde, das Land mehrere Wochen mit dem eigenen oder einem Mietauto bereist werden, folgen die Akteure bereitwillig den üblichen, von konventionell wie anders-reisenden, bzw. längst auch »konventionell anders-reisenden« Touristen begangenen Pfaden, werden Sehenswürdigkeiten abgehakt: auf der Südinsel wird Gold gewaschen, der Franz-JosefGletscher und Pinguinkolonien werden besucht, weil »all diese Dinge muß man gesehen haben, […], muß man mal mitgemacht haben, wenn man in Neuseeland ist«. Die an Land ausgeübte Reisepraxis von Weltumseglern, ihr touristisches Interesse bzw. ein vorhandenes oder fehlendes Authentizitätsstreben muß dabei nicht nur vor der Folie gesehen werden, daß, wie Bendix es postuliert, »die wissenschaftliche Tourismuskritik in Sachen authentisches touristisches Erleben ein Problem referiert, das nur für den extrem reflektierenden Touristen und den Wissenschaftler selbst ein Problem darstellt« (Bendix 1994: 74). Auch wenn das Fahrtensegeln an sich als eine von wenigen, und damit außergewöhnliche Reisepraxis verstanden werden muß, gilt deswegen nicht im Umkehrschluß, daß Segler touristisch nach außergewöhnlichen, nach den »tiefsten Erfahrungen« streben. Weltumsegler sind generell als ein ebenso weites Feld zu betrachten wie die schon von Cohen kategorisierten Touristen, denen er – vom experimentellen bis zum Erholungstouristen - ein unterschiedlich ausgeprägtes Echtheitsstreben und einen spielerischen Umgang mit interkulturellen Begegnungen bescheinigt: (vgl. Cohen 1988 bei Bendix 1994). Auch wenn sich Fahrtensegler aufgrund ihres Gefährtes, das ihnen eben auch Wohnstätte ist, verglichen mit anderen Touristen in anderen Räu-

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men bewegen können, sind keineswegs alle Segler bemüht, eine Begegnung mit der Fremde, mit dem »Anderen« außerhalb jener von Bruner charakterisierten touristic borderzone zu suchen, in der sich der mobile Tourist und der lokale Akteur in einem festgesetzten zeitlich-räumlichen Rahmen begegnen (Bruner 2005). Daß sich Weltumsegler in diesem Kontext dann auch ganz entspannt als »gewöhnliche« Touristen verstehen, ist gerade mit dem Wissen um ihre prinzipielle Unabhängigkeit von touristischen Infrastrukturen und der Außergewöhnlichkeit der Unternehmung als solche zu verstehen, muß kein Anders-Reisen als zusätzliches Mittel der sozialen Distinktion bemüht werden. Auch wenn das eigentliche Blauwassersegeln und wochenlange Ozeanüberquerungen das Gesamterlebnis Weltumsegelung nachhaltig prägen mögen, die selbstständige Bewältigung enormer Distanzen und die physische Erfahrung der Weltmeere essentieller Bestandteil des Lebensgefühls Weltumsegelung sind (vgl. Kap. 5.4), ist das See-Erlebnis nicht unbedingt die zentrale Motivation aller Yachties. Jörg: Das ist ja das, was die meisten Segler eigentlich hier eint. Keiner bezeichnet sich hier als großer Segler. Das sind ja alles Reisende, die zufälligerweise nicht mit dem Wohnmobil, sondern mit dem Segelboot unterwegs sind. Ja, das ist ja das. Uns geht’s ja gar nicht um’s Segeln, ne. Jeder sagt dir nach drei Wochen segeln, ich hab die Schnauze voll. Die wenigsten sagen irgendwie, wenn ich auf dem offenen Meer bin, dann fühl ich mich erst richtig wohl. Ja, wir wollen alle ankommen, ne. Wir sind nämlich ›Ankommer‹. Wir sind ganz normale Touris, wie alle anderen auch. Nur mit einem bestimmten Verkehrsmittel, was sicherlich noch ein paar Eigenarten mit sich bringt. Aber grundsätzlich sind wir ganz normale Touristen. SY DOLCEVITA, seit 2004

Ihrer Einschätzung nach unterscheiden sich Sabine und Jörg in dieser Einstellung auch nicht von ihren Mit-Seglern, und reduzieren den Unterschied zwischen Fahrtenseglern und »normalen Touris« allein auf die Wahl des Reisemittels. Da sie wissen, daß ich aus eigener Erfahrung weiß, was es heißt, mit einer Segelyacht zu reisen, nämlich bei allen einmaligen Naturerlebnissen und erfüllenden Momenten des Seglerlebens eben auch den enormen Arbeitsaufwand des Bordalltags bewältigen zu müssen, daß ich mit den Besonderheiten in der Haushaltung und permanent anfallenden Reparaturen oder Wartungen vertraut bin, kann diese mitunter recht mühsame und belastende Dimension recht lapidar als »ein paar Eigenarten« zusammengefasst werden. Dabei ist grundsätzlich klar, daß eine Weltumsegelung nie ausschließlich aus »touristischen« Interessen unternommen wird, entsprechende Aktivitäten wie Landausflüge bis hin zu wochenlangen Inlandsreisen (z.B. mit dem Bus durch Argentinien, mit dem Mietauto durch Australien oder eine Safari in Südafrika), immer nur einen Aspekt sowohl der auf wenige Jahre begrenzten Reise wie des dauerhaften Lebensstils sind. Sowohl für die Eigen- wie die Fremdwahr-

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nehmung sind letztlich die Umstände des Lebens auf einer Segelyacht, die die spezifische Mehrfachfunktion als Wohnstätte und Zuhause, als autarkes Reise- und Transportmittel erfüllt, entscheidend, woraus sich die Charakterisierung und das Bild der Yachties ableitet. Über eine hohe Leiter klettere ich zu Carola und Tobias an Bord, denn ihre MATOTO steht in einer der fünf Werften Whangareis aufgepallt an Land. Noch leben sie an Bord, wenn die anstehenden Schleif- und Lackierarbeiten im gesamten Innenraum der fast 50-Fuß-Yacht in vollem Gange sind, werden sie in einen am Schiff geparkten Camper ziehen. Nach einer Bootsführung sitzen wir nun für das Interview schattigen Cockpit und trinken Kaffee. Vor dreizehn Jahren haben sie in Deutschland alles aufgegeben und sind auf das Schiff gezogen. 2000 kamen sie das erste Mal nach Neuseeland, habe sich dort erfolgreich um ein »permanent residence permit« bemüht und fahren seitdem, wie viele andere Segler, die sie dort kennen, im südlichen Winter zu den pazifischen Inseln. Carola erzählt mir von ihrem letztjährigen Segeltörn nach Fiji, wo sie quasi »Urlaub« machten und nach Monaten anstrengender Reparatur- und Instandhaltungsarbeiten an ihrem Boot einfach mal sechs Wochen lang in einer schönen Bucht gelegen und dabei die »Animationen« des dortigen Ressorts für die »Touris« miterlebt hätten. Hier muß Carola dann selbst lachen und setzt hinzu, daß sie ja »eigentlich auch Touristen« sind, »wir zählen uns halt nicht mehr so dazu«. Auf meine Nachfrage, als was sie sich definieren würden, kommt lachend, aber ohne zu zögern, die Antwort »Yachties. Wir sind echte Yachties«. Noch während ich zur Nachfrage ansetze, was denn echte Yachties ausmache, meldet sich mit einem »Hallo« von unten ein deutscher Bekannter, wird bei dessen unangekündigtem Besuch die Kaffeerunde spontan erweitert, worüber meine Frage allerdings unbeantwortet bleibt. Meiner Meinung ist es die Ausschließlichkeit, mit der Carola und Tobias sich für diesen Lebensstil entschieden haben, die sie zur Selbstbeschreibung als »echte Yachties« veranlasst. Ihr Schiff ist ihr einziges Zuhause und sie halten es sich völlig offen, wie lange sie diesen Lebensstil beibehalten wollen, eher ist die Frage, wie lange sie es können. Ob man ausschließlich und »für immer« auf eine Segelyacht zieht, oder für die begrenzte Zeit einer Weltumsegelung, macht für den Einzelnen zwar einen erheblichen Unterschied, von außen betrachtet ist dieser aber nicht erkennbar. Yachtie ist zwar nicht gleich Yachtie, das Schiff als Lebensraum aber ist eine gemeinsame Basis. Maria: Weil du eben auf’m Boot lebst, biste ein Yachtie. Karl: Das kommt auch vom Amerikanischen her. Von dem schnellen Begriff yachtie, ne. MK: Seht Ihr Euch als Yachtie, oder eigentlich eher als ...? Maria: (fällt MK ins Wort) Wir sind Touristen. (betont) Wir s i n d Touristen.

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Karl: Wir sind … wir fühlen uns … Maria: Wir sind See-Touristen. Karl: Wir fühlen uns eigentlich als Touristen. Jetzt, sach ich mal, nicht im Abschätzigen, sondern, wir schauen uns die Welt an. Eben keine organisierte Tour. Haben wir nie gemacht. […] Wir machen das mit unserem Schiff. Wir sind vielleicht auch gute Seeleute, wir zwei. Maria: Aber im Grunde genommen sind wir, wenn du so willst, See-Touristen. (Karl stimmt zu.) Wir benutzen das Schiff eben als Transportmittel. – Und genießen das. SY ELBE, 1995-2010

Maria und Karl hatten mir von Erlebnissen mit in ihren Augen wenig seemännischen Weltumseglern berichtet. Als ich die beiden, die seit bald fünfzig Jahren segeln, daraufhin fragte, ob sie sich im Vergleich überhaupt eher als Seeleute oder Yachties verstehen würden, griffen auch Maria zur Selbstbeschreibung stattdessen auf das Bild des Touristen zurück. Während Karl wiederum darauf verwies, daß es sich dabei aber um ein grundsätzlich individualistisches Verständnis von Touristen-Sein handelt, greift Maria zur Wortschöpfung der »SeeTouristen«, um über das touristische hinaus das seemännische Element ihres Reisens zu berücksichtigen, verkörpert durch das Reisemittel Segelyacht.

Abbildung 16: Galapagos, 1974 – Vor Anker Eines der drei Bilder, die für einen Weltumsegler für die sechsjährige Reise stehen, die er gemeinsam mit seiner Frau unternahm.

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Yachties segeln, müssen ihrem Selbstverständnis nach aber keine Segler sein; Weltumsegler befahren die Weltmeere, müssen sich deswegen aber nicht als Seefahrer oder Seeleute verstehen. Die Grenzen verlaufen fließend, und letztlich ist es eine Frage des Geschmacks, der Einstellung und der eigenen Identität, wie »seemännisch« man das Leben auf einer Segelyacht gestalten möchte, wie sehr man einen seglerischen Habitus vertreten, oder sich eines entsprechenden Jargons bedienen möchte. Einerseits läßt sich dazu eine gewisse Distanz bewahren, andererseits kann man sich, auch bei einer weniger nautischen Ausrichtung des Lebensstils Segeln, dem nur begrenzt entziehen. MK: Seht Ihr Euch als Yachties, als Seeleute? Johann: Yachties schon. Aber kein Aberglaube, von wegen Auslaufen an einem Freitag und so. Bei uns ist auch ein Eimer ein Eimer, und keine Pütz. Wir sagen auch rechts und links, das seh’n wir nicht so eng. Aber als Yachtie sehe ich mich schon, wenn Du zehn Jahre auf dem Schiff gelebt hast. Logisch. Bettina: Den Lebensstil, den man sich da angeeignet hat, das ist schon ein anderer. Da bist Du schon in einer anderen Szene drin, das sind schon andere Leut. Aber wir sind keine Seeleute. SY HELENA, 1995-2003 (NZ)

Ob Fahrtensegler sich als Yachtie oder englisch yachtie definieren, ob sie sich als »Ankommer«, Touristen oder eben »See-Touristen« verstehen, hängt vom jeweiligen Sprachgebrauch und dem individuellen Umgang, aber auch einem teilweise sehr unterschiedlichen Verständnis der Begrifflichkeiten ab. Yachtie entspricht für die einen einfach dem deutschen Begriff Fahrtensegler, andere wiederum sehen »Yachtie« nicht nur als eingedeutschte Ableitung, sondern als eigenständige Kategorie und verbinden damit eine bestimmte Einstellung zum Segeln. MK: Siehst Du dich als Yachtie? Wulf: Yachtie ist ein bisschen elitär. Ich bin – ich weiß auch nicht, wie sagt man denn, was bin ich? Reisender mit einem schwimmenden Campingbus, irgendwie sowas (lacht). Ne, ich würd schon sagen, ich bin Segler. Rein, weil ich halt segel, und ich segele gern. Und wir segeln auch die meiste Zeit. Ich würd jetzt nicht sagen, ich bin Weltumsegler, sowieso nicht. Ich bin Segler. Ja, Segler. Ja, ja. Fahrtensegler vielleicht. Blauwassersegler vielleicht so. Das ist ja auch so ein bisschen der akademische Unterschied. Die Deutschen legen da sehr viel Wert. Ist jetzt einer Blauwassersegler – der Bobby Schenk und so, der hat da immer ganz klar Grenzen gezogen – ist einer nur ein Fahrtensegler. Das ist ein Witz. SY TROLL, 2001-08

Die Begriffe Fahrten- oder Blauwassersegler sind dabei ebenso wenig wie Langfahrt- oder Langzeitsegler eindeutig definiert, sondern sind vielmehr als begriffliche Mehrfachbelichtung zu verstehen. Daß Wulf, ein Schweizer, eine solche Grenzzieh-

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ung als völlig überzogen empfindet, ist darum so bemerkenswert, weil er dies ausdrücklich als eine spezifisch deutsche Haltung erachtet, die er wiederum nicht generell allen deutschen Mit-Seglern, sondern mit Bobby Schenk einem bestimmten Typ Weltumsegler zuschreibt. Die daraus abzuleitende Frage, in welchem Maße und unter welchen Umständen die Nationalität von Fahrtenseglern bzw. die ihnen zugeschriebenen typischen Eigenschaften tatsächlich eine Rolle spielen, stelle ich hier zurück. Daß unabhängig der nationalen Zugehörigkeit Yachtie nicht gleich Yachtie ist, gilt dabei nicht nur gegenüber Charterseglern, sondern auch innerhalb einer engeren cruising community. Das in diesem Kontext zentrale Distinktionsmerkmal läßt sich als die Freiheit »richtiger« Fahrtensegler charakterisieren. Auch diese findet ihren Niederschlag in der begrifflichen Selbstrepräsentation. Die Freiheit »richtiger« Fahrtensegler MK (FB): Was habt Ihr mit anderen Weltumseglern gemeinsam? Barbara & Franz (FB): Gemeinsam ist uns sicher das Bedürfnis nach Entscheidungsfreiheit. Also sein Leben frei im Einklang mit dem Partner zu bestimmen. Dafür sind wir auch verantwortlich für unsere Entscheidungen und auch Fehler. SY LIBITINA, 1991-94 & seit 1996

Mit einer Segelyacht über die Weltmeere zu fahren ist, abgesehen von der Wetterabhängigkeit und bürokratischen Einschränkungen, gewissermaßen der Inbegriff des selbstbestimmten und autarken Reisens, dessen reale wie imaginäre Freiheit sich in den Metaphern der Reisenden spiegelt. In seiner Chronik moderner Weltumsegelungen verwendet Holm etwa neben dem sachlichen small boat voyager auch den geradezu poetisch verdichteten Begriff des sea-wanderer, eines Wanderers zur See. Einen ähnlich romantisierenden Blick auf das Fahrtensegeln als ungebundenem Lebensstil mit offenem Ausgang läßt sich aus der Allegorie der »Seevögel« herauslesen, mit der ein Berliner Segler, der 1974 mit seiner Frau zur Weltumsegelung aufbrach, die damalige cruising community charakterisierte. Wenn heutige Segler sich dagegen als Touristen oder »See-Touristen« verstehen, läßt sich dies auch als eine Betonung des Reisecharakters ihrer Segelpraxis deuten. Die Weltumsegelung soll zu einem mehr oder weniger festgelegten Zeitpunkt wieder am Ausgangspunkt beendet werden, fällt die Rückkehr je nach Alter und Umständen durchaus mit dem Wiedereinstieg in das Berufsleben zusammen. Der Weltumsegelung als solchermaßen temporäre Auszeit und Reise von drei bis vier Jahren steht ein nicht (mehr) auf die vollständige Erdumrundung ausgerichtetes, umherschweifendes Fahrtensegeln gegenüber, das zum einzigen und dauerhaften Lebensstil, ja, zur »Lebensphilosophie« erklärt wird.

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Anfang der 1990er Jahre findet Franz in seiner zweiten Ehefrau Barbara die Partnerin, die mitzieht, und er kann seine schon lange gepflegte Idee einer Weltumsegelung in die Tat umsetzen. In Griechenland hatten sie dafür schon drei Jahre vor Aufbruch eine gebrauchte, zehn Jahre alte Fahrtenyacht (35 Fuß) gekauft. Sie starten 1991 im Mittelmeer und segeln auf der Barfußroute in fünf Jahren um die Welt. Doch schon in dieser Zeit kommen ihnen Zweifel, ob sie überhaupt wieder heimkehren möchten. Verpflichtungen gegenüber Familie und Beruf lassen eine andere Entscheidung aber nicht zu. Ab ihrer Rückkehr setzt jedoch, wie Franz, der sich auf meinen Aufruf im TO-Magazin hin bei mir gemeldet hatte, in einer seiner ersten E-Mails schreibt, die »Planung zur Rückkehr in die ›Szene‹« ein. In zwei Jahren regeln die beiden ihre Angelegenheiten, erwerben ein etwa neueres, vor allem etwas größeres Modell ihrer alten Fahrtenyacht (41 Fuß), und beginnen ihre zweite große Fahrt zunächst im Mittelmeer. Franz schreibt mir dazu: »Die Weltumsegelung haben wir hinter uns, jetzt bummeln wir auf den Weltmeeren ohne langfristiges Ziel«. Über den Moment ihres zweiten großen Aufbruchs: »Seither gehören wir zu den ›Richtigen‹. D.h. wir haben in Deutschland alles verkauft und leben nun wie die Seezigeuner auf dem Boot. (Seit August 1998). Und das endgültig.« Im Gegensatz zur Zielstrebigkeit der (ersten) Weltumsegelung hat sich das Segeltempo jetzt verlangsamt, werden wesentlich mehr Häfen und Länder angelaufen, vor allem auch abseits der Standardroute. Durch das Bild der »Seezigeuner« wird die Unabhängigkeit, die Freiheit eines Lebens unter Segeln beschworen, doch begegnete mir dieses Bild nur selten7. Ein Segler zieht zwar das »Zigeunerleben« heran, distanziert sich jedoch zugleich von eine stereotyp romantisierenden Überzeichnung, in dem er sie durch Anführungszeichen als solche kenntlich macht. MK (FB): Seht Ihr die Weltumsegelung als Reise oder als Lebensstil? (Oder als etwas ganz anderes?) Peter (FB): Spontane Idee: »Zigeunerleben in der freien, unberührten Natur« SY ALEPH, 1992-2001

Im Sinne eines generellen selbstbestimmten Ungebunden-Seins verwendete es dagegen Elise, die in den 1990ern in Neuseeland vom Schiff an Land zog, wobei sie sich damit nicht nur auf ihre Segeljahre bezieht, sondern gerade auch auf frühere von Reisen und Auslandsaufenthalten geprägte »Wanderjahre« und eine ihr Leben bestimmende Mobilität, die erst in jüngerer Zeit in einer dauerhaften Sesshaftigkeit mündete.

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Wohingegen es sich bei den automobil »umherziehenden« RVers Nordamerikas um ein allgegenwärtiges Stereotyp der Selbstbeschreibung handelt (vgl. Counts 1997: Ch. 4).

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MK: […] Was war es, was Dir dabei [d.h. beim Segeln, MK] gefallen hat? Elise: Ja, eigentlich der Lebensstil auf dem Wasser. Und auch eben dieses Zigeunerhafte. Ja, das liegt mir. Ich bin eigentlich noch nie seßhaft gewesen. Ich habe jetzt ein Haus und bin seßhaft. Aber die ganzen Jahre meines Lebens, ich bin immer Zigeuner gewesen. Ich hatte auch kein Besitz […]. Dieses Zigeunerhafte, was Du ja hast, wenn Du mit Deinem Schiffchen da von Insel zu Insel, immer mal was Neues sehen, und jetzt geht der Anker wieder hoch, jetzt gehen wir woanders hin. Dieses Nomadenhafte, ne, das hat mir eigentlich immer sehr gefallen. SY ORNELLA, 1985-87 (NZ)

Gerade diesen Gegensatz zwischen der Immobilisierung des Besitzenden und der in einem mehrfachen Sinne verstehbaren Beweglichkeit fasst der Philosoph Vilem Flusser so zusammen, daß «Seßhafte besitzen, und Nomaden erfahren« (Flusser 1995: 50). Rolf Scott versteht Langzeitsegler aufgrund ihrer Herkunft und »because the yachts are the cruisers home« grundsätzlich als Western Sea Nomads (Scott 2002:4), ohne allerdings darauf einzugehen, ob die Segler selbst dieses Selbstbild des Nomaden im gleichen Umfang teilen. Gerade deswegen ist mir seine Begründung zu allgemein, reicht allein der Bezug zur beweglichen Heimstatt nicht aus, beinhaltet der Begriff des »Nomadismus« im engeren, ethnologischen Sinne doch eine Zweckgebundenheit der überdies i.a.R. zyklischen Wanderbewegung. Zwar ließe sich die Verwendung des Begriffes im Zusammenhang mit Langzeitseglern auch so verstehen, daß das Bild des Nomaden längst von der mikro- auf eine metasoziologische Ebene gehoben, und in einem weiteren Sinne zur Metapher für den modernen, mobilen Menschen allgemein wurde (Köstlin 1991; Cresswell 2006). Damit kann es ohne weiteres auch auf Yachties übertragen werden, allerdings stellt sich dann immer noch die Frage, weshalb dem Nomaden der Vorzug vor dem Touristen gegeben wird, dessen Bild ebenso Mobilität verkörpert. Diese umso mehr, da doch Segler von der Yacht als »schwimmendem Campingbus« sprechen, und ihren Lebensstil selbst häufiger explizit mit vertrauten Formen touristischen Reisens vergleichen, als sich zu Nomaden zu stilisieren. Die Freiheit »richtiger« Fahrtensegler besteht vor allem darin, um die Welt zu »bummeln«: sich die Zeit frei einteilen zu können und keinen festgesetzten Reisepläne folgen zu müssen; nicht weiterziehen zu müssen, weil Verpflichtungen drängen, sondern vollkommen eigenverantwortlich entscheiden zu können, wann und wohin es weiterzuziehen lohnt. Als Ausdruck eines Wertegefüges, einer bestimmten Geisteshaltung wird gerade die unterschiedliche Einstellung zum Segeln als »Lebensphilosophie« – im Gegensatz zur Weltumsegelung als Reise – als zentrales Unterscheidungskriterium innerhalb der cruising community erkennbar.

114 | W ELTUMSEGLER Hubert: Da ist, glaub ich, auch ein großer Unterschied zwischen denen, die wirklich ihren Plan mit dreieinhalb Jahren haben und dieses ›dann und dann müssen wir da und da sein‹, zu den anderen, die eigentlich Rumtreiber sind, so wie wir. Und die, pff, ja, gehen wir dahin, oder gehen wir dorthin. Die anderen haben eben ihren Plan, […] und den halten sie auch ein. Sehen teilweise auch das Positive dieser Unabhängigkeit, aber sind doch durch ihren Plan gebunden. Und, ja, wir haben schon vor, dann nach Fiji zu segeln, aber ansonsten sind wir eigentlich planlos. Und genießen das auch. Und da ist ein großer Unterschied auch bei Seglern, ihr Verhalten. […]. Die Rumtreiber, die sind eine spezielle Truppe. SY COSIMA, seit 1994

Eine solch hohe Wertschätzung dieser Unabhängigkeit von Reiseplänen steht dabei selten am Anfang der Reise. Vielmehr liegt ihr ein allmählicher Entwicklungsprozess im räumlichen und zeitlichen Verlauf zugrunde, der von den Seglern selbst an bestimmten Etappen festgemacht werden kann (vgl. Scott 2002). Auch die »Rumtreiber« Jenny und Hubert starteten Mitte der 1990er mit dem Vorhaben einer klassischen dreieinhalbjährigen Weltumsegelung, und haben, wie Jenny lachend erzählt, nur »den Kopf geschüttelt«, als sie in der Karibik das erste Mal auf einen Segler trafen, »der seit 28 Jahren auf dem Meer ist und sein Ding macht«. Dann sind sie selbst, anders es ihr Plan vorsah, ein ganzes Jahr statt nur eine Saison in der Karibik geblieben. 1997 kamen sie das erste Mal nach Neuseeland, fühlten sich aufgrund der europäisch-vertraut erscheinenden Landschaft gleich »heimisch«, und haben dort nach fünf Jahren zur Absicherung ihres »Lotterlebens« dann doch die »residency« erworben, d.h. durch zeitweise Berufstätigkeit die geforderten Bedingungen für ein permanent residence permit erfüllt. Da es ihnen im Pazifik gefällt, pendeln sie nun von Saison zu Saison zwischen dem neuen Heimathafen Whangarei und bekannten und neuen Häfen und Buchten auf westpazifischen Inseln. Der unterschiedliche Umgang mit Zeit hat dabei für die sich temporär und lokal zusammenfindende Seglergemeinschaft ganz praktische Konsequenzen. Grundlegende Etappenziele einer »schnellen« und einer »langsamen« Weltumsegelung bleiben sich gleich, und müssen aufgrund der Wetter- und Windbedingungen auch zur etwa gleichen Zeit erreicht oder verlassen werden (z.B. das Ende der »Pazifiksaison« im November/Dezember). Aber nur wer im gleich »schnellen« respektive »langsamen« Tempo segelt, bewegt sich in einem (potentiell) konstanten sozialen Umfeld von Mit-Seglern. Wer mit dem Weiterziehen in der nächsten Saison aussetzt, wie es üblicherweise in der Karibik oder eben in Neuseeland geschieht, steigt aus diesen Rhythmus aus und trifft im Folgejahr auf den nächsten Seglerjahrgang, mit dem dann weitergezogen wird – oder auch nicht. Für die an dieser Stelle behandelten Distinktionsmechanismen innerhalb der allgemeinen Seglergemeinschaft ist es von Bedeutung, daß der Zeitrahmen, in dem eine Weltumsegelung stattfindet, und seine Begründung kategoriale Unterscheidungskriterien darstellen. »Nach Plan« in drei oder vier Jahren um die Welt zu segeln, obwohl eine Verlängerung

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prinzipiell möglich wäre, wird von open-end-Seglern als eine verschenkte Möglichkeit gesehen, das Unterwegssein, das ›Ideal‹ Segeln als Lebensstil auszukosten. MK: Wie ist das hier – wo ja viele Segler sind, die immer noch eine Saison bleiben. Wie ist es, wenn die Euch mit Plan treffen? Tanja: Ja, die meisten sagen, wir machen da einen Riesenfehler. Also wenn man schon mal unterwegs ist, dann sollte man doch alles mitnehmen, was mitzunehmen ist. Aber der Meinung sind wir einfach nicht. […] Unser Plan ist einmal um die Welt segeln, nicht die Welt sehen. Man sieht doch sowieso nur so ein kleines Stückchen von der Welt, wenn man mit dem Schiff unterwegs ist. […]. Wir sehen keine – ja, Befriedigung darin, zu sagen, wir sind jetzt in den Roaring Forties rumgefahren. Sondern wir wollen wirklich um die Welt segeln, es schön haben, was sehen, und das Leben genießen. Und …. . Das Segeln ist für uns eine Form des Reisens, und keine sportliche Herausforderung. SY JULE, 2004-08

Die Barfußroute, auf der Tanja mit ihrem Mann unterwegs ist, erfüllt ihren Anspruch, um die Welt zu segeln, und es dabei »schön« zu haben, sie hegen keine Ambitionen, abseits davon seglerische Herausforderungen zu suchen, und sich dadurch im Feld gewöhnlicher Weltumsegler abzuheben. Andererseits ist Tanjas Fazit der Weltumsegelung als Reise auch so zu verstehen, daß das Segeln als temporäre Auszeit, nicht aber als Lebensstil auf Dauer geschätzt wird. Von einem ähnlichen Zusammenstoß unterschiedlicher Einstellung berichten auch Betty und Franz, beide Mitte Sechzig und seit zweieinhalb Jahren unterwegs. Denn als sie in Neuseeland ein deutsches Seglerpaar in ihrem Alter treffen, das sich für dieselbe geographische Distanz das Dreifache der Zeit genommen hat, begegnet ihnen das gleiche Unverständnis. Laut Franz können jene Segler nicht verstehen, warum sie um die Welt »hetzen«, obwohl sie ohne Zeit- und Gelddruck länger bleiben und segeln könnten. Franz ist passionierter Bergsteiger und erst mit 40 zum Segeln gekommen, er sieht sich genauso wenig als »Segler« wie Betty, für die eine Erdumrundung per Segelyacht einfach eine Möglichkeit ist, die Welt zu sehen. Es ist eine Unternehmung neben anderen, es wird nicht zum eigentlich anstrebenswerten Dauerzustand: »Es gibt ein Leben nach dem Segeln«.8 Die Freiheit des zeitlich unbeschränkten Umherziehens, des ungebundenen Bummelns über die Meere, birgt in sich die Gefahr des »Strandens«: wenn die Wanderexistenz des Segelns zwar Lebensinhalt ist, aber keinen Sinn mehr macht, wenn es sich nicht mehr um eine bewusste Entscheidung für diesen Lebensstil han-

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2011 erfahre ich durch die Rundmail eines befreundeten Seglers, daß sie ihr Schiff nach der abgeschlossenen fünfjährigen Weltumsegelung wie angekündigt verkauft haben – und gerade von einer einjährigen Campervan-Reise durch die USA zurückgekehrt sind.

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delt, sondern dieser mangels Alternativen nicht (mehr) aufgegeben werden kann. Den Chancen der Selbstbestimmtheit stehen die Risiken der Eigenverantwortlichkeit gegenüber. Auch ein zuviel an Zeit und Freiheit kann zur Last werden, und gerade ein enger, fest abgesteckter Zeitrahmen eine Reise strukturieren, das Erlebnis intensivieren und Halt geben. Jan: Der Zeitdruck, den habe ich schon empfunden. Und haben wir [vier], glaub ich, auch alle empfunden. Aber der war nicht furchtbar schlimm. Sondern, man musste sich eben …. man unterschied sich immer von denen, die so um die Welt bummelten. Und das fanden wir aber eigentlich auch ganz angenehm. Wir wollten auch eigentlich anders sein. Und grade, wenn man dann diese Existenzen erlebt, die eigentlich wirklich nur gestrandet sind, und die daraus auch nichts wirklich machen, sondern mehr, weil sie Schiss vor zuhause und dem Leben dort haben, dann da irgendwo denken, die Sonne sei in der Tat irgendwie das Paradies. Wenn man die dann erstmal erlebt hat, und aus der Nähe erlebt hat. Und erstmal sind das ja irgendwie tolle, faszinierende Kumpel, und dann langsam merkt man, was für ein armes Leben das auch ist in Vielem. Dann waren wir eigentlich noch sicherer. SY NICOLAO COELHO, 1973-75

Im Falle des damals Anfang Zwanzigjährigen Jan und seinen drei gleichaltrigen Freunden führten Begegnungen und Austausch mit weniger »zielstrebigen« Seglern dazu, sich in dem eigenen, strikten Reiseplan bestärkt zu fühlen. Die Erfahrungen der Weltumsegelung sieht Jan dabei von immenser Bedeutung für sein Leben, die Reise aber eben nur als ein Teil des Lebens. Für andere Segler hingegen wird das Reisen und Segeln zum Leben. Häufig wird ein Nachdenken über den eigenen Umgang mit dem Zeitplan von Mit-Seglern angeregt, die sich selbst gegen unveränderliche Pläne und für ein langsameres Segeln entschieden haben (in der Tat häufig im Laufe der ersten beiden Jahre, die von MacBeth als der entscheidender Zeitraum betrachtet werden, s. o. S. 102). Dabei kann ein mobiles Verharren in einem Zwischenstadium von Weiterziehen und Hängenbleiben auftreten. Anstelle des Wunsches, zu sehen, was hinter dem Horizont liegt, tritt die Freiheit, nicht weitersegeln zu müssen, ohne sich dadurch bereits als »hängengeblieben« zu betrachten. Mit der Absicht einer zweijährigen Weltumsegelung, weil der Gedanke an eine größere Tour mit der Segelyacht reizt – »schließlich ist die Erde rund« – bricht Robert 2005 im Mittelmeer in Richtung Westen auf. Zur Frage nach seiner Route schreibt er mir: Robert (FB): Route stand von vornherein fest, jedoch sind Abweichungen von der Route durchaus möglich, man wird sehen. Pläne ändern sich! Dies ist auch mit ein Grund, warum ich mit dem Segelboot unterwegs bin, man ist frei und kann entscheiden, wo man wie lange bleiben will. SY OMAN, seit 2005

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Bereits nach wenigen Monaten, als nach der Atlantiküberquerung die Frage ansteht, entweder rasch weiter und durch den Panamakanal zu gehen, oder eine weitere Saison in der Karibik zu verbringen, entscheidet er sich, zu verlängern. Und hat die Karibik 2012 noch nicht verlassen. Der ursprüngliche Plan tritt bald in den Hintergrund. Dabei ist es keineswegs unbedingt eine aktive Suche nach Freiheit, die den eigentlichen Anstoß zum Fahrtensegeln gibt (vgl. Lusby/Anderson 2010), nicht immer ist es eine Suche nach Unabhängigkeit, ein willentlicher Aus- und Aufbruch in ein ungebundenes »Zigeunerleben« - vieles davon wird im Segeln gefunden. Robert (FB): Ziel ist nicht die Weltumrundung, sondern vielmehr das Unterwegs sein, das »frei und ungebunden« sein. Hört sich schnulzig an, ist aber schon so. Man ist hier an Bord zu Hause, hat quasi sein Schneckenhaus mit auf der Reise dabei ;-) Was gibt es Schöneres? SY OMAN, seit 2005

Das Boot als Gefährt, mit dem die Weltmeere besegelt werden und über das sich der Lebensstil Segeln definiert, ist der einzige konstante Bezugspunkt aller Fahrtensegler. Ihr vielschichtiges und je nach Bezugspunkt neu ausgehandeltes Selbstbild kann dagegen als eine direkte Reflektion der Mehrdimensionalität dieses Lebensstils betrachtet werden. Gerade die unterschiedlichen Metaphern, die zur Selbstbeschreibung herangezogen werden, verdeutlichen die Vielschichtigkeit der Praxis Fahrtensegeln, in der sich Segeln und Reisen zu einer spezifischen Erfahrungs- und Erlebenswelt verknüpfen. Vor der Folie des Lebens als Bord als grundsätzliche, ideologische Gemeinsamkeit von Langzeit- und Weltumseglern verbinden und ergänzen sich so konzeptionell unterschiedliche Selbstbilder vom Segler bis zum Touristen, vom Yachtie bis zum Seevogel, vom Weltenbummler bis zum nomadenhaft umherziehenden Rumtreiber. Die von den Akteuren in der ein oder anderen Form angesprochene Freiheit des Segelns, die Unabhängigkeit, die in der Materialität einer Segelyacht begründet ist, entspricht der Wahlfreiheit eines spätmodernen Mobilitätsversprechens – gefällt ein Ort, so bleibt man, missfällt ein Platz oder die dortige Gesellschaft, geht man eben woanders hin. Tatsächlich geht diese Freiheit, wenn es sich nicht um eine zeitlich beschränkte Weltreise, sondern eine potentiell unbegrenzte Bummelei handelt, mit der Herausforderung einher, sich dauerhaft in der Flüchtigkeit einzurichten. Die Chancen der Mobilität sind mit der Anstrengung verbunden, sich stets aufs Neue einzufinden, Orte und Menschen vertraut zu machen, oder aber auf eben jene Vertrautheit zu verzichten. Zu beobachten ist jedenfalls, daß gerade open end Langzeitsegler diese dem Lebensstil an sich immanente Unabhängigkeit und Freiheit betonen, ihre Segelpraxis aber durchaus verharrende Momente aufweist, das permanente Weiterziehen von längeren stationären Aufenthalten und dem Pendeln zwischen »vertrauten« Orten abgelöst wird. Diese Fahrtensegler entsprechen Simmels Figur des Fremden als jenem Wanderer, der heute kommt und morgen bleibt, aber der

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»Gelöstheit des Kommens und Gehens« verhaftet ist (Simmel 1908). Auch jene Langzeitsegler, die über mehrere Jahre an die gleichen Orte wiederkehren, die zwischen dem neuseeländischen Whangarei und Neukaledonien oder Fiji »pendeln«, bleiben dabei gegenüber der lokalen, seßhaften Bevölkerung Fremde im Sinne Simmels; sie kommen hier wie dort zwar mit vielen Menschen in Berührung, ohne aber durch lokale verwandtschaftliche oder berufliche Fixiertheit organisch mit ihnen verbunden zu sein. Sie verkörpern, nicht zuletzt durch die mobile Wohnstätte Fahrtenyacht, das Prinzip des potentiell Weiter-Wandernden, während jene Weltumsegler, die innerhalb einer bestimmten Frist an Jahren die Erde umrunden, mit Bestimmtheit in der nächsten oder spätestens übernächsten Saison weiterziehen. Wenn Erstere durchaus davon sprechen, »hängengeblieben« zu sein, ist weiterhin zu differenzieren, daß sie, auch wenn ihnen eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung die Möglichkeit eröffnet, dauerhaft zu bleiben, dieses Verharren als einen weiterhin flüchtigen, revidierbaren Zustand erachten. Ihnen gegenüber stehen jene «hängengebliebenen« Fahrtensegler, die sich nach einer kürzeren oder längeren Übergangsphase bewusst zur Seßhaftigkeit entschlossen haben, und deswegen, als Weltumsegler gestartet, zu »richtigen« Auswanderern wurden.

Abbildung 17: Phuket, 2003 – Besuch an Bord, oder »1 Fan« Auch dieses Bild stammt aus einer Auswahl zum Erlebnis »Weltumsegelung«. Neun Jahre, 43 Länder, 55.000 Seemeilen. Und wieviele neue Freunde?

I NTERMEZZO

»EINE FAHRT IM EIGENEN SCHIFF zu machen und segeln zu können, wie und wann es einem gefällt, sieht sehr verlockend aus, und ich selbst verschweige nicht, daß die drei Jahre, die ich auf der »Tilikum« verbrachte, trotz der kleinen Ausmaße des Bootes die genussreichsten meines Lebens waren. Aber um eine solche Fahrt erfolgreich durchzuführen, wird von dem Mann, der das Unternehmen leitet, eine unbedingt gründliche Kenntnis der praktischen Schiffahrt verlangt, und er muß imstande sein, ein kleines Schiff in allen Wettern zu handhaben. Es genügt keineswegs für ihn zu wissen, ob ein Boot richtig gebaut, aufgetakelt, belastet und mit guten Segeln und allem notwendigen Zubehör versehen ist, um schweren Stürmen zu widerstehen. Er muß auch ein guter Wetterkenner sein, da Barometer zuweilen sehr unzuverlässig sind. Ganz besonders wichtig ist dies alles, wenn das Boot sich nahe am Lande befindet und es in der Nähe keinen Hafen gibt, in dem man vor einem nahenden Sturm Schutz suchen kann. Die Sicherheit des Schiffes und des eigenen Lebens kann dann von einer schnellen Entscheidung abhängen, ob man von Land fortzusegeln hat, um genügend Seeraum zu gewinnen, bevor der Sturm einen zwingt beizudrehen. Weiterhin ist es wichtig, daß das Boot mit guten Wasserbehältern versehen ist, um eine genügende Menge reinen Trinkwassers mitnehmen zu können, und eine ganze Menge Proviant muß richtig gewählt und beschafft werden, da es keine Kaufläden auf See gibt. Abgesehen davon, daß man ein erfahrener Seemann sein muß, muß der Bootsbesitzer, der sich auf die hohe See hinauswagt, auch ein guter Koch sein; denn wegen der kleinen Ausmaße seines Bootes ist die körperliche Bewegung beschränkt, und um alle Nahrungsmittel in gutem Zustand zu halten, muß verständig gewählt und sauber gekocht werden. Ein Faktor von beträchtlicher Wichtigkeit ist auch, an den regelmäßigen Essenszeiten festzuhalten und bei allen Wetterlagen. Wenn man alle diese Punkte und viele, viele andere kennt und beachtet, ist eine Ozeanfahrt meiner Meinung nach der genussreichste und gesündeste Zeitvertreib, den ein Mann nur wählen kann. Aber eine Fahrt auf die hohe See hinaus bedeutet ein tollkühnes Unternehmen für einen, der nicht voll befähigt ist oder nichts versteht von den damit verbundenen Gefahren – eine unglückliche Spanne Zeit würde wahrscheinlich mit einem baldigen Unfall enden!« Aus: JOHN VOSS IM SEGELBOOT ÜBER DIE WELTMEERE (1929, S. 238 ff.)

Abbildung 18: Pazifik, 1974 – Mittagsbesteck

Kapitel 4 Vom Abenteuer zum Un-Ruhestand? Zu Kontinuität und Wandel

4.1 F AKTEN UND F AKTOREN

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W ANDELS

Die Kategorie der »alten« Zeit l Es werden immer mehr l Die Schiffe immer größer, l … die Segler immer älter, l …die Welt immer kleiner l Das Kontinuum des Wandels

Die Kategorie der »alten« Zeit Wie jede Reiseform und jeder Lebensstil sind Weltumsegelungen ein Spiegel ihrer Zeit, verändern sich die gesellschaftspolitischen und soziokulturellen Rahmenbedingungen, unter denen die unternommen werden. Im Rückblick zeigt sich, daß in den letzten Jahrzehnten immer häufiger, und entsprechend mehr Weltumsegler aufbrechen. Dies stellt ebenso ein phänomenologisches Fortschreiten des Fahrtensegelns dar wie Entwicklungen bei der Materialität, der Ausstattung und der Größe von Fahrtenyachten. Handelt es sich dabei aber um äußerliche Veränderungen, oder um einen grundlegenden, essenziellen Wandel? Mit Jochen, einem 69-jähriger Einhandsegler, treffe ich in Whangarei das erste Mal zusammen, als er bei Irmgard und Till, die auf ihrer Weltumsegelung 1974 eigentlich nur eine Saison in der Bay of Islands verbringen wollten, seine Post abholt. »Boston-Jochen«, als der er mir in den Erzählungen anderer Yachties immer wieder begegnet, verbringt hier jetzt auch schon zum sechsten Mal die pazifische ›cyclone-season‹. Immer wieder laufen wir uns über den Weg: bei den diensttäglichen Runden im REVA’S, auch beim Potlach-Dinner der Town Basin Marina, wo seine BOSTON (33 Fuß) liegt. Immer unterwegs hat er Besorgungen und Reparaturen zu erledigen oder hilft bei Überholungsarbeiten auf dem Schiff befreundeter Segler, so daß Wochen vergehen, bis ich mich mit diesem auf den ersten Blick typischen Fahrtensegler von heute zum Interview verabreden kann – und dann über

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seine allererste Rückfrage stolpere. Von welcher seiner Reisen er denn jetzt erzählen soll – ich hatte nicht gewusst, daß er in den 1970ern schon einmal zur Weltumsegelung aufgebrochen war! Durch einen Freund, der ein kleines Segelboot besitzt, kommt Jochen schon als Dreizehnjähriger zum Segeln. Ohne sich groß um Segelkurse und Vorschriften zu kümmern, fahren sie auf der Ostsee bis Schweden und Norwegen, später erst werden im Segelverein auch Prüfungen abgelegt. 1968 geht er als Lehrer für vier Jahre in die USA, stößt dort auf die Bücher von Eric Hiscock und fasst den Plan zur Weltumsegelung – »ich konnte ja segeln«. Zurück in Deutschland wird die in Auftrag gegebene Yacht überraschend um 20.000 DM teurer als geplant, Jochen und seine Ehefrau Sandra müssen deswegen zwei weitere Jahre arbeiten, werden darüber – »in einem ganz kritischen Alter« – zwei Jahre älter, sehen ihre Lebensplanung durcheinander gebracht. Als es 1974 schließlich losgeht, ist Jochen 36 Jahre alt. In der Karibik herrscht »wieder Geldmangel«, und Sandra weigert sich, mit einem »ganz knappen Etat« weiterzusegeln und, wie sie es bei anderen Seglern erleben, darauf angewiesen zu sein, unterwegs Arbeit zu finden. Entweder reicht das Geld, oder eben nicht. So bleibt es bei einer Runde um den Atlantik. Nach einem Jahr in der Karibik kehren sie über die Bahamas, Miami und den Intercoastal Waterway zurück, und treten 1976 wieder in den deutschen Schuldienst ein. Der Traum von der Weltumsegelung bleibt. Jochen meint nun, 55 sei ein gutes Alter, um wieder zu starten, aber der Gedanke, anschließend noch einmal ins Arbeitsleben zurückzukehren, gefällt ihm nicht. Schließlich gibt er etwas dran, läßt sich mit 58 beurlauben und kann jetzt zeitlich uneingeschränkt die Weltumsegelung antreten. Mit derselben Segelyacht, die sich über zwanzig Jahre früher schon auf dem Atlantik bewährt hat. In diesen Jahren hat sich seine Frau Sandra jedoch zur Sprachtherapeutin weitergebildet, eine eigene Praxis aufgebaut und möchte jetzt weder diese noch ihren Beruf aufgeben. In den ersten Monaten dieser zweiten Weltumsegelung, die 1997 beginnt, ist sie mit an Bord, vor allem im Englischen Kanal und der Biskaya schätzt Jochen ihre Begleitung sehr. In Spanien steigt sie aber wieder aus, ab da werden »ganz viele Flugkarten verdaddelt«. Denn Sandra kommt immer wieder zu Besuch an Bord: auf die Kanaren, in die Karibik, auch nach Tonga, Fiji und Neuseeland. Umgekehrt fliegt Jochen regelmäßig nach Deutschland. In Neuseeland nehmen dann Irmgard und Till, die sonst mit kaum einem der durchreisenden Fahrtensegler Kontakt haben, die Post für ihn an. Daß er sich so gut mit ihnen versteht, liege mit daran, daß die beiden ja »noch in der alten Zeit« gesegelt, nur ein Jahr vor ihm selbst gestartet waren. Eigentlich sind sie der gleiche Segler-Jahrgang. – Mit Mitte Dreißig in der »alten« Zeit gestartet, dreißig Jahre später ein zweites Mal, in einer »neuen« Zeit. Wo verortet sich Jochen selbst? Verkörpert er mit seiner Segel- und Reisebiographie nun Wandel oder Kontinuität im Fahrtensegeln?

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Hat sich das Fahrtensegeln gewandelt? Wenn Segler und Yachties diese Frage thematisieren, lautet die Antwort immer: Ja, es hat sich gewandelt – wobei implizit eine ganz bestimmte Entwicklung mitgedacht wird. Zwar spielen auch äußere Faktoren eine Rolle, festgemacht wird dieser Wandel jedoch an charakteristischen Einstellungen, seglerischen Haltungen oder Werten. Vergleiche stellen vor allem jene an, die sich seit Jahrzehnten in der Fahrtenseglerszene bewegen, die distanziert auf die gegenwärtige cruising community oder aus ihr heraus auf die Erfahrungen und Erlebnisse früherer Reisen zurückblicken. Dabei enthält die einerseits chronologische wie typologische Kategorisierung in ein früher und ein heute neben dem vergleichenden häufig auch ein ausgeprägt wertendes Moment. War aber eine Weltumsegelung vor zwanzig, dreißig oder vierzig Jahren wirklich anspruchsvoller, abenteuerlicher, eine größere Herausforderung, aufregender, schöner, gar »einmaliger« – oder eben einfach nur anders als heute? Für die letzten vierzig Jahre, über die ich hier spreche, stellt die mittlerweile vollständige Verdrängung der astronomischen durch die Satellitennavigation eine tatsächliche Zäsur für die Praxis des Fahrtensegelns dar. Eine Kategorisierung vor und nach GPS 1 zielt dabei auf einen zentralen, aber doch nur einen charakteristischen Aspekt ab, durch den sich Segler-Generationen2 voneinander abgrenzen. Dem seglerischen Selbstverständnis nach hat neben bzw. durch technische Entwicklungen vor allem ein Mentalitätswandel stattgefunden. In diesem umfassenderen Sinn wird im Feld selbst von der »alten« Zeit gesprochen, ist damit das Fahrtensegeln »früher« in seiner vielschichtigen Gesamtheit gemeint. In Analogie spreche ich für die späteren Jahre, und jüngere Segler-Generationen, von der »neuen« Zeit. Es werden immer mehr Hinsichtlich der Entwicklung und dem Wandel gewöhnlicher Weltumsegelungen steht an erster Stelle die Tatsache, daß die Zahl von Fahrtenseglern auf den Weltmeeren stetig zugenommen hat. Dieses Wachstum kann auf eine Reihe sich gegen-

1

GPS steht für global positioning system, das seit den 1970ern vom US-Militär entwickelte globale Navigationssatellitensystem zur Positionierung und Zeitmessung. Es ist seit den 1990ern voll funktionsfähig ist, und weist mit Abschaltung der berüchtigten, künstlichen Signalverschlechterung im Jahr 2000 eine Ungenauigkeit von nun unter 10 Metern auf. Das Akronym bezeichnet landläufig auch die eigentlichen Navigationsgeräte.

2

Segler-Generationen beruhen ebenso wenig wie Segler-Jahrgänge auf dem Geburtsjahr der Akteure. Segler-Jahrgänge bilden sich durch das gemeinsame Jahr des Aufbruchs, der Atlantiküberquerung oder Ankunft in Neuseeland, durch die »gemeinsame« Reise. Segler-Generationen definiere ich dagegen durch gemeinsame zeit- und segelgeschichtliche Umstände ihrer Reise, vor allem aber spiegelt sich darin das Zugehörigkeitsgefühl zu einer bestimmten, zeitlich früher oder später verorteten cruising community.

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seitig bedingender und voneinander abhängiger Umstände zurückgeführt werden, wobei aus seglerischer Perspektive dem GPS, das in den 1990ern verfügbar und immer erschwinglicher wird, die Rolle des entscheidenden Wendepunktes zugeschrieben wird. Ein Anstieg von Blauwasserseglern zeichnet sich jedoch schon in den Jahrzehnten davor ab, bereits die 1970er Jahre stellen eine erste Blütezeit des Fahrtensegelns dar. Die generelle Zunahme von Weltumseglern leiten Segler aus dem Umstand ab, an bestimmten Stationen auf immer mehr Yachties zu treffen. Georg und Klara besuchten die Marquesas, die als erstes Ziel im Pazifik nach dem Panamakanal bzw. den Galapagos-Inseln von praktisch allen westwärts ziehenden Fahrtenschiffen angelaufen werden, zweimal: 1974 auf ihrer Weltumsegelung, zehn Jahre später auf dem erneuten Weg nach Neuseeland. Georg: Das erste Mal, in der ganzen Saison, waren da 27 Boote durchgegangen. Und beim zweiten Mal, da war die Saison noch nicht zuende, waren es schon vierhundert oder so. SY ALFREDO, 1972-82

Doch auch in Neuseeland, das für Pazifiksegler nur eine von mehreren Optionen für die Dauer der cyclone season ist, kann ein ähnlicher Verlauf beobachtet werden. Als sich Annegret und Hans auf Anregung und Empfehlung des Ehepaars Hiscock, das sie unterwegs getroffen hatten, im November 1977 für die Bay of Islands entschieden, waren sie eine von sechzig overseas yachts, die zum Ende der pazifischen Segelsaison in Opua einklariert hatten (Russell Review 1977). Von Hiscock hörten sie damals, daß es zwanzig Jahre früher ja nur sechs oder sieben andere Yachten gewesen waren. Und wiederum vierzig Jahre später, als ich mich in der Saison 2006/07 dort aufhielt, wurde mir in der Opua Marina mitgeteilt, daß dort gut 400 Fahrtenschiffe angekommen seien, in den eigentlichen Ankunftswochen zwischen Oktober und Dezember zwischen zwanzig und fünfundzwanzig Yachten täglich. Opua ist Neuseelands wichtigster port of entry für Segelyachten, aber mit knapp 600 Einwohnern doch eher ein Dorf mit kaum öffentlicher Infrastruktur. Daß dort im Jahr 2000 eine Marina mit 300 Liegeplätzen und Moorings eröffnet wurde, muß zwar nicht allein dem gestiegenen Andrang internationaler Fahrtensegler geschuldet sein, diese stellen aber sehr wohl einen Wirtschaftsfaktor für die Region dar.3 Da die Marina sowohl von ausländischen Fahrtenyachten wie lokalen Bootsbesitzern oder neuseeländischen visiting yachts genutzt wird, muss ihre Eröffnung, sowie die mir gegenüber auch in anderen neuseeländischen Marinas angekündigten Aus- und

3

Daß sich die lokale Wirtschaft an ausländische Fahrtensegler richtet belegt eine InfoBroschüre aus Whangarei über Marine Services and Facilities, herausgegeben von lokalen Anbietern (Werften, Marinas, Werkstätten, usw.), in der auf im Internet verfügbare französische und deusche Sprachfassungen hingewiesen wird.

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Umbauten, um neue Liegeplätze für noch mehr Yachten schaffen, auch im Kontext eines allgemeinen Wohlstandzuwachses gesehen werden, in dem sich mehr Menschen den Besitz und Unterhalt einer Yacht leisten können. Im Falle Opuas sind die Yachties dort im Übrigen auch darauf angewiesen, über ein Auto zu verfügen, da die umliegenden Ortschaften – Paihia, Kerikeri, Whangarei – mit ihren Werkstätten, Supermärkten, Banken etc. nur so zu erreichen sind. Darüber hinaus verweist diese Entwicklung auf den Umstand, daß sich die Erwartungen und Bedürfnisse von Yachtbesitzern offensichtlich geändert haben. Während die bei Russell gelegene Matauwhi Bay, Sitz des Russell Boating Club, seit den 1970ern als geschützter Naturhafen und freier Ankerplatz Sammelpunkt Dutzender neuseeländischer und internationaler Fahrtenyachten war, hat sie in den letzten Jahren auffallend an Bedeutung verloren. Offensichtlich bevorzugen viele Weltumsegler heute die Annehmlichkeiten einer Marina, auch wenn für die Bereitstellung von Duschen und Waschmaschinen, für Landstrom, W-Lan und Wasser hohe Gebühren entrichtet werden müssen. Für eine 12-Meter-Yacht werden bsp. in der Opua Marina für einen Liegeplatz am Steg ca. € 15 Euro/ Nacht, oder ca. € 170/ Monat berechnet, etwas günstiger kommt es, wenn das Schiff an Holzdalben oder einer swing mooring festgemacht wird, wobei dann für jeden Landgang das Dinghi zum Einsatz kommen muß. Wer auf seiner Yacht wohnt, muß zusätzlich das live aboard fee von NZ$ 2,- / Tag bezahlen. Ihre Schiffe immer größer, … Nicht nur, daß heutzutage mehr Fahrtensegler unterwegs sind, auch die Fahrtenyachten selbst haben sich verändert. Der Bau von Segelschiffen unterliegt technischen Entwicklungen und Moden, verändern sich über die Jahrzehnte Design und Ausstattung. Heute werden nur noch selten Schiffe komplett in (jahrelanger) Eigenarbeit angefertigt. Längst bietet der Markt ein enorm gewachsenes Angebot sowohl an preisgünstigen, neuen Serienschiffen wie bewährten Gebrauchtbooten. Schiffe aus dem unter Selbstbauern eine Zeitlang bevorzugten Ferrozement oder dem extrem wartungsintensiven Material Holz sind heute nurmehr selten anzutreffen. Französische Fahrtensegler sollen noch eine gewisse Vorliebe für Aluminiumschiffe haben, im Übrigen sind die Yachten, auch deutscher oder Schweizer Segler, heute in erster Linie aus dem Baustoff GFK (glasfaserverstärkter Kunststoff) oder Stahl. Generell erkennbar ist die eindeutige Tendenz, mit größeren Schiffen zu segeln, hat die Schiffslänge durchschnittlicher Fahrten- bzw. Hochseeyachten um bis zu zwei Meter zugenommen. Die noch in den 1970ern gerade auf Hiscocks Erfahrungen mit seiner WANDERER III für eine Blauwasseryacht als ideal angesehen 30 Fuß (etwa 9 Meter) sieht man auf den Weltmeeren kaum noch. Die Marina von Opua etwa gibt überhaupt an, daß sie berths für Schiffe ab 10,5 Meter (35 Fuß) bereithält, und berücksichtigt damit quasi das Mindestmaß einer heutigen Fahrtenyacht. Zur Zeit meines Feldaufenthaltes hatte das kleinste deutsche Segelschiff, das

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in der Town Basin Marina in Whangarei lag, eine Länge von 31 Fuß – und stellte damit eine auffällige Ausnahme dar. Umgekehrt fiel eine 42-Fuß-Yacht (12,8 Meter) vor dreißig, vierzig Jahren mit Sicherheit als ein überdurchschnittlich großes Boot auf. Heute liegen Schiffe dieser Größe im gängigen Mittelfeld. Mit ein Grund dieser Entwicklung ist, daß die Handhabung auch größerer Schiffe bei kleiner Besatzung durch technische Fortschritte erleichtert wurde. Moderne Segler können auf eine Vielzahl mechanischer und zunehmend auch elektronischer Hilfsmittel, auf Geräte und Ausrüstungsgegenstände zurückgreifen, die sowohl das Segeln selbst als auch das alltägliche Bordleben und Haushaltsaufgaben maßgeblich vereinfachen bzw. diese komfortabler gestalten lassen. Eine (fernbedienbare) elektrische Ankerwinsch oder Rollreffanlangen für Vor- und Großsegel gehören mittlerweile zum gebotenen und erwarteten Standard. Auf entsprechend ausgestatteten Segelyachten können Segel- oder Ankermanöver, z.B. Reffen bei Schlechtwetter oder ein Vorsegelwechsel, mit wenig Mühe von einem einzigen Besatzungsmitglied gefahren werden können, ohne daß dieses dazu Cockpit oder Steuerstand verlassen muss. Zwar verlangt die Praxis des Fahrtensegelns, der Alltag an Bord einer Segelyacht (insbesondere auf See) noch immer körperlichem Einsatz, aber viele Aufgaben sind heute mit wesentlich geringeren physischen Anstrengungen als vor vierzig Jahren verbunden. Gerade an der konkreten Dingwelt von Fahrtenyachten lassen sich wesentliche Veränderungen ablesen, auf die ich später in ihrem jeweils zeitgenössischen Kontext genauer eingehen möchte. Zwei entscheidende Wendepunkte in der Entwicklung möchte ich jedoch hier herausgreifen: Selbststeueranlagen und Navigation.

Abbildung 19: Moorea 1974 – Weltumseglers Traum(motiv)

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Schon Slocum beschreibt sein Bestreben, es seiner SPRAY bei passendem Wind mittels Segelstellung und ausgeklügelter Fixierung der Pinne selbst zu überlassen, Kurs zu halten. Gerade auf wochenlangen Ozeanüberquerungen ist es wünschenswert, und für Einhand-Segler eine Notwendigkeit, sich von der anstrengenden Aufgabe des beständigen Rudergehens und manuellen Steuerns zu befreien. Doch erst nach dem Zweiten Weltkrieg werden die ersten mechanischen Selbststeueranlagen entwickelt, mit denen sich Segelyachten verlässlich automatisch steuern lassen. 4 Neben mittlerweile bewährten Windfahnen-Selbststeueranlangen werden auf Fahrtenyachten, vor allem dank der verbesserten Stromversorgung, heute zusätzlich elektronisch betriebene Autopiloten eingesetzt, die einen Kompasskurs halten. Um aber seinen Kurs bestimmen zu können, muss ein Fahrtensegler freilich seine Position kennen. Hier hat die satellitengestützte Navigation/GPS die bis in die späten 1980er Jahre hinein auch auf Fahrtenyachten notwendigerweise angewandte astronomische Navigation vollständig abgelöst. Heute genügt ein Blick auf das Display eines GPS-Gerätes, um die exakte Längen- und Breitenangabe der aktuellen Schiffposition abzulesen, auf Knopfdruck Geschwindigkeit, zurückgelegte Seemeilen und die voraussichtliche Ankunftszeit am Zielort zu erfahren. Vormals mußte zur Positionsbestimmung zunächst manuell eine exakte Messung eines Himmelskörpers vorgenommen werden – in aller Regel das sogenannte Mittagsbesteck 5 –, um dann die ermittelten Werte zeitaufwendig in nur relativ genaue Standlinien, die geografischen Breite und Länge des Schiffsortes umzurechnen. Bedeckter Himmel oder Schlechtwetter konnten teilweise tagelang verhindern, die Sonne »zu schießen« (vgl. Abb. 18), wohingegen GPS-Daten heute – außer bei einem Geräteausfall – jederzeit verfügbar sind. Ohne GPS mussten umfangreiche Kenntnisse und spezifisches Fachwissen erworben und der Umgang mit dem Sextanten täglich aufs Neue geübt und verbessert werden, um sicher zu navigieren. Mit GPS benötigt man – überspitzt gesagt – nicht mehr als gewöhnliches Grundwissen im Umgang mit elektronischen Geräten. Anstelle von Seekarten, auf denen die arbeitsintensiv ermittelte Position eingetragen und daraus die zurückgelegte Strecke

4

Mechanische Selbststeueranlagen steuern ein Schiff automatisch, indem der Winkel zwischen dem Kurs des Schiffes und der Windrichtung konstant gehalten werden. Ihre charakteristischen Windfahnen am Heck, etwa einer John Adams-Anlage, oder eine Aries mit ihrem Pendelrudersystem, fungieren als eindeutige Erkennungsmerkmale von Langfahrt- und Blauwasseryachten (vgl. Abb. 19).

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Das Mittagsbesteck ist die mittägliche Berechnung des Schiffsortes, d.h. die Feststellung der geografischen Breite, die sich vor allem auf das Peilen der Sonne stützt, bei dem die Sonnenhöhe mittels Quadrant oder Sextant gemessen wird. Durch die Abweichung der Schiffszeit von der Standardzeit (London Greenwich Time), die ein weiterer Chronometer an Bord anzeigt, ergibt sich die geographische Länge (vgl. Jungs 2004).

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und der zu fahrende Kurs ermittelt wurde, ist es heute möglich, Autopilot, GPSGerät und Laptop zu verbinden, die Daten direkt in ein Programm mit elektronischen Seekarten einzuspeisen, seinen Kurs mittels Wegpunkten »abzustecken« und diesen direkt an den Autopiloten weiterzuleiten. – Selbstverständlich sind es trotz allem auch auf Fahrtenyachten nicht Computer oder Autopilot, die »vollautomatisch« steuern, sondern Menschen, die sich dazu allerdings in zunehmendem Maße technischer Hilfsmittel bedienen. Eine Segelyacht ist immer noch eine Segelyacht, hängt ihr Fortkommen, die Schiffsführung und die Sicherheit von Schiff und Besatzung von des Seglers Wissen um Wetter, Wind und Wellen ab, muß er sich auf die Ansteuerung von unbekanntem Land, auf die Ankunft in Häfen und Buchten verstehen. Nicht nur die Geschichten von Fahrtenyachten, die bei besten Wetterbedingungen nachts auf Riffe auflaufen, weil sie »blind« einer elektronischen Navigation vertrauten, belegen dies. … die Segler immer älter, … Das auffällig höhere Durchschnittsalter der Yachties läßt sich freilich allein mit der erleichterten Bedienung, der komfortableren Ausstattung und einer durch GPS enorm vereinfachten Navigation nicht begründen, jedoch tragen diese technologischen Fortschritte zur Erklärung bei. Die Altersverhältnisse scheinen sich in den letzten vierzig Jahren umgekehrt zu haben, gehört die Mehrheit gegenwärtiger (deutschsprachiger) Fahrtensegler der Generation 50plus an, setzen viele ihren Traum der Weltumsegelung erst nach Beendigung des Berufslebens um. Gerade diese Entwicklung ist allerdings vor dem Hintergrund sich verändernder Bedingungen und Umstände des Alterns einerseits, und der Pluralisierung von Lebensstilen anderseits zu betrachten. Der demographische Wandel, die Überalterung westlicher Gesellschaften, ist dabei nicht mehr nur Gegenstand soziologischer und sozio-geographischer, sondern auch kulturanthropologischer Forschungen. Der tatsächliche wie der gefühlte »Alters-Limes« in unserer Gesellschaft hat sich nach hinten verschoben. Die Lebensentwürfe der Generation 50plus spiegeln wider, daß die heute 50- bis 70-Jährigen aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung und eines individualisierten, aktiven Umgangs mit dem Altern »jünger« als Gleichaltrige früherer Generationen sind (Otten 2008; Otten/Melsheimer 2009). Gerade Weltumsegler fügen sich in eine Generation 50plus, die der Sozialwissenschaftler Otten als »in der Regel beispiellos ich-stark, selbstbewusst und mit sich selbst ufrieden« beschreibt (Otten/Melsheimer 2009: 32). Zugleich handelt es sich bei den 50- bis 70-Jährigen in Deutschland um die relativ wohlhabendste Altersgruppe 6,

6

Dabei besitzt nur gut die Hälfte dieser Altersgruppe entsprechend Wohneigentum oder Vermögensgrundlagen, bei den 46 Prozent der Nicht-Vermögenden ist über die Hälfte von Altersarmut betroffen (vgl. Otten 2009).

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und auch dieser Aspekt spielt für den Wandel im Fahrtensegeln eine Rolle. Die »neue« Zeit der Weltumsegelungen ist von dem offensichtlichen Wohlstand vieler Yachties gekennzeichnet, der sich in ihren Schiffen, aber vor allem in ihrem Alltag spiegelt: in kostspieligen Marina-Aufenthalten, Restaurantbesuchen, Mietautos und ausgedehnten Reiseaktivitäten an Land, oder jährlichen »Heimaturlauben« bei Verwandten und Freunden. Parallel dazu ist allerdings auch zu beobachten, daß gerade ältere Segler eine Kombination aus finanzieller Absicherung und frühestmöglichem Aufbruch ohne anschließende Rückkehr in den Beruf suchen, um nicht zu alt für eine Weltumsegelung zu werden. Teilweise werden zugunsten der Freiheit des zeitlich unbeschränkten Segelns auch finanzielle Einbußen oder Einschränkungen durch einen vorgezogenen Renteneintritt in Kauf genommen, umgekehrt allerdings, je nach Beruf bzw. erfolgreicher Selbständigkeit o.ä., traf ich unter Seglern auch viele Fälle einer regulären, voll abgesicherten Frühpensionierung mit Anfang Fünfzig an. Unabhängig des jeweiligen Lebensalters, ob mit Anfang Fünfzig oder Mitte Sechzig, stellt der Eintritt in den Ruhestand eine Zäsur dar, die neben anderen ritualisierten Formen des Übergangs gerade auch durch das Antreten einer ausgedehnten Reise gekennzeichnet sein kann (Savishinsky 1995; White 2002). Die mit Beginn des Ruhestandes begonnene und planvoll durchgeführte drei- oder vierjährige Weltumsegelung kann in dieser Funktion verstanden werden.

Abbildung 20: Kiel, 2005 – Ankunft im Heimathafen In sechs Jahren umrundete dieses Paar die Welt. Ihre Stahlyacht, um 1950 gebaut, und vor über 35 Jahren von ihnen erstanden, ist nur wenig jünger als sie selbst.

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Bei einer Weltumsegelung open end kann im Falle älterer Segler das Reisen im Ruhestand zum eigentlichen Lebensstil werden, vergleichbar der Wanderexistenz so genannter Grey Nomads in Australien oder den RVing seniors Nordamerikas. Rentner sind heute bereits mehrheitlich reiseerfahren, sie verfügen sowohl über die Gesundheit als auch die finanziellen Mittel, um ihren Ruhestand intensiv zum (Anders)Reisen zu nutzen. Die Möglichkeit des uneingeschränkten Reisens kann, egal wann oder wie lang, das eigentliche Wesen des Ruhestandes ausmachen: »the essence of retirement« (Weiss 2005 zitiert in Nimrod 2008: 862). Gilat Nimrod (2008) kommt in ihrer Studie über post-retirement tourism zu dem Schluß, darin vor allem eine Adaptionsstrategie an diese »dritte«, und unter heutigen Umständen wesentlich verlängerte Lebensphase zu sehen. Gleichwohl stellt auch sie fest, daß der Ruhestand nicht nur als Chance begriffen wird, sondern auch als Herausforderung, im Sinne einer Auseinandersetzung mit Einschränkungen gesundheitlicher oder finanzieller Art. In den in diesem Sinne eher als Un-Ruhestand zu begreifenden Jahren nach Ausscheiden aus dem Erwerbsleben kann Reisen zu einer sinnstiftenden, zweckgerichteten und im wörtlichen Sinne umfassend ausfüllenden Tätigkeit werden. Hinsichtlich des persönlichen Gewinnes infolge eines intensiven persönlichen Engagements und der Involviertheit in einer »Freizeitbeschäftigung« zieht auch Nimrod Stebbins Konzept des serious leisure heran: »Serious leisure is particularly beneficial for retirees, as it may substitute work by offering structure, affiliation, responsibility, challenge and sense of essentiality« (Nimrod 2008: 873). Nimrods Überlegungen über das Reisen im Ruhestand, und damit letztlich auch zu einer im und mit dem Alter aktiv agierenden Generation 50plus, finden ihre Entsprechungen in dem von Counts/Counts (1997) beschriebenen eigenverantwortlichen und selbstbestimmten mobilen Lebensstil des RVing (vgl. da v.a. Chapter 2). Häufig beinhaltet dieser spezifische Lebensstil dabei ein regelmäßiges Pendeln zwischen bekannten Orten, womit es in seiner Mobilität dem verstetigten Reisen zwischen und in vertrauten Räumen entspricht, als welches auch die von Nokielski (2005) oder King (King/Warnes/Williams 2000) beschriebene transnationale Ruhestandsmigration verstanden werden muß. In ihrer Ausprägung als amenity migration setzt diese Suche nach einer höheren Lebensqualität wiederum den Überschuss an Wohlstand und Möglichkeiten, sowie die Gesundheit der nach Selbstverwirklichung strebenden, gegenwärtigen Generation 50plus voraus. Als Phänomen an sich muß auch die Ruhestandsmigration als individualisierter Umgang mit zentralen Lebensdimensionen verstanden werden, der mit Rosa ein Charakteristikum der »Beschleunigung« der späten Moderne darstellt. Die Zunahme an Wahlmöglichkeiten, wie auch die freiere Kombinierbarkeit und leichtere Revidierbarkeit biographischer Gestaltungsoptionen führt dazu, daß Identität zunehmend nicht mehr zeitlich, sondern situativ bestimmt werden kann: »Altersphasen« verlieren ihre enge Korrelation mit spezifischen Aktivitäten und Orientierungen (vgl. Rosa 2005: 352 - 390).

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… die Welt immer kleiner Als eine zivilgesellschaftliche Dimension von Globalisierung, die über nationale Grenzen und mehr und mehr auch wachsende geographische Distanzen hinweg stattfindet, spiegelt gerade die spätmoderne transnationale Wohlstands- und Ruhestandsmigration diese Ausweitung biographischer Gestaltungsoptionen in einer als »schrumpfend« empfundenen und erlebten Welt. Multilokalität respektive »Ortspolygamie« (Beck 1998) stehen mit der Optimierung von Lebensentwürfen, mit der zunehmenden Individualisierung und Pluralisierung von Lebensstilen im Zusammenhang. Die selbstgewählte Mehrörtigkeit führt zu einer Ablösung vom Raum, zu einer gesteigerten Alltagsmobilität bzw. der Veralltäglichung von transnationalen Reise- und Pendelbewegungen, wodurch Entfernungen verändert wahrgenommen werden. Kategorien von Nähe und Ferne verschieben sich. Hierzu trägt auch die von Beschleunigung und geographischer Ausdehnung geprägte Entwicklung des modernen Tourismus bzw. einer touristischen (Hyper-)Mobilität bei, sind Flugreisen und selbst Pauschalurlaube in entlegenen und exotischen Destinationen im 20. Jahrhundert längst Normalität (u.a. Bausinger 1999, Löfgren 2002). Sabine: Gut, was wir ausgelassen haben … typischerweise fragt uns jeder, und, was war mit der Karibik? Jörg: Ja, die Karibik haben wir geschnitten. Weil, die finden wir blöd, und kennen wir schon, und ist uns auch nicht so wichtig. Da kannst du auch immer mal eben hin. SY DOLCEVITA, seit 2004

Die in den letzten Jahrzehnten zugenommene touristisch wie beruflich motivierte Mobilitäts- und Reiseerfahrenheit wirkt sich auf die Gestaltung und das Erlebnis eines später selbstgewählten mobilen Lebensstils aus (vgl. u.a. Nokielski 2005). Zur empfunden Verringerung räumlich-zeitlicher Distanzen trägt überdies die im gleichen Zeitraum stattgefundene rasante Entwicklung bzw. »Beschleunigung« der Informations- und vor allem Kommunikationstechnologien bei. Daß diese Errungenschaften der Zeit entsprechen, dabei durchaus ambivalent betrachtet werden, gerade weil die Erfahrung der Entfernung nicht mehr im gleichen Maße spürbar ist, zeigt das Zitat eines pensionierten Flugkapitäns, der im Alter aufs Segelschiff umstieg. Hans-Dieter (FB): Ein anderer Aspekt der elektronischen Medien: Man ist nicht weit weg. Wenn ich an 1972 denke und an ein Telefonat von Bangkok oder Karachi nach Hause, das war weit weg. Mit Rauschen und Knacken und Weitegefühl. Heute mit dem mobilen Telefon, digital und perfekt, wie um die Ecke. Auch Skype ist schon so gut geworden, daß man manchmal kaum merkt, daß es kein »richtiges Telefonat« ist. Obwohl ich am anderen Ende der Welt bin, habe ich leider nicht mehr das Gefühl, richtig weit gereist zu sein. SY SINA, seit 2003

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Das Kontinuum des Wandels Inwieweit kann im Hinblick auf das Phänomen Weltumsegelung, auf die Praxis des Fahrtensegelns, von einem linearen Fortschritt oder einer irreversiblen Entwicklung gesprochen werden? Zumindest lassen sich die grundlegende, miteinander in Beziehung stehende Dimensionen des Wandels bestimmen, die jede für sich als das Kontinuum einer bestimmten Entwicklung verstanden werden kann, jedoch nicht unbedingt im gleichen Maße geradlinig verläuft. Ein deutlicher Trend, der sich im Laufe des 20. Jahrhunderts immer weiter herausgebildet hat und im 21. Jahrhundert fortzusetzen scheint, ist die prinzipielle Zunahme von Weltumsegelungen (vgl. Kap. 2.1). Ebenso eindeutig ist neben den Entwicklungen im Bootsbau, der eingesetzten Materialien und verfügbaren Ausrüstung die damit verbundene fortschreitende Technisierung des Segelns, etwa der zunehmende Einsatz elektronischer Hilfsmittel an Bord. Insbesondere die modernen Kommunikationstechnologien tragen dabei ihren Beitrag zur empfundenen »Schrumpfung« der Welt bei. Daß dagegen auf den heute größeren und technisch besser ausgestatteten Schiffen überwiegende ältere Segler und Seglerinnen anzutreffen sind, stellt weniger eine grundsätzliche, sondern eine graduelle Veränderung dar. Auch wenn das höhere Durchschnittsalter vermuten läßt, daß das Fahrtensegeln als Lebensstil mit seinen Akteuren gealtert sei, wird diese Einschätzung doch dadurch widerlegt, das schon Slocum vor über einhundert Jahren die erste »gewöhnliche« Erdumrundung als Kapitän im Ruhestand unternahm. Der Wandel, der sich, wie hier überblicksweise gezeigt werden sollte, in unterschiedlichen Bereichen vollzogen hat, entzieht sich einer eindeutig datierbaren Periodisierung. Die Verbreitung der Satellitennavigation stellt zwar eine tatsächliche Zäsur dar, mit dem eine »neue« Zeit beginnt, aber sie verlief in einem mehrährigen Prozess. Und – Weltumsegelungen sind in ihrer Dauer nicht festgelegt. Wer sich beeilt, kann mit Landaufenthalten in zwei Jahren um die Welt segeln. Viele nehmen sich mehr Zeit, sind drei, vier oder fünf Jahr unterwegs. Manche Erdumrundungen dauern auch zehn Jahre oder länger. Und wiederum manche Weltumsegler sind nach fünfzehn Jahren noch immer im Pazifik, und haben damit erst die Hälfte der Runde hinter sich gebracht. Unterschiedliche Seglerjahrgänge, schließlich auch Segler-Generationen, treffen aufeinander. Im Folgenden möchte ich nun die »alte« und die »neue« Zeit in ihrer jeweiligen Vielschichtigkeit skizzieren, um dem von den Seglern selbst als grundlegend empfundenen Wandel, den das Fahrtensegeln erfahren hat, an seiner Oberfläche und in tiefer liegenden Dimensionen nachzuspüren. Mehr oder weniger greifbare Kategorien, die der Abgrenzung dienen, sind das Alter, die Motivation oder die Risikobereitschaft des einzelnen Weltumseglers, die zeitgenössische Ausrüstung der Fahrtenyachten oder die Wahrnehmung der jeweiligen cruising community, das erlebte Miteinander der Yachties.

F AKTEN

UND

F AKTOREN

DES

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Wie aus meinen Kapitelüberschriften ersichtlich wird, geht es mir nicht um eine Abfolge von Gegenüberstellungen einzelner Aspekte des Gestern und Heute, sondern darum, ein möglichst dichtes, mehrdimensionales Bild der »alten« und der »neuen« Zeit zu zeichnen. Die »alte« Zeit gibt dabei mit der Reihenfolge, in der charakteristische Aspekte vorgestellt werden, auch das Ordnungsprinzip der Diskussion der »neuen« Zeit vor. Da die Gegenwart, auch des Fahrtensegelns, auf der Vergangenheit aufbaut, fließt zum besseren Verständnis der gegenwärtigen Situation an manchen Stellen der Vergleich mit früheren Gegebenheiten unweigerlich mit ein, heben sich besondere Umstände der »alten« Zeit erst vor dem Hintergrund späterer Entwicklungen ab. Die Heterogenität des Feldes, die Vielfältigkeit von Weltumsegelungen zu allen Zeiten lassen eine strikte Trennung in damals so und heute so nicht zu. In diesem Sinne kommt gerade darin, bei aller Veränderung, zugleich am stärksten Kontinuität zum Ausdruck.

4.2 D IE » ALTE « Z EIT Heute alt, gestern jung? l »Aussteiger auf Zeit« l …mit Fernweh & Reiselust l Wagnis Weltumsegelung: vom Abwägen und Umgehen mit Risiken l Die Rolle von Komfort, eigenem Können und der Kommunikation l »Jeder kannte jeden«

Heute alt, gestern jung? Inwiefern gilt der simple Umkehrschluß, daß, wenn heute immer mehr und immer ältere Weltumsegler unterwegs sind, es in der der »alten« Zeit nur wenige und dafür junge Langfahrtsegler gewesen sein müssen? Kann allein das Alter der Segler den Hauptunterschied zwischen früher und heute ausmachen, oder handelt es sich vielmehr um eine zulässige, weil griffige Verkürzung, die auf alterspezifische Motive und Einstellungen der Akteure verweist, und in diesem Sinne auch von ihnen selbst herangezogen wird. Setzt man bei den bekanntesten Segler-Ehepaaren der Nachkriegszeit an, handelt es sich bei diesen noch seltenen, aber schon »gewöhnlichen« Weltumsegelungen um das Phänomen einer Generation 30+. Als Susan und Eric Hiscock 1952 ihre erste Weltumsegelung antreten, ist sie 39 und er 44. Elga und Ernst-Jürgen Koch starten 1964, beide erwerbstätig, nach acht Jahren der Vorbereitung mit 32 und 41 Jahren im etwa gleichen Alter. Alle von ihnen direkt inspirierten bzw. sich an diesen »Idolen« orientierenden Segler zwischen 1970 und 1990, mit denen ich sprechen konnte, waren bei Aufbruch Ende Zwanzig oder Mitte Dreißig, kein einziger älter als 45. Der überhaupt jüngste Weltumsegler meines Samples war gerade 21, seine mitsegelnden Freunde ein bis fünf Jahre älter. Innerhalb des von ihnen in den Jahren 1973-75 erlebten Weltumseglerfeldes galten sie wiederum als

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»schon auffällig jung, die meisten waren ältere Aussteiger«. Aus der Perspektive des Zwanzigjährigen sind dies aber beispielsweise eben auch jene nur gut zehn Jahre älteren, verheirateten Paare, die in Deutschland Berufe und Anstellungen aufgeben, um die Welt zu umsegeln. 7 Das älteste Ehepaar meines Samples dieser Jahre trat seine Reise mit 43 respektive 44 Jahren an. Sie brachen mit ihren drei halbwüchsigen bzw. erwachsen Kindern an Bord auf, nachdem sie sich aus dem eigenen Geschäft zurückgezogen und finanziell abgesichert selbst »pensioniert« hatten. Gerade dieses Beispiel zeigt, daß eine gemeinsame Altersstufe nicht unbedingt mit einer gemeinsamen Lebensphase gleichgesetzt werden kann, sahen sich die einen mit Mitte Dreißig am Beginn der Berufslaufbahn, andere waren bereits im Stande, sich zur Ruhe zu setzen. Insofern nehmen diese Weltumsegler die Wahlfreiheit der »zeitlich gelösten« Identität der späten Moderne vorweg. Als Familie und mit Kindern zu segeln war damals wohl gewöhnlicher als heute, oder zumindest herrscht nun der Eindruck vor, daß wesentlich häufiger Familien anzutreffen waren. Ebenso, daß generell »alle« in der cruising community »eher jung« waren. Aus der Gegenwart heraus ist kaum zu beantworten, in welchem Umfang diese Erinnerungen und retrospektiven Beobachtungen tatsächlich zutreffen, es sich gerade auch nationenübergreifend um eine junge Seglergemeinschaft Gleichgesinnter und Gleichaltriger handelte. Ebenso wenig kann beantwortet werden, ob bzw. inwiefern diese Seglergemeinschaft ihren Ursprung in einem geteilten Lebensgefühl hatte, sich auch in der cruising community der Zeitgeist einer von Auf- und Umbrüchen geprägten westlichen Gesellschaft widerspiegelt. Die belegten Fahrten älterer Segler verweisen zugleich auf ein gewisses generationelles Mit- und Nebeneinander, auch in der »alten« Zeit. Sir Francis Chichester trat 1967 seine berühmte Rekordfahrt um die drei Kaps im Alter von 65 Jahren an. Wie für seinen Altersgenossen Jörgen Meyer, der fünf Jahre später von Deutschland aus startet, handelt es sich dabei gerade auch, oder in erster Linie, um eine sportliche Herausforderung. Dr. Jörgen Meyer erfüllte sich mit der Weltumseglung einen Jugendtraum. Nach seiner Segelausbildung in der Zeit von 1967 bis 1969 trat er als bisher ältester deutscher Einhand-Weltumsegler im vergangen Herbst die große Reise an. Nach einer non-stop Fahrt von 58 Tagen erreichte er Panama. Von dort aus ging es in den Pazifik Richtung Port Moresby an der Südküste von Neuguinea. Seinen 75. Geburtstag feierte der Pensionär am 13. Dezember im Pazifik. (TO 6/1972, 2.Jg. o.S.)

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Die diesbezüglich relativ homogene Zusammensetzung meines Samples beruht wohl ebenso auf der proportional wesentlich größeren Anzahl junger Fahrtensegler, die von Zeitgenossen als Hauptcharakteristikum dieser Jahre beschrieben wird, wie der Tatsache, daß heute freilich überhaupt nurmehr die damals 30-bis 40-Jährigen anzutreffen sind.

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310 Seetage und gerade 41 Tage an Land – Meyer gab seiner Reise einen »besonderen sportlichen Akzent«, wie es die Yacht seiner Reisebeschreibung voranstellt. Aber eigentlich nur deswegen, weil seine Ehefrau ihn nicht begleiten wollte. Gemeinsam hätten sie sehr viel mehr Häfen angelaufen, eine gemächlichere und längere Reise unternommen (Meyer 1972: 41). Während Chichester allerdings von vornherein den Rekordversuch anstrebt und seine Reise nicht mit einer »normalen« Weltumsegelung verglichen werden kann, bleibt Meyer auf der gewöhnlichen Passatroute, verzichtet aber offensichtlich seiner weniger segelbegeisterten Ehefrau zuliebe auf häufigere oder längere Landaufenthalte.8 »Aussteiger auf Zeit« Generell stellt das Ausbrechen oder sich Befreien aus sozialen Zwängen, auch oder vor allem um der Selbstverwirklichung willen, das »Aussteigen« aus gesellschaftlichen Strukturen, ein Motiv dar, das »alten« wie »neuen« Weltumsegelungen zugrunde liegt. Gewandelt hat sich im Laufe der Zeit allerdings, wovor Segler »fliehen« und wie dieser Ausstieg von den Akteuren gestaltet wird. Sich durch rigide gesellschaftliche Normen und Wertvorstellungen oder durch familiäre Hierarchien eingeschränkt zu fühlen, und sich in einer Weltumsegelung damit auseinanderbzw. darüber hinwegzusetzen, stellt einen anderen Ausstieg dar, als die für heutige Fahrtensegler konstatierte Flucht vor Beschleunigung, Wettbewerb und weiteren Stressfaktoren des modernen Lebens (Lusby/Anderson 2010: 92-94). Gleichwohl kann mit Macbeth (1985), Jennings (1999) und Lusby/Anderson (2010) gewissermaßen Zeiten übergreifend von dem Motiv der Flucht (im engl. Orig. escape) gesprochen werden, wobei dieses Ausbrechen oder Entfliehen weniger als eine Ablehnung oder gar eine passive Vermeidungsstrategie zu verstehen ist, sondern als eine bewusste Entscheidung und aktive Suche nach Freiheit und Selbstbestimmung. Als Geli und Ingmar, beide Mitte Dreißig, 1972 mit ihrer gerade 26-Fuß großen Slup EMMA in die Karibik aufbrechen, um anschließend mindestens bis in die Südsee zu fahren, werden sie von ihrem sozialen Umfeld definitiv als »Aussteiger« wahrgenommen: sie seien »verrückt«, die Sicherheit ihrer Arbeitsverhältnisse, die spätere Rentenversorgung in Deutschland für ihre Reiselust aufzugeben. Als dem Ingenieur Ingmar im Jahr darauf in Neuseeland relativ bald und eigentlich zufällig ein Arbeitsangebot ausgesprochen wird, nimmt er es deswegen gerne an, weil eine ausstehende Geldüberweisung aus Deutschland überfällig ist. Daraus entwickelt

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Auch im Herbst 1974 bleibt seine Ehefrau erneut zurück, als der nunmehr erfahrene Einhand-Weltumsegler zu einer Non-stop-Erdumrundung gegen den Wind antritt, von der sich Meyer im Februar 1975 noch per Seefunk aus dem Pazifik meldet, auf dem weiteren Weg nach Kap Hoorn aber verschollen ist (TO Nr. 12/1975).

