Strafrecht und Strafprozess: Eine Sammlung der wichtigsten, das Strafrecht und das Strafverfahren betreffenden Gesetze. Zum Handgebrauch für den Preußischen Praktiker [Reprint 2020 ed.] 9783112348109, 9783112348093

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Strafrecht und Strafprozess: Eine Sammlung der wichtigsten, das Strafrecht und das Strafverfahren betreffenden Gesetze. Zum Handgebrauch für den Preußischen Praktiker [Reprint 2020 ed.]
 9783112348109, 9783112348093

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Strafrecht iinli Mchro;rß. Line Sammlutkj der wichtigsten,

Striftecht und des Straforrfahren detreffnde» Gesetzt. Znm L^andgebranche für den preußischen Praktiker erläutert und berausgegeben

von

Dr. A. Dalcke, weiland Ober-Staatsanwalt, Geh. Gber-gustizrat.

Dreizehnte, vermehrte und verbesserte Auflage, besorgt von

y. Dalck«. Anitsgerichtsrat.

Neuer, berichtigter Abdruck.

Berlin l9l5. Verlag von

IV. lllnller

51V. 68, 5chühenstr. 29/30.

Aus dem Uorwort zur ersten Auflage. Auf den Wunsch des Verlegers, welcher den mit der Handhabung des Strafrechts betrauten Richtern und Anwälten bei dem Eintritt in die neue Ära der Strafrechtspflege ein praktisches Handbuch darbieten

wollte, habe ich mich der Herausgabe eines solchen unterzogen, und es sind für die Bearbeitung desselben folgende Gesichtspunkte maß­ gebend gewesen.

Ohne daß es in meiner Absicht liegen konnte, mit den größeren

selbständigen Kommentaren

über das Strafgesetzbuch

und über die

Strafprozeßordnung in Konkurrenz zu treten, oder eine vollständige Sammlung der noch neben dem Strafgesetzbuche in Preußen geltenden

Strafgesetze zu liefern, so sollte doch so viel Material geboten werden, um in der weitaus größten Mehrzahl der Fälle die Zurhandnahme noch anderer Bücher entbehrlich zu machen.

Aber der

Wunsch, recht viel zu geben, mußte seine natürliche Einschränkung in der Rücksicht finden, daß dem Buche nicht durch einen zu großen Um­ fang die handliche Form geraubt werben dürfe, welche für ein Vade­

mecum deS Kriminalisten, wie es hier geschaffen werden sollte, ganz unerläßlich schien.

Hauptsächlich aus diesem letzteren Grunde mußte auch von dem Gedanken, ein Handbuch für das Gebiet des ganzen Deutschen Reiches

herzustellen, abgesehen werden.

Eine bloße Sammlung der Reichs­

gesetze würde nämlich dem praktischen Bedürfnisse nirgends und nament­ lich nicht in Preußen genügt haben.

Eine Sammlung der Partikular­

strasgesetze aber, wenn auch nur der erheblicheren, würde den Charakter

und das Wesen des Buches total verändert haben.

Sollte deshalb auf

einem möglichst geringen Raume etwas möglichst Vollständiges dar­ geboten werden,

so war die Beschränkung aus das preußische Rechts­

gebiet nicht zu vermeiden.

Marienwerder im Mai 1879.

A Dalckr.

Vorwort zur siebenten Auflage. Der Druck der siebenten Auflage war nahezu vollendet, als der Berfaffer, mein Baler, aus dem Leben schied. An seiner Stelle über­ gebe ich auf den Wunsch des Verlegers diese Auflage der öffentlichkeit.

Auch dem weiteren Wunsche, spätere Auslagen dieses BucheS

zu besorgen, folge ich um so eher, alS ich auS unauslöschlicher Dank­ barkeit gegen den Verstorbenen die ihm besonders liebgewordene Tätig­ keit gern fortsetzen werde.

Freilich verkenne ich die Schwierigkeit der mir gestellten Aufgabe

nicht.

Bereits für die vorliegende Auflage ist, um die Handlichkeit

des BucheS trotz deS vermehrten Inhalts zu wahren, ein etwas größeres Formal gelvählt worden.

Die zukünftige Bearbeitung deS Kommen­

tars und die Auswahl deS stetig wachsenden Gesetzesmaterials wird

sich aber immer schwieriger gestalten, weil im Interesse einer handlichen Form der Umfang vor übermäßiger Anschwellung bewahrt bleiben muß.

Die jetzige Auflage unterscheidet sich von der vorigen dadurch, daß die Gesetze betr. die Entschädigung der im Wiederaufnahmeverfahren

freigesprochenen Personen v. 25. Mai 1898, ferner betr. die Bestrafung der Entziehung elektrischer Arbeit v. 9. April 1900 und betr. die Be­

kämpfung gemeingefährlicher Krankheiten v. 30. Juni 1900 neu aus­ genommen sind.

Ihren Platz gewechselt hat die Gewerbeordnung; sie

mußte mit den in letzter Stunde zustande gekommenen Neuerungen

an den Schluß der Gesetze gestellt werden, damit die Drucklegung der übrigen Teile

des Buches

nicht

verzögert würde.

Endlich ist auf

vielseitigen Wunsch der in der 6. Auflage fortgelaffene Anhang über die von den Beamten der Staatsanwaltschaft an andere Behörden zu machenden Mitteilungen wiederum zum Abdruck gelangt.

Die Abänderungen und Ergänzungen, welche die Gesetze (Gerichtsverfaffungsgesetz — Strafprozeßordnung — Strafgesetzbuch — Jagd­

polizeigesetz — Konkursordnung — Bereinsgesetz — Gewerbeordnung rc.) seit dem Erscheinen der letzten Auflage erfahren haben, sind berück­

sichtigt, und so darf gehofft werden, daß dem Buche auch in seiner

jetzigen Gestalt das ihm früher bewiesene Wohlwollen nicht fehlen wird. EberSwalde im August 1900.

P. Nalckr, Amtsrichter.

Uorwsrt zur dreizehnten Auflage. Die wichtigste Neuerung, die diese Auflage bringt, ist das während des Drucks am 19. Juni 1912 verabschiedete Gesetz betr. Abänderung des Strafgesetzbuchs. Es ändert dreizehn Paragraphen ab und fügt zwei neue Paragraphen ein. In abgeänderter Gestalt zeigt sich

auch wieder die Gewerbeordnung. Bei ihr war das Gesetz vom 27. Dezember 1911 zu berücksichtigen. Neu ausgenommen wurde das Gesetz betr. die Losgeselischaften, die Veräußerung von Jnhaberpapieren mit Prämien und den Handel mit Lotterielosen vom 19. Juli 1911. In einer Anmerkung zu § 363 StGB, sind die wider die Fälschung von Quittungskarten und Marken ergangenen Strasvorschristen der Reichsversicherungsorduuug vom 19. Juli 1911 und des Versicherungs­ gesetzes für Angestellte v. 20. Dezember 1911 abgedruckt Im Anhang fanden Aufnahme die Allgemeinen Verfügungen vom 22. Dezember 1911 betr. die Bewilligung von Strafausstand und vom 1. November 1910 betr. die Strafvollstreckung gegen Fürsorge- und andere Anstaltszögliuge. Einem m der Kritik hervorgetretenen Wunsch entsprechend sind einzelne Abschnitte in den Anmerkungen zusammengefaßt worden. Der hierdurch sowie durch Umarbeitung verschiedener Anmerkungen ge­ wonnene Raum ist benutzt worden, um die neueste Rechtsprechung in noch größerem Umfange als in den früheren Auflagen zu berücksichtigen. Den Einsendern von Berichtigungen insbesondere aber Herrn

Gerichtsassessor Dr. Fuhrmann für seine tatkräftige Unterstützung sei auch an dieser Stelle herzlicher Dank ausgesprochen. Möge es auch dieser Auflage an einer wohlwollenden Aufnahme nicht fehlen.

Eberswalde im Juli 1912.

P. »atcke.

Übersicht des Inhalts. I. Teil. I. II.

Strafprozeß.

Seite ..

Einf-Gesetz z. GerichtSverfaffungSges. v. 27. Jan. 1877

GerichtSverfaffungSges. v. 27. Jan. 1877

.

3

......................................

6

...

43

........................

50

III.

Preuß. AuSsührungöges. z. GBG., v. 24. April1878

IV.

Einf.Ges. z. Strafprozeßordn. v. 1. Febr. 1877

VI.

Strafprozeßordnung v. 1. Febr. 1877 ............................................ Ges., betr. den Erlaß polizeilicher Strafverfügungen wegen Über­

VII.

Die Bestimmungen der Schiedsmannsordn. über die Sühnever-

V.

tretungen, v. 23. April 1883 ........................................

53

254

handl. bei Beleidigungen und Körperverletzungen, v. 29.

März 1879

VIII

sreigesprochenen Personen, v. 20. Mai 1898

VII

257

.........................................................................................

a. Ges., betr. die Entschädigung der im Wiederaufnahmeverfahren

I b.

suchungshaft, v. 14. Juli 1904

II. Teil. IX.

259

.....

Ges., betr. die Entschädigung für unschuldig erlittene Unter­ ..............................

262

Strafrecht.

Die Strafbestimmungen der Konkursordnung v. 10. Febr. 1877 mit den Strafbestimmungen des Depotgesetzes v. 5. Juli 1896 über den Bankrott (S. 280).............................................

269

X.

Ges., betr. die Bestrafung der Entziehung elekttischer Arbeit,

XI.

Gesetz gegen den verbrecherischen und gemeingefährlichen Ge­

XII.

Die strafrechtlichen Bestimmungen des Ges. über den Verkehr

v. 9. April 1900 ...........................................................................

brauch von Sprengstoffen, v. 9. Juni 1884

...........

mit Kraftfahrzeugen, v. 3. Mai 1909 ......................

281

282

289

XIII.

Das Bereinsgesetz v. 19. April 1908 ..........................................

XIV.

Gesetz über die Preffe v. 7. Mai 1874 mit dem Ges., betr.

292

die Stimmzettel für öffentliche Wahlen, v. 12. März 1884 (S. 309)............................................................................. 308

XV. XVI. XVII.

XVIII.

Jagdordnung v. 15. Juli 1907 mit dem Ges. über die Schonzeit der Robben v. 4. Dezbr. 1876 .......................... 329

Gesetz, betr. den Forstdiebstahl, v. 15. April 1878 Feld- und Forstpolizeigesetz v. 1. April 1880

XX. XXL

352 369

Fischereigesetz für den Preuß. Staat v. 30. Mai 1874 mit dem Abänderungsges. v. 30. März 1880

XIX.

....

.......................

.................

396

Vogelschutzgesetz v. 30. Mai 1908 ................................................ Gewerbeordnung für das Deutsche Reich v. 21. Juni 1869

406

.

Ges., bett, die Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben, v. 30. März 1903.......................................................................

527

410

VII

Übersicht des Inhalts.

Seite XXII. Gesetz, betr. die Besteuerung des Gewerbebetriebes im Umher­ ziehen und einige Abänderungen des Ges. wegen Entrich­

tung der Gewerbesteuer, v. 30. Mai 1820. Bom 3. Juli 1876

537

XXIII. Gesetz, betr. die Verletzungen der Dienstpflichten des Gesindes

und der ländlichen Arbeiter, v. 24. April 1854 .... XXIV. Gesetz,

betr. den Verkehr mit

555

Nahrungsmitteln, Genuß-

.

558

XXV. Das Ges. gegen den unlauteren Wettbewerb v. 7. Juni 1909

573

XXVI. Gesetz zum Schutz der Warenbezeichnungen v. 12. Mai 1894

590

mitteln und Gebrauchsgegenständen, v. 14. Mai 1879 .

XXVII. Einf.Ges. z. Strafgesetzbuch v. 31. Mai 1870 XXVIII.

.........................

607

.

610

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich v. 15. Mai 1871

.

mit:

dem Ges. gegen den verrat militärischer Geheimnisie v. 3. Juli 1893 ...................................................................................... 652 2. Grs, betr. die Bestrafung der Majrstätsbeleidigung, vom 17. Februar 1908 ........................................................................... 654 3. dem Ges.» betr. daS Spiel in außerpreutz. Lotterien, v. 29. «uguft 1904 ........................................................................... 812 4. dem Ges., betr. die Losgesellschaften, die verLutzerung von Juhaberpapiereu mit Prämien und de« Handel mit Lotterie» loset, v. 19. Juli 1911.............................................................. 815 5. deu Strafbestimmungen deS Ges., betr. die Abzahlungsge­ schäfte, v. 16. Mai 1894 .................................................... 817 6. dem Ges. betr. die Wetten bei öffentl. veranstalteten Pferde­ rennen. v. 4. Juli 1905 .................................................... 818 7. de« Ges., betr. Bestimmnngen über den Wucher, v. 19. Juui 1893 ............................................................................................ 834 8. den Strafvorschrifteu (§§ 67-69) deS Ges. über die Beur­ kundung deS Personenstandes v. 6. Februar 1875 • * • 856 9. de« Bestimmungen der ReichSverflcherungsordnung, v. 19. Juli 1911 «nst deS versicherungSges. für Angestellte, v. 20. Dezember 1911 betr. die QuittnagSkarten und Marken . . 883 Anhang. I. Allg. Berf., betr. Sttafvollstteckungen, Sttafaus1.

setzungen, Begnadigungen und vorläufige Entlaffungen von Strafgefangenen, v. 14. August 1879 .......................................... 900 II. Allg. Sers., betr. die Bewilligung von Sttafausstand, v. 22. Dezember 1911...............................902 III. Allg. Berf., betr. bedingte Strafaussetzung, v. 11. November 1912......................................... 905 IV. Allg. Berf., bett, die Strafvollstreckung gegen Fürsorge- und andere Änstaltszöglinge, v. 1. November 1910...................................................... 916 V. Allg. Berf., betr. die von den Beamten der Staats­ anwaltschaft, von den Sttafvollstreckungsbehörden und in Privattlagesachen von den Amtsgerichten an andere Behörden zu machenden Mitteilungen, v. 29. April 1907 ............................................ 917 Sachregister..................................................................................... 932

Erklärung der Abkürzungen. A. AE. AG. AGO. AKO. ALR. A.M. AB. BA. BGB. BGBl. DIZ. Entsch. Erk. F.u.FPG. Frank GA. GKG. GS. GBG. JMBl. Johow Jur.W. KG. LBG. Löwe MS1GO. Müller

Olshausen OR. OStA. OBG. R.

RA. Recht RGBl. StA. Stenglein

StGB. StPO. Str. Arch. VMBl. B. Zentralbl. ZPO.

— Angeklagter. = Allerh. Erlaß. — Ausführung-gesetz. — Allgem. Gerichtsordnung. = Allerh. Kab.-Ordre. — Allgem. Landrecht. = Anderer Meinung. = Allgem. Verfügung. — Annalen de- Reichsgerichts, herausg. v. Blum. — Büraerl. Gesetzbuch. — Bundesgesetzblatt. — Deutsche Juristenzettung. = Erkenntnis des Oberverwaltungsgerichts. — Erkenntnis eines Strafsenats deS Reichsgerichts. = Feld- und Forstpolizeigesetz. = Strafgesetzbuch vou R. Frank. — GoltdammerS Archiv für Strafrecht. = Gerichtskostengesetz. = Gesetzsammlung. — GerichtsverfaffungSgesetz. — Justüministerialblatt. — Jahrbuch für Entscheidungen des KammergenchtS, herausg. v. Johow und Ring. — Juristische Wochenschrift. = Kammergericht. — Ges. über die allg. Landesverwaltung. — Strafprozeßordnung von Löwe u. Hellweg. = Militärstrafaerichtsordnung v. 1. Dezbr. 1899. — Die Preußische Justizverwaltung von H. Müller. 6. Aust. = Strafgesetzbuch von Olshausen. 7. Aust. — Oppenhoff, Rechtsprechung deS preuß. Obertrib. — Ober-Staatsanwalt. = Ober-BerwaltungSgericht. = Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strass., herausg. v. d. Mitglied, der Reichsanwallschaft. — Rechtsanwalt. = Das Recht (Zeitschrift), herausg. von Soergel. = Reichsgesetzblatt. — Staatsanwalt bzw. Staatsanwaltschaft. = Stenglein, Kommentar zu den strafrechtlichen Nebeneen, bearbeitet vou Ebermayer, Galli, Linden4. Aust. — Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. — Strafprozeßordnung für das Deutsche Reich. = StriethorstS Archiv für Rechtsfälle. = Ministerialblatt für die innere Verwaltung. — Verordnung. = Zentralblatt für das Deutsche Reich. = Zivilprozeßordnung.

I. Stil.

Strafprozeß.

Talcke, Strafr. 13. Auf!.*

1

I. Einfiihrungsgeseh ;um Gerichtsverfassungsgesetze. Bom 27. Januar 1877. (RGBl. S. 77.)

§ 1. Das Gerichtsverfassungsgesetz tritt im ganzen Umfange des Reichs an einem durch Kaiserliche Verordnung mit Zustimmung des Bundesrats festzusetzenden Tage, spätestens am 1. Oktober 1879, gleich­ zeitig mit der im § 2 des Einführungsgesetzes der Zivilprozeßordnung vorgesehenen Gebührenordnung in Kraft. § 2. Die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes finden nur auf die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit und deren Ausübung An­

wendung. § 3 Die Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Strafsachen, für welche besondere Gerichte zugelassen sind, kann den ordentlichen Landesgerichten durch die Landesgesetzgebung übertragen werden. Die Übertragung darf nach anderen als den durch das Ge­ richtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Zuständigkeitsnormen erfolgen. Auch kann die Gerichtsbarkeit letzter Instanz in den vorerwähnten Sachen auf Antrag des betreffenden Bundesstaates mit Zustimmung des Bundesrats durch Kaiserliche Verordnung dem Reichsgerichte über­ tragen werden. Insoweit für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten ein von den Vor­ schriften der Zivilprozeßordnung abweichendes Verfahren gestattet ist, kann die Zuständigkeit der ordentlichen Landesgerichte durch die Landes­ gesetzgebung nach anderen als den durch das Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Normen bestimmt werden. § 4. Durch die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Zuständigkeit der Behörden wird die Landesgesetzgebung nicht ge­ hindert, den betreffenden Landesbehörden jede andere Art der Gerichts­ barkeit, sowie Geschäfte der Justizverwaltung zu übertragen. Andere Gegenstände der Verwaltung dürfen den ordentlichen Gerichten nicht übertragen werden. § 5. In Ansehung der Landesherren und der Mitglieder der landesherrlichen Familien, sowie der Mitglieder der Fürstlichen Familie Hohenzollern finden die Bestimmungen des Gerichtsver1*

4

I. Etnführungsgesetz zum Gerichtsverfaffungsgesetze §§ 6—11.

sassungsgesetzes nur insoweit Anwendung, als nicht besondere Vor­

schriften der Hausverfaffungen oder der Landesgesetze abweichende Be­ stimmungen enthalten.

Das gleiche gilt in Ansehung der Mitglieder

des vormaligen Hannoverschen Königshauses, des vormaligen Kur­

hessischen und des vormaligen Herzoglich Nassauischen Fürstenhauses.')

§ 6 Unberührt bleiben die bestehenden landesgesetzlichen Vor­ schriften über die Zuständigkeit der Schwurgerichte für die durch die Presie begangenen strafbaren Handlungen.

§ 7. Die Militärgerichtsbarkeit, ?) sowie das landesgesetzlich den Standesherren gewährte Recht auf Austräge werden durch das Gerichtsversassungsgesetz nicht berührt.

§ 8. § 9.

’)

Durch die Gesetzgebung eines Bundesstaates, in welchem mehrere Oberlandesgerichte errichtet werden, kann die Verhandlung und Entscheidung der zur Zuständigkeit der Oberlandesgerichte gehörenden

Revisionen und Beschwerden in Strafsachen ausschließlich einem der mehreren Oberlandesgerichte oder an Stelle eines solchen Oberlandes­ gerichts dem obersten Landesgerichte zugewiesen werden.

§ 10. § 11.

31) 2

Die landesgesetzlichen Bestimmungen, durch welche die straftechtliche oder zivilrechtliche Verfolgung öffentlicher Beamten wegen

der in Ausübung oder in Veranlassung der Ausübung ihres Amts

vorgenommenen Handlungen an besondere Voraussetzungen gebunden ist, treten außer Kraft. Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften, durch welche

die Verfolgung der Beamten entweder im Falle des Verlangens einer

1) Satz 2 ist eingeschoben durch das Ges. v. 17. Mai 98 (RGBl. S. 252). Nach dem Ges. v. 25. März 1904 (RGBl. S. 149) finden die Vorschriften der Reichsgesetze, die in Ansehung der Mitglieder der in Satz 2 dieses § genannten Fürstenhäuser Abweichungen von reichsgesetzlichen Vorschriften zulasten, auch auf die Mitglieder des Herzoglich Holsteinischen Fürstenhauses Anwendung. 2) Über die Personen, welche unter Militärgerichtsbarkeit stehen, siehe jetzt

§ 1 der Militärstrafgerichtsordn. v. 1. Dezbr. 98, RGBl. S. 1189, die nach der Kaiser!. Verordn, v. 28. Dezbr. 99 (RGBl. 1900 S. 1) am 1. Okt. 1900 in Kraft getreten ist. Nach der Rechtsprechung des RG. (E. 12 S. 319 u. 14 S. 328) und des RMG. (Bd. 2 S. 59, Bd. 3 S. 27 u. Bd. 8 S. 113) wird durch die Einberufung zur Kontrollversammlung für den Einberufenen die Zu­ gehörigkeit zum aktiven Heere für den ganzen Tag begründet. Siehe hiergegen Grünwald, im Recht US. 626. Letzterer entgegengesetzten Ansicht hat sich das OKG. des X. AK. zu Hannover angeschloffen. Recht 13 S. 202. Die Zu­ ständigkeit des Zivilgerichts wird nicht dadurch begründet, daß das Hauptver­ fahren gegen den Angekl. eröffnet und in der Hauptverhandlung die Unzu­ ständigkeit des Gerichts nicht gerügt ist (GA. 44 S. 380). 3) Die §§ 8 u. 10 kommen für Preußen nicht in Betracht.

I. Einführungsgesetz zum Gerichtsverfaffungsgesetze §§ 12—22.

5

vorgesetzten Behörde oder unbedingt an die Vorentscheidung einer be­

sonderen Behörde gebunden ist, mit der Maßgabe: 1.

daß die Vorentscheidung auf die Feststellung beschränkt ist, ob der Beamte sich einer Überschreitung seiner Amtsbefugnisse oder der Unterlassung einer ihm obliegenden Amtshandlung schuldig gemacht habe/)

2.

daß in den Bundesstaaten, in welchen ein oberster Verwaltungs-

gerichtshof besteht, die Vorentscheidung diesem, in den anderen

Bundesstaaten dem Reichsgerichte zusteht.

§ 12.

Die für Elsaß-Lothringen geltenden Bestimmungen über die Gerichts­ sprache werden durch die Vorschrift des § 186 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht berührt.^)

§§ 13-16°) § 17. Auf Antrag

eines Bundesstaates und mit Zustimmung des Bundesrats kann durch Kaiserliche Verordnung die Verhandlung und Entscheidung der im § 17 des Gerichtsverfassungsgesetzes bezeich­

neten Streitigkeiten dem Reichsgerichte zugewiesen werden.

Für diejenigen Bundesstaaten, in denen die im § 17 des Gertchts-

verfassungsgesetzes bezeichneten Behörden bestehen und nach Maßgabe der Vorschriften tm § 17 Nr. 1—4 einer Veränderung ihrer Einrich­

tung und des Verfahrens bedürfen, kann die Veränderung, sofern sie nicht bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes landesgesetzlich getroffen ist,

durch landesherrliche Verordnung eingeführt werden. ?)

§§ 18-22.°) Urkundlich re.

4) Darüber, ob der Fall sich zur gerichtlichen Verfolgung eigne, also über die Zweckmäßigkeit der letzteren, findet eine Vorentscheidung nicht statt. Dazu vgl. Ges. v. 13. Febr. 54 (GS. S. 86). 5) Jetzt aufgehoben durch Ges. v. 12/6 89 (RGBl. S. 95). 6) Die §§ 13—16 u. 18—22 enthalten jetzt bedeutungslose Übergangsbe­

stimmungen. 7) Siehe BO., betr. die Kompetenzkonflikte zwischen den Gerichten und Der waltungSbehörden, v. 1. August 79 (GS. S. 573).

II. Gerichtsverfasslm-szeseh. Bom 27. Januar 1877. (RGBl. 1877 E. 41, 1898 S. 371.)

1. Titel.

Lichteramt.

§ 1. Die richterliche Gewalt wird durch unabhängige, nur dem Gesetze unterworfene Gerichte ausgeübt. § 2. Die Fähigkeit zum Richleramte wird durch die Ablegung zweier Prüfungen erlangt. Der ersten Prüfung muß ein dreijähriges Studium der Rechts­ wissenschaft auf einer Universität vorangehen. Bon dem dreijährigen Zeiträume sind mindestens drei Halbjahre dem Studium auf einer

deutschen Universität zu widmen.

Zwischen der ersten und zweiten Prüfung muß ein Zeitraum von drei Jahren liegen, welcher im Dienste bei den Gerichten und bei den Rechtsanwälten zu verwenden ist, auch zum Teil bei der Staatsan­ waltschaft verwendet werden kann. In den einzelnen Bundesstaaten kann bestimmt werden, daß der für das Universitätsstudium oder für den Vorbereitungsdienst bezeich­ nete Zeitraum verlängert wird, oder daß ein Teil des letzteren Zeit­ raums, jedoch höchstens ein Jahr, im Dienste bei Verwaltungsbehörden zu verwenden ist oder verwendet werden darf. § 3 Wer in einem Bundesstaate die erste Prüfung bestanden hat, kann in jedem anderen Bundesstaate zur Vorbereitung für den Justizdienst und zur zweiten Prüfung zugelassen werden. Die in einem Bundesstaate auf die Vorbereitung verwendete Zeit kann in jedem anderen Bundesstaate angerechnet werden. § 4 Zum Richleramte befähigt ist ferner jeder ordentliche öffent­ liche Lehrer des Rechts an einer deutschen Universität. § 5. Wer in einem Bundesstaate die Fähigkeit zum Richteramie erlangt hat, ist, soweit dieses Gesetz keine Ausnahme bestimmt, zu jedem Richteramte innerhalb des Deutschen Reichs befähigt. § 6. Die Ernennung der Richter erfolgt aus Lebenszeit. § 7. Die Richter beziehen in ihrer richterlichen Eigenschaft ein

festes Gehalt mit Ausschluß von Gebühren.

Richteramt §§ 8—11. Gerichtsbarkeit §§ 12—14.

7

§ 8. Richter können wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus den Gründen und unter den Formen, welche die Gesetze bestimmen, dauernd oder zeitweise ihres Amts ent­ hoben oder an eine andere Stelle, oder in Ruhestand versetzt werden. Die vorläufige Amtsenthebung, welche kraft Gesetzes eintritt, wird hierdurch nicht berührt. Bei einer Veränderung in der Organisation der Gerichte oder ihrer Bezirke können unfteiwillige Versetzungen an ein anderes Gericht oder Entfernungen vom Amte unter Belassung des vollen Gehalts durch die Landesjustizverwaltung verfügt werden. § 9. Wegen vermögensrechtlicher Ansprüche der Richter aus ihrem Dienstverhältnisse, insbesondere auf Gehalt, Warlegeld oder Ruhegehalt darf der Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden. § 10. Die landesgesetzlichen Bestimmungen über dte Befähigung zur zeitweiligen Wahrnehmung richterlicher Geschäfte bleiben unberührt. § 11. Auf Handelsrichter, Schöffen und Geschworene finden die Bestimmungen der §§ 2—9 keine Anwendung.

2. Titel.

Gerichtsbarkeit.

§ 12 Die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit wird durch Amts­ gerichte und Landgerichte, durch Oberlandesgerichte und durch das Reichsgericht ausgeübt. § 13. Bor die ordentlichen Gerichte gehören alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Strafsachen, für welche nicht entweder die Zu­ ständigkeit von Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten be­ gründet ist oder reichsgesetzlich besondere Gerichte bestellt oder zuge­ lassen sind. § 14. Als besondere Gerichte werden zugelassen: 1. die auf Staatsverträgen beruhenden Rheinschiffahrts- und Elbzollgerichte; 2. Gerichte, welchen die Entscheidung von bürgerlichen Rechts-

streitigkeiten bei der Ablösung von Gerechtigkeiten oder Real­ lasten, bei Separationen, Konsolidationen, Verkoppelungen, gutsherrlich-bäuerlichen Auseinandersetzungen und dergleichen obliegt; 3. Gemeindegerichte, insoweit denselben die Entscheidung über ver­ mögensrechtliche Ansprüche obliegt, deren Gegenstand in Geld oder Geldeswert die Summe von sechzig Mark nicht übersteigt, jedoch mit der Maßgabe, daß gegen die Entscheidung der Ge­ meindegerichte innerhalb einer gesetzlich zu bestimmenden Frist sowohl dem Kläger wie dem Beklagten die Berufung auf den ordentlichen Rechtsweg zusteht, und daß der Gerichtsbarkeit des

8

II. GerichtSversaffungsgesetz §§ 15—18.

Gemeindegerichts, als Kläger oder Beklagter, nur Personen unterworfen werden dürfen, welche in der Gemeinde den Wohn­ sitz, eine Niederlassung oder im Sinne der §§ 16, 20 der Zivil­ prozeßordnung den Aufenthalt haben;

4. Gewerbegerichte. § 15 Die Gerichte sind Staatsgerichte. Die Privatgerichtsbarkeil ist aufgehoben; an ihre Stelle tritt die Gerichtsbarkeit desjenigen Bundesstaates, in welchem sie ausgeübt wurde.

Präsentationen für Anstellungen bei den Gerichten finden nicht statt. Die Ausübung einer geistlichen Gerichtsbarkeit in weltlichen An­ gelegenheiten ist ohne bürgerliche Wirkung. Dies gilt insbesondere bei Ehe- und Berlöbnissachen. § 16. Ausnahmegerichte sind unstatthaft. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Die gesetzlichen Bestimmungen über Kriegsgerichte und Standrechte werden hiervon nicht berührt. § 17 Die Gerichte entscheiden über die Zulässigkeit des Rechtswegs. Die Landesgesetzgebung kann jedoch die Entscheidung von Streitig­ keiten zwischen den Gerichten und den Verwaltungsbehörden oder Berwaltungsgerichten über die Zulässigkeit des Rechtswegs besonderen Behörden nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen übertragen: 1. Die Mitglieder werden für die Dauer des zur Zett ihrer Er­ nennung von ihnen bekleideten Amts oder, falls sie zu dieser Zeit ein Amt nicht bekleiden, auf Lebenszeit ernannt. Eine Enthebung vom Amte kann nur unter denselben Voraussetzungen wie bei den Mitgliedern des Reichsgerichts stattfinden. 2. Mindestens die Hälfte der Mitglieder muß dem Reichsgerichte oder dem obersten Landesgerichte oder einem Oberlandesgerichte angehören. Bei Entscheidungen dürfen Mitglieder nur in der gesetzlich bestimmten Anzahl mitwirken. Diese Anzahl muß eine ungerade sein und mindestens fünf betragen. 3. Das Verfahren ist gesetzlich zu regeln. Die Entscheidung er­ folgt in öffentlicher Sitzung nach Ladung der Parteien. 4. Sofern die Zulässigkeit des Rechtswegs durch rechtskräftiges Urteil des Gerichts feststeht, ohne daß zuvor auf die Ent­ scheidung der besonderen Behörde angelragen war, bleibt die Entscheidung des Gerichts maßgebend. § 18. Die inländische Gerichtsbarkeit erstreckt sich nicht auf die Chefs und Mitglieder der bei dem Deutschen Reiche beglaubigten Missionen? Sind diese Personen Staatsangehörige eines der Bundes­

staaten, so sind sie nur insofern von der inländischen Gerichtsbarkeit befreit, als der Staat, dem sie angehören, sich der Gerichtsbarkeit über sie begeben hat.

Gerichtsbarkeit §§ 19—21

Amtsgerichte, Schöffengerichte §§ 22—27.

9

Die Chefs und Mitglieder der bei einem Bundesstaate be­ glaubigten Missionen sind der Gerichtsbarkeit dieses Staates nicht unterworfen. Dasselbe gilt von den Mitgliedern des Bundesrats welche nicht von demjenigen Staate abgeordnet sind, in dessen Gebiete der Bundesrat seinen Sitz hat. § 19. Auf die Familienglieder, das Geschästspersonal der im § 18 erwähnten Personen und auf solche Bedienstetes derselben, welche nicht Deutsche sind, finden die vorstehenden Bestimmungen Anwendung. § 20. Durch die Bestimmungen der §§ 18, 19 werden die Vor­ schriften über den ausschließlichen dinglichen Gerichtsstand in bürger­ lichen Rechtsstreitigkeiten nicht berührt. § 21. Die im Deutschen Reiche angestellten Konsuln sind der in­ ländischen Gerichtsbarkeit unterworfen, sofern nicht in Verträgen des Deutschen Reichs mit anderen Mächten Vereinbarungen über die Befteiung der Konsuln von der inländischen Gerichtsbarkeit getroffen sind. x3. Titel. Amtsgerichte.

§ 22. 21)3 * Den * Amtsgerichten stehen Einzelrichter vor. Ist ein Amtsgericht mit mehreren Richtern besetzt, so wird einem derselben von der Landesjustizverwaltung die allgemeine Dienstaufsicht übertragen; ist die Zahl der Richter höher als fünfzehn, so kann die Dienstaufsicht zwischen mehreren von ihnen geteilt werden. Jeder Amtsrichter erledigt die ihm obliegenden Geschäfte als Einzelrichter. 88 23. 24 behandeln die Zuständigkeit der Amtsgerichte in bürgerlichen Streit­ sachen.

4. Titel. Schöffengerichte. § 25. Für die Verhandlung und Entscheidung von Straffachen werden bet den Amtsgerichten Schöffengerichte gebildet. § 26. Die Schöffengerichte bestehen aus dem Amtsrichter als Vorsitzenden und zwei Schöffen. § 27. Die Schöffengerichte sind zuständig: 1. für alle Übertretungen; 2. ftir diejenigen Vergehen, welche nur mit Gefängnis von höchstens drei Monaten oder Geldstrafe von höchstens sechs­ hundert Mark, allein oder neben Hast oder in Verbindung mit­ einander oder in Verbindung mit Einziehung8) bedroht sind, 1) Über die Bedeutung der Exterritorialität s. KG. v. 26. Juli 1900 (JMBl. S. 579). 2) Die Fassung deS § 22 beruht auf Ges. v. 17. Mai 98 (RGBl. S. 252). Bgl. über die Geschäftsverteilung AB. v. 21. Juli 79 (JMBl. S. 198). 3) Unter Einziehung sind auch diejenigen Fälle begriffen, in denen Gegen­ stände oder deren Wert nach dem Strafgesetz für verfallen zu erklären sind. Erk. v. 27. Febr. 85, R. 7 S. 150.

10

GerichtSverfaffungSgesetz §§ 28, 29.

II.

mit Ausnahme der im § 320 des Strafgesetzbuchs und der im § 74 dieses Gesetzes bezeichneten Vergehen;

3.

für die nur auf Antrag zu verfolgenden Beleidigungen, wenn die Verfolgung im Wege der Privatklage geschieht;

3

3

a. für die nur auf Antrag zu verfolgenden Körperverletzungen;

b. für das Vergehen des Hausfriedensbruchs im Falle des § 123

Abs. 3 des Strafgesetzbuchs; 3

c. für das Vergehen der Bedrohung mit der Begehung eines

Verbrechens im Falle des § 241 des Strafgesetzbuchs; 3d . für das Vergehen des strafbaren Eigennutzes in den Fällen des § 286 Abs. 2, der §§ 290, 291 und 298 des Strafgesetz­

buchs

des § 93 Abs. 3 der Seemannsordnung vom

sowie

2. Juni 1902 (RGBl. S. 175); 4.

für das Vergehen des Diebstahls im Falle des § 242 des

Strafgesetzbuchs, wenn der Wert des Gestohlenen einhundert­ undfünfzig Mark nicht übersteigt-/)

5.

für das Vergehen der Unterschlagung im Falle des § 246 des Strafgesetzbuchs, wenn der

Wert

des

Unterschlagenen

ein­

hundertundfünfzig Mark nicht übersteigt; 6.

Vergehen des

für das

Betrugs im Falle des

§

263

des

Strafgesetzbuchs, wenn der Schaden einhundertundfünfzig Mark

nicht übersteigt; 7.

für das Vergehen der Sachbeschädigung im Falle des § 303 des Strafgesetzbuchs, wenn der Schaden einhundertundfünfzig Mark

nicht übersteigt; 8.

für das Vergehen der Begünstigung und für das Vergehen der

Hehlerei in den Fällen des § 258 Nr. 1 und des § 259 des

Strafgesetzbuchs, wenn die Handlung, auf welche sich die Be­ günstigung

oder die Hehlerei bezieht, zur Zuständigkeit der

Schöffengerichte gehört. § 28.

Ist

die

Zuständigkeit

des

Schöffengerichts

durch

den

Wert einer Sache oder den Betrag eines Schadens bedingt und stellt sich in der Hauptverhandlung heraus, daß der Wert oder Schaden

einhundertundfünfzig Mark beträgt, so hat das Gericht

mehr

als

seine

Unzuständigkeit nur dann auszusprechen,

wenn

aus anderen

Gründen die Aussetzung der Verhandlung geboten erscheint.

§ 29

Bor die Schöffengerichte gehören auch diejenigen Strafsachen,

4) Liegt nur Versuch der sub 4, 5 rc. bezeichneten Vergehen vor, so ist, wenn der Schaden sich auch nicht annähernd ermitteln läßt, das Schöffengericht nicht zuständig. Vgl. Gesch.Anw. für Amtsanw. v. 28. Ang. 79, Art. 21 Nr 3. (JMBl. S. 269), Löwe Anm. 18 u. 19 zu § 27.

deren Verhandlung und Entscheidung ihnen nach den Bestimmungen des fünften Titels von den Strafkammern der Landgerichte über­ wiesen wird. § 30. Insoweit das Gesetz nicht Ausnahmen bestimmt, üben die Schöffen während der Hauptverhandlung das Richteramt im vollen Umfange und mit gleichem Stimmrechte wie die Amtsrichter aus und nehmen auch an denjenigen, im Laufe einer Hauptverhandlung zu er­ lassenden Entscheidungen teil, welche in keiner Beziehung zu der Urteilsfällung stehen, und welche auch ohne vorgängige mündliche Verhandlung erlassen werden können. Die außerhalb der Hauptverhandlung erforderlichen Entscheidungen werden von dem Amtsrichter erlassen. § 31 Das Amt eines Schöffen ist ein Ehrenamt. Dasselbe kann nur von einem Deutschen versehen werden. § 32 Unfähig zu dem Amte eines Schöffen sind: 1. Personen, welche die Befähigung infolge strafgerichtlicher Ver­ urteilung verloren haben; 2. Personen, gegen welche das Hauptverfahren wegen eines Ver­ brechens oder Vergehens eröffnet ist, das die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte oder der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter zur Folge haben kann; 3. Personen, welche infolge gerichtlicher Anordnung in der Ver­ fügung über ihr Vermögen beschränkt sind. § 33. Zu dem Amte eines Schöffen sollen nicht berufen werden: 1. Personen, welche zur Zeit der Aufstellung der Urliste das dreißigste Lebensjahr noch nicht vollendet Habens) 2. Personen, welche zur Zeit der Aufstellung der Urliste den Wohnsitz in der Gemeinde noch nicht zwei volle Jahre haben; 3. Personen, welche für sich oder ihre Familie Armenunlerstützung aus öffentlichen Mitteln empfangen oder in den drei letzten Jahren, von Aufstellung der Urliste zurück gerechnet, empfangen haben; 4. Personen, welche wegen geistiger oder körperlicher Gebrechen zu dem Amte nicht geeignet sind; 5. Dienstboten. § 34 Zu dem Amte eines Schöffen sollen ferner nicht berufen werden:^ 5) Der Umstand, daß ein einberufener Geschworener (oder Schöffe) das 30. Lebensjahr noch nicht erreicht hat, macht denselben nicht unfähig, die Funk­ tionen als Geschworener (Schöffe) wahrzunehmen. Erk. v. 6. Oktbr. 85, R. 7 S. 554. Siehe auch Sinnt. 49 zu § 279 StPD. 6) Vgl. § 33 des preuß. AG. v. 24. April 78 (GS. S. 230) sub III.

1. Minister; 2. Mitglieder der Senate der freien Hansestädte; 3. Reichsbeamte, welche jederzeit einstweilig in den Ruhestand versetzt werden können;') 4. Staatsbeamte, welche auf Grund der Landesgesetze jederzeit einstweilig in den Ruhestand versetzt werden sönnen;7 8) 9 5. richterliche Beamte und Beamte der Staatsanwaltschaft; 6. gerichtliche und polizeiliche Bollstreckungsbeamte; d) 7. Religionsdiener; 8. Bolksschullehrer; 9. dem aktiven Heere oder der aktiven Marine angehörende Militärpersonen. Die Landesgesetze können außer den vorbezeichneten Beamten höhere Berwaltungsbeamte bezeichnen, welche zu dem Amte eines Schöffen nicht berufen werden sollen. § 35. Die Berufung zum Amte eines Schöffen dürfen ablehnen: 1. Mitglieder einer deutschen gesetzgebenden Versammlung; 2. Personen, welche im letzten Geschäftsjahre die Verpflichtung eines Geschworenen, oder an wenigstens fünf Sitzungslagen die Verpflichtung eines Schöffen erfüllt haben; 3. Ärzte;»») 4. Apotheker, welche keine Gehilfen haben; 5. Personen, welche das fünfundsechzigste Lebensjahr zur Zeit der Aufstellung der Urliste vollendet haben oder dasselbe bis zum Ablaufe des Geschäftsjahres vollenden würden; 6. Personen, welche glaubhaft machen, daß sie den mit der Ausübung des Amts verbundenen Aufwand zu tragen nicht vermögen. § 36. Der Vorsteher einer jeden Gemeinde oder eines landes­ gesetzlich der Gemeinde gleichstehenden Verbandes hat alljährlich ein Verzeichnis der in der Gemeinde wohnhaften Personen, welche zu dem Schöffenamie berufen werden können, aufzustellen (Urliste). **9 Die Urliste ist in der Gemeinde eine Woche lang zu jedermanns Einsicht auszulegen. Der Zeitpunkt der Auslegung ist vorher öffent­ lich bekannt zu machen. 7) Vgl. RBeamtenges. v. 31. März 73 § 15 (RGBl. S. 85). 8) Für Preußen § 87 des Ges. v. 21. Juli 52 (GS. S. 465). 9) AmtSvorsteher dürfen zu Schöffen u. Geschworenen berufen werden. 9 a) Daß auch Zahn- und Tierärzte hierher zu rechnen sind, ist nicht an­ zunehmen. 9 b) Ein Geschworener, der nicht in dem Landgerichtsbezirk wohnt, ist zur Ausübung des Amts nicht unfähig. Erk. v. 22. Nov. 06, E. 39 S. 277, n. ebenda S. 306, Erk. v. 7. Dez. 06.

§ 37. Gegen die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Urliste kann innerhalb der einwöchigen Frist schriftlich oder zu Protokoll Einsprache erhoben werden.

§ 38.

Der Gemeindevorsteher sendet die Urliste nebst den er­

hobenen Einsprachen und den ihm erforderlich erscheinenden Bemer­ kungen an den Amtsrichter des Bezirks.

Wird nach Absendung der Urliste die Berichtigung derselben er­ forderlich, so hat der Gemeindevorsteher hiervon dem Amtsrichter An­

zeige zu machen.

§ 39. Der Amtsrichter stellt die Urlisten des Bezirks zusammen und bereitet den Beschluß über die Einsprachen gegen dieselben vor. Er hat die Beachtung der Vorschriften des § 36 Abs. 2 zu prüfen und

die Abstellung etwaiger Mängel zu veranlassen.

§ 40.

Bei dem Amtsgerichte tritt alljährlich ein Ausschuß zusammen. Der Ausschuß besteht aus dem Amtsrichter als Vorsitzenden und einem von der Landesregierung zu bestimmenden Staatsverwaltungsbeamten, sowie sieben Vertrauensmännern als Beisitzern.10) Die Vertrauensmänner werden aus den Einwohnern des Amts­

gerichtsbezirks gewählt. Die Wahl erfolgt nach näherer Bestimmung der Landesgesetze durch die Vertretungen der Kreise, Ämter, Gemeinden oder dergleichen Ver­

bände ; wenn solche Vertretungen nicht vorhanden sind, durch den Amts­

richter.

Letzterer hat die Vertrauensmänner vornehmlich aus den Vor­

stehern der vorbezeichneten Verbände zu wählen.

Zur Beschlußfähigkeit des Ausschusses genügt die Anwesenheit

des Vorsitzenden, des Staatsverwaltungsbeamten und dreier Ver­ trauensmänner.

Der Ausschuß faßt seine Beschlüsse nach der absoluten

Mehrheit der Stimmen.

Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme

des Vorsitzenden.

§ 41. Der Ausschuß entscheidet über die gegen die Urliste er­ hobenen Einsprachen. Die Entscheidungen sind zu Protokoll zu ver­ merken.

Beschwerde findet nicht statt.

§ 42.

Aus der berichtigten Urliste wählt der Ausschuß für das

nächste Geschäftsjahr:

1.

die erforderliche Zahl von Schöffen;

2.

die erforderliche Zahl derjenigen Personen, welche in der von

dem Ausschüsse festzusetzenden Reihenfolge an die Stelle weg­ fallender

Schöffen treten (Hilfsschöffen).

Die Wahl ist

auf

Personen zu richten, welche am Sitze des Amtsgerichts oder

in dessen nächster Umgebung wohnen.

10) Vgl. die 88 34—36 des pr. AG. v. 24. April 1878.

14

II. Gerichtsvcrfassungsgesetz §§ 43— 49.

§ 43 Die für jedes Amtsgericht erforderliche Zahl von Haupt­ schössen und Hilfsschöffen wird durch die Landesjustizverwaltung be­

stimmt. n) Die Bestimmung der Zahl der Hauptschöffen erfolgt in der Art, daß voraussichtlich jeder höchstens zu fünf ordentlichen Sitzungstagen im Jahre hetangezogen wird. § 44. Die Namen der erwählten Hauptschöffen und Hilfsschöffen

werden bei jedem Amtsgerichte in gesonderte Verzeichnisse ausgenommen (Jahreslisten). § 45. Die Tage der ordentlichen Sitzungen des Schöffengerichts werden für das ganze Jahr im voraus festgestellt. Die Reihenfolge, in welcher die Hauptschöffen an den einzelnen ordentlichen Sitzungen des Jahres teilnehmen, wird durch Auslosung in öffentlicher Sitzung des Amtsgerichts bestimmt. Das Los zieht der Amtsrichter. Über die Auslosung wird von dem Gerichtsschreiber ein Proto­ koll ausgenommen. § 46. Der Amtsrichter setzt die Schöffen von ihrer Auslosung und von den Sitzungslagen, an welchen sie in Tätigkeit zu treten haben, unter Hinweis auf die gesetzlichen Folgen des Ausbleibens in

Kenntnis.ie) In gleicher Weise werden die im Laufe des Geschäftsjahres ein­ zuberufenden Schöffen benachrichtigt. § 47. Eine Änderung in der bestimmten Reihenfolge kann auf übereinstimmenden Antrag der beteiligten Schöffen von dem Amts­ richter bewilligt werden, sofern die in den betreffenden Sitzungen zu verhandelnden Sachen noch nicht bestimmt sind. Der Antrag und die Bewilligung sind aktenkundig zu machen. § 48. Wenn die Geschäfte die Anberaumung außerordentlicher

Sitzungen erforderlich machen, so werden die einzuberufenden Schöffen vor dem Sitzungstage in Gemäßheit des § 45 ausgelost. Erscheint dies wegen Dringlichkeit untunlich, so erfolgt die Aus­ losung durch den Amtsrichter lediglich aus der Zahl der am Sitze des Gerichts wohnenden Hilfsschöffen. Die Umstände, welche den Amts­ richter hierzu veranlaßt haben, sind aktenkundig zu machen. § 49. Wird zu einzelnen Sitzungen die Zuziehung anderer als der zunächst berufenen Schöffen erforderlich, so erfolgt dieselbe aus der Zahl der Hilfsschöffen nach der Reihenfolge der Jahresliste. 11) Vgl. AB. v. 22. Juli 79, betr. die Vorbereitung zur Bildung der Schöffengerichte und der Schwurgerichte (JMBl. S. 195). 12) Außerdem sollen dieselben noch von jeder Sitzung besonders benach­ richtigt werden, AB. v. 30. Oktbr. 82 (JMBl. S. 324).

Würde durch die Berufung der letzteren eine Vertagung der Ver­ handlung oder eine erhebliche Verzögerung ihres Beginnes notwendig, so sind die nicht am Sitze des Gerichts wohnenden Hilfsschöffen zu übergehen.

§ 50. Erstreckt sich die Dauer einer Sitzung über die Zeit hinaus, für welche der Schöffe zunächst einberufen ist, so hat er bis zur Beendigung der Sitzung seine Amtstätigkeit fortzusetzen. § 51. Die Beeidigung der Schöffen erfolgt bei ihrer ersten Dienst­ leistung in öffentlicher Sitzung. Sie gilt für die Dauer des Geschäfts­ jahres. Der Vorsitzende richtet an die zu Beeidigenden die Worte: „Sie schwören bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, die Pflichten eines Schöffen getreulich zu erfüllen und Ihre Stimmen nach bestem Wissen und Gewissen abzugeben." Die Schöffen leisten den Eid, indem jeder einzeln die Worte spricht: „ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe." Der Schwörende soll bei der Eidesleistung die rechte Hand erheben. Ist ein Schöffe Mitglied einer Religionsgesellschast, welcher das Ge­ setz den Gebrauch gewisser Beteuerungsformeln an Stelle des Eides gestattet, so wird die Abgabe einer Erklärung unter der Beteuerungssormel dieser Religionsgesellschaft der Eidesleistung gleichgeachtet. Über die Beeidigung wird von dem Gerichtsschreiber ein Protokoll

ausgenommen. § 52. Wenn die Unfähigkeit einer als Schöffe in die Jahresliste aufgenommenen Person eintritt oder bekannt wird, so ist der Name derselben von der Liste zu streichen. Ein Schöffe, hinsichtlich dessen nach seiner Aufnahme in die Jahresliste andere Umstände eintreten oder bekannt werden, bei deren Vorhandensein eine Berufung zum Schöffenamie nicht erfolgen soll, ist zur Dienstleistung ferner nicht heranzuziehen. Die Entscheidung erfolgt durch den Amtsrichter nach Anhörung der Staatsanwaltschaft und des beteiligten Schöffen. Beschwerde findet nicht statt.

§ 53. Ablehnungsgründe sind nur zu berücksichtigen, wenn sie innerhalb einer Woche, nachdem der beteiligte Schöffe von seiner Einberufung in Kenntnis gesetzt worden ist, von demselben geltend gemacht werden. Fällt ihre Entstehung oder Bekanntwerdung in eine spätere Zeit, so ist die Frist erst von diesem Zeitpunkte zu berechnen. Der Amtsrichter entscheidet über das Gesuch nach Anhörung der Staatsanwaltschaft. Beschwerde findet nicht statt.

§ 54. Der Amtsrichter kann einen Schöffen auf dessen Antrag wegen eingettetener Hinderungsgründe von der Dienstleistung an be­ stimmten Sitzungstagen entbinden.

16

II.

Gerichtsverfaffungsgesetz §§ 55—60.

Die Entbindung des Schöffen von der Dienstleistung kaun davon abhängig gemacht werden, daß ein anderer für das Dienstjahr be­ stimmter Schöffe für ihn eintritt. Der Antrag und die Bewilligung sind aktenkundig zu machen. § 55. *) Die Vertrauensmänner des AuSschuffes erhalten Ver­ gütung der Reisekosten. § 55 a. ♦) Die Schöffen erhallen Vergütung der Reisekosten und für jeden Tag der Dienstleistung Tagegelder. Die Höhe der Reisekosten und Tagegelder bestimmt der Bundesrat durch allgemeine Anordnung. Die Tagegelder dürfen nicht zurückgewiesen werden. § 56. Schöffen und Vertrauensmänner des Ausschusses, welche ohne genügende Entschuldigung") zu den Sitzungen nicht rechtzeitig sich einfiuden oder ihren Obliegenheiten in anderer Weise sich entziehen, sind zu einer Ordnungsstrafe von fünf bis zu eintausend Mark, sowie in die verursachten Kosten zu verurteilen. Die Verurteilung wird durch den Amtsrichter nach Anhörung der Staatsanwaltschaft ausgesprochen.u) Erfolgt nachträglich genügende Entschuldigung, so kann die Verurteilung ganz oder teilweise zurück­ genommen werden. Gegen die Entscheidungen findet Beschwerde von Setten des Verurteilten nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung statt. § 57 Bis zu welchem Tage die Urlisten aufzustellen und dem Amtsrichter einzureichen sind, der Ausschuß zu berufen und die Aus­ losung der Schöffen zu bewirken ist, wird durch die Landesjustizver­ waltung bestimmt.")

5. Titel. Landgerichte. § 58. Die Landgerichte werden mit einem Präsidenten und der erforderlichen Anzahl von Direktoren und Mitgliedern besetzt. Die Mitglieder können gleichzeitig Amtsrichter im Bezirke des Landgerichts sein. § 59. Bei den Landgerichten werden Zivil- und Strafiammern gebildet. § 60. Bei den Landgerichten sind Untersuchungsrichter nach Be­ dürfnis zu bestellen. *) § 55 ist abgeändert und § 55 a neu eingefügt durch Ges. v. 29. Juli 13 (RGBl. S. 617). Dazu Bekanntmachung des Reichskanzlers v. 2. August 13 (RGBl. S. 618). 13) Versagung deS Urlaubs seitens des Vorgesetzten ist keine genügende Entschuldigung. Beschluß v. 22. Mai 80, R. 1 S. 810. 14) Auch wenn eS sich um die Verurteilung eines Mitgliedes des Aus­ schusses handelt, ist zuvor der Staatsanwalt (Amtsanwalt) zu hören. 15) Die Aufstellung der Urlisten soll biS zum 1. August und die Einsen­ dung an die Amtsgerichte bis zum 1. Septbr. erfolgen. AB. v. 18. Jan. 82 (JMBl. S. 18).

Die Bestellung erfolgt durch die Landesjustizverwaltung auf die Dauer eines Geschäftsjahres. § 61. Den Vorsitz im Plenum führt der Präsident, den Vorsitz in den Kammern führen der Präsident und die Direktoren. Vor Beginn des Geschäftsjahres bestimmt der Präsident die Kammer, welcher er sich anschließt. Über die Verteilung des Vorsitzes in den übrigen

Kammern entscheiden der Präsident und die Direktoren nach Stimmen­ mehrheit; im Falle der Stimmengleichheit gibt die Stimme des Präsi­ denten den Ausschlag.16) § 62. Bor Beginn des Geschäftsjahres werden auf die Dauer desselben die Geschäfte unter die Kammern derselben Art verteilt und die ständigen Mitglieder der einzelnen Kammern sowie für den Fall ihrer Verhinderung die regelmäßigen Vertreter bestimmt. Jeder Richter kann zum Mitgliede mehrerer Kammern bestimmt werden.17) Die getroffene Anordnung kann im Laufe des Geschäftsjahres nur geändert werden, wenn dies wegen eingetretener Überlastung einer

Kammer oder infolge Wechsels oder bauenibet18) Verhinderung ein­ zelner Mitglieder des Gerichts erforderlich wird. § 63. Die im vorstehenden Paragraphen bezeichneten Anordnungen erfolgen durch das Präsidium.18ft) 16) Der Landgerichtspräsident darf in die über den Vorsitz in den Kammern getroffene Anordnung durch Bestellung eines andern Vorsitzenden nicht eingreifen. Erk. v. 1. Mai 06, E. 38 S. 416. Ein^iner Strafkammer als ständiges Mit­ glied überwiesener Amtsrichter darf nicht den Vorsitz führen. Erk. v. 29. Dezbr. 88, E. 18 S. 307. Dagegen ist es nicht unbedingt notwendig, daß der behinderte Vorsitzende gerade durch den ältesten Beisitzer vertreten wird. Erk. v. 20. Dezbr. 88, E. 18 S. 302. Vgl. auch Erk. v. 29. April 92, E. 23 S. 99. 17) Es genügt, daß für die ständigen Mitglieder eine nach Zahl und Per­ sonen abgegrenzte Reihe anderer Mitglieder des Gerichts als regelmäßige Stell­ vertreter in der Weise bestimmt werden, daß jeder als regelmäßiger Stellvertreter an die Stelle eines jeden der verhinderten ständigen Mtglieder zu treten befugt ist. Erk. v. 29. Apr. 07, Recht IIS. 716. Die im Geschäftsverteilungsplan zwar als ständige Mtglieder einer Kammer bezeichneten, aber nur im Bedarfsfalls heranzuziehenden Richter sind als Stellvertreter zu betrachten. Erk. v. 30. Oktbr. 07, GA. 55 S. 109. Die Bildung einer besonderen Strafkammer zur Entlastung der übrigen, welcher nur bestimmte Sachen überwiesen werden, ist nicht unzulässig. Erk. v. 21. Mai 89, E. 19 S. 230. 18) D. h. eine längere Zeitdauer — einige Wochen genügen, daß eine Un­ möglichkeit des Wiedereintrittes vorliege — ist nicht notwendig. Erk. v. 9. Mai 90, E. 20 S. 385. — Eine freiwillige Vertretung eines Mitgliedes der Straf­ kammer durch einen andern Richter ohne Mitwirkung der zuständigen Organe ist nicht zulässig. Erk. v. 22. Jan. 85, R. 7 S. 41. 18 a) Die nachträgliche Genehmigung einer Anordnung des Präsidenten durch das Präsidium kennt das Gesetz nicht. Ebensowenig kann das Präsidium den Präsidenten ermächtigen, nach seinem Ermessen die in den §§ 62, 63 vor­ gesehenen Anordnungen zu treffen. Erk. v. 27. Mai 92, E. 23 S. 167. Ein Dalcke, Strafr. 13. Aust.*

2

18

II.

Gerichtsverfassungsgesetz §§ 64—69.

Das Präsidium wird durch den Präsidenten als Vorsitzenden, die Direktoren und das dem Dienstalter nach, bei gleichem Dienstalter das der Geburt nach älteste Mitglied gebildet. Das Präsidium entscheidet nach Stimmenmehrheit; im Falle der Stimmengleichheit gibt die Stimme des Präsidenten den Ausschlag. § 64 Der Präsident kann bestimmen, daß einzelne Untersuchungen von dem Untersuchungsrichter, dessen Bestellung mit dem Ablaufe des Geschäftsjahres erlischt, zu Ende geführt werden, sowie daß in einzelnen Sachen, in welchen während des Geschäftsjahres eine Verhandlung bereits stattgefunden hat, die Kammer in ihrer früheren Zusammen­ setzung auch nach Ablauf,8l>) des Geschäftsjahres verhandle und entscheide. 8 65. Im Falle der Verhinderung des ordentlichen Vorsitzenden führt den Vorsitz in der Kammer dasjenige Mitglied der Kammer, welches dem Dienstalter nach und bei gleichem Dienstalter der Geburt nach das älteste ist.19) Der Präsident wird in seinen übrigen durch dieses Gesetz bestimmten Geschäften durch denjenigen Direktor vertreten, welcher dem Dienstalter nach und bei gleichem Dienstaller der Geburt nach der älteste ist. § 66. Im Falle der Verhinderung des regelmäßigen Vertreters eines Mitgliedes wird ein zeitweiliger Vertreter durch den Präsidenten bestimmt.10a) § 67 Die Bestimmungen der §§ 61—66 finden auf die Kammern für Handelssachen keine Anwendung. § 68. Innerhalb der Kammer verteilt der Vorsitzende die Ge­ schäfte auf die Mitglieder. § 69. Soweit die Vertretung eines Mitgliedes nicht durch ein Mitglied desselben Gerichts möglich ist, erfolgt die Anordnung derselben auf den Antrag des Präsidiums durch die Landesjustizverwaltung. Die Beiordnung eines nicht ständigen Richters darf, wenn sie auf eine bestimmte Zeit erfolgte, vor Ablauf dieser Zeit, wenn sie auf un­ bestimmte Zeit erfolgte, solange das Bedürfnis, durch welches sie veranlaßt wurde, fortdauert, nicht widerrufen werden. Ist mit der dem Landgericht durch die Justizverwaltung zugewiesener Vertreter tritt nicht von selbst in die Funklion des bcbinbcrtcn Richters; seine Verwendung erfolgt durch das Präsidium. Erk. v. 8. Oktbr. 04, E. 37 S. 301. 18 b) Diese Befugnis steht dem Präsidenten auch für den Fall einer Ände­ rung der Geichäftsverteilung innerhalb des Geschäftsjahres zu. Erk. v. 24. Aug. 06, DIZ. 12 S. 69, GA. 53 S. 445, auch für die Ferienstrafkammern. Erk. v. 7. Dezbr. 08, GA. 56 S. 85. 19) Siehe die Anm. 16 zu 8 61. Wenn der ordentliche Vorsitzende nur an der Führung des Vorsitzes, nicht aber an der Tätigkeit alS Beisitzer behindert ist, so kann er auch als Beisitzer fungieren. Erk. v. 22. April 84, E. 10 S. 318. 19 a) Diese Befugnis kann der Präsident nicht auf den Vorsitzenden der Kammer übertragen. Erk. v. 17. März 08, E. 41 S. 184.

Vertretung eine Entschädigung verbunden, so ist diese für die ganze

Dauer im voraus festzustellen.20) Unberührt bleiben diejenigen landesgesetzlichen Bestimmungen, nach welchen richterliche Geschäfte nur von ständig angestellten Richtern wahrgenommen werden können, sowie diejenigen, welche die Vertretung durch ständig angestellte Richter regeln.2^) §§ 7

0, 71 regeln die Zuständigkeit der Zivil- und Handelskammern.

§ 72. Die Strafkammern sind zuständig für diejenigen die Vor­ untersuchung und deren Ergebnisse betreffenden Entscheidungen, welche nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung von dem Gerichte zu erlassen sind; sie entscheiden über Beschwerden gegen Verfügungen des Untersuchungsrichters und des Amtsrichters, sowie gegen Entschei­ dungen der Schöffengerichte. Die Bestimmungen über die Zuständig­ keit des Reichsgerichts werden hierdurch nicht berührt. Die Strafkammern erledigen außerdem die in der Strafprozeß­ ordnung den Landgerichten zugewiesenen Geschäfte. § 73. Die Strafkammern sind als erkennende Gerichte zuständig:2i)22 1. für die Vergehen, welche nicht zur Zuständigkeit der Schöffen­ gerichte gehören; 2. für diejenigen Verbrechen, welche mit Zuchthaus von höchstens fünf Jahren, allein oder in Verbindung mit anderen Strafen bedroht sind. Diese Bestimmung findet nicht Anwendung in den Fällen der §§ 86, 100 und 106 des Strafgesetzbuchs; 3. für die Verbrechen der Personen, welche zur Zeit der Tat das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet halten; 4. für das Verbrechen der Unzucht im Falle des § 176 Nr. 3 des Strafgesetzbuchs; 5. für die Verbrechen des Diebstahls in den Fällen der §§ 243 und 244 des Strafgesetzbuchs; 6. für das Verbrechen der Hehlerei in den Fällen der §§ 260 und 261 des Strafgesetzbuchs; 7. für das Verbrechen des Betruges im Falle des § 264 des Strafgesetzbuchs. 20) Oben Anm. 1 zu 8 10. — Zu den Sitzitngen des Schwurgerichtsbe­ zirks kann der Landger.präsident auch Amtsrichter des Landger.bezirks heran­ ziehen. Erk. v. 5. Juli 94, E. 26 S. 94. 21) Gerichtsassessoren, welche eine Amtsrichterstelle verwalten, können nicht ohne weiteres zu Beisitzern in eine Strafkammer herangezogen werden. Erk. v. 19. Oktbr. u. 13. Novbr. 91 (JMBl. 91 S. 166) u. E. 22 S. 168, 203. 22) Ob eine Sache vor die eine oder die andere Strafkammer gehört, ist Sache der Geschäftsverteilung und kann in der Revisionsinstanz nicht geltend gemacht werden. Erk. v. 29. Septbr. 92, E. 23 S. 234.

II. Gerichtsverfassungsgesetz §§ 74, 75.

20

§ 74.23)

Die Strafkammern sind als erkennende Gerichte aus­

schließlich zuständig: 1.

für die nach § 145 a des Strafgesetzbuchs strafbaren Hand­

lungen ; 2.

3.

für Zuwiderhandlungen gegen das Gesetz vom 25. Oktober 1867, betreffend die Nationalität der Kauffahrteischiffe :c.;21)

für Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen der §§ 1, 2

und 3 des Gesetzes vom 8. Juni 1871, betreffend die Inhaber-

papiere mit Prämien; 4.

für die nach § 67 und § 69 des Gesetzes vom 6. Februar 1875,

betreffend die Beurkundung des Personenstandes rc., strafbaren

Handlungen; 5.

für die nach § 59 des Bankgesetzes vom 14. März 1875 straf­

baren Handlungen. § 75.

Die Strafkammer

kann

bei Eröffnung des Hauptver­

fahrens wegen der Vergehen: 1. des Widerstandes gegen die Staatsgewalt in den Fällen der §§ 113, 114, 117 Abs. 1 und des § 120 des Strafgesetzbuchs; 2.

wider die öffentliche Ordnung im Falle des § 137 des Straf­ gesetzbuchs ;

3.

wider die Sittlichkeit in den Fällen der §§ 180 und 183 des Strafgesetzbuchs;

4.

der Beleidigung in den Fällen der nur auf Antrag eintreten­ den Verfolgung;

5.

der Körperverletzung in den Fällen des § 223 a und des § 230 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs;

5

a. der Nötigung im Falle des § 240 des Strafgesetzbuchs;

6.

des Diebstahls im Falle des § 242 des Strafgesetzbuchs;

7.

der Unterschlagung im Falle des § 246 des Strafgesetzbuchs;

8.

der Begünstigung;

9.

der Hehlerei in den Fällen des § 258 Nr. 1 und des § 259 des Strafgesetzbuchs;

10. 11.

des Betrugs im Falle des § 263 des Strafgesetzbuchs; des strafbaren Eigennutzes in den Fällen des

§ 286 Abs. 1

und der §§ 288 und 289 des Strafgesetzbuchs;

12.

der Sachbeschädigung in den Fällen der §§ 303 und 304 des Strafgesetzbuchs ;

12

a. der Bestechung im Falle des § 333 des Strafgesetzbuchs und23 24

23) Die Fassung des § 74 beruht auf Ges.v. 17. Mai 98 (RGBl.S. 252). 24) § 74 Nr. 2 ist aufgehoben durch das Gesetz v. 22. Juni 99, betr. das Flaggenrecht der Kauffahrteischiffe (RGBl. S. 319).

13. wegen der gemeingefährlichen Vergehen in den Fällen der §§ 309, 316, 318, 318 a, des § 327 Abs. 1 und des § 328 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs; ferner 14. wegen derjenigen Vergehen, welche nur mit Gefängnisstrafe von höchstens sechs Monaten oder Geldstrafe von höchstens ein­ tausendfünfhundert Mark, allein oder neben Haft oder in Verbindung miteinander oder in Verbindung mit Einziehung bedroht sind, mit Ausnahme der in den §§ 128, 271, 296 a, 301, 320, 331 und 347 des Strafgesetzbuchs und der im § 74 dieses Gesetzes bezeichneten Vergehen; 14 a. wegen der Vergehen derjenigen Personen, welche zur Zeit der Tat das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hatten; sowie 15. wegen solcher Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über die Erhebung öffentlicher Abgaben und Gefälle, deren Strafe in dem mehrfachen Betrag einer hinterzogenen Abgabe oder einer anderen Leistung besteht; auf Antrag der Staatsanwaltschaft 24a) die Verhandlung und Entschei­ dung dem Schöffengerichte, soweit dieses nicht schon zuständig ist, überweisen, wenn nach den Umständen des Falles anzunehmen ist, daß wegen des Vergehens auf keine andere und höhere Strafe als auf eine Gefängnisstrafe von höchstens sechs Monaten oder eine Geld­ strafe von höchstens eintausendfünfhundert Mark allein oder neben Haft oder in Verbindung miteinander oder in Verbindung mit Ein­ ziehung und auf keine höhere Buße als eintausendfünfhundert Mark zu erkennen sein toeti)e.24 25) Beschwerde findet nicht statt. Hat im Falle der Nr. 15 die Verwaltungsbehörde die öffentliche Klage erhoben, so steht ihr der Antrag auf Überweisung an das

Schöffengericht in gleicher Weise wie der Staatsanwaltschaft zu. § 76. Die Strafkammern sind als erkennende Gerichte ferner zu­ ständig für die Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel der Berufung gegen die Urteile der Schöffengerichte. § 77. Die Kammern entscheiden in der Besetzung von drei Mit­ gliedern mit Einschluß des Vorsitzenden. Die Strafkammern sind in der Hauptverhandlung mit fünf Mitgliedern, in der Berufungsinstanz 24 a) Über die Frage, wenn das Landgericht entgegen dem Überweisungs­ antrage der Staatsanwaltschaft das Hauptverfahren vor der Strafkammer er­ öffnen will, s. GA. 47 S. 275. 25)Der Beschl. kann zurückgcnommen werden, solange noch keine Bekanntm. an die Beteiligten stattgefunden hat. Erk. v. 11. Febr. 80, R. 1 S. 336.

22

II. GerichtsverfaffungSgesetz §§ 78—82.

bei Übertretungen und in den Fällen der Privatklage aber mit drei

Mitgliedern einschließlich des Vorsitzenden zu besetzen.^)

§ 78. Durch Anordnung der Landesjustizverwaltung kann wegen großer Entfernung des Landgerichtssitzes bei einem Amtsgerichte für den Bezirk eines oder mehrerer Amtsgerichte eine Strafkammer gebildet und derselben für diesen Bezirk die gesamte Tätigkeit der Strafkammer des Landgerichts oder ein Teil dieser Tätigkeit zugewiesen werden. Die Besetzung einer solchen Strafkammer erfolgt aus Mitgliedern des Landgerichts oder Amtsrichtern des Bezirks, für welchen die Kammer gebildet wird. Der Vorsitzende wird ständig, die Amtsrichter werden auf die Dauer des Geschäftsjahres durch die Landesjustizverwaltung berufen, die übrigen Mitglieder werden nach Maßgabe des § 62 durch das Präsidium des Landgerichts bezeichnete^)

6. Titel.

Schwurgerichte.

§ 79.

Für die Verhandlung und Entscheidung von Strafsachen treten bei den Landgerichten periodisch Schwurgerichte zusammen.29 26)30 27 28

§ 80. Die Schwurgerichte sind zuständig für die Verbrechen, welche nicht zur Zuständigkeit der Strafkammern oder des Reichsgerichts ge­ hören.

§ 81. Die Schwurgerichte bestehen aus drei richterlichen Mit­ gliedern mit Einschluß des Vorsitzenden und aus zwölf zur Entscheidung der Schuldfrage berufenen Geschworenen.^) § 82. Die Entscheidungen, welche nach den Vorschriften dieses Gesetzes oder der Strafprozeßordnung von dem erkennenden Gerichte zu erlassen sind, erfolgen in den bei den Schwurgerichten anhängigen 26) Über ein in der Hauptverhandl. angebrachtes Ablehnungsgesuch kann

die Kammer nach dem Ausscheiden der abgelehnten Richter in der Besetzung von drei Mitgliedern entscheiden. Erk. v. 19. Dezbr. 90, E. 21 S. 250. 27) Die Strafkammer kann aus Zweckmäßigkeitsgründen ihre Sitzung auch außerhalb der ordentlichen Gerichtsstelle abhalten. Erk. v. 20. Nodbr. 84, N. 6 S. 749, E. 11 S. 352. Vgl. Anm. 33 a. 28) Vgl. AB. v. 25. Juli 79, betr. die Bildung von Strafkammern bei Amtsgerichten (JMBl. S. 207) u. dazu Erk. v. 9. Juli 97, GA. 45 S. 360. Über das Ablehnungsgesuch gegen ein Mitglied dieser Kammer entscheidet die Strafkammer des LG. Erk. v. 22. Febr. 08, E. 41 S. 118. 29) Vgl. 88 44 u. 45 des pr. AG. v. 24. April 78 sub III u. Erk. v. 24. Septbr. 88, R. 10 S. 513. 30) Wird ein schwurgerichtliches Urteil unter Aufrechterhaltung der tat­ sächlichen Feststellung aufgehoben und in die Borinstanz zurückgewiesen, so ent­ scheidet der Gerichtshof ohne Geschworene. Erk. v. 14. Dezbr. 86, R. 8 S. 760. Erk. v. 13. Febr. 91, E. 21 S. 388. — Ist der ernannte Borsitzende und dessen Stellvertreter behindert, so ernennt der Landgerichtspräsident einen anderen Vorsitzenden. Erk. v. 26. April 95, GA. 43 S. 113.

Schwurgerichte §§ 83—89.

23

Sachen durch die richterlichen Mitglieder des Schwurgerichts. Werden diese Entscheidungen außerhalb der Dauer der Sitzungsperiode erfor­ derlich, so erfolgen sie durch die Strafkammern der Landgerichte. § 83. Der Vorsitzende des Schwurgerichts wird für jede Sitzungs­ periode von dem Präsidenten des Oberlandesgertchts ernannt. Die Er­ nennung erfolgt aus der Zahl der Mitglieder des Oberlandesgerichts oder der zu dem Bezirke des Oberlandesgerichts gehörigen Landgerichte. Der Stellvertreter des Vorsitzenden und die übrigen richterlichen Mitglieder werden von dem Präsidenten des Landgerichts aus der Zahl der Mitglieder des Landgerichts bestimmt.^') Solange die Ernennung des Vorsitzenden nicht erfolgt ist, erledigt der Vorsitzende der Strafkammer des Landgerichts die in der Straf­ prozeßordnung dem Vorsitzenden des Gerichts zugewiesenen Geschäfte. § 84. Das Amt eines Geschworenen ist ein Ehrenamt. Dasselbe kann nur von einem Deutschen versehen werden.^") § 85. Die Urliste für die Auswahl der Schöffen dient zugleich als Urliste für die Auswahl der Geschworenen. Die Vorschriften der §§ 32—35 über die Berufung zum Schöffen­ amie finden auch auf das Geschworenenami Anwendung.31 32) § 86. Die Zahl der für jedes Schwurgerichi erforderlichen Ge­ schworenen und die Verieilung dieser Zahl auf die einzelnen Amisgerichisbezirke wird durch die Landesjustizverwaliung bestimmt. § 87. Der alljährlich bei dem Amtsgerichte für die Wahl der Schöffen zusammentretende Ausschuß (§ 40) hat gleichzeitig diejenigen Personen aus der Urliste auszuwählen, welche er zu Geschworenen für das nächste Geschäftsjahr vorschlägt. Die Vorschläge sind nach dem dreifachen Betrage der auf den Amtsgerichtsbezirk verteilten Zahl der Geschworenen zu bemessen. § 88. Die Namen der zu Geschworenen vorgeschlagenen Personen werden in ein Verzeichnis ausgenommen (Vorschlagsliste). § 89. Die Vorschlagsliste wird nebst den Einsprachen, welche sich auf die in dieselbe aufgenommenen Personen beziehen, dem Präsidenten des Landgerichts übersendet. 31) Auch Landgerichtsdirektoren können Mitglieder der Schwurgerichte sein. Erk. v. 31. Jan. 81, R. 2 S. 776 u. E. 3 S. 310. Die Annahme der Verhinderung kann als eine Frage tatsächlichen Ermessens einen Revisionsgrund nicht bilden. Erk. v. 29. Oktbr. 08, GA. 56 S. 74. 31 a) Wegen des Wohnorts siehe § 36 u. Anm. 9 b. 32) Die Landgerichte sollen nach Beendigung jeder Schwurgerichtsperiode den Amtsgerichten, aus deren Bezirke Geschworene einberufen gewesen sind, die Namen derselben Mitteilen und bemerken, welche davon entschuldigt oder nicht entschuldigt ausgebtieben oder für die ganze Periode oder einen Teil derselben entlassen worden sind. AB. v. 16. Febr. 84 (JMBl. S. 36).

24

II.

GerichtSverfassungSgesetz §§ 90—94.

Der Präsident bestimmt eine Sitzung des Landgerichts, an welcher fünf Mitglieder mit Einschluß des Präsidenten und der Direktoren teilnehmen. Das Landgericht entscheidet endgültig über die Ein­ sprachen und wählt sodann aus der Vorschlagsliste die für das Schwur­

gericht bestimmte Zahl von Hauptgeschworenen und Hilfsgeschworenen. Als Hilssgeschworene sind solche Personen zu wählen, welche an dem Sitzungsorte des Schwurgerichts oder in deffen nächster Umgebung wohnen. § 90.

Die Namen der Haupt- und Hilfsgeschworenen werden in

gesonderte Jahreslisten ausgenommen. § 91. Spätestens zwei Wochen vor Beginn der Sitzungen des Schwurgerichts werden in öffentlicher Sitzung des Landgerichts, an welcher der Präsident und zwei Mitglieder teilnehmen, in Gegenwart der Staatsanwaltschaft dreißig Hauptgeschworene ausgelost. Das Los wird von dem Präsidenten gezogen.") Auf Geschworene, welche in einer ftüheren Sitzungsperiode des­ selben Geschäftsjahres ihre Verpflichtung erfüllt haben, erstreckt die Auslosung sich nur dann, wenn dies von ihnen beantragt wird. Über die Auslosung wird von dem Gerichtsschreiber ein Protokoll ausgenommen. § 92. Das Landgericht übersendet das Verzeichnis der ausge­ losten Hauptgeschworenen (Spruchliste) dem ernannten Vorsitzenden des Schwurgerichts. § 93. Die in der Spruchliste verzeichneten Geschworenen werden auf Anordnung des für das Schwurgericht ernannten Vorsitzenden

zur Eröffnungssitzung des Schwurgerichts unter Hinweis auf die ge­ setzlichen Folgen des Ausbleibens geladen. Zwischen der Zustellung der Ladung und der Eröffnungssitzung soll tunlichst die Frist von einer Woche, jedoch mindestens von drei Tagen liegen. § 94 Über die von Geschworenen geltend gemachten Ablehnungs­

und Hinderungsgründe erfolgt die Entscheidung nach Anhörung der Staatsanwaltschaft durch die richterlichen Mitglieder und, solange das Schwurgericht nicht zusammengetreten ist, durch den ernannten Vor­ sitzenden des Schwurgerichts. Beschwerde findet nicht statt. An Stelle der wegfallenden Geschworenen hat der Vorsitzende, wenn es noch geschehen kann, aus der Jahresliste durch Auslosung andere Geschworene auf die Spruchliste zu bringen und deren Ladung 33) Für die Auslosung von Ersatzgeschworenen sind diese Bestimmungen nicht maßgebend. Erk. v. 4. Oktbr. 80, E. 2 S. 312 u. v. 24. Septbr. 81, E. 5 S. 21 u. R. 3 S. 530.

anzuordnen.

Über die Auslosung wird von dem Gerichtsschreiber

ein Protokoll ausgenommen. § 95. Erstreckt sich eine Sitzungsperiode des Schwurgerichts über den Endtermin des Geschäftsjahres hinaus, so bleiben die Geschworenen, welche zu derselben einberufen sind, bis zum Schlüsse der Sitzungen zur Mitwirkung verpflichtet. § 96. Die Bestimmungen der §§ 55 a, 56 finden auch auf Ge­ schworene Anwendung. Die im 8 56 bezeichneten Entscheidungen werden in bezug auf Geschworene von den richterlichen Mitgliedern des Schwurgerichts erlassen.

§ 97. Niemand soll für dasselbe Geschäftsjahr als Geschworener und als Schöffe bestimmt werden. Ist dies dennoch geschehen, oder ist jemand für dasselbe Ge­ schäftsjahr in mehreren Bezirken zu diesen Ämtern bestimmt wyrden,

so hat der Einberufene dasjenige Amt zu übernehmen, zu welchem er zuerst einberufen wird. § 98. Die Strafkammer des Landgerichts kann bestimmen, daß einzelne Sitzungen des Schwurgerichts nicht am Sitze des Landgerichts, sondern an einem anderen Orte innerhalb des Schwurgerichtsbezirks abzuhalien seien.33ft) In diesem Falle wird für diese Sitzungen von dem Landgerichte eine besondere Liste von Hilfsgeschworenen gebildet.

§ 99. Die Landesjustizverwaltung kann bestimmen, daß die Be­ zirke mehrerer Landgerichte zu einem Schwurgerichtsbezirke zusammengelegt und die Sitzungen des Schwurgerichts bei einem der Landge­ richte abgehatten werden.

In diesem Falle hat das Landgericht, bei welchem die Sitzungen des Schwurgerichts abgehatten werden, und der Präsident desselben die ihnen in den §§ 82—98 zugewiesenen Geschäfte für den Umfang des Schwurgerichtsbezirks wahrzunehmen.

Die Mitglieder des Schwurgerichts mit Einschluß des Stellver­ treters des Vorsitzenden können aus der Zahl der Mitglieder der im Bezirke des Schwurgerichts belegenen Landgerichte bestimmt werden.

33 a) Es ist zulässig, auch im schwurgerichtlichen Verfahren einen Teil der Hauptverhandlung, namentlich der Beweisaufnahme, außerhalb der Gerichts­ stelle stattfinden zu lassen. Erk. v. 22. Dez. 06, E. 39 S. 348.

26

II. GerichtsverfaffrmgSgesetz §§ 119—126. 7.

Titel.

Lämmern für Handelssachen §§ 100—118.

8. § 119.

Titel,

vderlandesgerichte.

Die Oberlandesgerichte werden mit einem Präsidenten und

der erforderlichen Anzahl von Senatspräsidenten und Räten besetzt. 3‘) § 120.

Bei den Oberlandesgerichten werden Zivil- und Straf­

senate gebildet. § 121.

Die Bestimmungen der §§ 61—68 finden mit der Maß­

gabe Anwendung, daß zu dem Präsidium stets die beiden ältesten Mitglieder des Gerichts zuzuziehen sind. § 122.

Zu Hilssrichtern dürfen nur ständig angestellte Richter

berufen werden. § 123.

Die Oberlandesgerichte sind zuständig für die Verhand­

lung und Entscheidung über die Rechtsmittel:

1.

der Berufung gegen die Endurieile der Landgerichte in bürger­

lichen Rechtsstreittgketten; 2.

der

Revision

gegen

Urteile

der

Strafkammern

in der Be­

rufungsinstanz; 34 B35 )

3.

der Revision gegen Urteile der Strafkammern in erster In­ stanz, sofern die Revision ausschließlich aus die Verletzung einer

in den Landesgesetzen enthaltenen Rechtsnorm gestützt wird;33)

4.

der Beschwerde gegen Entscheidungen der Landgerichte in bürger­ lichen Rechtsstreitigkeiten;

5.

der Beschwerde gegen strafrichterliche Entscheidungen erster In­ stanz, soweit nicht die Zuständigkeit der Strafiammer begründet

ist, und gegen Entscheidungen der Strafkammern in der Be­ schwerdeinstanz und Berufungsinstanz.

§ 124

Die Senate der Oberlandesgerichte entscheiden in der Be­

setzung von fünf Mitgliedern mit Einschluß des Vorsitzenden.

9.

Titel.

Leichsgericht.

8

125.

Der Sitz des Reichsgerichts wird durch Gesetz bestimmt.

§

126.

Das Reichsgericht wird mit einem Präsidenten und der

erforderlichen Anzahl von Senatspräsidenten und Räten besetzt.

34) Vgl. § 47 des pr. AG. v. 24. April 78 sub III. 34 a) Die Zuständigkeit des OLG. ist auch dann gegeben, wenn die Straf­ kammer rechtsirrtümlich als Berufungsgericht erkannt hat, während der Sach­ lage nach gemäß § 369 Abs. 3 StPO, zu verfahren gewesen wäre. Beschl. v. 7. Mai 09, Recht 13 Nr. 1831. Vgl. Anm. 36. 35) Haben mehrere Verurteilte die Revision eingelegt und behauptet der eine Verletzung des Reichsrechts, der andere Verletzung des Landesrechts, so ist durchweg das Reichsger. zuständig. Erk. v. 8. Jan. 97, GA. 45 S. 29.

§ 127 Der Präsident, die Senatspräsidenten und Räte tverden auf Vorschlag des Bundesrats von dem Kaiser ernannt. Zum Mttgliede des Reichsgerichts kann nur ernannt werden, wer die Fähigkeit zum Richleramte in einem Bundesstaate erlangt und das fünfunddreißigste Lebensjahr vollendet hat. §§ 128—135 enthalten Bestimmungen über die Bersetzung der Mitglieder des RG. in den Ruhestand und regeln die Zuständigleit des RG. in bürgerl. Nechtsstreitigkeiten.

§ 136. In Strafsachen ist das Reichsgericht zuständig: 1. für die Untersuchung und Entscheidung in erster und letzter In­ stanz in den Fällen des Hochverrats und des Landesverrats, insofern diese Verbrechen gegen den Kaiser oder das Reich ge­ richtet sind; 2. für die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel der Revision gegen Urteile der Strafkammern in erster Instanz, insoweit nicht die Zuständigkeit der Oberlandesgerichte begründet ist, und gegen Urteile der Schwurgerichte. **) In Strafsachen wegen Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über die Erhebung öffentlicher in die Reichskasse fließender Abgaben und Gefälle ist das Reichsgericht auch für die Verhandlung und Ent­ scheidung über das Rechtsmittel der Revision gegen Urteile der Straf­ kammern in der Berufungsinstanz zuständig, sofern die Entscheidung des Reichsgerichts von der Staatsanwaltschaft bei der Einsendung der Akten an das Revisionsgericht beantragt wird.87) § 137. Will in einer Rechtsfrage ein Zivilsenat von der Ent­ scheidung eines anderen Zivilsenats oder der vereinigten Zivilsenate, oder ein Strafsenat von der Entscheidung eines anderen Strafsenats oder der vereinigten Strafsenate abweichen, so ist über die streitige Rechtsfrage im ersteren Falle eine Entscheidung der vereinigten Zivil­ senate, im letzteren Falle eine solche der vereinigten Strafsenate einzuholen. Einer Entscheidung der Rechtsftage durch das Plenum bedarf es, 36) Für die Frage, ob für die Verhandlung u. Entscheidung über die Revi­ sion das OLG. oder das RG. zuständig ist, ist nicht entscheidend, ob die Straf­ kammer als Gericht I. oder als Gericht II. Instanz hätte erkennen müssen, sondern ob ne in dieser oder jener Funktion erkannt hat. GA. 49 S. 308. Das RG. ist als Revisionsgericht zur Entscheidung über Aufhebung eines Haftbefehls nicht zuständig. Beschl. v. 27. Mai 87, R. 9 S. 352. 37) Die StA. ist berechtigt, durch ihren Antrag auf Entscheidung des RG. die Zuständigkeit des letzteren über das Rechtsmittel der Revision gegen Urteile der Strafkammer in der Berufungsinstanz wegen in die Staatskasse fließender Abgaben und Gefälle selbst auch dann zu begründen, wenn weder sie selbst Revi­ sion eingelegt hat noch die Revision gegen sie gerichtet war. Erk. v. 7. Dez. 82, E. 7 S. 326.

28

II. GerichtSverfaffungsgesetz §§ 138—141.

wenn ein Zivilsenat von der Entscheidung eines Strafsenats oder der vereinigten Strafsenate, oder ein Strafsenat von der Entscheidung eines Zivilsenats oder der vereinigten Zivilsenate, oder ein Senat von der früher eingeholten Entscheidung des Plenums abweichen will. Die Entscheidung der Rechtsfrage durch die vereinigten Senate oder das Plenum ist in der zu entscheidenden Sache bindend. Sie er­ folgt in allen Fällen ohne vorgängige mündliche Verhandlung. Bor der Entscheidung der vereinigten Strafsenate oder derjenigen des Plenums, sowie in Ehe- und Entmündigungssachen und in Rechtsstreitigkeiten, welche die Feststellung des Rechtsverhältnisses zwischen Ettern und Kindern oder die Anfechtung einer Todeserklärung zum Gegenstände haben, ist der Ober-Reichsanwalt mit seinen schrift­ lichen Anträgen zu hörend-) Soweit die Entscheidung der Sache eine vorgängige mündliche Verhandlung erfordert, erfolgt dieselbe durch den erkennenden Senat

auf Grund einer erneuten mündlichen Verhandlung, zu welcher die Prozeßbeteiligten von Amts wegen unter Mitteilung der ergangenen Entscheidung der Rechtsfrage zu laden sind.

§ 138

Der erste Strafsenat des Reichsgerichts hat bei den im

§ 136 Nr. 1 bezeichneten Verbrechen diejenigen Geschäfte zu erledigen, welche im § 72 Abs. 1 der Strafkammer des Landgerichts zugewiesen sind. Das Hauptverfahren findet vor dem vereinigten zweiten und dritten Straft'enate statt. § 139. Zur Fassung von Plenarentscheidungen und von Ent­ scheidungen der vereinigten Zivil- oder Strafsenate, sowie der beiden vereinigten Straftenate ist die Teilnahme von mindestens zwei Drittteilen aller Mitglieder mit Einschluß des Vorsitzenden erforderlich. Die Zahl der Mitglieder, welche eine entscheidende Stimme

führen, muß eine ungerade sein.

Ist die Zahl der anwesenden Mit­

glieder eine gerade, so hat derjenige Rat, welcher zuletzt ernannt ist, und bei gleichem Dienstaller derjenige, welcher der Geburt nach der jüngere ist, oder, wenn dieser Berichterstatter ist, der nächst ältere kein Stimmrecht.

8 140. Die Senate des Reichsgerichts entscheiden in der Be­ setzung von sieben Mitgliedern mit Einschluß des Vorsitzenden.

§ 141. Der Geschäftsgang wird durch eine Geschäftsordnung ge­ regelt, welche das Plenum auszuarbetten und dem Bundesrat zur Bestätigung vorzulegen hat. 38) Die Fassung des § 137 beruht auf dem Ges. v. 17. März 86 (RGBl. S. 61), die des Abs. 4 auf Ges. v. 17. Mai 98 (RGBl. S. 252).

Staatsanwaltschaft §§ 142—146. 10.

Titel.

29

Staatsanwaltschaft.

§ 142

Bei jedem Gerichte soll eine Staatsanwaltschaft bestehen.

§ 143.

Das Amt der Staatsanwaltschaft wird ausgeübt:

1.

bei dem Reichsgerichte durch einen Ober-Reichsanwatt und durch einen oder mehrere Reichsanwälte;

2.

bei den Oberlandesgerichten, den Landgerichten und den Schwur­ gerichten durch einen oder mehrere Staatsanwälte;

3.

bei den Amtsgerichten und den Schöffengerichten durch einen oder mehrere Amisanwälte.

Die Zuständigkeit der Amtsanwälte erstreckt sich nicht auf das

amtsrichterliche Verfahren zur Vorbereitung der öffentlichen Klage in denjenigen Strafsachen, welche zur Zuständigkeit anderer Gerichte als

der Schöffengerichte gehören.

§ 144.

Die örtliche Zuständigkeit der Beamten der Staatsan-

wattschaft wird durch die örtliche Zuständigkeit des Gerichts bestimmt, für welches sie bestellt sind.38 * *a39 ) 40

Ein unzuständiger Beamter der Staatsanwaltschast hat sich den­ jenigen innerhalb seines Bezirks vorzunehmenden Amtshandlungen zu

unterziehen, in Ansehung welcher Gefahr im Verzüge obwaltet.

Können die Beamten der Staatsanwattschaft verschiedener Bundes­ staaten sich nicht darüber einigen, wer von ihnen die Verfolgung zu übernehmen hat, so entscheidet der ihnen gemeinsam vorgesetzte Be­ amte der Staatsanwaltschaft und in Ermangelung eines solchen der

Ober-Reichsanwalt. § 145.

Besteht

die

Staatsanwaltschaft

eines

Gerichts

aus

mehreren Beamten, so handeln die dem ersten Beamten beigeordneten Personen als dessen Vertreter; sie sind, wenn sie für ihn auftreten, zu

allen Amtsverrichtungen desselben ohne den Nachweis eines besonderen

Auftrags berechtigt.38) § 146.

Die ersten Beamten der Staatsanwattschaft bei den Ober­

landesgerichten und den Landgerichten sind befugt, bei allen Gerichten

ihres Bezirks die Amtsverrichtungen der Staatsanwaltschaft selbst zu

übernehmen oder mit Wahrnehmung derselben einen anderen als den zunächst zuständigen Beamten zu beauftragen.^8)

38 a) Ein nicht zuständiger StA. kann vom IM. mit der Vertretung der Anklage in einer einzelnen Sache beauftragt werden. Erk. v. 11. Okt. 10, E. 44 S. .76. 39) Über die Stellung der bei der StA. beschäftigten Gerichtsaffessoren siehe AB. v. 17/5 82 (JMBl. S. 140). S. a. Erk. v. 11/11 89, E. 20 S. 40. 40) Besteht ein Gerichtssprengel aus Gebietsteilen verschiedener Bundes­ staaten, so steht den ersten Beamten der Staatsanwaltschast diese Befugnis auch

30

II.

GerichtsversaffungSgesetz §§ 147—153.

Amtsanwälle können das Amt der Staatsanwaltschaft nur bei den Amtsgerichten und den Schöffengerichten versehen.

Die Beamten der Staatsanwaltschaft haben den dienstlichen

§ 147

Anweisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen. In denjenigen Sachen, für welche das Reichsgericht in erster und letzter Instanz zuständig ist, haben alle Beamte der Staatsanwaltschast

den Anweisungen des Ober-Reichsanwalts Folge zu leisten.

Das Recht der Aufsicht und Leitung steht zu:

§ 148. 1.

dem Reichskanzler hinsichtlich des Ober-Reichsanwalts und der Reichsanwälte;

2.

der Landesjustizverwaltung hinsichtlich aller staatsanwaltlichen Beamten des betreffenden Bundesstaates;

3.

den ersten Beamten der Staatsanwaltschast bei den Oberlandes­ gerichten und den Landgerichten hinsichtlich aller Beamten der Staatsanwaltschaft ihres Bezirks.

8 14

Der Ober-Reichsanwall und die Reichsanwälle sind nichl

9.

richterliche Beamte. Zu diesen Ämtern sowie den Ämtern der Staatsanwaltschaft bei

den Oberlandesgerichten und den Landgerichten können nur zum Richter­

amte befähigte Beamte ernannt werden.

§ 150.

Der Ober-Reichsanwall und die Reichsanwälle werden

auf Vorschlag des Bundesrats vom Kaiser ernannt.

Dieselben können durch Kaiserliche Verfügung jederzeit mit Ge­

währung des gesetzlichen Wartegeldes einstweilig

in

den Ruhestand

versetzt werden.

§ 151.

Die Staatsanwaltschaft ist in ihren Amisverrichtungen

von den Gerichten unabhängig. § 152 wahrnehmen.

Die

Staatsanwälte dürfen richterliche Geschäfte

nicht

Auch darf ihnen eine Dienstaufsicht über die Richter

nicht übertragen werden.41 * *) *

§ 153.

Die Beamten des Polizei- und Sicherheitsdienstes sind

Hilssbeamte der Staalsanwaltschaft und sind in dieser Eigenschaft ver­

pflichtet, den Anordnungen der Staatsanwälte bei dem Landgerichte ihres Bezirks und der diesen vorgesetzten Beamten Folge zu leisten.4'") bezüglich derjenigen untergebenen Beamten zu, welche einem anderen Bundes­ staat angehören, als das Gericht, bei welchem sie zu fungieren beauftragt sind. Erk. v. 20. Mai 86, R. 8 S. 369. 41) Der einer preuß. StA. zur Beschäftigung oder als Hilfsarbeiter über­ wiesene Gerichtsasseffor darf richterliche Geschäfte nicht wahrnehmen. Erk. v. 19. Oktbr. 86, R. 8 S. 634. 41a) Dadurch werden sie aber nicht Beamte der StA. Ein mündlich bei ihnen angebrachter Strafantrag hat daher keine Wirksamkeit. Erk. v. 23 Nov. 80, E. 3 S. 55.

Äerichtsschr. § 154. Zustellungsb. §§ 155, 156. Rechtshilfe § 157.

31

Die nähere Bezeichnung derjenigen Beamtenklassen, auf welche

Bestimmung

diese

findet,

Anwendung

erfolgt

durch

die

Landes­

regierungen. 42)43 11.

richtet.

Titel.

Gerichtsschreiber.

Bei jedem Gerichte wird eine Gerichtsschreiberei einge­

§ 154

Die Geschäftseinrichtung bei dem Reichsgerichte wird durch

den Reichskanzler, bei den Landesgerichten durch die LandesjustizverWallung bestimmt. 12.

§

155.

Titel.

Zustellung-- und Vollstreckungsbeamte.

Die Dienst- und Geschäftsverhältntsse der mit den Zu­

stellungen, Ladungen und Vollstreckungen zu betrauenden Beamten (Ge­

richtsvollzieher) werden bei dem Reichsgerichte durch den Reichskanzler,

bei den Landesgerichten durch die Landesjustizverwaltung bestimmt. §

156.

Der Gerichtsvollzieher ist von der Ausübung seines Amts

kraft Gesetzes ausgeschlossen:

. in bürgerlichen Rechtsstreitigketten:

I

wenn er selbst Partei oder gesetzlicher Vertreter einer Partei

1.

ist, oder zu einer Partei in dem Verhältnisse eines Mitberech--

tigten, Milverpflichteten oder Schadensersatzpflichtigen steht;

wenn seine Eheftau Partei ist, auch wenn die Ehe nicht

2.

mehr besteht;

3.

wenn eine Person Partei ist, mit welcher er in gerader Linie verwandt, verschwägert oder durch Adoption verbunden, in der Seitenlinie bis zum dritten Grade verwandt oder

bis zum zweiten Grade verschwägert ist, auch wenn die

Ehe, durch welche die Schwägerschast begründet ist, nicht

mehr besteht; I

I. in Straffachen:

1.

2.

wenn er selbst durch die strafbare Handlung verletzt ist; wenn er der Ehemann der Beschuldigten oder Verletzten ist oder gewesen ist ;

3.

wenn er mit dem Beschuldigten oder Verletzten in dem vor­ stehend unter Nr. I 3 bezeichneten Berwandtschafts- oder

Schwägerschastsverhältnisse steht. 13.

§ 157.

Titel,

rrechlshilfe.

Die Gerichte haben sich in bürgerlichen Rechtsstreitigkeitey

und in Strafsachen Rechtshilfe zu leisten.42) 42) Siehe AB. v. 15. Septbr. 79 (JMBl. S. 349).

Gendarwen sind" in

Preußen nicht Hilfsbeamte der StA. GA, 52 S. 266. JurW. 06, S. 255. 43) Diese Bestimmungen finden nach Erk. v. 21. Ottbr. 89, E. 19 S. 438,

32

II.

Gerlchtsversassungsgesetz §§ 158—162.

§ 158. Das Ersuchen um Rechtshilfe ist an das Amtsgericht zu richten, in dessen Bezirke die Amtshandlung vorgenommen werden soll. § 159.

Das Ersuchen darf nicht abgelehnt werden. Das Ersuchen eines nicht im Jnstanzenzuge vorgesetzten Gerichts

ist jedoch abzulehnen, wenn dem ersuchten Gerichte die örtliche Zu­ ständigkeit mangelt, oder die vorzunehmende Handlung nach dem Rechte

des ersuchten Gerichts verboten tft.44 * *)45 *******

§ 160. Wird das Ersuchen abgelehnt,44 a) oder wird der Vorschrift des § 159 Abs. 2 zuwider dem Ersuchen stattgegeben, so entscheidet das Oberlandesgericht, zu dessen Bezirke das ersuchte Gericht gehört. Eine Anfechtung dieser Entscheidung findet nur statt, wenn dieselbe

die Rechtshilfe für unzulässig erklärt, und das ersuchende und das ersuchte Gericht den Bezirken verschiedener Oberlandesgerichte angehören. Über die Beschwerde entscheidet das Reichsgericht. 4°)

Die Entscheidungen erfolgen auf Antrag der Beteiligten oder des ersuchenden Gerichts ohne vorgängige mündliche Verhandlung.

§ 161. Die Herbeiführung der zum Zwecke von Vollstreckungen, Ladungen und Zustellungen erforderlichen Handlungen erfolgt nach Vorschrift der Prozeßordnungen ohne Rücksicht darauf, ob die Hand­

lungen in dem Bundesstaate,

welchem das Prozeßgericht angehört

oder in einem anderen Bundesstaate vorzunehmen ftnb.45a)

§ 162 Gerichte, Staatsanwaltschaften und Gerichtsschreiber können wegen Erteilung eines Auftrags an einen Gerichtsvollzieher die Mit­ wirkung des Gerichtsschreibers des Amtsgerichts in Anspruch nehmen,

in dessen Bezirke der Auftrag ausgeführt werden soll.

