Strafrecht, Allgemeiner Teil: die Grundlagen und die Zurechnungslehre ; Lehrbuch [Reprint 2011 ed.] 9783111533070, 9783110097009

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Strafrecht, Allgemeiner Teil: die Grundlagen und die Zurechnungslehre ; Lehrbuch [Reprint 2011 ed.]
 9783111533070, 9783110097009

Table of contents :
Verzeichnis der Abkürzungen, einschließlich der abgekürzt zitierten Literatur
1. BUCH. Die Grundlagen
1. KAPITEL. Das staatliche Strafen
1. Abschnitt: Der Inhalt und die Aufgabe des staatlichen Strafens
I. Der Begriff der Strafe
II. Die Theorie der positiven Generalprävention
III. Die absoluten Theorien
IV. Die relativen Theorien (die Präventionstheorien)
V. Die Vereinigungstheorien
VI. Anhang: Die Aufgaben der Maßregeln der Besserung und Sicherung
2. Abschnitt: Die materielle Legitimation des Strafrechts
I. Das Bezugsniveau des Strafrechtsschutzes: Normen als Strafrechtsgut
II. Materielle Legitimation des Strafrechts durch Rechtsgüterschutz?
III. Kritik der Lehre vom Rechtsgüterschutz
IV. Subsidiarität des staatlichen Strafens?
3. Abschnitt: Die Abgrenzung der staatlichen Strafe von anderen Reaktionen öffentlichen Rechts
I. Die Ordnungswidrigkeiten
II. Die Disziplinarmaßnahmen
III. Die Ordnungs- und Zwangsmittel nach den Prozeßordnungen
2. KAPITEL. Der Grundsatz der Gesetzesbindung und die Geltung des Strafrechts
4. Abschnitt: Die Gesetzesbindung und die zeitliche Geltung
I. Die Funktion des Grundsatzes der Gesetzesbindung
II. Die einzelnen Wirkungen des Grundsatzes der Gesetzesbindung
III. Die zeitliche Geltung, insbesondere das Rückwirkungsverbot
5. Abschnitt: Die räumliche und personelle Geltung
I. Die Prinzipien und die dogmatische Stellung
II. Die Ausgestaltung nach geltendem Recht
2. BUCH. Die Zurechnungslehre
1. TITEL. Der Inhalt und die Aufgabe der Zurechnung, hauptsächlich beim Begehungsdelikt
1. KAPITEL. Die Tatbestandsverwirklichung
6. Abschnitt: Die Grundlagen und die Grundbegriffe der Tatbestandsverwirklichung durch Handlung
I. Der Handlungsbegriff
II. Der Tatbestandsbegriff
III. Das Verhältnis von Tatbestand und Handlung
IV. Die Gestalten der Tatbestände
V. Anhang: Die gesetzestechnische Unterscheidung von Verbrechen und Vergehen
7. Abschnitt: Einzelheiten der Tatbestandsverwirklichung durch Handlung; 1. Teil: Der objektive Tatbestand
I. Der objektive Tatbestand als Gegenstand des Allgemeinen Teils
II. Die objektive Zurechnung des Erfolgs: Die Kausalität
III. 1. Fortsetzung: Adäquanz?
IV. 2. Fortsetzung: Der Ausschluß bei erlaubtem Risiko
V. 3. Fortsetzung: Der Ausschluß bei erlaubtem Vertrauen (Vertrauensgrundsatz)
VI. 4. Fortsetzung: Die Garantenstellung und der Ausschluß der Zurechnung beim Regreßverbot
VII. 5. Fortsetzung: Der Normzweckzusammenhang (die Risikokonkurrenz und die Risikoverwirklichung)
VIII. 6. Fortsetzung: Der Ausschluß der Zurechnung bei Einverständnis, tatbestandsausschließender Einwilligung und Handeln auf eigene Gefahr
8. Abschnitt: Einzelheiten der Tatbestandsverwirklichung durch Handlung; 2. Teil: Der subjektive Tatbestand als Vorsatz
I. Der für den Vorsatz maßgebliche Zeitpunkt; Allgemeines
II. Die Elemente des Vorsatzes
III. Die Gestalten des Vorsatzes
IV. Der Gegenstand des Vorsatzes und Abweichungsprobleme
V. Die Steuerungsmerkmale und sonstige subjektive Unrechtselemente
VI. Der subjektive Tatbestand aus psychologischer Sicht
9. Abschnitt /Einzelheiten der Tatbestandsverwirklichung durch Handlung; 3. Teil: Der subjektive Tatbestand als Fahrlässigkeit und als Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination
I. Die individuelle Fahrlässigkeit
II. Kritik der objektiven Fahrlässigkeit
III. Einzelprobleme der Fahrlässigkeit
IV. Die aus Vorsatz und Fahrlässigkeit zusammengesetzten Delikte (sogenannte Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen)
10. Abschnitt: Die objektiven Bedingungen (der Ausschließung) des Unrechts oder seiner Straftatbestandlichkeit
I. Die nur-objektiven Bedingungen des Unrechts oder seiner Straftatbestandlichkeit (die sogenannten objektiven Strafbarkeitsbedingungen)
II. Die rollenbezogenen Bedingungen der Ausschließung des Unrechts oder seiner Straftatbestandlichkeit (die sogenannten persönlichen Ausnahmen von der Strafbarkeit)
2. KAPITEL. Die Rechtfertigung
11. Abschnitt: Die allgemeinen Lehren
I. Die Prinzipien der Rechtfertigung
II. Das Postulat der „Einheit der Rechtsordnung“
III. Die Bestimmung prospektiver und auf Verdacht abstellender Rechtfertigungsmerkmale
IV. Die Konkurrenz von Rechtfertigungsgründen
V. Die subjektive Seite der Rechtfertigung
12. Abschnitt: Die Notwehr
I. Vorbemerkungen
II. Die notwehrfähigen Güter, die Staatsnotwehrhilfe
III. Der rechtswidrige Angriff
IV. Die Gegenwärtigkeit des Angriffs
V. Die Abwehr des Angriffs
VI. Die Erforderlichkeit der Abwehr
VII. Die Einschränkung des Notwehrrechts
VIII. Die Besonderheiten der Notwehrhilfe
IX. Die Wirkungen der Notwehr
13. Abschnitt: Der rechtfertigende Notstand
I. Die Arten des Notstands im Überblick
II. Der aggressive Notstand nach § 34 StGB
III. Die Besonderheiten des defensiven Notstands
14. Abschnitt: Die rechtfertigende Einwilligung
I. Der Grund der Strafbefreiung
II. Einzelheiten
15. Abschnitt: Grenzbereiche zu Notwehr, Notstand und Einwilligung
I. Das Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG
II. Die Pflichtenkollision
III. Das Handeln im Interesse und mit mutmaßlicher Einwilligung des Verletzten
16. Abschnitt: Die Amtsrechte und weitere Rechtfertigungsgründe besonderer Regelungsbereiche
I. Die Amtsrechte
II. Das Handeln auf Anweisung (die dienstliche Anordnung und der militärische Befehl)
III. Die delegierten Amtsrechte (das Handeln pro magistratu)
IV. Die behördliche Erlaubnis
V. Die parlamentarischen Berichte
VI. Das Züchtigungsrecht
VII. Die Wahrnehmung berechtigter Interessen
3. KAPITEL. Die Schuld
17. Abschnitt: Allgemeine Lehren
I. Übersicht
II. Der psychologische und der normative Schuldbegriff
III. Die Begründung eines funktionalen Schuldbegriffs
IV. Der Aufbau des Schuldbegriffs
V. Die Abhängigkeit des Schuldzeitpunkts und des Schuldmaßstabs vom Vorverhalten
VI. Der Irrtum über Voraussetzungen und Folgen des Schuldtatbestands; insbesondere: Der Irrtum über Entschuldigungsvoraussetzungen als Entschuldigungsgrund
18. Abschnitt: Die Zurechnungsunfähigkeit und die im Zusammenhang mit ihr geregelten Fälle der Unzumutbarkeit (§§ 19, 20, 21 StGB)
I. Die Zurechnungsunfähigkeit der Kinder und bei Jugendlichen
II. Die Schuldunfähigkeit (Zurechnungsunfähigkeit und bereichsweise Unzumutbarkeit) nach § 20 StGB
III. Die sogenannte verminderte Schuldfähigkeit (die partielle Unzumutbarkeit) nach § 21 StGB
19. Abschnitt: Die Unrechtseinsicht und der Verbotsirrtum
I. Die Regelungsmodelle im Überblick und der Gang der Rechtsprechung
II. Kritik starrer Modelle und vorsatztheoretischer Modelle
III. Die elastische Schuldtheorie
IV. Die Unrechtseinsicht
V. Die fehlende Unrechtseinsicht (Verbotsirrtum), Irrtumsformen
VI. Der Begriff der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums
VII. Die rechtliche Folge des Verbotsirrtums
VIII. Der entschuldigende Irrtum über die Verbindlichkeit eines Befehls
20. Abschnitt: Die Unzumutbarkeit
I. Der entschuldigende Notstand (§ 35 StGB)
II. Die Zumutbarkeit beim Überzeugungstäter (Gewissenstäter)
III. Der Notwehrexzeß
IV. Die Besonderheiten der Zumutbarkeit beim Fahrlässigkeitsdelikt
V. Die Entschuldigung bei Interessenkollision (der sogenannte übergesetzliche, entschuldigende Notstand)
VI. Unspezifizierte Unzumutbarkeit als Entschuldigungsgrund?
4. KAPITEL. Ergänzung zur Tatbestandsverwirklichung: Die Beteiligung
21. Abschnitt: Die Täterschaft
I. Differenzierung der Beteiligten oder Einheitstäterschaft?
II. Die Voraussetzungen von Täterschaft in Sonderfällen (die deliktsspezifischen Tätermerkmale und die Vertreterhaftung)
III. Die Tatbestände der Täterschaft bei Herrschaftsdelikten
IV. 1. Fortsetzung: Das Selbst-Begehen, § 25 Abs. 1, 1. Fallgruppe StGB
V. 2. Fortsetzung: Das gemeinschaftliche Begehen (die Mittäterschaft), § 25 Abs. 2 StGB
VI. 3. Fortsetzung: Das Begehen durch einen anderen (die mittelbare Täterschaft), § 25 Abs. 1, 2. Fallgruppe StGB
VII. Schluß
VIII. Die Täterschaft bei den Pflichtdelikten
22. Abschnitt: Die Teilnahme
I. Der Strafgrund der Teilnahme
II. Die Abhängigkeit der Teilnahme von der Haupttat
III. Die Anstiftung
IV. Die Beihilfe
23. Abschnitt: Die innere (qualitative) Akzessorietät bei akzessorischer Beteiligung (Mittäterschaft und Teilnahme)
I. Das Problem
II. Der Lösungsweg
III. Das Ergebnis
24. Abschnitt: Gemeinsame Regeln für Täterschaft und Teilnahme
I. Die Verwirklichung des Risikos der vorsätzlichen Beteiligung, insbesondere: Der Irrtum über die Beteiligtenrolle
II. Die sogenannte notwendige Teilnahme (die Beteiligung ohne Haftung)
III. Das Regreßverbot (die scheinbare Beteiligung)
5. KAPITEL. Ergänzung zur Tatbestandsverwirklichung und zur Schuld: Der Versuch und der Beteiligungsversuch
25. Abschnitt: Der Versuch
I. Die Stufen des Delikts
II. Der Strafgrund des (formellen) Versuchs
III. Der subjektive Tatbestand beim Versuch
IV. Der objektive Tatbestand beim unbeendeten Versuch; die Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch
V. Der objektive Tatbestand beim beendeten Versuch
VI. Die Bestrafung des Versuchs
26. Abschnitt: Der Rücktritt
I. Die dogmatische Stellung und der Grund der Strafbefreiung
II. Der Rücktrittstatbestand beim ausführenden Täter
III. Der Rücktrittstatbestand bei Beteiligung
IV. Die Zurechenbarkeit des Rücktrittsverhaltens: Die Freiwilligkeit
V. Die Wirkung des Rücktritts
27. Abschnitt: Der Versuch der Beteiligung
I. Der Strafgrund des Beteiligungsversuchs
II. Die einzelnen Tatbestände des Beteiligungsversuchs
III. Die Strafbarkeit der Beteiligung nach § 30 StGB
IV. Der Rücktritt vom Versuch der Beteiligung
2. TITEL. Der Inhalt und der Aufbau der Zurechnung, hauptsächlich beim Unterlassungsdelikt
6. KAPITEL. Die Zurechnung beim Unterlassungsdelikt
28. Abschnitt: Handlung und Unterlassung
I. Die Trennung von Handlung und Unterlassung
II. Die gesetzlichen Tatbestände von Unterlassungsdelikten
III. Das Problem der Sonderpflicht bei der begehungsgleichen Unterlassung
29. Abschnitt: Das unechte Unterlassungsdelikt
I. Der Regelungsumfang von § 13 Abs. 1 StGB
II. Die objektive Zurechnung
III. 1. Fortsetzung: Die Garantenstellungen
IV. 2. Fortsetzung: Die Entsprechensklausel
V. Der subjektive Tatbestand
VI. Die Rechtswidrigkeit
VII. Die Schuld
VIII. Ergänzung zur Tatbestandsverwirklichung: Die Besonderheiten der Beteiligung durch Unterlassen
IX. Ergänzung zur Tatbestandsverwirklichung: Die Beteiligung am Unterlassen
X. Ergänzung zur Tatbestandsverwirklichung und zur Schuld: Der Versuch und der Versuch der Beteiligung durch Unterlassen
XI. Die fakultative Strafmilderung
30. Abschnitt: Das echte Unterlassungsdelikt
3. TITEL. Die Konkurrenz
7. KAPITEL. Die scheinbare und die echte Konkurrenz
31. Abschnitt: Die scheinbare Konkurrenz (sogenannte Gesetzeskonkurrenz)
I. Die Grundbegriffe und die Grundmodelle der Konkurrenzlehre
II. Die Prinzipien der Gesetzeskonkurrenz
III. Die einzelnen Fallgruppen der Gesetzeskonkurrenz
IV. Die Wirkungen der Gesetzeskonkurrenz
32. Abschnitt: Die Einheit des Verhaltens bei der echten Konkurrenz und bei der einfachen, quantitativ erweiterten Tatbestandsverwirklichung
I. Die Einheit der Handlung im Sinn von § 52 StGB
II. Das Verhältnis der Zahl der Handlungen zur Zahl der Delikte
III. Die handlungsvereinigenden Tatbestände
IV. Die Einheitlichkeit des Verhaltens beim Unterlassungsdelikt
V. Weitere Erscheinungsformen juristischer Handlungseinheit?
33. Abschnitt: Die Idealkonkurrenz und die Realkonkurrenz
I. Die Idealkonkurrenz
II. Die Realkonkurrenz
Sachregister

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Günther Jakobs · Strafrecht, Allgemeiner Teil

Strafrecht Allgemeiner Teil Die Grundlagen und die Zurechnungslehre Lehrbuch

von Günther Jakobs

w DE

G Walter de Gruyter · Berlin · New York 1983

Dr. Günther Jakobs, ο. Professor für Strafrecht und Strafprozeßrecht an der Universität Regensburg

CIP-Kurztitelaufnahme

der Deutschen Bibliothek

Jakobs, Günther t Strafrecht, Allgemeiner Teil : die Grundlagen u. d. Zurechnungslehre. Lehrbuch / von Günther Jakobs. — Berlin; New York: de Gruyter, 1983. ISBN 3-11-009700-1

© Copyright 1983 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung. J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, Karl J. Trübner, Veit & Comp., 1000 Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany. Satz und Druck: H. Heenemann GmbH & Co, 1000 Berlin 42. — Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer GmbH, 1000 Berlin 61.

Vorwort Als Hans Welzel mir kurz vor seinem Tod den Auftrag gab, den Allgemeinen Teil seines Lehrbuchs (Das Deutsche Strafrecht, 11. Auflage 1969) für eine Neuauflage zu bearbeiten, war ihm bekannt, daß er damit dieses Werk einem häresieverdächtigen Schüler anvertraute. Da zudem Welzel genauer als andere wußte, daß die Gegenstände der Wissenschaft nicht wie Antiquitäten nach Herkunft und Alter, sondern nach ihrer Ertragskraft zu handeln sind, und da ihm stets weniger an einzelnen Topoi als am systematischen Zusammenhang gelegen war, ging ich von Anfang an davon aus, tief in die Substanz seiner Lehren eingreifen zu dürfen, wenn das zur Herstellung eines heute ertragsfähigen Systems erforderlich sein sollte. Freilich nahm ich an, so viel alte Substanz übernehmen zu können, daß sein Lehrbuch erkennbar bleiben würde. Diese Annahme war, wie ich bald feststellte und wie nunmehr das vorliegende Buch zeigt, ein krasser Irrtum. Das Buch beginnt freilich mit einer Anknüpfung an Welzel, seil, an seine Lehre, das Strafrecht habe die Geltung „positiver sozialethischer Aktwerte" zu sichern (aaO S. 2). So muß man ansetzen, wenn man die Wirkungen des Strafrechts nicht nur — wie Sommer und Winter — als natürliche Vorgänge, sondern — wie Rede und Antwort — als gesellschaftliche Vorgänge verstehen will. Bei dieser Sicht besteht die Aufgabe der Strafrechtsdogmatik darin, die Sätze zu entwickeln, die man braucht, um der Straftat als einer bedeutungshaltigen Tat (einer Tat mit expressivem Gehalt) durch einen bedeutungshaltigen Akt zu widersprechen. Dieser Widerspruch ist nach einer Tat erforderlich, um die vom Täter desavouierte Normgeltung wiederherzustellen. Wie eine äußerliche Verletzung die Erscheinungsform der M>rwverletzung ist, so ist die Strafe die Erscheinungsform, in der eine iVorwstabilisierung stattfindet. Hier trennen sich die Wege. Die ontologisierende Strafrechtsdogmatik zerbricht, und zwar gründlicher, als sie überhaupt je bewußt etabliert worden ist. Nicht nur die Begriffe Schuld und Handlung (und viele weitere auf geringerem Abstraktionsniveau), denen die Strafrechtsdogmatik immerhin ausdrücklich ein Wesen oder — verwaschener — eine (sachlogische, vorrechtliche) Struktur zuerkannt hat, werden zu Begriffen, von denen sich ohne Blick auf die Aufgabe des Strafrechts schlechthin nichts sagen läßt, sondern selbst der Begriff des Subjekts, dem zugerechnet wird, erweist sich als ein funktionaler Begriff. Damit soll nicht behauptet werden, nunmehr sei mit der Aufgabe des Strafrechts ein Punkt gefunden, mit dessen Hilfe dogmatische Sätze ein für allemal fixiert werden könnten. Im Gegenteil, jeder strafrechtsdogmatische Satz leidet an sämtlichen Unsicherheiten, an denen die Verständigung über die Aufgabe von Strafrecht leidet. Die Abhängigkeit ist freilich nicht einseitig: Aus der Verständigung über dogmatische Sätze kann auf die Aufgabe von Strafrecht zurückgeschlossen werden. Die hohe Dichte der systematischen Verknüpfung des Schuldbegriffs mit der Strafzwecklehre (positive Generalprävention) mag als Beleg für die Gegenseitigkeit dienen. Setzt man bei der Aufgabe des Strafrechts an und nicht beim Wesen (oder bei der Struktur) der Gegenstände von Strafrechtsdogmatik, so führt das zu einer (Re-)Normativierung der Begriffe. Ein Subjekt ist bei dieser Sicht nicht, wer ein Ereignis bewirken oder hindern kann, sondern wer dafür zuständig sein kann. Ebenso verlieren die V

Vorwort Begriffe Kausalität, Können, Fähigkeit, Schuld u. a. m. ihren vorrechtlichen Inhalt und werden zu Begriffen für Stufen von Zuständigkeiten. Diese Begriffe geben dem Strafrecht keine Regelungsmodelle vor, sondern entstehen erst im Zusammenhang strafrechtlicher Regelungen. Selbst die Annahme, zumindest nach dieser Entstehung müsse sich der Begriff auf ein homogenes vorrechtliches Substrat beziehen (auf Bewirken, Wollen, Kenntnis etc.), erweist sich als (naturalistisches) Mißverständnis. Bei der (Re-) Normativierung geht es nicht darum, losgelöst vom gesellschaftlichen Zusammenhang Normensysteme zu entwerfen (was man freilich auch unternehmen kann); vielmehr gelten die Bemühungen dem Strafrecht in einer Gesellschaft der vorhandenen Gestalt, ohne daß freilich auf Ansprüche gegenüber der Wirklichkeit verzichtet würde. Ziel ist die optimale (nicht stets restlos gelingende) Systematisierung des geltenden Strafrechts. Deshalb findet sich hier auch kein Lösungsvorschlag, der nicht praktikabel wäre. Bei der normativen Sicht verschwinden einige Probleme, die von der traditionellen Dogmatik durch den steten Blick auf den Seinszusammenhang (oder Strukturzusammenhang) erzeugt werden. Neben zahlreichen Harmonisierungen im Schuldbegriff verliert insbesondere die Entgegensetzung von Begehungsdelikten und Unterlassungsdelikten an Schärfe; beide beruhen auf Organisationszuständigkeit oder auf institutioneller Zuständigkeit. Dabei hängen vom aktuellen Stand der Organisation des Subjekts als psychophysisches System (Handeln oder Unterlassen) nur eher zweitrangige Probleme ab. Erhebliche Neuordnungen ergeben sich ferner an zahlreichen anderen Stellen, etwa bei der objektiven Zurechnung, bei der Teilnahmelehre oder bei Einzelfragen der Rechtfertigung. Das Buch ist ein Lehrbuch in dem Sinn, daß in ihm eine Lehre entwickelt wird. Hier wird nicht sogleich die Ernte eingebracht, sondern erst einmal geackert. Da die Teilnahme an der Entwicklung einer Lehre die einzige Möglichkeit ist, Strafrechtswissenschaft zu lernen, richtet sich das Buch trotz seines für Anfänger recht hohen Schwierigkeitsgrads auch an Studenten. Notfalls müssen sie eben manches dreimal oder häufiger lesen. D a f ü r werden sie danach nicht nur wissen, wie man „gefestigte" oder gar „herrschende" Lehren in die Scheuern bringt. Die vorhandenen Theorien werden hier allerdings nicht übergangen. Vielmehr ist der große Umfang des Buchs auch eine Folge des intensiven Bemühens, den Stand der Diskussion zu referieren und zu belegen. Das geschieht sowohl zur Information des Lesers als auch — mehr noch — deshalb, weil die eigenen Ansichten erst in der Auseinandersetzung mit den vorhandenen Lehren entstehen. Das Manuskript wurde am 15. November 1982 abgeschlossen. Von der Literatur, die mir seitdem bekanntgeworden ist, nenne ich ergänzend: zu den Straftheorien, hauptsächlich zu Hegel, W. Schild Strafe — Vergeltung oder Gnade? SchwZStr. 99 (1982) S. 364 ff (zu 1/21, auch zu 17/41); zu den neueren absoluten Theorien Armin Kaufmann Die Aufgabe des Strafrechts, in: den. Strafrechtsdogmatik zwischen Sein und Wert, 1982, S. 263 ff (zu 1/22 ff); zur Generalprävention, hauptsächlich zur negativen Generalprävention, V. Vanberg Verbrechen, Strafe und Abschreckung, 1982 (zu 1/27 ff); zur Spezialprävention in der durch v. Liszt geprägten Gestalt H. Schöch Das Marburger Programm aus der Sicht der modernen Kriminologie, ZStW 94 S. 864 ff (zu 1/36 ff); zur Defense Sociale H. Schulz Alternativen zum Schuldstrafrecht, JA 1982 S. 532 ff (zu 1/46); zum Handlungsbegriff und zum objektiven Tatbestand U. Kindhäuser Kausalanalyse und Handlungszuschreibung, GA 1982 S. 477 ff (zu 6 / 1 ff; 7 / 1 ff); zu den erfolgsqualifizierten Delikten G. Küpper Der „unmittelbare" Zusammenhang zwischen Grunddelikt und schwerer Folge beim erfolgsqualifizierten Delikt, 1982 (zu 9/30 ff); zum Widerstandsrecht Th. Blank Die strafrechtliche Bedeutung des VI

Vorwort

Art. 20 IV GG (Widerstandsrecht), 1982 (zu 15/1 ff); zur Beteiligung an einer Selbsttötung W. Bottke Suizid und Strafrecht, 1982 (zu 21/56 ff, 78 ff, 97 ff, 114; 29/53 ff, 106); zur psychischen Beihilfe H.-J. RudolphiUrteilsanmerkung, StV 1982 S. 518 ff (zu 22/36); zur Beteiligung durch Unterlassen O. Ranft Garantiepflichtwidriges Unterlassen der Deliktshinderung, ZStW 94 S. 815 ff (zu 29/101 ff). Meine Mitarbeiter haben mich mit Leistungen unterstützt, die über das Pflichtgemäße weit hinausgehen. Die Herren Richter Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, Assessor Dr. Gerhard Timpe und Referendar Karl Nußstein haben das Manuskript engagiert durchgearbeitet und durch Anregungen und Kritik zur Verbesserung beigetragen. Ihnen gebührt nicht nur Dank, sondern steht das Recht zu, ihre Beiträge als ihr Eigentum zu reklamieren. Insbesondere ist Herr Timpe für die vorliegende Gestalt der Abschnitte zur Beteiligung und zum Verbotsirrtum mit zuständig. Den Genannten wie zudem Frau stud. jur. Cornelia Boll und Herrn Referendar Peter Worm danke ich auch für Hilfe bei den Korrekturen. Weiterhin danke ich den Teilnehmern meiner Seminare und meinen Hörern, die eine allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden stimuliert haben. Besonders danke ich Herrn Dr. H. Hassenpflug vom Verlag Walter de Gruyter, der es trotz der Metamorphose, die Welzels Strafrechtslehrbuch zu dem jetzt vorliegenden Buch durchmachte, nicht an ermunterndem Zuspruch hat fehlen lassen. Regensburg am Neujahrstag 1983

Günther Jakobs

VII

Inhaltsverzeichnis Verzeichnis der Abkürzungen, einschließlich der abgekürzt zitierten Literatur

XXIII

1. BUCH

Die Grundlagen 1. KAPITEL Das staatliche Strafen 1. Abschnitt: Der Inhalt und die Aufgabe des staatlichen Strafens I. Der Begriff der Strafe II. Die Theorie der positiven Generalprävention A. Die Notwendigkeit sicherer Normgeltung B. Die Öffentlichkeit des Konflikts C. Die Bedeutung der Strafe D. Die Konflikterledigung ohne Strafe E. Ergebnis III. Die absoluten Theorien A. Die Vergeltungstheorien B. Die Sühnetheorie IV. Die relativen Theorien (die Präventionstheorien) A. Die Generalpräventionstheorien B. Die Spezialpräventionstheorien 1. Die generelle Problematik 2. Die Verletzung des Tatprinzips 3. Neuere Konzepte V. Die Vereinigungstheorien VI. Anhang: Die Aufgaben der Maßregeln der Besserung und Sicherung A. Theorien der Maßregeln B. Die Differenzierung der Maßregelfunktion

1 3 4 4 6 6 8 8 9 9 13 13 13 16 16 17 19 20 22 23 24

2. Abschnitt: Die materielle Legitimation des Strafrechts I. Das Bezugsniveau des Strafrechtsschutzes: Normen als Strafrechtsgut II. Materielle Legitimation des Strafrechts durch Rechtsgüterschutz? A. Allgemeine Probleme B. Der Begriff des Rechtsguts C. Nicht auf Rechtsgüter bezogene Normen III. Kritik der Lehre vom Rechtsgüterschutz IV. Subsidiarität des staatlichen Straf ens?

26 27 30 30 31 33 36 38

3. Abschnitt: Die Abgrenzung der staatlichen Strafe von anderen Reaktionen öffentlichen Rechts I. Die Ordnungswidrigkeiten A. Die historische Entwicklung B. Der gegenwärtige Stand

39 39 40 42

IX

Inhaltsverzeichnis II. Die Disziplinarmaßnahmen A. Die Notwendigkeit von Disziplinarmaßnahmen B. Die Abgrenzung und die Behandlung von Überschneidungen III. Die Ordnungs- und Zwangsmittel nach den Prozeßordnungen

45 45 47 50

2. KAPITEL Der Grundsatz der Gesetzesbindung und die Geltung des Strafrechts 4. Abschnitt: Die Gesetzesbindung und die zeitliche Geltung I. Die Funktion des Grundsatzes der Gesetzesbindung A. Der Meinungsstand B. Die Gesetzesbindung als Objektivitätsgarantie II. Die einzelnen Wirkungen des Grundsatzes der Gesetzesbindung A. Die Gesetzlichkeit der Bestimmung B. Die Bestimmtheit des Gesetzes 1. Die Relativität der Bestimmtheit zum Regelungsgegenstand 2. Die Notwendigkeit von Vorannahmen des Interpreten zum Regelungsgegenstand 3. Die Folgerungen für den Gesetzgeber 4. Die Folgerungen für den Gesetzesanwender a) Das Problem des Generalisierungsverbots b) Die Notwendigkeit der Systembildung 5. Gewohnheitsrecht? III. Die zeitliche Geltung, insbesondere das Rückwirkungsverbot A. Der Umfang der erforderlichen Geltung B. Die Ausgestaltung der zeitlichen Geltung und des Rückwirkungsverbots nach positivem Recht 1. Die Tatzeit 2. Strafen und Nebenfolgen contra Maßregeln? 3. Nur materielles Recht? 4. Die Gesetzesänderung während der Tatzeit 5. Das Zeitgesetz C. Das mildeste Gesetz 1. Die Bestimmung der kontinuierlichen Geltung 2. Die Bestimmung der mildesten Variante D. Rückwirkungsverbot bei Rechtsprechungsänderung? 5. Abschnitt: Die räumliche und personelle Geltung I. Die Prinzipien und die dogmatische Stellung A. Die Prinzipien der Geltung 1. Der Gesetzeswortlaut nach dem Besonderen Teil 2. Die beschränkenden Prinzipien der Geltung B. Die dogmatische Stellung II. Die Ausgestaltung nach geltendem Recht A. Die Anwendung der einzelnen Prinzipien B. Die Probleme des Tatorts C. Prozessuale Besonderheiten D. Das interlokale Strafrecht E. Das Verhältnis zur D D R

X

51 51 52 55 57 59 60 60 62 64 68 68 71 74 75 76 78 78 79 80 80 81 83 83 86 88 89 90 90 90 92 93 94 94 98 99 99 100

Inhaltsverzeichnis 2. BUCH

Die Zurechnungslehre 1. TITEL

Der Inhalt und die Aufgabe der Zurechnung, hauptsächlich beim Begehungsdelikt 1. KAPITEL Die Tatbestandsverwirklichung 6. Abschnitt: Die Grundlagen und die Grundbegriffe der Tatbestandsverwirklichung durch Handlung I. Der Handlungsbegriff A. Die strafrechtlichen Handlungstheorien 1. Die Handlungslehre als Teil der Zurechnungslehre 2. Die Möglichkeit einer schuldlosen Handlung 3. Der kausale Handlungsbegriff 4. Der finale Handlungsbegriff 5. Handlung als äußere Finalität? B. Die Handlung als individuell vermeidbare Erfolgsverursachung 1. Die Trennung von Handlungssteuerung und Antriebssteuerung 2. Exkurs: Der soziale Handlungsbegriff 3. Die individuelle Vermeidbarkeit 4. Die Trennung von Handlung und Unterlassung a) Die Unterscheidung b) Der gemeinsame Oberbegriff c) Negativer Handlungsbegriff? 5. Grenzprobleme C. Deliktsfähigkeit eines Verbands, insbesondere: Verbandshandlungen? II. Der Tatbestandsbegriff A. Die Tatbestandsverwirklichung als Stufe der Zurechnung B. Die Entstehung des Tatbestandsbegriffs C. Die dogmatische Bedeutung des Tatbestands 1. Der Begriff des Tatbestands 2. Weitere Tatbestandsbegriffe 3. Kritik der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen 4. Das Verhältnis von Tatbestand und Unrecht a) Der Grundsatz b) Problemfälle III. Das Verhältnis von Tatbestand und Handlung A. Die Handlung als gemeinsamer Mindestinhalt der Tatbestände B. Die Zugehörigkeit des tatbestandlichen Erfolgs zur Handlung und zum Unrecht 1. Das Problem 2. Kein Unrecht ohne tatbestandsmäßigen Erfolg? 3. Unrecht stets ohne tatbestandsmäßigen Erfolg? 4. Ergebnis IV. Die Gestalten der Tatbestände V. Anhang: Die gesetzestechnische Unterscheidung von Verbrechen und Vergehen

102 102 104 104 104 107 108 113 114 114 115 116 118 118 119 120 121 124 126 127 128 130 130 130 131 134 134 134 137 137 138 138 139 139 141 142 150

7. Abschnitt: Einzelheiten der Tatbestandsverwirklichung durch Handlung; 1. Teil: Der objektive Tatbestand I. Der objektive Tatbestand als Gegenstand des Allgemeinen Teils II. Die objektive Zurechnung des Erfolgs: Die Kausalität A. Die Äquivalenztheorie B. Kritik der Formel von der condicio sine qua non C. Kausalität als Bedingung

152 152 155 155 156 157 XI

Inhaltsverzeichnis III. 1. Fortsetzung: Adäquanz? A. Die Grundbegriffe B. Die Adäquanztheorie IV. 2. Fortsetzung: Der Ausschluß bei erlaubtem Risiko A. Die Begründung des erlaubten Risikos B. Die dogmatische Stellung des erlaubten Risikos C. Einzelheiten 1. Die Bewertungsmaximen 2. Die Beurteilungsbasis V. 3. Fortsetzung: Der Ausschluß bei erlaubtem Vertrauen (Vertrauensgrundsatz) . . . VI. 4. Fortsetzung: Die Garantenstellung und der Ausschluß der Zurechnung beim Regreßverbot A. Die Notwendigkeit einer Garantenstellung B. Fallgruppen fehlender Zurechnung C. Die sogenannten Unterlassungsdelikte durch Begehung D. Die Pflichtdelikte VII. 5. Fortsetzung: Der Normzweckzusammenhang (die Risikokonkurrenz und die Risikoverwirklichung) A. Das Problem B. Der Lösungsweg C. Die Durchführung der Lösung 1. Die ubiquitären Risiken a) Grundfälle b) Die Lage bei mehrseitiger Risikozuständigkeit 2. Die Fälle von Risikovariation a) Grundfälle b) Die Risikovariation bei mehrseitiger Risikozuständigkeit 3. Die mehrfache Risikoverwirklichung D. Einzelfragen zum Normzweckzusammenhang E. Die Berücksichtigung hypothetischer Erfolgsursachen bei der Strafzumessung . . 1. Der Grundsau 2. Die Möglichkeit einer Strafrahmenmilderung wegen hypothetischer Erfolgsursachen (Ähnlichkeit mit abstrakter Gefährdung oder Versuch) F. Risikoerhöhung? VIII. 6. Fortsetzung: Der Ausschluß der Zurechnung bei Einverständnis, tatbestandsausschließender Einwilligung und Handeln auf eigene Gefahr A. Das Einverständnis B. Die tatbestandsausschließende Einwilligung und das Handeln auf eigene Gefahr 1. Die Abgrenzung der tatbestandsausschließenden Einwilligung von der rechtfertigenden Einwilligung 2. Der zur Einwilligung Berechtigte 3. Die Objektivierung der Einwilligung 4. Die Einwilligung bei Zwang und Irrtum 5. Die Rechts- und Sittenwidrigkeit von Tat und Einwilligung 6. Der Gegenstand und die Intensität der Einwilligung und das Handeln auf eigene Gefahr 7. Weitere Einzelheiten 8. Abschnitt: Einzelheiten der Tatbestandsverwirklichung durch Handlung; 2. Teil: Der subjektive Tatbestand als Vorsatz I. Der für den Vorsatz maßgebliche Zeitpunkt; Allgemeines II. Die Elemente des Vorsatzes A. Das Problem der Tatsachenblindheit B. Der Vorsatz als Wissen C. Die Intensität des Wissens

XII

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210 210 213 213 213 215

Inhaltsverzeichnis III. Die Gestalten des Vorsatzes A. Der Vorsatz bei Hauptfolgen B. Der Vorsatz bei Nebenfolgen 1. Wissentlichkeit bei Nebenfolgen 2. Bedingter Vorsatz C. Alternativer Vorsatz D. Die zur Tatbestandsverwirklichung erforderliche Vorsatzgestalt IV. Der Gegenstand des Vorsatzes und Abweichungsprobleme A. Allgemeines B. Der Vorsatz bei Blankettgesetzen 1. Das Problem 2. Die Lösung C. Die normativen Tatbestandsmerkmale als Vorsatzgegenstand 1. Das Problem 2. Die Lösung a) Die Differenzierung der Merkmale b) Die Konsequenzen für die Scheidung von Vorsatz und Unrechtsbewußtsein c) Irrtumsprobleme D. Die Kausalität als Vorsatzgegenstand 1. Die Verwirklichung des gesehenen Risikos a) Grundsatz: Übertragung der Regeln der objektiven Zurechnung b) Einzelheiten 2. Die vorzeitige Vollendung und der dolus generalis 3. Der Objektsirrtum 4. Der Individualisierungsirrtum und der Motivirrtum E. Die privilegierenden Tatbestandsmerkmale als Vorsatzgegenstand V. Die Steuerungsmerkmale und sonstige subjektive Unrechtselemente VI. Der subjektive Tatbestand aus psychologischer Sicht

9. Abschnitt: Einzelheiten der Tatbestandsverwirklichung durch Handlung; 3. Teil: Der subjektive Tatbestand als Fahrlässigkeit und als VorsatzFahrlässigkeits-Kombination I. Die individuelle Fahrlässigkeit A. Allgemeines B. Die Fahrlässigkeit als Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung II. Kritik der objektiven Fahrlässigkeit III. Einzelprobleme der Fahrlässigkeit A. Die Übernahmefahrlässigkeit B. Die Entscheidungsrelevanz des erkennbaren Risikos C. Die Erkennbarkeit eines objektiv zurechenbaren Risikos D. Die Leichtfertigkeit E. Die scheinbare Fahrlässigkeit F. Fahrlässigkeit und Erfolg (fahrlässiger Versuch?) IV. Die aus Vorsatz und Fahrlässigkeit zusammengesetzten Delikte (sogenannte Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen)

10. Abschnitt: Die objektiven Bedingungen (der Ausschließung) des Unrechts oder seiner Straftatbestandlichkeit I. Die nur-objektiven Bedingungen des Unrechts oder seiner Straftatbestandlichkeit (die sogenannten objektiven Strafbarkeitsbedingungen) A. Das Problem B. Die Dogmatik der Bedingungen des Unrechts und der Straftatbestandlichkeit . .

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Inhaltsverzeichnis II. Die rollenbezogenen Bedingungen der Ausschließung des Unrechts oder seiner Straftatbestandlichkeit (die sogenannten persönlichen Ausnahmen von der Strafbarkeit) A. Die Abgrenzung zu den Verfahrenshindernissen B. Die rollenbezogenen Bedingungen C. Die Abgrenzung zu anderen materiellrechtlichen oder komplexen Bestrafungshindernissen

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2. KAPITEL Die Rechtfertigung 11. Abschnitt: Die allgemeinen Lehren I. Die Prinzipien der Rechtfertigung II. Das Postulat der „Einheit der Rechtsordnung" III. Die Bestimmung prospektiver und auf Verdacht abstellender Rechtfertigungsmerkmale IV. Die Konkurrenz von Rechtfertigungsgründen V. Die subjektive Seite der Rechtfertigung A. Die sogenannte Rechtfertigungstendenz und die Unkenntnis der Merkmale eines Rechtfertigungstatbestands B. Zur Prüfungspflicht C. Die ungewisse Vorstellung von einer Rechtfertigungslage D. Die Rechtfertigung bei Fahrlässigkeitstaten E. Der Subsumtionsirrtum bei Merkmalen des Rechtfertigungstatbestands und der Bestandsirrtum (der indirekte Verbotsirrtum) F. Die Besonderheiten bei den normativen Merkmalen des Rechtfertigungstatbestands G. Die irrige Annahme der Verwirklichung eines Rechtfertigungstatbestands . . . .

302 303

12. Abschnitt: Die Notwehr I.Vorbemerkungen II. Die notwehrfähigen Güter, die Staatsnotwehrhilfe III. Der rechtswidrige Angriff IV. Die Gegenwärtigkeit des Angriffs V. Die Abwehr des Angriffs VI. Die Erforderlichkeit der Abwehr VII. Die Einschränkung des Notwehrrechts A. Einschränkung durch die Menschenrechtskonvention? B. Die Sondernormen für hoheitliches Handeln C. Die Einschränkung der Notwehr neben hoheitlichem Handeln D. Die Einschränkung durch die Garantie der Mindestsolidarität E. Die Einschränkung wegen vorangegangenen Provokationsverhaltens F. Die Einschränkung durch Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit VIII. Die Besonderheiten der Notwehrhilfe IX. Die Wirkungen der Notwehr

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13. Abschnitt: Der rechtfertigende Notstand I. Die Arten des Notstands im Überblick II. Der aggressive Notstand nach § 34 StGB A. Die notstandsfähigen Güter, Staatsnotstandshilfe B. Die gegenwärtige Gefahr C. Die Erforderlichkeit D. Die Abwägung der widerstreitenden Interessen E. Die Angemessenheitsklausel III. Die Besonderheiten des defensiven Notstands

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XIV

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Inhaltsverzeichnis 14. Abschnitt: Die rechtfertigende Einwilligung I. Der Grund der Strafbefreiung II. Einzelheiten

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1}. Abschnitt: Grenzbereiche zu Notwehr, Notstand und Einwilligung I. Das Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG II. Die Pflichtenkollision III. Das Handeln im Interesse und mit mutmaßlicher Einwilligung des Verletzten . . . .

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16. Abschnitt: Die Amtsrechte und weitere Rechtfertigungsgründe besonderer Regelungsbereiche I. Die Amtsrechte II. Das Handeln auf Anweisung (die dienstliche Anordnung und der militärische Befehl) III. Die delegierten Amtsrechte (das Handeln pro magistratu) IV. Die behördliche Erlaubnis V. Die parlamentarischen Berichte VI. Das Züchtigungsrecht VII. Die Wahrnehmung berechtigter Interessen

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3. KAPITEL Die Schuld 17. Abschnitt: Allgemeine Lehren I. Übersicht II. Der psychologische und der normative Schuldbegriff A. Der psychologische Ansatz B. Normativierung C. Die Schuldlehre des Finalismus D. Der gegenwärtige Stand III. Die Begründung eines funktionalen Schuldbegriffs A. Die Aufgabe des Schuldbegriffs B. Die Irrelevanz der Willensfreiheit C. Beispielhafte Fallgruppen D. Die Bedeutung des Schuldgrundsatzes für die Strafbegründung und das Strafmaß E. Tatschuld und Lebensführungsschuld IV. Der Aufbau des Schuldbegriffs A. Trennung von Schuld und Verantwortung? B. Der Schuldtatbestand 1. Die Notwendigkeit eines Schuldtatbestands 2. Die einzelnen Merkmale des Gesamtschuldtatbestands im Überblick: Der positive Schuldtatbestand 3. Fortsetzung: Die Unzumutbarkeit (der negative Schuldtatbestand) V. Die Abhängigkeit des Schuldzeitpunkts und des Schuldmaßstabs vom Vorverhalten . A. Das Problem B. Der Vollrausch C. Actio libera in causa: Die causa libera als Tathandlung D. Zu verantwortende Erschwerung der Normbefolgung: Zumutbarkeit 1. Zumutbarkeit als Zuständigkeit 2. Unterschiedliche Zuständigkeit des Täters und des Tatbegünstigten

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XV

Inhaltsverzeichnis VI. Der Irrtum Uber Voraussetzungen und Folgen des Schuldtatbestands; insbesondere: Der Irrtum über Entschuldigungsvoraussetzungen als Entschuldigungsgrund . . . . A. Der Irrtum über die Rechtsfolge B. Der Irrtum über die Voraussetzungen 18. Abschnitt: Die Zurechnungsunfähigkeit und die im Zusammenhang mit ihr geregelten Fälle der Unzumutbarkeit (§§ 19, 20, 21 StGB) I. Die Zurechnungsunfähigkeit der Kinder und bei Jugendlichen II. Die Schuldunfähigkeit (Zurechnungsunfähigkeit und bereichsweise Unzumutbarkeit) nach S 20 StGB A. Überblick B. Die krankhafte seelische Störung C. Der Schwachsinn D. Die Bewußtseinsstörung und die Abartigkeit 1. Nochmals: Zur Trennung von Zurechnungsunfähigkeit und Unzumutbarkeit bei S 20 StGB 2. Die tiefgreifende Bewußtseinsstörung 3. Die schwere seelische Abartigkeit E. Die normative Konsequenz (die Einsichts- und Befolgungsfähigkeit) III. Die sogenannte verminderte Schuldfähigkeit (die partielle Unzumutbarkeit) nach S 21 StGB 19. Abschnitt: Die Unrechtseinsicht und der Verbotsirrtum I. Die Regelungsmodelle im Überblick und der Gang der Rechtsprechung A. Grundbegriffe und historische Entwicklung B. Umriß der Theorie des Verbotsirrtums bei einem funktionalen Schuldbegriff II. Kritik starrer Modelle und vorsatztheoretischer Modelle III. Die elastische Schuldtheorie IV. Die Unrechtseinsicht V. Die fehlende Unrechtseinsicht (Verbotsirrtum), Irrtumsformen VI. Der Begriff der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums A. Die Vermeidbarkeit als Zuständigkeit für den Defekt B. Die Dominanz der normativen Perspektive C. Einzelheiten VII. Die rechtliche Folge des Verbotsirrtums VIII. Der entschuldigende Irrtum über die Verbindlichkeit eines Befehls

. .

20. Abschnitt: Die Unzumutbarkeit I. Der entschuldigende Notstand (§ 35 StGB) A. Notsundstheorien B. Die einzelnen Voraussetzungen der Entschuldigung C. Die Hinderung der Entschuldigung bei Zuständigkeit des Täters für den Konflikt D. Die Strafmilderung II. Die Zumutbarkeit beim Überzeugungstäter (Gewissenstäter) A. Die Gestalten der Überzeugung B. Die Voraussetzungen der Entschuldigung III. Der Notwehrexzeß A. Die Theorie des Entschuldigungsgrunds B. Die Voraussetzungen der Entschuldigung IV. Die Besonderheiten der Zumutbarkeit beim Fahrlässigkeitsdelikt V. Die Entschuldigung bei Interessenkollision (der sogenannte übergesetzliche, entschuldigende Notstand) VT. Unspezifizierte Unzumutbarkeit als Entschuldigungsgrund?

XVI

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Inhaltsverzeichnis 4. KAPITEL Ergänzung zur Tatbestandsverwirklichung: Die Beteiligung 21. Abschnitt: Die Täterschaft I. Differenzierung der Beteiligten oder Einheitstäterschaft? II. Die Voraussetzungen von Täterschaft in Sonderfällen (die deliktsspezifischen Tätermerkmale und die Vertreterhaftung) A. Die deliktsspezifischen Tätermerkmale B. Die Vertreterhaftung III. Die Tatbestände der Täterschaft bei Herrschaftsdelikten A. Die Täterschaftsformen im Überblick B. Die Problematik der eigenhändigen Delikte C. Die Täterschaftstheorien 1. Die formell-objektive Theorie 2. Ältere materielle Theorien 3. Die subjektive Theorie 4. Die Tatherrschaftslehre IV. 1. Fortsetzung: Das Selbst-Begehen, § 25 Abs. 1, 1. Fallgruppe StGB V. 2. Fortsetzung: Das gemeinschaftliche Begehen (die Mittäterschaft), §25 Abs. 2 StGB A. Der gemeinsame Tatentschluß B. Die objektive Seite des gemeinsamen Begehens 1. Die Bestimmung der anteiligen Herrschaft 2. Problematische Fallgruppen 3. Die täterschaftliche Beteiligung an einer Selbstverletzung C. Die Konsequenzen von Mittäterschaft VI. 3. Fortsetzung: Das Begehen durch einen anderen (die mittelbare Täterschaft), § 25 Abs. 1,2. Fallgruppe StGB A. Die Begründung der vorrangigen Zuständigkeit des mittelbaren Täters (überlegene Entscheidungsherrschaft) B. Die Fallgruppen mittelbarer Täterschaft 1. Die mittelbare Täterschaft durch ein Werkzeug ohne Tatbestandsvorsatz . . 2. Die mittelbare Täterschaft bei quasi-unvorsätzlicher Handlung, insbesondere Selbstverletzung des Werkzeugs 3. Die mittelbare Täterschaft durch ein gerechtfertigt handelndes Werkzeug . . 4. Die mittelbare Täterschaft durch ein quasi-gerechtfertigt handelndes Werkzeug 5. Die mittelbare Täterschaft durch ein schuldlos handelndes Werkzeug . . . . 6. Die mittelbare Täterschaft bei Selbstverletzung eines quasi-entschuldigten Werkzeugs 7. Weitere Fallgruppen? C. Die Konsequenzen der mittelbaren Täterschaft VII. Schluß A. Die Nebentäterschaft B. Die Beteiligungsformen der Teilnahme C. Die Beteiligung bei Fahrlässigkeit VIII. Die Täterschaft bei den Pflichtdelikten

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22. Abschnitt: Die Teilnahme I. Der Strafgrund der Teilnahme A. Die Korrumpierungstheorie B. Die Unrechtsteilnahmetheorie C. Die Verursachungstheorie D. Die Theorie der erfolgsbezogenen Unrechtsteilnahme

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XVII

Inhaltsverzeichnis II. Die Abhängigkeit der Teilnahme von der Haupttat A. Die Voraussetzungen der Haupttat B. Die äußere (quantitative) Akzessorietät III. Die Anstiftung A. Die Besonderheit der Teilnahme durch Anstiftung B. Einzelheiten IV. Die Beihilfe A. Die Kausalität der Beihilfe B. Der Zeitpunkt der Beihilfe C. Restfragen 23. Abschnitt: Die innere (qualitative) Akzessorietät bei akzessorischer Beteiligung (Mittäterschaft und Teilnahme) I. Das Problem II. Der Lösungsweg A. Kritik der Lösungsvorschläge der Literatur B. Eigene Lösung: Die Beschränkung der besonderen persönlichen Merkmale auf Sonderpflichten und Eigenhändigkeit 1. Entgegensetzung von subjektiven Merkmalen und Sonderpflichten 2. Die Höchstpersönlichkeit subjektiver Merkmale 3. Die beschränkte Akzessorietät der Sonderpflichten und der Eigenhändigkeit; Abgrenzungen III. Das Ergebnis A. Strafbarkeitsbegründende Merkmale B. Strafbarkeitsmodifizierende Merkmale 24. Abschnitt: Gemeinsame Regeln für Täterschaft und Teilnahme I. Die Verwirklichung des Risikos der vorsätzlichen Beteiligung, insbesondere: Der Irrtum über die Beteiligtenrolle II. Die sogenannte notwendige Teilnahme (die Beteiligung ohne Haftung) III. Das Regreßverbot (die scheinbare Beteiligung) A. Der Meinungsstand B. Die Begründung des Regreßverbots, Fallgruppen

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5. KAPITEL Ergänzung zur Tatbestandsverwirklichung und zur Schuld: Der Versuch und der Beteiligungsversuch 2i. Abschnitt: Der Versuch I. Die Stufen des Delikts A. Die Grundbegriffe, der Versuch als formeller Begriff B. Die Unternehmensdelikte 1. Die echten Unternehmensdelikte 2. Die unechten Unternehmensdelikte C. Die Vorbereitung D. Die Beendigung II. Der Strafgrund des (formellen) Versuchs A. Der Meinungsstand B. Der Versuch als expressiver und tatbestandsnaher Normbruch III. Der subjektive Tatbestand beim Versuch A. Die Beschränkung auf Vorsatzdelikte B. Die Tatentschlossenheit XVIII

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Inhaltsverzeichnis C. Die Tat als Gegenstand der Entschlossenheit 1. Die Tauglichkeit in subjektiver Sicht 2. Die Abgrenzung von Versuch und Wahndelikt a) Der Grundsatz b) Die normativen Tatbestandsmerkmale c) Die irrige Annahme von Sonderpflichten d) Zusammenfassung IV. Der objektive Tatbestand beim unbeendeten Versuch; die Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch A. Das Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung B. Die Unmittelbarkeit C. Die Bedeutung der Vorstellung des Versuchstäters D. Konkretisierungen V. Der objektive Tatbestand beim beendeten Versuch A. Das Problem B. Die Lösung VI. Die Bestrafung des Versuchs A. Der Umfang der Strafbarkeit und die Kannmilderung B. Der grob unverständige Versuch

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26. Abschnitt: Der Rücktritt I. Die dogmatische Stellung und der Grund der Strafbefreiung II. Der Rücktrittstatbestand beim ausführenden Täter A. Der unbeendete Versuch B. Die Grenze von unbeendetem und beendetem Versuch C. Der beendete Versuch III. Der Rücktrittstatbestand bei Beteiligung IV. Die Zurechenbarkeit des Rücktrittsverhaltens: Die Freiwilligkeit A. Der Meinungsstand B. Die Lösung der Problematik V. Die Wirkung des Rücktritts

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2 7. Abschnitt: Der Versuch der Beteiligung I. Der Strafgrund des Beteiligungsversuchs II. Die einzelnen Tatbestände des Beteiligungsversuchs A. Die sogenannte versuchte Anstiftung, ξ 30 Abs. 1 StGB B. Die Annahme des Sich-Erbietens, § 30 Abs. 2, 2. Fallgruppe StGB C. Das Sich-Bereiterklären, § 30 Abs. 2, 1. Fallgruppe StGB D. Die Verabredung, § 30 Abs. 2, 3. Fallgruppe StGB III. Die Strafbarkeit der Beteiligung nach § 30 StGB IV. Der Rücktritt vom Versuch der Beteiligung

629 630 631 631 633 633 633 634 635

2. TITEL Der Inhalt und der Aufbau der Zurechnung, hauptsächlich beim Unterlassungsdelikt 6. KAPITEL Die Zurechnung beim Unterlassungsdelikt 28. Abschnitt: Handlung und Unterlassung I. Die Trennung von Handlung und Unterlassung A. Die Prinzipien der Trennung B. Fallgruppen II. Die gesetzlichen Tatbestände von Unterlassungsdelikten III. Das Problem der Sonderpflicht bei der begehungsgleichen Unterlassung

637 637 637 639 640 642 XIX

Inhaltsverzeichnis 29. Abschnitt: Das unechte Unterlassungsdelikt I. Der Regelungsumfang von § 13 Abs. 1 StGB II. Die objektive Zurechnung A. Der Erfolgssachverhalt B. Die Täterstellungen C. Die Abwendungsfähigkeit D. Die hypothetische Kausalität E. Der Normzweckzusammenhang III. 1. Fortsetzung: Die Garantenstellungen A. Überblick B. Die Pflichten kraft Organisationszuständigkeit 1. Die Sicherungspflichten bei Verkehrspflichten und Ingerenz a) Die Begründung der Pflichten b) Besonderheiten der Rechtsprechung 2. Die Rettungspflichten bei Verkehrspflichten und Ingerenz 3. Die Übernahme von Pflichten, Obliegenheiten und Handlungsbereitschaften; zugleich: Die Befreiung eines primär Verpflichteten durch Übernahme . . . . 4. Die Pflichten kraft Organisationszuständigkeit zur Hinderung von Selbstverletzungen C. Die Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit 1. Das Problem 2. Das Eltern-Kind-Verhältnis 3. Die Ehe 4. Die Ersatzverhältnisse 5. Das besondere Vertrauen 6. Die genuin staatlichen Pflichten a) Staatliche Gewaltverhältnisse b) Elementare Sicherheit, Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit IV. 2. Fortsetzung: Die Entsprechensklausel V. Der subjektive Tatbestand A. Der Unterlassungsvorsatz B. Die Unterlassungsfahrlässigkeit VI. Die Rechtswidrigkeit VII. Die Schuld VIII. Ergänzung zur Tatbestandsverwirklichung: Die Besonderheiten der Beteiligung durch Unterlassen A. Pflichten kraft Organisationszuständigkeit B. Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit IX. Ergänzung zur Tatbestandsverwirklichung: Die Beteiligung am Unterlassen X. Ergänzung zur Tatbestandsverwirklichung und zur Schuld: Der Versuch und der Versuch der Beteiligung durch Unterlassen A. Der Versuch B. Der Rücktritt C. Der Beteiligungsversuch XI. Die fakultative Strafmilderung

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30. Abschnitt: Das echte Unterlassungsdelikt A. Die Vollendung B. Der Versuch und der Rücktritt

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Inhaltsverzeichnis 3. TITEL

Die Konkurrenz 7. KAPITEL Die scheinbare und die echte Konkurrenz 31. Abschnitt: Die scheinbare Konkurrenz (sogenannte Gesetzeskonkurrenz) I. Die Grundbegriffe und die Grundmodelle der Konkurrenzlehre II. Die Prinzipien der Gesetzeskonkurrenz A. Die Spezialität als Form der Gesetzeskonkurrenz 1. Der Grundsatz 2. Die Beschränkung der Gesetzeskonkurrenz auf Fallgruppen eines Delikts . . B. Die Gründe für die Annahme von Gesetzeskonkurrenz III. Die einzelnen Fallgruppen der Gesetzeskonkurrenz A. Die Spezialität im engeren Sinn B. Die Spezialität kraft Vollendungsdichte, Beteiligungs- und Erfolgsintensität (Subsidiarität) C. Die Spezialität zur Begleittat (Konsumtion) D. Die Spezialität kraft Vorgriffs (mitbestrafte Nachtat) IV. Die Wirkungen der Gesetzeskonkurrenz

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32. Abschnitt: Die Einheit des Verhaltens bei der echten Konkurrenz und bei der einfachen, quantitativ erweiterten Tatbestandsverwirklichung I. Die Einheit der Handlung im Sinn von § 52 StGB A. Die Einheit der Handlung im „natürlichen" Sinn B. Die juristische Handlungseinheit als Erweiterung der Einheit der „natürlichen" Handlung II. Das Verhältnis der Zahl der Handlungen zur Zahl der Delikte A. Die Mehrheitstheorie B. Keine mehrfache Gesetzesverletzung bei bloßer Quantitätssteigerung III. Die handlungsvereinigenden Tatbestände IV. Die Einheitlichkeit des Verhaltens beim Unterlassungsdelikt V. Weitere Erscheinungsformen juristischer Handlungseinheit? A. Die Sammelstraftat B. Die natürliche Handlungseinheit C. Der Fortsetzungszusammenhang

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33. Abschnitt: Die Idealkonkurrenz und die Realkonkurrenz I. Die Idealkonkurrenz A. Die kumulierte Zurechnung B. Fallgruppen der Idealkonkurrenz C. Kritik der Klammerwirkung II. Die Realkonkurrenz A. Der Grundsatz der Gesamtstrafenbildung B. Der Vorgang der Gesamtstrafenbildung

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Sachregister

763

731 733 733

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Verzeichnis der Abkürzungen, einschließlich der abgekürzt zitierten Literatur Bei Periodika bezeichnen vierstellige Zahlen das Jahr, kleinere die Band- oder Jahrgangsnummer. Fundstellen von Gesetzen werden, soweit erforderlich, in den Fußnoten genannt. Zitate aus Kommentaren erfolgen in den Fußnoten ohne Titelangabe; ansonsten werden Buchtitel abgekürzt wiedergegeben. Zitate ohne besonderen Zusatz beziehen sich auf die letzte angegebene Auflage des Werks. a. A. aaO Ahegg Lehrbuch Abs. Abschn AcP a. E. AE AE Wirtschaftsstrafrecht a. F. AG a. 1. i. c. ALR Anm. AO AöR Archiv für Strafrecht Arndt- Festschrift ARSP Art. Arzt und Krankenhaus Arzt-Weber BT AT AtomG Bärmann-Festschrift Baumann AT BayObLG

BayPAG BBG Bd. BDH

anderer Ansicht am angegebenen Ort /. F. Ahegg Lehrbuch der Strafrechts-Wissenschaft, 1836 Absatz Abschnitt Archiv für die zivilistische Praxis am Ende /. Baumann u. a. Alternativentwurf eines Strafgesetzbuches AT, 1966 E. f . Lampe u. a. Alternativentwurf eines Strafgesetzbuches BT, Straftaten gegen die Wirtschaft, 1977 alte Fassung; alte Folge Amtsgericht actio libera in causa Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten (1794) Anmerkung Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Archiv für preußisches Strafrecht, siehe GA H. Ehmke u. a. (Hrsg.) Festschrift für Adolf Arndt, 1969 Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Artikel Arzt und Krankenhaus, Fachzeitschrift für das KrankenhausweG. Arzt, U. Weber Strafrecht Besonderer Teil Bd. I, 2. Auflage 1981; Bd. III, 1978; Bd. IV, 1980; Bd.V, 1982 Allgemeiner Teil Atomgesetz M. Lutter u. a. (Hrsg.) Festschrift für Johannes Bärmann, 1975 /. Baumann Strafrecht Allgemeiner Teil, 8. Auflage (unter Mitwirkung von U. Weber) 1977 Bayerisches Oberstes Landesgericht; Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen, Neue Folge, hrsg. von Mitgliedern des Gerichts Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei Bundesbeamtengesetz Band (arabische Zahl in Klammern: Nummer des Teilbands) Bundesdisziplinarhof; Entscheidungen des Bundesdisziplinarhofes, hrsg. von Mitgliedern des Bundesdisziplinarhofes XXIII

Abkürzungs- und Literaturverzeichnis BDO Beling Grundzüge Bemer Strafrecht BGB BGBl. I, II BGB-R GÄÄ-Bearbeiter BGH BGH-Festschrift BGHZ

BierStG Binding-Festschrift Binding Handbuch Binding Lehrbuch Binding Normen

BJagdG Blei AT, BT Blutalkohol Bockelmann AT, BT (1, 2, 3)

Bockelmann-Festschrift BR BRAO BRRG Bruns-Festschrift R. Bruns-Gedächtnisschrift BSeuchG BT BtMG Bund-gegen-Alkohol-im-Stra· ßenverkehr-Festschrift BVerfG

BVerwG Coing-Festschrift D. DAR DAG ders. d. h. dies. Diss.

XXIV

Bundesdisziplinarordnung E. Beling Grundzüge des Strafrechts, 2. Auflage 1902; 10. Auflage 1928; 11. Auflage 1930 A.F. Bemer Lehrbuch des Strafrechts, 18. Auflage 1898 Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Teil I, Teil II Das Bürgerliche Gesetzbuch, Kommentar hrsg. von Mitgliedern des Bundesgerichtshofs Bd. I, 12. Auflage 1982 Bundesgerichtshof in Strafsachen; Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen, hrsg. von den Mitgliedern des Bundesgerichtshofes und der Bundesanwaltschaft G. Krüger-Nieland (Hrsg.) 25 Jahre Bundesgerichtshof, 1975 Bundesgerichtshof in Zivilsachen; Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen, hrsg. von den Mitgliedern des Bundesgerichtshofes und der Bundesanwaltschaft Biersteuergesetz Festschrift für Karl Binding Bd. I, II, 1911 K. Binding Handbuch des Strafrechts Bd. I, 1885 K. Binding Lehrbuch des Gemeinen Deutschen Strafrechts, Besonderer Teil Bd. I, 2. Auflage 1902; Bd. II, 1905 K. Binding Die Normen und ihre Übertretung Bd. I, 1872; 4. Auflage 1922; Bd. II, 1877; 2. Auflage (1) 1914, (2) 1916; Bd. III, 1918; Bd. IV, 1919 Bundesjagdgesetz H.Blei Strafrecht Bd. I Allgemeiner Teil, 17. Auflage 1977; Bd. II Besonderer Teil, 11. Auflage 1978 Blutalkohol. Alcohol, Drugs and Behavior P. Bockelmann Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Auflage 1975; 3. Auflage 1979; Besonderer Teil (1), 2. Auflage 1982; (2) 1977; (3) 1980 Arthur Kaufmann u. a. (Hrsg.) Festschrift für Paul Bockelmann, 1979 Bundesrat Bundesrechtsanwaltsordnung Beamtenrechtsrahmengesetz W. Frisch u. a. (Hrsg.) Festschrift für Hans-Jürgen Bruns, 1978 /. Baltzer u. a. (Hrsg.) Gedächtnisschrift für Rudolf Bruns, 1980 Bundes-Seuchengesetz Besonderer Teil; Bundestag Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln D. Schultz u. a. (Hrsg.) Festschrift zum 25jährigen Bestehen des Bundes gegen Alkohol im Straßenverkehr, 1982 Bundesverfassungsgericht; Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, hrsg. von den Mitgliedern des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht; Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, hrsg. von den Mitgliedern des Gerichts N. Horn (Hrsg.) Europäisches Rechtsdenken in Geschichte und Gegenwart, Festschrift für Helmut Coing Bd. I, 1982 Digesta Deutsches Autorecht Deutsches Auslieferungsgesetz derselbe das heißt dieselbe(n) Dissertation

Abkürzungs- und Literaturverzeichnis DJ DJT DJT-Festschrift 41. DJT-Festschrift DÖV Dohna Aufbau DR Dreher-Festschrift Dreher- Tröndle DRiG DRiZ DRZ DStr. Dünnebier-Festschrift DVBI. Ε 1962 EGGVG EGStGB Einführung Eisenberg JGG Emge-Festschrift Engisch-Festschrift Epirrhosis (C. Schmitt-Festgäbe) Eser Studienkurs

etc. f,ff FamRZ Feuerbach Lehrbuch Fn. Frank Frank-Festgabe Franzen-Gast-Samson G, Ges. GA Gallas-Festschrift Geilen AT

Deutsche Justiz, Rechtspflege und Rechtspolitik, Amtliches Organ des Reichsministers der Justiz Deutscher Juristentag E. v. Caemmerer u. a. (Hrsg.) Hundert Jahre Deutsches Rechtsleben, Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages Bd. I, II, 1960 Festschrift der Juristischen Fakultät der Freien Universität Berlin zum 41. Deutschen Juristentag, 1955 Die öffentliche Verwaltung A. Graf zu Dohna Der Aufbau der Verbrechenslehre, 4. Auflage 1950 Deutsches Recht H.-H. Jescheck u. a. (Hrsg.) Festschrift für Eduard Dreher, 1977 E. Dreher, H. Tröndle Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 40. Auflage 1981 Deutsches Richtergesetz Deutsche Richterzeitung Deutsche Rechts-Zeitschrift Deutsches Strafrecht E.-W. Hanack u. a. (Hrsg.) Festschrift für Hanns Dünnebier, 1982 Deutsches Verwaltungsblatt Regierungsentwurf eines Strafgesetzbuches mit Begründung, BT-Drucksache IV/650, BR-Drucksache 200/62 Einfuhrungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch C. Roxin, W. Stree, H. Zipf, H. Jung Einführung in das neue Strafrecht, 2. Auflage 1975 U. Eisenberg Jugendgerichtsgesetz, 1982 U. Klug (Hrsg.) Festschrift zum 70. Geburtstag von Carl August Emge, 1960 P. Bockelmann u. a. (Hrsg.) Festschrift für Karl Engisch, 1969 H. Barion u. a. (Hrsg.) Epirrhosis, Festgabe für C. Schmitt, 1968 A. Eser Strafrecht Bd. I, 3. Auflage (unter Mitarbeit von B. Burkhardt) 1980; Bd. II, 3. Auflage (unter Mitarbeit von B. Burkhardt) 1980; Bd. III, 2. Auflage 1981; Bd. IV, 3. Auflage 1979 et cetera folgende Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht; Zeitschrift für das gesamte Familienrecht A. Ritter v. Feuerbach Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen Peinlichen Rechts, 14. Auflage, hrsg. von C. /. A. Mittermaier, 1847 Fußnote R. Frank Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 1897; 3. und 4. Auflage 1903; 18. Auflage 1931 A. Hegler (Hrsg.) Beiträge zur Strafrechtswissenschaft, Festgabe für Reinhard von Frank, Bd. I, II, 1930 K. Franzen, B. Gast-de Haan, E. Samson Steuerstrafrecht mit Steuerordnungswidrigkeiten, 2. Auflage 1978 Gesetz Archiv für Strafrecht, begründet von Th. Goltdammer; Goltdammer's Archiv für Strafrecht K. Lackner u. a. (Hrsg.) Festschrift für Wilhelm Gallas, 1973 G. Geilen Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Auflage 1976 XXV

Abkürzungs- und Literaturverzeichnis GG Gleispach-Festschrift

Göppinger Kriminologie Grünhut-Erinnerungsgabe Grützner-Geburtstagsgabe GS Güterbock-Festgabe GVB1. GVG GWB Hälschner Strafrecht Haft KV, BT Hallermann-Festschrift

HansOLG Hassemer Einführung Heinitz- Festschrift Henkel-Festschrift HESt.

v. d. Heydte-Festschrift HGB v. Hippel Strafrecht E. Hirsch-Festschrift Honig-Festschrift HRR Hrsg. (hrsg.) Hmschka AT i. e. IKV i. V. m. JA Jescheck AT JGG Jherings Erbe

JR Jura JurBl. JuS JW JWG JZ Kaiser Kriminologie

XXVI

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland G. Dahin, W. Gallas, F. Schaffstein, E. Schinnerer, K. Siegert, L. Zimmerl Gegenwartsfragen der Strafrechtswissenschaft, Festschrift zum 60. Geburtstag von Graf W. Gleispach, 1936 H. Göppinger Kriminologie, 4. Auflage 1980 H. Kaufmann u. a. (Hrsg.) Erinnerungsgabe für Max Grünhut, o.J. D. Oehler u. a. (Hrsg.) Aktuelle Probleme des Internationalen Strafrechts, Heinrich Grützner zum . . . 65. Geburtstag, 1970 Der Gerichtssaal; Großer Senat Festgabe für Dr. Karl Güterbock, 1910 Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen H. HälschnerDiS gemeine deutsche Strafrecht Bd. I, 1881; Bd. II (1) 1884; (2) 1887 F. Haft Strafrecht Allgemeiner Teil, 1980; Besonderer Teil, 1982 /. Gerchow (Hrsg.) An den Grenzen von Medizin und Recht, Festschrift zum 65. Geburtstag von . . . Wilhelm Hallermann, 1966 Hanseatisches Oberlandesgericht W. Hassemer Einführung in die Grundlagen des Strafrechts, 1981 H. Lüttger u. a. (Hrsg.) Festschrift für Ernst Heinitz, 1972 C. Roxin u. a. (Hrsg.) Grundfragen der gesamten Strafrechtswissenschaft, Festschrift für Heinrich Henkel, 1974 Höchstrichterliche Entscheidungen, Sammlung von Entscheidungen der Oberlandesgerichte und Obersten Gerichte in Strafsachen H. Kipp u. a. (Hrsg.) Um Recht und Freiheit, Festschrift für Friedrich August Freiherr von der Heydte Bd. II, 1977 Handelsgesetzbuch R. v. Hippel Deutsches Strafrecht Bd. I, 1925; Bd. II, 1930 Berliner Festschrift für Ernst E. Hirsch, 1968 Festschrift für Richard M. Honig, 1970 A. Feisenberger (Hrsg.) Höchstrichterliche Rechtsprechung auf dem Gebiete des Strafrechts Herausgeber (herausgegeben von) /. Hmschka Strafrecht nach logisch-analytischer Methode, 1983 id est Internationale Kriminalistische Vereinigung in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter H.-H. Jescheck Lehrbuch des Strafrechts Allgemeiner Teil, 1969; 2. Auflage 1972; 3. Auflage 1978 Jugendgerichtsgesetz F. Wieacker u. a. (Hrsg.) Jherings Erbe, Göttinger Symposium zur 150. Wiederkehr des Geburtstags von Rudolph von Jhering, 1970 Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Blätter Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Gesetz für Jugendwohlfahrt Juristenzeitung G. Kaiser Kriminologie, 1980

Abkürzungs- und Literaturverzeichnis KastrGes. Kern-Festgabe Kern-Festschrift KG(Z) Kienapfel AT Kiesselbach-Festschrift /OC-Bearbeiter Kleinknecht KO Köstlin System Kohlrausch-Festschrift Kohlrauscb-Lange Krey BT KRG KriegswaffenG KrimJ Lackner Lange-Festschrift Langenbecks Archiv LG v. Liszt(-Schmidt) Strafrecht

ZJC-Bearbeiter

LM LR -Bearbeiter

LZ Mallmann-Festschrift Materialien Maunz-Dürig-Herzog-Scholz Maurach AT Maurach-Festschrift Maurach-Gössel AT II; Maurach-Zipf AT I, II Maurach-Schroeder BT I, II H. Mayer AT H. Mayer-Festschrift

Gesetz über die freiwillige Kastration und andere Behandlungsmethoden H.-H. fescheck (Hrsg.) Festgabe für Eduard Kern, 1957 Tübinger Festschrift für Eduard Kern, 1968 Kammergericht (in Zivilsachen) D. Kienapfel Strafrecht Allgemeiner Teil, 2.'Auflage 1978 Festschrift für Wilhelm Kiesselbach, 1947 G. Pfeiffer (Hrsg.) Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung, 1982 Th. Kleinknecht Strafprozeßordnung, 35. Auflage 1981 Konkursordnung G. R. Köstlin System des deutschen Strafrechts, 1855 P. Bockelmann, G. Dahm u. a. Probleme der Strafrechtserneuerung, 1944 E. Kohlrausch, R. Lange Strafgesetzbuch, 43. Auflage 1961 V. Krey Strafrecht Besonderer Teil Bd. I, 4. Auflage 1979; Bd. II, 5. Auflage 1982 Kontrollratsgesetz Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen Kriminologisches Journal K. Lackner Strafgesetzbuch, H.Auflage 1981 G. Warda u. a. (Hrsg.) Festschrift für Richard Lange, 1976 Langenbecks Archiv für klinische Chirurgie Landgericht F. v. Liszt Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 2. Auflage 1884; 5. Auflage 1892; 21. und 22. Auflage 1919; 25. Auflage, besorgt von Eb. Schmidt, 1927; 26. Auflage, besorgt von Eb. Schmidt, 1932 Strafgesetzbuch Leipziger Kommentar, 8. Auflage, hrsg. von H. Jagusch, E. Mezger, A. Schaefer, W. Werner, Bd. I, 1957; Bd. II, 1958; 9. Auflage, hrsg. von P. Baldus, G. Willms, Bd. I, II, 1974; Bd. III, 1977; 10. Auflage, hrsg. von H.-H./escheck, W.Ruß, G. Willms, ab 1978 (1. bis 31. Lieferung) F. Lindenmaier, Ph. Möhring (Hrsg.) Entscheidungen des Bundesgerichtshofes im Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofes Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz Bd. I bis VI, bearbeitet von H. Dünnebier u. a., 1976 bis 1980 Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht O. Trifftereru. a. (Hrsg.) Festschrift für Walter Mallmann, 1978 Materialien zur Strafrechtsreform Bd. I bis XV, 1954 bis 1962 Th. Maunz, G. Dürig, R. Herzog, R. Scholz Grundgesetz, Stand September 1981 R. Maurach Deutsches Strafrecht Allgemeiner Teil, 3. Auflage 1965; 4. Auflage 1971 F.-C. Schroeder u. a. (Hrsg.) Festschrift für Reinhart Maurach, 1972 R. Maurach, H. Zipf Strafrecht Allgemeiner Teil Bd. I, 5. Auflage 1977; R. Maurach, Κ. H. Gössel, H. Zipf Strafrecht Allgemeiner Teil Bd. II, 5. Auflage 1978 R. Maurach, F.-C. Schroeder Strafrecht Besonderer Teil Bd. I, 6. Auflage 1977; Bd. II, 6. Auflage 1981 H. MayerStrafrecht Allgemeiner Teil, 1953 F. Geerds u. a. (Hrsg.) Beiträge zur gesamten Strafrechtswissenschaft, Festschrift für Hellmuth Mayer, 1966 XXVII

Abkürzungs- und Literaturverzeichnis H. Mayer Strafrecht des deutschen Volkes H. Mayer Studienbuch Μ. E. Mayer AT MDR Merkel Lehrbuch Mezger-Blei AT Mezger-Festschrift Mezger Strafrecht MonSchrKrim.

MonSchrPsychiatrNeurol. MRK MStGB Musterentwurf NArchCrimR Naucke Strafrecht Nervenarzt n. F. Niederschriften Nipperdey AT NJW Noll Strafrecht AT Nowakowski Grundzüge Nr. NStZ NZWehrr. ÖJZ ÖsterrZStr. OGH

o.J. OLG(Z) OLG Celle-Festschrift OLGSt. Olshausen Otto Grundkurs AT, BT OWiG Peters-Festschrift PStG Radbruch-Gedächtnisschrift

XXVIII Rdn.

H. Mayer Das Strafrecht des deutschen Volkes, 1936 H. Mayer Strafrecht Allgemeiner Teil, 1967 Μ. E. Mayer Oer allgemeine Teil des deutschen Strafrechts, 1915 Monatsschrift für deutsches Recht A. Merkel Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 1889 E. Mezger, H. Blei Strafrecht I Allgemeiner Teil, 15. Auflage 1973 (siehe auch Blei) K. Engisch u. a. (Hrsg.) Festschrift für Edmund Mezger, 1954 E. Mezger Strafrecht, 1931 (gleichlautend 3. Auflage 1949) Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform; — für Kriminalbiologie und Strafrechtsreform; — für Kriminologie und Strafrechtsreform Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Militärstrafgesetzbuch G. Heise, R. Riegel (Hrsg.) Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes, 2. Auflage 1978 Neues Archiv des Criminalrechts W. Naucke Strafrecht, Eine Einführung, 3. Auflage 1980 Der Nervenarzt neue Fassung; neue Folge Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. I bis XIV, 1956 bis 1960 L. Enneccerus, H. C. Nipperdey Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts Bd. II, 15. Auflage 1960 Neue Juristische Wochenschrift P. Noll Schweizerisches Strafrecht Allgemeiner Teil I, 1981 F. Nowakowski Das österreichische Strafrecht in seinen Grundzügen, 1955 Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Wehrrecht Österreichische Juristenzeitung Österreichische Zeitschrift für Strafrecht Oberster Gerichtshof für die Britische Zone; Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen, hrsg. von den Mitgliedern des Gerichtshofes und der Staatsanwaltschaft beim Obersten Gerichtshof ohne Jahresangabe Oberlandesgericht (in Zivilsachen) Göttinger Festschrift für das Oberlandesgericht Celle, 1961 M. Kohlhaas u. a. (Hrsg.) Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Strafverfahrensrecht /. v. Olshausen Kommentar zum Strafgesetzbuch, bearbeitet von H. Freiersleben u. a., 12. Auflage 1942 H. Otto Grundkurs Strafrecht. Allgemeine Strafrechtslehre, 2. Auflage 1982; Die einzelnen Delikte, 1977 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten /. Baumann u. a. (Hrsg.) Einheit und Vielfalt des Strafrechts, Festschrift für Karl Peters, 1974 Personenstandsgesetz Arthur Kaufmann (Hrsg.) Gedächtnisschrift für Gustav Radbruch, 1968 Randnummer

Abkürzungs- und Literaturverzeichnis Rechtstheorie RG

RGBl. I, II RG-Festgabe RGZ

Rittler-Festschrift Rittler Lehrbuch ROW Roxin Strafverfahrensrecht Roxin-Schünemann-Haffke Klausurenlehre RuStG S. Samson Strafrecht I, II Sarstedt-Festschrift Sauer Allgemeine Strafrechtslehre Sauer-Festschrift Schaffstein-Festschrift

Rechtstheorie, Zeitschrift für Logik, Methodenlehre, Kybernetik und Soziologie des Rechts Reichsgericht in Strafsachen; Enscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen, hrsg. von den Mitgliedern des Gerichtshofes und der Reichsanwaltschaft Reichsgesetzblatt Teil I, Teil II O. Schreiber (Hrsg.) Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben Bd. V, Strafrecht und Strafprozeßrecht, 1929 Reichsgericht in Zivilsachen; Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen, hrsg. von den Mitgliedern des Gerichtshofes und der Reichsanwaltschaft S. Hohenleitneru. a. (Hrsg.) Festschrift für Theodor Rittler, 1957 Tl·. Rittler Lehrbuch des Österreichischen Strafrechts Bd. I Allgemeiner Teil, 2. Auflage 1954 Recht in Ost und West, Zeitschrift für Rechtsvergleichung und innerdeutsche Rechtsprobleme C. Roxin Strafverfahrensrecht, 17. Auflage 1982 C. Roxin, B. Schünemann, B. Haffke Strafrechtliche Klausurenlehre mit Fallrepetitorium, 4. Auflage 1982 Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz Seite E. Samson Strafrecht I, 4. Auflage 1980; Strafrecht II, 3. Auflage 1980 R. Hamm (Hrsg.) Festschrift für Werner Sarstedt, 1981 W. Sauer Allgemeine Strafrechtslehre, 3. Auflage 1955

Festschrift für Wilhelm Sauer, 1949 G. Grünwald u. a. (Hrsg.) Festschrift für Friedrich Schaffstein, 1975 Schelsky- Festschrif t F. Kaulbach u. a. (Hrsg.) Recht und Gesellschaft, Festschrift für Helmut Schelsky, 1978 Schmidhäuser AT E. Schmidhäuser Strafrecht Allgemeiner Teil, 1970; 2. Auflage 1975 Schmidbäuser BT E. Schmidhäuser Strafrecht Besonderer Teil, 1980 Schmidhäuser Studienbuch E. Schmidhäuser Strafrecht Allgemeiner Teil Studienbuch (unter Mitarbeit von H. Alwart), 1982 Eb. Schmidt-Festschrift P. Bockelmann u. a. (Hrsg.) Festschrift für Eberhard Schmidt, 1961 Eb. Schmidt Lehrkommentar Eb. Schmidt Lehrkommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz Teil I, 2. Auflage 1964 Kurt Schneider-Festschrift H. Kranz (Hrsg.) Psychopathologie heute, Festschrift für Kurt Schneider, 1962 Schänke-Schröder (-Bearbeiter) A. Schänke, H.Schröder Strafgesetzbuch, 15. Auflage 1970; 17. Auflage 1974; 21. Auflage, bearbeitet von Th. Lenckner, P. Cramer, A. Eser, W. Stree, 1982 W. Stree u. a. (Hrsg.) Gedächtnisschrift für Horst Schröder, Schröder-Gedächtnisschrift 1978 Schultz AT (Schweiz) H. Schultz Einführung in den Allgemeinen Teil des Strafrechts, 3. Auflage 1977 Schultz-Festgabe H. Walder u. a. (Hrsg.) Lebendiges Strafrecht, Festgabe zum 65. Geburtstag von Hans Schultz, 1977 Festgabe zum Schweizer Juristentag, 1963 Schweizer Juristentags-Festgabe Schweizerischer Juristenverein- Rechtsquellenprobleme im Schweizerischen Recht, Festgabe . . . Festgabe für den schweizerischen Juristenverein, 1955 Schweizerisches Bundesgericht Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts

XXIX

Abkürzungs- und Literaturverzeichnis Schwinge-Festschrift SchwZStr. seil. SeemannsG SHG SJZ .WC-Bearbeiter

Smend-Festgabe SoergeZ-Bearbeiter SoldatenG Sonderausschuß V Sp. SprengstG St. StÄG Staudinger- Bearbeiter StGB StPO Stock-Festschrift StrandungsO Stratenwerth AT Stratenwerth Schweizerisches Strafrecht StrRG StV StVG StVollzG

TierschutzG Traeger-Festschrift Triffterer Strafrecht u. a. u. a. m. UZwG VDAT, VDBT

VwArch. VGS VO VOR VRS YS XXX

H. U. Evers u. a. (Hrsg.) Persönlichkeit in der Demokratie, Festschrift für Erich Schwinge, 1973 Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht scilicet (nämlich) Seemannsgesetz Bundessozialhilfegesetz Süddeutsche Juristenzeitung H.-J. Rudolphi, E. Horn, E. Samson, H.-L. Schreiber Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch Bd. I, 2. Auflage 1977; H.-J. Rudolphi, E. Horn, E. Samson Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch Bd. I, 3. Auflage, Stand April 1981; Bd. II, Stand September 1982 K. Hesse u. a. (Hrsg.) Staatsverfassung und Kirchenordnung, Festgabe für Rudolph Smend, 1962 Th. Soergel, W. Siebert Bürgerliches Gesetzbuch Bd. I, 11. Auflage 1978 Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten Beratungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, Deutscher Bundestag, 5. Wahlperiode Spalte Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe (Sprengstoffgesetz) Strafsachen Strafrechtsänderungsgesetz J. v. Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Bd. I, 12. Auflage 1980 Strafgesetzbuch (siehe 1/Fn. 2) Strafprozeßordnung G. Spendet (Hrsg.) Studien zur Strafrechtswissenschaft, Festschrift für Ulrich Stock, 1966 Strandungsordnung G. Stratenwerth Strafrecht Allgemeiner Teil I, 1971; 2. Auflage 1976; 3. Auflage 1981 G. Stratenwerth Schweizerisches Strafrecht AT I: Die Straftat, 1982 Gesetz zur Reform des Strafrechts Strafverteidiger Straßenverkehrsgesetz Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung (Strafvollzugsgesetz) Tierschutzgesetz Festschrift für Ludwig Traeger, 1926 O. Triffterer Optisches Strafrecht 1. Halbbd., 1981 und andere; unter anderem und andere(s) mehr Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes K. Birkmeyer u. a. (Hrsg.) Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts, Allgemeiner Teil Bd. I bis VI, Besonderer Teil Bd. I bis IX, 1905 bis 1909 Verwaltungsarchiv Vereinigte Große Senate Verordnung Zeitschrift für Verkehrs- und Ordnungswidrigkeitenrecht Verkehrsrechtssammlung Vereinigte Strafsenate

Abkürzungs- und Literaturverzeichnis Veröffentlichungen der Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer Waffengesetz WaffG Wehrdisziplinarordnung WDO v. Weber-Festschrift H. Wekeln, a. (Hrsg.) Festschrift für Hellmuth von Weber, 1963 v. Weber Grundriß H. v. Weber Grundriß des deutschen Strafrechts, 2. Auflage 1948 Wegner Strafrecht A. Wegner Strafrecht Allgemeiner Teil, 1951 Welzel Abhandlungen H. Welzel Abhandlungen zum Strafrecht und zur Rechtsphilosophie, 1975 Welzel-Festschrift G. Stratenwerth u. a. (Hrsg.) Festschrift für Hans Welzel, 1974 Welzel Strafrecht H. Welzel Das Deutsche Strafrecht, 3. Auflage 1954; 7. Auflage 1960; 11. Auflage 1969 Wessels AT, BT (1,2) /. Wessels Strafrecht Allgemeiner Teil, 12. Auflage 1982; Strafrecht Besonderer Teil (1), 6. Auflage 1982; (2) 5. Auflage 1982 Wiener Kommentar-Bearbeiter E. Foregger u. a. (Hrsg.) Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 1979 ff WiStG Gesetz zur Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts wistra wistra, Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer und Strafrecht Th. Würtenberger u. a. (Hrsg.) Existenz und Ordnung, Festschrift E. Wolf-Festschrift für Erik Wolf, 1962 Wehrstrafgesetz WStG R. Herren u. a. (Hrsg.) Kultur, Kriminalität, Strafrecht, Festschrift für Thomas Würtenberger, 1977 Würtenberger-Festschrift Zivilsachen Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht Ζ zum Beispiel Zeitschrift für Beamtenrecht ZAkDR ζ. B. H. Zipf Kriminalpolitik, 2. Auflage 1980 ZBR Zivilprozeßordnung Zipf Kriminalpolitik Zeitschrift für Rechtspolitik ZPO Zeitschrift für Rechtsvergleichung ZRP Zeitschrift für schweizerisches Recht ZRV Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft ZSchwR ZStW WDStL

XXXI

1. BUCH

Die Grundlagen 1. KAPITEL Das staatliche Strafen 1. ABSCHNITT Der Inhalt und die Aufgabe des staatlichen Strafens Literatur zu I bis V V. Achter Geburt der Strafe, 1951; M. Ancel Die neue Sozialverteidigung. Eine Bewegung humanistischer Kriminalpolitik, 1970; G. Arzt Der Ruf nach Recht und Ordnung, 1976; /. L. Austin Ein Plädoyer für Entschuldigungen, in: G. Meggle (Hrsg.) Analytische Handlungstheorie Bd. I, 1977, S. 8 ff; P. Badura Generalprävention und Würde des Menschen, JZ 1964 S. 337 ff; /. Baumann Der Schuldgedanke im heutigen deutschen Strafrecht und vom Sinn staatlichen Strafens, JurBl. 1965 S. 113 ff; E. Beling Die Vergeltungsidee und ihre Bedeutung für das Strafrecht, 1908; M. Bleuler Sühne und ärztliche Behandlung in ihrer heilenden Bedeutung, in: E. R. Frey (Hrsg.) Schuld, Verantwortung, Strafe, 1964, S. 103 ff; J. Bohnert Paul Johann Anselm Feuerbach und der Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht, 1982; Η,-J. Bruns Alte Grundfragen und neue Entwicklungstendenzen im modernen Strafzumessungsrecht, Welzel-Festschrift S. 739 ff; ders. Strafzumessungsrecht, 2. Auflage 1974; ders. Leitfaden des Strafzumessungsrechts, 1980; R.-P. Calliess Theorie der Strafe im demokratischen und sozialen Rechtsstaat, 1973; E. Dreher ϋber die gerechte Strafe, 1947; E. Dürkheim Kriminalität als normales Phänomen, in: F. Sack und R. König (Hrsg.) Kriminalsoziologie, 1968, S. 3 ff; K. Engelhardt Psychoanalyse der strafenden Gesellschaft, 1976; A. Eser Resozialisierung in der Krise? Peters-Festschrift S. 505 ff; F. Exner Die Theorie der Sicherungsmittel, 1914; L. Festinger Theorie der kognitiven Dissonanz, hrsg. von M. Irle und V. Möntmann, 1978; P. J. A. v. Feuerbach Revision der Grundsätze und Grundbegriffe des positiven peinlichen Rechts, 1799, Neudruck 1966; Ο. K. Flechtheim Hegels Strafrechtstheorie, 2. Auflage 1975; E. R. Frey Schuld — Verantwortung — Strafe als kriminalpolitisches Problem, in: ders. (Hrsg.) Schuld, Verantwortung, Strafe, 1964, S. 297 ff; W. Gallas Gründe und Grenzen der Strafbarkeit. Gedanken zum Begriff des Verbrechens, in: Universitäts-Gesellschaft Heidelberg (Hrsg.) Heidelberger Jahrbücher Bd. IX, 1965 S. 1 ff; H. Garfinkel Bedingungen für den Erfolg von Degradierungszeremonien, in: K. Lüderssen und F. Sack (Hrsg.) Seminar: Abweichendes Verhalten Bd. III, 1977, S. 31 ff; A. Gehlen Urmensch und Spätkultur. Philosophische Ergebnisse und Aussagen, 2. Auflage, 1964; F. Gramatica Grundlagen der defense sociale, 1965; E. Hanack Probleme des Vikariierens und der Unterbringung in einer Erziehungsanstalt (§§ 67, 64 StGB), JR 1978 S. 399 ff; B. Haffke Tiefenpsychologie und Generalprävention, 1976; ders. Hat emanzipierende Sozialtherapie eine Chance, in: K. Lüderssen und F. Sack (Hrsg.) Seminar: Abweichendes Verhalten Bd. III S. 291 ff; W. Hassemer Generalprävention und Strafzumessung, in: W. Hassemer, K. Lüderssen, W. Naucke (Hrsg.) Hauptprobleme der Generalprävention, 1979, S. 29 ff; ders. Resozialisierung und Rechtsstaat, KrimJ 1982 S. 161 ff; G. W. F. Hegel Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1821; /. Hellmer Über die Glaubwürdigkeit des Strafrechts und die Bedeutung des zwischenmenschlichen Verhältnisses für die Kriminalitätsbekämpfung, JZ 1981 S. 153 ff; Ε. E. Hirsch Die Steuerung menschlichen Verhaltens, JZ 1982 S. 41 ff; N. Hoerster Aktuelles in Arthur Schopenhauers Philosophie der Strafe, ARSP 58 S. 555 ff; ders. Zur Generalprävention als dem Zweck staatlichen Strafens, GA 1970 S. 272 ff; H. Horstkotte Die Vorschriften des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafrechts über die Strafbemessung, JZ 1970 S. 122 ff; G.Jakobs Schuld und Prävention, 1976; ders. Strafrechtliche Schuld ohne Willensfreiheit? in:

1

1. Abschn

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

D. Henrich (Hrsg.) Aspekte der Freiheit, 1982 S. 69 ff; H.-H. Jescheck Grundfragen der Dogmatik und Kriminalpolitik im Spiegel der Zeitschrift f ü r die gesamte Strafrechtswissenschaft, ZStW 93 S. 3 ff; G. Kaiser Verkehrsdelinquenz und Generalprävention, 1970; den. Die Fortentwicklung der Methoden und Mittel des Strafrechts, Z S t W 86 S. 349 ff; I. Kant Metaphysik der Sitten, Erster Theil, 2. Auflage 1798; Arthur Kaufmann Das Schuldprinzip, 1961; ders. Dogmatische und kriminalpolitische Aspekte des Schuldgedankens im Strafrecht, J Z 1967 S. 553 f f ; H. Kaufmann Gramaticas System der Difesa Sociale und das deutsche Schuldstrafrecht, v. Weber-Festschrift S. 418 f f ; H. Kelsen Vergeltung und Kausalität, 1941; M. Killias Muß Strafe sein? Überlegungen zur Funktion von Sanktionen aus sozial-psychologischer Sicht, SchwZStr. 97 (1980) S. 31 ff; P. Klose Jus puniendi und Grundgesetz, Z S t W 86 S. 33 ff; U. Klug Abschied von Kant und Hegel, in: /. Baumann (Hrsg.) Programm für ein neues Strafgesetzbuch, 1968, S. 36 f f ; W. Köberer Läßt sich Generalprävention messen? MonSchrKrim. 1982 S. 200 f f ; M. Köhler Anmerkung zu B G H J Z 1982 S. 771 f, a a O S. 772 f; K. Lackner Uber die Entwicklungen in der Strafzumessungslehre und ihre Bedeutung für die richterliche Praxis, 1978; Th. Lenckner Strafe, Schuld und Schuldfähigkeit in: H. Göppinger und H. Witter (Hrsg.) Handbuch der forensischen Psychiatrie Bd. I, 1972, S. 3 ff; F. v. Liszt Der Zweckgedanke im Strafrecht, ZStW 3 S. 1 ff; ders. Die deterministischen Gegner der Zweckstrafe, Z S t W 13 S. 325 ff; ders. Kriminalpolitische Aufgaben, in: ders. Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge Bd. I, 1905, S. 290 ff; ders. Über den Einfluß der soziologischen und anthropologischen Forschungen auf die Grundbegriffe des Strafrechts, in: ders. Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge Bd. II, 1905, S. 75 ff; K. Lüderssen Strafrecht und „Dunkelziffer", 1972; ders. Die generalpräventive Funktion des Deliktssystems, in: W. Hassemer, K. Lüderssen, W. Naucke (Hrsg.) Hauptprobleme der Generalprävention, 1979, S. 54 ff; ders. Vergeltung und Sühne vor dem Forum christlicher Ethik — kein Platz mehr f ü r absolute Strafzwecke, in: L. Vallauri (Hrsg.) Christentum und modernes Recht, 1982, S. 1261 f f ; N. Luhmann Rechtssoziologie Bd. I und II, 1972; W. Maihofer Rechtsstaat und menschliche Würde, 1968; H. Marquardt Dogmatische und kriminologische Aspekte des Vikariierens von Strafe und Maßregel, 1972; H. Mayer Kant, Hegel und das Strafrecht, Engisch-Festschrift S. 54 f f ; M. Melzer Die Neue Sozialverteidigung und die deutsche Strafrechtsreformdiskussion, 1970; ders. Die N e u e Sozialverteidigung — ein neuer Begriff in der deutschen Strafrechtsreformdiskussion? J Z 1970 S. 764 ff; Menzel Protagoras als Kriminalist, Österreichische Zeitschrift für Strafrecht 1910 S. 389 f f ; A. Merkel Gesammelte Abhandlungen aus dem Gebiet der allgemeinen Rechtslehre und des Strafrechts, 1899; E. Mezger Strafzweck und Strafzumessungsregeln, Materialien Bd. I S. 1 ff; E. Müller-Luckmann Z u r begrifflichen und diagnostischen Problematik von Gesinnung und Reue, in: H. Göppinger und P. H. Bresser (Hrsg.) Tötungsdelikte, 1980, S. 113 ff; A. Nagler Die Verständigung der Strafrechtsschulen, GS 70 S. 6 f f ; J. Nagler Die Strafe, 1918; W. Naucke Kant und die psychologische Zwangstheorie Feuerbachs, 1962; ders. Die Reichweite des Vergeltungsstrafrechts bei Kant, Schleswig-Holsteinische Anzeigen 1964 S. 203 ff; ders. Paul Johann Anselm von Feuerbach. Zur 200. Wiederkehr seines Geburtstages am 14. November 1975, Z S t W 87 S. 861 ff; ders. Generalprävention und Grundrechte der Person, in: W. Hassemer, K. Lüderssen, W. Naucke (Hrsg.) Hauptprobleme der Generalprävention, 1979, S. 9 ff; ders. Die Kriminalpolitik des Marburger Programms 1882, Z S t W 94 S. 525 ff; U. Neumann und U. Schroth Neuere Theorien von Kriminalität und Strafe, 1980; P. Noll Die ethische Begründung der Strafe, 1962; ders. Schuld und Prävention unter dem Gesichtspunkt der Rationalisierung des Strafrechts, H . Mayer-Festschrift S. 219 ff; F. Nowakowski Freiheit, Schuld, Vergeltung, Rittler-Festschrift S. 55 f f ; H. Ostendorf Auf Generalprävention kann noch nicht verzichtet werden, Z R P 1976 S. 281 f f ; K.Peters Die ethischen Voraussetzungen des Resozialisierungs- und Erziehungsvollzugs, Heinitz-Festschrift S. 501 f f ; H. Pfander Oer zentrale Begriff „Strafe", SchwZStr. 61 (1946) S. 173 ff; W. Preiser Das Recht zu strafen, Mezger-Festschrift S. 71 ff; ders. Vergeltung und Sühne im altisraelitischen Strafrecht, Eb. Schmidt-Festschrift S. 7 ff; G. Radbruch Paul Johann Anselm Feuerbach. Ein Juristenleben, 3. Auflage o. J.; A. Rieg Die modernen Tendenzen des französischen Strafrechts, ZStW 81 S. 411 f f ; C. Roxin Sinn und Grenzen staatlicher Strafe, JuS 1966 S. 377 ff; ders. Franz von Liszt und die kriminalpolitische Konzeption des Alternativentwurfs, ZStW 81 S. 613 ff; ders. Strafzumessung im Lichte der Strafzwecklehre, Schultz-Festgabe S. 463 ff; F. Schaffstein Spielraum-Theorie, Schuldbegriff und Strafzumessung nach den Strafrechtsreformgesetzen, GallasFestschrift S. 99 ff; W. Schild Soziale und rechtliche Verantwortungen, J Z 1980 S. 597 ff; E. Schmidhäuser V o m Sinn der Strafe, 1963; Eb. Schmidt Zur Theorie des unbestimmten Strafur2

Inhalt und Aufgabe staatlichen Strafens

1. Abschn

teils, SchwZStr. 45 (1931) S. 200 f f ; ders. Strafzweck und Strafzumessung in einem künftigen Strafgesetzbuch, Materialien Bd. I S. 9 f f ; ders. Vergeltung, Sühne und Spezialprävention, Z S t W 67 S. 177 ff; ders. Kriminalpolitische und strafrechtsdogmatische Probleme in der deutschen Strafrechtsreform, Z S t W 69 S. 359 ff; ders. Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Auflage 1965; H. Scböcb Strafzumessungspraxis und Verkehrsdelinquenz, 1973; H.-L. Schreiber Widersprüche und Brüche in heutigen Strafkonzeptionen, Z S t W 94 S. 279 ff; H. Schultz Abschied vom Strafrecht? Z S t W 92 S. 611 ff; M. Scott und St. Lymann Verantwortungen, in: H. Steinert (Hrsg.) Symbolische Interaktion, 1973, S. 294 ff; K. Seelmann Hegels Straftheorie in seinen „Grundlinien der Philosophie des Rechts", JuS 1979 S. 687 ff; R. Sieverts W ü r d e sich f ü r ein neues Strafgesetzbuch die Einführung der unbestimmten Verurteilung empfehlen und in welchem Umfange? Wie wäre sie auszugestalten? Materialien Bd. I S. 107 ff; P. Strasser Verbrechenserklärungen und Strafkonzeptionen, KrimJ 1979 S. 1 f f ; G. Stratenwerth Leitprinzipien der Strafrechtsreform, in: L. Brandt (Hrsg.) Arbeitsgemeinschaft f ü r Forschung des Landes NordrheinWestfalen, Geisteswissenschaft H e f t 162, 1970, S. 7 f f ; ders. Tatschuld und Strafzumessung, 1972; F. Streng Schuld, Vergeltung, Generalprävention, Z S t W 92 S. 637 ff; K. Tiedemann Die Fortentwicklung der Methoden und Mittel des Strafrechts unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung der Strafgesetzgebung, ZStW 86 S. 303 f f ; ders. A n m e r k u n g zu B G H J Z 1975 S. 183 ff, a a O S. 185 ff; Th. Vogler Möglichkeiten und Wege einer Entkriminalisierung, Z S t W 90 S. 132 ff; K. Volk Der Begriff der Strafe in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Z S t W 83 S. 405 ff; M. Weher Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Auflage 1976; G. Wolfslast Anmerkung zu B G H NStZ 1982 S. 112, a a O S. 112 f; Th. WürtenbergerOie unbestimmte Verurteilung, Materialien Bd. I S. 89 ff; H. Zipf Kriminalpolitik, 2. Auflage 1980.

1. Der Begriff der Strafe A 1. Welchen Inhalt und welche Aufgabe Strafe hat, läßt sich — auch beschränkt 1 auf staatliche Strafe — nicht unabhängig vom Bestand der Ordnung ausmachen, in der gestraft wird, und auch nicht unabhängig von der Verständigung über den Sinn dieser Ordnung. So wird, was den Bestand der Ordnung angeht, ein Staat, der seine Kräfte auf die Sicherung seiner Existenz konzentrieren muß (etwa im Krieg), Strafe so einsetzen, daß sie zumindest kurzfristig Effektivität garantiert (etwa Abschreckung durch harte Strafen), während ein Staat ohne akute Existenzprobleme kurzfristige Ineffektivität in Kauf nehmen kann, um auf lange Sicht inneren Frieden zu erzielen (etwa Vermeidung harter Strafen, um die Empfindlichkeit gegenüber Gewalt nicht abzustumpfen). Was die Verständigung über den Sinn der Ordnung betrifft, so hängt von ihr ab, ob Strafe etwa konflikttheoretisch als Kampfmittel der herrschenden Klasse oder sonst herrschender gesellschaftlicher Gruppen verstanden wird oder als Mittel, unberechtigte (oder unzeitgemäße) Herrschaftsansprüche abzuwehren, ob das von der „Obrigkeit" nach religiösen Vorstellungen zu führende „Schwert" trifft oder der Täter nach seinem eigenen Willen bestraft wird, weil auch er ein Vertragspartner im Sozialvertrag ist, etc. 2. Die trotz aller Unterschiede bestehenden Gemeinsamkeiten, die es erlauben, quer 2 durch die Ordnungen und deren Verständnis einheitlich von Strafe zu reden, sind folgende 1 : Stets geht es bei der Strafe um eine Reaktion auf einen Normbruch. Stets wird durch die Reaktion demonstriert, daß an der gebrochenen Norm festgehalten werden soll. 1

Achter (Geburt S. 9 ff, 13 ff und passim) will erst von Strafe sprechen, wenn nicht nur reagiert wird, um „einen Riß im Weltgebäude zu kitten" ( a a O S. 18), sondern wenn bei der Reaktion gegenüber dem T ä t e r ein V o r w u r f , ein Tadel erhoben wird. Dieser Tadel wird aber — was Achter wohl auch nicht verkennt — nur erforderlich, wenn der G r u n d der Reaktion, der N o r m b r u c h , nicht mehr nur im „Weltgebäude" liegt, sondern

im Kopf des Täters (man könnte auch den Begriff des N o r m b r u c h s f ü r dieses subjektive Versagen reservieren). Jedenfalls wirken die tadelnde und die nicht tadelnde Reaktion funktional äquivalent, seil. Gegenseitigkeit wiederherstellend, und z w a r auf Kosten eines Zuständigen. — Z u r Verbindung der Strafe mit dem T a u s c h und mit dem O p fer im Merkmal der Gegenseitigkeit siehe Gehlen Urmensch S. 45 ff, 48.

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1. Abschn

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

Und stets erfolgt die demonstrierende Reaktion auf Kosten des für den Normbruch Zuständigen (Kosten sind in diesem Zusammenhang Einbußen an irgendwelchen Gütern). Es geht um eine normative Problematik: um die Zuordnung eines störenden Ereignisses zum Träger derjenigen Kosten, die zur Beseitigung der Störung notwendig sind. Die zur Bezeichnung der Strafe verwendeten Begriffe sind kontextabhängig, insbesondere sind es die Begriffe „Normbruch" und „Zuständigkeit". Beispiele: Wie weit ein Normbruch objektiv an der äußeren Gestalt (am Erfolg) eines Verhaltens festgemacht wird und wie weit die subjektive Konstitution des Täters zu berücksichtigen ist, hängt von dem Maß ab, in dem für den Bestand der Gesellschaft wenige, vorprägbare Sozialkontakte hinreichen oder in dem zur Ermöglichung differenter Kontakte die Gestaltung dem einzelnen Mitglied überlassen bleiben muß. Für eine Gesellschaft, die sich im Tausch von Standardartikeln und in ritualisierter Religionsausübung erschöpft, gelten andere Regeln als für eine Gesellschaft mit hoch komplexer Verknüpfung des Verhaltens ihrer Mitglieder. — Wenn es heute als selbstverständlich angesehen wird, daß für einen Normbruch immer nur zuständig sein kann, wer selbst daran handelnd oder nicht-hindernd beteiligt ist, so setzt diese Sicht — neben zahlreichen weiteren Bedingungen — voraus, daß die Mitglieder der Gesellschaft unvermittelt angehören (und nicht etwa vermittelt als Glieder einer Sippe). 3

B. Dieser Umriß, der nachfolgend für das geltende Recht — das Strafgesetzbuch (StGBf2· — ausgefüllt werden muß, unterscheidet sich von einem geläufig gezeichneten Bild der Strafe: Das Unrecht ist ein Übel und die Kostentragungspflicht für den Täter ist auch ein Übel, aber trotzdem läßt sich Strafe nicht als Übelszufügung wegen eines begangenen Übels bestimmen 3 : Es wäre unvernünftig, „ein Übel bloß deswegen zu wollen, weil schon ein anderes Übel vorhanden ist", und diese Sequenz der Übel bezeichnet die Strafe auch nur nach ihrem „oberflächliche(n) Charakter" 4 . Strafe muß positiv definiert werden: Sie ist Demonstration von Normgeltung auf Kosten eines Zuständigen. Dabei springt ein Übel heraus, aber die Strafe hat nicht schon bei diesem Effekt ihre Aufgabe erfüllt, sondern erst mit der Stabilisierung der verletzten Norm.

II. Die Theorie der positiven Generalprävention5 A. Die Notwendigkeit sicherer Normgeltung 4

1. Wie sich die Menschen beim Umgang mit der Natur nur zurechtfinden, soweit sie Regelmäßigkeiten erkennen können, so ist auch bei — hier allein interessierenden — sozialen Kontakten Orientierung nur möglich, wenn nicht jederzeit mit jedem beliebigen Verhalten der anderen Menschen gerechnet werden muß. Ansonsten würde jeder Kontakt zu einem unkalkulierbaren Risiko6. Wenn ein sozialer Kontakt überhaupt eingegangen wird, ist dies schon ein Zeichen dafür, daß kein völlig unbestimmter Ausgang 2 Vom 15. 5. 1871 RGBl. S. 127, in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. 1. 1975 BGBl. I S. 1, zuletzt geändert durch das 20. Strafrechtsänderungsgesetz vom 8. 12. 1981 BGBl. 1 S. 1329. 3 So die Definition bei Grotius De iure belli ac pad s , liber II caput X X , de poenis: „Poena est malum passionis, quod infligitur propter malum actionis". 4 Hegel Grundlinien der Philosophie des Rechts, Berlin 1821, § 9 9 5 Das folgende Modell des Zusammenhangs zwischen N o r m b r u c h und Normbestatigung durch

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Strafe erfaßt nicht jede Variante der staatlichen Strafe nach geltendem Recht, wohl aber die hauptsächlichen Züge. ' Dabei liegt die Grenze zwischen einerseits dem Umgang mit der N a t u r und andererseits sozialen Kontakten nicht vorab fest: Sie verschiebt sich zugunsten des sozialen Bereichs, soweit die N a t u r als personhaft agierend verstanden wird (dazu Kelsen Vergeltung passim), und zugunsten des natürlichen Bereichs, soweit Menschen als bloße Durchgangsstellen natürlicher Prozesse verstanden werden.

Inhalt und A u f g a b e staatlichen Strafens

1. Abschn

erwartet wird. Wird die Erwartung enttäuscht 7 , so entsteht f ü r den Enttäuschten ein Konflikt, in dem er reagieren muß 8 ; denn durch die Enttäuschung steht fest, daß die Bilanz zwischen den Verläufen, auf deren Eintritt er baut, und den Verläufen, die realisiert werden, nicht mehr stimmt: Die Orientierungsmuster des Enttäuschten müssen überprüft werden. 2 a) N u n können bei sozialen Kontakten auch Enttäuschungen der Art entstehen, 5 wie sie beim Umgang mit der N a t u r vorkommen. Jeder Mensch weiß, daß sein Gegenüber auch „aus Fleisch und Blut" und deshalb natürlichen Gesetzen unterworfen ist, also etwa in tiefem Wasser ertrinkt, wenn er nicht schwimmen kann, umfällt, wenn er heftig gestoßen wird, oder in Krämpfe verfällt, wenn er einen epileptischen Anfall erleidet. Insoweit wird vom Partner des sozialen Kontakts nur erwartet, daß sein Befinden den Regeln alles Natürlichen folgt, nicht aber, daß er Rechtsnormen beachtet. Diese Erwartungen sind kognitiver Art, d. h. im Enttäuschungsfall hat man sich verkalkuliert und muß umlernen, also pro futuro — durch Erfahrung klug geworden — besser kalkulieren, wenn man die Enttäuschung nicht als quantite negligeable abtun kann. Damit soll nicht behauptet werden, das Recht könne oder dürfe niemals Nichtschwimmern Rettungsmaßnahmen in tiefem Wasser gebieten oder gewaltsam zum Torkeln gebrachten Personen verbieten, gegen Glasvitrinen zu fallen, oder von einem Krampfanfall Heimgesuchten, um sich zu schlagen, etc.; behauptet wird nur, daß in der Gesellschaft gegenwärtiger Gestalt diese Befindlichkeiten als natürlich behandelt werden (wobei nicht ausgeschlossen ist, daß man gegebenenfalls mit rechtlichem Nachdruck Vorsorge treffen muß, nicht in solche natürlichen Befindlichkeiten hineinzugeraten). Die Behandlung dieser Befindlichkeiten als natürlich erfolgt, weil die Zurechnung der Befindlichkeiten potentiell jedermann ohne Möglichkeit einer Vorsorge zum Straftäter machen und deshalb ebensoviel Erwartenssicherheit aufheben würde, wie sie garantieren könnte. — Der Grenzverlauf dieser Erwartungsart zur folgenden ist das Problem des Handlungsbegriffs (unten 6 / 1 ff), teils auch ein Problem der Schuld (unten 17/1 ff). b) Eine Enttäuschung speziell im Bereich sozialer Kontakte betrifft diejenigen Er- 6 Wartungen, die sich aus dem Anspruch an den Partner ergeben, dieser werde die geltenden Normen respektieren. Der Anspruch kann dabei der kognitiven Lagebeurteilung widerstreiten. Beispiel: Auch wer sieht, wie der Steuermann Alkohol trinkt, gibt den Anspruch auf eine sichere Fahrt nicht auf. Eine normative Erwartung muß auch im Enttäuschungsfall nicht preisgegeben, sondern kann (kontrafaktisch) durchgehalten werden, indem nicht die Erwartung des Enttäuschten, sondern der Normbruch des Enttäuschenden als der maßgebliche Fehler definiert wird. Beispiel: Man sperrt den Übeltäter zur Demonstration der Fehlerhaftigkeit seines Verhaltens ein. c) Die für die Ermöglichung sozialer Kontakte unumgänglichen, stabilen normati- 7 ven Erwartungen können sich — abgesehen von den unterschiedlichen Inhalten der Normen — auf zwei verschiedene Gegenstandsbereiche beziehen. Zum einen ist eine Erwartung notwendig, daß alle Menschen ihren Organisationskreis in O r d n u n g halten 7

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Eine Enttäuschung liegt vor, wenn sich eine Erwartung nicht erfüllt; ob das überraschend geschieht oder vorausgesehen wurde, ist f ü r den Begriff irrelevant. Zum folgenden Text siehe Luhmann Rechtssoziologie Bd. I S. 40 ff; 53 ff, 106 ff; Festinger Theorie der kognitiven Dissonanz S. 15 ff, 177 ff und passim; ferner Schild J Z 1980 S. 597 ff; Killias

SchwZStr 97 (1980) S. 31 ff; Jakobs Schuld und Prävention S. 8 ff; ders. in: Aspekte der Freiheit S. 69 ff, 72 ff. - Zu Techniken der Konflikterledigung siehe ferner Scott und Lymann in: Symbolische Interaktion S. 294 ff, 295 f f ; — juristisch weniger ergiebig Austin in: Analytische H a n d lungstheorie S. 8 ff.

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1. Abschn

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

und somit Außenwirkungen ausbleiben, durch die andere geschädigt werden könnten. Die Stabilität dieser Erwartung ist nicht nur unumgänglich, weil niemand alle Organisationskreise zusammen beherrschen kann, sondern auch weil wegen des Rechts auf je eigene Organisation niemand solchermaßen umfassend herrschen darf. Die Erwartung hat einen nur-negativen Inhalt: Die Organisationskreise sollen getrennt bleiben. Die Enttäuschung dieser Erwartung führt zu Delikten, die Herrschaftsdelikte heißen oder Delikte kraft Organisationszuständigkeit (unten 7/56 ff; 21/16 ff; 28/14; 29/29 ff). Zum anderen ist eine Erwartung des ordnungsgemäßen Funktionierens der elementaren Institutionen notwendig. Diese Erwartung hat einen positiven Inhalt, seil, daß die Institutionen auf den Organisationskreis einzelner Personen abgestimmt werden. Die Enttäuschung dieser Erwartung führt zu Delikten, die Pflichtdelikte heißen oder Delikte kraft institutioneller Zuständigkeit (unten 7/70; 21/115; 25/43 ff; 28/15; 29/57 ff).

B. Die Öffentlichkeit des Konflikts 8

Freilich sind die nur-individuellen Enttäuschungen der Partner sozialer Kontakte keine öffentliche Angelegenheit und deshalb kein Anlaß für staatliche Reaktionen. Selbst wenn der Staat stellvertretend für den individuell Enttäuschten, etwa zur Vermeidung von Lynchjustiz, die Verfolgung des Normbrechers übernehmen könnte 9 , ergäbe das ein allenfalls mittelbares öffentliches Interesse an der Enttäuschung. Dieser Vermittlung bedarf es aber nicht; denn durch den Bruch strafrechtlich garantierter Normen entsteht auch ein öffentlicher Konflikt 1 0 , wenn es sich überhaupt um legitime Strafrechtsnormen handelt. Strafrechtlich werden nur solche Normen garantiert, auf deren generelle Beachtung zur Erhaltung der wesentlichen gesellschaftlichen Gestalt nicht verzichtet werden kann. Die Enttäuschung, der Konflikt und das Erfordernis einer Reaktion beim Normbruch dürfen deshalb nicht als Erlebnisse des individuellen Systems „Einzelmensch" gedeutet werden, sondern sind als Ereignisse im gesellschaftlichen Bezugssystem zu verstehen. Beispiel: Eigentum hat für viele Menschen einen Wert, wie ihn existentielle Güter haben, hingegen achten es manche Menschen, freilich weniger zahlreich, gering; der strafrechtliche Schutz des Eigentums erfolgt aber ohne Blick auf den Inhaber gleich, und zwar nicht allein wegen der praktisch unumgänglichen Notwendigkeit, beim Zuschnitt der rechtlichen Norm zu generalisieren, sondern auch und vorweg wegen der Ausrichtung des Schutzes auf die gesamtgesellschaftliche Bedeutung des Eigentums. Diese öffentliche Perspektive schließt es nicht aus, bei einem Eigentumsdelikt die individuelle Betroffenheit des Opfers zu berücksichtigen, aber diese Betroffenheit muß wiederum als öffentliche Angelegenheit demonstrierbar sein (als der Nötigungseffekt des Diebstahls), wenn sie zumindest das Strafmaß beeinflussen soll.

C. Die Bedeutung der Strafe 9

1. Ein Normbruch ist nicht seiner äußerlichen Folgen wegen ein strafrechtlich relevanter Konflikt; denn das Strafrecht kann die äußerlichen Folgen nicht heilen. Strafe bewirkt keinen Schadensersatz; zudem sind zahlreiche Normbrüche komplett, bevor » Dazu Arzt Ruf S. 39 ff, 60 ff. D. h. nicht, ein Normbruch sei nur in seiner Eigenschaft als Konflikt öffentlich. Zur Notwendigkeit von Normbrüchen grundlegend Dürkheim (1895), jetzt in: Kriminalsoziologie S. 3 ff (Eine Gesellschaft, in der die üblichen, strafrechtlich garantierten Normen überhaupt nicht mehr gebro-

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chen würden, müßte so starke Kollektivgefühle produzieren, daß auf Grund dieser Gefühle Taten als Verbrechen empfunden würden, die ansonsten als Kleinigkeiten o. ä. unauffällig blieben). Weitere Nachweise bei Neumann und Schroth Theorien S. 109 ff.

Inhalt u n d A u f g a b e staatlichen S t r a f e n s

1. Abschn

ein äußerlicher Schaden eingetreten ist, seil, stets bei Delikten mit materiellem Versuchscharakter und ansonsten stets im Fall von Versuch und Vorbereitung (unten 2 5 / 1 ff). Ein menschliches Verhalten ist aber nicht nur ein äußerlich wirkender V o r gang, sondern in dem U m f a n g , in dem der Mensch die Wirkungen seines Verhaltens überblickt oder überblicken kann, bedeutet sein Verhalten auch etwas, wie ein ausgesprochener Satz etwas bedeutet (zur Notwendigkeit, das Überblicken-Können durch das Subjekt bei der Bestimmung der Bedeutung zu berücksichtigen, siehe unten 6/24 ff). W e r sich in bestimmter Weise verhält, macht damit expressiv, daß er dieses Verhalten in der vorliegenden Situation für angebracht hält; soweit dem Sich-Verhaltenden die bestimmenden Merkmale nicht bekannt sind, er aber, so er nur wollte, sie bemerken könnte, macht er immer noch expressiv, daß die Merkmale nicht in Acht zu nehmen sind. Beispiel: W e r wissentlich betrunken ein Fahrzeug im Verkehr führt und die auch ihm erkennbaren nachteiligen Folgen, etwa f ü r das Leben anderer Verkehrsteilnehmer, nicht bedenkt, macht durch sein Verhalten expressiv, daß in der Situation, in der er sich befindet, Fahren in Trunkenheit sein soll und das Leben anderer Verkehrsteilnehmer nicht in Acht zu nehmen sein soll. Diese Aussage des Verhaltens ist — im Beispielsfall — das Gegenteil der Aussagen, die in den N o r m e n der §§316 und 222 StGB getroffen werden. Dieser Widerspruch gegen die Norm durch ein Verhalten ist der Normbruch. Ein Normbruch ist also eine Desavouierung der N o r m . Diese Desavouierung bewirkt in dem Maß einen sozialen Konflikt, in dem die N o r m als Orientierungsmuster in Frage gestellt wird. — Die genaue Bestimmung, wann ein Normwiderspruch vorliegt, ist das Problem der Zurechnungslehre, insbesondere der Zurechnung als tatbestandliches und rechtswidriges Verhalten. 2 a) Damit zeichnet sich auch schon ab, wie die Strafe als Reaktion in dem Konflikt 1 0 zu verstehen ist: Sie darf — wie der Normbruch — nicht als ein nur-äußerliches Ereignis beurteilt werden (dann kommt nur die unvernünftige Sequenz zweier Übel heraus), sondern auch die Strafe bedeutet etwas, seil, daß die Bedeutung des normbrechenden Verhaltens unmaßgeblich und die Bedeutung der N o r m nach wie vor maßgeblich ist. Um die Ernsthaftigkeit dieser Gegenaussage hervorzuheben, wird sie in einer kostspieligen Weise vollzogen: unter Aufopferung von Gütern des Täters. Dieser auf Kosten des Täters vollzogene Widerspruch gegen den Normbruch ist die Strafe. b) Entsprechend der Lokalisierung von Normbruch und Strafe auf der Ebene der 11 Bedeutung, nicht der äußeren Verhaltensfolgen, darf als Aufgabe der Strafe nicht die Vermeidung von Güterverletzungen angesehen werden. Aufgabe ist vielmehr die Bestätigung der Normgeltung 1 1 , wobei Geltung mit Anerkennung gleichzusetzen ist. Die Anerkennung kann auch in dem Bewußtsein erfolgen, daß die N o r m gebrochen werden wird 1 2 ; die Erwartung (auch diejenige des zukünftigen Täters) geht in diesem Fall darauf, daß auch dann als Grund des Konflikts wiederum der Normbruch des Täters, nicht aber das Normvertrauen des Opfers bestätigt werden wird. Jedenfalls bewirkt die Strafe, daß die N o r m faktisch taugliches Orientierungsmuster bleibt 13 . Zusammenfassend: Aufgabe der Strafe ist die Erhaltung der Norm als Orientierungsmuster für sozialen 1! Lubmann Rechtssoziologie Bd. I S. 43; Neumann und Schroth Theorien S. 105. 12 Luhmann Rechtssoziologie Bd. I S. 106; siehe schon M. Weber Wirtschaft und Gesellschaft, Erster Teil Kapitel I § 5, 3, Zweiter Teil Kapitel I § 1, 3. Absatz. 13 Die der Strafe zum Teil zugesprochene Wirkung (Funktion?) einer Stärkung der Gruppensolida-

rität („säkularisierte Form mystischer Vereinigung", Garfinkel in; Abweichendes Verhalten Bd. III S. 31 ff, 33) ist zweifelhaft, was eine Solidarität über das Niveau hinaus angeht, das vor dem N o r m b r u c h vorhanden war. Nachweise bei Neumann und Schroth Theorien S. 103 ff.

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1. A b s c h n

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

Kontakt. Inhalt der Strafe ist ein auf Kosten des Normbrechers erfolgender Widerspruch gegen die Desavouierung der Norm.

D. Die Konflikterledigung ohne Strafe 12

1. Nicht auf jeden (bekanntgewordenen) Normbruch erfolgt Strafe. Der Widerspruch gegen die N o r m kann in Einzelfällen herabgespielt werden, so daß keine Reaktion mehr erforderlich ist, etwa indem der Täter als unmaßgeblich definiert wird oder als jemand, der in einer Sondersituation versagt hat, deren Wiederholung nicht droht, o. ä. Die Systematisierung dieser Gewichtungen des Normbruchs ist das Problem der Schuld (unten 17/43 ff).

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2. Daneben gibt es in einem engen Rahmen weitere Reaktionsmöglichkeiten. a) Man kann die enttäuschte Erwartung preisgeben, und zwar nicht aus Einsicht, sondern wegen der faktischen Unmöglichkeit, sie zu stabilisieren. Ein Beispiel bildet die Zurücknahme des sogenannten Demonstrationsstrafrechts durch das 3. Strafrechtsreformgesetz 1 4 . Da die Preisgabe wiederholbar ist, bedroht sie ihrerseits die Stabilität der Normorientierung. b) Man kann den Konflikt nicht zur Kenntnis nehmen. Auch diese Verweigerung ist eine Reaktion. Wiederum erfolgt die Erledigung unter Bedrohung der allgemeinen Orientierung, da die Welt nur noch selektiv wahrgenommen wird. — Im Bereich informeller N o r m e n ist das großzügige Ubersehen eines Fehlers geläufig. Bei strafrechtlichen N o r m e n liegen die Beispiele in der Regel im Bereich bagatellhafter Verstöße. Gewichtiger war die Delinquenz in den Universitäten zur Zeit der Studentenunruhen um 1970: Massenhafte Nötigungen und Beleidigungen, aber auch Freiheitsberaubungen und Körperverletzungen sind nicht registriert worden, weil befürchtet wurde, die Registrierung werde wie eine Provokation wirken. c) Schließlich kann man die normative Erwartung in eine kognitive Erwartung uminterpretieren und entsprechend reagieren. In diesen Bereich gehören nicht nur der private oder polizeiliche Schutz vor Delinquenz, sondern auch die sichernde oder erziehende Beeinflussung potentieller Delinquenten durch Strafen oder Maßregeln. — Bei der öffentlichen Mißbilligung unter bloßer Androhung der Intensivierung dieser Mißbilligung auf Kosten des Täters (Strafaussetzung, § 56 StGB; Verwarnung mit Strafvorbehalt, § 59 StGB) handelt es sich um eine partiell kognitive Erledigung (zukünftiges Wohlverhalten soll durch die konkretisierte Strafdrohung erzwungen werden) neben einer partiell normativen (immerhin erfolgt eine öffentliche Verurteilung). — Siehe auch unten zum Subsidiaritätsprinzip 2 / 2 6 ff.

E. Ergebnis 14

1. In den Kategorien der üblicherweise als Straftheorien bezeichneten Problembereiche heißt das: Der Widerspruch gegen den Normbruch durch Strafe erfolgt nicht um seiner selbst willen, sondern weil auf garantierte Orientierungen im sozialen Leben nicht verzichtet werden kann. Die Strafe hat also eine Aufgabe, die sich letztlich auf genau dem Niveau auswirken soll, auf dem gesellschaftliche Interaktion stattfindet, und sich nicht darin erschöpft, etwas zu bedeuten: Strafe soll die Bedingungen solcher Interaktion schützen und hat deshalb eine präventive Aufgabe. Vom 20. 5. 1970 BGBl. I S. 505; siehe LK-Bubnoff Rdn. 1 ff vor § 125 mit Nachweisen.

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Inhalt und Aufgabe staatlichen Strafens

1. Abschn

2. Der Schutz erfolgt durch Bestätigung der auf Normen Vertrauenden in ihrem 1 5 Vertrauen. Die Bestätigung hat nicht zum Inhalt, nachfolgend werde niemand mehr Normen brechen, da die Strafe potentielle Delinquenten abschrecken werde, noch weniger geht es um irgendwelche Prognosen speziell zum künftigen Verhalten des Täters. Adressaten der Strafe sind primär überhaupt nicht einige Menschen als potentielle T ä ter, sondern alle Menschen, da alle ohne soziale Interaktionen nicht auskommen können und da deshalb alle Menschen wissen müssen, was sie dabei erwarten können. Insoweit erfolgt Strafe zur Einübung in Normvertrauen. Zudem belastet die Strafe das normbrechende Verhalten mit Kostenfolgen und erhöht deshalb die Chance, daß dieses Verhalten allgemein als nicht diskutable Verhaltensalternative gelernt wird. Insoweit erfolgt Strafe zur Einübung in Rechtstreue. Zumindest aber wird durch die Strafe der Konnex von Verhalten und Kostentragungspflicht gelernt, mag auch die N o r m trotz des Gelernten übertreten werden; insoweit geht es um Einübung in die Akzeptation der Konsequenzen. — Die drei genannten Effekte lassen sich als Einübung in N o r m a n e r kennung zusammenfassen. Da diese Einübung bei jedermann erfolgen soll, handelt es sich bei dem beschriebenen Modell der Aufgabe staatlichen Strafens um Generalprävention durch Einübung in Normanerkennung15 (sogenannte positive oder allgemeine — d. h. nicht nur abschreckende — Generalprävention 1 6 ). 3. Sekundär mag die Strafe den Bestraften oder dritte Personen so beeindrucken, 1 6 daß diese von künftigen Taten ablassen. Solche nicht über Normanerkennung, sondern über Furcht vermittelten Effekte sind Beigaben der Strafe, die erwünscht sein mögen; es ist aber nicht die Aufgabe der Strafe, diese Effekte hervorzurufen. Es wird freilich noch darzulegen sein, daß ein Mindestmaß an kognitiver Untermauerung der Normen zur Stabilisierung ihrer Geltung unabdingbar ist (siehe unten zu den Maßregeln 1/56).

III. Die absoluten Theorien A. Die Vergeltungstheorien 1. Die Inhalte der Straftheorien 1 7 werden verbreitet auf zwei Formeln reduziert: 17 Punitur, quia peccatum est (absolute Theorie) und punitur, ne peccetur (relative T h e o rie) 18 . Mit diesem Inhalt lassen sich freilich schon die Theorien der neueren Zeit überwiegend nicht mehr gegenüberstellen. Für die Gegenwart kann sogar als ausgemacht gelten, daß nur zur Erhaltung der gesellschaftlichen O r d n u n g gestraft wird, so daß sich alle Theorien im „ne peccetur" treffen, genauer: im Interesse an Normstabilisierung. 15

Jakobs Schuld und Prävention S. 10 f, 32 f, freilich allein auf Einübung in Rechtstreue abstellend und unter Vernachlässigung der vertrauensbildenden und Akzeptation der Konsequenzen ermöglichenden Wirkung. Sehr ähnlich Noll Strafrecht §4f; den. H.Mayer-Festschrift S. 219 ff, 223. — Das Ergebnis berührt sich mit einigen tiefenpsychologischen Deutungen des staatlichen Strafens als „latent wirksamer Sozialisationsfaktor" oder „kollektive Erziehung durch Strafandrohung" (Haffke Tiefenpsychologie S. 80, 167) oder „Stützung der im U b e r - I c h verankerten Wertordnung" (Streng Z S t W 92 S. 637 ff, 674 und passim); siehe auch Engelhardt Psychoanalyse S. 212 ff. — Die Verbindlichkeit der für diese Deutungen vorausgesetzten tiefenpsychologischen Gesetzmäßigkeiten muß f ü r

das hier entwickelte Modell nicht notwendig akzeptiert werden. i ' D a z u B G H 24 S. 40 ff, 44 f; Streng Z S t W 92 S. 637 ff, 663 f f ; Hassemer in: H a u p t p r o b l e m e S. 29 ff, 38 f; Neumann und Schroth Theorien S. 33 ff. 17 Z u r Geschichte der Straftheorien siehe v. Hippel Strafrecht Bd. I §§21 f f ; Ν agier Strafe S. 120 ff. 18 Die Formeln gehen auf Protagoras z u r ü c k ; ihre heutige Gestalt verdanken sie Grotius, der wiederum an eine Sentenz Senecas a n k n ü p f t : „ N a m , ut Plato ait, nemo prudens punit, quia peccatum est, sed ne peccetur. Revocari enim praeterita non possunt, f u t u r a prohibentur". Siehe v. Hippel Strafrecht Bd. I § 2 1 III 1; Menzel Österreichische Zeitschrift f ü r Strafrecht 1 9 1 0 S . 389 ff, 398.

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1. Abschn

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

Der Streit geht nur noch darum, ob und in welchem Maß die Strafe nach dieser Aufgabe zu bestimmen ist oder aber einen von der Aufgabe unabhängigen Inhalt hat. Demgemäß wird hier wie folgt differenziert: Als absolut werden an einer Straftheorie alle Elemente bezeichnet, deren Inhalt sich ohne Blick auf den Beitrag der Strafe zum Erhalt der sozialen O r d n u n g allein aus dem Umstand ergibt, daß eine N o r m gebrochen wurde; das können neben dem Ob der Strafe auch deren Maß oder Höchstmaß sein. Relativ sind demgemäß diejenigen Elemente von Straftheorien, deren Inhalt durch die Aufgabe der Strafe f ü r die soziale O r d n u n g vermittelt wird. 18

2. Nach dem zuvor dargestellten Modell positiver Generalprävention soll die Strafe Erwartenssicherheit bei sozialen Kontakten garantieren und damit Gesellschaft ermöglichen. Eine Rechtfertigung, so zu verfahren, gibt das Modell nicht; es setzt vielmehr voraus, daß die gesellschaftliche Ordnung die Kosten wert ist, die dem Normbrecher auferlegt werden 1 9 . Dagegen werden zwei Einwände erhoben: Zum einen soll das, was zu garantieren ist, nicht der reale gesellschaftliche Bestand sein, sondern die Gerechtigkeit; zum anderen soll die Garantie nicht so erfolgen dürfen, daß der Täter als Mittel zur Beförderung des Wohls der anderen Menschen benutzt wird. Das Gewicht beider Einwände ist schwer zu beurteilen, weil die Beförderung von Gerechtigkeit als Selbstzweck im strafrechtlichen Schrifttum heute nicht mehr vertreten wird und auch historisch nur vereinzelt vertreten worden ist. W e n n aber in der Hauptsache außer Streit steht, daß Strafrecht der Erhaltung erhaltenswerter (!) gesellschaftlicher Ordnung dienen soll, geht es nicht mehr um eine absolute Legitimation von Strafe, sondern nur noch um die absolute Begrenzung relativ legitimierter Strafe. So ist selbst das bekannteste Prinzip vergeltenden Strafens, das Talionsprinzip — d. h. das Prinzip der Vergeltung einer (Ubel-)Tat mit Gleichem —, zumindest auch eine Strafbegrenzung: Das Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn, H a n d um H a n d , Fuß um Fuß" etc. 20 limitiert die Rache auf das Maß des Güterverlustes, den die T a t bewirkt hat.

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3 a) Historisch wirkungsmächtig war die Gestalt, die Kant und Hegel der vergeltenden Strafe gegeben haben. Nach Kant ist der Inhalt der Strafe 2 1 Talion („Hat er aber gemordet, so muß er sterben"). Die Aufgabe der Strafe besteht in der Durchsetzung von Gerechtigkeit. Letzteres begründet Kant wie folgt 2 2 : Zum einen darf Strafe immer nur gegen den Täter verhängt werden, „weil er verbrochen hat"; denn ansonsten, bei Verfolgung von General- oder Spezialprävention, wird „der Mensch . . . bloß als Mittel zu den Absichten eines anderen gehandhabt und unter die Gegenstände des Sachenrechts gemengt". Zum anderen muß auch Gerechtigkeit verwirklicht werden 2 3 . „Das Strafgesetz ist ein kategorischer Imperativ"; denn geht „die Gerechtigkeit unter . . . , so hat es keinen Wert mehr, daß Menschen auf Erden leben". Zur Verdeutlichung des Kategorischen bringt Kant das Beispiel einer einverständlichen Gesellschaftsauflösung: 19 20

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10

Schmidbauer KT 3/18 f; ders. Studienbuch 2/23. 2. Buch Moses 21, Vers 24; dazu Preiser Eb. Schmidt-Festschrift S. 7 ff, 27 ff mit N a c h weisen; z u r Talion im mittelalterlichen Rechtsdenken siehe Eb. Schmidt Geschichte S. 52 f. Zum Wandel der Lehre Kants siehe Welzel Strafrecht § 32 II 1 a. — N a c h Naucke Schleswig-Holsteinische Anzeigen 1964 S. 203 ff, 205 ff und H. Mayer Engisch-Festschrift S. 54 ff, 62 sollen die A u s f ü h r u n g e n Kants n u r auf Kriminalrecht im engeren Sinne (schwere Kriminalität) nicht auf Polizeirecht (leichte Kriminalität) zu beziehen

sein. Das ist im Blick auf Kants Beispiele — etwa Beleidigungsfälle — zumindest zweifelhaft. Alle Zitate aus der Metaphysik der Sitten, Erster Theil, 2. Auflage, Königsberg 1798, II. Teil, 1. Abschnitt, Allgemeine Anmerkung, E. Nach H. Mayer Engisch-Festschrift S. 54 ff, 69 ff, 73 soll Kant keine Begründung f ü r die Verhängung von Strafe, sondern nur f ü r deren Maß liefern wollen; — das ist mit Kants Ausführungen zur Kategorik des Strafens nicht recht verträglich.

Inhalt und A u f g a b e staatlichen Strafens

1. Abschn

Auch dann müsse „der letzte im Gefängnis befindliche Mörder vorher hingerichtet werden"; ansonsten sei das Volk „Teilnehmer an dieser öffentlichen Verletzung der Gerechtigkeit". b) Was die Vermengung des Täters unter die Gegenstände des Sachenrechts angeht, 20 so kann und soll diese bei der hier vertretenen Präventionstheorie nicht kaschiert werden, wenn auch, wie bei der Darstellung der Schuld noch zu zeigen sein wird, Strafe nach dieser Theorie die Anerkennung des Täters als gleichartig voraussetzt (unten 17/48). Strafe kann überhaupt nur durch den Wert der Ordnung legitimiert werden, für deren Erhalt gestraft wird 24 . Die absolute Theorie erspart dieses Legitimationsproblem nicht;,denn auch die Strafe am Täter, „weil er verbrochen hat", ist nur gerecht, wenn das Verbrechen legitim definiert ist. Zu dieser Definition aber leistet die absolute Theorie nichts 25 . Die Richtigkeit der Definition setzt Kant vielmehr voraus. Gelänge die Lösung des Legitimationsproblems absolut, d. h. für Normen, die nicht durch eine konkrete gesellschaftliche Situation vermittelt werden, so verlören diese Normen bei der von Kant beispielhaft angeführten Auflösung der Gesellschaft schon per Definition nichts von ihrer Legitimation, so daß das extrem Kategorische der absoluten Theorie auch für jede relative Theorie unumgänglich wäre: Die nach der Gesellschaftsauflösung wie zuvor notwendige Norm 2 6 müßte auch nach wie vor stabilisiert werden 27 . 4. Bei Hegel2i erhält die absolute Theorie eine Gestalt, deren Differenz zur hier 21 vertretenen positiven Generalprävention gering ist. Hegels Bezugssystem bei der Begründung von Strafe ist der Begriff des Rechts, das hiesige Bezugssystem bilden die Bestandsbedingungen der Gesellschaft. Ansonsten besteht folgende Übereinstimmung: Hegel deutet die Straftat als „etwas Negatives", seil, als Verletzung des Rechts im Sinn einer Negierung des Rechts. Diese Verletzung erhebt einen Anspruch auf Geltung, aber dem Anspruch begegnet die Strafe als „Verletzung der Verletzung" und somit „Wiederherstellung des Rechts" 29 . Diese Verbindung ist absolut, da Recht notwendig immer auch wirklich durchgesetztes Recht sein muß 30 ; nicht die Nützlichkeit der Strafe ergibt hier ein Argument, sondern einzig die Begriff gewordene Idee des Rechts31. Da Hegel Tat und Strafe nicht als äußere Fakten aufeinander bezieht, sondern als bedeutungshaltige Vorgänge, kommt es — anders als bei Kant — nicht mehr auf die Artgleichheit an, sondern auf Gleichheit „nach dem Wert derselben" 32 . Dabei erkennt Hegel, daß die erforderliche Strafe der „ihrer selbst sicher gewordene(n) Macht der Gesellschaft" korrelliert, d. h. das Strafmaß kann in konsolidierten Gesellschaften sinken, da dort „die Gefährlichkeit der Handlung für die Gesellschaft" geringer ist 33 . „Ein Strafkodex gehört darum vornehmlich seiner Zeit und dem Zustand der bürgerlichen Gesellschaft in ihr an" 34 . Bei Hegel ist also die Strafe zwar dem Begriff nach absolut, aber in ihrer konkreten Ausgestaltung relativ zum jeweiligen Stand der Gesellschaft. 24

Insoweit zutreffend Klug in: Programm S. 36 ff, 40. » Α. A. Naucke in: Hauptprobleme S. 9 ff, 25 f. 26 Kant meint im Beispiel nicht einen Verzicht auf jede Vergesellschaftung überhaupt, sondern auf eine konkrete Gesellschaft; das Kategorische entspricht dem Legalitätsprinzip, § 152 Abs. 2 StPO. 27 Das verkennen Klug in: Programm S. 36 ff, 39 f und wohl auch Roxin JuS 1966 S. 377 ff, 383. 28 Zum folgenden Text siehe Flechtheim Hegels Straftheorie S. 78 ff, 82 ff, 91 ff, 102 ff; H. Mayer

29

3° 31 32 33 34

Engisch-Festschrift S. 54 ff, 74 ff; Seelmann JuS 1979 S. 687 ff. Grundlinien der Philosophie des Rechts, Berlin 1821, §§ 99 und 101. AaO § 97. A a O §99. A a O §101. AaO §218. A a O §218.

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1. Abschn

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

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5 a) Bei den neueren absoluten Theorien 3 5 einschließlich der Vereinigungstheorien steht die Strafe überhaupt unter dem Vorbehalt der gesellschaftlichen Notwendigkeit. Das entspricht auch der hier vertretenen Position; wenn es f ü r Hegels „Verletzung der Verletzung" funktionale Äquivalente gibt, ist Strafe nicht erforderlich. Dieser Weg führt zu präventiven Modellen. Aber nach den neueren absoluten Theorien und den Vereinigungstheorien soll eine von den gesellschaftlichen Erfordernissen unabhängige, also absolute Bestimmung der Strafe insoweit zu retten sein, als die aus gesellschaftlicher Notwendigkeit verhängte Strafe durch das Maß der schuldangemessenen Strafe limitiert werden soll 36 . Die schuldangemessene Strafe wird also als eine absolut meßbare Strafe gedacht, die zwar nicht absolut verhängt werden muß, aber absolut nicht überschritten werden darf.

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b) Dieses Konzept ist aus mehreren Gründen undurchführbar 3 7 . Zum einen wäre eine präventive Strafe, limitiert durch eine schuldangemessene Strafe, allenfalls noch zufällig präventiv tauglich, wenn Prävention und Schuld voneinander unabhängige Größen wären; denn gibt man der Prävention nicht, was sie braucht, bleibt sie aus. Beispiel: Mit den Präventionszielen „Erziehung" oder „Abschreckung" kann die Verhängung einer Strafe, die zur Erziehung oder zur Abschreckung zu kurz ist (dafür aber schuldangemessen), nicht begründet werden. Weiterhin kann seit dem endgültigen Abschied von der Talion beim Ubergang von Kant zu Hegel nicht mehr behauptet werden, das Gewicht einer Strafe lasse sich ohne Blick auf die konkrete gesellschaftliche Werterfahrung bestimmen, sei also vom Entwicklungsstand der Gesellschaft unabhängig 3 8 . Woher die Werterfahrung kommen soll, wenn nicht aus Annahmen über „die Gefährlichkeit der Handlung f ü r die Gesellschaft" (Hegel), ist unerfindlich; mehr noch, jede andere Orientierung führt zu Wertungen, die im Rahmen staatlichen Strafens keinen legitimen Platz haben. Drittens wird eine nachprüfbare Strafzumessung unmöglich. Für die Obergrenzen der Strafrahmen läßt sich bei dem skizzierten Verständnis nicht mehr ausmachen, ob sie so hoch sind, weil mehr nicht schuldangemessen oder aber weil mehr präventiv überflüssig wäre. Dementsprechend bleibt für jeden einzelnen Zumessensakt ungewiß, welcher Rang der Schuld zukommt und welcher der Prävention.

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c) Bei dieser Lage drängt sich die Frage auf, weshalb an einem angeblich zweckfrei gebildeten Schuldbegriff als Maßprinzip hartnäckig festgehalten wird. Es geht um ein Legitmationsproblem (wie bei Kant im Verbrechensbegriff ein Legitimationsproblem verborgen ist — was wird legitim als Verbrechen definiert? — und bei Hegel im Begriff des Rechts — welches positive Recht genügt dem Begriff?). Gäbe es eine zweckfrei bestimmter Schuld entsprechende Strafe, so wäre die Legitimation von Strafe in doppelter Hinsicht gefördert. Zum einen kann man allenfalls präventiv nutzlos, nicht aber an sich unrichtig strafen, wenn schon vor aller Prävention an sich Strafe verwirkt ist, eben die schuldangemessene Strafe. Zum anderen muß eine Prävention, die durch ein 35 Schon Binding N o r m e n Bd. I S. 430 f f ; Bindings Relativierung der Strafe als „Bewährung der Rechtsherrlichkeit am Schuldigen nach dem Maße seiner Schuld" ( a a O S. 423) auf die Fälle, „wenn dies notwendig ist" ( a a O S. 430), wird oft übersehen (siehe die Nachweise bei Arnim Kaufmann N o r m e n t h e o r i e S. 229); — nachfolgend insbesondere Naglet Strafe S. 580 ff, 588 und passim mit eingehenden Nachweisen der Literatur bis zum Ende des Ersten Weltkriegs; Welze! Strafrecht § 32 I 1 a und 2; Maurach AT 4 § 7 I Α und B; Arthur Kaufmann Schuldprinzip S. 201 ff, 207 (Vergeltung verbunden mit Sühne). — Die Auto-

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ren relativieren teils nur das O b der Strafe, teils das O b und das M a ß der z u r Vergeltung angemessenen Strafe. — Nachweise zu den Vereinigungstheorien siehe unten Fn. 70. Dabei ist streitig, ob die Schuld die Strafe nur limitiert oder auch — im Maß des Erforderlichen — begründet; siehe dazu Arthur Kaufmann J Z 1967 S. 553 ff, 555; Lenckner H a n d b u c h Bd. I S. 3 ff, 18; Jakobs Schuld und Prävention S. 5. Zum folgenden Text siehe Jakobs Schuld und Prävention S. 3 ff. Immer noch nicht überholt: v. Liszt ZStW 3 S. 1 ff, 24.

Inhalt und A u f g a b e staatlichen S t r a f e n s

1. Abschn

Schuldprinzip um ihre Extremfälle beschnitten ist, auch nicht als eine potentiell extreme, sondern nur als eine gemäßigte Prävention legitimiert werden; die Begrenzung durch Schuld erspart also entweder die Legitimation für das unverstümmelte präventive Konzept oder erspart eine offen erfolgende Begrenzung der Prävention durch den Vorrang anderer Ziele (Verbrechensprophylaxe ist nicht das höchste Ziel). — Die präventiven Inhalte von Schuld werden unten (Abschnitte 17 bis 20) ausführlich erörtert.

B. Die Sühnetheorie Sühne als Einsicht des Täters in sein Unrecht und in die Notwendigkeit von Strafe 2 5 mit der Folge einer Versöhnung mit der Gesellschaft wird als Hauptaufgabe der Strafe heute nicht mehr ausgegeben39. Teils wird freilich behauptet, es sei legitim, Sühne durch Strafe zu ermöglichen 40 , jedoch ohne daß ein Zwang zur Sühne intendiert wäre. Soweit damit gemeint ist, der Bestrafungsvorgang einschließlich des Strafvollzugs solle so ausgestaltet werden, daß die Sühnebereitschaft des Täters gefördert wird 41 , geht es nicht um Probleme einer Straftheorie. Soweit freilich der Gedanke mitspielt, Sühne könne als Nebeneffekt (wie etwa die Sicherung vor einem Täter während eines Freiheitsentzugs ein Nebeneffekt ist) die Legitimation der Strafe mittragen, ist zu widersprechen : Die Strafe gleicht den Normbruch aus. Jede Erwartung an den Täter über die Dul- 2 6 dung der Strafe hinaus zielt auf mehr als einfachen Ausgleich. Sühne als betätigte Normanerkennung ist deshalb ein Grund, Strafe zu mildern (siehe § 46 Abs. 2 StGB letzte Fallgruppe) oder nicht zu strafen (siehe § 24 StGB), aber das Fehlen von Sühne gehört zwingend zum Zustand des nicht bereinigten Normbruchs und ist deshalb kein Strafgrund neben dem Normbruch. — Zudem rechnet das Versprechen an den Täter, er könne sich mit der Gesellschaft durch Akzeptation der Strafe versöhnen, nicht ein, daß die informellen Sanktionen von den formellen unabhängig sein können 42 .

IV. Die relativen Theorien (die Präventionstheorien) A. Die Generalpräventionstheorien 1 a) Eingangs wurde bereits das Modell einer positiven Generalprävention entwik- 2 7 kelt, d. h. das Modell einer Strafe, deren Aufgabe Einübung in Normanerkennung ist. Zur Generalprävention findet sich aber auch die Ansicht, Aufgabe der Strafe sei die Abschreckung potentieller Täter. Es geht bei dieser Variante der Generalprävention nicht um die expressive Bedeutung der Strafe als Widerspruch gegen den Normbruch, sondern um die Drastik des Strafschmerzes als abschreckende Konsequenz normbrechenden Verhaltens: negative Generalprävention. Die bekannteste Ausprägung hat Feuerbach der negativ-generalpräventiven Theorie gegeben, freilich nicht als Straftheo39

Siehe aber Preiser Mezger-Festschrift S. 71 ff, 77 ff; auch LfP-Koffka Rdn. 4 vor § 13; aus ärztlicher Sicht Bleuler in: Schuld, Verantwortung, Strafe S. 103 ff, 113 ff. - Zum Begriff der Sühne treffend Noll Begründung S. 8. — Ob der zur Sühne fähige Täter überhaupt zur Tat fähig ist, dürfte zweifelhaft sein; siehe zur Reue Müller-Luckmann in: Tötungsdelikte S. 119 ff, 128.

Jescheck AT § 8 I 2 a und II 2; Welzel Strafrecht § 32 I 1 a; Arthur Kaufmann J Z 1967 S. 553 ff,

41 42

557 ff; Baumann JurBl. 1965 S. 113 f, 119; den. AT § 3 II 2 b β ßß; Frey in: Schuld, Verantwortung, Strafe S. 297 ff. So insbesondere Baumann aaO. Kritisch zur Sühne auch Stratenwerth AT Rdn. 15; Roxin JuS 1966 S. 377 ff, 379; Schmidhäuser Sinn S. 52; Eb. Schmidt Materialien Bd. I S. 9 ff, 11 ff; ders. ZStW 67 S. 177 ff, 187 ff; Maurach-Zipf AT I § 7 III C a. E.; Lüderssen in: Christentum S. 1261 ff, 1268 f; Neumann und Schroth Theorien S. 16 ff.

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1. A b s c h n

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

rie, sondern als Theorie der Strafandrohung durch Strafgesetze (Theorie des „psychologischen Zwangs") 4 3 . Alle Gesetzesübertretungen resultieren nach Feuerbach aus der „Sinnlichkeit", d. h. „das Begehrungsvermögen des Menschen (wird) durch die Lust an oder aus der Handlung zur Begehung . . . angetrieben" 4 4 . Die Täter durch physischen Zwang an der Tatausführung zu hindern, ist praktisch ausgeschlossen. Sollen Rechtsbrüche vermieden werden, so „bleibt daher dem Staate kein anderes Mittel übrig, als durch die Sinnlichkeit selbst auf die Sinnlichkeit zu wirken, und die . . . sinnliche Triebfeder durch eine andere sinnliche Triebfeder aufzuheben" 4 5 . Die Antriebe zur H a n d lung werden aufgehoben, „wenn jeder Bürger gewiß weiß, daß auf die Übertretungen ein größeres Übel folgen werde, als dasjenige ist, welches aus der Nichtbefriedigung des Bedürfnisses nach einer Handlung . . . entspringt" 4 6 . Dieses Wissen wird dem Bürger gegeben, indem ein Gesetz das „größere Übel", eben die Strafe, vor der Tat und unter genauer Beschreibung von T a t und Strafe 4 7 androht und indem der Ernst der Drohung durch Vollstreckung in jedem Fall der Übertretung verdeutlicht wird (zu ergänzen ist: sofern der Täter greifbar ist). „Die zusammenstimmende Wirksamkeit der vollstreckenden und gesetzgebenden Macht zu dem Zwecke der Abschreckung bildet den psychologischen Zwang" 4 8 . Die „vollstreckende Macht" darf freilich nicht zum Zweck der „zusammenstimmenden Wirksamkeit" tätig werden, weil ansonsten der bestrafte Mensch als bloßes Mittel für die Vorteile anderer Menschen mißbraucht würde, was Feuerbach — insoweit Kantianer — verwirft. Die Wirksamkeit ist deshalb nur ein — willkommener — Nebeneffekt der absolut zu begründenden Strafe: Strafe ist „rechtlich-notwendige Folge" des Verbrechens 4 9 . Es soll aber zulässig sein, mit dem absolut Notwendigen das Nützliche zu verbinden und die Realisierung der Strafdrohung eindrucksvoll zu gestalten 50 . 28

b) An Feuerbachs Theorie ist die Doppelstellung der Bestrafung durchaus unklar 5 1 : Als Verdeutlichung des Ernstes der Strafdrohung soll die Bestrafung zweckhaft wirken, als Strafe am T ä t e r hingegen soll sie zweckfrei sein. Ansonsten bietet das Modell zwar eine Harmonie der wichtigsten Strafrechtsgrundsätze: kein Umgang mit dem T ä ter wie mit einem „Gegenstand des Sachenrechts" (absolute Strafbegründung), Verhütung von Normbrüchen („psychologischer Zwang" der Strafdrohung), Vermeidung unnötiger Strafen (die Realisierung der Strafe ist zur Stützung der Strafandrohung erforderlich) und strenge Gesetzesbindung der Strafe (genaue Androhung auf genau beschriebenes Verhalten vor der Tat). Aber das Modell hat Mängel, die es unbrauchbar machen: Weder beruhen alle Taten auf einem rationalen Kalkül der Tatfolgen, noch stellt ein rationales Kalkül auf die rechtlich notwendige Sequenz von T a t und Strafe ab, vielmehr berücksichtigt es die tatsächliche Chance bestraft zu werden oder der Strafe zu entgehen, was eine gewaltige Differenz ergeben mag.

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2 a) Der hauptsächliche Mangel dieser negativen Generalprävention und ihrer neueren Varianten 5 2 , die in diverser Weise eine Abschreckungswirkung der Strafe zum 43

Siehe dazu Naucke Kant und die psychologische Zwangstheorie Feuerbachs, 1962; ders. Z S t W 87 S. 861 ff, 880 ff; Radbruch Feuerbach S. 44 ff, 85 ff. 44 Lehrbuch § 13; Revision S. 44. 45 Revision S. 44 f. 4 Revision S. 45 f; Lehrbuch § 13. 47 Siehe dazu Bohnert Feuerbach S. 13. 48 Lehrbuch § 14. 49 Revision S. 49; Lehrbuch § 18. 50 Revision S. 60.

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Siehe auch die Kritik bei Binding N o r m e n Bd. I S. 500. 52 Hoerster GA 1970 S. 272 f f ; den. A R S P Bd. 58 S. 555 f f ; Ostendorf Z R P 1976 S. 281 ff; Strasser KrimJ 1979 S. 1 ff, 16 (zum K o n z e p t aller genannten Autoren paßt freilich auch die positive Generalprävention). — Die Rechtsprechung verwendet negative Generalprävention als Strafzumessungsgrund im Rahmen der schuldangemessen (wie?) bestimmten Strafe; B G H 28 S. 318 ff, 326 f; B G H bei Daliinger M D R 1973 S. 727 f und

Inhalt und A u f g a b e staatlichen Strafens

1. Abschn

Zweck erheben, ist freilich nicht ihre Falsifizierung 53 . Gegen die Falsifizierung könnte man einwenden, sie betreffe überhaupt nicht diejenigen Deliktsgruppen, bei denen die Täter in der Regel zweckrational vorgehen, etwa die Delikte im Bereich der Wirtschaftskriminalität. Mehr noch, das Modell könnte dahin „verbessert" werden, daß die Verfolgungsintensität bis zu einer Dichte gesteigert wird, bei der die Abschreckung auf alle Personen wirkt, die nicht gerade Herostraten sind. Die Theorie der negativen Generalprävention setzt aber genuin falsch an: Sie mißt den potentiellen Vorteil des Delinquenten und gleicht diesen Vorteil durch ein Übel aus, vernachlässigt aber den Schaden der Tat für die gesellschaftliche Ordnung. Wenn anderen Tätern der Anreiz zur Tat genommen werden soll, muß das Übel gewichtiger sein als der Tatvorteil; dieser aber ist von dem sozialen Schaden unabhängig, den die Tat bewirkt. b) An dem dadurch entstehenden, potentiell krassen Mißverhältnis zwischen sozia- 30 lern Schaden und Strafquantum scheitert jede auch nur annähernd konsequente Anwendung des Modells Feuerbachs und seiner Nachfolger 54 . Beispielhaft gesprochen: Bei einem Mord um einiger hundert Mark Beute willen mag eine einigermaßen sicher erfolgende Geldstrafe von einigen tausend Mark hinreichend prävenieren, während bei einer üblen Nachrede, die der Täter zur Erhaltung einer persönlichen Beziehung oder zur Steigerung seiner Karriere begeht, erst die Aussicht auf jahrelange Freiheitsstrafe ein hinreichendes Übel sein mag. Im Ergebnis müßten also alle Deliktsgruppen des BT, die an dem angegriffenen Gut ausgerichtet sind, preisgegeben und neue Gruppen nach dem potentiellen Nutzenquantum gebildet werden. In der am schärfsten zu bestrafenden Gruppe fänden sich dann Delikte mit hohem Nutzenquantum, gleich ob sie durch Tötung eines Menschen, durch Urkundenfälschung oder durch beiläufigen Hausfriedensbruch begangen werden. Landesverrat hätte bei Ideologietätern im Bereich der Schwerkriminalität zu rangieren, bei Tätern des Lohns wegen im Bereich entsprechender Vermögensstraftaten etc. c) Dieses potentiell krasse Mißverhältnis zwischen dem Nutzenquantum der Tat 31 und ihrem Quantum an Sozialschädlichkeit resultiert daraus, daß im Abschreckungsmodell die Destinatäre des Strafbetriebs nicht vorkommen: die Mitglieder der Gesellschaft, die vor Normbrüchen bewahrt werden sollen. Die Mitglieder sehen das Delikt nicht vorrangig als ein Ereignis an, das dem Täter potentiell vorteilhaft, sondern das ihnen selbst potentiell nachteilig ist. d) Verbreitet wird versucht, den Befund durch eine ergänzende Limitierung der 32 Höchststrafen zu kaschieren: Auch die abschreckende Strafe soll das Schuldangemessene oder Verhältnismäßige nicht übersteigen dürfen, da sie ansonsten als willkürlich empfunden werde und ihre Abschreckungswirkung verliere. Aber so läßt sich allenfalls die Unzulässigkeit hoher Strafen in den Fällen hohen Täternutzens aber geringen Sozialschadens erklären. Jedoch wird auch die extrem niedrige Strafe bei geringem Täternutzen aber hohem Sozialschaden als willkürlich empfunden, so daß die Abschrek899 f; B G H J Z 1975 S. 183 ff mit zustimmender Anmerkung Tiedemann a a O S. 185 ff, 186 f; B G H bei Holtz M D R 1976 S. 812; B G H NStZ 1982 S. 112 mit zutreffend ablehnender Anmerkung Wolfslast a a O S. 1 1 2 f ; B G H StV 1982 S. 166 f und S. 167; B G H J Z 1982 S. 771 f mit ablehnender Anmerkung Köhler a a O S. 772 f; insgesamt zustimmend LK-G. Hirsch § 46 Rdn. 25; — zutreffend kritisch zur Rechtsprechung Bruns Leitfaden S. 80 ff; ders. Strafzumessungsrecht S. 328 f mit weiteren Nachweisen.

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Z u r Falsifizierung (oder Nicht-Verifizierung) der Abschreckung siehe Kaiser Generalprävention S. 339 ff, 351 ff; Schöch Strafzumessungspraxis S. 86 ff, 96 f, 197 ff; Albrecht, Dünkel und Spieß MonSchrKrim. 1981 S. 310 ff, 311, 313, 323; Roherer MonSchrKrim. 1982 S. 200 ff. Einige Verlegenheitslösungen bietet Hoerster GA 1970 S. 272 ff, 278 f.

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1. Abschn

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

kungsstrafe insoweit gleichfalls modifiziert werden muß. Im Ergebnis ist deshalb das Abschreckungsmodell als Straftheorie überhaupt untauglich. 33

e) Dadurch wird es nicht ausgeschlossen, daß in einzelnen Fällen Strafe mit der Intention der Abschreckung verhängt wird. In Krisenzeiten bricht der Notstand die Limitierungen, die in ruhigen Zeiten selbstverständlich sind 55 . 34 3. Modelle, die dem eingangs geschilderten Modell positiver Generalprävention hauptsächlich entsprechen, werden in der neueren Literatur zunehmend häufig vertreten 56 . Sie flankieren auch zahlreiche Varianten der Vergeltungstheorien. Differenzen bestehen freilich in zwei Punkten: Uberwiegend wird das Schuldprinzip als Begrenzung der positiven Generalprävention verstanden, während es nach hiesiger Ansicht ein Derivat dieser Prävention ist (eingehend unten 17/18 ff). Ferner wird der expressive Gehalt von Normbruch und Strafe nur selten thematisiert.

B. Die Spezialpräventionstheorien 35

1. Die generelle Problematik a) Wird die Aufgabe der Strafe darin gesehen, den Täter von künftigen Taten abzuhalten, spricht man von Spezialprävention. Daß der Inhalt des geltenden deutschen Strafrechts einigermaßen bruchlos oder auch nur in den hauptsächlichen Stücken auf Spezialprävention zugeschnitten sei, wird nicht behauptet; wohl aber wird postuliert, de lege ferenda das Strafrecht so auszugestalten, daß es für Spezialprävention tauglich ist, oder es durch taugliche Maßregeln zu ersetzen. Die Mindestanforderung geht dahin, jedenfalls auf diejenigen Strafen zu verzichten, durch deren Vollstreckung sich die Wahrscheinlichkeit, daß der Täter weitere Verbrechen begeht, sogar erhöht.

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b) Die Einwirkung auf den Täter kann dergestalt erfolgen, daß er mit physischer Gewalt von weiteren Taten abgehalten oder aber dazu gebracht wird, von sich aus keine Straftaten mehr zu begehen. Letzteres geschieht im Weg der Besserung des Täters, sei dieser Weg Erziehung oder Dressur oder ein körperlicher Eingriff (ζ. B. Kastration), oder aber im Weg der Abschreckung durch eine warnend gemeinte Strafe. Die Aufgabe der Strafe und der sie flankierenden oder ersetzenden Maßregeln kann deshalb mit v. Liszt wie folgt bezeichnet werden: „ 1. Besserung der besserungsfähigen und besserungsbedürftigen Verbrecher; 2. Abschreckung der nicht besserungsbedürftigen Verbrecher; 3. Unschädlichmachung der nicht besserungsfähigen Verbrecher" 57 .

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c aa α) Die Antwort auf die Frage, ob und weshalb ein Modell dieser Art überhaupt funktioniert, ist nicht selbstverständlich. Zweifel am Funktionieren sind freilich nicht angebracht, solange bei der Behandlung, die man dem Täter bessernd, abschreckend oder sichernd angedeihen läßt, immer noch so viel an Übel herausspringt, daß dadurch der Täter als Träger der Kosten des geschehenen Normbruchs markiert wird; denn solange mit einer Übelsfolge zugerechnet wird, bleiben die Wirkungen positiver Generalprävention möglich. Selbst der Umstand* daß überhaupt dem Täter zugerechnet und gegen ihn reagiert wird, kennzeichnet ihn als Konfliktsursache und bestätigt damit die 55 56

16

Siehe Nagler Strafe S. 616 f. Schmidhäuser A T 3/16 (sachlich wie hier auf Normanerkennung — Schmidhäuser: Vermeidung des offenen Rechtsbruchs — bezogen); den. Sinn S. 48 ff, 52; ders. Studienbuch 2/15 ff; Noll H.Mayer-Festschrift S. 219 ff (mit Ausführungen zur Einfärbung der Schuld durch Generalprävention S. 220 f f ) ; den. AT § 5, Abschnitte 4 und 5; Streng ZScW 92 S. 637 ff; Hassemer in: Haupt-

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Probleme S. 29 ff, 51 ff; Lüderssen in: Hauptprobleme S. 54 ff (mit einer Limitierung der GeneralPrävention durch den Vorrang von Spezialprävention S. 80); Haffke Tiefenpsychologie S. 167 ff; siehe auch Nowakowski Rittler-FestSchrift S. 55 ff, 64 ff; H.Mayer Studienbuch § 3 I 2. ZStW 3 S. 1 ff, 35 ff; „Marburger Programm".

Inhalt und Aufgabe staatlichen Strafens

1. Abschn

Norm. Diese Wirkungen beruhen freilich auf dem Eindruck, den das zurechnende Strafurteil und die präventive Behandlung in der Allgemeinheit hervorrufen und haben deshalb mit Besonderheiten der Spezialprävention nichts zu tun; sie sind vielmehr generalpräventive Nebenwirkungen. ß) Spezifisch spezialpräventiv ist es, nicht die aktuelle Verletzung der Normgeltung 38 durch den Normbruch als Konflikt zu definieren, sondern den Normbruch als bloßes Symptom für kommende Taten desselben Täters zu nehmen; die Gefahr dieser Taten ist in spezialpräventiver Sicht der Konflikt. Auf die Erledigung der Enttäuschung einer normativen Erwartung muß also zugunsten der Enttäuschungsfestigkeit künftiger kognitiver Erwartungen verzichtet werden. Dieser Verzicht dürfte gelingen, wenn die kognitive Erledigung Erfolg verspricht und wenn zudem die Enttäuschten den Täter als ungleich, unmaßgeblich, hilfsbedürftig o. ä. definieren können, jedenfalls als eine Person, die — was Normbefolgung angeht — eine Sonderstellung hat. In solchen Fällen wird die für jedermann bestehende Verbindlichkeit der Norm nicht tangiert, weil der Täter dem Jedermann in einem relevanten Punkt nicht gleicht. Der Hauptanwendungsfall solcher kognitiver Enttäuschungserledigung ist die präventive Behandlung derjenigen Personen, bei denen sowohl Erziehbarkeit als auch ein Erziehungsdefizit plausibel sind, konkret: die Behandlung der Jugendlichen und Heranwachsenden. Nicht allein das Jugendstrafrecht, sondern stärker noch die Ersetzung des Jugendstrafrechts durch nicht-strafende und im Idealfall nicht einmal als Übel zu empfindende Maßnahmen gehören deshalb zur Domäne der Spezialprävention. γ) Läßt sich aber beim Täter keine Besonderheit ausmachen, so bringt die spezial- 39 präventive Umdeutung des Konflikts in die kognitive Ebene als zwingende Folge, daß für die Enttäuschten auch ihr eigenes Verhalten zu einer rein kognitiven Angelegenheit wird. Ist das abweichende Verhalten, das ein Jedermann vollzieht, eine Enttäuschung kognitiver Erwartungen, wie es eine Krankheit ist, so wandelt sich die Frage, wie man sich verhalten soll, für alle Menschen in die Frage, wie man sich verhalten wird. Gesellschaftliches Leben (wie auch individuelles menschliches Leben) dürfte bei dieser Normabstinenz nicht mehr organisierbar sein, jedenfalls nicht beim Ausgang von einer Gesellschaft der gegenwärtigen Gestalt. bb) Es besteht also zumindest der Verdacht, daß Spezialprävention nur funktio- 40 niert, solange sie von generalpräventiven Nebeneffekten flankiert wird. v. Liszt selbst läßt bei Personen, die keine Besonderheiten gegenüber jedermann aufweisen, unbenannte, aber eindeutig generalpräventive Erwägungen durchschlagen: Es soll beim erwachsenen Rückfälligen weniger um Besserung (die dem Täter jedenfalls nicht nur ein Übel bringt) als um Sicherung gehen, und zwar nicht in einem goldenen Käfig, sondern in „Strafknechtschaft" 58 . Auch v. Liszts Festhalten am Tatprinzip dürfte nicht nur auf den von ihm herausgestrichenen rechtsstaatlichen Gründen beruhen, sondern auch auf der generalpräventiven Eindruckskraft dieses Prinzips. 2. Die Verletzung des Tatprinzips a) Es gibt auch handfestere Einwendungen gegen Spezialprävention. Die wichtigste 41 Einwendung ist die Verletzung des Tatprinzips. Bei der Generalprävention läßt sich — zumindest nominell — die Haftung auf das Maß beschränken, in dem der Täter durch seine Tat die Normgeltung (positive Generalprävention) oder die faktische Erwartung der Normbefolgung (negative Generalprävention) verschlechtert hat. Bei der Spezialprävention hingegen ist es — Gelegenheitstäter ausgenommen — von vornherein un58 v. Liszt ZStW 3 S. 1 ff, 42 f.

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1. Abschn

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

möglich, den Täter von der Bestrafung allein solcher Taten abzubringen, wie er sie vollzogen hat, ihn aber ansonsten unbehandelt zu lassen. Es gibt keine Konzepte, wie man einen Täter einzig von etwa mittelschweren Diebstählen oder Betrügereien o. ä. abbringen könnte, seil, allein von den Taten nach Art der begangenen Tat. Auch wenn man kein Alles-oder-nichts-Prinzip verfolgt, vielmehr akzeptiert, daß ein Mensch sozial mehr oder weniger angepaßt sein kann, ist doch die Vorstellung, einen nicht angepaßten Menschen einzig nach Art und Maß der von ihm begangenen Taten anpassen zu können, zumindest in der Mehrzahl aller Fälle lebensfremd. Die Theorie der Spezialprävention muß deshalb das Tatprinzip verabschieden: Die Tat ist nur noch Anlaß der Behandlung. 42

b aa) Die Tat ist freilich ein schlechter Anlaß der Spezialprävention, weil sie — wiederum Gelegenheitstäter ausgenommen — häufig zu einem Zeitpunkt begangen oder entdeckt wird, in dem die Entgleisung nicht mehr reversibel ist. Taugliche Verfahren zur Spezialprävention sind nicht Strafen oder andere Behandlungen nach Begehung der Delikte des StGB, sondern wären etwa Hilfen bei Arbeitslosigkeit, Arbeitsunlust, Uberschuldung, familiären Schwierigkeiten, Süchten etc.

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bb) Die Disharmonie zwischen der Bindung des Strafrechts an eine sozialschädliche Tat (und nicht schon an eine Situation zunehmender Tatgeneigtheit) hat v. Liszt erkannt. Nach seiner Lösung soll „das Strafrecht . . . die unübersteigbare Schranke der Kriminalpolitik" sein 59 , was heißen soll, daß für das Ob der Strafe das „Strafrecht" mit seinem Tatprinzip, aber für Art und Maß der Strafe die „Kriminalpolitik" zuständig sein sollen. Damit wird beiden Seiten zugleich gedient und geschadet: Das Tatprinzip verdankt seine Herkunft denjenigen Straftheorien, die Strafe nach der Größe des angerichteten Schadens zumessen wollen, und ist in einem spezialpräventiv orientierten Modell funktionslos. Es hindert dort die Effektivität, wie es seinerseits die Hälfte seiner Aufgabe verliert, nämlich das Maß des Defizits an Normgeltung und dadurch das Maß an ausgleichender Strafe zu indizieren.