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sich aber rasch ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis. Nach nicht einmal zwei Jahren an Bord ziehen die beiden wieder an Land und bleiben, nachdem auch Geli problemlos eine Stelle in ihrem Beruf als Buchhalterin findet, letztlich bereitwillig in Neuseeland hängen. Sie bauen sich noch eine weitere EMMA, die mit ihren 42 Fuß mehr Raum und mehr Komfort bietet, haben sich ihre Ansprüche daran mit der Zeit doch geändert, und segeln mit ihr regelmäßig »zu den Inseln«. Im Laufe meines Interviews fragt Geli mich nach dem (Arbeits-)Titel meiner Arbeit, und ich möchte selbstverständlich wissen, ob sie sich darin wiederfinden. Einhellig sind beide der Meinung, daß sie sich weder als Auswanderer noch als Aussteiger verstehen, auch wenn Freunde und Kollegen sie damals so bezeichneten. Am ehesten käme für sie noch in Frage, der Kategorie »Abenteuer« zugeordnet zu werden. Weltumsegler, die auf bürgerliche Sicherheiten verzichten und Alternativen zu konventionellen Lebensentwürfen suchen bzw. leben, empfinden das Fahrtensegeln nicht zwangsläufig als generellen Gegenentwurf, sie sehen sich keineswegs als zivilisationsflüchtige Gesellschaftskritiker. Der damals 21-jährige Jan, der gemeinsam mit drei Freunden um die Welt segelt, versteht seine Reise rückblickend als den gelungenen Versuch, sich von familiären Erwartungen zu befreien; das Motiv der Flucht scheint darin zwar auf, doch muß es auch hier primär als Chance zum eigenverantwortlichen und selbstbestimmten Handeln verstanden werden. Dabei findet die Reise sehr wohl mit familiärer Unterstützung statt, stellt Jans Vater mit dem Schiff die grundlegende, materielle Vorraussetzung. Das Zusammenstellen der Crew liegt aber allein bei Jan, die Organisation und Planung teilen sich schließlich alle vier Mitsegler. Die relativ verpflichtungsfreie Übergangsphase zwischen Schule und Wehrdienst bzw. Studium erschien nicht nur als einzige Gelegenheit, eine zweijährige Auszeit zu nehmen; die Weltumsegelung gerade zu diesem Zeitpunkt ermöglichte es, sich in einer entscheidenden Lebensphase zu orientieren und zu beweisen, Abstand zur Familie gewinnen und elterlichen Erwartungen entgegentreten zu können. Die Rückkehr in die nur temporär zurückgelassenen Ordnungsstrukturen stand dabei außer Frage: Jan: Wir waren keine Aussteiger, wir wollten nicht nicht zurückkommen, wir wollten zurückkommen. SY NICOLAO COELHO, 1973-75

Auch ein anderer, zeitgenössischer Weltumsegler charakterisiert sich und die Seglergemeinschaft der 1970er und frühen 1980er nur als »Aussteiger auf Zeit«. Er verweist damit einerseits auf die individuelle Suche nach Freiheit, auf das Ausbrechen bzw. Überwinden gesellschaftlicher Konventionen und Zwänge als grundlegende Motivation, andererseits auf das Episodenhafte einer Weltumsegelung; die Segelfahrt als ein Reise- und Lebensprojekt, das auf dem Wunsch nach Selbst-

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verwirklichung und eigenverantwortlichem Handeln, auf Fernweh, Reise- und Abenteuerlust gründete, ohne deswegen gleich dauerhaft außerhalb zurückgelassener Gesellschaftsstrukturen stehen zu wollen. Jochen, der die (erste) Weltumsegelung mit seiner Frau 1976 lieber in der Karibik abbricht und nach Deutschland und in den Schuldienst zurückkehrt, anstatt, wie manch einer ihrer Mit-Segler, im weiteren Verlauf am Ende darauf angewiesen zu sein, sich irgendwie von selbstgefangenem Fisch und off the land ernähren zu müssen, spricht rückblickend von der damaligen cruising community insgesamt als einem Haufen »irrer HippieTypen«. Allerdings kann hier davon ausgegangen werden, daß die Minderheit derer, die unvorbereitet, mittellos und mit teils unzureichenden Navigationskenntnissen den Atlantik überquerten, gerade als Ausnahmeerscheinung eindrücklicher in Erinnerung geblieben sind, und dadurch die Mehrheit gut organisierter und planvoll segelnder »Aussteiger auf Zeit« in der Retrospektive überschatten. Auch Jochen und Sandras ursprünglicher Plan sah vor, eine Übergangsphase nach Studienabschluß und Auslandsaufenthalt für die Weltumsegelung zu nutzen, bevor die von Hausstands- und Familiengründung, von beruflichen Verpflichtungen und Erfolgen bedingte Sesshaftigkeit einen Aufbruch erheblich erschwert. In diesem Sinne verstehen einige Akteure ihre Weltumsegelung mit Anfang Zwanzig oder Dreißig auch als Gelegenheit, den bisherigen Lebensstil und seine Freiheiten – sei es vor Studienbeginn oder im »freien Studentenleben« – fortzuführen. Die Übergangssituation wird als »jetzt oder nie« zu nutzender Freiraum verstanden, während zugleich die vor ihnen liegenden Jahre für ein seßhaftes Leben, für Familiengründung, für die berufliche Karriere stehen. Werden diese Aussichten als beängstigend empfunden, erscheint die Freiheit, die eine Segelyacht bietet, umso größer. Peter: Ich meine, es war so diese Lücke, die immer geblieben war, daß man immer an Fahrpläne gebunden war, oder ganz viel Zeit brauchte, wenn man getrampt ist, was ich sehr viel gemacht habe. Auf andere Leute angewiesen zu sein, um…man kam nie an Orte, wo man auch gern hinwollte. Inseln eben, nich. Und das wurde dadurch abgedeckt, eindeutig. Und grundsätzlich dieses Reisen-Wollen, und Anderes kennenlernen, und auch so ein bisschen einfach. Ja, dazu kam ja noch, da ist schon noch ein weiterer Aspekt. Ich war ja nun grade auch fest angestellt worden als Beamter, und, ja, viele waren da unglaublich froh drüber, jetzt auf Lebenszeit und so weiter, nich. Für mich war das, ich hab das eher so als Bedrohung gefühlt. Auf Lebenszeit dies machen. Jeden Morgen hier hin, immer dasselbe. Das war mir dann auch irgendwo ein ganz schöner Albtraum. Also, das hat mich auch belastet. Und es war auch so ein Ausbruch da raus. Ne, das willste noch nicht, jedenfalls jetzt noch nicht. Und das hat ne große Rolle gespielt, auch. SY GUNDEL, 1972-78

Die Weltumsegelung stellt eine Flucht vor künftigen, absehbaren oder bereits im Berufsleben erfahrenen Routinen dar: so gesehen brechen hier der angehende

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Lehrer, und dort der gleichaltrige, gut verdienende Rechtsanwalt, der sich zum Unverständnis seines Schwiegervaters nicht vorstellen mag, daß der Rest des Lebens nur darauf ausgerichtet sein soll, noch mehr Geld zu verdienen, aus dem gleichen Grund aus und auf. Jedoch mit unterschiedlichen Budget und entsprechend unterschiedlichen Zeitrahmen. Und ihre Ehefrauen? Wenn sich die Ehepartner nicht gerade übers Segeln kennen gelernt haben, ist es ganz einfach so, daß bei allen Paaren der »alten« Zeit, mit denen ich sprach, die Frau überhaupt erst durch sein Interesse bzw. auf seine Anregung hin zur Weltumseglerin wurde. Seglerisches Wissen und Können eigneten sich die Frauen teilweise noch im Vorfeld der großen Fahrt an, teils starteten sie auch mehr oder weniger unvorbereitet. Peter: Und – das soll nicht abwertend klingen, aber, die Frau folgt dem Mann (lacht). Und so hat sie’s empfunden und hat’s auch gern gemacht. Und hatte überhaupt keine Ahnung vom Segeln eigentlich zu Anfang. Und hat, wie gesagt, die Sommertour nach Dänemark, Schweden, Norwegen mitgemacht. Und das war ihre Erfahrung. SY GUNDEL, 1972-78

»Dem Manne folgen« muß allerdings nicht bedeuten, daß der Entschluß zum Aufbruch nicht gemeinsam gefasst wurde. Auch wenn der Plan zur Weltumsegelung – in den allermeisten Fällen und Zeiten übergreifend – tatsächlich auf den Mann zurückgeht, wird die Vorbereitung und Durchführung der eigentlichen Reise zum gemeinsamen Projekt. Gudrun: Und dann wurden wir verbeamtet, und dann fällt man ja in ein Loch, dann kriegt man ja ein Schreck. Ist vielleicht heute anders, da ist man froh, wenn man was hat. Aber damals war das so. Um Gottes willen, jetzt immer so, tagaus, tagein dasselbe, das macht einen ja völlig depressiv, das ist ja schrecklich. Und dann war einfach, boah, jetzt – ja, ich bin ja einfach nur mitgefahren. (lacht) MK: Hab ich von Peter schon gehört. Gudrun: Das war einfach, da hatte man was Neues vor. Und ich meine … MK: Ist es Dir leicht gefallen, zu sagen, ok, da mach ich jetzt mit. Gudrun: Ja. Total. - Ich muß auch sagen, ich bin auch, … ich weiß nicht, die Generation heute ist vielleicht ein bisschen anders, aber ich war total naiv und blauäugig. Und das hat mich einfach nur fasziniert, fand ich alles ganz toll. Und wenn man dann noch in den Mann verliebt ist, dann fährt man überall mit hin, dann ist einem das völlig egal. Also so war das bei mir. Ich hatte ja auch gar keine Ahnung, was da eigentlich so alles auf mich zukommt. Ich mein, das ist ja nicht nur schönes Segeln so unter blauem Himmel, das war ganz schön beschwerlich zum Teil. Aber an so was hab ich überhaupt nicht gedacht. Für mich war einfach, oh, ja toll, und jetzt mit ihm da los, und die Welt sehen, und ... Ja, was Schöneres kann man sich gar nicht vorstellen. SY GUNDEL, 1972-78

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… mit Fernweh und Reiselust Als zentrales Motiv der »Aussteiger auf Zeit« fallen die Suche nach persönlicher Freiheit und Selbstverwirklichung zusammen mit Reiselust und dem Wunsch, dabei anders unterwegs zu sein. Das Bedürfnis, aus Routinen und gesellschaftlichen Strukturen auszubrechen, geht mit ausgeprägtem Fernweh einher. Einen konkreten Auslöser für das eine wie das andere zu benennen, ist schwierig; die Übergänge zwischen dem Traum, die Welt zu umsegeln, und dem konkreten Entschluß, zwischen Ausarbeitung des Vorhabens, handfesten Vorbereitungen und Umsetzung sind fließend. Wann und wo entspringt die Idee, wann reift der Plan? Ganz früh waren da diese Bilder von der See. Schwarz-Weiß-Fotografien von Wellen, vom Ozean und von Stürmen, von einem völlig überspülten Schiffsdeck, von den riesigen Schleusen des Panamakanals. Aufgenommen vom Vater, der in den 1930ern an Bord eines Tankers in die Karibische See, nach Venezuela, nach Panama fuhr. Dies Fotoalbum legt Till jetzt, Jahrzehnte später, vor mich auf den Couchtisch, denn es ist Teil der Antwort auf meine Frage, wie er und seine Frau Irmgard denn auf die Idee zur Weltumsegelung gekommen waren. Als Till noch ein kleiner Junge war, erzählten diese Aufnahmen von großen Abenteuern. Mit sieben Jahren segelt er sein erstes Dinghi, Irmgard fängt mit knapp Zwanzig das Jollensegeln an. Sie sind im gleichen Segelverein, und lernen sich auf einem Vortrag des Ehepaars Koch kennen. Mit Tills Jolle verbringen sie einige Urlaube auf der Ostund Nordsee, segeln nach Helgoland, Dänemark oder Schweden. Sie sind sich einig: der Vorschlag, um die Welt zu segeln, stammt von Till, war es sein »heimlicher Traum«, meint Irmgard. Im Hinterkopf die alten Fotos seines Vaters, die neuen Bücher über die ersten Reisen der Hiscocks und der Kochs. Fernweh, Abenteuerlust, das waren wohl so Gründe. Kein Ausstieg für immer, sondern eine Auszeit: »Mal weg. Für drei Jahre, och, da mal zu segeln«, sagt Irmgard. Sie ist 30, er 34, die Ersparnisse reichen für eine seetüchtige, gebrauchte 31-Fuß-Yacht, ihre Sachen können sie bei Muttern unterstellen. Die Arbeitsstelle aufzugeben fällt nicht leicht, aber da würde sich schon wieder was finden bei der Rückkehr. Es locken keine bestimmten Orte – auch wenn später natürlich vom Panamakanal heimgeschrieben wird, daß die IRMA jetzt durch dieselben Schleusen wie früher der Vater gefahren ist. Es zieht sie einfach in die Ferne – aber nach einem ausgearbeiteten Reiseplan, in dem alle Häfen, die angelaufen werden, festgelegt sind, anhand dessen die Mütter daheim die Reise nachvollziehen können. Und warum das Segeln, frage ich. »Na, das geht am Idealsten. Du nimmst Deine Wohnung sozusagen mit«, antwortet mir Till. 1974 kommen sie in der Bay of Islands an – und werfen dann doch alle Pläne über Bord und lassen sich dort nieder. Es sind die wiederkehrenden Themen von Fernweh und Abenteuerlust, die im Wunsch zur eigenen Weltumsegelung münden, angeregt und angeleitet durch die

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Bücher über die in dieser Zeit stattfindenden ersten »gewöhnlichen« Weltumsegelungen. Die Kochs kann man auch mal bei einem ihrer Vorträge treffen, aber wen sonst kann man fragen, wie es anzustellen ist? In den Büchern von Hiscock lassen sich viele Antworten finden, für alle damaligen Weltumsegler ist er die wichtigste Referenz. Ein direkter Erfahrungsaustausch mit anderen Weltumseglern ist zu dieser Zeit in Deutschland noch kaum möglich, in Fragen der Anforderung an Schiff und Besatzung oder günstige Reiseroute und -dauer sind Fahrtensegler in erster Linie auf die Bücher »Vorausfahrender« angewiesen.9 Peter hat im Vorfeld seiner 1972 angetreten Reise immerhin Gelegenheit, sogar zwei Segler zu sprechen, die »zumindest über den Atlantik gefahren war[en] und zurück«. Die also schon Erfahrung mit mehrwöchigen Ozeanüberquerungen und der dazu notwendigen Ausrüstung einer Langfahrtyacht hatten; die davon berichten konnten, wie es sich im Passat segelt (vgl. Abb. 13). Transatlantikfahrten waren noch keine seglerische Alltäglichkeit, doch Segeltörns rund um den Atlantik waren zumindest schon häufiger als Weltumsegelungen, auch, weil sie in kürzerer Zeit, in Monaten statt Jahren, durchgeführt werden konnten. Was jedoch nicht heißt, daß Seglern, die von solch einer Langfahrt zurückkamen, und ihren Schiffen, die sich auf dem Ozean bewährt hatten, keine Beachtung mehr geschenkt wurde. Vielmehr begegneten ihnen angehende Weltumsegler geradezu ehrfürchtig, materialisierte sich in ihnen wie in den Büchern der eigene Traum, weswegen beides nachdrücklich erinnert wird. MK: Welche Vorstellungen hattet Ihr? Kanntet Ihr jemanden, der um die Welt gesegelt war? Karl: Ne, wir haben Vorträge angehört, und vor allem haben wir Bücher gelesen, die damals gerade herauskamen. Da war Hiscock, da war Koch. […] Fritzi: Und die Kammler hatte damals grade ein Buch geschrieben, als wir losfuhren. … Karl: Ja, aber war nicht sehr viel. Wenn da welche über den Atlantik fuhren, da bist du hin, wenn sie zurückgekommen sind. Da bist du hin an das Schiff, da hast du ganz zart gestreichelt: das ist also schon über den Atlantik gesegelt. Fritzi: Ja, die, die nach Berlin zurückkamen, natürlich, ach Gott, das war wie so ein Heiligtum. Karl: Ja, ja, diese Schiffe hatten eine Aura. Fritzi: Genau. (beide lachen) SY TEDDY, 1974-92 (NZ)

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In den gleichen Jahren wurde ein in Kapstadt/Südafrika lebendes deutsches Ehepaar durch die im dortigen Yachtclub relativ häufigen Begegnungen mit deutschen und internationalen Weltumseglern zur eigenen Reise angeregt. In der »Durchgangsstation« Kapstadt, das auf der Standard-Route einer Weltumsegelung liegt, trafen sie zur damaligen Zeit weitaus regelmäßiger auf eine größere Seglerszene als es angehenden Fahrtenseglern in Deutschland, dem Start- und Zielpunkt dieser Reisen, möglich war.

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Wagnis Weltumsegelung: vom Abwägen und Umgehen mit Risiken Die immer wieder genannte intensive Beschäftigung mit der einschlägigen SeglerLiteratur ist ein Hinweis darauf, wie gewissenhaft der »Ausstieg auf Zeit« in aller Regel geplant und vorbereitet wurde. Auch das prägte die zeitgenössische Außenperspektive auf Weltumsegler wie, anlässlich ihrer Rückkehr, ein Artikel der Wochenzeitung Die Zeit über das Ehepaar Koch zeigt, in dem gerade die penible Vorbereitung auf die Bedingungen einer Langfahrt und ihre Auswirkungen auf das tägliche Leben zuhause thematisiert werden. Der »Bruch mit der Zivilisation« besteht jedoch nicht in der häuslichen Vorwegnahme eines einfachen, ja kargen Bordlebens, sondern in der freiwilligen (!) Aufgabe bürgerlicher Sicherheiten. »DEUTSCHE SEEHELDEN – O nein – in Deutschland, da baut man nicht so ohne weiteres auf den Zufall. Das kann teuer zu stehen kommen. Und tut es das nicht, so ist es eben fast ehrenrührig. Ehre ist solide, in Deutschland. In reiner Redlichkeit, befreit von Abenteuergeruch will sie erworben werden, nicht erobert. – Das Hamburger Ehepaar Koch hatte sich insgesamt elf Jahre darangemacht, dies zu tun. Vor eben elf Jahren plante es, die Welt zu umsegeln; acht Jahre davon galten der Vorbereitung. Die beiden sparten, […] sie lebten in Bescheidenheit, genauso, wie man als ›kleines Rad‹ im großen Räderwerk lebt – namenlos. – Doch schon bald begannen sie, zu Hause auszubrechen. Sie aßen nicht mehr, wie man immer ißt; sie aßen so, wie man auf stürmischer See, weit entfernt von menschlichen Gestaden und Lebensmittelläden, und unter fremdem Himmel ißt. Sie übten. Und dann studierten sie die Karten und rechneten die Pfunde in Gramme um und die Liter aus und den Platz, den alles braucht. – Und dann gaben sie – und überall war es zu lesen – ihre Sicherheit auf, verkauften ihre Möbel, ihre Wohnung. Herr Koch kündigte seine sichere Stelle im Ex- und Importgeschäft. Ein Stöhnen muß da alle, die davon hörten oder lasen, ergriffen haben, als seien sie Zeugen einer mittelalterlichen Gotteslästerung geworden: Denn hier war der wahre Bruch mit der Zivilisation vollzogen worden.« (Bartels, Die Zeit vom 01.09.1067)

Die Einstellung der Segler selbst, daß es sich bei dem Vorhaben, mit einer kleinen Segelyacht allein oder mit der Ehefrau, mit der Familie oder mit Freunden, um die Welt segeln zu wollen, keineswegs um ein ausgesprochen wagemutiges oder abenteuerliches Unterfangen handelt, entspricht offensichtlich weitestgehend auch der Perspektive Außenstehender. Die Risiken des Segelns selbst – von der Navigation bis zu einfachen Ausrüstung der Segelschiffe –, sind in den Augen von Eltern, Freunden und Kollegen ein wesentlich geringeres Wagnis als die freiwillige Aufgabe eines sicheren Arbeitsplatzes, und das Risiko eines unsicheren Wiedereinstiegs. Ihre Freude halten Geli und Ingmar nicht deswegen für »völlig verrückt«, weil sie mit einer 26-Fuß-Yacht (8 m!), auf der gerade einmal ein Außenbordmotor Platz findet, in die Südsee fahren wollen. »Verrückt« ist, dafür mit Mitte Dreißig in Deutschland ihre festen Stellen als Schiffsingenieur und in der Buchhaltung zu kündigen und aus dem Sicherheitsnetz von Rentenversicherung etc. »auszusteigen«.

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Die damaligen Segler schildern, daß sie sich dieser Risiken wohl bewusst waren, andererseits aber auch darauf vertrauten, aufgrund ihres (jungen) Alters und der eigenen Leistungsfähigkeit mit auftretenden Schwierigkeiten zurechtkommen zu können. Viele waren bereit, ohne Krankenversicherung, ohne Schiffsversicherungen und mit schmalen Budgets zu starten. Teils stand von vornherein fest, daß sie für die Gesamtreise finanziell unzureichend ausgestattet waren, und sie sicherten ihre Weiterfahrt dann v.a. während der Wirbelsturmsaisons in der Karibik oder Neuseeland durch Gelegenheits- und Aushilfsjobs in der Tourismusindustrie und auf Werften. Wer Glück hatte, konnte auch mit einer Schiffsüberführung gutes Geld verdienen. Der in dieser Hinsicht hohen Risikobereitschaft stehen die sorgfältige Planung, die wohlüberlegte Ausrüstung der Fahrtenyacht und die persönliche Vorbereitung gegenüber, die Ausdruck eines auf die Reise selbst gerichteten Sicherheitsbewusstseins und -bedürfnisses sind. Wie es beispielhaft über die Kochs geschrieben wurde, bestimmt diese Vorsorge, mehr oder weniger, das Leben vor der Reise. Die Weltumsegelung bedingt – Zeiten übergreifend – den Alltag vor ichrem eigentlichen Beginn, so daß diese Phasen als zusammenhängende Erfahrungsräume betrachtet werden müssen, der allgemein konstatierten Komplimentarität von »Urlaub« bzw. »Reisen« und »Alltag« vergleichbar (vgl. Gyr 2001, Lauterbach 2006). Gerade bei der Weltumsegelung als begrenzter Auszeit bedeutet überlegt loszufahren, sich durch sorgfältige Planung der Rückkehr zu versichern: Jan: Die Reise war ein so großes Vorhaben, und ’ne so große Idee in unserem Leben. Auch, das eben wirklich als Reise von Anfang bis Ende zu machen. Deswegen waren wir, glaube ich, auch so gut vorbereitet, weil wir nicht irgendwo - wir wollten nicht irgendwo stranden. SY NICOLAO COELHO, 1973-75

Um diesen Vorsatz umzusetzen wurde die auf zwei Jahre festgelegte Reise der NICOLAO COELHO ebenso lang vorbereitet. Der materielle Ausgangspunkt, ein Serienschiff, wird von Jans Vater vorfinanziert, in Auftrag gegeben, ein Jahr vor Start in einem ersten gemeinsamen Probetörn aus dem Mittelmeer nach Deutschland überführt und dort einen Winter lang für die große Fahrt überholt. Bevor es soweit war, musste Jan seine Mitsegler finden, dann wird gemeinsam die Route festgelegt und die anstehenden Aufgaben untereinander verteilt. Über praktisch alles werden Listen angefertigt – von Ausrüstung über Sicherheit bis zur Gesundheit – und systematisch abgearbeitet. Segelscheine werden in Angriff genommen, Prüfungen abgelegt und Sponsoren für Ausrüstung und Material gesucht (u.a. erhalten sie so Antifouling-Farbe für das Unterwasserschiff, die zur Navigation obligatorischen zwei Chronometer und Super-8-Kameras). Unter Freunden und Bekannten verkaufen die vier Studenten zur Finanzierung ihrer Fahrt ein »Abonnement« auf ihre Reiseberichte, eine überregionale Öffentlichkeit suchen sie jedoch nicht. Gerade im Rückblick zeigt sich für Jan, daß sich diese überlegte, teils penible Vorbereitung

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sehr bezahlt gemacht hat, die Weltumsegelung ganz nach Plan, als ein in sich rundes und abgeschlossenes Projekt durchgeführt werden konnte. Unter anderen Ausgangsbedingungen, in anderen Lebensphasen, anderen personellen Beziehungen, werden freilich auch andere Schwerpunkte in der Vorbereitungsphase gesetzt. Da diese so kurz wie möglich gehalten werden soll, bleibt es sich gleich, daß sich die Unternehmung »Weltumsegelung« enorm auf den davor liegenden Alltag auswirkt. Für Peter sind die 5.000 DM, die er 1969 als vorgezogenes Erbe erhält, ausschlaggebend, seinen Traum einer Weltumsegelung anzugehen. Er leiht sich die Bauform für eine 30-Fuß-Yacht und verbringt die ersten Sommerferien als Referendar damit, selbst den Rumpf einer GFK-Fahrtenyacht zu bauen. Seinerzeit eine günstige Alternative zum Kauf einer Serienyacht und durchaus üblich10. Schulferien, unzählige Wochenenden und freie Abende setzen er und seine Frau daran, die GUNDEL vom selbstgegossenen Bleikiel bis in die Mastspitze vom Rumpf ausgehend in Eigenarbeit fertig zu stellen. Teilweise helfen auch Freunde mit, deren Arbeit mit »Segelstunden« in der Karibik oder dem Pazifik verrechnet wird. Die Hingabe, mit der das Projekt Weltumsegelung mit dem Bootsbau angegangen wird und der enorme persönliche Einsatz, die Ausdauer und Beharrlichkeit, mit der an der systematischen Umsetzung der Idee gearbeitet wird, legen es nahe, Stebbins Konzept des serious leisure darauf anzuwenden. »Hinterherfahrende« können zwar auf Vorwissen in den Büchern ihrer Vorgänger zurückgreifen, aber es bleibt der zeit- und kostenintensive Aufwand, sich sogar für den Bootsbau notwendiges Fachwissen und -können anzueignen, ein Langfahrtschiff auszurüsten und die Reise zu planen. Peter: Nur, ich hatte gar nicht überblickt, die eigentliche Arbeit, die ging ja dann erst los. Was dann noch dazukommt, bis man anfängt … ein Ruder zu machen, den Bleikiel zu machen, die ganzen Innenausbauten – äh, Winschen, Mast, äh, Segelbeschläge, was alles so dazugehört. Es ist eigentlich unglaublich. Und wenn man wahrscheinlich gewusst hätte, was da auf einen zukommt, ich weiß nicht, ob ich’s gemacht hätte. Aber so hab ich bloß immer gedacht, immer ein Schritt nach dem nächsten. Das haste erstmal, dann geht’s auch irgendwie weiter. So war’s dann nachher auch. Dann hab ich mein Gehalt immer reingesteckt, und

10 Der Yacht-Selbstbau ist ein eigenständiges Thema, das hier nur gestreift werden kann. In die 1970er fällt dabei vor allem der Boom der Ferrrozementboote, die heute weitgehend wieder von den Weltmeeren verschwunden sind. Die einfache Verarbeitung, für die kaum Spezialkenntnisse vonnöten sind, und das unvergleichlich kostengünstige Material beförderten den Eigenbau überdurchschnittlich großer »Betonyachten«. Ferrozement ist jedoch extrem anfällig für Leckagen durch Punktbelastungen, die z.B. durch das Rammen eines Korallenblockes oder eines treibenden Containers auftreten.

144 | W ELTUMSEGLER immer neue Sachen gekauft. […] ’69 hab ich’s gebaut. Schon im Herbst ’70 bin ich das erste Mal gesegelt. War noch nur ein Hauptschott drin und der Fußboden, und ansonsten nix. SY GUNDEL, 1972-78

Gleichwohl stehen diese Aktivitäten bei allem an sich bezeichnenden commitment, und der Befriedigung, die daraus gezogen wird, nicht für sich allein; sie werden nicht um ihrer selbst willen unternommen, langfristig liegt die Bestätigung und Zufriedenheit im späteren Segeln. Da vor allem die Ganzheitlichkeit des Lebensstils Segelns mehr als ein »Hobby« darstellt, stößt das Konzept des serious leisure hier wieder an seine Grenzen, auch wenn zugleich die Fahrtenseglergemeinschaft bzw. mehr noch die »Seglerszene« durchaus als eine social world im Sinne Stebbins verstanden werden kann,. So sehr sich gerade die Vorbereitungsphase als eine mit einem Hobby vergleichbare (Freizeit)Aktivität darstellt, die eben nicht ausschließlich betrieben wird, aber sinn- und identitätsstiftend wirkt und mit hohem Einsatz verfolgt wird, so wird mit der Weltumsegelung aus der »Nebenbeschäftigung« der Vorbereitung die »Hauptbeschäftigung« Fahrtensegeln. Die Weltreise ist das eigentliche Ziel, auf das sämtliche Aktivitäten ausgerichtet sind, die Vorbereitungsphase endet mit dem Aufbruch, und mit der Rückkehr von der Weltumsegelung findet das Interesse am Fahrtensegeln ein vorläufiges oder endgültiges Ende. Daß Peter bereits nach einem Jahr mit seiner noch völlig unfertigen Segelyacht erste Probefahrten unternimmt, zeigt, daß der Bootsbau als Notwendigkeit, nicht als Selbstverwirklichungsprojekt verstanden wird, daß das Loskommen immer im Vordergrund steht. Die in ihrer Dauer begrenzte Übergangsphase – die Ausbildung ist gerade erst beendet, die erste Stelle gerade angetreten – drängt dazu, die Abfahrt nicht hinauszuzögern, denn wann böte sich dann wieder die Gelegenheit, aus sich eben erst abzeichnenden, als einengend empfundenen Berufsroutinen auszubrechen? Wie verhält es sich dagegen später mit der Bereitschaft, ein seßhaftes Leben gegen die Wanderexistenz des Langfahrtsegelns einzutauschen? Der zu erwartende Gewinn an Lebensqualität wiegt (vermeintlich) unzureichende Ausgangsbedingungen und mit dem Aufbruch verbundene Risiken auf. Peter: Das Boot war eigentlich noch nicht fertig, wir hatten auch nicht genug Geld, es war eigentlich nicht der Zeitpunkt, um so ein Unternehmen anzugehen. Aber, wir hatten uns gesagt, oder ich besonders (schmunzelt): wenn das jetzt nicht losgeht, dann fängt man an sich einzurichten. Wir hatten keine Wohnungseinrichtung, wir hatten einfach mit Matratzen so auf der Erde geschlafen, hatten Apfelsinenkisten als Regale oder so, ne. Dann kaufen wir ’ne Waschmaschine, und ein richtiges Bett und was weiß ich nicht alles, und, äh, dann kommen auch wahrscheinlich irgendwann die Kinder und dann ist es irgendwann vorbei. Also – jetzt oder nie war die Devise (lacht) Und, äh, insofern ging das schon so’n bisschen holterdipolter, ohne ... wenn ich mir angucke, Bekannte von uns, wie exakt und genau die alles geplant hatten, für alle Eventualitäten. Wie das finanziell abgesichert, geregelt war, und so, nich. Das

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war also bei uns, mh, ja, sehr großzügig alles, nich. Wir hatten, äh, drei Monatsgehälter als Geldstart, und das war auch nur deswege, weil wir beide gekündigt hatten, unseren Job als Lehrer. Grade beide Beamte geworden auf Lebenszeit, und man konnte sich nicht beurlauben lassen damals, sondern – Entweder-Oder, nich. SY GUNDEL, 1972-78

Aufgrund der bewussten Entscheidung für eine geplante dreijährige Weltumsegelung liegt die absolute Priorität bei Bootsbau und -ausrüstung, weshalb vorhandene Mittel sämtlich dafür verwendet werde. Von etwas, das es nicht gibt, muß man sich aber auch nicht trennen. Das provisorische Sich-Einrichten an Land – im wörtlichen wie übertragenen Sinn – erleichtert damit das Aufbrechen und die Umstellung auf den mobilen Lebensstil. Die freiwillige Einschränkung, der ausgesprochene Verzicht auf Komfort setzt sich in der Einfachheit des Bordlebens fort, wobei dieses durch die Mobilität der Segelyacht und die damit gewonnene Freiheit und Unabhängigkeit nicht als einschränkend oder unzulänglich empfunden wird. Die Rolle von Komfort, eigenem Können und der Kommunikation Retrospektiv heißt es gerne, damals sei man ja »primitiv« gesegelt, verglichen mit den Umständen und der Ausstattung heutiger Yachties. Einerseits spiegeln sich in der Materialität der Fahrtenyachten zeitgenössische Standards hinsichtlich verfügbarer Materialien und Technologien, andererseits individuell unterschiedliche Ansprüche an Komfort und finanzielle Möglichkeiten. So stellt die Wahl der Schiffsgröße schon eine grundlegende Entscheidung über das Maß an Komfort dar, denn Wohn- bzw. Lebensraum an Bord nehmen überproportional zur Länge zu bzw. ab. Der gefühlte Größenunterschied zwischen einer 28- und einer 31-Fuß-Yacht (8,20 resp. 9,45 Meter) ist durch den Zugewinn an Raumvolumen deutlich größer als es der rein rechnerische Meter, der dazwischen liegt, vermuten läßt. Mit einer 26-FußYacht aufzubrechen, oder eine 30-Fuß-Yacht zu bauen, ist weniger eine Frage von Genügsamkeit oder Überzeugung, sondern wieviel Schiff man sich leisten kann – mit allen anderen Kosten, die die Weltreise mit sich bringt. Die Schiffsgröße bedingt freilich, wie groß die mitgeführten Proviant-, Wasserund Dieselvorräte sein können. Die Autarkie einer Segelyacht beruht auf der langfristigen autonomen Versorgung durch gebunkerte Lebensmittel und Wasser, bildet dies die Grundlage der seglerischen Freiheit und Unabhängigkeit. Die Hochrechnung eines Ehepaares – »nach Hiscock oder Koch oder so« – sah beispielsweise einen Wasserverbrauch von anderthalb Liter pro Person pro Tag vor, weshalb sie auf ihrer 31-Fuß-Yacht einen 120-l-Wassertank einbauten und nochmal die gleiche Menge in Kanistern mitführten, um für etwa 80 Tage gerüstet zu sein. Verlängerungen der eigentlichen Reisezeit mussten immer eingeplant werden, denn obzwar auch diese Segelyacht über einen Motor verfügte, stand nur ein 60-lDieseltank zur Verfügung - ausreichend für ein knappes Dutzend Stunden unter

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Motor oder eine Strecke von ca. 60 Seemeilen. Motort wurde daher ausschließlich zum Manövrieren bei Einfahrten in Häfen oder Lagunen, ansonsten war es für diese Segler eine Selbstverständlichkeit, sich segelnd und in Abhängigkeit vom Wind fortzubewegen, weshalb Flauten oder schwachwindige Regionen die Reisezeit um Stunden, Tage und manchmal auch Wochen verlängerten11. Auch aus diese Unwägbarkeiten, und um sich unabhängig versorgen zu können, wurden von Deutschland aus Konserven und haltbarer Proviant für mindestens ein halbes Jahr mitgenommen, der je nach Möglichkeit durch Fischfang sowie gekaufte und ertauschte frische Lebensmittel ergänzt wurde. Die Gelegenheiten, unterwegs Nahrungsmittel in gewohnter Qualität oder vergleichbar günstig einzukaufen, waren begrenzt. Selbst in den Hauptstädten der pazifischen Inselstaaten etwa war das Angebot mäßig bzw. Importware extrem teuer. In den 1970ern und 80ern stellte Vorratshaltung und Lagerung von Frischwaren in den Tropen mangels Eisschränken oder Kühlgeräten eine echte Herausforderung dar.12 Ebenso wie es für gewöhnlich keinen Kühlschrank an Bord gab, waren elektrisches Licht, auch für Positionslichter (!), und Funkgeräte bzw. Funkstationen für Kurz- und Langwelle, mit denen empfangen und gesendet wird, noch relativ selten. Die technische Grundausstattung bestand etwa in einem Weltempfängermit Funkpeilempfang zur Navigation, und einem batteriebetriebenen Kassettenspieler zur Unterhaltung. Die einfachen Bedingungen an Bord entsprachen aber doch dem damaligen Standard, konnten sich die »Hinterherfahrenden« hier an ihren Vorbildern orientieren, und manche derer Erfahrungen teilen. Till: Und auch alle vor uns, Hiscock und so, die sind auch alle so losgefahren. Irmgard: Wenn du die Kochs liest, daß sie sich freuen, jetzt wird mal ’ne Dose Aprikosen aufgemacht, es ist wie Sonntag oder es ist wie Weihnachten. So war das für uns auch. Wir haben’s auch nachempfunden, äh, aber heute ist das so selbstverständlich, daß du das alles hast. Du kriegst auch auf den Inseln heutzutage mehr, durch die Supermärkte. Das gab’s ja auch nicht. […]Da waren wir so bescheiden. Wie wir uns über dieses Dosenbrot mit Camembert-Käse von Aldi [gefreut haben].

11 Hilfsmittel zur Routenerstellung waren und sind die für die verschiedenen Seegebiete veröffentlichten pilot charts, aus denen die wahrscheinliche Windstärke und -richtung im Jahreslauf abgelesen werden kann. Diese statistischen Mittelwerte können aber nur als erste Orientierungswerte angesehen werden, weshalb die lokale Wettervorhersage, heute dank Satellitenbildern aktuell und detailliert, für Segler solch große Bedeutung hat. 12 Die Bedeutung des Themas Proviant und Vorratshaltung kann man an der Ausführlichkeit erkennen, mit der es in der einschlägigen Fahrtenseglerliteratur behandelt wurde und wird: etwa vom Wissen um die Haltbarmachung von Eiern oder Butter über die Herstellung von Trockenfisch bis zum richtigen Stauen von Konservendosen.

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Till: Tuben, von der Bundeswehr. Käsetuben. Irmgard: Ja, Käsetuben Till: Und Marmeladentuben. Irmgard: Und das war – das war Heiligtum für uns. Und das war Luxus. Also Luxus, das haben wir sehr sparsam verbraucht. Und wir haben den Camembert-Käse, ich weiß, noch im Pazifik, den letzten, die waren immer so in der Dose eingeschweißt […] Dieses runde Schwarzbrot von der Bundeswehr mit so’nem Aldi-Käse. Das war so eine Delikatesse (lacht). Das war unglaublich. Wenn ich heute zurückdenke. Heute würde man sagen, das ist selbstverständlich, daß du all diese Sachen mitnimmst. MK: Ich bin erstaunt, was die Leute heute alles unterbringen und mitnehmen. Till: Wir konnten nichts kühl halten. Irmgard: Also ich denke, wir gehören noch zu der alten Klasse. Till: Wir hatten noch nicht mal elektrisches Licht. Irmgard: Nur Petroleumlampen. Das gibt’s ja auch nicht mehr. […] SY IRMA, 1973-74 (NZ)

Das einfache Leben an Bord wurde dabei nicht gesucht, beruhte der Verzicht auf Technik und Komfort nicht auf einer generellen Ablehnung moderner Technologien und Annehmlichkeiten, kam darin kein zivilisationskritischer Eskapismus zum Ausdruck; die Einfachheit wurde in ihrer »Primitivität« allerdings auch nicht als einschränkend empfunden. Vor dem Hintergrund heutiger Standards, und vor allem aus der Distanz von fast vierzig Jahren Rückschau haltend, wird das reduzierende Moment dieses Lebensstils als besondere Qualität, als eindrucksvolle, herausragende Reise- und Lebenserfahrung aufgefasst und erfährt so eine Neuinterpretation durch die Akteure. Das spartanische Bordleben und das »einfache« Segeln ohne technische Hilfsmittel dienen als Unterscheidungskriterien gegenüber Vertretern der »neuen« Zeit. Die Selbstbeschreibung als Angehörige einer »alten Klasse«, die mit den Seglern der Vor- und Nachkriegszeit auch noch die Pioniere des Fahrtensegelns einschließt, verweist dabei über die sich im Laufe der Jahrzehnte ändernde materielle Ausstattung von Fahrtenyachten hinaus auf einen stattgefundenen Mentalitätswandel. Was jedoch macht überindividuell die »alte Klasse« als solche aus? Während Kühlschränke oder Seefunkanlagen von den Fahrtenseglern der 1970er generell als verzichtbarer »Komfort« und leicht zu entbehrender Luxus angesehen wurden, galten hohe Standards hinsichtlich Seemannschaft und Seetüchtigkeit des Schiffes. Denn auch wenn das selbstbestimmte und eigenverantwortliche Handeln einer Weltumsegelung der »alten« Zeit einerseits in der Bereitschaft zum Ausdruck kommt, die mit dem »Ausstieg« verbundene Risiken wie Kündigung und Aufgabe des Arbeitsplatzes oder Verlust von Kranken- und Rentenversicherung in Kauf zu nehmen, so steht dem die Anstrengung gegenüber, die Reise selbst so sicher wie möglich zu gestalten, keine sich selbst oder das Schiff gefährdenden Risiken einzugehen. In ungleich höherem Maß als heute mussten die Segler der

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»alten« Zeit dabei auf ihr eigenes Können vertrauen. Ihre technische Grundausrüstung bestand aus Sextant und Chronometer – die wichtigste Vorsorgemaßnahme bestand darin, für Notfälle von beidem Ersatz mitzuführen! Denn die Sicherheit einer Segelyacht hängt, noch vor Wetter und Seetüchtigkeit des Schiffes, von präziser Navigation ab. In den Zeiten vor SatNav, GPS und C-map mußten Weltumsegler sich unweigerlich mit der »Kunst« der Astronavigation auseinandersetzen. Gerade im Rückblick – und im Vergleich zu heute – erscheint dieser in der damaligen Zeit so selbstverständliche Aspekt, die schlichte Notwendigkeit dieser Fähigkeiten, als recht bemerkenswerte Leistung. Dabei wurden der Umgang mit dem Sextanten und das Zutrauen in die daraus gewonnen Daten auch für die Segler selbst erst im Laufe der Reise zur Selbstverständlichkeit. Denn in Landnähe konnte – ob vom Mittelmeer oder von der Nordsee durch den Englischen Kanal und die Biskaya kommend – noch mittels Leucht- und Funkpeilfeuern verlässlich navigiert werden. Erst das endgültige Verlassen der europäischen Küste stellte das theoretische Wissen um die Astronavigation auf die praktische Probe. Und eine Insel inmitten der Weite des Ozeans nach Tagen tatsächlich zum selbst errechneten Zeitpunkt auftauchen zu sehen, blieb trotz gewissenhaftester Vorbereitung ein erstaunliches, ja fast schon unglaubliches Ereignis. Jochen: [D]ieser Absprung, das war eben doch ein Ding. Da über den Horizont fahren. Und – ja – das kannst Du ja dreimal ausprobiert haben in der Theorie. […] Das hilft aber gar nichts. Denn wenn du das erste Mal in England losfährst, in Richtung Kanaren, dann kannst du zwar sagen, so, ich hab jetzt ausgerechnet, da bin ich. Aber der Beweis kommt ja erst am Ende. Als wir am Ende Porto Santo fanden, da sind wir ja bald rumgesprungen. Weil, meine Frau sagte, das funktioniert! Das ist ja erst bewiesen, wenn es geht. Und ich weiß, daß einen da viele Leute beneideten damals, weil man schon diese eine große Tour gemacht hatte. Elf Tage nach Madeira. Das ist ja der Ozean dann. Und da ist man dann ganz alleine da draußen. SY BOSTON, seit 1997

Die erste erfolgreich zurückgelegte Hochsee-Etappe ist der Beweis, anderen und sich selbst gegenüber, Zweifel und Ängste überwunden und die Aufgaben der Navigation, des Segelns und des Alltags aus See gut bewältigt zu haben. Bezeichnend für die Segler der »alten« Zeit ist dabei der Umstand, daß die einzelne Fahrtenyacht bzw. ihre Besatzung – ob Einhand, Paar oder Familie – auf See vollkommen auf sich gestellt und kommunikationstechnisch völlig isoliert waren. Die wenigsten Segler, außer Amateurfunker, hatten neben einem Lang- oder KurzwellenEmpfänger auch einen entsprechenden Sender an Bord, wodurch erst gegenseitiger Kontakt zu anderen Yachten, Schiffen oder Amateurfunkern an Land möglich gewesen wäre. Diese freiwillige Isolation ist nicht nur darin begründet, daß entsprechende Geräte zwar verfügbar, aber teuer waren, und daß zu ihrer Bedienung spezifisches Fachwissen, ein offizielles Funkzeugnis erworben werden mußte.

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Abbildung 21: Atlantik, ca. 1975 – Mittagsbesteck Ein Klassiker der seglerischen, spezifisch männlichen Selbstrerpräsentation der »alten« Zeit: das Schießen der Sonne zur Positionsbestimmung auf hoher See.

In dem bewussten Verzicht auf diese Form der Kommunikation, die je nach Umstand einen vermeintlichen, gefühlten oder auch realen Sicherheitsfaktor darstellen kann, spiegelt sich doch auch die bewusst getroffene und selbst verantwortete Entscheidung für das Fahrtensegeln, wobei die damit eingegangen Risiken wohl reflektiert werden. Gerade die Eigenständigkeit wird als eigentliche Sicherheit verstanden, in möglichst allen Belangen – vor allem beim Ausbau des Schiffes wie bei Reparaturen – nicht auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, sich auch hier auf die eigenen Fähigkeiten verlassen zu können. Diese seglerische Grundhaltung läßt die Weltumsegelungen der 1970er – im Vergleich zu heute – den Akteuren von damals als die größere Herausforderung, die mutigere Unternehmung erscheinen. Irmgard: Und dann denk ich immer zurück, wie wir spartanisch losgefahren sind, daß es für uns schwieriger gewesen ist, und daß wir doch mehr geleistet haben. Aber ich hab gedacht, wenn da irgendwas zusammenbrach an Bord, Till konnte alles fixen, und das lief weiter. [ …] Heute würde ich fünf GPS mitnehmen (Till & Irmgard lachen), weil ich Angst hätte, die brechen zusammen. Till: Einen Sextanten brauchst du dabei, ein GPS und einen Sextanten, das wäre genug.

150 | W ELTUMSEGLER Irmgard: Also ich denk, ich hab mich auf unserem Schiff ohne Elektronik sicherer gefühlt […] Es war nur die eine Sache – wenn wir verloren gehen, wir können das niemandem sagen. Und da hat Till gesagt, das ist unser Wille, wir wollen diese Fahrt machen, wir wollen dieses Abenteuer eingehen. Wenn uns was passiert, kann niemand kommen und uns retten. Das ist unsere Sache. Till: Unser Pech. Irmgard: Ja, unser Pech. SY IRMA, 1973-74 (NZ)

Die zeit- und arbeitsintensiven Eigenleistungen hinsichtlich Schiffsausbau und laufender Instandhaltung spiegeln sowohl das Bedürfnis nach Unabhängigkeit wie die beschränkten finanziellen Möglichkeiten der damals jungen Segler wider. Auf Kommunikationsmöglichkeiten zu verzichten ist dabei zwar auch eine Kostenfrage, vor allem aber eine bewusste Entscheidung im Sinne der Unabhängigkeit des Fahrtensegelns. Umso wichtiger ist gute Seemannschaft, gewissenhafte Vorbereitung, das Vertrauen in eigenes Wissen und Können als Grundlage des selbstbestimmten Reisens und Lebens. Und Ausdruck eines besonders ausgeprägten Mutes? Wenn Till und Irmgard betonen, daß die Fahrt »unsere Sache«, und konsequenterweise ein Notfall »unser Pech« gewesen sei, machen sie primär deutlich, daß sie eine Weltumsegelung als sehr private Angelegenheit verstehen, als ganz persönliches Abenteuer, dem letztlich der Wunsch nach Selbstverwirklichung zugrunde liegt, weshalb es auch so verantwortungsvoll und selbständig als möglich durchgeführt wird. Dieser Haltung entspricht nicht, im Unglücksfalll die Hilfe anderer zu erwarten.13 Ein anderes Seglerpaar zieht für sich und auch für die Seglergemeinschaft der »alten« Zeit den Schluß, daß es gerade auch die Herausforderungen einer schwierigen und mit Ungewissheiten behafteten Navigation waren, aus der mit die höchste Befriedigung gezogen werden konnte. Der für eine Weltumsegelung in einer kleinen Yacht erforderliche Mut, der nicht minder einem »Ausstieg auf Zeit« und der Entscheidung entgegen gesellschaftlichen Konventionen zu handeln zugrunde liegt, zeichnet ihrer Meinung nach die damaligen Segler besonders aus. Und das Selbstvertrauen, sich unter diesen Umständen – auf sich gestellt – zu bewähren.

13 Der neuseeländische David Lewis, der in den 1960ern mit Frau und zwei Kleinkindern bewusst ohne radio transmitter als Sicherheitsausrüstung auf dem Katamaran REHU von Neuseeland nach England segelt, formuliert die Haltung, die auch Till vertritt: »For we who sail lonely seas, or climb, or explore the waste places, should not expect others to spend time and money and perhaps even risk their lives to rescue us from situations that we have entered into of our own free choice.« (Lewis 1969: 75)

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Anja & Jörg (FB): Es mag sein, daß man damals bereitwilliger Risiko auf sich nahm. Als junger Mensch den Beruf aufzugeben, sich in finanzielle Unsicherheit zu begeben und dem Problem des Wiedereingliederns ins Auge zu schauen. Mit Fleiß und Ausdauer die Astronavigation zu erlernen und auf das Erlernte zu vertrauen. Dafür wurden wir auch mit dem Erfolg belohnt, den heute kaum einer mehr kennt, einen Fliegenschiß auf der Seekarte (wie bei uns das klitzekleine Mellish Reef weit im Ozean nördlich Australiens) nur mit dem Sextanten in der Hand zu finden. Dieser Erfolg stärkt auch den Charakter. Viele Langfahrer waren damals unzureichend versichert, betr. Schiffsversicherung, wie auch Krankenversicherung. Heute herrscht Vollkasko-Mentalität, man kämpft nicht für den Erhalt des Schiffes, man läßt sich abbergen. Jeder hat heute ein EPIRB und verspricht sich davon Sicherheit: Strippe ziehen und ein Hubschrauber kommt angeflogen und holt uns ab (?). SY ACHERON, 1978-87

»Jeder kannte jeden« Auch wenn die Segler der »alten« Zeit höhere persönliche Risiken eingingen, über weniger technische Hilfsmittel wie elektronische Sicherheitssysteme verfügten, gilt auch für sie, daß sie zwar auf hoher See auf sich allein gestellt waren, aber dennoch nicht mehr nur vereinzelt die Ozeane befuhren. Auf den meisten pazifischen Inseln ist die Ankunft einer Fahrtenyacht in den 1970ern keine Sensation mehr. Annegret und Hans, die 1977 im neuseeländischen Russell eintreffen, berichten, daß sie anders als Hiscock zwanzig Jahre früher keineswegs Einladungen von sämtlichen Stadthonoratioren erhalten. Ihre ANNIE ist nicht mehr eine von 6 oder 7 Yachten, sondern eines von über sechzig Fahrtenschiffen der laufenden Saison. Allerdings ist die cruising community hier doch noch so klein und überschaubar, daß nicht nur untereinander, sondern auch zwischen einheimischer Bevölkerung und Besuchsyachten ein recht persönliches Verhältnis herrscht. In der Bay of Island wartet man bereits auf dort übersommernde Fahrtensegler, wie ein Artikel in der ersten Ausgabe der Russell Review vom Sommer 1977 zeigt: »Foreign yachtsmen came late to Russell this year. For a while it looked as if the town might go without the spice and variety of the annual influx of assorted nationalities.« Mit der Feststellung, daß nun aber doch sechzig einklarierte Yachten vermeldet werden können, folgt eine namentliche Vorstellung von 22 Fahrtenyachten und ihren Besatzungen, ergänzt mit der ein oder anderen Zusatzinformation14: seit wann sie an Bord sind, mit was für einem Schiff, wie die Überfahrt nach Neuseeland war, von welcher Inseln sie gerade kommen oder auch welchen Job jemand dort erledigt hat, ob die

14 Die Angaben zu den einzelnen Yachten erfolgen dabei völlig unsystematisch. Es ist jedoch zu entnehmen, daß die Yachten unter amerikanischer, kanadischer, deutscher, schwedischer und australischer Flagge segeln, und mindestens zehn Paare, fünf Familien mit Kindern und vier Einhandsegler darunter sind.

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Yacht schon aus dem Vorjahr bekannt ist usw. usf.. Auch die ANNIE ist darunter, die unter deutscher Flagge segelt, von Annegret und Hans aus Stuttgart vor fünf Jahren in Kapstadt gekauft wurde, und seitdem unterwegs ist. Gerade diese persönlichen Einführungsworte erwecken den Eindruck, daß die nach Neuseeland kommenden Fahrtensegler hier tatsächlich als »Besuch« willkommen geheißen werden, Yachties weniger potentielle Geschäftskunden und Wirtschaftsfaktor, sondern eine saisonale Bereicherung des lokalen sozialen Lebens darstellen. Gleichwohl bildet die eigentliche, internationale Seglergemeinschaft das hauptsächliche beziehungsweise intern bedeutendere soziale Umfeld der Yachties, auf das dementsprechend auch in den Erzählungen der damaligen Akteure wesentlich ausführlicher Bezug genommen wird. Wie das Beispiel der Russell Review verdeutlicht, bringen es die üblichen, von Jahreszeiten und Sturmsaison bedingten Reisemuster mit sich, daß sich die cruising community temporär in lokal eingrenzbaren Regionen zusammenfindet. Sofern das Feld im gleichen Jahresrhythmus weiterzieht, handelt es sich dabei zudem um ein relativ stabiles und dauerhaftes soziales Gefüge. Zugleich bleibt aber immer ungewiss, mit welcher Yacht man wann und wo zusammentreffen wird, wer mit wem zur gleichen Zeit wirklich in der gleichen Bucht, in der gleichen Marina oder dem gleichen Hafen liegt, selbst wenn diesbezüglich untereinander Verabredungen getroffen werden. Denn Unwägbarkeiten (wie Wetter, Gesundheit, Schäden am Schiff und Reparaturzeiten) beeinflussen die individuellen Reisepläne, und ohne Funkstationen an Bord, ohne HAMRadio und häufig sogar ohne UKW/VHF (mit einer Sendereichweite von ca. 20sm) konnten die Yachties der 1970er unterwegs nicht direkt untereinander kommunizieren. Einerseits das Bewusstsein und die Erfahrung, nicht alleine zu segeln, andererseits das Moment des Zufalls, das den Begegnungen und Beziehungen von Fahrtenseglern zugleich anhaftete: beides prägte damals das Zugehörigkeitsgefühl zur cruising community als enge Gemeinschaft Gleichgesinnter. Gudrun: […] Also, ich weiß nicht, wie es heute ist. Weil ja wahrscheinlich sehr, sehr, sehr viel mehr Boote unterwegs sind. Aber damals war das – das fand ich eben auch so toll. Jeder hat jedem geholfen, und das ist auch das Schöne, wenn man dann ankommt. Einige sind schon da. Und das wusste man ja auch nicht, man hat ja nicht zwischendurch – wir hatten ja kein Radio, oder [VHF], man konnte nicht zwischendurch kommunizieren. Und dann, oh, wie war Eure Reise. Und dann ging das Erzählen los. Und die, die schon da waren, die luden einen dann gleich ein, und dann wurde zusammen gegessen. Und dann hat jeder erzählt, was er erlebt hat. Das war immer unheimlich toll, denk ich. SY GUNDEL, 1972-78

Die sich vor Ort lokalisierende Seglergemeinschaft ist die Gelegenheit zum direkten Erfahrungsaustausch. Denn die individuelle, allein bzw. mit dem Partner erlebte Reise kann und wird zwar von vielen Yachties mit den Berichten der »Vorausge-

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fahrenen« verglichen, noch wichtiger wird jedoch der unmittelbare Austausch mit anderen Fahrtenseglern, der im Moment des Erlebens in einer geteilten Lebenswelt stattfindet. Die Seglergemeinschaft bietet das verständige Umfeld, das mit den spezifischen Umständen und vielfältigen Eindrücken des Lebensalltags Weltumsegelung vertraut ist, auch wenn jede Ozeanüberquerung, jeder Landfall, jede Insel individuell unterschiedlich erlebt wird. Das gegenseitige Erzählen dient sowohl dem Erfahrungsaustausch wie auch der Selbstbestätigung des eigenen Tuns, sind andere Segler überdies mit die wichtigste Informationsquelle, ob zu lokalen Einkaufsmöglichkeiten oder lohnenden Reisezielen. Von der eigenen Reise zu berichten beinhaltet dabei das Erzählen von Begegnungen und Erlebnissen mit MitSeglern, was wiederum auch in der erinnerten Reise eine große Rolle spielt. Daß dem so ist, und daß überdies häufig diejenigen besonders gut erinnert werden, die sich aus dem Feld »gewöhnlicher« und unspektakulärer Weltumsegelungen herausheben, ist keineswegs allein für die »alte« Zeit bezeichnend. Jochens Erinnerung an einen solchen bemerkenswerten Weltumsegler verdeutlicht aber zugleich die enge Verbundenheit der damaligen cruising community, in der zwar jeder für sich allein, zugleich aber mit sorgendem Blick auf die Mit-Segler unterwegs war. Jochen: Und – hat sich alles sehr verändert. Also, die erste Tour war völlig anders. […] Und ganz wenig Schiffe. Und alle jung. Alles so junge Typen […] ich hab sogar mit einem zusammengesegelt, der hat das nicht begriffen mit dem Sextanten. Der ist ohne Sextant, einfach mit’m Kompass übern Atlantik gefahren. Mit vier kleinen Kindern an Bord. Und ist angekommen. Und als er noch nicht da war, an dem Tag. Wir kamen da in Barbados an, oh, der ist nicht da. Da haben wir gedacht, hoffentlich ist da nichts passiert. Dann kam er aber einen Tag später an. Riesenfeier natürlich. Jeder kannte jeden. Und hat da viele Geschichten dann erzählt. Und – das ist alles vorbei. Jetzt weiß jeder genau an jedem Tag, ich bin da und da. Und, das hat eigentlich den, den ... – der Reiz ist ziemlich futsch. SY BOSTON, seit 1997

Die Zahl derjenigen, die um die Welt segeln oder den Atlantik überqueren, ist in den 1970ern und 80ern noch so gering, daß die cruising community, zumindest in der Retrospektive, als eine Gemeinschaft untereinander persönlich bekannter Akteure wahrgenommen wird. »Jeder kannte jeden« heißt sowohl, daß das Feld der Weltumsegler noch klein genug war, um einen Überblick über die Mit-Segler haben zu können, wie auch, daß man, sofern man nicht an einem der »Sammelpunkte« wie den Kanaren, dem Panamakanal oder Neuseeland direkt zusammengetroffen war, doch schon über Dritte voneinander gehört hatte. Vor allem aber kommt darin zum Ausdruck, daß ein erkennbares Zusammengehörigkeitsgefühl vorherrschte. Insbesondere angesichts der eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten kommt den zeitweiligen Zusammentreffen und der in diesen Zeiten gepflegten Geselligkeit eine größere Bedeutung zu, waren diese Zusammenkünfte nicht nur in großem Maße

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von vielen Zufällen abhängig, sondern sie standen auch in größerem Gegensatz als heute zu den alleine, in unvermeidlicher bzw. selbstgewählter Isolation verbrachten Segel- und Reisezeiten. Dem Kontakt untereinander wird dabei – im Rückblick – eine besondere Qualität zugeschrieben, bilden die Gemeinsamkeiten, wie die Entscheidung für den Lebensstil Segeln aus einer vergleichbaren Lebensphase heraus, eine Basis für stabile, lebenslange Freundschaften, deren Entstehen auf die damaligen Umständen und Bedingungen des Fahrtensegelns zurückgeführt werden.

Abbildung 22: Barbados, 1973 – Weihnachtsfeier unter Yachties In der Karibik feiert die internatinale cruising community Weihnachten – auf dem weit und breit kleinsten, nur 21-Fuß-großen Segelschiff von Nick und Judy, die mit Anfang Zwanzig von Schottland aus zu einer Weltumsegelung aufgebrochen sind, die später in der Südsee enden wird. Daß es sich schon seinerzeit um ein außergewöhnlich kleines Fahrtenschiff handelt, lassen die Dinghis am Heck erkennen.

Anja & Jörg (FB): Auch zu unserer Zeit kam es überraschend leicht zu vielen Kontakten und dem häufigen Schließen vieler guter und sehr guter Freundschaften. Nach unserer Einschätzung lag es daran, daß damals das Feld der Langfahrtsegler kleiner und viel homogener war. Wir waren fast alle im Durchschnitt jünger als die heutigen Segler, waren fast überwiegend Aussteiger auf Zeit, hatten vielfach unsere Boote selbst gebaut, zumindest teilweise und fast immer selbst vervollständigt und auch ausgebaut. Das bedeutet, daß wir generell die gleichen Ansichten, die gleiche Denkungsweise hatten. […] Bei dem oftmals ausgedehnten gemein-

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samen Zusammensitzen an Bord, an einem paradiesischen Ankerplatz, stellten wir oft fest, daß wir alle die gleichen Ansichten über die Dinge des Lebens hatten. Und eben das schien Freundschaften hervor zu bringen, die von einem sehr ausgeprägten Gefühlspotential geleitet waren, Zuneigungen zueinander, wie man sie im »normalen« Leben nur selten erlebt. SY ACHERON, 1978-87

Was läßt sich abschließend über die »alte« Zeit sagen? Findet sich tatsächlich jeder, der in den 1970er und 80er Jahren auf einem kleinen Segelschiff die Welt umrundet hat, in der hier ausgeführten Charakterisierung wieder? In welchem Maße sind damalige Akteure vor allem um Abgrenzung zur gegenwärtigen Fahrtenseglerszene bemüht, wird gerade deswegen ein idealisiertes Bild einer auf Motiven, Lebensstil und Weltanschauung basierenden Zusammengehörigkeit erinnert und gezeichnet. Grundsätzlich verbindet das Segeln, teilen Blauwassersegler die Entscheidung, mehrere Jahre oder dauerhaft auf einer Segelyacht zu leben und damit die Welt zu bereisen, und überdies bewegen sie sich auf der gleichen Route. Bemerkenswerterweise wird von Zeitgenossen einerseits klar festgestellt, daß sich die cruising community der »alten« Zeit von der heutigen unterscheidet, andererseits wird sie als sowohl homogener wie auch heterogener charakterisiert. Wie läßt sich dieser Widerspruch erklären? Vielleicht liegt die Gemeinsamkeit der damaligen Segler in einer ausgeprägteren Individualität. Auf Weltumsegelung zu gehen war zwar schon lange keine einzigartige sportliche Höchstleistung, keine einmalige Sensation mehr, aber doch noch nicht alltäglich, sonder außer-gewöhnlich. Der Einzelne erlebte dabei häufig erst im Laufe der Reise, daß er sich nicht allein, sondern in einem Feld von Mit-Seglern bewegte, Motivation, Interessen und Erfahrungen mit ihnen teilte. Homogener also deshalb, weil von einer Gemeinschaft Gleichgesinnter gesprochen werden kann. Heterogener, weil die persönliche Initiative zu einer Weltumsegelung damals entscheidender war, höhere gesellschaftliche Widerstände überwunden werden mussten. Auf jeden Fall waren die Segler dieser Jahre in vielen Situationen in höherem Maße auf sich gestellt, war der »Ausstieg auf Zeit« in vielerlei Hinsicht auch ein einsamer Aufbruch ins Ungewisse: in die unbekannte Fremde, in Länder, die noch wesentlich exotischer waren als heute, mit einer weniger von Fernreisen geprägten Reiseerfahrung. Auf sich gestellt, weil die Kommunikation mit Angehörigen und Freunden fast ausschließlich auf dem Postweg erfolgen konnte, weder immer verlässlich noch aktuell. Sie standen nicht in ständiger Verbindung mit MitSeglern, sie mussten ausschließlich ihrem eigenen Können und Wissen vertrauen, um ihr Ziel zu erreichen. Wird man allerdings den vielen Weltumseglern der »neuen« Zeit gerecht, wenn die Weltumsegler von vor vierzig Jahren pauschal als genügsamer, selbständiger, eigenverantwortlicher, unternehmungslustiger und risikobereiter charakterisiert werden? Eine Weltumsegelung ist und bleibt eine Herausforderung, ein persönliches Abenteuer, auch wenn einige Bedingungen sich grundsätzlich gewandelt haben, Technik vieles erleichtert. Infolgedessen, soweit

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lässt sich freilich doch verallgemeinern, haben die Gewissheiten in der gegenwärtigen, »neuen« Zeit deutlich zugenommen. Generell startet heute kaum ein Segler mehr unvorbereitet »ins Blaue« hinein, ist doch recht genau klar, was auf und von einer Weltumsegelung erwartet werden kann. Nicht zuletzt deswegen zeichnet sich als ein Hauptaspekt des Wandels ab, daß Weltumsegler der »alten« Zeit, die sich als Vertreter einer »alten Klasse« verstehen, um Selbstbestimmung und einer Vision persönlicher Freiheit willen auf gesellschaftliche oder bürgerliche Sicherheiten verzichteten, während heute eine solche Vision von dem Bedürfnis nach Sicherheit und Absicherung überlagert scheint.

4.3 D IE » NEUE « Z EIT l »an Stelle vom Seniorenheim« l Von Sehnsüchten und Freiheits-Suche l Vom Tatendrang und dem Alter l Von Lösungsprozessen – »für die Seele« noch das Haus l Die Rolle von Komfort, eigenem Können und der Kommunikation l Die

Gestern jung, heute alt?

Einsamkeit der Langfahrtyacht

Gestern jung, heute alt? Was steckt dahinter, wenn über die »neue« Zeit immer wieder gesagt wird, daß GPS alles verändert hat, daß heute ja so viele und in der Überzahl ältere Weltumsegler unterwegs sind? Daß die Zahl der Langfahrtsegler in den letzten vierzig Jahren – weiterhin – enorm zugenommen hat, stellt ganz objektiv einen Aspekt des Wandels dar, ebenso wie der Fortschritt von der astronomischen Navigation mit Sextant und Berechnungstafeln zur Bedienung von GPS und Laptop. Allerdings hat die »neue« die »alte« Zeit nicht in allen Bereichen vollständig abgelöst, vielmehr handelt es sich um Verschiebungen und Überlagerungen: keineswegs gehören heute alle Weltumsegler der Generation 60+ an, Segler brechen immer noch auch mit Anfang Dreißig auf, fahren Familien mit kleinen und großen Kindern um die Welt, bauen sich manche Segler, jung oder alt, ihre Yachten selbst, und noch immer gibt es Yachties, die unterwegs Gelegenheitsjobs annehmen, um Lebensunterhalt und Weiterfahrt zu finanzieren. So sehr die über viel Leidenschaft und knappe Budgets verfügenden Zwanzig- bis Dreißigjährigen ganz offensichtlich das zeitspezifische Erscheinungsbild (deutscher) Fahrtensegler in den 1970er Jahren geprägt haben, deren Äquivalent heute das wohlhabende (Früh)Rentnerehepaar darstellt, so sehr zeichnet sich das gegenwärtige Fahrtenseglerfeld gerade durch seine Heterogenität aus, hat in der »neuen Zeit« eben auch oder gerade die Diversität des Phänomens Weltumsegelung zugenommen. Obwohl es sich um unterschiedliche Segler-Generationen handelt, und zwischen dem jeweiligen Aufbruch zur Weltumsegelung Jahrzehnte liegen, handelt es sich

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bei vielen jener Ehepaare, die heute ihren Un-Ruhestand auf den Weltmeeren verbringen, im Grunde um dieselbe Generation, dieselbe Alterskohorte, der auch die »Aussteiger auf Zeit« von damals angehören. Aus meinem Sample ergibt sich, daß zwölf von 14 Besatzungen, die vor 1990 um die Welt segelten, zwischen 1935 und 1945 geboren wurden (und überhaupt niemand nach 1955). Auf den 29 Schiffen, die nach 1991 aufbrachen, liegt in 20 Fällen das Geburtsjahr mindestens eines Besatzungsmitgliedes ebenfalls zwischen 1940 und 1955. Diese Verteilung ließe sich so deuten, daß es sich bei der Idee der Weltumsegelung um einen zeitspezifischen, etwa in den 1960ern zu verankernden Traum handelte, der von einer bestimmten Alterskohorte verwirklicht wird – nur eben zu unterschiedlichen Zeiten. Wobei nicht nur der Umstand, daß keineswegs alle Segler dieser Alterskohorte bereits mit Mitte Zwanzig davon träumten, dieser Interpretation widerspricht. Für eine generationenübergreifende Popularität des Fahrtensegelns als Lebensstil sprechen vor allem die heute weiterhin anzutreffenden jüngeren Yachties. Allerdings spiegelt mein Sample doch auch wieder der Eindruck, den Hafenmeister, Marinamanager und nicht zuletzt die Langfahrtsegler selbst von der gegenwärtigen Zusammensetzung des Feldes haben: mehrheitlich sind Segler der Generation 50+ und 60+ unterwegs. Wer sich in den letzten zwanzig Jahren mit Ende Dreißig zum Fahrtensegeln entschließt, findet ein deutlich älteres Umfeld vor, wird das Alter als Hauptunterschied zu den Mit-Seglern an erster Stelle genannt. MK: Wodurch habt Ihr Euch unterschieden? Bettina: Vom Alter. (lacht) Wir waren mit Abstand immer die Jüngsten, die anderen waren immer wie unsere Oma, Opa, Mama, Papa. Das war am Anfang schon net so ganz … Johann: Im Pazifik war’s besser, wenn Du dann auf die Amis triffst, da sind viel Junge dabei, aber im Mittelmeer, das ist ja ein Rentnerverein. Da sind echt bloß viel Deutsche, und viel Ältere. Da haben wir schon ein bißchen ein Problem mit gehabt. Wir waren auch nie mit denen zusammen. Bettina: Das war ein bißchen schwierig so. SY HELENA, 1995-2003 (NZ)

Johanns Bemerkung, daß unter amerikanischen Fahrtensegler sehr viel mehr Gleichaltrige anzutreffen waren, verweist zwar darauf, daß innerhalb einer internationalen Seglergemeinschaft durchaus nationale Unterschiede und verschiedene »Szenen« ausgemacht werden können, widerspricht dabei jedoch nicht dem allgemeinen Eindruck, daß das Feld der Weltumsegler generell gealtert ist. Für Bettina (32) und Johann (35) lag die Schwierigkeit mit dem älteren deutschen Seglerumfeld in dessen Haltung ihnen gegenüber. Nicht nur, daß ältere »Freizeitskipper« ihnen als Jüngeren gerne auch ungefragt Ratschläge bei Anlegemanövern erteilten, sondern vor allem auch die offen ausgesprochene Annahme, daß ihre Segelreise ja kaum selbst erarbeitet sei: »Oh, dürft ihr Urlaub machen, mit Papas Schiff«. Gerade

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im Mittelmeer, das eben auch oder gerade ein beliebtes Segelrevier für short-term cruiser, Charter- und Urlaubssegler darstellt, mußten sie erst lernen, sich über solche Kommentare mit Humor hinwegzusetzen. Als sie in der Türkei schließlich vermehrt auf internationale, erfahrene Weltumsegler stießen, wurden sie nicht nur in ihrem Tun ernst genommen, sondern vor allem auch ermutigt, das Mittelmeer mit seiner ganz spezifischen Seglerszene zu verlassen. »an Stelle vom Seniorenheim« Mit dem Alter der Akteure verschiebt sich auch der biographische Zeitpunkt des Aufbruchs. In der »neuen« Zeit kann die Suche nach einem erfüllenderen, befriedigerenden Lebensstil im Alter zwar auch als eine Form von Flucht verstanden werden, aber sie beinhaltet nicht in gleicher Weise das Ausbrechen aus gesellschaftlichen Zwängen. Der »Ausstieg« der Generation 50plus erfolgt in der Übergangsphase zum Ruhestand, am Ende des Berufslebens, wodurch zumindest die Notwendigkeit für eine zügige Weltumsegelung aufgrund des beruflichen Wiedereinstiegs wegfällt. Die sich heute überdies verlängernde »dritte« Lebensphase (vgl. Kap 4.1) kann als prinzipiell unbefristete Auszeit gestaltet werden, stellt das Fahrtensegeln somit einen langfristigen alternativen Alterslebensentwurf dar. Dabei kann eine Weltumsegelung zu diesem Zeitpunkt sowohl als Lebenstraum entsprechend frühzeitig geplant und vorbereitet, als auch durch die anstehende Lebensveränderung kurzfristig als sinnstiftendes Lebensprojekt »entdeckt« worden sein. Wenn um 1940 geborene Segler erst in der »neuen« Zeit der späten 1990er aufbrechen, heißt dies nicht, daß sie nicht schon in der »alten« Zeit den Entschluß dazu gefasst hatten, wohl aber, daß sie zur Verwirklichung ihres Traumes auf einen Kompromiss zwischen möglichst früh und möglichst abgesichert setzen. Maria: Als wir segeln konnten, da haben wir gesagt: Eines Tages hauen wir ab. Karl: Möglichst früh. Aber auch spät genug, um nicht am Hungertuch zu nagen (schmunzelt). Maria: Auf der einen Seite mussten wir erst das Geld sparen, um das Schiff bauen zu lassen. Auf der anderen Seite mussten wir auch erst warten, daß die Kinder groß waren, daß die selbständig waren. Und dann haben wir immer gesagt, den 60. Geburtstag vom Karl feiern wir auf’m Atlantik. Und dann sind wir ein bisschen eher weggekommen. SY ELBE, 1995-2010

Maria und Karl sind passionierte Segler, blicken auf Jahrzehnte gemeinsamer Segelerfahrung zurück, haben 23 Jahre lang mit einer kleineren Vorgängerin ihrer ELBE die Ost- und Nordsee besegelt. Sie verkörpern einen Typus Weltumsegler, der die große Fahrt aufgrund individueller Prioritäten – Familie, Beruf, finanzielle Absicherung – erst mit dem Ende des Erwerbslebens angeht. Dabei nutzen sie zwar die »neuen« segel- und navigationstechnischen Entwicklungen, schätzen den Komfort an Bord ihrer nach eigenen Vorstellungen ausgebauten werftneuen Yacht, doch

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wäre die Weltreise wohl auch unter den diesbezüglichen Bedingungen der »alten« Zeit angetreten worden. Daß ein runder Geburtstag zum konkreten Anlass genommen wird, symbolisiert dabei die emotionale Bedeutung der Weltumsegelung als Lebenstraum und -projekt, das zudem als ritualisierter Übergang aus der aktiven Berufstätigkeit in den selbstbestimmten (Un-)Ruhestand inszeniert wird. In einem anderen Fall stellt zwar ebenfalls ein ritualisierender Umgang mit diesem biographischen Wendepunkt am Anfang des Langfahrtsegelns, wobei sich der Plan zur Weltumsegelung, anders als bei Maria und Karl, erst spät und entsprechend schneller konkretisiert. Die symbolisch bedeutsamen Geschenke, darunter Jimmy Cornells Standardwerk zur Routenplanung (s.u.), die der Flugkapitän Hans-Dieter anlässlich des Endes seines Berufslebens erhält, regen ihn zu erst noch vagen Segel-Träumereien an. Hans-Dieter (FB): Zu meiner Pensionierung bekam ich von einem guten Freund das Buch Segelrouten der Weltmeere geschenkt. Darin liest man ja nicht nur, man fährt gedanklich schon los. […] Das Strickzeug, welches auch bei den Geschenken war, konnte ich gleich weitergeben, da mir kein Gedanke ans Alter kam. An eine ernsthafte Vorbereitung einer Weltreise, bzw. Weltumsegelung wurde kein Gedanke verwandt. Viele Jahre vorher hatte ich von Bobby Schenk Blauwassersegeln gelesen. Das wirkt im Unterbewusstsein ständig. In den Urlauben hatten wir fast immer in der Karibik Segelyachten gechartert. SY SINA, seit 2003

In den Segelurlauben waren Frau und Kinder mit an Bord gewesen, jetzt sind letztere längst erwachsen, die Eheleute haben sich auseinandergelebt und nach der Pensionierung folgt, als nächste einschneidende biographische Veränderung, die Trennung. Doch seine Ex-Frau unterstützt Hans-Dieter in dem Wunsch, segeln zu gehen, ebenso wie die Kinder. Eines begleitet den Einhand-Segler später bei der Atlantiküberquerung, auf verschiedenen Stationen kommen sie zu Besuch. Doch zunächst erfüllten der nach der Scheidung erfolgte Schiffskauf und die anschliessenden konkreten Vorbereitungen zur Weltumsegelung die Funktion einer sinnstiftenden Aufgabe. Die neuen Herausforderungen dieses Projekts zu bewältigen sorgt für jene Befriedung, die mit Nimrod das besondere Moment des serious leisure ausmachen und insbesondere das im Ruhestand verlorene erfüllende Berufsleben ersetzen können (Nimrod 2008: 873). Allerdings stellt sich in diesem Fall die Frage, ob die Weltumsegelung als Teil einer »Segler-Karriere«, oder doch eher als begrenztes und einmaliges Projekt, oder mit Stebbins als project-based leisure, gesehen werden kann oder muß. Zwar träumt Hans-Dieter schon als Kind von einem Besuch auf den Galapagos, nicht aber davon, mit der eigenen Segelyacht dort hinzugelangen; ebenso wenig dienten die Charterurlaube in der Karibik der bewussten Vorbereitung einer Weltumsegelung. Der Entschluß, den (Un-)Ruhestand aktiv anzugehen und loszusegeln, wurde in diesem Fall nicht früh gefasst und

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darauf hingearbeitet, sondern er erwuchs aus der biographischen Umbruchsituation. Wie typisch ist Hans-Dieter damit für die »neue« Zeit? Wäre auch er unter den »primitiven« Bedingungen der »alten« Zeit mit Anfang Sechzig aufgebrochen? Die sich geänderten seglerischen Anforderungen, darunter die immer wieder an erster Stelle genannte vereinfachte Navigation, führen gerade auch in Verbindung mit dem Wohlstand der heutigen Generation 60+ in den Augen vieler Fahrtensegler, die sich selbst zu älteren Segler-Generationen zählen, zu einem anderen, heute vermehrt anzutreffenden Typus von Fahrtensegler. Immer häufiger lägen dem Segeln grundsätzlich andere Motive zugrunde, ginge es solchen Blauwasserseglern nicht mehr um die Realisierung eines Lebenstraums, der von einer Sehnsucht nach dem Meer und dem Segeln gespeist wird, vielmehr gälte eine Weltreise per Segelyacht schlicht als prestigeträchtiges Reise-Erlebnis, mit dem anschließend etwa bei Clubkameraden entsprechend renommiert werden könne. Dirk: Ich weiß nicht, ob heutzutage dieses Gefühl ähnlich ist. Ich sprech ja mit vielen Seglern, hier [in der Bay of Islands]. Und da ist es mehr so’ne Art In-Geschichte. Weltumsegeln, das gehört heutzutage vielleicht dazu, so ähnlich wie Golfspielen, wenn Du weißt, was ich meine. SY MAJA, 1981-86

Blauwassersegeln als attraktive Lifestyle-Aktivität für begüterte »junge Alte«? Dies entspricht weder der allgemeinen Selbstrepräsentation noch dem Selbstbild von Yachties, und ist doch die Fremdwahrnehmung durch andere Fahrtensegler, insbesondere jener, die sich selbst zu einer »alten Klasse« zählen. Könnte ein (ganz zur Freude der Yachtindustrie) ausgerufener Trend aber überhaupt hinreichende Motivation sein, um sich in zwar komfortableren, aber doch immer noch kleinen Segelyachten auf die – in räumlicher Hinsicht – unverändert unermesslichen Weiten der Ozeane zu begeben? Inwiefern hat sich der individuelle Freiheitswunsch, der Segler vor vierzig Jahren dazu bewegte aus der Gesellschaft, aus vorgezeichneten Lebenswegen, Berufsroutinen und konventionellen Lebenswelten »auf Zeit« auszusteigen, wirklich dahin verändert? Tatsache ist, daß eine stattgefundene Entwicklung von den Akteuren selbst in spezifischen Begründungszusammenhängen erklärt wird. Für Klara und Georg, die immer noch regelmäßig »zu den Inseln« segeln, seit sie sich nach einer zehnjährigen Weltumsegelung Anfang der 1980er in Neuseeland häuslich niederließen, haben gerade die technischen Bedingungen einen neuen Typus von Fahrtensegler hervorgebracht, der so – das ist zwischen den Zeilen herauszuhören – früher gar nicht losgefahren wäre. Georg: Aber man muß nämlich sehen, daß viele, viele Leute, die machen das an Stelle vom Seniorenheim. Ja, nich. Entweder gehen die jetzt ins Altersheim oder sie kaufen ein Boot. Keinen Schimmer, und dann gehen sie los. Und die lernen das natürlich nie.

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Klara: In diesem Buch, Waypoints of the World, steht echt drin, wie du von Europa, wenn du losfährst … Georg: Nur mit waypoints! Klara: … da steht alles, von wo nach wo, immer die Nummern drauf, was du da nur in dein Ding eingibst, ja, und das ist es. Und das machen die. Georg: Und so sind eben viele unterwegs, na ja, weil alles so einfach ist. Zum Beispiel gab’s da auch keine Karten auf dem Katamaran, nur… Klara: Ne, nur chart plotter. Georg: alles nur elektronisch. Aber dann fällt der Strom aus, und du sitzt im Dunklen. (lacht). SY ALFREDO, 1972-82

Als sie zwanzig Jahre nach ihrer Weltumsegelung einen zeitgemäß ausgestatteten Katamaran von Neuseeland ins Mittelmeer überführen, machen sich Klara und Georg ein Bild des modernen Fahrtensegelns: von der computerbasierten Navigation bis hin zu einer neuen Generation von Segelhandbüchern bzw. cruising manuals. Dies trägt in ihren Augen dazu bei, daß in der »neuen« Zeit auch eine »neue Klasse» von Seglern unterwegs ist, die weniger auf eigenes Können, Wissen und planerische Eigenleistung angewiesen ist, sondern einfach auf entsprechende An- und Vorgaben aus Büchern zurückgreifen kann, weswegen diese Art der Segelliteratur zu einem Charakteristikum der »neuen« Zeit wird. In Handbüchern dieser Art zeichnet sich in meinen Augen zumindest zu einem gewissen Grad auch ein Einstellungswandel ab, nämlich daß sich die Ungewissheiten und Risiken von Transozeanreisen (vermeintlich) minimieren ließen; es wird der Eindruck erweckt, auf den üblichen Routen geradezu fahrplanmäßig unterwegs sein zu können. Die Zahl der cruising guides hat mit der Zahl der Yachties zugenommen, entspricht das Angebot der Nachfrage der neuen Generation(en) von Fahrtenseglern. Frühere »Geheimtipps«, für die es seinerzeit vielleicht nur eine von Hand kopierte Karte gab, laufen heute Gefahr, dank ausführlicher Beschreibung und GPS-Koordinaten überlaufen zu werden. Das Moment des Ungewissen reduziert sich weiter. Das diesbezügliche Standardwerk, das sich quasi an Bord jeder Fahrtenyacht (und im Bücherschrank eines jeden potentiellen Weltumseglers) befindet, ist Jimmy Cornells Segelrouten der Weltmeere, dessen erste englische Auflage als World Cruising Routes 1987 in London erschien. Zwar möchte es »kein umfassendes Seehandbuch für die ganze Welt« sein, sondern vorab die Planung einer Langfahrt und unterwegs das Ausweichen auf alternative Ziele erleichtern, indem es mittlerweile über 500 Segelrouten beschreibt. Neben Angaben zu den jeweiligen Seekarten, Segelhandbüchern und -führern sind in jüngeren Ausgaben außerdem ganz selbstverständlich »die Koordinaten von 4000 Wegpunkten auf der ganzen Welt verzeichnet, um der Verwendung von GPS-Geräten an Bord Rechnung zu tragen« (Cornell 1999). Ein Nachschlagewerk, das in konzentrierter Form »umfassende Informationen zu Klima, regionalen Wetterbedingungen sowie Wind- und Strö-

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mungsverhältnissen auf allen Ozeanen« enthält, und, wie der Klappentext der deutschen Ausgabe außerdem verspricht, den »optimale[n] Zeitpunkt für jeden einzelnen Törn bestimmt«. Mit diesen konkreten Törnvorschlägen trägt Cornell dabei aber zu einer sich ausweitenden Standardisierung bzw. Normierung im Fahrtensegeln bei, werden Hauptrouten zusätzlich als solche räumlich-zeitlich festgeschrieben. Der Effekt der Barfußroute als »Autobahn« der Fahrtensegler wird verstärkt. Wieviel individueller Entdeckergeist ist nötig, um von Cornells konkreten Törnvorschlägen abzuweichen? Zurück zum eigentlichen Ausgangspunkt dieser Überlegungen und der Frage, in welchem Maße einem für die »neue« Zeit typischen späteren Aufbruch zur Weltumsegelung, nach Beendigung des Erwerblebens, eine grundsätzlich andere Motivation zu Grunde liegt als in der »alten« Zeit. Spiegelt der Alltag des Fahrtensegelns wider, ob mit der Weltumsegelung ein seglerischer Jugendtraum verwirklicht wird, es sich um einen früh gefassten Plan handelt, der bewusst auf eine spätere Lebensphase verschoben wurde, um die logische Fortsetzung einer Reiseoder Segler-Karriere, oder aber ob das Fahrtensegeln erst in höherem Alter als alternative Reise- und Lebensform entdeckt wird? Von Sehnsüchten und Freiheits-Suche Für die »alte« wie für die »neue« Zeit gilt, daß in einer Weltumsegelung eigenverantwortliches Handelt zum Ausdruck kommt, Yachties sich selbstbewusst, auch gegen Einwände von Familie, Freunden oder Arbeitskollegen für das Segeln als temporären oder dauerhaften Lebensstil entscheiden. Als Klara und Georg, ein gutverdienender Anwalt, sich 1972 mit Mitte Dreißig eine mehrjährige Auszeit nahmen, weil das Leben schließlich mehr als beruflichen Erfolg zu bieten hat, erntete er dafür von Schwiegereltern und Kollegen Unverständnis. Ist die Weltumsegelung doch für Außenstehende ein Unterfangen ohne direkt verwertbaren Nutzen, für dessen Realisierung man, mit Georgs Worten, ein »romantischer Egoist« sein muß, der sich nicht danach richtet, wie das Vorhaben von außen beurteilt wird, sondern nach den eigenen Bedürfnissen handelt: »Aber irgendwo musst du da eine Linie ziehen: das ist mein Leben, und mit dem fang ich an, was ich denke.« (Inwieweit es sich hierbei tatsächlich in erster Linie um ein Motiv männlicher Fahrtensegler handelt, wie es gerade Seglerinnen selbst als allgemeingültige Beobachtung häufig erklären, möchte ich an dieser Stelle zurückstellen.) Jede gewöhnliche Weltumsegelung wird aus letztlich hedonistischen Beweggründen angetreten. Gleich welchen Alters, sind das Streben nach Selbstverwirklichung und Freiheit, und die Flucht vor Unzufriedenheit durch gesellschaftlichem Druck oder Umweltbedingungen als zwei Seiten einer Medaille gerade in ihrer gegenseitigen Bedingtheit auch die Motive der Segler-Generationen der »neuen« Zeit. Einerseits die Suche nach einem erfüllteren Leben, einer an individuellen An-

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sprüchen gemessen höheren Lebensqualität, andererseits der Ausstieg, das Ausbrechen aus als einengend empfundenen Zwängen und Bedingungen. In diesem Sinne stimme ich Lusby/Anderson in ihrer Schlussfolgerung auch grundsätzlich zu. »Cruising is about seeking and escaping. It is creative and critical (Macbeth 1985). Cruising is about escaping and forgetting the pressures on land, the fast paced lifed, the cold temperatures, the rat race, the excess, the overabundance, the consumption, and the elbow culture. It is about seeking out and remembering a better life with beautiful natural vistas, sunsets and sunrises, a slow pace, appropriate challenges, strong relationships between people, and a life lived according to natural rhythms.« (Lusby/Anderson 2010: 101f.)

Fahrtensegler treten aus bestimmten Gesellschaftsstrukturen heraus und distanzieren sich räumlich wie geistig von einem landbasierten, seßhaften Lebensstil. Sie belassen es aber nicht bei passiver Ablehnung, sondern ergreifen aktiv Eigeninitiative. Diese Entscheidung wird jedoch aus der ganz persönlichen Lebenssituation heraus getroffen, ist der »Ausstieg« nicht Folge einer generell zivilisations- oder gesellschaftskritischen Einstellung, wie es bei Lusby/Anderson anklingt, sondern ganz individueller Wunsch nach Selbstverwirklichung. Zudem vermisse ich in ihrem Fazit den Rückbezug bzw. die Betonung des spezifischen Kontexts des Segelns. Denn einer von Beschleunigung und Wettbewerb geprägten Ellbogengesellschaft – »the pressures on land« – suchen auch jene Ruhestandsmigranten zu entkommen, die sich für einen immobilen Zweitwohnsitz im Süden entscheiden. Gerade Angesichts des höheren Durchschnittsalters gegenwärtiger Langfahrtsegler muß gefragt werden, weshalb der gerade auch mit körperlichen Herausforderungen verknüpfte Lebensstil des Segelns bevorzugt wird, oder welche Rolle es spielt, daß es sich um die Realisierung eines Lebenstraumes handelt, gleich ob mit oder ohne ausgeprägt seglerischer Biographie des Einzelnen. Zugleich müsste allerdings auch differenziert werden, inwieweit es sich bei den hier angeführten Motiven um Aspekte handelt, die mit der Reise tatsächlich aktiv gesucht, und welche davon in deren Verlauf erst gefunden wurden. Gerade das Segeln als verlangsamtes Fortbewegen und Reisen, die generelle Entschleunigung des Alltags durch die Gegebenheiten einer Fahrtenyacht, stehen als konkreter Beweggrund für eine Weltumsegelung nicht im Vordergrund. Der »Ausstieg« aus der spätmodernen Beschleunigung wird keineswegs unbedingt oder bewusst gesucht, sondern häufig erst im mehrjährigen Verlauf der Reise als positiv und Steigerung der Lebensqualität erfahren (vgl. a. Kap. 5.1). Wie beantworten Segler heute selbst die direkte Frage, ob beziehungsweise wonach sie mit der Weltumsegelung auf der Suche sind. Anders als vor vierzig Jahren geht mit dem zunehmenden Alter der Akteure der eigentlichen Reise in aller Regel eine wesentlich längere Phase der konkreten, gezielten Vorbereitung voraus. Zwischen Idee und Start vergehen keine zwei, sondern zehn, 15 oder 20 Jahre – in denen auf

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Bootsausstellungen und durch intensive Recherche die Vorstellung der idealen Fahrtenyacht, des »Traumbootes« entwickelt, und in Deutschland, Europa oder auch weltweit danach gesucht wird; in denen theoretische und praktische Kurse besucht, Segelscheine und Funkzeugnisse erworben und Erfahrungen auf Charteryachten gesammelt werden. Das Vorhaben, auf einem kleinen Boot um die Welt zu segeln, ist heute kein unerhörtes Abenteuer, sind Langfahrten keine Ausnahmeerscheinung mehr, sondern (seglerische) Normalität. Damit ist auch das Vorwissen, auf das angehende Weltumsegler zurückgreifen können, gewaltig angewachsen. Sie stehen heute nicht mehr vor der Schwierigkeit, auf eine Handvoll Bücher zurückgreifen zu können, sondern vielmehr aus einem Überangebot von Ratgeberliteratur und Erfahrungsberichten, Segelzeitschriften und sogar auf Blauwassersegler spezialisierten Magazinen, aus eine Überfülle von Webseiten, Diskussionsforen und Blogs von und für Yachties das für sich Passende und Hilfreiche herauszufiltern. In Deutschland wird die Zahl von Langzeitseglern, die eine gewöhnliche Weltumsegelung unternommen haben, stetig größer, so daß es heutzutage keinerlei Schwierigkeit mehr bereitet, sich vor der eigenen Reise mit »Vorausfahrenden« direkt und persönlich auszutauschen. Oder ein »Blauwasserseminar« bei Bobby Schenk zu besuchen (s. Kap. 2.1), um sich über die ideale Ausrüstung einer Fahrtenyacht und praktische Fragen des Bordalltags unterrichten zu lassen und mit der Lektion »Erste Hilfe für Langzeitsegler« auf (vermeintlich) alle Eventualitäten vorzubereiten. Ist die Weltumsegelung noch ein Abenteuer, wenn möglichst alle Ungewissheiten im Vorfeld ausgeräumt werden? Warum muß die Frage, was tun, wenn in einer Marina keine Waschmaschine vorhanden ist (und auch in keinem der vielen Bücher eine Antwort darauf zu finden ist), schon in der Planungsphase der eigenen Reise mit erfahrenen Langzeitseglern geklärt werden, anstatt sich darauf einzulassen, ›Herausforderung‹ als Teil des Reiseerlebnisses Weltumsegelung zu betrachten? Haben also jene Stimmen Recht, die den gegenwärtigen Seglern Neugierde auf das Fremde und Lust am Abenteuer generell absprechen? Andrea und Peters »Segler-Karriere« nimmt eigentlich schon in den 1970ern seinen Anfang, mit einem 24-Fuß Kabinenkreuzer und Peters Vorschlag, nach Arbeitsjahren in Asien mit diesem »Holzbötchen« nach Hause zu segeln. Für Andrea ein völlig abwegiges Unterfangen, das sie rundweg ablehnt! Peter (FB): Es war vermutlich besser so! Während der folgenden 10 Jahre bin ich dann etwas subtiler vorgegangen, so daß wir schließlich beide von einem Leben auf hoher See träumten. SY ALEPH, 1992-2001

Zurück in der Schweiz beginnen dann aber beide – erst er, sie zieht nach – Segelscheine zu erwerben, zu chartern und verschiedene europäische Segelreviere zu befahren.