Der von dem

nicht analoge Anwendung, wenn eine Disziplinarbehörde gerichtliche Hilfe in Anspruch nimmt. Siehe darüber D a l ck e in GA. 39 S. 248. Siehe dazu auch Beschl. des RG. v. 29. Juli 91, E. 22 S. 111. Wegen der Rechtshilfe im Auslande siehe AB. v. 29. Mai 05, JMBl. S. 159. 44) Siehe über die Auslegung des § 159 überhaupt Dalcke in GA. 45 S. 407 und über die Requisition der ordentlichen Gerichte durch die Militär­ gerichte GA. 52 S. 259. Dem ersuchten Gericht steht eine Prüfung darüber, ob die vorzunehmende Handlung zulässig ist, nicht zu. GA. 52 S. 266. 44 a) Abgelehnt ist auch ein Ersuchen, wenn ihm zwar im übrigen ent­ sprochen, die Tragung der Kosten aber abgelehnt wird. Beschl. v. 13. Febr. 93, E. 24 S. 1. 45) Über die Zulässigkeit der Beschwerde an das Reichsgericht siehe Erk. v.

12. Juli 87, R. 9 S. 418. EntstehHwischen zwei Amtsgerichten Differenz über die Strafvollstreckung, so finden die Vorschriften der §§ 160 u. flg. keine Anwendung. Erk. v. 9. Dezbr. 89, E. 20 S. 101. 45 a) Das von Gericht zu Gericht gestellte Ersuchen um Vollstreckung eines Haftbefehls ist kein Akt der Rechtshilfe, zu dem das ersuchte Gericht verpflichtet ist. Beschl. v. 22. Dezbr. 94, E. 26 S. 338,

Gerichlsschreiber beauftragte Gerichtsvollzieher gilt als unmittelbar beauftragt. § 163. Eine Freiheitsstrafe, welche die Dauer von sechs Wochen nicht übersteigt, ist in demjenigen Bundesstaate zu vollstrecken, in welchem der Verurteilte sich befindet. § 164. Soll eine Freiheitsstrafe in dem Bezirke eines anderen Gerichts vollstreckt oder ein in dem Bezirke eines anderen Gerichts be­ findlicher Verurteilter zum Zwecke der Strafverbüßung ergriffen und abgeliefert werden, so ist die Staatsanwaltschaft bei dem Landgerichte des Bezirks um die Ausführung zu ersuchen.40) § 165. Im Falle der Rechtshilfe unter den Behörden ver­ schiedener Bundesstaaten sind die baren Auslagen, welche durch eine Ablieferung oder Strafvollstreckung entstehen, der ersuchten Behörde von der ersuchenden zu erstatten. Im übrigen werden Kosten der Rechtshilfe von der ersuchenden Behörde nicht erstattet. Ist eine zahlungspflichtige Partei vorhanden, so sind die Kosten von derselben durch die ersuchende Behörde einzuziehen und der ein-' gezogene Betrag der ersuchten Behörde zu übersenden. Stempel-, Einregistrierungsgebühren oder andere öffentliche Ab­ gaben, welchen die von der ersuchenden Behörde übersendeten Schrift­ stücke (Urkunden, Protokolle) nach dem Rechte der ersuchten Behörde unterliegen, bleiben außer Ansatz. § 166. Für die Höhe der den geladenen Zeugen und Sachver­ ständigen gebührenden Beträge sind die Bestimmungen maßgebend, welche bei dem Gerichte gelten, vor welches die Ladung erfolgt. Sind die Beträge nach dem Rechte des Aufenthaltsorts der ge­ ladenen Personen höher, so können die höheren Beträge gefordert werden. Bei weiterer Entfernung des Aufenthaltsorts der geladenen Per­ sonen ist denselben auf Antrag ein Vorschuß zu bewilligen. § 167. Ein Gericht darf Amtshandlungen außerhalb seines Be­ zirks ohne Zustimmung des Amtsgerichts des Orts nur vornehmen, wenn Gefahr im Verzüge obwaltet. In diesem Falle ist dem Amts­ gerichte des Orts Anzeige zu machen. § 168. Die Sicherheilsbeamten eines Bundesstaates sind ermäch-

46) In denjenigen Fällen, in welchen durch die AB. v. 14. August 79 (JMBl. S. 237 u. Anm. zu § 483 der StPO.) die Strafvollstreckung den Amts­ richtern übertragen ist, können diese nach einer Entscheidung des Juftizminifters auch unmittelbar um die Ausführung der Strafvollstr. ersucht werden. Siehe das nähere bei Dalcke, Strafvollstr. und Gefängnisverwaltung (2. Aufl.) S. 7, Dalcke, Strafe. 13. Aufl.*

3

34

II. Gerichtsverfassungsgesetz §§ 169—172.

tigt, die Verfolgung40e) eines Flüchtigen auf das Gebiet eines anderen Bundesstaates fortzusetzen und den Flüchtigen daselbst zu ergreifen. Der Ergriffene ist unverzüglich an das nächste Gericht oder die nächste Polizeibehörde des Bundesstaates, in welchem er ergriffen wurde, abzuführen.46b) § 169. Die in einem Bundesstaate bestehenden Vorschriften über die Mitteilung von Akten einer öffentlichen Behörde an ein Gericht dieses Bundesstaates kommen auch dann zur Anwendung, wenn das ersuchende Gericht einem anderen Bundesstaate angehört.

14. Titel.

Öffentlichkeit und Altznngspollzei.

§ 170. Die Verhandlung vor dem erkennenden Gerichte, ein­ schließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse desselben, erfolgt öffentlich.4?) § 171. In Ehesachen ist die Öffentlichkeit auszuschließen, wenn

eine der Parteien es beantragt. § 172

In dem auf die Klage wegen Anfechtung oder Wieder­

aufhebung der Entmündigung einer Person wegen Geisteskrankheit oder wegen Geistesschwäche eingeleiteten Verfahren (§§ 664, 679 der Zivilprozeßordnung) ist die Öffentlichkeit während der Vernehmung des Entmündigten auszuschließen, auch kann auf Antrag einer der Parteien die Öffentlichkeit der Verhandlung überhaupt ausgeschlossen werden.

Das Verfahren wegen Entmündigung oder Wiederaufhebung der 46 a) Der Begriff der Verfolgung umfaßt auch hier alle diejenigen Maß­ nahmen, welche auf die Ergreifung der als Täter ins Auge gefaßten Person abzielen und ihrer Natur nach geeignet sind, diese zu ermöglichen, zu erleichtern oder zu sichern. Erk. v. 13. Dez. 97, E 30 S. 386. 46 b) Siehe hierzu Erk. v. 19. Novbr. 94, E. 26 S. 211 u. Erk. v. 13. Dezbr. 97, E. 30 S. 386. 47) Unbeteiligte Personen (Verwandte des A.) dürfen während seiner Vernehmung nicht aus dem Sitzungszimmer entfernt werden. Erk. v. 13. Aug. 97, E. 30 S. 244. Wegen Überfüllung des Raumes können Zuhörer zurück­ gewiesen werden. Erk. v. 11. Febr. 82, R. 4 S. 152. Vgl. auch Erk. v. 1. Oktbr. 80, E. 2 S. 301 u. 21. März 82, R. 4 S. 268, wonach es unschädlich, wenn einzelne Personen von einem Unterbeamten zurückgewiesen sind. Eine An­ ordnung des Landgerichtspräsidenten, daß nur den mit besonderen Erlaubnis­ karten versehenen Personen der Eintritt in die Sitzungszimmer gestattet werde, ist zulässig. Erk. v. 10. Juli 06, GA. 53 S. 443. Desgleichen die Anordnung, daß die Zahl der Zuhörer die der Sitzplätze nicht überschreite. Erk. v. 20. Jan. 06, Recht 10 S. 260. Wenn die Tür zum Zuhörerraum aus Versehen geschloffen gehalten worden ist, so führt dies nicht zur Aufhebung des Urteils. Erk. v. 14. Jan. 10, E. 43 S. 189. Über die Öffentlichkeit bei Einnahme des Augenscheins am Orte der Tat

durch das erkennende Gericht stehe Erk. v. 10. Dezbr. 96, GA. 44 S. 386.

Öffentlichkeit und Sitzungspolizei §§ 173—175.

35

Entmündigung (§§ 645—663, 675—678 der Zivilprozeßordnung) ist nicht öffentlich.^) § 173 In allen Sachen kann durch das Gericht für die Verhand­ lung oder für einen Teil "*) derselben die Öffentlichkeit ausgeschlossen

werden, wenn sie eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung, "^) ins­ besondere der Staatssicherheit, oder eine Gefährdung der Sittlichkeit besorgen läßt.") § 174. Die Verkündung des Urteils erfolgt in jedem Falle öffentlich.") Durch einen besonderen Beschluß des Gerichts kann für die Ver­ kündung der Urteilsgründe oder eines Teiles derselben die Öffent­ lichkeit ausgeschlossen werden, wenn sie eine Gefährdung der Staats­ sicherheit oder eine Gefährdung der Sittlichkeit besorgen läßt.61) § 175. Die Verhandlung über die Ausschließung der Öffentlich­

keit findet in nicht öffentlicher Sitzung statt,B2) wenn ein Beteiligter 48) Auf den Fall der Vernehmung des Entmündigten im AnfechtungsProzeß durch einen beauftragten Richter findet der § keine Anwendung. Recht 7 S. 108. 48 a) Diese Vorschrift ist nicht dahin zu verstehen, daß der Ausschluß der Öffentlichkeit lediglich für diejenigen Erklärungen erfolgen dürfe, welche die Besorgnis begründen. Erk. v. 29. April 10, E. 43 S. 367. Wird die Öffent­ lichkeit für einen bestimmten Fall ausgeschlossen und zeigt sich, daß sich die Er­ örterung der anderen Fälle nicht abtrennen läßt, so ist ein neuer Beschluß er­ forderlich. Erk. v. 28. Febr. 11, GA. 59 S. 139. 48 b) Eine Gefährdung liegt vor, wenn die Öffentlichkeit von der Zuhörer­ schaft zu Störungen der Verhandlungen gemißbraucht wird. Erk. v. 10. Mai 97, E. 30 S. 104. 49) Der Grund, aus welchem die Öffentlichkeit ausgeschlossen ist, muß un­ bedingt angegeben werden. Erk. v. 30. Mai 90, GA. 38 S. 195. Auch hier kann der Zutritt einzelnen Personen vom Gericht gestattet werden wie im Fall des ,8176 Abs. 2. Erk. v. 12. Juni 00, E. 33 S. 311. Eine Ausschließung der Öffentlichkeit liegt auch dann vor, wenn in Ausübung der Sitzungspolizei der Zuhörerraum geräumt und sodann verschlossen blieb, selbst wenn der Zuhörerraum einer Reihe von Zuhörern offen stand. GA. 47 S. 290. Eine Beschränkung der Öffentlichkeit unterliegt nur dann der Revision, wenn sie auf ein Verschulden des Vorsitzenden oder des Gerichts zurückzuführen ist. Erk. v. 28. Okt. 04, DIZ. 10, S. 171; Recht 8 S. 609. Erk. v. 14. Jan. 10, E. 43 S. 189. 50) Auch die Gründe müssen in öffentlicher Sitzung verkündet werden. Erk. v. 6. Mai 90, E. 20 S. 383. 51) Es ist nicht statthaft, den Beschluß auf Ausschluß der Öffentlichkeit und den aus § 174 Abs. 2 gleichzeitig bei Beginn der Verhandlung zu erlassen. Erk. v. 4. Febr. 10, E. 43 S. 300. 52) Ist der A. aus dem Sitzungssaal entfernt (§ 246 der StPO.) und wird dann über Ausschluß der Öffentlichkeit verhandelt, so muß er wieder zurückgeführt werden. Erk. v. 2. Oktbr. 88, E. 18 S. 138. Überhaupt muß in jedem Falle mit den Prozeßparteien über Ausschluß der Öffentlichkeit ver­ handelt werden. Erk. v. 29. Oktbr. 89, E. 20 S. 21. Erk. v. 3. Juni 02, 3*

36

II. Gerichtsverfassungsgesetz § 176.

es beantragt oder das Gericht es für angemessen erachtet. Der Beschluß, welcher die Öffentlichkeit ausschließt, muß öffentlich veMndet werden.

Bei der Verkündung ist anzugeben, ob die Ausschließung wegen Ge­ fährdung der öffentlichen Ordnung, insbesondere wegen Gefährdung der Slaatssicherheit, oder ob sie wegen Gefährdung der Sittlichkeit erfolgt.

Ist die Öffentlichkeit wegen Gefährdung der Staatssicherheit aus­ geschlossen, so kann das Gericht den anwesenden Personen die Geheim­ haltung von Tatsachen, welche durch die Verhandlung, durch die Anklageschrift oder durch andere amtliche Schriftstücke des Prozesses zu ihrer Kenntnis gelangen, zur Pflicht machen. Der Beschluß ist in das Sitzungsprotokoll aufzunehmen. Gegen denselben findet Be­ schwerde statt. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung. § 176. Der Zutritt zu öffentlichen Verhandlungen kann uner­ wachsenen und solchen Personen versagt werden, welche sich nicht im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befinden, oder welche in einer der Würde des Gerichts nicht entsprechenden Weise erscheinen. Zu nicht öffentlichen Verhandlungen kann der Zutritt einzelnen Personen vom Gerichte gestattet werden. Einer Anhörung der Be­ teiligten bedarf es nicht. Die Ausschließung der Öffentlichkeit steht der Anwesenheit der die

Dienstaufsicht führenden Beamten der Justizverwaltung bei den Ver­ handlungen vor dem erkennenden Gerichte nicht entgegen.

E. 35 S. 103.

Auch der Nebenkläger muß über den Ausschluß der Öffentlich­

keit gehört werden. Erk. v. 5. Juli 95, GA. 43 S. 242. Es ist aber nicht er­ forderlich, daß jeder einzelner der Beteiligten zur Erklärung aufgefordert ist. Erk. v. 1. März 05, E. 37 S. 437. Zur Wiederherstellung der Öffentlichkeit bedarf es dann keines besonderen Beschluffes, wenn die Ausschließung der Öffent­ lichkeit nur für einen bestimmten Teil angeordnet war. Erk. v. 1. Dezbr. 02, Recht 7 S. 23. Ein Verstoß gegen diese Vorschriften kann durch Wieder­ holung der Verhandlung geheilt werden. Erk. v. 26. Sept. 03, E. 35 S. 354. 53) Die §§ 173 ff. u. § 195 sind in der Fassung wiedergegeben, welche sie durch das Ges. v. 5. April 88 (RGBl. S. 133) erhalten haben. Dies Ges. lautet: Art. 1. Die §§ 173 bis 176 und 195 des GBG. werden durch nach­ stehende Bestimmungen ersetzt. (Es folgt der Wortlaut der abgeänderten §§.) Art. II. Wer die nach § 175 Abs. 2 des GBG. ihm auferlegte Pflicht der Geheimhaltung durch unbefugte Mitteilung verletzt, wird mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder mit Haft oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft. — Art. III. Soweit bei einer Gerichtsverhandlung, die Öffentlichkeit

wegen Gefährdung der Staatssicherheit ausgeschlossen war, dürfen Berichte über die Verhandlung durch die Presse nicht veröffentlicht werden. Das gleiche gilt auch nach der Beendigung des Verfahrens in betreff der Veröffentlichung der Anklageschrift oder anderer amtlicher Schriftstücke des Prozesses. — Zuwider­ handlungen unterliegen der im Art. II besttmmten Strafe. — Art. IV siehe bei § 184 des StGB.

§ 177. Die Aufrechthaltung der Ordnung in der Sitzung liegt dem Vorsitzenden ob.64) § 178. Parteien, Beschuldigte, Zeugen, Sachverständige oder bei der Verhandlung nicht beteiligte Personen, welche den zur Aufrechthattung der Ordnung erlassenen Befehlen nicht gehorchen, können auf Beschluß des Gerichts aus dem Sitzungszimmer entfernt,Bß) auch zur Hast abgeführt und während einer in dem Beschlusse zu be­ stimmenden Zeit, welche vierundzwanzig Stunden nicht übersteigen darf, festgehalten werden. § 179. Das Gericht kann gegen Parteien, Beschuldigte, Zeugen, Sachverständige oder bei der Verhandlung nicht beteiligte Personen, welche sich in der Sitzung einer UngebührBö) schuldig machen, vorbe­ haltlich der strafgerichtlichen Verfolgung, eine Ordnungsstrafe bis zu einhundert Mark B^ oder bis zu drei Tagen Hast festsetzen und sofort vollstrecken lassen. § 180. Das Gericht kann gegen einen bei der Verhandlung be54) Der Vorsitzende kann die Verhandlung abbrechen, wenn der StA. die Geschworenen in ungesetzlicher Weise zu beeinflussen sucht. Das Wort darf er dem StA. nicht entziehen. Erk. v. 2. März 81, R. 3 S. 96. Zu den Befug­ nissen des Vorsitzenden gehört auch die Erteilung von Rügen an die als Parteivertreter beteiligten Rechtsanwälte. Erk. d. Ehrenger. v. 7. Novbr. 86, R. 8 S. 657. Dem Vorsitzenden gebührt auch die Entscheidung darüber, ob der Angekl. auf der Anklagebank Platz zu nehmen hat. GA. 39 S. 377. 54 a) Bezieht sich auch auf eine vom erkennenden Gericht ausgeführte Augenscheinseinnahme. Erk. v. 10. Dez. 96, GA. 44 S. 386. 55) Dazu bedarf eS eines Gerichtsbeschlusses. Erk. v. 28. Febr. 90, E. 20 S. 273. 56) Es ist keine Ungebühr, wenn ein A. auf die Frage nach seinen Vor­ strafen und aus die Anklage nicht antwortet. GA. 37 S. 239. Über die Frage, ob die Weigerung vor Gericht, deutsch zu sprechen, eine Ungebühr ist, siehe DIZ. 8 S. 244 u. 266. Nach d. Beschl. d. OLG. Posen v. 31. Jan. 03, Recht 7 S. 345, muß einerseits ausreichende Beherrschung der deutschen Sprache und Fähigkeit zu zusammenhängender Darstellung, andererseits bewußt wahrheitswidrige Ableugnung dieser Fähigkeit zuverlässig festgestellt werden, ehe eine Ungebührstrafe festgesetzt werden darf. Siebe auch GA. 53 S. 191. Gegen einen Untersuchungsgefangenen können wegen Ungebühr in der Hauptverhand­ lung nicht im Disziplinarwege die in der Gefängnisordnung vorgesehenen Dis­ ziplinarstrafen verhängt werden. KG. v. 13. Oktbr. 08, GA. 56 S. 98. Siehe auch OLG. Breslau v. 2. März 09, GA. 58 S. 468. 57) Diese Geldstrafe kann in Freiheitsstrafe umgewandelt werden. Löwe Anm. 5, Stenglein StPO. Anm. 2, OLG. Colmar v. 25. Mai 91, GA. 39 S. 377. u. OLG. Marienwerder v. 18. Mai 06, GA. 54 S. 101. A. M. Beschl. d. OLG. Breslau v. 5. Febr. 01, GA. 51 S. 68, u. KG. v. 17. Dezemb. 88, Johow 8 S. 257. Unerheblich ist es, ob der Täter in Wahr­ nehmung berechtigter Interessen gehandelt hat. KG. v. 25. Ott. 10, GA. 58 S. 230. Anfechtung von Beschlüssen, die eine Ordnungsstrafe ablehnen, ist un­ zulässig, DIZ. 10 S. 1071.

38

II.

Gerichtsverfassungsgesetz §§ 181—187.

tätigten Rechtsanwalt oder Verteidiger, der sich in der Sitzung einer Ungebühr5Ta) schuldig macht, vorbehaltlich der strafgerichtlichen oder disziplinaren Verfolgung, eine Ordnungsstrafe bis zu einhundert Mark

festsetzen.

§ 181. Die Vollstreckung der vorstehend bezeichneten Ordnungs­ strafen hat der Vorsitzende unmittelbar zu veranlassen. § 182. Die in den §§ 177-181 bezeichneten Befugnisse stehen auch einem einzelnen Richter bei der Vornahme von Amtshandlungen außerhalb der Sitzung ju.58 * *)59 * * 60 * § 183. Ist in den Fällen der §§ 179,180,182 eine Ordnungs­ strafe festgesetzt, so findet binnen der Frist von einer Woche nach der Bekanntmachung der Entscheidung Beschwerde statt, sofern die Ent­ scheidung nicht Son dem Reichsgerichte oder einem Oberlandesgerichte getroffen ist. Die Beschwerde hat in dem Falle des § 179 keine aufschiebende Wirkung, in den Fällen des § 180 und des § 182 aufschiebende Wirkung. Über die Beschwerde entscheidet das Oberlandesgericht. § 184. Ist eine Ordnungsstrafe wegen Ungebühr festgesetzt, oder eine Person zur Haft abgeführt, oder eine bei der Verhandlung be­ teiligte Person entfernt worden, so ist der Beschluß des Gerichts und dessen Veranlassung in das Protokoll aufzunehmen.Ma) § 185. Wird eine strafbare Handlung in der Sitzung begangen, so hat das Gericht den Tatbestand festzustellen und der zuständigen Behörde das darüber aufgenommene Protokoll mit^uteilen. In ge­ eigneten Fällen ist die vorläufige Festnahme des Täters zu ver­ fügen.^) 15. Titel.

Gerichtssprache.

§ 186. Die Gerichtssprache ist die deutsche.^) § 187. Wird unter Beteiligung von Personen verhandelt, welche der deutschen Sprache nicht mächtig sind, so ist ein Dolmetscher zu57 a) Eine Ungebühr kann darin liegen, daß sich der Verteidiger mit dem Angekl. während der Verhandlung in eine Besprechung einläßt. GA. 52 S. 106. Siehe auch Beschl. d. KG. v. 4. Juni 09, Johow 38 S. C. 9, in dem Wieder­ aufhebung der Ungebührstrafe durch das beschließende Gericht für nicht zulässig erklärt wird. 58) Greift der Richter bei der Vollstreckung persönlich ein, so genießt er den Schutz des § 113 des StGB. Erk. v. 10./17. Jan. 87, E. 15 S. 227. 58 a) Das Protokoll soll den Vorgang darstellen, in welchem die Ungebühr gefunden ist. Fehlt diese Darstellung oder ist sie unzureichend, so kann der Mangel aus anderweittgen Erklärungen nicht ergänzt werden. Johow 8 S. 260, DIZ. 9 S. 269. 59) Den Haftbefehl erläßt das zuständige Amtsgericht. GA. 38 S. 379. 60) Die Verlesung einer in einer fremden Sprache abgefaßten Urkunde

Gerichtssprache §§ 188, 189.

39

zuziehen.") Die Führung eines Nebenproiokolls in der fremden Sprache findet nicht statt; jedoch sollen Aussagen und Erklärungen in fremder Sprache, wenn und soweit der Richter dies mit Rücksicht auf die Wichtigkeit der Sache für erforderlich erachtet, auch in der fremden Sprache in das Protokoll oder in eine Anlage niedergeschrieben werden. In den dazu geeigneten Fällen soll dem Protokolle eine durch den Dolmetscher zu beglaubigende Übersetzung beigefügt werden.

Die Zuziehung eines Dolmetschers kann unterbleiben, wenn die beteiligten Personen sämtlich der fremden Sprache mächtig fitii). °2)

§ 188. Zur Verhandlung mit tauben oder stummen Personen ist, sofern nicht eine schriftliche Verständigung erfolgt, eine Person als Dolmetscher zuzuziehen, mit deren Hilfe die Verständigung in anderer Weise erfolgen sann.03) § 189. Ob einer Partei, welche taub ist, bei der mündlichen Verhandlung der Vortrag zu gestatten sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. ohne Übertragung ins Deutsche gibt einen Revisionsgrund. Erk. v. 28. Mai 95, E. 27J5. 268. Ebenso ist es unstatthaft, daß eine von einem Dolmetscher gefertigte Übersetzung einer Urkunde ohne Vernehmung des Dolmetschers ver­ lesen wird. Erk. v. 9. April 95, E. 27 S. 161. Vgl. auch Erk. v. 19. April 94, E. 25 S. 353. 61) Die Zuziehung hat zu Beginn der Hauptverhandlung zu erfolgen, falls der Angekl. der deutschen Sprache überhaupt nicht mächtig ist. Erk. v. 11. Sept. 00, GA. 47 S. 384. Ist eine Verständigung über einzelne Punkte möglich, so liegt es im Ermessen des Gerichts, den Zeitpunkt zu bestimmen, von welchem die Mitwirkung des Dolmetschers erforderlich ist. Erk. v. 6. Juli 03, GA. 50 S. 394; Recht 7 S. 435. 62) Die Unterlassung der Zuziehung eines Dolmetschers wird nicht dadurch gerechtfertigt, daß der Zeuge nicht habe vernommen werden können, weil ein Dolmetscher nicht vorhanden und von keiner Seite Einsprache erhoben sei. Erk. v. 10. Novbr. 81, R. 3 S. 708. Dolmetscher sind Organe des Gerichts, auf welche die Vorschriften des § 67 der StPO, keine Anwendung finden. Erk. v. 19. März 86, R. 8 S. 203. Der Richter kann zum besseren Verständnis nicht hochdeutscher Mundarten Sprachkundige zuziehen. Erk. v. 11. März 86, R. 8 S. 160. Handelt eS sich um die Feststellung, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Vornahme einer Prozeßhandlung vorliegen, so genügt die Verlesung vorher gefertigter Übersetzungen ftemdsprachiger Schriftstücke ohne Zuziehung eines Dolmetschers. Erk. v. 26. Jan. 06, E. 38 S. 323. 63) Unter schriftlicher Verständigung ist keineswegs nur eine beiderseits schriftliche zu verstehen, es genügt, daß einer tauben Person schriftliche Fragen vorgelegt und von dieser mündlich beantwortet werden. Erk. v. 8. Novbr. 98, E. 31 S. 313. In der Hauptverhandlung müssen einem tauben Angekl. die Aussagen der vernommenen Zeugen milgeteilt werden. Erk. v. 14. Aug. 03, E. 36 S. 355. Durch welche Veranstaltungen einem schwerhörigen A. das un­ mittelbare Verständnis der Zeugen zu ermöglichen ist, bleibt dem Ermessen des Vorsitzenden überlassen. Erk. v. 8. Novbr. 10, Recht 14 Nr. 4224.

40

II.

Gerichtsverfassungsgesetz §§ 190—195.

Dasselbe gilt in Anwallsprozessen von einer Partei, die der deutschen Sprache, nicht mächtig ist. § 190. Personen, welche der deutschen Sprache nicht mächtig sind, leisten Eide in der ihnen geläufigen Sprache. § 191. Der Dolmetscher hat einen Eid dahin zu leisten: daß er treu und gewissenhaft übertragen werde. Ist der Dolmetscher für Übertragungen der betreffenden Art im allgemeinen beeidigt, so genügt die Berufung auf den geleisteten Eid 64)65 66 67 § 192. Der Dienst des Dolmetschers kann von dem Gerichtsschreiber wahrgenommen werden. Einer besonderen Beeidigung bedarf es nicht.6ft) § 193. Auf den Dolmetscher finden die Bestimmungen über Aus­ schließung und Ablehnung der Sachverständigen entsprechende Anwen­ dung. Die Entscheidung erfolgt durch das Gericht oder den Richter, von welchem der Dolmetscher zugezogen ist.ö6) 16.

Titel.

Seratung und Abstimmung.

§ 194. Bei Entscheidungen dürfen Richter nur in der gesetzlich bestimmten Anzahl mitwirken. Bei Verhandlungen von längerer Dauer kann der Vorsitzende die Zuziehung von Ergänzungsrichtern anordnen, welche der Verhandlung beizuwohnen und im Falle der Verhinderung eines Richters für den­ selben einzutreten haben. Die vorstehenden Bestimmungen finden auch auf Schöffen und Geschworene Anwendung. § 195. Bei der Beratung und Abstimmung *7) dürfen außer 64) Durch Bezugnahme auf einen im allgemeinen geleisteten Sachverständigeneid wird der hier vorgeschriebene Dolmetschereid nicht gedeckt. Erk. v. 9. Jan. 96, Jur.W. S. 511. Die Berufung des Dolmetschers auf den ein für allemal geleisteten Eid muß in jeder einzelnen Sache erfolgen. Die protokollmäßige Bezeichnung: „vereideter Dolmetscher" genügt nicht. Erk. v. 24. Juni 85, R. 7 S. 426. 65) Jeder Dolmetscher, wenn er nicht der fungierende Gerichtsschreiber ist, muß beeidigt werden. Erk. v. 22. Oktbr. 80, R. 2 S. 372 u. E. 2 S. 373. Ein Verzicht der Beteiligten auf die Vereidigung ist unstatthaft. Erk. v. 12. Septbr. 03, Recht 7 S. 486. Siehe auch vor. Anm. 66) Verwandtschaft des Dolmetschers mit dem Verletzten macht ersteren nicht ohne weiteres unfähig, doch kann es ein Grund zur Ablehnung sein. Erk. v. 26. Aug. 85, R. 7 S. 501. 67) Beratung und Abstimmung müssen zwischen den Schlußvorträgen und der Urteilsverkündung erfolgen. Erk. v. 1. Dezbr. 08, E. 42 S. 85. Vgl. aber Erk. v. 22. Novbr. 09, E. 43 S. 51. Die Anwesenheit der JustizaufsichtSbeamten bei der Beratung ist nicht statthaft. Erk. v. 12. Novbr. 88, R. 10 S. 640. Ein als Gerichtsschreiber fungierender Referendar darf bei der Beratung zu­ gegen sein. Erk. v. 8. Oktbr. 88, E. 18 S. 161, R. 10 S. 549.

den zur Entscheidung berufenen Richtern nur die bei demselben Ge­ richte zu ihrer juristischen Ausbildung beschäftigten Personen zugegen sein, soweit der Vorsitzende deren Anwesenheit gestattet.68)69 70 71 § 196. Der Vorsitzende leitet die Beratung, stellt die Fragen und sammelt die Stimmen. Meinungsverschiedenheiten über den Gegenstand, die Fassung und die Reihenfolge der Fragen oder über das Ergebnis der Abstimmung entscheidet das Gericht. § 197. Kein Richter, Schöffe oder Geschworener darf die Ab­ stimmung über eine Frage verweigern, weil er bei der Abstimmung über eine vorhergegangene Frage in der Minderheit geblieben ist. § 198. Die Entscheidungen erfolgen, soweit das Gesetz nicht ein anderes bestimmt, nach der absoluten Mehrheit der Stimmen. Bilden sich in Beziehung auf Summen, über welche zu ent­ scheiden ist, mehr als zwei Meinungen, deren keine die Mehrheit für sich hat, so werden die für die größte Summe abgegebenen Stimmen den für die zunächst geringere abgegebenen so lange hinzugerechnet, bis sich eine Mehrheit ergibt. Bilden sich in einer Straffache, von der Schuldftage abgesehen, mehr als zwei Meinungen, deren keine die Mehrheit für sich hat, so werden die dem Beschuldigten nachteiligsten Stimmen den zunächst minder nachteiligen so lange hinzugerechnet, bis sich eine Mehrheit ergibt.^) § 199. Die Reihenfolge bei der Abstimmung richtet sich nach dem Dienstalter, bei den Schöffengerichten und den Kammern für Handels­ sachen nach dem Lebensalter; der jüngste stimmt zuerst, der Vor­ sitzende zuletzt?o) Wenn ein Berichterstatter ernannt ist, so gibt dieser seine Stimme zuerst ab. Bei der Abstimmung der Geschworenen richtet sich die Reihenfolge nach der Auslosung. Der Obmann stimmt zuletzt. § 200. Schöffen und Geschworene sind verpflichtet, über den Her­ gang bei der Beratung und Abstimmung Stillschweigen zu beobachten?^ 68) Der Gerichtshof braucht sich zum Zwecke der Beratung nicht zurückzu­ ziehen oder das Publikum abtreten zu lassen. Erk. v. 23. Febr. 92, E. 22 S. 397. 69) Um zu einem Beschluß über die Schuldfrage zu gelangen, darf nicht in einer ungeteilten Abstimmung entschieden werden, sondern es muß sukzessive über die schwerere Schuld und die Abstufungen abgestimmt werden. Erk. v. 25. Febr. 82, E. 5 S. 404. Siehe auch die Anm. zu § 262 der StPO. u. Erk. v. 17. April 83, E. 8 S. 218. 70) Aus dieser Bestimmung ist nicht zu folgern, daß der Vorsitzende der beschließenden Strafkammer nicht die Berichterstattung über den Antrag auf Er­ öffnung des Hauptverfahrens übernehmen dürfe. Erk. v. 3. Apr. 06, Recht 10 S. 575. 71) Deshalb kann ein Richter über die Art und Weise, wie ein Richter­ spruch zustande gekommen ist, nicht als Zeuge vernommen werden. Erk. v.

42

II. Gerichtsverfassungsgesetz §§ 201—204.

17. Titel.

Serichtsftrien.

§ 201. Die Gerichtsferien beginnen am 15. Juli und endigen am 15. September. § 202. Während der Ferien werden nur in Feriensachen Termine abgehalten und Entscheidungen erlassen. Feriensachen sind: 1. Strafsachen;

2.71 a) § 203 Zur Erledigung der Feriensachen können bei den Land­ gerichten Ferienkammern, bei den Oberlandesgerichten und dem Reichs­ gerichte Feriensenate gebildet werden.7^) § 204. Auf das Mahnverfahren, das Zwangsvollstreckungsver­ fahren und das Konkursverfahren sind die Ferien ohne Einfluß. Urkundlich re. 13. Novbr. 94, E. 26 S. 202. Die Revision kann nicht auf einen angeblich ge­ setzwidrigen Hergang bei Beratung der Geschworenen gestützt werden. Erk. v. 19. Jan. 09, GA. 56 S. 212. 71a) Der übrige Teil dieses § kommt für das Strafrecht nicht in Betracht. 72) Die Bildung der Ferienkammern hat durch Beschluß des Präsidiums, nicht durch Verfügung Präsidenten zu erfolgen. Erk. v. 22. Jan. 04, JMBl. S. 61 u. E. 37 S. 59. Über die Zuziehung von Amtsrichtern zu land­ gerichtlichen Ferienkammern siehe Erk. v. 22. März 07, JMBl. S. 388 u. E. 40 S. 85.

III. Preuß. Äusfiihrungsgeseh zum Deutschen Gerichtsverfaffungsgesetz. Vom 24. April 1878. (GS. S. 230.)

1. Titel.

Nichteramt §§ 1—11. 2. Titel. Gerichtsbarkeit §§ 12—20. 3. Titel. Amtsgerichte §§ 21—32.

4. Titel.

Schöffengerichte.

§ 33. Zu dem Amte eines Schöffen sollen außer den im § 34 des Deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes bezeichneten Beamten nicht berufen werden: 1. die Vortragenden Räte der Ministerien, einschließlich des General­ inspektors des Katasters; 2. die Provinzialsteuerdirektoren; 3. der Dirigent der Direktion für die Verwaltung der direkten Steuern in Berlin; 4. die Mitglieder des Oberverwaltungsgerichts, sowie die ständigen Mitglieder der Bezirksverwaltungsgerichte und des Berwaltungsgerichts für die Stadt Berlin. § 34 Der als Beisitzer des Ausschusses für die Auswahl der Schöffen eintretende Staatsverwaltungsbeamte wird von dem Regie­ rungspräsidenten (Landdrosten) bestellt. Zugleich ist ein Stellvertreter zu bestellen. § 35. Die Vertrauensmänner des Ausschusses werden durch die Kreisvertretungen, in den Hohenzollernschen Landen durch die AmtsVertretungen, in der Provinz Hannover durch die Amtsvertretungen und durch die zu einem Kollegium vereinigten Magistrale und Bürger­ vorsteher der einem Amtsverbande nicht angehörigen Städte gewählt. Erstreckt sich der Bezirk des Amtsgerichts über mehrere wahl­ berechtigte Verbände, so ist die von jedem einzelnen Verbände zu wählende Anzahl der Vertrauensmänner unter Berücksichtigung der Einwohnerzahl durch den Amtsrichter zu bestimmen. Die Vorschriften der §§ 32—35 des Deutschen Gerichtsver­ fassungsgesetzes über die Berufung zum Schöffen- und Geschworenen-

III. Ausführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz §§ 36—50.

44

amte finden auf die zu wählenden Vertrauensmänner entsprechende

Anwendung.

Die Wahl erfolgt nach der absoluten

Mehrheit der

Stimmen.

(Den Vertrauensmännern und den Schöffen werden, so­

§ 36. *)

fern sie außerhalb ihres Aufenthaltsortes einen Weg bis zur Ent­ fernung von mehr als zwei Kilometern zurückzulegen haben, an Reise­

kosten gewährt: 1.

bei Reisen, welche auf Eisenbahnen oder Dampfschiffen gemacht werden können, für jedes angefangene Kilometer des Hinweges

und des Rückweges zehn Pfennige;

2.

bei Reisen, welche nicht auf Eisenbahnen oder Dampffchiffen zurückgelegt werden können, für jedes angefangene Kilometer

des Hinweges und des Rückweges zwanzig Pfennige; im ganzen jedoch mindestens 3 Mark. Mußte der Vertrauensmann oder Schöffe innerhalb seines Aufent­

haltsorts einen Weg bis zur Entfernung von mehr als zwei Kilo­

metern zurücklegen, so sind ihm als Reiseentschädigung für jedes an­ gefangene Kilometer des Hinweges und des Rückweges zwanzig Pfennige zu gewähren.)

5.

Titel.

6. § 44

Landgerichte §§ 37—43.

Titel.

Schwurgerichte.

Die Vorschriften des § 33 über die Berufung zum Schöffen­

amte finden auch auf das Geschworenenamt Anwendung. § 45.

*)

(Den Geschworenen werden Reisekosten nach Maßgabe der

Vorschriften des^8 36 Abs. 1 gewährt.) 7.

Titel.

8.

Lämmern für Handelssachen § 46. Titel. Oberlandesgerichte.

88 47—49 betreffen die Vertretung der Richter und die Zuständigkeit in Zivil« fachen.

§ 50.Lt Das Oberlandesgericht in Berlin *) ist ausschließlich zu­

ständig für die Verhandlung und Entscheidung: 1.

über die nicht zur Zuständigkeit des Reichsgerichts gehörenden

Revisionen gegen Urteile der Strafkammern in erster Instanz;

2.

über die Revisionen gegen Urteile der Strafkammern in der Berufungsinstanz.'und über alle Beschwerden gegen Entschei-

*) Aufgehoben durch die Allg. Verf. v. 12. August 13 (JMBl. S. 303); siehe 88 96X55 a des GVG. 1) Das Oberlandesgericht zu Berlin hat durch Allerh. Erl. v. 1. Septbr. 79 (GS. S. 587) die Bezeichnung als „Kammergericht" erhalten. Über die Zu­ ständigkeit des Kammergerichts, insbesondere wenn es sich um Anwendung sog. Blankettges. handelt, stehe GA. 45 S. 293.

düngen der Strafkammern, sofern eine nach Landesrecht straf­ bare Handlung den Gegenstand der Untersuchung bildet?) In den unter Nr. 2 bezeichneten Beschwerdesachen findet bei Zlveifeln über die Zuständigkeit der § 388 der Deutschen Strafprozeß­ ordnung entsprechende Anwendung. 88 51—56 sind aufgehoben durch Art. 130 Nr. I des Preuß. Gesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit vom 21. September 1899 (GS. S. 249). 8 57 bezieht sich ausschließlich auf Zivilsachen.

9. Titel.

Staatsanwaltschaft.

§ 58. Die bestehenden staatsanwattschastlichen Behörden werden aufgehoben. Die Zuständigkeit derselben in den Angelegenheiten, welche durch die Deutschen Prozeßordnungen nicht betroffen werden, geht, insoweit nicht besondere Bestimmungen gegeben sind, in dem Umfange, in welchem sie in den einzelnen Landesteilen bisher bestanden hat, auf die Staatsanwaltschaften bei den ordentlichen Landesgerichten über. § 59. Die ersten Beamten der Staatsanwaltschaft bei den Oberlandesgerichten führen den Amtstitel Oberstaatsanwalt, die ersten Be­ amten der Staatsanwaltschaft bei den Landgerichten den Amtstitel Erster Staatsanwalt. Die übrigen Beamten der Staatsanwaltschaft bei den Oberlandesgerichten und den Landgerichten führen den Amts­ titel Staatsanwalt. § 60. Die Oberstaatsanwälte und die Staatsanwälte werden

vom Könige ernannt. § 61. Die Oberstaatsanwälte und die Staatsanwälte sind nicht richterliche Beamte. § 62. *) Die Amtsanwälte werden von dem Justizminister ernannt. Der Justizminister kann die Ernennungsbefugnis den Oberstaats­ anwälten übertragen. Diejenigen Amtsanwälte, welche eine in dem Besoldungsetat aufgeführte Stelle bekleiden, werden gegen festes Ge­ halt auf Lebenszeit, die übrigen auf Kündigung angestellt. § 63. *) Staatsanwälte, Gerichtsassefforen, sofern sie nicht gleich­ zeitig mit richterlichen Geschäften in Straffachen betraut sind, Referendare und Gerichtsschreiber sind verpflichtet, die Geschäfte des Amtsanwalts zu übernehmen.2 3) 2) Ohne Bedeutung ist es, ob die Revision auf die Verletzung einer Rechts­ norm gestützt wird, welche nicht den Charakter einer Strafvorschrift hat, wie die provinzialrechtlichen Vorschriften über das Töten revierender Hunde. KG. v. 1. Dezb. 10, Recht 15 S. 204. Das an sich zuständige OLG. (nicht das KG.) ist zuständig, wenn eine nach § 365 StGB, strafbare Handlung vorliegt, auch wenn erst durch preuß. Polizeiverordnung die Polizeistunde festgesetzt ist. GA. 53 S. 187. *) Fassung des Ges. v. 24. Febr. 13 (GS. S. 25). 3) Geschäftsanweisung für die Amtsanwälte v. 28. Aug. 79 (JMBl. S. 261) (AB. v. 16. Dez. 06 (JMBl. S. 561) u. v. 9. Mai 11 (JMBl. S. 195)

46

III. Ausführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz §§ 64—71.

§ 64. *) Vorsteher der Gemeindeverwaltung am Sitze des Amts­ gerichts sind verpflichtet, die Geschäfte eines Amtsanwalts zu übernehmen, sofern nicht die örtliche Polizeiverwaltung Königlichen Behörden über­ tragen ist. Wird von der Gemeindebehörde eine andere geeignete Person in Vorschlag gebracht, welche zur Übernahme dieser Geschäfte bereit ist,

so fällt die Verpflichtung des Vorstehers der Gemeindeverwaltung fort. Neben dem Vorsteher der Gemeindeverwaltung ist auf Antrag der Gemeindebehörde eine von dieser vorgeschlagene geeignete Person zum Stellvertreter des Amtsanwalts zu bestellen. Über die Verteilung der Geschäfte entscheidet der Vorsteher der Gemeindeverwaltung. In den Fällen dieses Paragraphen ist vor der Ernennung des Amtsanwalts der Regierungspräsident zu hören. § 65. Die Kosten, welche aus der Führung der Amtsanwalts­ geschäfte erwachsen, fallen in jedem Falle dem Staate zur Last. Die nach § 64 ernannten Amtsanwälle erhalten für ihre persönliche Mühwaltung und zur Deckung der sächlichen Kosten eine als Pauschquantum festzusetzende Entschädigung. § 66. Im Falle der Verhinderung eines Beamten der Staats­ anwaltschaft ist für Geschäfte, welche keinen Aufschub gestatten, nötigentw.v Kp.vj Sfotftexbe ein Vertreter zcc Zur Übernahme einer solchen Vertretung sind die Beamten des

Gerichts, einschließlich der Richter, verpflichtet. § 67. Mit der einstweiligen Wahrnehmung von Geschäften der Staatsanwaltschaft bei den Oberlandesgerichten und den Landgerichten können nur zum Richteramte befähigte Personen beauftragt werden.

10. Titel.

Gerichtsschreiber.

§ 68. Die Dienstverhältnisse der Gerichtsschreiber werden durch Gesetz/) die Geschäftsverhältnisse derselben durch den Justizminister bestimmt.5* )4 6 § 69

(fällt fort).«)

§ 70. Die Gerichtsschreiber bei den Amtsgerichten sind zuständig, Wechselproteste aufzunehmen, sowie Siegelungen, Entsiegelungen und Inventuren vorzunehmen. Sie sollen sich solchen Geschäften nur auf Anordnung des Richters unterziehen.7) § 71. Die Gerichtsschreiber bei den Amtsgerichten sind verpflichtet, *) Fassung des Ges. v. 24. Febr. 13 (GS. S. 25). 4) Siehe Ges. v. 3. März 79 (GS. S. 99). 5) Siehe Gerichtsschreiberordnung v. 17. Dez. 99 (JMBl. S. 849). 6) Siehe Art. 130 des Preuß. Ges. über die freiwillige Gerichtsbarkeit v. 21. Septbr. 99 (GS. S. 249). 7) Abs. 2 ist aufgehoben durch Ges. v. 21. Sept. 99, siehe vor. Anm.

Gerichtsschreiber § 72. Gerichtsvollz. §§ 73—76. Justizverwalt. §§ 77, 78.

47

in gerichtlichen Angelegenheiten, welche von den Deutschen Prozeß­ ordnungen nicht betroffen werden, Gesuche zu Protokoll zu nehmen. Das Protokoll ist erforderlichenfalls der zuständigen Stelle zu über­ senden. § 72 Die im Bezirke des Appellationsgerichtshofes zu Cöln be­ stehenden Bestimmungen, nach welchen den Gerichtsschreibern die Vor­ nahme von öffentlichen Versteigerungen im Auftrage der Parteien zusteht, werden aufgehoben.

11. Titel.

Gerichtsvollzieher.

§ 73. Die Dienst- und Geschäftsverhältniffe der Gerichtsvollzieher werden durch den Justizminister bestimmt.^ § 74. Die Gerichtsvollzieher sind zuständig: 1. Wechselproteste aufzunehmen; 2. freiwillige Versteigerungen von Mobilien, von Früchten auf dem Halm und von Holz auf dem Stamme vorzunehmen; 3. Siegelungen, Entsiegelungen und Inventuren im Auftrage des Gerichts oder des Konkursverwalters vorzunehmen; 4. das tatsächliche Angebot einer Leistung zu beurkunden; 5. öffentliche Verpachtungen an den Meistbietenden im Auftrage des Gerichts vorzunehmen. °) 8 75 (fällt fort), io)

§ 76. Die Vorschriften des § 156 des Deutschen Gerichtsversassungsgesetzes finden in den durch die Deutschen Prozeßordnungen nicht betroffenen Angelegenheiten entsprechende Anwendung.

12. Titei.

Instizverwaltuug.

§ 77. Die Vorstände der Gerichte und der Staatsanwaltschaften sind nach näherer Bestimmung des Justizministers die Organe des­ selben bei den Geschäften der Justizverwaltung. Sie können bei Er­ ledigung dieser Geschäfte die Mitwirkung der ihrer Aufsicht unter­ stellten Beamten in Anspruch nehmen. § 78. Das Recht der Aufsicht steht zu: 1. dem Justizminister hinsichtlich sämtlicher Gerichte und Staats­ anwaltschaften ; 2. dem Präsidenten des Oberlandesgerichts hinsichtlich dieses Ge­ richts, sowie der Gerichte des Bezirks; 8) Siehe die Gerichtsvollzieherordnung v. 31. März 00 (JMBl. S. 345 und die Geschäftsanweisung f. GB. v. 1. Dez. 99 (JMBl. S. 629). 9) Abs. 2 dieses § ist fortgefallen und Nr. 4 u. 5 in Abs. 1 sind einge­ schoben durch Ges. v. 21. Septbr. 99 (GS. S. 249) Art. 130. 10) Infolge Art. 130 des in vor. Anm. angegebenen Ges.

48

III. Ausführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz §§ 79—84.

3. dem Präsidenten des Landgerichts hinsichtlich dieses Gerichts, sowie der Gerichte des Bezirks; 4. dem Oberstaatsanwalt und dem Ersten Staatsanwalt hinsichtlich der Staatsanwaltschaften ihres Bezirks; 5. dem ersten Beamten der Staatsanwaltschaft bei einem Amts­ gerichte hinsichtlich dieser Staatsanwaltschaft. Das Recht der Aufsicht erstreckt sich auf alle bei den bezeichneten Behörden angestellten oder beschäftigten Beamten.

§ 79. Bei den nur mit einem Richter besetzten Amtsgerichten steht dem Amtsrichter die Aufsicht über die bei dem Amtsgerichte an­ gestellten oder beschäftigten Beamten zu. Bei den mit mehreren Richtern besetzten Amtsgerichten ist die Aufsicht über die bei denselben angestellten oder beschäftigten nicht richterlichen Beamten durch den Justizminister einem der Richter zu übertragen. § 80. In dem Recht der Aufsicht liegt die Befugnis, gegenüber nicht richterlichen Beamten die ordnungswidrige Ausführung eines Amtsgeschäfts zu rügen und die Erledigung eines Amisgeschäfts durch Ordnungsstrafen bis zum Gesamtbeträge von einhundert Mark zu erzwingen. Der Festsetzung einer Strafe muß die Androhung der­ selben vorausgehen. Ob und in welchem Umfange gleichartige Befugnisse gegenüber richterlichen Beamten zur Anwendung gelangen, bleibt der Bestimmung des Disziplinargesetzes Vorbehalten. § 81. Die im § 80 bezeichnete Befugnis steht ferner zu: 1. den Staatsanwaltschaften bei den Oberlandesgerichten und bei den Landgerichten hinsichtlich derjenigen Beamten des Polizeiund Sicherheitsdienstes, welche Hilfsbeamte der Staatsanwalt­ schaft sind, mit Ausnahme solcher Beamten, welche ihr Amt als Ehrenamt versehen; 2. den in Gemäßheit des § 73 zu bestimmenden Beamten hin­ sichtlich der Gerichtsvollzieher. § 82. Die Bestimmungen, nach welchen Gerichtsbeamte zum Ersatz von Schäden und Kosten im Aufsichtswege angehalten werden können, werden aufgehoben. Die Vorschriften über die Feststellung und den Ersatz der Kassendefekte bleiben unberührt. § 83. Sofern die Aufsicht über besondere Gerichte bisher nicht der Justizverwaltung oder nicht ausschließlich der Justizverwaltung zustand, bleiben die das Recht der Aufsicht betreffenden Vorschriften unberührt. § 84. Die Gerichte und die Staatsanwaltschaften sind verpflichtet, auf Verlangen der Aufsichtsbehörden über Angelegenheiten der Gesetz­ gebung und der Justizverwaltung Gutachten abzugeben.

Justizverwaltung §§ 85, 86. Rechtshilfe § 87.

Öffentlichkeit §§ 88, 89.

49

§ 85. Beschwerden, welche Angelegenheiten der Justizverwaltung, insbesondere den Geschäftsbetrieb und Verzögerungen betreffen, werden im Aufsichtswege erledigt. § 86 ist aufgehoben durch das Ges. betreffend die Vertretung des Fiskus in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten der Justizverwaltung v. 14. März 86 (GS. S. 65).n) Später hat derselbe folgende Faffung erhalten:11 12)

Sachverständige für gerichtliche Angelegenheiten im allgemeinen zu beeidigen, ist Sache der Justizverwaltung.13)14 Das gleiche gilt für die Ausstellung von Zeugnissen über das in Preußen geltende Recht.

13. Titel.

Rechtshilfe.

8 87 betrifft die nicht streitige Gerichtsbarkeit.

14. Titel.

Öffentlichkeit und Sitzungspoltzei.

8 88 betrifft die nicht streitige Gerichtsbarkeit.

§ 89. *) Richter, Staatsanwälte, auf Lebenszeit angestellte Amts­ anwälte und Gerichtsschreiber tragen in den öffentlichen Sitzungen eine von dem Justizminister zu bestimmende Amtstracht. Dieselbe Vor­ schrift findet Anwendung auf die in den öffentlichen Sitzungen der Oberlandesgerichte und Landgerichte austretenden Rechtsanwälte. H) Die aus Kündigung angestellten Amtsanwälte sind befugt, die für die Amtsanwälle bestimmte Amtstracht zu tragen. Die Titel 15—17 betreffen die nicht streitige Gerichtsbarkeit rc.

11) Auf Grund dieses Ges. ist die Vertretung des Justizfiskus durch die AB. v. 23. März 85 (JMBl. S. 119) u. 22. Dezbr. 86 (JMBl. S. 340) ge­ regelt worden. Siehe dazu auch AB. v. 19. Jan. 98 (JMBl. S. 29), betr. die Vertretung deS Justizfiskus im Berwaltungsstreitverfahren. 12) Durch preuß. Ges. über die freiw. Gerichtsb. v. 21. Septbr. 99 (GS. S. 249) Art. 130 Nr. X. 13) Auf Grund dieser Bestimmung ist nun das Verfahren betr. die all­ gemeine Beeidigung von Sachverständigen durch die AB. v. 5. Febr. 1900 (JMBl. S. 48) geregelt worden. *) Faffung deS Ges?v. 24. Febr. 13 (GS. S. 25). 14) Siehe die AO. v. 4. u. AB. v. 12. Juli 79 (JMBl. S. 172).

Dalcke, Strafr. 13. Ausl.*

4

IV. Einführungsgeseh zur Strafprozeßordnung. Vom 1. Februar 1877. (RGBl. 1877 S. 316.)

§ 1. Die Strafprozeßordnung tritt im ganzen Umfange des Reichs gleichzeitig mit dem Gerichtsverfassungsgesetze in Krafts) § 2 Die erforderlichen Anordnungen, um die Jahreslisten der Schöffen und der Geschworenen bis zum Tage des Inkrafttretens der Strafprozeßordnung nach den Vorschriften des Gerichtsverfaffungsgesetzes herzustellen, insbesondere die Bezeichnung der Behörden, welche hierbei die den Amtsrichtern und den Landgerichten zuge­ wiesenen Geschäfte wahrzunehmen haben, erfolgen durch die Landes­ justizverwaltung. 1 2)3 4Dieselbe 5 kann den Zeitraum, für welchen die in dieser Weise hergestellten Listen Geltung haben sollen, abweichend von dem Gerichtsverfaffungsgesetze, jedoch nicht über das zweite Geschäfts­ jahr,'^) bestimmen. § 3. Die Strafprozeßordnung findet auf alle Strafsachen An­ wendung, welche vor die ordentlichen Gerichte gehören. Insoweit die Gerichtsbarkeit in Strafsachen, für welche besondere Gerichte^) zugelassen sind, durch die Landesgesetzgebung den ordent­ lichen Gerichten übertragen wird, kann diese ein abweichendes Ver­ fahren gestatten. Die Landesgesetze können änordnen, daß Forst- und Feldrüge­ sachen durch die Amtsgerichte in einem besonderen Verfahren, sowie ohne Zuziehung von Schöffen verhandelt und entschieden werden.^) § 4 In Ansehung der Landesherren und der Mitglieder der landesherrlichen Familien sowie der Mitglieder der Fürstlichen Familie 1) Ist mit dem 1. Oktbr. 79 geschehen; in Helgoland am 8. April 1891 nach der Verordnung v. 22. März 1891 (RGBl. S. 22). 2) Siehe AB. v. 22. Juli 79 betr. die Vorbereitung zur Bildung der Schwur- und Schöffengerichte (JMBl. S. 195). 3) Das Geschäftsjahr ist das Kalenderjahr. Berf. v. 28. Juli 79 (JMBl. S. 209). 4) Siehe Anm. 1 zu 8 1 der StPO. 5) Es können für dieses besondere Verfahren in Forst- und Feldrügesachen insbesondere abweichende Bestimmungen über die Beeidigung der Zeugen ge­ troffen werden. Vgl. §§ 23 ff. Forstdiebst.-Ges. v. 15. April 78.

IV. Einführungsgesetz zur Strafprozeßordnung 88 5—8.

51

Hohenzollern finden die Bestimmungen der Strafprozeßordnung nur insoweit Anwendung, als nicht besondere Vorschriften der Hausver­ fassungen oder der Landesgesetze abweichende Bestimmungen enthalten.6) Das gleiche gilt in Ansehung der Mitglieder des vormaligen Hanno­ verschen Königshauses, des vormaligen Kurhessischen und des vor­ maligen Herzoglich Nassauischen Fürstenhauses.7) 8 5. Die prozeßrechtlichen Vorschriften der Reichsgesetze werden durch die Strafprozeßordnung nicht berührt. Wird in den Fällen des § 101 der Seemannsordnung7s) gegen den Bescheid des Seemannsamies auf gerichtliche Entscheidung angetragen, so finden auf das weitere Verfahren die 88 455—458 der Strafprozeß­ ordnung entsprechende Anwendung. 8 6. Die prozeßrechtlichen Vorschriften der Landesgesetze treten für alle Strafsachen, deren Entscheidung in Gemäßheit des § 3 nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung zu erfolgen hat, außer Kraft, insoweit nicht in der Strafprozeßordnung auf sie verwiesen ist.8) Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Bestimmungen: 1. über die Voraussetzungen, unter welchen gegen Mitglieder einer gesetzgebenden Versammlung während der Dauer einer Sitzungsperiode eine Strafverfolgung eingeleitet oder fortgesetzt werden samt;9)10 11 2. über das Verfahren bei Zuwiderhandlungen gegen die Gesetze über das Vereins- und Bersammlungsrecht;^

3. über das Verfahren im Verwaltungswege bei Übertretungen,

wegen deren die Polizeibehörden zum Erlaß einer Strafverfügung befugt sind, und bei Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über die Erhebung öffentlicher Abgaben und Gefälle, insoweit nicht die 88 453, 454, 455 und 459—463 der Strafprozeßordnung abändernde Bestimmungen treffen.n) 8 7. Gesetz im Sinne der Strafprozeßordnung und dieses Ge­ setzes ist jede Rechtsnorm. 8 8. In den am Tage des Inkrafttretens der Strafprozeßord6) Vgl. 8 71 StPO. 7) Satz 2 des 8 4 ist durch Art. II. des Ges. v. 17. Mai 98 (RGBl. S. 252) hinzugetreten. Siehe auch Anm. 1 zu 8 1 EG. z. GBG. 7 a) Jetzt 8 122 Seem.Ordn. v. 2. Juni 02 (RGBl. S. 175). 8) Vgl. z. B. 88 64, 73 Abs. 2, 288, 453, 459 StPO. 9) Vgl. Art. 31 Reichsverf. und für Preußen Art. 84 Berf.Urk. 10) Aufgehoben durch 8 23 des Vereinsgesetzes v. 19. April 08 (unter Nr. XIII). 11) Hiermit sind nur die Vorschriften über das Verfahren im Verwaltungs­ wege aufrecht erhalten; 8 14 des Ges. v. 24. Mai 61 ist beseitigt. Erk. v. 24. April 83, R. 5 S. 277. Dgl. jedoch Johow, Jahrb. 3 S. 275. Vgl. auch Ges. V. 26. Juli 97 (GS. S. 237), betr. das Verfahren in Zoll- und Steuersachen 4*

52

IV. EinführungSgesetz zur Strafprozeßordnung §§ 9—12.

nung anhängigen Strafsachen sind für das weitere Verfahren die Vorschriften der Strafprozeßordnung maßgebend. Die Landesgesetz­ gebung kann die zur Überleitung des Verfahrens erforderlichen Be­ stimmungen treffen. War jedoch vor dem Tage des Inkrafttretens der Strafprozeß­ ordnung ein Endurteil erster Instanz ergangen, so finden auf die Erledigung der Sache bis zur rechtskräftigen Entscheidung die bis­ herigen Prozeßgesetze Anwendung. § 9. Wird ein vor dem Tage des Inkrafttretens der Straf­

prozeßordnung ergangenes Endurteil erster Instanz in der höheren Instanz aufgehoben und die Sache zur nochmaligen Verhandlung in die erste Instanz zurückgewiesen, so regelt sich das weitere Verfahren

nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung.") § 10. Für die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Ur­ teil geschlossenen Verfahrens sind die Vorschriften der ©tTttfpT0^e65 ordnung") auch dann maßgebend, wenn das Urteil vor dem Tage des Inkrafttretens der Strafprozeßordnung erlassen oder rechtskräftig geworden war. § 11. Die Verfolgung von Beleidigungen und Körperverletzungen findet nur nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung statt. Insoweit diese Verfolgung nach der Gesetzgebung eines Bundes­ staates im Wege des Zivilprozesses stattfand, richtet sich die Erledigung eines anhängigen Verfahrens nach den Vorschriften des Einsührungsgesetzes zur Zivilprozeßordnung^^) § 12. Auf die Strafvollstreckung finden die Vorschriften der Strafprozeßordnung") Anwendung, auch wenn die Strafe nach den bisherigen Vorschriften über das Strafverfahren erkannt ist. 12) Siehe für Preußen das Ges. v. 31. März 79 betr. die Übergangsbe­ stimmungen zur ZPO. u. zur StPO. (GS. S. 332). 13) §§ 399-413 StPO. 14) § 18 EG. z. ZPO. 15) §§ 481—495 StPO. Dazu siehe die AB. v. 14. August 79 betr. die Strafvollstreckungen, Strafaussetzungen, Begnadigungen rc. (JMBl. S. 237) u. Anm. zu § 483 der StPO.

V. Strafprozeßordnung. Bom 1. Februar 1877. (RGBl. 1877 3. 253.)

1. Luch.

§ 1.

1.

Abschnitt.

Die

sachliche

Allgemeine Lestimmrrngeri.

Sachliche Zuständigkeit der Gerichte.

Zuständigkeit

der Gerichte

durch

wird

das

Gesetz über die Gerichtsverfassung bestimmt. § 2.

Zusammenhängende

Strafsachen,

welche einzeln

zur Zu­

ständigkeit von Gerichten verschiedener Ordnung gehören würden, können

verbunden bei demjenigen Gericht anhängig gemacht werden, welchem die höhere Zuständigkeit beiwohnt. Aus Gründen Gerichts

die

der

Trennung

Zweckmäßigkeit der

kann

verbundenen

durch

Beschluß

Strafsachen

dieses

angeordnet

werden.!) § 3.

Ein

Zusammenhang

ist

vorhanden,

wenn

eine

Person

mehrerer strafbarer Handlungen beschuldigt wird, oder wenn bei einer strafbaren Handlung mehrere Personen als Täter,

Teilnehmer, Be­

günstiger oder Hehler beschuldigt werden.^)

1) S owohl für die Berbindung von Strafsachen, als für die Trennung der verbundenen Strafsachen ist lediglich die Zweckmäßigkeit maßgebend. Bei einem Kollektivdelikt ist eine getrennte Verhandlung der einzelnen Fälle nicht statthaft. Erk. v. 21. Ottbr. 98, E. 31 S. 286. Über die Trennung ver­ bundener, an sich vor verschiedene Gerichte gleicher Ordnung gehöriger Sachen, wenn die Verbindung vor Erhebung der Anklage erfolgt ist, siehe Erk. v. 6. Juni 98, E. 31 S. 171. Auch in der Hauptverhandlung kann die Trennung wie die Verbindung beschloffen werden. Erk. v. 2. Febr. 88, GA. 36 S. 168. 2) E ine Bereinigung von Straffällen in anderm, als in den im 8 3 be­ zeichneten Fällen, ist unzulässig. Die im § 236 gestattete gleichzeitige Verhand­ lung mehrerer Straffälle ist lediglich eine formale und hat auf die Zuständigkeit deS Gerichts keinen Einfluß. Der durch die Mtwirkung mehrerer Täter begrün­ dete Zusammenhang erfordert Einheit der Straftat, die nicht ersetzt wird durch die Gleicharttgkeit der strafbaren Handlungen. Erk. v. 4. Novbr. 07, GA. 55 S. 109 u. Erk. v. 2. Jan. 09, E. 42 S. 133.

54

V. Strafprozeßordnung §§ 4—7.

8 4

Eine Verbindung zusammenhängender oder eine Trennung

verbundener Strafsachen kann auch nach Eröffnung der Untersuchung

auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Angeschuldigten oder von Amts wegen durch gerichtlichen Beschluß angeordnet werden. ') Zuständig für den Beschluß ist dasjenige Gericht, zu dessen Bezirk

die übrigen Gerichte gehören.

In Ermangelung eines hiernach zu­

ständigen Gerichts erfolgt die Beschlußfassung durch das gemeinschaft­

liche obere Gericht. § 5

Für die Dauer der Verbindung ist der Straffall, welcher

zur Zuständigkeit des Gerichts höherer Ordnung gehört, für das Ver­

fahren maßgebend. § 6

Das Gericht hat seine sachliche Zuständigkeit in jeder Lage

des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen.3 4)5 2. Abschnitt. § 7.

Gerichtsstand.

Der Gerichtsstand ist bei demjenigen Gerichte begründet,

in dessen Bezirk die strafbare Handlung begangen ist.6)0)

Wird der Tatbestand der strafbaren Handlung durch den Inhalt 3) Daß die zu verbindenden Strafsachen sich in der gleichen Prozeßlage be­ finden, ist kein Erfordernis für die Verbindung. Erk. v. 30. Dezbr. 89, E. 20 S. 161. Der Verbindung steht nicht entgegen, daß einem Angekl. durch die Ver­ bindung Beweismittel (Zeugen) verloren gehen. Erk. v. 7. Mai 97, GA. 45 S. 262. 4) Insbes. auch noch in der Hauptverh. Erk. v. 9. Juli 88, E. 18 S. 51. 5) Gehören zum Tatbestände mehrere Handlungen, welche in verschiedenen Gerichtsbez. begangen sind, so ist jedes der Gerichte örtlich zuständig. Erk. v. 25. Jan. 87, E. 15 S 232. Bei Beihilfe ist das Gericht deS Orts der Haupttat als auch das des Orts der Hilfeleistung zuständig. Ist die Beihilfe zu einer im Jnlande begangenen Straftat im Auslande begangen, so ist sie doch als auch im Jnlande begangen zu erachten. Erk. v. 22. Okt. 05, JurW. 05 S. 757. Bei dem obj. Verfahren (§ 477) der StPO, richtet die Zuständigkeit des Gerichts sich nach dem Orte, an welchem die obj. strafbare Handl, begangen ist. Erk. v. 28. Jan. 87, E. 15 S. 235. Ist die strafbare Handl, im Auslande begangen, so hat auch bei dem obj. Strafverfahren das Reichsger. das zuständige Gericht zu bestimmen. Beschl. v. 28. April 87, R. 9 S. 290. Eine strafbare Handlung ist im Jnlande begangen, wenn die Tätigkeit auch nur zum Teil hier erfolgt und der Erfolg im Auslande zur Erscheinung gekommen ist. Erk. v. 19. Mai 84, E. 10 S. 420. 6) Nach § 4 Mil.StGO. kann der zuständige Gerichtsherr ein Militärver­ gehen zur Aburteilung des Falls dem bürg. Gerichte übergeben. Insoweit die Entscheidung des Gerichtsherrn auf dem Gebiete der Tatsachenwürdigung liegt, ist sie der Nachprüfung durch die bürg. Gerichte entzogen. Erk. v. 4. Febr. 10, E. 43 S. 294. Unzuständigkeit des Gerichtsherrn hindert die Entstehung der bürg. Gerichtsbarkeit. Erk. v. 27. Okt. 02, E. 35 S. 418. Die Übergabeverfügung

wird aber nicht dadurch unwirksam, daß sich der Tatverdacht nur noch gegen die Zivilpersonen richtet. Erk. v. 2. Mai 10, E. 43 S. 370. — Über die Grenzen der Militärgerichtsbarkeit siehe Huber, Recht 16 S. 50 u. Becker, DIZ. 17 S. 214.

Gerichtsstand §§ 8, 9.

55

einer im Inland erschienenen Druckschrift begründet, 6 * ‘*)* *so* ist als das nach Abs. 1. zuständige Gericht nur dasjenige Gericht anzusehen, in dessen Bezirk die Druckschrift erschienen ist. Jedoch ist in den Fällen der Beleidigung, sofern die Verfolgung im Wege der Privatklage stattfindet, auch das Gericht,6b) in dessen Bezirk die Druckschrift verbreitet worden ist, zuständig/«) wenn in diesem Bezirk die beleidigte Person ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat. § 8. Der Gerichtsstand ist auch bei demjenigen Gerichte begründet, in dessen Bezirk der Angeschuldigte zur Zeit der Erhebung der Klage7)8 9 feinen Wohnsitz hat. Hat der Angeschuldigte einen Wohnsitz im Deutschen Reich nicht, so wird der Gerichtsstand auch durch den gewöhnlichen Aufenthaltsort o) und, wenn ein solcher nicht bekannt ist, durch den letzten Wohnsitz bestimmt § 9. Wenn die strafbare Handlung im 10)11begangen und ein Gerichtsstand in Gemäßheit des § 8 nicht begründet ist, so ist dasjenige Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Ergreifung") er­ folgt. Hat eine Ergreifung nicht stattgefunden, so wird das zuständige Gericht vom Reichsgerichte bestimmt. Gleiches gilt, wenn eine strafbare Handlung im Jnlande begangen 6 a) Dieser Gerichtsstand ist auch dann gegeben, wenn zum Tatbestände die Ankündigung und Anpreisung dem Publikum gegenüber gehört. Erk. v. 29. Okbr. 07, E. 40 S. 354. Die Bestimmung des Abs. 2 bezieht sich nicht auf die Preßpolizeidelikte. Birkmeyer, DIZ. 6 S. 183, auch nicht auf Nachdrucksachen, denn der Inhalt des Nachdrucks ist an sich straffrei. DIZ. 8 S. 550. 6 b) Der Gerichtsstand ist nur unter der Voraussetzung begründet, daß die Handlung auch an dem Orte des Erscheinens der Druckschrift mit Strafe bedroht ist. Erk. v. 25. Mai 03, E. 36 S. 257, JMBl. S. 146. Erk. v. 28. Mai 03, E. 36 S. 270. Begangen aber ist die Straftat nicht nur da, wo die Druckschttft der Post übergeben, sondern auch da, wo sie durch Vermittelung der Post in die Hände des.Adressaten gelangt. Erk. v. 8. Dezbr. 03, E. 37 S. 19. 6 c) Übernimmt die StA. die Verfolgung, so ist nur das Gericht des Er­ scheinungsorts zuständig. 7) Der Wohnsitz z. Z. der Tat ist unerheblich. — Der Zeitpunkt der Er­ hebung der Klage ist verschieden: §§ 168 Abs. 1, 196 Abs. 2, 421, 447, 448. 8) Nur der freiwillige Wohnsitz, besten Begriff sich übrigens nach dem be­ treffenden Zivilrecht bestimmt, ist maßgebend. Eine Straf- oder Untersuchungs­ haft begründet keinen Gerichtsstand. 9) Über den Begttff des gewöhnlichen Aufenthaltsorts vgl. § 10 des Ges.

über den Unlerstützungswohnsitz v. 30. Mai 08 (RGBl. S. 381). 10) Ausland ist jedes nicht zum D. Reiche gehörige Gebiet, § 8 StGB. 11) Ergreifung ist die erste durch einen dazu berufenen Beamten (im Falle des 8 127 Abs. 1 auch die durch eine andere Person) zum Zweck der Strafver­ folgung bewirkte Festnahme einer Person. Eine gerichtliche Verhaftung ist nicht erforderlich. — Der durch die Ergreifung begründete Gerichtsstand wird durch die Flucht oder die gegen Sicherheitsleistung erfolgte Entlassung des Ergriffenen nicht wieder aufgehoben. Es ist nicht notwendig, daß die Ergreifung gerade aus Anlaß der letzten Tat erfolgte. Erk. v. 2. Jan. 82, R. 4 S. 7.

56

V. Strafprozeßordnung §§ 10—13.

ist, jedoch weder der Gerichtsstand der begangenen Tat noch der Ge­

richtsstand des Wohnsitzes ermittelt ist.

§ 10.

Ist die strafbare Handlung auf einem deutschen Schiffe

im Ausland oder in offener See begangen, so ist dasjenige Gericht

zuständig, in dessen Bezirk der Heimaishafen12)13oder derjenige deutsche Hafen liegt, welchen das Schiff nach der Tat zuerst erreicht.

§ 11.

Deutsche, welche das Recht der Exterritorialität genießen,

sowie die im Ausland angestellten Beamten des Reichs oder eines Bundesstaates behalten in Ansehung des Gerichtsstandes den Wohnsitz,

welchen sie in dem Heimatsstaate halten.

In Ermangelung eines

solchen Wohnsitzes gilt die Hauptstadt des Heimatsstaates als

ihr

Wohnsitz; ist die Hauptstadt in mehrere Gerichtsbezirke geteilt, so wird der als Wohnsitz gellende Bezirk von der Landesjustizverwallung durch allgemeine Anordnung bestimml.

Gehört ein Deutscher einem

Bundesstaate nicht an, so gilt als sein Wohnsitz die Stadt Berlin; ist

die Stadt Berlin in mehrere Gerichtsbezirke geteilt, so wird der als Wohnsitz geltende Bezirk von dem Reichskanzler durch allgemeine An­

ordnung bestimmt. Auf Wahlkonsuln finden diese Bestimmungen keine Anwendung. § 12

Unter mehreren nach den Vorschriften der §§ 7—11 zu­

ständigen Gerichten gebührt demjenigen der Vorzug, welches die Unter­

suchung zuerst eröffnet hat.

Jedoch kann die Untersuchung und Entscheidung einem anderen der zuständigen Gerichte durch

das

gemeinschaftliche obere Gericht

übertragen werden^2) § 13.

Für zusammenhängende Straffachen, welche einzeln nach

den Vorschriften der §§ 7—11 zur Zuständigkeit verschiedener Gerichte

gehören würden, ist ein Gerichtsstand bei jedem Gerichte begründet, welches für eine derselben zuständig ist. Sind mehrere zusammenhängende Straffachen bei verschiedenen

Gerichten anhängig gemacht worden, so können dieselben sämtlich oder zum Teil durch eine den Anträgen der Staatsanwaltschaft entsprechende

Vereinbarung dieser Gerichte bei einem unter ihnen verbunden werden. Kommt eine solche Vereinbarung nicht zustande, so entscheidet, wenn

die Staatsanwaltschaft oder ein Angeschuldigter hieraus anträgt, das 12) Heimatshafen ist derjenige Hafen, von welchem aus mit dem Schiffe die Seefahtt betrieben wird. HGB. § 480. Vgl. § 6 Ges. betr. d. Flaggenrecht v. 22. Juni 99. 13) Über die Entscheidung von ZuftändigkeitSstreitigkeiten zwischen Richtern desselben Gerichts durch die Landesjustizaufsicht oder das obere Gericht siehe GA. 32 S. 59. Vgl. auch GA. 45 S. 371.

gemeinschaftliche obere Gericht darüber, ob und bei welchem der Ge­ richte die Verbindung einzutreten habe. In gleicher Weise kann die Verbindung wieder aufgehoben werden.u) § 14. Besteht zwischen mehreren Gerichten Streit über die Zuständig­ keit, so bestimmt das gemeinschaftliche obere Gericht dasjenige Gericht, welches sich der Untersuchung und Entscheidung zu unterziehen hat. § 15. Ist das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Falle an der Ausübung des Richteramts rechtlich oder tatsächlich verhindert, oder ist von der Verhandlung vor diesem Gerichte eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu besorgen, so hat das zunächst obere Ge­ richt die Untersuchung und Entscheidung dem gleichstehenden Gericht eines anderen Bezirks zu übertragen.^*) § 16. Der Angeschuldigte muß den Einwand der Unzuständigkeit bei Verlust desselben bis zum Schluffe der Voruntersuchung, falls aber eine solche nicht stattgefunden hat, in der Hauptverhandlung bis zur Verlesung des Beschlusses über die Eröffnung des Hauptverfahrens geltend machen.u) § 17. Durch eine Entscheidung, welche die Zuständigkeit für die Voruntersuchung feftftettt,16 14) 15wird die Zuständigkeit auch für das Hauptverfahren festgestellt. 14) Die Entscheidung des oberen Gerichts kann nur auf Antrag der StA. oder eines Angeschuldigten, nicht von Amts wegen erfolgen und kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden. — Wenn der Grund, der nach § 13 die Anhängigkeit mehrerer Strafsachen bei einem bestimmten Gerichte ermöglicht hat, wegfällt, so hört damit die Zuständigkeit dieses Gerichts nicht von selbst aus. Erk. v. 5. Juni 94, E. 25 S. 406 u. Anm. 2 zu 8 2. 14 a) Ist gemäß § 12 Abs. 2 die Verhandl. einer Sache einem von mehreren zuständigen Gerichten übertragen, dieses aber (wegen Ablehnung der Richter) an der Erledigung verhindert, so hat das zunächst obere Gericht zu beschließen. Erk. v. 15. Juni 11, E. 45 S. 67. 15) Das Gericht kann seine Unzuständigkeit von Amts wegen auch dann noch aussprechen, wenn dem A. nicht mehr gestattet ist, den Einwand zu er­ heben. Erk. v. 22. Septbr. 85, R. 7 S. 520. Durch eine bei Zustellung der Ladung zur Hauptverh. abgegebene Erklärung wird das Recht zur Erhebung des Einwandes nicht gewahrt. Erk. v. 1. Juni 88, E. 17 S. 412. Die Befugnis zur Erhebung des Einwandes kann dadurch nicht Wiederaufleben, daß die Sache zur anderweiten Entscheidung an das erste Gericht zurückverwiesen wird. Erk. v. 3. Juni 10, E. 43 S. 358. Die Frist gilt auch für den Fall, daß dieselbe Tat demnächst unter einem vom Eröffnungsbeschluß abweichenden rechtlichen Gesichts­ punkt beurteilt ist, der die örtliche Zuständigkeit nicht begründet hätte. Erk. v. 27. Febr. 11, GA. 59 S. 138. 16) Darunter ist nicht die Bers, zu verstehen , durch welche der Unter­ suchungsrichter die Voruntersuchung eröffnet. Siehe die in der vor. Anm. 15 zit. Entschd. R. 7 S. 520.

V. Strafprozeßordnung §§ 18—22.

58 § 18.

Nach Eröffnung

des Hauptverfahrens darf das Gericht

seine Unzuständigkeit nur auf Einwand des Angeklagten aussprechen.17) § 19.

Haben mehrere Gerichte, von denen eines das zuständige

ist, durch Entscheidungen, welche nicht mehr anfechtbar sind, ihre Un­ zuständigkeit ausgesprochen, so bezeichnet das gemeinschaftliche obere

Gericht das zuständige Gericht. § 20

Die einzelnen Untersuchungshandlungen eines unzustän­

digen Gerichts sind nicht schon dieser Unzuständigkeit wegen ungültig. § 21. seines

Ein unzuständiges Gericht hat sich denjenigen innerhalb

Bezirks vorzunehmenden Untersuchungshandlungen

zu

unter­

ziehen, in Ansehung deren Gefahr im Verzug obwaltet. 3. Abschnitt. § 22.

Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen.

Ein Richter ist von der Ausübung des Richleramts kraft

Gesetzes ausgeschlossen:

1.

wenn er selbst durch die strafbare Handlung verletzt tft;18)19

2.

wenn er Ehemann oder Vormund,9) der beschuldigten oder der

verletzten Person ist oder gewesen ist; 3.

wenn er mit dem Beschuldigten oder mit dem Verletzten in

gerader Linie verwandt, verschwägert oder durch Adoption verbunden, in der Seitenlinie bis zum dritten Grade verwandt oder bis zum

zweiten Grade verschwägert ist, auch wenn die Ehe, durch welche die

Schwägerschast begründet ist, nicht mehr besteht^9") 17) Der § 18 findet auch auf das Verfahren gegen abwesende Wehrpflich­ tige Anwendung. Erk. v. 19. Mai 81, E. 4 S. 232, u. ebenso in dem objekt. Strafverfahren. Erk- v. 3. Oktbr. 89, E. 19 S. 427. Wenn mehrere Ange­ klagte vorhanden find, so genügt es, daß einer die Zuständigkeit bestreitet. Erk. v. 17. Juni 92, E. 23 S. 155. Sämtliche Richter eines Bundesstaates, gegen welche in ihrer Gesamtheit eine Beleidigung gerichtet ist, find nicht als verletzt anzusehen, wenn nicht eine persönliche Beteiligung einzelner Richter dar­ getan ist und eine Ablehnung deshalb nicht statthaft. Beschl. v. 15. März 94, E. 25 S. 179. 18) Verletzt ist stets nur derjenige, welcher durch die Straftat unmittelbar betroffen ist. Erk. v. 16. April 80, R. 1 S. 607. Der Richter, welcher einen Strafantrag auf Grund des § 196 des StGB, stellt, wird dadurch nicht un­ fähig zur Ausübung des Richteramts. Erk. v. 25. Febr. 82, R. 4 S. 207. Ebenso Erk. v. 7. Mai 83, R. 5 S. 333. In einem Verfahren wegen Bankrotts kann ein Gläubiger, auch wenn er schon befriedigt ist, nicht Geschworener sein. Erk. v. 13. Jan. 91, E. 21 S. 291, auch wenn er nicht weiß, daß er Konkurs­ gläubiger ist. Erk. v. 8. Juni 1900, E. 33 S. 309. Nicht vom Geschworenen­ amt ist ausgeschlossen der persönlich haftende Gesellschafter einer Kommandit­ gesellschaft auf Aktien, wohl aber der Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft, wenn ein Betrug gegen die betr. Gesellschafter begangen ist. Erk. v. 3. März 05, E. 37 S. 414. 19) Auch der Gegenvormund gehört hierher. Erk. v. 7. Ottbr.84, @.116.223. 19 a) Art. 33 des EG. z. BGB. bestimmt, daß, soweit im GBG. und in

Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen § 23.

4.

59

wenn er in der Sache20 * *) * als * Beamter der Staatsanwaltschaft,

als Polizeibeamter,2’) als Anwalt2'°) des Verletzten oder als Ver­

teidiger tätig gewesen ist; 5.

wenn er in der Sache als Zeuge oder Sachverständiger ver­

nommen ist.22)23 24

§ 23

Ein Richter, welcher bei einer durch ein Rechtsmittel an­

gefochtenen Entscheidung2^ mitgewirkt hat, ist von der Mitwirkung bei der Entscheidung in höherer Instanz kraft Gesetzes ausgeschlossen. Der Untersuchungsrichter2^) darf in denjenigen Sachen, in welchen

der StPO, an die Verwandtschaft oder Schwägerschaft rechtliche Folgen geknüpft sind, die Vorschriften des BGB. über Verwandtschaft oder Schwägerschaft An­ wendung finden. — Verhältnis des einen Ehegatten zum Adoptivkinde des anderen ist keine Schwägerschaft. Erk. v. 4. Mai 97, E. 30 S. 75. 20) d. h. das Strafverfahren wegen der Handlung, welche Gegenstand der Hauptverhandlung ist. Erk. v. 24. Febr. 88, E. 17 S. 173. Siehe auch R. 10 S. 353 u. Erk. v. 6. Dezbr. 95, E. 28 S. 53. Die Vorschrift bezieht sich auch auf das Eröffnungsverfahren. Erk. v. 5. Dezbr. 07, Recht 12 Nr. 216. GA. 55 S. 221. 21) Über die Voraussetzungen, unter welchen anzunehmen, daß jemand in einer Sache als Polizeibeamter tätig gewesen ist, stehe Erk. v. 30. April 88, E. 17 S. 415, sowie Erk. v. 7. Jan. 02, GA. 49 S. 118. Die den Polizeibeamten zur Pflicht gemachte Erstattung der Anzeige an die StA. oder das Amtsgericht genügt nicht, um den Begriff des Tätigseins zu erfüllen. 21a) Unter Anwalt ist nur ein Rechtsanwalt zu verstehen, der in der an­ hängigen Strafsache tätig gewesen ist. GA. 47 S. 377. 22) Der Richter muß wirklich als Zeuge vernommen sein. Ein Richter, der nur eine amtliche Erklärung bezüglich der Straftat abgegeben hat, ist vom Richteramt nicht ausgeschlossen. Erk. v. 1. Mai 85, R. 7 S. 269. Der als Zeuge geladene Vorsitzende ist vom Richteramt nicht ausgeschlossen, wenn auf seine Vernehmung allseitig verzichtet wird. Erk. v. 4. Febr. 07, GA. 54 S. 292. Die bloße Tatsache der Vorladung bewirkt die Ausschließung noch nicht. Erk. v. 9. Oktbr. 08, E. 42 S. 1. Ein Geschworener, dessen Vernehmung nur bean­ tragt, aber nicht erfolgt war, ist nicht ausgeschlossen. Erk. v. 24. Febr. 88, R. 10 S. 196. Siehe auch Erk. v. 4. Mai 97, E. 30 S. 70. 23) Entscheidung bedeutet hier jede richterliche Anordnung, mag dieselbe in Form eines Endurteils, eines Beschl. oder einer Verfügung ergehen. Der Um­ stand, daß ein Richter im Wiederaufnahmeverfahren als beauftragter Richter tätig war, steht seiner Mitwirkung bei dem Urteil nicht entgegen. Erk. v. 20. April 09, Recht 13 Nr. 1746. 24) Untersuchungsrichter ist auch der Amtsrichter, welchem die Führung der Voruntersuchung nach § 183 Satz 1 übertragen ist. Derselbe ist vom Vor­ sitz im Schöffengericht ausgeschlossen, wenn die betr. Sache später vor das letztere zur Aburteilung gelangt. Wer bloß aushilfsweise einzelne Untersuchungshand ­ lungen vorgenommen hat, ist noch nicht Untersuchungsrichter, Erk. v. 10. Juni 80, R. 2 S. 52 u. Erk. v. 20. Oktbr. 80, R. 2 S. 360, E. 9 S. 285, Erk. v. 29. geb. 04, GA. 51 S. 193, mögen die von ihm vorgenommenen Untersuchungshandlungen auch die gesamte Beweisaufnahme erschöpft haben. Erk. v. 16. Mai 85, R.7 S. 302. Ebensowenig ist der Richter unfähig, an der Aburteilung teilzunehmen, welcher die

60

V. Strafprozeßordnung 88 24, 25.

er die Voruntersuchung geführt hat, nicht Mitglied des erkennenden

Gerichts sein, auch nicht bei einer außerhalb der Hauptverhandlung erfolgenden Entscheidung der Strafiammer mttroiTten.24 * * a25 *) * 26 * * 27 * * *28* * An dem Hauptverfahren vor der Strafkammerdürfen mehr als zwei von denjenigen Richtern, welche bei der Entscheidung über

die Eröffnung des Hauptverfahrens mitgewirkt haben, und nament­ lich der Richter, welcher Bericht über den Antrag der Staatsanwalt­

schaft erstattet hatte, nicht teilnehmen. **) § 24

Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von

der Ausübung des Richteramls kraft Gesetzes ausgeschloffen ist, als

auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.2^ Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, welcher geeignet ist, Mißtrauen gegen die

Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Das Ablehnungsrecht steht der Staatsanwaltschaft, dem Privatkläger und dem Beschuldigten zu.

Den zur Ablehnung Berechtigten

sind auf Verlangen die zur Mitwirkung bei der Entscheidung

be­

rufenen Gerichtspersonen namhaft zu machen.2^ § 25.

Die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Be­

fangenheit ist in der Hauptverhandlung erster Instanz nur bis zur Eröffnung der Voruntersuchung und die Verhaftung beschlossen hat. Erk. v. 17. Oktbr. 84, R. 6 S. 633 u. Erk. v. 11. Juni 85, R. 7 S. 370. Die Mitwirkung des Untersuchungsrichters bei dem Eröffnungsbeschluß begründet die Revision nur, wenn daS Urteil auf dieser Verletzung beruht. Erk. v. 24. Juni 80, E. 2 S. 120. Bezüglich des beauftragten Richters siehe Erk. v. 8. Jan. 98, E. 30 S. 400. Der Richter ist als Untersuchungsrichter auch dann ausgeschlossen, wenn er die Beweiserhebung durch andere Behörden oder Beamte veranlaßt hat, Erk. v. 3. Febr. 91, GA. 39 S. 63, dagegen ist der Richter nicht ausgeschlossen, welcher nur den Schluß der Voruntersuchung verfügt hat. Erk. v. 15. Jan. 91, E. 21 S. 285. Vgl. auch Erk. v. 8. Mai 96, E. 28 S. 358. 24 a) auch an der Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch. KG. v. 25. Apr. 11, GA. 59 S. 169. 25) Handelt es sich um Beschlußfassung über mehrere verbundene Sachen, so kommen die Bestimmungen dieses 8 bezüglich jedes einzelnen Falles zur An­ wendung. Erk. v. 16. Febr. 83, R. 5 S. 122 u. E. 8 S. 82. 26) Der nach Eröffnung des Hauptverfahrens ernannte Berichterstatter kann teilnehmen, auch sich Kenntnis vom Akteninhalt verschaffen. Erk. v. 3. Mai 07, E. 40 S. 155. Die Vorschrift des 8 23 Abs. 3 bezieht sich nicht auf das Verfahren vor den Schwurgettchten. Erk. v. 11. Juni 83, R. 5 S. 423 u. R.6 S. 64. Siehe auch Erk. v. 1. Mai 94, E. 25 S. 345. 27) Ein Gericht im ganzen kann nicht abgelehnt werden. Beschl. v. 24. Apttl 95, E. 27 S. 175. Ein Ablehnungsgesuch kann abgelehnt werden, weil es lediglich auf Ver­ schleppung der Sache abzielt. Erk. v. 11. März 98, GA. 46 S. 201. 28) DaS Verfahren und die Entscheidung über die Ablehnung eines Richters bildet keinen Teil des Hauptverfahrens. Erk. v. 22. Jan. 86, E. 13 S. 302.

Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen §§ 26, 27.

61

Verlesung des Beschlusses2e) über die Eröffnung des Hauptverfahrens, in der Hauptverhandlung über die Berufung und die Revision nur bis zum Beginne der Berichterstattung zulässig. § 26 Das Ablehnungsgesuch ist bei dem Gerichte, welchem der Richter angehört, anzubringen; es kann vor dem Gerichtsschreiber zu Protokoll erklärt werden. Der Ablehnungsgrund ist glaubhaft zu machen; der Eid ist als Mittel der Glaubhaftmachung ausgeschlossen. *>) Zur Glaubhaft­ machung kann auf das Zeugnis des abgelehnten Richters Bezug ge­ nommen werden. Der abgelehnte Richter hat sich über den Ablehnungsgrund dienst­ lich zu äußern. § 27. Über das Ablehnungsgesuch entscheidet das Gericht, welchem der Abgelehnte angehört;81) wenn dasselbe durch Ausscheiden des ab­ gelehnten Mitglieds beschlußunfähig wird, das zunächst obere Gericht. Ein Richter, welcher sich selbst für befangen hält, darf die Ausübung des Richter­ amts nicht ablehnen. GA. 37 S. 223. ' Tritt eine Vertagung der Hauptverhandlung ein, bevor über ein Ableh­ nungsgesuch entschieden ist, so bedarf eS in der späteren Verhandlung einer Er­ neuerung deS Gesuches nicht. Erk. v. 5. April. 92, GA. 40 S. 43. 29) auch wenn die Verlesung abschnittsweise erfolgt. Erk. v. 30. Jan. 11, E. 44 S. 312. Nach der Verlesung ist die Ablehnung auch dann unzulässig, wenn der Ablehnungsgrund erst nach diesem Zeitpunkt eingetreten ist. Erk. v. 14. Mai 86, R. 8 S. 356, oder der A. erst nachher von dem ihm zustehenden Ablehnungsgrunde Kenntnis erlangt hat. Erk. v. 6. April 03, Recht 7 S. 242. Für die Frage, ob ein Ablehnungsgesuch mit Unrecht verworfen ist, kommen für den Revistonsrichter nur die zur Zeit der Verwerfung angebrachten Gründe in Betracht. Erk. v. 6. Juni 82, R. 4 S. 527. 30) Als Mittel der Glaubhaftmachung dienen also nur die Notorietät und Bescheinigungen durch Urkunden und Zeugen, aber auch eine eidesstattliche Ver­ sicherung. Erk. v. 29. Oktbr. 1895, E. 28 S. 8, welches letztere sich zugleich über den Begriff der Glaubhaftmachung auSspricht. 31) Bei der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch darf der abgelehnte Richter nicht mitwirken. Über ein in der Hauptverh. vor der mit 5 Richtern besetzten Strafkammer

angebrachtes Ablehnungsgesuch kann nach dem Ausscheiden der abgelehnten Richter in der Besetzung von drei Richtern entschieden werden. Erk. v. 19. Dezbr. 90, E. 21 S. 250. Über das Ablehnungsgesuch gegen ein Mtglied einer deta­

chierten Strafkammer entscheidet die Strafkammer des LG. Siehe Anm. 28 zu § 78 GBG. Der Richter, welcher bet der Beschlußfaffung über Eröffnung des Hauptverfahrens als Berichterstatter fungiert hat, kann an der Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch teilnehmen. Erk. 8. Jan. 98, GA. 46 S. 113. Über Ablehnungsgesuche, welche außerhalb der Hauptverh. eingehen, entscheidet die Strafkammer ohne mündliche Verhandlung in der Besetzung von drei Richtern. Erk. v. 28- Septbr. 91, E. 22 S. 135. Siehe auch Anm. 26 zu § 77 des GBG. Über Ablehnungen von Mitgliedern des Schwurgerichts entscheidet außerhalb der

Berh. die Strafkammer.

Erk. v. 20. Juni 89, E. 19 S. 332.

Strafprozeßordnung §§ 28—32.

62

Wird ein Untersuchungsrichter oder ein Amtsrichter abgelehnt, so

entscheidet das Landgericht.

Einer Entscheidung bedarf es nicht, wenn

der Abgelehnte das Ablehnungsgesuch für begründet hält. **) §

28.

Gegen den Beschluß, durch welchen das Ablehnungsgesuch

für begründet erklärt wird, findet kein Rechtsmittel, gegen den Be­ schluß, durch welchen das Gesuch für unbegründet erklärt wird, findet

sofortige Beschwerde statt. Der Beschluß, durch welchen ein gegen einen erkennenden Richter angebrachtes Ablehnungsgesuch für unbegründet erklärt wird, kann nicht

für sich allein, sondern nur mit dem Urteil angefochten werden. ®3) §

29.

Ein abgelehnter Richter hat vor Erledigung33 •) des Ab­

lehnungsgesuchs nur solche Handlungen vorzunehmen, welche keinen

Aufschub gestalten. §

30.

Das für die Erledigung eines Ablehnungsgesuchs zu­

ständige Gericht hat auch dann zu entscheiden, wenn ein solches Gesuch nicht angebracht ist, ein Richter aber von einem Verhältnisse Anzeige

macht, welches seine Ablehnung rechtfertigen könnte, oder wenn aus

anderer Veranlassung Zweifel darüber entstehen, ob ein Richter kraft Gesetzes ausgeschlossen sei.

§

31

Die Bestimmungen dieses Abschnitts finden auf Schöffen

und Gerichtsschreiber entsprechende Anwendung. **) Die Entscheidung über eine Ausschließung oder Ablehnung von Schöffen erfolgt durch den Amtsrichter. Über die Ausschließung oder

Ablehnung eines Gerichtsschreibers entscheidet das Gericht3®) oder der Richter, welchem derselbe beigegeben ist.

§

32.

Die Bestimmungen des § 22 finden aus Geschworene An­

wendung.

32 ) Der Abs. 2 bezieht sich nur auf den Untersuchungs- und Amtsrichter, nicht auf die Landgerichte. Erk. v. 10. Febr. 82, E. 5 S. 437. Vgl. auch GA. 38 S. 426. 33 ) Wenn der Beschluß, durch welchen ein Ablehnungsgesuch für unbe­ gründet erklärt worden, nur mittels der Revision angefochten worden, so läßt dieselbe eine tatsächliche Würdigung der Ablehnungsgründe durch das Revisions­ gericht zu. Politische Parteistellung ist kein Ablehnungsgrund. Ert. v. 30. Novbr. 82, E. 7 S. 340. 33 a) Das Ablehnungsgesuch ist durch den Erlaß des außerhalb der Haupt­ verhandlung gefaßten Gerichtsbeschlusses und durch dessen Bekanntgabe an einen der abgelehnten Richter erledigt. Erk. v. 17. Oktbr. 11, DIZ. 17 S. 224. 34 ) Es ist gesetzwidrig, daß der fungierende Gerichtsschreiber als Zeuge vernommen wird und sodann weiter als GerichtSschrciber fungiert. Grund zur Aufhebung wird dadurch jedoch nur dann gegeben, wenn eine für das Verdikt der Geschworenen oder das Urteil wesentliche Förmlichkeit verletzt ist. Erk. v. 12. Novbr. 85, E. 13 S. 76. 35 ) Im Schöffengerichte also auch die Schöffen.

Gerichtliche Entscheidungen und deren Bekanntm. §§ 33—36.

4. Abschnitt.

63

Gerichtliche Entscheidungen und deren SeKanntmachnng.

§ 33 Die Entscheidungen des Gerichts werden, wenn sie im Laufe einer Hauptverhandlung ergehen, nach Anhörung der Beteiligten, wenn sie außerhalb einer Hauptverhandlung ergehen, nach erfolgter schriftlicher oder mündlicher Erklärung der Staatsanwaltschaft erlassen. § 34. Die durch ein Rechtsmittel anfechtbaren Entscheidungen sowie diejenigen, durch welche ein Antrag abgelehnt wird, sind mit Gründen zu versehen.3S) § 35. Entscheidungen, welche in Anwesenheit der davon be­ troffenen Personen ergehen, werden derselben durch Verkündung bekannt gemacht. Auf Verlangen ist ihr eine Abschrift zu erteilen.33») Die Bekanntmachung anderer Entscheidungen erfolgt durch Zu­ stellung. 36 37)38 Dem nicht auf stetem Fuße Befindlichen ist das zugestellte Schrift­ stück auf Verlangen vorzulesen. § 36. Entscheidungen, die einer Zustellung oder Vollstreckung bedürfen, sind der Staatsanwaltschaft zu übergeben, welche das Er­ forderliche zu veranlassen hat. Auf Entscheidungen, die lediglich den inneren Dienst der Gerichte oder die Ordnung in den Sitzungen be­ treffen, findet diese Bestimmung keine Anwendung.33) 36) Nicht alle prozeßleitenden Verfügungen und Beschlüsse, sondern nur solche, durch welche Anträge abgelehnt, Widersprüche zurückgewiesen oder Er­ hebung von Beweisen angeordnet wird, müssen motiviert werden. Erk. v. 15. April 82, R. 4 S. 324. Vgl. Erk. v. 6. April 80, R. 1 S. 543. Der An­ trag auf Nichtbeeidigung eines Zeugen auf Grund des § 56 Nr. 3 muß, wenn ihm nicht stattgegeben wird, mit Angabe von Gründen abgelehnt werden. Erk. v. 25. Juni 95, GA. 43 S. 130. Dagegen braucht ein Antrag auf Ergänzung oder Abänderung von Fragen an die Geschworenen nicht mit Gründen beschicken zu werden. Erk. v. 28. Febr. 95, E. 27 S. 66. 36 a) nur von der Entscheidung, nicht von dem ganzen Sitzungsprotokoll. GA. 51 S. 69 und nicht schon während der Hauptverhandlung. Erk. v. 26. Juli 10, E. 44 S. 53. 37) Der Beschl., durch welchen der Angekl. von dem Erscheinen in der Hauptverh. entbunden wird, muß zugestellt werden. Erk. v. 28. Jan. 87, E. 15 S. 202. Die Zustellung des Urteils muß, wenn der A. vom Erscheinen in der Hauptverhandl. entbunden ist, an diesen und darf nicht an den von ihm zur Empfangnahme der Urteilsausfertigung ermächttgten Verteidiger erfolgen. Beschl. v. 24. Septbr. 89, E. 19 S. 390. 38) Entscheidungen, welche einer Zustellung bedürfen und deshalb der Regel nach der StA. zuzüstellen sind, können auch im Auftrage der Strafkammer durch einen zu Zustellungen befugten Beamten unmittelbar zugestellt werden. Erk. v. 14. April 82, E. 6 S. 179. Einen nach 8 200 der StPO, gefaßten Beschluß hat die Strafkammer resp, deren Vorsitzender selbst zu erledigen. GA. 37 S. 73.