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cc) Die Abspaltung von der Tat geht soweit, daß es in zahlreichen Fällen sogar unmöglich ist, zur Urteilszeit eine bestimmte Dauer der Rechtsfolge anzugeben, was bei Rechtsfolgen, die hauptsächlich aus Hilfen bestehen, rechtsstaatlich schadlos ist, nicht aber bei Übelszufügungen als Rechtsfolgen. Der Grund für die Unbestimmbarkeit liegt darin, daß die (vergangene) Tat nur Anlaß für eine (zukünftige) soziale Anpassung des Täters ist; der allein nach vorn gewendete Blick kann als Zielpunkt nur den Effekt der sozialen Anpassung ausmachen, und wann dieser Punkt erreicht ist, läßt sich häufig nicht einmal näherungsweise und niemals genau voraussagen60. Die Zulässigkeit einer Freiheitsstrafe von unbestimmter Dauer ist daher das hauptsächliche Erkennungszeichen eines primär spezialpräventiv ausgerichteten Strafrechts 61 (siehe § 19 JGG).

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c) Weiterhin ist gegen das Modell einzuwenden, daß bei ihm — wie bei der negativen Generalprävention — das Quantum des sozialen Schadens und das Quantum der Reaktion nicht verbunden sind, so daß es zu krassen Mißverhältnissen kommen kann. Nach den Prinzipien der Spezialprävention müßte der immer wieder rückfällige Täter geringfügiger Delikte trotz des nur mäßigen Schadens seiner Taten „gesichert" werden (d. h. es wäre jahrelange Sicherungsverwahrung anzuordnen). Man mag solche Ergebnisse mit Hilfe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit korrigieren, steht dann aber 59

18

Aufsätze und Vorträge Bd. II S. 75 ff, 80; siehe ferner ders. ZStW 13 S. 325 ff, 354 ff. - Siehe dazu Roxin ZStW 81 S. 613 ff, 637 ff.

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v. Liszt Aufsätze und Vorträge Bd. I S. 290 ff, 333, 392. Siehe Würtenberger Materialien Bd. I S. 89 ff mit Nachweisen; Sieverts Materialien Bd. I S. 107 ff.

Inhalt und Aufgabe staatlichen Strafens

1. Abschn

vor der Schwierigkeit, von einer spezial-präventiven Reaktion mangels Verhältnismäßigkeit absehen zu müssen und von einer generalpräventiven Reaktion, weil sich Generalprävention als bloßer Lückenfüller nicht legitimieren läßt. Ganz entsprechende Schwierigkeiten ergeben sich bei Tätern schwerer Taten, die keiner oder nur geringfügiger sozialer Anpassung bedürfen. Beispiele dafür bilden nicht nur zahlreiche Mörder aus der nationalsozialistischen Zeit, die nachfolgend eine jahrzehntelange Legalbewährung bestanden haben, sondern ebenso Täter in solchen Konfliktsituationen, deren Wiederkehr unwahrscheinlich ist; bei Ausländern ohne Asylanspruch würde in der Regel nicht mehr als die Ausweisung erforderlich sein. Aber bei einem Verzicht auf eine Reaktion, die den Geltungsschaden ausgleicht, verstärkt sich die schon oben (1/39) zur Spezialprävention allgemein beschriebene Gefahr, daß die Möglichkeit von N o r m orientierung überhaupt verlorengeht.

3. Neuere Konzepte a) Gewiß ist Spezialprävention nicht in der Gestalt festgeschrieben, in der v. Liszt 4 6 sie entworfen hat 6 2 . Die Bedeutung der genannten Einwendungen ist auch nicht allgemein anerkannt. Radikale Postulate, die das „Strafrecht" als „Schranke der Kriminalpolitik" nicht mehr anerkennen, stellt insbesondere ein Flügel der Societe Internationale de Defense Sociale 63 ; Gramatical·*: Von den „im System des Gesellschaftsschutzes anzuwendenden ,Maßnahmen'" soll zu verlangen sein, daß sie „1. vollständig die Strafen ersetzen müssen; 2. einen einheitlichen Charakter haben müssen; 3. auch vorbeugende Maßnahmen umfassen müssen; 4. einen unbestimmten Charakter besitzen müssen, damit sie während des Vollzugs, entsprechend der ständigen Überwachung der Persönlichkeit, dauernd abgeändert, ersetzt oder ganz beseitigt werden können; 5. im Prinzip keinen Unterschied zwischen Erwachsenen und Minderjährigen machen dürfen . . . ; 6. der Person angepaßt sein müssen und nicht auf die objektiv betrachtete Tat bezogen sein dürfen". b aa) Die hier gegebene Kritik der Spezialprävention hat nicht den Zweck, den 4 7 Vorgang der sozialen Anpassung zu perhorreszieren, sondern die Verabsolutierung dieser Anpassung. Beim Ausgang von einem Modell, in dem das Maß des eingetretenen sozialen Schadens und das Maß der Strafe verbunden sind, ist Spezialprävention unter den oben schon genannten Bedingungen eine alternative Strategie zur Erledigung des Konflikts und zudem der überhaupt einzige Gesichtspunkt, nach dem die Kostentragungspflicht des Täters auch für diesen selbst sinnvoll gestaltet werden kann. 62

Einen Überblick über den G a n g der Kontroverse zwischen der „soziologischen" (zweckorientierten) kriminalpolitischen Richtung und der „klassischen" (an Vergeltung orientierten) Richtung (sogenannter Schulenstreit) geben Mezger Strafrecht § 4 , 2 ; Eb. Schmidt Geschichte §§321 f; Jescheck ZStW 93 S. 3 ff, 44 ff. - Als Befürworter eines V o r r a n g s der Spezialprävention in neuerer Zeit ist insbesondere zu nennen Eb. Schmidt SchwZStr. 45 (1931) S. 200 f f ; den. ZStW 67 S. 177 ff; ders. Z S t W 69, S. 359 f f ; den. Materialien Bd. I S. 9ff, 20 ff.

63

Die Position des gemäßigten Flügels läuft auf eine praktikabel gemachte T h e o r i e der Spezialprävention hinaus. Wesentliche Elemente sind: (1) Gesellschaftsschutz durch (2) ein Ensemble von

hauptsächlich nicht strafenden M a ß n a h m e n z u r (3) Resozialisierung; dabei soll (4) das Individ u u m als verantwortliche Person, nicht nur als Behandlungsobjekt angesehen, zugleich aber (5) durch alle Humanwissenschaften genau erforscht werden. Das P r o g r a m m erhebt den Anspruch, (6) nicht nur sozialtechnologisch, sondern auch m o ralisch zu sein. Ancel Sozialverteidigung S. 26 ff und passim; dazu Meizer Sozialverteidigung passim; den. J Z 1970 S. 764 ff, jeweils mit Nachweisen; Rieg Z S t W 81 S. 411 ff, 414 f f ; Zipf Kriminalpolitik 3.22. 64

G r u n d l a g e n 2. Teil S. 213; — siehe dazu H. Kaufmann v. Weber-Festschrift S. 418 f f ; Zipf Kriminalpolitik 3.21.

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1. A b s c h n

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

bb) Der dafür zur Verfügung stehende Rahmen ist freilich eng, und zwar nicht nur wegen der Beschränkung der Strafzeit durch die positive Generalprävention und wegen der faktischen Beschränkung der Mittel, sondern auch wegen der rechtlichen Beschränkungen der Spezialprävention. Es gibt keine Legitimation des Staats, die sittliche Haltung der Bürger zu optimieren, sondern der Staat hat sich mit der äußeren Befolgung des Rechts zu begnügen (Relegalisierung 65 ). Insbesondere ist es nicht Ziel der Spezialprävention, ein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu schaffen, sondern dem Täter legales Verhalten zu erleichtern. Hauptsächlich wird sich Spezialprävention deshalb auf „Befreiung von äußeren und inneren Zwängen" 66 zu beschränken haben, d. h. auf Befreiung von besonderen Belastungen der Person, wobei diese Befreiung ohne Mitwirkung des Täters nur selten zu bewerkstelligen sein dürfte. Bei der Beseitigung der Belastungen wird auch das Gerüst der eine Person erst konstituierenden Haltungen zu informellen Normen verändert; das aber darf nur mit Mitteln erfolgen, die auch gegenüber jedem anderen, nicht straffälligen Bürger legitim sind 67 . V. D i e Vereinigungstheorien 48

1. Es ist schon früh darauf hingewiesen worden, daß sich einzelne Aspekte der Straftheorien kombinieren lassen 68 . Das kann verschiedenes bedeuten 69 · 7 0 : 65 66

67

68

69

20

Maihofer Rechtsstaat S. 146. Stratenwerth Leitprinzipien S. 7 ff, 13. — Individualistisch Haffke in: Abweichendes Verhalten Bd. III S. 291 ff, 304: „Emanzipierende Therapie h a t . . . kein positives, inhaltlich erfülltes Ziel (Leben ohne Straftaten), sondern bestimmt sich ausschließlich negativ, d. h. als Hilfe zum Frei-Werden von einer unbegriffenen und einschnürenden, meist schmerzvollen Vergangenheit." — Ein Zusammenhang dieser Befreiung gerade mit einer Straftat ist freilich nicht ersichtlich. Siehe dazu Peters Heinitz-Festschrift S. 501 f f ; Eser Peters-Festschrift S. 505 ff, 512 ff; Hassemer KrimJ 1982 S. 161 ff, 165 f. A. Merkel Gesammelte Abhandlungen Teil II S. 1 ff, 10 f f ; den. a a O S. 687 ff, 699 ff und passim; - dagegen A. Nagler G S Bd. 70 S. 6 ff, 41 f. Die Rechtsprechung (eingehend dazu Bruns Strafzumessungsrecht S. 230 ff) hat wenige Fixpunkte: Präventive Überlegungen dürfen nicht z u r Überschreitung der schuldangemessenen Strafe führen ( B G H 20 S. 264 ff, 267), ebensowenig zu einer Unterschreitung ( B G H 24 S. 132 ff, 134). U n k l a r ist die Stellung der Generalprävention, was nicht verwundern kann, da positive Generalprävention und Schuld nicht getrennt werden können; siehe BGH 6 S. 125 ff, 127; 24 S. 40 ff, 44 ff; 24 S. 64 ff, 66; B G H GA 1976 S. 113 ff, 114. - Das Bundesverfassungsgericht (eingehende Darstellung und Kritik seines Strafbegriffs bei Volk ZStW 83 S. 405 ff) hat mehrfach beim Ausgang vom Schuldgrundsatz Vereinigungstheorien ohne nähere Festlegung ihres Inhalts f ü r verfassungsgem ä ß erklärt; B V e r f G 2 1 S. 391 ff, 404; 28 S. 264 ff, 278; 32 S. 98 ff, 109; 39 S. 1 ff, 57; 45 S. 187 ff, 253 f. - Bei der Jugendstrafe schließt die Rechtsprechung negative Generalprävention

70

aus; B G H 15 S. 224 ff, 226; 16 S. 261 ff, 263. Die Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 J G G ) soll n u r zulässig sein, wenn „erzieherische Gründe" das verlangen; B G H 16 S. 261 ff, 263. Neuerdings wird jedoch auch „der Schwere der Schuld eigenständige Bedeutung" beigemessen; B G H StV 1982, S. 121 f ; siehe Eisenberg ]GG § 17 R d n . 33 ff. Vereinigungstheorien mit freilich unterschiedlichem V o r r a n g einer der vereinigten Theorien werden in der Literatur überwiegend vertreten. — Roxin J u S 1966 S. 377 ff, 387 entwickelt eine „dialektische Vereinigungstheorie", nach der „die verschiedenen Strafzwecke aus der einlinigen Übersteigerung dadurch in sozialkonstitutive Bahnen" gelenkt werden sollen, „daß sie die einzelnen Ansätze durch ein Verfahren gegenseitiger Beschränkung ins Gleichgewicht bringt". — Für eine Vereinigungstheorie mit dem Schwerpunkt auf Schuldausgleich plädieren v. Hippel Strafrecht Bd. I § 21 X V I mit Nachweisen der älteren Literatur; Mezger Materialien Bd. I S. 1 ff, 2 f; Jescheck AT § 8 V; LK-Jescheck Einleitung Rdn. 32 f f ; Maurach-Zipf A T § 7 III Α und IV A I e und 2 und 3; Bockelmann A T § 2 II 4; Dreher Gerechte Strafe S. 127 f f ; Schönke-Schröder-Stree R d n . 11 ff vor § 3 8 . — Für eine Vereinigungstheorie im Rahmen des Schuldangemessenen mit dem Schwerpunkt auf Spezialprävention argumentiert Stratenwerth A T Rdn. 30 f; ders. T a t schuld S. 31 f; wohl auch Baumann A T § 3 II 2 a β (neben Generalprävention). — Den Rahmen des Schuldangemessenen sprengt Horstkotte J Z 1970 S. 122 ff, 124. - Eine Theorie, bei der die Generalprävention die Institution der Strafe begründen soll, nicht aber die Regeln der Zumessung, gibt Schmidhäuser A T 3/14 ff.

Inhalt und A u f g a b e staatlichen Strafens

1. Abschn

a) Mit einer Kombination ist nicht gemeint, daß ein Defizit einer Theorie, das deren 4 9 Praktizierbarkeit hindert, durch eine andere Theorie ausgefüllt werden dürfe; in solchen Fällen ist die defizitäre Theorie überhaupt untauglich. Beispiel: Vergeltungstheorien, die um präventive Überlegungen zur Notwendigkeit von Vergeltung ergänzt werden müssen, sind als Vergeltungstheorien zur Begründung der Notwendigkeit der Strafe untauglich; es handelt sich nach der Kombination um verkappte präventive Theorien 7 1 . Mit einer Kombination ist ferner nicht gemeint, daß mehrere Theorien kumuliert werden dürften; denn Kumulierung führt im Bereich divergenter Ziele der kombinierten Modelle zur Unbestimmbarkeit der Strafe; das zeigt sich etwa beim Ε 1962, der bei der Schuldstrafe ansetzt, aber zudem noch die Verhütung von Straftaten durch generelle und spezielle Abschreckung sowie durch Resozialisierung und Sicherung des Täters erreichen will 72 , ohne daß ersichtlich wäre, wie diese Desiderate auf einen Nenner gebracht werden könnten. b) Durch Kombination läßt sich nicht die Aufgabe umgehen, eine Theorie für eine 5 0 praktizierbare Strafe zu entwickeln. Als eine solche Theorie ist hier eingangs die positive Generalprävention genannt worden, die nachfolgend, insbesondere zur Schuld, noch zu detaillieren sein wird. Aber diese Theorie (wie jede andere) erstreckt sich nicht auf jeden Abschnitt des gesamten Bestrafungsvorgangs, sondern beläßt ungestaltete Nischen, die nachrangig durch andere Theorien ausgefüllt werden können, wobei als nachrangige Theorie nur die Spezialprävention in Betracht kommt, da die Vergeltungstheorie, die Sühnetheorie und die Theorie der negativen Generalprävention überhaupt zu verwerfen sind (oben 1/17 ff, 25 f, 27 ff). Als hauptsächliche Folge ist der gesamte Straf Vollzug, für den die Theorie der positiven Generalprävention nichts ergibt, möglichst spezialpräventiv effektiv auszugestalten (§§ 2 f StVollzG). Aber auch auf die vom Gesetzgeber zu wählenden Strafrahmen sowie auf die Strafzumessung wirkt die Spezialprävention ein; denn mit der Theorie der positiven Generalprävention lassen sich keine eindeutig bestimmten Strafquanten berechnen (ebensowenig mit einer anderen Theorie), sondern sie gibt einen Rahmen, der von der schon ernst zu nehmenden Reaktion und der noch nicht übertrieben scharfen Reaktion gebildet wird. Dieser Rahmen kann spezialpräventiv ausgefüllt werden, wenn insoweit effektive Maßnahmen möglich sind; ansonsten muß es beim Mindestmaß der schon ernst zu nehmenden Reaktion verbleiben 73 . Einzelheiten sind Gegenstand der Strafzumessungslehre. 2 a) Abgesehen von dieser Vereinigung der positiven Generalprävention mit nach- 51 rangiger Spezialprävention besteht stets eine Konkurrenz beider Präventionen als mögliche Äquivalente (neben weiteren) zur Erledigung von Konflikten, wobei die Äquivalenz nach der Erledigungswirkung zu bestimmen ist und keine Ähnlichkeit der Erledigungsweise voraussetzt (nicht notwendig Strafe). Die Antwort auf die Frage, welche Erledigungsart zu wählen ist, muß nicht stets allein zugunsten einer einzigen Erledi71 72 73

Zutreffend schon Exner Theorie S. 36. Begründung S. 96. Rahmentheorie oder Spielraumtheorie. — O b der Rahmen der schuldangemessenen Strafe aus spezialpräventiven Gründen überschritten oder unterschritten werden darf, ist streitig und nach hiesiger Ansicht zu verneinen, wobei freilich zu berücksichtigen ist, daß das mindestens Schuldangemessene nach der hiesigen Konzeption zugleich das mindestens zur Erledigung des Konflikts Erforderliche ist (siehe unten zur Schuld 17/31 f). Ist die Herabsetzung der Strafe tolerabel, so ist auch die Schuld gemindert! — Gegen eine Unter-

schreitung vom Schuldbegriff der überwiegenden Ansicht aus siehe B G H 24 S. 132 ff; B G H J Z 1976 S. 650 f; Bruns Strafzumessungsrecht S. 217 ff, 233; ders. Welzel-Festschrift S. 739 ff, 744; Schaffstein Gallas-Festschrift S. 99 ff, 105; Jescheck A T § 4 I 3 und § 82 III 3; LK-Jescheck Einleitung Rdn. 31. — Für die Zulässigkeit einer Unterschreitung siehe Lackner Entwicklungen S. 23 ff; Roxin Schultz-Festgabe S. 463 ff, 473 ff; Schönke-Schröder-Stree Rdn. 18 a vor §§ 38 ff. — Für die Zulässigkeit auch einer Überschreitung siehe Horstkotte J Z 1970 S. 122 ff, 124.

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1. Abschn

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

gungsart ausfallen (ζ. B. allein für Spezialprävention: § 67 Abs. 5 S t G B ; allein für G e neralprävention: § 56 Abs. 3 StGB), sondern kann jeder Erledigungsart einen Teil z u weisen und die Arten in diesem Sinn vereinigen; Beispiele dafür sind die Strafaussetz u n g zur Bewährung und verwandte Rechtsinstitute (§§ 56, 57, 59 StGB): N e b e n den spezialpräventiven Z w a n g z u m legalen Verhalten durch den konkretisierten Strafdruck, möglicherweise verbunden mit W e i s u n g e n und Bewährungshilfe (§§ 56 c, d StGB), tritt die generalpräventive öffentliche Mißbilligung, möglicherweise verbunden mit A u f l a g e n (§§ 56 b StGB). 52

b) Hauptbeispiel für diese zuletzt genannte Art der V e r e i n i g u n g bildet die Zweispurigkeit der R e c h t s f o l g e n nach geltendem Recht: Im R a h m e n des Verhältnismäßigen (§ 62 StGB) und Erforderlichen treten spezialpräventive Maßregeln der Besserung und Sicherung (§ 61 StGB) neben die Strafe für schuldhaftes Verhalten. D a s N e b e n e i n a n der wird freilich in doppelter Hinsicht zugunsten der Prävention durchbrochen (vikariierendes System): D i e Zeit des V o l l z u g s der Maßregel wird bei V o r w e g v o l l z u g auf die Strafe angerechnet (§ 67 Abs. 4 StGB), und bei Zweckerreichung der Maßregel kann die Strafe o h n e Beschränkung durch das Q u a n t u m der Restzeit 7 4 zur Bewährung ausgesetzt werden (§ 67 Abs. 5 StGB). D i e zuletzt genannte R e g e l u n g ist willkürlich, da sie den Täter privilegiert, für den zur Strafe eine Maßregel h i n z u k o m m t 7 5 .

VI. Anhang: Die Aufgaben der Maßregeln der Besserung und Sicherung Literatur H.-J, Albrecht Empirische Sanktionsforschung und die Begründbarkeit von Kriminalpolitik, MonSchrKrim. 1981 S. 310 ff; P. Bockelmann Studien zum Täterstrafrecht, 1939; H.-J. Bruns Die Maßregeln der Besserung und Sicherung im StGB-Entwurf 1956, ZStW 71 S. 210 ff; H. Dünnebier Die Durchführung der Zweispurigkeit bei den freiheitsentziehenden Maßregeln im Entwurf 1960 eines Strafgesetzbuches, ZStW 72 S. 32 ff; E. Dreher Die Vereinheitlichung von Strafen und sichernden Maßregeln, ZStW 65 S. 481 ff; F. Exner Die Theorie der Sicherungsmittel, 1914; E. R. Frey Heilen statt strafen? 1962; W. Frisch Das Marburger Programm und die Maßregeln der Besserung und Sicherung, ZStW 94 S. 565 ff; G. Grünwald Sicherungsverwahrung, Arbeitshaus, vorbeugende Verwahrung und Sicherungsaufsicht im Entwurf 1962, ZStW 76 S. 633 ff; Κ. A. Hall Sicherungsverwahrung und Sicherungsstrafe, ZStW 70 S. 41 ff; E. Heinitz Die Individualisierung der Strafen und Maßnahmen in der Reform des Strafrechts und des Strafprozesses, 1960; H. Herrmann Die mit Freiheitsentzug verbundenen Maßnahmen der Sicherung und Besserung, Materialien Bd. II (1) S. 193 ff; H. Horstkotte Die Vorschriften des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafrechts über den Rückfall und die Maßregeln der Sicherung und Besserung, JZ 1970 S. 152 ff; E. Kohlrausch Sicherungshaft. Eine Besinnung auf den Streitstand, ZStW 44 S. 21 ff; D. Lang-Hinrichsen Die kriminalpolitischen Aufgaben der Strafrechtsreform, Gutachten 43.DJT Bd. I (3/B), 1960; Th. Lenckner Strafe, Schuld und Schuldfähigkeit, in: H. Göppinger und W. Witter (Hrsg.) Handbuch der forensischen Psychiatrie Bd. I, 1972, S. 3 ff; H. Marquardt Dogmatische und kriminologische Aspekte des Vikariierens von Strafe und Maßregel, 1972; H. Mayer Strafrechtsreform für heute und morgen, 1962; E. Mezger Die Vereinheitlichung der Strafe und der sichernden Maßnahmen, ZStW 66 S. 172 ff; P. Mrozynski Die Wirkung der Unschuldsvermutung auf spezialpräventive Zwecke des Strafrechts, J Z 1978 S. 255 ff; /. Nagler Verbrechensprophylaxe und Strafrecht, 1911; W. Naucke Tendenzen in der Strafrechtsentwicklung, 1975; F. Nowakowski Die Maßnahmenkomponente im StGB, in: ders. Perspektiven zur Strafrechtsdogmatik,

™ LK-Hanack § 6 7 Rdn. 19; streitig, a. A. SKHom § 67 Rdn. 7. 75 Kritisch insbesondere LK-Hanack § 67 Rdn. 20 ff mit zutreffenden Hinweisen auf die Quelle der Willkür: Die Teilnehmer am Gesetzgebungsverfahren haben sich gescheut, zwischen

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antinomischen Strafzwecken zu entscheiden (Protokolle Sonderausschuß V S. 2323 ff; nichtssagend BT-Drucksache V 4095 S. 32); Hanack J R 1978 S. 399 ff, 402; a. A. Marquardt Vikariieren S. 164 f.

1. Abschn

Inhalt u n d A u f g a b e staatlichen S t r a f e n s

1981, S. 9 3 f f ; den. Z u r R e c h t s s t a a t l i c h k e i t d e r v o r b e u g e n d e n M a ß n a h m e n , v. W e b e r - F e s t s c h r i f t S. 98 f f ; den. V o m S c h u l d - z u m M a ß n a h m e n r e c h t ? in: H. Göppinger u n d P. H. Bresser ( H r s g . ) K r i m i n o l o g i s c h e G e g e n w a r t s f r a g e n H e f t 10, 1 9 7 2 , S. 11 f f ; W. Sax G r u n d s ä t z e d e r S t r a f r e c h t s p f l e g e , in: K.A. Bettermann, H. C. Nipperdey, U. Scheuner ( H r s g . ) D i e G r u n d r e c h t e Bd. III ( 2 ) , 2. A u f l a g e 1 9 7 2 S. 9 0 9 f f ; Eh. Schmidt E i n f ü h r u n g in die G e s c h i c h t e d e r d e u t s c h e n S t r a f r e c h t s p f l e g e , 3. A u f l a g e 1 9 6 5 ; H. Schröder D i e V e r e i n h e i t l i c h u n g d e r S t r a f e u n d d e r s i c h e r n d e n M a ß n a h m e n , Z S t W 6 6 S. 180 f f ; den. D i e „ E r f o r d e r l i c h k e i t " v o n S i c h e r u n g s m a ß r e g e l n , J Z 1 9 7 0 S. 9 2 f f ; C. Stooss S t r a f e u n d s i c h e r n d e M a ß n a h m e , S c h w Z S t r . 18 ( 1 9 0 5 ) S. 1 f f ; den. D e r „ D u a lismus" im S t r a f r e c h t , S c h w Z S t r . 41 ( 1 9 2 8 ) S. 54 f ; den. Z u r N a t u r d e r s i c h e r n d e n M a ß n a h m e n , S c h w Z S t r . 4 4 ( 1 9 3 0 ) S. 2 6 1 f f ; G. Stratenwerth Zur Rechtsstaatlichkeit der freiheitsentziehenden M a ß n a h m e n i m S t r a f r e c h t , S c h w Z S t r . 82 ( 1 9 6 6 ) S. 3 3 7 f f ; den. S t r a f r e c h t l i c h e M a ß n a h m e n an geistig A b n o r m e n , S c h w Z S t r . 8 9 ( 1 9 7 3 ) S. 131 f f ; W. Stree D e l i k t s f o l g e n u n d G r u n d g e s e t z . Z u r V e r f a s s u n g s m ä ß i g k e i t d e r S t r a f e n u n d s o n s t i g e n s t r a f r e c h t l i c h e n M a ß n a h m e n , 1960.

A. Theorien der Maßregeln 1. D a s g e l t e n d e R e c h t k e n n t a l s R e a k t i o n a u f e i n e S t r a f t a t n e b e n d e n S t r a f e n o d e r

53

statt d e r S t r a f e n a u c h M a ß r e g e l n der B e s s e r u n g u n d S i c h e r u n g : § 61 S t G B . S o w i e die S t r a f e e i n e R e a k t i o n a u f e i n e B e e i n t r ä c h t i g u n g d e r N o r m g e l t u n g ist, s o d i e e i n e R e a k t i o n a u f e i n e in d e r T a t o b j e k t i v i e r t e W i e d e r h o l u n g s g e f a h r . Vereinigungstheorien

schon genannte

Zweispurigkeit

der Reaktion

Maßregel

D i e s e bei

den

drängt sich

auf,

w e n n die Strafe u n d das zur Spezialprävention Erforderliche divergieren; d e m e n t s p r e chend beruht die V e r a n k e r u n g der Zweispurigkeit im geltenden Recht auf V e r s u c h e n , die Vorteile einer s c h u l d g e b u n d e n e n Strafe mit einigen V o r t e i l e n spezialpräventiv

ef-

f e k t i v e r B e h a n d l u n g z u k o m b i n i e r e n 7 6 . W e g e n d e r S p a l t u n g d e r R e a k t i o n ist v o n Seiten der Präventionisten und aus deren Sicht z u R e c h t der V o r w u r f des Etikettenschwindels erhoben worden77. aussetzung

zur

— A u c h einzelne Modalitäten der Strafe, insbesondere die Straf-

Bewährung

(§§ 5 6 ff S t G B )

und

der Vorrang

der

Geldstrafe

(§ 4 7

StGB), sind M a ß r e g e l n , nur untrennbar mit einer Strafe verknüpft78. 2 a ) D i e T h e o r i e d e r M a ß r e g e l n ist l ä n g s t n i c h t s o d i f f e r e n z i e r t e n t w i c k e l t w o r d e n w i e die T h e o r i e der Strafen79. U b e r w i e g e n d b e g n ü g t m a n sich mit der

Feststellung,

e i n e M a ß r e g e l s o l l e — i m R a h m e n d e s V e r h ä l t n i s m ä ß i g e n (§ 6 2 S t G B ) — d a s G e m e i n 76

Erstmals verwirklicht w u r d e die Zweispurigkeit unter dem Einfluß von E. F. Klein in § 5 II 20 und § 1160 II 20 ALR. — Nachweise z u r Geschichte bei Eh. Schmidt Geschichte § 2 4 1 ; LK-Tröndle Rdn. 9 vor § 38; LK-Hanack Rdn. 5 ff vor § 61. — Grundlegend f ü r die heutige Anerkennung der Zweispurigkeit w a r der Vorentwurf zu einem Schweizerischen Strafgesetzbuch von Carl Stooss (1893; Gesetz 1937); Stooss SchwZStr. 18 (1905) S. I f f ; ders. SchwZStr. 41 (1928) S. 54 f; ders. SchwZStr. 44 (1930) S. 261 f f ; siehe dazu Schultz Einführung S. 61 f f ; Stratenwerth Schweizerisches Strafrecht 1/18 ff, jeweils mit Nachweisen. — In Deutschland w a r die Zweispurigkeit in den R e f o r m e n t w ü r f e n seit dem Vorentwurf von 1909 und dem Entwurf von 1913 im Prinzip unangefochten. Geltendes Recht wurde sie erstmals durch das Gesetz vom 24. 11. 1933 („Gewohnheitsverbrechergesetz", RGBl. I S. 995): SS 42 a ff StGB a. F. Das Ergebnis war zunächst dreispurig (Bockelmann Studien S. 162); denn neben die Strafe f ü r die T a t und die Maßre-

77 78

7

gel trat in § 20 a StGB a. F. Strafe f ü r den „gefährlichen Gewohnheitsverbrecher". — Siehe ferner § § 8 1 ff Ε 1962 und Begründung S. 207 f; §§ 66 ff A E und Begründung S. 121. Kohlrausch Z S t W 44 S. 21 ff, 33. Teils wird die „bedingte Verurteilung" nicht als Kombination von Strafe und Maßregel, sondern als „dritte Säule" der Kriminalpolitik bezeichnet (Jescheck A T § 8 V I ; LK-]escheck Einleitung Rdn. 40 ff). U n t e r bedingter Verurteilung werden dabei zusammengefaßt: Das vorläufige Absehen von Klage und die vorläufige Einstellung nach § 153 a S t P O , die V e r w a r n u n g mit Strafvorbehalt nach den §§ 59 ff StGB (im Jugendstrafrecht die Aussetzung der V e r h ä n g u n g der Jugendstrafe nach den §§ 27 ff J G G ) , ferner Strafaussetzung oder Aussetzung des Strafrests z u r Bewährung, SS 56 bis 56 g, 58 StGB, S 57 StGB, und schließlich die Aussetzung einer Maßregel z u r Bewährung, SS 67 b, 67 c Abs. 2 Satz 4, 67 d Abs. 2, 67 g StGB.

» Siehe LK-Hanack

Rdn. 36 vor S 61. 23

54

1. AbSChn

l. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

interesse erhalten 80 . Damit ist freilich wenig anzufangen, weil unklar bleibt, wie die Interessen des Täters zu gewichten sind: so gering wie die Interessen eines Angreifers bei der Notwehr (unten 12/30, 46 f) oder so hoch wie die Interessen eines Unbeteiligten beim aggressiven Notstand (unten 13/20 ff)? Unklar ist auch, was die drohende Beeinträchtigung des Gemeininteresses ist: die kommende Verletzung oder Gefährdung durch eine Naturkatastrophe oder die kommende Verletzung der Normgeltung oder einer Zwischenform o. ä. b) Schon konkreter ist der Vorschlag, die Maßregeln „notwehrrechtlich" zu verstehen 8 1 . Da freilich die Notwehr auf staatliches Abwehrhandeln gerade nicht paßt (unten 12/41 ff) und bei der Verhängung von Maßregeln zudem die Drastik eines gegenwärtigen Angriffs fehlt, geht die Parallele zur Notwehr sachlich fehl 8 2 . c) Nach einer ethisierenden Lösung soll die Maßregel den Verlust der „inneren Freiheit" des Täters ausgleichen und gerade wegen dieses Verlusts zu rechtfertigen sein: „Wer (der) inneren, von sittlicher Selbstbestimmung gelenkten Freiheit überhaupt nicht fähig (wie Geisteskranke) oder infolge von schlechten Anlagen, Lastern und Gewohnheiten nicht mehr hinreichend mächtig ist, kann die volle soziale Freiheit nicht beanspruchen" 83 . Diese Lösung ergibt freilich nichts für die Maßregeln, die neben der Strafe für eine voll schuldhafte Tat verhängt werden 8 4 ; wenn der Täter für den Gebrauch seiner „Freiheit" voll einstehen muß, müßte er nach der genannten Lösung auch volle soziale Freiheit beanspruchen können. d) Schließlich werden die Maßregeln auch unter die schon bekannten Institutionen des Rechts aufgeteilt: Teils sollen sie „personenrechtliche Fürsorgemaßnahmen" sein, teils echte Strafen 8 5 . Als Strafe soll insbesondere die Sicherungsverwahrung durchgehen: „Wer das Leben eines Gewohnheitsverbrechers geführt hat, der hat unbemessene Freiheitsstrafe verdient" 86 . Das geht freilich am Tatprinzip vorbei: Geschehene Taten sind immer auch zu bemessen; unbemessene Rechtsfolgen knüpfen deshalb nicht allein an die geschehenen Taten an, sondern zumindest zusätzlich an die Gefahr zukünftiger Taten; für Zukünftiges kann aber nicht schon gegenwärtig gestraft werden.

B. Die Differenzierung der Maßregelfunktion 55

1. Zur Lösung ist die Beziehung zwischen dem Konflikt, den der Täter durch seine Tat hervorruft, und der Maßregel genauer zu beschreiben. Dabei kann für alle Maßregeln vorweg festgehalten werden, daß sie praktisch mit einem Übel verbunden sind, das der Täter zu tragen hat. Deshalb weisen auch die Maßregeln den generalpräventiven (normbestätigenden) Nebeneffekt auf, der schon bei der Behandlung der Spezialprävention bezeichnet wurde (oben 1/37). Davon abgesehen sind zur Klärung der Beziehung zwischen Konflikt und Maßregel folgende Maßregelarten zu unterscheiden: (a) die strafergänzende Maßregel, (b) die strafersetzende Maßregel und (c) die strafvertretende Maßregel. 80

Exner Theorie S. 226 f f ; Nagler Verbrechensprophylaxe S. 19, 66 ff, 102 ff, 257 f f ; Nowakowski v. Weber-Festschrift S. 98 ff, 103; Stree Deliktsfolgen S. 217 f f ; Lenckner in: H a n d b u c h Bd. I S. 3 ff, 185; LK-Hanack Rdn. 28 vor § 6 1 ; LKJescheck Einleitung Rdn. 39; Schönke-SchröderStree Rdn. 2 vor § 61; Schmidhäuser A T 21/8 mit Fn. 4 u. a. m. 8' Sax in: G r u n d r e c h t e Bd. III (2) S. 909 ff, 960 ff, 963, 965.

24

82

Zutreffend kritisch Nowakowski v. Weber-Festschrift S. 98 ff, 108 f. « Welzel Strafrecht § 3 2 III; ebenso LK^-LangHinrichsen Rdn. 13 f vor § 42 a; Lang-Hinrichten in: 43. D J T Bd. I Teil 3 H e f t Β S. 5 ff, 42 f ; Gallas Niederschriften Bd. IV S. 55; Bockelmann Niederschriften Bd. I S. 56 f, 243 ff, 247; Bruns Z S t W 71 S. 210 ff, 211 f. 84 Zutreffend Stratenwerth A T Rdn. 35. «5 H. MayerΚΊ %7 III. H. Mayer A T § 64 I 2.

Inhalt und Aufgabe staatlichen Strafens

1. Abschn

a aa) Was die strafergänzende Maßregel angeht, also die Maßregel neben der Strafe, 5 6 so ist folgender Zusammenhang zu beachten: Ob es überhaupt möglich ist, Erwartungen durchzuhalten, die allein normativ gegen Enttäuschungen abgesichert sind, ist schon zweifelhaft. Jedenfalls bedürfen die elementaren Erwartungen, die das Strafrecht stabilisiert, auch einer kognitiven Untermauerung. Mit Strafe kann der Verlust an Gütern, den das Opfer erleidet, nicht ausgeglichen werden. Deshalb gehört zu den Voraussetzungen eines jeden (nicht aufgezwungenen) sozialen Kontakts neben der Gewißheit, daß im Enttäuschungsfall eine normative Garantie erfolgen wird (also neben der Gewißheit, im Recht zu sein), auch die (weniger gewisse) Wahrscheinlichkeit, daß man mit seinen elementaren Gütern ungeschoren davonkommt. Beispiel: Wer voraussichtlich gewiß von einem betrunkenen Autofahrer totgefahren wird, wenn er sich auf die Straße begibt, wird trotz der Garantie, im Recht zu sein, die Straße meiden. Freilich kann die kognitive Absicherung schwächer sein, als es die normative Garantie ist; der Witz der normativen Garantie besteht ja gerade darin, daß die Norm auch dann noch als allseitig verbindliches Verhaltensmuster akzeptiert werden kann, wenn ein Normbruch kognitiv nicht auszuschließen ist. Das heißt aber nicht, es könne darauf verzichtet werden, evidente Gefahrenquellen zu verstopfen. Die normative Garantie wirkt nur als eine brauchbare Garantie, wenn der Normbruch auch kognitiv ernsthaft angegangen wird; denn da allein vom Recht-Haben niemand leben kann, läßt sich auch allein mit der Gewißheit, daß notfalls eine normative Garantie erfolgt, das Leben nicht brauchbar organisieren. Dieses Befunds wegen sind die strafergänzenden Maßregeln erforderlich, also etwa Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) oder in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) oder in Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) neben der Strafe u. a. m. Die Aufgabe dieser Maßregeln besteht darin, dasjenige Maß an kognitiver Sicherheit herzustellen, ohne das die normative Garantie keine taugliche Organisationsgrundlage abgibt. Auch eine Maßregel, die neben eine Strafe tritt, dient also der Erhaltung von Normgeltung; sie stützt den Effekt der Strafe für die geschehene Tat durch kognitive Untermauerung der Norm, also auch abgesehen von dem schon bezeichneten generalpräventiven Nebeneffekt, der hauptsächlich aus dem Übelscharakter der Maßregel resultiert. Die Verbindung von Maßregel und Normgeltung erklärt, weshalb der Normbruch für die Gefahr weiterer Normbrüche symptomatisch sein muß: Es geht nicht darum, aus Anlaß der Tat eine Generalrevision der Person des Täters vorzunehmen, sondern die Indizwirkung der Tat hindert eine Bereinigung der Situation allein durch Strafe. bb) Wegen ihrer bloßen Hilfsfunktion ist eine strafergänzende Maßregel auf das Quantum zu limitieren, das erforderlich ist, um den Strafeffekt zu stützen. Diese Limitierung ist für die Beendigung einer Maßregel höchst bedeutsam: Die Maßregel hat nicht erst zu enden, wenn die Gefahr weiterer Taten beseitigt ist, sondern schon dann, wenn die Geltung der Norm nicht mehr in Zweifel steht, weil ein ernsthafter und nicht offensichtlich erfolgloser Besserungsversuch unternommen worden ist (oder bei Sicherungsverwahrung: ein entsprechendes Abwarten geänderter Verhältnisse). b) Bei einer strafersetzenden Maßregel, d. h. bei einer Maßregel auf Grund schuldlo- 57 sen Verhaltens des Täters, bleibt — abgesehen vom generalpräventiven Nebeneffekt der Übelszufügung — nur jene dünne Beziehung zur Normgeltung, die sich aus dem Umstand ergibt, daß überhaupt gegen den Täter vorgegangen wird, daß also der Konflikt und der Täter als dessen Ursache ernst genommen werden (auf bloße Geschmacklosigkeiten oder auf bloßen Unfug hin erfolgt keine bessernde oder sichernde Reaktion). Eine strafersetzende Maßregel hat aber nicht eine bloße Hilfsfunktion, sondern 25

2. Abschn

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

ist eine eigene Erledigungsart. Da der Konflikt nur kognitiv und nicht normativ angegangen wird, muß die Maßregel auch kognitiv erfolgreich sein: Zielpunkt ist — anders als bei der ergänzenden Maßregel — nicht die Normgeltung, sondern die Gefahrfreiheit. 58

c) Zwischen den beiden zuvor genannten Arten von Maßregeln ist die strafvertretende Maßregel angesiedelt, das heißt die Maßregel, die gegenüber dem schuldhaften Täter statt Strafe verhängt oder vollstreckt wird (§ 67 Abs. 4 und 5 StGB). Sie hat mit der strafergänzenden Maßregel gemeinsam, daß sie Reaktion auf einen zurechenbaren Normbruch ist, und mit der strafersetzenden Maßregel, daß die Lösung des Konflikts ganz im kognitiven Bereich gesucht wird. Die verletzte N o r m soll stabilisiert werden, indem die faktische Chance ihrer Beachtung erhöht wird. Es geht also um die Festigung von Normgeltung allein durch Beseitigung von Gefahr. — Ob das allerdings mehr als nur vereinzelt durchführbar ist, ist nicht ausgemacht (siehe oben zur Spezialprävention 1/39).

59

2 a) Entsprechend den unterschiedlichen Aufgaben der Maßregeln ist die Zweckerreichung unterschiedlich zu bestimmen. Bei der strafergänzenden Maßregel geht es nur darum, die kognitive Sicherheit zu schaffen, die zur Untermauerung einer normativen Garantie erforderlich ist. Bei den beiden anderen Maßregelarten muß hingegen der Konflikt überhaupt kognitiv erledigt werden; die Prüfung, ob die Gefahr beseitigt ist, muß deshalb bei den zuletzt genannten Arten nach einem strengeren Maßstab erfolgen.

60

b) Auch bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit ergeben sich je nach Art der Maßregel unterschiedliche Interessenbeteiligungen und Interessengewichtungen. W ä h rend es bei einer strafergänzenden und (trotz des kognitiven Vorgehens) auch bei einer strafvertretenden Maßregel hauptsächlich um die Erhaltung von allgemeinem N o r m vertrauen geht, ist bei einer strafersetzenden Maßregel die Beseitigung von Gefahren für Güter (nicht für Normen) vorrangig, was weniger zählt. — Die Interessen auf Seiten des Täters sind um so geringer zu gewichten, je stärker er f ü r die Gefahr zuständig ist, so daß insoweit eine Reaktion gegenüber einem schuldhaft handelnden Gewohnheitstäter noch verhältnismäßig sein mag, wenn sie gegenüber einem Geisteskranken schon unverhältnismäßig ist. — Weiterhin muß bei der strafvertretenden Maßregel zu Lasten des Täters berücksichtigt werden, daß ihn — im Gegensatz zur Lage bei der strafergänzenden Maßregel — trotz schuldhaften Verhaltens keine Strafe trifft. — Der Notwendigkeit dieser differenzierten Abwägungen 8 7 wird die pauschale Formulierung von § 62 StGB nicht gerecht. Einzelheiten gehören zur Lehre von den Rechtsfolgen.

2. A B S C H N I T T

Die materielle Legitimation des Strafrechts Literatur K. Amelung Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, 1972; ders. Buchbesprechung, ZStW 87 S. 132 ff; ders. Zur Kritik des kriminalpolitischen Strafrechtssystems von Roxin, JZ 1982 S. 617 ff; P. Bockelmann Literaturbericht, ZStW 74 S. 304 ff; R.-P. Calliess Theorie der Strafe im demokratischen und sozialen Rechtsstaat, 1974; G. Dahm Der Methodenstreit in der heutigen 87 SK-Hom § 62 Rdn. 8 vergleicht die Differenziertheit zutreffend mit derjenigen bei der Strafzumessung.

26

Materielle Legitimation des Strafrechts

2. Abschn

Strafrechtswissenschaft, Z S t W 57 S. 225 ff; W. Gallas Zur Kritik der Lehre vom Verbrechen als Rechtsgutsverletzung, Gleispach-Festschrift S. 50 ff; ders. Beiträge zur Verbrechenslehre, 1968; M. Grünhut Methodische Grundlagen der heutigen Strafrechtswissenschaft, Frank-Festgabe Bd. I S. 1 ff; E.-W. Hanack Empfiehlt es sich, die Grenzen des Sexualstrafrechts neu zu bestimmen? Gutachten 47. D J T Bd. I (A); R. HassemerSchutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrechtsdogmatik, 1981; W. Hassemer Theorie und Soziologie des Verbrechens, 1973; ders. Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, 1974; ders. Buchbesprechung, Z S t W 87 S. 146 ff; Tb. Hillenkamp Vorsatztat und Opferverhalten, 1981; R. M. Honig Die Einwilligung des Verletzten Teil I, 1919; H. Jäger Strafgesetzgebung und Rechtsgüterschutz bei Sittlichkeitsdelikten, 1957; Arthur Kaufmann Subsidiaritätsprinzip und Strafrecht, Henkel-Festschrift S. 89 ff; ders. Tendenzen im Rechtsdenken der Gegenwart, 1976; /. Krümpelmann Die Bagatelldelikte, 1966; E.-J. Lampe Rechtsgut, kultureller Wert und individuelles Bedürfnis, Welzel-Festschrift S. 151 f f ; F. v. Liszt Rechtsgut und H a n d lungsbegriff im Bindingschen Handbuche, ZStW 6 S. 663 ff; ders. D e r Begriff des Rechtsgutes im Strafrecht und in der Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, Z S t W 8 S. 133 f f ; F. Loos Z u m „Rechtsgut" der Bestechungsdelikte, Welzel-Festschrift S. 879 f f ; M. Marx Zur Definition des Begriffs „Rechtsgut". Prolegomena einer materialen Verbrechenslehre, 1972; K. Marxen D e r Kampf um das liberale Strafrecht, 1975; Μ. E. Mayer Rechtsnormen und Kulturnormen, 1903; E. Mezger Die Straftat als Ganzes, Z S t W 57 S. 675 ff; U. Neumann und U. Schroth Neuere Theorien von Kriminalität und Strafe, 1980; H. Otto Rechtsgutsbegriff und Deliktstatbestand, in: H. MüllerDietz (Hrsg.) Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, 1971, S. 1 ff; ders. Personales Unrecht, Schuld und Strafe, Z S t W 87 S. 539 ff; K. Peters Die ethischen Grundlagen des Strafprozesses, Würtenberger-Festschrift S. 77 ff; F. Preiser Wie weit sollte das Sittlichkeitsstrafrecht reformiert werden? ZStW 82 S. 655 ff; G. Roos Entkriminalisierungstendenzen im Besonderen Teil des Strafrechts, 1981; C. Roxin Sinn und Grenzen staatlicher Strafe, JuS 1966 S. 377 ff; H.-J. Rudolphe Die verschiedenen Aspekte des Rechtsgutsbegriffs, Honig-Festschrift S. 151 f f ; W. Sax Grundsätze der Strafrechtspflege, in: Κ. A. Bettermann, H. C. Nipperdey, U. Scheuner (Hrsg.) Die Grundrechte Bd. III (2), 2. Auflage 1972, S. 909 f f ; F. Schaffstein Das Verbrechen eine Rechtsgutsverletzung? Deutsches Strafrecht 2 (1935) S. 97 ff; ders. Das Verbrechen als Pflichtverletzung, in: Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft, 1935, S. 108 ff; ders. D e r Streit um das Rechtsgutsverletzungsdogma, Deutsches Strafrecht 4 (1937) S. 335 ff; E. Schmidhäuser Der U n rechtstatbestand, Engisch-Festschrift S. 433 f f ; P. Sina Die Dogmengeschichte des strafrechtlichen Begriffs „Rechtsgut", 1962; E. Schwinge Teleologische Begriffsbildung im Strafrecht, 1930; G. Stratenwerth Leitprinzipien der Strafrechtsreform, 1970; K. Tiedemann Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht, 1969; H. WelzelNaturalismus und Wertphilosophie im Strafrecht, 1935; ders. Studien zum System des Strafrechts, ZStW 58 S. 491 ff; ders. Über den substantiellen Begriff des Strafgesetzes, Kohlrausch-Festschrift S. 101 ff; H. Zipf Kriminalpolitik, 2. Auflage 1980.

I. Das Bezugsniveau des Strafrechtsschutzes: Normen als Strafrechtsgut A. Formell wird Strafrecht durch das v e r f a s s u n g s g e m ä ß e Z u s t a n d e k o m m e n der 1 strafrechtlichen G e s e t z e legitimiert. D i e materielle L e g i t i m a t i o n besteht darin, daß die strafrechtlichen G e s e t z e zur Erhaltung der staatlichen u n d g e s e l l s c h a f t l i c h e n Gestalt erforderlich sind. Es gibt k e i n e n g e n u i n e n Inhalt der strafrechtlichen N o r m e n , s o n d e r n die m ö g l i c h e n Inhalte richten sich nach d e m g e g e b e n e n R e g e l u n g s z u s a m m e n h a n g . Z u m R e g e l u n g s z u s a m m e n h a n g g e h ö r e n die W i r k l i c h k e i t e n des s o z i a l e n Lebens e b e n s o w i e die — i n s b e s o n d e r e verfassungsrechtlichen — N o r m e n . Β 1. D e r Beitrag, d e n das Strafrecht zur E r h a l t u n g der staatlichen u n d g e s e l l s c h a f t - 2 liehen Gestalt leistet, besteht in der Garantie v o n N o r m e n . D i e Garantie g e h t d a h i n , daß die E r w a r t u n g e n , die z u m Funktionieren des s o z i a l e n Lebens in der g e g e b e n e n und in der g e s e t z l i c h g e f o r d e r t e n Gestalt u n a b d i n g b a r sind, im Fall ihrer E n t t ä u s c h u n g nicht p r e i s g e g e b e n w e r d e n müssen. M a n k a n n deshalb — w a s freilich d e m ü b l i c h e n Sprachgebrauch z u w i d e r l ä u f t — die E n t t ä u s c h u n g s f e s t i g k e i t der w e s e n t l i c h e n n o r m a tiven E r w a r t u n g e n , u n d diese E n t t ä u s c h u n g s f e s t i g k e i t d e c k t sich mit praktizierter 27

2. Abschn

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

Normgeltung, als das vom Strafrecht zu schützende Gut definieren; dieses Gut wird nachfolgend das Strafrechtsgut genannt. 3

2 a) Bei dieser Begriffsverwendung mag die starke Anbindung an die strafrechtlichen Normen zunächst verwundern; denn Güter lassen sich auch ohne diesen normativen Umweg ausmachen, indem man benennt, was der Täter — jedenfalls im Fall eines Verletzungsdelikts im materiellen Sinn — zerstört: Leben, Gesundheit, Eigentum, wobei hier noch dahinstehen mag, ob die genannten Gegenstände um ihrer selbst willen oder wegen ihrer Leistungen für eine Person oder f ü r die Gesellschaft Güter sein sollen. Es soll auch nicht bezweifelt werden, daß die genannten Gegenstände sinnvoll Güter genannt werden können; denn sie sind positiv bewertete Sachverhalte und deshalb für den Bewertenden „gut".

4

b) Aber Güter dieser Art können zum größten Teil auch durch natürliche Abläufe beeinträchtigt werden (Krankheit, Materialermüdung etc.) und ebenfalls durch Verläufe, die zwar von Menschen vermittelt werden, aber nicht vermeidbar (vorsätzlich oder fahrlässig) sind. Das kann zwar auf ihr Verständnis als Güter ohne Einfluß bleiben, nicht aber auf die Qualifizierung zu Strafrechtsgütern. W e n n man nämlich die positiv bewerteten Sachverhalte ohne Einschränkung als Strafrechtsgüter bezeichnet, ergibt sich die seltsame Konsequenz, daß sich das Strafrecht um den Verlust seiner Güter manchmal (oder je nach Bereich sogar zumeist) nicht kümmert: Der T o d an Altersschwäche, der Verderb einer Sache in der Zeit u. a. m. vernichten Güter im bezeichneten Sinn, erfüllen aber keinen strafrechtlichen Tatbestand 1 . Das Strafrecht hat also nicht die Aufgabe, den Bestand der bezeichneten Güter in jedem Fall zu garantieren, sondern nur bei bestimmt gearteten Angriffen. Würde der Grund dieser Zurückhaltung von außen an das Strafrecht herangetragen, so wäre es angemessen, Gegenstände von der bezeichneten Art um ihrer selbst willen oder um ihrer Leistung f ü r Personen oder für die Gesellschaft willen Strafrechtsgüter zu nennen; denn strafrechtlich wäre dann ein umfassender Schutz angezeigt, der allein durch strafrechtsfremde Gründe auf bestimmte Angriffsweisen beschränkt würde. Bei diesem Verständnis müßte aber jede Vernichtung eines Guts im bezeichneten Sinn, wie sie auch erfolgen mag, eine strafrechtlich relevante Störung sein. Mit der Absurdität dieser Konzeption (jede Krankheit ein Angriff auf Strafrechtsgüter?) werden die Grenzen der Leistungsfähigkeit des bezeichneten Güterbegriffs deutlich: Er betrifft zwar sinnvoll als Güter zu bezeichnende Sachverhalte, vernachlässigt aber die spezifische Aufgabe des Strafrechts, da er schädliches Walten der N a t u r oder nicht vermeidbares Verhalten von Menschen zusammen mit dem — strafrechtlich allein interessierenden — zurechenbaren Verhalten über denselben Kamm der „Störung wegen Gutsverletzung" schert. In der Konsequenz wird jedenfalls bei Gütern, die nicht durch gesellschaftliche Evolution ihre Aufgabe verlieren, vielmehr physisch bedingt abieben (Altersschwäche), die Vergangenheit zu einem riesigen Rechtsgüterfriedhof, der hinreichend deutlich demonstriert, daß bei der Verletzung eines Guts im bezeichneten Sinn das Niveau, auf dem Strafrecht stattfindet, nicht notwendig erreicht wird.

5

C 1. Strafrechtlich interessiert nicht jede nachteilige Veränderung eines Guts als eines positiv bewerteten Sachverhalts; vielmehr muß sich die Veränderung gegen die positive Bewertung selbst richten. Das kann nur durch ein menschliches Verhalten mit dem expressiven Gehalt geschehen, eine Berücksichtigung der positiven Bewertung sei 1 Bockelmann ZStW 74 S. 311 ff, 313.

28

Materielle Legitimation des Strafrechts

2 . AbSChü

nicht angebracht. Nicht die Verursachung eines Todes ist Sira/recAiigutsverletzung (sie ist schlicht Gutsverletzung), sondern der in der vermeidbaren Tötung liegende Sinn, Tötung solle sein (Vorsatz) oder sei nicht in Acht zu nehmen (Fahrlässigkeit), da dieser Sinn sich gegen das spezifisch vom Strafrecht zu Bewahrende richtet, seil, gegen die Normgeltung. Nur diese Sicht hebt das Strafrechtsgut auf die Ebene, auf der gesellschaftliche Interaktion per Strafrecht stattfindet: die Ebene der Bedeutung von (deliktischem) Verhalten als Negation der Bedeutung von Normen und der Bekräftigung des Festhaltens an der Normbedeutung durch die strafende Reaktion 2 . Strafrechtsgut im Bereich der Eigentumsdelikte ist bei dieser Lösung nicht die fremde Sache oder die Beziehung des Eigentümers zu seiner Sache als Funktionseinheit für Aktionen zur Bedürfnisbefriedigung oder zur Gewinnerzielung, sondern die Geltung des Norminhalts, Eigentumsschutz solle sein; entsprechend ist Strafrechtsgut im Bereich der Körperverletzungsdelikte die Geltung des Norminhalts, fremde Körperintegrität sei zu achten etc. Strafrechtsgut ist die praktische Verbindlichkeit der Norm. 2. Das Strafrechtsgut im bezeichneten Verständnis kann nicht durch ein Verhalten 6 als äußerliches Ereignis, sondern nur durch ein Verhalten als bedeutungshaltiges Ereignis angegriffen werden. Wegen des Tatprinzips liegt freilich eine Straftat immer nur vor, wenn auch ein äußerliches, sinnenfälliges Ereignis stattfindet. Das Objekt dieses äußerlichen Verhaltens ist freilich nicht das Strafrechtsgut, vielmehr sind Strafrechtsgut und Handlungsobjekt (genauer wäre: Verhaltensobjekt) zu trennen 3 . Beim Handlungsobjekt kann es sich sogar um das Gegenteil eines Guts handeln, seil, wenn das Verhalten in der Produktion unerwünschter Gegenstände besteht, etwa bei der Geldfälschung oder der sonstigen Urkundenfälschung (§§146 ff, 267, 348 StGB), oder in der Produktion unerwünschter Informationen, etwa bei der Beleidigung, beim Geheimnisverrat und beim Betrug (§§ 185, 203, 263 StGB). Soweit das Handlungsobjekt nicht rechtlich negativ bewertet wird, kann man es als Angriffsobjekt bezeichnen. Manche Angriffsobjekte lassen sich ihrerseits als Güter definieren, die dem maßgeblichen Gut (dem Strafrechtsgut und auch dem Rechtsgut im noch zu bestimmenden Sinn) vorgelagert sind (etwa Eigentum als der Entfaltungsmöglichkeit vorgelagertes Gut), andere vermitteln nur den Angriff gegen ein Gut (etwa der Vollstrekkungsbeamte beim Widerstand nach § 113 StGB). 2

Bemühungen, Strafrechtsgut, N o r m b r u c h und Strafe auf ein Niveau zu bringen, sind selten. Zu nennen ist vorweg Welzel Strafrecht § 1 I; ders. Z S t W 58 S. 491 ff, 509 ff; ders. Kohlrausch-Festschrift S. 101 ff, 107 ff, der zwischen Sachverhaltswerten und Aktwerten trennt (freilich nur die Sachverhaltswerte als Rechtsgüter bezeichnet): „Wesentlicher als der Schutz der konkreten einzelnen Rechtsgüter ist die Aufgabe, die reale Geltung (Befolgung) der Aktwerte rechtlicher Gesinnung sicherzustellen" (Strafrecht a a O ) . — Z u Welzels Lehre siehe Amelung Rechtsgüterschutz S. 165 ff, 273 ff; Hassemer T h e o r i e S. 87 ff. Der verbreitete Einwand, der Blick auf den Aktunwert f ü h r e zum Gesinnungsstrafrecht, da in Welzels System die Straf tat keinen notwendigen Platz habe, trifft bislang jede T h e o r i e : Selbst aus der Festlegung auf den Schutz sinnlich e r f a h r b a rer Rechtsgüter ergibt sich keine Antwort auf die Frage, ob und wann ein so gefährlicher Angriff

vorliegt, daß Strafe notwendig ist. Jede Straftat fängt im Kopf des Täters an und endet in der Außenwelt. Das Tatprinzip ist deshalb auch aus dem Prinzip eines Rechtsgüterschutzes im konventionellen Verständnis nicht zu erklären (a. A. Sax Grundrechte Bd. III (2) S. 909 ff, 913; Hassemer Theorie S. 97; Jescheck A T $ 1 III 2 u. a. m.). Grundlegend ferner Schmidhäuser Engisch-Festschrift S. 433 ff, 444 f; ders. A T 2 / 3 0 : „Rechtsgutsverletzung ist ein geistiges P h ä n o m e n . . . Rechtsgutsverletzung ist die Verletzung des vom Rechtsgut (?) ausgehenden Achtungsanspruchs durch ein Willensverhalten"; ders. Studienbuch 5 / 27: „der von wertvollen Sachverhalten ausgehende Achtungsanspruch". — Ähnlich wie hier Otto Z S t W 87 S. 539 ff, 554 ff, 562. 3

Jescheck A T § 26 I 4; Stratenwerth A T Rdn. 210; Schmidhäuser A T 2/31 f; Maurach-Zipf A T I § 19 II A ; Baumann A T § 12 II 3 a.

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2. Abschn

1. B u c h . 1. Kapitel. Staatliches S t r a f e n

II. Materielle Legitimation des Strafrechts durch Rechtsgüterschutz? A. Allgemeine Probleme 7

1. Das bislang behandelte Bezugsniveau des Strafrechtsguts steht bei der Diskussion des Problems „Strafrecht als Rechtsgüterschutz" (oder „Straftat als Rechtsgutsverletzung" 4 ) üblicherweise nicht im Vordergrund 5 . Es geht vielmehr darum, ob die Strafrechts norme« (und damit erst mittelbar auch das Strafrecht selbst) nur legitim sind, wenn sie Rechtsgüter schützen, ohne daß freilich sonderlich klar wäre, was ein Rechtsgut in diesem Zusammenhang ist. „Das Rechtsgut ist zu einem wahren Proteus geworden, der sich unter den Händen, die ihn festzuhalten glauben, sofort in etwas anderes verwandelt" 6 . — Nachfolgend wird als Rechtsgut der Schutzgegenstand einer Norm verstanden, dies im Gegensatz zur Normgeltung selbst als dem Strafrechtsgut.

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2 a) Streitig ist schon, aus wessen Sicht festzulegen ist, was als Schutzgegenstand der Norm in Betracht kommt, ja ob es überhaupt nur auf eine einzige Sicht ankommt (monistische Theorien) oder ob die Perspektive wechseln kann (dualistische Theorien). Neben der (monistischen) Zuordnung aller Rechtsgüter zum einzelnen Bürger 7 finden sich Zuordnungen zur Gesellschaft und dadurch zum Bürger 8 , ferner (dualistische) Zuordnungen, die bei Individualrechtsgütern dem Bürger, bei staatlichen oder überindividuellen Rechtsgütern der Gesellschaft oder dem Staat gelten sollen 9 , und schließlich (wiederum monistische) Zuordnungen einzig zur „Rechtsgemeinschaft" 1 0 . b) Der Streit betrifft drei zweckmäßigerweise zu trennende Problembereiche:

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aa) Zunächst geht es darum, wer der letztlich Begünstigte des „Schutzbetriebs" ist. Hier ist die Sicht möglich, daß selbst der Schutz der Einzelperson (Leben, Freiheit etc.) nur erforderlich ist, weil die Gesellschaft nun einmal handlungsfähige Mitglieder braucht, oder daß in der Umkehrung der Schutz des Staats (etwa gegen Hochverrat) oder gesamtgesellschaftlicher Institutionen nur erfolgt, weil der Einzelne zum Uberleben der Hilfe des Staats bedarf. Dieser Streit um den Staatszweck läßt sich allein an den strafrechtlichen Normen nicht austragen, noch weniger beschränkt auf den Begriff Rechtsgut. Jedenfalls scheiden Radikallösungen aus: Strafrechtliche Normen sind durch die Androhung förmlicher Reaktionen garantiert und deshalb ohne förmliche Ordnung zwischen den einzelnen Individuen so wenig denkbar, wie in der Umkehrung eine Gesellschaft ohne Mitglieder denkbar ist 11 . 10

bb) Weiterhin läßt sich fragen, aus wessen Sicht festzulegen ist, welche Güter, wem diese auch zustehen mögen, des Schutzes würdig und bedürftig sind. Diese Sicht ist immer die öffentliche, allgemeine, auch soweit es um den Schutz privater Güter geht; denn wenn etwas zum Rechtsgut einer strafrechtlichen Norm erhoben wird, heißt dies 4

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Gemeint ist nicht, jede Straftat müsse erfolgreich verletzen, sondern jede Norm müsse den Zweck haben, Verletzungen zu verhüten. Zur Dogmengeschichte siehe Sina Dogmengeschichte passim; grundlegend zum Zusammenhang zwischen der Geschichte des Begriffs Rechtsgut und der allgemeinen Geistesgeschichte Amelung Rechtsgüterschutz S. 15 ff mit teilweise erheblichen Korrekturen der Darstellung Sinas (dazu zusammenfassend S. 10 ff); eine Darstellung mit einem Schwerpunkt auf der Wechselbeziehung zwischen Rechtsgut und sozialer Wirklichkeit gibt Hassemer Theorie passim; zu Amelung siehe Hassemer ZStW 87 S. 145 ff; zu Hassemer siehe Amelung ZStW 87 S. 132 ff.

Welze! ZStW 58 S. 491 ff, 509. 7 M. Marx Definition S. 79 ff und passim; Hassemer Theorie S. 68 ff, mit erheblichen Differenzierungen S. 233 ff. 8 SK-Rudolpbi Rdn. 8 vor § 1; ders. Honig-Festschrift S. 151 ff, 161 f; Calliess Theorie S. 131 ff, 143 ff. 9 Tiedemann Tatbestandsfunktionen S. 113 ff, 118 f; Schmidhäuser Engisch-Festschrift S. 433 ff, 443 f und die ganz überwiegende Ansicht, siehe nur Maurach-Zipf AT I § 19 II A 1 (S. 280); Schönke-Schröder-Lenckner Rdn. 10 vor § 13. Ό Binding Normen Bd. I S. 357 ff. 11 Siehe Amelung Rechtsgüterschutz S. 391 f.

Materielle Legitimation des Strafrechts

2. A b S C h n

per Definition, daß der Schutz eine öffentliche Aufgabe wird. Damit ist freilich nicht ausgemacht, welche privaten Güter in öffentlicher Regie geschützt werden dürfen und welche öffentlichen Güter eines Strafrechtsschutzes bedürfen. Die Güterlehre ist bei der Entscheidung dieser Frage wenig hilfreich. Die Antwort hängt vielmehr von der Sozialschädlichkeit des Verletzungsverhaltens ab, mit der die Wertwidrigkeit des güterverletzenden Verhaltens nicht notwendig korrespondiert. cc) Schließlich muß die Verfügungszuständigkeit f ü r ein G u t festgelegt werden, so- 11 weit es als schutzwürdig und schutzbedürftig befunden wird. Die Entscheidung ist durch Annahmen zum letztlich Begünstigten nicht präjudiziert. So kann auch in einem Modell, nach dem der Eigentumsschutz nicht dem Einzelnen dient, sondern das allgemeine Wirtschaftsleben und dadurch den Staat stärken soll, die Verfügungszuständigkeit dem einzelnen Bürger überlassen werden, etwa in der Annahme, dessen Egoismus garantiere einen wirtschaftlich optimalen Einsatz. In der U m k e h r u n g kann in einem Modell, nach dem der Schutz des Guts allein zugunsten des Einzelnen erfolgen soll, dessen Verfügungszuständigkeit gebunden sein, etwa indem ihm vorgeschrieben wird, was dienlich ist (der richtige Wille des Zuständigen rangiert dann vor dessen wirklichem Willen). Vor allem aber lassen sich Güter, die allen Einzelnen dienen sollen, nur gemeinsam verwalten, so daß auch bei einem individualistischen Ansatz um die Anerkennung von Gütern in der Verfügungszuständigkeit des Staats nicht herumzukommen ist (etwa öffentliches Eigentum). Nach geltendem Recht erfolgt die Bestimmung der Zuständigkeit — abgesehen von überhaupt unverfügbaren Gütern wie etwa dem Bestand der Bundesrepublik Deutschland — dualistisch; neben die Güter in der Zuständigkeit des Einzelnen oder eines Z u sammenschlusses von Einzelnen treten die (seltener überhaupt verfügbaren) Güter in der Hand des Staats oder der anderen öffentlichrechtlichen juristischen Personen und die Güter in allgemeiner gesellschaftlicher Zuständigkeit. — V o n der Verfügungszuständigkeit hängt die (tatbestandsausschließende oder rechtfertigende) Wirkung einer Einwilligung ab (unten 7 / 1 1 4 ; 14/7).

B. Der Begriff des Rechtsguts 1. Ein Gut ist ein positiv bewerteter Sachverhalt. Sachverhalt wird hierbei im weiten 1 2 Sinn verstanden, so daß der Begriff nicht nur (körperliche und andere) Gegenstände umfaßt, sondern auch Zustände und Entwicklungen. Rechtsgut wird ein Gut dadurch, daß es rechtlichen Schutz genießt. N u n läßt sich argumentieren, der rechtliche Schutz sei hinreichender und maßgeblicher Beweis für die positive Bewertung des Sachverhalts. Das Rechtsgut wird dann positivistisch bestimmt und der Begriff umfaßt „alles, was in den Augen des Gesetzes als Bedingung gesunden Lebens der Rechtsgemeinschaft für diese von W e r t ist. . ," 12 . Die Konkretisierung dieser Bestimmung führt zu einer „etwas tumultuarischen Aufzählung des .Güterkapitals der Rechtsordnung'" 1 3 , d. h. man kann an der Aufzählung keine Theorie der Gesellschaft ablesen, sondern nur die Schwankungen und Kompromisse der Praxis. Auch in dieser positivistischen Variante steckt freilich noch ein zum positiven Recht kritischer Aspekt 1 4 : Wenn ein Rechtsgut vorhanden sein soll, muß das Gesetz schon irgendeinen Sachverhalt als wertvoll für das „gesunde Leben" ansehen, und hieran fehlt es, wenn das Gesetz Ver12

Binding H a n d b u c h Bd. I S. 353 f ; ders. N o r m e n Bd. I S. 338 ff, 341 f. - Zu Binding eingehend Amelung Rechtsgüterschutz S. 73 ff; Hassemer Theorie S. 42 ff; Sina Dogmengeschichte S. 41 ff.

13 v. Liszt Z S t W 6 S. 663 ff, 676 gegen Binding. 14 Siehe Hassemer T h e o r i e S. 47; Amelung Rechtsgüterschutz S. 80.

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2. Abschn

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

haltensweisen regelt, deren Ertrag nicht für etwas von Wert ist, sondern die um ihrer selbst willen ein Wert sind, insbesondere wenn das Gesetz sittliches Verhalten um seiner selbst willen vorschreibt. Auch dieser kritische Rest des Rechtsgutsbegriffs läßt sich freilich noch verringern, indem die Definition des Begriffs so elastisch gefaßt wird, daß er schlechthin jeden Regelungszweck einschließt. Das Rechtsgut ist dann als „Sinn und Zweck der einzelnen Strafrechtssätze" 1 5 oder als „Abbreviatur des Zweckgedankens" 1 6 zu verstehen. 13

2. Uberwiegend wird dem Rechtsgutsbegriff jedoch eine stärker kritische Funktion zugesprochen. W e d e r soll der Sachverhaltswert verzichtbar sein — daß die „bloße Sittenwidrigkeit" oder die „bloße Unmoral" mangels Rechtsgutsverletzung nicht als Straftat definiert werden dürfen, kann als eines der Hauptanliegen der Rechtsgutslehre bezeichnet werden 1 7 — noch soll es bei der Wertbestimmung allein auf die „Augen des Gesetzes" ankommen. Vielmehr soll das Gute am Rechtsgut schon vor seiner rechtlichen Anerkennung „Lebensinteresse" sein. „Nicht die Rechtsordnung erzeugt das Interesse, sondern das Leben; aber der Rechtsschutz erhebt das Lebensinteresse zum Rechtsgut" 1 8 , wobei freilich unklar bleibt, nach welchen Kriterien das positive Recht zwischen anzuerkennenden und zu verwerfenden Interessen unterscheidet (auch Verbrecher verfolgen Interessen) 19 . Bei weniger ausgeprägtem naturalistischem Optimismus tritt an die Stelle des interessenerzeugenden „Lebens" zumindest teilweise die Kultur. „Will man wissen, wie diese Interessen entstanden sind, so muß man Kulturgeschichte studieren, darf aber auch nicht vergessen, daß einige fundamentale Interessen mit der N a t u r des Menschen gegeben sind" 20 . Freilich schwächt die Unbestimmtheit der Interessenquelle „Kultur" (eine von der jeweiligen Rechtsordnung isolierte Kultur? 2 1 ) die kritische Potenz.

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3 a) In neuerer Zeit bemüht man sich, die im Interesse 22 erfaßte, positiv bewertende Beziehung zwischen einer Person und einem Sachverhalt für den Rechtsgutsbegriff beizubehalten 2 3 , jedoch ohne den Begriff auch mit der Aufgabe zu belasten, die Quelle dieser bewertenden Beziehung zu bezeichnen (Leben, Kultur, verfassungsgemäße O r d nung etc. 2 4 ). Mit dieser Einbeziehung der Person in den Begriff des Rechtsguts läßt sich das Werthafte des Rechtsguts besser treffen als durch bloße Benennung von O b jekten. Freilich verliert das Rechtsgut dadurch an Anschaulichkeit, was aber hinzunehmen ist, da sowieso keine Chance besteht, als Rechtsgut durchweg etwas Anschauliches auszumachen. Die Einbeziehung der Person muß freilich noch präzisiert werden. Es geht nicht um den von der Person vollzogenen Wertungsakt (der keines strafrechtli15

Honig Einwilligung S. 94. Grünhut Frank-Festgabe Bd. I S. I f f , 8; Schwinge Teleologische Begriffsbildung S. 27; siehe dazu Amelung Rechtsgüterschutz S. 130 ff; Hassemer T h e o r i e S. 49. 17 M. Marx Definition S. 84 f f ; Roxin J u S 1966 S. 377 ff, 382; Rudolphi Honig-Festschrift S. 151 ff, 162, 165; Jaeger Strafgesetzgebung S. 29 ff und passim; u . a . m . — A. A. Preiser Z S t W 82 S. 655 ff, 658; wohl auch Peters W ü r tenberger-Festschrift S. 77 ff, 78 f. 18 v. Liszt S t r a f r e c h t 5 § 3 I 1 mit Fn. 1; ders. Z S t W 6 S. 662 ff, 673; ders. ZStW 8 S. 133 ff. " Z u r Kritik siehe Amelung Rechtsgüterschutz S. 82 ff, 95. 20 Μ. E. Mayer Strafrecht S. 21 unter zutreffend differenzierender H e r v o r h e b u n g der auslösenden und gestaltenden Leistung des Strafrechts; ders. 16

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Rechtsnormen S. 14 ff; siehe auch Lampe WelzelFestschrift S. 151 ff. — Zu den neukantischen Lehren eingehend Amelung Rechtsgüterschutz S. 125 ff. Verneinend Μ. E. Mayer Rechtsnormen S. 23 f. D e r Begriff wird teils beibehalten; Baumann A T § 12 II 3 a; Maurach-Zipf A T I § 19 II A 1 (S. 279). M. Marx Definition S. 67; Sina Dogmengeschichte S. 60 ff, 96 ff; Tiedemann Tatbestandsfunktionen S. 115; Stratenwerth A T Rdn. 210. Freilich kann auch das Strafrecht die wertende Beziehung zeitlich zuerst realisieren. Zwar ist einz u r ä u m e n , daß das Strafrecht wenig geeignet ist, Evolution voranzutreiben; daraus folgt aber nicht, es dürfe prinzipiell nur nachklappen; z u treffend Stratenwerth A T R d n . 51; a. A. SK-Rudolphi Rdn. 5 vor § 1.

Materielle Legitimation des Strafrechts

2. AbSChn

chen Schutzes bedarf), sondern um die Möglichkeit, daß eine Person ihre Interessen realisiert. Die einer Person zugeordnete, auf sie bezogene Möglichkeit der Nutzung und des Genusses eines positiv bewerteten Sachverhalts ist das Rechtsgut. Beispiel: Rechtsgut der Eigentumsdelikte ist nicht die Sache, an der Eigentum besteht, sondern die Beziehung möglicher Nutzung zwischen Eigentümer und Sache. b) Von dem bezeichneten Ansatz ausgehend werden Rechtsgüter beispielsweise de- 1 5 finiert als „Gegenstände in ihrer Bezogenheit auf den Menschen" 2 5 , „werthafte Funktionseinheiten" 26 , „Potentiale" 2 7 oder „Partizipalien", d. h. Bedingungen der Möglichkeit, an der sozialen Interaktion zu partizipieren 28 . — Nachfolgend wird der Begriff der Funktionseinheit übernommen. Bei diesem Begriff wird deutlich, daß nicht jeder beliebige Regelungsgegenstand einer Norm ein Rechtsgut ist, vielmehr nur ein solcher Regelungsgegenstand, der eine Aufgabe für die Gesellschaft oder für eines ihrer Subsysteme, den Bürger eingeschlossen, zu erfüllen hat. Der Begriff verhütet ferner das Mißverständnis, ein Rechtsgut müsse etwas sinnlich Wahrnehmbares oder doch auf ein solches Objekt bezogen sein. Freilich löst auch der Begriff der Funktionseinheit nicht das Problem, welche Aufgaben als rechtlich legitime Aufgaben anzuerkennen sind (auch eine kriminelle Vereinigung ist eine Funktionseinheit); insoweit bietet der Begriff gegenüber demjenigen des Interesses keinen Vorzug: Diese Schwäche ist, wie noch zu zeigen sein wird, jedem Rechtsgutsbegriff konstitutionell mitgegeben.

C. Nicht auf Rechtsgüter bezogene Normen 1 a) Zahlreiche Norminhalte des geltenden Rechts lassen sich nicht erklären, wenn 16 der Zweck der Normen allein im Rechtsgüterschutz gesucht wird, seil. u. a. die für eine Güterverletzung irrelevanten Tatmodalitäten objektiver und subjektiver Art. Der Güterschutz reicht also nie zur Erklärung aller Deliktsmerkmale hin. Er ist sogar nicht einmal für alle Delikte notwendig. Hauptsächlich versagt die Gleichsetzung von Normzweck und Rechtsgüterschutz oder von Straftat und Rechtsgüterverletzung bei Delikten mit einer Sonderpflicht aus institutioneller Zuständigkeit. b) Im Regelfall erschöpft sich das vom Täter erwartete Verhalten im Negativen: 17 Der Täter soll ein Gut nicht verletzen, genauer: schädigende Wirkungen seines eigenen Organisationskreises auf ein Gut vermeiden (unten 7/56 ff; 21/16 ff; 28/14; 29/29 ff). Bei den Sonderpflichten aus institutioneller Zuständigkeit soll aber zwischen Täter und Gut eine positive Beziehung bestehen, seil, eine — nicht notwendig eigennützige — Zuwendung, im Idealfall ein Stück Gemeinsamkeit der Lebenswelt (unten 7/70; 21/115; 25/43 ff; 28/25; 29/57 ff). Wegen dieser Gemeinsamkeit treffen den Täter besondere Verhaltenserwartungen, deren Inhalt sich nicht (strafbegründende Sonderpflichten, echte Sonderdelikte) oder nur unvollkommen (straferhöhende Sonderpflichten, unechte Sonderdelikte) wiedergeben läßt, wenn auf das Nichtverletzen eines Guts abgestellt wird 29 . Die Erwartung, die eine Sonderpflicht betrifft, geht nicht vom vorhandenen Güterbestand aus, sondern von der Rolle, die dem Täter zu seiner Einpassung in eine Institution vorgeschrieben wird. Wenn schon der Begriff des Rechtsguts 25

M. Marx Definition S. 67. SK-Rudolphi R d n . 8 vor § 1; Rudolphi H o n i g Festschrift S. 151 ff, 163; Otto in: Straf rechtsdogmatik S. 1 ff, 8. 27 Loos Welzel-Festschrift S. 879 ff, 888. 28 Calliess Theorie S. 143 f f ; - diese Definition dürfte zumindest f ü r diejenigen Güter nicht passen, die (auch) der Verweigerung von Partizipationen dienen (etwa Intimsphäre). 26

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Freilich läßt sich der Rechtsgutsbegriff so dehnen, er alle möglichen Deliktsmerkmale und damit Sonderpflichten erfaßt (so etwa Mezger Z S t W 57 S. 675 ff, 697), was aber längst zutreff e n d als »Begriffsnacht, die alle Unterschiede verschlingt", gerügt w o r d e n ist (Welze! Z S t W 58 S. 491 ff, 511 Fn. 30). auch

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2. Abschn

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

bemüht werden soll, so darf man nicht auf den schon vorhandenen Bestand an Funktionseinheiten und dessen Sicherung abstellen, sondern muß die vom Täter zu verwaltende Institution als Funktionseinheit definieren. Die Institution ist freilich nur eine Funktionseinheit, wenn sie intakt ist, wofür wiederum der Täter seine Rolle richtig spielen muß. Die Beziehung des Täters ist eben nicht nur-negativ. Beispiele: W e r eine Person mißhandelt, die seiner Fürsorge untersteht (§ 223 b StGB), bewirkt damit nicht — neben Körperverletzung, aber diese ist kein Sonderdelikt — eine Verletzung des Fürsorgeverhältnisses, sondern das Fürsorgeverhältnis ist im Fall der Mißhandlung als reale Funktionseinheit (und nicht nur als Anspruch) überhaupt nicht vorhanden. Ebenso finden reale vormundschaftliche Vermögensverwaltung im Fall einer Untreue (§ 266 StGB) oder korrekte Amtsführung im Fall der Bestechung (§ 332 StGB) 3 0 oder Rechtsprechung im Fall der Rechtsbeugung (§ 336 StGB) nicht erst statt etc. Natürlich gehört zum Bestand schlechthin jeden Rechtsguts das Ausbleiben seiner Verletzung; bei den Sonderdelikten entsteht das Rechtsgut als Funktionseinheit aber nur, wenn der Sonderpflichtige die ihm in der Institution zugewiesene Rolle spielt. Bei den Sonderdelikten geht es also nicht um die Störung vorhandener, f ü r sich intakter Funktionseinheiten, sondern um die Weigerung, sich zur Herstellung einer Funktionseinheit eingliedern zu lassen. — Eine entsprechende Verlagerung von der Rechtsgutsverletzung zum Nicht-Herstellen von Rechtsgütern ergibt sich bei eigenhändigen Delikten. 18

2. Eine Rechtsgutsverletzung kann also nicht als Kern aller Delikte behauptet werden. Man hat dieses Ergebnis dahin gewendet, daß der Kern aller Delikte überhaupt nur noch in einer Pflichtverletzung zu finden sein soll 31 . Diese Pflichtverletzung soll nicht nur ein N a m e f ü r dasjenige sein, was Rechtsgutsverletzungsdelikte und Sonderdelikte gemeinsam haben. Vielmehr ist mit der Formel vom Delikt als Pflichtverletzung mehr als ein Oberbegriff gemeint, seil, ein Verständnis aller Delikte nach Art der Sonderdelikte. Auf die Verletzung eines Rechtsguts durch Mißachtung der nur-negativen Beziehung (nicht verletzen!) soll es niemals ankommen, sondern stets auf die Weigerung, sich in einer Institution rollenkonform zu verhalten, etwa als Volksgenosse, dem Land Treupflichtiger o. ä. — Diese Vermischung von nur-negativer Beziehung und Sonderpflicht beseitigt eine dogmatisch fruchtbare Differenzierung (siehe die Verweisungen 2/17). Historisch ist das skizzierte Verständnis der Straftat als Pflichtverletzung durch nationalsozialistisch inspirierte Versuche belastet, die Pflichten primär nicht über äußeres Verhalten, sondern über Gesinnungen zu definieren 3 2 .

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3 a aa) Das Verständnis des Normzwecks als Rechtsgüterschutz paßt weiterhin bei denjenigen Normen nicht, die ohne Vermittlung über den Schutz von Gütern direkt den sozialen Frieden schützen sollen 33 , wie etwa 3 4 die Verbote der Tierquäle30

Die D e u t u n g der | § 3 3 1 ff StGB als Delikte zur Erhaltung der Bereitschaft der Bevölkerung, behördliche Entscheidungen zu akzeptieren (Loos Welzel-Festschrift S. 879 ff, 890), verläßt die objektive Funktionseinheit in Richtung eines Gefühlsschutzes; dazu sogleich unten 2/19. 31 Schaffstein DStr. 2 (1935) S. 97 ff; ders. in: Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft (1935) S. 108 f f ; abgeschwächt den. DStrR4 (1937) S. 335 f f ; Duhm Z S t W 57 S. 225 ff; - erheblich differenzierend W W z e / Z S t W 5 8 S. 491 ff, 509 f f ; Gallas Gleispach-Festschrift S. 50 ff, 67 ff. — Eingehende Darlegung bei Amelung Rechtsgüterschutz S. 216 f f ; siehe auch Sina Dogmengeschichte S. 79 f f ; Marxen Kampf S. 177 ff.

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V o r dieser G e f a h r bietet auch die Rechtsgutsverletzungslehre keinen Schutz: Rechtsgutsverlet. zung, Pflichtverletzung und Tatprinzip sind dreierlei; — dazu schon oben Fn. 2. — Uberhaupt ist zu bezweifeln, daß die Rechtsgutsverletzungslehre einen prinzipiell „liberalen" Gehalt h a t ; dazu zutreffend Amelung Rechtsgüterschutz S. 257 ff. 33 Zum folgenden Text siehe Amelung Rechtsgüterschutz S. 344 ff, 371 ff; Hassemer Theorie S. 160 ff und passim. 34 Das in diesem Zusammenhang häufig gebrachte V e r b o t der Verunglimpfung des Andenkens Ver-

Materielle Legitimation des Strafrechts

2. Abschn

rei 3 5 (§ 17 TierschutzG), der Beschimpfung von Bekenntnissen (§ 166 StGB), des V e r wandtenbeischlafs (5 173 StGB), des Exhibitionismus (§ 183 StGB) und der Erregung öffentlichen Ärgernisses (§ 183 a StGB). Man mag einige dieser Delikte mit der Rechtsgutslehre harmonisieren, indem man sie als extrem-abstrakte Gefährdungsdelikte deutet, die den symbolischen Angriff auf benennbare Güter pönalisieren; wie § 90 a StGB den Staat in seinen Symbolen schützt, gelten bei diesem Verständnis die genannten Verbote dem menschlichen Leben, der Religionsfreiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung etc. Die Notwendigkeit eines so stark vorverlagerten Schutzes läßt sich freilich immer behaupten und liefert deshalb keine Begründung; kraß: Selbst die Pönalisierung der Verletzung von Tischsitten könnte als abstrakter Schutz vor Barbarei „erklärt" werden 3 6 . Man mag weiterhin ein Gut am Schutz der Gefühle der Betroffenen festmachen; dabei wird freilich das Rechtsgut zu einer Größe, die allein von der Sensibilität der Betroffenheit abhängt und deshalb jeden Regelungsgegenstand einer N o r m umfassen kann, auch wenn dieser keine objektive Funktionseinheit ist 37 . bb) Entscheidend dürfte sein, daß ein Verstoß gegen die bezeichneten Verbote 20 höchst heterogene Ängste weckt, die von diffusen Vorstellungen über schädliche Weiterungen bis hin zur Abwehr solchen Verhaltens als eigene Möglichkeit reichen. V e r boten wird das Verhalten dieser desorientierenden Wirkungen wegen 3 8 , die nicht durch eine soziale Nützlichkeit des Verhaltens kompensiert werden: Geschützt wird der soziale Frieden. Daß die Beunruhigung durch das Verhalten auf einem Mangel an Aufklärung beruhen mag, verschlägt nichts; eine nicht aufgeklärte Gesellschaft und ein aufgeklärtes Strafrecht passen nicht zusammen 3 9 . b) Mindestens aber muß es um den Schutz des Rechtsfriedens gehen. Die Inhalte 21 des Verhaltens anderer Menschen dürfen nicht um der Inhalte selbst willen strafrechtlich geregelt werden. Ein Verhalten, das weder objektiv noch nach Meinung der Mitbürger Außenwirkungen hat, scheidet mangels sozialen Bezugs als bloße Unmoral aus dem Bereich des strafrechtlich zu regelnden Verhaltens aus. Was bloße Unmoral ist, läßt sich freilich nicht ohne Vorab-Annahmen über die Gestalt der Gesellschaft ermitteln. Daß zum Beispiel nicht die Tötung eines verkrüppelten Menschen bloße Unmoral ist, wohl aber lesbische Betätigung, gilt nur f ü r Gesellschaften, die eine Existenz aller Mitglieder als öffentliche Angelegenheit einklammern und eine einverständliche sexuelle Betätigung der Mitglieder ausklammern. Für Gesellschaften, die sich etwa als H o r t biologischer Elite definieren, mag die Entscheidung umgekehrt ausfallen; Gesellschaften, die eine Vervollkommnung ihrer Mitglieder zur öffentlichen Angelegenheit erheben, mögen beide im Beispiel genannten Verhaltensweisen pönalisieren. Es gibt also keine absolut gültige Grenze zwischen einerseits bloß unmoralischem Verhalten und

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storbener (Hassemer Theorie S. 177 ff; SK-Rudolphi Rdn. 11 vor § 1 u. a. m.) kann als Rechtsgüterschutz gedeutet werden, wenn die §§ 185 ff StGB nicht nur als Individualschutz verstanden werden, sondern auch als Schutz der informellen Zurechnungsprinzipien vor verfälschendem Gebrauch. Siehe dazu Gallas Beiträge S. 1 ff, 13; Roxin JuS 1966 S. 377 ff, 382 Fn. 20; Stratenwerth Leitprinzipien S. 7 ff, 25; Hassemer Theorie S. 154; Amelung Rechtsgüterschutz S. 346, 378. Im Ε 1962 werden Straftaten gegen die Sittlichkeit (im engen Sinn) in der Begründung als abstrakte Gefährdungsdelikte auf anzuerkennende Rechts-

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güter bezogen, siehe etwa zu § 203 (künstliche Samenübertragung) Begründung S. 356 f; zu § 2 1 6 (Unzucht zwischen Männern) Begründung S. 376; zu § 220 a (unzüchtige Schaustellung) Begründung S. 384. Gegen die Gefühlsschutztheorien zutreffend Amelung Rechtsgüterschutz S. 346 f und passim. Grundlegend Hassemer Theorie S. 126 ff, 192. Von den Vertretern der Lehre vom Rechtsgüterschutz werden zum Teil Friedensschutzdelikte als Ausnahme anerkannt ( S K - R u d o l p h i Rdn. 11 vor § 1; Hanack 47. D J T Band 1 Teil A S. 32 f; a. A. Rudolphi Honig-Festschrift S. 151 ff, 165 f).

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2. Abschn

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andererseits Rechtsgüterverletzung, Sonderpflichtverletzung und Verletzung des sozialen Friedens; wohl aber läßt sich der Grenzverlauf relativ zu einer Gesellschaft bestimmter Gestalt ausmachen.

III. Kritik der Lehre vom Rechtsgüterschutz 22

A. Der positive Ertrag der Bemühungen um den Rechtsgutsbegriff ist dürftig. Es kommen noch zwei prinzipielle Einwendungen hinzu. 1. Zum einen kann die Rechtsgutslehre zwar das G u t in seiner Beziehung zum Inhaber begreifen, ohne damit jedoch die Notwendigkeit dartun zu können, das Gut auch strafrechtlich abzusichern 4 0 . Beispiel 41 : Die Wahrheit einer Information ist für den Informierten stets ein Gut, sie ist aber nur in seltenen Fällen als Rechtsgut anerkannt. Deshalb muß der Gutsverletzung die Sozialschädlichkeit von außen aufgepfropft werden, um sie als Rechtsgutsverletzung qualifizieren zu können. Welche Funktionseinheiten wegen der sozialen Bedeutung ihres Bestands zu Rechtsgütern erhoben werden, kann die Rechtsgutslehre so wenig ausmachen, wie sie begründen kann, daß der Schutz der Normen stets Gütern zu gelten habe. Die Gestalt der vom Strafrecht zu schützenden Ordnung wird nicht durch alle Güter definiert und nicht stets nur durch Güter. Die Summe aller Rechtsgüter bildet nicht „die soziale O r d n u n g " 4 2 , sondern ist nur ein Ausschnitt aus der sozialen Ordnung, der zudem nur bei Kenntnis der Grenzen der sozialen O r d n u n g überhaupt bezeichnet werden kann. Erst das öffentliche Interesse an der Erhaltung eines Guts macht dieses zum Rechtsgut, und das öffentliche Interesse geht nicht stets nur auf die Erhaltung von Gütern.

23

2. Zum anderen genießen selbst die strafrechtlich anzuerkennenden Güter keinen absoluten Schutz. Die Gesellschaft ist keine Veranstaltung zur Gütererhaltung oder gär Gütermaximierung; vielmehr werden zur Ermöglichung des sozialen Kontakts (den man freilich seinerseits wiederum als Gut bezeichnen mag) Güter aufgeopfert. Welche Risiken ein Gut im sozialen Kontakt ohne strafrechtlichen Schutz tragen muß, läßt sich nicht an den Gütern ablesen, die in den sozialen Kontakt eingebracht werden; denn diese Güter haben keinen isoliert von ihrem Einsatz im sozialen Kontakt bestimmbaren Rang, sondern „in Wirklichkeit gibt es Rechtsgüter nur, wenn und soweit sie in ,Funktion' sind, d. h. soweit sie im sozialen Leben wirkend und Wirkungen empfangend darin stehen. Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum usw. sind nicht einfach ,da', sondern ihr Dasein ist In-Funktion-Sein, d. h. in der sozialen Verbundenheit Wirkungen ausübend und Wirkungen erleidend" 4 3 . Eine N o r m kann deshalb ein Gut — soweit es überhaupt um Güterschutz geht — nicht gegen alle, sondern nur gegen 40

36

Grundlegend Amelung Rechtsgüterschutz S. 331 ff, 350. — Amelung wiederholt bei seiner Entwicklung einer Sozialschadenslehre die schon in der Rechtsgüterlehre angelegte Vertauschung des Strafrechtsguts mit dem von der N o r m geschützten Gut, also dem Rechtsgut im üblichen Verständnis. Das Strafrecht schützt als Bestandsbedingung der Gesellschaft einzig die Normgeltung, also die Enttäuschungsfestigkeit der Erwartung, und sozialschädlich und deshalb Straftat ist eine T a t nicht wegen ihrer äußerlichen Wirkung, sondern weil sie die Normgeltung desavouiert (so auch Amelung a a O S. 361). Bei dieser Lage liegt der „ O r t der Bestimmung sozialschädlicher Wirkungen des Verbrechens" nicht schon bei den

41 42 43

durch die Tat als äußerliches Ereignis gestörten „Interaktionsprozessen" (so aber Amelung aaO S. 385 f), sondern erst bei der Normgeltung. N u r so ist die — von Amelung selbst angeführte (aaO S. 388) — unterschiedliche Behandlung von Mordfällen und tödlichen Straßenverkehrsunfällen überhaupt erklärbar. Nach Hassemer Strafrechtsdogmatik S. 129 f. So aber Welzel Strafrecht § 1 I 1 u. a. m. Welzel ZStW 58 S. 491 ff, 515. - Rudolphi ( H o nig-Festschrift S. 151 ff, 162 ff; SK-Rudolphi Rdn. 8 vor § 1) versucht, die Dynamik der sozialen Beziehungen in den Rechtsgutsbegriff hineinzunehmen. Das Rechtsgut und die Chance seines Bestands gehen dann ineinander über: Zumindest

Materielle Legitimation des Strafrechts

2. Abschn

solche Risiken schützen, die nicht notwendige Folge des erlaubten sozialen Kontakts sind. Was aber ein erlaubter sozialer Kontakt ist, kann die Güterlehre nicht erklären: Die ganze Zurechnungslehre mit Ausnahme der Kausalität zwischen Handlung und Erfolg (bei Unterlassung: zwischen hypothetischer Handlung und Rettungserfolg) sowie allenfalls noch Teilen des aggressiven Notstands (Güterabwägung) liegt ebenso außerhalb der Perspektive der Güterlehre wie die Beschränkung des strafbaren Güterangriffs bei zahlreichen Delikten durch besondere subjektive oder objektive Tatmodalitäten. Man versuche, die Gestalt des erlaubten Straßenverkehrs durch die Güter zu erklären, die an diesem sozialen Kontakt beteiligt sind! B. Trotz dieser beiden prinzipiellen Mängel der Rechtsgutslehre verspricht es kei- 24 nen Gewinn, diese Lehre überhaupt zu verwerfen und stets ohne Vermittlung über ein Rechtsgut das Delikt durch die Sozialschädlichkeit des Verhaltens zu bestimmen 44 . Abgesehen davon, daß auch bei diesem Weg die Bestimmung der zu bewahrenden Gestalt von Staat und Gesellschaft vorausgesetzt, nicht aber gewonnen wird 45 , konkretisiert sich die soziale Gestalt bereichsweise in Gütern. Diese Verfestigung in Gütern hat die Funktion, die Frage nach der konkreten Sozialschädlichkeit jeder einzelnen Gutsverletzung durch Verweis auf die generelle Wichtigkeit des Guts abzuschneiden, mindestens aber das Gewicht der konkreten Sozialschädlichkeit zu relativieren. Insbesondere bei höchstpersönlichen Gütern (nicht übertragbare oder anderen Personen zur Nutzung überlaßbare Güter), abgeschwächt aber bei allen Gütern, sind die Funktionseinheiten ein Mittel, mit dem eine Gleichbehandlung nach dem Maß der zurechenbaren Gutsverletzung garantiert werden soll46. Kraß: Bei einer Tötung soll die Frage nach dem sozialen Wert des Getöteten nicht aufgeworfen werden. Die bei direktem Zugriff auf die Sozialschädlichkeit bei allen Delikten anzubringende Strafbarkeitsbedingung, die Tat müsse geeignet sein, den sozialen Frieden zu stören, zwingt zu Differenzierungen, die bei den Güter schützenden Delikten ihrerseits mit sozialem Frieden unverträglich sind47. — Was hier zur relativen Berechtigung der Güterlehre festgehalten wurde, gilt entsprechend für die Institutionen bei den Sonderdelikten. — Freilich wird auch im Bereich der Verfestigung der sozialen Ordnung in Gütern oder Institutionen kein absoluter Schutz gewährleistet; die Merkmale des Schutzumfangs (der Zurechenbarkeit der Gutsverletzung sowie der Modalitäten seines Angriffs) müssen immer von außen an das Gut oder an die Institution herangetragen werden. C. Im Ergebnis ist also ohne einen Filter der Sozw&chädlichkeit nicht auszukom- 25 men, wobei die Normen, die diesen Filter passieren, teils Rechtsgüter schützende Normen sind, teils Normen zur Herstellung von Rechtsgütern (Sonderdelikte und eigen-

44 45

46

sozialadäquate Einwirkungen auf ein Gut werden zu dessen Vernichtung dem Begriff nach (gegenüber diesen Einwirkungen ist das Objekt kein Gut). An der Notwendigkeit eines Perspektivewechsels vom Gut zur Sozialschädlichkeit (was ist ein Gut, was ist ein schützenswertes Gut, in welchem Umfang ist Schutz zu leisten?) ändert die Beschränkung des Rechtsgutsbegriffs auf konkret geschützte Güter nichts. So auch Amelung Rechtsgüterschutz S. 393 ff. Amelung Rechtsgüterschutz S. 363 mit Fn. 67, S. 382; Stratenwerth A T Rdn. 59; Neumann und Schrotb Theorien S. 112 ff. Da das Rechtsgut als Beziehung zu verstehen ist, kann der Nötigungseffekt berücksichtigt werden,

47

den der Verlust für den Gutsinhaber hat. Die legalen Nutzungen oder Genüsse des Inhabers dürfen aber bei gleichem Nötigungseffekt nicht nach ihrer mehr oder weniger hohen sozialen N ü t z lichkeit differenziert werden; Beispiel: Ein Vermögensdelikt wiegt um so schwerer, je mehr der Verlust das O p f e r zu Beschränkungen in seiner Lebensführung zwingt (wobei die Frage, ob das O p f e r noch genug „übrig" hat, objektiv zu entscheiden ist); aber der Verlust von Investitionskapital und einer zur Ausschüttung an Mitarbeiter vorgesehenen Geldsumme zählen gleich. — Siehe B G H 29 S. 319 ff, 323. Dazu auch Amelung Rechtsgüterschutz S. 390.

37

2. Abschn

1 . Buch. 1 . Kapitel. Staatliches S t r a f e n

händige Delikte) und teils Normen zum Friedensschutz. Wichtig ist, daß die Strafbarkeit nicht an dem Wertwidrigen per se, sondern immer nur an der Sozj'a&chädlichkeit ausgerichtet wird. Die Grenze des Sozialschädlichen ist freilich stets nur unscharf bestimmbar. Selbst eine Einigung auf die Formel, nur die Bestandsbedingungen der Gesellschaft seien durch das Strafrecht zu schützen, bringt wenig Ertrag, da es keine zwingende Grenze des Gesellschaftlichen und damit auch keinen numerus clausus der Bestandsbedingungen gibt. Beispiel: Ob Vergewaltigung — wie nach geltendem Recht — nur außerhalb der Ehe ein besonderes Delikt ist (und nicht schlichte Nötigung) oder auch innerhalb der Ehe, kann u. a. auch davon abhängen, ob der Eheschluß als Eröffnung eines umfassenden Privatbereichs oder ob sexuelle Selbstbestimmung umfassend als öffentliche Aufgabe verstanden wird. Im letzteren Fall wächst mit dem Bereich des öffentlich Relevanten der Bereich gesellschaftlicher Bestandsbedingungen.

IV. Subsidiarität des staatlichen Strafens? 26

A. Verbreitet werden Strafrechtsnormen nur für legitim gehalten, wenn ihre Aufgabe nicht durch andere Instrumente der Regelung des sozialen Kontakts übernommen werden kann, etwa durch polizeiliche Abwehr oder öffentlichrechtliche Fürsorge oder zivilrechtliche Schadensersatzansprüche oder Selbstschutz des Opfers, ferner durch Institutionen der informellen Sozialkontrolle u. a. m.: das sogenannte Subsidiaritätsprinzip48. Das Vikariieren von Strafe und Maßregel (§ 67 Abs. 4 StGB) und der Vorrang des Maßregelzwecks (§ 67 Abs. 5 StGB) sind — neben anderen materiellrechtlichen ( S S 47, 56, 57 StGB u. a. m.) und prozeßrechtlichen ( S S 153 ff StPO) Einrichtungen — massive positivrechtliche Ausprägungen des Prinzips. Bei den zumeist angeführten Beispielen (insbesondere bei der Verkümmerung der Abtreibung zum Abbruch der Schwangerschaft) geht es freilich nicht um Subsidiarität des Strafrechts, sondern um das volle oder partielle Ableben von Normen durch die gesellschaftliche Entwicklung: Schon die Enttäuschung entfällt oder mindert sich.

27

B. Das Subsidiaritätsprinzip ist die strafrechtliche Variante des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, nach dem ein strafender Eingriff nicht erlaubt ist, wenn der Effekt auch durch eine weniger einschneidende Maßnahme erzielt werden kann 49 . Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gilt aber nur, wenn die Kosten der alternativen Maßnahme eine Person treffen, die für den zu lösenden Konflikt zuständig ist (Kosten im Sinn jeglicher Einbuße verstanden, einschließlich des Verzichts auf sozialen Kontakt). Dem Grundsatz ist also nicht zu entnehmen, Strafe werde illegitim, wenn der Konflikt auf irgendwessen Kosten anders als durch Strafe verhütet oder erledigt werden könnte. Kraß: Jeder Konflikt läßt sich erledigen, wenn auf die enttäuschte Erwartung verzichtet wird; viele Konflikte lassen sich durch Verzicht auf sozialen Kontakt erledigen, weiterhin viele durch Selbstschutz des Opfers, — aber eine Verpflichtung zur Übernahme dieser Kosten läßt sich regelmäßig nicht damit begründen, daß sie weniger wiegen als die Strafe wiegt.

28

C. Bei dieser Lage darf das Subsidiaritätsprinzip nur angewendet werden, wenn der alternativ Belastete unabhängig vom Prinzip für den Konflikt zuständig ist. Beispiel: Der Delinquent ist sowieso ein Fürsorgefall, der Selbstschutz ist eine sowieso ange"8 Roxin JuS 1966 S. 377 ff, 382; Zip} Kriminalpolitik § 3 , 2.5; Mauracb-Zipf A T I $ 2 III A; Arthur Kaufmann Tendenzen S. 33 ff; den. Henkel-Festschrift S. 89 ff, 100 ff; SK-Rudolphi Rdn. 14 38

49

vor § 1; Roos Entkriminalisierungstendenzen S. 215 ff. Siehe auch Amelung J Z 1982 S. 617 ff, 618 f. BVerfG 39 S. 1 ff, 44 ff, 46 ff.

Abgrenzung von anderen Reaktionen

3. Abschn

50

brachte Maßnahme etc. Die praktische Relevanz des Prinzips wird weiterhin dadurch eingeschränkt, daß die weniger eingreifende Maßnahme generell (bestimmt nach D e liktsgruppen oder Tätergruppen) verfügbar sein muß, wenn Zufallsergebnisse vermieden werden sollen. Deshalb scheiden zum Beispiel Maßnahmen, die allein gegen reiche Täter verhängt werden können (Vermögenskonfiskation statt Freiheitsstrafe), als alternative Reaktion aus, auch wenn sie effektiv wären.

3. A B S C H N I T T

Die Abgrenzung der staatlichen Strafe von anderen Reaktionen öffentlichen Rechts I. Die Ordnungswidrigkeiten Literatur /. Baumann Über die notwendigen Veränderungen im Bereich des Vermögensschutzes, JZ 1972 S. 1 ff; den. Grabgesang für das Legalitätsprinzip, ZRP 1972 S. 273 ff; ders. Bekämpfung oder Verwaltung der Kleinkriminalität? Schröder-Gedächtnisschrift S. 523 ff; P. Cramer Grundbegriffe des Rechts der Ordnungswidrigkeiten, 1971; F. Dencker Die Bagatelldelikte im Entwurf eines EGStGB, JZ 1973 S. 144 ff; E. Dreher Die Behandlung der Bagatellkriminalität, WelzelFestschrift S. 917 ff; R. Frank Die Überspannung der staatlichen Strafgewalt, ZStW 18 S. 733 ff; E. Göhler Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, 6. Auflage 1980; /. Goldschmidt Das Verwaltungsstrafrecht, 1902; den. Begriff und Aufgabe des Verwaltungsstrafrechts, GA 49 (1902) S. 71 ff; H. J. Hirsch Zur Behandlung der Bagatellkriminalität in der Bundesrepublik Deutschland, ZStW 92 S. 218 ff; H.-H. Jescheck Das deutsche Wirtschaftsstrafrecht, JZ 1959 S. 457 ff; G. Kaiser Möglichkeiten der Bekämpfung von Bagatellkriminalität in der Bundesrepublik Deutschland, ZStW 90 S. 877 ff; /. Krümpelmann Die Bagatelldelikte, 1966; D. Lang-Hinrichsen Zur Frage der Schuld bei Straftaten und Ordnungswidrigkeiten (kriminellem Unrecht und Verwaltungsunrecht), GA 1957 S. 225 ff; den. „Verbandsunrecht", H. Mayer-Festschrift S. 49 ff; R. Lange Der Strafgesetzgeber und die Schuldlehre, JZ 1956 S. 73 ff; ders. Die Magna Charta der anständigen Leute, JZ 1956 S. 519 ff; ders. Nur eine Ordnungswidrigkeit? JZ 1957 S. 233 ff; C. Lindemann Gibt es ein eigenes Wirtschaftsstrafrecht? 1932; H. Mattes Die Problematik der Umwandlung der Verkehrsübertretungen in Ordnungswidrigkeiten, ZStW 82 S. 25 ff; ders. Untersuchungen zur Lehre von den Ordnungswidrigkeiten. Erster Halbband, Geschichte und Rechtsvergleichung, 1977. Zweiter Halbband, Geltendes Recht und Kritik, 1982; H. Mayer Strafrechtsreform für heute und morgen, 1962; Μ. E. Mayer Rechtsnormen und Kulturnormen, 1903; H. G. Michels Strafbare Handlung und Zuwiderhandlung, 1963; K. Peters Beschränkung der Tatbestände im Besonderen Teil, ZStW 77 S. 470 ff; K. Rehmann, W. Roth, S. Herrmann Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG), 1968; Rotberg Ordnungswidrigkeitengesetz, 5. Auflage 1975; W. Sax Grundsätze der Strafrechtspflege, in: Κ. A. Bettermann, H. C. Nipperdey, U. Scheuner (Hrsg.) Die Grundrechte Bd. III (2), 2. Auflage 1972, S. 909 ff; Eh. Schmidt Probleme des Wirtschaftsstrafrechts, SJZ 1948 Sp. 225 ff; ders. Rechtsnot im Wirtschaftsstrafrecht und ihre Überwindung, SJZ 1948 Sp. 569 ff; ders. Das Gesetz zur Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts, SJZ 1949 Sp. 665 ff; ders. Das neue westdeutsche Wirtschaftsstrafrecht, DRZ 1950 Beiheft 11; ders. Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, Arndt-Festschrift S. 415 ff; K. Tiedemann Die Gesetzgebungskompetenz für Ordnungswidrigkeiten, AöR 89 (1964) S. 56 ff; ders. Verwaltungsstrafrecht und Rechtsstaat, ÖJZ 1972 S. 285 ff; F. Trops Begriff und Wert eines Verwaltungsstrafrechts, 1926; Th. Vogler Möglichkeiten und Wege einer Entkriminalisierung, ZStW 90 S. 132 ff; U. Weher Die Überspannung der staatlichen Bußgeldgewalt, ZStW 92 S. 313 ff; E. Wolf Die Stellung der Verwaltungsdelikte im Strafrechtssystem, Frank-Festgabe Bd. II S. 516 ff. 50

Zum Selbstschutz siehe insbesondere R. Hassemer Schutzbedürftigkeit S. 51; Hillenkamp Vorsatztat S. 195 f und passim.

39

3. Abschn

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

A. Die historische Entwicklung 1

1. Es gibt Normen, durch welche die Identität einer Gesellschaft, eines Staats oder eines Menschen (mit-)definiert wird. Dazu gehören u. a. die zentralen Normen des StGB, insbesondere soweit sie die Existenzberechtigung jedes einzelnen Bürgers garantieren. Um diesen nur randunscharf bestimmbaren Kernbereich von Strafrechtsnormen lagern Ringe abgeleiteter („dienender") Normen von wirklich oder vermeintlich abnehmender Wichtigkeit, wobei die Abnahme das normierte Verhalten stufenlos dem Sozialadäquaten annähern kann. Es geht in den äußeren Ringen etwa nur noch um die Vermeidung abstrakter Gefahren (Beispiel: Trunkenheit im Verkehr, § 316 StGB) oder um die Garantie, daß staatliche Kontrolle gefährlichen Verhaltens organisierbar bleibt (Beispiel: Fahren ohne Fahrerlaubnis, § 21 Abs. 1 und 2 StVG, siehe unten zur behördlichen Erlaubnis 16/29). Je weniger evident die Beziehung zum Kernbereich ist und je mehr sich das normwidrige Verhalten dem Sozialadäquaten annähert, um so weniger ist es erforderlich und häufig auch um so weniger tolerierbar, auf einen Normbruch in der Art zu reagieren, wie dies beim Bruch von Kernnormen der Fall ist. Es geht bei dieser Herabstufung der Reaktion nicht um eine Abschwächung des Strafmaßes (Beispiel: Manche Verletzung der Hausordnung eines Gesetzgebungsorgans, § 112 O W i G , mag empfindlicher zu ahnden sein als mancher Hausfriedensbruch, § 123 StGB); vielmehr soll eine Reaktion, wie sie auf den Bruch der Kernnormen hin erfolgt, zugunsten einer Reaktion unterbleiben, die nicht mit dem Odium belastet ist, (auch) zur Erledigung der Kernkriminalität zu dienen. — Neben die Möglichkeit dieser materiellrechtlichen Sonderung tritt diejenige einer vereinfachten prozessualen Erledigung.

2

2 a) Das StGB von 1871 hatte die Sonderung materiellrechtlich nur schwach durchgeführt, indem es die Kriminalität der Randbereiche zusammen mit einigen Bagatellfällen der Kriminalität des Kernbereichs (Beispiel: Mundraub, $ 370 Abs. 1 Nr. 5 StGB a. F. als Privilegierung von Diebstahl und Unterschlagung) innerhalb des Strafrechts erfaßte, aber durch eine unterhalb der Verbrechen und Vergehen angesiedelte Deliktsart, die Übertretungen. Eine Übertretung war ein mit H a f t oder (geringer 1 ) Geldstrafe bedrohtes Verhalten (§ 1 Abs. 2 StGB a. F., §§ 360 ff StGB a. F.). Für Übertretungen galten einige Sonderregelungen im A T (insbesondere nur beschränkte Strafbarkeit von Auslandstaten und keine Strafbarkeit von Versuch und Beihilfe, §§ 6, 43, 49 StGB a. F.). Die prozessuale Erledigung der Übertretungen erfolgte justizförmig mit allen wesentlichen Verfahrensgarantien 2 . Diese Regelung hat — freilich längst durch die noch zu nennenden Ordnungswidrigkeiten flankiert — bis 1975 gegolten 3 . Eine ausschließlich kriminalstrafrechtliche und ausschließlich justizförmige Lösung hatte weder Vergangenheit noch Z u k u n f t :

3

b) Zuvor hatte es neben dem Kriminalstrafrecht jahrhundertelang ein Polizeistrafrecht 4 gegeben, wonach — neben mancher leichteren (nicht nur: bagatellhaften) Kriminalität — Taten geahndet.wurden, die nicht in der Verletzung oder Gefährdung der subjektiven Rechte eines Individuums bestanden, sondern im Zuwiderhandeln gegen Anordnungen zur Gefahrenabwehr im Vorfeld (vor der konkreten Gefährdung). Der aufklärerische Gedanke, kriminell sei nur der Eingriff in subjektive Rechte, wirkt noch in Μ. E. Mayers Lehre von den „Verwaltungsdelikten" als den „kulturell indifferenten" Delikten nach: „Ein Mann, der alle Pflichten, die ihm von der kulturellen Tradition 1

2

40

Zunächst bis zu einhundertfünfzig Mark, später bis zu f ü n f h u n d e r t Deutsche Mark. Gegen die Geltung des Legalitätsprinzips schon Frank Z S t W 18 S. 733 ff, 745 ff.

3

4

Aufgehoben durch Art. 300 E G S t G B vom 2. 3. 1974, BGBl. I S. 469. Eingehende Darstellung bei Goldschmidt Verwaltungsstrafrecht S. 70 ff; Mattes Untersuchungen Halbbd. I S. 57 ff, 105 ff.

Abgrenzung von anderen R e a k t i o n e n

3. Abschn

auferlegt sind, sorgsam erfüllt, kommt doch nicht all den Pflichten nach, die er gegen die Regierung hat. . . Das kriminelle Unrecht ist kraft Gesetzes und aufgrund seiner kulturellen Schädlichkeit Unrecht, das polizeiliche Unrecht ist Unrecht kraft Gesetzes" 5 . Diese Unterscheidung zwischen einer vom Staat nur zu rezipierenden Grenze von Recht und Unrecht beim Kriminalstrafrecht und einer durch den Staat zu ziehenden Grenze beim nicht-kriminalstrafrechtlichen Unrecht findet sich — freilich ohne die Gleichsetzung von Verwaltung mit Gefahrenabwehr — bis in die Gegenwart, etwa in der Formulierung, die Rechtswidrigkeit der „Zuwiderhandlungen gegen Verwaltungsanordnungen" stehe und falle mit dem Umstand, daß diese Zuwiderhandlungen „gegen positiv geschaffene Vorschriften verstoßen, die aus dem Raum grundsätzlich freien und erlaubten Verhaltens vorübergehend Exklaven rechtlicher Gebote oder Verbote ausgrenzen"6. c) Die neuere Lehre vom Verwaltungsstrafrecht beginnt mit Goldschmidt7. Danach 4 dient das Verwaltungsstrafrecht nicht dem Gefahren abwehrenden, sondern dem „Wohlfahrt" fördernden Staat. So wie die „Wohlfahrt... nie ein Zustand werden" kann, sondern „notwendig stets ein Ziel, eine unerreichte Sehnsucht" ist8, bringt das Verwaltungsdelikt keine Schädigung am Bestand (damnum emergens), sondern läßt Gewinn entgehen (lucrum cessans)9. Was aber Gewinn ist, kann nur die Verwaltung selbst definieren, ebenso wann eine Unterstützung der Wohlfahrt fördernden Tätigkeit des Staats durch den Bürger erforderlich ist10. Als Unrecht des Verwaltungsdelikts „bleibt also nur die eigentümliche Unterlassung der Unterstützung der auf Förderung des öffentlichen oder Staats-Wohls gerichteten bzw. fiktiv als solche Förderung erscheinenden Staatsverwaltung übrig. Dies ist die Verwaltungswidrigkeit..." 11 . Die Verwaltungsstrafe wird bei dieser Lösung zur „Selbsthülfe" der Verwaltung12, deren Realisierung Goldschmidt freilich den VerwaltungsgencAiew zuweist13. d) Die Grundzüge dieser Lehre Goldschmidts14 werden von E. Wolf nach nahezu 5 drei Jahrzehnten in wertphilosophischer Einkleidung (Trennung von Gerechtigkeitswert und Wohlfahrtswert) wieder aufgenommen15 und beeinflussen noch ein halbes Jahrhundert später — vermittelt durch Eb. Schmidt16, freilich in einer zum Teil nur verbalen Anknüpfung — das WiStG von 1949 17 . Dieses Gesetz wird erlassen, um die Verwaltungsstrafgewalt zu binden, die dem Staat bei der Wirtschaftslenkung in den vorangegangenen Krisenzeiten zugefallen war (insbesondere zur Zeit des ersten Weltkriegs und seit dem Ende der zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts) und in nationalsozialistischer Zeit ein totalitäres Gepräge erhalten hatte. Nach § 6 dieses Gesetzes ist zwischen Wirtschaftsstraftaten und Ordnungswidrigkeiten zu unterscheiden. Erstere werden mit Kriminalstrafe geahndet und justizförmig abgeurteilt, letztere (die Nachfolger von Goldschmidts Verwaltungsdelikten) in einem Bußgeldverfahren durch die 5 Rechtsnormen S. 115 f, siehe auch aaO S. 27. ' Lange J Z 1956 S. 73 ff, 79; ders. J Z 1956 S. 519 ff; ders. J Z 1957 S. 233 ff, 237; auch Michels Handlung S. 87 und passim. 7 Verwaltungsstrafrecht S. 529 ff; ders. GA Bd. 49 (1902) S. 71 ff; weitere Nachweise der verwaltungsstrafrechtlichen Schriften Goldschmidts bei E. Wolf Frank-Festgabe Bd. II S. 516 ff, 518 Fn. 2. 8 Goldschmidt Verwaltungsstrafrecht S. 533, siehe auch S. 545. ' AaO S. 545 f. 10 AaO S. 545 f. 11 AaO S. 548.

AaO S. 566. υ AaO S. 582 f. 14 Zur Wirkung Goldschmidts siehe Mattes Untersuchungen Halbbd. I S. 149 ff mit umfassenden Nachweisen. '5 Frank-Festgabe Bd. II S. 516 ff. " S J Z 1948 Sp. 225 ff, 231 ff; ders. SJZ 1948 Sp. 569 ff; ders. SJZ 1949 Sp. 665 ff, 669 ff; ders. Das neue westdeutsche Wirtschaftsstrafrecht (Beiheft DRZ 1950 Nr. 11); ders. Arndt-Festschrift S. 415 ff, 423 f. 17 Gesetz zur Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts vom 26. 7. 1949, WiGBI. S. 193.

41

3. A b S C h n

l. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

Verwaltungsbehörden mit Geldbuße belegt. Kriterium der Unterscheidung 1 8 soll zum einen sein, ob die Tatwirkungen verwaltungsintern bleiben (dann Ordnungswidrigkeit) oder aber geeignet sind, „die Leistungsfähigkeit der staatlich geschützten Wirtschaftsordnung zu beeinträchtigen" (§ 6 Abs. 2 N r . 1 WiStG 1949). Schon dieses Kriterium scheidet (zumindest) teils nach Quantitäten, nicht aber nach Qualitäten. Zum anderen soll die Einstellung des Täters gegen die Wirtschaftsordnung entscheiden (bei Gewerbsmäßigkeit, Eigennutz etc.: Straftat; § 6 Abs. 2 Nr. 2 WiStG 1949); damit richtet sich die Grenze — anders als bei Goldschmidt — überhaupt nicht mehr nach Besonderheiten des wirtschaftsstrafrechtlichen Regelungsbereichs, sondern nach unspezifischen Bewertungen (die zudem, wie bei subjektiven Unrechtselementen häufig, diffus bleiben). Diese T r e n n u n g zwischen Straftat und Ordnungswidrigkeit bedeutet zugleich eine Scheidung der Erledigungsarten: Ordnungswidrigkeiten werden nur auf Einspruch des Betroffenen justizförmig, ansonsten durch die Verwaltung mit Buße geahndet.

B. Der gegenwärtige Stand 6

1. Für Ordnungswidrigkeiten wurde 1952 ein umfassendes Rahmengesetz geschaffen 1 9 . Das geltende O W i G 2 0 zieht die Grenze zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten formal: Ordnungswidrigkeiten sind durch die gesetzliche Drohung mit Geldbuße gekennzeichnet (§ 1 Abs. 1 OWiG). Die Geldbußen können nicht in Ersatzfreiheitsstrafen umgewandelt, aber durch Erzwingungshaft beigetrieben werden (§ 96 OWiG). Das O W i G hat einen eigenen AT, dessen Regelungen zur Zurechnung denjenigen des StGB hauptsächlich entsprechen (§§ 8 bis 13, 15, 16, 29 O W i G ; abweichend freilich die Einheitstäterschaft nach § 14 O W i G , dazu unten 2 1 / 5 ff, sowie die Möglichkeit, als Nebentolge juristische Personen und Personenvereinigungen mit einer Geldbuße zu belegen, § 30 O W i G , siehe unten 6/43). Der Grundsatz der Gesetzesbindung gilt (§ 3 OWiG). Die Regelung der räumlichen Geltung folgt strenger dem Territorialitätsprinzip als bei Straftaten (§ 5 OWiG). Das Verfahren zur Ahndung führt die Verwaltungsbehörde durch (§§ 53 ff OWiG), was im Blick auf Art. 92 G G nicht unproblematisch ist 21 . Anders als bei Strafverfahren (§ 152 Abs. 2 StPO) gilt nicht das Legalitätsprinzip (also kein Verfolgungszwang durch die Verwaltungsbehörde), sondern ein an pflichtgemäßes Ermessen gebundenes Opportunitätsprinzip (§ 47 OWiG). T r o t z der Durchsetzung der Buße in einem Verwaltungsverfahren gilt das Ordnungswidrigkeitenrecht als Teil des Strafrechts im weiteren Sinn, nicht als Verwaltungsrecht 2 2 , so daß sich die Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74 N r . 1 G G richtet.

7

2 a) O b die erheblichen materiellrechtlichen (Buße statt Strafe 2 3 ) und prozessualen (Verwaltungsverfahren nach dem Opportunitätsprinzip statt Gerichtsverfahren nach dem Legalitätsprinzip) Besonderheiten der Ordnungswidrigkeiten auf einer nur quantitativen Differenz zu den Straftaten beruhen oder ob Ordnungswidrigkeiten auch ein 18

Es gibt „Mischtatbestände", bei denen die Tatbestandsverwirklichung über die Zugehörigkeit zum Kriminal- oder Ordnungswidrigkeitenrecht entscheidet; zur Dogmatik der Unterscheidungsmerkmale siehe Lang-Hinrichsen GA 1957 S. 225 ff, 228 ff. " Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 25. 3. 1952; BGBl. I S. 177. 20 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 2 4 . 5 . 1 9 6 8 , BGBl. I S. 481 in der Fassung vom 2. 1. 1975, BGBl. I S. 80 mit Berichtigung S. 520.

42

21

Siehe aber BVerfG 8 S. 197 ff, 207; 22 S. 49 ff, 81. — Kritisch Herzog in: Maunz-DürigHerzog-Scholz Art. 92 Rdn. 49. 22 BVerfG 27 S. 19 ff, 32 f; Tiedemann AöR 89 (1964) S. 56 ff. 23 Für ein Verständnis der Buße als „eine echte Strafe" Mattes Untersuchungen Halbbd. II S. 251 ff, 299 mit umfassenden Nachweisen des Streitstands.

Abgrenzung von anderen Reaktionen

3. Abschn

qualitativ eigenes Unrecht und eine qualitativ eigene Schuld aufweisen, ist streitig 24 , wobei die Differenzierung nach Qualitäten und Quantitäten geläufig, aber wenig aussagekräftig ist, da schon der Bereich der Straftaten in sich je nach Blickrichtung qualitativ nicht homogen ist. Im Verlauf der Auseinandersetzung sind zahlreiche Merkmale eines Normbruchs als möglicher Sitz einer qualitativen Differenz anvisiert worden: N u r bei Straftaten soll es um Rechtsgüterschutz gehen, bei Ordnungswidrigkeiten aber um „bloße Normwidrigkeit"; Ordnungswidrigkeiten sollen nicht auf einem „sozialethisch" untermauerten Unrecht beruhen oder die Schuld bei Ordnungswidrigkeiten nicht auf einem „Gesinnungstadel", vielmehr soll es sich um eine „sozialethisch farblose Lässigkeit" handeln; die Wirkungen der Ordnungswidrigkeiten sollen verwaltungsintern bleiben oder es soll um allenfalls abstrakte Gefährdungen gehen u. a. m. b) Das geltende positive Recht widersetzt sich einer durchgehenden qualitativen 8 Abgrenzung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten. Qualitätsdifferenzen von praktisch feststellbarer Deutlichkeit lassen sich an der Grenze zwischen Straftat und O r d nungswidrigkeit beispielsweise im Straßenverkehrsrecht (etwa § 316 StGB als Straftat, § 24 a StVG als Ordnungswidrigkeit) oder im Steuerrecht (etwa § 370 A O als Straftat, § 378 A O als Ordnungswidrigkeit) nicht ausmachen. Auch lassen sich bei einigen homogen als Ordnungswidrigkeit geregelten Komplexen einzelne Fallgruppen herauslösen, die qualitativ mit Straftaten vergleichbar sind, etwa bei einigen Verstößen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (§§ 38 ff GWB). Die Zuordnung wird in den genannten Bereichen von Annahmen darüber bestimmt, wie die H a n d h a b u n g der anfallenden Verfahren praktisch zu bewältigen ist (massenhafte Verkehrsstraftaten) und ob die Geldbuße ausreichend wirken wird. Die in der Theorie genannten Kriterien der Differenzierung sind teils überholt und teils von Haus aus überhaupt nicht notwendig qualitativ. Uberholt ist die Argumentation mit einer Sonderstellung der Verwaltung: Deren Funktionieren läßt sich als Rechtsgut definieren wie bei jeder anderen Funktionseinheit 2 5 ; es geht einzig um die Frage, wann und in welchem Maß die Verwaltung schützenswert ist. Alle anderen Kriterien lassen sich als Grenzpunkte quantitativer Differenzen deuten: V o n dem sozialethisch untermauerten Verletzungsunrecht, dessen schuldhafte Verwirklichung einen Gesinnungstadel verdient, bis zum bloßen Ungehorsam gegen eine N o r m , die abstrakte Gefährdungen verbietet, reicht eine stufenlose Skala von Zwischengrößen. Es dürfte überhaupt verfehlt sein, die Differenz nur von der Seite der Normübertretung her beschreiben zu wollen; denn die Möglichkeit der Erledigung eines Konflikts durch eine Buße anstelle einer Strafe hängt auch von Faktoren ab, die mit Unrecht und Schuld nicht notwendig verbunden sind (normativer Zusammenhang; Empfindlichkeit der T ä 24

Eine eigene Qualität der Ordnungswidrigkeiten (oder der Verwaltungsdelikte) behaupten außer den oben schon Genannten (Μ. E. Mayer, Goldschmidt, E. Wolf, Eb. Schmidt): R G 64 S. 193 ff, 195 f; 75 S. 234 ff, 235; B G H G S 11 S. 263 ff, 264; Lange wie oben Fn. 6; Michels H a n d l u n g S. 78 ff (mit Vorbehalten S. 82 f ) ; Maurach A T ' § 1 III Β 2; LK*-Jagusch Anm. A IV 1 vor § 13; hauptsächlich auch O L G H a m m GA 1969 S. 156 f ; Cramer Grundbegriffe S. 17 f; Schönke-SchröderStree Rdn. 35 vor § 38; Stratenwerth A T Rdn. 43 („Geldbuße nicht mit einem persönlichen V o r wurf verbunden"). — Für eine quantitativ bestimmte Abgrenzung Krümpelmann Bagatelldelikte S. 166 f f ; Mattes Z S t W 82 S. 25 f f ; ders. U n -

25

tersuchungen H a l b b d . II passim; Weher Z S t W 9 2 S. 313 ff, 316 f; Göhler O W i G R d n . 5 vor § 1 ; Baumann A T § 4 1 2 a ; /escheck J Z 1959 S. 457 ff, 461; ders. A T § 7 V 3 b ; LK-Jescheck Einleitung R d n . 11; Schmidhäuser A T 8/107; hauptsächlich auch Maurach-Zipf A T I § 1 III Β 1; Sax H a n d b u c h Bd. III (2) S. 909 ff, 919 f f ; Rehmann-Roth-Herrmann O W i G Rdn. 8 vor § 1; Lang-Hinrichsen H. Mayer-Festschrift S. 49 ff, 61; LK-Tröndle Rdn. 64 vor § 3 8 ; jetzt auch Rotherg O W i G , E i n f ü h r u n g B. Siehe schon Lindemann Gibt es ein eigenes Wirtschaftsstrafrecht? 1932; jetzt statt vieler Ttedemann Ö J Z 1972 S. 285 ff, 290.

43

3. Abschn

1. B u c h . 1. K a p i t e l . S t a a t l i c h e s S t r a f e n

tergruppe gegen Ahndung; Möglichkeit, auch sehr hohe Geldbußen beizutreiben u. a. m.); diese komplexe Betrachtung von Normverstoß und Reaktion ist bislang freilich kaum entwickelt worden. Schließlich ist die Suche nach einer qualitativen Differenz generell zweifelhaft, solange nicht ausgemacht ist, in welchem Umfang die Geldbuße von den Adressaten als Reaktion eigener Art (und nicht nur als abgeschwächte Strafe) verstanden wird. 9

c) Freilich lassen sich Zuordnungsregeln nennen, nur knüpfen sie sämtlich an quantifizierbare Kriterien an: (aa) Normen, deren Bruch hauptsächlich durch ein Verhalten geschieht, das sich vom Sozialadäquaten nur wenig unterscheidet (etwa §§ 117 bis 119 OWiG), passen besser in den Bereich der Ordnungswidrigkeiten, (bb) Dasselbe gilt für Normen, deren Zweck darin besteht, Fälle mit bagatellhaften Konsequenzen zu erledigen (etwa § 111 OWiG und weite Bereiche der abstrakte Gefährdungen erfassenden Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr 26 ), (cc) Eher zu den Ordnungswidrigkeiten gehören ferner bei nicht sonderpflichtigen Tätern diejenigen Verhaltensweisen, die den Staat bei der Verwirklichung der praktisch auswechselbaren Ziele stören. Der Erfolg der Tat wird hier durch „Willkür der Verwaltung" bestimmt; das dürfte der Grundgedanke der Lehre vom besonderen „Verwaltungsunrecht" sein. Bei fixen Zielen liegen Straftaten vor (etwa §§ 138, 153 ff StGB), wenn die Norm nicht nur Bagatellfällen gilt. Normen, die im Wege des Verwaltungszwangs oder durch Versagung von Vergünstigungen durchgesetzt werden können, bedürfen nicht einmal einer Absicherung durch Bußgeldandrohung 27 .

10

d) Eine positive qualitative Auszeichnung der Ordnungswidrigkeiten gibt es nicht. Wohl aber kann bezeichnet werden, was nie Ordnungswidrigkeit sein kann, sondern entweder nur Straftat oder von jeder Ahndung frei: der Bruch der Normen des Kernbereichs, so randunscharf dessen Grenze auch sein mag. Der Kernbereich der gesellschaftlichen und staatlichen Verfassung ist nicht stets durch Strafrechtsnormen abgesichert (etwa Sozialstaatlichkeit wird nicht durch Strafrecht und auch nicht durch Ordnungswidrigkeitenrecht garantiert). Wenn aber eine Garantie erfolgt, muß sie der Art nach so streng sein, wie der Kernbereich fundamental ist. Auch Bagatellfälle der Verstöße gegen diejenigen Normen, die zum Kernbereich gehören, sollten nicht als Ordnungswidrigkeiten erledigt werden, sondern als Straftaten nach einem strafprozessualen Verfahren: Jede Reaktion muß den normativen Zusammenhang berücksichtigen, in dem der Einzelfall steht; dieser normative Zusammenhang reicht bei den Kernnormen stets über den Bagatellbereich des Einzelfalls hinaus; denn auch der im Einzelfall bagatellhafte Bruch einer Kernnorm verletzt ein elementares Prinzip, das zur Definition der Gesellschaft, nicht nur für ihren faktischen Bestand, erheblich ist. Es geht bei diesen Normen um mehr als Sein oder Nicht-Sein von Gütern, nämlich um unverzichtbare Teile der Identität der Gesellschaft. Beispiel: Ein Totschlagsversuch in einem minder schweren Fall (§§ 22, 212, 213 StGB), zudem an den Grenzen zum Notwehrexzeß (§ 33 StGB) etc., mag mit einer geringen Strafe oder sogar nicht mehr zu ahnden sein; aber seine Ahndung mit Geldbuße wie bei falschem Parken oder ruhestörendem Lärm würde die sichere Verankerung des Tötungsverbots im Kernbereich lösen. Daran dürfte eine verfahrensmäßige Zuweisung solcher Ordnungswidrigkeiten zur StPO wenig ändern. Deshalb verbietet sich insbesondere eine Verlagerung der kleinen EigenKritisch z u r Umwandlung des Verkehrsstrafrechts in Ordnungswidrigkeitenrecht Mattes Z S t W 82 S. 25 ff, 35 ff.

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" Zutreffend Weber ZSiW 92 S. 313 ff, 320 ff, 332 f mit Beispielen f ü r die Mißachtung dieser Regel; Hirsch ZStW 92 S. 218 ff, 243; Vogler Z S t W 90 S. 132 ff, 156.

Abgrenzung von anderen Reaktionen

3. Abschn

turns- und Vermögenskriminalität in den Bereich der Ordnungswidrigkeiten, solange das Prinzip des Eigentums- und Vermögensschutzes zum Kernbereich gehören soll 28 .

II. Die Disziplinarmaßnahmen Literatur H. Arndt Der Zweck der Disziplinarstrafe, D Ö V 1966 S. 809 ff; ders. Der disziplinarrechtliche Grundtatbestand, D Ö V 1968 S. 39 ff; E. Barth Dienstbegriff und außerdienstliches Verhalten im Wehr-, Disziplinar- und Strafrecht, Honig-Festschrift S. 1 ff; /. Baumann Kritische Gedanken zur Disziplinarstrafe, JZ 1964 S. 612 ff; ders. Der Lichtblick im Disziplinarrecht, JZ 1967 S. 657 ff; K. Behnke Disziplinarrecht und Strafrecht, ZBR 1963 S. 257 ff; ders. Bundesdisziplinarordnung, 2. Auflage 1969; H. R. Claussen und W. Janzen Bundesdisziplinarordnung, 4. Auflage 1981; K. Dau Der Begriff des Dienstvergehens und sein Verhältnis zum Straftatbestand, DVB1. 1968 S. 62 ff; ders. Wehrdisziplinarordnung, 1979; M. Hagedom Verbot der Doppelbestrafung nach Wehrdisziplinarrecht und (Wehr-)Strafrecht? NJW 1965 S. 902 ff; A. Kreuzer Anmerkung zu BVerfG 27 S. 180 ff, NJW 1970 S. 507 f; R. Kugler Ist das Disziplinarrecht verfassungswidrig? ZBR 1960 S. 33 ff; F. Ostler Neues im Disziplinarrecht, NJW 1967 S. 2033 ff; Η. H. Rupp Anmerkung zu BVerfG 21 S. 379 ff, NJW 1967 S. 1651 f; Eh. Schmidt Strafrecht und Disziplinarrecht, in: Deutsche Landesreferate zum 3. internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung 1950, S. 859 ff; U. Stock Entwicklung und Wesen der Amtsverbrechen, 1932; W. Thieme V o m Wesen des Disziplinarrechts, DVB1. 1957 S. 769 ff; W. Wiese Der Verfassungssatz ne bis in idem — Art. 103 Abs. 3 GG — und das Verhältnis von Kriminalrecht und Dienststrafrecht, VerwArch. 56 (1965) S. 203 ff, 354 ff.

A. Die Notwendigkeit von Disziplinarmaßnahmen 1. Organisationen (hier verstanden als Systeme unterhalb von Gesellschaft und 11 Staat), die nicht ersetzt oder ersatzlos aufgelöst werden können, bedürfen einer Garantie der Normen, die zur Erfüllung ihrer Organisationsaufgaben nötig sind. Gegenüber Außenstehenden 2 9 erfolgt die Garantie durch das Strafrecht oder — insbesondere bei Mitwirkungspflichten gegenüber der Verwaltung — durch das Ordnungswidrigkeitenrecht; dabei können die Normen allgemeinen Inhalt haben oder organisationsspezifisch gestaltet sein (wie etwa die Normen der Straftaten des 4. bis 6. Abschnitts des BT des StGB). Auch gegenüber Organisationsangehörigen finden sich — neben den allgemeinen strafrechtlichen Normen — strafrechtlich garantierte organisationsspezifische Normen (etwa die §§ 121, 258 a, 331 ff StGB, §§ 15 ff, 19 ff, 30 ff, 42 ff WStG), freilich ohne daß vom Strafrecht die erforderlichen Garantien auch nur annähernd erschöpfend geleistet würden. 2 a) Für die praktisch bedeutsamste Klasse von Angehörigen unverzichtbarer O r - 12 ganisationen, für Staatsdiener, sah das preußische ALR von 1794 einen detaillierten Katalog von Strafrechtsnormen vor (§§ 323 ff II 20 ALR), wobei es ein zweckvoll differenziertes Sanktionensystem zuließ, daß die jeweils verhängte Sanktion auch den Bedürfnissen der Verwaltung angemessen ausfiel 30 . Gemeinsames Merkmal dieser „Ver28

29

Dreher Welzel-Festschrift S. 917 ff, 929 f; wohl auch Jescheck A T § 7 V 2 . — Α. Α. H. Mayer Strafrechtsreform S. 65 f; Peters Z S t W 77 S. 470 ff, 501; Baumann J Z 1972 S. 1 ff, 3; ders. Z R P 1972 S. 273 f f ; ders. Schröder-GedächtnisSchrift S. 523 ff, 525 f; Dencker J Z 1973 S. 144 ff, 150 f; eher anderer Ansicht auch Krümpelmann Bagatelldelikte S. 240 f; Hirsch Z S t W 92 S. 218 ff, 242 ff; siehe auch Kaiser Z S t W 90 S. 877 ff. Die G r e n z e zwischen einem Außenstehenden und einem Organisationsangehörigen, insbesondere

einem solchen zwangsverpflichteter Art, verläuft u n s c h a r f ; so kann etwa der Zeuge im Gerichtsbetrieb als zwangsweise bestimmter A d - h o c - F u n k tionär angesehen w e r d e n ; siehe §§51, 70 S t P O , §§ 380, 390 Z P O , §§ 153 ff StGB. 30 Stock Entwicklung S. 145 f f ; Eb. Schmidt in: Landesreferate S. 859 ff, 865; Wiese VwArch. Bd. 56 (1965) S. 203 ff, 213 f; teils abweichend Behnke ZBR 1963 S. 257 ff, der - bei Unterschieden im V e r f a h r e n ansetzend — schon nach dem A L R S t r a f r e c h t und Disziplinarrecht scheidet.

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з. AbSChn

l. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

brechen der Diener des Staates" w a r nicht das Angriffsobjekt (die Organisation), sondern der Stand des T ä t e r s als Staatsdiener. Diese kriminalrechtliche Lösung des Disziplinierungsproblems w u r d e schon in der Mitte des 19. J a h r h u n d e r t s aus mehreren G r ü n d e n nicht mehr beschritten 3 1 : D e n wachsenden Ansprüchen an die Bestimmtheit der Kriminalgesetze k o n n t e n die Staatsdienerverbrechen schon bald nicht mehr genügen. Ferner fehlte auf G r u n d eines gewandelten Verständnisses des Strafrechts (Vergeltung oder Generalprävention durch Vergeltung) ein den Bedürfnissen bei der Verwaltung des Beamtenapparats angepaßtes strafrechtliches Maßregelsystem. Hauptsächlich aber w a n d t e sich der Blick der Kriminalisten bei den hier in Rede stehenden Delikten vom T ä t e r z u m E r f o l g : Die „Verbrechen der Diener des Staates" w u r d e n zu „Verbrechen und Vergehen im Amte" gewandelt (28. Abschnitt des B T des preußischen StGB 1851) und konnten h i n f o r t auch von Amtsverwaltern begangen w e r d e n , die nicht dem Stand der Staatsdiener angehörten (siehe jetzt § 11 Abs. 1 N r . 2 bis 4 StGB). 13

b aa) Das V a k u u m nach diesem weitgehenden R ü c k z u g des Strafrechts aus dem Personalverhältnis des Beamten füllen seitdem disziplinarrechtliche Regelungen aus. Das Verhältnis dieses Disziplinarrechts z u m Strafrecht ist bislang nicht sonderlich überzeugend präzisiert w o r d e n . Die Unklarheiten resultieren z u m einen aus schon unklaren Zieldefinitionen des Strafrechts und des Disziplinarrechts, die teils auf die völlig falsche Formel gebracht w e r d e n : Vergeltung k o n t r a Zweckmäßigkeit. Z u d e m ist innerhalb des Disziplinarrechts die Bedeutung einer Treueverletzung f ü r die Bestimmung des Organisationsschadens umstritten; dabei handelt es sich um das Problem, inwieweit das Disziplinarvergehen vom alten Standesverbrechen herzuleiten ist. Die Lösung wird dadurch erschwert, d a ß ausformulierte Disziplinarverfehlungstatbestände fehlen. Die Frage nach d e m Z u s a m m e n h a n g von Treueverletzung und Organisationsschaden stellte sich freilich bei denjenigen Organisationen nicht, die ihre Angehörigen zwangsrekrutieren (Schüler, Strafgefangene — siehe §§ 102 ff StVollzG), wenn nicht das Gesetz Gegenteiliges festlegt (Wehrpflichtige, § 1 Abs. 1 Satz 2 und §§ 7, 17 Abs. 2 и. a. m. S o l d a t e n G 3 2 ) ; sie stellt sich weiterhin bei rahmenmäßig geregelten freien Berufen nicht mit dem N a c h d r u c k wie bei Staatsdienern (Beispiele: Rechtsanwälte, § § 1 1 3 ff. B R A O ; disziplinarrechtliche, „ehrengerichtliche" M a ß n a h m e n gibt es ferner f ü r Wirtschaftsprüfer, Arzte, Apotheker u. a. m.).

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bb) Das System möglicher Reaktionen hängt von der — je nach Organisationsbereich unterschiedlichen — Beziehung zwischen den Organisationsangehörigen und der Organisation ab. Bei Zwangsrekrutierung ist Entlassung unvereinbar mit der Organisationsaufgabe (wiederum eine Ausnahme: § 54 Abs. 1 N r . 4 W D O ) . Ansonsten wirkt sie spezialpräventiv sicher, so d a ß die kognitive U n t e r m a u e r u n g , die bei jeder Strafe notwendig ist, im Disziplinarrecht leicht geleistet werden kann. Freiheitsentziehung k o m m t nur noch in Organisationen in Betracht, bei denen drastische Grundrechtseinschränkungen geläufig sind (§ 22 W D O ; § 103 Abs. 1 N r . 9 StVollzG), so daß das Bild der Organisation d u r c h Gewalt gegen Personen nicht gestört wird (früher auch etwa: studentischer K a r z e r , Schularrest). — Die folgende Darstellung gilt hauptsächlich dem Disziplinarrecht der Beamten 3 3 . 31 Stock Entwicklung S. 190 ff, 194 mit Nachweisen; Wiese VwArch. 56 (1965) S. 203 ff, 214 ff. 32 Siehe dazu aber Hagedorn N J W 1965 S. 902 ff, 903. 33 Detailliert gesetzlich geregelt sind in der Regel nur die Disziplinarmaßnahmen und das Verfahren; für Bundesbeamte gilt die B D O in der Fassung der Bekanntmachung vom 20.7. 1967,

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BGBl. I S. 751, 984; für Richter siehe §5 63 ff, 71 D R i G ; für Staatsanwälte siehe § 122 Abs. 4 Satz 1 D R i G ; siehe für Landesbeamte die entsprechenden Landesgesetze. — Die Pflichten, deren Verletzung ein Dienstvergehen ist, also den BT des materiellen Disziplinarrechts, nennen die Beamtengesetze: §§ 52 ff BBG, §§ 35 ff BRRG, und die für Landesbeamte geltenden Landesgesetze; für

Abgrenzung von anderen Reaktionen

3. AbSChn

B. Die Abgrenzung und die Behandlung von Überschneidungen 1 a) Es ist die Aufgabe von Disziplinarmaßnahmen, das Funktionieren der jeweiligen 15 Organisationen als Subsysteme des Staats gegen Störungen durch Organisationsangehörige sicherzustellen. Disziplinarmaßnahmen sind entweder Ubelzufügungen, die zur Pflichtbefolgung anhalten sollen (Pflichtenmahnung), oder aber Entfernung aus dem Dienst (Reinigungsmaßnahme, Epurierung). Wegen dieser Orientierung der Disziplinarmaßnahmen an den Bestandsbedingungen der Organisation, also wegen ihres offenen Zweckbezugs, wird verbreitet angenommen, Disziplinarmaßnahmen seien ein „Aliud" zu den Strafen 3 4 , woraus folgen soll, daß sie im Gegensatz zur Strafe niemals zur Vergeltung oder Sühne verhängt werden dürften und daß ihre Verhängung neben einer Kriminalstrafe nicht gegen Art. 103 Abs. 3 G G (ne bis in idem) verstoße. b) Diese Argumentation gründet auf einem verfehlten Verständnis der Strafe. U n - 16 geachtet aller Kontroversen ist ausgemacht, daß Strafe der Erhaltung von O r d n u n g dient (oben 1/17). Es besteht kein Hindernis, das Strafrecht (jedenfalls soweit es Pflichtdelikte regelt) als das vom Staat verwaltete allgemeine Disziplinarrecht der Gesellschaft anzusehen (wobei die Epurierung nur über Sicherungsverwahrung erfolgt, seit Landesverweisung unzulässig ist). Zudem gründet die Argumentation auf einem nicht hinreichend entwickelten Begriff der Disziplinarmaßnahme. D a ß diese einem einzigen Zweck dient, heißt nicht, sie sei ein homogenes Mittel, wie ja auch im Strafrecht Strafen und Maßregeln dem einzigen Zweck dienen, die O r d n u n g zu erhalten, aber inhaltlich und in der Wirkungsweise unterschieden sind. 2 a) Daß Disziplinarmaßnahmen neben maßregelähnlichen Reaktionen auch Strafen 1 7 enthalten müssen, ergibt sich aus ihrer Aufgabe, das Funktionieren der Organisation sicherzustellen. Die Organisierbarkeit des Beamtenapparats ist ohne normative Garantie nicht zu leisten, und die Garantie beschränkt sich nicht auf eine förmliche Mißbilligung des Normbruchs (Verweis, § 6 BDO), sondern erstreckt sich auf Ubelszufügungen (Geldbuße, Gehaltskürzung etc., §§ 7 ff BDO). Diese angedrohten Übel werden nicht nur wegen ihrer spezialpräventiven Wirkung zugefügt, sondern zur Bestätigung der Norm. Beispiel: Ein Beamter, der den letzten Monat vor seiner Pensionierung grundlos nicht mehr zum Dienst erscheint, wird nicht von einer Disziplinierung mangels eines Bedürfnisses nach Spezialprävention verschont; denn eine solche Nachsicht würde die Normgeltung tangieren. D a ß aber mit der Ubelszufügung keine vergeltende, sondern eine generalpräventive Aufgabe verfolgt wird, gibt keine qualitative Differenz zur Strafe ab (siehe oben 1/15). Eine Straffunktion findet sich selbst bei der Epurierung: Diese wird — insbesondere bei Eigentumsdelikten von Kassenverwaltern und ähnlichen Fällen — nicht erst eingesetzt, wenn die Gefahr weiterer Taten desselben Beamten die Organisation stört, sondern wenn es der Normgeltungsschaden erfordert 3 5 . Die Eigenschaft als Strafe geht auch nicht deshalb verloren, weil die disziplinarische ReakRichter die §5 38 ff DRiG. — Die Zurechnungslehre, also neben den Rechtsfolgen das H a u p t stück des A T des materiellen Disziplinarrechts, ist nicht gesetzlich ausformuliert. 3t H. Arndt D Ö V 1966 S. 809 ff, 811; Thieme DVB1. 1957 S. 769 ff, 773 (irrationale Sühne und Vergeltung bei der Strafe k o n t r a rationale Mittel im Disziplinarrecht!); Wiese VwArch. 56 (1965) S. 203 ff, 354 ff, 368 f f ; Behnke-Amdt B D O Einf ü h r u n g A Rdn. 24 f f ; Clamsen-Janzen B D O Einleitung A Rdn. 4 f f ; Maurach-Zipf AT I § 1 II Β 2. — Stock Entwicklung S. 266 ff sieht im Strafrecht Generalprävention, im Disziplinarrecht Spezial-

Prävention. — N a c h Eb. Schmidt (in: Landesreferate S. 859 ff, 863) soll auch im Disziplinarrecht Vergeltung zulässig sein und stattfinden, trotzdem aber „eine qualitative juristische Verschiedenheit der Erscheinungen" vorliegen, da es im Disziplinarrecht n u r um die Verletzung des T r e u e a n spruchs gehen soll ( a a O S. 866 f, 873). — Zutreffend kritisch z u r Tauglichkeit dieser A b g r e n z u n gen Baumann A T § 4 1 4 ; den. J Z 1964 S. 612 ff, 614 f; den. J Z 1967 S. 657 ff. 35 siehe die bei Ctaussen-Janzen B D O Einleitung D Rdn. 30 aufgelisteten Entscheidungen.

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3. Abschn

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

tion zum Ziel hat, das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität der Beamten zu sichern; denn dieses Vertrauen hat auf Dauer nur als Spiegelung der Normgeltung innerhalb der Beamtenschaft Bestand. 18

19

b) W e n n auch Disziplinarmaßnahmen neben ihrer Maßregelfunktion die Funktion von Strafen (nicht: Kriminalstrafen) haben können 3 6 , so ist doch das System der Disziplinarmaßnahmen nicht etwa ein „verkleinertes" System der Strafen und Maßregeln des StGB. Vielmehr hat es aus folgendem Grund andere Schwerpunkte: Die Entfernung aus dem Dienst steht im Disziplinarrecht als absolut sicheres Mittel spezialpräventiver Einwirkung zur Verfügung. Die strafrechtlichen Äquivalente, lebenslange Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung, greifen ungleich tiefer in die Interessen, insbesondere die Rechte, des Belasteten ein; ihre Voraussetzungen sind deshalb strenger. Beispiel: Wenn die Entfernung aus dem Dienst nur stattfände, wenn den förmlichen und prognostischen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) entsprechende Bedingungen gegeben sind, wäre sie praktisch bedeutungslos. Das Disziplinarrecht ist also spezialpräventiv überlegen. Dem entspricht es, daß im Disziplinarrecht der täterorientierte Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens gilt, d. h. mehrere Einzelverfehlungen werden stets in der Person des Täters zu einem insgesamt zu beurteilenden Dienstvergehen gebündelt 3 7 . Ebenso wird täterorientiert nicht zwischen Versuch und Vollendung differenziert 3 8 . 3. Abgesehen von der spezialpräventiven Überlegenheit des Disziplinarrechts unterscheiden sich die kriminalrechtlichen Reaktionen von den disziplinarrechtlichen dadurch, daß letztere stets nur die Aufgabe haben, eine bestimmte Organisation funktionsfähig zu erhalten, während das Strafrecht gesellschaftliches Leben insgesamt ermöglichen soll. Da Disziplinarmaßnahmen aber innerhalb ihres beschränkten Aufgabenbereichs sowohl Straf- wie Maßregeleigenschaft haben können, müssen zur Vermeidung einer Doppelbestrafungi9 folgende Grundsätze gelten: a) Zu einer Kriminalstrafe kann eine Disziplinarmaßnahme als besondere beamtenrechtliche (nicht nach allgemeinem Strafrecht mögliche) Maßregel ohne Straffunktion hinzukommen, was teils schon kraft Gesetzes erfolgt (§ 48 BBG; § 48 SoldatenG; § 30 WehrpflichtG). b) Soweit ein Disziplinarvergehen nicht als Straftat abzuurteilen ist, kann die Disziplinarmaßnahme auch Straffunktion haben, wenn das zur Erhaltung der Ordnung der Organisation erforderlich ist. 36

Es ist die Forderung erhoben worden, deshalb Art. 103 Abs. 2 G G anzuwenden (Kugler ZBR 1960 S. 33 ff, 34; a. A. Dau DVB1. 1968 S. 62 ff, 70; Eh. Schmidt in: Landesreferate S. 859 ff, 867). Voll gesetzlich bestimmte Tatbestände würden den Handlungsspielraum des Dienstherrn bei Einzelweisungen beträchtlich einschränken; Blankette wären wohl möglich. — Eine Beschränkung des Art. 103 Abs. 2 GG auf Strafen, die der Staat kraft seiner allgemeinen Gewait (nicht: als Dienstherr) verhängt, entspricht der historischen Entwicklung. 37 Behnke-Amdt B D O Einführung Β Rdn. 1 ff; für Soldaten siehe Dau W D O Rdn. 10 f vor § 7; siehe auch den Grundsatz der Einheitlichkeit der Verfolgung einer Jugendstraftat, § 31 JGG, siehe ferner unten zur Einheitsstrafe 31/10. 38 Behnke-Amdt B D O Einführung Β Rdn. 10; der Ausschluß der Rücktrittsregeln ist freilich weder

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bei täterorientierter Begründung der Gleichbehandlung zwingend noch beim Abstellen auf die (schon im Versuchsfall gegebene) Pflichtverletzung. >9 Nach § 14 BDO (entsprechend § 8 Satz 1 W D O ) dürfen neben einer Strafe oder einer Ordnungsmaßnahme die leichteste Disziplinarmaßnahme nicht und eine mittlere nur bei besonderem Bedürfnis verhängt werden. Diese Regelung soll nicht Doppelbestrafungen vermeiden, sondern faktisch überflüssige Disziplinarmaßnahmen. — Die Rechtsprechung argumentiert zu Art. 103 Abs. 3 G G halbherzig: Nach BVerfG 21 S. 379 ff, 384 (mit ablehnender Anmerkung Kupp N J W 1967 S. 1651 f ) ; 21 S. 391 ff, 403 f sollen Bestrafung und Disziplinierung nach der W D O nebeneinander bestehen können, aber bei einer der Disziplinierung nachfolgenden Bestrafung mit Freiheitsstrafe soll ein Disziplinararrest anzu-

Abgrenzung von anderen Reaktionen

3. Abschn

c) Problematisch ist einzig, ob eine Kriminalstrafe und eine strafend gemeinte Disziplinarmaßnahme wegen einer T a t zusammentreffen können. Zur Lösung ist darauf abzustellen, ob bei der Zumessung der Kriminalstrafe die besondere Bedeutung des Normbruchs durch den Täter f ü r die betreffende Organisation zu berücksichtigen ist — dann würde eine strafende Disziplinarmaßnahme zur Doppelbestrafung führen —, oder ob die Strafzumessung den Organisationsschaden nicht erfassen kann — d a n n bleibt ein disziplinarer Uberhang. Art. 103 Abs. 3 G G gilt also auch beim Zusammentreffen von Kriminalstrafe und strafender Disziplinarmaßnahme, wenn der gesamte Komplex kriminalstrafrechtlich erledigt werden kann. Beispiel: Führt ein Beamter im Dienst ein Dienstfahrzeug betrunken im Verkehr (§316 StGB), so gilt das Strafurteil die Gefährdung des Verkehrs allgemein ab, berücksichtigt aber nicht eine mögliche besondere Wichtigkeit des Gefährdungsverbots f ü r die Organisation, die vielleicht auf Kraftfahrzeugverkehr unersetzbar angewiesen ist (Postzustellung) o. ä. Beispiele f ü r die Möglichkeit, den Organisationsschaden schon bei der Zumessung der Kriminalstrafe zu berücksichtigen, bilden neben allen Amtsdelikten insbesondere die bei dienstlicher Gelegenheit begangenen Eigentums- und Vermögensdelikte; als Strafe zu verstehende Disziplinarmaßnahmen sind dann unzulässig. 4. Auch Straftaten — wie sonstiges Verhalten — außerhalb des Dienstes können dis- 20 ziplinarrechtliche Konsequenzen haben (§ 77 Abs. 1 Satz 1 BBG), sofern der Beamte durch die T a t die f ü r seine Brauchbarkeit in der Organisation erforderliche „potestas und auctoritas" verscherzt hat 4 0 . Die Maßnahme kann auch als Strafe zu verstehen sein, etwa wenn ein Verweis nicht ausreicht und eine Entfernung aus dem Dienst nicht erforderlich ist; denn die Auswirkung auf das Amt berücksichtigt das Gericht bei der Strafzumessung f ü r außerdienstliche Straftaten nicht. Schwierig ist freilich die Frage zu beantworten, wann eine unabhängig vom Dienst begangene Straftat (oder gar nur Ordnungswidrigkeit) zugleich ein Disziplinarvergehen ist. Nach früherem Verständnis soll der Beamte überhaupt eine erhöhte Pflicht zur Normbefolgung haben 4 1 , die aus dem besonderen Treueverhältnis resultieren soll. Das sind Nachwirkungen der alten Behandlung der Beamten als besonderer Stand. Bei einem funktionsbezogenen V e r ständnis der Treuepflicht muß eine Beschränkung dahin erfolgen, daß die Straftat den Schluß auf eine Beeinträchtigung der Organisation zuläßt 4 2 . Das darf wiederum nicht durch die diffuse Annahme präsumiert werden, die Allgemeinheit erwarte von Beamten ein in jeder Hinsicht tadelfreies Privatleben. Einzelheiten sind Gegenstand des materiellen Disziplinarrechts. rechnen sein (BVerfG 21 S. 379 ff, 390 f). § 8 Satz 2 W D O legt n u n m e h r die zwingende Anrechnung „anderer Freiheitsentziehung" auf Disziplinararrest fest. — Eine gegenseitige Anrechnung von Geldstrafe und Geldbuße soll jedoch nicht stattfinden (BVerfG 27 S. 180 ff mit ablehnender Anmerkung Kreuzer N J W 1970 S. 507 f; BVerwG N J W 1970 S. 1860 f). Richtigerweise ist bei nachfolgenden Disziplinarverfahren die Anrechnung davon abhängig zu machen, ob ein disziplinarer U b e r h a n g geblieben ist; bei vorweg erfolgendem Disziplinarverfahren ist dessen strafend gemeinte Reaktion im Strafverfahren anzurechnen, wenn die Disziplinierungsgründe zugleich Strafzumessungsgründe sind (so im Ergebnis zutreffend O L G H a m m N J W 1978 S. 1063 f). Ungleichartige Sanktionen sind nach ihrem W e r t zu verrechnen. — G r ö ß e r e „Anrechnungsfreundlichkeit" ist

nicht rechtsstaatlich vorzugswürdig, da sie die G r e n z e n der Sanktionen verwischt und zu Ü b e r griffen in den jeweils anderen Aufgabenbereich ermuntert. 40 Düng in: Maunz-Dürig-Herzog-Scholz Art. 103 Abs. 3 Rdn. 128. 4 · N o c h B D H 1 S. 55 ff, 59 f f ; B D H Z B R 1962 S. 194 f. 42 B D H N J W 1966 S. 688 f; BVerwG N J W 1968 S. 858 f (beide Entscheidungen betreffen n u r fahrlässige T a t e n ) ; Behnke-Amdt B D O Einführ u n g Β Rdn. 150; Claussen-Janzen B D O Einleitung C Rdn. 58 c; H. Arndt D Ö V 1966 S. 809 f f ; den. D Ö V 1968 S. 39 ff; Wiese V w A r c h . 56 (1965) S. 203 ff, 354 ff, 358 f f ; Dau DVB1. 1968 S. 62 ff, 68; Barth Honig-Festschrift S. 1 ff mit weiteren Nachweisen.

49

3. Abschn 21

1. B u c h . 1. K a p i t e l . S t a a t l i c h e s S t r a f e n

5. Eine disziplinare Pflichtwidrigkeit wird wie ein Pflichtdelikt behandelt; insbesondere entfällt dadurch die Differenzierung von Täterschaft und Teilnahme 4 3 (siehe unten 21/115).

III. Die Ordnungs- und Zwangsmittel nach den Prozeßordnungen 22

A. Ordnungsmittel sind Reaktionen auf eine Zuwiderhandlung und sollen die Bedeutung der übertretenen N o r m auf Kosten des Täters (durch Ordnungsgeld oder Ordnungshaft) demonstrieren; es handelt sich also sachlich um Strafen, die freilich — um die Kautelen, denen das Kriminalstrafrecht unterliegt, nicht eingreifen zu lassen, insbesondere auch um das Erfordernis eines Strafverfahrens zur Realisierung des Ordnungsmittels zu vermeiden — nicht Strafen genannt werden sollen (Art. 5 EGStGB). Zweck der Ordnungsmittel ist die Garantie von Normgeltung. Der Zweck der Zwangsmittel ist es hingegen, ein bestimmtes äußerliches Verhalten abzunötigen. Sachlich handelt es sich bei den Zwangsmitteln also — in strafrechtlicher Terminologie — um „bessernde" Maßregeln. Ordnungsmittel sind zur Zweckerreichung stets restlos zu vollstrecken, Zwangsmittel haben schon ihren Zweck erreicht, wenn das abgenötigte Verhalten vollzogen wird; ist letzteres der Fall, bevor das verhängte Zwangsmittel „aufgebraucht" ist, wird der Zwang trotzdem beendet. Beispiel 44 : Verweigert ein Zeuge grundlos das Zeugnis, so wird gegen ihn nach dem Maß seiner Pflichtwidrigkeit Ordnungsgeld festgesetzt (für den Strafprozeß siehe 5 70 Abs. 1 Satz 2 StPO); sprechen Gründe dafür, daß der Zeuge bei seiner Weigerung beharrt, ordnet das Gericht Erzwingungshaft an (für den Strafprozeß siehe § 70 Abs. 2 StPO), die (spätestens) endet, wenn der Zeuge aussagewillig wird oder wenn es auf die Aussage nicht mehr ankommt, während das Ordnungsgeld dadurch nicht berührt wird.

23

B. Ordnungsmittel nach den Prozeßordnungen sind das Gegenstück zu den Reaktionen der Verwaltung auf „Verwaltungsdelikte" (oben 3 / 1 ff). Sie setzen Verschulden voraus 4 5 . Ergehen sie wegen eines Verhaltens, das zugleich eine Straftat ist, so ist im Strafverfahren die Sanktionierung durch ein Ordnungsmittel anzurechnen 4 6 . Beispiele für Ordnungsmittel: sitzungspolizeiliche Ordnungsmittel nach § 178 G V G ; Ordnungsmittel wegen einer Zuwiderhandlung gegen Unterlassungs- und Duldungspflichten nach § 890 Z P O (zu Unrecht verbreitet als Erzwingungsmaßnahmen bezeichnet); O r d nungsmittel gegen Beweispersonen, §§51, 70 Abs. 1, 77, 95 Abs. 2 S t P O , §§ 380, 390 Abs. 1, 409 Z P O .

24

C. Der Grundfall f ü r die Anwendung von Zwangsmitteln ist die Erzwingung unvertretbarer Handlungen nach § 888 Z P O . Ob das den Zwang veranlassende Unterlassen voll zurechenbar sein muß, hängt davon ab, ob der Anspruch nur auf eine zurechenbare Leistung geht oder nicht. Die Vermeidbarkeit (Vorsätzlichkeit oder Fahrlässigkeit) des veranlassenden Unterlassens ist Mindestvoraussetzung. Weitere Beispiele: Erzwingung von Beweisleistungen, § 70 Abs. 2 StPO, § 390 Z P O ; Erzwingung der H e r ausgabe von Gegenständen, die zu beschlagnahmen sind, § 95 Abs. 2 S t P O ; Erzwingung einer eidesstattlichen Versicherung im zivilprozessualen Vollstreckungsverfahren, § 901 Z P O ; Erzwingung der Zahlung von Geldbußen wegen einer Ordnungswidrigkeit, § 96 OWiG. « Bebnke-Amdt B D O Einführung Β Rdn. 11. «« Nach RG 57 S. 29 ff. 7 Schröder J Z 1968 S. 241 ff, 242 f. 18 Oehler Internationales Strafrecht S. 52 ff, 113 ff; ders. Engisch-Festschrift S. 289 ff. 19 Zu der teilweise bestehenden Bestrafungs/>//icAf nach internationalen Abkommen siehe Jescheck AT § 1 8 II 2.

Räumliche und personelle Geltung

5. Abschn

cc) Nach dem Schutzprinzip (Realprinzip; bezogen auf Individualschutz auch: passi- 8 ves Personalitätsprinzipj20 bestraft ein Staat Angriffe gegen sich oder die Güter seiner Bürger. Bestimmend ist also die staatliche Zugehörigkeit des Betroffenen; Täter kann somit auch sein, wer durch die verletzte Rechtsordnung nicht seinerseits geschützt ist: Der zu leistende Gehorsam findet dann kein Synallagma in einem Schutz als Gegenleistung21. Beim Staatsschutz ist dieses Prinzip wegen des allgemein nationalen Zuschnitts der Delikte unumgänglich: Da kein anderer Staat „Nothilfe" übt, bleibt nur „Notwehr". — Beim Individualschutz ist umstritten, ob eine „identische Norm" (strafbewehrte Norm gleichen Regelungsinhalts) am Tatort erforderlich ist 22 ; da das passive Personalitätsprinzip gerade bei diskriminierender Behandlung der Güter von Ausländern nötig ist, würde dieses Erfordernis das Prinzip entwerten und im Prinzip stellvertretender Strafrechtspflege aufgehen lassen. Auf den Ausgleich von Diskriminierungen sollte seine Anwendung ohne identische Norm dann aber auch beschränkt bleiben. dd) Das Universalitätsprinzip (Weltrechtsprinzip) soll dem Schutz von Gütern die- 9 nen, die jede Kulturnation anerkennt und die typisch durch international organisierte Verbrecherbanden angegriffen werden. Das Prinzip ist freilich nur erforderlich, weil einige Nationen die betreffenden Güter nicht anerkennen; denn ansonsten reichten die anderen Prinzipien aus 23 . ee) Das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege ist bei engem Verständnis die 1 0 Kehrseite unterbleibender Auslieferung: Aut dedere aut punire (Grotius). Im weiteren Sinn kann darunter jede Bestrafung einer Tat verstanden werden, die auch von einem anderen Staat mit legitimem Grund vorgenommen werden könnte.

B. Die dogmatische Stellung 1. Die dogmatische Stellung, insbesondere die normlogische Bedeutung der §§ 3 ff 11 StGB, ist wenig geklärt 24 . Teils (a) werden die Vorschriften als Regelung des Umfangs einer Strafgewalt verstanden, die dem materiellen Recht vorgehen soll 25 , teils (b) als Spezifizierung der „sekundären Norm" (also der Norm des Strafgesetzes, die den Straforganen gebietet, auf Straftaten mit Sanktionen zu reagieren 26 ); die Festlegung des schuldhaften Unrechts soll nach diesem Verständnis universell erfolgen, so daß die primäre Norm, auf deren schuldhafte Übertretung hin gestraft werden soll, generalisiert bleibt. Schließlich (c) findet sich auch das Verständnis als Spezifizierung der Anwendung des Tatbestands, also auch der primären Norm 2 7 . 2 a) Für eine befriedigende Lösung ist zu differenzieren: Die Legitimation zur 12 Strafe liegt beim aktiven Personalitäts-, beim Territorialitäts- und beim Schutzprinzip, teils auch beim Universalitätsprinzip darin, daß die Tat die Ordnung des strafenden Staats stört, während dies eben bei einer schlicht fremden Tat nicht der Fall ist. Deshalb sind die Voraussetzungen der Anwendung des Strafrechts nach diesen Prinzipien Teil der Bestimmung dessen, was nach der Ordnung des Staats Unrecht ist, also Tatbe20

21

22 23

Hierzu Dehler Internationales Strafrecht S. 359 ff; ders. Grützner-Geburtsausgabe S. 110 ff, 118. Siehe E. W. Böckenförde Epirrhosis (C. SchmittFestgabe) S. 423 ff, 434; Gallas ZStW 80 S. 1 ff, 15. So Roßwog Vereinbarkeit S. 184. Oehler Internationales Strafrecht S. 533 f; zur Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht siehe BGH 27 S. 30 ff.

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Hierzu Zieher Das sogenannte internationale Strafrecht S. 35 ff. /escheck AT § 1 8 1 1 ; LK-Tröndle Rdn. 2 vor § 3. Hierzu Schroeder GA 1968 S. 353 ff; Baumann AT § 6 I I ; Schröder ZStW 61 S. 57 ff, 90 ff. Oehler Grützner-Geburtstagsgabe S. 110 ff; unklar — auch die primäre Norm betreffend? — Krey Strafanwendungsrecht S. 86; „strafbegründendes materielles Recht"; differenzierend Liehelt Zum deutschen internationalen Straf recht S. 150 f.

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5. Abschn

1. Buch. 2. Kapitel. Gesetzesbindung. Geltung des Strafrechts

standsmerkmale. D a ß das geltende deutsche Recht aus politischen Rücksichten (nicht wegen Verneinung einer Störung) Lücken läßt, verschlägt nichts; auch der BT läßt aus diversen Gründen Lücken. Es geht also insoweit um Strafgewalt oder Normanwendung nur in dem Sinn, daß spezifiziert wird, was Unrecht ist. b) Beim Prinzip stellvertretender Strafrechtspflege einschließlich der nicht zum Selbstschutz, sondern aus Solidarität zu vollziehenden Bestrafungen nach dem Universalitätsprinzip geht es um die Ahndung von Störungen fremder Ordnungen. Hierbei wird beim Universalitätsprinzip eine allgemein gleiche Unrechtsdefinition präsumiert; der Tatbestand ist insoweit schrankenlos. Beim Stellvertretungsprinzip dient das deutsche Strafrecht nur als Transformationsregel für die fremdstaatliche identische Norm. 13

3. Die Konsequenzen f ü r die subjektive Seite sind bislang nur punktuell erörtert worden 2 8 . Soweit vom Begehungsort die Strafbarkeit überhaupt abhängt oder aber die Bestimmung des geschützten Guts (etwa bei § 109 g Abs. 2 StGB), wird der Ort wie jedes andere Tatbestandsmerkmal zu behandeln sein 29 . Soweit der O r t für die Bestimmung der Strafbarkeit und des geschützten Guts irrelevant ist, also zumindest relative Universalität praktiziert wird, dürfte die (Un-)Kenntnis des Orts für den Tatbestandsvorsatz bedeutungslos sein. — Die irrige Annahme, Deutscher zu sein, führt beim aktiven Personalitätsprinzip zum Wahndelikt, da es um eine Statusbestimmung geht (siehe unten 25/43 ff). — Beim Stellvertretungsprinzip ist die /remdstaatliche N o r m für die Schuld (S 17 StGB) maßgeblich.

II. Die Ausgestaltung nach geltendem Recht A. Die Anwendung der einzelnen Prinzipien 14

1 a) Das geltende Recht ordnet in dem bei Auslegung des BT verbleibenden Rahmen voll das Bestrafungsrecht nach dem Territorialitätsprinzip an (§ 3 StGB), was nach völkerrechtlichen Regeln die Siaaiischiffe als territoire flottant umfaßt 3 0 . Es wird ergänzt durch das für Privatfahrzeuge relevante Flaggenprinzip (§ 4 StGB) 3 1 , das auf die Berechtigung zur Führung der Bundesflagge (§§ 1 , 2 , 10, 11 Flaggenrechtsgesetz) oder des Staatszugehörigkeitszeichens (§§2, 3 Luftverkehrsgesetz), nicht auf die tatsächliche Ausübung, abstellt.