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Andrea (FB): Irgendwann war die Idee geboren: Wir brechen unsere Zelte ab und gehen segeln. […] Während Peter am Anfang der Planungsphase die treibende Kraft war, mauserte ich mich allmählich zur begeisterten Seglerin und blies schließlich kräftig zum Aufbruch. SY ALEPH, 1992-2001

Dem spontan geäußerten Plan, die anstehende Heimreise doch einfach mit dem eigenen Boot anzutreten, folgte eine jahrelange ernsthafte Beschäftigung mit dem Segeln, wird die Vorbereitung wie die spätere Reise zur intensiven, mit zeitlichem und finanziellen Aufwand und hohem Engagement betriebenen serious leisure, immer mit dem Ziel des Aufbruchs vor Augen. Und das Ziel der Reise? MK (FB): Was war das Ziel Eurer Reise? Wart Ihr auf der »Suche«? (Wonach?) Peter (FB): Für mich war es einerseits die Verwirklichung eines Traumes und anderseits das dringende Bedürfnis, mich noch rechtzeitig in die Freiheit abzusetzen. Ich will nicht verhehlen, daß zum gegebenen Zeitpunkt berufliche Karriere als Alternative eventuell das Ganze verzögert oder sogar verhindert hätte. Aber zum Glück ist es nicht so weit gekommen, und bereut habe ich meinen Entscheid noch nie. SY ALEPH, 1992-2001

Neben dem allgemeinen, nicht näher definierten Traum von einem »Leben auf hoher See« führt Peter, Maschinenbauingenieur, auch das konkrete Motiv der Flucht an, wenn er davon schreibt, sich »in die Freiheit« absetzen, mit 57 aus Alltag und Beruf ausbrechen zu wollen. Dieser Ausstieg und die Entscheidung für das Segeln werden durch den Umstand begünstigt, daß keine «berufliche Karriere« lockte, und Peter nicht kündigen mußte, sondern die Gelegenheit zur Frühpensionierung nutzen konnte. Auch Andrea, Anfang Fünfzig, kann ihre Arbeit als freie Journalistin vorzeitig beenden, und auch sie führt ein Freiheitsstreben als Motiv an, allerdings im Sinne eines »mehr« an Freiheit, einer selbstverantwortlichen Unabhängigkeit, ohne daß das Leben an Land per se als einschränkend oder -engend empfunden wird. MK (FB): Was war das Ziel Eurer Reise? Wart Ihr auf der »Suche«? (Wonach?) Andrea: Auf der »Suche« war ich ganz bestimmt nicht. Und das Ziel der Reise? Am ehesten Abenteuerlust, auch wenn ich nicht der unverzagte Abenteuertyp bin, auch wenn ich recht unternehmungslustig bin, und die Sehnsucht nach einem freien, ungebunden Leben. SY ALEPH, 1992-2001

Eine gewisse Abenteuerlust als Antrieb zum Fahrtensegeln scheint sich immer noch erhalten zu haben, aber es ist nicht mehr das gleiche unbestimmte Fernweh, das vor vierzig Jahren verspürt wurde. Durch die Veralltäglichung des Reisens besteht das Abenteuer nicht allein im Besuch fremder Länder und ferner Inseln, sondern zeigt

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sich bei dieser Weltumsegelung, daß sie »wo immer möglich, die ausgetreten Pfade verlassen wollten« (Andrea), und sich mit ihren ausgedehnten Fahrten nach Alaska oder der Umrundung der »stürmisch kalten« Südinsel Neuseelands tatsächlich als »eingefleischte Individualisten unter den Langzeitseglern« (Peter) hervortaten. Gleichwohl beendeten Andrea und Peter ihre Reise mit der Rückkehr in die alte Heimat und in ein seßhaftes Landleben, stellen die gut zehn unter Segeln verbrachten Jahre eine rückblickend temporäre Episode permanent gelebter Mobilität dar. Obwohl immer wieder das Bild der Zelte oder der Brücken bemüht wird, die Fahrtensegler hinter sich abrechen, steckt dahinter keineswegs ein vollständiger Bruch mit der zurückgelassenen Heimat und Gesellschaft. Häufig entscheiden sich jedoch jene, die ihren Ausstieg in dieser Weise benennen, für eine vollständige räumlich-materielle Trennung von der vorherigen Lebenswelt. Die Fahrtenyacht wird zum einzigen Besitz und Wohnort, ohne aber deswegen eine spätere Rückkehr an Land auszuschließen. Das grundlegende Motiv ist auch hier weniger in der Flucht oder dem Ausbrechen, als im eigenverantwortlichen Handeln, der aktiven Suche nach einem individuell »besseren« Leben zu sehen. MK: In Eurem Newsletter heißt es, Ihr habt »alle Brücken hinter Euch abgebrochen«. War das das Ziel, war Euch das klar von vornherein? Wulf: Wenn du das so anschaust, ja, das war eigentlich immer das Ziel. Aber das ist jetzt eine Sache, die würde Claudia wieder völlig anders anschauen als ich. Wir sind ja nicht geflohen. Wir sind ja nicht irgendwie verbittert aus der Schweiz weg, oder weil wir überhaupt nicht mehr dort leben wollen oder können oder möchten, sondern es ist einfach eine andere Art, jetzt das mittlere Lebensalter zu verbringen. Bevor man pensioniert wird und dann nicht mehr mag. Es war halt die Entscheidung. Will man so lange Geld verdienen, bis man sich ein grösseres Schiff leisten kann, oder will man früher weg und jetzt in der Zeit, wo man fit ist, das machen. Wir haben uns dafür entschieden. SY TROLL, 2001-08

Die Entscheidung, den bisherigen festen Wohnsitz an Land vollständig aufzugeben, etwa durch den Verkauf eines Hauses, basiert sowohl auf ideellen wie pragmatischen Gründen. Ideell, weil Segler durch die Aufgabe von Immobilienbesitz, durch den Verzicht auf (Unter)Vermietung, unabhängig und frei von Verpflichtungen sind. Pragmatisch, weil häufig erst der Verkauf eines Hauses oder einer Wohnung die Anschaffung eines Bootes erlaubt und den Lebensunterhalt deckt. Die Frage nach dem frühestmöglichen Zeitpunkt, zu dem eine Weltumsegelung bzw. eine mehrjährige oder prinzipiell auch unbegrenzte Wanderexistenz als Fahrtensegler realisierbar ist, ist letztlich immer auch an die finanzielle Unabhängigkeit gekoppelt. Einerseits erweist sich in dieser Hinsicht der Vorruhestand als idealer Zeitpunkt, andererseits sind sich die Akteure ihres dann fortgeschrittenen Alters und längerfristig zu bedenkenden möglichen Folgen bewusst. Wann also auf-

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brechen, wenn das bekannte und vertraute Segelrevier der Ostsee, die im Berufsalltag realisierbaren Vier-Wochen-Törns nicht mehr genügen? Dietmar: […] bis wir irgendwann mal gesagt haben - der Zeitpunkt war wohl so ’96, ’97 … Inge: …als abzusehen war, daß die Kinder selbständig waren. Dietmar: … wir machen mal was – wir sind noch relativ jung. Damals waren wir 47, 48 – und wir machen mal was ganz anderes. Die meisten, die ziehen ja los, zwei oder drei Jahre, und sind nach drei Jahren wieder im Beruf und steigen wieder ein. Das wollten wir nicht. Haben alle beide in mittlerer Position bei [einem Telekommunikationsunternehmen] gearbeitet. […] . Ach, wir hatten auf Lebenszeit ’ne unkündbare Stelle. […] Wir wären jetzt – wir werden 58 – wir wären seit einem Jahr jetzt im Vorruhestand, hätten jeden Monat unsere Pension. Wollten wir alles nicht. Jede Früh da in dies office. Inge: Wir haben gesagt, wir machen mal ’nen neuen Abschnitt. SY NJÖRDR, seit 1998

Die Entscheidung, quasi mitten im aktiven Erwerbsleben einen »neuen Abschnitt« zu beginnen und, nicht bis zur Pensionierung zu warten, wurde Inge und Dietmar dadurch erleichtert, daß sie zu diesem Zeitpunkt bei ihrer Kündigung mit einer passablen Abfindung rechnen konnten. Ebenso wie die anderen beiden Paare, von denen hier die Rede war, und die sich »vorzeitig« mit Mitte Vierzig und Fünfzig für das Segeln entschieden, sind Inge und Dietmar ganz auf ihre Fahrtenyacht gezogen, haben sie allen Besitz an Land aufgegeben, bzw. einige wenige Kisten bei Kindern untergestellt. Diese Segler der Generation 40+ und 50+ sind zwar älter als die durchschnittlichen Fahrtensegler der »alten« Zeit, zählen aber mit zu den »Jüngeren« der gegenwärtigen Seglergemeinschaft. Dadurch, daß sie sich zwar Schiff und Reise leisten können, aber häufig doch darauf angewiesen sind, ihr begrenztes Budget für die Weiterfahrt durch regelmäßige Arbeitsaufenthalte in der Heimat oder durch Gelegenheitsarbeiten unterwegs beständig aufzustocken, stehen sie den jungen Segler der »alten« Zeit nahe, verbinden ihre Alltags- und Reiseerfahrungen sie diesbezüglich mit den Segler-Generationen der 1970er und 1980er. Vom Tatendrang und dem Alter Sowohl auf Lebensstil und Reiseerlebnis des einzelnen Seglers wie auf die Seglerszene insgesamt hat der ins höhere Alter verschobene Aufbruch Folgen. Während vor 40 Jahren der »Ausstieg« in einer relativ frühen Lebensphase dazu beitrug, daß Reisepläne nicht völlig über Bord geworfen wurden, weil Segler und Seglerinnen sich mit Hinblick auf Familiengründung und Berufseinstieg keine zeitlich unbegrenzte »Bummelei« erlauben wollten oder konnten, liegt dieser spezifische Zeitdruck nicht mehr vor, wenn erst mit dem Ende des Erwerbslebens gestartet wird. Prinzipiell haben die das Bild der »neuen« Zeit prägenden Fahrtensegler der Generation 60+ sowohl Zeit als auch Mittel, langsamer um die Welt zu segeln. Bemerk-

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enswerterweise ist die potentiell gelebte Entschleunigung dennoch kein ursächlicher Beweggrund, sondern nach und nach entdeckter Gewinn des Segels. Im Rückblick wird berichtet, wie selbstverständlich im Berufsleben verinnerlichte Alltagshektik und Zeitdruck, trotz der körperlich erlebten geringen Reisegeschwindigkeit der Fahrtenyacht selbst, zunächst fortgeführt wurden. Erst das prozesshafte Hineinwachsen in den Lebensstil Fahrtensegeln führt zu einer Verlangsamung des Reisetempos, und damit teilweise zu der von Scott (2002) als persönliche EntwicklungsReise beschriebenen Verstetigung des zunächst zeitlich begrenzten Unterfangens. Maria: Am Anfang ja, da war dat ein Abenteuer. Und, dann waren wir noch auf der Flucht. Karl: Das war das Schlimmste. Maria: Dat war dat Allerschlimmste, wat wir gemacht haben. Aber das konnte uns auch keiner ausreden, und die Erfahrung musst du auch selber machen. Bis Buenos Aires waren wir noch auf der Flucht. Wir kamen nach Buenos Aires und haben gesagt, jetzt nichts wie reparieren, aus dem Wasser, und das Unterwasserschiff muss gestrichen werden. Und dann müssen wir gleich runter nach Patagonien, damit wir da unten den Sommer noch mitkriegen. […] Und dann kam ein deutscher Segler, der da unten war. Der sagte, seid Ihr denn bekloppt? Ihr habt doch Zeit, jede Menge. Jetzt bleibt doch erstmal hier, guckt Euch Argentinien an. […] Drei Wochen haben wir geknurrt. (Karl schmunzelt) Haben das hin und her überlegt, … Karl: Aber der Wurm war im Gehirn. Maria: Und zum Schluß haben wir gesagt, das war DIE Idee. Dann sind wir ein ganzes Jahr in Buenos Aires geblieben. SY ELBE, 1995-2010

Mit den Jahren und der Routine des Seglerlebens ist nicht mehr die Weltumsegelung an sich »Abenteuer«, sondern der Ausstieg aus dem sich häufig selbst verordneten, strengen Reiseplan. Bei Maria und Karl bedarf es dabei der Anregung von außen, um ihnen die eigentliche Freiheit ihres selbstbestimmten Unterwegsseins in Erinnerung zu rufen; um ihre Vorstellung, wie eine Weltumsegelung abzulaufen hat, aufzubrechen. Sie nutzen die erste Unterbrechung in Buenos Aires, um mehrere Monate mit Zelt und Leihwagen Argentinien zu bereisen, auf ihrer Weiterfahrt entscheiden sie sich in Patagonien dafür, den Beagle Kanal nicht in einer kurzen Saison zu durchqueren, sondern sich ein ganzes Jahr Zeit zu nehmen, und dieses Reisemuster der langen Aufenthalte setzen sie dann in Chile und Französisch Polynesien fort. Bald sind sie nicht mehr wie noch im ersten Jahr »auf der Flucht«, haben mit der Ankunft nicht schon die nächste Etappe und ausschließlich die nächsten anliegenden Arbeitsaufgaben vor Augen. Die von ihnen gewählte Kombination einer langsameren Weiterfahrt mit ausgedehnten Reisen an Land, häufig per Mietauto, setzt nicht nur voraus, sich diese zusätzlichen Kosten leisten zu können, sondern neben einer guten gesundheitlichen Konstitution auch den entsprechenden Unternehmungsgeist. Denn, sich alle

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Zeit der Welt zu nehmen heißt im Umkehrschluß keineswegs, diese auch aktiv zu nutzen. Mit steigendem Alter, so die Innenperspektive von Langzeitseglern auf eine veränderte Seglerszene, wächst auch die Bequemlichkeit, schwächt sich das Motiv ab, möglichst viel Neues sehen und erleben zu wollen, wird das Bekannte und Vertraute wieder reizvoller. Die Weiterfahrt wird gewissermaßen ausgesetzt, das Segeln selbst tritt in den Hintergrund. »Diese Fahrt rauf und wieder runter«, von der Jochen spricht, meint dann auch das typische Reisemuster jener als Weltumsegler gestarteten Yachties, die über Jahre zwischen Neuseeland und den Inseln pendeln. Gesegelt wird dann zwischen Neuseeland und Tonga, Fiji, Vanuatu oder Neukaledonien auf ca. 8- bis 10-tägigen Überfahrten (ca. 1200 sm), während dort häufig kaum zwischen Anker- oder Mooringplätzen gewechselt wird, und gerne auch in der nächsten (und übernächsten) Saison ein schon bekannter Platz aufgesucht wird. Jochen: Ja, das empfinde ich jetzt gar nicht mehr so richtig als Segeln. Immer nur diese kurzen Touren. Walter sagt ja immer, er segelt so viel. Aber im Grunde segeln wir ja gar nicht. Ich finde das alles zurzeit lächerlich. Diese Fahrt rauf und wieder runter. […] Aber im Grunde ist das alles Im-Hafen-Rumliegen. Wir haben in Noumea ja im Grunde in einer Marina gelegen wie hier und haben dann da unseren Käse eingekauft am Mark, gleich um die Ecke. MK: Was reizt Dich dann daran? – Bist Du aufgebrochen, um zu segeln, […] oder war von Anfang an das Ankommen wichtiger, und das Land, daß Du sehen wolltest? Jochen: Das hängt wahrscheinlich mit dem Alter zusammen, nich. Mir fällt auf, daß ich viel weniger unternehmenslustig bin. Deshalb ist auch die ganze Flotte anders. Die meisten sind ja fast alles ältere Leute. Und es gibt wenige Ausnahmen. SY BOSTON, seit 1997

Jochen nimmt sich selbst nicht aus, lässt sich mit dem Weiterziehen nach Westen Zeit. Als er 1999 das erste Mal nach Neuseeland kam, plante er die cyclone season einmal nicht nur in der Bay of Islands zu verbringen, sondern den seglerisch durchaus anspruchvollen Rundtörn um die Südinsel anzugehen, aber: Jochen: […] dann ist das so mit der Zeit. Ist man dann hier so in den Trott gekommen, daß man hier nur rumhängt. Und das Schiff eigentlich nur repariert. SY BOSTON, seit 1997

Ebenso, wie es eine Anstrengung sein kann, bewusst zu entschleunigen, einen einmal gefassten Plan zu verwerfen, länger zu bleiben und nicht zügig weiterzufahren, kann es zur Herausforderung werden, sich nicht von dem Alltag des Organisierens und Reparierens, wie auch von den Bequemlichkeiten eines »Hafen-Lebens«, vom eigentlichen Segeln abhalten zu lassen.

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Von Lösungsprozessen – aber »für die Seele« noch das Haus? Gleich ob auf »den Inseln« oder den Sommer über in Neuseeland: (deutsche) Fahrtensegler, die lieber vor Anker als am Steg liegen, die aus Häfen oder Marinas »raus« gehen und die Mobilität ihres Gefährtes kontinuierlich nutzen, die vielleicht auch mal an einer der Wochenend-Regatten des lokalen cruising club teilnehmen und nicht nur das anschließende cruisers’ dinner besuchen, sind gegenwärtig offensichtlich immer häufiger die Ausnahme. Aus der fahrtenseglerischen Innenperspektive auf den eigenen Lebensstil sowie das Umfeld der Mit-Segler steht das Alter in direktem Begründungszusammenhang mit dieser Entwicklung. Neben der damit verknüpften finanziellen Unabhängigkeit ist auch ein gestiegenes, gewandeltes Sicherheitsbedürfnis erkennbar, dem nicht zuletzt durch einen Wohnsitz bzw. Immobilienbesitz in der Heimat Rechnung getragen wird. Inge: Ja, dann kommt das noch dazu. Es gibt ja dann auch einfach unter den Leuten viele, die haben in Deutschland noch alles. Die haben ja ihr vorheriges Leben nicht abgebrochen. Da haste die Wohnung, oder das Haus, oder alle möglichen Sachen. Die sind dann noch relativ lange in Deutschland im Jahr. Dietmar: Das ist wohl die Regel jetzt. […] Das ist nicht mehr so wie in den 60er, 70er oder 80er Jahren, daß die Leute losziehen, und irgendwie wieder was [machen].[…] Aber - diese Sicherheit, ich flieg’ jetzt nach Deutschland, und dann dreh ich halt den Schlüssel und dann bin ich in meiner Wohnung. Die haben sehr viele noch. Und das ist immer so, im Hinterkopf dann noch, ne, wenn’s mal hier schief geht. Wir haben eine Kiste mit Andenken und ein paar Bildern (lacht), ja, und ein paar Schulzeugnissen bei unserem Sohn stehen im Haus, und das war’s dann. […] Ja, es ist so grad ’ne Generation, die jetzt so über Sechzig, 65 sind. Die haben gut Geld. Ich meine, ist ja nichts dagegen einzuwenden. Aber … Inge: Aber für die gesamte Segelszene hat sich das ganz schön geändert. SY NJÖRDR, seit 1998

Der Vergleich mit früheren Seglergenerationen beruht hier allerdings nicht auf eigenen Erfahrungen jener Zeit, sondern auf Berichten und Gesprächen mit Seglern, die damals unterwegs waren, und spiegelt insofern auch einen imaginativen Blick auf eine vergangene Seglerszene, in der sich idealistische Individualisten versammelten. So sehr ihr »Bruch« mit dem Leben in Deutschland – einziger Wohnsitz und Lebensmittelpunkt ist ihre Fahrtenyacht NJÖRDR – Inge und Dietmar von vielen Akteuren ihrer eigenen, aktuellen Seglergeneration unterscheidet, so sehr empfinden sie Segler der »alten« Zeit als Gleichgesinnte, verbindet sie eine gewisse Risikobereitschaft und die Inkaufnahme von Einschränkungen, um dafür auf dem Schiff zu leben und zu reisen. Auf der anderen Seite spielt es auch für Inge und Dietmar eine wichtige Rolle, den Kontakt zur Familie zu pflegen und vor allem an der Entwicklung der Enkelkinder teilzuhaben, weshalb sie etwa alle zwei Jahre für

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ein bis zwei Monate nach Deutschland fliegen - kein vollständiger »Ausstieg«, gerade aus den sozialen Heimat-Beziehungen (vgl. Kap. 6.2). Welche Rolle ein Hausbesitz in Deutschland (der Schweiz, Österreich,…) für die vor Ort stattfindende Praxis des Fahrtensegelns spielt, ist pauschal nicht zu beantworten. Ein tatsächlich direkter Einfluss auf die Reiseplanung, und damit auch auf die »Bewegungsfreiheit« von Seglern, ist in dem Mehr an Zeit- und Organisationsaufwand zu sehen, der etwa durch jährliche Heimflüge und die Unterbringung des Schiffes in dieser Zeit entsteht. Wichtiger noch als ihre Funktion der Unterkunft bei »Heimaturlauben« bieten Wohnung oder Haus jedoch die Gewissheit, bei unvorhergesehenen Umständen unmittelbar in ein Zuhause und vertraute Verhältnisse rückkehren zu können. Dies trägt umkehrt noch dazu bei, so abgesichert das Leben auf dem Boot »freier« zu genießen. Hans-Dieter (FB): Bisher habe ich mich noch nie quälen müssen, war nie seekrank und freue mich ständig, unterwegs sein zu können. Es kommt zum Wohlfühlen natürlich dazu, daß ich mindestens einmal im Jahr nach Hause fliegen kann. Einige Segler haben keine Wohnung an Land, deren Gemütslage mag anders sein. Bei mir ist die Freiheit da. Geht der Kahn unter und ich überlebe, kann ich zuhause weiterleben. SY SINA, seit 2003

Je älter, desto geringer die Bereitschaft, alles aufzugeben, desto größer das Bedürfnis nach Sicherheit und Absicherung. Offen bleiben muß an dieser Stelle, ob gleichaltrige Segler anderer Nationalitäten generell eine andere Einstellung dazu pflegen, oder ob es sich um eine Folge des Wohlstandes gerade der deutschen Generation 60+ handelt. Warum es für sie und ihren Ehemann nicht in Frage kommt, ihr Haus in Deutschland aufzugeben, oder in ihrer Abwesenheit zu vermieten, begründet jedenfalls auch Maria damit, daß mit jedem Lebensjahr die Freiheit, segeln zu können, aber nicht zu müssen, an Bedeutung gewinnt. Daß es dabei nicht nur eine Frage der Einstellung ist, ob man eine Wohnung an Land behalten möchte, sondern vor allem auch, ob man sich Haus und Schiff, also doppelte Haushalte und Lebensräume überhaupt leisten kann, liegt auf der Hand. Maria: Das hängt wahrscheinlich mit der deutschen Mentalität und wahrscheinlich auch mit unserem Alter zusammen. Weil wir ja erst relativ spät losgefahren sind. – Da gibst du nicht mehr alles auf. Weißt Du, und wir sitzen ja, im Grunde genommen sitzen wir ja auf einer Zeitbombe. Wir können ja jeden Tag krank werden. Und dann irgendwo auf den Inseln gibt’s keine Ärzte, gibt’s kein Krankenhaus. Dann setzt du dich doch lieber in den Flieger, fliegst nach Hause und läßt sich zuhause behandeln. Das muß einfach dransitzen. Wir wollen segeln. Wir müssen nicht segeln, wir können segeln. So. Das ist der Unterschied bei uns. SY ELBE, 1995-2010

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Das Haus an Land kann als eine wichtige psychologische Komponente zum Gelingen einer Weltumsegelung beitragen, auch wenn längst die Yacht zum eigentlichen, und auch emotional wichtigeren Zuhause geworden ist. Für Hanni und Walter stand schon Jahre im Voraus fest, daß seine Pensionierung mit Anfang Fünfzig der Aufbruch zum Segeln mit einem eigenen, vernünftigen Boot werden würde. Die Idee dazu entstand bald zwanzig Jahre vorher: erst kam im Campingurlaub am Gardasee die Begeisterung für Wassersport auf, dann eine Jolle auf dem Steinhuder Meer. Unzählige Besuche auf Bootsausstellungen und zahlreiche Charterurlaube in der Ostsee und dem Mittelmeer später geht der eigentlich Umzug vom Land aufs Wasser dann recht schnell vonstatten. Erst geben sie sich ein halbes Jahr Zeit, ob ihnen das Leben an Bord so überhaupt gefällt, dann verbringen sie vor Atlantikquerung und Karibik erst einmal vier Jahre im Mittelmeer, und mittlerweile, seit 2000, die längste Zeit im südlichen Pazifik. Ihre Zukunftspläne lauten, später einmal wieder in Europa anzukommen. Eigentlich haben sie gar nicht vor, jemals wieder in ihr altes Zuhause in Deutschland zurückzukehren, aber ebensowenig kommt es für sie in Frage, es einfach aufzugeben. Mehr noch als eine finanzielle erfüllte es seinen Zweck als mentale Sicherheit. MK: Dann seid Ihr also sofort los? Hanni: Ja, praktisch, Boot gekauft, ’nen Monat später wurde Walter pensioniert und dann saßen wir auch eine Woche später auf dem Schiff. Walter: Acht Tage später hab ich auf meinem Kahn gesessen, auf unserem. […] Hanni: […] Und seitdem sitzen wir auf diesem Schiff. MK: Aber Ihr habt ja zuhause auch noch ein Haus, oder? Walter: Ja. Auf jeden Fall haben wir es noch. Und wir wissen halt nicht, ziehen wir da mal wieder rein, oder was machen wir später mal […] MK: Wäre das jemals in Frage gekommen, ganz auf’s Boot zu ziehen, alles in Deutschland aufzugeben? Hanni: Für die Seele war das gut mit dem Haus noch. Walter: Also, wir haben zwar damals überlegt, wenn wir das Boot nicht kriegen zu dem Preis, was machen wir. Müssen wir das Haus angreifen. Aber das brauchten wir dann nicht, ne, das ging dann gut. Also insofern haben wir das immer schön behalten. Und das ist auch gut so, das noch immer zu haben, nich. SY LIESELOTTE, seit 1992

Denn auch wenn es sich um die jahrzehntelang vorbereitete Erfüllung eines Lebenstraumes handelt, erleben Segler durchaus Momente des Zweifelns. Gerade wenn sich angesichts schlechten Wetters oder »dreckiger Häfen« dann die Sinnfrage stellt, »müssen wir das eigentlich haben?«, trägt gerade die Gewissheit, eben nicht zu müssen, sondern die Reise jederzeit unter- oder komplett abbrechen zu können, dazu bei, nicht aufzugeben. Das Weiterführen eines second home an

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Land entbindet von einer definitiven Entscheidung, steht das Haus »für die Seele« für die Freiheit der Wahl, sich den momentanen Lebensstil selbstbestimmt wählen zu können. Kann man es sich leisten, eine Wohnung oder Haus zu behalten, ist man nicht gezwungen, sich uneingeschränkt auf den mobilen, flüchtigen Lebensstil des Fahrtensegelns einzulassen, muß auch die Dingwelt des bisher geführten Haushaltes nicht mit dem Nutzungsbedarf und Raumangebot einer Fahrtenyacht in Einklang gebracht werden. Während Peter, der 1972 aufbricht, davon spricht, sich von der eh noch provisorisch eingerichteten Wohnung leicht getrennt zu haben, um mit seiner Frau stattdessen auf einem anfangs noch halbfertigen Boot um die Welt zu segeln (S. 144), stehen ältere Segler vor der schwierigeren Aufgabe, sich im Zweifelsfall in viel größeren Umfang von persönlichem Besitz lösen zu müssen. Wie die Counts es im Falle eines vergleichbaren Umzuges in eine box on wheels beschreiben, kann die damit in aller Regel verbundene traumatische Erfahrung, da bei Bewertung und Auswahl zu bewahrender oder abzugebender Dinge die eigene Identität verhandelt wird (Counts/Counts 1997: 142f.), durch das Beibehalten eines Wohnsitzes an Land, und je nach Umständen auch beim Unterstellen oder Einlagerung von Gütern, vermieden werden. Der Entscheidung für ein langjähriges Leben an Bord steht dann eben immer auch die abgesicherte Alternative eines bekannten Lebens an Land zur Seite. Die damit verbundenen zusätzlichen Aufgaben und Herausforderungen, etwa was die Organisation der Abwesenheit betrifft, die Suche nach vertrauenswürdigen Mietern oder notwendige ungeplante Heimatbesuche, werden für die dadurch gewonnene Sicherheit und Gewissheit eines festen, immobilen Zuhauses in Kauf genommen. Regina: Wir haben ein Haus, mit Einliegerwohnung. Das war also nie so meine Vorstellung, segeln zu müssen, sondern ich wollte segeln dürfen. Und jederzeit, wenn’s mir nicht gefällt, wieder nach Hause zu können. Ist natürlich gleichzeitig ne Doppelbelastung, denn auch das Haus muß irgendwie gepflegt werden. Und die entsprechenden Mieter zu kriegen. Jetzt haben wir sie, aber das hat gedauert (lacht). SY AINU, seit 1997

Ein anderes Seglerpaar, Elke und Michael, wählte einen Zwischenweg, indem sie ihren Haushalt einlagerten, ihre Wohnung bei Antritt ihrer schließlich fast 10jährigen Reise aufgaben und sich dann ein Jahr vor der Rückkehr nach Deutschland wieder um einen Wohnsitz an Land kümmerten. Auch dieses Paar ist während der Weltumsegelung vier, fünf Mal nach Deutschland geflogen, um Kinder und Enkelkinder zu sehen und zuletzt eben auch den Rückzug an Land vorzubereiten. Während der Reise keine eigene Wohnung, damit aber auch keine Verpflichtungen in Deutschland zu haben, sehen beide als positive Verstärkung, ja als Intensivierung des Reiseerlebnisses. In ihren Augen verhindern die regelmäßigen »Heimat«-Unter-

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brechungen anderer Fahrtensegler ihrer Generation, sich überhaupt auf das Erlebnis Weltumsegelung einlassen zu können. Michael: […] Also, es ist schon gut ohne Wohnung loszufahren, weil man ja viel Geld spart. […] Und man trennt sich auch psychologisch besser, wenn man die ganzen Jahre nicht so: oh, nach Hause drei Monate, die hurricane-season zuhause, dann wieder zurück. Mit halbem Herzem bleibt man immer totaler Deutscher. Man ißt nur noch deutsch unterwegs. Die meisten, haben wir gesehen, die bestellen … die bringen sich alles von Deutschland mit. Man löst sich nicht. Ich glaube, wir haben uns ganz gut gelöst. MK: Also wart Ihr froh, kein Zuhause in Deutschland zu haben? Michael: Oh ja, unbedingt. Elke: Wir waren wirklich froh, doch. Auch die Gedanken waren nicht zuhause, muß ich auch sagen. Nicht soviel bei den Kindern […] SY BRIGHT DAY, 1997-2006

Sich von der eigenen Wohnung zu trennen spart Kosten, aber vor allem bekräftigt es symbolisch den in diesem Falle von vornherein temporär angelegten Ausstieg aus der vertrauten Herkunftsgesellschaft, einschließlich einer Loslösung aus familiär-sozialen Kontexten, die in neue Formen der Kommunikation und des Umgangs miteinander überführt werden. Anders als bei einer Auswanderung, die den Akteur vor die Aufgabe stellt, in einer neuen Ankunftsgesellschaft anzukommen, verharren Weltumsegler einerseits in einem Zustand der Flüchtigkeit, des permanenten SichLösens und Ankommens, um andererseits mit der Seglergemeinschaft in eine paradoxerweise zugleich stabile und flüchtige, neue soziokulturelle Konfiguration einzutreten. Neben der räumlichen Entfernung auch eine emotionale Distanzierung zuzulassen erleichtert – zumindest diesem Ehepaar - offensichtlich das »Ankommen« in der Reise selbst, sind sie zugleich selbstbestimmter, eigenverantwortlich und offener für Neues unterwegs15. Angesichts der Individualität von Weltumsegelungen können diesbezüglich freilich keine generellen Aussagen getroffen werden. In einem anderen Fall mögen es gerade bestimmte Lebensmittel, mit denen sich ein Segler auch bei regelmäßigen Heimatbesuchen versorgt, dazu beitragen, sich in der Fremde weniger fremd und gerade deswegen auch dort zuhause zu fühlen. Das Beispiel der Großeltern Elke und Michael zeigt nebenher noch eine weitere Thematik auf, die sich im Verlauf der letzten vierzig Jahren, wiederum durch den in einer späteren Lebensphase stattfindenden Aufbruch, gewandelt hat. Mit den Ak-

15 Vgl. eine Untersuchung unter long-term travelers in Neuseeland, die es keineswegs nur positiv sehen, daß sich durch die heute verfügbaren Kommunikationsmöglichkeiten, v.a. Internet und Telefon, die Trennung zwischen home and away auflöst, trotz räumlicher Distanz kein emotionaler Abstand mehr erfahren werden kann (White & White 2007).

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teuren ist zugleich die Generation ihrer Eltern gealtert, wirkt sich der demographische Wandel auch auf innerfamiliäre Verpflichtungen und Rollen aus. Bei den jungen Erwachsenen, die in den 1970ern und 80ern starteten, gab es seitens der Eltern zwar häufig Einwände gegenüber dem Wunsch, um die Welt zu segeln. Als erwachsene Kinder konnte diese Yachties ihre selbstverantwortliche Entscheidung für einen temporären oder dauerhaften Ausstieg jedoch recht unabhängig treffen – (noch) ohne eigene Kinder, und mit noch selbständigen, unabhängigen Eltern zuhause. Diese Freiheit von Verpflichtungen ist, neben den hohen Kosten, mit ein Grund, weshalb Reiseunterbrechungen und Heimflüge damals selten waren. Die älteren Segler von heute müssen die aus veränderten innerfamiliären Rollen (als Großeltern von Enkelkindern, als Sohn oder Tochter gebrechlicher, teils pflegebedürftig werdender Eltern und Schwiegereltern) erwachsenen Bedürfnisse bzw. an sie gerichteten Ansprüche mit dem Wunsch nach Selbstverwirklichung im Segeln in Einklang bringen. Die Monate der Wirbelsturmsaison regelmäßig, d.h. jährlich, für längere Aufenthalte in der Heimat zu nutzen kann auch bedeuten, einer gewissermaßen doppelten Verpflichtung als Kind und Eltern- bzw. Großelternteil nachzukommen zu versuchen. Einerseits ermöglicht erst die Selbständigkeit der eigenen Kinder das (zunächst) verpflichtungsfreie, unabhängige Segeln, weshalb der Aufbruch nicht früher stattfinden kann. Anderseits werden die Eltern der Akteure immer älter, weshalb auch Besuche an Bord – je länger die Reise dauert in immer weiterer räumlicher Entfernung – immer seltener und schließlich unmöglich werden; aber aufgrund des eigenen fortschreitenden Alters kann die Reise auch nicht unbegrenzt auf später verschoben werden kann. Dabei wird unterschiedlich offen kommuniziert, in welchem Maße die Durchführung der Weltumsegelung an die Gesundheit eines Elternteils gekoppelt ist, bzw. als notwendige Vorraussetzung empfunden wird. Ein Seglerpaar Mitte Sechzig meinte, daß die jährlichen Heimflüge, die der 90jährigen Mutter geschuldet waren, anderen Seglern gegenüber lieber der eigenen Gesundheit wegen begründet wurden. Weitere Ausführungen darüber, in welchem Ausmaß sich Yachties aus familiärsozialen Bindungen lösen, wem sie sich wie im Kontext der Flüchtigkeit des selbstgewählten mobilen Lebensstils verbunden fühlen und Beziehungen aufrechterhalten oder neu knüpfen, möchte ich für den Moment zurückstellen (s.u. Kap. 6.2 & 6.3). Grundsätzlich ist jedoch gerade in diesem Aspekt ein deutlicher Wandel erkennbar. Während in der »alten« Zeit eine Weltumsegelung in den seltensten Fällen unterbrochen wurde bzw. werden konnte, stellt eine mehrjährige, vollständige Abwesenheit für die Dauer der Reise in der »neuen« Zeit schon eine Ausnahme dar. In den regelmäßigen, jährlichen Heimflügen, die auch als eine Form des »Urlaubs« vom Segeln gedeutet werden müssen, spiegeln sich sowohl der höhere Wohlstand von Yachties der Generation 60+ wie auch ein verändertes Verständnis von Komfort wieder: die Zufriedenheit des Seglerlebens bestimmt hier, nicht die ganze Zeit an Bord verbringen zu müssen, sondern zu können.

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Die Rolle von Komfort, eigenem Können und der Kommunikation Die Frage, ob es sich um einen ausgesprochen deutsche Einstellung handelt, erst im Ruhestand, und damit finanziell abgesichert, zur Weltumsegelung aufzubrechen, kann, wie bereits angesprochen, in dieser Arbeit nicht beantwortet werden. Allerdings entspricht dies dem Bild, das deutsche Fahrtensegler selbst von ihrer Herkunftsgesellschaft haben. Bettina und Johann unterschieden sich nicht nur darin von ihren Mit-Seglern, daß sie mit Mitte Dreißig wesentlich jünger waren, sondern auch mit begrenzten Budget reisten. Auf jene häufigen Restaurantbesuche oder Landausflüge, die oftmals zum Reiseerlebnis vieler, v.a. älterer Fahrtensegler ganz selbstverständlich dazugehören, mussten sie verzichten. Ersparte und geerbte Mittel reichten eben für Schiffskauf und -ausrüstung, wobei sich in ihren Augen gerade in Letzerem ein bei vielen Seglern übersteigertes Sicherheitsbedürfnis spiegelt. Bettina: Ich glaub, das ist es auch in Deutschland, weshalb so viele alte Leute segeln. Das ist eine finanzielle Frage. Und dann dieser Drang zum Perfektionismus, diese Absicherung. Das ist ja ein Witz, ich kauf mir ein Schiff und hab aber die ganze Zeit Angst, daß ich untergeh. Und versorg mich dann mit lauter solchem Equipment, das mir mein Leben rettet. Ich mein, ich muß mir schon irgendwo im Klaren sein, daß wenn ich mit meinem Schiff unterwegs bin, daß da ganz viel rumschwimmt, auch was ich nicht seh. Daß einfach Sachen passieren können, die nicht in meinem Machtbereich stehen. Ein bißchen Risiko mußt eingehen, sonst kannst du einfach auch keine guten Erlebnisse haben. Klar, wir hatten auch eine Rettungsinsel, und eine EBIRP. Logisch. Aber wir wissen auch, du kannst im Sturm - das kannst du dir abschminken, im Sturm in eine Rettungsinsel einzusteigen. SY HELENA, 1995-2003 (NZ)

Einerseits haben gute Seemannschaft, eine verantwortungsvolle Schiffsführung und ein grundsätzliches Risikobewusstsein über die letzten vierzig Jahre nichts von ihrer Bedeutung verloren. Andererseits bietet sich heutigen Fahrtenseglern aufgrund des technischen Fortschritts und der Weiterentwicklung von Ausstattung und Ausrüstung von Fahrtenyachten eine grundsätzlich andere Ausgangslage der »Absicherung« mittels technisch-elektronischer Hilfsmittel. Eine Rettungsinsel und ein Satellitennotsender wie EBIRP 16 gehören heute zur selbstverständlichen Grund- und Standardausrüstung, wobei, wie Bettina betont, auch diese Rettungsmittel keine Sicherheit garantieren können: Notfälle finden nur selten unter »Idealbedingungen« statt, in denen schnell und verlässlich mit Hilfe gerechnet werden kann.

16 EBIRP (Emergency Position-Indicating Radio Beacon) ist ein satelliten-gestützter Notsender mit schiffsbezogener Registrierung, der bordstromunabhängig auf Knopfdruck oder bei Wasserkontakt im Fall der Havarie und des Schiffsverlusts 48 Stunden lang ein weltweites Notalarmsignal mit GPS-Position an eine Rettungsleitstelle aussendet.

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Aus der generellen technischen Aufrüstung läßt sich zwar nicht unbedingt ableiten, inwiefern die Akteure der »neuen« Zeit grundsätzlich weniger risikobereit als jene vor vierzig Jahren sind; sehr wohl verweist sie aber auf ein gewandeltes Verständnis und neue Ansprüche an Sicherheit, wie auch auf einen Perspektivwechsel hinsichtlich dessen, was als (notwendiger) Komfort an Bord, was als Einschränkung oder Luxus heute verstanden werden. Beides führt auch zu der gestiegenen Durchschnittsgröße von Blauwasser-Fahrtenyachten. Freilich ist das Hochseesegeln, sind Ozeanüberquerungen und Weltumsegelungen mit kleinen Booten nach wie vor ein Wagnis, können durch den (vermehrten) Einsatz technischer Hilfsmittel (potentiell tödliche) Risiken zwar verringert, nie aber ganz ausgeschlossen werden. Dabei führt die zunehmende Technisierung des Fahrtensegelns allerdings nicht nur zu gewandelten Anforderungen an das Können und spezifische Fachwissen von Seglern. (Überspitzt gesagt gilt es nicht mehr, den Umgang mit dem Sextanten zu beherrschen, sondern Computersoftware, Radarbilder und Funkanlagen zu verstehen). Sie geht auch mit einer zunehmenden teils realen, teils gefühlten Abhängigkeit von technischen Geräten einher, die den Bordalltag heute mitgestalten. Was wiederum bedeutet, unverzichtbare Geräte wie GPS als Back-Up mehrfach mitzuführen, um auch bei Ausfall eines Gerätes abgesichert zu sein.17 Das Angebot dessen, womit eine Fahrtenyacht ausgestattet werden kann, steht dabei immer im Kontext der allgemeinen Technisierung westlicher Gesellschaften, spiegeln sich darin die zeitgenössischen Entwicklungen in Bootsbau, Kommunikation oder Elektronik wieder. Allen voran haben die in den letzten vierzig Jahren aufkommenden und zunehmend optimierten Möglichkeiten der autarken Stromerzeugung an Bord – v.a. mittels Solarpaneelen, Wind- und Wellengeneratoren, immer leistungsstärkerer Motoren bzw. Lichtmaschinen und/oder separaten Generatoren, verbunden mit verbesserten Batteriespeicherkapazitäten – dazu geführt, daß heutzutage ganz selbstverständlich unzählige elektronische Geräte an Bord eingesetzt werden. Konnten in der »alten« Zeit häufig gerade mal ein Radioempfänger und eventuell Positionslichter elektrisch betrieben werden, hat sich die Bordelektronik zur Rundumversorgung entwickelt. Damit scheint sich allerdings auch das Verständnis dessen, was an Bord einer Fahrtenyacht als Komfort erachtet wird, in welchem Ausmaß ein Leben an Bord eben Einschränkungen mit sich bringt, d.h. auf gewisse Annehmlichkeiten verzichtet wird, im Vergleich zur »alten« Zeit grundlegend geändert zu haben.

17 Hierin zeigt das Fahrtensegeln bei aller Marginalität, die ihm als Mobiltätssystem zugeschrieben werden kann, keinen Unterschied zur allgemeinen Tendenz einer Zunahme von »Expertenwissen«: »The user ist alienated from the system and yet simultaneously is more dependent upon such systems.« (Urry 2002: 53)

178 | W ELTUMSEGLER Hans-Dieter (FB): An das Bordleben habe ich mich relativ schnell gewöhnt. Die Einschränkungen sind eigentlich nur räumlicher Art und das hat man ja selber entschieden. Die Schiffsausrüstung habe ich so wählen können, daß ein geringes Maß an Komfort vorhanden ist (Kühlschrank, Gefrierschrank, Stereoanlage, viele Musik-CDs, Kurzwellenradio mit E-Mail, zwei Toiletten, gutes Leselicht und viele Bücher). Die Risiken kann man bei guter Vorbereitung klein halten. Heute bekommt man fast überall Wettervorhersagen und Windkarten über Kurzwelle und Computer an Bord. Redundanz ist vorhanden. SY SINA, seit 2003

In welchem Umfang Technik und »Komfort« an Bord der Fahrtenyacht Einzug halten, hängt freilich immer von den individuell unterschiedlichen Ansprüchen der einzelnen Segler ab, direkt geknüpft an ihr Budget, und auch, ob es sich um eine Werftneubau oder eine ältere Gebrauchtyacht handelt. Die Bandbreite an »häuslichen« Annehmlichkeiten reicht von dem längst obligatorischen elektrischen Licht, über Radio, CD- und DVD-Spieler zu üblicherweise elektrischen Wasserpumpen, einem Wassermacher (zur autarken Süßwasserversorgung), Ventilatoren und Kühlschränken bis hin zu seltener, weil mit erheblich höherem Stromverbrauch verbundenen Gefriertruhen, elektrischen Toilettenpumpen, Warmwasserboilern, Klimaanlagen, Mikrowellen oder Waschmaschinen. Allein die Selbstverständlichkeit von Kühlmöglichkeiten an Bord moderner Segelschiffe, hat die Verproviantierung erleichtert, können leichtverderbliche Lebensmittel wie Fisch oder Fleisch selbst in den Tropen ohne Schaden zu nehmen tagelang aufbewahrt werden, kann auch auf der abgelegensten Insel ein kühles Getränk genossen werden, wodurch für viele Segler die Lebensqualität an Bord entscheidend mitbestimmt wird. Und selbst das umfangreiche, vorausplanende Bunkern von Vorräten verliert in der »neuen« Zeit an Bedeutung, wenn aufgrund globaler wirtschaftlich-gesellschaftlicher Entwicklungen fast überall auf der Welt in Supermärkten eingekauft werden kann. Auf vielen pazifischen Inseln hat sich beispielsweise auch abseits der Hauptstädte eine auf gewandelte Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung wie von Touristen und Seglern ausgerichtete Infrastruktur entwickelt, die vor vierzig Jahren kaum in Ansätzen vorhanden war (s. allg. Crocombe 2001, Douglas 1996, Milne 1992; s. zu Neuseeland Bönisch-Brednich 2002). Fahrtensegler beschäftigt zwar nach wie vor fast immer die Frage, wo sich was zu besonders günstigen Preisen einkaufen und entsprechend in großem Stil bunkern läßt, aber kaum mehr, ob überhaupt etwas zu bekommen ist. Viele seglerische Aufgaben, die vormals mit intensivem physischem Einsatz und, sofern es sich um Arbeiten an Deck handelt, bei hohem Seegang oder Sturm auch mit erheblichem Gefahrenpotential verbunden sind, werden heute durch immer mehr mechanische und vor allem auch elektrische Hilfsmittel erleichtert: nicht nur Selbststeueranlangen und Autopiloten, sondern auch elektrische Ankerwinschen oder halbautomatische Rollreffanlage für Vor- und Großsegel sind längst verfügbar. Überdies sind Segelyachten heute viel leistungsstärker motorisiert, können sie aus-

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serdem ob ihrer Größe auch wesentlich größere Treibstoffvorräte bunkern, so daß der Motor verstärkt und über längere Strecken und Zeiträume zum Einsatz kommen kann. So ist es noch weniger als vor vierzig Jahren eine Frage der Kapazitäten, sondern der individuellen Einstellung zum Segeln an sich, wie lange bei Flauten noch auf Wind gewartet, oder bei schwachen Winden zum zügigeren Vorankommen lieber gleich motort statt gesegelt wird. Auch im Beiboot, dem Dinghi, wird in aller Regel längst nicht mehr gerudert, sondern ein kräftiger Außenborder eingesetzt. Zur Grundausstattung gehören auch sämtliche elektronischen Messinstrumente, ist neben Log und Tiefenmesser auf vielen Schiffen auch ein Radargerät an Bord. Wer noch mit einem Sextanten umzugehen weiß, nimmt ihn vielleicht als Reserve mit, aber doch eher aus nostalgischen denn pragmatischen Gründen. Navigiert wird mit dem GPS-Gerät und zunehmend auch elektronischen Seekarten. Während bis in die 1990er Jahre hinein viele Segler noch ohne Radio-Transmitter, d.h. Sender, starteten, sind neben VHF/UKW Seefunkanlagen (mit Sendeweiten bis zu 20 sm) heute die meisten Blauwasseryachten mit Grenz- und Kurzwelle bzw. HAM-Radios ausgestattet, die teilweise auch ohne offizielle Funklizenz oder Funkzeugnis (mit registriertem Call-Sign) genutzt werden, um Wetterdaten (Grib-Files) aufzuzeichnen oder mittels Pactor-Verfahren E-mails zu empfangen und zu versenden. Die Einsamkeit der Langfahrtyacht Karl: Vor allem ist auch noch was passiert, das darf man nicht zu gering einschätzen. Der ganz große Unterschied zwischen den Leuten, die sag ich mal bis 1990, oder 1985 unterwegs waren, und die danach, ab 1990 unterwegs sind, ist der: die Kommunikation. Wir haben Internet mittlerweile. Und das hat alles geändert, ja. Es ist ja so, … Maria: Du bist nicht der einsame Segler, ne. Karl: Du kannst dich ja über alles informieren. Allein schon diese riesengroße Datenbank von Jimmy Cornell, die uns ja kostenlos zur Verfügung steht. Ich tipp zwei Zeilen da in meinen Computer rein und hab innerhalb von einer Stunde sämtliche Informationen über Tuvalu. Ja. Alles kostenfrei, das kommt einfach so an Bord. SY ELBE, 1995-2010

Gerade die technisch-elektronischen Aufrüstung im Bereich der Rettungsmittel, der Navigation und der Kommunikation trägt durch ihr Sicherheitsversprechen ganz entschieden zum Wandel des Phänomens Weltumsegelung bei, während die Abhängigkeit von technischen Geräten und die von ihnen vermeintlich gewährleistete totale Sicherheit mit die größten Risiken der »neuen« Zeit stellen. Während eine Weltumsegelung in der »alten« Zeit in vielerlei Hinsicht einem Aufbruch ins Ungewisse gleichkam, kann sich der Yachtie von heute in wesentlich größerem Umfang informieren, vorbereiten und – über das eigenverantwortliche Handeln hinaus – absichern. Dank GPS herrscht, unabhängig von Wetter oder Seegang, jederzeit die ab-

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solute Gewissheit über die aktuelle Position. Mittels Grib-Files und zunehmend auch mobilem Internet an Bord, selbst auf hoher See mittels Satelliten-Mobiltelefon verfügbar, können Wetterdaten und -prognosen abgerufen werden. Im Falle des Schiffsverlustes auf See, etwa durch Kollision mit einem treibenden Container, bietet ein Notfallsender die Gewissheit, daß das Unglück registriert und Rettungsmaßnahmen eingeleitet werden. Eine erfolgreiche Rettungsaktion, rechtzeitige Hilfe ist damit allerdings nicht garantiert. 18 Denn die räumliche Ausdehnung der Ozeane ist sich trotz weltweiter Satellitenabdeckung gleichgeblieben, ist die einzelne Segelyacht auf dem Meer faktisch immer noch allein. Nur befindet sie sich längst nicht mehr in völliger Isolation. Zwar hielten auch schon vor vierzig Jahren manche Yachties Verbindungen mit landbasierten Radiostationen oder Funkamateuren, doch der Kontakt und Austausch untereinander hat erst aufgrund der Zunahme von Seefunkanlagen auf Fahrtenyachten rasant zugenommen. Heute segelt man ganz selbstverständlich in ständiger, virtueller Gesellschaft der Mit-Segler. Claudia: Also wir wollten immer möglichst alleine sein. - Das war so unser Ziel. MK: Wie weit ist Euch das gelungen? In den 90ern waren doch schon viele unterwegs? Georg: Ja, aber in dem Moment, wo man Panama durch ist, da verteilt sich das ziemlich. […] Claudia: Man traf halt immer wieder so ganz gewisse Leut, die halt auch in dem Tempo wie wir vorwärts kamen, und wo man sich also über Funk amal a bißl ausgetauscht hat oder so. Die traf man so immer wieder. Die haben uns fast über die ganzen Weltmeere begleitet. Aber nur so von Ferne, mit Funkkontakt. Wir sind ganz selten amal a Strecke zusammen gesegelt. Und wenn, dann war’s a kurze Strecke. Georg: Weil die andern immer schneller waren (lacht). Claudia: Ja, das stimmt. Aber wir wollten das ja auch gar nicht, so im Troß segeln. Georg: Ne, stimmt nicht, im Pazifik sind wir ziemlich zusammen gesegelt. Da sind uns die anderen dann eigentlich erst zum Schluß [davon gesegelt]. Was heißt zusammen - wenn man zwei Tage auseinander ist, oder drei, … Claudia: Aber wir waren über Funk in Kontakt. SY FLAHERTY, 1995-99

Als charakteristisches Distinktionsmerkmal gegenüber einer wesentlich technikaffineren, aber auch technik-abhängigeren späteren Generation von Weltumseglern kann die kritische Haltung von Seglern der »alten« Zeit gerade zu der weiten Ver-

18 Unglücksfälle passieren immer wieder, auch erfahrene Weltumsegler bleiben manchmal auf See. So gelten Klaus Nölter und Johanna Michaelis (Der erfüllbare Traum) als verschollen, seit im Dezember 2002 das EBIRP-Notsignal ihrer OLE HOOP auf einer Position 200 sm westlich von Kap Hoorn, bei stürmischer See, aufgefangen, von Schiff oder Besatzung jedoch keinerlei Spur gefunden wurde.

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breitung von Seefunkanlagen angesehen werden, die ihrer Meinung nach zu einer geringeren Leistungsbereitschaft heutiger Fahrtensegler führen. Hans: Ich sage heute immer, man sollte den Leuten die Radios wegnehmen. Dann würden nämlich weniger Leute zur See fahren, die wären nicht da draußen. Die sehen nämlich dieses Radio als Nabelschnur an. Und in dem Moment, wo ihnen was passiert, rufen sie sofort Help und wollen abgeborgen werden. Und das finde ich halt nicht gerechtfertigt, daß andere hier von Land ihr Leben einsetzen, den da draußen zu retten, der zur sogenannten Freude segelt. Ich hab nie erwartet, daß mir da draußen einer hilft. Das haben wir akzeptiert. Wir sind losgesegelt und haben geguckt, daß wir da durchkommen. Und das finde ich heute so negativ, daß da Leute bei dem kleinsten Problem da anrufen. Stell Dir vor – Yachten, der Motor geht nicht mehr. Da lassen sie die Coast Guard kommen. Mein Gott, da muß er halt segeln! Gell, das versteh ich nicht. Ich mein, da würde ich mich schämen, daß ich da jemand zu Hilfe rufen würde, solange das Boot nicht untergeht. SY ANNIE, 1974-77 (NZ)

Das Unverständnis, daß in einer Situation, die nicht lebensbedrohlich ist, ein Notruf abgesetzt wird, verweist auf die für die »alte« Zeit charakteristische Einstellung, die Weltumsegelung als eigenverantwortliches und in jeder Hinsicht selbst zu verantwortendes Unterfangen durchzuführen. Auch wenn es sich bei dem hier von Hans als Indiz für eine gewandelte Haltung angeführten Verhalten um einen Einzelfall handelt 19 , der ganz allgemein als unseglerisches Fehlverhalten verurteilt und eher zur allgemeinen Erheiterung beiträgt, läßt sich daraus ein offensichtlich gewandeltes Selbstverständnis und sogar eine gewisse Anspruchshaltung ablesen, als Yachtie Sonderrechte eingeräumt zu bekommen. Es zeichnet sich zumindest die Tendenz ab, daß für einige Segler an Stelle des selbstgewählten Abenteuers »Weltumsegelung«, dessen Herausforderung und Befriedigung darin besteht, selbstbestimmt Risiken einzugehen und eigenständig zu handeln, ein abgesichertes, risikominimiertes Reiseerlebnis tritt, weshalb die Bereitschaft steigt, bei Überforderung fremde Hilfe anzufordern und mittels Notruf »auszusteigen«. Inwieweit haben der rasante technischen Fortschritt, der auf Fahrtenyachten Einzug gehalten hat, und das damit verbundene Sicherheitsversprechen, den seglerischen Idealismus, Enthusiasmus und das

19 In Neuseeland hörte ich mehrfach die vermutlich »verdichtete« Anekdote einer amerikanischen Yacht, die bei Russell Radio einen MayDay-Notruf absetzte, als ihnen 25sm vor der Küste der Diesel ausging. Auf die Frage, weshalb sie als seetüchtige Yacht und bei gutem Wind das letzte Stück nicht unter Segeln zurücklegten, soll die Seglerin geantwortet haben, sie seien ja schon die ganze Strecke von Tonga her motort, da wäre es doch eine Zumutung, jetzt noch die Sonnencover von den Segeln abnehmen zu müssen.

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Durchhaltevermögen, das als charakteristisch für die »alte« Zeit beschrieben wird, verdrängt? Mangelt es Yachties heute wirklich an commitment? Jochen: Ich finde, es sind sehr viel Leute unterwegs, die … die das machen, glaub ich, auch durch Verführung. Die haben Bücher gelesen, und die fahren denn einfach los. Und das wird ihnen erleichtert, weil es diese vielen, vielen Hilfsmittel jetzt gibt. Das gibt ’ne Scheinsicherheit, ne. Und wenn die Scheinsicherheit irgendwo ein Loch kriegt – Dann werden Schiffe aufgegeben, die noch schwimmen, auf denen sogar noch der Mast steht! In der alten Zeit wäre das gar nicht möglich gewesen, weil es kein Kontakt gehabt hätte. Der wär auf Gedeih und Verderb auf diesem Scheißdampfer gewesen, und dann wären ein paar Tage ins Land gegangen, und dann wär gutes Wetter gekommen, und dann wäre er irgendwann reingehumpelt nach Savusavu, und hätte gesagt, Scheiße, aber da bin ich. Denn das ist ja damals auch passiert. SY BOSTON, seit 1997

Die Gewissheit, mit der heute jederzeit die Schiffsposition bestimmt werden kann, die Verlässlichkeit und Verfügbarkeit aktueller Wetterdaten, die ständige Erreichbarkeit und Kommunikation mit anderen Seglern oder Radiostation lassen eine Weltumsegelung als eine so sichere und abgesicherte Angelegenheit erscheinen, daß vom Ideal abweichenden Situationen nicht als unvermeidbar hingenommen und durchgestanden werden, sondern häufiger und rascher als früher zur Überforderung führen.20 Während die Isolation auf See bis in die 1990er hinein für viele Segler einfach eine unveränderbare Konsequenz des gewählten Reisemittels, die so nicht unbedingt gesucht, aber als Teil des Ganzen akzeptiert wurde, bedarf es heute einer wesentlich bewussteren und aktiven Entscheidung, auf See auch einmal tatsächlich unerreichbar zu sein, auf laufenden Funk- oder E-mail-Kontakt mit anderen zu verzichten. Darüber hinaus, und auch in unmittelbarem Zusammenhang mit einem gewandelten Sicherheitsverständnis bzw. –bedürfnis stehend, wird Blauwassersegeln nicht mehr per se als ein individuell und in eigener Verantwortung durchzuführendes Unterfangen des Einzelnen angesehen. Neben den seit den 1980ern institutionell organisierten Ozeanüberquerungen, an denen mittlerweile bis zu 200 Fahrten-

20 Ich sehe (angehende) Fahrtensegler heute in einer paradoxen Lage. Einerseits technische Hilfsmittel, die auch ohne jahrelange Ausbildung erlauben, segeln zu gehen. Andererseits die in den einschlägigen Foren, Zeitschriften und Büchern geführten Diskussionen um unerlässliche Ausrüstung und Vorbereitung, die das Bild einer perfekten Weltumsegelung, aber auch aller denkbaren Gefahren und damit hochspezialisierten Unternehmung detailliert ausmalen, und so v.a. auch verunsichern. Die Frage, ob das wirklich Entscheidende weniger in der umfassenden Vorsorge, als im Mut zum Losfahren, im Selbstvertrauen und der Bereitschaft, unterwegs zu lernen und Erfahrungen zu sammeln, liegt, kann hier nur aufgeworfen, nicht beantwortet werden.

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yachten teilnehmen (s. Kap. 6.3), die gemeinsam starten und in ständigem Funkkontakt stehen, gibt es auch verabredete Zusammenschlüsse von vielleicht einem Dutzend Yachten, um längere Strecken, etwa die acht bis zehntägige Überfahrt von Neukaledonien nach Neuseeland, »zusammen« zu segeln. Die absolute Einsamkeit auf See gehört in noch größerem Maße der Vergangenheit an. Zwar trifft, wie im vorangegangen Kapitel beschrieben, der einzelne Weltumsegler bereits in den 1970ern auf eine cruising community, aufgrund ihres erheblichen Wachstums und der zugleich steigenden Diversität unter Langzeitseglern gilt heute aber kein pauschales »Jeder kennt jeden« mehr. Dabei existiert das Konzept der internationalen Seglergemeinschaft zwar weiterhin, aber in der (lokalen) Praxis werden nicht mehr unbedingt sämtliche Mit-Segler als Gleichgesinnte im engeren Sinne verstanden. Die enorme Größe des fahrtenseglerischen Umfeldes verhindert einen umfänglichen persönlichen Kontakt. Dieser scheint auch nicht mehr im gleichen Maße gesucht zu sein, nicht zuletzt weil die Wege, auf denen Informationen eingeholt und Erfahrungen ausgetauscht werden, sich medial erweitert haben. Einerseits bleibt unverändert, daß sich Seglerjahrgänge aufgrund zeitlichräumlich geteilter Erfahrungen konstituieren, etwa die »gemeinsame« Atlantikquerung, und Motivation, Alter, Beruf oder soziokultureller Hintergrund, kurz der Habitus der einzelnen Segler dabei keine Rolle spielen. Andererseits treffen die Mit-Segler eines Jahrgangs nicht mehr zufällig und allein aufgrund der allgemeinen saisonalen Reisemuster immer wieder aufeinander. Durch die verfügbaren Kommunikationsmöglichkeiten können und werden Reisepläne unmittelbar miteinander abgesprochen, was offensichtlich auch einem wachsenden Bedürfnis nach der Verstetigung eines engeren sozialen Umfeldes entspricht, entstehen Gemeinschaften bzw. »Cliquen« innerhalb der cruising community. Für Klara und Georg, die seit den frühen 1980ern die Entwicklung der Fahrtenseglerszene in der neuseeländischen Bay of Islands miterleben, stellt gerade diese Cliquenbildung, die Formation von Sub-Gemeinschaften mit den deutlichsten Wandel zwischen gestern und heute dar: nicht mehr die Identität als Yachtie, sondern die nationale Herkunft bzw. die Gleichsprachigkeit spielen für das (stationäre) gesellschaftliche Leben eine Rolle. Klara: Ich glaub, du hast viel mehr Kontakt aber gehabt, unterhalb der Segler, als es heute ist. Georg: Ja, da gab es auch keine Nationen. Du weißt ja, heute gibt’s ein deutsches Clübchen, und ein französisches und so. Die Schweizer, … und die Poms, … Klara: Heute, ich finde, die glucken alles zusammen. Wenn du zur Happy Hour gehst, wir gehen da gar nicht mehr hin. Die sitzen alle immer nur in ihren eigenen Cliquen zusammen. Georg: Und untereinander verkehren die kaum noch. Aber, das sind andere Typen wieder. SY ALFREDO, 1972-82

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Dabei gilt es allerdings zu bedenken, daß die Bildung nationaler Cliquen in diesem Ausmaße auch erst durch die allgemeine Zunahme von Fahrtenseglern möglich ist, vormals die größere Internationalität zumindest auch eine Konsequenz dessen war, daß insgesamt weniger Fahrtenyachten der gleichen nationalen Herkunft unterwegs waren. Außerdem, so begründen jene Segler selbst diesen Wandel im Vergleich zur selbst erlebten Seglergemeinschaft früherer Jahrzehnte, werde es in höherem Alter als Annehmlichkeit empfunden, sich gerade in geselliger Runde keiner Fremdsprachen bedienen zu müssen. Freilich können mangelnde Sprachenkenntnisse bzw. eine bei Jüngeren häufig größere Vertrautheit v.a. mit dem Englischen hierbei eine Rolle spielen, aber auch Ort und Zeit des Zusammentreffens sind zu berücksichtigen, und letztlich ist es immer eine Frage der individuellen Offenheit und Neugier, ob in nationalen Grenzen oder darüber hinaus Kontakt gesucht wird. Mag es einerseits auffallen, daß die Deutschen, aber auch die Franzosen, die Amerikaner oder die Schweizer heute vermehrt »zusammenglucken«, so heißt dies andererseits nicht, daß die gelebte und erfahrene internationale Seglergemeinschaft nicht weiterhin bestehen würde, und gerade auch als elementarer Bestandteil der Praxis Fahrtensegeln gesucht und erlebt wird.

Abbildung 23: Whangarei, 2007 – Sailor’s Happy Hour Das Kontinuum des Wandels: die dienstägliche »Sailor’s Happy Hour« im REVA’S ist eine im ganzen Pazifik unter Fahrtenseglern bekannte Institution. Ein Treffpunkt der Seglerszene. – Doch welche Szene ist gemeint? Ist es auch ein Treffpunkt der Segler-Generationen? Segler der »alten Zeit« sieht man eher selten, häufiger die Crews durchziehender Besuchsyachten und langjährige »Pendler«.

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Johann: Jedenfalls, wir sind in Marseille los, und dann dachten wir immer, wo sind die denn. Du triffst immer die Urlauber, die Charterer, und erst als wir in der Türkei angekommen sind, da waren sie, die Weltumsegler. Das waren dann die ganzen Kameraden, die vom Roten Meer hochkamen. Und viele, unsere besten Freunde, die haben wir dort kennengelernt, das waren Neuseeländer aus Coromandel. […] Und das war in der Türkei echt schön, da denk ich oft zurück, wir waren international. Zur Weihnachtsparty waren wir 35 Yachten aus 17 Nationen. Bettina: Das war echt schön. (seufzt) SY HELENA, 1995-2003 (NZ)

Die »neue« Zeit lässt sich nicht allein dadurch charakterisieren, daß sich spezifische seglerische Anforderungen grundlegend vereinfacht haben, Fahrtenyachten besser und komfortabler ausgestattet und das Segeln sicherer geworden ist. Nationale und globale ökonomische und soziopolitische Entwicklungen beeinflußen ebenso die Umstände, unter denen eine spätmoderne Weltumsegelung erfolgt. Die »neue« Zeit ist vor dem Hintergrund des demographischen Wandels wie einem veränderten gesellschaftlichen Verständnis hinsichtlich Selbstbestimmung und Optimierung von Lebensentwürfen, Mobilität, Seßhaftigkeitund Multilokalität zu sehen. »Normale« Weltumsegelungen sind noch immer kein Massenphänomen, aber doch nicht mehr außer-gewöhnlich. Langfahrtsegler bewegen sich – unterwegs, aber auch schon vor Aufbruch – in einem immer größeren Feld von Mit-Seglern. Inwieweit bedarf es für das Vorhaben, die Erde mit dem eigenen, kleinen Schiff zu umrunden, heute noch den Mut und das Fernweh, von dem Segler der »alten« Zeit sprechen, oder ist es einfach »in« und wird auch und vor allem mit Blick auf das symbolische Kapital einer solchen Reise unternommen? Ist aus einem wagemutigen Abenteuer eine risikominimierte Altersbeschäftigung für den spätmodernen Un-Ruhestand einer begüterten, fitten und selbstbewussten Generation 60+ geworden? Mit dem höheren Alter wandeln sich die Ansprüche der Segler bzw. die Bedingungen, unter denen sie diesen Lebensstil führen möchten – oder wie sie es selbst zusammenfassen: »Unser Plan war immer, daß wir so lange segeln, so lange es uns Spaß macht, so lange wir das gesundheitlich schaffen, und so lange wir das finanziell machen können.« Der »Ausstieg« findet unter Vorbehalt bzw. abgesichert statt: indem Wohneigentum in Deutschland (der Schweiz, Österreich, …) gar nicht erst aufgegeben wird, oder, wenn doch, indem man sich in einem anderem Land um eine uneingeschränkte Aufenthaltserlaubnis bemüht z.B. ein neuseeländisches residence permit. Wie steht es, mit dem offensichtlichen Wandel, um die Heterogenität der Seglergemeinschaft, hat sie zu- oder abgenommen? Haben die wohlhabenden, pensionierten Yachties von heute die Hippies von damals abgelöst? Nach wie vor gibt es Segler jeden Lebensalters, zu Beginn und am Ende des Berufslebens, einhand oder mit Kindern, open end oder mit Dreijahresplan, nach jahrzehntelanger Vorbereitung oder spontanem Entschluß, allein auf der Fahrtenyacht zuhause oder vor dem Hintergrund eines Hauses an Land. Ist es angesichts dieser Diversität und Aus-

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differenzierung immer noch zulässig, von einer Seglergemeinschaft zu sprechen, oder sind längst durch Motive und alltägliche Praxis separierte cruising sub-communites voneinander abzugrenzen? In der gegenwärtigen Fahrtenseglerszene sind zwar durchaus Brüche erkennbar, distanzieren sich Akteure aufgrund unterschiedlicher Einstellungen zum Segeln voneinander, schliessen sich kleinere Gruppen »Gleichgesinnter« enger zusammen, sucht jeder Fahrtensegler individuell und nach seinen Bedürfnissen einen Platz an der Peripherie oder im Zentrum der Seglergemeinschaft – im übertragenen sozialen wie im konkreten räumlichen Sinn, indem die Barfußroute verlassen oder die einsame Ankerbucht einem Marinasteg vorgezogen wird. Wesentlich eindeutiger lassen sich, wie im Vorangegangen ausführlich dargelegt, Segler-Generationen voneinander abgrenzen, werden diese Bruchlinien im Umgang miteinander sichtbar. Nicht zuletzt auch in der fahrtenseglerischen Selbstreflexion und der Diskussion darüber, welcher Wandel in den vergangen vierzig Jahren stattgefunden hat. Der offensichtlich tiefste Graben verläuft dabei zwischen den Segler-Generationen vor und nach 1990, jenen ohne und jenen mit GPS, das als einzelner Begriff im Sprachgebrauch aller Yachties nicht nur synonym für die Satellitennavigation, sondern häufig auch für ihre tatsächlichen und vermeintlichen Folgeerscheinungen steht.

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Die Reflexion des Wandels l Von der rechten Zeit für eine Weltumsegelung l Je jünger, desto besser? l Je früher, desto besser?

Die Reflexion des Wandels Daß im Russell Boating Club jeden Freitag eine Regatta stattfindet, und anschliessend Clubabend mit öffentlichem Restaurant- und Barbetrieb, erzählt mir die einheimische Besitzerin meines Hostels, das ebenfalls an der Matauwhi Bay liegt. Aber wen genau ich dort antreffen könnte, ob überhaupt noch Weltumsegler mit ihren Yachten dort liegen, kann sie mir nicht sagen. Also ein Besuch aufs Geratewohl. Und, wie wir später feststellen, laufen der einzige deutsche Segler, der im RBC aktiv ist und ich an diesem Abend prompt aneinander vorbei. Dafür lerne ich Tom, einen neuseeländischen Weltumsegler, kennen. 1975 segelte er nach Moorea, um gegen die französischen Atomtests zu protestieren, woraus eine achtjährige Weltumsegelung wurde, während der er als Dieselmechaniker in der Seglergemeinschaft ein gefragter Mann war. Zur gegenwärtigen Situation bemerkt er, daß gerade die deutschen und französischen Segler ja immer beieinander hocken und sich auf den Radionetzen immer nur in ihren eigenen, unverständlichen Sprachen unter-

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Abbildung 24: Matauwhi Bay, 2007 – Carl und Mary Leonard

halten würden, anstatt sich der allgemeinen Verkehrsprache Englisch zu bedienen, und somit alle anderen ausschlossen. Toms kritische Ansichten kann ich mir dann jedoch nicht weiter erklären lassen, denn im nächsten Moment stellt er mich einem gerade ankommenden amerikanischen Seglerehepaar vor, mit denen ich unbedingt sprechen müsse. – Schließlich verbringe ich den restlichen Abend mit Carl, 82, und seiner Frau Mary, 96. Rüstige, ja, jugendliche Segler in ihren Sechzigern und Siebzigern hatte ich nun schon häufiger erlebt, aber auf die Hundert zugehend? Verschmitzt lächelnd meint Mary, warum bloß immer jeder so reagiere, nur, weil sie alt sind und auf einem Boot leben. Bescheiden erzählen sie mir aus ihrem recht bewegtem Leben, das sie seit den 1950ern zwischen Carls weltweiten Aufträgen als ›civil engineer‹ eigentlich immer auf Segelschiffen verbracht haben. Vor gut zwanzig Jahren haben sie sich ihre 60-Fuß ANNABELLE bauen lassen, und seit zehn Jahren pendeln sie zwischen Neuseeland und Australien. Allerdings nicht mehr mit dem eigenen Schiff. Dieses bleibt den südlichen Sommer über in der Matauwhi Bay, und die Wintermonate in Whangarei, während Mary und Carl in dieser Zeit in Brisbane leben. Ja, dort würde es dann auch häufiger Arztbesuche geben, was auf dem Schiff nie ein Thema ist, meint Mary, vor allem aber beschäftige sie dort die University of the Third Age: Mary unterrichtet Latein, Carl belegt einen Schreibkursus, um seine Memoiren zu verfassen. Daraus schenkt er mir bei meinem Besuch an Bord einige Texte zum Segeln, darunter seine Gedanken dazu, wann und warum sich das Fahrtensegeln gewandelt hat: »Has Ocean Cruising Changed? – It sure

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has. My thoughts go back more than 40 years when my wife and I left Bangkok in our small, cutter-rigged sailing yacht for a 1,000 mile ›voyage‹ to Singapore. It was such an event that both the Bangkok Post and Thai newspapers ran stories about us the day we left. […] Both ocean cruising boats and the people sailing them have changed.« Auch Carl führt Selbststeuer- und Rollreffanlagen, bessere Wetterinformationen, E-mail-Kontakt zur Familie und als folgenreichste Veränderung den Übergang von Astro- zur Satellitennavigation an. Sein Fazit lautet: »Although the sea can still be a fearsome place (sailors still spin yarns to prove this) it certainly is not as difficult to sail across as it once was. As a consequence many of the people sailing now differ from those of the past. Years ago voyagers tended to be relatively young, physically strong, rebellious dreamers having a passionate interest in sailing almost to the exclusion of anything else. They were willing to devote much time and effort learning the many skills required to sail the world. By contrast a substantial number of today’s voyagers are middle-aged, retired people who were successful in their chosen work but are now fulfilling a long-suppressed dream to sail the world’s oceans.« Inwiefern trennt die Segler-Generationen der »alten« und der »neuen« Zeit wirklich mehr als sie verbindet? Treten die Konstanten einer Weltumsegelung – noch immer sind es kleine Segelyachten, die mit kleiner Besatzung über die Weiten der Weltmeere fahren – hinter den im Laufe der Jahrzehnte sich gewandelten Rahmenbedingungen zurück? Für viele Segler der »alten« Zeit implizieren gerade die technischen Erleichterungen, allen voran GPS, einen weitreichenden Mentalitätswandel. Haben sich mit den Zeiten die Erwartungen und Einstellungen der jeweils zeitgenössischen Fahrtensegler so grundlegend und wesentlich verändert, daß die »alte« und die »neue« Zeit eigentlich als eine »alte« und »neue« Schule des Fahrtensegelns zu verstehen ist? Es sind nicht nur Weltumsegelungen, die einen solchen Wandel erfahren. War etwa die Besteigung des Mount Everest in den 1970ern ambitionierten, professionellen Bergsteigern und in den 1980ern zumindest noch »ambitionierten Amateuren« vorbehalten, werden heute entsprechende Bergexpeditionen auch als kostspielige Extrem-Abenteuerreise angeboten, in deren Rahmen praktisch jedermann, in Abhängigkeit von bezahlten Bergführern, den Gipfel erreichen kann (Manning 1999: 289). Die Entwicklung des Extrem-Bergesteigens vom idealistisch motivierten Abenteuer zum statusbehafteten »Erlebnis als Ware« zeichnet auch David Houston nach, dessen Analyse der in diesem Kontext auftretenden »alten« und »neuen« Schule sich ansatzweise auch auf das Verhältnis der Segler-Generationen vor und nach 1990 übertragen läßt (Houston 2006). Houston beschreibt eine alte Schule (bis ca. 1960), die das Bergsteigen als »Zivilisationsflucht« und kollektive Erfahrung im Team erlebte, und deren Kritik an ihren Nachfolgern nicht nur darauf beruht, daß der Natur nicht mehr mit dem gleichen Respekt begegnet wird und das

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Streben nach individuellem Ruhm in den Vordergrund gerückt ist, sondern vor allem darauf, daß das Bergsteigen kein Ausbrechen oder Verlassen, sondern in Form eines professionalisierten, kurzfristig käuflichen »Abenteuers« vielmehr eine Erweiterung, eine Fortführung des »zivilisierten« Lebens ist. Für das Verhältnis der »neuen« gegenüber der »alten« Schule zieht er dann allerdings folgenden Schluß, der weitgehend auch für Fahrtensegler gilt. »But this is not merely a simplistic matter of ›old‹ versus ›new‹. I would instead suggest that the old school and the new school invent and reinvent, and to large extent create each other, and through the very process of being ›at odds‹, and in the quest to best each other, end up instead lending mutual authority even through denial and disdain.« (Houston 2006: 153)

Auf der einen Seite die unterschwellige Kritik der »alten Schule« an den »Neuen«, der Feststellung eines Einstellungs- und Wertewandel. Auf der anderen Seite aber auch die Bewunderung für das Alte, trotz gleichzeitiger Begeisterung für modernste Ausrüstung usw. Denn nur vor dem Hintergrund der Leistungen früherer Bergsteiger sind neue Erfolge zu erringen, bildet die »alte Schule« die Vergleichsgrundlage für die »neue Schule«. Demgegenüber sieht Houston eine eindeutige Grenzlinie zwischen diesen Generationen darin, daß die »Reinheit« des Berg-Erlebnisses verloren gegangen ist, die einstige »Pilgerfahrt« mehr und mehr zur Ware wird. Dagegen waren und sind normale Weltumsegelungen per se ein individuelles Unterfangen. Aufgaben und Verantwortung werden nicht an bezahlte, professionelle Crewmitglieder übertragen, wird das Fahrtensegeln trotz einer gewissen Kommerzialisierung nicht im gleichen Maße zur Ware. Wie steht es aber um vergleichbare Aushandelungsprozesse einer »alten« und »neuen« Schule von Weltumseglern? Wer braucht hier wen, um Leistungen zu vergleichen? Die Distanzierung und Abgrenzung geht hier, anders als bei den von Houston beschriebenen Bergsteigern, primär von Akteuren der »alten« Zeit aus. Gewöhnlichen Weltumsegelungen fehlt der Wettbewerbsgedanke, der Extrembergsteiger antreibt. »Hinterherfahrende« sind nicht bestrebt, frühere Fahrten zu übertreffen. Die teils unterschwellig, teils offen geäußerte Kritik von Seglern der »alten« Zeit geht allerdings in ähnlicher Weise vor der Folie der »neuen« Zeit dahin, daß früher ein anderes Gemeinschaftsgefühl vorherrschte, eine andere Verbundenheit untereinander, daß ein Werte- und Mentalitätswandel stattgefunden hat. Zugleich brauchen sie den Vergleich mit der gegenwärtigen Fahrtenszene, um die eigene Leistung hervorzuheben, sich als »alte Schule« bzw. als »alte Klasse« (s. S.147) zu definieren, und ihre Kritik an den »Neuen« begründen zu können. Karl: Wir waren Seevögel. Da hast du sofort Kontakt, du sprichst, du gehst an Bord zu anderen und die kommen zu dir an Bord. Man tauscht sofort auch die Informationen aus. Wohin

190 | W ELTUMSEGLER gehst du, ah, der nächste Hafen, du, da hab ich das und das gehört. Damals war ja alles, die ganzen Informationsmöglichkeiten, nicht so wie es heute ist, wo jedes Boot ein Computer hat. Fritzi: Da hatte niemand ein HAM-Radio. Karl: […] Aber im Allgemeinen war damals, verglichen zu heute, ein ganz anderes Milieu. Ich muß das, ja, grade jetzt sagen. Es waren, in unserer Lebzeit jetzt, eigentlich zwei Epochen. Eine Epoche, die endete mit der Erfindung des Sat-Navs. […] Und mit dieser neuen Epoche erschien eine ganz andere Gruppe von Menschen, die segelten. Vorher, ich möchte mich nicht als Held hinstellen, aber damals gingen wir durch eine sehr harte Schule der Navigation, des Vorbereitens und der ganzen Unsicherheit. Fritzi: Weil die Schiffe waren einfach nicht ausgerüstet, wie sie heute ausgerüstet sind. Karl: Ja. Es gab noch keine Selbststeueranlagen in dem Sinne wie’s heute gibt, weder elektrisch noch mechanisch. […] Und, es war eine ganz andere Gruppe von Menschen. Fritzi: Verantwortungsbewusster für sich selbst, denke ich mal, und für die anderen Segler. Karl: Und offener. Heute, ich seh das ja, jetzt, wo ich mit dem Boot in der Marina lieg. Die Deutschen, die grüßen sich noch nicht mal. Da kommt der eine und sagt, ach, du bist aus Köln. Ja, sagt der, ich bin aus Köln, na und? SY TEDDY, 1974-92 (NZ)

Die Satellitennavigation hier als Wendepunkt zweier Epochen, wobei das eigentliche Unterscheidungskriterium nicht der technische Fortschritt an sich, sondern mehr noch ein durch ihn bewirkter Mentalitätswandel ist, der die Fahrtenseglerszene verändert: »eine ganz andere Gruppe von Menschen«, ein anderes »Milieu« ist auf den Weltmeere anzutreffen. Karl und Fritzi sehen sich als Vertreter einer »alten Schule«, basierend auf den damals zwar selbstverständlichen, aber im Vergleich zu heute charakteristisch härteren bzw. schwierigeren Umständen, unter denen sie um die Welt segelten. Die Unsicherheit, die einer Weltumsegelung vor vierzig Jahren anhaftete, verlangte grundsätzlich mehr commitment, mehr Mut, Risikobereitschaft und Eigenverantwortung, führte infolgedessen aber auch zu größerer Verbundenheit innerhalb der cruising community, zu einem verantwortungsbewussteren und engeren Umgang Gleichgesinnter. Demgegenüber wird das Bild einer »neuen Schule« von Fahrtenseglern gezeichnet, denen es an eben diesem commitment, an Wagemut und nicht zuletzt seglerischer Leidenschaft mangelt. An Stelle eines Aufbruches ins Ungewisse tritt eine in ihren unterschiedlichen Dimensionen antizipierbare und abgesicherte »normale« Weltumsegelung. Ist eine solche in der »neuen« Zeit dann überhaupt noch ein Abenteuer? Der Leiter eines südamerikanischen TO-Stützpunktes, abseits der gängigen Barfußroute, fasste seine Erfahrungen mit dort Station machenden Fahrtenseglern, denen ich allein aufgrund der seltener gewählten Route eine größere »Abenteuerlust« zugesprochen hatte, dahingehend zusammen, daß der »technologisierten« Seglerszene von heute der »Segelenthusiasmus« früher Generationen fehlt.

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»Und nun zu der Frage, ob die Segler Abenteurer waren oder sind. – Das sollte man mit Vorsicht ausdrücken. Vor Jahren waren die Segler MARITIMER, Sextant, Karte, Eisdrift, persönliche Wettermessung etc., echte Seeleute, oftmals sehr harte Typen. Heute (vor zwei Monaten bei einem BBQ mit 5 Schiffen) bonjour tristesse, korrekt gekleidete Segler, technisch versierte laue Gespräche über die elektronischen Gegebenheiten der Reiseroute, und Ersatzelektronik bei eventuellem Ausfall, Satellitenempfang der neuesten Wetterinformation, natürlich ausgedruckt und regional analysiert, wie auf einem Musikdampfer der Carnival Line. Man reist nur bei optimalen Bedingungen. […] Also sind die heutigen keine Abenteurer. Sie sind Routen und Waypoint-Akademiker mit guten segeltechnischen Fähigkeiten. […] Sie sind auch keine echten Naturempfinder, man segelt technisch überwacht, und kommt bestimmt an. Und wenn es hart kommt, segelt man von innen, weil es draussen ja so feucht ist.« (E-mail-Korrespondenz; Hervorhebungen im Original; Juni 2006)

Die Technisierungsprozesse im Fahrtensegeln, vor allem hinsichtlich Navigation und Wetterinformation, bedingen einen Wandel im Verantwortungsbewusstsein der Akteure, verlagert sich das Vertrauen zunehmend von dem eigenen Können, der totalen seglerischen Eigenverantwortlichkeit, der Selbstbestimmung und -beherrschung des Risikos, auf die (vermeintlich absolut) verlässliche Sicherheit technischer Geräte und Informationsdienste. 21 Die Kritik an der Seglerszene der »neuen« Zeit geht primär dahin, daß im Zuge des technischen Fortschritts die Zahl der Weltumsegler innerhalb weniger Jahre enorm zugenommen hat, und die Entwicklung hin zur »Gewöhnlichkeit« einer Erdumrundung per Segelyacht mit einem grundsätzlichen Mentalitäts- und Wertewandel, ja sogar Werteverlust einhergeht. Mit dem Aufkommen der Satellitennavigation findet nicht nur ein Generationenwechsel statt, für die »alte Schule« geht eine Ära zu Ende, die von Mut, Selbstvertrauen und Leistungsbereitschaft geprägt war. Gerhard: Es hat sich ja, wie kann ich das erklären, das Kaliber der Leute, die um die Welt segeln, hat sich sehr geändert. Wie wir losgefahren sind – gab’s ja keine elektronische Navigation.[…] Und –, weil wir ja schon sehr lange segeln, kann ich mir auch da ein Urteil erlauben, daß das Kaliber der Menschen, die damals mit dem Sextanten um die Welt gesegelt sind … da war die Seemannschaft sehr gut. Unheimlich hilfsbereit. Doris: Das ist heut nicht mehr. Die Hilfsbereitschaft … Gerhard: … also – es stimmte einfach alles. Und dann fing das an. Dann kam SatNav […] Leute gingen auf größere Strecken, die das vorher nicht getan haben. Dann kam GPS. Und das war an und für sich das Ende. Also diese elektronische Navigation hat die Segelszene für immer geändert. […] Wenn sie unter Schwierigkeiten kommen, geht’s ans Radio und es wird um Hilfe gerufen. Früher haben die Leute sich selber geholfen. […] Das ist ein gewaltiger

21 Siehe eine vergleichbare Entwicklung im Kontext des Bergsteigens bei Kaufmann (2006).

192 | W ELTUMSEGLER Unterschied. Und es sind sehr viel Leute unterwegs, die sich das früher – die sich nicht getraut haben, das zu machen. Weil, die Navigation mit dem Sextanten war black magic. Da haben sie sich nicht rangetraut. […] SY DULCINELLA, 1975-80 (NZ)

Die Kritik an der gegenwärtigen Seglerszene dient der Selbstverortung, die Distanzierung findet aber auch in der alltäglich gelebten sozialen Praxis statt. Segler der »alten« und »neuen« Zeit bewegen sich zwar in den gleichen Segelrevieren, aber weitgehend in unterschiedlichen sozialen Räumen. Die in Neuseeland »hängengebliebenen« deutschen Segler und Seglerinnen der früheren Generationen haben zwar einen guten Überblick, welche Schiffe sich während der cyclone season dort aufhalten, und welche »Geschichten« die lokale Fahrtenseglerszene gerade bewegt, allerdings bleiben sie generell der dienstäglichen Sailors’ Happy Hour fern, bei der sich vor allem aktuelle Seglerjahrgänge im REVA’S am Town Basin versammeln. Wer schon mehrere Saisons in Whangarei verbracht hat, weiß wiederum von der ansässigenn »älteren« Generation deutscher Weltumsegler, ein direkter Kontakt ist jedoch selten. Und wird von beiden Seiten kaum gesucht. Die Generationen bleiben mehrheitlich unter sich. Allerdings ist in zweierlei Hinsicht doch auch eine Überschreitung der Grenzen zu beobachten. Zum einen gibt es Akteure der »neuen« Zeit, deren Lebensstil und Wertvorstellungen gewissermaßen dem Geist der »alten Schule« entsprechen, und auf dieser Grundlage durchaus enge, generationenübergreifende persönliche Kontakte bestehen. Zum anderen nutzen aktive Segler der »alten« Zeit bei aller Kritik an den Folgen des segeltechnischen Fortschritts heute natürlich auch GPS und diverse elektronische Geräte. Hinter Seglern vom »alten Schlag« und dem Einsatz modernster Navigations- und Kommunikationstechnologien steht nur ein scheinbarer Widerspruch, der sich letztlich in der Auffassung der guten Seemannschaft auflöst. Kein guter Segler ist, wer glaubt, schon alles über das Segeln zu wissen, und auf und von der See nichts mehr lernen zu müssen. Aber, zu dem Schluß kommen Gisela und Helmut, auch diese Einstellung hat es früher schon gegeben – nur kann heute eben das GPS das Fachwissen zur Navigation und dem Umgang mit dem Sextanten ersetzen! Helmut: Also, ein guter Teil ist von dem Schlage, der auch früher losgesegelt wäre. Aber es gibt auch Leute, die, ja, also, - so von ihrem Lebensprinzip her Dünnbrettbohrer sind. Und die wären früher zu Hause gesessen blieben. Und heutzutage fahren sie los. Gisela: Ja, aber es sind früher ja auch Leute losgesegelt, gut, die waren abenteuerlustig, aber auch mit keine Ahnung, jede Menge. Denk mal ans GERÜMPEL. […] Helmut: Aber der hat doch sehr schnell begriffen, und auch von allen Seiten genannt gekriegt, worauf es ankommt, und was er alles noch braucht, an Kenntnissen und Gegenständen. […] Die Leute haben dann nachgerüstet, weil sie engagiert waren.