64

V. Strafprozeßordnung §§ 37—41.

Die Untersuchungsrichter und der Amtsrichter können Zustellungen aller Art sowie die Vollstreckung von Beschlüssen und Verfügungen unmittelbar veranlaflen. § 37 Auf das Verfahren bei Zustellungen finden die Vor­

schriften der Zivilprozeßordnung über Zustellungen entsprechende An­ wendung. 3,8 *) § 38. Die bei dem Strafverfahren beteiligten Personen, denen die Befugnis beigelegt ist, Zeugen und Sachverständige unmittelbar zu laden, haben mit der Zustellung der Ladung den Gerichtsvollzieher

zu beauftragen. § 39. Für das die öffentliche Klage vorbereitende Verfahren, für die Voruntersuchung und für das Verfahren bei der Strafvollstreckung

können durch Anordnung der Landesjustizverwaltung einfachere Formen für den Nachweis der Zustellung zugelaffen werden. § 40. Kann eine Zustellung an einen Beschuldigten, welchem eine Ladung zur Hauptverhandlung noch nicht zugestellt war, nicht in der vorgeschriebenen Weise im Deutschen Reich bewirkt werden,sg) und erscheint die Befolgung der für Zustellungen im Auslande be­ stehenden Borfchriften unausführbar oder voraussichtlich erfolglos, so gilt die Zustellung als erfolgt, wenn der Inhalt des zuzustellenden Schriftstücks durch ein deutsches oder ausländisches Blatt bekannt ge­ macht worden ist und seit dem Erscheinen dieses Blattes zwei Wochen verflossen sind. Die Auswahl des Blattes steht dem die Zustellung veranlassenden Beamten zu. War die Ladung zur Hauptverhandlung dem Angeklagten schon vorher zugestellt, so gilt eine weitere Zustellung an denselben, wenn sie nicht in der vorgeschriebenen Weise im Deutschen Reich bewirkt werden kann, als erfolgt, sobald das zuzustellende Schriftstück zwei Wochen an der Gerichtstafel des Gerichts erster Instanz angeheftet gewesen ist. Bon Urteilen und Beschlüssen wird nur der entscheidende Teil an­

geheftet. § 41 Zustellungen an die Staatsanwaltschaft erfolgen durch Vorlegung der Urschrift des zuzustellenden Schriftstücks. Wenn mit der Zustellung der Lauf einer Frist beginnt, so ist der Tag der Vor­ legung von der Staatsanwaltschaft aus der Urschrift zu vermerken. 38 a) Siehe AB. v. 1. Febr. 10 über die von Amtswegen zu bewirkenden Zustellungen u. Bekanntmachungen (JMBl. S. 43), v. 23. Sept. 10 bett, die Zustellung der Ladungen zum Antritt einer Freiheitsstrafe. (JMBl. S. 355), AB. v. 4. Mai 11 (JMBl, 191). 39) Der gesetzliche Vertreter eines Minderjährigen hat keinen Anspruch darauf, daß ihm die vor der Hauptverhandlung ergangenen Entscheidungen zu­ gestellt werden. Erk. v. 1. Novbr. 93, GA. 41 S. 401.

Fristen und Medereinsetzung in den vorigen Stand §§ 42—44.

5. Abschnitt.

65

Fristen und Viebereinsetznng in -en vorigen Stand.40)41 42 43 * * * *

Bei der Berechnung einer Frist, welche nach Tagen be­ stimmt ist, wird der Tag nicht milgerechnet, auf welchen der Zeitpunkt oder das Ereignis fällt, nach welchem der Anfang der Frist sich § 42

richten soll. § 43. Eine Frist, welche nach Wochen oder Monaten bestimmt ist, endigt mit Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher durch seine Benennung oder Zahl dem Tage entspricht, an welchem die Frist begonnen hat; fehlt dieser Tag in dem letzten Monate, so endigt die Frist mit Ablauf des letzten Tages dieses Monats. Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag oder allgemeinen Feiertag, so endigt die Frist mit Ablauf des nächstfolgenden Werk­

tages.4^ § 44 Gegen die Versäumung einer Frist48) kann die Wieder­ einsetzung in den vorigen Stand beansprucht werden, wenn der An­ tragsteller durch Naturereignisse oder andere unabwendbare Zufälle an der Einhaltung der Frist verhindert worden ist. Als unabwend­ barer Zufall ist es anzusehen, wenn der Antragsteller von einer Zu­ stellung ohne sein Verschulden keine Kenntnis erlangt hat.48)

40) Hat der Angekl. bei Verkündung des Urteils beantragt, daß seine so­ fortige Revistonsanmeldung in das Protokoll ausgenommen werde und ist dieunterblieben, so liegt darin kein Grund zur Wiedereinsetzung i. d. v. St. Erk. v. 2. Novbr. 93, E. 24 S. 355. 41) Die allgemeinen Feiertage werden nach den Landesgesetzen bestimmt. Erk. v. 2. Juni 81, R. 3 S. 365. Siehe Reskr. v. 12. April 50 (JMBl. S. 127) und Reskr. v. 10. Januar 87 (JMBl. S. 9). Siehe Beschl. v. 27. Juni 98, E. 31 S. 221. Zu den Feiertagen gehören auch solche Tage, an denen in öffent­ lichen u. bürgerlichen Angelegenheiten zufolge amtlicher Anordnung Geschäftsruhe herrscht. GA. 51 S. 68. Kaisers Geburtstag ist kein Feiertag. Erk. v. 29. Apr. 10, DIZ. 15 S. 1084. 42) Über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung von Terminen flehe die §§ 234 u. 452. — Ein verhafteter A. kann Wiedereins, be­ anspruchen, wenn ihm keine Gelegenheit gegeben ist, ein Rechtsmittel zu Pro­ tokoll zu erklären. Erk. v. 11. Jan. 98, GA. 46 S. 113. 43) Das Versehen eines Anwalts, welcher das Rechtsmittel ohne Legitimatton anmeldet oder begründet oder welcher die Einlegung des Rechtsmittels aus Versehen unterläßt, stellt keinen unabwendbaren Zufall dar. Erk. v. 28. April 80, R. 1 S. 689 u. v. 1. Juli 86, R. 8 S. 508, wohl aber ein dem GeschäftsPersonal deS Verteidigers zur Last fallendes Verschulden. Erk. v. 4. Febr. 02, E. 35 S. 109 (vgl. aber Erk. v. 17. Septbr. 07, DIZ. 13 S. 1343), ebenso, wenn dem A. zum Verteidiger ein Referendar bestellt war, der nicht dem Wort­ laut deS § 385 StPO, entsprechend zu handeln verstand. Erk. v. 9. April 07, E. 40 S. 118. Ebensowenig ist es unabwendbarer Zufall, wenn dem A. die Urteil-ausfertigung selbst zugestellt wird, obschon der Verteidiger zur Empfang-

Dalcke, Straft. 13. Aufl.*

5

V. Strafprozeßordnung §§ 45—48.

66

§ 45. Das Gesuch um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand44 * *)45 ************* muß binnen einer Woche nach Beseitigung des Hindernisses bei dem­ jenigen Gerichte, bei welchem die Frist wahrzunehmen gewesen wäre, unter Angabe und Glaubhaftmachung der Bersäumungsgründe an­

gebracht werden. Mit dem Gesuch ist zugleich die versäumte Handlung selbst nach­

zuholen. § 46

Über das Gesuch entscheidet dasjenige Gericht, welches

bei rechtzeitig erfolgter Handlung zur Entscheidung in der Sache selbst

berufen gewesen wäre. Die dem Gesuche stattgebende Entscheidung unterliegt keiner An­

fechtung.44-) Gegen die das Gesuch verwerfende Entscheidung findet sofortige Beschwerde statt. § 47. Durch das Gesuch um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird die Vollstreckung einer gerichtlichen Entscheidung nicht

gehemmt. Das Gericht kann jedoch einen Aufschub der Vollstreckung an­ ordnen.

6. Abschnitt.

Zeugen.

Die Ladung der Zeugen4^) geschieht unter Hinweis auf die gesetzlichen Folgen des Ausbleibens. § 48.

nähme bevollmächtigt war, denn ersteres mußte geschehen. Beschl. v. 8. Jan. 84, R. 6 S. 32. Erk. v. 13. März 06, Recht 10 S. 454. Behinderte Akteneinsicht seitens des Verteidigers ist kein Grund. Erk. v. 25. Septbr. 93, E. 24 S. 250. Ebensowenig begründet der Umstand die Wiedereinsetzung, daß ein Poststück nicht rechtzeitig abgeholt und deshalb das Rechtsmittel verspätet ist. Erk. v. 31. Mai 80, R. 1 S. 846. Vgl. hiergegen Löwe, Anm. zu § 44. Das RG. ist schwankend. Siehe Beschl. v. 28. Septbr. 80, E. 2 S. 271 und Erk. v. 14. Febr. 98, E. 31 S. 19. Wird ein verhafteter A. zur Rechtfettigung des Rechtsmittels zu spät vorgeführt, so begründet dies die Wiedereinsetzung. Beschl. v. 2. Jan. 80, R. 1 S. 179. Siehe auch Ewald in GA. 36 S. 80 u. Anm. 42. Inwieweit darin, daß sich jemand von Hause fortbegeben, ohne von seinem Auf­ enthalt Kenntnis, zu geben, ein Verschulden liegt, darüber siehe GA. 42 S. 150. Versehen eines Sekretärs der StA. begründen das Rechtsmittel nicht; auch wird die Frist durch Niederlegung des Schriftstückes auf der Gerichtsschreiberei nach Schluß der Dienststunden nicht gewahrt. GA. 41 S. 155 u. 156... 44) Das Gesuch ist an keine besondere Form gebunden. Über dasselbe wird durch Beschl. nach Anhörung der StA. entschieden. Über die Zuständig­

keit deS Gerichts siehe GA. 42 S. 150. 44 a) Und zwar ohne Unterschied, ob die Wiedereinsetzung sachlich zu Un­ recht gewährt oder das Beschlußverfahren mit Mängeln behaftet war. Beschl. v. 24. Septbr. 07, E. 40 S. 271. 45) Die Vernehmung von Zeugen, welche im Auslande wohnen, wird durch Requisttton der ausländischen Behörden bez. der Konsuln bewirkt. Bei

Zeugen § 49.

67

Die Ladung einer dem aktiven Heere oder der aktiven Marine46 * *)47 ************** angehörenden Person des Soldalenstandes als Zeugen erfolgt durch Ersuchen der Militärbehörde.^^) § 49. Der Reichskanzler, die Minister eines Bundesstaates, die Mitglieder der Senate der freien Hansestädte, die Vorstände der obersten Reichsbehörden und die Vorstände der Ministerien sind an ihrem Amtssitze oder, wenn sie sich außerhalb desselben aufhatten, an ihrem Aufenthaltsorte zu vernehmen.48)49 Die Mitglieder des Bundesrats sind während ihres Aufenthalts am Sitze des Bundesrats an diesem Sitze, und die Mitglieder einer deutschen gesetzgebenden Versammlung während der Sitzungsperiode48) und ihres Aufenthalts am Orte der Versammlung an diesem Orte zu vernehmen. Zu einer Abweichung von den vorstehenden Bestimmungen bedarf es: in betreff des Reichskanzlers der Genehmigung des Kaisers, in betreff der Minister und der Mitglieder des Bundesrats der Genehmigung des Landesherrn, den Requisitionen ausländischer Behörden ist fast in allen Fällen die Bermitte­ lung des Auswärtigen Amts nachzusuchen. Vgl. ftlr Preußen z. B. bez. der Requis. polnischer Behörden die Sers. v. 12. Jan. 63 (JMBl. S. 18) u. 23. Nov. 64 (JMBl. S. 319); bez. der Requis. russischer Behörden die Sers, v. 11. Jan. 64 (JMBl. S. 23 und ebenda 75 S. 236); Amerika: Sers. v. 5. Juli 69 (JMBl. S. 138); England: Sers. v. 26. August 69 (JMBl. S. 171); Italien: Sers. v. 15. Oktbr. 63 (JMBl. S- 254); Niederlande: Sers, v. 20. Mai 64 (JMBl. S. 138 u. JMBl. 68 S. 233 u. 381). Mit den schweizerischen Gerichtsbehörden findet ein unmittelbarer Geschäftsverkehr statt. Sgl. AS. v. 22. Jan. 79 (JMBl. S. 20). Bezüglich des unmittelbaren Verkehrs der preuß. Justizbehörden der Grenzprovinzen mit den Behörden des Gerichtsbezirks Warschau flehe das Abkommen v. 4. Febr. 79 (GS. S. 138). Über den Verkehr mit den Gesandten am hiesigen Hofe flehe AS. v.

28. Dezbr. 80 (JMBl. S. 369). Über Form und Inhalt der im Auslande zu erledigenden Ersuchungs­ schreiben der Justizbehörden siehe die AS. v. 16. Juni 10 (JMBl. S. 189), 16. Juni 11 (JMBl. S. 247) u. 2. Nov. 11 (JMBl. S. 410). 46) Auf Militärbeamte findet § 48 keine Anwendung. — Über die Per­ sonen des Soldatenstandes vgl. Anlage zum MilStGB. v. 20. Juni 72 (RGBl. S. 204). Sgl. den Aufsatz in GA. 28 S. 169. 47) Sorladungen an Offiziere werden an das Regimentskommando, Vor­ ladungen an Unteroffiziere und gemeine Soldaten an den Kompagnie- oder Eskadronchef gerichtet, und haben diese auch den Empfang zu bescheinigen. Vgl. § 172 ZPO. 48) Bei Ladung von Staatsbeamten soll stets deren vorgesetzter Dienstbe­ hörde Mitteilung gemacht werden, AV. v. 17. Mai 83 (JMBl. S. 155) und ebenso von einer etwaigen Wiederabbestellung der Zeugen, AS. v. 19. Febr. 95 (JMBl. S, 56). 49) Über den Begriff „Sitzungsperiode" flehe Erk. v. 24. Novbr. 94, E. 26 S. 254.

68

V. Strafprozeßordnung §§ 50, 51.

in betreff der Mitglieder der Senate der freien Hansestädte der

Genehmigung des Senats,

in betreff der übrigen vorbezeichneten Beamten der Gmehmigung ihres unmittelbaren Vorgesetzten, in betreff der Mitglieder einer gesetzgebenden Versammlung der

Genehmigung der letzteren.

§ 50.

Ein ordnungsmäßig geladener Zeuge, welcher nicht er-

scheint/o) ist in die durch das Ausbleiben verursachten Kosten, sowie zu einer Geldstrafe bis zu dreihundert Mark, und für den Fall, daß diese nicht beigetrieben werden kann, zur Strafe der Haft bis zu sechs

Wochen zu verurteilen. Zeugen zulässig.

Auch ist die zwangsweise Vorführung des

Im Falle wiederholten Ausbleibens kann die Strafe

noch einmal erkannt werden. Die Verurteilung in Strafe und Kosten unterbleibt, wenn das Ausbleiben des Zeugen genügend entschuldigt tfL60 *)

Erfolgt nachträglich

genügende Entschuldigung, so werden die gegen den Zeugen getroffenen

Anordnungen wieder aufgehoben.

Die Befugnis zu diesen Maßregeln steht auch dem Untersuchungs­ richter, dem Amtsrichter im Vorverfahren, sowie dem beauftragten

und ersuchten Richter zu. Die Festsetzung und die Vollstreckung der Strafe gegen eine dem aktiven Heere oder der aktiven Marine angehörende Militärperson er­

folgt auf Ersuchen durch das Militärgericht, die Vorführung einer solchen Person durch Ersuchen der Militärbehörde. § 51.

Zur Verweigerung des Zeugnisses^') sind berechtigt:"')

50) Oder sich ohne Erlaubnis entfernt. Vgl. § 247. Auch die Polizei­ behörden können auf Grund deS § 132 des Ges. v. 30. Juli 83 die zwangs­ weise Vorführung einer Person zur Vernehmung anordnen. GA. 46 S. 362. 50 a) Siehe hierüber Hofmann, Recht 15 S. 227. 51) Die Erklärung eines zur Zeugnisverweigerung Berechtigten, sich nicht vernehmen taffen zu wollen, kann später widerrufen werden. Erk. v. 17. März 84, R. 6 S. 210. Zeugen, die bei einer gerichtlichen Vernehmung erklärt haben, nicht aussagen zu wollen, brauchen nicht geladen zu werden, wohl aber, wenn diese Erklärung bei einer polizeilichen Vernehmung erfolgt ist. Erk. v. 19. Dezbr. 05, E. 38 S. 256 — Erk. v. 24. Oktbr. 07, E. 40 S. 345. Hat ein Zeuge sein Zeugnis verweigert, so können andere Personen darüber ver­ nommen werden, welche Mitteilungen sie von dem die Aussage verweigernden Zeugen über das Beweisthema erhalten haben. Dieser Satz ist in einer Reihe von Urteilen ausgesprochen. Erk. v. 1. Juli 86, E. 14 S. 266. Über die Zu­ lässigkeit der Vernehmung des Untersuchungsrichters siehe die Sinnt, zu § 251. Die Geheimheit der politischen Wahl schließt nicht auS, daß der Wähler ange­ halten werden kann, anzugeben, wen er gewählt hat. Erk. v. 7. Juli 84, R. 6 S. 517. 52) Auch der zur Zeugnisverweigerung berechtigte Zeuge muß sich eine Besichtigung seiner Person zur Feststellung einer Verletzung gefallen lassen. Erk.

1. der Verlobte des Beschuldigten^^) 2. der Ehegatte des Beschuldigten, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht

3. diejenigen, welche mit dem BeschuldigtenM) in gerader Linie verwandt, verschwägert66) oder durch Adoption verbunden, oder in der Seitenlinie bis zum dritten Grade verwandt oder bis zum zweiten Grade verschwägert sind, auch wenn die Ehe, durch welche die Schwäger­ schaft begründet ist, nicht mehr besteht. v. 27. Novbr. 94, GA. 42 S. 400. Die Beftagung über den Grund der Nicht­ ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts kann als ungeeignet zurückgewiesen werden. Erk. v. 11. Mai 07, Recht 11 S. 1479. Das Zeugnisverweigerungsrecht steht jedem Zeugen zu, welcher auch nur zu einem von mehreren Beschuldigten in einem der in diesem § erwähnten Ver­ hältniße steht. Erk. v. 13. April 83, R. 5 S. 239, Erk. v. 11. Oktbr. 83, R. 5 S. 599. Dieser Grundsatz soll auch da gelten, wo verschiedene selbständige Straftaten auf Grund des § 236 der StPO, verbunden sind (Erk. v. 10./13. Jan. 88, R. 10 S. 24) und ebenso findet er dann Anwendung, wenn wider Angehörige in einer anderen Hauptverh. vorweg erkannt ist und später wider mitangekl. Nichtangehörige verhandelt wird. Erk. v. 24. Jan. 88, R. 10 S. 59. Dagegen soll der Grundsatz nicht Anwendung finden, wenn eine Unter­ suchung mehrere selbständige Straftaten umfaßt und daS Zeugnis nur einen solchen Fall betrifft, bei welchem der Angehörige nicht als Beschuldigter beteiligt ist. Erk. v. 13. April 83, R. 5 S. 239. Vgl. aber hierzu das abweichende Urteil v. 24. Juni 87, E. 16 S. 154. 53) Ein bloßes Liebesverhältnis genügt nicht, Erk. v. 10. Juli 80, R. 2 S. 182. Siehe auch Erk. v. 30. Dez. 01, E. 35 S. 49. Ein bedingtes Ehe­ versprechen begründet kein Verlöbnis. Erk. v. 28. April 02, GA. 49 S. 266. Nach Auflösung der Verlobung tritt Verpflichtung zur Ablegung des Zeugniffes ein. Erk. v. 9. Mai 98, E. 31 S. 142. Ein Eheversprechen zwischen Per­ sonen, deren Eheschließung § 1312 BGB. entgegensteht, ist auch vor erlangter Befteiung von dieser Vorschrift, ein gülttges Verlöbnis. Erk. v. 7. Dezbr. 07, E. 40 S. 420. Siehe auch Anm. 56 zu § 52 StGB. 54) Für den Begriff des Ehegatten ist nur die formell gülttge Schließung der Ehe entscheidend, dagegen einflußlos, ob die Ehe anfechtbar oder materiell nichttg ist. Erk. v. 21. Febr. 08, E. 41, S. 113. Die Ehefrau kann einer ärzt­ lichen Untersuchung unterworfen werden. Erk. v. 8. Juli 89, E. 19 S. 364. Auch die in Bigamie lebende Ehefrau muß in Gemäßheit des 8 51 belehrt wer­ den. Erk. ,v. 28. Juni 88, E. 18 S. 42. 55) Über den Begriff „Beschuldigter" s. Erk. v. 6. Juli 00, E. 33 S. 350. Die Verwandtschaft muß mit dem Beschuldigten bestehen. Der Umstand, daß ein Zeuge wegen Verdachts der Teilnahme unbeeidigt bleibt, berechtigt die An­ gehörigen noch nicht zur Verweigerung des Zeugniffes, solange nicht das ein­ geleitete Strafverfahren den betr. Verwandten mitumfaßt. Erk. v. 11. Novbr. 02, Recht 6 S. 619. 56) Schwägerschast liegt auch dann vor, wenn die Verwandtschaft des Zeugen zu dem Ehegatten-auf unehelicher Geburt beruht, Erk. v. 8. Juni 86, E. 14 S. 187, und das Recht zur Zeugnisverweigerung besteht auch fort, wenn die Ehe gelöst ist. Erk. v. 1. Dezbr. 81, E. 5 S. 200. Siehe insbesondere Anm. 19» zu 8 22.

70

V. Strafprozeßordnung § 52.

Die bezeichneten Personen sind vor jeder Vernehmung über ihr

Recht zur Verweigerung des Zeugnisses zu belehren.57 * *)58 59 Sie können den Verzicht auf dieses Recht auch während der Vernehmung widerrufen.

§ 52. 1.

Zur Verweigerung des Zeugnisses sind ferner berechtigt:

Geistliche in Ansehung desjenigen, was ihnen bei Ausübung

der Seelsorge anverlraut ist;67e) 2.

Verteidiger des Beschuldigten in Ansehung desjenigen, was

ihnen in dieser ihrer Eigenschaft anvertraut ist;68) 3. Rechtsanwälte und Ärzte in Ansehung desjenigen, was ihnen bei Ausübung ihres Berufs anvertraut ist.50) Der Ehemann der Adoptivtochter des A. ist mit diesem nicht verschwägert. Erk. v. 9. Apr. 07, GA. 54 S. 305. Siehe auch Anm. 55 » zu § 52 StGB. 57) Nur die im § 51 benannten, nicht auch die in den §§ 52 u. 54 aufgestlhrten Personen müssen belehrt werden. Erk. v. 31. Mai 82, R. 3 S. 350. Die Belehrung braucht nicht unmittelbar vor der Vernehmung zu erfolgen. Erk. v. 12. Febr. 83, R. 5 S. 99. Siehe auch Erk. v. 16. April 94, E. 25 S. 262. Die unterlassene Belehrung führt zur Revision, wenn das Urteil auf Verletzung dieser Vorschrift basiert. Erk. v. 5. Juli 80, E. 2 S. 192. Die Belehrung ist wesentlich und muß im Prot. vermerkt werden. Erk. v. 20. Septbr. 80, 9t. 2 ©. 217. Ein RevisionSgrund ist gegeben, wenn ein Zeuge, auf dessen Aus­ sage das Urteil beruht, nicht belehrt worden ist, mag auch die Unterlassung darauf beruhen, daß dem Gericht die Tatsachen, auf welche sich das Recht deS Zeugen stützt, unbekannt geblieben sind. Erk. v. 2. Juni 85, R. 7 S. 346. Vgl. Erk. v. 14. Febr. 87, R. 9 S. 129. Abweichend will das Erk. v. 3. Ott. 87, E. 16 S. 214, die Pflicht zur Belehrung auf den Fall beschränken, daß eine be­ sondere Veranlassung dazu Vorgelegen. Einer besonderen Belehrung bedarf es aber jedenfalls dann nicht, wenn die zur Zeugnisverweigerung berechtigte Person aus freiem Antriebe erklärt hat, daß sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen oder hierauf verzichten wolle. Erk. v. 3. April 02 u. v. 1. Ottbr. 03, Recht 6 S. 329, 7 S. 532. Ob die Belehrung vor oder nach Stellung der Generalfragen erfolgt, ist gleichgültig, Erk. v. 25. Septbr. 88, R. 10 S. 516, aber sie muß vor Verneh­ mung zur Sache erfolgen. Erk. v. 19. Jan. 92, GA. 39 S. 419. Ein Proto­ koll über die Vernehmung eines Zeugen, dessen Belehrung zu Unrecht unter­ blieben, darf nicht verlesen werden. Erk. v. 17. Jan. 90, E. 20 S. 186. Die Be­ lehrung ist nur bei gerichtlichen Vernehmungen notwendig. Erk. v. 28. Juni 86, R. 8 S. 502 u. Erk. v. 8. Dezbr. 96, GA. 44 S. 379. Ist ein Zeuge irrtümlicher Weise belehrt und unvernommen geblieben, so ist die Revision begründet. Erk. v. 8. (15.) Mai 99, E. 32 S. 167. 57 a) Dazu gehören nicht nur die Angaben deS Beichtkindes, sondern auch die mit diesen im Zusammenhang stehenden Mitteilungen dritter Personen. Erk. v. 26. Juni 08, DIZ. 13, S. 1224, GA. 55 S. 325. 58) Der Verteidiger kann als Zeuge vernommen werden. Erk. v. 20. Oktbr. 91, GA. 39 S. 312. Der in der Hauptverh. fungierende StA. kann nicht als Zeuge vernommen werden. Erk. v. 11. Dezbr. 96, E. 29 S. 236. Die Zu­ lassung des als Zeuge geladenen Verteidigers darf das Gericht ablehnen. Erk. v. 4. Apr. 06, JurW. 06, S. 792. 59) Die Vernehmung deS Arztes ist nicht davon abhängig, daß der Patient ihn von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbindet. Erk. v. 8. Juli 89,

Die unter Nr. 2, 3 bezeichneten Personen dürfen das Zeugnis nicht verweigern, wenn sie von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden sind. § 53 Öffentliche Beamte, auch wenn sie nicht mehr im Dienste sind, dürfen über Umstände, auf welche sich ihre Pflicht zur Amts­ verschwiegenheit bezieht, als Zeugen nur mit Genehmigung ihrer vor­ gesetzten Dienstbehörde oder der ihnen zuletzt vorgesetzt gewesenen Dienstbehörde vernommen werden.^) Für den Reichskanzler bedarf es der Genehmigung des Kaisers, für die Minister der Genehmigung des Landesherrn, für die Mitglieder der Senate der freien Hanse­ städte der Genehmigung des Senats. Die Genehmigung darf nur versagt werden, wenn die Ablegung des Zeugnisses dem Wohle des Reichs oder eines Bundesstaates Nach­ teil bereiten würde. § 54. Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen ver­ weigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der im § 51 Nr. 1—3 bezeichneten Angehörigen die Gefahr strafgerichtlicher Ver­ folgung zuziehen toütbe.61 * )* * 60 E. 19 S. 364. Über die Vernehmung eines Richters über einen Spruch, bei dem er mitgewirtt hat, siehe Erk. v. 13. Novbr. 94, E. 26 S. 202. Über Ver­ nehmung ausländischer Ärzte siehe GA. 45 S. 418. 60) In erster Linie haben die Beamten selbst zu ermessen, inwieweit sie eine Aussage abgeben können. Die Befugnis des Richters, dieselben auf die Amtsverschwiegenheit hinzuweisen, ist nicht ausgeschlossen. Erk. v. 30. Novbr. 85, E. 13 S. 154. Über die Zulässigkeit der Vernehmung entscheidet die Berwaltungsinstanz auf Beschwerde des Gerichts oder des Angell. Erk. v. 8. Febr. 87, R. 9 S. 123 u. Erk. v. 3. Febr. 11, E. 44 S. 291. Daß ein Beamter ohne Genehmigung seiner vorgesetzten Behörde vernommen ist, begründet nicht die Revision. Erk. v. 18. Febr. 87, R. 9 S. 142. Bor der Beschlußfassung über eine an den Beamten als Zeugen zu stellende Frage muß zunächst aufgeklärt werden, ob sich der Zeuge überhaupt auf das Dienstgeheimnis berufen will und be­ jahendenfalls, ob ihm nicht seine vorgesetzte Dienstbehörde ihre Genehmigung zur Beantwortung der Frage erteilt. Crk. v. 11. April 01, GA. 48 S. 296. Siehe AB. v. 24. Mai 86 (JMBl. S. 137). 61) Ob die Sache dazu angetan ist, entscheidet das Gericht. Erk. v. 9. Oktdr. 80, R. 2 S. 305. Übrigens darf der Zeuge nur die Auskunft über be­ sonders verfängliche Punkte verweigern, zu einer Verweigerung des ganzen Zeug­ nisses ist er nicht berechtigt. Erk. v. 27. Septbr. 80, R. 2 S. 263. Auch darf das Recht aus § 54 nicht durch bloßes Verschweigen auSgeübt werden, der Zeuge muß die Auskunft ausdrücklich verweigern. Erk. v. 21. Mai 83, R. 5 S. 372. Der Zeuge kann nachträglich seine abgegebene Aussage widerrufen. Erk. v. 5. Juli 10, E. 44 S. 44. Eine Belehrung der Zeugen ist in diesem Falle nicht notwendig. Erk. v. 10. Oktbr. 84, R. 6 S. 617 u. Erk. v. 21. März 95, GA. 43 S 52. Dgl. auch Erk. v. 24. April 91, GA. 39 S. 214. Die falsche Belehrung eines Zeugen über sein Auskunftsverweigerungsrecht gibt dem Ange­ klagten keinen Revisionsgrund. Erk. v. 12. Jan. 06, E. 38 S. 320. Zeugen unter 12 Jahren können sich selber durch die Beantwortung nicht der Straf-

72

V. Strafprozeßordnung §§ 55, 56.

§ 55. Die Tatsache, auf welche der Zeuge die Verweigerung de- ZeugniffeS in den Fällen der §§ 51, 52, 54 stützt, ist auf Verlangen glaubhaft zu machen.

§ 56. .

Es genügt die eidliche Versicherung des Zeugen.

Unbeeidigt sind zu vernehmen:

1. Personen, welche zur Zeit der Vernehmung das sechzehntes^)

Lebensjahr noch nicht vollendet oder wegen mangelnder Berstandes­

reife oder wegen Berstandesschwäche

von dem Wesen und der Be­

deutung des Eides keine genügende Vorstellung haben;")

2.

Personen, welche nach den Bestimmungen der Strafgesetze un­

fähig sind, als Zeugen eidlich vernommen zu werden;")

Verfolgung auSsetzen. Eine entgegengesetzte Belehrung verletzt die Vorschrift dieses §. Erk. v. 25. Juni 09, Recht 13 Nr. 2761. 62) Ist die Beeidigung unterblieben, weil das Gericht irrtümlich ange­ nommen hat, der Zeuge habe daS 16. Lebensjahr noch nicht vollendet, so ist Grund zur Revision gegeben. Erk. v. 5. Dezbr. 89, E. 20 S. 163. EideSmündig wird der Zeuge schon mit dem Beginn des 17. Geburtstages. Erk. v. 25. Mai 91, E. 22 S. 29. 63) Der Mangel einer genügenden Vorstellung von dem Wesen oder der Bedeutung deS EideS muß auf mangelnder BerstandeSreife oder auf Verstandes­ schwäche beruhen. Ob der eine oder andere dieser Gründe vorliegt, muß in dem Beschluß zum Ausdruck gebracht werden. Eine Ausdehnung auf andere Gründe ist unstatthaft. Erk. v. 13. Juli 03, GA. 50 S. 398. Bloße Gedächtnisschwäche ist kein Grund, die Beeidigung zu unterlaffen. Erk. v. 5. Novbr. 90, E. 20 S. 60; auch nicht Trunkenheit. Erk. v. 10. Juni 01, E. 34 S. 283 oder die Entmün­ digung wegen Trunksucht. Erk. v. 13. Juli 03, DIZ. 8 S. 550. Auch ein wegen Geisteskrankheit Entmündigter kann als Zeuge vernommen werden. Erk. v. 9. Oktbr. 00, E. 33 S. 393. 64) Jeder Zeuge muß vereidigt werden, wenn kein gesetzlicher Grund für die Nichtbeeidigung vorliegt und dieser Grund muß angegeben werden. Erk. v. 21. April 80, R. 1 S. 630 u. v. 10. Novbr. 80, R. 2 S. 489. ES ändert daran auch nicht-, ob sich die Entscheidung auf die unbeeidigte Aussage stützt oder nicht. DaS Reichsgericht ist sich in dieser Beziehung aber nicht immer gleich geblieben. Vgl. Erk. v. 16. Febr. 83, E. 6 S. 156 u. v. 6. Febr. 85, R. 7 S. 89, welche einen RevistonSgrund nur dann annehmen, wenn sich daS Urteil auf die betreffende Aussage gründet. DaS Gericht darf auch die Beeidigung nicht deshalb unterlaffen, weil eS dieselbe wegen körperlicher Gebrechen des Zeugen nicht ausführen zu können glaubt. Erk. v. 27. Febr. 85, R. 7 S. 148. Beeidigung eines eideSunmündigen Zeugen führt zur Aufhebung des auf die Aussage gestützten Urteils. Erk. v. 25. Febr. 82, R. 4 S. 206 und Erk. v. 16. Febr. 83, E. 6 S. 156. Die Kundgebungen eines taubstummen Zeugen, welcher nicht vernommen werden kann, können als Beweisbehelf verwertet werden. Erk. v. 15. Oktbr. 00, E. 33 S. 403. 65) Die Beeidigung eines wegen Meineides oder nach früherem Recht mit Zuchthaus bestraften Zeugen führt, auch wenn sie auS Unkenntnis deS Gerichts geschehen, zur Aufhebung, wenn die Möglichkeit besteht, daß der Aussage sonst ein geringeres Gewicht beigelegt worden wäre. Erk. v. 24. Mai 84, R. 6 S. 370 u. Erk. v. 28. Oktbr. 87, R. 9 S. 535.

3. Personen, welche hinsichtlich der den Gegenstand der Unter­ suchung 66 a) bildenden Sat66 b) als Teilnehmer, Begünstiger oder Hehler verdächtig oder bereits verurteilt ftnb.66)

65 a) Über den Begriff „Gegenstand der Untersuchung" siehe Erk. v. 10.

Aug. 96, E. 29 S. 32 u. v. 24. Juni 98, E. 31 S. 219. 65 b) Der Begriff „Tat" ist im weiteren Sinne aufzufaffen und nicht auf den Tatbestand der Anklage zu beschränken. Eick. v. 7. Dezbr. 82, R. 4 S. 871. Erk. v. 7. Mai 83, E. 8 S. 299. Bgl. Erk. v. 15. Juni 03, E. 36 S. 310. 66) Siehe hierüber folgende Entscheidungen: a. Liegen mehrere getrennte Anklagepunkte vor, so können die Zeugen be­ züglich einzelner eidlich, bezüglich anderer uneidlich vernommen werden. Erk. v. 24. Juni 84, R. 6 S. 466. Bgl. dazu Erk. v. 12. Febr. 85, R. 7 S. 98. Es ist aber unzulässig, die Aussage eines Zeugen nach der Zeitfolge der von ihm be­ kundeten Tatsachen zu trennen. Erk. v. 30. Nov. 06, GA. 54 S. 81. b. Eine Teilnahme des Zeugen an der Tat ist auch dann anzunehmen, wenn seine Handlungsweise unter einem besonderen strafrechtlichen Gesichtspunkt mit Strafe bedroht und bereits verjährt ist. Erk. v. 11. Jan. 86, R. 8 S. 34. Ein Zeuge, der in einem früher gegen ihn selbst anhängigen Verfahren von der Anklage der Teilnahme an einer bestimmten Straftat freigesprochen ist, in einem späteren Verfahren gegen einen weiteren Teilnehmer als der Teilnahme an der von diesem verübten Straftat verdächtig erscheint, braucht nicht beeidigt zu werden. Erk. v. 11. Dezbr. 02, Recht 7 S. 47. c. Hat eine Ehefrau gegen ihren Ehemann einen Diebstahl (straflos) ver­ übt, so kann sie in der Untersuchung gegen den Hehler nicht als Zeugin eidlich vernommen werden. Erk. v. 9. Juli 91, E. 22 S. 99. Auch nicht der bereits verurteilte Hehler in einer Untersuchung gegen einen zweiten Hehler, an den er weilerverkauft hat. Erk. v. 16. März 09, E. 42 S. 248. d. Ein bereits rechtskräftig Verurteilter kann in der erneuten Hauptver­ handlung gegen frühere Mitangeklagte als Zeuge eidlich vernommen werden. Erk. v. 28. Mai 95, E. 27 S. 266. Vgl. aber Erk. v. 27. Juni 93, GA. 41 S. 147. e. Ebenso kann die verkuppelte Person als Zeugin eidlich vernommen werden. Erk. v. 21. März 95, GA. 43 S. 52. Bgl. aber Erk. v. 1. Mai 00, GA. 47 S.291, DIZ. 5 S. 462. Erk. v. 11. Juni 06, Recht 10 S. 870. f. Der Verletzte bei gegenseitiger Mißhandlung ist nicht teilnahmeverdächtig u. ist daher als Zeuge eidlich zu vernehmen, da er sich, wenn auch im Zusammen­ hang mit der Straftat einer anderen selbständigen Straftat schuldig machte. Siehe die Anm. sub d u. Erk. v. 15. April 87, R. 9 S. 234 u. v. 10. Febr. 88, E. 17 S. 116. Im Falle des § 227 StGB, ist aber auch der Gegner Teil­ nehmer. Erk. v. 18. Septbr. 08, GA. 55 S. 329. g. Eine bloße Bezugnahme auf § 56 Nr. 3 ist keine genügende Motivierung. Erk. v. 21. April 93. E. 24 S. 130, aber es genügt die Erklärung, daß der Zeuge der Teilnahme verdächtig sei. Erk. v. 13. Jan. 88, R. IO S. 36. h. Die Beeidigung eines Zeugen wird dadurch nicht ausgeschloffen, daß gegen ihn eine Voruntersuchung wegen der zur Anklage stehenden Tat schwebt, wenn das Gericht feststellt, daß ein Verdacht gegen ihn nicht vorliege. Erk. v. 4. Juli 87, E. 16 S. 209. i. Bei Fahrlässigkeitsdelikten ist eine Teilnahme im Sinne des 8 56 Nr. 3 denkbar. Erk. v. 11. Juli 87, R. 9 S. 414. Siehe auch E. 8 S. 299. Erk. v. 29. Mai 06, Recht 10 S. 814.

74

V. Strafprozeßordnung § 57.

§ 57 Stehen Personen zu dem Beschuldigten in einem Ver­ hältnisse, welches sie nach § 51 zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt, so hängt es von dem richterlichen Ermessen ab, ob sie un­ beeidigt zu vernehmen oder zu beeidigen finb.67 * *) * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * Dieselben können auch nach der Vernehmung die Beeidigung des Zeugnisses verweigern68)69und sind über dieses Recht zu belehren.^)

k. Bei sukzessiver Aburteilung darf der Dieb gegen den Hehler nicht als Zeuge vernommen werden. Erk. v. 9. Juli 80, E. 2 S. 218. 1. Die Vereidigung darf nur wegen eines Verdachts unterlassen werden, der schon vor der Hauptverhandlung begründet war. Erk. v. 19. Novbr. 83, R. 5 S. 720. Siehe auch E. 8 S. 407. Erk. v. 3. Juli 84, R. 6 S. 510. Der Ausspruch, daß der Verdacht „nicht ausgeschloffen erscheint", genügt nicht. Erk. v. 27. Oktbr. 03, DIZ. 9 S. 123, GA. 51 S. 49. m. Der Verdacht gegen einen Zeugen muß diejenige Tat betreffen, wegen der das Verfahren eingeleitet ist, in welchem er aussagen soll. Erk. v. 5. Novbr. 81, R. 3 S. 686. n. Mitangeklagte können auch bei solchen Punkten, bei denen sie garnicht beteiligt sind, nicht als Zeugen vernommen und beeidet werden. Erk. v. 9. Mai 82, E. 6 S. 279. Erk. v. 23. Oktbr. 91, GA. 39 S. 315. o. Auch solche Personen können wegen Verdachts unbeeidet bleiben, gegen die wegen nicht ausreichenden Verdachts das Verfahren eingestellt ist. Erk. v. 26. Juni 83, E. 8 S. 382. p. Ein Mitschuldiger, gegen den das Hauptverfahren noch nicht eröffnet ist, kann als Zeuge vernommen werden. Erk. v. 11. Aug. 83, R. 5 S. 528. q. Der Gemeinschuldner kann als Beteiligter an der Straftat aus § 213 der Konk.Ord. angesehen werden und ist in diesem Falle seine Beeidigung aus­ geschloffen. Erk. v. 24. März 84, R. 7 S. 193. r. In dem Verfahren gegen den Begünstiger darf der als Zeuge vernommene Täter nicht beeidigt werden. GA. 47 S. 438. Siehe auch Erk. v. 5. Febr. 09, DIZ. 14 S. 604. 67) Über die Beeidigung entscheidet der Vorsitzende, Gerichtsbeschluß ist nur

im Falle des § 237 Abs. 2 notwendig. Erk. v. 18. Novbr. 80, E. 3 S. 46 u. ebenso R. 5 S. 535 u. 639. Der Angekl. und der StA. brauchen vor dem Beschluffe nicht gehört zu werden. Erk. v. 28. Mat 90, GA. 38 S. 194. Daß die Zeugen schon im Vorverfahren beeidigt sind, beschränkt das richterliche Ermessen nicht. Erk. v. 16. Febr. 80, R. 1 S. 358. 68) Die unbeeidete Aussage eines Zeugen, der zuerst auf sein Berweigerungsrecht verzichtet und ausgesagt hat, hinterher aber die Eidesleistung verweigert, kann als Beweismaterial benutzt werden. Erk. v. 6. Oktbr. 84, R. 6 S. 598. 69) Die Zeugen müssen ausdrücklich über das Recht der Eidesverweige­ rung belehrt werden, die Belehrung über die ZeugnisVerweigerung genügt nicht. Erk. v. 5. Oktbr. 83, R. 5 S. 576. Der Protokollvermerk: „Der Zeuge erklärte, seine Aussage beschwören zu wollen", genügt nicht. Erk. v. 17. Dezbr. 08, GA. 56 S. 89. Wenn es unterlassen wird, den unter Verzicht auf sein Zeugnisverweigerungsrecht uneidlich vernommenen Zeugen vor seiner späteren Vereidigung über sein Eidesverweigerungsrecht zu belehren, so führt dies zur Revision. Erk. v. 8. Juni 85, R. 7 S. 357. Vgl. auch die Anm. 57 zu 8 51. Der Belehrung bedarf es natürlich nur, wenn die Beeidigung erfolgen soll, nicht aber, wenn von der letzteren Abstand genommen wird. Erk. v. 12. April 89,

Zeugen §§ 58—61.

§ 58.

75

Jeder Zeuge ist einzeln und in Abwesenheit70 * *) * der später

abzuhörenden Zeugen zu vernehmen. Eine Gegenüberstellung mit anderen Zeugen oder mit dem Beschul­ digten findet im Vorverfahren nur dann statt, wenn sie ohne Nachteil für die Sache nicht bis zur Hauptverhandlung ausgesetzt bleiben kann.

§ 59.

Bor der Leistung des Eides hat der Richter den Zeugen

in angemessener Weise auf die Bedeutung des Eides ^tnjutoetfen.71)72 73 74 75 76

§ 60. beeidigen.7^

Jeder Zeuge, ist einzeln und vor seiner Vernehmung zu

Die Beeidigung kann jedoch aus besonderen Gründen,7')

namentlich wenn Bedenken gegen ihre Zulässigkeit obwalten,7^) bis nach Abschluß der Vernehmung ausgesetzt werden.7')

§ 61.

Der vor der Vernehmung zu leistende Eid lautet:

daß Zeuge nach bestem Wissen die reine Wahrheit sagen, nichts

verschweigen und nichts hinzusetzen werde;7') GA. 37 S. 187. Ist der Zeuge kommissarisch vernommen und ohne vorherige Belehrung über sein Eidesverweigerungsrecht vereidigt, so darf die Aussage doch verlesen werden. Erk. v. 17. Jan. 05, DIZ. 10 S. 508. 70) Es handelt sich hier nur um eine reglementäre Bestimmung. Erk. v. 13. Mai 81, R. 3 S. 295, Erk. v. 23. Septbr. 90, GA. 38 S. 354. Ist aber beantragt worden, einen bereits abgehörten Zeugen während der Vernehmung der übrigen abtreten zu lasten, so führt die Nichtbescheidung dieses Antrages zur Aufhebung. Erk. v. 21. Mai 95, GA. 43 S. 51. 71) Die Unterlastung führt nicht zur Revision. Erk. v. 8. Mai 82, E. 6 S. 267, auch dann nicht, wenn der erfolgte Hinweis einem der deutschen Sprache unkundigen Zeugen nicht verdolmetscht ist. Erk. v. 5. Febr. 03, Recht 7 S. 134. 72) Jeder Zeuge muß bei seiner Vernehmung die Richtigkeit der ihm vor­ gelegten General- und Personalfragen beeidigen. Erk. v. 30. Novbr. 80, E. 3 S. 79. Vgl. 3t. 2 ©. 401. Ergibt sich aus dem Protokoll nicht, daß die Zeugen die Erklärung über die Personalfragen unter Eid abgegeben haben, so ist die Revision nur begründet, wenn gellend gemacht wird, daß über die Identität oder Eidesfähigkeit unrichtige Angaben gemacht sind. Erk. v. 29. Jan. 84, R. 6 S. 64. Das Erk. v. 17. März 84, R. 6 S. 205, erklärt die Vorschrift bezüglich der Beeidigung der Personalfragen sogar für eine bloß instruktionelle. Werden aber einem Zeugen sog. Generalfragen (nach § 67 der StPO.) vorgelegt, so führt eS zur Revision, wenn die Beantwortung nicht unter Eid erfolgt ist. Erk. v. 7. März 84, R. 6 S. 176. Vgl. jedoch Erk. v. 20. Novbr. 84, R. 6 S. 739. 73) Der Grund, aus welchem die Beeidigung ausgesetzt ist, braucht nicht angegeben zu werden. Erk. v. 12. Septbr. 81, R. 3 S. 495. 74) Die Mchtbeeidigung eines Zeugen erfordert nicht immer einen Gerichts­ beschluß. Erk. v. 4. Juli 89, E. 19 S. 354. Der A. hat einen Anspruch auf die Mtteilung, aus welchem Grunde die Beeidigung des Zeugen unterbleibt. Erk. v. 1. Dezbr. 08, Recht 13 Nr. 184. 75) Der Vorsitzende kann sich auch von Zeugen und Sachverständigen un­ eidliche Auskunft, z. B. über ihr Berwandtschaftsverhältnis zum Angekl., erteilen lasten. Erk. v. 26. Juni 91, E. 22 S. 54. 76) Diesen Zeugeneid muß auch der Sachverständige leisten, wenn er über Tatsachen als Zeuge gehört wird. Erk. v. 29. April 80, R. 1 S. 697. Dgl. Anm. zu § 79.

76

V. Strafprozeßordnung §§ 62—65.

der nach der Vernehmung zu leistende Eid lautet: daß Zeuge nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt, nichts verschwiegen und niästs hinzugesetzt habe.

§ 62.

Der Eid beginnt mit den Worten: „Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden" und schließt mit den Worten: „So wahr mir Gott helfe".'')

§ 63. Der Eid wird mittels Nachsprechens oder Ablesens77 78)79der die Eidesnorm enthaltenden Eidesformel geleistet. Der Schwörende soll bei der Eidesleistung die rechte Hand erheben. Stumme, welche schreiben können, leisten den Eid mittels Ab­ schreibens und Unterschreibens der die Eidesnorm enthaltenden Eides­ formel. Stumme, welche nicht schreiben können, leisten den Eid mit Hilse

eines Dolmetschers durch Zeichen.

§ 64. Der Eidesleistung wird gleichgeachtet, wenn ein Mitglied einer Religionsgesellschast, welcher das Gesetz den Gebrauch gewisser Beteuerungssornielu an Stelle des Eides gestattet, eine Erklärung unter der Beteuerungsfonnel dieser Religionsgesellschaft abgibt.

§ 65. Die Beeidigung der Zeugen erfolgt, vorbehaltlich der Be­ stimmungen des § 222, in der Hauptverhandlung.7V) Sie kann schon in der Voruntersuchung erfolgen, wenn voraus­ sichtlich der Zeuge am Erscheinen in der Hauptverhandlung verhindert oder sein Erscheinen wegen großer Entfernung besonders erschwert sein wird, oder wenn die Beeidigung als Mittel zur Herbeiführung einer wahrheitsgemäßen Aussage erforderlich erscheint. In dem vorbereitenden Verfahren80) ist die Beeidigung nur zu­ lässig, wenn Gefahr im Verzug obwaltet, oder wenn die Beeidigung als Mittel zur Herbeiführung einer wahrheitsgemäßen Aussage über eine Tatsache, von der die Erhebung der öffentlichen Klage abhängig ist, erforderlich erscheint. 77) Das Hinzufügen einer konfessionellen Bekräftigungsformel beeinträch­ tigt nicht die Wirksamkeit deS EideS. Erk. v. 24. Juni 84, R. 6 S. 44. Siehe auch JMBl. 80 S. 369. Über den Eid der Mennoniten siehe BO. v. 10. März

27 (GS. S. 28) und über den Eid der Philipponen AKD. v. 19. Novbr. 36, v. Kamptz Jahrb. 49 S. 175. Der Zeuge muß seine Zugehörigkeit nachweisen. 78) ES ist auch ein freies Hersagen statthaft. Erk. v. 29. Juli 91, E. 22 S. 106. Der Eid braucht nicht in deutscher Sprache vorgesprochen zu werden. Erk. v. 16. Dezbr. 07, Recht 12 Nr. 433. 79) Die Beeidiguna im Vorverfahren führt aber nicht zur Aufhebung. Erk. v. 24. Apttl 80, R. 1 S. 658. 80) Vgl. hierüber Kronecker in GA. 29 S. 325.

Zeugen §§ 66, 67.

77

Erfolgt die Beeidigung im Vorverfahren^^ so ist der Grund in dem Protokoll anzugeben. § 66. Wird der Zeuge, nachdem er eidlich vernommen worden ist, in demselben Vorverfahren oder in demselben Hauptverfahren81 82)83 nochmals vernommen, so kann der Richter statt der nochmaligen Be­ eidigung den Zeugen die Richtigkeit seiner Aussage unter Berufung auf den früher geleisteten Eid versichern lassen.88) § 67. Die Vernehmung beginnt damit, daß der Zeuge über Vornamen und Zunamen, Alter, Religionsbekenntnis, Stand oder Gewerbe und Wohnort beftagt wird.84)* * Erforderlichenfalls sind dem Zeugen Fragen über solche Umstände, welche seine Glaubwürdigkeit

81) Vorverfahren umfaßt die Voruntersuchung und das vorbereitende Ver­ fahren. John, StPO. S. 627. Erk. v. 27. Juli 81, E. 4 S. 437. 82) Zu demselben Verfahren gehört auch das Verfahren vor der Berufungs­ instanz. Erk. v. 14. Dezbr. 05, GA. 53 S. 77. Stenglein StPO. Anm. 9. Ist ein Zeuge nach § 222 kommissarisch vernommen und beeidigt, so kann er auf den früheren Eid verwiesen werden. Erk. v. 27. Juli 81, E. 4 S. 437. Unbedenklich ist auch, daß der in der Hauptverh. beeidete Zeuge nicht nochmals beeidet zu werden braucht, wenn die Sache vertagt wird. Erk. v. 8. Jan. 81, R. 2 S. 704. Nach Erk. v. 17. Septbr. 80, E. 2 S. 234 ist auch eine noch­ malige Beeidigung nicht notwendig, wenn daS Verfahren vernichtet und die Sache in die Instanz zurückgewiesen wird. Ebenso Erk. v. 8. Jan. 84, R. 6 S. 29. Siehe auch Erk. v. 11. Mai 94, GA. 42 S. 136, u.Erk.v.9. Mai04, Recht8 S. 340. Die Hauptverh. in einem rechtskräftig abgeschlossenen Strafprozeß und die Hauptverh. in dem wieder aufgenommenen Verfahren, resp, die vorher stattge­ habte Beweisaufnahme gehören nicht zu demselben Hauptverfahren. Erk. v. 3. Jan. 89, E. 18 S. 417. Ebensowenig liegt dasselbe Hauptverfahren vor, wenn ein Strafverfahren wegen eines zur Zeit bestehenden Hindernisses der Strafver­ folgung durch Urteil für unzulässig erklärt ist und später nach Beseitigung des Hindernisses wegen der betreffenden Tat wieder eingeleitet ist. Erk. v. 28. Novbr. 98, GA. 46 S. 451, auch nicht, wenn die Verbindung zusammenhängender Straf­ sachen später wieder aufgehoben wird. Erk. v. 10. März 11, E. 44 S. 352. 83) Der Zeuge muß die Versicherung abgeben, ein bloßer Hinweis des Rich­ ters genügt nicht. Erk. v. 25. Febr. 80, R. 1 S. 328; dies braucht aber nicht mit den Worten des Gesetzes zu geschehen. Erk. v. 8. Jan. 81, R. 2 S. 704. Die Versicherung auf einen bereits geleisteten Eid kann auch promissorisch abgegeben werden. Erk. v. 8. März 92, GA. 39 S. 442. Hat ein Zeuge den assertorischen Eid geleistet und wird er in der Verhand­ lung wiederholt vernommen, so muß er jedesmal die Versicherung abgeben. Erk. v. 25. März 89, E. 19 S. 84. Wird ein Zeuge nach Eröffnung des Haupt­ verfahrens kommiffarisch vernommen, so muß er von neuem beeidigt werden. Erk. v. 24. Septbr. 85, R. 7 S. 529. Die Vorschrift des § 66 findet auch auf die Sachverständigen Anwendung. Erk. v. 22. Septbr. 87, R. 9 S. 453. 84) Die Personalfragen müssen dem Zeugen vorgelegt werden, bezüglich der Generalfragen entscheidet das richterliche Ermessen. Erk. v. 10. Dezbr. 80, E. 3 S. 100, ebenso E. 16 S. 214. Wegen des Sachverständigen siehe Anm. 96.

78

V. Strafprozeßordnung §§ 68, 69.

in der vorliegenden Sache betreffen, insbesondere über seine Be­ ziehungen zu dem Beschuldigten oder dem Verletzten, vorzulegen.85 86)87 § 68. Der Zeuge ist zu veranlassen, dasjenige, was ihm von dem Gegenstände seiner Vernehmung bekannt ist, im Zusammenhänge anzugeben. Vor seiner Vernehmung ist dem Zeugen der Gegenstand der Untersuchung und die Person des Beschuldigten, sofern ein solcher vorhanden ist, zu bezeichnen.88) Zur Aufklärung und zur Vervollständigung der Aussage sowie zur Erforschung des Grundes, auf welchem die Wissenschaft des Zeugen beruht, sind nötigenfalls weitere Fragen zu stellen.

§ 69. Wird das Zeugnis8?) oder die Eidesleistung ohne gesetz­ lichen Grund verweigert, so ist der Zeuge in die durch die Weigerung verursachten Kosten sowie zu einer Geldstrafe bis zu dreihundert Mark und für den Fall, daß diese nicht beigetrieben werden kann, zur Strafe der Hast bis zu sechs Wochen zu verurteilen.8^) Auch kann zur Erzwingung des Zeugnisses die Haft angeordnet werden, jedoch nicht über die Zeit der Beendigung des Verfahrens in der Instanz, auch nicht über die Zeit von sechs Monaten, und bei Übertretungen nicht über die Zeit von sechs Wochen hinaus.

85) Wegen der Beeidigung der sog. Generalfragen siehe oben Anm. 72 zu § 60. Wird eine Frage wegen Borbestrafungen gestellt, so braucht diese keinen Teil der Vernehmung zu bilden. Erk. v. 9. Oktbr. 80, R. 3 S. 307. Auf Dol­ metscher, als Organe des Gerichts, finden die Vorschriften des § 67 keine An­ wendung. Erk. v. 19. März 86, R. 8 S. 203. Unterlaffung der Vernehmung ad personam begründet nicht die Revision. Erk. v. 7. Mai 07, E. 40 S. 157. Siehe aber Anm. 88. 86) Die Vorschrift ist nur instruktioneller Natur. Erk. v. 8. Mai 82, E. 6 S. 267. — Die Zugehörigkeit einer Person zu einer politischen Partei ist eine Tatsache, und eine Frage nach derselben darf nicht abgelehnt werden. Erk. v. 18. Septbr. 94, E. 26 S. 70. Ebenso kann ein Zeuge über Trunkenheit einer Person vernommen werden. Erk. b. 11. Juni 86, R. 8 S. 459. Über Urteile ist ein Zeuge dann nicht zu Vernehmen, wenn nicht sowohl in Frage steht, in welchem Sinne er eine ganz bestimmte Wahrnehmung gemacht hat, als vielmehr welches allgemeine Urteiler sich über Berhältniffe oder Personen im Wege weitreichender, im einzelnen nicht kontrollierbarer Schlußfolgerungen gebildet hat. Erk. v. 17. Nov. 05, JurW. 06 S. 253. Eine gesetzmäßige Vernehmung liegt nicht vor, wenn der Zeuge erklärt, seine Aussage sei in dem von ihm überreichten Schriftstück enthalten. Erk. v. 29. Novbr. 04, E. 37 S. 330. 87) Auch ein unbeeidigtes Zeugnis, dessen Beeidigung unzulässiger Weise verweigert worden, kann bei der Urteilsfindung Verwerter werden. Erk. v. 19. Febr. 94, E. 25 S. 134. Über den Zeugniszwang der Polizeibehörde siehe Anm. 50 zu § 50. 87 a) Bor der Verhaftung muß dem Zeugen der Grund seiner Beeidigung mitgeteilt werden. GA. 51 S. 202. Die weitere Beschwerde ist im Falle der Zwangshaft nicht zulässig. KG. v. 26. März 06, GA. 53 S. 180.

Zeugen §§ 70, 71.

Sachverständige und Augenschein §§ 72, 73.

79

Die Befugnis zu diesen Maßregeln steht auch dem Untersuchungs­ richter, dem Amtsrichter im Vorverfahren, sowie dem beauftragten und

ersuchten Richter zu. Sind die Maßregeln erschöpft, so können sie in demselben oder in einem anderen Verfahren, welches dieselbe Tat zum Gegenstände

hat, nicht wiederholt werden. Die Festsetzung und die Vollstreckung der Strafe gegen eine dem aktiven Heere oder der aktiven Marine angehörende Militärperson er­ folgt auf Ersuchen durch das Militärgericht. § 70. Jeder von dem Richter oder der Staatsanwaltschaft ge­ ladene Zeuge hat nach Maßgabe der Gebührenordnung Anspruch auf Entschädigung aus der Staatskasse für Zeilversäumnis und, wenn sein Erscheinen eine Reise erforderlich macht, auf Erstattung der Kosten, welche durch die Reise und den Aufenthalt am Orte der Vernehmung verursacht werden. § 71. Die Landesherren und die Mitglieder der landesherrlichen Familien sowie die Mitglieder der Fürstlichen Familie Hohenzollern sind in ihrer Wohnung zu vernehmen. Das gleiche gilt in Ansehung der Mitglieder des vormaligen Hannoverschen Königshauses, des vor­ maligen Kurhessischen und des vormaligen Herzoglich Nassauischen Fürstenhauses.^^) Den Eid leisten dieselben mittels Unterschreibens der die Eides­ norm enthaltenden Eidesformel. Zur Hauptverhandlung werden sie nicht geladen. Das Protokoll über ihre gerichtliche Vernehmung ist in der Hauptverhandlung zu verlesen. 7. Abschnitt.

Aachverjtan-lgc nnd Augenschein.

§ 72. Auf Sachverständige finden die Vorschriften des sechsten Abschnitts über Zeugen entsprechende Anwendung, insoweit nicht in den nachfolgenden Paragraphen abweichende Bestimmungen getroffen sind.88 * *)89 § 73. Die Auswahl der zuzuziehenden Sachverständigen und die Bestimmung ihrer Anzahl erfolgt durch den Richter.8^ 67 b) Satz 2 des Abs. 1 ist auf Grund des Ges. v. 17. Mai 98 (RGBl. S. 252) eingeschoben. Siehe auch Anm. 1 zu § 1 EG. z. GVG. 88) Auch ein Sachverständiger kann auf Grund des § 57 Nr. 3 unbeeidigt bleiben. Erk. v. 22. Oktbr. 95, E. 27 S. 398. Die Unterlassung der Beftagung ad personam führt hier zur Revision Erk. v. 27. Aug. 08, Recht 12 Nr. 3097. Siehe aber Anm. 85 Abs. 2. 89) Diese Vorschrift steht dem Recht des StA. und des Angekl., Sachver­ ständige zu laden, nicht entgegen. Erk. v. 22. Jan. 81, R. 2 S. 754. Ein Ge­ richtsbeschluß, durch welchen Vernehmung eines Sachverst. über sog. technische Fragen abgelehnt wird, kann mit der Revision nicht angefochten werden. Erk. v. 30. April 94, E. 25 S. 326. Vgl. auch Erk. v. 10. Mai 94, «Mnba S. 361,

80

V. Strafprozeßordnung §§ 74—76.

Sind für gewisse Arien von Gutachten Sachverständige öffentlich bestellt, so sollen andere Personen nur dann gewählt werden, wenn besondere Umstände es erfordern. § 74. Ein Sachverständiger kann aus denselben Gründen, welche zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Ein Ab­ lehnungsgrund kann jedoch nicht daraus entnommen werden, daß der Sachverständige als Zeuge vernommen worden ist.90)

Das Ablehnungsrecht steht der Staatsanwaltschaft, dem Privat­ kläger und dem Beschuldigten $u.91) Die ernannten Sachverständigen sind den zur Ablehnung Berechtigten namhaft zu machen, wenn nicht besondere Umstände entgegenstehen. Der Ablehnungsgrund ist glaubhaft zu machen; der Eid ist als Mittel der Glaubhaftmachung ausgeschlossen. § 75.

Der zum Sachverständigen ernannte hat der Ernennung

Folge zu leisten, wenn er zur Erstattung von Gutachten der erforderten Art öffentlich bestellt ist, oder wenn er die Wissenschaft, die Kunst oder das Gewerbe, deren Kenntnis Voraussetzung der Begutachtung ist, öffentlich zum Erwerbe ausübt, oder wenn er zur Ausübung derselben öffentlich bestellt oder ermächtigt ist. Zur Erstattung des Gutachtens ist auch derjenige verpflichtet, welcher sich zu derselben vor Gericht bereit erklärt hat. § 76. Dieselben Gründe, welche einen Zeugen berechtigen, das Zeugnis zu verweigern, berechtigen einen Sachverständigen zur Ver­ weigerung des Gutachtens. Auch aus anderen Gründen kann ein Sachverständiger von der Verpflichtung zur Erstattung des Gutachtens entbunden werden. Die Vernehmung eines öffentlichen Beamten als Sachverständigen findet nicht statt, wenn die vorgesetzte Behörde des Beamten erklärt, daß die Vernehmung den dienstlichen Interessen Nachteil bereiten würde. 90) Auch nicht daraus, daß der Sachverständige bereits im Vorverfahren als Sachverständiger gehött ist. Erk. v. 6. März 00, E. 33 S. 198. Es bedarf stets einer Ablehnung, auch wenn Gründe gemäß § 22 vorliegen. Erk. v. 18. Juni 07, Recht US. 996. Ein Verletzter darf gegen den Widerspruch deS Angekl. nicht als Sachverst. vernommen werden. Erk. v. 22. Dezbr. 85, R. 7 S. 752. Aber nur eine unmittelbare Verletzung durch die Lat macht den Sach­ verst. unfähig, eine mittelbare kann höchstens zur Ablehnung berechtigen. Erk. v. 10. Mai 94, GA. 42 S. 129. 91) Auch dem Nebenkläger. Der Antrag, einen Zeugen auch als Sachverst. zu vernehmen, kann abgelehnt werden, wenn gesetzliche Ablehnungsgründe geltend gemacht werden. Erk. v. 8. März 95, GA. 43 S. 44. Mit der Niederlegung des Amtes als öffentlicher Sachverst. verliert der all­ gemein geleistete Sachverständigeneid seine Wirksamkeit. Erk. v. 8. Jan. 97 E. £9 S. 300. Vgl. AB. v. 5. Febr. 1900 (JMBl. S. 48).

81

Sachverständige und Augenschein §§ 77—79.

§ 77. Im Falle des Nichterscheinens oder der Weigerung eines zur Erstattung des Gutachtens verpflichteten Sachverständigen wird dieser zum Ersätze der Kosten und zu einer Geldstrafe bis zu drei­ hundert Mark verurteilt. Im Falle wiederholten Ungehorsams kann noch einmal eine Geldstrafe bis zu sechshundert Mark erkannt werden. Die Festsetzung und die Vollstreckung der Strafe gegen eine dem attiven Heere oder der aktiven Marine angehörende Militärperson er­ folgt auf Ersuchen durch das Militärgericht. § 78. Der Richter hat, soweit ihm dies erforderlich erscheint, die Tätigkeit der Sachverständigen zu leiten.") § 79. Der Sachverständige hat not98) Erstattung des Gutachtens einen Eid dahin zu leisten:04) daß er das von ihm erforderte Gutachten unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen erstatten werde. Ist der Sachverständige für die Erstattung von Gutachten der betreffenden Art im allgemeinen0^) beeidigt, so genügt die Berufung auf den geleisteten Eid.00) 92)

Über Vernehmung der Fabttkinspektoren siehe AB. v. 1. Mai 77

(JMBl. S. 81) und über die Verpflichtung der Beamten, sich als Sachverstän­ dige vernehmen zu lasten, Reskr. v. 6. Apttl 83 (JMBl. S. 80). 93) Der Sachverst. ist immer promistottsch zu beeidigen, doch führt eine nachträgliche Vereidigung nicht zur Revision. Erk. v. 4. Juni 83, R. 5 S. 401. Ebenso E. 1 S. 349 u. E. 8 S. 359. 94) Es genügt, wenn der Sachverständige erklärt, daß er daS ihm vorge­ lesene Gutachten zu dem seinigen mache. Erk. v. 28. Dezbr. 06, DIZ. 12 S. 600; anders beim Zeugen. Siehe Anm. 86. Mrd der Sachverst. zugleich als Zeuge vernommen, so hat er auch den Zeugeneid zu leisten» Anm. 76 zu 8 61, doch deckt auch der Zeugeneid den Sachverständigeneid. Erk. v. 26. Febr. 84, R. 6 S. 154; doch kann auch der Sachverständigeneid den Zeugeneid decken, wenn die Darstellung und Würdigung von Tatumständen einen untrennbaren Beftandleil des Gesamtgutachtens bildet. Erk. v. 24. Juni 10, E. 44 S. 11 u. Erk. v. 10. Juni 10, E. 43 S. 437. Die zu einer Leichenöffnung zugezogenen Ärzte sollen aber nur den Sachverständigeneid zu leisten haben. Erk. v.

10. Dezbr. 80, E. 3 S. 101. 95) Die allgemeine Beeidigung kann auch von einer anderen Behörde als dem Gettcht z. B. einer Handelskammer erfolgt sein. AB. v. 5. Febr. 00, (§ 13) JMBl. S. 51. Die Berufung eines Sachverst. auf eine in derselben Sache ab­ gegebene Versicherung auf seinen ein für allemal geleisteten Sachverständigeneid ist unstatthaft. Erk. v. 17. Novbr. 93, GA. 41 S. 407. 96) Nur bei Vernehmungen durch dasjenige Gericht, für dessen Bezirk der Sachverst. den allgemeinen Sachverständigeneid geleistet hat, ist er berechtigt, die Richtigkeit des Gutachtens auf diesen Eid zu versichern. Erk. v. 11. März 95, GA. 43 S. 46, u. Erk. v. 15. Dezbr. 04, E. 37 S. 364. Dies ist aber anders, wenn es sich um eine kommiffansche Vernehmung des Sachverst. handelt. Erk. v. 20. Novbr. 94, E. 26 S. 214 und 11. Juni 94, GA. 42 S. 243. Siehe die Über­ sicht über die reichsgerichtliche Rechtsprechung in dieser Frage in GA. 43 S. 46.

Dalcke, Straft. 13. Aufl.*

6

82

V. Strafprozeßordnung §§ 80, 81.

§ 80. Dem Sachverständigen kann auf sein Verlangen zur Vor­ bereitung des Gutachtens durch Vernehmung von Zeugen oder des Beschuldigten weitere Aufklärung verschafft werden. Zu demselben Zwecke kann ihm gestattet werden, die Akten ein­ zusehen, der Vernehmung von Zeugen oder des Beschuldigten beizu­ wohnen und an dieselben unmittelbar Fragen zu stellen.06 B) § 81. Zur Vorbereitung eines Gutachtens über den Geisteszu­ stand des Angeschuldigten kann das Gericht *”) auf Antrag eines Sachverständigen nach Anhörung des Verteidigersanordnen, daß der Angeschuldigte in eine öffentliche Irrenanstalt gebracht und dort beobachtet werde."«) Dem Angeschuldigten, welcher einen Verteidiger nicht hat, ist ein solcher zu bestellen. Gegen den Beschluß findet sofortige Beschwerde statt. 10°) Die­ selbe hat aufschiebende Wirkung. Die Beeidigung eines Sachverst. soll immer erst nach Beantwortung der Personalfragen erfolgen. Erk. v 31. März 85, R. 7 S. 212. Dgl. auch Erk. v. 3. Novbr. 03, Recht 7 S. 558. Auch der Sachverst. kann sich nicht auf einen im Vorverfahren geleisteten Eid berufen. Erk. v. 22. Septbr. 87, R. 9 S. 453. In der Revisionsinstanz kann aber nicht geltend gemacht werden, daß der Eid für das Gericht, bet welchem das Gutachten abgegeben, nicht gültig sei. Erk. v. 25. Novbr. 90, GA. 38 S. 443. Der Sachverständigeneid umfaßt nicht auch die richtige Beantwortung der Personalfragen. Erk. v. 17. Febr. 90, E. 20 S. 335. Dgl. auch Erk. v. 31. März 85, R. 7 S. 212. Der von den Kreis­ ärzten geleistete Diensteid begreift zugleich den allgemeinen Sachverständigeneid in sich. Erk. v. 21. März 05, GA. 52 S. 252, Recht 9 S. 230. Dies gilt auch von den Gerichtsärzten. Erk. v. 22. Juni 09, E. 42 S. 369. 96 a) Dies Recht hat auch der Sachverst., der zugleich Zeuge ist. Erk. v. 12. Septbr. 81, R. 3 S. 496. Vgl. auch Erk. v. 25. März 91, E. 22 S. 434. 97) Diese Befugnis ist nicht auch dem Untersuchungsrichter oder dem Vor­ sitzenden im Vorbereitungsverfahren gegeben. GA. 39 S. 84. Die Maßregel kann auch angeordnet werden, wenn es sich nur um den Zustand zur Zeit der Tat handelt. Erk. v. 1. Moi 90, E. 20 S. 378. Siehe die AB. vom 20. Okt. 08 (JMBl. S. 368) über die Unterbringung von Angeschuldigten zur Beobachtung auf ihren Geisteszustand in Provinzial-Jrrenanstalten. 98) Der Verteidiger muß gehört werden, hat aber kein Antragsrecht. Siehe das in vor. Anm. zit. Erk. Ob § 81 auch im Diszipl.-Berfahren anwendbar, darüber siehe GA. 44 S. 209. 99) Wird der Antrag gestellt, so ist er als ein Beweisantrag zu behandeln, namentlich, wenn auch seitens der Parteien derselbe gestellt wird. Erk. v. 8. Juli 95, E. 27 S. 343. 100) Gegen den Beschluß ist die Beschwerde zulässig, § 347 findet hier keine Anwendung. Siehe Dalcke in GA. 40 S. 412. Ebenso München GA. 41, S. 156 und das Kammerger. ebenda. A. M. OLG. Braunschweig. GA. 52 S. 82. Zur Ausführung des Beschlusses ist die StA. verpflichtet. Düsieldorf v. 26. Juni 09, GA. 58 S. 257.

Sachverständige und Augenschein §§ 82—86.

83

Die Verwahrung in der Anstatt darf die Dauer von sechs Wochen nicht übersteigen.100 •) § 82. Im Vorverfahren hängt es von der Anordnung des Richters ab, ob die Sachverständigen ihr Gutachten schriftlich oder mündlich zu erstatten habend) § 83. Der Richter kann eine neue Begutachtung durch dieselben oder durch andere Sachverständige anordnen, wenn er das Gutachten für ungenügend erachtet. Der Richter kann die Begutachtung durch einen anderen Sach­ verständigen anordnen, wenn ein Sachverständiger nach Erstattung des Gutachtens mit Erfolg abgelehnt ist. In wichtigeren Fällen kann das Gutachten einer Fachbehörde ein­ geholt werden.2*)3 14 § 84. Der Sachverständige hat nach Maßgabe der Gebühren­ ordnung Anspruch auf Entschädigung für Zeilversäumnis, auf Er­ stattung der ihm verursachten Kosten und außerdem auf angemessene Vergütung für seine Mühewaltung. § 85. Insoweit zum Beweise vergangener Tatsachen oder Zu­ stände, zu deren Wahrnehmung eine besondere Sachkunde erforderlich war, sachkundige Personen zu vernehmen sind, kommen die Vorschriften über den Zeugenbeweis zur Anwendung.2)

§ 86.

Findet die Einnahme eines richterlichen Augenscheins^)

100 a) Doch kann der Angeschuldigte zur Vorbereitung eines anderweiten Gutachtens in Haft behalten und in ein anderes Gefängnis überführt werden. Erk. v. 2. Juli 01, E. 34 S. 306. 1) Über Form und Beweiskraft der ärztlichen Älteste vgl. AB. v. 3. Febr.

53 (JMBl. S. 65), v. 21. Febr. 56 (JMBl. S. 58) u. v. 19. Juni 71 (JMBl. S. 154). 2) Darauf, daß das Gericht auf den Antrag, ein Obergutachten einzuholen, nicht eingegangen ist, kann eine Revision nicht gegründet werden. Erk. v. 2. März 81, R. 3 S. 96. Bgl. auch R. 1 S. 805. Die Borschttft des § 83 gilt auch für das schwurgerichtliche Verfahren. Erk. v. 28. Jan. 03, Recht 7 S. 134. Die Maßregel aus § 81 (Unterbringung in eine Irrenanstalt) kann aber nicht wiederholt werden. Erk. v. 13. Juli 92, E. 23 S. 209. 3) Sachverständiger Zeuge ist derjenige, der über Wahrnehmungen, zu denen eine besondere Sachkunde erforderlich war, aussagt, wenn die zu beur­ kundenden Tatsachen oder Zustände von ihm zu einer Zeit wahrgenommen wurden, in der er nicht Sachverständiger war. Steng lein StPO. Anm. 1. Der Zeugeneid deckt den Sachverständigeneid. Siehe oben 94 Anm. 94. 4) Nimmt das erkennende Gettcht im Laufe der Hauptverhandlung einen Augenschein ein, so braucht darüber kein Protokoll ausgenommen zu werden. Erk. v. 3. Dezbr. 94, E. 26 S. 277. Soweit die Durchsuchung einer Person gerechtfertigt ist, erscheint auch der Zwang auf Duldung einer ärztlichen Unter­ suchung zulässig. Erk. v. 11. Juni 86, R. 8 S. 454.

84

V. Strafprozeßordnung §§ 87, 88.

statt, b) so ist im Protokolle der vorgefundene Sachbestand sestzustellen und darüber Auskunft zu geben/) welche Spuren oder Merkmale, deren Vorhandensein nach der besonderen Beschaffenheit des Falles vermutet werden konnte, gefehlt haben.

§ 87. Die richterliche Leichenschau wird unter Zuziehung eines Arztes,ea) die Leichenöffnung im Beisein des Richters von zwei Ärzten, unter welchen sich ein Gerichtsarzt befinden muß, vorgenommen.') Demjenigen Arzte, welcher den Berstorbenm in der dem Tode un­

mittelbar vorausgegangenen Krankheit behandelt hat, ist die Leichen­ öffnung nicht zu übertragen.

Derselbe kann jedoch ausgefordert werden,

der Leichenöffnung anzuwohnen, um aus der KrankheitSgeschichte Auf­

schlüsse zu geben.

Die Zuziehung eines Arztes kann bei der Leichenschau unterbleiben, wenn sie nach Ermessen des Richters entbehrlich ist. Behufs der Befichttgung oder Öffnung einer schon beerdigten Leiche ist ihre Ausgrabung statthaft.

§ 88.

Bor der Leichenöffnung ist, ®) wenn nicht besondere Hinder­

nisse entgegenstehen, die Persönlichkeit des Verstorbenen,9) insbesondere

durch Befragung

von Personen, welche den

Verstorbenen gekannt

5) Ob ein Augenschein einzunehmen, darüber entscheidet das nchterliche Ermessen. Das Gettcht kann auch den Zeugen beaufttagen eine Lokalität zu be­ sichtigen und denselben sodann darüber vernehmen. Erk. v. 28. Septbr. 81, R. 3 S. 544. Vgl. jedoch Erk. v. 16. Dezbr. 90, E. 21 S. 225. 6) Entsprechend der Zeugnispflicht existiert auch, wie fast übereinstimmend anerkannt wird, die Pflicht, die Augenscheineinnahme zu dulden. Vgl. Anm. 4. 6 a) Die Gerichtspersonen dürfen nicht die Besichtigung der Leiche — sei es auch nur teilweise — dem Arzt allein überlassen und sich insoweit damit be­ gnügen, die Wahrnehmungen des Arztes in der Form der Vernehmung eines Sachverständigen im Protokoll niederzulegen. Erk. v. 16. Novbr. 11, Recht 16 9hr. 154. 7) Einer der beiden Ärzte muß ein Gerichtsarzt sein. In Preußen gehört

die Wahrnehmung gettchtsärztlicher Funktionen zu dem amtlichen Berufe der Kreisphysici, jetzt Kreisärzte (Ges. v. 16. Sept. 99, GS. S. 172); Dienstan­ weisung v. 1. Septbr. 09 (JMBl. 10 S. 149). Ist der Gerichtsarzt verhindett, so ist der benachbarte Kreisarzt zuzuziehen. Ist die Zuziehung eines Privatarztes notwendig, so soll ein kreisärztlich geprüfter Arzt zugezogen werden. BO. v. 27. Apr. 81, 30. Mai 90 u. 30. Januar 93; Müller S. 1174. 8) Die Leichenöffnung ist nicht das ausschließliche Beweismittel zur Fest­ stellung deS Todes und der Todesursache, eS können hierfür auch andere Beweise die Unterlage geben. Erk. v. 18. Oktbr. 89, GA. 37 S. 360. 9) Der Beweis über die Persönlichkeit des Verstorbenen darf nicht durch Verlesung der im Sektionsprotokoll abgegebenen Erklärung der Rekognitionszeugen erhoben werden, diese Personen müssen vielmehr als Zeugen vernommen werden. Erk. v. 6. Juni 84, R. 6 S. 394.

Sachverständige und Augenschein §§ 89—92. haben, festzustellen.

85

Ist ein Beschuldigter vorhanden, so ist ihm die

Leiche zur Anerkennung vorzuzeigen.10)11 § 89. Die Leichenöffnung") muß sich, soweit der Zustand der Leiche dies gestaltet, stets auf die Öffnung der Kopf-, Brust- und Bauchhöhle erstrecken.12)

§ 90.

Bei Öffnung der Leiche eines neugeborenen Kindes ist

die Untersuchung insbesondere auch darauf zu richten, ob dasselbe

nach oder während der Geburt gelebt habe, und ob es reif oder wenigstens fähig gewesen sei, das Leben außerhalb des Mutterleibes

fortzusetzen. § 91.

Liegt der Verdacht einer Vergiftung vor, so ist die Unter­

suchung der in der Leiche oder sonst gefundenen verdächtigen Stoffe durch einen Chemiker oder durch eine für solche Untersuchungen bestehende

Fachbehörde vorzunehmen. Der Richter kann anordnen, daß diese Untersuchung unter Mit­

wirkung oder Leitung eines Arztes stattzufinden habe. § 92.

Bei Münzverbrechen und Münzvergehen sind die Münzen

oder Pclpiere erforderlichenfalls derjenigen Behördeia) vorzulegen, von

welcher echte Münzen oder Papiere dieser Art in Umlauf gesetzt werden. 10) Diese Vorzeigung kann unterbleiben, wenn besondere Hinderniffe ent­ gegenstehen. 11) Das bei der Leichenöffnung von den Ärzten zu beachtende Verfahren bestimmt sich nach dem betr. Landesrecht. In Preußen gilt in dieser Beziehung die AB. v. 13. Febr. 05 betr. das Verfahren der Gerichtsärzle bei den gericht­ lichen Untersuchungen menschlicher Leichen (JMBl. S. 45). Über die Obduktion der Leichname von Militärpersonen stehe MStGO. v. 1. Dezbr. 98 §§ 155, 223 ff. Über das Verfahren bei Tötungen auf Schiffen vgl. Seemannsordnung v. 2. Juni 02 § 126. Sogleich nach Eingang der Obdukttonsverhandlungen sollen in Preußen die Gerichtsbehörden Abschrift derselben der betr. Regierung einreichen. Reskr. v. 6. März 40 und 29. Oktbr. 47 (JMBl. S. 99 u. 321); bez. der neuen Landesteile Berf. v. 21. August 72 (JMBl. S. 230) u. v. 17. Oktbr. 89 (JMBl. S. 253). — Die Requisitionen der Genchte wegen eines von der Königl. preuß. wissenschaftlichen Deputation einzuholenden Gutachtens sind an den Minister der geistl. Angelegenheiten zu richten. Berf. v. 13. Dezbr. 52 (JMBl. S. 406) u. AB. v. 17. Febr. 91 (JMBl. S. 51). Dazu B. v. 20. Febr. 82 (JMBl. S.' 30) bett, das Verfahren bei der Revision der Protokolle und Gutachten, welche in gerichtlichen Gemütszustands- und Leichenunter­ suchungen ausgenommen sind. Siehe auch AB. v. 6. Juli 87 (JMBl. S. 187). Die Einreichung der Protokolle über Leichenöffnungen und Entmündigungen an die Regierungspräsidenten soll nach Möglichkeit beschleunigt werden. Reskr. v. 16. März 95 (JMBl. S. 109). 12) Über die Beschaffung der zu einer gerichtlichen Leichenöffnung erforder­ lichen Instrumente stehe AB. v. 27. April 81 (JMBl. S. 86). * 13) Wenn die Papiere von einer Korporation oder Gesellschaft ausgegeben sind, so ist das Gutachten von dem bett. Borstand einzuholen.

86

V. Strafprozeßordnung §§ 93, 94.

Das Gutachten dieser Behörde ist über die Unechtheit oder Verfälschung sowie darüber einzuholen, in welcher Art die Fälschung mutmaßlich begangen worden sei. u)

Handelt es sich um ausländische Münzen oder Papiere, so kann an Stelle des Gutachtens der ausländischen Behörde dasjenige einer deutschen erfordert werden. § 93.

Zur Ermittelung der Echtheit oder Unechtheit eines Schrift­

stücks, sowie zur Ermittelung des Urhebers desselben kann eine Schrift­ vergleichung

unter Zuziehung

von

Sachverständigen

vorgenommen

werden.14 15) 8. Abschnitt.

§ 94

Leschtaguahme uub vurchsuchnug.

Gegenstände, welche als Beweismittel für die Untersuchung

von Bedeutung sein können oder der Einziehung unterliegen, sind in Verwahrung zu nehmen oder in anderer Weise sicherzustellen.

Befinden sich die Gegenstände in dem Gewahrsam einer Person

und werden dieselben nicht fteiwillig herausgegeben, so bedarf es der Beschlagnahme.16)

14) In Preußen muß das Gutachten, ob die in Beschlag genommene Münze falsch sei, von der Generalmünzdirektion zu Berlin eingeholt werden. Restr. v. 13. Ottbr. 55 (JMBl. S. 338). Vgl. über die Form deS Ersuchens: Restr. v. 22. Septbr. 55 (JMBl. S. 310); v. 8. Novbr. 65 (JMBl. S. 262). — Falschstücke sind nach beendeter Untersuchung an den Regierungspräsidenten abzuliefern. Siehe Nr. 21 und 29 der Allgemeinen Verfügung, betreffenb die von den Beamten der Staatsanwaltschaft, von den Strafvollstreckungsbehörden und in Privattlagesachen von den Amtsgerichten an andere Behörden zu machenden Mitteilungen, v. 29. Apnl 07 (JMBl. S. 359) im Anhang sub V. Vgl. auch die Allgemeine Verfügung, betr. das Verfahren der Gerichte und Staats­ anwaltschaften bei Beschlagnahme falscher Münzen, v. 11. April 81 (JMBl. S. 69) und die Allgemeine Verfügung, betr. das Verfahren bei Beschlagnahme falscher Münzen und betr. die Behandlung solcher Münzen, v. 3. Septbr. 12 (JMBl. S. 309), durch welche die genaue Befolgung der ergangenen An­ ordnungen zur Pflicht gemacht ist. In der ersteren Verfügung ist auch bestimmt, daß die Beamten der Münzdirektion nur ganz ausnahmsweise als Sachver­ ständige geladen werden sollen. 15) Welche Beschaffenheit die zur Schttftvergleichung verwendete Schrift haben muß, darüber entscheidet da- Gericht. Es genügt, wenn feststeht, daß die­ selbe von dem Angeklagten herrührt. Erk. v. 25. Febr. 87, E. 15 S. 319. 16) Die Beschlagnahme wird nicht schon durch die bloße Anordnung perfekt, sondern verlangt noch einen weiteren amtlichen Ausführungsakl; der aber an besondere Formen nicht geknüpft ist und insbesondere nicht eine Besitzergreifung und Entziehung auS dem Gewahrsam deS Inhabers fordett. Erk. v. 19. Juni 88, E. 18 S. 71. Auch eine erst bevorstehende Untersuchung kann die Grund­ lage für die Beschlagnahme bilden. OLG. Breslau v. 4. Ottbr. 10, GA. 59 S. 172.

§ 95. Wer einen Gegenstand der vorbezeichneten Art in seinem Gewahrsam hat, ist verpflichtet, denselben auf Erfordern vorzulegen und auszuliefern.n) Er kann im Falle der Weigerung durch die im § 69 bestimmten Zwangsmittel hierzu angehalten werden. Gegen Personen, welche zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt sind, finden diese Zwangs­ mittel keine Anwendung. § 96. Die Vorlegung oder Auslieferung von Akten oder anderen in amtlicher Verwahrung befindlichen Schriftstücken durch Behörden und öffentliche Beamte darf nicht gefordert werden, wenn deren oberste Dienstbehörde erklärt, daß das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke dem Wohle des Reichs oder eines Bundes­ staates Nachteil bereiten würde. § 97. Schriftliche Mitteilungen17 18)19zwischen dem Beschuldigten10) und denjenigen Personen, die wegen ihres Verhältnisses zu ihm nach §§ 51, 52 zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt sind, unter­ liegen der Beschlagnahme nicht, falls sie sich in den Händen der letzteren Personen befinden und diese nicht einer Teilnahme, Begünsti­ gung oder Hehlerei verdächtig sind.

§ 98. Die Anordnung von Beschlagnahmen steht dem Richter, bei Gefahr im Verzug auch der Staatsanwaltschaft und denjenigen Polizei- und Sicherheitsbeamten ju,20) welche als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft den Anordnungen derselben Folge zu leisten haben.21) Ist die Beschlagnahme ohne richterliche Anordnung erfolgt, so soll der Beamte, welcher die Beschlagnahme angeordnet hat, binnen drei Tagen die richterliche Bestätigung nachsuchen, wenn bei der Be­ schlagnahme weder der davon Betroffene noch ein erwachsener Ange17) Auch schädliche Gegenstände des Marktverkehrs können von den Polizei­ beamten mit Beschlag belegt werden. Erk. v. 23. Oktbr. 83, E. 9 S. 121. Vgl. über die Befugnisse der Beamten insbes. Erk. v. 9. Jan. 85, R. 7 S 25. 18) Beschlagnahme und Durchsuchung sind auch im Disziplinarverfahren gegen Beamte und Rechtsanwälte zulässig. Erk. v. 13. Juni 84, E. 10 S. 425. 19) Der Ausdruck „Beschuldigter" ist hier in einem weiteren auch den Verdächtigen umfaffenden Sinne zu verstehen. Ein im Widerspruche mit der Vorschrift des § 97 beschlagnahmtes Beweismittel darf bei der Urteilsfällung nicht verwertet werden. Erk. v. 7. Novbr. 89, E. 20 S. 91. Vgl. auch hier­ zu Erk. v. 27. März 96, E. 28 S. 285. 20) Der § 98 spricht nur von der prozeffualischen Beschlagnahme und be­ zieht sich nicht auf Präventivmaßregeln, welche Polizeibeamte im Interesse der öffentlichen Ordnung vornehmen. Erk. v. 16. Novbr. 85, E. 13 S. 44. 21) Siehe AB. v. 15. Septbr. 79 (JMBl. S. 349)

88

V. Eirasprozeßordnung §§ 99, 100.

höriger anwesend war, oder wenn der Betroffene und im Falle seiner

Abwesenheit ein erwachsmer Angehöriger desselben gegen die Beschlag­

nahme ausdrücklichen Widerspruch erhoben hat.

Der Betroffene kann

jederzeit die richterliche Entscheidung nachsuchen.

Solange die öffent­

liche Klage noch nicht erhoben ist, erfolgt die Entscheidung durch den Amtsrichter, in dessen Bezirk die Beschlagnahme stattgefunden hat. Ist nach erhobener öffentlicher Klage die Beschlagnahme durch die

Staatsanwaltschaft oder einen Polizei- oder Sicherheitsbeamten erfolgt, so ist binnen drei Tagen dem Richter von der Beschlagnahme Anzeige

zu machen und sind demselben die in Beschlag genommenen Gegen­

stände zur Verfügung zu stellen. Beschlagnahmen in militärischen Dienstgebäuden, zu welchen auch

Kriegsfahrzeuge gehören, erfolgen durch Ersuchen der Militärbehörde, und auf Verlangen der Zivilbehörde (Richter,

unter deren Mitwirkung.

Staatsanwaltschaft)

Des Ersuchens der Militärbehörde bedarf

es jedoch nicht, wenn die Beschlagnahme in Räumen vorzunehmen ist,

welche in militärischen Dienstgebäuden ausschließlich von Zivilpersonen bewohnt werden.

§ 99. Zulässig ist die Beschlagnahme der an den Beschuldigten gerichteten Briese und Sendungen auf der Post sowie der an ihn ge­ richteten Telegramme auf den Telegraphenanstallen; desgleichen ist zu­

lässig

an den bezeichneten Orten

Sendungen und Telegramme, in

die Beschlagnahme

solcher Briefe,

betreff derer Tatsachen vorliegen,

aus welchen zu schließen ist, daß sie von dem Beschuldigten herrühren oder für ihn bestimmt sind und daß ihr Inhalt für die Untersuchung

Bedeutung habe.^^)

§ 100. Zu der Beschlagnahme (§ 99) ist nur der Richter,") bei Gefahr im Verzug und, wenn die Untersuchung nicht bloß eine Über­ tretung betrifft, auch die Staatsanwaltschaft befugt.

Die letztere nruß

jedoch den ihr ausgelieserten Gegenstand sofort, und zwar Briefe und

andere Postsendungen uneröffnet, dem Richter vorlegen.

Die von der Staatsanwaltschaft verfügte Beschlagnahme tritt, auch wenn sie eine Auslieferung noch nicht zur Folge gehabt hat, außer Kraft, wenn sie nicht binnen drei Tagen von dem Richter bestätigt wird?')

21 a) Sm Verfahren der Strafvollstreckung ist die Beschlagnahme nicht mehr zulässig. GA. 54 S. 104. 22) Der Ausdruck „Richter" ist hier gleichbedeutend mit Gericht und nach Eröffnung des Hauptverfahrens beschließt die Beschlagnahme die Strafkammer, nicht der Vorsitzende. GA. 43 S. 269. 23) Hat der Richter die Zulässigkeit der Eröffnung ausgesprochen, so er­ folgt dieselbe im ErrnittelungSverfahren durch den StA. I o h n a. a. O. S. 805.

Beschlagnahme und Durchsuchung §§ 101—103.

89

Die Entscheidung über eine von der Staatsanwaltschaft verfügte Beschlagnahme sowie über die Eröffnung eines ausgelteferten Briefes oder einer anderen Postsendung erfolgt durch den zuständigen Richter

(§ 98).-') § 101.

Von den getroffenen Maßregeln-^) (§§ 99,100) sind die

Beteiligten zu benachrichtigen, sobald dies ohne Gefährdung des Unter­

suchungszweckes geschehen kann. Sendungen, deren Eröffnung nicht angeordnet worden, sind den

Beteiligten sofort auszuantworten.

Dasselbe gilt, soweit nach der

Eröffnung die Zurückbehaltung nicht erforderlich ist. Derjenige Teil eines zurückbehattenen Briefes, dessen Borenthaltung

nicht durch die Rücksicht auf die Untersuchung geboten erscheint, ist dem

Empfangsberechtigten abschriftlich mitzuteilen. § 102.

Bei demjenigen, welcher als Täter oder Teilnehmer einer

strafbaren Handlung **) oder als Begünstiger oder Hehler verdächtig

ist, kann eine Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume, sowie

seiner Person und der ihm gehörigen Sachen, sowohl zum Zwecke seiner Ergreifung,-^) als auch dann vorgenommen werden, wenn zu vermuten ist, daß die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln

führen werde. § 103.

Bei anderen Personen28) sind Durchsuchungen nur behufs,

der Ergreifung des Beschuldigten oder behufs der Verfolgung von

Spuren einer strafbaren Handlung oder behufs der Beschlagnahme bestimmter Gegenstände und nur dann zulässig, wenn Tatsachen vor­

liegen, aus denen zu schließen ist, daß die gesuchte Person, Spur oder

Sache sich in den zu durchsuchenden Räumen-°) befinde.

24) Im Ermittelungsverfahren wird übrigens der Richter einem Anträge des StA. auf Eröffnung des Briefes entsprechen müssen, denn er hat nur die Ge­ setzmäßigkeit, nicht aber die Zweckmäßigkeit der Maßregel zu prüfen. Puchelt, StPO. S. 218, Keller, StPO. S. 112. A. M. Löwe. Siehe auch Boitus in GA. 28 S. 401. 25) Hierunter ist die Auslieferung sowie die Eröffnung und Zurückbehaltung der Postsendung, nicht etwa die Anordnung der Beschlagnahme zu verstehen. Beteiligte sind Adressat und auch Absender. 26) Der dringende Verdacht, daß eine strafbare Handlung erst begangen werde, berechtigt nicht zur Durchsuchung der Person. Erk. v. 1. Mai 82, R. 4 S. 415. 27) Das Betreten einer Wohnung zum Zwecke der Ermittelung, ob sich in derselben eine einer Straftat verdächtige Person aufhalte, ist nach Erk. v. 22. Febr. 81, R. 3 S. 63, nicht ohne weiteres als Durchsuchung anzusehen. Siehe auch Erk. v. 19. Oktbr. 80, R. 2 S. 351. Vgl. auch R. 1 S. 502 u. E. 8 S. 288. 28) d. h. solchen, die nicht verdächtig sind. 29) Ob bei diesen nicht verdächtigen Personen auch eine Durchsuchung der Person stattfinden könne, war bestritten. Erk. v. 11. Juni 86, E. 14 S. 189, bejaht und spricht insbesondere aus, daß auch eine Untersuchung des Körpers

Diese Beschränkung findet keine Anwendung auf die Räume, in

welchen der Beschuldigte ergriffen worden ist, ®°) oder welche er während

der Verfolgung betreten hat, oder in welchen eine unter Polizeiaufsicht stehende Person wohnt oder sich aufhält.

§ 104

Zur Nachtzeit dürfen die Wohnung, die Geschäftsräume

und das beftiedete Besitztum nur bei Verfolgung

auf frischer Tat

oder bei Gefahr im Verzug oder dann durchsucht werden, wenn es

sich um die Wiederergreifung eines entwichenen Gefangenen3l * *)32 * handelt. 30 Diese Beschränkung findet keine Anwendung aus Wohnungen von

Personen, welche unter Polizeiaufsicht stehen, sowie auf Räume, welche

zur

Nachtzeit

jedermann

zugänglich

oder

welche

der

Polizei

als

Herbergen oder Versammlungsorte bestrafter Personen, als Nieder­

lagen von Sachen, welche mittels strafbarer Handlungen erlangt sind, oder als Schlupfwinkel des Glückspiels oder gewerbsmäßiger Unzucht

bekannt sind.33)34 Die Nachtzeit umfaßt in dem Zeitraume vom ersten April bis dreißigsten September die Stunden von neun Uhr abends bis vier Uhr morgens und in dem Zeiträume vom ersten Oktober bis ein­

unddreißigsten März die Stunden von neun Uhr abends bis sechs Uhr morgens.

§ 105.

Die Anordnung von Durchsuchungen steht dem Richter,

bei Gefahr im Verzug auch der Staatsanwaltschaft33) und denjenigen Polizei- und Sicherheitsbeamten zu, welche als Hilfsbeamte der Staats­

anwaltschaft den Anordnungen derselben Folge zu leisten haben.

Wenn eine Durchsuchung der Wohnung, der Geschäftsräume oder

des befriedeten Besitztums ohne Beisein des Richters oder des Staats­ anwalts3^) stattfindet, so sind, wenn dies möglich, ein Gemeindebe­ statthaft sei. Die Ablehnung des Antrages einen Zeugen ärztlich zu untersuchen, beschwert den A. nicht, wenn der Zeuge die Untersuchung verweigert. Erk. v. 20. Septbr. 09, E. 42 S. 440. 30) Auftrag zur Durchsuchung der Wohnung eines Dntten kann, wenn Gefahr im Verzüge, nicht von jeder Polizeibehörde, sondern nur von den Hilfs­ beamten der StA. erteilt werden. Erk. v. 24. Septbr. 80, R. 2 S. 249. 31) Gefangener ist auch ein vorläufig Festgenommener. Ebenso derjenige, welcher infolge eines Borführungsbesehls zum Verhör geführt wird. Erk. v. 1. Mai 85, E. 12 S. 162. Der von einer Privatperson Festgenommene erlangt die Eigenschaft eines Gefangenen erst, wenn er dem Beamten abgeliefert ist. Erk. V. 19. Jan. 86, E. 13 S. 254. Siehe auch Erk. v. 12. Ottbr. 85, R. 7 S. 571. 32) Diese Lokalitäten (Abs. 2) können arg. § 105 Abs. 3 auch von solchen Beamten durchsucht werden, welche nicht Hilfsbeamte der StA. sind. 33) Hierher gehört auch der Amtsanwalt. Löwe zu 8 104 und John, StPO. S- 819. 34) Hier ist der Amtsanwalt ausgeschlossen (Prot. d. NTK. 171. Sitz. S. 171). Stenglein StPO. Anm. 3.

amler oder zwei Mitglieder der Gemeinde, in deren Bezirk die Durch­

suchung erfolgt, zuzuziehen.35 36) Die als Gemeindemitglieder zugezogenen

Personen dürfen nicht Polizei- oder Sicherheitsbeamte sein. Die in den vorstehenden Absätzen angeordneten Beschränkungen

der Durchsuchung finden keine Anwendung auf die im § 104 Abs. 2 bezeichneten Wohnungen und Räume.33)

Durchsuchungen in militärischen Dienstgebäuden erfolgen durch

Ersuchen der Militärbehörde, und auf Verlangen der Zivilbehörde (Richter, Staatsanwaltschaft) unter deren Mitwirkung.

Des Ersuchens

der Militärbehörde bedarf es jedoch nicht, wenn die Durchsuchung von

Räumen vorzunehmen ist, welche in militärischen Dienstgebäuden aus­ schließlich von Zivilpersonen bewohnt werden.

§ 106.

Der Inhaber der zu durchsuchenden Räume oder Gegen­

stände darf der Durchsuchung beiwohnen.w Ä)

Ist er abwesend, so ist,

wenn dies möglich, sein Vertreter oder ein erwachsener Angehöriger, Hausgenosse oder Nachbar zuzuziehen.

Dem Inhaber oder der in dessen Abwesenheit zugezogenen Person

ist in den Fällen des § 103 Abs. 1 der Zweck der Durchsuchung vor deren Beginn bekannt zu machen.

Diese Vorschrift findet keine An­

wendung auf die Inhaber der im § 104 Abs. 2 bezeichneten Räume.

§ 107.

Dem von der Durchsuchung Betroffenen ist nach deren

Beendigung auf Verlangen

eine schriftliche Mitteilung zu machen,

welche den Grund der Durchsuchung (§§ 102, 103) sowie im Falle des § 102 die strafbare Handlung bezeichnen muß.

Auch ist demselben auf

Verlangen ein Verzeichnis der in Verwahrung oder in Beschlag ge­ nommenen Gegenstände, falls aber nichts Verdächtiges gefunden wird,

eine Bescheinigung hierüber zu geben. § 108.