15

b) Die Interpretation der Bezeichnung Inland (§ 3 StGB) für das Territorium kann nicht mehr an einem völkerrechtlichen Anspruch auf das Staatsgebiet in den Grenzen vom 31. 12. 1937 ausgerichtet werden 3 2 , da die Normen des BT nach Inhalt und Strafmaß auf eine faktische Lage bezogen sind, der die Lage in der D D R wie jenseits der Oder-Neisse-Linie nicht entspricht, ohne daß dies — mit Ausnahmen bei den Staatsschutzdelikten — berücksichtigt würde. Selbst ungeachtet der allenfalls sporadisch ge28

29

30 31

94

Schönke-Schröder-Eser Rdn. 73 vor § 3; Jescheck A T § 18 V, jeweils mit Nachweisen. — Zum Universalitätsprinzip zutreffend (aber in der auch andere Prinzipien gleichstellenden Formulierung zu weit) B G H 27 S. 30 ff, 34. Α. A. Dreher-Tröndle § 3 Rdn. 14; wie hier wohl R G 1 S. 274 ff, 276; 25 S. 424 ff, 426. Oehler Internationales Strafrecht S. 296. D a r a n knüpfen — neben dem Prinzip des Beladungsorts des Schiffs oder Fahrzeugs — auch das Osloer und das L o n d o n e r Abkommen z u r Verhütung der Meeresverschmutzung an; siehe Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes zu den Ubereinkommen . . . z u r V e r h ü t u n g der Meeresverschmutzung . . .

32

vom 1 1 . 2 . 1 9 7 7 (BGBl. II S. 165). Freilich dürfte (entgegen dem W o r t l a u t von Art. 2 Abs. 2 i. V. m. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes) auch f ü r ein deutsches Schiff eine Erlaubnis eines anderen Vertragspartners ein unbefugtes H a n d e l n nach § 324 Abs. 1 StGB ausschließen, wenn das Schiff deutsches Territorium nicht berührt und wenn der T ä t e r nicht im Bereich des Festlandsokkels (§ 5 N r . 11 StGB) handelt. So aber zunächst die Rechtsprechung; B G H 5 S. 364 f f ; 8 S. 169 ff, 170; offengelassen in B G H 27 S. 5 ff; anders (funktionelle Inlandsbestimmung) dann B G H 30 S. 1 f f ; O L G Düsseldorf J R 1980 S. 73 ff.

Räumliche und personelle Geltung

5. Abschn

gebenen tatsächlichen Möglichkeit einer Strafverfolgung, die allein schon die Übernahme der Ordnungsgarantie in diesen Gebieten ausschließt, fehlen also die Voraussetzungen einer sinnvollen Erstreckung des StGB. Ein von der faktischen Lage absehender, normativer Inlandsbegriff bezüglich der polnisch besetzten Gebiete hat auch keine rechtliche Basis mehr, zumindest nicht mehr nach Anerkennung der Oder-Neisse-Linie in Art. 1 Abs. 1 des Warschauer Vertrags vom 7. 12. 1970 33 (überwiegende Ansicht); für das Gebiet der D D R ist dies trotz Art. 6 des Grundlagenvertrags vom 21. 12. 1972 34 , wonach „die Hoheitsgewalt jedes der beiden Staaten . . . auf sein Staatsgebiet beschränkt" ist, umstritten 3 5 , aber ebenso zu entscheiden 3 6 . Inland sind somit das Bundesgebiet sowie Westberlin: sogenannter funktioneller Inlandsbegriff 3 7 ; gemeint ist ein strafrechtAunktioneller Begriff, der den staats- und völkerrechtlichen Inlandsbegriff 3 8 nicht präjudiziert. Der Begriff ist unter der Voraussetzung entsprechender Uberleitungsgesetze für Berlin 39 praktisch deckungsgleich mit dem des räumlichen Geltungibereichs (nach den §§ 5, 48, 84 ff, 91 StGB u. a. m.), womit nicht das Gebiet gemeint ist, auf das die Bundesrepublik Deutschland N o r m e n erstrekken kann (das ist nach den §§ 5 bis 7 StGB auch das Ausland), sondern das Gebiet, in dem sie die Garantie der N o r m e n zu vollziehen hat, also Gerichtshoheit ausübt 4 0 . Bei einzelnen Vorschriften, insbesondere den §§ 109 bis 109 k StGB, fehlt es daran f ü r Berlin. Deshalb gilt der diese Vorschriften betreffende § 5 Nr. 5 StGB in Berlin nur eingeschränkt (siehe Art. 324 EGStGB). Die verschleiernde Terminologie, die den Zweck hat, eine politisch brisante Entscheidung der Rechtsprechung zu überlassen 41 , ist mangels der nach Art. 103 Abs. 2 G G , § 1 StGB erforderlichen Bestimmtheit rechtsstaatlich nicht korrekt 4 2 . § 5 Nr. 11 StGB bringt f ü r einige Delikte gegen die Umwelt (§§ 324, 326, 330 und 330 a StGB) eine Erweiterung des relevanten Territoriums um den deutschen Festlandsockel 43 . 2 a) Das Territorialitätsprinzip wird in den §§ 5 bis 7 StGB erheblich, ohne durch- 16 gehende Plausibilität und teils unübersichtlich durch weitere Prinzipien, insbesondere durch das Schutzprinzip, ergänzt. Das Schutzprinzip gilt in den Fällen, in denen die Staaten üblicherweise nur ihre eigenen Güter schützen, also im Bereich des Schutzes des Staats und (der Tätigkeit) seiner Organe: § 5 Nr. 1, 2, 3 b, 4, 5 a, 10 und 14 StGB. Aus dem Schutzprinzip folgt auch die Bestrafung derjenigen Taten deutscher oder ausländischer Amtsträger oder f ü r den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter ( § 1 1 Abs. 1 N r . 2 und 4 StGB) nach § 5 Nr. 12 und 13 StGB, die sich gegen das Funktionieren der staatlichen Tätigkeit richten, etwa Vorteilsannahme und Bestechlichkeit (§§ 331 f StGB) oder Rechts33 BGBl. 1972 II S. 353. 3t BGBl. 1973 II S. 421. 35 Für die Einbeziehung der D D R in das Inland insbesondere Dreher37 § 3 R d n . 3; abgeschwächt Dreher-Tröndle38 § 3 R d n . 3 ; siehe auch Oehler Internationales Strafrecht S. 279. 36 Überwiegende Ansicht, insbesondere SchönkeSchröder-Eser R d n . 29, 62 f vor § 3; LK-Tröndle Rdn. 46 vor § 3; Lackner % 3 V o r b e m e r k u n g 4 a, jeweils mit Nachweisen; jetzt auch B G H 30 S. 1 ff. 37 F ü r die Rechtsprechung jetzt B G H 30 S. 1 ff; O L G Düsseldorf J R 1980 S. 73 ff mit ausführlichen Nachweisen; B a y O b L G J R 1982 S. 159.

38 Siehe BVerfG 36 S. 1 ff, 23, 31. 39 Dreher-Tröndle R d n . 2 vor § 80. 40 Schroeder GA 1968 S. 353 ff. 41 B T - D r u c k s a c h e V / 4 0 9 5 S. 4; auch Protokolle Sonderausschuß V S. 2346 f. 42 Siehe auch B G H 7 S. 54 ff, 55. 43 Gegen den ursprünglichen Versuch, die Problematik nach dem Weltrechtprinzip zu regeln, siehe Oehler GA 1980 S. 241 ff, der die geltende Lösung dem Schutzprinzip z u o r d n e t , a a O S. 245 f; ebenso Sack N J W 1980 S. 1424 ff.

95

5. AbSChn

l . Buch. 2. Kapitel. G e s e t z e s b i n d u n g . G e l t u n g des Strafrechts

beugung (§ 336 StGB). In anderen Fällen von § 5 Nr. 12 und 13 StGB handelt es sich um die Ausprägung eines auf ausländische Amtsträger oder f ü r den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete ausgedehnten (aktiven) Personalitätsprinzips: Amtliche Tätigkeit soll überall den Beschränkungen deutschen Strafrechts unterliegen. Der Verzicht auf eine identische N o r m im Ausland ist insoweit noch plausibel, obgleich die besonderen Verhältnisse am T a t o r t wie in § 3 Abs. 2 StGB a. F. hätten berücksichtigt werden sollen 44 . Jedenfalls ist die Erfassung der deutschen Amtsträger und für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten auch bei Taten schlicht „während eines dienstlichen Aufenthalts" ( § 5 N r . 12, 1. Fallgruppe StGB) durch eine (das Gesetz zugunsten des Täters korrigierende) Berücksichtigung des Gedankens von § 3 Abs. 2 StGB a. F. einzuschränken : W e n n die T a t am Tatort wegen der dortigen Verhältnisse zu tolerieren ist, fehlt ein Schutzgut und selbst der „diffuse Gesichtspunkt", über das private Verhalten der dienstlich Tätigen das Ansehen des Dienstes zu schützen 4 5 , trägt in diesen Fällen mangels Gefährdung des Ansehens nicht. Zum Schutzprinzip zugunsten privater Güter ohne Blick auf eine identische N o r m am Tatort oder die dortigen Verhältnisse siehe § 5 N r . 6 und 7 StGB 4 6 ; zum Begriff Deutscher in Nr. 6 siehe unten 5/18. Der Inlandsbegriff in Nr. 6 hat eine Schutzfunktion und umgreift deshalb — anders als derjenige des § 3 StGB — auch das Gebiet der D D R 4 7 . Praktische Bedeutung hat das nur für § 241 a StGB. - Bei § 234 a StGB greift bei den ersten beiden Handlungsformen sowieso § 3 StGB ein. Die dritte Handlungsform besteht im Verhindern der Rückkehr in den räumlichen Geltungsbereich, so daß nur Personen geschützt sind, die eine Reise im räumlichen Geltungsbereich angefangen haben. Personen, die in der D D R ihre Reise beginnen, sind — ohne ersichtlichen Grund einer Differenzierung — schutzlos. Die Regelung ist nur als ungeschickte Einschränkung eines an sich allen Deutschen geltenden Schutzes auf diejenigen Deutschen verständlich, die noch eine engere Beziehung zur Bundesrepublik Deutschland haben 4 «. 17

b) Zu § 5 Nr. 3 a, 5 b, 8 und 9 StGB wird für den T ä t e r — bei Nr. 8 auch für das Opfer — auf die deutsche Staatsangehörigkeit und auf die „Lebensgrundlage im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes" abgestellt. Dieser Sprachgebrauch ist unglücklich: Bei § 5 Nr. 3 a und 5 b StGB rührt die Einschränkung des Schutzprinzips durch ein personales Moment insbesondere aus der Notwendigkeit her, die Bürger der D D R zu entlasten, so daß die Lebensgrundlage weniger räumlich als nach der Abhängigkeit von der Bundesrepublik und der deshalb zu erwartenden Treue gegenüber deren N o r men zu definieren ist 49 . Bei Nr. 8 und 9 sollen — ohne zwingende Anknüpfung an das Schutzprinzip (Nr. 9!) — Umgehungen der Auswirkung des Territorialitätsprinzips erfaßt werden; insoweit hat die Lebensgrundlage streng das räumliche Zentrum zu sein 50 , da ansonsten nicht einmal der Anschein der Umgehung entstehen kann.

18

c) Das Schutzprinzip gilt nach § 7 Abs. 1 StGB ferner f ü r Taten gegen Deutsche im Ausland, freilich unter der Voraussetzung einer identischen N o r m am Tatort oder des Fehlens einer Strafgewalt am Tatort; es ist damit dem Stellvertretungsprinzip angenähert. W e r Deutscher ist, ist unter Ausgang von Art. 116 Abs. 1 G G und dem RuStG 44

Relevant etwa bei einer T a t nach § 203 Abs. 2 Satz 2 StGB in einem Land, in dem mangels hinreichender Entwicklung f ü r Datenschutz kein Bedürfnis besteht. « Zutreffend kritisch SK-Samson § 5 Rdn. 20 . 46 Zu N r . 7 zutreffend kritisch SK-Samson §5 Rdn. 16. 47 B G H 30 S. 1 ff, 5 ff mit Anmerkung Schroeder N S t Z 1981 S. 179 ff; Uckner % 5 Anm. 3; siehe

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auch O L G Düsseldorf JR 1980 S. 73 ff, 75; a. A. mit beachtlichen Argumenten SK-Samson § 5 Rdn. 15; Wengler JR 1981 S. 206 ff; Schroth N J W 1981 S. 500 f. 48 Ähnlich auch B G H 30 S. 1 ff, 5 ff. 49 So im Ergebnis die überwiegende Ansicht; Schönke-Schröder-Eser § 5 Rdn. 9 mit Nachweisen. 50 So SK-Samson % 5 Rdn. 8 ff.

Räumliche und personelle Geltung

5. AbSChn

funktional zu bestimmen: Als Deutsche sind auch die Bürger der D D R geschützt 51 , aber nicht mit Pflichten belastet; zu ihren Gunsten — bei § 5 Nr. 3 a, 5 b, 8 (nur auf der Täterseite), 9, § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB — sind die Bewohner der D D R wie Ausländer zu behandeln, da sie bereits der Strafgewalt der D D R unterliegen 52 . Die identische Norm am Tatort muß kriminelle Strafe vorsehen 53 , und zwar zum Schutz von Individualrechtsgütern. Die Fassung des Tatbestands wie auch Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe am Tatort sowie in prozessuale Form gekleidete Strafwürdigungsvoraussetzungen sind zu beachten 54 . Dies ist zwar insbesondere für diejenigen Fälle streitig, in denen nicht zum Tatbestand gehörende Regelungen gegen allgemein anerkannte Rechtsgrundsätze verstoßen 55 , aber die Gegenmeinung übersieht, daß das nach dem Gesetz nun einmal erforderliche Faktum einer Strafdrohung ein Produkt positiven Rechts ist und durch das naturrechtliche Postulat einer Strafdrohung nicht ersetzt werden kann (siehe oben zum Grundsatz der Gesetzesbindung 4/Fn. 23; ferner unten 5/29): Die identische Norm muß eine am Tatort bestehende, nicht nur nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen erst zu errichtende, Norm sein. — Ist eine juristische Person verletzt, so kommt es darauf an, ob sie ihren Sitz im Inland hat 56 . Eine juristische Person mit Sitz im Ausland wird nicht geschützt, auch wenn die Mitglieder alle Deutsche sind. 3. Das Stellvertretungsprinzip gilt — unter der Voraussetzung einer identischen 19 Norm (die kriminelle Strafe vorsehen muß 57 ) oder des Fehlens von Strafgewalt am Tatort — nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB für die Fälle der nach Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG unzulässigen Auslieferung 58 sowie nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB für die Fälle der nach dem DAG zulässigen, aber unterbleibenden Auslieferung 59 . Die für § 7 Abs. 2 StGB maßgebliche Tatzeit bestimmt sich nach § 8 StGB (dazu oben 4/53 f). — Die Berücksichtigung einer gegebenenfalls milderen Strafdrohung am Tatort entspräche dem Stellvertretungsprinzip und ist deshalb de lege ferenda für § 7 Abs. 2 StGB zu fordern. 4. Schließlich ordnet § 6 StGB Bestrafung nach dem Weltrechtsprinzip für Völker- 2 0 mord (Nr. 1) sowie für Delikte an, die nur bei internationaler Solidarität wirksam bekämpft werden können (Nr. 2 bis 8). Der Inhalt des Katalogs wird überwiegend durch internationale Abkommen bestimmt. Die Generalklausel in Nr. 9, nach der auch Taten einbezogen werden, zu deren Verfolgung 60 sich die Bundesrepublik Deutschland durch zwischenstaatliche Abkommen verpflichtet hat, ist überflüssig: Ist das Abkommen ratifiziert und damit innerstaatliches Recht, so wird die Geltung 61 schon deshalb erweitert; ist das Abkommen nur völkerrechtlich verbindlich, fehlt es an hinreichender gesetzlicher Bestimmtheit (Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB) 62 . 51 Siehe BVerfG 36 S. 1 ff, 30 f; - enger (Schutz der DDR-Bürger nur, wenn sie ihre Lebensgrundlage im Geltungsbereich des StGB haben oder sich dort aufhalten) Schönke-Schröder-Eser Rdn. 66 vor § 3, § 7 Rdn. 5 f. 52 Schönke-Schröder-Eser Rdn. 64 vor § 3; Jescheck AT $ 2 0 III 3 b; Maurach-Zipf A T I § 11 II A 2; Dreher-Tröndle § 7 Rdn. 3 mit Nachweisen; a. A. B G H N J W 1978 S. 113 ff, 115 in einem obiter dictum zu § 7 StGB; Dreher37 § 7 Rdn. 3. 53 B G H 27 S. 5 ff, 9; erweiternd LK- Tröndle § 7 Rdn. 4 a. 54 Roggemann Z R P 1976 S. 243 ff mit Nachweisen; verfehlt Woesner Z R P 1976 S. 248 ff, 250. 55 Siehe LK-Tröndle § 7 Rdn. 5; Lackner § 7 Anm. 2, jeweils mit Nachweisen. 5' LK-Tröndle § 7 Rdn. 10 mit Nachweisen.

57 ß a y O b L G J R 1982 S. 159 f mit Anmerkung Oeh'er JR 1982 S. 160. 58 7ΛΙ Verbindungen mit dem aktiven Personalitätsprinzip siehe Scbönke-Scbröder-Eser § 7 Rdn. 1 mit Nachweisen. 59 Zur Behandlung der in der NS-Zeit bis zum Kriegsende per „Zwangsakt" Deutschen nach § 7 Abs. 2 StGB siehe Oehler Bockelmann-Festschrift S. 771 ff. 60 Gemeint ist: zu deren Umfassung durch den Geltungsbereich des deutschen Strafrechts; SchönkeSchröder-Eier § 6 Rdn. 10. 61 Gemeint ist die Geltung der bestehenden StrafvorSchriften; Dreher-Tröndle § 6 Rdn. 9. " S i e h e auch LK-Tröndle § 6 Rdn. 9; SchönkeSchröder-Eser % 6 Rdn. 10.

97

5. AbSChn

l . Buch. 2. Kapitel. G e s e t z e s b i n d u n g . G e l t u n g des Strafrechts

B. Die Probleme des Tatorts 21

1. Der f ü r das Territorialitäts- und Flaggenprinzip sowie ansonsten beim Erfordernis einer identischen N o r m wichtige Tatort wird in § 9 StGB nach dem Ubiquitätsprinzip weit bestimmt: T a t o r t ist bei Täterschaft der O r t der Handlung (i. e. der Ausführungshandlung und des Versuchs 6 3 und der Vorbereitung nach § 30 StGB sowie nach Sonderregelungen, etwa § 159 StGB) wie auch der O r t des (beim Versuch: vorgestellten) tatbestandlichen Erfolgs, bei der Teilnahme der O r t der Teilnehmerhandlung wie auch der O r t der (beim Teilnahmeversuch: vorgestellten) Haupttat, und zwar bei der Inlandsteilnahme ohne Blick auf die Strafbarkeit der Haupttat an deren Tatort. Für die praktisch zentralen Fälle der Bestimmung des Orts f ü r das Territorialitätsprinzip werden also die Handlungen im Inland (Tabuierung deliktischen Verhaltens) wie die Erfolge im Inland (Schutzprinzip) erfaßt, ersteres freilich nur, wenn das ausländische Gut durch die inländische N o r m geschützt ist (siehe oben 5 / 2 f). Letzteres ist beim Eingriff im Ausland und bloßem Erfolgseintritt im Inland (der im Ausland Angeschossene schleppt sich über die Grenze und stirbt im Inland) eine bedenklich weite Regelung (unbedenklich: Der Schuß von jenseits der Grenze trifft im Inland) 6 4 . — Zur Bestimmung der Handlung siehe oben 4 / 5 3 f. — Die Bestimmung des Erfolgsorts bereitet bei nicht dinglich fixierbaren Erfolgen (etwa Vermögensschaden durch Verlust einer Forderung, Ehrverletzung) Schwierigkeiten; die Bestimmung wird hier in Analogie zur Lage bei dinglich fixierbaren Erfolgen (etwa Sachbeschädigung) ohne Blick auf den Aufenthaltsort des Inhabers des verletzten Guts zu erfolgen haben.

22

2. Bezieht sich eine Handlung im Ausland tatbestandlich auf eine Situation im Inland, so ist sie auch im Inland begangen; Beispiel: W e r bei einer im Inland eingetretenen Zahlungsunfähigkeit im Ausland eine Konkurshandlung nach § 283 Abs. 1 StGB vollzieht, begeht (auch) im Inland (zweifelhaft). Bei täterschaftlicher Handlung im Inland und Erfolg im Ausland (Distanzdelikt) oder Teilnahmehandlung im Inland bei ansonsten im Ausland stattfindender Tat (Distanzteilnahme) sind die Ergebnisse einer wörtlichen Anwendung des § 9 StGB dann unbefriedigend, wenn die Erfolgsherbeiführung am O r t des Erfolgs oder der Haupttat aus plausiblen Gründen straffrei ist. Beispiele finden sich nicht nur im Bereich der stark kultureigentümlichen Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung, sondern bei nahezu allen Delikten, die überhaupt Güter ohne Blick auf deren Belegenheit schützen, ferner bei den Handlungspflichten der Unterlassungsdelikte und der durch Sonderpflichten gekennzeichneten Begehungsdelikte wie auch bei Rechtfertigungsgründen. Konkret: Industrielle Einrichtungen werden in ein wenig entwickeltes Land geliefert, wobei der Betrieb solcher Einrichtungen in Deutschland das erlaubte Risiko einer Gesundheitsgefährdung überschreiten würde; für das Empfängerland bieten die Einrichtungen jedoch ein Höchstmaß an finanzierbarer Sicherheit 65 . Soweit das Problem gesehen wird, wird vorgeschlagen, die Zugehörigkeit des angegriffenen Guts (etwa die Fremdheit der Sache), das erlaubte Risiko, die Garantenstellung bei den unechten U n terlassungsdelikten u. a. m. nach dem jeweils ausländischen Recht zu beurteilen 66 . Dem ist zu folgen; ferner ist — wie schon zu § 5 Nr. 12 und 13 StGB — überhaupt der Rechtsgedanke von § 3 Abs. 2 StGB a. F. anzuwenden: Wenn es am O r t des Erfolgs oder der Haupttat wegen der dortigen besonderen Verhältnisse an einem strafwürdigen Unrecht fehlt (was f ü r die 5 bis 7 StGB ex lege negativ entschieden ist!), wird 63

65 66

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KG J R 1981 S. 37 f, 38. Siehe Krey Strafanwendungsrecht S. 133 ff. Weitere Fälle bei SK-Samson % 9 Rdn. 15. Nowakowski J Z 1971 S. 633 ff; je nach Anknüpfungsprinzip differenzierend (außer bei der Be-

Stimmung der Zugehörigkeit des Guts) Liebelt Zum deutschen internationalen Strafrecht S. 239; für eine Anwendung deutschen Rechts einschließlieh des zugehörigen Kollisionsrechts Cornils Fremdrechtsanwendung S. 71 ff.

Räumliche und personelle Geltung

5. AbSChn

deutsches Recht nicht auf Erfolge oder Haupttaten an diesen Orten erstreckt 67 . Daß das deutsche Strafrecht manche Güter ohne Blick auf deren Belegenheit schützt, heißt nicht, daß Schutzumfang, besondere Pflichten, Rechtfertigung und Entschuldigung auch ohne Blick auf deren räumlichen Bezug übertragbar wären. Nationale Spezifika lassen sich eben nicht nur beim angegriffenen Gut ausmachen. — Nur so ist auch zu vermeiden, daß die Auslieferung wegen einer Straftat, die im empfangenden, rechtsstaatlich verfaßten Land mit Todesstrafe bedroht ist, als Beihilfe zum Totschlag qualifiziert werden muß 68 . 3. Die Handlung in § 9 StGB muß nicht eigenhändig vollzogen werden. Beteiii- 2 3 gungshandlungen reichen aus, auch Handlungen eines Werkzeugs, insbesondere auch eines unvorsätzlichen Werkzeugs, wenn sie als deliktisches Geschehen einem Täter zurechenbar sind. Deshalb sind auch Transitdelikte (Delikte, die das Inland nur kausal durchlaufen) erfaßt, soweit der Transit im Inland durch das Verhalten eines Werkzeugs bewerkstelligt wird (Umladen des beleidigenden Briefs von Dänemark zur Schweiz in Frankfurt) 69 . 4. Bei Unterlassungsdelikten ist — neben dem Ort des (vorgestellten) Erfolgs — 24 statt des Orts der Handlung derjenige Ort maßgeblich, an dem der Täter hätte handeln müssen, und zwar für Täterschaft wie für Teilnahme. Das ist immer der Ort, an dem der Unterlassungstäter sich befunden hat; denn dort hätte er mit seinen Handlungen beginnen müssen 70 . Mußte er sich zum Zweck der Rettung an andere Orte begeben, so werden diese dadurch nicht zu Tatorten; denn es geht nicht um jeden Ort eines hypothetisch rechtmäßigen Verhaltens (unterbliebener Rettung), sondern nur um den Ort der realen Verweigerung gegenüber dem Recht (abweichend die überwiegende Ansicht). Bei Unterlassungshaftung aus Verkehrspflichten und Ingerenz ist dies auch der Ort, an dem die Gefahrenquelle liegt.

C. Prozessuale Besonderheiten 1. Soweit sich aus den §§ 3 ff StGB die Anwendung deutschen Strafrechts ergibt, 2 5 kann auch konkurrierend eine ausländische Zuständigkeit gegeben sein. Bei ausländischer Vorverurteilung gilt der auf die Rechtssicherheit nach der eigenen Rechtsordnung bezogene Art. 103 Abs. 3 GG nicht 71 . Die Anrechnung einer verbüßten Strafe ordnet § 53 Abs. 3 Satz 1 StGB an, sowie die regelmäßige Anrechnung einer sonstigen Freiheitsentziehung im Zusammenhang mit der Tat, § 53 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. Abs. 1 StGB (siehe auch § 153 d Abs. 1 Nr. 3 StPO). 2. Die teilweise wenig billigenswerten Folgen des Ubiquitätsprinzips und Flaggen- 2 6 prinzips bereinigt § 153 c Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 bis 4 StPO auf prozeßrechtlicher Ebene. § 154 b StPO ermöglicht es, bei Auslieferung und Ausweisung auf die Durchsetzung der Bestrafung in der Bundesrepublik Deutschland zu verzichten.

D. Das interlokale Strafrecht Beim interlokalen Strafrecht geht es um die Anwendung des Strafrechts einzelner 2 7 Länder der Bundesrepublik Deutschland, handele es sich um partiell geltendes Bundes67

SK-Samson § 9 Rdn. 20; Jescheck AT § 18 I 1; anders die überwiegende Ansicht; für eine verfahrensrechtliche Lösung LK-Tröndle § 9 Rdn. 15. 68 Für die Zulässigkeit der Auslieferung zutreffend BVerfG 18 S. 112 ff; sehr streitig; Nachweise bei Mauracb-Zipf A T I § 11 II A 6. — Für eine Zurücknahme des weiten § 9 StGB auf Fälle der in

den §§ 5 bis 7 StGB beschriebenen Art Jung J R 1979 S. 325 ff. " S e h r streitig; teilweise widersprüchlich (Transit nie, aber Handeln des Werkzeugs wohl tatortbegründend) LK-Tröndle § 9 Rdn. 5 und 12 gegen Rdn. 3; ebenso Dreher-Tröndle § 9 Rdn. 2. 70 Unklar Schönke-Schröder-Eser § 9 Rdn. 5. 71 B G H N J W 1969 S. 1542 f.

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5. AbSChn

l. Buch. 2. Kapitel. Gesetzesbindung. Geltung des Strafrechts

strafrecht (siehe Art. 125 G G ; ferner oben 5/15) oder um Landesstrafrecht. Nach üblicher Auffassung soll es sich beim interlokalen Strafrecht im Gegensatz zum internationalen Strafrecht um Kollisionsrecht handeln 7 2 . Diese Ansicht ist zumindest verwirrend: Das internationale Strafrecht regelt auch Kollisionsfälle, freilich nach geltenden Vorschriften stets durch Verzicht auf Anwendung des deutschen Strafrechts (Auslandstat eines Ausländers beim Fehlen der Voraussetzungen der §§ 4, 5, 6, 7 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB) oder durch Anwendung allein des deutschen Strafrechts, bei immerhin teilweise mittelbarem Bezug auf ausländisches Strafrecht, nämlich in den Fällen, in denen eine identische N o r m am T a t o r t erforderlich ist. Daß im internationalen Strafrecht die unmittelbare Anwendung ausländischen Strafrechts nicht vorgesehen ist (wie etwa in Art. 6 des schweizerischen Strafgesetzbuchs) und eine konkurrierende ausländische Zuständigkeit erhalten bleiben kann, ist kein Verzicht auf die Entscheidung, sondern das Ergebnis der Entscheidung einer Kollision. Auch regelt das interlokale Strafrecht nicht nur Kollisionen, sondern zudem den Anwendungsbereich, und zwar — gewohnheitsrechtlich, besser: nach allgemeinen Prinzipien eines Bundesstaats — nach dem analog §§ 3 und 9 StGB bestimmten Tatortprinzip 7 3 . Ein daneben noch teilweise behauptetes Wohnsitzprinzip 7 4 ist abzulehnen, da die Störung der Ordnung im Land vom Wohnsitz unabhängig ist. Der Bierbrauer mit Wohnsitz in München, der in Hessen Bier vertreibt, das den bayerischen Reinheitsvorschriften nicht genügt (§§8, 18 BierStG), ist also straffrei, so wie der Frankfurter, der entsprechende Produkte in München vertreibt, strafbar ist. Die Kollision von Strafbarkeit in einem Land und Straffreiheit in einem anderen oder unterschiedlicher Strafbarkeit in den Ländern ist folgendermaßen aufzulösen: Die Gerichte des Lands wenden das Recht des Tatorts an, auch wenn es sich um Recht eines anderen Lands handelt; bei mehreren Begehungsorten wird das strengste Gesetz angewendet 7 5 .

E. Das Verhältnis zur D D R 28

1. Der Bundesgerichtshof in seiner früheren Rechtsprechung und die ehemals überwiegende Lehre wenden die Regeln des interlokalen Strafrechts auch auf das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zur D D R an 7 6 . Schon die Notwendigkeit, das Strafrecht der D D R am ordre public der Bundesrepublik Deutschland zu prüfen 7 7 zeigt jedoch, daß die jeweiligen Normen einem kraß unterschiedlichen Rechtsverständnis entspringen, so daß die Anwendung von Normen (auch Rechtfertigungsgründen etc.) der D D R in der Bundesrepublik Deutschland eine Isolierung aus dem Normkontext, also aus der zu schützenden Ordnung, und damit eine Umbestimmung des materialen Gehalts voraussetzt. Es geht somit nicht, wie beim interlokalen Strafrecht, um eine in den wesentlichen Prinzipien gemeinsame und nur in den Konkretisierungen räumlich aufgeteilte O r d n u n g 7 8 . Richtiger dürfte deshalb die heute weit überwiegend, auch vom Bundesgerichtshof, vertretene Anwendung der §§ 3 ff StGB sein 79 . 72 Jescheck A T § 2 0 1 1 ; LK-Tröndle R d n . 85 vor § 3; SK-Samson § 3 Rdn. 15. 73 Schon Kohler Internationales Strafrecht S. 223; R G 74 S. 219 f f ; ganz überwiegende Ansicht. 74 Jescheck A T § 2 0 1 3 ; differenzierend SchönkeSchröder-Eser R d n . 54 vor § 3; dagegen Baumann A T § 6 II 4. " R G 75 S. 385 f f ; 76 S. 201 f f ; v. Weber Kohlrausch-Festschrift S. 120 ff. 7 ' B G H 2 S. 300 ff, 308; 7 S. 54 ff, 55; LG Stuttgart J Z 1964 S. 101 f f ; offen dann aber B G H 27

100

S. 5 ff; siehe auch B G H N J W 1978 S. 113 ff, 115, zu § 7 Abs. 2 StGB. — Α. A. — entsprechende Anwendung der §§ 3 ff StGB — nunmehr B G H 30 S. 1 f f ; O L G Düsseldorf J R 1980 S. 73 ff; — unentschieden KG JR 1981 S. 37 f, 38. 77 B G H 7 S. 54 ff, 55; Maurach AT" § 11 II C b. 78 Jescheck A T § 20 III 1. 7 « Eingehend Krey J R 1980 S. 45 ff mit ausführlichen Nachweisen zu der Kontroverse um eine direkte oder analoge Anwendung.

R ä u m l i c h e und personelle G e l t u n g

5. Abschn

2. Auch nach dieser Lösung verbleiben schwere Probleme bei der praktisch wichti- 29 gen Anwendung von § 7 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB (zu § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB siehe oben 5/18). a) Die Verhinderung von „Republikflucht" durch Tötung des Flüchtlings oder durch Freiheitsberaubung ist nach dem innerstaatlichen Recht der D D R nicht strafbar 80 . Daran ändert auch der klare Verstoß gegen elementare humanitäre Grundsätze nichts, da selbst die Verneinung der Rechtfertigungswirkung des Schießbefehls die Straf barkeit nicht „wiederherstellen" kann. Eine Normenordnung wird verfälscht, wenn aus ihrem Zusammenhang einzelne Normen gestrichen und damit die verbleibenden Normen inhaltlich verändert werden; die veränderten Normen sind dann nicht mehr die des betreffenden Staats 81 . Die — zugegebenermaßen unbefriedigende — Lage kann nur durch die Änderung des positiven Rechts, nicht aber durch die Konstruktion „natürlicher Strafbarkeit" verbessert werden (siehe schon oben 5/18) 8 2 . b aa) Noch ungeklärt ist die Lage bei der Erzwingung von „Republikflucht" mit 3 0 Notrechten, die gegenüber Grenzsoldaten der D D R geltend gemacht werden (§§ 32 ff StGB bei Tötung der Grenzsoldaten?). Die Rechtswidrigkeit der Flucht nach der Ordnung der D D R bindet die Bundesrepublik Deutschland nicht 83 . Mangels einer solchen Bindung wird aber nicht jede Verhinderung eines Grenzübertritts zu einem nach deutschem Strafrecht rechtswidrigen Akt, so etwa nicht bei fliehenden Tätern nicht politisch gefärbter Delikte. In den anderen Fällen ist bei der Entscheidung über ein Notwehrrecht des Flüchtenden zu berücksichtigen, daß die DDR-Grenzsoldaten teils ohne die Chance agieren, ihrerseits für das System der Bundesrepublik Deutschland zu optieren. bb) Im Ergebnis wird der Flüchtling, der ohne einen nach materiell rechtsstaatlichen Normen akzeptablen Grund in seiner Freizügigkeit behindert wird und sein Recht deshalb gewaltsam reklamiert, gegen den Grenzsoldaten, der ihn hindert, nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland ein Notwehrrecht haben, in vollem Umfang freilich nur, wenn der Grenzsoldat bei Duldung der Flucht nicht in eine Notlage nach § 35 StGB gerät 84 (zu den Notrechten bei entschuldigtem Angriff siehe unten 12/18). Daß es ein allgemein völkerrechtlich anerkanntes Auswanderungsrecht nicht gibt 85 , ist irrelevant; denn das deutsche Strafrecht garantiert nicht nur völkerrechtlich anerkannte Positionen. — Die Konsequenzen dieser Lösung für Notwehrhilfe und polizeilich legitimierte Hilfe, insbesondere durch den Bundesgrenzschutz, und die jeweilige Unsicherheit der tatsächlichen Lage (will der Flüchtling nur Freizügigkeit?) können freilich wenig befriedigen 86 .

8° Grünwald J Z 1966 S. 633 tf. Grünwald Zur Kritik der Lehre vom überpositiven Recht S. 11. 8 2 Äußerst streitig; siehe zu den unterschiedlichen Positionen Grünwald J Z 1966 S. 633 ff; Dichgans N J W 1966 S. 2255 ff; Krey Strafanwendungsrecht S. 150 f; LK-Tröndle Rdn. 99 f vor § 3 ; Dreher-Tröndle § 3 Rdn. 12; Schönke-SchröderEserRdn. 70 vor § 3; Schroeder J Z 1974 S. 113 ff; Koggemann Z R P 1976 S. 243 ff; Woesner ZRP 1976 S. 248 ff; LG Stuttgart J Z 1964 S. 101 ff (Fall Hanke); differenzierend O L G Düsseldorf J R 1980 S. 73 ff, 75. 8 3 Abweichend Roggemann a a O ; Grünwald aaO, der freilich bei der Ermittlung der Verhältnismä81

ßigkeit des Schießbefehls die Wertigkeit der vom Flüchtling verfolgten Zwecke unbeachtet läßt (S. 638). »4 Hierzu Schroeder N J W 1978 S. 2577 ff, 2578. 8 5 Zur davon abweichenden völkervertragsrechtlichen Lage siehe Jescheck A T § 20 III 3 b; Woesner ZRP 1976 S. 248 ff; Schönke-Schröder-Eser Rdn. 70 vor § 3. 8 6 Alles äußerst streitig; O L G Hamm J Z 1976 S. 610 ff; BGH N J W 1978 S. 113 ff (beides Fall Weinhold); zur Literatur siehe die vorangehenden Fn.; zudem Sax J Z 1959 S. 385 ff; Schroeder N J W 1978 S. 2277 ff.

101

2. BUCH

Die Zurechnungslehre 1. TITEL

Der Inhalt und die Aufgabe der Zurechnung, hauptsächlich beim Begehungsdelikt 1. KAPITEL

Die Tatbestandsverwirklichung 6. ABSCHNITT

Die Grundlagen und die Grundbegriffe der Tatbestandsverwirklichung durch Handlung I. Der Handlungsbegriff Literatur H. Achenbach Historische und dogmatische Grundlagen der strafrechtssystematischen Schuldlehre, 1974; A. Baratta Über Jherings Bedeutung für die Strafrechtswissenschaft, Jherings Erbe, S. 17 ff; H.-J. Behrendt Die Unterlassung im Strafrecht, 1979; R. Bloy Finaler und sozialer Handlungsbegriff, ZStW 90 S. 609 ff; P. Bockelmann Über das Verhältnis von Täterschaft und Teilnahme, 1949; E. v. Buhnoff Die Entwicklung des strafrechtlichen Handlungsbegriffes von Feuerbach bis Liszt unter besonderer Berücksichtigung der Hegelschule, 1966; R. Busch Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Verbände, 1933; den. Moderne Wandlungen der Verbrechenslehre, 1949; G. Dornseif er Rechtstheorie und Strafrechtsdogmatik Adolf Merkels, 1979; K. Engisch Der finale Handlungsbegriff, Kohlrausch-Festschrift S. 141 ff; ders. Empfiehlt es sich, die Strafbarkeit der juristischen Person gesetzlich vorzusehen? Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages Bd. II (E), 1954, S. 12 ff; ders. Tun und Unterlassen, Gallas-Festschrift S. 163 ff; ders. Logische Überlegungen zur Verbrechensdefinition, Welzel-Festschrift S. 343 ff; Η. A. Fischer Die Rechtswidrigkeit mit besonderer Berücksichtigung des Privatrechts, 1911; H. Franzheim Sind falsche Reflexe des Kraftfahrers strafbar? NJW 1965 S. 2000 f; W. Gallas Zum gegenwärtigen Stand der Lehre vom Verbrechen, ZStW 67 S. 1 ff; E. Göhler Die strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen, Beiheft ZStW 1978 S. 100 ff; Κ. H. Gössel Wertungsprobleme des Begriffs der finalen Handlung, 1966; Κ. A. Hall Fahrlässigkeit im Vorsatz, 1959; W. Hardwig Die Zurechnung, 1957; F. Härtung Empfiehlt es sich, die Strafbarkeit der juristischen Person gesetzlich vorzusehen? Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. II (E), 1954 S. 43 ff; E. Heinitz Der Ausbau des Strafensystems, ZStW 65 S. 26 ff; ders. Empfiehlt es sich, die Strafbarkeit juristischer Personen gesetzlich vorzusehen? Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages Bd. II (E), 1954, S. 73 ff; R. D. Herzberg Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, 1972; H. J. Hirsch Der Streit um Handlungs- und Unrechtslehre, insbesondere im Spiegel der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, ZStW 93 S. 831 ff, 94 S. 239 ff; A. Hold v. Femeck Die Rechtswidrigkeit Bd. I, 1903; /. Hruschka Strukturen der Zurechnung, 1976; A. Huss Die Strafbarkeit der juristischen Person, ZStW 90 S. 237 ff; G. Jakobs Vermeidbares Verhalten und Strafrechtssystem, Welzel-Festschrift S. 307 ff; H.-H. Jescheck Die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Personenverbände, ZStW 65 S. 210 ff; ders. Die Behandlung der Personenverbände im Strafrecht, SchwZStr. 70 (1955) S. 243 ff; ders. Die Entwicklung des Verbrechensbegriffs in Deutschland seit Beling im Vergleich mit der österreichischen Lehre, ZStW 73 S. 179 ff; 102

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. AbSChil

ders. Der strafrechtliche Handlungsbegriff in dogmengeschichtlicher Entwicklung, Eb. SchmidtFestschrift S. 139 f f ; ders. Grundlagen der Dogmatik und Kriminalpolitik, ZStW 93 S. 1 f f ; Armin Kaufmann Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, 1959; ders. Zum Stande der Lehre vom personalen Unrecht, Welzel-Festschrift S. 393 ff; Arthur Kaufmann Einleitung zu: G. Radbruch D e r Handlungsbegriff, N a c h d r u c k 1967, S. VII ff; ders. Die ontische Struktur der H a n d l u n g , H . Mayer-Festschrift S. 79 f f ; ders. Die finale Handlungslehre und die Fahrlässigkeit, J u S 1967 S. 145 ff; U. Κ Kindhäuser Intentionale Handlung, 1980; ders. Basis-Handlungen, Rechtstheorie 1980 S. 479 ff; U. Klug D e r Handlungsbegriff des Finalismus als methodisches Problem, EmgeFestschrift S. 33 ff; E. Kohlrausch Irrtum und Schuldbegriff im Strafrecht, 1903; J. Krümpelmann Motivation und H a n d l u n g im Affekt, Welzel-Festschrift S. 327 f f ; ders. Vorsatz und Motivation, ZStW 87 S. 888 ff; D. Lang-Hinrichsen „Verbandsunrecht", H . Mayer-Festschrift S. 49 f f ; Κ Larenz Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, 1927; E.-J. Lampe D a s personale Unrecht, 1967; K. Luff Die biologische Betrachtung von Verkehrsunfällen und ihre Bedeutung für die Verkehrsrechtsprechung, D A R 1959 S. 89 ff; N. Luhmann Soziologische Aufklärung Bd. III, 1981; W. Maihofer Der Handlungsbegriff im Verbrechenssystem, 1953; ders. Z u r Systematik der Fahrlässigkeit, Z S t W 70 S. 159 ff; ders. Der Unrechtsvorwurf, Rittler-Festschrift S. 141 ff; ders. Der soziale Handlungsbegriff, Eb. Schmidt-Festschrift S. 156 f f ; M. Maiwald Abschied vom strafrechtlichen Handlungsbegriff? Z S t W 86 S. 636 ff; H. Mayer Vorbemerkungen zur Lehre vom Handlungsbegriff, v. Weber-Festschrift S. 137 f f ; A. Merkel Kriminalistische Abhandlungen Bd. I, 1867; E. Mezger Die subjektiven Unrechtselemente, GS 89 S. 207 ff; ders. Moderne Wege der Strafrechtsdogmatik, 1950; K. Michaelowa D e r Begriff der strafrechtswidrigen Handlung, 1968; R. Moos Die finale Handlungslehre, in: Strafrechtliche Probleme der Gegenwart Bd. II, 1974, S. 5 f f ; /. Nagler Der heutige Stand der Lehre von der Rechtswidrigkeit, BindingFestschrift Bd. II S. 273 f f ; W. Niese Finalität, Vorsatz und Fahrlässigkeit, 1951; P. Noll D e r strafrechtliche Handlungsbegriff, in: A. Mergen (Hrsg.) Kriminologische Schriftenreihe Bd. 54, 1971, S. 21 f f ; F. Nowakowski Zu Welzeis Lehre von der Fahrlässigkeit, J Z 1958 S. 335 ff, 388 f f ; ders. Probleme der Strafrechtsdogmatik, JurBl. 1972 S. 19 ff; D. Oehler Das objektive Zweckmoment in der rechtswidrigen Handlung, 1959; ders. Die erlaubte Gefahrsetzung und die Fahrlässigkeit, Eb. Schmidt-Festschrift S. 232 ff; K. Otter Funktionen des Handlungsbegriffs im Verbrechensaufbau, 1973; R. Pohl-Sichtermann Geldbuße gegen Verbände, 1974; G. Radbruch D e r Handlungsbegriff in seiner Bedeutung für das Strafrechtssystem, 1904; ders. Zur Systematik der Verbrechenslehre, Frank-Festgabe Bd. I S. 158 f f ; ders. Rechtsidee und Rechtsstoff, A R S P 17 S. 343 ff; ders. Rechtsphilosophie (Literaturbericht), Z S t W 25 S. 25 I f f ; Th. Rittler Die finale Handlungstheorie im Strafrechtssystem Maurachs, JurBl. 1955 S. 613 f; Η. E. Rotberg Für Strafe gegen Verbände, DJT-Festschrift Bd. II S. 193 ff; C. Roxin Einige Bemerkungen zum Verhältnis von Rechtsidee und Rechtsstoff in der Systematik unseres Strafrechts, Radbruch-Gedächtnisschrift S. 260 ff; ders. Zur Kritik der finalen Handlungslehre, Z S t W 74 S. 515 ff; G. Schewe Reflexbewegung H a n d l u n g Vorsatz, 1972; ders. Alkoholdelinquenz aus medizinischer Sicht, Beiheft ZStW 1981 S. 39 ff; W. Schild Die „Merkmale" der Straftat und ihres Begriffs, 1979; E. Schmidhäuser Willkürlichkeit und Finalität als Unrechtsmerkmale im Strafrechtssystem, Z S t W 66 S. 27 ff; ders. Zur Systematik der Verbrechenslehre, Radbruch-Gedächtnisschrift S. 268 f f ; Eb. Schmidt Soziale Handlungslehre, Engisch-Festschrift S. 339 ff; ders. Der Arzt im Strafrecht, 1939; R. Schmitt Strafrechtliche Maßnahmen gegen Verbände, 1958; K. Schneider Die Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit, 4. Auflage 1961; Chr. Schönebom Z u m „Erfolgsunwert" im Lichte der sozialpsychologischen Attributionstheorie, GA 1981 S. 70 f f ; R. Seiler Strafrechtliche Maßnahmen als Unrechtsfolgen gegen Personenverbände, 1967; R. Spiegel Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Kraftfahrers f ü r Fehlreaktionen, DAR 1968 S. 283 f f ; G. Stratenwerth Die Bedeutung der finalen Handlungslehre f ü r das schweizerische Strafrecht, SchwZStr. 81 (1965) S. 179 f f ; ders. Literaturbericht, Z S t W 85 S. 469 ff; ders. Unbewußte Finalität? Welzel-Festschrift S. 289 f f ; K. Tiedemann Wirtschaftsstrafrecht und Wirtschaftskriminalität Bd. I, 1976; Z. U. Tjong Der Ursprung und die philosophische Grundlage der Lehre von den „sachlogischen Strukturen" im Strafrecht, ARSP 54 S. 411 ff; H. v. Weber Grundriß des tschechoslowakischen Strafrechts, 1929; ders. Zum Aufbau des Strafrechtssystems, 1935; ders. Über die Strafbarkeit juristischer Personen, GA 1954 S. 237 ff; ders. Bemerkungen zur Lehre vom Handlungsbegriff, Engisch-Festschrift S. 328 ff; H. Welzel Naturalismus und Wertphilosophie im Strafrecht, 1935; ders. Kausalität und Handlung, ZStW 51 S. 703 ff; ders. Studien zum System des Strafrechts, Z S t W 58 S. 491 f f ; ders. U m die fi-

103

6. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

nale Handlungslehre, 1949; ders. Vom Bleibenden und vom Vergänglichen in der Strafrechtswissenschaft, Grünhut-Erinnerungsgabe S. 173 ff; ders. Das neue Bild des Strafrechtssystems, 1951, 4. Auflage 1961; ders. Die finale Handlungslehre und die fahrlässigen Handlungen, JZ 1956 5. 316 ff; ders. Die Naturrechtslehre Samuel Pufendorfs, 1958; ders. Fahrlässigkeit und Verkehrsdelikte, 1961; ders. Zur Dogmatik im Strafrecht, Maurach-Festschrift S. 3 ff; ders. Ein unausrottbares Mißverständnis? Zur Interpretation der finalen Handlungslehre, NJW 1968 S. 425 ff; ders. Die deutsche strafrechtliche Dogmatik der letzten 100 Jahre und die finale Handlungslehre, JuS 1966 S. 421 ff; ders. Abhandlungen zum Strafrecht und zur Rechtsphilosophie, 1975; E. A. Wolff Der Handlungsbegriff in der Lehre vom Verbrechen, 1964; ders. Das Problem der Handlung im Strafrecht, Radbruch-Gedächtnisschrift S. 291 ff; /. Wolter Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr und Verletzung in einem funktionalen Straftatsystem, 1981.

A. Die strafrechtlichen Handlungstheorien 1. Die Handlungslehre als Teil der Zurechnungslehre 1

Die Aufgabe der Zurechnung ergibt sich aus der Aufgabe von Strafe und wurde schon im Zusammenhang mit der Strafe skizziert (oben 1/1 ff). Die Zurechnung legt fest, welche Person zur Stabilisierung der Normgeltung zu bestrafen ist. Das Ergebnis lautet: Zu bestrafen ist ein Subjekt, das sich normwidrig und schuldhaft verhalten hat (wenn nicht das Gesetz auf Strafe verzichtet, was aus diversen Gründen möglich ist). Die Lehre von der Zurechnung entwickelt die verwendeten Begriffe: Verhalten des Subjekts, Normbruch, Schuld. Die Darstellung beginnt mit der Handlung; diese ist das Verhalten des Subjekts beim Begehungsdelikt. Die zur Bestimmung der Handlung zu lösenden Probleme sind mit nahezu allen Problemen der Zurechnung als Delikt 1 verknüpfbar, insbesondere mit der Lehre vom Tatbestand (gehen die allgemeinen Merkmale der Handlung dem Tatbestand vor oder werden sie durch den Tatbestand bestimmt?), der Lehre vom Unrecht (wie stark darf mit der Handlung das Unrecht individualisiert oder subjektiviert werden?), der Lehre von der Schuld (ist überhaupt eine nicht voll zurechenbare, also nicht schuldhafte Handlung eine spezifisch menschliche Handlung?) und schließlich mit der Differenzierung zwischen Tun und Unterlassen (ist beides Handlung, weil beides Delikt sein kann?). Entsprechend variantenreich und komplex sind die Lösungsvorschläge, wobei die literarische Lage noch dadurch verdunkelt wird, daß zwischen dem Sachproblem (was sind die Voraussetzungen der Zurechnung und wie sind sie zu ordnen; wie ist ein Verbrechen aufgebaut?) und dem terminologischen Problem (was kann oder muß als Handlung bezeichnet werden?) nicht stets deutlich unterschieden wird 2 . 2. Die Möglichkeit einer schuldlosen Handlung a) Es besteht kein logisches Hindernis, nur die voll zurechenbare, also schuldhafte Tat eine Handlung zu nennen. Ein nur rechtswidriges, aber schuldloses Verhalten ist bei diesem Sprachgebrauch keine komplette, sondern eine unvollständige Handlung. Die Wahl dieser Lösung bedeutet nicht, daß überhaupt nur Straftaten Handlungen sein könnten, also rechtmäßiges Verhalten schon keine Handlung wäre. Der Begriff der Handlung kann vielmehr an der vollen Zurechenbarkeit ohne Berücksichtigung der 1

Die ältere Lehre differenziert zwischen Delikt und Verbrechen. Delikt ist danach „die schuldhafte normwidrige H a n d l u n g , einerlei ob sie strafbar ist oder nicht"; Verbrechen ist die strafbare Erscheinungsform des Delikts (Binding H a n d b u c h S. 499 ff, 503; dazu Armin Kaufmann N o r m e n t h e o r i e S. 30). Diese Differenzierung

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2

wird hier nur bei Anlehnungen an ältere Literatur d u r c h g e f ü h r t ; ansonsten wird als Oberbegriff der des Delikts verwendet. — Zum Begriff des Verbrechens im gesetzestechnischen Sinn siehe unten 6/102 ff. Z u r terminologischen Kontroverse siehe Klug Emge-Festschrift S. 33 ff.

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. A b S C h n

Rechtswidrigkeit festgemacht werden; zurechenbar können nicht nur „böse", sondern auch „gute" Werke sein, und Zurechnung ist nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine sozialethische Kategorie. Beispiel: O b jemand ein Gerät baut, um Menschen zu retten oder rechtswidrig zu vernichten, die Frage nach der Zugehörigkeit von W e r k und Folge zum Konstrukteur, also die Frage nach der Zurechnung, läßt sich jedenfalls stellen. Der Bestand einer Handlung von rechtlicher Erheblichkeit bleibt bei dieser Lösung freilich von den rechtlichen Zurechnungsvoraussetzungen abhängig; die H a n d l u n g wird zu einem Begriff, der relativ zum jeweils relevanten Zurechnungssystem ist. b) Ein Handlungsbegriff, der — in moderner Terminologie — das Nicht-Schuldhafte ausschließt, ist von Hegel entwickelt 3 und von den Hegelianern, insbesondere von Ahegg4, Bemerk und Köstlin 6, in die Strafrechtswissenschaft eingeführt worden 7 . Hege : „Die Äußerung des Willens als subjektiven oder moralischen ist Handlung . . . Erst die Äußerung des moralischen Willens ist Handlung". Der Vorteil eines so gebildeten Handlungsbegriffs liegt darin, daß die Handlung nicht nach ihren äußeren Teilen (Körperbewegung oder Erfolg), sondern nach ihrem Sinnbezug zur N o r m bestimmt wird. Das heißt f ü r die verbrecherische Handlung: Nicht das äußere Geschehen ist das Schlimme, sondern die im Faktum des Handlungsvollzugs erkennbar werdende Haltung des Täters zur N o r m , also zur O r d n u n g allgemein. Wiederum Hegel9: In des Täters „als eines Vernünftigen Handlung liegt, daß sie etwas Allgemeines, daß durch sie ein Gesetz aufgestellt ist, das er in ihr f ü r sich anerkannt hat, unter welches er also, als unter sein Recht subsumiert werden darf". Dieser Handlungsbegriff paßt f ü r eine Straftheorie, nach der die Strafe gleichfalls nicht einem äußeren Zustand, sondern dem Bestand der Normen gilt; Hegels Konzeption hierzu ist bekannt: Es geht bei der Bestrafung des Verbrechers um „das Aufheben des Verbrechens, das sonst gelten würde", und das heißt um „die Wiederherstellung des Rechts" 1 0 . Ein so gestalteter Handlungsbegriff leistet nichts bei der Ermittlung und didaktischen Aufbereitung dessen, was ein Delikt ist; er läßt vielmehr die Zurechnungsvoraussetzungen in einer ungegliederten Gemengelage 1 1 . Dies allein führt freilich nicht zur Ablösung des Handlungsbegriffs Hegels. Bedingung für die Entwicklung ist vielmehr auch, daß Hegels Deutung des Delikts als Sinnausdruck abdankt. Bei Hegel geht es so deutlich um einen Handlungssinn, um den in der H a n d l u n g „geäußerten" Entwurf einer Weltgestaltung, daß die Lösung nur für den wirklich gemeinten Sinn, also bei V o r satztaten, paßt: „Das Recht des Willens aber ist, in seiner T a t nur dies als seine H a n d lung anzuerkennen, . . . was davon in seinem Vorsatze lag" 1 2 . Fahrlässigkeitstaten sind bei dieser Konzeption nicht erfaßt 1 3 . c) Die Gegenposition zum Verständnis der Handlung als Sinnausdruck ist das Verständnis der Handlung als äußerlich gefährlicher Vorgang, und dieser Wechsel, die Naturalisierung des Strafgrunds, also der Wandel der Straftheorie von der Vergeltung 3

4 5 6 7

8

Zur Zurückführung auf Pufendorf siehe Welzel Die Naturrechtslehre S. Pufendorfs S. 19 ff, 84 ff; den. Strafrecht § 8 III 1. Lehrbuch S. 124 ff. Lehrbuch § 35 I, § 62. System § 56. Eingehend hierzu v. Bubnoff Entwicklung S. 36 ff; siehe auch Otter Funktionen S. 30 ff. Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1821, § 113; — bei Hegel findet sich freilich auch die Rede von Handlungen (!) zur Moralität unfähiger Personen, a a O § 120.

9

Hegel a a O § 100. Hegel aO § 99. 11 Das ist kein Spezifikum der Handlungslehre Hegels, sondern trifft die im 19. Jahrhundert ganz übliche Konfundierung von Unrecht und Schuld; siehe hierzu, insbesondere zu A. Merkel und Hold v. Femeck, Mezger G S 89 S. 207 ff, 208 ff; siehe auch unten 6/74. 12 Hegel a a O § 117. Streitig; siehe Larenz Hegels Zurechnungslehre S. 33, 55; Jakobs Studien S. 41 f. 10

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6. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

am vernünftigen Menschen hin zur Sicherung vor G e f a h r e n f ü r Interessen, ist die Basis, auf der am Ende des vorigen J a h r h u n d e r t s ein U m b a u der Handlungslehre zunächst dahin erfolgt, daß H a n d l u n g nicht m e h r das voll zurechenbare Verhalten ist, sondern ein f ü r Interessen gefährlicher Willkürakt 1 4 . P r ä g n a n t zeigt diesen Wechsel Mezgers (spätere) Definition des Unrechts: „Unrecht ist Widerspruch gegen das Recht als Bewertungsnorm, V e r ä n d e r u n g eines rechtlich gebilligten bzw. H e r b e i f ü h r u n g eines rechtlich mißbilligten Zustandes, nicht rechtlich mißbilligte V e r ä n d e r u n g eines Zustandes. Das Verbrechen ist rechtswidrig, weil es Rechtswidrigkeit bewirkt" 1 5 . Dieser U m b a u hat ein Ergebnis gebracht, das bis heute unverzichtbar ist, seil, die S t u f u n g der Zurechnungsvoraussetzungen. U n g e a c h t e t der Entscheidung, welcher Teil des gestuften Zurechnungsgefüges als H a n d l u n g bezeichnet wird, bleibt doch die T r e n n u n g von mindestens zwei Stufen: einer Z u r e c h n u n g als U n r e c h t und einer Z u rechnung als Schuld. Diese T r e n n u n g ist notwendig; denn f ü r einen Teil der Z u r e c h nung, eben f ü r die Schuld, kann die Beziehung des T ä t e r s zu einem vorgehenden Teil, eben z u m U n r e c h t , bedeutsam sein. Es geht vorweg um die Fähigkeit zur Einsicht in das U n r e c h t und z u m Verhalten gemäß der Einsicht (§§ 17, 20, 21 StGB, § 3 J G G 1 6 ) . Mit anderen W o r t e n , die erste Zurechnungsfrage, ob jemand durch sein Verhalten gegen eine N o r m verstößt, sich also unrecht verhält, ist von der zweiten Zurechnungsfrage zu trennen, ob der Normverstoß durch einsichtiges Verhalten zu vermeiden war. Keine N o r m kann nur f ü r den Fall ihrer Einsehbarkeit gelten, weil sie als geltende N o r m schon Gegenstand der Einsicht sein m u ß 1 7 . d) W e n n die Beziehung des Täters z u m U n r e c h t nicht Voraussetzung des Unrechts sein kann, so k ö n n t e aber trotz der Notwendigkeit einer S t u f u n g nur dasjenige Verhalten H a n d l u n g genannt werden, das nicht nur U n r e c h t ist, sondern auch von einem einsichtsfähigen etc. T ä t e r vollzogen wird: D e r Handlungsbegriff Hegels bliebe im Ergebnis unangetastet. Eine solche V e r w e n d u n g des Handlungsbegriffs entspräche sogar einer gebräuchlichen rechtlichen Terminologie, nach der H a n d l u n g dasjenige Verhalten genannt wird, das Rechtswirkungen (hier Strafe) erzeugen kann. Diese zunächst auch in der Strafrechtswissenschaft trotz vollzogener S t u f u n g der Zurechnungsvoraussetzungen beibehaltene Terminologie 1 8 tritt jedoch hinter der V e r w e n d u n g des H a n d lungsbegriffs schon allein f ü r das Unrechte T u n z u r ü c k : D e r Streit um den H a n d l u n g s 14

Freilich wird von v. Liszt und Radbruch gerade nicht eine teleologisch am Strafzweck ausgerichtete Systembildung intendiert, sondern ein klassifikalorisches System; siehe v. Liszt Strafrecht 2 § 28; Radbruch Handlungsbegriff S. 7 ff, 66 f. — Radbruch hat diese Sichtweise später preisgegeben; ders. Z S t W 25 S. 251 ff, 256; ders. A R S P 17 S. 343 f f ; ders. Frank-Festgabe Bd. I S. 158 ff. — Z u r Systematik Radbruchs eingehend Schmidhäuser Radbruch-Gedächtnisschrift S. 268 f f ; siehe auch Arthur Kaufmann Einleitung zum N a c h d r u c k von Radbruch Handlungsbegriff ( D a r m Stadt 1967) S. V I I ff, X f. — Aber die Wahl des klassifikatorischen Systems und die Einordnung der H a n d l u n g nach diesem System hat die latente Funktion der Darstellung auch einer Straftheorie. !5 GS 89 S. 207 ff, 245 f; Hervorhebungen original. 16 Vergleiche demgegenüber die Formulierung von § 51 StGB in der Fassung von 1871, nach der die Schuld nicht reflexiv zum Unrecht, also nicht als Zurechnungssiw/e bestimmt wird, sondern ungestuft als „freie Willensbestimmung".

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17

18

Eingehend Jakobs Studien S. 9 ff, 11 f mit N a c h weisen; ders. Welzel-Festschrift S. 307 ff, 317 ff. — Allerdings kann der k o n k r e t verpflichtete Adressatenkreis einer N o r m durch die Fähigkeiten der jeweiligen Individuen eingeschränkt werden — darauf beruht die Lehre vom personalen U n r e c h t (unten 6/8) —, nur eben logisch nicht durch die Fähigkeit z u r Einsicht in eben die N o r m als N o r m , die aufgestellt werden soll. Freilieh läßt sich — nicht die Konstruktion, aber — das Ergebnis einer durch die eigene Einsehbarkeit beschränkten N o r m erzielen, indem die konkrete N o r m nur an denjenigen adressiert wird, der eine — im Adressatenkreis unbeschränkte — hypothetische N o r m der in Frage stehenden Art einsehen könnte. — Dazu siehe Mezger G S 89 S. 207 ff, 208 f f ; Lampe Personales U n r e c h t S. 11 f f ; Nagler Binding-Festschrift Bd. I S. 273 f f ; Armin Kaufmann N o r m e n t h e o r i e S. 121 ff; ders. WelzelFestschrift S. 393 ff, 396 Fn. 4. U n d zwar neben der H a n d l u n g als Willkürakt beibehalten insbesondere von v. Liszt selbst: „Wir

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. A b S C h ü

begriff wird zum Streit um den Unrechtsbegriff. Neben dem schon erwähnten Blickwechsel vom Normbruch hin zur Interessenverletzung ist ein Grund für diese Zuweisung des Handlungsbegriffs an den Zurechnungs-„Anfang", daß die Aufgliederung der Zurechnungsvoraussetzungen in einem klassifikatorischen System den Blick vom Z u sammenhang der Glieder ablenkt. — Die Konzentration auf das Unrecht wird ferner durch die Formulierung einer objektiven (also jedenfalls schuldlosen) Rechtswidrigkeit im Zivilrecht durch v. J,bering verstärkt 19 . 3. Der kausale Handlungsbegriff a) Jherings objektive Rechtswidrigkeit stößt zunächst allerdings im Strafrecht auf 6 Widerspruch; Schuld und Unrecht sollen nach ganz überwiegender Ansicht untrennbar sein 20 . Die bis zur Gegenwart entscheidende Abwendung von dieser Ansicht erfolgt erst durch v. Liszt21, Beling22 und Radbruch23, und zwar dergestalt, daß das deliktische Tun in zwei verschiedenartige Bestandteile zu zerlegen sein soll: In den äußeren (objektiven) Kausalvorgang einerseits und den inneren (subjektiven) Willensinhalt andererseits. Handlung soll hierbei ein Kausalvorgang sein, soweit er auf menschliches Wollen gleich welchen Inhalts, auf willkürliche Körperbewegung, zurückgeführt werden kann. Willkürliche Körperbewegung wiederum wird definiert als „die durch Vorstellung bewirkte, durch die Innervation der Bewegungsnerven erfolgende Anspannung (Kontraktion) der Muskeln" 2 4 . Der Wille des Menschen wird also als Faktum genommen ohne Blick auf seinen Inhalt und schon deshalb ohne Blick auf seinen Sinn. „Für die Feststellung, daß eine ,Handlung' vorliegt genügt die Gewißheit, daß der Täter willentlich thätig geworden bzw. unthätig geblieben ist. Was er gewollt hat, ist hierfür gleichgültig; der Willensinhalt ist nur von Bedeutung für die Frage der Schuld" 2 5 . Grund dieser Verkürzung des Willens ist das Bemühen um die Reinlichkeit einer Scheidung des Kausalzusammenhangs vom Schuldzusammenhang, und zwar „nicht nur bis zur Körperbewegung", also im Bereich der dem körperlichen Akt nachfolgenden Kausalität, „sondern bis zum Willen hinauf" 2 6 . Bei dieser Trennung der Deliktsaußenseite als Unrecht und der Deliktsinnenseite als Schuld wird die Außenseite zunächst drastisch als eine „sinnlich wahrnehmbare Veränderung" definiert, etwa bei der Beleidigung als „Erregung von Luftschwingungen und von physiologischen Prozessen im Nervensystem des Angegriffenen" 2 7 . Das ändert sich

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k ö n n e n die Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t a u c h bestimmen als s t r a f r e c h t l i c h e H a n d l u n g s f ä h i g k e i t . D e n n H a n d l u n g s f ä h i g k e i t im juristischen Sinne ist die Fähigkeit, . . . solche H a n d l u n g e n ( v o r z u n e h men), an welche als T h a t b e s t a n d das R e c h t den Eintritt v o n R e c h t s f o l g e n k n ü p f t " ; S t r a f r e c h t 5 § 3 5 1. — Parallel liegt die L ö s u n g v o n E. A. Wolff, d e r neben einem sozialen H a n d l u n g s b e griff ( d a z u unten 6 / 2 3 ) einen individuellen H a n d lungsbegriff entwickelt u n d diesen d u r c h die S c h u l d h a f t i g k e i t definiert („freies, s i n n b e z o g e n e s Ergreifen einer dem einzelnen o f f e n s t e h e n d e n Möglichkeit"); Handlungsbegriff S. 17; ders. Radbruch-Gedächtnisschrift S. 291 ff, 298. Siehe auch Jakobs W e l z e l - F e s t s c h r i f t S. 307 ff, 318 f. Das S c h u l d m o m e n t im R ö m i s c h e n Privatrecht ( B i r n b a u m - F e s t s c h r i f t ) , 1867, S. 4 f f ; d a z u Η. A. Fischer Rechtswidrigkeit S. 120 f f ; Mezger G S 89 S. 207 ff, 211 f f ; Welzel J u S 1966 S. 421 f f ; Baratta in: J h e r i n g s E r b e S. 17 ff, 18 f f ; Achenbach

G r u n d l a g e n S. 23 ff. — D a s nicht s c h u l d h a f t e U n r e c h t ist als „ u n b e f a n g e n e s U n r e c h t " s c h o n von Hegel entwickelt w o r d e n ( a a O § 8 3 , § 84 f f ; d a z u v. ]bering a a O S. 5 Fn. 1), a b e r f ü r dessen H a n d l u n g s b e g r i f f o h n e Folgen geblieben. 20 S o k u r z v o r Jherings S c h r i f t d e z i d i e r t A. Merkel Kriminalistische A b h a n d l u n g e n Bd. I S. 42 f f ; f e r n e r Binding N o r m e n Bd. I 1 S. 153 f ( a n d e r s s c h o n Bd. I 2 S. 2 4 5 ) ; Kohlrausch I r r t u m u n d S c h u l d b e griff S. 23 ff u n d passim; Hold v. Femeck R e c h t s Widrigkeit Bd. I S. 276 ff, 370 f f ; zu Dohna R e c h t s w i d r i g k e i t als allgemeingültiges M e r k m a l S. 55 ff. 2 ' S t r a f r e c h t 2 § 28. 22 G r u n d z ü g e des S t r a f r e c h t s 2 S. 38. » H a n d l u n g s b e g r i f f S. 68 ff, 129 f. 24 v. Liszt a a O II. 25 Beling a a O S. 38, H e r v o r h e b u n g e n o r i g i n a l ; Radbruch a a O S. 130 f. 26 Radbruch a a O S. 131. 17 v. Liszt S t r a f r e c h t 2 § 28.

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6. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

nachfolgend dahin, daß ein Erfolg auch in seiner sozialen Bedeutung Außenwirkung sein kann, etwa eine Beleidigung als Abwertung 28 . Ferner ändert sich die Gleichung: Unrecht zu Schuld ist gleich Außen zu Innen, und zwar durch die Herausarbeitung subjektiver Unrechtselemente (unten 8/93). Es kommt noch die Erkenntnis hinzu, daß das beim Versuch allein vorhandene objektive Bruchstück ohne Berücksichtigung des Vorsatzes überhaupt nicht als ein Unrecht spezifiziert werden kann. Wenn aber der Vorsatz zum Unrecht des Versuchs gehört, kann er bei der Vollendung nicht nur ein Schuldmoment sein, zumal die Abgrenzung von Versuch und Vollendung teils ohne materiale Bedeutung ist (dazu unten 25/1). Schließlich ist auch das Verständnis der Schuld als etwas Inneres nicht nur insoweit verfehlt, als das Innere als eine psychische Beziehung zu einem äußeren Erfolg verstanden wird (eine solche Beziehung zu einem tatbestandlich relevanten Erfolg fehlt bei der Fahrlässigkeit überhaupt, unten 9/3, 5), sondern die Bezeichnung als etwas Inneres ist auch verkürzend; denn es geht — abgesehen von der Zugehörigkeit des Unrechts zum Schuldtatbestand (unten 17/44, 47) — bei der Schuld nicht allein um eine psychische Lage, sondern auch um deren Bewertung (normativer Schuldbegriff 29 , unten 17/7, 46 und passim). Die klassifizierende und systembildende Bedeutung des kausalen Handlungsbegriffs ist also aus mehreren Gründen zerbrochen 30 . 7

b) Daß eine Handlung ein Willkürakt ohne Blick auf den Inhalt der Willkür sei, wird allerdings bis in die Gegenwart vertreten 31 . Aber nachdem das Unrecht nicht mehr als äußere Seite des Delikts verstanden werden kann, kann dieser Handlungsbegriff nicht mehr das Unrecht bündeln; er scheidet nur Reflexbewegungen, Krampfakte, Körperbewegungen im Schlaf und in Bewußtlosigkeit sowie mit absoluter (unwiderstehlicher) Gewalt erzwungene Bewegungen aus dem Zurechnungszusammenhang aus 32 , leistet aber sonst nichts; ja selbst die Ausscheidung bringt nichts, soweit die Körperbewegung, die nicht Willkürakt ist, unter Bedingungen vorgenommen wird, die ihrerseits durch Willkürakte zustandegekommen sind. Beispielhaft: Das finale Erschlagen eines Menschen mit einem Hammer ist nach dieser Lehre Tötungshandlung, wie es die arglose Produktion des Hammers oder die Zeugung von Täter wie Opfer (!) sind; Willkürakte liegen allemal vor. Zwar ist ein Krampfanfall im Porzellanladen nicht Handlung, wohl aber das Hineingehen in den Laden etc. Gerade diese Unverbindlichkeit des kausalen Handlungsbegriffs dürfte Grund seiner Verbreitung sein: Er präjudiziert nahezu nichts. 4. Der finale Handlungsbegriff

8

a) Es ist das Verdienst der finalen Handlungslehre, im Handlungsbegriff und damit im Unrecht die Trennung von objektiver und subjektiver Deliktseite überwunden zu haben: Das Unrecht wird vom naturalistischen Unrecht zum sogenannten personalen Unrecht. Es geht hierbei darum, die Überlegung dogmatisch umzusetzen, daß ein Willkürakt ohne Blick auf seinen Inhalt ein Kausalfaktor wie jeder andere auch ist und deshalb zur Bestimmung dessen, was eine Normwidrigkeit ist, nichts beiträgt. Es ist sinnlos, Normen an Kausalfaktoren zu adressieren, und auch sinnlos, sie an Menschen zu adressieren, soweit diese ohne Fähigkeit zur Beeinflussung des Kausalverlaufs nur 28 Radhruch Frank-Festgabe Bd. I S. 158 ff, 161. Zur Dogmengeschichte eingehend Achenbach Grundlagen S. 97 ff. 3 0 Siehe v. Bubnoff Entwicklung S. 135. 31 Baumann AT § 16 II; LfP-Heimann-Trosien Einleitung Rdn. 31; Dreher-Tröndle Rdn. 3 vor § 1;

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32

— aus der Zwischenzeit ist insbesondere zu nennen Mezger Strafrecht § 14; zur österreichischen Schule siehe Moos in: Strafrechtliche Probleme S. 5 ff. v. Liszt Strafrecht 2 § 28; Mezger Strafrecht § 14 I; Baumann AT § 16 I 2.

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. AbSChfl

Glieder im natürlichen Kausalnexus sind. Die Norm kann sich also allein auf vermeidbare Verläufe beziehen: Handlung ist das für den Verursacher vermeidbare Bewirken eines Erfolgs. b aa) Die Entwicklung der finalen Handlungslehre ist ein Werk Welzeis 33 . Er stellt 9 in Anlehnung an denkpsychologische Überlegungen 34 neben die Determinationsform der Kausalität diejenige der „Intentionalität". Damit ist gemeint, daß ein Mensch die Folgen seiner Körperbewegungen gedanklich antizipieren, die kausalen Prozesse zur Erreichung eines intendierten Ziels auswählen und die zum Ablauf der Prozesse notwendigen Bedingungen „setzen" kann 35 . Intentionalität soll freilich auch vorliegen, wenn nicht Bedingungen eines kausalen Prozesses gesetzt werden, sondern wenn des Ziels wegen Kausalfaktoren nicht eingesetzt werden, nämlich bei Unterlassungsdelikten. Auch soll nicht nur das aktuell Intendierte (also nur das Vorsätzliche oder gar nur das Absichtliche) zurechenbar sein; vielmehr soll hinreichen, daß jemand die intentionale Steuerung hätte übernehmen können (bei Fahrlässigkeit). Das Ergebnis umgreift vorsätzliches und fahrlässiges Handeln wie Unterlassen: „Als eigene Tat oder Handlung einem Subjekt zugehörig und in diesem Sinne objektiv zurechenbar ist jeder tatbestandlich festgelegte Erfolg, der vom Täter sinnhaft gesetzt oder dessen Abwendung vorhersehbar und sinnhaft setzbar war" 36 . bb) Der Handlungsbegriff, der also zunächst das Intendierte und das Intendierbare 10 umfaßt, und zwar durch Tun wie durch Unterlassen, schrumpft nachfolgend auf den Bereich des Prototyps intentionalen Verhaltens, auf das finale Tun 3 7 . Da die Handlung ohne planvolle Steuerung nur ein „blinder Kausalprozeß" sein könne, wird der „zielbewußte, das kausale Geschehen lenkende Wille" zum „Rückgrat der finalen Handlung". „Menschliche Handlung ist Ausübung der Zwecktätigkeit. Handlung ist darum f i n a les', nicht lediglich ,kausales' Geschehen. Die ,Finalität' oder Zweckhaftigkeit der Handlung beruht darauf, daß der Mensch auf Grund seines Kausalwissens die möglichen Folgen seines Tätigwerdens in bestimmtem Umfang voraussehen, sich darum verschiedenartige Ziele setzen und sein Tätigwerden auf diese Zielerreichung hin planvoll lenken kann. Auf Grund seines kausalen Vorauswissens vermag er die einzelnen Akte seiner Tätigkeit so zu steuern, daß er das äußere Kausalgeschehen auf ein Ziel hinlenkt und es so final überdeterminiert. Finale Tätigkeit ist ein bewußt vom Ziel her gelenktes Wirken, während das reine Kausalgeschehen nicht vom Ziel her gesteuert, sondern die zufällige Resultante der jeweils vorliegenden Ursachenkomponenten ist. Finalität ist darum — bildlich gesprochen — ,sehend', Kausalität,blind'" 38 . 33

Die erste — freilich unausgebildete — Lehre, wonach der Vorsatz als subjektiver Tatbestand zum Unrecht gehört, findet sich bei v. Weber Grundriß des tschechoslowakischen Strafrechts § 9; v. Weber hat nachfolgend nie die finale Handlung als strafrechtlich allein relevante Handlungsgestalt anerkannt; siehe den. Zum Aufbau des Strafrechtssystems S. 11 ff; den. Grundriß 2 § 8 ; den. Engisch-Festschrift S. 328 ff. — Außer den nachfolgend genannten Schriften Welzels sind für die Entwicklung der finalen Handlungslehre vorweg anzuführen: Busch Moderne Wandlungen S. 7 ff; Niese Finalität S. 12, 15 ff und passim; Maurach AT' § 16 I A 1 und 2; Armin Kaufmann Normentheorie S. 282 ff und passim; Stratenwerth SchwZStr. 81 (1965) S. 179 ff, 197 ff; den. AT Rdn. 144 ff; Gössel Wertungsprobleme S. 91 ff;

— weitere Nachweise zur Situation in den 30er Jahren bei Welzel ZStW 58 S. 491 ff, 498 ff; zu Einzelfragen siehe den nachfolgenden Text. 34 Zur Geschichte der finalen Handlungslehre siehe Welzel Das neue Bild4 Vorwort S. IX; den. JuS 1966 S. 421 ff, 423 ff; Tjong ARSP 54 (1968) S. 411 ff, 415 ff. 35 Strafrecht und Philosophie (1930), jetzt in: Abhandlungen S. 1 ff, 4; den. Z S t W 5 1 S. 703 ff, 709 ff. 36 Welzel ZStW51 S. 703 ff, 720; siehe auch den. Naturalismus S. 81 ff. 37 Welzel ZStW 58 S. 491 ff, 505 ff; den. Um die finale Handlungslehre S. 9 ff; den. Das neue Bild § 1 ; den. Grünhut-Erinnerungsgabe S. 173 ff; den. N J W 1968 S. 425 ff; den. Strafrecht § 8. 58 Welzel Strafrecht § 8 I vor 1.

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6. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

Die finale Steuerung soll sich nach dieser Lehre in zwei Phasen vollziehen, und zwar (1) in der Phase der Vorwegnahme des Ziels sowie der Auswahl der zur Erreichung des Ziels erforderlichen Mittel unter Berücksichtigung der Nebenfolgen und (2) in der Phase der Verwirklichung „in der Realwelt", was die Handlung (auch) zum Kausalprozeß, aber zum „überdeterminierten" Kausalprozeß macht 3 9 . Beispiel 40 : Der Täter eines Raubs (Ziel: Zueignung) plant zunächst eine Gewaltanwendung (Zwischenziel) durch Drosseln mit einem Riemen (Tatmittel), verwirft dieses Mittel aber wegen des hohen Todesrisikos (Nebenfolge) und plant sodann Schläge mit einem Sandsack (neues Mittel; Abschluß der ersten Phase). Als diese in die T a t umgesetzte Planung nicht wirkt (das Zwischenziel wird verfehlt; Fehlschlag in der Verwirklichungsphase), greift der Täter auf den vorangehenden, riskanten Tatplan zurück (auf das „alte" Mittel zum Zwischenziel; Rückkehr in die erste Phase); das Opfer erstickt (die Nebenfolge tritt ein; Verwirklichung in der Realwelt). — Es soll sich in diesem Beispielsfall nicht nur um eine finale Raubhandlung, sondern auch um eine finale T ö tungshandlung handeln 4 1 . 11

cc) Vor der erforderlichen Kritik und Weiterführung des finalen Handlungsbegriffs sei der mit dieser Lehre erreichte Stand markiert: Die Handlung ist nicht — wie beim kausalen Handlungsbegriff — nur Bindeglied zwischen einem Täter und einem die Rechtswidrigkeit begründenden Erfolg, sondern ist selbst „Sinnausdruck" 4 2 und trägt als verbotene Handlung selbst das Rechtswidrigkeitsurteil, ist also Unrecht. Daß beim Vorsatzdelikt der Vorsatz als subjektiver Tatbestand Unrechtsvoraussetzung ist, ist heute — in dieser Beschränkung — überwiegende Ansicht und das Minimum einer sogenannten personalen Unrechtslehre. Allerdings darf hierbei unter „Sinnausdruck" nicht die individuelle Stellungnahme zur Norm verstanden werden; denn die Finalität besteht unabhängig von einer normativen Regelung des final gestalteten Gegenstandsbereichs. Im Bereich der Verstöße gegen rechtliche Regelungen ist die finale Handlung Eigenschaft des Unrechten Verhaltens, mag es schuldhaft sein oder nicht. Es geht also um den „Sinnausdruck" als Stellungnahme zur Gestalt des Gegenstandsbereichs der N o r men, nicht zur Gestalt der Normen selbst. Beispiel: Der Arzt, der einem schwer leidenden Patienten auf dessen Bitte hin eine tödliche Injektion verabreicht, äußert mit seiner Handlung nicht jedenfalls eine Mißachtung der N o r m gegen Tötung als allgemeiner N o r m ; denn er mag sein Verhalten unvermeidbar f ü r rechtmäßig halten; — er äußert aber, daß in der ihm bekannten Situation die Tötungshandlung sein soll und verstößt deshalb gegen die — in dieser Situation Tötung verbietende — Norm. Er äußert dies auch, wenn er als Geisteskranker nach § 20 StGB nicht schuldhaft handeln sollte, nur dann als eben nicht voll zurechenbaren „Sinnausdruck" 4 3 . » to "l « 43

Welzel Strafrecht § 8 I l a und b. N a c h B G H 7 S. 363 ff. Siehe Welzel Straf recht § 8 I 1 b. Welzel Z S t W 58 S. 491 ff, 503. Dem Ergebnis dürften neuere sprachphilosophische Entwürfe nahestehen. Hruschka interpretiert die H a n d l u n g als — von den jeweils anderen Subjekten — a n z u n e h m e n d e Regelanwendung durch ein Subjekt (Strukturen S. 13 und passim), Kindhäuser als entscheidbares T u n , durch das der H a n d e l n d e in der Lage ist, ein Ereignis herbeizuführen (Intentionale H a n d l u n g S. 175, 202 und passim; siehe auch den. Rechtstheorie 1980 S. 479 ff). Die letztgenannte Version ist von der Perspektive des Subjekts entwickelt, die erstgenannte von der Perspektive der Mit-Subjekte

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(Hruschka a a O S. 16 f, 21 f und passim; — Kindhäusers Argumente gegen Hruschka sind die stereotypen Argumente der finalen Handlungslehre! A a O S. 200 ff). Jedenfalls geht es nach diesen Lehren bei der Feststellung einer H a n d l u n g nicht um die W a h r n e h m u n g eines Faktums, sondern (bei Hruschka) um eine Deutung ( a a O S. 13); (bei Kindhäuser:) „Handeln ist. . . die Interpretation einer intentionalen Selbstverwirklichung" ( a a O S. 207). — Die Crux dieser Lösung bleibt — wie bei den Finalisten — die Fahrlässigkeit. Kindhäusers D e u t u n g als potentielle Intentionalität ( a a O S. 210) leidet unter den Nachteilen, unter denen die potentielle Finalität gelitten hat (siehe Welzel Strafrecht § 18 Einleitung 4).

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. AbSChfl

c) Gegen die Konzeption Welzeis sind zahlreiche Einwände formuliert worden, die 1 2 teils zu einer Weiterbildung nötigen 4 4 . aa) So wird — nicht nur unter der Suggestivkraft des Worts „final" — vorgebracht, die Lehre passe überhaupt nur auf Absichtstaten 4 5 , — ein Einwand, den Welzel durch die Betonung der Zwecktätigkeit provoziert hatte; denn bei bloßen Nebenfolgen kann von deren zweckhafter Herbeiführung nicht die Rede sein. Allerdings findet sich auch eine finale Handlung, wenn die Zwecktätigkeit nicht bis hin auf die Folgen erstreckt wird; denn der H a n d l u n g s W / z « g ist, solange ein bewußter Willkürakt vorliegt, immer bezweckt, mögen die Folgen bezweckt sein oder nicht. Wenn die Folgen nicht bezweckt, aber dem T ä t e r bekannt sind, ist der finale Handlungsvollzug auch f ü r diese Nebenfolgen ein „Sinnausdruck", und zwar des Inhalts, daß ihre Vermeidung hinter dem Interesse am Handlungsvollzug zurückzutreten hat. Freilich verlagert sich der Akzent der rechtlichen Relevanz der Handlung in diesem Fall vom Bezweckten hin z u m In-den-Kauf-Genommenen: Das Bezweckte interessiert nicht seines Inhalts wegen, sondern weil der Täter, so wie er das Bezweckte vollzieht, es auch bleiben lassen und damit die Nebenfolgen vermeiden könnte. Mit anderen Worten, das Finale interessiert nur als Moment, das die Vermeidbarkeit von erkannten Nebenfolgen indiziert. bb) In der Umkehrung wird eingewandt, die Scheidung zwischen sehender Uberde- 1 3 termination und blinder Kausalität sei nicht diejenige zwischen Vorsatz und NichtVorsatz, sondern sei die Scheidung zwischen Vorsatz plus bewußter Fahrlässigkeit und Nicht-Bewußtem 4 6 . Dieser Einwand läuft bei der hiesigen Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit leer, da nach dieser Lösung kein Raum für die bewußte Fahrlässigkeit bleibt (siehe unten 9/3). Soweit aber die bewußte Fahrlässigkeit als Form der Fahrlässigkeit anerkannt wird, lautet das Problem nicht, wie sie aus der Handlung auszuklammern, sondern wie die «»bewußte Fahrlässigkeit als Handlung zu begründen ist. cc) Daß es ein Verhalten aus „interessenlose(r) ungerichtete(r) Freude" gibt, steht 1 4 seiner Beurteilung als Zwecktätigkeit nicht entgegen 4 7 . Es kommt nicht auf die N ü t z lichkeit eines Verhaltens an und auch nicht darauf, ob jenseits des Verhaltensvollzugs weitere Ziele verfolgt werden. So ist ζ. B. ein Spazierengehen, das nichts bezweckt als das Gehen, immer noch ein finales T u n (zu den Automatismen unten 6 / 3 5 ff). dd) Deutlicher noch als bei den vom Vorsatz umfaßten Nebenfolgen einer finalen 1 5 Handlung wird die auf Handlungsfolgen bezogene Finalität als Zweckhaftigkeit bei den fahrlässigen Handlungen unerheblich. Das Verhältnis von (unbewußter) Fahrlässigkeit und finaler Handlung ist seit je ein Problemfall f ü r die finale Handlungslehre. Nach mannigfaltigen Wandlungen 4 8 hat sich insbesondere unter dem Einfluß von Niese 4 9 bei den Anhängern der finalen Handlungslehre folgende Konzeption durchge44

Es geht um die H a n d l u n g als Voraussetzung des Unrechts. Soweit vom finalen Handlungsbegriff her systematische Konsequenzen behauptet werden, die über die Bildung eines Oberbegriffs des Unrechten Verhaltens hinausgehen (etwa zum Erfordernis einer vorsätzlichen Haupttat bei der Teilnahme; zur Notwendigkeit finaler T a t h e r r schaft bei der T ä t e r s c h a f t ; z u r Notwendigkeit einer T r e n n u n g von V o r s a t z und Unrechtsbewußtsein), so werden diese Behauptungen hier nicht übernommen. N a c h der hier entwickelten Systematik ist die Funktion von Z u r e c h n u n g der leitende Gesichtspunkt der Systembildung, nicht der Handlungsbegriff. — Einwände gegen die sy-

stematische Ertragskraft des finalen H a n d l u n g s begriffs werden deshalb nicht z u m H a n d l u n g s b e griff, sondern jeweils bei der entsprechenden Z u rechnungsvoraussetzung behandelt. 45 Hard wig Zurechnung S. 81; Schmidbäuser Z S t W 66 S. 27 ff, 36 f. 46 Engisch Kohlrausch-Festschrift S. 141 ff, 155 f; Gallas Z S t W 67 S. 1 ff, 43. 47 Anders aber Hall Fahrlässigkeit im V o r s a t z S. 13 ff, 15. 48 Siehe Jakobs Studien S. 70 ff mit N a c h w e i s e n ; Welzel Strafrecht § 18 Einleitung 4. 4 ' Finalität S. 53, 62 f.

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6. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

setzt: Auch die fahrlässige Handlung soll final sein, aber nicht final zur fahrlässig herbeigeführten Folge, sondern außertatbestandlich final 5 0 . Hierbei ist an Fälle gedacht, in denen der fahrlässig Handelnde mit seiner Handlung bestimmte Erfolge bezweckt, nur eben nicht den fahrlässig herbeigeführten Erfolg. Die Fahrlässigkeit soll zu der finalen Handlung als Eigenschaft hinzukommen, seil, als Art und Weise der Steuerung und Lenkung, die der „im Verkehr erforderlichen Sorgfalt" widerspricht 51 . Die Lösung kann in dieser Gestalt nicht befriedigen; denn bei ihr ist der Inhalt des Gewollten mit dem Tatbestand unverbunden, eben außertatbestandlich. Insoweit handelt es sich also um den Willkürakt der kausalen Handlungslehre mit einer überflüssigen Benennung des Inhalts der aber gerade im Inhalt rechtlich irrelevanten Willkür 52 . Beispiel: Wenn bei identischer Gestalt des Handlungsvollzugs ein Stein, der durch die Wucht des Falls einen Menschen voraussehbar tötet, von einem Weg bergab gestoßen wird, so ist das nach dieser Lehre eine fahrlässige Tötungshandlung, gleich ob der T ä ter auf ein anderes Objekt zielte oder nur sehen wollte, wie weit der Stein rollt oder nur den Weg räumen wollte oder erproben wollte, ob er es leistet, ihn vom Weg fortzubewegen etc. Die final angestrebten Handlungsfolgen interessieren nicht; relevant ist allein der — auch finale — Handlungswo//zwf>. Und in dieser Beschränkung auf den Handlungsvollzug behält der finale Handlungsbegriff seine Berechtigung; denn er bezeichnet bei Körperbewegungen, die willkürlich vollzogen werden, das verbotene Verhalten in einer konkreten Gestalt. Freilich ist das Finale am finalen Handlungsvollzug mit den voraussehbaren Folgen eines Fahrlässigkeitstatbestands nicht wegen der Finalität das Unrechte, sondern wegen der finalen Vermeidbarkeit. Die Finalität ist also hier nur Erscheinungsform der relevanten Gattung „Vermeidbarkeit". 16

ee) Noch gewichtiger sind die Einwände bei den automatisierten Reaktionen (eingehender unten 6/35 ff), d. h. bei Reaktionen, die so eingeschliffen sind, daß sie auf einen auslösenden Reiz hin ohne Beteiligung des wachen Bewußtseins und also ohne bewußten Willen ablaufen. Diesen Reaktionen, die insbesondere im Bereich des Straßenverkehrs strafrechtlich bedeutsam werden, fehlt die bewußte Finalität und damit die „sehende" Überdetermination. Trotzdem fehlt nicht jede Finalität, vielmehr ist eine vorgeformte, aktuell freilich unbewußt ablaufende Finalität vorhanden. Diese unbewußte Finalität interessiert — wie die bewußte — nicht per se, sondern nur soweit sie motivatorisch überformt werden kann. Daran fehlt es etwa, wenn der Automatismus so schnell abläuft, daß für Korrekturen keine Zeit bleibt. Die motivatorische Uberformung wiederum hängt nicht zwingend von der Finalität des Automatismus ab: Sollte es unkoordinierte Handlungsvollzüge geben, die motivatorisch überformbar sind, spräche nichts gegen ihre Einbeziehung in den Handlungsbegriff. Selbst auf unbewußte Finalität kann also im Grenzfall verzichtet werden: Es geht nicht um finale Erfolgsbewirkungen oder auch nur um finale Handlungsvollzüge, sondern um die Bedingungen der Vermeidbarkeit des Verhaltens. Freilich konkretisieren sich diese Bedingungen weit überwiegend, jedoch nicht notwendig in (zumindest äußerlich) finalen Handlungsvollzügen. 50

Dabei ist nur das Fehlen einer Finalität zum Erfolg des Tatbestands des fahrlässigen Delikts gemeint; natürlich kann sich die Finalität ihrerseits auf den Erfolg eines Vorsatztatbestands richten. Beispiel: W e r beim finalen Schießen mit einem Gewehr auf ein Ziel versehentlich einen Passanten trifft, handelt bezüglich dessen Verletzung unfinal, mag das finale Schießen auf das ausersehene

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Ziel tatbestandsmäßig oder nicht tatbestandsmäßig sein. Welzel Straf recht § 18 Einleitung 4; eingehend z u r Fahrlässigkeit unten 9/1 ff. So die Kritik von Arthur Kaufmann H . MayerFestschrift S. 79 ff, 95; ders. JuS 1967 S. 145 ff, 147; Jescheck A T § 23 III 2 b; H. Mayer Studienbuch § 9 II; Blei A T § 20.

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. AbSChfl

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ff) Zusammenfassung der Kritik : Finalität als b e w u ß t e und z w e c k h a f t e L e n k u n g 1 7 von Folgen des Handlungsvollzugs erstreckt sich nicht auf vorsätzlich verwirklichte Nebenfolgen und erst recht nicht auf fahrlässig verwirklichte Folgen. Aber auch die Erweiterung des Begriffs der Finalität auf eine bewußte L e n k u n g des Vollzugs einer H a n d l u n g bringt noch keinen geeigneten Generalnenner, da Automatismen nicht n o t wendig bewußt ablaufen. Im Ergebnis ist die Finalität eine v e r k ü r z e n d e (!) M e t a p h e r f ü r die Bedingungen vermeidbaren Verhaltens, m e h r nicht 5 4 .

5. Die Handlung als äußere Finalität? a) Nicht nur bei Automatismen, sondern auch in Grenzfällen von Affekttaten (un- 1 8 ten 8 / 1 3 ; 18/17) und T a t e n stark berauschter Personen (unten 6 / 4 1 ) fehlt ein Bewußtsein, mit körperlichen Aktionen irgendeinen Z w e c k zu verfolgen, also eine Finalität im Sinn der finalen Handlungslehre. Es ist deshalb vorgeschlagen w o r d e n , bei der Bestimmung des Handlungsbegriffs auf das Bewußtsein des Agierenden von der Zweckhaftigkeit seiner Aktion zu verzichten (was auch bei der hier vertretenen Lösung f ü r erforderlich gehalten wird), nicht aber auf die Finalität, diese vielmehr als äußere Finalität von begleitenden subjektiven Erlebnissen zu lösen. H a n d l u n g ist dann, was in noch erkennbarer „regulativer Anpassung" o d e r „adaptiver Veränderlichkeit" der K ö r perreaktionen unter „Beibehaltung eines gleichbleibenden Ziels" vollzogen wird 5 5 . Die aktuell vorliegende äußere Finalität mag hierbei m e h r o d e r weniger deutlich sein; das zur Bejahung einer H a n d l u n g hinreichende Q u a n t u m soll in „wertender Entscheidung" bestimmt w e r d e n 5 6 . „Von den eigentlichen Willenshandlungen mit klar erlebter subjektiver Beteiligung am Bewegungsakt über die G e w ö h n u n g e n bis zu den einfachen Reflexen wie dem Patellarsehnenreflex lassen sich . . . nicht n u r insofern gleitende Übergänge aufweisen, als die subjektive Beteiligung des H a n d e l n d e n am Bewegungsakt immer mehr zurücktritt, so daß die niederen Motilitätsvorgänge schließlich o h n e das mindeste Bewußtseinskorrelat ablaufen ( . . . ) ; auch f ü r den Betrachter tritt die regulative Anpassung an k ü n f t i g erwartete Ereignisse und erstrebte Ziele, die Finalität also, immer mehr in den H i n t e r g r u n d , und bei den niederen Reflexen wie bei d e m Patellarsehnenreflex entsteht endlich der Eindruck einer n u r noch mechanischen V e r u r s a chung der Bewegung d u r c h den Schlag auf die Sehne. Aber die regulative Anpassung verschwindet keineswegs" 5 7 . b) Dieser Lösungsentwurf 5 8 wiederholt den Fehler der finalen H a n d l u n g s l e h r e : E r 1 9 macht den Begriff der H a n d l u n g allein an den Eigenschaften des vollzogenen Akts fest und vernachlässigt die Frage nach den Alternativen, die der A k t e u r hat. Im Ergebnis ist 53

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Zum Streit um die finale Handlungslehre siehe zudem folgende Kontroversen: Engisch Kohlrausch-Festschrift S. 141 f f ; dazu Welzel Lehrbuch 2 S. 24 f; — Bockelmann Über das Verhältnis etc. S. 20 ff; dazu Welzel U m die finale H a n d lungslehre passim; — Mezger M o d e r n e Wege passim; dazu Niese Finalität passim; — Rittler JurBI. 1955 S. 613 f; dazu Welzel J Z 1956 S. 316; - Nowakowski J Z 1958 S. 335 ff, 388 f f ; dazu aber ders. JurBI. 1972 S. 19 f f ; - Roxin Z S t W 74 S. 515 ff; dazu WelzelWom Bleibenden und Vergänglichen passim, = G r ü n h u t - E r i n n e r u n g s g a b e S. 173 ff; — weitere Nachweise bei Welzel Strafrecht § 8 III 2 a. E.. Welzels späte Erklärung des finalen H a n d l u n g s begriffs als „biokybernetische Betrachtungsweise" (Strafrecht § 8 1 1 b a. E.; a a O § 18 vor I a. E.;

ders. Maurach-Festschrift S. 3 ff, 8) deutet die W e n d u n g zu den Bedingungen der Verhaltenssteuerung a n ; freilich geht die hier vorgenommene Verlagerung des Akzents von dem aktuell Gesteuerten auf das Vermeidbare über Welzels U m d e u t u n g hinaus; siehe auch StratenwerthWe\zel-Festschrift S. 289 ff, 299 f ; — z u m gegenwärtigen Stand siehe Hirsch Z S t W 9 3 S. 831 ff, 94 S. 329 ff. 55 Schewe Reflexbewegung S. 57 ff, 109 mit Fn. 169. 56 Schewe a a O S. 67, 70, 146. 57 Schewe a a O S. 67. 58 Zu Schewe siehe Stratenwerth A T R d n . 148; ders. Z S t W 85 S. 469 f f ; ders. Welzel-Festschrift S. 289 f f ; Jakobs Welzel-Festschrift S. 307 ff, 310 f f ; Krümpelmann Welzel-Festschrift S. 328 ff, 337 f.

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6. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

die Lösung teils zu eng und teils zu weit. Zu eng ist sie, da die äußere Finalität Mindestbedingung für eine Handlung sein soll; — aber nicht das Geformte des Akts entscheidet, sondern seine Vermeidbarkeit. Zu weit ist die Lösung insoweit, als sie auch solche äußerlich finalen Körperreaktionen noch zur Handlung zählt, die nicht vermieden werden können; — damit verliert der Handlungsbegriff seine begrenzende Funktion. Schließlich vermischt die Lösung die Unterscheidung von Begehung und Unterlassung: Der motivatorisch aufhebbare Automatismus und die kurzgeschlossene Reflexbewegung, die nur durch Gegenaktivität (Verkrampfung eines Muskels etc.) vermeidbar ist, werden beide per äußere Finalität zur Handlung.

B. Die Handlung als individuell vermeidbare Erfolgsverursachung 1. Die Trennung von Handlungssteuerung und Antriebssteuerung 20

Es geht bei der Bestimmung des Handlungsbegriffs nicht nur darum, einem Subjekt seine Aktion zuzurechnen, sondern mit der Festlegung des Handlungsbegriffs wird zugleich bestimmt, was ein Subjekt und was seine Aktion ist. Allerdings bestimmt das geltende Strafrecht, daß ein handelndes Subjekt nur ein Mensch und nicht etwa eine juristische Person sein kann (siehe unten 6/43 ff). Die für strafrechtliches Unrecht relevante psychophysische Konstitution des Menschen ist jedoch nicht von vornherein festgelegt. Schon die Differenz der bislang zum Unrecht behandelten Handlungsbegriffe ist auch eine Differenz der handelnden Subjekte: Das überhaupt willkürlich agierende Subjekt des kausalen Handlungsbegriffs ist weniger spezifiziert als das gesteuert agierende Subjekt des finalen Handlungsbegriffs.

21

Nach dem kausalen wie nach dem finalen Handlungsbegriff soll es auf Willensakte ankommen. Damit ist entschieden, daß es auf die Entstehung des Willens nicht ankommen soll; die Steuerung des Willens (die Antriebssteuerung im Gegensatz zur Handlungssteuerung als der Verwirklichung des Willens) hat auf das Vorliegen einer Handlung keinen Einfluß 5 9 . Diese Entscheidung ist auch eine Entscheidung über das Subjekt, dem zugerechnet wird: Es kann sich im Unrechtsbereich von der Entstehung seines Willens nicht distanzieren, indem es etwa darauf hinweist, daß sein Wille zur Aktion in einer ihm selbst ungeheueren Art und Stärke entstanden sei und es ihm nicht gelungen sei, die Entstehung des Willens zu unterdrücken; auch wenn das plausibel sein sollte, bleibt doch die gewollte Aktion Unrechtes Handeln. Beispiel: Wenn angesichts eines begehrten fremden Gegenstands „Gegenstrebungen . . . von dem Besitztrieb einfach überrannt werden" und die Wegnahme der Sache aus dem „reine(n) Kräftespiel der Triebe" resultiert 60 , ändert das an der Handlungsqualität der Wegnahme nichts. Es wird also bei der Bestimmung des Zurechnungssubjekts ein psychophysisches Gefüge zu einem System erklärt, bei dem im Unrechtsbereich nur der Output in Form von Willkürakten (kausaler Handlungsbegriff) oder gesteuerten Akten (finaler Handlungsbegriff) interessiert, die Antriebssteuerung ist im Unrechtsbereich eigene (innere) Sache des Systems, d. h. des Zurechnungssubjekts. Deshalb liegt überhaupt keine Handlung und nicht etwa eine rechtmäßige Handlung vor, wenn das Subjekt die zur rechtswidrigen Betätigung drängenden Strebungen mühsam und in langem Kampf unterdrückt; motivatorisch bleibende Regungen sind kein Output, sondern eben eigene Sache des Systems „Zurechnungssubjekt". Selbstbeherrschung ist strafrechtlich keine Handlung, — aber das von der Explosion seiner Antriebe mitgerissene Subjekt handelt. „Handlungsbegriff" ist also eine mißverständliche Bezeichnung für das, was es abzuhandeln gilt; 59

Eingehend, auch zu den Schwierigkeiten der Differenzierung, Krümpelmann ZStW 87 S. 888 ff.

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Beispiel nach K. Schneider Zurechnungsfähigkeit S. 21.

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. AbSChn

es geht darum, was überhaupt ein Subjekt und was für das Subjekt Außenwelt ist und wann die Gestalt der Außenwelt mit dem Subjekt verbunden (ihm zugerechnet) werden kann61. Der soeben skizzierte Ausschluß der Antriebssteuerung aus dem Handlungsbegriff 22 und damit aus dem Unrecht erfolgt nicht etwa ontologisch oder sachlogisch zwingend, sondern ist das Ergebnis des Versuchs, die Art der strafrechtlich relevanten Erwartungen und ihrer Garantien bei sozialem Kontakt zu formulieren 62 . Eine für alle sozialen Formationen gleichermaßen richtige Entscheidung gibt es hier nicht. So dürften etwa — im außerrechtlichen Bereich — die Erwartungen der Eltern an ihr temperamentvolles vierjähriges Kind dahin gehen, daß es lernt, sich dem Ansturm der Antriebe entgegenzusetzen; das Gelingen der Erwartung wird als positive Leistung (Handlung) gelobt und das Mißlingen als Unterlassung einer erwarteten Handlung getadelt. Es wird also — anders als im Strafrecht — nicht das Kind einschließlich seiner Antriebe als Zurechnungssystem definiert, sondern Zurechnungssystem ist nur das mit der Antriebshemmung umgehende Subjekt; die Antriebe sind vielmehr bei diesem Handlungsmodell die vom Subjekt zu gestaltende Welt, das Objektive. — In ganz entsprechender Weise eigentümlich sind psychologische und psychiatrische Handlungsmodelle gestaltet, die von den jeweils fachwissenschaftlich geprägten Erwartungen an die Probanden oder Patienten bestimmt werden. Die strafrechtliche Unrechtszurechnung kann sich ein so hohes Maß an Berücksichtigung der jeweils individuellen Konstitution nicht leisten; denn das Strafrecht muß auch Erwartenssicherheit bei lockeren und anonymen sozialen Kontakten ermöglichen, also in Lagen, in denen eine Berücksichtigung der Antriebsseite schon mangels Erkennbarkeit ausgeschlossen ist. Kraß: Die Erwartungen an einen Mitreisenden in der Straßenbahn gehen unabhängig von Spekulationen über seine Antriebskonstellation dahin, er werde sich rechtskonform motiviert verhalten. Dementsprechend berücksichtigen weder der kausale noch der finale Handlungsbegriff die Konstellation der Antriebsseite. Sie unterscheiden sich allein im Bereich der Handlungssteuerung: Der kausale Handlungsbegriff wählt die höchstmögliche Weite (Gleichsetzung mit der Kausalität), der finale Handlungsbegriff beschränkt das Unrecht jedenfalls im Vorsatzbereich auf individuell gesteuerte Verläufe. 2. Exkurs: Der soziale Handlungsbegriff Einen Mittelweg sucht die Lehre vom sozialen Handlungsbegriff, nach der die Hand- 2 3 lungssteuerung sich weder in der Kausalität erschöpfen noch individuell bestimmt werden soll; vielmehr soll die Handlungssteuerung objektiv-generalisierend ermittelt werden, d. h. daß im Unrechtsbereich Abweichungen von dem objektiv-generalisierend festgelegten Standard zur inneren Angelegenheit des Subjekts werden. Die hierzu vorgelegten Vorschläge differieren stark 63 . Teils wird insoweit generalisiert, als der Täter "

Luhmann Soziologische Aufklärung Bd. III S. 50 ff, 57 f, auch 67 ff. « Siehe Bloy Z S t W 90 S. 609 ff, 656. - T r o t z der Ausklammerung der Antriebssteuerung aus dem Unrecht können bestimmte Antriebsarien zum Unrecht g e h ö r e n ; dies ist sogar häufig der Fall, siehe unten zu den subjektiven Unrechtselementen 8/91 ff. Es geht allein darum, daß die Beherrschung des Antriebs kein Unrechtsproblem ist. — Siehe hierzu Krümpelmann Z S t W 87 S. 888 ff, 896 f.

63

Sie sind teils nur H e r v o r h e b u n g e n der sozialen Relevanz anderweit begründeter H a n d l u n g s b e griffe oder Beschränkungen solcher H a n d l u n g s begriffe durch das Erfordernis sozialer Relevanz. Den Ausgang nimmt die Lehre mit Eb. Schmidt (Arzt im Strafrecht S. 75 Fn. 29; siehe auch v. Liszt-Schmidt Strafrecht § 28 und § 30) d u r c h einen Rekurs auf die »soziale Sinnhaftigkeit" eines Verhaltens, wobei „Muskelinnervation" und „Körperbewegung" nicht einmal mehr „Beziehungsobjekt rechtlicher W e r t u n g " sein sollen.

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6. Abschn

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als „eine mit normalem Verständnis begabte verantwortliche Person" angesehen wird 6 4 , teils wird — enger — auf „den typischen sozialen Durchschnitt des Jemand in bestimmter sozialer Rolle und Lage (etwa als Kraftfahrer, als Arzt)" abgestellt 65 oder — in der Blickwendung vom potentiellen Opfer her — auf die erwartbaren Fähigkeiten 6 6 , teils auf den „objektiv erkennbare(n) Sinngehalt" der Handlung als „funktionale Sinneinheit" 67 . Vergröbernd: Eine Handlung bestimmter Art, etwa eine Tötungshandlung, liegt nach dieser Lehre vor, wenn der Normalbegabte oder der durchschnittliche Rollenträger, hätte er eine identische Aktion vollzogen, die Folgen eben der bestimmten Art (die Tötung) einkalkuliert hätte.

3. Die individuelle Vermeidbarkeit 24

a) T r o t z dieser Nivellierung der Handlungssteuerung bleiben der Handlung beim sozialen Handlungsbegriff mehr Konturen, als es beim kausalen Handlungsbegriff der Fall ist. Aber durch die Nivellierung schon der Handlungssteuerung verschwindet das Subjekt völlig im Standard, als sei nicht ein Subjekt, sondern ein Phantom des Normalbegabten o. ä. Träger des sozialen Kontakts. Eine solche Nivellierung mag im Zivilrecht berechtigt sein, f ü r das Strafrecht kann sie nicht überzeugen; denn das Strafrecht garantiert kein Vertrauen auf gleiche Fähigkeiten bei der Gestaltung von Handlungsvollzügen, sondern garantiert Vertrauen darauf, daß die mit der Handlung gewählten Entwürfe der Weltgestaltung rechtskonform sind, mit anderen Worten, daß die rechtlichen Normen stets dominantes Motiv sind. Was auf Grund des dominanten Motivs beim einzelnen Menschen an Handlungsvollzügen herauskommt, hängt von der individuellen Fähigkeit zur Handlungssteuerung ab. Wenn schon die Möglichkeiten der individuellen Handlungssteuerung versagen, der einzelne also unvermeidbar (nicht einmal fahrlässig) einen Erfolg, etwa eine Tötung, verursacht, fehlt ein Sinnausdruck des Inhalts, daß eine Tötung sein soll (Vorsatz) oder nicht in Acht zu nehmen sei (Fahrlässigkeit) ; es fehlt also ein nicht rechtskonformer Weltentwurf, und die N o r m ist nicht verletzt. Die solchermaßen stark subjektiv orientierte Deutung der N o r m ist freilich nicht allgemein gültig, sondern der Versuch einer Beschreibung gegenwärtig im Geltungsbereich des Strafrechts praktizierter Interaktionsbedingungen. Die Möglichkeit, auf das Neben dieser genuin sozial bezogenen K o n z e p tion stehen sekundär-soziale Konzeptionen, so die auf objektive Bezweckbarkeit abstellenden Lehren bei Engisch (Kohlrausch-Festschrift S. 141 ff, 160 f), Larenz (Hegels Zurechnungslehre S. 94 ff), Oehler (Objektives Zweckmoment S. 71 ff, 124 f f ; ders. Eb. Schmidt-Festschrift S. 232 ff, 236 f) u. a. m.; — es geht um Beschränkungen der uferlosen Weite des kausalen H a n d lungsbegriffs. — Jescheck faßt das finale H a n d e l n bei vorsätzlichem Verhalten und objektiv Steuerbares Verhalten bei fahrlässigem Verhalten (bezüglich der Objektivität zweifelhaft: A T § 23 IV 1 geht es um die dem T ä t e r „nach seiner Freiheit zu Gebote stehende Reaktionsmöglichkeit", — a a O § 55 I geht es um objektive Sorgfalt) sowie U n t ä tigkeit beim Bestehen einer H a n d l u n g s e r w a r t u n g beim Unterlassen zum „sozialerhebliche(n) menschliche(n) Verhalten" zusammen (AT § 23 IV 1; ders. Eb. Schmidt-Festschrift S. 139 ff, 151 f; ebenso Wessels A T § 3 II 2c); - jedenfalls ist im Bereich vorsätzlicher Begehung das Beziehungsobjekt noch vor-sozial, der Handlungsbegriff also sekundär-sozial. — Weitere Nachweise

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sogleich z u m Text. — Z u r Kritik siehe Otter Funktionen S. 37 ff, 74 f f ; Bloy ZStW90 S. 609 ff; Maurach-Zipf A T I § 16 II C ; SchönkeSchröder-Lenckner Rdn. 35 ff v o r § 1 3 . — Zum Problem des Oberbegriffs f ü r T u n und Unterlassen siehe unten 6/31 f. E. A. Wolff Handlungsbegriff S. 32 mit treffenden Bemerkungen z u r sozialen Realität der Individualität Fn. 9 zu § 31; ders. Radbruch-Gedächtnisschrift S. 291 ff, 299. Maihofer Eb. Schmidt-Festschrift S. 156 ff, 177; siehe auch den. Rittler-Festschrift S. 141 ff, 148; den. Z S t W 70 S. 159 ff, 171; - damit ist wohl Maihofen Definition der H a n d l u n g als nur-äußerlicher V o r g a n g („auf die Verletzung von Sozialgütern gerichtetes Verhalten", Handlungsbegriff S. 72; ähnlich v. Weher Engisch-Festschrift S. 328 ff, 332 f) preisgegeben; gegen die letztere Version Gallas Z S t W 67 S. 1 ff, 12 Fn. 36; Armin Kaufmann Dogmatik S. 23 f; Welze! Strafrecht § 7 II. Schöneborn GA 1981 S. 70 ff, 78 ff. Eh. Schmidt Engisch-Festschrift S. 339 ff, 341.

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. A b S C h n

Gemeinte und nicht das Bewirkte abzustellen, dürfte voraussetzen, daß die Interaktionen mit hoher Wahrscheinlichkeit sowieso nicht schädlich ausgehen. W o ein Grund zu großem Mißtrauen besteht, wird der Handlungsbegriff objektivistischer (siehe auch unten zur Schuld 17/3), ebenso bei ritualisierten Interaktionen; Beispiel: Wer im Foyer der Oper einen Besucher anrempelt, kann sich nicht die Entschuldigung mit der Begründung sparen, er habe das Rempeln nicht vermeiden können. Im Ergebnis ist also die Antriebssteuerung aus dem Handlungsbegriff auszuklam- 2 5 mern, aber die Handlungssteuerung durchgehend nach den individuellen Fähigkeiten des Täters zu bestimmen 68 . N u r so läßt sich garantieren, daß der Sinnausdruck der Handlung jeweils Sinnausdruck eines Subjekts ist. Die finale Handlungslehre verfährt im Ergebnis bei Vorsatztaten ebenso; es gilt nur, die im Vorsatzbereich in der Finalität steckende Vermeidbarkeit als das entscheidende Kriterium auf Fahrlässigkeitstaten und automatisierte Reaktionen zu übertragen. b) Der Begriff der Vermeidbarkeit: Bei der Vermeidbarkeit kommt es nicht darauf 2 6 an, ob der Täter erkennen kann, daß der Vollzug einer Aktion für sich (Tätigkeitsdelikte) oder wegen der Folgen (Erfolgsdelikte) verboten ist. Die Vermeidbarkeit ist also von der Erkennbarkeit einer rechtlichen Regelung unabhängig und muß das auch sein, weil die Erkennbarkeit der Rechtsnorm zur Macht des Täters, etwas herbeizuführen oder nicht herbeizuführen, nichts beiträgt, sondern nur dem rechtstreuen Täter einen guten Grund gibt, seine Macht zur Vermeidung von Verbotenem (wie zur Befolgung von Gebotenem) zu gebrauchen: Die Erkennbarkeit des Rechts gehört zur Antriebssteuerung, nicht zur Handlungssteuerung, ist also im Bereich des Unrechts eigene (innere) Sache des Subjekts, dem zugerechnet wird. Die Vermeidbarkeit wird mit Hilfe der Hypothese bestimmt, daß der Täter, hätte er 2 7 das dominante Motiv 69 zur Vermeidung einer bestimmten Aktion, diese Aktion real 68

Zum intentionalen Handlungsbegriff Schmidhäuse« besteht folgender Unterschied: Schmidhäuser versteht das Unrecht als Verletzung eines Achtungsanspruchs (AT 6/6), wobei die Verletzung durch ein Willensverhalten erfolgen soll (AT 6/ 7 f; 8/19 ff); Willensverhalten wiederum soll mindestens Wollen der körperlichen Bewegung sein (AT 8/23; Studienbuch 5/10: die Basishandlung). Sieht man vom so nicht lösbaren Problem der Automatismen oder der schon im Handlungsvollzug mißlingenden Körperaktivitäten ab, bleibt das weitere Problem, wie ein Achtungsanspruch als geistiges Sein (AT 2/30, 35) von einem Willensverhalten verletzt werden kann. Das ist der Fall, wenn das Willensverhalten gleichfalls mehr als ein psychisches Faktum ist, wenn also nicht allein darauf abgestellt wird, daß etwas gewollt wird, was dann Folgen zeitigt, sondern daß der Wollende zu dem geistigen Sein, um das es geht, Zugang hat. Der Zugang aber, die Vorsätzlichkeit oder Fahrlässigkeit des Willensverhaltens, fällt bei Schmidhäuser wie bei den Kausalisten aus dem Handlungsbegriff und dem Unrecht hinaus und ist Bestandteil der Schuld (AT 6/13, 10/32 ff). Das ändert sich nur marginal, wenn unter dem Oberbegriff der intentionalen Handlung neben der Basishandlung eine Folgenhandlung eingeführt wird, die auch noch die gewollten (beabsichtigten) Folgen als Bestandteil der Handlung

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erfaßt (Studienbuch 5/10, 5/13 ff); denn bei dieser Erweiterung wird die Handlung immer noch als psychisches Faktum (nach dem Gewollten) bestimmt. — Die freilich vorzugswürdige Konsequenz des Ansatzes von Schmidhäuser, seil, die Befreiung der Vorsätzlichkeit vom Willen (AT 7/36 ff; 8/26 ff; 10/31 ff), läßt sich bei dem hier gewählten Ansatz, die Handlung mit Hilfe einer Hypothese zu bestimmen, gleichfalls erzielen; siehe unten 8/8. Dieses Modell geht von der Vorstellung aus, daß die dominante Uberzeugung von der VorzugsWürdigkeit einer Verhaltensalternative die Antriebsseite „klärt". Diese Vorstellung ist schon für die Handlungsebene wenig plausibel, soweit die Antriebsseite während des relevanten Verhaltens aktuell von körperlich fundierten Gegenantrieben gestört wird. Beispiel: Ist das Herausziehen der H a n d aus kochendem Wasser Handlung, weil die H a n d bei dominanter Motivation zum Verbleiben nicht herausgezogen würde? O d e r f ü r die Unterlassung: Ist jedermann fähig, auch bei stärksten Schmerzen jeden Schrei zu unterdrücken, indem er sich dominant zum Verschließen des Munds motiviert? — Bei elementaren Gegenantrieben massiver Stärke wird man das Subjekt — wie im Zustand des Schlafs oder der Bewußtlosigkeit — für nicht dominant zur Vermeidung motivierbar ansehen müssen.

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6. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

vermeiden würde. Das Motiv wird also schlechthin unterstellt; wie es zustandekommt, interessiert im Unrechtsbereich nicht 70 . Beispiel: Wirft jemand Ziegel von einem Dach auf einen Weg, so kann er die Aktion „Werfen von Ziegeln auf einen Weg" vermeiden, und zwar wenn er bewußt Ziegel auf einen Weg wirft, indem er es schlicht unterläßt; ist ihm freilich nicht aktuell bewußt, daß dort, wohin er die Ziegel bewußt wirft, ein Weg ist, oder wirft er gar ohne Beteiligung des wachen Bewußtseins automatisch, kann er die Aktion immer noch vermeiden, wenn er bei dominanter Motivierung, ja keine Ziegel auf einen Weg zu werfen, die entsprechenden Eigenschaften seiner Handlung erkennen und diese dann unterlassen würde. Dabei kann sich der Täter die Mühe, die Konsequenzen seiner Aktionen zu beurteilen, dadurch ersparen, daß er Aktionen mit unbekannten Konsequenzen per se unterläßt. Ob der Täter überhaupt daran interessiert ist, keine Ziegel auf den Weg zu werfen, oder ob ihm das gleichgültig ist, etwa weil es nicht verboten ist oder weil der Täter von einem Verbot nichts weiß oder sich um ein Verbot nicht schert, ist für die Vermeidbarkeit gleichgültig: Die Antriebssteuerung ist im Unrechtsbereich seine Sache. — Unvermeidbar ist die Aktion freilich, wenn der Täter nicht erkennen kann, daß dort, wohin er die Ziegel wirft, ein Weg verläuft, oder daß die Ziegel, die er wirft, dort auftreffen, wo ein — an sich bekannter — Weg verläuft: Dann vollzieht der Täter immer noch die Handlung „Werfen von Ziegeln", aber nicht mehr die Handlung „Werfen von Ziegeln auf einen Weg". Die individuell vermeidbare Erfolgsverursachung ist der Oberbegriff für vorsätzliches und (individuell) fahrlässiges Handeln. Die Erkenntnis des Verhaltensvollzugs und gegebenenfalls seiner Folgen (bei Vorsatz) oder die individuelle Erkennbarkeit (bei Fahrlässigkeit) gehören als Bedingungen der Vermeidung zur Handlung und damit zum Unrecht. Im Vorsatzbereich besteht also im Ergebnis kein Unterschied zum finalen Handlungsbegriff; nur hat sich der Blick von der Finalität zum Erfolg auf die Bedingungen der Vermeidbarkeit des Erfolgs verschoben. Diese Wendung des Blicks ergibt einen Handlungsbegriff, der fahrlässige Handlungen, auch als fahrlässige automatisierte Reaktionen, genuin miterfaßt, seil, über die jeweiligen Bedingungen der Vermeidbarkeit 71 . 4. Die Trennung von Handlung und Unterlassung a) Die Unterscheidung 28 Die vorangegangene Argumentation stellt darauf ab, daß der Täter eine Aktion bestimmter Art (Tätigkeitsdelikt) oder bestimmter, über die Tätigkeit hinausgehender Folgen (Erfolgsdelikt) vollzieht, also etwas tut. Der Handlungsbegriff wird hierbei als Begriff der Begehungsdelikte behandelt, bei denen der Täter ein Ereignis (einen Handlungsvollzug oder einen Handlungsvollzug nebst Folgen) verursacht. Es gibt freilich nicht nur Haftung für Verursachungen, sondern auch Haftung für das Unterlassen, ein schon anderweit hinreichend bedingtes Ereignis abzuwenden. Auch das Unterlassungsdelikt setzt Vermeidbarkeit voraus, freilich gegenüber der Begehung mit umgekehrtem Bezug zur Motivation und zur Körperbewegung: Bei der Begehung führt eine bewußte oder unbewußte Antriebslage zur Bildung eines Motivs zur Körperbewegung und diese verursacht ein Ereignis, — bei der Unterlassung tritt ein Ereignis ein, das ausgeblieben wäre, wenn der Täter sich zur Hinderung motiviert und die nötigen Körperbewegungen vollzogen hätte. Wie bei der Begehung die Vermeidbarkeit der Vorsatz oder die 70

Siehe hierzu Jakobs Welzel-Festschrift S. 307 ff, 309 f; ders. Studien S. 34 ff; Armin Kaufmann Dogmatik S. 38 ff.

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Im Ergebnis wie hier Stratenwerth AT Rdn. 158 ff, 161; SK-Samson §16 Anhang Rdn. 13 ff; zum Ganzen siehe Jakobs WelzelFestschrift S. 307 ff, 308 ff.

Tatbestandsverwirklichung. G r u n d l a g e n

6. A b S C h n

Fahrlässigkeit des eigenen Verhaltens ist, so ist auch bei der Unterlassung die Vermeidbarkeit an das eigene Verhalten gebunden. Sie enthält also nicht nur die Kenntnis oder Erkennbarkeit der Bedingungen eines Erfolgseintritts, sondern die Abhängigkeit der Bedingungen vom eigenen Verhalten muß hinzukommen, also die Beeinflußbarkeit. Setzt man Vermeidbarkeit und Handlung gleich und definiert die Handlung als ei- 2 9 nen Vorgang, der eine Differenz (etwa Leben) zwischen einem Tun (etwa Erschießen oder vor dem Tod Retten) und einem Unterlassen (etwa Nicht-Erschießen oder NichtRetten) bezeichnet, gleich welche der Alternativen realisiert wird, so paßt auch die U n terlassung unter den Begriff der Handlung und die Handlung ist Oberbegriff für Begehen wie für Unterlassen. — Stellt man aber darauf ab, welche der Alternativen verwirklicht wird, so muß für die Verwirklichung durch Kausal-Werden (Handeln, Begehen, Tun) ein anderer Name gesucht werden als für den Eintritt eines Ereignisses, der nicht abgewendet wird (Unterlassen, Begehen durch Unterlassen), obgleich beide Alternativen eben in der Etiolgsdifferenz identisch bleiben und auch insoweit gemeinsam benannt werden können: Beide sind menschliche Verhaltensweisen. Hier wird eine Terminologie gewählt, nach der nur das Tun als eine Handlung be- 3 0 nannt wird. Bei dieser Terminologie ist eine Unterlassung ein Verhalten, bei dem eine Handlung fehlt. Handlung und Unterlassung haben aber gemeinsam, Verhaltensweisen des Menschen zu sein. Bezogen auf deliktisches Verhalten: Bei der Handlung ist ein Motiv und in dessen Konsequenz eine Körperbewegung zuviel vorhanden, eben das deliktische Motiv (der Täter hat Verbotenes verursacht, hätte aber unterlassen sollen), — bei der Unterlassung ist ein Motiv etc. zuwenig vorhanden, eben das deliktsabwendende Motiv (der Täter hat Gebotenes nicht verursacht, er hätte aber handeln sollen) (zum Ganzen siehe unten 28/3). b) Der gemeinsame Oberbegriff Unabhängig von dieser terminologischen Trennung 7 2 von Handlungen und Unter- 31 lassungen besteht das Problem, wie weit im Oberbegriff des menschlichen Verhaltens mehr steckt als die bloße Summierung der Voraussetzungen des Handelns einerseits und Unterlassens andererseits, wie weit also Handlung wie Unterlassung gemeinsame Merkmale aufweisen. Eine Gemeinsamkeit 73 fehlt um so eher, je mehr der Handlungsbegriff ohne Blick auf die dem Subjekt eröffneten Alternativen allein an den psychischen und physischen Fakten festgemacht wird, die sich beim Handeln ereignen. Deshalb kann zum kausalen Handlungsbegriff allenfalls ein Ober-„Begriff" für Handlung und Unterlassung gebildet werden, der einen Namen (eben keinen Begriff) für das Faktum abgibt, daß im Strafrecht Handlungen wie Unterlassungen strafbar sein können. Radbruch: „Die Unterlassung hat also nicht nur die Merkmale Wille, Tat und Kausalität zwischen beiden nicht mit der Handlung gemein, sie erschöpft sich vielmehr gerade darin, sie zu verneinen. Besäße sie an Stelle jener Merkmale andere positive Merkmale, so wäre noch Hoffnung, sie mit der Handlung unter einen H u t zu bringen. So aber lassen sich, so wahr man nicht Position und Negation, a und non-a unter einen Oberbegriff bringen kann, auch Handlung und Unterlassung nicht unter einem solchen zusammenbiegen, er nenne sich nun Handlung im weiteren Sinne, menschliches Verhalten oder, wie immer sonst!" 74 . — Der finale Handlungsbegriff benennt mit der Finalität das Merkmal, in dem sich die Fähigkeit zur Entscheidung einer Alternative konzentrieren soll und kann deshalb in der „Handlungsfähigkeit" das „Gemeinschaft stif72

Zu den terminologischen Möglichkeiten siehe Maihofer Handlungsbegriff S. 12 f f ; Klug EmgeFestschrift S. 33 ff.

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Zu den logischen Problemen der Begriffsbildung siehe Engisch Welzel-Festschrift S. 343 ff, 355 ff. ™ Handlungsbegriff S. 140.

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6. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

tende Moment zwischen Handlung und Unterlassung" finden 75 . — Der soziale Handlungsbegriff wird ζ. T. gerade mit der Funktion entwickelt, Gemeinsamkeit zwischen Handlung und Unterlassung zu stiften 76 . 32

Nach dem hier verwendeten Begriff der Handlung als vermeidbare Erfolgsverursachung und dem korrespondierenden Unterlassungsbegriff als vermeidbare Nichthinderung eines Erfolgs läßt sich ein Oberbegriff des Verhaltens bilden, der in der vermeidbaren jeweiligen Erfolgsdifferenz die Gemeinsamkeit von Handeln wie Unterlassen umfaßt. Beispiel: Ob jemand den Tod eines anderen vermeidbar verursacht oder aber die anderweit angelegten hinreichenden Bedingungen zum Tod vermeidbar (vorsätzlich oder fahrlässig) nicht abwendet, ist trotz des Unterschieds zwischen Handlung und Unterlassung in der vermeidbaren Differenz zwischen den jeweiligen Alternativen gleich; es ist eben die Differenz zwischen Tod und Leben 77 . Formelhaft: Verhalten ist die Vermeidbarkeit einer Erfolgsdifferenz.

c) Negativer Handlungsbegriff? 33

Daß schon für den Handlungsbegriff die dem Täter eröffnete Alternative in den Blick zu nehmen ist, hat dazu verführt, beim Begehungsdelikt überhaupt nur noch die Alternative zu beachten und die Lösung des Handlungsbegriffs für Begehung wie Unterlassung einheitlich über das — weniger durch Naturalismen vorbelastete — Unterlassen zu versuchen: Handlung (hier als Oberbegriff von Tun und Unterlassen) soll nach dieser Lehre vom negativen Handlungsbegriff Aas „vermeidbare Nichtvermeiden in Garantenstellung" sein 78 oder die Nichtvornahme einer gefahrvermeidenden Handlung, wobei die Gefahr vom eigenen „Destruktionstrieb" des Täters oder unabhängig vom Täter produziert werden kann 79 . Dieser Versuch, das Begehungsdelikt über die Unterlassung aus den Fesseln der naturalistischen Betrachtung 80 zu lösen, ist ein später Gegenschlag auf die abgetanen, aber in der Blütezeit naturalistischer Betrachtung gän75

Armin Kaufmann Dogmatik S. 84 f; — anders freilich Maurach-Gössel A T II § 45 I Β 2; Gössel Wertungsprobleme S. 94 f, w o n a c h auch die U n terlassung final sei: Auch körperliche Untätigkeit werde zielgerichtet eingesetzt und sei deshalb H a n d l u n g . — Aber das Vergessen eines Termins (Unterlassung) oder das desinteressierte Betrachten eines Unglücks, o h n e zu helfen (Unterlassung), sind keine zweckvollen Einsätze von Untätigkeit. — Eingehender unten zur subjektiven Seite des Unterlassungsdelikts 29/82 ff. 76 Jescheck A T § 23 IV mit Nachweisen; E. A. Wolff Handlungsbegriff S. 17 ff; Wessels A T § 3 II 2c. 77 Jakobs Studien S. 27; ders. Welzel-Festschrift S. 307 ff, 309 f. 78 Herzberg Unterlassung S. 172 ff. — D a ß der Handlungsbegriff mit seinem Bezug auf die G a rantenstellung nicht das strafrechtlich relevante Verhalten abdeckt, seil, nicht die echten, nicht begehungsgleichen Unterlassungen (unten 28/11), hat Herzberg gesehen (S. 176 f ) ; damit zerbricht aber nicht nur die systematische Bedeutung seines Handlungsbegriffs überhaupt, sondern in einer von Herzberg auch weit unterschätzten Quantität; denn im Nebenstrafrecht sind echte, nicht begehungsgleiche Unterlassungen eine geläufige Regelungsform; — zutreffend kritisch Stratenwerth Welzel-Festschrift S. 289 ff, 296 Fn. 21. - W a s

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soll schließlich der Inhalt der Garantenstellung sein, wenn nicht ein „vermeidbares Nichtvermeiden", das also unabhängig von der Garantenstellung (wieso dann nicht als Handlung?) Bestand haben muß. Behrendt Unterlassung S. 121 ff, 130. - Die Materialisierung durch A n k n ü p f u n g an die Destruktivität dürfte zu eng sein; sollten im rechtfertigenden Notstand begangene Taten (als Interessenerhaltung das Gegenteil von Destruktivität) keine H a n d l u n g e n mehr sein? Für Behrendt ergibt sich weiterhin die Schwierigkeit, die Bekämpfung des Destruktionstriebs als rein inneres Verhalten zum Gegenstand rechtlicher W e r t u n g machen zu müssen (Tatprinzip?) oder aber — so seine Lösung ( a a O S. 155 ff, 165 ff, 169 ff) - erst an die O b jektivierungen des Destruktionstriebs in K ö r p e r bewegungen a n k n ü p f e n zu k ö n n e n ; zum Zeitpunkt dieser Objektivierungen kann es jedoch — etwa bei schnellen Automatismen, aber auch bei anderen knappen Handlungsvollzügen (ein Faustschlag) — f ü r eine Gegensteuerung schon zu spät sein: Die gesteuerte (!) H a n d l u n g ist dann nicht mehr zu bremsen und wäre nach Behrendt strafrechtlich irrelevant. Siehe Herzberg a a O S. 184: „durch und durch normative Materie".

Tatbestandsverwirklichung. G r u n d l a g e n

6. AbSChn

gigen Versuche, der Unterlassung Kausalität für den Erfolg zuzuschreiben und sie so in Begehung umdeuten zu können (unten 28/2; 29/15 ff). Das Ergebnis ist wiederum terminologische Wirrnis: Daß der Begehungstäter schon als Produzent der Verursachung haftet, wird mit einem Nichtvermeiden oder mit der Fähigkeit, sich selbst zu hindern, wenig vollkommen bezeichnet. Der Begehungstäter erscheint nur als Aussparung in der Beschreibung dessen, was er nicht ist 81 . 5. Grenzprobleme a) Eine Handlung fehlt, wenn die Erfolgsherbeiführung unvermeidbar, also nicht 3 4 einmal fahrlässig geschieht. Da bei mehreren Folgen einer einzigen Körperbewegung die Vermeidbarkeit unterschiedlich zu beurteilen sein kann, ist die Handlung ein relativer Begriff 8 2 : Im Blick auf bestimmte Folgen mag eine Handlung gegeben sein, auf andere hingegen nicht. Beispiel: Wer ein vermeidbar für ungeladen gehaltenes Gewehr in ein Gebüsch hin abdrückt und einen dort verborgenen Menschen verletzt, mit dessen Aufenthalt an dieser Stelle er unvermeidbar nicht rechnet, handelt in bezug auf das Abdrücken vorsätzlich, in bezug auf das Losgehen eines Schusses fahrlässig, und in bezug auf die Verletzung des Menschen handelt er nicht. Der Erfolg einer Handlung kann schon der äußere Vollzug des Verhaltens sein. Vollzug und Folgen können auch im Körper oder auch nur im Kopf des Subjekts stattfinden. Auch Kopfrechnen, Nachdenken etc. sind Handlungen 8 3 . Unabhängig davon kann freilich wegen des Tatprinzips der bloße Gedanke als Handlung nicht w/boten und das bloße Denken ohne Ziel einer Objektivation nicht geboten sein. Als Zwischenstufe zur Objektivation kann jedoch Denken die gebotene Handlung sein und ist es bei Unterlassungsdelikten in geläufiger Weise; Beispiel: Dem Notarzt ist geboten, die sinnlich wahrgenommenen Tatsachen gedanklich zu einer Diagnose zu verarbeiten (Handeln!), um dann eine Therapie beginnen zu können etc. b) Das Problem der Automatismen: Es gibt Bereiche, in denen die Unterscheidung 3 5 von Handlung und Unterlassung ohne Konsequenzen f ü r die Zurechnung ist, da der Täter jedenfalls haftet. Hierzu zählen die Fälle, in denen Handeln und Unterlassen durch einen Organisationsakt austauschbar sind. Beispiel: Ob ein Autofahrer Gas gibt (Handlung) oder nicht bremst (Unterlassung) ist — gleiche Vermeidbarkeit unterstellt — bedeutungslos (siehe unten zur Haftung kraft Organisationszuständigkeit bei der Unterlassung 29/29 ff). Entsprechend spitz wird die Differenzierung von Handlung und Unterlassen, wenn es um die Organisiertheit des Körpers des Täters geht; die Differenzierung hat hier keinen Eigenwert mehr, sondern ergibt sich nur aus der konsequenten Anwendung der zu anderen Bereichen entwickelten Maximen auf einen Grenzfall. aa) Es würde üblicher Terminologie entsprechen, die Fälle der Körperbewegungen, 3 6 die durch eine unmittelbare (nicht zentral vermittelte) Uberleitung eines sensorischen Reizes in eine motorische Aktion entstehen, als Reflexe aus dem Handlungsbegriff aussi Freilich bleibt es ein Verdienst der Lehre, für das Begehungsdelikt die Notwendigkeit herausgestellt zu haben, daß die Handlungsalternative zu berücksichtigen ist. — Die Lehre ist bisher überwiegend abgelehnt worden, ohne daß freilich ihre Positiva hinreichend gewürdigt werden; LK-Jescheck Rdn. 30 vor § 13; Schönke-Schröder-Lenckner Rdn. 38 vor § 13; Stratenwerth Welzel-Festschrift S. 289 ff, 296 f; Maiwald ZStW 86 S. 626 ff, 653 Fn. 86; Engisch Gallas-Festschrift

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S. 163 ff, 193 ff; Maurach-Gössel KT II § 45 I Β 1; siehe aber auch Jakobs Welzel-Festschrift S. 307 ff, 310 Fn. 12. Wetzel Strafrecht § 8 I I b ; den. N J W 1968 S. 425 ff. Gössel Wertungsprobleme S. 94 f; Maurach-Gössei AT II § 45 I Β 2 a; a. A. LK-Jescheck Rdn. 36 vor § 1 3 ; wohl auch Herzberg Unterlassung S. 188; siehe auch Maiwald Z S t W 86 S. 626 ff, 640 ff.

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6. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

zuscheiden 84 , hingegen die eingeübten oder instinkthaften, jedenfalls ohne Beteiligung des wachen Bewußtseins ablaufenden Reaktionen, die zentral koordiniert vollzogen werden, als Automatismen der Handlung zuzuordnen 85 . Diese Lösung, orientiert an der zentralen, wenn auch unbewußten Steuerung, mag im großen und ganzen das Richtige treffen, sie ist jedoch methodisch und in der Beschreibung der zu behandelnden Gegenstände fragwürdig: Methodisch geht die Lösung allein von dem Ereignis aus, das sich vollzieht, ohne auf die Alternative zu blicken, was bei dominant auf Vermeidung gerichteter Motivation geschähe; zudem dürfte sich die Trennung von Steuerung und Nicht-Steuerung mit dem Kriterium der zentralen Vermittlung eines Reizes allenfalls grob phänotypisch ziehen lassen86. 37

bb) Bei der Berücksichtigung der Alternative ergibt sich folgende Differenzierung: α) Da das Strafrecht dominante Motivation zur Vermeidung verbotenen Verhaltens garantiert, sind diejenigen Körperreaktionen, deren Antriebsseite bei dominanter Motivation zur Vermeidung keinen Bestand hätte, Handlungen; denn die Organisation der Antriebsseite ist beim Handlungsbegriff Sache des Subjekts. ß) Diejenigen Körperreaktionen aber, die nicht nur-motivatorisch erledigt, jedoch durch eine körperliche Gegenaktivität in ihren Auswirkungen gestoppt werden können, sind keine Handlungen, aber durch Handlungen beherrschbar, also Unterlassungen; denn die dominant auf Vermeidung gerichtete Motivation hebt in diesen Fällen nicht den Antrieb auf, sondern bewirkt eine gegensteuernde Handlung (das Verkrampfen eines Muskels hindert die Bewegungswirkung des Patellarsehnenreflexes; das Aufeinanderbeißen der Zähne hindert das Kältezittern des Unterkiefers etc.). Zur Haftung in diesem Bereich ist für die praktisch relevante unechte Unterlassung eine Garantenstellung erforderlich (§13 StGB), die freilich regelmäßig wegen der Organisationszuständigkeit für den eigenen Körper vorliegt 87 . γ) Schließlich können Reaktionen unvermeidbar sein, und zwar weil sie sich entweder überhaupt nicht vermeiden lassen (ζ. B. starke Formen des Erbrechens) oder aber zumindest nicht in Situationen, in denen nur wenig Reaktionszeit zur Verfügung steht.

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cc) Für den praktisch wichtigen Fall der Automatismen, insbesondere der automatisierten Reaktionen beim Führen eines Kraftfahrzeugs, scheidet also eine einheitliche Klassifizierung aus. α) Soweit der Automatismus motivatorisch aufhebbar ist und es an der Zeit, die der Motivationsprozeß dauert, nicht fehlt, handelt es sich um eine Handlung: Bei domi8" OLG Frankfurt VRS 28 S. 365 ff; OLG Hamm NJW 1975 S. 657 f; überwiegende Ansicht; Schönke-Schröder-Lenckner Rdn. 43 vor § 13; Jescheck AT § 23 IV 2 a; SK-Rudolphi Rdn. 21 vor § 1 ; Gössel Wertungsprobleme S. 102 f; Franzheim N J W 1965 S. 2000 f; Spiegel DAR 1968 S. 283 ff; 286. - A.A. freilich Maihofer Handlungsbegriff S. 33 ff; v. Weber Engisch-Festschrift S. 328 ff, 335; Nowakowski Grundzüge S. 43. — Weitere Nachweise bei Jakobs Studien S. 76 ff. 8 5 So überwiegende Ansicht; H. Mayer AT S. 42 ff, 44; iers. Studienbuch § 8 II 4; Hall Fahrlässigkeit im Vorsatz S. 13 ff; Arthur Kaufmann JuS 1967 S. 145 ff, 151 f; ders. H. Mayer-Festschrift S. 79 ff, 109 ff; weitere Nachweise bei Schönke-Schröder-Lenckner Rdn. 44 vor § 13 und Jakobs Studien S. 76 ff. — Welzel hat bei den Au-

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tomatismen darauf abgestellt, ob bei einem finalen Verhalten die „Funktionsgrenze" der „automatisierten Handlungsbereitschaften" mangelhaft berücksichtigt wird; Fahrlässigkeit und Verkehrsdelikte S. 34; ders. Strafrecht § 20 II a. E.; ders. Das neue Bild S. 57; — das Problem der überraschend, aber noch beherrschbar ausgelösten Automatismen läßt sich so nicht erfassen. Schewe Reflexbewegung S. 63 ff, 67. Sie kann aber auch durch die Übernahme der Organisation durch Dritte überspielt werden; Beispiel: Der Patient, dem der Assistenzarzt zur Reflexprüfung auf das Knie schlägt, während sich der kurzsichtige Oberarzt — in eine andere Untersuchung vertieft — dicht über den Fuß beugt, ist nicht Garant für die Vermeidung einer Körperverletzung beim Oberarzt.

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. AbSChfl

nanter Motivation zur Vermeidung fände die Körperbewegung nicht statt. Beispiel: Bei Glatteis muß der Autofahrer besonders sanft beschleunigen oder bremsen etc., um nicht ins Schleudern zu geraten; er darf deshalb beim Aufleuchten der Bremslichter eines Vorfahrenden nicht „wie sonst" kräftig auf die Bremse treten, sondern muß den Impuls dazu aufheben und die Steuerungsmaßnahmen — ähnlich wie ein Anfänger — wieder wachbewußt übernehmen. ß) Ist der Automatismus so verselbständigt, daß er nur-motivatorisch nicht aufgehoben werden kann, so kann er trotzdem in einzelnen Fällen durch einen bewußten Willensakt im Ablauf gestört werden. Er ist dann keine Handlung, aber durch eine Handlung sind seine Folgen paralysierbar, und das Ausbleiben der paralysierenden Handlung ist Unterlassung. Beispiel: Das bei hoher Geschwindigkeit vor ein Kraftfahrzeug laufende Kleintier wird kaum ein Fahrer, zumindest wenn er erstmals in der Situation ist, ohne bewußtes krampfhaftes Einhalten der Fahrrichtung (zur Vermeidung von Ausweichbewegungen) überfahren können. — Das Schreien bei starken Schmerzen läßt sich durch das sprichwörtliche Zusammenbeißen der Zähne in Maßen vermeiden (zu den Grenzproblemen siehe oben 6/Fn. 69). γ) Der Automatismus kann schon ablaufen, ehe das Subjekt die Situation oder die Fehlerhaftigkeit des automatischen Reagierens in der Situation wahrgenommen hat: Er ist dann weder Handlung noch ist das Ausbleiben einer paralysierenden Handlung eine Unterlassung.· Beispiel: Der Fahrer bremst automatisch, als das Fahrzeug auf vermeintlich nasser, in Wirklichkeit aber ölverschmierter Straße leicht schlingert; durch das Bremsen gerät das Fahrzeug sofort ins Schleudern und verletzt einen anderen Menschen. dd) Fehlt eine Vermeidbarkeit in der Situation, so kann freilich das Verhalten, mit 3 9 dem das Subjekt in die Situation gekommen ist, einen Haftungsgrund abgeben (Vermeidbarkeit durch Übernahme einer Situation)88. Mit dieser Haftung für die Übernahme ist auch zu begründen, daß bei der Bestimmung der Vermeidbarkeit eine — psychisch unvermeidbare — Schrecksekunde nicht stets berücksichtigt wird. Wenn sich jemand vermeidbar in eine Situation manövriert, in der er wegen Schreckens automatisiert falsche Reaktionen leistet89 oder richtige Reaktionen nicht leistet90, so ist die Übernahme dieser Situation die Überschreitung des erlaubten Risikos. Nicht das Ausbleiben der Schrecksekunde wird erwartet, sondern das Ausbleiben der Übernahme 91 . c) Daß die mit vis absoluta erzwungenen Körperbewegungen keine Handlungen 4 0 sind, entspricht allgemeiner Meinung, ist auch richtig, aber mißverständlich begrenzt: Lageveränderungen des Körpers eines Subjekts, die sich vom Subjekt nicht rein motivatorisch erledigen lassen, sind sämtlich keine Handlungen; bei absoluter Gewalt lassen 88

Deshalb wird die Abgrenzungsfunktion des Handlungsbegriffs teils bezweifelt; Armin Kaufmann Welzel-Festschrift S. 393 ff, 394; Otter Funktionen S. 179 ff, aber zu Unrecht: Das vorverlagerte Verhalten muß vermeidbar in bezug auf die relevanten Folgen sein; daß es sich überhaupt unter irgendeinem Aspekt um ein Verhalten handelt, reicht nicht aus. Beispiel: Wer in einen Porzellanladen geht und dort bei einem plötzlichen Knall unvermeidbar zusammenzuckt und eine Sache beschädigt, hat, so das Geschehen beim Hineingehen nicht voraussehbar war, zwar beim Hineingehen eine Handlung, nicht aber eine Sachbeschädigungshandlung vollzogen.

OLG Frankfurt V R S 28 S. 364 ff (mit freilich viel zu weitgehenden Pflichten zur Einstellung auf Gefahren); BGH V R S 33 S. 358 ff, 361 f. Ό BGH V R S 23 S. 376 ff, 378; 25 S. 51 f; 26 S. 203 ff, 205; 27 S. 119 ff, 123; 34 S. 205 ff, 207; 34 S. 434 ff, 435; 38 S. 119 f. »' Siehe Spiegel DAR 1968 S. 283 ff, 291 f (bei freilich verfehlter Behandlung als Schuldproblem); Luff DAR 1959 S. 89 ff, 92. - Weitere Nachweise bei Scbönke-Schroder-Cramer § 15 Rdn. 213; Jakobs Studien S. 81 Fn. 157. 89

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6. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

sie sich auch nicht durch Gegenaktivität erledigen, sind also auch keine Unterlassungen; nur letzteres ist bei nicht absolut gewaltsamer Einwirkung anders. Beispiel: W e n n einem seinerseits antriebslos bleibendem Subjekt z u r Herstellung einer unechten U r kunde (§ 267 StGB) die H a n d g e f ü h r t wird, fehlt es jedenfalls an einer Fälschungshandlung des Subjekts; wird die H a n d mit nicht unwiderstehlicher Gewalt geführt, mag eine U r k u n d e n f ä l s c h u n g durch Unterlassung vorliegen. — H a n d l u n g e n sind freilich die durch e r z w u n g e n e Motivation des Subjekts bewirkten Aktionen. Beispiel: D e r Lithograph wird so lange gefoltert, bis er die Druckplatten zur Fälschung herstellt ( S 149 StGB). 41

d) Keine H a n d l u n g e n sind die — unbewußt motivierten und auch äußerlich finalen — Reaktionen von Subjekten im Tiefschlaf und in völliger Bewußtlosigkeit; denn dem Subjekt fehlt w ä h r e n d der D a u e r der bezeichneten Z u s t ä n d e die Möglichkeit des bewußten Erlebens der eigenen Aktion; damit fehlt die Ebene, auf der eine dominante andere Motivation hergestellt werden soll. Die bei der Bestimmung der H a n d l u n g vorg e n o m m e n e Unterstellung anderer dominanter Motivation stört zwar immer das konkrete Si'wngefüge des Subjekts; bei einem Schlafenden oder Bewußtlosen würde die Unterstellung aber das Seinsgeiüge (Schlaf, Bewußtlosigkeit) zerstören. Bei schweren G r a d e n von Trunkenheit dürfte die G r e n z e zwischen der noch bewußt — nicht notwendig reflektiert — erlebbaren eigenen Aktion und dem Fehjen der Erlebnismöglichkeit praktisch schwer zu bestimmen sein 9 2 . — Bei Affekttaten (siehe auch unten z u m V o r s a t z 8 / 1 3 und unten zur Schuld 18/17) handelt es sich um H a n d l u n g e n , solange überhaupt noch ein Bewußtsein des Agierens bestehen kann, mag das Subjekt sich auch als von den eigenen Antrieben getrieben empfinden 9 3 .

42

W e n n es in den genannten Fällen an einer H a n d l u n g fehlt, kann — wie bei den Automatismen (oben 6 / 3 9 ) — immer noch die Übernahme der Situation ein Verhalten sein, das z u r H a f t u n g f ü h r t . Beispiel: Die Mutter, die sich bezecht o d e r nach Einnahme von Schlafmitteln mit ihrem Säugling in ein enges Bett legt, haftet dieses Verhaltens wegen, w e n n sie das Kind durch ihre Bewegungen im Tiefschlaf erdrückt. — § 323 a StGB e r f o r d e r t freilich, daß in der Situation des (nicht auszuschließenden) Schuldausschlusses noch gehandelt (oder unterlassen) wird; denn die Vorschrift soll dem Verlust der Zurechenbarkeit des Verhaltens entgegenwirken, nicht aber der G e f a h r , daß eine Person mangels Beherrschbarkeit der massa carnis handlungsunfähig wird.

C. Deliktsfähigkeit eines Verbands, insbesondere: Verbandshandlungen? 43

1. Juristische Personen (des privaten oder öffentlichen Rechts) und andere V e r bände k ö n n e n nach geltendem deutschen Strafrecht nicht bestraft werden. Gegen juristische Personen, nicht rechtsfähige Vereine und Personenhandelsgesellschaften kann freilich nach dem O W i G bei Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten ihrer O r g a n e , V o r s t ä n d e o d e r vertretungsberechtigten Gesellschafter als N e b e n f o l g e eine Geldbuße festgesetzt w e r d e n , w e n n die T a t Pflichten des Verbands verletzt hat oder der Verband bereichert w u r d e o d e r werden sollte (§ 30 Abs. 1 O W i G ; siehe auch die weiteren Absätze). Diese doppelt halbherzige Lösung — keine Strafe, aber Geldbuße, und dies nur 92 Siehe B G H 1 S. 124 ff, 126 f; LK-Jescheck R d n . 33 vor § 13; LK-Heimann-TrosierP Einleitung R d n . 32; Schönke-Schröder-Lenckner Rdn. 42 vor § 13; — kritisch z u r strafrechtlichen

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Abgrenzung Schewe Reflexbewegung S. 40 ff, 68 f f ; den. Alkoholdelinquenz S. 39 ff, 68 f. »3 Krümpelmann Welzel-Festschrift S. 327 ff, 337 f, gegen Schewe a a O .

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. Abschn

als Kannvorschrift — wurde gewählt, weil die Strafe vorgeblich wegen ihrer Bindung an ein abwertendes Schuldurteil gegenüber Verbänden im Gegensatz zur sozialethisch eher indifferenten Geldbuße unangemessen sein soll 94 . — Zur Vertreterhaftung siehe unten 21/10 ff. In der Literatur 9 5 ist umstritten, ob eine juristische Person (oder ein sonstiger Ver- 44 band) im strafrechtlichen Sinn überhaupt handlungsfähig ist, was überwiegend nicht nur f ü r die lex lata verneint wird 9 6 (societas delinquere non potest), jedoch zu Unrecht 9 7 : Schon bei der natürlichen Person ist die Feststellung einer Handlung nicht nur-naturalistisch zu erledigen; vielmehr geht es um die wertende Bestimmung des Zurechnungssubjekts, also darum, welches System aus Psyche und Körper nach seinen Außenwirkungen beurteilt wird (oben 6/21). D a ß bei der Bestimmung des Subjekts das zu bildende System stets aus den Ingredienzen einer natürlichen Person (Psyche und Körper) zusammengesetzt werden müsse und nicht auch aus denjenigen einer juristischen Person (Verfassung und Organe) zusammengesetzt werden dürfe, läßt sich nicht begründen. Vielmehr lassen sich auch Verfassung und Organe der juristischen Person als ein System definieren, bei dem — entsprechend der Lage bei der natürlichen Person — Interna nicht interessieren (Beispiel: Die Verabredung zweier Organe zu einem V e r brechen ist noch kein nach § 30 StGB strafbares Handeln der juristischen Person), wohl aber der Output. Verfassungsgemäße Organhandlungen werden dadurch zu eigenen Handlungen der juristischen Person. 2. Schwieriger ist es, die Schuld der juristischen Person zu bestimmen. Mit der 45 Schuld ihrer Organe ist eine Schuld der juristischen Person so wenig gegeben, wie bei Beteiligungen nach den §§ 25 ff StGB an der Schuld der anderen Beteiligten teilgenommen wird (§ 29 StGB). Auch ist es ausgeschlossen, auf die Feststellung von Schuld überhaupt zu verzichten. Wie bei natürlichen Personen gibt es Fallgestaltungen, in denen die Person zwar handelt, aber plausibel machen kann, daß die internen H a n d lungsbedingungen als unverfügbar gelten müssen, d. h. zu entschuldigen sind. Insbesondere geht es darum, daß ein Organ mit Wirkung f ü r die juristische Person handelt, ohne daß die Kompetenz des Organs durch die Verfassung der juristischen Person beschnitten werden könnte. Auch wenn das Organ der Person oktroyiert worden ist, sind dessen Handlungen zwar auch Handlungen der juristischen Person, beruhen aber nicht auf den Eigenheiten dieser Person. In solchen Fällen ist der unverfügbare gesetzliche Verfassungsrahmen eine Bedingung der Handlung und die juristische Person daher entschuldigt. — Für die Handlung wie f ü r die Schuld sind also die dogmatischen Formen (nicht nur die Namen) bei der natürlichen und der juristischen Person identisch.

9+

Göhler Beratungen Sonderausschuß V S. 1079; den. Beiheft ZStW 1978 S. 100 ff, 102. Als Maßregeln sind im Strafrecht wie im Ordnungswidrigkeitenrecht Verfall und Einziehung möglich (S$ 73, 73a, 75 StGB; $ 29 OWiG). 95 Zur Rechtsvergleichung siehe Huss ZStW 90 S. 237 ff; Jescbeck SchwZStr. 70 (1955) S. 243 ff, 252 ff; Schmitt Maßnahmen S. 29 ff. " LK-Jescheck Rdn. 35 vor $ 13; Jescheck AT S 23 V I ; den. SchwZStr. 70 (1955) S. 243 ff, 259 (anders den. ZStW 65 S. 210 ff, 212 f: Verbände sollen handlungsfähig, aber nicht schuldfähig sein); Maurach-Zipf A T I § 15 II A; Engisch Verhandlungen 40. D J T 11(E) S. 7 ff; Härtung ebendort S. 43 ff; Heinitz ebendort S. 67 ff; ders. ZStW 65

97

S. 26 ff, 51; Lang-Hinrichsen H . Mayer-Festschrift S. 49 ff, 53 Fn. 21; Schmitt Maßnahmen S. 178 ff; Schmidhäuser A T 8/15; Pohl-Sichtermann Geldbuße S. 3 ff. — Verneinend auch die Rechtsprechung seit R G 16 S. 121 ff, 123 ff; B G H 3 S. 130 ff, 132. Im Ergebnis hauptsächlich wie hier Baumann A T s 16 II 3 a; Μ. E. Mayer A T S. 96 f; v. LisztSchmidt Strafrecht § 2 8 1 2 mit Fn. 4; Busch Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit S. 89 ff; Rotberg DJT-Festschrift Bd. II S. 193 ff, 197; v. Weher GA 1954 S. 237 ff, 241; — siehe auch Tiedemann Wirtschaftsstrafrecht Bd. I S. 204 ff.

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6. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

II. Der Tatbestandsbegriff Literatur G. Arzt Die Neufassung der Diebstahlsbestimmungen, JuS 1972 S. 515 ff; /. Baumann Folgenlose Verkehrsgefährdung als Massenerscheinung, 1961; ders. Haltet den Dieb! D A R 1962 S. 93 ff; E. Beling Die Lehre vom Tatbestand, 1930; H. Blei Literaturübersicht, JA 1975 S. 237 ff; W. Brehm Zur Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdelikts, 1973; ders. Die ungefährliche Brandstiftung — B G H N J W 1975, 1369, JuS 1976 S. 22 ff; H. Bruns Kritik der Lehre vom Tatbestande, 1932; R.-P. Calliess Die Rechtsnatur der „besonders schweren Fälle" und Regelbeispiele im Strafrecht, J Z 1975 S. 112 ff; W. Class Grenzen des Tatbestandes, 1933; H. Demuth Der normative Gefahrbegriff, 1980; G. Dornseifer Rechtstheorie und Strafrechtsdogmatik Adolf Merkels, 1979; E. Dreher Anmerkung zu B G H 20 S. 140 ff, JZ 1965 S. 455 f; ders. Der Irrtum über Rechtfertigungsgründe, Heinitz-Festschrift S. 207 f f ; U. Eberl und K. Kühl Das Unrecht der vorsätzlichen Straftat, Jura 1981 S. 225 f f ; K. Engisch Untersuchungen über Vorsatz und Fahrlässigkeit im Strafrecht, 1930; ders. Anmerkung zu O L G Frankfurt SJZ 1946 Sp. 231 f, a a O Sp. 232 ff; ders. Die neuere Rechtsprechung zur Trichotomie der Straftaten, SJZ 1948 Sp. 660 ff; ders. Der Unrechtstatbestand im Strafrecht, DJT-Festschrift Bd. I S. 401 ff; ders. Die normativen Tatbestandselemente im Strafrecht, Mezger-Festschrift S. 127 ff; ders. Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum bei Rechtfertigungsgründen, ZStW 70 S. 566 ff; M. Fincke Das Verhältnis des Allgemeinen zum Besonderen Teil des Strafrechts, 1975; R. Frank Rechtsprechung des Reichsgerichts, ZStW 14 S. 354 f f ; W. Gallas Zum gegenwärtigen Stand der Lehre vom Verbrechen, Z S t W 67 S. 1 ff; ders. Abstrakte und konkrete Gefährdung, Heinitz-Festschrift S. 171 f f ; ders. Zur Struktur des strafrechtlichen Unrechtsbegriffs, Bockelmann-Festschrift S. 155 ff; M. Grünhut Methodische Grundlagen der heutigen Strafrechtswissenschaft, Frank-Festgabe Bd. I S. 1 ff; B. Haffke Delictum sui generis und Begriffsjurisprudenz, JuS 1973 S. 402 ff; Κ. A. Hall Die Lehre vom corpus delicti, 1933; V. Hassemer Delictum sui generis, 1974; W. HassemerTatbestand und Typus, 1968; E. Heinitz Empfiehlt sich die Dreiteilung der Straftaten auch f ü r ein neues Strafgesetzbuch, Materialien Bd. I S. 55 ff; R. v. Hippel Gefahrenurteile und Prognoseentscheidungen in der Strafrechtspraxis, 1972; H. J. Hirsch Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, 1960; ders. Soziale Adäquanz und Unrechtslehre, Z S t W 74 S. 78 ff; ders. Literaturbericht, ZStW 84 S. 380 ff; ders. Der Streit um Handlungs- und Unrechtslehre, insbesondere im Spiegel der Zeitschrift f ü r die gesamte Strafrechtswissenschaft, Z S t W 93 S. 831 ff, 94 S. 239 ff; A. Hold v. Femeck Die Rechtswidrigkeit Bd. I, 1903; E. Horn Konkrete Gefährdungsdelikte, 1973; / . Hruschka Die Dogmatik der Dauerstraftaten und das Problem der Tatbeendigung, GA 1968 S. 193 ff; B. Imhof Die Einteilung der strafbaren Handlungen, Materialien Bd. II (1) S. 1 ff; H.-Chr. Jahr Die Bedeutung des Erfolges f ü r das Problem der Strafmilderung beim Versuch, 1981; G. Jakobs Nötigung durch Drohung als Freiheitsdelikt, Peters-Festschrift S. 69 ff; H.-H. Jescheck Die Entwicklung des Verbrechensbegriffs in Deutschland seit Beling im Vergleich mit der österreichischen Lehre, Z S t W 73 S. 179 ff; Armin Kaufmann Tatbestandseinschränkung und Rechtfertigung, J Z 1955 S. 37 ff; ders. Die Dogmatik im Alternativentwurf, ZStW 80 S. 34 f f ; ders. Zum Stande der Lehre vom personalen U n recht, Welzel-Festschrift S. 393 ff; Arthur Kaufmann Zur Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, J Z 1954 S. 653 ff; ders. Tatbestand, Rechtfertigungsgründe und Irrtum, J Z 1956 S. 353 ff, 393 ff; ders. Unrecht und Schuld beim Delikt der Volltrunkenheit, J Z 1963 S. 425 ff; E. F. Klein Grundsätze des Gemeinen Deutschen und Preußischen Peinlichen Rechts, 1796; D. Krauß Erfolgsunwert und Handlungsunwert im Unrecht, Z S t W 76 S. 19 f f ; J. Krümpelmann Die Bagatelldelikte, 1966; K. Lackner Das konkrete Gefährdungsdelikt im Verkehrsstrafrecht, 1967; E. J. Lampe Das personale Unrecht, 1967; D. Lang-Hinrichsen Tatbestandslehre und Verbotsirrtum, J R 1952 S. 302 ff; ders. Die irrtümliche Annahme eines Rechtfertigungsgrundes in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, J Z 1953 S. 362 ff; R. Lange Die Systematik der Strafdrohungen, Materialien Bd. I S. 69 ff; W. Langer Vorsatztheorie und strafgesetzliche Irrtumsregelung, GA 1976 S. 193 f f ; H. Luden Über den Thatbestand des Verbrechens nach gemeinem teutschen Rechte, 1840; K. Lüderssen Die strafrechtsgestaltende Kraft des Beweisrechts, ZStW 85 S. 288 ff; ders. Erfolgszurechnung und „Kriminalisierung", Bockelmann-Festschrift S. 181 ff; W. Maihofer Objektive Schuldelemente, H . Mayer-Festschrift S. 185 ff; M. Maiwald Bestimmtheitsgebot, tatbestandliche Typisierung und die Technik der Regelbeispiele, Gallas-Festschrift S. 137 ff; E. Mezger Wandlungen der strafrechtlichen Tatbestandslehre, N J W 1953 S. 2 ff; /. Minas-v. Sa126

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. AbSChn

vigny Negative Tatbestandsmerkmale, 1972; Chr. Mylonopoulos Über das Verhältnis von Handlungs- und Erfolgsunwert im Strafrecht, 1981; J. Nagler Der heutige Stand der Lehre von der Rechtswidrigkeit, Binding-Festschrift Bd. II S. 273 ff; F. Nowakowski Zur Lehre von der Rechtswidrigkeit, ZStW 63 S. 287 ff; ders. Rechtsfeindlichkeit, Schuld, Vorsatz, ZStW 65 S. 379 ff; ders. Probleme der Strafrechtsdogmatik, JurBl. 1972 S. 19 ff; H. Ostendorf Grundzüge des konkreten Gefährdungsdelikts, JuS 1982 S. 426 ff; H.-U. Paeffgen Der Verrat in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses (§ 97 b StGB) und die allgemeine Irrtumslehre, 1979; C. Roxin Offene Tatbestände und Rechtspflichtmerkmale, 1959; ders. Die Irrtumsregelung des Entwurfs 1960 und die strenge Schuldtheorie, MonSchrKrim. 1961 S. 213 ff; den. Ein neues Bild des Strafrechtssystems, ZStW 83 S. 369 ff; ders. Literaturbericht, ZStW 82 S. 675 ff; H.-J. Rudolphi Inhalt und Funktion des Handlungsunwertes im Rahmen der personalen Unrechtslehre, Maurach-Festschrift S. 51 ff; F. Sack Die Kriminologie auf fremdem Boden, in: K. Lüderssen und F. Sack (Hrsg.) Vom Nutzen und Nachteil der Sozialwissenschaften für das Strafrecht Bd. I, 1980, S. 35 ff; W. Sax „Tatbestand" und Rechtsgutsverletzung, JZ 1976 S. 9 ff, 80 ff, 429 ff; F. Schaffstein Handlungsunwert, Erfolgsunwert und Rechtfertigung bei den Fahrlässigkeitsdelikten, Welzel-Festschrift S. 557 ff; W. Schild Die „Merkmale" der Straftat und ihres Begriffs, 1979; E. Schmidhäuser Der Unrechtstatbestand, Engisch-Festschrift S. 433 ff; Chr. Schönehorn Zum „Erfolgsunwert" im Lichte der sozialpsychologischen Attributionstheorie, GA 1981 S. 70 ff; F. C. Schroeder Die Gefährdungsdelikte, Beiheft ZStW 1982 S. 1 ff; H. Schröder Gesetzliche und richterliche Strafzumessung, Mezger-Festschrift S. 415 ff; ders. Die Gefährdungsdelikte im Strafrecht, ZStW 81 S. 7 ff; B. Schünemann Moderne Tendenzen in der Dogmatik der Fahrlässigkeits- und Gefährdungsdelikte, JA 1975 S. 435 ff, 511 ff, 575 ff, 647 ff, 715 ff, 787 ff; H. Schweikert Die Wandlungen der Tatbestandslehre seit Beling, 1957; W. Stock! Ist durch die Neufassung des § 1 StGB durch das 1. Strafrechtsreformgesetz (bzw. § 12 des 2. Strafrechtsreformgesetzes) der Theorienstreit über die Dreiteilung der Straftaten beendet? GA 1971 S. 236 ff; G. Stratenwerth Handlungs- und Erfolgsunwert im Strafrecht, SchwZStr. 79 (1963) S. 233 ff; den. Zur Relevanz des Erfolgsunwerts im Strafrecht, Schaffstein-Festschrift S. 177 ff; W. Stree Beteiligung an einer Schlägerei — BGHSt. 16, 130, JuS 1962 S. 93 ff; R. F. Suarez-Montes Weiterentwicklung der finalen Unrechtslehre? Welzel-Festschrift S. 379 ff; H. Vianden-GrüterOer Irrtum über Voraussetzungen, die für § 240 II StGB beachtlich sind, GA 1954 S. 359 ff; E. Wahle Zur strafrechtlichen Problematik „besonders schwerer Fälle", erläutert am Beispiel der Verkehrsunfallflucht, GA 1969 S. 161 ff; H. v. Weher Negative Tatbestandsmerkmale, Mezger-Festschrift S. 183 ff; H. Welzel Zur Systematik der Tötungsdelikte, JZ 1952 S. 72 ff; ders. Der Irrtum über die Zuständigkeit einer Behörde, JZ 1952 S. 133 ff; ders. Der Irrtum über die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung, JZ 1952 S. 19 f; ders. Anmerkung zu BGH 3 S. 248 ff, JZ 1953 S. 119 ff; ders. Die Regelung von Vorsatz und Irrtum im Strafrecht als legislatorisches Problem, ZStW 67 S. 196 ff; ders. Diskussionsbemerkungen zum Thema „Die Irrtumsregelung im Entwurf", ZStW 76 S. 619 ff; ders. Das neue Bild des Strafrechtssystems, 4. Auflage 1961; /. Wessels Zur Problematik der Regelbeispiele für „schwere" und „besonders schwere Fälle", Maurach-Festschrift S. 295 ff; E. Wolf Die Typen der Tatbestandsmäßigkeit, 1931; J. Wolter Konkrete Erfolgsgefahr und konkreter Gefahrerfolg im Strafrecht — OLG Frankfurt NJW 1975, 840, JuS 1978 S. 748 ff; ders. Objektive Zurechnung von Verhalten, Gefahr und Verletzung in einem funktionalen Straftatsystem, 1981; D. Zielinski Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff, 1973.