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Gisela: Du meinst, heute rüsten sie nicht nach. Helmut: Nein, die kaufen sich sofort ein GPS. Gleich zwei, einen wegen Backup. Gisela: Ja, ja. Wir haben vorsichtshalber drei nachher mitgehabt. (lacht) SY VENILIA, 2000-2005

Es fällt schwer, die Frage abschließend beantworten zu wollen, ob es sich im Vergleich von Weltumsegelungen in den 1970ern und heute einfach nur um einen weiteren Generationenwandel handelt, vergleichbar mit dem zwischen Fahrtenseglern zu Beginn und Mitte des 20. Jahrhunderts. Oder ob der Einzug von GPS & Co an Bord das Ende des bis dahin mehr oder weniger unter den gleichen Bedingungen stattfindenden »klassischen« Fahrtensegelns bewirkt hat, und der Bruch zwischen der »alten« und »neuen« Zeit wesentlich tiefer verläuft – der um 1990 erfolgte Generationenwandel als der entscheidende betrachtet werden muß. Bei allen Veränderungen kann weniger von einer Ablösung der »alten« durch die »neue« Schule die Rede sein, als von einer zunehmenden Erweiterung und Diversität der Erscheinungsformen »Weltumsegelung«. Zwar ist eine Abfolge verschiedener Seglergenerationen zu erkennen, aber die dem Reise- wie Lebensstil innewohnende Flüchtigkeit, das aus der Mobilität erwachsende Nicht-FestgelegtSein sowohl in der räumlichen wie zeitlichen Dimension führt zu kontinuierlichen Überschneidungen und Überlagerungen der verschiedenen Seglerjahrgänge, die auf durch globale Wettersysteme vorgegebenen Reiseetappen, d.h. Ozeanüberquerungen, Segel- und Wirbelsturmsaisons beruhen. Ließe sich die daraus resultierende beständige Neu- und Umbildung der sich an unterschiedlichen geographischen Orten lokalisierenden Seglergemeinschaft nicht vielleicht auch in einer umfassenderen, historischen Ausdehnung verstehen? Oder anders gefragt, verbindet die Segler aller Jahrgänge, Generationen, Zeiten oder »Schulen« nicht letztlich doch mehr als sie trennt? Elke: Für mich ist ganz wichtig, daß diese Leute, die sich auf die große Tour gewagt haben, die Sicherheit des alltäglichen Lebens, die Sicherheit, die viele Menschen nicht missen mögen, daß sie die aufgegeben haben, für etwas Unsicheres. […] Michael: Ja, ist schon so. Also Mut muß man haben. […] Körperlich fit mußt du sein. Ja, Interesse natürlich, an der Natur und an der See. Das haben sie alle. Elke: Ja, mehr oder weniger. Michael: Am Segeln natürlich. Das ist für jeden bedeutsam. An den Erlebnissen. Das Bedürfnis, möglichst viel zu erleben, haben sie auch alle. Das ist schon ne ganze Menge. Ja, die Segler werden älter. Die deutschen Segler sind alle alt, ja. Das zeigt, daß sie das also am Ende ihres Berufslebens erst riskieren. Ja, das ist auch so ein Punkt. […] Elke: Vielleicht liegt es an unserer Gesellschaftsstruktur, daß man erst dann los kann, oder vielleicht liegt es an der deutschen Mentalität. Erst gesichert, wenn man mehr Geld hat. Weiß

194 | W ELTUMSEGLER ich nicht, woran es liegt. Es gibt ja auch junge Leute, auch unter den Deutschen gab’s junge Leute. Aber die waren natürlich schon weniger, seltener. SY BRIGHT DAY, 1997-2006

In ihrer Reflexion über die auf ihrer fast zehnjährigen Weltumsegelung erfahrene Gemeinschaft betont Elke primär die alle Segler verbindende Gemeinsamkeit des Heraustretens aus dem Vertrauten, des Verlassens der »alltäglichen Sicherheit«. Die Ergänzung ihres Mannes, daß Segler grundsätzlich die gleiche Motivation teilen, schränkt sie dagegen bereits wieder ein. Im Laufe des Gesprächs werden mir immer wieder Beispiele für ein Verhalten anderer Yachties geschildert, das nicht gerade von großem Interesse für die Natur, die besuchten Länder und Kulturen oder von besonderer Offenheit für das Fremde zeugt. Eine offensichtliche Veränderung sieht auch Michael in der »Überalterung« deutscher Fahrtensegler. Wobei dieses Paar – zwar mit jahrzehntelanger Segelerfahrung, aber eben als Weltumsegler der »neuen« Zeit – diese Entwicklung nicht in der »Technologisierung« und Vereinfachung des Segelns, sondern in der deutschen Gesellschaftsstruktur oder Mentalität begründet sieht. Und die Allgemeingültigkeit ihrer Aussage mit dem Verweis auf die doch auch anzutreffenden jungen (deutschen) Segler zugleich wieder relativiert. Von der rechten Zeit für eine Weltumsegelung Diesem Kapitel steht die Frage voran, ob sich Weltumsegelungen in den letzten 40 Jahren vom Abenteuer junger Aussteiger zum etablierten Lebensstil einer aktiven Generation 60+ in einem spätmodernen Un-Ruhestand gewandelt haben. Aus der fahrtenseglerischen Innenperspektive habe ich versucht nachzuzeichnen, wo eine Kontinuität zeitloser Grundmotive und Gemeinsamkeiten erkennbar wird, wo Brüche zwischen einer «alten« und einer »neuen« Schule verlaufen, und in welchen Begründungszusammenhängen der Wandel von den Akteuren selbst gesehen wird. Wie bereits in der Parallele zum Bergsteigen deutlich wurde (s. S. 194), handelt es sich bei dem Wandel, den Weltumsegelungen erfahren haben, um keine singuläre Entwicklung. Daß aus einer für wenige zugänglichen Reiseform ein touristisches (Massen)Erlebnis wird, trifft so auch für das Feld der »Abenteuerreisen« (adventure travel) zu, die mittlerweile den am stärksten wachsenden Bereich der Tourismusindustrie darstellen, obgleich sie den Widerspruch zwischen dem unkalkulieren Risiko des Abenteuers und der für »Tourismus« unerlässlichen Planungsicherheit und Risikominimierung in sich tragen (Zurick 1995). Gerade im etwa gleichen Zeitraum, in dem der »Epochenwandel« des Fahrtensegelns verortet wird, sind auch aus den ehemals »alternativen« Rucksackreisenden der 1970er die heute global und in großer Zahl auftretenden Backpacker geworden, deren Art zu Reisen mittlerweile zum touristischen mainstream geworden ist. (vgl. Binder 2005; Cohen 2004; O'Reilly 2006). Daß steigende Popularität und erleichterte Zugänglichkeit zum Statusverlust bzw. der Statusveränderung einer spezifischen Reiseform führt, wird

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in diesem Kontext überdies als parallele Entwicklung zum historischen Wandel gesehen, den die Grand Tour der Neuzeit durchlief. »Over time the Grand Tour became more popular and available to the middle classes, and its status diminished (Towner 1985). Similarly, as backpacking has become more common and accessible to a wider range of people, its status as an alternative lifestyle or unusually daring activity has diminished.« (O’Reilly 2006: 1006)

Im Falle der Backpacker führt O’Reilly (2006) weiterhin aus, daß die zunehmende Verbreitung dieser Reiseform zumindest von einigen Akteuren, die sich als »Puristen« verstehen, so interpretiert wird, daß es heutzutage »zu leicht« geworden ist, so zu reisen, und Cohen (2004) mit seiner Beobachtung recht haben mag, daß gewöhnliche Rucksackreisen heutzutage eben »touristischer« sind, als es die Reisenden selbst gerne hätten. Einem romantisierenden und idealisierenden Blick auf eine in der Vergangenheit verortete Reisepraxis steht – und gerade darin ist auch wieder die Parallele zwischen Rucksackreisen und Weltumsegelungen zu erkennen – die Bedeutung der individuellen Erfahrung gegenüber. »A common characteristic of romantic modernity is the tendency to idealize what is past or somehow just out of reach. All that is worthwhile is about to disappear over the horizon, or perhaps it already has and everyone has just missed it. Backpackers are just as prone, if not more so, to these tendencies, forever referring to a romanticized past that they may not even have experienced, but know about from word of mouth or the stories of an older traveler who was there when it was all so different and perfect. From a broader social perspective it is clear that backpacking has become more common and more a part of the mainstream, which may devalue the experience in some people’s eyes. This is not to say that it has become any less valuable or exciting from the perspective of many individuals.« (O’Reilly 2006 : 1006)

Anders als im Falle des Backpacking kann der Wandel, den das Fahrtensegeln durchlaufen hat, als eine gemäßigter verlaufende Entwicklung betrachtet werden, sind Weltumsegelungen trotz erkennbar gestiegenen Zahlen und einer zunehmenden »Gewöhnlichkeit« noch immer weit davon entfernt, touristischer mainstream zu werden. Wie wird dieser Wandel auf der ganz individuellen Ebene empfunden? Wie wirkt er sich auf die Eigenwahrnehmung des Einzelnen aus? Daß Rucksackreisende, wie O’Reilly konstatiert, die Neigung haben, ein häufig verklärendes Bild jener vergangen Tage zu werfen, die sich selbst gar nicht erlebt haben, und etwas »verpasst« haben, ist so auch bei Fahrtenseglern zu beobachten. Gibt es damit aber auch überindividuell eine Vorstellung davon, wann eigentlich die rechte Zeit für eine Weltumsegelung ist? Wann ist es »zu spät«? Diese Frage kann dabei aus zwei unterschiedlichen, und zugleich miteinander gekoppelten Blickrichtungen gestellt werden, denen ich beide zum Abschluß dieses Kapitels nachgehen möchte. Erstens

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in der Lesart des Je jünger, desto besser. Welche Bedeutung messen die Akteure dem Lebensalter zu, in dem die Weltumsegelung durchgeführt bzw. die Entscheidung für diesen Lebensstil getroffen wird. Insbesondere vor dem Hintergrund, daß das Alter der Akteure sich in den letzten vierzig Jahren eindeutig nach hinten verschoben hat. Zweitens läßt sich aus den Distinktionsbemühungen einer »alten« gegenüber einer »neuen« Schule, aber auch aus dem Geschichtsbewusstsein der »Hinterherfahrenden«, die Lesart Je früher, desto besser ableiten. Liegt die eigentlich »richtige« Zeit für eine Weltumsegelung in der Vergangenheit, als es vor allem wesentlich weniger Yachties als heute gab und in der »normale« Weltumsegelungen noch außergewöhnlich waren? Je jünger, desto besser? Daß eine Weltumsegelung in jedem Lebensalter unterschiedlich erlebt wird, mit Anfang Zwanzig anders als mit Anfang Sechzig, liegt auf der Hand, spielen Gesundheit und physische Konstitution ebenso eine Rolle wie die mit den Jahrzehnten gewonnene Lebenserfahrung. Daß die persönliche Risikobereitschaft höher ist, wenn altersbedingt beispielsweise noch weniger gesundheitliche Probleme bedacht werden müssen, sorgt mit dafür, daß die Reise rückblickend insgesamt als »unbeschwert« empfunden wird. Gudrun: Ich weiß, in Südafrika hatte uns mal jemand gesagt, oh ja, das ist auch so ein Traum, würd er machen, wenn er jetzt pensioniert ist. Und da denk ich im Nachhinein, das möcht ich nicht in dem Alter. Wenn, musst du das ganz jung machen. Je jünger, desto besser. Man muß ja auch ein bisschen sportlich und fit sein, und auch gesund. Das spielt auch ne Rolle. Peter hatte nicht mal ne Krankenversicherung. SY GUNDEL, 1972-78

Ebenfalls erst in der biographischen Rückschau wird sichtbar, wie sehr und in wie vielen Bereichen die Weltumsegelung als Gesamterlebnis und bewältigte Aufgabe zu einer das gesamte Leben nachhaltig prägenden Erfahrung wird. Die lebensgeschichtliche Bedeutung, der ideelle Gewinn aus den Erfahrungen und Erlebnissen, die sich auf der Reise mehr oder weniger beiläufig ergeben, bestätigen Jan darin, daß ein früher Zeitpunkt der richtige Moment für eine Weltumsegelung ist. Jan: Aber ich finde es absolut genial, es am Anfang seines Erwachsenenlebens zu machen, um was davon zu haben. Am Ende seines Erwachsenenlebens, also nach der Pensionierung, macht man es eher, um sich zu unterhalten. Um die Zeit rumzubringen. Denn dann ist nichts mehr, dann ist daraus mit der Erfahrung – dann kann man zwar noch die Erfahrung machen, daß, wenn der Anker nicht hält, man aufs Riff fällt, aber das ist sozusagen nicht das, was ich meine. Und diese Erfahrung, die man wirklich in seinem ganzen Leben, auch unter ganz

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unterschiedlichen Aspekten brauchen kann, da ist es gut, wenn man es am Anfang macht. Und das würde ich sagen, das war ideal für uns. Das war toll. Das hat gepasst. SY NICOLAO COELHO, 1973-75

Gerade rückblickend zeigt sich, daß die Erwartungen, die an die Reise gestellt wurden, insofern weit übertroffen wurden, als die Erfahrungen der Weltumsegelung als solche zur wertvollen Referenz und entscheidendem Bezugspunkt im späteren Leben werden. Jan: Die Reise hat für mein ganzes Leben eine gewaltige Rolle gespielt. Das kann ich aber auf endlos vielen Ebenen ausführen: was ich über Beziehungen, über Entscheidungen, über Leben gelernt hab. Ich kann aber auch sagen, eine Firma zu gründen […] ist nichts gegen mit 18 anzufangen, eine Weltumsegelung zu planen, die Leute reinzuholen, mit denen das zusammen zu machen, zu finanzieren, am Ende wieder nachbereiten. Das ist eine fünf bis sechs Jahresstrecke. In dem Alter ist das wie ’ne Firma gründen, mehr eigentlich. Weil man sich noch vielmehr selber reinwirft, durch die Reise selbst, hier geh ich abends nach Hause. Und von daher würde ich sagen, der Wert ist größer als ich den je hätte erahnen können. SY NICOLAO COELHO, 1973-75

Auch wenn die damaligen Akteure es während der Reise nicht unbedingt explizit zur Sprache brachten oder intensiv reflektieren, waren sie sich doch darüber im Klaren, daß die Weltumsegelung ein wichtiger Teil ihrer persönlichen Zukunft sein würde. Allerdings zeigt sich erst in der biographischen Rückschau, welchen Stellenwert im Leben sie tatsächlich einnimmt. Für Irmgard und Till, die zur »Halbzeit« in Neuseeland hängenblieben anstatt wie geplant nach drei Jahren wieder in Deutschland einzulaufen, sind es die im Nachhinein viel zu kurzen 16 Segel-Monate, die über dreißig Jahre später ein wenig wehmütig, und doch auch zufrieden zurückblickend, sogar als die »schönste Zeit« ihres Lebens erinnert werden. MK: War Euch das bewusst? Wir haben unterwegs immer geredet, wie einmalig das für unser Leben ist – Irmgard: Also, das es außergewöhnlich ist … Till: … da waren wir uns drüber klar. Irmgard: Oh ja, … Till: ..aber drüber gesprochen haben wir eigentlich nie. Irmgard: Aber wir wussten das zu schätzen, das war schon was, was Besonderes. Eigentlich, hinterher ist uns das bewusst geworden … Till: …daß es die schönste Zeit unseres Lebens war. Irmgard: … ist es nicht schön, daß wir das gemacht haben. Also, ich möchte das nicht missen, und das kann uns auch keiner nehmen. Wie gesagt, wir zehren immer noch davon, und sprechen auch gerne drüber. – SY IRMA, 1973-74 (NZ)

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Zwanzig Jahre nach diesen Weltumsegelungen zählten Bettina und ihre Mann Johann mit Mitte Dreißig zwar zu den Jüngsten im Umfeld deutscher Weltumsegler, befanden sich aber dennoch altersmäßig in einer späteren Lebensphase, in der die Weltumsegelung den Ausstieg aus einer durch Beruf und Hauskauf sich bereits verstetigenden Sesshaftigkeit bildete. Dies spiegelt sich deutlich in Bettinas Antwort und ihrer Differenzierung des »richtigen« Zeitpunktes. Sie läßt anklingen, daß auch die Gefahr besteht bzw. es als eine solche empfunden wird, die rechte Zeit für den Aufbruch zu verpassen, die Intensität der Erfahrungen eben auch an das Alter bzw. die damit zusammenhängenden Lebensumstände gekoppelt sind. MK: Seid Ihr zum richtigen Zeitpunkt aufgebrochen? Bettina: Also fürs Segeln, und für die Reise, und Sachen anzugucken, das auf jeden Fall. Alles andere, mit Berufskarriere, dafür war das der total falsche Zeitpunkt (lacht), ganz schlecht gewählt. Aber so für’s Reisen, ja doch, auf jeden Fall. […] Ich wär wahrscheinlich sonst auch, wenn ich das nicht gemacht hätte, ich wär vermutlich gar nicht mehr weggekommen aus Deutschland. Des wär zu sehr eingefunden, wie Du sagst, da ist alles, Beruf und Familie. Ach, bei uns im Schwäbischen wohnt man auch so eng aufeinander und so. Wahrscheinlich wär es immer irgendwo ein Traum geblieben. Man hätte vielleicht mal a Fernreise unternommen, sicher, weil man ja irgendwann mal das Geld dafür gehabt hätte, so wie wir’s für das Schiff gehabt haben, aber das wär’ was anderes gewesen. So ist des schon ein intensiveres Erlebnis, auf jeden Fall. Doch, des war der richtige Zeitpunkt. SY HELENA, 1995-2003 (NZ)

Letztlich ist die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt im Leben immer eine multifaktoriell begründete Entscheidung, werden notwendige und hinreichende Bedingungen von jedem (angehenden) Weltumsegler individuell anders bewertet. In den Gesprächen zu dieser Frage wurde dies immer wieder deutlich hervorgehoben, wurde die Stimmigkeit des eigenen Entschlusses begründet. In diesem Sinne führen Maria und Karl auch aus, weshalb – für sie beide – langjähriges Fahrtensegeln erst im Ruhestand in Frage kam. Karl: Also wir würden es mit Sicherheit wieder so machen, wie wir es gemacht haben. Maria: Wenn du jung bist, biste flexibler. Wenn du jung bist, haste mehr Schwung, dann macht dir auch, ich sach jetzt mal, nix was aus. Hast natürlich dann die Zeitbegrenzung. Dann geht dat mit den Kindern los, mit dem Beruf los, willste Kinder haben, willste keine Kinder haben. Wie sieht das mit dem Beruf aus. In Deutschland wirste mies angesehen, wenn du dir ’ne Auszeit nimmst. Oder, ich weiß nicht, ob das heute noch so ist, auf alle Fälle damals, als wir jung waren. Wir hatten auch dat Geld nicht, um dat zu machen. SY ELBE, 1995-2010

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Obwohl beide schon in jungen Jahren begeisterte Segler waren, stand – ganz »pragmatisch« – auch fest, daß aufgrund ihres familiären und soziokulturellen Hintergrundes, elterlichen Wertvorstellungen folgend, eine Weltumsegelung mit Ende Zwanzig oder Dreißig ein »unheimlicher Abstieg« gewesen wäre, die berufliche Karriere und Familiengründung Vorrang hatte. Gesegelt wurde im Urlaub, das gesuchte Freiheitserlebnis aus Rationalität und Pflicht- und »Verantwortungsgefühl« auf wenige Wochen im Jahr beschränkt, auch wenn sich dabei wohl der Wunsch nach einer Fortführung des Lebensstils entwickelte. Maria: Ne, dat kam irgendwann mal, als wir da von Schottland. Als wir sechs Wochen Urlaub mal hatten, sind wir nach Schottland hoch, und durch den Caledonian Canal […] zurück nach Bergen. Und als wir die sechs Wochen um hatten, da haben wir gesagt, eigentlich könnten wir jetzt weitersegeln. Karl: Ja, ja. Maria: Weißte, dat fanden wir so schön, und dat hat uns so einen Spaß gemacht. Eigentlich könnten wir jetzt weitersegeln. Aber… dat war, ich sach ma so, ein Gedanke, aber mehr nich. Karl: Aber da waren die Kinder ja noch viel zu klein. Maria: Und die Kinder waren auch noch viel zu klein. Karl: Nein. Nein. - Also ich würd’s auch heute nicht so machen. Es sei denn, ich wär anders erzogen. Ähm, vielleicht sollte man’s heute so machen, daß man in jungen Jahren loszieht. SY ELBE, 1995 - 2010

Schließlich kommt Karl dann aber doch zu dem Schluß, daß eigentlich ein möglichst früher Aufbruch empfehlenswert wäre. Wohl nicht zuletzt, weil sich bei einer Weltumsegelung im späteren Lebensalter, die im Ruhestand mit Ende Fünfzig, Mitte Sechzig angegangen wird, die damit verbundene Freiheit relativ paradoxe Züge annimmt. Einerseits ermöglicht es eine (vorzeitige) Pensionierung mit verläßlich regelmäßigem Einkommen und potentiell open end frei von Zeitdruck segeln zu können, andererseits wird der Freiheit durch das Alter Grenzen gesetzt, wird die Praxis des Segelns, der Alltag an Bord bei allem verfügbaren Komfort doch beschwerlicher. Die Frage ist dann nicht, wie lange jemand segeln möchte oder ob das Leben an Bord finanziert werden kann, sondern wie lange er oder sie gesundheitlich überhaupt dazu in der Lage ist. Dieser Aspekt wurde mir gegenüber von den Fahrtenseglern selbst thematisiert, kam in meinen Interviews immer wieder die Sprache auf Zukunftsaussichten und persönliche Vorsorgestrategien, auf die Erfahrungen (über)alternder Mit-Segler und die daran geknüpften Probleme, und auch auf die Frage, ob es denkbar ist, gar nicht ganz rund zu gehen, sondern aus der Weltumsegelung auszusteigen (vgl. Kap. 7). Als Regina und Volker mit Mitte Fünfzig zur Weltumsegelung aufbrachen, gab es für sie beide »eigentlich kein richtiges Limit«, sie machten sich wenig Gedanken, daß ihr »Durchhaltevermögen«, wie sie es nennen, mit der Zeit nachlassen könnte.

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Während Volker gleichzeitig anfügt, daß in bestimmten Beziehungen noch immer kein Limit erreicht ist, es ihm heute, zehn Jahre später, z.B. immer noch leicht fällt, bei schlechten Wetter auch mal 24, 30 Stunden am Stück wach zu sein, sind sie sich aber doch einig, daß ihre Kräfte nachgelassen haben. Vor allem Regina sieht sich durch gesundheitliche Probleme einfach körperlich eingeschränkt, müssen sie sich damit abfinden, daß manche ihrer Reise-Träume sich nicht mehr verwirklichen lassen werden. Beide meinen, in dieser Hinsicht seien sie nun aber Realisten, die auch deswegen ihre grundsätzlichen Pläne von der kompletten Erdumrundung zurückgestellt haben. Dabei hält sich das Bedauern darüber in Grenzen: so lange es noch geht, segeln sie nun lieber in den pazifischen Tropen, genießen die Wärme und beenden ihre Reise dann halt in Australien. Für Betty und Franz, etwa gleichaltrige Segler, stand aus solchen Überlegungen von vornherein fest, daß sie eine Weltumsegelung ohne ausgedehnte Unterbrechungen durchführen, obwohl kein Termin zur Rückkehr drängt. Spätestens zum 65. Geburtstag wieder in Europa sein zu wollen bedeutet hier, sich selbst einen Zeitrahmen und der Reise eine verlässliche Struktur zu geben, wobei das Datum, abgesehen von einer implizit symbolisch aufgeladenen Altersgrenze, völlig frei gewählt ist. Während Franz das Altern einerseits als Nachteil und damit Gegenargument zur Praxis der open end Weltumsegelung ansieht, führt er andererseits ins Feld, daß das Fahrtensegeln als Lebensstil eigentlich eine sinnstiftende Aufgabe im Alter darstellt und gerade aufgrund der vielfältigen konkreten physisch-psychischen Anforderungen an sich den Vorteil mit sich bringt, den Segler jung zu halten. Franz: Gut, man könnte jetzt sagen, warum bleiben wir nicht noch ein Jahr, zwei in Australien. Aber, wie soll ich mal sagen – weißt Du, das was wir hier machen, das ist auch ein bißchen vom Alter abhängig. Ich bin der Meinung, je älter du wirst – sicher gibt es sehr alte Fahrtensegler, aber ich glaube, ich merke das selber auch schon – gewisse Sachen gehen heute nicht mehr so einfach wie vor zehn Jahren. […]. Betty: Mhm, ja. Franz: Und darum glaub ich soundso – also, mit 65 sollten wir das abgeschlossen haben. Betty: Ach, das haben wir auch. Franz: Also wir haben es auch. Weil, das sind noch mal fünf, vier Jahre jetzt noch für mich, bis 65. Also so lange bleiben wir kaum. Bis dahin sind wir sicher wieder in Europa. Aber wie gesagt, es gibt Leute, mit 70, 80 machen die das noch. Und die machen das super und machen das mit einer Begeisterung […] Ja gut, das hält einen natürlich schon jung. Weißt’, wenn du pensioniert bist, ist eines der Probleme, daß du eine Aufgabe hast, finde ich. Was auch immer das für eine ist. Und so ein Schiff bewegen, das hält einen schon beweglich, im Geiste wie auch körperlich. Betty: Ja, das stimmt. SY MOONSHINE, 2004-09

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Ob die Weltumsegelung als drei- oder fünfjähriges Projekt durchgeführt oder prinzipiell open end als dauerhafter Lebensstil angelegt wird, ob nun der Aufbruch in jungen Jahren oder nach der Pensionierung erfolgt – die eigene Entscheidung wird rückblickend immer als die richtige geschildert. In der Präsentation der eigenen Situation, sowohl mir als Forscherin gegenüber wie in der sozialen Interaktion mit Mit-Seglern, überwiegt das Motiv, daß es sich beim Segeln um einen erfüllenden und befriedigenden Lebensstil handelt, was in meinen Augen verständlicherweise der Selbst- und Rückbestätigung dient, dabei aber, auch aufgrund der Kohärenzanforderung an die eigenen Geschichte, das Spannungsfeld zwischen Lebenstraum und Alltag »Weltumsegelung« mehr oder weniger bewusst ausklammert.22 Carl Leonard, dessen Ansichten ich der Reflexion des Wandels vorangestellt habe, charakterisiert das Motiv einer großen Zahl heutiger Fahrtensegler als die Erfüllung eines »long-suppressed dream to sail the world’s oceans«. Dies beinhaltet meiner Meinung nach aber auch, daß, je länger dieser Traum geträumt, umständehalber zurückgestellt und doch vorbereitet wird, die Erwartungen an die Reise und an sich selbst wachsen, und sich Segler schließlich bei der tatsächlichen Umsetzung einem steigenden Erfolgsdruck ausgesetzt sehen. Dieser Druck bezieht sich dabei jedoch nicht auf die vollständige Erdumrundung. In den Erzählungen der Segler, mit denen ich sprach, war es gerade ein wiederkehrendes Motiv, daß die Reise unter dem Vorbehalt angetreten wurde, etappenweise zu entscheiden, ob und wie weit man weitersegeln möchte. Vielmehr ist die Frage, ob bzw. wann der der Traum vom Segeln platzen darf, läßt sich doch erst nach dem Aufbruch wirklich feststellen, ob der Lebensstil so befriedigend und sinnstiftend empfunden wird, wie in den Jahren oder Jahrzehnten der Vorbereitung erträumt. Das Segeln aber als Belastung zu empfinden, entspricht nicht dem von und innerhalb der Fahrtenseglerszene allgemein kommunizierten Bildes eines erfüllenden Lebensstils, wie es auch in der umfangreichen Segelliteratur gezeichnet wird.23 Je früher, desto besser? Die Entscheidung, wann im Leben der richtige Zeitpunkt für die Weltumsegelung gekommen ist, kann und muß jeder Segler für sich selbst treffen. Allerdings kann er keinen Einfluß auf die herrschenden zeitgeschichtlichen Umstände, unter denen die

22 Gerade diese Ausklammerung negativer Aspekte – zumindest gegenüber der Forscherin beschreibt Bönisch Brednich auch im Kontext von Migrationserfahrungen Deutscher in Neuseeland (Bönisch-Brednich 2002: 410f.). 23 Ein erst kürzlich veröffentlichter Bericht eines Seglers, der auf dem Weg zur Atlantiküberquerung eine in seinen Worten extreme »Blauwasser-Allergie« entwickelt, so daß er seiner Gesundheit und Beziehung willen das Segeln lieber sein läßt und das Boot noch in Portugal verkaufen möchte, ist der einzige mir bekannte Fall (TO Nr. 131/2011: 17-19).

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persönliche Entscheidung umgesetzt wird, nehmen. Gibt es dabei historisch betrachtet eine rechte Zeit zum Segeln? Wie beurteilen Weltumsegler ihre jeweilige Situation mit der früherer Seglergenerationen, deren Beschreibungen und Erfahrungsberichten zur eigenen Reise anregten, vor- oder nachbereitend und vergleichend gelesen werden? Wie beurteilen die »Alten« ihre Situation mit der von nachfolgenden Seglern? Gilt »je früher, desto besser« auch in diesem Kontext, oder erscheint früher einfach deswegen als die richtige Zeit, weil man damals jung war? Daß gerade junge Menschen sich heutzutage durch das Reisen in globalisierten Ökonomien qualifizieren und mit der Repräsentation ihrer Reiseerfahrenheit kulturelles Kapital erwerben, zeigt Jana Binders Studie zur Praxis des Backpacking (Binder 2005). Einen vergleichbaren Wandel in der gesellschaftlichen Beurteilung von Weltumsegelungen konstatiert auch Willi, der selbst mit 31 Jahren startete. Willi: Ich glaub, so in den 68ern oder die Hippie-Zeit, das waren so die Asozialen, die losgesegelt sind. Die Gesellschaft hat so gesagt, eh guck mal die Assis, die Hippies, die segeln los. Aber heutzutage ist so ne Weltumsegelung … Ich hab mir immer gesagt, hey, wenn ich jetzt drei Jahre losfahr, dat is ein Projekt, wat ich abschließe. Wenn ich dat mit Erfolg abschließe, dat rechnet mir jeder an. Dat kann ich in meinen Lebenslauf reinschreiben, da wird nie jemand sagen, hey, du bist irgendwie so ein Hippie, sondern sagen, hey, du hast da ein Projekt, hast das mit Erfolg abgeschlossen, dat kannste als Lebenserfahrung dazuzählen, dat is wie ein Auslandsstudium sozusagen. […] Weltumsegelung ist heutzutage gesellschaftsfähig geworden. Früher war das einfach nur Hippie-Dasein. SY MARLENE, 1999-2004 (NZ)

Für seine Entscheidung, aus einem Leben in Deutschland »auszubrechen«, sich relativ jung und finanziell kaum abgesichert völlig auf den Lebensstil Segeln einzulassen, spielte es zumindest hintergründig eine Rolle, daß er, anders als seiner Vorstellung nach frühere Seglergenerationen, heute nicht als Hippie, Zivilisationsflüchtling und Aussteiger wahrgenommen werden würde, sondern eine Erdumrundung auf eigenen Kiel gesellschaftlich anerkannte Leistungs- und Risikobereitschaft demonstriert und als Kompetenzgewinn bewertet wird. Ist infolge dieser positiven Umdeutung, die Willi hier postuliert, gerade die Gegenwart nun erst die eigentlich »richtige« Zeit zum Fahrtensegeln? Bedeutet dies allerdings für jene älteren, bereits aus dem Berufsleben ausgeschiedenen Akteure, die unter gegenwärtigen Weltumseglern tatsächlich die Mehrheit stellen, daß sie die Reise eigentlich »zu spät« antreten, weil sie aus dem damit verbunden Kompetenzgewinn diesen direkten »Nutzen« nicht mehr ziehen können? Eine andere Dimension eines globalen historischen Wandels zeichnet sich bereits in Holms Einleitung zu seiner Geschichte moderner Weltumsegelungen ab, auch wenn hier ein spezifisches, US-amerikanisches Weltbild der 1970er die Grundlage bildet.

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Er erklärt die auffallende Zunahme von zeitgenössischen Weltumseglern in dieser Dekade zwar auch mit wachsenden Wohlstand und Weiterentwicklung der Segelyachten, vor allem aber mit den Weltmeeren als einzig – noch! – verbleibendem Raum für freiheitsliebende Individualisten. »Today there are literally thousands of yachts en route to exotic places, while there were hundreds in the 1950s and 1960s. The urge to go has even taken on a sort of frantic overtone, fed by the affluence of this decade and the availability of improved designs and new maintenance-free materials such as fiber glass, aluminum, and even ferrocement. Perhaps some of this frantic feeling today is due to the underlying insecurity of the times, the realization that the world is not only becoming overcrowded and polluted as it shrinks, but that the old personal freedoms and individual enterprises are being eroded by the emergence of monolithic political systems, of totalitarian communist aggressions that, once imposed, are never again thrown off, and of new welfare states that sap the initiative and dull the imagination. The oceans of the world are now all that remain for those who seek personal freedom and challenge. The quiet desperation of many who still cherish individualism has become a crushing anxiety to embark before it is too late.« (Holm 1974: X)

Seit Holms Momentaufnahme sind die Schreckenszenarien des Kalten Krieges verschwunden, aber längst durch neue, globale Gefahrenlagen und geopolitische Umwälzungen abgelöst worden, sind die Auswirkungen von Überbevölkerung, Umweltverschmutzung und Klimawandel weltweit spürbar, wirken sich nationalstaatliche Ereignisse und Krisen ebenso wie weltpolitische Geschehnisse teils überregional, teils lokal ganz unmittelbar auf Fahrtensegler bzw. ihre Reiserouten aus.24 Drängt es aufgrund der globalen Krisen nun aber noch mehr Menschen in kleinen Segelyachten auf See, um dort »frei« zu sein? Welche Freiheit ist noch – oder nicht mehr – zu finden? Weshalb, oder wofür, ist es heute zu spät? Unverändert liegt, worauf ich im folgenden Kapitel eingehen werde, eine essentielle Freiheit in der selbstbestimmten Mobilität der eigenen Segelyacht. Gerade im Vergleich zum Reisemittel Flugzeug steht das selbstverantwortliche, eigenständige Segeln für ein exklusives, und damit auch »privilegiertes« Reiseerlebnis. Gerhard, der Segler und Taucher ist, ermöglicht die eigene Yacht u.a. einen einfachen Zugang zu den exklusivsten Tauchgebieten.

24 Der gesperrte Suezkanal (1967-75) etwa zwang weltumsegelnde Yachties auf die aufgrund von Argulhas-Strom und häufigen Tiefdruckgebieten »unbequemere« Route über Südafrika und das Kap der Guten Hoffnung, heute stellt die sich ausbreitende Piraterie im Arabischen Meer und im Nordindischen Ozean nicht nur für Handelsschiffe, sondern auch für kleine Segelboote eine Gefahr dar (vgl. TO Nr. 135/2012: 22).

204 | W ELTUMSEGLER Gerhard: Die letzte Art, die uns geblieben ist, in der Welt umherzufahren, wo man seine eigene Initiative gebrauchen muß, und man muß was dafür leisten. […] Alle Plätze, die einen Flugplatz haben, da kann jeder hinkommen. Egal ob er laufen, schwimmen, kriechen, oder im Rollstuhl – wenn da ein Flugplatz ist, kann er da hinkommen. Und die Möglichkeiten, die uns [als Segler] gegeben sind, Stellen zu besuchen … den 99 Prozent der Bevölkerung ist das ja versagt, weil sie einfach keine Möglichkeit haben, da hinzukommen … Doris: … das ist ein privilege. SY DULCINELLA, 1975-80 (NZ)

Während dem einen die Exklusivität des Reisens genügt, sieht ein anderer im Segeln einen ganz generellen Gegenentwurf zum Leben an Land, das er als einschränkend empfindet, und sich deswegen für ein dauerhaft mobiles Leben an Bord entscheidet: »Überall musst du Miete zahlen, alles ist restricted. Ja, der einzige freie Lebensraum, den du hast, ist echt noch auf dem Wasser.« Prinzipiell verkörpert ein Schiff ein einfaches Prinzip unmittelbarer Wahlfreiheit: Wenn die Umgebung nicht gefällt, »da ziehste den Haken hoch und gehst einfach weiter«. Aber diese Freiheit liegt im Kleinen, ist sie eher persönlicher Natur, und nur innerhalb eines fremdbestimmt größeren Rahmens, unter weltpolitischen und -gesellschaftlichen Bedingungen wahrnehmbar. Keineswegs alle Länder dieser Welt können von Segelyachten angelaufen werden. Als Weltumsegler der »alten« Zeit, die von Neuseeland aus weiterhin im Pazifik segeln, sehen Klara und Georg immer wieder selbst, wie sehr sich dort manche Inseln verändert haben, wie unterschiedlich die Erfahrungen späterer Seglerjahrgänge sind. Das eigene Alter berücksichtigend erklärt Georg dabei, daß es zum Teil wohl einfach dem alterstypischen »Früher war alles besser« geschuldet ist, daß sie mit leicht verklärtem Blick davon sprechen, zur »richtigen Zeit« gesegelt zu sein. Und sich diese Einschätzung ganz natürlich in jeder Generation wiederholt. Klara: Ja, aber, wenn wir jetzt immer noch Touren gemacht haben, haben wir immer nur gesagt: Wir sind schon noch zur richtigen Zeit gesegelt, nich. Georg: Aber das haben sicherlich früher … Klara: Es war auch alles noch … aber das sagt sich jeder, wahrscheinlich jetzt auch noch. Georg: Ja, natürlich. Was meinst Du, was der alte Slocum gesagt hätte, wenn er nicht umgekommen wär. Klara: Ja, stimmt. - Aber wenn Du denkst jetzt so, ich meine, es sind doch schon mehr Regeln, so mit Einklarieren, mit schönen Plätzen und so. Georg: Oh ja. Das stimmt SY ALFREDO, 1972-82

Allerdings sind sie tatsächlich in einer Art Übergangszeit gesegelt, in der es noch relativ wenige, oder zumindest weniger strikte Regularien und Vorschriften für die

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auch noch seltener auftretenden Besuchsyachten gab. Mit der enormen Zunahme von Fahrtenyachten in der 1970ern nahm auch die Reglementierung in vielen Ländern und Inseln entlang der Barfußroute zu, zum Teil aufgrund schlechter Erfahrungen mit finanziell weniger gut ausgestatteten Yachties, die zu jener Zeit häufiger auftraten. So wurde etwa in Französisch Polynesien um 1975 eingeführt, daß Fahrtenyachten bei der Einklarierung in Tahiti für jedes Besatzungsmitglied Geldmittel in Höhe eines Rückflugtickets in die Heimat hinterlegen müssen, um das »Stranden« von mittellosen Aussteigern zu verhindern.

Abbildung 25: Tahiti, 1974 – Fahrtenschiffe am Quai von Papeete Schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist Französisch-Polynesien ein Sehnsuchtsziel, bilden die Fahrtenschiffe im Hafen von Papeete eine »floating community«.

Generell haben sich die Regularien für sailing permits, Aufenthaltsgenehmigungen und Visa-Verlängerungen verschärft, müssen sich Fahrtenyachten um Genehmigungen bemühen, sind in aller Regel auch steigende Kosten damit verbunden. In manchen Ländern, unter anderem dem internationalen Fahrtenseglerziel Neuseeland, sind Fahrtenyachten mittlerweile nicht nur verpflichtet, sich vorab zu registrieren, sondern sich 48 Stunden vor Eintreffen per Funk bei immigration und Zollbehörden zu melden, und wiederum innerhalb einer 24-Stunden-Frist nach Ausklarierung auch wirklich auszulaufen. Der Seeraum wird per Flugzeug und Hubschrauber

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überwacht, das Nichtbefolgen dieser Vorschriften streng geahndet. Viele Yachties empfinden eine Abhängigkeit von staatlich-bürokratischen Vorgaben, daß Aufenthaltserlaubnisse, Anker- oder sailing permits, die von staatlicher Seite, auf manchen Inseln zusätzlich auch von traditionellen, lokalen Autoritäten eingeholt werden müssen, als zunehmende, erhebliche Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit. Der Freiheit, die der Lebensstil Segeln trotz allem weiterhin bietet und verkörpert. Dietmar: Wir sagen immer so, das letzte Stück Freiheit, … Inge: Ja. Dietmar: … was es noch gibt in der Welt. Aber die wird halt immer weniger Inge: .. wird auch immer weniger Dietmar: …wird auch immer knapper, ne. Die meisten Länder beschneiden ihre Visa. Es wird alles kürzer. Inge: Vorschriften werden immer mehr, praktisch, die sie von den Ländern her dir auferlegen. Dietmar: Du darfst nicht mehr ankern, wo du denkst, und die Visa werden nicht mehr nach einem halben, einem Vierteljahr problemlos erneuert, sondern das kostet auf einmal 80 Dollar. Und nach so und so viel Zeit wollen sie auf einmal 800 Dollar haben. Das ist natürlich nicht mehr machbar. [ …]. Aber, ja, das hat’s früher schon gegeben. Aber die Masse ist heute mehr und früher ist es nicht aufgefallen, wenn mal ein Segler illegal da ein halbes Jahr in so ’ner Bucht gelegen hat. […] Es wird weniger, also die so genannte Freiheit. Aber, man kann damit leben. SY NJÖRDR, seit 1998

Mit der merklich gestiegenen Zahl von Fahrtenseglern, die die Freiheit dieser individualisierten Reise- und Lebensform suchen, sich dabei aber auf quasi institutionalisierten Reiserouten und immer auch innerhalb weltgesellschaftlicher Ordnungsstrukturen bewegen, kann sich der einzelne Segler in mancherlei Hinsicht weniger »Freiheiten« nehmen. Diese Prozesse bzw. die daraus erwachsenen Konsequenzen werden durchaus ambivalent betrachtet, wird neben der Kritik an den Umständen auch Verständnis für die Situation der Gastländer und -inseln geäußert. Auf meine Frage, ob Langzeitsegler auch einmal an einen Punkt kommen, an dem sie genug haben, führt ein Schweizer Segler neben dem ansteigenden Arbeitsaufwand zur Instandhaltung ihres Bootes gerade diese Entwicklung als einen der beiden Aspekte an, die in den gut zehn Jahren ihrer insgesamt glücklich verlaufenen Reise »zunehmend genervt haben«. Peter (FB): Von Jahr zu Jahr wurde es mühsamer mit den lokalen Behörden. Immer mehr Verbote, zunehmender Papierkrieg beim Ein- und Ausklarieren, teurere Bewilligungen, unverschämte Beamte, etc. Dabei muß festgehalten werden, daß auch die Anzahl der Boote ständig zugenommen hat, so daß Konflikte zwischen Hafenbehörden und den mitunter recht arroganten Yachties nicht ausbleiben konnten. – SY ALEPH, 1992-2001

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Dabei bietet das Konzept Weltumsegelung noch immer genügend Freiräume zur eigenen Gestaltung, ist es in erster Linie eine Frage der eigenen Bereitschaft, die Bequemlichkeit der Hauptroute mit ihrer Fahrtenseglerszene und einer auf sie ausgerichteten Infrastruktur zu verlassen. Es liegt an jedem Einzelnen, sein an und für sich einmaliges Erlebnis Weltumsegelung individueller zu gestalten, die Freiheit und Unabhängigkeit, die eine Segelyacht bietet, so oder so zu nutzen. Elke: Manchmal denke ich schon, wir sind ein bißchen zu spät. Es wäre noch schöner gewesen vorher. Aber wir haben auch viele Vorteile davon gehabt, technische Vorteile. Und wir haben eigentlich auch jetzt noch unsere Zeit sehr genossen, und viel auch erlebt. Michael: Also für mich ist das so. Es ist auf jeden Fall ein Riesenerlebnis. Und es spielt überhaupt keine Rolle, ob andere das früher schon gemacht haben. Das ist für uns alles neu, wir sind ja andere Menschen als diese, und die Situationen verändern sich. Früher wären die Leute vielleicht nicht mit den Situationen fertig geworden, die wir heute erlebt haben, und wir mit deren Situationen früher. Und ob da nun paar mehr auf dem Ankerplatz sind oder weniger. Man findet immer einsame Plätze, wenn man sie sucht. Elke: Selbst in der Karibik. Michael: Also, es liegt nur an einem, was man daraus macht. […] Und dann wird der genauso schön wie früher auch. Die Kochs haben auch immer rumgemeckert, oh, der Ankerplatz ist so voll. Oder, da kannst du nicht mehr hin, die Cook Islands sind alle kaputt. Also, fahr doch mal zu den Malediven, oder was weiß ich. Da ist doch noch alles, wenn man nur sucht. SY BRIGHT DAY, 1997-2006

Für dieses Ehepaar schmälern die Entwicklungen der cruising community und die »Gewöhnlichkeit« einer Weltumsegelung keineswegs die Möglichkeiten des Einzelnen, eine – für sich – außergewöhnliche Reise zu erleben, allerdings sprechen beide gleichzeitig nicht nur davon, daß die Umstände und damit auch das Reiseerlebnis im Vergleich zu »früher« anders ist, sondern auch explizit, daß es früher »noch schöner« gewesen sein muß. Offen bleibt jedoch, was genau damit gemeint ist – waren die Ankerplätze einsamer und die Natur unberührter, die Abenteuer größer und die Fremde exotischer? Letztlich sind es immer die eigenen Erwartungen an das »Abenteuer« oder die »Normalität« Weltumsegelung, die imaginierten Bilder von fremden Orten, Kulturen oder Menschen, die darüber entscheiden, wie befriedigend oder enttäuschend Erlebnisse und Begegnungen empfunden werden, und auch, ob die eigene Weltumsegelung zur »richtigen« Zeit stattfindet. Michael ist nicht der einzige, der zugleich mit der Vorstellung des »früher war es schöner« darauf verweist, daß ein idealisierender, romantisch verklärter Blick zurück auf frühere Segeltage – gerade im pazifischen Raum häufig aus Enttäuschung über durch westlichzivilisatorischen Fortschritt zerstörte »Südsee-Paradiese« – nicht zeitspezifisch an sich ist, sondern schon von früheren Seglergenerationen gepflegt wurde.

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Annegret und Hans, die nach vier Segeljahren auf den Weltmeeren beschlossen, in Neuseeland zu bleiben und dort wieder zu seßhaften Auswanderern wurden, erinnern aus ihrer Zeit als Fahrtensegler in den 1970ern keinerlei konkrete, nachhaltig beeinträchtigende Enttäuschungen, sprechen beide von insgesamt glücklichen Jahren. Sie räumen aber auch ein, daß sie aufgrund der Einmaligkeit ihrer Reise damals nicht verglichen, und somit keine Enttäuschung über unwiederbringlich vergangenes Erleben empfanden. Annegret: Zu lange her. Gab’s bestimmt irgendwas… Hans: An und für sich nicht so. Ich mein, wir haben mit Hiscock gesprochen in den Marquesas. Der sagte, och, als ich früher da war, da gab’s noch kein elektrisches Licht und es war früher viel schöner. Wir kannten das ja gar nicht. Als wir herkamen, gab’s schon elektrisches Licht. Wir hatten da ja keinen Vergleich. Nein, das waren an und für sich keine Enttäuschungen. Das Boot hat sich sehr gut bewährt. Es war ein sehr stabiles Boot und wir hatten nicht allzu viele Sorgen damit. Und das ist natürlich wahrscheinlich das wichtigste überhaupt. Manche Leute haben halt sehr viel Pech mit ihrem Boot, und haben dann ständig Probleme. Das hatten wir nicht. SY ANNIE, 1974-77 (NZ)

Eine Diskrepanz zwischen dem erträumten Glück der Weltumsegelung und der erlebten Realität des Fahrtensegelns resultiert in Hans’ Augen, wie seine unmittelbare Überleitung zeigt, dabei weniger auf nicht erfüllten, spezifischen Erwartungshaltungen hinsichtlich des Reiseerlebnis in den besuchten fremden Ländern und Kulturen. Existenzielle Grundlage für einen erfüllenden, befriedigenden Lebensstil Segeln ist für ihn vielmehr die materielle Basis, die Fahrtenyacht, von der das Gelingen wie das glückliche Erleben einer Weltumsegelung, zu allen Zeiten, abhängt – Harmonie an Bord vorausgesetzt, auch wenn diese wichtige Komponente hier unangesprochen bleibt (vgl. Kap. 6.1). Im nächsten Kapitel möchte ich – bevor ich mich auf mehreren Ebenen näher mit den sozialen Beziehungen von Seglern befassen werde – verschiedene Dimensionen der Fahrtenyacht, in ihrer gegenständlichen wie abstrakten Bedeutung für das Fahrtensegeln als Lebensstil beleuchten. Nach einigen alllgemeinen Überlegungen über die spezifische Charakteristik des Lebens und Reisens auf und mit einer Segelyacht, werde ich nicht nur ihre Funktionen als Transportmittel, als Heimstatt und als Zuhause, sondern auch ihre Funktionalität, wie sie sich in der konkreten Raumnutzung und der Dingwelt einer Fahrtenyacht niederschlägt, vorstellen. Das Kapitel beschließe ich mit Erörterungen zur Wechselbeziehung zwischen Materialität einer Segelyacht und der durch sie bedingten Lebenswirklichkeit an Bord: das spezifische Erleben alltäglicher Routinen wie »einzigartiger« Reise- und Naturerfahrungen.

Abbildung 26: Whangarei, 2007 – Alltag im Hafen Eine weitgereiste Fahrtenyacht an einer »pole mooring« der Town Basin Marina, Whangarei, bei Ebbe. Ein sonniger Tag, die große Wäsche kann auf dem Vorschiff im Wind trocknen. Hier wird nicht nur gesegelt, hier wird ganz offensichtlich gelebt.

Abbildung 27: Kapingamarangi, 2002 – Künstlicher Kosmos Die PANTA REI ankert in der Lagune des Atolls Kapingamarangi, ca. 1° nördlich des Äquators gelegen. 500 Seemeilen nördlich von Papua Neuguinea, 500 Seemeilen südlich von Pohnpei (Federated States of Micronesia). Eine polynesische Enklave in Mikronesien. Eine künstliche, von Menschen geschaffene Insel. Ein paar Quadratkilometer Land, inmitten der unermesslichen Weiten des Pazifik. – Daheim ist, wo der Anker fällt.

Kapitel 5 Die Fahrtenyacht als Gefährt(e) und Zuhause

5.1 S EGELN IM Z EITALTER GLOBALER H YPERMOBILITÄT Welch eine würdige Art der Fortbewegung: dieses gemächliche Schwimmen zwischen den Ozeanen, dieses Hinübergleiten zwischen Zeiten und Klimaten, dieses gelassen zu Wasser flanieren. PETER SCHANZ, 87 TAGE BLAU

Bei aller Individualität und Vielfalt von Beweggründen und äußeren Umständen verbindet alle Fahrtensegler das Meer als der Raum, auf und mit dem sie leben, sind es die selben Ozeane, die befahren werden, gleich ob auf einer Weltreise, als temporäre Auszeit oder dauerhaftes Lebensmodell. Dabei stellt das Meer einen gewissermaßen ortlosen Raum dar, dem als Inbegriff einer chaotischen Unordnung bis ins 19. Jahrhundert hinein mit einer mythischen Grundangst begegnet wurde (Corbin 1988). Die unermessliche Weite des Ozeans läßt diesen nicht nur halt- und grenzenlos erscheinen, sondern in seiner Potentialität gefährlich. Jedes Schiff ist diesem »chaotischen« Raum und seinen Naturgewalten einerseits ausgeliefert, andererseits bietet noch die kleinste »Nußschale« auf hoher See Geborgenheit. Eine Segelyacht stellt damit einen Chaos und Bedrohung abwehrenden, schützenden und vertrauten Ort und Raum an sich dar, und dient dabei sowohl als Transportmittel wie als Heimstatt. Die daraus erwachsene, vollkommene Abhängigkeit des Seglers von seinem Gefährt trägt dazu bei, dieses in einer quasi symbiotischen Beziehung nicht nur als Instrument, sondern auch als Gefährten zu erleben. Inwieweit ist eine Segelyacht vor dem Hintergrund der Hypermobilität des 21. Jahrhundert aber noch als ein zeitgemäßes Verkehrsmittel anzusehen? Bei allen Fortschritten im Bootsbau wie in der Entwicklung immer neuer Materialien, die die

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Segeleigenschaften von Fahrtenyachten verbessern, den Aufwand der Instandhaltung verringern und nicht zuletzt auch den Komfort an Bord erhöhen, ist eine normale Fahrtenyacht nach wie vor ein relativ unbequemes, in seinem Unterhalt teures und vor allem langsames Reisemittel.1 Sind angesichts der bis ins 19. Jahrhundert zurückreichenden Geschichte gegenwärtige Weltumsegelungen, die in Verlauf und Dauer keine grundlegenden Veränderungen haben, eigentlich als ein anachronistisches Phänomen zu verstehen? In welchem Ausmaß repräsentieren heutige Fahrtensegler in Anlehnung an Bloch jene von ihm für die Moderne als charakteristisch angesehene »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen«? Die Psychologin Martina Zschocke etwa schreibt (nicht-touristischem) Reisen generell »als hauptsächlich analoge Form der Welterfahrung« einen zunehmenden »Sonderstatus in der heutigen multimedialen Welt« zu: »Der Reisende ist auf sich selbst und die Welt zurückgeworfen und muß sie mit seinen eigenen Kanälen erfassen und bewerten. Insofern hat Reisen gleichzeitig etwas Zeitgemäßes (im Sinne von Globalisierung und Mobilität) und etwas Anachronistisches.« (Zschocke 2005: 45)

Während Fahrtensegler einerseits zeitenübergreifend individuelle Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung anstreben, bewegen sie sich andererseits immer auch innerhalb zeitspezifischer, sich verändernder Diskurse von Freiheit, Selbstbestimmung und Mobilität. So kann eine Weltumsegelung im 21. Jahrhundert aufgrund der Dauer und Reisegeschwindigkeit zwar durchaus als eine »intentionale Entschleunigung« (Rosa 2005) gesehen werden, allerdings kommt in der Entscheidung für dieses spezifische Reisemittel ebenso die Wahlfreiheit des mit einem Überangebot an Möglichkeiten konfrontierten spätmodernen Menschen zum Ausdruck. Wie wenig die Wahl eines in seinem Prinzip seit Jahrtausenden gleichgebliebenen Verkehrsmittels – dem vom Wind angetriebenen Segelschiff – dabei mit einer generellen Technikfeindlichkeit der Akteure einhergeht, zeigt der im vorigen Kapitel beschriebene Wandel. Mag Langfahrtsegeln für sich genommen auch als alternatives Mobilitätskonzept und Gegenentwurf zu gängigen spätmodernen Verkehrmitteln erscheinen, so schließen Yachties dabei keineswegs den Nutzen üblicher, konventioneller Reise- und Transportmittel aus. Für Heimatbesuche wird

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Auf Blauwasserstrecken kann bei günstigen Windverhältnissen mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. fünf Knoten (d.h. fünf sm/h) gerechnet werden, womit typischerweise Etmale von 100-120 sm erreicht, d.h. in der Zeit eines astronomischen Tages, von einem Mittag (zwölf Uhr) bis zum nächstfolgenden 100-120 sm zurückgelegt werden. Eine sm entspricht 1,852 km, d.h. die Reisegeschwindigkeit einer normalen Fahrtenyacht, die eben nicht allein in Hinblick auf ideale Segelleistungen konstruiert ist, kommt dem »Schrittempo« des Autofahrers gleich.

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selbstverständlich auf das weltumspannende System der Aeromobilität zurückgegriffen, wie von jenen, die es sich leisten können, die Anschaffung eines Autos während der monatelangen Wirbelsturmsaison in Neuseeland geradezu als Notwendigkeit gesehen wird, werden Camper-Touren über Land unternommen. Die Entscheidung für das Fahrzeug Segelyacht und gegen vergleichbare Alternativen individueller und unabhängiger Reisemittel, wie z.B. dem Wohnmobil, hängt mit den daran geknüpften Verkehrsräumen und daraus resultierendem Freiheitspotenzial zusammen. Ozeane können prinzipiell uneingeschränkt und aus eigener Kraft befahren werden. Selbst eine individualiserte Automobilität ist dagegen an Straßen und Verkehrsysteme gebunden, findet innerhalb wesentlich reglementierteren Ordnungsstrukturen statt und ist nicht zuletzt von der Verfügbarkeit von Treibstoff abhängig. Karl: Also, wenn wir nicht von vornherein Segler gewesen wären, und das eigentlich mit Haut und Haar […], wenn das nicht gewesen wäre, dann wären wir beide wahrscheinlich mit ’nem Riesenbus unterwegs. Maria: Mit so einem großen Bus. […] Karl: … auf der Welt unterwegs. Wär aber eigentlich nie ’ne richtige Alternative gewesen, wegen der verdammten Begrenzungen auf Land. Weil, die Grenzkontrollen, die Grenzüberschreitungen sind ja alle so viel schwieriger, und… Maria: … ist ja mit’m Boot relativ einfach. Karl: Da bist du mit dem Boot relativ frei. Maria: Ja, und ich sach ma, zu den Inseln kommst du mitm Auto auch nicht hin. Weißt du, mitm Auto kommst du ja immer nur dahin, wo’n commercial shipping hinfährt. Karl: Na ja, und dann eben die Fülle auch. Du hast natürlich noch viel, viel mehr Kontakte an Land, weil du ja dauernd mit Menschen zu tun hast. Und das Schöne ist eben, daß du auf See ausweichen kannst. Wenn du mal wirklich wieder von Leuten die Nase voll hast, dann setzt du halt die Segel und biste weg für vierzehn Tage oder drei Wochen. Und suchst dir wieder was anderes. SY ELBE, 1995-2010

Die »relative« Freiheit des Fahrtensegelns besteht darin, sich zwar keineswegs zur Gänze außerhalb globaler Verkehrssysteme und -strukturen zu bewegen, aber weniger fremdbestimmt über Ziele, Routen und Zeitpläne entscheiden und somit unabhängiger reisen zu können. Prinzipiell bieten sich dem Einzelnen »unbegrenzte« Möglichkeiten. Dabei steht Segeln – im umfassenden Sinne des cruising – in seiner begrifflichen Mehrdeutigkeit ebenso für die spezifische Fortbewegung wie für das selbstbestimmte Reisen, und nicht zuletzt auch für das »einfache«, autarke Leben an Bord. Oder, wie es in einem vielen Handbücher für Fahrtensegler lautet:

214 | W ELTUMSEGLER »An Bord leben ist eine besondere Lebensform. Nirgendwo gibt es soviel Freiheit wie auf dem Wasser. Der Traum vom alternativen Leben ist dort die Realität. Die Sonne liefert den Strom, die Regenplane das Wasser. Der Wind treibt das Schiff voran, und das Meer sorgt für das Essen. An Bord ist vieles machbar, was an Land unmöglich ist.« (Isenberg 1992)

Eine Weltumsegelung geht unweigerlich mit den wochenlangen Überfahrten über den Atlantik, den Pazifik und den Indik einher, und der Lebensstil Segeln definiert sich gerade auch über diese spezifischen Erfahrungen. Weil eine Erdumrundung per Segelyacht letztlich aber immer mehr Land- als Seetage, an denen tatsächlich gesegelt wird, aufweist, gilt es zu fragen, welchen Stellenwert das eigentliche Segeln selbst für Yachties und Langzeitsegler einnimmt. Robert, dessen ursprünglicher Plan einer zügigen, zweijährigen Weltumsegelung bereits in der Karibik zugunsten eines auch regional beständigeren Yachtie-Daseins aufgegeben wurde, begründet seine Entscheidung relativ pragmatisch. Den »traumhaften« Momenten stellt er eine v.a. »ungemütliche« Realität gegenüber. Robert (FB): Ich hasse Segeln! Im Ernst, es ist schaukelig, ungemütlich, nass und man hat immer Schlafmangel! Es gibt ein paar Tage, an denen der Wind und der Seegang stimmen, das Wetter schön ist und ein schöner Fisch anbeißt, aber diese Segeltage sind definitiv in der Minderheit! Segeln ist für mich eher ein Mittel zum Zweck, um von A nach B zu kommen, möglichst günstig und aus eigener (Wind-)Kraft. SY OMAN, seit 2005

Die Einstellung von Fahrtenseglern zur ganz konkreten Tätigkeit des Segelns ist so unterschiedlich wie die Biographien und Persönlichkeiten der Yachties selbst, und überdies auch nicht für die gesamte Reisedauer festgeschrieben. Sie wird unter anderem allein durch die alltägliche Praxis des Lebens an Bord beeinflußt, verändert sich durch biographisch-persönlichen Entwicklungen, durch die Geburt eines Kindes, gesundheitliche Einschränkungen oder generell das Altern der Akteure, durch das Erlebnis von besonders guten und schlechten Überfahrten. Selbst wenn eine Weltumsegelung als Möglichkeit begriffen wird, das sonst nur auf Freizeitund Urlaubszeiten begrenzte Segelerlebnis zeitlich und räumlich zu erweitern, und Blauwassersegeln gewissermaßen als die nächste Stufe einer seglerischen leisure career verstanden werden kann, bedeutet es nicht unbedingt, daß gerade die Transozeanfahrten das eigentliche Gesuchte am Gesamterlebnis Weltumsegelung sind. Nachdem er gut zwanzig Jahre lang vor allem im Mittelmeer berufsmäßig auf kleinen Booten segelte, in einer eigenen Hochseesegelschule Chartertörns organisiert und Flottillen von Urlaubsseglern geleitet hat, verbringt der Schweizer Marc auch die ersten vier Jahre seines Ruhestandes in der Inselwelt Griechenlands. Nach der vierten Saison hat er aber genug vom Mittelmeer, und fährt weiter Richtung Osten, um vom Roten Meer aus gegen den Wind – und entgegen der gängigen

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Reiserichtung – die Welt zu umrunden. Während ich vermutete, daß nach den mit Tagestörns verbrachten Berufsjahren mit der Weltumsegelung zumindest auch das intensve Segelerlebnis tage- und wochenlanger Überfahrten gesucht wurde, rückte Marc diese (idealisierende) Vorstellung ganz nüchtern zurecht: MK: Wie war es dann, raus zu gehen, die langen Strecken. War das etwas, worauf Du Dich gefreut hast? Marc: Ja, ich nehm’s einfach hin. Aber nicht, daß man sich drauf freut. Das Schiff ist eigentlich ein Transportmittel, wie ein Flugzeug. Nicht unbedingt lange Strecken zu segeln, aber das ist einfach notwendig. Aber – nicht daß einen das unbedingt freut, also. SY SIRIUS, 2003-2009

Auch wenn Fahrtensegler das Segeln lakonisch als Mittel zum Zweck beschreiben, oder es ironisch überspitzt als ganz und gar schreckliche Angelegenheit darstellen, erscheint dies vor allem als Strategie, einer übermäßigen Idealisierung etwas entgegenzusetzen. Gleichwohl belegen sie mit ihrem Tun, daß der Lebensstil Segeln generell trotz aller aufgeführten physischen und psychischen Belastungen offensichtlich doch als langfristig befriedigend empfunden wird. Die inhaltliche Mehrdeutigkeit des Segelns, die zur unterschiedlichen Bewertung durch den Einzelnen führt, zeigt sich auch darin, wie das auf Windkraft basierende Antriebsprinzip beurteilt wird. Während Robert nicht zuletzt einen ökonomischen Vorteil des Segelns beschreibt, liegt für einen anderen Akteur gerade in dieser Selbst-Erfahrung eine geradezu spirituelle Dimension, die bewußt gesucht und erlebt wird. Annegret: Das [Segeln] stand schon im Vordergrund, das hat einen sehr hohen Stellenwert. Hans: Das ist – einfach dieser reine Genuß, wenn Du keinen Motor mehr hast, sondern nur noch den Wind und es treibt dich voran. Annegret: Nicht nur das. Auch, einfach auf uns selbst gestellt zu sein. Das war das Tolle. […] Hans: Ja, aber nochmal zurückzukommen. Das Segeln war schon eine sehr wichtige Komponente, vielleicht die Wichtigste überhaupt. Der Genuß zu segeln, ich mag das heute noch. Wenn ich einfach da draußen bin und ich segel da so dem blauen Wasser entgegen. Ach, das ist so herrlich. Und, damals, dann Fahrtensegeln. Es ist doch ein gewisses Erfolgserlebnis, wenn du nach einer langen, langen Reise dann da ankommst und sagst, jetzt um vier Uhr, müssen wir langsam aufpassen, da soll jetzt die Insel hochkommen. Und dann kommt sie da tatsächlich auch hoch. Das ist dann doch immer ein Erfolgserlebnis gewesen. SY ANNIE, 1974-77 (NZ)

Das eigentliche Segeln, vor allem auf hoher See, ist eine Dimension der normalen Weltumsegelung, es wird aber nicht allein um seiner selbst willen unternommen, sondern ist letztlich immer auf ein Ankommen, auf das Anlaufen von Land ausgerichtet. Dabei intensivieren sich die extremen, vor allem auch sinnlichen Erfahrun-

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gen der Abgeschiedenheit des Ozeans einerseits, und der erwartungsvollen Annäherung an Land und das Erleben der »Fremde« andererseits, gerade durch ihr Zusammenfallen im Fahrtensegeln. Irmgard: Noch mal eben kurz auf die lange Segelzeit zurückzukommen. Je länger wir auch See waren, umso wohler haben wir uns beide eigentlich gefühlt. Wir hatten uns so eingespielt, und wir hatten soviel zu lesen, und wir haben Musik gehört. Und viel geschrieben – ich hab viel geschrieben. Ich hab kein Buch geschrieben und Geschichten geschrieben, sondern nur einfach Briefe und mein Tagebuch geschrieben. […] Till: Wir hatten Ruhe, haben meditiert, würd ich sagen. Irmgard: Ja, ja. Es ist - manche haben gesagt nur von A bis B, es war die einfachste Art dahin zu kommen, mussten wir segeln, mussten die Strecke überbrücken. So war’s bei uns nicht. Also, Pazifik war einigermaßen gutes Wetter, und auch Atlantik auf den langen Strecken. Till: Aber Ankommen ist auch schön, Ankommen ist spannend. Irmgard: Oh ja, oh ja. Das ist sehr exciting. Barbados war am Besten. Wir haben zwar nicht geheult, so wie die Kochs (lacht), und sich umarmt, weiß ich nicht. Das ist auch so ein bisschen Geschichte wahrscheinlich, glaub ich. Man muß so ein bisschen spannend machen, ne. Till: Aber schon 24 Stunden haben wir schon die Steel Band im Radio gehört und so. Irmgard: Steelband, ja. Und dann siehst du den Lichtschein der Leuchtfeuer schon mal 25 Meilen vor der Küste, 30 Meilen. Und dann der Geruch der Inseln, nach 30 Tagen Segeln. Till: Den Landgeruch, den verliert man auf See. Irmgard: Mh. Du riechst das Land. Das ist ein Ding. -Es war ergreifend, es war ergreifend, ja. SY IRMA, 1973-74 (NZ)

In der »alten« Zeit, d.h. in den Tagen der Astronavigation, kam jedes Ankommen, das »Auffinden« einer angesteuerten Inseln, einem wirklichen Erfolgserlebnis gleich. Heute kann jedes Anlaufen dank GPS zuverlässig und mit selbstverständlicher Gewissheit vorherbestimmt werden. Trotz dieser Entwicklung vollzieht sich aber auch auf modernen Segelyachten die Annäherung an Land unverändert langsam, vergehen – je nach Landmasse – zwischen einer ersten Sichtung und dem Landfall mehrere Stunden. Gerade dieses Ankommen birgt eine besondere Qualität, fasziniert das Erreichen von Land an Bord der eigenen Fahrtenyacht und damit aus eigener Kraft weiterhin, auch wenn über die Jahre einer intensiv gelebten Fahrtenseglerpraxis das Segeln selbst in den Hintergrund rückte, und eher zur notwendige Konsequenz des gewählten Lebensstils wird. Regina: […] also, es ist nicht mehr so der Spaß. Wobei, andererseits, immer wenn man losgeht, ist es schön. Unterwegs merk ich dann, so toll geht’s mir nicht dabei. Aber Ankommen, selbst wenn man eine Insel schon kennt, oder auch, wenn man sie nicht kennt, das Neue wieder, das sich vorsichtig Rantasten. Diese Erwartung, was kommt da auf einen zu. Das hat man ja in dem Maße mit keinem anderen Reisemittel, glaube ich. Höchstens, wenn man als

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Backpacker durch die Wildnis läuft (lacht). Das ist also, inzwischen ist Segeln für mich zwiespältig, und ich bin eigentlich lieber vor Anker. Und das bin ich nach wie vor gern. […] Und für Volker war das Segeln immer wichtiger … SY AINU, seit 1997

Dieses langsame »Rantasten«, das aufgrund seiner Geschwindigkeit der physischen Erfahrung des zu Fuß Gehens entspricht, die erwartungsvolle Annäherung an die Fremde, wird in spezifischer Weise durch das Reisemittel Segelyacht bedingt. Für Georg, einen passionierten, aktiven Segler, der sich nach zehnjähriger Weltumsegelung mit seiner Frau in Neuseeland niederließ, liegt in dieser wesentlichen Eigenschaft des Segelns dessen spirituelle Dimension begründet. Georg: Fliegen, als solches, das kann, denke ich, niemals etwas an deinem Lebensstil … ändern. Es kann dich nicht ändern. Das ist einfach – jetzt bist du hierhin verpflanzt, oder dorthin. Wogegen Segeln als solches so langsam ist, daß es dich ändert. Hopefully wächst man mit dem Segeln. Wer weiß. (schmunzelt) SY ALFREDO, 1972-82

Abbildung 28: Atlantik, 2005 - »Heimfahrt auf dem Nordatlantik« Neben Aufnahmen eines Kastom-Tänzers in Vanuatu und der Einfahrt in New York vor 9/11 waren es Bilder vom Segeln und von der Arbeit am Schiff, die mir als visuelle Zusammenfassung einer fünfjährigen Weltumsegelung präsentiert wurden.

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Das Erlebnis, die unermessliche Weite der Ozeane zu bewältigen und im Segeln auch im übertragenen Sinne zu er-fahren, kann zu der bestimmenden, am nachhaltigsten erinnerten Erfahrung des Gesamterlebnisses Weltumsegelung werden. Peter: Ja, das ganz Besondere war immer das Ankommen, nich. [… D]as Segeln selbst war nicht unser primäres Ziel, oder der Höhepunkt. Für viele, die gehen ja Segeln, und wollen möglichst viel nur mit dem Boot unterwegs sein, viele Meilen fressen, nich. Also das war eigentlich nie, bei beiden, unser Ziel. […]. Und – das Ankommen. Ich denke, mit dem Boot irgendwo anzukommen, nach einer Ozeanüberquerung… Gudrun: Ja. Peter: Das ist etwas, das kriegst du mit keinem anderen Verkehrsmittel, das kriegst du sonst nicht. Das ist was Einmaliges, nich. Wenn du aus dem Flugzeug steigst, ist es eigentlich egal, wo du hinfliegst. Da ist vieles fast identisch, egal wo du ankommst, es ist halt ein Flughafen. Aber wenn du mit dem eigenen Boot irgendwo ankommst, nich, und siehst so langsam, wie sich die Silhouette aus so einer Wolkenbank herausschält, und es ist tatsächlich die Insel, und so weiter. Also ich finde, das ist ein Erlebnis. Das ist was, was bei mir so primär hoch kommt, wenn ich an die Reise denke. SY GUNDEL, 1972-78

Der zwischen Fliegen und Segeln gezogene Vergleich umfasst neben der hier angesprochenen Uniformität des Ankunftsortes Flughafen auch die größere, mehrdimensionale Intensität der Ankunft per Segelyacht. Neben der qualitativ anderen, weil langsameren Annäherung steht der Passivität des Flugpassagiers vor allem das eigenständige und -verantwortliche Handeln des Seglers gegenüber: nicht einfach um die Welt zu reisen, sondern diese Reise aktiv zu gestalten. Gerhard: Man hätte es natürlich mit dem Flugzeug machen können, aber das hab ich nicht als Herausforderung angesehen. Sondern mit der Segelyacht, egal wie gut, oder wie groß und wie klein, oder wie die Yacht ist, man muß seine persönliche Initiative gebrauchen. Sonst passiert nichts. Man muß einfach etwas dafür tun. SY DULCINELLA, 1975-80 (NZ)

Das eigenständige Handeln schließt dabei auch die für eine Weltumsegelung notwendige ausgedehnte Phase der Planung und Vorbereitung ein, die sich über mehrere Jahre erstrecken kann, und zur Einzigartigkeit der individuellen Erfahrung maßgeblich beiträgt. Gerade in dieser Totalität hebt sich das Erlebnis Weltumsegelung von einer bequemen, schnellen, aber eben auch passiven Flugreise ab. Jan: Aber es ist natürlich überhaupt nicht vergleichbar, ein Ticket zu kaufen und vielleicht noch Bücher über die Region, in die man fährt, zu lesen. Ist natürlich was vollkommen anderes […] – die Frage war ja, wie wichtig ist dieser Planungsteil. Ich glaube, das ist wahn-

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sinnig wichtig. Weil der macht das Ganze zu einer wirklich eigenen Sache. Zu einer eigenen Sache, die man eigener, außer vielleicht Kindern, nicht haben kann. Daß man wirklich sagen kann, das hab ich von der Idee bis zur Vollendung … ohne meine Initiative oder meine Energie, und das mein ich jetzt für alle vier, nicht nur für mich, ohne die hätte es nicht stattgefunden. Das ist was anderes, das Flugzeug fliegt sowieso. SY NICOLAO COELHO, 1973-75

Auch wenn in der »neuen« Zeit Fahrtenseglern auf wesentlich mehr Wissen zu Routenplanung und Ausrüstung zurückgreifen können, in dieser Hinsicht weniger eigenständige Vorbereitung nötig ist, und das Ankommen am Ziel dank GPS keine Herausforderung mehr darstellt, wird das Erreichen von Land nach einer selbstverantwortlichen Überfahrt immer noch als Erfolgserlebnis empfunden. So stellt die erste Atlantiküberquerung mit der eigenen Fahrtenyacht sogar für Kai, als Marineangehöriger von Berufs wegen jahrelang zur See gefahren, etwas Besonderes dar. Kai: […] und am 13. Januar liefen wir in Antigua ein, in English Harbour in Antigua. Das war natürlich ein erhebendes Gefühl. Das erste Mal alleine über den Atlantik. Ich hab das ja schon ein paar Mal vorher gemacht, aber nicht alleine (lacht). MK: Also war’s was Besonderes? Kai: Ja, was Besonderes. Und es ist immer wieder was Besonderes, ganz egal, wenn Du eine längere Reise abgeschlossen hast, erfolgreich, dann ist das immer etwas Besonderes. Das gibt zwar keinen Kick, wie zum Beispiel der Regattagewinn bei einer Regatta. […] Aber trotzdem, so’ne Atlantiküberquerung, das gibt dir schon ein schönes Gefühl, wenn alles erfolgreich abgelaufen ist. Und selbst, wenn du Schwierigkeiten unterwegs hattest. Mir ist z.B. die Windpilotanlage aus der Halterung vom Rumpf rausgebrochen. Und das mußte ich reparieren, provisorisch, auf See, unter schwierigsten Bedingungen. Und das war natürlich alles nicht so einfach. Aber wenn das alles erledigt ist, ne, und du bist angekommen, dann ist natürlich ein schönes Gefühl. SY ANNA PERENNA, 1998-2003 & 2003-09

Denn immer noch gilt, daß man auf dem Wasser häufiger als an Land mit »Ausnahmesituationen« konfrontiert ist, wie es eine Seglerin der »alten« Zeit formulierte. Mittels moderner Kommunikationstechnologien sind Segler heute selbst auf hoher See zwar nicht mehr völlig isoliert, aber doch immer noch auf sich gestellt. Im Notfall können zwar von überall auf den Weltmeeren Helfer alarmiert werden, doch bedeutet dies noch immer nicht, daß Hilfe unmittelbar zur Stelle ist. Willi: Dat is aber so beim Segeln. […] Am Schiff, wenn ich irgendwie losfahr, und es wird haarig, dann muß ich durch. Und dat verstehen viele nicht. Dat dat Leben hier, auf sonnem Boot, einfach ein »du musst dich da durchbeißen« ist. Du kannst nicht einfach zurücktreten, oder sagen, ich hör jetzt hier auf und fang neu an. – SY MARLENE, 1999-2004 (NZ)

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Trotz den segel-technischen Erleichterungen der »neuen« Zeit fordert die Praxis des Fahrtensegelns den Einzelnen in vielfältiger Weise beständig heraus, liegt ein wesentlicher Anreiz des Leben an Bord im notwendigerweise selbstbestimmten Handeln, das dabei verlangt wird, und dem ganz existenziell auf sich selbst angewiesen zu sein. Gerade diese unabdingbare Eigenständigkeit, die Segeln als Lebensstil ganz generell verkörpert, kann damit als gerade jener »Erlebniswert« verstanden werden, der in der »Erlebnisgesellschaft« des ausgehenden 20. Jahrhunderts gesucht wird (Schulze 1993). »In Abwandlung der klassischen Form von Erlebnisrationalität, die Außersubjektives für das Innenleben zu instrumentalisieren versucht, entdecken viele Menschen das Glück der Selbstvergessenheit im Tätigsein und Selbermachen.« (Schulze 2000: 5)

Schulzes Gesellschaftsanalyse der späten Moderne, in der sich ein Wandel vom weltbezogenen Subjekt hin zur subjektbezogenen Welt vollzogen hat, in der das Ich und das Streben nach Selbstverwirklichung die existenzielle Anschauungsweise bestimmt, steht damit – wenn auch nur indirekt an Mobilität als Prinzip der Moderne anknüpfend – in unmittelbaren Zusammenhang zur Ausgangsfrage, wie zeitgemäß Weltumsegelungen im 21. Jahrhundert (noch) sind: vor (spät)modernen Erlebnisansprüchen wie der reflektierten Selbstbeobachtung stehen gerade die Fahrtensegler der »neuen« Zeit und ihre bewusste Entscheidung zum Segeln, als eine von vielen Wahlmöglichkeiten, auch im Kontext dieser Entwicklung. Zum Ideal und der erfüllenden Befriedigung des Erlebnis Weltumsegelung gehört es, mit unweigerlich auftretenden Schwierigkeiten selbständig zurecht zu kommen. In existenziellen Situationen, die auf dem Wasser eben eher als an Land und in einer unmittelbaren Direktheit erfahren werden, ist Mut und Entschlusskraft gefordert. Johann: Des gefällt mir schon auf dem Schiff, du bist absolut dein eigener Herr. Ich mein auch, von den Entscheidungen her. Des ist ja wirklich, ich mein, es gibt ja mal Situationen, da mußt du ja wirklich innerhalb von Minuten, das klingt jetzt blöd, aber Entscheidungen zwischen Leben und Tod treffen. […] Du mußt Entscheidungen treffen, die über die Sicherheit von Schiff und Crew ausschlaggebend ist. Ja, auch mit anderen Sachen. Des find ich schon toll, des gefällt mir. Das ist schon das Schöne am Segeln. Du hast niemand, keinen Vorgesetzen, den du fragen kannst, hej, wie wollt ihr des, wie soll ich’s machen oder so. Ne, du mußt entscheiden, des find ich gut. Bettina: Des hat man Dir auch angemerkt, also das hast Du auch genossen. Das hat Dich auch verändert. Das ist schon das, was einen verändert. Diese Erfahrung zu machen, daß du einfach sein kannst, wie du einfach möchtest. Und das du auch die Konsequenzen gleich zu tragen hast, von Deinen Entscheidungen. Das ist ja eben etwas, was du sonst in der Gesellschaft, da kannst du dich immer so ein bißchen durchmogeln, oder verdrucken. Dann macht ein anderer. Und das verändert einen nachher eben natürlich. – SY HELENA, 1995-2003 (NZ)

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Das Ausmaß, in dem das Segeln auf einem kleinen Boot mit kleiner Crew verlangt, eigenverantwortlich und eigenständig zu Entscheiden und zu Handeln, kann als Freiheit und als Herausforderung verstanden werden, an der man in einem persönlichen Entwicklungsprozess wachsen kann. Wenn Bettina beobachtet, daß gerade ihr Mann diese herausfordernde Rolle des Verantwortlichen genossen hat, gibt sie damit einen Hinweis auf die Problematik einer unausgeglichen Rollen- und Aufgabenteilung an Bord. Diese kann, bei Paaren häufig zuungunsten der Frau, das Erlebnis des Einzelnen ganz entscheidend prägen (s.u. S. 255; vgl. Jennings 2005). Unter Umständen wird das Fahrtensegeln dann nicht (mehr) als eine positiv zu bewertende Herausforderung, sondern als eine Überforderung empfunden, die dazu führen kann, daß eine Fahrt gemeinsam abgebrochen wird, oder daß das Ende der Beziehung zu einer Fortsetzung der Reise als Einhandsegler führt (vgl. Kap. 6.1). Eine Weltumsegelung wird, nicht nur im Zeit-Raum-Erleben auf hoher See, zur persönlichen Grenzerfahrung. Dabei stellt die alltägliche Praxis Fahrtensegeln, die ganz fundamental durch das Reisemittel Segelyacht bestimmt wird, in der Komplexität der Anforderungen an die Akteure insgesamt die eigentliche, eben mehrdimensionale Herausforderung dar. Segeln als dauerhafter Lebensstil erscheint aus dieser Perspektive in seiner Ganzheitlichkeit nicht nur als ein auf vielen Ebenen herausforderndes »Gesamtprojekt«, sondern in der Verstetigung geradezu als »Gesamtkunstwerk«. Wulf: Ne, ich find die Art Reisen, also das Leben insgesamt, als Gesamtprojekt, find ich herausfordernd. Nicht unbedingt eine seglerische Herausforderung. […] Ne, was ich den Leuten immer erklär, was mich fasziniert an der ganzen Sache, und das kann man als Herausforderung anschauen, es hat das Segeltechnische, es hat das Technische an Bord, von Klempnerei über Elektronik, Elektrik, Maschinentechnik, Holzbearbeitung, Fiberglass legen, Aluminium nieten usw., also sehr, sehr vielfältig im handwerklichen, technischen Bereich. Haushalt, Proviantierung, Einkauf. Da ist Claudia Spezialist, sie weiß genau, wo müssen die Karotten hin, und wo sind die Tomaten, und wo hält der cabis zwei Monate usw. Also über den Atlantik haben wir noch Tomaten gehabt nach zwanzig Tagen. […] Also Haushalt ist ein riesengroßes Thema. […] Dann, das ganze Meteorologische. Das, muß ich sagen, ist ein Ort, wo ich sagen würde, dank der heutigen Technik muß ich da nicht so auf dem hohen Stand sein. […] Dann kommt das Gesundheitliche dazu, daß man fit bleibt, beweglich, daß man Laufen geht, sich gesund erhält ganz gezielt. Das Ethnologisch-Geographische kommt hinzu. Weil, wenn ich meine Newsletter schreib, ich vertief mich in Literatur, ich schau auch die Hintergründe.[…] Wie geh ich mit der Zeit um, wie geh ich mit mir selber um, wie läuft das mit der Partnerschaft an Bord, daß das einigermaßen funktioniert. Und insofern empfind ich das schon als, als – wie soll ich sagen – fast Gesamtkunstwerk, oder. Das es überhaupt so lange funktioniert. SY TROLL, 2001-08

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5.2 F UNKTIONEN UND F UNKTIONALITÄT DER F AHRTENYACHT Ein »praktisches und preiswertes Transportmittel« l Daheim ist, wo der Anker fällt

Ein »praktisches und preiswertes Transportmittel« Im Kontext einer Weltumsegelung wird das »Sportgerät« Segelyacht, wie es hochgerüstete Rennyachten, bei denen allein die Segelleistung im Vordergrund steht, darstellen, zum Transport- und Verkehrsmittel Fahrtenschiff, dessen Zweckmäßigkeit primär hervorgehoben wird. Die derart einzigartige Möglichkeit, weitestgehend selbstbestimmt zu reisen, ist eines der Grundmotive, mit der Segler ihre Entscheidung für diese Form der Mobilität begründen. Barbara & Franz (FB): Segeln war anfänglich der Antrieb unseres Reisens. Aber bald war es vor allem Mittel zum Zweck. Wir konnten mit dem Boot Ziele erreichen, was man sonst nie gemacht hätte. Exotische Inseln mit ihren Menschen, oder jetzt die extremen Touren im Norden [Alaska, M.K.] und hier im Süden [Kap Hoorn und Patagonische Kanäle, M.K.]. Trotzdem genießen wir immer noch nach 15 Jahren das Segeln. Auch große Distanzen liegen uns. Nach 3 Tagen haben wir unseren Rhythmus gefunden und genießen. Wir leben auf dem Boot. SY LIBITINA, 1991-94 & seit 1996

Daß Barbara und Franz betonen, daß sie trotz des jahrelangen Fahrtensegelns auch lange See-Etappen noch genießen, verweist darauf, daß dies, häufig mit dem zunehmenden Alter der Akteure korrelierend, keine Selbstverständlichkeit ist. Die Freude an der sportlichen Aktivität Segeln mag vielleicht ursprünglich ausschlaggebend gewesen zu sein, von einer Weltumsegelung als große Fahrt zu träumen und darauf hinzuarbeiten, im Laufe der Reise rückt jedoch in erster Linie die spezifische Unabhängigkeit von Verkehrsnetzen, die Autarkie einer Segelyacht in den Vordergrund. Als essentieller Vorteil des Verkehrsmittels Segelyacht wird immer wieder angeführt, damit »an Orte zu kommen, wo man sonst net so einfach hinkommt«. Das Ankommen, und damit das Reise-Erlebnis an Land, ist vielen Weltumseglern wichtiger, als möglichst viel Zeit auf See zu verbringen. Steffi & Klaus (FB): Segeln ist für uns nur ein Mittel zum Zweck. Ein unbequemes, aber sehr praktisches und preiswertes Transportmittel, speziell in einer Inselwelt wie Karibik, Polynesien oder Indonesien. In den 4 Jahren waren wir im Durchschnitt 6 von 7 Tagen an Land. SY AELLO, 1991-95

Wie »unbequem« und »preiswert« das Reisen mit einer Segelyacht tatsächlich ist, hängt nicht nur von individuellen Ansprüchen der Akteure ab, von ihrem persön-

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lichen Konsumverhalten und ihrer Auffassung von Notwendigem und Luxus. Ebenso relevant sind handwerkliche Fähigkeiten, Erfindungsreichtum oder Improvisationstalent. Während es in der »alten« Zeit überdies offensichtlich leichter möglich und damit auch üblicher war, die Reise unterwegs, etwa durch den Verkauf von Handarbeiten, durch Gelegenheits-Jobs bei Yachtcharterern oder Autovermietungen (mit) zu finanzieren, besteht diese Möglichkeit heute am ehesten noch für Yachties, die etwa als Mechaniker oder Segelmacher bei ihren Mit-Seglern gefragte Dienstleistungen anbieten können. Während die Frage nach den Kosten einer Weltumsegelung in den einschlägigen Publikationen immer wieder konkret thematisiert wird, blieben die Angaben meiner Gesprächspartner dazu häufig nur im Ungefähren. Allerdings mochte ich im Rahmen dieser Forschung auch keine detaillierte Diskussion zu Anschaffungs-, Unterhalts- und Lebenshaltungskosten an Bord führen, die letztlich doch nur Einzelfälle darstellen könnte. Auch darüber, wie sich die Kosten verteilen, lassen sich kaum generelle Aussagen treffen. Bei Schiffswartung und -pflege etwa kommt zum Tragen, ob möglichst viel in Eigenarbeit erledigt oder auf Dienstleistungen Dritter zurückgegriffen wird. Allerdings bietet der Alltag – Ankern oder Marina, Restaurantbesuch oder »Selbstversorgung« – wohl das größte »Einsparpotenzial«. Dietmar: Aber wenn ich mal so alles, oder wenn wir alles zusammenrechnen […]. Der teuerste Posten ist das Schiff, weil halt laufend was gemacht werden muss. Instandhaltung und auch Werterhaltung. Wir wollen es ja entweder noch lange segeln oder irgendwann mal gut verkaufen. MK: Mhm Dietmar: Ja – und die Lebenshaltungskosten an sich, die sind unwahrscheinlich gering, wenn du so nur auf dem Schiff lebst. Nicht in die Marina gehst. Inge: Du musst natürlich bestimmte Abstriche machen. So, Marina nur im äußersten Notfall, und hier großartig jeden Tag essen gehen ist nicht. Es wird an Bord gekocht und Brot gebacken. Wir brauen unser eigenes Bier (beide lachen). Dietmar: Wir haben das in Neuseeland angefangen. Inge: In der Richtung muß man natürlich dann sparen, ein bisschen sparen. SY NJÖRDR, seit 1998

Mit der eigenen Segelyacht läßt sich, im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln, weitestgehend unabhängig reisen, angesichts der Einschränkungen, die etwa auch Backpacker als Individualreisende durch die Abhängigkeit öffentlicher Verkehrssysteme oder fremdbestimmter Fahrpläne erleben. Zumindest auf den ersten Blick heißt Segeln, völlig selbstbestimmt unterwegs zu sein, selbst zu entscheiden, wann und wohin man fährt und wie lange man bleibt, beziehungsweise entspricht dieses Bild der gängigen Selbstrepräsentation von Yachties.

224 | W ELTUMSEGLER Gerhard: (seufzt) Das Schöne bei der Segelei ist ja, es sagt ja niemand, daß man da bleiben muß. Wenn man irgendwo ankommt mit der Segelyacht, und der Platz ist schön, aus irgendeinem Grunde, von der Natur her oder was auch immer, und die Leute sind noch freundlich, und es ist Interesse da: oh prima, hier blieben wir. Und wenn man irgendwo hinkommt, wo – es gibt Unannehmlichkeiten, die Leute wollen nicht, daß man da an Land geht, oder, es wird gestohlen: Nö, hier bleiben wir nicht, wir gehen woanders hin. Das ist das Schöne mit der Segelyacht. Man muß ja nicht da bleiben, wo es einem nicht gefällt. Man kann sich eben die Plätze aussuchen, nich. SY DULCINELLA, 1975-80 (NZ)

Auf den zweiten Blick erweist sich, daß der Selbstbestimmtheit des Seglers gleichzeitig erhebliche Grenzen gesetzt werden, allen voran, und so gut wie jedem menschlichen Einfluß enthoben, durch die Abhängigkeit von Wind und Wetter. Bei Flaute oder Schwachwinden kann heutzutage zwar mit Motorkraft nachgeholfen werden, aber selbst mit den besten Wetterinformationen können Starkwind oder Sturm zwar vorhergesehen werden, die Reisepläne von Fahrtenseglern müssen sich ihnen aber weiterhin unterordnen. Weht der Wind beständig aus einer falschen Richtung, um den gewünschten Hafen zu erreichen, muß eine Wetteränderung abgewartet werden, oder die eigenen Pläne neu gefasst, die Route nach dem vorhandenen Wind ausgerichtet werden. Steht dabei aber die cyclone season kurz bevor, können untypische Wetterverhältnisse, wie sie etwa in El-Niño-Jahren immer wieder auftauchen und angesichts der globalen Klimaveränderung in Zukunft noch wahrscheinlicher werden, zu drängenden Problemen führen. Jochen: Als ich jetzt in Noumea war, hatte ich das erste Mal den Eindruck, Mensch, du bist hier in einer Falle, in ’ner Mausefalle. Weil ich konnte überhaupt nicht wegkommen da. Weil das einfach, das Wetter war im letzten Jahr so grandios idiotisch, daß die Leute sich immer morgens trafen, sich anlachten und sagten, wir kommen hier gar nicht weg. Und es hat ja auch welche gegeben, die nicht weggekommen sind dann am Ende. Aber, das hat mich enorm geärgert, daß man … denn man hätte doch eigentlich … und einer war da, der ist einfach losgefahren. Der hat gesagt, jetzt reicht’s mir. Ich fahr solange, bis ich Westwind kriege. Ho, der hat eine fürchterliche Tour gehabt, weil einfach kein Westwind da war. SY BOSTON, seit 1997

Einerseits ist man als Segler mit der letztlich absoluten Abhängigkeit vom Wetter in seiner Selbstbestimmtheit doch erheblich eingeschränkt, und anderseits – so banal das klingt – durch die Natur seines Vehikels immer ans Wasser gebunden. Die globale Freiheit der Fahrtenyacht, die sich uneingeschränkt auf allen Weltmeeren bewegen kann, findet, wie ein Seglerpaar treffend bemerken, an den Küsten ihre Grenzen. Weshalb sie auch Alternativen suchen.

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Karl: Wir fahren sehr viel über Land. Maria: Also, für uns ist das Boot ein Transportmittel. Wir wollen Land und Leute sehen. Karl: Nicht nur das Wasser. Maria: Nicht nur das Wasser … Karl: … oder nur die Küste. Maria: Voriges Jahr waren wir eben sechs Wochen im Campervan unterwegs. […]. Karl: Allein 5000 km Südinsel verfahren. SY ELBE, 1995-2010

So unbegrenzt der Bewegungsradius einer Segelyacht auf dem Meer ist, so limitiert ist der des Fahrtenseglers, der an sein Gefährt gebunden ist. Wer auf seinen Reisen auch einmal ins Landesinnere vordringen möchte, muß mit der Yacht aber nicht nur ein Fahrzeug, sondern auch das Zuhause an der Küste zurücklassen. Die enge Verbundenheit zwischen Fahrtensegler und Gefährt tritt besonders deutlich zutage, wenn das Schiff nicht zusätzlich zu einer Wohnung oder einem Haus an Land, sondern als einziges Heim fungiert (und damit quasi den gesamten materiellen Besitz der Segler ausmacht). Unter Seglern gilt es infolgedessen auch als Leichtsinn bzw. schlechte Seemannschaft, sich allzu weit und lange von seiner nur vor Anker liegenden Yacht zu entfernen, gleich wie ideal die Bedingungen erscheinen. Elke: Ein Mal haben wir, in Ecuador, das Boot alleingelassen. Und hab ich immer noch gedacht, wie können wir nur. Wir haben auf offener See geankert und sind eine Woche weggefahren. Michael: Na, auf offener See, mein Schatz! Elke: Na ja, gut, es war ne kleine Bucht. Michael: Ne, das war ne richtige Bucht, ein richtig geschützter Platz. Das Problem war nur, daß das Schiff sich drehte, und zwei Anker sich umeinander wickelten. An sich lag das Schiff da nicht schlecht. […] Also das Risiko war nicht so groß, und andere lagen da auch. Hatten ihr Schiff auch zurückgelassen. SY BRIGHT DAY, 1997-2006

Die Alternative, ein längerer Marina-Aufenhalt, verursacht jedoch entsprechende Kosten, weshalb Fahrtensegler mit geringem Budget vor dem Dilemma stehen, entweder der Haltekraft des Ankers zu vertrauen und gleichwohl in steter Sorge um das Schiff ein paar Tage fort zu fahren. Oder aber um der Sicherheit der Yacht willen auf solche Aktivitäten gänzlich zu verzichten. Georg: Und dann ist natürlich ein Aspekt, daß so ein Boot ein ganz schöner Klotz am Bein ist, wie Du selber weißt. Claudia: Und auch viel Geld kostet.

226 | W ELTUMSEGLER Georg: Wenn Du irgendwo bist, da kannst das eine oder andere nicht machen, weil du das blöde Ding irgendwo auf einem schlechten Ankerplatz liegen hast. SY FLAHERTY, 1995-99

Das als Inbegriff einer uneingeschränkten Mobilität erscheinende Reisen per Segelyacht wird durch die ständige Verantwortung und notwendige Sorge des Seglers für sein Gefährt in gewisser Weise immobilisiert, müssen die an den Traum der Weltumsegelung geknüpften Vorstellungen der »großen Freiheit« in dieser Beziehung mit der weniger unabhängigen Realität des Alltags Fahrtensegeln abgeglichen und relativiert werden. Wulf: Das Boot ist schon ein Anker auch. Also das ist nicht so … wenn du in die Welt reist mit Auto-Stop oder mit Trampen, wie wir das früher gemacht haben, bist du irgendwo freier. Es ist immer so im Hintergrund: ist es in Ordnung, steht es noch dort? SY TROLL, 2001-08

Eine kritischere Haltung gegenüber dem Segeln bzw. dem Transportmittel Segelyacht ist von Yachties dabei wesentlich seltener zu hören, als die immer wieder genannten Möglichkeiten, die dieses individuelle und unabhängige Reisemittel dem Einzelnen eröffnet. Ganz gleich, ob oder in welchem Ausmaß das Potential einer Segelyacht tatsächlich genutzt wird oder werden kann, ist es das ihr immanente Freiheitsversprechen, weshalb sich Yachties für ein Leben an Bord entscheiden. MK: Wie frei bist Du? Ich fühlte mich durchs Boot angebunden … Wulf: Eigentlich sehr unfrei. […] Aber im Prinzip könnt ich sagen, ich geh jetzt nach drüben [in die Marinaverwaltung, M.K.], bezahl den Kram, fahr morgen weg. Und fahr in die Antarktis, oder ich fahr nach Japan oder ich fahr nach Südamerika oder wo immer. Und da ist so die gewisse, … ist nur ne illusorische Freiheit, aber trotzdem das Gefühl, rein realistisch, ich hätte die Möglichkeit. SY TROLL, 2001-08

Einerseits ist die Freiheit »illusorisch«, denn auch als Fahrtensegler unterliegt man gewissen Sachzwängen, wie Visa- und Aufenthaltsbestimmungen, ist eine ausreichende Verproviantierung, sind Instandhaltungsarbeiten oder Reparaturen nicht überall gewährleistet, bestimmen globale Wettermuster ebenso wie das persönliche finanzielle Budget, unter Umständen die Notwendigkeit, unterwegs Geld zu verdienen, oder familiäre Verpflichtungen die Dauer der Weltumsegelung und mehr noch eines »dauerhaften Ausstiegs«. Zum Teil sind diese Sachzwänge durch die Yacht selbst bedingt, zum Teil an die Person des Seglers geknüpft. Dennoch gehört zum Lebensstil und Lebensgefühl Segeln aber auch die Gewissheit, trotz alledem in einmaliger Weise autark, autonom und frei zu sein.