Werden bei Gelegenheit einer Durchsuchung Gegenstände

gefunden, welche zwar in keiner Beziehung zu der Untersuchung stehen, 35) Die Zuziehung des Gemeindebeamten rc. kann unterbleiben, wenn sonst etwa durch den Zeitverlust der Erfolg der Durchsuchung vereitelt würde. Ob dies anzunehmen ist, hat der Beamte nach der Lage der Sache zu beurteilen. Erk. v. 24. Mai 84, R. 6 S. 366, v. 29. Septbr. 85, R. 7 S. 544. Erk. v. 24. Jan. 05, Recht 9 S. 113. In der Zahl und Wahl der zu seiner Unterstützung heran­ zuziehenden Personen ist der Beamte gesetzlich nicht beschränkt. Erk. v. 10. Juli 93, E. 25 S. 253. Wird ein Polizeibeamter im Laufe der Hauptverh. mit einer Durchsuchung beauftragt und dann über die letztere vernommen, so bildet die Zeugenaussage die Grundlage des Strafurteils. Erk. v. 7. Juni 98, GA. 46 S. 334. 36) Bgl. oben Anm. 32. Siehe Erk. v. 11. Jan. 81, E. 3 S. 185. 36 a) Versucht der Inhaber d. z. d. R. die Amtshandlung der Durchsuchung zu vereiteln, so kann seine Festhaltung angeordnet werden. Erk. v. 4. Mai 1900, E. 33 S. 251.

92

V. Strafprozeßordnung §§ 109—111.

aber auf die erfolgte Verübung einer anderen strafbaren Handlung hindeuten, so sind dieselben einstweilen in Beschlag zu nehmen.37) Der Staatsanwaltschaft ist hiervon Kenntnis zu geben.

§ 109. Die in Verwahrung oder in Beschlag genommenen Gegenstände sind genau zu verzeichnen und zur Verhütung von Ver­ wechselungen durch amtliche Siegel oder in sonst geeigneter Weise kenntlich zu machen.

§ 110.

Eine Durchsicht der Papiere des von der Durchsuchung

Betroffenen steht nur dem Richter zu. Andere Beamte sind zur Durchsicht der aufgefundenen Papiere nur dann befugt, wenn der Inhaber derselben die Durchsicht genehmigt. Anderenfalls haben sie die Papiere, deren Durchsicht sie für geboten erachten, in einem Umschläge, welcher in Gegenwart des Inhabers mit dem Amissiegel zu verschließen ist, an den Richter abzuliefern. Dem Inhaber der Papiere oder dessen Vertreter ist die Beidrückung seines Siegels gestattet; auch ist er, falls demnächst die Entsiegelung und Durchsicht der Papiere angeordnet wird, wenn dies möglich, auf­ zufordern, derselben beizuwohnen. Der Richter hat die zu einer strafbaren Handlung in Beziehung stehenden Papiere der Staatsanwaltschaft mitzuteilen.

§ 111. Gegenstände, welche durch die strafbare Handlung dem Verletzten entzogen wurden,38)39sind, falls nicht Ansprüche Dritter ent' gegenstehen, nach Beendigung der Untersuchung und geeignetenfalls schon vorher von Amts wegen dem Verletzten zurückzugeben, ohne daß es eines Urteils hierüber bedarf. Dem Beteiligten bleibt die Geltendmachung seiner Rechte im Zivilverfahren Vorbehalten. 37) Auch wenn es sich um ein Antragsdelikt handelt. In diesem Falle ist dem Antragsberechtigten Mitteilung zu machen. 38) Die durch die gestohlenen Gelder vom Angekl. angeschafften Sachen unterliegen nicht der Vorschrift des § 111, Erk. v. 12. Jan. 80, E. 1 S. 144, ebensowenig der Erlös aus gestohlenen und umgewechselten Banknoten, Erk. v. 3. Juni 80, R. 2 S. 22, dagegen vertreten die Pfandzettel unmittelbar die ge­ stohlenen Sachen und fallen unter § 111. Erk. v. 5. Juli 80, R. 2 S. 162. Vgl. auch Erk. v. 25. Mai 89, E. 19 S. 98 u. GA. 53 S. 300. Gegenstände, die aus dem Besitz einer dritten Person in den Gewahrsam der Behörde gelangt sind, dürfen nur mit Einwilligung dieser Person ausgehändigt werden. GA. 53 S. 299. 39) Über die Zurückgabe hat sich nicht das Urteil auszusprechen, über die­ selbe ist vielmehr eine besondere Verfügung zu erlaffen. Ob diese von dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft zu erlaffen ist, darüber siehe Dalcke in GA. 39 S. 405 und GA. 37 S. 450.

9. Abschnitt.

Verhaftung uu- vorläufige Festnahme.^)

§ 112. Der Angeschuldigte darf nur dann in Untersuchungshaft genommen werden, wenn dringende Berdachtsgründe gegen ihn vor­ handen sind und entweder, er der Flucht verdächtig ist oder Tatsachen vorliegen , aus denen zu schließen ist, daß er Spuren der Tat ver­ nichten oder daß er Zeugen oder Mitschuldige zu einer falschen Aus­ sage oder Zeugen dazu verleiten werde, sich der Zeugnispflicht zu ent­ ziehen. Diese Tatsachen sind aktenkundig zu machen. Der Verdacht der Flucht bedarf keiner weiteren Begründung: 1. wenn ein Verbrechen den Gegenstand der Untersuchung bildet; 2. wenn der Angeschuldigte ein Heimatloser oder Landstreicher oder nicht imstande ist, sich über seine Person auszuweisen; 3. wenn der Angeschuldigte ein Ausländer ist und gegründeter Zweifel besteht, daß er sich auf Ladung vor Gericht stellen und dem Urteile Folge leisten werde.

§ 113. Ist die Tat nur mit Hast oder mit Geldstrafe bedroht, so darf die Untersuchungshaft nur wegen Verdachts der Flucht und nur dann verhängt werden, wenn der Angeschuldigte zu den tm § 112 Nr. 2 oder 3 bezeichneten Personen gehört, oder wenn derselbe unter Polizeiaufsicht steht, oder wenn es sich um eine Übertretung handelt, wegen deren die Überweisung an die Landespolizeibehörde erkannt werden kann. § 114. Die Verhaftung erfolgt auf Grund Haftbefehls des Richters.

eines schriftlichen

40) Vgl. außerdem die §§ 205, 229, 235, und § 185 GBG. In Kraft bleiben neben den §§ 112 ff. diereichs- bezw. landesgesetzlichen Vorschriften a) bez. der Verhaftung der Mitglieder des Reichstags und der gesetzgebenden Versamm­ lungen der Bundesstaaten (vgl. Art. 31 der RBerf. v. 16. April 71 und für Preußen Art. 94 der VU. v. 31. Jan. 50) und der deutschen landesherrlichen Familien. Vgl. § 251 der preuß. Krim.O. v. 11. Dezbr. 1805; b) bez. der auf Schiffen begangenen strafbaren Handlungen vgl. § 127 der Seemannsordn. v. 2. Juni 02; c) bez. der Zoll- und Steuervergehen vgl. § 6 Nr. 3 EG. zur StPO. — Aufgehoben sind dagegen die Bestimmungen des § 9 des preuß. Ges. betr. den Waffengebrauch der Forst- und Jagdbeamten v. 31. März 37 und des § 11 des preuß. Ges. betr. den Waffengebrauch der Grenzaufsichtsbeamten v. 28. Juni 34. Das Recht, eine Person vorläufig festzunehmen, umfaßt auch das Recht, die Sachen, welche diese Person bei sich führt, bzw. im Falle der Flucht auch die Sachen allein in Verwahrung zu nehmen. Erk. v. 20. März 83, R. 5 S. 194. Bei der vorläufigen Festnahme hat der Beamte zunächst selbst zu prüfen, ob solche Tatsachen, wie das Gesetz sie fordert, vorliegen. In Preußen kann auch die Auf­ rechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ruhe die Festnahme rechtfertigen. Erk. v. 12. Dezbr. 84, R. 6 S. 807,

94

V. Strafprozeßordnung §§ 115—117.

In dem Haftbefehl ist der Angeschuldigte genau zu bezeichnen und die ihm zur Last gelegte strafbare Handlung sowie der Grund der Verhaftung anzugeben. Dem Angeschuldigten ist der Haftbefehl bei der Verhaftung und, wenn dies nicht tunlich ist, spätestens am Tage nach seiner Ein­ lieferung in das Gefängnis, nach Vorschrift des § 35 bekannt zu machen und zu eröffnen, daß ihm das Rechtsmittel der Beschwerde

zustehe. § 115. Der Verhaftete muß spätestens am Tage^^) nach seiner Einlieferung in das Gefängnis durch einen Richter über den Gegen­ stand der Beschuldigung gehört werden. § 116. Der Verhaftete soll, soweit möglich, von anderen ge­ sondert und nicht in demselben Raume mit Strafgefangenen verwahrt werden.

Mit seiner Zustimmung kann von dieser Vorschrift abgesehen

werden. **) Dem Verhafteten dürfen

nur solche Beschränkungen

auferlegt

werden, welche zur Sicherung des Zweckes der Hast oder zur Austechthaltung der Ordnung im Gefängnisse notwendig fitib.4S) Bequemlichkeiten und Beschäftigungen, die dem Stande und den Bermögensverhältnissen des Verhafteten entsprechen, darf er sich aus seine Kosten verschaffen, soweit sie mit dem Zwecke der Haft vereinbar sind und weder die Ordnung im Gefängnisse stören, noch die Sicher­ heit gefährden. Fesseln dürfen im Gefängnisse dem Verhafteten nur dann ange­ legt werden, wenn es wegen besonderer Gefährlichkeit seiner Person, namentlich zur Sicherung anderer erforderlich erscheint, oder wenn er einen Selbstentleibungs- oder Entweichungsversuch gemacht oder vor­ bereitet hat. Bei der Hauptverhandlung soll er ungefesselt sein. Die nach Maßgabe vorstehender Bestimmungen erforderlichen Ver­ fügungen hat der Richter zu treffen. Die in dringenden Fällen von anderen Beamten getroffenen Anordnungen unterliegen der Genehmi­ gung des Richters. § 117. Ein Angeschuldigter, dessen Verhaftung lediglich wegen des Verdachts der Flucht angeordnet ist, kann gegen Sicherheitsleistung mit der Untersuchungshaft verschont werden. 41) Auch wenn dieser Tag ein Sonntag ist. 42) Siehe hierüber K r o n e ck e r in GA. 29 S. 369. 43) Dem Gesuche eines Unters.-Gefangenen, an Se. Majestät zu schreiben, muß, wenn nicht ganz besondere Gründe vorliegen, stattgegeben werden. GA. 38 S. 78. Über Borenthaltung von Briefen stehe GA. 45 S. 296 und über den Verkehr mit dem Verteidiger nur im Beisein eines Beamten: Erk. v. 2. Mai 98, E. 31 S. 128.

§ 118.

Die Sicherheitsleistung ist durch Hinterlegung in barem

Gelde oder in Wertpapieren oder durch Pfandbestellung oder mittels Bürgschaft geeigneter Personen zu bewirken. Die Höhe und die Art der zu leistenden Sicherheit wird von dem Richter nach stetem Ermessen festgesetzt. § 119. Der Angeschuldigte, welcher seine Freilassung gegen Sicherheitsleistung beantragt, ist, wenn er nicht im Deutschen Reich wohnt, verpflichtet, eine im Bezirk des zuständigen Gerichts wohnhafte Person zur Empfangnahme von Zustellungen zu bevollmächtigen. § 120 Der Sicherheitsleistung ungeachtet ist der Angeschuldigte zur Haft zu bringen, wenn er Anstalten zur Flucht trifft, wenn er auf ergangene Ladung ohne genügende Entschuldigung ausbleibt, oder wenn neu hervorgetretene Umstände seine Verhaftung erforderlich machen. § 121. Eine noch nicht verfallene Sicherheit wird ftei, wenn der Angeschuldigte zur Hast gebracht, oder wenn der Haftbefehl auf­ gehoben worden ist, oder wenn der Antritt der erkannten Freiheits­ strafe erfolgt. Diejenigen, welche für den Angeschuldigten Sicherheit geleistet haben, können ihre Befteiung dadurch herbeiführen, daß sie entweder binnen einer vom Gerichte zu bestimmenden Frist die Gestellung des Angeschuldigten bewirken, oder von den Tatsachen, welche den Ver­ dacht einer vom Angeschuldigten beabsichtigten Flucht begründen, recht­ zeitig dergestalt Anzeige machen, daß die Verhaftung bewirtt werden kann. § 122. Eine noch nicht ftei gewordene Sicherheit verfällt der Staatskasse, wenn der Angeschuldigte sich der Untersuchung oder dem Antritt der erkannten Freiheitsstrafe entzieht.") Bor der Entscheidung sind der Angeschuldigte sowie diejenigen, welche für den Angeschuldigten Sicherheit geleistet haben, zu einer Er­ klärung aufzufordern. Gegen die Entscheidung steht ihnen nur die sofortige Beschwerde zu. Bor der Entscheidung über die Beschwerde ist den Beteiligten und der Staatsanwaltschaft Gelegenheit zur münd­ lichen Begründung ihrer Anträge sowie zur Erörterung über statt­ gehabte Ermittelungen zu geben. Die den Verfall aussprechende Entscheidung hat gegen diejenigen, welche für den Angeschuldigten Sicherheit geleistet haben, die Wirkungen 44) Der Verfall sowie das Freiwerden einer Sicherheit tritt ipso jure ein das Freiwerden also mit dem Augenblick, wenn der Angeschuldigte zur Haft ge­ bracht oder freigesprochen wird, der Verfall, sobald er sich der Untersuchungshaft oder der Strafe entzieht, nicht aber erst mit der Entscheidung. GA. 37 S. 224. Selbstmord begründet nicht den Verfall. GA. 44 S. 176. Vgl. auch über Ver­ fall der Sicherheit während eines Strafaufschubs: GA. 39 S. 185 u. GA. 42 S. 147. Die Anhörung des Angesch. ist wesentlich. GA. 46 S. 363.

96

V. Strafprozeßordnung §§ 123—125.

eines von dem Zivilrichler erlassenen, für vorläufig vollstreckbar er­ klärten Endurteils, und nach Ablauf der Beschwerdefrist die Wirkungen eines rechtskräftigen Zivilendurteils.

§ 123. Der Haftbefehl ist aufzuheben, wenn der in demselben angegebene Grund der Verhaftung weggefallen ist, oder wenn der An­ geschuldigte fteigesprochen oder außer Verfolgung gesetzt tottb.44a) Durch Einlegung eines Rechtsmittels darf die Freilassung des Angeschuldigten nicht verzögert werden. § 124 Die auf die Untersuchungshaft, einschließlich der Sicher­ heitsleistung, bezüglichen Entscheidungen werden von dem zuständigen Gericht erlassen.4^) In der Voruntersuchung ist der Untersuchungsrichter zur Erlassung des Haftbefehls und mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auch zur Aufhebung eines solchen sowie zur Freilassung des Angeschuldigten gegen Sicherheitsleistung befugt. Versagt die Staatsanwaltschaft diese Zustimmung, so hat der Untersuchungsrichter, wenn er die beanstandete Maßregel anordnen will, unverzüglich, spätestens binnen vierund­ zwanzig Stunden, die Entscheidung des Gerichts nachzusuchen. Die gleiche Befugnis hat nach Eröffnung des Hauptverfahrens in dringenden Fällen der Vorsitzende des erkennenden Gerichts. § 125. Auch vor Erhebung der öffentlichen Klage kann, wenn ein zur Erlassung eines Haftbefehls berechtigender Grund vorhanden ist, vom Amtsrichter auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder, bei Ge­ fahr im Verzüge, von Amts wegen ein Haftbefehl erlassen werden. Zur Erlassung dieses Haftbefehls und der auf die Untersuchungs­ haft, einschließlich der Sicherheitsleistung, bezüglichen Entscheidungen ist jeder Amtsrichter befugt,46 44645 ) in dessen Bezirk ein Gerichtsstand für die Sache begründet ist oder der zu Verhaftende betroffen wird. Die Bestimmungen der §§ 114—123 finden entsprechende Anwendung. 44 a) Ist der A. wegen Bettelns nur zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, hat aber die StA. mit dem Antrag auf Überweisung Berufung eingelegt, so erlischt nach Verbüßung der Haftstrafe der Haftbefehl und es ist neuer Haftbefehl zu erlassen, dagegen dauert die Untersuchungshaft fort, wenn der A. wegen der Überweisung Berufung eingelegt hat. KG. v. 23. Apr. 09, GA. 57 S. 232. AM. im ersteren Fall Rospalt im Recht 13 S. 637. 45) Das Reichsgericht hat als Revisionsgericht nichts damit zu tun. Erk. v. 14. März 81, E. 3 S. 421, Beschl. v. 27. Mai 87, R. 9 S. 352. 45 a) Sind mehrere für die Verhaftung zuständige Amtsrichter vorhanden, so ist derjenige von ihnen, welcher zuerst die Verhaftung beschlossen hat, für die weiteren, die provisorische Untersuchungshaft betreffenden Entscheidungen allein zuständig; das gilt auch dann, wenn das Gefängnis, in welchem sich der Beschuldigte befindet, einem anderen Amtsrichter unterstellt ist. Beschl. d. OLG. Dresden v. 5. April 88, Annalen dieses Gerichts Bd. X S. 1. S. auch Konietzko in DIZ. .9 S. 498 u. Giehne in GA. 52 S. 211.

Verhaftung und vorläufige Festnahme §§ 126—128.

97

§ 126. Der vor Erhebung der öffentlichen Klage erlassene Haft­ befehl ist aufzuheben, wenn die Staatsanwaltschaft es beantragt, oder wenn nicht binnen einer Woche nach Vollstreckung des Haftbefehls^") die öffentliche Klage erhoben und die Fortdauer der Hast von dem zu­ ständigen Richter angeordnet, auch diese Anordnung zur Kenntnis des Amtsrichters gelangt ist. Wenn zur Vorbereitung und Erhebung der öffentlichen Klage die Frist von einer Woche nicht genügt, so kann dieselbe auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom Amtsrichter um eine Woche und, wenn es sich um ein Verbrechen oder Vergehen handelt, auf erneuten Antrag der Staatsanwaltschaft um fernere zwei Wochen verlängert werden.

§ 127. Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Persönlichkeit nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richter­ lichen Befehl vorläufig festzunehmen.40) Die Staatsanwaltschaft und die Polizei- und Sicherheitsbeamten sind auch dann zur vorläufigen Festnahme befugt, wenn die Voraus­ setzungen eines Haftbefehls vorliegen und Gefahr im Verzug obwaltet. Bei strafbaren Handlungen, deren Verfolgung nur auf Antrag eintritt, ist die vorläufige Festnahme von der Stellung eines solchen Antrags nicht abhängig. § 128. Der Festgenommene ist unverzüglich, *7) sofern er nicht wieder in Freiheit gesetzt wird, dem Amtsrichter des Bezirks,40) in

45 b) Darunter ist, wenn sich der Beschuldigte auf freiem Fuß befindet, der tatsächliche Akt der Ergreifung zu verstehen. Löwe Anm. 4b u. Konietzko in GA. 52 S. 188. 46) Über die Zulässigkeit der Mittel bei der Festnahme siehe Erk. v. 5. Novbr. 01, E. 34 S. 443 u. Erk. v. 2. März 06, E. 38 S. 373. Die vorläufige Fest­ nahme kann jederzeit und an jedem Ort vorgenommen werden. Erk. v. 18. Febr. 07, E. 40 S. 65. Auf den Fall, daß Polizeibeamte im Interesse der öffentl. Ordnung die Sistierung eines auf frischer Tat Betroffenen zur Feststellung seiner Persönlichkeit vornehmen, soll § 127 nicht, wohl aber § 10 Tl. II17 ALR. An­ wendung finden. GA. 38 S. 69. Vgl. Erk. v. 19. Juni 90, E. 21 S. 10. Jedenfalls liegt darin, daß ein Beamter den völlig unbescheinigten Angaben eines Festgenommenen bezüglich seiner Persönlichkeit nicht Glauben schenkt und zur Haft bringt, keine Pflichtverletzung. Erk. v. 2. Mai 95, E. 27 S. 198. Anders, wenn der Festgenommene sich zu legitimieren bereit ist, der Beamte aber die Prüfung der Legittmation ablehnt. Erk. v. 5. April 95, E. 27 S. 153. Über den Begriff der Verfolgung siehe Erk. v. 13. Dezbr. 97, E. 30 S. 386. 47) Aber der Beamte kann ihn erst verhören und ein Protokoll aufnehmen. Erk. v. 12. Dezbr. 84, R. 6 S. 807. 48) Siehe Berf. v. 11. Juli 81 (JMBl. S. 245) und v. 3. Dezbr. 89 (BMBl. S. 220). Es ist gesetzlich nicht zulässig, bei Verhinderung des Richters den Festgenommenen zu seiner Vernehmung an den Amtssitz des zum Vertreter

. Dalcke, Strafr. 13. Aufl.*

7

98

V. Strafprozeßordnung §§ 129—132.

welchem die Festnahme erfolgt ist, vorzuführen. Der Amtsrichter hat ihn spätestens am Tage nach der Vorführung zu vernehmen. Hält der Amtsrichter die Festnahme nicht für gerechtfertigt oder die Gründe derselben für beseitigt, so verordnet er die Freilassung. Anderenfalls erläßt er einen Haftbefehl, auf welchen die Bestimmungen des § 126 Anwendung finden.

§ 129. Ist gegen den Festgenommenen bereits die öffentliche Klage erhoben, so ist derselbe entweder sofort, oder auf Verfügung des Amtsrichters, welchem derselbe zunächst vorgesührt worden, dem zuständigen Gericht oder Untersuchungsrichter vorzuführen, und haben diese spätestens am Tage nach der Vorführung über Freilassung oder Verhaftung des Festgenommenen zu entscheiden.

§ 130. Wird wegen Verdachts einer strafbaren Handlung, deren Verfolgung nur auf Antrag eintritt, ein Haftbefehl erlaffen, bevor der Antrag gestellt ist, so ist der Antragsberechtigte, von mehreren wenigstens einer derselben, sofort von dem Erlaß des Haftbefehls in Kenntnis zu setzen. Aus den Haftbefehl finden die Bestimmungen des § 126 gleichfalls Anwendung. § 131 Aus Grund eines Haftbefehls können von dem Richter sowie von der Staatsanwaltschaft Steckbriefe^^) erlassen werden, wenn der zu Verhaftende flüchtig ist oder sich verborgen hält. Ohne vorgängigen Haftbefehl ist eine steckbriefliche Verfolgung nur dann statthaft, wenn ein Festgenommener aus dem Gefängnisse entweicht oder sonst sich der Bewachung entzieht. In diesem Falle sind auch die Polizeibehörden zur Erlassung des Steckbriefs befugt. Der Steckbrief soll, soweit dies möglich, eine Beschreibung des zu Verhaftenden enthalten und die demselben zur Last gelegte strafbare Handlung sowie das Gefängnis bezeichnen, in welches die Ablieferung zu erfolgen hat. § 132. Ist jemand aus Grund eines Haftbefehls oder eines Steckbriefs ergriffen worden, und kann er nicht spätestens am Tage bestellten benachbai-ten Amtsrichters transportieren zu lassen. Reskr.v. 21. Jan. 86, MüllerS. 1791. 48 a) Nach der Vers. v. 22. geb. 64 (JMBl. S. 62) empfiehlt es sich nicht, Steckbriefe in geringfügigen Sachen zu erlassen; es ist vielmehr zu prüfen, ob die Schwere der Tat oder die Gefährlichkeit des Täters oder andere besondere Umstände eine solche Bekanntm. angemefien und erforderlich erscheinen lassen. Vgl. auch Vers. v. 30. Nov. 04 (JMBl. S. 314). Die Steckbriefe sind durch den durch AB. v. 30. Nov. 12 bestimmten Öffentlichen Anzeiger des Amtsblatts und

bei erwünschter weiten Verbreitung im Zentralpolizeiblatt (AB. v. 15. Nov. 58, v. 14. Septbr. 74 und v. 30. Novbr. 82: JMBl. S. 252, 366, 377) und im gahndungsblatt (AB. v. 21. März 99: JMBl. S. 22) zu veröffentlichen. MüllerS. 1141 und 1743.

Vernehm, d. Beschuldigten §§ 133—136.

Verteidigung § 137.

99

nach der Ergreifung vor den zuständigen Richter gestellt werden, so

ist er auf sein Verlangen sofort dem nächsten Amtsrichter vorzuführen.

Seine Vernehmung ist spätestens am Tage nach der Ergreifung zu bewirken.

Weist er bei der Vernehmung nach, daß er nicht die verfolgte

Person, oder daß die Verfolgung durch die zuständige Behörde wieder

aufgehoben sei, so hat der Amtsrichter seine Freilassung zu verfügen.

10. § 133.

Abschnitt.

Vernehmung -es Seschutdigten.

Der Beschuldigte ist zur Vernehmung schriftlich zu laden.

Die Ladung kann unter der Androhung geschehen, daß im Falle des Ausbleibens seine Vorführung erfolgen werde.

§ 134.

Die sofortige Vorführung des Beschuldigten kann verfügt

werden, wenn Gründe vorliegen, welche die Erlassung eines Haftbefehls

rechtfertigen würden.*48 b49 ) 50 In dem Borführungsbefehle ist der Beschuldigte genau zu bezeichnen und die ihm zur Last gelegte strafbare Handlung sowie der Grund der

Vorführung anzugeben. § 135.

Der Vorgeführte ist sofort von dem Richter zu vernehmen.

Ist dies nicht ausführbar, so kann er bis zu seiner Vernehmung, je­ doch nicht über den nächstfolgenden Tag hinaus, festgehalten werden. § 136.

Bei Beginn der ersten Vernehmung ist dem Beschuldigten

zu eröffnen, welche strafbare Handlung ihm zur Last gelegt wird.

Der

Beschuldigte ist zu beftagen, ob er etwas auf die Beschuldigung er­

widern wolle.

Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit zur Beseitigung der gegen ihll vorliegenden Verdachtsgründe und zur Geltendmachung

der zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geben. Bei der ersten Vernehmung des Beschuldigten ist zugleich auf die Ermittelung seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht zu nehmen. 11.

§ 137.

Abschnitt.

Verteidigung. 48)

Der Beschuldigte kann sich in jeder Lage des Verfahrens

des Beistandes eines Verteidigers bedienen.88)

48 b) In der Nacht darf ein Borführungsbefehl nicht vollstreckt werden. GA. 41 S. 157. 49) Die Versäumung der Ladung des von dem gesetzlichen Vertreter des Angekl. gewählten Verteidigers wird durch den Verzicht des Angell, nicht geheilt. Erk. v. 5. Novbr. 98, GA. 46 S. 441. Ob das Gericht einen Zeugen als Ver­ teidiger zulasten will, ist nach der konkreten Sachlage vom Gericht zu prüfen und zu entscheiden. Erk. v. 17. April 93, E. 24 S. 104. Vgl. auch Erk. v. 20. Oktbr. 91, GA. 39 S. 312 u. Erk. v. 15. Okt. 06, DIZ. 12 S. 240. 50) Im Strafverfahren nimmt grundsätzlich dep Beschuldigte seine Rechte 7*

100

V. Strafprozeßordnung §§ 136—140.

Hat der Beschuldigte einen gesetzlichen Vertreter, so kann auch dieser selbständig einen Verteidiger wählen.

§ 138. Zu Verteidigern können die bei einem deutschen Gerichte zugelassenen Rechtsanwälte sowie die Rechtslehrer an deutschen Hoch­ schulen gewählt werden. Andere Personen können nur mit Genehmigung des Gerichts und, wenn der Fall einer notwendigen Verteidigung vorliegt und der Ge­ wählte nicht zu den Personen gehört, welche zu Verteidigern bestellt werden dürfen, nur in Gemeinschaft mit einer solchen als Wahlver­ teidiger zugelassen werden.50 * *B*)* * * § 139. Der als Verteidiger -°") gewählte Rechtsanwalt^") kann mit Zustimmung des Angeklagten die Verteidigung einem Rechts­ kundigen,^^) welcher die erste Prüfung für den Justizdienst bestanden hat und in demselben seit mindestens zwei Jahren beschäftigt ist, übertragen. § 140. Die Verteidigung ist notwendig in den Sachen, welche vor dem Reichsgericht in erster Instanz oder vor dem Schwurgerichter>4) zu verhandeln sind. In Sachen, welche vor dem Landgericht in erster Instanz zu ver­ handeln sink,55) ist die Verteidigung notwendig;^") selbst wahr und ist die Zuziehung des gesetzlichen Vertreters (Vormundes) von Amts wegen nicht geboten. Erk. II v. 12. Juni 65, R. 7 S. 377. 50 a) Die Ermächtigung, gegen den wider den Vollmachtgeber erlassenen Strafbescheid einer Verwaltungsbehörde auf gerichtliche Entscheidung anzu­ tragen , gibt dem Beauftragten nicht die Stellung und die Befugnisse eines Ver­ teidigers. Erk. v. 1. Febr. 06, Recht 10 S. 321. 51) Ein zum Verteidiger bestellter RA. kann einen andern Anwalt sub­ stituieren, wenn auch die Vollmacht die Subslitutionsklausel nicht enthält, wenn nur die Substitution nicht gegen den Willen des Mandanten geschieht. Erk. v. 11. Oktbr. 83, R. 5 S. 591. Eine solche Bevollmächtigung braucht nicht durch Vorlegung einer schriftlichen Vollmacht nachgewiesen zu werden. Erk. v. 20. Dezbr. 07, E. 41 S. 14. 52) Der gewählte Verteidiger kann unbeschadet seiner Funktionen in der Hauptverh. als Zeuge vernommen werden. Erk. v. 20. Okt. 91, GA. 39 S. 312. 53) Ob Frauen Verteidiger sein können, ist streitig. Löwe u. Meves bejahen. — Referendarien bedürfen der Genehmigung ihres Vorgesetzten. 54) Auch wenn es sich nur um ein Vergehen oder um eine Übertretung handelt. Erk. v. 28. Jan. 81, R. 2 S. 764. Es muß ein sachverständiger Ver­ teidiger bestellt werden. Zulassung eines nicht sachverständigen Wahlverteidigers genügt nicht. Erk. v. 26. Juni 96, E. 29 S. 11. 55) Der Verteidiger darf nicht erst bei Beginn der Hauptverhandl. bestellt werden. Erk. v. 8. Novbr. 69, E. 20 S. 38. Ist zunächst ein Verteidiger bestellt, der Grund der Bestellung aber demnächst weggefallen, so muß der bestellte Ver­ teidiger doch geladen werden. Erk. v. 3. Jan. 91, E. 21 S. 266. 56) Die nicht rechtzeitige Bestellung des Verteidigers begründet nicht die

Verteidigung § 140.

101

1. wenn der Angeschuldigte taub oder stumm ist oder das sech­ zehnte Lebensjahr^?) noch nicht vollendet hat; 2. wenn ein Verbrechen58 * *)59 57 den 60 Gegenstand 61 62 der Untersuchung bildet und der Beschuldigte oder sein gesetzlicher Vertreter die Bestellung eines Verteidigers beantragt.88)

Diese Bestimmung findet nicht Anwendung, wenn die straf­ bare Handlung nur deshalb als ein Verbrechen sich darstellt, weil sie im Rückfall begangen ist. In den Fällen des Abs. 1 und des Abs. 2 Nr. 1 ist dem An­ geschuldigten, welcher einen Verteidiger noch nicht gewählt hat,88) ein solcher von Amts wegen zu bestellen, sobald die im § 199 vorgeschriebene Aufforderung stallgefunden hal.8l) In dem Falle des Abs. 2 Nr. 2 ist der Antrag binnen einer Frist von drei Tagen nach der Aufforde­ rung zu stellen. 02) Revision, wenn sie nicht irf der Hauptverh. gerügt ist. Erk. v. 23. Oktbr. 84, N. 6 S. 644. Vgl. Anm. 61. 57) Es kommt auf die Zeit der Zustellung der Anklage (§ 199) an. Es muß die Bestellung eines Verteidigers erfolgen, wenn der Angeklagte auch zur Zeit der Hauptverhandlung das 16. Jahr schon überschritten hat. Erk. v. 3. Juli 85, R. 7 S. 467. 58) Liegen gegen den Angeklagten mehrere Verbrechen vor, von denen nur eines die Zuordnung eines Verteidigers bedingte, so darf bei dem Ausbleiben des letzteren das Gericht wegen keines der zur Aburteilung stehenden Fälle zur Verhandlung schreiten. Erk. v. 28. Jan. 81, R. 2 S. 764. 59) Ist dieser Antrag rechtzeitig gestellt, demselben aber nicht stattgegeben, so ist das Urteil aufzuheben. Erk. v. 6. Oktbr. 80, R. 2 S. 298, v. 3. Juli 85, R. 7 S. 467. Die Zurücknahme dieses Antrages muß ausdrücklich erklärt wer­ den. Erk. v. 7. Dezbr. 08, E. 42 S, 95. Vgl. auch Erk. v. 28. Mai 00, E. 33 S. 302. Die Revision ist auch dann begründet, wenn der Fall der notwen­ digen Verteidigung zur Zeit der Stellung des Antrages noch nicht vorlag, aber wegen eines Verbrechens Verurteilung erfolgte, ohne daß ein Verteidiger bestellt wurde. Erk. v. 1. April 05, DIZ. 10 S. 864, 60) In diesen Fällen ist einem Bertagungsantrage notwendig stattzugeben, wenn nach Behändigung der Anklage ein dreitägiger Zeitraum noch nicht ver­ strichen ist. Erk. v. 29. Oktbr. 80, R. 2 S. 406. 61) Es liegt Verletzung einer Rechtsnorm vor, wenn der notwendige Ver­ teidiger so spät bestellt wird, daß der A. sich nicht mehr innerhalb der durch § 199 gewährten Frist mit demselben beraten kann. Diese Verletzung begrün­ det aber nicht die Aufhebung des Urteils. Erk. v. 21. Dezbr. 82, R. 4. S. 890. Die Aufhebung ist vielmehr nur dann begründet, wenn die verspätete Bestellung in der Hauptverh. geltend gemacht, der Antrag aber ohne genügenden Grund abgelehnt ist. Erk. v. 12. Novbr 83, R. 5 S. 682. S. Anm. 55, 56 zu § 140. 62) Die Verteidigung ist immer nur notwendig für die erste Instanz. John S. 995ff. Hat der A. den Antrag binnen der Frist nicht gestellt, so kann er dies auch dann nicht nachholen, wenn die Wiederaufnahme des Ver­ fahrens angeordnet ist. Erk. v. 27. Oktbr. 02, E. 35 S. 409. Über Begriff und Grenze des Vorverfahrens siehe GA. 43 S. 416.

V. Strafprozeßordnung 88 141—145.

102

§ 141.

In anderen als den im § 140 bezeichneten Fällen kann

das Gericht und bei vorhandener Dringlichkeit der Vorsitzende desselben

auf Antrag oder von Amts wegen einen Verteidiger bestellen.

§ 142.

Die Bestellung des Verteidigers kann schon während des

Vorverfahrens erfolgen.

§ 143.

Die Bestellung ist zurückzunehmen, wenn demnächst ein

anderer Verteidiger gewählt wird und dieser die Wahl annimmt.

§ 144.

Die Auswahl des zu bestellenden Verteidigers erfolgt

durch den Vorsitzenden des Gerichts aus der Zahl der am Sitze dieses

Gerichts wohnhaften Rechtsanwälte.")»'»)

Für das vorbereitende

Verfahren erfolgt die Bestellung durch den Amtsrichter.

Auch Justizbeamte, welche nicht als Richter angestellt sind, sowie solche Rechtskundige, den Justizdienst

welche die

bestanden

vorgeschriebene erste Prüfung für

haben,

können

als

Verteidiger

bestellt

werden. •*)

§ 145.

Wenn in einem Falle, in welchem die Verteidigung eine

notwendige oder die Bestellung eines Verteidigers in Gemäßheit des § 141 erfolgt ist, der Verteidiger in der Hauptverhandlung ausbleibt,

sich unzeilig entfernt66 63) 64 oder 65 sich weigert, die Verteidigung zu führen, so hat der Vorsitzende dem Angeklagten sogleich einen anderen Ver­

teidiger zu bestellen. ®6)

Das Gericht kann jedoch auch eine Aussetzung

der Verhandlung beschließen. Erklärt der neu bestellte Verteidiger, daß ihm die zur Vorbereitung

63) Rechtsanwälte dürfen eine ihnen übertragene Verteidigung nicht ab­ lehnen. Siehe auch § 39 RAO. 63a) Der für die I. Instanz bestellte Anwalt hat vom Staat auch die Ge­ bühren der Rechtsmitteleinlegung zu beanspruchen. GA. 47. S. 387. 64) Der bestellte Verteidiger bleibt ein solcher auch für daS Wiederaufnahme­ verfahren. Erk. v. 29. Juni 91, E. 22 S. 97. Gegen die Bestellung eines Referendars zum Verteidiger kann der A. nicht Widerspruch erheben. Erk. v. 16. Mai 00, E. 33 S. 330. 65) In den Fällen der notwendigen Verteidigung ist die Entfernung des Verteidigers vor Erlaß des Urteils eine unzeitige und führt, wenn ohne Re­ medur gelassen, zur Aufhebung des Urteils. Ein Verzicht des A. auf die Ver­ teidigung ist unwirksam. Erk. v. 14. Juni 80, E. 2 S. 104. Siehe auch Erk. v. 28. Juni 10, E. 44 S. 16. 66) Tritt bet der Berhandl. ohne Beanstandung von selten des Gerichts ein vom bestellten Verteidiger substituierter RA. auf, so liegt in dieser Zulassung die Bestellung eines neuen Verteidigers im Sinne des § 145. Die Zustimmung des A. ist nicht erforderlich. Erk. v. 9. Febr. 88, R. 10 S. 104. Die Bestel­ lung des Verteidigers dauert auch fort, nachdem die Sache vom Revisionsgericht in die Vorinstanz zurückverwiesen ist. Erk. v. 26. Febr. 07, E. 40 S. 4. Die Unterlassung der Bestellung eines anderen Verteidigers oder der Aussetzung der Verhandlung führt, wenn nicht ein wirksamer Verzicht des A. vorliegt, zur Auf­ hebung. Siehe Anm. 65.

der Verteidigung erforderliche Zeit nicht verbleiben würde, so ist die Verhandlung zu unterbrechen oder auszusetzen.67)68 Wird durch die Schuld des Verteidigers eine Aussetzung erforder­ lich, so sind demselben, vorbehaltlich dienstlicher Ahndung, die hierdurch verursachten Kosten aufzuerlegen. § 146. Die Verteidigung mehrerer Beschuldigter kann, insofern dies der Aufgabe der Verteidigung nicht widerstreitet, durch einen gemeinschaftlichen Verteidiger geführt werden. § 147. Der Verteidiger ist nach dem Schlüsse der Vorunter­ suchung und, wenn eine solche nicht stattgefunden hat, nach Einreichung der Anklageschrift bei dem Gerichte zur Einsicht der dem Gerichte vor­ liegenden Akten befugt. Schon vor diesem Zeitpunkte ist ihm die Einsicht der gerichtlichen Untersuchungsakten insoweit zu gestalten, als dies ohne Gefährdung des Uniersuchungszweckes geschehen taun.69) Die Einsicht der Protokolle über die Vernehmung des Beschuldigten, der Gutachten der Sachverständigen und der Protokolle über diejenigen gerichtlichen Handlungen, denen der Verteidiger beizuwohnen befugt ist, darf ihm keinenfalls verweigert werden. Nach dem Ermessen des Vorsitzenden o«) können die Akten, mit Ausnahme der Überführungsstücke, dem Verteidiger in seine Wohnung verabfolgt werden. 8 148. Dem verhafteten Beschuldigten ist schriftlicher und münd­ licher Verkehr mit dem Verteidiger gestaltet. Solange das Hauptverfahren nicht eröffnet ist, kann der Richter

67) Die Vorschrift des § 145 Abs. 2 bezieht sich nur auf den vom Gericht bestellten, nicht auch auf den Wahlverteidiger. Erk. v. 18. April 87, E. 16 S. 32. 68) Im staatsanwaltl. Ermittlungsverfahren steht dem Verteidiger die Einsicht der Akten nicht zu, denn gerichtliche Untersuchungsakten gibt es noch gar nicht. Ebenso Löwe Sinnt, zu § 147. Siehe auch Hümmer, die Einsicht der staatsanwaltl. Ermittelungsakten durch den Verteidiger. GA. 53 S. 129. Auch nach Schluß der Voruntersuchung kann der Verteidiger nicht verlangen, daß ihm die Akten auf der Gerichtsschreiberei zur Verfügung gehalten werden. Erk. v. 10. Febr. 00, E. 33 S. 108. Auch hat er keinen Anspruch auf Akteneinsicht außerhalb der Gerichtsstelle. OLG. Celle v. 29. Jan. 07, GA. 58 S. 241. Dem Verteidiger steht auch nicht die Einsicht^in Personalakten zu, welche von der betr. Dienstbehörde mit dem Vermerk „vertraulich" übersandt sind. Erk. v. 6. April 09, E. 42 S. 291. Dem Angesch., auch wenn er RA. ist, steht die Einsicht der Akten nicht zu. GA. 37 S. 226. 69) Hieraus ergibt sich, daß im Vorverfahren die Akten überhaupt nicht in die Wohnung verabfolgt werden dürfen, denn im Vorverfahren gibt es keinen Vorsitzenden und dieser allein kann die Verabfolgung gestatten. Abweichend, aber nicht überzeugend, Löwe Sinnt, zu § 147.

104

V. Strafprozeßordnung §§ 149, 150.

schriftliche Mitteilungen zurückweisen, falls deren Einsicht ihm nicht

gestattet wird. ’°) Bis zu demselben Zeitpunkte kann der Richter, sofern die Ver­ haftung nicht lediglich wegen Verdachts der Flucht gerechtfertigt ist, anordnen, daß den Unterredungen mit dem Verteidiger eine Gerichts­

person beiwohne. § 149. Der Ehemann einer Angeklagten ist in der Hauptverhandlung als Beistand derselben zuzulassen und auf sein Verlangen zu hören. Dasselbe gilt von dem gesetzlichen Vertreter eines Angeklagten. In dem Vorverfahren unterliegt die Zulassung solcher Beistände dem richterlichen Ermessen. § 150. Dem zum Verteidiger bestellten Rechtsanwälte^) sind für die geführte Verteidigung die Gebühren nach Maßgabe der Ge­ bührenordnung aus der Staatskasse zu bezahlen. Der Rückgriff an den in die Kosten verurteilten Angeklagten bleibt

vorbehalten.7S) 70) Nach Eröffnung des Hauptverf. ist der Verkehr deS A. mit dem Ver­ teidiger ein ganz unbeschränkter. GA. 39 S. 357; E. 31 S. 128. 71) Durch die Zeugeneigenschaft wird das dem Ehemann zustehende Recht nicht beseitigt. Erk. v. 6. Novbr. 91, E. 22 S. 198. Es wird aber insoweit ein­ geschränkt, als ein Zeuge nach den gesetzlichen Vorschriften von der Verhandlung fern zu halten ist. Erk. v. 3. März 08, Recht 12 Nr. 1309. Der Beistand hat das Recht, während der ganzen Dauer der Hauptverh. das Wort zu ver­ langen. Erk. v. 9. Dz. 02, GA. 50 S. 120. Die förmlichen prozessualen Befugnisie des A. sind ihm versagt. Er muß sich darauf beschränken, Anführungen tatsächlicher oder rechtlicher Art zu machen. Erk. v. 15. März 01, GA. 48 S. 132. Die Zulassung als Beistand ist nur auf Antrag auszusprechen. Erk. v. 5. Juni 08, E. 41 S. 348. Die veränderte Fasiung des Abs. 2 beruht auf Art. 35 des EG. z. BGB. 72) Über die Fonds zur Zahlung von Gebühren der Verteidiger s. § 31 der Etatsvorschriften für die Justizverwaltung v. 12. März 08 (JMBl. S. 99; Kayser, Reichsjustizgesetze 7. Ausl. Nr. 89). Der Stempel zu der vom Offi­ zialverteidiger eingereichten Vollmacht ist keine notwendige Auslage. Bescheid des KGP. v. 1. Juni 10, Blätter für Rechtspflege im KGB. 10 S. 112. Der im Schwurgerichtsverfahren bestellte Verteidiger kann auch für die Vertretung in der Revisionsinstanz Entschädigung aus der StaatSkaffe verlangen, GA. 37 S. 310, 47 S. 387 u. GA. 54 S. 96, dagegen nicht für Anfertigung von Gnaden­ gesuchen, GA. 37 S. 226. 73 )Das dem Verteidiger gezahlte Honorar gehört nicht zu den notwendigen Auslagen, welche nach § 499 zu erstatten sind. — Der dem Privatkläger auf Grund des Armenrechts beigeordnete RA. hat keinen Anspruch auf Zahlung der Gebühren aus der Staatskasse. Erk. v. 8. Mai 94, E. 25 S. 361.

Öffentliche Klage §§ 151—155. Vorbereitung der öffentl. Klage § 156.

2. Buch.

105

Verfahren in erster Instanz.

1. Abschnitt.

Öffentliche Llage.

§ 151. Die Eröffnung einer gerichtlichen Untersuchung ist durch die Erhebung einer Klage bedingt. § 152 Zur Erhebung der öffentlichen Klage ist die Staatsanwattschaft berufen. Dieselbe ist, soweit nicht gesetzlich ein anderes bestimmt ist, ver­ pflichtet, wegen aller gerichtlich strafbaren und verfolgbaren Hand­ lungen einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen.

§ 153. Die Untersuchung und Entscheidung erstreckt sich nur auf die in der Klage bezeichnete Tat und auf die durch die Klage be­ schuldigten Personen. Innerhalb dieser Grenzen sind die Gerichte zu einer selbständigen Tätigkeit berechtigt und verpflichtet; insbesondere sind sie bet An­ wendung des Strafgesetzes an die gestellten Anträge nicht gebunden. § 154. Die öffentliche Klage kann nach Eröffnung der Unter­ suchung nicht zurückgenommen werden.73 a) § 155. Im Sinne dieses Gesetzes ist: Angeschuldigter der Beschuldigte, gegen welchen die öffentliche Klage erhoben ist, Angeklagter der Beschuldigte oder Angeschuldigte, gegen welchen die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen ist. 2. Abschnitt.

Vorbereitung -er öffentlichen Llage.

§ 156.

Anzeigen strafbarer Handlungen oder Anträge auf Straf­ verfolgung können bei der Staatsanwaltschaft, den Behörden und Beamten des Polizei- und Sicherheitsdienstes und den Amtsgerichten mündlich oder schriftlich angebracht werden. Die mündliche Anzeige ist zu beurkunden.7^) 73 a) Sind nur einzelne Beweiserhebungen gemäß § 200 angeordnet, ist die Rücknahme zulässig. Erk. v. 12. März 08, DIZ. 13 S. 763, Recht 12 Nr. 1467. Es kann übrigens auch die erhobene öffentliche Klage zurückgenommen und dann der Antrag auf Voruntersuchung gestellt werden. Erk. v. 9. Oktbr. 08, E. 42 S. 1. 74) Der Inhalt des § 156 hat zu vielen und erheblichen Zweifeln Anlaß gegeben. Der Sinn ist der, daß bei den Gerichten und der StA. der Antrag bloß mündlich gestellt werden kann und daß darüber nur eine Registratur aus­ genommen zu werden braucht, während bei den anderen Behörden der Antrag schriftlich eingereicht werden oder, wenn er bei dieser Behörde von einem Beam-

106

V. Strafprozeßordnung § 157.

Bei strafbaren Handlungen, deren Verfolgung nur auf Antrag eintritt, muß der Antrag bei einem Gericht oder der Staatsanwalt­ schaft schriftlich oder zu Protokoll, bei einer anderen Behörde schriftlich angebracht werden. § 157. Sind Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß jemand eines nicht natürlichen Todes gestorben ist, oder wird der Leichnam eines Unbekannten gefunden, so sind die Polizei- und Gemeindebehörden zur sofortigen Anzeige an die Staatsanwaltschaft oder an den Amts­ richter verpflichtet. Die Beerdigung darf nur auf Grund einer schriftlichen Geneh­ migung der Staatsanwaltschaft oder des Amtsrichters erfolgen.74a) ten, sei es auch in Form eines Protokolles, niedergeschrieben wird, von dem An­ tragsteller unterschrieben sein muß. Aus der Judikatur deS RG. sind nachstehende Entsch. beachtenswert: a. Die Hilfsbeamten der StA. stehen der letzeren selbst nicht gleich, der An­ trag mutz schriftlich angebracht werden. Erk. v. 23. Novbr. 80, E. 3 S. 55. b. Als schriftlich angebracht gilt der Antrag auch dann, wenn der Antrag­ steller seine Unterschrift in blanco gegeben und der Polizeibeamte den Antrag nachträglich darüber geschrieben. Erk. v. 28. Juni 80, E. 2 S. 125. c. Ebenso ist auch der von einem Polizeibeamten niedergeschriebene und von dem Antragsteller unterschriebene Antrag für genügend erachtet. Erk. v. 28. Juni 80, E. 2 S. 253 u. Erk. v. 2. Febr. 81, R. 3 S. 3. d. Aber immer ist Voraussetzung, datz der Antrag von dem Antragsteller unterschrieben ist. Erk. v. 29. März 81, E. 3 S. 442, u. v. 5. Jan. 1882, R. 4 S. 17. e. Als Unterschrift genügt aber auch eine bloße Unterkreuzung des Antrags. Erk. v. 6. Mai 81, R. 3 S. 281, die Stempelung: R. 3 S. 172. f. Zur Stellung eines schriftl. Antrags genügt auch mündliche Vollmacht, Erk. v. 22. Febr. 89, E. 19 S. 7. Erk. v. 21. März 81, E. 3 S. 425, aber nicht bloß vermutete Vollmacht, Erk. v. 17. Juni 82, E. 7 S. 4. g. Die Zurücknahme des Strafantrags ist an keine Form gebunden. Erk. v. 26. Jan. 83, E. 8 S. 79. h. Der Strafantrag, selbst wenn die Anbringung bestritten wird, braucht nicht verlesen zu werden. Erk. v. 16. Juni. 81, R. 3 S. 407. i. Die Frage, ob der Strafantrag überhaupt gestellt ist, gehört nicht zur Schuldfrage und ist nicht nach den Normen festzustellen, welche für den Beweis der Tatbestandsmerkmale gegeben sind. Erk. v. 1. Mai 84, R. 6 S. 331. k. Ein mittels Telegramm gestellter Strafantrag ist als ein schriftlicher an­ zusehen und deshalb zulässig. Erk. v. 16. Oktbr. 84, R. 6 S. 624. I. Es genügt der Vermerk des StA., ein Antragsberechtigter sei erschienen und habe einen Strafantrag gestellt. Erk. v. 30. April 85, R. 7 S. 259. m. Anbringung des Strafantrages zu Protokoll eines Kommandanturge­ richts ist wirksam. Erk. v. 20. Septbr. 87, R. 9 S. 446. n. Zur Schriftlichkeit genügt, daß ein von einem Beamten bei seiner vorge­ setzten Dienstbehörde schriftlich gestellter Antrag von dieser der StA. nur in Ab­ schrift eingereicht wird. Erk. v. 3. Juli 90, GA. 38 S. 337, vergl. aber GA. 46 S. 130. 74 a) Von der StA. oder dem Gericht ist der Beerdigungsschein der zu-

§ 158. Sobald die Staatsanwaltschaft durch eine Anzeige oder auf anderem Wege von dem Verdacht einer strafbaren Handlung Kenntnis erhält, hat sie behufs ihrer Entschließung darüber, ob die öffentliche Klage zu erheben sei, den Sachverhalt zu erforschen. Die Staatsanwaltschaft hat nicht bloß die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln und für die Erhebung derjenigen Beweise Sorge zu tragen, deren Verlust zu besorgen steht.

§ 159. Zu dem im vorstehenden Paragraphen bezeichneten Zwecke kann die Staatsanwaltschaft^) von allen öffentlichen Behörden Aus­ kunft verlangen und Ermittelungen jeder Art, mit Ausschluß eidlicher Vernehmungen, entweder selbst vornehmen oder durch die Behörden und Beamten des Polizei- und Sicherheitsdienstes vornehmen lassen.70) Die Behörden und Beamten des Polizei- und Sicherheitsdienstes sind verpflichtet, dem Ersuchen oder Auftrage der Staatsanwaltschaft zu genügen.77)

§ 160. Erachtet die Staatsanwaltschaft die Vornahme einer richterlichen Uniersuchungshandlung für erforderlich, so stellt sie ihre Anträge bei dem Amtsrichter des Bezirks, in welchem diese Handlung vorzunehmen ist. Der Amtsrichter hat zu prüfen, ob die beantragte Handlung nach den Umständen des Falles gesetzlich zulässig ist. § 161. Die Behörden und Beamten des Polizei- und Sicherheits­ dienstes haben strafbare Handlungen zu erforschen und alle keinen Aufschub gestattenden Anordnungen zu treffen, um die Verdunkelung der Sache zu verhüten.78)

ständigen Polizeibehörde einzuhändigen (vgl. AB. v. 21. Juni 75, JMBl. S. 157). 75) Der StA. kann den Beschuldigten, Zeugen und Sachverst. auch selbst vernehmen und die zwangsweise Vorführung anordnen. Löwe. Vergl. dazu Erk. v. 22. Novbr. 83, R. 5 S. 726. Die Befugnis der Polizeibehörden, poli­ zeilich nicht kontrolierte Dirnen sistieren zu laffen, bejaht Erk. v. 11. Jan. 80, E. 3. S. 186. Siehe auch GA. 37 S. 226 u. oben Anm. 87 zu § 69. 76) Bei Requisitionen um Vernehmung soll der Gegenstand der letzteren angegeben „werden. AB. v. 1. April 74 (JMBl. S. 116). 77) Über die Kosten resp. Porto, welche durch Requisition der Polizeibe­

hörden entstehen, siehe AB. v. 29. Dezbr. 65 (JMBl. 1866 S. 2), Berf. v. 31. Aug. 75 (JMBl. S. 196) u. Berf. v. 27. Apr. 94 (JMBl. S. 114). 78) Die Beamten des Polizeidienstes sind befugt, Personen zur Feststellung ihrer Persönlichkeit (behufs späterer Ablegung eines Zeugnisses) zu sistieren. Erk. v. 25. Mai 86, R. 8 S. 390. Ebenso Erk. v. 19. März 86, E. 13 S. 426. Siehe auch die Anm. zu § 127. Abgesehen von den in diesem § geregelten Auf­ gaben liegt den Polizeibeamten auch auf dem Gebiete der sog. Präventivpolizei

108

V. Strafprozeßordnung §§ 162—168.

Sie übersenden ihre Verhandlungen ohne Verzug der Slaalsanwaltschaft. Erscheint die schleunige Vornahme richterlicher Unter­ suchungshandlungen erforderlich, so kann die Übersendung unmittelbar an den Amtsrichter erfolgen.

§ 162 Bei Amtshandlungen an Ort und Stelle ist der Beaulte, welcher dieselben leitet, befugt, Personen, welche seine amtliche Tätig­ keit vorsätzlich stören oder sich den von ihm innerhalb seiner Zustän­ digkeit getroffenen Anordnungen widersetzen, festnehmen und bis zur Beendigung seiner Amtsverrichtungen, jedoch nicht über den nächst­ folgenden Tag hinaus, sesthalten zu lassen.

§ 163. Wenn Gefahr im Verzug obwaltet, hat der Amtsrichter die erforderlichen Untersuchungshandlungen von Amts wegen vorzunehmen. § 164. Wird der Beschuldigte von dem Amtsrichter vernommen und beantragt er bei dieser Vernehmung zu seiner Entlastung ein­ zelne Beweiserhebungen, so hat der Amtsrichter dieselben, soweit er sie für erheblich erachtet, vorzunehmen, wenn der Verlust der Beweise zu besorgen steht oder die Beweiserhebung die Freilassung des Be­ schuldigten begründen kann. Der Richter kann, wenn die Beweiserhebung in einem anderen Amtsbezirke vorzunehmen ist, den Amtsrichter des letzteren um Vor­ nahme derselben ersuchen.

§ 165. In den Fällen der §§ 163, 164 gebührt der Staats­ anwaltschaft die weitere Verfügung. § 166. Die Beurkundung der von dem Amtsrichter vorzu­ nehmenden Untersuchungshandlungen und die Zuziehung eines Ge­ richtsschreibers erfolgt nach den für die Voruntersuchung geltenden Vorschriften.^) § 167. Für die Teilnahme der Staatsanwaltschaft an den richterlichen Verhandlungen kommen die für die Voruntersuchung gel­ tenden Vorschriften zur Anwendung. Das gleiche gilt hinsichtlich des Beschuldigten, seines Verteidigers und der von ihm benannten Sachverständigen, wenn der Beschuldigte als solcher vom Richter vernommen ist oder sich in Untersuchungs­ haft befindet. § 168. Bieten die angestellten Ermittelungen genügenden An­ laß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft dieselbe entweder durch einen Antrag auf gerichtliche Vor­ untersuchung oder durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem Gerichte. eine selbständige Tätigkeit ob, die durch die StPO, nicht berührt ist, und ihren Grund in der allgem. Vorschrift des 8 10 ALR. II. 17 hat. Erk. v. 4. Ott. 06, E. 39 S. 189. 79) Der Grundsatz, daß die Beobachtung der Förmlichkeiten nur durch das

Vorbereitung der öffentlichen Klage §§ 169, 170.

109

Anderenfalls verfügt die Staatsanwaltschaft die Einstellung des Verfahrens und setzt hiervon den Beschuldigten in Kenntnis, wenn er als solcher vom Richter vernommen oder ein Haftbefehl gegen ihn

erlassen war. § 169. Gibt die Staatsanwaltschaft einem bei ihr angebrachten Anträge auf Erhebung der öffentlichen Klage keine Folge, oder ver­ fügt sie nach dem Abschlusse der Ermittelungen die Einstellung des Verfahrens, so hat sie den Antragsteller unter Angabe der Gründe zu bescheiden. § 170. Ist der Antragsteller zugleich der Verletzle/o) so steht ihm gegen diesen Bescheid binnen zwei Wochen nach der Bekannt­ machung die Beschwerde an den vorgesetzten Beamten der Staats­ anwaltschaft 80 * *•) und gegen dessen ablehnenden Bescheid binnen einem SOtomite81) nach der Bekanntmachung der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu. Der Antrag muß die Tatsachen, welche die Erhebung der öffent­ lichen Klage begründen sollen, und die Beweismittel angeben,82) auch

Protokoll bewiesen werden kann, gilt auch im Vorverfahren. Erk. v. 19. April 83, R. 5 S. 266. 80) Über den Begriff des Verletzten siehe GA. 37 S. 310. Nicht berech­ tigt zum Anträge ist der Stiefvater eines Minderjährigen, GA. 38 S. 368, ebensowenig ein Gemeindemitglied gegen einen Gemeindebeamten, ebensowenig der Vorgesetzte eines verletzten Beamten. GA. 39 S. 358, Im Konkurse sind sowohl der Kndar wie seine Gläubiger als Verletzte anzusehen. GA. 40 S. 182. Siehe auch GA. 43 S. 418. — Auch der Staat kann als Verletzter erscheinen. GA. 37 S. 74. — Das einzelne Mitglied einer verletzten Religionsgesellschaft ist nicht antragsberechtigt. GA. 41 S. 301. — Verletzt ist auch der mittelbar durch die Straftat Verletzte. Erk. v. 16. Dezbr. 92, Jur.W. S. 121, überhaupt jeder, der durch eine strafbare Handlung in seinen privaten oder öffentlichen Rechten verletzt ist. GA. 40 S. 358. Der Verletzte kann seine Rechte durch seine gesetzlichen Vertreter wahrnehmen, so insbesondere auch eine Handelsfirma. GA. 41 S. 301. Die für Bewilligung des Armenrechts maßgebenden Vorschttften der 88 114 ff. ZPO. finden hier keine Anwendung. GA. 41 S. 302, 42 S. 427. S. auch GA. 39 S. 359. 80 a) Hat der OStA. die Amtsvernch tung des Ersten Staatsanwalts über­ nommen, so kann die Beschwerde nicht an den OStA. führen. GA. 52 S.102. 81) Eine Wiedereinsetzung in den vor. Stand gegen Ablauf der hier in Rede stehenden Fristen ist unstatthaft. GA. 42 S. 429, GA. 37 S. 451. Die Be­ schwerdefrist wird nicht dadurch von neuem in Lauf gesetzt, daß der Abgewiesene auf wiederholte Eingabe ablehnend beschieden wird. OLG Cassel v. 27. Sepbr. 06, GA. 54 S. 99. 82) Ebenso ist das hier in Rede stehende Verfahren nicht zulässig, wenn es sich um die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 210 der StPO, handelt. GA. 42 S. 429, 51 S. 69.

110

V. Strafprozeßordnung §§ 171—173.

von einem Rechtsanwalt unterzeichnet sein.83)84 Der Antrag ist bei dem für die Entscheidung zuständigen Gericht einzureichen. **) Zur Entscheidung ist in den vor das Reichsgericht gehörigen Sachen das Reichsgericht, in anderen Sachen das Oberlandesgericht zuständig. § 171 Auf Verlangen des Gerichts hat demselben die Staats­ anwaltschaft die bisher von ihr geführten Verhandlungen vorzulegen.85)86 Das Gericht kann den Antrag unter Bestimmung einer Frist dem Beschuldigten zur Erklärung mitteilen. Das Gericht kann zur Vorbereitung seiner Entscheidung Er­ mittelungen anordnen und mit deren Vornahme eines seiner Mit­ glieder, den Untersuchungsrichter oder den Amtsrichter beauftragen. § 172 Ergibt sich kein genügender Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so verwirft das Gericht den Antrag und setzt den Antragsteller, die Staatsanwaltschaft und den Beschuldigten von der Verwerfung in Kenntnis. *)

Ist der Antrag verworfen, so kann die öffentliche Klage nur aus Grund neuer Tatsachen oder Beweismittel erhoben werden. § 173. Erachtet dagegen das Gericht den Antrag für begründet, so beschließt es die Erhebung der öffentlichen Klage.8") Die Durch­ führung dieses Beschlusses liegt der Staatsanwaltschaft ob. 83) Wird der Antrag von dem Rechtsanwalt nur „legalisiert", so ist das ungenügend. GA. 40 S. 191. Das Verfahren aus § 170 trifft auch bei dem Verfahren vor den Konfulargerichten zu. Beschl. v. 29. Juni 93, E. 25 S. 220, aber nicht im ehrengericht­ lichen Verfahren gegen Rechtsanwälte. D a l ck e in GA. 40 S. 89. 84) Ist der Verletzte wegen mangelnden öffentl. Jntereffes zur Privatklage verwiesen, so ist der Antrag auf richterl. Gehör unstatthaft. GA. 37 S. 74, 39 S. 350, 40 S. 180, 41 S. 299; ebenso wenn die Zurückweisung auch noch aus anderen Gründen erfolgt ist. KG. v. 28. Dezbr. 09, GA. 57 S. 413. 85) Wiederholt der Verletzte feinen ftüher von dem StA. und Ober-StA. zurückgewiefenen Antrag, ohne neue Tatsachen und Beweismittel anzuführen, so setzr er dadurch die Fristen aus § 170 nicht wieder in Gang und ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ausgeschloffen. Siehe Dalcke in GA. 40 S. 241 u. 41 S. 93. Den hier entwickelten Grundsätzen hat sich demnächst auch das Kammergericht angeschlosien. GA. 42 S. 148, 428; 43 S. 418. Durch bloße Remonstrationen gegen die abweichende Verfügung deS StA. wird die Frist aus § 170 nicht gewahrt. GA. 37 S. 75. Hat der StA. eine bereits erhobene An­ klage zurückgezogen, so schließt dieser Umstand nicht aus, daß auf Antrag des Verletzten die erneute Erhebung angeordnet wird. GA. 45 S. 373. 85 a) Eine Gebühr nach § 69 GKG. kommt nur bei einer sachlichen Ab­ weisung des Antrages in Betracht, nicht auch bei Ablehnung mangels richtiger Formen. GA. 47 S. 308. 86) Darüber, ob ein Mitglied des OLG., welches an dieser Beschlußfassung Teil genommen, in dem späteren auf Grund deS Beschl. eingeleiteten Verfahren alS Richter fungieren kann, siehe Erk. v. 20. Juni 89, E. 19 S. 333. Vgl. zur Auslegung des § 170 überhaupt auch Delius inGA. 43 S. 178.

Vorder, d. ösfentl. Klage §§ 174, 175.

Voruntersuchung §§ 176—178.

111

§ 174. Dem Antragsteller kann vor der Entscheidung über den Antrag die Leistung einer Sicherheit für die durch das Verfahren über den Antrag und durch die Untersuchung der Staatskasse und dem Beschuldigten voraussichtlich erwachsenden Kosten durch Beschluß des Gerichts auferlegt werden. Die Sicherheitsleistung ist durch Hinter­ legung in barem Gelde oder in Wertpapieren zu bewirken. Die Höhe der zu leistenden Sicherheit wird von dem Gerichte nach freiem Er­ messen festgesetzt. Dasselbe hat zugleich eine Frist zu bestimmen, binnen welcher die Sicherheit zu leisten ist. Wird die Sicherheit binnen der bestimmten Frist nicht geleistet, so hat das Gericht den Antrag für zurückgenommen zu erklären. § 175. Die durch das Verfahren über den Antrag veranlaßten Kosten sind in dem Falle des § 172 und des § 174 Abs. 2 dem An­ tragsteller aufzuerlegen.

3. Abschnitt.

Gerichtliche Voruntersuchung.

§ 176. Die Voruntersuchung findet in denjenigen Strafsachen statt, welche zur Zuständigkeit des Reichsgerichts oder der Schwur­ gerichte 87) gehören. In denjenigen Strafsachen, welche zur Zuständigkeit der Land- ‘ gerichte gehören, findet die Voruntersuchung statt: 1. wenn die Staatsanwaltschaft dieselbe beantragt; 2. wenn der Angeschuldigte dieselbe in Gemäßheit des § 199 be­ antragt und erhebliche Gründe geltend macht, aus denen eine Voruntersuchung zur Vorbereitung seiner Verteidigung erforder­ lich erscheint. In den zur Zuständigkeit der Schöffengerichte gehörigen Sachen ist, außer dem Falle der Verbindung infolge eines Zusammenhanges (§ 5), die Voruntersuchung unzulässig.

§ 177. Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Eröffnung der Voruntersuchung muß den Beschuldigten und die ihm zur Last gelegte Tat bezeichnen. § 178. Der Antrag kann nur wegen Unzuständigkeit des Gerichts oder wegen Unzulässigkeit der Strafverfolgung oder der Vorunter­ suchung (§ 176), oder weil die in dem Anträge bezeichnete Tat unter 87) Im Fall der Verbindung mit reichs- oder schwurgerichtlichen Sachen ist die Voruntersuchung notwendig, Erk. v. 8. Juli 81. E.4 S. 365, es sei denn, daß die Sachen einzeln bei verschiedenen erkennenden Gerichten anhängig waren. Vgl. Löwe. Wird die Sache auf Grund des § 270 vor das Schwurger. gewiesen, so ist eine Voruntersuchung nicht notwendig. Erk. v. 2. Febr. 81, E. 3 S. 311.

112

V. Strafprozeßordnung §§ 179—184.

kein Strafgesetz fällt, abgelehnt werden.

Hierzu bedarf es eines Be­

schlusses des Gerichts. Der Angeschuldigte kann vor der Beschlußfassung gehört werden. § 179. Gegen die Verfügung, durch welche auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Voruntersuchung eröffnet worden ist, kann der Angeschuldigte aus einem der tm § 178 Abs. 1 bezeichneten Gründe Einwand erheben. Über den Einwand entscheidet das Gericht.

Diese Bestimmung findet nicht Anwendung, wenn die Vorunter­ suchung infolge des Beschlusses des Gerichts eröffnet und der An­ geschuldigte vorher gehört worden tft.88)89 § 180. Gegen den Beschluß des Gerichts, durch welchen der von dem Angeschuldigten in dem Falle des § 178 Abs. 2 und in dem Falle des § 179 Abs. 1 erhobene Einwand der Unzuständigkeit (§ 16) ver­ worfen wird, steht dem Angeschuldigten die sofortige Beschwerde zu. Im übrigen kann der Beschluß des Gerichts, durch welchen der Einwand des Angeschuldigten verworfen oder die Eröffnung der Vor­ untersuchung angeordnet ist, nicht angefochten werden. § 181. Gegen den Beschluß des Gerichts, durch welchen der An­ trag der Staatsanwaltschaft oder des Angeschuldigten auf Eröffnung der Voruntersuchung abgelehnt worden ist, findet sofortige Beschwerde statt.8y) § 182 Die Voruntersuchung wird von dem Untersuchungsrichter eröffnet und geführt. § 183. Durch Beschluß des Landgerichts kann auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Führung90) der Voruntersuchung einem Amts­

richter übertragen werden. Um die Vornahme einzelner Untersuchungs­ handlungen kann der Untersuchungsrichter die Amtsrichter ersuchen. Auf Amtsrichter, welche mit dem Untersuchungsrichter denselben Amts­ sitz haben, finden diese Bestimmungen keine Anwendung. § 184. Bei dem Reichsgerichte wird der Untersuchungsrichter für jede Straffache aus der Zahl der Mitglieder durch den Präsidenten bestellt. Der Präsident kann auch jedes Mitglied eines anderen deutschen Gerichts und jeden Amtsrichter zum Untersuchungsrichter, oder für einen Teil der Geschäfte des Untersuchungsrichters zum Vertreter desselben bestellen. 88) Im Wiederaufnahmeverfahren findet 8 176 Nr. 1 keine Anwendung und eine erneute Voruntersuchung ist nicht notwendig. Erk. v. 3. Dezbr. 97, GA. 46 S. 39. 89) Der Mangel der Voruntersuchung kann nur int Wege der Beschwerde (88 181,199), nicht aber mittels des Rechtsmittels der Revision genügt werden. Erk. v. 29. Febr. 84, R' 6 S. 161. Vgl. auch R. 3 S. 91. 90) Nur die Führung der Voruntersuchung, nicht auch die Eröffnung der­ selben, kann dem Amtsrichter übertragen werden. GA. 40 S. 182, 44 S. 67.

Der Untersuchungsrichter und dessen Vertreter können um die Vornahme einzelner Untersuchungshandlungen die Amtsrichter ersuchen. § 185. Bei der Vernehmung des Angeschuldigten, der Zeugen und Sachverständigen, sowie bei der Einnahme des Augenscheins hat der Untersuchungsrichter einen Gerichtsschreiber zuzuziehen. In dringen­ den Fällen kann der Untersuchungsrichter eine von ihm zu beeidigende Person als Gerichtsschreiber zuziehen. § 186. Über jede Untersuchungshandlung ist ein Protokoll auf­ zunehmen. Dasselbe ist von dem Untersuchungsrichter und dem zu­ gezogenen Gerichtsschreiber zu unterschreiben. Das Protokoll muß Ort und Tag der Verhandlung sowie die Namen der milwirkenden oder beteiligten Personen angeben und ersehen lassen, ob die wesentlichen Förmlichkeiten des Verfahrens beobachtet sind. Das Protokoll ist den bei der Verhandlung beteiligten Personen, soweit es dieselben betrifft, behufs der Genehmigung vorzulesen oder zur eigenen Durchlesung vorzulegen. Die erfolgte Genehmigung ist zu vermerken, und das Protokoll von den Beteiligten entweder zu unterschreiben, oder in demselben anzugeben, weshalb die Unterschrift unterblieben ist. °2) § 187. Die Behörden und Beamten des Polizei- und Sicher­ heitsdienstes sind verpflichtet, Ersuchen oder Aufträgen des Unter­ suchungsrichters um Ausführung einzelner Maßregeln oder um Vor­ nahme von Ermittelungen zu genügen. § 188. Die Voruntersuchung ist nicht Weiler auszudehnen, als erforderlich ist, um eine Entscheidung darüber zu begründen, ob das Hauptverfahren zu eröffnen oder der Angeschuldigte außer Verfolgung zu setzen sei. Auch sind Beweise, deren Verlust für die Hauptverhandlung zu besorgen steht, oder deren Aufnahme zur Vorbereitung der Vertei­ digung des Angeschuldigten erforderlich erscheint, in der Vorunter­ suchung zu erheben. 91) Hat der Protokollführer später noch im Auftrage des Untersuchungs­ richters zur Ergänzung eines Augenscheinprotokolles besondere Wahrnehmungen gemacht und diese schriftlich niedergelegt, so stellen dieselben lediglich ein Zeugnis dar, das nicht verlesen werden darf. Erk. v. 27. Septbr. 88, E. 18 S. 186. 92) Dies Protokoll hat die Kraft eines Beweismittels über den Augenschein nur insoweit, als es die von beiden Gerichtspersonen gemeinschaftlich und über­ einstimmend gemachten Wahrnehmungen bekundet. Soweit letzteres nicht der Fall ist, darf das Prot. in der Hauptverhandlung auch nicht verlesen werden. Erk. v. 21. Juni 87, E. 16 S. 147. Die Nichtbeachtung dieser Vorschrift schadet nichts. Erk. v. 18. Oktbr. 01, E. 34 S. 396. Wer im Sinne dieses § als Beteiligter anzusehen ist, darüber stehe Erk. v. 28. April 98, E. 31 S. 135.

Dalcke, Strafr. 13. Aust.*

8

114

V.

§ 189.

Strafprozeßordnung §§ 189—191.

Ergibt sich im Laufe der Voruntersuchung Anlaß zur

Ausdehnung derselben auf eine in dem Anträge der Staalsanwaltschaft

nicht bezeichnete Person oder Tat, so hat der Untersuchungsrichter in dringenden Fällen die in dieser Beziehung erforderlichen Untersuchungs­ handlungen von Amts wegen vorzunehmen.

Die weitere Verfügung gebührt auch in solchen Fällen der Staats­

anwaltschaft. § 190.

Der Angeschuldigte ist in der Voruntersuchung zu ver­

nehmen, auch wenn er schon vor deren Eröffnung vernommen worden ist.

Demselben ist hierbei die Verfügung, durch welche die Vorunter­

suchung eröffnet worden, bekannt zu machen. Die Vernehmung erfolgt in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft

und des Verteidigers. § 191.

Findet die Einnahme eines Augenscheins statt, so ist der

Staatsanwaltschaft,^') dem Angeschuldigten und dem Verteidiger die Anwesenheit bei der Verhandlung zu gestatten.

Dasselbe gilt, wenn ein Zeuge oder Sachverständiger vernommen

werden soll, welcher voraussichtlich am Erscheinen in der Hauptver-

handlung verhindert, oder dessen Erscheinen wegen großer Entfernung besonders erschwert sein wird. Bon den Terminen sind die zur Anwesenheit Berechtigten vorher

zu benachrichttgen, soweit dies

ohne Aufenthalt für die Sache ge­

schehen kann.") Einen

Anspruch

auf

Anwesenheit

hat

der

nicht

aus

freiem

Fuße befindliche Angeschuldigte nur bei solchen Terminen, welche an

der Gerichtsstelle des Orts abgehalten werden,

wo er sich in Haft

befindet.") Auf die Verlegung eines Termins wegen Verhinderung haben die zur Anwesenheit Berechtigten keinen Anspruch.

93) Auch dem Privat- und Nebenkläger, §§ 425 und 437. 94) Welche Rechte dem StA. und Angesch. zustehen, ob dieselben nament­ lich das Fragerecht aus § 239 haben, ist bestritten. Da es sich bei der Einnahme des Augenscheins, sowie bei der Vernehmung der Zeugen, die später verhindert sind, zu erscheinen, um einen antizipierten Akt der Hauptverh. handelt, so erscheint es richtig, hier dieselben Rechte zu konzedieren, welche die Parteien in der Hauptverh. haben. A. M. Löwe Anm. 3u. Stenglein Anm. 4. 95) Der A., welcher verhaftet war, hat deshalb kein Recht, sich über die Verlesung des Augenscheinsprotokolles in der Hauptverh. welches ohne seine Zu­ ziehung ausgenommen worden, zu beschweren, Erk. v. 21. April 80, R. 1 S. 364, aber er muß auch dann, wenn er sich an einem anderen Otte in Haft befindet, von dem Termine benachrichtigt werden. Erk. vom 10./24. Mai 92, E. 23 S. 142.

Gericht!. Borunters, rc. §§ 192—195. Entsch. üb. d. Eröffn, rc. §§ 196,197.

115

§ 192 Der Richter kann einen Angeschuldigten von der An­ wesenheit bei der Verhandlung ausschließen, wenn zu befürchten ist, daß ein Zeuge in seiner Gegenwart die Wahrheit nicht sagen werde.06) § 193. Findet die Einnahme eines Augenscheins unter Zuziehung von Sachverständigen statt, so kann der Angeschuldigte beantragen, daß die von ihm für die Hauptverhandlung in Vorschlag zu bringenden Sachverständigen zu dem Termine geladen werden und, wenn der Richter den Antrag ablehnt, sie selbst laden lassen. Den von dem Angeschuldigten benannten Sachverständigen ist die Teilnahme am Augenschein und an den erforderlichen Untersuchungen insoweit zu gestatten, als dadurch die Tätigkeit der vom Richter be­ stellten Sachverständigen nicht behindert wird. § 194 Die Staatsanwaltschaft kann stets, ohne daß jedoch das Verfahren dadurch aufgehalten werden darf, von dem Stande der Voruntersuchung durch Einsicht der Akten Kenntnis nehmen und die ihr geeignet scheinenden Anträge stellen. § 195. Erachtet der Untersuchungsrichter den Zweck der Vor­ untersuchung für erreicht, so übersendet er die Akten der Staatsan­ waltschaft zur Stellung ihrer Anträge. Beantragt die Staatsanwaltschaft eine Ergänzung der Vorunter­ suchung, so hat der Untersuchungsrichter, wenn er dem Anträge nicht stattgeben will, die Entscheidung des Gerichts einzuholen. Bon dem Schlüsse der Voruntersuchung06R) ist der Angeschuldigte in Kenntnis zu setzen. 4. Abschnitt.

Entscheidung über die Eröffnung des Hanptverfahrens.

§ 196. Hat eine Voruntersuchung stattgefunden, so entscheidet das Gericht, ob das Hauptverfahren zu eröffnen oder der Angeschuldigte außer Verfolgung zu setzen oder das Verfahren vorläufig einzu­

stellen sei. Die Staatsanwaltschaft legt zu diesem Zwecke die Akten mit ihrem Anträge dem Gerichte vor. Der Antrag auf Eröffnung des Hauptverfahrens erfolgt durch Einreichung einer Anklageschrift.0^) § 197. Erhebt die Staatsanwaltschaft, ohne daß eine Vorunter­ suchung stattgefunden, die Anklage, so ist die Anklageschrift mit den 96) Der Nebenkläger kann von der Verhandlung nicht ausgeschloffen werden Erk. v. 9. März 94, E. 25 S. 177. 96 a) Die Voruntersuchung endigt erst mit dem Zeitpunkt, wo die StA. die Akten d. Sttafkammer vorlegt. Beschl. v. 29. März 00, E. 33 S. 200. 97) Über die Entscheidung über Eröffnung des Hauptverfahrens siehe Hellwig in GA. 32 S. 89.

116

V. Strafprozeßordnung §§ 198, 199.

Akten, wenn die Sache zur Zuständigkeit des Schöffengerichts gehört, bei dem Amtsrichter, anderenfalls bei dem Landgerichte einzureichen.98) 99 100 § 198. Die Anklageschrift hat die dem Angeschuldigten zur Last gelegte Tat unter Hervorhebung ihrer gesetzlichen Merknrale und des anzuwendenden Strafgesetzes zu bezeichnen, sowie die Beweismittel und das Gericht, vor welchem die Hauptverhandlung stattfinden soll, anzugeben.") In den vor dem Reichsgerichte, den Schwurgerichten oder den Landgerichten zu verhandelnden Strafsachen sind außerdem die wesent­ lichen Ergebnisse der stattgehabten Ermittelungen in die Anklageschrift

aufzunehmen. § 199. Der Vorsitzende des Gerichts hat die Anklageschrift dem Angeschuldigten nütäuteUen 10°) und ihn zugleich aufzufordern, sich innerhalb einer zu bestimmenden Fristzu erklären, ob er eine Vor­ untersuchung oder die Vornahme einzelner Beweiserhebungen vor der Hauptverhandlung beantragen, oder Einwendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens vorbringen wollet) Hat eine Voruntersuchung stattgefunden, so ist die Aufforderung entsprechend zu beschränken. Über die Anträge und Einwendungen beschließt das Gericht.

Eine Anfechtung des Beschlusses findet nur nach Maßgabe der Be­ stimmungen im § 180 Abs. 1 und § 181 statt.2*) 98) Der Mangel der Unterschrift des StA. unter der Anklageschrift bedingt nicht Ungültigkeit der letzteren, sofern er noch nachträglich beseitigt werden kann. Erk. v. 18. Febr. 05, E. 37 S. 404. Wird eine polizeiliche Strafverfügung von dem Schöffengericht wegen Unzuständiakeit der Polizeibehörde aufgehoben, so be­ darf es einer neuen Entschließung des StA. und eines neuen Eröffnungsbeschlusses. Erk. v. 29. Jan. 84, R. 6 S. 60. Vgl. zu diesem § auch GA. 45 S. 372. 99) Das Gericht ist nicht befugt, die Beschlußfassung abzulehnen und eine andere, seiner abweichenden Rechtsansicht entsprechende Anklageschrift zu ver­ langen. OLG. Cassel v. 18. März 92, GA. 40 S. 100, aM. OLG. Marien­ werder v. 22. Dezbr 05, GA. 53 S. 189. Siehe auch Olbricht, Konflikt zwischen der Strafkammer und der StA., GA. 55 S. 206 ff. u. 292. 100) Eine bloße Verlesung genügt nicht. Erk. v. 29. Oktbr. 80, R. 2 S. 408. Die unterbliebene Mitteilung führt aber nur dann zur Revision, wenn der Angell, den Mangel gerügt hat. Erk. v. 26. Jan. 88, GA. 36 S. 167 u. die Bemerkungen dazu. Ebenso Erk. v. 14. Juni 98, GA. 46 S. 337. 1) Die Dauer der Frist ist in das Ermessen des Vorsitzenden gestellt, der dieselbe nach dem Umfang der Sache zu bemessen haben wird. GA. 37 S. 226. 2) Hat das Gericht infolge der Gegenerklärung des A. eine Vorunter­ suchung angeordnet, so muß nach Abschluß derselben das Verfahren aus § 199 wiederholt werden, aber der A. muß die Unterlassung, wenn die Revision be­ gründet sein soll, besonders rügen. Erk. v. 27. April 92, GA. 40 S. 52. Vgl. Erk. v. 7. März 99, E. 32 S. 79. 2 a) Enthält der Beschluß außer der Entscheidung über die Eröffnung des

Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens §§ 200—203.

117

Auf die vor den Schöffengerichten zu verhandelnden Sachen finden die Bestimmungen dieses Paragraphen keine Anwendung.^) 8 20 0. Zur besseren Aufklärung der Sache kann das Gericht eine Ergänzung der Voruntersuchung oder, falls eine Voruntersuchung nicht stattgefunden hat, die Eröffnung einer solchen oder einzelne Be­ weiserhebungen anordnen. *) Tie Anordnung einzelner Beweiser­

hebungen steht auch dem Amtsrichter zu. Eine Anfechtung des Beschlusses findet nicht statt. § 201. Tas Gericht beschließt die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen der Voruntersuchung oder, falls eine solche

nicht stattgefunden hat, nach den Ergebnissen des^ vorbereitenden Ver­ fahrens der Angeschuldigte einer strafbaren Handlung hinreichend ver­

dächtig erscheint. § 202. Beschließt das Gericht, das Hauptversahren nicht zu er­ öffnen, so muß aus dem Beschlusse hervorgehen, ob derselbe auf tat­ sächlichen oder auf Rechtsgründen beruht. '^) Hat eine Voruntersuchung stattgefunden, so ist auszusprechen, daß der Angeschuldigte außer Verfolgung zu setzen sei. Der Beschluß ist dem Angeschuldigten bekannt zu machen. § 203. Vorläufige Einstellung des Verfahrens kann beschlossen werden, wenn dem wetteren Verfahren Abwesenheit des Angeschuldigten oder der Umstand entgegensteht, daß derselbe nach der Tat in Geistes­ krankheit verfallen ist.6)

Hauptverfahrens auch zugleich die Ablehnung eines Anttages auf Eröffnung der Voruntersuchung, so ist er insoweit mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar. Erk. v. 5. Ap. 06, Recht 10 S. 693. 3) Erklärt sich der Schöffenrichter für unzuständig, u. legt er die Akten der Strafkammer vor, so ist nach § 199 zu verfahren. Erk. v. 25-/26. Oktbr. 82, R. 4 S. 767. 4) Diesen Beschluß hat die Strafkammer resp, deren Vorsitzender selbst, nicht die StA. zu erledigen. GA. 37 S. 73. 4 a) Die Eröffnung des Hauptverfahrens kann nicht wegen mangelnden Beweises abgelehnt werden, wenn die Zeugen noch gar nicht vernommen sind. GA. 42 S. 149. Der Vorsitzende ist berechtigt wie verpflichtet, Mängel des Eröffnungsbeschluffes in der Hauptverh. durch eine Belehrung der A. unschädlich zu machen. Erk. v. 17. März 93, E. 24 S. 64. 5) Wenn die Strafkammer eröffnet, so darf sie den Angesch. nicht wegen einer anderen Qualifizierung der Tat außer Verfolgung setzen. Geschieht dies dennoch, so bat der StA. zwar keine Beschwerde, er kann aber in der Hauptverh. unbedingt auf die abgelehnte Qualifikation zurückkommen. Erk. v. 20. Novbr. 84, R. 6 S. 740. Ebenso Erk. v. 15. April 82, R. 4 S. 325. 6) Auch nach Eröffnung deS Hauptverfahrens und nach Beginn der Haupt­ verh. kann noch eine Einstellung wegen Geisteskrankheit durch Beschluß erfolgen. OLG. Darmstadt v. 7. Ott. 97. AM. OLG. Kassel u. Dresden, GA. 45 S. 297. Das muß auch zutreffen, wenn der Angekl. nach Eröffnung des Hauptverfahrens

118

V. Strafprozeßordnung §§ 204 —207.

Das Gericht ist bei der Beschlußfassung an die Anträge

§ 204.

der Staatsanwaltschaft nicht gebunden. In dem Beschlusse, durch welchen das Hauptverfahren

§ 205.

eröffnet wird, ist die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter Hervorhebung

ihrer gesetzlichen

Merkmale und

des

anzuwendenden

Strafgesetzes, sowie das Gericht zu bezeichnen, vor welchem die Haupt­

verhandlung stattfinden soll. ’) Das Gericht hat zugleich von Amts wegen über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft zu beschließen.

§ 206.

Wenn von der Staatsanwaltschaft beantragt ist, den An-

geschuldigten außer Verfolgung zu setzen, von dem Gerichte aber die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen wird, so hat die Staats­

anwaltschaft eine dem Beschlusse entsprechende Anklageschrift einzureichen.

Die Bestimmungen des § 199 finden hier gleichfalls Anwendung; es ist jedoch die Aufforderung auf die Erklärung zu beschränken, ob

der Angeklagte die Vornahme einzelner Beweiserhebungen vor der Hauptverhandlung beantragen wolle. § 207.

Das Landgericht kann das Hauptverfahren vor den er­

kennenden Gerichten jeder Ordnung, nicht aber vor dem Reichsgericht

eröffnen.

Erachtet das Landgericht die Zuständigkeit des Reichsgerichts

gestorben ist.

Siehe ebenda.

Über die Möglichkeit einer Hauptverh. mit einem

Geisteskranken siehe Erk. v. 8. Jan. 97, E. 29 S. 324. Nach Beseitigung der im § gedachten Hindernisse kann das Verfahren jeden Augenblick wieder ausge­ nommen werden. Erk. v. 10. Novbr. 80, E. 3 S. 29. Dem A. steht gegen den Beschl., durch welchen das Verfahren vorläufig wegen Geisteskrankheit eingestellt wird, dem StA. gegen den die vorläufige Einstellung ablehnenden Beschluß die Beschwerde zu. GA. 37 S. 229. 7) Sind in einem gegen zwei gleichnamige A. ergangenen EröffnungSbeschluffe bei einem Anklagepunkle die Vornamen verwechselt, so darf dies nicht einfach richtig gestellt werden, vielmehr muß der eine freigesprochen und gegen den anderen nach § 265 verfahren werden. Erk. v. 13. Mai 90, GA. 38 S. 190. Aus dem Eröffnungsbeschlusse muß hervorgehen, welche Tat den Gegen­ stand der Urteilsfindung bilden soll. Erk. v. 7. Oktbr. 90, E. 21 S. 64. Ent­ spricht der Beschluß des Gerichts, durch welchen sich dasselbe für unzuständig er­ klärt und die Sache an daS zuständige Gericht verweist, nicht dem § 205, so muß das aburteilende Gericht bet Beginn der Berh. die Anklage anderweit formulieren und dem A. Vorhalt machen. Erk. v. 10. April 83, R. 5 S. 227. Umfaßt die Anklage mehrere realiter konkurrierende Delikte und ist eines der letzteren im Eröffnungsbeschl. nicht erwähnt, so darf dies Delikt unter Beobachtung des § 265 doch zum Gegenstände der Hauptverh. gemacht werden. Erk. v. 2. Novbr. 93, GA. 41 S. 402. Eine Unvollständigkeit des Eröffnungsbeschlusses führt nur dann zur Aufhebung, wenn der A. dieselbe alS Beschränkung der Verteidi­ gung geltend gemacht hat. Erk. v. 8. Oktbr. 83, R. 5 S. 583. In dem Er­ öffnungsbeschl. wegen Meineides braucht bei entsprechender Sachlage auf den § 157 des StGB, nicht hingewiesen zu werden. Erk. v. 2. Juli 97, E. 30 S. 209.

Entscheidung über die Eröffnung des HauptverfahrenS §§ 208—210.

119

für begründet, so legt es die Akten durch Bermittelung der Staats­ anwaltschaft diesem Gerichte zur Entscheidung vor. Ebenso hat der Amtsrichter, wenn er findet, daß eine bei ihm eingereichte Sache die Zuständigkeit des Schöffengerichts übersteige, die Akten durch Bermittelung der Staatsanwaltschaft dem Landgerichte zur Entscheidung vorzulegen. § 208.

Betraf das Vorverfahren mehrere derselben Person zur

Last gelegte strafbare Handlungen, und erscheint für die Strafzu­ messung die Feststellung des einen oder des anderen Straffalles un­ wesentlich, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft beschließen, daß in Ansehung eines solchen das Verfahren vorläufig einzustellen sei.

Die Aufhebung des Einstellungsbejchlusses kann binnen einer Frist von drei Monaten nach Rechtskraft des Urteils von der Staats­ anwaltschaft beantragt werden, wenn nicht Verjährung eingetreten ist. § 209. Der Beschluß, durch welchen das Hauptverfahren eröffnet worden ist, kann von dem Angeklagten nicht angefochten werden. Gegen den Beschluß, durch welchen die Eröffnung des Hauptver­

fahrens abgelehnt oder abweichend von dem Anträge der Staatsan­ waltschaft die Berweisung an ein Gericht niederer Ordnung aus­ gesprochen worden ist, steht der Staatsanwaltschaft die sofortige Be­ schwerde zu.b)

§ 210. Ist die Eröffnung des Hauptverfahrens durch einen nicht mehr anfechtbaren Beschluß abgelehnt, so kann die Klage nur auf

8) Ein die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen Unzuständigkeit ablehnen­ der Beschluß steht der Erneuerung der öffentlichen Klage nicht entgegen. Erk. v. 20. Febr. 99, E. 32 S. 50. Daß dem StA. auch dann eine Beschwerde zusteht, wenn das Verfahren seinem eigenen Anträge entsprechend eingestellt ist, bestreitet zu Unrecht Auerbach in GA. 46 S. 277. Vgl. auch Löwe Anm. zu d. §. Wird eine in Gemäßheit des Abs. 2 erhobene Beschwerde für begründet erachtet und die Voruntersuchung angeordnet, so ist damit der Vorschrift des § 351 Abs. 2 genügt. Erk. v. 14. Oktbr. 98, GA. 46 S. 428. Gegen den Beschluß, durch welchen sich die Strafkammer für unzuständig erklärt, ist die fristlose Beschwerde gegeben. GA. 37 S. 451. Die Beschwerde kann auf neue ermittelte und behauptete Tatsachen nicht gestützt werden. GA. 39 S. 360. Die Beschwerde steht auch dem Nebenkläger zu. GA. 47 S. 306. Der nicht mehr anfechtbare Beschluß äußert aber seine Wirkung nur der Person gegenüber, gegen welche er ergangen ist, andere Per­ sonen können als Anstister ober Teilnehmer derselben Straftat verfolgt werden. Erk. v. 7. Oktbr. 84, R. 6 S. 603. Die Wiederaufnahme deS Verfahrens im Sinne des § 210 ist nicht nach den Formvorschriften der §§ 407—410 zn behandeln. Erk. v. 26. Jan. 86, E. 13 S. 295.

V. Strafprozeßordnung 8§ 211—215.

120

Grund

neuer

Tatsachen

oder

Beweismittel

wieder

ausgenommen

werden.9)

Bor dem Schöffengerichte kann ohne schriftlich erhobene

§ 211.

Anklage und ohne eine Entscheidung über die Eröffnung des Haupt­

verfahrens zur Hauptverhandlung geschritten werden, wenn der Be­

schuldigte entweder sich steiwillig stellt oder infolge einer vorläufigen Festnahme dem Gerichte vorgeführt oder nur wegen Übertretung ver­ Der wesentliche Inhalt der AnNage ist in den Fällen der

folgt wird.

fteiwilligen Stellung oder der Vorführung in das Sitzungsprotokoll, anderenfalls in die Ladung des Beschuldigten auszunehmen.

Auch kann der Amtsrichter in dem Falle der Vorführung des

Beschuldigten mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft ohne Zuziehung

von Schöffen zur Hauptverhandlung schreiten, wenn der Beschuldigte nur wegen Überttetung verfolgt wird und die ihm zur Last gelegte Tat eingesteht.

Gegen die im Laufe der Hauptverhandlung ergehenden

Entscheidungen und Urteile des Amtsrichters finden dieselben Rechts­ mittel statt, wie gegen die Entscheidungen und Urteile des Schöffen­

gerichts. 5. Abschnitt. § 212

Vorbereitung -er Hauptverhandtnog.

Der Termin zur Hauptverhandlung wird von dem Vor­

sitzenden des Gerichts anberaumt. § 213.

Die zur Hauptverhandlung erforderlichen Ladungen und

die Herbeischaffung der als Beweismittel dienenden Gegenstände be­

wirkt die Staatsanwaltschaft.10)11 § 214

Der Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens

ist dem Angeklagten spätestens mit der Ladung zuzustellen. n)

§ 215.

Die Ladung eines auf sietem Fuße befindlichen Ange­

klagten geschieht schriftlich unter der Warnung, daß im Falle seines unentschuldigten Ausbleibens seine Verhaftung oder Vorführung er-

9) Darüber, welchem Gerichte die Entscheidung über die Frage zusteht, ob die Wiederaufnahme der Klage statthaft ist, siehe Erk. v. 30. Oktbr. 91, E. 22 S. 187. — Inwiefern einem Beschluß, daß Hauptverfahren nicht zu eröffnen, eine spätere Fragestellung wegen derselben Straftat entgegensteht, darüber siehe Erk. v. 4. Novbr. 95, E. 28 S. 12. Ein wirksam gestellter Sttafantrag verliett da­ durch, daß das Gencht ihn irrtümlich als nicht rechtswirksam angesehen hat, nicht seine Wirksamkeit. Der Ablehnungsbeschluß hat daher in solchem Falle das Erlöschen der Strafklage nicht zur Folge. Erk. v. 21*. Jan. 05, Recht 9 S. 171. 10) Siehe hierüber Erk. v. 6./13. Juli 88, E. 18 S. 76. Die Ladung kann auch in öffentlicher Sitzung erfolgen. Erk. v. 5 Mai 02, E. 35 S. 232. 11) Wird dies verabsäumt, so ist die Revision doch nur dann begründet, wenn der A. diesen Fehler in der Hauptverh. gerügt hat. Erk. v. 13. Juli 81, R. 3 S. 482.

Vorbereitung der Hauptverhandlung §§ 216, 217.

121

folgen werde. Die Warnung kann in den Fällen des § 231 unter­ bleiben.12) Die Ladung des nicht auf freiem Fuße befindlichen Angeklagten erfolgt durch Bekanntmachung des Termins zur Hauptverhandlung in Gemäßheil des § 35. Dabei ist der Angeklagte zu beftagen, ob und welche Anträge er in bezug auf feine Verteidigung für die Hauptverhandlung zu stellen habe.

§ 216. Zwischen der Zustellung der Ladung (§ 215) und dem Tage der Hauptverhandlung muß eine Frist von mindestens einer Woche liegen.13)14 15 Ist diese Frist nicht eingehalten worden, so kann der Angeklagte die Aussetzung der Verhandlung verlangen, solange mit der Ver­ lesung des Beschlusses über die Eröffnung des Hauptverfahrens nicht begonnen ist. u) § 217

Neben dem Angeklagten ist der bestellte Verteidiger^)

12) Die Zustellung der Ladung des A. kann rechtswirksam an einen von ihm bestellten Anwalt geschehen. Erk. v. 17. März 10, E. 43 S. 321. A., welche von ihrem Erscheinen auf ihren Antrag entbunden werden, müssen doch zu dem Termine geladen werden. Erk. v. 7. März 82, R- 3 S. 230. Die Unter­ lassung der Ladung eines aus der Haft vorgeführten A. begründet dann keine Aufhebung, wenn er hiergegen nicht protestiert hat und er auch in der Vertei­ digung nicht beschränkt gewesen. Erk. v. 22. Oktbr. 83, R. 5 S. 629. 13) Ein A., deffen Vorführung wegen Ausbleibens angeordnet ist, hat auf diese Frist keinen Anspruch. Erk. v. 5. März 81, R. 3 S. 113. Der Verzicht auf die Ladungsfrist muß dem Gericht gegenüber in bestimmter und unzwei­ deutiger Form erfolgen. Erk. v. 28. Febr. 05, GA. 52 S. 247. Eine Frist für Ladung des Verteidigers ist nicht vorgesehen. Erk. v. 15. Apr. 10, Recht 14 Nr. 1881. Bei der Ladung zu einer neuen Hauptverh. hat der A. auf die Einhal­ tung der tm § 216 Abs. 1 vorgeschriebenen Frist keinen Anpruch. Erk. v. 14. März 87, E. 15 S. 113 (vgl. auch GA. 43 S. 138), wohl aber dann, wenn der zunächst anberaumte Termin gar nicht herangekommen ist. Erk. v. 3. März 05, DIZ. 9 S. 899 u. GA. 52 S. 249. 14) Läßt sich der A. stillschweigend auf die Verhandlung ein, so liegt hierin ein Verzicht. Erk. v. 23. u. 30. Jan. 80, R. 1 S. 262 u. 299. 15) a. Der bestellte Verteidiger muß geladen werden, auch wenn hinter­ her die Verhandlung nicht vor dem Schwurgericht, sondern vor der Strafkammer staltfindet. Erk. v. 16. Septbr. 89, E. 19 S. 373. Vgl. Erk. v. 3. Jan. 91, E. 21 S. 266. Der gemäß § 81 Abs. t2 bestellte Verteidiger ist notwendiger Verteidiger und daher zu laden. Erk. v. 10. Dezbr. 03, E. 37 S. 21. — Der Verteidiger ist so zeittg zu laden, daß er für ordnungsmäßige Erledigung seiner Berufsgeschäste sorgen kann. Erk. v. 12. Juli 05, Recht 9 S. 535. b. Ist der gewählte Verteidiger aus Versehen nicht geladen, so wird dieser Verstoß selbst dadurch nicht ohne weiteres geheilt, daß der A. auf die Anwesen­ heit verzichtet; es muß dem A. ausdrücklich bekannt gemacht werden, daß der Verteidiger nicht geladen sei. Erk. v. 18. Oktbr. 89, E. 19 S. 436. Die Be-

122

V. Strafprozeßordnung § 218.

stets, der

gewählte Verteidiger dann zu laden,

wenn die erfolgte

Wahl dem Gerichte angezeigt worden ist16*)

§ 218.