A. Die Tatbestandsverwirklichung als Stufe der Zurechnung 1. Bei der strafrechtlichen Zurechnung folgt allein aus dem Umstand nichts, daß et- 46 was eine Handlung ist; vielmehr interessiert zur Zurechnung zum Handelnden immer nur die straftatbestandliche Handlung. Allein aus dem Vorliegen einer straftatbestandlichen Handlung folgt freilich auch nichts, was die Zurechnung zum Handelnden als strafbar angeht: Die Rechtsfolge Strafe setzt rechtswidriges und schuldhaftes straftatbestandliches Handeln (oder Unterlassen unten 28/9 ff) voraus. — Nur bei einzelnen Maßregeln (siehe §§ 63 ff, 71 StGB, §§ 69, 70 StGB) oder bei Verfall und Einziehung (§§ 73 fif, 76 StGB) reicht straftatbestandlich-rechtswidriges Handeln. 127

6. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

Diese alleinige Relevanz der tatbestandlichen, rechtswidrigen und schuldhaften Handlung darf freilich nicht zu der Annahme verleiten, alle Bedingungen der Zurechnung seien überhaupt äquivalent; sie sind dies nur für das Endergebnis der Strafbarkeit; dafür spielt es keine Rolle, ob ein Tatbestandsmerkmal fehlt oder ein Täter entschuldigt handelt. Aber das Ergebnis läßt sich nur sicher ermitteln, wenn die Zurechnungsvoraussetzungen in bestimmter Weise gegliedert werden 9 8 , und zwar nicht nur aus didaktischen Gründen. Denn zum einen sind einzelne Zurechnungsvoraussetzungen vom Bestand anderer abhängig (§16 StGB bestimmt den Vorsatz mit Hilfe des Begriffs Tatbestand, §§ 17, 20, 21 StGB bestimmen die Schuld mit Hilfe des Begriffs Unrecht). Zum anderen ist die gesetzliche Regelung der Zurechnungsvoraussetzungen, insbesondere derjenigen subjektiver Art, nur lückenhaft erfolgt; das Problem der Zuordnung eines nicht geregelten Bereichs ist aber nicht mit der pauschalen Erkenntnis lösbar, daß es überhaupt um Zurechnung geht, sondern nur mit der Differenzierung, zu welchem — eigenen Regeln folgenden — Teilkomplex das Problem gehört. Beispiel: W e r irrig meint, er werde angegriffen und sich durch Verletzung des vermeintlichen Angreifers wehrt, irrt über einen Rechtfertigungstatbestand; die Relevanz des Irrtums (§16 oder § 17 StGB oder Sonderform?) ist allein mit der Erkenntnis, daß der Täter das Deliktische seines Tuns nicht kennt, nicht zu leisten (zur Lösung unten 11/42 ff). 47

2. Eine Gliederung ist auch nötig, weil bei der Bestimmung von Zurechnung als Vorfrage auch ein nicht straftatbestandliches oder straftatbestandlich-rechtswidriges, aber nicht schuldhaftes Handeln einer anderen Person bedeutsam sein kann. Beispiele: Notwehr ist nicht nur gegen straftatbestandlich-rechtswidrige, sondern überhaupt gegen rechtswidrige (und zudem schuldhafte) Angriffe erlaubt (§32 StGB, unten 12/ 14 ff); — Beteiligung mehrerer Personen setzt nicht allseits schuldhaftes, sondern nur straftatbestandlich-rechtswidriges Verhalten voraus (§ 29 StGB, unten 23/5), bei einigen Formen der mittelbaren Täterschaft sogar nicht einmal allseits straftatbestandliches Handeln (unten 2 1 / 7 7 ff, 88 ff, 97 ff). Der hier verwendete Begriff des Tatbestands und sein Verhältnis zu den benachbarten Deliktsstufen Handlung und Unrecht sind erklärungsbedürftig:

B. Die Entstehung des Tatbestandsbegriffs 48

1. Der Begriff Tatbestand wurde bei der Entwicklung der Lehre vom corpus delicti g e w o n n e n " . Diejenigen äußeren Zeichen eines Verbrechens nannte man das corpus delicti, die zu besonderen Verfolgungsmaßnahmen („Spezialinquisition") berechtigten. Corpus delicti war also ein — nach heutigem Verständnis — prozessualer Begriff. Der Begriff des Tatbestands verdrängt den des corpus delicti bei der Wendung des Blicks vom Prozessualen (was ist als geschehen anzunehmen?) zum Materiellen (wie ist Geschehenes zu werten?). Auch nach dieser Wendung — die nur H a n d in H a n d mit einem Wandel der Prozeßformen möglich war — wird zunächst noch mit corpus delicti oder Tatbestand das 98 Das schließt nicht aus, daß im Einzelfall das Ergebnis ohne Blick auf die einzelnen Gliederungsschritte vorweggenommen werden kann; ζ. B. ist der dauernd schwer Psychotische dauernd schuldunfähig und die Frage nach einer rechtswidrigen T a t ist, was die Strafbarkeit (und nicht die Sicherung) des Täters angeht, mit dem Feststehen der Psychose vor aller Prüfung zu Tatbe128

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stand und Rechtswidrigkeit und sonstiger Entschuldigung entschieden. Zum folgenden Text siehe Schweikert Wandlungen S. 7 ff; Hall Lehre vom corpus delicti S. 12 ff und passim; Bruns Kritik S. 10 ff; Luden Über den Thatbestand des Verbrechens S. 5 ff; Mittermaier Noten I und II in: Feuerbach Lehrbuch 1 4 5 81.

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. AbSChfl

konkret Geschehene (in heutiger Terminologie: ein Sachverhalt) bezeichnet, aber nicht mehr als prozessual relevanter Sachverhalt, sondern als ein nach materiellrechtlicher Erheblichkeit bestimmter Sachverhalt. E. F. Klein100: „Diejenigen Thatsachen, welche zusammengenommen den Begriff einer gewissen Gattung von Verbrechen bestimmen, machen den Thatbestand aus (corpus delicti)". Mit zunehmender wissenschaftlicher Durchdringung des Strafrechts schwindet das Interesse an den Tatsachen zugunsten der Gattung. Schon bei Feuerbach101 ist Tatbestand ein „Inbegriff von Merkmalen": „Der Inbegriff der Merkmale einer besonderen Handlung oder Thatsache, welche in dem gesetzlichen Begriff von einer bestimmten Art rechtswidriger Handlungen enthalten sind, heißt der Thatbestand des Verbrechens (corpus delicti)". 2 a) Mit dem so bestimmten Begriff des Tatbestands läßt sich neben dem des Ver- 4 9 brechens nichts anfangen: Tatbestand und Verbrechen decken sich in der Hauptsache (streitig blieb, ob die Zurechnungsfähigkeit zum Tatbestand gehören sollte). Erst zu Beginn dieses Jahrhunderts wird der Begriff dogmatisch aktiviert, indem Beling ihn als selbständige Stufe des Verbrechens vor Rechtswidrigkeit und Schuld etabliert (Lehre vom Verbrechen, 1906). Nach Beling102 ist jedes Verbrechen eine Handlung und zwar eine „tatbestandsmäßige, rechtswidrige, schuldhafte, einer auf sie passenden Strafdrohung unterstellbare und den Strafdrohungsbedingungen genügende Handlung" 1 0 3 . Dabei wird der Tatbestand verstanden als „Inbegriff der Merkmale, die ergeben, um welches Verbrechen es sich typisch handelt" 1 0 4 , als „Verbrechenstyp" 1 0 5 ; dieser Tatbestand als Verbrechenstyp soll aber kein Werturteil enthalten 1 0 6 . Zugleich soll der T a t bestand „ganz objektiv", also frei von Vorsatz und Fahrlässigkeit oder sonstigen subjektiven Beimengungen sein 1 0 7 , mit Ausnahme der Willkürlichkeit, die jeder Handlung nach dem Verständnis der kausalen Handlungslehre eignet. Vorsatz und Fahrlässigkeit sollen die „Beziehung der Psyche zum Tatbestand" sein, nicht Teil des Tatbestands 1 0 8 . Schließlich soll der Tatbestand die Bestimmtheit des Strafgesetzes garantieren: N u r die Bestimmung des Tatbestands im positiven Recht soll ein Verbrechen konstituieren (§ 2 StGB a. F.; jetzt Art. 103 Abs. 2 G G ; § 1 StGB) 1 0 9 . b) Beling hat mit dieser Fülle von Funktionen des Tatbestands den Tatbestandsbe- 5 0 griff überfrachtet und die systematischen Implikationen einzelner Funktionen unterschätzt. Wenn der Tatbestand den Verbrechenstyp bezeichnen soll, kann er, wie schon die bald nach Beling entwickelte Lehre von den subjektiven Unrechtselementen erbrachte (unten 8/93), nicht nur objektive Merkmale enthalten. Enthält er aber nur objektive Merkmale, so kann er wiederum nicht die Bestimmtheit der Tat garantieren; denn garantiert ist das Verbrechen in seiner ganzen gesetzlichen Gestalt, mögen die Merkmale objektiv oder subjektiv sein (oben 4/9). Schließlich kann die angebliche Wertfreiheit eines Verbrechenstyps nur dahin verstanden werden, daß mit der Tatbestandlichkeit noch nichts über eine Rechtfertigung oder Entschuldigung ausgemacht ist, während das Werturteil, daß das Tatbestandliche nicht sozial unauffällig ist, mit dem Verbrechenstyp unlösbar verknüpft ist. Ist also Belings Konzept in sich nicht konsequent 1 1 0 , so ist doch sein Versuch, neben der Handlung, noch vor dem Unrecht eine weitere Deliktsstufe zu etablieren, durch100 Grundsätze § 68. 101 Lehrbuch § 81. 102 Eingehend dazu Schweikert Wandlungen S. 14 ff. 103 Lehre vom Verbrechen S. 7. 104 AaO S. 3. 105 AaO S. V, 21, 110. 106 AaO S. 147. 107 AaO S. 178 f.

108 109

AaO S. 179. A a O S. 23 ff. Beling hat das Konzept später korrigiert, in: Die Lehre vom Tatbestand, 1930; insbesondere hat Beling bei der Korrektur die Verbindung von Tatbestand und Deliktstyp oder auch nur U n rechtstyp preisgegeben; a a O S. 10 ff; eingehend Schweikert Wandlungen S. 76 ff.

129

6. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

f ü h r b a r , und die sich dabei ergebende Gliederung des Delikts als eine tatbestandliche rechtswidrige und schuldhafte H a n d l u n g ist vorzugswürdig. Das ist freilich bis in die G e g e n w a r t streitig.

C. Die dogmatische Bedeutung des Tatbestands 1. Der Begriff des Tatbestands 51

Unrecht ist eine Handlung, die sozial nicht erträglich ist. H a n d l u n g e n , die nicht Unrecht sind, können sich von Unrechten H a n d l u n g e n in doppelter Weise unterscheiden: (a) Sie können die Merkmale der Unrechten H a n d l u n g nicht aufweisen (ein erk a n n t e r m a ß e n folgenloser Schuß in die L u f t ist eben keine T ö t u n g oder Körperverletzung oder Sachbeschädigung) oder aber (b) sie können sämtliche Merkmale der Unrechten H a n d l u n g aufweisen, aber z u d e m weitere Merkmale, Rechtfertigungsmerkmale, die das an sich sozial Unerträgliche tolerabel machen (eine vorsätzliche K ö r p e r verletzung in erforderlicher Abwehr eines rechtswidrigen Angriffs ist erlaubt, § 32 StGB). Im ersteren Fall ist nichts geschehen, was sozial auffällig wäre (jedenfalls nichts in der strafrechtlich vorausgesetzten Massivität und gesetzlichen Bestimmtheit), im letzteren muß die Erträglichkeit des Geschehens positiv begründet werden. Beispielhaft gesprochen: Im ersteren Fall wirkt auf einen Hebel (dessen Bewegung in eine bestimmte Richtung das U n r e c h t anzeigt) keine K r a f t ; im letzteren Fall wirkt eine Kraft, aber sie wird durch eine G e g e n k r a f t aufgehoben. Jedenfalls fehlt es am U n r e c h t ; in der W i r k u n g f ü r das U n r e c h t sind also das Fehlen von Merkmalen einer Unrechtshandlung und das Vorhandensein von Rechtfertigungsmerkmalen äquivalent, aber nur insoweit. Inhaltlich, in ihrer Zusammensetzung, ist eine H a n d l u n g , die nicht die Merkmale einer Unrechtshandlung aufweist, von einer solche Merkmale aufweisenden, aber gerechtfertigten H a n d l u n g verschieden: Erstere ist ohne Blick auf den sozialen Zusammenhang, in dem sie steht, kein Unrecht, letztere ist dies nur wegen des Blicks auf den Zusammenhang. Die Unterscheidung ist trotz der Äquivalenz f ü r das U n r e c h t wichtig; wären die bezeichneten H a n d l u n g e n nicht nur in ihren W i r k u n g e n f ü r das Unrecht, sondern auch gegenständlich gleich, müßten auch die subjektiven Seiten, insbesondere auch im Irrtumsfall, gleich behandelt werden; Unkenntnis von Unrechtsvoraussetzungen und irrige A n n a h m e von Rechtfertigungsvoraussetzungen müßten gleiche W i r k u n g zeigen. D a aber die bezeichneten H a n d l u n g e n gegenständlich unterschieden sind, mögen auch die Irrtumskonsequenzen differieren (eingehend siehe unten 11/18 ff, 42 ff).

52

Der Inbegriff der Merkmale, mit denen ein Verhalten beschrieben wird, das allenfalls in einem Rechtfertigungszusammenhang tolerabel ist, heißt Unrechtstatbestand (zu den Besonderheiten bei nur-objektiven Bedingungen siehe unten 1 0 / 1 ff, 15 ff). Die Feststellung, daß ein Unrechtstatbestand verwirklicht ist, erfolgt unabhängig vom Bestand eines Rechtfertigungszusammenhangs. Dieser Unrechtstatbestand ist gemeint, wenn nachfolgend der Tatbestandsbegriff ohne Zusatz verwendet wird. Es gibt so viele T a t bestände, wie es im positiven Recht Ausformulierungen verschiedener H a n d l u n g e n gibt; hierbei kann eine Gesetzesbestimmung mehrere T a t b e s t ä n d e enthalten (etwa § 266 Abs. 1 StGB enthält in der ersten Fallgruppe einen Mißbrauchstatbestand, in der weiteren einen Treubruchstatbestand) o d e r einen Tatbestand mit mehreren Unterfallgruppen (etwa § 240 StGB enthält die Differenzierung nach der T a t b e g e h u n g durch Gewalt o d e r durch D r o h u n g ) .

2. Weitere Tatbestandsbegriffe 53

V o r einer Behandlung der Kontroversen zu dieser Bestimmung des Tatbestands sei bezeichnet, was sich rein terminologisch erledigen läßt: 130

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. A b S C h n

a) Die Bezeichnung eines tatsächlichen Geschehens (Sachverhalt) als T a t b e s t a n d , also die A n k n ü p f u n g an die konkrete Seite des corpus delicti, ist heute strafrechtlich ungebräuchlich (anders im Zivilprozeßrecht, siehe § § 3 1 3 ff, 543 Z P O ) . b) D a ß die Garantie des Art. 103 Abs. 2 G G , § 1 StGB sich nicht auf den U n r e c h t s tatbestand beschränkt, sondern auf einen umfassenderen Garantietatbestand b e z o g e n werden muß, ist allgemein a n e r k a n n t (siehe oben 4 / 9 ) . c) Ansonsten kann als Tatbestand jeder Inbegriff von Merkmalen bezeichnet w e r den, der ein rechtlich relevantes Urteil b e g r ü n d e t 1 1 1 . So kann man neben einem U n rechtstatbestand auch einen Rechtfertigungstatbestand, seil, die V o r a u s s e t z u n g e n einer Rechtfertigung, a n e r k e n n e n und kann den Unrechtstatbestand mit dem Fehlen des Rechtfertigungstatbestands zu einem Gesamtunrechtstatbestand112 verbinden; denn U n recht liegt immer und nur beim Vorliegen des Unrechtstatbestands und Fehlen des Rechtfertigungstatbestands vor. Entsprechend dem Unrechtstatbestand kann ein Schuldtatbestand gebildet w e r d e n 1 1 3 , der die positiven M e r k m a l e der Schuld z u s a m menfaßt, und wiederum entsprechend dem Rechtfertigungstatbestand ein Entschuldigungstatbestand, der die Merkmale der Entschuldigungsgründe vereinigt; beide lassen sich — entsprechend dem Gesamtunrechtstatbestand — zu einem Gesamtschuldtatbestand verbinden. — Die Merkmale, die bei Vorsatzdelikten vom V o r s a t z u m f a ß t w e r den müssen, kann man zu einem Leitbildtatbestand vereinen114; entsprechend k ö n n e n die Merkmale, deren Verwirklichung zur Schuld e r k a n n t oder erkennbar sein muß, Tatbestände genannt werden. Es ist nur eine Frage der terminologischen Z w e c k m ä ß i g keit, ob man auch f ü r sämtliche materiellrechtlichen Bestrafungsvoraussetzungen, einschließlich der nur-objektiven Bedingungen (unten 1 0 / 1 f f ) , einen eigenen T a t b e standsbegriff bildet (teils genannt: Tatbestand im Sinn der Rechtstheorie115) o d e r sogar f ü r alle materiellen und prozessualen V o r a u s s e t z u n g e n , dies wiederum generell o d e r konkretisiert auf ein einzelnes Verfahren (im letzteren Fall wird ζ. B. die aktuelle A n wesenheit eines u n b e f a n g e n e n Richters zum T a t b e s t a n d s m e r k m a l der konkreten V e r urteilung eines Delinquenten). Schließlich kann man auch von einem Handlungstatbestand als von den Merkmalen der H a n d l u n g im Strafrecht o d e r von einem Strafanwendungstatbestand als von den nach §§ 3 ff StGB erforderlichen Merkmalen der A n w e n dung deutschen Strafrechts reden u. a. m. 3. Kritik der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen a) Die Selbständigkeit der beschriebenen W e r t u n g s s t u f e des Unrechtstatbestands 5 4 vor der Wertungsstufe des Unrechts ist höchst umstritten und mit der üblichen T e i l u n g von Tatbestand und Rechtswidrigkeit auch nur unvollkommen bezeichnet. Versuche, die Lage dadurch zu vereinfachen, daß die Rechtfertigungsvoraussetzungen zu negativen Tatbestandsmerkmalen erklärt werden, so daß Tatbestandsverwirklichung und U n recht stets zusammenfallen, sind freilich verfehlt: aa) Die radikalste Position gegen die A n e r k e n n u n g des Tatbestands als rechtliche 5 5 Wertungsstufe bezieht die von A. Merkel116 und Frank117 begründete Lehre von den ne111

Engisch Mezger-Festschrift S. 127 ff, 130 ff; JeScheck A T § 25 I 3. 112 Engisch DJT-Festschrift Bd. I S. 401 ff, 409; der Gesamtunrechtstatbestand wird von den Vertretern der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen — unten 6/54 ff — teils auch schlicht Unrechtstatbestand genannt. 113 Gallas Z S t W 67 S. I f f , 31; Schmidbäuser Engisch-Festschrift S. 433 ff, 446; Engisch D J T -

Festschrift Bd. I S. 401 ff, 413; Maihofer H. Mayer-Festschrift S. 185 ff, 191, 201. l u Siehe Engisch Mezger-Festschrift S. 127 ff, 132 mit Nachweisen. 115 Mezger N J W 1953 S. 2 f f ; ders. Strafrecht § 21 II 1; Jescheck A T § 25 I 3; Engisch MezgerFestschrift S. 127 ff, 130. · 16 L e h r b u c h ' § 30. " 7 Z S t W 14 S. 354 ff, 363; ders. S t G ß l , 1897, § 59 Anm. II 2.

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6. A b s c h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

gativen Tatbestandsmerkmalen 1 1 8 , nach der die Merkmale des hier als Unrechtstatbestand bezeichneten sogenannten positiven Tatbestands mit dem Fehlen der Merkmale eines Rechtfertigungstatbestands zu einem einzigen Gesamtunrechtstatbestand vereinigt werden 1 1 9 . Nach dieser Lehre soll der Gesamtunrechtstatbestand die Merkmale des Unrechtstatbestands plus das Fehlen (deshalb: negativ) sämtlicher Rechtfertigungstatbestände umfassen. Beispiel: Der Tatbestand des § 303 Abs. 1 StGB lautet nach dieser Lehre: Jemand beschädigt oder zerstört eine fremde Sache außer in den Fällen (1) der erforderlichen Abwehr eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs (etc., § 32 StGB) oder (2) der Abwendung einer gegenwärtigen . . . Gefahr (etc., § 34 StGB) etc. 56

bb) Es geht bei der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen also nicht um negativ gefaßte Merkmale des Unrechtstatbestands120, wie ζ. B. das Fehlen einer tatbestandsausschließenden Einwilligung (unten 7/111 ff) oder das Aufheben fremden Gewahrsams ohne Willen des Gewahrsamsinhabers bei der Diebstahlswegnahme oder das Eintreten ohne Willen des Berechtigten beim Eindringen des Hausfriedensbruchs oder das nicht öffentliche Wort bei der Vertraulichkeitsverletzung. Solche negativ gefaßten Tatbestandsmerkmale bezeichnen nicht den besonderen Zusammenhang, in dem eine sozial auffällige Handlung tolerabel ist (so aber die Rechtfertigungstatbestände), sondern ihr Fehlen macht die Handlung erst sozial auffällig. In der Regel geht es bei den negativ gefaßten Tatbestandsmerkmalen darum, daß eine Handlung gegen ein Gut gerichtet ist, das nur nach der Willkür des Betroffenen geschützt ist; deshalb ist das Fehlen eines konformen Willens Bedingung dafür, daß die Handlung überhaupt etwas Geschütztes verletzt. Beispiel: Wenn jemand mit seinem Willen kahlgeschoren wird, ist das nicht eine tatbestandliche, aber wegen des Zusammenhangs (Einwilligung) gerechtfertigte Körperverletzung, sondern überhaupt keine tatbestandliche Körperverletzung; denn insoweit ist nicht ein Bestand an Haaren garantiert, sondern das Bestehende nach der Willkür des Inhabers. — Alle negativ gefaßten Tatbestandsmerkmale lassen sich in positive Merkmale umformulieren; insbesondere geht es beim Fehlen einer tatbestandsausschließenden Einwilligung um das Vorliegen eines Angriffs auf fremde Dispositionsbefugnisse.

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b) Der auf den Rechtfertigungstatbestand bezogenen Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen ist einzuräumen, daß über das Unrechtsurteil allein der Gesamtunrechtstatbestand entscheidet. Ein gerechtfertigtes Verhalten ist nicht weniger rechtmäßig als ein nicht erst tatbestandsmäßiges Verhalten, und es ist ebensowenig verboten oder normwidrig wie ein solches 121 . Aber das gilt nur, was das Ergebnis angeht, und besagt über den Grund des Unrechts wie über die Relevanz der dem Unrecht vorgehenden Wertungsstufe nichts 122 . Daß der Unrechtstatbestand und die Rechtfertigungsvoraussetzungen entgegen der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen zu trennen sind 123 , zeigt sich deutlich bei den Konsequenzen für die subjektive Seite, und 118

Eingehend z u r Dogmengeschichte Hirsch Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen S. 13 bis 219. Baumann A T § 19 III 3 b γ ; Blei A T § 36 III; Otto G r u n d k u r s § 5 IV 1; SK-Samson Rdn. 9 ff vor § 3 2 ; Engisch DJT-Festschrift S. 401 ff, 406; ders. Z S t W 70 S. 566 ff, 583 ff; Arthur Kaufmann J Z 1954 S. 653 f f ; ders. J Z 1956 S. 353 ff, 393 ff; Roxin O f f e n e Tatbestände S. 174 ff; ders. MonSchrKrim. 1961 S. 213 f f ; Lang-Hinrichsen J R 1952 S. 306 f f ; ders. J Z 1953 S. 363 ff; v. Weher Mezger-Festschrift S. 183 ff. - Nachweis des Meinungsstands der älteren Literatur bei Mezger Strafrecht § 22 II Fn. 8.

132

120

Beides vereinigt aber v. Ureter Mezger-Festschrift S. 183 ff; dagegen zutreffend Hirsch Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen S. 256 f f ; /escheck A T § 25 III 3. >2' Stratenwerth A T Rdn. 178. 122 Siehe Minas-v. Savigny Negative Tatbestandsmerkmale S. 78 ff. 123 Dreher Heinitz-Festschrift S. 207 ff; Armin Kaufmann Normentheorie S. 138 ff, 248 ff; ders. J Z 1955 S. 37 ff; Welzel Z S t W 67 S. 196 ff, 208 ff; ders. ZStW 76 S. 619 ff, 621 ff; ders. Das neue Bild 4 S. 22 ff; ders. Niederschriften Bd. II S. 31 ff; ders. Strafrecht § 10 III, § 14 I I ; Nowakowski ZStW 65 S. 379 ff, 392; Hirsch Lehre von den ne-

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. AbSChn

zwar unabhängig von einer Entscheidung der Irrtumsfälle. D e r V o r s a t z hat sich nach § 16 StGB bei Begehung der T a t auf alle Umstände zu erstrecken, die z u m gesetzlichen Tatbestand gehören. Das Verlangen einer Kenntnis bei der T a t vom Fehlen sämtlicher Rechtfertigungstatbestände (eben vom negativen Teil des Gesamtunrechtstatbestands) wäre aber auch bei Berücksichtigung nicht reflektierter Bewußtseinsinhalte nicht nur psychologisch monströs, sondern bezogen auf sämtliche Rechtfertigungstatbestände überhaupt nie zu leisten (siehe nur die unten 12. bis 16. Abschnitt beispielhaft genannten Rechtfertigungsgründe). Im Regelfall ist nicht mehr zu erwarten als das Fehlen der Annahme eines Rechtfertigungstatbestands, also das Fehlen einer psychischen V e r g e genwärtigung der Rechtfertigungslage, allenfalls verbunden mit der pauschalen Annahme, unrecht zu handeln und nur in Einzelfällen mit der A n n a h m e vom Fehlen eines bestimmten einzelnen Rechtfertigungsgrunds 1 2 4 . Dieser Befund resultiert nicht aus der negativen Fassung der Rechtfertigungsvor- 5 8 aussetzungen; negativ gefaßte Tatbestandsmerkmale bieten bei § 16 StGB keine Besonderheiten. Er resultiert auch nicht allein aus der großen Anzahl von Rechtfertigungsgründen, die es gibt und deren Vergegenwä^tigung rein quantitativ nicht zu leisten ist. D e r Befund folgt vielmehr aus dem materiellen Verhältnis von Unrechtstatbestand und Rechtfertigung 1 2 5 : D e r Unrechtstatbestand ist eine eigene rechtliche (und soziale) Sinneinheit, unabhängig von einer gegebenen Rechtfertigungslage; denn die Rechtfertigung kann das U n r e c h t , nicht aber die soziale Auffälligkeit des Geschehens beseitigen. Das T ö t e n eines Menschen in N o t w e h r ist zwar kein U n r e c h t , aber seine soziale Auffälligkeit wird d a r a n deutlich, daß die T ö t u n g mit der N o t w e h r verklammert w e r den muß, um tolerabel zu w e r d e n ; das T ö t e n allein ist nicht tolerabel, w ä h r e n d sich bei einem tatbestandslosen V o r g a n g , etwa bei dem Erschlagen einer Mücke, die Frage nach dem H a n d l u n g s k o n t e x t nicht erst stellt 1 2 6 . Mit anderen W o r t e n , die strafrechtlichen Folgen tatbestandslosen oder tatbestandlich-gerechtfertigten T u n s sind z w a r gleich, aber die rechtlichen Begründungen der Folgen sind unterschiedlich, je ob der Tatbestand verwirklicht w u r d e oder nicht; im letzteren Fall bedarf es der Berücksichtigung von Rechtfertigung nicht. W e n n demgegenüber argumentiert wird, die Gemeinsamkeit zwischen einer tatbestandsmäßig-rechtswidrigen und einer tatbestandsmäßiggerechtfertigten T a t , eben die Tatbestandserfüllung, sei ein „juristisches K u n s t p r o d u k t " 1 2 7 , so wird der Blick einseitig auf die Folge gerichtet und der Begründungsgang vernachlässigt; mit diesem V e r f a h r e n läßt sich nicht nur der Tatbestand, sondern selbst das Unrecht zum „juristischen K u n s t p r o d u k t " stilisieren: Uber die Strafe fallen die Würfel erst bei der Schuld, und auf allen vorgehenden Stufen fallen nur Vorbehaltsurteile.

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gativen T a t b e s t a n d s m e r k m a l e n S. 220 ff, 267 ff, 332 ff, 3 4 7 ; UO-Hirsch Rdn. 6 f vor §51; Schönke-Schröder-Lenckner Rdn. 4 vor §32; Maurach-Zipf A T I § 3 7 11; Lackner Anm. III 3 v o r § 13; Bockelmann A T § 10 I I ; Wessels A T § 5 II 3 ; § 11 III l a ; Jescheck A T § 25 I bis I I I ; Paeffgen V e r r a t S. 78 f f ; — im E r g e b n i s a u c h Gallas Z S t W 67 S. I f f , 16 f f ; h i e r z u e i n g e h e n d Welzel S t r a f r e c h t § 10 III. In d e r L i t e r a t u r w i r d teils das F e h l e n d e r A n n a h m e eines R e c h t f e r t i g u n g s t a t b e s t a n d s , also entgegen § 16 S t G B das A u s b l e i b e n eines p s y c h i s c h e n Ereignisses, f ü r h i n r e i c h e n d g e h a l t e n ; v. Weber M e z g e r - F e s t s c h r i f t S. 183 ff, 185 will d a s s o g a r f ü r negativ g e f a ß t e U n r e c h t s t a t b e s t a n d s m e r k m a l e gelten l a s s e n ; z u t r e f f e n d h i e r g e g e n Armin Kaufmann J Z 1955 S. 37 ff, 3 8 ; Hirsch L e h r e v o n d e n negativen T a t b e s t a n d s m e r k m a l e n S. 2 6 7 ff.

125

Armin Kaufmann hat nachgewiesen, daß auch wegen d e r B e s c h r ä n k u n g v o n g e r e c h t f e r t i g t e n E i n g r i f f e n auf das E r f o r d e r l i c h e eine d e m U n r e c h t v o r g e h e n d e W e r t u n g s s t u f e a n z u e r k e n n e n ist; J Z 1955 S. 37 ff, 40 f ; ders. N o r m e n t h e o r i e S. 2 5 5 f ; — j e d o c h ist z w e i f e l h a f t , o b diese S t u f e d u r c h den T a t b e s t a n d o d e r n i c h t v i e l m e h r d u r c h eine tatbestandsunabhängige Interessengewichtung gebildet w i r d . S t e h e n e t w a z u r A b w e h r e i n e r G e f a h r eine m i n i m a l e ( a b e r t a t b e s t a n d l i c h e ! ) S a c h b e s c h ä d i g u n g o d e r eine g r a v i e r e n d e ( t a t b e s t a n d s l o s e ! ) S a c h e n t z i e h u n g z u r A l t e r n a t i v e , m u ß die G e w i c h tung o h n e Berücksichtigung tatbestandlich ausformulierter Eingriffe erfolgen können.

126 Welzel S t r a f r e c h t § 14 I i . >27 Roxin O f f e n e T a t b e s t ä n d e S. 181.

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6. A b s c h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

4. Das Verhältnis von Tatbestand und Unrecht a) Der Grundsatz 59

Die beschriebene Selbständigkeit des Tatbestands wird überwiegend als Selbständigkeit gegenüber dem Unrechtsurteil wie gegenüber dem Rechtfertigungsurteil verstanden. Der verwirklichte Tatbestand soll demgemäß bei fehlender Rechtfertigung nicht das Unrecht sein, sondern es nur „indizieren"; bei gegebener Rechtfertigung soll er die soziale Auffälligkeit trotz Fehlens eines Unrechts bezeichnen. Als Konsequenz wird ein dreistufiger Deliktsaufbau vorgeschlagen: Delikt soll die tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlung sein. — Mit dieser Dreistufigkeit wird das Verhältnis von Tatbestand und Unrecht nicht zutreffend bezeichnet. Tatbestand und Unrecht (oder formell: Rechtswidrigkeit) sind nur dann gesonderte Stufen des Delikts, wenn die Stufe Rechtswidrigkeit zur Stufe Tatbestand etwas hinzufügt. Das ist bei gegebener Rechtfertigung der Fall, da dann zum Unrechtstatbestand der Rechtfertigungstatbestand hinzukommt. Im Fall fehlender Rechtfertigung jedoch muß zwar dieses Fehlen in einem Gedankenschritt festgestellt werden, der von der Ermittlung der Tatbestandsverwirklichung verschieden ist, und insofern mag man von einer Stufe der Deliktsenrnfflung sprechen, aber eine Stufe des Delikts selbst ist das Fehlen von Rechtfertigung nicht; vielmehr ist der verwirklichte Tatbestand im Fall des Fehlens von Rechtfertigungsgründen das Unrecht128. Meint man aber mit den Stufen des Delikts nicht das jeweilige Urteil mit seinem sachlichen Substrat, sondern den Ermittlungsgang, so ist es zwar konsequent, Tatbestand und Unrecht auch im Fall fehlender Rechtfertigungsgründe getrennt zu zählen; man muß dann freilich konsequent auch bei der Schuld die positiven Schuldvoraussetzungen und das Fehlen von Entschuldigungsgründen trennen 1 2 9 . — Allein im Fall einer — aus objektiven oder subjektiven Gründen — nur partiellen Rechtfertigung gelangt man zu einem Unrecht über zwei Stufen mit je eigenem Substrat: über den Tatbestand und über die unrechtsmindernde partielle Rechtfertigung. Es handelt sich bei der Zählung von negativen Deliktsvoraussetzungen um einen Abkömmling der verfehlten Gleichstellung negativer Bedingungen mit positiven Bedingungen bei der Kausalität; der nur-hypothetische Charakter der negativen Bedingungen geht dabei verloren (unten 7/25). b) Problemfälle

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Die Gleichstellung von Tatbestandsverwirklichung und Unrecht beim Fall fehlender Rechtfertigung gilt freilich nur, wenn der Tatbestand als komplettes Unrechtssubstrat verstanden wird und die Ermittlung der Rechtswidrigkeit sich allein auf die Feststellung des Fehlens von Rechtfertigung beschränkt. Das ist zu zwei Problemkreisen streitig; es geht hierbei um (aa) die Lehre von den offenen Tatbeständen und (bb) die Lehre von den speziellen Rechtswidrigkeitsmerkmalen (auch Rechtspflichtmerkmale genannt). Nach beiden Lehren soll es tatbestandsunabhängige positive Unrechtsvoraussetzungen geben. 128

Scbmidhäuser Engisch-Festschrift S. 433 ff, 454; ders. A T 8/2, 8/11, 9 / 5 f. - Der Tatbestand ist also — in der älteren Terminologie — nicht mit Μ. E. Mayer als ratio cognoscendi des Unrechts anzusehen (AT S. 52, 182 ff, 185), sondern mit Mezger als ratio essendi (Strafrecht § 22 I); freilich steht Mezgers Option f ü r den Unrechtstatbe-

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129

stand als ratio essendi mit seiner Anerkennung der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen ( a a O II; LfP-Mezger Einleitung S. 11) in Widerspruch. Siehe hierzu Class Grenzen des Tatbestandes S. 142 ff, 147; Welzel Straf recht § 10 III. Siehe Scbmidhäuser Engisch-Festschrift a a O .

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. Abschn

aa) Zu den offenen Tatbeständen: 61 α) Nach der Lehre von den offenen Tatbeständen sollen bei einzelnen Tatbeständen — es geht hauptsächlich um Nötigung und Erpressung (§§ 240, 253, 255 StGB) — die Tatbestandsmerkmale mehr als das Unrecht der jeweiligen Art umschreiben, und diese Tatbestände sollen nicht durch einschränkend-ergänzende Tatbestandsinterpretation auf das Maß des Unrechts zu reduzieren sein. Vielmehr soll der Tatbestand seine Weite behalten, aber es soll „durch ein selbständiges richterliches Werturteil" festgelegt werden, ob die Tatbestandsverwirklichung Unrecht ist 130 . Das Urteil — in den §§ 240 Abs. 2 und 253 Abs. 2 StGB als die Verwerflichkeit der T a t beschrieben — ist gesetzlich nur durch den Rekurs auf eine soziale Wertung angedeutet; diese Wertung soll nicht in Tatbestandsmerkmale aufgelöst werden, sondern Rechtswidrigkeitswertung bleiben. Bei dieser — überwiegend abgelehnten 1 3 1 — Lösung gibt es außerhalb des Tatbestands positive Unrechtsmerkmale, eben die Merkmale des „richterlichen Werturteils"; in Konsequenz dessen ist die Rechtswidrigkeit eine eigene Deliktsstufe mit positivem Inhalt. ß) Eine unvollkommene gesetzliche Ausformulierung von Tatbestandsmerkmalen 6 2 ist nichts besonderes; sie findet sich bei den Garantenstellungen der unechten Unterlassungsdelikte (unten 29/26 ff), beim erlaubten Risiko (unten 7 / 3 5 ff) und bei weiteren Merkmalen in schwankendem Maße, ohne daß die entsprechenden Tatbestände dadurch zum Unrecht hin offen würden; sie sind nur „offen" f ü r intensive Konkretisierung durch Interpretation. Das ist bei den sogenannten offenen Tatbeständen nicht anders: Auch hier gilt es nicht, die gesetzlich bezeichneten Merkmale nur zu bewerten; vielmehr ist die Wertung nur möglich, wenn zunächst ermittelt wird, in welchem sozialen Zusammenhang die gesetzlich bezeichneten Merkmale verwirklicht werden. Die Merkmale des sozialen Zusammenhangs ergänzen die gesetzlich bezeichneten Merkmale zu einem Inbegriff, der ein komplettes Substrat des Unrechts ist. Die Konkretisierung erfolgt also durch Tatbestandsergänzung; daß hierbei den Interpreten der V o r griff auf ein mögliches Unrecht leitet, schließt es nicht aus, daß als Ergebnis der Konkretisierung ein Unrechtstatbestand herauskommt. Beispiel: D r o h t bei einem Dauerlieferungsvertrag der Lieferant mit einem für den Bezieher ruinösen Kontraktbruch, wenn der Bezieher nicht ohne Zinsvergütung Vorkasse leistet, so gehören die besonderen Bedingungen der Drohung, seil, die Ankündigung der Verweigerung vertraglich garantierter Leistungen, zum Tatbestand (Vorsatzerfordernis!) 1 3 2 . Bei dieser Ergänzung des Tatbestands ist das Fehlen von Rechtfertigungsvoraussetzungen so wenig negatives Tatbestandsmerkmal, wie bei bestimmt-geschlossenen T a t beständen. Im Fall einer Rechtfertigung bleibt also die Tatbestandsmäßigkeit bestehen 1 3 3 . Beispiel: Ein Garant kann nur mit einer Ohrfeige dazu gebracht werden, seiner Pflicht zur Hilfe nachzukommen; — dies ist zwar (neben Körperverletzung) eine Be150 Welze! Strafrecht § 14 I 2 b; Maurach-Zipf AT I §24 I B 2; siehe auch Niederschriften Bd. VI S. 276 ff. 31 Mit freilich heterogenen Begründungen; siehe Engisch DJT-Festschrift Bd. I S. 401 ff, 411 f; Gallas ZStW 67 S. 1 ff, 24 f; Hirsch Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen S. 289 ff; ders. ZStW 74 S. 78 ff, 117 ff; Roxin Offene Tatbestände S. 153 f und passim, dort zahlreiche Nachweise S. 15 ff; Jescheck AT 5 25 II 1; LK-Jescheck Rdn. 43 vor § 13; LK>-Hirsch Rdn. 15 vor 5 51; Baumann A T § 19 III 2 a; Stratenwerth AT

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133

Rdn. 352; — die Stellungnahme von Schmidhäuser A T 9/11 wird durch das Verständnis bestimmt, § 240 StGB sei tatbestandlich geschlossen beschrieben; hiergegen Roxin ZStW 83 S. 369 ff, 385; Jakobs Peters-Festschrift S. 69 ff, 70. B G H LM N r . 3 zu § 2 4 0 ; Vianden-Grüter GA 1954 S. 359 ff. Insoweit a. A. Roxin Offene Tatbestände, S. 186 f; ders. ZStW 82 S. 675 ff, 683; SchönkeSchröder-Lenckner Rdn. 66 vor § 13; wie hier LK*-Hirsch Rdn. 15 vor § 51.

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6. A b s c h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

einträchtigung der Freiheitssphäre, also eine tatbestandliche Nötigung, aber wegen des zugleich bestehenden Rechtfertigungstatbestands (§ 32 StGB) kein Unrecht. 63

γ) Die Ablehnung der Lehre von den offenen Tatbeständen zugunsten unbestimmtgeschlossener Tatbestände hat Konsequenzen für die subjektive Deliktsseite: Der Vorsatz muß sich auf die ergänzenden Tatbestandsmerkmale beziehen. Daß diese Merkmale nicht nur-deskriptiv sein können, sondern auch die Zuordnung von Gütern umgreifen müssen, hindert das Vorsatzerfordernis so wenig wie sonst bei normativen Tatbestandsmerkmalen (unten 8/48 ff). Nicht zum Tatbestand gehört freilich das Verwerflichkeitsurteil selbst 134 .

64

bb) Zu den speziellen Rechtswidrigkeitsmerkmalen: a ) Zahlreiche Merkmale, die eine staatliche (oder private) Zuständigkeit bezeichnen (insbesondere „zuständig" in den §§110, 116, 137 StGB a. F., „rechtmäßig" in den §§113 Abs. 3 und 136 Abs. 3 StGB), behandelt die Rechtsprechung als vorsatzunabhängig (sogenannte objektive Strafbarkeitsbedingungen), obgleich ihr Fehlen schon das Unrecht beseitigt. Beispiel: § 113 StGB schützt überhaupt nur vor Angriffen auf rechtmäßiges Vollstreckungshandeln. Die Lehre von den speziellen Rechtswidrigkeitsmerkmalen bringt gegenüber der Gruppierung der Merkmale zu den sogenannten objektiven Strafbarkeitsbedingungen eine bessere Deckung von objektiver und subjektiver Seite, weil sie die Merkmale zwar nicht dem Tatbestand (dann Vorsatzerfordernis) zuordnen, aber doch als positive Rechtswidrigkeitsvoraussetzung verstehen will, so daß immerhin die Regeln des Verbotsirrtums gelten 135 . Sofern jedoch die Merkmale überhaupt zur Konstituierung von Unrecht nötig sind, müssen sie auf ein Substrat verweisen, dessen Begriff dann aber auch sämtliche Voraussetzungen erfüllt, die an ein Tatbestandsmerkmal zu stellen sind: Der Begriff bezeichnet also eine positive Unrechtsvoraussetzung 136 . Daß solcherart pauschal ausformulierte Tatbestandsmerkmale sich ihrerseits auf eine Rechtswidrigkeit beziehen, die der Rechtswidrigkeit, die durch den Tatbestand erst begründet wird, entspricht (sogenannte gesamttatbewertende Merkmale), ist keine Besonderheit dieser Merkmale, sondern kommt bei zahlreichen normativen Tatbestandsmerkmalen geläufig vor. Beispiel: In der Rechtmäßigkeit der Amtsausübung ist das — freilich an diesem Ort noch nicht strafrechtlich garantierte — Verbot des Widerstrebens enthalten (siehe unten 8/57).

65

ß) Rechtspflichtmerkmale sind also in normative Tatbestandsmerkmale aufzulösen. Für die hauptsächlich relevanten Fälle der §§113 und 136 StGB heißt das 1 3 7 : Die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung ist in § 113 Abs. 1 StGB Tatbestandsmerkmal (also Vorsatzerfordernis!); die Störung einer rechtswidrigen Amtshandlung ist — was allein die Hinderung der rechtswidrigen Amtstätigkeit, nicht Eingriffe in Güter des Beamten Α. A. Langer G A 1976 S. 193 f f , 200. >« Welze! S t r a f r e c h t § 14 I 2 c ; den. J Z 1952 S. 19 f ; ders. J Z 1952 S. 133 f f ; den. J Z 1953 S. 119 f f ; den. Z S t W 67 S. 196 ff, 2 2 4 ; Armin Kaufmann N o r m e n t h e o r i e S. 101, 2 5 7 ff, 285 f ; w e i t e r e N a c h w e i s e bei Roxin O f f e n e T a t b e s t ä n d e S. 15. — Ablehnend mit freilich u n t e r s c h i e d l i c h e r Beg r ü n d u n g die ü b e r w i e g e n d e A n s i c h t ; Baumann AT § 2 6 II 4 a ; Engisch Mezger-Festschrift S. 127 ff, 157 f ; den. D J T - F e s t s c h r i f t Bd. I S. 401 f f , 411 f ; Gallas Z S t W 67 S. I f f , 2 4 ; Hirsch L e h r e v o n d e n negativen T a t b e s t a n d s m e r k m a l e n S. 2 9 6 f f ; Roxin O f f e n e T a t b e s t ä n d e S. 132 f f , 188; LtP-Hirsch R d n . 16 f v o r § 51 mit weiteren Nachweisen.

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H a u p t s ä c h l i c h wie hier Jescheck A T § 2 5 112; LK-Jescheck R d n . 43 v o r § 13; Engisch M e z g e r F e s t s c h r i f t S. 127 ff, 157 f f ; Roxin O f f e n e T a t b e s t ä n d e S. 132 ff, 135; — teils f i n d e t sich freilich die m i ß v e r s t ä n d l i c h e G e g e n ü b e r s t e l l u n g v o n bes c h r e i b e n d e n T e i l e n des M e r k m a l s einerseits gegen das V e r b o t a n d e r e r s e i t s . D i e s e D i f f e r e n z i e r u n g g e h t d a r a n vorbei, d a ß T a t b e s t ä n d e — im s c h w a n k e n d e n M a ß — f o r m e l l o d e r i n f o r m e l l geregelte ( u n d d e s h a l b s c h o n V e r b o t e e n t h a l t e n d e ) Wirklichkeit erfassen. Z u d e n z a h l r e i c h e n L ö s u n g s v o r s c h l ä g e n z u diesen V o r s c h r i f t e n siehe Maurach-Schroeder B T II § 69 II 3 ; Schönke-Schröder-Eser § 113 R d n . 19 ff, jeweils m i t N a c h w e i s e n .

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. AbSChü

oder des Staats angeht — nicht erst gerechtfertigt, sondern trifft kein S c h u t z o b j e k t 1 3 8 . § 1 1 3 Abs. 4 Satz 1 StGB regelt den Fall von Fahrlässigkeit. Absatz 4 Satz 2 der Vorschrift bringt einen weiteren Tatbestand, und z w a r als V e r bot abstrakter G e f ä h r d u n g : Selbst gegen eine vermeintlich rechtswidrige A m t s h a n d lung soll nur angemessen, d. h. mit Rechtsmitteln vorgegangen w e r d e n , solange dies ohne Preisgabe erheblicher Interessen möglich ist, wobei die Erheblichkeit relativ z u r (angenommenen) Drastik der Rechtswidrigkeit der Amtshandlung steht (das Gesetz bezeichnet dies schlecht als Zumutbarkeit). Bei der Verwirklichung dieses T a t b e s t a n d s eines abstrakten Gefährdungsdelikts ist die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung eine unrechtsunabhängige sogenannte objektive Strafbarkeitsbedingung, genauer, eine n u r objektive Unrechtsbedingung (siehe unten 10/1 ff, 2). — Entsprechendes gilt f ü r § 136 StGB. — Zu den Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einer Amtshandlung siehe unten bei den Rechtfertigungsgründen 16/2 ff. cc) Im Ergebnis ist also die Tatbestandsverwirklichung die einzige positive U n - 6 6 rechtsvoraussetzung.

III. Das Verhältnis von Tatbestand und Handlung Literatur Siehe zu II

A. Die Handlung als gemeinsamer Mindestinhalt der Tatbestände 1. Auch Tatbestand und H a n d l u n g sind nicht verschiedene Deliktsstufen. Die 6 7 H a n d l u n g ist ein relativer Begriff, d. h. es gibt keine H a n d l u n g - a n - S i c h , sondern n u r jeweils durch die vermeidbaren Außenwirkungen des Subjekts bestimmte H a n d l u n g e n (oben 6 / 2 7 , 34). Diese W i r k u n g e n sind als nicht tatbestandsmäßige W i r k u n g e n rechtlich unerheblich (Spazierengehen ist nicht, weil es H a n d l u n g ist, strafrechtlich relevant), als tatbestandsmäßige W i r k u n g e n aber sind sie selbst Tatbestandsverwirklichungen. Diese Identität von H a n d l u n g und Tatbestandsverwirklichung schließt es aus, beide als getrennte Deliktsstufen zu behandeln. T r o t z d e m wäre es verfehlt, den Handlungsbegriff in demjenigen des T a t b e s t a n d s aufgehen zu lassen, was verbreitet mit der — in sich z u t r e f f e n d e n — B e g r ü n d u n g vorgeschlagen wird, strafrechtlich relevant sei (frühestens) die Tatbestandsverwirklichung. D e n n der Begriff des Tatbestands steht überhaupt nicht vor demjenigen der H a n d l u n g fest; das Problem, was eine H a n d l u n g ist, kann durch seine E i n o r d n u n g als T a t b e standsproblem also nicht erledigt werden. Auch w e n n man nicht den Anspruch einiger Finalisten erhebt, die „finale Struktur menschlichen H a n d e l n s " den „strafrechtlichen N o r m e n " als „schlechthin konstitutiv" vorzusetzen 1 3 9 , bleibt zu lösen, was H a n d l u n g ist. Die Lösung hat dann freilich nicht ohne, sondern mit Blick auf die bestehenden N o r m e n zu erfolgen (ζ. B. ist die Beschränkung der Handlungssubjekte auf natürliche Personen kein vortatbestandliches Spezifikum des Handlungsbegriffs, siehe oben 6/22). Bei diesem Verständnis ist die Handlung beim Begehungsdelikt der größte gemeinsame Nenner restlos aller Tatbestände. Die H a n d l u n g w u r d e oben ( 6 / 2 0 f) als Begriff davon bezeichnet, was als ein Subjekt zu definieren ist, das sich enttäuschend verhalten kann und was als von diesem Subjekt gestaltete Welt. Alle T a t b e s t ä n d e beschreiben Hi Hirsch Z S t W 84 S. 380 ff, 390 f f ; LK?-Hirsch Rdn. 17 vor § 51.

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Welzel Strafrecht § 8 II vor 1; neuestens n a c h drücklich f ü r einen dem Recht vorgegebenen Handlungsbegriff Hirsch Z S t W 93 S. 831 ff, 863 und passim, 94 S. 239 ff.

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6. Abschn

2. B u c h . 1. K a p i t e l . T a t b e s t a n d s v e r w i r k l i c h u n g d u r c h H a n d l u n g

enttäuschende Weltgestaltungen von Subjekten; die Bedingungen der Handlung sind die Mindestbedingungen der Tatbestände. 68

2. Die Merkmale der Handlung sind also Merkmale des Tatbestands. Aus dem oben entwickelten Handlungsbegriff als individuell vermeidbare Erfolgsverursachung folgt für den Tatbestand, daß dieser — wie die Handlung — nicht etwa Nur-Objektives (etwa nur erfolgbringende Körperaktivität) oder etwas Nur-Subjektives (etwa nur Vorsatz) ist, sondern eine Gestalt aus objektiven und subjektiven Momenten: die (subjektiv) Vermeidbarkeit von (objektiv) einem Erfolg im weiteren Sinn, der mindestens eine Körperaktivität ist, aber auch eine solche nebst Folgen sein kann. Demgemäß werden ein objektiver und ein subjektiver Tatbestand unterschieden, wobei als objektiv die Deliktsaußenseite von der Körperaktivität an verstanden wird, als subjektiv die psychische (innere) Verfassung der jeweils Beteiligten. Was objektiv ist, hängt also vom einzelnen Beteiligten ab; ζ. B. ist der Vorsatz des Angestifteten für diesen subjektiv, für den Anstifter aber objektiv. Diese Trennung von objektivem und subjektivem Tatbestand bedeutet keine Beziehungslosigkeit der Teile: Der subjektive Tatbestand ist die Bedingung des objektiven. Wenn trotzdem nachfolgend zum vollendeten Delikt der objektive Tatbestand dem subjektiven vorangestellt wird, so erfolgt diese Abkehr von der Reihenfolge bei der Deliktsgenese hauptsächlich der besseren Darstellbarkeit wegen; denn da der subjektive Tatbestand die Vermeidbarkeit der Verwirklichung des objektiven ist, müßte bei vorgezogener Darstellung des subjektiven Tatbestands der gesamte objektive Tatbestand implizit abgehandelt werden. Eine gewisse sachliche Berechtigung mag der Beginn mit dem objektiven Tatbestand auch darin finden, daß die individuelle Deliktsgenese für das Delikt als soziale Erscheinung etwas ist, das nur im Rückschluß erkannt wird: Als soziale Erscheinung wird das Delikt erst mit seiner Objektivation erfahrbar. — Die gesonderte Darstellung von objektivem und subjektivem Tatbestand darf auch nicht zu der Annahme verleiten, jeder der Teile sei für sich qualitativ Unrecht; vielmehr ist eine nur-objektive Tatbestandsverwirklichung — etwa eine unvermeidbare Tötung — Unglück, aber kein Unrecht, und ein Deliktsvorsatz ohne Außenseite ist nicht einmal ein Tatversuch.

B. Die Zugehörigkeit des tatbestandlichen Erfolgs zur Handlung und zum Unrecht 1. Das Problem 69

Daß zum Unrecht eine Außenseite gehört, ist des Tatprinzips wegen unstreitig; streitig ist freilich, ob diese Außenseite potentiell mehr umschließt als den Handlungsvollzug, seil, auch vermeidbare Vollzugsfolgen. So wie der Handlungsbegriff hier unter dem Aspekt einer Regelung von Erwartungszusammenhängen und damit zweckorientiert gebildet wurde, so läßt sich auch die Frage, ob zur Unrechten Handlung nur der Handlungsvollzug, oder aber bei Erfolgsdelikten auch ein darüber hinausgehender Handlungserfolg (einschließlich einer konkreten Gefährdung) gehört, nicht a priori entscheiden 140 . Der Streit um die Zugehörigkeit des Erfolgs zum Unrecht hat nur Sinn, wenn er als Streit darum geführt wird, ob ein Unrechtsbegriff mit zugehörigem Erfolg oder ein solcher ohne zugehörigen Erfolg besser zur Systematisierung eines Strafrechts taugt, dem es um Stabilisierung von Erwartungen geht; — entsprechendes 140

Zu den möglichen Verwendungen des Begriffs Unrecht siehe auch Schmidhäuser A T 8/82; abweichend noch ders. A T 1 8/89.

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Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. AbSChfl

gilt für den Zusammenhang von Erfolg und Handlung. Hierbei hilft insbesondere auch kein Rückschluß von der Schuld auf das Unrecht weiter; daß der Abhängigkeit einer strafrechtlichen Haftung vom Erfolgseintritt das Schuldprinzip entgegensteht 1 4 1 , läßt sich nicht ausmachen, da die Schuld ebensowenig systemunabhängig definierbar ist wie das Unrecht (hierzu unten 17/18 ff). 2. Kein Unrecht ohne tatbestandsmäßigen Erfolg? a aa) Man kann den Unrechtsbegriff für ein objektives Geschehen, etwa für eine 7 0 Rechtsgutsverletzung, reservieren und dann beim Versuch konsequent nicht wegen eines Versuchsunrechts strafen, das es dann nicht gibt, sondern wegen des Versuchs, ein (real nicht vorhandenes!) Unrecht zu verwirklichen 142 . Der Unrechtsbegriff wird dann unter einem anderen Aspekt gebildet als der Handlungsbegriff. bb) Die gleiche Konsequenz für den Versuch ergibt sich bei einer Betrachtung, die beim Zweck der Norm ansetzt, Verletzungen oder Gefährdungen an Rechtsgütern, Angriffsobjekten etc. zu verhüten, und zwar durch Beeinflussung der menschlichen Motivation dahin, die negativ beurteilten Folgen nach Kräften zu vermeiden 1 4 3 . Objektive und subjektive Seite bestimmen dann zusammen, und zwar jeweils notwendig und jeweils nicht hinreichend das Unrecht. Wenn der Erfolg ausbleibt, also beim Versuch, gibt es nichts zu vermeiden und das Unrecht des Versuchs ist wiederum kein reales, sondern nur vorgestelltes Unrecht 1 4 4 . b) Beide Lösungen sind konsequent durchführbar, haben aber keinen Begriff für die 71 Störung, die beim Versuch nicht nur im Täterbewußtsein vorgesetzt, sondern wegen der Sichtbarkeit des Normangriffs schon perfekt ist, eben für das Versuchsunrecht. Solange deutlich bleibt, daß Unrecht als zwingende Basis einer Strafe in diesem System nicht gefordert wird, sondern vorgestelltes Unrecht hinreicht 145 , bleibt diese Art der Begriffsverwendung schadlos. Da die Begriffsbildung freilich vom (polizeilichen) Aspekt der Erfolgsvermeidung ausgeht statt vom strafrechtlichen Aspekt der Abarbeitung einer Normverletzung, kann sie strafrechtliche Gegenstände nicht adäquat erfassen. 3. Unrecht stets ohne tatbestandsmäßigen Erfolg? a) Im gegenteiligen Extrem werden Unrecht und Handlung um den Erfolg gekappt. 7 2 Unrecht soll am HandlungsVollzug kleben und mit dem beendeten Versuch komplett sein 146 . Auch das ist konsequent durchführbar, wenn Unrecht und Strafe offen voneinander abgekoppelt werden, wenn also zum einen in Kauf genommen wird, daß ein identisches Unrecht teils strafbar ist, teils nicht, seil, stets strafbar bei Vollendung, nicht aber stets strafbar beim beendeten Versuch (§ 23 Abs. 1, 2. Fallgruppe StGB), zum anderen, daß die Milderungsmöglichkeit beim Versuch (§ 23 Abs. 2 StGB) nichts mit dem Unrecht des Versuchs, jedenfalls des beendeten Versuchs zu tun hat. Mit anderen Worten, die Position zeigt konsequent den maximalen Anteil eines Subjekts an einem enttäuschenden Verhalten, zeigt aber nicht, daß etwa nur dieser maximale Anteil eine Hl S o KraußZStW 76 S. 19 ff, 62, bei a l l e r d i n g s vermittelnder L ö s u n g .

143

A u s f ü h r l i c h Jakobs sen.

142

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Jakobs a a O S. 120 ff. Jakobs a a O S. 125. Armin Kaufmann Z S t W 80 S. 34 ff, 50 f ; ders. W e l z e l - F e s t s c h r i f t S. 393 ff, 4 0 3 ; a u c h s c h o n ders. N o r m e n t h e o r i e S. 7 2 ; Zielinski Handlungs- und E r f o l g s u n w e r t S. 127 ff u n d p a s s i m .

A u s n e u e r e r Zeit Nowakowski Österreichisches S t r a f r e c h t S. 42 f mit weiteren N a c h w e i s e n ; ders. Z S t W 63 S. 2 8 7 ff, 299 ff, 3 1 3 ; Nowakowski h a t diese L e h r e p r e i s g e g e b e n ; J u r B l . 1972 S. 19 ff, 22 f.

145 146

S t u d i e n S. 1 ff mit N a c h w e i -

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6. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

geeignete Basis zur Entwicklung der Rechtsfolge ist 147 . Gegenteiliges wird allerdings behauptet: Allein das Handlungsunrecht im geschilderten Verständnis soll Basis der Strafe sein 148 , da der Verlauf nach beendetem Versuch nicht mehr in der Hand des Täters liege und insoweit Zufall und für Strafe irrelevant sei. Als Konsequenz wird der Ausschluß einer Strafmilderung für den beendeten Versuch vorgeschlagen. Kraß: „Wieso, wenn das Opfer lange nach der Tat dem Plan des Täters gemäß . . . stirbt, sich Handlungsunrecht und Tatschuld erhöhen könnten, ist nicht erfindlich" 149 . 73

b) Bei dieser Position wird die Unrechtsrelevanz des Erfolgs mit derjenigen des Erfolgseintritts vertauscht. Die erfolgreiche Handlung ist schon vor dem Erfolgseintritt gelungene Objektivation eines Vorsatzes, die erfolglose nicht, mag auch in zahlreichen Fällen das Gelingen vor dem Erfolgseintritt nicht zu ermitteln sein. — Ferner gilt: Wie es bei allen Tätern, die einen durchhaltbaren Vorsatz haben (und ansonsten steht eine Bestrafung des Versuchs nicht zur Diskussion), Zufall ist, ob der Schritt von der (meist straflosen) Vorbereitung zum (seltener straflosen) Versuchsbeginn oder vom Versuchsbeginn zur Versuchsbeendigung gelingt, so kann es auch als Zufall bezeichnet werden, ob die Versuchshandlung so ausfällt, daß sie einen Erfolg bringt oder nicht. Für ein Unrecht als Basis von Strafe wäre dies alles aber nur irrelevant, wenn gerade die im Erfolg sich erweisende Tauglichkeit für die Strafe irrelevant wäre; daß dies nicht der Fall ist, entspricht geltendem Recht und zeigt sich in der weiten Straffreiheit des Versuchs bei Vergehen und der prinzipiellen Straffreiheit des Versuchs bei Fahrlässigkeitstaten, in der Milderungsmöglichkeit beim Versuch 150 und in der noch weitergehenden Reduzierung der Strafbarkeit beim grob unverständigen Versuch. Diese gesetzlichen Regelungen sind auch nicht etwa verfehlt: Es geht nicht um die individuelle, sondern um die soziale Bedeutung von Verhalten 151 , und die soziale Bedeutung ist nicht am Kopf des Täters ablesbar, sondern muß aus der Tat in den Kopf des Täters zurückgeschlossen werden: Nur für den Täter beginnt die Tat mit dem Vorsatz; für die anderen Menschen beginnt sie mit ihrer Objektivation 152 . Wenn nun die Tatbestände richtig gebildet sind, d. h. wenn die Vollendung auf eine Gutsverletzung, zumindest aber auf ein für den Normbruch signifikantes Ereignis festgelegt ist, so hat zwingend die vollendete Tat mehr Signifikanz. Weshalb gerade dieser Umstand unrechtsirrelevant sein soll, solange das Unrecht überhaupt eine äußere Seite hat, ist bislang nicht begründet worden. Die oft behauptete Schuldgleichheit des Vollendungstäters mit demjenigen eines zufällig scheiternden beendeten Versuchs 153 besteht nicht, da bei letzterem mangels vollendeten Unrechts die Frage nach der vollen Schuld nicht auftaucht, jedenfalls wiederum solange man am Tatprinzip festhält154. 147

S o i n s b e s o n d e r e kritisch Stratenwerth Schaffs t e i n - F e s t s c h r i f t S. 177 ff, 185. 148 Armin Kaufmann w i e o b e n Fn. 1 4 6 ; Zielinski a a O S. 136 ff, 1 4 4 ; Horn Konkrete Gefährdungsdelikte S. 82. 149 Armin Kaufmann wie o b e n Fn. 146. 150 G e g e n die u n r e c h t s u n a b h ä n g i g e E r k l ä r u n g dieser D i f f e r e n z e n bei Zielinski a a O S. 205 ff ( d a s S t r a f b e d ü r f n i s soll d i f f e r i e r e n ) u n d Horn a a O S. 100 ff (die E i n d r u c k s k r a f t des E r f o l g s soll spezialpräventive Konsequenzen haben) zutreffend Stratenwerth Schaffstein-Festschrift S. 177 ff, 187; siehe f e r n e r Schönehorn G A 1981 S. 70 ff, 7 5 ; Mylonopoulos V e r h ä l t n i s S. 59 ff. 151 Callas B o c k e l m a n n - F e s t s c h r i f t S. 153 ff, 164 f. '52 S o f ü r das F a h r l ä s s i g k e i t s d e l i k t s c h o n t r e f f e n d Engisch U n t e r s u c h u n g e n S. 342.

140

153

154

Armin Kaufmann W e l z e l - F e s t s c h r i f t S. 393 ff, 4 0 3 ; siehe d a s o b i g e Z i t a t z u Fn. 149; siehe a u c h Krauß wie o b e n Fn. 141. L i t e r a t u r außer den schon Genannten: im E r g e b n i s h a u p t s ä c h l i c h wie hier Stratenwerth S c h w Z S t r . 79 (1963) S. 2 3 3 f f ; Krümpelmann Bagatelldelikte S. 62 f f ; Hirsch Z S t W 9 3 S. 831 ff, 94 S. 239 ff, 240 ff, 2 4 8 ; Lampe Das personale Unrecht S. 210 f f ; Rudolphi M a u r a c h - F e s t s c h r i f t S. 51 ff, 58 f f ; Wolter O b j e k t i v e u n d p e r s o n a l e Z u r e c h n u n g S. 109 ff, 113 f f ; Ehert u n d Kühl J u r a 1981 S. 225 ff, 234 f ; Paeffgen V e r r a t S. 103 ff, 110 f f ; siehe a u c h Jahr B e d e u t u n g S. 36 f u n d p a s s i m ; — SeSen die hier e i n g e n o m m e n e P o s i t i o n SuarezMonies W e l z e l - F e s t s c h r i f t S. 379 f f ; Schaffstein Welzel-Festschrift S. 557 ff, 5 6 1 ; Lüderssen Z S t W 85 S. 288 ff, 2 9 2 ; den. Bockelmann-Fest-

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. A b S C h n

c) Eine weitere Position, nach der die Norm des Gesetzes sich nur an den schuldfä- 7 4 higen Täter wenden soll, so daß Unrecht und Schuld zu einem Begriff verschmelzen, ist in ihrer normlogischen Durchführbarkeit ungeklärt und heute nur noch von historischem Interesse 155 . 4. Ergebnis a) Im Ergebnis zwingt nichts zur Bildung erfolgsgelöster Handlungs- und U n - 7 5 rechtsbegriffe, die dann als Basis der Strafe unmaßgeblich sein müßten. Aber auch Begriffe, in denen der Erfolg Handlung und Unrecht unverzichtbar mit bedingt, sind wegen der Strafbarkeit des Versuchs nicht angebracht (zu den nur-objektiven Bedingungen siehe unten 10/1 ff). Also bietet es sich an, den Erfolg als Handlungs- und U n rechtsbestandteil zu definieren, ohne daß jedoch dieser Bestandteil notwendig oder hinreichend wäre, so wie — beispielhaft gesprochen — Rosinen Bestandteil eines Kuchens sein können, ohne daß jeder Kuchen Rosinen enthalten müßte. Anders formuliert: Der Erfolg ergänzt die Versuchshandlung zur Vollendungshandlung und das Versuchsunrecht zum Vollendungsunrecht. b) Teils wird in dem beschriebenen Zusammenhang mit einer Unterscheidung der 7 6 Begriffe Handlungs- und Erfolgsunwert operiert. Soweit der Handlungsunwert dabei als Intentionsunwert 1 5 6 und der Erfolgsunwert als Sachverhaltsunwert verstanden wird 1 5 7 , geht es allein um die Trennung der subjektiven von der objektiven Seite des Unrechts. Eine genauere Analyse kommt mit dieser Differenzierung nicht aus. Vielmehr tritt neben den Sachverhaltsunwert der Verlaufsunwert als Unwert eines erfolgbringenden Handlungsvollzugs, und neben den Intentionsunwert tritt derjenige der Objektivierung dieser Intention 1 5 8 . Beispiel: Wer eine fremde Fensterscheibe einwerfen will und vermeidbar statt der Scheibe einen Menschen schmerzhaft trifft, verwirklicht den Verlaufs- und den Sachverhaltsunwert der Körperverletzung wie den Objektivierungsunwert und den „Intentions"-Unwert einer vorsätzlichen Sachbeschädigung und einer fahrlässigen Körperverletzung. — Diese Trennung von Unwerten gilt nur der Klärung des möglichen Aufbaus von Unrecht; so wenig ein objektiver Tatbestand f ü r sich Unrecht ist, so wenig ist es allein ein Erfolgsunwert oder ein Verlaufsunwert: Mindestbedingungen für Unrecht sind stets die Mindestbedingungen der Handlung. Demnach erfordert Unrecht mindestens Intentions- und Objektivierungsunwert; Handlung ist eben das vermeidbare („Intention") Bewirken mindestens einer Körperbewegung (Objektivierung).

schrift S. 181 ff, mit beachtlichen Ausführungen zur Bedeutung des Erfolgs f ü r Selektion und Verfahren; diese Ausführungen gelten bei einer Inkorporierung des Erfolgs in das Unrecht gleichermaßen. Das kommt aber nicht in Lüdemens Perspektive, weil er wie selbstverständlich bei einem ontologisierenden Normbegriff ansetzt (S. 182 f) und damit den W e g zu einer funktionalen Betrachtung von vornherein versperrt; dagegen eingehend Schöneborn G A 1981, S. 70 ff, 78 ff. — Zum sozialwissenschaftlichen Impetus bei Lüderssen siehe Sack in: Vom Nutzen und Nachteil Bd. I S. 35 ff; - ausführliche N a c h weise bei Zielinski wie in Fn. 146. 155

Zur Kontroverse um die Position von Binding siehe Nagler Binding-Festschrift Bd. II S. 273 ff;

Armin Kaufmann N o r m e n t h e o r i e S. 145 ff; — zu Hold von Ferneck Die Rechtswidrigkeit Bd. I siehe Armin Kaufmann N o r m e n t h e o r i e S. 109 f und passim; siehe auch Jakobs Studien S. 9 f f ; — zu A. Merkel Kriminalistische Abhandlungen Bd. I S. 44 (klassisch: „Als rechtsverletzend i s t . . . eine Wirksamkeit stets nur insofern und insoweit zu charakterisieren, als sie eine Z u r e c h e n b a r e ist") siehe jetzt Dornseifer Rechtstheorie und Strafrechtsdogmatik Adolf Merkels S. 82 ff. 156 D e r Begriff ist auf das absichtlich begangene Delikt hin formuliert; f ü r V o r s a t z und Fahrlässigkeit insgesamt geht es um den Vermeidbarkeitsunwert. 157 Rudolphi Maurach-Festschrift S. 51 ff. 158 Siehe Gallas Bockelmann-Festschrift S. 155 ff.

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6. AbSChn

2 . B u c h . 1. K a p i t e l . T a t b e s t a n d s v e r w i r k l i c h u n g d u r c h H a n d l u n g

IV. Die Gestalten der Tatbestände Literatur S i e h e z u II

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A. Einige Tatbestandsgestalten sind von so durchgehender Bedeutung, daß sie zumindest teilweise im A T geregelt sind; ihre Behandlung erfolgt hier in jeweils eigenen Abschnitten. Es handelt sich um die Unterscheidung von Begehungsdelikten und Unterlassungsdelikten, die schon eine Unterscheidung nach den Tatbeständen ist (§13 StGB) (unten 28/1 ff), um die Unterscheidung von Vollendung, Versuch (einschließlich der Unternehmung) und Vorbereitung (§§ 22 ff, 11 Abs. 1 Nr. 6, 30 f StGB) (unten 25/1 ff), um die Unterscheidung von Tätertatbeständen und Teilnehmertatbeständen (§§ 25 ff StGB) (unten 21/1 ff; 22/1 ff) und um die Unterscheidung von Vorsatztatbeständen und Fahrlässigkeitstatbeständen (§ 15 StGB) (unten 8/1 ff; 9 / 1 ff) mit der Mischform der Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination (siehe § 18 StGB) (unten 9/28 ff)· Über diese ausdrücklich geregelten Tatbestandsgestalten hinaus weisen zahlreiche Tatbestände des B T ohne Blick auf die jeweils geschützten Güter Gemeinsamkeiten der Gestalt auf, die Klassifizierungen zulassen 159 . Auf diese Klassifizierungen ist hier hinzuweisen, insbesondere soweit die Anwendbarkeit allgemeiner Regeln von der Gestalt abhängt.

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Β 1 a) Jedes Delikt muß des Tatprinzips wegen einen Erfolg außerhalb der Täterpsyche aufweisen, also zumindest eine Körperaktion 1 6 0 . Bei Erfolgsdelikten muß darüber hinaus ein vom Handlungsvollzug bedingter hrlolg eintreten. Nur bei diesen Erfolgsdelikten stellt sich das strafrechtliche Kausalproblem. Der Erfolg im engeren Sinn der Erfolgsdelikte wird vom Gesetz überwiegend als perfekte Veränderung an einem Einwirkungsobjekt bezeichnet, etwa als Tod bei den Tötungsdelikten, als Wegnahme beim Diebstahl etc.; dabei geht es nur bei den Verletzungsdelikten, nicht aber notwendig bei allen Delikten, um die Schädigung eines Angriffsobjekts, so ζ. B. nicht bei der Herstellung einer Urkunde in der 1. Fallgruppe von § 267 StGB (die hergestellte Urkunde ist Erfolg, aber kein verletztes Objekt). Neben die perfekte Veränderung als Erfolg tritt die konkrete Gefährdung eines Angriffsobjekts, etwa von Leib oder Leben eines anderen oder von fremden Sachen von bedeutendem Wert bei den §§ 315, 315 a ff StGB.

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b) Die konkrete Gefahr ist ein Erfolg, weil sie mehr ist als der Vollzug einer Handlung bei bestimmter subjektiver Lage, nämlich die Herstellung einer Gefahrenlage für ein bestimmtes, wirklich gegebenes Angriffsobjekt 161 . Einzelheiten zum Begriff sind streitig, wobei Schwierigkeiten bei der Berücksichtigung derjenigen Tatumstände auftreten, die sich aus der Täterperspektive (subjektiv ex ante) anders darstellen als nach allgemeinem Urteil (objektiv ex ante) oder gar nach dem Tatvollzug (ex post); es geht also u. a. darum, ob und wann aus dem Ausbleiben einer Verletzung auf das Fehlen einer Gefahr beim Handlungsvollzug und wann aus dem Eintritt einer Verletzung auf das Vorliegen einer Gefahr beim Handlungsvollzug geschlossen werden darf. Frühere Lösungsversuche verschieben das Problem in den Begriff der Wahrscheinlichkeit; es soll unter Verzicht „auf genaue wissenschaftliche Umschreibung" um dasjenige gehen, was „nach allgemeiner Lebenserfahrung im Einzelfall" nicht unwahrscheinlich ist 1 6 2 oder um das nach der Entscheidung des „bestmöglichen Beurteilers" nicht Unwahr159

Meist Tatbestandstypen genannt, E. Wolf Typen S. 12 ff; Jescheck A T § 26 II. - Die Zuordnung der Klassifikationsprobleme zum A T ist nicht eindeutig. Der Text folgt Fincke Verhältnis S. 27 (allgemein, formell, Gestalt — besonders, materiell, Inhalt).

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Maurach-Zipf A T § 20 III 2 ; Baumann A T § 16 III la. Horn Konkrete Gefährdungsdelikte S. 161 ff mit weiteren Nachweisen. B G H 18 S. 271 ff, 272 mit Nachweisen der vorgehenden Rechtsprechung.

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. AbSChn

scheinliche' 6 3 . N a c h neueren E n t w ü r f e n soll diese U n s c h ä r f e beseitigt w e r d e n , indem auf die Erklärbarkeit der Verlaufsnotwendigkeit (ex post!) durch „einschlägige Fachkreise" abgestellt 1 6 4 , o d e r — wohl erfolgversprechender — eine normative Lösung versucht wird: Es soll beim Ausbleiben des Erfolgs darauf a n k o m m e n , ob auf die hindernden Momente zu „vertrauen" w a r 1 6 5 und ob diese „normal" v e r f ü g b a r w a r e n 1 6 6 . — Einzelheiten sind ungeklärt 1 6 7 . Soweit der T ä t e r beim konkreten Gefährdungsdelikt das Gefahrurteil nachvollzieht, hat er Gefährdungsvorsatz und zugleich dolus eventualis der V e r l e t z u n g , wenn die Gefahr von entscheidungsrelevanter Dichte ist. Ein G e f ä h r d u n g s v o r s a t z o h n e V e r letzungsvorsatz ist nur möglich, wenn der T ä t e r das objektive Gefahrenurteil kennt, ohne daß es f ü r ihn einsichtig ist, o d e r w e n n die G e f a h r von nicht entscheidungsrelevanter Dichte ist 1 6 8 . c) Die Erfolgsdelikte werden meist in die U n t e r g r u p p e n der Zuständsdelikte und der 8 0 Dauerdelikte unterteilt. Beim Zustandsdelikt soll mit der H e r b e i f ü h r u n g eines Zustands die T a t abgeschlossen (vollendet und beendet) sein (Beispiel ist § 303 StGB); bei D a u erdelikten soll der Zustand vom T ä t e r nach seiner ersten H e r b e i f ü h r u n g (also nach der Vollendung) aufrechterhalten werden (Beispiel ist § 316 StGB). Eine D i f f e r e n z i e r u n g in der angedeuteten Richtung ist f ü r den Zeitpunkt der Teilnahme (unten 2 1 / 6 0 ; 2 2 / 3 8 ff), f ü r die Sicherungs- und Rettungspflichten bei den Unterlassungsdelikten (unten 2 9 / 8 ) , f ü r Fragen der K o n k u r r e n z (unten 32/27), der V e r j ä h r u n g (§ 78 a StGB), der S t r a f a n w e n d u n g (§ 9 StGB) u. a. m. bedeutsam, aber mit der bezeichneten G e g e n überstellung allein nicht zu leisten und auch nicht mit einer f ü r alle Problemkreise gleichermaßen gültigen Lösung 1 6 9 . Fallgruppen: aa) Bei einigen Delikten, den Dauerdelikten im engeren Sinn, wird das U n r e c h t mit 81 dem Maß des Eingriffs in ein G u t durch weiteres H a n d e l n o d e r Unterlassen des T ä t e r s intensiviert. Das deliktische Verhalten verlängert sich dann um das folgende Verhalten, an dem Teilnahme möglich ist, das die V e r j ä h r u n g hindert etc. Beispiele sind die Freiheitsberaubung, falls der T ä t e r die Beraubung während ihrer D a u e r durch sein Verhalten aufrecht erhält, also das O p f e r handelnd festhält o d e r unterlassend nicht befreit, ferner die f o r t d a u e r n d e N ö t i g u n g oder die f o r t d a u e r n d e T r u n k e n h e i t s f a h r t nach § 315 c Abs. 1 N r . 1 Buchstabe a StGB 1 ™ o d e r § 316 S t G B 1 7 1 . bb) Bei einigen der genannten T a t b e s t ä n d e kann die Fallgestaltung eintreten, daß 8 2 sich das M a ß des Eingriffs noch nicht verwirklicht, obgleich der T ä t e r bereits seinen Einfluß über das Geschehen verloren hat. D a n n ist das deliktische Verhalten abgeschlossen, aber der Erfolgseintritt ist noch nicht perfekt, obgleich ein zur Vollendung genügender Erfolg bereits vorliegt. Beispiele: D e r T ä t e r wirft das O p f e r in einen Schacht, w o er es allein oder mit f r e m d e r Hilfe nicht mehr h e r a u s b e k o m m t ; das freiI « Schröder 164

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Z S t W 81 S. 7 ff, 8 f.

Horn K o n k r e t e G e f ä h r d u n g s d e l i k t e S. 192; z u r G e f a h r bei E r f o l g s e i n t r i t t siehe a a O S. 52 ff. Scbünemann J A 1975 S. 787 ff, 796. Demutb G e f a h r b e g r i f f S. 218. Siehe a u ß e r den s c h o n G e n a n n t e n Lackner D a s k o n k r e t e G e f ä h r d u n g s d e l i k t S. 16 f f ; v. Hippel G e f a h r e n u r t e i l e u n d P r o g n o s e e n t s c h e i d u n g e n in d e r S t r a f r e c h t s p r a x i s S. 83 f f ; Gallas H e i n i t z F e s t s c h r i f t S. 171 f f ; Schmidhäuser A T 8 / 3 3 ; SKHorn R d n . 4 ff v o r § 3 0 6 ; Ostendorf J u S 1982 S. 426 f f ; Maurach-Schroeder B T II § 5 1 I I I ; Scbroeder Beiheft Z S t W 1982 S. 1 ff, 11 f f ; Wolter

J u S 1978 S. 748 f f ; den. 168

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Objektive und personale

Z u r e c h n u n g S. 197 ff mit w e i t e r e n N a c h w e i s e n . S e h r streitig; in d e r H a u p t s a c h e w i e hier Horn K o n k r e t e G e f ä h r d u n g s d e l i k t e S. 204 f f , 210 mit N a c h w e i s e n ; — z u m d o l u s e v e n t u a l i s siehe u n t e n 8 / 2 1 ff. Z u m f o l g e n d e n T e x t siehe Hruschka G A 1968 S. 193 f f ; Lfp-Heimann-Trosien Einleitung R d n . 70 f. B G H 22 S. 67 f f , 7 1 ; siehe a b e r u n t e n z u r K o n k u r r e n z 3 2 / F n . 42. B G H V R S 48 S. 354 f f , 3 5 5 ; 4 9 S. 177 f f ; 4 9 S. 185 u. a. m .

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6. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

heitsberaubende Verhalten ist mangels noch bestehender Einflußmöglichkeit vollzogen, der Freiheitsberaubungserfolg hat aber, solange das O p f e r eingeschlossen ist, noch nicht sein volles Maß erreicht. — Der Täter verletzt das Opfer, das nunmehr unbeeinflußbar dauernde Schmerzen leidet. — In solchen Fällen kann von Dauerdelikten im weiteren Sinn gesprochen werden; strafrechtliche Institutionen, die ein Täter verhalten voraussetzen (Teilnahme), sind nicht mehr anwendbar, wohl aber solche, die auf den Zeitpunkt eines Erfolgseintritts abstellen (trotz Vollendung kein Beginn der Verjährungsfrist). 83

cc) Die Abgrenzung der Delikte, bei denen sich potentiell in der Zeit das Unrecht summieren kann, von denjenigen mit sogleich perfektem Erfolg (Zuständsdelikte) ist schwierig und geht quer durch einzelne Tatbestände. Der Gesetzgeber hat in den einzelnen Tatbeständen überwiegend nicht das Gut benannt, dem der strafrechtliche Schutz gilt, sondern ein Objekt oder abgeleitetes Gut, in dem sich das Hauptgut verdinglicht. So besteht der gesamte Eigentumsschutz nicht wegen der eigentumsfähigen Sachen, sondern wegen der Beziehung des Eigentümers zu seinen Sachen, also wegen der Freiheit des Eigentümers. Wird bei solcher Lage das abgeleitete Gut perfekt verändert (eine Sache zerstört oder gestohlen), so ist das nicht notwendig eine perfekte Veränderung des Hauptguts, dessen Schutz intendiert wird (die Sache fehlt tagtäglich fortlaufend und zwingt immer erneut zu freiheitsbeschränkenden Dispositionen). Da der Tatbestand jedoch allein auf den Bestand des abgeleiteten Guts abstellt, sind die Summierungen der Verluste, die mit der Zeit beim Hauptgut anlaufen, keine tatbestandlichen Erfolge; der Erfolg ist mit der Veränderung am abgeleiteten Gut perfekt. Beispiel: In § 223 StGB werden die Funktionen der Körperlichkeit für den Menschen geschützt. Der tatbestandsmäßige Erfolg ist mit dem körperlichen Prozeß perfekt, der zum Verlust einer Funktion führt (der Arm ist gelähmt), auch wenn das Opfer die Auswirkungen des Verlusts (die Bewegungseinschränkungen) zukünftig tagtäglich neu erfährt und darunter seelisch leidet. Die Wiederholung der Leiden vermehrt nicht per se, sondern nur bei weiterer körperlicher Fundierung (etwa bei Schmerzen) den tatbestandsmäßigen Körperverletzungserfolg (nur dann Dauerdelikt). Insbesondere ist der Erfolg der §§ 224 f StGB mit dem Eintritt der Schädigung von unabsehbarer Dauer schon vor Ablauf eines längeren Zeitraums perfekt, wenn nicht, wie es allerdings bei einzelnen Fallgruppen der Vorschriften regelmäßig der Fall sein dürfte, weitere funktionsstörende körperliche Prozesse ablaufen. — Soweit trotz perfekten tatbestandlichen Erfolgs eine Reversion der Lage möglich ist (die zerstörte Sache kann repariert werden, der gelähmte Arm reaktiviert), führt — anders als beim Dauerdelikt — die Hinderung der Reversion keinen tatbestandsmäßigen Erfolg herbei und die pflichtwidrige Unterlassung der Reversion ist kein Unterlassungsdelikt. — Einzelheiten gehören zur Interpretation der Tatbestände des BT.

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d) Die Tatbestände aller Erfolgsdelikte können sich entweder mit der Beschreibung von Täter und Erfolg begnügen („wer . . . verletzt"; §§ 212, 222, 223 Abs. 1, 2. Fallgruppe, 230, 303 StGB) oder aber eine Verhaltensbindung hinzufügen, also Art und Weise der Erfolgserreichung auf einzelne der praktisch möglichen Varianten beschränken. So gibt es ζ. B. keinen Tatbestand, der überhaupt die Entziehung von Eigentum oder Vermögen erfaßt, sondern stets findet sich eine Verhaltenshindung (Wegnahme, Täuschung, Gewalt oder Drohung etc.). Die Verhaltensbindung ist bei der Übertragung von Begehungsdelikten in unechte Unterlassungsdelikte entsprechend zu übertragen, § 13 StGB (unten 29/78 ff).

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2. Bei den Tätigkeitsdelikten beschreibt der Tatbestand nur einen Handlungsvollzug; ein vom Handlungsvollzug abgetrennter Erfolg im engeren Sinn gehört nicht zum 144

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. AbSChn

Tatbestand. D e r U m f a n g dieser Tatbestandsgruppe hängt davon ab, ob auch Delikte mit einem Erfolg, der sich bei tatbestandsmäßigem Handlungsvollzug zwangsläufig einstellt, hierzu gerechnet werden. So kann man bei den Aussagedelikten (§§ 153 ff StGB) eine K o m m u n i k a t i o n als Erfolg von Aussage o d e r Schwören abspalten, beim Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) ein „Darinnensein" als Erfolg des Eindringens 1 7 2 . Eine eigene Deliktsgruppe bilden nur diejenigen Delikte, bei denen das U n r e c h t s m a ß allein vom M a ß der Tätigkeit und ihrer Begleitumstände abhängt und nicht vom M a ß eines Erfolgs der Tätigkeit; letzteres ist etwa bei § 123 StGB der Fall: Das U n r e c h t hängt zumindest auch von der D a u e r des Verweilens ab; ein Eindringen mit langer Verweildauer mag m e h r f a c h e m Eindringen mit k u r z e r Verweildauer gleichstehen. Hingegen sind Tätigkeitsdelikte im bezeichneten engeren Sinn etwa die T r u n k e n h e i t s fahrt (§ 316 StGB), wohl auch der Verwandtenbeischlaf (§ 173 StGB) und einige der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 ff StGB). 3 a) Sowohl Tätigkeitsdelikte als auch Erfolgsdelikte k ö n n e n abstrakte Gefährdungs86 delikte sein. Sie sind dies, wenn weder der objektive noch der subjektive Tatbestand auf die Verletzung oder konkrete G e f ä h r d u n g eines Guts abstellen 1 7 3 . Strafgrund ist die generelle (vom Einzelfall abstrahierte) Gefährlichkeit eines bestimmten Verhaltens oder eines Verhaltens mit bestimmter Folge 1 7 4 . Beispiele 1 7 5 sind die §§ 153 ff (eine G e f ä h r d u n g der Rechtspflege kann objektiv und subjektiv auszuschließen sein), 306 (keine G e f a h r f ü r ein konkretes Menschenleben erforderlich), 308 (die G e f a h r ist n u r nach Beschaffenheit und Lage konkretisiert, andere Faktoren k ö n n e n eine k o n k r e t e G e f a h r ausschließen), 316 (kein Personen- oder Sachgut muß k o n k r e t g e f ä h r d e t sein), 331 StGB (die G e f a h r , auch nur der Anschein parteiischen Verwaltungshandelns k ö n n e entstehen, kann fehlen). b aa) Bei der G r u p p e derjenigen Tatbestände, die auf die „Eignung" eines Verhal- 8 7 tens f ü r einen Erfolg abstellen (etwa die §§ 130, 130 a, 186, 187, 229, 308 StGB) o d e r allgemein auf eine „ G e f ä h r d u n g " (§ 223 a StGB) ist streitig, ob die Eignung oder G e f ä h r d u n g k o n k r e t oder abstrakt zu verstehen ist 1 7 6 ; die erstgenannte Lösung ist vorzugswürdig, weil eine abstrakte G e f a h r allein durch Benennung des zu schützenden Guts nicht in einer Weise bestimmt werden kann, die Art. 103 Abs. 2 G G , § 1 StGB genügt; denn die Zahl der Faktoren, von denen abstrahiert werden k a n n , ist prinzipiell unbeschränkt und dementsprechend unbegrenzt wäre der Begriff der G e f a h r . bb) Die abstrakten Gefährdungsdelikte sind als Ungehorsamsdelikte formuliert, 8 8 d. h. vom N o r m u n t e r w o r f e n e n wird auch dann Befolgung verlangt, wenn eine k o n 172

Beide D e l i k t e w e r d e n als T ä t i g k e i t s d e l i k t e h ä u f i g g e n a n n t , siehe LfP-Heimann-Trosien Einleitung R d n . 6 7 ; Jescheck A T § 26 II 1 b ; Maurach-Zipf A T I § 20 I I I 2 ; — j e d e n f a l l s ist bei d e r Lfp-Heimann-Trosien u n d Maurach jeweils a a O g e n a n n t e W i d e r s t a n d n a c h 5 1 1 3 S t G B kein T ä t i g k e i t s d e likt, s o n d e r n ein v e r k a p p t e s U n t e r n e h m e n s d e l i k t : D e r E r f o l g des W i d e r s t a n d s ist n i c h t z u r V o l l e n d u n g n ö t i g , g e h ö r t a b e r , w e n n er eintritt, z u m Unrechtstatbestand.

175 A u c h die §§ 264, 2 6 5 b S t G B w e r d e n ü b e r w i e g e n d als abstrakte Gefährdungsdelikte verstanden (Schönke-Schröder-Lenckner § 264 R d n . 5, § 2 6 5 b R d n . 4, jeweils mit N a c h w e i s e n ) ; d e m w i d e r s p r i c h t j e d o c h die R ü c k t r i t t s r e g e l u n g in d e n § § 2 6 4 A b s . 4, 265 b A b s . 2 S t G B ; d e n n w e n n die V e r h i n d e r u n g e i n e r L e i s t u n g nach d e r T a t b e f r e i t , m u ß a u c h die zutreffende E r k e n n t n i s bei d e r T a t , d a ß eine L e i s t u n g a u s g e s c h l o s s e n ist, z u r S t r a f f r e i h e i t f ü h r e n . — J e d e n f a l l s ist § 2 3 A b s . 3 S t G B

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N u r o b j e k t i v g e s e h e n k a n n eine k o n k r e t e G e f ä h r d u n g bei allen D e l i k t e n mit v o r v e r l a g e r t e r V o l l e n d u n g , bei U n t e r n e h m e n s d e l i k t e n u n d beim V e r s u c h f e h l e n , u n t e n 2 5 / 1 , 57. D a ß a b s t r a k t e G e f ä h r d u n g s d e l i k t e stets T ä t i g keitsdelikte seien — s o e t w a Ostendorf J u S 1982 S. 426 ff, 4 2 9 u. a. m . — ist f a l s c h ; siehe die Beispiele sogleich im T e x t .

e n t s p r e c h e n d a n z u w e n d e n ; Beispiel: D e r T ä t e r gibt allgemein o f f e n k u n d i g e T a t s a c h e n kraß falsch an. E i n g e h e n d Gallas H e i n i t z - F e s t s c h r i f t S. 171 f f ; SK-Horn R d n . 15 ff v o r § 3 0 6 ; Schänke-SchröderCramer R d n . 3 ff v o r § 3 0 6 jeweils mit N a c h w e i sen.

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6. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

krete G e f ä h r d u n g auszuschließen ist (das dürfte in bestimmten Bereichen des Straßenverkehrsrechts sogar die Mehrzahl der Fälle sein). Beispiele: Die 50-jährige Zeugin gibt sich bei den Angaben z u r Person als 49-jährig aus; — vor dem In-Brand-Setzen des W o h n h a u s e s hat der T ä t e r alle erdenklichen Kontrollen dahin v o r g e n o m m e n , daß sich kein Mensch im G e b ä u d e aufhält; — der T ä t e r f ä h r t tief in der N a c h t mit 1,3 Promille wenige Meter über eine weithin als völlig leer erkennbare, abgelegene Nebenstraße. Dieses Verlangen nach G e h o r s a m ist begründet, wenn das Verhalten nicht sozial nützlich ist und zudem eine nicht ganz kleine Zahl von T ä t e r n bei der Beurteilung der m ö g lichen Verhaltensfolgen überfordert wird, weil diese T ä t e r die Folgen der massenhaften H ä u f u n g bestimmter Verhaltensweisen oder auch die möglichen Weiterungen des Verhaltens nicht überblicken k ö n n e n 1 7 7 ; mit anderen W o r t e n , das Vertrauen kann in diesem Bereich, etwa bei § 316 StGB, partiell auch bei den §§ 153 ff StGB, nicht auf rücksichtsvolle Anpassung gehen, sondern nur auf Regelbefolgung. Ferner ist zur Rechtfertigung der abstrakten Gefährdungsdelikte zu berücksichtigen, daß der Begriff der abstrakten G e f a h r mit der Konsequenz notfalls nutzlosen Gehorsamsverlangens relativ zu dem willkürlich wählbaren Abstraktionsniveau ist, auf dem die Rechtsgüter angesiedelt werden. Stellt man ζ. B. bei den Vermögensdelikten nicht auf das V e r m ö g e n als G u t ab, sondern — abstrakter — auf die im V e r m ö g e n verdinglichte Freiheit, so werden die Vermögensdelikte zu abstrakten Freiheitsgefährdungsdelikten (die G e f a h r einer konkreten Freiheitsbeeinträchtigung kann fehlen, etwa weil der Betrag f ü r den Inhaber quantite negligeable ist oder vor seiner nächsten N u t zung bei einer N a t u r k a t a s t r o p h e sowieso verlorengegangen wäre). W e n n ein Delikt ein abstraktes Gefährdungsdelikt ist, so heißt dies also nicht, daß sein Erfolg nicht dennoch ein O b j e k t verletzen könne, welches das G u t auf einer weniger abstrakten Ebene repräsentiert. Wie diese Repräsentationsfunktion bei Eigentum und bei V e r m ö g e n als selbstverständlich hingenommen wird, so daß Eigentum und V e r m ö g e n ohne Blick auf die Weiterungen als selbst schutzwürdige Güter behandelt werden können, so stehen im Bereich der abstrakten Gefährdungsdelikte etwa auch die W a h r h e i t im V e r f a h r e n f ü r die ordnungsgemäße Rechtspflege (§§ 153 ff StGB) oder die Uneigennützigkeit des Beamten f ü r die Funktionsfähigkeit des Verwaltungsapparats (§ 331 StGB) 1 7 8 .

89

cc) Somit bleiben als Problemfälle diejenigen Delikte, bei denen es weder um Regelbefolgung geht noch um die Repräsentanzfunktion eines Objekts und die zudem einen erhöhten Mindeststrafrahmen haben, so daß die zu erwartenden Minimalfälle nicht entsprechend minimal zugemessen werden können. Bei diesen Delikten, insbesondere bei § 306 StGB, ist der Tatbestand durch das ungeschriebene Erfordernis einer — auch folgenlosen — Fahrlässigkeit bezüglich des geschützten Guts anzureichern, um Strafrahmen und Unrechtsquantität in eine Balance zu bringen 1 7 9 . 177

Lackner G e f ä h r d u n g s d e l i k t e S. 9. — D i e L ö s u n g Horns, das a b s t r a k t e G e f ä h r d u n g s d e l i k t d u r c h eine o b j e k t i v e S o r g f a l t s w i d r i g k e i t des V e r h a l t e n s anzureichern (Konkrete Gefährdungsdelikte S. 94 f mit Fn. 114) f ü h r t m a n g e l s eines subjektiven B e z u g s auf die S o r g f a l t s w i d r i g k e i t z u einer objektiven Strafbarkeitsbedingung. — Wenn Schünemann auf N o r m e n mit b l o ß f o r m a l e r O r d n u n g s f u n k t i o n abstellt (JA 1975 S. 787 ff, 798), so ist dies das E r g e b n i s , gibt a b e r keine B e g r ü n d u n g f ü r die N o t w e n d i g k e i t s o l c h e r N o r m e n .

178

Im E r g e b n i s e b e n s o Schünemann stigtes Z w i s c h e n r e c h t s g u t " .

179

S e h r streitig; o f f e n g e l a s s e n f ü r 5 306 S t G B in B G H 26 S. 121 ff, 124 f mit N a c h w e i s e n ; n a c h

146

aaO:

„vergei-

B G H N J W 1982 S. 2 3 6 9 soll bei § 306 S t G B eine h i n r e i c h e n d e S o r g f a l t z u r V e r m e i d u n g einer T o d e s f o l g e allenfalls bei s e h r ü b e r s i c h t l i c h e n G e b ä u den geleistet w e r d e n k ö n n e n ; a n s o n s t e n soll S o r g f a l t bei d e r S t r a f z u m e s s u n g h o n o r i e r t w e r den. — Zum Problem der Tatbestandseinschränk u n g siehe a u ß e r den s c h o n G e n a n n t e n Schröder Z S t W 81 S. 7 ff, 10 f ; Stree J u S 1962 S. 9 3 f f ; Baumann A T 5 1 2 112 b ; ders. F o l g e n l o s e V e r kehrsgefährdung S. 173; ders. DAR 1962 S. 9 3 ff, 9 9 ; Arthur Kaufmann JZ 1963 S. 4 2 5 ff, 4 3 2 ; Brehm J u S 1976 S. 22 f f ; ders. D o g m a t i k S. 105 ff, 137 ff.

Tatbestandsverwirklichung. G r u n d l a g e n

6. Abschn

4. Eigenhändige Delikte haben mit den abstrakten Gefährdungsdelikten gemeinsam, 9 0 daß es um den Vollzug eines (durch seine Gestalt oder seine Folgen) bestimmten Verhaltens geht; das Unrecht ist jedoch bei ihnen nicht die generelle Gefährlichkeit dieses Verhaltens, sondern die persönliche Insuffizienz des Täters, die sich im deliktischen Verhalten objektiviert. Eigenhändige Delikte können bei der Deliktsbeteiligung nicht nach allgemeinen Regeln behandelt werden (unten 21/22); ferner bestehen Besonderheiten bei der unechten Unterlassung (unten 29/2, 79). 5. Bei Sonderdelikten im weiteren Sinn kann nicht jedermann T ä t e r (für Teilneh- 91 mer siehe unten zu § 28 StGB 23/24 ff) eines vollendeten Delikts sein, sondern nur eine Person mit bestimmten Eigenschaften oder in bestimmter Lage. Die Weite dieser Definition reicht vom Beamten als dem alleinigen T ä t e r von Amtsdelikten (insbesondere §§331 ff StGB) bis hin zum Täter der vollendeten Eigentumsdelikte (§§ 242 ff, 303 StGB), der immer nur der Nichteigentümer sein kann, oder bis hin zum Täter der vollendeten Tötung, der immer nur nicht-identisch mit dem O p f e r sein kann. Die wegen dieser Weite unbrauchbare Deliktsgruppe gewinnt Konturen, wenn sie auf die Alternative verengt wird, ob Täter des betreffenden Delikts nur eine Person sein kann, die unabhängig von der Deliktsbegehung in einer Beziehung (Status) zu dem geschützten Gut steht, oder ob die Beziehung zum Gut nur durch das deliktische Verhalten vermittelt wird; es ergeben sich sodann f ü r Beteiligung (unten 21/115 ff; 23/ 25) und Versuch (unten 25/43 ff) Besonderheiten, auch beim Unterlassungsdelikt (unten 29/57 ff, 106 f, 112, 115). Begründet die Sonderpflicht die Strafbarkeit (Beispiel: § 331 StGB), so spricht man von echten, ansonsten (bei bloßer Straferhöhung) von unechten Sonderdelikten (Beispiel: § 340 Abs. 1 , 1 . Fallgruppe StGB). 6. Häufig sind der objektive und der subjektive Tatbestand nicht kongruent, viel- 9 2 mehr ist der subjektive Tatbestand genauer spezifiziert, d. h. er hat mehr kumulativ zu erfüllende Merkmale als der objektive Tatbestand 1 8 0 . Diese Deliktsgestalt ist sehr variantenreich; die Terminologie ist uneinheitlich 181 . a) Es kann darum gehen, daß das Delikt als vollendet beschrieben wird, bevor eine 9 3 Gutsverletzung eingetreten ist (zur Vollendung als formeller Begriff unten 25/1 f). Weil ein Erfolg an einem Gut fehlt, spricht man von kupierten Erfolgsdelikten. Diese Erfolgskupierung kann in doppelter Weise erfolgen: Zum einen kann der Gesetzgeber in seiner Ungeduld auf einen Teil des zur Gutsverletzung erforderlichen Verhaltens verzichten; dann ist das Delikt vollendet, obgleich die Gutsverletzung nicht einmal beendet versucht wurde (unvollkommen oder verkümmert zweiaktige Delikte). Der Tatbestand lautet abstrahiert: „Wer mit dem Vorsatz, ein Gut zu verletzen, die erste(n) von mehreren Handlungen vollzieht. . .". Zum anderen kann der Gesetzgeber zwar bis zur Beendigung des Täterverhaltens warten, aber doch auf den Eintritt des Erfolgs verzichten. Der Tatbestand lautet abstrahiert: „Wer alles getan hat, was nach seinem Vorsatz zur Gutsverletzung erforderlich ist. . .". — Die Zugehörigkeit dieser subjektiven Merkmale zum Unrecht folgt daraus, daß es sich um die Vermeidbarkeitsbedingungen (also Handlungsbedingungen) des geplanten Gesamtunrechtsverhaltens handelt. b) Aber auch unabhängig von der Gutsverletzung sind überschießende subjektive 9 4 Merkmale häufig, und zwar als Absichten („wer ein Gut schädigt, um etwas — isoliert 180

D a s Gegenteil, seil, die g e n a u e r e S p e z i f i z i e r u n g des o b j e k t i v e n T a t b e s t a n d s , ist w e g e n d e r R e g e l u n g des § 16 Abs. 1 S t G B a u s g e s c h l o s s e n . Freilieh k a n n f ü r einen T e i l des s u b j e k t i v e n T a t b e s t a n d s F a h r l ä s s i g k e i t h i n r e i c h e n , so i n s b e s o n d e r e bei den e r f o l g s q u a l i f i z i e r t e n D e l i k t e n , § 18 S t G B ,

181

u n t e n 9 / 3 0 . Z u d e n n u r - o b j e k t i v e n M e r k m a l e n als vorsatzunabhängige Bestrafungsvoraussetzungen siehe u n t e n 1 0 / 1 f f , 15 ff. Siehe z u m f o l g e n d e n T e x t Mezger A T 5 21 I I I 1 u n d 2; LK>-Heimann-Trosien Einleitung Rdn. 75; Maurach-Zipf A T I § 20 I I I 6 c.

147

6. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

strafrechtlich irrelevantes — zu erreichen"), Bewertungen von Handlungsantrieben („wer aus nichtigem Anlaß . ..") oder als Konstitutions- und Gesinnungsmerkmale (Absichts- und T e n d e n z d e l i k t e ; „wer mit bestimmter H a l t u n g . . ."). Die Zugehörigkeit z u m U n r e c h t kann im Einzelfall zweifelhaft sein. Die Aufgliederung in Deliktstypen ist f ü r die Entscheidung unergiebig. Zu Einzelheiten siehe unten zu der Lehre von den subjektiven Unrechtselementen 8 / 9 1 ff. 95

7. Erhebliche Bedeutung hat die Unterscheidung von Grundtatbeständen und abgewandelten Tatbeständen, wobei die Abwandlung immer in der Weise geschieht, d a ß z u m Grundtatbestand kumulativ zu erfüllende Tatbestandsmerkmale ergänzt werden.

96

a) Die E r g ä n z u n g erfolgt bei den — seltenen — IJnrechtsprivilegierungen durch H i n z u f ü g u n g unrechtsmildernder Merkmale; so wird ζ. B. bei der T ö t u n g auf Verlangen ( § 2 1 6 StGB) z u m Totschlag ( § 2 1 2 StGB) das ausdrückliche und ernsthafte V e r langen des Getöteten hinzugefügt. Nicht jede Privilegierung ist jedoch eine Unrechtsprivilegierung; vielmehr können auch schuldmildernde Umstände bei gleichbleibendem Unrechtstatbestand nur den Schuldtatbestand ergänzen. So gleicht bei der Kindstötung der Unrechtstatbestand demjenigen des Totschlags, aber der Schuldtatbestand wird um die in § 2 1 7 StGB genannten objektivierten Schuldmilderungsmerkmale ergänzt. — Die Privilegierung kann sich auch allein auf ein Antragserfordernis beziehen, ζ. B. bei den §§ 247, 248 a, 263 Abs. 4 StGB. — Unrechtsprivilegierungen bieten Besonderheiten bei V o r s a t z und Irrtum (§ 16 Abs. 2 StGB, unten 8 / 8 3 ff), Schuldprivilegierungen beim Irrtum (unten 17/77 ff), alle Privilegierungen bei der K o n k u r r e n z l e h r e (unten 31/19, 32, 37, 39, 45, 47).

97

b) Bei den Orirechtsqualifizierungen erfolgt die E r g ä n z u n g durch unrechtserhöhende Merkmale, teils nur-subjektiver Art 1 8 2 . Die ergänzenden Merkmale bilden überwiegend für sich allein keinen eigenen Deliktstatbestand, ja nicht einmal eine H a n d lung, so ζ. B. nicht die Mordmerkmale, die Sonderpflichten bei allen unechten Sonderdelikten und die Qualifizierungen, die nur Merkmale der T a t - oder Tätersituation sind. Teils ergänzt jedoch der Gesetzgeber den Grundtatbestand um ein schon f ü r sich strafbares Verhalten (zusammengesetzte Tatbestände). So verfährt er insbesondere bei den durch fahrlässige T ö t u n g o d e r Körperverletzung (erfolgs-) qualifizierten Delikten, wie den §§ 224, 226, 239 Abs. 2 und 3, 251, 307 N r . 1 StGB u. a. m. Es werden aber auch (Ausschnitte aus) Vorsatzdelikten ergänzt, so besteht ζ. B. der R a u b (§ 249 StGB) aus einem durch qualifizierte Nötigung (ein Ausschnitt aus § 240 StGB) begangenen Diebstahl (§ 242 StGB); der räuberische Diebstahl (§ 252 StGB) besteht aus Diebstahl und dem Versuch qualifizierter Nötigung in getrennten Handlungsabschnitten 1 8 3 .

98

c) Teils wird bei den bezeichneten Abwandlungen danach differenziert, ob ein eigenständiges Verbrechen (delictum sui generis) entsteht (so angeblich der Raub gegenüber dem Diebstahl o d e r nach älterer Ansicht der M o r d gegenüber dem Totschlag 1 8 4 ) oder aber die Abwandlung unselbständig bleibt. An diese D i f f e r e n z i e r u n g sollen sich insbesondere Konsequenzen f ü r die Teilnahme k n ü p f e n : Besondere persönliche M e r k male, die ein eigenständiges Delikt begründen, sollen nach § 28 Abs. 1 StGB, diejenigen, die einen Tatbestand zur unselbständigen Abwandlung ergänzen, nach § 28 Abs. 2 StGB zu behandeln sein. — Diese Differenzierung findet im Gesetz keine Stütze und

182

Letzteres bei den Mordmerkmalen des § 2 1 1 Abs. 2, 1. und 3. G r u p p e StGB (der Mord ist freilich seit BVerfG 45 S. 187 ff ein ergänzungsbedürftiger Tatbestand).

148

183

Siehe LK*-Heimann-Trosien Einleitung Rdn. 72, 77 ff. 184 Dagegen zutreffend Welzel J Z 1952 S. 72 f f ; Schönke-Schröder-Eser Rdn. 2 ff vor § 2 1 1 mit Nachweisen.

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. AbSChn

opfert die gesetzliche Tatbestandstechnik zu Gunsten unklarer vorrechtlicher Vorstellungen von einem Deliktstyp; sie ist deshalb abzulehnen 1 8 5 . Qualifizierungen sind auch bei gleichbleibendem U n r e c h t durch einen ergänzten Schuldtatbestand d e n k b a r ; ob das geltende Recht solche reinen Schuldqualifizierungen kennt ( § 2 1 1 Abs. 2, 1. und 3. G r u p p e StGB?), hängt von der Auslegung einzelner Merkmale als subjektive Unrechtselemente oder als Schuldelemente ab; dazu unten 8/96, 98. 8 a) N a c h verbreiteter Ansicht ergänzen die Merkmale der besonders schweren Fälle 9 9 ( S S 240 Abs. 1, 263 Abs. 3, 266 Abs. 2, 267 Abs. 3 StGB u. a. m.) o d e r der minder schweren Fälle (SS 177 Abs. 2, 217 Abs. 2, 249 Abs. 2, 311 Abs. 2 StGB u. a. m.) nicht den Tatbestand, und z w a r selbst dann nicht, wenn sie durch zwingende Beispiele ( $ 2 1 3 StGB) oder durch Regelbeispiele (§§ 218 Abs. 2, 243 StGB u. a. m.) b e n a n n t werden. Es soll sich vielmehr um Strafzumessungsregeln h a n d e l n 1 8 6 . In dieser Allgemeinheit — Tatbestand contra Strafzumessungsregel — ist dies freilich ü b e r h a u p t kein Gegensatz. So wie einige Grundtatbestände unbestimmt-geschlossen sind (siehe oben z u r Lehre von den o f f e n e n Tatbeständen 6 / 6 0 ff), so besagt die Unbestimmtheit der besonders schweren oder minder schweren Fälle nichts gegen die Zugehörigkeit z u m T a t b e s t a n d , und da die Q u a n t i t ä t an Tatbestandserfüllung, vermittelt über die ceteris paribus entsprechende Q u a n t i t ä t an Schuld, die wichtigste Strafzumessungsregel ist (S 46 Abs. 1 Satz 1 StGB), besagt die Zugehörigkeit zu diesen Regeln nichts gegen diejenige z u m Unrechtstatbestand. W i e also ζ. B. das Gesetz in S 242 StGB nicht zwischen dem Diebstahl einer kleinen S u m m e und dem einer großen S u m m e etc. differenziert, t r o t z d e m aber die D i f f e r e n z zwischen beiden Diebstählen eine U n r e c h t s d i f f e r e n z ist, so ist auch alles das, was der Richter — einem bindenden Beispiel oder einem Regelbeispiel folgend oder frei — als Merkmal eines besonders schweren o d e r minder schweren Falls zusammenträgt, als mindernd oder erschwerend zurechenbares Material dem T a t b e stand zugehörig. Die Merkmale dieses Materials sind von anderen s t r a f b e g r ü n d e n d e n oder strafändernden Deliktsmerkmalen nicht einmal durch ihre gesetzliche U n b e stimmtheit unterschieden; eine solche Unbestimmtheit weisen auch die zu e r g ä n z e n d e n Merkmale der unbestimmt-geschlossenen Tatbestände auf. Wie bei den Privilegierungen und Qualifizierungen können die minder schweren oder besonders schweren Fälle freilich vom Unrechtstatbestand unabhängig und nur dem Schuldtatbestand z u z u o r d n e n sein. Die Merkmale sind also (Unrechts- o d e r Schuld-) Tatbestandsmerkmale 1 8 7 , seien sie u n b e n a n n t oder als Regelbeispiel oder als bindendes Beispiel benannt. b) Damit freilich ist wenig gelöst. O b der zu e r g ä n z e n d e Tatbestandsteil, soweit es 1 0 0 überhaupt um den Unrechtstatbestand geht, vorsätzlich o d e r fahrlässig o d e r teils f a h r lässig (etwa analog § 1 8 StGB) zu verwirklichen ist, läßt sich nur zu jedem S a c h k o m !85 Jescheck A T § 26 III 1 und 3; V. Hassemer Delictum sui generis S. 88 f f ; Haffke J u S 1973 S. 402 ff, 407 f f ; siehe aber auch LfP-HeimannTrosien Einleitung Rdn. 80. 186 Jescheck AT § 2 6 V ; Schönke-Schröder-Stree Rdn. 44 vor § 38; LK-G. Hirsch Rdn. 45 vor § 46; Arzt JuS 1972 S. 515 f f ; Blei JA 1975 S. 237; Schröder Mezger-Festschrift S. 415 ff, 427; Wessels Maurach-Festschrift S. 295 ff, 299 mit zahlreichen Nachweisen; — ebenso B G H 23 S. 254 ff, 256, aber nicht den Unrechtstatbestand betreffend, sondern den Tatbestand im Sinn des

§ 12 StGB und die T a t im Sinn von § 260 Abs. 4 S t P O (zu letzterem siehe B G H N J W 1970 S. 2120; dagegen freilich wiederum B G H 27 S. 287 ff, 289); B G H 26 S. 104 ff, 105 dort als überflüssiges obiter dictum; siehe auch B a y O b L G N J W 1980 S. 2207. 187 Calliess J Z 1975 S. 112 ff, 117 mic weiteren N a c h weisen S. 113 Fn. 8; Wahle G A 1969 S. 161 ff; als normatives Tatbestandsmerkmal will Maiwald den gesamten besonders schweren Fall verstehen, Gallas-Festschrift S. 137 ff, 150.

149

6. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

plex gesondert entscheiden (siehe unten zum Vorsatz 8/43). — Die Auswirkungen für Beteiligte sind bei vorsätzlicher Haupttat nach den §§ 25 ff StGB zu beurteilen 188 . — Für den Versuch ergeben sich nach der hier vertretenen Versuchslösung keine Besonderheiten, da zum einen die Verwirklichung eines einzelnen Tatbestandsmerkmals sowieso den Versuch nicht bedingt und zum anderen der Versuch des besonders schweren Falls keine Vollendung der erschwerenden Umstände erfordert. — Auch die Konkurrenzlehre hindert die Tatbestandslösung nicht, sondern begünstigt sie: Wenn der besonders schwere Fall in einem für sich strafbaren Delikt besteht, ist die gesonderte Benennung dieses Delikts zur Benennung dessen, was zugerechnet wird, nicht mehr angebracht; die Folge ist Gesetzeskonkurrenz wie bei einer ausformulierten Qualifizierung 1 8 9 . Die Tatbestandslösung bedeutet nicht, daß bei entsprechenden Strafrahmendifferenzen § 12 StGB anwendbar wäre: § 12 StGB hat eine gesetzestechnische Funktion und ist deshalb gegen materiale Überlegungen resistent (unten 6/103). — Auch ist es terminologisch vorzugswürdig, als Qualifizierung oder Privilegierung nur die gesetzlich-bestimmt bezeichneten Tatbestandsvarianten zu bezeichnen. 101

c) In der Anreicherung besonders schwerer oder minder schwerer Fälle durch Beispiele 190 liegt gegenüber undifferenziert weiten Strafrahmen ein Gewinn an Tatbestandsbestimmtheit, wenn die Beispiele als belastende Beispiele abschließend, aber für den Richter unverbindlich, und als entlastende Beispiele nicht abschließend, aber für den Richter verbindlich sind: Das Gesetz legt dann immerhin das Höchstmaß des Eingriffs fest (so ζ. B. in § 213 StGB). Wenn das Gesetz jedoch mittlerweile überwiegend nur noch in jeder Richtung unverbindliche Regelbeispiele anbietet, besteht kaum mehr ein qualitativer Gewinn gegenüber undifferenziert weiten Strafrahmen. „Ein Gesetz, das ,ein bißchen' bestimmt ist, bleibt eben ein unbestimmtes Gesetz" 1 9 1 und zeugt von der Scheu des Gesetzgebers, präzise, wenn auch lückenhafte Straftatbestände zu verantworten. Die Ungenauigkeit der Regelung wird von der Rechtsprechung noch dadurch vergrößert, daß sie allgemeine Strafmilderungen — etwa bei Versuch oder verminderter Schuldfähigkeit — in minder schwere Fälle umdeutet 192 . Diese Umdeutung ist verfehlt; denn die Bindung des minder schweren Falls an einen bestimmten Tatbestand läßt sich bei einer Ausfüllung durch Umstände, die bei jedem Delikt möglich sind, nicht mehr erklären.

V. Anhang: Die gesetzestechnische Unterscheidung von Verbrechen und Vergehen Literatur Siehe zu II

102

A l . Rechtswidrige Taten nach § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB, also straftatbestandserfüllende Taten, nicht bloße Ordnungswidrigkeiten oder bloße unerlaubte Handlungen etc., sind nach positivem Recht abschließend 193 in Verbrechen 1 9 4 und Vergehen aufgeEbenso Jescheck AT § 26 V 2 a. E.; — wie Blei JA 1975 S. 237 das Teilnahmeproblem topisch-freihändig lösen will, bleibt unerfindlich. >8» Im Ergebnis ebenso Wessels Maurach-Festschrift S. 295 ff, 308; Jescheck AT § 26 V 2 a. E.; § 69 II 3 b. 1 , 0 Zur Entstehung dieser Technik siehe Lange Materialien Bd. I S. 69 ff, 84 f.

188

150

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192

193 194

Maiwald Gallas-Festschrift S. 137 ff, 159; zur Kritik siehe auch Baumann AT § 12 II 2 d; Mauracb-Zipf AT II § 62 III C 4. BGH 16 S. 360 ff, 362 f; 27 S. 298 ff, 299; BGH StV 1982 S. 70, S. 71, S. 113, S. 221, S. 417. BGH 28 S. 93 ff, 94. Hier im gesetzestechnischen Sinn; zum Begriff des Verbrechens als dogmatischer Begriff siehe oben 6/Fn. 1.

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. Abschn

teilt (§12 StGB). Das Zweiteilungsschema hat eine lange Tradition 1 9 5 einer Dreiteilung von Taten in Verbrechen, Vergehen und Übertretungen abgelöst. Die Übertretungen sind dabei teils zu Ordnungswidrigkeiten abgewertet und teils zu Vergehen aufgewertet worden (letzteres insbesondere bei § 370 Abs. 1 Nr. 5 StGB a. F., der sogenannte Mundraub). Sowohl der Verzicht auf eine stärkere Differenzierung wie auch die Beibehaltung der noch vorhandenen Differenzierung sind umstritten 1 9 6 . — Die Aufteilung richtet sich nach der Mindeststrafe, mit der die Verwirklichung aller strafrahmenrelevanten bindenden Merkmale des BT bedroht ist. 2. Obgleich die Scheidung eine solche nach dem generalisierten Tatgewicht ist, hat 1 0 3 sie in § 12 StGB selbst nur gesetzestechnische Bedeutung 1 9 7 : Aus der Scheidung folgt, ob eine bestimmte strafrechtliche, strafprozessuale, oder andere Institution anzuwenden ist oder nicht, was dann freilich materiale Auswirkungen hat. D a die Scheidung der rechtssicheren Anwendung bestimmter Rechtsinstitute dienen soll, darf die vom Gesetz vorgenommene Formalisierung nicht durch materiale Überlegungen unterlaufen werden. Beispiel: § 213 StGB ist auch im bindend genannten Teil nach dem Wortlaut ein minder schwerer Fall des Totschlags, also Verbrechen nach den §§212, 12 Abs. 1 und 3 StGB. Eine materiale Begründung dafür, weshalb dieser Teil nicht von dem unbenannten Teil gelöst und als geschlossene Privilegierung ausgestaltet wird (dann Vergehen nach § 12 Abs. 2 StGB), läßt sich nicht geben. Trotzdem darf § 213 StGB auch nicht zugunsten des Täters wie ein Vergehen behandelt werden, da einige der rein technischen Regelungsfolgen dann unterlaufen würden; insbesondere würde die Anordnung der Versuchsstrafbarkeit fehlen, die bei Verbrechen — eine Methode ohne materiale Bedeutung — generell in § 23 Abs. 1 StGB erfolgt 1 9 8 . Die Scheidung von Verbrechen und Vergehen hat Konsequenzen f ü r die Versuchsstrafbarkeit (§ 23 Abs. 1 StGB), den Beteiligungsversuch (§ 30 StGB), f ü r Nebenfolgen (§ 45 StGB), für einzelne Tatbestände des BT (§§ 126, 241 StGB), ferner für die Gerichtszuständigkeit (§§ 25, 74 GVG) und in erheblichem Maß f ü r das Strafverfahren (§§ 140 Abs. 1 Nr. 2, 153, 153 a, 407 StPO). Β 1. Mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige Taten sind 1 0 4 Verbrechen (§ 12 Abs. 1 StGB); ist die Mindeststrafe geringer, handelt es sich um Vergehen (§12 Abs. 2 StGB; die Vorschrift ist redundant). Es kommt auf die Mindeststrafe des Strafrahmens an; von der konkret verwirkten Strafe wird also abstrahiert. Der Strafrahmen ist zudem nicht jedenfalls der auf die Tat anzuwendende Strafrahmen, auch insoweit wird abstrahiert: Es bleiben nach § 12 Abs. 3 StGB bei der Bestimmung des Strafrahmens (des sogenannten Regelstrafrahmens) folgende Veränderungen des anzuwendenden Strafrahmens außer Betracht: (a) Schärfungen und Milderungen nach dem A T (§ 49 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 StGB), seien sie fakultativ (§§ 13 Abs. 2, 17 Satz 2, 21, 23 Abs. 2, 3, 30 Abs. 1 Satz 3, 35 Abs. 1 Satz 2 StGB) oder obligatorisch (§§ 27, 28 Abs. 1, 30 Abs. 1 Satz 2, 35 Abs. 2 Satz 2 StGB 1 9 9 ). - § 28 Abs. 2 StGB führt freilich zu einem anderen Strafrahmen nach dem BT und deshalb auch im Sinn des § 12 StGB 2 0 0 , (b) Ferner bleiben besonders schwere oder minder schwere Fälle un195

197 198

Z u r Geschichte Heinitz Materialien Bd. I S. 55 f f ; Maurach-Zipf A T I § 13 I I I ; Blei A T § 23 I 1. Rechtsvergleichend Imhof Materialien Bd. II (1) S. 1 ff. Zu letzterem kritisch Stockei GA 1971 S. 236 ff, 242 mit N a c h w e i s e n . Schönke-Schröder-Eser § 12 R d n . 4. A.A. — S t r a f f r e i h e i t des V e r s u c h s — Bockelmann B T Bd. II § 4 I v o r 1; w o h l auch Otto B T § 5 I 1.

199

200

Es ist aber axiologisch u n g e r e i m t , den V e r s u c h nach § 213 S t G B straflos zu lassen, w e n n die V e r suche nach § 2 1 6 S t G B u n d selbst n a c h § 223 a S t G B s t r a f b a r sind. E i n g e h e n d wie hier LK-Lange 5 213 R d n . 2. § 48 S t G B ist f ü r die G r e n z e v o n einem J a h r o h n e Bedeutung. B G H 6 S. 309 f f ; Schönke-Schröder-Eser §12 R d n . 13.

151

7. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

berücksichtigt, seien sie unbenannt, bindend benannt oder mit Regelbeispielen benannt 2 0 1 . (c) Nach § 4 J G G bleiben ferner die besonderen jugendstrafrechtlichen Rechtsfolgen unberücksichtigt. 105

2. Da die Strafrahmen von Qualifizierungen und Privilegierungen berücksichtigt werden, heißt das Ergebnis positiv gewendet: Es entscheidet die Mindeststrafe des Strafrahmens vom Grunddelikt oder von der Qualifizierung oder Privilegierung, die im Normalfall (wenn kein besonders schwerer oder minder schwerer Fall vorliegt) f ü r den voll schuldhaft handelnden Täter des vollendeten Begehungsdelikts gilt. Beispiele: Der Raubgehilfe (§§ 250, 27, 49 Abs. 1 Nr. 3, 2. Fallgruppe StGB) begeht ein Verbrechen, obgleich die Mindeststrafe des auf ihn anzuwendenden Rahmens nur 3 Monate beträgt. — Die Mißhandlung von Schutzbefohlenen in einem besonders schweren Fall (§ 223 b Abs. 2 StGB) bleibt Vergehen (also ist der Versuch straffrei, § 23 Abs. 1 StGB). — § 216 StGB (Privilegierung) ist ein Vergehen (deshalb ist in § 216 Abs. 2 StGB die Versuchsstrafbarkeit ausdrücklich geregelt), § 213 StGB (minder schwerer Fall) ist hingegen bei gleichem Strafrahmen Verbrechen (die Versuchsstrafbarkeit folgt aus §§212, 23 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB).

106

3. Die doppelte Abstrahierung — von der konkret verwirkten Strafe und vom anzuwendenden Strafrahmen — paßt schlecht zu dem System des StGB, da das Gesetz ansonsten entweder hochgradig differenziert oder doch zumindest innerhalb eines Rahmens hochgradige Differenzierungen zuläßt (etwa bei den besonders schweren oder minder schweren Fällen des BT), um eine einzelfalladäquate Lösung zu ermöglichen^2.

7. A B S C H N I T T

Die Einzelheiten der Tatbestandsverwirklichung durch Handlung; 1. Teil: Der objektive Tatbestand I. Der objektive Tatbestand als Gegenstand des Allgemeinen Teils Literatur E. Beling Der gegenwärtige Stand der strafrechtlichen Versuchslehre, G S 101 S. 1 ff; H. J. Bruns Ungeklärte verfahrensrechtliche Fragen des Contergan-Prozesses, Maurach-Festschrift S. 469 ff; M. v. Buri Über Causalität und deren Verantwortung, 1873; ders. Die Causalität und ihre strafrechtlichen Beziehungen, 1885; M. Burgstaller D a s Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht, 1974; U. Ebert und K. Kühl Kausalität und objektive Zurechnung, Jura 1979 S. 561 ff; K. Engisch D i e Kausalität als Merkmal der strafrechtlichen Tatbestände, 1931; ders. V o m Weltbild des Juristen, 2. Auflage 1965; ders. Das Problem der psychischen Kausalität beim Betrug, v. W e ber-Festschrift S. 247 ff; ]. Glaser Abhandlungen aus dem Oesterreichischen Strafrecht, 1858; A. Gmür D e r Kausalzusammenhang zwischen Handlung und Erfolg im Strafrecht, 1958; W. Hardwig D i e Zurechnung, 1957; K. Hertel Anmerkung zu B G H N J W 1966 S. 1823 ff, a a O S. 2418 f; A. Horn Causalitäts- und Wirkensbegriff, dessen empirische Feststellung und criminalrechtliche Bedeutung, G S 54 S. 321 ff; ders. Der Versuch, Z S t W 20 S. 309 ff; H. J. Kahrs D a s Vermeidbarkeitsprinzip und die condicio-sine-qua-non-Formel im Strafrecht, 1968; Armin Kauf-

201 B G H 11 S. 233 ff, 2 4 1 ; 20 S. 184 ff, 185 f ; ü b e r w i e g e n d e A n s i c h t ; die Zweifel v o n Dreher J Z 1965 S. 4 5 5 f u n d Stockei G A 1971 S. 236 ff, 241 d ü r f t e n d u r c h die n e u e G e s e t z e s f a s s u n g ü b e r h o l t sein.

152

202

Kritisch a u c h Stratenwerth A T R d n . 138 f f ; Engisch S J Z 1946 Sp. 232 f f ; ders. S J Z 1948 Sp. 660 f f ; anders aber LK-Tröndle §12 R d n . 15 f.

Objektiver Tatbestand

7. Abschn

mann Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, 1959; ders. Tatbestandsmäßigkeit und Verursachung im Contergan-Verfahren, J Z 1971 S. 569 ff; Arthur Kaufmann Die Bedeutung hypothetischer Erfolgsursachen im Strafrecht, Eb. Schmidt-Festschrift S. 200 f f ; D. Kion Grundfragen der Kausalität bei Tötungsdelikten, JuS 1967 S. 499 ff; M. Maiwald Kausalität und Strafrecht, 1980; M. L. Müller Die Bedeutung des Kausalzusammenhangs im Straf- und Schadensersatzrecht, 1912; W. Naucke Über das Regreßverbot im Strafrecht, ZStW 76 S. 409 ff; I. Puppe D e r Erfolg und seine kausale Erklärung im Strafrecht, Z S t W 92 S. 863 ff; / . Rödig Die D e n k f o r m der Alternative in der Jurisprudenz, 1969; E. Samson Hypothetische Kausalverläufe im Strafrecht, 1972; E. Scblüchter Grundfälle zur Lehre von der Kausalität, J u S 1976 S. 312 ff, 378 ff, 518 ff, 793 ff; E. Schmidhäuser „Objektiver" und „subjektiver" Tatbestand: Eine verfehlte Unterscheidung, Schultz-Festgabe S. 61 ff; G. Spende! Die Kausalitätsformel der Bedingungstheorie f ü r die H a n d lungsdelikte, 1948; H. Tamowski Die systematische Bedeutung der adäquaten Kausalitätstheorie f ü r den Aufbau des Verbrechensbegriff, 1927; L. Träger Der Kausalbegriff im Straf- und Zivilrecht, 2. Auflage 1929; H. Walder Die Kausalität im Strafrecht, SchwZStr. 93 (1977) S. 113 f f ; E. A. Wolff Kausalität von T u n und Unterlassen, 1965.

A. Der objektive Tatbestand ist die Außenseite des Unrechts; mit dem objektiven 1 Tatbestand tritt das Delikt als soziale und deshalb strafrechtlich überhaupt relevante Größe in Erscheinung. Der objektive Tatbestand ist für sich allein aber kein Unrecht, da er für sich keine tatbestandsmäßige Handlung enthält und somit die Mindestbedingungen des Unrechts nicht erfüllt. Seine Behandlung vor dem — zeitlich früher beginnenden — subjektiven Tatbestand hat vornehmlich einen darstellerischen G r u n d : D e r objektive Tatbestand ist Gegenstand des subjektiven Tatbestands, er ist in antizipierter (Vorsatz) oder antizipierbarer (Fahrlässigkeit) Gestalt ein Teil der Täterpsyche und müßte deshalb bei anderem Vorgehen in seiner subjektiven Spiegelung, also indirekt, abgehandelt werden. Um das zu vermeiden, ist zunächst von der konkreten Gestalt einer Handlung abzusehen, also davon, daß ein Handlungsvollzug (nebst Folgen) nur dann ein bestimmter Handlungsvollzug (nebst Folgen) ist, wenn die bestimmt geartete Körperbewegung (nebst Folgen) gerade wegen ihrer Art (oder wegen ihrer Folgen) motivatorisch beeinflußbar, also vermeidbar, ist. Statt dessen ist hier unter Verzicht auf die Vermeidbarkeit der bestimmten Handlung (nebst Folgen) darauf abzustellen, ob die Körperbewegung überhaupt zu einer Handlung gehört. Die Handlung in diesem Sinn ist zwar nur eine Modifikation des oben abgelehnten Willkürakts im System von v. Liszt, Beling und Radbruch, erfüllt aber an der hiesigen Stelle eine andere Funktion als im alten System: Sie ist hier nicht die einzige Verbindung von Subjekt und Unrecht, sondern sie ist nur der erste Schritt einer im subjektiven Tatbestand (den das alte System nicht kannte!) bis zur bestimmten Handlung fortzusetzenden Verbindung von Subjekt und Unrecht. Es geht also um folgende Prüfungsschritte: Zunächst wird ermittelt, ob bestimmte 2 Außenwirkungen irgendeiner Handlung vorliegen (objektiver Tatbestand), sodann ob gerade diese Außenwirkungen eine Verwirklichung einer durch sie bestimmten H a n d lung sind (der auf den objektiven Tatbestand bezogene subjektive Tatbestand). — Freilich könnte man das Objektive des objektiven Tatbestands noch objektiver nehmen und jedes körperliche Bewirken ausreichen lassen, also auf den „Willkürakt" verzichten und allein bei der Äußerlichkeit der Körperbewegung ansetzen. Die Lösungen wären voll äquivalent, da der subjektive Tatbestand dem objektiven Tatbestand mindestens kongruent sein muß: Wird der objektive Tatbestand weiter gefaßt, als es hier geschieht, so klammert eben der subjektive Tatbestand weitere Verwirklichungen des objektiven Tatbestands aus dem Unrecht aus. Jedenfalls muß man sich vor der Annahme hüten, allein die Verwirklichung eines objektiven Tatbestands sei schon ein Stück Unrecht; fehlt 153

7. Abschn

2. B u c h . 1. K a p i t e l . T a t b e s t a n d s v e r w i r k l i c h u n g d u r c h H a n d l u n g

dem objektiven Tatbestand die subjektive Entsprechung, so ist er qualitativ kein Unrecht: Außenwirkungen ohne subjektive Entsprechungen sind in den Beschreibungen der einzelnen Verbrechen überhaupt nicht gemeint. Die hier gewählte Weise der Darstellung zerreißt also die Unrechtshandlung in zwei Teile, die isoliert rechtlich unerheblich sind 1 . 3

B. Die Interpretation einzelner objektiver Tatbestände ist Angelegenheit des BT. Freilich bieten einzelne Klassen objektiver Tatbestandsmerkmale spezifische Schwierigkeiten bei der Anwendung der allgemeinen Regeln; die Behandlung dieser Merkmale erfolgt im jeweiligen Sachzusammenhang; zu nennen sind insbesondere die sogenannten normativen Tatbestandsmerkmale (unten 8/48 ff), die Tätermerkmale (unten 7/56 ff; 8/88 ff; 21/115 ff; 29/29 ff, 57 ff, passim) und die verhaltensbeschreibenden Merkmale (unten 29/78 ff, passim).

4

C 1. Die Lehre von der Kausalität bei den Erfolgsdelikten im engeren Sinn (oben 6/ 78) ist als Lehre von der Beziehung zwischen Handlung und Erfolg Bestandteil des AT. Zwar ist bei jedem Verhalten ein Erfolg im weiteren Sinn vorhanden und damit etwas, das vom handelnden Subjekt bewirkt wird. Auch die Produktion dieses Erfolgs im weiteren Sinn läßt sich als vermeidbares Kausalwerden darstellen 2 . Geht es aber allein um den Verhaltens®o//zwf> als Erfolg, so bestehen keine besonderen Kausalitätsprobleme, vielmehr bleibt nur das allgemein gültige Erfordernis der Kongruenz von objektiver und subjektiver Seite. Der Vollzug selbst ist vom Subjekt verursacht, wenn er überhaupt Handlung ist (und nicht etwa durch vis absoluta erzwungen). Soweit jedoch ein Erfolg außerhalb des Verhaltensvollzugs objektives Ta,tbestandsmerkmal ist, ist nicht immer einfach zu entscheiden, ob der Erfolg mit dem Verhaltensvollzug in dem Zusammenhang steht, den das Gesetz „verursachen" nennt (§§ 222, 230 StGB) oder als „Folge" bezeichnet (alle erfolgsqualifizierten Delikte, § 18 StGB; siehe auch § 225 StGB), in der Regel aber mit dem Gebrauch eines Verbs impliziert („töten" bei den §§211 ff StGB, „mißhandeln" und „beschädigen" bei § 223 StGB; „beschädigen" oder „zerstören" bei § 303 StGB etc.). Die Zuordnung dieser Problematik zum AT 3 erfolgt nicht nur, weil das Gesetz beim überwiegenden Teil aller Delikte das deliktische Verhalten (auch) über einen Erfolg im engeren Sinn definiert, sondern vorweg wegen der beispielhaften Bedeutung der an den Erfolgsdelikten entwickelten Prinzipien der Zurechnung f ü r alle Delikte.

5

2. Bei der Bestimmung des strafrechtlich relevanten Zusammenhangs geht es um folgenden Argumentationsstrang: Einmal muß die kausale Beziehung zwischen Handlung und Erfolg eine wirkliche Beziehung sein, so wie die Folge der Beziehung (ein Tod, eine Verletzung, eine Gefährdung eines konkreten Objekts etc.) sich wirklich ereignet. Zum anderen kann die Wirklichkeit einer Beziehung nur genügen, wenn sie rechtlich wesentlich ist. Diese Wesentlichkeit fehlt nicht nur, wenn sich zum subjektiven Tatbestand herausstellt, daß der Erfolg subjektiv nicht vermeidbar war; die rechtliche Wesentlichkeit fehlt vielmehr schon, wenn der Täter für die Beziehung, obgleich sie wirklich besteht, nicht zuständig ist. Beispiel: Der Veranstalter eines Volksfests ist für die im Verlauf stattfindenden mannigfachen Straftaten (Raufhandel, Körperverlet1

2

3

Zur hier gewählten — ganz üblichen — Darstellung siehe die Kritik bei Schmidhäuser SchultzFestgabe S. 61 ff. Welzel Strafrecht § 9 I; dagegen Gmür Kausalzusammenhang S. 18. Die Zuordnung ist nicht selbstverständlich; anders noch Berner Strafrecht § 62, der das Kausal-

154

problem dem BT und dort vorweg den Tötungsdelikten zuordnet. Historisch setzt sich die Zuordnung zum AT mit dem Aufkommen der naturalistischen Verbrechensbetrachtung und der Trennung von objektiver Außenseite als Unrecht und subjektiver Innenseite als Schuld durch; oben 6/6.

Objektiver Tatbestand

7. Abschn

zung, Beleidigung, Trunkenheitsfahrt) jedenfalls nicht schon wegen der wirklichen Beziehung und der Voraussehbarkeit zuständig. Demnach schließt sich an den Fragenkreis der wirklichen Beziehung als demjenigen der Kausalität der Fragenkreis der Zuständigkeit f ü r die Kausalität als derjenige der mißverständlich sogenannten objektiven Zurechnung an. Die Bezeichnung des zweiten Fragenkreises als objektive Zurechnung darf weder dahin verstanden werden, es gehe nur dort und nicht schon bei der Kausalität um Zurechnung, noch darf sie zu der Annahme verleiten, es komme eine perfekte, seil. Rechtsfolgen auslösende Zurechnung heraus. Es geht allein um eine (neben der Kausalität) weitere Konkretisierung objektiver Voraussetzungen der gesamten Zurechnung. Es gibt freilich auch H a f t u n g f ü r einen Erfolgseintritt ohne Kausalität, seil, beim Unterlassungsdelikt. Dabei geht den Täter der Verlauf zum Erfolg etwas an, obwohl er nicht in einer wirklichen (sondern hypothetischen) Kausalbeziehung dazu steht (unten 2 8 / 3 ; 29/15 ff).

II. Die objektive Zurechnung des Erfolgs: Die Kausalität Literatur Siehe zu I

A. Die Äquivalenztheorie 1. Einerseits besteht zwischen schlechthin allen Ereignissen, die stattfinden, eine 6 wirkliche Beziehung im zeitlichen Kontinuum: Sie lassen sich nach vorzeitig, gleichzeitig und nachzeitig ordnen. Diese Beziehung allein ist jedoch strafrechtlich irrelevant, da sie zur Zurechnung ungeeignet ist; denn sie verbindet nicht ein bestimmtes Subjekt mit einem Ereignis, sondern alle Subjekte mit allen Ereignissen. Andererseits ist zur Verbindung von Subjekt und Ereignis nicht erforderlich, daß die Kraft, die bei einem raum-zeitlichen Ereignis wirkt, vom Subjekt geliefert wird. Es gilt also nicht: „causa aequat effectum" 4 . Strafrechtlich kann eine „kleine Ursache große Wirkung" haben; denn ob jemand erhebliche eigene Körperkraft aktiviert oder geringe eigene Kraft zur Entfesselung latent vorhandener Potentiale nutzt, zählt wegen des gleichen Effekts gleich. Beispiel: Ein Dolchstich (eigene Körperkraft) ins H e r z des Opfers hat keine andere Wirkung als ein Pistolenschuß (Entfesselung des im Pulver enthaltenen Potentials). 2. Der strafrechtliche Kausalbegriff liegt zwischen den bezeichneten Extremen. Er 7 muß alles erfassen, was äußerstenfalls noch als Beziehung Subjekt-Erfolg hinreicht, aber ausscheiden, was nie hinreicht. Bei Begehungsdelikten wird dem Täter nie mehr verboten, als ein Verhalten zu vollziehen, das Bedingung des tatbestandlichen Erfolgs ist (Bedingungstheorie), wobei die Bewertung der Bedingung (liegt sie im Zuständigkeitsbereich des Täters, des Opfers oder eines Dritten?) als Gegenstand der objektiven Zurechnung und die Erkennbarkeit der Bedingung (vorsätzlich oder fahrlässig oder unvermeidbar?) als Gegenstand des subjektiven Tatbestands zunächst dahinstehen: Alle Bedingungen zählen gleich (Äquivalenztheorie). — Es wird noch zu zeigen sein, daß die Grenze zwischen Erfolgsbedingungen und Nicht-Erfolgsbedingungen durchaus unscharf ist. 4

Traeger K a u s a l b e g r i f f S. 3 0 ; Engisch Weltbild S. 127 ff, 135; Jakobs S t u d i e n S. 19; anders eine V e r s i o n d e r h e u t e b e d e u t u n g s l o s e n s o g e n a n n t e n i n d i v i d u a l i s i e r e n d e n , d. h. die B e d i n g u n g e n g e w i c h t e n d e n , K a u s a l t h e o r i e n ; siehe Horn

G S 54 S. 321 f f ; den. Z S t W 20 S. 309 f f , 315. Siehe z u r K r i t i k d e r i n d i v i d u a l i s i e r e n d e n T h e o rien v. Liszt-Schmidt S t r a f r e c h t 5 2 9 V I I 2 u n d 3, mit w e i t e r e n N a c h w e i s e n .

155

7. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. T a t b e s t a n d s v e r w i r k l i c h u n g d u r c h H a n d l u n g

B. Kritik der Formel von der condicio sine qua non 8

1. Die Aquivalenztheorie ist im Anschluß an Glaser5 von v. Buri entwickelt worden 6 . Eine verwirrende, das Kausalproblem verfälschende und letztlich restlos überflüssige Rolle spielt dabei freilich bis in die Gegenwart die Fassung der Bedingung als condicio (conditio) sine qua non; nach dieser Fassung soll Ursache eines strafrechtlich bedeutsamen Erfolgs „jede Bedingung" sein, „die nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg entfiele" 7 .

9

2 a) Die Formel ist überflüssig, weil sie nicht einmal eine Definition, noch weniger eine Formel zur Ermittlung von Kausalität ist; denn das Resultat, das sich beim Wegdenken der Bedingung ergibt, kann nur ermittelt werden, wenn man schon vorab weiß, ob die Bedingung kausal ist: Die Formel ist ein Zirkel, da der zu definierende Begriff verkappt in dem Material erscheint, mit dem definiert wird 8 . 10 b) Die Formel zerstört ferner die Äquivalenz aller Bedingungen, da diejenige Bedingung, die eine ansonsten wirkende Bedingung (Ersatzbedingung) verdrängt, nach der Formel nicht kausal sein soll. Beispiel: Vergiftet der Vater den Tee des Kinds, was, hätte er das unterlassen, die Mutter getan hätte, so wäre der Vater nach der Formel bei deren wörtlicher Anwendung nicht kausal, da sein Verhalten keine Erfolgsdifferenz bringt. Bei solchen Ergebnissen werden unter dem N a m e n der Kausalität — überdies falsche — Entscheidungen zur Zuständigkeit für Kausalität, also zur sonstigen objektiven Zurechnung gefällt 9 . — Spendet versucht, dem Dilemma durch eine variierte Fassung der Formel zu entkommen: Es sollen in der hypothetischen Lage, die sich per „Wegdenken" von Bedingungen ergibt, nicht andere Bedingungen mit ihren Wirkungen „hinzugedacht" werden dürfen 1 0 . Wenn man freilich schon weiß, was Bedingung und was Ersatzbedingung ist, bleibt das „Wegdenken" überflüssiger Ballast. Schlimmer noch: Wenn Wirkungen nur „wegzudenken", nicht aber „hinzuzudenken" sind, dürfen auch die Wirkungen von Kausalverläufen, die einen Erfolg hindern (sogenannte rettende Verläufe), nicht „hinzugedacht" w e r d e n " . Beispiel: Wer einen Menschen ins H e r z sticht, wäre nicht f ü r dessen T o d kausal, da der Mensch ohne den Stich nur als lebendig zu denken ist, wenn die Herzschläge und der funktionierende Blutkreislauf, die realiter wegen des Stichs ausgeblieben sind, „hinzugedacht" werden 1 2 . 11

c) Der methodische Fehler der Formel liegt in folgendem: Die Formel arbeitet mit einer Hypothese; diese Vorgehensweise ist angebracht, wenn das Verhältnis von Input 5 A b h a n d l u n g e n S. 298. 6 Über Causalität und deren Verantwortung 18/3; D i e C a u s a l i t ä t u n d ihre s t r a f r e c h t l i c h e n Bezieh u n g e n , 1885, u n d in z a h l r e i c h e n weiteren Publikationen. 7 B G H 1 S. 332 f f , 3 3 3 ; 7 S. 112 ff, 114; O L G S t u t t g a r t J Z 1980 S. 618 f f , 6 1 9 ; so s c h o n d a s R e i c h s g e r i c h t in s t ä n d i g e r R e c h t s p r e c h u n g : R G 1 S. 373 ff, 3 7 4 ; 5 S. 29 ff, 3 1 ; bis hin z u R G 75 S. 372 f f , 3 7 4 ; 7 7 S. 18 ff. — Siehe f e r n e r Mezger S t r a f r e c h t § 15 I I ; H. Mayer A T 5 19 II v o r 1; Baumann A T § 17 II 2 a ; als D e f i n i t i o n — n i c h t

8

als F o r m e l z u r K a u s a l i t ä t s e r m i t t l u n g — a u c h Stratenwertb A T R d n . 218 f. Z u r K r i t i k g r u n d l e g e n d Engisch K a u s a l i t ä t S. 16; ders. W e l t b i l d S. 130 u n d d o r t Fn. 2 8 8 ; ders. v. W e b e r - F e s t s c h r i f t S. 247 f f , 2 6 1 ; — siehe z u r K r i t i k f e r n e r Arthur Kaufmann Eb. Schmidt-Fests c h r i f t S. 200 ff, 2 0 7 f f ; Armin Kaufmann Dogm a t i k S. 59 f f ; Jakobs S t u d i e n S. 2 0 ; Burgstaller Fahrlässigkeitsdelikt S. 81 ff, 84 f f ; Puppe

156

9

10 11 12

Z S t W 92 S. 863 ff, 865 f f ; Jescheck A T 5 28 II 4 mit w e i t e r e n N a c h w e i s e n . D a s ü b e r s i e h t Rödig D e n k f o r m S. 110 ff, 123, 125; Rödig f r a g t n i c h t n a c h d e r Kausalität, s o n d e m gleich n a c h d e r E r f o l g s d i f f e r e n z v o n V e r h a l t e n s a l t e r n a t i v e n (S. 125). O b a b e r das R e c h t stets eine Er! o\f> sdifferenz v e r l a n g t , ist v o r a b n i c h t a u s g e m a c h t und g e r a d e in d e m von Rödig wie selbstverständlich der Nicht-Kausalität zuges c h l a g e n e n Fall, d a ß die E r s a t z b e d i n g u n g i h r e r seits r e c h t s w i d r i g gesetzt w u r d e (S. 123), a u c h z u verneinen ( u n t e n 7 / 9 2 ) . K a u s l i t ä t s f o r m e l S. 34 ff, 38, 92. Armin Kaufmann D o g m a t i k S. 60. Bei d e r U n t e r b r e c h u n g r e t t e n d e r V e r l ä u f e sieht freilich a u c h ein Teil d e r L i t e r a t u r , die z u r c o n d i c i o - s i n e - q u a - n o n - F o r m e l kritisch steht, S c h w i e rigkeiten, eine w i r k l i c h e K a u s a l b e z i e h u n g a u s m a chen (Jescheck A T 5 28 I 2 ; E. A. Wolff K a u s a l i t ä t S. 18; Kahrs V e r m e i d b a r k e i t s p r i n z i p S. 2 2 ; siehe a u c h Engisch K a u s a l i t ä t S. 2 7 ) ; d a z u unten Uli f.

Objektiver Tatbestand

7. Abschn

und Output eines Systems zu prüfen und der gesamte Input (und der Output) kontrollierbar ist, also beim Ausbleiben des Inputs (beim „Wegdenken") nichts an dessen Stelle treten kann. Wenn aber unbekannt ist, was in das System (in den Kausalverlauf zum Erfolg) an Ersatzbedingungen einfließen kann, läßt sich am Output (am Erfolg) allenfalls ablesen, ob die Bedingung notwendig war, nicht aber daß sie nicht hinreichend gewesen wäre (nicht gewirkt hätte). — Die Formel vertauscht die Voraussetzungen, unter denen man lernt, was eine Bedingung ist, mit den Voraussetzungen des Stattfindens von Bedingungen überhaupt. W a s ein Bedingungszusammenhang ist, kann man freilich nur lernen, indem man Sachverhalte mit Erfolgseintritt und solche ohne Erfolgseintritt auf die differierenden Momente untersucht. Das ist gerade wegen der Schwierigkeit der Input-Kontrolle oft ein langwieriger Prozeß. Die zum Lernen notwendige Hypothese darf aber nicht fälschlich dem stattfindenden Bedingungszusammenhang als Eigenschaft zugeschrieben werden.

C. Kausalität als Bedingung Der Begriff der Bedingung ist deshalb — u. a. gerade wegen der Äquivalenz aller 1 2 Bedingungen — von Hypothesen freizuhalten. Es kommt allein darauf an, ob ein Verhalten durch einen Erfolg (gesetzmäßig) 1 3 bedingt ist, was mit Hilfe der allgemeinen oder sachverständigen Erfahrung 1 4 zu beurteilen ist. Einzelheiten: 1. Die Bedingung muß wirklich (objektiv ex post) wirken; eine ex ante beurteilte 1 3 Wirksamkeit plus Erfolgseintritt reichen nicht hin, da der Erfolg auf einer überholenden Bedingung beruhen mag, mit anderen Worten, auf einem Abbruch der in ex-anteSicht angelegten Bedingung. Beispiel 15 : Ein Zeuge belügt in einem Zivilprozeß den Richter, der dem Zeugen glaubt, aber ein zur Aussage des Zeugen passendes Urteil aus Überlegungen fällt, die von der Aussage nicht bedingt sind; — keine Kausierung des Vermögensschadens (kein vollendeter Prozeßbetrug). 13

Die Gesetzmäßigkeit wird im Anschluß an Engisch Kausalität S. 21 ff allgemein hervorgehoben; Jescheck A T 5 28 II 4 ; Schönke-Schröder-Lenckner Rdn. 76 vor 5 13; SK-Rudolpbi Rdn. 41 vor § 1; Walder SchwZStr. 93 (1977) S. 113 ff, 136 ff, 137 ff; Arthur Kaufmann Eb. Schmidt-Festschrift S. 200 ff, 207 ff; Samson Hypothetische Kausalverläufe S. 31 f; Schlüchter ns 1976 S. 312 ff, 793 ff. Da es jedoch im strafrechtlich relevanten Bereich nur gesetzmäßige Bedingungen gibt, ist die besondere Nennung überflüssig. — Zu den naturwissenschaftlichen Zweifeln am Kausalprinzip und zu der strafrechtlichen Irrelevanz dieser Zweifel siehe Maiwald Kausalität S. 13 ff, 84 ff, 87 ff.

14

O b ein Gericht im naturwissenschaftlichen Bereich auch wissenschaftlich umstrittene Erfahrungssätze anwenden darf, ist streitig; bejahend LG Aachen J Z 1971 S. 507 ff, 510 ff („Conterganbeschluß"). Soweit dies — zutreffend — verneint wird, divergieren die Begründungen zwischen einer Lozierung des Problems im materiellen Recht und im Prozeßrecht. Armin Kaufmann versteht den erfahrungsgemäßen Zusammenhang, der nur im Faktum wissenschaftlicher Anerken-

nung greifbar ist, als Tatbestandsmerkmal {Armin Kaufmann J Z 1971 S. 569 ff, 5 7 4 ; wohl ebenso Bruns Maurach-Festschrift S. 469 ff, 478 ff); dagegen aber Maiwald (Kausalität S: 106 ff, 109), der in einer prozeßrechtlich orientierten Lösung darauf abstellt, daß bei divergierenden Fachmeinungen die Chance der Akzeptation des Urteils fehlt. — Es dürfte darauf ankommen, ob ein Gericht plausible Gründe zur Nichtberücksichtigung einzelner Angehöriger der maßgeblichen Fachkreise hat, wie dies ζ. B. im Bereich der Psychiatrie und Psychologie nicht selten der Fall ist. Im Kernbereich der Naturwissenschaften dürfte es freilich derzeit keine plausiblen Gründe geben. Diese Lösung ist nicht zwingend mit Maiwald prozessual zu verstehen; was die Kausalität angeht, so mögen die Tatbestände ein Blankett bilden, das durch die Faktizität der Meinung in den maßgeblichen und anzuerkennenden Fachkreisen gebildet wird. — Siehe auch Stratenwerth AT Rdn. 216; Schönke-Schröder-Eser Rdn. 76 vor § 13; SK-Rudolphi Rdn. 42 vor 5 1. 15

R G 69 S. 45 ff, 47 f; siehe ferner R G 64 S. 370 ff, 3 7 3 ; B G H 4 S. 360 ff, 362; B G H GA 1960 S. 111 ff.

157

7. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. T a t b e s t a n d s v e r w i r k l i c h u n g d u r c h H a n d l u n g

14

2. Die Bedingung interessiert einzig im Blick auf den tatbestandlichen Erfolg; Bedingungen für Begleitumstände des Erfolgs sind irrelevant 16 . Beispiele: Wer das vergiftete Opfer umbettet, ohne daß dies Einfluß auf den Verlauf der Vergiftung hat, wird zwar für die räumliche Lage des Opfers beim Todeseintritt ursächlich, diese allein interessiert aber im strafrechtlichen Zurechnungszusammenhang nicht (anders schon, wenn von ihr Rettungschancen abhängen). — Die Grenze dieser Bedingungen zu den nachfolgend behandelten Bedingungen des Erfolgs in seiner konkreten Gestalt ist durchaus unscharf.

15

3 a) Als Erfolg zählt nach heute weit überwiegender, im Ergebnis brauchbarer, aber mißverständlich formulierter Ansicht der Erfolg in seiner konkreten Gestalt17. Das ist keineswegs selbstverständlich, weil die Tatbestände generalisieren, so daß alle konkreten Gestalten im Rahmen des Tatbestandlichen (bei auch identischen Strafzumessungsvoraussetzungen) als Begleitumstände im Sinn des vorangehenden Absatzes verstanden werden könnten. Beispiel: Wie ein error in persona den Tatbestandsvorsatz nicht berührt, da die Identität des Opfers kein Tatbestandsmerkmal ist, so könnte auch der bloße Austausch des Opfers eines schädigenden Verlaufs als Variation von Begleitumständen definiert werden (was freilich falsch wäre). W o die Grenze zwischen einem Begleitumstand und einem Merkmal der konkreten Erfolgsgestalt verläuft, läßt sich nicht ohne Blick auf die gesamte Zurechnungslehre ausmachen. Begleitumstände werden in irgendeiner Weise von jedermann produziert (jedermann verhält sich irgendwie in der Zeit); sie können also niemanden enttäuschen und schon objektiv (unabhängig von Vorsatz und Fahrlässigkeit) keine Zurechnung begründen. Das freilich kann bei Einzelheiten der konkreten Erfolgsgestalt ebenso liegen. Beispiel: Ob eine Vase in einhundert oder in einhundertundeins Stücke zerspringt, gibt in der Regel auch keine Differenz der Enttäuschung ab (wohl aber in Sonderfällen, etwa bei einem Experiment). Bei methodisch korrektem Vorgehen müßte die gesamte Gestalt der Welt zum Erfolg in seiner konkreten Gestalt geschlagen werden; erst im Rahmen der objektiven Zurechnung wären die nicht enttäuschenden Variationen dieser Gestalt nach den Regeln vom Normzweckzusammenhang auszuscheiden (unten 7/72 ff). Ein solches Vorgehen wäre freilich unpraktisch, da die Kausalitätsprüfung keine Filterwirkung mehr hätte: Alles wäre für alles kausal.

16

b) Es ist deshalb folgendermaßen zu verfahren: Die Bedingungen für niemals zurechenbare Variationen der Situation beim Erfolgseintritt scheiden als absolute Begleitumstände von vornherein aus. Die dann verbleibenden Erfolgsbedingungen im weiteren Sinn enthalten aber noch eine Anzahl Bedingungen für relative Beleitumstände, d. h. solche Bedingungen, für die nur jeweils aus dem sonstigen objektiven Zurechnungszusammenhang begründet werden kann, daß sie keine Enttäuschung bewirken können. Beispiel: Ob der Umstand, daß ein Radfahrer einen Meter vom Bordstein entfernt und nicht zwei Meter entfernt von einem Lastwagen überfahren wird, einen Begleitumstand oder den Erfolg in seiner konkreten Gestalt betrifft, hängt davon ab, ob diese Differenz einen Grund für oder gegen objektive Zurechnung abgibt; ersteres kann etwa der Fall sein, wenn das Unterschreiten der größeren Entfernung verboten ist und dem Opfer Rettungschancen nimmt. Der Kausalzusammenhang mag also im Zweifelsfall zu16

M. L. Müller B e d e u t u n g S. 10 f f ; Engisch K a u s a l i tät S. 11 f ; Samson H y p o t h e t i s c h e K a u s a l v e r l ä u f e S. 3 0 ; SK-Rudolphi R d n . 44 v o r § 1 ; b e i l ä u f i g auch B G H 10 S. 369 ff, 3 7 0 ; h a u p t s ä c h l i c h e b e n s o Puppe Z S t W 92 S. 863 f f , 881 mit freilich teils i n k o n s e q u e n t e r L ö s u n g d e r Beispiele (S. 881 unten).

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17

N a c h w e i s e wie in d e r v o r i g e n F n . , z u d e m Maurach-Zipf A T I § 1 8 IV 2 a; — anders früher T r a u e r K a u s a l b e g r i f f S. 38 ff, 41 f f ; Tarnowski K a u s a l i t ä t s t h e o r i e S. 34 ff, 3 8 ; e i n g e h e n d dazu Samson H y p o t h e t i s c h e K a u s a l v e r l ä u f e S. 26 f f ; kritisch Puppe Z S t W 92 S. 863 ff, 870 ff, 878 ff.

Objektiver Tatbestand

7. AbSChn

nächst weit gefaßt werden; im Verlauf der Entwicklung der Zurechnung können nicht enttäuschungsrelevante Erfolgsvariationen als relative Begleitumstände ausgeschieden werden. Im Ergebnis ist es äquivalent, ob jemand für einen generell bestimmten Erfolg nicht kausal wird oder aber für einen spezieller bestimmten Erfolg wohl kausal, was ihm aber schon objektiv nicht zugerechnet wird. Jedenfalls ist die tatbestandliche Formulierung des Erfolgs nicht präjudiziell; die Gattungsbegriffe des Gesetzes erfassen die Konkreta nur unter der Voraussetzung als äquivalent, daß die objektive (und subjektive) Zurechenbarkeit auch ansonsten äquivalent ist. Beispiel: Schuß oder Gift zählen beim Totschlag gleich, trotzdem haftet derjenige, der schießen will, aber versehentlich nur Gift versprüht, trotz Kausalität für den Erfolg nicht schon wegen der generalisierenden Gesetzesformulierung für Vollendung. c) Nach diesen pragmatischen, nicht methodisch zwingenden Grundsätzen bedingt 1 7 den Erfolg als einen Komplex aus objektiv zurechenbaren Erfolgsbedingungen und relativen Begleitumständen, wer ihn beschleunigt, und sei es nur geringfügig 1 8 (auch Verzögern begründet Kausalität 19 , siehe aber zum Beschleunigen wie zum Verzögern unten zur objektiven Zurechnung 7/86). Beispiele: Wer ein schon rettungslos brennendes Gebäude an einer noch intakten Stelle anzündet, verursacht ein In-Brand-Setzen bezüglich der Teile, die vorzeitig abbrennen können 2 0 ; — wer den sowieso demnächst sterbenden Kranken zu vorzeitigem Tode kuriert, tötet im Sinn der §§211 ff StGB 2 1 . — Soweit der Erfolg in seiner konkreten Gestalt tatbestandlich quantifizierbar ist, mag je nach Fallgestaltung der Täter nicht für das Gesamtquantum, sondern nur für ein Teilquantum kausal werden. Beispiel: Wer bedingt, daß statt drei sowieso nicht zu rettender Sachen nunmehr diese drei und zwei weitere zerstört werden, bedingt nur die Differenz 2 2 . Einzelheiten zur Quantifizierbarkeit von Erfolgen sind ungeklärt. — Bedingt wird ein konkreter Erfolg auch, wenn seine Gestalt verändert wird. Also wird ζ. B. kausal, wer bewirkt, daß statt des rechten Arms eines Menschen in gleicher Weise der linke Arm verletzt wird (auch dazu unten zur objektiven Zurechnung 7/89, 90 ff). 4 a) Es kommt auf die Kausalität für den konkreten Verlauf zum Erfolg an, so daß 1 8 — entgegen der Formel von der condicio sine qua non — ein hypothetisch gleicher Erfolg die Kausalität nicht aufhebt 2 3 . Da hypothetische Verläufe mangels Realität nicht zurechenbar sind, hängt die Zurechnung davon ab, welcher von mehreren erfolgsäquivalenten Verläufen sich realisiert hat. Ersetzbar sind — per Definition der Ersetzbarkeit — nur hinreichende, nicht aber notwendige Bedingungen 24 . Beispiel 25 : Wer einen Menschen ins Konzentrationslager bringt, bedingt die Freiheitsberaubung auch dann, wenn ansonsten ein anderer das O p fer in die Lage gebracht hätte. Nach einem „spitzen" Beispiel von Engisch26 bringt es 18 B G H 21 S. 59 ff, 61. Α. A. Puppe Z S t W 92, S. 863 ff, 880, w o n a c h n u r einem G u t nachteilige Veränderungen Erfolge sein s o l l e n ; ein V o r t e i l dieser F o r m u l i e r u n g eines H a f t u n g s p r o b l e m s als K a u s a l p r o b l e m ist n i c h t e r sichtlich.

( B G H 11 S. 1 f f , 3 f f ; 21 S. 59 ff, 6 1 ; 24 S. 32 ff, 34 u. a. m.), w o b e i j e d o c h — in a l l e r d i n g s v e r w i r r e n d e r T e r m i n o l o g i e — die s a c h l i c h e Z u o r d n u n g z u r o b j e k t i v e n Z u r e c h n u n g e r h a l t e n bleibt: D e r „ B e d i n g u n g im m e c h a n i s t i s c h - n a t u r w i s s e n s c h a f t liehen S i n n " (?) w i r d eine „ w e r t e n d e B e t r a c h -

19

20 21

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O G H J R 1950 S. 404 f ; R G 22 S. 325 f. R G 50 S. 37 f f , 4 3 ; siehe a u c h R G 19 S. 141 f f , 145 f. E. A. Wolff K a u s a l i t ä t S. 2 3 ; Kühlanä Eberl J u r a 1979 S. 561 ff, 571. N a c h w e i s e siehe o b e n z u r K r i t i k d e r c o n d i c i o s i n e - q u a - n o n - F o r m e l 7 / F n . 8. — D i e R e c h t s p r e c h u n g b e h a n d e l t beim F a h r l ä s s i g k e i t s d e l i k t den h y p o t h e t i s c h e n V e r l a u f v e r b a l als K a u s a l p r o b l e m

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t u n g s w e i s e " g e g e n ü b e r g e s t e l l t ( B G H 11 S. 1 f f , 7 ) ; - z u m P r o b l e m siehe u n t e n 7 / 7 2 ff. Engisch K a u s a l i t ä t S. 17. B G H 2 S. 20 f f , 2 4 ; siehe a u c h B G H 13 S. 13 f f , 14 f : E i n e i r r t u m s b e d i n g t e V e r f ü g u n g bleibt a u c h d a n n irrtumsbedingt, w e n n der V e r f ü g e n d e o h n e den I r r t u m aus anderen G r ü n d e n verfügt hätte, K a u s a l i t ä t S. 15 f.

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7. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

bei einer Hinrichtung „der Vater . . . des ermordeten Opfers . . . fertig, sich in die Nähe des Schafotts zu schleichen und . . . im entscheidenden Augenblick an der Stelle des von ihm uno actu zurückgestoßenen Scharfrichters auf den Knopf" zu drücken; — das „Drücken" des Vaters ist Bedingung, ungeachtet der ausgeschalteten Ersatzbedingung des Scharfrichters. Nach einem gleichfalls von Engisch gebildeten Beispiel 27 ruft „A, der den sich tapfer wehrenden Β verprügelt, . . . seinen Freunden D und C zu, sie möchten ihm doch den in der Ecke stehenden Stock reichen. C und D greifen zu, C aber erwischt, indem er zugleich die Hand des D beiseite stößt, den Stock vor diesem und reicht ihn dem A, der nun mit dem Stock auf Β einschlägt". — Wiederum bedingt die Handlung des C die Stockschläge wirklich, ungeachtet der Ersatzbereitschaft des D. 19

b) Eine Bedingung entfällt auch nicht dann, wenn die Ersatzbedingung nicht vermeidbar von Menschen gesetzt würde, sondern ein natürlicher Verlauf wäre. Beispiel: Wer den rettungslos Abstürzenden erschießt, bedingt seinen T o d . — Bei der Variation des Wegs zum Erfolg ist die Bedingung der Variante selbst dann eine Bedingung des Erfolgs, wenn dieser durch die Variation nicht verändert wird. Erst recht handelt es sich um eine Bedingung des Erfolgs, wenn von der Variante eine Änderung des Erfolgs abhängt, sei der geänderte Erfolg von höherem, gleichem oder geringerem Gewicht, als er es bei unbeeinflußtem Verlauf wäre. Beispiel: W e r durch einen Zuruf an eine Person, die von einem Schlag bedroht wird, eine Änderung von deren Körperhaltung bewirkt, so daß der Schlag anders trifft, ist für den Erfolg kausal, gleich ob das Verletzungsergebnis schwerer, gleich oder leichter wiegt, als es ohne den Zuruf ausgefallen wäre. — Für quantifizierbare Erfolge gelten die diesbezüglichen Ausführungen zum konkreten Erfolg entsprechend (oben 7 / 1 5 ff).

20

5. Die Bedingung f ü r einen Erfolg wirkt stets nur in einem Zusammenhang mit anderen Bedingungen, so daß immer von kumulativer Kausalität gesprochen werden kann. Im engeren Sinn versteht man unter kumulativer Kausalität das Zusammentreffen von allein je nicht hinreichenden Verläufen, deren Setzung nicht verabredet ist 28 . — Die Kausalität ist unproblematisch; zur Zurechnung des Erfolgs (Verwirklichung der Gefahr) siehe unten 7 / 7 2 ff.

21

6. Die sich um die sogenannte Doppelkausalität (auch: alternative Kausalität) rankende Problematik 2 9 erledigt sich nach den schon genannten Regeln: Diese Kausalitätsgestalt ist ein Ableger der condicio-sine-qua-non-Formel und verliert mit dieser Formel ihre Relevanz. Es geht darum, daß mehrere Personen den Erfolg je für sich hinreichend, aber jeweils nicht notwendig bedingen. Beispiele: Zwei Täter schießen gleichzeitig einem Opfer ins Herz; — zwei Täter schütten gleichzeitig eine f ü r sich hinreichende Menge Gift in das Essen des Opfers. Bei dieser Lage ist die Ermittlung der bedingenden Handlung ein Beweisproblem, nicht aber ein besonderes Kausalitätsproblem: Welche der hinreichenden Bedingungen allein oder kumulativ (oben 7/20) mit einer anderen gewirkt hat, mag tatsächlich unklar sein; die Annahme, stets seien alle Handlungen auch Bedingungen zum Erfolg 3 0 , verfälscht beendete Versuche zu Vollendungen. Bei kumulativer Wirkung nicht in Mittäterschaft erbrachter Beiträge kann freilich die Zurechnung mangels Verwirklichung der vermeidbar gesetzten Gefahr ausscheiden (unten 8/70 f; 9/16). Werden die Beiträge jedoch unter den Voraussetzungen der Mittäterschaft erbracht, so ist neben der Kausalität der eigenen Ausfüh27 A a O .

II d, LKt-Heimann-Trosten

28 Schönke-Schröder-Lenckner R d n . 85 v o r 5 13; LK^-Nagler A n h a n g 1 z u r E i n l e i t u n g II Β 4 b (S. 30 f). 29 Schönke-Schröder-Lenckner R d n . 84 vor § 1 3 ; Baumann A T § 17 II 4 b ; l V e l z e l S t r a f r e c h t § 9

Kion J u S 1967 S. 499 ff. So zumindest der Formulierung nach Welze1 S t r a f r e c h t § 9 II d ; Tarnowski Kausalitätstheorie S. 45 f f ; d a z u Spendel K a u s a l i t ä t s f o r m e l S. 80 f f ; - wie hier SK-Rudolphi R d n . 51 v o r 5 1.

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30

E i n l e i t u n g R d n . 107;

Objektiver Tatbestand

7. Abschn

rungshandlung auch die Kausalität für eine fremde Ausführungshandlung zurechenbar. Beispiel: Ein Peloton von 10 Soldaten erschießt ein O p f e r ; — diejenigen, die die real zum Tode führende W u n d e bedingen, kausieren direkt, die anderen dadurch indirekt, daß sie durch ihr Mitmachen die Bildung eines Pelotons ermöglichen. Zu den Grenzen der Mittäterschaft in solchen Fällen siehe unten 21/55. 7 a) Kausalität f ü r einen Erfolg besteht auch beim handelnden Abbruch rettender 22 Verläufe (d. h. einen schädlichen Erfolg hindernder Verläufe); dies wird freilich unterschiedlich begründet und teilweise sogar verneint, wobei jedoch Einigkeit darüber herrscht, daß der Abbruch — kausal oder nicht — zurechenbar sein kann. Es geht darum, daß der Bedingungszusammenhang Handlung—Erfolg in diesen Fällen weniger real sein soll; er soll vielmehr ein hypothetisches oder „irreales" Moment aufweisen, da zwar der rettende Verlauf den Erfolg beeinflußt hätte, der verwirklichte ihn aber nicht beeinflußt hatil. Das ist jedoch ein naturalistisches Mißverständnis dessen, was „real bedingen" heißt. Es geht nicht um die Vermittlung von Kraft oder Impulsen, sondern um das, was sich ereignen muß, damit der Erfolg eintritt. Wenn ein vor dem Erfolg rettender Verlauf vorhanden ist, so reichen alle gegebenen Erfolgsbedingungen erst unter der weiteren Voraussetzung hin, daß der vor dem Erfolg rettende Verlauf aufgehalten wird. Das Aufhalten ist wiederum nicht als Stoppen eines Impulses (Fesseln eines hilfsfähigen und hilfswilligen Arztes), sondern überhaupt als Bedingen der NichtRettung zu verstehen, was auch durch ein Ausgestalten der Situation geschehen kann (Wegtragen des Opfers aus dem Bereich des Arztes). Dieses Ereignis bedingt also den Erfolg, und zwar nicht nur hypothetisch 3 2 . Der Bedingungszusammenhang zwischen dem Lösen einer auf schiefer Ebene befestigten Kugel und deren Bewegung ist nicht weniger real als derjenige zwischen dem Anstoßen einer Kugel auf gerader Ebene und wiederum deren Bewegung. b) O f t dürfte mangels Einblick in den konkreten Verlauf unentscheidbar sein, ob es 23 sich um den Abbruch eines rettenden Verlaufs handelt oder nicht, so etwa bei komplizierten chemischen Prozessen. Bei jeder Beendigung eines organischen Prozesses, insbesondere bei jeder Tötung, wird der Erfolg durch den Abbruch rettender Verläufe (der Nahrungsresorption, des Blutkreislaufs, der Spontanatmung etc.) bedingt. Jede Differenzierung zwischen dieser Bedingungsart und anderen Arten wäre deshalb unangebracht. c) Auch bei einem Abbruch rettender Verläufe ist für die Kausalität (nicht aber f ü r 24 die objektive Zurechnung) irrelevant, ob die abbrechende Bedingung im Fall ihres Ausbleibens ersetzt worden wäre. Beispiel: Bringt ein Täter einen an sich Rettungswilligen und Rettungsfähigen durch Hingabe von Geld dazu, das in N o t befindliche O p f e r umkommen zu lassen, so bedingt er den T o d des Opfers auch dann, wenn ein anderer bereitsteht, den Retter mit Gewalt zu hindern, falls er durch das Geld nicht korrumpierbar sein sollte; — die Hinderung mit Gewalt ereignet sich nicht und ist deshalb nur Ersatzbedingung. — Ein Verlauf, der f ü r alle Beteiligten unvermeidbar fehlschlagen wird, ist freilich überhaupt kein rettender Verlauf, sondern allenfalls ein untauglicher Rettungsversuch. d) Daß der Abbruch des rettenden Verlaufs den Erfolg bedingt, heißt freilich nicht, 25 auch das Fehlen eines rettenden Verlaufs sei Bedingung des Erfolgs; denn das Fehlen ist — im Gegensatz zum Abbruch — überhaupt kein Ereignis, sondern das Ausbleiben eines Ereignisses 33 . Ungeachtet des Umstands, daß im Sinn der Logik das Fehlen von 31

Engisch K a u s a l i t ä t S. 27 f mit Fn. 6 ; Hardwig Z u r e c h n u n g S. 148 f ; E. A. Wolff K a u s a l i t ä t S. 18 mit Fn. 2 4 ; Kahrs V e r m e i d b a r k e i t s p r i n z i p S. 2 2 ;

Jescheck A T § 28 1 2 ; R d n . 71 v o r § 13. 32 Jakobs S t u d i e n S. 21 f. 53 D a s ü b e r s i e h t Puppe ZStW

Schänke-Schröder-Lenckner

92 S. 863 f f , 898.

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7. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. T a t b e s t a n d s v e r w i r k l i c h u n g d u r c h H a n d l u n g

etwas Folgen haben kann (im Sinn von Folgerungen zulassen, nicht von Erfolg haben), hat in derjenigen Wirklichkeit, in der die Folgen des Strafrechts belegen sind, dasjenige, was nicht ist, auch keine Folgen (im Sinn von Erfolg). Vielmehr ist das Fehlen von Hindernissen immer schon in der Aussage mitbedacht, ein Erfolg sei durch ein Ereignis hinreichend bedingt; das Fehlen ist also nicht weitere Bedingung neben dem Ereignis 34 . Durch die Anerkennung von nur-negierenden Bedingungen würde jedes Bedingtsein doppelt gezählt: im Ereignis und im Fehlen der Hinderung des Ereignisses 35 . — Zur Möglichkeit der Bestimmung des Ereignisses nach seiner sozialen Relevanz siehe unten zur Unterlassung 29/16. 26

8. Da nur ein Ereignis einen Erfolg bedingen kann, nicht aber das Fehlen eines Ereignisses, ist eine Unterlassung für einen Erfolg nicht kausal (siehe unten 29/15 ff). Da Unterlassungen aber zurechenbar sein können, ist der Zurechnungszusammenhang demgemäß weiter als der Kausalzusammenhang.