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Daheim ist, wo der Anker fällt MK: Wo fühlt Ihr Euch zuhause? Edith & Andreas (FB): Da, wo unser Anker sich in den Grund bohrt, oder unsere Leinen an den Klampen fest sind. SY PEIONE, 2004-2008

Rückblickend sieht Willi seinen Aufbruch aus Deutschland als »Flucht«. Mit Ende Zwanzig eine chronische Krankheit, infolgedessen die berufliche Neuorientierung. Ein Buch von Bobby Schenk fällt ihm in die Hände: eine Weltumsegelung, das wär’s! Drei Wochen später findet er sein Boot, eine fünfzig Jahre alte, restaurierungsbedürftige Holzyacht. Nach zweieinhalb Jahren ist die Arbeit am Schiff fertig, aber die Beziehung schon lange am Ende. Er wägt ab, malt sich die Zukunft in Deutschland aus – und segelt all dem davon. Anfangs mit Freunden an Bord, später öfter auch alleine, in der Karibik genießt er die Abenteuer, die sich einem segelnden Junggesellen so bieten. Das Geld ist knapp, aber immer wieder findet sich zur rechten Zeit eine Arbeit, kann Willi als gelernter Tischler hier den Innenausbau einer Yacht, dort das Verlegen eines Teakdecks übernehmen. Nach fünf Jahren erreicht er Neuseeland. Als ich ihn dort in seiner dritten Saison treffe, sucht er gerade einen Käufer für seine 31-Fuß-Yacht. In Neukaledonien hat er Anne, die genug vom Yachtie-Dasein und Beziehungen mit Seglern hatte, kennen gelernt, nachdem sie gerade ihr Schiff verkauft hatte. Als sie dann in Neuseeland geheiratet haben, schauten sie sich dort nach Häusern um, wollten sie sich an Land niederlassen. Aber nichts war dabei, was ihnen gefiel und sie sich leisten konnten. Für das Geld bauen sie sich da lieber ein größeres Schiff – den 46-Fuß- Katamaran WAKATAITEA, der viel Wohn- und Lebensraum bietet. (Und mit dem sie, während diese Arbeit geschrieben wird, längst den Pazifik besegeln.) Worauf basiert ihre Entscheidung für ein Zuhause auf dem Wasser? MK: Was reizt dich dann, weiterhin auf dem Boot zu leben. Ich fand’s beschwerlich […], immer die Verantwortung für’s Boot. Willi: Ja, ist wie ein kleines Kind. Is’ furchtbar, eigentlich dat Schlimmste. Die teuerste und unbequemste Art zu reisen. Eigentlich ist das totaler Scheiß aufm Boot, ne. Du willst nen Tagesausflug machen, ja, hast du fünfzehn Anker geschmissen, aber immer noch Angst, dat dann ein local vorbeikommt und dir wat aus dem Boot rausklaut. Du hast immer irgendwelche Ängste. Du willst nicht in ne Marina, weil das zu teuer ist. Irgendein Geschiss ist immer. (seufzt) Aber - … MK: Wofür nimmst du das in Kauf? Willi: Weil dat irgendwie doch die Freiheit ist. Weil, […] ich les ein Buch, und die sagen, Madagaskar - da denk ich […], wenn ich da hin will, dann fahr ich da einfach hin. [...] Und –

228 | W ELTUMSEGLER ich bin überall zuhause, weil ich hab mein Klo dabei, und meine Küche, und mein Bett, alles. Und, ich bin absolut frei. Ja, ich glaub, das ist die Freiheit, die du hast. Du wirst zwar immer mehr eingeschränkt, weil du Visas brauchst, etc. bla bla, […] Es kostet immer wat, aber dat tut dir nicht so weh aufm Schiff, glaub ich. Oder man unterdrückt dat einfach, man verdrängt dat (lacht). Na, weil, ich glaub dat is, auf dem Schiff hast du die Freiheit. SY MARLENE, 1999-2004 (NZ)

Auf einer Weltumsegelung beziehungsweise im Langzeitsegeln fallen Reisen und Wohnen zusammen, auch wenn auf See die Funktion der Fahrtenyacht als Verkehrsmittel, vor Anker (oder in der Marina) die als Wohnung in den Vordergrund rücken mag. Johanna Rolshoven plädiert generell dafür, Wohnen als »bewegliche oder mobile Praxis« zu verstehen, und den sich darin spiegelnden Gesellschaftswandel stärker zu berücksichtigen (Rolshoven 2007c). Wofür steht in Kontext einer höchstgradig alltagsmobilen Gesellschaft dann die Fahrtenyacht, in der gewissermaßen als extreme Ausprägung Mobilität und Wohnen zusammenfallen? »In den westlichen Gesellschaften ist das Haus sowohl Symbol wie Emblem der Seßhaftigkeit. Genau besehen steht es jedoch nicht für eine eigentliche Praxis der Seßhaftigkeit, sondern für den Bleibewunsch: den Wunsch, sich zu verorten und dazu zu gehören.« (Rolshoven 2007c: 3)

Das Segelschiff symbolisiert neben Freiheit und Unabhängigkeit einen flüchtigen Zustand der permanenten und unbestimmten Wanderexistenz. Dabei steht die Fahrtenyacht, ebenso wenig wie das Haus für eine Praxis der Seßhaftigkeitsteht, nicht für eine eigentliche Praxis der Auflösung aller Bindungen, sondern vor allem für das die Möglichkeit des Ungebundenseins, bei gleichzeitig unmittelbarer Beheimatung. Auch wenn eine Weltumsegelung als Erweiterung des Konzeptes einer an einigen wenigen geographischen Orten festgemachten Mehrörtigkeit verstanden werden muß, und überdies prinzipiell das Prinzip des stetigen Weiterziehens anstelle einer gleichzeitigen Multilokalität vertritt, so läßt sich doch auch auf Fahrtensegler übertragen, daß das »mobile Wohnen« den Akteuren selbst nicht Ortlosigkeit oder Entwurzelung bedeutet, sondern als Bereicherung, auch Anstrengung, aber nicht als Zumutung gesehen wird. »For the cultural agent himself ›mobile living‹ does not mean a lack of place or becoming rootless, or even a loss of ›culture‹, but instead creates connections, ties, and is percieved a a consciously chosen enrichment. Wether it is regarded as a provisional solution or a long-term institution – the spectrum of individual […] judgements regarding living in several places is too broad to have the costs and benefits be interpreted as a constraint.«(Rolshoven 2007b: 20)

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Spezifisch für den Lebensstil Fahrtensegeln ist, daß das Bedürfnis nach Verortung und Zugehörigkeit, nach »re-territorialization« (Hannam/Sheller/Urry 2006) sich weniger in geographischen, sondern mit der Seglergemeinschaft auch bzw. vor allem in sozialen Räumen realisiert. Aufgrund der gemeinsamen Geschichte stellt die cruising community eine »mooring«, einen Anbindung bietenden Anker dar, eine ortsunabhängige, auf geteilten Erfahrungen beruhende Umgebung von Vertrautheit, gegenseitigem Verständnis und Gemeinschaftsgefühl. Ebenso wie das Segelschiff als Wohnung völlig ortsungebunden einen stabilen, verlässlichen »Ort« darstellt, der, auch wenn er nur eine begrenzte Zeit oder als »Zweitwohnsitz« bewohnt wird, als echtes Zuhause empfunden wird. Bettina: Wir hatten schon immer überlegt, wir gehen auf Reisen, vielleicht mit dem Fahrrad. Aber mit dem Fahrrad, und alles Rumschleppen. […] Na ja, haben wir gesagt, warum nicht mit dem Schiff. Johann: Du hast alles dabei auf dem Schiff. Du hast Dein Zuhause. Du reist zwar um die Welt, aber trotzdem hast Du Dein Zuhause, und das ist irgendwo…. Für uns war das schon relativ wichtig. […] Du hast Deine Bücher, Musik, Du hast alles dabei. Das Schiff war immer Zuhause. Auch wenn wir, wir haben viel Landausflüge gemacht, wenn wir zurückkamen aufs Schiff, das war wie Nach-Hause-Kommen. SY HELENA, 1995-2003 (NZ)

Sowohl in der an Bord befindlichen Dingwelt wie dem Schiff selbst als eigentlichem Wohn- und Lebensraum manifestiert sich das »Zuhause« des Langzeitseglers, kann er sich überall auf der Welt daheim fühlen. Für die amerikanische Kulturanthropologin Mary Douglas beinhaltet das Konzept des »Daheim« gerade, daß dieses verortet, aber nicht auf einen Ort festgelegt ist. »[Home] is always a localizable idea. Home is located in space, but it is not necessarily a fixed space. It does not need bricks and mortar, it can be a wagon, a caravan, a boat, or a tent. It need not be a large space, but space there must be, for home starts by bringing some space under control. […] For a home neither the space nor its appurtenances have to be fixed, but there has to be something regular about the appearance and reappearce of its furnishings.« (Douglas 1991: 289)

Auch eine Fahrtenyacht kann durchaus erhebliche äußerliche oder die Ausstattung betreffende Veränderungen erfahren, bleibt aber doch gleich und damit beständig. Und so sehr ein Boot immer mit Arbeit verbunden ist, mitunter enorme Kosten verursacht, und fortwährend Sorgen bereitet – gerade weil das eigene Schiff überall auf der Welt ein hohes Maß an Geborgenheit und Vertrautheit gewährleistet, ermöglicht es über seine Funktion als unabhängiges Transportmittel hinaus nicht nur die Reiseroute, sondern auch das Erlebnis der Fremde und Unbekannten selbst zu be-

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stimmen. Eine Fahrtenyacht erfüllt, wie es mehrere Yachties mir gegenüber formulierten, die »Schneckenhausfunktion«: man hat alles dabei, kann die ganze Welt bereisen, aber jede Nacht im eigenen Bett schlafen. Jenny: [...] Und es ist halt die Form von Reisen, die mir halt gut gefällt. Weil, ja, weil wir unser Schneckenhaus immer bei uns haben, unser Bett, unsere Küche. Ja, und nix Fremdes benutzen müssen. Das gefällt mir gut. Und du kannst wählen, wann du gehst. Also, du mußt schon mit dem Wetter, aber, wenn dir was nicht paßt, dann. SY COSIMA, seit 1994

Selbst wählen zu können, in welchem Umfang man fremde Küchen oder Lebensgewohnheiten kennen lernen, erleben oder teilen möchte, ist ebenfalls durch die Selbstständigkeit des Fahrtenseglers was Unterkunft, und, aufgrund der Staumöglichkeiten einer Yacht, auch was Verpflegung angeht, gewährleistet. Gerade darin unterscheiden sich Yachties von Backpackern, die ebenfalls individuelle Reisepraxis und ein damit verbundenes spezifisches Lebensgefühl auf sich vereinen, für die eine möglichst intensive Partizipation an fremder Alltagskultur aber einen entscheidenden Aspekt ihres Reiseerlebens ausmacht (Binder 2005). Vroni: Also für mich ist es schon so. Mit dem Boot. Es ist so, man hat sein Körbchen dabei. Und ich lebe dann doch so, und ich mach das Essen, wie ich möchte, oder ich mach mir das Frühstück so. Ich mein schon, mit den Lebensmitteln, die zu kaufen sind. Aber es ist trotzdem so ein Körbchen, was man dabei hat. Wenn ma dann mit dem Rucksack unterwegs gewesen sind, da hast’ kein Quartier gekriegt, da hast’ in der letzten Bude schlafen müssen, und das ist dann schon noch was anderes, denke ich. SY VIDA, ab 2007

Gegenüber dem Backpacking oder auch dem Reisen mit Auto und Zelt, das viele Fahrtensegler meines Samples als frühere oder die Weltumsegelung an Land ergänzende touristische Praxis erwähnten, ermöglicht es eine Segelyacht, sich für einige Jahre oder auch dauerhaft »häuslich« einzurichten. Dies betrifft einerseits die ganz konkrete materielle Ausstattung und Einrichtung, andererseits, wie bei Vroni anklingt, auch die gewöhnlichen Routinen eines häuslichen Alltags, die ganz wie das Zuhause mit auf die Reise genommen werden (können). Wie im Falle des Camping-Urlaubs (Burch 1964), und gerade auch bei Langzeit-Campingtouristen (White/White 2007), gilt für Fahrtensegler, daß ihr tägliches Leben letztlich aus den gleichen, gewöhnlichen Aktivitäten besteht und sich ähnlich strukturiert wie ein Alltag »zu Hause«: Haushaltspflichten, Arbeit und Freizeit wechseln sich ab und füllen den Tag. In welchem Maße die Ausübung diese gewöhnlichen Tätigkeiten allerdings durch die außergewöhnlichen Umstände bedingt wird, möchte ich im dritten und letzten Teil dieses Kapitels skizzieren.

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Abbildung 29: Whangarei, 2007 – Zuhause. In der Gemeinschaft. Im Essen. Eigentlich werden die Brote auf dem »farmers’ market« in Kerikeri verkauft, vorab aber die Stammkunden in der Opua Marina beliefert. Dieser »special service« hätte sie ja erst ein wenig gestaunt, meinte eine Marina-Angestellte, aber andererseits würden die deutschen Yachties ja auch sonst ständig alles gemeinsam unternehmen.

Durch Routinen strukturieren Fahrtensegler ihren mobilen Lebensstil, und schaffen sich durch diese Beständigkeit im Flüchtigen ebenfalls ein »Zuhause«. Diejenigen, die zwischen »den Inseln« und Neuseeland pendeln, haben Stammplätze, suchen manche in einer bestimmten Marina möglichst immer denselben Liegeplatz auf. Darüber hinaus pflegten gerade einige der deutschsprachigen Segler in Opua zur Zeit meiner Feldforschung eine ganze Reihe regelmäßiger Gewohnheiten, die ihre Woche strukturierten: Der sonntägliche Besuch des farmers’ market in Kerikeri mit anschließender, gemeinsamer Einkehr in einem Café oder Weingut, jeden Dienstag die Sailors’ Happy Hour im REVA’S am Whangarei Town Basin, von wo einige zum gemeinsamen Abendessen im immer gleichen Steak-Restaurant weiterzogen. Freitags lieferte nicht nur ein befreundeter Deutscher selbstgebackenes Holzofenbrot direkt in die Opua Marina, sondern es war mit dem öffentlichen Clubabend mit Restaurantbetrieb im Opua Cruising Club ein weiterer jour fixe, zu dem Yachties zusammenkamen. Aus der Wiederholung erwächst das Moment des Bekannten und Vertrauten, mit der Fahrtensegler sich eine fremde Umgebung aneignen, oder, mit Mary Douglas, einem Raum ordnen, und diesen so zu ihrem Daheim machen.

232 | W ELTUMSEGLER MK: Gab es bei Euch so Phasen, war es am Anfang aufregender, spannender, wie hat sich das verändert? Dietmar: Na, aufregend ist es immer noch. Inge: Aufregend ist es immer noch, zumal wenn du wieder in ein neues Gebiet kommst. Wenn du, so wie in Neuseeland und jetzt hier nu, das fünfte Mal, fünf Jahre schon hier rein gekommen bist, das ist wie nach Hause kommen. Als wenn du in dem Hafen Urlaub machst und kommst nach Hause. […] MK: Reizt Euch das noch, neue Orte kennen zu lernen, oder seid Ihr an einem Punkt, ach … Dietmar: Jaaa (gedehnt) Inge: Ja, ... doch… Dietmar: Ne, ne, Asien reizt uns jetzt schon. Asien ist ja wieder was ganz anderes als die polynesische, oder die Inselwelt hier. […] Ne, ne, das reizt uns schon. Aber alles halt gemach, gemach und nicht, äh, vorgestern. Lieber überübermorgen. … SY NJÖRDR, seit 1998

Gleich, ob die Yacht wie bei Inge und Dietmar die ausschließliche Heimstatt ist, oder ob prinzipiell jederzeit eine Rückkehr in eine noch vorhandene eigene Wohnung z.B. in Deutschland möglich, scheint bei vielen Fahrtenseglern, die sich für ein Seglerdasein open end entschieden haben, die Neugier auf Neues und Unbekanntes mit den Jahren abzunehmen, spricht aus der offensichtlich ebenso befriedigenden Erfahrung, mit einem neuen Ort allmählich wieder vertraut zu werden, auch ein gewisse Sehnsucht nach Wiederkehr statt ständigem Weiterziehen. Um hier auf den Anfang dieser Diskussion – das Schiff als Zuhause – zurückzukommen, möchte ich noch einmal den Blick auf die Funktion der Segelyacht als Haus-Boot, als alternative Wohnstätte lenken. In Ländern wie den USA, Australien oder Neuseeland, anders als in Deutschland, kann Yachtie auch bedeuten, als liveaboard, d.h. als Dauerlieger in einer Marina permanent an Bord leben, wobei es sich dabei um eine gesellschaftlich allgemein akzeptierte Wohnpraxis handelt. Demgegenüber zeigen Rolshovens Ergebnisse einer in der Schweiz angesiedelten Untersuchung multilokaler Lebensweisen, daß dort (Binnen)Yachten durchaus als Zweitwohnsitz genutzt, dabei jedoch nicht als (temporäre) Wohnung, sondern von ihren Nutzern explizit als Hobby verstanden werden möchten (Rolshoven 2007a: 163 ff.). Obwohl die Segelyachten an den Wochenenden und in den Ferien wiederum in erster Linie bewohnt, aber kaum bewegt werden, d.h. die technische Motilität des Bootes geschätzt, aber kaum genutzt wird, kommt darin zumindest ein »von Bewegung gekennzeichneter Nutzungsaspekt der Aktivität, denn Hobby bedeutet kreative Freizeitgestaltung«, zum Ausdruck (Rolshoven 2007a: 164). Daß die inhärente Beweglichkeit eines Mediums sich erheblich von der tatsächlichen mobilen Nutzung unterscheiden kann, zeigt auch das Beispiel von Dauercampern, die sich mit ihrem Wohnwagen im Grunde permanent auf ihrer Parzelle einrichten, die

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durch Umbauten und Vorzelte den ursprünglich mobilen Zustand nur noch mit großem Aufwand wiederherstellen können (Hofmann 1994a). Eine derartige Immobilisierung des an sich beweglichen Reisemittels, wobei Caravan wie Fahrtenyacht einen vergleichbar ausgeprägten Wohnungscharakter aufweisen, stellt im Falle der Fahrtenyacht eine Ausnahmesituation dar, durch die insbesondere ihre Bewohnbarkeit stark eingeschränkt wird. Segelschiffe werden nur dann aus dem Wasser genommen, wenn das Unterwasserschiff turnusmäßig gerade in tropischen Gewässern gesäubert und der Anti-Fouling-Anstrich erneuert werden muß, wenn Reparaturen am Rumpf, Ruder oder Durchlässen notwendig sind, oder aber das Schiff vor allem bei längerer Abwesenheit der Besitzer, etwa bei Heimatbesuchen, sicherheitshalber an Land aufgepallt »geparkt« werden soll. Auf einer an Land stehenden Yacht zu wohnen bedeutet nicht nur den umständlichen Zugang per (wackeliger) Leiter; auch die Unmöglichkeit, Bad und Küche an Bord zu nutzen, da Abwässer nicht abgeleitet werden können, erschwert in erheblichem Maße alltägliche Haushaltsroutinen. Diese daher auch in aller Regel so kurz wie möglich gehaltenen Phasen der totalen Immobilisierung sind jedoch notwendiger Bestandteil einer Weltumsegelung bzw.des Lebensstils Segeln, die nicht um ihrer selbst willen als befriedigendes »Hobby« unternommen werden, sondern vielmehr dazu dienen, die eigentliche Mobilität des Schiffes zu gewährleisten, sich die grundsätzliche Freiheit zu erhalten, mit seiner Wohnung jederzeit – Anker Auf! Leinen Los! – davonsegeln zu können. Ein Umzug in eine per se immobile Wohnung an Land, und eine Aufgabe des Schiffes, erscheint manchen geradezu als Freiheitsberaubung. MK: Könnt Ihr Euch vorstellen, wieder an Land…? Jenny: Net so wirklich. (lacht). Also die Diskussion haben wir letztes Jahr auch wieder an Silvester gehabt, weil jetzt auch unsere anderen Freunde sich [hier in Neuseland, MK] ein Haus gekauft haben. Aber der sagt, das ist nicht für immer, nicht sein endgültiges Domizil. Und sein Boot bleibt auch. – Also ich persönlich empfinde es als ein Gefängnis. Also wenn Du zu mir sagst, Du mußt jetzt im Haus leben, das wär wie ein Gefängnis. Hubert: Gefangen. Ja. Jetzt haben sie dich wiedergekriegt, 13 Jahre hatten sie keine Chance. Jenny: Wie so eine Strafe. Ich wüßt auch gar nicht, was ich im Haus machen sollt, irgendwie. SY COSIMA, seit 1994

Dabei weist eine Fahrtenyacht als Zuhause einige weitere spezifische Besonderheiten auf. Nicht zuletzt, weil auf offener See die Sicherheit und potentiell das Überleben des Seglers von der Seetüchtigkeit seines Schiffes abhängt, spielt die Instandhaltung und Pflege der Fahrtenyacht eine große Rolle, stellt sie neben Haushaltsroutinen eine der permanenten Alltagsaufgaben und -aktivitäten an Bord da. Für Yachties vergeht auch in den Monaten der Segelsaison kaum ein Tag, an dem nicht etwas am Schiff zu reparieren oder zu »basteln« ist (s.u. Kap. 5.4). Neben der Notwendigkeit, das Boot seetüchtig zu erhalten, kann das Arbeiten am Schiff als

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kreative Tätigkeit der Konstruktion und Neu-Gestaltung der eigenen »kleinen Welt«, und als Aneignung des persönlichen Raumes gedeutet werden. Übersteigt der zeitliche und finanzieller Aufwand, das Schiff in gutem Zustand zu erhalten, das Maß des Üblichen, der erwartbaren Arbeiten, wird die Freude am Segeln nachhaltig beeinträchtigt, was unter Umständen auch zum Abbruch einer Weltumsegelung führen kann. Unter den vielen Faktoren, die dazu beitragen, ob eine Reise als glücklich, befriedigend, gelungen erinnert wird, spielen Stärke und Zuverlässigkeit eines Fahrtenschiffes, oder eben seine Schwächen und Schäden, die letztlich immer auch die Sicherheit, ja das Leben des Seglers gefährden, ein große Rolle. Michael: Und ich glaube auch, wenn ich so an andere denke, so ist uns erspart geblieben, daß das Schiff einem eine Grenze setzte. Das Schiff kann ja zur Hölle werden, wenn einem dauernd Reparaturen, neuer Motor, Segel zerrissen, zerrissen, Stürme können einem - die haben wir auch mehr kaum gehabt. Also nicht so, daß wir um unser Leben bangen. Und das alles kann einem das Segeln verderben. SY BRIGHT DAY, 1997-2006

Wenn sich das Verhältnis, daß das Schiff eigentlich ein Instrument des Seglers ist, das ihm Unabhängigkeit gewährt, ins Gegenteil verkehrt, stellt dies zumindest einen Faktor der, der die Lust am Segeln zur Last werden läßt. Auf ihrer zehnjährigen Weltumsegelung zurückblickend stellt Peter für sich und seine Frau fest, daß sie im Grunde nie an den Punkt kamen, an denen sie genug vom Segeln hatten, ihn aber die im Laufe der Reise steigenden Inanspruchnahme durch das Boot selbst (das wenige Jahre nach der Rückkehr auch verkauft wurde) »zunehmend genervt haben«. Peter (FB): Unser Boot wurde inzwischen 10 Jahre alt. Es hatte bezüglich Beanspruchung recht harte Zeiten hinter sich. Damit wurden Unterhalt und Reparaturen immer aufwendiger, und wir drohten mehr und mehr Sklaven unserer geliebten ALEPH zu werden. SY ALEPH, 1992-2001

In Peters Formulierung, zum Sklaven des geliebten Schiffes zu werden, drückt sich in bemerkenswerter Weise Nähe und Distanz aus: sowohl die rationale Instrumentalisierung des Segelschiffes als Transportmittel und damit zweckdienliches Objekt, sowie die emotionale Verbundenheit des Seglers zu seinem Gefährt, das ihm Schutz, Zuhause, aber auch Gefährte im Erleben ist, dem jeder Segler auf See sein Leben anvertraut. Sowohl diese Verbundenheit wie die Personifikation der Fahrtenyacht, die das eigene Schiff zu weitaus mehr als einem Gebrauchsobjekt macht, wird auch sichtbar, wenn es heißt, »das Schiff gehört zur Familie«. Zwischen Fahrtensegler und Fahrtenyacht besteht ein quasi symbiotisches Verhältnis. Wie alle anderen Fahrtensegler nutzen Jenny und Hubert die Monate der cyclone season, die sie seit Jahren in Neuseeland verbringen, dazu, das Boot aus

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dem Wasser zu nehmen, und in einer Werft in Eigenarbeit notwendige Reparaturund Wartungsarbeiten durchzuführen. Und dabei ganz selbstverständlicherweise bei aller Unbequemlichkeit weiter auf dem Schiff zu wohnen. Hubert: Paß auf. Ein Boot, das man für längere Zeit hat, ist etwas ganz anderes, als wenn man sonst einen fahrbaren Untersatz hat, wie ein Auto oder so. Ein Freund von uns hat mal gesagt: das Boot hat eine Seele. […] In dem Moment, wo du rausgehst, vertraust du dich deinem Boot an. Und hier muß man natürlich alles dazu tun, damit das Boot in Ordnung ist. Und dann kann man sagen: Also, ich sorg hier für dich, und wenn wir draußen sind, dann sorgst du für uns beide. […] Viele werden sagen, ja, der hat ja nen Schuß, ne. Aber, zumindest uns geht das so. Und das ist eben dieses Umfeld, was wir gewohnt sind. Und mit dem wir sehr vertraut sind. […] An dem Boot hängt viel mehr. Und auch wenn es auf dem Hardstand ist, und du lebst auf dem Boot. Das ist das, mit dem wir über den Atlantik, über den Pazifik gegangen sind. Das ist unser Leben. SY COSIMA, seit 1994

Daß Fahrtenyachten eine Personifikation erfahren, ihnen weit über segeltechnische Aspekte hinausgehende individuelle Eigenschaften zugeschrieben werden, läßt sich durchaus durch die quasi mit dem Schiff gemeinsam durchlebten Erfahrungen von Ozeanüberquerungen oder Stürmen erklären. Damit mag auch zusammenhängen, daß unter Yachties vor allem im Gespräch über Mit-Segler, Schiff und Segler namentlich als Einheit behandelt werden, der Schiffsname sowohl Yacht wie Besatzung repräsentiert. Eine enge, emotionale Bindung von Seglern zu ihren Schiffen, die nicht nur ihren Traum verkörpern, sondern in die sie in den meisten Fällen viel Zeit, Geld und Arbeit investiert haben, ist verständlich. Allerdings, so lautet eine fundamentale Kritik von Jochen, der heute immer noch mit seiner 1973 gebauten Stahlyacht unterwegs ist, neigen die meisten Mit-Segler bei der Beurteilung ihrer Schiffe, gleich ob Eigenbau oder Serienyacht, grundsätzlich zur Idealisierung. Er vertritt – die Ansicht seiner nur besuchsweise mitsegelnden Ehefrau übernehmend – die These einer totalen Identifikation mancher Segler mit ihren Schiffen, die sich auch im Sprachgebrauch niederschlägt. Jochen: Meine Frau sagt ja, das ist extension of self. Wenn die so ein Schiff sieht, so ein Riesending, und dann ist da so ein so’n mittelalter Mann drauf. Dann sagt sie, extension of self. Daß die Leute sich selbst reinpro[jezieren, M.K.] – die sagen ja auch »ich bin das Schiff da draußen« – das hab ich auch mal aus Versehen gesagt. Ohhh, hat meine Frau da gelacht. »ich bin der Knickspanner da draußen«. Hier, ding, ding (tippt sich an die Stirn und zeigt einen Vogel). Die Identifikation ist enorm. Also, das ist hochinteressant. SY BOSTON, seit 1997

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Die Frage, ob oder in welchem Ausmaß die Personalisierung einer Fahrtenyacht angebracht ist, und ob in derartigen Formulierungen überhaupt die vollständige Identifikation mit einem Gebrauchsgegenstand zum Ausdruck kommt, oder es sich doch eher um eine mehr oder weniger unbewusste Verkürzung von Besitzverhältnissen, Ortsangaben o.ä. handelt, die als Seglerjargon auch nicht überinterpretiert werden sollte, möchte ich hier so stehen lassen. Im Folgenden wende ich mich dem Segelschiff selbst als eigenständigem Raum zu, und werde zunächst spezifische Konzepte der Raumnutzung wie der Verhandlung von privatem und öffentlichem Raum auf einer Segelyacht erläutern, bevor ich mit Einrichtung und Ausstattung die eigentliche Dingwelt an Bord vorstelle.

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Nutzungsräume & Raum-Konzepte l Die Dingwelt an Bord

Nutzungsräume & Raum-Konzepte Ein Segelschiff hat per se eine vorgegebene Struktur, und die eingeschränkten Platzverhältnisse einer durchschnittlichen Fahrtenyacht lassen eigentlich keine wirkliche Trennung von Funktionen in spezialisierten Räumen zu. Verschiedene Wohn- und Arbeitsbereiche befinden sich in mehr oder weniger einem Raum. Zentral für den Salon ist eine häufig multifunktional nutzbare Einrichtung mit Tisch und Sitzbänken, die bei Überfahrten auch als Seekojen, oder generell als zusätzliche Schlafplätze für Besuch dienen können. Zweiter Hauptbereich des Salons ist die Pantry oder Galley, d.h. die Bordküche, die in der Regel mit einem Waschbecken, einem Gas- oder Petroleumkocher und heutzutage auch mit Kühlschrank bzw. -box ausgestattet ist. Der dritte Arbeitsbereich, die »Navigations-Ecke« zeichnet sich zwar immer noch doch durch den traditionellen Kartentisch aus, der aber heute häufig Standplatz des Bord-Laptops mit Kartenplotter ist, und darüber hinaus eine Vielzahl elektronischer Geräte aufweist, ob Kurz- und Langwellenfunkgerät (VHF und HAM-Radio), Radar oder Wetterfax. Je nach Größe und Design der Yacht sind die Schlafkojen im Bug oder Heck der Yacht mehr oder weniger unmittelbar vom Salon aus zugänglich und einsichtig, und nur selten durch eine Tür abgetrennt. Lediglich die Bordtoilette ist nach heutigen Standards – anders als etwa auf einer typischen 28-Fuß Yacht der 1970er – in einem tatsächlich abgeschlossenen, eigenen Raum untergebracht. Die optimale Raumausnutzung spielt an Bord, ebenso wie in Camping- oder Wohnwägen, mit die bedeutendste Rolle, und schlägt sich hier wie dort in der Multifunktionalität der Einrichtung und Innenausstattung nieder. Fahrtenyachten sind insbesondere darauf ausgelegt, auf minimalem Platz ein Maximum an Stau-

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raum zu bieten, um im Zweifelsfall auch monatelang und abseits von Versorgungsmöglichkeiten, sei es bei Überfahrten oder zwischen abgelegenen Insel, autark und unabhängig unterwegs sein zu können. Die gut verstaute, wenig sichtbare Dingwelt einer Fahrtenyacht umfasst daher in erster Linie neben der technisch-elektronischen Ausrüstung, neben Ersatzteilen und Werkzeugen auch Treibstoff sowie Proviant und Trinkwasser. Jeder Umzug an Bord einer Fahrtenyacht erfordert aufgrund des stets knappen Raums darüber hinaus eine extreme materielle Reduzierung, stellt sich für Segler weniger die Frage mitzunehmen, was man eventuell brauchen könnte, als danach zu gehen, worauf man keinesfalls verzichten möchte. Selbstverständlich stellt dieser Schritt im Falle der Fahrtenyacht als second home einen wesentlich weniger dramatischen Schritt dar, als wenn das Schiff zum einzigen Zuhause wird. In aller Regel werden auch im letzteren Fall den Akteuren bedeutsame Dinge oder Gegenstände in mehr oder weniger großem Umfang an Land eingelagert, oder bei Kindern, Verwandten oder Freunden untergestellt. Auch wenn sich mit Mary Douglas festhalten läßt, daß die Idee des Heims nicht von der Größe eines Raumes abhängt (Douglas 1991: 289), ist angesichts der im Allgemeinen recht beengten Verhältnisse an Bord einer Fahrtenyacht doch zu fragen, wie Segler mit den räumlichen Beschränkungen ihrer schwimmenden Heimstätte umgehen. Allein auf das Boot beschränkt sind Segler dabei allerdings in der Regel nur, wenn auch gesegelt wird, muß auch diesbezüglich zwischen See- und Landtagen differenziert werden. Karl: Aber die, sach ich mal, die wirklich enge Zeit auf dem Boot, die ist doch im Jahr relativ wenig. Und die wird überspielt durch das Erlebnis des Segelns. Weil, sobald du ja irgendwo vor Anker liegst, hast du ja wieder jegliche Freiheit, ne. Setzt dich in dein Dinghi, gehst laufen, gehst wandern, gehst schnorcheln. Ist ja immer was los. SY ELBE, 1995-2010

Inwieweit ein Segler die Umstände an Bord seiner Fahrtenyacht, ob auf See oder vor Anker, als beengt empfindet, hängt neben der Schiffsgröße auch mit einem freilich individuell unterschiedlichen Verständnis davon zusammen, wo eigentlich die Grenzen ihres Lebensraumes liegen. Die DOLCEVITA ist mit 31 Fuß das kleinste Schiff in der Whangarei Town Basin Marina. Ein größeres Schiff konnten sich Jörg und Sabine, beide Anfang Dreißig, nicht leisten. Daß sie da räumlich doch sehr eingeschränkt sind, möchte Jörg gar nicht bestreiten: »Ich kann also an drei Stellen in unserem Schiff, die kann man noch nicht mal in Quadratmetern berechnen, da kann ich grade stehen.« Die Umstände und Umständlichkeiten des Lebens an Bord macht die Tatsache wett, daß es eben ein Schiff ist. Das gibt ihnen, meint Sabine, in vielerlei Hinsicht das Gefühl, »näher am Leben dran zu sein«. Und, so Jörg, »daß es eben schwimmt, daß du wegkannst, daß du frei bist – es ist nicht zu erklären, aber daß du auf’m Wasser bist«. Und beide fügen hinzu, daß dies etwas ist, was nicht

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jeder im gleichen Maße empfindet, daß eine gewisse Empfänglichkeit für diese Gefühl, eine Sehnsucht nach Wasser und Meer vorhanden sein muß, um sich eben nicht eingeengt, sondern regelrecht befreit zu fühlen. Sabine: Also ich hab mich … das haben andere schon gefragt, ob man sich da nicht eingeengt fühlt, weil man ja so, auch keinen richtigen Auslauf hat. Und, sei es jetzt nur von der körperlichen Bewegung her oder so. Und da musst’ ich für mich immer sagen, daß ich das Gefühl hatte, ich hab ja da draußen viel mehr. Die anderen, die haben nur ihren Vorgarten, und die gucken genau bis zum Vorgartenzaun. Und, auch wenn das Meer … natürlich gehört mir das nicht wie jetzt mein Vorgarten oder so. […] Da ist einfach dieses Gefühl von dieser Weite, und ich hab das Gefühl, das gehört alles noch mit dazu. […] Für mich ist das so, das ist der ganze Vorgarten. Der gehört einfach noch mir. Der ist einfach noch mit hier drin. So. Und deswegen hab ich mich nie eingeengt gefühlt. Auch auf den Überquerungen oder so. SY DOLCEVITA, seit 2004

Das Paradoxon der »Eingeschränktheit bei gleichzeitiger Unendlichkeit«, das mit dem australischen Ozeanisten Grant McCall jeder Insel als solche innewohnt (McCall 2007), läßt sich auch auf die autarke Fahrtenyacht übertragen. Was – im Falle der Insel – Besucher als eingeschränkt empfinden, erleben ihre Bewohner als eine über den Horizont hinausgehende Heimat. Analog versteht Sabine Meer und Schiff als einen zusammenhängenden Raum, entgrenzt die Weite des Ozeans gewissermaßen den beengten Raum an Bord. Die Fahrtenyacht als unmittelbares, beständiges und vertrautes Umfeld ermöglicht es Langzeitseglern, sich »überall« zuhause zu fühlen. Im Umkehrschluß folgt daraus, daß der Begriff des Daheim sich auf jede neue Insel, jeden neuen Hafen, jede an sich fremde Umgebung, in der sich die Yacht befindet, mit dem Moment der Ankunft ausdehnen und erweitern läßt. Sei es die nähere Umgebung eines Ankerplatzes oder eine Marina, die sie umgebende Stadt oder Insel, die nähere oder weitere Umgebung kann, auf Zeit, zu einem territorial erweiterten Zuhause des Fahrtenseglers werden. Die Praxis, sich temporär an jedem neuen Ort mit Hilfe räumlich-materieller Routinen bzw. ritualisierten Strategien der Raumaneignung ein Zuhause zu schaffen, beschreiben die Counts, in Parallele zu nomadischen Lebensweisen in einem engeren, ethnologischen Sinne, für ihr Feld der Langzeit-Camper: »When nomads – whether they are the Gabra of Kenya ort he RVers of North America – arrive at a new place, they try to recreate physically the mental idea of home. RVers do this by placing artifacts (a picnic table, lawn chairs, potted plants, name signs) in similar places each time, thus reconstructing a memory of home. Each time RVers unhitch und set up their homes, they renew both the physical and social aspects of their existence.« (Counts 1997: 162)

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Mit einer mobilen Wohnstätte, gleich ob Caravan oder Fahrtenyacht, erweist sich das Konzept »Zuhause« als ganz reell beweglich und ortsungebunden. Anders als bei einer landbasierten Wanderexistenz kann bei einem Schiff allerdings bei stationären Aufenthalten keine lokale Erweiterung des konkreten Lebens- und Wohnraums über das Medium selbst hinaus stattfinden. Die Ausdehnung der »Verhäuslichung« auf das allernächste Umfeld, die Personalisierung des Außenraums, die bei einem parkenden Wohnmobil etwa darin besteht, daß ein Vorzelt aufgebaut oder Tisch und Stuhl vor den Wagen gestellt werden, kann im Falle des Fahrtenschiffes allerdings darin gesehen werden, daß auf der nicht segelnden Yacht der Raum über Deck als zusätzliche Nutz- und Wohnfläche genutzt wird. Im Falle einer Weltumsegelung, die den Ausstieg aus Arbeitsalltag und beruflichen Strukturen beinhaltet, kann die Fahrtenyacht zum einen als Fortführung des Ideals des Eigenheims verstanden werden, das eine »positive Gegenwelt zu Abhängigkeiten und Zwängen […] der Arbeitswelt« schaffen soll (Häußermann 1996: 229). Zum anderen stellt jedes Heim einen geschützten Rückzugsort dar, der Geborgenheit gegenüber einer davon eindeutig getrennten Außenwelt bietet. Auf einer Fahrtenyacht herrscht jedoch ein fließender Übergang zwischen Innen und Außen, und damit zugleich zwischen Privat und Öffentlich. Ebenso wie von Wohnmobilisten, RVern oder Dauercampern (vgl. Özkan 1994; Counts 1997: v.a. Kap.7) werden aufgrund der beschränkten Raumverhältnisse unter Deck auch auf Fahrtenyachten alltägliche Aktivitäten nach draußen verlagert. Das Cockpit stellt, vergleichbar mit dem im Camping-Alltag intensiv genutzten Vorzelt, eine spezifische Halböffentlichkeit dar, die Raum gerade für informelle soziale Interaktionen bietet. Die Counts verstehen im Falle der RVer diesen sowohl privaten wie öffentlichen Wohnbereich vor dem Wagen als Gegenstück zu der für US-amerikanische Eigenheime einst typischen Veranda, die eine Praxis des beiläufigen Besuches und Austausches, des »casual visiting and social contact with passers-by« erleichtert (Counts 1997: 140). Im Falle der Fahrtenyacht bestimmt vor allem der Standort – ob einsame Ankerbucht oder Steg-Liegeplatz in einer Marina – ob das von außen grundsätzlich einsehbare Cockpit einen sehr privaten, weil relativ unzugänglichen, oder einen im Wesentlichen öffentlichen Raum darstellt. Zugleich gibt das Schiff an sich – mit seinem Typ, seiner Marke und seiner Bauart, durch seinen Namen, den Heimathafen, einen Vereinsstander oder die (verpflichtend zu fahrende) Nationalflagge, und nicht zuletzt durch den Zustand, in dem es sich befindet – jeder Öffentlichkeit und vor allem Mit-Seglern bereits eine Vielzahl an Informationen über seinen Besitzer preis. Der Umgang mit dieser dem Vehikel immanenten Halböffentlichkeit spielt in der Alltagspraxis des Fahrtensegelns eine wichtige Rolle. Ein sich im Cockpit aufhaltender Segler ist präsent und damit grundsätzlich ansprechbar, weshalb die spezifischen räumlichen Gegebenheiten von Yachties auch eine ge-

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wisse Offenheit, einen generelle Aufgeschlossenheit gegenüber sozialen Kontakten verlangen. Häufig entwickelt sich diese, in Anpassung an den Wohnraum Segelschiff, im Verlauf der Reise, wird von einer nach und nach intensivierten Kommunikationsbereitschaft im Vergleich zu früheren Verhaltensweisen an Land berichtet. MK: Ist das überhaupt so, wenn man auf dem Boot ist? Das viel eher jemand vorbei kommt, als man das von zuhause, von Land gewohnt ist? Walter: Auf alle Fälle. Hanni: Ja, ganz bestimmt. Die kommen einfach so, die grüßen dich, oder sprechen mit dir. Das hat man doch zuhause nicht. MK: Wird Euch das manchmal zuviel – ist ja immer ersichtlich, ob ihr da seid. Ihr könnt Euch ja schlecht … Hanni: … verstecken … MK: … in Ruhe hinsetzen und Kaffee trinken und sagen, wir sind nicht da… Hanni: Also da kommen nicht so die Kiwis, also die kommen nicht so am Boot und sagen irgendwas. Es sei denn hier der einfache Nachbar, der vielleicht mal irgendwas will. Aber generell tun sie das nicht. […] Hier, also ans Boot, kommen nur welche, die Deutsch sprechen... Walter: Und wenn dann mal Urlauber oder Touristen sind, da halten wir eigentlich ein bisschen Abstand, sonst kommen wir überhaupt nicht aus dem Sabbeln raus. SY LIESELOTTE, seit 1992

Abgesehen von der direkten Anwesenheit einer Person im Cockpit signalisiert auch ein an einer ankernden Yacht festgemachtes Beiboot, daß jemand »zuhause« sein muß. Sind es mehrere, läßt sich daraus nicht nur ablesen, daß gerade Besuch an Bord ist, sondern anhand der unter Mit-Seglern bekannten Beiboote auch, um wen es sich dabei handelt. Im alltäglichen Umgang von Fahrtenseglern untereinander wird diese »Öffentlichkeit« des Bordlebens zwar häufig sehr geschätzt, umso wichtiger ist es jedoch, die Privatsphäre auf und in einer Fahrtenyacht zu respektieren, was voraussetzt, mit den entsprechenden Konventionen vertraut zu sein. Wulf: Aber es gibt ja auch unter den Yachties ganz klare Regeln. Also, du steigst nicht jemandem auf’s Boot, bevor du eingeladen [bist]. Aber das gibt’s auch, Leute, die wissen die Regeln nicht mehr so. Wir sind da vielleicht auch noch, obwohl wir noch nicht so alt sind, eher so von der alten Sitte. Daß man die Schuhe auszieht, wenn man an Bord kommt. Daß man fragt, wenn man hinrudert, man ruft mal den Namen, bevor man schon längsseits liegt. Das sind so kleine Details, ne. Und wenn dann niemand kommt, dann rudert man weg, dann geht man nicht zu Reling und schaut mal rein und poltert noch und so. SY TROLL, 2001-08

Wie mir gegenüber immer wieder betont wurde, und ich es auch während meiner Forschung oft erfahren durfte, mag generell zwar gelten, daß das Fahrtensegeln als

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Lebensstil eben gerade ausmacht, sich ganz informell zu treffen und einfach mal vorbeizuschauen, daß quasi jeder »immer« Zeit für spontanen Besuch an Bord oder ein Schwätzchen mit dem Bootsnachbarn hat. Allerdings kann diese soziale Praxis nur funktionieren, solange auch Einverständnis darüber herrscht, wann trotz geöffnetem Niedergang oder offener Luken, und damit sichtbarer Präsenz, »Abwesenheit« bzw. der Wunsch nach momentaner Privatheit signalisiert wird, wenn auf Zuruf oder Klopfen keine Antwort gegeben wird. Wo genau die räumliche Grenze zwischen Privat und Öffentlich verläuft, kann und wird dabei von den Akteuren individuell und situationsbedingt immer wieder neu verhandelt. Mit Goffmann kann jeder Ort durch entsprechendes Verhalten zur Hinterbühne werden (Goffmann 2001), aber umgekehrt werden auf einer Fahrtenyacht auch die »Privaträume« unter Deck zur Vorderbühne. Einerseits stellt der Niedergang, der vom Cockpit in die Hauptkajüte, den Salon, führt, eine eindeutige Grenze zwischen der einsehbaren Halböffentlichkeit des Draußen und der Privatheit des Drinnen dar, andererseits gewährt allein der offene Niedergang Einblick ins Bootsinnere. Auch unter Deck verläuft der Übergang von öffentlichen zu (vorwiegend) privaten Räumen fließend, stellt jedoch gerade der Salon dabei einen ebenso persönlichen wie repräsentativen Bereich dar, in dem offizielle wie informelle soziale Interaktionen stattfinden. Segler können allerdings weitestgehend selbst darüber bestimmen, wer als Besuch unter welchen Umständen in welchen Bereich des Schiffes zugelassen wird. Beamten von Zoll und Immigration etwa kann der Zutritt gar nicht verwehrt werden. Sicherlich häufigster (eingeladener) Besuch an Bord, auch unter Deck, sind andere Fahrtensegler, mit denen man die spezifische Wohnerfahrung des Segelns teilt, und denen gerne gelungene Einrichtungs- oder Staulösungen präsentiert werden. Ähnlich verhält es sich mit zufälligen Reise-Bekanntschaften wie etwa Touristen oder lokale Ex-Pats, deren Neugier auf die beschränkten Wohnverhältnisse auch Anlaß zu umfangreichen Bootsführungen sein kann. Darüber ob, wann oder wo lokale Einheimische, die häufig mit Tauschwaren wie Obst, Fisch oder Kunsthandwerk, oder Kinder, die aus Neugier mit dem Kanu zu einer Yacht fahren, an Bord gebeten werden, lassen sich kaum allgemeine Aussagen treffen. Die individuellen Grundhaltungen und persönlichen (Reise-)Erfahrungen der Segler bestimmen letztlich, mit welchen Vorbehalten oder mit welcher Offenheit dieser Form von Besuch begegnet wird. Inwieweit eine überhebliche Ignoranz oder das von einem postkolonialen Bewusstsein geprägte Nachdenken über die eigene Rolle eher dem »eigentlichen« Bild spätmoderner Yachties entspricht, stellt eine eigenständige Thematik dar, die nach einer entsprechend differenzierten Darstellung verlangt, wie sie im Rahmen dieser Arbeit allerdings nicht geleistet werden kann. Die Vielschichtigkeit dieser Problematik, seglerische Begründungszusammenhänge eines unterschiedlichen Umgang mit »Anderen«, und die daran geknüpfte individuell und

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situativ bestimmte Definition von öffentlichen und privaten Räumen an Bord, zeigt sich etwa in den Antworten von Maria und Karl. Karl: Also, wir sind eigentlich ein gastliches Schiff, wenn’s uns gefällt, ne. Dann wird hier richtig gekocht und so. Maria: Also so auf den Inseln, wenn die Einheimischen dann kommen, also, da haben wir nix dagegen, und dann…. Karl: Wir fertigen die nicht an der Bordwand ab. Also die dürfen schon hier rein, die sollen auch hier reinkommen, und sollen sich das anschauen. Unser Zuhause kennen lernen, so wie wir ihr Zuhause kennen lernen und so. Maria: Bloß, das ist so von Inseln zu Inseln verschieden, weißte. […] Also in Tonga fanden wir das ganz toll. Karl: mhm Maria: Weil die sich um uns nicht gekümmert haben. Das heißt, du musstest auf die Leute zugehen, um mit denen Kontakt zu haben. Und dat fanden wir sehr angenehm. Wir haben ein bisschen andere Erfahrung gemacht in Penrhyn, das ist … Karl: Cook Inseln Maria: … eine von den nördlichen Cookinseln. Da haben die uns so vereinnahmt. Da hatten wir dauernd dat Cockpit voll, mit zehn, fuffzehn Leutchen, die hier rumsaßen. Und die wurdste nicht mehr los. Und dann haben die auch angefangen zu betteln, weißte. Die sagen zwar immer, sie wollen traden, aber das war dann so einseitig. Und das können wir nicht leiden, weißte. Weil, wir sind nicht – wir haben denen zum Schluß gesagt, hier, wir sind nicht Father Christmas, ne. Da kam einer an und sagte, ob wir nicht ein Sonnenpaneel in spare hätten. Karl: Ja nein, darum geht’s nicht. Es geht mir darum … Bettelei, weißte, kann ich nicht ab. Wir sind gerne bereit, und wissen auch, daß wir viel zu viel dafür bezahlen, aber es muß immer auf Gegenseitigkeit, und wenn’s nur ein Fisch ist. Und wenn ich den Fisch mit vier Tshirts bezahle, oder fünf T-shirts. Das ist mir völlig egal. Aber ich möchte die Würde des anderen nicht verletzten, er muß auch was haben. Und nur zu kommen und zu betteln, so Leute schmeiß ich raus. SY ELBE, 1995-2010

Die Dingwelt an Bord Die Doppelfunktion einer Fahrtenyacht als Transport- und Reisemittel wie auch Wohnstätte wirkt sich auch auf die dort befindliche Dingwelt aus, die einerseits auf die praktischen Aspekte des Segelns ausgerichtet ist, andererseits ganz wesentlich zur Wohnlichkeit bzw. »heimeligen« Atmosphäre an Bord beiträgt. Der Versuch, diese Dingwelt mit Hilfe eines photographic inventory im Sinne Colliers zu erschließen (vgl. a. Kleinert 2007, 2009a), beruht neben der praktischen Überlegung hinsichtlich der Flüchtigkeit des Untersuchungsfeldes auf der Feststellung, daß die Ganzheitlichkeit der Fotografie gerade in der Dokumentation von Interieurs tiefe Einblicke in die Lebensstile und -welten von Menschen eröffnet (Overdick 2010).

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Bei meiner fotografischen Bestandsaufnahme konzentrierte ich mich vor allem auf die sichtbare, repräsentative Ausstattung des zentralen Wohn- und Lebenraums. Für Mary Douglas (1991) zeichnet sich jedes Zuhause insbesondere dadurch aus, Dinge aufbewahren und lagern zu können, mittels der Kontinuität von Objekten den Bezug zur Vergangenheit herzustellen, und für kommende Zeiten vorrätig zu halten. Wie andere Wohnungen auch werden Fahrtenyachten mit Gegenständen eingerichtet, bei denen es sich um »Symbole für Werte bzw. Wertschätzungen« handelt, die zugleich identitätsstiftend bzw. -bestätigend wirken (Tränkle 1972: 106ff.). Gerade weil es sich bei einer Weltumsegelung mit ihrem Freiheits- und Unabhängigkeitsanspruch um eine höchst individualistische Unternehmung handelt, stellt sich die Frage, inwieweit sich dieser Individualismus, die Persönlichkeit des Einzelnen oder aber auch eine überindividuelle Identifizierung als »Segler« im Wohnen widerspiegelt. Einerseits ist eine auf sich selbst bezogene Realisierung individueller Vorstellungen zu erkennen, andererseits spielt auch die Repräsentation nach außen – innerhalb des sozialen Raumes cruising community – eine wichtige Rolle. Wenn es im Kontext einer Studie zu Wohn- und Lebensstilen im städtischen Raum heißt, daß das Wohnen »nicht mehr Bühne einer distinktiven Selbstdarstellung, sondern Ort der Selbstverwirklichung« ist (Katschnig-Fasch 1998: 18), so gilt auf Yachten von Weltumseglern, für deren vormalige oder auch beibehaltene Wohnungen an Land gleiches gelten mag, daß an Bord Selbstverwirklichung und Selbstdarstellung zusammenfallen, jedoch unter spezifischen räumlichen Einschränkungen. Mit Bourdieu dienen der Erwerb und die Darstellung von Dingen der Distinktion, und werden durch den sozio-kulturellen und Bildungshintergrund eines Menschen bestimmt (Bourdieu 1987). Inwieweit bestimmen dagegen die räumlichen Gegebenheiten, die Sachzwänge an Bord einer Yacht die konkrete Einrichtung? Zuallererst ist es sicherlich die Fahrtenyacht selbst, und erst an zweiter Stelle die Gestaltung des Schiffsinneren oder die konkrete Dingwelt, die Distinktionsbemühungen erkennen lassen. Aus Größe, Alter und Material einer Yacht können Rückschlüsse auf den finanziellen Hintergrund ihrer Eigner gezogen werden, zugleich auf Wertvorstellungen und Ansprüche an die Selbstrepräsentation. Gleichzeitig läßt sich aber fragen, ob unabhängig davon das Interesse am Lebensstil Segeln an sich so verbindend ist, daß – zumindest in der prinzipiellen Ausstattung – kaum Unterschiede auftreten, bzw. für wen eventuell vorhandene erkennbar sind. Im Vergleich zu den Bedingungen auf Fahrtenyachten der »alten« Zeit erscheint der Bordalltag heute als komfortabel, ja geradezu luxuriös, unter gegenwärtigen Verhältnissen jedoch als »einfach« und weiterhin von erheblichen Einschränkungen geprägt. Dabei spielt jedoch nicht nur der materiell-technische Wandel, sondern auch die gewandelten Bedürfnissen der Akteure eine Rolle, die nicht zuletzt vom biographischen Zeitpunkt der Reise abhängen.

244 | W ELTUMSEGLER Jan: Wir haben später mal – als wir irgendein Jubiläum hatten, 15 Jahre Abfahren oder 20 Jahren Wiederkommen – da haben wir eine Carter 33 wieder gechartert, und sind damit von Hamburg nach Helgoland gesegelt. Und wir haben alle nicht verstanden, wie wir unser Wochenendzeug da unterbringen sollten. Und das, nachdem wir da zwei Jahre drauf gesegelt sind. Also, es ist auch eine Frage des Alters, und des Egos, und des Platzgreifens, usw. SY NICOLAO COELHO, 1973-75

Trotz der in den letzten vierzig Jahren durchschnittlich gestiegenen Größe von Fahrtenyachten hat sich an der an der prinzipiellen Raumnutzung kaum etwas verändert. Die Zahl der an Bord befindlichen, und für notwendig erachteten Dinge ist in der gleichen Zeit jedoch erheblich angestiegen. Bis in die 1970er hinein wurden zur Beleuchtung wie zur Lichterführung Petroleumlampen verwendet, galt ein Funkgerät an Bord als entbehrlicher Luxus. Heute findet sich Petroleum höchstens noch als Brennstoff für den Kocher auf manchen Fahrtenyachten, als sicherere Alternative zum »bequemen« Gas. Dieselmotoren und -generatoren, Solarpaneele und Windgeneratoren ermöglichen es dagegen längst, ausreichend Strom für elektrisches Licht, Funkgeräte und natürlich GPS und Kartenplotter, für elektronische Selbststeueranlagen, Reffanlagen, und Ankerwinschen, für elektrische Wasserpumpen und Wassermacher, für Kühlschrank und Gefriertruhe, für Radios, CD-Spieler und Notebooks, aber auch Ventilatoren und sogar Waschmaschinen an Bord selbst zu produzieren. Nicht alles, was technisch möglich ist, findet sich so auch auf jeder Weltumsegleryacht wieder. Zum einen bleibt es eine Frage des finanziellen Budgets, zum anderen der individuellen Einstellung der Akteure, was wirklich notwendig ist, und was überflüssiger Luxus. Als Gisela und Helmut im Jahr 2000 mit 60 respektive 65 Jahren zur Weltumsegelung aufbrechen, tun sie dies mit ihrer vertrauten, aber bereits 35 Jahre alten 33-Fuß Yacht, die sie ihren Bedürfnissen gemäß zur Langfahrt ausrüsten. Komfort ist für diese beiden ein elektrischer Wassermacher. Er erübrigt ihnen während ihrer sechsjährigen Erdumrundung auch nur ein einziges Mal Regenwasser auffangen zu müssen. Daß sie, anders als die meisten ihrer Mit-Segler, aber weder über einen Backofen noch Kühlschrank verfügen, empfinden sie als keinerlei Einschränkung. Für Jenny und Hubert, die seit fast fünfzehn Jahren ausschließlich auf ihrer 45-Fuß-Yacht leben, gilt der Grundsatz, die Ausstattung »so einfach wie möglich zu halten«, um auch hinsichtlich Pflege und Unterhalt des Schiffes durch Eigenarbeit weitestgehend unabhängig zu sein. Auf komfortable Großgeräte wie »Generatoren oder Waschmaschine« verzichten sie deshalb gerne, denn generell bedeutet weniger Elektronik und Technik an Bord auch weniger Wartungs- und Reparaturarbeit, und entspricht damit dem Ideal der autarken Fahrtenyacht, auf die sich die Freiheit des Seglerlebens (mit)begründet. In welchem Umfang läßt sich ein grundlegender Einstellungswandel hinsichtlich Komfort und Bequemlichkeit, der an der Ausstattung abzulesen ist, als Ver-

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häuslichung heutiger Fahrtenyachten deuten? Zumindest bestimmen heute die zahlreichen technischen Geräte, die dank der verbesserten Möglichkeiten der bordeigenen Stromerzeugung mehr und mehr Einzug halten können, das Bild der Einrichtung entscheidend mit. So fallen im Vergleich zu der »spartanischen« Innenausstattung früherer Yachten in diesem Kontext etwa die Ventilatoren auf, die heute für Fahrtensegler in den Tropen offensichtlich zur Standardausrüstung gehören. Hinsichtlich Wohn- und Haushaltskomforts ist allerdings nach wie vor primär eine Frage persönlicher Ansprüche, wann und wo Segler elektronische Geräte einsetzen, und entsprechend unterschiedlich ist die Einrichtung. Im Hinblick auf eine sichere Navigation und Schiffsführung zeigt sich jedoch ein einheitlicheres Bild. Die »Navi-Ecke« stellt auf jeder Yacht eine mehr oder minder umfangreiche Ansammlung elektronischer Geräte dar, birgt der traditionelle Kartentisch häufig schon den Bord-Laptop mit elektronischen Seekarten.

Abbildung 30: Weltumsegleryacht, 2007 - »Navi-Ecke« im Salon

Obwohl elektrisches Licht auf Fahrtenyachten längst eine Selbstverständlichkeit ist, finden sich allerdings in vielen Salons auch noch »klassische« Petroleumlampen, die allerdings weniger pragmatischen als romantisch-nostalgisch begründet dekorativen Zwecken dienen. Diese »nautischen« Messinglampen trage ebenso wie die beinahe auf jedem Boot anzutreffenden Chrono-, Thermo- und Barometer in Messinggehäusen zu einem traditionellen Erscheinungsbild bei, und betonen, ähnlich

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wie Bullaugen, den Schiffscharakter einer Fahrtenyacht. Mit Einschränkungen läßt sich auch die Verwendung »maritimer« Farben, Muster oder Motive auf Polstern, Kissen und sogar Geschirr in diese Richtung deuten. Wobei es sich meiner Meinung nach hier in erster Linie um eine Frage des persönlichen Geschmacks handelt, freilich aber auch um einen Ausdruck der expliziten Selbstverortung als Segler, womit diese Dinge als Repräsentation damit verbundener Werte – gute Seemannschaft – gesehen werden können. Nicht zuletzt sind es gleichzeitig praktische Gebrauchsgegenstände, die ebenso wie die reine Zier- und Dekorationsstücke zur Wohnlichkeit an Bord beitragen.

Abbildung 31: Weltumsegleryacht, 2007 – Blick in den Salon

Die Fahrtenyacht in ihrer Funktion als »Schneckenhaus« und emotionales Daheim ist, wie jedes Zuhause, auch Aufbewahrungsort für Erinnerungen, wobei der an Bord begrenzte Stauraum diese Nutzung limitiert. Über die Fotografien von Familie und Freunden, die auf manchen Schiffen in großer Zahl aufgehängt und präsentiert werden, betonen Segler ihre trotz der großen Distanz engen familiären Beziehungen in die Heimat, bestärken sie damit die eigene Herkunft und Identität in ihrem selbstgewählten home away from home. Abgesehen von Fotografien dieser Art, denen auch ein sentimentaler Wert anhaftet, wurden mir gegenüber aber keine Gegenstände an Bord als Erinnerungsstücke an die Heimat hervorgehoben. Denn einerseits stellen konkrete Dinge, gerade auch im Kontext von Migrationserfahrungen, biographische »Brückenobjekte« dar, fungieren sie als »Bindeglied zwischen Vertrautem und Fremden« (Bretz et al. 2003), andererseits übernimmt im Kontext

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des Fahrtensegelns das Schiff selbst diese Rolle, als über das einzelne Objekt hinausgehend beständige, vertraute Umgebung und konkretes Zuhause. Dagegen fällt auf, daß das Unterwegs-Sein, das Reiseerlebnis der Weltumsegelung, ein fester Bestandteil der Dingwelt diese mobilen Heims ist. Zum einen in Form von Fotografien als Reiseandenken, auf denen seltener die Akteure selbst, als vielmehr ihr Gefährt zu sehen ist. Diese Fotografien erinnern dadurch nicht nur an einen konkreten besuchten Ort, sondern bestätigen zugleich, diesen Ort auf eigenem Kiel erreicht zu haben. Zum anderen handelt es sich um typische Souvenirs, die häufig von spezifischen, von Fahrtenseglern besonders geschätzten Stationen stammen. Die Molas der Cuna-Indianer der San-Blas-Inseln bei Panama, tonganische oder fidschianische Tapa, sowie generell Flechtarbeiten, Körbe oder Schnitzereien aller Art von den pazifischen Inseln. Auch und gerade für Yachties steigert das Erlebnis des Erwerbs – bevorzugt im Tausch – den biographischen Wert eines Souvenirs, sind nicht nur der Gebrauchs- oder Zierwert, sondern vielmehr die daran geknüpften Geschichten von eigentlicher Bedeutung (s.a. Pöttler 2009). »The photographs and souvenirs that tourists gather (S. Stewart 1984) may have intrinsic value in themselves, but they also perfom the key function of providing tourists an opportunity to tell and personalize the story of the journey. A souvenir becomes the focus of a story, less frequently about how the object is used within the indigenous culture, and more often about the details of the purchase – the bargaining and the acquisition.« (Bruner 2005: 24)

Segler sind dabei im Vorteil, nicht nur abgelegene Ort besuchen zu können, sondern auch relativ einfach mit der umfangreiche Dingwelt der Yacht im Bedarfsfall über ein passendes Tauschobjekt zu verfügen – ob es sich um Angelhaken, Zigaretten oder Konservenbüchsen bis hin zu ausrangierten Segeln oder Werkzeug handelt. Dabei dient gerade abseits gängiger touristischer Routen der Tauschhandel nicht nur dem Erwerb »authentischer« Souvenirs, sondern in erster Linie der Versorgung mit Obst und Gemüse und dem freundschaftlichen Kontakt zu Einheimischen. Neben traditionellen Handarbeiten und Kunsthandwerk finden sich auf Fahrtenyachten in Form von Muscheln, Seeschnecken und Korallen, auch Nautilae und ab und an sogar ein Schneckenhorn einzigartige Souvenirs, die sowohl die Nähe des Seglers zum Meer wie eine der häufigsten und beliebtesten Freizeitbeschäftigungen von Yachties repräsentieren. Denn zum Lebensstil Segeln gehört für viele Akteure gerade auch das Schnorcheln, für manche das (Geräte)Tauchen. Mit dem Schnorcheln als typischer Zeitvertreib des Fahrtenseglers verstetigt sich in dieser Lebenswelt damit eine von mehreren »spielerischen Tätigkeiten«, die mit Burch für die Urlaubs- und damit Ausnahmesituation des naturnahen Camping kennzeichnend ist, nämlich »symbolische Arbeit«, die in den gesammelten Muscheln und Schneckenhäuser zum Ausdruck kommt.

248 | W ELTUMSEGLER «In my observation of campers, it seemed that there were six identifiable types of play actions: These were: Symbolic labour. − Productive play action characterized by trophies and the quest for trophies. It’s the search for tangibles which signify that the search was not in vain. Hunting, fishing, and rock collecting are examples.« (Burch 1964: 605)

Aus dem beiläufigen Sammeln von Muscheln entwickelt sich auf manchen Fahrtenschiffen eine mit Sammlerinteresse betriebene »Hauptbeschäftigung«, wird zielgerichtet nach besonderen Stücken gesucht und getaucht. (Diese fragilen Erinnerungsstücke, die ideellen wie teils auch echten Seltenheitswert haben, können allerdings in erster Linie während längerer Liegezeiten präsentiert werden, unterm Segeln werden sie sicher verstaut aufbewahrt.) Souvenirs sind, als besondere Erinnerungsobjekte, ein wichtiger Bestandteil des persönlichen Raumes und der darin zum Ausdruck kommenden Identität des darin Wohnenden. Souvenirs tragen dabei nicht nur zur Einrichtung und Wohnlichkeit bei, sondern durch die mit ihrem Erwerb oder Fund verbundenen Geschichten auch zur Gestaltung und der Erfahrung des Reiseerlebnisses. Das Souvenir wird einerseits als »Erinnerung an einen bestimmten Ort« definiert (Csikszentmihalyi 1981 in Stanley 2000), andererseits auch als »Belegstück für erfolgreich gemachte Reisen« (Köstlin 1991). In beiden Funktionen kann die auffallende Präsenz von Souvenirs auf Fahrtenschiffen als Versuch interpretiert werden, das umfassende Reiseerlebnis Weltumsegelung in erfolgreiche Reise-Etappen zu unterteilen, damit zu ordnen und die Erinnerung an einzelne Stationen zu betonen, bevor die Reise in ihrer Gesamtheit, mit Erreichen des Heimathafens, abgeschlossen ist. Diese strukturierende Funktion gilt umso mehr, wenn es sich bei der Reise um die dauerhaft gewählte Mobilität des Lebensstils Fahrtensegeln handelt.

Abbildung 32: Weltumsegleryacht, 2007 – Muscheln & Seeschnecken

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Nicht zuletzt weist das Interieur einer jeden Fahrtenyacht eine größere oder kleinere Bordbibliothek auf. Diese enthält zu einem Teil, aus praktischer Notwendigkeit heraus, die immer gleichen Seehandbücher, Reiseführer, Standards und Klassiker der (Weltum)Seglerliteratur, die »irgendwie« an Bord gehören, aber auf der eigenen Reise kaum mehr gelesen werden (vgl. Abb. 7). Als ursprüngliche Inspirationsquelle und potentielle Ratgeber werden sie »alle« mitgenommen, auch wenn unterwegs kaum mehr das Bedürfnis besteht, etwas detailliert nachzuschlagen, findet der eigentliche Informationsaustausch doch zunehmend innerhalb der Seglergemeinschaft statt. Je nach individuellem Interesse finden sich außerdem mehr oder weniger umfangreich Buchbestände, die der Unterhaltung dienen. Beim Segeln wird, offensichtlich auch mangels alternativer Unterhaltungsangebote, ob auf wochenlangen Überfahrten oder »kulturfernen«, abgelegenen Ankerplätzen, vermehrt gelesen. Häufig verbindet sich mit der Weltumsegelung bereits im Vorfeld die Vorstellung, dann »endlich auch zum Lesen zu kommen«. Allerdings kann, selbst bei optimaler Raumausnutzung, nur ein endlicher Büchervorrat mitgeführt werden. Gerade in diesem Punkt setzt sich die Mobilität des Lebensstils in der Dingwelt fort, denn aufgrund des knappen Stauraumes ist es unter Fahrtenseglern allgemein verbreitet, Bücher zu leihen und zu tauschen. Da allerdings stets ungewiß ist, ob oder wo man Mit-Segler wiedertrifft, werden Bücher, die einen persönlichen Wert haben, in aller Regel nicht verliehen. Dies begründet wiederum die bemerkenswert häufig geäußerte Klage, daß in erster Linie mäßige Unterhaltungsliteratur und Kriminalromane im Umlauf sind, und die eigene Nachfrage nach »anspruchsvollerer« Lektüre damit nicht gedeckt werden kann. Umgekehrt führt diese Praxis aber auch zu einer allgemeinen, nicht auf direkt-reziproken Tauschverhältnissen basierenden Buchzirkulation unter Yachties. Ist der eigentliche Empfänger eines Bücherpakets bereits weitergezogen, bekommt es eben ein anderer Mit-Segler, der seinerseits Gelesenes weiterschenkt und in Umlauf bringt. Da auf manchen Fahrtenyachten Bücher mit Schiffs-Stempel und Name gekennzeichnet werden, tragen sie als Objekte zur konkret nachvollziehbaren Vernetzung der Seglergemeinde über Zeit und Raum bei, können die Bücher noch lange nachdem ihre ersten Besitzer ihre Reise beendet haben auf den Weltmeeren unterwegs sein. Sowohl die konkrete Dingwelt wie Einrichtung und Raumteilung spiegeln wider, daß Fahrtenyachten einen doppelten Zweck erfüllen, Transportmittel und Wohnstätte zugleich sind. Dementsprechend finden sich neben funktionalen, zum Segeln notwendigen Gebrauchsgegenständen auch persönliche Erinnerungsstücke, Reiseandenken und rein dekorative Objekte, die zur Wohnlichkeit an Bord beitragen. Die räumlichen Einschränkungen, die auch auf größeren Segelyachten unvermeidbar sind, die beengten Wohnverhältnisse erscheinen gerade Nicht-Seglern als die größte Herausforderung, ja Belastung des Lebensstils. Dazu gehört auch der gerade auf Segelschiffen allgemein vorhandene Mangel an persönlichen, getrennten Rückzugs-

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räumen. Dieser Umstand mag mit erklären, weshalb, neben Einhandseglern, vor allem (Ehe)Paare auf Fahrtenyachten anzutreffen sind, auch wenn gerade die auferlegte, unvermeidliche Nähe Beziehungen auf die Probe stellt, und – v.a. laut Seglerinnen – ebenso häufig zu Bruch gehen läßt, wie es sie stärken kann, worauf ich in den »Bord-Beziehungen« zurückkommen werde. Der begrenzte Raum an Bord selbst wird allerdings durch den prinzipiell unbegrenzten Bewegungsspielraum, die Freiheit des autarken Reisemittels an sich wettgemacht. Entlegene Inseln und unbekannte Küsten auf eigenen Kiel anzusteuern bedeutet, die Fremde aus der Vertrautheit des eigenen Heimes zu er-fahren, wobei gerade die Kleinräumigkeit unter Deck auch Sicherheit und Geborgenheit vermittelt. Die unermessliche Weite des Ozeans ist vom Cockpit einer kleinen, aber verlässlichen und gemütlichen Fahrtenyacht noch immer überwältigend, aber weniger einschüchternd als es das gern bemühte Bild von der Nußschale vermuten lässt.

5.4 D IE E RFAHRUNG »F AHRTENSEGELN « MK: Was war für Dich das Reizvolle, was macht diesen Lebensstil aus? Elise: Ich finde, das ist ein Lebensstil, der viel näher an der Natur ist. Mit ganz wenigen Dingen mußt Du zurechtkommen, Dich beschränken auf ganz wenige Dinge. SY ORNELLA, 1985-87 (NZ)

Was bedeutet die Segelyacht als Gefährt, und als unmittelbare, unveränderliche Umgebung, für das konkrete Erleben des Unterwegs-Seins, für das Leben und den Alltag an Bord? Einerseits kann die Fahrtenyacht, die eine vertraute, »heimelige« Geborgenheit im fremden Hafen und entfernten Küsten bietet, als die verstetigte, materiell-räumliche »Blase« eines heimischen Umfeldes verstanden werden. In seiner Analyse des touristischen Reisens als sacred journey spricht Nelson Graburn von einer »home-grown ›bubble‹ of their lifestyle«, von der sich wohlhabende, aber ängstliche Touristen auf ihrer Reise umgeben wissen möchte, und entsprechend auch zu Ausgaben bereits sind: »[…] in order to live as comfortably as at home or even more luxuriously, for the holiday is nonordinary, and one should eat, drink, and spend beyond the rules of the ordinary« (Graburn 1995: 35). Da Touristen einerseits auf eine entsprechende Infrastruktur angewiesen sind, und das Hotel zum temporären home away from home wird, sind sie andererseits davon befreit, sich mit der unmittelbaren Konstruktion dieser zeitweiligen Umwelt zu befassen, übernehmen im Urlaub Dienstleister die den heimischen Alltag bestimmenden Haushalts-Routinen, vom Kochen bis zum Aufräumen oder Putzen. Der selbstbestimmt und autark reisende Fahrtensegler hat im Gegensatz dazu auch dann einen von

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Arbeits- wie Freizeitaktivitäten gleichermaßen bestimmten »gewöhnlichen« Alltag, wenn die Reise primär aus touristischen Interessen unternommen wird, wie es bei Gisela und Helmut den eigenen Worten nach der Fall war. Gisela: Also ich hab immer gesagt, wenn wir im Hafen sind, geht 50% fürs Schiff drauf, und 50% für Tourismus. Helmut: Von der wachen Zeit. Gisela: Ja, von der wachen Zeit Den Rest schläft man, na ja, gut. Und 20% sind wir wahrscheinlich gesegelt, nicht. Von der Weltumsegelung. Dann bleiben 80% übrig, das heißt 40% Schiffsunterhalt und 40% Tourismus. Helmut: 20 % gesegelt, ja. Gisela: Mehr nicht. SY VENILIA, 2000-05

Auf eine vollständige Darstellung der Aktivitäten von Fahrtenseglern möchte ich an dieser Stelle verzichten, die »40% Tourismus« hier ganz außen vor lassen. Deutlich wird in den Prozentangaben jedoch die Gewichtung der Aufgabenverteilung, der geringe Anteil des eigentlichen Segelns im Kontext Weltumsegelung. Zu Genüge wurde die alltägliche Reise-Praxis des Blauwassersegelns, bzw. der dabei »im Hafen« zugebrachten Zeit in den zahllosen Reiseberichten von Blauwasserseglern beschrieben, und prototypisch bzw. autoethnographisch auch in den Arbeiten von MacBeth (1985), Jennings (1999) oder Scott (2002) aufgearbeitet. Zum Abschluß dieses Kapitels, das die Fahrtenyacht als Gefährt(e) und Zuhause in den Fokus nimmt, möchte ich ansatzweise jene beiden Aspekte der Alltagswirklichkeit von Langzeitseglern diskutieren, die auch die erinnerte Reise maßgeblich bestimmen. Zum einen der »Arbeitsplatz« Schiff, zum anderen das »Blauwasser-Erlebnis« – und damit verbunden die Topoi vom »einfachen Leben« an Bord sowie der spirituellen Erfahrungsdimension des Segelns. Sowohl in der räumlichen und dinglichen Reduzierung, wie in dem vereinfachten, durch eindeutige Prioritäten klar strukturierten Alltag des Seglers, erscheint eine Fahrtenyacht als eigener, überschaubarer Kosmos. Auf einem Schiff, wo die »Sorgen immer so nah dran« sind, sehen sich Segler im übertragenen wie wörtlichen Sinne mit elementaren, handfesten Problemen konfrontiert, mit einer klaren Lage und eindeutigen Reaktionsmöglichkeiten. Kurz, »das Schiff ist weniger komplex als das Leben« – dieses Resümee zieht Jan aus einer seiner über dreißig Jahre zurückliegenden Weltumsegelung. Elementare Komponenten der Erfahrung »Weltumsegelung« die nachhaltig auf das ganze Leben wirken, waren für ihn die umfassende Vorbereitung und intensive Beschäftigung mit der jeweiligen Situation, auf eventuelle Komplikationen immer gefasst zu sein, und entsprechend eine Lösungsstrategie – »noch einen wärmeren Pullover« – parat zu haben.

252 | W ELTUMSEGLER Jan: Ich hab aber noch eine für mich wichtige Lehre aus der Reise gezogen […] Die nenn ich heute »immer noch einen wärmeren Pullover im Schrank« – also ich spiel möglichst nie meine letzte Karte. Sondern hab immer noch’ne Option. Und das war etwa bei diesem Sturm auch ein wichtiger Zustand, daß man sich immer noch, wenn jetzt das nächste passiert, noch mehr [Wind], oder Mast runter oder was, daß man immer schon Ideen davon hat, was mach ich dann. Nicht sozusagen das nächste als die größte Katastrophe sehen, sondern immer noch was tun können. […] das ist ein wichtiges Lebensmotto. Und das ist wunderbar. Weil einem das soviel Ruhe gibt. Aber es zwingt einen auch, immer zu überlegen, was ist eigentlich der nächste Pullover, also was tu ich dann. SY NICOLAO COELHO, 1973-75

Bei Scott basiert die Deutung der Weltumsegelung als ein Lern- und Entwicklungsprozess, als rite de passage, nicht zuletzt auf der Erkenntnis, daß die Erfahrungen seiner Segelreisen ihn als Mensch veränderten: »The experiences, however, were catalysts for deep reflections, which are indicators of change« (Scott 2002: 203). Dabei ist es in meinen Augen gerade die Ganzheitlichkeit der mit dem Fahrtensegeln verbundenen Erlebnisse und Erfahrungen, die sich auf die Persönlichkeit des Segelnden in diesem Sinne auswirken, und ihn – allerdings je nach Alter, Lebenserfahrung, und »Offenheit« des Einzelnen – mehr oder weniger stark, bzw. mehr oder weniger nachhaltig verändern. Mehr noch als ein Entwicklungsprozess deute ich diese Veränderungen als ein Prozess des Sich-Bewusst-Werdens. Allgemein gesprochen sind Blauwassersegler nicht per se auf der Suche nach spirituellen Erfahrungen, sie streben nicht alle nach außergewöhnlichen Abenteuern oder Herausforderungen. Das spezifische Erleben kann jedoch tiefergehende Reflexionen bewirken. So mag bereits vor der Reise größere persönliche Freiheit und Abenteuer ein klar definiertes Motiv sein, doch erst mit dem unmittelbaren Erleben der Reise lassen sich darüber hinaus gehende, als wesentlicher empfundene Dimensionen dieses Lebensstils erkennen, »lernt« der Segler etwas über sich, oder über alternative Wege, in der Welt zu sein. Willi: Ich glaub, dat, wat mich richtig getrieben hat, is dat ne Weltumsegelung, oder Segeln mit so’nem Schiff […] dat is noch was Außergewöhnliches. Dat is so die Auseinandersetzung mit der Natur. Ne, also du machst wat, wat nicht jeder macht, ne. Und dat Ganze, dat ganze Paket, dat hat mich gereizt. Also nicht jetzt hier die Augenblicke am Strand, oder da Sonnenuntergang oder so’n Zeugs. […] Vielleicht war ich so ein bisschen Träumer, so ein bisschen dat Abenteuer, dat hat mich so ein bisschen gereizt, ne. Ja, so Sachen wie, du springst ins Wasser und fängst deinen Fisch. MK: Hat sich das erfüllt? Willi: Ja, im Prinzip war das so. Von der Hand in den Mund lebst du ja. Und, dat war ja auch das Interessante, weil ich ja von der ganzen Sache irgendwie gelernt hab. Ich brauch gar nicht die ganze Sicherheit, die du in Deutschland so hast. […] Du brauchst einfach nur dein Schiff,

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dat muß funktionieren. Du hast deine Welt und dat is die einzige Sicherheit. Und – also du kannst dein Leben auf ein Minimum reduzieren, und du hast auch viel mehr davon. Dat war was, was ich gelernt hab. SY MARLENE, 1999-2004 (NZ)

Das Schiff wird zur nach eigenen Vorstellungen konstruierten Welt, weshalb auch die durch seine Dinglichkeit gegebenen, objektiven Einschränkungen, als Teil der Lebensumstände, nicht als subjektive Beschränkung empfunden werden. Daß materielle Reduzierung, die Einschränkung an Besitz oder Konsumverzicht keinen Verlust, sondern einen Erfahrungsgewinn darstellen kann, bestimmt den Topos des »einfachen Lebens«, das auch zivilisationsflüchtiger Aussteiger in den 1970ern bewegte (Greverus/Haindl 1983). Wenn deutsche Ferienhausbesitzer ihre Vorstellungen des »einfachen (Land)Lebens« in der Toskana verwirklichen, trägt ihr Traum zwar deutlich anti-modernistische und anti-urbanistische Züge (Seidl 2009), stellt dabei aber wie die mobilere Urlaubsform des Camping einen auf wenige Wochen im Jahr beschränkten Gegenentwurf zum eigentlichen Lebensstil dar. Dem vor allem in früher kulturwissenschaftlicher und soziologischer Literatur vertretenen Ansatz des Gegensatzes zwischen Urlaubs- und Arbeitswelt folgt auch Christoph Hennig, wenn er davon spricht, daß auf dem Campingplatz »eine flüchtige Welt außerhalb der Alltagszwänge« entsteht (Hennig 1999: 33). Mehr noch als Ferienhausbesitzer gilt für Camper, nicht zuletzt in der Mobilität ihrer Vehikel begründet, daß sie sich in einer weniger komplexen physischen Umgebung bewegen, das Leben darin und dadurch intensiver erfahren wird. Durch die Kontextverschiebung in der Ausnahmesituation Urlaub werden gewohnte Alltagshandlungen, die gewöhnlichsten Hausarbeiten, zum positiv besetzten bzw. befriedigenden »Spiel« (Hennig 1999: 33-38). Die Erfüllung elementarer Grundbedürfnisse wird im Camping zum »subsistence play«: »[T]he ordinary demands of food, shelter and protection are fulfilled under atypical conditions with a wide range of potential existences from comfort to discomfort. These altered conditions imbue the ordinary with elements of play; it is made extra ordinary.« (Burch 1964: 606)

Indessen wird auf einer Weltumsegelung und mehr noch, wenn sich das Segeln zum Lebensstil verstetigt, das »Provisorische« zum eigentlichen, langfristigen Alltag, verliert es spätestens damit wieder seinen »spielerischen« Charakter, wird es zur zeitaufwendigen und physisch anstrengenden Pflichtaufgabe. Allerdings gilt auch im Schiffsalltag, wenn auch nicht unbedingt im gleiche Maße wie in der temporären »Spielwelt« des Camping, daß die Rollenverteilung der Arbeit fortgesetzt wird (Löfgren 2002: 64), für gewöhnlich Frauen die »prosaischen«, und Männer die »dramatischen« Aufgaben übernehmen: er fängt den Fisch fürs Abendessen, er macht ein Lagerfeuer, sie kocht, wäscht ab und hält Ordnung (Burch 1964). Auf beinahe

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allen Fahrtenyachten begegnete mir eine »traditionelle« Aufgabenverteilung, bei der er sich für Motor und Technik zuständig erklärt, und sie für die Verproviantierung und das Kochen. Dies entspricht allerdings einer unausgeglichen und benachteiligenden Aufgabenverteilung, die indirekt Burchs Trennung »prosaischer« und »dramatischer« Arbeiten aufgreift: in den Augen einer vierzigjährigen Seglerin besteht sie darin, daß sie wesentlich mehr Zeit für das gemeinsame Wohl am Schiff aufwendet, indem sie kocht und über die Bevorratung an Bord wacht, diese Arbeit aber gesellschaftlich nicht anerkannt ist. Ihr bliebe der »Scheiß-Haushalt«, während ihr Mann – zuständig für »das Technische« – damit nicht nur eine gesellschaftlich anerkannte Arbeit leisten würde, sondern überdies auch noch Gelegenheit hat, dabei dazuzulernen. Während alle Segler und Seglerinnen ihre Rollenverteilung durchaus reflektiert kommentierten, spielte ihr Alter gleichwohl eine entscheidende Rolle. Während ältere Segler das Geschlechterverhältnis an Bord, das ich im nächsten Kapitel näher beleuchten möchte, in den Kontext früherer gesellschaftlicher Konventionen stellten, reflektierten jüngere Segler und Seglerinnen der »neuen« Zeit stärker ihre eigenen Position. Sowohl in der »alten« wie in der »neuen« Zeit werden an den Lebensstil Segeln geknüpfte Beschränkungen oder »Vereinfachungen«, der Verzicht auf gewohnten Komfort, rückblickend trotz allem als Erkenntnisgewinn gedeutet, als eine im weitesten Sinne spirituelle Erfahrung eines anderen, alternativen Werteempfindens, ohne dabei – wie Letts Charteryachties in ihrer flüchtigen Welt – gleichzeitig gesellschaftliche Regeln oder Ordnungsnormen generell zu überschreiten. Gudrun: Ich glaub auch, das ist auch ein besonderer Reiz, mit so ganz wenig auszukommen. Und so autark zu sein, und zu lernen, daß man wirklich fast gar nichts braucht, um irgendwie so ein ganz ausgefülltes, glückliches Leben zu führen. Und das ist auch so eine Erkenntnis, die man dann da gehabt hat. Peter: Das war eigentlich noch – was Du da grade sagst – die Zeit [im ersten Jahr]. Da haben wir versucht, mit ganz wenig auszukommen, und das so lange wie möglich zu strecken, nich, unser Geld. Als wir noch keinen Job hatten in der Karibik, und versucht haben, dann nur von selbst gefangenem Fisch zu leben, und, äh, Zitronen da an Bäumen gefunden haben, und … Gudrun: Ja, dann haben wir - aus einer alten Keksdose haben wir einen Ofen gebaut, und haben dann da die Kokosnüsse geklaubt und Kokosmakronen gebacken. Das erfüllt einen so, daß man so unabhängig auch ist. Und da, der Tagesablauf ist also so damit bestimmt, praktisch wie in Urzeiten, sich irgendwas zu Essen zu beschaffen, und man ist damit beschäftig, aber dabei auch ganz zufrieden. Das ist ein ganz anderes Leben als hier. Hier hechelt man nach dem Geld, und gibt das nur aus, und es macht total unzufrieden. (Peter kichert.) SY GUNDEL, 1972-78

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Während in Gudruns allgemein formulierter Einsicht, daß es »fast gar nichts braucht, um ein erfülltes, glückliches Leben zu führen«, eine mehr oder minder vage, grundsätzliche Zivilisationskritik durchklingt, die gleichwohl aus den eigenen Erfahrungen abgeleitet ist, betont die gut dreißig Jahre später aufgebrochene Sabine, damals etwa gleich alt und zum Zeitpunkt unseres Gesprächs als noch junge Familie unterwegs, die subjektive Gültigkeit ihres Erkenntnisgewinns. Nicht zuletzt, und daraus mag die Sehnsucht nach dem »einfachen Leben« des naturentfremdeten, immer gehetzten spätmodernen Menschen sprechen, spielt die auf dem Schiff wiedererlebte »Handarbeit« eine wichtige Rolle. Sabine: […] Dieses … also was mich fasziniert hat … also das kann ich jetzt nur von mir sagen. Wie einfach mir das gefallen ist, einfach alles zu verkaufen und zu verschenken. Diese ganzen Werte hinter mir zu lassen. Einfach nen Job zu kündigen und einen Schlüssel irgendwo in Briefkasten zu werfen. […] Und, dann haben wir da auf diesem Boot gelebt. Und diese Art von Leben da – die fand ich einfach sensationell. […] Und – ich fand das faszinierend, daß man den ganzen Tag damit verbringen kann, irgendwie mit Wäsche waschen, und mit Wasser ranschleppen. Und am Abend total befriedigt ins Bett fällt und denkt, so, ich hab heute irgendwie hier 500 Liter Wasser rangeschleppt, ja, das war ein Superereignis. Und ich hab soundso viel Kilo Wäsche gewaschen, mit der Hand, und das liegt jetzt alles sauber und getrocknet im Schrank. So. Das hab ich heute geschafft. Und da hab ich zwölf Stunden für gebraucht. (schmunzelt) SY DOLCEVITA, seit 2004

Nicht nur der erhöhte Zeitaufwand und der hohe Einsatz von Handarbeit bei fast sämtlichen alltäglichen Routinen, vom Einkaufen bis zum Wäschewaschen, bestimmen das Leben auf dem »Arbeits-Platz« Fahrtenyacht, sondern vor allem auch der hohe Zeit-, Geld- und Arbeitsaufwand, der für die Instandhaltung und Pflege des Gefährts betrieben werden muß. Daß ein geflügeltes Wort unter Yachties lautet, eine Weltumsegelung bedeutet eigentlich, man repariere sich um die Welt, oder daß Fahrtensegler im Zweifelsfall einen wohlsortierten Hardwarestore jedem touristischen Sightseeing-Programm vorziehen, läßt erkennen, daß das Schiff eben nicht nur »der teuerste Posten« beim Fahrtensegeln ist, sondern auch eine der Hauptbeschäftigungen. Wieviel Raum diese Arbeiten (ob Reparaturen oder regelmäßig notwendige Arbeiten wie das Abschleifen und Lackieren von hölzernen Handläufen, Cockpitbänken, Steckschotts etc, die unter der tropischen Sonne leiden) tatsächlich einnehmen, hängt sowohl von Material und Alter des Schiffes wie von der Freude der Akteure an diesen Arbeiten ab, von ihren handwerklichen Fähigkeiten oder der Bereitschaft, sich unterschiedlichstes Fachwissen anzueignen, und nicht zuletzt von ihrem finanziellen Budget. Der in Kapitel 4 beschriebene Wandel, d.h. das höhere Alter der Akteure, verknüpft mit einer häufig besseren finanziellen Ausstattung, wirkt sich auch auf dieses »Selbermachen – oder arbeiten lassen?« aus,

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und bedingt damit wiederum, wie und wofür die übrige »Freizeit« genutzt wird. Ungeachtet dessen gilt ganz generell, daß das Leben an Bord eines Schiffes in vielerlei Hinsicht intensiver, aber auch arbeitsaufwändiger ist. Wulf: Aber da hat sich vor allem Claudia sehr getäuscht. Sie hat sich vorgestellt, wenn wir dann unterwegs sind, sie hätte viel mehr Zeit sich weiterzubilden, regelmäßig Englisch zu lernen zwei Stunden im Tag, vielleicht ein Instrument zu spielen. Aber das ergibt sich gar nicht. Das Haushalten dauert fünfmal länger als zuhause, Einkaufen, Abwaschen, Bootspflege, Revision. Kaum ein Tag vergeht ohne Werkzeug in den Händen. Und da fragen wir uns häufig, was machen die anderen. Ja, gut, sind halt viele Leute, die pensioniert sind. Die vielleicht nicht alles am Schiff selber machen. Wir machen alles selber am Schiff. Wenn’s geht. […] Und andere Leute … ja, wir wurden auch häufig eingeladen dann, die ganzen Cocktailparties und das Zeugs, wo wir einfach das Gefühl haben, die Leute brauchen Abwechslung und laden sich jemanden ein, weil die langweilen sich sonst aufm Schiff. Wir hatten auch kein Fernsehen an Bord, viele Leute schauen sich DVDs an, das kennen wir gar nicht. […]. Ich las. Ich hab sehr genossen, daß ich vor allem in den ersten zwei Jahren so viel lesen konnte wie niemals zuvor. […] SY TROLL, 2001-08

So lästig diese Haus- wie Schiffsarbeit sein mag, so sehr über ungeliebte Aufgaben (wie das Rostklopfen auf einem Stahlschiff, oder sich der verstopften Seetoilette annehmen zu müssen) geschimpft wird, so sehr verschaffen sie in aller Regel das Gefühl, etwas geleistet zu haben, können damit verbundenen körperliche Anstrengungen oder die nach getaner Arbeit deutlichen Verbesserungen, die Ergebnisse dieser handfesten Arbeiten als außerordentlich befriedigend empfunden werden. Eingangs stellte die bei ihrer Rückkehr 65jährige Gisela fest, daß auf ihrer Weltumsegelung ein Fünftel der Zeit aufs Segeln entfiel, und sich die übrige Zeit auf »Tourismus« und »Schiffsunterhalt« verteilte. Auch der Mittdreißiger Robert, der sich als Einhandsegler mit wechselnden, temporären Mitseglern noch immer in der Karibik befindet, beantwortet mir meine Frage nach dem Bordalltag mit einer beinahe gleichlautenden prozentualen Verteilung, wobei er anschaulich differenziert, daß Arbeit am Schiff nicht gleich Arbeit ist. Robert (FB): 30%: »am Boot basteln«; 15%: »Boot reparieren«; 55%: »abhängen und schöne Sachen machen wie Schlafen, Lesen, leckere Sachen kochen, Angeln, Schnorcheln,… « - Ich muss aber sagen, das hängt stark vom Ort ab, in der Marina oder auf dem Trockendock kann man nun mal nicht gut schnorcheln oder so, und da bietet es sich natürlich an, »Boot reparieren« zu machen. Wichtig: Es gibt einen sehr grossen Unterschied zwischen »am Boot basteln« und »Boot reparieren« !!!!! »Am Boot basteln« macht Spass, ist fast schon ne schöne Freizeitbeschäftigung. Dazu gehört, kleine Verbesserungen vorzunehmen (z.B. kleine PCVentilatoren einzubauen, Vorhänge färben, neues Hängematten-Netz für Obst knüpfen,…)

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oder ganz neue Sachen auszuprobieren wie z.B. Segeln mit Fallschirm anstatt mit Spinnaker. Das Basteln ist eher wie ein Hobby. ;-) - »Boot reparieren« sind dann die wirklich ekligen Reparaturen wie »bei 36 Grad Celcius im Motorraum rumkriechen und den öligen, schmierigen Dekompressions-Bowdenzug zu entfernen,… « SY OMAN, seit 2005

Abbildung 33: Pazifik, ca. 1980 – »Mit Fisch & Hut« Der selbstgefangene Fisch ist eines der immer wiederkehrenden Motive des männlichen Traums der Weltumsegelung.