Verlangt der Angeklagte

die

Ladung von Zeugen16)

oder Sachverständigen oder die Herbeischaffung anderer Beweismittel

zur Hauptverhandlung, so hat er unter Angabe der Tatsachen, n) über welche der Beweis erhoben werden soll, seine Anträge bei dem Bor-

tanntmachung ist nicht erforderlich, wenn der A. aus dem Verlauf der Sache weiß, daß sein Verteidiger nicht geladen ist. Erk. v. 28. Dezbr. 09, E. 43 S. 161. c. Findet die Verhandlung zu einer früheren Stunde statt, als in der, zu welcher der Verteidiger geladen war, so ist Grund zur Revision gegeben. GA. 39 S. 340, 47 S. 448. d. AIS bestellter Verteidiger gilt ein Anwalt nicht schon dann, wenn der­ selbe mit dem Angeklagten als dessen Beistand in einer demnächst vertagten Ver­ handlung erschienen war. Erk. v. 15. Novbr. 82, R. 4 S. 813. e. Wenn der A. einen Verteidiger gewählt und dies dem Gericht angezeigt hat, so muß derselbe bei Strafe der Nichtigkeit des Verfahrens geladen werden. Erk. v. 8. Juli 81, R. 3 S. 472. Geladen werden muß auch der vom gesetzlichen Vettreter deS Angetl. gewählte vetteidiger. Erk. v. 12. Juni 03, E. 36 S. 316. Eine Ladung ist aber nicht erforderlich, wenn der Vetteidiger schon aktenmäßig Kenntnis von dem Termin hat. Erk. v. 18. Mai 03, Recht 7 S. 320. Ein Ver­ stoß gegen 8 217 wird dadurch nicht geheilt, daß der Verteidiger noch im Laufe der Hauptverh. erscheint. Erk. v. 15. Novbr. 95, E. 27 S. 425. f. Die Wahl des Verteidigers muß aber von dem A. oder einem legitimier­ ten Vertreter desselben angezeigt sein. Erk. v. 20. Septbr. 81, R. 3 S. 516. Ebenso Erk. v. 3. Jan. 87, R. 9 S. 4. Ist die Anzeige unterblieben, in der trotzdem er­ folgten Ladung aber die Terminsstunde unttchiig angegeben, so kann hiettn eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung liegen. Erk. v. 31. Jan. 08, E. 41 S. 72. g. Die unterlassene Ladung des Verteidigers führt dann nicht zur Auf­ hebung des Urteils, wenn das letztere nicht auf dieser Unterlassung, sondern auf der Säumnis des Vetteidigers beruht. Erk. v. 1O./13. Jan. 88, E. 17 S 45. h. Erscheint in der Hauptverh. statt des geladenen Verteidigers ein anderer, so braucht zu einem neuen Verhandlungstermin nur der letztere geladen zu werden. Erk. v. 1. Juni 93, GA. 41 S. 262. i. Erscheint der A. mit einem Verteidiger, so muß der letztere zu einer neuen Hauptverh. geladen werden, wenn keine ausdrückliche oder stillschweigende Zurücknahme des Auftrags vorliegt. Erk. v. 1. März 94, E. 25 S. 152. k. Ein Verzicht auf die Zuziehung des zu Unrecht nicht geladenen Vertei­ digers unter der Drohung, daß sonst die Verhaftung erfolgen werde, ist unwirk­ sam. Erk. v. 9. Oktbr. 93, GA. 41 S. 384. 15 a) Die Anzeige ist dem Gencht erstattet, wenn nach Eröffnung des Hauptverfahrens von der detachierten Sttafkammer die Wahl eines Vetteidigers dem Landgericht angezeigt ist. Ett. v. 26. Aug. 05, GA. 52 S. 404. 16) Ist der Beweisantrag nicht bestimmt formuliert, so wird dadurch eine Beschlußfassung nicht entbehrlich. Auf jeden Beweisantrag ist der A. durch einen motivierten und vor Schluß der Verhandlung verkündeten Beschluß zu bescheiden. Erk. v. 2./5. Jan. 86, R. 8 S. 4. 17) Zu solchen Tatsachen gehört auch sinnlose Betrunkenheit. Erk. v. 20. Dezbr. 81, R. 3 S. 812.

orbereitung der Hauptverhandlung §§ 219—221.

123

sitzenden des Gerichts zu stellen.18) Die hierauf ergehende Verfügung ist ihm bekannt zu machen.19)20 Beweisanträge des Angeklagten sind, soweit ihnen stattgegeben ist, der Staatsanwaltschaft mitzuteilen. § 219. Lehnt der Vorsitzende den Antrag auf Ladung einer Person ab, so kann der Angeklagte die letztere unmittelbar laden lassen. Hierzu ist er auch ohne vorgängigen Antrag befugt.^9) Eine unmittelbar geladene Person ist nur dann zum Erscheinen verpflichtet, wenn ihr bei der Ladung die gesetzliche Entschädigung für Reisekosten und Versäumnis bar dargeboten oder deren Hinterlegung bei dem Gerichtsschreiber nachgewiesen ttrttfc.21) Ergibt sich in der Hauptverhandlung, daß die Vernehmung einer unmittelbar geladenen Person zur Aufklärung der Sache dienlich war, fo hat das Gericht auf Antrag anzuordnen, daß derselben die gesetz­ liche Entschädigung aus der Staatskasse zu gewähren sei.22) § 220. Der Vorsitzende des Gerichts kann auch von Amts wegen die Ladung von Zeugen und Sachverständigen sowie die Herbeischaffung anderer Beweismittel anordnen.22 *) § 221. Der Angeklagte hat die von ihm unmittelbar geladenen oder zur Hauptverhandlung zu stellenden Zeugen und Sachverständigen 18) Gegen die vor der Hauptverh. von dem Vorsitzenden verfügte Ableh­ nung von Beweisanträgen hat der A. kein Beschwerderecht, und insbesondere kann dieselbe die Revision nicht begründen, weil der A. seine Anträge in der Haupt­ verh. wiederholen kann. Erk. v. 16. Dezbr. 79, R. 1 S. 158. Siehe auch ebenda S. 250 und 549 und R. 2 S. 246, Erk. v. 29. Novbr. 79, E. 1 S. 108. 19) Die Unterlassung der Bekanntmachung führt dann nicht zur Revision, wenn der A. nicht in der Hauptverh. die Aussetzung der Verhandlung und die Ladung der Zeugen von neuem beantragt hat, sondern nur seinen früheren An­ trag wiederholt hat und dieser durch einen mottvietten Beschl. abgelehnt ist. Erk. vom 18. Dezbr. 80, R. 2 S. 649. 20) Über die Befugnis der StA., nachträglich von der Verteidigung ge­ ladene Zeugen vor ihrer Vernehmung in der Hauptverhandl. durch die Polizei vernehmen zu lassen, siehe Haldy, Deutsche Richterzeitung 3 S. 707. 21) Abs. 2 soll, wie Löwe, Boitus und P u ch e l t behaupten, auf Sach­ verständige keine Anwendung finden. Vgl. auch John, StPO. S. 853. 22) Abs. 3 ist dahin zu verstehen, daß, wenn die Vernehmung einer un­ mittelbar geladenen Person zur Aufklärung der Sache dienlich gewesen ist, die Entschädigung gleich den übrigen Kosten des Verfahrens aus der Staatskaffe ausgelegt werden solle, vorbehaltlich der späteren definitiven Entscheidung da­ rüber, von wem in Gemäßheit des § 496 die Kosten zu tragen sind. Erk. v. 29. Septbr. 87, R. 9 S. 476 u. E. 16 S. 212. Vgl. auch Erk. v. 21. März 95, GA. 41 S. 51. Über die Behandlung der hinterlegten Zeugenentschädigung

siehe Vers. v. 10. Juni 1891 (JMBl. S. 161). Die hinterlegten Beträge, gleichviel in welcher Höhe, sind an die Zeugen zu zahlen. KG. v. 26. Febr. 06, DIZ. 11 S. 601. 22 a) Siehe Anm. 23 zu § 100.

124

V. Strafprozeßordnung § 222.

rechtzeitig der Staatsanwaltschaft namhaft zu machen und ihren Wohn­

oder Aufenthaltsort anzugeben. **) Dieselbe Verpflichtung hat die Staatsanwaltschaft gegenüber dem

Angeklagten, wenn sie außer den in der Anklageschrift benannten oder auf Antrag des Angeklagten geladenen Zeugen oder Sachverständigen

die Ladung noch anderer Personen, sei es auf Anordnung des Vor­

sitzenden (§ 220) oder aus eigener Entschließung, bewirkt. § 222.

Wenn dem Erscheinen eines Zeugen oder Sachverstän­

digen") in der Hauptverhandlung für eine längere oder ungewisse Zeit Krankheit14 e) oder Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende

Hindernisse entgegenstehen, so kann das Gericht2Ä) die Vernehmung desselben durch einen beauftragten oder ersuchten Richter anordnen.26 23) 24 25

Die Vernehmung erfolgt, soweit die Beeidigung zulässig ist, eidlich.27) 23) Wird von einem Beweismittel Abstand genommen, so braucht dies dem Gegner nicht mitgeteilt zu werden. Erk. v. 23. Febr. 80, R. 1 S. 376. 24) DaS Protokoll über die tommiffarische Vernehmung eines Zeugen ge­ hört nicht zu den unter § 244 fallenden Beweismitteln. Deshalb ist die Ver­ lesung keine prozeffuale Notwendigkeit. Erk. v. 29. Novbr. 89, GA. 37 S. 429. 24 a) Hierher gehört auch der Zustand vorgerückter Schwangerschaft. Erk. v. 7. Aug. 06, Recht 10 S. 1093, aber nicht jedes Stadium der Schwangerschaft. Erk. v. I.März 06, ebenda S. 454. Auch hochgradige Erschütterung des Nerven­ systems kann als Krankheit im Sinne des Abs. 1 angesehen werden. Erk. v. 28. Juli 06, Recht ebenda S. 1093, DIZ. 12 S. 68. 25) Das Gericht beschließt, aber der Vorsitzende kann die Person des Richters bestimmen. Erk. v. 15. Novbr. 86, R. 8 S. 712. 26) Dies kann auch der Untersuchungsrichter sein. Erk. v. 24. März 81, G. 4 6.91. Abweichend: GA. 37 S. 78. 27) Die Frage, ob daS Erscheinen eines Zeugen wegen großer Entfernung für längere Zeit besonders erschwert und der Zeuge deshalb kommisiarisch zu ver­ nehmen ist, ist vom Richter tatsächlich zu entscheiden. Erk. III. v. 4. Dezdr. 80, R. 2 S. 602. Dagegen hat der II. Senat in dem Erk. v. 13. Mai 81, E. 4 S. 174 ausgesprochen, daß die Frage, ob eine Entfernung eine so große sei, daß die kommiffarische Vernehmung erfolgen müffe, nicht eine bloße Tat-, sondern auch eine Rechtsftage sei. Bon dieser letzteren Ansicht geht auch das Erk. v. 3. Febr. 82, R. 4 S. 120, aus und ebenso hat auch Erk. v. 29. Novbr. 83, R. 5 S. 737 eine Nachprüfung des festgestellten Hindernisses der Vernehmung vor­ genommen. (Die vorgesetzte Behörde hatte erklärt, daß ein Beamter unabkömm­ lich sei.) Nicht nur die räumliche Entfernung und die Verkehrsmittel, sondern auch die größere oder geringere Erheblichkeit der Zeugenaussage sollen in Bcttacht kommen. Erk. v. 20. Juli 05, Recht 9 S. 477. Der Beschluß muß in der Regel ersichtlich machen, daß u. welche in der Gestaltung des Falles begründeten Verhältnisse für die Anordnung der komm. Vernehmung bestimmend waren. Erk. v. 20. Juni 10, E. 44 S. 8. Es soll auch nicht gegen das Gesetz verstoßen, daß von mehreren Personen, welche denselben Wohnsitz haben, einzelne geladen, andere wegen zu großer Ent­ fernung kommissarisch vernommen werden. Erk. v. 14. Mai 86, R. 8 S. 358 u. Erk. v. 24. Jan. 88, R. 10 S. 63. Vgl. insbes. Erk. v. 20. Novbr. 88, E. 18 S. 261.

Vorbereitung der Hauptverhandlung §§ 223, 224.

125

Dasselbe gilt, wenn ein 3eu9e 2S) oder Sachverständiger ver­ nommen werden soll, dessen Erscheinen wegen großer Entfernung be­ sonders erschwert sein wird. § 223 Von den zum Zwecke dieser Vernehmung anberaumten Terminen sind die Staatsanwaltschaft, der Angeklagte und der Ver­ teidiger vorher zu benachrichtigen,2°) insoweit dies nicht wegen Gefahr im Verzugs) untunlich ist; ihrer Anwesenheit bei der Vernehmung bedarf es nicht.S1) Das aufgenommene Protokoll ist der Staats­ anwaltschaft und dem Verteidiger vorzulegen.32) Der nicht auf freiem Fuße befindliche Angeklagte hat einen An­

spruch aus Anwesenheit nur bei solchen Terminen, welche an der Gerichtsstelle des Lrts abgehalten werden, wo er sich in Hast befindet. § 224 Ist zur Vorbereitung der Hauptverhandlung noch ein richterlicher Augenschein einzunehmen, so finden die Bestimmungen des vorhergehenden Paragraphen gleichfalls Anwendung. 28) Mitbeschuldigte tommiffarisch zu vernehmen, ist nicht zulässig, die Vor­ schrift des § 222 bezieht sich nur auf Zeugen und Sachverständige. Erk. v. 30. Juni 87, E. 16 S. 232. Wegen der Vernehmung von Zeugen, die im A u s l a n d e wohnen, siehe Anm. 45 zu § 48. 29) Die vorschriftswidrig unterbliebene Benachrichtigung gibt keinen Re­ visionsgrund, wenn der Angeklagte nicht in der Hauptverh. den Antrag auf Ver­ nehmung wiederholt hat. Erk. v. 14. Oktbr. 84, R. 6 S. 624. Die Bestimmung des § 223 bezüglich der Benachrichtigung und Gestattung der Anwesenheit der Prozeßparteien bei der Vernehmung findet nicht Anwendung auf Vernehmung im Auslande, wo die Gesetze diese Anwesenheit ausschließen. Erk. v. 5. Jan. 85, R. 7 S. 11. Die Benachrichtigung muß zugestellt werden. Erk. v. 20. Juni 93, GA. 41 S. 145. 30) Die Gefahr im Verzüge darf nicht darin liegen, daß die Hauptverhand­ lung schon auf einen zu nahen Tag anberaumt ist. Erk. v. 26. April 82, R. 4 S. 385. S. auch R. 1 S. 362, 655. Die Auffassung des beauftragten Richters ist für das Gericht nicht bindend. Erk. v. 4. Apr. 10, E. 43 S. 336. 31) Die unterlassene Benachrichtigung führt nicht zur Revision, wenn in der Hauptverhandlung keine bezüglichen Anträge gestellt sind. Erk. v. 18. Septbr. 83, R. 5 S. 536. Die Benachrichügung muß aber erfolgen, wenn auch schon zu der Zeit, als seine Wahl zum Verteidiger dem Gericht bekannt wurde, die Ladung der Zeugen und die Benachrichtigung des Angekl. selbst bereits erfolgt war. Erk. v. 9. März 97, GA. 45 S. 52; aber der Verteidiger muß sich durch Voll­ macht legitimiert haben, oder seine Wahl muß dem Gericht von dem Angekl. selbst angezeigt sein. Erk. v. 20. Jan. 98, GA. 46 S. 114. 32) Über unterlassene Vorlegung des Protokolls siehe Erk. v. 2. Juli 80,

R. 2S. 156.

126

V. Strafprozeßordnung §§ 225—229.

6. Abschnitt. Hauptverhandtung.

§ 225. Die Hauptverhandlung erfolgt in ununterbrochener Gegen­ wart der zur Urteilsfindung berufenen Personen sowie der Staats­ anwaltschaft") und eines Gerichtsschreibers.") § 226. Es können mehrere Beamte der Staatsanwaltschaft und mehrere Verteidiger in der Hauptverhandlung Mitwirken und ihre Verrichtungen unter sich teilen.") § 227 Über Anträge auf Aussetzung einer Hauptverhandlung entscheidet das Gericht.") Kürzere Unterbrechungen ordnet der Vor­ sitzende an. Eine Verhinderung des Verteidigers gibt, unbeschadet der Be­ stimmung des § 145, dem Angeklagten kein Recht, die Aussetzung der Verhandlung zu verlangen. Ist die Frist des § 216 Abs. 1 nicht eingehalten worden, so sollS7) der Vorsitzende den Angeklagten mit der Befugnis, Aussetzung der Verhandlung zu verlangen, bekannt machen. § 228. Eine unterbrochene Hauptverhandlung muß spätestens am vierten Tage") nach der Unterbrechung fortgesetzt werden, widrigen­ falls mit dem Verfahren von neuem zu beginnen ist. § 229. Gegen einen ausgebliebenen Angeklagten findet eine Hauptverhandlung nicht statt.") 33) In einem späteren Publikationstermine müssen die früheren Richter anwesend sein. Erk. v. 11. Dezbr. 80, E. 3 S. 116. 34) Als Gerichtsschreiber können auch Referendare fungieren. Erk. v. 10. Jan. 80, R. 1 S. 208. Siehe ebenda S. 213. 35) In der Hauptverh. können nicht nur gleichzeitig, sondern auch successive verschiedene Beamte der StA. diese vertreten. Erk. v. 28. April 87, R. 9 S. 292. Ebenso kann ein Beamter der StA., der nicht der ganzen Berhandl. beigewohnt hat, neben oder statt eines Beamten, der bis dahin fungiert hat, austreten. Erk. v. 5. Juli.87, E. 16 S. 180. 36) Über jeden Bertagungsantrag muß Beschluß gefaßt und die Ent­

scheidung verkündet werden. Erk. v. 13. Mai 92, E. 23 S. 136. 37) Dies ist nur eine instruktionelle Vorschrift, deren Nichtbefolgung die Revision nicht begründet. Erk. v. 23. Febr. 80, R. 1 S. 376. Siehe auch ebenda S. 262, 299 u. 743. 38) Zwischen dem Tage, an welchem die Verhandlung unterbrochen, und demjenigen, an welchem sie fortgesetzt wird, dürfen höchstens drei Tage liegen. Vgl. dazu Erk. v. 15. Juni 80, E. 2 S. 109. Ist die Frist nicht gewahrt, können in dem Termin auch nicht andere Prozeßhandlungen, wie Verkündung eines ablehnenden Beschlusses, vorgenommen werden. Erk. v. 16. Juni 06, Recht 10 S. 947. 39) Es darf auch nicht das Urteil in Abwesenheit des A. verkündet werden. Erk. v. 15. März 09, E. 42 S. 245. Auch eine Ortsbesichtigung darf durch das er­ kennende Gericht nicht stattfinden, selbst wenn der A. erklärt hat, daß er auf seine

127

Hauptverhandlung §§ 230—232.

Ist das Ausbleiben des Angeklagten nicht genügend entschuldigt, so ist die Vorführung anzuordnen oder ein Haftbefehl zu erlassen.^")

8 23

0.

Der erschienene Angeklagte darf sich aus der Verhand­

Der Vorsitzende kann die geeigneten Maßregeln

lung nicht entfernen.

treffen, um die Entfernung desselben zu verhindern, auch kann

ihn während

einer Unterbrechung

er

der Verhandlung in Gewahrsam

halten lassen.

Entfernt der Angeklagte sich dennoch, oder bleibt er bei der Fort­ setzung einer unterbrochenen Hauptverhandlung aus, so kann diese in

seiner Abwesenheit zu Ende geführt werden, wenn seine Vernehmung

über die Anklage schon erfolgt

war und

das

Gericht seine fernere

Anwesenheit nicht für erforderlich erachtet. § 231.

Beim

Ausbleiben

verhandlung geschritten werden,

suchung

bildende

Tat

nur

mit

des

Angeklagten

kann

zur

Haupt­

wenn die den Gegenstand der Unter­

Geldstrafe,

Haft

oder

Einziehung,

allein oder in Verbindung miteinander, bedroht ist.*41* )*42 * * * * 40 In solchen Fällen muß

der Angeklagte in der Ladung auf die

Zulässigkeit dieses Verfahrens ausdrücklich hingewiesen werden.

§ 232.

Der Angeklagte kann auf seinen Antrag wegen großer Ent­

fernung41^ seines Aufenthaltsorts von der Verpflichtung zum Er­

scheinen in der Hauptverhandlung entbunden werden, wenn nach dem Ermessen des Gerichts voraussichtlich keine andere Strafe als Freiheits­

strafe bis zu sechs Wochen

oder Geldstrafe oder Einziehung, allein

oder in Verbindung miteinander, zu erwarten steht.4*) Anwesenheit bei der Besichtigung verzichte. Erk. v. 12. Febr. 09, ebenda S. 197. Wenn das Berufungsgericht als Gericht erster Instanz erkennt, so darf nicht in Abwesenheit des A. verhandelt werden. Erk. v. 9. Mai 90, E. 20 S. 390. Ertrankt ein A. während der Beratung der Geschworenen, so darf nicht weiter gegen ihn verhandelt werden. Ert. v. 1. Dezbr. 91, E. 22 S. 247. 39 a) Art. 31 der Reichsverfassung steht der Borführung eines Mtgliedes des Reichstages nicht entgegen. Erk. v. 18./28. Septbr. 05, E. 38 S. 179. 40) Die unterbrochene und fortgesetzte Verhandlung kann in Abwesenheit des A. auch dann zu Ende geführt werden, wenn derselbe nur befragt worden, ob er etwas auf die Beschuldigung erwidern wolle und er dies abgelehnt hat. Erk. v. 19. März 86, R. 8 S. 213. 41) Bleibt der A. bei der Fortsetzung einer auf seinen Antrag unterbrochenen Hauptverh. ohne Entschuldigung aus, so kann ohne ihn verhandelt werden. Erk. v. 4. März 95, GA. 43 S. 37. 41 a) Das Vorhandensein der großen Entfernung muß objektiv geprüft werden. Die Angaben des A-. sind nicht für maßgebend zu erachten. Erk. v. 24. Septbr. 03, Recht 7 S. 508. Auch wenn alle Voraussetzungen des § 231 vorliegen, darf nicht zur Hauptverh. geschritten werden, wenn auf einen vor dem Termin eingegangenen Bertagungsanrrag noch kein Bescheid erfolgt ist. Erk. v. 25. Oktbr. 98, GA. 46 S. 436. Siehe auch Sinnt. 42 c u. e. 42) a. Handelt es sich um eine öffentliche Beleidigung, bei der aus Publi-

128

V. Strafprozeßordnung §§ 233, 234.

In diesem Falle muß der Angeklagte, wenn seine richterliche Vernehmung nicht schon im Vorverfahren erfolgt ist, durch einen beauftragten oder ersuchten Richter über die Anklage vernommen werden.43) Von dem zum Zwecke der Vernehmung anberaumten Termine sind die Staatsanwaltschaft und der Verteidiger vorher zu benach­ richtigen; ihrer Anwesenheit bei der Vernehmung bedarf es nicht. Das Protokoll über die Vernehmung ist in der Hauptverhandlung zu verlesen. § 233. Insoweit die Hauptverhandlung ohne Anwesenheit des Angeklagten stattfinden kann, ist letzterer befugt, sich durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten zu lassen. § 234 Hat die Hauptverhandlung ohne Anwesenheit des An­ geklagten stattgefunden, so kann derselbe gegen das Urteil binnen einer Woche nach der Zustellung die Wiedereinsetzung in den vorigen kationsbefugnis gemäß § 200 des StGB, erkannt werden kann, so ist die An­ wendung des § 232 ausgeschlossen. Erk. v. 7. Juli 96, E. 29 S. 45 u. Erk. v. 19. Dez. 04, Recht 9 S. 49. b. Ist der A. von der Pflicht zu erscheinen entbunden, so darf auf keine höhere Strafe als sechs Wochen erkannt werden, sonst muß derselbe nochmals geladen werden. Erk. v. 13. Jan. 87, E. 15 S. 337. Vgl. auch für den Fall der Realkonkurrenz Erk. v. 12. Oktobr. 97, E. 30 S. 277. Das Gericht ist an die durch den Eröffnungsbeschluß gegebene Qualifikation der Straftat gebunden. Erk. v. 25. Nov. 87, E. 17 S. 19. c. Der vom Erscheinen entbundene A. kann nur auf Grund des Gesetzes, welches im Beschlusse über Eröffnung des Hauptverfahrens bezeichnet ist, verur­ teilt werden und muß deshalb event, durch kommissarische Vernehmung auf den veränderten rechtlichen Gesichtspunkt hingewiesen werden. Erk. v. 20. Febr. 85, E. 12 S. 45. Der Hinweis in Gegenwart des Verteidigers genügt nicht. Erk. v. 14. Mai 03, Recht 7 S. 320. Das gleiche gilt auch im Falle des § 231. Erk. v. 16. Januar 02, E. 35 S. 66. Ohne Zustellung des Beschluffes, durch welchen der A. von seinem Erscheinen entbunden wird, darf nicht zur Hauptverh. geschritten werden. Erk. v. 28. Jan. 87, R. 9 S. 96. d. Auch der vom Erscheinen entbundene A. muß zum Termine geladen und müssen ihm neu vorgebrachte Beweismittel bekannt gemacht werden. Erk. v. 17. Oktbr. 90, E. 21 S. 100; auch bei Vorhandensein eines Zustellungsbevollmächtigten muß der A. geladen werden. Erk. v. 11. Juli 10, E. 44 S. 47. Über einen vom A. bei seiner komm. Vernehmung gestellten Beweisantrag muß befunden werden. Erk. v. 16. Oktbr. 11, Recht 15 Nr. 3884. Der ablehnende Beschluß braucht ihm nicht zugestellt zu werden. Erk. v. 24. Mai 89, E. 19 S. 249. e. Hat der A. beantragt, in seiner Abwesenheit zu verhandeln, so darf dies nicht geschehen, bevor er auf seinen Antrag beschieden ist. Erk. v. 24. Septbr. 96, E. 29 S. 69. Vgl. auch Anm. 41 a. 43) Ist der A. früher als Zeuge und nicht kommissarisch als A. vernommen worden, so kann auch die frühere Zeugenaussage verlesen werden. Erk. v. 20. Mai 89, E. 19 S. 246. Vgl. auch Erk. v. 18. März 90, GA. 38 S. 62.

Stand unter gleichen Voraussetzungen wie gegen die Versäumung einer Frist nachsuchen. War jedoch der Angeklagte auf seinen Antrag von der Verpflich­ tung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden worden, oder hatte derselbe von der Befugnis, sich vertreten zu lassen, Gebrauch ge­ macht, so findet eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht statt. § 235. Das Gericht ist stets befugt, das persönliche Erscheinen des Angeklagten anzuordnen und dasselbe durch einen Vorführungs­ befehl oder Haftbefehl zu erzwingen.

§ 236.

Das Gericht

kann

im

Falle

eines Zusammenhangs

zwischen mehreren bei ihm anhängigen Straftachen die Verbindung derselben zum Zwecke gleichzeitiger Verhandlung anordnen, auch wenn dieser Zusammenhang nicht der im § 3 bezeichnete ist."*) § 237 Die Leitung der Verhandlung, die Vernehmung des Angeklagten und die Aufnabme des Beweises erfolgt durch den Vor­

sitzenden. ") Wird eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Bor43 a) Eine Verbindung mit der Maßgabe, daß die Vernehmung der ver­ schiedenen Angekl. abgesondert zu erfolgen habe, ist unzulässig. Erk. v. 22. Sept. 04, GA. 51 S. 409. 44) a. Der Vorsitzende kann Ausführungen der Prozeßbeteiligten, welche den Fortgang der Verhandlung sachwidrig aufhalten, einschränken. Erk. v. 11. Febr. 82, R.4S. 152. b. Ob Personen, welche ihr Zeugnis verweigern konnten, aber dies nicht getan haben, zu vereidigen sind, darüber entscheidet zunächst der Vorsitzende allein. Erk. v. 18. Septbr. 83, R. 5 S. 535. Gerichtsbeschluß ist aber erforder­ lich, wenn die Beeidigung beantragt wird. Erk. v. 20. Sept. 10, E. 44 S. 65. c. Der Vorsitzende kann über die Grenzen des § 239 hinaus einem andern Richter die ganze Beweisaufnahme oder einen Teil derselben nicht übertragen. Ist jedoch ausgeschloffen, daß die Übertragung einen Einfluß auf das Urteil hatte, so findet keine Revision statt. Erk. v. 1. Novbr. 83, E. 9 S. 310. d. Der Vorsitzende kann nicht aus vorliegenden Akten beliebige Tatsachen konstatieren. Erk. v. 29. Oktbr. 80, E. 2 S. 408. Bergl. jedoch E. 3 S. 142 und 161. e. Hat der Vorsitzende dem A. zu Unrecht das Wort entzogen, so kann er eine Revision hierauf nur stützen, wenn er die Entscheidung des Gerichts an­ gerufen hat. Erk. v. 13. Juni 98, GA. 46 S. 337. f. Die Prozeßbeteiligten haben kein Recht vom Vorsitzenden zu verlangen, daß er bestimmte von ihnen bezeichnete Fragen an die Zeugen richte. Erk. v. 26. Oktbr. 96, E. 29 S. 147, z. B. daß er den Zeugen zur Nennung eines Namens anhaite. Erk. v. 29. Oktbr. 09, JurW. 39 S. 202. g. Einen bereits durch Gerichtsbeschluß abgelehnten Beweisantrag kann der Vorsitzende, wenn er wiederholt wird, ohne nochmalige Beschlußfaffung ab­ lehnen. Erk. v. 4. März 98, E. 31 S. 62. Vgl. auch Erk. v. 9. Juli 97, E. 30 S. 216. h. Der Vorsitzende kann von Amts wegen Beweise erheben und ist ein Be­ schluß erst bei Beanstandung notwendig. Erk. v. 2. Juli 80, R. 2 S. 156. Ebenda 160.

Dalcke, ©traft. 13. Aust *

9

130

V. Strafprozeßordnung §§ 238, 239.

sitzenden von einer bei der Verhandlung beteiligten Person als un­ zulässig beanstandet, so entscheidet das Gericht.45 * *)46 * * 47 * * *48* * * * * * * * * * § 238. Die Vernehmung der von der Staatsanwaltschaft und dem Angeklagten benannten Zeugen und Sachverständigen ist der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger auf deren übereinstimmenden Antrag von dem Vorsitzenden zu überlassen. Bei den von der Staats­ anwaltschaft benannten Zeugen und Sachverständigen hat diese, bei

den von dem Angeklagten benannten der Verteidiger in erster Reihe das Recht zur Vernehmung. Der Vorsitzende hat auch nach dieser Vernehmung die ihm zur weiteren Aufklärung der Sache erforderlich scheinenden Fragen an die Zeugen und Sachverständigen zu richten. § 239. Der Vorsitzende hat den beisitzenden Richtern4) (Es ist verboten, in die Gewässer aus landwirtschaftlichen oder gewerblichen Betrieben Stoffe von solcher Beschaffenheit und in solchen Mengen einzuwerfen, einzuleiten oder einfließen zu lassen, daß dadurch fremde Fischereirechte geschädigt werden können.9* c*)* Bei überwiegendem Interesse der Landwirtschaft oder der In­ dustrie kann das Einwerfen oder Einleiten solcher Stoffe in die Ge­ wässer gestattet werden. Soweit es die örtlichen Verhältnisse zulassen, soll dabei dem Inhaber der Anlage die Ausführung solcher Einrich­ tungen aufgegeben werden, welche geeignet sind, den Schaden für die Fischerei möglichst zu beschränken.) Ergibt sich, daß durch Ableitungen aus landwirtschaftlichen odergewerblichen Anlagen, welche bei Erlaß dieses Gesetzes bereits vor­ handen waren, oder in Gemäßheit des vorstehenden Absatzes gestattet worden sind, der Fischbestand der Gewässer vernichtet oder erheblich beschädigt wird , so kann dem Inhaber der Anlage auf den Antrag der durch die Ableitung benachteiligten Fischereiberechtigten im Ver­ waltungswege die Auflage gemacht werden, solche ohne unverhältnis­ mäßige Belästigung seines Betriebes ausführbaren Vorkehrungen zu treffen, welche geeignet sind, den Schaden zu heben oder doch tunlichst

zu verringern. (Der weitere Inhalt interessiert nicht.)

8 44.9 b) (Das Röten von Flachs und Hanf in nicht geschlossenen Gewässern ist verboten^9) Ausnahmen von diesem Verbote kann die Bezirksregierung (Land­ drostei), jedoch immer nur widerruflich, für solche Gemeindebezirke oder größere Gebietsteile zulaffen, wo die Örtlichkeit für die Anlage

zweckdienlicher Rötegruben nicht geeignet ist und die Benutzung nicht 9 b) Der 8 43 Abs. 1, 2 und der § 44 sind aufgehoben durch § 39910 am 1. Mai 1914 in Kraft getretenen Wassergesetzes. Vgl. die * Anmerkung S. 396. 9 c) Nicht nur ein positives Handeln, sondern auch ein untätiges, Zufluß schädlicher Stoffe bedingendes rechtswidriges Verhalten begründet Strafbarkeit des Täters. G r o s ch u f f, Nebenges. Anm. 3. 10) Vgl. 8 27 des Feld- und Forstpol.-Ges. (sub XVII). Dalcke, ©traft. 13. Aust.*

26

des auf den die

402

XVIII. Fischereigesetz §§ 45—47.

geschlossener Gewässer zur Flachs- und Hanfbereitung zur Zeit nicht entbehrt werden kann.) § 45 Dem Fischereiberechtigten ist gestattet, Fischottern, Taucher, Eisvögel, Reiher, Kormorane und Fischaare ohne Anwendung von Schußwaffen zu töten oder zu fangen und für sich zu behalten. Wenn in einzelnen Landesteilen durch die bestehende Gesetz­ gebung den Fischereiberechtigten der Fang jagdbarer, der Fischerei schädlicher Tiere in weiterem Umfange gestattet ist, behält es dabei sein Bewenden. § 46. Wo in diesem Gesetze die Aufsichtsbehörde erwähnt wird, ist darunter die ordentliche Obrigkeit des Bezirks innerhalb ihrer Zu­ ständigkeit verstanden. Die Beaufsichtigung der Binnenfischerei, der Schonreviere und der Fischpässe kann durch besondere vom Staate bestellte Beamte ausgeübt werden. Die von Fischereiberechtigten, Fischereigenossenschaften oder Gemeinden bestellten Aufieher sind verpflichtet, den Anordnungen dieser Beamten innerhalb der Vorschriften dieses Gesetzes nachzukommen.11) In genossenschaftlichen Revieren liegt die unmittelbare Beauf­ sichtigung der Fischerei dem Vorstande der Genossenschaft, in allen nicht genossenschaftlichen Binnenfischereirevieren der Gemeinde inner­ halb ihrer Gemarkung neben den staatlichen Sicherheits- und Lokal-

polizeibeamten ob. Fischereiaufseher, welche von Fischereiberechtigten, Fischereigenossen­ schaften oder von Gemeinden bestellt werden, sind aus deren Antrag amtlich zu verpflichten, falls gegen ihre Zuverlässigkeit kein Anstand obwaltet. Die unmittelbare Beaufsichtigung der Küstenfischerei außerhalb genossenschaftlicher Reviere wird von den Organen der Staatsver­ waltung geführt.12) § 47. Die amtlich verpflichteten Aufsichtsbeamten haben bei der Ermittelung und Verfolgung von Übertretungen gegen die Be­

stimmungen dieses Gesetzes und die sonst bestehenden fischereipolizei­ lichen Vorschriften innerhalb ihres Aufsichtsbezirks die Befugnisse und Verpflichtungen der Lokalpolizeibeamten; insbesondere sind dieselben zu jeder Zeit befugt, die beim Fischfänge im Gebrauch befindlichen

11) Darüber, welche Fischereibeamte Hilfsbeamte der Staatsanw. sind, siehe Verf. v. 15. Septbr. 79 (JMBl. S. 265) u. 27. Dezbr. 86 (JMBl. S. 49) 12) Darüber, welche Behörde in Preußen zur Anstellung staatlicher Fischerei­ aufseher zuständig ist, sowie über die örtliche Zuständigkeit der Fischereiaufseher siehe Erk. v. 13. Febr. 94, E. 25 S. 112. In demselben Erk. wird ausgeführt, daß die Rechtmäßigkeit der Amtshandlung nicht davon abhängt, daß der Beamte nicht das vorgeschriebene Abzeichen getragen hat.

Fanggeräte, sowie die in Fischerfahrzeugen vorhandenen Fanggeräte und Fische einer Untersuchung zu unterziehen. Auch können von denselben Fischbehälter, welche in nicht ge­ schlossenen Gewässern ausgelegt sind, jederzeit durchsucht werden. 8 48. Wird jemand bei einer Übertretung oder gleich nach derselben betroffen oder verfolgt, so sind die der Einziehung unter­ liegenden Gegenstände, welche er bei sich führt, in Beschlag zu nehmen. In den nämlichen Fällen können die bei der Übertretung gebrauchten Fischergeräte und Fahrzeuge gepfändet werden.13) Diese der Einziehung nicht unterliegenden Gegenstände sind dem nächsten Ortsvorstande aus Gefahr und Kosten des Eigentümers zur Aufbewahrung zu überliefern, jedoch gegen Niederlegung einer der Höhe nach vom Ortsvorstande zu bestimmenden baren Summe, welche dem Geldbeträge der etwa erfolgenden Verurteilung nebst den Kosten

der Aufbewahrung oder dem Werte des Pfandstücks gleichkommt, zurückzugeben. Die Niederlegung kann bei dem Ortsvorstande oder gerichtlich erfolgen. Geschieht die Niederlegung nicht innerhalb acht Tagen, so kann der gepfändete Gegenstand auf Verfügung des zu­ ständigen Richters öffentlich versteigert werden. 8 49. Mit Geldstrafe bis zu 30 Mark Reichsmünze oder mit Hast bis zu Einer Woche wird bestraft: 1) wer in den Fällen des § 11 bei Ausübung der Fischerei M) ohne einen nach Vorschrift der §§ 12 und 13 ausgestellten und be­

Schöff.

glaubigten Erlaubnisschein, oder ohne die im § 16 vorgeschriebene

Bescheinigung oder im Geltungsbereiche der Fischereiordnungen für die in der Provinz Pommern belegenen Teile der Oder, das Haff und dessen Ausflüsse vom 2. Juli 1859 und für den Regierungs­ bezirk Stralsund vom 30. August 1865 ohne einen vorschriftsmäßig ausgestellten und bescheinigten Legitimattonsschein (Willzettel, Fisch­ zettel) betroffen wird (§ 18);lö)

2) wer den Vorschriften im § 19 zuwider Fischerzeuge ohne die vorgeschriebene Kennzeichnung auslegt. § 50. Mit Geldstrafe bis zu 150 Mark Reichsmünze oder mit Scböff Haft wird bestraft: 1) wer als Pächter einer Gemeindcfischerei die von der Aufsichts­ behörde festgestellte Zahl der zulässigen Fanggeräte überschreitet (§ 8);

13) Über Pfändung und Beschlagnahme im Sinne dieses § siehe die ein­ gehende Begründung des Erk. des OLG. Stettin in GA. 42 S. 438. 14) Über den Begriff des Fischens siehe Erk. v. 7. Novbr. 87, R. 9 S. 563. Ägl. auch Erk. v. 7. Dezbr. 82, R. 4 S. 132. Zum Fischen gehört auch das Stehenlaffen von Aalsäcken. GA. 40 S. 210. 15) Zu dem Betreffen ist nicht nötig, daß der Nichtbesitz des Fischzettels gleich am Orte der Tat festgestellt wird. Johow 6 S. 274.

404

XVIII. Fischereigesetz 8 51.

2)

wer einen

Erlaubnis-

oder

Legitimationsschein

unberechtigt

ausstellt und aus Händen gibt (§§ 12 und 18);

3)

wer bei Ausübung der Fischerei

in nicht geschlossenen Ge­

wässern die im § 21 verbotenen Mittel anwendet; 4)

wer den Vorschriften im § 28 16) zuwider ständige Fischerei­

vorrichtungen nicht rechtzeitig wegräumt oder abstellt oder denselben vorschriftswidrig eine größere als die nach § 20 zulässige Ausdeh­ nung gibt;

5)

wer in Schonrevieren") verbotswidrig die Fischerei ausübt

(8 30) oder den zum Schutze derselben erlassenen reglementarischen Vorschriften zuwiderhandelt (§ 31);

6)

wer in den für den freien Durchzug der Fische angelegten

Fischpässen, sowie in den oberhalb und unterhalb derselben gelegenen,

dem Fischfänge entzogenen Teilen der Gewässer irgend eine Art des Fischfangs ausübt (§ 42);

(17a) 7) wer den Vorschriften des § 43 oder den zur Ausführung

desselben getroffenen Anordnungen zuwider den Gewässern schädliche, die Fischerei gefährdende Stoffe zuführt oder verbotswidrig Hanf und Flachs in nicht geschlossenen Gewässern rötet (§ 44).18)) Schöff.

§ 51.

Mit Geldstrafe bis zu 90 Mark Reichsmünze oder mit

Haft bis zu vier Wochen werden bestraft: 16) § 28 lautet: „Während der Dauer der Schonzeiten müssen die durch dieses Ges. nicht beseitigten ständigen Fischereivorrichtungen (§§ 5 u. 20) in nicht geschlossenen Gewässern hinweggeräumt oder abgestellt sein. Die Besitzer derselben sind dazu erforderlichenfalls im Verwaltungswege anzuhalten. Soweit die Rücksicht auf Erhaltung des Fischbestandes es gestattet, kann der Reg.-Präsident (Landdrost) Ausnahmen von der im ersten Absatz getroffenen Bestimmung zulassen." 17) Über Schonreviere bestimmt der § 29 dieses Ges. : „Nach Anhörung der beteiligten Fischereiberechtigten. . . (bez.) . . . des Genossenschaftsvorstandes können zu Schonrevieren erklärt werden: 1. solche Strecken der Gewässer, welche nach sachverständigem Ermesseil vor­ zugsweise geeignete Plätze zum Laichen der Fische und zur Entwicklung der jungen Brut bieten (Laichschonreviere); 2. solche Strecken der Gewässer, welche den Eingang der Fische aus dem Meere in die Binnengewässer beherrschen (Fischschonreviere) . . . Die betteffende Verfügung ist durch öffentliche Bekanntmachung zur Kennt­ nis der Beteiligten zu bringen; auch sind die Schonreviere, soweit es die Örtlich­ keit gestattet, durch Aufstellung besonderer Zeichen erkennbar zu machen." 17 a) Der § 50 Nr. 7 ist aufgehoben durch § 39910 des am 1. Mai 1914 in Kraft getretenen Wassergesetzes. Vgl. die * Anmerkung auf S. 396. 18) Hier wird auch ein fahrlässiges Handeln mit Sttase bedroht. Letztere wird auch dadurch nicht ausgeschlossen, daß ein Sachverständiger (Gewerberat) etwa getroffene Vorkehrungen als zweckmäßig anerkannt hat. GA. 40 S. 210.

XVni. Fischereigesetz §§ 52—54.

405

alle Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften der §§ 24 und

26 dieses Gesetzes. Neben der Strafe ist auf Einziehung aller verbotswidrig feil gebotenen, verkauften oder versandten Fische zu erkennen, ohne Unter­ schied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht.*18 *) 19 § 52 Wer zur Begehung einer durch dieses Gesetz mit Strafe bedrohten Übertretung sich seiner Angehörigen, Dienstboten, Lehrlinge

oder ArbeiterI0) als Teilnehmer20) bedient, haftet, wenn diese nicht zahlungsfähig sind, neben der von ihm selbst verwirkten Strafe für die von denselben zu erlegenden Geldstrafen.2 8 53. Alle früher erlassenen, den Bestimmungen dieses Gesetzes entgegenstehenden Vorschriften werden aufgehoben. 8 54. Der Minister für die landwirtschaftlichen Angelegenheiten

ist mit der Ausführung dieses Gesetzes beauftragt.22) 18 a) Auf Einziehung kann nicht selbständig, sondern nur neben der Haupt­ strafe erkannt werden.

Johow l9S. 289.

19) Hier wird kein dem Gesinde- oder Lehrlingsverhältniffe ähnliches festes

Arbeitsverhältnis vorausgesetzt. GA. 40 S. 210. 20) Über die Bestrafung der Teilnahme siehe GA. 40 S. 210. 21) Diese Haftung tritt aber nur bei Übertretung der Vorschriften dieses Gesetzes, nicht wegen Übertretung anderer fischereipolizeilicher Vorschriften ein.

GA. 40 S. 210. 22) Nach Art. V des Ges. v. 30. März 1880 (siehe oben S. 396 Anm.*) sind die Minister für Handel und Landwirtschaft befugt, zum Schutze der Fische gegen Beschädigung dllrch Turbinen bei jeder neuen Turbinenanlage dem Eigen­ tümer der letzteren jederzeit die Herstellung und Unterhaltung von Vorrichtungen

(Gittern usw.), durch welche das Eindringen der Fische verhindert wird, auf seine Kosten aufzuerlegen.

XIX. Vogelschuhgesetz. Reichsgesetz betr. den Schutz von Vögeln. Vom 22. März 1888. RGBl. S. 111) in der Fassung vom 30. Mai 1908 «RGBl. S. 317.)')

§ 1. Das Zerstören und das Ausheben von Nestern^) oder Brut­ stätten der Bögel, das Zerstören und Ausnehmen von Eiern, das Ausnehmen und Töten von Jungen ist verboten. Desgleichen ist der Ankauf, der Verkauf, die An- und Verkaufsvermittelung, das Feilbieten, die Ein-, Aus- und Durchfuhr und der

Transport der Nester, Eier und Brut der in Europa einheimischen Vogelarten untersagt.31) 2 Dem Eigentümer und dem Nutzungsberechtigten und deren Be­ auftragten steht jedoch frei, Nester, welche Bögel in oder an Wohn­ häusern oder anderen Gebäuden und im Innern von Hofräumen ge­ baut haben, zu zerstören. Auch findet das Verbot keine Anwendung auf das Einsammeln, den Ankauf, Verkauf, die An- und Berkaussvermittelung, das Feil­ bieten, die Ein-, Aus- und Durchftihr und den Transport der Eier von Möwen und Kiebitzen, soweit es nicht durch Landesgesetz4) 5 oder durch landespolizeiliche Anordnung auf die Eier dieser Vögel für be­ stimmte Orte oder für bestimmte Zeiten ausgedehnt wird. § 2. Verboten ist ferner: a) jede Art des Fangens von Vögeln, solange der Boden mit Schnee3) bedeckt ist; 1) Das Gesetz in der geänderten Fassung gilt seit dem 1. September 1908. Seine Vorschriften beziehen sich auf alle nicht jagdbaren Bögel. Hinsichtlich der jagdbaren Vögel finden die Vorschriften der Jagdordnung (XV) Anwendung. 2) Unter Nestern sind auch leere Nester zu verstehen, jedoch nicht verlassene, z. B. Nester von Zugvögeln im Winter. Stenglein- Galli, Strafrechtliche Nebengesetze Anm. 1. 3) Nester und Eier von Vogelarten, die außerhalb Europas heimisch sind, z. B. japanische Schwalbennester und Eier von Kanarienvögeln können in Deutsch­ land vertrieben werden. Görcke, Vogelschutzgesetz Anin. 2. 4) Für Preußen siehe § 42 der Jagdordnung. 5) Es genügt eine dünne kurzzeitige Schneelage. S1 e n g l e i n - G a l l i Au m. 1.

XIX. Reichsgesetz, betreffend den Schutz von Bögeln §§ 3—5.

407

b) das Fangen von Vögeln mittels Leimes und Schlingen; c) das Fangen und die Erlegung von Bögeln zur Nachtzeit mit Netzen oder Waffen; als Nachtzeit gilt der Zeitraum, welcher eine Stunde nach Sonnenuntergang beginnt und eine Stunde vor Sonnenaufgang endet; (1) das Fangen von Bögeln mit Anwendung von Körnern oder anderen Futterstoffen, denen betäubende oder giftige Bestandteile beigemischt sind, oder unter Anwendung geblendeter Lockvögel; e ) das Fangen von Bögeln mittels Fallkäfigen und Fallkästen,

Reusen, großer Schlag- und Zugnetze, sowie mittels beweg­ licher und tragbarer, auf dem Boden oder quer über das Feld, das Niederholz, das Rohr oder den Weg gespannter Netze. Der Bundesrat ist ermächtigt, auch bestimmte andere Arten des Fangens sowie das Fangen mit Vorkehrungen, welche eine Maffenvertilgung von Vögeln ermöglichen, zu verbieten. § 3. In der Zeit vom 1. März bis zum 1. Oktober ist das Fangen und die Erlegung von Bögeln sowie der Ankauf, der Ber­ kaus und das Feilbieten, b) die Bermittelung eines hiernach verbotenen

An- und Verkaufs, die Ein-, Aus- und Durchfuhr von lebenden sowie toten Vögeln der in Europa einheimischen Arten überhaupt, ebenso der Transport solcher Bögel zu Handelszwecken untersagt. Dieses Verbot erstreckt sich für Meisen, Kleiber und Baumläufer

aus das ganze Jahr. Der Bundesrat ist ermächtigt, das Fangen und die Erlegung bestimmter Bogelarten sowie das Feilbieten und den Berkaus derselben auch außerhalb des im Abs. 1 bestimmten Zeitraums allgemein oder für gewisse Zetten oder Bezirke zu untersagen. § 4 Dem Fangen im Sinne dieses Gesetzes wird jedes Nachftellen7) zum Zwecke des Fangens oder Tötens von Bögeln, insbesondere das Ausstellen von Netzen, Schlingen, Leimruten oder anderen Fang­ vorrichtungen gleichgeachtet. § 5. Bögel, welche dem jagdbaren Feder- und Haarwild und dessen Brut und Jungen sowie Fischen und deren Brut nachstellen­ dürfen nach Maßgabe der landesgesetzlichen Bestimmungen über Jagd und Fischerei von den Jagd- oder Fijchereiberechtigten und deren Beauftragten gelötet werben.8)

6 ) Feilbieten und Verkauf wird in der Regel als eine fortgesetzte Handlung aufzllfassen sein. Stenglein-Galli Anm. 6 zu § 6. 7 ) Nicht jedes Nachstellen ist strafbar, sondern nur dasjenige, für welches die bezüglich des Fangens erforderlichen Voraussetzungen gegeben sind. OLG. Breslau v. 28. März 99, GA. 50 S. 339 (Repertorium). 8 ) Soweit diese Vögel eine Schonzeit haben, muß diese innegehalten werden

408

XIX. Reichsgesetz, betreffend den Schutz von Bögeln §§ 6, 7.

Wenn Bögel in Weinbergen, Gärten, bestellten Feldern, Baum­ pflanzungen, Saatkämpen und Schonungen Schaden anrichten, können die von den Landesregierungen bezeichneten Behörden den Eigen­ tümern und Nutzungsberechtigten der Grundstücke und deren Beauf­ tragten oder öffentlichen Schutzbeamten (Forst- und Feldhütern, Flur­

schützen usw.), soweit dies zur Abwendung dieses Schadens notwendig ist, das Töten solcher Vögel mit Feuerwaffen innerhalb der be­ troffenen Örtlichkeiten auch während der im § 3 Abs. 1 bezeichneten Frist gestatten.Das Feilbieten und der Verkauf der auf Grund solcher Erlaubnis erlegten Bögel sind unzulässig. Ebenso können die im Abs. 2 bezeichneten Behörden einzelne Ausnahmen von den Bestimmungen in §§ 1 bis 3 dieses Gesetzes zu wissenschaftlichen oder Lehrzwecken, zur Wiederbevölkerung mit einzelnen Bogelarien, sowie für Stubenvögel für eine bestimmte Zeit und für bestimmte Örtlichkeiten bewilligen.

Der Bundesrat bestimmt die näheren Voraussetzungen, unter welchen die im Abs. 2 und 3 bezeichneten Ausnahmen statthaft sein

sollen. Von der Vorschrift unter § 2a kann der Bundesrat für be­ stimmte Bezirke eine allgemeine Ausnahme gestatten. Schuff.

8 6. Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen dieses Gesetzes oder gegen die von dem Bundesrat auf Grund derselben erlassenen

Anordnungen werden mit Geldstrafe bis zu einhundertundfünfzig Mark oder mit Haft bestraft.10) Der gleichen Strafe unterliegt, wer es unterläßt, Kinder oder andere unter seiner Gewalt stehende Personen, welche seiner Aussicht untergeben sind und zu seiner Hausgenossenschaft gehören, von der Übertretung dieser Vorschriften abzuhallen.H) § 7. Neben der Geldstrafe oder der Hast kann auf die Einziehung der verbotswidrig in Besitz genommenen, seilgebotenen oder verkauften Vögel, Nester, Eier, sowie aus Einziehung der Werkzeuge erkannt werden, welche zum Fangen oder Töten der Vögel, zum Zerstören oder Ausheben der Nester, Brutstätten oder Eier gebraucht oder be­

stimmt waren, ohne Unterschied, ob die einzuziehenden Gegenstände dem Verurteilten gehören oder nicht. und, soweit sie jagdbar sind (§ 1 JO.), dürfen sie von dem Fischereiberechtigten über­ haupt nicht erlegt werden. Siehe auch § 48 der JO. 9) § 228 BGB. schließt auch gegenüber dem Bogelschutzgcsetz die Nechtswidrigkeit aus. OLG. Darmstadt v. 7. März 02, GA. 50 S. 187 (Repertorium). Siebe hiergegen aber Stenglein-Galli Anm. 2. 10) Hierdurch ist die Vorschnft des § 368 Nr. 11 StGB, beseitigt. Den Vogelfang auf fremden Grundstücken stellt § 33 F. u. FPG. (XVIII) unter Strafe. 11) Siehe § 361 Nr. 9 StGB.

XIX. Reichsgesetz, betreffend den Schutz von Bögeln §§ 8, 9.

409

Ist die Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person nicht ausführbar, so können die im vorstehenden Absätze bezeichneten Maßnahmen selbständig erkannt werden.l2) § 8. Die Bestimmungen dieses Gesetzes finden keine Anwendung a) auf das im Privateigentume befindliche Federvieh;13)14 15 b) auf die nach Maßgabe der Landesgesetze jagdbaren Vögel; c) auf die in nachstehendem Verzeichnis aufgeführten Bogelarten: Tagraubvögel mit Ausnahme der Turmfalken, Schreiadler,

Seeadler, Bussarde und Gabelweihen (rote Milane),

Uhus, Würger (Neuntöter), Sperlinge (Haus- und Feldsperlinge), Rabenartige Bögel (Rabenkrähen, Nebelkrähen, Saatkrähen, Elstern, Eichelhäher), Wildtauben (Ringeltauben, Hohltauben, Turteltauben),'^) Wasserhühner (Rohr-") und Bleßhühner), Reiher (eigentliche Reiher, Nachtreiher oder Rohrdommeln),") Säger (Sägeiaucher, Tauchergänse),

alle nicht im Binnenlande brütenden Möwen,") Kormorane, Taucher (Eistaucher und Haubentaucher), jedoch gilt auch für die vorstehend unter a, b, c bezeichneten Vögel das Verbot des Fangens mittels Schlingen.16) § 9. Die landesrechtlichen Bestimmungen, welche zum Schutze der Vögel weitergehende Verbote enthalten,10) bleiben unberührt. Die auf Grund derselben zu erkennenden Strafen dürfen jedoch den Höchst­ betrag der in diesem Gesetz angedrohten Strafen nicht übersteigen. 12) Dies ist eine Ergänzung der Vorschrift der §§ 40, 42 StGB., welche das sog. objektive Strafverfahren nur bei Verbrechen und Vergehen zulaffen. 13) Hierzu gehören auch die in Volieren, zoologischen Gärten usw. gehaltenen Vögel, bei denen durch Verwahrung das Privateigentum gekennzeichnet ist. Stenglein-Galli Anm. 2. 14) Diese Bögel sind in Preußen jagdbar. Von den Reihern ist der graue Reiher nicht jagdbar: § 1 der JO. 15) Hiermit ist auch der Schlingenfang der jagdbaren Krammetsvögel und die Ausübung des Dohnenstieges verboten, § 41 Abs. 2 JO. aufgehoben. 16) Nur soweit sind die landesrechtlichen Bestimmungen stehen geblieben, als sie einen über dies Gesetz hinausgehenden Schutz gewähren.

XX.

Gewerbeordnung für das Deutsche Reich.') Bom 21. Ium 1869. (NGBl. 1900 S. 871.)

(titel I.

Allgemeine Sestimmnngen.

§ 1. Der Betrieb eines Gewerbes^) ist jedermann gestaltet, soweit nicht durch dieses Gesetz Ausnahmen oder Beschränkungen^) vorgeschrieben oder zugelaffen ftnb.41) 2 3 Wer gegenwärtig zum Betrieb eines Gewerbes berechtigt ist, kann von demselben nicht deshalb ausgeschloffen werden, weil er den Er­ fordernissen dieses Gesetzes nicht genügt. 1) Der Text des Ges. entspricht der durch die Bekanntm. des Reichskanzlers v. 26. Juli 1900 veröffentlichten Fassung, zu der die Ermächtigung durch Art. 17 des Ges. v. 30. Juni 1900 (RGBl. S. 321) erteilt ist. 2) Über den Begriff des Gewerbes siehe Erk. 6. 11. Mai 80, E. für Zivs.

1 S. 265 u. Erk. v. 4. März 81, E. 3 S. 419, OR. 17 S. 478 u. 18 L. 407 ii. bei Stenglein Nebenges. Anm. 1 zu 8 1 der GewO. Auch in einer Einzelhandlung kann ein Gewerbebetrieb gefunden werden. GA. 23 S. 570. In jedem Falle aber muß die Tätigkeit auf Erzielung eines Gewinnes gerichtet sein, weshalb Kasinos, Konsumvereine und dergleichen kein Gewerbe betreiben. Wegen der Konsumvereine vgl. aber Kayser-Steiniger, GO. Anm. 10. Vgl. über den Begriff des Gewerbebetriebes auch Erk. des OVG. v. 13. Mai u. 10. Dezbr. 78, Entsch. 4 S. 294 u. 300. Auf Großbetriebe auf dem Gebiete der Landwirtschaft findet die GewO. Anwendung. Vgl. Erk. v. 14. Jan. 81, E. 18 S. 371 u. v. 14. Dezbr. 91, E. 22 S. 288. 3) Eine polizeiliche Regelung des Gewerbebetriebes im Interesse der öffent­ lichen Wohlfahrt ist nicht ausgeschlossen. Erk. des OVG. v. 21. März 77, Entsch. 2 S. 392 u. v. 17. April 81, E. 7 S. 309. Siehe auch Johow 1 S. 189. Landesgesetzliche Vorschriften über die Art der Ausübung des Geschäfts eines Masseurs find rechtsgültig. Erk. v. 2. Mai 04, E. 37 S. 175. Außerdem sind durch eine Reihe von Reichsges. Beschränkungen des Ge­ werbebetriebes herbeigeführt, so durch das Nahrungsmittelges, v. 14. Mai 79, das Ges. betr. den Verkehr mit Butter, Käse, Schmalz rc. v. 15. Juni 97 u. a. 4) Verträge, durch welche sich ein Kontrahent dem anderen gegenüber Be­ schränkungen der Gew.Freiheit unterwirft, sind der Regel nach ungültig, doch ist es für statthaft erachtet, daß der eine Kontrahent sich verpflichtet, an einem be-

Mgemeine Bestimmungen §§ 2—6.

411

8 2. Die Unterscheidung zwischen Stadt und Land in bezug auf den Gewerbebetrieb und die Ausdehnung desselben hört auf. § 3. Der gleichzeitige Betrieb verschiedener Gewerbe sowie des­ selben Gewerbes in mehreren Betriebs- oder Verkaufsstätten ist ge­ stattet. Eine Beschränkung der Handwerker auf den Verkauf der selbst­ verfertigten Waren findet nicht statt. § 4. Den Zünften und kaufmännischen Korporationen steht ein Recht, andere von dem Betrieb eines Gewerbes auszuschließen, nicht zu. § 5. In den Beschränkungen des Betriebs einzelner Gewerbe, welche auf den Zoll-, Steuer- und Pofigesetzen beruhen, wird durch das gegenwärtige Gesetz nichts geändert. § 6. Das gegenwärtige Gesetz findet keine Anwendung6* )* *auf 5 die Fischerei, die Errichtung und Verlegung von Apotheken,6) die Erziehung von Kindern gegen Entgelt, das Unterrichtswesen, die advokatorische7) und Notariatspraxis, den Gewerbebetrieb der Auswanderungsunter­ nehmer und Auswanderungsagenten,8)9der Bersicherungsunternehmer8) und der Eisenbahnunternehmungen,8 a) die Befugnis zum Halten öffent­ licher Fähren und die Rechtsverhältnisse der Schiffsmannschaften auf den Seeschiffen.10) — Auf das Bergwesen, die Ausübung der Heil­ kunde, den Verkauf von Arzneimitteln, den Vertrieb von Lotterie­ losen und die Viehzucht findet das gegenwärtige Gesetz nur insoweit Anwendung, als dasselbe ausdrückliche Bestimmungen darüber enthält. stimmten Orte und während einer bestimmten Zeit ein Gewerbe nicht zu betreiben, Erk. des RG. in Zivs. v. 5. Dezbr. 79, E. 1 S. 22; v. 6. Dezbr. 02, E. 53 S. 155 u. OLG. Marienwerder v. 9. Oktbr. 05, DIZ. 12 S. 664. 5) Die Landwirtschaft und die landwirtschaftlichen Nebengewerbe fallen nicht unter die Bestimmungen der GewO. (z. B. Flachsschwingerei). Erk. v. 14. Jan. 89, E. 18 S. 371, E. 22 S. 288, GA. 43 S. 139. Siehe aber Anm. 2 zu 8 1- — Es wird darauf ankommen, ob der Landwirt nur eigene Pro­ dukte verarbeitet oder nicht, u. ob es sich also um eine Genossenschaft handelt. 6) Bezüglich der Anlegung von Apotheken sind lediglich die Landesges. maß­ gebend. GA. 46 S. 58. Ein Apothekenbetrieb liegt nicht schon dann vor, wenn jemand einzelne den Apotheken vorbehaltene Waren feilhält. Erk. d. KG. v. 16. Oktbr. 05, DIZ. 10 S. 1174. 7) Vgl. jetzt § 157 Abs. 4 ZPO. u. dazu die AVrf. des Justizmin. v. 25. Septbr. 99 (JMBl. S. 272). 8) Der Gewerbebetrieb dieser Personen ist geregelt durch das Ges. v. 9. Juni 97 (RGBl. S. 463). Dazu Bekanntm. des Reichskanzlers v. 14. März 98 (RGBl. S. 39 u. 57). 9) Siehe Ges. v. 12. Mai 01 (RGBl. S. 139) über die privaten Ver­ sicherungsunternehmungen. 9 a) Siehe Eisenbahn-Verkehrs-Ordnung v. 23. Dezbr. 08 (RGBl. 09 S. 93). 10) Siehe die Seemannsordn. v. 2. Juni 02 (RGBl. S. 175); abgeändert durch Ges. v. 23. März 03 u. 12. Mai 04 (RGBl. S. 57 bzw. 167).

412

XX. Gewerbeordnung § 7. Durch Kaiserliche Verordnung wird bestimmt, welche Apotheker­

waren dem freien Verkehre zu überlassen finb. Hj

§ 7. Vom 1. Januar 1873 ab sind, soweit die Landesgesetze solches nicht früher verfügen, aufgehoben: 1. die noch bestehenden ausschließlichen Gewerbeberechtigungen, d. h. die mit dem Gewerbebetriebe verbundenen Berechtigungen, anderen den Betrieb eines Gewerbes, sei es im allgemeinen oder hinsichtlich der Benutzung eines gewissen Betriebsmaterials, zu untersagen oder sie darin zu 66^0^6«;11 12) 2. die mit den ausschließlichen Gewerbeberechtigungen verbun­ denen Zwangs- und Bannrechte, mit Ausnahme der Abdeckereibe-

rechtigungen;13) 3. alle Zwangs- und Bannrechte, deren Aufhebung nach dein Inhalte der Verleihungsurkunde ohne Entschädigung zulässig ist; 4. sofern die Aufhebung nicht schon infolge dieser Bestimmungen eintritt, oder sofern sie nicht auf einem Vertrage zwischen Berechtigten und Verpflichteten beruhen: a) das mit dem Besitz einer Mühle, einer Brennerei oder Brenn­ gerechtigkeit, einer Brauerei oder Braugerechtigkeit, oder einer Schank­ stätte verbundene Recht, die Konsumenten zu zwingen, daß sie bei den Berechtigten ihren Bedarf mahlen oder schroten lassen, oder das Ge­ tränk ausschließlich von denselben beziehen (der Mahlzwang, der Branntweinzwang oder der Brauzwang); b) das städtischen Bäckern oder Fleischern zustehende Recht, die Einwohner der Stadt, der Vorstädte oder der sogenannten Bannmeile

zu zwingen, daß sie ihren Bedarf an Gebäck oder Fleisch ganz oder teilweise von jenen ausschließlich entnehmen; 5. die Berechtigungen, Konzessionen zu gewerblichen Anlagen oder zum Betriebe von Gewerben zu erteilen, die dem Fiskus, Korpora­ tionen, Instituten oder einzelnen Berechtigten zustehen; 11) Siehe BO. bett, den Verkehr mit Arzneimitteln v. 22. Lkt. 01 (RGBl. S. 380) u. v. 31. März 11 (RGBl. S. 181). 12) Eine PolBerordn., welche jedem von mehreren amtlich bestellten Fleischbeschauern eine ausschließliche Gewerbeberechtigung für einen bestimmten Bezirk erteilt, ist ungültig. Johow 2 S. 272, vgl. auch ebenda 1 S. 189. Doch kann eine Gemeindeverwaltung aus gesundheitspolizeilicheu Gründen ihren Gemeindemitgliedern die Benutzung gewiffer Einrichtungen, w. z. B. bei FäkalienAbfuhr, zur Pflicht machen. GA. 54 S. 104. 13) Siehe Ges. über Aufhebung und Ablösung des Abdeckereiwesens v. 17. Dezbr. 72 (GS. S. 717) u. RG. bett, die Beseitigung von Tierkadavern vom 17. Juni 1911 (RGBl. S. 248), das mit dem Biehseuchengesetz vom 26. Juni 1909 gleichzeitig in Kraft tritt.

Allgemeine Bestimmungen §§ $—11 a.

413

6. vorbehaltlich der an den Staat und die Gemeinde zu ent­ richtenden Gewerbesteuern, alle Abgaben, welche für den Betrieb eines Gewerbes entrichtet werden, sowie die Berechtigung, dergleichen Ab­ gaben aufzuerlegen. Ob und in welcher Weise den Berechtigten

für

die vorstehend

aufgehobenen ausschließlichen Gewerbeberechtigungen, Zwangs- und Bannrechte rc. Entschädigung zu leisten ist, bestimmen die Landes­

gesetze. £ 8. Bon dem gleichen Zeitpunkt 7) ab unterliegen, soweit solches nicht von der Landesgesetzgebung schon früher verfügt ist, der Ablösung: 1. diejenigen Zwangs- und Bannrechte, welche durch die Be­ stimmungen des 8 7 nicht aufgehoben sind, sofern die Verpflichtung auf Grundbesitz haftet, die Mitglieder einer Korporation als solche betrifft, oder Bewohnern eines Ortes oder Distrikts vermöge ihres Wohnsitzes obliegt; 2. das Recht, den Inhaber einer Schankstätte zu zwingen, daß er für seinen Wirtschastsbedarf das Getränk aus einer bestimmten Fabrikationsstätte entnehme. Das nähere über die Ablösung dieser Rechte bestimmen die

Landesgesetze.

§ 9. Streitigkeiten darüber, ob eine Berechtigung zu den durch die 88 7 und 8 ausgehobenen oder für ablösbar erklärten gehört, sind im Rechtswege zu entscheiden. Jedoch bleibt den Landesgesetzen Vorbehalten, zu bestimmen, von lvelchen Behörden und in welchem Verfahren die Frage zu entscheiden ist, ob oder wie weit eine aus einem Grundstücke haftende Abgabe eine Grundabgabe ist, oder für den Betrieb eines Gewerbes entrichtet werden muß.

8 10. Ausschließliche Gewerbeberechtigungen oder Zwangs- und Bannrechte, welche durch Gesetz ausgehoben oder für ablösbar erklärt worden sind, können fortan nicht mehr erworben werden. Realgewerbeberechtigungen dürfen fortan nicht mehr begründet

lvcrden. 8 11. Das Geschlecht begründet in Beziehung auf die Befugnis zum selbständigen Betrieb eines Gewerbes keinen Unterschied. u) 8 Ila. Betreibt eine Ehefrau, für deren güterrechtliche Verhält­ nisse ausländische Gesetze maßgebeud sind, im Jnlande selbständig ein

14) Durch Art. 36 oes EG. z. BGB. ist der Abs. 2 des 8 11 der GewO, aufgehoben und statt dessen der oben mitgeteilte § 11 a eingeschoben.

414

XX. Gewerbeordnung §§ 12—14.

Gewerbe, so ist es auf ihre Geschäftsfähigkeit in Angelegenheiten des Gewerbes ohne Einfluß, daß sie Ehefrau ist. Soweit die Frau infolge des Güterstandes in der Verfügung über ihr Vermögen beschränkt ist, finden die Vorschriften des § 1405 des BGB. Anwendung. Hat die Frau ihren Wohnsitz nicht im Jnlande, so ist der Einspruch des Mannes gegen den Betrieb des Ge­ werbes und der Widerruf der erteilten Einwilligung in das Güterrechtsregister des Bezirkes einzutragen, in welchem das Gewerbe be­ trieben wird. Betreibt die Frau das Gewerbe mit Einwilligung des Mannes oder gilt die Einwilligung nach § 1405 Abs. 2 des BGB. als erteilt, so haftet für die Verbindlichkeiten der Frau aus dem Gewerbebetrieb ihr Vermögen ohne Rücksicht auf die dem Manne kraft des Güter­ standes zustehenden Rechte; im Falle des Bestehens einer ehelichen Gütergemeinschaft hastet auch das gemeinschaftliche Vermögen. § 12. Hinsichtlich des Gewerbebetriebs der juristischen Personen des Auslandes bewendet es bei den Landesgesetzen.15)16 Diejenigen Beschränkungen, welche in betreff des Gewerbebetriebs für Personen des Soldaten- und Beamtenstandes 10) sowie deren An­ gehörige bestehen, werden durch das gegenwärtige Gesetz nicht berührt. § 13. Von dem Besitze des Bürgerrechts soll die Zulassung zum Gewerbebetrieb in keiner Gemeinde und bei keinem Gewerbe ab­ hängig sein. Nach dem begonnenen Gewerbebetrieb ist, soweit dies in der be­ stehenden Gemeindeverfassung begründet ist, der Gewerbetreibende auf Verlangen der Gemeindebehörde nach Ablauf von drei Jahren ver­ pflichtet, das Bürgerrecht zu erwerben. Es darf jedoch in diesem Falle von ihm das sonst vorgeschriebene oder übliche Bürgerrechtsgeld nicht gefordert und ebenso nicht verlangt werden, daß er sein ander­ weit erworbenes Bürgerrecht ausgebe.

Titel II.

Stehender Gewerbebetrieb.

I. Allgemeine Erfordernisse. 8 14. Wer den selbständigen17) Betrieb eines stehenden 18) Ge­ werbes anfängt, muß der für den Ort, wo solches geschieht, nach 15) Siehe jetzt §§ 23, 24 des BGB. u. Art. 10 des EG. zu letzterem. 16) Siehe ReichsmilGes. v. 2. Mai 74 (RGBl. S. 45) § 43 u. Reichsbeamtenges. v. 31. März 73 (RGBl. S. 61) § 16. Für Preußen gilt noch § 59 der GewO. v. 17. Jan. 45; ferner siehe MinBerf. v. 15. März u. 24. April 71 (BMBl. S. 116 u. 153), wonach die Ortsschulzen kein Schankgewerbe betreiben sollen, u. Reskr. v. 19. Mai 79 (BMBl. S. 158) wegen Musikmachens der Be­ amten.

Stehender Gewerbebetrieb § 15.

415

den Landesgesetzen zuständigen Behörde10) gleichzeitig Anzeige davon machen.20 17) 18Diese 19 Anzeige liegt auch demjenigen ob, welcher zum Be­ trieb eines Gewerbes im Umherziehen (Titel III) befugt ist. Außerdem hat, wer Versicherungen für eine Mobiliar- oder Jmmobiliar-Feuerversicherungs-Anstalt als Agent oder Unteragent vermitteln will, bei Übernahme der Agentur, und derjenige, welcher

dieses Geschäft wieder aufgibt, oder welchem die Versicherungsanstalt den Auftrag wieder entzieht, innerhalb der nächsten acht Tage der zu­ ständigen Behörde seines Wohnorts davon Anzeige zu machen. Buchund Steindrucker, Buch- und Kunsthändler, Antiquare, Leihbibliothekare, Inhaber von Lesekabinetten, Verkäufer von Druckschriften, Zeitungen und Bildern haben bei der Eröffnung ihres Gewerbebetriebs das Lokal desselben sowie jeden späteren Wechsel des letzteren spätestens am Tage seines Eintritts der zuständigen Behörde ihres Wohnorts an­ zugeben. 21) § 15. Die Behörde bescheinigt innerhalb dreier Tage den Em­ pfang der Anzeige. Die Fortsetzung des Betriebs kann polizeilich verhindert toet? bett, 22)22*) wenn ein Gewerbe, zu dessen Beginn eine besondere Ge­ nehmigung erforderlich ist, ohne diese Genehmigung begonnen wird.

17) Selbständig ist jeder Gewerbebetrieb, welcher für eigene Rechnung und unter eigener Verantwortlichkeit betrieben wird, auch wenn der Eigentümer des Lokals dem Gewerbetreibenden bezüglich der Art und des Umfanges des Be­ triebes vertragsmäßig gewisse Beschränkungen auferlegt haben sollte. I o h o w 7 S. 207, GA. 21 S. 299 u. 22 S. 135. Der Betrieb einer Warenhauskan­ tine gehört nicht hierher. DIZ. 7 S. 582. Wer ein Gewerbe ohne Auftrag und ohne Vorwiffen eines anderen betreibt, haftet auch dann als selbständiger und allein verantwortlicher Unternehmer, wenn er den Gewinn diesem anderen zuwendet (Lagerhalter eines Konsumvereins). KG. v. 4. Jan. 06, DIZ. 11 S. 265. 18) Zum Betriebe eines stehenden Gewerbes ist eine Gewerbsanlage nicht erforderlich. Erk. v. 18. Dezbr. 84, E. 11 S. 309. Siehe auch GA. 58 S. 255. 19) Das ist in Preußen die Gemeindebehörde. OR. 14 S. 624. 20) Die Anzeige muß für jeden Gewerbebetrieb besonders gemacht werden, OR. 16 S. 84. Auch das Betriebslokal muß bezeichnet und jede Veränderung des letzteren angezeigt werden. Erk. des OVG. v. 18. Dezbr. 84, E. 11 S. 318. 21) Vgl. Erk. des KG. v. 9. Dezbr. 80, Johow 1 S. 183. — Der In­ haber eines Vergnügungsetablissements betreibt durch den Verkauf von Ansichts­ postkarten kein von seinem Wirtschaftsbetrieb getrenntes Gewerbe. GA. 49 S. 356. 22) Siehe über die Wegnahme von Gasthausschildern: Erk. des OVG. v. 1. Aug. 76, E. 1 S. 319. Auch ein noch nicht begonnener Betrieb kann gehindert werden. Über den von der Polizeibehörde auszuübenden Zwang siehe Erk. des OVG. v. 7. April 77, E. 2 S. 295 u. 3. April 79, E. 5 S. 278, sowie Erk. v. 19. Mai 97, E. 32 S. 290, wo die Unzulässigkeit P^rhindung von Zwangsmitteln ausgesprochen

416

XX. Gewerbeordnung §§ 15 a, 16.

§ 15 a. Gewerbetreibende, die einen offenen Laden") haben oder Gast- oder Schankwirtschaft betreiben, sind verpflichtet, ihren Familiennamen mit mindestens einem ausgeschriebenen Vornamen"') an der Außenseite oder am Eingänge des Ladens oder der Wirtschaft

in deutlich lesbarer Schrift anzubringen. Kaufleute, die eine Handelsfirma führen, haben zugleich die Firma in der bezeichneten Weise an dem Laden oder der Wirtschaft anzu­ bringen; ist aus der Firma der Familienname des Geschäftsinhabers mit dem ausgeschriebenen Vornamen zu ersehen, so genügt die An­ bringung der Firma. Auf offene Handelsgesellschaften, Kommanditgesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien finden diese Vorschriften mit der Maßgabe Anwendung, daß für die Namen der persönlich hastenden Gesellschafter gilt, was in betreff der Namen der Gewerbetreibenden bestimmt ist. Sind mehr als zwei Beteiligte vorhanden, deren Namen hier­

nach in der Aufschrift anzugeben wären, so genügt es, wenn die Namen von zweien mit einem das Vorhandensein weiterer Beteiligter

andeutenden Zusatz ausgenommen werden. Die Polizeibehörde kann im einzelnen Falle die Angabe der Namen aller Beteiligter anordnen. II. Erfordernis besonderer Genehmigung. Anlagen, welche einer besonderen Genehmigung bedürfen. § 16.

Zur Errichtung von Anlagen,") welche durch die örtliche

wird. Auch ein Zwang durch Versiegelung der Gewerbsräume, um die Fort­ setzung des Betriebes zu hindern, ist statthaft. Erk. v. 27. April 91, E. 22 S. 5. 22 a) Strafrichterliche Verurteilung braucht die Polizei nicht abzuwarten. Pr. AusfAnw. v. 9. Aug. 99/24. Aug. 00, Kayser-Steiniger, Anm. 5. 23) Offener Laden setzt ein Geschäftslokal voraus, wo Waren feilgeboten werden und in das jeder Kauflusüge Einlaß erhält, gleichgültig in welchem Stockwerk und ob erst auf Klingeln, gleichgültig auch, aus welchen Personen­ kreisen sich die Kunden rekrutieren. KG. v. 10. Dezbr. 00, DIZ. 6 S. 215. Siehe ferner Johow 18 S. 238 u. Kayser-Steiniger, Anm. 2. 23 a) Die Inhaber eines fremdsprachlichen Vornamens sind nicht ver­ pflichtet, ihn in deutscher Form zu führen. GA. 51 S. 74. Vgl. hierzu DIZ. 9 S. 526. 24) Nur die „Anlagen" sind konzessionspflichtig, nicht der Betrieb. Des­ halb ist die Konzession einer Anlage übertragbar. OR. 18 S. 65. Durch die Genehmigung der Anlage im Sinne der GewO, wird die Genehmigung in bauu. feuerpolizeilicher Hinsicht nicht erübrigt. Erk. v. 20. Mai 84, E. 11 S. 183. Unter Anlagen sind nicht notwendig besondere bauliche Vorrichtungen zu ver­ stehen. Erk. v. 17. Dezbr. 86, R. 8 S. 764, u. OR. 17 S. 122. GA. 37 S. 377. Tie Genehmigung muß vor Beginn der Herrichtung der Anlage nachgesucht werden; sobald mit der letzteren begonnen, ist die Strafe verwirkt. OR. 19 S. 192.

Lage oder die Beschaffenheit der Betriebsstätte für die Besitzer oder

Bewohner der benachbarten Grundstücke oder für das Publikum über­ haupt erhebliche Nachteile, Gefahren oder Belästigungen herbeiführen können, ist die Genehmigung der nach den Landesgesetzen zuständigen Behörde erforderlich.

Es gehören dahin: Schießpulverfabriken,

Anlagen

zur

Feuerwerkerei25)26und 27

zur

Bereitung von Zündstoffen aller Art, Gasbereitungs- und Gasbe­ wahrungsanstalten, Anstalten zur Destillation von Erdöl, Anlagen zur Bereitung von Braunkohlenteer, Steinkohlenteer und Koks, sofern sic außerhalb der Gewinnungsorte des Materials errichtet werden, Glas- und Rußhütten, Kalk-, Ziegel- und Gipsöfen,2**) Anlagen zur Gewinnung roher Metalle, Röstöfen, Metallgießereien, sofern sie nicht bloße Tiegelgießereien sind, Hammerwerke, chemische Fabriken aller Art, Schnellbleichen, Firnissiedereien, Stärkefabriken, mit Ausnahme der Fabriken zur Bereitung von Kartoffelstärke, Stärkesirupsfabriken, Wachstuch-, Darmsaiten-, Dachpappen- und Dachfilzsabriken, Leim-, Tran- und Seifensiedereien, Knochenbrennereien, Knochendarren, Knochenkochereien und Knochenbleichen, Zubereitungsanstalten für Tierhaare, Talgschmelzen, Schlächtereien,2*) Gerbereien, Abdeckereien,2^ Poudretten- und Düngpulverfabriken, Stauanlagen für Wassertriebwerke (§ 23), Hopseuschwefeldörren, Asphaltkochereien und Pechsiedereien, soweit sie außerhalb, der Gewinnungsorte des Materials errichtet werden, Strohpapierstoffabriken, Darmzubereitungsanstalten, Fabriken, in welchen Dampfkessel oder andere Blechgefäße durch Vernieten hergestellt werden,28) Kalifabriken und Anstalten zum Imprägnieren von Holz mit erhitzten Teerölen, Kunstwollefabriken, Anlagen zur Her­ stellung von Zelluloid und Tegrasfabriken, die Fabriken, in welchen Röhren aus Blech durch Vernieten hergestcllt werden, sowie die An­ lagen zur Erbauung eiserner Schiffe, zur Herstellung eiserner Brücken oder sonstiger eiserner Baukonstruktionen, die Anlagen zur Destillation

25) Zur Jeuerwerkerei gehört auch die Anfertigung von Mctallpatronen. GA. 43 S. 66. 25 a) Der Beschluß des Bundesrats v. 29. Novbr. 00 (RGBl. S. 1036), der die Fassung des § abänderte, ist wieder aufgehoben durch Beschluß v. 15. 3iili 01 (RGBl. S. 267). 26) Eine Schlächterei setzt keine besondere bauliche Anlage voraus. Erk. v. 17. Dezbr. 86, R. 8 S. 764 u. GA. 37 S. 377. — Fisch- u. Geflügelschlächte ­ reien gehören nicht hierher. OBG. v. 26. Mai 97, E. 32 S. 248. 27) Über den Begriff einer Abdeckerei siehe GA. 44 S. 412. 28) Dahin gehören auch Anlagen zur Reparatur von Dampfkeffeln durch Vernieten rc. GA. 43 S. 141.

Dalcke, Strafr. 13. Auf! *

27

418

XX. Gewerbeordnung §§ 17, 18.

oder zur Verarbeitung von Teer und von Teerwasser, die Anlagen, in welchen aus Holz oder ähnlichem Fasermaterial auf chemischem Wege Papierstoff hergestellt wird (Zellulosefabriken), die Anlagen, in welchen Albuminpapier hergestellt wird, die Anstalten zum Trocknen und Einsalzen ungegerbter Tierfelle28 e29 ) sowie 30 31 die Verbleiungs-, Verzinnungs­ und Berzinkungsanstalten, die Anlagen zur Herstellung von Gußstahlkugeln mittels Kugelschrotmühlen (Kugelsräsmaschinen), die Anlagen zur Herstellung von Zündschnüren und von elektrischen Zündern. Das vorstehende Verzeichnis kann, je nach Eintritt oder Wegfall der im Eingänge gedachten Voraussetzung, durch Beschluß des Bundes­ rats, vorbehaltlich der Genehmigung des nächstfolgenden Reichstags, abgeändert werden.28)

§ 17. Dem Antrag auf die Genehmigung einer solchen Anlage müssen die zur Erläuterung erforderlichen Zeichnungen und Beschrei­ bungen beigefügt werden.88) Ist gegen die Vollständigkeit dieser Vorlagen nichts zu erinnern, so wird das Unternehmen mittels einmaliger Einrückung in das zu den amtlichen Bekanntmachungen der Behörde (§ 16) bestimmte Blatt zur öffentlichen Kenntnis gebracht, mit der Aufforderung, etwaige Einwendungen gegen die neue Anlage binnen vierzehn Tagen anzu­ bringen. Die Frist nimmt ihren Anfang mit Ablauf des Tages, an welchem das die Bekanntmachung enthaltende Blatt ausgegeben worden, und ist für alle Einwendungen, Titeln beruhen,^) präklusivisch.

welche nicht aus privatrechtlichen

§ 18. Werden keine Einwendungen angebracht, so hat die Be­ hörde zu prüfen, ob die Anlage erhebliche Gefahren, Nachteile oder Belästigungen für das Publikum herbeiführen könne. Auf Grund 28 a) Siehe hierüber OLG. Celle v. 21. Jan. 10, GA. 58 S. 246. 29) Bezüglich elektrischer Anlagen siehe § 12 des Ges. v. 6. April 92 (RGBl. S. 467). Nicht fallen hierunter Sauggasanlagen. DIZ. IIS. 90. 30) Der Unternehmer, der es fahrlässig unterlasien hat, eine zur Sicher­ heit der Arbeiter erforderliche Schutzvorrichtung anzubringen, kann sich nicht mit dem Einwande schützen, daß die ihm erteilte Konzession die Herstellung einer solchen Vorrichtung nicht vorgeschrieben habe. Erk. v. 13. Juli 88, E. 18 S. 73. Geht die Anlage auf einen neuen Erwerber über und vermietet dieser die­ selbe an einen Dritten, so bleibt er für die Innehaltung der Konzessionsbedin­ gungen verantwortlich. GA. 37 S. 455. 31) Ob die auf dem Nachbarrechte beruhenden Einwendungen privattechtlicher Natur zu diesen privattechtlichen Titeln zu rechnen sind, ist bestritten. Siehe darüber Erk. v. 20. Mai 85, E. 13 S. 52 und Kayser-Steiniger, Anm. 6. Über die Nachbarrechte bei gewerblichen Anlagen siehe auch die §§ 906, 907 BGB. Einwendungen sind nur gegen die geplante Anlage zulässig. DIZ. 9 S. 1096.

dieser Prüfung, welche sich zugleich aus die Beachtung der bestehenden bau-, feuer- und gesundheitspolizeilichen Vorschriften erstreckt, ist die Genehmigung zu versagen, oder, unter Festsetzung der sich als nötig ergebenden Bedingungen, zu erteilen. Zu den letzteren gehören auch diejenigen Anordnungen, welche zum Schutze der Arbeiter gegen Ge­ fahr für Gesundheit und Leben notwendig sind. Der Bescheid ist schriftlich auszufertigen und muß die festgesetzten Bedingungen ent­ halten; er muß mit Gründen versehen sein, wenn die Genehmigung versagt oder nur unter Bedingungen erteilt wird. § 19. Einwendungen, welche aus besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen, sind zur richterlichen Entscheidung zu verweisen, ohne daß von der Erledigung derselben die Genehmigung der Anlage ab­ hängig gemacht wird. Andere Einwendungen dagegen sind mit den Parteien vollständig zu erörtern. Nach Abschluß dieser Erörterung erfolgt die Prüfung und Entscheidung nach den im § 18 enthaltenen Vorschriften. Der Bescheid ist sowohl dem Unternehmer als dem Widersprechenden zu

eröffnen. § 19 a. In dem Bescheide kann dem Unternehmer aus seine Gefahr, unbeschadet des Rekursversahrens (§ 20), die unverzügliche Ausführung der baulichen Anlagen gestattet werden, wenn er dies vor Schluß der Erörterung beanttagt. Die Gestattung kann leistung abhängig gemacht werden. § 20. Gegen den Bescheid ist Rekurs an hörde zulässig, welcher bei Verlust desselben vom Tage der Eröffnung des Bescheids an

von einer Sicherheits­

die nächstvorgesetzte Be­ binnen vierzehn Tagen, gerechnet, gerechtfertigt

werden muß. Der Rekursbescheid ist den Parteien schriftlich zu eröffnen und muß mit Gründen versehen sein. § 21. Die näheren Bestimmungen über die Behörden und das Verfahren, sowohl in der ersten als in der Rekursinstanz, bleiben den Landesgesetzen vorbehalten.32) Es sind jedoch folgende Grmrdsätze

einzuhalten: 1. In erster oder in zweiter Instanz muß die Entscheidung durch eine kollegiale Behörde erfolgen. Diese Behörde ist befugt, Unter­ suchungen an Ort und Stelle zu veranlassen, Zeugen und Sachver-

32) Der Kreis- (Stadt-) Ausschuß, in den einem Landkreise angehörigen Städten mit mehr als 10 000 Einw. der Magistrat, beschließt über Anttäge auf Genehmigung zur Errichtung oder Veränderung gewerblicher Anlagen. § 109 des Zuständ.Ges. v. 1. August 83 (GS. S. 237), und soweit die Beschluß­ fassung nicht dem Ausschuß resp. Magisttat zusteht, beschließt der Bezirksausschuß. 8 110 ibid.

420

XX. Gewerbeordnung §§21 a—23.

ständige zu laden und eidlich zu vernehmen, überhaupt den angetretenen Beweis in vollem Umfange zu erheben. 2. Bildet die kollegiale Behörde die erste Instanz, so erteilt sie ihre Entscheidung in öffentlicher Sitzung, nach erfolgter Ladung und Anhörung der Parteien, auch in dem Falle, wenn zwar Einwendungen nicht angebracht sind, die Behörde aber nicht ohne weiteres die Ge­ nehmigung erteilen will, und der Antragsteller innerhalb vierzehn Tagen nach Empfang des die Genehmigung versagenden oder nur unter Bedingungen erteilenden Bescheids der Behörde auf mündliche Verhandlung anträgt. 3. Bildet die kollegiale Behörde die zweite Instanz, so erteilt sie stets ihre Entscheidung in öffentlicher Sitzung, nach erfolgter Ladung und Anhörung der Parteien. 4. Als Parteien sind der Unternehmer (Antragsteller), sowie die­ jenigen Personen zu betrachten, welche Einwendungen erhoben haben. 5. Die Öffentlichkeit der Sitzungen kann unter entsprechender

Anwendung der §§ 173—176 des Gerichtsverfassungsgesetzes ausge­

schlossen oder beschränkt werden. § 21 a. Die Sachverständigen (§ 21 Ziffer 1) haben über die Tatsachen, welche durch das Verfahren zu ihrer Kenntnis kommen, Verschwiegenheit zu beobachten und sich der Nachahmung der von dem Unternehmer geheim gehaltenen, zu ihrer Kenntnis gelangten Betriebseinrichtungen und Betriebsweisen, solange als diese Betriebsgeheimnisse sind, zu enthalten.

§ 22 Die durch unbegründete Einwendungen erwachsenden Kosten fallen dem Widersprechenden, alle übrigen Kosten, welche durch das Verfahren entstehen, dem Unternehmer zur Last. In den Bescheiden über die Zulässigkeit der neuen Anlage wird zugleich die Verteilung der Kosten festgesetzt.

§ 23. Bei den Stauanlagen für Wassertriebwerke sind außer den Bestimmungen der §§ 17—22 die dafür bestehenden landesgesetzlichen Vorschriften anzuwenden.33) Der Landesgesetzgebung bleibt vorbehalten, die fernere Benutzung bestehender und die Anlage neuer Privatschlächtereien in solchen Orten, für welche öffentliche Schlachthäuser in genügendem Umfange vorhanden sind oder errichtet werden, zu untersagen.34) 33) Die Errichtung einer Stauanlage ist strafbar, wenn auch das Wasser­ werk noch nicht in Betrieb gesetzt ist. Erk. v. 19. Novbr. 79, E. 1 S. 103. Wasserräder u. Turbinen sind Bestandteile der Stauanlage. GA. 50 S. 418. 34) Vgl. die Ges. über die Errichtung von Schlachthäusern v. 18. März 68 (GS. S. 277) u. v. 9. März 81 (GS. S. 273). ME. v. 10. Febr. 87, VMBl. S. 67. Vgl. hierzu Erk. v. 17. Jan. 89, E. 18 S. 351, über die Beschränkungen,

Soweit durch landesrechtliche Vorschriften Bestimmungen getroffen werden, wonach gewisse Anlagen oder gewisse Arten von Anlagen in einzelnen Ortsteilen gar nicht, oder nur unter besonderen Beschrän­ kungen zugelassen sind, finden diese Bestimmungen auch auf Anlagen der im § 16 erwähnten Art Anwendung. § 24 Zur Anlegung von Dampftesseln, dieselben mögen zum Maschinenbetriebe bestimmt sein oder nicht, ist die Genehmigung der nach den Landesgesetzen zuständigen Behörde erforderlich. Dem Ge­ suche sind die zur Erläuterung erforderlichen Zeichnungen und Be­ schreibungen beizufügen. Die Behörde hat die Zulässigkeit der Anlage nach den bestehenden bau-, feuer- und gesundheitspolizeilichen Vorschriften sowie nach den­ jenigen allgemeinen polizeilichen Bestimmungen zu prüfen, welche von dem Bundesrat über die Anlegung von Dampftesseln erlassen werden.3!i) Sie hat nach dem Befunde die Genehmigung entweder zu versagen oder unbedingt zu erteilen, oder endlich bei Erteilung derselben die erforderlichen Vorkehrungen und Einrichtungen vorzuschreiben. Bevor der Kessel in Betrieb genommen wird, ist zu untersuchen, ob die Ausführung den Bestimmungen der erteilten Genehmigung entspricht. Wer vor dem Empfange der hierüber auszufertigenden Bescheinigung den Betrieb beginnt, hat die im § 147 angedrohte Strafe verwirkt. Die vorstehenden Bestimmungen gelten auch für bewegliche

Dampftessel. Für den Rekurs und das Verfahren über denselben gelten die Vorschriften der §§ 20 und 21. § 25. Die Genehmigung zu einer der in den §§ 16 und 24 be­ zeichneten Anlagen bleibt solange in Kraft, als keine Änderung in

der Lage oder Beschaffenheit der Betriebsställe vorgenommen wird, und bedarf unter dieser Voraussetzung auch dann, wenn die Anlage an einen neuen Erwerber übergeht, einer Erneuerung nicht.36e) Sobald aber eine Veränderung der Betriebsstätte vorgenommen wird, ist dazu die Genehmigung der zuständigen Behörde nach Maßgabe der §§ 17 bis 23 einschließlich beziehungsweise des § 24 notwendig. Eine gleiche Genehmigung ist erforderlich bei wesentlichen33'') Veränderungen denen der Absatz von Fleisch des auswärts geschlachteten Viehes unterworfen werden kann und Ges., betr. die Schlachtvieh- und Fleischbeschau v. 3. Juni 1900 (RGBl. S. 547). 35) Siehe Bekanntm. v. 5. August 90 (RGBl. S. 163), betr. allgem. polizeiliche Bestimmungen über die Anlage von Dampftesseln. 35 a) Eine neue Genehmigung ist nur erforderlich, wenn eine wesentliche Änderung vorgenommen wird. GA. 47 S. 180. 35 b) Wesentlich ist jede Veränderung, die gegenüber der erteilten Kon­ zession sachlich die Grenzen der Geringfügigkeit überschreitet. GA. 49 S. 359.

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XX. Gewerbeordnung §§ 26—29.

in dem Betrieb einer der im § 16 genannten Anlagen. Die zu­ ständige Behörde kann jedoch aus Antrag des Unternehmers von der Bekanntmachung (§ 17) Abstand nehmen, wenn sie die Überzeugung gewinnt, daß die beabsichtigte Veränderung für die Besitzer oder Be­ wohner benachbarter Grundstücke oder das Publikum überhaupt neue oder größere Nachteile, Gefahren oder Belästigungen, als mit der vorhandenen Anlage verbunden sind, nicht herbeiführen werde.

Diese Bestimmungen finden auch aus gewerbliche Anlagen (§§ 16 und 24) Anwendung, welche bereits vor Erlaß dieses Gesetzes be­ standen haben.

§ 26. Soweit die bestehenden Rechte zur Abwehr benachteiligen­ der Einwirkungen, welche von einem Grundstück aus aus ein benach­ bartes Grundstück geübt werden, dem Eigentümer oder Besitzer des letzteren eine Privatklage gewähren, kann diese Klage einer mit obrig­ keitlicher Genehmigung errichteten gewerblichen Anlage gegenüber nie­ mals aus Einstellung des Gewerbebetriebs, sondern nur auf Herstellung von Einrichtungen, welche die benachteiligende Einwirkung ausschließen, oder, wo solche Einrichtungen untunlich oder mit einem gehörigen Betriebe des Gewerbes unvereinbar sind, auf Schadloshaltung gerichtet werden.

§ 27 Die Errichtung oder Verlegung solcher Anlagen, deren Betrieb mit ungewöhnlichem Geräusche verbunden ist, muß, sofern sie nicht schon nach den Vorschriften der §§ 16 bis 25 der Genehmigung bedarf, der Ortspolizeibehörde angezeigt werden. Letztere hat, wenn in der Nähe der gewählten Betriebsstätte Kirchen, Schulen oder andere öffentliche Gebäude, Krankenhäuser oder Heilanstalten vorhanden sind, deren bestimmungsmäßige Benutzung durch den Gewerbebetrieb auf dieser Stelle eine erhebliche. Störung erleiden würde, die Entscheidung der höheren Verwaltungsbehörde darüber einzuholen, ob die Ausübung des Gewerbes an der gewählten Betriebsstätte zu untersagen oder nur unter Bedingungen zu gestatten fei.35 36 c)

§ 28. Die höheren Verwaltungsbehörden sind befugt, über die Entfernung, welche bei Errichtung von durch Wind bewegten Trieb­ werken von benachbarten fremden Grundstücken und von öffentlichen Wegen inne zu halten ist, durch Polizeiverordnungen Bestimmung zu treffen. 2.

Gewerbetreibende, welche einer besonderen Genehmigung bedürfen.

§ 29.

Einer Approbation, welche auf Grund' eines Nachweises

35 c) Unberührt ist das Recht der Polizei, nach Maßgabe des Landesrechts gegen übermäßigen Lärm bei nicht gewerblichen Anlagen einzuschreiten. & ayserStei niger, Anm. 7.

der Befähigung erteilt wird, bedürfen Apotheker^) und diejenigen Personen, welche sich als Ärzte (Wundärzte, Augenärzte, Geburts­ helfer,^^ Zahnärzte und Tierärzte)^) oder mit gleichbedeutenden Titeln bezeichnen oder seitens des Staates oder einer Gemeinde als solche anerkannt oder mit amtlichen Funktionen betraut werden sollen.39 36)40 37Es 41 38 darf die Approbation jedoch von der vorherigen akade­ mischen Toktorpromotion nicht abhängig gemacht werden.^9) Der Bundesrat bezeichnet mit Rücksicht auf das vorhandene Bedürfnis in verschiedenen Teilen des Reichs die Behörden, welche für das ganze Reich gültige Approbationen zu erteilen befugt sind, und erläßt die Vorschriften über den Nachweis der Befähigung. Die Namen der Approbierten werden von der Behörde, welche die Appro­ bation erteilt, in den vom Bundesrate zu bestimmenden amtlichen Blättern veröffentlicht. Personen, welche eine solche Approbation erlangt haben, sind innerhalb des Reichs in der Wahl des Ortes, wo sie ihr Gewerbe be­ treiben wollen, vorbehaltlich der Bestimmungen über die Errichtung und Verlegung von Apotheken (§ 6), nicht beschränkt. Dem Bundesrate bleibt vorbehalten, zu bestimmen, unter welchen

Voraussetzungen Personen wegen wissenschaftlich erprobter Leistungen von der vorgeschriebenen Prüfung ausnahmsweise zu entbinden sind. Personen, welche vor Verkündigung dieses Gesetzes in eineu^Bundesstaate die Berechtigung zum Gewerbebetriebe als Ärzte, Wundärzte, Zahnärzte, Geburtshelfer, Apotheker oder Tierärzte bereits erlangt haben, gellen als für das ganze Reich approbiert. 36) Über die Befugnis der Polizeibehörden, gegen Personen einzuschreiten,

welche den Anschein erwecken, daß eine Apotheke vorhanden sei, siehe Erk. des OBG. v. 14. Dezbr. 78, E. 4 S. 349. FeilhalLen einzelner, den Apotheken vorbehaltener Waren ist noch nicht Apothekenbetrieb. KG. v. 23. Okt. 05, DIZ. 10 S. 1174. 37) Siehe unten die Anm. zu § 147 Nr. 3. 38) Bezügl. der Tierärzte siehe Jnstt. v. 26. Mai 69 (BGBl. S. 149) ii. v. 9. Juni 73 (RGBl. S. 147), ferner das Reichsviehseuchengesetz v. 26. Juni 09 (RGBl. S. 519) u. 1. Mai 94 (RGBl. S. 405). Siehe auch betr. der Prüfung die Bekanntm. v. 13. Juli 89 (Zentralbl. S. 421). 39) An sich ist die Ausübung der Heilkunde (mit Ausnahme der Apotheker) fteigegeben, nur darf derjenige, der nicht approbiert ist, keine der in diesem tz aufgeführten Titel führen. Es kann aber den nicht approbierten Personen durch Pol.Berordn. die Pflicht auferlegt werden, von der Ausübung der Heilkunde dem Kreisarzt Mitteilung zu machen. DIZ. 8 S. 323. 40) Zur gewerblichen Herstellung von Blitzableitern bedarf es keiner Appro­ bation ; aber die Errichtung von Blitzableitern bedarf nach § 80 I 8 ALR. der polizeilichen Genehmigung und wer diese nicht einholt, verfällt der Strafe aus § 367 Nr. 15 StGB. GA. 43 S. 66. Diese Bestimmung des ALR. ist in Kraft geblieben, siehe Att. 89 des AG. z. BGB. 41) Über die Anttäge entscheidet der Bezirksausschuß. § 115 des Zu-

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XX. Gewerbeordnung § 30.