27

9. Eine Bedingung kann auch ein psychisches Ereignis, insbesondere einen Tatentschluß oder die Preisgabe eines Tatentschlusses, zur Folge haben. Daran ändert sich nichts, wenn das psychische Ereignis dem Subjekt, bei dem es stattfindet, selbst voll zurechenbar ist. Auch wer einen voll Schuldfähigen zu einer T a t anstiftet, wird f ü r den Taterfolg kausal, wenn die Tat vollzogen wird. Beispiel 36 : Die Geliebte besorgt ihrem verheirateten Geliebten Gift, mit dem dieser vorsätzlich und schuldhaft seine Frau umbringt; — Kausalität der Geliebten für den T o d der Frau. Die ältere Version der Lehre vom Regreßverbot 3 7 , wonach ein Kausalzusammenhang durch einen vorsätzlich und schuldhaft Handelnden nicht vermittelt, sondern unterbrochen werden soll, ist also verfehlt: Es geht nicht um das Unterbrechen eines Kausalzusammenhangs 3 8 , sondern um das Fehlen eines Zurechnungszusammenhangs bei gegebener Kausalität (unten 24/ 13 ff). Psychische Ereignisse als Erfolg sind auch der Irrtum beim Betrug 3 9 und die Motivationsbelastung bei den durch Drohung oder durch vis compulsiva begangenen Nötigungsdelikten (§§ 240, 253 StGB u. a. m.).

28

10. In wessen Zuständigkeitsbereich ein Bedingungszusammenhang fällt, ist für seinen Bestand unmaßgeblich. Es kommt für die Kausalität nicht darauf an, ob der Verursacher für sie zuständig ist oder die Kausalität mangels Vermeidbarkeit als Zufall abschieben kann oder gar dem Opfer zuschieben kann, soweit etwa die Kausalität wesentlich durch die Leichtfertigkeit des Opfers bedingt wird 4 0 . Entsprechendes gilt f ü r eine anfällige Konstitution des Opfers. W e r also ein Opfer verletzt, das unerkennbar ein Leichtbluter ist, verursacht auch die Folgen, die nur im Zusammenhang mit der Konstitution des Opfers eintreten 4 1 . 34 Jakobs S t u d i e n S. 22. 35 M a n k a n n das f o r t s e t z e n z u m Fehlen d e r H i n d e r u n g e i n e r H i n d e r u n g etc. 36 R G 64 S. 370 ff, 3 7 2 ; w e i t e r e E n t s c h e i d u n g e n , die ein R e g r e ß v e r b o t im älteren V e r s t ä n d n i s a b l e h n e n : R G 61 S. 318 ff, 3 2 0 ; 6 3 S. 383 ff, 3 8 6 ; 64 S. 3 1 6 ff, 3 1 8 ; O G H 2 S. 1 f f , 2 ; B G H 4 S. 360 ff, 3 6 2 ; O L G B r a u n s c h w e i g S J Z 1949 Sp. 130 ff mit A n m e r k u n g Spendet a a O Sp. 133 ff. — A n d e r s (Vertauschung von Kausal- und Zurechnungszus a m m e n h a n g ) a b e r B G H N J W 1966 S. 1823 mit a b l e h n e n d e r A n m e r k u n g Hertel a a O S. 2418 u n d Kion J u S 1967 S. 499 ff. 37

B e g r ü n d e t v o n Frank S t G B 3 / 4 ξ 1 I V 1, f e r n e r I V v o r § 4 7 ; v o n Frank selbst als P r o b l e m n i c h t des

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K a u s a l z u s a m m e n h a n g s , s o n d e r n des Zurechn u n g s z u s a m m e n h a n g s f o r m u l i e r t in S t G B 1 8 § 1 I I I 2 a ; weitere N a c h w e i s e z u d e r älteren V e r s i o n bei Naucke Z S t W 76 S. 409 ff, 432 ff. 38 D a ß es sich n i c h t u m ein K a u s a l p r o b l e m h a n d e l t , ist h e u t e d e r S a c h e n a c h einhellige M e i n u n g ; einige A u t o r e n b e h a n d e l n freilich die objektive Z u rechnung unter dem N a m e n der Kausalität; N a c h w e i s e bei Jakobs Z S t W 89 S. 1 ff, 4 ff. 3 ' D a z u Engisch v. W e b e r - F e s t s c h r i f t S. 247 ff. « R G 6 S. 249 ff, 2 5 0 ; 22 S. 173 ff, 175; B G H 7 S. 112 f f , 114. t l R G 54 S. 349 f f ; B G H 14 S. 52 f f ; siehe a u c h R G 5 S. 29 ff, 3 1 ; 2 7 S. 9 3 ; B G H 1 S. 332 f f , 3 3 3 ; O L G S t u t t g a r t N J W 1956 S. 1451 f.

Objektiver Tatbestand

7. Abschn

III. Die objektive Zurechnung des Erfolgs, 1. Fortsetzung: Adäquanz? Literatur L. v. Bar Die Lehre vom Kausalzusammenhang im Recht, besonders im Strafrecht, 1871; ders. Gesetz und Schuld im Strafrecht Bd. II, 1907; K. Engisch Die Kausalität als Merkmal der strafrechtlichen Tatbestände, 1931; ders. Anmerkung zu B G H J Z 1951 S. 787, a a O S. 787 f; M. FraenkelTatbestand und Zurechnung bei § 823 Abs. 1 BGB, 1979; R. M. Honig Kausalität und objektive Zurechnung, Frank-Festgabe Bd. I-S. 174 ff; H.Kamps Ärztliche Arbeitsteilung und strafrechtliches Fahrlässigkeitsdelikt, 1981; J. v. Kries Über die Begriffe der Wahrscheinlichkeit und Möglichkeit und ihre Bedeutung im Strafrechte, Z S t W 9 S. 528 f f ; ders. Principien der W a h r scheinlichkeitszurechnung, 1886; K. Larenz Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, 1927; W. Maihofer Zur Systematik der Fahrlässigkeit, ZStW 70 S. 159 ff; R. Maurach Adäquanz der Verursachung oder der Fahrlässigkeit? GA 1960 S. 97 ff; W. Naucke Der Kausalzusammenhang zwischen Täuschung und Irrtum beim Betrug, Peters-Festschrift S. 109 ff; D. Oehler Das objektive Zweckmoment in der rechtswidrigen Handlung, 1959; G. Radbruch Die Lehre von der adäquaten Verursachung, 1902; H.-J. Rudolphi Vorhersehbarkeit und Schutzzweck der N o r m in der strafrechtlichen Fahrlässigkeitslehre, JuS 1969 S. 549 ff; H. Stoll Kausalzusammenhang und N o r m z w e c k im Deliktsrecht, 1968; H. Tarnowski Die systematische Bedeutung der adäquaten Kausalitätstheorie f ü r den Aufbau des Verbrechensbegriffs, 1927; L. TraegerOer Kausalbegriff im Straf- und Zivilrecht, 2. Auflage 1929; H. Walder Die Kausalität im Strafrecht, SchwZStr. 93 (1977) S. 113 ff; J. Wolter Adäquanz- und Relevanztheorie. Zugleich ein Beitrag zur objektiven Erkennbarkeit beim Fahrlässigkeitsdelikt, GA 1977 S. 257 ff.

A. Die Grundbegriffe Für die objektive Zurechnung des Erfolgs ist die Kausalität nur die Mindestbedin- 29 gung; es muß noch die rechtliche Relevanz der Kausalbeziehung zwischen dem H a n delnden und dem Erfolg hinzukommen. Freilich wird die Relevanz von Kausalverläufen nicht nur objektiv beschränkt; vielmehr wirkt auch das Erfordernis einer kongruenten subjektiven Tatseite beschränkend. Hier sollen jedoch zunächst diejenigen Zurechnungsvoraussetzungen spezifiziert werden, die — wie schon die Kausalität — von der Beziehung des Subjekts zu ihnen unabhängig sind. Alle nachfolgend zu nennenden Institute lassen sich auf zwei Wurzeln zurückfüh- 30 ren. Zum einen geht es um den Zweck des Strafrechts, Erwartenssicherheit zu gewährleisten. Aus diesem Regelungszweck ergibt sich, daß sozialadäquates Verhalten aus dem Kreis zurechenbaren Verhaltens hinausfällt. Die Institute: erlaubtes Risiko, Vertrauensgrundsatz, garantenbezogene Begehung und Regreßverbot sind Explikationen der Sozialadäquanz f ü r jeweils einen Bereich. Diese Institute überschneiden sich, so daß die Zuordnung einzelner Fälle zweifelhaft bleiben mag. — Zum anderen geht es um die Regelungs/orm, die strafrechtlich dominiert, seil, um das Erfolgsdelikt. Diese Regelungsform bedingt, daß sich das vom Täter unerlaubt gesetzte Risiko auch verwirklichen muß. Die Voraussetzungen dieser Beziehung werden zum N o r m z w e c k z u sammenhang (Risikokonkurrenz) erläutert.

B. Die Adäquanztheorie 1 a) Der historisch bedeutsamste Versuch einer Beschränkung der Kausalität auf 31 objektiv zurechenbare Kausalität ist durch die Adäquanztheorie unternommen worden. Das Bedürfnis zur Einschränkung der Kausalität unabhängig von der sowieso erfolgenden Haftungsbegrenzung durch Vorsatz und Fahrlässigkeit entstand hauptsächlich 4 2 durch die erfolgsqualifizierten Delikte alter Art; bei diesen Delikten war bezüg42

Weitere G r ü n d e bei Engisch Kausalität S. 49; zum heutigen V e r w e n d u n g s u m f a n g der Adäquanztheorie siehe Wolter GA 1977 S. 257 ff.

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7. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

lieh des qualifizierenden Erfolgs nicht „wenigstens Fahrlässigkeit", sondern überhaupt keine subjektive Beziehung erforderlich, da eine dem heutigen § 18 StGB entsprechende Gesetzesbestimmung bis 1953 fehlte 4 3 . Bei dieser Gesetzeslage hing die Erfolgsqualifizierung einzig davon ab, ob sie verursacht war, wobei nach den Maximen der Aquivalenztheorie auch aus der Qualifizierung zu haften war, wenn bei wertender Betrachtung der Täter f ü r den Erfolg nicht zuständig war, etwa wegen eines überwiegenden Selbstverschuldens des Opfers oder wegen zufällig unglücklicher Fallkonstellation. Die Adäquanztheorie ersetzt nicht die Aquivalenztheorie, sondern beschneidet die Relevanz äquivalenter Ursachen. Nach der Adäquanztheorie soll eine Kausierung rechtlich nur relevant sein (in der älteren Fassung: als Kausierung im strafrechtlichen Sinn nur gelten), wenn sie nicht unwahrscheinlich ist. Diese Theorie wurde von v. Kries begründet 4 4 und wird seitdem als Lösungsvehikel für diverse Problemfälle angeboten (allgemeine Haftungsbegrenzung, Gefahrbegriff, Vorsatzabweichung, Rahmen des Fahrlässigkeitsdelikts, vorzeitige Vollendung u. a. m.). Die strafrechtliche Rechtsprechung hat die Anwendung der Adäquanztheorie durchgehend, selbst bei den erfolgsqualifizierten Delikten alter Art, abgelehnt 4 5 , dies im Gegensatz zur zivilrechtlichen Rechtsprechung 4 6 , die sich der Adäquanztheorie insbesondere zur Limitierung von Gefährdungshaftung und zur haftungsausfüllenden Kausalität bedient 4 7 . Im strafrechtlichen Schrifttum wird die Adäquanztheorie bis in die Gegenwart breit vertreten 4 8 . — Im Ergebnis läuft auch die Lehre von der objektiven Bezweckbarkeit 4 9 , wonach die H a f t u n g auf überhaupt von vernünftigen Menschen steuerbare Kausalverläufe beschränkt werden soll, auf die Adäquanztheorie hinaus. 32

b) Wie das Wahrscheinlichkeitsurteil zu bilden ist, war umstritten 5 0 . Es hat sich ergeben, daß bei einer rein subjektiven Prognose das Urteil auf die Vermeidbarkeit hinausläuft, also neben Vorsatz und Fahrlässigkeit keine Berechtigung hat, während bei einer rein objektiven Prognose 5 1 ein Täter mit überlegenem Sonderwissen dieses Wissen straffrei einsetzen kann. Deshalb werden beide Perspektiven zu einer — sehr « § 56 S t G B a. F. w u r d e d u r c h d a s 3. S t r a f r e c h t s ä n d e r u n g s g e s e t z v o m 4. 8. 1953, BGBl. I S. 739, eingefügt. 44 Principien der Wahrscheinlichkeitsrechnung, 1886, S. 75 f f ; den. Z S t W 9 S. 528 f f ; — b e m e r k e n s w e r t : v. Kries w a r n i c h t J u r i s t , s o n d e r n P h y siologe. — V o r v. Kries s c h o n d e r S a c h e n a c h v. Bar D i e L e h r e v o m K a u s a l z u s a m m e n h a n g im R e c h t e , b e s o n d e r s im S t r a f r e c h t , 1871, S. l l f ; ders. G e s e t z u n d S c h u l d im S t r a f r e c h t Bd. II 1907, S. 178. "5 R G 54 S. 349 f f ; B G H 1 S. 332 ff, 333 mit a b l e h n e n d e r A n m e r k u n g Engisch J Z 1951 S. 787 f. 46 R G Z 42 S. 291 f f ; 50 S. 219 f f ; 69 S. 57 f f ; 78 S. 270 ff, w o die A d ä q u a n z t h e o r i e als „ s t ä n d i g e Rechtsprechung" festgeschrieben wird. 47 D e m n e u e r e n V e r s t ä n d n i s d e r zivilrechtlichen P r o b l e m a t i k g e n ü g t die A d ä q u a n z t h e o r i e n i c h t m e h r ; siehe B G H Z 27 S. 138 f f ; Stoll K a u s a l z u s a m m e n h a n g u n d N o r m z w e c k im D e l i k t s r e c h t S. 5 f f ; Fraenkel Tatbestand und Zurechnung S. 193 ff u n d p a s s i m . 48 G r u n d l e g e n d f ü r die n e u e r e Zeit Engisch K a u s a l i t a t S. 41 f f ; f e r n e r Bockelmann AT §13 V 4 ; Maurach-Zipf A T I § 18 II C 2 ; Wolter Gh. 1977 S. 257 f f ; Maurach G A 1960 S. 97 f f ; Walder

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S c h w Z S t r . 9 3 (1977) S. 113 ff, 144 f f ; mit

Ein-

s c h r ä n k u n g e n a u c h Welze! S t r a f r e c h t 5 9 III 2 u n d 3 ; Stratenwerth A T R d n . 221 f f ; Baumann A T § 17 I I I 1. — B e s c h r ä n k t auf d e n K a u s a l z u s a m m e n h a n g v o n T ä u s c h u n g u n d I r r t u m beim B e t r u g Naucke P e t e r s - F e s t s c h r i f t S. 109 ff, 118. — A u s d e m älteren S c h r i f t t u m siehe Traeger K a u salbegriff S. 159 f f , 187; Radbruch A d ä q u a t e V e r u r s a c h u n g S. 64 ff ( b e s c h r ä n k t auf e r f o l g s q u a l i f i z i e r t e D e l i k t e alter A r t ) ; Tarnowski Kausalitätst h e o r i e S. 330 ff, 333, 338, 3 4 5 ; u n d a n s o n s t e n das R e g i s t e r bei v. Hippel S t r a f r e c h t Bd. II S. 144 F n . 1. 4< > Larenz H e g e l s Z u r e c h n u n g s l e h r e S. 9 4 ; Oehler D a s objektive Z w e c k m o m e n t S. 65 f f , 73 f ; Honig F r a n k - F e s t g a b e Bd. I S. 174 ff, 184, 188; Maiho/ e r Z S t W 70 S. 159 ff, 171, 182; — siehe d a z u Jakobs S t u d i e n S. 5 3 ff. 50 N a c h w e i s e bei Engisch K a u s a l i t ä t S. 51 f f ; Maurach-Zipf A T I § 1 8 II C 2 ; Wolter G A 1977 S. 257 ff, 263. 51 D e h n t m a n das O b j e k t i v e bis z u m ü b e r h a u p t irg e n d e i n e m M e n s c h e n P r o g n o s t i z i e r b a r e n , also bis z u m E i n s c h l u ß alles S u b j e k t i v e n , so verliert es seine g e n e r a l i s i e r e n d e B e d e u t u n g .

Objektiver Tatbestand

7. Abschn

schlecht sogenannten 52 — objektiv nachträglichen Prognose kumuliert. Gemeint ist ein Urteil mit kumuliert subjektiver und objektiver Urteilsmöglichkeit ex ante, wobei die Vorschläge zur objektiven Urteilsmöglichkeit zwischen dem schwanken, was bei Personen in einer bestimmten Rolle zu erwarten ist, bis hin zur Zusammenfassung restlos allen Erfahrungswissens einer bestimmten Zeit in einer idealen Person. — Wie hoch wahrscheinlich eine Kausierung sein muß, um rechtlich relevant zu sein, regelt die Adäquanztheorie nicht. 2. Bei einer Würdigung der Adäquanztheorie ist zwischen (a) der Adäquanz einer 33 Folge bestimmter Art und (b) derjenigen eines bestimmten Verlaufs zu einer Folge zu unterscheiden. a) Die Wahrscheinlichkeit einer Folge ist im Grenzfall ein Kriterium der Zurechnung. Es gibt Handlungen, deren geringe Erfolgswahrscheinlichkeit Haftung auch dann ausschließt, wenn der Erfolg trotz der dürftigen Wahrscheinlichkeit eintritt. Beispiel: Wer — ohne weiteres Zutun und Wissen — sein Kind mit einem Verkehrsflugzeug in der sich erfüllenden Hoffnung reisen läßt, das Kind möge bei einem Absturz umkommen, haftet nicht, weil er das erlaubte Risiko nicht überschreitet. Das erlaubte Risiko hängt aber nicht nur vom Wahrscheinlichkeitsgrad ab, sondern auch von der Art des Risikos, der Situation, in der es ausgelöst wird u. a. m. Ein Adäquanzurteil kann die differenzierende Beurteilung durch das erlaubte Risiko nicht ersetzen und ist neben dem erlaubten Risiko überflüssig 53 . b) Eine Adäquanz eines bestimmten Verlaufs zu einer Folge, und das ist die Ad- 34 äquanz des Hauptanwendungsbereichs der Theorie, gibt es nicht 54 . — Es geht darum, daß ein Verhalten (ein Schuß auf einen Menschen) einen Erfolg (den Tod) bedingt, aber auf einem ungewöhnlichen und in diesem Sinn inadäquaten Weg (das angeschossene Opfer erstickt bei einem nächtlichen Zimmerbrand im Krankenhaus, wohin es verbracht wurde). Diese Inadäquanz soll die objektive Zurechnung aufheben, nach einem Teil der Lösungen freilich erst die Zurechnung zum Vorsatz, jedenfalls nach der hiesigen Lösung die Zurechnung als Unrecht 55 . — Bei hinreichend detaillierter Verlaufsanalyse ist aber jeder Verlauf vereinzelt. Beispiel56: Wenn ein Autofahrer, der mit abgefahrenen Reifen ins Schleudern gerät, gerade in der konkreten Weise vor die konkret gestaltete Vorderseite eines gerade hier entgegenkommenden Lastwagens schleudert etc., wobei ein Lungenflügel des Beifahrers zerquetscht wird, was bei der schon bestehenden Insuffizienz des anderen Flügels über weitere Komplikationen letztlich zu dessen Tod führt, so ist das nur eine Verlaufsvariante aus dem Bereich unabsehbar vieler Varianten. Bei Hinzunahme der Konkreta ist speziell der geschehene Verlauf nicht adäquater, als es etwa ein unerkennbarer Reifendefekt wäre. Freilich ist eine Kette nicht unwahrscheinlicher Ereignisse prognostizierbar (im Beispiel: abgefahrene Reifen, Schleudern, Zusammenstoß, Verletzung, Tod), aber diese Ereignisse sind gerade nicht konkret prognostizierbar, sondern nur im Rahmen eines üblichen Erscheinungsbilds. Man kann auch nicht die Adäquanztheorie dahin modifizieren, daß unter Preisgabe der Wahrscheinlichkeit des konkreten Verlaufs nur noch auf die Wahrscheinlichkeit 52

Die P r o g n o s e ist w e d e r n u r o b j e k t i v , s o n d e r n u m f a ß t d a s T ä t e r w i s s e n , n o c h ist sie n a c h t r ä g l i c h : W a n n sie p s y c h i s c h v o l l z o g e n w i r d , ist restlos gleichgültig ( a u c h V e r l ä u f e , v o n d e n e n ein R i c h ter nie e r f ä h r t , k ö n n e n a d ä q u a t sein), s o n d e r n es geht u m das ideale Urteil, u n d d a s b e s t e h t zeitlos. 53 W e n n Wolter ( G A 1977 S. 2 5 7 ff, 271 f f ) in E r k e n n t n i s dessen das A d ä q u a n z u r t e i l je n a c h Leb e n s b e r e i c h e n s t u f t , so läßt sich n u r n o c h n u t z l o s

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über den N a m e n (gestufte A d ä q u a n z o d e r erlaubtes R i s i k o ? ) streiten. Z u m f o l g e n d e n T e x t siehe Jakobs S t u d i e n S. 63 f mit F n . 83. Grundlegend wiederum Engisch Kausalität S. 51 f f , 61 ff. Siehe a u c h d e n S a c h v e r h a l t z u O L G S t u t t g a r t N J W 1982 S. 2 9 5 f.

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7. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

eines üblichen Erscheinungsbilds abgestellt wird. Denn dieses Erscheinungsbild könnte nur an solchen Zwischenfolgen festgemacht werden, die sich erfahrungsgemäß häufig ergeben. Die Adäquanz der Verläufe zwischen diesen Zwischenfolgen bliebe dabei ungeklärt. Beispiel: Zusammenstöße von Kraftfahrzeugen bringen häufig Verletzungen; trotzdem mag im Einzelfall die Verbindung Zusammenstoß—Verletzung auf Grund einer unglücklichen Verkettung von Bedingungen bestehen. Soll die Adäquanz nicht preisgegeben werden, muß also auch nach der adäquaten Verknüpfung der sinnenfällig häufigen Zwischenfolgen gefragt werden: Der Adäquanz bis hin zum Detail läßt sich nicht umgehen. — Ein genuiner Fehler der Adäquanztheorie kommt hinzu: Die Theorie qualifiziert Kausalverläufe nach Kriterien der Statistik (wahrscheinlich?) und der allgemeinen Sinnenfälligkeit (übliches Erscheinungsbild?), ohne die normative Relevanz 5 7 dieser Kriterien dartun zu können 5 8 . Es können — entgegen der Adäquanztheorie — auch vereinzelte konkrete Verläufe ohne Entsprechung zu einem üblichen Erscheinungsbild normativ relevant sein. Beispielhaft gesprochen: Wenn ein gebräuchliches Gift bei einem Menschen, der ein höchst selten verwendetes Medikament süchtig mißbraucht hat, wegen der dadurch veränderten Konstitution nicht — wie üblich — im Magen, sondern schon in der Speiseröhre (oder erst im Darmtrakt) wirkt, so läßt sich trotz der extremen Unwahrscheinlichkeit des konkreten Verlaufs keine Begründung dafür geben, den Erfolg nicht zuzurechnen; denn die Folge ist eine Verwirklichung der vom Täter verursachten Gefahr unter den Bedingungen des Einzelfalls (siehe unten 7/85).

Abgesehen von den geschilderten Mängeln der Adäquanztheorie ist die Adäquanz des konkreten Verlaufs wie auch die Adäquanz des dem üblichen Erscheinungsbild entsprechenden Verlaufs in einer praktisch gewichtigen Zahl von Fällen überhaupt nicht feststellbar. D a ß eine bestimmte Bedingung bestimmte Folgen hat, ist in der Medizin oder der Pharmazie oder der Chemie häufig bekannt und auch planvoll einsetzbar (etwa zu Therapien, Vergiftungen, Explosionen), obgleich der Verlauf zwischen Bedingung und Erfolg unbekannt und deshalb nach seiner Adäquanz nicht zu beurteilen ist. — Auch bei Fällen je vereinzelter, insgesamt aber häufig erfolgbringender Verläufe versagt die Adäquanztheorie 5 9 (Beispiel: individuelle psychische Reaktionen auf komplexe Stimuli).

IV. Die objektive Zurechnung des Erfolgs, 2. Fortsetzung: Der Ausschluß bei erlaubtem Risiko Literatur J. Bohnert Fahrlässigkeitsvorwurf und Sondernorm, JR 1982 S. 6 ff; M. Burgstaller Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht, 1974; P. Bockelmann Strafrecht des Arztes, 1968; E. Deutsch Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, 1963; K. Engisch Untersuchungen über Vorsatz und Fahrlässigkeit im Strafrecht, 1930; ders. D e r Unrechtstatbestand im Strafrecht, DJT-Festschrift Bd. I S. 401 ff; ders. Die H a f t u n g des operierenden Chirurgen nach den §§ 222, 230 StGB für Fehler der Operationsschwester, Langenbecks Archiv 288 (1958) S. 573 ff; ders. Wie ist rechtlich die Verantwortlichkeit des Chirurgen im Verhältnis zur Verantwortlichkeit des Anaesthesisten . . .? 57

U m diese R e l e v a n z b e m ü h t sich die d e s h a l b s o g e n a n n t e Relevanztheorie; ihre Bedeutung erschöpft sich d a r i n , n a c h d e r T r e n n u n g d e r Ä q u i v a l e n z Ursachenfrage von der Adäquanz-Zurechnungsf r a g e eine V e r s c h i e d e n h e i t d e r A d ä q u a n z l ö s u n g je n a c h d e m e i n s c h l ä g i g e n T a t b e s t a n d z u b e h a u p ten. Details — u n d d a m i t p r a k t i s c h e R e l e v a n z e n — f e h l e n . Siehe Mezger S t r a f r e c h t § 15 I V ; ders.

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A T 2 § 24 V I ; Blei A T § 26 V I mit w ö r t l i c h e m Bez u g auf Mezger; Wessels A T § 6 I 5, 6. 58 K r i t i s c h so a u c h Wolter CA 1977 S. 257 f f , 2 6 1 ; SK-Rudolphi R d n . 56 v o r § 1; Rudolphi J u S 1969 S. 549 ff, 551. 59 Siehe aber hierzu und zu der vorigen Fallgruppe Engisch K a u s a l i t ä t S. 62.

Objektiver Tatbestand

7. Abschn

Langenbecks Archiv 297 (1961) S. 236 ff; P. Frisch Das Fahrlässigkeitsdelikt und das Verhalten des Verletzten, 1973; W. Gallas Zum gegenwärtigen Stand der Lehre vom Verbrechen, ZStW 67, S. 1 ff; H. J. Hirsch Soziale Adäquanz und Unrechtslehre, ZStW 74 S. 78 ff; G. Jakobs Das Fahrlässigkeitsdelikt, Beiheft ZStW 1974 S. 6 ff; ders. Regreßverbot beim Erfolgsdelikt, ZStW 89 S. 1 ff; H. Kamps Ärztliche Arbeitsteilung und strafrechtliches Fahrlässigkeitsdelikt, 1981; Armin Kaufmann Das fahrlässige Delikt, ZRV 1964 S. 41 ff; D. Kienapfel Das erlaubte Risiko im Strafrecht, 1966; K. Kirschbaum Der Vertrauensschutz im deutschen Straßenverkehrsrecht, 1980; D. Krauß Erfolgsunwert und Handlungsunwert im Unrecht, ZStW 76 S. 19 ff; Th. Lenckner Technische Normen und Fahrlässigkeit, Engisch-Festschrift S. 490 ff; F. Nowakowski Zu Welzels Lehre von der Fahrlässigkeit, JZ 1958 S. 388 ff; ders. Probleme der Strafrechtsdogmatik, JurBl. 1972 S. 19 ff; W. PreußUntersuchungen zum erlaubten Risiko im Strafrecht, 1974; J. Rehberg Zur Lehre vom „Erlaubten Risiko", 1962; H. Roeder Die Einhaltung des sozialadäquaten Risikos, 1969; C. Roxin Zum Schutzzweck der Norm bei fahrlässigen Delikten, Gallas-Festschrift S. 241 ff; H.-J. Rudolphi Vorhersehbarkeit und Schutzzweck der N o r m in der strafrechtlichen Fahrlässigkeitslehre, JuS 1969 S. 549 ff; E. Samson Rechtliche Modelle zur Regelung des RisikoNutzen-Problems, in: G. Rohrmoser \ιηά E. Lindenlaub (Hrsg.) Fortschritt und Sicherheit, 1980, S. 289 ff; F. Schaffstein Handlungsunwert, Erfolgsunwert und Rechtfertigung bei den Fahrlässigkeitsdelikten, Welzel-Festschrift S. 557 ff; B. Schünemann Moderne Tendenzen in der Dogmatik der Fahrlässigkeits- und Gefährdungsdelikte, JA 1975 S. 435 ff, 511 ff, 575 ff, 647 ff, 715 ff; ders. Neue Horizonte der Fahrlässigkeitsdogmatik? Schaffstein-Festschrift S. 159 ff; G. Stratenwerth Arbeitsteilung und ärztliche Sorgfaltspflicht, Eb. Schmidt-Festschrift S. 383 ff; O. Triffterer Die „objektive Voraussehbarkeit" (des Erfolges und des Kausalverlaufs) — unverzichtbares Element im Begriff der Fahrlässigkeit oder allgemeines Verbrechenselement aller Erfolgsdelikte? Bockelmann-Festschrift S. 200 ff; H. Welzel Studien zum System des Strafrechts, ZStW 58 S. 491 ff; ders. Fahrlässigkeit und Verkehrsdelikte, 1961; J. Wolter Adäquanz- und Relevanztheorie. Zugleich ein Beitrag zur objektiven Erkennbarkeit beim Fahrlässigkeitsdelikt, GA 1977 S. 257 ff; D. Zielinski Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff, 1973; H. Zipf Rechtskonformes und sozialadäquates Verhalten im Strafrecht, ZStW 82 S. 633 ff; ders. Einwilligung und Risikoübernahme im Strafrecht, 1970.

A. Die Begründung des erlaubten Risikos 1. Es ist der H a u p t f e h l e r der Adäquanztheorie, genuin falsch b e z o g e n zu sein, seil. 35 auf Statistik, Erfahrung und sinnenfällige Bilder, statt auf den Z w e c k v o n Strafrechtsnormen. Freilich wäre es gleichermaßen falsch, nunmehr allein auf die durch das Strafrecht zu leistende Erwartenssicherheit abzustellen, o h n e z u berücksichtigen, daß diese Sicherheit nicht ihrerseits ein Endziel ist. D i e strafrechtlich sanktionierten N o r m e n regulieren menschliches Verhalten nicht um der Regulierung willen, sondern zur E r m ö g l i c h u n g sozialen Lebens, das o h n e Erwartenssicherheit keinen Bestand hat. Auch w e n n die Strenge der Regulierung und die Sicherheit der Erwartung sich entsprechen sollten, so bringt diese Sicherheit d o c h nicht die Möglichkeit der größeren Differenzierung des sozialen Lebens. D e n n je mehr Enttäuschungen um jeden Preis vermieden werden, um so stärker schrumpft das Arsenal möglicher Verhaltensweisen, bis hin zu standardisierten gefahrlosen Stereotypen. Kraß: W e n n man als Passant vor restlos jeglicher G e f ä h r d u n g durch K r a f t f a h r z e u g e verschont sein will, kann ein auf dem D o r f w o h n e n d e r Kranker nicht erwarten, daß der Arzt trotz Glatteisgefahr zur Hausvisite kommt. S c h o n zur Erhaltung eines d i f f e renzierten A n g e b o t s an Möglichkeiten sozialen Kontakts müssen also einige Enttäuschungsmöglichkeiten in Kauf g e n o m m e n werden. D a b e i ist es um so eher möglich, ein Risiko als erlaubt z u akzeptieren, als es auch die jeweils e i g e n e Handlungsfreiheit erweitert. D i e Entlastung v o n der V e r a n t w o r t u n g für bestimmte Folgen macht dann nicht nur die Palette fremden Verhaltens reichhaltiger, sondern auch die Zahl der H a n d l u n gen, aus der jeder selbst w ä h l e n kann, ohne sich falsch z u verhalten, und ermöglicht 167

7. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. T a t b e s t a n d s v e r w i r k l i c h u n g d u r c h H a n d l u n g

deshalb, wenn eine riskante Wahl getroffen wird, die Erledigung durch Zurechnung zum Opfer selbst. Die Begründung des erlaubten Risikos ist insoweit der Interessenabwägung beim Notstand verwandt 6 0 . Sie läßt sich dementsprechend nur leisten, wenn — wiederum wie beim Notstand — nicht nur die Risikohöhe abschätzbar ist, sondern auch Nutzen und Schaden als Gewinn und Verlust nach rechtlich verbindlichen Maßstäben, also als rechtlich anerkannte oder nicht anerkannte Interessen bestimmt werden können 6 1 . Deshalb kann das erlaubte Risiko auch nicht allein durch Berücksichtigung eines technischen Standards gewonnen werden; der technische Standard bestimmt das Übliche oder auch Bestmögliche, erledigt aber das Bewertungsproblem nicht. 36

2 a) Bei der überwiegenden Zahl heute allgemein als erlaubt anerkannter Risiken kann eine solche Kosten-Nutzen-Saldierung jedoch nicht geleistet werden, und zwar teils trotz genauer Prognosen über die Risikohöhe (etwa über die Relation zwischen einer erlaubten Höchstgeschwindigkeit und einer Unfallhäufigkeit im Straßenverkehr; über die Risiken von privatem Feiertags-Straßenverkehr etc.). Die Saldierung ist ausgeschlossen, weil ein hinreichend konkretes und zugleich verbindliches Gesellschaftsmodell fehlt, an dem Abweichungen nach Art und Maß bestimmt werden könnten 6 2 . Was ζ. B. der Nutzen des nicht-gewerblichen Anteils am Straßenverkehr ist, kann nicht durch Vergleich mit einer fiktiven Gesellschaft ohne nicht-gewerblichen Straßenverkehr ermittelt werden, da es an der erforderlichen Vorab-Bestimmung von legitimen Gesellschaftsgestalten fehlt, an denen die Differenz erst als positiv oder negativ bestimmt werden könnte. Deshalb tritt neben das erlaubte Risiko per Risikoabwägung ein erlaubtes Risiko per „historische Legitimation" 63 : Bestimmte Formen erlaubter Betätigung sind historisch überkommen, oft unter Strapazierung des Rahmens (Straßenverkehr) und werden deshalb als sozialadäquat akzeptiert 64 .

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b) Die zuletzt genannte Form des erlaubten Risikos ist nur möglich, weil das Strafrecht nicht ein Arsenal ruhender Güter zu schützen und auch nicht nur Güter zu maximieren, sondern Erwartungen auf bestimmte Verhaltensweisen zu stabilisieren hat 65 . Wenn ein Verhalten zwar Güter schädigt, aber trotzdem nicht enttäuscht, weil nämlich seine Akzeptation Gewohnheit geworden ist, so ist dies nur bei einem „polizeilichen" Blick auf die Sicherheit der Güter ein Widerspruch.

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3. Eine weitere Voraussetzung des erlaubten Risikos ist wenig geklärt. Es geht darum, daß erlaubte Risiken nur tolerabel sein dürften, wenn das potentielle Opfer allenfalls vage konkretisiert ist, mit anderen Worten, es darf niemand Anlaß haben, darüber zu klagen, daß er unverhältnismäßig stark an den Nachteilen (und entsprechend schwach an den Vorteilen) der allgemeinen Handlungsfreiheit beteiligt sei. So ist ζ. B. die Zahl der Tötungen und Verletzungen im Straßenverkehr an einem bestimmten Feiertag schon mit laienhaftem statistischem Material ex ante einigermaßen genau prognostizierbar; wären jedoch auch die potentiellen Opfer ähnlich genau persönlich zu 60

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Siehe a u c h die A b w ä g u n g d e r Interessen in B G H 7 S. 118 ff, 120 ff ( z u m V e r t r a u e n s g r u n d satz). Samson i n : F o r t s c h r i t t u n d S i c h e r h e i t S. 289 ff, 294. Die T r e n n u n g , die Schünemann (JA 1975 S. 435 ff, 575 ff, 576) in L u x u s h a n d l u n g e n , sozial übliche H a n d l u n g e n , s o z i a l n ü t z l i c h e H a n d l u n gen u n d s o z i a l n o t w e n d i g e H a n d l u n g e n v o r n i m m t , ist d e s h a l b p r a k t i s c h n i c h t d u r c h f ü h r b a r . O b e t w a d e r Bau v o n A t o m k r a f t w e r k e n ( o d e r A u t o b a h n e n etc.) eine L u x u s h a n d l u n g o d e r eine sozial n o t w e n d i g e H a n d l u n g ist, läßt sich o h n e

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Blick auf das z u g e s t a n d e n e R i s i k o ( d a s a b e r mit d e r D i f f e r e n z erst ermittelt w e r d e n soll) n i c h t entscheiden. G e n a u e r : N i c h t die G e s c h i c h t l i c h k e i t legitimiert, s o n d e r n das Ü b e r k o m m e n s e i n s u g g e r i e r t , die Leg i t i m a t i o n s f r a g e sei e h e m a l s gelöst w o r d e n ; — eine h i s t o r i s c h ersparte L e g i t i m a t i o n . D e m k o m m t die B e g r ü n d u n g v o n B G H Z 24 S. 21 ff, 26 f n a h e . Z u m W i d e r s p r u c h z w i s c h e n G ü t e r s c h u t z u n d erl a u b t e m R i s i k o siehe s c h o n Welzel Z S t W 58 S. 491 ff, 514 ff.

Objektiver Tatbestand

7. Abschn

benennen und nicht ex ante anonym, so wäre nicht einmal rechtfertigender N o t s t a n d diskutabel, viel w e n i g e r n o c h die T ö t u n g und die V e r l e t z u n g im erlaubten Risiko.

B. Die dogmatische Stellung des erlaubten Risikos 1 a) D i e Überschreitung des erlaubten Risikos ist eine positive V o r a u s s e t z u n g des 39 Unrechts, nicht etwa ist die Einhaltung des erlaubten Risikos ein Rechtfertigungsgrund. Kausal-Werden für einen Erfolg, etwa für eine T ö t u n g , ist als nur solches sozial unauffällig. Beispiel: Jeder P r o d u z e n t v o n (auch o r d n u n g s g e m ä ß e n ) K r a f t f a h r z e u g e n wird durch die Produktion für alle Unfälle mit diesen F a h r z e u g e n kausal, o h n e daß die Produktion deshalb zu einem G e s c h e h e n w ü r d e , das nur im Z u s a m m e n h a n g mit einem rechtfertigenden K o n t e x t tolerabel w ä r e 6 6 . Erst bei einer Risikoüberschreitung (etwa bei der Produktion v o n Fahrzeugen mit Bremsen nicht hinreichender M i n d e s t v e r z ö g e rung) werden Fragen nach V o r s a t z , Fahrlässigkeit und gegebenenfalls einem rechtfertigenden K o n t e x t strafrechtlich relevant (zur T r e n n u n g v o n U n r e c h t und Rechtfertig u n g siehe o b e n 6 / 5 1 ) . b) Diese K o n z e p t i o n entspricht der heute zumindest beim Fahrlässigkeitsdelikt w o h l 40 überwiegenden Lehre 6 7 , w o b e i die Problematik mit der D i f f e r e n z i e r u n g z w i s c h e n V o r satz und Fahrlässigkeit allerdings nichts zu tun hat 6 8 , da ein erlaubtes Risiko nicht dadurch verboten wird, daß der Täter sich die Erfolgschance vergegenwärtigt und nicht dadurch unverboten, daß er nicht an sie denkt. Freilich ist eine praktische Affinität des erlaubten Risikos zur Fahrlässigkeit g e g e b e n ; das Problem firmiert dort zumeist unter der Bezeichnung der Einhaltung der im V e r k e h r erforderlichen Sorgfalt. D i e s e A f f i n i tät beruht darauf, daß die A u s l ö s u n g der — regelmäßig minimalen — erlaubten Risiken und der dicht darüber liegenden Risiken kaum je mit d e m Bewußtsein der Schadensfolge erfolgt 6 9 . Beispiel: W e r o r d n u n g s g e m ä ß o d e r ein w e n i g z u schnell durch eine 66

67

H i e r g e g e n z u U n r e c h t Schmidhäuser A T 9/32; sein H i n w e i s , d e r Bau v o n K r a f t f a h r z e u g e n sei g e f ä h r l i c h e r als e t w a d e r j e n i g e v o n K a r r e n f ü r die G a r t e n p f l e g e , b e t r i f f t freilich n i c h t n u r ein Q u a n titätsproblem. Auch wenn man berücksichtigt, daß mit G a r t e n g e r ä t e n U n f ä l l e m ö g l i c h b l e i b e n , so ist d o c h das R i s i k o eines K r a f t f a h r z e u g s d e r A r t wie auch der H ö h e nach zumindest theoretisch umg e h b a r , w ä h r e n d das R i s i k o eines G a r t e n g e r ä t s w e n n n i c h t d e r A r t , so d o c h d e r H ö h e n a c h ein ü b e r h a u p t mit j e d e m L e b e n v e r b u n d e n e s R i s i k o sein d ü r f t e . Es b e s t e h t j e d o c h kein Z w a n g , d a s erlaubte R i s i k o n u r n a c h einer n i c h t - t e c h n i s i e r t e n Welt zu bestimmen. Welzel Fahrlässigkeit und Verkehrsdelikte S. 14 f f ; ders. S t r a f r e c h t 5 10 I V v o r a u n d § 18 I I a β; Gallas Z S t W 67 S. 1 ff, 2 6 ; Engisch D J T F e s t s c h r i f t Bd. I S. 401 ff, 4 1 7 f ; Zielinski Handlungs- u n d E r f o l g s u n w e r t S. 160; Blei A T § 8 2 II 1; Schaffstein W e l z e l - F e s t s c h r i f t S. 557 f f , 5 5 9 ; Stratenwerth A T R d n . 337 ff, 3 4 4 ; Burgstaller F a h r l ä s s i g k e i t s d e l i k t S. 26 f ; Jakobs Beiheft Z S t W 1974 S. 6 f f , 12 f f ; den. S t u d i e n S. 52, 88 f u n d p a s s i m ; Schünemann J A 1975 S. 435 ff, 439 f, 4 4 2 ; Zipf Z S t W 82 S. 633 ff, 6 4 7 f f ; MaurachGössel A T II § 4 3 II A 1; d e r S a c h e n a c h a u c h Pivuß U n t e r s u c h u n g e n S. 185 mit z a h l r e i c h e n N a c h w e i s e n passim. — Α. Α. ( R e c h t f e r t i g u n g ; ) B G H Z 2 4 S. 21 f f ; Schmidhäuser A T 8/78, 9/

30 ff, 3 1 ; ders. S t u d i e n b u c h 6 / 1 0 2 f f ; Engisch U n t e r s u c h u n g e n S. 285 f f ; — ( A u s s c h l u ß d e r Tatverantwortung:!) Maurach A T 4 § 4 3 II Β 2 u n d § 4 4 I I A ; Rehberg E r l a u b t e s R i s i k o S. 186; ( A u s s c h l u ß d e r S c h u l d : ) Kienapfel Erlaubtes Ris i k o S. 21, 27 f ; Roeder E i n h a l t u n g S. 77 mit a n t i q u i e r t e n A r g u m e n t e n z u r N o t w e h r . — E i n e völlig a n d e r e T e r m i n o l o g i e v e r w e n d e t Jescheck A T § 36 I 3 u n d II. 68

69

I n s o w e i t w i e hier Schmidhäuser KT 9 / 3 1 ; Krauß Z S t W 76 S. 19, 4 7 ; Nowakowski JZ 1958 S. 388 ff, 3 9 0 ; Zielinski Handlungs- und Erfolgsu n w e r t S. 160; Jescheck A T § 25 I V 1; Triffterer B o c k e l m a n n - F e s t s c h r i f t S. 2 0 0 f f , 2 1 2 f f ; z w e i f e l n d LK-Schroeder § 16 R d n . 160 f. Im Einzelfall, b e s o n d e r s bei e i n e r B ü n d e l u n g vieler E i n z e l r i s i k e n in einer H a n d l u n g z u e i n e m d i c h t e n G e s a m t r i s i k o , f i n d e t die V e r g e g e n w ä r t i g u n g des R i s i k o s statt. Dies zeigt sich an d e n d a n n g e t r o f f e n e n R e t t u n g s e i n r i c h t u n g e n . Beispiel: Bei d e r E i n r i c h t u n g e i n e r G r o ß b a u s t e l l e w i r d f ü r die A n w e s e n h e i t e i n e r A m b u l a n z o d e r bei d e r E r r i c h t u n g eines H o c h h a u s e s w i r d f ü r eine F e u e r w e h r z u f a h r t g e s o r g t , weil die U n f a l l m ö g l i c h k e i ten b e d a c h t w e r d e n . A b e r a u c h bei e i n e m v e r e i n zelten m i n i m a l e n E r f o l g s r i s i k o e r g i b t sich bei V o r s a t z kein b e s o n d e r e s (d. h. n i c h t a u c h d e r F a h r l ä s s i g k e i t eigenes) P r o b l e m . Es f e h l t — e n t g e g e n Hirsch Z S t W 74 S. 78 f f , 98 - a u c h n i c h t

169

7. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. T a t b e s t a n d s v e r w i r k l i c h u n g d u r c h H a n d l u n g

belebte Stadt fährt, denkt in der Regel nicht aktuell an das minimale Risiko, das er durch sein Verhalten setzt; zumindest ist Gegenteiliges nicht nachweisbar. — Zur Problematik der Fahrlässigkeit bei Risikogewöhnung siehe unten 9/15. 41

2. Das erlaubte Risiko als Hindernis der objektiven Zurechnung, also als TatbeiiiWi/ihindernis, muß, zumal bei dem durch Interessenabwägung begründeten erlaubten Risiko, vom rechtfertigenden Notstand abgeschichtet werden. Auch beim rechtfertigenden Notstand gibt es eine Berücksichtigung von Risiken („Gefahren") für Interessen, die zur Erlaubnis eines riskanten Verhaltens führen kann. Jedoch kommt es beim rechtfertigenden Notstand stets auf den speziellen Zweckzusammenhang an, in dem die Handlung steht: Der Handlungskontext rechtfertigt. Beim erlaubten Risko hingegen mag der als typisch erwartete Handlungskontext das Motiv zur Risikoerlaubnis abgegeben haben, ohne daß es aber bei der einzelnen Handlung darauf ankäme, ob sie in einem entsprechenden Kontext steht. Beispiel: Der Fahrer eines Krankenwagens darf die den Straßenverkehr regelnden Normen einzig zur Abwehr einer sonst nicht zu beseitigenden Gefahrenlage brechen (Rechtfertigung), aber auch die nutzlose Spazierfahrt mit einem Schwerlastwagen ist erlaubt (Tatbestandsausschluß). Im letzteren Fall geht es allein um Handlungsfreiheit, im ersteren um den Einsatz der Handlung für ein Interesse. Damit fügt sich die Grenze zwischen erlaubtem Risiko und rechtfertigendem Notstand ohne jede Modifikation in die allgemeine Grenze zwischen Tatbestandsausschluß und Rechtfertigung ein: Was ohne Blick auf den Kontext nicht enttäuscht, erfüllt schon nicht einen Tatbestand 7 0 . — Nach den genannten Kriterien der Differenzierung wäre es verfehlt, allein schon daraus, daß eine lex artis eingehalten wurde — etwa bei einer riskanten Operation —, auf die Einhaltung des erlaubten Risikos zu schließen 71 ; denn die Erlaubnis zur Vornahme einer der lex artis entsprechenden Handlung kann, aber muß nicht ohne Blick auf den Zweckzusammenhang erfolgen. So ist ζ. B. das „kunstgerechte" Autofahren allemal erlaubt, während für eine der lex artis gemäße Beinamputation zur Rechtfertigung neben einer Einwilligung ein vernünftiger Zweck erforderlich ist. Man mag freilich den Zweckzusammenhang in die lex artis eingliedern: Nur die medizinisch indizierte Indikation ist dann kunstgerecht; aber dadurch wird die Relevanz des Zweckbezugs nicht beseitigt.

B. Einzelheiten 1. Die Bewertungsmaximen 42

a) Weniger genau als die Bestimmung der dogmatischen Stellung des erlaubten Risikos fällt die Bestimmung seiner konkreten Gestalt aus. Immerhin kann der oben für das erlaubte Risiko gegebenen Begründung entnommen werden, daß Risiken, die der soziale Kontakt mindestens mit sich bringt, erlaubt sind (erlaubtes Mindestrisiko), weil ansonsten der Zweck der Erwartensstabilisierung dahin wäre. Beispiel: Daß ein Mensch ohne Krankheitsanzeichen und ohne Kontakt zu Bereichen erhöhter Infektionsgefahr doch mit einer ansteckenden Krankheit behaftet sein könnte und deshalb andere Menschen anstecken könnte, ist kein rechtlich relevantes Risiko. die T a t h e r r s c h a f t : Diese ist nie s t ä r k e r , als es die V e r w i r k l i c h u n g s c h a n c e ist. — E i n g e h e n d z u m V e r h ä l t n i s v o n e r l a u b t e m R i s i k o und V o r s a t z Preuß U n t e r s u c h u n g e n S. 194 f f , 2 0 7 ff. — V e r f e h l t Bockelmann A T § 14 I V 2 a, d e r in Fällen des e r l a u b t e n R i s i k o s V o r s a t z u n d F a h r l ä s s i g k e i t v e r n e i n e n will; — w e n n a b e r d e r objektive T a t b e s t a n d vorliegt, k a n n d e r s u b j e k t i v e nicht pinzipiell

170

70 71

fehlen. — U m g e k e h r t falsch Zipf Z S t W 82 S. 633 f f , d e r ein e r l a u b t e s R i s i k o bei A b s i c h t a u s schließen will; — als w e n n sich die A b s i c h t den objektiven T a t b e s t a n d schaffen k ö n n t e ! E b e n s o Preuß U n t e r s u c h u n g e n S. 186. S o a b e r Schönke-Schröder-Lenckner R d n . 94 v o r § 32.

Objektiver Tatbestand

7. Abschn

b) Zudem läßt sich einiges, was nicht mehr ein erlaubtes Risiko ist, exakt ausgren- 43 zen; denn durch das Verbot eines bestimmten Verhaltens, das der Vermeidung von Verletzungen oder auch nur abstrakten Gefährdungen dient, wird dieses Verhalten aus dem Kreis dessen ausgeschieden, was möglicherweise trotz eines Folgenrisikos als sozial unauffällig toleriert wird. Der Vollzug eines solchen Verhaltens mag im Einzelfall gerechtfertigt sein, er ist aber nicht tatbestandslos 72 . Beispiel: Der einzig verfügbare Arzt, der mäßig betrunken zu einem Notfalleinsatz fährt, handelt tatbestandsmäßig (§ 316 StGB), wenn auch gerechtfertigt (§ 34 StGB). Auch bei geringen Risiken sind die gesetzlich ausgeschiedenen Verhaltensweisen nicht mehr erlaubt. Da die risikoträchtigen Lebensbereiche in der Regel rechtlich normiert sind (Straßenverkehr, Luftverkehr, Voraussetzungen zur Ausübung gefährlicher Berufe und Tätigkeiten etc.), sind die ausgeschiedenen Bereiche quantitativ gewichtig. Beispiel: Straßenverkehrsverhalten entgegen den (abstrakte) Gefährdungen verbietenden N o r m e n im StGB, in der StVO und in der S t V Z O etc. ist unerlaubt; deshalb kann auch das durch konzentrierte Aufmerksamkeit minimalisierte Risiko eines Fahrens im Zustand der Trunkenheit oder bei Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit oder mit einem Kraftfahrzeug ohne zwei unabhängige Bremssysteme etc. nicht erlaubt sein (im Sinn von tatbestandslos; Rechtfertigung bleibt möglich). — Freilich dient das Verbot eines Verhaltens nicht der Vermeidung schlechthin aller überhaupt eintretenden Folgen, so daß es am Normzweckzusammenhang fehlen mag (dazu unten 7 / 7 2 ff). Beispiel 73 : Das Verbot, an Kreuzungen zu überholen, soll die Verkehrsteilnehmer der einmündenden Straßen, nicht aber die Uberholten schützen; das Uberholen ist also ein zwar unerlaubtes Risiko, das sich freilich in einer Schädigung des Uberholten nicht verwirklicht. c) Neben die gesetzlichen Regelungen gefährlicher Lebensbereiche treten Kunstre- 44 geln, technische N o r m e n und weitere eher informelle Regelungssysteme. Das in diesen Normen Verpönte ist freilich nicht mehr als ein Indiz 7 4 für das Unerlaubte eines Risikos 7 5 , da der Konsens einer Fachvereinigung zwar „geronnene Erfahrung" 7 6 ist, aber im Gegensatz zum Gesetz keine verbindliche Wertung enthält. d) Der negativen Bedeutung verhaltensregulierender N o r m e n entspricht nicht eine 45 positive Bedeutung des Inhalts, daß das Nicht-Ausgeschlossene erlaubt sei; denn der jeweilige Regelungskomplex ist entweder nicht vollständig oder aber er enthält — so insbesondere § 1 Abs. 2 StVO — einen allgemeinen Verbotsvorbehalt 7 7 . Durch diesen Vorbehalt wird die Ausschöpfung des Nicht-Verbotenen auf ideale Begleitbedingungen beschränkt, aber immerhin wird anerkannt, daß das Risiko des Betriebs bei idealen Bedingungen zu tolerieren ist (erlaubtes Grundrisiko eines gefährlichen Bereichs), und zwar ohne solche Beschränkungen des Betriebs, durch die er seine Daseinsberechtigung verlöre 7 8 . Beispiel: Das Grundrisiko eines Verkehrs auf Straßen außerhalb geschlossener Ortschaften darf nicht an einem T e m p o wie innerhalb, dasjenige auf Auto72 Jakobs B e i h e f t Z S t W 1974 S. 6 ff, 13 f ; s c h w ä c h e r ( n u r „ I n d i z w i r k u n g " ) SK-Samson § 16 A n h a n g R d n . 2 0 ; a. A. ( „ o b j e k t i v e S o r g f a l t s p f l i c h t u n d S o n d e r n o r m sind g r u n d s ä t z l i c h u n a b h ä n g i g v o n e i n a n d e r " , w o b e i a b e r — g e n a u e n t g e g e n d e r hier v e r t r e t e n e n A n s i c h t — eine Limitierung der Sorgfalt d u r c h S o n d e r n o r m e n m ö g l i c h sein soll) Bohnert J Z 1982 S. 6 ff, 7 f. — N a t ü r l i c h k a n n t r o t z des u n e r l a u b t e n R i s i k o s d e r s u b j e k t i v e T a t b e s t a n d f e h l e n ; LK-Schroeder% 16 R d n . 163, 166. 73 B G H 4 S. 182 ff, 184. 74

mit d i c h t e r V e r l e t z u n g s c h a n c e n i c h t im R a h m e n des e r l a u b t e n R i s i k o s , a u c h w e n n es h ä u f i g ist; a. A. Burgstaller F a h r l ä s s i g k e i t s d e l i k t S. 53 f ; Zipf E i n w i l l i g u n g S. 94 ff. — Es h a n d e l t sich u m ein vom erlaubten Risiko zu trennendes Problem der Risikoeinwilligung, unten 7/127. 75 Z u d e n t e c h n i s c h e n N o r m e n siehe Lenckner Eng i s c h - F e s t s c h r i f t S. 4 9 0 ff. 7 ' Stratenwertb A T R d n . 1102. 77 LK-Scbroeder § 16 R d n . 163. 7 « Schünemann J A 1975 S. 435 ff, 575 ff, 576.

H ä u f i g e r M i ß b r a u c h h e b t die „ I n d i z w i r k u n g " n i c h t a u f ; so hält sich ζ. B. im S p o r t ein Foulspiel

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7. A b s c h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

bahnen nicht an ein Tempo wie auf anderen Straßen gebunden werden, solange das Gesetz zwischen den Straßen differenziert. — Neben dieses erlaubte Grundrisiko tritt die Erlaubnis zu erhöhten Einzelrisiken, sofern der Betrieb unter nicht idealen Bedingungen als nützlicher angesehen wird als ein völliges Verbot. Beispiele: Auch vorsichtiges Fahren bei Nebel oder Glatteis oder bei Regen im Berufsverkehr ist — wie die Unfallstatistiken lehren — gefährlicher als unter Idealbedingungen, trotzdem aber ohne Blick auf den konkreten Zweck der Fahrt erlaubt. Es gibt also nicht einen bestimmten, als Zahlenwert ausdrückbaren Bruchteil von Gefährdungserlaubnis, sondern nur ein je nach dem Gebiet und den Begleitumständen schwankendes Maß 7 9 . Kraß: Kein leicht betrunkener Routinier kann sich darauf berufen, daß er immer noch besser sein Auto fährt als ein Anfänger; — der Handlungsi^p „Trunkenheit im Verkehr" ist erlaubt. Freilich dürfte es angebracht sein, beim Vollzug einer Handlung eines verbotenen Typs, der das Mindestrisiko nicht überschreitet, der allgemeinen Handlungsfreiheit den Vorrang einzuräumen. Beispiel: Wer sein Auto mit abgefahrenen Reifen auf einer einsamen, übersichtlichen Straße mit nur 10 Stundenkilometern fährt, setzt kein unerlaubtes Risiko. 46

e) Erlaubte Sonderrisiken und erlaubte erhöhte Einzelrisiken sind keine Besonderheit technischer Unternehmungen, sondern ubiquitär. So wäre ζ. B. ohne ein erlaubtes Risiko die Verbreitung einer ehrenrührigen Tatsache wegen der Gefahr einer Fehlinformation schlechthin nie zu verantworten (§ 186 ff StGB), desgleichen nicht die Bekräftigung einer Aussage vor Gericht als exakt der Erinnerung entsprechend (§§ 153 ff StGB). Ohne erlaubtes Risiko dürften Eltern ihre minderjährigen Kinder nicht zu einer Besorgung über die Straße schicken und ohne ein erhöhtes Einzelrisiko nie allein auf den Schulweg etc. — Einzelheiten gehören zur Interpretation der Normen des jeweiligen Sachbereichs. 2. Die Beurteilungsbasis

47

a aa) Bislang wurde dargestellt, nach welchen Maximen ein gegebenes Risiko rechtlich bewertet wird. Hinzu kommt das Problem, wer beurteilt, ob ein Risiko vorliegt und wie hoch es ist. Es herrscht Einigkeit, daß es nicht auf das Urteil des jeweiligen Täters ankommt; auch die subjektive Fahrlässigkeitslehre (unten 9 / 5 f) bestimmt das erlaubte Risiko nicht nur subjektiv 80 . — Es geht beim erlaubten Risiko darum, daß bestimmte Handlungen schon nach ihrer äußeren Gestalt nicht enttäuschen, weil ihre Akzeptation zur Erhaltung der Möglichkeit von sozialem Kontakt nötig oder aber gewöhnlich ist. Die Konkretisierung der betreffenden Handlungen muß bei dieser Funktion des erlaubten Risikos ex ante erfolgen, da die Akzeptation nicht vom Ausbleiben des Erfolgs, sondern von der Handlungsgestalt abhängt 8 1 . Die Bestimmung muß weiterhin so erfolgen, daß eine generell akzeptable Handlungsgestalt dabei herauskommt, also objektiv. Welche Fähigkeiten dem gedachten objektiven Beurteiler zugeschrieben werden, ist je von der Situation und den risikobefangenen Gütern abhängig 82 . Während ζ. B. für die Beurteilung des Risikos eines Atomreaktors jegliches sachverständige 79 Jakobs 80

81

82

B e i h e f t Z S t W 1974 S. 6 f f , 15 f.

Mißverständlich Schönke-Schröder-Cramer § 15 R d n . 139 a . Überwiegende Ansicht; zu den vereinzelt vorgen o m m e n e n V e r s u c h e n , z w i s c h e n H a n d l u n g e n mit und ohne schädliche Folgen zu differenzieren, siehe Jakobs S t u d i e n S. 51 m i t F n . 11 u n d 12. So z u r objektiven V o r a u s s e h b a r k e i t beim F a h r l ä s s i g k e i t s d e l i k t d i e ü b e r w i e g e n d e A n s i c h t ; Burg-

172

staller F a h r l ä s s i g k e i t s d e l i k t S. 31 f f , 5 6 ; Armin Kaufmann Z R V 1964 S. 41 f f , 5 1 ; Schünemann JA 1975 S. 4 3 5 f f , 5 7 5 f f , 5 7 6 ; Deutsch Fahrlässigkeit S. 128 f f ; Engisch Untersuchungen S. 2 8 3 f f , 3 3 4 f f ; Nowakowski]üTi\. 1972 S. 31 f ; Zielinski H a n d l u n g s - u n d E r f o l g s u n w e r t S. 168 f f ; Welzel F a h r l ä s s i g k e i t u n d V e r k e h r s d e l i k t e S. 24 f ; w e i t e r e N a c h w e i s e bei Jescheck A T 5 5 5 I 2 b F n . 6.

Objektiver Tatbestand

7. Abschn

Wissen heranzuziehen ist, kommt es bei der Beurteilung der Betriebssicherheit eines Automobils nur noch auf das Wissen eines erfahrenen Technikers an und beim Urteil, ob Lebensmittel verdorben sind, entscheidet bei deren industrieller Konservierung das Urteil eines Lebensmittelchemikers, bei deren individuellem Verbrauch jedoch dasjenige einer erfahrenen Hausfrau. Wenn in allen Fällen auf ein sachverständiges Höchstwissen abgestellt würde, so würde das schon dem durch Kosten-Nutzen-Saldierung begründeten erlaubten Risiko nicht gerecht und noch weniger dem erlaubten Risiko mit „historischer Legitimation". Mit anderen Worten, die Absicherung des Risikourteils ist seinerseits unter Berücksichtigung einer je nach Sachgebiet schwankenden Risikomarge zu bestimmen. bb) Auch die Rechtsprechung differenziert nach „Verkehrskreisen", etwa nach dem 48 Urteilsvermögen eines „gewissenhaften Kraftfahrers" 8 3 oder „verantwortungsbewußten Kraftfahrers" 8 4 , eines „mit einer gefahrvollen Führungsaufgabe betrauten Offiziers" 8 5 , eines „Trägers eines so verantwortungsvollen Berufs, wie es der eines Arztes ist" 86 , eines „gewissenhaften nichtärztlichen Heilbehandlers" 8 7 , ärztlicher Hilfspersonen 8 8 u. a. m. b aa) Uberwiegend ungeklärt ist die Entscheidung, wenn der T ä t e r auf Grund eines 49 überlegenen Sonderwissens ein erhöhtes Risiko oder gar die Sicherheit eines Erfolgs prognostizieren kann. Das Problem wird meist mit der Frage vermengt, ob zur Abwendung von Erfolgen (beim Unterlassungsdelikt) auch besondere individuelle Fähigkeiten einzusetzen sind 89 . Für eine Berücksichtigung von Sonderwissen bei der Prognose spricht, daß ansonsten unter Ausnutzung von Risikolagen Erfolge manipuliert werden könnten; Beispiel: Der Ehemann legt den im Konservengericht zufällig erkannten Giftpilz seiner Frau auf den Teller. Gegen eine Berücksichtigung spricht freilich, daß eine überobligationsmäßig erbrachte Aufmerksamkeit ansonsten Vermeidepflichten und eine entsprechende Beschränkung des Handlungsspielraums zur Folge hätte (zum genannten Beispiel: Niemand muß Konservenpilze vor dem Verzehr kontrollieren). bb) Zur Lösung kommt es darauf an, wer f ü r den schadensträchtigen Umstand zu- 50 ständig ist. Bei einem drohenden gewichtigen Schaden bleibt also mindestens eine H a f tung des Handelnden aus § 323 c StGB (unten 7/67). Ferner bleibt stets eine H a f t u n g der Garanten, die auch zum Gebrauch von Sonderfähigkeiten verpflichtet sind (dazu eingehender unten 7/66). Insbesondere ist das der Fall, wenn der schadensträchtige Umstand in den Organisationsbereich des Täters fällt (unten 15/12 f); dieser muß dann sein Sonderwissen voll aktivieren und einsetzen. Beispiel: W e r wegen eines zufällig erlangten Wissens erkennen kann, daß an seinem neuen Auto demnächst die Bremsen versagen werden, darf nicht mehr fahren. Fällt der schadensträchtige Umstand freilich in den Organisationsbereich einer dritten Person, so muß ihn der nicht garantenpflichtige Täter in den Fällen unterhalb der von § 323 c StGB erfaßten Katastrophenlagen nicht berücksichtigen, auch nicht bei aktuellem Wissen. Beispiel: W e r zufällig erkennt, daß an dem von ihm gefahrenen Mietauto demnächst die Bremsen versagen werden, ist 83 84 85 86 87 88 89

B G H 16 S. 145 f f , 151. B G H 7 S. 307 ff, 309. B G H 20 S. 315 ff, 319. B G H 3 S. 91 ff, 95. R G 67 S. 12 f f , 23. B G H 6 S. 283 ff, 288. D a z u u n t e n 2 9 / 1 4 ; p r a k t i s c h spielt d a s P r o b l e m keine Rolle. N a c h S o n d e r w i s s e n u n d S o n d e r k ö n nen d i f f e r e n z i e r e n d (wie a b e r f ü r ein W i s s e n Können?) Schünemann Schaffstein-Festschrift S. 159 f f , 165 f ; e b e n s o Burgstaller Fahrlässig-

keitsdelikt S. 64 f f ; K ö n n e n u n d W i s s e n - K ö n n e n ausdrücklich vereinigend (aber wieso anders f ü r W i s s e n als f ü r W i s s e n - K ö n n e n ? ) LK-Schroeder § 16 R d n . 147; — o b j e k t i v i e r e n d , a b e r w o h l n u r f ü r F a h r l ä s s i g k e i t s f ä l l e , Frisch F a h r l ä s s i g k e i t s d e likt S. 80, 9 4 ; Roeder E i n h a l t u n g S. 54 f ; - d i f f e r e n z i e r e n d Wolter CK 1977 S. 2 5 7 f f , 270 f ; s u b j e k t i v i e r e n d bei o b j e k t i v e r B e s t i m m u n g des Mindestmaßes Schönke-Scbröder-Cramer § 15 R d n . 139 a u n d b.

173

7. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

bei der Rückgabe (Tun!) des Autos nach 5 323 c StGB zugunsten von Leib und Leben der Betroffenen verpflichtet, den Schaden anzuzeigen, nicht aber auch, was das Auto selbst angeht, nach § 303 StGB. Fälle dieser Art sind selten, da in der Regel in einer riskanten Situation gestaltend mitwirkende Personen sämtlich Garanten der Erfolgsvermeidung sind.

V. Die objektive Zurechnung des Erfolgs, 3. Fortsetzung: Der Ausschluß bei erlaubtem Vertrauen (Vertrauensgrundsatz) Literatur Siehe zu IV

A. Vertrauensgrundsatz 9 0 heißt die Erlaubnis, trotz der Erfahrung, daß andere Menschen Fehler machen, auf deren richtiges Verhalten — in einem noch zu bestimmenden Maß — zu vertrauen. Der Vertrauensgrundsatz ist nicht nur ein Unterfall des erlaubten Risikos, sondern auch des Regreßverbots 9 1 : Es geht nicht allein darum, daß Menschen bei gemeinsamen Aktionen oder anonymen Kontakten Störfaktoren sein können wie unberechenbare natürliche Verläufe (insoweit erlaubtes Risiko), sondern es geht auch um die Verantwortlichkeit 9 2 dieser Menschen für ihre Fehler (insoweit Regreßverbot). Während beim erlaubten Risiko der Konflikt entweder als Fehler des Täters oder des Opfers oder als Unglück definiert werden muß, kommt beim Vertrauensgrundsatz die Möglichkeit hinzu, den Konflikt als Fehler des dritten Beteiligten zu definieren. 52 Β 1. N u n geht, wie zum Regreßverbot noch darzulegen ist, bei Vermittlung einer Verursachung durch andere Personen der schädigende Verlauf sowieso nur diejenigen Beteiligten etwas an, die Garanten für die Schadlosigkeit des Verlaufs sind; eine Garantenstellung ist allein mit der Verursachung nicht ausgemacht. Beispiel: Ein Tankwart haftet nicht für die Verkehrstauglichkeit der Fahrzeuge, die er betankt (Grenze ist § 323 c StGB). Mit anderen Worten, problematisch ist nicht nur die potentielle H a f lungsbefreiung des Vertrauenden trotz Voraussehbarkeit eines Fehlverhaltens anderer Beteiligter (die Haftungsbefreiung per Vertrauen), sondern problematisch ist auch schon die potentielle Haftung des Vertrauenden in einer Lage, die einzig andere Personen deliktisch gestalten (die mögliche Zurechnung fremder Fehler). Eines Vertrauensgrundsatzes bedarf es also nur, wenn der Kausalverlauf an sich von dem Vertrauenden zu verantworten ist, obgleich ein anderer ihn durch ein fehlerhaftes Verhalten ins Schädigende lenkt. Das ist freilich in den Bereichen, denen die Beispielsfälle für den Vertrauensgrundsatz entnommen werden 9 3 , auch der Fall, da der Vertrauende dort Garant für einen guten Ausgang ist: Das Lenken eines Autos geschieht im jeweils eigenen Organisationsbereich des Fahrers und begründet eine Garantenstellung der Gefährlichkeit der Sache wegen; entsprechend handeln Arzte bei einer Operation in ihrem Organisationsbereich, sind Eltern Garanten, soweit Kinder ihren Weisungen unterliegen etc. 94 . 51

90

T e r m i n o l o g i s c h e B e d e n k e n bei Kirscbbaum Vert r a u e n s s c h u t z S. 220 f. " Jakobs Z S t W 89 S. 1 ff, 13 ff. 92 G r u n d l e g e n d z u r V e r a n t w o r t l i c h k e i t als W u r z e l des V e r t r a u e n s g r u n d s a t z e s Stratenwerth Eb. S c h m i d t - F e s t s c h r i f t S. 383 ff. 93 O b der Vertrauensgrundsatz überhaupt außerhalb des S t r a ß e n v e r k e h r s gilt, ist im e i n z e l n e n streitig; wesentlich ist, d a ß es im S t r a ß e n v e r k e h r keine K o n t r o l l - u n d W e i s u n g s b e f u g n i s d e r V e r k e h r s t e i l n e h m e r gibt, w o h l a b e r in a n d e r e n Bereic h e n : Auf K o n t r o l l e u n d W e i s u n g darf n a t ü r l i c h

174

94

n i c h t im V e r t r a u e n d a r a u f v e r z i c h t e t w e r d e n , d e r U n t e r g e b e n e w e r d e v o n allein richtig h a n d e l n ; B G H 3 S. 91 ff, 9 5 ; 6 S. 283 ff, 2 8 7 ; Stratenwerth A T R d n . 1160 f ; LK-Schroeder § 16 R d n . 176. D i e U n s i c h e r h e i t d e r A n w e n d u n g des V e r t r a u e n s g r u n d s a t z e s auf n i c h t m o t o r i s i e r t e V e r k e h r s t e i l n e h m e r (siehe d a z u Kirschbaum Vertrauensschutz S. 225 ff mit N a c h w e i s e n ) ist K o n s e q u e n z d e r s c h w ä c h e r e n V e r a n t w o r t u n g dieser P e r s o n e n f ü r die G e f a h r e n des V e r k e h r s : Es f e h l t die Z u s t ä n digkeit f ü r die S o n d e r g e f a h r „ A u t o m o b i l " o. ä.

Objektiver Tatbestand

7. Abschn

2 a) In dem überhaupt verbleibenden Bereich, in dem die Fehlerhaftigkeit fremden Verhaltens die eigene Verantwortung nicht schon nach den Regeln des Regreßverbots ausschließt, wäre häufig effektive Arbeitsteilung unmöglich (im ärztlichen Operationsteam 9 5 , bei den Bedienungs- und Wartungsteams eines Flugzeugs, der Bahn, eines Busses etc.), wenn jeder alles Kontrollierbare kontrollieren müßte; zumindest schlösse die kontrollierende Zuwendung zu fremder Tätigkeit eine volle Zuwendung zur eigenen Tätigkeit aus. Entsprechendes gilt für nicht-gemeinsame Aktionen (Straßenverkehr); auch hier bedarf es an den Punkten, bei denen sich die jeweiligen Kausalverläufe gegenseitig beeinflussen können, einer Arbeitsteilung dahin, daß nicht jeder der Beteiligten alle Beeinflussungsmöglichkeiten kontrollieren muß, sondern nur bestimmte, dies aber mit dann ungeteilter Aufmerksamkeit. Diese Aufteilung von Zuständigkeiten kann aus den schon genannten zwei Gründen ohne Schaden f ü r die Erwartenssicherheit geleistet werden: Zum einen wäre ohne die Aufteilung wegen der dann eintretenden Überforderung der Beteiligten das Ergebnis per Saldo schlechter; zum anderen kann der Fehler eben als Fehler des Zuständigen verarbeitet werden.

53

b) Aus dem zuletzt genannten Grund folgt, daß ein erlaubtes Vertrauen ausschei- 54 det, soweit den an sich Zuständigen erkennbar Regelkenntnis oder eine Befolgungsmöglichkeit der Regeln fehlt oder sie von der Regelbefolgung dispensiert sind; so darf ein Autofahrer im Straßenverkehr nicht auf korrektes Verhalten von gebrechlichen Personen oder von nicht beaufsichtigten Kindern 9 6 oder Teilnehmern eines Karnevalszugs vertrauen. 3. Gegenüber verantwortlichen Personen wird die Erlaubnis eines Vertrauens auf 55 fehlerfreies Verhalten — in freilich schwankendem Maß — auch von der Rechtsprechung anerkannt 9 7 . Wie je nach der Situation die Pflichten unter den Beteiligten aufgeteilt — oder als allseitige Pflichten belassen — werden, gehört im einzelnen zur Interpretation der jeweiligen Regelungsbereiche, etwa der S t V O 9 8 . Als generelle Problematik verbleibt, ob der Vertrauensgrundsatz auch insoweit gilt, als es um ein Vertrauen auf die Beseitigung der Folgen eigenen Fehlverhaltens durch andere Personen geht. Beispiel: Der in eine Autobahn Einfahrende vertraut darauf, daß die dort Befindlichen schon ausweichen werden. Das Problem ist umkehrbar: Endet das Vertrauen (des auf der Autobahn Befindlichen), wenn mit einem Regelverstoß (des Einfahrenden) zu rechnen ist? Die Rechtsprechung verdoppelt die Sicherheitsmarge: W e r sich falsch verhält, soll keinen Vertrauensschutz genießen 9 9 , aber bei typischen Verkehrswidrigkeiten soll auch kein Vertrauen auf ein fehlerfreies Verhalten erlaubt sein 100 . Ersteres ist richtig, da der Vertrauensgrundsatz nicht dazu dienen soll, denjenigen Personen, die sich richtig verhalten, die Notwendigkeit von Problemlösungen aufzubürden, sondern sie gerade davor zu bewahren 1 0 1 . Letzteres dürfte als generelle Aussage verfehlt sein: Je95

Z u ä r z t l i c h e m H a n d e l n siehe die z a h l r e i c h e n Fallk o n s t e l l a t i o n e n bei Engisch L a n g e n b e c k s A r c h i v 288 (1958) S. 573 ff u n d 291 ( 1 9 6 1 ) S. 236 f f ; Kamps A r b e i t s t e i l u n g S. 170 ff, 2 2 5 f f , 241 f. % B G H 3 S. 49 f f , 5 1 ; 12 S. 162 f f , 165 f ; 14 S. 97 ff, 9 9 ; z u r A u f s i c h t siehe B G H 9 S. 92 ff, 9 4 ; - E i n zelheiten und w e i t e r e N a c h w e i s e bei Kirschbaum V e r t r a u e n s s c h u t z S. 239 ff. '»7 R G 70 S. 71 ff, 74 ( a n d e r s n o c h R G 65 S. 135 f f ) ; g r u n d l e g e n d d a n n B G H V G S 7 S. 118 ff (siehe a b e r a u c h B G H V G S 16 S. 145 ff, 148 f ) ; eingeh e n d z u r G e s c h i c h t e d e r R e c h t s s p r e c h u n g in Straßenverkehrssachen zum Vertrauensschutz Kirschbaum V e r t r a u e n s s c h u t z S. 72 ff.

98

99

100

101

Ein Beispiel f ü r das A b w ä g e n v o n V o r - u n d N a c h t e i l e n z u r o p t i m a l e n P f l i c h t e n v e r t e i l u n g gibt B G H 21 S. 91 ff, 9 3 ff. B G H 17 S. 299 ff, 301 f ; e i n g e h e n d Kirschbaum V e r t r a u e n s s c h u t z S. 118 ff mit N a c h w e i s e n . B G H 13 S. 169 f f , 173 f ; h i e r z u w i e d e r u m Kirschbaum a a O S. 167 ff mit N a c h w e i s e n . D e r s e h r streitige P r o b l e m k r e i s ist m i t d e m j e n i g e n d e r R i s i k o k o n k u r r e n z ( 7 / 7 2 f f ) v e r b u n d e n . — Es g e h t in e i n e r F a l l g r u p p e um F o l g e u n f ä l l e n a c h ein e m v e r m e i d b a r e n U n f a l l . Beispiel: Auf e i n e n auf d e r A u t o b a h n im N e b e l links s t e h e n d e n U n f a l l w a g e n f ä h r t ein N a c h f o l g e n d e r a u f . — D a ß d e r N a c h f o l g e n d e mit H i n d e r n i s s e n r e c h n e n m u ß

175

7. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

denfalls solange die C h a n c e n , einen schädlichen Verlauf g e w i ß a b z u w e n d e n , für denjenigen, der sich korrekt verhält, und für den Übeltäter n o c h gleichermaßen

gegeben

sind u n d g e g e b e n b l e i b e n , ist k e i n G r u n d z u s e h e n , d e n s i c h k o r r e k t V e r h a l t e n d e n m i t der P r o b l e m l ö s u n g z u belasten. Erst w e n n d e m sich f e h l e r h a f t V e r h a l t e n d e n die H e r r s c h a f t a u s s u b j e k t i v e n o d e r o b j e k t i v e n G r ü n d e n e n t g l e i t e t , m u ß d e r sich k o r r e k t V e r haltende

die N o t l ö s u n g

übernehmen102.

Beispiel: A u c h w e n n

ein

Wartepflichtiger

f o r s c h a n e i n e S t r a ß e m i t V o r f a h r t h e r a n f ä h r t , darf d e r d o r t F a h r e n d e a u f B e a c h t u n g der V o r f a h r t vertrauen; w e n n d e m H e r a n f a h r e n d e n j e d o c h allenfalls n o c h eine N o t b r e m s u n g g l ü c k e n kann, hat das erlaubte V e r t r a u e n geendet.

VI. Die objektive Zurechnung des Erfolgs, 4. Fortsetzung: Die Garantenstellung und der Ausschluß der Zurechnung beim Regreßverbot Literatur Ν. K. Androulakis Rechtsproblematische Studien über die unechten Unterlassungsdelikte, 1962; Chr. Bertel Begehungs- oder Unterlassungsdelikt? JZ 1965 S. 53 ff; P. Bockelmann Strafrecht des Arztes, 1968; M. Burgstalier Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht, 1974; K. Engisch Tun und Unterlassen, Gallas-Festschrift S. 163 ff; F. Exner Fahrlässiges Zusammenwirken, FrankFestgabe Bd. I S. 569 ff; G. Geilen N e u e juristisch-medizinische Grenzprobleme, JZ 1968 S. 145 ff; ders. Euthanasie und Selbstbestimmung, 1975; R. D. Herzberg D i e Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, 1972; Th. Hillenkamp Vorsatztat und Opferverhalten, 1981; / . Hruschka Über T u n und Unterlassen und über Fahrlässigkeit, Bockelmann-Festschrift S. 421 ff; H.Kamps Arztliche Arbeitsteilung und strafrechtliches Fahrlässigkeitsdelikt, 1981; Armin Kaufmann D i e Dogmatik der Unterlassungsdelikte, 1959; R. Maurach Fragen der actio libera in causa, JuS 1961 S. 373 ff; H. Meyer-Bahlburg Unterlassen durch Begehen, G A 1968 S. 49 ff; A. v. Overbeck Unterlassung durch Begehung, GS 88 S. 319 ff; L. Philipps D e r Handlungsspielraum, 1974; O. Ranft Zur Unterscheidung von T u n und Unterlassen im Strafrecht, JuS 1963 S. 340 ff; C. Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, 3. Auflage 1975; ders. An der Grenze von Begehung und U n terlassung, Engisch-Festschrift S. 380 ff; ders. Gedanken zur Problematik der Zurechnung im Strafrecht, Honig-Festschrift S. 133 ff; ders. Zum Schutzzweck der N o r m bei fahrlässigen Delikten, Gallas-Festschrift S. 241 ff; E. Samson Begehung und Unterlassung, Welzel-Festschrift S. 579 ff; W. Sax Zur rechtlichen Problematik der Sterbehilfe durch vorzeitigen Abbruch einer

( B G H V G S 16 S. 145 f f ) , h e i ß t n i c h t , das S c h a f f e n eines H i n d e r n i s s e s halte sich im R a h m e n eines e r l a u b t e n R i s i k o s ( d a s ü b e r s i e h t w o h l Roxin Gall a s - F e s t s c h r i f t S. 241 f f , 2 5 7 f). D i e P r o b l e m a t i k ist n a c h d e n P r i n z i p i e n z u e n t s c h e i d e n , die f ü r die G a r a n t e n s t e l l u n g aus O r g a n i s a t i o n s z u s t ä n d i g k e i t in d e n Fällen g e l t e n , in d e n e n d e r V e r l a u f v o n ein e m w e i t e r e n Beteiligten v e r m i t t e l t wird ( u n t e n 2 9 / 3 2 f f , 34, 4 5 ) , d. h. f ü r die K o n s e q u e n z e n einer z u v e r a n t w o r t e n d e n g e f ä h r l i c h e n L a g e ist a u c h z u h a f t e n , w e n n a n d e r e P e r s o n e n ihrerseits Fehler m a c h e n . D i e H a f t u n g e n d e t , w e n n das V e r h a l t e n des n a c h f o l g e n d Beteiligten v o n d e r A r t ist (insbesondere von so hoher Unvernünftigkeit, Bay O b L G J Z 1982 S. 731 f), d a ß es des ersten Unfalls nicht mehr bedarf, um den nachfolgenden S c h a d e n s v e r l a u f ( a b g e s e h e n v o n seinen Begleitu m s t ä n d e n , o b e n 7 / 1 4 f f ) z u e r k l ä r e n ; das richtet sich n a c h d e n R e g e l n d e r R i s i k o k o n k u r r e n z (siehe u n t e n 7 / 7 4 u n d p a s s i m ) . — E n t s p r e c h e n d fällt die E n t s c h e i d u n g bei ä r z t l i c h e n F o l g e f e h l e r n n a c h e i n e r v e r m e i d b a r e n V e r l e t z u n g aus. Beispiel: D e r l e b e n s g e f ä h r l i c h N i e d e r g e s t o c h e n e wird v o m

176

U n f a l l a r z t g e r i n g f ü g i g ( o d e r g e w i c h t i g ) falsch v e r s o r g t u n d stirbt d e s h a l b . D a ß d e r A r z t eine p e r f e k t e V e r s o r g u n g leisten m u ß , heißt w i e d e r u m nicht, auf eine s o l c h e V e r s o r g u n g sei e r l a u b t zu v e r t r a u e n . Es m a c h t einen U n t e r s c h i e d , o b eine V e r r i c h t u n g mißlingt, d e r e n R i s i k o h ö h e der H ö h e alltäglicher R i s i k e n gleicht, o d e r o b sich ein Sonderrisiko verwirklicht (ähnlich O L G Stuttgart J Z 1980 S. 618 ff, 620 f ; siehe a u c h Rudolphi JuS 1969 S. 549 ff, 5 5 6 ; Schönke-Schröder-Cramer 5 1 5 R d n . 1 7 6 a ) ; Beispiel: D i e V e r w i r k l i c h u n g d e r G e f a h r , d a ß ein A r z t in e i n e r R o u t i n e s a c h e ein e n v o n e i n h u n d e r t t a u s e n d Fällen f a h r l ä s s i g falsch b e h a n d e l t , ist d e m j e n i g e n , d e r die N o t w e n digkeit d e r B e h a n d l u n g a u s g e l ö s t h a t , n i c h t z u z u r e c h n e n , w o h l a b e r die V e r w i r k l i c h u n g eines F e h lers v o n eins zu e i n h u n d e r t t a u s e n d in einem Fall, f ü r d e n allein t a u s e n d B e h a n d l u n g s e n t s c h e i d u n gen z u fällen sind, so d a ß im E r g e b n i s eine v o n e i n h u n d e r t B e h a n d l u n g e n f a h r l ä s s i g mißlingt. 102 Jakobs Beiheft Z S t W 1974 S. 6 f f , 17 f f ; ähnlich Stratenwerth A T R d n . 1157.

Objektiver Tatbestand

7. Abschn

Intensivbehandlung, JZ 1975 S. 137 ff; B. Schünemann Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971; M. Schubarth Begünstigung durch Beherbergen? Schultz-Festgabe S. 158 ff; J. Welp Vorangegangenes T u n als Grundlage einer Handlungsäquivalenz der Unterlassung, 1968; / . Wolter Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr und Verletzung in einem funktionalen Straftatsystem, 1981.

A. Die Notwendigkeit einer Garantenstellung 1. Haftungsgrund ist im Grundfall der Begehungsdelikte, daß der Täter durch sein 56 Kausalwerden seinen Organisationskreis ohne Rücksicht auf andere Personen und auf deren Kosten ausdehnt. Nach § 13 Abs. 1 StGB sind Begehungsdelikte um eine Unterlassungsvariante zu ergänzen (sogenannte unechte Unterlassungsdelikte, unten 2 9 / 1 ff), wenn der Unterlassende — neben weiteren, kumulativen Voraussetzungen — Garant für die Vermeidung eines Erfolgs ist („dafür einzustehen hat"). Das Problem der Bestimmung dieser Garantenpflichten ist zum Teil, seil, bei den Garantenstellungen kraft Organisationszuständigkeit (eingehend unten 29/29 ff), so zu lösen, daß die Fälle bestimmt werden, in denen zwar der Täter nicht mehr handelnd kausal wird, wohl aber sein Organisationskreis noch Außenwirkungen hat. Der meist evidente Fall solcher Außenwirkungen des eigenen Zuständigkeitsbereichs, wenn auch ohne aktuelle H a n d lung, liegt vor, wenn der Täter sich die Notwendigkeit zu irgendwelchen Handlungen durch den Einsatz von Maschinen (oder weisungsgebundenen Menschen oder abgerichteten Tieren) erspart. Beispiel: Ob jemand mit einem Auto bewußt einen Menschen überfährt, indem er Gas gibt (Handeln) oder den vorhandenen Schwung nicht bremst (Unterlassen), zählt gleich. 2. Wie beim Unterlassungsdelikt der Täter f ü r Kausalverläufe wegen ihrer Verbin- 57 dung mit seinem Organisationskreis zuständig sein kann, so können in der Umkehrung beim Begehungsdelikt aktuell handelnd ins W e r k gesetzte Kausalverläufe vom Organisationskreis des Handelnden (oder von dem Organisationskreis, den der Handelnde für einen anderen verwaltet) distanziert werden. Diese Distanzierung des Handelnden von der Tatbestandsverwirklichung kann erfolgen, weil die Tatbestandsverwirklichung als Folge der Willkür eines anderen Menschen oder sonst als fremder Organisationszuständigkeit zugehörig definiert werden kann, insbesondere auch als zur eigenen O r ganisation des Opfers gehörig 1 0 3 . In diesen Fällen besteht trotz Kausalität keine O r ganisationszuständigkeit des Handelnden. Bei Begehung wie bei Unterlassung mag freilich bei fehlender Organisationszuständigkeit eine H a f t u n g wegen institutioneller Zuständigkeit bestehen, d. h. wegen einer Pflicht zur solidarischen Zuwendung (unten 29/57 ff). Uberhaupt von Garantenstellungen unabhängig ist die — schwächere — Pflicht zur Berücksichtigung der Mindestsolidarität gemäß den §§ 138, 323 c StGB. 3. Im Ergebnis muß also nicht nur der Unterlassungstäter; sondern auch der Begehungs- 58 täter ein Garant sein, wenn er aus einem Begehungs-Erfolgsdelikt haften soll; nur ist der Begehungstäter in den meisten Fällen, die praktisch erörtert werden, schon seiner Begehung wegen Garant (Organisationszuständigkeit), aber eben nicht prinzipiell. — Wenn nachfolgend die Fälle des Regreßverbots von denjenigen der erfolgsbezogenen Opferorganisation und der Bedrohung des Opfers durch dritte Personen geschieden werden, so geschieht das nur, weil mit dem Regreßverbot ein anerkannter Begriff f ü r einen Teilbereich zur Verfügung steht. Materielle Differenzen ergeben sich aus der Scheidung nicht. IM Siehe Roxin

E n g i s c h - F e s t s c h r i f t S. 380 ff, 393 ff.

177

7. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

B. Fallgruppen fehlender Zurechnung 59

1. H a f t u n g aus einem Begehungs-Erfolgsdelikt scheidet aus, wenn eine Handlung nur deshalb für einen tatbestandsmäßigen Erfolg ursächlich wird, weil ein Dritter die Handlungsfolgen ohne Gemeinsamkeit mit dem Handelnden erst ins Schädigende umlenkt. Beispiel: Der Schuldner bezahlt seine Schuld, der Gläubiger kauft von dem Geld, wie der Schuldner wußte, eine Waffe und erschießt in gleichfalls vom Schuldner vorausgesehener Weise einen Menschen; — keine Beihilfe zur T ö t u n g durch den Schuldner. Es handelt sich um den Bereich des Regreßverbots, der im Zusammenhang mit der Lehre von Täterschaft und Teilnahme dargestellt wird (unten 2 4 / 1 3 ff); die Haftungsbeschränkung betrifft freilich auch Fahrlässigkeitstaten (bei denen das geltende Recht nicht nach Beteiligungsformen differenziert). Beispiel: Fehlt im soeben genannten Fall ein Vorsatz, nicht aber die Voraussehbarkeit des Verlaufs, so haftet der Zahlende gleichfalls nicht (wegen fahrlässiger Tötung, § 222 StGB). Die Tatbestandsverwirklichung wird hier als Folge der Willkür des Umlenkenden definiert und dadurch vom zuvor Handelnden distanziert. Die Haftungsbeschränkung gilt auch, wenn die dritte Person mit dem Geschädigten identisch ist, solange nicht die Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft — einschließlich der Benutzung eines sich unvorsätzlich Verhaltenden — vorliegen. Beispiel: Wenn das Opfer einer Körperverletzung die Wunde ohne plausiblen Grund unversorgt läßt (Unterlassung) oder immer wieder aufkratzt (Tun), haftet der Täter nicht für die Weiterungen 1 0 4 .

60

2. H a f t u n g aus einem Begehungs-Erfolgsdelikt scheidet auch aus, wenn der tatbestandsmäßige Erfolg nur eintritt, weil der Organisationskreis des Verletzten seinerseits erfolgsbezogen organisiert ist. Entsprechendes gilt für den Fall, daß der Organisationskreis des Verletzten von dritter Seite bedroht ist. Eine solche erfolgsbezogene Organisation oder Bedrohung von dritter Seite liegt vor, wenn die Güter des Verletzten nur Bestand haben, solange ein anderer auf die Nutzung ihm zugewiesener Güter ganz oder partiell verzichtet.

61

a aa) Die Schadlosigkeit der Güter des Verletzten kann davon abhängig sein, daß vom Organisationskreis des Handelnden bestimmte rettende Kausalverläufe ausgehen, deren Bestand aber nicht rechtlich garantiert ist; wenn der Inhaber des Organisationskreises (oder wer für ihn handelt) durch eine Handlung die Quelle dieser Verläufe stopft, schädigt er die Güter des anderen durch Begehung, haftet aber nicht aus einem Begehungs-Erfolgsdelikt. Beispiel: Die Blumen auf einem tiefer gelegenen Grundstück in trockener Gegend verdorren (§ 303 StGB), wenn auf dem höher gelegenen Grundstück die Berieselungsanlage, deren Sickerwasser das tiefere tränkt, abgeschaltet wird. — Da der Bestand nicht rechtlich garantiert ist, wäre der Handelnde zur Eröffnung einer Quelle nicht verpflichtet. Eine H a f t u n g läßt sich in solchen Fällen also jedenfalls umgehen, wenn der Organisationskreis des Täters so gestaltet wird, daß sich die Quelle von selbst verstopft; im Beispielsfall: Die Berieselungsanlage erhält während eines sowieso erfolgenden Stillstands eine Schaltautomatik. Aber die rechtliche Wertung hängt von manipulierbaren Techniken nicht ab 1 0 5 : So wie bei der Ingerenz eine Pflicht dadurch begründet wird, daß nicht — wie bei der Handlung — auf den Output eines psychophysischen Systems, sondern auf denjenigen eines erweiterten Systems abgestellt wird (unten 29/29, 39 ff), so kann die Ausrichtung nach dem erweiterten System auch 104

105

Siehe Hillenkamp Vorsatztat und Opferverhalten S. 301 f. Siehe Welp V o r a n g e g a n g e n e s T u n S. 114; Philipps H a n d l u n g s s p i e l r a u m S. 140 f f ; Schünemann

178

G r u n d u n d G r e n z e n S. 2 8 3 ; Stree R d n . 159 a v o r § 13.

Schönke-Schröder-

Objektiver Tatbestand

7. A b S C h n

H a f t u n g ausschließen; das ist der Fall, wenn zwar das psychophysische System noch Output hat (eine Handlung liegt vor), der Organisationskreis aber nicht mehr (von ihm gehen keine Kausalverläufe mehr aus). Das alles gilt vorbehaltlich bestehender Sonderpflichten und einer H a f t u n g aus den §§ 138, 323 c StGB. bb) Das Problem wird häufig unter der verkürzenden Bezeichnung 1 0 6 des Rücktritts 6 2 vom Rettungsversuch behandelt, wobei das Ergebnis von vorgeblichen Differenzen zwischen dem Haftungsumfang bei Begehungsdelikten und demjenigen bei Unterlassungsdelikten abhängig sein soll. Revoziert ein Retter seine Rettungsmaßnahme, wenn diese schon so weit gediehen ist, daß sie unbeeinflußt dem gefährdeten Objekt selbsttätig Hilfe bringen würde, so soll, wenn das Objekt wegen der Revokation (Handlung) verletzt wird, vorgeblich die Anwendung der Grundsätze des Begehungsdelikts stets zur H a f t u n g aus einem Begehungs-Erfolgsdelikt führen, hingegen die Anwendung der Grundsätze des Unterlassungsdelikts (sogenanntes Unterlassungsdelikt durch Begehung) je nach der Pflichtenlage zu begehungsgleicher H a f t u n g oder H a f t u n g aus § 323 c StGB oder zur Straffreiheit 1 0 7 . — Die skizzierte unbeschränkte H a f t u n g bei der Anwendung vorgeblicher Begehungsgrundsätze hängt von dem — nicht begründbaren — Satz ab, jede vermeidbare (vorsätzliche oder fahrlässige) Verursachung sei geeignet, Begehungshaftung auszulösen. Dieser Satz berücksichtigt aber nicht, daß die Maximen der Zurechnung nach sozialen und nicht nach naturalistischen Kategorien zu formen sind. Die Anwendung der Grundsätze des Unterlassungsdelikts auf die genannte Fallgruppe bewegt sich zwar in der richtigen Kategorie, da nach diesen Grundsätzen nicht schon die Antwort auf die Frage nach der Kausalität, sondern erst diejenige auf die Frage nach der Pflicht über die Tatbestandsverwirklichung entscheidet. Dieser Lösungsweg ist aber verschlossen, weil es nun einmal um die Bewertung einer Handlung geht. So bleibt nur das hier eingeschlagene Verfahren, wonach auch beim Begehungsdelikt nach der Pflichtenlage zu differenzieren und insbesondere bei bloßer Begrenzung von Kausalverläufen innerhalb des eigenen Organisationskreises H a f t u n g auszuschließen ist, solange es an einer Sonderpflicht oder an einer § 323 c StGB genügenden Katastrophenlage fehlt. cc) Sobald der rettende Verlauf den Organisationskreis des Handelnden auch nur 6 3 partiell verlassen hat, führt seine Revokation zur vollen H a f t u n g . Die Grenze des Innenbereichs eines Organisationskreises mag im Einzelfall schwer zu fixieren sein; die Bestimmung bietet aber keine anderen Probleme, als bei der Bestimmung der Verkehrspflichten auftreten (siehe unten zur Unterlassung 29/29 ff): Soweit das notfalls per Notrecht durchsetzbare Recht auf ungehinderte Gestaltung geht, reicht auch der Organisationskreis 1 0 8 . Er endet also schon bei Duldungspflichten (etwa aus § 34 StGB), und zwar ohne Blick darauf, ob der Duldungspflicht keine Handlungspflicht, 106 V e r k ü r z e n d , weil das e f f e k t i v r e t t e n d e H a n d e l n o h n e B e w u ß t s e i n d e r N o t l a g e v o r g e n o m m e n sein m a g , also n i c h t als R e t t u n g s v e r s u c h , u n d weil z u d e m das P r o b l e m d e r R e t t u n g d u r c h Verzicht auf H a n d l u n g e n nicht erfaßt wird. 107

Für Begehung Samson Welzel-Festschrift S. 579 ff, 598 f ; f ü r U n t e r l a s s u n g s g r u n d s ä t z e Roxin E n g i s c h - F e s t s c h r i f t S. 380 f f , 386 f (im E r g e b nis mit d e r hiesigen L ö s u n g w e i t g e h e n d gleich); siehe f e r n e r Schmidhäuser A T 1 6 / 1 0 5 , 107 mit z u t r e f f e n d e n m e t h o d i s c h e n B e m e r k u n g e n ; Armin Kaufmann D o g m a t i k S. 106 f f ; siehe a u c h die u n ten Fn. 110 z u r a r z t r e c h t l i c h e n P r o b l e m a t i k des

108

N o c h w e i t e r Roxin E n g i s c h - F e s t s c h r i f t S. 380 ff, 386 f. — Ein b l o ß e r A n s p r u c h , eine G e s t a l t u n g s möglichkeit wieder einzuräumen, reicht nicht aus. Beispiel ( n a c h v. Overbeck G S 88 S. 319 f f , 3 2 7 f, 3 3 2 ) : D i e b r i e f l i c h e V e r b r e c h e n s a n z e i g e ist mit d e m U b e r g a n g in den H e r r s c h a f t s b e r e i c h d e r Post aus dem Organisationskreis ausgeschieden; das H e r a u s a n g e l n d e r A n z e i g e a u s d e m B r i e f k a sten ist n i c h t eine n a c h § 138 S t G B , s o n d e r n n a c h den Begehungs-Erfolgsdelikten zu beurteilende H a n d l u n g . Bleibt nach dieser H a n d l u n g n o c h die M ö g l i c h k e i t einer E r f o l g s a b w e n d u n g , r i c h t e t sich d e r e n B e u r t e i l u n g n a c h § 24 S t G B .

A b b r u c h s einer a u t o m a t i s i e r t e n B e h a n d l u n g G e -

179

7. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

eine eigene Handlungspflicht (als Garant oder nach den §§ 138, 323 c StGB) oder eine Handlungspflicht dritter Personen korrespondiert; denn schon die Duldungspflicht allein nimmt das Bestimmungsrecht über die Organisationsgestalt. Beispiel: Wer ohne sonstige Veranlassung schnell sein Fahrrad wegschließt, wenn der benachbarte Bauer es benutzen will, um für sein erkranktes Vieh Medikamente zu holen, haftet wegen der sich aus § 34 StGB ergebenden Duldungspflicht bei entsprechendem Vorsatz und entsprechendem Erfolg nach § 303 StGB, auch wenn er zu irgendeinem rettenden Verhalten (etwa zur Herausgabe des schon verschlossenen Rads) mangels einer § 323 c StGB genügenden Katastrophenlage nicht verpflichtet wäre 109 . Eine Duldungspflicht bedeutet freilich nicht, daß das betreffende Gut vom Inhaber bereitgehalten werden müsse; vor dem Beginn des zu duldenden Eingriffs kann er darüber beliebig verfügen. 64

dd) Praktisch bedeutsam sind Fälle, in denen ein Arzt eine automatisch fortlaufende (Intensiv-)Behandlung (per Respirator oder Herz-Lungen-Maschine) zu einem Zeitpunkt abbricht (Handlung), zu dem eine Pflicht zur Weiterbehandlung nicht besteht. Auch wenn der Abbruch der Voraussicht des Arztes entsprechend den Tod des Patienten zur Folge hat, ist er — obgleich Handlung — so wenig ein Totschlag durch Handeln nach §212 StGB, wie die Nicht-Behandlung eines Patienten beim Fehlen einer Pflicht zur Behandlung ein Totschlag durch Unterlassen ist 110 . Da es um das Fehlen der Pflicht geht, den eigenen oder für einen anderen verwalteten Organisationskreis in einer Ausgestaltung zu belassen, die für Güter dritter Personen günstig ist, führen Eingriffe fremder (nicht organisationsbefugter) Personen zur Haftung nach allgemeinen Grundsätzen. Beispiel: Wenn nicht der Arzt, sondern der ungeduldige Erbe die medizinisch nicht mehr indizierte Intensivbehandlung am Erblasser auf eigene Faust abbricht, führt das zur Haftung nach den §§211 ff StGB 111 .

65

b) Der Lebenskreis des Verletzten ist auch dann erfolgsbezogen organisiert, wenn seine Güter schon bei solchen Einwirkungen keinen Bestand mehr haben, die wegen ihrer Ubiquität sozialadäquat sind. So wie — von Sonderpflichten abgesehen — ein Vertrauen auf besondere Zuwendung nicht strafrechtlich abgesichert ist, so gibt es für den Regelfall auch kein strafrechtlich abgesichertes Vertrauen auf ein Ausbleiben derjenigen Berührungen einzelner Organisationskreise, ohne die ein Zusammenleben nicht mehr oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand organisierbar wäre. Beispiele: Wenn ein Mensch auf Grund einer Hypersensibilität durch den Lärm jedes vorbeifahrenden Lastwagens in einem für § 223 StGB relevanten Maß körperlich verletzt wird, sind die öffentlichen Straßen in seiner Umgebung trotzdem nicht bei ansonsten drohender Körperverletzungsstrafe von Lastwagen zu meiden. — Wer seinen auf der Reise vorbeikommenden Freund beherbergt, begeht nicht eine Strafvereitelung (§ 258 StGB), nur 109

Insoweit übereinstimmend Armin Kaufmann D o g m a t i k S. 194 f f ; Roxin Engisch-Festschrift S. 380 ff, 389. - Α. A. ( k e i n e H a f t u n g aus d e m B e g e h u n g s - E r f o l g s d e l i k t ) mit u n t e r s c h i e d l i c h e n B e g r ü n d u n g e n Meyer-Bahlburg G A 1968 S. 49 f f , 5 1 ; Ranft J u S 1963 S. 340 ff, 3 4 1 ; Herzberg Unt e r l a s s u n g S. 4 3 f.

110

S e h r streitig; im E r g e b n i s wie hier Geilen E u t h a nasie u n d S e l b s t b e s t i m m u n g S. 2 2 ; ders. J Z 1968 S. 145 ff, 151; Engiscb G a l l a s - F e s t s c h r i f t S. 163 ff, 177 f ; Roxin E n g i s c h - F e s t s c h r i f t S. 380 ff, 3 9 9 ; Kamps A r b e i t s t e i l u n g S. 86 f f ; Schönke-SchröderStree R d n . 159 a v o r § 13. - Α. A. (keine H a f t u n g s b e g r e n z u n g w e g e n des H a n d e l n s im eigenen L e b e n s k r e i s ) Samson W e l z e l - F e s t s c h r i f t S. 579 ff,

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111

601 f f ; Bockelmann S t r a f r e c h t des A r z t e s S. 112, 114 f, 125 Fn. 4 5 ; Blei A T § 8 4 II 2 b ; Maurach-Gössel A T II § 4 5 I C 2 ; Sax J Z 1975 S. 137 f f ; Wessels A T § 16 1 2 Jescheck A T 5 58 1 1 2 ; u n e n t s c h i e d e n a b e r ders. i n : LK-Jescheck R d n . 83 v o r § 13. D a m i t erledigen sich die B e d e n k e n v o n Samson W e l z e l - F e s t s c h r i f t S. 579 ff, 603 F n . 92. - P r a k tisch b e d e u t s a m d ü r f t e d e r v o n Samson a n g e s p r o c h e n e ä r z t l i c h e S c h i c h t d i e n s t sein: Es g e h t n i c h t d a r u m , w e r z u f ä l l i g D i e n s t h a t t e , als die M a s c h i n e angeschlossen wurde, sondern wer zum Zeitpunkt d e r H a n d l u n g die ä r z t l i c h e M a ß n a h m e z u v e r a n t w o r t e n hat.

Objektiver Tatbestand

7. Abschn

weil die Beherbergung zugleich den wegen einer Straftat gesuchten Freund vor der Polizei verbirgt 1 1 2 . — In diesen Zusammenhang gehören auch die Zweitschäden in Form von „Schockschäden" 1 1 3 . Beispiel: Die Eltern erleiden bei der Nachricht vom Verkehrsunfall, bei dem ihr Kind durch unerlaubtes Handeln des Täters getötet wurde, einen „Nervenzusammenbruch". Wie man mit seelischen Belastungen fertig wird, ist in bestimmtem Rahmen eigene Angelegenheit jedes Menschen. Die Grenzen sind freilich wenig klar. Nicht nur gegenüber Abhängigen kann die Rücksicht auf die seelische Konstitution zur Rechtspflicht werden. So dürfte insbesondere eine H a f t u n g auch dann diskutabel sein, wenn das Opfer den Schockschaden auf Grund erlogener Berichte erleidet. Wenn es eigene Angelegenheit jedes Menschen ist, mit der Wirklichkeit fertig zu werden, so nicht schon deswegen auch mit einer Lüge. 3. Von der H a f t u n g aus einem Begehungs-Erfolgsdelikt wird der Handelnde jedoch 6 6 nicht befreit, wenn er unabhängig von der Handlung Garant dafür ist, daß das betroffene Gut überhaupt unversehrt bleibt oder zumindest von bestimmten Gefahren nicht bedroht wird. Der Arzt, der einer Behandlungspflicht zuwider eine Intensivbehandlung mit der Folge des Todes des Patienten beendet, haftet also nach den §§211 ff StGB, gleich ob er seine manuelle Tätigkeit einstellt (Unterlassung; §§211 ff, 13 StGB) oder eine selbsttätig laufende Maschine abstellt (Handlung). Die Garantenstellung kann durch eine institutionelle Verbindung entstehen, die zur Solidarität verpflichtet (besonderes Vertrauen etc.); sie kann aber auch auf einer unabhängig von der jeweiligen Handlung begründeten Organisationszuständigkeit beruhen (wie ja auch beim Unterlassungstäter der Umstand, daß ein bestimmtes Verhalten keine Garantenstellung aus Organisationszuständigkeit begründet, nicht besagt, daß nicht ein anderes Verhalten eine solche Zuständigkeit schon begründet hat). Der Garant hat nur f ü r schädigende Verläufe zu haften, die ein Gut treffen, das durch die Garantenstellung begünstigt werden soll. Beispiele 114 : Das Verbot, abends eine Straßenbeleuchtung abzuschalten, dient den im Straßenverkehr eingesetzten Gütern, nicht aber den Sportfliegern, die sich an der Lichterkette orientieren. — Das Verbot gefährlichen Vorbeifahrens an einem Schulbus dient dem Verkehr der Schulkinder, nicht aber erwachsenen Busbenutzern, die der Fahrer aus Gefälligkeit mitnimmt 1 1 5 . 4. Auch ohne Sonderpflicht entfällt in den beschriebenen Fällen nur die H a f t u n g 67 aus einem Begehungs-Erfolgsdelikt. Führt die Handlung zu einer gemeinen Gefahr oder zu einem Unglücksfall im Sinn von § 323 c StGB (praktisch weniger relevant ist

112 Siehe Schubarth Schultz-Festgabe S. 158 ff, 162 f f ; siehe a u c h O L G S t u t t g a r t N J W 1981 S. 1569 f. " 3 Roxin H o n i g - F e s t s c h r i f t S. 133 f f , 141 f ; ders. G a l l a s - F e s t s c h r i f t S. 241 f f , 2 5 6 f f ; SK-Rudolphi R d n . 78 v o r 5 1; Scbünemann J A 1975 S. 435 ff, 715 ff, 7 2 0 ; Burgstaller Fahrlässigkeitsdelikt S. 125 f ; Woher O b j e k t i v e u n d p e r s o n a l e Z u r e c h n u n g S. 55 f, 3 4 1 ; die ü b l i c h e E r k l ä r u n g , das T ö t u n g s - o d e r V e r l e t z u n g s v e r b o t solle n i c h t „ a n d e r e als den B e t r o f f e n e n v o r den k ö r p e r l i c h e n A u s w i r k u n g e n seelischer E r s c h ü t t e r u n g e n " b e w a h r e n (Roxin G a l l a s - F e s t s c h r i f t S. 241 ff, 2 5 6 f) ist f r e i lich ein Z i r k e l : D a s S c h o c k o p f e r ist selbst k ö r p e r lich b e t r o f f e n . 114 Im Fall R G 63 S. 392 f f , 394 f a h r e n zwei R a d f a h r e r bei D u n k e l h e i t h i n t e r e i n a n d e r o h n e B e l e u c h t u n g . D e r V o r d e r e k o l l i d i e r t mit e i n e m e n t g e g e n -

k o m m e n d e n F a h r z e u g u n d w i r d v e r l e t z t ; das w ä r e n i c h t g e s c h e h e n , w e n n d e r H i n t e r e sein R a d beleuchtet hätte, da der V o r d e r e d a n n bestrahlt w o r d e n u n d s i c h t b a r g e w e s e n w ä r e . — Bei u n k o o r d i n i e r t e m H i n t e r e i n a n d e r f a h r e n f e h l t s c h o n die K a u s a l i t ä t des H i n t e r e n f ü r d e n U n f a l l : Sein F a h ren ist n i c h t B e d i n g u n g des F a h r e n s des V o r d e r e n . Bei k o o r d i n i e r t g e m e i n s a m e m F a h r e n v e r h i n dert das Regreßverbot H a f t u n g . — Eine Pflicht z u m tätigen Beleuchten besteht nicht, s o n d e r n n u r ein V e r b o t , o h n e B e l e u c h t u n g z u f a h r e n . Bes t ü n d e eine B e l e u c h t u n g s p f l i c h t , so k ä m e es d a r auf an, w e l c h e s R i s i k o diese P f l i c h t v e r k l e i n e r n soll; d a dies k a u m d a s f ü r v o r a n f a h r e n d e P e r s o n e n b e s t e h e n d e R i s i k o sein d ü r f t e , ist d e r E r f o l g n i c h t z u r e c h e n b a r ; siehe s c h o n Exner FrankF e s t g a b e Bd. I S. 569 ff, 585. u s B G H V R S 60 S. 38 ff.

181

7. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

§ 138 StGB), so besteht die Hilfe bei der Katastrophe im Unterlassen der Handlungub. Wie der nicht garantenpflichtwidrig Unterlassende die in § 323 c StGB geforderte Mindestsolidarität durch eine Rettungshandlung leisten soll, so soll der Handelnde bei Unanwendbarkeit der Begehungs-Erfolgsdelikte immer noch wegen der geforderten Mindestsolidarität unterlassen. Beispiel: Wer seinem Darlehensgläubiger die Valuta zurückzahlt, obgleich er weiß, daß der Gläubiger das Geld zur Finanzierung einer Menschen gefährdenden Terroraktion benutzen wird, haftet zwar nicht wegen Beihilfe zu den Delikten, die durch die Aktion verwirklicht werden, wohl aber nach § 323 c StGB. 68

5. Zusammenfassung: Es gibt Handlungen, die zu einem tatbestandsmäßigen Erfolg führen, ohne daß der Handelnde durch diese Handlungen seinen Organisationskreis ohne Rücksicht auf andere Personen gestaltet hätte. Für solche Handlungen ist eine H a f t u n g aus einem Begehungs-Erfolgsdelikt nur begründet, wenn der Handelnde unabhängig von seiner aktuellen Handlung Garant ist, also wegen anderer Vorhandlungen (Ingerenz) oder wegen seiner Verkehrspflichten zu besonderen Handlungsbeschränkungen verpflichtet ist, oder aber wegen seiner institutionellen Solidaritätspflichten zur Aufopferung seiner Handlungsfreiheit. O h n e Garantenstellung bleibt die Möglichkeit einer H a f t u n g wegen Verletzung der Mindestsolidarität (durch Handlung!) nach den §§ 138, 323 c StGB.

C. Die sogenannten Unterlassungsdelikte durch Begehung 69

1. Mit der Erkenntnis, daß der Haftungsumfang bei den Begehungsdelikten enger ist als der Umfang der vermeidbaren Erfolgsherbeiführung durch Handeln, erledigen sich auch diejenigen Fälle der sogenannten Unterlassungsdelikte durch Begehung, in denen der Täter seine eigene Fähigkeit, einen tatbestandsmäßigen Erfolg abzuwehren, paralysiert. Geläufige Beispiele: Ein Schrankenwärter betrinkt sich vorsätzlich so stark, daß er die Schranken nicht mehr betätigen kann, etc. bis zur Todesfolge für Passanten 1 1 7 . — Ein Soldat auf Urlaub betrinkt sich so stark, daß er drei Tage das Bett hüten muß und nicht zur Truppe zurückkehren kann (§ 15 WStG). — Es handelt sich bei diesen Fällen um Begehungen 1 1 8 , deren Wirkungen jedoch den eigenen Organisationskreis nicht überschreiten; wegen eines Begehungs-Erfolgsdelikts kann also nur bestraft werden, wenn — wie in den genannten Beispielen — eine Garantenstellung besteht. Ansonsten bleibt der Täter, so die Voraussetzungen der §§ 138, 323 c StGB fehlen, straffrei. Beispiel: Der Mitwisser eines Delikts zerstört die Telefonverbindung und 116

D i e A n w e n d u n g v o n 5 323 c S t G B ist w e g e n des U n b e s t i m m t h e i t s v e r b o t s , A r t . 103 Abs. 2 G G , § 1 S t G B , v e r f a s s u n g s r e c h t l i c h p r o b l e m a t i s c h , d a eine 5 13 S t G B e n t s p r e c h e n d e V o r s c h r i f t z u r U m f o r m u n g v o n U n t e r l a s s u n g s d e l i k t e n zu B e g e h u n g s delikten fehlt. G e g e n ü b e r d e r H a f t u n g aus einem B e g e h u n g s d e l i k t , die d u r c h die lex scripta n i c h t a u s g e s c h l o s s e n w i r d , b e g ü n s t i g t j e d o c h die R e d u k t i o n d e r H a f t u n g auf § 323 c S t G B d e n T ä t e r . — Z u r A n w e n d u n g v o n echten U n t e r l a s s u n g s d e likten auf B e g e h u n g siehe Maurach-Gössel A T II § 45 II Β 2, d o r t a l l e r d i n g s n u r k o n k u r r i e r e n d z u den Begehungsdelikten.

" " S i e h e das u n t e n 2 8 / 3 a n g e g e b e n e U n t e r s c h e i d u n g s m e r k m a l : ein M o t i v zuviel. — Freilich h ä t t e d e r T ä t e r z u r E r f o l g s a b w e n d u n g a u c h n o c h eine R e t t u n g s h a n d l u n g v o l l z i e h e n m ü s s e n , u n d es m a g sein, d a ß ζ. B. d e r S c h r a n k e n w ä r t e r sich o h n e T r i n k m o t i v auch nicht zur Betätigung der S c h r a n k e n e n t s c h l o s s e n h ä t t e (ihm also a u c h ein M o t i v gefehlt hätte). J e d o c h w ä r e d e r b e s t e h e n d e n R e c h s p f l i c h t w e g e n das N i c h t b e t ä t i g e n d a n n a u c h als U n t e r l a s s u n g s d e l i k t s t r a f b a r g e w e s e n , Als K a u s a l p r o b l e m f o r m u l i e r t : In einer Lage ohne R e t t u n g s m o t i v ist das S i c h - B e t r i n k e n nicht Beding u n g des E r f o l g s . Es geht a b e r n i c h t um eine n a c h

117

D a s r e l e v a n t e V e r h a l t e n k a n n a u c h ein U n t e r l a s sen s e i n : D e r S c h r a n k e n w ä r t e r g e h t bei S a u e r S t o f f m a n g e l n i c h t a n die f r i s c h e L u f t , so d a ß er o h n m ä c h t i g w i r d e t c . ; die ü b e r w i e g e n d e L e h r e , die i h r e L ö s u n g ü b e r ein U n t e r l a s s u n g s d e l i k t d u r c h B e g e h u n g k o n s t r u i e r t , m u ß hier ein U n t e r lassungsdelikt durch Unterlassung annehmen.

d e n p s y c h i s c h e n F a k t e n festgestellte Lage o h n e R e t t u n g s m o t i v , s o n d e r n u m Z u r e c h n u n g : Es soll gerettet w e r d e n , u n d in e i n e r Lage mit R e t t u n g s m o t i v ist das S i c h - B e t r i n k e n B e d i n g u n g des E r folgs.

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Objektiver T a t b e s t a n d

7. Abschn

kann deshalb keine Verbrechensanzeige abgeben etc.; — bei einer Garantenstellung des Mitwissers erfolgt H a f t u n g aus dem Erfolgsdelikt; ohne Garantenstellung bleibt es bei der H a f t u n g aus dem um eine Begehungsvariante zu ergänzenden § 138 StGB, soweit es um eines der dort genannten Delikte geht; ansonsten ist die T a t straffrei 1 1 9 . 2. Zum Problem angeblicher Unterlassungsdelikte durch Begehung in Form der Begehungsbeteiligung am Unterlassungsdelikt siehe unten zum Unterlassungsdelikt 29/108 ff.

D. Die Pflichtdelikte 1. Bislang ging es um die Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind, daß im G r u n d - 70 fall der Begehungsdelikte Haftungsgrund die Zuständigkeit für die Ausdehnung eines Organisationskreises ist. Neben diese H a f t u n g , die das komplementäre Stück zur Handlungsfreiheit ist, tritt eine H a f t u n g wegen Verletzung von Pflichten zur besonderen, institutionell abgesicherten solidarischen Sorge f ü r ein Gut. In den Fällen dieser Pflichtdelikte120 besteht unabhängig von der T a t eine Beziehung zwischen dem T ä t e r und dem Gut. Das Verhältnis Täter—Gut ist bei diesen Delikten nicht nur-negativ durch ein Nicht-Verletzen bestimmt, sondern positiv durch einen Status des Täters im Verhältnis zum Gut. Dieser Status ist an vorgeformte und allenfalls in engen Grenzen disponible Regelungskontexte gebunden (Eltern, V o r m u n d , Beamter), also an Institutionen. Bei diesen Delikten wird die Zuständigkeit des Täters durch den Status bestimmt, nicht durch den Organisationskreis des Täters. Der Status begründet, anders als es bei der Jedermannspflicht des Nicht-Verletzens oder ihren Derivaten (die Pflichten kraft Organisationszuständigkeit beim Unterlassungsdelikt) der Fall ist, eine Sonderpflicht im strengen Sinn. , Bei Pflichtdelikten ist regelmäßig nicht zwischen Begehung und Unterlassung zu differenzieren. Alle unechten Unterlassungsdelikte mit einer Garantenpflicht kraft institutioneller Zuständigkeit (unten 29/57 ff) sind Pflichtdelikte, ebenso alle Begehungsdelikte, die von Personen begangen werden, die zugleich Garanten kraft institutioneller Zuständigkeit sind. Beispiel: Der Leiter eines Kinderheims ist ohne Blick auf die Art seines handelnden Beitrags und selbst ohne Beitrag (also per Unterlassung) als T ä t e r dafür verantwortlich, daß die Kinder nicht durch schlechtes Essen einen Gesundheitsschaden erleiden (§ 223 b StGB). 2. Begehungs- wie Unterlassungsdelikte kennen also einerseits eine Haftungsbegrün- 71 dung durch Organisationszuständigkeit und andererseits eine solche durch institutionelle Zuständigkeit; daraus erhellt, daß die Trennung Begehung—Unterlassung nur eine von mehreren möglichen Schnitten durch den Komplex des überhaupt objektiv Tatbestandsmäßigen verfolgt. Ein weiterer Schnitt verläuft zwischen den organisationsbezogenen Haftungen einerseits und den institutionsbezogenen Haftungen andererseits, jeweils bei Begehung wie Unterlassung. Allein der letztere Schnitt trifft den H a f t u n g s grund; er ist deshalb der material bedeutsamere. 119

Im Ergebnis überwiegende Ansicht, freilich soll es sich im Fall der vollen Haftung um eine Bestrafung für Begehung aus einem Unterlassungsdelikt handeln; da eine Begehung aber stets nur Verbotswidrig ist, muß das Unterlassungsdelikt von der Norm an um ein Begehungsdelikt ergänzt (transformiert) werden. — Roxin Engisch-Festschrift S. 380 ff, 383; Berte! J Z 1965 S. 53 ff, 55; MeyerBahlburg GA 1968 S. 49 ff, 51; v. Oberbeck GS S. 319 ff, 331 f; H. Mayer AT 5 1 7 1. - Zur

120

Argumentationsfigur der omissio libera in causa siehe Welp Vorangegangenes Tun S. 137 ff; Mauräch JuS 1961 S. 373 ff, 376 f; Androulakis Studien S. 152 ff; Hruschka Bockelmann-Festschrift S. 421 ff; den. AT S. 57 ff; — siehe auch oben zur actio libera in causa 17/64 ff. Roxtn Kriminalpolitik S. 17; den. Täterschaft und Tatherrschaft S. 352 ff; siehe unten 21/ 115 ff.

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7. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

VII. Die objektive Zurechnung des Erfolgs, 5. Fortsetzung: Der Normzweckzusammenhang (die Risikokonkurrenz und die Risikoverwirklichung) Literatur E. S. Binavince Die vier Momente der Fahrlässigkeit, 1969; H. Bindokat Versari in re illicita und Erfolgszurechnung, JZ 1977 S. 549 ff; M. Burgstaller Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht, 1974; U. Ebert und K. Kühl Kausalität und objektive Zurechnung, Jura 1979 S. 561 ff; U. Eberl Anmerkung zu OLG Stuttgart JR 1982 S. 419 ff, aaO S. 421 ff; F. Exner Fahrlässiges Zusammenwirken, Frank-Festgabe Bd. I S. 569 ff; M. Fincke Arzneimittelprüfung. Strafbare Versuchsmethoden, 1977; W. Hardwig Verursachung und Erfolgszurechnung, JZ 1968 S. 289 ff; G.Jakobs Das Fahrlässigkeitsdelikt, Beiheft ZStW 1974 S. 6 ff; H.Kamps Ärztliche Arbeitsteilung und strafrechtliches Fahrlässigkeitsdelikt, 1981; H. J. Kahrs Das Vermeidbarkeitsprinzip und die condiciosine-qua-non-Formel im Strafrecht, 1968; Arthur Kaufmann Die Bedeutung hypothetischer Erfolgsursachen im Strafrecht, Eb. Schmidt-Festschrift S. 200 ff; Κ. H. Knauber Anmerkung zu B G H NJW 1971 S. 388, aaO S. 627; /. Krümpelmann Schutzzweck und Schutzreflex der Sorgfaltspflicht, Bockelmann-Festschrift S. 443 ff; F. Nowakowski Probleme der Strafrechtsdogmatik, JurBl. 1972 S. 19 ff; H. Otto Grenzen der Fahrlässigkeitshaftung im Strafrecht — OLG Hamm NJW 1973, 1422, JuS 1974 S. 702 ff; ders. Risikoerhöhungsprinzip statt Kausalitätsgrundsatz als Zurechnungskriterium bei Erfolgsdelikten, NJW 1980 S. 417 ff; ders. Kausaldiagnose und Erfolgszurechnung im Strafrecht, Maurach-Festschrift S. 91 ff; I.Puppe Kausalität der Sorgfaltspflichtverletzung, JuS 1982 S. 660 ff; C. Roxin Pflichtwidrigkeit und Erfolg bei fahrlässigen Delikten, ZStW 74 S. 411 ff; ders. Literaturbericht, ZStW 78 S. 214 ff; ders. Gedanken zur Problematik der Zurechnung im Strafrecht, Honig-Festschrift S. 133 ff; ders. Zum Schutzzweck der Norm bei fahrlässigen Delikten, Gallas-Festschrift S. 241 ff; H.-J. Rudolphi Vorhersehbarkeit und Schutzzweck der Norm in der strafrechtlichen Fahrlässigkeitslehre, JuS 1969 S. 549 ff; E. Samson Hypothetische Kausalverläufe im Strafrecht, 1972; ders. Begehung und Unterlassung, WelzelFestschrift S. 579 ff; ders. Die Kausalität der Beihilfe, Peters-Festschrift S. 121 ff; F. Schaffstein Die Risikoerhöhung als objektives Zurechnungsprinzip im Strafrecht, insbesondere bei der Beihilfe, Honig-Festschrift S. 169 ff; Eb. Schmidt Der Arzt im Strafrecht, 1939; B. Schünemann Moderne Tendenzen in der Dogmatik der Fahrlässigkeits- und Gefährdungsdelikte, JA 1975 S. 435 ff, 511 ff, 575 ff, 647 ff, 715 ff; G. Spendet Zur Unterscheidung von Tun und Unterlassen, Eb. Schmidt-Festschrift S. 183 ff; ders. Der Conditio-sine-qua-non-Gedanke als Strafmilderungsgrund. Zugleich ein Beitrag zum Besonderen Teil der Strafzumessungslehre, Engisch-Festschrift S. 509 ff; ders. Der hypothetisch gleiche oder schwerere Deliktserfolg als Strafmaßproblem. Zum Fall der Giftgaslieferungen für die Auschwitzmorde, Bruns-Festschrift S. 249 ff; G. Stratenwerth Bemerkungen zum Prinzip der Risikoerhöhung, Gallas-Festschrift S. 227 ff; K. Ulsenheimer Das Verhältnis zwischen Pflichtwidrigkeit und Erfolg bei den Fahrlässigkeitsdelikten, 1965; ders. Erfolgsrelevante und erfolgsneutrale Pflichtverletzungen im Rahmen der Fahrlässigkeitsdelikte, JZ 1969 S. 364 ff; /. Wessels Anmerkung zu B G H 21 S. 59 ff, JZ 1967 S. 449 ff; Ε. A. ^ / / / K a u s a l i tät von Tun und Unterlassen, 1965.

A. Das Problem 72

1. D a s Problem des N o r m z w e c k z u s a m m e n h a n g s 1 2 1 resultiert aus dem U m s t a n d , daß im Einzelfall das unerlaubt riskante Verhalten des Täters auf eine Situation treffen kann, die schon ihrerseits risikobefangen ist 1 2 2 . Bei solchen Lagen konkurrieren m e h rere Risiken und es muß bestimmt werden, welches der Risiken sich verwirklicht oder auch w e l c h e Risiken sich gemeinsam verwirklichen; denn o h n e Risikoverwirklichung k o m m t es nie zu einer H a f t u n g für eine vollendete Erfolgsherbeiführung. 121

122

Ein zu weiter Begriff; auch Kausalität, unerlaubtes Risiko, g^rantenbezogene Begehung, Vorsatz und Fahrlässigkeit lassen sich als Bedingungen des N o r m z w e c k z u s a m m e n h a n g s bezeichnen. T r e f f e n d Krümpelmann Bockelmann-Festschrift S. 443 ff, 453: „Ist eine Pflicht zum Ausgleich einer typischen Gefahrenlage entstanden, trifft sie

184

aber auf eine »atypische' Gefährlichkeit, so fällt die Abwendung des Erfolges nicht in den Schutzbereich der Pflicht, selbst wenn ihre Erfüllung den Erfolg vermieden hätte. Es handelt sich um einen bloßen Schutzreflex, der Z u r e c h n u n g nicht begründet."

Objektiver Tatbestand

7. AbSChn

Bevor die Voraussetzungen eines Normzweckzusammenhangs dargelegt werden, soll schon darauf hingewiesen werden, daß f ü r jeden Schadensverlauf irgendein Risiko benennbar sein muß. Soll sich das vom Täter gesetzte Risiko nicht verwirklicht haben, muß also ein anderes Risiko ausgemacht werden, das sich verwirklicht hat. Deshalb kann die verbreitete Formel nicht akzeptiert werden, ein Normzweckzusammenhang fehle schon dann, wenn sich ohne das vom Täter gesetzte Risiko ein anderes verwirklicht hätte. Insbesondere ist die Formel unbrauchbar, ein unerlaubtes Risiko habe sich nicht verwirklicht, wenn der Erfolg bei erlaubtem Verhalten des Täters auch eingetreten ware 123 . Das ist formuliert, als gelte einem Gut, dem faktisch nicht mehr zu helfen ist, auch keine normative Garantie mehr. Wenn also der Bandenchef das Opfer im Weigerungsfall selbst umbringt, kann es das Bandenmitglied befehlsgemäß ohne Erfolgszurechnung töten? So ist die Hypothese jedoch nicht gemeint 1 2 4 , vielmehr sollen dem Gut seine normativen Garantien erhalten bleiben. Aber auch in diesem reduzierten Rahmen ist die Formel falsch gewählt, da sie den Grund eines Erfolgs und die Konkurrenzlosigkeit dieses Grunds in eins setzt. 2. Ob sich ein bestimmtes Risiko verwirklicht, hängt nicht davon ab, was sich ohne 7 3 dieses Risiko ereignet hätte, sondern was sich mit ihm ereignet hat. Ganz parallel der Fehlerhaftigkeit der Formel von der condicio sine qua non (oben 7 / 8 ff) führt auch bei der Feststellung der Risikoverwirklichung die Berücksichtigung von Hypothesen zu Fehlern, wenn ein Ersatzrisiko bereitsteht: Das zu prüfende Risiko und das Ersatzrisiko blockieren gegenseitig die Feststellung ihrer Verwirklichung. Beispiel 125 : Ein Radfahrer wird von einem Lastwagen mit zu geringem Seitenabstand überholt; der Radfahrer erschrickt, torkelt gegen den Lastwagen und wird getötet; der Radfahrer war betrunken und wäre bei ordnungsgemäßem Seitenabstand auch erschrocken und gegen den Lastwagen getorkelt. Bei — ganz üblicher, aber falscher — Ermittlung der Risikoverwirklichung mit Hilfe einer Hypothese ergibt sich, daß die Gefahr des zu engen Überholens sich nicht verwirklicht hat; aber bei Anwendung dieser Methode mag es auch an einer Verwirklichung des Trunkenheitsrisikos des Radfahrers fehlen, seil, wenn es ohne Trunkenheit bei der Enge des Abstands gleichfalls zu einem Unfall gekommen wäre. Da der Erfolg aber eingetreten ist, muß dieser Lösungsweg falsch sein: An einem der beiden Risiken muß der Radfahrer zu T o d e gekommen sein, da andere Risiken, deren Verwirklichung diskutabel wäre, nicht ersichtlich sind. Wie die Kausalität einer Bedingung nicht darin besteht, daß ohne die Bedingung der Erfolg ausgeblieben wäre, sondern daß sie real kausiert, so muß auch die Risikoverwirklichung eine Bestimmung der realen Verbindung zum Erfolg sein.

B. Der Lösungsweg 1 a) Es ist nicht überhaupt unerlaubt, seinen Organisationskreis so zu gestalten, daß 7 4 fremde Güter nachteilig betroffen werden, sondern unerlaubt sind nur diejenigen Ge123

Jescheck A T § 55 II 2 b a a ; LK-Jescheck R d n . 63 v o r 5 1 3 ; Blei A T 5 82 I I I ; Bockelmann AT § 20 Β I 4 c ; Schänke-Scbröder-Cramer § 15 R d n . 161 f f ; Wessels A T § 15 II 4 ; Lackner § 15 A n m . III 1 a b b ; Arthur Kaufmann Eb. SchmidtF e s t s c h r i f t S. 200 f f , 2 2 9 ; Ulsenheimer Verhältnis S. 146 f, 148 f ; ders. J Z 1969 S. 364 f f ; a u s d e r R e c h t s p r e c h u n g siehe B G H 11 S. 1 ff. — D i e H y p o t h e s e n m e t h o d e a n w e n d e n d , a b e r im e i n z e l n e n differenzierend Kahrs Vermeidbarkeitsprinzip S. 69 ff, 9 9 f f ; Hardwig J Z 1968 S. 289 ff, 2 9 1 ; Samson H y p o t h e t i s c h e K a u s a l v e r l ä u f e S. 86 ff u n d passim. — Ü b e r h a u p t gegen die B e r ü c k s i c h t i -

124

125

g u n g h y p o t h e t i s c h e r V e r l ä u f e Eb. Schmidt Arzt im S t r a f r e c h t S. 200 f f ; Spendel E b . S c h m i d t - F e s t Schrift S. 183 ff, 1 9 6 f f ; Binavince Momente S. 220 f ; Bindokat J Z 1977 S. 549 ff, 551 f. Siehe n u r LK-Jescheck R d n . 6 3 v o r § 13: Es soll auf die U n a u s w e i c h l i c h k e i t d e r o b j e k t i v (!) gegeb e n e n S i t u a t i o n a n k o m m e n ; B G H 30 S. 228 ff, 231 f ; e i n g e h e n d e r u n t e n z u r B e r ü c k s i c h t i g u n g h y p o t h e t i s c h e r V e r l ä u f e 7 / 9 2 f f ; a n d e r s a b e r Arthur Kaufmann E b . S c h m i d t - F e s t s c h r i f t S. 200 ff, 229 f. B G H 11 S. 1 ff.

185

7. AbSChtl

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

staltungen, die einem fremden Organisationskreis ein Risiko aufbürden, das dessen Inhaber nicht dulden muß. Wenn der Organisationskreis des Täters erlaubte wie unerlaubte Beziehungen aufweist, so fehlt der Normzweckzusammenhang, soweit es einzig die erlaubten Beziehungen sind, die fremde Güter beeinträchtigen. Die Güter werden dann nicht wegen der unerlaubten Beziehungen, sondern gelegentlich der unerlaubten Beziehungen beeinträchtigt, mit anderen Worten, die unerlaubt riskante Beziehung ist zur Erklärung des Schadensverlaufs nicht notwendig. Unter der Erklärung eines Schadensverlaufs ist dabei zu verstehen, daß die Schadensneigung auf (mindestens) ein Risiko zurückgeführt und dadurch die desorientierende Wirkung der Schädigung beseitigt, der Konflikt also erledigt wird. Das geschieht durch die Haftung eines Täters oder durch die Erklärung als Eigenverschulden (bei vermeidbaren und zurechenbar nicht vermiedenen Selbstverletzungen), durch die Definition als Unglück oder als unvermeidbarer Kostenfaktor des sozialen Kontakts u. a. m. Zur Bestimmung der Grenze zwischen einer Beeinträchtigung wegen einer unerlaubt riskanten Beziehung und einer solchen gelegentlich einer unerlaubt riskanten Beziehung ist die Relativität jeden unerlaubten Risikos herauszuarbeiten: 75 b) Wenn sich ein Mensch unerlaubt riskant verhält, so gerät er dadurch nicht total in einen Zustand des Unerlaubten, sondern unerlaubt sind einzig diejenigen Beziehungen seines Organisationskreises zu einem anderen Organisationskreis, die wegen ihrer Schadensneigung aus Gründen nicht mehr toleriert werden, für die der Täter zuständig ist. Ein unerlaubtes Verhalten ist also stets nur in bestimmter Hinsicht unerlaubt (siehe auch oben 7/Fn. 101). Diese Feststellung wird wohl noch allgemein akzeptiert; aber man meint durchweg, die Hinsicht, nach der sich das Unerlaubte richtet, durch die Angabe des angegriffenen Guts hinreichend bestimmen zu können. Das ist aber noch zu weit; denn ein Verhalten, das in Hinsicht auf ein bestimmtes Gut unerlaubt riskant ist, mag nur wegen einiger Wirkungen unerlaubt sein, während andere Wirkungen derselben Körperbewegung (bei Handlungen) oder derselben riskanten Situation (bei Unterlassungen) auf dasselbe Gut das Maß des Tolerierten nicht überschreiten. Wenn in anderen strafrechtlichen Zusammenhängen der Begriff eines unerlaubt riskanten Verhaltens ohne Präzisierung der Wirkungsart und des Einwirkungsobjekts verwendet wird, ist das regelmäßig unschädlich, da es überhaupt nur um eine einzige Wirkung auf ein einziges Objekt geht und konkurrierende Wirkungen oder Objekte fehlen. Im hiesigen Zusammenhang muß das unerlaubt riskante Verhalten präziser gefaßt werden, da es gerade um die Differenzierung der Verhaltensfolgen nach erlaubtem und unerlaubtem Inhalt und der eventuell betroffenen Güter nach geschützten und nicht geschützten Gütern geht. Das Risiko muß deshalb als eine Beziehung definiert werden, die nach den möglichen Wirkungen auf ein Gut und nach dem möglicherweise betroffenen Gut konkretisiert ist. Eine unerlaubte Beziehung ist also ein solchermaßen präzisiertes unerlaubtes Verhalten. Beispiel: Der Inhaber einer Pension in der Innenstadt, der abends das Licht im Eingang löscht (Handlung), handelt nur beschränkt auf noch eintreffende Hotelgäste unerlaubt, nicht etwa auch im Blick auf Passanten, die sich bei Regen unterstellen wollen. Er handelt bezüglich seiner Gäste aber auch nur insoweit unerlaubt, als es auf seinem Betriebsgrundstück dunkel wird; das Risiko, daß auf der dunkel gewordenen Straße vor seinem Betriebsgrundstück etwa bezechte Gäste die Orientierung verlieren, schafft er erlaubt. Selbst was die Dunkelheit auf seinem Grundstück angeht, schafft er nur das Risiko eines Sturzes o. ä. unerlaubt, nicht aber etwa das Risiko eines Uberfalls im Dunkeln. Im Ergebnis ist also nur die Wirkung „Stolpergefahr auf dem Betriebsgrundstück für Gäste" unerlaubt. — Die Lösung gilt entsprechend, wenn der Täter die automatisch erlöschende Beleuchtung nicht wieder in Gang setzt (Unterlassung). 186

Objektiver Tatbestand

7. AbSChn

c) Da die Beziehungen je nach dem betroffenen Organisationskreis und je nach ih- 7 6 rem Inhalt unterschiedlich zu beurteilen sein können, kann ein Täter durch ein einziges Organisationsverhalten zu einem einzigen Gut erlaubte Beziehungen eingehen (im Beispiel zur Körperintegrität der Passanten) oder sowohl erlaubte wie unerlaubte (im Beispiel zur Körperintegrität der Gäste) oder schließlich nur unerlaubte. — Bezogen auf mehrere Güter sind alle Kombinationen dieser Beziehungen möglich. 2. Die Schwierigkeiten, die verschiedenen Außenwirkungen auseinanderzuhalten 7 7 und je einzeln im Blick auf die Erlaubnis zu beurteilen, resultieren aus einem naturalistischen Mißverständnis. Dabei werden alle Folgen auf die Körperbewegung zurückgeführt (bei Begehung; bei Unterlassung auf die nicht gehinderte riskante Situation), so daß sich über ihren Bestand nur noch in cumulo befinden läßt: Der Täter wird (wirklich oder hypothetisch) die Folgen durch eine bestimmte Handlung alle zusammen herbeiführen (oder durch Unterlassung einer Rettung den Eintritt aller Folgen nicht hindern) und wird (wirklich oder hypothetisch) durch Unterlassung dieser Handlung (oder durch Vollzug der Rettungshandlung) erreichen, daß alle Folgen des Bündels zusammen ausbleiben. Strafrechtlich interessiert aber nicht, an welche Folgenkombinationen der Täter faktisch oder hypothetisch gebunden ist, sondern welche Beziehungen sein Organisationskreis zu einem anderen eingehen darf und welche nicht (ob Tun oder Unterlassen vorliegt, zählt gleich). Man muß also von der faktischen oder hypothetischen Folgenkombination mit allen Zufälligkeiten absehen und für jede einzelne Beziehung, die zwischen dem Organisationskreis des Täters und einem fremden Organisationskreis besteht, gesondert bestimmen, ob diese Beziehung unerlaubt riskant ist oder nicht. Sind einige Beziehungen unerlaubt riskant, andere nicht, so kommt es nicht darauf an, ob der Täter faktisch eine Organisation hätte besorgen können, bei der allein die unerlaubten Beziehungen vermieden worden wären; denn die Möglichkeit einer solchen Organisation hängt von Zufälligkeiten ab. Ob etwa der Täter im genannten Beispiel nur Betriebsgrundstück und Straße zusammen beleuchten kann oder ob er auch fähig ist, allein die Straße auszublenden, hängt ebenso von zufälligen Einzelheiten ab wie die Entscheidung, ob er hypothetisch zum Gebrauch einer eventuell gegebenen Fähigkeit entschlossen wäre. Ob bestimmte Beziehungen eines Organisationskreises durch eine unerlaubte Organisationsgestalt bedingt sind, ist also für strafrechtliche Haftung bedeutungslos; es entscheidet vielmehr, ob es unerlaubt ist, daß solche Beziehungen bestehen; mit anderen Worten, eine durch unerlaubte Organisation bedingte Beziehung ist nicht schon selbst unerlaubt. C. Die Durchführung der Lösung 1. Die ubiquitären Risiken a) Grundfälle Beziehungen sind erlaubt, wenn sie nur Einwirkungen auf das betroffene Gut brin- 7 8 gen können, die nach Art und Maß ubiquitär zu erwarten sind, insbesondere wenn sie das Bestandsrisiko umschichten, das sowieso jedes nicht museal verwahrte Gut trifft 1 2 6 . Es geht hierbei um Fälle, die traditionell als „inadäquate Verläufe" bezeichnet werden (dagegen oben 7/31 ff). In neuerer Zeit wird — schlecht 127 — formuliert, es fehle der Schutzbereich der Norm. Der Inhaber eines jeden Guts muß mit den Einwirkungen, die auf das Gut ubiquitär erfolgen, selbst fertig werden, d. h. notfalls die Folgen als 126

Schönke-Scbröder-Lenckner Rdn. 102 vor § 1 3 ; ]escheck A T § 55 II 2 b bb; LK-Jescheck Rdn. 62 vor 5 13; Roxin Honig-Festschrift S. 133 ff; den. Gallas-Festschrift S. 241 f f ; SK-Samson 5 16 An-

127

hang Bd. I Stets fehlt,

Rdn. 28; siehe schon Exner Frank-Festgabe S. 569 ff. wenn eine Voraussetzung des U n r e c h t s fehlt der Schutzbereich der N o r m .

187

7. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

U n g l ü c k akzeptieren. D a r a n ändert sich auch dann nichts, w e n n die E i n w i r k u n g e n durch ein unerlaubtes R i s i k o bedingt sind, solange sie nur inhaltlich ubiquitäre E i n w i r k u n g e n sind. D i e E i n w i r k u n g k a n n in der W e i s e g e s c h e h e n , d a ß die unerlaubte B e z i e h u n g des T ä t e r s überhaupt n i c h t z u m b e t r o f f e n e n G u t , s o n d e r n zu einem a n d e r e n G u t besteht. Beispiel: D e r T ä t e r f ä h r t an einer H a l t gebietenden A m p e l vorbei und ü b e r f ä h r t einen K i l o m e t e r w e i t e r o h n e e r n e u t unerlaubt riskantes V e r h a l t e n einen F u ß g ä n g e r , der plötzlich auf die F a h r b a h n fällt; hätte der T ä t e r an der A m p e l g e h a l t e n , so hätte er die Unfallstelle z u r Z e i t des Z u s a m m e n b r u c h s nicht e r r e i c h t und also das O p f e r nicht v e r l e t z t 1 2 8 . D e r F e h l e r an der Ampel bedingt den U n f a l l , e r k l ä r t a b e r das R i s i k o des Ü b e r fahrens außerhalb des A m p e l b e r e i c h s nicht, da dieses R i s i k o durch B e a c h t u n g von A m pelzeichen nicht v e r k l e i n e r t w e r d e n k a n n . D a s R i s i k o des F a h r e n s a u ß e r h a l b des A m pelbereichs ist der F a h r e r a b e r erlaubt e i n g e g a n g e n . 79

P r a k t i s c h h ä u f i g e r dürften Fälle sein, in denen z u m b e t r o f f e n e n G u t schon eine unerlaubt riskante B e z i e h u n g besteht, aber nicht diese, s o n d e r n eine zugleich bestehende erlaubte B e z i e h u n g den S c h a d e n s v e r l a u f erklärt. Beispiele: D a s O p f e r wird mit dem A u t o e n t f ü h r t und k o m m t bei einem unvermeidbaren A u t o u n f a l l ums L e b e n . — D a s n i e d e r g e s t o c h e n e O p f e r k o m m t im K r a n k e n h a u s durch einen B r a n d o d e r a u f dem W e g dorthin durch einen V e r k e h r s u n f a l l ums L e b e n , o h n e daß mit dem R e t t u n g s f a h r z e u g anders als allgemein ( o h n e R e c h t f e r t i g u n g ) erlaubt g e f a h r e n w o r d e n w ä r e 1 2 9 . In diesen Fällen ist die B e z i e h u n g z u m b e t r o f f e n e n G u t insoweit r e c h t m ä ß i g , als das G u t den üblichen Risiken des S t r a ß e n v e r k e h r s ausgesetzt w i r d ; denn solche o d e r ähnliche Risiken fehlen n i r g e n d w o völlig. D a s O p f e r hat diese mit der a u f g e z w u n g e n e n Lebensweise v e r b u n d e n e n Bestandsrisiken zu t r a g e n , weil sie das Ü b l i c h e nicht übersteigen und das O p f e r v o n den R i s i k e n b e f r e i e n , die es bei einer L e b e n s w e i s e seiner W a h l g e t r o f f e n hätten. E n t s p r e c h e n d ist selbst dann n o c h zu entscheiden, wenn ein rechtswidrig an einen a n d e r e n O r t v e r b r a c h t e s G u t d o r t bei einem s o l c h e n V e r b r e c h e n v e r l e t z t wird, wie es j e d e s G u t so o d e r ähnlich überall treffen k a n n : D a s allgemeine O p f e r r i s i k o ist kein unerlaubtes R i s i k o d e s j e n i g e n T ä t e r s , der einen O r t s w e c h s e l des G u t s organisiert. b ) D i e L a g e bei m e h r s e i t i g e r Risikozuständigkeit

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D i e S i c h t der B e z i e h u n g vom T ä t e r zum O p f e r m u ß um eine S i c h t v o m O p f e r ( o d e r von sonst Beteiligten) z u m T ä t e r e r g ä n z t werden. A u c h das O p f e r k a n n j a für b e 128 Siehe B G H V R S 5 S. 284 ff, 286; V R S 20 S. 129 ff, 131; falsch O L G Karlsruhe N J W 1958 S. 430. 1 2 9 Zumindest zweifelhaft für den Fall, daß das Opfer beim Krankenhausbrand nur deshalb umkommt, weil es verletzungsbedingt gehandicapt ist. Jedenfalls ist bei Folgeverletzungen anders zu entscheiden, bei denen der Täter ein Risiko auslöst, das zwar per Notstand gerechtfertigt ist, aber das allgemeine Bestandsrisiko übersteigt: Die Folgen einer waghalsigen Rettungsfahrt sind demjenigen, der die Rettung nötig gemacht hat, zurechenbar; siehe unten zur mittelbaren Täterschaft 21/81 ff. Ebenso haftet derjenige, der durch ein unerlaubtes Risiko zugleich den Schutz vor einer Gefahr unerlaubt reduziert (etwa durch eine Tablettenvergiftung den Immunschutz eines Menschen) für die deshalb erfolgende Verwirklichung der Gefahr (für die Infektionskrankheit): Es handelt

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sich dann um die Verwirklichung eines von mehreren mit der Handlung gesetzten Risiken (siehe O L G Köln N J W 1956 S. 1848; O L G Stuttgart N J W 1982 S. 295 f mit Anmerkung Eberl J R 1982 S. 421 f; SK-Rudolpbi Rdn. 75 vor § 1). Deshalb ist auch zu haften, wenn ein Dauerschaden (eine Beinlähmung) zu Folgeverletzungen (Stürzen bei Glatteis) führt. Ist der Dauerschaden freilich von der Art, daß generell Gewöhnung und Kompensation durch das Opfer zu erwarten sind, werden die Konsequenzen zum allgemeinen Bestandsrisiko des Opfers. — Im Ergebnis streitig. — Überhaupt gegen Zurechnung: Roxin Gallas-Festschrift S. 241 ff, 253 ff; Burgstaller Fahrlässigkeitsdelikt S. 127 ff; differenzierend SK-Rudolphi Rdn. 77 vor § 1; siehe auch Schünemann JA 1975 S. 435 ff, 715 ff, 7 2 0 ; Rudolpbi )uS 1969 S. 549 ff, 5 5 5 ; Wolter Objektive und personale Zurechnung S. 53 ff, 341.

Objektiver Tatbestand

7. Abschn

stimmte Beziehungen in dem Sinn zuständig sein, daß es bei Vernachlässigung seiner Obliegenheiten und bei Unglück die Schadensfolge selbst zu tragen hat, wenn sich das Risiko dieser Beziehungen verwirklicht. Die Verwirklichung eines Risikos in der Zuständigkeit des Opfers ist — wie bei einem Risiko in der Zuständigkeit des Täters — nicht schon gegeben, wenn die Beziehung den Schadensverlauf bedingt. So wie sich der Täter auf das Fehlen des Normzweckzusammenhangs berufen kann, wenn er nicht durch, sondern nur gelegentlich einer unerlaubten Beziehung schädigt, so kann das Opfer darauf hinweisen, daß sich eine durch Obliegenheitsverletzung oder Unglück definierte Beziehung nicht verwirklicht, daß diese Beziehung vielmehr nur die Verwirklichung einer dem Täter als unerlaubt zurechenbaren Beziehung bedingt. Beispiel 1 3 0 : Ein Lastwagenfahrer überholt einen Radfahrer mit zu engem Seitenabstand (unerlaubte Beziehung des Lastwagenfahrers); der Radfahrer ist betrunken (durch Obliegenheitsverletzung definierte Beziehung in der Zuständigkeit des Radfahrers); der Radfahrer erschrickt wegen des engen Abstands und fällt dadurch bedingt, ohne daß seine Trunkenheit insoweit eine Rolle spielt, gegen den Lastwagen, wird überfahren und getötet. Das betrunkene Fahren bedingt den Unfall, erklärt ihn aber nicht, da es weder das Erschrecken noch den dann folgenden Verlauf zum Schaden beeinflußt. Schadensverläufe können auf der Täterseite wie auf der Opferseite nur durch verwirklichte Beziehungen erklärt werden, nicht durch hypothetische. Deshalb entfällt die Haftung des Täters für eine unerlaubte Beziehung nicht schon, weil das Opfer bei einem hypothetischen Verlauf seine Obliegenheiten verletzt oder Unglück gehabt hätte. Fällt im soeben mitgeteilten Beispielsfall der Radfahrer mit solchem Schwung in Richtung auf den Lastwagen, daß er ohne energisches Gegensteuern auch bei ordnungsgemäßem Abstand überfahren worden wäre, so verwirklicht sich diese riskante Beziehung in der Zuständigkeit des Radfahrers (Gegensteuern ist seine Obliegenheit) dann nicht, wenn er noch innerhalb der Schutzzone überfahren wird. Ob die Obliegenheiten erfüllt oder trunkenheitsbedingt (oder wegen unglücklicher Umstände) nicht erfüllt worden wären, ist jedenfalls Hypothese und kann deshalb die reale Verwirklichung der unerlaubten Beziehung in der Zuständigkeit des Lastwagenfahrers nicht aufheben. Ein Versagen in einer Situation, zu der es nicht kommt, kann einen realen Schadensverlauf nicht erklären. 2. Die Fälle von Risiko variation a) Grundfälle Bislang wurden Fallgestaltungen behandelt, bei denen eine unerlaubte Beziehung 81 eine erlaubte zwar bedingt, auf die weitere Entwicklung der erlaubten Beziehung aber einflußlos bleibt. Die Entscheidung ist schwieriger, wenn sich die Wirkungen der unerlaubten und der erlaubten Beziehung dergestalt verschränken, daß die erlaubte Beziehung in einer Art und Weise abläuft, die allein durch den Bestand erlaubter Beziehungen nicht erklärt werden kann. Ein Beispiel bildet der schon mitgeteilte Fall einer Kollision zwischen einem Lastwagen und einem Radfahrer, wenn der Radfahrer trunkenheitsbedingt über das — nicht unüblich laute — Geräusch (erlaubte Beziehung) erschrickt und gegen den Lastwagen torkelt, der ihn wegen des zu engen Abstands (unerlaubte Beziehung) noch innerhalb der Schutzzone überfährt und tötet. Dieser konkrete Schadensverlauf ist dann ohne Blick auf die unerlaubte Beziehung nicht zu erklären. Für die Entscheidung kommt es darauf an, ob sich trotz der Einwirkung der uner- 82 laubten Beziehung auf die Entwicklung der erlaubten Beziehung deren identisches Risiko verwirklicht (dann erlaubte Risikovariation) oder ob das schon angelegte Risiko Siehe B G H 11 S . I ff.

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7. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

verdrängt wird (dann Verwirklichung der unerlaubten Beziehung). Um das zu ermitteln, ist bei den Bedingungen des Schadensverlaufs statt der unerlaubten Beziehung diejenige Beziehung einzusetzen, die der Täter organisieren darf (ob er das auch kann, ist wiederum irrelevant; im Beispielsfall mag ein ordnungsgemäßes Uberholen wegen der Enge der Straße überhaupt unmöglich sein). Hätten sich dann gegenüber dem konkreten Verlauf nur (relative) Begleitumstände geändert (dazu oben 7/16), so verwirklicht sich das identische Risiko der erlaubten Beziehung; denn die Bedingungen, die den Schluß auf den tatbestandlichen Erfolg zulassen, bleiben beim Wechsel von der unerlaubten zur erlaubten Beziehung dieselben. Im Beispielsfall ist demnach zu unterscheiden, ob der Radfahrer unhinderbar auch gegen einen Lastwagen in erlaubtem Abstand getorkelt wäre oder nicht; im ersteren Fall hat sich das Risiko der unerlaubten Beziehung nicht verwirklicht, weil der Ort des Erfolgs allein genommen kein tauglicher Gegenstand strafrechtlich abzusichernder Erwartung ist, sondern Begleitumstand. Im letzteren Fall verwirklicht sich das Risiko nicht nur, wenn der Radfahrer bei erlaubtem Abstand des Lastwagens überlebt hätte, sondern auch wenn er etwa auf das Pflaster gestürzt und an diesem Sturz gestorben wäre (das Risiko des Stürzens ist nicht identisch mit demjenigen des Uberfahren-Werdens, da die Bedingungen, aus denen auf den Erfolg geschlossen wird, nicht dieselben sind). Natürlich fehlt erst recht eine Risikoverwirklichung, wenn bei erlaubtem Abstand der Lastwagenfahrer Zeit f ü r ein erfolgreiches Ausweichmanöver gehabt hätte und er dieses Manöver hätte durchführen müssen; denn dann ist nur diejenige Beziehung erlaubt, die dieses Rettungsunternehmen einschließt. b) Die Risikovariation bei mehrseitiger Risikozuständigkeit 83

Auch das Opfer (oder ein sonst Beteiligter) kann sich darauf berufen, daß eine Beziehung in seiner Zuständigkeit am Schadensverlauf nur (relative) Begleitumstände variiert, so daß die Identität eines sich verwirklichenden Risikos dadurch nicht aufgehoben wird. Wie beim Blick vom Täter her so ist auch f ü r die Opferperspektive irrelevant, welche Beziehung das Opfer statt der von ihm zu verantwortenden Beziehung faktisch eingehen könnte, sondern es entscheidet allein das Dürfen. Beispiel: Erklärt in dem schon mehrfach angeführten Fall die Trunkenheit weder das Erschrecken noch das Fallen des Radfahres, sondern einzig die Geschwindigkeit des Fallens, so hindert diese Variation die Verwirklichung der unerlaubt riskanten Beziehung des Lastwagenfahrers nicht, da eine Beachtung der Obliegenheiten des Opfers die (relativen) Begleitumstände, nicht aber die Bedingungen des Uberfahren-Werdens geändert hätte: Sekundenbruchteile der Lebensverkürzung dürften im Straßenverkehr kein Gegenstand strafrechtlich zu garantierender Verhaltenserwartung sein. 3. Die mehrfache Risikoverwirklichung

84

Die Risiken mehrerer Beziehungen können sich zusammen verwirklichen. Das ist der Fall, wenn zum konkreten Schadensverlauf mehrere Beziehungen Wirkungen beisteuern, die nicht nur Risikovariationen sind, sondern zur Erklärung des Schadensverlaufs erforderliche Beiträge. Wenn also die Wirkungen einer Beziehung einen Schadensverlauf nicht erklären, ist stets zu prüfen, ob sie nicht zusammen mit den Wirkungen einer anderen Beziehung zur Erklärung hinreichen. Beispiel 131 : Im mitgeteilten Fall erschrickt der Radfahrer wegen der Nähe des Lastwagens (Verwirklichung der unerlaubt riskanten Beziehung des Lastwagenfahrers) und fällt dagegen, und zwar trunken131

Diese Variante entspricht dem Sachverhalt von B G H 11 S. 1 f f ; die E n t s c h e i d u n g b e r ü c k s i c h t i g t

190

f r e i l i c h nicht, m ö g l i c h ist.

daß

eine

kumulative

Erklärung

Objektiver Tatbestand

7. AbSChn

heitsbedingt mit einem innerhalb der Schutzzone nicht mehr beherrschbaren Schwung (Verwirklichung der durch Obliegenheitsverletzung definierten Beziehung in der Zuständigkeit des Opfers).

D. Einzelfragen zum Normzweckzusammenhang 1. Da es um die Erklärbarkeit von Schadensverläufen geht, nicht aber um deren 85 Wahrscheinlichkeit, ist irrelevant, ob der konkrete Verlauf erwartungsgemäß mehr oder weniger typisch ist; auch in inadäquaten Verläufen kann sich ein Risiko verwirklichen. Beispiel: Wirkt ein Gift bei einer vereinzelt resistenten Person nicht schon im Magen, sondern erst im Darm, so verwirklicht sich das Vergiftungsrisiko trotz der extremen Seltenheit des Verlaufs. 2. Weil allein das reale Geschehen interessiert, nicht aber, was bei einem hypotheti- 86 sehen Verlauf eingetreten wäre, ist auch irrelevant, ob ein Risiko, das sich nicht verwirklicht, immerhin den Erfolg gegenüber einer hypothetischen Lage beschleunigt (oder verzögert oder intensiviert oder vermindert) 132 . So wenig eine Erfolgsbeschleunigung durch eine erlaubte Beziehung zur Zurechnung führt, so wenig auch durch eine unerlaubte, die nicht wirkt, also zur Erklärung des Schadensverlaufs nichts beiträgt 133 . Beispiel: Wenn der Täter dem Opfer vergiftetes Konfekt gibt, das vom Opfer so gierig verschlungen wird, daß es im Hals stecken bleibt und das Opfer daran erstickt, so hat sich das Vergiftungsrisiko nicht verwirklicht, gleich ob das Opfer ohne den Vergiftungsversuch des Täters schon früher oder gleichzeitig oder später Konfekt mit der Folge des Erstickens verschlungen hätte (oder überhaupt nicht, dazu sogleich). — Selbst wenn feststeht, daß die Vermeidung eines unerlaubt riskanten Verhaltens einen Erfolg verhindert hätte, so ist dies weder ein notwendiges noch ein hinreichendes Indiz für die Verwirklichung einer Gefahr 134 . Wenn sich etwa im oben mitgeteilten Fall eines falschen Überholmanövers die Gefahr der unerlaubten Beziehung nicht verwirklicht, so bleibt es dabei auch dann, wenn ein ordnungsgemäßes Uberholen unmöglich war, etwa weil die Straße zur Durchführung eines Überholmanövers mit hinreichendem Sicherheitsabstand zu schmal war. Erlaubte Beziehungen werden nicht unerlaubt, weil der Täter sie faktisch nicht von unerlaubten abspalten kann 135 . Freilich können Fahrspuren zweckvoll so angelegt werden, daß auch zum Schutz unbesonnener Personen schlechthin jedes Überholen unterbleiben soll; in diesem Fall geht aber das Überholri132 V e r w i r r e n d B G H 24 S. 32 ff, 35 f mit z u t r e f f e n d a b l e h n e n d e r A n m e r k u n g Knauber N J W 1971 S. 627, w o n a c h z u r V e r w i r k l i c h u n g des R i s i k o s e i n e r T r u n k e n h e i t s f a h r t n i c h t d a r a u f abgestellt w e r d e n soll, w a s die T r u n k e n h e i t z u m S c h a d e n s verlauf b e i t r ä g t , a u c h nicht, ü b l i c h e r M e t h o d e e n t s p r e c h e n d , w a s o h n e die T r u n k e n h e i t g e s c h e hen w ä r e , s o n d e r n wie die S i t u a t i o n w ä r e , w e n n der Täter das Trunkenheitsrisiko durch erhöhte V o r s i c h t ( b e s o n d e r s l a n g s a m e s F a h r e n ) eliminiert hätte. — D e r B u n d e s g e r i c h t s h o f m e i n t z u U n r e c h t , diese B e t r a c h t u n g f ü h r e z u e i n e r a n d e r e n L ö s u n g als d a s H y p o t h e s e n v e r f a h r e n . H ä t t e sich bei d e r t a t s ä c h l i c h e i n g e s c h l a g e n e n F a h r w e i s e ein n ü c h t e r n e r F a h r e r im R a h m e n des e r l a u b t e n Risik o s g e h a l t e n u n d t r o t z d e m einen S c h a d e n s o e b e n n i c h t m e h r v e r m e i d e n k ö n n e n (so d e u t e t das G e r i c h t a a O d e n S a c h v e r h a l t ) , so k a n n eine e n t s p r e c h e n d e F a h r w e i s e f ü r d e n seine T r u n k e n h e i t in R e c h n u n g stellenden F a h r e r a u c h n u r v o n d e r A r t sein, d a ß eine S c h ä d i g u n g s o e b e n n i c h t m e h r ver-

mieden werden

kann.

— Siehe z u r

genannten

E n t s c h e i d u n g a u c h Puppe1982 S. 6 6 0 f f , 662. '3 3 Im E r g e b n i s e b e n s o B G H 21 S. 5 9 f f , 6 1 ; f e r n e r die bei Kabrs V e r m e i d b a r k e i t s p r i n z i p S. 199 ff mitgeteilte E n t s c h e i d u n g des B u n d e s g e r i c h t s h o f s ; Jescheck A T § 55 I I ; Scbönke-Scbröder-Cramer § 15 R d n . 168; Hardwig J Z 1968 S. 289 f f ; Ulsenheimer J Z 1969 S. 364 f f , 3 6 9 ; siehe a u c h LKSchroeder 5 16 R d n . 186. 134 S o i n s b e s o n d e r e in d e n Fällen eines F a h r e n s mit ü b e r h ö h t e r G e s c h w i n d i g k e i t , w o b e i es z u e i n e m Unfall kommt, der — nach üblicher Formulier u n g — a u c h bei o r d n u n g s g e m ä ß e r G e s c h w i n d i g keit n i c h t z u v e r m e i d e n g e w e s e n w ä r e : Stets w ä r e d e r T ä t e r bei o r d n u n g s g e m ä ß e r G e s c h w i n d i g k e i t nicht am Unfallort gewesen und der U n f a l l desh a l b a u s g e b l i e b e n . E n t s c h e i d e n d ist, d a ß die u n e r l a u b t e B e z i e h u n g des z u s c h n e l l e n F a h r e n s n u r R i s i k e n e r k l ä r t , die d u r c h G e s c h w i n d i g k e i t s r e g u l i e r u n g b e h e r r s c h b a r sind, 135 S i e h e Jakobs S t u d i e n S. 102.

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7. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

siko selbst dann noch zu Lasten des Uberholenden, w e n n der Uberholte unbesonnen oder unglücklich reagiert: D e r U m f a n g der unerlaubten Beziehung ist zu Lasten des Überholenden vergrößert worden. 87

3. Soweit es um hypothetische Verläufe geht, ist die Irrelevanz f ü r die Gefahrverwirklichung nach dem hiesigen Lösungsvorschlag selbstverständlich. Beispiel 1 3 6 : Wird zu einer N a r k o s e fehlerhaft Kokain statt Novokain verwendet 1 3 7 oder bewirkt ein T ä ter eine Darlehenshingabe durch T ä u s c h u n g 1 3 8 , so entfällt die Gefahrverwirklichung nicht deshalb, weil der Erfolg auch mit einem erlaubten Mittel (Novokain, mit wahren Angaben) zu verlangen war.

88

4. Die genannten Maximen gelten auch, wenn eine unerlaubt riskante Beziehung durch „negative Bedingungen"(oben 7 / 2 5 ) ausgezeichnet ist. Auch hierbei k o m m t es allein auf den realen Verlauf an. Es geht um Fälle, in denen ein Verhalten unerlaubt ist, soweit nicht ein V e r f a h r e n zur Risikominderung vorgeschaltet wird, wobei aber dieses Vorschaltverfahren im Einzelfall wirkungslos geblieben wäre. Allerdings kann auch ein wirkungsloses V e r f a h r e n immer noch einen normativ plangemäßen Schutz bieten, seil, wenn die Wirkungslosigkeit auf einem zurechenbaren Fehlverhalten beruht. W ä r e also das Vorschaltverfahren wirkungslos, weil sich der d a f ü r Verantwortliche zurechenbar falsch verhielte oder das O p f e r Obliegenheiten zum Selbstschutz nicht ergriffe, so nähme die Berücksichtigung der faktischen Nutzlosigkeit des Vorschaltverfahrens dem G u t die normative Garantie. Beispiele: W e r d e n mit infizierenden Stoffen verseuchte Ziegenhaare in nicht desinfiziertem Zustand zur Verarbeitung gegeben 1 3 9 oder gibt ein Apotheker ein gefährliches Medikament ohne Rezept aus 1 4 0 oder narkotisiert ein Z a h n a r z t einen Patienten ohne indizierte (!) internistische U n t e r s u c h u n g 1 4 1 , hätte aber das jeweilige Vorschaltverfahren (Desinfektion, Rezeptur, internistische Untersuchung) wegen eines Fehlers des Zuständigen den Schaden nicht verhindert, so verwirklicht sich die unerlaubte Beziehung, die durch ein Verhalten ohne Vorschaltverfahren eingegangen w i r d 1 4 2 : Ein hypothetischer Fehler erklärt keinen realen Schadensverlauf, d. h. ein Gut wird nicht schutzlos, weil andere Personen es bei einem anderen Verlauf zurechenbar verletzen w ü r d e n . W ä r e das Vorschaltverfahren jedoch ohne zurechenbares Fehlverhalten im Ergebnis nutzlos (so wohl in den genannten Entscheidungen), so verwirklicht sich das Risiko der unerlaubten Beziehung nicht; denn sie ist dann mit einer erlaubten Beziehung restlos oder doch bis auf irrelevante Begleitumstände identisch. W a s sie unerlaubt macht, kann also z u m Schadensverlauf nichts beitragen. O b der T ä t e r ad hoc eine Beziehung mit erledigtem Vorverfahren eingehen könnte, ist eine nicht entscheidungserhebliche H y p o these; jedenfalls dürfte er es. Auch bei „negativen Bedingungen" k o m m t es bei mangelnder Risikoverwirklichung nicht darauf an, ob ein erlaubtes Verhalten den Erfolg immerhin verzögert oder überhaupt verhindert hätte (siehe oben 7 / 8 6 ) .

89

5. An einem N o r m z w e c k z u s a m m e n h a n g fehlt es erst recht bei einer erfolgsneutralen oder erfolgsmindernden Variation der Verwirklichung von Risiken, die schon unabhängig vom Kontakt zwischen dem T ä t e r und dem betroffenen G u t bestehen. D e r T ä t e r Siehe aus der Rechtsprechung ferner O G H 1 S. 49 f f ; B G H 2 S. 20 ff. R G H R R 1926 N r . 2302. - Es wird vorausgesetzt, daß nicht ein Stoff wirkt, der in Kokain und N o v o k a i n gleichermaßen vorhanden ist; so zutreffend differenzierend Roxin Z S t W 74 S. 411 ff, 439 f; Schünemann JA 1975 S. 435 ff, 647 ff, 654. ι « B G H 13 S. 13 ff.

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139

R G 63 S. 211 ff. HO r q 15 S. 151 ff. B G H 21 S. 59 ff mit Anmerkung Wessels J Z 1967 S. 449 ff. 142 Im Grundsatz ebenso Kabrs Vermeidbarkeitsprinzip S. 69 ff, 99 ff; Hardwig J Z 1968 S. 289 ff, 292 Fn. 4.