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Wenn Weltumsegler auf der einen Seite davon sprechen, daß ihnen die Yacht bzw. das Segeln Mittel zum Zweck ist, sie auf der andern Seite aber die besondere Eindrücklichkeit der Blauwassererfahrung beschreiben, kommt darin die Mehrdimensionalität des Fahrtensegelns zum Ausdruck. Gerade die unregelmäßige Abfolge von See- und Hafentagen, die auf Jahre gesehen doch zyklisch verläuft, der je eigene Rhythmus und Alltag, das Alleinsein auf See und die Gesellschaft und Geselligkeit an Land, konstituierten das Gesamterlebnis. Daß auf einer Weltumsegelung bei weitem nicht die ganze Zeit gesegelt wird, die Tage auf See im Verhältnis zu mehr oder weniger stationären Phasen vor Anker oder im Hafen immer weniger werden, je länger die Reise dauert, steht dabei nur in einem vermeintlichen Widerspruch zu dem Erlebnis- und Erinnerungsraum, den diesen Erfahrungen einnehmen. Während viele Yachties pragmatisch begründen und explizit erklären, daß für sie das »Ankommen« im Vordergrund steht, gibt es in Erzählungen zu wochenlangen Überfahrten, z.B. auf dem Atlantik oder Pazifik, auch das wiederkehrende Motiv einer gewissen »Enttäuschung« über die Ankunft. Die Ambivalenz besteht darin, daß der Landfall zwar mit der Freunde über eine erfolgreich beendete Segeletappe und mit der Vorfreude auf die Erkundung des neuen Zieles verbunden ist, ihm zugleich aber auch etwas von einer leidigen Unterbrechung eines befriedigenden, erfüllenden Zustand des Unterwegsseins anhaftet. Andrea (FB): Am liebsten mochte ich die Überquerungen. Wenn das letzte Stücklein Land hinter dem Horizont verschwand, atmete ich jedes Mal auf. Das Bordleben auf hoher See war so herrlich einfach, die Prioritäten absolut klar: das Schiff, das Wetter, das Essen... Ich weiß noch, daß ich nach 42 Tagen Überfahrt von den Las Perlas nach Hawaii überhaupt nicht an Land gehen wollte. Normalerweise fühlte ich mich auf unserer ALEPH geborgen, immer wieder fasziniert vom Gegensatz: Hier wir in unserer Nußschale, dort das riesige Meer und der grenzenlose Horizont. SY ALEPH, 1992-2001

Die Bedürfnisse von Seglern auf langen Seestrecken sind, wie Andrea es beschreibt, relativ elementar – ein seetüchtiges Schiff, genügend Proviant und möglichst gutes Wetter mit nicht zuviel und nicht zu wenig Wind. Stimmen die äußeren Bedingungen, kann das Dasein auf See sehr entspannend sein, ist man als Segler ganz für sich, und kann dabei auch ganz bei sich selbst sein. »Keiner will was von Dir«, erklärt es ein Langzeitsegler-Ehepaar. Kein Telefon, niemand stört; Essen und Schlafen, wenn einem danach ist: »Das alles nach deinem Körper, wie du das empfindest«. Kurzum, dort draußen auf dem Meer kann man »die Seele baumeln lassen«. Aber erklären könne man das keinem, »das muß man einmal erfahren haben«. – Wie isoliert oder erreichbar man heutzutage tatsächlich auf hoher See ist, liegt dabei auch im Ermessen bzw. Bedürfnisse der Akteure, aber selbst bei

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kommunikationstechnologischer Anbindung mit Funk oder Iridiumhandy ist man mitten auf dem Ozean in seiner eigenen Welt, seinem eigenen Zeit-Raum und in einem sehr wörtlichen Sinne weit, weit weg von allem. Karl: Weißt Du, wenn du an Bord lebst, als Weltumsegler, überhaupt als Segler, wenn du draußen bist auf See, das ist wie so ein kleines Universum. Du bist mit dir, und dem Boot, und der Natur, da bist du irgendwo einig. Und wenn das nicht wäre, dann – solltest du wirklich zuhause bleiben, oder Rennsegler werden. Fritzi: Ich muß wirklich sagen, wenn wir irgendwo in einen Hafen eingetrudelt sind, nach längerer Seefahrt, waren wir froh, daß wir angekommen sind, weil wir da ankommen wollten. Aber eigentlich ein bisschen traurig, daß die Zeit dieses – dieser Ruhe, dieses Einigsein mit uns und dem Boot und der Natur, daß das zuende war. Und dann ging halt, links und rechts, dies pulsierende Leben, und dann musst du das machen, am Boot arbeiten, und einkaufen, und einklarieren. Das war auf einmal wieder so hektisch alles. SY TEDDY, 1974-92 (NZ)

Wie in Karls Kommentar anklingt, gilt im Umkehrschluß, daß Seglern die Vorstellung bzw. das Bewusstsein, hunderte von Seemeilen vom nächsten Land entfernt zu sein, die physische Isolation, kein anhaltendes Unbehagen bereiten sollte. Bei wem das aber der Fall ist, der tritt von vornherein nicht zur Weltumsegelung an bzw. bricht im Zweifelsfall ab, wobei innerhalb der Fahrtenseglerszene freilich die Erwartungshaltung eines positiven Erlebens vorherrscht (s. S. 201,FN). Allerdings ist damit aber auch nicht gesagt, daß »alle« Langfahrtsegler die Zeiten auf See im gleichen Maße genießen, darin ganzheitliche Selbsterfahrungen suchen, oder tatsächlich jenes spirituelle Einswerden mit der Natur erleben, wie es gerade in der wissenschaftlichen cruising-Literatur, die bei Jim MacBeth ihren Anfang nimmt, immer wieder auftaucht, und in der das Fahrtensegeln in meinen Augen zu pauschalisierend als esoterischer Lebensstil charakterisiert wird (Lusby/Anderson 2010). »Life is dominated by the ultimate logic of nature where each element of existence flows and merges with each other element. The life of a cruising sailor is one of total and holistic involvement with the processes of living and being, especially while at sea on extended passages.« (MacBeth 1992: 320)

Da für MacBeth bestimmte Aktivitäten, vor allem das eigentliche Blauwassersegeln, maßgeblich zum »Gefühl« des cruising beitragen, überträgt er das von Csikszentmihalyi (1992a, 1992b) entwickelte Konzept der Flow-Erfahrung in diesem Sinne von der konkreten Tätigkeit auf den autotelischen Lebensstil Segeln. »Activities within in the lifestyle contribute to the sense of the lifestyle and, therefore, ›cruising‹ can be analysed by the flow concept. The lifestyle is autotelic, it provides a

260 | W ELTUMSEGLER challenge, it allows a sense of control, and it uses a wider range of skills; therefore, it is conceptually compatible with the potential for enjoyment and hence, with the concept of flow.« (MacBeth 1985: 258).

In der Literatur wird nicht nur das Fahrtensegeln (MacBeth 1985, 1992), sondern das Reisen generell als Selbstzweck und als Flow-Erlebnis aufgefasst, bei dem der Mensch ganz in der Tätigkeit aufgeht und sich selbst vergisst, (vgl. Zschocke 2005; Leed 1993). »Die Kontinuität der Bewegung bildet die Vorraussetzung für den flow-Zustand, der dann einsetzt, wenn man sich ganz den Bedingungen der Bewegung überlässt – ein Zustand, in dem alles automatisch aufeinanderfolgt, ohne das bewusste Eingreifen des Beobachters. Diese Form der Verknüpfung, die für das Bewusstsein des Reisenden charakteristisch ist, läßt es verständlicher erscheinen, warum das Reisen süchtig macht, warum es sogar die Bindungen eines Menschen an einen bestimmten Ort ersetzen kann. Das Ergebnis ist der gewohnheitsmäßige Reisende, der ewige Wanderer, der nirgends zuhause ist als in der Bewegung.« (Leed 1993: 93).

Das sich Einrichten – »zuhause sein« – im Fahrtensegeln als einer verstetigten Bewegung, wird dabei maßgeblich dadurch ermöglicht, daß der Einzelne trotz des individuellen Charakters einer Weltumsegelung diese nicht einsam und isoliert antritt, sondern sich in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter verorten und in ihr aufgehen kann. Mit MacBeth (1985: 264ff.) etwa kann das »Du bist mit Dir, und dem Boot, und der Natur« auch als ein loss of ego und damit als eine der Hauptkomponenten des Flow interpretiert werden, als eine hier sogar mehrdimensionale Selbstvergessenheit. Nicht nur im Verschmelzen mit der natürlichen Umgebung, dem Ozean, sondern auch im Eins-Werden mit dem Gefährt(en) Segelyacht, das sich u.a. in der Personalisierung des Vehikels niederschlägt, sowie auf einer wieteren, dritten Ebene auch durch den Bedeutungsverlust des sozialen Status innerhalb der cruising community, in der Nachname, Beruf, etc. keine Rolle spielen (vgl. Kap. 6.3). In der konkreten Tätigkeit bedeutet Flow, daß Handlung und Bewusstsein verschmelzen, das Erlebnis selbst zur intrinsischen Motivation und Belohnung wird, und im Bewältigen von Herausforderungen Glücksgefühle geweckt werden (Zschocke 2005: 170ff.). Dabei haben sich die Risiken des Fahrtensegelns heute (mit GPS, Radar, EBIRP und moderner Kommunikationstechnologie an Bord) vielleicht verringert, stellen gerade wochenlangen Überfahrten aber nach wie vor eine psychisch-physische Herausforderung dar, kann Segeln immer noch zur existenziellen Grenzerfahrung werden. Flow setzt wiederum voraus, daß der Akteur einerseits gefordert wird, um keine Langeweile zu empfinden, auch an seine Grenze kommt oder diese überwindet, sich andererseits aber grundsätzlich aufgrund seines Könnens den situativen Risiken und Herausforderungen gewachsen sieht, da ansonsten Angst anstelle des erfüllenden Glücksgefühls auftreten wird. (Gerade in diesem

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Punkt kann bei Paaren, bei denen sie als »Bordfrau« nur passive Mitseglerin ist, das Empfinden des Reiseerlebnisses erheblich auseinanderdriften, vgl. Kap. 6.2.) Angesichts der auf vielen Fahrtenyachten traditionellen Aufgaben- und Verantwortungsverteilung, die wiederum häufig mit der männlichen Dominanz des Traumes von der Weltumsegelung korreliert, ist an Claudias Schilderung ihres Flow-Erlebnisses darüber hinaus gerade die Umkehrung der Rollenverhältnisse bemerkenswert. Während Georg auf See zu sein nachträglich als »spannend« empfindet, beschreibt Claudia, wie sehr sie es schon im Moment genossen hat, sich der Natur auszusetzen. Georg: Also – als wir zurückgekommen sind, hab ich mir schon gesagt, eigentlich nie wieder. Aber ich find zurückblickend, ja, diese langen Segelstrecken, find ich schon spannend. - […] Claudia: Also ich hatte da immer so ein bißl ein anderes Gefühl, und zwar: Ich hab des also sehr genossen, also, so eng a mit der Natur verbunden zu sein. Also den Naturgewalten, sag i amal, so ausgesetzt zu sein. Das hat man schon daran erkannt, daß immer, wenn’s schlecht war und ganz grausig draußen zugegangen ist, war ich immer am Steuer, weil ich hab das manchmal richtig genießen können, wenn’s um mich gebraust hat, und geschäumt, und was weiß i. […] Und es war, die Sonnenuntergänge und -aufgänge waren so was von grandios, und – die Wolkenformationen. Und das Meer war so was von schön. Also das kann man gar nicht so … – Das kannst Du [an MK gerichtet] nachempfinden, weil Du des also selber a mitgemacht hast, aber solche Erlebnisse hat man nur, wenn man aufm Boot weit weg ist vom Festland. Sag i jetzt amal. SY FLAHERTY, 1995-99

Auf langen Seestrecken kann sich aufgrund des spezifischen, sich gleichförmig wiederholenden Rhythmus von Schlafen und Wachen, aber auch von der Großartigkeit der umgebenden Natur, verbunden mit der Weite und Leere, der gefühlten Unendlichkeit des Ozeans ein Gefühl der Zeit- und Raumlosigkeit einstellen: »Ein Tag rutscht einfach in den nächsten Tag, und man merkt das fast nicht«. Segeln ist zwar ein unmittelbar sinnliches und körperliches Erleben, jedoch gerade auf den langen Passagen sind Segler, gerade auch angesichts des beschränkten Platzangebotes, physisch dennoch nur indirekt gefordert.2 Obwohl sich also eigentlich das Schiff von Wind (oder Motor) angetrieben fortbewegt, und der Segler selbst zu dieser

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Anders als bei einer unmittelbar körperlichen Fortbewegung, wie Wandern, liegt die physische Anstrengung vor allem im permanenten Ausgleich der Schiffsbewegungen, der unbewußt im Liegen, Sitzen und Schlafen erfolgt, Kochen, Essen, Anziehen etc. erheblich erschwert, weshalb man zumindest in einer Eingewöhnungsphase die ersten Tagen auf See »immer schläfrig, immer müde« ist. Segelmanöver sind auf modernen Yachten dank Reffanlagen etc. häufig allein aus dem Cockpit zu bewältigen und stellen kaum mehr wirkliche Arbeit dar.

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Bewegung kaum aktiv körperlich beiträgt, weist Segeln doch, auf verschiedenen Ebenen, Parallelen zu jenen naturverbundenen sportlichen bzw. physischen Anstrengungen wie Bergsteigen, Klettern, Wandern oder Joggen auf, in deren Kontext von der »Verschmelzung« von Körper und Geist, die als Flow empfunden wird, für gewöhnlich die Rede ist. Hinsichtlich der im vorherigen Abschnitt angesprochenen Reflexionen von Fahrtenseglern über ihr Handeln, über die Bedeutung einer Weltumsegelung für die Persönlichkeitsentwicklung, bietet sich hier ein Seitenblick auf die von Nina Grabe untersuchten spätmodernen Pilger des Jakobsweges an, auf deren Reise, die Grabe im übrigen als »ungleichzeitigen« Tourismus charakterisiert, sich physisches Empfinden und spirituelles Erleben vermischen (Grabe 2006). Durch aktive körperliche Anstrengung, die gleichmäßige Bewegung des Wanderns, kann im Zusammenspiel mit der inneren Konzentration ein meditatives Gefühl entstehen, »in dem sich der Pilger im Einklang mit seinem Körper erlebt« (Grabe 2006: 271). Die Pilgerreise als Auszeit von der Alltagsrealität, als Suche nach Abkehr und Ruhe, auf der der sprichwörtliche Weg das Ziel ist, läßt sich m.E. mit jenen Überfahrten und Ozeanüberquerungen vergleichen, bei denen der Segler unberührt von der Außenwelt ganz bei sich sein kann, bzw. zu sich findet, zu existenziellen Reflexionen angeregt wird und das Naturerlebnis als spirituelle Erfahrung erleben kann. Der in meinen Augen gewichtigste Unterschied liegt allerdings darin, daß dieses konkrete Erleben bzw. die Suche danach, anders als beim Pilgern, in den seltensten Fällen die zentrale Motivation für eine Weltumsegelung ist. Ozeane werden primär überquert, um in der Ferne liegende reale (und imaginierte) »Insel-Paradiese« zu erreichen, und nicht um das Erlebnisses des Meeres selbst willen. Bei Sabine und Jörg etwa, die mit Anfang Dreißig kurz entschlossen den Plan zur gemeinsamen Weltumsegelung fassten, war die Zeit bis zum Aufbruch mit den logistischen Vorbereitungen der Reise, der zeit- und arbeitsintensiven Ausrüstung ihrer DOLCEVITA so angefüllt, daß ihrer Erinnerung nach im Vorfeld hinsichtlich dieser Erfahrungsdimension überhaupt keine Erwartungshaltung aufgebaut wurde. Sie machten sich keine Vorstellungen davon, wie es sein würde, wochenlang nur Wasser um sich zu haben: »Also, ich hab es nicht erwartet, es kam völlig überraschend, aber es war total geil.« Zeit auf See bedeutet dabei, bei aller euphorischer Natur- und Selbsterfahrung mit der Möglichkeit des Flow-Erlebnisses, auch einen ganz profanen SegelAlltag im Rhythmus der drei- oder vierstündigen Wachwechsel, während sämtliche Haushaltsaufgaben über Wochen hinweg auf dem je nach Schwell und Wellengang mehr oder weniger schaukelnden und rollenden Schiff zu erledigen sind. Jörg: […] Sicherlich ist es so, daß du vorher ein bißchen aufgeregt bist, ne. Und dann geht aber sofort der Trott los. Ich mein, du gehst Wache, du pennst nicht usw. Da ist nix euphorisches, das ist einfach scheiße. Umgekehrt ist es aber so, ich hab noch nie in meinem Leben so

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einen inneren Frieden gehabt wie da draußen. Wenn ich hier draußen [im Cockpit] gesessen habe auf meiner Wache, und diese Wellentäler und -berge gesehen habe, die, für mich, jede einzelne Persönlichkeit hatten, die kamen, und wieder gingen. Also, ich hab mich unglaublich sicher gefühlt,… Sabine: mhm [zustimmend] Jörg: …. innerhalb der Natur, obwohl wir sicherlich außer im Weltall am unsichersten Punkt der Erde waren. Und – diese Eingebundenheit in die Natur, die fand ich völlig faszinierend. Das hat mir eine dermaßen innere Ruhe gegeben, und Frieden gegeben. Das war für mich das entscheidende Erlebnis bei diesen Fahrten. Absolut. Ich denke mir, das ist ähnlich wie wenn jemand zum Beispiel, was weiß ich, so einen Berg besteigt, und dann da oben auf der Spitze sitzt und sich da so eins fühlt mit der Welt. […] SY DOLCEVITA, seit 2004

Das Bergsteigen, so wie Jörg es hier zum Vergleich heranzieht, um ein Bild für sein inneres Erleben zu finden, stellt aufgrund der Selbsterfahrung in der Natur, unter extremen äußerlichen Bedingungen, und mit existenziellen Risiken verbunden, eine gewisse Analogie zum Fahrtensegeln dar, sind Ausdauer, Mut und Können erforderlich. Auch wenn eine Bergbesteigung, eher als eine Ozeanüberquerung im Kontext einer Weltumsegelung, vor allem auch als sportliche Leistung betrachtet wird, und auf See überdies das Medium Fahrtyacht ein Mehr an Komfort und Schutz vor den Elementen bietet, ist die Vergleichbarkeit für Franz, der »eigentlich« Bergsteiger ist, dennoch gerade und vor allem aufgrund der Einstellung zur Natur gegeben. Seit seiner Jugend den Bergen verbunden kam Franz dabei erst mit Anfang Vierzig zum Segeln: er wurde über einen Geschäftsfreund zum ersten Segelkurs angeregt, und weil damals »nichts Gescheiteres« da war, entwickelte sich daraus tatsächlich ein serious leisure mit immer weiteren Qualifikationen, Chartertörns, schließlich der eigenen Yacht und der Erdumrundung. Allerdings ist für ihn und seine Frau die Weltumsegelung nicht auf Dauer als Lebensstil erstrebenswert, sondern sie betrachten sie eher als eine Weltreise per Schiff, von vornherein begrenzt und für jährliche Heimatbesuche samt Skiurlaub unterbrochen. Franz: Ja, die Natur. Du musst dich mit der Natur auseinandersetzen, du musst mit der Natur einig sein, odr. Heißt, du kannst nicht gegen die Natur ankommen, im Bergsport, im Segelsport nicht. Sonst wird’s gefährlich. Und dann darf man sich nicht überschätzen, im Bergsport wie im Wassersport, sonst wird’s auch gefährlich. Also - eine Tour muß man auch abbrechen können, wenn man schlechtes Wetter hat. Hier im Segelsport geht man halt auch nicht los, wenn’s schlecht ist. Hingegen, wenn man dann unterwegs ist, ist man unterwegs im Segelsport. In den Schweizer Bergen kannst du immer noch eine Schutzhütte aufsuchen, odr, aber im Wassersport, da musst du dann halt damit fertig werden. Aber sonst finde ich, es hat sehr viele – sehr viele Parallelitäten. Eben Wetter und auch Einstellung, sich arrangieren mit der Natur. Nicht stärker sein wollen.

264 | W ELTUMSEGLER Betty: Mhm, die Natur respektieren. Franz: Ja, und – ja, sich den Sachen ergeben eigentlich. Also, das Arrangieren mit den Naturgewalten. SY MOONSHINE, 2004-09

Der Unterschied, den Franz hier herausstellt, besteht darin, auf dem Wasser nicht einfach abbrechen zu können, und mehr noch als in den Bergen in Notsituationen auf sich selbst gestellt zu sein. Aus diesem Bewusstsein heraus begründet sich wahrscheinlich die seglerische Einstellung, die Franz und Betty vertreten: der See mit Respekt gegenübertreten zu müssen, sich mit der Natur zu arrangieren und »nicht stärker sein [zu] wollen«. Anders im Bergsteigen, in dem als »Gegner« personifizierte Berge bezwungen werden, geht es dabei nicht um ein »Duell mit der Natur« (Lutz 2001). Auf einer gewöhnlichen Weltumsegelung fehlt – anders als bei Regatten oder Rekordfahrten – das Moment des »Wettkampfes«, auch im Sinne einer »kämpferischen« Auseinandersetzung mit der Natur, wird im normalen Fahrtensegeln nicht der besondere Nervenkitzel gesucht, sondern stehen Sicherheit von Schiff und Besatzung an erster Stelle. Zwar gilt auch hier, daß die damit verbundenen Risiken selbstbestimmt eingegangen werden, und diese subjektiv empfundene Handlungsmacht einen wesentlichen Aspekt der seglerischen Freiheit ausmacht. Weltumsegler empfinden das Leben auf dem Wasser als »intensiver«, als »näher dran«. Wenn es für das Bergsteigen als »Risikonatursport« heißt, daß er »Erfahrungen [schafft], die existentielle Defizite rationalistischer, abendländischer Gesellschaften temporär aufheben« (Lutz 2001: 170), so läßt sich dies an sich auch auf den Lebensstil Segeln übertragen, wobei im Unterschied zum Bergsteigen oder vergleichbaren naturnahen Aktivitäten eben gerade die zeitliche Ausdehnung bewirkt, daß die Ausnahmesituation zur Alltagspraxis wird. Mit der regelmäßigen Wiederholung tritt eine gewisse Gewöhnung an das Außergewöhnliche und Extreme ein, eine »Normalisierung« in der Naturwahrnehmung und Selbsterfahrung. Auch das »Blauwasser-Erlebnis« einer langen Seepassage wird beim zehnten Mal weniger überwältigend als beim ersten Mal empfunden, weiß man doch aus eigener Erfahrung, worauf man sich einzurichten hat und was einen erwartet, wiederholen sich die Anforderungen, Eindrücke und das Erleben auf See, auch wenn das Meer und die Umstände nie dieselben sind. Walter: Und es ist halt so, ähm, als wir den Atlantik überquert haben, da hab ich da schon in der Euphorie gesessen und hab da zwei Seiten über den Passat und die Passatwolken einfach mal so aufgeschrieben, weil mich das so beeindruckt hat, und dann Tag und Nacht. Das war schon toll. Heutzutage ist das schon, wir sind ja jetzt das sechste Mal hier [in Neuseeland, MK], wir haben also zwölf Mal diese Strecke, immer gute Überfahrten gehabt, und jetzt ist das schon nachts ein bisschen Routine. Wir machen nachts das Groß klein, und haben auch nicht mehr die Wachen so, daß wir hier draußen sitzen unbedingt. Also, wir gehen schon auch

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unten rein und dann gucken wir schon alle Viertelstunde, alle halbe Stunde so rüber, wann jeder so wach wird. Daß wir jetzt also das alles noch so ernst nehmen, ist eigentlich nicht mehr der Fall. SY LIESELOTTE, seit 1992

Mit den Jahren des Segelns nimmt die Erfahrung zu, und damit auch die Gelassenheit. Es sind »immer die gleichen Situationen«, man weiß, was man zu tun hat; die »innere Aufregung« nimmt ab, auch ein Stück Spannung. So empfinden es zumindest jene open end Yachties, die noch dazu mit der wiederholten Rückkehr nach Neuseeland immer wieder einen mittlerweile »vertrauten« Ort anlaufen. Daraus spricht zugleich, daß eine anfänglich drängende Neugier nach Neuem von einem sich Einrichten im Gewohnten abgelöst wird, in sich vertraut gemachten Alltagsroutinen wie geographischen und sozialen Räumen, ohne jedoch die Mobilität des Lebensstils als solchem aufzugeben. Viele deutsche Langzeitsegler selbst verstehen dies als ein momentanes »Hängenbleiben« im Pazifik, das im Gegensatz zur Auswanderung die Idee der Weltumsegelung grundsätzlich aufrecht erhält, und verweisen auf ihre situative Entscheidungsfreiheit, in der nächsten Saison ja vielleicht doch Weiterzuziehen. Für dieses zyklisch verlaufende, typische Reisemuster – die in Neuseeland verbrachte cyclone season und eine Segelsaison in den Inseln des westlichen Südpazifik – prägte ein amerikanischer cruiser mir gegenüber das Schlagwort von binge and deprivation: einerseits ein Schwelgen im Überfluß, andererseits eine Zeit der Entbehrung. Auch wenn dieses Bild eigentlich auf die sich im Laufe der Segelmonate auf abgelegenen Inseln reduzierenden Proviantvorräte an Bord, und die im Gegensatz dazu von Waren überquellenden Regale neuseeländischer Supermärkte abzielte, handelt es sich in meinen Augen dabei um eine in mehrfacher Hinsicht zutreffende allegorische Beschreibung einer Weltumsegelung. Denn auch auf den Aspekt der sozialen Interaktion von Seglern läßt sich das Bild von binge and deprivation übertragen, steht es für die Einsamkeit auf See und an abgelegenen Ankerplätzen im Gegensatz zur Geselligkeit, wenn die cruising community an ihren saisonalen Sammelpunkten zusammentrifft. In meiner grob umrissenen Diskussion vom gewöhnlichen Alltag und besonderen Erlebnissen im Fahrtensegeln habe ich mich bemüht, die Mehrdimensionalität der Erfahrung Weltumsegelung aufzuzeigen, wobei es sich letztlich um kaum verallgemeinerbare individuelle Wertigkeiten und Empfindungen handelt, die sich zudem mit der Dauer der Reise ebenso verändern wie sie von vornherein durch das Alter der Akteure, ihre Berufs- und Lebenserfahrung oder vorherige Reiseerlebnisse entscheidend mitbestimmt werden. Auch die Frage, welche Erlebnisse etwa dreißig Jahre nach der Reise als die intensiveren Erfahrungen erinnert werden, welche Eindrücke präsenter sind, muß vor dieser Folie gedacht werden.

266 | W ELTUMSEGLER Jan: Was ich an den Seetagen ungeheuer genossen hab, war diese völlig aus Raum und Zeit losgelöste Befindlichkeit. Also dies, man weiß, der Tag ist so und so lang, die sind auch alle gleich lang, das Drumherum ist immer diese Scheibe mit dem Horizont. Und der Wind ist ja sogar auch noch relativ konstant, das Wetter sowieso. Dieses hab ich auf See ungeheuer genossen. Die damit einhergehende unglaubliche Konzentrationsmöglichkeit, Aufnahmemöglichkeit, was Lesen oder solche Dinge angeht. Das fand ich ganz, ganz toll. (spricht leise, nachdenklich) Aber es gibt natürlich auch unendlich viele Sachen, die ich an Land unglaublich eindrucksvoll und schön [fand]. Also nachts mit dem Licht nur vom Mond in ein Korallenriff reinzusegeln, das ist schon irre. Und dann der Anker, und dann die Ruhe. Das Schiff ist da, man hat auch dieses Gefühl, was man bewältigt hat. Auch, worüber wir vorhin schon sprachen, die Begegnungen. Das war zum Teil unglaublich intensiv. Es gab natürlich auch unglaublich intensive Liebesbeziehungen, oder -begegnungen, wie auch immer man das nennen will. Also das. Oder – Gerichte, Essenssachen kennen lernen. Zum ersten Mal rohen Fisch in Polynesien essen. Ich kannte damals Sushi noch nicht, das war noch nicht verbreitet hier. Da hab ich zum ersten Mal rohen Fisch gegessen, das war eigentlich völlig unvorstellbar, daß man Fisch roh ist. Und – solche Sachen. Deswegen, … ich will mich da nicht drücken, ich will nur sagen, ich kann mich nicht entscheiden. Weil das ganze Unternehmen so einzigartig war, und so neu, soviel Neues enthielt, hab ich das auf See sein so genossen, weil es ruhiges Neues war, Intensität vor allem mit mir selbst. Und das Land war natürlich mehr außerhalb von einem. […] SY NICOLAO COELHO, 1973-75

Im Falle dieser zweijährigen Weltumsegelung wurde tatsächlich beinahe ebenso viel Zeit auf See wie an Land verbracht wurde: 31.123 Seemeilen (57.640 km), 330 Seetage, 349 Tage an Land, 16 Nationen, 54 angelaufene Häfen & Buchten! In der Erinnerung nehmen die Aufenthalte an Land, die als extrem vedichtetes Erleben empfunden werden, vermeintlich mehr Raum ein, während die als gleichförmig und ruhig erinnerten Seetage – im ersten Moment – zu einem weniger differenzierten Bild »zusammenfließen«. Aus dem sich im Augenblick des Gespräches doch sofort wieder konkrete, sehr eindrücklicher Erlebnisse wie gerade Naturbeobachtungen auf See herausheben. Jan: Obwohl auch, ich mein auf See. Zum ersten Mal ne Schildkröte zu sehen, die da rum schwimmt. […] Oder das ganze Angeln. Das hat eine große Rolle gespielt, wir haben viel Fisch gefangen. Und – Delfine, und bei Flaute die fliegenden Fische, die dann so ptschh, und dann werden sie gefressen, man kann zugucken. Also diese ganzen Dinge, es war Wahnsinn. Oder so Pilotfische, die da mitschwimmen und einen wirklich vier Wochen begleiten und man geht jeden Morgen erstmal gucken, sind sie noch da. Also auch da, wenn ich anfange nachzudenken gibt es natürlich auch Millionen von Eindrücken. SY NICOLAO COELHO, 1973-75

D IE E RFAHRUNG »F AHRTENSEGELN «

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Gerade im reflektierenden Rückblick wird die Vielschichtigkeit des Gesamterlebnisses Weltumsegelung deutlich, das in der Erinnerung letztlich von keiner einzelnen Erfahrung – Begegnungen an Land und mit fremden Kulturen, Naturerfahrungen, die Einsamkeit auf hoher See, die cruising community, das Segeln selbst oder die Beziehung zum Schiff – dominiert wird, sondern gerade durch die Fülle intensiver und ineinander verwobener Eindrücke und Erlebnisse charakterisiert wird. Der Lebensstil Fahrtensegeln wird nicht nur durch die im Segeln begründete Auseinandersetzung mit sich selbst und durch das Flow-Erlebnis in der Abgeschiedenheit auf hoher See zur intensiven Selbsterfahrung, sondern auch im Kontext der zwischenmenschlichen Beziehungen – an Bord, innerhalb der Seglergemeinschaft und darüber hinaus. Yachties bewegen sich – im wörtlichen wie übertragenen Sinne – zwischen Einsamkeit und Gesellschaft. Die Praxis des Fahrtensegelns läßt sich in dieser Hinsicht ganz treffend als Sailing in Solitude – Cruising in Company fassen. Das Erlebnis Weltumsegelung und der Lebensstil Fahrtensegeln werden auf mehreren Ebenen durch das Spannungsfeld sich verändernder, sich lösender und sich neu bildender Beziehungen bzw. Beziehungsgeflechte bestimmt, die ich im Folgenden diskutieren möchte. Vor der Kontextualisierung der spezifischen sozialen Praxis des Fahrtensegelns, die sich in den formalen wie informellen »Segler-Beziehungen« innerhalb der cruising community bzw. der »Seglerfamilie« manifestiert, möchte ich im nächsten Kapitel zum einen mit den »Bord-Beziehungen« zunächst auf das unmittelbare soziale Umfeld, das bei Paaren durch den Partner gegeben ist, eingehen. Zum anderen gilt es unter dem Aspekt des Umganges mit Nähe und Distanz die »Heimat-Beziehungen« der Akteure, ihr Verhältnis bzw. ihre Bindungen zur Herkunftsgesellschaft untersuchen.

Abbildung 34: Paihia/Neuseeland, 2007 – Hochzeitsfeier von und mit Yachties Im eigenen Garten richtet der lokale TO-Stützpunktleiter mit vor allem deutschen und Schweizer Fahrtenseglern die Hochzeit für einen ihrer Mitsegler aus. Den Trau-Altar schmückt der TO-Stander, die Gäste haben den feinsten Zwirn aus den Schapps geholt.

Kapitel 6 Sailing in Solitude, Cruising in Company – Die soziale Praxis

6.1 B ORD -B EZIEHUNGEN Von Reisegefährten l Von Einhandseglern l Von Paaren

Von Reisegefährten Mit einem kleinen Segelschiff die Erde zu umrunden und fremde Länder zu bereisen beinhaltet, die Welt und sich selbst anders zu er-fahren. Zwar bietet die Yacht die räumlich-emotionale Geborgenheit eines vertrauten Heims, doch wie jede Reise bedeutet eine Weltumsegelung zugleich, vertraute soziale Räume zurückzulassen. In der Mythologie oder der Literatur wird die Fahrt in die Fremde in aller Regel nicht alleine angetreten, werden die Helden von Reisegefährten begleitet, die ein wenig Sicherheit und Hilfe bei der Bewältigung von Abenteuern und Prüfungen bieten. Wenn Gilgamesch den Bruder-Freund Endiku zum Begleiter hat, wird in dessen Gestalt »das ursprüngliche soziale Umfeld […] anteilig mit auf die Reise genommen« (Lange 1999: 104), wie auch Odysseus die Abenteuer seiner Irrfahrten gemeinsam mit Bundesgenossen besteht. Wurden Einhandsegler wie Slocum oder Moitessier gerade deswegen zu »Helden«, weil sie sich ganz alleine den physischen und psychischen Anstrengungen des Abenteuers stellten? Spezifischen Risiken, die hier anlässlich von Harry Pidgeons erster Weltumsegelung in den 1920ern charakterisiert werden, begegnen Solo-Segler und -seglerinnen nach wie vor. »Es muß schon ein ganz eigenartig veranlagter Mensch sein, der es unternimmt, als armseliges kleines Einzelwesen allen Gefahren der Hochsee die Stirn zu bieten. Tücke lauert ringsum. Es braucht sich dabei nicht immer um schweren Sturm zu handeln. Ein unglücklicher, schlecht berechneter Schritt an Deck, eine Erkrankung, schlechtes Wasser oder Proviantmangel können die Ursache des Zugrundegehens des Einhandseglers sein. Auch wenn der Mann sonst Kühnheit, Löwenmut und Standhaftigkeit mit vollendeter Seemannschaft

270 | W ELTUMSEGLER verbindet, schleicht doch das Missgeschick stündlich um ihn herum, und die beständige Anspannung der Willenskraft und Wachsamkeit zermürben doch schließlich das Gemüt des Einsamen und die besten Nerven.« (Die Yacht, 1926)

Noch vor der Gemeinschaft der Mit-Segler ermöglicht die Mitnahme von Reisegefährten, die das »heimische« Umfeld verkörpern, das unmittelbare Teilen von Erlebnissen und Erfahrungen, von Aufgaben und Verantwortung, die gegenseitige Unterstützung und Ermutigung. Zwar werden gewöhnliche Weltumsegelungen nach wie vor auch von Einhandsegler1 unternommen, und sind diese – meiner Erfahrung nach – sogar häufiger anzutreffen als Schiffe, deren Crews sich aus einer Familie mit Kindern, Geschwistern oder Freunden zusammensetzen. An der ganz selbstverständlichen Identifizierung des Einhand-Seglers als Mann, die sich in dem oben zitierten Artikel spiegelt, hat sich dabei bis heute wenig geändert. Dabei stellen nicht nur Einhand-Seglerinnen eine besondere Ausnahme dar, auch bei all den Paaren, die am häufigsten auf Fahrtenyachten anzutreffen sind, ist es in aller Regel der Mann, der als Skipper offiziell das Schiff führt. 2 Verkörpern mitsegelnde Partnerinnen im Umkehrschluß dann aber in erster Linie die Figur des Reisegefährten, der als Begleitung des (männlichen) »Helden« für den Erfolg der Reise eine zwar wichtige, aber doch untergeordnete Rolle spielt? Handelt es sich beim Fahrtensegeln generell also um ein genderspezifisches, »männliches« Unterfangen? Bevor ich den Aspekt der »Heimat-Beziehungen« von Langzeitseglern, die Bedeutung und Strategien des in Verbindung-Bleibens diskutiere, beschäftigen mich die eigentlichen »Bord-Beziehungen« zweier typischer Konstellationen: der Einhand-Weltumsegler und das segelnde Paar. Dabei fällt insbesondere auf, daß viele Segler und Seglerinnen einerseits die Reproduktion »traditioneller« Rollenmuster in der Aufgaben- und Arbeitsteilung an Bord reflektieren, anderseits wird die eigene Praxis ebenso häufig als abweichend und emanzipiert dargestellt. Gerade in den Konsequenzen, die sich für Paare aus der unbedingten Zweisamkeit an Bord einer Fahrtenyacht ergeben, liegt für viele Segler die eigentliche Herausforderung. Vor dieser Folie gilt es insofern auch, den »Typus« Einhandsegler zu betrachten.

1

Einhandsegler leitet sich vom englischen hand als Bezeichnung eines einfachen Matrosen ab und bedeutet, die Crew besteht aus einem einzigen Besatzungsmitglied.

2

Die Bandbreite, wie Beziehungen von Fahrtenseglern gelebt werden, ist groß. Die miteinander verheirateten Segler Susanne und Tony etwa segeln seit Jahren gemeinsam, aber einhand auf der jeweils eigenen Yacht um die Welt (vgl. TO 2009/ 126: 50-52). Zu hauptverantwortlichen Skipperinnen berichtet Astrid Ewe, die 2006 mit ihrer Schwester (und ihrem Freund sowie »29 mitsegelnden Teilzeitgästen«) einen einjährigen AtlantikRundtörn unternahm: »Während unserer Reise sind wir keinem einzigen anderen Schiff begegnet, daß von einer Frau geführt wurde.« (Die Yacht 2006/4: 32)

B ORD -B EZIEHUNGEN

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Von Einhandseglern Muß, wer allein zur Weltumsegelung aufbricht, ein »ganz eigenartig veranlagter Mensch« sein, wie die Yacht 1926 über Pidgeon schrieb? Weder handelt es sich bei Einhandseglern generell um ausgesprochene Eigenbrötler, die bewußt und konsequent auf die Gesellschaft eines Reisegefährten an Bord verzichten; noch verstehen sie ihr Tun als risikoreicher, oder größere Herausforderung als eine Weltumsegelung zu zweit. Alleine zu segeln scheint wesentlich häufiger den Umständen geschuldet zu sein, als daß es Folge eines überlegten Vorsatzes ist. Ein Einhandsegler meines Samples hatte eigentlich geplant, regelmäßig Mitsegler an Bord zu nehmen. Nicht, daß er von vornherein alleine segeln wollte, »aber jetzt ist’s halt so …«. Denn er berichtet von der Schwierigkeit, die »richtigen« Leute dafür zu finden. – Auch ein anderer Solo-Segler spricht von der »gewissen Vorraussetzung« des »absoluten Vertrauens«: »Und das, wo findest Du das heutzutage, wenn du selbst unterwegs bist und dich überall nur kurzzeitig aufhältst.« Beide berichten entsprechend auch von schlechten Erfahrungen, wenn sich etwa im Laufe des Törns herausstellte, daß das praktische Segelwissen des temporären Mitseglers nicht dem angekündigten Können entsprach. Die Gesellschaft wird dann als zusätzliche Belastung empfunden, wird die Arbeitslast durch den Gefährten nicht verringert, sondern noch vergrößert. Aus der Tatsache, daß wochenlange Überfahrten auf einer kleinen Segelyacht mit entsprechend kleiner Besatzung nicht nur aufgrund der räumlichen Einschränkungen, sondern auch durch das zwingend notwendige gegenseitigen Vertrauens per se eine Extremsituation darstellen, erklärt sich, weshalb manche Segler es ganz grundsätzlich ablehnen, Mitsegler an Bord zu nehmen. Andererseits begründen die Einsamkeitserfahrung einer Ozeanüberquerung, und die damit verbundenen physischen und psychischen Belastungen den Wunsch nach einem temporären Reisegefährten. Alleine zu segeln beinhaltet prinzipiell das objektive Risiko, daß mit nur einer Person an Bord kein Wachwechsel stattfinden kann, wie er auf Schiffen mit zwei und mehr Besatzungsmitgliedern im drei- oder vierstündigen Wechsel üblich ist und (theoretisch) ununterbrochene Aufmerksamkeit und Reaktionsbereitschaft gewährleistet. Auch wenn Einhandsegler ihren Wach- und Schlafrhythmus extrem verkürzen, und sich, mit Hilfe von Küchenweckern, etwa auf stündlich zehn bis fünfzehnminütige Schlafphasen einrichten, bedeuten Solofahrten, daß eine Grundanforderung guter Seemannschaft einfach nicht erfüllt werden kann. 3 Als

3

Allerdings entwickeln Segler in der Praxis ein sehr wirksames Gespür für ihr Schiff, wird eine ständige Alarmbereitschaft so internalisiert, daß etwa aufgrund veränderter Schiffsbewegungen eine drohende Gefahr selbst im Schlaf erspürt und unbewusst erfasst wird. – Wie mir zur Zeit meiner Feldforschung erzählt wurde, führte einige Jahre zuvor die Politik Neuseelands, die Sicherheitsbestimmungen für auslaufende Yachten hinsichtlich

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seine Partnerin aus Krankheitsgründen zur ungefähren Halbzeit seiner ersten Weltumsegelung ausstieg, stand Kai deswegen vor der Entscheidung, nun ebenfalls abzubrechen oder die Reise entgegen »seemännischer« Vernunft fortzusetzen. Kai: Und alleine segeln, einhandsegeln, hatte ich größte Bedenken. Aus nautischen, navigatorischen, seemännischen Sicherheitsaspekten heraus wollte ich eigentlich nicht einhandsegeln. Und war sehr down, als Irmela abgeflogen war. Wußte gar nicht, wie das weitergeht. Aber dann hatte ich mich doch entschlossen, einhand zu segeln, weiterzusegeln. Und jetzt, acht Jahre später, sage ich, es hätte mir nichts Besseres passieren können, ja. Absolut traumhaft, auch einhand zu segeln. SY ANNA PERENNA, 1998-2003 & 2003-09

Die ersten Jahre verbrachte er mit seiner Partnerin, auf einer späteren Atlantiküberquerung segelte sein Sohn mit, teils hatte er auf bestimmten Törns Mitsegler an Bord genommen: gerade auf dem Vergleich beruht die Bewertung des unvorhergesehenen Einhandsegelns als die eigentlich beste Option. Der Verzicht auf einen (unmittelbaren) Reisegefährten bringt in seinen Augen den Vorteil mit sich, keine Rücksicht auf die Bedürfnisse anderer nehmen zu müssen, wird das Alleinsein insofern nicht als Mangel, sondern als Gewinn empfunden. Kai: […] Von der Lebensführung her ist das Einhandsegeln nach meinen Erfahrungen, die ich jetzt habe, das Unkomplizierteste. Ja. Das gibt keine Reibungsverluste durch – durch zwei Persönlichkeiten. Wenn sich zwei Persönlichkeiten auf so einem engen Raum aufhalten, über längere Zeit, dann gibt es Reibungsverluste. […] Und – als Einhandsegler kann ich wirklich alles mit mehr Laissez-faire, und mit mehr ….na, übergeordneter Nonchalance angehen lassen. Das kannst du, wenn du zu mehreren an Bord bist, nicht. SY ANNA PERENNA, 1998-2003 & 2003-09

Dabei stellt das Einhandsegeln eine durchaus ambivalent empfundene Extremsituation dar, wird gerade die Zeit allein auf See als eine radikale Form der Selbsterfahrung empfunden. Der wertgeschätzten sehr persönlichen Freiheit und Unabhängigkeit steht die Einsamkeit der langen Überfahrten gegenüber. Der ebenfalls umständehalber zum Einhandsegler gewordene Willi erlebte dies als Spannungsfeld von Euphorie bis Depression. Daß während der Wochen auf See dennoch keine völlige Isolation eintritt, wird durch die Kommunikationstechnolo-

einer ununterbrochenen Wach-Gewährleistung zu verschärfen, Einhandsegeln damit de facto zur illegitimen Segelpraxis zu erklären und das Auslaufen von Solo-Seglern zu verhindern, zu massiven Protesten ausländischer Besuchsyachten, und letztlich zur Aufgabe dieser Vorschrift.

B ORD -B EZIEHUNGEN

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gien an Bord sichergestellt. Sie gewährleisten gerade Soloseglern eine zumindest virtuelle Gesellschaft anderer Segler, die die physische Isolation ausgleichen kann. Jochen: Ja, so wie [ein befreundeter Einhandsegler] auch sagte. Für einen Einhandsegler ist das natürlich ganz lustig, wenn man weiß, man hat Kontakt mit anderen, man jemanden ansprechen kann. Das fand ich ganz witzig z.B. an Jenny [eine befreundete, verheiratete Langzeitseglerin, Anm. MK]. Sie hat das noch gar nicht geschnallt, wie wichtig das ist, für einen Einhandsegler, ab und zu mal mit jemandem zu reden. Es gibt natürlich Leute, die brauchen das nicht. […] Ich bin über den Atlantik noch gewesen, jetzt ’97, ’98, ohne Funke. Das ist was ganz anderes. Das ist mir aufgefallen. Da hatte ich nur ein kleines Radio, wo ich hören konnte, wie andere Leute redeten, und da mithören konnte. Das ist was völlig anderes. Dann – wenn du mit den Leuten reden kannst, dann hast du auch die Idee eines Schein-NichtAlleinseins, nich. [...] Ich glaub, deswegen ist auch die Tour von ’74 bis ’76 eine völlig andere Tour als die Tour jetzt. Da hatte man kein Radio, da gab’s überhaupt nichts. Kein UKW, nichts. Man war völlig alleine. Hundertprozentig. SY BOSTON, seit 1997

Wie Jochen es beschreibt, handelt es sich bei den überall und jederzeit verfügbaren Kommunikationsmöglichkeitem um eine noch relativ rezente Entwicklung, die mittlerweile zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Während man bis in die späten 1990er Jahre Ozeanüberquerungen auf sich gestellt antrat, woran auch die seit den 1970ern zunehmend verbreiteten SSB-Radio-Empfänger grundsätzlich nichts änderten und sich die Segler dessen auch bewußt waren (vgl. Kap. 4.2), ermöglicht die heute selbstverständliche »Funke«, d.h. SSB-Radio-Sender, eine direkte Kommunikation und den Austausch mit anderen Schiffen und Landstationen, und damit ein im Gegensatz zur physischen Situation stehendes »Schein-Nicht-Alleinsein«. Als seine Mitseglerin auf den Galapagos-Inseln ausstieg, und er dort kein Ersatz für sie finden konnte, entschied Willi sich notgedrungen dazu, die gut einen Monat dauernde Pazifiküberquerung ohne Reisegefährten an Bord anzutreten. Dafür schaffte er sich aber ein SSB-Radio an, um das physische Alleinsein durch den Funk-Kontakt zu anderen Schiffen und Mit-Seglern auszugleichen. Willi: Und dann hab ich gesagt, fährste allein. Ja, dat war – das war eigentlich super. […] Sonst hätte ich das nie gemacht, daß ich da so reingestoßen wurde. Da hab ich mich selber so ein bisschen kennen gelernt. Dat war echt extrem: dat war super, und dat war echt kurz vorm Suizid. Ab und zu hab ich echt gedacht, hehe, springst ins Wasser und schwimmst davon. Weil dreiunddreißig Tage sind ja auch lang, ne. MK: Hast Du nicht mit anderen über Funke oder so? Willi: Ja, ja, zum Glück hab ich mir so’n SSB-Radio geholt in Galapagos. […] und dann konnt ich wenigstens schwätzen. Damit ich nicht total vereinsamt bin da. Dat war ganz gut. […] Ich wusste ja, da sind noch so zehn andere Schiffe unterwegs, im Radius von 200

274 | W ELTUMSEGLER Meilen, und du hast ja dein Radiokontakt. Also du bist ja nicht allein. Und weil ich auch festgestellt hab, wenn du alleine segelst, bist du nie allein. Weil du wirst ja auch auf den Ankerplätzen immer zum Essen eingeladen. Du bist also immer unterwegs, ne. Wenn du deine Ruhe haben willst, gehst du auf dein Schiff, und dann hast du auch deine Ruhe. Das ist wieder der Vorteil, wenn du allein bist auf dem Boot, ne. SY MARLENE, 1999-2004 (NZ)

Aus der virtuellen Gemeinschaft »auf der Funke« wird die unmittelbare, gesellige Praxis am Ankerplatz und an Land. Dabei nehmen Einhandsegler gegenüber den mehrheitlich als Paar reisenden Fahrtenseglern eine Sonderstellung ein, stellen sie mit ihrer Einzahl bei gegenseitigen Besuchen an Bord oder gemeinsamen Unternehmungen leicht ein zahlenmäßiges Ungleichgewicht her, sind sie als Alleinreisende quasi »überzählig«. Hinsichtlich des sozialen Umganges innerhalb der Seglergemeinschaft steht es zwar nicht im Vordergrund, in welcher Konstellation jemand segelt, ob allein oder zweit, und weder Einhandsegler noch Paare würden eine Ausschließlichkeit des engeren Umgangs konstatieren, aber doch scheinen sich Einhandsegler häufig untereinander zusammenzuschließen – zum gemeinsamen Wochenmarktbesuch oder einer längeren Inlandreise. In Kais Berichten über seine erste Weltumsegelung fällt auf, daß er immer wieder beschreibt, daß es andere Einhandsegler sind, mit denen er sich zum »gemeinsamen« Segeln oder eine bestimmte Überfahrt verabredete, daß er mit einem anderen Solo-Segler die Nord- und Südinsel Neuseelands bereiste – jeder mit dem eigenen Auto. Gleichzeitig gilt aber auch, wie Willi es hier beschreibt und es auch in den Erzählungen von Paaren aus der Gegensicht geschildert wird, daß Einhandsegler gerade aufgrund ihres Alleinseins mit besonderer Fürsorge bedacht werden. Auch aus der »alten« Zeit berichtete eine Seglerin, daß sie sich an einen holländischen Einhandsegler erinnerte, der ganz selbstverständlich immer bei ihnen (auf ihrem nur 31 Fuß großen Boot) zu Gast war, und sie – auf nur einem Brenner! – große Mahlzeiten für drei Personen zubereiten musste – »Und die Männer schnackten«. Aus der besonderen Konstellation heraus, daß er als Einhandsegler unterwegs ist, dessen Ehefrau aber ab und an besuchsweise mit an Bord ist, reflektiert Jochen seine eigene Position unter den in aller Regel eben ständig paarweise auftretenden Mit-Seglern. Jochen: Interessant ist - wenn meine Frau an Bord ist, habe ich viel mehr, plötzlich viel mehr Kontakte. Kann natürlich auch an mir liegen (lacht) Also interessant, wie da plötzlich … ganz witzig. MK: Weil Ihr dann als Paar aufgenommen werdet? Jochen: Ja. Es ist verrückt. […] Das find ich ganz merkwürdig. Als wie wenn - ich bin ja nun ein alter Knacker. […] Ich bin vielleicht auch anders als andere, weiß ich nicht. Ich käm’ auch niemals auf die Idee auszunutzen, daß ich hier alleine bin. Das weiß meine Frau, und ich

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weiß auch, daß sie… weil die hier immer so blöde Witze machen. Ich mach gar nichts. […] Weil, ich hab ganz andere Interessen im Leben. MK: Aber ist das irgendwie der Ruf der Einhandsegler? Jochen: Ja, die fahren ja zum Teil, ich weiß es hundertprozentig, die fahren wirklich wo hin, wo sie, äh, irgendwelche jungen Weiber aufgabeln können. Find ich völlig irre. Find ich völlig beknackt, völlig wahnsinnig. Ich hab Leute kennen gelernt in der Karibik, die kamen aus dem Gambia-River oder was weiß ich. Oder Brasilien. Hab ich Sachen gehört - die haben nicht alle Tassen im Schrank. SY BOSTON, seit 1997

In Jochens Überlegungen zur Position des Einhandseglers innerhalb der Seglergemeinschaft wird das weite Feld und die Komplexität zwischenmenschlicher (Segler)Beziehungen deutlich, auch eine aus der Intensität und extremen Nähe, aus den außergewöhnlichen Umständen einer Weltumsegelung erwachsende Fragilität von Paarbeziehungen. Dabei mag es nicht unbedingt häufiger als unter »normalen« Umständen vorkommen, daß Paare sich trennen, und Partner neue Beziehungen eingehen, wohl mag aber innerhalb der cruising community die Beobachtung dieser Ent- und Verwicklungen aufgrund der »Öffentlichkeit«, die auf Yachten als Reisemittel und Lebensraum herrscht, recht ausgeprägt sein.4 Oder wie es ein Langzeitsegler hinsichtlich der gegenseitigen und allgemeinen Beobachtungspraxis innerhalb der Seglergemeinschaft formulierte: »Vor allem hilft da die Funke viel. Wer mit wem. Und, was, die hat das Boot gewechselt, wo ist sie denn jetzt. Das ist wie ein kleines Dorf.« Auch wenn sich in der »neuen« Zeit die Verbreitungswege von Neuigkeiten und Gerüchten, von Klatsch und Tratsch über die face-to-face-Kommunikation hinaus vervielfacht und beschleunigt haben, hat sich an der Aufmerksamkeit für derlei Vorgänge seit der »alten« Zeit nichts geändert.

4

Ein wiederkehrendes Motiv sind Erzählungen über aus der Nähe oder häufiger noch aus der Ferne miterlebte Beziehungsdramen. Etwa Seglerinnen, die von Bord gehen, um dann auf das Schiff eines anderen Fahrtenseglers zu ziehen. – Älteren Einhandseglern wird, mal mehr, mal weniger berechtigt nachgesagt, ihre Attraktivität als westliche, wohlhabender Yachtie für junge, einheimische Frauen gerade ärmerer besuchter Länder durchaus auszukosten, um i.a.R. nur kurzfristige Beziehungen einzugehen.

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Von Paaren Johann: Prinzipiell, wenn wir alleine unterwegs sind, streiten wir uns eigentlich nicht. Bettina: Da hat sie nicht danach gefragt, nach dem Streiten … Johann: Das ist aber das Thema. Streit gibt’s eher, wenn wir in Gesellschaft sind. SY HELENA, 1995 - 2003 (NZ)

Den richtigen Partner für das Segeln als Lebensstil zu finden erscheint mehr noch als seglerisches Können und Wissen die zentrale Herausforderung einer Weltumsegelung. Dies zeigt sich in dem persönlichen Hintergrund vieler Einhandsegler ebenso wie bei den Paaren, die allermeistens auf Fahrtenyachten anzutreffen sind. Für Georg, der in den frühen 1970ern aufbrach, hatten die vielen anderen, »vorausgefahrenen« Weltumsegler längst gezeigt, daß Erdumrundungen auf kleinen Segelyachten machbar sind. Das Moment des Unbekannten lag in der individuellen Erfahrung des engen Beieinanderseins; mehr als das Segeln war das Zusammenleben an Bord das eigentliche Abenteuer, auf das er und seine Frau sich einließen. Georg: Ich meine, vielleicht, ich weiß nicht, ob wir da groß drüber nachgedacht haben, aber tatsächlich, wenn zwei Menschen auf so engem Raum zusammenleben, müssen sich beide ändern. Das ist schon richtig. Und nicht nur das, du musst auch mehr Vertrauen entwickeln, ne. Weißt du, wenn du schläfst, und der andere geht die Wache, dann musst du dich schon darauf verlassen können, daß da alles richtig läuft. Und wenn nicht, dann brechen so’ne Beziehungen auseinander. […] Und wie sich das entwickelt, das weiß natürlich keiner. […] SY ALFREDO, 1972-82

Neben den beengten räumlichen Gegebenheiten sind es die Erfahrung absoluter Zweisamkeit und intensive Nähe, das auf kleinen Segelyachten mit kleiner Besatzung notwendige gegenseitige, völlige Vertrauen und die daraus erwachsenen gegenseitigen Abhängigkeiten, wie auch die durch den Lebensstil bedingte Selbstund Grenzerfahrung in unterschiedlichen Extrem-Situationen, die als Belastungsprobe einer Beziehung verstanden werden müssen. Gerade in dieser Hinsicht gelte, so betonte ein anderer Weltumsegler, daß man zwar das Land, nicht aber sich selbst zurücklassen kann. Diese banale, doch nichtsdestoweniger zutreffende Erkenntnis spiegelt sich sowohl im Umgang mit dem eigenen Partner wie in den Erfahrungen mit den Mit-Seglern. Claudia: Also das ist etwas, was man schon sehen muß, daß also das Psychische eigentlich viel, viel wichtiger ist auf einem Segelboot, als das Technische. Also, ich hab das so empfunden. Und viele, viele Partnerschaften gehen ja auch deswegen zu Bruch, auf den Booten. Weil

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nicht nur die Enge so bedrückend ist, sondern auch weil die Probleme halt miteinander nicht gelöst werden können. Und ich denk halt, wenn du dann zu zweit … und die meisten Booten sind nur mit zwei Menschen ausgestattet gewesen, nur mit Paaren … und wenn du da nicht gut zusammenarbeiten kannst, und ganz gute Nerven hast, dann mußt’ sowieso irgendwann aufgeben. Und viele Frauen laufen also davon. Viele. Also, wir haben ganz viele Segler getroffen, wo die Freundin oder die Frau also dann irgendwann, meistens schon in der Karibik ausgestiegen ist. SY FLAHERTY, 1995-99

Zumindest in der subjektiven Wahrnehmung von Seglern wie Seglerinnen, in ihren Erzählungen über andere, dominiert das Bild unausgeglichener Bordbeziehungen und genderspezifisch sehr unterschiedlichen Erfahrungen des Fahrtensegelns. Die Basis dieses Ungleichgewichtes wird häufig darin gesehen, daß es sich bei der Weltumsegelung in aller Regel um die Erfüllung eines Männertraums handelt, und (Ehe)Frauen nicht aus genuin eigenem Interesse, sondern als loyale Partnerinnen und primär um der Beziehung willen »mitsegeln« (vgl. Jennings 1999: 126-149; 2005). Wie schon Jennings feststellte, zeichnet sich zeitenübergreifend auch in meinem Sample ab, daß zwar die Liebe zum Segeln auf manchen Schiffen von Männern wie Frauen geteilt wird und dies auch Anstoß zum Langzeitsegeln war, es jedoch eindeutigerweise Männer sind, die schon als Kinder oder Jugendliche vom Fahrtensegeln (als Abenteuer) träumten, oder bei denen die Weltumsegelung im Kontext einer »Segler-Karriere« steht. Die eigentliche bzw. erste Initiative geht fast immer von Männern aus, gleich ob vornehmlich aus Segelbegeisterung oder Reiseund Abenteuerlust. Hanni und Walter etwa blicken, in fast fünfzig Ehejahren, auf eine vielfältige gemeinsame Reise- und Urlaubsbiographie zurück. Nach Jahren des Campings mit Zelt und Wohnwagen rückte mit einer Ferienwohnung am Steinhuder Meer für Walter der Wassersport immer mehr in den Vordergrund. Eigentlich Windsurfer, wurde er dort rasch zum begeisterten Jollensegler. »Der Traum vom größeren Boot und der Segelei« mußte erst einmal auf später verschoben werden, aber im Urlaub wurde nun auf Chartertörns mit Freunden des lokalen Segelvereins das gesamte Mittelmeer besegelt. Und Hanni zog mit. Walter: […] Und dann haben wir diese Törns gemacht. Und, ja, das hat mir sehr viel Spaß gemacht. Und, ähm, die Hanni hab ich dann eigentlich erstmal mitgerissen, ich glaub, so überzeugt war sie gar nicht. Hanni: Ich war von der Segelei nicht so groß überzeugt. MK: Ich wollte gerade fragen, ob Du auch auf dem Steinhuder Meer gleich von Anfang an mitgesegelt bist? Hanni: Ja, schon, als wir das Boot hatten. Da bin ich schon mitgesegelt, aber eben mitgesegelt. Nicht selber.

278 | W ELTUMSEGLER MK: Hat’s Dich nicht so gepackt? Hanni: Nein, nein, das Selbstbewusstsein musste erst langsam gedeihen. Walter: Sie hat dann Sportbootführerschein gemacht, auch. Und, ähm, na ja, also erstmal ein größeres Boot fürs Steinhuder Meer war nicht drin, auch geldmäßig nicht. Wir hatten die Wohnung, und wir hatten das Boot, das große Haus zuhause. Und da ging das nicht. Wir hatten aber immer das Ziel, wir kaufen uns mal ein größeres Boot. Beide auch. Oder? Hanni: Ja, am Anfang auch noch nicht. Das war eher Dein Ziel, sagen wir mal so. SY LIESELOTTE, seit 1992

Die Weltumsegelung als von Anfang an geteilter Traum, als gemeinsam verfolgtes Ziel, das von einem gleich ausgeprägten Interesse am Fahrtensegeln motiviert ist, wurde mir gegenüber in den Gesprächen mit Akteuren und Akteurinnen der »alten« wie der »neuen« Zeit immer als Ausnahme von der Regel dargestellt. Allerdings sprachen Seglerinnen ebenso häufig davon, sich für die Idee zu begeistern bzw. begeistern zu lassen, und sehr aktiv an der Realisierung des Planes mitzuarbeiten (s.o. ALEPH, S. 165). Die Frauen betonten ihre agency, und ihre eigene, gleichberechtigte Rolle an Bord, wo sie eben nicht nur die »mitsegelnde Ehefrau« stellen, wie dies jedoch auf vielen – den anderen – Fahrtenschiffen der Fall sei. Allerdings zeigt die praktische Aufgaben- und Verantwortungsverteilung, inwieweit dieser Anspruch auf die gelebte Segelpraxis und das Leben an Bord tatsächlich zutrifft. Claudia: Also ich mein, ich war ne Ausnahme, weil ich also auch navigiert hab, und auch an der Pinne gesessen bin. Also, machen wenige Frauen. Ganz wenig. Die meisten Frauen sind eigentlich diese Bordfrauen, wie du dir das also vorstellst. Die haben genauso einen Alltag wie zuhause. Sind da zum Kochen, zum Aufräumen, und zum Bedienen von ihrem Skipper, sag ich jetzt mal. Und die Männer, die benehmen sich also auch fürchterlich. Wirklich fürchterlich. Was wir das also mitgekriegt haben, wenn die Frau also mal das Schiff führen musste, weil er Ankermanöver fährt oder sonst irgendwas. Es war einfach fürchterlich. – Und da mein ich, da ist es schon so, daß man sagen muß, daß die meisten Frauen halt einfach im Laufe des ersten Törns schon merken, also des längeren Törns schon merken, das des also einfach Horror ist. Und da lernt man sich ja auch wirklich sehr kennen. Weißt ja selber. MK: Ja. Claudia: Und da stellt sich dann immer heraus, ob du zusammenbleiben kannst, oder nicht. SY FLAHERTY, 1995-99

Ob das Klischee eines dominanten, Anweisungen erteilenden Skippers und einer unselbständig mit- statt aktiv selbst segelnden Bordfrau oder auch das von der Weltumseglerin Beate Kammler (vgl. Kap. 2.1) aufgebrachte Schlagwort der Frau als »Sexualproviant« – gerade in ihrer Überzeichnung können diese stereotypen Rollenzuschreibungen als brauchbare Instrumente der Distinktion von Seglerinnen gesehen werden, die sich in dieser Hinsicht als emanzipiert verstehen. Vor der Folie

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eines tatsächlichen oder projizierten Beziehungs-Ungleichgewichtes bei ihren MitSeglern, hebt sich gerade in der Selbstrepräsentation von Paaren die Ausgewogenheit und Harmonie der eigenen Bord-Beziehung umso deutlicher ab. Irmgard: Unter den Frauen, Seglerfrauen, haben die immer gesagt: »Also, ich versteh Dich nicht, Irmgard, daß Du die Reise gut fandst, die lange Segelreise. Ich fand die nicht gut. Ich wäre unehrlich, wenn ich sage, es hat mir gefallen. Ich musste ja mitfahren. Ich wollte ja nicht zuhause bleiben, also hab ich die Reise mitgemacht. Aber ich fand das nicht schön. Da unten in der Kajüte und kochen und so.« - So hab ich das aber nicht gesehen. Ich muß sagen, also, bei schlechtem Wetter fand ich’s ja auch nicht gut. Und ich hab’s ja doch überstanden. Till: Hast auch nicht kochen müssen. Haben wir Zwieback gegessen. Oder irgendwas. Irmgard: Ne, genau. Dann haben wir eben kalt gegessen. Geht ja dann auch. Und ich war immer eine der wenigen, die eigentlich nichts auszusetzen hatten an der Reise. Und viele Frauen sagten immer »Du musst mal ehrlich sein«. SY IRMA, 1973-74 (NZ)

So wie Irmgard den Austausch mit Mit-Seglerinnen erinnert, zeigt die ihr gegenüber ausgesproche Aufforderung, »mal ehrlich zu sein«, daß offensichtlich doch viele »Bordfrauen« ihrer Segler-Generation aus den eigenen Erfahrungen ableiten, Frauen auf Segelschiffen würden allgemein nur um der Beziehung willen mitfahren und selbst kein Gefallen am Lebensstil finden. (Wozu die »klassische« Arbeitsteilung an Bord unter den in der »alten« Zeit noch wesentlich einfacheren, unkomfortableren Umständen sicherlich ihren Teil beigetragen hat). Zugleich wird in ihrer Erzählung aber auch sehr deutlich, daß auch sie selbst eine »traditionelle« Rollenverteilung an Bord nicht in Frage stellte, und das Kochen ganz selbstverständlich als ihren eigentlichen Aufgabenbereich beschreibt. Unter späteren Seglerinnen-Generationen zeigt sich einerseits eine deutliche Kontinuität in der Übernahme »klassischer« Frauenaufgaben im Bord-Haushalt, andererseits aber doch eine Stärkung der eigenen Position. Sehr häufig werden jüngere Weltumsegelungen von Frauen unter dem Vorbehalt angetreten, von Etappe zu Etappe zu entscheiden, wie und ob das Fahrtensegeln fortgesetzt wird, etwa nach dem ersten halben Jahr im Mittelmeer oder der Atlantiküberquerung. Die Haltung, »mal sehen, wie weit wir kommen«, gilt sowohl für die Reise und das Segeln wie eben auch für die Beziehung unter den neuen Umständen des Langzeitsegelns. Damit sie später nicht das Gefühl hätte, »nicht runter zu können, auf Gedeih und Verderb ans Boot gekettet zu sein«, zog eine Ehefrau nur unter der Bedingung aufs Schiff, auf ihrer open-end Weltumsegelung einmal jährlich zumindest die Möglichkeit zu haben, für einen Besuch bei Familie und Freunden heimfliegen zu können. Gerade in der bewussten Entscheidung darüber, mit wem und wie sie verbunden sein und bleiben wollen, und damit in ihrer Teilnahme am Fahrtensegeln, wie auch eines selbstbewussten »Ausstiegs«, äußert sich für Jennings die agency der von ihr

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in den Fokus gerückten Langzeitseglerinnen als aktiv handelnde Subjekte. Die Akteurinnen sehen sich selbst vor allem deswegen in einer stärkeren Position, als es die auf den ersten Blick sehr ungleiche Aufgaben- und damit Machtverteilung vermuten lässt. Daß »relationship committments« ihre primären Motive sind führt mit Jennings andererseits dennoch dazu, daß Bordfrauen generell »exploitation, marginalization, powerlessness and cultural imperialism« erleben, da sich ihr Verantwortungsbereich in der alltäglichen Fahrtenpraxis auf den Haushalt beschränkt, sie von (seglerischen) Entscheidungsprozessen ausgeschlossen werden und eine psychische wie ökonomische Abhängigkeit vom Partner erfahren (Jennings 2005; 1999: 331-386). Gerade eine wirtschaftlich schwächere Position kann emotionale Abhängigkeiten enorm verstärken. Während eine Seglerin im Grunde positiv herausstellt, wie die beengten räumlichen Gegebenheiten der Fahrtenyacht bewirken, daß Konflikte nicht verdrängt, sondern gelöst werden (müssen), läßt sich auch heraushören, daß allein aufgrund der Besitzverhältnisse sie eher dazu bereit sein dürfte, nachzugeben. Tanja: Ich hab sehr gelernt, sofort drüber zu sprechen. MK: Durch das Boot Tanja: Ja, ne, weil man dem nicht ausweichen kann. Entweder einer verlässt fluchtartig das Schiff. Und das bin ja dann ich, es ist ja nicht mein Schiff. (lacht). Oder man lernt, miteinander auszukommen. SY JULE, 2004-08

Vor allem, und darin stimme ich Jennings völlig zu, spiegelt die Rollenverteilung an Bord auch eine ungleiche Machtverteilung. Während die häufig immer noch anzutreffende traditionelle Arbeitsteilung, bei der sie für den Haushalt, und er für Technik und Motor zuständig ist, vor allem allgemein patriachale Strukturen widerspiegeln, sind es die spezifischen Fach-Kenntnisse des Segelns und des Navigierens, über die Macht und Autorität an Bord von Fahrtenschiffen verhandelt wird. Das Diktum »Wissen ist Macht« gilt hier ganz besonders, führt der Mangel an (Fach)Wissen – gleich ob aus eigenem Desinteresse oder aufgrund mangelnder Gelegenheit, Erfahrungen zu gewinnen – zur Marginalisierung bzw. Unselbständigkeit von nur »mitsegelnden« Ehefrauen. Dies gefährdet nicht nur das Gelingen der gemeinsamen Reise, sondern auch die Beziehung an sich. Georg: Gibt natürlich Boote, hab ich auch schon gesehen, wo die Frau gar nichts weiß. Das ist natürlich tödlich. Für das Segeln, und für die Ehe als solche. SY ALFREDO, 1972-82

Umgekehrt erscheint es für Seglerbeziehungen und den Lebensstil Langzeitsegeln als langfristig erfolgversprechend, wenn gemeinsam Verantwortung übernommen

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wird, und anfängliche Wissensdefizite im Laufe der Reise so ausgeglichen werden, daß sich bei einer persönliche Interessen, Vorlieben oder physische Möglichkeiten berücksichtigende Arbeitsteilung keiner der Partner ausgenutzt oder benachteiligt fühlt, so daß ein Machtgleichgewicht erreicht wird. Die reflektierte Auseinandersetzung über die Aufgabenverteilung an Bord zeigt dabei, daß sich gerade jüngere (Segler)Generationen über die genderspezifischen Rollen und sich darin verbergenden Machtverhältnisse bewußt hinwegzusetzen versuchen. Barbara & Franz (FB): Ja, unsere Arbeitsteilung hat sich im Laufe der Jahre entscheidend verändert. Da meine Frau ja erst durch mich zum Segeln kam, war ich zunächst der Experte. Aber das änderte sich rasch. Inzwischen sind es pragmatische Gründe, warum ich die schweren Arbeiten an Deck wie Segelwechsel oder Ankermanöver mache. Barbara ist hervorragend an der Maschine. Wir verstehen uns blind ohne Worte. Auch die Navigation macht sie sehr sorgfältig. - Und da sie besser kocht als ich, versieht sie auch diesen Job. - Ich bin für die technische Instandhaltung des Bootes und der Maschine zuständig. [...] Auf jeden Fall ist es für uns keine Prestigefrage, wer welchen Job macht. SY LIBITINA, 1991-94 & seit 1996

Einerseits betonen viele Akteure, Segler wie Seglerinnen, wie wichtig eine ausgeglichene Aufgaben- und Verantwortungsverteilung an Bord ist, andererseits zeigt sich, wie in auch in der alltäglichen Arbeitsteilung, daß in der gelebten Fahrtenpraxis die Rollen kaum je gewechselt werden, was de facto zu einer Benachteilung durch Hilflosigkeit führt. Denn während es im Grunde auf einer Fahrtenyacht notwendige Bedingung sein müsste, daß beide Partner – im Notfall – selbständig das Schiff führen können, sind die täglichen, arbeitsteiligen Routinen häufig so eingespielt, daß nicht nur eine psychische, sondern auch ganz praktische Abhängigkeit mancher Seglerinnen vom damit allein verantwortlichen Schiffsführer besteht. MK: Könntest Du auch – im Notfall – alleine segeln? Tanja: Also, das ist so ein bisschen die Grenze. Weil wir das natürlich nie ausprobiert haben, ne. Ich würde sagen, ich könnte das Schiff alleine segeln, wenn jetzt nur die Fock draußen ist. Ich hätte dann Angst, auch das Groß draußen zu haben. Weil ich nicht schnell genug wüsste, wie werd ich das wieder los. Oder wie reff ich das alleine. […] Die Schiffsführung am Ruder kann ich. Äh, und hab natürlich auch meine Nachtwachen ganz alleine gemacht. Ich kann die Windsteueranlage einstellen. Hab mir aber bisher eigentlich immer so diese Rückversicherung besorgt, na, hab ich denn auch alles gut gemacht. Oder der Klaus guckt, ob alles richtig ist, und macht mal so ein Fein-Tuning. […] MK: Wer macht die Navigation? Tanja: Also, sagen wir mal, den… großen Teil macht er. Theoretisch könnt ich das auch. […] Und was ich also auch immer abgegeben habe, das ist ’ne Riffeinfahrt. [..] ich sag, ich setz

282 | W ELTUMSEGLER dieses Schiff nicht auf ein Riff. Da kommt aber, glaub ich, doch dies »Mein und Dein« raus. Wenn’s wirklich schwierig ist, ist der Käpt’n verantwortlich. SY JULE, 2004-08

In einer Rollenverteilung auf Fahrtenschiffen, bei der nur der Mann, als Bootseigner und »Käpt’n« die Verantwortung für die Schiffsführung trägt und sämtliche seglerischen bzw. navigatorischen Entscheidungen alleine trifft, liegt, wie von vielen Seglern und Seglerinnen selbst thematisiert wird, grundsätzlich erhebliches Konfliktpotential. Um dieses Mißverhältnis auszugleichen erfordert es dabei einerseits die Bereitschaft des Mannes, (Fach-)Wissen zu teilen und zu vermitteln, bestimmte Arbeitsbereiche und damit auch (Entscheidungs-)Macht abzutreten, andererseits auch das Interesse und die Bereitschaft der Frau, diese zu übernehmen. MK: Ihr hattet diese Einteilung, Gisela ist für die Versorgung zuständig [beide stimmen zu], Helmut für die Maschine … Gisela: … und die Ersatzteile, und die Technik. Ja, also die Gesamtplanung für die Lebensmittel, die an Bord kommen, die hab ich immer gemacht. Das war aber schon seit 1968 so, wenn wir auf eine gemeinsame Reise gingen. Helmut: Und die nautischen Sachen hab ich in erster Linie gemacht. Wobei ich also auch möglichst Gisela immer da reingezogen hab, und sie das auch gerne machte. Wann wir wo sein können, und welche Aspekte man beachten muß und wie das ist. Das ist eine Sache, die generell – nicht was Langfahrten nur angeht - generell bei Seglern wichtig ist, bei Segelpaaren. Daß die mitsegelnde Frau, auch wenn sie sehr spät erst ans Segeln kommt, daß sie an wesentliche, strategische Dinge rangeführt wird. […] Gisela: Ja, ja. Also, die meisten – die meisten unterwegs, die mögen aber nicht, die Frauen. Die fahren entweder überhaupt nur gezwungenermaßen mit, oder immer nur streckenweise. Ähm, ja, oder gar nicht. Die Männer sind ganz und gar Einhand unterwegs. […] SY VENILIA, 2000-05

Wenn, was in der »neuen« Zeit aufgrund vereinfachter globaler Transport- und Kommunikationsmöglichkeiten wie auch des Wohlstandes vieler älterer Segler durchaus gängige Praxis ist, die Ehefrau nicht permanent mitsegelt, sondern nur besuchsweise an Bord kommt, hat dies allerdings zu Folge, daß kein wirklich gemeinsames Erleben stattfindet, spezifische (Selbst)Erfahrungen nur indirekt vermittelt werden können. Demgegenüber birgt das gemeinsame, aber unterschiedlich motivierte Fahrtensegeln die Gefahr, trotz oder gerade wegen der geteilten (Extrem) Erfahrungen unter den außergewöhnlichen Umständen, an dem wenig bzw. nicht nur traumhaften Alltag einer Weltumsegelung zu zerbrechen. Wiederkehrende Tropen in den Erzählungen der eigenen Erfahrungen und Beobachtungen der cruising community sind neben dem (lustlosen) »Mitsegeln« daher sowohl der »Ausstieg« vieler Ehefrauen auf der Reise, aber auch die Weltumsege-

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lung als Unternehmung, die erst in einer zweiten Beziehung, mit dem zweiten als dem »richtigen« Partner, realisiert werden konnte. Bettina: Und was wir oft auch mitkriegt hättn, daß viele mit dem zweiten Partner erst losziaget. Ganz oft. Johann: Und gleichzeitig haben wir auch Einhandsegler kennen gelernt, die eigentlich gar nicht Einhandsegler sein wollen. Weil die Frau nicht mit ist. Das war halt da immer der Traum von demjenigen, und er ist halt losgezogen und sie kommt halt ab und zu und besucht ihn mal. Also die Ehe ist deshalb nicht in Bruch gegangen. […] Bettina: Das war immer ganz schad, für beide, gell. Sie, die Frauen, trauen sich dann meistens nicht mitzusegeln. Die haben Angst um ihre Männer, wenn die dann wieder segeln, und die Männer sagen, jetzt kommt das Schöne, und sie erlebt das alles gar nicht. […] SY HELENA, 1995-2003 (NZ)

Im Verweis auf die »Bord-Beziehungen« auf anderen Schiffen, darauf, ob die Entscheidung zum Fahrtensegeln gemeinsam getragen wird oder wie die Rollen verteilt sind, wird wiederum das Bemühen um Selbstverortung – und Distinktion – im direkten Umfeld der Mit-Segler deutlich. Trotz der Selbstrepräsentation als ganz »gewöhnliche« Weltumsegler, gibt es doch immer eine Antwort auf die Frage, worin man sich von den anderen unterscheidet. Etwa das beiderseitig gleich ausgeprägte Interesse am Lebensstil Segeln. Jörg: Ne. Also bei uns, ich glaube wir sind da ne Ausnahme, war das so, daß beide die Idee irgendwie klasse fanden. Und oft, meistens sind es die Männer, die das wollen, und die Frauen ziehen mit. Weil die Alternative ist halt Trennung, oder so (lachend). Zumindest zeitweise Trennung. Sabine: Bei uns ist das sowie anders gewesen. Weil total viele, die sind ein paar Jahre zusammen, und dann kommt die Idee, und dann haben die ein kleines Boot. Und dann haben die irgendwann ein größeres Boot. So, und dann gucken die, wie sie das mit dem Job machen. Als wir nach dem Boot geguckt haben, […], da waren wir grad erst zwei Monate zusammen. Und als wir das Boot gekauft haben, waren wir noch nicht mal ein Jahr zusammen. Und wir haben noch nie vorher zusammen gewohnt. Also das Boot war unsere erste gemeinsame Wohnung quasi. Insofern ist das sowieso ganz anders als bei den meisten anderen. SY DOLCEVITA, seit 2004

Auf eine solche »Seglerkarriere«, wie sie hier von Sabine als die unter Weltumseglern am häufigsten anzutreffende beschrieben wird, blicken etwa Elke und Michael zurück. Sie lernten sich während ihrer Studienzeit Ende der 1960er bei einem Segellehrgang kennen, segelten später mit der eigenen Yacht auf Ost- und Nordsee, aber auf die große Fahrt um die Welt starteten sie erst mit Mitte bzw. Ende Fünfzig, als Michael seine Praxis als niedergelassener Arzt aufgab und Elke

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sich als Lehrerin für einige Jahre beurlauben lassen konnte. Gleichwohl sehen auch sie sich als Ausnahme von der Regel. Denn ihrer Meinung nach ist es gerade ihr Beziehungsstatus, der sie von den meisten anderen Weltumseglern der zeitgenössischen cruising community unterscheidet. Elke: Wir waren eines der wenigen Ehepaare, die solange verheiratet sind, komischer Weise. Michael: Ja, das ist wahr. Elke: Es sind nicht viele. Es gibt sie natürlich, aber die meisten haben eine andere, jüngere Lebenspartnerin. (lacht) Michael: Das kann man wohl sagen. Wenn Du danach fragst, kann man sagen: Ja, wir sind vielleicht eins der ganz wenigen [Ehepaare], die vierzig Jahre verheiratet sind, und es dann noch gemacht haben. MK: Und zusammen zurückgekommen ist … Michael: Ja, und zusammen zurück. Das ist wohl wahr. Das ist nicht so häufig. Elke: Es gab natürlich auch Streitigkeiten. Dazu sind wir auch beide zu … Weil wir beide uns auch nicht zu sehr unterbuttern lassen. SY BRIGHT DAY, 1997-2006

Auch wenn gerade an dieser Stelle das Gespräch durch eine Bemerkung Michaels über die Aussicht in eine andere, unverfänglichere Richtung gelenkt wurde, kann ich generell festhalten, daß der Themenkomplex »Paarbeziehung an Bord« von den eben meistens in dieser Konstellation segelnden Yachties nicht nur in seiner Relevanz betont, sondern auch offen und frei mit mir diskutiert wurde. Daß immer wieder in besonderem Maße darauf hingewiesen wird, daß die Herausforderung einer Weltumsegelung eben auch im ungewohnt engen Zusammenleben an Bord liegt, schließt dabei umgekehrt nicht aus, daß gerade die Intensität des Bordlebens auch als besonderer Gewinn empfunden wird, der eine Entscheidung für die dauerhafte, unbefristete seglerische Wanderexistenz (mit)begründet. Barbara & Franz (FB): Die Zweisamkeit, wie wir sie erleben, wäre an Land unter »normalen« Bedingungen so intensiv wohl nie erlebt worden. Das ist ein ganz kostbarer Punkt. Unsere Beziehung wurde sehr stabil dadurch. SY LIBITINA, 1991-94 & seit 1996

Während manche Seglerbeziehungen an bzw. unter der Realität des Alltags Fahrtensegeln offensichtlich zerbrechen, werden andere durch die außergewöhnlichen Umstände gestärkt. Die uneingeschränkte Nähe und extreme Zweisamkeit, die in den meisten Fällen im Gegensatz zu der an Land erfahrenen alltäglichen

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Arbeits- und Lebenswelt steht5, werden von manchen Akteuren gar als »Paradies« empfunden: »Es ist traumhaft, mit seinem Partner 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr zusammen zu sein«, fasste ein Paar die Erfahrungen ihrer fünfjährigen Weltumsegelung zusammen. Eine Weltumseglerin der »alten« Zeit zog den Vergleich, daß das Leben auf dem Boot eigentlich der Ehe gleiche, in der eben gute wie schlechte Zeiten miteinander durchgestanden werden. Auch wenn Seglerinnen der »neuen« Zeit demgegenüber zwar häufiger auf die Kompromissbereitschaft beider Partner, und damit auf die Stärke der eigenen Position verweisen, stimmen die unterschiedlichen Segler(innen)generationen darin überein, daß einerseits der Lebensstil und primär die Segelyacht selbst spezifische Probleme generieren, die in der Beengtheit des Schiffes »neue« Konfliktlösungsstrategien erfordern, andererseits manche Streitpunkte und Befindlichkeiten im Kontext der Reise und vor allem auf See gar keine Rolle mehr spielen. Gudrun (an Peter gerichtet): Du hattest da diesen Spruch damals - »Man kann nicht in ’ne Kneipe gehen, die Tür zu schlagen, und ist erstmal weg von zu Hause.« Das kann man ja in der Tat nicht. […] Man muß Rücksicht aufeinander nehmen, man muß alles durchdiskutieren. Aber was dann auf der anderen Seite, finde ich, beim Segeln so toll ist, ist, weil ja so die Elemente das Leben bestimmen. Wind, Wasser. Und dem muß man sich unterordnen. Und dann gibt es überhaupt keine Diskussion. Und es fallen so Reibereien weg, die vielleicht hier [in Deutschland, Anm. MK] so im Alltag entstehen. Also – da war man sich dann immer einig, da musste man sich irgendwie, da konnt man sich nicht gar nicht drüber streiten. Worüber streitet man sich dann eigentlich. Ich glaub, da gab’s auch gar nicht so viele Anlässe, wie vielleicht hier. SY GUNDEL, 1972-78

Zwar kann gerade die soziale Isolation langer Überfahrten zur persönlichen Grenzerfahrung einer Beziehung werden, denn dergestalt mit einer Situation konfrontiert, in der ein Ausweichen nicht möglich ist, können latente Konflikte so offenbar werden, daß die Partnerschaft zerbricht. Umgekehrt sind es aber gerade die extremen Umstände des Segelns, die diese radikale Zweisamkeit und ständige Nähe in spezifischer Weise erleichtern. Das Aufeinander-Angewiesensein erfordert, daß Konflikte gelöst, und nicht verschleppt werden. Durch die intensive Naturerfahrung auf offener See und die nicht minder intensive Selbsterfahrung – das Überschreiten eigener Grenzen, das Erleben und Überwinden existenzieller Ängste und das daraus

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Vgl. etwa eine auf statistischen Erhebungen im Jahre 2001 beruhende Studie über die Zeitverwendung von Paaren in Deutschland, laut der sich die im Arbeitsalltag täglich im Gespräch miteinander verbrachte Zeit auf 20 Minuten reduziert (Weißbrodt 2005).

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erwachsene Selbstvertrauen – verändern sich Maßstäbe und Werte, manch intellektuelles Beziehungsproblem relativiert sich vor konkreten Bedürfnissen und handfesten Aufgaben auf einer kleinen Fahrtenyacht, etwa während der Atlantikquerung. Jenny: Wenn du das jetzt in Deutschland jemandem sagst, unseren Freunden. Da sagen sie dann: »Oh Gott, vier Wochen mit meiner Frau auf dem Boot, und du kannst nicht weg. Ich, ich bring sie um, ge, ich würd sie umbringen.« (Hubert lacht). Nein, sag ich, würdest du auch nicht. Weil du nämlich deine Ruhe hast. Du hast kein Telefon, keiner will was von dir. Du bist nur mit deiner Frau und das ist wirklich schön. Du kannst essen, wann du Hunger hast, du schläfst, wenn du müde bist. Das alles nach Deinem Körper, wie du des empfindest. Hubert: Aber wie man dort auf dem Meer die Seele baumeln lassen kann, das kann man keinem erklären. Das muß man einmal erfahren haben. SY COSIMA, seit 1994

Der Mut, zur Weltumsegelung aufzubrechen, beinhaltet für Paare – zumindest temporär und immer wieder – den Mut zur absoluten Zweisamkeit. Daß sich aber gerade im Alleinsein während einer wochenlangen Ozeanüberquerung alltäglich erfahrene Spannungen in einer Beziehung erübrigen können, weil der räumliche Distanzierung eine Befreiung aus gesellschaftlichen Verpflichtungen einhergeht, das Leben sich vereinfacht und auf elementare Bedürfnisse reduziert, gehört mit zu den prägendsten, und zugleich am schwersten zu vermittelnden Erfahrungen des Lebensstils Fahrtensegelns.