§ 30. Unternehmer von Privat-Kranken-, Privat-Entbindungsund Privat-Jrrenanstalten bedürfen einer Konzession der höheren Ver­ waltungsbehörde.^^ Die Konzession ist nur dann zu versagen: a) wenn Tatsachen") vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit **)des Unternehmers in Beziehung auf die Leitung oder Ver­ waltung der Anstalt dartun,") b) wenn nach den von dem Unternehmer einzureichenden Be­ schreibungen und Plänen die baulichen und die sonstigen technischen Einrichtungen der Anstalt den gesundheitspolizei­ lichen Anforderungen nicht entsprechen, c) wenn die Anstalt nur in einem Teile eines auch von an­ deren Personen bewohnten Gebäudes unlergebracht werden soll und durch ihren Betrieb für die Mitbewohner dieses Gebäudes erhebliche Nachteile oder Gefahren Hervorrufen kann, d) wenn die Anstalt zur Aufnahme von Personen mit an­ steckenden Krankheiten oder von Geisteskranken bestimmt ist und durch ihre örtliche Lage für die Besitzer oder Bewohner der benachbarten Grundstücke erhebliche Nachteile oder Ge­ fahren Hervorrufen kann. Vor Erteilung der Konzession sind über die Fragen zu c und d die Ortspolizei- und die Gemeindebehörden zu hören. Hebammen bedürfen eines Prüfungszeugnisses^^) der nach den Landesgesetzen zuständigen Behörde.") ständGes. Über den Begriff der Krankenanstalten rc. siehe GA. 43 S. 271, 272 u. 49 S. 348, über Entbindungsanstalten GA. 54 S. 105. 42) Dahin gehört auch ein Mangel an Fähigkeit zur Leitung einer solchen Anstalt. Erk. des OVG. v. 28. Septbr. 78, E. 4 S. 337. Tatsachen sind sowohl Handlungen als Unterlassungen. Erk. des OVG. v. 2. Juli 77, E. 3 S. 237. 43) Die Unzuverlässigkeit braucht nicht in der Leitung der betr. Anstalt hervorgetreten zu sein. Erk. des OVG. v. 12. Mai 80, E. 6 S. 260. 44) Über den Begriff einer Privatkrankenanstalt siehe Johow 16 S. 341 u. OVG. v. 1. April 97, E. 31 S. 284 u. Erk. v. 7. Juli 99, E. 32 S. 235. Kayser-Steiniger, Anm. 3. 45) Männliche Personen bedürfen dagegen eines Prüfungszeugnisses nicht, sie dürfen sich nur nicht als Geburtshelfer bezeichnen. GA. 19 S. 94 u. OR. 18 S. 278. 46) Aber die Hebamme ist nicht für eine approbierte Medizinalperson im Sinne des § 278 StGB, zu erachten, denn die Erteilung eines Prüfungszeug­ nisses steht der Approbation nicht gleich. Erk. v. 27. März 84, R. 6 S. 245 u. E. 10 S. 340. — Wenn eine Hebamme ihr Gewerbe ohne Prüfungszeugnis betreibt, so verfällt sie der Strafe des § 147 Nr. 1 der GewO. Erk. v. 14. Jan. 87, R. 9 S. 43 und E. 15 S. 181, nicht der Strafe aus § 147 Nr. 3. Vgl. aber GA. 41 S. 306. Die Befugnis zur Ausübung-des Gewerbes erlischt durch Verzicht auf das Prüfungszeugnis. OVG. v. 19. Juni 95, GA^ 54 S. 427. —

Stehender Gewerbebetrieb §§ 30a—32.

§ 30 a.

425

Der Betrieb des Hufbeschlaggewerbes kann durch die

Landesgesetzgebung47 * *)48 * von 49 50 der51Beibringung eines Prüfungszeugnisses abhängig gemacht werden. Das erteilte Prüfungszeugnis gilt für den ganzen Umfang des Reichs. § 31. Seeschiffer, Seesteuerleute,") Maschinisten *9) der Seedampf­ schiffe und Lotsen müssen sich über den Besitz der erforderlichen Kennt­ nisse durch ein Befähigungszeugnis der zuständigen Verwaltungsbe­

hörde ausweisen. Der Bundesrat erläßt die Vorschriften über den Nachweis der

Befähigung. Tie auf Grund dieses Nachweises erteilten Zeugnisse gelten für das ganze Reich, bei Lotsen für das im Zeugnis angeführte Fahrwasser.60) Soweit in betreff der Schiffer und Lotsen auf Strömen infolge von Staatsverträgen besondere Anordnungen getroffen sind, behält es dabei sein Bewenden.

§ 32. Schauspielunternehmer bedürfen zum Betrieb ihres Ge­ werbes der erfaubnia.61) Dieselbe gilt nur für das bei Erteilung Ist eine Hebamme wegen unbefugter Gewerbeausübung verurteilt, so schließt daS eine neue Strafverfolgung wegen fahrlässiger Tötung aus. Erk. v. 12. Jan. 83, R. 5. S. 29. 47) Für Preußen ist das Gesetz b^tr. den Betrieb des Hufbeschlaggewerbes v. 18. Juni 84 (GS. S. 305) ergangen. Danach ist der Betrieb des Hufbeschlag­ gewerbes von der Beibringung eines Prüfungszeugnisses abhängig gemacht, und zur Erteilung dieses Zeugniffes sind berechtigt: 1. die Innungen der Schmiede, welche von der höheren Verwaltungs­ behörde die Berechtigung zur Erteilung dieser Zeugnisie erhalten haben, 2. die vom Staate bestellten oder bestätigten Prüfungskommissionen, 3. die vom Staate eingerichteten oder anerkannten Hufbeschlagslehr­ anstalten und Militärschmieden, welchen die Befugnis beigelegt wird. Vgl. dazu die Prüfungsordn. v. 23. Jan. 85 (BMBl. S. 31 u. 61). Wer die tierärztliche Prüfung bestanden und die Approbation als Tierarzt erlangt hat, bedarf keines besonderen Prüfungszeugnisses. KG. v. 6. Apr. 11, Johow 40 S. C. 401. DIZ. 16 S. 821. 48) Siehe Bekannten, v. 16. Jan. 04 (RGBl. S. 3), 14. März 06 (RGBl. S. 427), v. 24. Juli 09, (RGBl. S. 892) u. v. 3. Juni 10, (RGBl. S. 867). 49) Siehe Bekanntm. v. 26. Juli 91 (RGBl. S. 359) u. 5. Mai 04 (RGBl. S, 163). 50) Über den Unterschied zwischen Loffen und Schleppern siehe GA. 41S. 306. 51) Ist die Erlaubnis nicht für bestimmte Orte erteilt, so gilt sie für das ganze Reich. Nach dem ME. v. 17. Aug. 96 (BMBl. S. 166) sind die zur Er­ teilung der Erlaubnis zuständigen Behörden angewiesen, auf möglichst genaue Bezeichnung des Unternehmens Bedacht zu nehmen, und insbesondere auch bei Wandertruppen die Bezirke oder Orte, welche besucht werden, anzugeben. Auch kann die Behörde Verordnungen erlassen, durch welche die Kontrolle über die Ausübung des Schauspielunternehmens geregelt wird. Johow 4

426

XX. Gewerbeordnung § 33.

der Erlaubnis bezeichnete Unternehmen.

Zum Betrieb eines anderen

oder eines wesentlich veränderten Unternehmens bedarf es einer neuen Erlaubnis. Die Erlaubnis ist zu versagen, wenn der Nachsuchende den Be­ sitz der zu dem Unternehmen nötigen Mittel nicht nachzuweisen ver­ mag oder wenn die Behörde auf Grund von Tatsachen die Über­ zeugung gewinnt, daß derselbe die zu dem beabsichtigten Gewerbebetrieb erforderliche Zuverlässigkeit insbesondere in sittlicher, artistischer und finanzieller Hinsicht nicht besitzt. § 33.

Wer Gastwirtschaft,^) Schankwirtschaftoder

Klein-

S. 249. Vgl. auch OBG. 24 S. 312. Wandertheater schließt den Paragraph nicht aus. Waltet ein höheres Kunstintereffe ob, so ist Wandergewerbeschein nicht erforderlich. Erk. d. OBG. v. 24. Oktbr. 04, DIZ. 10 S. 318. — Nach Art. 22 des Ges. v. 6. August 96 (RGBl. S. 685) gilt die den Unternehmern bisher erteilte Konzession nur für das bei dem Inkrafttreten dieses Ges. (1. Jan. 1897) betriebene Unternehmen. 52) Gastwirtschaft besteht in der Beherbergung und Verpflegung ftemder und einheimischer Gäste. Johow 1 S. 181, GA. 38 S. 457 u. GA. 42 S. 284. Aber das Lokal muß jedermann zugänglich sein, es liegt keine Gastwirtschaft vor, wenn es sich nur um Unterkommen und Verpflegung besttmmter Personen handelt. GA. 40 S. 194. Das gewerbsmäßige Verabreichen zubereiteter Speisen erfüllt auch nicht den Begriff. S t e n g l e i n a. a. O. Anm. 2. Das Vermieten an Sommergäste mit Verpflegung kann nicht ohne weiteres als Gastwirtschaft ange­ sehen werden. GA. 46 S. 59, ebensowenig das Vermieten von Schlafstellen mit Verpflegung. Johow 11 S. 227. 53)». Schankwirtsch aft besteht in der gewerbsmäßigen Verabfolgung von Getränten jeder Art, nicht bloß geistigen Gettänten u. zwar gleichviel, ob in Flaschen oder Gläsern zum Genuß auf der Stelle. OBG. v. 4. Juli 77, E. 2 S. 233. GA. 48 S. 147, 49 S. 347. Die unentgeltliche Verabreichung von Getränken an Geschäftskunden in den großen Warenbazaren und kaufmännischen Geschäften ist Schankwirtschaft. GA. 46 S. 366. Darin, daß ein Vermieter an seinen Mieter Gettänke verabfolgt, ist nicht ohne weiteres der Betrieb einer Schantwirtschaft zu finden. Erk. v. 22. April 95, E. 27 S. 173. Siehe auch KG. v. 10. Septbr. 10, Recht 14 S. 711 und ferner Erk. v. 8. Juli 05, JurW. 05 S. 761 (Verabfolgung von Getränken durch den Hausbesitzer an zur Miete wohnende Dirnen). Es gehört nicht zum Begriff der Schankwirfichaft, daß die Gettänke an „jedermann" verabfolgt werden. Erk. v. 22. März 02, E. 35 S. 175. Bgl. ebenda S. 335 Erk. v. 12. Juni 02. Da die Schantwirtschaft eine Anstalt zur Verabreichung von Getränken jeder Art zum Genuß auf der Stelle ist, so wird ein Platz vorausgesetzt, auf welchem der Genuß stattfinden kann, aber dieser Platz braucht dem Schankwirt nicht zu gehören, GA. 43 S. 142; insbesondere brauchen die Gettänke auch nicht in geschlossenen Räumen genossen zu werden. OBG. E. 2 S. 336 und OR. 17 S. 562, GA. 42 S. 56. Nach dem Erk. des RG. v. 7./14. Juni 88, R. 10 S. 422, findet Schantwirtschaft auch dann statt, wenn Gettänke zum Zweck der sofortigen Berzehrung in einem mit der Verkaufsstätte in irgend welcher Ver­ bindung stehenden Raum verkauft werden, auch in Kanttnen gewerblicher Etablissements, bei welchen die Verzehrung an den Arbeitsstellen stattfindet. Daß

Stehender Gewerbebetrieb § 33.

427

handel mit Branntwein oder Spiritus betreiben will, bedarf dazu der Erlaubnis.M) die Getränke nicht innerhalb des Lokals verzehrt werden, schließt also den Begriff der Schankwirtfchaft nicht aus. Erforderlich ist also nur eine gewisse räumliche Verbindung zwischen dem Schanklokal und dem Verzehrungsort, sowie eine ge­ wisse Disposition des Wirtes über den letzteren. GA. 42 S. 55 und 56. Ein Krämer, der duldet, daß die Konsumenten das von ihm getaufte Bier auf seinem Hausflur austrinken, fällt unter § 147 Nr. 1. Johow 14 S. 294. b. Schankwirtfchaft ist nicht auf den Ausschank geistiger Getränke beschränkt, umfaßt vielmehr auch den Ausschank von Schokolade, Kaffee, Tee, Selterswaffer rc. OR. 19 S. 490. Schankwirtschaft aber ist es nicht, wenn ein Landwirt die aus seinem landwirtschaftlichen Betriebe herrührende Milch zum Genuß auf der Stelle verkauft. GA. 43 S. 139. c. Die Konzession zur Schankwirtfchaft umfaßt regelmäßig die Erlaub­ nis zum Ausschank von Branntwein und zum Kleinhandel mit Branntwein und geistigen Getränten. Kleinhandel liegt nach dem Reskr. v. 12. Oktbr. 1837 vor, wenn Quantitäten von weniger als y2 Anker verkauft werden. Über den

Begriff des Branntweins siehe GA. 24 S. 616; OR. 18 S. 254, 266; 19 S. 583; OBG. E. 11 S. 322, OR. 20 S. 294. d. Der Kleinhandel mit denaturiertem Spiritus fällt nach §43e des Brannt­ weinsteuergesetzes in der Faffung d. Novelle v. 16. Juni 95 u. d. Bundesrats­ beschlüssen v. 27. Febr. 96, Zentralbl. S. 67, nicht unter § 33. Der Kleinhandel mit Spirituosen darf auch nicht im Nebengewerbe betrieben werden. GA. 39 S. 367. e. Die Konzession zum Betriebe einer Schankwirtschaft wird nur für ein bestimmtes Lokal erteilt. OR. 16 S. 163, Erk. v. 11./21. April 93, GA. 41 S. 51 u. 289. 5. Die Gewerbsmäßigkeit einer Schankwirtschast setzt voraus, daß eine fortgesetzte, auf Erzielung des Bermögensvorteils gerichtete Tätigkeit vor­ liegt und ein offenes Lokal gehalten wird, welches allgemein zugänglich ist. GA. 38 S. 457. Vgl. auch GA. 39 S. 366. Es genügt aber auch die Erzielung eines mittelbaren oder indirekten Gewinnes. Johow 1 S. 178,180. Vgl. über den Begriff insbes. auch GA. 43 S. 141. Es genügt aber, daß der Betrieb nur ein vorübergehender ist, z. B. während eines Baues, OR. 12 S. 125, ja es kann ein Ausschank an einem einzigen Tage genügen. Sten gl ein a. a. O. Anm. 12 zu § 33 und selbst die unentgeltliche Verabreichung von Getränken schließt unter Umständen die Gewerbsmäßigkeit nicht aus, z. B. wenn ein Kaufmann oder Speisewirt nur die Waren u. Speisen, nicht aber die Getränte besonders be­ rechnet. Johow 1 S. 178, OR. 19 S. 529 u. GA. 42 S. 56. Die GewerbsMäßigkeit wird auch dadurch nicht auSgeschloffen, daß der Ausschank nur an einen bestimmten Kreis von Personen, z. B. an Mitglieder einer geschloffenen Gesellschaft, erfolgt, GA. 39 S. 366 u. 42 S. 56 u. 284, und selbst dann nicht, wenn der Wirt die Getränke zu einem verabredeten Preise liefern muß. OR. 18 S. 520, GA.43S. 141. Auch Militärkantinen gehören hierher. GA.41S.308. 54) Die Erlaubnis erteilt der Kreis- (Stadt-) Ausschuß, § 114 des »fuständGes. Die Witwe, welche das Gewerbe ihres verstorbenen Ehemannes fortsetzen will, bedarf keiner neuen Erlaubnis, aber es ist Anzeige nach dem Ges. v. 3. Juli 76 notwendig. Erk. des KG. v. 6. März 84, Johow 4 S. 288. Vgl. auch Erk. v. 17. Dezbr. 84, E. 14 S. 315. Auch der Stellvertreter bedarf feiner besonderen Konzession, Erk. v. 28. Mai 80, E. 1 S. 434; aber es ist keine

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XX. Gewerbeordnung § 33. Diese Erlaubnis ist nur dann zu versagen: 1. wenn gegen den Nachsuchenden Tatsachen vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen, daß er das Gewerbe zur Förderung der Völlerei, des verbotenen Spieles,65) der Hehlerei oder der Unsittlichkeit mißbrauchen werde; 2. wenn das zum Betriebe des Gewerbes bestimmte Lokal **) wegen seiner Beschaffenheit oder Lage den polizeilichen Anforde­ rungen nicht genügt.67) Die Landesregierungen sind befugt, außerdem zu bestimmen, daß

a) die Erlaubnis zum Ausschänken von Branntwein oder zum Kleinhandel mit Branntwein oder Spiritus allgemein, b) die Erlaubnis zum Betriebe der Gastwirtschaft oder zum Aus­ schänken von Wein, Bier oder anderen, nicht unter a fallenden, geistigen Getränken in Ortschaften mit weniger als 15000 Ein­ wohnern, sowie in solchen Ortschaften mit einer größeren EinStellvertretung mehr, wenn der Inhaber der Konzession einem anderen den Betrieb des Geschäfts auf eigene Rechnung überläßt. Erk. v. 4. März 81, E. 3 S. 419 u. OR. 19 S. 209. GA. 42 S. 287. Wer das Schankgewerbe ohne Auftrag und ohne Borwisien eines anbern betreibt, haftet auch dann als selbständiger Unternehmer, wenn er den aus dem Gewerbebetrieb erlangten Gewinn dem andern zuwendet. KG. v. 4. Jan. 06, DIZ. 11 S. 265. Tie Erlaubnis erlischt in der Person des Inhabers nicht schon dadurch, daß er das Grundstück, für das sie erteilt ist, verkauft oder verpachtet und der Erwerber auf Grund eigener Erlaubnis darin die Gastwirtschaft betreibt. Erk. d. OVG. v. 12. Tezbr. 00, GA. 48 S. 168. Die Erlaubnis kann auch mit gewissen Einschränkungen, z. B. unter Aus­ schluß bestimmter Sorten von Getränten (Branntwein), erteilt werden, OBG. v. 27. März 78, E. 3 S. 260, oder nur für einen bestimmten Kreis von Per­ sonen (z. B. Militärpersonen). OLG. v. 17. Ottbr. 83, E. 10 S. 254. Es kann auch die Verabfolgung geistiger Getränke an Schüler untersagt werden. OVG. v. 6. Okt. 04, GA. 52 S. 413. Dagegen ist Erteilung einer Konzession unter der Bedingung des Ausschlusies weibl. Bedienung nicht für statthaft er­ achtet. OVG. v. 12. März 84, E. 10 S. 288. Auch die Konzession auf Zeit oder Widerruf ist nicht zulässig. OVG. v. 10. Mai 06, GA. 54 S. 428. 55) Das ist nicht bloß dasjenige, das den Spieler strafbar macht, sondern jedes Spiel, das in irgend einer Beziehung verboten ist. Erk. des OVG. v. 16. Mai 77, E. 2 S. 303. 56) Die Erlaubnis wird nicht für ein Grundstück überhaupt, sondern nur für ganz bestimmte Lokalitäten erteilt, in denen das Gewerbe betrieben wird, Erk. des OBG. v. 9. April 79, E. 5 S. 279, und treten deshalb erhebliche Ver­ änderungen des Lokals ein, so muß eine neue Konzession eingeholt werden. Erk. des OBG. v. 19. April 82, E. 8 S. 277, u. Erk. v. 30. Dezbr. 84, E. 11 S. 328; z. B. bei Einrichtung eines Saales zu einem Kinematographentheater. OLG. Hamm v. 21. Juli 11, GA. 59 S. 184. 57) Der Schankwirt bleibt für die Befolgung der polizeilichen Vorschriften stets persönlich verantwortlich und wird nur befreit, wenn feststeht, daß ihn keinerlei Verschulden trifft und daß er auch während einer Stellvertretung alle betreffenden Maßregeln getroffen hat. Johow 11 S. 209.

wohnerzahl, für welche dies durch Ortsstatut (§ 142) festge­

setzt wird, von dem Nachweis eines vorhandenen Bedürfnisses abhängig sein solle.") Bor Erteilung der Erlaubnis ist die Ortspolizei- und die Ge­ meindebehörde gutachtlich zu hören.M) Die vorstehenden Bestimmungen finden auf Vereine, welche den gemeinschaftlichen Einkauf von Lebens- und Wirtschaftsbedürfnisfen im Großen und deren Absatz im Kleinen zum ausschließlichen oder hauptsächlichen Zwecke haben, einschließlich der bereits bestehenden, auch dann Anwendung, wenn der Betrieb auf den Kreis der Mitglieder

beschränkt ist.60 58) 61 59 Die Landesregierungen können anordnen, daß die vorstehenden Bestimmungen, mit Ausnahme derjenigen im Absatz 3 unter b, auch auf andere Vereine, einschließlich der bereits bestehenden, selbst dann Anwendung finden, wenn der Betrieb auf den K^reis der Mitglieder beschränkt ist. § 33 a. Wer gewerbsmäßig Singspiele, Gesangs- und deklama­ torische Vorträge, Schaustellungen von Personen oder theatralische Vorstellungen, ohne daß ein höheres Interesse der Kunst oder Wissen­ schaft dabei obwaltet, in seinen Wirtschasts- oder sonstigen Räumen öffentlich veranstalten oder zu deren öffentlicher Veranstaltung seine Räume benutzen lassen will, bedarf zum Betriebe dieses Gewerbes der Erlaubnis ohne Rücksicht auf die etwa bereits erwirkte Erlaubnis zum Betriebe des Gewerbes als Schauspielunternehmer. 58) Die Bedürfnisfrage ist nach freiem Ermesien zu beurteilen. Erk. des OBG. v. 19. Novbr. 81, E. 8 S. 256. 59) Die polizeilichen Anordnungen, durch welche die Ausübung des Ge­ werbes geregelt wird, sind in Kraft geblieben, so z. B. das Berbot, Getränke an Schüler zu verabfolgen, BMBl. 71 S. 13, die Vorschriften über Innehaltung der Polizeistunde oder der Sonntagsfeier, OR. 18 S. 635, die Vorschrift über die Führung von Fremdenbüchern, GA. 19 S. 50 u. Erk. des OVG. v. 4. Juli 77, E. 2 S. 339 usw. 60) Seit 1. Jan. 97 unterliegen nun alle sog. Konsumvereine, auch die schon bestehenden, allen Vorschriften der GewO., nur ist die Erteilung der Kon­ zession zur Gast- und Schankwirtschaft sowie zum Kleinhandel nicht vom Nach­ weise eines Bedürfnisies abhängig, insbesondere unterliegen diese Vereine jetzt auch den Vorschriften über die Sonntagsrube. 61) Über die Erlaubnis beschließt der Kreis- (Stadt-) Ausschuß. Siehe auch die Verordn, (zur Ausführung des Ges. v. 1. Juli 83) v. 31. Dezbr. 83 (GS. 84 S. 7). Die Veranstaltung von Aufführungen, welche nicht gewerbs­ mäßig betrieben wird (Liebhabertheater, Vorstellungen zu milden Zwecken u. dergl.), gehört nicht hierher, ebensowenig auch die, wenn auch gewerbsmäßige Veranstaltung von Jnstrumentalkonzerten, Johow 7 S. 241 u. OVG. 17 S. 387; die Vorführung von Kinematographen fällt unter 33 b. OVG. v. 21. Juni 09, GA. 58 S. 209. Doch sind Theatervorstellungen in einem geselligen

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XX. Gewerbeordnung §§ 33 b—34.

Die Erlaubnis ist nur dann zu versagen: 1. wenn gegen den Nachsuchenden Tatsachen vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen, daß die beabsichtigten Veranstaltungen den Gesetzen oder guten Sitten zuwiderlaufen werden; 2. wenn das zum Betriebe des Gewerbes bestimmte Lokal wegen

seiner Beschaffenheit oder Lage den polizeilichen Anforderungen nicht genügt; 3. wenn der den Verhältnissen des Gemeindebezirkes entsprechenden Anzahl von Personen die Erlaubnis bereits erteilt ist. Aus den unter Ziffer 1 angeführten Gründen kann die Erlaub­ nis zurückgenommen und Personen, welche vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes den Gewerbebetrieb begonnen haben, derselbe untersagt

werden. § 33 b. Wer gewerbsmäßig Musikaufführungen, Schaustellungen, theatralische Vorstellungen oder sonstige Lustbarkeiten, ohne daß ein höheres Interesse der Kunst oder Wissenschaft dabei obwaltet, von Haus zu Haus oder aus öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen62 * *) * *darbieten ******* will, bedarf der vorgängigen Erlaubnis der Ortspolizeibehörde. § 33 v. Die Abhaltung von Tanzlustbarkeiten richtet sich nach

den landesrechtlichen Bestimmungen.62 a) § 34. Wer das Geschäft eines Pfandleihers , Psandvermittlers, Gesindevermieters oder StfHentiermitHerd 62 b) betreiben will, bedarf dazu der Erlaubnis. Diese ist zu versagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Nachsuchenden in bezug auf den be­ absichtigten Gewerbebetrieb dartun. Die Landesregierungen sind be­ fugt, außerdem zu bestimmen, daß in Ortschaften, für welche dies Verein, die der Allgemeinheit gegen Entgelt zugänglich gemacht, gewerbsmäßig, wenn auch die Einnahmen nur zur Deckung der Kosten bestimmt sind. Erk. v. 4. Febr. 04, GA. 51 S. 185. 62) Darunter sind nach GA. 37 S. 455 alle Räume zu verstehen, welche dem Publikum unbeschränkt, wenn auch gegen Entgelt, zugänglich sind, z. B. ein Hippodrom (Zirkus). Abweichend und wohl mit Recht wird GA. 42 S. 59 als ein öffentlicher Platz nur der angesehen, welcher, abgesehen von der Art seiner Benutzung, anläßlich der Veranstaltung einer Lustbarkeit die Qualität eines öffent­ lichen hat, res publica ist. Es widerspricht dem Sprachgebrauch, das Innere eines Gebäudes einen Platz zu nennen. Siehe auch GA. 50 S. 293, 52 S. 91 u. Erk. b. OVG. v. 22. Febr. 04, DIZ. 10 S. 557. KG. v. 2. Apr. 08, DIZ. 13 S. 579. 62 a) In Preußen sind Gesetze zur polizeilichen Regelung nicht ergangen. Geschloffene Gesellschaften u. Vereine bedürfen zu Bällen für Mitglieder und Gäste auch bei Erhebung eines Eintrittsgeldes keiner Erlaubnis. KayserSteiniger, Anm. 2. 62 b) Die auf die Gesindevermieter und Stellenvermittler bezüglichen Vor­ schriften der §§ 34, 38, 53, 75 a, 148 Ziff. 8, 149 Ziff. 7 a sind durch das Stellenvermittlerges. v. 2. Juni 1910 (RGBl. S. 860) aufgehoben.

durch Ortsstatut (§ 142) festgesetzt wird, die Erlaubnis zum Betriebe

des Psandleihgewerbes von dem Nachweis eines vorhandenen Bedürf­ nisses abhängig sein solle.

Als Pfandleihgewerbe b») gilt auch der gewerbsmäßige Ankauf

beweglicher Sachen mit Gewährung des Rückkaussrechts.

Die Landesgesetze können vorschreiben, daß zum Handel mit Giften6*)

und zum Betriebe des Lotsengewerbes besondere Genehmigung erforder­ lich ist, ingleichen, daß das Gewerbe der Markscheider nur von Personen

betrieben werden darf, welche als solche geprüft und konzessioniert sind. § 35

Die Erteilung von Tanz-, Turn- und Schwimmunter­

richt als Gewerbe/») sowie der Betrieb von Badeanstalten66 63)67 64 ist65zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit66 •)

des Gewerbetreibenden in bezug

auf diesen Gewerbebetrieb dartun.

Unter derselben Voraussetzung sind zu untersagen: der Handel mit lebenden Vögeln/«^ &cr Trödelhandel (Handel mit gebrauchten

Kleidern, gebrauchten Betten oder gebrauchter Wäsche, Kleinhandel mit altem Melallgeräte, mit Metallbruch oder dergleichen)^^ sowie 63) Das Pfandleihgewerbe besteht begrifflich ausschließlich in dem Verleihen von Geld auf Pfänder. Der Verkauf von Waren und Kreditterung des Kaufpreises gegen Pfandbestellung gehört nicht hierher. Erk. v. 28. April 85, E. 12 S. 217. 64) Ein allgemeines Verbot des Handels mit Giften ist unzulässig. GA. 22 S. 136, OR. 15 S. 111. Nur das Feilhalten ist von einer polizeilichen Ge­ nehmigung abhängig. KG. v. 5. Apr. 06, Beröffentl. des R.Gesundheitsamts. — Die Landesgesetzgeb. hat zu bestimmen, was unter Gist zu verstehen ist. GA. 42 S. 279. Das Gewerbe der sog. Kammerjäger ist an sich konzessionsstei, unterliegt aber der polizeilichen Regelung. R. v. 19. Mai 70 (BMBl. S. 159). 65) Es handelt sich hier um den Betrieb eines stehenden Gewerbes, das an jedem Orte, wo es betrieben wird, besonders angemädet werden muß. OVG.

22 S. 322. Die gewerbsmäßige Erteilung des Turnunterrichts, soweit sie durch die Unterrichtsgesetzgebung geregelt ist, unterliegt nicht den Vorschriften d. GewO. Erk. v. 28. Juni 10, E. 44 S. 20. 66) Über den Begriff der Badeanstalten siehe GA. 41 S. 309. 66 a) Unfähigkeit wegen Unzuverlässigkeit beschränkt sich nicht auf den ein­ zelnen Betriebsort. GA. 53 S. 84. Siehe feriter über die örtliche Geltung des Verbots: v. Dassel, Recht 15 S. 27. 66 b) Diese Worte sind eingeschoben durch das Ges. v. 29. Juni 08 (RGBl. S. 473). 67) Die Worte „oder dergleichen" sind nur auf die unmittelbar vorher­ gehenden Worte: „mit altem Metallgerät, mit Metalldruch" zu beziehen. Der Handel mit alten Möbeln fällt deshalb nicht unter den §. Johow 10 S. 175 u. GA. 37 S. 456. Dagegen ist der Handel mit alten Stiefeln Trödelhandel. GA. 38 S. 458. Über den Begriff des Kleinhandels im Sinne dieses § siehe auch Erk. des OBG. v. 20. April 91, E. 21 S. 324 u. GA. 41 S. 310. Siehe auch GA. 43 S. 273. Trödelhandel liegt nicht vor, wenn die eingekauften Waren vor dem Wiederverkauf in ihrem Bestände derart vermindert werden, daß sie in ihrer Identität nicht mehr erkennbar sind. OBG. v. 21. Dez. 05, GA. 54 S. 430.

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XX. Gewerbeordnung § 35.

der Kleinhandel mit Garnabfällen oder Dräumen von Seide, Wolle, Baumwolle oder Leinen, der Handel mit Dynamit oder anderen Spreng­ stoffen 68) und der Handel mit Losen von Lotterien und Ausspielungen, oder mit Bezugs- und Anteilsscheinen auf solche Lose. Dasselbe gilt von der gewerbsmäßigen Besorgung fremder Rechts­ angelegenheiten und bei Behörden wahrzunehmender Geschäfte,69) ins­ besondere der Abfassung der darauf bezüglichen schriftlichen Aufsätze, von der gewerbsmäßigen Auskunsterteilung über Bermögensverhältnisse oder persönliche Angelegenheiten, von dem gewerbsmäßigen Be­ treibe der Biehverstelluug (Biehpacht), des Biehhandels und des Handels mit ländlichen Grundstücken, von dem Geschäfte der gewerbsmäßigen Bermittelungsagenten für Jmmobiliarverträge,70) Darlehen und Hei­ raten sowie vom Geschäfte eines ^^1011(1101:5.71) Denjenigen, welche gewerbsmäßig das Geschäft eines Auttionators betreiben, ist es ver­ boten, Immobilien zu versteigern, wenn sie nicht von den dazu be­ fugten Staats- oder Kommunalbehörden oder Korporationen als solche angestellt sind (§ 36).72) Der Handel mit Drogen und chemischen Präparaten, welche zu Heilzwecken dienen, ist zu untersagen, wenn die Handhabung des Gewerbebettiebs Leben und Gesundheit von Menschen gefährdet.72 Der

Kleinhandel mit Bier kann untersagt werden, wenn der Gewerbe68) Siehe Gesetz v. 9. Juni 84, betr. den verbr. und gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen. 69) Auf Grund des Abs. 4 sind v. Min. für H. u. G. für den Gewerbebettieb der Personen, die stemde Rechtsangelegenheiten und bei Behörden wahr­ zunehmende Geschäfte besorgen, oder über persönliche Angelegenheiten Auskunft erteilen, unterm 28. Novbr. 01 Vorschriften erlassen. Siehe die AB. v. 12. Dez. 01 (JMBl. S. 294) u. v. 22. Dezbr. 06 (JMBl. S. 572). Über die Gestattung des mündlichen Verhandelns vor Gericht siehe die AB. v. 25. Septbr. 99 (JMBl. S. 272). Die Erlaubnis erlischt mit der Untersagung des Gewerbe­ betriebes. Das gewerbsmäßig betriebene Einziehen von Forderungen für andere ist als gew. Besorgung stemd. Ang. anzusehen. KG. v. 27. Dez. 06, DIZ. 12 S. 485, aber nicht die Anfertigung technischer Pläne, die Anträgen zur Er­ läuterung dienen. OLG. Marienwerder v. 19. Septbr. 08, Recht 14 Nr. 432, auch nicht die Anfertigung von Unterstützungsgesuchen. OLG. Breslau v. 4. Ottbr. 98, GA. 46 S. 223. Hierher gehören auch nicht die Geschäfte des sog. Stundenbuchhalters. OLG. Celle v. 15. Jan. 06, GA. 56 S. 104. 70) Dahin gehören nicht die Versicherungsagenten. OVG. US. 307. 71) Versteigerer ist derjenige, der die Auktion unternimmt, wenn er auch nicht alle einzelnen Handlungen selbst vornimmt. GA. 42 S. 59. Siehe auch GA. 51 S, 378. 72) Über die Wirkung der in der Einstellung enthaltenen Beschränkungen siehe GA. 39 S. 87. Durch die Anstellung werden die Auktionatoren keine Be­ amten. Erk. v. 28. März 88, R. 10 S. 274. 72 a) Die Handhabung gefährdet Leben u. Gesundheit z. B. dann, wenn sie sich auf Berttieb von nicht steigegebenen Apothekerwaren erstreckt oder durch

treibende wiederholt wegen Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften des § 33 bestraft ist. $er72 * *b*) Betrieb des Gewerbes als Bauunternehmer und Bau­ leiter sowie der Betrieb einzelner Zweige des Baugewerbes ist zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in bezug auf diesen Gewerbebetrieb dartun. Der Untersagung muß nach näherer Bestimmung der Landeszentralbehörde die Anhörung von Sachverständigen vorangehen, welche zur Abgabe von Gutachten dieser Art nach Bedarf im voraus von der höheren Verwaltungsbehörde ernannt sind. Soweit es sich um die Begut­ achtung für handwerksmäßige Gewerbebetriebe handelt, erfolgt die Ernennung nach Anhörung der Handwerkskammer (§ 103) des Bezirkes.

Ist die Untersagung erfolgt, so kann die Landes-Zentralbehörde oder eine andere von ihr zu bestimmende Behörde die Wiederaufnahme des Gewerbebetriebs gestatten, sofern seit der Untersagung mindestens ein Jahr verflossen ist. Personen, welche die in diesem Paragraphen bezeichneten Gewerbe beginnen, haben bei Eröffnung ihres Gewerbebetriebs der zuständigen Behörde hiervon Anzeige zu machen.72'')

§ 35 a.72 b) Mangel an theoretischer Vorbildung kann als eine Tatsache im Sinne des § 35 Abs. 5 gegenüber Bauunternehmern, Bauleitern oder Personen, die einzelne Zweige des Baugewerbes be­ treiben, nicht geltend gemacht werden, wenn sie das Zeugnis über die Ablegung einer Prüfung für den höheren oder mittleren bautechnischen Staatsdienst oder das Prüfungs- oder Reifezeugnis einer staatlichen oder von der zuständigen Landesbehörde gleichgestellten baugewerklichen Fachschule besitzen oder wenn sie Diplomingenieure sind. Mangel an theoretischer oder praktischer Vorbildung kann als eine Tatsache im Sinne des § 35 Abs. 5 nicht geltend gemacht werden gegenüber Bauunternehmern und Bauleitern, wenn sie gemäß § 133 die Meisterprüfung im Maurer-, Zimmerer- oder Steinmetzgewerbe be­ standen haben, sowie gegenüber Personen, die einzelne Zweige des Baugewerbes betreiben, wenn sie gemäß § 133 die Meisterprüfung in dem von ihnen ausgeübten Gewerbe bestanden haben. Die Landeszentralbehörden sind befugt, zu bestimmen, welche

Prüfungen und Zeugnisse den im Abs. 1 bezeichneten gleichzustellen sind. Personen erfolgt, welche jeder sachverständigen Schulung entbehren (Begr.). Kayser-Steiniger, Sinnt. 24. 72 b) Faffung beruht auf dem Gesetz vom 7. Jan. 07 (RGBl. S. 3). 72 c) Eröffnung liegt auch vor, wenn das ftaudulos abgemeldete Gewerbe weiter betrieben wird. KG. v. 19. Oktbr. 05 DIZ. US. 86.

Talcke, Strafr. 13. Ausl.*

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434

XX. Gewerbeordnung §§ 36—38.

§ 36. Das Gewerbe der Feldmesser, Auktionatoren, Bücherrevi­ soren, derjenigen, welche den Feingehalt edler Metalle, oder die Be­ schaffenheit, Menge oder richtige Verpackung von Waren irgend einer Art seststellen, der Güterbestätiger, Schaffer, Wäger, Messer, Bracker, Schauer, Stauer rc. darf zwar frei betrieben werden, es bleiben jedoch die verfassungsmäßig dazu befugten Staats- oder Kommunalbehörden oder Korporationen auch ferner berechtigt, Personen, welche diese Ge­ werbe betreiben wollen, auf die Beobachtung der bestehenden Vor­

schriften zu beeidigen und öffentlich anzustellen. Die Bestimmungeu der Gesetze, welche den Handlungen der ge­ nannten Gewerbetreibenden eine besondere Glaubwürdigkeit beilegen oder an diese Handlungen besondere rechtliche Wirkungen knüpfen, sind nur auf die von den verfassungsmäßig dazu befugten Staats- oder Kommunalbehörden oder Korporationen angestellten Personen zu beziehen. § 37. Der Regelung durch die Ortspolizeibehörde unterliegt die Unterhaltung des öffentlichen Verkehrs innerhalb der Orte73) durch Wagen aller Art, Gondeln, Sänften, Pferde und andere Transport­ mittel sowie das Gewerbe derjenigen Personen, welche auf öffentlichen Straßen oder Plätzen7^) ihre Dienste anbieten. § 38. Die Zentralbehörden sind befugt, über den Umsang der Befugnisse und Verpflichtungen sowie über den Geschäftsbetrieb der Pfandleiher, Psandvermittler, ©efinbevermieter, Stellenvernitttler") und Auktionatoren, soweit darüber die Landesgesetze nicht Bestimmungen treffen, Vorschriften zu erlassen. Die in dieser Beziehung hinsichtlich der Pfandleiher bestehenden landesgesetzlichen Bestimmungen finden auf den im § 34 Abs. 2 be­ zeichneten Geschäftsbetrieb Anwendung. Soweit es sich um diesen Geschäftsbetrieb handelt, gilt die Zahlung des Kaufpreises als Hingabe des Darlehens, der Unterschied zwischen dem Kaufpreis und dem ver­ abredeten Rückkaufspreis als bedungene Vergütung für das Darlehen und die Übergabe der Sache als Verpfändung derselben für das Darlehen. Hinsichtlich der Gesindevermieter und Stellenvermittler sind die 72 Nov. 08, nicht auf 73

d) Der Landrat kann auf Grund dieses § keine PB. erlassen. KG. v. DIZ. 14 S. 269. Eine Pol.V. ist ungültig, wenn sie sich im Eingang § 35 stützt. KG. v. 20. Febr. 08, Die Selbstverwaltung 35 S. 393. ) Über die Befugnis der Pol.Behörde, das Abfuhrwesen zu regeln,

siehe GA. 42 S. 142. Kayser-Steiniger, Anm. 4, 5, 9. Eine OrtSvolizeibehörde ist nicht befugt, durch Polizeiverordnung den Verkehr von Motor­ booten auf dem öffentlichen Strom, an dem der Ort liegt, zu regeln. I o h o w 25 S. C 77. 74 ) Ein Bahnhof ist für die Eisenbahngepäckträger im Sinne dieses Ges. kein öffentlicher Platz. GA. 41 S. 310. 75 ) Siehe Anm. 62 d zu § 34.

Zentralbehörden insbesondere befugt, die Ausübung des Gewerbes im

Umherziehen sowie die gleichzeitige Ausübung des Gast- und Schank­ wirtschaftsgewerbes zu beschränken oder zu untersagen. Die Zentralbehörden sind ferner befugt, Vorschriften darüber zu erlassen, in welcher Weise die im § 35 Abs. 2, 3 verzeichneten Ge­ werbetreibenden ihre Bücher zu führen und welcher polizeilichen Kon­ trolle über den Umfang und die Art ihres Geschäftsbetriebs sie sich zu unterwerfen haben.76) § 39. Die Landesgesetze können die Einrichtung von Kehrbezirken für Schornsteinfeger gestatten.77) Jedoch ist, wo Kehrbezirke bestehen oder eingerichtet werden, die höhere Verwaltungsbehörde, soweit nicht Privatrechte entgegenstehen, befugt, die Kehrbezirke aufzuheben oder zu verändern, ohne daß deshalb den Bezirksschornsteinfegern ein Wider­ spruchsrecht oder ein Anspruch auf Entschädigung zusteht.

§ 40. Die in den §§ 29 bis 33 a und im § 34 erwähnten Approbationen und Genehmigungen dürfen weder auf Zeit erteilt,7^) noch vorbehaltlich der Bestimmungen in den §§ 33 a, 53 und 143 widerrufen werden. Gegen Versagung der Genehmigung zum Betrieb eines der in den 88 30, 30 a, 32 bis 33 a u. 34, sowie gegen Untersagung des Betriebs der in den §§ 33 a, 35 u. 37 erwähnten Gewerbe ist der Rekurs zulässig. Wegen des Verfahrens und der Behörden gelten die Vorschriften der 88 20 und 21. III. Umfang, Ausübung und Verlust der Gewerbe­ befugnisse.

8 41. Die Befugnis zum selbständigen Betrieb eines stehenden Gewerbes begreift das Recht in sich, in beliebiger Zahl Gesellen, Ge­ hilfen, Arbeiter jeder Art und, soweit die Vorschriften des gegen­ wärtigen Gesetzes nicht entgegenstehen, Lehrlinge anzunehmen. In der Wahl des Arbeits- und Hilfspersonals finden keine anderen Be­ schränkungen 79) statt, als die durch das gegenwärtige Gesetz festgestellten. 76) Siehe Ges. v. 17. März 81, betr. das Pfandleihgewerbe. Vollkauf­ leute sind, wenn sie gewerbsmäßig Jmmobiliarverträge vermitteln, den Vor­ schriften des Ministers f. H. u. G. über den Gewerbebetrieb der Vermittlungs­ agenten für Jmmobiliarverträge vom 23. Juli 00 unterworfen. KG. v. 12. März 06, Johow 32 S. 6 7. 77) Siehe über die Einrichtung von Kehrbezirken GA. 42 S. 60. Auch in Kehrbezirken kann die Polizei die Führung von Fegeregistern vorschreiben. KG. v. 18. Novbr. 07, Recht 12 S. 91. 78) Die Genehmigung zum Kleinhandel mit Branntwein kann nicht auf Zeit erteilt werden. GA. 43 S. 67. 79) Das Halten weiblicher Bedienung in Schanklokalen kann von Ein-

28*

436

X. Gewerbeordnung §§41 a—42.

In betreff der Berechtigung der Apotheker, Gehilfen und Lehr­ linge anzunehmen, bewendet es bei den Bestimmungen der Landesgesetze. § 41 a. Soweit nach den Bestimmungen80 * *) * der * * * *§§ 105 b bis 105 h Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter im Handelsgewerbe81) an Sonn- und Festtagen nicht beschäftigt werden dürfen, darf in offenen Verkaufsstellen82) ein Gewerbebetrieb an diesen Tagen nicht stattfinden. Diese Bestimmung findet auf den Geschäftsbetrieb von Konsum- und

anderen Vereinen entsprechende Anwendung. Weitergehenden landesgesetzlichen Beschränkungen des Gewerbebe­ triebs an Sonn- und Festtagen steht diese Bestimmung nicht entgegen. § 41b. Auf Antrag von mindestens zwei Dritteln der beteilig­

ten Gewerbetreibenden kann für eine Gemeinde oder mehrere örtlich zusammenhängende Gemeinden durch die höhere Verwaltungsbehörde vorgeschrieben werden, daß an Sonn- und Festtagen in bestimmten Gewerben, deren vollständige oder teilweise Ausübung zur Befriedi­ gung täglicher oder an diesen Tagen besonders hervortretender Be­ dürfnisse der Bevölkerung erforderlich ist, ein Betrieb nur insoweit stattfinden darf, als Ausnahmen von den im § 105 b Abs. 1 ge­ troffenen Bestimmungen zugelassen sind. Der Bundesrat ist befugt, Bestimmungen darüber zu erlassen, welche Gewerbetreibende als beteiligt anzusehen sind und in welchem Verfahren die erforderliche Zahl von Gewerbetreibenden festzustellen ist. g 42 Wer zum selbständigen Betriebe eines stehenden Gewerbes befugt ist, darf dasselbe innerhalb und unbeschadet der Bestimmungen führung einer Polizeistunde abhängig gemacht resp, verboten werden. Erk. des OVG. v. 27. April 81, E. 7 S. 308, u. v. 12. März 84, E. 10 S. 288. S t e n g l e i n a. a. O. Anm. 3 hält die Landesgesetze, welche die Annahme von Ausländern verbieten, für aufgehoben. Bezügl. des Verbots in § 71 Abs. 3 d. G. v. 23. Juli 47, ausländische Juden ohne Genehmigung des Ministers d. I. als Gewerbegehilfen aufzunehmen s. Kayser-Steiniger, Anm. 5. Nach Johow 6 S. 311 ist das Verbot nicht aufgehoben. 80) Unter Gewerbebetrieb ist der Inbegriff aller derjenigen Tätigkeiten zu verstehen, welche der Gewerbetreibende im Verkehr mit seinen Kunden zu er­ ledigen hat, insbesondere auch Annahme von Bestellungen, Verpackung von Waren rc. GA. 45 S. 65. Nur in den offenen Verkaufsstellen muß der Gewerbebetrieb ruhen, in seinern Komptoir kann der Geschäftsinhaber tätig sein, also Korrespondenzen erledigen 2C. 81) Über den Begriff des „Landelsgewerbes" im Sinne dieses § siehe GA. 41 S. 161 u. 162. 82) Offene Verkaufsstellen sind auch die Schantlotale, GA. 41 S. 162, aber nicht Speisewirtschaften, in denen die Speisen zum Genuß auf der Stelle verabfolgt werden, GA. 49 S. 158; ferner die Automaten, GA. 41 S. 311, dagegen nicht Äcker und Wiesen, auf welchen landwirtschaftliche Produkte ver­ steigert werden. GA. 42 S. 152. Vgl. auch GA. 43 S. 275, 44 S. 71, 45 S. 298 ii. 46 S. 367.

des dritten Titels auch außerhalb des Gemeindebezirkes seiner gewerb­ lichen Niederlassung auSüben.83)84 85

Eine gewerbliche Niederlassung gilt nicht als vorhanden, wenn

der Gewerbetreibende im Inland ein zu dauerndem Gebrauch einge­ richtetes, beständig oder doch in regelmäßiger Wiederkehr von ihm be­

nutztes Lokal für den Betrieb seines Gewerbes nicht besitzt.8^)

§ 42 a.

Gegenstände

welche

von dem Ankauf oder

Feilbieten

im Umherziehen ausgeschlossen sind,86)87dürfen auch innerhalb des Ge­ meindebezirkes des Wohnorts oder der gewerblichen Niederlassung von Haus zu Haus oder auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen86) oder

an anderen öffentlichen Orten8T) nicht feilgeboten oder zum Wieder­ verkauf angekauft werden, mit Ausnahme von Bier und Wein in

Fässern und Flaschen und vorbehaltlich des nach § 33 erlaubten Ge­ werbebetriebs.

Die zuständige Landesregierung ist befugt, soweit ein Bedürfnis

dazu obwaltet, anzuordnen, daß und inwiefern wettere Ausnahmen von diesem Verbote stattfinden sollen.

Das Feilbieten geistiger Getränke88) kann von der Ortspolizeibehörde

im Falle besorrderen Bedürfnisses vorübergehend gestattet werden.89) § 42 b.

Durch die höhere Verwaltungsbehörde nach Anhörung

der Gemeindebehörde oder durch Beschluß der Gemeindebehörde mit Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde kann für einzelne Ge83) Über den Begriff eines Wanderlagers und die Voraussetzungen der

Begründung einer gewerblichen Niederlaffung siehe Erk. v. 11. Juni 96, E. 29 S. 1. 84) Es ist kein Verstoß gegen § 42, wenn aus gesundheitspolizeilichen Rücksichten für einen Ort beschränkende Vorschriften für die Gewerbeausübung erlassen werden. Erk. v. 17. Jan. 89, E. 18 S. 351. Jnsbes. sind Beschrän­ kungen bezüglich der im § 36 aufgeführten Gewerbetreibenden zulässig. GA. 39 S. 87. 85) Diese sind im § 56 aufgeführt. Ansichtssendungen der Sortiments­ buchhändler an ihre Kunden fallen nicht unter § 42 a. 86) Schon das bloße Aufstellen mit den offenliegenden Waren genügt, ein besonderes Anbieten der letzteren oder ein Verkauf ist zur Sttafbarkeit nicht er­ forderlich. GA. 46 S. 59. Über den Begriff des öffentlichen Ortes siehe GA. 49 S. 347. 87) Darunter sind auch öffentliche Lokale (Restaurationen) zu verstehen. Erk. v. 28. Febr. 82, R. 4 S. 265, u. v. 26. Febr. 83, E. 6 S. 225. Ein Ge­ höft nimmt die Eigenschaft eines Ottes an, wenn auf ihm eine öffentliche Wahl­ versammlung abgehalten wird. DIZ. 10 S. 560. 88) Das sind alle zum Tttnken bestimmte alkoholartige Flüssigkeiten.

Iohow 9 S. 168. 89) Hier handelt es sich im Gegensatze zu der Konzession (§ 33) nur um eine ortspolizeiliche.Erlaubnis für kurze Zeit, z. B. während eines Schützen­ festes usw. Kayser-Steiniger, Anm. 12.

438

XX. Gewerbeordnung § 42 b.

meinden bestimmt werden, daß Personen, welche in dem Gemeindebezirk einen Wohnsitz oder eine gewerbliche Niederlassung besitzen und welche innerhalb des Gemeindebezirkes auf öffentlichen Wegen, Straßen,

Plätzen oder an anderen öffentlichen Orten, oder ohne vorgängige Be­ stellung von Haus zu Haus 1. Waren feilbieten,90) oder 2. Waren bei anderen Personen als bei Kaufleuten oder solchen Personen, welche die Waren produzieren, oder an anderen Orten als in offenen Verkaufsstellen zum Wiederverkauf ankaufen, oder Waren­

bestellungen bei Personen, in deren Gewerbebetriebe Waren der an­ gebotenen Art keine Verwendung finden, aufsuchen, oder 3. gewerbliche Leistungen, hinsichtlich deren dies nicht Landesge­ brauch ist, anbieten wollen, der Erlaubnis bedürfen. Diese Bestimmung kann auf einzelne Teile des Gemeindebezirkes sowie auf gewisse Gattungen von Waren und Leistungen beschränkt werden. Auf die Erteilung, Versagung und Zurücknahme der Erlaubnis finden die Vorschriften der §§ 57 bis 58 u. des § 63 Abs. 1, und auf die Ausübung des Gewerbebetriebs die Vorschriften der §§ 60b, 60c, des K 60 d Abs. 1, 2 und des § 63 Abs. 2 entsprechende Anwendung. In betreff der im § 59 Ziffer 1 und 2 bezeichneten Erzeugnisse und Waren, auch wenn dieselben nicht zu den selbstgewonnenen oder selbstverfertigten gehören, ferner in betreff der Druckschriften, anderen

Schriften und Bildwerke, insoweit der Gewerbebetrieb hiermit von Haus zu Haus stattfindet, sowie in betreff der vom Bundesrat in

Gemäßheit des § 44 Abs. 2 gestatteten Ausnahmen darf der be­ treffende Gewerbebetrieb in dem Gemeindebezirke des Wohnsitzes oder der gewerblichen Niederlassung von einer Erlaubnis nicht abhängig gemacht werden. In betreff der im § 59 Ziffer 1 und 2 bezeichneten Erzeugnisse und Waren kann jedoch der Gewerbebetrieb unter den im 8 57 Ziffer 1 bis 4 erwähnten Voraussetzungen untersagt sowie nach Maßgabe des § 60b Abs. 2 und des § 60c Abs. 2 beschränkt und ge­ mäß § 60b Abs. 3 verboten werden. Auf die Untersagung dieses Ge­ werbebetriebs finden die Vorschriften des § 63 Abs. 1, auf die Be­ schränkung desselben die Vorschriften des § 63 Abs. 2 entsprechende

Anwendung. Die höhere Verwaltungsbehörde ist befugt, die vom Bundesrate gemäß § 56d getroffenen Bestimmungen auf diejenigen Ausländer

entsprechend anzuwenden, welche innerhalb des Gemeindebezirkes ihres Wohnorts oder ihrer gewerblichen Niederlassung auf öffentlichen 90) Als Waren sind auch Theaterbillete angesehen worden. GA. 42 S. 430.

Stehender Gewerbebetrieb § 43.

439

Wegen, Straßen, Plätzen oder an anderen öffentlichen Orten oder ohne vorgängige Bestellung von Haus zu Haus eins der unter Ziffer 1 bis 3 bezeichneten Gewerbe betreiben wollen. Kinder unter vierzehn Jahren dürfen, auch wenn eine Bestim­ mung nach Absatz 1 nicht getroffen ist, aus öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen oder an öffentlichen Orten oder ohne vorgängige Bestellung von Haus zu Haus Gegenstände nicht feilbieten. In Orten, wo ein derartiges Feilbieten durch Kinder herkömmlich ist, darf die Ortspolizeibehörde ein solches für bestimmte Zeitabschnitte, welche in einem Ka­ lenderjahre zusammen vier Wochen nicht überschreiten dürfen, gestatten. § 43. Wer gewerbsmäßig Druckschriften bl) oder andere Schriften oder Bildwerke aus öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen oder an anderen öffentlichen Orten ausrusen, verkaufen, verteilen, anheften oder anschlagen b^) will, bedarf dazu einer Erlaubnis der Ortspolizei­ behörde und hat den über diese Erlaubnis auszustellenden, auf seinen Namen lautenden Legitimationsschein bei sich zu führen. ®4) Auf die Erteilung und Versagung der Erlaubnis finden die Vor­ schriften des § 57 Ziffer 1, 2, 4, der §§ 57 a, 57 b Ziffer 1 und 2 und des § 63 Abs. 1 entsprechende Anwendung. Aus das bloße Anhesten und Anschlägen findet der Versagungsgrund der abschreckenden Entstellung keine Anwendung. Zur Verteilung von Stimmzetteln96) und Druckschriften zu Wahl­ zwecken bei der Wahl zu gesetzgebenden Körperschaften ist eine polizei­ liche Erlaubnis in der Zeit von der amtlichen Bekanntmachung des Wahltags bis zur Beendigung des Wahlakts nicht erforderlich.95 * *a*) * * * * * Dasselbe gilt auch bezüglich der nichtgewerbsmäßigen Verteilung von Stimmzetteln und Druckschriften zu Wahlzwecken.

In geschloffenen Räumen99) ist zur nichtgewerbsmäßigen Ver­ teilung von Druckschriften oder anderen Schriften oder Bildwerken eine Erlaubnis nicht erforderlich.

91) Ein Biergartenbesitzer, welcher in dem Lokale gedruckte Lieder zum Kailf anbieten läßt, fällt unter die §§ 43 u. 149 l. GA. 38 S. 83. 92) Der § 43 trifft auch den im Umherziehen betriebenen gewerbsmäßigen Verkauf von Druckschriften. GA. 40 S. 196. 93) Über das Plakatwesen s. Anm. zu § 30 des Preßges. u. DIZ. 9 S. 749. 94) Den Legitimationsschein bedarf der, welcher die Drilckschriften wirk­ lich verkauft, nicht der, für dessen Rechnung sie verkauft werden. GA. 40 S. 196. 95) Siehe Ges. v. 12. März 84 in der Anm. zu § 5 des Preßges. 95 a) Die Verteilung am Sonntag kann aber sttafbar sein, insofern sie als öffentlich bemerkbare Arbeit im Sinne der PO. über Sonntagsheiligung anzusehen ist. KG. v. 23. Juli 10, Recht 14 S. 296. 96) Hierher gehören auch Wirtshäuser, Hausflure rc. I o h o w 14 S. 364 u. DIZ. 1 S. 166.

440

XX. Gewerbeordnung § 44.

An die Stelle des im § 5 Abs. 1 des Preßgesetzes vom 7. Mai

1874 angezogenen § 57 der Gewerbeordnung treten die Bestimmungen des § 57 Ziffer 1, 2, 4, der §§ 57 a, 57 b Ziffer 1 und 2 des gegen­

wärtigen Gesetzes.

§ 44. Wer ein stehendes Gewerbe betreibt, ist befugt, auch außer­ halb des Gcmeindebezirkes seiner gewerblichen Niederlassung persönlich oder durch in seinem Dienstedt stehende Reisende für die Zwecke seines

Gewerbebetriebs Waren aufzukaufen und Bestellungen auf Waren zu suchen. °8)

Diese Vorschrift gilt auch für Handlungsagenten, die ein

stehendes Gewerbe betreiben, in Ansehung der Befugnis, als Ver­ mittler oder Vertreter des Geschästsherrn den Ankauf von Waren vor­

zunehmen oder Bestellungen auf Waren zu suchen.97 98 •) Die aufgekauften Waren dürfen nur behufs deren Beförderung

nach dem Bestimmungsorte mitgeführt werden; von den Waren, aus

welche Bestellungen gesucht werden, dürfen nur Proben und Muster98^) milgeführt werden, soweit nicht der Bundesrat für bestimmte Waren, welche im Verhältnisse zu ihrem Umfang einen hohen Wert haben

und übungsgemäß an die Wiederverkäuser im Stücke abgesetzt werden, zum Zwecke des Absatzes an Personen, welche damit Handel treiben,

Ausnahmen zuläßt.99)

Das Aufkäufen darf ferner nur bei Kaufleuten oder solchen Per­ sonen, welche die Waren produzieren, oder in offenen Verkaufsstellen99')

erfolgen. Waren,

Jmgleichen

darf

das Aussuchen

von

Bestellungen

aus

mit Ausnahme von Druckschriften, anderen Schriften und

97) Es muß ein festes kontraktliches Dienstverhältnis vorliegen; es kommt aber nicht darauf an, ob sie auf festes Gehalt oder Tagegelder angenommen sind. Siehe S Leng lei n a. a. O. Anm. 2. 98) Ob zu diesen Waren auch diejenigen gehören, welche nach den §§ 56 u. 56 a vom Hausiergewerbe ausgeschloffen sind, ist bestritten. Dafür, daß § 56 a auch im Falle des § 44 Anwendung findet, ist GA. 38 S. 222, dagegen GA. 37 S. 315. Stenglein a. a. O. Anm. 4 tritt der ersteren Meinung bei. Siehe aber GA. 43 S. 143. Es ist kein Auffuchen, wenn ein Reisender bekannt macht, daß er an bestimmten Tagen an einem bestimmten Orte Bestellungen entgegen­ nimmt. DIZ. 3 S. 103, 4 S. 487. 98 a) Diese Bestimmung beruht auf dem Gesetz v. 14. Oktbr. 05 (RGBl. S. 759). 98 b) Proben und Muster sind lediglich solche Gegenstände, deren aus­ schließliche wirtschaftliche Bestimmung darin besteht, die vertragsmäßigen Eigen­ schaften der bestellten Ware festzustellen. Hierzu gehören nicht einzelne Liefe­ rungen einer Druckschrift. I o h o w 23 S. 0 35. 99) Vgl. Bekanntm. des Bundesrats v. 27. Novbr. 96 (RGBl. S. 745 u. v. 25. März 97 (RGBl. S. 96). 99 a) Dies sind nur ständige, dem Publikum in der Regel zugängliche, dem regelmäßigen Verkaufe der Waren seitens des Handelstteibenden dienende Stellen. Erk. v. 7. Dez. 08, Iohow 37 S. C 22.

Bildwerken und, soweit nicht der Bundesrat noch für andere Waren oder Gegenden oder Gruppen von Gewerbetreibenden Ausnahmen zu-

läßt, ohne vorgängige ausdrückliche Aufforderung 10°) nur bei Kaufleuten in deren Geschäftsräumen, oder bei solchen Personen geschehen, in deren

Geschäftsbetriebe

Waren der angebotenen Art Verwendung finden.2 * )13

Hinsichtlich des Aufsuchens von Bestellungen auf Druckschriften,

andere Schriften und Bildwerke finden die Vorschriften des § 56 Ab­

satz 3 entsprechende Anwendung.

§ 44a. sucht

Wer in Gemäßheit des § 44 Warenbestellungen aus­ oder Waren auskaust, bedarf hierzu einer Legitimationskarte,

welche aus den Antrag des Inhabers des stehenden Gewerbebetriebs

von der für dessen Niederlassungsort zuständigen Verwaltungsbehörde für die Dauer des Kalenderjahrs und den Umfang des Reichs aus­ gestellt wird.

Die Legitimationskarte enthält den Namen des In­

habers derselben, den Namen der Person oder der Firma, in deren

Diensten er handelt, und die nähere Bezeichnung des Gewerbebetriebs. 4) Der Inhaber der Legitimationskarte ist verpflichtet, dieselbe wäh­

rend der Ausübung des Gewerbebetriebs bei sich zu führen, auf Er­

fordern der zuständigen Behörden oder Beamten vorzuzeigen und, so­ fern er hierzu nicht imstande ist, auf deren Geheiß den Betrieb bis zur

Herbeischaffung der Legitimationskarte einzustelleu.

Die Legitimationskarte ist zu versagen, wenn bei demjenigen, für

welchen sie beantragt wird, eine der im § 57 Ziffer 1 bis 4 bezeich­ neten Voraussetzungen zutrisft, außerdem darf sie nur dann versagt

werden, wenn die im § 57b Ziffer 2 bezeichnete Voraussetzung vorliegt. 100) Die vorgängige Aufforderung setzt nicht eine Spezialisierung bezüglich der Warenproben, der Wünsche des Bestellers u. der Zahl und Zeit der Besuche voraus, aber es muß eine ausdrückliche Aufforderung sein. GA. 46 S. 59. Unter Aufforderung zum Besuch ist auch eine Aufforderung zu verstehen, welche ein für allemal und allgemein zwecks Entgegennahme von Bestellungen erteilt wird. Johow 22 S. C 103. Vergl. ferner über den Begriff GA. 48 S. 149 u. S. 312. Eine Aufforderung ist nicht vorhanden, wenn der Gewerbtreibende bei den Besteller die Aufforderung und dann sofort die Warenbestellung entgegennimmt. I o h o w 25 S. 6 59. 1) Geschäftsbetrieb und Gewerbebetrieb sind nicht identisch, der erstere Be­ griff ist der weitere u. umfaßt auch die Landwirtschaft. GA. 46 S. 368. Johow 23 S. C 40. 2) Vgl. Bundesratsbeschl. v. 27. Novbr. 96 (RGBl. S. 745) u. 25. März 97 (RGBl. S. 96). 3) Ohne daß also eine Bestellung vorausgegangen ist. OR. 1 S. 501. 4) Wer für verschiedene Firmen desselben Verwaltungsbezirks reist, kann für alle eine gemeinsame Karte erhalten. Für mehrere Firmen verschiedener Bezirke sind verschiedene Karten erforderlich. Kayser-Steiniger a. a. O., Anm. 5. Der Reisende selbst hat kein Antragsrecht auf Erteilung einer Legiti­ mationskarte. Erk. d. OVG. v. 15. Febr. 04, DIZ. 9 S. 820.

442

XX. Gewerbeordnung §§ 45, 46.

Die Legitimationskarte kann durch die Behörde, welche sie aus­ gestellt hat, zurückgenommen werden, wenn sich ergibt, daß eine der

im 8 o7 Ziffer 1 bis 4 bezeichneten Voraussetzungen zur Zeit der Erteilung derselben vorhanden gewesen, der Behörde aber unbekannt geblieben, oder nach Erteilung derselben eingetreten ist, oder wenn bei dem Geschäftsbetriebe die im 8 44 gezogenen Schranken über­ schritten werden. Wegen des Verfahrens gelten die Vorschriften des 8 63 Abs. 1. Einer Legitimationskarte bedürfen diejenigen Gewerbetreibenden nicht, welche durch die in den Zollvereins- oder Handelsverträgen vor­ gesehene Gewerbelegitimationskarte bereits legitimiert sind. In betreff dieser Gewerbetreibenden finden die vorstehenden Bestimmungen über die Verpflichtung zum Mitführen der Legitimationskarle, über die Folgen der Nichterfüllung dieser Verpflichtung sowie über die Ver­ sagung und Zurücknahme der Karte entsprechende Anwendung. -^) 8 45. Die Befugnisse zum stehenden Gewerbebetriebe können durch Stellvertreter^) ausgeübt werden; diese müssen jedoch den für das in Rede stehende Gewerbe insbesondere vorgeschriebenen Erforder­ nissen^) genügen. 8 46. Nach dem Tode eines Gewerbetreibenden darf das Gewerbe für Rechnung der Witwe8) während des Witwenstandes, oder, wenn

5- Gegen Verfügungen der unteren Verwaltungsbehörden, durch welche eine Legitimationskarte versagt oder entzogen wird, findet innerhalb zwei Wochen Klage bei dem Bezirksausschuß statt, gegen besten Endurteile nur die Revision zulässig ist. 8 2 der VO. v. 31. Dezbr. 83 (GS. 84 S. 8). 6) a. Stellvertreter ist derjenige, welcher das Gewerbe im Namen und für Rechnung des Geschäftsinhabers selbständig verwaltet, also das Gewerbe in seiner Gesamtheit an Stelle des Geschäftsherrn ausübt und zwar in bezug auf den rein gewerblichen Betrieb, der von dem kaufmännischen getrennt sein kann. Daher ist auch derjenige als Stellvertreter anzusehen, dem nur die technische Leitung eines gewerblichen Betriebes (Glashütte) in vollem Umfange übertragen ist. Erk. v. 16. Jan. 91, E. 21 S. 287. Die Stellvertretung ist nicht in jedem Gewerbebetriebe und jedenfalls nur im stehenden Gewerbebetr. statthaft. St eng lein, Anm. 6. Sie ist es aber im Apothekergewerbe. OLG. v. 2. Novbr. 05, GA. 54 S. 433. b. Durch § 151 ist die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Betriebsunter­ nehmers dahin geregelt worden, indem eine teilweise Stellverttetung geschaffen worden ist. Erk. v. 26. Septbr. 93, E. 24 S. 293. 7) Ob der Stellvertreter im Schankgewerbe selbst einer Konzession bedarf, ist bestritten, es bejahen OR. 17 S. 347, es verneinen OLG. 4 S. 301 u. 19 S. 327, I o h o w 4 S. 289 u. Erk. v. 20. Mai 80, R. 1 S. 800; unter den Erfordernissen ist also nur die materielle Qualifikation zu verstehen. S t e n g l e i n a. a. O., Anm. 7. Derjenige, der nicht im Besitze des erforderlichen Prüfungs­ zeugnisses ist, kann auch nicht als Stellvertreter fungieren. 8) Die Witwe resp, die rninderjährigen Erben bedürfen seiner neuen Kon-

minderjährige Erben vorhanden sind, für deren Rechnung durch einen nach § 45 qualifizierten Stellvertreter9* )* betrieben werden, insofern die über den Betrieb einzelner Gewerbe bestehenden besonderen Vorschriften nicht ein anderes anordnen. Dasselbe gilt während der Dauer einer Kuratel oder Nachlaßregulierung.

§ 47. Inwiefern für die nach den §§ 34 und 36 konzessionierten oder angestellten Personen eine Stellvertretung zulässig ist, hat in jedem einzelnen Falle die Behörde zu bestimmen, welcher die Konzessionierung oder Anstellung zusteht. Dasselbe gilt in Beziehung auf diejenigen Schornsteinfeger, denen ein Kehrbezirk zugewiesen ist (§ 39). § 48. Realgewerbeberechtigungen können auf jede nach den Vor­ schriften dieses Gesetzes zum Betriebe des Gewerbes befähigte Person in der Art übertragen werden, daß der Erwerber die Gewerbeberech­ tigung für eigene Rechnung ausüben darf.

§ 49. Bei Erteilung der Genehmigung zu einer Anlage der in den 88 16 und 24 bezeichneten Arten, imgleichen zur Anlegung von Privat-Kranken-, Privat-Entbindungs- und Privat-Jrrenanstalten, zu Schauspielunternehmungen sowie zum Betriebe der im 8 33 gedachten Gewerbe, kann von der genehmigenden Behörde den Umständen nach eine Frist festgesetzt werden, binnen welcher die Anlage oder das Unter­ nehmen bei Vermeidung des Erlöschens der Genehmigung begonnen und ausgeführt, und der Gewerbebetrieb angefangen werden muß. Ist eine solche Frist nicht bestimmt, so erlischt die erteilte Genehmigung, wenn der Inhaber nach Empfang derselben ein ganzes Jahr ver­ streichen läßt, ohne davon Gebrauch zu machen. Eine Verlängerung der Frist kann von der Behörde bewilligt werden, sobald erhebliche Gründe nicht entgegenstehen. Hat der Inhaber einer solchen Genehmigung seinen Gewerbebetrieb während eines Zeitraums von drei Jahren eingestellt,10) ohne eine Fristung nachgesucht und erhalten zu haben, so erlischt dieselbe. Für die im 8 16 aufgeführten Anlagen darf die nachgesuchte Fristung so lange nicht versagt werden, als wegen einer durch Erbfall zession, siehe das in vor. Anm. zit. Erk. R. 1 S. 800, die Witwe jedoch, wenn sie sich wieder verheiratet. I o h o w 4 S. 289. OVG. 7 S. 296. 9) Die Witwe und die minderjährigen Erben können das Gewerbe auch selbst, ohne Stellvertreter, ausüben. S t e n g l e i n a. a. O., Anm. 4. 10) Darunter ist nur eine vollständige Einstellung des Gesamtbetriebes zu versieben. OVG. 9 S. 303. Vgl. auch OVG. 17 S. 399 u. Erk. des RG. v. 13. März 03, E. 36 S. 155. Gewerbliche Unternehmungen erlöschen auch durch Verzicht. Siehe voriges Erk. u. GA. 54 S. 105. Durch den Verkauf der Schankwirtschaft erlischt die Konzession noch nicht. GA. 48 S. 168.

444

XX. Gewerbeordnung §§ 50—53.

oder Konkurserklärung entstandenen Ungewißheit über das Eigentum an einer Anlage oder, infolge höherer Gewalt, der Betrieb entweder gar nicht oder nur mit erheblichem Nachteile für den Inhaber oder Eigentümer der Anlage stattfinden kann. Das Verfahren für die Fristung ist dasselbe wie für die Ge­ nehmigung neuer Anlagen. § 50. Auf die Inhaber der bereits vor dem Erscheinen des

gegenwärtigen Gesetzes erteilten Genehmigungen finden die im § 49 bestimmten Fristen ebenfalls Anwendung, jedoch mit der Maßgabe, daß diese Fristen von dem Tage der Verkündigung des Gesetzes an zu lausen ansangen. § 51. Wegen überwiegender Nachteile und Gefahren für das Gemeinwohl kann die fernere Benutzung einer jeden gewerblichen An­ lage durch die höhere Verwaltungsbehörde zu jeder Zeit untersagt werden. Doch muß dem Besitzer alsdann für den erweislichen Schaden Ersatz geleistet werden. H) Gegen die untersagende Verfügung ist der Rekurs zulässig; wegen der Entschädigung steht der Rechtsweg offen. § 52. Die Bestimmung des § 51 findet auch auf die zur Zeit der Verkündigung des gegenwärtigen Gesetzes bereits vorhandenen ge­ werblichen Anlagen Anwendung; doch entspringt aus der Untersagung der ferneren Benutzung kein Anspruch auf Entschädigung, wenn bei

der früher erteilten Genehmigung ausdrücklich Vorbehalten worden ist, dieselbe ohne Entschädigung zu widerrufen. § 53. Die in dem § 29 bezeichneten Approbationen können von der Verwaltungsbehörde nur dann zurückgenommen werden, wenn die

Unrichtigkeit der Nachweise dargetan wird,11 12) auf Grund deren solche erteilt worden sind, oder wenn dem Inhaber der Approbation die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt sind, im letzteren Falle jedoch nur für die Dauer des Ehrenverlustes. Außer aus diesen Gründen können die in den §§ 30, 30 a, 32, 33, 34 und 36 bezeichneten Genehmigungen und Bestallungen in gleicher Weise zurückgenommen werden, wenn aus Handlungen oder Unter­ lassungen des Inhabers der Mangel derjenigen Eigenschaften, welche bei der Erteilung der Genehmigung oder Bestallung nach der Vor­ schrift dieses Gesetzes vorausgesetzt werden mußten, klar erhellt. Jn11) Der § 51 beschränkt sich auf Anlagen, zu denen eine polizeiliche Ge­ nehmigung erforderlich gewesen und auf solche auch nicht genehmigungspflichtige Anlagen, deren Bettieb sich innerhalb der vorgeschriebenen Schranken bewegt. OBG. 23 S. 252. Nach Art. 109 des EG. z. BGB. bleiben die landesgesetz­ lichen Borschttften bezüglich der Entziehung, Entschädigung rc. in Kraft. 12) Siehe OBG. v. 24. Jan. u. 23. Mai 78, E. 4 S. 292.

Wiesern durch die Handlungen oder Unterlassungen eine Strafe ver­ wirkt ist, bleibt der richterlichen Entscheidung Vorbehalten.13 * *) * * * * Pfandleihern, welche vor dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 23. Juli 1879 (Reichsgesetzbl. S. 267) den Gewerbebetrieb begonnen haben, sowie Pfand Vermittlern, Gesindevermietern und Crellenvermittlern?3'") welche vor dem 1. Oktober 1900 den Gewerbebetrieb begonnen haben, kann derselbe untersagt werden, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in bezug aus den Gewerbebetrieb dartun. Ist die Untersagung erfolgt, so kann die Landes-Zentralbehörde oder eine andere von ihr zu bestimmende Be­ hörde die Wiederaufnahme des Gewerbebetriebs gestatten, sofern seit der Untersagung mindestens ein Jahr verflossen ist.

8 53 a.13 b) Die unteren Verwaltungsbehörden können bei solchen Bauten, zu deren sachgemäßer Ausführung nach dem Ermessen der Behörde ein höherer Grad praktischer Erfahrung oder technischer Vor­ bildung erforderlich ist, im Einzelsalle die Ausführung oder Leitung des Baues durch bestimmte Personen untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen sich ergibt, daß diese Personen wegen Unzuver­ lässigkeit zur Ausführung oder Leitung des beabsichtigten Baues un­

geeignet sind. Landesrechtliche Vorschriften, welche den Baupolizeibehörden weitergehende Befugnisse einräumen, bleiben unberührt. § 54. Wegen des Verfahrens und der Behörden, welche in bezug auf die untersagte Benutzung einer gewerblichen Anlage (§ 51), auf die Untersagung eines Gewerbebetriebs (§ 35), und die Zurücknahme einer Approbation, Genehmigung oder Bestallung (§§ 33 a, 53) maß­ gebend sind, gelten die Vorschriften der §§ 20 und 21. Gegen '3'') die Untersagung der Ausführung oder Leitung eines Baues (§ 53 a) findet innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach der Zustellung der Einspruch bei der unteren Verwaltungsbehörde statt, dessen Erhebung keine ausschiebende Wirkung hat. Die Erteilung des Bescheids auf den Einspruch, welcher die Anhörung von Sach­ verständigen gemäß § 35 Abs. 5 vorangehen muß, soll spätestens innerhalb drei Wochen nach der Erhebung des Einspruchs erfolgen. 13) Die Vorschrift des Abs. 2 bezieht sich auch auf Hebammen. Erk. des OVG. v. 24. April 78, E. 3 S. 269, u. v. 2. April 84, E. 11 S. 302, ebenso auf die Witwe des Konzessionsinhabers. Erk. des OVG. v. 2. Dezbr. 86, E. 14 S. 315. — Bei der Konzessionsentziehung können nur solche Handlungen oder Unterlaffungen in Betracht kommen, die erst nach der KonzessionSetteilung eingetreten sind. Erk. des OBG. v. 10. Febr. 79, E. 5 S. 268. 13 a) Siehe Anm. 62 b) zu 8 34. 13 b) Fassung beruht auf dem Gesetz vom 7. Ian. 07 (RGBl. S. 3).

446

XX. Gewerbeordnung § 55.

Der Bescheid, der die Untersagung der Ausführung oder Leitung eines Baues gegenüber dem erhobenen Einspruch aufrecht erhält, kann im Wege des Rekurses gemäß §§ 20, 21 angefochten werden. Die Landesregierungen können bestimmen, daß die Anfechtung im Vcrwaltungsstreitverfahren zu erfolgen hat. Die Einlegung von Rechts­ mitteln hat keine aufschiebende Wirkung.

Titel III.

Gewerbebetrieb im Ilmherziehen.

§ 55. Wer außerhalb des Gemeindebezirkes seines Wohnorts oder der durch besondere Anordnung der höheren Verwaltungsbehörde dem Gemeindebezirke des Wohnorts gleichgestellten nächsten Umgebung desselben ohne Begründung einer gewerblichen Niederlassung u) und ohne vorgängige Bestellung lß) in eigener Person 1. Waren feilbieten,16 14) 15 2. Warenbestellungen aufsuchen oder Waren bei anderen Per­ sonen als bei Kaufleuten, oder an anderen Orten als in offenen Verkaufsstellen zum Wiederverkauf ankaufen,17) 3. gewerbliche Leistungen anbieten,18) 14) Dadurch, daß der Gewerbebetrieb im Umherziehen längere Zeit an einem Orte und in einem und demselben Lokale ausgeübt wird, wird noch keine gewerbliche Niederlassung begründet. ON. 16 S. 209. 15) Unter Bestellung ist zunächst allgemein die Aufforderung an den Gewerbtreibenden zu verstehen, dem Bestellenden eine Ware zu bringen oder zu senden. Dabei kann es vorkommen, daß der definitive Abschluß des Geschäfts noch Vorbehalten bleibt, nur muß die Ware so individualisiert fein, daß sie von anderen unterschieden werden kann, eine allgemein gehaltene Aufforderung, Waren mitzubringen, ist keine Bestellung. Erk. v. 13. Mai 89, E. 19 S. 281. Dagegen ist eine gedruckte Aufforderung an einen Kalifmann, in Zukunft seinen Reisenden zu schicken, um Warenproben vorzulegen, für zulässig erachtet worden. Über Aufsuchen von Bestellungen siehe GA. 45 S. 375 u. 46 S. 223; siehe auch KG. v. 27. Juni 04, Joh ow 28 S. 6 13. Eine vorgängige Bestellung schließt den Gewerbebetrieb im Umherziehen aus. OR. 17 S. 661 u. 20 S.' 167 u. GA. 37 S. 457, anders aber, wenn die bestellte Ware vom Besteller nicht an­ genommen und dieselbe dann einem anderen angeboten wird. Siehe Erk. v. 13. Mai 89, E. 19 S. 281. 16) Feilbieten liegt überall vor, wo eine Ware den Käufern zugänglich ge­ macht und diese, wenn auch nur durch Zeichen, zum Ankauf aufgefordert werden, OR. 10 S. 558; immer müssen aber positive Handlungen vorliegen. Erk. v. 18. Novbr. 95, E. 27 S. 427 u. KG. v. 13. Dez. 06, DIZ. 12 S. 485. 17) Eine Ausnahme macht der Fall des § 44, denn derjenige, der eine gewerbliche Niederlassung besitzt und auswärts Waren ankauft und Bestellungen sucht, betreibt nicht das Gewerbe im Umherziehen. Siehe S t e n g l e i n a. a. O., Anm. 6. 18) Das sind solche, die nicht auf geistigem Gebiete liegen, z. B. nicht Vor­ träge, Johow 6 S. 237, und auch diese dürfen nur soweit angeboten werden, als sie nicht vom Gewerbebetriebe im Umherziehen ausgeschlossen sind.

4. Musikaufführungen, Schaustellungen,19) theatralische Vorstellun­ gen oder sonstige Lustbarkeiten, ohne daß ein höheres Interesse der Kunst oder der Wissenschaft20) dabei obwaltet, darbieten will, bedarf eines Wandergewerbescheins, soweit nicht für die in Ziffer 2 be­ zeichneten Fälle in Gemäßheit des §44a eine Legitimationskarte genügt.21) In dem Falle der Ziffer 4 ist auch für den Marktverkehr (§ 64) ein Wandergewerbeschein erforderlich.

8 55 a. An Sonn- und Festtagen (§ 105 a Abs. 2) ist der Ge­ werbebetrieb im Umherziehen, soweit er unter § 55 Abs. 1 Ziffer 1 —3 fällt, sowie der Gewerbebetrieb der im § 42 b bezeichneten Personen

verboten. Ausnahmen können von der unteren Verwaltungsbehörde zugclassen werden. Der Bundesrat ist ermächtigt, über die Voraussetzun­

gen und Bedingungen, unter denen Ausnahmen zugelassen werden dürfen, Bestimmungen zu erlassen.

§ 56. Beschränkungen, vermöge deren gewisse Waren von dem Feilhalten im stehenden Gewerbebetriebe ganz oder teilweise ausge­ schlossen sind, gelten auch für deren Feilbieten im Umherziehen. Ausgeschlossen vom Ankauf oder Feilbieten im Umherziehen sind:22)23 1. geistige Getränke, soweit nicht das Feilbielen derselben von der Ortspolizeibehörde im Falle besonderen Bedürfnisses vorüber­ gehend gestattet ist;22) 2. gebrauchte Kleider, gebrauchte Wäsche, gebrauchte Betten24) und gebrauchte Bettstücke, insbesondere Bettsedern, Menschenhaare, Garnabfälle, Enden und Dräumen von Seide, Wolle, Leinen oder Baumwolle; 19) Die öffentliche Ausspielung selbftgezogener Gartenerzcugniffe ist keine Schaustellung. Erk. v. 8. April 86, R. 8 S. 269; dagegen wird in der öffent­ lichen Ausspielung ein Feilhalten gefunden werden können. Iohow 8 S. 164 und ebenso Erk. v. 15. Febr. 95, E. 27 S. 31. 20) Ob ein höheres Kunstintereffe obwaltet, kann immer nur im einzelnen Falle entschieden werden. Die Entscheidung der Verwaltungsbehörde, welche die Steuer festgesetzt hat, ist in dieser Richtung für den Richter nicht maßgebend. GA. 42 S. 295 u. Iohow 15 S. 254 n. 16 S. 354. Kayser-Steiniger, Anm. 25. 21) Darüber, inwieweit bei dem Wandergewerbebetriebe das Mitwirken mehrerer Personen als Mittäterschaft oder Teilnahme aufzufassen ist, siehe GA. 42 S. 295. 22) Das Aufsuchen von Bestellungen auf diese Waren ist dagegen nicht aus­ geschloffen.. 23) Uber den Begriff der geistigen Gettänte siehe GA. 37 S. 239. Daß der Alkohol sich erst durch weitere Entwicklung (Gärung) bildet, schließt den Be­ griff nicht aus. 24) Auch Bettfedern. Erk. des OBG. v. 11. Mai 85, E. 12 S. 344.

XX. Gewerbeordnung §§ 56.

448

3.

Gold-

und Silberwaren,

Bruchgow

und Bruchsilber

sowie

Taschenuhren; 4.

5.

Spielkarten;-») Staats- und sonstige Wertpapiere, Lotterielose,25 26)27Bezugs28 und

Anteilsscheine2?) auf Wertpapiere und Lotterielose; 6.

explosive Stoffe,29)30 insbesondere 31 32 Feuerwerkskörper, Schießpulver

und Dynamit;29) 7. solche mineralische und andere Öle,

welche leicht entzündlich

sind, insbesondere Petroleum, sowie Spiritus;

8

9.

29») Stoß-, Hieb- und Schußwaffen; Gifte und gifthaltige Waren,29) Arznei- und Geheimmittel") sowie Bruchbänder;

10.

Bäume aller Art, Sträucher, Schnitt-, Wurzel-Reben, Futter­ mittel

und

Sämereien,

mit

Ausnahme

von Gemüse-

und

Blumensamen;

11.

Schmucksachen, Bijouterien,"') Brillen22) und optische Instru­

mente. Ausgeschlossen vom Feilbieten und Auffuchen von Bestellungen

im Umherziehen sind ferner:

25) Dahin gehören alle Karten, sofern sie zu Kartenspielen tauglich sind. Erk. v. 29. Dezbr. 80, R. 2 S. 681. 26) Gleichviel, ob inländische oder ausländische. GA. 40 S. 197. Siehe auch die Anm. zu § 286 StGB. 27) Über den Begriff der Anteilsscheine siehe Erk. v. 12. April 81, E. 4

S. 80, v. 24. Oktbr. 82, E. 7 S. 161, u. v. 13. JuNi 81, R. 3 S. 387. Pfand­ scheine sind keine Wettpapiere. GA. 48 S. 158. 28) Knallsilber, Schießbaumwolle, Zündschnüre rc., aber nicht Zündhölzer. Kayser-Steiniger, Anm. 14. Siehe auch Ges. v. 10. Mai 03, (RGBl. S. 217) bett. Phosphorzündwaren, das Feilhalten von Zündwaren, die unter Verwendung von weißem oder gelbem Phosphor hergestellt sind, verbietet. 29) Siehe Ges. v. 9. Juni 84 über den verbrechettschen Gebrauch von Sprengstoffen. 29 a) Auf den Marktverkehr nicht anwendbar. OLG. München v. 15. Mai 06, DIZ. 11 S. 1032. 30) Siehe Ges. v. 5. Juli 87 (RGBl. S. 277) über die Verwendung ge­ sundheitsschädlicher Farben. 31) Siehe die Anm. zu § 367 Nr. 3 StGB. Das Aufsuchen von Bestel­ lungen auf Arzneimittel ist nicht verboten und fällt auch nicht unter 8 56 a Nr. 1. GA. 42 S. 152. — Ob nur die in der Kaiser!. BO. v. 22. Oktbr. 01 aufgeführten Arzneimittel u. Präparate gemeint sind, oder überhaupt alle Mttel, denen eine Heilwittung beigemeffen wird, ist besttitten. 31 a) Hierher gehören auch Gegenstände, die zu Gebrauchszwecken dienen, wie Uhrketten. Erk. v. 7. Mai 04, E. 37 S. 145. 32) Wird nur daS Material zur Anfertigung von Brillen feilgehalten und werden die letzteren erst nach Bestellung angefertigt, so liegt ein Feilbieten von

449

Gewerbebetrieb im Umherziehen § 56 a.

12 Druckschriften, andere Schriften und Bildwerke, insofern sie in sittlicher") oder religiöser Beziehung Ärgernis zu geben ge­ eignet sind, oder mittels Zusicherung von Prämien oder Ge­ winnen vertrieben werden, oder in Lieferungen erscheinen, wenn nicht der Gesamtpreis auf jeder einzelnen Lieferung an einer in die Augen fallenden Stelle bestimmt verzeichnet ist.

Wer Druckschriften, andere Schriften oder Bildwerke im Umherzichen feilbieten will, hat ein Verzeichnis derselben der zuständigen Verwaltungsbehörde seines Wohnorts zur Genehmigung vorzulegen.33 e) Die Genehmigung ist nur zu versagen, soweit das Verzeichnis Druck­ schriften, andere Schriften oder Bildwerke der vorbezeichneten Art ent­ hält. Der Gewerbetreibende darf nur die in dem genehmigten Ver­ zeichnis enthaltenen Druckschriften, anderen Schriften oder Bildwerke bei sich führen, und ist verpflichtet, das Verzeichnis während der Aus­ übung des Gewerbebetriebs bei sich zu führen, auf Erfordern der zuständigen Behörden oder Beamten vorzuzeigen und, sofern er hierzu nicht imstande ist, aus deren Geheiß den Betrieb bis zur Herbei­ schaffung des Verzeichnisses einzustellen.

§ 56 a.

Ausgeschloffen

vom Gewerbebetrieb

im

Umherziehcn

sind serner: 1. die Ausübung der Heilkunde, insoweit der Ausübende für die­ selbe nicht approbiert ist;")

2. das Auffuchen sowie die Vermittelung von Darlehnsgeschäften und von Rückkaussgeschäften ohne vorgängige Bestellung, ferner das Aufsuchen von Bestellungen auf Staats- und sonstige Wertpapiere,

Brillen nicht vor, da letzteres ein Bereitstellen fertiger Waren voraussetzt. GA. 46 S. 145. 33) Hier sind nicht unzüchtige Schriften im Sinne des § 184 des StGB, gemeint, sondern nur solche, welche mit Rücksicht auf ihren anstößigen Inhalt nach dem Ermessen der Behörde vom Hausierhandel ausgeschlossen sind. S t e n g lein a. a. O., Anm. 12 und GA. 43 S. 68. Die Vorschrift des Abs. 4 bezieht sich nur auf Kolporteure, d. h. auf selbständige Gewerbetteibende, nicht auf Reisende des Buchhandels. KG. v. 4. Apr. 07, Gew.Archiv 6 S. 427. Einem Kolporteur liegt zwar die Prüfung des Inhalts seiner Schnften ob, doch ist ein fahrlässiges Verschulden nur dann anzunehmen, wenn er die Prüfung unterläßt, obwohl er Grund zu der Annahme hat, daß die Schnft anst ößigen Inhalt hat. Erk. v. 6. Dez. 06, E. 39 S. 317 u. KG. v. 23. Nov. 05, DIZ. 11 S. 150. 33 a) Diese Vorschrift bezieht sich nicht auf den Gewerbebettieb innerhalb des Gemeindebezirks, DIZ. 6 S. 118 u. GA. 48 S. 311. 34) Eine vorgängige Bestellung schließt die Sttafbarkeit aus. GA. 37 S. 457. Siehe auch Anm. 31 zu § 56. — Übrigens trifft das Verbot auch die Tierheil­ kunde, Stenglein a. a. O., Anm. 1, sowie das bloße Feilbieten der hierunter fallenden Leistungen. GA. 51 S. 206. Ob auch Hebammentätigkeit, ist streitig. Kayser-Steiniger, Anm. 4. Dalcke, Strafr. 13. Aufl.*

29

XX Gewerbeordnung § 56 b.

450

Lotterielose und Bezugs- und Anteilsscheine auf Wertpapiere und

Lotterielose; 3.

das Aufsuchen von Bestellungen auf Branntwein und Spiritus

bei Personen, in deren Gewerbebetriebe dieselben keine Verwendung finden;35 36) 4.

das Feilbieten von Waren sowie das Aufsuchen von Bestel­

lungen auf Waren,

wenn

solche

gegen Teilzahlungen

unter dem

Vorbehalte veräußert werden, daß der Veräußerer wegen Nichterfüllung der dem Erwerber obliegenden

Verpflichtungen von dem Vertrage

zurücktreten kann (§§ 1 und 6 des Gesetzes, betreffend die Abzahlungs­

geschäfte, vom 16. Mai 1894). § 56 b.

Der Bundesrat ist befugt, soweit ein Bedürfnis ob­

waltet, anzuordnen, daß und inwiefern der Ankauf oder das Feil­ bieten von einzelnen der im § 56 Abs. 2 ausgeschlossenen Waren im Umherziehen

gestattet

sein

soll.

Landesregierungen für ihr Gebiet

Die

gleiche

Befugnis

steht

den

oder Teile desselben hinsichtlich

der im § 56 Abs. 2 Ziffer 10 bezeichneten Gegenstände zu.

Aus Gründen der öffentlichen Sicherheit sowie zur Abwehr oder Unterdrückung

von Seuchen kann durch Beschluß

des Bundesrats

und in dringenden Fällen durch Anordnung des Reichskanzlers nach Einvernehmen mit dem Ausschüsse des Bundesrats für Handel und Verkehr für den Umfang des Reichs oder für Teile desselben be­

stimmt werden, daß und inwiefern außer den in den §§ 56 und 56 a

aufgeführten Gegenständen und Leistungen auch noch andere Gegen­ stände und Leistungen auf bestimmte Dauer von dem Gewerbebettiebe

im Umherziehen ausgeschlossen sein sollen.

Die Anordnung ist dem

Reichstage sofort, oder, wenn derselbe nicht versammelt ist, bei seinem

nächsten Zusammentritte milzuteilen.

Dieselbe ist außer Kraft zu

setzen, wenn der Reichstag die Zustimmung nicht erteilt.

Durch die Landesregierungen kann das Umherziehen mit Zucht­

hengsten33) zur Deckung von Stuten untersagt werden.

Desgleichen

kann zur Abwehr oder Unterdrückung von Seuchen der Handel mit

35) Wer den Handel mit Spirituosen selbständig als stehendes Gewerbe betreibt, darf Bestellungen auf diese Waren auch bei Personen aufsuchen, in deren Gewerbebettiebe dieselben keine Verwendung finden. GA. 37 S. 315. 36) Das Halten von Beschälhengsten fällt an sich nicht unter die Gewerbeordn., denn es handelt sich hier um Viehzucht, die ein integrierender Teil der Landwittschaft ist. A. M., aber zu Unrecht, St eng lein a. a. O., Sinnt. 2. Das Umherziehen fällt aber unter den Begriff einer gewerblichen Leistung. GA. 43 S. 68. Sogenannte Körordnungen, nach welchen die Zulaffung der Hengste zum Decken von einer Genehmigung abhängig gemacht wird, sind rechts­ gültig. Johow 10 S. 167. GA. 38 S. 82.

Rindvieh, Schweinen, Schafen, Ziegen oder Geflügel im Umher-

ziehcn Beschränkungen unterworfen oder auf bestimmte Dauer unter­ sagt werden.^) § 56 c. Das Feilbieten von Waren im Umherziehen in der Art, daß dieselben versteigert oder im Wege des Glücksspiels oder der Aus­ spielung (Lotterie) abgesetzt werden, ist nicht gestattet. Ausnahmen von diesem Verbote dürfen von der zuständigen Behörde zugelassen werden, hinsichtlich der Wanderversteigerungen jedoch nur bei Waren, welche dem raschen Verderben ausgesetzt sind. Öffentliche Ankündigungen des Gewerbebetriebs dürfen nur unter dem Namen des Gewerbetreibenden mit Hinzufügung seines Wohnorts erlassen werden. Wird für den Gewerbebetrieb eine Verkaufsstelle

benutzt, so muß an derselben in einer für jedermann erkennbaren Weise ein den Namen und Wohnort des Gewerbetreibenden angebender Aus­ hang angebracht werden. Ties gilt insbesondere von den Wanderlagern. § 56 d. Ausländern kann der Gewerbebetrieb im Umherziehen ge­ stattet werden. Der Bundesrat ist befugt, die deshalb nötigen Be­

stimmungen zu treffen.37 38)39 § 57. Der Wandergewerbeschein ist zu versagen: 1. wenn der Nachsuchende mit einer abschreckenden oder ansteckenden Krankheit behaftet oder in einer abschreckenden Weise entstellt ist; 2. wenn er unter Polizeiaufticht steht;

3. wenn er wegen strafbarer Handlungen aus Gewinnsucht, gegen das Eigentum,38) gegen die Sittlichkeit, wegen vorsätzlicher Angriffe auf das Leben und die Gesundheit der Menschen, wegen Land- oder Hausftiedensbrrrchs, wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt, wegen vorsätzlicher Brandstiftung, wegen Zuwiderhandlungen gegen Verbote oder Sicherungsmaßregeln, betteffend Einführung oder Verbreitung ansteckender Krankheiten oder Viehseuchen, zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten verurteilt ist, und seit Verbüßung der Strafe drei Jahre noch nicht verflossen sind; 37) Die Untersagung des Handels ist eine Absperrungsmaßregel im Sinne des 8 328 des StGB. Erk. v. 22. Novbr. 98, E. 31 S. 342. — Zum Erlaß von Verboten dieser Art ist in Preußen aber nur der Regierungspräs, befugt. E. 32 S. 286 u. 291 und genehmigt derselbe ein Verbot des Landrats, so muß in der Bekanntmachung des landrätlichen Verbots ausdrücklich auf die Genehmi­ gung des RegPräs. hingewiesen werden. Erk. v. 16. Jan. 1900, E. 33 S. 76. Es kann die Führung eines Kontrollbuchs verlangt werden, wenn gleichzeitig für den Fall einer Übertretung der betr. Vorschriften eine den Handel erschwerende Bestimmung gettoffen wird. KG. v. 22. Juni 05, Johow 30 S. C 43. 38) Siehe Bekanntm. v. 27. Novbr. 96 (RGBl. S. 745). 39) Das OBG. 13 S. 339 hat dahin auch Sachbeschädigung und einfachen Bankrott gerechnet.

XX. Gewerbeordnung §§ 57 a—58.

452 4. wenn

er wegen gewohnheitsmäßiger Arbeitsscheu,

Bettelei,

Landstreicherei, Trunksucht übel berüchtigt ist; 5. in dem Falle des § 55 Ziffer 4, sobald der den Verhältnissen des Verwaltungsbezirkes der zuständigen Verwaltungsbehörde ent­ sprechenden Anzahl von Personen Wandergewerbescheine erteilt oder ausgedehnt sind (§ 60 Absatz 2).

§ 57 a. Der Wandergewerbeschein ist in der Regel zu versagen: 1. wenn der Nachsuchende das 25. Lebensjahr noch nicht voll­

endet hat. Im Falle der Ziffer 1 ist dem Nachsuchenden der Wandergewerbeschein zu erteilen, wenn er der Ernährer einer Familie ist und be­

reits vier Jahre im Wandergewerbe tätig gewesen ist. 2. wenn er blind, taub oder stumm ist, oder an Geistesschwäche leidet. § 57 b.

Der Wandergewerbeschein darf außerdem nur dann ver­

sagt werden: 1. wenn der Nachsuchende im Inland einen festen Wohnsitz nicht hat; 2. wenn er wegen strafbarer Handlungen aus Gewinnsucht, gegen das Eigentum, gegen die Sittlichkeit, wegen vorsätzlicher Angriffe aus das Leben und die Gesundheit der Menschen, wegen Hausftiedensbruchs, wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt, wegen vorsätzlicher Brandstiftung, wegen Zuwiderhandlungen gegen Verbote oder Sicherungs­ maßregeln, betreffend Einführung oder Verbreitung ansteckender Krank­ heiten oder Viehseuchen, zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einer Woche verurteilt ist, und seit der Verbüßung der Strafe fünf Jahre

noch nicht verflossen sind; 3. wenn er wegen Verletzung der auf den Gewerbebetrieb im Umherziehen bezüglichen Vorschriften im Laufe der letzten drei Jahre wiederholt40) bestraft ist; 4. wenn er ein oder mehrere Kinder besitzt, für deren Unterhalt und, sofern sie im schulpflichtigen Alter stehen, für deren Unterricht nicht genügend gesorgt ist. 8 58. Der Wandergewerbeschein kann zurückgenommen werden, wenn sich ergibt, daß eine der im § 57 Ziffer 1 bis 4, § 57 a oder § 57 b bezeichneten Voraussetzungen entweder zur Zeit der Erteilung desselben bereits vorhanden gewesen, der Behörde aber unbekannt ge­ blieben, oder erst nach Erteilung des Scheines eingetreten ist.41)

40) Rückfall im Sinne des StGB, ist nicht erforderlich. 41) Über die Zurücknahme des Wandergewerbescheins entscheidet auf die Klage der Ortspolizeibehörde der Bezirksausschltß. Verordn, v. 31. Dezbr. 83 (GS, 84 S. 7).

Gewerbebetrieb im Umherziehen § 59.