Objektiver Tatbestand

7. Abschn

wird bei einer solchen Lage wegen der Variation zwar für den Erfolg in seiner konkreten Gestalt kausal, hat aber das Risiko nicht zu verantworten, denn ohne seinen Beitrag bestünde das identische Risiko, nur mit anderen Begleitumständen. Beispiele: Jemand verfeuert aus einer bereitliegenden Tatwaffe die erste Patrone in die Luft, so daß der Täter das Opfer später nicht mit der ersten, sondern mit der zweiten Patrone tötet. — Jemand lenkt den Hieb des Täters auf ein Opfer ab, so daß dem Opfer nicht der Schädel zertrümmert, sondern nur die Schulter gebrochen wird. Es muß sich bei dem variierten Risiko um einen Bedingungskomplex handeln, der nicht erst noch durch zurechenbares Verhalten hergestellt werden muß; sonst würde die Berücksichtigung der Hypothese dem Gut die normative Garantie nehmen. Beispiel: W e r dem Täter die Pistole lädt, schafft (nicht: variiert) ein Risiko, auch wenn der Täter die Waffe ansonsten selbst geladen hätte. — D a ß die erfolgsneutrale oder erfolgsmindernde Variation nicht zur Haftung führt, schließt eine gegebenenfalls bestehende Unterlassungshaftung nicht aus.

E. Die Berücksichtigung hypothetischer Erfolgsursachen bei der Strafzumessung 1. Der Grundsatz Was ohne ein unerlaubt riskantes Verhalten geschehen wäre, ist für die Risikover- 90 wirklichung und im Regelfall auch für die Strafzumessung gleichgültig. So wie dem Täter der Erfolg nicht schon bei Kausalität, sondern erst bei Risikoverwirklichung zuzurechnen ist, so wird er in der Umkehrung bei gegebener Risikoverwirklichung regelmäßig nicht schon deshalb frei, weil sein Verhalten zwar verletzt, das verletzte Gut aber zugleich auch vor anderen Kausalverläufen zum Erfolg bewahrt. Es gibt keinen Satz des Inhalts, ein sowieso in seinem Bestand gefährdetes Gut sei nicht mehr normativ garantiert. Beispiel: Dem Verursacher einer Körperverletzung ist diese auch dann zuzurechnen, wenn die Verletzung das Opfer zwingt, auf eine geplante Flugreise zu verzichten und diese Reise vielleicht oder gewiß mit einem Absturz und schlimmeren Verletzungen geendet hätte. In Grenzfällen mag die an sich unerlaubte Handlung allenfalls gerechtfertigt sein, insbesondere durch Notstand 1 4 3 (siehe auch unten zur U n terlassung 29/25). Die Nichtberücksichtigung des Hypothetischen — abgesehen von den noch zu be- 91 handelnden Strafzumessungsproblemen — hat folgenden Grund: Jedes Gut ist dauernd einer Reihe von Risiken ausgesetzt, und zwar dritten Personen zurechenbaren Risiken oder dem Gutsinhaber selbst wegen einer Obliegenheitsverletzung zurechenbaren oder als Unglück in seiner Zuständigkeit stehenden Risiken. Was die zurechenbaren Risiken angeht, so wurde schon dargelegt, daß eine Berücksichtigung dem Gut die normative Garantie nehmen würde. Jeder Arzt, dessen Vertreter nichts taugt, dürfte schlecht kurieren; wer mit sich selbst ruinös umgeht, dürfte ruiniert werden etc. Aber auch was das Unglück angeht, so kann das Opfer darauf verweisen, daß die Bedingungen eines unglücklichen Verlaufs aktuell nicht komplett waren, wenn sich ein zurechenbarer Verlauf verwirklicht hat. Das entspricht auch dem Gebot einer gleichmäßigen Risikoverteilung: So wie das Opfer nach einer T a t mit neuen Bestandsrisiken allein fertig werden muß (Beispiel: Das verletzte Opfer wird im Krankenhaus von einem Brand bedroht; — keine Zurechnung zum Täter der Verletzung), so ist es von den alten Risiken zu entlasten (Beispiel: Das Opfer wurde verletzt, als es im Begriff stand, mit einem unerkennbar schwer defekten Auto abzufahren). Es geht in diesen Fällen um Zufallsfolgen der 143

Siehe hierzu Samson Hypothetische Kausalverläufe S. 86 ff.

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7. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

Lebensgestaltung des Opfers, und dieses hat Anspruch auf das Glück, wie es das Unglück zu tragen hat 1 4 4 . 2. Die Möglichkeit einer Strafrahmenmilderung wegen hypothetischer Erfolgsursachen (Ähnlichkeit mit abstrakter Gefährdung oder Versuch) 92

a) Soweit der Täter durch sein Verhalten einen hypothetischen Schadensverlauf verdrängt, haftet er für den Verlauf zum Erfolg und für die Art und Weise des Erfolgseintritts, ohne daß von ihm der Bestand des Erfolgs abhinge; denn ohne den Beitrag des Täters wäre der Erfolg zwar auf Grund eines anderen Risikos eingetreten, hätte aber gleichfalls Bestand. Das nähert — trotz eingetretener Vollendung — das Verhalten des Täters, der die Lage überblickt, insoweit abstrakter Gefährdung an, als dem Täter der dauernde Verlust des Guts nicht anzulasten ist. Uberblickt der Täter die Lage nicht, so wird er vermeintlich (oder bei Fahrlässigkeit: erkennbar) auch für die Dauer des Verlusts ursächlich, nicht aber objektiv: Sein Verhalten wird versuchsähnlich.

93

b aa) Wäre der hypothetische Schadensverlauf freilich seinerseits zurechenbar (dem Täter, einem anderen Täter, dem Opfer selbst), bleibt er außer Betracht; denn normative Garantien, auch in Form von Obliegenheiten zum Selbstschutz, werden dem Gut nie genommen. Deshalb fehlt eine Ähnlichkeit mit der abstrakten Gefährdung oder dem Versuch sowohl bei der Bereitschaft von Bandenmitgliedern zum wechselseitigen Ersatz ihrer Beiträge als auch bei Zurechenbarkeit der hypothetischen Verläufe zum Täter selbst; dabei kommt auch eine Zurechnung als Unterlassungstat in Betracht (Ingerenz).

94

bb) Eine Berücksichtigung des hypothetischen Verlaufs ist auch ausgeschlossen, wenn die Bedingung hypothetisch durch ein Eintriffsrecht gerechtfertigt herbeigeführt würde; denn der rechtlich sinnvolle (gerechtfertigte) Verlust eines Guts steht dem rechtlich sinnlosen (rechtswidrigen) Verlust nicht gleich. Kraß: Dem Hinzurichtenden ist garantiert, daß er vom Zuständigen getötet wird 1 4 5 .

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cc) Eine Ähnlichkeit mit der abstrakten Gefährdung oder dem Versuch fehlt ferner, wenn die Verdrängung des hypothetischen Schadensverlaufs von Zufälligkeiten im Fortgang der Lebensgestaltung des Opfers abhängt. Beispiel: Eine Körperverletzung ist einer abstrakten Gefährdung oder einem Versuch ähnlich, wenn sie das Opfer zum Taumeln bringt und gerade dadurch vor einem umstürzenden Baum rettet, nicht aber, 144

Die überwiegende Ansicht beschränkt die Berücksichtigung hypothetischer Verläufe nicht, sondern vermischt die Frage mit der Risikoverwirklichung, wobei durchaus unklar bleibt, wo die Grenzen der Saldierung von Realität und Hypothetischem liegen. Daß durch die Berücksichtigung der Hypothese dem Gut nicht eine normative Garantie genommen werden darf, wird anerkannt: B G H 30 S. 228 ff, 231 f; Kahrs Vermeidbarkeitsprinzip S. 75 ff, 283; Stratenwerth AT Rdn. 227; Otto Maurach-Festschrift S. 91 ff, 103; Samson Hypothetische Kausalverläufe S. 125 ff, 141; wohl auch Baumann AT § 19 III 2 c β (objektive Unvermeidbarkeit als — in Baumanns System — Rechtfertigungsgrund, bei zutreffender Gleichbehandlung von Vorsatz und Fahrlässigkeit); Puppe JuS 1982 S. 660 ff, 664 f (nur hypothetische „Naturereignisse" — im Gegensatz zu „Sorgfaltspflichtverletzungen" — sollen zu berücksichtigen sein); siehe auch /escheck AT § 2 8 IV 2, § 5 5 II

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145

2 b bb; Nowakowski JurBl. 1972 S. 19 ff, 31; E. A. Wolff Kausalität S. 21 ff; Schmidhäuser AT 8/75; Blei AT 5 26 II 1 a und b. — Α. A. Arthur Kaufmann Eb. Schmidt-Festschrift S. 200 ff, 226, 229 f. — Weitere Nachweise bei Kahrs und Samson aaO. — Die gegenteilige Ansicht {Jakobs Studien S. 24 mit Fn. 23) gebe ich auf; sie beruht auf einer Uberschätzung der Erfolgsrelevanz für den expressiven Gehalt eines Verhaltens. — Gegen jede Berücksichtigung hypothetischer Verläufe (allenfalls Strafmilderungsgründe), ohne freilich zwischen Risikoverwirklichungen und Zufallsfolgen zu differenzieren, Spendel Engisch-Festschrift S. 509 ff; ders. Bruns-Festschrift S. 249 ff. Im Ergebnis ebenso SK-Rudolphi Rdn. 61 vor § 1 ; Schmidhäuser AT 8/75; teils a. A. Samson Hypothetische Kausalverläufe S. 142 f; ders. Peters-Festschrift S. 121 ff, 132 ff; — zum Beispielsfall a. A. schon Feuerbach Lehrbuch § 34.

Objektiver Tatbestand

7. Abschn

wenn sie das Opfer aufs Krankenlager zwingt und dadurch vor einer Infektion auf einer zuvor geplanten Tropenreise bewahrt. Die Ähnlichkeit besteht also im Ergebnis nur in den Fällen, in denen die Situation der Lage bei rechtfertigendem Notstand gleicht, insbesondere die Gefahr schon gegenwärtig vorliegt, mag auch die Erforderlichkeit des Eingriffs fehlen. c) Ähnlichkeit mit der abstrakten Gefährdung oder dem Versuch bedeutet zugleich 9 6 eine Minderung des Unrechts der Handlung. Deshalb kann eine Notstandsrechtfertigung (§ 34 StGB) f ü r den sich verwirklichenden, eingreifenden Akt eher in Betracht kommen, als wenn der Akt auch über den Bestand des Guts entschiede (siehe unten zur Notstandsrechtfertigung 13/26 und auch zur Entschuldigung bei Interessenkollisionen 20/41 f). d) Bei gegebener Ähnlichkeit mit einer abstrakten Gefährdung ist wegen der U n - 9 7 rechtsminderung § 49 Abs. 2 StGB — auch ohne positivrechtlichen Hinweis — anzuwenden; eine Ähnlichkeit mit dem Versuch führt zur Kannmilderung nach den §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB.

F. Risikoerhöhung? 1 a) Sowohl bei der Risikoverwirklichung als auch bei der Berücksichtigung hypo- 9 8 thetischer Verläufe (zur Strafrahmensenkung) stellt sich die Frage, wer das Aufklärungsrisiko trägt. Zu den erheblichen Meinungsverschiedenheiten, die hierzu bestehen, ist es u. a. gekommen, weil die — entgegen der hier vorgenommenen Beschränkung — übliche, unklar begrenzte Berücksichtigung hypothetischer Verläufe einen Haftungsausschluß auch in Fällen nahelegt, in denen an einer Risikoverwirklichung nicht zu zweifeln und deshalb allenfalls eine Ähnlichkeit des Verhaltens mit abstrakten Gefährdungen diskutabel ist 146 . Bei dieser Lage ist versucht worden, die durch unklare H y p o thesenberücksichtigung an sich beseitigte H a f t u n g dadurch wieder beizubringen, daß auf die Erhöhung des Erfolgsrisikos 1 4 7 durch den Täter abgestellt wird. Weiterhin hat die Risikoerhöhungslehre die Funktion eines strafrechtlichen Substituten f ü r den nach geltendem Recht stets straffreien fahrlässigen Versuch. Dementsprechend wird das Problem teils verkürzt f ü r ein spezielles Fahrlässigkeitsproblem gehalten. b) Die Risikoerhöhungslehre wäre konsequent durchführbar, und zwar müßte dazu 9 9 überhaupt von der Risikoverwirklichung und von hypothetischen Verläufen abgesehen werden; zur H a f t u n g f ü r Vollendung wäre im objektiven Tatbestand erforderlich, daß der Täter ein Risiko unerlaubter H ö h e geschaffen hat und daß kausal durch die Täterhandlung der Erfolg am ex ante bedrohten Gut eingetreten ist. Der Zurechnungszusammenhang wäre handlungsbezogen; der Erfolg hätte die Funktion einer nur-objektiven Bedingung der Straftatbestandlichkeit. Erfolgsdelikte wären als erfolgsbedingte Gefährdungsdelikte zu verstehen. — Die mit einer solchen Konzeption verbundenen Schwierigkeiten der Vorsatz- und Versuchslehre dürften freilich unüberwindbar sein. >«* So etwa im Fall B G H 11 S. 1 ff. 147 So mit zahlreichen Varianten im Anschluß an Roxin ZStW 74 S. 411 ff, 430 f f ; den. Honig-Festschrift S. 133 ff, 138 ff; den. Z S t W 78 S. 214 ff, 218 ff; Burgstaller Fahrlässigkeitsdelikt S. 140 f f ; Otto J u S 1974 S. 702 ff, 708; den. N J W 1980 S. 417 ff; den. Maurach-Festschrift S. 92 ff, 101 ff; Schaffstein Honig-Festschrift S. 169 f f ; E. A. Wolff Kausalität S. 21 f f ; Rudolphi JuS 1969 S. 549 ff, 554; SK-Rudolphi R d n . 65 ff vor § 1 ;

Stratenwerth Gallas-Festschrift S. 227 ff, 230 ff; den. A T Rdn. 224 f ; Jescbeck A T § 55 II 2 b aa; Lackner § 15 Anm. III 1 a b b ; Wolter Objektive und personale Z u r e c h n u n g S. 334 f f ; Kamps Arbeitsteilung S. 121 f f ; im Ergebnis ähnlich Maurach-Gössel A T II § 43 III C 2 b ; mit Einschränkungen auch Schmidhäuser A T 9 / 3 8 ; den. Studienbuch 6/117 f f ; in einer einschränkenden n o r mativen Variante Schünemann JA 1975 S. 435 ff, 647 ff, 651 ff.

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7. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

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2. So wird die Risikoerhöhungslehre von ihren Vertretern einhellig jedoch nicht gemeint; vielmehr soll nicht zu haften sein, wenn die Irrelevanz der Risikoerhöhung f ü r den Erfolgseintritt gewiß im Sinn von objektiv-ex-post-nachweisbar ist. Dann aber ist der Fall des Zweifels über die Relevanz kein materiellrechtliches, sondern ein prozessuales Problem, das nach dem Prinzip „in dubio pro reo" zu lösen ist. Die Anwendbarkeit dieses Prinzips wird allerdings mit folgenden Argumenten bestritten: 101 a) N u r derjenige Zweifel soll den Täter belasten, der nicht allein im Einzelfall, sondern „überhaupt nicht" aufklärbar ist, da er einen Bereich betrifft, f ü r den ex ante wie ex post nur statistische Aussagen getroffen werden können 1 4 8 . — O b diese Risiken ausgrenzbar sind, kann dahinstehen 1 4 9 , jedenfalls ist das behauptete Prinzipielle der Unaufklärbarkeit kein Grund, einen Zweifel contra reum wirken zu lassen. b) Die Risikoerhöhung soll objektiv ex post festgestellt werden 1 5 0 . — Mit dieser Methode läßt sich etwas zu Risiken einer bestimmten Art ausmachen, nicht aber zur Risikoverwirklichung im konkreten Einzelfall. Beispiel: Die Frage, ob ein bestimmtes, ex ante als schädlich geltendes Mittel einen schon bestehenden Krankheitsverlauf negativ beeinflussen kann, mag ex post bejaht (Risikoerhöhung) oder verneint werden. Wenn sie bejaht wird, ergibt sich daraus aber keine Erkenntnis f ü r das konkurrierende Risiko (die Krankheit). Dieses Risiko mag man nun wiederum ex post beurteilen (bis hin zu Versuchsreihen in Kliniken), aber solange das Ergebnis nicht null Prozent oder hundert Prozent ergibt (und dann bedarf es der Risikoerhöhungslehre nicht), kann man ihm nicht entnehmen, wie der Krankheitsverlauf im konkreten Fall angelegt war und wie er durch die Eingabe des Mittels beeinflußt wurde. Natürlich kann man auch dies objektiv ex post zu ermitteln versuchen; das aber wäre nicht mehr die Ermittlung einer Risikoerhöhung, sondern die Ermittlung einer Risikoverwirklichung. c) Es soll — bei einer normativen Variante der Risikoerhöhungslehre — darauf abzustellen sein, „ob die ex ante formulierte N o r m auch auf der Grundlage des Ex-postWissens noch als sinnvolles, das Erfolgsrisiko reduzierendes Verbot anerkannt werden kann" 1 5 1 . — Da bei Zweifeln über Wirkungszusammenhänge auch ex post jedes Verbot sinnvoll bleibt, das überhaupt mögliche Bedingungen betrifft, zielt diese Variante insoweit nicht mehr auf den wirklichen Zusammenhang zwischen Handlung und Erfolg 1 5 2 . Die Erfolgsdelikte im Bereich zweifelhafter Wirkungszusammenhänge werden also — gemessen an den Erfolgsdelikten im Bereich bekannter Wirkungszusammenhänge — als erfolgsbedingte Gefährdungsdelikte verstanden (hierzu oben 7/99), ohne daß der dadurch entstehende Bruch innerhalb des Bereichs der Erfolgsdelikte zu rechtfertigen wäre. 102

3. Die Risikoerhöhungslehre wäre im Bereich gewichtiger Risikodifferenzen praktisch tolerabel, da insoweit Gründe für die unterschiedliche Behandlung von (vorsätzlichen oder fahrlässigen) beendeten, konkret gefährlichen Versuchen und Vollendung schwer zu finden sind. Beispiel: Wenn die falsche Applikation eines Medikaments gewiß schädigt, die richtige aber in seltenen Fällen auch, kann die Beschränkung der H a f t u n g auf dem U m f a n g der H a f t u n g f ü r Versuch — und das heißt bei Fahrlässigkeit 148

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Stratenwerth Gallas-Festschrift S. 227 ff, 233; ders. A T Rdn. 225. Begründete Zweifel daran bei SK-Samson Rdn. 27 Anhang § 1 6 ; ders. Welzel-Festschrift S. 579 ff, 593 Fn. 68. SK-Rudolphi R d n . 69 vor § 1; Stratenwerth Gallas-Festschrift S. 227 ff, 230; wohl auch Roxin Z S t W 78 S. 214 ff, 221; ders. Honig-Festschrift S. 133 ff, 138 f ; BurgstaUer Fahrlässigkeitsdelikt S. 141 f f ; das ist eine W e n d u n g gegen die Lösung

196

bei Roxin ZStW 74 S. 411 ff, 434; - soweit sich weiterhin die Ankündigung findet, auch die Realisierung des Risikos im Erfolgseintritt sei objektiv ex post zu ermitteln (so etwa bei SK-Rudolphi Rdn. 67, 69 vor § 1 u. a. m.), bleibt dies ein unausgefüllter P r o g r a m m p u n k t . 151 Schünemann JA 1975 S. 435 ff, 647 ff, 652. 152 Siehe auch die Beispiele bei Schünemann aaO S. 653 f.

Objektiver Tatbestand

7. Abschn

Haftungsfreiheit — nicht überzeugen. Die zutreffende Lösung liegt insoweit jedoch nicht in der Risikoerhöhungslehre, sondern in einer Erweiterung der Haftung für konkret gefährliche Versuche bei massiven Gefahren. Das hat durch Sondertatbestände zu geschehen; entsprechende Tatbestände zum Schutz von Leib und Leben im Bereich des Verkehrs und der Medizin nähmen der Risikoerhöhungslehre jede Relevanz und wären auch rechtssicher anwendbar, da die genannten Bereiche durch objektivierte Regeln (Verkehrsregeln, lex artis) vorgeformt sind. Die Risikoerhöhungslehre geht zudem viel weiter, als nötig ist, indem sie ihrem Prinzip gemäß geringe Risikoerhöhungen ausreichen lassen muß; daß aber derjenige, der etwa im Straßenverkehr wenige Prozent schneller als erlaubt fährt, bei einem Unfall das Aufklärungsrisiko tragen soll, wenn sich nicht klären läßt, ob sich das Risiko der unerlaubten Beziehung verwirklicht hat, läßt sich jedenfalls so lange nicht begründen, wie andernorts an der Differenz von beendetem Versuch und Vollendung festgehalten wird 1 5 3 (siehe auch unten zur unterlassenen Risikominderung beim Unterlassungsdelikt 29/20). 4. Im Ergebnis ist die Risikoerhöhung ein unentbehrliches Merkmal zur Definition 103 eines unerlaubten Verhaltens, aber untauglich, über den Normzweckzusammenhang zwischen Handlung und Erfolg etwas auszusagen. Zweifel an der tatsächlichen Seite dieses Zusammenhangs sind vielmehr ein prozessuales Problem und nach dem In-dubio-Prinzip zu lösen 154 .

VIII. Die objektive Zurechnung des Erfolgs, 6. Fortsetzung: Der Ausschluß der Zurechnung bei Einverständnis, tatbestandsausschließender Einwilligung und Handeln auf eigene Gefahr Literatur K.Amelung Die Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Grundrechtsguts, 1981; ders. Die Zulässigkeit der Einwilligung bei den Amtsdelikten, Dünnebier-Festschrift S. 487 f f ; ders. und G. Pauli Einwilligung und Verfügungsbefugnis bei staatlichen Beeinträchtigungen des Fernmeldegeheimnisses, M D R 1980 S. 801 ff; G. Arzt Willensmängel bei der Einwilligung, 1970 ;A. Eser Z u r strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Sportlers, insbesondere des Fußballspielers, J Z 1978 S. 368 ff; P. Frisch Das Fahrlässigkeitsdelikt und das Verhalten des Verletzten, 1973; F. Geerds Einwilligung und Einverständnis des Verletzten im Strafrecht, GA 1954 S. 262 f f ; ders. Einwilligung und Einverständnis des Verletzten im Strafgesetzentwurf, Z S t W 72 S. 42 f f ; K. Geppert Rechtfertigende „Einwilligung" des verletzten Mitfahrers bei Fahrlässigkeitsstraftaten im Straßenverkehr? ZStW 83 S. 947 f f ; R. D. Herzberg Täterschaft und Teilnahme, 1977; H. ]. Hirsch Soziale Adäquanz und Unrechtslehre, ZStW 74 S. 78 f f ; R. M. Honig Die Einwilligung des Verletzten Teil I, 1919; Armin Kaufmann Zum Stande der Lehre vom personalen Unrecht, Welzel-Festschrift S. 393 ff; R. Kessler Die Einwilligung des Verletzten in ihrer strafrechtlichen Bedeutung, 1884; D.Kienapfel Anmerkung zu BayObLG J R 1978 S. 296 f, a a O S. 297 f; D. Kientzy D e r Mangel am Straftatbestand infolge Einwilligung des Rechtsgutsträgers, 1970; Η. H. Kühne Die strafrechtliche Relevanz eines auf Fehlvorstellungen gegründeten Rechtsgutsverzichts, J Z 1979 S. 241 ff; Th. Lenckner Die Einwilligung Minderjähriger und deren gesetzlicher Vertreter, ZStW 72 S. 446 f f ; P.Noll Übergesetzliche Rechtfertigungsgründe, im besonderen die Einwilligung des Verletzten, 1955; H. Otto Grenzen der Fahrlässigkeitshaftung im Strafrecht — O L G H a m m 153

154

Siehe auch Schünemann a a O S. 653. So der B G H 11 S. 1 f f ; 21 S. 59 f f ; 24 S. 32 ff, 34; O L G Karlsruhe GA 1970 S. 313; Ulsenheimer Verhältnis S. 132 f f ; ders. J Z 1969 S. 364 ff, 366 f; Eben und Kühl J u r a 1979 S. 561 ff, 572 f ; Fincke Arzneimittelprüfung S. 46 f f ; Samson Hypothetische Kausalverläufe S. 47 f, 144 ff, 153 ff; SKSamson § 16 A n h a n g R d n . 27 f; Jakobs Studien S. 96 Fn. 185; ders. Beiheft Z S t W 1974 S. 6 ff,

26 ff; Kahrs Vermeidbarkeitsprinzip S. 238, 275; Krümpelmann Bockelmann-Festschrift S. 443 ff, 462 f; Wessels A T § 15 II 4; Baumann A T § 17 1 4 ; Bockelmann A T § 13 V ; Blei A T § 2 6 II; Schönke-Schröder-Cramer § 15 Rdn. 171 f mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen; LKSchroeder § 16 R d n . 190; Welzel Strafrecht § 18 II 2 a ; Haft A T 6. Teil § 3 Abschnitt 7.

197

7. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

NJW 73, 1422, JuS 1974 S. 702 ff; W. PreußUntersuchungen zum erlaubten Risiko im Strafrecht, 1974; C. Roxin DerSchutzzweck der Norm bei fahrlässigen Delikten, Gallas-Festschrift S. 241 ff; den. Über die mutmaßliche Einwilligung, Welzel-Festschrift S. 447 ff; H.-J. Rudolphi Literaturbericht, ZStW 86 S. 82 ff; W. Sax „Tatbestand" und Rechtsgutsverletzung, JZ 1976 S. 9 ff, 80 ff, 429 ff; F. Schaffstein Handlungsunwert, Erfolgsunwert und Rechtfertigung bei den Fahrlässigkeitsdelikten, Welzel-Festschrift S. 557 ff; W. Schild Das strafrechtliche Problem der Sportverletzung, Jura 1982 S. 477 ff, 520 ff, 585 ff; R. Schrey Der Gegenstand der Einwilligung des Verletzten, 1928; H. Stoll Das Handeln auf eigene Gefahr, 1961; L. Traeger Die Einwilligung des Verletzten und andere Unrechtsausschließungsgründe im zukünftigen Strafrecht, GS 94 S. 112 ff; H. Welzel Studien zum System des Strafrechts, ZStW 58 S. 491 ff; den. Abhandlungen zum Strafrecht und zur Rechtsphilosophie, 1975; K. Wimmer Die Bedeutung des zustimmenden Willens . . . bei ausgewählten strafrechtlichen Deliktsdefinitionen, 1980, H. Zipf Einwilligung und Risikoübernahme im Strafrecht, 1970; ders. Die Bedeutung und Behandlung der Einwilligung im Strafrecht, ÖJZ 1977 S. 379 ff; E. Zitelmann Ausschluß der Widerrechtlichkeit, AcP 99 S. 1 ff.

A. Das Einverständnis 104

1. Zahlreiche Delikte können nach ihrer wörtlichen oder durch Interpretation ergänzten Fassung nicht vollendet werden, wenn der Betroffene (oder wer ihn wirksam vertritt) mit dem Tatverhalten einverstanden ist 155 . So werden ζ. B. Nötigungsdelikte materiell nie und bei entsprechender Fassung auch formell nicht vollendet, wenn das Nötigungsopfer unabhängig von der Nötigungslage damit einverstanden ist, sich so zu verhalten, wie der Täter es will (so ζ. B. bei §§ 177156, 240, 253 f StGB); Betrug (§ 263 StGB) wird nicht vollendet, wenn der Verfügende unabhängig von der Täuschung hingibt; Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) wird nicht vollendet, wenn der Täter mit dem Willen des Berechtigten eintritt, also nicht eindringt, Diebstahl (§ 242 StGB) nicht, wenn er mit Willen des Gewahrsamsinhabers dessen Gewahrsam aufhebt, also nicht wegnimmt etc. Ein der Tat entgegenstehender Wille („gegen den Willen") oder — je nach Tatbestandsfassung — doch das Fehlen einer Einwilligung in die Tat („ohne den Willen") konstituiert in diesen Fällen ein Merkmal des objektiven Tatbestands. Diese Einwilligung heißt Einverständnis157 und folgt dem jeweiligen Tatbestand zu entnehmenden Regeln.

105

2. Die häufig verwendete Formel, für das Einverständnis reiche das „faktische" Vorliegen des Willens 158 , ist insoweit richtig, als das Einverständnis gegen Rechtsoder Sittenwidrigkeit resistent ist. Ansonsten ist die Formel teils mißverständlich und teils nichtssagend. 106 a) Die Formel ist für die Tatbestände mißverständlich, bei denen nur ein Wille des nach zivilrechtlichen Grundsätzen Verfügungsbefugten den Tatbestand ausschließt159. So nimmt ζ. B. bei der Untreue nur die Erlaubnis des verfügungsberechtigten Geschäftsherrn 160 einer Handlung die Eigenschaft, ein Mißbrauch zu sein (§ 266 StGB); 155

In der U m k e h r u n g können andere Delikte nur mit Willen eines Beteiligten vollendet werden, siehe unten z u r sogenannten notwendigen Teilnähme 24/7 f f ; als Zwischenform ist bei Delikten, die durch eine V e r f ü g u n g des Betroffenen geschehen (ζ. B. Betrug, § 263 StGB) ein in seiner Freiheit beschränkter Wille z u r Mitwirkung unabdingbar. 156 B G H N S t Z 1982 S. 26. 157 Grundlegend z u r Abschichtung von der Einwilligung Geerds G A 1954 S. 262 ff.

198

158

159

160

SK-Samson Rdn. 37 vor § 3 2 ; Geerds GA 1954 S. 262 ff, 265; Wessels A T § 9 I I u . a . m . ; für § 236 StGB (dort zutreffend) B G H 23 S. 1 ff, 3. Zutreffend Jescheck A T § 3 4 I 2; siehe auch Lenckner Z S t W 72 S. 446 ff, 448 f f ; Zipf Einwilligung S. 15 ff; Stratenwerth A T Rdn. 370. Die Erlaubnis m u ß aber nicht auch stets rechtswirksam sein; Nichtigkeit nach den §§ 134, 138 BGB hindert den strafrechtlichen Bestand nicht jedenfalls; Beispiel: Erlaubnis zum Ankauf von Diebesgut aus dem verwalteten V e r m ö g e n ; — keine Untreue.

Objektiver Tatbestand

7. Abschn

die Erlaubnis etwa des geisteskranken Mündels gegenüber dem V o r m u n d hat diese Wirkung nicht. Ebensowenig kann eine nicht voll geschäftsfähige Person nach einem Verkehrsunfall mit der Entfernung vom Unfallort eines der Unfallbeteiligten (ξ 142 StGB) wirksam einverstanden sein. b) Im übrigen besagt die Formel nichts, da sich, auch wenn es nicht um ein V e r f ü - 107 gungsrecht geht, nach den Vorschriften des BT richtet, was faktisch vorliegen muß. Beispiel zum erzwungenen Einverständnis: So hindert das durch (qualifizierte) D r o hung abgenötigte Einverständnis nicht die Vollendung von Vergewaltigung oder Erpressung (das Einverständnis muß bei diesen Delikten also frei von — qualifiziertem — Zwang sein), während die mit Drohung oder compulsiver Gewalt erzwungene G e wahrsamsübertragung nicht (Raub-)Wegnahme ist, sondern (Erpressungs-)Verfügung (das Einverständnis kann also auch durch D r o h u n g oder vis compulsiva belastet sein). Beispiel zum täuschungsbedingten Einverständnis: Der Irrtum über die zu erwartende wirtschaftliche Gegenleistung hindert nicht die Vollendung eines Betrugs (das Einverständnis muß bezüglich der wirtschaftlichen Seite irrtumsfrei sein), während die durch Täuschung erlistete Preisgabe von Gewahrsam oder die so erlistete sexuelle Hingabe Vollendung von Diebstahl oder Vergewaltigung ausschließen (ein Irrtum über wirtschaftliche Konsequenzen ist gleichgültig). Zur Täuschung läßt sich insbesondere auch nicht dahin generalisieren, daß zumindest ein rechtsgutsbezogener Irrtum ein wirksames Einverständnis ausschließe; in zahlreichen Fällen sind die Tatbestände allein auf den Beginn einer längeren Verlustperiode hin formuliert, so daß ein — eindeutig rechtsgutsbezogener — Irrtum über die Dauer des Verlusts das Einverständnis nicht ausschließt. Beispiel: W e r seinen Gewahrsam in dem irrigen Glauben aufgibt, ihn nach kurzer Frist zurückzuerhalten, hat ihn nicht wider Willen verloren, also scheidet W e g nahme aus 242, 249, 289 StGB). Anders beim Betrug: Der rechtsgutsbezogene Irrtum (nämlich der Irrtum über das Vermögensschädigende der Verfügung) ist Kausalglied zur Vollendung 1 6 1 . c) Immerhin läßt sich negativ formulieren, daß das Einverständnis nicht jedenfalls 108 frei von Zwang und Irrtum zustande kommen muß und nicht jedenfalls eine rechtswirksame Erlaubnis geben muß, um die Vollendung auszuschließen. 3. Das Einverständnis ist mehr als ein bewußtes Dulden. Beispiel: W e r ohne einzu- 109 greifen zusieht, wie er bestohlen wird, schließt dadurch nicht die Wegnahme durch ein Einverständnis aus. Vielmehr ist bei einer ersten Fallgruppe des Einverständnisses — 161

Die Lozierung des Problems im BT entspricht zunehmend vertretener Ansicht: Arzt WiUensmängel S. 24 f f ; Zipf Einwilligung S. 15 ff; Wimmer Bedeutung S. 1 ff, 250 f f ; Jescheck A T § 34 I 2; LK>>Hirsch R d n . 103 vor § 5 1 ; Schönke-ScbröderLenckner Rdn. 32 vor § 3 2 ; siehe auch SK-Samson Rdn. 37 vor § 32; Wessels A T § 9 I 1; - natürlich bedeutet die Verweisung in den BT keine Maximenlosigkeit; es sind vielmehr nach den Ordnungsgesichtspunkten des BT Typen des Einverständnisses zu bilden. — Problematisch ist die Entscheidung zu § 142 StGB bei einer durch T ä u schung über den Aufklärungsstand erschlichenen Einwilligung zum Entfernen. Die Rechtsprechung (zuletzt O L G Stuttgart V R S 63 S. 203 ff, 205) und die überwiegende Lehre (LK-Rüth § 142 Rdn. 45; SK-Rudolphi § 1 4 2 Rdn. 20; SchönkeScbröder-Cramer § 142 Rdn. 63 mit weiteren Nachweisen) behandeln die Einwilligung als

rechtfertigend und lassen bei einer T ä u s c h u n g der genannten Art die Wirksamkeit der Einwilligung entfallen. Das dürfte in doppelter Hinsicht nicht richtig sein: Erstens schützt die V o r s c h r i f t ein unb e s c h r ä n k t disponibles G u t (mit der Folge eines Tatbestandsausschlusses bei Einwilligung), wenn nicht gar das Dispositionsverhalten selbst (mit der Folge, daß die Regeln des Einverständnisses gelten). Zweitens scheidet auch bei täuschungsbedingter Einwilligung eine H a f t u n g jedenfalls aus; denn die — allein mögliche — H a f t u n g per mittelbare T ä t e r s c h a f t scheitert an der tatbestandlichen Verhaltensbindung (Sich-Entfernen, nicht n u r Irgendwie-die-Aufklärung-Hindern). Das E r gebnis paßt axiologisch z u r — unbestrittenen — Haftungsfreiheit desjenigen, der täuschend bewirkt, daß sich ein anderer Unfallbeteiligter entfernt, w ä h r e n d er selbst anwesend bleibt.

199

7. Abschn

2. Buch. 1 . Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

unmittelbares Einverständnis — erforderlich, daß die Person, um deren Einverständnis es geht, die betreffenden Verhaltensfolgen „beabsichtigt", d. h. ihrer selbst wegen oder wegen ihrer erwarteten weiteren Wirkungen will. Diese Form des Einverständnisses entspricht der Absicht beim subjektiven Tatbestand. Daneben tritt ein Einverständnis — mittelbares Einverständnis —, bei dem keine Verhaltensfolge gewollt ist, wohl aber das erkanntermaßen folgenreiche Verhalten oder doch zumindest ein sozialer Kontakt, der ohne ein folgenreiches Verhalten erkanntermaßen nicht zu haben ist. Beispiele: W e r mit der Zündung einer Sprengladung einverstanden ist (Gewalt), wird daran auch dann festgehalten, wenn die Konsequenzen in voraus erkannter Weise ihn selbst betreffen (abgenötigtes Verhalten, § 240 StGB), auch wenn die Konsequenzen nicht gewollt sind. — W e r an einem sportlichen Faustkampf teilnimmt, will in der Regel nicht die Angriffe seines Gegners; trotzdem ist der regelgerechte Angriff, der zum Ausweichen zwingt, wegen des Einverständnisses in den sozialen Kontakt dieser Art nicht N ö tigung im Sinn von § 240 Abs. 1 StGB (ohne daß es f ü r dieses Ergebnis der Verwerflichkeitsklausel bedürfte). Im Ergebnis kann es f ü r die tatbestandsausschließende Wirkung des Einverständnisses also zwei verschiedene Gründe geben. Zum einen geht es um die Preisgabe eines beachtlichen Willens. Das Einverständnis wirkt kraft des Inhalts der Willkür. Zum anderen geht es um die Preisgabe einer Situation, in der die Willkür des Betroffenen den Täter bindet. Die praktische Bedeutung der letzten Fallgruppe liegt nicht beim Einverständnis, sondern bei der tatbestandsausschließenden Einwilligung. 110

4 a) Das Einverständnis kann nur für einen bestimmten Täter gelten. b) Eine Äußerung des Einverständnisses ist nach überwiegender Ansicht nicht erforderlich. Unkenntnis des Täters vom Einverständnis führt zum Versuch (wer in die Diebesfalle tappt — den zur Uberführung eines Diebs ausgelegten Köder in Gewahrsam nimmt —, begeht trotz Begründung neuen Gewahrsams nur einen Diebstahlsversuch 1 6 2 ); irrige Annahme eines Einverständnisses schließt Vorsatz aus; bei Vermeidbarkeit bleibt Fahrlässigkeit. — Diese Radizierung auf eine innere Lage des Betroffenen ohne Blick auf die Objektivierung befriedigt in den Fällen eines mit Mentalreservation oder im Erklärungsirrtum geäußerten Einverständnisses nicht. Jedenfalls soweit das Einverständnis rechtswirksam sein muß, dürften zugunsten des Täters die allgemeinen Regeln über Willenserklärungen gelten. Ansonsten entfällt beim V e n r a u e n des Eingreifenden auf die Richtigkeit der Erklärung der Tatbestandsvorsatz; bei vermeidbar fehlerhaften Erklärungen des Betroffenen wird die H a f t u n g des Eingreifenden durch ein erlaubtes Risiko limitiert (Vertrauensgrundsatz). c) Das Einverständnis ist jederzeit widerrufbar, soweit es nicht als zugleich rechtswirksame Erklärung nach allgemeinen Grundsätzen des bürgerlichen Rechts binder (dann gelten aber auch, was die Bindungswirkung angeht, die §§ 134, 138 BGB). Beispiel: Die gegen ein Schuldanerkenntnis gegebene Erlaubnis zur Entfernung vom U n fallort (§ 142 StGB) bindet. Ein Widerruf scheidet auch aus, wenn die Dispositionsmöglichkeit verloren worden ist; Beispiel: W e r einem anderen eine Wohnung voll überläßt, kann über kein „Hausrecht" (im Sinn des § 1 2 3 StGB) mehr disponieren 1 6 3 . Schließlich macht der wirksame Widerruf weitere Eingriffe nicht rechtswidrig, wenn der Widerruf eine Rechtfertigungslage schafft; Beispiel: Der Widerruf des Einverständnisses mit der Freiheitsbeschränkung in einem Verkehrsflugzeug nach dem Start zwingt nicht zu sofortiger Landung (defensiver Notstand, § 34 StGB in Verbindung 1« O L G Köln N J W 1961 S. 2360 f; BayObLG J Z 1979 S. 146; siehe auch B G H 4 S. 199 f.

200

163 Honig Einwilligung S. 152.

Objektiver Tatbestand

7 . AbSChü

mit § 228 BGB); ist eine Landung überhaupt unmöglich (mitten Uber dem Atlantik), so fehlt es schon an einem eingreifenden vermeidbaren Verhalten 1 6 4 .

B. Die tatbestandsausschließende Einwilligung und das Handeln auf eigene Gefahr 1. Die Abgrenzung der tatbestandsausschließenden Einwilligung von der rechtfertigenden Einwilligung a) In einem weiteren Bereich hängt die Definition des Tatergebnisses als ein tatbe- 1 1 1 standlicher Erfolg vom Willen des Inhabers des betroffenen Guts ab. Es ist dies der Bereich, in dem die strafrechtlich geschützten Güter dem Inhaber zum Zweck der Disposition zustehen. Beispiele: Ob ein Kurzschneiden der Haare oder die Einnahme empfängnishindernder Mittel Körperverletzung sind oder tatbestandslos oder ob das Umgraben eines Rasenstücks oder das Fällen eines Baums Sachbeschädigung oder tatbestandslos sind, richtet sich nach dem Willen des Gutsinhabers. — Zum Zweck der Disposition zustehende Güter 1 6 5 , bei denen Einwilligung schon die Erfüllung des T a t bestands ausschließt, sind insbesondere Eigentum, Vermögen 1 6 6 , höchstpersönliche Güter wie Bewegungsfreiheit 167 , Ehre 1 6 8 , Briefgeheimnis und selbst körperliche Integrität, letztere wie auch Ehre und Bewegungsfreiheit aber nur in dem Maß, in dem sie Entfaltungsmittel sind (ζ. B. mäßige Verletzungen bei sexuellen Praktiken) und nicht Basis von Entfaltung überhaupt; mit anderen Worten, es geht um den Bereich der tauschbaren 169 Güter, mögen sie auch im Einzelfall ohne allgemein anerkanntes Äquivalent hingegeben werden. In diesem Bereich hängt es vom Willen des Inhabers ab, welcher Umgang mit den Gütern ein Verlust oder neutral oder gar ein Gewinn ist: Eine Einwilligung in das, was an sich Unrecht ist, also in das Verhalten und den Verhaltenserfolg, schließt eine negative Bewertung des Erfolgs aus. b) Nur bei einer naturalistischen Bestimmung der tatbestandlichen Erfolge käme es 1 1 2 auf den Willen des Gutsinhabers für die Tatbestandsverwirklichung nicht an; Einwilligung könnte dann allenfalls rechtfertigen 170 . Dabei würde jedoch verkannt, daß in den hier relevanten Fällen das Verhalten von vornherein nicht enttäuscht; denn wenn das Verhalten dem Willen des Gutsinhabers entspricht, so wird dadurch nicht ein an sich 16,1

165

Anders (Widerruf unwirksam) Baumann A T § 21 II 4 b 8. Bei nicht oder nicht voll disponiblen Gütern scheidet eine wirksame Einwilligung aus; Beispiel: In eine Trunkenheitsfahrt auf öffentlichen Straßen kann nicht wirksam eingewilligt werden ( B G H 23 S. 261 ff, 264), was die abstrakte Gefährdung nach § 316 S t G B oder die konkrete Gefährdung dritter Personen nach § 315 c S t G B angeht; in die konkrete Gefährdung der eigenen Person kann jedoch — je nach Gewicht der gefährdeten Güter und nach der H ö h e der Gefahr mit tatbestandsausschließender oder rechtfertigender Wirkung — wirksam eingewilligt werden; streitig; differenzierend Geppert ZStW 83 S. 947 ff, 984 ff. — Für die Amtsdelikte hat Arnelung (Dünnebier-Festschrift S. 487 ff) nachgewiesen, daß sie teils der Garantie individueller Freiheit gegen staatliche Beeinträchtigung dienen; demnach sind die geschützten Güter in diesem Rahmen disponibel (etwa bei § 340 S t G B ; zu den einzelnen Amtsdelikten siehe Amelung aaO S. 510 ff).

166

167 168 169

170

Zu den Verfügungsgrenzen bei KapitalgesellSchäften siehe B G H 9 S. 204 ff, 216. - In Grenzfällen ist auch eine Wirkungslosigkeit der Einwilligung wegen der Sozialbindung des Eigentums nicht auszuschließen; Beispiel: Einwilligung in die Sprengung einer wirtschaftlich angepaßten Fabrik aus Protest gegen die Steuergesetzgebung; Einwilligung in die Zerstörung eines voll funktionsfähigen Wohnhauses wegen der Mietbindung etc. Zu 5 239 b S t G B siehe B G H 26 S. 70 ff. B G H 11 S. 68 ff, 72. Gemeint ist nicht allein der wirtschaftlich relevante Tausch, obgleich er zentral ist; es soll auch der Tausch etwa von Geld oder Körperintegrität zur ideellen oder körperlichen, jedenfalls nicht wirtschaftlich meßbaren Befriedigung erfaßt sein. S o allerdings im Ergebnis Jescheck A T § 34 1 3 , vermittelnd aber a a O a. E . ; Baumann A T 5 21 II 4 e ; Blei A T § 3 8 1; Bockelmann AT §15 C l ; Dreher-Tröndle Rdn. 2 vor § 3 2 ; Schönke-Schröder-Lenckner Rdn. 33 vor § 3 2 ; Lackner Anm. 5 vor § 3 2 ; LK^-Hirsch Rdn. 100 vor § 5 1 ; Geerds Z S t W 72 S. 42 ff, 4 3 ; den. GA 1954 S. 262 ff; wohl auch SK-Samson Rdn. 38 f vor § 32.

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7. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

gegebener sozialer Konflikt (Tatbestand erfüllt!) als ausnahmsweise tolerabel erklärt (also gerechtfertigt!), sondern allein wegen des Willens, ohne Blick auf seine Gründe wird der Bereich des Konflikthaften nicht erreicht. — Es ist freilich verfehlt, wenn eine neuere Lehre jede überhaupt wirksame Einwilligung als tatbestandsausschließend einordnet 1 7 1 . Zwar dienen zahlreiche tatbestandlich geschützten Güter der Entfaltung „autonomer Herrschaft" 1 7 2 , und bei Einwilligung fehlt es an einem Verstoß gegen diese Autonomie. Aber so wie die Autonomie nicht direkt, sondern nur über die betreffenden Tatbestände geschützt ist, der Gesetzgeber also die Autonomie meint, sie aber nur verdinglicht im tatbestandlichen Geschehen nennt, so kann in der Umkehrung das Verdinglichte, der Tatbestand, erfüllt sein, obgleich keine Autonomieverletzung vorliegt. Es handelt sich bei dieser rechtfertigenden Einwilligung, die neben die tatbestandsausschließende Einwilligung und das tatbestandsausschließende Einverständnis tritt, um diejenigen Fälle von Einwilligung in eine Verletzung, bei denen das betroffene Gut keine Tauschfunktion hat, also nicht Entfaltungsmittel ist. Der ausnahmsweise Einsatz eines solchen Guts als Mittel ist dann nur in einer Sondersituation möglich und bringt eine Enttäuschung, die allein mit der Einwilligung nicht zu erledigen ist, sondern auch Rücksicht auf den Kontext erfordert (dazu ausführlich unten zur rechtfertigenden Einwilligung 14/1 ff). Beispiel: Die Explantation einer Niere durch einen Arzt zu Transplantationszwecken ist trotz der Einwilligung des Spenders von einer schlichten Blutspende dadurch unterschieden, daß wegen der Gewichtigkeit des Guts jede Disposition darüber nur in einer Ausnahmesituation (Kontext) als vernünftig begründbar ist. 113

c) Ob also eine Einwilligung rechtfertigend oder tatbestandsausschließend wirkt, kann je nach der Fallgestaltung bei ein und demselben Tatbestand, insbesondere bei der Körperverletzung, unterschiedlich zu entscheiden sein 173 . — Der Bereich der tatbestandsausschließenden Einwilligung ist bei einer Risikoeinwilligung (unten 7/128) weiter als bei Gewißheit, daß die an sich verletzende Folge eintritt; denn im Bereich der dem allgemeinen Lebensrisiko angenäherten erlaubten Risiken werden auch Güter zu beliebigen Zwecken eingesetzt, die ansonsten nicht Entfaltungsmittel sind. Tatbestandsausschluß wegen erlaubten Risikos und Einwilligung sind hier kongruent. Beispiele bilden die Teilnahme an mäßig riskanten Sportarten wie Reiten oder Skilaufen, soweit es dabei zu der Verletzung eines Teilnehmers durch einen anderen kommt. 2. Der zur Einwilligung Berechtigte

114

Nur der zur Disposition befugte Inhaber des Guts kann wirksam in den Eingriff einwilligen. Sind mehrere Personen für ein Gut gemeinsam zuständig, ist nur die gemeinsame Einwilligung aller wirksam 174 . Soweit Sonderregeln fehlen, kommt es auf die natürliche (im Sinn von konkrete, nicht generalisiert bestimmte) Einsichts- und Urteilsfähigkeit an, vorweg bei Körperverletzungen kleinerer Art, etwa bei sportlicher Betätigung 175 . Bei gegebener Fähigkeit geht die Entscheidung eines nicht voll Geschäfts171

Kientzy E i n w i l l i g u n g S. 65 f f ; Zipf Einwilligung S. 28 f f ; den. Ö J Z 1977 S. 379 f f , 380 f ; Schmidbauer A T 8 / 1 2 3 f f ; Roxin K r i m i n a l p o l i t i k S. 25 F n . 5 7 ; den. W e l z e l - F e s t s c h r i f t S. 447 ff, 4 4 9 ; Hirsch Z S t W 7 4 S. 78 f f , 104 F n . 101; Armin Kaufmann W e l z e l - F e s t s c h r i f t S. 393 f f , 397 Fn. 9 ; Sax J Z 1976 S. 9 f f ; Maurach-Zipf A T I § 17 III Β 1; SK-Hom § 2 2 6 a R d n . 2. 172 Schmidhäuser A T 8/130. 173

Im E r g e b n i s e b e n s o Stratenwerth A T R d n . 369, d e r d a r a u s schließt, die D i f f e r e n z e n t b e h r e e i n e r

202

t i e f e r e n B e r e c h t i g u n g ; g l e i c h w o h l s p r i c h t Stratenwerth selbst die D i f f e r e n z z w i s c h e n d e m N o r m a len ( n i c h t T a t b e s t a n d l i c h e n ) u n d d e m E r k l ä r u n g s b e d ü r f t i g e n ( z u R e c h t f e r t i g e n d e n ) a n , R d n . 368. 174 Z u m F e r n m e l d e g e h e i m n i s ( r e l e v a n t f ü r § 201 S t G B ) z u t r e f f e n d Amelung u n d Pauli M D R 1980 S. 801 ff. 7 l « B G H 4 S. 89 f f , 9 0 ; 12 S. 379 ff, 383 ( n a c h hiesig e r E i n t e i l u n g die r e c h t f e r t i g e n d e Einwilligung b e t r e f f e n d ) ; 2 3 S. 1 ff, 3 f.

Objektiver Tatbestand

7. AbSChn

fähigen derjenigen seines gesetzlichen Vertreters vor 1 7 6 . Bestehen Sonderregeln, so gehen diese vor; insbesondere gelten also für die Einwilligung bei Eingriffen ins Eigentum und in das Vermögen die §§ 105 ff BGB 177 . Zwar regeln diese Vorschriften ausdrücklich nur die rechtsgeschäftlichen Konsequenzen, und im Einzelfall mag die Einsicht trotz fehlender (voller) Geschäftsfähigkeit gegeben sein, zumal in Grenzfällen; das Strafrecht bleibt aber, was die Zuerkennung einer Verfügungsfähigkeit angeht, an das Zivilrecht gebunden, weil sich sonst faktisch über eine Einwilligung gerade das Ergebnis erreichen ließe, welches rechtsgeschäftlich nicht erreicht werden kann. Auch kann eine abweichende Lösung den Widerspruch zwischen etwa der Einwilligung eines Minderjährigen, aber Einsichtsfähigen in die Zerstörung einer Sache und der Verweigerung der Einwilligung durch den Vormund des Minderjährigen nicht lösen: Beide Entscheidungen müßten gelten. Beispiel: Wenn der einsichtige 17-jährige Eigentümer darum bittet, einen Baum auf seinem Grundstück zu fällen, während der Vormund widerspricht, bleibt die T a t nach der hier vertretenen Ansicht rechtswidrige Sachbeschädigung 178 . — Allerdings wandelt sich bei der hier vertretenen Ansicht der Zweck der Einwilligungsregeln vom Schutz des Gutsinhabers hin zum Schutz von Kompetenznormen, eben der §§ 105 ff BGB (zum Problem des Unrechtswandels siehe auch unten 12/ 44). 3. Die Objektivierung der Einwilligung Was die Objektivierung der Einwilligung angeht, so soll nach der Willensrichtungs- 1 1 5 theorie 1 7 9 das Wollen ohne Objektivierung hinreichen, während die Willenserklärungstheorie auf eine Erklärung nach rechtsgeschäftlichen Regeln abstellt 180 . Uberwiegend wird vermittelnd eine Objektivierung des Willens verlangt, aber nicht nach rechtsgeschäftlichen Regeln und nicht unbedingt gegenüber dem Eingreifenden 1 8 1 . Da es bei der tatbestandsausschließenden Einwilligung um die Änderung der Beziehung des Dispositionsbefugten zum Gut geht, kann es nur auf dasjenige ankommen, was diese Beziehung trägt, also auf den inneren Willen (bei der unmittelbaren Einwilligung) oder auf die Preisgabe der Situation, in der die Willkür des Betroffenen den T ä ter bindet (bei der mittelbaren Einwilligung); die Äußerung der Beziehung ist irrelevant. Bei Unkenntnis des Eingreifenden von der tatbestandsausschließenden Einwilligung bleibt der Vorsatz bestehen. Irrige Annahme beläßt allenfalls Fahrlässigkeit. Beispiel: Sieht ein Landwirt, wie Spaziergänger seine Obstbäume plündern und unter176

Schmidbauer AT 8/143; das gilt entgegen der ansonsten übereinstimmenden Ansicht von Lenckner ZStW 72 S. 446 ff, 463 auch dann, wenn es sich um eine Fehlentscheidung handelt, solange nicht der Fehler ein Manko an Fähigkeit signalisiert. 177 Grundlegend Lenckner Z S t W 72 S. 446 ff; Schönke-Scbröder-Lenckner Rdn. 39 vor 5 32; SK-Samson Rdn. 41 vor § 3 2 ; Dreher-Tröndle Rdn. 3 vor § 32; — anders die überwiegende Ansieht; LH**-Hirsch Rdn. 113 vor § 51; /escheck A T § 34 IV 2 f; Maurach-Zipf A T I 5 17 III B; Stratenwerth A T Rdn. 379 f; Wetzel Strafrecht § 14 VII 2 a α. 178 Daß es — so das zumeist gegen diese Lösung vorgebrachte Argument — „seltsam" sei, wenn „ein 17-jähriger zwar in eine Verletzung seines Körpers, nicht aber seines Eigentums . . . einwilligen könnte" (Stratenwerth A T Rdn. 380; ähnlich Noll Übergesetzliche Rechtfertigungsgründe S. 128; Zipf Einwilligung S. 41 u. a. m.), ist nicht zuzuge-

ben: W e d e r die Komplexität der Einwilligungsfolgen noch die intuitiv spürbare Drastik dieser Folgen hängt vom strafrechtlichen Gewicht der betroffenen Güter a b ; siehe auch die Begründung f ü r die hier vertretene Lösung bei Traeger G S 94 S. 112 ff, 148 f. >79 Schrey Gegenstand der Einwilligung S. 21 f; Frank Anm. III vor § 51; Schmidhäuser A T 8/144; Mezger Strafrecht § 28 I. 180 Zitelmann A c P 9 9 S . 1 f f , 6 2 ; Keßler Einwilligung S. 99 ff, 100 f, 105 f. 181 Honig Einwilligung S. 145 f, der allerdings auch ein Nicht-Eingreifen als Objektivierung der Einwilligung ansieht; Zipf Ö J Z 1977 S. 379 ff, 381; Jescheck A T § 3 4 IV 2; Schönke-Schröder-Lenckner Rdn. 43 vor § 3 2 ; LK^-Hirsch R d n . 107 vor § 5 1 ; jeweils mit Nachweisen; aus der Rechtsprechung siehe B G H 17 S. 359 f; B a y O b L G N J W 1968 S. 665 f.

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7. A b s c h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

nimmt er nichts, so ist zu unterscheiden: Will er den Tätern das geringwertige Obst gönnen, so ist diese Tat nur versuchter Diebstahl; ist ihm aber das geringe Gut die Mühe des Einschreitens nicht wert, so verzichtet er zwar faktisch auf die Chance eines Rechtsschutzes, die Tat aber bleibt rechtswidrig und strafbar. Problematisch ist die Lage bei einer erklärten, aber wegen Erklärungsirrtums oder wegen Mentalreservation nicht gewollten Einwilligung. Teils wird eine Bindung bis zum Widerruf mit der Begründung angenommen, der Eingreifende dürfe nicht das Risiko der korrekten Äußerung des Dispositionsbefugten tragen 182 . Diese Überlegung betrifft jedoch nur die Fälle der eigennützig gegebenen Einwilligung. Zur Lösung gelten die Ausführungen zum Einverständnis entsprechend (oben 7/110); — wenn die Erklärung nicht rechtsgeschäftlich bindet, wird die Haftung des Eingreifenden über den Vertrauensgrundsatz und den subjektiven Tatbestand limitiert183. 4. Die Einwilligung bei Zwang und Irrtum 116

a) Die Behandlung durch Zwang und Irrtum beeinflußter Einwilligung ist streitig. Zwar sollen nach überwiegender Ansicht zumindest bestimmte Irrtümer und Zwangslagen bestimmten Gewichts die Wirksamkeit einer Einwilligung schlechthin ausschließen 184 ; unterschiedlich beurteilt wird aber, ob nur rechtsgutsbezogene Irrtümer (Irrtümer Uber das Ob und das Maß des Eingriffs in das Gut) diese Wirkung haben 185 und wie die Gewichtigkeit des Drucks zu bestimmen ist, wobei in der Regel ein „empfindliches Übel" im Sinn des § 240 StGB verlangt wird 186 .

117

b) Bei dieser Behandlung werden heterogene Problemkreise vermengt: aa) Soweit der Dispositionsbefugte, sei es auf Grund einer Täuschung oder sonstiger Ursachen, über das Ob oder das Gewicht der durch die Eingriffshandlung mit dem Gut stattfindenden nachteiligen Veränderung irrt, also rechtsgutsbezogen irrt, fehlt schon mangels Bewußtseins der (vollen) Preisgabe ein Wille dazu: Der Dispositionsbefugte ist (ganz oder partiell) „undolos". Soweit er bei dem Eingriff mitwirkt, kann er sich selbst verletzendes Werkzeug sein (siehe unten zur mittelbaren Täterschaft 21/77 ff).

118

bb) Im gesamten Verbleibenden Bereich, also bei einer Einwilligung, die durch nicht rechtsgutsbezogene Täuschung oder durch Drohung zustande gekommen ist, liegt eine wirksame Einwilligung vor, für deren Erzeugung oder Ausnutzung freilich nach den Regeln der mittelbaren Täterschaft, aber auch nur nach diesen Regeln, zu haften sein kann: als Nötigung oder Täuschung zur mittelbaren Selbstverletzung durch Benutzung einer — vom mittelbaren Täter selbst oder von einem Dritten ausgenutzten — Einwilligung (siehe unten zur mittelbaren Täterschaft 21/88 ff). Die Konstruktion ist folgende: Werkzeug ist der Einwilligende; mittelbarer Täter ist derjenige, der den Einwilligungsdefekt beherrscht (hat); er kann mit dem per Einwilligung tatbestandslos Eingreifenden identisch sein, muß dies aber nicht; bei Identität handelt er als mittelbarer Arzt Willensmängel S. 49; Zipf Einwilligung 5. 46; Kühne J Z 1979 S. 241 ff, 244; siehe auch BGH 16 S. 309 ff, 311. 83 ' Baumann AT § 21 II 4 b α. s t BGH 4 S. 114 ff, 118; BGHZ NJW 1964 S. 1177 ff; OLG Stuttgart VRS 63 S. 203 ff, 205. 185 So grundlegend Arzt Willensmängel S. 19 ff, 22 ff; siehe ferner Zipf Einwilligung S. 23; Kientzy Einwilligung S. 108 f; Rudolphi ZStW 86 S. 82 ff, 83 f; SK-Samson Rdn. 43 vor § 3 2 ; Schönke-Schröder-Lenckner Rdn. 46 f vor § 3 2 ; 182

204

Jescheck AT § 34 IV 4; — für die Berücksichtigung auch anderer Irrtumsarten Baumann AT §21 II 4 b δ; Bockelmann AT § 15 I 4 b bb; LK9Hirsch Rdn. 114 vor § 51 mit weiteren Nachweisen; - nach entgeltlichen und unentgeltlichen Geschäften differenzierend Kühne J Z 1979 S. 241 ff, 246. Arzt Willensmängel S. 31 ff; LK^-Hirsch • Rdn. 114 vor § 5 1 ; Jescheck AT 5 34 I V 4 ; Schönke-Schröder-Lenckner Rdn. 48 vor § 32.

Objektiver Tatbestand

7. AbSChn

Täter (Beherrschung des Defekts) tatbestandlich, als unmittelbarer Täter (Eingriff) tatbestandslos. — Wie ein erzwungener Vorsatz oder etwa ein Vorsatz bei einer Handlung im error in persona vel objecto trotz des Mangels an Freiheit ein Vorsatz bleibt, so gehört auch zum Begriff der Einwilligung nicht deren Freiheit. cc) Die Lösung, die im Ergebnis weitgehend mit der üblichen Lösung über eine 1 1 9 Wirkungslosigkeit der Einwilligung korrespondiert (der Eingreifende haftet als mittelbarer Täter, nach der üblichen Lösung als unmittelbarer Täter), ist für drei Problemkreise bedeutsam: (α) Einmal lassen sich nur so die Ergebnisse der Bewirkung einer Einwilligung mit denjenigen der Bewirkung einer Selbstverletzung harmonisieren, (ß) zum anderen ergibt diese Harmonisierung einen Maßstab für die Bewertung von Täuschung oder Drohung und (γ) drittens können die Fälle, in denen der Eingreifende keine Herrschaft über den Einwilligungsdefekt (mehr) hat, angemessen gelöst werden. α) Ob jemand durch eine Täuschung oder Drohung zu einer — sowieso tatbe- 1 2 0 standslosen — Selbstverletzung, oder aber zur Einwilligung in eine Fremdverletzung gebracht wird, ist axiologisch gleichwertig 1 8 7 ; deshalb müssen die Haftungsvoraussetzungen für das Bewirken einer defekten Einwilligung den Haftungsvoraussetzungen des Bewirkens einer Selbstverletzung angepaßt werden. ß) Zur Haftungsbegründung kommen also nur Drohungen in Betracht, bei denen 121 der Einwilligende den Schaden in noch plausibler Weise umverteilt; die Grenze entspricht exakt der unten bezeichneten und sowieso zu ziehenden Grenze bei der Nötigung zur Selbstverletzung. Insbesondere begründet nicht jedes angedrohte empfindliche Übel bei jeder Einwilligung mittelbare Täterschaft, sondern nur jeweils ein Übel, dessen Gewicht relativ, also in Abhängigkeit vom preisgegebenen Gut, zu bestimmen ist. Beispiel: Wer einem anderen androht, ihm ein paar Fensterscheiben einzuwerfen, wenn er nicht sein Auto für eine Bruchfahrt zur Verfügung stelle, haftet zwar für N ö tigung, aber nicht für die Zerstörung des Autos, ob nun bei der Fahrt der Drohende selbst (Einwilligung), ein Dritter (Einwilligung) oder das Opfer (mangels hinreichend qualifizierter Drohung kein Werkzeug) steuert. — Wer eine Frau schwer bedroht, damit diese in sadistische Verletzungen einwilligt, haftet für Körperverletzung, gleich ob diese Verletzungen die Frau selbst (Werkzeug), ein Dritter oder der Drohende vollzieht. Entsprechend verhält es sich bei der nicht rechtsgutsbezogenen Täuschung: Die Einwilligung ist jedenfalls wirksam; wenn aber eine Situation vorgespiegelt wird, in der ein Handlungsanlaß besteht, ist die Umschichtung von Gütern im Rahmen des Vernünftigen ein Vorgang, bei dem die Kosten nicht mehr mit dem Belieben des Einwilligenden erklärt werden können, d. h. der Schöpfer der Situation muß als mittelbarer Täter haften. Insbesondere ist an Fälle der Art zu denken, daß Notsituationen vorgespiegelt werden, aus denen sich der Einwilligende durch notstandsähnliches Handeln im Wege der Preisgabe eines Guts zu befreien sucht. Beispiel: Der Einwilligende, dem vorgespiegelt wird, er habe Kopfläuse, läßt sich die Haare abschneiden 1 8 8 . — Vernünftig ist eine Umschichtung, solange sie nach allgemeinen Wertungsmaßstäben, die insbesondere zum Notstand und zur mittelbaren Täterschaft zu entwickeln sind, per Saldo zumindest ohne Verlust abgeht. — Mittelbare Täterschaft dürfte auch in Frage kommen, soweit es nicht um eine Einwilligung zur Vermeidung vermeintlich anderweit 187

Diese Gleichwertigkeit dürfte auch bestehen, soweit eSi um die Einwilligung in eine GrundrechtsVerletzung gegenüber dem Staat und die eigenhändige Preisgabe des Grundrechts an den Staat geht (a. A. Amelung Einwilligung S. 102 ff).

188

Will man nicht bei der Körperintegrität das Rechtsgut „von Kopf bis Fuß" verrechnen, ist der Irrtum nicht rechtsgutbezogen; zu den Schwierigkeiten der Abgrenzung siehe Arzt Willensmängel S. 22 f.

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7. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

drohender Schäden geht, sondern um die Erzielung eines Gewinns (zweifelhaft) 189 . Beispiel: Ein Student spendet eine kleinere Menge Blut, weil ihm vorgespiegelt wurde, er erhalte dafür eine extrem hohe Belohnung. 122 γ) Die Lösung harmoniert mit der Lösung der Fallgruppe, bei der zur Tatzeit der Eingreifende die Defektlage nicht (mehr) beherrscht. Beispielhaft gesprochen: Wenn ein Vater seinem minderjährigen Sohn die Alternative zwischen einem Hinauswürf oder einem Friseurbesuch stellt, müßte nach üblicher Lehre (erzwungene Einwilligung ist wirkungslos) der Friseur, so er eingeweiht ist, objektiv und subjektiv tatbestandsmäßig und rechtswidrig handeln. Entsprechendes müßte in Fällen gelten, in denen der Drohende zwar selbst eingreift, aber erst nachdem er den angedrohten Schadensverlauf schon ins Werk gesetzt hat und anders als durch den Eingriff nicht mehr aufhalten kann. Schließlich dürfte auch bei objektiv begründeter N o t (Naturkatastrophen etc.) nicht anders zu entscheiden sein: Der Gehilfe bei der Schadensminderung müßte bestraft werden 1 9 0 . Allein schon wegen dieses argumentum ad absurdum muß die erzwungene oder durch eine nicht rechtsgutsbezogene Täuschung erlangte Einwilligung wirksam sein. 123

dd) Das Ergebnis läßt sich dahin zusammenfassen, daß der Verursacher eines Konflikts (der Täuschende oder Drohende) für die Kosten der Lösung (das durch Einwilligung Preisgegebene) nicht deshalb haftet, weil die Preisgabe unwirksam wäre, sondern weil und soweit er die Situation, in der Preisgabe vernünftig ist, zurechenbar erzeugt hat. Entsprechendes gilt für die Ausnutzung einer schon bestehenden Situation, soweit die Zuständigkeit für die Verbindung des Irrtums oder des Zwangs mit der Tat den Ausnutzenden trifft (siehe dazu unten zur mittelbaren Täterschaft 21/68 ff).

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Eine Rechts- oder Sittenwidrigkeit der Tat wie eine solche der Einwilligung hindern die Wirksamkeit nicht. Bei der tatbestandsausschließenden Einwilligung steht das Gut zur vollen Disposition des Inhabers, geschehe diese durch — sowieso tatbestandslose — Selbstverletzung oder durch Einwilligung in eine Fremdverletzung. Allerdings begründet eine Täuschung über rechts- oder sittenwidrige Ziele, die mit der Einwilligung verfolgt werden, keine Haftung des Täuschenden als mittelbarer Täter, da die mittelbare Täterschaft (anders als die Wirksamkeit der Einwilligung) von der objektiven Vernünftigkeit abhängt. Beispiel: Wer die Erlaubnis zur Demontage der Uhr eines anderen durch die Täuschung erreicht, die Einzelteile seien zur Konstruktion einer Höllenmaschine notwendig, haftet nicht wegen Sachbeschädigung.

5. Die Rechts- und Sittenwidrigkeit von Tat und Einwilligung

189

Jedenfalls geht es nicht allein um einen rechtsgutbezogenen Irrtum. Die Rechtsgüter sind keine Museumsstücke, sondern überhaupt nur in ihrer Einsetzbarkeit und Umsetzbarkeit Güter ( W e l z e t Z S t W 58 S. 491 ff, 515). Die Lehre von der alleinigen Relevanz des rechtsgutbezogenen Irrtums verkennt diese im individuellen wie sozialen Leben alltägliche Umschichtung eines Guts in ein anderes nicht (siehe Arzt Willensmängel S. 20 ff), meint aber, wenn der Bereich des relevanten Irrturns erweitert werde, f ü h r e dies zum Schutz von subjektiven Präferenzen (nach der hier vertretenen Lehre geht es freilich nur um objektiv-vernünftige P r ä f e r e n z e n ) ; da es jedermann freistehe, w o f ü r er seine Güter einsetze, werde wegen der täuschungsbedingten Zweckverfehlung bestraft. - Das müßte, wenn es richtig wäre, entsprechend auch f ü r die erzwungene Einwilligung gelten. Es

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190

d ü r f t e also nur noch eine rechtsgutsbezogene D r o h u n g relevant sein. Bei der D r o h u n g ist freihch die Umschichtung der Güter selbstverständ'ich; d « abgenötigte G u t und das Gut, mit dessen Vernichtung gedroht wird, sind in der Regel nicht identisch, sondern nur über das Freiheitsinteresse verknüpft. Deshalb wird bei der D r o h u n g richtig angesetzt: Zu haften ist f ü r das Schaffen einer La e g > d i e e i n e Umschichtung der Güter notwendi g o d e r zumindest plausibel macht. - Wieder auf T ä u s c h u n g gewendet: Nicht die Zweckverfehlung ist Strafgrund, sondern das Schaffen einer Lage, in der eine Person in unterlegener Stellun g (getäuscht) ihre Güter einsetzt, Für eine einheitliche Lösung, nur in entgegengesetzter Richtung, Herzberg Täterschaft S. 35 ff, 38 s ί ' e h e auch unten z u r mittelbaren Täterschaft 21/90.

Objektiver Tatbestand

7. AbSChü

6. Der Gegenstand und die Intensität der Einwilligung und das Handeln auf eigene Gefahr a) Gegenstand der tatbestandsausschließenden Einwilligung sind wie beim Einver- 1 2 5 ständnis in einer ersten Fallgruppe — unmittelbare Einwilligung — die Verhaltensfolgen dergestalt, daß sie gewollt im Sinn von „beabsichtigt" sind 191 . b aa) Probleme entstehen in der zweiten Fallgruppe — mittelbare Einwilligung —, 1 2 6 bei der nicht die Folgen gewollt sind, sondern bei der vom Betroffenen eine Lage geschaffen wird, in der seine Willkür nicht mehr beachtlich ist. Es geht um die Zuständigkeit für unerwünschte Kosten eines sozialen Kontakts, wenn der Dispositionsbefugte das (an sich) verletzende Verhalten des Täters nicht will, wohl aber auf eine bestimmte Art des sozialen Kontakts abzielt, die ohne dieses folgenreiche Verhalten nicht zu haben ist. Beispiel: Der Fußballspieler will nicht angerempelt werden, noch weniger als Folge blessiert 192 ; er weiß aber, daß er am sportlichen Wettkampf nicht teilnehmen kann, ohne Härten hinzunehmen. Die Lösung kann nicht dahin ausfallen, daß eine jede vorausgesehene Folge des sozialen Kontakts als von der Einwilligung gedeckt gilt; denn dann könnte jeder Teilnehmer den sozialen Kontakt mißbrauchen, solange dies nur voraussehbar bleibt. Beispiel: Wer eine berüchtigte Gegend besucht, willigt nicht in das Risiko ein, bestohlen zu werden. Vielmehr kommt es darauf an, inwieweit der rechtlich erhebliche Inhalt des sozialen Kontakts einseitig vom Betroffenen festgelegt werden kann — dann bleibt seine Willkür maßgeblich und es wird in das unerwünschte Verhalten nicht eingewilligt — und inwieweit der Inhalt durch die Interessen mehrerer Beteiligter bestimmt wird — dann kann auch ein Verhalten als Inhalt eingebracht werden, das dem jeweils anderen Beteiligten unerwünscht ist. Beispiel: Wer einen Schlag gegen die eigene Schulter will, wird bei dessen Durchführung nicht tatbestandlich körperlich verletzt; eine tatbestandliche Körperverletzung fehlt auch, was die beiläufigen Körperfolgen angeht, beim regelgerechten Faustkampf, obgleich jeder Kämpfer hier nicht nur die Verletzung durch den Gegner, sondern schon dessen kausierendes Verhalten nicht will, vielmehr gerade zum Hauptziel hat, es zu verhindern: Der soziale Kontakt ist durch die Interessen beider Faustkämpfer definiert. Anders liegt es bei der Abwehr eines Angreifers in Notwehr, die der Angreifer zum Anlaß für weitere Attacken nimmt: Die Definition der Situation als aggressiv durch den Angreifer ist rechtlich irrelevant; rechtlich zählt allein das Abwehrinteresse; nur dieses geht in die Definition des Kontakts ein, so daß der Abwehrende in weitere Angriffe und deren Folgen nicht einwilligt, auch wenn er bei der Abwehr ein entsprechendes Risiko voraussieht. bb) Praktisch bedeutsam ist die Differenzierung insbesondere bei der Mitfahrt mit 1 2 7 einem fahruntüchtigen Fahrer oder in einem fahruntauglichen Fahrzeug im Verkehr. Während bei einem Anspruch auf ordnungsgemäße Beförderung (im öffentlichen Linienverkehr etc.) im Fall einer Schädigung eine Einwilligung wegen der Fixierung an das Ordnungsgemäße fehlt, besteht bei Gefälligkeitsfahrten noch beiderseits eine Definitionsmacht, so daß der soziale Kontakt als Beförderung durch einen Fahruntüchtigen oder als Beförderung mit einem untauglichen Fahrzeug zu definieren sein mag 1 9 3 . — Bei Sportverletzungen wird die Situation durch die üblichen oder festgelegten Regeln definiert; darüberhinaus dürfte beiderseits ein Interesse an der Hinnahme leicht fahr191

192 195

Insoweit übereinstimmend die überwiegend vertretene Ansicht, siehe Geppert Z S t W 83 S. 947 ff, 974 ff. B G H Z 63 S. 140 ff, 144. Dabei hängt es von der Art des betroffenen Guts ab, ob ein Tatbestandsausschluß oder nur eine Rechtfertigung in Betracht k o m m t ; — siehe auch

unten z u r rechtfertigenden Einwilligung 14/12; — natürlich ist jede Einwilligung f ü r § 316 StGB und f ü r die G e f ä h r d u n g dritter Personen in S 315 c StGB bedeutungslos (verfehlt wirkungslos auch bezüglich der eigenen G e f ä h r d u n g bei § 3 1 5 c StGB — O L G Karlsruhe N J W 1967 S. 2321 ff).

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7. AbSChn

2. B u c h . 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

lässig erfolgender Regelverstöße mit voraussehbaren geringfügigen Folgen eingebracht werden 194 , nicht aber mehr 195 . 128

c) Schon bei der unmittelbaren Einwilligung ist eine Einwilligung in ein Risiko dergestalt möglich, daß der Erfolg nicht gewiß ist. Die Wirksamkeit der Einwilligung wird dadurch so lange nicht berührt, wie eine entsprechende Risikovorstellung noch bei der Bildung eines Tätervorsatzes ausreichen würde. Beispiel: Wenn ein Wurf auf eine sehr weit entfernte Fensterscheibe noch ein Sachbeschädigungsrisiko bringt, das für den Tätervorsatz hinreichend dicht ist, so auch für eine wirksame Einwilligung durch den Dispositionsbefugten. Eine Einwilligung in ein Risiko wird jedoch praktisch häufiger mittelbar als Einwilligung in einen bestimmten sozialen Kontakt vorkommen, ζ. B. in den oben beschriebenen Bereichen des Straßenverkehrs und des Sports. Es geht hierbei — entgegen der in doppelter Hinsicht ungenauen üblichen Terminologie — nicht nur um eine Einwilligung in fahrlässiges Verhalten, genauer: um eine Einwilligung in einen sozialen Kontakt, der fahrlässiges Verhalten einschließt. Vielmehr kommt auch vorsätzliches Verhalten in Betracht, und zwar nicht nur bei Sportarten mit finalem „Verletzungs"-Verhalten (Boxen, Ringen), sondern stets bei hinreichend dichtem Folgenbezug. Es kommt allein darauf an, wie der soziale Kontakt zu definieren ist; diese Definition kann auch objektiv erfolgen, d. h. unabhängig von Reflexionen der Beteiligten über die Lage 196 . Beispiel: Ob ein Eishockeyspieler die Folgen seines Verhaltens für die Mitspieler in vorsatzbegründender Weise bedenkt oder aber nicht reflektiert, ist für die Rechtfertigung gleichgültig, solange der Bereich des Regelgerechten eingehalten wird. — Die Gründe, aus denen der Betroffene das erkannte Risiko eingeht, sind im Bereich der hier allein interessierenden tatbestandsausschließenden Einwilligung so gleichgültig wie bei der Einwilligung in eine gewisse Beeinträchtigung. Die hier dargestellte Verbindung zwischen Risikoerkenntnis und Einwilligung entspricht verbreiteter, aber nicht einhelliger Lehre, wobei meist nur eine Einwilligung in Fahrlässigkeitstaten behandelt wird und überwiegend die hier vorgenommene Differenzierung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Einwilligung fehlt 197 .

129

d) Einwilligung entspricht dem Vorsatz; eine „fahrlässige Einwilligung" gibt es nicht 198 . Die zum Merkmal der Kenntnis psychologisierend festgelegte Grenze zwiJescbeck AT § 56 II 3; LK-Hirsch § 226 a Rdn. 12; Schönke-Schröder-Stree § 226 a Rdn. 16; Eser J Z 1978 S 368 ff, 372 f; Zipf Einwilligung S. 93 ff unter allerdings problematischer Berufung auf Sozialadäquanz: Sollte auch die regelgerechte Verletzung gegen den Willen des Betroffenen, der die Härte der Sportart nicht kennen kann, zulässig sein? — Sport Zuschauer lassen sich nicht auf die Definition ein, die Situation dürfe riskant werden; O L G Karlsruhe N J W 1982 S. 394 f. 195 BayObLG N J W 1961 S. 2072 ff. 1 9 6 Α. A. insbesondere Zipf Einwilligung S. 91, der selbst bei regelgerechtem Sportverhalten die Rechtswidrigkeit von der subjektiven Seite — Vorsatz oder Fahrlässigkeit — abhängig macht: Das ist eine Verletzung des Tatprinzips; denn speziell der Vorsatz objektiviert sich bei regelgerechtem Sportverhalten nicht. 197 R G 57 S. 172 ff; BGH 4 S. 89 ff, 93; 6 S. 232 ff, 234; 7 S. 112 ff, 115; BGH V R S 17 S. 277 ff, 279; BGH DAR 1959 S. 300 ff; O L G Celle N J W 1964 S. 736; O L G Karlsruhe N J W 1967

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S. 2321 ff, 2322; BayObLG N J W 1968 S. 665 f; Jescheck A T 5 56 II 3 mit Nachweisen der Literatur; Baumann AT § 2 1 II 4 a a. Ε.; LK">-Hirscb Rdn. 105 vor § 5 1 ; Schönke-Schröder-Lenckner Rdn. 102 vor § 32 mit Nachweisen der Rechtsprechung; Schaffstein Welzel-Festschrift S. 557 ff; Zipf Ö J Z 1977 S. 379 ff, 383; u . a . m . ; - im Grundsatz auch LK-Schroeder § 16 Rdn. 179 bei freilich starker Ausdehnung der Selbstgefährdung Rdn. 181. Andere Lösungswege: Zur Verneinung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bei Fahrlässigkeit siehe Frisch Fahrlässigkeitsdelikt S. 116 ff; Preuß Erlaubtes Risiko S. 133 ff; siehe auch Geppert ZStW 83 S. 947 ff, 992 ff; Schild Jura 1982 S. 477 ff, 520 ff, 527 f (erlaubtes Risiko); — zur Sozialadäquanz siehe Zipf Einwilligung S. 77 ff, 93; — zur Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs siehe Otto JuS 1974 S. 702 ff, 710. '98 Siehe aber Baumann AT § 21 II 4 a: Erkennbarkeit der Verletzung eigener Güter als mutmaßliche Einwilligung.

Objektiver Tatbestand

7. Abschn

sehen Vorsatz (Einwilligung) und Fahrlässigkeit (keine Einwilligung) kann freilich auch hier axiologisch nicht befriedigen. Ob die Güter des Betroffenen nach dessen Willkür zu behandeln sind oder ob der Betroffene den Anspruch auf Rücksicht verspielt hat, richtet sich nicht (allein) nach dem, was er aktuell bedenkt, sondern nach seiner Zuständigkeit für Selbstschutz. Deshalb ist es möglich, daß ein Betroffener, der sich auf eine riskante Situation einläßt oder sich zurechenbar nicht aus ihr löst, für die erkannten oder auch nur erkennbaren Folgen selbst zuständig ist. Ein unbewußt-sorgloser Umgang mit eigenen Gütern kann zu einem Handeln auf eigene Gefahr führen, das den „Schädiger" entlastet. Entsprechend der Lösung beim Regreßverbot ist dann trotz gegebener Kausalität eines Dritten der rechtlich relevante Grund der Verletzung allein im Bereich des Gutsinhabers auszumachen. Es geht hauptsächlich um Fälle, in denen der Gutsinhaber das relevante Risiko mindestens ebenso gut überblicken kann wie der „Schädiger" und zudem seinerseits ohne rechtlich gewichtigen Grund das schadensträchtige Verhalten veranlaßt 1 9 9 . Dritte Personen müssen ihre Organisation auf Risiken, die der Gutsinhaber selbst veranlaßt hat, nicht sorgfältiger einstellen als dieser selbst 200 . Beispiel: Wer seinem offensichtlich betrunkenen Freund sein Auto leiht, ohne die Folgen zu bedenken, verliert allein dadurch nicht den Schutz des § 303 StGB, wohl aber, wenn er den Freund trotz seines Zustande zu einer Fahrt veranlaßt, mag er auch die Möglichkeit einer Schadensfolge leichtfertig nicht bedacht haben. — Ob das Risiko von dem „Schädiger" in einer Vorsatz begründenden Weise bedacht wurde, ist in solchen Fällen für die Zuständigkeit des Betroffenen ebenfalls gleichgültig. Das Ergebnis bringt eine Annäherung an das zivilrechtliche Handeln auf eigene Gefahr, mit dem die Rechtsprechung in Zivilsachen 201 die Einwilligung überhaupt durch eine Risikoverteilung nach den §§ 242, 254 BGB ersetzt. e) Von der Einwilligung sind die Fälle der Selbstverletzung zu trennen. Zu dieser 130 Abgrenzung gelten die Ausführungen zur Beteiligung an der Selbsttötung entsprechend (unten 21/56 ff mit weiteren Verweisungen). 7. Weitere Einzelheiten 131 a) Zur Rücknahme gelten die Ausführungen zum Einverständnis entsprechend (oben 7/110). b) Die nachträgliche Zustimmung (Genehmigung) ist für das Unrecht bedeutungslos 202 . c) Soweit die Dispositionsbefugnis wirksam übertragen worden ist, was insbesondere bei vermögensrechtlichen Gütern möglich ist, kann der Übertragungsempfänger einwilligen (etwa der Prokurist für den Geschäftsherrn). Die Auflösung widersprechender Entscheidungen des Übertragenden und des Übertragungsempfängers regelt sich nach den Vorschriften des Rechtsbereichs, zu dem der Übertragungsakt gehört. Haben die widersprechenden Entscheidungen beide Bestand, so liegt immerhin auch eine Einwilligung vor, und die Verwirklichung des objektiven Tatbestands scheidet aus. 199

D e r Text folgt insoweit in der H a u p t s a c h e Roxin Gallas-Festschrift S. 241 ff, 249 f f ; eine Berücksichtigung erkennbarer Risiken über die im Verkehr erforderliche Sorgfalt versucht Frisch Fahrlässigkeitsdelikt S. 118 ff; siehe auch Geppert ZStW 83 S. 947 ff, 988 ff; Preuß Erlaubtes Risiko S. 78 ff.

200 Das übersieht BayObLG J R 1978 S. 296 f mit kritischer Anmerkung Kienapfel a a O S. 297 f ; — wie beim Regreßverbot bleiben Sonderpflichten vorrangig; siehe 7/66; 24/19. 201 Seit B G H Z 34 S. 355 f f ; grundlegend Stoll Das Handeln auf eigene G e f a h r , insbesondere S. 305 ff. 202 B G H 7 S. 294 ff, 295; 17 S. 359 f.

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8. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

8. ABSCHNITT Einzelheiten der Tatbestandsverwirklichung durch Handlung; 2. Teil: Der subjektive Tatbestand als Vorsatz I. Der für den Vorsatz maßgebliche Zeitpunkt; Allgemeines Literatur /. Ambrosius Untersuchungen zur Vorsatzabgrenzung, 1966; P. Bockelmann Bemerkungen über das Verhältnis des Strafrechts zur Moral und zur Psychologie, Radbruch-Gedächtnisschrift S. 252 ff; H.-J. Bruns Anmerkung zu B G H J R 1981 S. 512, a a O S. 512 ff; E. Dreher Zum Meinungsstreit im Bundesgerichtshof um § 237 StGB, N J W 1972 S. 1641 ff; ders. Nochmals § 237 StGB. Eine Erwiderung auf Hruschka J Z 1973, S. 12, J Z 1973 S. 276 ff; K. Engisch Untersuchungen über Vorsatz und Fahrlässigkeit im Strafrecht, 1930; R. Frank Uber den Aufbau des Schuldbegriffs, 1907; W. Gallas Der dogmatische Teil des Alternativ-Entwurfs, ZStW 80 S. 1 ff; G. Gribbohm Anmerkung zu B G H 26 S. 104 ff, N J W 1975 S. 2213; G. Grünwald Der Vorsatz des Unterlassungsdelikts, H . Mayer-Festschrift S. 281 ff; Κ. A. Hall Über die Leichtfertigkeit. Ein Vorschlag de lege ferenda, Mezger-Festschrift S. 229 f f ; ders. Fahrlässigkeit im Vorsatz, 1959; E. Heims Zur Lehre vom Schuldbegriff, ZStW 40 S. 580 ff und 743 ff; ders. Die Tat als Gegenstand oder als Inhalt des Bewußtseins beim Vorsatz, MonSchrKrim. 13 (1922) S. 94 ff; Th. Hillenkamp Die Bedeutung von Vorsatzkonkretisierungen bei abweichendem Tatverlauf, 1971; R. v. Hippel Vorsatz, Fahrlässigkeit, Irrtum, V D A T Bd. III S. 373 ff; J. Hruschka Zum Tatvorsatz bei zweiaktigen Delikten, insbesondere bei der Entführung des $ 237 n. F. StGB, J Z 1973 S. 12 ff; ders. Rückkehr zum dolus subsequens? J Z 1973 S. 278 f; G. Jakobs Studien zum fahrlässigen Erfolgsdelikt, 1972; ders. Das Fahrlässigkeitsdelikt, Beiheft Z S t W 1974 S. 6 ff; H. H. Jescheck Der strafrechtliche Handlungsbegriff in dogmengeschichtlicher Entwicklung, Eb. Schmidt-Festschrift S. 139 ff; F. Kaufmann Die philosophischen Grundprobleme der Lehre von der Strafrechtsschuld, 1929; M. Köhler Vorsatzbegriff und Bewußtseinsform des Vorsatzes, GA 1981 S. 285 ff; J. Krümpelmann Motivation und H a n d l u n g im Affekt, Welzel-Festschrift S. 327 ff; E.J. Lampe Ingerenz oder dolus subsequens, Z S t W 72 S. 93 ff; D. Lang-Hinrichsen Z u r Krise des Schuldgedankens im Strafrecht, ZStW 73 S. 210 f f ; E. Mezger Moderne Wege der Strafrechtsdogmatik, 1950; ders. Rechtsirrtum und Rechtsblindheit, Kohlrausch-Festschrift S. 180 ff; W. Platzgummer Die Bewußtseinsform des Vorsatzes. Eine strafrechtsdogmatische Untersuchung auf psychologischer Grundlage, 1964; W. Rasch T ö t u n g des Intimpartners, 1964; ders. Schuldfähigkeit, in: A. Ponsold (Hrsg.) Lehrbuch der gerichtlichen Medizin, 3. Auflage 1967, S. 55 ff; H.-J. Rudolphi Literaturbericht, ZStW 86 S. 68 ff; C. Roxin Literaturbericht, ZStW 78 S. 214 ff; G. Schewe Bewußtsein und Vorsatz, 1967; ders. Reflexbewegung, Handlung, Vorsatz. Strafrechtsdogmatische Aspekte des Willensproblems aus medizinisch-psychologischer Sicht, 1972; ders. „Subjektiver Tatbestand" und Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit, Lange-Festschrift S. 687 ff; E. Schmidhäuser Über Aktualität und Potentialität des Unrechtsbewußtseins, H. Mayer-Festschrift S. 317 ff; ders. Vorsatzbegriff und Begriffsjurisprudenz im Strafrecht, 1968; ders. Die Grenze zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger Straftat („dolus eventualis" und „bewußte Fahrlässigkeit"), JuS 1980 S. 241 ff; H. Welzel Vom Bleibenden und Vergänglichen in der Strafrechtswissenschaft, 1964; D. Zielinski H a n d lungs- und Erfolgsunwert im Handlungsbegriff, 1973.

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1. Zum subjektiven Tatbestand gehören diejenigen Umstände, die eine Verwirklichung des objektiven Tatbestands erst zur tatbestandsmäßigen Handlung machen, also Vorsatz und Fahrlässigkeit, sowie diejenigen weiteren subjektiven Unrechtselemente, die das Gesetz zur Charakterisierung des Unrechts oder zur Fixierung eines bestimmten Unrechtsquantums nennt. Der subjektive Tatbestand muß zur Zeit der Vornahme der Ausführungshandlung vorliegen. Ausführungshandlung ist der Vollzug derjenigen Handlung, mit der ein Täter wirklich (Vollendung) oder nach seiner Vorstellung (Versuch) den Verlauf zum Erfolg aus seinem Organisationskreis entläßt; Einzelheiten ergeben sich aus der Lehre von der Beteiligung und vom Versuch. Es reicht nicht, daß 210

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. A b S C h n

der subjektive Tatbestand nur vor der Ausführungshandlung vorliegt (kein dolus antecedens); Beispiel: Ist einem Täter beim Genuß von Alkohol bewußt, daß er demnächst noch ein Fahrzeug führen wird (§316 StGB), hat er aber beim Führen den Alkoholgenuß wieder vergessen, so ist die Trunkenheitsfahrt mangels aktuellen Bewußtseins jedenfalls keine vorsätzliche Tat (zur actio libera in causa siehe unten 17/64 ff). Auch eine subjektive Entsprechung zum Tatbestand, die nach der Tatausführung auftaucht, ergänzt das objektive Geschehen nicht mehr zu einem Deliktstatbestand; insbesondere kann ein nachfolgender „Vorsatz" die vorangegangene Ausführungshandlung nicht ergänzen (kein dolus subsequens). Beispiel: Der Lagerverwalter, der sieht, daß er versehentlich die Warenvorräte in Brand gesetzt hat (§ 308 StGB) und sich darüber sogar freut, da er der Firmenleitung jedes Unglück gönnt, hat keine vorsätzliche Brandstiftungshandlung begangen. Freilich kann sich an eine unvorsätzliche Ausführungshandlung bei nachfolgendem Vorsatz ein vorsätzliches Ausführungsverhalten in Form eines Unterlassens anschließen 1 (so im zuletzt genannten Beispiel, wenn der Täter die drohenden Folgen seines versehentlichen Handelns unter den Voraussetzungen des § 13 StGB vorsätzlich nicht abwendet). Sind zu dem Zeitpunkt, in dem der Täter den Vorsatz faßt, Stücke des objektiven 2 Tatgeschehens schon abgeschlossen, so können diese Stücke nicht zugerechnet werden; das wird in Fällen eines Vorsatzwechsels während eines äußerlich gleichförmigen Ausführungsverhaltens praktisch bedeutsam. Beispiele: Der Täter schlägt einen Geldboten nieder, um ihm das Geld abzunehmen; da sich die Transporttasche als leer erweist, nimmt er dem Ohnmächtigen die Privatbörse weg. — Der Täter schlägt eine Passantin in Vergewaltigungsabsicht nieder; als er ihren reichen Schmuck sieht, nimmt er diesen und entfernt sich unter Verzicht auf eine Verwirklichung des ursprünglichen Vorsatzes. — In beiden Fällen kann die Gewalt nicht mit dem nachfolgenden Diebstahl verbunden werden; es bleibt bei einem versuchten Gewaltdelikt (im Fall der Vergewaltigung mit strafbefreiendem Rücktritt) und real konkurrierendem Diebstahl (gegen Fortsetzungszusammenhang siehe unten 32/50). — Hat der Täter einen generellen (auf alle möglichen Raubobjekte bezogenen) 2 oder alternativen (auf Raub oder Vergewaltigung bezogenen) Vorsatz, so liegt ein vollendetes Gewaltdelikt vor, neben das bei alternativem Vorsatz ideal konkurrierend ein versuchtes Gewaltdelikt tritt (zum alternativen Vorsatz genauer unten 8/33). — Die Rechtsprechung beachtet beim Diebstahl Beschränkungen des Vorsatzes auf einzelne Gegenstände nicht 3 , bestimmt vielmehr den Vorsatzinhalt in rechtlich-wertender Sicht; auch in der Literatur wird vorgeschlagen, bei „materieller Gleichwertigkeit" des ursprünglichen Vorsatzes mit dem geänderten Vorsatz (d. h. hauptsächlich bei Vermögensdelikten und hauptsächlich nicht bei Angriffen auf höchstpersönliche Güter) trotz Vorsatzwechsels wegen vorsätzlicher Vollendung zu strafen 4 . Diese Lösung kann nicht befriedigen; denn der rechtlich bestehenden Gleichwertigkeit 5 korrespondiert kein psychisches Faktum: Der Täter, der auf 1

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Darauf stellt Lampe ZStW 72 S. 93 ff, 105 ff ab, der insoweit den dolus subsequens erhalten will. S o bezüglich §§ 242, 243 S t G B im Fall B G H 26 S. 104 ff mit Anmerkung Gribbohm N J W 1975 S. 2213; — das Problem dieser Entscheidungen liegt darin, daß der Täter im unbeschränkten Vorsatz unter den Voraussetzungen des § 243 Abs. 1 StGB zu stehlen begonnen, dann aber nur Geringwertiges ( § 2 4 3 Abs. 2 S t G B ! ) gefunden hatte. Da das Gesetz — verfehlt — den besonders schweren Fall bei geringer Beute kategorisch ausschließt, muß es - entgegen der Entscheidung -

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beim versuchten Diebstahl in einem besonders schweren Fall bleiben; hinzu tritt real konkurrierend vollendeter Diebstahl einer geringwertigen Sache, §§ 242, 248 a StGB. B G H 22 S. 350 f mit Nachweisen früherer EntScheidungen; widersprüchlich Maurach-Zipf A T I § 22 II Β 3 (S. 324 vorletzter Absatz). HiUenkamp Bedeutung S. 85 ff, 125 f mit zahlreichen Beispielen passim. Die zudem je nach der Lage des Vermögensinhabers höchst zweifelhaft ist; hierzu Rudolphi ZStW 86 S. 68 ff, 89 ff, 94 ff.

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8. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

bestimmte Objekte aus ist, hat nun einmal keinen Vorsatz auf beliebige Objekte der Gattung. Bei mehraktigen Delikten muß der erste Akt mit den nachfolgenden in einem Planungszusammenhang stehen 6 . Beispiel: Beim Raub (§ 249 StGB) muß schon bei der Drohung und der Gewaltanwendung der Vorsatz vorliegen, eine Wegnahme in Zueignungsabsicht zu ermöglichen. — Freilich kann ein außerhalb eines Planungszusammenhangs vorangegangenes Verhalten zu der Tatsituation (nicht der Tatausführung) gehören, die das Deliktische an einem nachfolgenden Verhalten nach Art oder Gewicht mitbestimmt. Beispiel: Die Ausführungshandlung des räuberischen Diebstahls (§ 252 StGB) ist eine qualifizierte Nötigungshandlung in bestimmter Absicht; zur Tatsituation gehört das Betroffensein bei einem Diebstahl, der in Kenntnis des kommenden Nötigungsakts vollzogen worden sein mag, aber nicht muß. 3

2. D a alle Merkmale des subjektiven Tatbestands Voraussetzungen des Unrechts oder doch einer spezifischen Unrechtsart oder besonderen Unrechtsquantität sind, kann dieses Unrecht nicht wiederum Gegenstand des subjektiven Tatbestands sein. Die Kenntnis oder Erkennbarkeit des Unrechts ist nicht schon Teil von Vorsatz oder Fahrlässigkeit, sondern gehört erst zur Schuld (Schuldtheorie, eingehend unten 19/1 ff). Entsprechend kann ein subjektives Unrechtselement nicht durch eine besondere Beziehung des Täters zum Unrecht der T a t definiert werden. Es wird sich freilich bei einigen normativen Tatbestandsmerkmalen zeigen, daß die subjektive Beziehung des Täters zur Tatbestandsverwirklichung von der subjektiven Beziehung zum Unrecht praktisch nicht stets abtrennbar ist (unten 8/57).

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3. Das Gesetz bedient sich folgender — rein äußerer — Regelungstechnik: (a) Subjektive Unrechtselemente jenseits von Vorsatz und Fahrlässigkeit werden stets zum jeweiligen konkreten Tatbestand genannt, (b) Die Strafbarkeit von Fahrlässigkeit muß zum jeweiligen konkreten Tatbestand besonders angeordnet werden, was auch beschränkt auf einzelne Tatbestandsmerkmale erfolgen kann 7 (etwa bei § 3 1 5 Abs. 4 StGB), ansonsten muß — abgesehen von Erfolgsqualifikationen — der gesamte Tatbestand vorsätzlich verwirklicht werden: § 15 StGB. Für die weitaus meisten Tatbestände fehlt eine Bezeichnung der subjektiven Tatseite, so daß Vorsatz erforderlich ist 8 , so insbesondere mit Ausnahme der §§ 264 Abs. 3, 283 Abs. 4 und 5, 283 b Abs. 2 S t G B im gesamten Bereich der Eigentums- und Vermögensdelikte. Die Anordnung der Strafbarkeit auch bei Fahrlässigkeit erfolgt überwiegend unter Benennung eines gegenüber dem Vorsatzdelikt milderen Strafrahmens (§§ 222, 230, 309 S t G B u. a. m.; Ausnahmen: §§ 316, 323 a S t G B ; Mischform: § 315 c Abs. 3 StGB), (c) In bezug auf Folgen, durch deren Eintritt die Strafe eines (Grund-)Delikts verschärft wird, reicht auch ohne besondere Angabe zum konkreten Tatbestand stets Fahrlässigkeit: § 18 S t G B (unten 9 / 30 ff). 6

So zutreffend Hruschka J Z 1973 S. 12 ff; den. J Z 1973 S. 278 f; Schönke-Schröder-Cramer § 15 Rdn. 28; a. A. Dreher NJW 1972 S. 1641 ff; den. J Z 1973 S. 276 ff; LK-Schroeder § 16 Rdn. 112 mit weiteren Nachweisen zum hauptsächlich streitigen § 237 StGB in Fn. 144. Der Gegenansicht ist einzuräumen, daß die Ausnutzung einer vom Täter selbst deliktisch geschaffenen Situation mehr ist als die Ausnutzung einer von anderen geschaffenen oder objektiv gegebenen Notlage; freilich läßt sich damit nicht erklären, weshalb der erste Akt nicht nur rechtswidrig, sondern auch

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schuldhaft sein muß: Die besondere Zuständigkeit des Täters für die Notlage müßte sich nach den Regeln der Ingerenz richten. 7 Ob eine Beschränkung auch - bei unbeschränkter Benennung von Fahrlässigkeit — per Interpretation gewonnen werden kann, ist streitig; zutreffend bejahend LK-Schroeder § 15 Rdn. 2 mit Nachweisen; zur alten Rechtslage ebenso schon RG 48 S. 321 ff, 323. 8 Eine Auflistung der Fahrlässigkeitstatbestände findet sich bei LK-Schroeder § 15 Rdn. 5.

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. A b S C h n

II. Die Elemente des Vorsatzes Literatur Siehe zu I

A. Das Problem der Tatsachenblindheit 1. Das Gesetz gibt z u m V o r s a t z nur eine partielle und negative D e f i n i t i o n : N a c h 5 § 1 6 Abs. 1 Satz 1 StGB ist bei Unkenntnis der Tatbestandsverwirklichung V o r s a t z ausgeschlossen, ohne daß es auf den G r u n d der Unkenntnis ankäme. D a m i t wird die Vorsatzgrenze an zumindest einer Stelle starr nach psychischen Fakten bestimmt (Kenntnis, Unkenntnis), nicht aber nach einer W e r t u n g dieser Fakten. Dieser starren Bindung wegen ist eine axiologisch bruchlose E i n o r d n u n g der V o r s a t z g r e n z e n in das Zurechnungssystem von vornherein ausgeschlossen: W e n n die Kenntnis bei e r k e n n b a r Unrechtem H a n d e l n aus G r ü n d e n fehlt, die nach allgemeiner Systematik den T ä t e r belasten (Gleichgültigkeit), fehlt der Vorsatz t r o t z d e m ; w e n n die Kenntnis aus G r ü n d e n gegeben ist, die nach allgemeiner Systematik den T ä t e r entlasten (überobligationsmäßige Skrupelhaftigkeit), ist der V o r s a t z nicht gehindert. Letzteres läßt sich mit allgemeinen Prinzipien der objektiven Z u r e c h n u n g (erlaubtes Risiko etc.) korrigieren, ersteres ist hingegen unkorrigierbar: W e r die Folgen seines H a n d e l n s nicht bedenkt, weil ihm bei erkennbar Unrechtem H a n d e l n der Bereich, in den die Folgen fallen, nicht bedenkenswert ist, handelt allenfalls fahrlässig. Beispiel: Rast ein b e t r u n k e n e r A u t o f a h r e r auf einen die Straße sperrenden Polizisten zu, um die D u r c h f a h r t zu erzwingen, so liegt Tötungsvorsatz nur vor, w e n n der T ä t e r zumindest einen G e d a n k e n darauf richtet, daß der Polizist vielleicht zu spät beiseite springen wird; ist ihm das Leben eines Polizisten nichts Bedenkenswertes, so liegt allenfalls Fahrlässigkeit vor. Die mit dieser Differenz verbundene S t r a f r a h m e n d i f f e r e n z zwischen den § § 2 1 2 (211) und 222 S t G B ist im Einzelfall, seil, f ü r den Fall der Tatsachenblindheit aus belastenden G r ü n d e n , axiologisch nicht zu rechtfertigen 9 , sondern n u r generell mit dem Interesse des Gesetzes an einer rechtssicheren G r e n z z i e h u n g zwischen einer schwerer und einer leichter zu bewertenden Gestalt der Steuerung. 2. Beim Parallelproblem der Erkennbarkeit des Unrechts wählt das Gesetz den um- 6 gekehrten W e g und schreibt zu Lasten der Rechtssicherheit eine im Einzelfall axiologisch befriedigende, elastische Regelung fest: Bei vermeidbar fehlender Einsicht in das U n r e c h t der T a t kann (nicht: muß) die Strafe gemildert werden (§ 17 Satz 2 StGB; — die U m k e h r u n g , seil, daß Kenntnis nicht stets belastet, legt das Gesetz in § 17 S t G B nicht fest). Eine Ü b e r n a h m e dieser Regelungsmethode f ü r den subjektiven T a t b e s t a n d ist wegen der Eindeutigkeit des Wortlauts in § 16 Abs. 1 Satz 1 S t G B de lege lata ausgeschlossen: Fehlende Tatbestandskenntnis f ü h r t ohne Blick auf den G r u n d des D e f i zits zur Fahrlässigkeit und damit weit überwiegend zu einem gemilderten S t r a f r a h m e n (zum entsprechenden Problem beim Unterlassungsvorsatz siehe unten 2 9 / 8 7 ) .

B. Der Vorsatz als "Wissen 1. Im damit f ü r den V o r s a t z festgeschriebenen Bereich gegebener T a t b e s t a n d s - 7 kenntnis bleiben folgende Unterscheidungen möglich: D e r T ä t e r kann wegen der er9

Mezger Moderne Wege S. 46; den. KohlrauschFestschrift S. 180 ff, 184; Hall Mezger-Festschrift S. 229 ff, 245 f; ders. Fahrlässigkeit im Vorsatz S. 60; Jakobs Studien S. 104 f; ders. Beiheft ZStW 1974 S. 6 ff, 8; kritisch aber Lang-Hinrichsen Z S t W 7 3 S. 210 ff, 233; Engisch Untersuchungen S. 50; Felix Kaufmann Grundprobleme S. 121. — Hassemer Einführung § 22 IV Exkurs I (S. 207)

führt aus, der Vorsatztäter vollziehe „einen Akt der personellen und sozialen Unterwerfung des Opfers, von dem ein Fahrlässigkeitstäter weit entfernt ist"; — dabei wird verkannt, daß die Unterwerfung auch darin liegen kann, daß potentielles Leid des anderen dem Täter bei seiner T a t nicht einmal bedenkenswert ist.

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8. A b s c h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

kannten Tatbestandsverwirklichung handeln, mag er die Tatbestandsverwirklichung um ihrer selbst willen o d e r nur um ihrer Folgen willen wollen; jedenfalls ist in diesem Bereich die Antizipation der Tatbestandsverwirklichung hinreichende Bedingung der H a n d l u n g . Das ist der Bereich der Hauptfolgen. Weiterhin kann der T ä t e r in Erkenntnis der Tatbestandsverwirklichung handeln, ohne daß das Erkannte auch Inhalt des Wollens w ü r d e ; es wird als vom Wollen abhängig erkannt, seine Verwirklichung ist aber nicht G r u n d des Handelns. Das ist der Bereich der Nebenfolgen. 8

2. Die H a u p t f o l g e n sind also Inhalt des Wissens wie des Wollens; die Nebenfolgen sind Inhalt des Wissens und werden als vom Wollen abhängig erkannt. Bezogen auf den N o r m z w e c k der Vermeidung enttäuschenden Verhaltens heißt das: Im Bereich der H a u p t f o l g e n hat sich der T ä t e r voluntativ und intellektuell von der Vermeidung der Folgen gelöst, im Bereich der Nebenfolgen nur intellektuell. D a m i t erweist sich die geläufige Formel vom V o r s a t z als dem Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung 1 0 von vornherein als unangemessen: W e n n das Wollen irgend etwas positiv Gegebenes an der Antriebsseite des Verhaltens bezeichnen soll, und jeder andere Sprachgebrauch verdunkelt mehr als er erklärt, so fehlt das Wollen bei den Nebenfolgen. Die Formel muß richtig lauten: Vorsatz ist das Wissen, daß die Tatbestandsverwirklichung vom gewollten (!) H a n d e l n abhängt, mag sie auch nicht selbst gewollt sein; k u r z : V o r satz ist das Wissen um die H a n d l u n g und ihre F o l g e n " . Innerhalb des Vorsatzes besteht keine S t u f u n g der Art, daß dem Bewirken einer H a u p t f o l g e eine ceteris paribus mehr wiegende Schuld entspräche als dem Bewirken einer N e b e n f o l g e ; denn der T ä t e r mag einen rechtlich weniger nichtigen G r u n d haben, eine H a u p t f o l g e herbeizuführen, als eine H a n d l u n g trotz ihrer N e b e n f o l g e zu vollziehen".

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3. Sofern der T ä t e r mit seinem H a n d e l n überhaupt bewußt äußere Ziele verfolgt, muß irgend etwas am äußeren Verlauf auch gewollt sein, zumindest der H a n d l u n g s vollzug, mögen die Folgen des Handlungsvollzugs (teils oder sämtlich) auch nur als vom Handlungsvollzug abhängig e r k a n n t sein. Bei dieser Lage ergibt sich die Möglichkeit, den Handlungsablauf teils durch den gewollten Verlaufsstrang zu definieren und teils durch den ungewollten (nur als abhängig erkannten). So verfährt das Gesetz u. a. 1 3 beim Mordtatbestand, indem es die H a n d l u n g durch die — nicht notwendig gewollte — Todesfolge definiert („töten") und zudem durch das Ziel, „eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken" ( § 2 1 1 Abs. 2 StGB letzte Gruppe). Verdekkungsabsicht ist also nicht stets auch Tötungsabsicht 1 4 . Beispiel: D e r T ä t e r will nach 10

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R G 51 S. 306 ff, 311; 58 S. 247 ff, 248 f; 70 S. 257 ff, 258; Jescbeck A T § 2 9 112; Welzel Strafrecht § 13 I 1; SK-Samson § 16 Rdn. 1; kritisch schon Schönke-Schröder-Cramer §15 R d n . 12; Lackner § 15 Anm. II; Dreher-Tröndle § 15 R d n . 2. Hauptsächlich wie hier Scbmidhäuser Begriffsjurisprudenz S. 11 f; ders. J u S 1980 S. 241 ff, 247 und passim; ders. A T 10/28 f f ; ders. Studienbuch 7/35 ff; Grünwald H. Mayer-Festschrift S. 281 ff, 286 ff; Jakobs Studien S. 38 f, 113 ff; siehe auch Gallas Z S t W 80 S. 1 ff, 28 f; LK-Schroeder § 16 Rdn. 74; Zielinski H a n d l u n g s - und Erfolgsunwert S. 162 ff. — In dem Streit lebt immer noch die alte Differenz von Willenstheorie und V o r stellungstheorie zum V o r s a t z f o r t ; dazu v. Hippel V D A T Bd. III S. 373 ff, 487 ff mit umfangreichen Nachweisen; Engisch Untersuchungen S. 126 ff.

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B G H J Z 1981 S. 595 f mit zustimmender Anmerkung Bruns J R 1981 S. 512 ff. So auch die Auslegung des § 8 9 Abs. 1 StGB durch den B G H ( B G H 18 S. 151 ff, 155 f): Die T a t h a n d l u n g („einwirken") wird durch den nicht notwendig gewollten Einwirkungserfolg definiert und zudem durch das Ziel, die „ O r d n u n g zu untergraben". B G H 11 S. 268 ff, 269 f; 15 S. 291 ff, 296 f; 21 S. 283 ff, 284 (mit dem zutreffenden Hinweis, daß freilich der T o d stets beabsichtigt ist, wenn anders als durch den T o d die V e r d e c k u n g nach der T ä tervorstellung nicht zu erreichen ist); 23 S. 176 ff, 194 (mit nicht konsequenten Ausführungen zur Ermöglichungsabsicht); BGH NJW 1978 S. 1490; — zum Handeln z u r Befriedigung des Geschlechtstriebs siehe B G H 19 S. 102 ff, 105; ungenau aber B G H 7 S. 287 ff, 290.

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. Abschn

einer Tat einen Verfolger durch einen Schuß ins Bein an der weiteren Verfolgung hindern; daß die Verletzung tödlich sein kann, erkennt er, ohne den Tod auch zu wollen, da ihm bloße Bewegungsunfähigkeit des Opfers genügt.

C. Die Intensität des Wissens 1. Die Bestimmung der Intensität dessen, was das Gesetz in § 16 Abs. 1 StGB „ken- 10 nen" nennt, ist seit jeher problematisch 15 , wobei sich freilich die praktische Problematik de lege lata teils mit der schuldtheoretischen Regelung der Erkennbarkeit des Unrechts in § 17 StGB erledigt hat: Das Maß der Kenntnis (oder Erkennbarkeit) des Unrechts steht nicht notwendig in einer fixen Relation zum Maß der Schuld. — Zur Tatbestandskenntnis ist in der neueren Lehre anerkannt, daß eine bloß potentielle Kenntnis zum Vorsatz nicht hinreicht 16 ; das ist nach dem soeben zur Tatsachenblindheit (immer potentielle Kenntnis!) Ausgeführten material zweifelhaft, aber positivrechtlich wegen des Gesetzeswortlauts einzig akzeptabel. 2. Im verbleibenden Bereich der aktuellen Kenntnis ist außer Streit, daß ein Reflek- 11 tieren der Folgen nicht notwendig ist. Ansonsten werden unterschiedliche Konzepte vorgeschlagen: a) So soll es genügen, wenn ein Merkmal nur mitbewußt ist; als mitbewußt sollen dabei die Ergänzungen verstanden werden, die von der Erfahrung zum Inhalt einer durch Wahrnehmung ausgelösten Vorstellung beigesteuert werden 1 7 , was teils formuliert wird, als gehe es um die zwangsläufigen Assoziationen bei einer Wahrnehmung, teils, als gehe es (eher gestalttheoretisch) um die Momente des Koordinatensystems, in dem Außenreize mehr oder weniger vage erfaßt werden. Hauptbeispiel: Stets (!) mitbewußt sollen die hauptsächlichen Rollen des handelnden Subjekts sein 18 (Ehemann, Vormund, Beamter etc.), wobei wohl einschränkend zu ergänzen ist, daß sich die betreffende Handlung im Bereich der jeweiligen Rolle abspielt. — Stets mitbewußt sollen ferner das hauptsächliche Ambiente der Tat sein („zur Kriegszeit", „in einer Kirche") und die früher erfahrenen wesentlichen Eigenschaften des Opfers 1 9 (Altersgrenzen bei Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung; sehr zweifelhaft). — Das Konzept dürfte den rechtlichen Sinnzusammenhang zu stark in den individuellen Zusammenhang projizieren. b) Nach einem weiteren Konzept wird zwischen einem — zum Vorsatz nicht erforderlichen — sprachgedanklichen Bewußtsein und einem sachgedanklichen Bewußtsein unterschieden 20 ; das früher einmal sprachgedanklich Begriffene sei, ohne daß es wieder aktuell sprachlich formulierbar sein müsse, doch sachgedanklich in einer Situation aktuell begreifbar und dann im Sinn des § 16 Abs. 1 StGB gekannt. c) Schließlich wird auch geleugnet, daß dem Erlebniszusammenhang stets ein Bewußtseinszusammenhang entsprechen müsse, und deshalb vorgeschlagen, die Aktualität nicht auf das Bewußtsein, sondern umfassender auf das Erlebnis zu beziehen und 15

Z u e r s t w o h l Frank A u f b a u S. 2 9 ; siehe f e r n e r Heims Z S t W 40 S. 580 f f , 743 f f ; ders. M o n S c h r K r i m . 13 (1922) S. 94 f f ; Mezger S t r a f r e c h t § 4 2 ; LK^-Mezger § 5 9 A n m . 1 1 9 ; Welzel Strafrecht

h a u p t u n g eines m i n d e r e n U n w e r t s beim M i t b e w u ß t s e i n , a a O S. 9 3 ; siehe d a z u o b e n z u r T a t S a c h e n b l i n d h e i t u n d bei Scbewe Bewußtsein S. 58 ff.

§ 1 3 I 2 a ; Bockelmann Radbruch-GedächtnisSchrift S. 252 f f , 254 ff. 16 E i n g e h e n d Platzgummer B e w u ß t s e i n s f o r m S. 55 ff mit N a c h w e i s e n . 17 Platzgummer ( u n t e r B e z u g auf Rohracher) Bew u ß t s e i n s f o r m S. 81 ff, 84. - V e r f e h l t die Be-

'8 Platzgummer a a O S. 88 ff. 1' Platzgummer a a O S. 83 f ; z u s t i m m e n d Roxin Z S t W 78 S. 214 f f , 248 ff, 2 5 3 f ; k r i t i s c h Köhler G A 1981 S. 2 8 5 f f , 293. 20 Schmidbauer H.Mayer-Festschrift S. 317 f f , 322 f f ; ders. A T 1 0 / 5 4 ; ders. S t u d i e n b u c h 7 / 6 5 ff.

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8. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

auch das „perzeptiv u n b e w u ß t " Erlebte (i. e. die triviale Basis, a u f der das b e w u ß t e E r leben a u f b a u t ) als aktuell E r l e b t e s zum V o r s a t z zu z i e h e n 2 1 . 12

3. D i e L ö s u n g 2 2 k a n n n u r der g e m e i n s a m e N e n n e r der A n s ä t z e bieten. D a s S t r a f r e c h t k a n n w e g e n des G r u n d s a t z e s der G e s e t z e s b i n d u n g e n t g e g e n der zuletzt g e n a n n ten L ö s u n g nicht die rationalistische Ausdrucksweise des G e s e t z e s als b l o ß e H ü l l e e i n e r nicht-rationalistischen P s y c h o l o g i e n e h m e n : Erlebnis und K e n n t n i s sind nun einmal nicht dasselbe. D a s w i r k t a u f die erstgenannten L ö s u n g e n z u r ü c k : A u c h ein E r l e b n i s z u s a m m e n h a n g und ein B e w u ß t s e i n s z u s a m m e n h a n g sind nicht dasselbe; aus einem S c h e m a t i s m u s eines M i t e r l e b e n s kann also n i c h t auf Mitbewußtsein o d e r s a c h g e d a n k l i ches B e w u ß t s e i n geschlossen werden. Im E r g e b n i s ist deshalb in j e d e m E i n z e l f a l l zu p r ü f e n , o b die psychischen A k t i o n e n und R e a k t i o n e n des T ä t e r s die B e w u ß t s e i n s e b e n e e r r e i c h t haben. E i n e zumindest bildhafte ( n i c h t : b e g r i f f l i c h e ) aktuelle V o r s t e l l u n g ist de lege lata u n v e r z i c h t b a r . P s y c h o l o g i s c h e R e g e l n , die bei allen subjektiv-selbstverständlic h e n und subjektiv-wichtigen G e g e b e n h e i t e n einen S c h l u ß a u f ein Bewußtsein zulassen, sind bislang nicht a u s z u m a c h e n . E r s t r e c h t fehlt es an e i n e r R e g e l , w o n a c h das E n semble der T a t b e s t a n d s m e r k m a l e auch f ü r j e d e n T ä t e r selbstverständlich z u s a m m e n g e hört. Beispiel: D a ß die tatbestandlich relevanten E i g e n s c h a f t e n d e r O p f e r bei den D e likten g e g e n die sexuelle Selbstbestimmung (etwa das A l t e r bei § 1 8 0 S t G B ) stets m i t b e w u ß t seien, w e n n sie i r g e n d w a n n e r f a h r e n w u r d e n 2 2 a , ist eine doppelte F i k t i o n : W e d e r ist alles E r l e b t e b e w u ß t , n o c h g e h ö r e n solche E i g e n s c h a f t e n z w i n g e n d z u m individuellen E r l e b n i s z u s a m m e n h a n g des T ä t e r s .

13

4. U m s t r i t t e n ist a u c h die M ö g l i c h k e i t eines V o r s a t z e s bei T a t e n im h o c h g r a d i g e n Affekt (auch im h o c h g r a d i g e n R a u s c h ) . D e r Besonnenheitsverlust k a n n G r u n d d a f ü r sein, d a ß der T ä t e r die T a t b e s t a n d s v e r w i r k l i c h u n g nicht k e n n t 2 3 . I n s b e s o n d e r e m a g das Erlebnisfeld des T ä t e r s im A f f e k t so verengt sein, d a ß n o r m a l e r w e i s e im Erlebnis integrierte U m s t ä n d e nicht m e h r erfaßt, n o c h w e n i g e r a b e r b e w u ß t w e r d e n . V o n p s y c h o l o g i s c h e r und psychiatrischer Seite wird j e d o c h ü b e r h a u p t bestritten, d a ß das juristische „ B e g r i f f s s y s t e m " die „psychologische W i r k l i c h k e i t " a d ä q u a t erfassen k ö n n e 2 4 ; und z w a r soll das V o r v e r h a l t e n h o c h g r a d i g affektiven H a n d e l n s bis in die T a t a u s f ü h r u n g hinein häufig ein ambivalentes Bild e r g e b e n , bei dem sich tatfinale und retardierende G e s t a l t e n g e g e n ü b e r s t e h e n , so d a ß die B e s t i m m u n g der Z i e l r i c h t u n g (hin zu einer T a t o d e r nicht) davon a b h ä n g t , w e l c h e V e r h a l t e n s t e i l e m a n jeweils z u s a m m e n f a ß t 2 5 . R a d i kaler n o c h wird behauptet, daß einem ä u ß e r e n Finalstrang, so e r vorliegt, innere V o r g ä n g e , wie W i l l e und E n t s c h l u ß nicht n o t w e n d i g e n t s p r e c h e n 2 6 ; diese K r i t i k zielt d a r auf, den V o r s a t z überhaupt durch die ä u ß e r e Finalität zu e r s e t z e n (siehe schon o b e n z u m H a n d l u n g s b e g r i f f 6 / 1 8 ) . — D a § 16 S t G B auf die K e n n t n i s des T ä t e r s als a u f ein psychisches F a k t u m abstellt, ist — wie s o e b e n dargelegt w u r d e — Mindestvoraussetz u n g , d a ß der T ä t e r ein Bild davon hat, mit w e l c h e n F o l g e n er agiert. F e h l t es d a r a n , so scheidet de lege lata V o r s a t z a u s 2 7 . A n s o n s t e n aber k a n n es bei dem Bild auch sein B e 21 Schewe Bewußtsein S. 114 f, 120 ff, 126. 2 2 Die überwiegende Ansicht folgt den beiden erstgenannten Lösungen: Platzgummer, Scbmidbäuser, Roxin jeweils aaO; siehe ferner SK-Rudolphi § 16 Rdn. 24 f; LK-Schröder § 16 Rdn. 99; Stratenwerth AT Rdn. 64; Baumann AT § 26 II 3; Schönke-Schröder-Cramer §15 Rdn. 50 ff; Dreher-Tröndle § 15 Rdn. 3. — Ein Beispiel für die Überdehnung des Mitbewußten: BayObLG NJW 1977 S. 1974 f; zu dieser Entscheidung kritisch Köhler GA 1981 S. 285 ff, 296 ff. 2 2 3 So Stratenwerth, Platzgummer aaO u. a. m.

216

BGH 6 S. 329 ff, 332 f bezüglich der Heimtücke bei Mord; 11 S. 139 ff, 144; BGH GA 1975 S. 306 ff. 24 Rasch in: Ponsold S. 55 ff, 69; Schewe LangeFestschrift S. 687 ff, 698 , 700. 2 5 Rasch Tötung des Intimpartners S. 58 ff und passim. 2 6 Schewe Reflexbewegung S. 106 ff, 107. 27 Zu pauschal — als gebe es keinen affektbedingten Irrtum — deshalb Bockelmann Radbruch-Gedächtnisschrift S. 252 ff, 255 f; Welzel Vom Bleibenden S. 19 f mit Fn. 45: „Man sieht nur noch ,rot', aber man sieht!" 23

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. Abschn

wenden haben: Ein Wollen, Entschließen etc., also eine subjektiv erlebte Zielrichtung, ist dem Vorsatz nicht wesentlich 28 . 5. Auch eine automatisierte Handlung (oben 6 / 3 5 ff) kann vorsätzlich vollzogen 1 4 werden, seil, wenn sie nicht nur Handlung, sondern bewußte Aktion ist 29 . Beispiel: Jemand geht zur Provokation über einen gesperrten Weg; — die Gehbewegungen sind automatisiert, aber geschehen bewußt.

III. Die Gestalten des Vorsatzes Literatur G.Arzt Leichtfertigkeit und recklessness, Schröder-Gedächtnisschrift S. 119 f f ; J. Ambrosius Untersuchungen zur Vorsatzabgrenzung, 1966; P. Bockelmann Anmerkung zu B G H 4 S. 107 ff, JZ 1956 S. 698 f f ; ders. Z u r Auslegung des § 164 Abs. 5 StGB, N J W 1959 S. 1849 f f ; den. Strafrecht des Arztes, 1968; P. Cramer Anmerkung zu BayObLG J Z 1968, S. 29 ff, a a O S. 30 f f ; K. Engisch Untersuchungen über Vorsatz und Fahrlässigkeit im Strafrecht, 1930; ders. Anmerkung zu B G H 7 S. 363 ff, N J W 1955 S. 1688 f; Ο. A. Germann Vorsatzprobleme, dargestellt auf Grund kritischer Analyse der neueren Judikatur des Schweizerischen Bundesgerichtes, SchwZStr. 77 (1961) S. 345 ff; E. Göhler Das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch, N J W 1974 S. 825 ff; G. Grünwald D e r Vorsatz des Unterlassungsdelikts, H . Mayer-Festschrift S. 28 I f f ; F. Haft Die Lehre vom bedingten Vorsatz unter besonderer Berücksichtigung des wirtschaftlichen Betrugs, ZStW 88 S. 365 ff; R. D. Herzberg Die Problematik der „besonderen persönlichen Merkmale" im Strafrecht, ZStW 88 S. 68 ff; R. v. Hippel Die G r e n z e von Vorsatz und Fahrlässigkeit. Eine dogmatische Studie, 1903; ders. Vorsatz, Fahrlässigkeit, Irrtum, V D A T Bd. III S. 373 f f ; R. M. Honig Zur gesetzlichen Regelung des bedingten Vorsatzes, GA 1973 S. 257 f f ; G. Jakobs Die Konkurrenz von Tötungsdelikten mit Körperverletzungsdelikten, 1967; ders. Studien zum fahrlässigen Erfolgsdelikt, 1972; ders. Das Fahrlässigkeitsdelikt, Beiheft Z S t W 1974 S. 6 ff; ders. Nötigung durch D r o h u n g als Freiheitsdelikt, Peters-Festschrift S. 69 f f ; ders. Die subjektive T a t seite von Erfolgsdelikten bei Risikogewöhnung, Bruns-Festschrift S. 31 ff; H.-H. Jescheck Aufbau und Stellung des bedingten Vorsatzes im Verbrechensbegriff, E. Wolf-Festschrift S. 473 ff; Armin Kaufmann Der dolus eventualis im Deliktsaufbau. Die Auswirkungen der Handlungs- und der Schuldlehre auf die Vorsatzgrenze, ZStW 70 S. 64 ff; M. Köhler Anmerkungen zu B G H J Z 1981 S. 35, aaO S. 35 ff; H. Krauth, W. Kurfess und H. Wulf Zur Reform des Staatsschutz-Strafrechts durch das Achte Strafrechtsänderungsgesetz, J Z 1968 S. 577 ff; W. Lacmann Über die Abgrenzung des Vorsatzbegriffes, GA Bd. 58 (1911) S. 109 f f ; ders. Die Abgrenzung der Schuldformen in der Rechtslehre und im Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch, Z S t W 31 S. 142 f f ; Th. Lenckner Zum Begriff der Täuschungsabsicht in § 2 6 7 StGB, N J W 1967 S. 1890 f f ; D. W. Morkel Abgrenzung zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger Straftat, N S t Z 1981 S. 177 f f ; D. Oehler N e u e strafrechtliche Probleme des Absichtsbegriffs, N J W 1966 S. 1633 f f ; H. Otto Anmerkung zu B G H N J W 1979 S. 1512, a a O S. 2414 f; L. Philipps Dolus eventualis als Problem der Entscheidung unter Risiko, ZStW 85 S. 27 f f ; A. Ross Über den Vorsatz, 1979; C. Roxin Zur Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewußter Fahrlässigkeit — BGHSt. 7, 363, J u S 1964 S. 53 ff; E. Schmidhäuser Zum Begriff der bewußten Fahrlässigkeit, GA 1957 S. 305 f f ; ders. D e r Begriff des bedingten Vorsatzes in der neuesten Rechtsprechung des B G H und in § 16 Komm.Entw. StGB Allg. Teil 1958, GA 1958 S. 161 f f ; ders. Über Aktualität und Potentialität des Unrechtsbewußtseins, H.Mayer-Festschrift S. 317 f f ; ders. Die Grenze zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger Straftat („dolus eventualis" und „bewußte Fahrlässigkeit"), J u S 1980 S. 241 f f ; K. Schmoller Das voluntative Vorsatzelement, Ö J Z 1982 S. 259 ff, 281 f f ; E. Schneider Über die Behandlung des alternativen Vorsatzes, GA 1956 S. 257 f f ; F. C. Schroeder D e r Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht. Eine systematische Darstellung, entwickelt aus Rechtsgeschichte

28

Ähnlich Krümpelmann S. 327 ff, 338; Ambrosius S. 71 ff, 73; — eine Lösung wußtsein versucht Platzgummer S. 92 f; — z u r älteren Literatur

Welzel-Festschrift Untersuchungen über das MitbeBewußtseinsform und z u r Regelung

29

im StGB der D D R siehe LK-Schroeder $ 16 R d n . 107 ff. Siehe die Literatur oben zu 6 / 3 5 ff und z u d e m Jescheck Eb. Schmidt-Festschrift S. 139 ff, 148; LKSchroeder % 16 R d n . 110.

217

8. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

und Rechtsvergleichung, 1970; H. Schröder Aufbau und Grenzen des Vorsatzbegriffs, Sauer-Festschrift S. 207 ff; G. Stratenwerth Dolus eventualis und bewußte Fahrlässigkeit, ZStW 71 S. 51 ff; E.A. Wolff Die Grenzen des dolus eventualis und der willentlichen Verletzung, Gallas-Festschrift S. 197 ff; /. Wolter Alternative und eindeutige Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage im Strafrecht. Zugleich ein Beitrag zur Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit, 1972; Th. Weigend Zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit, ZStW 93 S. 657 ff; H. Welzel Vorteilsabsicht beim Betrug, NJW 1962 S. 20 ff.

A. Der Vorsatz bei Hauptfolgen 15

1. Die subjektive Beziehung des Täters zu den Hauptfolgen heißt Absicht (auch: dolus directus ersten Grads, unmittelbarer Vorsatz). Der positive Bezug zur Antriebsseite besteht darin, daß der Täter der Hauptfolgen wegen handelt und in diesem Sinn die Folgen will. Des Endziels seines Wollens wird er sich dabei selten bewußt sein (Erzielung von Glück?). Das ist aber auch nicht erforderlich; um Hauptfolgen geht es vielmehr bei allen Tatbestandsverwirklichungen, die der Täter um ihrer selbst willen oder ihrer erwarteten Wirkungen wegen will 30 . Hauptfolgen können also auch solche Folgen sein, die der Täter nur „schweren Herzens" will, weil er nach seiner Vorstellung anders als durch diese Folgen nicht an sein Ziel kommt 3 1 . Hauptfolgen sind aber nicht mehr diejenigen Ereignisse, die nach der Vorstellung des Täters nicht nötig sind, um das Handlungsziel zu erreichen, mögen sie auch, so der Täter handelt, unvermeidbar sein 32 . Der Eintritt einer Nebenfolge kann dem Täter sogar gelegen kommen; solange der Täter nicht der Folge wegen handelt, bleibt sie trotzdem Nebenfolge 3 3 . Beispiel: Wer auf einer Dienstreise aus Sicherheitsgründen fliegen muß, aber vorschriftswidrig mit dem Auto reist und bei der Reisekostenabrechnung die höheren Flugkosten angibt, um nicht disziplinarrechtlich belangt zu werden, hat keine Bereicherungsabsicht, da er nicht des finanziellen Vorteils wegen täuscht, mag ihm dieser auch eine willkommene Beigabe sein 34 . — Der Täter kann auch zugleich mehrerer Folgen wegen handeln; sie sind dann alle beabsichtigt (die Folgen können sich dabei gegenseitig sogar ausschließen, siehe unten zum dolus alternativus 8/33). Beispiel zur Abgrenzung von Hauptfolgen und Nebenfolgen: Um den Eltern die Versicherungssumme für ein überversichertes altes Haus zuzuschanzen (Hauptfolge), steckt es der Täter schweren Herzens, denn er verbindet mit dem Haus angenehme Kindheitserinnerungen, in Brand (Hauptfolge, die ihrer Wirkungen wegen gewollt ist), wobei er erkennt, daß das — nicht versicherte — Mobiliar der Eltern mit verbrennen wird, was ihn freut, soweit ihn das Zeug schon längere Zeit ärgert (Nebenfolge, die zwar erwünscht ist, aber nicht Handlungsgrund), ihm aber unlieb ist, soweit es sich um wertvolle Antiquitäten handelt (Nebenfolge). Wäre das Mobiliar auch versichert und Engisch Untersuchungen S. 144 und passim; Germann SchwZStr. 77 (1961) S. 345 ff, 353; Bockelmann J Z 1956 S. 698 ff, 699 . 31 B G H 21 S. 283 ff, 284 f; Dehler N J W 1966 S. 1633 ff, 1636; LK-Schroeder § 16 Rdn. 77. 32 Verfehlt also B G H 4 S. 107 ff, 110 (der Entscheidung zustimmend Bockelmann J Z 1956 S. 698 ff, 699; Jescheck A T § 29 III 1 a ; LK-Schroeder § 16 Rdn. 80), wonach ein T a x i f a h r e r , der des tariflichen Entgelts wegen Diebe nebst Beute transportiert, Begünstigungsabsicht haben soll; — die Vorteilssicherung ist eine Folge des Fahrens, die das Handeln des Fahrers nicht bedingt; denn dieser erhält das Entgelt f ü r die — beabsichtigte! — Fahrt; wie hier Oehler N J W 1966 S. 1633 ff, 1638.

218

33 Welzel N J W 1962 S. 20 ff, 22; LK-Schroeder § 16 Rdn. 77. 34 Im Ergebnis ebenso K G N J W 1957 S. 882 f. Im Fall B G H 16 S. 1 ff täuscht der T ä t e r , der keine Fahrkarte besitzt, bei der Eingangskontrolle der Bahn und bei der Ausgangskontrolle, weil er am Ankunftsort einen Kurs besuchen will und befürchtet, bei wahrheitsgemäßen Angaben viel Zeit zu verlieren und dann den Kurs zu versäumen, Die T ä u s c h u n g am A n k u n f t s o r t geschieht nicht der Bereicherung, sondern der Zeitersparnis wegen; die T ä u s c h u n g am Abfahrtsort geschieht jedoch auch z u r Erlangung des Transports durch die Bahn, und diese Dienstleistung ist ein V e r m ö genswert; das übersieht wohl Jescheck A T § 29 III 1 a.

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. Abschn

handelte der Täter auch dieser Summe wegen, so wäre auch die Vernichtung des Mobiliars Hauptfolge. 2. Daß eine Folge gewollt ist oder nicht, darf nicht zu der Annahme verleiten, es 16 gehe allein um die Beziehung zwischen Antriebsseite und einer naturalistisch beschreibbaren Veränderung. Vielmehr ist die Folge stets durch den tatbestandlichen Kontext spezifiziert, in dem sie steht. Diese Situationsbeschreibungen (Tätermerkmale, Objektund Mittelspezifizierungen) gehören zur Folge dazu. Die Verkennung dieses Umstands hat zu der Annahme geführt, die Situationsbeschreibungen bestünden neben der Tathandlung und könnten nicht gewollt werden, da sie vom Täter nicht bewirkt werden; auf sie bezogen könne der Vorsatz stets nur durch die Beziehung zur intellektuellen Seite gekennzeichnet werden 3 5 . Diese Ansicht löst die Situationsbeschreibungen aus dem Handlungszusammenhang, als sei die Situation ein unabhängig von der Handlung des Täters bestandskräftiger Tatbestandsteil. Jedoch sind die Situationsbeschreibungen überhaupt nur in Verbindung mit einer Täterhandlung Teil eines Tatbestands. In dieser Verbindung werden sie dann auch Gegenstand des Vorsatzes; denn der Täter hat nicht die Freiheit, eine Folge ohne die dazugehörige Situationsbeschreibung zu wollen: Dann will er die Tatbestandsverwirklichung nicht, und Absicht scheidet überhaupt aus 36 . Beispiel: Zerstört ein Täter, etwa um Aufmerksamkeit zu erregen, die nächste ihm erreichbare Sache und ist diese gerade eine fremde Sache, so könnte man zwar das Zerstören als beabsichtigt, das Fremdsein hingegen als bloßen Nebenumstand bezeichnen; dies wäre jedoch auf eine nicht tatbestandsmäßige Handlung bezogen und deshalb rechtlich unverbindlich. Das Zerstören einer fremden Sache (so der Tatbestand des § 303 StGB) ist nicht beabsichtigt. Im Ergebnis muß die Folge also als etwas begriffen werden, das die Situationsbeschreibung umfaßt. 3. Der positive Bezug zur Vorstellungsseite besteht in der Erkenntnis des Täters, daß 17 der Eintritt des Gewollten nicht unwahrscheinlich ist. N u r dieser Vorstellung wegen ist das Gewollte überhaupt mehr als nur ohnmächtig erwünscht oder erhofft, seil, tatmächtig erstrebt. Die Grenze zwischen dem Nicht-Unwahrscheinlichen und dem gewiß Eintretenden ist nur quantitativ und spielt für die Absicht keine Rolle 3 7 : Der Grad der vom Täter angenommenen Wahrscheinlichkeit ist gleichgültig. Es gibt also eine mit Gewißheit verbundene Absicht (Wissentlichkeit bei Hauptfolgen) und eine Absicht bei Ungewißheit über die Tatbestandsverwirklichung. Die Grenze zwischen dem Nicht-Unwahrscheinlichen und dem Unwahrscheinlichen hat bei der Absicht eine (a) subjektive und (b) objektive Bestimmung, (a) N u r wenn das Risiko der Tatbestandsverwirklichung für den individuellen Täter von entscheidungsrelevanter Dichte ist, kann er überhaupt der Folge wegen handeln. Beispiel: Wer einem Schuß auf weite Entfernung keine entscheidungsrelevante Erfolgschance zumißt, kann sich nicht dazu motivieren, des Erfolgs wegen zu schießen, (b) Sind für den individuellen Täter Risiken von rechtlich nicht mehr relevanter Dichte noch entscheidungsrelevant, so bleibt sein Handeln trotzdem im Rahmen des erlaubten Risikos.

B. Der Vorsatz bei Nebenfolgen 1. Wissentlichkeit bei Nebenfolgen a) Soweit der Täter prognostiziert, die Tatbestandsverwirklichung werde sich gewiß 18 ereignen, geht es um die Wissentlichkeit (auch: dolus directus zweiten Grads). Dieser 35 Jescheck A T § 29 III 1 a; Schönke-Scbröder-Cramer § 15 Rdn. 65. 36 LK-Scbroeder § 1 6 Rdn. 78; Engisch Untersuchungen S. 146 f.

37 B G H 21 S. 283 ff, 284 f; anders B G H 16 S. 1 ff, 5, w o n a c h bei ungewissem Erfolgseintritt Absicht ausscheiden soll; dagegen zutreffend Welze! N J W 1962 S. 20 ff.

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8. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

V o r s a t z ist dadurch gekennzeichnet, daß sich der T ä t e r intellektuell voll von der V e r meidung der Tatbestandsverwirklichung gelöst hat: Er will z w a r nicht die Tatbestandsverwirklichung, aber erkennt, daß deren V e r m e i d u n g mit seinem Wollen unverträglich ist. Die Lösung von der Vermeidung kann einmal so erfolgen, daß der T ä t e r den tatbestandsmäßigen Erfolg als mit dem gewollten Handlungsvollzug zwingend v e r k n ü p f t sieht; dann ist der Erfolg, so der T ä t e r handelt, f ü r ihn überhaupt gewiß (Wissentlichkeit im engeren Sinn). Beispiel: D e r T ä t e r läßt z u r Erlangung der Versicherungssumme ein falsch deklariertes und hoch versichertes Faß mit Sprengstoff und Zeitzünder auf ein Schiff bringen, wobei er davon ausgeht, daß bei der auf h o h e r See erfolgenden Explosion auch die Schiffsmannschaft unrettbar verloren ist; — wissentliche T ö t u n g der Menschen 3 8 . Die Lösung von der Vermeidung erfolgt aber auch, w e n n der T ä t e r den Erfolg als mit einer Hauptfolge gewiß verknüpft sieht, deren Eintritt ungewiß sein m a g (Wissentlichkeit im weiteren Sinn). D a n n ist der Erfolg zwar nicht gewiß, so der T ä t e r handelt, wohl aber, so sich das von ihm Gewollte verwirklicht 3 9 . W e n n also im soeben genannten Beispiel der T ä t e r nicht sicher weiß, ob das Faß explodieren wird, f ü r den Fall der gewollten Explosion jedoch den T o d der Menschen f ü r sicher hält, liegt trotzdem eine im weiteren Sinn wissentliche T ö t u n g vor. Jedenfalls erkennt der T ä t e r , daß die von ihm angestrebte Weltgestaltung und ein Ausbleiben der Tatbestandsverwirklichung nicht zusammen bestehen können. 19

b) Mit dem Erfordernis der Gewißheit ist nicht gemeint, der T ä t e r müsse das Ausbleiben des Erfolgseintritts f ü r schlechthin ausgeschlossen halten; es reicht, daß die Möglichkeit des Ausbleibens nicht von entscheidungsrelevanter Dichte ist 40 . Die so bestimmte Gewißheit ist von der Höchstwahrscheinlichkeit zu t r e n n e n : Letztere beläßt eine Restunsicherheit, die im Grenzfall einer Entscheidung den Ausschlag geben kann, erstere nicht 4 1 .

20

c) D a ß der T ä t e r bei beurteilter Gewißheit keine Möglichkeit hat, sich durch eine emotionale Einstellung in einer den Vorsatz hindernden Weise von dem Erfolg zu distanzieren, entspricht bei der Wissentlichkeit — im Gegensatz z u m dolus eventualis — allgemeiner Ansicht. O b der T ä t e r also die Tatbestandsverwirklichung „innerlich" (wo sonst?) billigt oder nicht etc. 4 2 , ist f ü r den V o r s a t z gleichgültig.

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a) Es geht nicht um einen bedingten Handlungswi/Zen (dazu unten zum Versuch 2 5 / 2 9 ff), sondern um die Erkenntnis des Täters, d a ß eine N e b e n f o l g e sich selbst dann, w e n n alle H a u p t f o l g e n seines unbedingt gewollten H a n d e l n s eintreten, nur eventualiter verwirklicht (auch: dolus eventualisDie Entscheidung, was bei einer solchen Lage noch V o r s a t z und was schon Fahrlässigkeit ist, hat im Blick auf den Zweck der T r e n n u n g von V o r s a t z und Fahrlässigkeit zu erfolgen, also im Blick auf die Scheidung der leichter zu vermeidenden Erfolgsverursachung von der schwerer zu vermeidenden. Das ist in doppelter Hinsicht erklärungsbedürftig:

2. Bedingter Vorsatz

Z u m einen w u r d e schon oben zur Tatsachenblindheit ausgeführt, daß sich die Scheidung der Vermeidbarkeitsstufen nicht voll mit derjenigen zwischen dem weniger Belastenden und mehr Belastenden deckt, weil gerade das Fehlen eines genauen Ü b e r blicks über die Lage bei rechtswidrigem H a n d e l n je nach Fallgestaltung nur belastend 38

Fall T h o m a s ; S c h i l d e r u n g bei Binding Normen Bd. II (2) S. 851 m i t F n . 1. Welzel S t r a f r e c h t § 13 I 2 c α ; Stratenwerth AT R d n . 295. Ä h n l i c h R G 31 S. 211 f f , 2 1 7 ; LK-Schroeder % \b R d n . 8 3 ; Schönke-Schröder-Cramer§ 15 R d n . 66.

220

41

42

F ü r die E i n b e z i e h u n g d e r H ö c h s t w a h r s c h e i n l i c h keit a l l e r d i n g s Engisch U n t e r s u c h u n g e n S. 175 f f ; Jescheck A T § 29 I I I 2. So und ähnlich verbreitete Formeln z u m dolus eventualis, d a z u sogleich im T e x t .

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. Abschn

zu erklären sein mag. Das läßt sich auch beim dolus eventualis nicht ausgleichen. W e n n es bei der Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit um die Abstufung der Steuerbarkeit von Tatbestandsverwirklichungen geht, so entspricht dieser Abstufung nur ceteris paribus auch eine solche der Belastung des Täters. D . h. es ist völlig davon abzusehen, wie der T ä t e r in die Lage gekommen ist, die Folgen besser oder weniger gut steuern zu können; das mag jedenfalls einen belastenden oder einen entlastenden Grund haben 4 3 . — Deshalb ist es auch verfehlt, bei der Abgrenzung von V o r s a t z und Fahrlässigkeit darauf abzustellen, wie weit sich der T ä t e r in seiner Einstellung von der Vermeidung der Folge entfernt hat, also danach zu trennen, ob der T ä t e r den Folgeneintritt wenn nicht billigt, so doch gleichgültig hinnimmt oder aber ablehnt oder sogar bedauert. S o wenig solche Einstellungen — soweit sie überhaupt mehr als Floskeln, vielmehr praktisch möglich sind — bei der Wissentlichkeit eine Rolle spielen, so wenig beim dolus eventualis; denn solche Einstellungen haben mit der Steuerung nichts zu tun, sondern allenfalls mit den Gründen, von der Steuerungsmöglichkeit keinen G e brauch zu machen. Zudem können zwar die Gründe, aus denen ein T ä t e r sich von der Vermeidung subjektiv entfernt, den T ä t e r belasten, aber das muß nicht jedenfalls so sein; insbesondere fehlt es an einer Belastung im Fall der Rechtfertigung (wie ja auch die Tatsachenblindheit nur bei rechtswidrigem Verhalten belasten müßte); die Gründe geben also für die Abstufung der subjektiven Seite einer Handlung nichts her. Zum anderen ist die Leichtigkeit oder Schwierigkeit der Erfolgsvermeidung zu erläutern: Es geht nicht darum, ob der individuelle T ä t e r es subjektiv leicht oder schwer hat, sich zur Vermeidung umzumotivieren. W ä r e dem so, dann handelte der Absichtstäter um so stärker im Zustand erschwerter Vermeidbarkeit, je mehr ihm die H a n d lungsfolgen erwünscht sind. Vielmehr kommt es — wie schon zum Handlungsbegriff ausgeführt wurde — darauf an, wie leicht oder wie schwer ein als dominant unterstelltes Motiv zur Vermeidung der Tatbestandsverwirklichung sich auswirken würde. b aa) Bei dieser Lage hängt die Leichtigkeit oder Schwierigkeit, eine wirklich (Voll- 2 2 endung) oder vermeintlich (Versuch) erfolgende Tatbestandsverwirklichung zu vermeiden, einzig von der Genauigkeit ab, mit welcher der T ä t e r die Situation und die zu erwartenden Folgen (vermeintlich) überblickt. W e n n ihm bekannt ist, daß die V e r b i n dung zwischen Handlung und Folge nicht unwahrscheinlich ist, so ergibt sich für ihn bei einem dominanten Vermeidemotiv ohne weiteres Nachdenken die Notwendigkeit, die Handlung zu unterlassen, während ein T ä t e r , dem die Verbindung zwischen Handlung und Folge nicht bekannt ist, den Sinn des Unterlassens bezweifeln k a n n 4 4 . D a ß es darauf ankommt, was der T ä t e r von der Situation und vom Verlauf kennt oder zu kennen glaubt, und daß diese (vermeintliche) Kenntnis eine intellektuelle Leistung ist, hat der auf die Kenntnis zentrierten Lösung die Bezeichnung einer intellektu43

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Zur Methode der Trennung von Vorsatz und Fahrlässigkeit eingehend Jakobs Studien S. 106 ff; Armin Kaufmann ZStW 70 S. 64 ff, 66 ff. Es ist vorgeschlagen worden, die Zweiteilung Vorsatz —Fahrlässigkeit durch eine Dreiteilung Vorsatz —„Leichtfertigkeit" (im Sinn von recklessness)—Fahrlässigkeit zu ersetzen und die Fälle des konkreten Gefährdungsbewußtseins ohne sicheres Verletzungswissen und ohne Verletzungsabsicht der mittleren Position zuzuschlagen ( W a g e n d ZStW 93 S. 657 ff, 687 ff). Das bringt freilich — allenfalls abgesehen vom Bereich der Kenntnis minimaler Risiken — keinen Gewinn: Zur Differenzierung zwischen der Kennt-

nis eines massiven Risikos (noch „Leichtfertigkeit") und Sicherheit besteht axiologisch kein Grund. Überhaupt läßt sich — wegen des Fehlens einer zwingenden Relation zwischen psychischem Befund einerseits und andererseits Bewertung der Psyche — durch weitere Differenzierung innerhalb des Befunds keine axiologisch stimmende Differenzierung des Zurechnungsmaßes erreichen. De lege ferenda dürfte eine Normativierung des Vorsatzbegriffs der Erreichung dieses Ziels eher dienen (zu einer Aktivierung der recklessness in diesem Sinn Arzt Schröder-Gedächtnisschrift S. 119 ff, 142 f).

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8. A b s c h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

eilen T h e o r i e eingetragen 4 5 , was aber nicht darüber hinwegtäuschen darf, daß die Bedingungen des Erkenntnisakts nicht nur intellektueller Art sind. Kraß: W e m restlos jede Lust z u m N a c h d e n k e n fehlt und w e r auch nicht z u m N a c h d e n k e n g e z w u n g e n wird, denkt nicht nach und erkennt deshalb nichts jenseits dessen, w a s s o w i e s o vor seinem A u g e steht. D i e intellektuelle T h e o r i e darf deshalb nicht dahin verstanden werden, V o r s a t z sei eine überhaupt nur v o m Intellekt abhängige psychische Lage 4 6 . 23

bb) Immerhin ist das Produkt mannigfacher psychischer R e g u n g e n , auf das es ankommt, intellektueller Art: Es geht um die Kenntnis, daß die Tatbestandsverwirklichung nicht unwahrscheinlich ist. Bei dieser Kenntnis muß es sich um ein für den Täter gültiges Urteil handeln; ein bloßes D e n k e n an die Möglichkeit des Erfolgs reicht nicht aus; denn nur bei einer Kenntnis, die den Täter nach gültiger Erfahrung und nicht spekulativ oder aus vermeintlicher Überängstlichkeit als Urheber des Erfolgs ausweist, könnte das V e r m e i d e m o t i v unvermittelt, d. h. o h n e N o t w e n d i g k e i t weiteren N a c h d e n kens wirken. W e r sich also z w i s c h e n einer Gefahrenvorstellung und der Erwartung, die H a n d l u n g werde f o l g e n l o s ausgehen, nicht entschieden hat, hat auch nicht geurteilt, der Erfolg sei nicht unwahrscheinlich. Freilich ist z u m Urteil nicht erforderlich, daß der Täter es als unabänderlich fällt; der Täter m a g wissen, daß sich sein Kenntnisstand wie auch die M a x i m e n der Verarbeitung des Stands ändern k ö n n e n ; relevant ist der im Handlungszeitpunkt für den Täter gültige Stand. Bedingter Vorsatz liegt also vor, wenn der Täter zum Handlungszeitpunkt urteilt, die Tatbestandsverwirklichung sei als Folge der Handlung nicht unwahrscheinlich (zum Grad der Wahrscheinlichkeit 4 7 siehe unten 8 / 3 0 ff). Ein bloßes D a r a n - D e n k e n ohne Urteilsqualität m a g man bewußte Fahrlässigkeit nennen; zu beachten ist hierbei aber, daß das Bewußtsein bei dieser Fahrlässigkeit schon nach seinem Inhalt nicht der z u m V o r s a t z g e h ö r e n d e n Folgenkenntnis entspricht. Beispiele: W e r auf Grund einer W e t t e versucht, eine Glaskugel aus der H a n d eines M e n s c h e n 4 8 zu schießen, hat bedingten Körperverletzungsvorsatz, w e n n er erkennt, 45

Wie hier schon Jakobs Studien S. 117 ff; im Ergebnis hauptsächlich wie hier, teils freilich mit vorsatztheoretischer Begründung, wird diese T h e o r i e vertreten von Schröder Sauer-Festschrift S. 207 ff; Schmidhäuser GA 1957 S. 305 ff; den. GA 1958 S. 161 ff, 165; ders. J u S 1980 S. 241 ff; den. A T 10/32 ff, 51; den. Studienbuch 7/36 f f ; Grünwald H . M a y e r - F e s t s c h r i f t S. 281 ff, 288; Otto A T § 7 III 3 b ; ders. N J W 1979 S. 2414 f; Schmoller Ö J Z 1982 S. 259 ff, 281 ff, 285; der Sache nach auch B G H 7 S. 363 f f ; B G H N J W 1979 S. 1512; B G H J Z 1981 S. 35 mit Anmerkung Köhler a a O S. 35 f f ; B G H V R S 63 S. 119; weitere Nachweise der Rechtsprechung bei Honig G A 1973 S. 257 ff. 46 Weigend ZStW 93 S. 657 ff, 669 f. — Damit dürften sich die Bedenken bei Stratenwerth AT Rdn. 306 erledigen: D a ß stets ein Erkenntnisprozeß zum Ende kommt, wird von der Theorie nicht behauptet.

niger als überwiegende Wahrscheinlichkeit sein soll. — Das ist zu unbestimmt, um im Einzelfall eine Entscheidungsmaxime ergeben zu können (1 Prozent, 20 Prozent?) und paßt überhaupt nicht bei im einzelnen recht geringen, summiert aber beachtlichen Wahrscheinlichkeiten. Beispiel: Wenn der T ä t e r sämtliche Schüler einer großen Schule gleichzeitig am Badestrand unbeaufsichtigt läßt und dann der T o d eines Kindes wahrscheinlieh ist, kann bei sukzessiver Vernachlässigung der Aufsicht in tausend Fällen der T o d nicht unwahrscheinlich sein; wenn die Wahrscheinlichkeitstheorie jedoch Risiken bis hinab zur — je nach dem Gewicht des gefährdeten Guts schwankenden — G r e n z e der Entscheidungserheblichkeit abdeckt, wird sie mit der intellektuellen Theorie identisch (zur Kritik der Wahrscheinlichkeitstheorie eingehend Engisch Untersuchungen S. 209 ff). — Der richtige Kern der Wahrscheinlichkeitstheorie liegt in ihrer W e n d u n g gegen die

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Einstellungstheorien: Diese vernachlässigen die Steuerung zugunsten einer Gesinnung (H. Mayer A T aaO). Eines von Lacmann in die Diskussion eingebrachten „Schießbudenfräuleins"; Lacmann GA Bd. 58 (1911) S. 109 ff, 119; ders. Z S t W 31 S. 142 ff, 159.

N a c h der Wahrscheinlichkeitstheorie (H.Mayer A T § 38 V 2 b ; ders. Studienbuch § 27 IV 2 ; auch der Lösungsvorschlag bei Haft Z S t W 88 S. 365 ff, 385 ff ist eine durch einige Differenzierungen verbrämte Wiederholung der Wahrscheinlichkeitstheorie) liegt bedingter V o r s a t z bei der V o r a u s sieht als wahrscheinlich vor, wobei die W a h r scheinlichkeit mehr als bloße Möglichkeit und we-

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Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. AbSChn

daß das Unternehmen mit einer Verletzung des Menschen ausgehen kann; irgendwelcher weiterer seelischer Vorgänge oder Zustände bedarf es nicht, und das Bemühen um eine Vermeidung des Erfolgs (und des Verlustes der Wette) reicht für sich nicht zur Hinderung des Vorsatzes. Bleibt die Kenntnis aus, weil der Täter aus Zeitmangel, Leichtfertigkeit, Gleichgültigkeit oder Angst die Konsequenz nicht bedenkt und das sich Aufdrängende verdrängt, liegt kein Vorsatz vor. Beispiel: Drosselt der Täter sein Opfer mit einem Lederriemen, nachdem ein weniger gefährliches Mittel zur Betäubung fehlgeschlagen ist und nachdem er das Drosseln wegen seiner Gefährlichkeit zunächst unterlassen hat, und erstickt das Opfer wegen des Drosseins, so hat der Täter nur Vorsatz, wenn er sich — wie regelmäßig zu erwarten ist — die vor der Tat erkannte Tödlichkeit der Drosselmethode beim Rückgriff auf den Lederriemen nach dem Fehlschlag des weniger gefährlichen Mittels wieder vergegenwärtigt49. cc) Als Konsequenz dieser Lösung werden auch solche Handlungsfolgen vorsätz- 2 4 lieh herbeigeführt, die der Täter zu vermeiden strebt, bei denen er aber erkennt, daß ein Fehlschlag seines Vermeidungsbemühens nicht unwahrscheinlich ist. Insbesondere ist auch der Fehlschlag einer erkanntermaßen riskanten ärztlichen Operation vom Vorsatz umfaßt50. Die Gegenansicht51 verwechselt nicht nur den Tatvorsatz mit einem dolus malus, sondern verwischt auch den Ernst der Entscheidung, die ansteht: Wenn eine Handlung Leben wie Tod bringen kann, ist dem betroffenen Gut nicht mit gutem Willen gedient52, sondern nur mit der Wahrung des überwiegenden Interesses (Rechtfertigung) 53 · c) Der hier entwickelten Beschreibung des bedingten Vorsatzes stehen Ansichten 2 5 nahe, nach denen bedingter Vorsatz vorliegt, wenn sich der Täter mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet54 (in diesem Sinn auch teils: sie in Kauf nimmt) oder sie aber ernst nimmt55 oder mit ihr rechnet und nicht auf ihr Ausbleiben vertraut56. Die Diffe49

B G H 7 S. 363 ff, 369 mit A n m e r k u n g Engisch N J W 1955 S. 1688 f. Welzel Strafrecht § 13 I 2 c β ßß (S. 70); Schmidhäuser A T 10/94 mit Fn. 67; ders. CA 1957 S. 305 ff, 307; weitere Nachweise bei Wolter Alternative und eindeutige Verurteilung S. 178 Fn. 164. 51 Dreher Niederschriften Bd. X I I S. 104; MaurachZipf A T I 5 22 III Β 3; Bockelmann Strafrecht des Arztes S. 70 f ; Jescheck E.Wolf-Festschrift S. 473 ff, 483; LK-Schroeder 5 16 Rdn. 94 mit weiteren Nachweisen; wenig hilfreich der V o r schlag von Haft Z S t W 88 S. 365 ff, 389: „Der Arzt muß die ungünstige P r o g n o s e verdrängen". 52 Α. A. wohl LK-Schroeder § 16 Rdn. 94, der wegen der Irrtumskonsequenzen eine Rechtfertigung f ü r unangebracht hält, als sei im Konfliktfall der gute Wille per se auch der richtige. 53 N a c h Philipps Z S t W 85 S. 27 ff, 38 soll dolus eventualis vorliegen, „wenn der H a n d e l n d e sich bewußt f ü r ein Verhalten entscheidet, das mit einer in der Rechtsordnung geltenden Risikomaxime unverträglich ist". Diese Lösung ist ein Fortschritt gegenüber den Einstellungstheorien, da nicht eine subjektive Lage in ihrer Zufälligkeit über den V o r s a t z entscheidet, sondern ein — vordergründig — normatives Prinzip. Dieses Prinzip freilich ist nichts als eine — zugunsten des Täters vergröbernde (und recht unklar hypothetische Verläufe berücksichtigende, S. 41) — Vorweg50

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nähme von Rechtfertigungsprinzipien. So ist im Ergebnis auch kein Fall einer gerechtfertigten V o r s a t z t a t mehr d e n k b a r : D e r gerechtfertigte T ä ter verstößt nie gegen eine geltende Risikomaxime, und z w a r auch nicht bei direktem Vorsatz, Dieser gewaltige U m b a u der Dogmatik bringt jedenfalls keinen Ertrag an Rechtssicherheit; denn bei der praktisch wichtigsten Risikomaxime, dem erlaubten Risiko, differenziert Philipps zwischen der gesetzlichen Perspektive, die die Massenhaftigkeit des Geschehens erfaßt, und der individuellen Perspektive (S. 42 f), so daß die bloße bewußte Überschreitung des erlaubten Risikos nicht zum V o r s a t z hinreichen soll (inkonsequent f ü r Absieht, S. 40 Fn. 24). Es mischen sich also n o r m a tive und psychologisierend zu bestimmende Elemente in unklarer Weise. § 16 Ε 1962; Ambrosius Untersuchungen S. 70 und passim; Jescheck A T § 29 III 3 a; SK-Rudolphi § 16 Rdn. 43; Roxin J u S 1964 S. 53 ff, 61; so sind wohl auch die A u s f ü h r u n g e n gemeint bei Germann SchwZStr. 77 (1961) S. 345 ff, 376 f (der freilich von einer Einbeziehung in den Willensentschluß spricht, was nach der hier vertretenen Ansicht selbst f ü r die Wissentlichkeit nicht nur nicht erforderlich ist, sondern nicht einmal möglich wäre). Stratenwerth A T Rdn. 308; ders. Z S t W 71 S. 51 ff, 57 f, 64. Welzel Strafrecht § 13 I 2 c ß.

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8. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

renz zur hier vertretenen Ansicht liegt darin, daß diese Meinungen (obgleich sie gegen die hier vertretene Lehre den Vorwurf einer Überbetonung des Intellektuellen geläufig erheben!) die Rückwirkung von Leichtsinn, Verdrängung etc. auf die intellektuelle Seite unterschätzen und deshalb versuchen, die Ernsthaftigkeit des Urteils anderweitig zu beschreiben. Dies führt auch prompt zu Schwierigkeiten, wenn ein ernsthaftes Urteil vorhanden, aber keine weitere „Einstellung" zu ermitteln ist57. Diese Problemfälle dürften nicht nur seltene Ausnahmen sein; insbesondere beim gesamten Komplex gerechtfertigter Tatbestandsverwirklichung ist nicht einzusehen, wieso der Täter zur Tatbestandsverwirklichung irgendeine Stellung beziehen soll: Er weiß doch, daß er für die Verwirklichung des Tatbestands sowieso nicht haftet 58 . Die genannten Einstellungen dürften deshalb präziser in ihrem Rückbezug auf die intellektuelle Seite faßbar sein: Der Täter, der ernsthaft urteilt, kann nicht unabhängig davon über ein Sich-nicht-Abfinden, Nicht-Ernstnehmen o. ä. disponieren; es kann aber durch seine Einstellung die Entstehung eines ernsthaften Urteils gehindert sein oder ein entstandenes Urteil kann verdrängt werden; dann und nur dann fehlt dolus eventualis, und zwar weil schon ein ernsthaftes Urteil dahin fehlt, die Tatbestandsverwirklichung sei nicht unwahrscheinlich. 26 d aa) Im Gegensatz zu den bislang erörterten Lösungsvorschlägen, die sich alle noch als Versuche verstehen lassen, die bewußte Steuerung von der nicht mehr bewußten zu scheiden 59 , unternehmen es weitere Theorien, dem bedingten Vorsatz eine Einstellung zuzuordnen, die nicht mehr durch ihre Rückwirkung auf die Erkenntnis bestimmt werden kann. So soll die erkannte Verwirklichung eines Tatbestands nur dann vorsätzlich (und ansonsten bewußt fahrlässig) erfolgen, wenn der Täter das Geschehen billigt60 oder billigend in Kauf nimmt oder ihm gleichgültig 61 gegenübersteht. Auch abgesehen davon, daß stets nähere Angaben unterbleiben, wie diese Billigung etc. bei Nebenfolgen vor sich gehen soll, sind die Ergebnisse dieser Lösungsvorschläge nicht plausibel. Man stelle sich vor, daß eine Mehrzahl von Gütern gleicher Art (mehrere Menschen) in gleicher Weise durch eine einzige Handlung (das Anstecken eines Hauses, in dem sie sich befinden) verletzt werden, und daß der Täter die als gleich wahrscheinlich erkannten Verletzungen teils nicht billigt etc., weil ihm die Güter lieb sind, teils aber wohl, weil er zu den Gütern keine Beziehung hat: Weshalb an die wirkungslose und sich auch nicht sonst in der Tat objektivierende Einstellung eine Differenz im Maß der Absicherung der jeweiligen Erwartungen geknüpft werden soll, läßt sich nicht begründen". 27 bb) Diese Einstellungstheorien führen vollends zu Fiktionen, wenn die Einstellung mit Hilfe einer von Frank entwickelten Formel ermittelt wird. Frank: „Was in erster Linie bewiesen werden muß, ist, daß sich der Täter zum gesetzlichen Tatbestand gehö57

T r e f f e n d dargelegt bei Stratenwerth A T Rdn. 3 09. 5» D a r a n scheitert auch Gallas' Formulierung, es komme darauf an, o b der T ä t e r „die Kälte aufbringt, daß er ernstlich den Gedanken des Erfolgsrisikos besteht" (Niederschriften Bd. X I I S. 121); - bei Rechtfertigung ist nichts zu »beste-, hen". 5» Z u r T r e n n u n g der Lösungsvorschläge in solche, die auf die Einschätzung des Erfolgs oder aber auf die Einstellung zum Erfolg abstellen, siehe Roxin J u S 1964 S. 53 ff, 58. Z u r Differenzierung von Schätzung und Stellungnahme siehe Haft Z S t W 88 S. 365 ff, 376, der freilich die Rückwirk u n g der Schätzung auf die Stellungnahme verkennt.

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So insbesondere die Rechtsprechung: R G 33 S. 4 ff, 5 ; 72 S. 36 ff, 43 f; 76 S. 115 ff, 116; B G H bei Scbmidhäuser GA 1958 S. 161 ff, 165; B G H 21 S. 283 ff, 285; im Sinne der Billigungstheorie ferner v. Hippel Vorsatz und Fahrlässigkeit S. 111 ff; ders. V D A T Bd. III S. 373 ff, 498 f f ; Maurach-Zipf A T I § 2 2 III Β 2 b; Bockelmann N J W 1959 S. 1849 ff, 1850; Baumann A T § 26 III 2 b ; — neben anderen Formulierungen auch LKSchroeder% 16 Rdn. 92 f; — offengelassen im AE, siehe Begründung zu § 17 S. 53. So f ü r Fälle nicht hochgradiger Wahrscheinlichkeit Engisch Untersuchungen S. 186 ff. So auch Roxin J u S 1964 S. 53 ff, 58.

Subjektiver Tatbestand als V o r s a t z

8. AbSChn

rende Tatumstände als möglicherweise vorliegend oder eintretend vorgestellt hat. Ist dieser Beweis geführt, so hat man weiter zu fragen: wie würde sich der Täter bei bestimmter Kenntnis der Tatumstände verhalten haben? . . . Kommt man zu dem Ergebnis, daß der Täter auch bei bestimmter Kenntnis gehandelt hätte, so ist. . . der Vorsatz . . . zu bejahen; kommt man zu dem Ergebnis, daß er bei bestimmter Kenntnis die Handlung unterlassen hätte, so ist der Vorsatz zu verneinen" 63 . Da der Täter sich nun einmal nicht in einer Situation „bestimmter Kenntnis" entschieden hat, sondern in einer Situation des Zweifels, führt diese Methode zur Beurteilung einer anderen psychischen Lage, als sie bei der Tat vorliegt. Handeln in Risiko und in Gewißheit sind entscheidungstheoretisch und auch praktisch unvergleichbar. Zudem kommt es auf Zufälligkeiten bei der Fallgestaltung an, ob für den Täter die Tat bei gewisser Nebenfolge überhaupt noch sinnvoll und deshalb möglicherweise nach der Formel vorsätzlich ist. Wer genau weiß, daß er statt des Hasen den Treiber treffen wird, hat keinen Grund zum Schuß mehr, wenn er einen Hasenbraten will; das mag aber anders sein, wenn er genau weiß, daß er mit seinem Schrotschuß neben dem Hasen auch den Treiber treffen wird. Ein Schluß von solchen Zufälligkeiten der hypothetischen Fallgestaltung (real weiß der Jäger nicht gewiß, ob die Nebenfolge eintritt) auf die Beurteilung der realen Beziehung des Täters zur Nebenfolge kann axiologisch nicht befriedigen; die Formeln sind unbrauchbar. cc) Teils werden die Einstellungstheorien, insbesondere die Theorien vom Billigen 2 8 oder In-Kauf-Nehmen des Erfolgs in einer Version vertreten, bei der aus der intellektuellen Seite und dem Faktum des Tatvollzugs auf die Einstellung geschlossen wird. Diese Versionen zielen auf eine verkappte intellektuelle Abgrenzung und sind bis auf Stücke des Begründungsgangs mit der hier vertretenen Lehre identisch. So hat der Bundesgerichtshof in einer schon oben mitgeteilten Entscheidung 64 ausgeführt, „im Rechtssinne" werde ein Erfolg schon gebilligt, wenn der Täter „um des erstrebten Zieles willen . . ., wofern er anders sein Ziel nicht erreichen kann, sich auch damit abfindet, daß seine Handlung den an sich unerwünschten Erfolg herbeiführt, und ihn damit für den Fall seines Eintritts will". Da dem Täter, so er trotz Folgenkenntnis handelt, nie eine andere Möglichkeit bleibt, als sich „abzufinden" und „im Rechtssinne" zu „billigen" oder zu „wollen", kann auf die Garnierung der Handlung mit Einstellungen, deren psychologische Bestandskraft zumindest höchst fragwürdig sein dürfte, verzichtet werden, obgleich sie im Ergebnis schadlos ist. dd) Nur im Ansatz, nicht in der Durchführung, steht der hier vertretenen Vorsatz- 2 9 lehre im Rahmen des bedingten Vorsatzes die Theorie von der „Selbstbegrenzung des Verwirklichungswillens" nahe 65 , nach welcher der getätigte Wille zur Vermeidung des Erfolgs einen Herbeiführungswillen ausschließen soll: Jedenfalls sind Einstellungen aller Art für die Vorsatzabgrenzung irrelevant66. Freilich ist die Selbstbegrenzungstheorie in sich nicht schlüssig: Der trotz Betätigung des Vermeidewillens — etwa trotz besorgten Umgangs mit offenem Licht in der Nähe leicht brennbarer Materialien — verbleibenden Vorstellung eines Restrisikos67 steht kein betätigter Vermeidewille gegenüber; insoweit bleibt also auch ein „Restvorsatz". Zudem sind nach dieser Theorie die Ergebnisse von Zufälligkeiten der Fallgestaltung abhängig: Wer überhaupt nur ein « Frank § 59 Anm. V ; BGH 14 S. 241 ff, 257; siehe auch Bockelmann AT § 14 IV 2 b bb; - zur Kritik: Engisch Untersuchungen S. 179 ff, 205 ff. Μ BGH 7 S. 363 ff, 369. 65 Armin Kaufmann ZStW 70 S. 64 ff, 73 ff; zu historischen Vorläufern der Theorie siehe Engisch Untersuchungen S. 95 ff.

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Eingehend Armin Kaufmann aaO S. 66 ff; auch H. Mayer AT § 38 V 2 b. Wenn wegen der Betätigung die Erkenntnis eines Restrisikos entfällt, fehlt schon die intellektuelle Seite des Vorsatzes; Armin Kaufmann aaO S. 74.

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8. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

geringes Risiko setzt, dieses aber auch nicht noch tätig verkleinert (wer etwa sogleich mit einer gesicherten Lampe in die Nähe explosiver Materialien geht), handelt mangels getätigten Vermeidungsvorsatzes vorsätzlich, nicht aber derjenige, der die gleiche Handlung nach tätiger Verkleinerung eines zunächst vorhandenen größeren Risikos vollzieht (wer etwa seine zunächst ungesicherte Lampe mit Vermeidewillen sichert). 30

e aa) Zum dolus eventualis ist noch die Untergrenze der Wahrscheinlichkeit zu bestimmen, die nach ernsthaftem Urteil bestehen muß. Diese Untergrenze wird durch die Entscheidungserheblichkeit des erkannten Risikos bestimmt; das Risiko muß so gewichtig sein, daß es bei einem — unterstellten! — dominanten Motiv zur Vermeidung der Tatbestandsverwirklichung zur realen Vermeidung führt und nicht als quantite negligeable ohne Einfluß bleibt. Die Entscheidungserheblichkeit hängt vom Gewicht des betroffenen Guts und der Dichte des Risikos ab.