6.2 H EIMAT -B EZIEHUNGEN »Zwei verschiedene Welten« l Entfremdung und Verbundenheit über Raum und Zeit

»Zwei verschiedene Welten« In den mitreisenden Gefährten, sei es Partner, Ehefrau oder bester Freund, können Langzeitsegler und -seglerinnen ihr ursprüngliches soziales Umfeld zwar anteilig mit auf die Reise nehmen, doch zugleich verändern sich durch die räumlich-zeitliche Distanzierung zwangsläufig ihre Bindungen zur Herkunftgesellschaft, müssen die Beziehungen zu Familie und Freunden zuhause aus der Mobilität heraus neu ausgehandelt werden. Die Fotografien von Familienmitgliedern und Freunden, die auf vielen Fahrtenschiffen den Salon schmücken, können eine emotionale Verbundenheit und soziale Nähe symbolisieren. In der »neuen« Zeit haben sich überdies die Möglichkeiten, regelmäßig zu kommunizieren und darüber in Kontakt und verbunden zu bleiben, nicht nur vereinfacht, sondern auch vervielfältigt. Allerdings können virtuelle

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Kontakte, auch wenn soziale Nähe nicht allein von physischer Gegenwart abhängt, die unmittelbare co-presence unter Freunden oder in verwandschaftlichen Netzwerken dennoch immer nur sehr eingeschränkt simulieren (Urry 2002). Insofern ist es für Angehörige und Freunde durch die vielfältigen Kommunikationswege zwar möglich, an dem Erlebnis »Weltumsegelung« Anteil zu nehmen, die im Gespräch oder durch schriftlichen Austausch indirekte Teilhabe kann die Erfahrung des unmittelbar geteilten Erlebens jedoch nicht ersetzen. Nicht nur, daß sich der Alltag von Yachties fundamental von dem ihres früheren sozialen Umfeldes unterscheidet. Die Wanderexistenz Segeln wird, umso mehr je länger sie andauert, durch die kaum zu vergleichenden bzw. zu vermittelnden Erfahrungen zu einer grundsätzlich anderen Lebenswelt. Barbara & Franz (FB): Ja, es ist für uns längst zum Lebensstil, zur Lebensphilosophie geworden. Und damit wird es auch schwer erklärbar für jemand, der im Alltag in Deutschland verblieben ist. Man kann es nicht mehr begreiflich machen, weil die persönlichen Entwicklungen so unterschiedlich verlaufen sind. - Aber mehr möchte ich auf keinen Fall hineingeheimnissen! SY LIBITINA, 1991-94 & seit 1996

Freilich mag das engste persönliche Umfeld Segler durchaus darin unterstützen, ihren Traum in die Tat umzusetzen, aber ebenso häufig berichten Segler, daß ihre Entscheidung überhaupt nicht nachvollzogen werden konnte, die Beweggründe der Akteure fremdbleiben. Daß eine sichere berufliche Situation aufgegeben wird, um stattdessen jahrelang um die Welt zu segeln, erscheint ebenso unvorstellbar wie das friedliche Zusammenleben während einer Ozeanüberquerung, das gewöhnliche Alltagsleben an Bord einer Fahrtenyacht oder die Risiken des Hochseesegeln. Wulf: Es gibt sehr wenige Leute zuhause, die eigentlich kapieren, was wir hier machen. Also irgendwie lebt sich das … das ist ihre Welt. Aber dasselbe würden die von uns sagen. SY TROLL, 2001-08

Mit ihrem Aufbruch aus der Herkunftsgesellschaft bewegen sich Segler und »die Leute zuhause« in zunehmend unterschiedlichen Alltagsräumen. Über ihre Erfahrungen nach der Rückkehr, aber auch, wenn sie »auf Besuch« nach Hause fahren, berichten Weltumsegler von immer weniger Überschneidungspunkten, und wie schwierig es wird, gegenseitig Verständnis bzw. auch Interesse für den jeweils gewählten Lebensstil aufzubringen. Die Reflektion dieser Erfahrungen ist dabei ein ebenso wiederkehrender Topos in den Erzählungen gerade von Langzeit-Fahrtenseglern wie das Bild zweier sich zunehmend distanzierenden und schließlich diametral gegenüberstehenden Lebenswelten. Die Wanderexistenz des Fahrtensegelns geht dabei über die Erfahrung von transnationalen Ruhestandsmigranten hinaus, die

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zwar durch ihr Pendeln in zwei sozialen und kulturellen Welten leben, diese sich aber nicht essentiell unterscheiden. So sehr sie dabei einen Zwischenzustand des betwixt and between erleben, so sehr handelt es sich dabei um Sowohl-als-Auch, in dem durch wenn auch nur singuläre Verflechtungsphänomene und Austauschbeziehungen letztlich miteinander verbundene »transnationale soziale Räume« (Pries 1998) entstehen können. Dagegen kommt neben einem fehlenden gemeinsamen Erfahrungshorizont beim Fahrtensegeln zusätzlich zum Tragen, daß mit der Weltumsegelung eben doch auch stereotype Vorstellungen eines merhrfach privilegierten Lebens – vom Ausstieg aus dem Beruf bis zum vermeintlich nur vergnüglichen Segleralltag – assoziert werden, ebenso wie allein der Besitz einer Segelyacht als Statussymbol gedeutet wird (vgl. Kap. 3.1). Gerade auch aufgrund von Unkenntnis der nur selten traumhaften Umstände der Praxis Fahrtensegeln begegnet Seglern Unverständnis und infolgedessen auch Neid: etwa, wie sich ganz »gewöhnliche« Leute eine Yacht und die »Traumreise« um die Welt überhaupt leisten können? Daß Touristen ihre Reisen gegenüber ihrer Herkunftsgesellschaft moralisch zu rechtfertigen haben (Graburn 1995: 24), gilt in diesem Sinne auch für Weltumsegelungen, die, obwohl ein dauerhafter oder zumindest temporärer Ausstieg aus soziogesellschaftlichen Beziehungen, doch immer auch an den moralischen Maßstäben der Herkunftsgesellschaft bewertet wird. Betont wird einerseits, daß Fahrtensegeln bei allem Vergnügen in erster Linie mit Arbeit verbunden ist, andererseits immer auch, daß es prinzipiell jedem möglich ist, sich für ein solches Leben zu entscheiden, und es sich keineswegs um einen Lebensstil handelt, der ausschließlich und per se (ökonomisch) privilegierten Menschen offen steht. Gerade vor diesem Hintergrund ist aber auch zu sehen, daß zugleich in umgekehrter Weise und aus der Flüchtigkeit des Lebensstils Segeln heraus die Seßhaftigkeitder Daheimgebliebenen zum ebenso wünschens- und nicht minder beneidenswerten Ideal werden kann. Willi: […] Die sehen mich immer nur halbnackig mit der wedelnden Banane am Strand liegen. Ich hab, glaub ich, fünf Tage in den acht Jahren am Strand gelegen, ne. Auch am Schiff is Arbeit. […]. Ok, ich bau jetzt kein Haus […]. Aber im Prinzip hab ich immer nur gearbeitet, dann bin ich wieder gereist. Aber für meine Freunde war dat immer nur Abenteuer, dat war einfach nur Hallodri. So haben dat viele gesehen. Und – da ist immer so ein gegenseitiger Neid aufgekommen. Ich war oft neidisch, wenn ich so gehört hab, ah, zweites Kind, oh, jetzt ein Haus gebaut, da kommt ein neues Auto, und da wird die Garage angebaut, da ist Richtfest, da kommt jeder vorbei. Da denk ich mir, Scheiße, jetzt sitzt du hier auf deinem Dampfer, und die bauen sich da ein Haus für die Zukunft, und du. Ja, du machst irgendwie nix. Aber ich weiß ganz genau, wenn ich denen erzählt hab, […] dann haben die gesagt, ja, da würde ich auch gerne hin, dat würde ich auch gerne machen. Also, man neidet immer dem, wat man nicht hat. Und wenn ich jetzt in Deutschland bin, sprech ich auch nicht mehr viel über meine

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Reise. Die wissen, wat ich mach. Und wat soll ich denen denn erzählen, dat ich da irgendwie mit’m Haifisch rumgeschwommen bin. Dat …. Ja. Dat sind zwei verschiedene Welten. SY MARLENE, 1999-2004 (NZ)

Bei aller Distanz zwischen diesen zwei Lebenswelten, die sich aus grundsätzlich unterschiedlichen Alltagserfahrungen und Prioritäten hinsichtlich individueller Vorstellungen von Lebensqualität und -zielen, sind sie gleichwohl durch die soziale Beziehungen von Fahrtenseglern zu Familie und Freuden mehr oder weniger eng miteinander verbunden. Die räumlich-zeitliche Entfernung, die eine Weltumsegelung grundsätzlich beinhaltet, erfordert dabei einen reflektierten Umgang mit der daran potentiell geknüpften Entfremdung. Diese erwächst einerseits aus dem Unverständnis gegenüber dem Lebensstil Fahrtensegeln, andererseits hängt sie auch mit den prinzipiell verfügbaren Kommunikationsmöglichkeiten zusammen. Entfremdung und Verbundenheit über Raum und Zeit Eine Weltumsegelung bedeutet dabei einerseits zwar Unabhängigkeit und Freiheit im Sinne eines »getting away from it all«, anderseits aber auch die Verpflichtung bzw. das Bedürfnis in Verbindung zu bleiben. Das Gleichgewicht zwischen diesen beiden Polen verschiebt sich dabei häufig mit der Dauer der Reise. Je länger der gesuchte Ausstieg aus der eigenen Gesellschaft zurückliegt, desto eher mischt sich ursprüngliches Fernweh und Abenteuerlust mit großer Wiedersehensfreude bei der Begegnung mit Vertrautem. Einen solchen Einstellungswandel erinnern Gudrun und Peter im Rückblick auf ihre sechsjährige Weltumsegelung, die von keinen Heimflügen unterbrochen wurde. Dennoch verbrachten sie diese Jahre nicht isoliert, sondern in regelmäßig virtueller wie gelegentlich direkter co-presence von Familie und Freunden. Gudrun: Also, Familie natürlich. Eltern und so. Das schon. Da haben wir auch regelmäßig geschrieben. Aber auch manchmal, muß ich ehrlich sagen, aus Verpflichtung, so, nich. Man muß ja die Eltern dann auch unterrichten. Und ich weiß noch, ein Erlebnis so in Tahiti – da waren wir wie lange unterwegs, zweieinhalb Jahre oder so schon? Und da rief einer vom Quai: »Ahoi, Kiel.« […] Haben wir gesagt, Oh Gott, wir wollen doch jetzt keine Deutsche treffen. (lachen) So irgendwie, bloß weit weg. […]. Und dann aber zwei Jahre später in Neu Guinea, da lag ein Frachter aus Rendsburg […] und da kamen einem fast die Tränen in die Augen. […] Und dann sind wir da an Bord gegangen, und dann sprach man noch so ein bisschen platt. Oh, das hat mich total mitgenommen. Da hatte man mal wieder so, da hat man sich gefreut eben auch Kontakt zu Leuten zu haben. Aber uns haben ja auch Freunde unterwegs besucht, ja, mehrfach. Peter: Also diese Kontakte, mit so ein paar engen Freunden, die hat’s immer gegeben. Gudrun: Mit engen Freunden, die sind auch ganz eng geblieben

290 | W ELTUMSEGLER Peter: Wie gesagt, das ging alles nur über normale Post, nich, und das dauert eben. Und mit den Freunden haben wir Kontakt gehalten. Eine ganze Reihe davon hat uns ja besucht unterwegs. Und mit unseren Eltern natürlich sowieso. Aber, die Möglichkeiten, die man heutzutage hat eben, das ist schon natürlich was anderes. Mit e-mail oder telefonieren oder gar Handy … Na gut, also, ich hatte dann ab Neuseeland auch ein HAM-Radio, nich, und aus dem Indischen Ozean haben wir es immerhin dann geschafft mal Kontakt mit Deutschland MK: Also direkt nach Deutschland? Peter: Ja. Und hab da auch ’ne Station in Braunschweig gekriegt. Und mein Vater wohnt in Wolfenbüttel, 12 km weg. Und der [Amateurfunker, Anm. MK] hat dann meinen Vater – was er nicht darf offiziell – hat ihn auch angerufen und erzählt, daß er mit mir Kontakt hatte. Und dann hat er meinen Vater sogar eingeladen, und dann habe ich, auch wider besseren Wissens, mit meinen Vater direkt gesprochen. SY GUNDEL, 1972-78

Wie ich im Folgenden ausführen möchte, sind virtuelle Kontakte nach wie vor das häufigste Instrument, trotz physischer Distanz aus der Mobilität heraus deterritorialiserte »Heimat-Beziehungen« zu pflegen. Daneben setzt soziale Nähe jedoch immer auch unmittelbare Interaktion voraus, wie sie bei Besuchen von und bei Seglern stattfindet. Gerade in der Spätmoderne und dem globalen »Zusammenrücken« durch vergünstigte Reise- und Kommunikationsstrukturen sehen sich dabei generell immer mehr Menschen in Bewegung damit konfrontiert, daß sich ihre familiären und freundschaftlichen Netzwerke geographisch immer weiter ausdehnen. Im Umkehrschluß richtet sich in der Mobilitäts- und Tourismusforschung der Fokus zunehmend auf die Zusammenhänge zwischen multilokalen Arbeits- und Lebensmodellen, wie etwa der transnationalen Ruhestandsmigration oder Zweitwohnsitzen, und den vor dem Hintergrund entsprechender »mobile social networks« unternommenen Reisen (Hall/Williams 2002; Larsen/Urry/Axhausen 2007). Denn »[…] tourism, visits and hospitality have moved to the center stage of many people’s mobile lives« (Larsen/Urry/Axhausen 2007: 245). Auch wenn, insbesondere dank moderner Kommunikationsmöglichkeiten, soziale Nähe auch auf die Ferne in einer imaginierten oder virtuellen co-presence zum Ausdruck kommen, verliert das direkte Beisammensein und unmittelbare soziale Interaktion dadurch nicht an Bedeutung. »Copresent interaction is fundamental to social interaction within institutions, families and friendships, for producing trust, sustaining intimacy, and pleasurable gatherings. So far virtual communications are often about coordinating physical travel and enabling talk in-between visits and meetings rather than substituting for corporeal travel.« (Larsen/Urry/Axhausen 2007: 247).

Vor dieser Folie kann der dem Fahrtensegeln in mancherlei Hinsicht vergleichbare, landbasiserte mobile Lebensstil des RVing (vgl. Kap. 1.3) gerade angesicht der geo-

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graphischen Ausdehnung der USA auch eine Strategie darstellen, durch Familienoder Freundesbesuche im ganzen Land soziale Nähe zu fördern und zu pflegen. Im Gegensatz dazu kann es auf einer Weltumsegelung zwar vorkommen, daß bestimmte Ziele mit einem Besuch bei Freunden oder Verwandten verbunden werden, darin liegt jedoch keine eigentliche Motivation des Lebensstils Fahrtensegeln. Umgekehrt werden die Akteure häufiger selbst Ziel und »Gastgeber« für Familienangehörige oder Freunde. Inwiefern eine Weltumsegelung ausdrücklich so verstanden wird, viel oder regelmäßig Besuch von »geliebten Menschen« zu bekommen, und das Erlebnis zu teilen, hängt freilich von den persönlichen Lebensumständen und individuellen »Heimat-Beziehungen« ab. Matthias und Tom, die als Nautiker auf Handelsschiffen zur See fahren und durch ihren Beruf monatelange Trennungen erleben, möchten sich nicht nur den Traum der Weltumsegelung erfüllen, sondern sehen auch die Chance, Zeit mit ihnen wichtigen Menschen zu verbringen. Tom: […] und dieses Schiff auch nutzen, wenn das erreicht werden kann, um unsere Freunde immer schön einfliegen zu lassen, daß die teilhaben, dieses Schiff, diese Idee als Auszeit zu nehmen, um eben auch unsere geliebten Menschen wieder für einen längeren, oder intensiveren Zeitraum in unser Leben zu lassen, was eben auch joblich sonst nicht geht. SY HAPPINESS, ab 2006

Allerdings verlangen solche Besuche an Bord aufgrund der prinzipiellen Ortsungebundenheit des Fahrtenseglers und der in einer Weltumsegelung per se angelegten Flüchtigkeit des Aufenthaltes nicht nur zusätzlichen Organisationsaufwand, sie können infolgedessen auch als eine Einschränkung der seglerischen Freiheit empfunden werden. Denn auf der einen Seite muß der Besuch, d.h. Freunde und Verwandte, eine Reise vorab planen und ist dabei nicht nur an eingereichten Urlaub oder Ferienzeiten gebunden, sondern zum Erreichen des Zieles auch an unflexible Fahrpläne und touristische Infrastrukturen, wie Flughäfen. Auf der anderen Seite sind Fahrtensegler in ihrer Reiseroute grundsätzlich vom Wetter abhängig, treten Flauten oder Windänderungen eben nicht nach Fahrplan auf, kann es manchmal unmöglich werden, einen Treffpunkt zur verabredeten Zeit zu erreichen. Im Zusammenspiel mit den spezifischen räumlichen Gegebenheiten an Bord einer Fahrtenyacht wird das Thema »Besuch« von vielen Fahrtenseglern sehr strikt gehandhabt, und auf das allerengste soziale Umfeld eingeschränkt. Es sind neben sehr guten Freunden eben vor allem die Eltern, Geschwister, Kinder oder nicht dauerhaft mitsegelnde Partner, die während längerer »stationärer« Aufenthalte bei Lanzeitseglern zu Besuch kommen. Üblich sind Treffen an Orten, die einerseits günstig per Flugzeug erreicht werden können, andererseits den Reiz des Exotischen und die Möglichkeit gemeinsamer Unternehmungen und leisure sailing bieten: die Kanarischen Inseln, die Karibik, auch Tahiti oder Neuseeland. Beinahe alle Segler meines Samples berichteten davon, daß sie – wenn überhaupt –

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nur während längerer Liegezeiten oder absehbar kurzen Seepassagen Besuch dulden, während lange Seestücke wie Ozeanüberquerungen, auf denen die unausweichliche Beschränktheit auf die räumliche Beengtheit des Schiffes erhebliches zwischenmenschliches Konfliktpotential bietet, grundsätzlich alleine angetreten werden.Als Alternative zum (umständlichen) Besuch an Bord sind die heute häufig regelmäßigen »Heimat-Urlaube« von Weltumseglern zu verstehen, die gerade in der »neuen« Zeit als beinahe selbstverständliche Praxis erscheinen. Sie spiegeln dabei ebenso die bereits angeführte zunehmende »Schrumpfung« der Welt wie auch den Wohlstand zeitgenössischer Fahrtensegler. Allerdings berichteten auch schon Segler der »alten« Zeit, die über die entsprechenden Mittel verfügten, daß sie die Weltumsegelung regelmäßig unterbrachen, um ihre Eltern zu besuchen, wenn deren Alter ein Besuch an Bord nicht mehr erlaubte. Ein Schweizer Ehepaar auf »schneller« Weltumsegelung von maximal vier Jahren sprach in einer Seglerrunde davon, mindestes einmal im Jahr zum Schifahren nach Hause zu fahren, um über die Reise nicht den Kontakt zu Freunden zu verlieren. Wie Urry (2002) und Larsen et al. (2007) argumentieren, werden diese touristischen Reisen aus sozialen Verpflichtungen heraus unternommen, handelt es sich dabei um Strategien, trotz der Mobilität des Lebensstils Fahrtensegeln nicht aus bestehenden soziale Netzwerken herauszufallen. »Heimatbesuchen« fehlt dabei allerdings das Moment der unmittelbaren Teilhabe am Erlebnis »Weltumsegelung«, das durch eine zumindest besuchsweise direkte Erfahrung der seglerischen Alltagswelt zum Verständnis beitragen kann. Während sie einerseits von manchen LangzeitSeglern als willkommener »Urlaub« von gerade diesem Segelalltag empfunden werden, lehnen andere Heimflüge von unterwegs grundsätzlich ab, um die Weltumsegelung in ihrer Gesamtheit gerade ohne Unterbrechungen zu erleben. Manche Fahrtensegler ziehen es deswegen vor, sich besuchen zu lassen. MK: Wieso ladet Ihr Verwandte ein, anstatt sie mal zu besuchen? Viele machen das ja so. Klaus: Ja, über Weihnachten und so war hier alles ziemlich leer. Sind alle nach Hause gefahren. Ich möchte eigentlich nicht raus aus […] dieser Atmosphäre. Wenn ich wieder zuhause bin, dann, und nicht ständig umstellen. Also es geht nicht um die Klimaumstellung im eigentlichen Sinne, die atmosphärische Umstellung, da hab ich keine Lust zu. […] Dann erzählst du immer wieder dasselbe, und dann haust du nach ner Weile wieder ab. Ach ne. Rutscht mir den Buckel runter. Ich bin weggefahren und ich komme wieder. Und wenn ich wiederkomm, könnt ihr mich fragen, werd ich euch alles erzählen. Tanja: Ich hab mir da, äh, vorher so keine Gedanken drum gemacht. Also ich bin damit einverstanden, nicht zwischendurch nach Hause zu fliegen. Aber ich sah für mich nicht so ein Problem. – Also wie jetzt mit der Atmosphäre, oder so. Aber – müsste man ausprobieren, wie das dann ist (lacht). Und dadurch, daß ich also meine Töchter hier gehabt hab, da war das ja genauso viel, als wenn ich mal kurze Zeit nach Haus geflogen wäre. Und das war auch noch Urlaubsstimmung, das ist natürlich dann schön. – SY JULE, 2004-08

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Während es sich heute bei einer Weltumsegelung ohne Unterbrechungen um eine bewusste Entscheidung handelt, die in Ausnahmefällen von Akteuren getroffen wird, blieb in der »alten« Zeit bei häufig knappen Reisebudgets vielen Seglern überhaupt gar keine Wahl. Eine mehrjährige Abwesenheit war die Regel, weshalb der seinerzeit auf Briefe, Telegramme und seltene Telefonate beschränkten Kommunikation als Mittel der indirekten co-presence eine enorme Bedeutung zukam. Gerade in der »alten« Zeit waren Segler darauf angewiesen, ihr Reiseerlebnis durch das Heimschicken von Rundbriefen, von Berichten und begleitendem Bildmaterial in Form von Fotos, Dias oder auch Filmen mit Familie und Freunden – als virtuelle Reisegefährten – zu teilen (vgl. White 2007)6. Allerdings ist das Alltagsleben an Bord einer Fahrtenyacht nur durch Erzählungen, ohne unmittelbares Miterleben, dennoch gerade gegenüber Nicht-Seglern nur sehr schwer vermittelbar. Prinzipielles Unverständnis für die Entscheidung zum Aufbruch und den gewählten Lebensstil, wie es etwa Klaras Eltern zeigten, ist allein mit Berichten und Bildern nur schwer zu überwinden. Klara: […] Deswegen haben meine Eltern das auch nie richtig verstanden, ne. Meine Eltern. Weil, die haben auch nie das Boot gesehen, wissen gar nicht, wie wir gelebt haben. Nur so, was wir eben immer mit den Filmen, die wir nach Hause geschickt haben, so. Dadurch konnten die das eben nie begreifen, ne. Georg: Die haben höchstens gesagt, Ihr könnt doch auch da hinfliegen, oder ne Yacht chartern. Natürlich hätten wir das gekonnt. Trotzdem ist das nicht dasselbe. So. Das ist eben doch, wenn man irgendwo an einem Ort lebt, wird der Horizont automatisch enger. Das ist so. SY ALFREDO, 1972-82

Daß es sich dabei nicht etwa um eine allgemeine zeitgenössische Einstellung gegenüber der Weltumsegelung als unvernünftigem und risikoreichem Abenteuer handelt, sondern die Ablehnung in engem Zusammenhang mit dem mangelnden

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Das Internet hat durch die Einfachheit, mit der etwa Backpacker heute auf eigenen Webseiten bzw. Blogs von ihren Reisen berichten können (vgl. Germann Molz 2004), das Konzept des virtuellen Reisegefährten hin zu einem »interaktiven Reisen« erweitert. Durch den unmittelbaren Ausstausch finden Reisen nicht nur unter digitaler Beobachtung statt. Virtuelle Mitreisenden werden dazu ermuntert, z.B. durch Kommentare zu Blogeinträgen, direkt Einfluss auf die eigentliche Reisegestaltung zu nehmen (Germann Molz 2006). Inwiefern diese Praxis auch auf bloggende Weltumsegler zutrifft, kann hier nicht allgemein beantwortet werden und bedarf weiterführender Untersuchungen. Generell scheint es jedoch dem Prinzip des selbstbestimmten Reisens zu widersprechen. Viele Segler erklärten mir, ihre Reise gerade nicht öffentlich im Internet zu dokumentieren, weil sie es als ein sehr privates, für sich selbst unternommenes Vorhaben betrachten.

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gemeinsamen Erfahrunghorizont steht, zeigt die Erfahrung eines anderen Fahrtenseglerpaares der gleichen Jahre. Sie erfuhren im Vorfeld grundsätzlich große Unterstützung von Familie und Freunden, gerade weil diese ihr Interesse am Segeln, und letztlich auch den Traum der großen Fahrt, teilten. Im Gegenzug ermöglichten Berichte von unterwegs diesem Freundeskreis ein gemeinschaftliches, virtuelles Miterleben an der Weltumsegelung, ohne selbst den Aufbruch wagen zu müssen. Karl: Jeder war so aufgeschlossen, und hat teilgenommen. Und wir haben sie dann unterwegs teilnehmen lassen, indem wir ihnen von da oder dort Berichte oder Filme oder Dias geschickt haben. Insofern war das also schon sehr nah. Fritzi: Unsere Freunde, die ja alle Segler sind, die haben also alle bis ins Letzte mitgefiebert, daß wir endlich loskommen, so ungefähr. Und nicht aus dem Blick verlieren, was wir vorhaben, weil im Grunde genommen ist das alles, wovon die träumen. Wovon sie selber träumen, ne. Und dadurch, daß sie dann so ein bisschen teilhaben konnten, indem wir eben, wie Karl sagte, immer mal Filme geschickt haben, oder Dias geschickt haben, Berichte geschickt haben, war das toll. Auch meine Eltern, die waren voll mit dabei. SY TEDDY, 1974-92 (NZ)

Nicht vergessen werden dürfen dabei der Aufwand und die Kosten, die es bis in die jüngste Vergangenheit zur Kommunikation über die Distanz bedurfte. Bis in die 1970er war es etwa üblich, lediglich nach wochenlangen Seepassagen per Telegramm die glückliche Ankunft nach Hause zu melden. Und noch in den 1990ern konnte sich auf den Galapagos Inseln ein Telefonat nach Deutschland zu diesem Zweck als nervenzehrende Ganztagsbeschäftigung herausstellen. Nur wenige Fahrtensegler der »alten« Zeit besaßen ein Funkgerät, mit dem sie auch Kontakt zu landbasierten Funkamateuren aufnehmen konnten, um Nachrichten an Eltern weitervermitteln zu lassen, direkte Gespräche waren so gut wie unmöglich. Während damals wie heute durch das Berichten von unterwegs das Reiseerlebnis geteilt und -erfahrungen vermittelt werden, sorgen umgekehrt gerade auch Nachrichten von zuhause, die die Fahrtensegler auf der Reise erreichen, für soziale Nähe und Verbundenheit trotz der räumlichen Entfernung. In der »alten« Zeit war die noch verlässlichste Form des Kontaktes, Briefe »postlagernd« an die voraussichtlich nächste Reiseetappe schicken zu lassen, wobei wetterbedingte Verzögerungen oder Routen-Änderungern nie ausgeschlossen werden konnten und der Empfang dieser Post dadurch mehr oder weniger unsicher war. Gerade diese Umstände und die generell eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten trugen dazu bei, daß dieser Austausch von großer emotionaler Bedeutung für die Segler war. MK (FB): Wie habt Ihr Kontakt mit den »Zurückgelassenen« gehalten, wie wichtig war das für Euch?

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Steffi & Klaus (FB): Wir versendeten regelmässig einen »Rundbrief« an unsere Freunde und Bekannte. Über die Trans-Ocean Stützpunkte erhielten wir unsere Post. Das Öffnen und verlesen der Post war bei uns immer das Postfest – begleitet von einem guten Schluck und etlichen Tränen. Es war sehr wichtig. E-Mail war noch nicht wirklich verbreitet. Gelegentlich auch telefonischen Kontakt über Norddeich Radio (existiert heute leider nicht mehr). SY AELLO, 1991-95

Mit dem Einzug von E-mail an Bord, wodurch Segler prinzipiell unabhängig vom Postverkehr geworden sind, hat sich die persönliche Kommunikation vereinfacht. Dabei gilt nach wie vor, daß sich enge »Heimatbeziehungen« primär in der Reziprozität der Kommunikation spiegeln. Um einer emotionalen Entfremdung bei längerer physischer Abwesenheit entgegenzuwirken, legen viele Segler – als die Aufbrechenden – umso größeren Wert darauf, mittels virtueller Kontakte in Verbindung zu bleiben, empfinden sie trotz oder gerade wegen der geographischen Entfernung darüber eine intensivere Verbundenheit. Klaus: Die Freunde, die wir haben, denen schreiben wir regelmäßig. Die schreiben uns. Also auch die, die nicht herkommen. Tanja: Ich schreib viel mehr, als ich je in meinem Leben geschrieben hab. Auch aus dem Bewusstsein heraus, Kontakt zu halten. Früher hat man mal schnell den Telefonhörer in die Hand genommen und mit irgendwem ein paar Worte gewechselt. Und durch die Mails, die wir schreiben, hab ich einen wesentlich intensiveren Kontakt als vorher. SY JULE, 2004-08

Mehr noch als individuelle Briefe sind es ausführliche Rundbriefe, teils sehr aufwendig gestaltet, die von vielen Fahrtenseglern ganz bewusst regelmäßig versandt werden. Ihre inhaltliche Bandbreite reicht von sehr persönlichen Reise- bis zu allgemein informativen Länder- und Kulturbeschreibungen. Gemeinsam ist ihnen in aller Regel das Anliegen, sowohl das touristische Reiseerlebnis wie einen Einblick in den gewöhnlichen Segelalltag zu vermitteln. Volker: […] Heutzutage mit e-mail schreibt man sich sowieso häufiger. Und außerdem haben wir eines konsequent durchgehalten, seit Anbeginn. Wir schreiben einen Bericht. […] Und der wird also bebildert. Und den gibt es also entweder reiseabschnittsmäßig, oder jahresmäßig, je nachdem … Regina: … je nachdem, wie sich das ergibt. Volker: Und da ist dann sozusagen alles drin. Und da werden auch Konflikte dargestellt, damit die also nicht glauben zuhause, es wäre alles nur Friede, Freude, Eierkuchen. Und … Regina: Und was geht heute wieder kaputt. (lacht) Volker: Und diese Berichte bekommen also alle unsere Freunde und Verwandten, die, sagen wir mal, Interesse zeigen. Und die Segler sowieso.

296 | W ELTUMSEGLER Regina: Also, nicht die Segler, sondern die … Volker: … ja, die richtig befreundeten Segler. Regina: Es sind also inzwischen die Langzeitberichte, so rund fünfzig, die wir verschicken. SY AINU, seit 1997

Die Konkretisierung von Volker und Regina, daß sie ihre Rundbriefe nur an interessierte Freunde und Verwandte und an »richtig befreundete Segler« schicken, verweist zugleich auf die vielen »Heimat-Beziehungen« inhärente Problematik des geringen Interesses bzw. mangelnden Verständnisses für den Lebensstil. Obwohl sich Rundbriefe heute per E-mail kostengünstig und einfach an eine große Zahl von Empfängern schicken lassen, wird der Empfängerkreis von vielen Seglern auf diejenigen beschränkt, die »echtes Interesse« an der Reise auch dadurch zum Ausdruck bringen, auf Nachrichten zu antworten, oder sich zumindest gelegentlich von sich aus zu melden. Denn generell wird die als reziprok gedachte Kommunikation von vielen Seglern als zu ihren Ungusten zu einseitig empfunden. Hanni: Ich weiß, beim ersten Mal hab ich über hundert Berichte verschickt, und habe vielleicht von zwanzig so nachher irgendwie Briefe bekommen. SY LIESELOTTE, seit 1992

Gerade ausgesprochene Langzeitsegler berichten immer wieder von ihren Erfahrungen, daß sich gerade in der tatsächlichen oder aber fehlenden Gegenseitigkeit der persönlichen Kommunikation widerspiegelt, ob bzw. inwieweit eine Freundschaft oder familäre Verbundenheit über die zeitlich-räumliche Distanz tatsächlich Bestand hat. Mit zunehmender Dauer der Reise reduzieren sich die Kontakte in die Heimat, stellt sich heraus, wer die »wirklichen« Freunde sind. Dieser Prozess findet dabei unabhängig von den zur Verfügung stehenden Kommunikationtechnologien stattfindet, sondern bemisst sich allein an der Anteilnahme des sozialen Umfeldes. Carola: […] Das war dann eher so, daß es unseren Freunden schwer gefallen ist, das zu verstehen, oder zu akzeptieren, oder wie auch immer. Und der Familie. Tobias: Das ist noch so ein Negativpunkt, möchte ich mal sagen. Vorher diese ganzen Freundschaften, die du hast, in Deiner Umgebung, und die anderen in Deutschland, die bisschen weiter, sporadisch Freundschaften sind, sagen wir mal so. Die sind so gut wie weg. Du hast keinen Briefkontakt mehr, und nichts mehr. Das hat sich alles ein bisschen gelockert, oder gebessert, dadurch, daß es E-mail gibt. Und jeder hat ja jetzt einen Computer, und jetzt durch das Skype zum Beispiel ist es noch einfacher, daß man telefoniert, daß gesprochen wird. Aber vorher die ersten Jahre […] bis 2000, die sechs, acht Jahre, hast du kaum noch Kontakt gehabt mit deinen Freunden in Deutschland. Selbst wenn du denen immer wieder ’ne Ansichtskarte geschickt hast, oder zum Geburtstag gratuliert hast über ’ne Karte oder einen

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Brief. Es kam nichts zurück. Hm. Bei ihr war des so, daß ihre Oma, die damals neunzig war, die hat regelmäßig geschrieben. Das war ne tolle Sache. [...] SY MATOTO, seit 1994

Die räumlich-zeitliche Distanzierung führt nicht nur zu einer unweigerlichen Entfremdung der Akteure aus dem Alltag der Herkunftsgesellschaft. Die geringe Resonanz auf Berichte und Briefe wird darüber hinaus als ein »Vergessen-Werden« in Folge des selbstgewählten Ausstiegs eben auch aus räumlich verorteten sozialen Netzwerken verstanden. Dies umso mehr, je weiter die Lebenswelt der Segler von derjenigen der Empfänger ihrer Berichte entfernt ist. Jörg: Das ist auch teilweise so, daß die uns – ich weiß nicht, ob das jetzt stimmt, mein Eindruck – daß die uns so ein bisschen danach auch vergessen haben, als wir weg waren. Sabine: Ja, ja Jörg: Wir haben denen ja immer so ein bisschen unsere E-mails geschrieben. Also, wir haben einfach unsere Reiseberichte geschrieben mit Bildern. Und wenn da mal einer gesagt hat, das ist aber interessant, dann war das schon viel, ne. Von dreißig […] oder vierzig Leuten, denen wir vielleicht insgesamt immer regelmäßig geschrieben haben. […] Die haben uns mehr so abgehakt als, na, die sind ja jetzt weg und so. SY DOLCEVITA, seit 2004

Die Enttäuschung über das bei Freunden erlebte offensichtliche Desinteresse oder Unverständnis ist ein zentrales Thema in den Erzählungen von Fahrten- und Weltumseglern. Als Beleg für die geringe Anteilnahme wird neben den ausbleibenden Rückmeldungen auf (Rund-)Briefe oder E-mails häufig angeführt, daß auch in persönlichen Gesprächen kaum »echtes« Interesse gezeigt wird, und die eigene Welt letztlich immer im Vordergrund steht: »Und, die Fragen, die gehen immer nur so weit, bis sie also sagen, ja, und ICH … und dann wird einem also die letzte Urlaubsreise oder sonst irgendwas bis ins kleinste Detail erzählt.« Eine Weltumsegelung eröffnet, gleich in welchem Umfang die Reise zum persönlichen Entwicklungsprozess wird, neue Erfahrungshorizonte, die innerhalb der Seglergemeinschaft ganz selbstverständlich geteilt werden können. Je weiter die Alltagssorgen und -erfahrungen der beiden Welten – von Fahrtenseglern und zurückbleibenden Freunden und Verwandten – jedoch auseinanderliegen, desto schwerer wird es für beide Seiten, gegenseitig Interesse und Verständnis aufzubringen. Walter: Ja, und dann, mit den Freunden ist das so Sache. Ich hatte intensive Freundschaften, gute Freunde. […] Das ist aber nicht zu vergleichen mit den intensiven Freundschaften, die wir hier auf den Weltmeeren haben. Also … Hanni: ... das ist schon intensiver. Das ist wahr.

298 | W ELTUMSEGLER Walter: […] Also grundsätzlich ist es mal so. Wenn du dann da fünf Jahre weg bist, und sechs, oder zehn, oder weiter. Dann orientieren die sich auch um. Weil du bist ja kaum da. Und, äh, …letztendlich hörst du dann: ja, wieso machen die das? Wo haben die das Geld her? […] Also, das sagen sie dir nicht persönlich. Aber ich bring’s gerne mal mit nem Beispiel: Ich hab nen sehr guten Freund gehabt. […] Und, ähm, den wollte ich besuchen, überraschend. Da waren wir zehn Jahre schon weg. […] Und ich hab ihm aber auch nicht gemailt oder geschrieben, daß wir kommen. Und dann bin ich also in dieser Stadt den ersten Tag, und durch Zufall begegne ich ihm auf der Strasse. Da sagt er: Walter, ach, so eine Überraschung. Mensch, warum läßt du denn nichts von dir hören. (Walter schaut wiederholt auf eine imaginäre Uhr am Handgelenk) Das kannst Du jetzt nicht aufnehmen, aber ich blick jetzt mal so fünfzehn Mal auf die Uhr. Und – ach – also, Du, Mensch, und so lange. Und, äh, was macht Ihr eigentlich die ganze Zeit, wenn Ihr auf dem Boot sitzt? […] Und da hat er fünf Minuten geredet, dann hat er gesagt: Du, ruf mich doch mal an. Und weg war er. Hanni: Ja, so ist das. So ist das wirklich […] Ist auch zu verstehen. Wir sind ja gar nicht mehr da, sie müssen also sich irgendwo auch mit anderen Leuten treffen. […] Sind wir ja nicht mehr so wichtig, wir sind ja außen vor. SY LIESELOTTE, seit 1992

Fahrten- und Langzeitsegler lassen mit den geographischen auch soziale Räume zurück, aus denen sie heraustreten und im doppelten Sinne zu sich entfernenden Randfiguren werden. Ihre andauernde Abwesenheit bewirkt in aller Regel zwar keine totale Loslösung aus bestehenden Beziehungsgeflechten bzw. den völligen »Ausstieg« aus sozialen Netzwerken, diese erfahren jedoch nachhaltige Veränderungen. Während der bisherige Freundeskreis zuhause sich zunehmend auf die »engen«, die »wirklichen« Freunde reduziert, wachsen Fahrtensegler im Verlauf der Reise in die Seglergemeinschaft hinein, vergrößert sich damit das unmittelbare soziale Feld um die Freundschaften mit Mit-Seglern, mit denen man durch die geteilten Erfahrungen wie die allen gemeinsame Entscheidung für diesen Lebensstil verbunden ist. Daß es sich dabei um die durchaus bewusste Gestaltung sozialer Beziehungen handelt, ist die zentrale These von Jennings Arbeit (1999), die in diesem Zusammenhang von »empowered connectivity« spricht. »Overall, cruisers were found to be social actors who exhibit agency and self governance in decision making as to whether or not to maintain a sense of ›connectivity‹ with and without various social settings. Cruisers’ responses to feelings of anomie and alienation in their home societies, to their feelings of under- or non-actualisation at the individuel level, and to their need for belonging with a partner activated these people to make choices and decisions regarding the negotiation and direction of their own social realities. Based on the cruisers who participated in this study, such agency and self governance can be described as ›empowered connectivity‹. Empowered connectivity is the action of exhibiting agency in order to achieve

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connectivity with the space in which an individual currently finds her or himself. It can be both a holding on to and a letting go of connections.« (Jennings 1999: iii-iv)

Dabei läßt sich – von den z.T. vergleichbaren Erfahrungen von transnationalen Ruhestandsmigranten, (Fern)Pendlern oder second home Besitzern ausgehend – ganz grundsätzlich auch auf den Lebensstil Fahrtensegeln übertragen, daß jede Verlegung eines Wohnsitzes an einen anderen Ort das Risiko birgt, »in einer […] fremden Umgebung Vertrauen und Vertrautheit, Reziprozität und Solidarität neu aufbauen zu müssen« (Nokielski 2005: 320). Die besonderen Umstände liegen im Falle der Fartensegler darin, daß sie sich immer nur temporär und im Verlauf der Weltumsegelung in stetig neuen geographischen Räumen aufhalten, und mit der cruising community überdies in ein per se flüchtiges soziales Umfeld eintreten. Gerade deswegen jedoch gilt es abschließend noch einmal die Frage nach den »Segler-Beziehungen« zu stellen, in denen sich das Grundthema der Entfremdung und Verbundenheit fortsetzt. Wie es sich gerade in der Erinnerung an die »alte« Zeit besonders deutlich zeigt, waren es die Austauschbeziehungen und der Kontakt innerhalb der Seglergemeinschaft, die das Erlebnis Weltumsegelung maßgeblich bestimmten. Die cruising community manifestiert sich dabei, wie ich im folgenden Kapitel zeigen möchte, nicht nur in den bereits vielfach angesprochenen informellen Zirkeln, sondern auch in institutionalisierten Gemeinschaften. Verkörpern die offiziellen deutschen, britischen oder amerikanischen Vereine die »Szene« oder eine als solche empfundene »Seglerfamilie«?

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I NTERMEZZO

»Nach dem Abendbrot ruderten wir zur »Bella Donna« hinüber. Bob und Sheila wollen in diesem Jahr über die Bahamas, Bermuda und die Azoren nach England zurücksegeln. »Wer geht denn außer uns noch in den Großen Ozean?«, fragte ich, als wir mit den beiden im Cockpit saßen, jeder mit einem großen Glas Rum-Cocktail, dessen Mixen Bobs anerkannte Spezialität war. »Die ›Shireen‹, die ›Takebora‹ – ja, und ihr. Da ist auch noch die ›Posh‹ », sagte Bob. »Sie sind alle schon unterwegs Richtung Panama.« »Wir sind also die Nachhut von vier Pazifikjachten. Erinnert ihr euch: in Las Palmas waren wir fünfzehn für den Atlantik. Es werden weniger und weniger, je weiter wir von Europa fortkommen.« »Schreibt ihr uns?« fragte Sheila. »Es wäre schön, von Sonne und Segeln zu hören, wenn wir im Herbst wieder im Nebel sitzen.« Wir saßen und sprachen – sprachen bald über Winde und Kurse und Jachten. Wir wussten, das dies unser letztes Gespräch für Jahre, vielleicht für immer war. Dann nahmen wir Abschied. Jetzt sitze ich in unserer Kajüte. Elga schläft bereits. Ich denke über die Freundschaft zwischen uns Jachtseglern nach. Sie ist intensiv und ehrlich – grenzenlos in Hilfsbereitschaft und Gedankenaustausch. Den gemeinsamen Stunden im Hafen folgen einsame Monate auf See. Dann hört man voneinander – durch andere Freunde, durch einen Brief. Und sieht man sich wieder. Jahre und Weltmeere liegen dazwischen. Die Freundschaft ist tiefer geworden. So lebt zwischen den Kontinenten mit ihren staatlichen Grenzen eine kleine Gemeinschaft von Gleichgesinnten. Sie kennen keine Sprach- und Grenzschwierigkeiten, keine Farb- und Rassenunterschiede. Politik ist für sie eine längst überwundene Kinderkrankheit. Stets ist ihre erste Reaktion: Unbekanntes verstehen zu lernen, das hat die See sie gelehrt – ihre zweite: zu helfen, wenn es notwendig ist. Sie kommen von überall her und gehen nach überall hin – auf kleinen Schiffen über das Meer, das ihr Leben und Denken formt.« Aus: ERNST-JÜRGEN KOCH EIN HUNDELEBEN IN HERRLICHKEIT (1968, S. 69)

S EGLER -B EZIEHUNGEN

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6.3 S EGLER -B EZIEHUNGEN Seglergemeinschaft, Subkultur oder post-community? l Sailing in Solitude? Cornells Atlantic Rally for Cruisers l Cruising in Company! Blauwassersegler und ihre Vereine

Seglergemeinschaft, Subkultur oder post-community? Nicht der Raum, sondern die von der Seele erfolgende Gliederung und Zusammenfassung seiner Teile hat gesellschaftliche Bedeutung GEORG SIMMEL, SOZIOLOGIE

Auch wenn der Wanderexistenz »Fahrtensegeln« eine bewußte Entscheidung für diesen Lebensstil und gerade auch für die damit verbundene Mobilität zugrunde liegt, hebt dies nicht das Bedürfnis von Langzeitseglern nach einer »Re-Territorialisierung« auf; so wie auch das new mobilites paradigm (Hannam/Sheller/Urry 2006) postuliert, daß Bewegung, Immobilität und moorings immer interagieren. Da langfristige räumliche »Verankerungen« der Grundidee einer Weltumsegelung widersprechen, und aufgrund der Flüchtigkeit des Aufenthaltes kaum verbindliche Kontakte vor Ort entstehen, sind es in erster Linie die sich verfestigenden Beziehungen zu Mit-Seglern, die als verläßliches Netzwerk und damit mooring in der sozialen Dimension fungieren. Was aber macht diese Seglergemeinschaft, in der sich die Akteure selbst verorten, aus? Handelt es sich um eine Gemeinschaft von Wandernden, eben die cruising community, oder um eine vom Raum losgelöste post-community, wie zuerst Jim MacBeth es fasst, um eine durch ihre Mobilität und Selbstentfaltungswerte definierte Subkultur, eine »adventurous subculture defined by independence« (Koth 2010: 180)? Mit Georg Simmel sind es zunächst einmal die spezifischen Umstände und Erfahrungen des Wanderns (wie es in übertragener Form auch das Fahrtensegeln als eine verstetigte Bewegung darstellt), die sich grundsätzlich von der »Seßhaftigkeit« einer räumlich fixierten Gruppe abheben und den »sonstige Unterschiede« negierenden »Zusammenschluß« der Wandernden befördern. Die Bewegung des Unterwegs-Sein wird, auch durch die an die eigene Mobilität geknüpften Flüchtigkeit der sozialen Stellung gegenüber »Seßhaften«, zum zentralen verbindenden Moment. »Gerade weil das Wandern an und für sich individualisiert und isoliert, weil es den Menschen auf sich selbst stellt, treibt es ihn zu engem, jenseits der sonstigen Unterschiede stehendem Zusammenschluß. In dem es den Individuen die Stütze der Heimat, zugleich aber deren feste Abstufung nimmt, legt es ihnen gerade nahe, die Schicksale der Wandernden, Vereinsamung und Haltlosigkeit, durch möglichsten Zusammenschluß zu einer mehr als individuellen Einheit zu ergänzen.« (Simmel 1908: 673)

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Hinzu kommt, daß eine Weltumsegelung, auch wenn sie als individualistisches Unterfangen unternommen wird, aufgrund der natürlichen Gegebenheiten ganz allgemein, und im Besonderen auf der Barfußroute, zugleich in einer ausgesprochen gemeinschaftlichen Praxis stattfindet. Zwar handelt es sich bei Fahrtenyachten um höchst individuelle Verkehrsmittel, die anders als gemeinschaftlich genutzte Reisemittel – wie etwa Busse, Züge, Flugzeuge oder auch Kreuzfahrtschiffe – nicht zu einem Raum an sich werden, in dem sich micro-communities herausbilden (vgl. Letherby/Reynolds 2005; Symes 2007; Foster 1986). Jedoch bedingt bei aller Unabhängigkeit das dennoch »gemeinsame« Segeln auf der gleichen Route, auf der sich seit Slocum die Mehrheit der Weltumsegler bewegt, eine Vergesellschaftung der Akteure. Die Seglergemeinschaft beruht dabei weniger bzw. nicht nur auf der unmittelbaren co-presence von Mit-Seglern, wobei auch diese, wie ich im Folgenden zeigen werde, für manchen eine große Rolle spielt, sondern auf dem grundsätzlich geteilten Interesse und gemeinsamen Werten. Auf dieser Basis bietet sie dem Einzelnen Vertrautheit, Solidarität und durch geteilte Erfahrungen vor allem gegenseitiges Verständnis, und tritt damit an Stelle der räumlichen und sozialen Netzwerke der Herkunftsgesellschaft. Sie kann damit zum eigentlichen »Zuhause« des an sich fortwährend weiterziehenden Weltumseglers werden. Letztlich ermöglicht diese soziale Verankerung, die Selbstverortung innerhalb einer Zeiten und Ozeane überspannenden Gemeinschaft Gleichgesinnter, sich langfristig bzw. dauerhaft in der Bewegung einzurichten und darin »seßhaft« zu werden, eben settling in motion. Im diesem Kontext ist zweierlei bemerkenswert. Zum einen bemühen manche Segler zur Selbstverortung gerne den Begriff der Szene – z.T. auch »Szene« – die wiederum nicht mit dem ebenso vagen, aber doch anders konnotierten Begriff der »Seglerszene« an sich gleichgesetzt werden kann. Darin drückt sich m.E. trotz der eigenen Zugehörigkeit auch eine gewisse Distanz aus, ohne daß jeodch klar umrissen wäre, oder definiert werden könnte, wie sich diese »Szene« nun genau konstitutiert. Die Distinktion zwischen »echten Yachties« und segelnden Touristen klingt hierin aber an (vgl. Kap. 3.2). Zum Zweiten spricht MacBeth – und das ließe sich eventuell eben auch als die Szene der ausgesprochenen Langzeitsegler verstehen – von der cruising subculture, in die Langzeitsegler hineinwachsen und in einem mehrstufigen Prozess Vorstellungen und Werte übernehmen (MacBeth 1985). Zur »Subkultur« werden Gruppen jedoch nicht nur durch ein gemeinsames Interesse, sondern vor allem durch ihre abweichende Haltung bzw. Position gegenüber allgemein erkannten gesellschaftlichen Normen (Gelder/Thornton 1997); für MacBeth liegt im eigenverantwortlichen, aktiven Suchen nach befriedigerenden Lebensumständen ein Akt der Gesellschaftskritik, prägt er für »aussteigende« Fahrtensegler den »positive deviance« prägt (MacBeth 1985).

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»The cruising subculture is one which people enter by choice, by choosing to move from a lifestyle that is no longer satisfying to one which may be or is satisfying. The subculture ist not illegal nor morally abhorrent, is not stigmatised by labels to any significant degree and people are not ›forced‹ into it by circumstances of economic or social deprivation or discrimination. It is a subculture people enter by choice, one where they choose to construct a new reality for themselves.« (MacBeth 1992: 324)

Sind infolgedessen dann aber auch Wohlstandsmigranten, commuter migrants oder transnationale Ruheständler, die von den gleichen Motiven bewegt werden, als Subkultur zu verstehen? Wie bereits in der gesamten Arbeit verwendet, verstehe ich die sozialen Praxen und das Selbstverständnis von Fahrtenseglern im Gegensatz zu MacBeth am zutreffendensten durch den Begriff der cruising community charakterisiert. Da die eigentlich für eine Gemeinschaft kennzeichnende lokale Fixiertheit überwunden ist, handelt es sich allerdings, mit Sherry Ortner, um eine post-community, bei der die Ortsbindung durch die bedeutenderen sozialen Verbindungen aufgehoben wird. »I suggest here that community is well worth keeping, so long as we do not identify the concept with harmony and cohesion, nor imagine that the sole form of community is a group of people in one place. The importance of community studies, in turn, is this: such studies have the virtue of treating people as contextualized social beings. They portray the thickness of people's lives, the fact that people live in a world of relationships as well as a world of abstract forces and disembodied images. As Clifford Geertz once put it, ›The focus in anthropology on . . . communities, groups of people engaged with one another in multiple ways, makes it possible to turn what looks like a mere collection of heterogeneous material into a mutually reinforcing network of social understandings‹ (1983: 156).« (Ortner 1997: 64)

Die Beziehungsgeflechte von Fahrtenseglern sind vielschichtig, und erstrecken sich über Zeit und Raum. Gerade aufgrund der extremen Beweglichkeit in geographischen Räumen erachte ich es daher als ebenso stimmig, die Seglergemeinschaft mit Hannerz als eine transnationale Gemeinschaft der späten Moderne zu verstehen. Wobei in diesem Kontext die Frage zwar nicht beantwortet werden kann, aber doch aufgeworfen werden muß, ob bzw. in welchem Umfang innerhalb der cruising community die nationale Herkunft (oder Sprachen) tatsächlich bedeutungslos werden. »›Transnational Communities‹ is not a contradiction in terms. This is a matter of kinship and friendship, of leisure pursuits, and of occupational and corporate communities. What is personal, primary, small-scale, is not necessarily narrowly confined in space, and what spans continents need not be large-scale in any other way.« (Hannerz 1996: 98)

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Daß gerade in transnationalen soziale Räume die »infrastrukturellen Technologien« (Calhoun), d.h. Transport- und Kommunikationsmöglichkeiten von immenser Bedeutung sind, wird nicht zuletzt von Fahrtenseglern und ihren Strategien, ihre »Heimat-Beziehungen« zu pflegen, bestätigt. Im Folgenden die in Kapitel 3.2. dargelegten Distinktionsmechanismen innerhalb der cruising community wiederaufzugreifen, sie um unterschiedlich Facetten des sozialen Raums »Seglergemeinschaft» zu ergänzen und vor allem auch die durchaus widersprüchlichen Einstellung der sie konstituierenden Akteure in gebührender Ausführlichkeit vorzustellen, würde den Rahmen dieser Arbeit bei weitem überschreiten. Überdies habe ich dazu schon einige Ausführungen vorgelegt (Kleinert 2009b). Herausgreifen und zumindest streiflichtartig beleuchten möchte ich an dieser Stelle nur den zentralen Aspekt der in der Bewegung des Lebensstils angelegten Flüchtigkeit der Begegnung, mit der sich Fahrtensegler auch untereinander im Grunde permanent konfrontiert sehen. Die aber zugleich, durch das doch gemeinsame Reisen, gemildert wird, und die Mit-Segler zum eigentlich beständigen sozialen Umfeld werden, dem man am engsten verbunden ist. Peter (FB): Dazu fällt mir unsere Ankunft in Suva, Fiji ein. Obwohl wir nie zuvor in diesem Inselstaat waren, hatten wir bei der Einfahrt in die große Ankerbucht das Gefühl, nach Hause zu kommen; mindestens 10 der vielleicht 50 Jachten waren »alte Bekannte« von irgendwo auf den Weltmeeren. Das unerwartete Wiedersehen und die darauffolgende lange Nacht der Bootspartys ist ein typisches Beispiel für viele unvergeßliche Begegnungen unter Weltumseglern. Die Freundschaften unter uns Langzeitseglern haben sich nicht nur auf Partys beschränkt. Der Austausch von Erfahrungen, insbesondere die »Geheimtipps« für die besten Ankerbuchten, spannendsten Passagen, schönsten Tauchplätze etc., aber auch die Warnungen vor gefährlichen Riffen, starken Strömungen, unverschämten Behörden und andern Gefahren, waren manchmal sehr wertvoll. Nicht zu vergessen sind auch die gegenseitigen Hilfeleistungen, vor allem im unendlichen Bereich des Bootsunterhalts. SY ALEPH, 1992-2001

Daß die »Reisebekanntschaft«, gerade aufgrund ihrer Flüchtigkeit eine besondere Offenheit und Intimität ermöglicht, aus der Kürze der Begegnung Intensität erwächst, beschreibt Simmel in seinem Exkurs über den Fremden (1908), ebenso wie den Wunsch nach Zusammenschluß aus der Isolation des Wandernden heraus. Die Bereitschaft zur Begegnung beruht auf »[der] Gelöstheit von dem gewohnten Milieu, die Gemeinsamkeit der momentanen Eindrücke und Begegnisse, das Bewusstsein des demnächstigen und definitiven Wieder-auseinander-Gehens« (Simmel 1908: 674). Die, wie im vorhergehenden Kapitel beschrieben, sich aufgrund von Unverständnis mehr und mehr lösenden »Heimat-Beziehungen« richten den Fokus stattdessen auf die »Seglerbeziehungen« in der verständigen und zunehmende ver-

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trauten »Szene«, ungeachtet ihrer flüchtigen und sich veränderenden Zusammensetzung. Neben die Gewissheit des »definitiven Wieder-auseinander-Gehens« tritt aufgrund der allgemeinen Zirkulation auf der gleichen Route die Wahrscheinlichkeit, sich irgendwann und irgendwo wieder zu begegnen. Walter: Und hier ist das so, beispielsweise, bist im Mittelmeer losgefahren, hast dich ein paar Mal getroffen mit irgendwelchen Leuten in den Häfen. Und, äh, sind zwar lose Freundschaften gewesen. Und dann irgendwann kam das zur Trennung, der wollte durchs Rote Meer, und wollte ne andere Richtung, und du wolltest, was weiß ich, über Südafrika und in die Karibik rüber, und der wollte eben gleich nach Thailand oder whatever. Und dann war das ein Abschied, und weg. Ja, und dann plötzlich nach zwei Jahren, was weiß ich, bei Gibraltar war das wohl, da kommt er dir plötzlich um die Ecke entgegen. Hanni: Ja, da bist du wirklich befreundet. Walter: Intensive Freundschaft. Wo du dich also wirklich freust, daß du den jetzt siehst, ne. Und so ist das eigentlich, jetzt wo wir hier so lange auch im südlichen Pazifik schwabbeln. Es ist egal, in welche Ankerbucht wir kommen, es ist immer einer, der sagt: hey, komm mal auf ein Bier und so. Ja, unsere Freunde schwabbeln hier auf den Weltmeeren. SY LIESELOTTE, seit 1992

Die Qualität der Begegnungen und des Austausches innerhalb der Seglergemeinschaft kann dabei durchaus unterschiedlich ausfallen, und ist nicht zuletzt daran gebunden, ob die Akteure sich aktiv segelnd im gleichen Umfeld befinden. Viele Segler, damals wie heute, berichten davon, wie rasch sich auf der Weltumsegelung geschlossene Freundschaften auch wieder lösen, wenn die Rückkehr ins heimische Umfeld erfolgt ist, bzw. wie schwierig es ist, das soziale Netzwerk unter den geänderten Rahmenbedingungen aufrechtzuerhalten Durch die modernen Kommunikationstechnologien ist es zwar auch in dieser Richtung leichter geworden, in Kontakt zu bleiben, Vorraussetzung wäre jedoch auch dafür, daß man sich wirklich verbunden fühlt (vgl. Intermezzo, S. 300). Elise: […], ich mein, diese Bekanntschaften sind ja doch ziemlich oberflächlich. Ich mein, ist sehr nett, und man versteht sich gut, und man erzählt von den gemeinsamen Abenteuern und was diesmal kaputt geht usw. Aber man trifft eigentlich selten Leute, mit denen man mehr, mit denen sich mehr verbindet. Das ist ganz selten, von meiner Erfahrung her. SY ORNELLA, 1985-87 (NZ)

Trotz der Einschätzung, daß Mit-Segler eher als Bekanntschaften denn als Freundschaften zu sehen sind, erinnert dieselbe Seglerin – die mit ihrer Aussage zugleich auf die Fremdheit zwischen den Segler-Generationen abzielt – ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl, eine insgesamt »sehr nette Gemeinschaft«, die sich vor allem auch auf dem nivellierenden Moment der Wanderschaft begründet. Vor dem

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gemeinsamen Lebensstil, vor der Identität als Fahrten- oder Weltumsegler treten die professionelle, berufliche Identität und der gerade an bestimmte Berufe geknüpfte soziale Status völlig in den Hintergrund. MK: Wie war das überhaupt damals, weil ja weniger als heute unterwegs waren, war das eine sehr enge Gemeinschaft unter den Seglern? Elise: Oh ja, viel mehr als heute, glaube ich. Na ja, ich weiß nicht. Heute, die Leute, die Szene, kenn ich jetzt nicht mehr so. Aber ja, man traf sich ja dann immer wieder. Im Prinzip segeln ja alle so quasi die gleiche Strecke, die meisten. Einige gehen halt woanders hin. Aber, im Prinzip wenn Du im Pazifik bist ist ja Deine Route im Wesentlichen mehr oder weniger vorgeschrieben. Und dann triffste Dich ja immer am nächsten Hafen mit den gleichen Leuten. Und, das ist eigentlich eine sehr nette Gemeinschaft. Auch Leute aus den unterschiedlichsten Berufsgruppen. Wo man aber auf einmal, wo es nicht darauf ankommt, ah ja, der ist Anwalt, und die ist Ärztin und so. Man hat ja dieses Segeln und diesen Lebensstil gemeinsam und da versteht man sich auf dieser Basis. Und das fand ich eigentlich immer sehr nett. – SY ORNELLA, 1985-87 (NZ)

Die Freiheit, die im Segeln gesucht, oder gefunden, wird, liegt in den Augen von Georg, der zur gleichen Segler-Generation gehört, auch darin, aus beruflichen Verpflichtungen zur Selbstrepräsentation auszusteigen. Das nach außen hin deutlichste Moment der Egalisierung unter Seglern – und dies durchaus in einem über Fahrtensegler hinausgehenden Sinne bis heute so übliche – ist die selbstverständliche Reduktion auf den Vornamen. Georg: Und die Leute, kommt hinzu, die da unterwegs sind, und da rumsegeln, die fühlen sich wohl auch nicht verpflichtet, ’ne Maske zu tragen, ja. Ich meine, im normalen Leben trägst du ja ’ne Maske. Bei meinem Beruf ist ja ganz schlimm, wir tragen Talare, was ganz schreckliches, oder die Richter, die stülpen sich ne Perücke über. Das brauchst du nicht. Du kannst dich also geben, wie du bist halt. Du segelst, und du wirst auch so beurteilt. Klara: Ne, du machst viel leichter so Bekanntschaften, wenn du vom Boot kommst. Georg: Ja, das mein ich auch. Deswegen lernst du die Leute auch viel schneller kennen. SY ALFREDO, 1972-82

Allerdings, so stellt Gudrun fest, lassen sich die als besonders freundschaftlichaufgeschlossen sozialen Praxen der cruising community kaum außerhalb dieses spezifischen Segelalltags weiterführen. Die »Seglerfamilie«, die sich im Alltag wie an den Festtagen, an Weihnachten, Geburtstagen und Hochzeiten beständig zusammenfindet, existiert so nur auf den Weltmeeren. Gudrun: […] Und das ist wie eine große Familie, weil man ja immer dieselben Leute dann trifft, so ’ne Zeit lang. Es sei denn, man setzt mal aus. Weil wir dann in der Karibik ein Jahr

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geblieben sind, dann haben wir eben den Anschluß verloren zu denen, die schon durch den Pazifik gegangen sind. Die haben wir dann in Neuseeland zum Teil wieder getroffen. Das ist dann auch wieder schön, nich. Und dann fährt man eben mit der nächsten Gruppe weiter. …Anfangs waren wir mit Deutschen viel und Amerikanern, Kanadiern. Also sehr unterschiedlich. Schweden – dann. Und alle immer, also das ist so toll. Jeder bittet jeden an Bord, das ist überhaupt kein Problem. Das war auch zum Beispiel, hab ich gedacht, ach, wenn ich nach Haus komm, mach ich das auch. Alle, die vorbeikommen, immer alle rein. [lacht] Aber läßt man wieder, macht man nicht. Ich weiß auch nicht, die Leute sind ja auch hier anders. SY GUNDEL, 1972-78

Gerade in der »alten« Zeit bestimmte das Erlebnis der Internationalität der cruising community maßgeblich das Gesamterlebnis Weltumsegelung. Die als sehr gemischte, wirklich internationale Seglergemeinschaft erinnerte Langfahrt-Szene ermöglichte einen so bis dahin nicht erfahrenen Austausch über nationale Grenzen hinweg. In der heutigen Zeit ist dies dank Reiseerfahrungen und transnationalen Lebensläufen und Berufswegen so kaum mehr denkbar, hat das Zusammentreffen mit Yachties der unterschiedlichsten nationalen Herkunft eine solche Bedeutung weitestgehend verloren. Aufgrund der Größe der heutigen Szene fällt es überdies, zumindest deutschsprachigen Yachties, auch leichter, im Umfeld der Mit-Segler innerhalb der eigene Sprachgrenzen zu bleiben. Für damalige Akteure war es dagegen überraschend, überhaupt die Gesellschaft Gleichgesinnter zu erleben, und nicht in relativer Einsamkeit die Welt zu umrunden (Kap. 2.2). Die Reise konnte gerade auch auf der Ebene der »Segler-Beziehungen« neue Horizonte eröffnen. Hans: Was ich an und für sich sehr positiv gesehen habe, war – das wußt ich vorher nicht – diese persönliche Komponente. Der Zugang zu anderen Menschen. Beispielsweise, ich bin aufgewachsen in einer Gegend, da waren immer Amerikaner um mich herum, solange ich zurückdenken kann als Kind. Ich hatte nie Kontakt mit einem Amerikaner. Jetzt kam ich auf einmal in diese Seglerszene, und hab Amerikaner getroffen. Und mit den Amerikanern kamen wir in Kontakt, und dann fanden wir heraus, ja Mensch, das sind ja genauso Leute wie wir. Die sind ja prima, und manche wurden richtige Freunde. Und das war das Schöne auch am Segeln, daß man einfach da eine Möglichkeit hatte, mit Leuten von anderen Kulturen wirklich in enge Verbindung zu treten. Das klappt nämlich in einer anderen Situation nicht. Das klappt nur unter diesen Vorraussetzungen, weil … Annegret: Weil alle das Gleiche gemacht haben. Hans: Man hatte das gleiche Ziel, - , der Grund warum man an diesem Ort ist mit einem Boot. Da gingen die gleichen Gedankengänge voraus bei dem Amerikaner wie bei mir oder bei dem Italiener. Und das fand ich immer sehr, sehr positiv. Wie gesagt, heute, wir reisen irgendwo hin, da triffst Du niemand. Da redest du vielleicht mal ne halbe Stunde mitm Amerikaner, oder mit einem Deutschen, aber du hast nicht diesen engen Kontakt, wie wir ihn mit diesen Fahrtenseglern hatten. Wir haben heute noch Kontakt mit Kanadiern, mit denen segelten wir

308 | W ELTUMSEGLER durch den Pazifik. Wir haben heute Kontakt natürlich zu den ganzen Seglern hier in Neuseeland. Und es ist fast so, als Fahrtensegler, wie wenn wir zu einem kleinen Club gehören. Wenn einer ein Fahrtensegler ist, hat man sofort eine gewisse Affinität dem gegenüber, weil er hat ja das auch gemacht, was du gemacht hast. Und das fand ich damals sehr positiv, daß wir so schöne Freundschaften schließen konnten. SY ANNIE, 1974-1977 (NZ)

Hans bringt schließlich mit der bis in die Gegenwart anhaltenden engen Verbundenheit zu vielen der Fahrtensegler, mit denen sie damals Freundschaft geschlossen haben, auch zum Ausdruck, daß das an sich verbindende Moment der Erfahrung »Fahrtensegeln« dennoch nicht per se die Generationen-Grenze überschreitet. Wie die meisten seinerzeit dort hängengebliebenen Weltumsegler hält er zur heutigen »Szene« ausländischer Yachties mehr oder weniger großen Abstand. Er-Fahren die Segler der »neuen Zeit« die Welt grundsätzlich anders? Welche Erwartungen haben nachfolgende Generationen in Hinblick auf die Flüchtigkeit von Begegnungen, auf das von Simmel drastisch formulierte »Schicksal des Wandernden«, die »Vereinsamung und Haltlosigkeit« ihres selbstgewählten Lebensstils? Läßt sich die Tendenz zu institutionalisierten sozialen Praxen als ein Suchen nach Absicherung verstehen, vor der die Selbstorganisation der Seglergemeinschaft in den Hintergrund tritt? Oder ist es heute ganz einfach immer noch ungewiß und überraschend, auf eine Szene Gleichgesinnter zu stoßen? Sailing in Solitude? Cornells Atlantic Rally for Cruisers Hubert: Deswegen haben wir die ARC mitgemacht. Um da von vornherein ein paar Bekannte oder irgendwie Leute kennen zu lernen. Daß das auch ohne ARC oder eine Rally oder so was ganz normal ist, das wußten wir vorher nicht. SY COSIMA, SEIT 1994

Um sich dem Abenteuer Blauwassersegeln nicht allein stellen zu müssen, organisiert eben jener Jimmy Cornell, dessen Segelrouten auf jeder Fahrtenyacht zu finden ist, 1985 mit der Atlantic Rally for Cruiser, gemeinhin als ARC abgekürzt, das Angebot, den Sprung über den Atlantik als organisierte, »begleitete« und im größeren Umfang gemeinschaftliche Unternehmung anzugehen. Dabei versammeln sich die Teilnehmer in Gran Canaria, um an einem im Vorfeld festgelegten Tag Ende November gemeinsam zur Karibikinsel St. Lucia aufzubrechen. Auch wenn die ARC offiziell als Regatta gestaltet wird, spielt der Wettkampfgedanke der schnellsten Ozeanüberquerung in aller Regel überhaupt keine Rolle; die Organisatoren selbst beschreiben sie als »a friendly race for cruising yachts to make the

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Atlantic crossing both safer and enjoyable«7. Der eigentliche Grund zur Anmeldung liegt im Bedürfnis, sich der Atlantikquerung, und damit dem für europäische Segler häufig ersten mehrwöchigen Blauwassertörn, nicht alleine stellen zu müssen. Die ARC gewährleistet sowohl das Zusammentreffen und den Austausch mit MitSeglern, wie auch bei aller Eigenverantwortlichkeit, Rat und Hilfe von den als »Experten« anerkannter Organisatoren erhalten, die Verantwortung für die Reise ein stückweit teilen zu können. Hans-Dieter (FB):Da ich keine Langstreckenerfahrung hatte (vorher gechartert in der Karibik), habe ich mich bei der ARC angemeldet, um an deren Sachverstand und Erfahrung zu partizipieren, wenn es über den Atlantik geht. SY SINA, seit 2003

Ein verpflichtendes Sicherheitstraining und die Kontrolle strenger (Sicherheits-) Ausrüstungs-Vorschriften soll den Teilnehmern das Gefühl vermitteln, optimal vorbereitet zur Ozeanüberquerung zu starten; die permanente Begleitung, unterwegs per täglicher Funkrunde, verspricht im Notfall unmittelbare Hilfe. Trotz des Abschieds von Cornell selbst hat sich an Organisation und Ablauf der ARC nichts weiter geändert. »12 Mal organisierte der gebürtige Rumäne Jimmy Cornell die von ihm erfundene ARC, bevor er seine Firma Worldcruising an die britische Firma Challenge Business von Chay Blyth verkaufte. Cornell hat die ARC damals ins Leben gerufen, um Blauwasser-Aspiranten den Einstieg zu erleichtern, den »Einzelkämpfern« (Cornell) die Furcht vor der ersten Ozeanpassage zu nehmen und durch die Gemeinschaft das Wissen und die Sicherheit der Teilnehmer zu optimieren. Von Anfang an organisierte Cornell deshalb stets Seminare zu allen möglichen Aspekten von Technik über Wahl des Schiffes, Geldfragen bis hin zur Sicherheit an Bord. Nach dem Abschied ging der Journalist und Buchautor selbst wieder auf Langfahrt. Seitdem hat der 65-Jährige sowohl extreme Reviere wie die Antarktis, aber auch das Mittelmeer und »normale« Blauwasserziele bereist (www.noonsite.com).« (Yacht 2005: 40)

Insgesamt, so die Statistik zum zwanzigjährigen Jubiläum (Yacht 2005), fuhren bis dahin 3658 Yachten mit der ARC über den Atlantik, waren 1999 sogar 250 Fahrtenyachten am Start, wobei aufgrund der Hafenkapazitäten in Gran Canaria die Teilnehmerzahl seitdem auf maximal 225 Yachten beschränkt werden mußte. Auch wenn sich bei dieser Größenordnung kaum mehr alle Yachties persönlich kennen lernen können, verbindet die gemeinsame Teilnahme an der ARC. Neben dem Sicherheitstraining und die alle Teilnehmer gleichermaßen beschäftigende Aus-

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www.worldcruising.com (vom 10.05.2012)

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rüstung und Verproviantierung der Yachten für die Atlantikpassage stellen die von den Rallyveranstaltern organisierten Partys vor dem Aufbruch wie nach der Ankunft in der Karibik als bewusst gemeinschaftsfördernde Maßnahme einen festen Bestandteil der Regatta dar. Mit der ARC gemeinsam über den Atlantik zu gehen bedeutet, sich einer Zweckgemeinschaft anzuschließen, die für eine bestimmte Zeit – vom gemeinsamen Aufbruch bis zu Ankunft der letzten Teilnehmer in der Karibik – eine zufällige Gemeinschaft bildet, die sich mit Erreichen des Zielhafens auch bald wieder auflöst. Die einzelnen Segler verfolgen ab dort ihre individuellen Reisepläne, hat die Zugehörigkeit zu einem bestimmten ARC-Jahrgang nicht unbedingt eine direkt weiter verbindende Bedeutung unter Mit-Seglern: ob und wer auch weiterhin »zusammen« segelt, entscheidet sich unabhängig von der Rally-Teilnahme. Die grundlegende Entscheidung, völlig selbstständig und unabhängig, in gemeinsamer Absprache mit einer oder mehreren anderen, befreundeten Yachten oder aber in der institutionalisierten, temporären Gemeinschaft der ARC zu einer der langen Überfahrten zu starten, stellt dabei wohl ein wichtiges Distinktionskriterium unter Seglern dar. Während einige Segler die Teilnahme an solch organisierten gemeinsamen Fahrten grundsätzlich gutheißen und sich gerne zusammenschließen, andere dies ebenso prinzipiell ablehnen und vermeiden, weisen wieder andere daraufhin, daß es sich auch in der persönlichen Einstellung hierzu um einen mit der Reise selbst verknüpften Erfahrungs- und Entwicklungsprozess handelt. So verspricht etwa die ARC verläßliche Gesellschaft relativ zu Beginn der Weltumsegelung, wenn sich gerade »Neulinge« noch vor Isolation und Vereinsamung fürchten. Dabei kann es vorkommen, daß gerade auf dem Weg zu den Kanaren die nicht organisierte »Seglergemeinschaft« erlebt wird, und daß sich Kontakte zu Mit-Seglern eigentlich ja von selbst ergeben. Jenny: Des war des einzige, wo wir uns angemeldet haben, die ARC, für die Atlantiküberquerung. Also des haben wir von Deutschland aus gemacht. Aber als wir auf den Kanaren waren, haben wir schon gedacht, das war eigentlich unnötig. Weil wir hatten dann schon so viel Leut kennengelernt, und die haben auch noch geschimpft »dann geht doch mit uns, und jetzt geht ihr mit denen.« Und mit so viel Schiffen zu gehen. … Also es ist im Hinterkopf die Sicherheit, aber es ist eher gefährlicher. Hubert: Es war auch meine erste Ozeanüberquerung. Da hab ich gedacht, na ja, wenn man da mit dazu geht, da kriegt man da Bekannte, und da gibt’s ein Funknetz und so was. […] Aus Unerfahrenheit. – Es war schön, aber wir würden es nicht wieder machen. Ne. Weil die segeln zu einem bestimmten Datum, ob Wind ist oder nicht. Und wenn wir es wieder machen würden, wir gehen nur wenn entsprechendes Wetter ist. SY COSIMA, seit 1994

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Mit zunehmender Erfahrung und dem gewachsenen Selbstvertrauen in das eigene Wissen und Können wird eher eine ambivalente Haltung gegenüber kommerziellen Veranstaltungen wie der ARC geäußert, wird gerade die »Sicherheit« des Flottillensegelns, vor allem aber des aus organisatorischen Gründen festgelegten Startdatums, geradezu als Widerspruch zu Grundsätzen guter Seemannschaft gesehen. Trotzdem kann die durch die ARC bedingte Zusammenkunft von Fahrtenseglern in großer Zahl auch unabhängig segelnde Yachties begeistern, die Aufbruchstimmung als ansteckend empfunden werden, wie es Kai Ende der 1990er auf seiner ersten Weltumsegelung erlebte. Kai: […] und in Las Palmas startete zu dem Zeitpunkt auch die ARC, Atlantic Rally for Cruisers. MK: Und die habt Ihr mitgemacht? Kai: Nein, nein, nein. Also, das war zu der damaligen Zeit noch unter der Leitung von Jimmy Cornell, und Jimmy Cornell ist ja bekannt in Seglerkreisen. Nur, äh, seine Überzeugung, die hab ich nicht so ganz vertreten. Der sagte nämlich, man muß als atlantiküberquerender Segler, ähm, frühestens Ende November die Kanarischen Inseln verlassen haben. Denn vorher kann immer noch in dem Sommerhalbjahr verspäteter Wirbelsturm auftreten und das Gesamtgebiet gefährden, je nachdem wo man grade segelt. Er selber aber hat seine ARC gestartet am 21. oder 22. November. Das ist nicht Ende November.[…] Das sind ja über 160 Boote gewesen, die da gestartet haben. Ich fand das also nicht gut. Ich hab gesagt, ich bin sowieso Seemann, und ich segel dann, wann’s mir paßt, ne. […] Nein, hab ich gesagt. Außerdem, ähm, was soll das, mit 180 Booten da über den Atlantik zu gehn.[..] Das kam für mich überhaupt nicht in Frage. Obwohl, das Flair, was da im Hafen war, internationales Flair mit allen möglichen Nationalitäten von Yachten über die Toppen geflaggt, ja, ein wunderschönes Ambiente, was in dem Hafen ausstrahlte auf die ganze Stadt. Das war schon toll, irgendwie. SY ANNA PERENNA, 1998-2003 & 2003-09

Generell sprechen viele Segler von einer unter heutigen Yachties weit verbreiteten Tendenz, Überfahrten nicht mehr alleine, sondern in enger Absprache mit anderen Schiffen anzutreten. Daß Schiffe durch Funkkontakt »zusammen« segeln, sich über die Route und die vorausliegende Wetterlage austauschen, ist so neu nicht mehr. Daß sich jedoch regelrechte Flottillen gemeinsam auf den Weg machen, am selben Tag starten und möglichst nahe beieinander im gleichen Tempo segeln, widerspricht eigentlich einem jeder Weltumsegelung zugrunde liegenden Individualismusanspruch. Gibt die aktuelle Segler-Generation damit ein Stück ihrer Selbstständigkeit, und ihrer fahrtenseglerischen Freiheit, ab, oder ist ihr Bedürfnis nach Gesellschaft einfach ein anderes? Im Vergleich mit ARC oder dem Pacific Puddle Jump stellt sich angesichts der institutionalisierten »Segler-Beziehungen« der Fahrtensegler-Vereine, auf die ich abschließend eingehen möchte, die Frage, wie angesichts des globalen und transnationalen sozialen Raumes Weltumsegelung

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gemeinsames Handeln und ideologische Überzeugungen einer social world zusammenfallen können. Und wer sich darin wieder findet. Cruising in Company! Blauwassersegler und ihre Vereine Auf der lokalen Ebene institutionalisierter »Segler-Beziehungen« stehen dagegen zunächst nautische Sportvereine und Segelclubs. Auch viele Fahrtensegler gehören quasi »von Haus aus« einem örtlichen Segelverein an, für dessen Vereinszeitschrift sie Reiseberichte verfassen, oder wo sie nach der Rückkehr in Vorträgen von ihrer Weltumsegelung berichten, handelt es sich bei Transozeanfahrten doch immer noch um kein Massenphänomen. Michael: Guck mal, wir sind in einem Klub von fast 1000 Mitgliedern. Und wir sind das erste Ehepaar, die so was machen. Gemacht haben. Das heißt, die meisten segeln hier grade mal so rum. Viele habe noch nie ’ne Nachttour gemacht […] Für viele ist eine Tour über Nacht schon hier in der Ostsee eine Aufregung. SY BRIGHT DAY, 1997-2006

Da herkömmliche Segelvereine und -clubs angehenden Langfahrtseglern somit wenig Möglichkeiten bieten, sich über die praktische Organisation, konkrete Informationen und Erfahrungen mit Gleichgesinnten austauschen, begannen Blauwassersegler selbst Mitte des 20. Jahrhunderts spezifische Interessensverbände und Vereinigungen zu gründen Ob es sich dabei nun, um nur die bekanntesten zu nennen, um die Seven Seas Cruising Association (SSCA, gegr. 1952) in den USA und den britischen Ocean Cruising Club (OCC, gegr. 1954) handelt, die kanadische Bluewater Cruising Association (BCA, gegr. 1978), oder den deutschen TransOcean. Verein zur Förderung des Hochseesegelns e.V. (TO, gegr. 1968). Sie stellen heute in erster Linie ideelle Gemeinschaften dar, deren Funktion mit dem Übergang von der »alten« zur »neuen« Zeit wie das Fahrtensegeln selbst einen Bedeutungswandel erfahren hat. Auch wenn meine Arbeit explizit auf »deutsche« Weltumsegler ausgerichtet ist, möchte ich neben dem TO hier ansatzweise auch auf seinen amerikanischen und englischen Vorgänger eingehen. Denn auch ihr Selbstverständnis beinhaltet, daß es sich um keine »nationalen« Organisationen im engeren Sinne handelt, die Mitgliedschaft nicht an die Herkunft der Segler oder die Flagge, unter der die Schiffe fahren, gebunden ist, sondern die cruising community an sich repräsentiert wird. SSCA & OCC Alle Organisationen und Vereinigungen erklären es zu ihrem Anliegen, das Fahrtensegeln zu fördern, ihren Mitgliedern vor und während der Reise mit praktischer Hilfe und Informationen beizustehen, im Sinne guter Seemannschaft die gegenseitige Hilfsbereitschaft zu fördern, und auf die ein oder andere Weise auch

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den Zusammenhalt unter ihren Mitgliedern zu stärken. So möchte etwa die Bluewater Cruising Association »seamanship and friendship for people with an active interest in offshore cruising« fördern; und die Seven Seas Cruising Association fasst ihre Vereinsphilosophie in drei Prinzipien zusammen: »sharing cruising information, fostering camaraderie, and leaving a clean wake«.8 Bei der SSCA handelt es sich eigenen Angaben zufolge um die heute in Fort Lauderdale, Florida beheimatete, größte und älteste Fahrtenseglerorganisation, die 1952 in Kalifornien von sechs Ehepaaren, die dauerhaft auf ihren Yachten lebten gegründet wurde, und in dieser Tradition vor allem live-aboard cruisers unterstützen möchte. Am Anfang stand die Idee, Freunden und angehenden Yachties Fahrtenberichte und Informationen bereitzustellen, woraus das heute monatlich erscheinenden Commodores’ Bulletin entstand. Informationen bietet auch der Internetauftritt mit interaktiven Segelführern bzw. Hafenhandbüchern (port guides), online abrufbar sind auch die Standortmeldungen der Schiffe, die unterwegs sind. Neben dem Hauptsitz in Florida existieren weltweit, aber vor allem in den USA und der Karibik, an die einhundert SSCA cruising stations, die in ihrer Funktion mit der von TO-Stützpunkten vergleichbar sind (s.u.). Erfahrungs- und Informationsaustausch ist eine der formulierten »Traditionen«, der sich die SSCA verpflichtet fühlt. Eine weitere »Tradition« ist der Umstand, daß es sich um eine nicht-kommerzielle Vereinigung handelt, daß Mitglieder sich anhand eines auf dem Schiff gefahrenen Vereinsstanders untereinander erkennen und neue Mitglieder willkommen geheißen werden. Noch bedeutender, weil weniger organisatorischer, als ideeller Natur, sind jedoch die Prinzipien des »Common Bond«, des »Commitment« und des »Clean Wake«: »Common Bond: We are a caring and supportive family of kindred spirits: individuals who share a unique lifestyle and who reach out with international friendship, goodwill and camaraderie. Commitment: We live a full-time cruising lifestyle aboard our own sailing vessels, which are our homes, and conduct ourselves with independence and responsibility in an honorable and self-reliant manner. Clean Wake: We always leave a clean wake by treating others and our environment with respect and deep regard, so those you follow in our wake will be welcome.« (www.ssca.org).

Im Vergleich mit den anderen Langfahrt-, Hochsee- und Blauwasserorganisationen ist besonders bemerkenswert, daß die Gründung der SSCA auf den Zusammenschluß von Seglern zurückgeht, die sich für das ausschließliche Leben an Bord ent-

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Hier wie im Folgenden zitiere ich aus den Internetauftritten von BCA (www.bluewatercruising.org), SSCA (www.ssca.org) und OCC (www.oceancruisingclub.org), und übernehme, wenn nicht anders angegeben, Angaben zu Vereinsgeschichte und -organisation.

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schieden haben. Ebenso fällt das ausdrückliche Selbstverständnis als »Familie« auf, deren Mitglieder die Einstellung verbindet, das Segeln als unabhängigen und selbstbestimmten Lebensstil zu betrachten, während der grundsätzliche Gedanke einer auf gemeinsamen Interessen basierenden, internationalen Seglergemeinschaft dagegen allen Vereinen und Interessenverbänden zu eigen ist. In einem Artikel des TOMagazines aus dem Jahr 1979, in dem auf den SSCA und insbesondere die von ihm herausgegeben »– in dieser Weise einmalige! – Seglerzeitung« vorgestellt wird, wird auch darauf hingewiesen, daß diesem Verein »nur Segler beitreten [können], die seit mindestens einem Jahr auf ihrem Schiff (als einzigen Wohnsitz!) leben und segeln« (Müller 1979). Auf die Frage, wer Mitglied im SSCA werden kann, gibt die Internetseite eine zunächst recht allgemeine Antwort: »Anyone with an interest in cruising is welcome to join SSCA. Whether contemplating a sabbatical cruise or retirement afloat, outfitting your boat for a voyage, or already living the dream, all are warmly welcomed to join our family of cruising members.«

Die Satzung beinhaltet zwar noch immer, daß man erst nach Jahresfrist und Nachweis einer bestimmte Segelstrecke ein stimmberechtigtes Mitglied – ein sog. Commodore – werden kann, allerdings läßt sich kein Hinweis mehr darauf finden, daß ausdrücklich live-aboards angesprochen sind, denen die Yacht ausschließlicher Wohnsitz ist, was angesichts der angeführten Auszeit oder einem »retirement afloat« nicht unbedingt vorausgesetzt werden kann. Für deutsche Fahrtensegler spielt der SSCA insgesamt, früher wie heute, eher eine untergeordnete Rolle. Einige Segler meines Samples waren oder sind Mitglieder, aber ohne Anzeichen einer tiefergehenden Identifikation, ohne ein spezifisches, an die Mitgliedschaft geknüpftes Gemeinschaftsgefühl zu empfinden. Vor allem begründen pragmatische Gründe einen Beitritt, in erster Linie das umfangreiche und vielgepriesene Informationsmaterial, insbesondere für amerikanische Segelreviere. Ein Mitglied berichtete etwa, in der Karibik »flüchtigen Kontakt« zum SSCA zu haben, allerdings erst im Zuge der Befahrung des Intracoastal Waterway dann tatsächlich beizutreten. Gerade die Vereinsphilosophie des SSCA, die einen familiären Zusammenhalt beschwört, weist dabei Parallelen zu der organisierten Institutionalisierung automobiler Reise- und Lebenspraxen in den USA auf, wie sie Dorothy und David Counts (1997) in ihrer Ethnographie des RVing nachzeichnen: 1978, als sich in Kanada die Bluewater Cruising Association gründete, tat sich in den USA Jahr eine junge Familie mit Freunden zu einem zunächst informellen Netzwerk für »serious and fulltime RVers« zusammen, gleichfalls zum Zwecke der gegenseitigen Unterstützung, des Erfahrungs- und Informationsaustausches. In knapp zwanzig Jahren wuchsen die Escapees (SKPs) mit rund 40.000 Mitgliedern Ende der 1990er zur größten nicht-kommerziellen Organisation (Escapees Inc.) mit fünfzehn eigenen Campingplätzen und über hundert Mitarbeitern heran. War die ursprüngliche Idee,

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über die flüchtigen Begegnungen hinaus, die sich aus dem Lebensstil als full-timer ergeben, untereinander in Kontakt zu bleiben, entwickelte sich der Kerngedanke der SKPs, ein internes, vereinsspezifisches Gemeinschaftsgefühl zu fördern und zu pflegen. Neben organisatorisch-logistischen Vorteilen einer Mitgliedschaft, dem zweimonatlichen Mitgliedermagazin, der Nutzung der Campingplätze oder auch einem Nachsende-Service für ihre Post, bietet die Zugehörigkeit in allererster Linie ein bewusst »familiäres« Umfeld der gegenseitige Hilfe und Verbundenheit: so ist es üblich, daß Mitglieder, die anhand SKP-Aufkleber auf ihren Caravans leicht erkennbar sind, sich generell mit einer Umarmung begrüßen, auf Campingplätzen Neuankommende »eingeführt« und in das dort organisierte Angebot gemeinschaftlicher Aktivitäten eingebunden werden. Der rasante Mitgliederzuwachs spiegelt dabei nicht nur eine gestiegene Attraktivität eines (auto)mobilen Lebensstils, sondern wirft mit dem gleichfalls enorm gestiegenen Durchschnittsalter der Mitglieder Fragen hinsichtlich des Selbstverständnisses des Vereins und seiner Aufgaben auf. Bereits 1919 hatte sich in den USA mit den Tin Can Tourists eine auf die primär touristische Reisepraxis mit Caravan und Wohnmobil ausgerichtete, kommerzielle Vereinigung gegründet, ebenso wie der seit den 1960ern existierende Good Sam Club, dessen zentrale Idee die gegenseitigen Hilfe unter Mitgliedern war (die sich gleichfalls durch entsprechende Aufkleber also solche identifizieren). In erster Linie tritt er heute als Betreiber von Campingplätzen und trailerparks für seine mehreren zehntausend Mitglieder in Erscheinung. Typisch für diese Vereinigungen ist, daß sie auch unter ihrem Schirm je nach Interesse und Identitätskriterium ihrer Mitglieder zahllose weitere Zusammenschlüsse finden, worin sich neben dem auf dem Lebensstil basierenden Zusammengehörigkeitsgefühl gerade die große Heterogenität auch dieser »mobilen« Subkultur spiegelt. »Banding together in clubs, a move starting with the Tin Can Tourists and reaching its pinnacle with Good Sam, is a hallmark of RVing and RVers. People with special needs, specific interest, or a particular lifestlye organize their own RV clubs. There are, for instance, clubs for people who wish to associate with others who own the same name brand of RV. There are clubs for women, for the disabled, for African-Americans, for full-time RVers, for veterans – even for veterans who served in submarines.« (Counts/Counts 1997: 43)

Wohl gibt es auch im Segelsport und unter Yachties offizielle Vereinigungen oder Clubs für Besitzer bestimmter Bootstypen oder -marken o.ä., für den Umgang miteinander in der gelebten Langzeit-Segelpraxis spielen dies jedoch keine Rolle, wie auch die Vereinszugehörigkeit generell individuell sehr unterschiedlich aufgefasst wird, und kein etwa mit den SKPs vergleichbares Identifikationskriterium darstellt. Aus und in der Praxis sorgt vielmehr das gemeinsame Handeln, d.h. gleiche Reisemuster, teils auch das Alter oder spezifische Interessen der Akteure dafür, daß innerhalb bestimmter Seglerjahrgänge ein engerer Zusammenhalt herrscht oder auch

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Einhandsegler oder Familien häufig untereinander engeren Kontakt pflegen. Es fehlen jedoch wie im Falle der SKPs ritualisierte Begrüßungen unter »Vereinsschiffen«, und – im Gegensatz zu Campingplätzen an Land – jede organisierte Verstetigung der Gemeinschaft im Raum, bedingt die Flüchtigkeit des Lebensstils ja einen steten Wandel des konkreten sozialen Umfeldes. Der Vergleich zeigt jedoch, daß innerhalb der cruising community ebenfalls ein Grundbedürfnis besteht, sich mit Gleichgesinnten in institutionalisierter Art und Weise zusammenzuschließen, es generell, angesichts der im Vergleich zu Campern wesentlich geringeren Zahl von Fahrtenseglern, aber zu keiner organisierten Ausdifferenzierung kommt. Ein weiterer Unterschied besteht darin, daß die Gründungsgeschichte einiger Blauwasservereine bzw. cruising associations in einem eindeutigen Bezug zum Yacht- und Hochseesegelsport steht, Mitglieder für besondere Fahrten oder (sportliche) Leistungen Preise und Medaillen verliehen werden. So spricht der 1954 in England von einem Transatlantiksegler gegründete Ocean Cruising Club in der Formulierung seiner Aufgaben zunächst auch nicht von der Seglergemeinschaft, sondern davon, alle Formen des Langstreckensegelns zu fördern. Zwar steht auch dieser Verein grundsätzlich allen Interessierten offen, jedoch sollte binnen dreier Jahre der Nachweis einer seglerischen Leistung erbracht werden: »Membership is about what the applicant has done rather than who they are«. Konkret bedeutet dies, daß 1000 Seemeilen als Kapitän oder Besatzungsmitglied auf einem kleinen Segelschiff (unter 20 Metern) nachgewiesen werden müssen. Ein deutscher Weltumsegler der 1980er, der bereits zehn Jahre zuvor zu einer Atlantik-Runde aufgebrochen war, berichtete, daß er im Zuge der Vorbereitung seiner ersten Ozeanüberquerung auf den Kanaren mit dem OCC in Kontakt kam: »[d]amals gab es recht viele englische Fahrtensegler auf dieser Route, viel mehr als in späteren Zeiten«. Da bis zu den Kanaren auch die geforderten 1000 sm erreicht waren, war dies »gewissermaßen der richtige Zeitpunkt« für die Mitgliedschaft. Nach eigenen Angaben stammen heute, ganz im Sinne des Selbstverständnisses des OCC, nur noch die Hälfte der gut 1700 Mitglieder aus Großbritannien, ebenso wie der Club die Weltmeere als sein eigentliches Club-Zuhause betrachtet. Auch der OCC vertreibt ein vierteljährliches Magazin mit Fahrtenberichten seiner Mitglieder, unterhält ein weltweites Netzwerk von 150 port officers und betreibt »a number of cruises in company, rallys and get together in different areas of the world«. Außerdem listet er auf seiner Webseite ein gutes Dutzend Preise auf, die regelmäßig vergeben werden: neben Auszeichnungen für herausragende und ungewöhnliche Reisen, fahrtenseglerische Leistungen oder Einhandsegler auch für die generelle Förderung des Fahrtensegelns in kleinen Booten, für die beste Verbreitung von Information oder Autoren, die in ihren Texten die Vereinsziele verfolgen. Auch hierin vertritt der OCC seine Grundprinzipien, Fahrtensegler zu unterstützen, gesammelte Informationen zu verbreiten, Reisen zu erinnern und den Austausch und Kontakt unter seinen Mitgliedern zu fördern.