453

§ 59. Eines Wandergewerbescheins bedars nicht: 1. wer selbstgewonnene") oder rofye42 43) Erzeugnisse der Landund Forstwirtschaft, des Garten- und Obstbaues,44) der Geflügel- und Bienenzucht, sowie selbstgewonnene Erzeugnisse der Jagd und Fischerei

feU&ietct;45)46 2. wer in der Umgebung seines Wohnorts bis zu 15 Kilometer Entfernung von demselben selbstversertigte") Waren, welche zu den Gegenständen des Wochenmarktverkehrs47)48gehören, 49 seilbietet oder ge­ werbliche Leistungen,4^ hinsichtlich deren dies Landesgebrauch ist, an­ bietet ; 3. wer selbstgewonnene Erzeugnisse oder selbstversertigte Waren, hinsichtlich deren dies Landesgebrauch ist, zu Wasser anfährt und von dem Fahrzeuge aus feilbietet;") 4. wer bei öffentlichen Festen, Truppenzusammenziehungen oderanderen außergewöhnlichen Gelegenheiten mit Erlaubnis der Ortspolizetbehörde die von derselben zu bestimmenden Waren feilbietet. Die Landesregierungen können in weiterem Umfange den Ge­ werbebetrieb im Umherziehen mit Gegenständen des gemeinen Ver­ brauchs ohne Wandergewerbeschein innerhalb ihres Gebiets gestatten. 42) Eelbstgewonnen sind die durch eigene Arbeit erzielten im Gegensatze zu angekauften Erzeugnissen. Vgl. Anm. 7 zu § 1 des Ges. v. 3. Juli 76 (unten Nr. XXII). Lebendes Vieh gehört nicht hierher. GA. 47 S. 458; DIZ. 6 S. 392. 43) d. h. solche Produkte, welche vor dem Verkauf nicht noch einer Zubereitung bedurft haben, daher gehören Butter und Käse nicht hierher, vgl. OR. 15 S. 89, 19 S. 153; ebensowenig Eier u. Geflügel, GA. 27 S. 121. 44) Es dürfen hierunter nur inländische Produkte zu verstehen sein, nicht aber Südfrüchte, wie Zitronen, Ananas rc. GA. 27 S. 118. A. M. KayserSteiniger, Anm. 9. 45) Das Feilbieten ohne Wanderschein kann nur in eigener Person ge­ schehen, wenn es sich um selbstgewonnene Waren handelt; rohe Erzeugnisse der Landwirtschaft rc. können auch durch Dienstboten feilgeboten werden. KayserSteinigeL, Anm. 6 zu § 59. Vgl. dazu bezüglich.der Gewerbesteuerpflicht: Iohow 4 S. 286. Nur das Feilbieten ist fteigegeben, nicht aber auch der Ankauf. 45a) Entfernung von der Weichbildgrenze an gerechnet. Johow 28 S. C 50. 46) Auch frisches Fleisch, Johow 10 S. 199, dagegen mit Recht OR. 15 S. 98 u. S t eng lein a. a. O., Anm. 8. 47) DaS sind die im § 66 aufgeführren Gegenstände. 48) Das sind, wie sich aus § 55 ergibt, nicht Musikaufführungen, denn diese sind dort neben den gewerblichen Leistungen genannt. 48 a) Selbstgewonnen bleiben Erzeugnisse auch dann, wenn sie nicht von dem Verfertiger in Person, sondern in seiner Bertretllng feilgeboten werden. DIZ. 6 S. 74, Johow 20 S. C 109. 49) Der Gewerbebetrieb aus § 59 Nr. 1—3 ist an Sonn- u. Festtagen un­ zulässig. S t e n g l e i n a. a. O., Anm. 18.

454

XX. Gewerbeordnung §§ 59 a—60 b.

$ 59 a. In den Fällen des § 59 Ziffer 1 bis 3 kann der Ge­ werbebetrieb untersagt werden, wenn die Voraussetzungen' des § 57

Ziffer 1 bis 4 vorliegen. 8 60. Der Wandergewerbeschein wird für die Dauer des Ka­ lenderjahrs erteilt, er berechtigt den Inhaber, in dem ganzen Gebiete des Reichs das bezeichnete Gewerbe nach Entrichtung der darauf haftenden Landessteuern zu betreiben. Soweit nach § 56 Ziffer 1 das Feilbieten von geistigen Getränken im Falle besonderen Bedürf­ nisses vorübergehend gestattet wird, ist die räumliche und zeitliche Be­ schränkung dieser Erlaubnis im Wandergewerbeschein anzugeben. Ein Wandergewerbeschein für den Betrieb der im 8 55 Ziffer 4 bezeichneten Gewerbe gewährt die Befugnis zum Gewerbebetrieb in einem anderen, als dem Bezirke derjenigen Verwaltungsbehörde, welche ihn ausgestellt hat, nur dann, wenn er auf den anderen Bezirk von deffen Verwaltungsbehörde ausgedehnt ist. Sowohl die Ausstellung als auch die Ausdehnung eines derartigen Wandergewerbescheins kann für eine kürzere Dauer, als das Kalenderjahr, oder für bestimmte Tage während des Kalenderjahrs erfolgen. Die Ausdehnung ist zu versagen, sobald für die den Verhältnissen des Bezirkes entsprechende Anzahl von Personen Wandergewerbescheine bereits ausgestellt oder

ausgedehnt sind. Die Verwaltungsbehörde kann die von ihr bewilligte Ausdehnung nach Maßgabe des 8 58 zurücknehmen. Der Wandergewerbeschein enthält die Personalbeschreibung des Inhabers und die nähere Bezeichnung des Geschäftsbetriebs. Das Formular der Wandergewerbescheine bestimmt der Bundesrat.

8 60 a. Wer die im § 55 Ziffer 4 bezeichneten Gewerbe an einem Orte von Haus zu Haus oder auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen^) oder an anderen öffentlichen Orten ausüben will, bedarf der vorgängigen Erlaubnis der Ortspolizeibehörde.

8 60 b. Minderjährigen Personen kann in dem Wandergewerbe­ scheine die Beschränkung auserlegt werden, daß sie das Gewerbe nicht nach Sonnenuntergang, und minderjährigen Personen weiblichen Ge­ schlechts kann außerdem die Beschränkung auferlegt werden, daß sie dasselbe nur auf öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen, nicht aber von Haus zu Haus betreiben dürfen. Desgleichen kann von der Ortspolizeibehörde minderjährigen Per­ sonen verboten werden, daß sie innerhalb des Polizeibezirkes die im 8 59 Ziffer 1 und 2 aufgeführten Gegenstände nach Sonnenuntergang, 50) Siehe Anm. 62 zu § 33 b.

und minderjährigen Personen weiblichen Geschlechts, daß sie dieselben Gegenstände von Haus zu Haus seilbieten. Das Feilbieten der im § 59 Ziffer 1 und 2 bezeichneten Gegen­ stände durch Kinder unter vierzehn Jahren kann von der Ortspolizeibehörde verboten werden. 8 60 c. Der Inhaber eines Wandergewerbescheins ist verpflichtet, diesen während der Ausübung des Gewerbebetriebs bei sich zu führen, auf Erfordern der zuständigen Behörden oder Beamten vorzuzeigen und, sofern er hierzu nicht imstande ist, auf deren Geheiß den Betrieb bis zur Herbeischaffung des Wandergewerbescheins einzustellerr. Auf gleiches Erfordern hat er die von ihm geführten Waren vorzulegen.

Zum Zwecke des Gewerbebetriebs ist ohne vorgängige Erlaubnis der Eintritt in ftemde Wohnungen sowie zur Nachtzeit das Betreten fremder Häuser und Gehöfte nicht gestattet.61) Denselben Bestimmungen - - Absatz 2 - unterliegt das Feilbieten der im § 59 Ziffer 1 und 2 aufgeführten Gegenstände. § 60 d. Der Wandergewerbeschein darf einem anderen nicht zur Benutzung überlassen werden. Wer für einen anderen ein Gewerbe im Umherziehen zu be­ treiben beabsichtigt, unterliegt für seine Person den Bestimmungen dieses Gesetzes. Wer;n mehrere Personen die im § 55 Ziffer 4 bezeichneten Ge­ werbe in Gemeinschaft miteinander zu betreiben beabsichtigen, so kann auf ihren Antrag ein gemeinsamer Wandergewerbeschein für die Ge­ sellschaft als solche ausgestellt werden, in welchem jedes einzelne Mit­ glied auszuführen ist. Werden für die einzelnen Mitglieder besondere Wandergewerbescheine ausgestellt, so kann in die letzteren ein Vermerk ausgenommen werden, nach welchem dem Inhaber der Gewerbebetrieb nur im Verbände einer bestimmten Gesellschaft, oder einer Gesellschaft überhaupt, gestattet sein soll. Umherziehenden Schauspielergesellschasten wird der Wandergewerbejchein nur dann erteilt, wenn der Unternehmer die im § 32 vorge­ schriebene Erlaubnis besitzt. In dem Wandergewerbescheine für den Unternehmer einer Schauspielergesellschaft ist ausdrücklich zu vermerken, daß der Gewerbetreibende als Unternehmer auftreten will. § 61. Die Erteilung des Wandergewerbescheins erfolgt durch die für den Wohnort oder Aufenthaltsort des Nachsuchenden zu51) Der Hausierer muß sich vergewissern, daß ihm der Eintritt gestattet wird. KommBer. zur Nov. v. 18. Juli 83. Tritt er einer Kundgebung, z. B. einem Slnschlage zuwider ein, so macht er sich aus § 123 des StGB, strafbar. OR. 9 S. 436 u. 13 S. 190. Ein Strafantrag bei Verletzung des § 60 c, d ist nicht erforderlich. Kayser-Steiniger, Anm. 12 zu § 148.

456

XX. Gewerbeordnung §§ 62, 63.

ständige höhere Verwaltungsbehörde. Die Verwaltungsbehörde des Aufenthaltsorts kann den Nachsuchenden an die Behörde seines Wohn­ orts verweisen. In dem Falle des § 55 Ziffer 4 erfolgt die Erteilung des

Wandergewerbescheins durch die höhere Verwaltungsbehörde, in deren Bezirke das Gewerbe betrieben werden soll. Die Zurücknahme des Wandergewerbescheius erfolgt durch die für den Wohnort oder Aufenthaltsort des Inhabers zuständige höhere Verwaltungsbehörde.

§ 62. Wer beim Gewerbebetrieb im Umherziehen andere Per­ sonen von Ort zu Ort mit sich führen will, bedarf der Erlaubnis der­ jenigen Behörde, welche den Wandergewerbeschein erteilt hat, oder in deren Bezirke sich der Nachsuchende befindet. Die Erlaubnis wird in dem Wandergewerbeschein unter näherer Bezeichnung dieser Personen vermerkt.62) Die Erlaubnis ist zu versagen,63) insoweit bei ihnen eine der im 8 57 bezeichneten Voraussetzungen zutrifft; außerdem darf dieselbe

nur dann versagt werden, insoweit eine der im § 57 a und § 57 b be­ zeichneten Voraussetzungen vorliegt. Die Zurücknahme der Erlaubnis

erfolgt nach Maßgabe des § 58 durch eine für deren Erteilung zu­ ständige Behörde. Die Mitführung von Kindern unter vierzehn Jahren zu gewerb­ lichen Zwecken ist verboten. Die Erlaubnis zur Mitführung von Kindern, welche schulpflichtig sind, ist zu versagen und die bereits erteilte Erlaubnis zurückzu­ nehmen, wenn nicht für einen ausreichenden Unterricht der Kinder ge­

sorgt ist. Die Erlaubnis zur Mitführung von Kindern unter vierzehn Jahren kann versagt und von der für die Erteilung derselben zu­ ständigen Behörde zurückgenommen werden. Dasselbe gilt von der Erlaubnis zur Milführung von Personen anderen Geschlechts mit Ausnahme der Ehegatten und der über vierzehn Jahre alten eigenen Kinder und Enkel.

§ 63.

Wird der

Wandergewerbeschein

versagt

oder zurückge-

52) Wenn kein Gesellschaftswanderschein ausgestellt ist, so bedarf jeder Be­ gleiter eines besonderen Wanderscheins.' I ohow 10 S. 200, OR. 20 S. 347. Eines WGScheines bedürfen nur diejenigen Begleiter nicht, die nicht unmittelbar an dem Gewerbebetriebe beteiligt sind, sondern nur untergeordnete Dienste ver­ richten. GA. 45 S. 148. Das unbefugte Mifführen von Personen ist ein fort­ gesetztes Delikt. GA. 50 S. 180. 53) Über die Versagung entscheidet der Bundesrat. BO. v. 31. Dezbr. 83 (GS. 84 S. 7).

nonimcn, ober wirb bie erfolgte Ausbehnung besselben zurückgenommen, so ist bies bem Beteiligten mittels schriftlichen Bescheibs unter An­ gabe bet Grünbe zu eröffnen. Gegen ben Bescheib ist ber Rekurs zu­ lässig, jeboch ohne aufschiebenbe Wirkung. Wegen bes Verfahrens iinb ber Behörben gelten bie Vorschriften ber §§ 20 unb 21. Lasselbe gilt von ber Versagung ber Genehmigung bes Druckschriftenver­ zeichnisses 56 Abs. 4), von ber Untersagung bes Gewerbebetriebs gemäß § 59 a unb ber Versagung ober Zurücknahme ber Erlaubnis in ben Fällen bes § 62 Abs. 2. Die in Gemäßheit bes § 57 Ziffer 5 erfolgte Versagung bes Wanbergewerbescheins sowie bie auf Grunb bes § 60 Abs. 2, ber 60 b unb 62 Abs. 4, 5 getroffenen Verfügungen können nur im Wege ber Beschwerbe an bie unmittelbar vorgesetzte Anfsichtsbehörbe angefochten werben. Titel IV.

MartUverKehr.

Der Besuch ber Messen, Jahr- unb Wvchenmärkte, sowie ber Kans unb Berkaus aus benselben steht einem (eben mit gleichen Befugnissen frei.54 55) Wo jeboch nach ber bisherigen Ortsgewohnheit gewisse Hanbwerkerwaren, welche nicht zu ben im § 66 bezeichneten Gegenstänben gehören, nur von Bewohnern bes Marktorts auf bem Wochenmarkte verkauft werben bürsten, kann bie höhere Berwaltungsbehörbe auf Antrag ber Gemeinbebehörbe ben einheimischen Verkäufern bie Fort­ setzung bes herkömmlichen Wochenmarklverkehrs mit jenen Hanbwerker§ 64.

54) Über den Begriff von Märkten siehe GA. 13 S. 875 u. OBG. 8 S. 41. Da hiernach Märkte besondere Verkehrseinrichtungen mit bestimmten Vorrechten für Käufer und Verkäufer sind, so kann jeder marktähnliche Verkehr außerhalb der von der Verwaltungsbehörde festgesetzten D^ärkte verboten werden. So der marktähnliche Handelsverkehr mit Großvieh. GA. 42 S. 297. Siehe auch OVG. 9 S. 307, 15 S. 366 u. 21 S. 343. Über den Unterschied zwischen Markt und

Börse siehe S t e n g l e i n a. a. O., Anm. 1 e. 55) a. Eine PolBerordn., durch welche verboten wird, daß auf einem Wocheninarkte gekaufte Gegenstände auf demselben Markte wieder verkauft werden, wider­ spricht dem Prinzip des § 64 u. ist ungültig. GA. 41 S. 430. b. Zum Feilhalten oder Aufkäufen von Waren auf Märkten bedarf es keines Wanderscheins, wohl aber zum Anbieten von Lustbarkeiten im Umherziehen nach tz 55 Nr. 2. OR. 16 S. 532; ebenso zum Anbieten gewerblicher Leistungen nach § 55 Nr. 3; Stengleina. a. O., Anm. 3. c. Die Beschränkungen des stehenden Gewerbebetriebes finden auf den Markt­ verkehr, soweit es sich um An- und Verkauf marktgängiger Waren handelt, keine Anwendung. St eng le in a. a. O., Anm. 4. Ausnahme § 67 Nr. 2. d. Über den Verkehr in den Markthallen siehe OBG. 15 S. 367 und GA. 41 S. 164.

458

XX. Gewerbeordnung §§ 65, 66.

waren gestatten, ohne auswärtige Verkäufer derselben Waren aus dem Wochenmartte zuzulassen. Beschränkungen des Marttverkehrs der Ausländer als Erwiderung der im Auslande gegen Reichsangehörige angeordneten Beschränkungen bleiben dem Bundesrate Vorbehalten.

§ 65. Die Zahl, Zeit und Dauer der Messen, Jahr- und WochenmärkteM) wird von der zuständigen Verwaltungsbehörde fest­ gesetzt. 67) Dem Marklberechtigten steht gegen eine solche Anordnung kein Widerspruch zu; ein Entschädigungsanspruch gebührt demselben nur dann, wenn durch die Anordnung die Zahl der bis dahin abgehaltenen Märtte vermindert wird, und eine größere Zahl ausdrücklich und un­ widerruflich verliehen war. Gemeinden, welche einen Entschädigungs­ anspruch gellend machen wollen, müssen außerdem Nachweisen, daß ihr Recht auf einen speziellen lästigen Titel sich gründet.

§ 66.

Gegenstände des Wochenmarklverkehrs finb:56 57*)58 59

1. rohe Nalurerzeugnisse mit Ausschluß des größeren Viehes; 2. Fabrikate, deren Erzeugung mit der Land- und Forstwirtschaft, dem Garten- und Obstbau oder der Fischerei in unmittelbarer Verbindung steht, oder zu den Nebenbeschäftigungen der Land­

leute der Gegend gehört, oder durch Tagelöhnerarbeit bewirkt wird, mit Ausschluß der geistigen Getränke;^) 3. ftische Lebensmittel aller Art.w) Die zuständige Verwaltungsbehörde ist auf Antrag der Gemeinde­ behörde befugt, zu bestimmen, welche Gegenstände außerdem nach Orts-

56) Über die Zahl, Zeit und Dauer der Kram- und Biehmärkle beschließt der Provinzialrat, über Zahl, Zeit und Dauer der Wochenmärtte, sowie die Gegenstände des Wochenmarktvertehrs der Bezirksaiisschuß. §§ 127 und 128 des ZuständGes. v. 1. August 83. 57) Die Befugnis der Verwaltungsbehörde kann sich nur auf solche Gegen­ stände beziehen, welche nicht gesetzlich vom Wochenmarktverkehr ausgeschlossen sind. AM. S t e n g l e i n, Anm. 2 zu §§ 65, 66. 57 a) Dahin gehört auch Reis, GA. 41 S. 163; ebenso Hasen, doch kann das Umhertragen und der Verkauf derselben in den Häusern während des Wochen­ marktes durch PolBerordn. verboten werden, weil sie nicht zu den selbstgewonnenen Gegenständen gehören. GA. 42 S. 298 u. GA. 45 S. 149. Darüber, was zum größeren Vieh gehört, siehe OR. 19 S. 153. Ob dasselbe nach dem Schluß­ sätze gleichwohl zum Wochenmarktverkehr zugelassen werden kann, ist bestritten, doch ist die Frage mit Rücksicht auf die bestimmte Vorschrift in Nr. 1 zu verneinen. 58) Die Befugnis der Verwaltungsbehörde aus Abs. 2 muß auch bezüglich des Handels mit geistigen Getränten für ausgeschlossen erachtet werden. 59) Dahin gehört auch frisches Fleisch und aus solchem bereitete Wurst. GA. 40 S. 197.

gewohnheit und Bedürfnis in ihrem Bezirk überhaupt, oder an gewissen Orten zu den Wochenmarklartikeln gehören. § 67. Auf Jahrmärkten dürfen außer den im § 66 benannten Gegenständen Berzehrungsgegenstände und Fabrikate aller Art seil­ gehalten werden. Zum Verkauft von geistigen Getränken zum Genuß auf der Stelle bedarf es jedoch der Genehmigung der Ortspolizeibehörde.60) § 68. Der Marktverkehr darf in keinem Falle mit anderen als solchen Abgaben belastet werden, welche eine Vergütung für den über­ lassenen Raum und den Gebrauch von Buden und Gerätschaften bilden. In den Bestimmungen darüber, ob und in welchem Umfang Abgaben

dieser Art erhoben werden dürsen, wird durch gegenwärtiges Gesetz nichts geändert. Ein Unterschied zwischen Einheimischen und Fremden bezüglich der Zahlung der Abgaben darf nicht ftattfinben.61) 8 69. In den Grenzen der Bestimmungen der §§ 65 bis 68 kann die Ortspolizeibehörde62)63im 64 Einverständnisse mit der Gemeinde­ behörde 6S) die Marktordnung «*) nach dem örtlichen Bedürfnisse festsetzen, namentlich auch für das geilbieten65) von gleichartigen Gegen­ ständen den Platz, und für das Feilbteten im Umhertragen, mit oder ohne Ausruf, die Tageszeit und die Gattung der Staren66) be­ stimmen. 67) 60) Ohne diese Erlaubnis trifft den Verkäufer die Strafe aus § 147 Nr. 1, Erk. v. 19. Novbr. 79, E. 1 S. 102. 61) Siehe Ges. betr. die Erhebung von Marttstandsgeld v. 26. April 72 (GS. S. 513). Über die rechtliche Natur des Marktstandsgeldes als eines Mietszinses siehe Erk. des ObTrib. v. 11. Juni 57, StrA. 27 S. 161, u. v. 30. April 78, ebenda 99 S. 328, u. Erk. des RG. v. 7. Juli 84, BlAnnal. 1 S. 57. 62) Aus den §§ 65—69 läßt sich der Erlaß des Verbots an den Eigentümer eines Grundstückes, auf diesem das Feilbieten von Waren und den Zutritt von kauflustigen zu gestatten, also eine Art von Marktverkehr einzurichten, nicht her­ leiten. OVG. E. 21 S. 343. Johow 24 S. 6 20, 24. 63) Die polizeiliche Anordnung, daß die bisher dem Marktverkehr gewid­ meten Plätze dazu ferner nicht benützt werden sollen, enthält eine Abänderung der bestehenden Marktordnung und bedarf des Einvernehmens der Gemeindebehörde. OVG. E. 22 S. 335. 64) Ortspolizeiliche Marktordnungen, welche die Ausübung des Gewerbes während der Marktzeit beschränken, treffen die Inhaber von Wandergewerbe­ scheinen ebenso wie alle übrigen Gewerbetreibenden. GA. 37 S. 316 u. 41 S. 164 u. 165. Eine polizeiliche Vorschrift, welche den Ankauf von Marktwaren vor Beginn der Marktzeit verbietet, ist ungültig. Johow 22 S. 6 15. Das Ankäufen von Gegenständen des Marktverkehrs an den für den Marktvertehr nicht bestimmten Plätzen ist nicht strafbar. GA. 19 S. 127 u. JMBl. 71 S. 47. 65) Auch der Abschluß von Lieferungskäufen ist vom Wochenmarktverkehr grundsätzlich nicht ausgeschlossen. GA. 41 S. 164. 66) Über den statthaften Inhalt der Marktordnung vgl. GA. 39 S. 450

460

XX. Gewerbeordnung §§ 70—74.

§ 70. In betreff der Märkte, welche bei besonderen Gelegen­ heiten oder für besttmmte Gattungen von Gegenständen gehalten werden, bewendet es bei den bestehenden Anordnungen, o») Erweiterungen dieses Marktverkehrs können von der zuständigen Behörde mit Zustimmung der Gemeindebehörde angeordnet werden. § 71. Beschränkungen des Verkehrs mit den zu Messen und Märkten gebrachten, aber unverkauft gebliebenen Gegenständen werden hierdurch aufgehoben. Der Einzelverkauf solcher Gegenstände außer der Marktzeit ist jedoch nur unter denselben Bedingungen zulässig, unter welchen derselbe statthaft sein würde, wenn die Gegenstände nicht auf den Markt gebracht wären.

Titel V.

Taren. .

§ 72. Polizeiliche Taxen sollen, soweit nicht ein anderes nach­ stehend angeordnet worden, künftig nicht vorgeschrieben werden; da, wo sie gegenwärtig bestehen, sind sie in einer von der Ortspolizei­ behörde zu bestimmenden, höchstens einjährigen Frist aufzuheben. § 73. Die Bäcker und die Verkäufer von Backwaren6Ö) können durch die Ortspolizeibehörde angehalten werden,70) die Preise und das Gewicht ihrer verschiedenen Backwaren für gewisse von derselben zu bestimmende Zeiträume durch einen von außen sichtbaren Anschlag am Verkaufslokale zur Kenntnis des Publikums zu bringen.7^ Dieser Anschlag ist kostenfrei mit dem polizeilichen Stempel zu versehen und täglich während der Verkaufszeit auszuhängen. § 74. Wo der Verkauf von Backwaren nur nach den von den u. 41 S. 164 u. 165; dieselben sollen auch nach GA. 41 S. 165 (Sinnt.) nicht der Form der PolVerordn., sondern nur ortsüblicher Bekanntmachungen be­ dürfen. Das scheint aber für den Fall, daß in denselben Strafen angedroht sind, nicht richtig. Siehe ferner GA. 43 S. 274 u. 45 S. 149. 67) Für die Übertretung der gesetzlichen Marktbeschränkungen fehlt es an einer Strafvorschrift, weil § 149 Nr. 6 nur die polizeili chen Anordnungen trifft. Vgl. das Sinnt. 60 zit. Erk. — Bloße Weisungen des Marktaussichtspersonals sind noch keine polizeilichen Anordnungen. OR. 16 S. 359. 68) Siehe über die Spezialmärkte GA. 37 S. 378. Die allgem. Vorschriften der §§ 64—69 finden auf dieselben keine Anwendung und kann ein Zwischen­ handel auf denselben verboten werden. 69) Nicht aber auch andere Gewerbtreibende wie Fleischer, Bierverleger u. dergl. GA. 41 S. 430. 70) Ist eine Taxe erlassen, so dürfen weder höhere Preise gefordert, noch für den bestimmten Preis geringere Quantitäten geliefert werden, in beiden Fällen liegt eine nach § 148 Nr. 8 strafbare Überschreitung der Taxe vor. GA. 41 S. 166. 71) Eine PolVerordn., welche bestimmt, daß nur Brot von einem bestimmten Gewicht gebacken werden soll und den Verkauf von Broten anderen Gewichts verbietet, ist ungültig. GA. 40 S. 65.

Bäckern und Verkäufern an ihren Berkaufslokalen angeschlagenen Preisen erlaubt ist, kann die Ortspolizeibehörde die Bäcker und Ver­ käufer zugleich anhalten, im Verkaufslokal eine Wage mit den er­ forderlichen geeichten Gewichten aufzustellen72) und die Benutzung der­ selben zum Nachwiegen der verkauften7^) Backwaren zu gestatten.

§ 75. Die Gastwirte können durch die Ortspolizeibehörde an­ gehalten werden, das Verzeichnis der von ihnen gestellten Preise ein­ zureichen und in den Gastzimmern anzuschlagen. Diese Preise dürfen zwar jederzeit abgeändert werden, bleiben aber solange in Kraft, bis die Abänderung der Polizeibehörde angezeigt und das abgeänderte Verzeichnis in den Gastzimmern angeschlagen ist. Auf Beschwerden Reisender wegen Überschreitung der verzeichneten Preise steht der Orts­ polizeibehörde eine vorläufige Entscheidung vorbehaltlich des Rechts­

wegs zu.

§ 75 § 76.

a.74») Die Ortspolizeibehörde ist in Übereinstimmung mit der

Gemeindebehörde befugt, für Lohnbedienle und andere Personen, welche auf öffentlichen Straßen und Plätzen oder in Wirtshäusern ihre Dienste anbieten (§ 37), sowie für die Benutzung von Wagen, Pferden, Sänften, Gondeln und anderen Transportmitteln, welche öffentlich zum Gebrauch aufgestellt sind, Taxen festzusetzen.

§ 77. Ebenso können für Schornsteinfeger, wenn ihnen Bezirke ausschließlich zugewiesen sind, von der Ortspolizeibehörde, im Einver­ ständnisse mit der Gemeindebehörde, oder, wenn der zugewiesene Bezirk mehr als eine Ortschaft umfaßt, von der unteren Verwaltungsbehörde Taxen aufgestellt werden. § 78. Hinsichtlich der Taxen für solche gewerbetreibende Personen, welche nach den Bestimmungen im § 36 von den Behörden zu beeidigen und anzustellen sind, wird durch das gegenwärtige Gesetz nichts geändert. Die nach § 36 zuständigen Behörden sind befugt, für diese Personen auch da Taxen einzuführen, wo dergleichen bisher nicht bestanden. 72) Eine PolBerordn., welche bestimmt, daß das zum Verkauf bestimmte Brot das angegebene Gewicht auch im altbackenen Zustande haben muß, besteht vollkommen zu Recht. GA. 40 S. 198. Vgl. hierzu GA. 41 S. 312. 73) Dagegen ist eine PolBerordn., welche nicht bloß die verkauften, sondern auch die noch nicht verkauften Backwaren einer Kontrolle durch die Polizei­ beamten unterwirft, ungültig. GA. 40 S. 199. Die Bäcker sind nicht ver­ pflichtet, das Brot zur Ausübung der Kontrolle umsonst herzugeben. e n g l e i n, Anm. 2. 74) Die Verordn, über Regelung des Fremdenverkehrs betr. Einreichung von Fremdenzetteln, Führung von Fremdenbüchern rc. seitens der Gastwirte sind in Kraft geblieben. GA. 19 S. 50 u. OR. 11 S. 569. 74 a) Siehe Anm. 62 d zu 8 34.

462

XX. Gewerbeordnung §§ 79, 80, 105, 105 a.

§ 79. Die in den §§ 73 bis 78 genannten Gewerbetreibenden sind berechtigt, die festgestellteu Preise und Taxen zu ermäßigen. § 80. Die Taxen für die Apotheker können durch die Zentral­ behörden festgesetzt werden, Ermäßigungen derselben durch freie Ver­ einbarungen sind jedoch zulässig. Die Bezahlung der approbierten Ärzte usw. (§ 29 Abs. 1) bleibt der Vereinbarung überlassend^) Als Norm für streitige Fälle im Mangel einer Vereinbarung können jedoch für dieselben Taxen von den Zentralbehörden festgesetzt werden.

Titel VI. Iunuugeo, Juuuugsausschöffe, Handwerkskammern, Illuvagsverbaade. §§ 81—104 n.75 76) Titel VII. Gewerbliche Arbeiter (Gesellen, Gehilfen, Lehrlinge, Setrirbsbeamte, Verkmeißer, Techniker, Fabrikarbeiter). I. Allgemeine Verhältnisse. § 105. Die Festsetzung der Verhältnisse zwischen den selbständigen Gewerbetreibenden77)78und den gewerblichen Arbeitern™)79) ist, vor­ behaltlich der durch Reichsgesetz begründeten Beschränkungen, Gegen­ stand freier Übereinkunft. § 105 a. Zum Arbeiten an Sonn- und Festtagen können die Gewerbetreibenden die Arbeiter nicht verpflichten. Arbeiten, welche nach den Bestimmungen dieses Gesetzes auch an',Sonn- und Festtagen vorge­ nommen werden dürfen, fallen unter die vorstehende Bestimmung nicht. 75) Siehe jetzt Ges. v. 27. April 96 (GS. S. 90) betr. die Aufhebung der bestehenden Taxordn. für approb. Ärzte und Zahnärzte. 76) Die Vorschriften des Tit. VI sind ihres geringen strafrechtlichen Inter­ esses wegen hier nicht abgedruckt. 77) Ein Werkmeister wird dadurch, daß ihm die Annahme, Entlastung und Auslöhnung der Arbeiter überlasten ist, noch nicht zu einem selbständigen Ge­ werbetreibenden. Erk. v. 14. Juni 88, E. 18 S. 27. 78) Diejenigen Arbeiter, welche in einem Favriketablistement solche Ar­ beiten verrichten, welche in den Rahmen der zur Herstellung der Erzeugnisse der Fabrik erforderlichen Arbeiten fallen, sind gewerbliche Arbeiter int Sinne dieses Tit. VII. Erk. v. 5. Jan. 86, R. 8 S. 9. Über den Begriff des gewerblichen Arbeiters siehe insbes. Appelius in GA. 42 S. 368, ferner GA. 42 S. 300 U. Kayser-Steiniger, Anm 6. 79) Für Hausarbeiter d. h. für Werkstätten, in denen 1. jemand ausschließlich zu seiner Familie gehörige Personen gewerblich beschäftigt, 2. eine oder mehrere Personen gewerbliche Arbeit verrichten, ohne von einem den Werkstattbetrieb leitenden Arbeitgeber beschäftigt zu sein, gelten auch die Vorschriften des Hausarbeitsgesetzes v. 20. Dezbr. 11 (RGBl. S. 976).

Welche Tage als Festtage gelten, bestimmen unter Berücksichtigung der örtlichen und konfessionellen Verhältnisse die Landesregierungen.80) § 105 b. Im Betriebe von Bergwerken, Salinen, Aufbereitungs­ anstallen, Brüchen und Gruben, von Hüttenwerken, Fabriken81)82und 83 * Werkstätten,8?) von Zimmerplätzen und anderen Bauhöfen,88) von Wersten und Ziegeleien sowie bei Bauleu aller Art dürfen Arbeiter an Sonn- und Festtagen nicht beschäftigt werden.83a) Die den Arbeitern zu gewährende Ruhe hat mindestens für jeden Sonn- und Festtag vierundzwanzig, für zwei aufeinander folgende Sonn- und Festtage sechsunddreißig, für das Weihnachts-, Oster- und Pfingstfest achtund­ vierzig Stunden zu dauern. Die Ruhezeit ist von zwölf Uhr nachts zu rechnen und muß bei zwei auseinander folgenden Sonn- und Festtagen bis sechs Uhr abends des zweiten Tages dauern. In Be­ trieben mit regelmäßiger Tag- und Nachtschicht kann die Ruhezeit frühestens um sechs Uhr abends des vorhergehenden Werktags, spätestens um sechs Uhr morgens des Sonn- oder Festtags beginnen, wenn für die auf den Beginn der Ruhezeit folgenden vierundzwanzig Stunden der Betrieb ruht. 80) Wo keine neueren Bestimmungen ergangen sind, sind die älteren landes­ gesetzlichen Vorschriften in Kraft geblieben. Erk. v. 2. Oktbr. 93, E. 24 S. 268 ii. GA. 42 S. 301. 81) Ob eine Fabrik vorliegt, ist nach den Umständen des einzelnen Falles, insbesondere nach dem Umfange und Größe der Räumlichkeiten und der Zahl der regelmäßig beschäftigten Arbeiter, sowie nach der Arbeitsteilung unter den Arbeitern bei Herstellung der Produkte, auch nach der Herstellung der letzteren für den Handel usw. zu entscheiden. Erk. v. 18. Septbr. 88, R. 10 S. 495. Erk. v. 30. Dezbr. 02, E. 36 S. 37. Erk. v. 21. Novbr. 04, E. 37 S. 310. Daß nur eine geringe Anzahl von Arbeitern beschäftigt wird, schließt den Begriff für sich allein nicht aus. Erk. v. 10. Novbr. 85, R. 7 S. 655. Ein Damenkonfektionsgeschäft kann mit Rücksicht auf den Umfang des Be­ triebes und die Zahl der beschäftigten Arbeiter als eine Fabrik angesehen werden. Erk. v. 18. Oktbr. 86, R. 8 S. 625. Es entscheidet auch nicht, ob überhaupt Maschinen im Betriebe zur Anwendung kommen und ob diese durch elementare oder Menschenkräfte in Bewegung gesetzt werden. Erk v. 20. Oktbr. 94, E. 26 S. 161. So kann auch eine Buchdruckerei den Charakter einet Fabrik annehmen, Erk. v. 15. Febr. 83, R. 5 S. 119; ebenso eine mit Dampfmaschinen betriebene Wäscherei, Erk. v. 12. Novbr. 94, E. 26 S. 189; ferner ein Molkereigenossen­ schaftsbetrieb. Erk. v. 14. Dezbr. 91, E. 22 S. 288. 82) Werkstätle ist jeder dem handwerksmäßigen Betriebe gewidmete Raum, z. B. die Backstube des Bäckers, die Barbierstube rc. Johow 16 S. 446, 448 Eine Werkstätle betreibt auch der Inhaber eines Konfektionsgeschäfts, der das Umänbern der gekauften fertigen Kleider übernimmt. Erk. v. 13. Okt. 08, E. 42 S. 9. Auch Badeanstalten sollen nach d. Erk. v. 12. April 04, DIZ. 9 S. 816 u. GA. 51 S. 349 als Werkstätten angesehen werden können. Bezüglich Werk­ stätten der Hausarbeiter siehe Anm. 79. 83) Über den Begriff des Bauhofes siehe Erk. v.24. Febr. 90, E. 20 S. 287. 83 a) Auch derjenige Arbeitgeber beschäftigt, der die Tätigkeit des Arbeiters

464

XX. Gewerbeordnung § 105 b.

Im HandelsgewerbeM) dürfen Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter am ersten Weihnachts-, Oster- und Pfingsttag überhaupt nicht, im übrigen an Sonn- und Festtagen nicht länger als fünf Stunden bebeschäftigt werden. Durch statutarische Bestimmung einer Gemeinde oder eines weiteren Kommunalverbandes (§ 142) kann diese Beschäf­ tigung für alle oder einzelne Zweige des Handelsgewerbes aus kürzere

Zeit eingeschränkt oder ganz untersagt werden. Für die letzten vier Wochen vor Weihnachten sowie für einzelne Sonn- und Festtage, an

welchen örtliche Verhältnisse einen erweiterten Geschäftsverkehr erfor­ derlich machen, kann die Polizeibehörde eine Vermehrung der Stunden, während welcher die Beschäftigung stattfinden darf, bis auf zehn Stunden zulasten. Die Stunden, während welcher die Beschäftigung stattfinden darf, werden unter Berücksichtigung der für den öffentlichen

Gottesdienst bestimmten Zeit, sofern die Beschäftigungszeit durch statutarische Bestimmungen eingeschränkt worden ist, durch letztere, im übrigen von der Polizeibehörde festgestellt. Die Feststellung kann für verschiedene Zweige des Handelsgewerbes verschieden erfolgen. Die Bestimmungen des Abs. 2 finden auf die Beschäftigung von duldet; nur der beschäftigt nicht, der die Tätigkeit verbietet und verhindert. DIZ. 5 S. 397. 84) a. Das Handelsgewerbe umfaßt den Groß- und Kleinhandel u. Hausier­ handel , den Geld- und Kredithandel, Leihanstalten u. die Hilfsgewerbe des Handels, Spedition, Kommission usw. Mot. S. 28. Insbesondere gehört hierher auch der Handel mit Milch, GA. 41 S. 162, aber nicht der Handel mit Eis. GA. 42 S. 65. Das Gewerbe des Konditors setzt sich aus einem hand­ werksmäßigen Betriebe u. dem Handelsgewerbe zusammen. GA. 42 S. 291. b. Der Handel mit Theaterbilletten ist nicht als ein Handelsgeschäft anzu­ sehen. GA. 42 S. 431. c. Als Ausübung des Handelsgewerbes gilt dagegen der Dierverkauf über die Sttaße seitens eines Schankwitts. GA. 41 S. 161. d. Die Aushändigung bereits ftüher verkaufter Waren fällt ebenso unter Ausübung des Handelsgewerbes wie der Verkauf selbst. GA. 42 S. 289. e. Beim Milchhandel im Umherziehen fällt auch das Zurnckbringen un­ verkauft gebliebener Milch noch unter die Ausübung des Handelsgewerbes. GA. 42 S. 299. f. Da Handelsgewerbe die auf den Umsatz von Waren gerichtete Tätig­ keit ist, so sind nur diejenigen Arbeiter als in demselben beschäftigt anzusehen, welche bei dem Umsätze (z. B. dem Verpacken) Dienste leisten, nicht diejenigen, welche bei Herstellung der umzusetzenden Waren beschäftigt sind. GA. 42 S. 300. g. Die Gärtnerei als solche ist kein Handelsgewerbe. GA. 41 S. 431, — wohl aber die Kunst- und Handelsgärtnerei. Johow 22 S. C 16, DIZ. 7 S. 29. h. Ob der Betrieb eines Auskunftsbureaus als Handelsgewerbe angesehen werden kann, darüber siehe Erk. v. 19. Jan. 06, E. 38 S. 331. 85) Der Abs. 2 bezieht sich nicht bloß auf die Handlungsgehilfen, sondern auch auf Laufburschen, Hausdiener, Kutscher, Packer rc. GA. 46 S. 61.

Gehilfen, Lehrlingen und Arbeitern im Geschäftsbetriebe von Konsuntund anderen Vereinen entsprechende Anwendung. § 105 c. Die Bestimmungen des § 105 d finden keine Anwen­

dung: 1. auf Arbeiten, welche in Notfällen95 a) oder im öffentlichen In­ teresse unverzüglich vorgenommen werden müssen; 2. für einen Sonntag auf Arbeiten zur Durchführung einer ge­ setzlich vorgeschriebenen Inventur; 3. auf die Bewachung der Betriebsanlagen, auf Arbeiten zur Reinigung und Instandhaltung, durch welche der regelmäßige Fort­ gang des eigenen oder eines fremden Betriebs bedingt ist, sowie auf Arbeiten, von welchen die Wiederaufnahme des vollen werktägigen Betriebs abhängig ist, sofern nicht diese Arbeiten an Werktagen vor­ genommen werden können; 4. auf Arbeiten, welche zur Verhütung des Verderbens von Roh­ stoffen oder des Mißlingens von Arbeitserzeugniffen erforderlich sind, sofern nicht diese Arbeiten an Werktagen vorgenommen werden können;86 * *) 5. auf die Beauftichtigung des Betriebs, soweit er nach Ziffer 1 bis 4 an Sonn- und Festtagen stattfindet. Gewerbetreibende, welche Arbeiter an Sonn- und Festtagen mit Arbeiten der unter Ziffer 1 bis 5 erwähnten Art beschäftigen, sind verpflichtet, ein Verzeichnis anzulegen, in welches für jeden einzelnen Sonn- und Festtag die Zahl der beschäftigten Arbeiter, die Dauer ihrer Beschäftigung sowie die Art der vorgenommenen Arbeiten einzutragey sind. Das Verzeichnis ist auf Erfordern der Ortspolizei­ behörde sowie dem im § 139 b bezeichneten Beamten jederzeit zur Einsicht vorzulegen. Bei den unter Ziffer 3 und 4 bezeichneten Arbeiten, sofern die­ selben länger als drei Stunden dauern, oder die Arbeiter am Besuche des Gottesdienstes hindern, sind die Gewerbetreibenden verpflichtet, jeden Arbeiter entweder an jedem dritten Sonntage volle sechsund­

dreißig Stunden, oder an jedem zweiten Sonntage mindestens in der Zeit von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends von der Arbeit frei zu lassen. Ausnahmen von den Vorschriften des vorstehenden Absatzes darf die untere Verwaltungsbehörde gestatten, wenn die Arbeiter am Be­ suche des sonntäglichen Gottesdienstes nicht gehindert werden und 85 a) Notfall ist nicht gleichbedeutend mit Eilfall; es muß sich um die Be­ seitigung einer Not handeln. Johow 14 S. 318, DIZ. 10 S. 173. 86) Wie viele Arbeiter dazu verwendet sind, ist gleichgülttg, entscheidend ist, daß nur solche Arbeiten verrichtet sind, welche zur Verhütung des Ver­ derbens von Rohstoffen (Fischen) notwendig waren. GA. 41 S. 314.

Da lcke, Strafr. 13. Aust. *

30

ihnen an Stelle des Sonntags eine vierundzwanzigstündige Ruhezeit

an einem Wochentage gewährt wird.

L 105 d. Für bestimmte Gewerbe, insbesondere für Betriebe, in denen Arbeiten vorkommen, welche ihrer Natur nach eine Unterbrechung oder einen Aufschub nicht gestatten,86 * *•) ** *sowie * * für Betriebe, welche ihrer Natur nach auf bestimmte Jahreszeiten beschränkt sind, oder welche in gewiffen Zeiten des Jahres zu einer außergewöhnlich verstärkten Tätigkeit genötigt sind, können durch Beschluß des Bundesrats Aus­ nahmen von der Bestimmung des § 105 b Abs. 1 zugelassen werden. Die Regelung der an Sonn- und Festtagen in diesen Betrieben gestatteten Arbeiten und der Bedingungen, unter welchen sie gestattet sind, erfolgt für alle Bettiebe derselben Art gleichmäßig und unter Berücksichtigung der Bestimmung des § 105 c Abs. 3. Die vom Bundesrate getroffenen Bestimmungen sind durch das Reichs-Gesetzblatt zu veröffentlichen und dem Reichstage bei seinem nächsten Zusammenttitte zur Kenntnisnahme vorzulegen.88'') § 105 e. Für Gewerbe, deren vollständige oder teilweise Ausübung an Sonn- und Festtagen zur Beftiedigung täglicher oder an diesen Tagen besonders hervorttetender Bedürfnisse der Bevölkerung erforder­ lich ist, sowie für Bettiebe, welche ausschließlich oder vorwiegend mit durch Wind oder unregelmäßige Wasserkraft86 c) bewegten Triebwerken arbeiten, können durch Verfügung der höheren Verwaltungsbehörde

Ausnahmen von den im § 105 b getroffenen Bestimmungen zugelassen werden. Die Regelung dieser Ausnahmen hat unter Berücksichtigung der Bestimmungen des § 105 c Abs. 3 zu erfolgen. Der Bundesrat trifft über die Voraussetzungen und Bedingungen der Zulassung von Ausnahmen nähere Bestimmungen; dieselben sind dem Reichstage bei seinem nächsten Zusammentritte zur Kenntnisnahme

mitzuteilen.86 d) Das Verfahren auf Anträge wegen Zulassung von Ausnahmen

für Betriebe, welche ausschließlich oder vorwiegend mit durch Wind oder unregelmäßige Wasserkraft bewegten Triebwerken arbeiten, unter­ liegt den Vorschriften der §§ 20 und 21. § 105 f. Wenn zur Verhütung eines unverhältnismäßigen Schadens 86 a) Z. B. Betriebe mit ununterbrochenem Feuer. 86 b) Bek. v. 5. Febr. 95, betr. Ausnahmen von dem Verbot der Sonntags­ arbeit im Gewerbebettiebe (RGBl. 12) u. dazu Bek. v. 23. Mai 06, RGBl. S. 477. 86 c) Das ist jede Wasserttaft, welche nicht stets in gleichem und ausreichen­ dem Maße zur Verfügung steht. Kayser-Steiniger, Anm. 3. 86 d) Bek. v. 3. April 01, bett. Ausnahme von den Bestimmungen über die Sonntagsruhe (RGBl. S. 117).

ein nicht vorherzusehendes Bedürfnis der Beschäftigung von Arbeitern an Sonn- und Festtagen eintritt, so können durch die untere Ver­ waltungsbehörde Ausnahmen von der Bestimmung des § 105 b Ab­ satz 1 für bestimmte Zeit zugelassen werden. Die Verfügung der unteren Verwaltungsbehörde ist schriftlich zu erlassen und muß von dem Unternehmer auf Erfordern dem für die Revision zuständigen Beamten an der Bettiebsstelle zur Einsicht vorgelegt werden. Eine Abschrift der Verfügung ist innerhalb der Betriebsstätte an einer den Arbeitern leicht zugänglichen Stelle aus­

zuhängen. Die untere Verwaltungsbehörde hat über die von ihr gestatteten Ausnahmen ein Verzeichnis zu führen, in welchem die Betriebsstätte, die gestatteten Arbeiten, die Zahl der in dem Betriebe beschäftigten und der an den betreffenden Sonn- und Festtagen tätig gewesenen Arbeiter, die Dauer ihrer Beschäftigung sowie die Dauer und die Gründe der Erlaubnis einzutragen sind. § 105 g. Das Verbot der Beschäftigung von Arbeitern an Sonnund Festtagen kann durch Kaiserliche Verordnung mit Zustimmung des Bundesrats auf andere Gewerbe ausgedehnt werden. Diese Ver­ ordnungen sind dem Reichstage bei seinem nächsten Zusammenttitte zur Kenntnisnahme vorzulegen. Auf die von dem Verbote zuzu­ lassenden Ausnahmen finden die Bestimmungen der §§ 105c bis 105 entsprechende Anwendung. § 105 h. Die Bestimmungen der §§ 105 a bis 105 g stehen weiter­ gehenden landesgesetzlichen Beschränkungen der Arbeit an Sonn- und

Festtagen nicht entgegen. Den Landes-Zentralbehörden bleibt Vorbehalten, für einzelne Fest­ tage, welche nicht auf einen Sonntag fallen, Abweichungen von der Vorschrift des § 105 b Absatz 1 zu gestatten. Auf das Weihnachts-, Neujahrs-, Oster-, Himmelfahrts- und Pfingstfest findet diese Bestim­ mung keine Anwendung. § 105 i. Der § 105 a Abs. 1 und die §§ 105 b bis 105 g finden aus Gast- und Schankwirtschastsgewerbe, Musikaufführungen, Schau­ stellungen, theatralische Vorstellungen oder sonstige Lustbarkeiten sowie auf Verkehrsgewerbe keine Anwendung.87)

87) Auch in Gast- und Schankwirtschaften ist der Handel, welcher regelmäßig in denselben betrieben zu werden pflegt, auch der mittels Automaten, nicht gestattet, GA. 42 S. 293; zulässig ist nur die Verabreichung von Speisen und Gettänken zum Genuß auf der Stelle, nicht der Verkauf derselben über die Sttaße. Siehe inSbes. GA. 43 S. 68. Der Handel mit Flaschenbier wird Schankwirtschaft, sobald es zum Genuß auf der Stelle verabfolgt wird. Auch der sog. Gaffenschank von Bier aus dem Faß, das außerhalb der Schankstätte genossen wird, gehört hierher. GA. 50 S. 335.

468

XX. Gewerbeordnung §§ 106—109.

Die Gewerbetreibenden können die Arbeiter in diesen Gewerben nur zu solchen Arbeiten an Sonn- und Festtagen verpflichten, welche nach der Natur des Gewerbebetriebs einen Aufschub oder eine Unter­ brechung nicht gestatten. § 106. Gewerbetreibende, welchen die bürgerlichen Ehrenrechte ab­ erkannt sind, dürfen, solange ihnen diese Rechte entzogen bleiben, mit der Anleitung von Arbeitern unter achtzehn Jahren sich nicht befassen.87ft) Die Entlassung der dem vorstehenden Verbote zuwider beschäftigten Arbeiter kann polizeilich erzwungen werden. § 107. Minderjährige Personen dürfen, soweit reichsgesetzlich nicht ein anderes zugelassen ist, als Arbeiter nur beschäfttgt werden, wenn sie mit einem Arbettsbuche versehen sind. Bei der Annahme solcher Arbeiter hat der Arbeitgeber das Arbeitsbuch einzufordern. Er ist verpflichtet, dasselbe zu verwahren, auf amtliches Verlangen vor­ zulegen und nach rechtmäßiger Lösung des Arbeilsverhältnisses wieder auszuhändigen. Die Aushändigung erfolgt an den gesetzlichen Bertteter, sofern dieser es verlangt, oder der Arbeiter das sechzehnte Lebens­ jahr noch nicht vollendet hat, anderenfalls an den Arbeiter selbst. Mit Genehmigung der Gemeindebehörde des im § 108 bezeichneten Ortes kann die Aushändigung des Arbeitsbuchs auch an die zur gesetzlichen Vertretung nicht berechtigte Mutter oder einen sonstigen Angehörigen

oder unmittelbar an den Arbeiter erfolgen. Aus Kinder, welche zum Besuche der Volksschule verpflichtet sind, finden vorstehende Bestimmungen keine Anwendung. § 108. Das Arbeitsbuch wird dem Arbeiter durch die Polizei­ behörde desjenigen Ortes, an welchem er zuletzt seinen dauernden Aufenthalt gehabt hat, wenn aber ein solcher im Gebiete des Deutschen Reichs nicht stattgefunden hat, von der Polizeibehörde des von ihm zuerst erwählten deutschen Arbeitsorts kosten- und stempelftei ausge­ stellt. Die Ausstellung erfolgt auf Antrag oder mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters. Ist die Erklärung des gesetzlichen Bertteters nicht zu beschaffen oder verweigert dieser die Zustimmung ohne ge­ nügenden Grund und zum Nachteile des Arbeiters, so kann die Ge­ meindebehörde die Zustimmung ergänzen. Vor der Ausstellung ist nachzuweisen, daß der Arbeiter zum Besuche der Volksschule nicht mehr verpflichtet ist, und glaubhaft zu machen, daß bisher ein Arbeitsbuch für ihn noch nicht ausgestellt war. § 109. Wenn das Arbeitsbuch vollständig ausgefüllt oder nicht mehr brauchbar, oder wenn es verloren gegangen obgr vernichtet ist, 87 a) Der Gewcrbtteibende darf aber einen Bertteter mit der Anleitung betrauen. Siehe Lt a y s e r - S t e i n i g e r, Amn. 5.

so wird an Stelle desselben ein neues Arbeitsbuch ausgestellt.

Ausstellung erfolgt durch die Polizeibehörde

desjenigen

Die

Ortes,

an

welchem der Inhaber des Arbeitsbuchs zuletzt seinen dauernden Aufent­ halt gehabt hat.

Das ausgefüllte oder nicht mehr brauchbare Arbeits­

buch ist durch einen amtlichen Vermerk zu schließen.

Wird das neue Arbeitsbuch an Stelle eines nicht mehr brauch­ baren, eines verloren gegangenen oder vernichteten Arbeitsbuchs aus­ gestellt, so ist dies darin zu vermerken.

Für die Ausstellung kann in

diesem Falle eine Gebühr bis zu fünfzig Pfennig erhoben werden. 8 110.

Das Arbeitsbuch (§ 108) muß den Namen des Arbeiters,

Ort, Jahr und Tag seiner Geburt, Namen und letzten Wohnort seines

gesetzlichen Vertreters und die Unterschrift des Arbeiters enthalten. Die Ausstellung erfolgt unter dem Siegel und der Unterschrift der Letztere hat über die von ihr ausgestellten Arbeitsbücher

Behörde.

ein Verzeichnis zu führen. Die Einrichtung der Arbeitsbücher wird durch den Reichskanzler

bestimmt. § 111.

Bei dem Eintritte des Arbeiters in das Arbeitsverhältnis

hat der Arbeitgeber an der dafür bestimmten Stelle des Arbeitsbuchs

die Zeit des Eintritts und die Art der Beschäftigung, am Ende des Arbeilsverhältnisses die Zeit des Austritts und, wenn die Beschäfti­ gung Änderungen erfahren hat, die Art der letzten Beschäftigung des

Arbeiters einzutragen.

Die Eintragungen sind mit Tinte zu bewirken und von dem Arbeit­

geber oder dem dazu bevollmächtigten Betriebsleiter zu unterzeichnen. Die Eintragungen dürfen nicht mit einem Merkmale8e) versehen sein, welches den Inhaber des Arbeitsbuchs günstig oder nachteilig zu

kennzeichnen bezweckt. Die

Eintragung

eines

Urteils

über

die

Führung

oder

die

Leistungen des Arbeiters und sonstige durch dieses Gesetz nicht vor­

gesehene Eintragungen oder Vermerke in oder an dem Arbeitsbuche

sind unzulässig. § 112.

Ist das Arbeitsbuch bei dem Arbeitgeber unbrauchbar

geworden, verloren gegangen oder vernichtet, oder sind von dem Arbeit­ geber unzulässige Merkmale, Eintragungen oder Vermerke in oder an dem Arbeilsbuche gemacht, oder wird von dem Arbeitgeber ohne recht­ mäßigen Grund die Aushändigung des Arbeitsbuchs verweigert, so 88) Bewirkt der Arbeiter, daß die Polizeibehörde unrichtige Angaben über seine Verhältniffe in das Buch einttägt, so liegt darin nicht der Tatbestand intellektueller Urkundenfälschung. Erk. v. 30. Juni 90, E. 21 S. 31. 89) Das sind solche besondere Zeichen, deren Bedeutung für den Unein­ geweihten nicht ohne weiteres erkennbar ist. Erk. v. 6. Novbr. 91, E. 22 S. 200.

470

XX. Gewerbeordnung §§ 113—114a.

kann die Ausstellung eines neuen Arbeitsbuchs auf Kosten des Arbeit­ gebers beansprucht werden. Ein Arbeitgeber, welcher das Arbeitsbuch seiner gesetzlichen Ver­ pflichtung zuwider nicht rechtzeitig ausgehändigt oder die vorschriftsniäßigen Eintragungen zu machen unterlassen oder unzulässige Merk­ male, Eintragungen oder Vermerke gemacht hat, ist dem Arbeiter

entschädigungspflichtig. Der Anspruch auf Entschädigung erlischt, wenn er nicht innerhalb vier Wochen nach seiner Entstehung im Wege d^r Klage oder Einrede geltend gemacht ist.

§ 113. Beim Abgänge können die Arbeiter ein Zeugnis über die Art und Dauer ihrer Beschäftigung fordern. Dieses Zeugnis ist auf Verlangen der Arbeiter auch aus ihre Führung und ihre Leistungen auszudehnen. Den Arbeitgebern ist untersagt, die Zeugnisse mit Merkmalen zu versehen, welche den Zweck haben, den Arbeiter in einer aus dem Wortlaute des Zeugnisses nicht ersichtlichen Weise zu kennzeichnen. Ist der Arbeiter minderjährig, so kann das Zeugnis von dem gesetzlichen Vertreter gefordert werden. Dieser kann verlangen, daß das Zeugnis an ihn, nicht an den Minderjährigen ausgehändigt werde. Mit Genehmigung der Gemeindebehörde des im § 108 be­ zeichneten Ortes kann auch gegen den Willen des gesetzlichen Vertreters die Aushändigung unmittelbar an den Arbeiter erfolgen.

§ 114. Auf Antrag des Arbeiters hat die Ortspolizeibehörde die Eintragung in das Arbeitsbuch und das dem Arbeiter etwa aus­ gestellte Zeugnis kosten- und stempelfrei zu beglaubigen. § 114 a.89 * **)* *Für bestimmte Gewerbe kann der Bundesrat Lohn­ bücher oder Arbeitszettel vorschreiben89 und die zur Ausführung erforderlichen Bestimmungen erlassen. In die Lohnbücher oder Arbeitszettel sind von dem Arbeitgeber oder einem dazu bevollmächtigten Be­ triebsbeamten einzutragen: 1. der Zeitpunkt der Übertragung von Arbeit, Art und Umfang

der Arbeit, bei Akkordarbeit die Stückzahl, 2. die Lohnsätze,89^) 3. die Bedingungen für die Lieferung von Werkzeugen und Stoffen zu den Arbeiten, 89a) Die Fassung des 8 114a sowie die 88 114d bis 114e beruhen auf dem Gesetz v. 27. Dezbr. 11 (RGBl. 12 S. 139). 89 b) Siehe Bek. v. 9. Dezbr. 02 (RGBl. S. 295) bett, die Einführung von Lohnbüchern für die Kleider- und Wäschekonfektton. 89 c) Zum Lohn sind nicht zu rechnen Vereinbarungen über die dem Arbeiter zu gewährende freie Zeit und über die Erlaubnis, sich Nebenverdienst zu ver­ schaffen. GA. 49 S. 350.

4.

der Zeitpunkt der Ablieferung sowie Art und Umfang der ab­ gelieferten Arbeit,

5.

der Lohnbetrag unter Angabe der etwa vorgenommenen Abzüge,

6.

der Tag der Lohnzahlung.

Der Bundesrat

kann

bestimmen, daß in die Lohnbücher oder

Arbeitszettel auch die Bedingungen für die Gewährung von Kost und Wohnung eingetragen werden, sofern Kost oder Wohnung als Lohn

oder Teil des Lohnes gewährt werden soll. Im übrigen sind noch solche Eintragungen zulässig, welche sich auf Namen, Firma und Niederlassungsort des Arbeitgebers, Namen

und Wohnort des Arbeiters, die übertragenen Arbeiten und die dafür vereinbarten oder gezahlten Löhne beziehen.

Für die Eintragungen

gelten entsprechend § 111 Abs. 3, 4, § 118 Abs. 3. § 114 b.

Das Lohnbuch oder der Arbeitszettel ist von dem Arbeit­

geber auf seine Kosten zu beschaffen und dem Arbeiter sofort nach Voll­

ziehung der vorgefchriebenen Eintragungen kostenfrei auszuhändigen. Die Eintragungen sind von dem Arbeitgeber oder einem dazu bevoll-

niächtigten Betriebsbeamten zu unterzeichnen.

Der Bundesrat kann

bestimmen, daß die Lohnbücher in der Betriebsstätte verbleiben, wenn

die Arbeitgeber glaubhaft machen, daß die Wahrung von Fabrikations­ geheimnissen diese Maßnahme erheischt.

Den beteiligten Arbeitern ist

Gelegenheit zu geben, sich vor Erlaß dieser Bestimmung zu äußern. Sofern nicht der Bundesrat anders bestimmt, sind die Eintragungen gemäß § 114a Abs. 1 Nr. 1 bis 3 vor oder bei der Übergabe der

Arbeit, die gemäß § 114a Abs. 1 Nr. 4 bei der Abnahme der Arbeit, die gemäß § 114a Abs. 1 Nr. 5, 6 bei der Lohnzahlung mit Tinte zu bewirken und zu unterzeichnen. In den Lohnbüchern sind die §§ 115 bis 119a Abs. 1, § 119b

abzudrucken. § 114 c.

Soweit der Bundesrat Bestimmungen auf Grund des

§ 114 a Abs. 1, 2 nicht erläßt, kann die Landeszentralbehörde oder

nach Anhören beteiligter Gewerbetreibender und Arbeiter die zuständige Polizeibehörde durch Polizeiverordnung sie erlassen.

Für diesen Fall

kann die Landeszentralbehörde oder die zuständige Polizeibehörde auch Bestimmungen auf Grund des § 114 b Abs. 2 erlassen.

§ 114 d.

Bundesrat und Landeszentralbehörde können die Be-

stinlmungen auf Grund der §§ 114 a bis 114 c auch für einzelne Be­ zirke erlassen.

§ 114 e.

entsprechend.

Für die Bestimmungen des Bundesrats gilt § 120g

472

XX. Gewerbeordnung § 115.

§ 115. Die Gewerbetreibenden sind verpflichtet, die Löhne ihrer Arbeiter in Reichswährung zu berechnen und bar auszuzahlen. "Oj Sie dürfen den Arbeitern keine Waren kreditieren. Doch ist es gestattet, den Arbeitern Lebensmittel **2)* *für S. * den * * Betrag der Anschasfungskosten, 93) Wohnung und Landnutzung gegen die ortsüblichen Miet- und Pachtpreise, Feuerung, Beleuchtung, regelmäßige Be­ köstigung,9^)10 Arzneien und ärztliche Hilse sowie Werkzeuge und 89 d) Darüber, inwieweit die in der Hausindustrie beschäfttgten Arbeiter gewerbliche Arbeiter sind, siehe Erk. v. 5./12. Juni 99, E. 32 L. 224. 90) Die Zahlung des Lohnes muß unbedingt bar erfolgen, nicht durch Anweisung (Bons), Erk. v. 19. April 80, E. 1 S. 386, u. v. 8. Jan. 83, R. 5 S. 18; ebensowenig durch Marken, Erk. v. 22. Septbr. 82, E. 7 S. 38; auch nicht durch Abzug der Forderung eines Dritten an den Arbeiter für entnommene Waren, Erk. v. 2. Febr. 94, GA. 42 S. 46; ferner auch nicht durch Abzug einer persönlichen Forderung, die der Gewerbetreibende oder dessen Beauftragter an den Arbeiter hat; Erk. v. 17. Novbr. 94, E. 26 S. 208; auch nicht durch Wechsel, ausgenommen, wenn der letztere nicht als Zahlung gelten, sondern nur zur Sicherung des Lohnes gegeben wird; Erk. v. 27. März 88, E. 17 S. 285. Wohl aber ist statthaft, daß der Arbeitgeber Marten als Lohnvorschüsse gibt, daß die Arbeiter diese Marken bei Dritten bei Entnahme von Waren in Zahlung geben und daß der Arbeitgeber später diese Marken bei den Dritten gegen Bar­ zahlung einlöst. Erk. v. 28. Septbr. 96, E. 29 S. 95. Die Marken dienen hier nur gewissermaßen als Beweismittel für die von dem Arbeitgeber geleistete Bürgschaft. Bgl. auch Erk. v. 17. Novbr. 96, E. 29 S. 190. Auch ist es nicht ausgeschlossen, daß den Arbeitern bei der Auszahlung des Lohnes gewisse Abzüge gemacht werden, Erk. v. 13. Dezbr. 83, R. 5 S. 779, und noch weniger fällt es unter dies Gesetz, wenn der Arbeiter den eben empfangenen Lohn unmittelbar darauf im Geschäfte des Arbeitgebers zum An­ kauf von Waren verwendet, Erk. v. 18. Dezbr. 85, E. 12 S. 182. Desgleichen selbständige Gewerbeunternehmer, die selbst Gehilfen beschäfttgen, welche aber einem anderen Unternehmer die Arbeit liefern, müssen, wenn sie zu dem letzteren in wittschaftlicher Abhängigkeit stehen, ihren Lohn bar erhalten. Erk. v. 21. Jan. 86, R. 8 S. 66. 91) Aber sie können den Arbeitern Waren gegen Barzahlung verkaufen. Erk. v. 20. Oktbr. 91, E. 22 S. 177. Die für kreditterte Waren geschuldeten Bettäge dürfen von dem Arbeitslöhne auch dann nicht gekürzt werden, wenn dieser zunächst bar bezahlt wird, GA. 38 S. 375. Erk. v. 12. Novbr. 82, E. 7 S. 197, und dazu Stenglein, Anm. 3 u. 4 zu § 115a u. Anm. 79 zu 8115a. Es kommt nicht darauf an, ob ein Borgverhältnis den Arbeitern und ihren Familien Vorteile gewähren soll it. wirklich gewährt. Erk. v. 19. Avr. 09, E. 42 S. 298. Im übrigen siehe Anm. 90. 92) Im Übermaß verabfolgter Branntwein ist kein Lebensmittel, Erk. v. 10. Jan. 89, E. 20 S. 217; ebensowenig sind dahin Haushaltungsgegenstände zu rechnen, sondern nur Nahrungsmittel. Erk. v. 26. April 87, R. 9 S. 289. Bgl. auch Erk. v. 23. Septbr. 97, E. 30 S. 253. 93) Darunter sind nicht bloß die Einkaufspreise zu verstehen, sondern auch andere Aufwendungen, wie Transportkosten usw. Erk. v. 19. Novbr. 88, E. 18 S. 224. 94) Über die regelmäßige Beköstigung siehe Erk. v. 14. Juni 88, R.10 S. 422.

Stoffe zu den ihnen übertragenen Arbeiten für den Betrag der durch­ schnittlichen Selbstkosten95) unter Anrechnung bei der Lohnzahlung

zu verabfolgen. Zu einem höheren Preise ist die Verabfolgung von Werkzeugen und Stoffen für Akkordarbeiten zulässig, wenn derselbe den ortsüblichen nicht übersteigt und im voraus vereinbart ist.96) § 115 a. Lohn- und Abschlagszahlungen dürfen in Gast- und Schankwirtschaften oder Verkaufsstellen nicht ohne Genehmigung der unteren Verwaltungsbehörde erfolgen; sie dürfen an Dritte nicht erfolgen auf Grund von Rechtsgeschäften oder Urkunden über Rechts­ geschäfte, welche nach § 2 des Gesetzes, betreffend die Beschlagnahme des Arbeits- oder Tienstlohns, vom 21. Juni 1869 (Bundes-Gesetzbl.

S. 242) rechtlich unwirksam fiitb.97)98

8 116. Arbeiter, deren Forderungen in einer dem § 115 zu­ widerlaufenden Weise berichtigt worden find, können zu jeder Zeit

Zahlung nach Maßgabe des § 115 verlangen, ohne daß ihnen eine Einrede aus dem an Zahlungsstatt Gegebenen entgegengesetzt werden kann. Letzteres fällt, soweit es noch bei dem Empfänger vorhanden oder dieser daraus bereichert ist, derjenigen Hilfskasse zu, welcher der

Arbeiter angehört, in Ermangelung einer solchen einer anderen zum Besten der Arbeiter an dem Orte bestehenden, von der Gemeinde­ behörde zu bestimmenden Kasse und in deren Ermangelung der Ortsarmenkasse. § 117. Verträge, welche dem § 115 zuwiderlaufen, sind nichtig. Dasselbe gilt von Verabredungen zwischen den Gewerbetreibenden und den von ihnen beschäftigten Arbeitern über die Entnahme der

Bedürfnisse der letzteren aus gewissen Verkaufsstellen sowie überhaupt über die Verwendung des Verdienstes derselben zu einem anderen Zwecke als zur Beteiligung an Einrichtungen zur Verbesserung der Lage der Arbeiter oder ihrer Familien.96)

95) Die Selbstkosten decken sich nicht mit den Anschaffungskosten, sondern umfassen auch die Aufwendungen für Aufbewahrung, Unterhaltung der Waren usw. Erk. v. 27. Juni 95, E. 27 S. 321. 90) Die Vorschrift des § 115 kann auch fahrlässigerweise übertreten werden. Erk. v. 11. Juni 91, E. 22 S. 43. 97) Durch diese neuere Bestimmung sind schlechthin alle Lohn- und Ab­ schlagszahlungen, welche statt an die forderungsberechtigten Arbeiter auf Grund von Rechtsgeschäften, welche nach dem Ges. v. 2. Juni 69 rechtlich unwirksam sind, erfolgen, verboten, auch wenn der Dritte eine Vollmacht zur Erhebung seiner Forderung erhalten hat. Erk. v. 13. Juni 95, E. 27 S. 289. 98) Der § 117 bezieht sich nur auf den § 115, nicht auf den 8 115 a. Siehe das in vor. Anm. zit. Erk. Strafbar sind nicht die Verträge an sich, sondern nur ihre Ausführung. Kayser-Steiniger, Anm. 2.

474

XX. Gewerbeordnung §§ 118—119b.

§ 118. Forderungen für Waren, welche dem § 115 zuwider kreditiert worden sind, können von dem Gläubiger weder eingeklagt, noch durch Anrechnung oder sonst geltend gemacht werden, ohne Unter­ schied, ob sie zwischen den Beteiligten unmittelbar entstanden oder mittelbar erworben sind. Dagegen fallen dergleichen Forderungen der

im § 116 bezeichneten Kasse zu. § 119. Den Gewerbetreibenden im Sinne der §§ 115 bis 118 sind gleich zu achten deren Familienglieder, Gehilfen, Beauftragte,^) Geschäftsführer, Aufseher und Faktoren sowie andere Gewerbetreibende,

bei deren Geschäft eine der hier erwähnten Personen unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist. § 119 a. Lohneinbehaltungen, welche von Gewerbeunternehmern zur Sicherung des Ersatzes eines ihnen aus der widerrechtlichen Aus­

lösung des Arbeitsverhältnisses erwachsenden Schadens oder einer für diesen Fall verabredeten Strafe ausbedungen werben, dürfen bei den

einzelnen Lohnzahlungen ein Viertel des fälligen Lohnes, im Ge­ samtbeträge den Betrag eines durchschnittlichen Wochenlohnes nicht übersteigen. Durch statutarische Bestimmung einer Gemeinde oder eines weiteren

Kommunalverbandes (§ 142) kann für alle Gewerbebetriebe oder ge­ wisse Arten derselben festgesetzt werden: 1. daß Lohn- und Abschlagszahlungen in sesten Fristen erfolgen müssen, welche nicht länger als einen Monat und nicht kürzer als

eine Woche sein dürfen; 2. daß der von minderjährigen Arbeitern verdiente Lohn an die Eltern oder Vormünder und nur mit deren schriftlicher Zustimmung oder nach deren Bescheinigung über den Empfang der letzten Lohn­ zahlung unmittelbar an die Minderjährigen gezahlt wird; 3. daß die Gewerbetreibenden den Eltern oder Vormündern inner­ halb gewisser Fristen Mitteilung von den an minderjährige Arbeiter gezahlten Lohnbettägen zu machen haben. § 119b. Unter den in §§ 114a bis 119a bezeichneten Arbeitern werden auch diejenigen Personen verstanden, welche für bestimmte Ge­ werbetreibende außerhalb der Arbeitsstätten der letzteren mit der An­ fertigung gewerblicher Erzeugnisse beschäftigt sind, und zwar auch dann, wenn sie die Roh- und Hilssstoffe selbst beschaffen. l0°) 99) Der Wirt der Kantine kann als Beaufttagter angesehen werden. Siehe das in Anm. 94 zit. Erk. 100) Hierunter fallen auch ohne ausdrücklich vereinbatten Dienstvertrag alle sog. Hans- oder Heimarbeiter, welche nur an einen bestimmten Gewerbe­ treibenden als Arbeitsherrn ihre Arbeiten absetzen können. Erk. v. 12. Oktbr.

§ 120.100 * * *ft)* * Die * * Gewerbeunternehmer sind verpflichtet, ihren Ar­

beitern unter achtzehn Jahren, welche eine von der Gemeindebehörde oder vom Staate als Fortbildungsschule anerkannte Unterrichtsanstalt besuchen, hierzu die erforderlichenfalls von der zuständigen Behörde festzusetzende Zeit zu gewähren. Am Sonntage darf der Unterricht nur stattfinden, wenn die Unterrichtsstunden so gelegt werden, daß die Schüler nicht gehindert werden, den HauPtgoUesdienst oder einen mit Genehmigung der kirchlichen Behörden für sie eingerichteten be­ sonderen Gottesdienst ihrer Konfession zu besuchen.l) Ausnahmen von dieser Bestimmung kann die Zentralbehörde für bestehende Fort­ bildungsschulen, zu deren Besuche keine Verpflichtung besteht, bis zum

1. Oktober 1894 gestatten. Als Fortbildungsschulen im Sinne dieser Bestimmung gelten auch

Anstalten, in welchen Unterricht in weiblichen Hand- und Hausarbeiten erteilt wird. Die Pflicht zum Besuch einer Fortbildungsschule kann, soweit sie

nicht nach Landesgesetz besteht, durch statutarische Bestimmung einer Gemeinde oder eines weiteren Kommunalverbandes (§ 142) für die im Abs. 1 bezeichneten Arbeiter eingeführt werden. Diese Pflicht

besteht dann auch für die Zeit ihrer Arbeitslosigkeit. Auf demselben Wege können die zur Durchführung dieser Verpflichtung erforderlichen Bestimmungen getroffen werden. Insbesondere können durch statu­ tarische Bestimmung die zur Sicherung eines regelmäßigen Schulbe­ suchs den Schulpflichtigen sowie deren Eltern, Vormündern und Ar­ beitgebern obliegenden Verpflichtungen bestimmt und diejenigen Vor­ schriften erlassen werden, durch welche die Ordnung in der Fort­ bildungsschule und ein gebührliches Verhalten der Schüler gesichert wird. Bon der durch statutarische Bestimmung begründeten Verpflich­ tung zum Besuch einer Fortbildungsschule sind diejenigen befreit, 85, R. 7 S. 569. Auch die Arbeiter gehören hierher, welche nur gelegentlich, um sich einen Nebenverdienst zu verschaffen, arbeiten. Erk. v. 18. Dezbr. 85, E. 12 S. 182; ebenso selbständige Gewerbetreibende, die selbst Gehilfen be­ schäftigen, welche ausschließlich für einen Unternehmer und nicht für das Publi­ kum arbeiten. Erk. v. 21. Jan. 86, R. 8 S. 66. Daß der Heimarbeiter auch für mehrere Gewerbetreibende beschäftigt ist, ist ohne Belang. Erk. v. 17. Novbr. 87, R. 9 S. 615. 100 a) Die Fassung beruht auf dem Ges. v. 27. Dezbr. 11 (RGBl. 12 S. 139). 1) Es kommt bei der Beurteilung der Strafbarkeit (wegen Versäumnis des Unterrichts) nur darauf an, ob der Unterricht während der Zeit des Haupt­ gottesdienstes der Konfession, welcher der Angekl. angehört, stattgefunden hat. Ist dies der Fall, so ist der Angekl. nicht strafbar, gleichviel ob er den Gottes­ dienst besucht hat, oder nicht. GA. 42 S. 431.

welche eine Jnnungs- ober andere Fortbildungs- oder Fachschule be­ suchen, sofern der Unterricht dieser Schule von der höheren Verwal­ tungsbehörde als ein ausreichender Ersatz des allgemeinen Fortbildungsschulunterrichts anerkannt wird.2) 3 Die im Abs. 3 Satz 1 ausgesprochene Pflicht kann für eine Ge­ meinde oder einen weiteren Kommunalverband durch Anordnung der höheren Verwaltungsbehörde eingeführt werden, wenn ungeachtet einer von ihr aus Antrag beteiligter Arbeitgeber oder Arbeiter an die Ge­ meinde oder den weiteren Kommunalverband erlassenen Aufforderung innerhalb der gesetzten Frist das Statut nicht erlassen worden ist. Die im Abs. 3 vorgesehenen Bestimmungen werden in diesem Falle von der höheren Verwaltungsbehörde getroffen. Gegen die Aufforderung und die Anordnungen der höheren Verwaltungsbehörde ist Beschwerde an die Landeszentralbehörde zulässig. Die Unterrichtszeiten werden von der hierfür nach Landesrecht zuständigen Behörde festgesetzt und bekauntgemacht. § 120 a. Die Gewerbeunteruehmers) sind verpflichtet, die Arbeits­ räume, Betriebsvorrichtungen, Maschinen und Gerätschaften so einzu­ richten und zu unterhalten und den Betrieb so zu regeln, daß die Arbeiter gegen Gefahren für Leben und Gesundheit soweit geschützt sind, wie es die Natur des Betriebs gestattet.4) Insbesondere ist für genügendes Licht, ausreichenden Luftraum und Luftwechsel, Beseitigung des bei dem Betrieb entstehenden Staubes, der dabei entwickelten Dünste und Gase sowie der dabei entstehenden Abfälle Sorge zu tragen. Ebenso sind diejenigen Vorrichtungen' herzustellen, welche zum Schutze der Arbeiter gegen gefährliche Berührungen mit Maschinen oder Maschinenteilen oder gegen andere in der Natur der Betriebs­ stätte oder des Betriebs liegende Gefahren, namentlich auch gegen 2) Der § 120 findet auch auf Lehrlinge in Handelsgeschäften Anwendung. GA. 43 S. 144. Auch auf Lehrlinge von Handels- und Kunstgärtnereien. KG. v. 30. Mai 01, Jo ho w 22 S. 0 16. 3) Auf die im § 6 aufgeführten Gewerbe findet die Vorschrift keine An­ wendung. Kayser-Steiniger Anm. 1. 4) Der Unternehmer kann sich nicht damit entschuldigen, daß der Fabrik­ inspektor den Mangel der betr. Schutzvorrichtung nicht gerügt habe, Entsch. für Zivs. 12 S. 46; auch nicht damit, daß ihm in seiner Konzessionsurkunde die Herstellung der Schutzvorrichtung nicht zur Pflicht gemacht sei, Erk. v. 3. Juli 88, E. 18 S. 73; ebensowenig damit, daß die Herstellung ohne eine Betriebs­ störung nicht möglich gewesen sei, Erk. v. 5. Dezbr. 83, E. 10 S. 6. Auch ge­ wisse, nur mittelbar zum Fabrikbetriebe gehörige Vorrichtungen, welche an sich außerhalb des letzteren liegen, fallen unter den § 120 a. Erk. v. 25. Oktbr. 88, E. 18 S. 204. Vgl. Johow 24 S. C 13.

die Gefahren, welche aus Fabrikbränden erwachsen können, erforder­ lich sind.») Endlich sind diejenigen Vorschriften über die Ordnung des Be­ triebs und das Verhalten der Arbeiter zu erlassen, welche zur Siche­ rung eines gefahrlosen Betriebs erforderlich sind.

§ 120 b. Die Gewerbeunlernehmer sind verpflichtet, diejenigen Einrichtungen zu treffen und zu unterhalten und diejenigen Vor­ schriften über das Verhalten der Arbeiter im Betriebe zu erlassen, welche erforderlich sind, um die Aufrechterhaltung der guten Sitten und des Anstandes zu sichern. Insbesondere muß, soweit es die Natur des Betriebs zuläßt, bei der Arbeit die Trennung der Geschlechter durchgefuhrt werden, sofern nicht die Auftechterhaltung der guten Sitten und des Anstandes durch die Einrichtung des Betriebs ohnehin gesichert ist. In Anlagen, deren Betrieb es mit sich bringt, daß die Arbeiter sich umkleiden und nach der Arbeit sich reinigen, müssen ausreichende, nach Geschlechtern getrennte Ankleide- und Waschräume vorhanden sein. Die Bedürfnisanstalten müssen so eingerichtet sein, daß sie für die Zahl der Arbeiter ausreichen, daß den Anforderungen der Gesund­ heitspflege entsprochen wird und daß ihre Benutzung ohne Verletzung von Sitte und Anstand erfolgen kann.

§ 120 c. Gewerbeunlernehmer, welche Arbeiter unter achtzehn Jahren beschäftigen, sind verpflichtet, bei der Einrichtung der Bettiebsstätte und bei der Regelung des Betriebs diejenigen besonderen Rück­ sichten auf Gesundheit und Sittlichkeit zu nehmen, welche durch das Alter dieser Arbeiter geboten sind.

§ 120 d. Die zuständigen Polizeibehörden sind befugt, im Wege der Verfügung für einzelne Anlagen die Ausführung derjenigen Maß­ nahmen anzuordnen, welche zur Durchführung der in §§ 120a bis 120 c enthaltenen Grundsätze erforderlich und nach der Beschaffenheit der Anlage ausführbar erscheinen. Sie können anordnen, daß den Arbeitern zur Einnahme von Mahlzeiten außerhalb der Arbeitsräume angemessene, in der kalten Jahreszeit geheizte Räume unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden. Soweit die ungeordneten Maßregeln nicht die Beseitigung einer dringenden, das Leben oder die Gesundheit bedrohenden Gefahr be­ zwecken, muß für die Ausführung eine angemessene Frist gelassen werden. 5) Welche Vorrichtungen zur Sicherung gegen Gefahren notwendig, hat zunächst der Gewerbetteibende selbst zu prüfen u. kommt es nicht darauf an, ob er die Notwendigkeit einer Schutzvorrichtung erkannt hat, sondern nur darauf, ob er sie hätte erkennen müssen. Entsch. in Zivs. 12 S. 130.

478

XX. Gewerbeordnung § 120 e.

Den bei Erlaß dieses Gesetzes bereits bestehenden Anlagen gegen­

über können, solange nicht eine Erweiterung oder ein Umbau eintritt,

nur Anforderungen gestellt werden, welche zur Beseitigung erheblicher,

das Leben, die Gesundheit oder die Sittlichkeit der Arbeiter gefährden­ der Mißstände erforderlich oder ohne unverhältnismäßige Aufwendungen ausführbar erscheinen.

Gegen die Verfügung der Polizeibehörde steht dem Gewerbeunler­ nehmer binnen zwei Wochen die Beschwerde an die höhere Verwaltungs­

behörde zu.

Gegen die Entscheidung der höheren Verwaltungsbehörde

ist binnen vier Wochen die Beschwerde an die Zentralbehörde zulässig;

diese entscheidet endgültig.

Widerspricht die Verfügung den von der

zuständigen Berussgenossenschaft erlassenen Vorschriften zur Verhütung von Unfällen, so ist zur Einlegung der vorstehend bezeichneten Rechts­ mittel binnen der dem Gewerbeunlernehmer zustehenden Frist auch der Vorstand der Berufsgenossenschaft befugt.

§ 120 e.18) Durch Beschluß des Bundesrats können Vorschriften

darüber erlassen werden, welchen Anforderungen in bestimmten Arten von Anlagen zur Durchführung der in den §§ 120a bis 120c ent­ haltenen Grundsätze zu genügen ist.86) * 6) Folgende im RGBl, veröffentlichten Bek. kommen in Betracht: a. v. 16. Mai 07 (S. 233) bett, die Einrichtung u. den Betrieb von An­ lagen zur Herstellung von Alkali-Chromaten. b. v. 4. März 96 (S. 55) bett, den Betrieb von Bäckereien u. Konditoreien. c. v. 26. Mai 03 (S. 225) bett, die Einrichtung und den Bettieb von An­ lagen zur Herstellung von Bleifarben und anderen Bleiprodutten. d. v. 16. Juni 05 (S. 545) bett, die Einrichtung und den Betrieb der Bleihütten. e. v. 31. Juli 97 (S. 614), v. 5. Juli 07 (S. 405) u. v. 22. Dezbr. Ob (S. 654) bett, die Einrichtung der Buchdruckereien und Schriftgießereien. 5. v. 19. Dezbr. 08 (S. 650) bett, den Betrieb der Anlagen der Grob­ eisenindustrie. g. V 6. Mai 08 (S. 172) betr. die Einrichtung u. den Betrieb von An­ lagen zur Herstellung elekttischer Akkumulatoren aus Blei oder Bleiverbindungen. h. v. 23. Jan. 02 (S. 33) betr. die Beschäftigung von Gehilfen und Lehrlingen in Gast- u. Schankwirtschasten. (Siehe hierzu GA. 57 S. 243). i. v. 26. Apr. 99 (S. 273) u. v. 15. Nov. 03 (S. 287) u. v. 25. Nov. 10 (S. 1105) betr. den Betrieb von Getreidemühlen. k. i). 1. März 02 (S. 59) betr. die Einrichtung und den Betrieb gewerb­ licher Anlagen zur Vulkanisierung von Gummiwaren. 1. v. 22. Okt. 02 (S. 269) bett, die Einrichtung und den Betrieb der Roß­ haarspinnereien, Haar- und Borstenzurichtereien usw. m. v. 8. Dezbr. 09 (S. 969) bett, die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter bei der Bearbeitung von Faserstoffen, Tierhaaren usw. n. v. 25. Novbr. 09 (S. 965 u. 966) betr. die Beschäftigung von Arbeite rinnen in Betrieben zur Herstellung von Gemiise- oder Obstkonservcn und in Betrieben zur Herstellung von Fischkonserven.

In diese Bestimmungen können auch Anordnungen über das Verhalten der Arbeiter im Betriebe zum Schutze von Leben und Ge­ sundheit ausgenommen werden. Eine Abschrift oder ein Abdruck der Anordnungen ist an geeigneter, allen beteiligten Arbeitern zugänglicher

Stelle auszuhängen und in lesbarem Zustand zu erhalten. Soweit solche Vorschriften durch Beschluß des Bundesrats nicht erlassen sind, können dieselben durch Anordnung der Landes-Zentral ­ behörden oder durch Polizeiverordnungen der zuständigen Polizeibehörden erlassen werden. Vor dem Erlasse solcher Anordnungen und Polizei­ verordnungen ist den Vorständen der beteiligten Berufsgenossenschaften oder Berufsgenossenschafts-Scktionen Gelegenheit zu einer gutachtlichen Äußerung zu geben.6*) Auf diese finden die Bestimmungen des § 113

Abs. 2, 4 und des § 115 Abs. 4 Satz 1 des Gewerbe-Unfallversiche­ rungsgesetzes (Reichs-Gesetzbl. 1900 S. 573, 585) Anwendung.

S 120 f. Für solche Gewerbe, in welchen durch übermäßige Tauer der täglichen Arbeitszeit die Gesundheit der Arbeiter gefährdet wird, kaun der Bundesrat und, soweit er nicht Bestimmungen erläßt, die Landeszentralbehörde oder nach Anhören beteiligter Gewerbetreibender und Arbeiter die zuständige Polizeibehörde durch Polizeiverordnung Dauer, Beginn und Ende der zulässigen täglichen Arbeitszeit und der zu gewährenden Pausen regeln und die zur Durchführung erforderlichen Anordnungen erlassen. Soweit solche Bestimmungen nicht erlassen sind, kann auf Antrag

oder nach Anhören des Gewerbeaussichtsbeamten (§ 139 b) und nach

Anhören beteiligter Gewerbetreibender und Arbeiter die zuständige Polizeibehörde für einzelne Betriebe, in denen durch übermäßige Dauer o. v. 27. Juni 05 (S. 555) Vorschriften für Betriebe, in denen Maler-, Anstreicher-, Tüncher-, Weißbinder- oder Lackiererarbeiten ausgeführt werden. p. v. 31. Mai 09 (S. 471) u. v. 20. Novbr. 11 (S. 955) betr. die Ein­ richtung und den Betrieb von Steinbrüchen und Steinhauereien. q. v. 23. Dezbr. 11 (S. 1153) betr. die Einrichtung und den Betrieb ge­ werblicher Anlagen, in denen Thomasschlacke usw. gelagert wird. r. v. 25. Novbr. 09 (S. 968) betr. die Beschäftigung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern in Anlagen, die zur Herstellung von Zichorie dienen. s. v. 17. Febr. 07 (S. 34) betr. die Einrichtung und den Betrieb der zur Anfertigung von Zigarren bestimmten Anlagen. t. v. 6. Febr. 00 (S. 32), v. 5. Juli 01 (S. 261), u. v. 8. Dezbr. 09 (S. 971) betr. die Einrichtung und den Betrieb von Zinkhütten. u. v. 24. Novbr. 11 (S. 958) betr. die Beschäftigung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern in Rohzuckerfabriken. 6 a) In der Bekanntmachung braucht dies nicht ausdrücklich erwähnt zu werden. Erk. v. 30. Septbr. 01, E. 34 S. 368. Es genügt, daß die Vor­ schriften auf den tz 120 e Bezug nehmen. Bayr. OLG. v. 25. Juni 10, Recht 14 S. 583.

der täglichen Arbeitszeit die Gesundheit der Arbeiter gefährdet wird, im Wege der Verfügung Bestimmungen und Anordnungen dieser Art erlassen. § 120 d Abs. 4 gilt entsprechend.

§ 120 g. Die Bestimmungen des Bundesrats auf Grund der §§ 120e, 120k sind durch das RGBl, zu veröffentlichen und dem Reichstag zur Kenntnisnahme vorzulegen.

II.

Verhältnisse der Gesellen und Gehilfen.

§ 121. Gesellenund Gehilfen sind verpflichtet, den Anord­ nungen der Arbeitgeber in Beziehung auf die ihnen übertragenen Arbeiten und auf die häuslichen Einrichtungen Folge zu leisten; zu häuslichen Arbeiten sind sie nicht verbunden. § 122. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Gesellen oder Ge­ hilfen und ihren Arbeitgebern kann, wenn nicht ein anderes ver­ abredet ist, durch eine jedem Teile freistehende, vierzehn Tage vorher

erklärte Aufkündigung gelöst werden. Werden andere Aufkündigungs­ fristen vereinbart, so müssen sie für beide Teile gleich sein. Verein­ barungen, welche dieser Bestimmung zuwiderlaufen, sind nichtig. § 123. Bor Ablauf der vertragsmäßigen Zeit und ohne Auf­ kündigung können Gesellen und Gehilfen entlassen werden: 1. wenn sie bei Abschluß des Arbeitsvertrags den Arbeitgeber durch Vorzeigung falscher oder verfälschter Arbeitsbücher oder Zeugnisse

hintergangen oder ihn über das Bestehen eines anderen, sie gleich­ zeitig verpflichtenden Arbeilsverhältnisses in einen Irrtum versetzt haben; 2. wenn sie eines Diebstahls, einer Entwendung, einer Unter­ schlagung, eines Betrugs oder eines liederlichen Lebenswandels sich schuldig machen; 3. wenn sie die Arbeit unbefugt verlassen haben oder sonst den nach dem Arbeitsverlrag ihnen obliegenden Verpflichtungen nachzu­ kommen beharrlich verweigern; 4. wenn sie der Verwarnung ungeachtet mit Feuer und Licht unvorsichtig umgehen; 5. wenn sie sich Tätlichkeiten oder gtofoe7 8) Beleidigungen gegen den Arbeitgeber oder seine Vertreter oder gegen die Familienange7) Geselle ist jeder unselbständige Arbeiter, der weder Lehrling noch lediglich Fabrikarbeiter ist. Zwischen Gesellen und Gehilfen besteht nur ein Unterschied tatsächlicher Natur, bei den letzteren werden keine technischen Kenntnisse erfordert. Erk. des ROHG. v. 30. April 73, E. 9 S. 306, u. v. 16. Febr. 76, E. 19 S. 382. Siehe auch Hilse in GA. 51 S. 16ff. 8) Es muß ausdrücklich festgestellt werden, daß die Beleidigung eine grobe gewesen ist. Erk. des ROHG. v. 30. April 73, E. 9 S. 306.

Gewerbliche Arbeiter §§ 124, 124 a.

481

hörigen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter zu Schulden kommen

lassen; 6. wenn sie einer vorsätzlichen und rechtswidrigen Sachbeschädigung zum Nachteile des Arbeitgebers oder eines Mitarbeiters sich schuldig machen;

7. wenn sie Familienangehörige des Arbeitgebers oder seiner Vertreter oder Mitarbeiter zu Handlungen verleiten oder zu verleiten versuchen oder mit Familienangehörigen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter Handlungen begehen, welche wider die Gesetze oder die guten Sitten verstoßen; 8. wenn sie zur Fortsetzung der Arbeit unfähig oder mit einerabschreckenden Krankheit behaftet sind. In den unter Ziffer 1 bis 7 gedachten Fällen ist die Entlassung nicht mehr zulässig, wenn die zugrunde liegenden Tatsachen dem Arbeitgeber länger als eine Woche bekannt sind. Inwiefern in den unter Ziffer 8 gedachten Fällen dem Entlassenen ein Anspruch auf Entschädigung zustehe, ist nach dem Inhalte des Vertrags und nach den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften zu be­ urteilen.

§ 124. Bor Ablauf der vertragsmäßigen Zeit und ohne Auf­ kündigung können Gesellen und Gehilfen die Arbeit verlassen: 1. wenn sie zur Fortsetzung der Arbeit unfähig werden; 2. wenn der Arbeitgeber oder seine Vertreter sich Tätlichkeiten oder grobe Beleidigungen gegen die Arbeiter oder gegen ihre Familien­ angehörigen zu Schulden kommen lassen; 3. wenn der Arbeitgeber oder seine Vertreter oder Familienange­ hörige derselben die Arbeiter oder deren Familienangehörige zu Hand­ lungen verleiten oder zu verleiten versuchen oder mit den Familien­ angehörigen der Arbeiter Handlungen begehen, welche wider die Ge­ setze oder die guten Sitten laufen; 4. wenn der Arbeitgeber den Arbeitern den schuldigen Lohn nicht in der bedungenen Weise auszahlt, bei Stücklohn nicht für ihre aus­ reichende Beschäftigung sorgt, oder wenn er sich widerrechtlicher Über­ vorteilungen gegen sie schuldig macht; 5. wenn bei Fortsetzung der Arbeit das Leben oder die Gesund­ heit der Arbeiter einer erweislichen Gefahr ausgesetzt sein würde, welche bei Eingehung des Arbeitsvertrags nicht zu erkennen war. In den unter Ziffer 2 gedachten Fällen ist der Austritt aus der Arbeit nicht mehr zulässig, wenn die zugrunde liegenden Tatsachen dem Arbeiter länger als eine Woche bekannt sind.

§ 124 a. Außer den in §§ 123 und 124 bezeichneten Fällen Dalcke, ©traft. 13. Aufl.* 31

482

XX. Gewerbeordnung §§ 124 b—126.

kann jeder der beiden Teile aus wichtigen Gründen vor Ablauf der vertragsmäßigen Zeit und ohne Innehaltung einer Kündigungsfrist die Aufhebung des Arbeilsverhältnisses verlangen, wenn dasselbe mindestens aus vier Wochen oder wenn eine längere als vierzehntägige Kündigungsftist vereinbart ist.

§ 124 d Hat ein Geselle oder Gehilfe rechtswidrig die Arbeit verlassen, so kann der Arbeitgeber als Entschädigung für den Tag des Vertragsbruchs und jeden folgenden Tag der vertragsmäßigen oder gesetzlichen Arbeitszeit, höchstens aber für eine Woche, den Betrag des ortsüblichen Tagelohns (§ 8 des Krankenversicherungsgesetzes vom 15. Juni 1883, Reichs-Gesetzbl. S. 73)8 e) fordern. Diese Forderung ist an den Nachweis eines Schadens nicht gebunden. Durch ihre Geltendmachung wird der Anspruch aus Erfüllung des Vertrags und auf weiteren Schadensersatz ausgeschlossen. Dasselbe Recht steht dem Gesellen oder Gehilfen gegen den Arbeitgeber zu, wenn er von diesem vor rechtmäßiger Beendigung des Arbeitsverhältniffes entlassen worden ist.

§ 125. Ein Arbeitgeber, welcher einen Gesellen oder Gehilfen verleitet, vor rechtmäßiger Beendigung des Arbeilsverhältnisses die Arbeit zu verlassen, ist dem früheren Arbeitgeber für den entstandenen Schaden oder den nach § 124 b an die Stelle des Schadensersatzes tretenden Betrag als Selbstschuldner mitverhastet. In gleicher Weise hastet ein Arbeitgeber, welcher einen Gesellen oder Gehilfen annimmt, von dem er weiß, daß derselbe einem anderen Arbeitgeber zur Arbeit noch verpflichtet ist. In dem im vorstehenden Absätze bezeichneten Umfang ist auch derjenige Arbeitgeber mitverhaftet, welcher einen Gesellen oder Ge­ hilfen, von dem er weiß, daß derselbe einem anderen Arbeitgeber zur Arbeit noch verpflichtet ist, während der Dauer dieser Verpflich­ tung in der Beschäftigung behält, sofern nicht seit der unrechtmäßigen Lösung des Arbeitsverhältnisses bereits vierzehn Tage verflossen sind. Den Gesellen und Gehilfen stehen im Sinne der vorstehenden Bestimmungen die im § 119b bezeichneten Personen gleich. III. Lehrlingsverhältnisse. A. Allgemeine Bestimmungen.

§ 126.

Die Befugnis zum Halten oder zur Anleitung von Lehr­ lingen8) steht Personen, welche sich nicht im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befinden, nicht zu. 8 a) Siehe § 149 ff. RBO. 9 ) Ob eine Person als Lehrling anzusehen ist, muß in jedem einzelnen Falle entschieden werden. Durch eine Zahlung von Lohn wird der Begriff nicht berührt.

§ 126 a. Die Befugnis zum Halten und zur Anleitung von Lehrlingen kann solchen Personen ganz oder aus Zeit entzogen werden, welche sich wiederholt grober Pflichtverletzungen gegen die ihnen an­ vertrauten Lehrlinge schuldig gemacht haben, oder gegen welche Tat­ sachen vorliegen, die sie in sittlicher Beziehung zum Hallen oder zur Anleitung von Lehrlingen ungeeignet erscheinen lassen. Die Befugnis zur Anleitung von Lehrlingen kann ferner solchen Personen entzogen werden, welche wegen geistiger oder körperlicher

Gebrechen zur sachgemäßen Anleitung eines Lehrlinges nickt geeignet sind. Tie Entziehung ersolgt durch Verfügung der unteren Verwaltungs­ behörde; gegen die Verfügung findet der Rekurs statt. Wegen des

Verfahrens und der Behörden gelten die Vorschriften der §§ 20 und 21, soweit nicht landesgesetzlich das Verfahren in streitigen Berwaltungssachen Platz greift. Durch die höhere Verwaltungsbehörde kann die entzogene Befug­ nis nach Ablauf eines Jahres wieder eingeräumt werden.

§ 126 b. Der Lehrvertrag ist binnen vier Wochen o») nach Beginn der Lehre schriftlich abzuschließen. Derselbe muß enthalten: 1. die Bezeichnung des Gewerbes oder des Zlveiges der gelverb­ lichen Tätigkeit, in welchem die Ausbildung erfolgen soll; 2. die Angabe der Dauer der Lehrzeit; 3. die Angabe der gegenseitigen Leistungen; 4. die gesetzlichen und sonstigen Voraussetzungen, unter lvelchen die einseitige Auflösung des Vertrags zulässig ist. Der Lehrvertrag ist von dem Gewerbetteibendeu oder seinem Stell­ vertreter, dem Lehrling und dem gesetzlichen Vertreter des Lehrlinges zu unterschreiben und in einem Exemplare dem gesetzlichen Vertreter des Lehrlinges auszuhändigen. Der Lehrherr ist verpflichtet, der Ortspolizeibehörde auf Erfordern den Lehrvertrag einzureichen. Auf Lehrlinge in staatlich anerkannten Lehrwerkstätten finden diese

Bestimmungen keine Anwendung. Das Gleiche gilt für Lehrverhältnisse zwischen Eltern und Kindern, salls der Handwerkskammer das Bestehen des Lehrverhättnisses, der Tag seines Beginns, das Gewerbe oder der Zweig der gewerblichen Tätigkeit, in welchem die Ausbildung erfolgen soll, und die Dauer der Lehrzeit schriftlich angezeigt toirb.9* b*)* * * Der Lehrvertrag ist kosten- und stempelftei. Erk. v. 19. Oktbr. 82, E. 7 S. 105. Es wird als Lehrling jeder jugendliche Arbeiter anzusehen sein, der auf Grund eines Vertragsverhältnisses in einem Gewerbe tätig ist, um dasselbe zu erlernen. GA. 45 S. 68. Das jugendliche Alter ist für den Begriff aber nicht wesentlich. GA. 48 S. 354. 9a)Der Nichtabschluß ist nach Ablauf der Frist nicht straflos. GA. 52©. 105. 9 b) Die Fassung beruht auf d. Ges. v. 30. Mai 08 (RGBl. S. 356).