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bb) Die Gewichtigung des Guts erfolgt objektiv: Die rechtliche Einschätzung, nicht aber die subjektive Einschätzung des Täters entscheidet. Wenn also ein erkanntes Risiko für einen Täter nicht entscheidungserheblich ist, weil er das Gut aus Gleichgültigkeit zu gering bewertet oder in Rechtsunkenntnis (Verbotsirrtum) unterschätzt, hindert das den Vorsatz nicht, falls sich bei rechtlicher Gewichtung ein entscheidungserhebliches Maß ergibt. Auch die Bestimmung der zur Entscheidungsrelevanz hinreichenden Risikohöhe erfolgt jedenfalls im Ansatz nach rechtlichem und nicht nach individuellem Urteil 68 : Das nicht mehr erlaubte Risiko hat entscheidungsrelevant zu sein, auch wenn es der Täter noch für beiläufig hält. Davon erfolgen jedoch erhebliche Abstriche. Eine große Zahl unerlaubter Risiken, insbesondere im Straßenverkehr, ist nicht auf Situationen bezogen, die in nennenswerter Häufigkeit individuell als schadensträchtig erlebt werden, sondern die nur wegen ihres massenhaften Vorkommens statistisch als schadensträchtig ausgewiesen sind 69 . Da die menschliche Psyche aber nicht schlicht den Regeln der Statistik folgt, gibt es einen Bereich des zwar noch statistisch, im individuellen Erleben aber nicht mehr aufweisbaren Risikos. Beispiel: Wer mäßig betrunken ein Auto lenkt, setzt ein statistisch kalkulierbares, individuell aber bei einiger Gewöhnung im Erfolgsbezug (nicht: im Ungehorsam; das Verbot abstrakter Gefährdung bleibt einsichtig) bedeutungsloses Risiko. Risiken solcher Art sind aber nicht nur wegen ihrer geringen Höhe individuell bedeutungslos; vielmehr kann ein Subjekt praktisch nur existieren, wenn es lernt, sich mit solchen Risiken trotz der immerhin noch gegebenen, wenn auch geringen, Höhe zu arrangieren: Im Alltag werden dem Subjekt diese unerlaubten Risiken ubiquitär aufgezwungen, und wenn es lernt, sie wegen der Vorteile sozialen Kontakts zu tolerieren, verlernt es damit zugleich, daß sie schon ihres, wenn auch geringen, Erfolgsbezugs wegen zu meiden sein sollen. Beispiel: Ein Autofahrer, der jedesmal, wenn ein Nachfolgender den Sicherheitsabstand unterschreitet, seines eigenen Lebens wegen in Angst gerät, muß das Fahren wegen psychischer Erschöpfung bald einstellen; er muß lernen, in solchen Situationen zu reagieren, ohne sich seinen Tod vorzustellen. Verhält er sich aber selbst entsprechend falsch, so kann er den Tod der anderen auch nicht mehr als entscheidungserheblich prognostizieren (siehe unten 8/102). Gewiß hindert das nicht die Möglichkeit, die Entscheidungsrelevanz normativ herzustellen. Aber die mit der Normativierung einhergehende Überforderung des Subjekts dürfte nur tolerabel sein, wenn die psychische Disposition des Subjekts, also seine Ge68

A.A. E. A. Wolff Gallas-Festschrift S. 197 ff, 222 ff, der in Fällen der Gleichgültigkeit normativiert, ansonsten aber darauf abstellt, ob die Gef a h r individuell „nicht-übergehbar" (Vorsatz) ist

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oder nicht; individualisierend auch Stratenwerth A T Rdn. 309. Philipps Z S t W 85 S. 27 ff, 42; Jakobs Bruns-FestSchrift S. 31 ff, 32 f.

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. Abschn

wöhnung an das Risiko, als seine eigene Angelegenheit dargetan werden kann. Niemand kann sich darauf berufen, er habe sich ein besonders gefährliches Leben angewöhnt und mute Sondergefahren nunmehr auch anderen Personen zu. Wenn aber die Risikogewöhnung Folge eines praktisch unumgehbaren Verhaltens ist, also insbesondere Folge rechtmäßiger Teilnahme am Straßenverkehr, dann liegt ihr Grund nicht im Verantwortungsbereich des Täters und eine Normativierung ist ausgeschlossen70. cc) Ein Risiko ist demnach erst dann entscheidungserheblich und reicht zum Vor- 32 satz hin, wenn es nicht nur der Höhe nach unerlaubt ist, sondern zudem das Maß übersteigt, das noch allgemein als aufgedrängtes unerlaubtes Risiko hingenommen werden muß, sofern bestimmte Lebensbereiche nicht überhaupt gemieden werden sollen. Beispiel : Wer im Straßenverkehr — jeweils in aktueller Kenntnis des Erfolgsrisikos — in noch mäßigem Rahmen die Höchstgeschwindigkeit überschreitet oder den Sicherheitsabstand unterschreitet etc., hat trotz seiner Kenntnis nur Vorsatz zu einem abstrakten Gefährdungstatbestand; wer aber vor einer Bergkuppe auf enger Straße überholt oder blindlings eine Ampel bei Rotlicht überfährt, hat Verletzungsvorsatz; solche Situationen werden ja auch nicht selten als brenzlig erlebt. — Wichtiger noch sind diese Grenzen für das fahrlässige Delikt, siehe unten 9/15.

C. Alternativer Vorsatz Der alternative Vorsatz (auch: dolus altemativus) ist kein Vorsatz von selbständiger 33 Gestalt, sondern eine Verbindung von zwei Vorsätzen, deren Verwirklichungen sich gegenseitig ausschließen. Beispiel: Der Täter schießt auf das Opfer, das vor einer großen Fensterscheibe steht; ihm ist klar, daß er entweder das Opfer oder aber die Scheibe treffen wird. — Es können sich zum alternativen Vorsatz alle Vorsätze verbinden, die nicht den sicheren Eintritt der Handlungskonsequenz zum Inhalt haben 71 (also ist selbst bei Wissentlichkeit im weiteren Sinn ein alternativer Vorsatz möglich). Abgesehen von der Wissentlichkeit im engeren Sinn ist jeder Vorsatz alternativ, nur bezieht sich meist eine der Möglichkeiten nicht auf eine Tatbestandsverwirklichung, sondern auf einen sonstigen Erfolg im natürlichen Sinn. Beispiel: Wer als Haupt- oder Nebenfolge erkennt, daß ein Angriffsobjekt vielleicht von einer Kugel getroffen werden wird, weiß zugleich, daß andernfalls die Kugel sonstwohin fliegen wird. Da es zum Vorsatz hinreicht, wenn eine der Möglichkeiten einen Tatbestand verwirklicht und die andere nicht, ebenso umgekehrt, müssen in dem Fall, daß beide Möglichkeiten einen Tatbestand verwirklichen (so das obige Beispiel des Schusses auf einen Menschen vor einer Glasscheibe), zwei Vorsätze vorliegen 72 , so daß Vollendung und Versuch handlungseinheitlich verwirklicht werden 73 . Alle anderen Lösungsvorschläge74 leiden daran, das Maß des bekannten Unrechts nicht voll abdecken zu können. — Geht es um mehr als zwei sich ausschließende Möglichkeiten, gilt die Lösung entsprechend. 70

Dazu eingehend Jakobs Bruns-Festschrift S. 31 ff; ders. Beiheft Z S t W 1974 S. 6 ff, 23 f f ; Philipps ZStW 85 S. 27 f f ; E. A. Wolff Gallas-Festschrift S. 197 ff, 214 ff. 71 Welzel Strafrecht § 13 I 2 d; LK-Schroeder § 16 Rdn. 106; Jescheck A T § 29 III 4; Jakobs Konkurrenz S. 147 ff mit weiteren Nachweisen. 72 Stratenwerth A T Rdn. 301 mit dem freilich verwirrenden Hinweis, es handele sich um bedingten Vorsatz, der nicht Nebenfolgen betreffe. " Welzel Strafrecht § 1 3 I 2 d ; Schönke-SchröderCramer § 15 Rdn. 81; Jescheck A T § 29 III 4; ein-

74

gehend Jakobs K o n k u r r e n z S. 147 ff mit weiteren Nachweisen. — Z u r Handlungseinheit bei h o m o genem Unrecht siehe unten 32/16 ff. V o r r a n g des Vollendeten, V o r r a n g des Schwereren u. a. m. (mit diversen T o p o i Wessels A T § 7 II 4; LK-Schroeder § 1 6 Rdn. 106 mit weiteren Nachweisen; Maurach-Zipf A T I § 2 2 III A l ; Schneider G A 1956 S. 257 ff, 259); f ü r Idealkonkurrenz, aber beim Ausbleiben jeden Erfolgs f ü r den V o r r a n g des Schwereren Haft A T 6. Teil § 2, 3 b dd.

227

8. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

Die alternative Vorsatzverbindung ist im Verhältnis von Tötungsdelikten zu Körperverletzungsdelikten viel behandelt worden. Tötung und die zur Tötung erforderliche Körperverletzung verhalten sich nicht alternativ, wohl aber baldige Tötung und eine durch die Fortdauer in der Zeit gekennzeichnete schwere Körperverletzung (S§ 224 f StGB) 75 .

D. Die zur Tatbestandsverwirklichung erforderliche Vorsatzgestalt 34

Die Bestimmung der erforderlichen Gestalt des Vorsatzes bereitet bei einzelnen Delikten erhebliche Schwierigkeiten, sofern nicht jede Vorsatzform hinreicht, weil die Terminologie des Gesetzes (insbesondere bei Verwendung des Begriffs Absicht) und die Gründe für das Verlangen nach einem qualifizierten Vorsatz durchweg unklar sind 76 . Es lassen sich folgende Prinzipien ausmachen, die auch kumuliert werden können:

35

1. Häufig stuft der Gesetzgeber die Haftung unmittelbar nach den Stufen der Steuerung; die Gewichtung des Unrechts entspricht dann dem Steuerungsmaß. Es geht um die im Kernstrafrecht überwiegende Stufung von (milderen) Fahrlässigkeitsdelikten zu Vorsatzdelikten, dies vereinzelt über die Zwischenform der erfolgsqualifizierten Delikte.

36

2. Bedingter Vorsatz reicht bei einigen Delikten generell oder bezüglich einzelner Tatbestandsmerkmale nicht aus, weil ein noch erlaubt riskantes Verhalten aus dem Tatbestand ausgeschieden werden soll. Dies geschieht insbesondere durch Verschärfung des schlicht Vorsätzlichen zum Wissentlichen 77 . Beispiele bilden § 187 StGB, der die Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) ausschließt 78 , und § 164 Abs. 1 und 2 StGB im Merkmal „wider besseres Wissen" (die Aufklärungsanzeige soll erlaubt sein 79 ) und wohl auch in dem Merkmal der Absicht, „behördliche Maßnahmen" herbeizuführen (das riskante Verteidigungsverhalten eines selbst Verdächtigen soll straffrei sein 80 ).

37

3. In zahlreichen Fällen wird der Vorsatz als Planungszusammenhang beschrieben, etwa mit dem Begriff der Absicht oder mit der Formulierung „um . . . zu". Hierbei ist zu differenzieren: a) Vereinzelt ist die Absicht auf einen bloßen Teilschaden gerichtet und dann Kennzeichen einer dem ganzen Gut feindlichen Willensrichtung, so etwa bei § 229 StGB. Absicht ist dann im eigentlichen Sinn zu verstehen.

38

b) Weiterhin kennzeichnen einige Absichten auf einen Schaden am ganzen Gut denjenigen Täter, der sich bei Handlungen, die noch im Vorfeld der Schädigung liegen, koordinierend einsetzt und deshalb nicht ein bloßer Mitläufer ist, so bei den §§ 87 Abs. 1 (unklar wegen der hinzutretenden Wissentlichkeit 81 ), 88 Abs. 1, 89 Abs. 1 StGB 82 . Auch in diesem Fall ist die Absicht im eigentlichen Sinn zu verstehen mit dem Ergebnis, daß eine gedungene Person, die des Geldes wegen handelt, selbst bei massivem Einsatz nicht erfaßt werden kann 8 3 . " 76

77 78 79

Eingehend Jakobs K o n k u r r e n z S. 119 ff, 145 ff, 161 f f ; siehe auch unten 31/32. Zum folgenden Text siehe Stratenwerth AT Rdn. 315 ff; siehe auch Eser Studienkurs Bd. IV 15/24 ff. Göhler N J W 1974 S. 825 ff, 826. Schönke-Schröder-Lenckner § 193 Rdn. 4; streitig. Z u r alten Rechtslage siehe Bockelmann NJW 1959 S. 1849 ff.

228

80

Streitig, siehe Schönke-Schröder-Lenckner § 164 Rdn. 32. 81 Dazu Dreher-Tröndle § 87 Rdn. 13. «2 Krauth u. a. J Z 1968 S. 577 ff, 582 f. 83 Schönke-Schröder-Stree § 8 8 Rdn. 22; a. A. freilich LK-Willms § 8 7 Rdn. 16 (zweifelnd noch LK*-Willms § 87 Rdn. 22); grundlegend z u r Absicht bei Staatsschutzdelikten F.-C. Schroeder Schutz S. 296 ff.

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. Abschn

c) Häufiger geht es jedoch um einen überschießenden Verletzungsvorsatz. Die Lage 3 9 ist hier einigermaßen verwickelt. Es handelt sich um Delikte, deren Vollendung auf ein signifikantes Stadium der Gefährdung vorverlagert ist. Dieses Stadium der Gefährdung wird aber nicht unmittelbar tatbestandlich beschrieben, sondern durch eine bestimmte Handlung (etwa eine Fälschungshandlung) und den Planungszusammenhang, in dem die Handlung steht (etwa die Absicht, das Falsifikat zu gebrauchen). Bei Arbeitsteilung unter mehreren Beteiligten können nun Handlung und Planung auseinanderfallen: Einer handelt (etwa fälscht verabredungsgemäß die Urkunde) und ein anderer plant die Weiterungen (etwa beabsichtigt den Gebrauch der Urkunde), wobei diese Weiterungen dem ersten gleichgültig sein mögen. Beispiel: Den Lohnfälscher interessiert weder, ob dem Auftraggeber mit den Falsifikaten eine Täuschung gelingt, noch ist er sich auch nur sicher, ob die Tat bis zur Täuschung gedeihen wird. An Art und Maß der Gefährdung ändert dieses Auseinanderfallen von Handlung und Planung bei solchen Delikten nichts (hauptsächlich Geldfälschungsdelikte und Urkundsdelikte). W ü r d e nun für die Handlungen, die bei Eintritt der Vollendung noch ausstehen, jeder Vorsatz hinreichen 8 4 , entfiele der Planungszusammenhang als Spezifikum der Gefährdung. Beharrt man freilich auf Absicht im eigentlichen Sinn 8 5 oder auf direktem Vorsatz 8 6 , kann der Täter nicht mehr erfaßt werden, der neutraler Ziele willen (etwa der Bezahlung wegen) fremder Planung zuarbeitet und sich des Gelingens der fremden Planung nicht gewiß ist. Im Ergebnis muß also f ü r die noch ausstehenden Handlungen bei Arbeitsteilung zwar jeder Vorsatz hinreichen 8 7 , aber ergänzt um die Kenntnis, daß der andere Beteiligte die Fortführung im eigentlichen Sinn beabsichtigt 88 . Will der Täter alle Akte allein vollziehen, so erledigen sich Zweifel daran, ob er sich 4 0 selbst zum zweiten Akt entschließen wird, nach den Regeln des bedingten Wollens (siehe unten 25/29 ff). Vollzieht der Täter des ersten Akts diesen Akt ohne eigenen Vorsatz zur Vornahme des nachfolgenden Akts und auch ohne Abstimmung mit einem anderen Täter, der den nachfolgenden Akt vollzieht, so ist er nach den Regeln des Regreßverbots straffrei; d. h. er haftet für das Ergebnis seines Akts, regelmäßig ein Falsifikat, nur nach den Regeln der H a f t u n g f ü r ein gefährliches Objekt. Beispiel: Der Täter erkennt, daß der von ihm zu Demonstrationszwecken geschriebene unechte Wechsel möglicherweise mißbraucht wird; — H a f t u n g nur, wenn eine Garantenstellung besteht. Soweit Handlung und Plan nicht auseinanderfallen können, weil mit der Handlung alles zum Erfolgseintritt Notwendige vollzogen worden ist (so etwa bei der 3. Fallgruppe von § 267 Abs. 1 StGB), reicht bezüglich des Erfolgs jeder Vorsatz aus, aber diejenigen Momente, die das Planungsrisiko bezeichnen, müssen auch hier — und zwar notwendig vom Täter selbst — im eigentlichen Sinn beabsichtigt sein. So muß der Täter bei § 267 Abs. 1, 3. Fallgruppe StGB oder bei § 273, 1. Fallgruppe StGB den Gebrauch in der Beweissituation beabsichtigen (etwa: ein gefälschtes Dokument zu einem Beweisantrag vorzulegen), nicht aber muß er den Täuschungserfolg beabsichtigen (daß das Gericht den Beweis überhaupt erhebt und sich täuschen läßt etc.). d) Ähnlich verhält es sich bei denjenigen Absichten, die eine Gutsverletzung typisie- 41 ren, wie etwa die Zueignungsabsicht in der Aneignungskomponente beim Diebstahl 84

So Stratenwerth A T Rdn. 318. 85 So für § 146 StGB Schönke-Schröder-Stree § 146 Rdn. 7, was wegen der in § 146 StGB genannten Ermöglichungsabsicht auch die relevanten Fälle abdeckt. 86 So f ü r § 267 StGB Schönke-Schröder-Cramer § 2 6 7 Rdn. 91; ferner Cramer J Z 1968 S. 30 f f ;

Lenckner N J W 1967 S. 1890 f f ; beide gegen BayObLG J Z 1968 S. 29 f ( d o r t : Absicht im engeren Sinn). 87 Herzberg Z S t W 88 S. 68 ff, 95 f. 88 Siehe auch Scbmidbäuser A T 14/81.

229

8. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

(die Enteignungskomponente gehört zur vorigen Gruppe) oder die Bereicherungsabsicht beim Betrug. Die ganz herrschende Lehre fordert hier Absicht im eigentlichen Sinn 89 , was auch in der Regel paßt, aber die Lösung in Grenzfällen verfehlt. Zwar ist in dieser Gruppe — wie in der vorigen Gruppe — das Vorliegen einer Absicht unerläßlich, weil hier gerade der Tatzweck den Tattyp bestimmt, wie dort der Tatzweck den gefährlichen Zusammenhang kennzeichnet. Bei Arbeitsteilung können aber auch hier Handlung und Planung auseinanderfallen, insbesondere wenn der Planende für die gesamte Tatausführung einen Beteiligten dingt, den der Ausgang nicht interessiert. Beispiel: Der Inhaber eines Betriebs bestimmt einen Angestellten gegen eine vorab gezahlte Belohnung zu täuschenden Erklärungen gegenüber dritten Personen, durch die dem Betrieb per Irrtum etc. (§ 263 StGB) Vorteile zufließen sollen. Der Inhaber hat die Absicht, aber er ist nach der Tatherrschaftslehre nicht Täter (der subjektiven Theorie bleibt das Problem verborgen). Der Angestellte beabsichtigt keine Vorteile für die Firma, zumal er schon vorab belohnt wurde, weiß aber von der Absicht des Inhabers. — Es muß auch hier ausreichen, daß die Tat in einem fremden Planungszusammenhang steht; die typisierende „Absicht" umfaßt also jeden Vorsatz, jedoch muß das Wissen des Ausführenden hinzukommen, daß die Tat wegen der Pläne eines absichtlich handelnden Beteiligten vollzogen wird. Bei § 242 StGB ist wegen der engen Fassung (sich zueignen) diese Lösung verschlossen. Hier kann praktisch nur der Täter selbst Inhaber der „Absicht" sein, ohne daß dies an deren Strukturierung (jeder Vorsatz plus Kenntnis eines Planungszusammenhangs) etwas ändern würde (wichtig für die Teilnahme, siehe unten zu § 28 StGB). Meist überschießt die Absicht den objektiven Tatbestand, nicht aber notwendig; so muß bei der Nötigung (§ 240 StGB) das zur Vollendung erforderliche Opferverhalten in einem Planungszusammenhang stehen; erst dieser Planungszusammenhang typisiert ein ansonsten nicht gesondert strafbares „gewaltsames Bewirken fremden Verhaltens" gerade zu einer Nötigung 9 0 . 42

4. Bei den Motivmerkmalen schließlich (genauer unten 8/94) geht es um die quantitativ unverhältnismäßige oder aber gefährliche Verbindung zwischen Antrieb und Handlung, nicht notwendig auch zwischen Antrieb und Handlungserfolg. Die Merkmale sollen also Situationen kennzeichnen, bei denen der Antrieb zum Vollzug einer bestimmten Handlung drängt, wobei sich auf die Folgen dieser Handlung sehr wohl nur dolus eventualis beziehen kann (schon oben 8/9).

IV. Der Gegenstand des Vorsatzes und Abweichungsprobleme Literatur L. Backmann Die Rechtsfolgen der aberratio ictus, JuS 1971 S. 113 ff; ders. Grundfälle zum strafrechtlichen Irrtum, JuS 1972 S. 196 ff; /. Baumann Grenzfälle im Bereich des Verbotsirrtums, Welzel-Festschrift S. 533 ff; H.-J. Bruns Strafzumessungsrecht, 2. Auflage 1974; K. Engisch Untersuchungen über Vorsatz und Fahrlässigkeit im Strafrecht, 1930; ders. Die normativen Tatbestandsmerkmale im Strafrecht, Mezger-Festschrift S. 127 ff; ders. Bemerkungen zu Theodor Rittlers Kritik der Lehre von den subjektiven Tatbestands- und Unrechtselementen, Rittler-Festschrift S. 165 ff; ders. Methoden der Strafrechtswissenschaft, in: M. Thiel (Hrsg.), Enzyklopädie der geisteswissenschaftlichen Arbeitsmethoden, Methoden der Rechtswissenschaft Teil I, 1972, S. 39 ff; D. Franke Probleme beim Irrtum über Strafmilderungsgründe: § 16 II StGB, JuS 1980 S. 172 ff; K. Franzen, B. Gast-de Haan, E. Samson Steuerstrafrecht mit Steuerordnungswidrigkeiten, 2. Auflage 1978; W. Frisch Die „verschuldeten" Auswirkungen der Tat. Zugleich ein Beitrag zur Irres U n k l a r allerdings B G H 16 S. 1 ff; hierzu Welzel N J W 1962 S. 20 ff.

230

90

Jakobs Peters-Festschrift S. 69 ff, 78; streitig.

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. Abschn

tumsproblematik im Strafzumessungsrecht, GA 1972 S. 321 ff; G. Geilen Sukzessive Zurechnungsunfähigkeit, Unterbringung und Rücktritt — BGHSt. 23, 356, J u S 1972 S. 73 ff; ders. Z u r Problematik des schuldausschließenden Affekts, Maurach-Festschrift S. 173 ff; A. Geyer Z u r Lehre vom dolus generalis und vom Kausalzusammenhang, GA Bd. 13 (1865) S. 239 ff und 313 ff; F. Haft Grenzfälle des Irrtums über normative Tatbestandsmerkmale im Strafrecht, JA 1981 S. 28 I f f ; Κ. Α. Hall Irrtum über Strafmilderungs- und Straferhöhungsgründe, MaurachFestschrift S. 107 ff; A. Hegter Subjektive Rechtswidrigkeitsmomente im Rahmen des allgemeinen Verbrechensbegriffs, Frank-Festgabe Bd. I S. 251 ff; R. D. Herzberg Aberratio ictus und abweichender Tatverlauf, Z S t W 85 S. 867 ff; ders. Aberratio ictus und error in obiecto, JA 1981 S. 369 ff und 470 ff; Tb. Hillenkamp Die Bedeutung von Vorsatzkonkretisierungen bei abweichendem Tatverlauf, 1971; H. J. Hirsch Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, 1960; ders. Ehre und Beleidigung, 1967; /. Hruschka Die H e r b e i f ü h r u n g eines Erfolges durch einen von zwei Akten bei eindeutigen und mehrdeutigen Tatsachenfeststellungen, J u S 1982 S. 317 ff; G. Jakobs Studien zum fahrlässigen Erfolgsdelikt, 1972; ders. Anmerkung zu B G H N J W 1974 S. 958 f, a a O S. 1829 f; ders. Nötigung durch D r o h u n g als Freiheitsdelikt, Peters-Festschrift S. 69 ff; Arthur Kaufmann Die Parallelwertung in der Laiensphäre, 1982; /. Krümpelmann Die strafrechtliche Behandlung des Irrtums, Beiheft ZStW 1978 S. 6 f f ; W. Küper Zur irrigen Annahme von Strafmilderungsgründen, GA 1968 S. 321 ff; Κ. H. Kunert Die normativen Merkmale der strafrechtlichen Tatbestände, 1958; R. Lange Der Strafgesetzgeber und die Schuldlehre. Z u gleich ein Beitrag zum Unrechtsbegriff bei den Zuwiderhandlungen, J Z 1956 S. 73 f f ; ders. N u r eine Ordnungswidrigkeit? J Z 1957 S. 233 ff; U. Loewenheim E r r o r in obiecto und aberratio ictus - O L G Neustadt, N J W 1964, 311, JuS 1966 S. 310 f f ; W. Maihofer Objektive Schuldelemente, H . Mayer-Festschrift S. 185 ff; M. Maiwald Oer „dolus generalis". Ein Beitrag zur Lehre von der Zurechnung, ZStW 78 S. 30 ff; H. Mayer Das Problem des sogenannten dolus generalis, J Z 1956 S. 109 ff; E. Mezger V o m Sinn der strafrechtlichen Tatbestände, Traeger-Festschrift S. 187 ff; P. Noll Tatbestand und Rechtswidrigkeit: Die Wertabwägung als Prinzip der Rechtfertigung, ZStW 77 S. 1 ff; D. Oehler Zum Eintritt eines hochgradigen Affekts während der Ausführungshandlung, GA 1956 S. 1 ff; ders. Anmerkung zu B G H 23 S. 133 ff, J Z 1970 S. 380 f f ; E. Osenbrüggen Casuistik des Criminalrechts, 1854; I. Puppe Zur Revision der Lehre vom „konkreten" Vorsatz und der Beachtlichkeit der aberratio ictus, GA 1981 S. 1 ff; C. Roxin O f f e n e Tatbestände und Rechtspflichtmerkmale, 2. Auflage 1970; ders. Gedanken zum „dolus generalis", Würtenberger-Festschrift S. 109 ff; W. Sax „Tatbestand" und Rechtsgutsverletzung, J Z 1976 S. 9 ff, 80 ff, 429 ff; F. Schaffstein Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum, O L G Celle-Festschrift S. 175 f f ; G. v. Scheurl Rücktritt vom Versuch und Tatbeteiligung mehrerer, 1972; F. C. Schroeder Der Irrtum über Tatbestandsalternativen, GA 1979 S. 321 ff; B. Schünemann Moderne Tendenzen in der Dogmatik der Fahrlässigkeits- und Gefährdungsdelikte, JA 1975 S. 435 ff, 511 ff, 575 ff, 647 ff, 715 ff, 787 ff; K. Tiedemann Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht, 1969; ders. Zur legislatorischen Behandlung des Verbotsirrtums im Ordnungswidrigkeiten- und Steuerstrafrecht, ZStW 81 S. 869 ff; G. Warda Die Abgrenzung von Tatbestands- und Verbotsirrtum bei Blankettstrafgesetzen, 1955; ders. Grundzüge der strafrechtlichen Irrtumslehre, Jura 1979 S. 1 ff, 71 ff, 113 ff, 286 ff; Weber Über die verschiedenen Arten des Dolus, N A r c h C r i m R Bd. 7 S. 551 f f ; H. Welzel Naturalismus und Wertphilosophie im Strafrecht, 1935; ders. Irrtumsfragen im Steuerstrafrecht, N J W 1953 S. 486 ff; ders. Zur Dogmatik der echten Unterlassungsdelikte, insbesondere des S 330 c StGB, N J W 1953 S. 327 ff; ders. Der Parteiverrat und die Irrtumslehre (Tatbestands·, Verbots- und Subsumtionsirrtum), JZ 1954 S. 276 f f ; ders. Anmerkung zu B G H J Z 1955 S. 454 f, a a O S. 455 f; ders. Der Gewahrsamsbegriff und die Diebstähle in Selbstbedienungsläden, GA 1960 S. 257 ff; /. Wessels Z u r Problematik der Regelbeispiele f ü r „schwere" und „besonders schwere Fälle", Maurach-Festschrift S. 295 ff; E. Wolf Die Typen der Tatbestandsmäßigkeit. V o r studien zur Allgemeinen Lehre vom Besonderen Teil des Strafrechts, 1931; ders. Der Sachbegriff im Strafrecht. Beiträge zur Allgemeinen Lehre vom Besonderen Teil des Strafrechts, RG-Festgabe Bd. V S. 44 ff; J. Wolter D e r Irrtum über den Kausalverlauf als Problem objektiver Erfolgszurechnung — zugleich ein Beitrag zur versuchten Straftat sowie zur subjektiven Erkennbarkeit beim Fahrlässigkeitsdelikt, Z S t W 89 S. 649 ff; ders. Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr und Verletzung in einem funktionalen Straftatsystem, 1981.

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8. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

A. Allgemeines 43

1. D e r V o r s a t z muß sich auf sämtliche Merkmale des objektiven T a t b e s t a n d s 9 1 · 9 2 erstrecken, auch auf die z u ergänzenden Merkmale der s o g e n a n n t e n o f f e n e n Tatbestände (oben 6 / 6 1 f f ) , nicht aber auf das Ergänzungsprinzip (nicht auf die V e r w e r f lichkeit nach den §§ 240 Abs. 2, 2 5 3 Abs. 2 StGB). Auch die Merkmale, die einen Grundtatbestand zur Qualifizierung abwandeln sowie die benannten Merkmale der besonders schweren Fälle müssen — vorbehaltlich speziellerer Bestimmungen im B T (etwa § § 3 1 5 Abs. 4, 5, 315 a Abs. 3, 315 b Abs. 4, 5, 315 c Abs. 3 StGB) und vorbehaltlich § 18 StGB — v o m V o r s a t z umfaßt sein (zu den Privilegierungen und minder schweren Fällen siehe unten 8 / 8 3 f). Für unbenannte Merkmale eines besonders schweren Falls gibt es freilich keine Regel, w o n a c h die richterliche Tatbestandsergänzung stets Ergänzung um einen Vorsatzteil oder allenfalls im Rahmen des § 18 StGB auch um einen Fahrlässigkeitsteil sein k ö n n e ; vielmehr m ö g e n auch sonstige Umstände, die fahrlässig verkannt w e r d e n , V o r a u s s e t z u n g e n eines — aus V o r s a t z und Fahrlässigkeit kombinierten — besonders schweren Falls sein 9 3 . Beispiel: Beim Diebstahl führt eine gesteigerte Hilflosigkeit des Opfers nur im Vorsatzfall zu einem benannten besonders schweren Fall (§ 2 4 3 Abs. 1 Nr. 6 StGB); das heißt aber nicht, eine leichtfertig verkannte extreme Hilflosigkeit könne nicht ihrerseits ein unbenannter besonders s c h w e rer Fall sein. Insbesondere bei erkennbaren Sonderpflichten des Täters dürfte es häufig für die Bildung eines besonders schweren Falls gleichgültig sein, o b d e m Täter die V o r aussetzungen der Pflicht bewußt sind oder nicht. D a s kann auf eine partielle Korrektur der unbefriedigenden Lage bei Tatsachenblindheit (oben 8 / 5 ) hinauslaufen. — Entsprechendes gilt für die objektiven Strafzumessungstatsachen 9 4 . — D a s zu den besonders schweren Fällen und den Strafzumessungstatsachen häufig gebrachte Argument, die A n w e n d u n g der §§ 15 und 18 StGB wäre selbstverständlich (also meist Vorsatz erforderlich), w e n n die Bestrafungsvoraussetzungen gesetzlich detailliert ausformuliert w ä r e n 9 5 , ist unvollständig: Es gälte zu klären, o b die §§ 15 ff S t G B überhaupt n o c h 91

92

Jedenfalls nur des Tatbestands; zum Irrtum über Rechtfertigungsvoraussetzungen und über das Verbot siehe unten 11/18 ff, 42 f f ; 19/32 f f ; nurobjektive Bedingungen (der Ausschließung) des Unrechts oder seiner Straftatbestandlichkeit, unten 10/2 ff, sind überhaupt irrtumsresistent (a.A. Sax J Z 1976 S. 9 ff, 80 ff, 429 ff). - Zum Ganzen siehe Warda J u r a 1979 S. 1 ff, 71 ff, 113 ff, 286 ff, 289. N a c h F.-C. Schroeder GA 1979 S. 321 ff, 325 ff, soll bei alternativen Tatbestandsmerkmalen eine Fehlvorstellung unbeachtlich sein, „wenn das Gesetz die möglichen Angriffsformen oder Angriffsobjekte offensichtlich erschöpfend oder jedenfalls bis auf unbedeutende Randbereiche erfassen will" (327). So soll es bei § 315 c Abs. 1 StGB vorsätzliche Vollendung nicht hindern, wenn die konkrete G e f a h r f ü r ein Menschenleben eintritt, der T ä t e r aber — den Menschen f ü r eine wertvolle Statue haltend — eine G e f a h r f ü r einen bedeutenden Sachwert annimmt. D a der T ä t e r freilich in diesen Fällen das konkrete U n r e c h t der Art nach nicht kennt, ist die Lösung zu weit: Es muß hinzukommen, daß die Tatbestandsmerkmale Unrecht gleicher Art vertypen und diese nur begrifflich aufteilen, wie etwa bei § 306 N r . 2 und N r . 3 StGB (artgleiche G e f ä h r d u n g e n ) oder aber bei § 142 Abs. 1 N r . 1 und N r . 2 StGB (artgleiche Angriffsweisen).

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Anders die überwiegende Lehre, die teils nicht einmal eine analoge Anwendung von § 18 StGB f ü r zulässig hält; Scbönke-Schröder-Cramer § 15 Rdn. 33; zumeist wird bei grundsätzlichem V o r satzerfordernis f ü r erschwerende Folgen 5 18 StGB angewandt; Jescheck A T § 29 II 3 b ; Wessels Maurach-Festschrift S. 295 ff, 300 f; SK-Rudolphi § 1 6 Rdn. 8; LK-Schroeder § 1 6 Rdn. 65; Frisch GA 1972 S. 321 ff. N a c h B G H 26 S. 176 ff, 180 ff; 26 S. 244 ff soll die konkrete Gef a h r des T o d e s nur bei V o r s a t z einen besonders schweren Fall bilden (etwa bei § 113 Abs. 2 N r . 2 StGB); sehr zweifelhaft. Sehr streitig; jedenfalls was Tatfolgen angeht wie hier (also: Fahrlässigkeit hinreichend) DreherTröndle §46 Rdn. 23; LK-G. Hirsch §46 Rdn. 57; Schmidhäuser A T 2 0 / 6 4 ; Maurach-Zipf A T II § 6 3 I Β 2 b ; — a.A. (nur bei typischen Folgen soll analog § 18 StGB Fahrlässigkeit hinreichen) Jescheck A T § 29 II 3 b ; Frisch GA 1972 S. 321 f f ; Bruns Strafzumessungsrecht S. 424; SK-Hom § 4 6 Rdn. 70 f; — beim Vorsatzdelikt überhaupt f ü r Beschränkung auf vom V o r s a t z umfaßte Strafzumessungstatsachen SchönkeSchröder-Stree § 46 Rdn. 26. Schönke-Schröder-Cramer § 15 Rdn. 35; SchönkeSchröder-Stree § 46 R d n . 26; Jescheck A T § 29 II 3 b.

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. Abschn

sinnvoll wären, wenn sämtliche Bestrafungsvoraussetzungen ohne spezielle Bezeichnung der subjektiven Seite detailliert ausformuliert wären. — D a ß Fahrlässigkeit hinreichen kann, bedeutet natürlich weder zu den besonders schweren Fällen noch zu den Strafzumessungstatsachen, daß stets dort, wo Vorsatz zu berücksichtigen wäre, auch die Berücksichtigung von Fahrlässigkeit angebracht ist. 2. Auch die Voraussetzungen der sogenannten objektiven Zurechnung müssen vom 44 Vorsatz umfaßt sein, insbesondere muß der Täter ein Risiko von solcher H ö h e erkennen, daß der Rahmen des erlaubten Risikos überstiegen wird. Meint der Täter trotz Kenntnis eines solchen Risikos, er halte sich noch im Rahmen des Erlaubten, so liegt bei auch ansonsten gegebenem Vorsatz ein Verbotsirrtum vor. Die irrige Annahme, ein erlaubt riskantes Verhalten sei nicht mehr erlaubt, ist Annahme eines Verbots ohne Tatbestandsvorsatz, also Wahndelikt. Hält der Täter ein nicht mehr erlaubt riskantes Verhalten für erlaubt, weil er das Maß des Risikos so unterschätzt, daß bei der angenommenen Risikohöhe ein erlaubtes Risiko vorläge, so fehlt Vorsatz. Beispiel: Ein soeben als Gastarbeiter angeheuerter Schafhirte treibt seine H e r d e ohne Sicherung über eine Bundesstraße, was in seinem Heimatland allgemein üblich ist und von den Autofahrern berücksichtigt wird; die anderen Verkehrsverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland kennt er noch nicht. — Das erlaubte Risiko folgt also den Regeln normativer Tatbestandsmerkmale (unten 8/48 ff). 3. Soweit subjektive Unrechtselemente nicht genuin Bestandteil des — dann: den objektiven Tatbestand überschießenden — Vorsatzes sind, müssen sie vom Vorsatz umfaßt sein. Daran kann es praktisch allenfalls bei solchen Merkmalen fehlen, die nicht auf Grund ihrer Gestalt dem Täter sowieso bewußt sind und als zur Handlung gehörig erlebt werden (wie etwa die Absichten der 3. Gruppe in § 211 Abs. 2 StGB). Als P r o blemfälle verbleiben nur die affektiv bestimmten Antriebe (etwa Mordlust in § 211 Abs. 2, 1. Gruppe StGB) (unten 8/95) und die Konstitutions- und Gesinnungsmerkmale (unten 8/97). Würde bei diesen Merkmalen auf ein korrespondierendes Bewußtsein verzichtet, so würde dem Täter das volle Bild vom Tatunrecht fehlen. Unbewußte psychische Konstellationen, mögen sie auch tiefenpsychologisch als mächtig wirksam erweisbar sein, reichen also nicht aus 9 6 .

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B. Der Vorsatz bei Blankettgesetzen 1. Das Problem Bei einem Blankettgesetz (i. e. ein Rahmengesetz, das durch eine weitere N o r m aus- 4 6 gefüllt wird) ist der Vorsatzgegenstand schwierig zu bestimmen. Nach einer schuldtheoretisch orientierten Version werden die Tatbestände (nicht die Existenz oder die Rechtsfolge) der ausfüllenden N o r m und der Rahmennorm zu einem Gesamttatbestand addiert, so daß sich der Vorsatz auf die diesem Gesamttatbestand unterfallenden Merkmale, nicht aber auf den Bestand der Blankettnorm und der ausfüllenden N o r m , 96

Streitig und in Einzelheiten — wie weit muß auch die Bewertung (etwa der Gesinnung) nachvollzogen werden? — ungeklärt. D a ß sich bei den Gesinnungsmerkmalen auf deren objektiven Teil Vorsatz erstrecken muß, ist allgemein a n e r k a n n t ; Beispiel: Heimtückisch handelt nur, wer weiß, daß er die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers ausnutzt. — Hauptsächlich wie hier: B G H GA 1975 S. 306 f f ; Engisch Rittler-Festschrift S. 165 ff, 172; den. Mezger-Festschrift S. 127 ff, 133; Warda J u r a 1979 S. 1 ff, 71 ff, 78 f; im Er-

gebnis auch Schönke-Schröder-Cramer § 15 R d n . 25 (anders aber § 15 R d n . 34: Kenntnis der Gewohnheitsmäßigkeit soll nicht erforderlich sein); siehe auch Roxin O f f e n e Tatbestände S. 108 f; Dreher-Tröndle § 16 Rdn. 19; — einige Äußerungen, daß subjektive Unrechtselemente nicht vom V o r s a t z umfaßt sein müßten, beziehen sich n u r auf die sowieso z u m Vorsatz gehörenden Absichten; so bei Wehel N J W 1953 S. 327 ff, 329 Fn. 14; Hegler Frank-Festgabe Bd. I S. 251 ff, 292.

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8. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

erstrecken m u ß 9 7 . Beispiel: N a c h den §§ 38 in V e r b i n d u n g mit 22 BJagdG ist die Jagd auf Wild außerhalb der Jagdzeiten eine Straftat (Blankettgesetz); die Jagdzeiten werden durch die V e r o r d n u n g über Jagdzeiten 9 8 (ausfüllende N o r m ) festgelegt, beispielsweise f ü r Rackelhähne vom 1. bis 31. Mai (§ 1 Abs. 1 N r . 14 der V e r o r d n u n g ) . Z u m V o r s a t z bei der Jagd auf Rackelhähne zählt nach dieser (und nur f ü r diese Fallgruppe richtiger) Ansicht die Kenntnis, daß der Mai noch nicht angebrochen o d e r schon vorbei ist; die Meinung, Jagdzeit sei ein anderer M o n a t 9 9 o d e r eine Beschränkung bestehe überhaupt nicht, wäre Verbotsirrtum. — D a sich freilich aus dieser Kenntnis selbst bei h i n z u k o m m e n d e r positiver Kenntnis des Bestands der Blankettnorm keine Handlungsanweisung f ü r den Einzellfall ergibt (daß es ü b e r h a u p t Jagdzeiten gibt und daß nicht Mai ist, ergibt nicht, daß die Jagd auf Rackelhähne verboten ist), soll sich nach einer vorsatztheoretisch orientierten Version der V o r s a t z auch auf den konkreten Bestand der blankettausfüllenden N o r m zu beziehen h a b e n 1 0 0 ; die zum obigen Beispiel genannten Fehlvorstellungen wären dann jeweils ein Tatbestandsirrtum. 2. Die Lösung 47

Z u r Lösung ist danach zu differenzieren, was d u r c h die Blankettnorm überhaupt bestraft werden soll (siehe schon oben zur zeitlichen Geltung 4 / 6 6 , 70 ff). a) Geht es nur um den U n g e h o r s a m gegenüber den ausfüllenden N o r m e n , so sind die dem Tatbestand der Blankettnorm und dem T a t b e s t a n d der ausfüllenden N o r m unterfallenden Merkmale zu kennen, mehr nicht. b) G e h t es aber d a r u m , daß auch der Regelungse//e£t der ausfüllenden N o r m in seinem Bestand gesichert werden soll, so muß dieser E f f e k t bekannt sein, wenn V o r s a t z vorliegen soll; der E f f e k t ist dann normatives T a t b e s t a n d s m e r k m a l 1 0 1 , wobei dessen Kenntnis häufig einer Verbotskenntnis gleichkommen mag. c) Die Unterscheidung entspricht derjenigen zwischen eher abstrakte G e f ä h r d u n g e n erfassenden Deliktstatbeständen und eher konkrete G e f ä h r d u n g e n o d e r gar Verletzungen erfassenden Tatbeständen und ist im Grenzbereich zweifelhaft. Jedenfalls gehören alle Blankettgesetze z u r zweiten Gruppe, bei denen es um die Absicherung von Rechten geht, die ihrerseits durch die ausfüllenden N o r m e n konstitutiert werden. Die ausfüllenden N o r m e n schaffen dann das Angriffsobjekt und geraten so hinter dessen R ü k ken in den Tatbestand. Unstreitig ist das f ü r die Eigentumsdelikte: D e r Regelungseffekt der §§ 903, 929 ff BGB etc., also die Fremdheit der Sache, muß bekannt sein, nicht nur der Vollzug von Einigung und Ubergabe o. ä. Ebenso gehört bei der Steuerhinterziehung (§ 370 A O ) die Kenntnis des Steueranspruchs z u m V o r s a t z ; allein die Kenntnis des V o r g a n g s , der den Anspruch auslöst, reicht nicht hin. Beim U n g e h o r s a m (§ 19 W S t G ) muß der Befehl in seiner „normativen" Bedeutung erkannt sein 1 0 2 . Z u r ersten G r u p p e gehören hingegen Blankette, bei denen die ausfüllenden N o r m e n auf Verhaltenslenkung abzielen und das Angriffsobjekt nicht erst durch sie geschaffen wird, so daß sie sich auch nicht über das Angriffsobjekt in den Tatbestand „einschleichen" können. T e s t f r a g e z u r D i f f e r e n z i e r u n g ist, ob aus dem Blankett auch bestraft werden soll, wenn der T ä t e r die ausfüllenden N o r m e n kennt und weiß, daß deren Tatbestand verwirklicht ist, a b e r nicht begreift, was das Regelungsergebnis ist, wenn also der U n g e -

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Welzel Lehrbuch § 22 III 1 c (anders aber ders. N J W 1953 S. 486 f f ; dazu Warda Abgrenzung S. 46 f; Tiedemann Z S t W 81 S. 869 ff, 875); LKSchroeder § 16 Rdn. 39 mit einigen Ausnahmen; /escheck A T § 29 V 3; Maurach-Zipf A T I § 23 I Β 4; eingehend Warda Abgrenzung S. 36 ff. Vom 2. 4. 1977, BGBl. I S. 531.

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»' O L G Celle N J W 1954 S. 1618 ff. ° Lange J Z 1956 S. 73 ff, 75; ders. J Z 1957 S. 233 ff, 234; Kohlrausch-Lange § 59 Anm. V I ; Tiedemann Tatbestandsfunktionen S. 387 ff. 101 Teils im Ergebnis ähnlich Schönke-Schröder-Cramer § 15 Rdn. 95 ff. 102 Schönke-Schröder-Cramer § 15 Rdn. 98.

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Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. AbSChfl

horsam als Unrecht hinreicht. Danach dürfte kein Tatbestandsirrtum vorliegen, wenn der Täter nicht weiß, daß die Erlaubnis zur Führung eines Titels an den Besitz einer Verleihungsurkunde gebunden ist 103 oder daß das Fällen von Bäumen im Stadtbereich zum Schutz des Baumbestands einer Genehmigung bedarf 104 , ebenso dürfte die Annahme eines Ausnahmefalls von der Wohnraumbewirtschaftung nicht Tatbestandsirrtum sein 105 . Uberhaupt dürften Bewirtschaftungsvorschriften, soweit sie nicht durch Beschlagnahme o. ä. abgesichert sind, nicht über ein durch sie bestimmtes Angriffsobjekt geschützt sein, also zur ersten Gruppe gehören.

C. Die normativen Tatbestandsmerkmale als Vorsatzgegenstand 1. Das Problem a) In den Tatbeständen beschreibt das Gesetz ein bestimmtes (a-)soziales Verhalten: 4 8 Tötung eines Menschen, Zueignung einer fremden Sache, Fälschung einer Urkunde etc. Tatumstand kann nicht nur eine sinnlich-erfaßbare oder gar naturwissenschaftlich experimentell demonstrierbare Begebenheit sein, obgleich dies, etwa bei einzelnen Kausalitäten, auch der Fall sein mag, sondern auch geistiges Sein, teils mit mehr oder weniger deutlichem Bezug auf eine rechtliche oder vorrechtliche Wertung (das Verunglimpfen in § 189 StGB, die Fremdheit einer Sache bei den Eigentumsdelikten). Zudem hängt die Interpretation aller Tatbestandsmerkmale vom Sinn der Regelung ab; selbst wenn die Interpretation durch Benennung eines Arsenals von Vorgängen in der Erfahrungswelt möglich ist, wie ζ. B. beim strafrechtlichen Beginn des Menschseins in der Geburt (arg. § 217 StGB) oder beim Ende des Menschseins mit dem irreversiblen Ende der Hirnfunktion, so ist der Zuschnitt des Arsenals wertend bestimmt; ζ. B. läßt sich rein quantitativ am Hirntoten u. U. mehr an Körperzellen abtöten als an manchem Nicht-Hirntoten, ohne daß dies den Sinn der Tötung eines Menschen hätte. — Bei dieser Lage ist nicht selbstverständlich, was Gegenstand des Verwirklichungsvorsatzes zu sein hat: die erfahrbare Basis eines Tatumstands, seine soziale Bedeutung oder eine Zwischenform. b aa) Im Anschluß an Binding106 und Mezger107 ist heute unbestritten, daß eine 4 9 bloße Kenntnis des erfahrbaren Substrats einer Tatbestandsverwirklichung zum Vorsatz nicht hinreicht (Kenntnis von tintenbeschriebenem Papier ist nicht schon Kenntnis von einer Urkunde), daß aber auch eine Subsumtion des Geschehenen unter das Gesetz nach Art der richterlichen Subsumtion nicht erforderlich ist. Beispiel: Die Definition einer Urkunde im strafrechtlichen Sinn mag der Täter unbeschadet für seinen Vorsatz nicht kennen, wenn er nur weiß, daß mit dem Objekt eine Erklärung des Ausstellers im Rechtsverkehr belegt werden kann. Es ist eine „parallele Bewertung in der Laiensphäre", besser, eine parallele Beurteilung im Täterbewußtsein 108 notwendig, aber auch hinreichend 109 . 103 B G H 14 S. 224 ff, 227; B a y O b L G GA 1961 S. 152 f, 153. •04 Siehe O L G Düsseldorf N S t Z 1981 S. 444. 105 B G H 9 S. 358 ff, 361; a. A. BayObLG GA 1956 S. 90 f; weitere Rechtsprechung bei LK-Schroeder § 16 Rdn. 39. 106 N o r m e n Bd. III S. 146 ff. 107 Strafrecht § 44 I. 108 Welze! J Z 1954 S. 276 ff, 279; es geht nicht stets um juristische Laien, etwa nicht bei der Beurteilung der Nämlichkeit der Sache beim Parteiverrat, § 356 StGB, und auch nicht stets um eine Bewertung; so ist die Kenntnis der Fremdheit einer Sache beim Eigentumsdelikt und bei der Sachbe-

Schädigung Kenntnis einer Rechtslage, die o h n e W e r t u n g des Täters beurteilt werden kann. 109 G a n z überwiegende Ansicht; ]escheck A T § 29 II 3 a ; Maurach-Zipf A T I § 22 IV 4 ; SchönkeSchröder-Cramer § 15 Rdn. 45; LK-Schroeder 5 16 R d n . 43; jeweils mit N a c h w e i s e n ; — eine Subsumtion nach Art der richterlichen verlangte Strafrecht (bis 21./22. Auflage) § 39. v. Liszt W e n n Arthur Kaufmann (Parallelwertung S. 40) neuerdings ausführt, die Parallelwertung vollziehe sich „im Richter und nirgendwo sonst", so betrifft das nur die Ermittlung der Parallelität von T ä t e r bewußtsein und Gesetz.

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8. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

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bb) Die negative K o n s e q u e n z ist klar: Es geht nicht d a r u m , ob der T ä t e r den N a men von Tatbestandsmerkmalen kennt, sondern um die Kenntnis der Sache. D e r Subsumtionsirrtum hindert den V o r s a t z nicht. Beispiele: W e r bewußt ein Pferd „kitzlig" macht, hat Vorsatz der Sachbeschädigung (§ 303 StGB), auch wenn er nicht ahnt, daß im Strafrecht Tiere u n t e r den Begriff der Sache fallen 1 1 0 , wie auch Sachbeschädigungsvorsatz hat, w e r in Kenntnis der Konsequenzen Klebstoff in eine U h r gießt, aber meint, der Rechtsbegriff des Beschädigens e r f o r d e r e eine Substanzverletzung' 1 1 . — W e r weiß, daß er seinen Gewinn nicht aus einem Warenumschlag, sondern aus der Annahme und Anlage f r e m d e r Gelder zieht, weiß, daß er ein Kreditgeschäft betreibt 1 1 2 . — D e r Anwalt, der weiß, daß er bei einem einheitlichen materiellen Rechtsverhältnis verschiedene Personen mit unterschiedlicher Interessenrichtung vertritt (etwa im V e r fahren zwischen Gläubiger und Hauptschuldner einerseits und zwischen Gläubiger und Ausfallbürgen andererseits), hat Tatbestandsvorsatz bezüglich der Nämlichkeit der Sache beim Parteiverrat (§ 356 StGB), auch wenn er irrig meint, der Begriff sei enger und beschränke sich etwa auf ein einzelnes V e r f a h r e n im prozessualen Sinn 1 1 3 . — D a ß der Subsumtionsirrtum den V o r s a t z u n b e r ü h r t läßt, heißt nicht, er k ö n n e nicht Quelle eines Verbotsirrtums ( § 1 7 StGB) sein.

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cc) U n k l a r ist die positive Bedeutung der Parallelbewertung, zumal in ihrer Verbindung mit einer E i n o r d n u n g der Tatbestandsmerkmale als teils deskriptiv (Tatsachenkenntnis soll zum V o r s a t z hinreichen) und teils normativ (eine parallele Beurteilung soll z u m V o r s a t z erforderlich sein). Die Diskussion hierzu ist uneinheitlich verlaufen und hat wenig erbracht. Die normativen Tatbestandsmerkmale werden in einer Extremposition auf diejenigen Merkmale beschränkt, die die Rechtswidrigkeit der T a t begründen (nicht nur indizieren). Hauptbeispiel ist die Fremdheit der Sache bei den Eigentumsdelikten. Es geht hierbei um Momente, die in einem Tatbestand, der — anders als nach hiesigem Verständnis (oben 6 / 5 9 ) — bloßer Erkenntnisgrund (nicht Realgrund) der Rechtswidrigkeit sein soll 1 1 4 , die Rechtswidrigkeit doch real tragen. Diese enge Version der normativen T a t b e s t a n d s m e r k m a l e 1 1 5 w u r d e später — freilich o h n e direkte A n k n ü p f u n g und bei einem materialisierten Tatbestandsbegriff (Tatbestand als Verbotsmaterie) — in der Diskussion um die speziellen Rechtswidrigkeitsmerkmale oder Rechtspflichtmerkmale wieder a u f g e n o m m e n 1 1 6 (siehe oben 6 / 6 4 f). Im anderen Extrem w u r d e n gemäß der (neukantischen) Einsicht, daß der W e r t b e z u g jedes Tatbestands eine bewertende Auswahl und Begrenzung der Tatbestandsmerkmale bedingt, alle Tatbestandsmerkmale zu normativen Merkmalen deklariert 1 1 7 . Ansätze dieser Lösung haben sich bis in die Gegenwart erhalten 1 1 8 . Ferner gibt es Versuche, die normativen Tatbestandsmerkmale durch den offenen W e r t b e z u g im Begriffsinhalt zu bestimmen, wobei ein Bezug auf rechtliche Regelun110

R G 37 S. 412. " 1 R G 20 S. 182 ff, 183. 112 B G H 4 S. 347 ff, 352. " 3 B G H 7 S. 17 ff, 22; 18 S. 192 ff, 196 ff; ausführlich mit Nachweisen Welzel J Z 1954 S. 276 f f ; ders. J Z 1955 S. 455 f; ders. Strafrecht § 22 III 3 b, § 76 VI 2 a. — Siehe zum Subsumtionsirrtum auch B G H 13 S. 135 ff, 138. 114 Μ. E. Mayer Lehrbuch S. 10: Der Tatbestand als Rauch zum Feuer der Rechtswidrigkeit. 115 N o c h enger (nämlich alle Merkmale sollen deskriptiv sein) Kunert Merkmale S. 93.

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Treffend hierzu Engisch Mezger-Festschrift S. 127 ff, 145. " 7 E. Wolf Typen der Tatbestandsmäßigkeit S. 56 ff, 59; ders. RG-Festgabe Bd.V S. 44 ff, 54 ff; eingehend hierzu Engisch a a O S. 138 f; Kunert a a O S. 41 ff. - Die den Wert und das Sein nicht verbindende, sondern als verbunden sehende Perspektive bringt Welzel Naturalismus S. 72 ff, 75; auch hierzu Engisch a a O S. 141. 118 So etwa noch Stratenwerth A T R d n . 258; tendenzielt, aber beim Vorsatz differenzierend, auch Baumann A T § 12 II 1 a und Maurach-Zipf A T I § 2 0 V 2.

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. AbSChn

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gen immer als Wertbezug gelten soll , oder — den Begriff weiter fassend — die normativen Tatbestandsmerkmale durch den Sinn- und Bedeutungsbezug des Inhalts festzulegen. Es geht bei der letzteren Lösung nicht mehr um den Gegensatz zwischen Normierung und Deskription, sondern um den Gegensatz zwischen sinnlicher Wahrnehmbarkeit und geistiger Verstehbarkeit 120 . 2. Die Lösung a) Die Differenzierung der Merkmale Die konfuse Lage läßt sich nicht über einen Begriff des Normativen an sich, son- 5 2 dem nur über die Konsequenzen für Tatbestandslehre und Vorsatz klären 1 2 1 . Insbesondere sind die Behauptungen zu überprüfen, zu jeder Tatsachenkenntnis müsse eine Bedeutungskenntnis treten und allein die Bedeutungskenntnis trage den Vorsatz. aa) Alle Merkmale 1 2 2 sind normbegrenzt. Stets ist der Inhalt von tatbestandlichen 5 3 Begriffen unter dem Aspekt des Regelungszwecks abgegrenzt. Dies besagt jedoch nichts über eine Notwendigkeit, mehr als das Abgegrenzte zu kennen, wenn das Verhalten vorsätzlich sein soll; denn die Bedeutung des Zuschnitts, also der Grund der Abgrenzung, ist die materielle Rechtswidrigkeit des Vorgangs selbst, auf die sich der Vorsatz nicht erstrecken muß. Beispiele: Zur Kenntnis etwa des Beginns und des Endes des Menschseins gehört das Wissen, daß mindestens ein Zustand in der Geburt erreicht wurde und kein Gehirntod eingetreten ist; irgendwelche Bedeutungen, die diesen Fakten die Wertindifferenz nehmen, müssen nicht bekannt sein 123 . — Entsprechendes gilt für Begriffe wie Sache ( S S 242, 246, 249, 303 StGB), beweglich ( S S 242 ff StGB), Frau (S 177 StGB), Beischlaf (§ 182 StGB), Mutter (§ 217 StGB), Inbrandsetzen ( S S 306 ff StGB) etc. 124 . Soweit das Abgegrenzte nur geistig verstehbar ist, ergeben sich keine Besonderheiten; Beispiele sind Zahlbegriffe oder der Begriff des Irrtums (§ 263 StGB). — Wenn Tatbestandsmerkmale nur normbegrenzt sind, gelten die allgemeinen Regeln. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich einzig auf Tatbestandsmerkmale, die in einem engeren Sinn normative Tatbestandsmerkmale sind. bb) Einige Merkmale sind normbezogen. Eine Gruppe von tatbestandlichen Begrif- 5 4 fen bezieht sich auf eine soziale Ordnung. So setzen Begriffe wie Wohnung und Geschäftsraum (S 123 StGB), Geld ( S S 146 ff StGB), Vereinigung ( S 166 StGB), verletzen, beschädigen, zerstören ( S S 223, 303 StGB 125 ) einen Kanon verfestigter Erwartungen im sozialen Leben und deshalb soziale Normen voraus, ohne daß aber aus dem Begriff ersichtlich wäre, ob das Recht diese Erwartungen billigt, was auch prompt häufig nicht 119

So die überwiegende Ansicht; Schänke-SchröderLenckner R d n . 64 vor § 13; Jescheck A T § 26 IV 2; zum G a n z e n mit ausführlichen Nachweisen Engisch a a O . 120 Welzel Strafrecht § 13 I 4; die Terminologie ist von den Irrtumskonsequenzen her zu verstehen: W o nur mehr als bloßes „ H i n s c h a u e n " Tatbestandskenntnis bringt, spricht Welzel von normativen Merkmalen. 121 Ebenso Maurach-Zipf A T I § 3 7 II C 2; siehe auch Engisch Methoden S. 39 ff, 44 ff. 122 Man mag die N a m e n f ü r Individuen und die Zahlen ausnehmen; aber auch dabei kann es als Ergebnis einer Interpretation angesehen werden, daß das Individuum nicht pars pro toto genannt und die Zahl (etwa eine Altersgrenze) nicht eine bloße V e r k ü r z u n g des gemeinten Materialen (etwa einer reifebedingten Eigenschaft) ist.

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Anders wohl Stratenwerth A T Rdn. 258. Ähnlich wie hier Kunert Merkmale S. 90; seine andere Lösung zum Begriff der Sache beruht auf einer V e r m e n g u n g mit dem Begriff des Beschädigens. — Falsch d ü r f t e allerdings Kttnerts Ausklammerung des Begriffs Mensch sein, die er vornimmt, da mindestens historisch der Begriff anders, etwa o h n e die „Wilden", gefaßt gewesen sei. Die Gleichheit wird aber strafrechtlich nicht durch ein den Tatbeständen zu subintelligierendes Merkmal (und dann V o r s a t z e r f o r d e r n i s ! ) g a r a n tiert, sondern durch tatbestandliche Nichtberücksichtigung von Ungleichheiten. — Ähnlich wie Kunert auch Maurach-Zipf A T I § 20 V 2. Zweifelhaft, jedenfalls das Mißhandeln des § 223 StGB geht Uber in die folgende Gruppe, siehe dort,

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8. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

der Fall ist, etwa bei den Begriffen: Bande (§ 250 Abs. 1 Nr. 4 StGB), gemeinschaftlich (§223 a StGB, pornographische Schrift (§184 StGB) oder Vereinigung (§§129f StGB). — Der Vorsatz muß sich auf das erstrecken, was im Begriff steckt, also auf die Ordnung. Spekulationen über deren Bedeutung sind überflüssig. Beispiel: Pornographische Schriften kennt auch, wer bei deren Verbreitung keine pädagogischen Befürchtungen hegt, sich vielmehr positive Effekte verspricht, die Bedeutung also anders sieht als der Gesetzgeber. — Die Grenze zur folgenden Gruppe verläuft durchaus unscharf. 55

cc) Einige Merkmale sind normgefüllt. Es gibt Merkmale, deren Inhalt einen anderweitig konstituierten, rechtlichen oder außerrechtlichen (informellen) Normbefehl übernimmt. α) Das Merkmal kann den Verstoß gegen eine außerrechtliche N o r m zum Inhalt haben. So ist die Mißhandlung in § 223 StGB u. a. durch den Verstoß gegen die üblichen Regeln sozialen Umgangs definiert, entsprechend die Diebstahlswegnahme bei einem normativen Gewahrsamsbegriff als Verstoß gegen die übliche Zuordnung von Sachgewalt (nicht nur Störung eines Kräfteverhältnisses) 1 2 6 , die Beleidigung bei einem normativen Ehrbegriff als Verstoß gegen die zukommende (nicht nur bestehende) Achtung 1 2 7 etc. Da es darum geht, daß der Täter dem O p f e r das diesem Zukommende nimmt oder nicht gewährt, ist Kenntnis der O r d n u n g nötig, aber auch ausreichend; ein subjektiver Nachvollzug der Bewertung oder auch nur eine Anerkennung der Brauchbarkeit der Bewertung sind nicht erforderlich. Beispielsweise hat also auch Mißhandlungsvorsatz, wer einem anderen heimlich Haschisch eingibt und subjektiv überzeugt ist, daß die Einnahme zu einem erfüllten Leben gehört, oder es hat Beleidigungsvorsatz, wer einer Person Promiskuität nachsagt, auch wenn er selbst diese positiv beurteilt, sofern er jeweils nur die anerkannte andere Beurteilung kennt 1 2 8 . Diese Kenntnis kann natürlich randunscharf und laienhaft sein. Jedenfalls geht es nicht um eine Neuwertung oder Nachwertung, sondern um Wertungskenntnis.

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ß) Entsprechend verhält es sich bei Merkmalen, die (den Verstoß gegen) eine rechtliche Zuordnung zum Inhalt haben. So verweist das Merkmal „fremd" in den Eigentumsdelikten auf die Eigentumsordnung des bürgerlichen Rechts und des Rechts der öffentlichen Sachen. Zum Vorsatz gehört die Kenntnis des dortigen Regelungseffekts, die wiederum randunscharf sein kann. Beispiel: Uber die zum Teil recht schwierigen und bestrittenen Eigentumsverhältnisse an wilden Tieren (etwa an Wild in Wildgattern oder in Schlingen 1 2 9 ), dürften nur Spezialisten Bescheid wissen. Für den Vorsatz der Fremdheit bei § 242 StGB wie für denjenigen des fremden Jagdrechts bei § 292 StGB genügt gleichermaßen das Bewußtsein, daß das wilde Tier einem anderen „gehört" 1 3 0 . — Nach diesen Maximen muß bei der vorsätzlichen Steuerhinterziehung (§ 370 AO) das Bestehen eines Steueranspruchs gekannt sein 1 3 1 ; bei der Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 170 b StGB) muß der Täter den Unterhaltsanspruch wie seine Leistungsfähigkeit kennen 1 3 2 . Beim Urkundsbegriff (§§ 267, 271, 346 StGB) kommt es darauf an, ob bei seiner Definition am Faktum des Vertrauens (dann nur ein normbezogener Begriff) oder an der Legitimität des Rechtsverkehrs (dann normgefüllt) angesetzt wird. 126 Grundlegend Welzel GK 1960 S. 257 ff. 127 Welzel Strafrecht § 42 I 1 vor a und a; Hirsch Ehre und Beleidigung S. 29 ff. 128 Ähnlich Kunert Merkmale S. 93 ff, 101 ff; dagegen Schaffstein O L G Celle-Festschrift S. 175 ff, 197. 129 RG 26 S. 218 f; 29 S. 216 f; 60 S. 273 ff, 275 f. 130 Binding Normen Bd. III S. 146 ff, 150.

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Welzel N J W 1953 S. 486 ff; Franzen-GastSamson Steuerstrafrecht §370 Rdn. 187; a. A. BayObLG Betrieb 1981 S. 874 ff, 875 (nur die Merkmale, von denen das Bestehen des Anspruchs abhängt, müssen gekannt sein); Warda Abgrenzung S. 47 f; siehe dazu Tiedemann ZStW 81 S. 869 ff, 874 f. O L G Köln N J W 1981 S. 63 f.

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. AbSChn

— In diese Gruppe gehört auch der Gegenstand der Verwerflichkeit bei der Nötigung und der Erpressung (§§ 240, 253, 255 StGB), seil, die Beschneidung der rechtlich garantierten Freiheit des Opfers durch den Täter 1 3 3 . — Schließlich gehören in diese Gruppe die früher von Welzel sogenannten speziellen Rechtswidrigkeitsmerkmale (Rechtspflichtmerkmale), soweit sie den Unrechtstatbestand betreffen (siehe oben 6/64 f), etwa die Rechtmäßigkeit der Amtshandlung bei § 113 StGB, und die Tätermerkmale der Sonderdelikte: Beamte, Vormünder und als Sondermerkmal auch Eltern werden nämlich u. a. durch die Pflicht definiert, die sie beim Sonderdelikt verletzen (siehe unten zum Versuch 5/43 ff und zur Unterlassung 29/90). Ein Beamter ist eine Person, die u. a. nicht bestechlich sein darf, ein Vormund eine Person, die für das Mündel zu sorgen hat etc. Freilich kann auch hier die Kenntnis des Täters randunscharf sein. b) Die Konsequenzen für die Scheidung von Vorsatz und Unrechtsbewußtsein Die normgefüllten Merkmale übernehmen eine anderweitig konstituierte Norm. 5 7 Damit gibt es bei ihnen eine Normwidrigkeit als Tatbestandsvoraussetzung 1 3 4 : Je nach Anknüpfungsart an eine informelle oder an eine rechtliche Norm kommt bei gegebenem Vorsatz ein Verbotsirrtum praktisch oder gar überhaupt nicht mehr als direkter Irrtum in Betracht, sondern nur noch als Irrtum über die Geltung oder den Umfang eines Rechtfertigungsgrunds; bei Tätermerkmalen der Sonderdelikte ist auch ein Irrtum über beiläufige Pflichten möglich 135 . Beispiel: Das Verständnis der rechtlichen Regelung der Fremdheit bei den Eigentumsdelikten ist ohne Verständnis der Rechtszuständigkeit des Eigentümers und des Verbots, den Berechtigten zu stören, nicht zu leisten. Abgeschwächt gilt das auch für die normbezogenen Merkmale; die Kenntnis der Störung rechtlich gebilligter Erwartungen ist Kenntnis der materiellen Rechtswidrigkeit, ebenso die Kenntnis der Erfüllung rechtlich mißbilligter Erwartungen. c) Irrtumsprobleme aa) Zur Kenntnis einer Ordnung oder Zuordnung kommt der Täter nicht stets über 5 8 die Kenntnis des Substrats; Beispiel: Wie fremdes Eigentum entstanden ist, weiß man selten; daß es entstanden ist, weiß man hingegen in der Regel; falsche Spekulationen über den Entstehungsgrund hindern den Vorsatz nicht. So liegt Vorsatz vor, wenn der Täter meint, er stehle dem Eigentümer eine ererbte Sache, während in Wirklichkeit diese Sache nicht per Erbgang, sondern durch die Erfüllung eines Vermächtnisses erworben wurde. Oder: Ob eine echte Urkunde, die der Täter verfälschen will, eigenhändig oder legitimiert fremdhändig (per „Geistigkeit") entstanden ist, ist für den Fälschungsvorsatz bedeutungslos, wenn es sich um Rückschlüsse des Täters aus der sowieso gekannten Echtheit handelt. Jedenfalls liegt Vorsatz vor, wenn der Täter bei Kenntnis des Tatumstands über den Entstehungsgrund falsch mutmaßt. bb) Der Schluß aus einem ungeeigneten Substrat auf den Tatumstand ergibt keinen 5 9 Vorsatz, und zwar auch dann nicht, wenn der Schluß aus anderen Substraten angemessen wäre. Beispiel zu den normbezogenen Merkmalen: Wer eine Schrift wegen ihres 133 Jakobs Peters-Festschrift S. 69 ff, 77 f f ; die wucherähnlichen Fälle, die von der überwiegenden Ansicht unter den N a m e n von N ö t i g u n g und Erpressung erfaßt werden (hierzu Jakobs aa Ο S. 69 ff, 71 ff) rechnen zur vorigen Gruppe. — Zur Verwerfung der Lehre von den offenen Tatbeständen zugunsten eines unbestimmt-geschlossenen Tatbestands siehe oben 6/61 ff.

13

< Das berücksichtigt Haft JA 1981 S. 281 ff, 283 ff

135

nicht, der meint, einen „gegenstandsbezogenen" von einem „begriffsbezogenen" Irrtum trennen zu k ö n n e n : Aber der Begriff kann schon im Gegenstand stecken. Siehe Baumann Welzel-Festschrift S. 533 ff mit zahlreichen Beispielen; LK-Schroeder § 16 Rdn. 46.

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8. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

atheistischen Gehalts für pornographisch hält, deren grob sadistische Tendenz jedoch nicht kennt, hat keinen Vorsatz. Beispiel zu den normgefüllten Merkmalen: Wer den Erben für einen Vermächtnisnehmer hält, diesem aber durch die irrige Annahme eines Vindikationslegats (i. e. ein unvermittelt Eigentum verschaffendes Vermächtnis) Eigentum zuordnet, hat keinen Vorsatz bezüglich dieses Eigentums; denn es ist nicht Zweck der Eigentum schützenden Normen, Forderungen als Eigentum zu schützen 1 3 6 . 60

cc) Schließt der Täter aus einem an sich geeigneten Substrat auf den Tatumstand, so liegt Vorsatz vor; besteht der Tatumstand freilich mangels Substrats nicht oder nur wegen eines anderen Substrats, so bleibt es beim Versuch; Beispiel: Nur ein versuchter Diebstahl liegt beim Diebesgriff des Schmuckfabrikanten vor, der meint, gesehen zu haben, wie der Prokurist einem Käufer Rohdiamanten veräußerte, während in Wahrheit ein Diamantenlieferant sein Vorbehaltseigentum zurückforderte. Anders verhält es sich aber, wenn der Täter nicht aus dem Substrat auf die Rechtsfolge (auf den Tatumstand) schließt, sondern den Tatumstand aus allgemeinen Erwägungen kennt und über das Substrat spekuliert (so bei der oben eingangs genannten Fallgruppe). Insgesamt gilt, daß der Vorsatz so unteilbar ist, wie das Unrechtsbewußtsein unteilbar ist 137 .

61

dd) Wer bei zutreffender Verbindung von Substrat und Folge meint, auch andere, objektiv ungeeignete Umstände würden die Folge auslösen, hat nur Vorsatz, wenn sein Irrtum nur Randfälle betrifft. Beispiel: Der Begriff des Eigentums wird nicht dadurch falsch, daß der Täter irrig und ohne Bezug zum konkreten Verhalten meint, ein Vermächtnisnehmer erwerbe unvermittelt Eigentum, oder daß der Täter etwa vom Erwerb in öffentlichen Versteigerungen keine Ahnung hat. Ein richtiger Begriff vom Eigentum fehlt aber, wenn der Täter meint, es handele sich beim Eigentum um ein Recht, das u. a. auch von jedem Dieb durch den Diebesgriff erworben werde; in solchen Fällen fehlt eine hinreichende Kenntnis des Regelungseffekts.

62

Zu aa) bis dd) Regel: Eine zu strenge Parallelbeurteilung und das Fehlen einer Parallelbeurteilung belasten nie. — Siehe auch unten zum Versuch 25/43 ff und zur subjektiven Seite bei der Rechtfertigung 11/39 ff.

D. Die Kausalität als Vorsatzgegenstand 63

Der Vorsatz muß auch die Kausalität der Handlung für den Erfolg umfassen. Freilich ist teils diffizil zu bestimmen, ob und in welchem Maß sich der Vorsatz auch auf den Verlauf zum Erfolg und auf den Erfolg in seiner konkreten Gestalt beziehen muß. — Im Ergebnis muß der Täter das Risiko kennen, das sich verwirklicht, nicht aber den konkreten Verlauf, durch den es sich verwirklicht. 1. Die Verwirklichung des gesehenen Risikos a) Grundsatz: Übertragung der Regeln der objektiven Zurechnung

64

aa) Was zunächst bei konstantem Erfolg die Abweichung des objektiven Kausalverlaufs vom subjektiv vorgestellten Kausalverlauf angeht, so herrscht Einigkeit darüber, daß nicht jede Detaildifferenz zwischen subjektiver und objektiver Lage es ausschließt, den Erfolg als vorsätzlich herbeigeführt zuzurechnen. Nach üblicher Formulierung soll 136

Unzutreffend also BayObLG N J W 1963 S. 310; Jescheck A T § 50 II 2 (mit weiteren Nachweisen) mit der Annahme von vollendeter Unterschlagung im folgenden Fall: Der Täter meint, erst mit voller Bezahlung werde man Eigentümer; den bestehenden Eigentumsvorbehalt kennt er nicht. — § 246

240

137

StGB unterläuft auch dann nicht das Abstraktionsprinzip, wenn der Täter dieses nicht kennt. Konsequent anders von der Teilbarkeit des Unrechtsbewußtseins aus deshalb auch Hirsch Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen S. 229.

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. AbSChn

nur eine wesentliche Abweichung vorsätzliche Vollendung hindern, wobei die Wesentlichkeit danach bestimmt wird, ob die Abweichung vom Vorstellungsbild des Täters ausgehend noch adäquat ist 138 (oben 7/31 ff). Eine neuere Lehre, die auf Prinzipien zurückgreift, die zur objektiven Zurechnung entwickelt wurden, bestimmt — höchst präzisierungsbedürftig — die Wesentlichkeit danach, ob der konkrete Verlauf noch eine Realisierung des vom Täter vorsätzlich gesetzten Risikos ist 139 . Es handelt sich um Fälle der Art, daß der Täter sein Opfer von einer Brücke in einen Fluß werfen will, damit es ertrinke, das Opfer aber auf einen Eisbrecher vor einem Brückenpfeiler aufprallt und dadurch getötet wird (keine vorsätzliche Vollendung, streitig), oder aber daß der Täter das Opfer erschlagen will, dieses jedoch an einer schweren Infektion der großen Wunde stirbt 140 (vorsätzliche Vollendung) etc. 141 . bb) Daß die Lösung nicht über die Adäquanz des Verlaufs gefunden werden kann, 6 5 folgt aus dem Ergebnis der oben zur objektiven Zurechnung ausgeführten Kritik an der Adäquanztheorie. Es ist deshalb — unter Preisgabe aller Verbindungen zur Adäquanz des Verlaufs — mit der neueren Lehre bei dem vom Täter vorsätzlich gesetzten Risiko anzusetzen und die Verwirklichung dieses Risikos zu prüfen. Der Gang dieser Prüfung erfolgt entsprechend der Prüfung einer Risikoverwirklichung bei der objektiven Zurechnung (oben 7/72 ff, einschließlich der Ausführungen zur mehrfachen Risikoverwirklichung). Eine vorsätzliche Erfolgsherbeiführung liegt dann vor, wenn das vom Täter vorsätzlich geschaffene Risiko (allein oder zusammen mit einem anderen Risiko) den Schadensverlauf erklärt (zum Begriff der Erklärung oben 7/74). Wie zur objektiven Zurechnung ist zur Ermittlung dieser Erklärung das Verhalten des Täters zum angegriffenen Objekt in einzelne unerlaubt oder erlaubt riskante Beziehungen zu zerlegen, wobei im hiesigen Bereich insbesondere die Fallkonstellation möglich ist, daß der Täter mehrere unerlaubt riskante Beziehungen schafft, diese aber nur teils als riskant erkennt. Wie es bei der objektiven Zurechnung nicht allein darauf ankommt, ob ein unerlaubt riskantes Verhalten den Erfolg bedingt, so kommt es bei der Zurechnung als vorsätzliche Tat nicht allein darauf an, ob eine vorsätzlich geschaffene riskante Be138 RG 51 S. 306 ff, 311; 70 S. 257 ff, 258; R G H R R 1939 N r . 395; O G H 2 S. 63 ff, 64 (dazu fescheck A T § 29 V 6 b ) ; B G H 1 S. 278 ff, 279; 9 S. 240 ff, 242; 10 S. 313 f f ; WelzelStrafrecht § 13 I 3 d vor a ; Baumann A T 5 26 II 4 b ß; Maurach-Zipf A T I § 23 III 2 vor a. — Stärker subjektiv Hruschka A T S. 12 f (die Wesentlichkeit soll sich nach dem Standpunkt — nicht n u r ; Vorstellungsbild — des Täters bestimmen). 139 SK-Rudolphi § 1 6 Rdn. 31 (der freilich mißverständlich trotz klaren Bezugs auf die vorsätzlich gesetzte G e f a h r von einem Problem der ohjektiven Z u r e c h n u n g spricht); Stratenwerth AT Rdn. 276; Jescheck A T § 29 V 6 b ; Jakobs Studien S. 89 ff; wohl auch Schmidhäuser A T 10/44 in Verbindung mit 10/41; — nach LK-Schroeder § 16 Rdn. 20 soll es auf die „dem T ä t e r bekannte konkrete Erfolgstauglichkeit der H a n d l u n g " ank o m m e n ; auch ders. GA 1979 S. 321 ff, 327 f; freilich ist der Schluß aus der Tauglichkeit eines Risikos auf seine Verwirklichung nicht abgesichert. — Vereinzelt wird das Vorstellungsbild des Täters überhaupt ausgeklammert und nur auf den objektiven Z u s a m m e n h a n g zwischen HandlungsVollzug und Erfolg abgestellt: Wolter ZStW 89 S. 649 ff, 680 f, 703; ders. Objektive und perso-

140 141

naie Z u r e c h n u n g S. 27 f, 127 ff, 357. Das ist verfehlt, da der Erfolg dann nicht mehr aus dem erkannten oder zumindest erkennbaren Risiko resultiert und deshalb von der H a n d l u n g abgeschnitten wird. Vorsätzlich beendeter Versuch plus Erfolg ist nicht gleich vorsätzliche Vollendung. - Herzberg Z S t W 85 S. 867 ff, 886 ff (anders den. JA 1981 S. 369 ff, 470 ff) will Abweichungen unberücksichtigt lassen, solange sie im Rahmen des Mitbewußtseins liegen. Das versagt schon bei simplen Alltagsfällen: Die — je nach Detaillierung — nahezu grenzenlosen Verlaufsvarianten etwa eines Schusses in die Brust eines Menschen mit Todesfolge können unmöglich auch nur in wesentlichen Teilen mitbewußt sein. Zudem mag einem uninteressierten T ä t e r überhaupt nur mitbewußt sein, daß ein Verlauf stattfindet; was etwa nach einer Giftinfektion bis z u m Ende geschieht, mag den T ä t e r nicht interessier e n : deshalb kein V o r s a t z ? R G 70 S. 257 ff, 258 ff. Bekannt ist auch der von H.Mayer J Z 1956 S. 109 ff, 111 gebildete Fall: Ein Kind wird vom Ponte Rialto in den Canale G r a n d e geworfen, w o es nicht wie erwartet ertrinkt, sondern von einem überraschend a u f t a u c h e n d e n H a i zerrissen wird.

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8. A b s c h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

ziehung eine Erfolgsbedingung ist; der Erfolg muß vielmehr wegen des vorsätzlich geschaffenen Risikos und nicht nur gelegentlich dieses Risikos eintreten. b) Einzelheiten 66 aa) Ob sich das vom Täter erkannte Risiko verwirklicht, hängt nicht von den Vorstellungen des Täters davon ab, wie es sich verwirklichen werde; der Täter mag falsche Vorstellungen haben, wie selbst Fachleute teils falsche Vorstellungen von Vorgängen auch auf ihrem Fachgebiet haben, etwa Pharmazeuten von der Wirkungsweise pharmazeutischer Mittel; der Täter mag auch überhaupt keine Vorstellungen haben. Beispiel : Ob ein Stoff, den der Täter als tödliches Gift kennt und dem Opfer eingibt, entgegen den Erwartungen des Täters, oder ohne daß der Täter über die Wirkungsweise nachgedacht hätte, den Magen verätzt, so daß das Opfer innerlich verblutet, oder zur Atemlähmung führt, ist gleichgültig, sofern es sich nur um die Verwirklichung des Risikos dieses Gifts handelt. Vorsatzgegenstand ist nicht ein konkreter Verlauf, sondern die Verwirklichung eines Risikos 142 . 67

bb) Entsprechend der Lage bei der objektiven Zurechnung lassen sich auch bei der Zurechnung als vorsätzliche Tat diejenigen Fallgestaltungen ohne größere Wertungsprobleme entscheiden, in denen das erkannte Risiko ein nicht erkanntes Risiko auslöst, aber auf dessen weitere Entwicklung ohne Einfluß bleibt. So kann sich etwa der Täter gelegentlich eines erkannten Erfolgsrisikos zusätzlich auch noch unerkannt riskant verhalten. Fällt etwa bei einer Operation unter klinischen Bedingungen das Operationsbesteck dem Patienten mit einer Verletzungsfolge auf ein Bein, so ist diese Verletzung allenfalls fahrlässig herbeigeführt; denn nicht das vorsätzlich geschaffene (erlaubte oder, bei fehlender Einwilligung oder Indikation, unerlaubte) Risiko der Operation erklärt den Verlauf, sondern das gelegentlich dieses Risikos geschaffene weitere, nicht erkannte Risiko des unvorsichtigen Umgangs mit scharfen oder spitzen Gegenständen. — Zu diesem Bereich gehören auch diejenigen Fallgestaltungen, in denen der Täter ein Risiko zu weit, also durch zu wenige Bedingungen definiert. Beispiel: Der Täter meint, für Kleinkinder seien alle Pilze giftig, und serviert dem Kind eine Portion Dosenchampignons, die — erkennbar oder unerkennbar — verdorben sind; — keine vorsätzliche Körperverletzung oder Tötung, da das gesehene Risiko keine unerlaubt riskante Beziehung ist; das verwirklichte Risiko wird hingegen nicht gesehen (liegt das verwirklichte Risiko auch noch im Rahmen des Erlaubten, fehlt schon die objektive Zurechnung).

68

cc α) Schwieriger ist die Entscheidung der Fallgestaltungen, in denen der Täter das Risiko zu eng, also durch zu viele Bedingungen definiert. Zur Lösung ist zunächst zu berücksichtigen, daß von jedem Menschen Risiken im alltäglichen Leben üblicherweise als ein Bündel teils kumulativ und teils alternativ notwendiger Bedingungen erfahren werden; daß Details austauschbar sind, gehört zur üblichen Risikodefinition dazu. Was ein Täter als Risiko erkennt, hängt entsprechend davon ab, wie die Fälle gestaltet waren, an denen er die Erfolgseignung selbst gelernt hat, oder — wohl häufiger — die Fälle, die eine dem Täter vermittelte Erfahrungstradition und damit das vom Täter angewendete Risikomodell gebildet haben. Beispiel: Daß ein unkontrolliertes Einstechen auf einen Menschen tödlich ausgehen kann, mag an der Verletzung lebenswichtiger Organe, am Blutverlust, an einer Infektion durch Verschmutzungen des Tatmittels oder an einer Infektion durch erhöhte Anfälligkeit wegen der körperlichen Schwä142

Ähnlich, freilich von der Adäquanztheorie her argumentierend, Krümpelmann Beiheft ZStW 1978 S. 6 ff, 25.

242

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. AbSChll

chung liegen u. a. m.; je nach der Variante bilden andere Bedingungen das Risiko: Einmal muß ein Organ getroffen werden, das andere Mal eine wichtige Ader, die Wunde muß infiziert werden oder es muß zu einer interkurrenten Krankheit kommen etc. In der Regel wird ein Täter diese Risiken aber nicht auseinanderhalten; dann erkennt er die generelle Gefahr des Zustechens. ß) Zur Erfahrungstradition kann auch gehören, daß ein Verlauf gefährlich bleibt, 6 9 wenn er die anvisierte Stelle verfehlt. Kraß: Auf das H e r z eines Menschen zu schießen, ist nicht nur als tödliches Handeln bekannt, weil man manchmal genau trifft. Deshalb verwirklicht sich die gekannte Gefahr auch noch, wenn das Objekt an einer anderen Stelle getroffen wird 1 4 3 . — Häufig wird zweifelhaft bleiben, welches Risikomodell dem Täter vor Augen gestanden hat. Jedenfalls wäre es verfehlt, entsprechend der oben verworfenen Lösung über die Adäquanz dem Täter alles das als Risikokenntnis anzudichten, was ein besorgter Mensch als Risiko erkannt hätte 1 4 4 . So mag ein in plötzlicher Erregung zuschlagender Täter überhaupt nur das Risiko kennen, daß seine Faust den Körper des Opfers trifft, während bei einem längeren Kampf auch das Risiko, daß sich das Opfer bei Ausweichversuchen oder bei einem Sturz verletzt, also das Risiko der ganzen Situation, gesehen werden mag. Da der Vorsatz vom Gesetz als psychisches Faktum festgeschrieben ist, darf nicht anläßlich eines erkannten Risikos jedes erkennbare Risiko dem erkannten gleichgestellt werden. dd) Wirkt auf den Verlauf des vom Täter erkannten Risikos ein weiteres — erkenn- 7 0 bares oder nicht erkennbares, jedenfalls nicht aktuell erkanntes — Risiko ein, so kommt es darauf an, ob die Einwirkung das erkannte Risiko verdrängt (keine vorsätzliche Erfolgsbewirkung) oder nur relative Begleitumstände variiert (vorsätzliche Erfolgsbewirkung) oder ob sich beide Risiken verwirklichen (gleichfalls vorsätzliche Erfolgsbewirkung). Die Grenze zwischen Risikoverwirklichung und bloßer Variation relativer Begleitumstände ist wie die Grenze im Bereich der objektiven Zurechnung zu ziehen (oben 7/81 ff): Das vom Täter erkannte Risiko verwirklicht sich, wenn es zur Erklärung des konkreten Verlaufs notwendig ist. Um das zu ermitteln, sind die Bedingungen des erkannten Risikos so variiert zu denken, daß der Täter sie nicht mehr als riskant erkennt. Ändern sich bei dieser variierten Lage gegenüber dem konkreten Verlauf allenfalls Umstände, von denen die Enttäuschung des Opfers nicht abhängt, also relative Begleitumstände (oben 7/16), so hat sich das erkannte Risiko nicht verwirklicht, ansonsten wohl. Eine Risikoverwirklichung liegt natürlich insbesondere vor, wenn bei jeder Variante der Erfolg überhaupt ausbleibt. Bei der Variation ist zu berücksichtigen, daß die Bedingungen eines Risikos üblicherweise (anders etwa in wissenschaftlichen Experimenten) nur so grob bestimmt werden, wie alltägliche Erfahrung randunscharf ist; entsprechend kann sich die Variation auch nur auf Merkmale beziehen, die man im praktischen Leben hinzufügt oder wegläßt, nicht aber auf nur theoretisch oder allenfalls im wissenschaftlichen Experiment isolierbare Merkmale. Freilich ist es gleichgültig (wiederum entsprechend der Lage bei der objektiven Zurechnung), ob der Täter in jedem Einzelfall die Variante vollziehen könnte; denn es geht nicht um die Berücksichtigung hypothetischer Kausalität, sondern um die Bildung einer Hypothese zum Zweck der Ermittlung einer realen Risikoverwirklichung. 143

Siehe LK-Schroeder % 16 Rdn. 11 mit zutreffendem Hinweis auf die Notwendigkeit einer Begrenzung: Bei einer Attacke auf eine FensterScheibe liegt nicht jede Stelle einer breiten Gebäudefront in dem Bereich, dessen potentielle Beschädigung in die Risikodefinition der H a n d l u n g eingegangen ist. Zu eng ist freilich die Beschränkung

144

Schweden zu § 225 StGB auf die erkannte schwere Folge (zutreffend weiter O L G Bremen M D R 1959 S. 777 f ) ; siehe ferner Backmann J u S 1971 S. 113 ff, 118; Schmidhäuser A T 10/47; Herzberg JA 1981 S. 369 ff, 470 ff, 472. G a n z uferlos B G H bei Daliinger M D R 1975 S. 22.

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Ein Beispiel bildet der schon angeführte Fall eines Infektionstods statt eines erwarteten Tods an Blutverlust o. ä. Kann man eine Variante bilden, in der die Wunde so geringfügig ist, daß der Täter sie nicht mehr für tödlich gehalten hätte und ändern sich dann ohne Beeinflussung der Rettungschancen allenfalls der Todeszeitpunkt in geringfügigem Maß oder die Verlaufsart der Infektion oder der Sterbeort o. ä., so geht es um Differenzen, von denen die Enttäuschung des Opfers nicht abhängt, also um relative Begleitumstände, und das vom Täter erkannte Risiko hat sich nicht verwirklicht. Eine Risikoverwirklichung liegt aber vor, wenn bei einer kleineren Wunde die Infektion beherrschbar oder das Leben immerhin nennenswert zu verlängern gewesen wären o. ä. 71

Zur Abgrenzung: Das vergiftete Opfer erbricht im Todeskampf und erstickt; — Risikoverwirklichung, weil im alltäglichen Leben zwischen einer Vergiftung bis scharf an den Rand des Todes und bis hin zum Tod selbst nicht differenziert werden kann. Bei größeren Differenzen wäre aber der Erfolg überhaupt ausgeblieben. — Aber: Das vergiftete Opfer will wegen des üblen Geschmacks den Mund ausspülen, stürzt zum Waschbecken, fällt und erleidet einen Schädelbruch; — keine Risikoverwirklichung, weil man im alltäglichen Leben auch über übelschmeckende Substanzen verfügt, die nicht giftig sind. — Grenzfall: Das vergiftete Opfer torkelt benommen, stürzt und sein Schädel bricht. — Die Grenze kann also niemals exakter bestimmt werden, als im alltäglichen Leben Erfolgsbedingungen gehandhabt werden, und auch niemals exakter, als sich nicht enttäuschende relative Begleitumstände von enttäuschungsrelevanten Verlaufsänderungen unterscheiden lassen.

72

ee) H a t der Täter das sich verwirklichende Risiko erkannt, so ist gleichgültig, ob der Verlauf zum Erfolg häufig oder nur vereinzelt vorkommt. Beispiel: Der mit Tötungsvorsatz durch einen Stich mit einem nicht desinfizierten Messer schwer Verletzte stirbt an einer wegen des Ausmaßes der Verletzung nicht beherrschbaren Infektion, die freilich durch die Verschmutzung des Messers mit einem extrem seltenen Erreger verursacht wurde 1 4 5 ; — der seltene Erreger steht dem wirkungsgleichen (!) häufigen Erreger so gleich, wie die jeweiligen (je höchst seltenen) Einzelexemplare einer Spezies gleich stehen.

73

ff) Sind die vorgesetzte und die eingetretene Verletzung nicht von gleicher Quantität, so wird mindestens und höchstens das gesehene Quantum als vorsätzlich zugerechnet; tritt weniger ein, so bleibt die Handlung partiell Versuch; tritt mehr ein, so kommt zur vorsätzlichen Vollendung eine unvorsätzliche Erfolgsherbeiführung hinzu 1 4 6 . gg) Soweit sich das vom Täter gesehene Risiko verwirklicht, es aber für den Bestand des Erfolgs ohne Bedeutung ist, gelten die Ausführungen zur Strafrahmenmilderung wegen hypothetischer Erfolgsursachen (oben 7/92 ff). 2. Die vorzeitige Vollendung und der dolus generalis

75

Im bislang behandelten Bereich irrt der Täter, wie er von seiner Handlung zum vorgestellten Erfolg kommt. Davon ist der Irrtum zu trennen, welche von mehreren Hand145

Siehe Jakobs Studien S. 97; — nach Schünemann JA 1975 S. 435 ff, 575 ff, 582 soll der Verlauf noch adäquat sein, was aber bei „extrem seltenen" Verläufen per definitionem falsch sein dürfte; — eine verfälschte Wiedergabe des Falls (das Maß der Stichverletzungen wird nicht als Bedingung des tödlichen Ausgangs der Infektion berücksichtigt) bringt Wolter ZStW 89 S. 649 ff, 685 f;

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146

ders. Objektive und personale Zurechnung, S. 71 f, 89 ff. R G 26 S. 61 ff; die alte Lehre von der Irrelevanz des Quantitätsirrtums (Binding Normen Bd. II 1. Auflage, 1877, S. 421, 425) ist überholt; etwa die §§ 224, 226 StGB sind Delikte, die einen relevanten Qualitätsirrtum voraussetzen.

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. Abschn

lungen des Täters den vorgestellten Erfolg bringt. Der Täter kann sich nach seiner Vorstellung noch im Stadium des unbeendeten Versuchs befinden, aber den Erfolg schon hinreichend bedingt haben (vorzeitige Vollendung), und er kann meinen, den Erfolg schon bewirkt zu haben, während er ihn erst danach durch ein beiläufiges Tun bewirkt (sogenannter dolus generalis). a) Zur vorzeitigen Vollendung: Natürlich handelt es sich nicht um einen Irrtum, 76 wenn der Täter das vorzeitige Bewirken kennt und — etwa der größeren Erfolgssicherheit wegen — weitere erfolgsgeeignete Handlungen plant. Beispiel: Wer bei einer Brandstiftung Benzin für den Fall bereithält, daß die angezündete Lunte nicht hinreichen sollte, begeht vorsätzliche Brandstiftung, wenn schon die Lunte das Objekt in Brand setzt. Vielmehr geht es um Fälle, in denen der Täter meint, noch nicht genug getan zu haben, um den Erfolg herbeizuführen, er aber objektiv schon genug getan hat. Beispiele: Das Opfer einer Lynchjustiz wehrt sich gegen seine „Hinrichtung" und kommt schon bei diesem Handgemenge ums Leben 147 . — Der Täter will das Opfer, das er betäubt hat, mit Tötungsvorsatz aus einem fahrenden Zug werfen; schon die Betäubung wirkt tödlich 148 . Uberwiegend wird angenommen, wenn der Versuch begonnen worden sei 149 , könne die eintretende Vollendung als vorsätzlich zugerechnet werden, sofern der Verlauf nur unwesentlich (adäquat) abweiche 150 . Das ist nicht richtig; denn der Täter kennt in den bezeichneten Fallgestaltungen nun einmal die Bedingungen des Erfolgs nicht, so daß sich kein ihm bekanntes Risiko verwirklicht. Der Versuch des Täters, ein anderes Risiko für das identische Gut zu verwirklichen, bleibt natürlich zurechenbar, ebenso eine gegebenenfalls vorliegende ideal konkurrierende fahrlässige Erfolgsherbeiführung 151 . — Zu den Rücktrittskonsequenzen siehe unten 26/13. Die Lösung gilt auch dann, wenn der Täter während der Versuchsausführung die Schuldfähigkeit verliert: Ein schuldhaft begonnener Versuch und dazu ein schuldlos beendeter Versuch ergeben zusammen nicht eine zurechenbar vollendete Tat 1 5 2 . Eine andere Frage ist, ob ein durch die Tat oder frühere Planungsstadien zurechenbar bewirkter Affekt (etwa ein während des Tötens den Täter überkommender „Blutrausch") überhaupt die Schuld ausschließt (dazu unten 17/68, siehe ferner 17/69 ff; 18/14 ff, 17 f, 25, 32 ff).

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B G H GA 1955 S. 123 ff. R G DStr. 1939 S. 178 f. Also jedenfalls keine Vollendung, wenn der T ä t e r seine Frau unter V o r t ä u s c h u n g eines Jagdunfalls erschießen will und es auf der Fahrt z u r Jagd zu einem f ü r die Frau tödlichen Autounfall kommt. Anschaulich zu einem ähnlichen Fall Fischer bei Noll A T S. 80.

So die soeben angeführten Entscheidungen und ferner SK-Rudolphi § 16 Rdn. 34; Wetzel Lehrbuch § 13 I 3 d ß; Krümpelmann Beiheft Z S t W 1978 S. 6 ff, 24 f f ; Maurach-Zipf A T I § 23 III 2 b ; Stratenwertk A T Rdn. 283; Schönke-Schröder-Cramer% 15 Rdn. 55; Scbmidhäuser A T 10/46 u. a. m. '51 LK-Schroeder 5 16 R d n . 34 (freilich f ü r Realkonkurrenz); Herzberg Z S t W 85 S. 867 ff, 872, 883; Hruschka J u S 1982 S. 317 ff, 320 f; den. A T S. 33 ff; Wolter Z S t W 89 S. 649 ff, 697 (mit einer Sonderlösung für Rücktrittsfälle S. 698); v. Scbeurl Rücktritt S. 47 f.

52

Anders wiederum die überwiegende Ansicht; aus der Rechtsprechung: B G H 7 S. 326 ff, 329 (behandelt als Abweichungsproblem, wenn der V e r lust der Schuldfähigkeit duch den Versuchsbeginn erfolgt); 23 S. 133 ff, 136 mit A n m e r k u n g Oehler J Z 1970 S. 380 ff (unwesentliche Abweichung auch, wenn der Verlust der Zurechnungsfähigkeit aus einem Verhalten vor Versuchsbeginn folgt, jedenfalls aber nicht aus Umständen, die nicht z u r Disposition des Täters stehen); B G H 23 S. 356 ff, 358 (keine Zurechnung, wenn der T ä t e r schon vor Versuchsbeginn die Schuldfähigkeit verliert). — N a c h der hier vertretenen Ansicht handelt es sich bei den beiden ersten Entscheidungen nur um Versuche, vorbehaltlich einer anderen Lösung der Entschuldigung. Ebenso Geilen J u S 1972 S. 73 ff, 76 f f ; ders. Maurach-Festschrift S. 173 ff, 194 f; auch B G H GA 1956 S. 27 f ; dazu Oehler G A 1956 S. 1 ff.

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b aa) Zum dolus generalis153: Nicht um einen Irrtumsfall handelt es sich, wenn der Täter nach einem schon vermuteten Erfolg nochmals — etwa größerer Sicherheit wegen — mit Vorsatz auf das Opfer einwirkt. Beispiel: Der Täter schießt dem mit Tötungsvorsatz niedergeschossenen und mutmaßlich toten Opfer nochmals durch den Kopf, um jede Uberlebenschance auszuschließen; erst der letzte Schuß tötet das Opfer; — eine vorsätzliche vollendete Tat. Es geht beim dolus generalis vielmehr um Fälle, in denen der Täter meint, den Erfolg schon hinreichend bedingt zu haben, während er ihn erst durch nachfolgende, nicht als erfolgsrelevant erkannte Handlungen herbeiführt. Beispiele: Der Täter hat einen Brandsatz mit Zeitzünder installiert; er raucht noch eine Zigarette, wirft die glimmende Kippe weg und verläßt den Tatort; die Kippe bewirkt einen Brand, wobei der Brandsatz an sich tauglich oder aber nur vermeintlich tauglich gewesen sein mag. — Der Täter hat sein Opfer vermeintlich getötet; er wirft es in einen Fluß oder vergräbt es oder knüpft es zur Vortäuschung eines Suizids auf oder überfährt es mit dem Auto zur Vortäuschung eines Verkehrsunfalls; erst das jeweils letztere Verhalten bewirkt den Tod 1 5 4 .

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Die Lage weicht hier insofern von derjenigen bei vorzeitiger Vollendung ab, als der Täter immerhin mit dem ersten Akt vorsätzlich ein Risiko gesetzt hat, das sich trotz des zweiten Akts oder modifiziert durch den zweiten Akt verwirklichen kann. Das ist zwar in den soeben genannten Beispielen nicht der Fall — die Tödlichkeit des vorsätzlich gesetzten Risikos erklärt dort nicht den Verlauf zum Tod —, wohl aber bei Konstellationen, bei denen der zweite Akt in seiner Wirkung an die Erfolgseignung des ersten anknüpft 155 . Beispiel: Der Täter hat dem Opfer bei einer Messerstecherei mit Tötungsvorsatz eine große Ader durchgestochen und ein lebenswichtiges Organ verletzt; das Opfer bricht so zusammen, daß die Ader weit aufklafft und das Opfer, bliebe es in dieser Lage, verbluten würde, bevor sich der Defekt am Organ auswirken würde; der Täter verbirgt aber die vermeintliche Leiche bald unter einem Holzstoß; dabei wird die Ader abgeklemmt und das Opfer stirbt nicht an Blutverlust, sondern des defekten Organs wegen; — das Risiko der Stecherei hat sich verwirklicht, also liegt eine vorsätzliche vollendete Tat vor 156 . Der Erfolg ist aber nicht als vorsätzlich zurechenbar, wenn das Risiko des ersten Akts von einem durch den zweiten Akt gesetzten neuen Risiko verdrängt wird: Das vorsätzlich gesetzte Risiko verwirklicht sich nicht, und das verwirklichte Risiko wird unvorsätzlich gesetzt.

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bb) Wenn verbreitet argumentiert wird, es handele sich um einen Sonderfall der Abweichung vom Kausalverlauf 157 , so ist das richtig, berechtigt aber nicht dazu, die Ver153 £ ) e r Begriff stammt aus einem früheren, heute nicht mehr vertretenen Lösungsversuch (alles mit der T a t zusammenhängende Handeln soll mit generellem V o r s a t z geschehen); Weber N A r c h C r i m R 7 S. 551 ff, 577; dagegen schon Geyer GA 13 (1865) S. 239 ff, 313 ff; klar gegen die Konstruktion eines generellen Vorsatzes B G H 14 S. 193 f ; zumindest verbal noch am dolus generalis klebend Welzel Strafrecht § 13 I 3 dß. >54 Siehe die ähnlichen Fälle R G 67 S. 258 f; B G H 14 S. 193 f; O G H 1 S. 74 ff, 75; siehe auch schon die Fälle bei Osenbrüggen Casuistik des Criminalrechts N r . 16 (S. 40 ff) und 17 (S. 44 ff). '55 Jakobs Studien S. 99 f. 156 Natürlich läge eine solche auch vor, wenn das O p f e r liegengeblieben und verblutet wäre; das ist nur zu erwähnen, weil Roxin Würtenberger-Fest-

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157

schrift S. 109 ff, 120 die Lösung entsprechend mißdeutend hat. So die oben genannten Entscheidungen und zahlreiche auch hier mit der A d ä q u a n z operierende Autoren f ü r den Fall, daß der zweite Akt von vornherein geplant w a r : Welzel Straf recht § 1 3 1 3 d ß; Stratenwerth A T Rdn. 281 (mit Bemerkungen zur Bedeutung der Planung für die Adäq u a n z ) ; SK-Rudolphi § 16 Rdn. 35; - f ü r Vollendung sogar ohne das Erfordernis einer umfassenden Planung (aber was ist etwa ein adäquater U m g a n g mit einer vermeintlichen Leiche?) Schönke-Schröder-Cramer § 15 Rdn. 57; ]escheck A T § 29 V 6 d ; H. Mayer J Z 1956 S. 109 ff; Wolter ZSiW 89 S. 649 ff, 659 f, 683 ff, 694; iers. O b jektive und personale Z u r e c h n u n g S. 83 Fn. 70; Baumann A T § 26 II 4 b ß.

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. Abschn

wirklichung eines nicht erkannten Risikos zum Vorsatz zuzurechnen. — Soweit dahin entschieden wird, es liege stets nur Versuch vor, bei Vermeidbarkeit des zweiten Akts real konkurrierend mit Fahrlässigkeit158, so wird verkannt, daß das Risiko des zweiten Akts bloß modifizierend oder ergänzend hinzukommen mag, ohne das Risiko des ersten Akts zu verdrängen (oben 8/70 ff). 3. Der Objektsirrtum a) Verfehlt der Täter das anvisierte Objekt (im Sinn von Angriffsobjekt; es kann sich dabei auch um eine Person handeln) und trifft stattdessen ein anderes, wobei er diese Verlaufsmöglichkeit als nicht unwahrscheinlich erkannt hatte, so liegt ein alternativer Vorsatz vor (oben 8/33). Ist dem Täter jedoch nicht bekannt, daß ein anderes Objekt getroffen werden könnte (aberratio ictus, Objektsirrtum), so haftet er wegen versuchten Angriffs auf das anvisierte Objekt, allenfalls noch wegen fahrlässiger Verletzung des getroffenen Objekts 159 , nicht aber wegen vorsätzlicher Vollendung, und zwar auch dann nicht, wenn die Objekte gattungsgleich sind 160 . Das hat folgenden Grund: Mit dem Angriff auf das anvisierte Objekt setzt der Täter auch ein Risiko für Objekte, die sich im Streubereich des Tatmittels befinden; dieses Risiko kennt er aber nicht. Die Verwirklichung des Abweichungsrisikos ist auch nicht eine bloße Verlaufsvariante des gekannten Risikos; denn das Abweichungsrisiko hängt in jedem Fall von vereinzelten situativen Momenten ab, ist also nach Maß und Art durch das gesehene Risiko nicht zu bestimmen. Konkret: Zielt jemand auf die rechte Seite eines Menschen, so ist es eine vorsätzliche Vollendung nicht hindernde Abweichung, wenn er die linke Seite trifft, denn diese Möglichkeit ist dadurch mitgegeben, daß auf einen Menschen geschossen wird; ob aber neben dem Menschen noch ein Mensch steht oder ein zerbrechlicher Gegenstand etc. oder nicht, ist dadurch, daß 15S So wohl R G 70 S. 257 ff, 258; entschieden so schon Engisch Untersuchungen S. 72; Frank § 59 Anm. IX a. E.; ferner Maurach-Zipf A T I § 23 III 2 b; Maiwald Z S t W 78 S. 30 ff; Schmidhäuser A T 10/46; Backmann J u S 1972 S. 196 ff, 199; Herzberg ZStW 85 S. 867 ff, 888; Hrmchka J u S 1982 S. 317 ff, 319 f; den. A T S. 28 ff. - Weitere Ansichten: Nach LK-Schroeder § 16 Rdn. 31 in Verbindung mit Rdn. 29 soll es darauf ankommen, ob der erste Akt ein konkret erfolgstaugliches Ergebnis hatte (dann vorsätzliche Vollendung) oder nicht. Diese Lösung setzt nicht jeden, sondern nur den tauglichen beendeten Versuch der Vollendung gleich, immerhin aber einen Versuch. — Roxin (Würtenberger-Festschrift S. 109 ff, 120 ff) will nicht nach der Risikoverwirklichung, sondern nach der Planverwirklichung entscheiden, was heißen soll, daß nur, aber auch stets bei Absicht Vollendung, ansonsten Versuch anzunehmen sei: „Die Probe aufs Exempel bietet die hypothetische Annahme, daß der T ä t e r nach dem Erstakt bemerkt hätte, sein O p f e r lebe n o c h ; der Absichtsmörder hätte dann die todbringende Zweithandlung ungerührt vollzogen, w ä h r e n d ein schlichter Vorsatztäter dies nicht getan hätte, weil es seinen Zielen nicht entsprochen hätte". Dagegen ist einzuwenden: (1) W e n n dem Absichtstäter der Erfolg, den er errungen zu haben glaubt, in W a h r heit in den Schoß fällt, ist die Absicht kein G r u n d , das Fallen in ein vorsätzliches Bewirken umzu-

deuten. (2) Die Lösung paßt nur, wenn dem Absichtstäter die Begehungsform gleichgültig ist. Beispiele: Der T ä t e r , der sein O p f e r mit Tabletten vergiftet zu haben meint und in dessen Schlafzimmer trägt, um das Tatbild eines Suizids zu arrangieren, wobei ihm die vermeintliche Leiche entgleitet, hart aufschlägt und dabei getötet wird, hätte in Kenntnis der Wirklichkeit keineswegs den Sturz auf den Boden vorsätzlich herbeigeführt. (3) Zudem kann die Absicht nach dem ersten Akt „verbraucht" sein, etwa weil der T ä t e r n u n m e h r sieht, daß das O p f e r die erwartete Beute nicht bei sich trägt; wieso sollte er es vorsätzlich nochmals attackieren? — Z u r Kritik siehe auch LK-Schroeder § 16 Rdn. 31 mit Fn. 28. 159

So die überwiegende Ansicht; Jescheck A T § 29 V 6 c; LK-Schroeder § 16 Rdn. 9; Backmann JuS 1971 S. 113 ff, 118; Jakobs Studien S. 99; Wolter Z S t W 89 S. 649 ff, 650 Fn. 5; Herzberg Z S t W 85 S. 867 ff, 890 f mit weiteren Nachweisen S. 867 Fn. 2 ; differenzierend aber ders. JA 1981 S. 369 ff, 373, 470 ff, 472 f f ; siehe auch die unten zu den Beispielen genannte Rechtsprechung. 160 Α. A. v. Weber G r u n d r i ß § 9 II 1; Welzel Strafrecht § 13 I 3 d α mit Nachweisen älterer Literat u r ; Noll Z S t W 77 S. 1 ff, 5; Loewenheim JuS 1966 S. 310 f f ; beschränkt auf materiell gleichwertige Güter (d. h. nicht bei höchstpersönlichen Gütern) Hillenkamp Bedeutung S. 127 ff.

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8. A b s c h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

auf einen Menschen geschossen wird, nicht bestimmt, also von der gesehenen Gefahr her Zufall. Beispiele: Der in der Dunkelheit von seinem Hausgenossen angegriffene Täter wehrt sich mit einem Stock, trifft aber dessen hinter dem Angreifer unbemerkt stehende Frau, die den Angreifer beruhigen wollte 1 6 1 ; — wegen Notwehr straffreie versuchte gefährliche Körperverletzung am Angreifer (§§ 223 a, 22, 32 StGB) und unvermeidbare Verletzung der Frau. — Wer auf seinen Vorgesetzten unberechtigten Verdacht lenken will, aber eine Verdächtigung von dessen Sekretärin bewirkt, haftet wegen vollendeter falscher Verdächtigung, wenn diese als Delikt gegen die Verfolgungsorgane verstanden wird (dann bloße Abweichung), haftet aber nicht (der Versuch und die fahrlässige Begehung sind bei § 164 StGB straffrei), wenn es um ein Delikt gegen den durch die Verfolgung Betroffenen geht 162 . 81

b) Eine aberratio ictus liegt nicht vor (vielmehr ein Vorsatzzurechnung nicht hindernder error in persona etc., dazu sogleich unten 8/82), wenn der Täter das angegriffene Objekt überhaupt nur über die Einwirkung identifizieren kann, der es unterliegt, oder sonst über dessen Befangenheit im Kausalverlauf, mag er sich auch einbilden, das so definierte Objekt durch weitere Identifikationsmerkmale benennen zu können („das wird der X sein" o. ä.). Die Lage ist verwickelt und im Grenzbereich ungeklärt 1 6 3 ; Beispiele 164 : Der Täter installiert eine Bombe mit einer Induktionsschleife und einem Zählwerk hinter einer Brücke, wobei das zweite passierende Fahrzeug die Explosion auslösen wird; der Täter nimmt an, das zweite Fahrzeug (er selbst lenkt das erste) werde ein Regierungsmitglied lenken, aber ein Landwirt mit seinem Trecker kommt diesem zuvor. — Der Täter schickt vergifteten Schnaps an seinen Freund und ist subjektiv sicher, dieser werde das Getränk allein verzehren; der Empfänger verschenkt die Flasche, der Beschenkte stirbt 165 . — Der Täter vergiftet das Essen an dem Platz des Tisches, an dem alltäglich der Vorsitzende ißt; gerade am Tag der Tat tauscht dieser mit einem anderen. — Der Täter wählt am Telefon die Nummer des ausersehenen Beleidigungsopfers, verwählt sich aber und beginnt, sobald der wirklich Angewählte den Hörer abhebt, mit der Durchgabe der Injurien. In Fällen dieser Art hat der Täter das betreffende Opfer vermeintlich als ihm bekannte Person individualisert; er kommt zu dieser Annahme nur, weil er von dem bereits zutreffend anderweitig individualisierten Opfer (der zweite Passant der Brücke; der Trinker des Schnapses; der auf dem Platz des Vorsitzenden Sitzende; der Hörer am Telefon) irrig annimmt, es werde sich um eine ihm bekannte Person handeln. Letzteres ist jedoch eine tatbestandlich irrelevante Zusatzindividualisierung 166 . 161

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R G 58 S. 27 ff, 28; — siehe schon R G 2 S. 335 ff, 337; 3 S. 384; 19 S. 179 f, 180; 54 S. 349 ff, 350. B G H 9 S. 240 ff, 242; die dortige Lösung läuft auf eine potentiell alternative Schutzrichtung hinaus. Das Problem wird erkannt bei Blei A T § 36 I 1 c a. E.; LK-Schroeder § 16 Rdn. 13; Backmann JuS 1971 S. 113 ff, 119; jetzt eingehend Puppe GA 1981 S. 1 ff, 4 ff, die zutreffend bei der Individualisierung des Objekts ansetzt, aber unberücksichtigt läßt, ob sich die vom Täter gesehene Gef a h r verwirklicht. — U n g e n a u von angeblichen Evidenzen des Rechtsgefühls her argumentierend Herzberg JA 1981 S. 369 ff, 470 ff, 472 ff. Siehe auch O L G Neustadt N J W 1964 S. 311. Für aberratio ictus aber Jescheck A T § 29 V 6 c.

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im Die Zusatzindividualisierung kann aber f ü r die Rechtfertigung bedeutsam werden, wenn etwa im zuletzt genannten Beispiel die Invektiven gegenüber dem gewollten Adressaten in W a h r n e h m u n g berechtigter Interessen gerechtfertigt wären. Dieses Problem kann freilich auch beim error in persona etc. auftreten (das übersehen wohl Blei A T § 36 I 1 c; Jescheck A T § 29 V 6 c, die die Möglichkeit eines Irrtums über Rechtfertigungsvoraussetzungen f ü r ein Indiz einer Abirrungslage halten). Beispiel: D e r bewußtlos Geschlagene schlägt seinerseits, als er wieder zur Besinnung kommt, auf den sich über ihn beugenden N o t a r z t ein, den er irrig f ü r den Angreifer hält; — Irrtum über Rechtfertigungsvoraussetzungen.

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. AbSChn

4. Der Individualisierungsirrtum und der Motivirrtum Irrt der Täter beim konkreten Objekt, das er zutreffend der tatbestandlich beschrie- 8 2 benen Gattung zugeordnet hat, über weitere, tatbestandlich nicht relevante Individualisierungen, so hindert dieser Irrtum (error in persona vel objecto) wie auch ein sonstiger Irrtum über die tatbestandlich irrelevante subjektive Bedeutung der Tat (Motivirrtum) die Zurechnung als vorsätzliche vollendete Tat nicht 167 . Diese Irrtümer sind irrelevant, weil sie keine Merkmale betreffen, von denen die Tatbestandsverwirklichung abhängt 1 6 8 . Beispiele für error in persona: Der Täter erschießt, angestiftet vom Schuldner, in der Dämmerung eine Person, in der er irrig meint, dessen Gläubiger zu erkennen 1 6 9 ; — vollendete Tötung des Opfers. — Ein flüchtender Dieb erschießt eine ihn vermeintlich verfolgende Person, bei der es sich jedoch um einen mitflüchtenden Mittäter handelt 1 7 0 ; — vorsätzliche vollendete Tötung. Beispiel zum Motivirrtum: Der Täter verprügelt des Nachbars Kind, wobei er irrig annimmt, dieses habe ihm eine Fensterscheibe eingeworfen; vorsätzliche vollendete Körperverletzung. — Zu den Auswirkungen eines Individualisierungsirrtums auf Tatbeteiligte siehe unten 21/45, 106.

£. Die privilegierenden Tatbestandsmerkmale als Vorsatzgegenstand 1. Kennt der Täter privilegierende Tatbestandsmerkmale nicht, so kann er wegen 8 3 vorsätzlicher Vollendung nur nach dem privilegierten Tatbestand verurteilt werden, sofern es sich um Unrechtstatbestands merkmale handelt; denn es fehlt dann eben ein objektives Merkmal zum vollen (nicht privilegierten) Unrecht 1 7 1 . Daneben tritt Versuch des nicht privilegierten Tatbestands. Beispiel 172 : Der Täter verstümmelt sich nur relativ (§ 109 Abs. 2 StGB), hatte sich aber eine absolute Verstümmelung vorgesetzt (§ 109 Abs. 1 StGB); — Versuch der absoluten Verstümmelung und Vollendung der relativen. Bei minder schweren Fällen, bei Schaffung eines unrechtsabhängigen „Antragsprivilegs" (§ 248 a StGB) oder beim Ausschluß von Regelbeispielen (§ 243 Abs. 2 StGB) gilt die Lösung entsprechend, wohl auch bei der Verfolgungsprivilegierung durch Retorsion (§§ 199, 230 StGB, zweifelhaft). Beispiel zu letzterem: Der Täter schlägt in einer gespannten Situation auf das Opfer ein, obgleich er dessen letzte verbale, grob beleidigende Attacke zwar gehört, aber noch nicht als beleidigend verstanden hat; — Retorsion ist möglich. Bei Unkenntnis von Merkmalen, die eine partielle Rechtfertigung bringen (so neben weiteren Gründen bei § 216 StGB, dazu sogleich), ist das Ergebnis nach der Anwendung der allgemeinen Regeln für die Unkenntnis von Rechtfertigungsvoraussetzungen dasselbe (unten 11/23). — Bei Unkenntnis der objektiven Seite schuldprivilegierender Merkmale des ScAn///icAi angeht oder einen die Fahrlässigkeit kennzeichnenden Sorgfaltsverstoß*, so gibt es bei Fahrlässigkeit — wie bei Vorsatz — keine andere Pflicht als die sich aus der Norm ergebende Pflicht, und nur gegen diese Pflicht wird verstoßen: Der Täter soll bei fahrlässiger Begehung die Tat unterlassen, bei fahrlässiger Unterlassung soll er sie (sorgfältig!) vornehmen. Insbesondere ist beim Begehungsdelikt die geläufige Rede, der Täter habe die gebotene Sorgfalt fehlen lassen, normlogisch falsch: Der Täter hat beim Begehungsdelikt nicht sorgfältig zu handeln, sondern unsorgfältiges Handeln zu lassen 9 . Beispiel: Im Begehungsbereich ist nicht etwa sorgfältiger Umgang mit Streichhölzern geboten, sondern sorgloser Umgang verboten; eine Pflicht zum Umgang besteht nicht. 3. Gibt es demnach keine besondere Sorgfaltspflicht o. ä., so ist doch — parallel zum Vorsatz — nicht jede Voraussehbarkeit einer Folge eine strafrechtlich relevante Fahrlässigkeit; vielmehr schlagen die Einschränkungen des objektiven Tatbestands, die durch die objektive Zurechnung erfolgen, auch auf die Fahrlässigkeit durch: Strafrechtlich relevant ist nur die Voraussehbarkeit eines Risikos, das außerhalb des erlaubten Risikos liegt und auch sonst objektiv zurechenbar isti0. Beispiel: O b ein sich korrekt verhaltender Autofahrer die Möglichkeit eines Unfalls bedenkt oder erkennen könnte, ist 7

Α. A. Arzt ZStW 91 S. 857 ff, 877: Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum sollen „auf einer sich zum Kreis schließenden Linie" liegen. Daran ist richtig, daß eine Erkenntnisblockierung entweder im Tatbestandsbereich oder aber im Normbereich den rechtlich vernünftigen Anlaß blockiert, im jeweils anderen Bereich die Lage zu beurteilen (oder die Handlung blind zu unterlassen), also die vorhandene Fähigkeit zu gebrauchen. Das heißt aber nicht, die Maßstäbe für Fahrlässigkeit und Verbotsirrtum müßlen vereinheitlicht werden, wie Arzt a a O S. 883 ff meint; vielmehr ist die Frage, ob eine Fähigkeit nach dem für ihren Bereich geltenden Maßstab hinreichend stark ist, von der Frage zu trennen, ob aus dem jeweils anderen Bereich ein Anlaß geliefert wird, die Fähigkeit auch zu gebrauchen. Kraß: Wie Vorsatz selbst im unvermeidbaren Verbotsirrtum Vorsatz bleibt, obgleich jeder Anlaß zum Anders-Handeln fehlt, so auch Fahrlässigkeit. — Ähnlich wie Arzt auch Schünemann JA 1975 S. 435 ff, 787 ff; ders.

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Sch.i'tstein-Festschrift S. 159 ff, 164; Schünemann argumentiert, wenn ein Einsichts- oder Geschicklichkeitsmangel das Unrecht ausschließe, dürfe nicht ein gravierendes Persönlichkeitsdefizit (seil, nach 5 20 StGB) das Unrecht belassen. — Man wende das auf den Vorsatz! < RG 56 S. 343 ff, 349 f; Bockelmann AT § 2 0 Β 1 2 ; Burgstaller Fahrlässigkeitsdelikt S. 19; ders. Wiener Kommentar § 6 Rdn. 23 f; SchönkeSchröder-Cramer § 15 Rdn. 133 (Überschrift!); Wessels AT § 15 II 3 vor a und die überwiegende Ansicht; in subjektivierender Formulierung auch Stratenwerth AT Rdn. 1099 ff. 9 Zutreffend Schmidhäuser Schaffstein-Festschrift S. 129 ff; ders. AT 10/82; ders. Studienbuch 7/93; Jakobs Studien S. 67 f; LK-Schroeder §16 Rdn. 157 f mit weiteren Nachweisen; hauptsächlieh auch Maurach-Gössel A T II §43 II A l b ; siehe auch Hardwig ZStW 78 S. 1 ff, 27. 10 Die Behauptung, durch das Erfordernis objektiver Zurechenbarkeit und das Erfordernis der Er-

Fahrlässigkeit. Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen

9. A b S C h n

gleichgültig; eine Tatbestandsverwirklichung liegt jedenfalls nicht vor. Das erlaubte Risiko begrenzt aber nicht den Begriff der Fahrlässigkeit, sondern nur die rechtliche Relevanz von Fahrlässigkeit. Auch im Rahmen sowieso erlaubten Verhaltens (gerechtfertigte Handlungen, Handlungen mit minimalem Risiko oder sonst tatbestandslose Handlungen) gibt es Fahrlässigkeit 11 . Beispiel: Schneller als 50 Stundenkilometer kann ein Täter vorsätzlich wie fahrlässig sowohl dort fahren, w o es verboten ist, wie auch dort, wo es erlaubt ist, sei es überhaupt erlaubt oder kraft einer Rechtfertigung.

II. Kritik der objektiven Fahrlässigkeit A. Was die verbreitete objektive Bestimmung der Voraussehbarkeit 12 angeht, so 8 wird die dadurch bedingte Entindividualisierung der Handlung teils kaschiert, indem darauf verwiesen wird, auch der in objektiver Sicht tatbestandsmäßige Akt bleibe indi-

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kennbarkeit eines schon objektiv unerlaubten Risikos werde die individuelle Fahrlässigkeitsbestimmung verwässert (Schünemann JA 1975 S. 435 ff, 511 ff, 514) ist dogmatisch ganz ungereimt: Das Objektive ist beim Vorsatz wie bei Fahrlässigkeit Bezugspunkt des Subjektiven, ohne daß dadurch jedoch die Beziehung objektiv würde; der subjektive Tatbestand ist nicht objektiv, weil er sich auf den objektiven Tatbestand zu beziehen hat. Die Lehre, die Fahrlässigkeit durch einen „Sorgfaltsverstoß" definieren will (oben Fn. 8), muß bei Rechtfertigung zwischen dem an sich Sorgfaltswidrigen und dem im Ergebnis Erlaubten trennen (siehe etwa Jescheck A T § 56 III 1). Tatbestandslose Fahrlässigkeit kann diese Lehre überhaupt nicht erfassen. — Gegenwärtig plädiert Arzt (ZStW 91 S. 857 ff, 871) für einen „situationsbezogenen Sorgfaltsmaßstab, der Rechtfertigungsüberlegungen aufsaugt". Einen Vorzug dieser Gleichbehandlung von tatbestandsloser Fahrlässigkeit (ohne Blick auf den sozialen Zusammenhang nicht rechtswidrig) und gerechtfertigter Fahrlässigkeit (wegen des sozialen Zusammenhangs nicht rechtswidrig) nennt Arzt nicht. Die objektive Voraussehbarkeit hat als Lockerung eines objektiv-naturalistischen Handlungsbegriffs im System von v. Liszt, Beling und Radbruch ihren dogmengeschichtlichen Platz; siehe oben 6/6 f f ; und zwar drängte das bei der Fahrlässigkeit nicht genuin, aber praktisch angesiedelte Problem des erlaubten Risikos zu einer Lösung, die mit dem Fahrlässigkeitsbegriff vermischt wurde. Zur Entwicklung der objektiv verkehrsgemäßen Sorgfalt insbesondere durch Radbruch (ZStW 24 S. 333 ff, 346 f), Exner (Wesen S. 179 ff) und hauptsächlich Engisch (Untersuchungen S. 283 ff, 343 f; den. DJT-Festschrift Bd. I S. 401 ff, 417 f) siehe eingehend Jakobs Studien S. 56 ff. — Siehe auch die zum erlaubten Risiko angeführte Literatur oben 7/Fn. 67. — Die Entwicklung der Fahrlässigkeit im Bereich des finalen Handlungsbegriffs verlief vom Individuellen zum Objektiven (eingehend Jakobs Studien S. 70 ff). Nach Welzeis früher Konzeption sollte es bei der Fahrlässigkeit um die individuelle Vermeidbarkeit gehen; da Welzel (ZStW 58 S. 491 ff,

559 ff) jedoch meinte, die Vermeidbarkeit als sinnvolle Vermeidbarkeit verstehen zu müssen (obgleich er die Vermeidbarkeitsform „Vorsatz" längst vom Unrechtsbewußtsein gelöst hatte), konnte er sie nicht von der Schuld sondern: „Damit fallen Schuld und Unrecht untrennbar zusammen" ( a a O S. 562; ganz entsprechend schon Exner a a O S. 193). Nachfolgend wurde nicht die individuelle Vermeidbarkeit von der individuellen Sinnhaftigkeit des Vermeidens getrennt, sondern die Vermeidbarkeit objektiviert. Statt parallel zum Vorsatz als Form von Vermeidbarkeit eine individuelle Fahrlässigkeit zu bilden, wurde insbesondere durch Niese (Finalität S. 53, 62 f) der V o r satz als psychisches Faktum genommen und argumentiert, dieses Faktum finde sich auch bei der fahrlässigen Handlung (was freilich für die Automatismen nicht zutrifft), dort nur nicht auf den Tatbestand bezogen. N u n ist ein nicht auf den Tatbestand bezogener Vorsatz nichts anderes als ein Willkürakt im Sinn der kausalen Handlungslehre, und deshalb erscheint nach diesem Irrweg der Dogmatik die objektive Sorgfalt als Rettung vor einem „Kausierungsunrecht" (so Welzel Strafrecht 3 S. 413; ferner ders. Neues Bild S. 32 ff; ders. Fahrlässigkeit und Verkehrsdelikte S. 31 f; Boldt Z S t W 68 S. 335 ff, 345 f; Armin Kaufmann Z R V 1964 S. 41 ff, 47 ff; Hirsch ZStW 93 S. 831 ff, 94 S. 239 ff, 251 ff; Stratenwerth hat eine Ansicht aus SchwZStr. 81 (1965) S. 179 ff, 205 f in der 1. Auflage seines AT, 1976, dort Rdn. 1165 ff, revidiert). Das objektivierende finalistische System, der Sache nach einer Theorie des erlaubten Risikos, hat über Nipperdey A T Bd. II §§ 208 ff Eingang in das Zivilrecht gefunden; eingehend Deutsch Fahrlässigkeit S. 93 ff; ders. Welzel-Festschrift S. 227 ff; siehe auch B G H Z 24 S. 21 ff (mit verfehlter Deutung der Verkehrsrichtigkeit eines Verhaltens als Rechtfertigungsgrund); B G H V R S 14 S. 30 ff. - Zum Problembereich siehe Welzel Strafrecht % 18 Einleitung und I 1, dort auch zum sozialen H a n d lungsbegriff (Einleitung 4); zu den Einwendungen von Nowakowski (JZ 1958 S. 335 ff, 380 f) gegen die Konzeption Welzeis siehe Welzel Straf7 recht S. V ff.

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9. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

viduell vermeidbar; denn jedermann könne seine Aktionen vermeiden, wenn er nur wolle 1 3 . Bei dieser Argumentation wird jedoch verkannt, daß der Handlungsbegriff relativ ist (oben 6 / 2 7 , 34). Was mit dem Motiv, schlechthin überhaupt nicht zu handeln, vermieden würde, und deshalb überhaupt erst H a n d l u n g ist, muß nicht schon deshalb auch mit dem Motiv vermeidbar sein, eine bestimmte (seil, tatbestandsmäßige) H a n d lung nicht zu vollziehen. Eine bestimmte Handlung ist vielmehr erst gegeben, wenn die Aktion als so bestimmt erkennbar ist, und das ist gerade nicht der Fall, wenn dem Täter nur zugänglich ist, daß irgendeine Aktion stattfindet 1 4 . 9

Β 1. Die objektive Bestimmung der Voraussehbarkeit ist deshalb mit einem individuellen Handlungsbegriff unvereinbar. So werden f ü r die objektive Voraussehbarkeit auch vorweg Argumente angeführt, die mit der Zurechnung zum individuellen Täter nichts zu tun haben 1 5 , wobei hauptsächlich darauf abgestellt wird, daß die Situation, in der eine Folge objektiv voraussehbar ist, plakativ als zu vermeidende Situation ausformuliert werden kann („wer sich in bestimmter Weise verhält, muß mit bestimmten Folgen rechnen").

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2. Diese Ausformulierung von Tattypen objektiver Fahrlässigkeit bringt jedoch keinen Vorteil gegenüber einer individuellen Bestimmung der Erkennbarkeit. Das ist zunächst f ü r die Fälle evident, in denen das objektive Urteil subjektiv nachvollziehbar ist; dann ist die Objektivierung ganz überflüssig. Ist der subjektive Nachvollzug nicht möglich, so ist zwischen zwei dogmatischen Folgerungen, die gezogen werden, zu unterscheiden: a) Wird bei nur-objektiver Voraussehbarkeit die Fahrlässigkeitsschuld verneint 1 6 , so kommt es nicht zur Zurechnung, und die Objektivierung erschöpft sich in dem Ergebnis, daß immerhin Unrecht vorliegt. Das wird teils für vorzugswürdig gehalten, da nur so Maßregeln und eine Strafe bei einem Vollrausch (§ 323 a StGB) verhängt werden könnten. Diese Annahme beruht jedoch auf einer nur-begriffsjuristischen Konstruktion 1 7 : Was im Maßregelrecht „Rechtswidrigkeit" heißt, ist aus dem Regelungszweck dieses Bereichs herzuleiten, wobei sich Objektivierungen f ü r Fahrlässigkeit wie Vorsatz ergeben mögen. Beim Vollrausch schließlich geht es allein um die Schuldfähigkeit; ein Verzicht auf ein Schuldmerkmal der individuellen Voraussehbarkeit wäre also schon nach dem Wortlaut von § 323 a StGB ausgeschlossen und wäre auch allenfalls im Bereich rauschbedingter Unfähigkeit sachgerecht. b) Wird jedoch auf den Nachvollzug des objektiven Urteils verzichtet, das maßstäbliche Verhalten also nicht als Erkenntnishilfe eingesetzt, sondern als Leitbild vorgeschrieben 1 8 , so geht im subjektiven Tatbestand der Folgenbezug verloren und die Verletzungsdelikte wandeln sich in subjektiv-abstrakte Gefährdungsdelikte. Bei dieser Lösung könnte dasjenige, was als Erkennbares Fahrlässigkeit begründet, als Erkanntes keinen Vorsatz bilden. Beispiel: Ein Arzt, der an die Richtigkeit einer Rezeptur glaubt, von der allgemein angenommen wird, sie widerspreche der lex artis, und der das aktuell bedenkt, mag besonderen Anlaß haben, seine Ansicht zu überprüfen; sofern er aber 13 Armin Kaufmann Z R V 1964 S. 41 ff, 47; Schünemann Schaffstein-Festschrift S. 159 ff, 163; ders. JA 1975 S. 435 ff, 511 ff, 514. Η Jakobs Studien S. 65 f. '5 Siehe Jescheck A T § 54 I 3 a. E.; ders. Aufbau und Behandlung S. 11 f; Schünemann JA 1975 S. 435 ff, 511 ff, 513 ff; Mylonopoulos Verhältnis S. 104 f f ; Kamps Arbeitsteilung S. 75 f f ; LKSchroeder § 16 Rdn. 146 ff. 16 So die übliche Lehre und auch die Rechtsprec h u n g ; R G 3 S. 208 f, 209; 24 S. 417 ff, 418; 30

262

17 18

S. 25 ff, 28; 73 S. 257 ff, 262; 74 S. 195 ff, 198; B G H 24 S. 213 ff, 215 f; O L G Köln N J W 1963 S. 2381 ff, 2383. Jakobs Beiheft Z S t W 1974 S. 6 ff, 20 f mit Fn. 45. So Armin Kaufmann Z R V 1964 S. 41 ff, 52 f in der Version, daß die Erkennbarkeit des nach objektivem Urteil Riskanten eine Frage der Erkennbarkeit des Verbots sein soll; so wohl auch Zielinski H a n d l u n g s - und Erfolgsunwert S. 168 ff, 179 f f ; siehe dagegen Jakobs Studien S. 66 f; siehe auch Arzt Z S t W 9 1 S. 857 ff, 884 Fn. 64.

Fahrlässigkeit. Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen

9. AbSChn

handelt, sind die zur eigenen Überraschung auftretenden Verletzungen nicht vorsätzlich herbeigeführt, da sie nicht erkannt worden sind; — wie sollte dann aber die Erkennbarkeit des Verstoßes gegen die lex artis ohne Erkennbarkeit der Folgen Fahrlässigkeit begründen? 3. Weiterhin wird beim Streit um die Bestimmung der Fahrlässigkeit das Argument 11 vorgebracht, eine Objektivierung sei nötig, um besonders befähigte Personen vor exzessiv hohen Anforderungen zu bewahren 1 9 . Das Argument ist wenig klar; eine pauschale Erledigung ist der differenzierten Problemlage unangemessen: Beim Begehungsdelikt kann es überhaupt nur um die besondere Fähigkeit zur Prognose einer Tatbestandsverwirklichung gehen. Die Berücksichtigung dieser Fähigkeit ist aber schon ein Problem des erlaubten Risikos (oben 7 / 3 5 ff, 49 f) und entscheidet sich nach der Zuständigkeit des Täters f ü r den schadensträchtigen Umstand, also nach einem normativen Prinzip. Beispiel: Ein Forscher muß eine riskante Versuchsanordnung auch mit Hilfe seiner Sonderfähigkeiten beherrschen, aber ein Student des Bauwesens muß seine Sonderfähigkeiten nicht aktivieren, wenn er in den Semesterferien als Handlanger auf einer Baustelle arbeitet. Besonderheiten f ü r die Fahrlässigkeit ergeben sich dabei nicht, insbesondere bleibt bei geleisteter Voraussicht aber mangelnder Zuständigkeit nur eine H a f t u n g aus § 323 c StGB. Beispiel: Erkennt im zuletzt genannten Beispiel der Student, daß die von ihm herzustellende Betonmischung nicht tragfähig sein wird, so haftet er trotz seines vorsätzlichen Handelns nicht aus einem Begehungs-Verletzungsdelikt. — Zum Einsatz von Sonderfähigkeiten bei der Unterlassung siehe unten zur Pflichtenkollision 15/12 ff und zum Unterlassungsdelikt 29/14. 4. Es ist schließlich auch nicht erforderlich, bei Fahrlässigkeitsdelikten das verbo- 1 2 tene Verhalten durch die Angabe des Sorgfaltswidrigen genauer zu detaillieren, als es bei Vorsatz geschieht, insbesondere auch nicht bei Erfolgsdelikten. Die Tatbestände der Fahrlässigkeitsdelikte sind keine offenen Tatbestände und nicht einmal relativ weniger bestimmt als Vorsatzdelikte. Beim Vorsatzdelikt wie beim Fahrlässigkeitsdelikt muß der Täter aus dem Verursachungsverbot das Verbot des konkret verursachenden Verhaltens selbst ableiten (etwa bei der Tötung: das Verbot des Erschlagens oder Vergiftens etc.). Es gibt so viele Modalitäten fahrlässigen Handelns, wie es Modalitäten vorsätzlichen Handelns gibt, und eine Bündelung des Fahrlässigen im Begriff des Sorgfaltswidrigen ergibt über das sowieso zu Benennende hinaus, also jenseits der Erkennbarkeit eines nicht mehr erlaubten Risikos, keine Präzisierung des Verbotenen 2 0 . 5. Im Ergebnis hat die objektive Voraussehbarkeit keine Funktion, die nicht schon 1 3 das erlaubte Risiko erfüllen würde. Sie ist so überflüssig, wie es ein „objektiver V o r satz" wäre. Zum Fahrlässigkeitsunrecht (und nicht erst zur Schuld) gehört die individuelle Voraussehbarkeit 2 1 . Das Unrecht hängt also von den Fähigkeiten des jeweiligen 19

Jescheck A T § 54 I 3 a. E.; Schünemann JA 1975 S. 435 ff, 511 ff, 513 f f ; ders. Schaffstein-Festschrift S. 159 ff, 165 f; Mylonopoulos Verhältnis S. 104 ff, 108; Schroeder Z S t W 91 S. 257 ff, 263; LK-Schroeder § 16 R d n . 163 f f ; — dagegen Stratenwerth A T Rdn. 1098; siehe z u r Kontroverse auch SK-Samson § 16 Anhang Rdn. 11. — Umgekehrt Schönke-Scbröder-Cramer § 15 Rdn. 139 ff, der individuelle Sonderfähigkeiten zu einem objektiv bestimmten Standard hinzufügen will. Cramers Einwand, bei der Übernahmefahrlässigkeit (unten 9/14) versage die subjektive Bestimmung, weil der Übernehmende ja unfähig sei, den zu übernehmenden Aufgabenkreis zu bewältigen ( a a O Rdn. 140 a), läßt unberücksichtigt, daß der

20 21

Übernehmende bei der Ü b e r n a h m e subjektiv z u r Vermeidung fähig ist. Jakobs Studien S. 74. Ebenso Stratenwerth A T R d n . 1099; SK-Samson § 16 Anhang Rdn. 13 f f ; Jakobs Studien S. 48 ff, 69; den. Beiheft Z S t W 1974 S. 6 ff, 20; Otto A T § 10 I 3; zusätzlich (als subjektiven Tatbestand) zu einer (im objektiven Tatbestand lozierten) objektiven Voraussehbarkeit erkennen die individuelle Voraussehbarkeit als U n r e c h t s m o m e n t an Gössel Bruns-Festschrift S. 43 ff, 51 f; Maurach-Gössel KY II § 43 I V A 1 und 2. — F ü r eine „Doppelrelevanz" der subjektiven Voraussehbarkeit als Fahrlässigkeit f ü r U n r e c h t und Schuld siehe Wolter Objektive und personale Z u r e c h n u n g S. 153 ff.

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9. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

Täters ab, seine Handlung ihrer tatbestandserfüllenden Wirkung wegen zu vermeiden. Beispiel: Werfen ein Dachdeckermeister und sein Lehrling Ziegel vom Dach auf einen W e g und kann der Meister, nicht aber der Lehrling erkennen, daß Stücke der beim Aufprall zersplitternden Ziegel bis auf eine 20 m entfernte Straße streuen und dort Passanten verletzen können, so handelt der Meister fahrlässig, der Lehrling nicht. Diese Individualisierung entspricht auch der Funktion des Strafrechts, das nicht die Erwartung garantiert, alle Menschen seien gleich befähigt, sondern die Erwartung rechtstreuer Motivation 2 2 .

III. Einzelprobleme der Fahrlässigkeit A. Die Ubernahmefahrlässigkeit 14

Die individuelle Voraussehbarkeit muß — wie der Vorsatz — zur Zeit der T a t handlung gegeben sein. Tathandlung muß aber nicht die letzte kausierende Handlung des Täters vor dem Erfolgseintritt sein; vielmehr ist es möglich, daß der Täter sich selbst fahrlässig als unvermeidbar handelndes Werkzeug entläßt. Beispiel: Der Täter beginnt eine Autofahrt, obgleich er erkennbar übermüdet ist; wegen der Übermüdung verkennt er später unvermeidbar eine Verkehrssituation etc. (sogenannte Ubernahmefahrlässigkeit oder fahrlässige Tätigkeitsübernahme) 2 3 . Eine Vorverlagerung des Handlungszeitpunkts ist nur möglich, wenn der T ä t e r zur früheren Zeit nicht nur fähig ist, die Konsequenzen seines kommenden Tuns zu überblicken, sondern auch verpflichtet, f ü r ein Ausbleiben der Konsequenzen zu sorgen. Daran fehlt es, wenn der Täter im späteren Zeitpunkt nur eine Leistung nach seinen ad-hoc aktivierbaren Fähigkeiten erbringen muß. Beispiel: Wer Zeuge eines schweren Unfalls wird, kann erkennen, daß er später vor Gericht als Zeuge wird aussagen müssen und ohne Fixierung des Erlebten vielleicht unvermeidbar falsch aussagen wird. Trotzdem hat er keine Pflicht, sich um eine Fixierung zu bemühen oder ein der Fixierung hinderliches Verhalten zu unterlassen. Die Ubemahmefahrlässigkeit besteht nur, wenn der Täter zum früheren Zeitpunkt schon Garant für die Qualität seines späteren Verhaltens ist (es besteht also eine Parallele zu den nach üblicher Terminologie als Unterlassung durch Begehung bezeichneten Konstellationen, oben 7/69). Sowohl das Tatverhalten (die Übernahme) wie das dann folgende unvermeidbare Verhalten können eine Handlung oder eine Unterlassung sein. Beispiele: (a) (beides Handlung) Ein Arzt übernimmt eine ihm nicht geläufige Operation, fahrlässig nicht berücksichtigend, daß er sich dadurch in die Lage bringt, nach Ö f f n u n g des Körpers (und dann unvermeidbar) eine verletzende Fehlhandlung zu vollziehen oder (b) (Handlung mit folgender Unterlassung) eine notwendige Rettungshandlung nicht vornehmen zu können. — (c) (Unterlassung mit folgender Handlung) Ein Notarzt, der sich krank fühlt, unterläßt es, rechtzeitig f ü r eine Vertretung zu sorgen, fahrlässig nicht bedenkend, daß der Fortschritt seiner Krankheit ihn dazu bringt, unvermeidbar eine verletzende Fehlhandlung zu vollziehen oder (d) (beides Unterlassung) eine notwendige Rettungshandlung nicht vornehmen zu können. "

Siehe dazu schon oben zum sozialen Handlungsbegriff. — Bei massenhaften, gefährlichen, anonymen Kontakten tritt das Vertrauen auf rechtstreue Motivierung z u r Erfolgsvermeidung hinter dem Vertrauen auf faktische Motivierung gemäß den abstrakten Gefährdungsverboten zurück. Deshalb finden sich insbesondere im Straßenverkehrsstrafrecht Vorschläge z u r Objektivierung der Fahrlässigkeit bis in die Schuld: Booß N J W

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25

1960 S. 373; WimmerNJW 1959 S. 1753 ff, 1757; — dagegen zutreffend Baumann N J W 1959 S. 2293 f; den. A T § 2 8 III 2; den. Folgenlose Verkehrsgefährdung S. 168; siehe auch Volk GA 1973 S. 161 ff. LK-Schroeder § 16 Rdn. 141 f; Stratenwerth AT Rdn. 1105; Jakobs Studien S. 151; Gössel Z S t W 9 1 S. 270 ff, 271 f; Maurach-Gössel A T II § 43 II Β 1 a.

Fahrlässigkeit. V o r s a t z - F a h r l ä s s i g k e i t s - K o m b i n a t i o n e n

9. AbSChn

B. Die Entscheidungsrelevanz des erkennbaren Risikos Gegenstand der Erkennbarkeit bei Fahrlässigkeit muß dasjenige sein, was beim 15 Vorsatz erkannt ist; nach der Formulierung von Engischu muß „dem fahrlässigen T ä ter . . . ebenso viel erkennbar sein, wie im Falle wirklicher Kenntnis zum Vorsatz gereichen kann, denn die Motivation, die wir beim vorsätzlichen Täter auf Grund seiner Vorstellung erwarten, muß, damit dem Täter Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden kann, erreichbar gewesen sein". Danach muß dem Fahrlässigkeitstäter nicht nur ein Risiko erkennbar sein, das den Rahmen der Risikoerlaubnis überschreitet, sondern das Risiko muß — wie bei Vorsatz — auch von entscheidungserheblicher Dichte sein (siehe oben 8/30 ff). Unerlaubte Risiken der Art, wie sie ubiquitär als aufgedrängt unerlaubte Risiken hingenommen werden müssen, wenn bestimmte Lebensbereiche nicht überhaupt gemieden werden sollen, reichen nicht aus 25 . So wenig eine geringfügige, aber folgenreiche Überschreitung der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit im Straßenverkehr bei Kenntnis des sich dann auch verwirklichenden Risikos eine vorsätzliche Verletzungshandlung ist, so wenig bei Erkennbarkeit eine fahrlässige. Das Problem wird in Rechtsprechung und Lehre durchweg übergangen. Vielmehr wird Fahrlässigkeit auch in dem Bereich unerlaubter, aber nicht entscheidungserheblicher Risiken für möglich gehalten. Damit werden die Fahrlässigkeitsdelikte in abstrakte Gefährdungsdelikte (Schaffen eines unerlaubten Risikos) verwandelt, die um einen nur noch objektiv zurechenbaren Erfolg angereichert werden.

C. Die Erkennbarkeit eines objektiv zurechenbaren Risikos 1. Was die Kausalität als Gegenstand der Erkennbarkeit angeht, so muß dem Täter 16 — wiederum entsprechend der Lage bei Vorsatz — die Kausalität der von ihm gesetzten Bedingungen für den tatbestandlichen Erfolg erkennbar sein, nicht aber der konkrete Verlauf zwischen fahrlässiger Handlung und Erfolg 2 6 . Jedoch muß der Täter gerade dasjenige Risiko erkennen können, das sich verwirklicht17. Das ist nach den Grundsätzen zu ermitteln, die oben (7/72 ff) zur objektiven Zurechnung entwickelt wurden; nur ist hier nicht auf jedes vom Täter geschaffene, sondern nur auf das ihm erkennbare Risiko abzustellen (wie bei der Zurechnung als vorsätzliche Tat auf die Verwirklichung des erkannten Risikos abzustellen ist). An einer Risikoverwirklichung fehlt es demnach, wenn die Bedingungen des dem Täter erkennbaren Risikos die Schadensneigung des Verlaufs nicht erklären. Beispiel: Wer auf einem Bauernhof in der Nähe einer strohgefüllten Scheune arglos eine brennende Zigarette wegwirft, die in eine Benzinlache fällt und deshalb einen Brand auslöst, haftet wegen fahrlässiger Brandstiftung nur, wenn ihm nicht allein das Risiko des Zusammentreffens von Feuer und Stroh, sondern auch dasjenige des Zusammentreffens von Feuer und Benzin erkennbar ist. — Für Einzelheiten gelten die Ausführungen zur Kausalität als Vorsatzgegenstand entsprechend (oben 8/63 ff). 24 25

26

Untersuchungen S. 373. Eingehend Jakobs Bruns-Festschrift S. 31 ff; ders. Beiheft ZStW 1974 S. 6 ff, 23 ff; ferner die oben 8/Fn. 70 zum Vorsatz angegebene Literatur. So auch die Rechtsprechung, freilich ohne Beschränkung auf Erkennbarkeit des sich verwirklichenden Risikos (dazu sogleich); RG 24 S. 417 ff, 418; 73 S. 370 ff, 372; B G H 12 S. 75 ff, 77; wie die Rechtsprechung auch Mühlham Fahrlässigkeit S. 45 f; — objektiv inadäquate Verläufe werden freilich ausgeschieden; B G H 3 S. 62 ff; O L G Karlsruhe N J W 1976 S. 1853 f. - In der

Literatur wird verbreitet die Voraussehbarkeit des konkreten Verlaufs »in seinen wesentlichen Zügen" verlangt: Welzel Strafrecht § 2 2 III 5 b; Wessels AT § 1 5 III 2; Jescheck A T § 57 III 1; Baumann AT §28 II 3 b ß; Bockelmann Verkehrsstrafrechtliche Aufsätze S. 98 f; SchönkeSchröder-Cramer§ 15 Rdn. 198. — Dagegen siehe oben zur Adäquanz 7/34. SK-Samson § 16 Anhang Rdn. 29 f; Rudolphi J u S 1969 S. 549 ff, 552; Jakobs Studien S. 90 f; siehe ferner die oben 8/Fn. 139 zum Vorsatz angegebene Literatur.

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9. Abschn 17

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

2. N u r um einen Anwendungsfall dieser Risikoverwirklichung handelt es sich bei dem üblicherweise als Normzweckzusammenhang bezeichneten Problembereich, dessen Behandlung in der Literatur überwiegend nicht zum Zweck einer objektiven Zurechnung erfolgt, sondern anläßlich subjektiver Zurechnung und dort wiederum besonders der Zurechnung als Fahrlässigkeitstat. — Die zur objektiven Zurechnung genannten Maximen gelten mit der Maßgabe, daß an die Stelle des vom Täter geschaffenen Risikos das ihm erkennbare Risiko tritt. Die Übertragung der Zurechnungsprinzipien vom objektiven Bereich in denjenigen der Fahrlässigkeit führt insbesondere dazu, daß — entgegen verbreiteter Lehre — hypothetische Erfolgsursachen die Zurechnung als fahrlässige Tat nicht hindern. Hypothetische Erfolgsursachen können die Haftung allenfalls mildern, und zwar nach den oben genannten Prinzipien in analoger Anwendung der Regeln des Versuchs, §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB, wenn der Täter die hypothetische Lage nicht überblickt, und nach § 49 Abs. 2 StGB, wenn dem Täter die hypothetische Unvermeidbarkeit der Folge bekannt ist (eingehend oben 7/92 ff). Letzteres dürfte bei Fahrlässigkeit selten der Fall sein; immerhin ist es nicht ausgeschlossen, daß der Täter fahrlässig ein Gut verletzt, weil er das Gut sowieso für verloren hält und auf seinen Bestand deshalb nicht mehr achtet. Die Lehre, eine Risikoerhöhung reiche zur Zurechnung eines Erfolgs hin, ist auch zur Fahrlässigkeit aus den oben 7/98 ff spezifizierten Gründen abzulehnen.

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3 a) Die sonst zum Vorsatz genannten Probleme der Abweichung von Vorstellung und Verlauf treten bei der Fahrlässigkeit sämtlich als Probleme der Abweichung zwischen erkennbarem und eintretendem Verlauf auf, sind aber praktisch weitgehend bedeutungslos.

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b) Beispiele: aa) Zur vorzeitigen Vollendung: Wer einen im Ergebnis erkennbar gefährlichen Plan durchzuführen beginnt, haftet nicht, wenn schon erste, für sich nicht als gefährlich erkennbare Handlungen den Erfolg bringen.

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bb) Zur culpa generalis28: Wirkt ein Täter mehrfach auf ein Objekt ein und sind deshalb alle Einwirkungen ursächlich für einen Erfolg, ist aber nur die erste als ursächlich erkennbar, so haftet er nur, wenn die nachfolgenden Einwirkungen das Risiko der ersten fortsetzen aber nicht ersetzen. Konkret: Nach einem fahrlässig verursachten Autounfall wirft der Fahrer das von ihm unvermeidbar, aber irrig für tot gehaltene Opfer in den Straßengraben, wo es ertrinkt; — keine Haftung für vollendete fahrlässige T ö tung. — Wird aber das Opfer, das zu verbluten droht, unter einem Holzstapel versteckt, so daß zwar die blutende Arterie abgeklemmt wird, das Opfer aber an einer beim Unfall gleichfalls erlittenen Organverletzung stirbt, so verwirklicht sich durch die nachfolgende Handlung das Risiko des Unfalls.

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cc) Zur aberratio ictus: Wer gegenüber einem erkennbaren Objekt fahrlässig handelt, aber ein unerkennbares trifft, haftet nicht für den Erfolg. Konkret: Wer in einem Zimmer mit einer Schußwaffe spielt, so daß erkennbar eine andere Person in diesem Zimmer durch einen Schuß verletzt werden könnte, haftet nicht für den Erfolg, wenn ein Schuß losgeht und einen Voyeur trifft.

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dd) Zum error in persona vel objecto: Eine nicht tatbestandliche Identität des Objekts muß dem Täter nicht erkennbar sein. Konkret: Wer mit einer Schußwaffe, die er vermeidbar irrend für ungeladen hält, im Scherz eine Person bedroht, die er unvermeid28 Jakobs Studien S. 100; LK-Schroeder § 16 Rdn. 31; Burgstaller Fahrlässigkeitsdelikt S. 124 f.

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Fahrlässigkeit. Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen

9. AbSChn

bar irrend für einen seiner Bekannten hält, haftet f ü r die Verletzung des Fremden, wenn ein Schuß losgeht.

D. Die Leichtfertigkeit 1. Zunehmend häufig verlangt der Gesetzgeber statt schlichter Fahrlässigkeit eine 2 3 Leichtfertigkeit des Verhaltens (§§ 138 Abs. 3, 176 Abs. 3, 177 Abs. 3, 263 Abs. 3, 251 StGB u. a. m.). Leichtfertigkeit wird allgemein als grobe Fahrlässigkeit verstanden 2 9 (so auch die Definition in § 18 Abs. 3 Ε 1962). Eine allgemein anerkannte Konkretisierung der Grobheit ist bislang nicht gelungen. Man könnte zur Bestimmung des Groben die Leichtfertigkeit mit der vorsatzähnlichen bewußten Fahrlässigkeit — sofern man diese überhaupt anerkennt — gleichsetzen 3 0 . Eine solche Lösung übertrüge aber ohne Notwendigkeit den mit der Tatsachenblindheit gekoppelten axiologischen Widerspruch (oben 8/5) in die Fahrlässigkeit. 2. Zur Vermeidung dieses Widerspruchs muß die Leichtfertigkeit wertend abge- 2 4 schichtet werden. Dabei entsteht das Problem, was gewertet werden soll, nur die Fahrlässigkeit als Merkmal der Steuerbarkeit oder auch der Anlaß, vom Steuerungsvermögen Gebrauch zu machen. Mit anderen Worten, soll Leichtfertigkeit nur eine besonders starke Fahrlässigkeit sein, so daß es auch gerechtfertigte und entschuldigte Leichtfertigkeit gibt, oder soll Leichtfertigkeit eine um subjektive Unrechtsmerkmale angereicherte Fahrlässigkeit sein oder gar auch die Schuld kennzeichnen? Z u r Lösung ist zu berücksichtigen, daß mit der Strafe für Leichtfertigkeit auch immer eine Strafe für jeden Vorsatz korrespondiert (einzig zweifelhaft f ü r § 251 StGB). W e n n aber der V o r satz an seiner Untergrenze ein Steuerungsmerkmal ohne Blick auf den Gebrauchsanlaß ist, besteht kein Grund, an der Obergrenze der Fahrlässigkeit anders zu verfahren. Leichtfertigkeit ist also so wenig durch gesteigerte Vorwerfbarkeit zu definieren 3 1 , wie Vorsatz stets — gegenüber Fahrlässigkeit — gesteigerte Vorwerfbarkeit bringt. Auch ist Leichtfertigkeit nicht durch eine Rücksichtslosigkeit gekennzeichnet 3 2 ; es mag gerechtfertigte Taten mit Leichtfertigkeit geben, wie es solche mit Vorsatz gibt. Vielmehr ist allein darauf abzustellen, wie leicht die Erfolgsherbeiführung vermeidbar war, also ob auch schon ein geringes Interesse an der Vermeidung genügt hätte (dann Leichtfertigkeit) oder nicht 33 . Das Maß schwankt je nach dem Gewicht des betreffenden Guts, wie die H ö h e des jeweiligen erlaubten Risikos schwankt. Beispiel: Leichtfertigkeit des Umgangs mit einer Schußwaffe ist eher anzunehmen, wenn ein Menschenleben in Gefahr ist, als wenn es höchstens um den Bruch einer Fensterscheibe geht. Ansonsten ist die Schärfe des Maßstabs im Blick auf den Strafrahmen zu bestimmen, d. h. bei Erfolgsqualifikationen mit gewichtigen Mindeststrafen (etwa bei den §§ 239 a Abs. 2, 239 b Abs. 2, 251 StGB) geht es nur um Fälle, in denen schon das geringste Interesse an der Vermeidung der Folge zur Vermeidung genügt hätte, während bei Delikten ohne Mindeststrafe (etwa bei § 21 WStG) weniger streng verfahren werden kann. Die bezeichnete Lösung kennt auch Leichtfertigkeit im Fall von Rechtfertigung. 2 5 Beispiel: Der Angegriffene schießt mit einer großkalibrigen W a f f e in erforderlicher 29

B G H 20 S. 315 ff, 323 f, 327; — zur Leichtfertigkeit in § 378 A O siehe Samson in: Franzen-GastSamson § 378 Rdn. 22 f. 30 Sauer Allgemeine Strafrechtslehre § 2 2 1 2 ; Lohmeyer N J W 1960 S. 1798 f, 1799; im Ansatz auch Arzt Schröder-Gedächtnisschrift S. 119 ff, 127 f; so müßte auch die insbesondere von Arthur Kaufmann Schuldprinzip S. 162 verfochtene Lehre verfahren, die nur bei der bewußten Fahrlässigkeit überhaupt schuldhaftes Verhalten f ü r möglich

hält, ohne daß dann jede bewußte Fahrlässigkeit zugleich Leichtfertigkeit sein miißte. > So aber Hall Mezger-Festschrift S. 229 ff, 248. Μ So aber Volk GA 1976 S. 161 ff, 178 f; Maurach Heinitz-Festschrift S. 403 ff, 415 f; sachlich ebenso Maiwald GA 1974 S. 257 ff, 262 ff. So wohl auch LK-Schroeder § 16 Rdn. 213; ähnlieh Tenckhoff ZStW 88 S. 897 ff, 911 mit freilich auf eine Sorgfaltspflicht (dagegen oben 9/6) bezogener Formulierung.

3

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9. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

Abwehr freihändig auf die Beine des Angreifers und bedenkt nicht, daß die Handlung tödlich ausgehen könnte. Ebenso ist bei Schuldlosigkeit Leichtfertigkeit möglich, etwa bei geisteskranken Personen. Auch nach allgemeinen Regeln mangels Zumutbarkeit entschuldigtes Verhalten kann leichtfertig vollzogen werden. Daneben ist die spezielle Zumutbarkeit bei Fahrlässigkeitsdelikten zu berücksichtigen (unten 20/35 ff); es handelt sich um Fälle, in denen nicht zu bezweifeln ist, daß bei Aufmerksamkeit der Erfolg vermieden würde, wohl aber, ob Aufmerksamkeit überhaupt verlangt werden kann, weil der Täter eine verständliche Motivationsblockierung aufweist. Beispiel: Der Täter übersieht eine Rotlicht zeigende Ampel, nachdem sein Beifahrer ihm soeben unvermittelt den T o d eines nahen Freunds berichtet hat. Auch in diesen Fällen bleibt Leichtfertigkeit, aber die Schuld ist gemildert oder aufgehoben.

E. Die scheinbare Fahrlässigkeit 26

Die Fahrlässigkeit kennt — wie der Vorsatz — eine Untergrenze des Riskanten. Zudem muß aber auch das — beim Vorsatz nicht erforderliche — Maß des Interesses an der Erfolgsvermeidung begrenzt werden. Die Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung hängt ja nicht nur von der Intelligenz des Täters und seinem Wissensstand ab, sondern auch von der Intensität, mit der er seine Handlung prüft. Nun „vermag niemand die Idealforderung ständiger, gespanntester Aufmerksamkeit und raschester, zweckmäßigster Reaktion zu verwirklichen" 3 4 ; zu ergänzen ist: Und niemandem ist anzusinnen, immer dann, wenn diese Zuwendung nicht zu leisten ist, zu unterlassen. Es ist deshalb auch insoweit ein erlaubtes Risiko anzuerkennen, als es um das Maß des Interesses an der Erfolgsvermeidung geht. Dieses Risiko ist zwischen einer nur theoretisch möglichen Höchstleistung und dem Verzicht auf sozialen Kontakt auszutarieren. So wie bei der Erkennbarkeit nur Risiken zählen, die den Rahmen des Erlaubten überschreiten, so auch nur Erkenntnisse, die sich mit einem generell noch verhältnismäßigen Aufwand gewinnen lassen; denn es besteht kein rechtliches Interesse daran, daß alle Menschen ihre Energie restlos zur Schadensvermeidung einsetzen oder sich aber von sozialen Kontakten zurückziehen. Im Ergebnis entspricht diese Einschränkung der Fahrlässigkeitshaftung einem verbreiteten Postulat 3 5 (siehe auch § 16 Abs. 2 AE).

F. Fahrlässigkeit und Erfolg (fahrlässiger Versuch?) 27

Fahrlässiger Versuch ist straffrei (einzige Ausnahme ist § 315 c Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe f StGB); hierbei ist gleichgültig, ob sich eine erkennbare Kausalität nicht verwirklicht oder ein situativer Tatumstand vermeidbar verkannt wird. Beispiel: W e r nach einem Voreid seine Aussage leichtfertig in mißverständlicher Weise leistet, aber richtig verstanden wird (deshalb nur Versuch), ist ebenso straffrei wie derjenige, der nach bewußter Falschaussage zum Nacheid nur ansetzt (deshalb nur Versuch) und leichtfertig davon ausgeht, er agiere vor einer Verwaltungsbehörde (zu den §§ 154 bis 156, 163 StGB). Wenn ein Verhalten im Blick auf mehrere mögliche Tatbestandsverwirklichungen fahrlässig ist, kommt es f ü r die H a f t u n g zudem darauf an, welcher Tatbestand verwirklicht wird. O b also ein fahrlässiges Uberfahren einer Rotlicht zeigenden Ampel bloß Ordnungswidrigkeit ist, oder aber fahrlässige Körperverletzung oder gar fahrlässige T ö t u n g (gegebenenfalls mehrerer Menschen), hängt vom Verlauf 34

Stratenwertb A T Rdn. 1137. 55 Stratenwertb A T Rdn. 1139 f, der auf die Nichterweislichkeit der Vermeidbarkeit im Einzelfall abstellt; zustimmend Roxin ZStW 84 S. 993 ff,

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1014; siehe ferner Bockelmann Verkehrsstrafrechtliche Aufsätze S. 216 ff; Cramer DAR 1974 S. 317 ff, 322; Volk GA 1976 S. 161 ff, 177; a. A. Tröndle DRiZ 1976 S. 129 ff.

Fahrlässigkeit. Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen

9. AbSChn

ab. Man hat deshalb gemeint, bei der Zurechnung fahrlässiger Handlungen von einer „verschämten Zufallshaftung" sprechen zu müssen 3 6 , jedoch zu Unrecht: Zufall wäre der Erfolg, wenn er sich aus der vorangegangenen H a n d l u n g nicht erklären ließe, aber gerade das ist nicht der Fall, da das Risiko erkennbar und der Erfolg somit planvoll vermeidbar war. Man mag umgekehrt das Ausbleiben des Erfolgs auf ein fahrlässiges Handeln hin Zufall nennen. Freilich gibt es kein Dogma, auch de lege ferenda dürfe der fahrlässige Versuch nicht bestraft werden; insbesondere ist die Annahme falsch, es gebe überhaupt nur vorsätzliche Versuche 3 7 . Für Bereiche mit verfestigten Regeln in Form von Beschreibungen unerlaubter Risiken oder einer lex artis ist eine Bestrafung folgenloser Unsorgfalt, jedenfalls Unsorgfalt grober Art, in Ergänzung der f ü r Vorsatz geltenden Versuchsregeln diskutabel. Sogar eine generelle Bestrafung aller fahrlässigen Versuche wäre dogmatisch möglich; diese würde aber wegen der dann evident werdenden Ubiquität fehlerhaften Verhaltens weder der N o r m dienen, erkennbar tatbestandsverwirklichendes Handeln zu unterlassen, noch der Eindruckskraft der Strafe. — Siehe auch unten zum Versuch 25/28.

IV. Die aus Vorsatz und Fahrlässigkeit zusammengesetzten Delikte (sogenannte Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen) A. Bei zahlreichen Delikten begnügt sich das Gesetz f ü r einen Teil des Tatbestands 28 mit Fahrlässigkeit. Handelt es sich bei dem Teil um einen qualifizierenden Erfolg, so zählen die Delikte zu den erfolgsqualifizierten Delikten, die freilich auch in Form einer qualifizierten Fahrlässigkeitstat möglich sind. Ist der Fahrlässigkeitsteil strafbarkeitsbegründend, so spricht man von „eigentlichen" Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen 3 8 , genauer von nicht-qualifizierenden Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen. Nach § 11 Abs. 2 StGB sollen die aus Vorsatz und Fahrlässigkeit zusammengesetzten Delikte den Regeln der Vorsatzdelikte folgen, was freilich nur mit erheblichen Modifikationen möglich ist, da das Gesetz für — auch nur partielle — Fahrlässigkeit keine ausdifferenzierte Regelung der Beteiligung kennt und ausdrücklich auch nur den vorsätzlichen Versuch regelt. Zur Beteiligung siehe unten 2 1 / 4 6 ; 22/29; zum Versuch siehe unten 25/25 ff; zum Rücktritt vom Versuch siehe unten 26/49. — Die Zuordnung zum Vorsatz bindet f ü r die §§ 48, 56 g Abs. 2, 66 StGB. B. Nicht-qualifizierende Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen sind ζ. B. die §§ 97 29 Abs. 1, 311 Abs. 4, 315 a Abs. 3 Nr. 1 i . V . m. Abs. 1 Nr. 2, 315 b Abs. 4 i. V. m. Abs. 1; 315 c Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. Abs. 1 N r . 1 b und 2 StGB. — Die erkennbar konkret gefährliche Verkehrsteilnahme bei erkannter Trunkenheit (§§315 a Abs. 3 Nr. 1 ί. V. m. Abs. 1 Nr. 1 und 315 c Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 a StGB) ist weder nicht-qualifizierende Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination (da die Grundlage nach § 316 StGB durch eine Gefahr qualifiziert wird) noch ein erfolgsqualifiziertes Delikt im Sinne des § 18 StGB (da der Erfolg nur eine G e f ä h r d u n g ist, hierzu unten 9/30). — O b 36 Radbruch V D B T Bd. V S. 185 ff, 201 Fn. 2; H. Mayer Z S t W 59 S. 283 ff, 324; Arthur Kaufmann Schuldprinzip S. 162 f; siehe auch Bockelmann Materialien Bd. I S. 29 ff, 33; weitere Nachweise bei Armin Kaufmann Z R V 1964 S. 41 ff, 42 f. 3? Als Strafzumessungsgrund ist der fahrlässige Versuch der Rechtsprechung geläufig: H a t sich bei einem bezüglich zweier Güter fahrlässigen Verhalten eine Fahrlässigkeit der Verletzung reali-

siert, so wird die (insoweit folgenlose) Fahrlässigkeit bezüglich des anderen Guts straferschwerend angelastet: B G H V R S 12 S. 185 ff, 188; 13 S. 25 ff, 26; 13 S. 204 ff, 207; 14 S. 282 ff, 285; 22 S. 273 ff, 274 u. a. m. 38 Seit Krey und Schneider N J W 1970 S. 640 f f ; z u treffende Kritik an der Bezeichnung bei LKSchroeder § 18 Rdn. 5.

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9. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

es sich bei den Delikten um Vorsatzdelikte handelt, bei denen das Erfordernis fahrlässiger Gefährdung nur garantieren soll, daß die Schwelle des Strafwürdigen nicht unterschritten wird 3 9 , oder aber um Fahrlässigkeitsdelikte mit erkannter „Pflichtverletzung" 4 0 ist streitig; die Positionen schließen sich nicht aus. Im Ergebnis folgen die nicht-qualifizierenden Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen den Regeln der erfolgsqualifizierten Vorsatzdelikte 4 1 . 30

C 1. Der Wortlaut der Regelung der erfolgsqualifizierten Delikte in § 18 StGB ist in doppelter Hinsicht verfehlt. Einmal geht es — entgegen dem Wortlaut — nicht darum, daß nur.bei „wenigstens Fahrlässigkeit" gestraft werden soll. D a nach § 15 StGB im Grundfall Vorsatz zu verlangen ist, soll vielmehr schon bei Fahrlässigkeit und nicht erst bei Vorsatz bezüglich der Folge gestraft werden. § 18 StGB ist also ein im A T geregelter Fall, in dem ein partiell fahrlässiges Verhalten „ausdrücklich mit Strafe bedroht" wird (§15 StGB) 4 2 . Weiterhin geht es — wiederum entgegen dem Wortlaut — nicht um alle qualifizierenden besonderen Tatfolgen; vielmehr scheidet ein Gefährdungserfolg aus 4 3 ; das ist schon dem technischen System der Regelung des Gesetzes zu entnehmen: Teils wird bei einem Gefährdungserfolg die subjektive Seite ausdrücklich benannt (so zu den Gefährlichkeitsqualifizierungen des § 316 StGB in den §§ 315 a Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 oder 315 c Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 a StGB), teils sind die Qualifizierungen durch einen Gefährdungserfolg nicht zu den Erfolgsqualifizierungen gruppiert, sondern zu den Vorsatz erfordernden Qualifizierungen (so steht der gefährliche Raub in § 250 Abs. 1 N r . 3, nicht aber in § 251 StGB). Hauptsächlich aber fehlt der konkreten Gefährdung wegen ihrer Versuchsähnlichkeit das Gewicht im objektiven Tatbestand, dem die ganze Deliktsgruppe ihr Dasein verdankt. Erfolgsqualifizierte Delikte nach § 18 StGB mit einer Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination sind beispielsweise die §§ 176 Abs. 4, 177 Abs. 3, 178 Abs. 3, 221 Abs. 3, 224 Abs. 1, 226, 229 Abs. 2, 239 Abs. 2, 239 a Abs. 2, 239 b Abs. 2, 251, 307 Nr. 1 StGB. Die besondere Folge kann auch eine bloße Quantitätsübersteigerung des Grundtatbestands sein, wie etwa bei § 224 StGB und bei allen konkreten Gefährdungsdelikten, bei denen der Erfolgseintritt qualifiziert (§§ 221 Abs. 3, 312, 2. Tatbestand StGB); auch im letzteren Fall bleibt natürlich bei fahrlässiger Erfolgsherbeiführung das Erfordernis der vorsätzlichen Verwirklichung des zum Grundtatbestand gehörenden Quantums, also beispielsweise der vorsätzlichen Gefährdung 4 4 . — Beispiele f ü r rein fahrlässige erfolgsqualifizierte Delikte sind die §§ 309, 2. Tatbestand, 314, 2. Tatbestand StGB.