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»The people in the Ocean Cruising Club represent, to me, the distilled essence of the cruising community, a potent combination of accomplishment, experience, idealism, eccentricity, generosity and humility. The only ticket to entry is by stepping aboard your boat, casting off the docklines and making a real passage. The only way to contribute is through assistance to others you meet along the way and encouragement to those who hope to follow in your wake. Just like the cruising community, the OCC is multinational and represents people from every economic, political and social stratum in society. Everyone comes in as an equal; no one is judged except by Neptune, everyone fails sometimes. […] The people in the OCC understand what it means to have a dream. More than that, they understand the exacting requirements of dreams, accept the potentially devastating costs and have experienced the incalculable rewards. (Beth Leonard, Author, circumnavigator and OCC Member).«9

Das in dieser Selbstdarstellung präsentierte Bild der Seglergemeinschaft, die sich im OCC gewissermaßen verdichtet, bringt ein allgemeines Selbstverständnis von Weltumseglern auf den Punkt: wer den Mut aufbringt, loszufahren, wird Teil der egalitären cruising community, die sich zeitlich-räumlich immer neu lokalisiert, und durch ihre allgemeine Reziprozität und gegenseitige Verständnis auszeichnet. Trans-Ocean Bei der Gründung des TO stand allerdings nicht der Traum vom freien, ungebunden Segeln im Vordergrund, sondern der Umstand, daß ein passionierter Segler, Claus Hehner, für seine geplante Teilnahme als Einhandsegler an einer TransatlantikRegatta von offizieller Seite keine Unterstützung erfuhr.10 Darauf hin gründet sich 1968 (im Taunus) Trans-Ocean. Verein zur Förderung des Hochseesegelns, als dessen Hauptsitz Cuxhaven gewählt wird, in dessen Seglerverein Hehner Mitglied ist.11 1970 tritt Trans-Ocean erstmals öffentlich in Erscheinung, als der Weltum-

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www.oceancruisingclub.org/index.php/about-the-occ/essence-of-the-occ (24.07.2012)

10 Während der SSCA auf einen Zusammenschluß von live-aboards zurückgeht, heißt es anlässlich der Neuwahlen im Februar 2012, daß es ein Novum im Trans-Ocean ist, daß der Vorstand nun überwiegend mit erfahrenen Blauwasserseglern besetzt ist, obgleich der TO als der deutsche Segelverein mit den meisten Weltumseglern gelten kann. 11 Dieses Unterkapitel beabsichtigt ebenso wenig eine detaillierte Darstellung der Gründung wie einen ausführlichen Abriß der Vereinsgeschichte. Erstes ist in den Jubiläumsausgaben des TO-Magazins zum 20-, 30-, 40-jährigen Bestehen des Vereins nachzulesen (TO 42/1988, 83/99, 123/2009), letzteres stellt einen eigenständigen Themenkomplex dar, der in einem anderen Rahmen aufzuarbeiten ist. Die Entwicklung des TO kann hier nur in Auszügen und in Bezug zu seiner Bedeutung für letzlich einzelne Akteure skizziert werden. Vereinsinterne Vorgänge, etwa die außerordentlichen Neuwahlen des Vorstandes Ende 2011, sowie die Diskussion um Fortbestand, eine Neuausrichtung oder Rück-

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segler Rollo Gebhard bei der Rückkehr seiner Erdumrundung in Cuxhaven begrüßt und, wie später auch Wilfried Erdmann, zum Ehrenmitglied erklärt wird. Dabei ist die Mitgliedschaft, anders als bei SSCA oder OCC bis heute an keinerlei Bedingung geknüpft, wird kein Nachweis eigener seglerischer Leistungen oder Reisepläne verlangt. In der Anfangszeit des Vereins ist es aber vor allem »Commodore« Hans Bellmer, langjähriger Vorstand, der sich persönlich darum bemüht, TO gerade unter zurückkehrenden Langfahrtseglern bekannt zu machen und sie als Mitglieder zu gewinnen, um sich durch die verhältnismäßig große Zahl erfolgreicher Transatlantik- und Weltumsegler gegenüber anderen Segelvereinen abzuheben. Jörg: Ich bin in der Tat durch die Karibikreise Mitglied im TO geworden, denn auch Berliner kommen ja im Allgemeinen über Cuxhaven zurück. Und als wir dort einliefen kam Herr Bellmer zu uns an Bord. Großer Bahnhof, mit Zeitungsbericht und so was. Allerdings war das 1973, bei der Rückkehr. SY ACHERON, 1978-87

Gemäß der Zielsetzung, die im Namen des Vereins erkennbar und in der Satzung formuliert wird – »den Segelsport zu fördern und insbesondere das sportliche Hochseesegeln« – unterstützt der Verein, etwa durch Meldegeldzuschüsse, auch heute noch die Teilnahme an Regatten oder fördert den Jugendsport; die Mehrheit der Mitglieder stellen vierzig Jahre nach Gründung jedoch weniger »sportliche« Blauwassersegler als »wagemutige Abenteurer, segelnde Aussteiger, neugierige Weltenbummler«12, wobei sich darin nicht zuletzt der in Kapitel 4 beschriebene historische Wandel hin zur »gewöhnlichen« Weltumsegelung widerspiegelt. Der sportliche Leistungsgedanke ist dabei dennoch erhalten geblieben, werden bei den Jahrestreffen »beachtenswerte« und »hervorragende« seemännische und (hochsee)seglerische Leistungen mit Preisen und Medaillen ausgezeichnet, und die ca. 10 bis 20 Weltumsegler, die pro Jahr zurückkommen, entsprechend geehrt. Daß bei den Jahrestreffen des Trans-Ocean, die mit dazu beitragen, Cuxhaven als die »Heimat der Weltumsegler« erscheinen zu lassen, mit zuletzt ca. 200 Teilnehmern immer nur ein geringer Teil der Vereinsmitglieder zusammenkommt, liegt im Prinzip des Vereins: »Die Förderung des Hochseesegelns besteht im Wesentlichen darin, Unterstützung für unsere Yachten weltweit, die Information, Kommunikation und Unterhaltung von TO-Stützpunkten zu leisten.«

besinnung, bleiben deswegen völlig außen vor. Anzumerken ist, dass es 2014 zu einer Überarbeitung des Vereinslogos und Namensergänzung kommt. Vollständig lauter dieser nun Trans-Ocean. Die See im Herzen. Verein zur Förderung des Hochseesegelns e.V. 12 Aus dem Interview mit Vorstandsmitgliedern des TO im Sommer 2006.

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Neben der persönlichen Mitgliederbetreuung, vor allem durch Beratung und im Zweifelsfall Hilfeleistung durch die Geschäftsstelle in Cuxhaven, und TO-Stammtischen in mehreren deutschen Städten, erfolgt der Informationsaustausch vor allem durch das vierteljährlich erscheinende TO-Magazin. Angehende Weltumsegler nutzen dieses Mitteilungsblatt mit allgemeinen Artikeln und Nachrichten aus den Stützpunkten, vor allem aber Fahrtenberichten und Standortmeldungen von Schiffen auf Langfahrt gerade auch in der Vorbereitungsphase eigener Reisen. Helmut: Also, was TO angeht. Man geht in TO rein, wenn man an sich dieses Thema liebt oder so was vorhat. Manche gehen auch erst rein, wenn sie grade mal losfahren. Das ist eigentlich der falsche Zeitpunkt. Denn man muß sich anhand dieser Zeitschriften eigentlich vorher in dieses Thema einarbeiten. In die vielen Reiseberichte. Die machen einen überhaupt erst scharf, an solche Themen zu denken, an die man vorher gar nicht denkt. MK: Wann seid Ihr denn bei TO Mitglied geworden? Gisela: ’73. Helmut: Nicht ’73, ne, ne, das war bei der ersten Kanalfahrt. Gisela: 1976. Also davor. Also, kurz nachdem der Verein überhaupt gegründet worden ist.[...] MK: Was hat Euch TO gebracht, und besonders bei der Reise? Gisela: Na ja, wir haben diese Magazine immer gelesen. Und Helmut hat sehr früh angefangen Artikel zu kopieren und nach Region zu sammeln. Also, daß wir sehr viel Information hatten, wo ist es billig, wo ist es teuer, […] SY VENILIA, 2000-05

Dabei verfolgt auch diese Publikation das Prinzip, daß die Mitglieder für ihre MitSegler berichten, Informationen im Sinne einer allgemeinen Reziprozität innerhalb der Seglergemeinschaft geteilt werden. Dem liegt die Annahme zu Grunde, daß Segler am besten wissen, was andere Segler interessiert. TO-Vorstandsmitglied (B.L.): Also gut finde ich, wie das mal einer genannt hat: Die Vorausfahrenden informieren die Hinterherkommenden. Dadurch, daß sie ihre Berichte schreiben, gibt es so ein System. Also sie schreiben über die Ansteuerung, die Tonnage, die Hafeneinfahrt, die Liegeplätze, Kraftstoff, Verpflegung, alles was es gibt. Da müsst ihr da hin gehen, das holt ihr da, das holt ihr da. Neuerdings auch Internetcafe, schon ganz weit vorne kommt immer schon gleich an dritter Stelle, Internetcafe gibt’s da auch. Und das ist gut zu wissen. Und deswegen sagen die Leute auch, die Zeitung ist ihnen ganz wichtig.

Unter der Rubrik »Letzte Standortmeldungen« (die sich mittlerweile ebenso wie alle anderen Inhalte auch online findet) können außerdem die Überseereisen von Fahrtenyachten verfolgt werden. 1974 wurden erstmals 6 TO-Schiffe, aber auch noch 21 vereins-fremde Fahrtenyachten, mit der jeweiligen Crew und aktuellen Position aufgeführt. Ab 2002 meldeten TO-Schiffe dann nicht mehr per Postkarte,

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sondern per E-mail ihren Aufenthaltsort und Reisepläne nach Cuxhaven, teilweise geben auch die TO-Stützpunkte weiter, wer bei ihnen vorbeigekommen ist. Diese freiwilligen Meldungen auf Überseereisen stellten in der »alten« Zeit ein gewisses Sicherheitssystem dar. Die Segler erfuhren so nicht nur, welche weiteren Schiffe unterwegs waren, im Zweifelsfall konnte auch nach »überfälligen« Yachten nachgeforscht werden. In dieser Funktion hat sich das Standortmeldesystem dank der längst an Bord eingezogenen Kommunikationsmöglichkeiten zwar erübrigt, werden die Standortmeldungen aber weiterhin veröffentlicht. In einer der letzten Ausgabe des TO-Magazins (2012/Nr.135) wurden insgesamt 288 Schiffen geführt. Ebenso wie die cruising stations der SSCA oder port officers des OCC fungierten die TO- Stützpunkte bis in die 1990er hinein aber in allererster Linie als »Poststellen« und trugen damit wesentlich zur Kommunikation zwischen Langzeitseglern und Freunden und Familie in der Heimat bei. Insbesondere der zunehmende Einsatz von E-mail auf Fahrtenyachten hat die Stützpunkte dieser Aufgabe beinahe völlig enthoben, werden sie nur noch in Ausnahmefällen als sichere Empfangsadresse für Ersatzteile oder Kreditkarten (!) in ihrer ursprünglichen Funktion in Anspruch genommen. Heute sind die ausschließlich ehrenamtlich betriebenen Stützpunkte primär Ansprechpartner vor Ort, dienen als Kontaktstelle zu anderen Booten und als Treffpunkt. Häufig sind die Stützpunktleiter selbst »ehemalige« oder »hängengebliebene« Weltumsegler, die der Fahrtenseglerszene verbunden sind und auch hier das Prinzip der allgemeinen, indirekten gegenseitigen Hilfe verfolgen. MK (FB): Welche Rolle spielte für Euch der TO? Steffi & Klaus (FB): TO-Stützpunkte waren für uns das Wichtigste, um Post von zuhause zu erhalten. Dazu die kleinen und nützlichen Tipps wo gibt es was. Diese Dienstleistungen dort haben uns so sehr geholfen, daß wir heute selbst TO-Stützpunkt in [Südeuropa] sind, um vielleicht etwas auch wieder an die Seglergemeinschaft zurückzugeben. SY AELLO, 1991-95

Häufig ist überdies die Kombination, daß Stützpunktleiter in der ein oder anderen Weise auch eine seglerrelevante Dienstleitung anbieten, eine Werkstatt oder ein Café betreiben, an eine Marina oder eine Werft angeschlossen sind. Wie Stützpunktleiter ihre Aufgaben ausfüllen, ist individuell unterschiedlich, sind damit anders als z.B. auf den Campingplätzen der Escapees keine prinzipiell gemeinschaftsfördernden Maßnahmen verbunden. Das Spektrum der Tätigkeiten von TO-Stützpunktleitern reicht dabei von der heute nur noch selten gefragten Postannahme über Auskünfte und Vermittlung von Dienstleistungen bis hin zu Inselrundfahrten für die Besatzungen von Besuchsyachten, von gemeinsamen Weihnachtsfesten bis zur Ausrichtung von Geburtstags- und Hochzeitsfeiern.

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Im Laufe der Vereinsgeschichte stieg die Zahl der weltweiten TO-Stützpunkte auf die heute angegebenen 200 Stück, wobei sich 23 davon im Inland befinden, 72 auf Europa und 105 auf Übersee verteilt sind, mehr oder weniger entlang der seglerischen Hauptrouten. Der Verein betont seine Internationalität stets durch die Angabe, daß ihm Mitglieder »aus 54 Staaten« angehören, mehrheitlich sind es jedoch deutsche bzw. deutschsprachige Segler 13 . Die letzte Angabe zur Mitgliederzahl lautet ca. 6000 (2012), und 2005 befanden sich von den ca. 2500 registrierten Booten 244 auf Weltreise (s. Anhang »Trans-Ocean« in Zahlen). Waren es 1974 noch 30 registrierte Boote, so ist die enorme Zunahme innerhalb weniger Jahre – 1981: 438, 1982: 554 – ebenso wie die rasant steigenden Mitgliederzahlen im Kontext des von mir beschriebenen Wandels im Fahrtensegeln – die »Veralltäglichung« von Weltumsegelungen und der steigende Anteil an »segelnden Frührentnern« - zu sehen, der nicht zuletzt mit dem wirtschaftlichen Wohlstand dieser Dekade in Verbindung steht. Entsprechend hoch ist auch der Altersdurchschnitt der Vereinsmitglieder. Der rege Zulauf, den der Verein Mitte der 1980er verzeichnen konnte, geht dabei wohl auch auf die in dieser Zeit geschaffene Möglichkeit zurück, als TO-Mitglied sich selbst und seine Fahrtenyacht unter Sonderkonditionen versichern zu lassen. In den letzten Jahren wurde dieses Angebot von Seiten der Versicherungen jedoch eingestellt, ist sowohl diese auf Fahrtensegler zugeschnittene Auslandskrankenversicherung wie eine weltweit gültige Kaskoversicherung weggefallen, was Weltumsegler vor erhebliche Probleme stellt. Bis dahin scheint jedoch gerade die durch die Mitgliedschaft mögliche Krankenversicherung mit ein entscheidendes Kriterium zum Vereinsbeitritt gewesen zu sein, wobei das Informationsangebot und Netz der Stützpunkte gewissermaßen als zusätzlicher Nutzen betrachtet werden. In den verschiedenen Phasen einer Weltumsegelung, ob in der Vorbereitung, unterwegs, oder als Rückkehrer in der Heimat, übernimmt der TO für den einzelnen Fahrtensegler unterschiedliche Aufgaben, kann auch die Vereinszugehörigkeit unterschiedlich bewertet werden, ändern sich Ansichten und Meinungen mit persönlichen Erfahrungen, treten manche Aspekte in der Vordergrund, werden andere unbedeutender.

13 Bis in die 1990er hinein wurde bei Aufschlüsselung der Mitgliederzahlen die Zahl der Schweizer angegeben, die zumindest bis dahin offensichtlich die größte Gruppe ausländi-scher TOMitglieder stellten (s. TO-Statistik im Anhang). Dabei versteht sich auch der Cruising Club der Schweiz (www.cruisingclub.ch) als Verein für Regatta- wie Fahrtensegler, steht der Segelsport jedoch im Vordergrund. Anders als der TO bietet er Kurse zum Erwerb von Segelscheinen an und verfügt auch über Clubschiffe, unterhält dafür aber z.B. keine weltweiten Stützpunkte. Der CCS, der selbst offizielles TO-Mitglied ist, gibt an, daß sich ca 1000 von ca. 6600 Mitgliedern (2012) »mit einer Hochseeyacht auf den Weltmeeren« befinden.

322 | W ELTUMSEGLER Barbara & Franz (FB): TO war anfangs wichtig. Er verkörpert ja gewissermaßen das Weltumsegeln. Aber nachdem wir lange genug dabei sind, ist diese Bedeutung eher gering. Es gibt einige Gründe dafür. So war es uns gelinde gesagt fremd, daß beim Jahrestreffen im November die Frauen nicht mit der TO-Medaille versehen werden, obwohl sie den gleichen Anteil an der Leistung haben.14 […] Also: TO-Mitglieder sind wir heute deshalb, weil wir aus dem Magazin wichtige Informationen von anderen Seglern erhalten. – Die TO-Familie gibt es faktisch nicht. Es ist die Seglerfamilie, unabhängig davon, ob jemand im TO ist. SY LIBITINA, 1991-94 & seit 1996

Ein pauschale Aussage darüber, wie ausgeprägt die Identifikation von Vereinsmitgliedern mit dem TO ist, läßt sich nicht treffen, ist der Beitritt häufiger noch pragmatisch als ideell bedingt, wobei dennoch eine gewisse Zugehörigkeit empfunden wird bzw. sie im Laufe der Zeit durch persönliche Erlebnisse zu- oder auch abnimmt. Für manche ist das Fahrtensegeln an sich ist eine durch das gemeinsame Handeln stärker prägende gemeinschaftliche Basis, fühlen sich Segler generell einer cruising community zugehörig, in der eine spezifische Vereinszugehörigkeit in den Hintergrund tritt. Gut zwanzig Jahre nach Vereinsgründung wird bereits vom TO selbst von den Schwierigkeiten gesprochen, in einem »sich stürmisch vergrößernden Verein kameradschaftliche Beziehungen aufzubauen« (TO 1991, Nr. 51). Manche Segler entscheiden sich auch, trotz TO-Mitgliedschaft, auf das Fahren des Standers zu verzichten, und somit ihre Zugehörigkeit nicht offensichtlich nach außen kundzutun. Die Größe des Vereins mag ebenso wie die in der Natur der Sache begründete weite Streuung seiner Mitglieder dazu beitragen, daß kein umfassendes Zusammengehörigkeitsgefühl empfunden wird.

14 Dabei handelt es sich weniger um eine grundsätzliche Missachtung der Leistung von Seglerinnen, vielmehr spiegelt sich darin, daß auch bei Paaren in aller Regel nach wie vor der Mann als der offizielle Schiffsführer fungiert. Die Vereinsstatuten sehen lediglich vor, daß pro Schiff und Weltumsegelung nur eine TO-Medaille und diese dem hauptverantwortlichen Skipper bzw. der Skipperin verliehen wird. In der Praxis ergibt daraus, daß die mit-segelnden Frauen unberücksichtigt bleiben, ihr Anteil an einer Weltumsegelung aber durchaus registriert wird. Die gefühlte Diskrepanz einer mangelnden »offiziellen« Anerkennung der (mit)segelnden Ehefrauen wird dabei in einem älteren TO-Jahresbericht noch eher bestätigt: »Die Reise auf der Passatroute um die Welt wurde in jeder Hinsicht vorbildlich ohne Zwischenfälle durchgeführt. Dafür erhielt Dr. Ernst Bullmer als Schiffer der BUMMLER X den Trans-Ocean-Preis 1981. Gleichzeitig wurde seine Ehefrau Erika Bullmer für ihren ausdauernden Einsatz während dieser ausgezeichneten Reise beglückwünscht.« (TO 1982/ Nr. 20, S. 3)

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Wulf: Ja, wir fahren den Stander schon. Aber man hat jetzt nicht das Gefühl, daß wenn jetzt ein TO-Schiff irgendwie in die Bucht einläuft, oder.. also es ist nicht irgendwie … ich denk, wenn du sonst im Segelverein warst, ist das klar, wenn du einen vom selben Club [triffst], und bist im selben Hafen oder so, man kennt sich dann auch. Aber irgendwo ist es auch der Verein viel zu groß. Man bemerkt’s, aber ich bin jetzt nicht der, der nur wenn ein Boot einläuft und der hat ein TO-Stander, daß ich jetzt rüberrudere und sage, ah, du bist auch von Trans-Ocean oder so. Wenn sich das ergibt, ist gut. SY TROLL, 2001-08

Als verbindendes Element spielt die Vereinszugehörigkeit mehrheitlich eine untergeordnete Rolle, ist sie nur ein Aspekt des konkreten sozialen Umfeldes unterwegs. Ein wesentlich ausgeprägteres Gemeinschafts- bzw. Zusammengehörigkeitsgefühl erwächst aus dem gemeinsamen Handeln.

Abbildung 35: Bayreuth, 2011 – Fahrtenyacht & Jägerzaun Eine hochseetaugliche Segelyacht – in einem oberfränkischen Vorgarten. Nicht für die Seen des Fichtelgebirges oder Bayreuther Umlandes bestimmt. Steht sie für den Traum von der großen Freiheit, irgendwann, in der Zukunft? Was hält ihren Besitzer seit Jahren davon ab, auf große Fahrt zu gehen? Wird sie eines Tages die Weltmeere befahren?

Kapitel 7 Zwischen Traum und Realität: Abenteuer, Ausstieg und Auswanderung

Traum und Realität l »…die beste Zeit in unserem Leben«? l Abenteuer – oder Ausstieg? l Alternative: Auswanderung l settling in motion l Weltumsegler als »Raumpioniere«

Traum und Realität Die Weltumsegelung: Ein Hundeleben in Herrlichkeit. Der erfüllbare Traum. Meer als ein Traum – Unter Segeln ins Glück.1 Segeljahre als »Auszeit« zwischen Traum und Realität. Mit der vorliegenden Arbeit habe ich mich bemüht, ein differenzierteres Bild der Praxis Langzeitsegeln, des Lebensstils Fahrtensegeln (auch) jenseits der von Seglern wie Nicht-Seglern gepflegten Klischees zu zeichnen. Die Freiheiten eines Lebens unter Segeln dabei weder als wenig »traumhaft« zu dekonstruieren, noch als Sehnsuchts-Wunschbild zu idealisieren. Allerdings verbirgt sich allein hinter der Tatsache, daß auch in dieser Arbeit ausschließlich Fahrtenseglerinnen und -segler präsentiert werden, die ihren Traum in der ein oder anderen Weise erfolgreich verwirklicht haben, ein im Ansatz unausgewogenes, weil positiv verzerrtes Bild »gelungener« Weltumsegelungen. Zu seiner Relativierung müssen divergierende Innensichten auf das Phänomen Weltumsegelung mitgedacht werden, die in diesem Buch, aufgrund der Leitfrage und des Forschungsdesigns, größtenteils unberücksichtigt geblieben sind. Es fehlen in dieser Momentaufnahme die Biographien und Stimmen »verhinderter« Weltumsegler, die teils jahrelang ihre Segelyachten ausrüsten, sich auf die große Fahrt vorbereiten und den Aufbruch dennoch nicht wagen. Deren Beziehungen in der Vorbereitungsphase über dem Traum des Segelns zerbrechen, oder deren Alter und

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Die hier zitierten Buchtitel stammen von Koch (SY KAIROS) über die Weltumsegelung 1964-67, von Nölter/Michaelis (SY OLE HOOP) über ihre erste Weltumsegelung 1991-94 und von Müller/Wnuk (SY IRON LADY) über ihre erste Segelreise 2000-07.

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Gesundheit die Reise schließlich nicht mehr zulassen. Oder denen die Arbeit am Schiff und die Planung der Reise Befriedigung genug ist, für die der Traum vom großen Abenteuer, gerade weil er nicht verwirklicht wird, seine Wirkmächtigkeit behält. Es fehlt darin vor allem auch der Blick solcher Segler, die im Laufe der Reise feststellen, daß dieser Lebensstil nicht ihren Vorstellungen entspricht, sie ihn nicht als befriedigend empfinden, oder denen das Segeln gar zur unterträglichen Belastung wird. Schon auf den Kanaren, aber vor allem in der Karibik und im Pazifik werden immer wieder Weltumsegleryachten »mit Pütt und Pann« verkauft, die von nicht in Erfüllung gegangenen Träumen zeugen. Weltumsegelungen werden mit gewissen Erwartungen angetreten, die nicht nur auf Berichten und Erzählungen »Vorausgefahrener«, sondern auf vorherigen Reiseund Lebenserfahrungen, und auf individuellen Sehnsüchten beruhen. Erst im Erleben und vor allem in der Retrospektive stellt sich heraus, ob das Glück tatsächlich auf dem Wasser, im Leben unter Segeln gefunden wurde. Ist aber jede Weltumsegelung ein biographischer Höhepunkt? Müssten alle Langzeitsegler bestrebt sein, diesen Lebensstil dauerhaft beizubehalten? Oder anders gefragt – wann, warum und unter welchen Umständen findet die Rückkehr in die Seßhaftigkeit statt? »… die beste Zeit in unserem Leben« ? Auch wenn die Weltumsegelung in ihrer Zirkularität weniger auf das Erreichen eines einzigen konkreten, geographischen Zieles ausgerichtet ist, gilt auch für Fahrtensegler, daß die Menschen dabei etwas suchen, finden und verlieren: in Analogie zu der Extremsituation, der sich Everest-Bergsteiger aussetzen, und in der Soziologie Roger Repplinger existienziellen Fragen und Antworten nachgeht (Repplinger 2011), ist das, was dann gefunden wird, dabei nicht unbedingt das, was bewußt gesucht wurde. In diesem Sinne läßt sich, so banal es klingt, auch festhalten, daß die Erfahrung des Fahrtensegelns immer auch zu einer Reise zu sich selbst wird, gleich aus welchen Beweggründen eine Weltreise auf einer kleinen Segelyacht angetreten wird: ob als Reise, um fremde Länder und Kulturen kennenzulernen, ob das Natur- oder Blauwassererlebnis im Vordergrund steht oder die Sehnsucht nach dem einfachen Leben an Bord als zivilisationsflüchtender Gegenentwurf. Erst durch das unmittelbare Erleben des Segelns, auf sich selbst gestellt, läßt sich beurteilen, ob die Entscheidung dazu die individuell richtige war. Hans: Aber ich wusste, daß eben viele das doch nach kürzester Zeit aufgeben. Wir wussten nicht, ob uns das liegt. Und, ja, das hat sich dann herausgestellt, daß es genau das war, was wir wollten. Das war so ne tolle Zeit, diese vier Jahre. Das war wahrscheinlich die beste Zeit in unserem Leben. Annegret: Ja, ja. Stimmt (ganz leise). SY ANNIE, 1974-77 (NZ)

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Schon in der mehrjährigen Dauer einer Weltumsegelung liegt ihre Funktion als biographische Zäsur begründet, unterteilen die Segeljahre den Lebenlauf der Akteure in ein eindeutiges Davor und Danach. Allerdings handelt es sich dabei keineswegs zwangsläufig um die entscheidende Zäsur. Während einige darin die »beste Zeit ihres Lebens« sehen, empfinden andere Fahrtensegler andere, davor- oder danachliegende Reiseerlebnisse als wesentlich eindrücklicher. Für manche ist die Weltumsegelung einfach eine logische Fortsetzung in einer Reihe selbstbestimmter und unabhängiger Reisen, nimmt sie als Herausforderung deswegen nicht unbedingt einen besonderes herausragenden Platz ein: wenn man schon als Dreizehnjähriger alleine einer mehrtägige Wanderung durch den Harz unternahm und mit 17 eine Radltour über die Alpen nach Italien, oder wenn man in den 1970ern und 1980ern mit dem Rucksack durch Asien getrampt ist. Während manche das Segeln zur »Lebensphilosphie« erheben, und sich für ein ausschließliches Leben an Bord entscheiden, gibt es für andere sehr wohl »ein Leben nach dem Segeln«. Ihnen erscheint es zumindest ebenso erstrebenswert, sich in der alten oder einen neuen Heimat wieder eine Existenz an Land aufzubauen, und wenn überhaupt »so wie früher« für einige Wochen im Sommer segeln zu gehen. In welchem Verhältnis steht das Phänomen Weltumsegelung damit gegenüber dem Abenteuer, dem Ausstieg und der Auswanderung? Freilich ist eine generelle Antwort hierauf ist unmöglich, stellt jede Weltumsegelung einen Einzelfall dar. Wie ich im Folgenden zeigen möchte, bilden diese Einzelfälle aber nicht nur die Bandbreite des Fahrtensegelns zwischen Abenteuer und Auswanderung ab, sondern auch einige ursächliche Begründungszusammenhänge. Die Entscheidung für oder gegen den Lebensstil »Segeln« als Verstetigung einer temporären Auszeit oder eines Abenteuers wird dabei durch eine Vielzahl von Faktoren bestimmt, die überdies in der von Alter, Gesundheit, Vermögen, Beziehung usw. bestimmten, individuellen Lebenssituation völlig unterschiedlich empfunden und beurteilt werden. Dabei wird in aller Regel auch von überzeugten Anhängern des Lebensstils eingeräumt, daß das Leben an Bord mit gewissen Einschränkungen verbunden ist, diese Nachteile jedoch durch die dennoch grundsätzlich höhere Lebenqualität bei Weitem wettgemacht werden. Thomas (FB): Nein, bis jetzt sind keinerlei Anzeichen zu erkennen, daß ich genug vom Leben an Bord habe. Die Risiken (Sturm, Piraten, Unfälle an Bord) sind meiner Meinung nach deutlich geringer als in Deutschland (Straßenverkehr, ständig Erkältungen, Allergien,…). Ich war hier an Bord seit meiner zwei Jahre dauernden Reise kein einziges mal krank. Keine Rückenschmerzen mehr, Rauchen hab ich hier an Bord auch aufgegeben. Ich treffe hier Leute, die sind 70 Jahre alt, sehen aus wie 50 und sind fit wie ein 40jähriger. Segeln, Reisen, (zwangsweise) viel frische Luft und Bewegung halten einfach jung! Einschränkung: Mir fehlen die Radltouren u. Spaziergänge durch satt-grüne, kühle europäische Wälder, und daß man in

328 | W ELTUMSEGLER einer Wohnung doch mehr die Sachen rumliegen lassen kann als auf nem Boot, wo das Platzangebot eingeschränkter ist. Aber diese beiden Einschränkungen nehme ich sehr gerne in Kauf. Dafür bekomme ich sooo viele andere Sachen, die ich in Deutschland nicht hätte. SY OMAN, seit 2005

Mit den Jahren ist für Thomas die ursprüngliche Idee der Weltumsegelung dabei beinahe völlig in den Hintergrund gerückt; er zieht nicht weiter westwärts, sondern hält sich seit Jahren in der Karibik auf. Seine Argumentation mit den vergleichsweise schlechteren Lebensbedingungen in Deutschland, wohin er doch regelmäßig auf Besuch bei Freunden und Familie fährt, entspricht dabei der bewussten Entscheidung für eine auf Wohlstand und Wahlmöglichkeiten basierenden amenity bzw. lifestyle migration. Im Fahrtensegeln tritt jedoch, mehr noch als bei den üblichen Formen der Wohl- und/oder Ruhestandsmigration, das Moment der aktiven Selbständigkeit in den Vordergrund. Das Reisen mit der Fahrtenyacht stellt aufgrund der daran geknüpften spezifischen Alltags-Routinen gerade im Alter eine besondere Herausforderung und damit zugleich eine sinnstiftende Beschäftigung dar. Jochen schließt für sich eine »altersgemäße« Seßhaftigkeit zwar nicht grundlegend aus, argumentiert aber ebenso wie Thomas, daß Segeln jung hält. Er ist nicht der einzige Segler, der mit diesem Argument begründet, weshalb er sich nur ungern von seinem Schiff trennen würde. MK: Was reizt Dich dann, dabei zu bleiben, und immer noch zu segeln? Jochen: Ja, weil ich … - was soll ich denn machen. Ich bin jetzt [70], theoretisch kann ich mich natürlich in Buxtehude in mein Haus zurückziehen, und kann da in meinem Ledersessel morgens die FAZ lesen, Beschwerdebriefe schreiben an den Bundeskanzler oder an irgendwen, und kann Rosen umgraben im Garten oder irgendwas, oder Rasen mähen oder Auto waschen oder was. Und, äh, was kann man ja sonst noch machen. MK: Vielen reicht das ja auch. Jochen: Oh nein. Das wäre Wahnsinn. Meine Frau hat auch Angst davor, wenn ich da zurückkomm. Das ist der helle Wahnsinn. Deshalb ist es vielleicht gar nicht schlecht, das Schiff in der Karibik zu lassen. Dann hat man immer die Möglichkeit, da mal eben hinzufliegen, ne. Weiß nicht, keine Ahnung. Denn – vielleicht mach ich das, was die anderen hier machen, die Kiwi Leute. Daß ich mir ein Motorboot kaufe. Dann hast du wieder was zu tun. Dann musst du den Dreckskahn ja reparieren. SY BOSTON, seit 1997

Abenteuer – oder Ausstieg? Das Alter der Akteure spielt ebenso wie die Lebensphase, in der eine Weltumsegelung unternommen wird, letztlich eine zentrale Rolle hinsichtlich der Frage, ob das Fahrtensegeln grundsätzlich open-end gestaltet wird, oder ob es sich dabei um einen zeitlich begrenzten Ausstieg handelt, der in dieser Ausprägung als Abenteuer im

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Sinne Simmels verstanden werden, als eine »Insel im Leben«: mit einem klar umrissenen Anfang und Ende, eine geschlossene Einheit, aus dem Leben herausfallend und zugleich mit dem Zentrum verbunden (Simmel 1919). Für Simmel gehört das Abenteuer per se »nicht in den Lebensstil des Alters hinein«, da nicht der Inhalt, sondern allein das Erleben eines Ereignisses, der Lebensprozess das entscheidende Moment des Abenteuers sind (1919: 25). Die Mobilität des Segelns verstärkt dabei, im Gegensatz zur Seßhaftigkeit gängiger Lebenskonzepte, das für das Abenteuer charakteristische »Herausfallen« der Segeljahre aus dem Lebenskontiuum. Die zugleich lebenslange Identifikation als Weltumsegler, als ein wesentlicher Bestandteil der eigenen Biographie, stellt die Verbundenheit »mit dem Zentrum« dar, wobei die Reise in ihrer Bedeutung durchaus unterschiedlich bewertet wird. Ein Beispiel für die Weltumseglung als ein solches Abenteuer ist die Reise von Peter und Gudrun, die sie mit Anfang Dreißig unternahmen. Dabei rückte es für ihn nach den ersten Jahren eigentlich in den Hintergrund, die Erde wie geplant zügig zu umrunden, erschien die unabhängige Wanderexistenz des Segelns eine längerfristige Perspektive. Seine Frau sah jedoch angesichts ihrer gemeinsamen Lebensplanung, v.a. wegen der vorgesehenen Familiengründung, die Notwendigkeit, die Weltumsegelung als nur temporären Ausstieg früher oder später zu beschließen. MK: Wolltet Ihr irgendwann gar nicht mehr nach Deutschland zurück? Nur noch auf dem Segelboot bleiben? Peter: Au ja. Ja. Aber das war mehr bei mir. Also da driften wir auseinander, nich. Ich glaube, wenn meine Frau da nicht gesagt hätte: Du, ich werd zu alt, und wir wollten Kinder haben. […] Und wenn meine Frau nicht gewesen wär, das nicht gesagt hätte, oder ich allein gewesen wäre, dann wär ich da wahrscheinlich auch hängengeblieben. Da bin ich von überzeugt. Das war also ein Lebensstil, der mir absolut zugesagt hat, nich. Dies, so ein bisschen zigeunerhaft, daß man mal hier mal da, daß man die Freiheit hat, zu gehen, wo man hingeht. Daß man entscheiden kann, hier bleib ich länger, und jetzt fahr ich weiter. Die unglaublich vielen tollen Kontakte, die man treffen kann, sowohl mit Einheimischen als auch mit Mitseglern. Da sind ja auch sehr, sehr interessante Leute dabei gewesen. SY GUNDEL, 1972-78

In Neuseeland, das sie bis dahin auch als mögliches Auswanderungsziel vorgesehen hatten, entschieden sie sich trotz vorhandener Migrationsmöglichkeit für die Fortsetzung der Weltumsegelung. Schließlich dauert der Rückweg nach Deutschland, der schon mit Kind angetreten wird, dann noch weitere drei Jahre. Desto mehr Gudrun und Peter jedoch erleben, wie sehr der Kontakt zu anderen Kindern vermisst wird, das Fahrtensegeln ihrer Erfahrung nach für ein Kleinkind wenig befriedigend ist, desto zügiger verfolgen sie die Rückkehr. Der Eintritt in die neue Lebensphase erleichtert die Entscheidung, die Freiheit des Segelns zugunsten fest verorteten geographischen und sozialen Räumen aufzugeben.

330 | W ELTUMSEGLER Gudrun: Und irgendwo hatte ich, dann, plötzlich doch das Gefühl, ich brauch einen festen Wohnsitz, ich brauch einen festen Bezugspunkt, ich mag nicht mehr wie ein Zigeuner immer von einem Ort zum Nächsten. Und auch so die Abschiede. Jedes Mal hat man grad so – man trifft ja viele, unheimlich nette Leute auch, und man schließt Freundschaften – und das ist mir zunehmend schwerer gefallen, immer wieder Abschied zu nehmen. Und ich hab irgendwie so ein bisschen Sehnsucht danach gehabt, jetzt so irgendwo hinzukommen, wo ich auch wirklich weiß, hier bin ich zu Hause, und hier bleibe ich. Und, deshalb ist es mir dann überhaupt nicht schwergefallen, mich dann wieder einzufinden. Sondern im Gegenteil, ich hatte Lust jetzt auf einen neuen Lebensabschnitt mit Kindern. SY GUNDEL, 1972-78

Letzlich ist es unmöglich eindeutig voneinander abzugrenzen, inwieweit der durch die Familiengründung begründete Wunsch nach Seßhaftigkeit mit einem generellen Überdruß am stetigen Umherziehen, einer zunehmend als Heimatlosigkeit empfundenen »Freiheit« und Unabhängigkeit zusammenfällt. Es steht jedoch außer Frage, daß das eigene Alter von Segler reflektiert wird, und somit maßgeblich auf die Entscheidung Einfluß nimmt, weiterzusegeln oder die Weltumsegelung abzuschließen. Dies betrifft dabei, in der »alten« wie in der »neuen« Zeit, jüngere Segler, vor allem aber, wenn auch unter anderen Vorzeichen, die gegenwärtigen Fahrtensegler der Generation 60+. Wobei die Ausgangsfrage auch hier lautete, ob es in neun Jahren Weltumsegelung nicht auch einmal ein Moment des »Genug« gab, sie des Segelns einmal überdrüssig waren. MK: Hattet Ihr immer Lust weiterzusegeln, und auch zurückzukommen? Elke: Da sind wir beide so ein bißchen unterschiedlich. […] Ich wäre gerne in Australien geblieben, und hätte das Boot dort gelassen, und wäre da auch gerne noch ein paar Jahre gesegelt. Und für Michael war das – das soll er selbst sagen. Für mich wär das also nicht so wichtig gewesen, hier, an diesem Punkt wieder zu landen, sondern – also segeln schon, nicht irgendwo für immer seßhaft, sondern hin und her [… ] Michael: Für mich ist es einmal die Vernunftsache, daß man ja nicht jünger wird – ich bin jetzt 67 – und daß es von Jahr zu Jahr doch härter wird, nicht. Wenn man älter wird, wird’s einfach härter. So daß es irgendwann einmal einen Abschluß geben muß. Und diesen Abschluß wollte ich ja auf keinen Fall in Australien haben. Man kann natürlich unterwegs das Schiff verkaufen, und dann ist Schluß. Aber die Vorstellung war doch für mich die Weltumsegelung und die Länder zu sehen, die man sich vorgestellt hat. Und das hat Elke ja auch nicht bereut, daß wir dann alles gesegelt haben Elke: Ne, wirklich nicht. SY BRIGHT DAY, 1997-2006

Auch der Zeitdruck, den Michael verspürt, begründet sich im Wissen um die Kontingenz des Lebens. Mehr als seiner Frau ist es ihm jedoch wichtig, die mit der

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Absicht, die Erde zu umrunden begonnene Segelreise nicht auf dem Weg, sondern in ihrem eigentlichen Sinne als Weltumsegelung auch wieder am Ausgangspunkt zu beenden. Angesichts seines Alters, und den Risiken von Krankheit und Gebrechlichkeit, steht ihm zum Erreichen dieses Zieles jedoch nicht open-end Zeit zur Verfügung. Ihre Entscheidung, »rechzeitig« abzuschließen, um ein »zu spät« auf jeden Fall zu vermeiden, ist dabei ebenso als ein Ausdruck des selbstbestimmten Handelns zu verstehen wie die Reise selbst; als ein aktives Gestalten der eigenen Biographie bei mehreren Wahlmöglichkeiten. Klaus: Ja, wir wollten ’ne Weltumsegelung machen, wir wollten nicht unser Leben als Segler beschließen. Als Segler im Pazifik. Natürlich werden wir auch weiter segeln. Aber als Segler im Pazifik rumkurven? […] MK: Habt Ihr das Gefühl Ihr seid anders als andere Weltumsegler? Klaus: Von anderen Weltumseglern eher nicht. Von anderen, die hier rumkurven ja, aus genau dem Grund. […] Ich frag dann auch immer fasziniert, was hält Dich denn eigentlich hier. Jetzt hast Du die 5783ste Palme gesehen, meinst Du, daß die 5784ste anders aussieht. Irgendwann sind die Inseln dann doch gleich. Und der Kulturkreis ist auch derselbe. In Polynesien ist Tonga natürlich nicht so wesentlich anders als Bora Bora. Und dann krieg ich ganz eigenartige Antworten. - Fängt an mit: was soll ich in Deutschland. Bis hin zu der klaren Aussage, von meiner Rente kann ich in Deutschland nicht leben. Hier ist billiger. Gut, ist ja auch ein Konzept. Aber dann kann man nur hoffen, daß er nicht alt wird. Denn wenn er alt werden sollte, wird er auch gebrechlicher, und wie ist es denn dann, mit dem Segeln. SY JULE, 2004-08

Die zunehmende Überalterung der aktuellen Seglergeneration führt offensichtlich dazu, daß immer häufiger ältere Mit-Seglern erlebt werden können, die »nicht mehr den Pep haben«, denen teils auch einfach die Kräfte fehlen. Wenn im Alter die Ordnung an Bord, die Navigation, und die Pflege des Schiffes »leidet«, ist es an der Zeit, aufzuhören. Auf dem Boot leben, segeln, solle man solange man körperlich dazu in der Lage sei – dann aber solle man besser den »Absprung« schaffen; sich lieber davon trennen, formulierte es ein anderer Segler Ende Sechzig, als nachher »ein Wunderling auf dem Boot« zu werden, »ein Außenseiter unter Jüngeren«. Das Motiv des Seglers, der die »Heimfahrt« so lange herauszögert, bis er aufgrund von Alter, Krankheit oder Gebrechlichkeit nicht mehr in der Lage ist, sie anzutreten, ist ein wiederkehrender Topos in den Erzählungen von älteren Langzeitseglern.2 Das

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Der Seitenblick auf Amerikas Langzeit-Wohnmobilisten offenbart interessanterweise den Ansatz einer ihrer Organisationen, der Escapees, sich der Überalterung ihrer Mitglieder durch die Einrichtung eine Zentrums für »Continuing Assistance to Retired Escapees« institutionell anzunehmen. »The CARE center will allow Escapees who are no longer

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Schreckenszenario ist, nicht mehr segeln zu können (oder zu wollen), aber zu müssen – weil etwa Aufenthaltsbestimmungen einen dauerhaften Verbleib im außereuropäischen Ausland verhindern. Geschichten wie diese, die von Mit-Seglern bekannt sind oder unmittelbar miterlebt werden, lassen es als das Ideal erscheinen, die Weltumsegelung ohne Geld- oder Zeitnot zur rechten Zeit zu Ende zu bringen. Oder aber sich bewußt für eine Alternative zu entscheiden. Alternative: Auswanderung Carola und Tobias entschieden sich ganz bewußt für die Barfußroute, weil sie ihre Weltumsegelung auch als eine Flucht aus dem »kalten Deutschland« verstanden und die Wärme suchten. Und aus diesem Grund nach gut einem Segeljahrzehnt, in dem sie sich von Anfang an viel Zeit ließen, eigentlich auch keine Rückkehr mehr planen. Da ihnen jedoch die Risiken des Alterns an Bord bewußt sind, und sie nicht erleben wollen, das Schiff und ihr Leben an Bord gezwungenermaßen aufgeben zu müssen, haben sie sich schließlich um eine unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung in Neuseeland bemüht, um sich dadurch die Freiheit zu erhalten, segeln zu können, aber nicht zu müssen. Carola: Ja, und dann kam so ein bisschen raus, daß Hans und Gisela – ältere Leute, die nicht zurück wollten nach Deutschland, aber dann Probleme hatten, als sie älter wurden, daß sie nirgendwo bleiben durften, weil sie schon zu alt waren, irgendwo zu immigrieren. Und die halt dann auf ihrem Boot waren, das körperlich kaum mehr geschafft haben, das zu organisieren und instand zu halten. Die Frau war dann gestorben, dann hat der Mann versucht, das alles noch alleine zu machen, er durfte nirgendwo bleiben. Zurück wollte er nicht. Hätte auch bestimmt Probleme gehabt, sich wieder zu integrieren. Und letztendlich ist er irgendwann halt mal rausgesegelt, und kam nie wieder. Dann wurde das Boot dann gefunden, mit niemand an Bord, glaub ich. Tobias: Ja, sein Ausspruch war - weil sie ihn gefragt haben, warum hörst du nicht auf mit dem Segeln und lebst an Land weiter. Und dann hat er gesagt, wer will uns noch? Und da war er schon Siebzig, oder um die Siebzig rum, oder kurz davor. Carola: Ja. ... Und das hat uns eigentlich zu denken gegeben. Und das war mit ein ausschlaggebender Punkt, warum wir dann hier für residence gefragt haben. SY MATOTO, seit 1994

able to travel actively to continue to live in their RVs and be part of the way of life while receiving the assistance they need. The CARE centre includes serviced parking sites that can be leased, in-rig assistance, and a day care/activity centre, all adjacent to the regular RVpark/club headquarters at Rainbow’s End« (Counts 1996: 245). Fahrtensegler müssen die Altersfrage individuell und auf sich gestellt lösen.

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Bei allen Entscheidungen steht dabei, wie in den Aussagen der Segler durchscheint, im Hintergrund immer auch die Frage, ob das Segeln überhaupt langfristig als völlig erfüllender Lebensinhalt empfunden wird oder nicht. Dies hängt freilich wieder eng mit dem Alter der Akteure zusammen: inwieweit muß das Segeln mit anderen, essentiellen Lebensplänen in Einklang gebracht werden, inwiefern ist es selbst eine willkommene sinnstiftende Beschäftigung. Zum anderen kann diese Frage doch auch in einem geschlechterspezifischen Kontext verortet werden.3 Denn es waren verhältnismäßig häufiger Seglerinnen, die davon sprachen, nach Jahren der Weltumsegelung ihre »Segellust« ausgelebt zu haben, während einige Männer sich ein anderes Leben kaum vorstellen möchten oder können. Bettina und Johann, die mit Anfang Dreißig kündigten und in vier oder fünf Jahren die Welt umrunden wollten, nahmen sich entsprechend Zeit, wählten die längere Route um Südamerika und genossen es sehr, ein halbes Jahr allein in den Kanälen Feuerlands zu verbringen. Danach weckte jedoch gerade das Traumziel so vieler Weltumsegler, der Pazifik, mit seiner »eintönigen« Schönheit bei ihnen das Bedürfnis nach Veränderung, und nicht einfach so weiterzusegeln. Bettina: Und dann hat es eigentlich angefangen, daß wir irgendwann gesagt haben, wir haben so das Gefühl, wir verplemperten unsere Zeit. Des war so bißchen existenzieller dann also für mich, ich hab gedacht, das kann’s nicht sein. Ich kann nicht immer bloß auf dem Schiff hocken, und immer bloß paradiesisches Wetter um mich rum und warmes Wasser. Und a bißl Schnorcheln, und da brutzln wir was auf dem Grill dahinter. Da bin ich einfach noch zu jung dazu, das hat im Pazifik angefangen. […]. Jeden Tag das Wetter so schön, und immer türkisblaue Lagune, und schon wieder Schnorcheln, weißt, die kenn ich jetzt ja alle da unten. Weißt, mir is das langweilig geworden auf einmal. Und dem Johann gings zum Glück genauso. Da haben wir gesagt, irgendwas muß sich jetzt ändern. Entweder zügig jetzt heimsegeln. […]. Oder einfach sagen, wir gehen irgendwo hin und bleiben mal irgendwo länger. Da haben wir uns halt für das entschlossen. SY HELENA, 1995-2003 (NZ)

Ihre Entscheidung, »irgendwo mal länger zu bleiben« führt zur offiziellen Einwanderung in Neuseeland, wo Bettina und Johann sich, nach der Geburt eines Kindes, auf der Südinsel niederlassen. Doch selbst die Tatsache, daß sie von ihrem

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Dabei ist u.a. an die Aufgabenverteilung an Bord zu denken. Zeitraubende, aber letzlich gewöhnliche Haushaltroutinen, die auf den meisten Schiffen nach wie vor in den Verantwortungsbereich der Frauen fallen, werden in weitaus geringerem Maße als befriedigende, ja, sich weiterbildende Beschäftigung empfunden als die »männlichen« Verantwortungsbereiche Technik & Motor.

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Schiff, das sie zwar behalten, aber nicht mehr dauerhaft bewohnen möchten, an Land gezogen sind und auf einem gepachteten Stück Land damit begonnen haben, ihr eigenes Haus zu bauen, sehen die beide diesen Schritt nicht als Migration, sondern eher als »Reiseunterbrechung«. Zwar verstehen sie sich jetzt als erstmal wieder seßhaft, aber doch nur vorübergehend. In ihrer Auswanderung »in der Schwebe«, in der das Leben in Neuseeland als eine Option neben anderen und keineswegs als endgültige Festlegung verstanden wird, spiegelt sich damit ebenso wie bei Carola und Tobias rationaler Überlegung zur neuseeländischen residence die für die Spätmoderne charakteristische Flexibilität von Lebensentwürfen. Die in Neuseeland »hängengebliebenen« Weltumsegler der 1970er dagegen behandelten ihre individuell unterschiedlich begründeten Entscheidungen gegen das Weitersegeln als weniger reversibel. Zwar transportiert gerade der Begriff des »Hängenbleibens«, daß das Aussetzen des Weiterziehens erst im Rückblick die Bedeutung einer eigentlichen Auswanderung erfährt. Allerdings vollzog sich dieser Prozess bei den Seglern jener Jahre relativ rasch, wollten sie sich bewußt langfristig in die Ankunftsgesellschaft integrieren; sie verstanden ihren Aufenhalt eben nicht nur als eine ausgedehnte »Unterbrechung«, sondern basierte das »Hängenbleiben« im Grunde bei allen auf der ungeplanten Möglichkeit, sich vor Ort eine neue Existenz aufzubauen. Die geographische Lage Neuseelands – auf der anderen Seite der Welt gelegen – läßt es dabei für deutsche Weltumsegler zu einem natürlichen Wendepunkt auf ihrer Reise werden. Die Entscheidung, weiterzugehen oder zu bleiben, gewinnt vor diesem Hintergrund an zusätzlicher Bedeutung. Für die meisten Segler verbindet sich damit hier eben auch die Frage, entweder komplett »rund zu gehen«, oder aber von der Idee der Weltumsegelung Abstand zu nehmen. MK: Also die Idee, rund zu gehen, war dann gar nicht mehr so wichtig? Irmgard: Ne. Irgendwie war das - für Till war das so: Er kam mit der Idee, jetzt sind wir in Neuseeland, jetzt sind wir am weitesten weg von Deutschland, von zuhause. Wenn wir jetzt weiterfahren, dann sind wir auf dem Rückweg. Dann geht es nach Hause, dann sind wir wieder auf dem Rückweg. Und das hat uns auch irgendwie die Entscheidung leichter gemacht. Wir hatten auch nur Seekarten bis Neuseeland. Weil wir nicht mehr Platz hatten. Ham gesagt, ok, in Neuseeland kaufen wir alle neu und von da aus geht’s weiter. Und – es war im Nachhinein, anderthalb Jahre Segeln waren zu kurz. Weißt Du, von Hamburg bis Neuseeland anderthalb Jahre, [...] das war zu schnell, zu schnell. SY IRMA, 1973-74 (NZ)

Als sie in Deutschland kündigten, um zu einer dreijährigen Weltumsegelung (»nach Hiscock genau richtig!«) aufbrachen, erschienen ihnen drei Jahre jedoch eine lange Zeit, weshalb sie auch bewußt zügig bis in den Pazifik segelten. Der »Ausstieg« aus der Weltumsegelung erfolgte dort, »weil sich das dann alles mit dem Job so fügte

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und so«, und erscheint auch erst im Rückblick und in der Zusammenschau auf das Lebenskontinuum als eigentlich verfrüht. Für Klara und Georg stand dagegen nach den ersten Segeljahren fest, daß sie die Weltumsegelung auf jeden Fall vollenden, aber länger als ursprünglich vorgesehen unterwegs sein möchten. Durch den daraufhin erfolgten Verkauf seines Geschäftes konnten sie sich diese Zeit nehmen. Dennoch sahen beide im Segeln nur einen temporären Lebensstil und strebten nicht an, sich auf Dauer in der Mobilität einzurichten; auch sie schreckte die Vorstellung, auf dem Schiff zu altern, verbunden mit dem Wunsch nach räumlicher Re-territorialisierung. MK: Warum seid Ihr nicht ganz auf dem Boot geblieben? Georg: Ja, ne, …. Klara: ja, ne…dann Georg: … wir wollten dann nicht mehr. Wir dachten dann, jetzt sind wir wieder in einer anderen Altersstufe. Ich denke nicht, daß das das Richtige ist, als alte Leute da unbedingt da rumzutreiben auf dem Meer. Und wir hatten also schon das Bedürfnis, wieder mal … Klara: … seßhaft zu werden. Georg: Und das sollte aber nicht in Deutschland sein. SY ALFREDO, 1972-82

Anstelle einer Rückkehr nach Deutschland stand bei Klara und Georg der erneute Aufbruch, verbunden mit der Suche nach einem Zuhause an einem »schöneren« Ort. Neuseeland, wohin sie schließlich wieder mit der eigenen Yacht zurückkehrten, erwies sich dabei am für sie Passendsten. In der nächsten Seglergeneration führt die gleiche Überlegung bei einem Seglerpaar zum Schluß, den »Umweg« über Deutschland dann doch einfach sein zu lassen. Hubert: Hier gefällt es uns am Besten. Deswegen sind wir hier geblieben. Und wir hatten es mal zu Anfang überlegt, die Weltumsegelung vollständig zu machen. Und sind dann beide zum Schluß gekommen, wenn wir weitergehen, dann im Grunde genommen nur, um das zu beenden, und wieder hierher zu kommen. Und dann brauchen wir auch nicht wegzugehen. SY COSIMA, seit 1994

Mit Mitte Dreißig fiel es Huberts Ehefrau Jenny dabei noch relativ leicht, die Auflagen für eine unbegrentze Aufenthaltsgenehmigung zu erfüllen. Diese dient dabei, wie im Falle von Carola und Tobias, nicht der Aufbau einer neuen Existenz in Neuseeland, sondern der Absicherung für eine spätere Altersphase. Vorläufig verbringen auch Jenny und Hubert – wie alle anderen ausländischen Besuchsyachten – nur die cyclone season in Neuseeland, und die Segelsaison »in den Inseln«. Die Nähe zu den Motiven spätmodernder transnationaler Wohl- und Ruhestandsmigration liegt nicht nur in der »Flucht« vor nassen und kalten deutschen

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Wintern, sondern in der Suche nach einer subjektiv höheren Lebensqualität. Für viele Segler bedeutet dies nicht zuletzt, daß sie trotz der Rückkehr an Land in der einen oder anderen Weise dem Lebensstil Segeln verbunden bleiben. In der selbstbestimmten Wahl eines neuen Zuhauses kommt dabei die Mobilität dieses Konzeptes zum Ausdruck, wie es während der Weltumsegelung durch die Fahrtenyacht selbst verkörpert wird. Steffi & Klaus (FB): Während der Reise war das Schiff wirklich unser zuhause – egal wo. Heute leben wir in [Südfrankreich] und hier ist heute unser zuhause: Sonne und Meer – wie während der Reise, das waren die Kriterien für diese Wahl. SY AELLO, 1991-95

Die Idealvorstellung eines späteren landbasierten Heimes ist für ein anderes Seglerpaar ein »kleines Häuschen mit Blick auf’s Meer«, mit Palmen, die sich im Passat wiegen, und angenehm warmen Temperaturen – Versatzstücke der Barfußroute, auf der sie sich seit über einem Jahrzehnt bewegen. Eine Rückkehr nach Deutschland, in dem sie gleichwohl noch ein Haus besitzen, wäre im Moment nur dann als Alternative denkbar, wenn das Schiff weiterhin in der Karibik liegen würde, um dann saisonweise pendelnd das Leben unter Segeln weiterzuführen. Auch wenn Walter seiner Frau eine andere, gemäßigtere Haltung dazu einräumt, steht für ihn fest, daß er jetzt noch keinesfalls heimsegeln und die Weltumsegelung beenden möchte. Walter: Also, für mich ist nach Deutschland zurückgehen, und mich in mein Haus zu setzen, das ist für mich gleichbedeutend zu warten auf Alter, Krankheit und Tod. Und – also, furchtbar, der Gedanke schon allein nur. SY LIESELOTTE, seit 1992

Eine zentrale Überlegung bei der Wahl des Ortes spielt dabei, mehr noch als die geograpische Entfernung zur »alten« Heimat, die gefühlte kulturelle Distanz. Auch wenn sie gerne noch einige Saisons im Pazifik verbringen, kommt Neuseeland für ein weiteres Seglerpaar in ihren Fünfzigern deshalb als möglicher Endpunkt ihrer Reise nicht in Frage; für sie müsste es ein »vertrauterer Kulturkreis« sein, wäre durch einen Ort in Europa dabei auch die Nähe zur Familie, vor allem zu den Enkeln gewährleistet. Sie verkörpern damit das Prinzip, daß Weltumsegler einerseits im Laufe der Segeljahre gewisse Entfremdungsprozesse gegenüber der Herkunftsgesellschaft durchlaufen, so daß sich auch eine »Rückkehr« in neue räumliche und soziale Netzwerke anbietet; andererseits die Bereitschaft, sich in transnationalen sozialen Räumen zu bewegen, die sowohl von bestehenden Beziehungen zu »alten« Freunden und Familie, dem durch die Reise gewonnen sozialen Umfeld der Seglergemeinschaft sowie lokalen Beziehungen vor Ort gebildet werden.

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settling in motion Allerdings handelt es sich bei solchen Auswanderungsüberlegungen unter den Seglern der gegenwärtigen Fahrtenseglergeneration eher um Gedankenspiele als um konkrete Migrationsabsichten. Dietmar: Vielleicht bleiben wir auch mal irgendwo hängen. Aber, […] ich sag immer so: wir können uns zur Zeit nicht vorstellen, irgendwo ein Häuschen zu haben mit ’ner Wiese wieder ringsrum und ich müsst in der Woche zweimal da Rasen mähen. Wenn mir hier die Gegend nicht gefällt, dann geh ich da [auf dem Schiff, Anm. MK] nach vorne und wir holen die Ankerkette hoch und fahren in die nächste Bucht. Dann hab ich ’ne neue Aussicht, neue Nachbarn und das geht erstmal wieder. […] Wenn das mal nicht mehr ist, wenn wir sagen, ja, man müsste sich eigentlich jetzt mal seßhaft machen, dann kommt och mal der Punkt, wo wir sagen, ab einem bestimmten Zeitpunkt sollte man es machen. Inge: Ja, das kommt dann immer auch aufs Alter drauf an, kommt drauf an, ob du gesund bleibst, oder ob irgendwie ’ne Krankheit dazwischen kommt. Und so was kannst du im Vorfeld nicht einprogrammieren, das geht nicht. Das musst du alles auf dich zukommen lassen. SY NJÖRDR, seit 1998

Sie wählen vielmehr bewußt ein Seßhaft-Werden in der Mobilität, in dem sie sich weder grundsätzlich für oder gegen die Seßhaftigkeit noch für oder gegen den dauerhaft peripatetischen Lebensstil Fahrtensegeln entscheiden; weder für oder gegen die Rückkehr nach Deutschland, noch für oder gegen die Option, auszuwandern. Sie argumentieren dabei, anders als amenity migrants, vor allem auch mit der Freiheit und Unabhängigkeit des Segelns. Aber auch hier liegt die Betonung auf der körperlichen Verfasstheit und den potentiellen Risiken des Alterns. Darüberhinaus ist es häufig jedoch vor allem auch das Wissen, »segeln zu können, aber nicht müssen«, weil im Zweifelsfall immer noch die Möglichkeit besteht, in das eigenen Haus in Deutschland zurückzukehren, das ein solches sich Einrichten in der Bewegung erheblich vereinfacht. Daß diese Phase des Verharren im »Dazwischen«, das Hinauszögern der Weiterfahrt, relativ häufig im Pazifik eintritt, liegt ebenso wie bei den »hängengebliebenen« Seglern der 1970er mit dem Zusammenfallen von Traumziel und Anfangspunkt des »Heimwegs« zusammen. Die eigentliche Idee der Weltumsegelung, d.h. die tatsächlich vollständige Umrundung der Erde auf eigenem Kiel, tritt darüber für manche Fahrtensegler mehr und mehr in den Hintergrund. »Eigentlich« möchte man ja schon noch sehen, was hinterm Horizont kommt, aber gleichzeitig hat sich das Segelerlebnis im Pazifik noch nicht erschöpft. MK: Wie wichtig ist es Euch, tatsächlich einmal rund um die Welt zu gehen? Hanni: Mir überhaupt nicht wichtig.

338 | W ELTUMSEGLER Walter: Mir auch nicht so wichtig mehr. Für mich war es wichtig, äh, als ich jetzt durch den Panamakanal gegangen bin: wir gehen jetzt rund. Aber der Gedanke, daß ich hier weggehen soll, wo’s mir noch gefällt. Wenn ich Gas gebe, sind wir in einem Jahr zuhause. Und wenn es mir hier gefällt, warum sollte ich gehen. Aus der Erfahrung heraus muß ich also sagen, die Segler sind alle viel zu schnell. Wir sind wahrscheinlich viel zu langsam mit vierzehn Jahren. So daß dann auch schon mal Langeweile aufkommt. Aber solange uns das hier im Pazifik noch gefällt, bleiben wir. Und, du kannst das Schiff, letztendlich möchtest du es gerne zurückbringen, aber du kannst es auch verkaufen. Die Welt ist so klein geworden. Jeden Morgen telefoniert sie mit ihrer Mutter und jeden Abend. […] Ich möchte schon auch in den Indischen Ozean. Und wahrscheinlich bringen wir das Schiff auch noch nach Hause. Aber wenn das dann nicht der Fall ist – pffffff – dann ist das also nicht mehr unbedingt … Hanni: Nicht mehr unbedingt nötig. Walter: Nicht mehr unbedingt das Hauptziel. Unser Hauptziel ist eigentlich, daß wir unseren, wie sagt man, ähm, Golden Age sagen sie hier so schön, daß wir da noch möglichst viel profitieren davon. SY LIESELOTTE, seit 1992

Im Sinne eines »Weder-Noch« wird jedoch auch der ursprüngliche Plan der Erdumrundung weder vollständig aufgegeben, noch erfolgt ein Aufbruch und ein Weiterziehen in Richtung Heimat. Ersteres würde zwar gedanklichen Raum für die Auswanderung bieten, könnte allerdings auch bedeuten, feststellen zu müssen, daß sich, etwa aufgrund von Altergrenzen, bestimmte Auswandererträume gar nicht mehr erfüllen ließen. Stattdessen liegt die Priorität ganz bei dem »aktiven« Genießen des Alters. Letzeres, die Entscheidung für eine Rückkehr nach Deutschland (oder einen alternativen Ort), würde bedeuten, sich mit dem »danach« auseinandersetzen zu müssen. Die Weiterfahrt wird auch deswegen Jahr um Jahr verschoben, die dann »unvermeidliche« deshalb Heimkehr herausgezögert, weil aufgrund der durch die räumlich-zeitliche Distanzierung zunehmend empfundenen Entfremdung die Rückkehr mit gewissen Ängsten besetzt ist. Das Auseinanderdriften aufgrund unterschiedlicher Erfahrungswelten machen Rückkehrer immer wieder an dem Desinteresse und Unverständnis fest, das ihnen begegnet. Die demgegenüber starke soziale Re-territorialisierung innerhalb der Seglergemeinschaft, das gegenseitige Verständnis, die Vertrautheit und Solidarität untereinander, zeigt sich nicht zuletzt darin, daß gerade diese Themen, die Erfahrungen und Aussichten von »Heimkehrern« unter Langzeitseglern immer wieder diskutiert werden. Wilfried, der selbst seit über 15 Jahren unterwegs ist, ist dabei ganz bestimmt der Meinung, daß kaum ein Langzeitsegler sich »einfach so« wieder in Deutschland einfinden würde. Die Geschichte von Kai bestätigt und widerlegt seine These zugleich.

ZWISCHEN T RAUM

UND

R EALITÄT

| 339

Kai: Aber dann bin ich nach Deutschland geflogen. Und in Deutschland wollte ich gerne aufhören, da war ich happy, daß ich wieder zuhause war. Alles gut überstanden hatte. Aber – na ja, - nach wenigen Wochen, ja, und dann gefiel mir das nicht mehr. […] ich hatte noch in Spanien eine kleine, eine ganz kleine Stadtwohnung, so Typ Stadthäuschen. Und da bin ich dann hin. […] Und die mußte ich renovieren, und dann habe ich sie anschließend verkauft und bin wieder zurück nach Deutschland. Bin noch mal in Denia gewesen, an meinem Boot, und wieder zurück nach Deutschland. Inzwischen war der Winter eingebrochen, und dann hatte ich so die Schnauze voll in Deutschland, da hab ich gesagt: So - Nein. Ich bin noch gesund genug. Mein Boot ist noch in Ordnung, das muß nur ein bißchen überholt werden. Und, ich fahre jetzt zurück nach Denia, mach mein Boot fertig und segel’ wieder los. Und so kam es dann, daß ich zum zweiten Mal aufbrach. SY ANNA PERENNA, 1998-2003 & 2003-09

Die Weltumsegelung auf der »Sonntagsroute« ist zwar erfolgreich abgeschlossen, aber dadurch auch eine ausfüllende, sinnstiftende Beschäftigung wegfallen. Die Renovierung einer Ferienwohnung, eines immobilen second homes, kann diese Lücke nur kurzfristig füllen. Zwischen Rückkehr und erneutem Aufbruch vergehen nur wenige Monate. Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine nun endgültige Entscheidung für ein Leben in Bewegung, sondern wiederum um einen temporären Ausstieg. Mit der Erfahrung seiner ersten Weltumsegelung beschließt Kai diesmal eine seglerisch »anspruchvollere« Route und umsegelt Südamerika. Dabei ist die Rückkehr nach Deutschland, oder vielleicht doch ins wärmere Spanien, von Anfang an das Ziel, mögliche Auswandererziele gäbe es für ihn eh nur wenige, und so wirklich reizt es ihn auch nicht. Doch die eigentliche Frage, die mit Kais zweitem Aufbruch zu Weltumsegelung ihren Anfang nimmt, ist die, wo er sich eigentlich zuhause fühlt? In Deutschland jedenfalls nicht mehr so ganz, das sei im Laufe der acht Jahre, die er jetzt unterwegs sei, doch recht fremd geworden. Eigentlich sei er jetzt ein Weltbürger. Weltumsegler als »Raumpioniere« Gleich, welche Vorstellung eines Weltbürgertum dieser Einhandsegler mit dem Begriff verbindet, und wie nah oder fern diese von kulturwissenschaftlichen Diskursen über Kosmoplitismus als Lebensstil liegen mögen, auf die ich an dieser Stelle meiner Schlussbetrachtung wiederum nur ganz allgemein und in Richtung künftiger Forschungen verweisen möchte: Aus Kais Bemerkung lässt sich die abschließende Frage ableiten, als was Fahrtensegler – über die Bedeutung der Weltumsegelung im Lebenslauf des Einzelnen hinaus – im Kontext einer Gesellschaft in Bewegung, und ihrer globalen Dimension betrachtet werden können. Die historische Entwicklung belegt bereits, daß Weltumsegelungen weder in einer bestimmten historischen Epoche noch an eine bestimmte Altersphase der Akteure gebunden sind. Auch wenn es sich damals wie heute um ein gesellschaftliches Randphänomen handelt, und Welt-

340 | W ELTUMSEGLER

umsegelungen auf kleinen Yachten mit Recht als ein marginales Mobilitätsssystem verstanden werden müssen, steht der Lebensstil »Segeln« heute doch auch im Kontext räumlich-zeitlicher Verhaltensänderungen in den westlichen Gesellschaften, in der Identitäten zunehmend mit einer Pluralität von Orten verknüpft werden. Ist er aber ausschließlich als ein letztlich immer hedonistisch begründetes Unterfangen als irrelevant für die Gesellschaft abzutun? Sind Weltumsegler eigentlich ein wenig aus der Zeit gefallene »Abenteurer« und »Aussteiger«, oder sind sie als mobile Minorität eigentlich Avantgarde, nehmen sie in Hinblick auf ihr selbstbestimmtes Leben in Bewegung und dem Umgang mit der selbstgewählten Mehrörtigkeit eigentlich eine Vorreiterrolle für die Majorität der (noch) Seßhaften ein? Auch wenn Nokielski in seinen Überlegungen zur vornehmlich auf Europa begrenzten amenity migration zu dem Schluß kommt, daß hierdurch nur eingeschränkt transnationale soziale Räume im Sinne dichter Netzwerke und sozialer Verflechtungen über die Grenzen von Nationalstaaten hinweg entstehen, ist seine Ausgangsfrage, ob »Ruhestandsmigranten aufgrund der Transnationalität ihres aktionsräumlichen Verhaltens und ihrer Orientierungen zu ›Raumpionieren‹ einer europäischen Gesellschaft« werden (2005:328), auch für Weltumsegler interessant. Denn in Analogie läßt sich fragen, ob Weltumsegler aufgrund ihrer globalen Zirkulation zu »Raumpionieren« einer bzw. der Weltgesellschaft werden (könnten)? Inwieweit eine solche denkbare, zukünftige Entwicklung in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Segelschiff als Reise- und Verkehrsmittel steht, kann hier nicht umfassend beanwortet werden. Vielleicht mag der Segler George Dibbern, an den ich hier erinnen und meine Studie über Weltumsegler nun schließen möchte, auch nur eine Randnotiz der Geschichte sein. Gleichwohl verweist sie darauf, daß im individuellen Segeln auf kleinen Booten auch eine große, überindividuelle, gesellschafts-idealistische Dimension angelegt ist. Vielleicht kann diese Erinnerung den ein oder anderen, der sich auf einer Fahrtenyacht auf den Weltmeeren und zugleich in der Weltgesellschaft bewegt, zum Nachdenken darüber anregen, Dibberns Utopie aufzugreifen und gerade durch das Segeln »eine Brücke des guten Willens zu sein«. Auf jeden Fall setzte Georges Dibbern4 bereits 1937 das Konzept eines gelebten Kosmopolitismus in aller Konsequenz um. Fortan fuhr seine TE RAPUNGA

4

George Dibbern (*1889 Deutschland † 1962 Neuseeland) wird im Zuge des Ersten Weltkriegs aus Neuseeland, das er als Matrose erreicht hat, nach Deutschland re-patriiert. 1930 läßt er, nachdem er das Buch von Alain Gerbault gelesen hat, Frau und vier Töchter in Hamburg zurück und segelt, praktisch mittellos und auf Unterstützung von Freunden angewiesen, mit der 32-Fuß-Ketsch TE RAPUNGA zurück in seine Wunschheimat Neuseeland. Sämtliche Stationen eines sehr bewegten Lebens hier aufzuzählen, würde den Rahmen dieser Studie sprengen, hierzu siehe seine Biographie (Grundmann 2004), sowie sein eigenes Buch Unter eigener Flagge (1965) über diese Reise.

ZWISCHEN T RAUM

UND

R EALITÄT

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unter eigener Flagge, sich selbst stellte er einen Paß als Weltbürger aus. Auch wenn Dibbern strenggenommen aus der Reihe der Weltumsegler herausfällt, weil dies nie sein Ziel war, kann er dennoch nicht zuletzt aufgrund der Konsequenz seiner Handlungen als Inbegriff des Seglers gelten, der auf den Weltmeeren das »freie«, selbstbestimmte Leben sucht (und, da war Dibbern nicht nur seiner Zeit voraus, gleichberechtigte Lebensmodelle). Henry Miller, der Dibbern nicht als Außenseiter, sondern als Avantgarde einer Gesellschaft betrachtete, die für seine Ideen noch nicht reif war, schreibt in seinem Vorwort zu dessen Bericht über die Segelreise unter eigener Flagge, und sein Anliegen, im Segeln den Austausch unter den Nationen zu befördern: »Die lange Reise ist nicht eine Flucht, sie ist ein Suchen. Der Mann sucht einen Weg, wie er der Welt von Nutzen sein könnte. Erst am Ziel der Reise wird ihm klar, was seine Aufgabe im Leben ist, ›eine Brücke des guten Willens zu sein‹.« (Dibbern 1965: 10)

Abbildung 36: USA, ca. 1940 – George Dibberns selbstausgestellter Paß (aus Grundmann 2004: »Original version with photo from c1930; notarised in San Francisco 31 May, 1940«) – Der Paß diente Dibbern auf seinen folgenden Reisen tatsächlich als einziges und offizielles Ausweisdokument.

342 | W ELTUMSEGLER

E PILOG & D ANK Während ich mein Quellenmaterial aufarbeitete, meine Hypothesen darin bestätigt und widerlegt fand, und schließlich das vorliegende Buch verfasste, kehrten einige der Segler, die ich seinerzeit in Neuseeland getroffen hatte, bereits von ihrer Weltumsegelung zurück. Ich las Berichte über ihre Fahrten, der ein oder andere veröffentlichte ein Buch. Manche verkauften ihr Schiff und zogen wieder an Land. Einer kehrte zwar nach Europa zurück, lebt aber weiterhin an Bord und will das Segeln als Lebensstil nicht aufgeben. Einige Schiffe sind, trotz der damals verkündeten Pläne der Segler, in der nächsten Saison auf jeden Fall weiterzuziehen, heute immer noch im Südpazifik. Ein Traum von der Weltumsegelung und der Freiheit auf See fand durch den Tod ein vorzeitiges Ende, ich erfuhr von einem Schiffbruch, aber auch von Neuanfängen und dem Aufbruch zu neuen Reisen. Mein großer Dank geht, an allererster Stelle, an alle Seglerinnen und Segler, die ich in Deutschland, Neuseeland und auf dem Pazifik traf, die ihre Geschichten mit mir teilten, mich an ihren Erinnerungen und an ihrem Leben teilhaben ließen. Ihre Biographien, ihre Erlebnisse und ihre Sicht der Dinge stellen die Basis für diese Arbeit dar. Ich danke für die Gastfreundschaft, die ich im Feld erfahren durfte, für die Offenheit und Herzlichkeit im Umgang und in den Gesprächen mit mir. An dieser Stelle nun einzelne Segler durch Namensnennung hervorzuheben, entspräche nicht der Vielzahl freundlicher und freundschaftlicher Begegnungen. Bedanken möchte ich mich ebenso bei Trans-Ocean für die Verbreitung meines Anliegens unter ihren Mitgliedern, den freundlichen Empfang in Cuxhaven und die Hilfe bei der Sichtung von fast 30 Jahrgängen des TO-Magazins. Daß ich den Seglern und ihren Schiffen in dieser Arbeit neue Namen gegeben habe, ist den Gepflogenheiten meiner wissenschaftlichen community geschuldet. Hier gilt mein Dank an erster Stelle meiner Doktormutter, Regina Bendix, die sich in die Welt ›meiner‹ Segler eindachte und mich über die Jahre geduldig bei wiederholten Strukturierungsversuchen und der Auseinandersetzung mit meinem Thema begleitete und förderte. Zuletzt sorgten ihr nachdrückliches und doch stets ermutigendes Einfordern von Fortschritten, vor allem aber ihre unverdrossene Zuversicht in mich und meine Arbeit, ein »Stranden« auszuschließen. Mein Dank geht auch an Brigitte Bönisch-Brednich, die mit ihrer AuswandererStudie bei manch deutscher Kollegin im Ansatz schon das Feld für Yachties als Forschungsgegenstand vorbereitet hatte. Bedanken möchte ich mich jedoch vor allem für ihre fachliche und persönliche Unterstützung. Die durch sie angeregte viermonatige residency am Stout Research Centre for New Zealand Studies der Victoria University Wellington, die dankenswerterweise vom DAAD finanziert wurde, ermöglichte mir die eigentliche Feldforschung, und bleibt darüber hinaus

E PILOG & D ANK

| 343

aber vor allem durch den dort erlebten, inspirierenden kollegialen Austausch mit staff und visiting scholars in Erinnerung. Dank geht auch an Helen und Tim Beaglehole für ihr Interesse an meiner Untersuchung und den herzlichen Dinnereinladungen, bei denen intensiv über Segelerfahrungen und erste Forschungsergebnisse gesprochen wurde. Bei Johanna Rolshoven möchte ich mich nicht nur für die Übernahme des Zweitgutachtens bedanken, sondern auch für die durch sie geweckte Aufmerksamkeit für das Konzept und die Perspektiven der mobile culture studies, die es mir ermöglichten, ›meine‹ Segler in einem größerem Rahmen zu verorten. Den sehr wertvollen Hinweis auf die Ethnographie Over the Next Hill als wissenschaftliche Bearbeitung des dem Fahrtensegeln verwandten Lebensstil des RVing erhielt ich dagegen von Lamont Lindstrom, ausgerechnet in einem Moment, in dem die Segler durch ein anderes Projekt auch gedanklich in weite Ferne gerückt waren. Natürlich möchte ich mich auch bei allen Generationen von Mit-Doktorandinnen und Doktoranden des Göttinger Instituts für KA/EE, die ich im Laufe meiner Promotion kennen lernte, für engagierte Diskussionen, konstruktive Kritik und die gegenseitige Motivation recht herzlich bedanken. Für den thematisch-kollegialen Austausch danke ich auch Viktorija Ceginskas, deren gründliche Vorab-Lektüre des umfangreichen vierten Kapitels zu entscheidenden strukturellen und sprachlichen Verbesserungen dieses Manuskriptes führte. Am längsten und am geduldigsten, trotz kontroverser Ansichten darüber, wie erstrebenswert es ist, um die Welt zu segeln, begleitet mich bei dieser Arbeit jedoch mein Ehemann, dem ich bereits 2002 im Hafen von Port Rudern zwei Vila/Vanuatu erzählte, daß ein boot, all diese anderen Segler doch der eine einmal erforscht werden kundig der sterne, müssten. Sein nie erlahmender andre des Interesse, seine hilfreiche kundig der stürme, Kritik zu Anträgen, Vorwird der eine trägen und Manuskripten, führn durch die sterne, generell seine unerschütterwird der andre liche Unterstützung haben es führn durch die stürme, mir ganz wesentlich ermögund am ende, ganz am ende, licht, die Ausdauer zu beweiwird das meer in der erinnerung sen, diese Arbeit zu einem blau sein. guten Ende zu bringen. Dir, lieber Thorolf, dafür den Reiner Kunze allerherzlichsten Dank!

Abbildung 37: Hawaii, ca. 1940 – TE RAPUNGA (aus Gundermann 2004: »Under sail with US flag and George Dibbern’s own flag«)

Schiffe & Reisen

Das Quellenmaterial der vorliegenden Arbeit basiert auf den hier aufgeführten Interviews mit Weltumseglerinnen und Weltumseglern, deren Namen von mir anonymisiert wurden, nicht aber die Angaben zu ihren Schiffen, dem Alter bei Beginn der Reise, zur Reisedauer. SY

LüA/ Mat.

Besatzung

Reise

Interview / FB

GUNDEL

(30/ GFK)

Gudrun (28) & Peter (30)

1972-978

22.08.2006 (D)

ALFREDO

(40/ Stahl)

Klara (27) & Georg (31)

1972-1982

30.01.2007 (NZ)

EMMA

(26/ GFK)

Geli (36) & Ingmar (38)

1972-1973 (NZ) 15.01.2007 (NZ)

IRMA

(31/ GFK)

Irmgard (30) & Till (34)

1973-1974 (NZ) 14.01.2007(NZ)

SWEET KISS

(28/ GFK)

Susi (32) & Reinhard (34)

1973-1975 (NZ) 31.01.2007(NZ)

NICOLAO

(33/ GFK)

Jan (21)

1973-1975

COELHO TEDDY

16.08.2006 (D)

[& N., T., S. - (21,24,26)] (27/ Stahl)

Fritzi (31) & Karl (42)

1974- (Tahiti) - 14.02.2007 (NZ) 1992 (NZ)

ANNIE

(35/ Stahl)

Annegret (28) & Hans (33)

DULCINELLA

(43/ Holz)

Doris (43) & Gerhard (44)

1974 (SA)-1977 10.02.2007 (NZ) (NZ) 1975 (SA)-1980 08.02.2007 (NZ) (NZ)

ACHERON

(42/ Stahl)

Anja (25) & Jörg (36)

1978-1987

Fragebogen

MAJA

(40/ Stahl)

Renate (27) & Dirk (31)

1981-1986

04.02.2007 (NZ)

LA LUCILA

(38/ Holz)

Peter (55)

1982-2002 (NZ) 07.01.2007 (NZ)

ORNELLA

(34/ Alum.)

Elise (44) & Gilles (48)

1985-1987 (NZ) 05.02.2007 (NZ)

FRANCONIA

(49/ Stahl)

Johannes (45)

Seit 1987

10.09.2006 (D)

AELLO

(41/ GFK)

Steffi (34) & Klaus (41)

1991-1995

Fragebogen

LIBITINA

(35/ GFK)

Barbara (37) & Franz (49)

1991-1994

Fragebogen

(42/ GFK) ALEPH

(42/ GFK)

Seit 1996 Andrea (52) & Peter (57)

1992-2001

Fragebogen

346 | W ELTUMSEGLER LIESELOTTE

(40/ GFK)

Hanni (49) & Walter (52)

COSIMA

(45/ Stahl)

Jenny (29) & Hubert (50)

Seit 1992

16.02.2007 (NZ)

(b.a.W. NZ) Seit 1994

23..01.2007 (NZ)

(z.Zt. NZ) MATOTO

(49/ GFK)

Carola (40) & Tobias (50)

Seit 1994

22.01.2007 (NZ)

FLAHERTY

(35/ Stahl)

Claudia (45) & Georg (48)

1995- 1999

HELENA

(42/ GFK)

Bettina (32) & Johann (35)

1995-2003 (NZ) 08.01.2007 (NZ)

BRIGHT DAY

(40/ Stahl)

Elke (54) & Michael (57)

ELBE

(44/ Stahl)

Maria (55) & Karl (57)

(z.Zt. NZ) 18.09.2006 (D)

(Kap Hoorn) 1997-2006

19.08.2006 (D)

1997-2010

11.01.2007 (NZ)

(Kap Hoorn) AINU

(34/ Stahl)

Regina (57) & Volker (52)

BOSTON

(33/ Stahl)

Jochen (59) [& Sandra]

Seit 1997

18.01.2007 (NZ)

Seit 1997

21.02.2007 (NZ)

(z.Zt.NZ) ANNA

(34/ GFK)

Kai (58)

PERENNA

1998-2003

23.01.2007 (NZ)

2003-2009 (Kap Hoorn)

NJÖRDR

(37/ GFK)

Inge (47) & Dietmar (48)

Seit 1998

10.02.2007 (NZ)

MARLENE

(33/ Holz)

Willi (31)

1999-2004 (NZ) 19.01.2007 (NZ)

VENILIA

(33/ Stahl)

Gisela (60) & Helmut (65)

2000-2005

17.08.2006 (D)

TROLL

(34/ GFK)

Claudia (40) & Wulf (42)

2001-2008 (?)

28.01.2007 (NZ)

SINA

(41/ GFK)

Hans-Dieter (62)

Seit 2003

Fragebogen

SIRIUS

(42/ Stahl)

Marc (65)

2003-2009

21.01.2007 (NZ)

PETITE

(44/ GFK)

Barbara (51) & Klaas (61)

2003-2008

12.02.2007 (NZ)

DOLCEVITA

(32/ Stahl)

Sabine (30) & Jörg (32)

2004-(2009)

26.01.2007 (NZ)

[& Paul (1)] NESSIE

(42/ Stahl)

Daniel (39) & Linda (42)

2004-2008 (NZ) Fragebogen

& Fiona (4) MOONSHINE

(42/ GFK)

Franz (60) & Betty (57)

2004-2009

27.01.2007 (NZ)

JULE

(35/ GFK)

Tanja (49) & Klaus (50)

2004-2008

22.02.2007 (NZ)

PEIONE

(43/ GFK)

Edith (50) & Andreas (60)

2004-2008

Fragebogen

OMAN

(35/ GFK)

Robert (37)

Seit 2005

Fragenbogen

HAPPINESS

(44/ Stahl)

Stefan (30) & Tom (30)

Geplant 2006

12.08.2006 (D)

VIDA

(39/ GFK)

Vroni (45) & Ludwig (47)

Geplant 2007

21.10.2006 (D)

ZWANZIG II

(34/ GFK)

Matthias (47)

Geplant 2008

26.06.2007 (D)

(z.Zt. Karibik)

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»T RANS -O CEAN « IN

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Z AHLEN

Die hier anhand der Zahlen zu Mitgliedern, registrierten Booten und in- wie ausländischen TO-Stützpunkten dargestellte Entwicklung des »Trans-Ocean. Verein zur Förderung des Hochseesegelns e.V.« beruht ausschließlich auf im TO-Mitteilungsblatt veröffentlichten Angaben, insbesondere den Berichten zur jährlichen Mitgliederhauptversammlung. Die Unvollständigkeit der Angaben beruht auf der in sich unsystematischen Berichterstattung. Jahr

Mitglieder

registrierte Boote

Stützpunkte

»Letzte Standortmeldungen«

1974

-

30 (22 Segelyachten)

-

-

1976

-

»fast 100 Yachten«

-

50 Yachten aufgeführt, 18 aus Übersee zurück

1982

(+171) 908

483 (42 unter ausländischer Flagge)

Total: k.A. Ausland: 28

175 Boote unterwegs, 49 neu aufgebrochen

1983

964 (4 Vereine)

554

-

-

1984

(+107) 1071

-

-

-

Im TO 28/ April 1985 erscheint das Angebot einer Reisekrankenversicherung für TO-Mitglieder 1985

1163 (>50 Schweizer)

Nr. 700 im Schiffsregister

-

-

1986

1287

-

-

-

1987

1416 (245 im Ausland – 84 Schweizer)

795

-

70-80 Übersee, v.a. aber Mittelmeerraum

1988

1500 (240 im Ausland – 90 Schweizer)

200

-

78 Weltumsegelung

1990

1840 (95 Schweizer – 31 Österreicher)

1140 (60 unter Schweizer Flagge)

Total: k.A. Ausland: 64

375 Langfahrt, 95 Weltumsegelung

1991

2094 (325 im Ausland – aus 28 Staaten – 106 Schweizer)

-

Total: 87 in 32 Staaten Inland: 15 Ausland: 72

72 Erdumsegelung (94 mit KurzwelleSeefunkanlage)

1992

2500 (581 im Ausland – aus 44 Staaten – 13 Vereine)

1310

Total: 96

600 unterwegs, (147 mit KurzwelleSeefunkanlage)

1993

ca. 3000 (646 im Ausland – aus 51 Staaten)

-

-

106 auf Weltreise (172 mit KurzwelleSeefunkanlage)

360 | W ELTUMSEGLER Jahr

Mitglieder

registrierte Boote

Stützpunkte

»Letzte Standortmeldungen«

1994

(+463) 3422 (836 im Ausland – aus 54 Staaten)

1800

Total: 113 in 38 Staaten Inland: 17 Ausland: 96

700 unterwegs, 123 auf Weltreise, 181 Atlantiküberquerer

1995

3847 (978 im Ausland)

1902

Total: k.A. Ausland: 98

848 unterwegs

1996

4222

-

Total: > 100

874 unterwegs

1997

4503

2327

Total: 112 in 44 Staaten

1046 unterwegs, 203 auf Weltreise

1998

ca. 4600 (1238 im Ausland)

ca. 2400

Total: 142 Inland: 17 Ausland: 125

190 auf Weltumsegelung

1999

5082 (17 Vereine)

2802 (2204 gültige Standerscheine)

Total: 137 Inland: 16 Ausland: 121

1237 unterwegs

2000

5598 (20 Vereine)

k.A. (1549 gültige Standerscheine)

Total: k.A. Ausland: 128

216 »auf Weltreise«

2001

5752 (1319 im Ausland – aus 54 Staaten – 24 Vereine)

3131 (1577 gültige Standerscheine)

Total: 148 Inland: 17 Ausland: 131

208 auf Weltumsegelung (248 Standortmeldungen)

2002

(+472/ -182) 6042 (1398 im Ausland – aus 54 Staaten – 23 Vereine)

3339 (1595 gültige Standerscheine)

Total: 152 Inland: 17 Ausland: 135

1363 auf Langfahrt, 209 auf Weltreise

Standortmeldung nicht mehr per Postkarte an TO in Cuxhaven, sondern per e-mail! 2005

5705

2577 (1387 gültige Standerscheine)

Total: 180 Inland: 21 Ausland: 159

244 »auf Weltreise«

2006

-

-

-

-

2007

(+311/ -253) 5717

-

Total: 183 Inland: 21 Europa: 72 Übersee: 90

-

2008

(+320/ -254) 5725

-

Total: 188 Inland: 22 Europa: 73 Übersee: 93

-

2009

(+322/ -227) 5838

-

Total: 190 Inland: 22 Europa: 72 Übersee: 96

-

»T RANS- OCEAN « IN Z AHLEN

Jahr

Mitglieder

registrierte Boote

Stützpunkte

| 361

»Letzte Standortmeldungen«

2010

(+295/ -229) 5904

-

Total: 194 Inland: 22 Europa: 72 Übersee: 100

(288 Standortmeldungen)

2011

(+323/ -224) k.A.

-

Total: 200 * Inland: 23 Europa: 72 Übersee: 105

-

* Stützpunkte Inland sind STS »Alexander von Humboldt«, Berlin, Borgstedt, Borkum, Bremen, Bremerhaven, Cuxhaven, Datteln, Düsseldorf, Emden, Hamburg, Helgoland, Kappeln, Kiel, Köln, Lubmin, München, Neustadt i.H., Regensburg, Rostock, Rügen, Travemünde-Boltenhagen, Wilhemshaven. Die Stützpunkte Europa und Übersee befinden sich in Österreich, Irland, Großbritannien (2), Dänemark (3), Schweden (2), Norwegen, Finnland, Polen, Russland (2), Frankreich (3), Portugal (5), Spanien (7), Italien (4), Malta, Griechenland (11), Türkei (9), Schwarzes Meer; Atlantik (22) (Island, Azoren, Kanaren, Kapverden), Kanada/ Ostküste, USA/ Ostküste (7), Karibik (19), Südamerika (13) (Kolumbien, Venezuela, Brasilien, Urugay, Argentinien), Pazifik und Indik (50) (USA, Mexico, Costa Rica, Panama, Ecuador, Galapagos, Chile, Neuseeland, Franz. Polynesien, Tonga, Cook Islands, Fiji, Neukaledonien, Niue, Samoa, Solomon Islands, Australien, Malaysia, Sigapur, Thailand, Indonesien, Philippinen, Vietnam, Japan, Malediven) und Afrika (11) (Marokko, Tunesien, Ägypten, Tanzania, Südafrika, Namibia, Gambia)

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2014-10-28 11-59-25 --- Projekt: transcript.anzeigen / Dokument: FAX ID 03d8380904312478|(S.

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3) ANZ2882.p 380904312542

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3) ANZ2882.p 380904312542