31*

484

XX. Gewerbeordnung §§ 127—127 b.

§ 127. Der Lehrherr ist verpflichtet, den Lehrling in den bei seinem Betriebe vorkommenden Arbeiten des Gewerbes dem Zlvecke der Ausbildung entsprechend zu unterweisen, ihn zum Besuche der Fortbildungs- oder Fachschule anzuhallen und den Schulbesuch zu überwachen. Er muß entweder selbst oder durch einen geeigneten, ausdrücklich dazu bestimmten Vertreter die Ausbildung des Lehrlinges leiten, den Lehrling zur Arbeitsamkeit und zu guten Sitten anhallen und vor Ausschweifungen belvahren, er hat ihn gegen Mißhandlungen seitens der Arbeits- und Hausgenossen zu schützen und dafür Sorge zu tragen, daß dem Lehrlinge nicht Arbeilsverrichtungen zugewiesen werden, welche seinen körperlichen Kräften nicht angemessen sind. Er darf dem Lehrlinge die zu seiner Ausbildung und zum Besuche des Gottesdienstes an Sonn- und Festtagen erforderliche Zeit und Gelegenheit nicht entziehen. Zu häuslichen Dienstleistungen dürfen Lehrlinge, welche im Hause des Lehrherrn weder Kost noch Wohnung erhalten, nicht herangezogen werden. § 127 a. Der Lehrling ist der väterlichen Zucht des Lehrherrn unterworfen und dem Lehrherrn sowie demjenigen, welcher an Stelle des Lehrherrn die Ausbildung zu leiten hat, zur Folgsamkeit und Treue, zu Fleiß und anständigem Betragen verpflichtet. Übermäßige und unanständige Züchtigungen sowie jede die Gesundheit des Lehrlinges gefährdende Behandlung sind verboten.10)

§ 127 b. Das Lehrverhältnis kann, wenn eine längere Frist nicht vereinbart ist, während der ersten vier Wochen nach Beginn der Lehrzeit durch einseitigen Rückttitt ausgelöst werden. Eine Vereinbarung, wo­ nach diese Probezeit mehr als drei Monate betragen soll, ist nichtig. Nach Ablauf der Probezeit kann der Lehrling vor Beendigung der verabredeten Lehrzeit entlassen werden, wenn einer der im 8 123 vorgesehenen Fälle auf ihn Anwendung findet oder wenn er die ihm im § 127 a auferlegten Pflichten wiederholt verletzt oder den Besuch der Fortbildungs- oder Fachschule vernachlässigt. Von feiten des Lehrlinges kann das Lehrverhältnis nach Ablauf der Probezeit aufgelöst werden, wenn: 1. einer der im § 124 unter Zister 1, 3 bis 5 vorgesehenen Fälle vorliegt; 2. der Lehrherr seine gesetzlichen Verpflichtungen gegen den Lehr­ ling in einer die Gesundheit, die Sittlichkeit oder die Aus10) Über Umfang ii. Grenzen des Züchtignngsrechts siehe Erk. des früheren OTrib. in OR. 16 S. 799 u. Erk. des OVG. v. 24. Novbr. 90 in PrVerwBl. 12 S. 326. GA. 41 S. 394. Fahrlässige Überschreitung des Züchtigungsrechts füllt unter § 230 Abs. 2 des StGB. Erk. v. 30. Novbr. 96, E. 29 S. 226.

bildung des Lehrlinges gefährdenden Weise vernachlässigt, oder das Recht der väterlichen Zucht mißbraucht, oder zur Erfüllung der ihm vertragsmäßig obliegenden Verpflichtungen unfähig wird. Der Lehrvertrag wird durch den Tod des Lehrlinges aufgehoben. Durch den Tod des Lehrherrn gilt der Lehrvertrag als aufgehoben, sofern die Aushebung binnen vier Wochen geltend gemacht wird. § 127 c. Bei Beendigung des Lehrverhältnisscs hat der Lehrherr dem Lehrling unter Angabe des Gewerbes, in welchem der Lehrling unterwiesen worden ist, über die Tauer der Lehrzeit und die während derselben erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten sowie über sein Betragen ein Zeugnis auszustellen, welches von der Gemeindebehörde kosten- und stempelfrei zu beglaubigen ist. An Stelle dieser Zeugnisse treten, wo Innungen oder andere Vertretungen der Gewerbetreibenden bestehen, die von diesen aus­ gestellten Lehrbriefe. § 127 d. Verläßt der Lehrling in einem durch dies Gesetz nicht vorgesehenen Falle ohne Zustimmung des Lehrherrn die Lehre, so kann letzterer den Anspruch auf Rückkehr des Lehrlinges nur geltend machen, wenn der Lehrvertrag schriftlich geschlossen ist. Die Polizeibehörde kann in diesem Falle aus Antrag des Lehrherrn den Lehrling an­ halten, solange in der Lehre zu verbleiben, als durch gerichtliches Urteil das Lehrverhältnis nicht für ausgelöst erklärt ist, oder dem Lehrlinge durch einstweilige Verfügung eines Gerichts gestattet ist, der

Lehre fern zu bleiben. Der Antrag ist nur zulässig, wenn er binnen einer Woche nach dem Austritte des Lehrlinges gestellt ist. Im Falle unbegründeter Weigerung der Rückkehr hat die Polizeibehörde den Lehrling zwangsweise zurückführen zu lassen oder durch Androhung von Geldstrafe bis zu fünfzig Mark oder Haft bis zu fünf Tagen zur Rückkehr anzuhalten. § 127 e. Wird von dem gesetzlichen Vertreter für den Lehrling

oder, sofern der letztere volljährig ist, von ihm selbst dem Lehrherrn die schriftliche Erklärung abgegeben, daß der Lehrling zu einem anderen Gewerbe oder anderen Beruf übergehen werde, so gilt das Lehr­ verhältnis, wenn der Lehrling nicht früher entlassen wird, nach Ablaus von vier Wochen als aufgelöst. Den Grund der Auflösung hat der Lehrherr in dem Arbeitsbuche zu vermerken. Binnen neun Monaten nach der Auflösung darf der Lehrling in demselben Gewerbe von einem anderen Arbeitgeber ohne Zustimmung des früheren Lehrherrn nicht beschäftigt werden. § 127 f.ll) Erreicht das Lehrverhältnis vor Ablauf der verab11) Siehe hierüber Schneider im Recht 13 S. 696.

486

XX. Gewerbeordnung §§ 127 g, 128.

redeten Lehrzeit sein Ende, so kann von dem Lehrherrn oder von dem Lehrling ein Anspruch auf Entschädigung nur gellend gemacht werden, wenn der Lehrvertrag schriftlich geschlossen ist. In den Fällen des § 127 b Abs. 1, 4 kann der Anspruch nur gellend gemacht werden, wenn dieses in dem Lehrvertrag unter Festsetzung der Art und Höhe der Entschädigung vereinbart ist. Der Anspruch der Entschädigung erlischt, wenn er nicht innerhalb vier Wochen nach Auslösung des Lehrverhältnisses im Wege der Klage

oder Einrede gellend gemacht ist. § 127 g. Ist von dem Lehrherrn das Lehrverhältnis aufgelöst worden, weil der Lehrling die Lehre unbefugt verlassen hat, so ist die von dem Lehrherrn beanspruchte Entschädigung, wenn in dem Lehr­ vertrage nicht ein geringerer Betrag ausbedungen ist, auf einen Be­ trag festzusetzen, welcher für jeden auf den Tag des Vertragsbruchs folgenden Tag der Lehrzeit, höchstens aber für sechs Monate, bis auf die Hälfte des in dem Gewerbe des Lehrherrn den Gesellen oder Ge­ hilfen ortsüblich gezahlten Lohnes sich belaufen darf. Für die Zahlung der Entschädigung sind als Selbstschuldner mitverhastet der Vater des Lehrlinges, sofern er die Sorge für die Person des Lehrlinges hat, sowie derjenige Arbeitgeber, welcher den Lehrling zum Verlassen der Lehre verleitet oder welcher ihn in Arbeit genommen hat, obwohl er wußte, daß der Lehrling zur Fortsetzung eines Lehr­ verhältnisses noch verpflichtet war. Hat der Entschädigungsberechtigte erst nach Auflösung des Lehrverhältnisses von der Person des Arbeit­ gebers, welcher den Lehrling verleitet oder in Arbeit genommen hat, Kenntnis erhalten, so erlischt gegen diese der Entschädigungsanspruch erst, wenn derselbe nicht innerhalb vier Wochen nach erhaltener Kennt­ nis geltend gemacht ist. 8 128. Wenn der Lehrherr eine im Mißverhältnisse zu dem Um­ fang oder der Art seines Gewerbebetriebs stehende Zahl von Lehr­ lingen hält und dadurch die Ausbildung der Lehrlinge gefährdet er­ scheint, so kann dem Lehrherrn von der unteren Verwaltungsbehörde die Entlassung eines entsprechenden Teiles der Lehrlinge auferlegt und die Annahme von Lehrlingen über eine bestimmte Zahl hinaus unter­ sagt werden. Die Bestimmungen des § 126 a Abs. 3 finden hierbei entsprechende Anwendung. Unbeschadet der vorstehenden Bestimmung können durch Beschluß des Bundesrats für einzelne Gewerbszweige Vorschriften über die höchste Zahl der Lehrlinge erlassen werden, welche in Betrieben dieser Gewerbs­ zweige gehalten werden darf. Soweit solche Vorschriften nicht erlassen sind, können sie durch Anordnung der Landes-Zentralbehörde erlassen werden.

B.

Besondere Bestimmungen für Handwerker.

8 129. In Handwerksbetrieben steht die Befugnis zur Anleitung von Lehrlingen nur denjenigen Personen zu, welche das 24. Lebens­ jahr vollendet und eine Meisterprüfung (§ 133) bestanden haben. Haben solche Personen die Meisterprüfung nicht für dasjenige Gewerbe oder denjenigen Zweig des Gewerbes bestanden, in welchem die An­ leitung der Lehrlinge erfolgen soll, so haben sie die Befugnis dann, wenn sie in diesem Gewerbe oder Gewerbszweige entweder die Lehr­ zeit (§ 130») zurückgelegt und die Gesellenprüfung bestanden haben, oder fünf Jahre hindurch persönlich das Handwerk selbständig aus­ geübt haben oder während einer gleich langen Zeit als Werkmeister oder in ähnlicher Stellung tätig gewesen sind. Die höhere Verwaltungsbehörde kann Personen, welche diesen Anforderungen nicht entsprechen, die Befugnis zur Anleitung von Lehrlingen widerruflich verleihen. Vor der Entscheidung über die Er­ teilung der Befugnis oder den Widerruf ist die Handwerkskammer und, wenn die Person einer Innung angehört oder an ihrem Wohn­ orte für ihren Gewerbszweig eine Innung besteht, außerdem die Innung zu hören. In Handwerksbetrieben, welche nach dem Tode des Gewerbetreibenden für Rechnung der Witwe oder minderjähriger Erben fortgesetzt werden, sind bis zum Ablauf eines Jahres nach dem Tode des Lehrherrn als Vertreter (§ 127 Abs. 1) zur Anleitung von Lehr­ lingen auch Personen befugt, welche eine Meisterprüfung nicht bestanden haben, sofern sie im übrigen den Anforderungen des Abs. 1 Satz 2 entsprechen. Die untere Verwaltungsbehörde kann solchen Personen als Vertretern des Lehrherrn auch in anderen Fällen bis zur Dauer eines Jahres die Befugnis zur Anleitung von Lehrlingen erteilen. Die hiernach zulässige Dauer der Vertretung kann von der höheren Verwaltungsbehörde nach Anhörung der Handwerkskammer entsprechend dem Bedürfnisse des einzelnen Falles verlängert werden. Die Unterweisung des Lehrlinges in einzelnen technischen Hand­ griffen und Fertigkeiten durch einen Gesellen fällt nicht unter die im Absatz 1 vorgesehenen Bestimmungen. Die Zurücklegung der Lehrzeit kann auch in einem dem Gelverbe an­ gehörenden Großbetrieb erfolgen und durch den Besuch einer staatlichen, staatlich unterstützten oder vom Staate anerkannten Lehrwerkstätte oder sonstigen gelverblichen Unterrichtsanstalt ersetzt werden. Bor der Aner­ kennung einer sonstigen gewerblichen Unterrichtsanstalt soll der zuständigen Handwerkskammer Gelegenheit gegeben werden, sich gutachtlich zu äußern. Die Landes-Zentralbehörden können den Prüfungszeugnissen von Lehrwerkstätten, gewerblichen Unterrichtsanstatten oder von Prüfungs-

behörden, welche vom Staate für einzelne Gewerbe oder zum Nach­ weise der Befähigung zur Anstellung in staatlichen Betrieben eingesetzt sind, die Wirkung der Verleihung der im Abs. 1 bezeichneten Befugnis für bestimmte Gewerbszweige beilegen. Der Eintritt dieser Wirkung ist davon abhängig zu machen, daß der Besitzer des Prüfungszeugnisses in dem Gewerbe oder in dem Zweige des Gewerbes, in welchem die Anleitung der Lehrlinge erfolgen soll, eine bestimmte, auf nicht mehr als drei Jahre festzusetzende Zeit hindurch persönlich tätig gewesen ist. Der Bundesrat ist befugt, für einzelne Gewerbe nach Anhörung der Handwerkskammern Ausnahmen von den Bestimmungen im Abs. 1 zuzulassen.

§ 129 a. Wer für einen gesondert betriebenen Zweig eines Ge­ werbes den Voraussetzungen des § 129 entspricht, ist berechtigt, auch in den übrigen Zweigen dieses Gewerbes Lehrlinge anzuleiten. Wer für ein Gewerbe den Voraussetzungen des § 129 entspricht, ist berechtigt, auch in den diesem verwandten Gewerben Lehrlinge anzuleitcn. Welche Gewerbe als verwandle Gewerbe im Sinne dieser Bestimmung anzusehcn sind, bestimmt die Handwerkskammer. Dem Unternehmer eines Betriebs, in welchem mehrere Gewerbe vereinigt sind, kann die untere Verwaltungsbehörde nach Anhörung der Handwerkskammer die Befugnis erteilen, in allen zu dem Betriebe vereinigten Gewerben oder in mehreren dieser Gewerbe Lehrlinge anzuleiten, wenn er für eines der Gewerbe den Voraussetzungen des § 129 entspricht. Zu Arbeiten in denjenigen Gewerben seines Betriebs, für welche er zur Anleitung von Lehrlingen nicht befugt ist, darf er die Lehrlinge nur insoweit heranziehen, als es dem Zwecke der Ausbildung

in ihrem Gewerbe nicht widerspricht. Das gemäß § 131 c Abs. 2 dem Prüfungsausschüsse vorzulegende Lehrzeugnis darf nur für dasjenige Gewerbe ausgestellt werden, für welches der Lehrherr oder sein Vertreter (§ 127 Abs. 1) zur Anleitung von Lehrlingen befugt ist. 8 129 b. Gehört der Lehrherr einer Innung an, so ist er ver­ pflichtet, eine Abschrift des Lehrvertrags binnen vierzehn Tagen nach Abschluß desselben der Innung einzureichen; er kann hierzu durch die Ortspolizeibehörde angehalten werden. Die Innungen können bestimmen, daß der Abschluß des Lehr­ vertrags vor der Innung erfolgen soll. In diesem Falle ist dem Lehrherrn und dem Vater oder Vormunde des Lehrlinges eine Ab­ schrift des Lehrvertrags auszuhändigen.

8 130. Soweit durch den Bundesrat oder die Landes-Zentral­ behörde auf Grund des 8 128 Absatz 2 Vorschriften über die zulässige

Zahl von Lehrlingen nicht erlassen sind, ist die Handwerkskammer und die Innung zum Erlasse solcher Vorschriften befugt. § 130 a. Die Lehrzeit soll in der Regel drei Jahre dauern; sie darf den Zeitraum von vier Jahren nicht übersteigen. Bon der Handwerkskammer kann mit Genehmigung der höheren

Berrvaltungsbehörde die Tauer der Lehrzeit für die einzelnen Gewerbe oder Gewerbszweige nach Anhörung der beteiligten Innungen und der im £ 103 a Abs. 3 Ziffer 2 bezeichneten Bereinigungen festgesetzt werben.12) Tie Handwerkskammer ist befugt, Lehrlinge in Einzelfällen von der Innehaltung der festgesetzten Lehrzeit zu entbinden. § 131. Ten Lehrlingen ist Gelegenheit zu geben, sich nach Ab­ lauf der Lehrzeit der Gesellenprüfung (§ 129 Abs. 1) zu unterziehen. Die9 h) Landes-Zentralbehörden können den Prüfungszeugnissen von Lehrwerkstätten, gewerblichen Unterrichtsanstallen oder von Prüsungsbehörden, welche vom Staate für einzelne Gewerbe oder zum Nachweise der Befähigung zur Anstellung in staatlichen Betrieben eingesetzt sind, die Wirkung der Zeugnisse über das Bestehen der Gesellenprüfung beilegen.

Die Abnahme der Gesellenprüfungen (Abs. 1) erfolgt durch Prüfungs­ ausschüsse. Bei jeder Zwangsinnung wird ein Prüfungsausschuß ge­ bildet, bei anderen Innungen nur dann, wenn ihnen die Ermächtigung zur Abnahme der Prüfungen von der Handwerkskammer erteilt ist. Soweit für die Abnahme der Prüfungen für die einzelnen Gewerbe nicht durch Prüfungsausschüsse der Innungen und die im Abs. 2 bezeichneten Lehrwerkstätten, gewerblichen Unterrichtsanstalten und Prüfungsbe­ hörden gesorgt ist, hat die Handwerkskammer die erforderlichen Prü­ fungsausschüsse zu errichten. § 131 a. Die Prüfungsausschüsse bestehen aus einem Vorsitzenden und mindestens zwei Beisitzern. Der Vorsitzende des Prüfungsausschusses wird von der Hand­ werkskammer bestellt. Von den Beisitzern wird bei dem Prüftlngsausschuß einer Innung die Hälfte durch diese, die andere Hälfte aus der Zahl der Gesellen, welche eine Gesellenprüfung bestanden haben, durch den Gesellenausschuß bestellt. Bei den von der Handlverkskammer errichteten Prüfungsausschüssen werden auch die Beisitzer von der Handwerkskammer bestellt; die Hälfte der Beisitzer muß aus Ge­ sellen bestehen. Die Bestellung der Mitglieder der Prüfungsausschüsse erfolgt in der Regel aus drei Jahre. 12) Die Strafbestimmung gegen Verstöße über Abschluß der Lehrverträge siehe in tz 150 Nr. 4 a.

490

XX. Gewerbeordnung §§ 131 b—132.

Während der ersten sechs Jahre nach dem Inkrafttreten dieser Bestimmungen können auch Gesellen (Gehilsen), welche die Gesellen­ prüfung nicht abgelegt haben, gewählt werden, wenn sie eine Lehrzeit von mindestens zwei Jahren zurückgelegt haben. § 131b.

Die Prüfung hat den Nachweis zu erbringen, daß der

Lehrling die in seinem Gewerbe gebräuchlichen Handgriffe und Fertig­ keiten mit genügender Sicherheit ausübt und sowohl über den Wert, die Beschaffung, Aufbewahrung und Behandlung der zu verarbeitenden Rohmaterialien, als auch über die Kennzeichen ihrer guten oderschlechten Beschaffenheit unterrichtet ist. Im übrigen werden das Verfahren vor dem Prüfungsausschüsse, der Gang der Prüfung und die Höhe der Prüfungsgebühren durch eine Prüfungsordnung geregelt, welche von der höheren Verwaltungs­

behörde im Einvernehmen mit der Handwerkskammer erlassen wird. Kommt ein Einvernehmen nicht zustande, so entscheidet die LandesZentralbehörde.

Durch die Prüfungsordnung kann bestimmt werden, daß die Prüfung auch in der Buch- und Rechnungsführung zu erfolgen hat. In diesem Falle ist der Prüfungsausschuß befugt, einen besonderen Sachverständigen zuzuziehen, welcher an der Prüfung mit vollem Stimmrechte teilnimmt. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. Die Kosten der Prüfung werden, sofern diese von dem Prüfungs­ ausschuß einer Innung abgehalten wird, von letzterer, im übrigen von der Handwerkskammer getragen. Diesen fließen die Prüfungs­ gebühren zu. § 131c. Derb'-) Lehrling soll sich nach Ablauf der Lehrzeit der Gesellenprüfung unterziehen. Die Innung und der Lehrherr sollen ihn dazu anhalten.

Das Gesuch um Zulassung zur Prüfung hat der Lehrling an den Prüfungsausschuß zu richten. Dem Gesuche sind das Lehrzeugnis (§ 127 c) und, sofern der Prüfling während der Lehrzeit zum Besuch einer Fortbildungs- oder Fachschule verpflichtet war, die Zeugnisse über den Schulbesuch beizufügen.

Der Prüfungsausschuß hat das Ergebnis der Prüfung auf dem Lehrzeugnis oder Lehrbriefe zu beurkunden. Wird die Prüfung nicht bestanden, so hat der Prüfungsausschuß den Zeitraum zu bestimmen, vor dessen Abläufe die Prüfung nicht wiederholt werden darf.

Die Prüfungszeugnisse sind kosten- und stempelsrei. 8 132.

Der Vorsitzende ist berechtigt, Beschlüsse des Prüsungs-

ausschusses mit ausschiebender Wirkung zu beanstanden.

Über die Be­

anstandung entscheidet die Handwerkskammer (§ 103 e Ziffer 6).

§ 132 a. Die Landes-Zentralbehörden sind befugt, die Bestellung der Prüfungsausschüsse, das Verfahren bei der Prüfung, die Gegen­ stände der Prüfung sowie die Prüfungsgebühren abweichend von den Vorschriften der §§ 131 bis 132 zu regeln, dabei darf jedoch hinsicht­ lich der bei der Prüfung zu stellenden Anforderungen nicht unter das im § 131 b Abs. 1 bestimmte Maß herabgegangen werden.

Illa.

Meistertitel.

§ 133. Den Meistertitel in Verbindung mit der Bezeichnung eines Handwerkes dürfen nur Handwerker führen, welche für dieses Handwerk die Meisterprüfung bestanden und das 24. Lebensjahr zurück­ gelegt haben. Die Befugnis zur Führung des Meistertitels in Verbindung mit einer anderen Bezeichnung, die auf eine Tätigkeit im Bau­ gewerbe hinweist, insbesondere des Titels Baumeister und Baugewerks­

meister, wird durch den Bundesrat geregelt. Bis zum Inkrafttreten des Bundesratsbeschluffes darf ein solcher Titel nur dann geführt werden, wenn die Landesregierung über die Befugnis zu seiner Führung Vorschriften erlassen hat, und nur von denjenigen Personen, welche diesen Vorschriften entsprechen. Der Bundesrat kann ferner Vorschriften über die Führung des Meistertitels in Verbindung mit sonstigen Be­ zeichnungen erlassen, die auf eine Tätigkeit im Handwerke Hinweisen. Zur Meisterprüfung (Abs. 1) sind in der Regel nur solche Personen zuzulaffen, welche eine Gesellenprüfung bestanden haben und in dem Gewerbe, für welches sie die Meisterprüfung afcfegen wollen, mindestens drei Jahre als Geselle (Gehilfe) tätig gewesen, oder welche nach § 129 Abs. 6 zur Anleitung von Lehrlingen in diesem Gewerbe befugt sind. Die Abnahme der Prüfung erfolgt durch Prüfungskommissionen, welche aus einem Vorsitzenden und vier Beisitzern bestehen. Die Entscheidung der Prüfungskommission, welche die Zulassung der Meisterprüfung (Abs. 1) ablehnt, kann binnen zwei Wochen durch Beschwerde bei der höheren Verwaltungsbehörde angefochten werden. Diese hat, bevor sie der Beschwerde stattgibt, die Handwerkskammer zu hören. Die Errichtung der Prüfungskommissionen erfolgt nach Anhörung der Handwerkskammer durch Verfügung der höheren Verwaltungs­ behörde, welche auch die Mitglieder ernennt; die Ernennung erfolgt auf drei Jahre. Die Prüfung hat den Nachweis der Befähigung zur selbständigen

492

XX. Gewerbeordnung §§ 133 a, 133 aa.

Ausführung und Kostenberechnung der gewöhnlichen Arbeiten des Gewerbes sowie der zu dem selbständigen Betriebe desselben sonst notwendigen Kenntnisse, insbesondere auch der Buch- und Rechnungs­ führung, zu erbringen. Das Verfahren vor der Prüfungskommission, der Gang der Prüfung und die Höhe der Prüfungsgebühren werden durch eine von der Handwerkskammer mit Genehmigung der Landes-Zentralbehörde zu erlassende Prüfungsordnung geregelt. Die Kosten der Prüfungskommissionen fallen der Handwerks­ kammer zur Last, welcher die Prüfungsgebühren zufließen. Die Prüfungszeugnisse sind kosten- und stempelfrei. Der Meisterprüfung im Sinne der vorstehenden Bestimmungen können von der Landes-Zentralbehörde die Prüfungen bei Lehrwerk­ stätten, gewerblichen Unterrichtsanstalten oder bei Prüfungsbehörden, welche vom Staate für einzelne Gewerbe oder zum Nachweise der Be­ fähigung zur Anstellung in staatlichen Betrieben eingesetzt sind, gleichgestellt werden, sofern bei denselben mindestens die gleichen Anforderungen gestellt werden wie bei den im Abs. 1 vorgesehenen Prüfungen. IIIb.

Verhältnisse der Betriebsbeamten, Werkmeister, Techniker.

§ 133 st. Das Dienstverhältnis der von Gewerbeunternehmern gegen feste Bezügen) beschäftigten Personen, welche nicht lediglich vorübergehend mit der Leitung oder Beaufsichtigung des Betriebs oder einer Abteilung desselben beauftragt lBetriebsbeamte, Werkmeister und ähnliche Angestellte) oder mit höheren technischen Dienstleistungen betraut sind (Maschinentechniker, Bautechniker, Chemiker, Zeichner und dergl.), kann, wenn nicht etwas anderes verabredet ist,u) von jedem Teile mit Ablauf jedes Kalendervierteljahrs nach sechs Wochen vorher erklärter Aufkündigung aufgehoben werden.1B). § 133 aa. Wird durch Vertrag eine kürzere oder längere Kün13) Unter festen Bezügen wird auch Akkordlohn zu verstehen sein und schließt auch Zahlung einer Tantieme den Begriff nicht aus. 14) Auf die Zeitdauer kommt es nicht an, wenn diese fest bestimmt ist, es hat mit der Bestimmung nur eine vorübergehende aushilfsweise Beschäftigung getroffen werden sollen. 15) Bezüglich der Streitigkeiten zwischen den Gewerbeunternehmern u. den hier bezeichneten Betriebsbeamten siehe das Gewerbegerichtsgesetz in der Fassung der Bek. v. 29. Septbr. 1901 (RGBl. S. 353). Im übrigen kommen für die Rechtsverhältnisse dieser Kategorie von Be­ triebsbeamten die §§ 624, 625 u. 629 BGB. zur Anwendung.

digungssrist bedungen, so muß sie für beide Teile gleich sein; sie darf nicht weniger als einen Monat betragen. Die Kündigung kann nur für den Schluß eines Kalendermonats

zugelassen werben. Die Vorschriften des Abs. 1 finden auch in dem Falle Anwen­ dung, wenn das Dienstverhältnis für bestimmte Zeit mit der Ver­ einbarung eingegangen wird, daß es in Ermangelung einer vor dem Ablaufe der Bertragszeit erfolgten Kündigung als verlängert

gellen soll. Eine Vereinbarung,

die

diesen Vorschriften zuwiderläust,

ist

nichtig.

§ 133ab. Tie Vorschriften des § 133 aa finden keine Anwen­ dung, luenn der Angestellte ein Gehalt von mindestens fünftausend Mark für das Jahr bezieht. Sie bleiben ferner außer Anwendung, wenn der Angestellte für eine außereuropäische Niederlassung angenommen ist und nach dem Vertrage der Arbeitgeber für den Fall, daß er das Dienstverhältnis kündigt, die Kosten der Rückreise des Angestellten zu tragen hat.

§ 133 ac. Wird ein Angestellter nur zur vorübergehenden Aus­ hilfe genommen, so finden die Vorschriften des § 133 aa keine An­ wendung , es sei denn, daß das Dienstverhältnis über die Zeit von drei Monaten hinaus fortgesetzt wird. Die Kündigungsfrist muß jedoch auch in einem solchen Falle für beide Teile gleich sein. § 133 b. Jeder der beiden Teile kann vor Ablauf der vertrags­ mäßigen Zeit und ohne Innehaltung einer Kündigungsftist die Auf­ hebung des Dienstverhältnisses verlangen, wenn ein wichtiger, nach den Umständen des Falles die Aufhebung rechtfertigender Grund vorliegt.

§ 133 c. Gegenüber den im § 133 a bezeichneten Personen kann die Aufhebung des Dienstverhältnisses insbesondere verlangt werden: 1. wenn sie beim Abschlusse des Dienstvertrags den Arbeitgeber

durch Borbringung falscher oder verfälschter Zeugnisse hintergangen oder ihn über das Bestehen eines anderen, sie gleichzeitig verpflichten­ den Dienstverhältnisses in einen Irrtum versetzt haben;

2. wenn sie im Dienste untreu sind oder das Vertrauen miß­ brauchen ; 3. wenn sie ihren Dienst unbefugt verlassen oder den nach dem Dienstvertrag ihnen obliegenden Verpflichtungen nachzukommen, be­ harrlich verweigern;

4.

wenn sie durch anhaltende Krankheit oder durch eine längere

494

XX. Gewerbeordnung §§ 133 d—133 g.

Freiheitsstrafe oder Abwesenheit an der Verrichtung ihrer Dienste ver­

hindert werden; 5. wenn sie sich Tätlichkeiten oder Ehrverletzungen gegen den Arbeitgeber oder seinen Vertreter zu Schulden kommen lassen; 6. wenn sie fid) einem unsittlichen Lebenswandel ergeben. In dem Falle zu 4 bleibt der Anspruch aus die vertragsmäßigen Leistungen des Arbeitgebers für die Dauer von sechs Wochen in Kraft, wenn die Verrichtung der Dienste durch unverfchuldetes Unglück verhindert worden ist. Jedoch mindern sich die Ansprüche in diesem Falle um denjenigen Betrag, welcher dem Berechtigten aus einer auf Grund gesetzlicher Verpflichtung bestehenden Krankenversicherung oder Unfallversicherung zukommt.

§ 133 d. Die im § 133 a bezeichneten Personen können die Auf­ lösung des Dienstverhältnisses insbesondere verlangen: 1. wenn der Arbeitgeber oder seine Vertreter sich Tätlichkeiten oder Ehrverletzungen gegen sie zu Schulden kommen lassen; 2. wenn der Arbeitgeber die vertragsmäßigen Leistungen nicht

gewährt; 3. wenn bei Fortsetzung des Dienstverhältnisses ihr Leben oder ihre Gesundheit einer erweislichen Gefahr ausgesetzt sein würde, welche bei Eingehung des Dienstverhältnisses nicht zu erkennen war. § 133 e. Auf die im § 133 a bezeichneten Personen finden die Bestimmungen der §§ 124 b und 125 Anwendung, dagegen nicht die Bestimmungen des § 119 a.

§ 133 f.16)17Eine Vereinbarung zwischen dem Gewerbeunlernehmer und einem der im § 133 a bezeichneten Angestellten, durch die der Angestellte für die Zeit nach der Beendigung des Dienstverhältnisses in seiner gewerblichen Tätigkeit beschränkt wird, ist für den Angestellten nur insoweit verbindlich, als die Beschränkung nach Zeit, Ort und Gegenstand nicht die Grenzen überschreitet, durch welche eine unbillige Erschwerung seines Fortkommens ausgeschlossen wird. Die Vereinbarung ist nichtig, wenn der Angestellte zur Zeit des Abschlusses minderjährig ist. V. Besondere Bestimmungen für Betriebe, in denen in derRegel mindestens zehnArbeiter beschäftigt werden.^)

§ 133 g. Die Bestimmungen der §§ 133 h bis 139 aa finden An­ wendung aus Gesellen, Gehilfen, Lehrlinge und sonstige gewerbliche 16) Der § ist eingeschoben durch das EG. z. HGB. v. 10. Mai 97. 17) Die Fassung der folgenden §§ beruht auf dem Gesetz vom 28. Dezbr. 08 (RGBl. S. 667).

Arbeiter mit Ausnahme der Betriebsbeamten, Werkmeister, Techniker (§§ 133 a bis 133 f). A. Bestimmungen für Betriebe, in denen in der Regel mindestens zwanzig Arbeiter beschäftigt werden.

§ 133 h.

Aus Betriebe, in denen in der Regel mindestens zwanzig

Arbeiter beschäftigt werden, finden die nachfolgenden Bestimmungen der 88 134 bis 134 h Anwendung. Dies gilt für Betriebe, in denen

regelmäßig zu gewissen Zeilen des Jahres ein vernrehrtes Arbeils­ bedürfnis eintritt, schon dann, wenn zu diesen Zeiten mindestens zwanzig Arbeiter beschästigt werden. 8 134.l8) Den Unternehmern ist untersagt, sür den Fall der rechts­ widrigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeiter die Verwirkung des rückständigen Lohnes über den Betrag des durchschnitt­ lichen Wochenlohns hinaus auszubedingen. Auf die Arbeitgeber und Arbeiter in solchen Betrieben finden die Bestimmungen des § 124 b keine Anwendung. Den Arbeitern ist bei der regelmäßigen Lohnzahlung ein schrift­ licher Beleg (Lohnzettel, Lohntüte, Lohnbuch usw.) über den Betrag des verdienten Lohnes und der einzelnen Arten der vorgenommenen Abzüge auszuhändigen. § 134 a. Für jeden Betrieb ist innerhalb vier Wochen nach In­ krafttreten dieses Gesetzes oder nach der Eröffnung des Betriebs eine Arbeitsordnung zu erlassen. Für die einzelnen Abteilungen des Be­ triebs oder für die einzelnen Gruppen der Arbeiter können besondere Arbeitsordnungen erlassen werden. Der Erlaß erfolgt durch Aushang

(§ 134 e Abs. 2). Die Arbeitsordnung muß den Zeitpunkt, mit welchem sie in Wirk­ samkeit treten soll, angeben und von demjenigen, welcher sie erläßt,

unter Angabe des Datums unterzeichnet sein. Abänderungen ihres Inhalts können nur durch den Erlaß von Nachträgen oder in der Weise erfolgen, daß an Stelle der bestehenden eine neue Arbeitsordnung erlassen wird. Die Arbeitsordnungen und Nachträge zu denselben treten frühestens zwei Wochen nach ihrem Erlaß in Geltung. 8 134 b. Die Arbeitsordnung muß Bestimmungen enthalten: 1. über Anfang und Ende der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit sowie der für die erwachsenen Arbeiter vorgesehenen Pausen; 2. über Zeit und Art der Abrechnung und Lohnzahlung mit der Maßgabe, daß die regelmäßige Lohnzahlung nicht am Sonntage statt18) Die Fassung beruht auf dem Ges. v. 27. Dezbr. 11 (RGBl. 1912 S. 139).

XX. Gewerbeordnung» 8 134 c.

496 finden darf.

Ausnahmen können von der unteren Verwaltungsbehörde

zugelassen werden; 3. sofern es nicht bei den gesetzlichen Bestimmungen bewenden soll, über die Frist der zulässigen Aufkündigung sowie über die Gründe, aus welchen die Entlassung und der Austritt aus der Arbeit ohne Aufkündigung erfolgen darf;

4. sofern Strafen vorgesehen werden, über die Art und Höhe derselben, über die Art ihrer Festsetzung und, wenn sie in Geld be­ stehen, über deren Einziehung und über den Zweck, für welchen sie

verwendet werden sollen; 5. sofern die Verwirkung von Lohnbeträgen nach Maßgabe der Bestimmung des § 134 Abs. 1 durch Arbeitsordnung oder Arbeils­ vertrag ausbedungen wird, über die Verwendung der verwirkten Beträge. Strafbestimmungen, welche das Ehrgefühl oder die guten Sitten verletzen, dürfen in die Arbeitsordnung nicht ausgenommen werden. Geldstrafen dürfen die Hälfte des durchschnittlichen Tagesarbeitsver­ dienstes nicht übersteigen; jedoch können Tätlichkeiten gegen Mitarbeiter, erhebliche Verstöße gegen die guten Sitten sowie gegen die zur Aufrechthaltung der Ordnung des Betriebs, zur Sicherung eines gefahr­ losen Betriebs oder zur Durchführung der Bestimmungen der Gewerbe­ ordnung erlassenen Vorschriften mit Geldstrafen bis zum vollen Be­ trage des durchschnittlichen Tagesarbeilsverdienstes belegt werden. Alle Strafgelder müssen zum Besten der Arbeiter des Betriebs verwendet werden. Das Recht des Arbeitgebers, Schadensersatz zu fordern, wird durch diese Bestimmung nicht berührt. Dem Betriebsinhaber bleibt überlassen, neben den im Abs. 1 unter 1 bis 5 bezeichneten, noch weitere die Ordnung des Betriebs und das Verhalten der Arbeiter im Betriebe betreffende Bestimmungen in die Arbeitsordnung aufzunehmen. Mit Zustimmung eines ständigen Arbeiterausschusses können in die Arbeitsordnung Vorschriften über das Verhalten der Arbeiter bei Benutzung der zu ihrem Besten ge­ troffenen mit dem Betriebe verbundenen Einrichtungen sowie Vorschriften über das Verhalten der minderjährigen Arbeiter außerhalb des Be­

triebs ausgenommen werden.

§ 134 c. Der Inhalt der Arbeitsordnung ist, soweit er den Gesetzen nicht zuwiderläust, für die Arbeitgeber und Arbeiter rechtsverbiMich. Andere als die in der Arbeitsordnung oder in den §§ 123 und 124 vorgesehenen Gründe der Entlassung und des Austritts aus der Arbeit dürfen im Arbeitsvertrage nicht vereinbart werden. Andere

als die in der Arbeitsordnung vorgesehenen Strafen dürfen über den Arbeiter nicht verhängt werden.19) Die Strafen müssen ohne Verzug festgesetzt und dem Arbeiter zur Kenntnis gebracht werden. Die verhängten Geldstrafen sind in ein Verzeichnis einzutragen, welches den Namen des Bestraften, den Tag der Bestrafung sowie den Grund und die Höhe der Strafe ergeben und auf Erfordern dem

im §

139 b bezeichneten Beamten

jederzeit zur

Einsicht vorgelegt

werden muß.20)21 22 § 134 d. Bor dem Erlasse der Arbeitsordnung oder eines Nach­ trags zu derselben ist den in dem Betrieb oder in den betreffenden Betriebsabteilungen beschäftigten großjährigen Arbeitern Gelegenheit zu geben, sich über den Inhalt derselben zu äußern. Für Betriebe, für welche ein ständiger Arbeiterausschuß besteht, wird dieser Vorschrift durch Anhörung des Ausschusses über den In­ halt der Arbeitsordnung genügt. 8 134 e. Die Arbeitsordnung sowie jeder Nachtrag zu derselben ist unter Mitteilung der seitens der Arbeiter geäußerten Bedenken, soweit die Äußerungen schriftlich oder zu Protokoll erfolgt sind, binnen drei Tagen nach dem Erlaß in zwei Ausfertigungen unter Beifügung der ErNärung, daß und in welcher Weise der Vorschrift des 8 134 d genügt ist, der unteren Verwaltungsbehörde einzureichen. Die Arbeitsordnung ist an geeigneter, allen beteiligten Arbeitern zugänglicher Stelle auszuhängen. Der Aushang muß stets in les­ barem Zustande erhallen' werden. Die Arbeitsordnung ist jedem Arbeiter bei seinem Eintritt in die Beschäftigung zu behändigen.

8 134 f. Arbeitsordnungen und Nachträge zu denselben, welche nicht vorschriftsmäßig erlassen sind, oder deren Inhalt den gesetzlichen Bestimmungen zuwiderläuft, sind auf Anordnung der unteren Ver­ waltungsbehörde durch gesetzmäßige Arbeitsordnungen zu ersetzen oder den gesetzlichen Vorschriften entsprechend abzuändern. Gegen diese Anordnung findet binnen zwei Wochen die Beschwerde an die höhere Verwaltungsbehörde statt.M)

8 134 g. Arbeitsordnungen, welche vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erlassen worden sind, unterliegen den Bestimmungen der 88 134a bis 134c, 134e Abs. 2 und des 8 134f und sind binnen vier Wochen der unteren Verwaltungsbehörde in zwei Ausfertigungen ein­ zureichen. Auf spätere Abänderungen dieser Arbeitsordnungen und 19) Strafbestimmung in 8 20) Strafbestimmung in § 21) Strafbestimmung in 8 22) Strafbestimmung in 8 Dalcke, Strafr. 13. Aust.*

148 Nr. 150 Nr. 149 Nr. 147 Nr.

11. 5. 7. 5. 32

498

XX. Gewerbeordnung §§ 134 h—135.

auf die seit dem 1. Januar 1891 erstmalig erlassenen Arbeitsordnungen finden die §§ 134d und 134e Abs. 1 Anwendung.") § 134 h. Als ständige Arbeiterausschüsse im Sinne des § 134 b Abs. 3 und des § 134d gellen nur: 1. diejenigen Vorstände der Betriebs- (Fabrik-) Krankenkassen oder anderer für die Arbeiter des Betriebs bestehender Kasseneinrichtungen, deren Mitglieder in ihrer Mehrheit von den Arbeitern aus ihrer Mitte zu wählen sind, sofern sie als ständige Arbeiterausschüffe be­

stellt werden; 2. die Knappschaftsältesten von Knappschaftsvereinen, welche die nicht den Bestimmungen der Berggesetze unterstehenden Betriebe eines Unternehmers umfassen, sofern sie als ständige Arbeiterausschüffe be­ stellt werden; 3. die bereits vor dem 1. Januar 1891 errichteten ständigen Arbeiterausschüsse, deren Mitglieder in ihrer Mehrzahl von den Arbeitern aus ihrer Mitte gewählt werden; 4. solche Vertretungen, deren Mitglieder in ihrer Mehrzahl von den volljährigen Arbeitern des Betriebs oder der betreffenden Betriebs­ abteilung aus ihrer Mitte in unmittelbarer und geheimer Wahl ge­ wählt werden. Die Wahl der Vertreter kann auch nach Arbeiter­ klassen oder nach besonderen Abteilungen des Betriebs erfolgen.

B. Bestimmungen für alle Betriebe, in denen in der Regel mindestens zehn Arbeiter beschäftigt werden. § 134 i. Auf Betriebe, in denen in der Regel mindestens zehn Arbeiter beschäftigt werden, finden, unbeschadet des § 133 h, die nach­ folgenden Bestimmungen der §§ 135 bis 139 aa Anwendung. Dies gilt für Betriebe, in denen regelmäßig zu gewissen Zetten des Jahres ein vermehrtes Arbeitsbedürfnis eintritt, schon dann, wenn zu diesen Zeiten mindestens zehn Arbeiter beschäftigt werden. § 135. "«) Kinder unter dreizehn Jahren dürfen nicht beschäftigt werden. Kinder über dreizehn Jahre dürfen nur beschäftigt werden, wenn sie nicht mehr zum Besuche der Volksschule verpflichtet finb.23b) Die Beschäftigung von Kindern unter vierzehn Jahren darf die Dauer von sechs Stunden täglich nicht überschreiten.2^ 23) Strafbestimmung in § 147 Nr. 5 u. § 148 Nr. 11 u. 12. 23 a) Vgl. hierzu und zu den §§ 136—139 b: § 154 Abs. 3—5. 23 b) Siehe hierzu das unter XXI abgedruckte Ges., betr. Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben, v. 30. März 03. 24) Die zulässige Arbeitszeit ist nach deren täglicher Dauer, nicht nach der Durchschnittsdauer der wöchentlichen Beschäftigung zu beurteilen. Erk. v. 19. Novbr. 88, R.10 S. 675. In welcher Weise der jugendliche Arbeiter beschäftigt wird, ob er insbe-

Junge Leute zwischen vierzehn und sechzehn Jahren dürfen nicht länger als zehn Stunden täglich beschäftigt werden.

§ 136. Die Arbeitsstunden der jugendlichen Arbeiter (§ 135) dürfen nicht vor sechs Uhr morgens beginnen und nicht über acht Uhr abends dauern. Zwischen den Arbeitsstunden müssen an jedem Arbeits­ tage regelmäßige Pausen gewährt werden. Für jugendliche Arbeiter, welche nur sechs Stunden täglich beschäftigt werden, muß die Pause mindestens eine halbe Stunde betragen.25 * *) * *Den übrigen jugendlichen Arbeitern muß mindestens mittags eine einstündige sowie vormittags und nachmittags je eine halbstündige Pause gewährt werden.26)27Eine Bor- und Nachmittagspause braucht nicht gewährt zu werden, sofern die jugendlichen Arbeiter täglich nicht länger als acht Stunden beschäftigt werden, und die Dauer ihrer durch eine Pause nicht unterbrochenen Arbeitszeit am Bor- und Nachmittage je vier Stunden nicht übersteigt. Während der Pausen darf den jugendlichen Arbeitern eine Be­ schäftigung im Betrieb überhaupt nicht und der Aufenthalt in den Arbeitsräumen nur dann gestaltet werden, wenn in denselben diejenigen Teile des Betriebs, in welchen jugendliche Arbeiter be­ schäftigt sind, für die Zeit der Pausen völlig eingestellt werden oder wenn der Aufenthalt im Freien nicht tunlich und andere geeignete Aufenthaltsräume ohne unverhältnismäßige Schwierigkeiten nicht be­ schafft werden können. Nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit ist den jugendlichen Arbeitern eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden zu gewähren. An Sonn- und Festtagen sowie während der von dem ordent­ lichen Seelsorger für den Katechumenen- und Konfirmanden-, Beichtund Kommunionunterricht bestimmten Stunden dürfen jugendliche Arbeiter nicht beschäftigt werden. § 137. Arbeiterinnen2?) dürfen nicht in der Nachtzeit von acht sondere als Lehrling irgendwelche produktiv wirtschaftliche Leistungen verrichtet, ist unerheblich. Erk. v. 3. Novbr. 90, E. 21 S. 152, immerhin aber muß ein Arbeitsverhältnis vorliegen und der jugendliche Arbeiter im Interesse der Fabrik beschäftigt werden. 25) Auch Kindern unter 14 Jahren müssen mindestens täglich zwei Pausen von einer halben Stunde gewährt werden. Erk. v. 30. Septbr. 87, N. 9 S. 486. Bei jugendl. Arbeitern, welche als Fabrikarbeiter anzusehen sind, ist auch die Arbeit, welche sie außerhalb der Fabrik zu leisten haben, auf die gesetzlich zu­ lässige Zeitdauer einzurechnen. Erk. v. 20. Juni 84, R. 6 S. 448. 26) Die Zeit der Pausen darf nicht willkürlich verändert werden. Erk. v. 28. Oktbr. 90, E. 21 S. 139. Erk. v. 30. Jan. 99, E. 32 S. 18, hält es für unstatthaft, daß an Stelle der Pausen die Arbeitszeit verkürzt wird. 27) Über den Begriff „Fabrikarbeiterin" siehe GA. 46 S. 30.

Uhr abends bis sechs Uhr morgens und am Sonnabend sowie an Vorabenden der Festtage28)29 nicht 30 nach fünf Uhr nachmittags beschäftigt werden.20) Die Beschäftigung von Arbeiterinnen darf die Dauer von zehn Stunden täglich, an den Vorabenden der Sonn- und Festtage von acht Stunden, nicht überschreiten. Zwischen den Arbeitsstunden muß den Arbeiterinnen eine nlindestens einstündige Mittagspause gewährt werden.88) Nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit ist den Arbeiterinnen

eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden zu gewahren. Arbeiterinnen, welche ein Hauswesen zu besorgen haben, sind aus ihren Antrag eine halbe Stunde vor der Mittagspause zu entlassen,

sofern diese nicht mindestens ein und eine halbe Stunde beträgt. Arbeiterinnen dürfen vor und nach ihrer Niederkunft im ganzen während acht Wochen nicht beschäftigt werden. Ihr Wiedereintritt ist an den Ausweis geknüpft, daß seit ihrer Niederkunft wenigstens sechs Wochen verflossen sind. Arbeiterinnen dürfen nicht in Kokereien und nicht zum Trans­

porte von Materialien bei Bauten aller Art verwendet werden. § 137 a. Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern darf für die Tage, an welchen sie in dem Betriebe die gesetzlich zulässige Arbeits­ zeit hindurch beschäftigt waren, Arbeit zur Verrichtung außerhalb des Betriebs vom Arbeitgeber überhaupt nicht übertragen oder sür Rech­ nung Dritter überwiesen werden. Für die Tage, an welchen die Arbeiterinnen oder jugendlichen Arbeiter in dem Betriebe kürzere Zeit beschäftigt waren, ist diese Über­ tragung oder Überweisung nur in dem Umfange zulässig, in welchem

Durchschnittsarbeiter ihrer Art die Arbeit voraussichtlich in dem Be28) Es muß zur Feststellung der Schuld aber feststehen, daß der Angeklagte den betreffenden Tag als einen gesetzlich anerkannten Festtag kannte oder kennen mußte. GA. 42 S. 301. Unerheblich ist, ob die Tätigkeit im Interesse der Arbeiter ist, z. B. Vorbereitung für den folgenden Arbeitstag. KG. v. 6. Nov. 05, DIZ. 11 S. 149. Siehe auch GA. 53 S. 302. Zur Beschäftigung gehört auch die Reinigung der Kontorräume in der Fabrik. Erk. v. 23. März 06, E. 38 S. 381. 29) Dahin gehören auch Wäschereien, siehe Anm. 81 zu § 105 b, nicht aber Waschanstalten, die im Hotelbetneb aufgehen. Erk. v. 5. Dez. 05, E. 38 S. 226. Die Anwendung der §§ 137, 1462 wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß die Arbeiterinnen in mehr oder minder großem Umfange auch kaufmännische Ar­ beiten vorzunehmen hatten. Erk. v. 17. Novbr. 10, Recht 15 Nr. 4226. 30) Es genügt nicht, daß von den Arbeiterinnen während der Pause keine Arbeit verlangt wird, sondern dieselben dürfen während dieser Zeit nicht beschäf­ tigt werden und der Gewerbetreibende macht sich strafbar, wenn er das Arbeiten auch nur aus Fahrlässigkeit zuläßt. Erk. v. 1. April 95, E. 27 S. 139.

triebe während des Restes der gesetzlich zulässigen Arbeitszeit würden Herstellen können, und für Sonn- und Festtage überhaupt nicht. Bei Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen des Abs. 2 kann die zuständige Polizeibehörde aus Antrag oder nach Anhörung des zu­ ständigen Gewerbeaufsichtsbeamten (§ 139 b) im Wege der Verfügung für einzelne Betriebe die Übertragung oder Überweisung solcher Arbeit entsprechend den Bestimmungen des Abs. 2 beschränken oder von be­ sonderen Bedingungen abhängig machen. Bor Erlaß solcher Ver­ fügungen hat der Gewerbeaufsichtsbeamte beteiligten Arbeitgebern und Arbeitern, wo ständige Arbeiterausschüsse (§ 134 h) bestehen, diesen

Gelegenheit zu geben, sich zu äußern. Gegen die Verfügung der Polizeibehörde steht dem Gewerbeunler­ nehmer binnen zwei Wochen die Beschwerde an die höhere Verwaltungs­ behörde zu. Gegen die Entscheidung der höheren Verwaltungsbehörde ist binnen vier Wochen die Beschwerde an die Zentralbehörde zulässig;

diese entscheidet endgültig. § 138. Sollen Arbeiterinnen oder jugendliche Arbeiter beschäftigt werden, so hat der Arbeitgeber vor dem Beginne der Beschäftigung der Ortspolizeibehörde eine schriftliche Anzeige zu machen.31)32In der An­ zeige sind der Betrieb, die Wochentage, an welchen die Beschäftigung stattfinden soll, Beginn und Ende der Arbeitszeit und der Pausen sowie die Art der Beschäftigung anzugeben. Eine Änderung hierin darf, ab­ gesehen von Verschiebungen, welche durch Ersetzung behinderter Arbeiterfür einzelne Arbeilsschichten notwendig werden, nicht erfolgen, bevor eine entsprechende weitere Anzeige der Behörde gemacht ist.33) In jedem Betriebe hat der Arbeitgeber dafür zu sorgen, daß in denjenigen Räumen, in welchen jugendliche Arbeiter beschäftigt werden, an einer in die Augen fallenden Stelle ein Verzeichnis der jugendlichen Arbeiter unter Angabe ihrer Arbeitstage sowie des Beginns und Endes ihrer Arbeitszeit und der Pausen ausgehängt ist. Ebenso hat er dafür zu sorgen, daß in den betreffenden Räumen eine Tafel ausgehängt ist, welche in der von der Zentralbehörde zu bestimmenden Fassung und in deutlicher Schrift einen Auszug aus den Bestimmungen über die Beschäftigung der Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeiter enthält. 8 138 ft. Wegen außergewöhnlicher Häufung der Arbeit kann auf Antrag des Arbeitgebers die untere Verwaltungsbehörde auf die 31) Die Anzeige ist vor der Beschäftigung zu machen und diese Pflicht be­ steht während der Dauer der Beschäftigung. Die Verjährung beginnt erst mit dem Wegfall der Anzeigepflicht. Erk. ti. 21. Dezbr. 83, R. 5 S. 801. 32) Eine willkürliche Veränderung und Verlegung der in der Anzeige be­ zeichneten Pausen ist, bevor nicht eine neue bezügliche Anzeige gemacht ist, straf­ bar. Erk. v. 6. Dezbr. 94, E. 26 S. 243.

502

XX. Gewerbeordnung § 139.

Dauer von zwei Wochen die Beschäftigung von Arbeiterinnen über sechzehn Jahre bis neun Uhr Abends an den Wochentagen außer Sonnabend unter der Voraussetzung gestatten, daß die tägliche Arbeits­ zeit zwölf Stunden nicht überschreitet und die zu gewährende ununter­ brochene Ruhezeit nicht weniger als zehn Stunden beträgt. Innerhalb eines Kalenderjahrs darf die Erlaubnis einem Arbeitgeber für seinen Betrieb oder für eine Abteilung seines Betriebs für mehr als vierzig

Tage nicht erteilt werden. Für eine zwei Wochen übersteigende Dauer kann die gleiche Erlaubnis nur von der höheren Verwaltungsbehörde und auch von dieser für mehr als vierzig Tage, jedoch nicht für mehr als 50 Tage im Jahre nur dann erteilt werden, wenn die Arbeitszeit für den Be­ trieb oder die betreffende Abteilung des Betriebs so geregelt wird, daß die tägliche Dauer im Durchschnitte der Bettiebstage des Jahres die regelmäßige gesetzliche Arbeitszeit nicht überschreitet. Der Antrag ist schriftlich zu stellen und muß den Grund, aus welchem die Erlaubnis beanttagt wird, die Zahl der in Betracht kommenden Arbeiterinnen, daß Maß der längeren Beschäftigung sowie den Zeitraum angeben, für welchen dieselbe stattfinden soll. Der Be­ scheid der unteren Verwaltungsbehörde auf den Antrag ist binnen drei Tagen schriftlich zu erteilen. Gegen die Versagung der Erlaubnis steht die Beschwerde an die vorgesetzte Behörde zu. Die untere Verwaltungsbehörde hat über die Fälle, in welchen die Erlaubnis erteilt worden ist, ein Verzeichnis zu führen, in welches

der Name des Arbeitgebers und die für den schriftlichen Antrag vor­ geschriebenen Angaben einzutragen sind. Die untere Verwaltungsbehörde kann die Beschäftigung von Arbeiterinnen über sechzehn Jahre, welche kein Hauswesen zu besorgen haben und eine Fortbildungsschule nicht besuchen, bei den im § 105 c Abs. 1 unter Ziffer 3 und 4 bezeichneten Arbeiten3S) an Sonnabenden und Vorabenden von Festtagen nachmittags nach fünf Uhr, jedoch nicht über acht Uhr abends hinaus unter der Voraussetzung gestatten, daß diese Arbeiterinnen am folgenden Sonn- oder Festtage arbeitsfrei bleiben. Die Erlaubnis ist schriftlich zu erteilen. Eine Abschrift der­ selben ist in denjenigen Räumen, in welchen die Arbeiterinnen be­

schäftigt werden, an einer in die Augen fallenden Stelle auszuhängeu. § 139. Wenn Naturereignisse oder Unglückssälle den regelmäßigen Betrieb einer Anlage unterbrochen haben, so können Ausnahmen von den im § 135 Abs. 2, 3, in

136, 137 Abs. 1 bis 4 vorgesehenen

33) Statt Ziffer 2 n. 3 muß es heißen: Ziffer 3 u. 4. Siehe NGBl. 1898 S. 33.

Beschränkungen auf die Dauer von vier Wochen durch die höhere Verwaltungsbehörde, auf längere Zeit durch den Reichskanzler zuge­ lassen werden. In dringenden Fällen solcher Art sowie zur Ver­

hütung von Unglücksfällen kann die untere Verwaltungsbehörde, jedoch höchstens auf die Dauer von vierzehn Tagen, solche Ausnahmen ge­ statten. Wenn die Natur des Betriebs oder Rücksichten auf die Arbeiter in einzelnen Anlagen es erwünscht erscheinen lassen, daß die Arbeitszeit der Arbeiterinnen oder jugendlichen Arbeiter in einer anderen als der durch 8 136 Abs. 1, 2, 4, 8 137 Abs. 1, 3 vorgesehenen Weise geregelt wird, so kann auf besonderen Antrag eine anderweite Regelung hinsichtlich der Pausen durch die höhere Verwaltungsbehörde, im übrigen durch den Reichskanzler gestattet werden. Jedoch dürfen in solchen Fällen die jugendlichen Arbeiter nicht länger als sechs Stunden beschäftigt werden, wenn zwischen den Arbeitsstunden nicht Pausen von zusammen mindestens einstündiger Dauer gewährt werden. Die auf Grund vorstehender Bestimmungen zu treffenden Ver­ fügungen müssen schriftlich erlassen werden. Vor Erlaß von Ver­ fügungen auf Grund des Abs. 2 ist den Arbeitern und, wo ständige Arbeiterausschüsse auf Grund reichsgesetzlicher oder landesgesetzlicher Vor­ schriften bestehen, diesen Gelegenheit zu geben, sich gutachtlich zu äußern. § 139a. Der Bundesrat ist ermächtigt:") 1. die Verwendung von Arbeiterinnen sowie von jugendlichen Arbeitern für gewisse Gewerbezweige, die mit besonderen Gefahren für Gesundheit oder Sittlichkeit verbunden sind, gänzlich zu untersagen oder von besonderen Bedingungen abhängig zu machen; 2. für Anlagen, die mit ununterbrochenem Feuer betrieben werden, oder die sonst durch die Art des Betriebs auf eine regelmäßige Tagund Nachtarbeit angewiesen sind, sowie für solche Anlagen, deren Be34) Auf Grund dieses § sind folgende im Reichsgesetzblatt veröffentlichten Bekanntmachungen erlassen: a. v. 9. März 13 (S. 129) betr. die Beschäftigung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern in Glashütten, Glasschleifereien und Glasbeizereien sowie Sandbläsereien. b. v. 4. Juni 10 (S. 868) betr. die Beschäftigung von Arbeiterinnen in Meiereien und Betrieben zur Sterilisierung von Milch. c. v. 30. Jan. 03 (S. 3) u. v. 1. April 03 (S. 123) betr. den Betrieb von Anlagen zur Herstellung von Präservativs, Sicherheitspessarien, Suspensorien u. dergl. d. v. 24. März 03 (S. 61) betr. die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter stuf Steinkohlenbergwerken in Preußen usw. e. v. 24. März 92 (S. 331), v. 11. März 97 (S. 25), v. 20. März 02 (S. 77) u. v. 12. Apr. 07 (S. 93) betr. die Beschäftigung von Arbeiterinnen auf Steinkohlenbergwerken usw. im Rg.Bez. Oppeln.

504

XX. Gewerbeordnung § 139 a.

trieb eine Einteilung in regelmäßige Arbeitsschulen von gleicher Dauer nicht gestattet oder seiner Natur nach auf bestimmte Jahreszeiten be­ schränkt ist, Ausnahmen von den im § 135 Abs. 2, 3, § 136, § 137 Abs. 1 bis 3 vorgesehenen Bestimmungen zuzulassen, soweit § 136 Abs. 3 in Betracht kommt, jedoch nur für männliche jugendliche Arbeiter; 3. für gewisse Gewerbezweige, soweit die Natur des Betriebs oder die Rücksicht auf die Arbeiter es erwünscht erscheinen lassen, die Abkürzung oder den Wegfall der für jugendliche Arbeiter vorge­

schriebenen Pausen zu gestatten; 4. für Gewerbezweige, in denen regelmäßig zu gewissen Zeiten des Jahres ein vermehrtes Arbeitsbedürfnis eintritt, aus höchstens 40 Tage im Kalenderjahr Ausnahmen von den Bestimmungen des § 137 Abs. 1, 2, 4 mit der Maßgabe zuzulassen, daß die tägliche Arbeitszeit zwölf Stunden, an Sonnabenden acht Stunden nicht über­ schreitet, und die zu gewährende ununterbrochene Ruhezeit nicht weniger als zehn Stunden beträgt. In der ununterbrochenen Ruhezeit müssen die Stunden zwischen zehn Uhr Abends und fünf Uhr Morgens liegen; 5. für Gewerbezweige, in denen die Verrichtung der Nachtarbeit zur Verhütung des Verderbens von Rohstoffen oder des Mißlingens von Arbeitserzeugnissen dringend erforderlich erscheint, Ausnahmen von den Bestimmungen des § 137 Abs. 1 bis 4 mit der Maßgabe zuzulassen, daß die ununterbrochene Ruhezeit an höchstens sechzig Tagen im Kalender­ jahre bis auf achteinhalb Stunden täglich herabgesetzt werden darf. In den Fällen zu 2 darf die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit für Kinder sechsunddreißig Stunden, für junge Leute sechzig, für Arbeiterinnen achtundfünfzig Stunden nicht überschreiten. Die Nacht­ arbeit darf in vierundzwanzig Stunden die Dauer von zehn Stunden nicht überschreiten und muß in jeder Schicht durch eine oder mehrere Pausen in der Gesamtdauer von mindestens einer Stunde unterbrochen sein. Die Tagschichten und Nachtschichten müssen wöchentlich wechseln. In den Fällen zu 3 dürfen die jugendlichen Arbeiter nicht länger als sechs Stunden beschäftigt werden, wenn zwischen den Arbeitsstunden nicht eine oder mehrere Pausen von zusammen mindestens einstün­ diger Dauer gewährt werden. In den Fällen zu 4 darf die Erlaubnis zur Überarbeit für mehr als vierzig Tage, jedoch nicht für mehr als 50 Tage dann erteilt f. v. 27. Mai 02 (S. 170) u. v. 6. Juli 06 (S. 835) betr. die Beschäf­ tigung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern in Walz- u. Hammer­ werken. g. v. 15. Novbr. 03 (S. 286) betr. die Beschäftigung von Arbeiterinnen unb jugendlichen Arbeitern in Ziegeleien. Siehe auch Anm. 6 zu § 120e.

werden, wenn die Arbeitszeit in der Weise geregelt wird, daß ihre tägliche Tauer im Durchschnitte der Betriebslage des Jahres die regel-' mäßige gesetzliche Arbeitszeit nicht überschreitet. 35i Die durch Beschluß des Bundesrats getroffenen Bestimmungen sind zeitlich zu begrenzen und können auch für bestimmte Bezirke er­ lassen werden. Sie sind durch das Reichs-Gesetzblatt zu veröffentlichen und dem Reichstage bei seinem nächsten Zusammentritte zur Kenntnis­

nahme vorzulegen. $ 139 aa. Auf die Arbeiter in den unter Abschnitt IV fallenden Betrieben finden im übrigen die Bestimmungen der 121—125 oder, wenn sie als Lehrlinge anzusehen sind, die Bestimmungen der §§ 126 bis 128 Anwendung.

V. § 139 b.

Aufsicht.

Die Aufsicht über die Ausführung der Bestimmungen

der §§ 105 a, 105 b Abs. 1, der §§ 105 c bis 105 h, 120 a bis 120 f, 133 g bis 139 aa ist ausschließlich oder neben den ordentlichen Polizeibehörden besonderen von den Landesregierungen zu ernennenden Beamten zu übertragen. Denselben stehen bei Ausübung dieser Aufsicht alle amt­ lichen Befugnisse der Ortspolizeibehörden, insbesondere das Recht zur jederzeitigen Revision der Anlagen zu. Sie sind, vorbehaltlich der Anzeige von Gesetzwidrigkeiten, zur Geheimhaltung der amtlich zu ihrer Kenntnis gelangenden Geschäfts- und Betriebsverhältnisse der ihrer Revision unterliegenden Anlagen zu verpflichten. Die Ordnung der Zuständigkeitsverhältnisse zwischen diesen Be­

amten und den ordentlichen Polizeibehörden bleibt der verfassungs­ mäßigen Regelung in den einzelnen Bundesstaaten Vorbehalten. Die erwähnten Beamten haben Jahresberichte über ihre amtliche Tätigkeit zu erstatten. Diese Jahresberichte oder Auszüge aus den­ selben find dem Bundesrat und dem Reichstage vorzulegen. Die auf Grund der Bestimmungen der §§ 105a bis 105h, 120a bis 120f, 133 g bis 139 aa auszuführenden amtlichen Revisionen müssen die Arbeitgeber zu jeder Zeit, namentlich auch in der Nacht, während des Betriebs gestatten. Die Arbeitgeber sind ferner verpflichtet, den genannten Beamten oder der Polizeibehörde diejenigen statistischen Mitteilungen über die Verhältnisse ihrer Arbeiter zu machen, welche vom Bundesrat oder

35) Zuwiderhandlungen gegen die vom Bundesrat in den vorstehend auf­ geführten Bekanntmachungen erlassenen Vorschriften und gegen den § 138 fallen unter die Strafbestimmung des § 149 Nr. 7. Erk. v. ll.Oktbr. 94, E. 26 S. 124.

506

XX. Gewerbeordnung §§ 139 c—139e.

von der Landes-Zentralbehörde unter Festsetzung der dabei zu beobach­ tenden Fristen und Formen vorgeschrieben werden.

VI.

Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter in offenen Verkaufsstellen.^)

§ 139 c. In offenen 36 * **)* * Verkaufsstellen * und den dazu gehören­ den Schreibstuben (Kontore) und Lagerräumen ist den Gehilfen, Lehr­ lingen und Arbeitern nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens zehn Stunden zu gewähren. In Gemeinden, welche nach der jeweilig letzten Volkszählung mehr als zwanzigtaufend Einwohner haben, muß die Ruhezeit in offenen Verkaufsstellen, in denen zwei oder mehr Gehilfen und Lehr­ linge beschäftigt werden, für diese mindestens elf Stunden betragen; für kleinere Ortschaften kann diese Ruhezeit durch Ortsstatut vorge­ schrieben werden. Innerhalb der Arbeitszeit muß den Gehilfen, Lehrlingen und Arbeitern eine angemessene Mittagspause gewährt werden. Für Ge­ hilfen, Lehrlinge und Arbeiter, die ihre Hauptmahlzeit außerhalb des die Verkaufsstelle enthaltenden Gebäudes einnehmen, muß diese Pause mindestens ein und eine halbe Stunde betragen.

8 139 d. Die Bestimmungen des § 139c finden keine An­ wendung 1. auf Arbeiten, die zur Verhütung des Verderbens von Waren unverzüglich vorgenommen werden müssen, 2. für die Aufnahme der gesetzlich vorgeschriebenen Inventur sowie bei Neueinrichtungen und Umzügen, 3. außerdem an jährlich höchstens dreißig von der Ortspolizei­ behörde allgemein oder für einzelne Geschäftszweige zu bestim­ menden Tagen.

§ 139 e. Von neun Uhr abends bis fünf Uhr morgens müssen offene Verkaufsstellen3^'') für den geschäftlichen Verkehr geschlossen 36) Dieser Abschnitt (§§ 139 c—139 m), durch die Novelle v. 30. Juni 1900 lNGBl. S. 321) neu eingeschaltet, ist nach Art. 16 am 1. Oktbr. 1900 in Kraft getreten. 36 a) Ein Verzicht auf die Mittagspause ist unzulässig. Erk. v. 21. Novbr. 01. E. 35 S. 9. 36 b) Dazu gehören auch Automaten, Kayser-Steiniger, Anm. 5 u. DIZ. 7 S. 127, aber nicht Schank- und Speisewirtschaften, DIZ. 7 S. 54, auch nicht Kontore, welche nur einzelnen Gruppen, wie z. B. Engroskäufern offen stehen. DIZ. 7 S. 103. Unter Schluß der Verkaufsstelle ist der sog. Geschäftsschluß gemeint. DIZ. 7 S. 463.

sein. 30")

Die beim Ladenschluß im Laden schon anwesenden Kunden

dürfen noch bedient werden.36 E. 40 S. 212. Siehe auch Erk. v. 27. Novbr. 94 in Abs. 8 dieser Sinnt. II. An Schutzmann befindet sich nicht in rechtmäßiger Amtsausübung, wenn er bei ruhestörendem Lärm gegen eine nicht fluchtverdächtige Person einschreitet, aber die Prüfung der Legittmation ablehnt u. die Person der Polizeibehörde vorführt. Erk. v. 5. April 95, E. 27 S. 153. Anders, wenn der Verhaftete sich nicht vollständig legittmieren kann. Erk. v. 2. Mai 95, E. 27 S. 198. Siehe auch Erk. v. 11. Juli 99, E. 32 S. 269. Ein Gemeindediener, welcher im Auf­ trage des Amtsvorstehers eine Ortsarme in eine zum Zwecke der Unterbringung derselben gemietete Wohnung einsetzen will, befindet sich nicht in rechtsmäßiger Amtsausübung. Erk. v. 27. Novbr. 94, E. 26 S. 291. Dagegen befindet sich der Gemeindevorsteher in solcher, wenn er auf Anrufen einer mit Mißhandlung bedrohten Person gegen den Täter ein schreitet, selbst wenn er dabei zur Nachtzeit die ihm freiwillig geöffnete Wohnung betritt. Erk. v. 27. Ottbr. 93, GA. 41 S. 290. Weigert sich eine Person, der Anordming eines Polizeibeamten nachzu»

664

XXVIII. Strafgesetzbuch § 113.

drohung mit Gewalt Widerstand leistet,31) oder wer einen solchen Beamten während der rechtmäßigen Ausübung seines Amtes tätlich augreift, ”) wird mit Gefängnis von vierzehn Tagen bis zu zwei Jahren bestraft.33) kommen, so ist die polizeiliche Sistierung gestattet. GA. 38 S. 70 u. Erk. v. 20. Juni 89, GA. 37 S. 291. Dagegen ist ein Gendarm nicht berechtigt, aus eigener Machtvollkommenheit eine Person zu ihrer Vernehmung zwangsweise zu gestellen. Erk. v. 17. Novbr. 91, GA. 39 S. 332. Aber ein Gendarm, welcher von der Ortspolizeibehörde beauftragt ist, eine Anordnung mit Zwang durchzusetzen, ist in rechtm. Amtsausübung, wenn er die Handlung an Stelle des sich weigernden Verpflichteten durch einen Dritten bewirken läßt u. den Verpflichteten behufs Einziehung der Kosten der Polizeibehörde vorführt. Erk. v. 17. Septbr. 92, E. 23 S. 227. Ebenso ist der Gerichtsvollzieher bei einer Zwangsverst. in rechtmäßiger Ausübung seines Amtes, wenn er auch einzelne Förmlichkeiten z. B. die Bekanntm. der Versteigerung Unterlasten hat. Erk. v. 6. Febr. 88, R. 10 S. 97, oder wenn die Bollstreckungsklausel nicht zu Recht beständig gewesen ist. Erk. v. 1. Mai 82, R. 4 S. 418, desgl. wenn er bei einer im Parteiauftrage zu er­ ledigenden Zustellung sich aus der Wohnung der Person, welcher zugestellt werden soll, trotz Aufforderung vor Abschluß seiner amtlichen Tätigkeit nicht entfernt. Erk. v. 7. Febr. 08, E. 41 S. 82. Der Gerichtsvollz. ist befugt, bei Zwangs­ vollstreckungen die Taschen der Kleidungsstücke, die der Schuldner auf dem Leibe trägt, zu durchsuchen. Erk. v. 15. Ottbr. 87, E. 16 S. 218. Dagegen befindet sich ein Gerichtsvollzieher nicht in der rechtmäßigen Aus­ übung, wenn er auf Grund einer einstweiligen Berf., durch welche die Rück­ bringung von Sachen des Gegners des Antragstellers in die Wohnung des letzteren angeordnet ist, demjenigen, zu dem die Sachen geschafft waren, die letzteren mit Gewalt fortnehmen will. Erk. v. 19. Novbr. 94, E. 26 S. 249. III. Als dolus genügt das Bewußtsein des Angeschuldigten, daß der Be­ amte eine Amtshandlung vornimmt. Erk. v. 12. Juli 81, E. 4 S. 375. Daß der Täter sich auch der Rechtmäßigkeit der Amtsausübung bewußt gewesen, ist nicht nötig. Erk. v. 27. Juni 84, R. 6 S. 478. Dgl. auch Erk. v. 5. Novbr. 80, N. 2 S. 453, Erk. v. 27. Septbr. 87, R. 9 S. 473. Selbsthilfe ist dem in rechtmäßiger Ausübung seines Amtes befind!. Beamten gegenüber nicht gestattet. Erk. v. 26. Jan. 92, E. 22 S. 300, u. v. 27. Febr. 94, E. 25 S. 150. 31) Der Widerstand muß durch Gewalt oder durch Bedrohung mit Gewalt geleistet sein. Der Begriff der Gewalt erfordert körperliche Kraftäußerungen gegen die Person des Beamten, es genügt nicht ein bloß passives Verhalten. Erk. v. 5. Febr. 81, R. 3 S. 12, v. 11. Jan. 83, R. 5 S. 24, u. v. 7. Mai 85. R. 7 S. 280. Wohl aber genügt ein Einsperren. Erk. v. 5. Novbr. 95, E. 27 S. 405, doch nicht ein Verschließen der Türe des Hauses vor dem Beamten. Erk. v. 4. März 10, Recht 14 Nr. 1306. Liegt aber in dem passiven Verhalten ein Widerstand, dessen Überwinden eine besondere Kraftanstrengung des Beamten erfordert, so kann der Tatbestand des §113 vorliegen. Erk. v. 1. Novbr. 80, E. 2 S. 411, sowie Erk. v. 5. Febr. 85, R. 7 S, 85. Auch in der Drohung, einen Hund auf den Beamten hetzen zu wollen, kann eine Bedrohung mit Gewalt gefunden werden. Erk. D. 21. Jan. 89, GA. 37 S. 158. 32) Unter tätlichem Angriff auf den Körper des Beamten ist eine in feind­ seliger Absicht zielende Einwirkung (Ausholen zu einem Schlage) zu verstehen. Erk. v. 18. Novbr. 82, E. 7 S. 301. Derselbe braucht auch nicht in einer be-

Widerstand gegen die Staatsgewalt § 114.

665

Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe bis zu Einem Jahre oder Geldstrafe bis zu eintausend Mark ein. Dieselben Strafvorschriften treten ein, wenn die Handlung gegen

Personen, welche zur Unterstützung des Beamten zugezogen waren,") oder gegen Mannschaften der bewaffneten Macht, ")"•) oder gegen Mannschaften einer Gemeinde-, Schutz- oder Bürgerwehr in Ausübung des Dienstes begangen wird.") § 114 °8) Wer es unternimmt,37) durch Gewalt oder Drohung38) stimmten Beziehung zu der Amtshandlung zu stehen. Erk. v. 2. Novbr. 85, R. 7 S. 632. Erk. v. 14. April 98, GA. 46 S. 214. 33) Die Spezialvorschriften des Bereinszollges. v. 1. Juli 69, des Brausteuerges. v. 31. Mai 72, des Malzsteuerges. v. 12. Ottbr. 67, der Seemannsordn. v. 2. Juni 02, des Braumalzsteuerges. v. 4. Juli 68 sind in Kraft ge­ blieben. Vgl. auch Erk. v. 23. Juni 93, E. 24 S. 217. 34) In der Zahl und Wahl der zu seiner Unterstützung beizuziehenden Pei-sonen ist der Beamte nicht beschränkt. Erk. v. 10. Juli 93, E. 25 S. 253. 35) Siehe Instruktion für die Wachen v. 29. Jan. 81 (JMBl. S. 35) u. Erk. v. 2. Novbr. 85, E. 13 S. 105. — Verabschiedete Offiziere sind nicht Mit­ glieder der bewaffneten Macht. Erk. v. 2. Mai 95, E. 27 S. 193; wohl aber die kaiserl. Schutztruppen. Erk. v. 8. Dezbr. 10, E. 44 S. 204. 35 a) Die Vorschriften finden auch Anwendung, wenn die Handlung gegen Personen begangen wird, die von einem Mitglied der bewaffneten Macht zuge­ zogen sind. GA. 47 S. 160. 36) Auf die von einem Forstbeamten, der unter dem Schutz des 8 117 steht, zugezogenen Hilfspersonen findet § 113 Anwendung. Erk. v. 15. Jan 97, E. 29 S. 310. Vgl. über das Verhältnis des § 113 zum § 117 auch Erk. v. 16. Dezbr. 92, E. 23 S. 25J7, u. Erk. v. 25. Jan. 01, E. 34 S. 111. Es wird immer darauf ankommen, ob die Handlung, bei der Widerstand geleistet wird, als Fortsetzung eines in der Forst begonnenen Attes anzusehen ist. 37) Der § 114 kann bei Vollstreckungsbeamten nur in Frage kommen, wenn die Amtshandlung noch nicht begonnen, oder wenn sie bereits vollendet war, als auf dieselbe durch Drohung oder Gewalt eingewirtt wurde. War die Amtshand­ lung in der Vollstreckung begriffen, so kommt § 113 zur Anwendung. Erk. v. 4. Febr. 81, R. 3 S. 10, u. Erk. v. 21. Ottbr. 87, R. 9 S. 525. Die Amts­ handlung muß innerhalb der Grenzen der Zuständigkeit des Beamten gelegen haben, aber das Moment der Rechtmäßigkeit, welches § 113 voraussetzt, ist hier nicht erforderlich. Es muß jedoch ein Zusammenhang zwischen der Drohung mit einer konkreten Amtshandlung erkennbar vorliegen. Erk. v. 5. März 01, E. 34 S. 206. Siehe auch Anm. 66 a zu 8 122. 38) Die Verwirklichung der Drohung muß auch objektiv geeignet sein, von dem Bedrohten als ein Übel empfunden zu werden und ihn deshalb in seiner

Willensfteiheit zu beschränken. Erk. v. 15. Juni 03, DIZ. 8 S. 478. Die Inaussichtstellung der Veröffentlichung einer angeblichen Pflichtverletzung kann als Drohung angesehen werden. Erk. v. 7. Dezbr. 94, GA. 42 S. 404. Siehe auch Erk v. 12. Febr. 06, Recht 10 S. 320. Ebenso kann als Drohung gelten die Erklärung, einen Prozeßrichter bei der vorgesetzten Behörde anzeigen zu wollen, wenn er auf bestimmte Anträge nicht eingehen werde. Erk. v. 7. Juni 94, GA. 42 S. 239. Das Jnaussichtstellen einer Beschwerde ist aber nicht ohne weiteres eine Drohung. GA. 50 S. 291. Sie kann es aber sein, ebenso wie

Strafk. .. mit Uberw.

666

strafk.

Schw.

strafk. überw.

XXVIII. Strafgesetzbuch §§ 115,116.

eine Behörde") oder einen Beamten zur Vornahme oder Unter­ lassung einer Amtshandlung zu nötigen,40) wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bis zu zweitausend Mark ein. § 115. Wer an einer öffentlichen4^ Zusammenrottung,4^) bei welcher eine der in den §§ 113 und 114 bezeichneten Handlungen mit vereinten Kräften begangen wird, teilnimmt,4') wird wegen Auftuhrs mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten bestraft. Die Rädelsführer, sowie diejenigen Aufrührer, welche eine der in den §§ 113 und 114 bezeichneten Handlungen begehen, werden mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft; auch kann auf Zulässig­ keit von Polizei-Aufsicht erkannt werden. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter sechs Monaten ein. § 116. Wird eine auf öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen44) versammelte Menschenmenge") von dem zuständigen Beamten4^ oder die Bedrohung mit einer Besprechung der Angelegenheit im Reichstag, wenn der Täter annimmt, daß der Beamte die Besprechung fürchtet. Erk. v. 15. Nov. 06, E. 39 S. 266. Siehe auch Erk. v. 6. Mai 84, R. 6 S. 358, über den Begriff der Drohung. 39) Behörde ist jedes Organ der Staatsregierung, welches berufen ist, unter öffentlicher Autorität für Herbeiführung der Zwecke des Staates tätig zu sein. GA. 23 S. 518 u. Erk. v. 13. Mai 80, R. 1 S. 170. 40) Die Drohung braucht nicht unmittelbar gegen die Behörde oder die Beamten gerichtet zu sein. Erk. v. 21. Mai 81, R. 3 S. 318. 41) Das Wort „öffentlich" hat hier eine besondere Bedeutung und zwar die, daß nicht sowohl die Qualität des Ortes der Zusammenrottung, als viel­ mehr die Möglichkeit unbeschräntter Beteiligung an derselben und die darin liegende Gefahr für den Beamten und resp, die Behörde entscheidend ist. Erk. v. 14. März 90, E. 20 S. 298. Vgl. auch Erk. v. 19. Febr. 91, E. 21 S. 370. 42) Zusammenrottung ist eine Bereinigung mehrerer zu einem gemein­ schaftlichen ungesetzlichen Handeln. GA. IIS. 340. Erk. v. 11. Ott. 07, GA. 54 S. 478. Daß diese mehreren vorher räumlich getrennt gewesen, ist nicht notwendig. GA. 23 S. 429. Als dolos genügt das Bewußtsein, sich in einer zusammengerotteten Menge zu befinden und in derselben zu bleiben. Erk. v. 1. Juli 80, R. 2 S. 150. Siehe auch R. 4 S. 113. Die nach §§ 115 u. 125 strafbaren Vergehen stehen in Ideal- nicht in Ge­ setzeskonkurrenz. Erk. v. 26. Juni 96, E. 29 S. 11. 43) Der Begriff der Teilnahme ist hier der des gewöhnlichen Lebens, § 47 des StGB, greift hier nicht Platz. Erk. v. 3. Jan. 84, E. 9 S. 379. Siehe auch Erk. v. 20. Mai 90, E. 20 S. 405. 44) Daß die Plätze, Wege usw. im Privateigentum stehen, schließt den Be­ griff der Öffentlichkeit nicht aus, sobald dieselben nur zu dem konkreten Zeitpunkte

dem allgem. Verkehr zugänglich waren. Erk. v. 17. Juni 90, E. 21 S. 13, u. v. 19. Febr. 91, ebenda S. 370. Erk. v. 17. Sept. 95, JurW. 24 S. 564. 45) Hier muß die Aufforderung (abweichend von § 110) an eine Menschen­ menge gerichtet sein. GA. 21 S. 512 u. OR. 14 S. 600. Eine v» M. ist an-

667

Widerstand gegen die Staatsgewalt § 117.

Befehlshaber der bewaffneten Macht aufgefordert, sich zu entfernen, so wird jeder

der Versammelten,

welcher nach der

dritten Auffor­

derung *7) sich nicht entfernt, wegen Auflaufs mit Gefängnis bis zu drei

Monaten oder mit Geldstrafe bis zu eintausendfunfhundert Mark bestraft. Ist bei einem Auflaufe gegen die Beamten oder die bewaffnete

Macht mit vereinten Kräften tätlicher Widerstand geleistet oder Ge­

walt verübt

worden,

so treten

gegen

diejenigen,

Straft, bzw. Schw.

welche an diesen

Handlungen teilgenommen haben, die Strafen des Aufruhrs ein.

§ 117.

Wer einem Forst- oder Jagdbeamten,einem Wald­

eigentümer, Forst- oder Jagdberechtigten/b) oder einem von diesen be­

stellten^) Aufteher tii60*) der rechtmäßigen Ausübung seines Amtes °')

zunehmen, wenn die Ansammlung eine Gefährdung der öffentl. Ordnung und Sicherheit in sich schließt. Erk. v. 4. Juni 01, GA. 48 S. 351. 46) Ob ein Beamter zuständig, hängt von seiner sonstigen amtlichen Stellung ab. Polizeidiener und Gendarmen sind für zuständig erachtet. Erk. v. 15. März 82, E. 6 S. 91. 47) Daß der Täter die Aufforderung selbst gehört haben müsse, ist im Ge­ setz nicht gesagt, es genügt auch die aus andere Weise erlangte Kenntnis. Erk. v. 6. Novbr. 90, E. 21 S. 154. 48) Ein Privatförster wird Jagdschutzbeamter durch Bestätignng des Land­ rats. Erk. v. 3. Mai 10, E. 43 S. 363. Ob der Widerstand in der Forst selbst oder doch wenigstens im unmittelbaren Zusammenhänge mtt der Verfolgung deS Frevlers erfolgt sein muß, darüber schwantt die Rechtsprechung deS RG. Verneint ist die Frage in den Erk. v. 22. Febr. 81, R. 3 S. 62, v. 4. Oktbr. 81, ebenda S. 582, u. v. 26. Ottbr. 93, E. 24 S. 344, bejaht dagegen in den Erk. v. 13. Dezbr. 92, E. 23 S. 357, u. v. 17. Ottbr. 95, JurWoch. 24 S. 584. Siehe auch Erk. v. 17. Juni 11, DIZ. 16 S. 1448 u. Recht 15 Nr. 3262 (Widerstand in einem geschlossenen Tierpark). 49) Der Widerstand muß bei der Ausübung des Forst- oder Jagdschutzes geleistet sein, der bei der Ausübung des Forst- oder Jagdrechts geleistete Wider­ stand fällt nicht unter § 117. Erk. v. 19. Febr. 84, E. 10 S. 106, Erk. v. 25. Ottbr. 88, R. 10 S. 590. Erk. v. 13. Dezbr. 92, E. 23 S. 358. Handelt es sich um einen Widerstand nicht, gegen einen Beamten, sondern gegen den Wald- oder Jagdberechttgten, so muß der Täter das Bewußtsein ge­ habt haben, daß letzterer sich in der rechtmäß. Ausübung seines Rechts befinde. Erk. v. 7. Jan. 90, E. 20 S. 156. In jedem Falle aber muß der Jagdberechttgte auf Grund eines rechtsgülttgen Vertrages zur Jagd berechttgt sein, um diesen Schutz zu genießen. Erk. v. 9. Ottbr. 94, E. 26 S. 144. Ist er dies, so hat er auch das Recht, einen Frevler nach seiner Legittmation zu ftagen u. ihn ev. der zuständ. Polizeibehörde zuzuführen. Erk. v. 30. Juni 94, GA. 42 S. 259. 50) Der Aussetzer muß eine gewisse selbständige Stellung haben, indes ge­ nügt schon eine Bestellung für einen konkreten Vorgang. Erk. v. 22. Jan. 81, R. 2 S. 753, u. Erk. v. 25. April 84, E. 10 S. 333. 50*) „in", nicht „während". Erk. v. 7. März 05, GA. 52 S. 250. 51) Die Frage der Zuständigkeit der Forstbeamten bei Ausübung deS Jagd­ schutzes hatte gleichfalls zu Zweifeln in der Richtung Anlaß gegeben, ob die Be­ amten nur innerhalb ihres Reviers oder auch außerhalb desselben den Jagdschutz auSüben dürfen. Durch die B.-d. M.J. tetr, die Handhabung des Jagdschutzes

Straft. .. mit Uberw.

668

XXVIII. Strafgesetzbuch ff 117.

oder Rechtes durch Gewalt oder durch Bedrohung mit Gewalt Wider­ stand leistet, oder wer eine dieser Personen während der Ausübung

ihres Amtes oder Rechtes tätlich angteift,62) wird mit Gefängnis von vierzehn Tagen bis zu drei Jahren bestraft.6S) straft.

Ist der Widerstand oder der Angriff unter Drohung mit Schieß­ gewehr,^) Äxten oder anderen gefährlichen Werkzeugen erfolgt, oder

v. 24. Febr. 00 (VMBl. S. 101) ist bestimmt, daß die Verpflichtung zur Aus­ übung des Forst- und Jagdschutzes sich auf sämtliche angrenzende Schutzbezirte erstreckt. (SrL v. 3. Febr. 10, E. 43 S. 215. Siehe auch Dalcke-Delius S. 148. Der gute Glaube des Jagdaufsehers kann die mangelnde örtliche Zu­ ständigkeit nicht ersetzen. Erk. v. 17. Septbr. 08, Recht 12 Nr. 3355. Forst­ schutzbeamte haben kein Durchsuchungsrecht. Sind sie Hilfsbeamte der StA., so ist der ihnen bei der Durchsuchung geleistete Widersland nach § 113 StGB, zu bestrafen. Erk. v. 18. Dez. 03, E. 37 S. 33. Erk. v. 17. Dezbr. 09, Recht 14 Nr. 613. Den im Gemeindedienst befindlichen Förstenl muß die Hilfsbeamteneigenschast besonders verliehen sein. Erk. v. 17. Dezbr. 09, GA. 57 S. 225. Sie aber das Anm. 30 sub XV zit. Erk. d. KG. v. 5. Juli 09. Auch die Be­ fugnis zur Pfändung ist durch Art. 89 AG. z. BGB. beseitigt. Siebe Erk. v. 1 l. Dez. 06, Recht 11 S. 71. Ein Forstbeamter befindet sich nicht in rechtmäßiger Amtsausübung, wenn er von einem ihm bekannten Frevler verlangt, daß derselbe ihm die gelegten Schlingen zeigen und ihn zur Polizeibehörde begleiten soll. Erk. 0.11. Mai 94, GA. 42 S. 133. Ebenso ist ein Forstbeamter nicht ohne besondere Gründe be­ rechtigt, von den von ihm bei einer Durchsuchung Vorgefundenen und vermutlich gestohlenen Hölzern Stücke abzuschneiden und diese zu beschlagnahmen. Erk. v. 1. Mai 94, GA. 42 S. 121. Siehe auch GA 52 S. 117. Er ist aber be­ rechtigt zu gebieten, daß der Forstftevler das durch verbotene Eigenmacht dem Waldeigentümer weggenommene Holz im Walde befasse, und dieses Gebot mit Gewalt durchzusetzen. (§§ 858, 859 BGB.) Erk. v. 15. Febr. 07, Recht 11 S. 391. 52) Auch bei dem tätlichen Angriff wird Rechtmäßigkeit der Amtsausübung vorausgesetzt. Erk. v. 30. Oktbr. 80, E. 3 S. 14. In der schwurgerichtlichen Fragestellung bedarf es aber der Erwähnung dieses Umstandes nicht. Erk. v. 22. Dezbr. 81, R. 3 S. 819. SJje vorläufige Festnahme ist nach § 127 StPO, gerechtfertigt. Erk. v. 19. Juni 90, E. 21 S. 10. Auch durch Schießen in der Richtung, in welcher sich der Forstbeamte befindet, kann ein tätlicher Angriff verübt werden. Eine körperliche Berührung ist nicht notwendig. Erk. v. 26. Septbr. 90, GA. 38 S. 359, aber das Ziel der Handlung muß Einwirkung auf den Körper des anderen sein. Erk. v. 17. März 08, E. 41 S. 181, ebenso genügt das Unternehmen einer Einsperrung. Erk. v. 29. Novbr. 95, E. 28 S. 32. 53) Der Jagdberechtigte und auch der bloße Privatforstbeamte sind zur Wegnahme des Gewehrs des Jagdftevlers berechtigt. Erk. v. 14. Ottbr. 02, E. 35 S. 403. Erk. v. 29. Mai 03, DIZ. 8 S. 430. Vgl. aber Erk. v. 18. Novbr. 02, GA. 50 S. 115. Ein Forstaufseher ist berechtigt, einer beim unbefugten Sammeln von Pilzen betroffenen Person die Pilze wegzunehmen. Erk. v. 21. April 03, GA. 50 S. 278. Ebenso kann der Privatforstbeamte einen Frevler mit Gewalt auS der Forst entfernen. Erk. v. 1. März 95, E. 27 S. 70. 54) Daß das Gewehr geladen war, ist nicht erforderlich, Erk. v. 25. Ottbr. 83, E. 9 S. 176, aber es muß überhaupt eine Schießwaffe vorhanden gewesen

Widerstand gegen die Staatsgewalt 88 118—120.

669

mit Gewalt an der Person^) begangen worden, so tritt Gefängnis­ strafe nicht unter drei Monaten ein. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt in den Fällen des Absatz 1 Gefängnisstrafe bis zu Einem Jahre, in den Fällen des Absatz 2 Gefängnisstrafe nicht unter Einem Monat ein.66) § 11 8.67) Ist durch den Widerstand oder den Angriff eine Körper- Schw. Verletzung6*^)** *dessen * ** 10 S., gegen welchen die Handlung begangen ist, ver­ ursacht worden, so ist auf Zuchthaus bis zu zehn Jahren zu er­ kennen. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter drei Monaten ein. § 119. Wenn eine der in den §§ 117 und 118 bezeichneten Handlungen von mehreren6^ gemeinschaftlich begangen worden ist, so kann die Strafe bis um die Hälfte des angedrohten Höchstbetragcs, die Gefängnisstrafe jedoch nicht über fünf Jahre erhöht werden. § 120. Wer einen Gefangenen 6°) aus der Gefangenanstalt ■) strafk. oder aus der Gewalt der bewaffneten Macht, des Beamten oder des- überw. jenigen, unter dessen Beaufsichtigung, Begleitung oder Bewachung sein. Erk. v. 17. April 96, E. 28 S. 314 und sie muß innerhalb des Kreises ihrer Verwendung benutzt sein. Erk. v. 10. Mai 09, Recht 13 Nr. 1954. 55) Die Gewalthandlung muß die Person unmittelbar betroffen haben, Erk. v. 28. Juni 87, E. 16 S. 172 und setzt eine dirett gegen den Körper des Beamten gerichtete Tättgkeit voraus. Erk. v. 25. Juni 95, GA. 43 S. 131. 56) Siehe auch 8 17 des Feld- und Forstpol.Ges. v. 1. April 80. 57) Der § 118 bezieht sich ausschließlich aus den § 117. Erk. v. 13. April 92, E. 23 S. 69. 58) Darunter ist jede Mißhandlung und Gesundheitsbeschädigung zu ver­ stehen, Erk. v. 1. Juli 84, E. 11 S. 24, auch braucht dieselbe keine vorsätzliche zu sein. OR. 17 S. 782. Aus Buße botf nicht erkannt werden. Erk. v. 10. Mai 09, E. 42 S. 317. 59) Ob dies der Fall ist, ist nach den allgem. Grundsätzen über die Mit­ täterschaft zu beurteilen. Erk. v. 1. Juli 85, R. 7 S. 453. 60) Gefangener ist jeder, der durch ein berechtigtes Organ der Staats­ gewalt in Hast genommen ist, Erk. v. 12. Ottbr.85, R.7 S.571. Äußere Recht-

mäßigkeit der Gefangennahme ist nicht erforderlich. Erk. v. 3. Okt. 06, E. 39 S. 189. Der von einem Förster, der nicht Foistschutzbeamter ist, vorläufig Fest­ genommene. ist kein Gefangener. Erk. v. 13. Mai 04, Recht 8 S. 340. Über den von einer Privatperson Festgenommenen siehe Erk. v. 19. Jan. 86, E. 13 S. 254. Ein dem Transporteur übergebener Gefangener verliert dadurch diese Eigen­ schaft nicht, daß ihn der Transporteur auf einige Zeit frei läßt. Erk. v. 17. Dezbr. 89, GA. 37 S. 433. Auch von der Polizeibehörde in einer Irrenanstalt untergebrachte gemeingefährliche Geisteskranke sind Gefangene. Erk. v. 5. Dezbr. 10, E. 44 S. 171; siehe auch Erk. v. 9. Oktbr. 02, GA. 50 S. 104. 60 a) Erziehungsanstalt für verwahrloste Kinder ist keine Gefangenanstalt. Erk. v. 23. Jan. 88, R. 10 S. 58, E. 17 S. 69.

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XXVUI. Strafgejchbuch § 120.

er sich befindet, vorsätzlich befreit oder ihm zur Selbstbefreiung vor­ sätzlich behilflich ist, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahrm bestraft.61) Der Versuch ist strafbar.62)

Gesetz über die Fürsorgeerziehung Minderjähriger v. 2. Juli 1900 (GS. 8. 264).

Straft.

§ 21. Wer, abgesehen von den Fällen der §§ 120, 235 StGB., einen Mindeijährigen, bezüglich dessen das gerichtliche Verfahren auf Unterbringung zur Fürsorgeerziehung eingeleitet62*) oder die Unterbringung zur Fürsorgeerziehung angeordnet62 b) ist, dem Verfahren oder der angeordneten Fürsorgeerziehung entzieht,69 c) oder ihn verleitet, sich dem Verfahren oder der Fürsorgeerziehung zu entziehen, oder wer ihm hierzu vorsätzlich behilflich ist,62d) wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren und mit Geldstrafe bis zu Ein­ tausend Mark oder mit einer dieser Strafen bestraft. Der Versuch ist strafbar. 61) Die Selbstbefreiung ist straflos, dagegen ist die Anstiftung zur Freilaffung strafbar. Erk. b. 11. Juni 83, R. 5 S. 421, sowie Erk. v. 13. Novbr. 82, R. 4 S. 812. Hierher gehören nur solche Handlungen, welche einen Angriff gegen die in der Gefangenhaltung einer Person zur Erscheinung kommende Aus­ übung der obrigkeitlichen Gewalt in sich schließen. Erk. v. 16. Novbr. 00, E. 34 S. 8. Strafbar ist auch intellettuelle Beihilfe. Erk. v. 16. Jan. 94, E. 25 S. 65. 62) auch dann, wenn das Bergehen durch Beihilfe zur Selbstbefteiung erfüllt wird. Erk. v. 19. Dezbr. 10, G«. 59 S. 116. 62 a) Mit der Verfügung des Vormundschaftsrichters, durch welche er weitere Erörterungen anordnet, ist das Verfahren eingeleitet. Erk. v. 25. Jan. 02, GA. 49 S. 123. Desgl. durch den Beschluß auf vorläufige Unterbringung gemäß § 5 d. G. Erk. v. 19 Juni 05, E. 38 S. 123. Vgl. auch Erk. v. 14. Febr. 08, E. 41 S. 108. 62 b) Die Vollstreckung der Anordnung ist von ihrer vorgängigen Rechts­ kraft nicht abhängig. Erk. v. 16. Juni 08, E. 41 S. 354. 62 c) Nicht entzieht, wer den ihm bekannten Aufenthalt des Zöglings ver­ schweigt, Jo h ow 26 S. C 60, wohl aber nach Ansicht des RG. dann, wenn dem Betreffenden eine Nechtspflicht zur Mitteilung obliegt, wie z. B. den Eltern, Erk. v. 29. April 04, E. 37 S. 162; siehe auch E. 38 S. 126 u. KG. v. 19. April 09, DIZ. 14 S. 662 selbst dann, wenn Elteim durch Aufnahme des Zöglings in ihre Wohnung die Fottsetzung der Fürsorgeerziehung unmöglich machen. Erk. v. 7. März 05, ebenda S. 416. S. auch G r o s ch u f f Nebenges. S. 137 Anm. 4. Die Ehefrau kann sich durch Unterlassung des Gebrauchs der ihr zustehenden Pflicht zur Sorge für die Person des Kindes neben dem Ehemann eines Ver­ gehend gegen § 21 schuldig machen. Erk. v. 20. Dezb. 07, GA. 55 S. 118. Beihilfe zur Entziehung leistet nicht, wer dem Fürsorgezögling Speise u. Kleider gibt. Erk. v. 26. Oktbr. 11, Recht 15 Nr. 3890. Zwischen diesem § und § 120 StGB, besteht Realkonkurrenz. Erk. v. 8. Febr. 10, Recht 14 Nr. 1042. 62 d) DieS kann geschehen, nachdem sich der Fürsorgezögling bereits auder Anstalt entfernt hat. Eri. v 9. Juni 05, DIZ 10 S. 1124 u. KG. v. 18. Dez. 05, Johow 31 S. 54. Z. B. durch Gewährung von Kost u. Wohnung an den Entwichenen. Erk. v. 29. Novbr. 07, Recht 12 Nr. 229.

Widerstand geg. d. Staatsgew. §§ 121, 122; öff. Ordnung § 123. § 121

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Wer vorsätzlich einen Gefangenen,'92 °) mit dessen Beaufsich-

strafk.

iigung oder Begleitung er beauftragt tft,6S * *) 63 entweichen 64 läßt "*) oder dessen

Befreiung befördert, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft. Ist die Entweichung durch Fahrlässigkeit befördert worden, so

Schöff.

tritt Gefängnisstrafe bis zu drei Monaten oder Geldstrafe bis zu

dreihundert Mark ein. § 122.

Gefangene,