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2. Die in § 18 StGB zur subjektiven Seite bei der Folgenverwirklichung genannten Mindestbedingungen werden teils im BT verschärft. Soweit nicht überhaupt Vorsatz verlangt wird (etwa in § 225 StGB), womit die Erfolgsqualifizierung im vorsätzlichen Verletzungsdelikt aufgeht, findet sich zunehmend häufig das Erfordernis leichtfertigen, also grob fahrlässigen Verhaltens (§§ 176 Abs. 4, 177 Abs. 3, 178 Abs. 3 239 a Abs. 2, 239 b Abs. 2, 251 StGB u. a. m.). Obgleich diese Benennung nicht als mindestens 39

Lackner § 11 Anm. 11 a; ders. Gefährdungsdelikt S. 10. 4 ° L/O-Schweiler § 56 Rdn. 49; Gössel Lange-Festschrift S. 219 ff, 235 f. 41 Im Ergebnis ebenso LK-Tröndle § 11 Rdn. 98 f. 42 LK-Schroeder$ 18 Rdn. 1; der Formulierungsfehler ist durch die Anknüpfung an § 56 StGB a. F. entstanden, der für die bis dahin schon durch den objektiven Folgeneintritt qualifizierten Delikte die Haftung limitierte, während § 18 StGB bei heutiger Gesetzeslage Haftung erweitert.

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Streitig; wie hier Küper N J W 1976 S. 543 ff, 546; Backmann M D R 1976 S. 969 ff; LK-Schroeder § 18 Rdn. 8; SK-Rudolphi § 18 Rdn. 2; B G H 26 S. 176 ff, 178 mit freilich unglücklicher Begründung (eine Gefährdung soll keine Folge sein); siehe auch Lorenzen Rechtsnatur S. 22 f, 157 f. — Α. A. Dreher-Tröndle § 18 Rdn. 3; Gössel LangeFestschrift S. 219 ff, 221. LK-Schroeder % 18 Rdn. 9.

Fahrlässigkeit. Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen

9. AbSChn

leichtfertig erfolgt, ist auch vorsätzliches Handeln erfaßt 4 5 , und zwar einmal wegen des sowieso bestehenden Stufenverhältnisses der Vermeidbarkeitsformen (oben 9/4) und zum anderen, weil die Benennung nur den Sinn hat, den von § 18 StGB f ü r die subjektive Seite eröffneten Rahmen im unteren Bereich zu verengen und deshalb vor dem Hintergrund des in jede Erfolgsqualifizierung des BT hineinzulesenden § 18 StGB zu interpretieren ist. Mit anderen Worten, da § 18 StGB das „mindestens" schon enthält, braucht es im BT nicht jeweils wiederholt zu werden. 3. Nicht von § 18 StGB werden diejenigen Handlungsfolgen erfaßt, durch die eine 3 2 Strafbarkeit wegen Vollendung begründet wird 4 6 , also der Normalfall des Erfolgsdelikts, oder die als nur-objektive Bedingungen des Unrechts oder seiner Straftatbestandlichkeit keiner subjektiven Entsprechung bedürfen (zu letzterem: §§227, 323 a StGB, streitig, eingehend unten 10/1 ff). — Zu den Regelbeispielen und Strafzumessungsgründen siehe oben 8/43. 4 a) Erhebliche Schwierigkeiten der erfolgsqualifizierten Delikte gründen in der 3 3 Unklarheit, wann und warum das Gesetz von Idealkonkurrenz zwischen einem (vorsätzlichen oder fahrlässigen) Grunddelikt plus mindestens fahrlässiger Herbeiführung eines weiteren Erfolgs zu einer regelmäßig erheblich verschärften strafbaren Erfolgsqualifizierung übergeht 4 7 . Nicht bei jedem rechtswidrigen T u n wirkt jede fahrlässige Erfolgsverursachung qualifizierend, sondern nur bei bestimmten Verhaltensweisen und nur bei bestimmten Folgen, so daß der Gedanke des versari in re illicita allein die erfolgsqualifizierten Delikte nicht tragen kann. Freilich ist dieser Gedanke auch nicht restlos zu verwerfen 4 8 . Das Gesetz kann demjenigen, der sich auf verbotenes Terrain begibt, die Konsequenzen einer Fehlhandlung schärfer zurechnen als dem sich erlaubt Verhaltenden, dies auch bei gleicher Voraussehbarkeit; denn es besteht zwar ein rechtlich anerkanntes Interesse, nicht durch zu starke Fahrlässigkeitshaftung die H a n d lungsfreiheit abzuschnüren (siehe oben zum erlaubten Risiko 7/35), aber eben nur die Freiheit zum unverbotenen Handeln, nicht zu rechtswidrigem T u n . Zu diesem Gedanken kommt bei den erfolgsqualifizierten Delikten hinzu — zumeist im Verein mit einer kriminologischen Typizität 4 9 —, daß die Verwirklichung eines Grunddelikts oder des zum Grunddelikt führenden Verhaltens in noch zu konkretisierender Weise besonders 45

Streitig; wie hier LK-Schroeder § 1 8 Rdn. 25; Schönke-Schröder-Cramer § 1 8 R d n . 3; DreherTröndle § 18 Rdn. 6; a. A. B G H 26 S. 175; B G H bei Dallinger M D R 1976 S. 15; Rudolph· J R 1976 S. 74 f; Hassemer J u S 1975 S. 814 f; Tenckboff Z S t W 88 S. 897 ff, 919; Maiwald GA 1974 S. 257 ff, 270; /escheck A T § 54 III 2.

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Bei wörtlicher Auslegung korrekt, aber nach dem Regelungszweck verfehlt ist folgender Begründungsgang: D a der Versuch milder bestraft werden kann als die Vollendung (§ 23 Abs. 2 StGB), verschärft der Erfolgseintritt die Versuchsstrafe; nach § 18 StGB reicht also bezüglich des eingetretenen Erfolgs Fahrlässigkeit ; danach muß sich — beim Vorsatzdelikt — nicht der erkannte Erfolg verwirklicht haben, sondern die Verwirklichung eines erkennbaren Erfolgs reicht aus (soweit der Versuch strafbar ist; ansonsten wirkt der Erfolgseintritt siTiSbzrktiishegründend). Insbesondere würde bei dieser wörtlichen Auslegung die aberratio ictus bei Fahrlässigkeit bezüglich des eingetretenen Erfolgs zur vollendeten Vorsatztat, oben 8/80 ff.

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O b dieser Übergang überhaupt zu rechtfertigen ist, ist streitig; umfassende Darstellung des Meinungsstands bei Lorenzen Rechtsnatur S. 34 ff. Für erfolgsqualifizierte Delikte, selbst ohne F a h r lässigkeitslimitierung, Baumann Z S t W 70 S. 227 ff, 236 f f ; dagegen Lang-Hinrichsen Z S t W 73 S. 210 ff, 224 ff; - eingehend z u r N o t wendigkeit erfolgsqualifizierter Delikte: Hirsch GA 1972 S. 65 ff, 75 f f ; - gegen die Figur der erfolgsqualifizierten Delikte ü b e r h a u p t Schubarth Z S t W 85 S. 754 ff, 775 f f ; - f ü r die U m w a n d lung in Gefährdungsdelikte Arthur Kaufmann Schuldprinzip S. 240 ff; siehe auch Jescheck Niederschriften Bd. II S. 246 ff, 250; speziell zu den überhöhten S t r a f r a h m e n siehe unten Fn. 61.

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Α. A. Lorenzen Rechtsnatur S. 35 ff mit Nachweisen. N u r dadurch d ü r f t e zu erklären sein, daß es z w a r eine allgemeine Körperverletzung mit Todesfolge gibt, § 226 StGB, nicht aber eine allgemeine N ö t i gung mit Todesfolge, wohl aber wieder R a u b und räuberische Erpressung mit Todesfolge, § 2 5 1 StGB.

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9. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

riskant ist. Deshalb sind die erfolgsqualifizierten Delikte keine schlichten Summierungen aus Grunddelikt plus Folge, sondern im Folgeneintritt muß sich ein besonderes Risiko verwirklichen. 34

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b) Für diese Risikoverwirklichung 50 werden insbesondere zur Körperverletzung mit Todesfolge unterschiedliche Formeln angeführt: Die Folge müsse sich unmittelbar (d. h. nicht durch zurechenbares Verhalten des Opfers oder dritter Personen vermittelt) aus der Grundhandlung ergeben 5 1 oder typische Folge des Grunddelikts sein 5 2 ; sie müsse unter Nichtberücksichtigung außertatbestandlicher Gefährdungsmomente prognostiziert werden können 5 3 oder aus dem Täter bekannten Umständen hervorgehen 5 4 , oder in der Folge müsse sich ein grunddeliktsadäquates und zwangsläufiges (i. e. hohes oder unbeherrschbares) Risiko verwirklichen 55 . c) Zur Lösung ist zu unterscheiden: aa) Bei den meisten erfolgsqualifizierten Delikten geht es darum, daß der Täter in die Güter des Opfers der qualifizierenden Folge schon durch das Grunddelikt — oder, bei mehraktigen Delikten (ζ. B. § 251 StGB), durch Teile des Grunddelikts 5 6 — eingreift, dabei aber über das Maß der Verletzung irrt, die das von ihm erkannte Risiko entweder am angegriffenen Gut anrichtet (Beispiel: § 224 StGB) oder an einem vom angegriffenen Gut notwendig abhängigen Gut (Beispiel: § 226 StGB). Es geht also um einen Quantitätsirrtum, und zwar im weiteren Sinn, weil der Irrtum sowohl das vorsätzlich angegriffene Gut wie auch ein davon notwendig abhängiges Gut betreffen kann. Grund der Schärfung ist der Umstand, daß das Risiko, aus dem sich das Grunddelikt verwirklicht, häufig quantitativ nicht beherrschbar, also eine signifikante Gefahr ist. Schlagwortartig: Es geht um einen Quantitätsirrtum bei identischem Risiko 57 . Beispiele: W e r das O p f e r am Rand einer viel befahrenen Landstraße vorsätzlich niederschlägt, so daß es danach voraussehbar mit Todesfolge von einem Auto überfahren wird, irrt nicht über die Quantität des Risikos, das sich im Erfolg des Grunddelikts verwirklicht (der Schlag); also fehlt die Risikoidentität. Zudem ist der Erfolg des Schlags nicht das erste Quantum des Eingriffs, der zum T o d führt (das Überfahren) 5 8 . — W e r auf sein O p f e r mit einer geladenen Pistole vorsätzlich einschlägt, wobei die Pistole losgeht und der Schuß das O p f e r tötet, irrt über das Risiko der Pistole als Schußwaffe; im Grunddelikt verwirklicht sich aber das Risiko einer Schlagwaffe; also fehlt wiederum die Risikoidentität. Zudem ist der Erfolg als Schlag nicht das erste Quantum des Eingriffs, das zum T o d führt (der Schuß) 5 9 . — Wohl aber haftet nach § 226 StGB, wer seinem O p f e r mit Verletzungsvorsatz auf den Kopf schlägt, wobei erkennbar ist, daß der Schlag tödlich wirkt, weil er stärker ausfällt, als geplant ist, oder weil er schon in 50 D a s nicht 1971 Rdn.

E r f o r d e r n i s der Gefahrverwirklichung ist allgemein a n e r k a n n t ; dagegen Schröder J R S. 206 f f ; Schönke-Schröder-Cramer™ §18 4.

51 B G H J R 1971 S. 205 f, mit ablehnender Anmerkung Schröder J R 1971 S. 206 f f ; B G H bei Haitz M D R 1982 S. 100 ff, 101 f. 52 Gössel Lange-Festschrift S. 219 ff, 235. 55 Geilen Welzel-Festschrift S. 655 ff, 681. 54 SK-Hom § 226 Rdn. 11. 55 Wolter J u S 1981 S. 168 ff, 177. 56 LK-Schroeder § 18 Rdn. 20; bei § 251 StGB geht es überhaupt nur um die G e f a h r des ersten H a n d lungsabschnitts, nicht aber auch um die G e f a h r der W e g n a h m e . Ein Quantitätsirrtum bei der

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Wegnahme ist zwar denkbar (die geraubten Subsidien waren lebensnotwendig), aber kaum ein kriminologisch relevanter T y p , und dies noch weniger beschränkt auf Wegnahme gerade per R a u b ; Blei JA 1974 S. 233 ff, 236; SchönkeSchröder-Eser § 2 5 1 Rdn. 4; a. A. MaurachSchroeder BT I § 36 II C 1. 57 Im Ergebnis deckt sich diese Lösung in den meisten Fällen mit derjenigen von Geilen WelzelFestschrift S. 655 ff, 681; siehe auch Jakobs Beiheft Z S t W 1974 S. 6 ff, 35 ff. 58 Streitig; wie hier Geilen Welzel-Festschrift S. 655 ff, 681; LK-Hirsch § 226 Rdn. 4 mit N a c h weisen des Streitstands. 59 Im Ergebnis a. A. B G H 14 S. 110 ff.

Fahrlässigkeit. Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen

9. AbSChn

geplanter Stärke den Schädel des Opfers zertrümmert oder weil das Schlaginstrument scharfkantig ist etc. bb) Vereinzelt sind Delikte erfolgsqualifiziert, weil eine Attacke auf ein Gut ty- 3 6 pischerweise nicht beherrschbare weitere Risiken für dasselbe Gut bringt (Beispiel: § 239 Abs. 3 StGB) oder typischerweise nicht beherrschbare Risiken für nicht notwendig, aber häufig im Bestand verbundene Güter (Beispiele: §§ 307 Nr. 1, 309 StGB). In diesen Fällen sind weder die Risikoidentität noch die Beschränkung des Irrtums auf die Quantität zur Begründung der besonderen Gefahr des erfolgsqualifizierten Delikts erforderlich; vielmehr reicht die typische Entwicklung der Gefahr. Das Folgenrisiko verwirklicht sich selbst dann noch, wenn es durch ein Verhalten des Opfers oder anderer Personen vermittelt wird, solange dieses Verhalten nach den zur mittelbaren Täterschaft genannten Maximen dem Täter zurechenbar ist. Beispiel: Das seiner Freiheit voraussichtlich langdauernd beraubte Opfer stürzt bei einem riskanten Fluchtversuch tödlich; bei Fahrlässigkeit bezüglich der Folge: § 239 Abs. 3 StGB 60 . Stets muß es sich jedoch um ein Risiko handeln, das mit dem Grunddelikt typisch verbunden ist, also durch Vermeidung des Grunddelikts planvoll vermieden werden kann. Teilweise beschränkt das Gesetz selbst die Risiken noch stärker, so etwa in § 307 Nr. 1 StGB durch das Erfordernis, das Opfer müsse sich zur Zeit der Tat in einer der in Brand gesetzten Räumlichkeiten befunden haben. — Einzelheiten können nur bei der Interpretation der Delikte im BT entwickelt werden. d) Alle Beschränkungen der erfolgsqualifizierten Delikte können jedoch nicht dar- 3 7 über hinweghelfen, daß das Gesetz bei den Strafrahmen der Delikte die Orientierung im System zum Teil verloren hat 6 1 . Das zeigt sich bei denjenigen Delikten, die auch bei leichter Fahrlässigkeit verwirklicht werden können: So wie sich die Fahrlässigkeit zur leichtesten Fahrlässigkeit minimalisieren kann, kann sich auch die Strafwürdigkeit der Folgenverwirklichung minimalisieren. Selbst wenn sich das Gesetz bei erfolgsqualifizierten Delikten entgegen der sonst bei Idealkonkurrenz geltenden Strafrahmenabsorption für eine Asperation entscheidet, muß es die Möglichkeit von minimaler Vermeidbarkeit bei der Strafuntergrenze berücksichtigen. Beispiel für eine verfehlte Regelung: Die Mindeststrafe nach § 307 Nr. 1 StGB beträgt das zehnfache der Mindeststrafe nach § 306 StGB und das doppelte der Höchststrafe nach § 222 StGB. — Bei den auf Leichtfertigkeit beschränkten erfolgsqualifizierten Delikten harmonieren die besonders hohen Strafdrohungen nicht mit den Strafdrohungen für gerade nicht mehr leichtfertiges Verhalten und auch nicht mit den Strafdrohungen für leichtfertige, aber nicht-qualifizierende Erfolgsherbeiführungen, insbesondere bei der fahrlässigen T ö tung. Beispiel: Wenn leichtfertige Tötung beim Raub bis zu lebenslänglicher Strafe führen kann, dürfte die Obergrenze der fahrlässigen Tötung (5 Jahre) zu niedrig sein, etwa für Fälle leichtfertiger Tötung unter Verletzung von Berufspflichten. Ό B G H 19 S. 382 ff, 3 8 6 f. 61 F ü r eine R e v i s i o n d e r S t r a f r a h m e n Jescheck A T § 54 I I I 2 ; Jakobs Beiheft Z S t W 1974 S. 6 ff, 37 f ; SK-Rudolphi § 1 8 R d n . 1; Wolter J u S 1981 S. 168 f ; a u c h Hirsch G A 1972 S. 65 f f , 75. Lorenzen R e c h t s n a t u r S. 145 ff, will die O b e r g r e n z e n d e r S t r a f r a h m e n n u r bei v o r s ä t z l i c h e r E r f o l g s h e r b e i f ü h r u n g b e r ü c k s i c h t i g e n ; s o w e i t eine V o r s a t z t a t a u s s c h e i d e t ( e t w a bei § 2 2 6 S t G B ) , soll die V o r s c h r i f t v e r f a s s u n g s w i d r i g sein. Bei f a h r l ä s siger E r f o l g s h e r b e i f ü h r u n g soll d e r S t r a f r a h m e n d u r c h das bei I d e a l k o n k u r r e n z g e l t e n d e H ö c h s t -

m a ß limitiert w e r d e n . — M a n w i r d freilich d e n G e s e t z g e b e r w e d e r h i n d e r n k ö n n e n , die a x i o l o gisch u n b e f r i e d i g e n d e G r e n z e v o n V o r s a t z u n d F a h r l ä s s i g k e i t ( o b e n 8 / 5 ) w e n i g s t e n s bei d e n e r f o l g s q u a l i f i z i e r t e n D e l i k t e n z u nivellieren, n o c h bei I d e a l k o n k u r r e n z w e n i g s t e n s in E i n z e l f ä l l e n den S t r a f r a h m e n zu asperieren (unten 3 2 / 5 ; 3 3 / 1 3 ) . Lorenzen a a O S. 166 a k z e p t i e r t d e lege f e r e n d a A s p e r a t i o n n u r als generelles P r i n z i p f ü r I d e a l k o n k u r r e n z ; f ü r eine generelle S t r a f r a h m e n s c h ä r f u n g b e s t e h t a b e r kein B e d ü r f n i s .

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10. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g 10. A B S C H N I T T

Die objektiven Bedingungen (der Ausschließung) des Unrechts oder seiner Straftatbestandlichkeit I. Die nur-objektiven Bedingungen des Unrechts oder seiner Straftatbestandlichkeit (die sogenannten objektiven Strafbarkeitsbedingungen) Literatur G. Bemmann Zur Frage der objektiven Bedingungen der Strafbarkeit, 1957; R. Birkhahn Teilnahme an einem Raufhandel nach Eintritt der schweren Folge? M D R 1962 S. 625 f; R. Bloy Die dogmatische Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, 1976; W. Hardwig Studien zum Vollrauschtatbestand, Eb. Schmidt-Festschrift S. 459 f f ; G. Hass Abschied von der objektiven Strafbarkeitsbedingung, Z R P 1970 S. 196 f; ders. Zu Wesen und Funktion der objektiven Strafbarkeitsbedingung. Bemerkungen zur Entstehungsgeschichte des Begriffs, Rechtstheorie 1972 S. 23 ff; ders. Wie entstehen Rechtsbegriffe? Dargestellt am Beispiel der objektiven Strafbarkeitsbedingung, 1973; W. Heinz Die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität mit strafrechtlichen Mitteln — unter besonderer Berücksichtigung des 1. W i K G , GA 1977 S. 193 ff; H. J. Hirsch Ehre und Beleidigung, 1967; H. Kantorowicz Tat und Schuld, 1933; Arthur Kaufmann Das Schuldprinzip. Eine strafrechtlich-rechtsphilosophische Untersuchung, 1961; ders. Unrecht und Schuld beim Delikt der Volltrunkenheit, J Z 1963 S. 425 ff; F.-W. Krause Die objektiven Bedingungen der Strafbarkeit, Jura 1980 S. 449 ff; E. Land System der äußeren Strafbarkeitsbedingungen. Ein Beitrag zur Lehre vom Tatbestand, 1927; D. Lang-Hinrichsen Zur Krise des Schuldgedankens im Strafrecht, ZStW 73 S. 210 ff; H. Otto Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit als eigenständige Deliktskategorien? Überlegungen zum Deliktsaufbau, Schröder-Gedächtnisschrift S. 53 f f ; ders. Der Zusammenhang zwischen Krise, Bankrotthandlung und Bankrott im Konkursstrafrecht, R. Bruns-Gedächtnisschrift S. 265 f f ; G. Radbruch T a t und Schuld. Zu einem Buche von H e r m a n n Kantorowicz, SchwZStr. Bd. 51 (1937) S. 245 ff; Th. Rittler Strafbarkeitsbedingungen, FrankFestgabe Bd. II S. 1 ff; W. Sauer Die beiden Tatbestandsbegriffe. Zur Lehre von den äußeren Strafbarkeitsvoraussetzungen, Mezger-Festschrift S. 117 ff; W. Sax „Tatbestand" und Rechtsgutsverletzung. Überlegungen zur Neubestimmung von Gehalt und Funktion des „gesetzlichen Tatbestandes" und des „Unrechtstatbestandes", J Z 1976 S. 9 ff, 80 ff, 429 f f ; E. Schmidhäuser O b jektive Strafbarkeitsbedingungen, ZStW 71 S. 545 ff; G. Schwalm Gibt es objektive Strafbarkeitsbedingungen? M D R 1959 S. 906; H. Schweikert Die Wandlungen der Tatbestandslehre seit Beling, 1957; ders. Strafrechtliche H a f t u n g f ü r riskantes Verhalten, Z S t W 70 S. 394 ff; G. Stratenwerth Objektive Strafbarkeitsbedingungen im Entwurf eines Strafgesetzbuchs 1959, Z S t W 71 S. 565 ff; W. Stree Beteiligung an einer Schlägerei — BGHSt. 16, 130, JuS 1962 S. 93 ff; ders. O b jektive Bedingungen der Strafbarkeit, JuS 1965 S. 465 f f ; K. Tiedemann Objektive Strafbarkeitsbedingungen und die Reform des deutschen Konkursstrafrechts, Z R P 1975 S. 129 ff; ders. G r u n d fragen bei der Anwendung des neuen Konkursstrafrechts, N J W 1977 S. 777 ff; ders. Der B G H zum neuen Konkursstrafrecht, N J W 1979 S. 254 f; L. Zimmert Zur Lehre vom Tatbestand (Übersehene und vernachlässigte Probleme), 1928.

A. Das Problem 1

In zahlreichen Fällen, e t w a bei Beteiligung an einer Schlägerei (§ 2 2 7 StGB) und bei V o l l r a u s c h (§ 3 2 3 a S t G B ) , besteht für den G e s e t z g e b e r f o l g e n d e s D i l e m m a : Wird die V o l l e n d u n g einer T a t s c h o n bei einer abstrakten G e f a h r für das z u s c h ü t z e n d e G u t festgelegt, s o wird der T a t b e s t a n d auch durch H a n d l u n g e n verwirklicht, die im s o z i a len Leben nicht o d e r z u m i n d e s t w e i t ü b e r w i e g e n d nicht als S t ö r u n g e n registriert w e r den o d e r d o c h jedenfalls nicht als S t ö r u n g e n , die eine f ö r m l i c h e R e a k t i o n erfordern; die Strafe erscheint in d i e s e m Fall als u n n ö t i g scharfe R e a k t i o n . W i r d aber der U n rechtstatbestand u m e i n e n S c h a d e n o d e r z u m i n d e s t u m dessen N ä h e angereichert, s o ist er nur verwirklicht, w e n n der jeweilige T ä t e r das k o n k r e t e R i s i k o erkennen kann, w ä h r e n d d e m G e s e t z an der V e r m e i d u n g auch eines nur abstrakten Risikos g e l e g e n ist. 274

Objektive Bedingungen

10. Abschn

Beispiel (zu § 323 a StGB): W ü r d e das Gesetz der Gefahr, die sich aus der Schuldunfähigkeit einer volltrunkenen Person ergibt, durch eine Bestrafung jeder Volltrunkenheit begegnen wollen, so würde die Strafe wegen der dann — trotz immenser Dunkelziffer — ubiquitären Anwendung, etwa beim rheinischen Karneval oder bei sonstigen Volksfesten, zu einer nicht mehr diskriminierenden und deshalb stumpfen W a f f e . W ü r d e das Gesetz aber nur auf eine individuell voraussehbare Trunkenheitstat hin Strafe verhängen, so bliebe Strafe auch in denjenigen Fällen aus, in denen sich der Täter im Bewußtsein der Gefahrvermutung des Gesetzes, aber in dem Glauben, es besser zu wissen, betrinkt und mit seinem Glauben irrt, seil, eine T a t im Rausch begeht. Es handelt sich also um Fälle, bei denen die Bestrafung einer abstrakten Gefährdung nicht generell, wohl aber bei Eintritt einer von der Vollendung unabhängigen Erfolgsmaterialisierung angebracht ist: Die Erfolgsmaterialisierung demonstriert die Notwendigkeit des Verbots der abstrakten Gefährdung. In diesen Fällen bedingt die Erfolgsmaterialisierung das Unrecht oder doch mindestens die Straftatbestandlichkeit des Unrechts. Der Begriff des Erfolgs ist hierbei im weiten Sinn zu verstehen und umfaßt auch Eigenschaften des Angriffsobjekts etc. Stets handelt es sich aber um Umstände, die das Schuldmaß erhöhen würden, wenn sich die Schuld doch auf sie bezöge 1 . Systematisch sind die nur-objektiven Bedingungen Gegenstücke zu den subjektiven Unrechtselementen in Form überschießender Planungen: Dem Überschuß des Wollens bei diesen Planungen entspricht ein Uberschuß des Vollbringens bei den nur-objektiven Bedingungen.

B. Die Dogmatik der Bedingungen des Unrechts und der Straftatbestandlichkeit 1 a) Eine rückwirkende, aufschiebende Bedingung des Unrechts liegt vor, wenn das 2 Verhalten ohne die Erfolgsmaterialisierung überhaupt nicht als Unrecht zu behandeln ist. Das ist beim Vollrausch nach § 323 a StGB der Fall. W ä r e die Berauschung jedenfalls Unrecht, so müßte die Polizei zu Festzeiten ganze Festversammlungen „sprengen", weil massenweise die abstrakte Gefahr der Entbindung von der N o r m (oder nach neueren Konzepten: ein Zustand der Verkehrsuntauglichkeit, dazu unten 17/Fn. 111) naherückt. Ein solches Vorgehen gegen ein zwar nicht wünschenswertes, aber sozial allgemein toleriertes Verhalten wäre weder durchsetzbar, noch stünde es mit der allgemeinen Handlungsfreiheit im Einklang. — Hierher gehört auch die Nichterweislichkeit der Wahrheit bei der in unvermeidbar gutem Glauben an die Wahrheit begangenen üblen Nachrede (§ 186 StGB), sofern nicht — was vorzugswürdig ist — mit der neueren Lehre § 186 StGB als Delikt interpretiert wird, das bezüglich der Wahrheitsfrage eine Sorgfaltswidrigkeit voraussetzt 2 ; Erfolgsmaterialisierung ist dabei das Offenbleiben der Wahrheitsfrage und damit der erhöhte Verdacht, daß die Herabwürdigung unverdient geschehen ist. Da mit dem Unrecht auch die N o r m bedingt ist, handelt der Täter zum Tatzeitpunkt auf sein eigenes Risiko: So ist ζ. B. die Berauschung nur erlaubt, solange keine T a t im Rausch erfolgt, und sie wird mit dem Eintritt dieser T a t rückwirkend verboten. Zum Tatzeitpunkt ist also noch nicht entscheidbar, ob die T a t Unrecht ist. Diese Überbürdung des Rechtswidrigkeitsrisikos auf den Täter setzt voraus, daß der Gebrauch der Handlungsfreiheit in dem betreffenden Bereich nicht als sozial vorteilhaft verstanden wird; wer sicher gehen will, sich nicht unrecht zu verhalten, mag auf Verdacht hin die Berauschung unterlassen. — Zu § 113 StGB siehe oben 6/65. ' Siehe Schmidbauer Z S t W 7 1 S. 545 ff, 558; Gallas Niederschriften Bd. V S. 104.

l Grundlegend Hirsch Ehre und Beleidigung S. 152 ff, 169 f f ; Welzel Strafrecht § 42 II 2 a β.

275

10. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. T a t b e s t a n d s v e r w i r k l i c h u n g durch H a n d l u n g

b) Nicht schon das Unrecht, aber doch seine Straftatbestandlichkeit ist rückwirkend, aufschiebend bedingt, wenn das Tatverhalten auch ohne Blick auf die Erfolgsmaterialisierung unterbleiben, aber nur bei eingetretenem Erfolg als tatbestandsmäßig behandelt werden soll. Das Verhalten wird in diesem Fall nicht toleriert, aber seine Gefährlichkeit muß durch den Erfolg demonstriert werden, wenn es für eine strafrechtliche Reaktion hinreichend auffällig sein soll. Beispiele sind: der Bestand diplomatischer Beziehungen bei den Straftaten gegen ausländische Staaten (§§ 102 ff, 104 a StGB); denn nur, wenn durch die Attacke (die freilich einen anderen Unrechtstatbestand sowieso erfüllen mag) ein Staat betroffen wird, mit dem nicht nur vereinzelte geordnete Beziehungen unterhalten werden, besteht die Gefahr einer Rückwirkung auf die Bundesrepublik Deutschland; — ferner: die schwere Folge bei der Beteiligung an einer Schlägerei (§ 227 StGB) und der Konkurs (oder seine Ablehnung mangels Masse) bei den Konkursstraftaten (§§ 283 Abs. 6, 283 b Abs. 3, 283 c Abs. 3, 283 d Abs. 4 StGB); denn diese Umstände demonstrieren die Gefährlichkeit des tatbestandlichen Verhaltens. In diese Gruppe gehört auch die Nichterweislichkeit der Wahrheit bei derjenigen Auslegung des § 186 StGB, die bezüglich der Unwahrheit auf mangelnde Sorgfalt abstellt (oben Fn. 2). 2 a) Nach weit üblicher Terminologie werden die nur-objektiven Bedingungen als objektive Strafbarkeitsbedingungen bezeichnet, wobei diese Bedingungen nach überwiegender Ansicht weder das Unrecht noch seine Behandlung als straftatbestandsverwirklichend hindern sollen3. Letzteres führt bei den Unrechtsbedingungen dazu, daß ein Verhalten als Unrecht definiert wird, ohne daß auch die Konsequenz dieser Defini3

Die Bedingungen sind ein aus (vermeintlichen) kriminalpolitischen Notwendigkeiten erzwungenes Rechtsinstitut. Die Entwicklung der objektiven Strafbarkeitsbedingungen erfolgte vorwiegend am Fall des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 113 StGB a. F. (RG 2 S. 423 ff, 425; 3 S. 14 ff, 19; 47 S. 270 ff, 279 f; 55 S. 162 ff, 166; 60 S. 337 ff, 342; 64 S. 74 ff, 76; 72 S. 300 ff, 301 f; BGH 4 S. 161 ff, 163 f; 21 S. 335 ff, 364 ff); daneben waren bedeutsam: § 227 StGB (RG 59 S. 107 ff, 112 mit Nachweisen der vorgehenden Rechtsprechung; BGH 14 S. 132 ff; 16 S. 130 ff); §186 StGB (RG 62 S. 83 ff, 95; 65 S. 422 ff, 425; BayObLG NJW 1965 S. 58 f); Konkursdelikte, jetzt: § 283 ff StGB (RG 45 S. 88 ff, 92 ff; 66 S. 268 f; BGH 1 S. 186 ff, 191); eingehend Hass Rechtsbegriffe passim. Der hier vertretenen Ansicht ähnlich ist die Lehre vom riskanten Verhalten: Schweikert ZStW 70 S. 394 ff; ders. Wandlungen S. 86 ff; Hardwig Eb. Schmidt-Festschrift S. 459 ff, 459 Fn. 2; Baumann AT § 31, 1; Wessels AT § 5 IV 1. - Gegen diese Lehre vom riskanten Verhalten Lang-Hinrichsen, ZStW 73 S. 210 ff, 221 f. - Vereinzelt werden die objektiven Strafbarkeitsbedingungen als dogmatische Figur abgelehnt und den Unrechtsmerkmalen oder den Prozeßvoraussetzungen zugeteilt; Bemmann Zur Frage der objektiven Bedingungen S. 52 ff. — Teils wird bei einzelnen Vorschriften mindestens Fahrlässigkeit bezüglich der Bedingungen verlangt, so daß der jeweilige Tatbestand eine Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination enthalten soll; so speziell zu §227 StGB LK-Hirsch §227 Rdn. 15; speziell zu § 186 StGB siehe oben

276

Fn. 2. — Für eine Abschaffung der Merkmale, da sie angeblich kriminalpolitische Entscheidungen verschleiern, plädiert Hass ZRP 1970 S. 196 f; ders. Rechtstheorie 1972 S. 23 ff; ders. Rechtsbegriffe S. 76 ff. — Ein Bruch mit dem „Schuldprinzip" wird angenommen von Arthur Kaufmann Schuldprinzip S. 247 ff; ders. J Z 1963 S. 425 ff (beschränkt auf „unechte" Bedingungen, d. h. „verkappte Strafschärfungsgründe" oder „der Sache nach strafbegründende Tatbestandsmerkmale", was die §§ 186, 227, 323 a StGB betreffen soll); auch Jescheck AT § 53 I 2 b ; LK-]escheck Rdn. 79 vor § 13; Tiedemann ZRP 1975 S. 129 ff, 132. Eine Relevanz der Bedingungen für den Bestand oder das Maß von Unrecht bejahen — mit diversen Begründungen, insbesondere ausgehend von diversen Tatbestands- und Unrechtsbegriffen — die oben in dieser Fn. zum riskanten Verhalten Genannten, zudem diejenigen, die einen Verstoß gegen das Schuldprinzip annehmen; ferner Sauer Grundlagen S. 355 ff; ders. Mezger-Festschrift S. 117 ff, 119; Land System S. 22 ff; Otto Schröder-Gedächtnisschrift S. 53 ff, 65. — Die Bedingungen sollen dagegen nach überwiegender Ansicht unrechtsunabhängig sein; Kantorowicz Tat und Schuld S. 239, 242 ff; Zimmerl Lehre vom Tatbestand S. 24 ff, 29; Rittler Frank-Festgabe Bd. II S. 1 ff, 15, 17; Stratenwerth ZStW 71 S. 565 ff; Schmidhäuser ZStW 71 S. 545 ff, 547 ff; Stree JuS 1965 S. 465 ff; Maurach-Zipf AT I § 21 III A 1 ; Schönke-Schröder-Lenckner Rdn. 124avor § 13; LK?-Hirsch Rdn. 188 vor § 5 1 ; SK-Rudolphi Rdn. 12 vor § 19 u. a. m.

Objektive Bedingungen

10. A b S C h n

tion, seil, die Verhinderung des Verhaltens im Rahmen des Möglichen, gezogen würde. Bei den Bedingungen der Straftatbestandlichkeit des Unrechts ist die Differenz zur hiesigen Lösung weniger gewichtig. Aber immerhin müßte die überwiegende Ansicht beispielsweise die Vorteilssicherung nach einer in der Strafbarkeit bedingten T a t , etwa nach einem Konkursdelikt, auch ohne Bedingungseintritt als Begünstigung behandeln (§§ 257 Abs. 1 , 1 1 Abs. 1 Nr. 5 StGB), obgleich dann der Vortat die zur Bestrafung erforderliche Signifikanz der Gefahr fehlt; auf die Perpetuierung einer Lage würde also strenger reagiert als auf ihre Herbeiführung, — ein axiologisch ungereimtes Ergebnis. Es ist deshalb vorzugswürdig, nicht erst die Strafbarkeit, sondern schon das Unrecht oder doch die Straftatbestandlichkeit als bedingt anzusehen. b) Die Behandlung der Merkmale als Bedingungen bloß der Strafbarkeit wird zumeist damit begründet, schon das Verhalten des Täters sei für sich strafwürdig, aber erst bei Hinzutritt der Erfolgsmaterialisierung sei es auch straibedürftig; es sei also zwischen dem Verdientsein von Strafe und ihrer kriminalpolitischen Notwendigkeit zu trennen 4 . Bei dieser Unterscheidung von Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit wird verkannt, daß die Bestimmung aller Bestrafungsvoraussetzungen nur im Blick auf die Notwendigkeit erfolgen kann, einen Konflikt durch Strafe zu erledigen, also im Blick auf das Strafbedürfnis. Noch vor der Funktion des Straftatbestands, zur notwendigen Erledigung eines Konflikts beizutragen, gibt es keine dogmatische Aufgabe und deshalb auch keine Möglichkeit, ein ohne Blick auf die Funktion schon „an sich" zu bestrafendes Verhalten zu bestimmen. Was nicht bestraft werden muß, ist auch nicht strafwürdig 5 . Beispiel: Würde der Gesetzgeber sich entschließen, Diebstahl nur noch zu bestrafen, wenn der Berechtigte das gestohlene Objekt nach der Tat überhaupt vermißt, so würde sich der an dieser Bedingung sichtbare Wandel der sozialen Bedeutung von Eigentum auch bei der Bestimmung dessen auswirken müssen, was als tatbestandliches Unrecht zu behandeln ist; es ginge nicht allein um einen Wandel der Strafbarkeit. 3 a) Nach der hiesigen Lösung wie nach der überwiegenden Ansicht gehören die Bedingungen jedenfalls nicht zum Unrechtstatbestand als der Handlungsbeschreibung. Es ist gerade die Aufgabe der Bedingungen, eine Erfolgsmaterialisierung unabhängig von der subjektiven Beziehung zu ihr als Merkmal eines Delikts oder eines Verbrechens zu erfassen. Also sind weder § 16 StGB noch § 18 StGB anzuwenden 6 . Natürlich gehören 4

5

Schönke-Schröder-Lenckner R d n . 124 v o r § 13; LfP-Hirsch R d n . 189 v o r § 5 1 ; LK-Jescheck R d n . 79 v o r § 13; Jescheck A T § 5 3 I 2 a ; StratenWerth A T R d n . 196 f ; den. Z S t W 7 1 S. 565 ff, 567 f ; Sax J Z 1976 S. 9 f f , 80 f f ; Rittler F r a n k Festgabe Bd. II S. 1 ff, 14 f ; Schwalm M D R 1959 S. 9 0 6 ; Radbruch SchwZStr. Bd. 51 (1937) S. 249 ff, 254 f. — D i e d a m i t b e h a u p t e t e s t r a f e i n schränkende W i r k u n g d e r B e d i n g u n g e n ist z u m i n dest in d o g m e n g e s c h i c h t l i c h e r S i c h t n i c h t belegb a r ; siehe d a z u Hass R e c h t s t h e o r i e 1972 S. 2 3 f f ; ders. R e c h t s b e g r i f f e S. 15 f f , 57 f f ; kritisch a u c h Maurach-Zipf A T I § 21 III A l . — D i e B e d i n g u n gen w e r d e n speziell als StrsSwürdigkeitsmerkmsie e i n g e o r d n e t v o n Otto S c h r ö d e r - G e d ä c h t n i s s c h r i f t S. 53 ff, 64 f. Baumann A T § 31, 1; siehe a u c h Bloy B e d e u t u n g S. 2 2 7 ff, 239 ff, 246 ff, 251 f. — Ein k r a s s e s Beispiel: W e n n — in A b w a n d l u n g eines Beispiels v o n Kant —• n a c h e i n e m M o r d jede m e n s c h l i c h e G e -

6

nis e n t f a l l e n sollte, diesen M o r d z u a h n d e n (im O r i g i n a l f a l l bei Kant M e t a p h y s i k d e r Sitten 2. T e i l II Ε a s s o z i i e r e n sich die M i t g l i e d e r e i n e r einzelnen aufgelösten Gesellschaft anderen Ges e l l s c h a f t e n , siehe o b e n 1 / 2 0 mit F n . 26), e n t f ä l l t n a c h t r ä g l i c h a u c h die S t r a f w ü r d i g k e i t d e r T a t . E i n e s o w i e s o a u f z u l ö s e n d e O r d n u n g k a n n in strafwürdiger Weise nicht angegriffen werden. Α. A. n u r d i e j e n i g e n , n a c h d e n e n die B e d i n g u n g e n voll als U n r e c h t s t a t b e s t a n d s m e r k m a l e z u b e h a n dein sein sollen, so d a ß m i n d e s t e n s F a h r l ä s s i g k e i t e r f o r d e r l i c h ist; siehe o b e n F n . 3. — N a c h Sax J Z 1976 S. 9 f f , 80 ff, 429 f f , 430 f soll e n t s p r e c h e n d d e r R e g e l u n g bei § 113 S t G B ein V e r b o t s i r r t u m a n z u n e h m e n sein ( I r r t u m „ , ü b e r die s t r a f w ü r d i g e Beeinträchtigung des Schutzzweckes der N o r m ' " ) ; diese L ö s u n g e n t s p r i c h t im E r g e b n i s d e r D e u t u n g d e r V o r s c h r i f t e n als V o r s a t z - F a h r lässigkeits-Kombinationen; siehe a u c h hierzu o b e n Fn. 3.

sellschaft a u f g e l ö s t w i r d u n d d e s h a l b das B e d ü r f -

277

10. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

die Merkmale zum Tatbestand im Sinn der Rechtstheorie als Zusammenfassung aller materiellrechtlichen Bestrafungsvoraussetzungen (oben 6/53). Wenn man alle objektiven Delikts- oder Verbrechensvoraussetzungen in einem „Erfolgstatbestand" vereinigt, so gehören die nur-objektiven Bedingungen auch zu diesem Tatbestand. Daß die Merkmale Bestandteile des Garantietatbestands im Sinn von Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB sind, steht außer Streit. b) Welche Beziehung zwischen der Handlung und der Erfolgsmaterialisierung bestehen muß, richtet sich nach dem Schutzbereich der jeweiligen Vorschrift 7 . — So reicht bei den §§ 102 ff, 104 a StGB hin, daß die diplomatischen Beziehungen zur Zeit der T a t bestehen. — Bei § 323 a StGB muß die Tat im Rausch aus einem Grund erfolgen, der im Zuständigkeitsbereich des Täters liegt (eingehender unten 17/63). — Bei der Beteiligung an einer Schlägerei kommt es darauf an, ob die Beteiligung unterbleiben soll, (1) weil sie — erkennbar oder nicht — ohne Zutun anderer Personen eine Verletzungsfolge bringen kann, oder (2) ob auch schon der Gefahr begegnet werden soll, daß bei einem inszenierten Raufhandel andere Personen Verletzungen verursachen, oder (3) ob sogar die Gefahr der Unaufklärbarkeit eventueller Verletzungshandlungen vom Schutzzweck erfaßt wird (weitere Deutungen sind möglich). Entsprechend dem Schutzzweck muß die Beziehung so gestaltet sein, daß (1) die Folge durch die Tathandlung ohne Zutun anderer Personen bedingt ist, oder aber (2) schlicht Folge der Tathandlung ist, oder gar (3) vor oder nach der Tathandlung, jedoch während des identischen Raufhandels und auf Grund seiner Gefahr entstanden ist 8 . — Bei den §§ 283 ff StGB müssen Zahlungseinstellung oder Konkurs auf derjenigen Krise beruhen, deren Bestand Grund ist, die Konkurstat zu mißbilligen 9 ; deshalb kann die Tat auch nach der Zahlungseinstellung oder dem Konkurs vollzogen werden 1 0 . c) Auch wenn die Materialisierung in einem nach der Tathandlung eintretenden Erfolg besteht, bleibt sie für Zeit (§ 8 StGB) und O r t (§ 9 StGB) der T a t ohne Bedeutung 1 1 , da die gesetzlichen Bestimmungen von Zeit und O r t nach eindeutigem Wortlaut an die Handlung anknüpfen, die Bedingung aber gerade nicht zur Handlung gehört. Da selbst die pauschale Bindung an einen «»recAfrtatbestandlichen Erfolg in § 9 StGB zu einem im Einzelfall recht weiten Geltungsbereich führt (oben 5/21 ff), besteht auch kein Anlaß zu einer extensiven Interpretation. Beispiel (zu den §§ 3, 9, 227 StGB): Das O p f e r eines Angriffs mehrerer Personen im Ausland schleppt sich auf das Territorium der Bundesrepublik Deutschland und stirbt hier an den erlittenen Verletzungen; — keine Anwendung deutschen Strafrechts. — Die Erfolgsmaterialisierung ist auch kein Erfolg im Sinn der Regelung des Verjährungsbeginns (§ 78 a StGB) 1 2 , wohl aber ruht die Verjährung bis zum Bedingungseintritt (5 78 b StGB). 7

Streitig; für das Erfordernis von Adäquanz Schweikert ZStW 70 S. 394 ff, 399; gegen jede spezielle Beziehung Krause Jura 1980 S. 449 ff, 454 f. 8 Im letzteren Sinn im Ergebnis die Rechtsprechung; RG 72 S. 73 ff, 75; B G H 14 S. 133 ff, 133 f; 16 S. 130 ff. Die Literatur will teils Fälle der Beteiligung nach der Verursachung der Folge ausscheiden; LK-Hirsch § 227 Rdn. 8; Stree JuS 1962 S. 93 ff, 94; Birkhahn M D R 1962 S. 625 f. 9 Streitig; nach Tiedemann NJW 1977 S. 777 ff, 782; ders. N J W 1979 S. 254 f; Heinz GA 1977 S. 193 ff, 218 f; Schönke-Schröder-Stree § 283 Rdn. 59 soll die Nicht-Widerlegbarkeit der Kausalität hinreichen (so ausdrücklich §192 Abs. 2 AE Wirtschaftsstrafrecht); das entspricht

278

einem plausiblen Schutzzweck, wird aber durch den Wortlaut der Vorschrift nicht mehr gedeckt; Lackner § 283 Anm. 8 a; siehe auch Otto R. Bruns-Gedächtnisschrift S. 265 ff, 281 ff. 10 RG 65 S. 416 f; BGH 1 S. 186 ff, 191. " Stree JuS 1965 S. 465 ff, 473; Krause Jura 1980 S. 449 ff, 454; LK-Jescbeck Rdn. 80 vor § 1 3 ; Schönke-Schröder-Lenckner Rdn. 126 vor § 1 3 (nur für die Tatzeit); a. A. Schmidhäuser ZStW 71 S. 545 ff, 559; - für eine Relevanz des Bedingungseintritts für den Tatort Schönke-SchröderEser % 9 Rdn. 7; LK-Tröndle % 9 Rdn. 6; RG 16 S. 188 ff, 189; 43 S. 84 ff, 85. 12 A.A. Schönke-Schröder-Lenckner Rdn. 126 vor § 13; Schönke-Schröder-Stree § 78 a Rdn. 13.

Objektive Bedingungen

10. AbSChn

d) Eine Unterstützung des Täters nach Vollendung, aber vor Bedingungseintritt ist 9 nicht mehr Beteiligung am Delikt, sondern Begünstigung oder Strafvereitelung (§§ 257 ff StGB), dies jedoch nur für den Fall, daß die Bedingung eintritt.

II. Die rollenbezogenen Bedingungen der Ausschließung des Unrechts oder seiner Straftatbestandlichkeit (die sogenannten persönlichen Ausnahmen von der Strafbarkeit) Literatur E. Beling Die strafrechtliche Behandlung der Exterritorialität, 1896; R. Bloy Die dogmatische Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, 1976; P. Bockelmann Die U n verfolgbarkeit der Abgeordneten nach deutschem Immunitätsrecht, 1951; F. Geerds Gnade, Recht und Kriminalpolitik, 1960; G. Geilen Unterlassene Verbrechensanzeige und ernsthafte Abwendungsbemühung - BGHSt. 19, 295, J u S 1965 S. 426 f f ; W. Herlan Die Immunität der Abgeordneten, JR 1951 S. 325 ff; H. Kantorowicz T a t und Schuld, 1933; H. Kaufmann Strafanspruch, Strafklagerecht. Die Abgrenzung des materiellen vom formellen Strafrecht, 1968; G. Kielwein „Unterlassung und Teilnahme", GA 1955 S. 225 ff; R. Loening Die Verjährung (§§66—72 RStrGB), V D A T Bd. I S. 379 ff; M. Lorenz Die Verjährung in der deutschen Strafgesetzgebung. Eine Untersuchung de lege lata und de lege ferenda, 1955; den. Uber das Wesen der strafrechtlichen Verjährung, GA 1966 S. 371 f f ; A. MichaelOei Grundsatz in dubio pro reo im Strafverfahrensrecht. Zugleich ein Beitrag über das Verhältnis von materiellem Recht und Prozeßrecht, 1981; D. Oehler Immunität, Exterritorialität und Asylrecht im internationalen Strafrecht, ZStW 91 S. 395 ff; K. Peters Strafprozeß, 3. Auflage 1981; /. Rinde Die Indemnität des Abgeordneten im Bundesstaat des Bonner Grundgesetzes, J Z 1961 S. 248 ff; W. Schöne Unterlassene Erfolgsabwendungen und Strafgesetz. Z u r gesetzlichen Regelung „unechter" Unterlassungsdelikte, 1974; A. Schänke Gegenwartsfragen des internationalen Strafrechts, Mezger-Festschrift S. 105 f f ; Κ Volk Prozeßvoraussetzungen im Strafrecht. Zum Verhältnis von materiellem Recht und Prozeßrecht, 1978; G. Warda Grundzüge der strafrechtlichen Irrtumslehre, Jura 1979 S. 1 ff, 71 ff, 113 ff, 286 ff.

A. Die Abgrenzung zu den Verfahrenshindernissen 1. Ausnahmen von der Strafbarkeit 13 können unterschiedlichen dogmatischen Insti- 1 0 tuten zuzuordnen sein. Teils gehören die Ausnahmen überhaupt nicht zum materiellen Recht, sondern zum Prozeßrecht. Die Abgrenzung zwischen materiellem Recht und Prozeßrecht ist freilich nicht nur im Einzelfall umstritten, sondern schon im Prinzip. Die Abgrenzung kann auch nicht generell geleistet werden, vielmehr allenfalls für je ein Sachgebiet (Tatbestandsbestimmtheit, Anforderungen an das Beweisverfahren im Prozeß etc.); denn je nach ihrer Funktion fällt sie unterschiedlich aus 14 . So ist zur Abgrenzung darauf abgestellt worden, ob ein Merkmal zur Begründung oder Aufhebung des „Strafanspruchs" gehört, was mit dem Anwendungsbereich des Grundsatzes nulla poena sine lege zusammenfallen soll 15 und dann wiederum von der Funktion dieses Grundsatzes abhängt (Erkennbarkeit des Unrechts vor der Tat oder Selbstbindung der Strafgewalt? siehe oben 4 / 3 ff). Weiterhin ist eine Entscheidung nach folgender Testfrage vorgeschlagen worden: „,Müßte der Eintritt bzw. Nichteintritt der Strafe, falls er 13

Üblicherweise werden Straiausschließungsgründe, die schon bei der T a t vorliegen, von Strafaufhebungsgründen, die erst nach der T a t eintreten, geschieden. Diese Scheidung ist g a n z äußerlich und dogmatisch unergiebig; zutreffend LK>-Hirscb Rdn. 191 und 193 vor § 5 1 .

14

Z u r materielles Recht und P r o z e ß r e c h t (außer Organisationsnormen) umgreifenden Anwendbarkeit des Satzes „in dubio pro reo" siehe Mi-

chael Grundsatz S. 149 ff. 15 Gallas Niederschriften Bd. V S. 104 f; SchmidhäuserAT 5/21.

279

10. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

ohne P r o z e ß möglich wäre, von . . . (dem) fraglichen U m s t a n d abhängen . . .?"' 16 , w o bei eine positive Entscheidung die Zugehörigkeit z u m materiellen Recht anzeigen soll, eine negative diejenige z u m Prozeßrecht 1 7 . N a c h einer am Prozeßziel orientierten Sicht soll es darauf a n k o m m e n , ob es um „typisierte V o r a u s s e t z u n g e n der Sicherung des Rechtsfriedens" g e h t — dann Prozeßvoraussetzung; „bei ihrem Fehlen besteht v o n Rechts w e g e n kein Anlaß zur Bewährung der Strafrechtsordnung" 1 8 . Auch kann auf die prozessuale Reaktion abgestellt werden; danach ist ein Merkmal dann materiellrechtlich, w e n n Freispruch angebracht ist, einer Prozeßvoraussetzung entspricht hingeg e n die A n g e m e s s e n h e i t einer Verfahrenseinstellung 1 9 . 11

2. D a die hiesige Darstellung dem strafbaren Verhalten gilt, stellt sie zur Bestimmung des Materiellrechtlichen darauf ab, o b das fragliche Merkmal für den Bestand, das Maß oder die Eindringlichkeit der Störung relevant ist. D a m i t gehören insbesondere nicht z u m so bestimmten materiellen Recht:

12

a) D a s Fehlen eines Strafantrags20. D e r Antrag (§§ 77 ff StGB) ist z w a r unter anderem ein Indiz für das Maß, in dem der Täter das O p f e r verletzt hat. Er ist aber nicht als Vergegenständlichung dieses Maßes zu behandeln (wie ζ. B. ein Erfolg Vergegenständlichung des H a n d l u n g s b e m ü h e n s sein kann), sondern als Urteil des Opfers über das Maß. Weiterhin hat das Antragserfordernis die prozessuale Aufgabe, dem O p f e r ein ihm unerwünschtes V e r f a h r e n zu ersparen. — Entsprechendes gilt für Ermächtigung und Strafverlangen, §77 e StGB.

13

b) D i e Exterritorialität21, §§ 18 ff G V G . Begünstigt sind nach den in § 18 G V G g e nannten Ü b e r e i n k o m m e n die A n g e h ö r i g e n diplomatischer Missionen und ihnen Gleichgestellte generell, ferner die Angehörigen konsularischer Vertretungen bei einem Verhalten in W a h r n e h m u n g ihrer konsularischen A u f g a b e n 2 2 ) 2 3 . D i e Exterritorialität hindert die D u r c h f ü h r u n g eines Strafverfahrens 2 4 durch ein Strafverfolgungsorgan der Bundesrepublik D e u t s c h l a n d ; nicht-exterritoriale Beteiligte sind nicht begünstigt. 16 17

18

19 20 21

22 23

H. Kaufmann Strafanspruch S. 134. Das Ergebnis des V e r f a h r e n s hängt wiederum vom Vorverständnis der Bedeutung des Prozesses f ü r die Strafe ab; dazu Volk Prozeßvoraussetzungen S. 11 f f ; siehe auch Bloy Bedeutung S. 25 ff. Volk Prozeßvoraussetzungen S. 204; — bei dieser Lösung wird die Differenz zwischen dem (materiellrechtlichen) Bruch der O r d n u n g und ihrer (prozessualen) Bewährung vorausgesetzt. Stratenwerth A T Rdn. 197. Siehe Volk Prozeßvoraussetzungen S. 233 f. Teils findet sich in der Literatur eine systematische Gleichstellung der Exterritorialität mit den Geltungsbereichsregelungen der §§ 3 ff StGB. Aber die §§ 3 ff StGB legen fest, wie weit die O r d nung reicht, die durch eine Straftat gestört werden kann, während bei Exterritorialität nicht eine Störung fehlt, sondern die Möglichkeit einer prozessualen Erledigung der Störung. B a y O b L G N J W 1974 S. 431. Siehe ferner § 20 G V G ; f ü r die Angehörigen in der Bundesrepublik Deutschland stationierter ausländischer T r u p p e n siehe Art. VIII N A T O Truppenstatut vom 1 9 . 6 . 1 9 5 1 (BGBl. 1961 II S. 1183, 1190) mit Art. 19 des Unterzeichnungsprotokolls zum Z u s a t z a b k o m m e n (BGBl. 1961 II

280

24

S. 1313); — f ü r die Mitglieder der ständigen Vertretung der D D R am Sitz der Bundesregierung und deren Angehörige siehe Gesetz vom 1 6 . 1 1 . 1 9 7 3 (BGBl. I S. 1673) und V O vom 24. 4. 1974 (BGBl. I S. 1022); Einzelheiten zu den völkerrechtlichen Bindungen der Bundesrepublik Deutschland bei Oehler ZStW 91 S. 395 ff. Sogenannte prozessuale Theorie; RG 52 S. 167 f f ; B G H 14 S. 138 ff, 139; 21 S. 30 ff, 32 f; Beling Exterritorialität S. 117; LK-Tröndle Rdn. 74 vor § 3; Baumann A T § 6 I 1 b; Jescheck A T § 19 III 1; — f ü r eine materiellrechtliche Exemtion in Gestalt eines „persönlichen Strafausschließungsgrundes" freilich Scbönke-SchröderEser Rdn. 42 vor §§ 3 f f ; Welzel Strafrecht § 10 V d ; Schänke Mezger-Festschrift S. 105 ff, 109; Bloy Bedeutung S. 32 ff, 38 ff mit Nachweisen. Die letztere Lösung hat Schwierigkeiten, die Straffreiheit ζ. B. des Diplomaten f ü r seine Taten vor Erhalt des Diplomatenstatus zu begründen. O b nach Verlust des Status wegen einer T a t während des Status zu strafen ist (verneinend die materiellrechtliche Theorie), richtet sich nach § 20 G V G ; siehe auch Baumann a a O ; SK-Rudolphi Rdn. 14 vor § 19.

Objektive Bedingungen

10. AbSChn

c) Die Immunität der Bundestagsabgeordneten (Art. 46 Abs. 2 bis Abs. 4 GG), des 1 4 Bundespräsidenten (Art. 60 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 46 Abs. 2 bis 4 GG) und der Mitglieder eines Organs der Landesgesetzgebung (siehe § 152 a StPO) während der Dauer ihres Mandats. Die Immunität ist ein Verfahrenshindernis 2 5 .

B. Die rollenbezogenen Bedingungen 1. Im Bereich des materiellen Rechts geht es — entsprechend der Lage bei den nur- 15 objektiven Bedingungen (oben 10/5) — wiederum nicht um Merkmale, deren Vorliegen das Strafbedürfnis betrifft, ohne die Strafwürdigkeit zu berühren 2 6 . Da vielmehr die Strafwürdigkeit ohne eine Notwendigkeit zur Strafe (also ohne ein Strafbedürfnis) nicht zu begründen ist, müssen die Merkmale auf den Bestand von Unrecht und Schuld einwirken. Dabei haben sie überhaupt nur eine eigene Bedeutung, wenn sie sich nicht in Merkmale des Unrechts- oder Schuldtatbestands auflösen lassen. Die selbständig bedeutsamen Merkmale sind rollenbezogene Bedingungen der Ausschließung von Unrecht oder seiner Straftatbestandlichkeit. 2 a) Im geltenden Recht geht es zum einen um die außerhalb der Körperschaft be- 16 stehende Verantwortungsfreiheit für parlamentarische Äußerungen — ausgenommen verleumderische Beleidigung (§§ 90 Abs. 3, 103, 187, 187 a Abs. 2, 189 StGB) — nach Art. 46 Abs. 1 GG, § 36 StGB (Indemnität 2 7 ; — zu § 37 StGB siehe unten zur Rechtfertigung 16/30 f). Die Verantwortungsbefreiung besteht, weil wegen des hohen Interesses an parlamentarischer Rede- und Abstimmungsfreiheit auf eine strafrechtliche Beurteilung des Verhaltens verzichtet werden soll. Es geht dabei nicht darum, daß der Abgeordnete sich frei fühlen soll — er soll sich vielmehr an die Gesetze gebunden fühlen —, sondern daß auch der Anschein einer gerichtlichen Maßregelung des Parlaments vermieden werden soll. Die Freiheit wäre aber nur schlecht anerkannt, wenn ihr Vorrang dadurch unterlaufen werden könnte, daß den Teilnehmern des Abgeordneten 28 mit Straffolge zugerechnet würde: Durch die Bestrafung des Teilnehmers würde das parlamentarische Verhalten des Abgeordneten mittelbar strafrechtlich gemaßregelt. Beispiel: Der Ghostwriter des Abgeordneten, wenn auch nicht dieser selbst, könnte nach einer beleidigenden Rede des Abgeordneten verurteilt werden, wenn die Indemnität ein nur persönlich wirkendes Merkmal wäre. Zur Vermeidung solcher Folgen ist die Indemnität — entgegen der üblichen Ansicht in der strafrechtlichen wie der öffentlichrechtlichen Literatur 29 — nicht als bloßer persönlicher Strafausschließungsgrund zu interpretieren, sondern als Ausschluß der Behandlung der Tat als straftatbestandlich. An der Tat eines durch Indemnität Begünstigten ist also mangels Tatbestandlichkeit eine Teilnahme nicht möglich. 25

26

27

Überwiegende Ansicht; Bockelmann UnVerfolgbarkeit S. 28; Jescheck A T § 1 9 112; SchönkeSchröder-Lenckner § 3 6 Rdn. 2; teilweise abweichend aber Bloy Bedeutung S. 58 ff, 74 ff, 88; H. Kaufmann Strafanspruch S. 156 ff. So aber die übliche Lehre; SK-Rudolpbi Rdn. 12, 14 vor § 19; LK>-Hirsch Rdn. 191 vor § 51; LKJescheck Rdn. 81 vor § 1 3 ; Jescheck A T § 5 2 1; Stratenwerth A T Rdn. 195 f; Schmidhäuser AT 13/2 u. a. m. Einzelheiten bei Bockelmann Unverfolgbarkeit S. 38 ff; Rinck J Z 1961 S. 248 f f ; Herlan J R 1951 S. 325 ff.

28

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Das können nach dem W o r t l a u t von § 36 StGB auch andere Abgeordnete sein: G e n a n n t sind nur eigene Äußerungen und Abstimmungen, nicht aber Äußerungen oder Abstimmungen, die der Abgeordnete einen anderen a u s f ü h r e n läßt. Bloy Bedeutung S. 65 mit Nachweisen in Fn. 29; — teils wird auch ein Prozeßhindernis a n g e n o m men, aber ein von vornherein bestehendes und unaufhebbares Prozeßhindernis nimmt dem materiellen Recht mit der D u r c h s e t z u n g s c h a n c e den G r u n d seines Bestands, muß also auch materiellrechtlich zu erklären sein: Die prozeßrechtliche Einkleidung kaschiert die materiellrechtliche Fundierung.

281

10. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

D a die Bedingung nicht in der vom Abgeordneten erlebten Situation gründet, sondern in seiner objektiven Stellung im Parlament, ist die Bedingung irrtumsresistent: Es k o m m t allein auf ihr objektives Vorliegen an. 17

b) Weiterhin wird die Privilegierung der Rechtsanwälte, Verteidiger und Ärzte nach § 139 Abs. 3 Satz 2 StGB durch eine Bedingung der Ausschließung der Tatbestandlichkeit bewirkt. Die V o r s c h r i f t wird teils als bloßer Strafausschließungsgrund gedeutet — aber w a r u m sollte etwa bei einem Rechtsanwalt ein Unrechtes und schuldhaftes U n t e r lassen straffrei bleiben? 3 0 —, teils als Rechtfertigung durch eine gesetzliche Entscheid u n g einer Pflichtenkollision (§ 203 StGB contra § 138 StGB) 3 1 ; auch letzteres kann nicht befriedigen, da dann die alleinige Rechtmäßigkeit der Entscheidung f ü r den V o r rang des Berufsgeheimnisses festgeschrieben und eine Entscheidung f ü r die Verbrechensanzeige rechtswidrig wäre. Vielmehr soll die Entscheidung des Täters — entsprechend der Lage bei Indemnität nach § 36 StGB — wegen der Komplexität der abzuwägenden Interessen in dem von der Vorschrift bezeichneten R a h m e n frei sein, d. h. die Einhaltung des Rahmens (ernsthaftes Bemühen, den T ä t e r von der T a t abzuhalten, die nicht eine T a t nach § 139 Abs. 3 Satz 1 N r . 1 bis 3 StGB sein darf) schließt die Tatbestandlichkeit des Verhaltens aus 3 2 . Nicht als Rechtsanwalt etc. qualifizierte „Teilnehmer" d ü r f t e n in der Regel selbst verpflichtet sein, also selbst als T ä t e r nach § 138 StGB h a f t e n ; ansonsten sind sie mangels H a u p t t a t straffrei. — Die Bedingung ist wiederum irrtumsresistent 3 3 .

C. Die Abgrenzung zu anderen materiellrechtlichen oder komplexen Bestrafungshindernissen 18

Alle sonst als „Strafausschließungsgründe" genannten Bestrafungshindernisse erledigen sich auf den Deliktsstufen U n r e c h t und Schuld, wobei prozessuale Erwägungen hinzutreten mögen, o d e r erledigen sich wegen einer Ä n d e r u n g des Beurteilungsgegenstands. Das gilt — entgegen der üblichen Lehre — insbesondere f ü r folgende Rechtsfiguren :

19

1. Die Privilegierung des Verbaltens Angehörigerbei der unterlassenen Verbrechensanzeige (§ 139 Abs. 3 Satz 1 StGB) 3 4 und der Strafvereitelung (§ 258 Abs. 6 StGB) und die Privilegierung beim Aussagenotstand (§ 157 StGB) sind Vertypungen von Entschuldigungen 3 5 mit der Besonderheit, daß — anders als bei den allgemeinen Regeln der Z u mutbarkeit — die Zuständigkeit des durch die T a t Begünstigten f ü r den Konflikt die Entscheidung nicht hindert. D e m Privilegierten soll nachgesehen w e r d e n , w e n n er den V o r t ä t e r nach dessen Angehörigenrolle und nicht nach dessen Täterrolle behandelt. Diese Begründung legt es sogar nahe, die Privilegierung als Bedingung der Ausschließung der Tatbestandlichkeit zu deuten 3 6 , wie es ja auch keinen Straftatbestand erfüllt, w e n n sich ein T ä t e r selbst bloß der Bestrafung entzieht. Freilich blieben dann auch 30 Insoweit zutreffend LK-Hanack § 139 Rdn. 31. 31 Jescheck A T § 5 2 1 1 2 ; Dreher- Tröndle §139 Rdn. 7 ; LK-Hanack § 139 R d n . 31. 32 Im Ergebnis ebenso Schöne Unterlassene Erfolgsabwendungen S. 166 f f ; Kohlrausch-Lange § 139 Anm. V I ; siehe auch Kielwein GA 1955 S. 225 ff, 231. 53 Warda J u r a 1979 S. 1 ff, 286 ff, 291 ff. 34 Die folgenden Ausführungen gelten für die Privilegierung der Geistlichen nach § 139 Abs. 2 StGB entsprechend.

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35

36

Jescheck A T § 42 II 1, § 52 II 2; Kantorowicz Tat und Schuld S. 255; ferner f ü r § 258 Abs. 6 StGB auch Schmidhäuser A T 11/39, 13/7; siehe auch Schönke-Schröder-Stree § 258 Rdn. 39; Bloy Bedeutung S. 125 f f ; zu § 139 Abs. 3 Satz 1 StGB siehe Geilen J u S 1965 S. 426 ff, 431 f; LK-Hanack § 139 Rdn. 23 (Schuldausschließungsgrund) mit Nachweisen. So im Ergebnis Schöne Unterlassene Erfolgsabwendungen S. 166 ff.

Objektive Bedingungen

10. Abschn

Teilnahmehandlungen Nicht-Angehöriger mangels einer als tatbestandsverwirklichend zu behandelnden Haupttat straffrei 3 7 . 2. Die Privilegierung der noch nicht 18-jährigen Personen nach § 173 Abs. 3 StGB ist 20 eine Präsumtion einer auf Jugendlichkeit, speziell auf sexueller Unreife oder auch auf gestörter Sozialisation beruhenden Unfähigkeit, die Bedeutung der N o r m zu erkennen oder nach der N o r m zu handeln 3 8 . 3. Verbreitet werden der Rücktritt und die im BT geregelten rücktrittsähnlichen 21 Fälle als Strafaufhebungsgründe bezeichnet. Rücktritt ist aber ein Institut, das Unrecht und Schuld ausgleicht (Deliktsausgleichsgrund, siehe unten 2 6 / 2 f, dort auch zur nurpersönlichen Wirkung) und deshalb nicht außerhalb von Unrecht und Schuld loziert werden muß. 4. Die Verfolgungsverjährung, §§ 78 ff StGB, ist zum einen Unrechts- und Schuld- 22 minderungsgrund, da die Strenge der Beurteilung eines Konflikts und die Notwendigkeit seiner Erledigung durch Zurechnung mit der Zeit nachlassen: Das schuldhafte U n recht wird zur geschichtlichen Begebenheit. Ferner berücksichtigt die Verjährung, daß sich die Identität des Täters mit der Zeit wandeln kann, insbesondere bei Jugendlichen und Jungerwachsenen. Zum anderen ist die Verfolgungsverjährung ein Prozeßhindernis, da die Sicherheit einer exakten forensischen Rekonstruktion einer Straftat üblicherweise mit der Zeit sinkt 3 9 · 4 0 . 5. Die Bewährung mit der Folge eines Straferlasses nach den §§ 56 g Abs. 1 Satz 1, 23 57 Abs. 3 StGB führt zum Ersatz des Strafurteils durch eine neue Entscheidung, die auch das Bewährungsverhalten einbezieht; die spätere Entscheidung hat also einen erweiterten Beurteilungsgegenstand. 6 a) Im Bereich des materiellen Rechts kann ein Merkmal entweder zu den Wer- 24 tungsmaßstähen gehören (wie ζ. B. die Normen des Strafrechts) oder zum Bewertungsgegenstand. Auch die Wertungsmaßstäbe, etwa der Bestand eines Verbotstatbestands, können als Bedingungen tatbestandlichen Unrechts bezeichnet werden. Ihre gesonderte Benennung neben dem Bewertungsgegenstand führt aber zu einer doppelten Zählung der Bedingungen; denn der Gegenstand (das Verhalten) wird schon danach bestimmt, was nach den — in ihrem Bestand vorausgesetzten — Wertungsmaßstäben relevant ist. Beispiel: Änderungen des materiellen Rechts, die zum nachträglichen Fortfall der Straftathewertung führen (§ 2 Abs. 3 StGB), haben zwar prozessual einen Freispruch mangels einer T a t zur Folge und nicht etwa eine Einstellung mangels einer Prozeßvoraus57

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Dieser unerwünschte Effekt tritt allerdings, was die Teilnahme an einer vom Vortäter selbst vorgenommenen Strafvereitelung (§ 258 StGB) angeht, sowieso ein; siehe SK-Samson § 258 Rdn. 42 ff. Er läßt sich n u r vermeiden, wenn das Gesetz — wie in § 257 StGB — die Akzessorietät der Teilnahme auflöst und isolierte Teilnahme vertatbestandlicht. So schon v. Liszt-Schmidt Strafrecht § 38 Β I 3; ferner Bloy Bedeutung S. 140 ff, 144; — dagegen SK-Hom § 173 Rdn. 9; Schönke-Schröder-Lenckner § 173 Rdn. 9 und die überwiegende Ansicht (persönlicher Strafausschließungsgrund). — Für Tatbestandsausschluß R G 19 S. 391 ff, 393, freilich zu einer Zeit, in der wegen des noch bestehenden Erfordernisses der strengen Akzessorietät f ü r die Teilnahme zwischen Tatbestands- und Schuldausschluß kein Unterschied bestand.

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Sogenannte „Doppelnatur" der V e r j ä h r u n g ; die Rechtsprechung hat überwiegend die V e r j ä h r u n g als ein nur prozessuales Institut angesehen; BVerfG 25 S. 269 ff, 287; R G 76 S. 159 ff, 160; B G H 2 S. 301 ff, 306 f f ; 8 S . 2 6 9 f f , 2 7 0 ; 11 S. 394 ff, 395; siehe aber auch B G H 18 S. 274 ff, 277 f. — Siehe zu den verschiedenen T h e o r i e n Lorenz V e r j ä h r u n g S. 49 ff (S. 55 f: U n r e c h t s a u f hebung); ders. GA 1966 S. 371 f f ; Bloy Bedeutung S. 180 f f ; Volk Prozeßvoraussetzungen S. 225 f f ; Schäfer Niederschriften Bd. II S. 332 f f ; - z u r Geschichte Loening V D A T Bd. I S. 379 ff, 384 ff.

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Auch dürfte ein G r u n d sein, d a ß die Strafverfolgungsorgane von „alten Fällen" entlastet werden sollen; v. Hippel Strafrecht Bd. II § 40 V 2.

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10. Abschn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

Setzung, aber das Fehlen einer nunmehr strafbaren T a t und das Fehlen einer N o r m sind ein und dieselbe Bedingung des Freispruchs. 25

b) Aus diesem Grund ist auch die Begnadigung kein „Strafaufhebungsgrund". Die Begnadigung mag zwar nicht nur (prozessual) der Vermeidung eines inopportunen Verfahrens dienen, sondern (materiellrechtlich) zur Korrektur einer falschen richterlichen Entscheidung oder zur Anpassung an eine geänderte gesetzliche Tatbewertung erfolgen. Es sind dann aber die Maßstäbe, durch die sich die Bewertung ändert; der Bewertungsgegenstand bleibt unberührt 4 1 . — Entsprechendes gilt für die Amnestie (i. e. Begnadigung oder Abolition — Verfahrensniederschlagung — durch Gesetz).

41

Ähnlich Bloy Bedeutung S. 205 ff; sehr streitig die überwiegende Ansicht nimmt eine „Doppelnatur" an; R G 50 S. 386 ff, 388; 54 S. 54 ff, 56 69 S. 124 ff, 126; B G H 3 S. 134 ff, 136; S. 287 ff, 289; Jescheck A T § 5 2 II 2, § 88 14

284

Baumann A T § 30 III; v. Hippel Strafrecht Bd. II § 4 1 V I I ; — für nur prozessuale Bedeutung Geerds Gnade S. 9 f ; Mauracb-Zipf AT II § 7 5 I A, jeweils mit Nachweisen; Peters Strafprozeß § 79 I 5.

2. KAPITEL Die Rechtfertigung 11. ABSCHNITT Die allgemeinen Lehren Literatur P. Bockelmann Anmerkung zu O G H N J W 1950 S. 551 f, a a O S. 830 f f ; M. Burgstaller Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht, 1974; A. Graf zu Dohna Die Rechtswidrigkeit als allgemeingültiges Merkmal im Tatbestande strafbarer Handlungen, 1905; E. Dreher D e r Irrtum über Rechtfertigungsgründe, Heinitz-Festschrift S. 207 ff; K. Engisch Die Einheit der Rechtsordnung, 1935; ders. Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum bei Rechtfertigungsgründen, Z S t W 70 S. 566 f f ; P. Frisch Das Fahrlässigkeitsdelikt und das Verhalten des Verletzten, 1973; W. Gallas Zum gegenwärtigen Stand der Lehre vom Verbrechen, ZStW 67 S. 1 ff; ders. Z u r Struktur des strafrechtlichen Unrechtsbegriffes, Bockelmann-Festschrift S. 155 ff; H. Henkel Zumutbarkeit und U n z u mutbarkeit als regulatives Rechtsprinzip, Mezger-Festschrift S. 249 ff; G. Herdegen Der Verbotsirrtum in der Rechtsprechung des B G H , BGH-Festschrift S. 195 f f ; H. J. Hirsch Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, 1960; ders. Eigenmächtige Zueignung geschuldeter Sachen, Rechtswidrigkeit und Irrtum bei den Zueignungsstrafbestimmungen, J Z 1963 S. 149 ff; J. Hruschka Der Gegenstand des Rechtswidrigkeitsurteils nach heutigem Strafrecht, GA 1980 S. 1 ff; G. Jakobs Literaturbericht, Z S t W 93 S. 901 ff; Armin Kaufmann Tatbestandseinschränkung und Rechtfertigung, J Z 1955 S. 37 f f ; ders. Zum Stand der Lehre vom personalen Unrecht, Welzel-Festschrift S. 393 f f ; Arthur Kaufmann Die Irrtumsregelung im Strafgesetzentwurf 1962, ZStW 76 S. 543 ff; E. Kern Grade der Rechtswidrigkeit, ZStW 64 S. 255 f f ; P. Kirchhof Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten in einer einheitlichen Rechtsordnung, 1978; J. Krümpelmann Stufen der Schuld beim Verbotsirrtum, GA 1968 S. 129 ff; ders. Die strafrechtliche Behandlung des Irrtums, Beiheft Z S t W 1978 S. 6 ff; E.-J. Lampe Unvollkommen zweiaktige Rechtfertigungsgründe, GA 1978 S. 7 f f ; R. Lange Gesetzgebungsfragen bei den Rechtfertigungsgründen, v. Weber-Festschrift S. 162 ff; Th. Lenckner Der rechtfertigende Notstand, 1965; ders. Die Rechtfertigungsgründe und das Erfordernis pflichtgemäßer Prüfung, H . Mayer-Festschrift S. 165 ff; E. Mezger Die subjektiven Unrechtselemente, GS 89 S. 207 ff; Chr. Mylonopoulos Uber das Verhältnis von Handlungs- und Erfolgsunwert im Strafrecht, 1981; W. Niese Finalität, Vorsatz und Fahrlässigkeit, 1951; P. Noll Tatbestand und Rechtswidrigkeit: Die Wertabwägung als Prinzip der Rechtfertigung, Z S t W 77 S. 1 ff; F. Nowakowski Zur Lehre von der Rechtswidrigkeit, ZStW 63 S. 287 ff; ders. Rechtsfeindlichkeit, Schuld, Vorsatz, Z S t W 65 S. 379 f f ; ders. Zur subjektiven Tatseite der Rechtfertigungsgründe, Ö J Z 1977 S. 573 ff; D. Oehler Das objektive Zweckmoment in der rechtswidrigen Handlung, 1959; H.-U. Paeffgen Der Verrat in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses (§ 97 b StGB) und die allgemeine Irrtumslehre, 1979; K.-H. Peters „Wertungsrahmen" und „Konflikttypen" bei der „Konkurrenz" zwischen § 34 StGB und den besonderen Rechtfertigungsgründen, GA 1981 S. 445 ff; C. Prittwitz Zum Verteidigungswillen bei der Notwehr, GA 1980 S. 381 f f ; Th. Rittler Gesetztes und nicht gesetztes Strafrecht, Z S t W 49 S. 451 ff; C. Roxin Die Behandlung des Irrtums im Entwurf 1962, Z S t W 76 S. 582 ff; H.-J. Rudolphe Die pflichtgemäße P r ü f u n g als Erfordernis der Rechtfertigung, Schröder-Gedächtnisschrift S. 73 ff; ders. Inhalt und Funktion des Handlungsunwertes im Rahmen der personalen Unrechtslehre, Maurach-Festschrift S. 51 ff; W. Sax „Tatbestand" und Rechtsgutsverletzung, J Z 1976 S. 9 ff, 80 ff, 429 ff; F. Schaffstein Putative Rechtfertigungsgründe und finale Handlungslehre, M D R 1951 S. 196 f f ; ders. Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum, O L G Celle-Festschrift S. 175 ff; ders. Handlungsunwert, Erfolgsunwert und Rechtfertigung bei den Fahrlässigkeitsdelikten, Welzel-Festschrift S. 557 f f ; ders. D e r Maßstab f ü r das Gefahrurteil beim rechtfertigenden Notstand, Bruns-Festschrift S. 89 f f ; E. Schmidhäuser Unrechtsbewußtsein und Schuldgrundsatz, N J W 1975

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11. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

S. 1807 ff; R. Schmitt Subjektive Rechtfertigungselemente bei Fahrlässigkeitsdelikten? — OLG Hamm, NJW 1962, 1169, JuS 1963 S. 64 ff; K. Seelmann Das Verhältnis von § 34 StGB zu anderen Rechtfertigungsgründen, 1978; G. Spendet Gegen den „Verteidigungswillen" als Notwehrerfordernis, Bockelmann-Festschrift S. 245 ff; G. Stratenwerth Prinzipien der Rechtfertigung, Z S t W 6 8 S. 41 ff; ders. Zur Relevanz des Erfolgsunwerts im Strafrecht, Schaffstein-Festschrift S. 177 ff; H. Waider Die Bedeutung der Lehre von den subjektiven Rechtfertigungselementen für Methodologie und Systematik des Strafrechts, 1970; G. Warda Zur Konkurrenz von Rechtfertigungsgründen, Maurach-Festschrift S. 143 ff; ders. Vorsatz und Schuld bei ungewisser Tätervorstellung über das Vorliegen strafbarkeitsausschließender, insbesondere rechtfertigender Tatumstände, Länge-Festschrift S. 119 ff; ders. Schuld und Strafe bei bedingtem Unrechtsbewußtsein, Welzel-Festschrift S. 499 ff; H. v. Weber Der Irrtum über einen Rechtfertigungsgrund, JZ 1951 S. 260 ff; H. Welzel Der Irrtum über die Rechtswidrigkeit des Handelns, SJZ 1948 Sp. 368 ff; ders. Der Irrtum über einen Rechtfertigungsgrund, NJW 1952 S. 564 ff; ders. Anmerkung zu BGH 3 S. 195 ff, JZ 1952 S. 596 ff; ders. Der übergesetzliche Notstand und die Irrtumsproblematik, JZ 1955 S. 142 ff; ders. Die Regelung von Vorsatz und Irrtum im Strafrecht als legislatorisches Problem, ZStW 67 S. 196 ff; ders. Diskussionsbemerkungen zum Thema „Die Irrtumsregelung im Entwurf", ZStW 76 S. 619 ff; /. Wolter Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr und Verletzung in einem funktionalen Straftatsystem, 1981; D. Zielinski Handlungsund Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff, 1973.

I. Die Prinzipien der Rechtfertigung 1

A. Die Rechtfertigungsgründe sind die rechtlich guten Gründe, ein an sich verbotenes Verhalten doch zu vollziehen. Anders als beim tatbestandslosen Verhalten geht es beim gerechtfertigten Verhalten nicht um sozial unauffälliges Verhalten, sondern um ein Verhalten, das als sozial erträglich nur im Blick auf seinen Kontext, eben auf die Rechtfertigungslage, akzeptiert wird. Die Versuche, die Rechtfertigungsgründe aus einem oder mehreren Grundgedanken herzuleiten, sind zahlreich. Die Ergebnisse sind aber notwendig wenig gehaltvoll: Mehr als daß Rechtfertigungsgründe gute Gründe sind, läßt sich allgemein nicht sagen, da der Inhalt von konkreten Rechtfertigungsgründen — ganz entsprechend dem Inhalt konkreter Normen — überhaupt nur unter Berücksichtigung des jeweiligen Stands der konkreten Gesellschaft abgeleitet werden kann, und der Stand pflegt in allen nicht primitiven Gesellschaften so komplex zu sein, daß es eine knappe „Gesellschaftsformel" nicht gibt. So wie sich nicht aus einer Formel ohne Bezug auf detaillierte Fixierungen des gesellschaftlichen Stands ein System von Normen des BT entwickeln läßt, so wenig helfen allein Formeln bei der Rechtfertigung. Allerdings sind Rechtfertigungsgründe nicht nur Beschreibungen eines im sozialen Leben zuvor anerkannten Regelungsvorgangs. Es kann vielmehr f ü r die Rechtfertigung normative Vorgaben ohne Blick auf den gesellschaftlichen Stand geben. Wie der Personenschutz des StGB nicht nur Abbild eines gesellschaftlichen Stands ist, sondern auch Anspruch an diesen Stand, so gibt es auch bei der Rechtfertigung normative Präferenzen, etwa für das Verhalten zum Schutz von Personen etc. 1 . Die Nennung dieser Vorgaben mündet aber wieder in die Behandlung einzelner Rechtfertigungsgründe ein.

2

Β 1. Für die monistischen Theorien werden als Leitprinzip genannt: der Einsatz des richtigen Mittels zum richtigen Zweck 2 oder die Wertabwägung bei Wertkollisionen 3 oder die Beachtung des in der konkreten Situation vorgehenden Gutsanspruchs 4 oder 1

2

Eine wichtige V o r g a b e hat Stratenwerth Z S t W 68 S. 41 ff mit der Autonomie des Eingriffsopfers herausgestellt. Dohna A u f b a u S. 30 1; ders. Rechtswidugkiit S. 48 f f ; v. Liszt-Schmidt Strafrecht § 32 II 2 a.

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3

4

Noll Z S t W 7 7 S. I f f , 9; siehe auch Verhältnis S. 32. Schmidhäuser A T 9/13.

Seelmann

11. Abschn

Allgemeine Lehren 5

die sozial richtige Regelung von Interesse oder Gegeninteresse . — Mehr als die Formel vom guten Grund besagt das alles nicht. 2. Schon konkreter werden die pluralistischen Theorien, die in den am meisten verbreiteten Ausprägungen ein Prinzip mangelnden Interesses und ein Prinzip überwiegenden Interesses kombinieren 6 , oder ein Prinzip überwiegenden Rechts (Eingriffsrecht, etwa bei Notwehr) mit einem solchen mangelnden Unrechts (etwa Einwilligung) 7 . C. Im Anschluß an die pluralistischen Theorien kann eine Gliederung der Rechtfertigungsgründe in drei Gruppen erfolgen 8 : 1. In der ersten Gruppe ist die Rechtfertigung Konsequenz eines Organisationsverhaltens des Eingriffsopfers. Der Grund der Rechtfertigung kann als Prinzip der Verantwortung, teils schwächer als Prinzip der Veranlassung durch das Eingriffsopfer bezeichnet werden. Der gute Grund für das gerechtfertigte Verhalten liegt darin, daß das Eingriffsopfer für die Folgen seines Organisationsverhaltens einstehen muß. Beispiele sind Notwehr, defensiver Notstand, Widerstandsrecht gegen Angreifende, vorläufige Festnahme, Selbsthilfe und zahlreiche Amtsrechte 9 . 2. Die zweite Gruppe folgt dem Prinzip der Interessendefinition durch das Eingriffsopfer selbst. Der gute Grund liegt bei dieser Fallgruppe darin, daß das Eingriffsopfer den Eingriff als vorteilhaft oder zumindest akzeptabel definiert. Man mag diese Definition noch als ein Organisationsverhalten im weiteren Sinn bezeichnen. Beispiele sind die rechtfertigende Einwilligung und die rechtfertigende behördliche Erlaubnis. Auch der Notstandseingriff in die Güter des durch die Gefahr Bedrohten sowie die mutmaßliche Einwilligung zählen zu dieser Fallgruppe; freilich wird bei ihnen die Definition — vorbehaltlich einer Korrektur durch das Eingriffsopfer — stellvertretend vollzogen. 3. Der Grund der Rechtfertigung bei der dritten Gruppe ist das Solidaritätsprinzip. Das Eingriffsopfer wird im Interesse anderer Personen, insbesondere auch der Allgemeinheit, in Anspruch genommen. Beispiele sind zahlreiche Amtsrechte, die schon bei einem Verdacht (also nicht stets durch das Verantwortungsprinzip gedeckt) ein Eingriffsrecht geben, und insbesondere der aggressive Notstand.

II. Das Postulat der „Einheit der Rechtsordnung" A. Das StGB und die strafrechtlichen Nebengesetze nennen die meisten Rechtfertigungsgründe nicht, insbesondere nicht die Amtsrechte; diese Gründe finden sich vielmehr im geschriebenen oder ungeschriebenen Recht diverser Regelungsbereiche des privaten und öffentlichen Rechts. Nach üblicher Lehre soll die universelle Anwendbarkeit aller Rechtfertigungsgründe eine Konsequenz der sogenannten Einheit der Rechtsordnung sein; diese Einheit soll wiederum Konsequenz des einheitlichen Begriffs der Rechtswidrigkeit sein 10 . 5

Roxin Kriminalpolitik S. 15 mit Konkretisierungen S. 26 ff. 6 Mezger G S 89 S. 207 ff, 270 f f ; ders. Strafrecht § 2 7 ; dagegen schon Rittler Z S t W 49 S. 451 ff, 469 ff. ? Blei A T § 37 II 1 und 2; siehe zu den pluralistisehen Theorien auch Lenckner N o t s t a n d S. 134; Schönke-Schröder-Lenckner Rdn. 7 vor § 32. 8 Für eine pluralistische Fassung mit Abweichungen im einzelnen siehe außer den schon genannten JeScheck A T § 3 1 1 1 ; Baumann A T § 1 9 III 3 a; Maurach-Zipf A T I § 25 III.

' Auch Untersuchungshaft am schuldigen Titer läßt sich zu dieser G r u p p e zählen; sie wird jedoch stets vom Solidaritätsprinzip flankiert, so daß das Verantwortungsprinzip hier bedeutungslos ist. 10 R G 61 S. 243 ff, 247; B G H 11 S. 242 ff, 244; ]eScheck A T § 31 III 1; LK*-Hirsch R d n . 10, 27 v o r § 5 1 ; Schönke-Schröder-Lenckner R d n . 27 v o r § 32; Maurach-Zipf A T I § 25 I V 1; Lange v. W e ber-Festschrift S. 162 ff, 166; Kem Z S t W 64 S. 255 ff, 262; — grundlegend Engisch Einheit S. 55 f, 58: Der Begriff der Rechtswidrigkeit soll einheitlich sein, aber als Postulat, nicht als Dogma.

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11. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

5

Β 1. Diese Lehre wird den unterschiedlichen Funktionen der einzelnen Rechtsgebiete nicht gerecht. Zwar ist ein einheitlicher Begriff der Rechtswidrigkeit insoweit plausibel, als dasjenige, was nach den Regeln eines Rechtsgebiets rechtswidrig ist, nicht in einem anderen Rechtsgebiet als nach den Regeln des ersteren rechtmäßig behandelt werden darf (oder umgekehrt). Beispiel: Ein beamtenrechtlich rechtswidriger Vorgang ist auch für das Strafrecht ein beamtenrechtlich rechtswidriger Vorgang. Wohl aber kann ein Vorgang, der nach den Regeln eines Rechtsgebiets neutral („tatbestandslos") oder gerechtfertigt ist, in einem anderen Rechtsgebiet eine Störung, also rechtswidrig sein. Beispiel: Ein strafrechtlich gerechtfertigter Vorgang ist mit der strafrechtlichen Rechtfertigung nicht zwingend auch als disziplinarrechtlich unerheblich (rechtmäßig) dargetan 1 1 . W e r also der Ansicht folgt, neben den speziellen Amtsrechten bleibe auch bei Amtshandlungen die Rechtfertigungsmöglichkeit durch Notwehr und Notstand bestehen, kann bei einem nicht durch Amtsrechte, wohl aber durch die allgemeinen Rechtfertigungsgründe gerechtfertigten Verhalten ein disziplinarrechtliches Unrecht trotz strafrechtlicher Rechtfertigung annehmen (zu dem Sachproblem siehe unten 12/41 ff; 13/42).

6

2. Es ist also entgegen der These von der Einheit der Rechtsordnung jeweils gesondert zu bestimmen, ob sich ein Rechtfertigungsgrund von einem Rechtsgebiet auf ein anderes übertragen läßt. Praktisch ändert sich jedoch für das Strafrecht nur der Begründungsgang (also die Geltung des Rechtfertigungsgrunds nicht genuin, sondern durch Übertragung), nicht aber das Ergebnis; denn die strafrechtliche Bestimmung der Rechtswidrigkeit hat die schärfsten Konsequenzen der gesamten Rechtsordnung, und infolgedessen kann dieses Rechtswidrigkeitsurteil bei „guten Gründen" zum Vollzug des betreffenden Verhaltens auch am ehesten nicht mehr aufrecht erhalten werden. Wenn sich überhaupt „gute Gründe" für ein Verhalten anführen lassen, so mindern sie als erstes die für strafrechtliche Reaktionen erforderliche Drastik des Unrechts. Praktisch wirken also alle Rechtfertigungsgründe stets auch im Strafrecht 1 2 (aber strafrechtliche Rechtfertigungsgründe nicht auch notwendig stets in allen anderen Rechtsbereichen).

III. Die Bestimmung prospektiver und auf Verdacht abstellender Rechtfertigungsmerkmale 7

A. Bei zahlreichen Merkmalen von Rechtfertigungstatbeständen geht es um die Frage, aus welcher Perspektive entweder das Drohen einer Gutsverletzung durch einen Angriff (Notwehr) oder die Gefahr für ein Gut und die H ö h e des Risikos (Notstand) sowie die Erforderlichkeit der Gegenmaßnahmen zu bestimmen sind (Merkmale prospektiven Inhalts). Üblicherweise wird die Perspektive wegen des prospektiven Inhalts unter einem Bruch mit den sonstigen Irrtumsregeln objektiv, aber ex ante fixiert 13 . Vereinzelt erfolgt die Bestimmung nicht nur der vom Inhalt her prospektiven Merk11

Es ist verfehlt, dies nur als eine Differenzierung nach Rechtsfolgen und nicht schon nach der Rechtswidrigkeit (der Unrechtsqualität) zu behandeln (so aber Engisch Einheit S. 58). Wenn ein Vorgang in einem Rechtsgebiet schlechthin unerheblich ist oder ausnahmsweise auf Grund guter Gründe erlaubt ist, bleiben nicht nur die Folgen nach diesem Rechtsgebiet aus, sondern es fehlt überhaupt an einer Mißbilligung nach diesem Gebiet; — eingehend Kirchhof Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten, passim.

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12

Auch Rechtfertigungsgründe aus Landesgesetzen rechtfertigen im Bundesstrafrecht; B G H 11 S. 242 ff, 244. '3 Lenckner N o t s u n d S. 80; Jescheck AT § 31 IV 4 und § 3 2 II 2 b; Maurach-Zipf AT I §27 1113; Schönke-Schröder-Lenckner Rdn. 10 a vor § 32 und § 3 2 Rdn. 34 und § 3 4 Rdn. 14; - hierbei bleibt unklar, wie die Perspektive beim Handeln in Unkenntnis einer Rechtfertigungslage auszusehen hat; dazu unten 11/10, 12, 21 ff.

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Allgemeine Lehren 14

15

male, sondern aller Merkmale subjektiv oder aller Merkmale ex ante , wobei diese beiden Lösungen in der Kontroverse um die Stellung des Erfolgs im Unrecht (oben 6 / 6 9 ff) derjenigen Position entsprechen, deren Vertreter f ü r die alleinige Relevanz eines — mehr oder weniger stark subjektiv bestimmten — Handlungsunrechts plädieren 1 6 . — Analoge Probleme tauchen bei Rechtfertigungsgründen auf, die schon bei einem (wie bestimmten?) Verdacht bezüglich eines vergangenen Geschehens einen Eingriff erlauben, etwa Untersuchungshaft bei dringendem Tatverdacht (plus einem H a f t grund). Β 1. Was die zuerst genannte, überwiegende Ansicht angeht, so ist sie zu pauschal; 8 denn das Irrtumsrisiko etwa beim Notstand, bei dem in Güter Unbeteiligter eingegriffen werden kann, muß sich nicht zwingend so verteilen wie bei der Notwehr, bei der der Angreifer zugleich mit dem Angriff das Irrtumsrisiko des Abwehrenden produziert. 2. Entsprechendes gilt f ü r die zuletzt genannte Ansicht, nach der alle Merkmale des Rechtfertigungstatbestands — subjektiv oder objektiv — ex ante bestimmt werden. Insbesondere bei der Notwehr wird deutlich, daß zu differenzieren ist: Wenn ein rechtswidriger Angriff objektiv fehlt, so ist kein Angreifer da, dem wegen des Angriffs eine objektiv überflüssige Abwehr selbst zugerechnet werden könnte; wenn aber ein rechtswidriger Angriff vorliegt, mag der Irrtum des Abwehrenden eine Sache sein, mit der der Angreifer selbst fertig zu werden hat (siehe auch unten zu § 33 StGB 20/28 ff). Allgemein systematisch begründete Einwendungen kommen hinzu: Wie die Ansicht von der alleinigen Relevanz des Handlungsunrechts verkennt, daß die soziale Bedeutung eines Verhaltens von dessen äußerer Seite her entwickelt wird, so verkennt die Ansicht von der allein ex ante zu bestimmenden Rechtfertigung, daß allein das Gemeinte (d. h. die ex ante beurteilte Rechtfertigungslage) nicht die volle soziale Bedeutung abgibt. Unstreitig ist zwar bei einem Eingriff in unvermeidbar irriger Annahme einer Rechtfertigungslage im Ergebnis nicht zu haften, aber die Störung durch den nun einmal geschehenen und nur vermeintlich erforderlichen Eingriff wird erst durch Verweis auf die subjektive Unvermeidbarkeit neutralisiert; nicht etwa ist der Eingriff nach seinem objektiven Kontext tolerabel. C. Im Ergebnis kommt es darauf an, wer von den Beteiligten das Irrtumsrisiko trägt. 9 Für die Entscheidung gelten folgende Grundsätze: 1 a) Prinzip der Verantwortung oder Veranlassung: H ä n g t bei einem Rechtfertigungsgrund der Inhalt des Erlaubten davon ab, daß dem Eingriffsopfer die Konfliktlage voll zugerechnet werden kann (wie ζ. B. bei der Notwehr) oder daß es zumindest vorrangig f ü r die Konfliktlage zuständig ist (wie ζ. B. beim defensiven Notstand), so muß die Verbindung zwischen dem Konflikt und dem Organisationskreis des Ein14

Zielinski Handlungsund Erfolgsunwert S. 224 ff, 266 f, 267 ff. Zielinski (insoweit ihm folgend: Schaffstein Bruns-Festschrift S. 89 ff, 99 f) bringt folgendes Argument: Ein G a r a n t (etwa ein Polizist) sei in einer auch n u r vermeintlichen N o t situation f ü r seinen Schützling (etwa bei einem rechtswidrigen Angriff auf diesen) bei ansonsten drohender Versuchsstrafe verpflichtet, einen „Rettungs"-Versuch zu unternehmen (im Beispiel, den „Angreifer" abzuschlagen); dann müsse er auch, wenn er anders die A b w e n d u n g nicht sinnvoll versuchen könne, den vermeintlichen Angreifer verletzen dürfen ( a a O S. 246 ff). — Das P r o blem ist wie bei Rettungshandlungen zu lösen, die eine nicht erkannte Nebenfolge mit sich bringen:

D a ß eine Handlungspflicht besteht, heißt nicht, bezüglich aller Folgen müsse auch ein Eingriffsrecht bestehen, so wenig in der U m k e h r u n g , beim Begehungsdelikt, ein H a n d l u n g s v e r b o t immer eines Unrechten Eingriffs wegen besteht, seil, nicht beim Versuch. — Zielinski verwechselt also den Anteil der H a n d l u n g am U n r e c h t mit dem des Erfolgs. 15 Armin Kaufmann Welzel-Festschrift S. 393 ff, 396 ff, 401. 16 Hiergegen Stratenwerth Schaffstein-Festschrift S. 177 ff, 189 f f ; Paeffgen V e r r a t S. 103 f f ; Mylonopoulos Verhältnis S. 93 f f ; Wolter Objektive und personale Z u r e c h n u n g S. 137 ff, 165 f f ; weitere Literatur oben 6 / F n . 146 bis 154.

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11. A b s c h n

2. Buch. 2. Kapitel. R e c h t f e r t i g u n g

griffsopfers wirklich (objektiv ex post) bestehen, ohne jede Möglichkeit der Ersetzung durch eine Prognose. Denn ohne wirklichen Bestand der Verbindung fehlt der Grund, das Eingriffsopfer zur Duldung einer Maßnahme zu verpflichten, die seine Zuständigkeit voraussetzt 1 7 . Die Perspektive des Eingriffsopfers (wann ist zu dulden?) dominiert also über die Perspektive des Eingreifenden (wann erscheint ein Eingriff als angebracht?). Eine wirkliche Verbindung besteht nicht nur bei einer wirklichen (objektiv ex post beurteilten) Gefahr, die vom Organisationskreis des Eingriffsopfers droht (etwa bei einem objektiv ex post tauglichen Angriff), sondern schon bei einer vom Eingriffsopfer zurechenbar erregten Scheingefahr; denn wer den Schein einer Notsituation zurechenbar schafft und dann bei der gegen ihn gerichteten Abwehr behandelt wird, als habe er eine wirkliche Notsituation geschaffen, hat damit nicht eine Sonderbelastung zu tragen, sondern die Konsequenzen seines eigenen Täuschungsmanövers, durch das er den Abwehrenden in eine unterlegene Stellung gebracht hat. Es geht also um die Wirklichkeit der Bedingungen der Zurechnung zum Eingriffsopfer, nicht um die Wirklichkeit einer von diesem geschaffenen Notlage. Beispiel: Bei der Drohung mit einer — dem Bedrohten als solche nicht erkennbaren — Scheinwaffe ist (je nach Angriffsart im Rahmen der Notwehr oder des defensiven Notstands) diejenige Abwehr gerechtfertigt, die bei Drohung mit einer tauglichen W a f f e gerechtfertigt wäre, und zwar ohne Blick darauf, was eine Ex-post-Betrachtung der Tauglichkeit ergibt. — Das Ergebnis entspricht der — unbestrittenen — Gleichsetzung einer Drohung bei der Nötigung (§ 240 StGB), die der Drohende notfalls einlösen will, mit der D r o h u n g , zu deren Einlösung Fähigkeit oder Wollen des Drohenden fehlen. 10

b aa) Bestehen bei den genannten Rechtfertigungsgründen die Bedingungen der Zurechnung wirklich, so zwingt das Eingriffsopfer dem Eingreifenden die Konfliktlage auf. Deshalb gibt es kein geschütztes Vertrauen des Eingriffsopfers darauf, nur so stark mit der Abwehr belastet zu werden, wie es bei optimaler Einrichtung der Abwehr noch erforderlich wäre (also bei der Abwehr durch eine objektiv bestimmte Modellperson). Das Eingriffsopfer muß vielmehr den Abwehrenden so hinnehmen, wie es ihm den sozialen Kontakt aufgezwungen hat. Die Erforderlichkeit der abwehrenden Maßnahmen bestimmt sich also bei den genannten Rechtfertigungsgründen subjektiv ex ante (das ist bezüglich der physischen Fähigkeit auch unstreitig; streitig sind allein die psychischprognostischen und -diagnostischen Fähigkeiten). Beispiel: W e r den mit einer Pistolenattrappe angreifenden Volltrunkenen sofort niedersticht, weil er infolge persönlicher Unfähigkeit das als Attrappe erkennbare Angriffsmittel unvermeidbar f ü r gefährlich hält, ist durch defensiven Notstand gerechtfertigt (nicht nur Putativrechtfertigung), wenn Niederstechen bei einem Angriff mit wirklich tauglicher W a f f e objektiv erforderlich gewesen wäre. — Bei Betätigung mehrerer Personen mit unterschiedlichen Fähigkeiten kann sich eine je nach dem Abwehrenden relative Rechtfertigung ergeben (was bezüglich der physischen Fähigkeiten auch durchaus geläufig anerkannt wird). bb) Das subjektiv ex ante Erforderliche wird um das objektiv ex post Erforderliche ergänzt; denn die Ex-ante-Sicht soll die Möglichkeit zu einer Handlung in einer Lage beschränkter Einsicht schaffen, nicht aber das ex post Richtige aus der Rechtfertigung herausnehmen. Beispiel: W e r die Waffe, mit der er bedroht wird, irrtümlich für ungeladen hält, aber den Angreifer aus W u t sofort niederschlägt, handelt in Unkenntnis einer bestehenden Rechtfertigungslage, wenn sich nachträglich herausstellt, daß der Angreifer sofort schießen wollte. 17

Insbesondere streitig für § 127 Abs. 1 StPO; siehe die Nachweise unten 16/Fn. 25.

290

Allgemeine Lehren

11. Abschn

2. Prinzip der Interessendefinition durch das Eingriffsopfer: Ist die Rechtfertigung da- 11 von abhängig, daß der Verfügungsberechtigte ein G u t preisgibt (rechtfertigende Einwilligung, rechtfertigende behördliche Erlaubnis), so muß diese Preisgabe wiederum wirklich (objektiv ex post) vorliegen, da ohne die Willkür des Verfügungsberechtigten kein Grund vorhanden ist, ihn zur Duldung zu zwingen. Die Perspektive des Eingriffsopfers dominiert also auch hier über diejenige des Eingreifenden. — Die Willkür des Eingriffsopfers kann durch eine stellvertretende Interessendefinition ersetzt werden, wenn diese Ersetzung der (mutmaßlichen) Willkür des Eingriffsopfers entspricht, also bei mutmaßlicher Einwilligung und bei Notstandseingriffen in die Güter des von der Gefahr Bedrohten. 3 a) Solidaritätsprinzip: Liegt der Anlaß für das gerechtfertigte Verhalten nicht im 12 Organisationsbereich des Opfers, so ist es eine Frage der Zweckmäßigkeit, ob die Duldungspflicht des Opfers an eine ex ante oder an eine ex post bestimmte Lage anknüpft. Für die erste Sicht spricht das Interesse des Eingreifenden, nicht nachträglich dadurch desavouiert zu werden, daß ex post das Fehlen eines Angriffsrechts konstatiert wird. Für die zweite Sicht spricht das Interesse des Eingriffsopfers, nur bei wirklicher (objektiv ex post bestimmter) N o t solidarisch leisten zu müssen. Das Gesetz wählt mit Merkmalen wie Gefahr oder Verdacht die Ex-ante-Sicht; diese Begriffe verlieren bei einer Ex-post-Betrachtung ihren Inhalt (ex post ist nur gefährlich, was ohne Rettungshandlung kausiert). b aa) Der soziale Kontakt wird beim Solidaritätsprinzip dem Eingriffsopfer aufgezwungen. Deshalb darf es auf eine optimale Ausrichtung des Verhaltens vertrauen, um dessen Rechtfertigung es geht; die Ex-ante-Perspektive ist also ohne Berücksichtigung individueller Schwächen objektiv zu bestimmen (zu Einzelheiten des objektiven Urteils siehe unten zur Gefahr beim Notstand 13/13). Insbesondere hat bei Amtshandlungen ein Beamter keinen Anspruch auf Berücksichtigung individueller Unfähigkeit. bb) Beim Notstand wird die Ex-ante-Sicht wiederum um das ex post Erforderliche ergänzt; denn die Ex-ante-Sicht soll eine Handlungsmöglichkeit trotz beschränkten Einsichtsvermögens eröffnen, nicht aber das nur ex post Richtige aus der Rechtfertigung herausnehmen. Beispiel: W e r eine Schwangerschaft abbricht, ohne daß die gegebene medizinische Indikation objektiv erkennbar wäre, handelt in Unkenntnis einer bestehenden Rechtfertigungslage. Die Ergänzung findet bei Amtsrechten, die auf Verdacht abstellen, nicht statt; denn ein ex post richtiges Ergebnis kann den Mangel eines — rechtsstaatlich unverzichtbaren — angemessenen Mittels nicht heilen. Beispiel: Liegt kein Tatverdacht vor, so ist eine Untersuchungshaft rechtswidrig, auch wenn sich später herausstellt, daß der Inhaftierte doch der Täter ist. D. Die Konsequenzen

der Differenzierung

zwischen prospektiver

und wirklicher

Lage:

1. Beim aggressiven Notstand soll mit der Ex-ante-Bestimmung der Gefahr und des 13 Erforderlichen dem Handelnden ein Handlungsrecht gegeben werden, nicht aber das Gut, in das eingegriffen wird, seiner Schutzwürdigkeit beraubt werden. Wenn jemand zufällig über Sonderkenntnisse bezüglich der Geschehenslage verfügt und deshalb weiß, daß die in Aussicht genommene Rettungsmaßnahme nichts bewirken wird, weil keine Gefahr besteht, oder aber die Rettung in die falsche Richtung zielt, bleibt also eine Umschichtung des Schadens erlaubt, der dem Gut droht, in das nutzlos eingegriffen werden soll. Die Umschichtung folgt den Regeln des aggressiven Notstands. Beispiel: Wer zufällig weiß, daß die Symptome einer schweren Krankheit bei einer zusammengebrochenen Person nur simuliert sind, kann die Alarmierung des Rettungsdienstes 291

11. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. R e c h t f e r t i g u n g

mit sanftem Nachdruck hindern, ohne wegen Nötigung strafbar zu sein. — Nimmt der Retter nur nach subjektivem Urteil, aber unvermeidbar eine Erforderlichkeit an, fehlt es an einer Rechtfertigungslage und defensiver Notstand gegen die Rettungsmaßnahme bleibt möglich. 2. Soweit es aber um Rechtfertigungsgründe geht, bei denen das Eingriffsopfer f ü r den Konflikt einzustehen hat, muß es den Eingriff dulden, auch wenn es die Nutzlosigkeit dieser Duldung erkennt; ansonsten könnte es seine eigene Einstandspflicht zumindest partiell unterlaufen 1 8 . Auch bei den Amtsrechten besteht eine Duldungspflicht, mit der bei ex post bestimmter Fehlerhaftigkeit der Maßnahme ein Entschädigungsanspruch nach Polizeirecht korrespondiert; durch eine andere Entscheidung würde nicht nur die alleinige Kompetenz des Berechtigten zur Konfliktlösung in Frage gestellt werden, sondern auch der numerus clausus der gegen rechtmäßiges Amtshandeln zulässigen (d. h. allein angemessenen) förmlichen Maßnahmen (ζ. B. Klage, Rechtsmittel etc.) würde durch ein formfreies Verfahren, eben den Notstand, erweitert. — Ein objektiv nur als gefährlich, nicht aber als Verfolgung von Amtsrechten erkennbares Verhalten eröffnet allerdings die Rechtfertigung in aggressivem Notstand. E.

14

Beispiele:

1. Der mit einer — ihm unerkennbar — ungeladenen Pistole bei einem rechtswidrigen Angriff im Sinn des § 32 StGB Bedrohte darf sich in demselben Maß wehren, wie er es bei geladener W a f f e dürfte; gegen seine ex post nutzlose Abwehr bleibt dem Angreifer nicht einmal Rechtfertigung im aggressiven Notstand. — Die allgemein übliche Lehre müßte f ü r den Fall, daß ein objektives Ex-ante-Urteil die Untauglichkeit des Angriffs ergeben hätte, defensiven Notstand zulassen. 2. W e r unvermeidbar irrend den heranstürmenden Freund nicht erkennt, vielmehr für einen Angreifer hält, hat keine Abwehrrechte aus Notwehr; ihm bleiben bei auch objektivem Ex-ante-Urteil einer Gefahrenlage nur die Rechte aus dem aggressiven Notstand (insoweit überwiegende Ansicht). Gegen seine „Abwehr" ist bei nur subjektivem Urteil Handeln in defensivem Notstand, ansonsten in aggressivem Notstand gerechtfertigt. — Die vereinzelt vertretene Sicht subjektiv ex ante (oben 11/7) muß Rechtfertigung der „Abwehr" annehmen. 3. Der Wanderer, der das Überlaufen einer Talsperre unvermeidbar als Defekt mißdeutet und in ein verschlossenes Haus einbrechen will, um von dort aus telefonisch die Polizei zu informieren, greift zwar mangels „Schuld" nicht rechtswidrig im Sinn des § 32 StGB an (zur genauen Lozierung des Irrtums siehe unten 11/42 ff), kann aber, da er kein Handlungsrecht hat, in defensivem Notstand an seinem Einbruchsversuch gehindert werden; anders ist bei einer nach objektivem Ex-ante-Urteil vorliegenden Gefahr zu entscheiden (die Sperre bricht wirklich, aber wie sich später herausstellt, befindet sich im Überschwemmungsgebiet kein Gut, das gerettet werden könnte): Es bleibt nur aggressiver Notstand, da ein Handlungsrecht besteht. 4. Der Polizeibeamte, der auf Grund seines kurzen Gedächtnisses — ihm selbst unvermeidbar, da diese Schwäche bislang nicht auffällig geworden ist — das Opfer einer Wirtshausschlägerei mit dem seinerzeit entkommenen Täter verwechselt und vorläufig festnimmt, handelt rechtswidrig; mangels Schuldhaftigkeit des Verhaltens bleibt dem Festnahmeopfer defensiver Notstand. — Nimmt der Beamte aber nach einem Fahndungsfoto den — bislang in seiner Existenz verborgenen — Zwillingsbruder fest, han18

Siehe Schönke-Schröder-Lenckner §32.

292

Rdn. 9 ff vor

Allgemeine Lehren

11. Abschn

delt er rechtmäßig und selbst aggressiver Notstand als Gegenwehr scheidet aus. — Wenn aber nach objektivem Urteil nicht erkennbar ist, daß der Beamte in Verfolgung seiner Amtsrechte handelt, besteht eine Gefahrenlage, die Abwehr nach § 34 StGB rechtfertigt. F.

Zusammenfassung:

1. Die Bedingungen der Zuständigkeit für einen Konflikt oder f ü r die Preisgabe ei- 15 nes Guts können nicht prospektiv bestimmt werden, sondern müssen wirklich vorliegen. 2. Wer für die Entstehung einer (vermeintlichen) Konfliktlage zuständig ist, muß sogar das nur subjektiv ex ante Erforderliche dulden. 3 a) Wer nicht für die Entstehung einer (vermeintlichen) Konfliktlage zuständig ist, behält bei den allgemein geltenden Rechtfertigungsgründen gegenüber dem objektiv ex ante Erforderlichen die Rechte aus aggressivem Notstand und gegenüber dem nur subjektiv ex ante Erforderlichen die Rechte aus defensivem Notstand. b) Bei Amtsrechten muß der Betroffene das nach objektiver Ex-ante-Sicht Erforderliche dulden, solange das Verhalten objektiv überhaupt als Verfolgung von Amtsrechten erkennbar ist; ansonsten liegt eine Lage vor, die eine Abwehr nach den Regeln des aggressiven Notstands zuläßt.

IV. Die Konkurrenz von Rechtfertigungsgründen A. Ein Verhalten kann durch mehrere Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt sein. 16 Die Kumulation ist bedeutsam, wenn derjenige, um dessen Verhalten es geht, nur eine der Rechtfertigungslagen kennt; er ist dann ebenso gerechtfertigt, wie wenn er andere oder alle der kumulierten Rechtfertigungslagen gekannt hätte. Beispiel: W e r einen ihm drohenden Schaden durch einen § 34 StGB entsprechenden Eingriff in die Güter eines Dritten verhütet, ist durch rechtfertigenden Notstand gerechtfertigt, auch wenn er nicht weiß, daß sein Eingriff in die Güter des schuldhaften Schadensverursachers erfolgt und zugleich durch Notwehr gerechtfertigt wäre. B. Es gibt jedoch Rechtfertigungsgründe, nach denen für spezielle Bereiche die 17 Rechtfertigung abschließend zu beurteilen ist; eine Erweiterung der Rechtfertigung durch generelle Rechtfertigungsgründe scheidet dann aus 1 9 . W a n n das der Fall ist, kann im Einzelfall zweifelhaft sein und ist für den wichtigsten Fall, seil, die K o n k u r renz von Notwehr und Notstand mit den öffentlich-rechtlichen Eingriffsbefugnissen nach den Polizeigesetzen und der StPO, heftig umstritten (hierzu unten 12/41 ff, 13/42). Als Grundsatz gilt, daß ein genereller Rechtfertigungsgrund f ü r eine bestimmte Rechtfertigungssituation oder eine bestimmte zu rechtfertigende Person ausscheidet, wenn ein speziell f ü r die Rechtfertigungssituation oder die zu rechtfertigende Person formulierter Rechtfertigungsgrund das gerechtfertigte Verhalten zumindest partiell enger regelt als der generelle Rechtfertigungsgrund, insbesondere die Rechtfertigung an ein bestimmtes Verfahren bindet, das der generelle Rechtfertigungsgrund nicht nennt. So tritt ζ. B. rechtfertigender Notstand nicht hinter Notwehr zurück, da trotz der engeren Situationsbestimmung der Notwehr (rechtswidriger Angriff, nicht jede Gefahr) 19

Insoweit allgemeine Meinung; Warda MaurachFestschrift S. 143 ff, 166 (Funktionelle Spezialität); Seelmann Verhältnis S. 36 ff (gegen dessen Lösungsweg Peters GA 1981 S. 445 ff, 457 f f ) ; siehe ferner LK9-Hirsch Rdn. 33 vor 5 51;

Schönke-Schröder-Lenckner Rdn. 27 vor § 32 und § 34 Rdn. 6; — freilich ist die Interpretation einzelner Rechtfertigungsgründe als abschließende Regelung streitig.

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11. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

mehr erlaubt wird als beim Notstand, seil, ein erforderlicher, wenn auch unproportionaler Eingriff. Nach der hiesigen Interpretation sind auch die §§ 228, 904 BGB nur Ergänzungen, nicht aber verdrängende Spezifizierungen des (aggressiven und defensiven) Notstands, da sie keine eigene Situationsbeschreibung aufweisen (streitig). Wohl aber ist § 218 a StGB wegen des geregelten Verfahrens eine § 34 StGB verdrängende Sonderregelung, soweit ein Arzt erreichbar, die Schwangere einwilligungsfähig ist etc., das Verfahren also praktisch durchgeführt werden kann; ansonsten gelten insoweit generelle Grundsätze. Die §§ 127 StPO und 229 BGB schließen die Anwendung von N o t wehr und Notstand im geregelten Bereich aus, da sie bei speziellerer Situationsbeschreibung zumindest partiell nur beschränkte (nämlich nur bis zur Sicherung gehende) Eingriffsbefugnisse geben.

V. Die subjektive Seite der Rechtfertigung A. Die sogenannte Rechtfertigungstendenz und die Unkenntnis der Merkmale eines Rechtfertigungstatbestands 18

1 a) O b zur Rechtfertigung neben dem objektiven Bestand der Rechtfertigungslage und dem objektiven Ablauf des Verhaltens im Rahmen der Erlaubnis auch noch ein subjektives Rechtfertigungsmoment vorliegen muß, ist äußerst kontrovers 2 0 . Eine vom positiv zu beurteilenden Rechtfertigungserfolg her argumentierende Ansicht hält die Rechtfertigung f ü r einen nur-objektiven Vorgang 2 1 . Im anderen Extrem wird zur Rechtfertigung ein Handeln zum Zweck der Ausübung der Befugnis verlangt, die auf Grund der betreffenden Rechtfertigungslage verliehen wird, beispielsweise Handeln zum Zweck der Gefahrenabwehr beim Notstand 2 2 . Nach einer dazwischen liegenden Ansicht soll zur Rechtfertigung Kenntnis der Rechtfertigungsvoraussetzungen hinreichen, ohne daß ein subjektiver Zweckbezug verlangt wird 2 3 . N u r ausnahmsweise bei den „unvollkommen zweiaktigen Rechtfertigungsgründen" 2 4 soll eine besondere Absicht erforderlich sein 2 5 ; das betrifft Rechtfertigungsgründe, bei denen f ü r einen Eingriff allein, ohne eine nachfolgende Ergänzung, kein guter Grund besteht, wie ζ. B. f ü r die Festnahme nach § 127 Abs. 1 StPO, zu der eine nachfolgende Uberstellung an die Polizei hinzutreten muß. Es finden sich auch zwischen den Rechtfertigungsgründen differenzierende Lösungen; so soll es einerseits ein objektiv wirkendes Handeln in „überindividueller Zweckhaftigkeit" 2 6 (etwa nach § 37 StGB) oder eine objektiv wirkende Rechtfertigungslage, die keinen Handlungswert erfordert 2 7 (etwa Einwilligung), geben und andererseits ein Handeln in individueller Zweckverfolgung (etwa im Notstand) oder in einer Rechtfertigungslage, die einen Handlungswert erfordern soll (etwa Notwehr) 2 8 . 20

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22

Ausführliche Darstellung des Meinungsstands bei Waider Bedeutung S. 83 ff. Oehler Zweckmoment S. 165 ff; Spendet Bockelmann-Festschrift S. 245 ff, 252 f, der freilich jedenfalls bezüglich eines anderen als des gerechtfertigt verletzten Guts Versuch für möglich hält: W e r den Angreifer trifft, aber den Angegriffenen treffen will, haftet wegen rechtswidrigen Versuchs der Verletzung des Angegriffenen. LK9-Hirsch Rdn. 39, 40 vor § 51; Miese Finalität S. 17 f; Jescheck A T § 3 1 IV 1; Maurach-Zipf A T I § 25 V Β 2; insbesondere auch die Rechtsprechung; f ü r Notwehr siehe B G H 3 S. 195 ff, 198; B G H GA 1980 S. 67 f mit der Abschwächung, daß es sich zumindest um einen von mehreren Zwecken handeln müsse; ebenso schon das

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23

24 25 26 27 28

Reichsgericht; R G 54 S. 196 ff, 199; f ü r Notstand siehe B G H 2 S. 112 ff, 114; für das Züchtigungsrecht: B G H 11 S. 242 ff, 257; schon RG 67 S. 324 ff, 327; für die Wahrnehmung berechtigter Interessen siehe B G H 18 S. 182 ff, 186; schon RG 61 S. 400 ff; 66 S. 1 ff. Stratenwerth A T Rdn. 489; Schönke-SchröderLenckner Rdn. 14 vor § 3 2 ; Rudolphi MaurachFestschrift S. 51 ff, 57; Prittwitz GA 1980 S. 381 ff, 389; siehe auch Nowakowski ZStW 63 S. 287 ff, 319. Lampe GA 1978 S. 7 ff. Schönke-Schröder-Lenckner Rdn. 16 vor § 32. Schmidhäuser A T 9/17. Gallas Bockelmann-Festschrift S. 155 ff, 175 f. Siehe auch Baumann A T § 21 I 3 c.

Allgemeine Lehren

11. Abschn

b) Die Kontroverse erweitert sich, wenn es um die Konsequenzen fehlender subjektiver Rechtfertigungselemente geht: Aus dem Faktum der Verletzung kann auf Vollendung geschlossen werden wie aus dem Fehlen der Verletzung eines aktuell geschützten Objekts auf Versuch 2 9 . 2 a) Zur Lösung ist festzuhalten: Diejenigen Merkmale der Rechtfertigungsgründe, 19 die wirklich (objektiv ex post) vorliegen müssen, bestehen unabhängig von ihrer Erkenntnis. Aber auch bei denjenigen Rechtfertigungsmerkmalen, die durch ein Urteil objektiv ex ante konstituiert werden, ist die Rechtfertigung an das virtuelle Urteil gebunden, nicht an das Faktum seines psychischen Vollzugs; und selbst bei denjenigen Merkmalen, bei denen die Bestimmung subjektiv ex ante zur Rechtfertigung hinreicht, läßt sich die Urteilssituation vom psychischen Faktum des Urteils trennen. Im Ergebnis ist also eine Trennung von objektiver und subjektiver Rechtfertigungslage möglich. b) Bei diesem Stand ist das Erfordernis subjektiver Rechtfertigungsmomente allein 20 nach den Konsequenzen zu entscheiden 3 0 . aa) Die Lösung, die darauf abstellt, daß für Rechtfertigung das Verhalten als Abwehr etc. beabsichtigt sein müsse, müßte selbst dann noch wegen einer rechtswidrigen Vollendung zurechnen, wenn der Täter in Kenntnis der Rechtfertigungssituation und der — dann freilich irrigen — Erwartung der Rechtfertigung handelt, nur eben nicht motiviert durch die Rechtfertigungslage. Beispiele: Der Arzt operiert nach der lex artis, aber nicht zur Heilung des Patienten, sondern allein des nach kunstvoller Operation fälligen Honorars wegen. — Der Helfer schießt den Angreifer in erforderlicher Abwehr nieder, aber nicht wegen der Güter des Angegriffenen, sondern allein aus Freude am Gebrauch der W a f f e . — Eine Zurechnung dieser Erfolge als rechtswidrig würde auf Momente abstellen, die sich im Verhaltensvollzug nicht äußern; die Zurechnung könnte bei gleich bleibender Vorstellung des Täters jederzeit durch einen Motivationsaustausch unterlaufen werden; eine Zurechnung auf Grund solcher nur-subjektiver Merkmale widerspricht dem Tatprinzip 3 1 . Vereinzelt, etwa beim Züchtigungsrecht, dürfte allerdings praktisch ein Verhalten im Rahmen der Erlaubnis ohne Rechtfertigungsabsicht kaum je zustande kommen. bb) Es ist also allenfalls Rechtfertigungsvorsatz, nicht aber Rechtfertigungsabsicht 21 zu verlangen (jeweils bezogen auf das Rechtfertigungsgeic/?eAen — etwa die Abwehr —, nicht auf die rechtliche Wirkung der Rechtfertigung — die Erlaubnis). Das gilt auch für die schon genannten unvollkommen zweiaktigen Rechtfertigungsgründe; es geht nicht darum, daß der Täter den zweiten Akt, der den ersten erst rechtlich sinnvoll macht, anstrebt, sondern daß er in einem Zusammenhang handelt, in dem der zweite Akt nicht ausbleibt. Beispiel: W e r einen Einbrecher auf frischer T a t festnimmt (§ 127 Abs. 1 StPO) und weiß, daß die Polizei sowieso in Kürze kommt und den Festgenommenen übernehmen wird, verliert nicht die Rechtfertigung dadurch, daß er letzteres nicht erstrebt, gegebenenfalls sogar nur bedauernd in den Kauf nimmt. Praktisch wird allerdings — wie der Täter weiß — der zweite Akt häufig von seinem eigenen Verhalten abhängen. 29

Für die objektive Lösung ist zumindest in Verbindung mit einer objektiv einengenden Versuchslehre (untaugliches Objekt) auch Straffreiheit diskutabel; so wohl Spendet Bockelmann-Festschrift S. 245 ff, 258 f; LK-Spendel% 32 Rdn. 138 ff. 30 Der Wortlaut von § 32 Abs. 2 StGB (. . . Verteidigung . . . , um . . .) und § 34 StGB (. . . begeht,

um . . .) mag auf den Abwehrzweck abstellen, regelt damit aber nicht, wie bei fehlendem Abwehrzweck zu entscheiden ist; ein Umkehrschluß verbietet sich wegen der im geschriebenen Recht nur fragmentarischen Regelung von Rechtfertigungsg r ü n d e n überhaupt. 31 Stratenwerth A T R d n . 489.

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11. Abschn 22

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

cc) Somit bleibt zu entscheiden, ob beim Fehlen selbst eines Rechtfertigungsvorsatzes beliebiger Vorsatzform die Zurechnung einer rechtswidrigen Tat zu erfolgen hat. α) Eine Zurechnung der Tat als rechtswidrige, vollendete Tat 3 2 scheidet der unangemessenen Folgen wegen aus: Wäre der Erfolg zurechenbar, so wäre es erlaubt, den Täter daran zu hindern, den Erfolg zu bewirken. Das Verhalten des Täters könnte also von jedermann — in Notwehr oder in defensivem Notstand — im Rahmen des Erforderlichen abgebrochen werden, um es nachfolgend selbst ebenso gestaltet zu vollziehen. Beispiel: Der Dieb, der nicht merkt, daß er durch das Aufbrechen einer Tür eine rechtswidrig eingesperrte Person befreien wird, dürfte an seinem Tun durch einen Eingriff in seine Güter gehindert werden, woraufhin der Hindernde die Tür selbst aufbrechen dürfte. — Unangemessene Folgen zeigen sich auch bei der Teilnahme. Der mit Rechtfertigungsvorsatz handelnde Gehilfe eines Täters ohne Rechtfertigungsvorsatz wäre nicht als agent provocateur straffrei, sondern strafbarer Teilnehmer einer rechtswidrigen Vollendung, obgleich er die Tat eigenhändig gerechtfertigt vollziehen dürfte. Beispiel: Der Arzt, der bei einem medizinisch dringend indizierten Schwangerschaftsabbruch seinem von der Rechtfertigungslage nichts ahnenden Kollegen hilft, beginge Beihilfe zu einer rechtswidrigen Tat, obgleich er den Abbruch selbst ausführen dürfte und — etwa als Notarzt — sogar müßte. — In beiden Fällen läßt sich nicht begründen, weshalb der Wissende den Unwissenden an einer Handlung soll hindern dürfen, die der Wissende danach in gleicher Form gerechtfertigt selbst vollziehen dürfte, teils sogar vollziehen müßte 33 .

23

ß) Obwohl mehr vorliegt als ein Versuch, seil. Vorsatz, Ausführung und zudem ein tatbestandsmäßiger Erfolg, sind deshalb nicht die Regeln der Vollendung, sondern diejenigen des Versuchs anzuwenden, und zwar des Versuchs als ein im Verwirklichten enthaltenes Minus 34 . Die Anwendung der Versuchsregeln erfolgt nicht, weil das Vorliegen einer objektiven Rechtfertigungslage dem Ausbleiben eines Erfolgs gleich wäre. Diese Gleichheit besteht nicht, vielmehr ist das erfolglose enttäuschende Verhalten (Versuch) vom erfolgreichen enttäuschenden Verhalten mit (nur) objektiv gutem Grund zum Verhaltensvollzug (Handeln in Unkenntnis gegebener Rechtfertigungsvoraussetzungen) mehrfach unterschieden. Die Versuchsregeln werden vielmehr nur angewandt, weil die Erfolgszurechnung systematisch unangemessene Ergebnisse bringt und somit 32

S o allerdings für den Notstand B G H 2 S. 112 ff, 1 1 4 f ; generell LK9-Hirsch R d n . 4 1 vor § 5 1 ; Hirsch Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen S. 254 f ; Zielinski Handlungs- und Erfolgsunwert S. 259 ff mit weiteren Nachweisen; Niese Finalität S. 18 Fn. 3 7 ; Welzel Strafrecht § 1 4 I V a. E . ; Dreher-Tröndle § 3 2 Rdn. 14; Paeffgen V e r r a t S . 156 Fn. 3 8 2 ; je nach Rechtfertigungsgrund differenzierend (wie oben zu Fn. 26, 27 bezeichnet) Gallas Bockelmann-FestSchrift S. 155 ff, 172 ff; Schmidhäuser A T 9/17.

33

Das gilt auch, soweit die Rechtfertigungslage durch Merkmale konstituiert wird, für die eine E x - a n t e - S i c h t gilt (Verdachtsmerkmale und prospektive M e r k m a l e ) : Wenn das Ex-ante-Urteil, ein Rechtfertigungseingriff sei notwendig, gefällt werden könnte, besteht zur V o r n a h m e des Eingriffs ein rechtlich guter G r u n d ; wer davon nichts weiß, mag subjektiv mit schlechtem Grund handein, aber diese Fehleinschätzung gibt nicht die Erlaubnis, das äußere korrekte Verhalten zu ver-

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hindern und verbietet nicht, es zu fördern. Anders verhält es sich nur bei Amtsrechten; hier verbietet es die rechtsstaatliche Bindung, den Blick nur auf das Ergebnis zu richten; siehe oben 11/12. Beispiel: Nimmt ein Polizist aus purer Verärgerung einen Bürger fest ( § 1 2 7 Abs. 2 S t P O ) , so darf ihm eine dritte Person nur dann helfen, wenn der Polizist aus subjektiver Schwäche aktuell gegebene Festnahmegründe nicht kennt. Sind die Gründe schon objektiv nicht erkennbar, kommt eine rechtmäßige Amtshandlung nicht in Betracht. 34

Für „entsprechende" Anwendung Jescbeck AT § 3 1 I V 2 ; Maurach-Zipf A T I § 2 5 V C 1; im E r gebnis überwiegende Ansicht; Lenckner Notstand S. 187 ff, 192 f f ; Rudolphi Maurach-Festschrift S. 51 ff, 5 8 ; v. Weber J Z 1951 S. 260 ff, 2 6 3 ; Schötike-Schröder-Lenckner Rdn. 15 vor § 3 2 ; Stratenwerth A T Rdn. 4 9 4 ; SK-Samson Rdn. 24 vor § 3 2 ; Hruschka G A 1980 S. 1 ff, 16 f; — auch K G G A 1975 S. 213 ff, 215.

Allgemeine Lehren

11. A b S C h n

mangels einer Sonderregelung35 nur die Beurteilung des Verhaltens ohne Berücksichtigung des Erfolgseintritts bleibt. D a ß der Versuch bei Vergehen teils straffrei bleibt (§ 23 Abs. 1 StGB), ist — anders als beim Versuch im eigentlichen Sinn — im Bereich der Unkenntnis einer Rechtfertigungslage ein sachlich nicht gerechtfertigtes Benefiz als Folge des beschränkten Formenkatalogs des StGB. — $ 23 Abs. 2 und 3 StGB dürften anwendbar sein, wenn der Täter f ü r eine sich jedermann aufdrängende Rechtfertigungssituation blind war.

B. Zur Prüfungspflicht 1. Zur Rechtfertigung wird teils verlangt, daß die Rechtfertigungslage vom T ä t e r in 2 4 einer „pflichtgemäßen" oder „gewissenhaften" P r ü f u n g ermittelt wird 3 6 . O h n e diese Prüfung soll der Täter auch bei objektiv bestehender Rechtfertigungslage wegen Vollendung strafbar sein 37 . Diese Lösung wird verbreitet als generelle Regel abgelehnt, wohl aber beschränkt auf Fälle fehlender objektiver Rechtfertigungsvoraussetzungen und beschränkt auf solche Rechtfertigungsgründe anerkannt, bei denen eine objektiv ex post nicht erforderliche Handlung im Blick auf die Zwecke des Täters bei einer U n sicherheit ex ante gebilligt werden soll. — Genannt werden § 1 9 3 StGB, mutmaßliche Einwilligung und Verdachtstatbestände 3 8 . Zur Begründung wird auf die Notwendigkeit verwiesen, das Risiko letztlich nutzloser Eingriffshandlungen zu minimieren 3 9 . 2 a) Bei beiden Versionen handelt es sich sachlich um den Versuch, die Irrtumsrege- 2 5 lung für Fälle leichtfertiger Annahme von Rechtfertigungsvoraussetzungen zu unterlaufen (siehe unten zur irrigen Annahme von Rechtfertigungsvoraussetzungen 11/ 42 ff). Beide Versionen sind abzulehnen 4 0 , da sie die Rechtfertigungslage und den W e g zur Ermittlung der Rechtfertigungslage vertauschen. Bei unterschiedlichem W e g (ein Beteiligter hat mit einem bestimmten Ergebnis geprüft, ein anderer ist leichtfertig zu demselben Ergebnis gekommen) bestünden nach beiden Versionen zwischen mehreren Beteiligten ebenso unangemessene Beziehungen, wie sie oben zum Fehlen einer Rechtfertigungstendenz beschrieben wurden: Ein Beteiligter mit vollzogener gewissenhafter Prüfung dürfte einen anderen, der nicht geprüft hat, am Eingriff hindern und dürfte sich an dessen Eingriff nicht beteiligen, obwohl er den Eingriff ebenso gestaltet selbst vollziehen dürfte oder gar müßte. b) Die Unbrauchbarkeit einer Prüfungspflicht bedeutet nicht, daß bei Merkmalen, 2 6 die subjektiv ex ante bestimmt werden, jede flüchtige subjektive Annahme eine Rechtfertigungslage konstituiert. Vielmehr kommt es allein auf das subjektiv bestmögliche Urteil an. Gleichgültig ist jedoch, ob dieses Urteil durch bestmöglichen Einsatz der U r teilskräfte (also durch „pflichtgemäße Prüfung") gewonnen oder leichtfertig zu Grunde gelegt wurde, wenn es nur im Ergebnis nicht optimierbar ist. Der Täter, der 35

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37

Z u r Notwendigkeit einer Sonderregelung siehe unten zum analogen Problem bei der irrigen Annahme der Verwirklichung eines Rechtfertigungstatbestands 11/53 ff. So für den N o t s t a n d R G 62 S. 137 ff, 138; 64 S. 101 ff, 104; B G H 1 S. 329 ff, 320; 2 S. 112 ff, 114; 3 S. 8 ff, 11; 14 S. 1 ff, 2; Blei A T § 45 IV; Schaffstein M D R 1951 S. 196 f f ; siehe auch Henkel Mezger-Festschrift S. 249 ff, 274 f. Insbesondere R G 62 S. 137 ff, 138 bei Schwangerschaftsabbruch aus medizinischer Indikation; im zu entscheidenden Fall fehlte freilich die Rechtfertigungslage schon objektiv; die Rechtsprechung hat bei zweifelsfrei gegebener objekti-

ver Rechtfertigungslage überhaupt nie verurteilt; siehe Welzel J Z 1955 S. 142 f f ; Zielinski H a n d lungs- und Erfolgsunwert S. 271 ff. 38 N a c h den hier aufgestellten Regeln f ü r Rechtfertigungsgründe mit prospektiven Merkmalen und Verdachtsmerkmalen w ä r e der Kreis noch größer. «So Lenckner H . Mayer-Festschrift S. 165 ff, 178 ff; LK^-Hirsch Rdn. 39 vor § 51; SchönkeSchröder-Lenckner Rdn. 19 vor § 32; Jescheck A T § 3 1 IV 3. 40 Ausführlich ablehnend auch Rudolphi S c h r ö d e r Gedächtnisschrift S. 73 f f ; Zielinski Handlungsund Erfolgsunwert S. 271 ff.

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11. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

nicht prüft, trägt also das Fehlerrisiko, was sich freilich nur auswirkt, wenn eine Prüfung zu einem anderen Ergebnis geführt hätte, also ein Fehler vorliegt. Mit anderen Worten, nicht das psychische Faktum eines Urteils bestimmten Inhalts rechtfertigt, sondern die Lage, in der ein Urteil bestimmten Inhalts bei optimalem Einsatz der Urteilskraft möglich ist. — Da die nach hiesiger Interpretation subjektiv ex ante zu bestimmenden Merkmale alle zu Situationen gehören, in denen schnell gehandelt werden muß, für Abwägungen also keine Zeit bleibt, dürfte die Problematik praktisch von geringer Bedeutung sein. Beispiel: W e r einen stark betrunkenen Autofahrer vorläufig festnimmt (§ 127 Abs. 1 StPO), indem er ihn einsperrt, in der Eile nicht bedenkend, daß die Sicherstellung des Zündschlüssels möglich und hinreichend wäre, handelt rechtmäßig, auch wenn bei mehr Uberlegungszeit das schonendere Mittel erkennbar gewesen wäre. 27

c) Im übrigen dürfte die Größe des Irrtumsrisikos häufig überschätzt werden; denn schon zur Vorstellung einer Rechtfertigungslage gehört in den relevanten Fällen stets die Annahme einer sonst nicht auflösbaren Interessenkollision. Beispiel: W e r eine beleidigende Nachricht in die Zeitung setzt, hat nur dann die Vorstellung einer Rechtfertigungslage (§ 193 StGB), wenn er positiv davon ausgeht, daß die Kollision von Informationsrecht und Persönlichkeitsrecht nicht vermieden werden kann, etwa durch weitere Recherchen 4 1 .

C. Die ungewisse Vorstellung von einer Rechtfertigungslage 28

1. Häufig wird der Täter die Voraussetzungen der Rechtfertigung seines Handelns bezweifeln oder er würde bei aufmerksamem Urteil zu Zweifeln kommen. Sind die Zweifel nicht durch gefahrloses Zuwarten oder durch gesteigerte Aufmerksamkeit zu beheben, so ist eine Entscheidung auf bewußt oder unbewußt unsicherer Grundlage unumgänglich.

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2. Die Verteilung des Irrtumsrisikos richtet sich nach den oben (11/9 ff) genannten Regeln 4 2 : a) Soweit eine Handlung gerechtfertigt ist, weil das Eingriffsopfer f ü r die Konfliktlage selbst einzustehen hat (Notwehr etc.), ist die Rechtfertigung ohne Blick auf die subjektive Sicht der Lage vom wirklichen Bestehen der Einstandspflicht abhängig. Wenn beim Fehlen einer Einstandspflicht das zu schützende Gut nicht einmal im Weg des aggressiven Notstands bewahrt werden darf, weil es einzig angemessen durch einen Rechtfertigungsgrund verteidigt werden darf, der eine Einstandspflicht voraussetzt (so etwa die Rechtspflege nach § 127 Abs. 1 StPO), so muß bei Zweifeln an deren Voraussetzungen auf den Vollzug einer zu rechtfertigenden Handlung überhaupt verzichtet werden; wird die Handlung „auf Verdacht" vorgenommen und entpuppt sich nachträglich als materiell richtig, bleibt noch Versuch (oben 11/23). Kann das Gut aber auch durch aggressiven Notstand verteidigt werden, so bleibt Rechtfertigung insoweit möglich; denn ein (objektiv begründeter) Zweifel signalisiert eine Gefahr. Beispiel: "i Siehe B G H 14 S. 49 ff, 51; dort wird das Ergebnis freilich über die Verletzung einer „Prüfungspflicht" gewonnen. 42 Die Entscheidungen sind wenig gesichert; siehe auch unten 19/30 f zum Unrechtszweifel; grundlegend Warda Lange-Festschrift S. 119 ff, 126 ff; ders. Welzel-Festschrift S. 499 ff, 514 ff; Warda stellt bei Handlungszwang auf eine Entschuldigung mangels Vorwerfbarkeit ab; ähnlich LK*>Baldus § 53 Rdn. 51. — Wenn der Täter nicht der

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Rechtfertigung wegen handelt, wird teils eine Haftung angenommen, aber wohl ohne die Möglichkeit einer Notstandsrechtfertigung und einer Entschuldigung nach § 35 StGB ausschließen zu wollen; siehe Baumann AT § 21 II 1 d mit Fn. 76; Schänke-Schröder-Lenckner § 3 2 Rdn. 28; ansonsten sollen die Regeln der — wohl unvermeidbaren — Putativrechtfertigung gelten. — Siehe auch B G H VRS 40 S. 104 ff, 107.

Allgemeine Lehren

11. Abschn

Wer eine NotweArlage annimmt, wenn er sieht, wie von einem offensichtlich nicht ordnungsgemäß verwalteten Lagerplatz größere Mengen einer Flüssigkeit in einen Bach laufen, darf auch dann das Grundstück betreten und den Abfluß schließen, wenn sich die Flüssigkeit ex post als für Gewässer harmlos herausstellt; denn die Notstandsrechtfertigung wird durch die Ex-post-Sicht nicht berührt. b) Soweit es um Rechtfertigungsmomente geht, f ü r die eine Ex-ante-Sicht gilt, sind Zweifel am Bestand des Risikos bei der Abwägung über das Erforderliche um so mehr zu berücksichtigen, je schwächer die Zuständigkeit des Veranlassers ist. Beispiel: Beim Angriff eines schuldhaft Handelnden muß der Angegriffene kein Effektivitätsrisiko der Abwehr eingehen, um den Angreifer zu schonen (unten 12/31), aber beim schuldlosen Angriff, etwa beim Angriff eines Kinds, dürfen auch die Risiken nicht außer Verhältnis stehen, so daß bei nur geringer Wahrscheinlichkeit nennenswerter Angriffsfolgen weniger an Abwehr erlaubt ist als bei hoher Wahrscheinlichkeit (siehe unten zur Risikoabwägung 13/30). c) Ob der Täter rettungspflichtig ist (als Garant) oder nicht, zählt gleich. Das Verhältnis zwischen dem Handelnden und dem geschützten G u t ergibt keinen Titel gegen den Inhaber des Guts, in das eingegriffen wird (siehe auch unten zur Pflichtenkollision 15/8). d) Bezieht sich die Ungewißheit auf die Bedrohung existentieller Güter, bleibt Entschuldigung nach § 35 StGB möglich.

D. Die Rechtfertigung bei Fahrlässigkeitstaten 1. Nach den zur Fahrlässigkeit und den zur Rechtfertigung entwickelten Maximen 30 bereitet die Rechtfertigung von Fahrlässigkeitstaten keine Schwierigkeiten. Was die Gestalt der Fahrlässigkeitstat angeht, so ist die in der Literatur mehrfach aufgeworfene Frage, ob eine gerechtfertigte Handlung überhaupt sorgfaltswidrig sein kann 4 3 , nach der hier entwickelten Konzeption eindeutig zu beantworten: Da es keine Sorgfaltspflichtverletzung gibt, vielmehr Unsorgfalt allenfalls ein — schlechter — N a m e d a f ü r ist, daß der Täter ein erkennbar nicht mehr erlaubtes Risiko verwirklicht hat, kann auch der gerechtfertigte Täter, der ja keine Pflicht verletzt, unsorgfältig handeln; denn er kann ein erkennbar nicht mehr generell erlaubtes Risiko schaffen, wenn auch dieses Risiko im speziellen Rechtfertigungskontext tolerabel ist. Aber auch die subjektiven Voraussetzungen der Rechtfertigung bieten keine besondere Problematik, da eine Rechtfertigungstendenz nicht erforderlich ist und es sogar zum Ausschluß der £r/o/gizurechnung nicht einmal einer Kenntnis der Rechtfertigungslage bedarf; ohne Kenntnis bleibt ein nach Versuchsregeln zu behandelnder Deliktsrest (oben 11/23), was für das Fahrlässigkeitsdelikt mangels Versuchsstrafbarkeit Straffreiheit bedeutet. 2 a) Das Ergebnis ist für die Fälle unstreitig, in denen der Täter die Rechtferti- 31 gungslage kennt, zur Rechtfertigung handelt und den Erfolg hätte vorsätzlich herbeiführen dürfen. Beispiel: Der Täter gibt auf einen Angreifer einen als ungefährlichen Schreckschuß gewollten Schuß ab, obgleich bereits ein gezielter Schuß oder ein riskant naher Schreckschuß gerechtfertigt wäre; der Schuß trifft aus Fahrlässigkeit; — Rechtfertigung der fahrlässigen Handlung 4 4 . — Soweit der T ä t e r die Rechtfertigungslage « Siehe Frisch Fahrlässigkeitsdelikt S. 116 ff. 44 A.A. O L G Frankfurt N J W 1950 S. 119f; wie hier BGH 25 S. 229 ff, 231 f; O L G Hamm N J W 1962 S. 1169 f; R G J W 1925 S. 962 f; Schmitt JuS

1963 S. 64 ff, 66; Schaffstein Welzel-Festschrift S. 557 ff, 576; ganz überwiegende Ansicht; eingehende Darstellung der Positionen bei Burgstaller Fahrlässigkeitsdelikt S. 150 ff.

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11. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

kennt, aber nicht zum Zweck der Rechtfertigung handelt, wird teils Rechtswidrigkeit bejaht, da zumindest die Abwehr handlung mit Rechtfertigungstendenz vorgenommen sein müsse 45 ; — dagegen gelten die Ausführungen zur Rechtfertigungstendenz oben 11/20. 32

b) Teils wird beschränkt auf fahrlässige Tätigkeitsdelikte Rechtfertigungstendenz verlangt 46 . Dabei ist insbesondere an Trunkenheitsfahrten nach § 316 StGB gedacht, die nur per Notstand gerechtfertigt sein sollen, wenn der Täter am Ankunftsort auch helfen will. Das Ergebnis hat freilich mit der Grenze von Vorsatz und Fahrlässigkeit nichts zu tun; auch ein vorsätzliches Tätigkeitsdelikt ist nur per Notstand gerechtfertigt, wenn es effektiv ist oder zumindest ex ante zur Schadensverhütung hilft. — Besonderheiten der Rechtfertigung bei Fahrlässigkeit sollen sich schließlich daraus ergeben, daß das Unrecht einer fahrlässigen Handlung schwächer und deshalb eher zu rechtfertigen sein soll als dasjenige einer vorsätzlichen 47 . Diese Lösung führt nicht nur für Fälle von Leichtfertigkeit in vorwerfbarer Tatsachenblindheit zu dem wenig befriedigenden Ergebnis, daß der Gleichgültige prämiiert wird, sondern verkürzt überhaupt den Blick auf die Lage beim Eingreifenden; das Eingriffsopfer bedarf vor vorsätzlichen wie vor fahrlässigen Eingriffen desselben Schutzes; denn es steht nicht besser da, wenn sich der Eingreifende nicht vergegenwärtigt, was geschieht.

33

3 a) Im Ergebnis gibt es keine Besonderheit der Rechtfertigung bei Fahrlässigkeit. Beispiele 48 : (Zum Notstand) Ob ein Arzt bei einem dringenden Krankenbesuch mit seinem Automobil die zulässige Höchstgeschwindigkeit vorsätzlich oder fahrlässig mäßig überschreitet 49 oder vorsätzlich oder fahrlässig in mäßiger Trunkenheit fährt, zählt für die Rechtfertigung gleich. — (Zur Notwehr) Wenn ein Kutscher einer Nötigung entkommen will, indem er mit der Peitsche die Pferde antreibt und dabei versehentlich den Nötigenden trifft, ist es für die Rechtfertigung gleichgültig, ob er dieses Risiko in Vorsatz begründender Weise erkannt hat oder nur hätte erkennen können 50 . Zur Einwilligung in riskantes Handeln siehe oben zur tatbestandsausschließenden Einwilligung 7/28 und unten zur rechtfertigenden Einwilligung 14/12.

34

b) Eine sich im Rahmen des Erforderlichen haltende fahrlässige Handlung, die in einer objektiven Rechtfertigungslage, die nicht einmal bekannt ist, vollzogen wird, dürfte praktisch selten vorkommen. Konstruiertes Beispiel: Ein Autofahrer wird bei einem Halt von einer Person belästigt, die mitgenommen werden will; er fährt verärgert unvorsichtig an und verletzt diese Person, die — vom Autofahrer unerkannt — schon angesetzt hatte, ihn mit einer Waffe zu bedrohen.

35

c) Im Rahmen der Rechtfertigung von Fahrlässigkeitstaten ist einzig die folgende und wenig beachtete Fallgestaltung heikel: Bei einem Angriff auf ein disponibles Gut will der Inhaber des Guts auf Abwehr verzichten, bringt dann aber fahrlässig dem Angreifer eine Verletzung bei, die an sich erforderlicher Abwehr entspricht. Beispiel: In einer Situation, in der ein gezieltes Schießen erlaubt wäre, will der Angegriffene sich mit einem — als nutzlos erkannten und deshalb nicht erforderlichen — Schreckschuß begnügen, trifft aber dabei den Angreifer aus Fahrlässigkeit. Wenn es schlechthin im Belieben des Angegriffenen steht, durch einen bloßen Sinneswandel eine Rechtfertigungslage (wieder) herbeizuführen, so bleibt dessen Fehlen ein nur-innerer Vorgang, 45

46

Zielinski Handlungs- und Erfolgsunwert S. 255; Niese Finalität S. 47 Fn. 72. OLG Hamm V R S 20 S. 232 ff; fescheck AT 5 56 I 2; dort auch zur Besonderheit bei Rechtfertigungsgründen, bei denen eine „gewissenhafte Prüfung" notwendig sein soll.

300

Stratenwerth AT Rdn. 1115; Schaffstein WelzelFestschrift S. 557 ff, 576 f. 4 8 Eingehende Rechtsprechungsnachweise bei Schmitt JuS 1963 S. 64 ff. 4 9 OLG Düsseldorf V R S 30 S. 445 f; OLG Schleswig VRS 30 S. 462. so Siehe OLG Dresden J W 1929 S. 2760. 47

Allgemeine Lehren

11. Abschn

der eine Tat nicht zur rechtswidrigen T a t umbewerten kann. — Anders dürfte f ü r den Nothelfer zu entscheiden sein, dem der Verzicht auf Abwehr erklärt wurde.

E. Der Subsumtionsirrtum bei Merkmalen des Rechtfertigungstatbestands und der Bestandsirrtum (der indirekte Verbotsirrtum) 1. Wenig umstritten ist die Behandlung eines Irrtums des Täters dahin, ihm stehe ein 36 Rechtfertigungsgrund zur Seite, den das Recht überhaupt nicht (Bestandsirrtum) oder nur mit engeren Grenzen anerkennt (Grenzirrtum als Subsumtionsirrtum bezüglich eines Merkmals des Rechtfertigungstatbestands). Der Täter meint, sein Verhalten sei erlaubt, weil er — bei Kenntnis des Verbots an sich — irrig glaubt, eine Lage, die nach richtiger Wertung das Verbot unberührt läßt, hebe das Verbot auf: indirekter (weil durch eine Überdehnung der Erlaubnistatbestände bewirkter) Verbotsirrtum. Beispiel 51 : Der Täter meint, den auf frischer Tat Ertappten dürfe man zur Verhinderung der Flucht auch zusammenschlagen, notfalls sogar töten; — ob das noch ein Grenzirrtum zu § 127 Abs. 1 S t P O ist oder schon Bestandsirrtum bezüglich eines anderen Rechtfertigungsgrunds, ist eine bloße f a f o n de parier 5 2 ; jedenfalls liegt kein Tatbestandsirrtum vor, sondern ein nach § 17 StGB zu behandelnder Verbotsirrtum 5 3 . 2. Die Einhelligkeit mit der diese Zuordnung des Irrtums vertreten wird, steht frei- 37 lieh im Gegensatz zu den subtilen dogmatischen Differenzierungen, die beim Gegenstück, seil, zur irrigen Annahme eines Rechtfertigungstatbestands, vorgebracht werden (dazu unten 11/44 ff). Bei genauer Betrachtung zeigt sich auch, daß es beim indirekten Verbotsirrtum um einen — nach den Regeln des § 17 StGB im Ergebnis angemessen zu behandelnden — Irrtum eigener Art geht: Der Irrtum des Täters betrifft — anders als beim direkten Verbotsirrtum — das spezielle Verbot nur in dem Sinn zufällig, daß im tatsächlichen Zusammenhang der vermeintlichen Rechtfertigung gerade ein Handeln erforderlich ist, das die spezielle N o r m übertritt. Beispiel: O b der über die Notwehrgrenzen Irrende eine Körperverletzung, eine Nötigung, eine Freiheitsberaubung, eine Sachbeschädigung o. ä. jeweils im indirekten Verbotsirrtum begeht, hängt von den Zufälligkeiten der vermeintlichen Abwehrlage ab. Als Irrtum über das gerade zufällig einschlägige Verbot ist deshalb der Irrtum des Täters nur unvollkommen bezeichnet. Der Täter irrt vielmehr über eine Regel, nach der im Kollisionsfall alle Verbote oder doch ganze Gruppen von Verboten suspendiert werden. Der Täter irrt also über die Begrenzung von mehr Normen, als im Einzelfall zum Spruch stehen, und irrt über die zum Spruch stehenden Normen nur in Grenzen. Der Täter schätzt nicht falsch ein, was im Normalfall von ihm erwartet wird, sondern im Ausnahmefall oder was der Ausnahmefall ist. Deshalb kann der Randbereich des Ausnahmefalls, also der verzeihliche Bereich des Irrtums, Normen betreffen, die zum Kernbereich des Strafrechts gehören und gegen die deshalb im direkten Verbotsirrtum praktisch nicht verstoßen werden kann. Beispiel: Ein direkter Irrtum über das Körperverletzungsverbot ist praktisch bei jedermann ausgeschlossen, aber indirekte Irrtümer über das Körperverletzungsverbot finden sich selbst in strafrechtlichen Lehrbüchern bei der Darstellung der Grenzen der Rechtfertigungsgründe. — § 17 StGB ist elastisch genug, um auch den Besonderheiten des indirekten Verbotsirrtums gerecht werden zu können 5 4 . 51 Siehe ferner BGH 2 S. 194 ff, 197; 3 S. 105 ff; 3 S. 358 ff, 363 ff; 12 S. 379 ff, 383; 22 S. 224 ff, 225 f; siehe auch B G H 20 S. 343 ff, 372. 52 LK-Schroeder% 17 Rdn. 10. Soweit nicht der Vorsatztheorie gefolgt wird, einhellige Ansicht; statt aller Jescheck A T § 41 III 1; LK-Schroeder$ 17 Rdn. 9 mit Nachweisen.

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Zum Problem der minimalen Vermeidbarkeit bei einem trotz Anwendung von § 49 Abs. 1 StGB erhöhten Mindeststrafrahmen siehe unten zum Verbotsirrtum 19/50.

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11. Abschn 38

2. Buch. 2. Kapitel. R e c h t f e r t i g u n g

3. Gesellt sich zu dem Irrtum über den Bestand oder die Grenzen eines Rechtfertigungsgrunds noch ein Irrtum über das Vorliegen des Tatbestands dieses angenommenen Rechtfertigungsgrunds, so bleibt es beim Verbotsirrtum. Was, so es vorliegt, nicht rechtfertigt, hebt erst recht das Verbot nicht auf, wenn es irrig vermutet wird 5 5 , so wie in der Umkehrung das Wahndelikt sich nicht zum strafbaren Versuch wandelt, wenn der Erfolg des wahnhaft Deliktischen ausbleibt. Beispiel: W e n n ein Erzieher in einem Kinderheim in der irrigen Meinung, so handeln zu sollen, ein Kind verprügelt, das nach seiner Ansicht das Bett eingenäßt hat, so verhält er sich gleichermaßen tatbestandsmäßig und rechtswidrig, ob nun das Kind wirklich oder nur vermeintlich Bettnässer ist.

F. Die Besonderheiten bei den normativen Merkmalen des Rechtfertigungstatbestands 39

Soweit die Merkmale des Rechtfertigungstatbestands normative Merkmale sind (eingehend dazu zum Vorsatz oben 8/48 ff und zum Versuch unten 2 5 / 4 3 ff), ergibt sich durch Anwendung der zum Vorsatz entwickelten Regel, daß eine zu strenge Parallelbeurteilung und das Fehlen einer Parallelbeurteilung nie belasten 5 6 : 1. So wie der Täter, der aus einem ungeeigneten Substrat auf einen Unrechts tatumstand schließt, keinen Vorsatz hat, sondern wahndeliktisch handelt, so hat der Täter, der auf Grund eines ungeeigneten Substrats einen Recbtfertigungstztumstand annimmt (zu weite parallele Beurteilung), nicht das Bewußtsein einer Rechtfertigungslage, vielmehr handelt er im indirekten Verbotsirrtum. Beispiel: W e r meint, ein Eingriff im aggressiven Notstand sei rechtswidrig, da ein Unbeteiligter nie f ü r einen Dritten ein Gut opfern müsse, und sich gegen den Eingriff wehrt, handelt im Verbotsirrtum. Enthält das Substrat freilich seinerseits eine falsche parallele Beurteilung, so kann diese falsche Beurteilung Basis der Annahme einer Rechtfertigungslage sein. Beispiel: Wer den Benutzer eines Wegs verjagt (§ 240 StGB), weil er meint, die Benutzung eines privateigenen, aber öffentlich gewidmeten Wegs sei nur den Anliegern erlaubt, hat schon die öffentliche Widmung mißverstanden, und es läge eine rechtswidrige Beeinträchtigung der Eigentümerrechte vor, wenn sein Verständnis zutreffend wäre. 55

56

B G H 3 S. 105 ff, 106 f; Hirsch Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen S. 228 f; SchönkeSchröder-Cramer § 17 Rdn. 10 a. — Die Erklärung der Rechtsfolge gelingt am ehesten glatt in der Terminologie der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen: So wie die Fahrlässigkeit, die stets einen Verbotsirrtum im Gefolge hat (wer nicht weiß, was er bewirkt, weiß auch nicht aktuell, daß sein Verhalten des Bewirkens wegen verboten ist), trotz dieses Verbotsirrtums nicht nach § 17 StGB zu behandeln ist, so ist die irrige Annahme der Voraussetzungen eines vermeintlichen Rechtfertigungsgrunds trotz der Annahme, ein „negativer Tatbestand" liege vor, nicht nach § 16 StGB zu behandeln. Die Lösungen sind — wie schon zu den normativen Merkmalen des Unrechtstatbestands — in verwirrendem Maß streitig. Speziell zum Rechtfertigungstatbestand siehe Engisch ZStW 70 S. 566 ff, 584 ff; Rudolphi Schröder-Gedächtnisschrift S. 73 ff, 94 f; Dreher Heinitz-Festschrift S. 207 ff, 209 f; Jescheck AT § 4 1 III 2 b a. E.; Schönke-Scbröder-Cramer § 16 Rdn. 16; Schaffstein O L G Celle-Festschrift S. 175 ff, 187 ff. Üb-

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licherweise wird die Möglichkeit der irrigen Annahme einer Rechtfertigungslage auf Grund eines ungeeigneten Substrats bejaht, so wie in der Umkehrung zum Unrechtstatbestand — entgegen der hier zum Vorsatz vertretenen Ansicht (oben 8/59) — die Möglichkeit einer belastenden Parallelbeurteilung auf Grund eines ungeeigneten Substrats anerkannt wird; dadurch werden die Grenzen zwischen einem Erlaubnistatbestandsirrtum und einem Grenzirrtum (Subsumtionsirrtum, oben 8/50) verwischt; insoweit zustimmend SchönkeSchröder-Cramer % 16 Rdn. 17. — Die Rechtsprechung argumentiert teils mit der überholten Differenzierung von Tatirrtum und Rechtsirrtum; siehe B G H 3 S. 105 ff, 106; 3 S. 272 ff, 274; 3 S. 358 ff, 364 f; anders aber BayObLG N J W 1965 S. 1924 ff, 1926 (zum rechtswidrigen Angriff bei der Notwehr, im Ergebnis zutreffend: Ein Schluß aus ungeeignetem Substrat auf das Vorliegen eines rechtswidrigen Angriffs ergibt keine vorgestellte Rechtfertigungslage; konkret: Nach einer willkürlichen Ad-hoc-„Entwidmung" eines Wegs ist dessen Benutzung nicht rechtswidrig).

Allgemeine Lehren

11. AbSChfl

2. Wenn der Täter das Substrat einer Rechtfertigungslage kennt, aber den Schluß 4 0 auf das Vorliegen des Tatbestands nicht zieht, belastet ihn das nicht, d. h. er handelt dann nicht in einer analog dem Versuch zu behandelnden Unkenntnis der Rechtfertigungslage, sondern begeht ein Wahndelikt; denn die real bestehende O r d n u n g will er nicht angreifen 5 7 (Fehlen einer parallelen Beurteilung oder zu strenge parallele Beurteilung). Beispiel: Der Täter wird von einem Polizisten grundlos festgenommen und wehrt sich, meint aber, Meinungsverschiedenheiten mit der „Obrigkeit" dürften im Rechtsstaat nur auf dem Rechtsweg vor den Verwaltungsgerichten ausgetragen werden. — Diese Lösung gilt auch, wenn schon das Substrat durch falsche parallele Beurteilung zustande kommt; denn der Täter stellt sich auch dann die O r d n u n g für sich belastender vor (zu strenge parallele Beurteilung), als sie es ist. Beispiel: Der Alleinerbe, der meint, erst mit gerichtlicher Zuweisung Eigentümer einer Sache zu werden, trotzdem aber den rechtsgrundlosen Besitzer an der Benutzung hindert, könnte aus den bekannten Umständen auf die Substrate einer Rechtfertigungslage schließen, seil, auf Eigentum und rechtswidrigen Angriff; das Fehlen dieses Schlusses belastet nicht. 3. Nach diesen Regeln richtet sich auch die Behandlung der Rechtswidrigkeit der 4 1 Zueignung oder Bereicherung bei den Eigentums- und Vermögensdelikten. Die Rechtswidrigkeit ist kein (negatives) Tatbestandsmerkmal; denn sie begründet kein Unrecht, ist vielmehr nur Wiederholung des mit dem Eigentums- oder Vermögenseingriff schon gegebenen Unrechts. Der Eingriff kann aber im Kontext (also Rechtfertigung, siehe oben 6/51) einer bestimmten Anspruchslage tolerabel werden. a) Wer seinen fälligen, konkretisierten, unbeschränkten Anspruch nicht kennt, weil er irrig meint, es sei noch eine behördliche Genehmigung des Geschäfts notwendig, zieht seine Pflichten weiter, als sie nach der Rechtsordnung sind: Wahndelikt. b) Eine entsprechend dem Versuch zu behandelnde Lage liegt aber vor, wenn der Täter vom Fehlen eines Anspruchs ausgeht, weil ihm der Abschluß des anspruchsbegründenden Rechtsgeschäfts unbekannt geblieben ist. c) Nimmt der Täter einen objektiv anspruchsbegründenden Vorgang an, so handelt er in irriger Annahme des Vorliegens eines Rechtfertigungstatbestands. d) Meint der Täter, Gläubiger einer Gattungsschuld, sein Anspruch sei konkretisiert auf die nächste erreichbare Sache, oder hält jemand ein mündliches Schenkungsversprechen für wirksam, so befindet er sich im Verbotsirrtum 5 8 .

G. Die irrige Annahme der Verwirklichung eines Rechtfertigungstatbestands 1. Es geht bei dieser Irrtumsvariante darum, daß der Täter irrig annimmt, der T a t - 4 2 bestand eines — nicht nur vermeintlich zur Rechtsordnung gehörenden — Rechtfertigungsgrunds sei gegeben, während es in Wahrheit daran fehlt. Ein Schulbeispiel gibt der Spaziergänger im abendlichen Park ab, der sich von einer hastig heranstürmenden Person angegriffen glaubt und diese deshalb wegstößt (§ 240 StGB), während die Person nur dringend den W e g zum Bahnhof wissen will. Im Ε 1962 war vorgesehen, die irrige Annahme der Verwirklichung eines Rechtfertigungstatbestands ausdrücklich zu regeln; und zwar sollte der so irrende T ä t e r nicht wegen vorsätzlicher T a t bestraft werden und bei Vermeidbarkeit des Irrtums wegen 57

58

Α. A. (Versuch) Nowakowski Z S t W 65 S. 379 ff, 395 f. Anders f ü r diese praktisch wichtigen Fälle die Rechtsprechung; B G H 17 S. 88 ff; B G H GA 1962 S. 144 f; 1966 S. 211 f und die überwiegende

Ansicht. — F ü r eine Bindung der Rechtfertigung an die Selbsthilfevoraussetzungen Hirsch J Z 1963 S. 149 ff mit umfassenden Nachweisen; Welzel Strafrecht § 47 3.

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11. Abschn

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fahrlässiger Tat auch nur dann, wenn Fahrlässigkeit sowieso mit Strafe bedroht ist (§ 20 Ε 1962). Das sollte aber nicht für rechtfertigenden Notstand gelten; dort sollte vielmehr jeder vermeidbare Irrtum aus dem zwingend gemilderten Rahmen für Vorsatztaten strafbar sein. Diese Sonderregelung erfolgte, weil der Notstand häufig Güter betrifft, deren fahrlässige Verletzung nicht strafbar ist (§ 218 StGB a. F.!), und um die Verletzung der Prüfungspflicht erfassen zu können 5 9 (dagegen oben 11/24 ff). Die genannten Entwurfsbestimmungen enthielten eine Positivierung der seinerzeitigen Praxis. — Der Gesetzgeber hat vornehmlich wegen der kontroversen Aufnahme, die diese Entwurfsregelung in der Literatur gefunden hat 6 0 , auf eine Positivierung dieses Irrtums verzichtet. 43

2. Zur Behandlung der irrigen Annahme der Verwirklichung eines Rechtfertigungstatbestands werden allein zur Schuldtheorie — ohne Zählung von Varianten für einzelne Rechtfertigungsgründe wie etwa Wahrnehmung berechtigter Interessen und für systematische Implikationen wie etwa Teilnahme — gegenwärtig sechs unterschiedliche Lösungswege mit drei unterschiedlichen Ergebnissen vorgeschlagen 61 .

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a) Nach der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen schließt die Annahme einer Rechtfertigungslage den Vorsatz aus und beläßt allenfalls Fahrlässigkeit (je nach Fassung der Lehre muß sogar schon das Fehlen der Kenntnis vom Fehlen der Rechtfertigung Vorsatz ausschließen). Dagegen spricht nicht unbedingt das Ergebnis, aber seine Herleitung; siehe dazu die Kritik zur Tatbestandslehre oben 6/54 ff.

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b aa) Die Gegenposition bezieht die strenge Schuldtheorie (Schuldtheorie heißt: Kenntnis und Erkennbarkeit des Unrechts sind kein Teil von Vorsatz und Fahrlässigkeit, sondern der Schuld; strenge Schuldtheorie heißt: Vorsatz und Fahrlässigkeit werden auf den Unrechtstatbestand beschränkt, die subjektive Beziehung zum Rechtfertigungstatbestand ist Schuldproblem) 62 . Danach bildet die irrige Annahme der Verwirklichung eines Rechtfertigungstatbestands nur einen Unterfall des Verbotsirrtums. Begründet wird das teils ex negativo: Die irrige Annahme von Rechtfertigungsvoraussetzungen sei kein Tatbestandsirrtum, also müsse sie Verbotsirrtum sein 63 . Hinzu kommt freilich eine materiale Argumentation: Die Kenntnis der Verwirklichung des Unrechts5' Begründung Ε 1962, BT-Drucksache IV 650 S. 160. 60 Siehe hauptsächlich die Beiträge von Arthur Kaufmann ZStW76 S. 543 ff; Roxin ZStW 76 S. 582 ff; Welzel ZSiW 76 S. 619 ff; - dazu Dreher Heinitz-Festschrift S. 207 ff. 61 Gegen die Relevanz dieses Irrtums überhaupt noch v. Liszt S t r a f r e c h t 2 1 / 2 2 § 41 II 2; siehe dazu v. Liszt-Schmidt Strafrecht § 40 I 2 a mit Fn. 4. — Zur älteren Literatur siehe Welzel ZStW 67 S. 196 ff; ders. Strafrecht § 22 III Eingang; eingehend Hirsch Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen S. 33 — 132. 62 Vorweg entwickelt und vertreten von Welzel ZStW 67 S. 196 ff; ders. ZStW 76 S. 619 ff; ders. SJZ 1948 Sp. 368 ff; ders. N J W 1952 S. 564 ff; ders. J Z 1952 S. 596 ff; ders. J Z 1955 S. 142 ff; ders. Strafrecht § 22 III 1 f; — Maurach A T 4 § 37 I D und § 3 8 II Β 2; Maurach-Gössel AT II § 42 II Β 1 und § 44 II C 2 b (bei der Behandlung von Fahrlässigkeit); Hirsch Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, passim; LK-Schroecfer § 16 Rdn. 47 ff, 52 ff; Armin Kaufmann J Z 1955 S. 37 ff; Paeffgen Verrat S. 93 ff und passim

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(dazu Jakobs ZStW 93 S. 901 ff); Bockelmann N J W 1950 S. 830 ff; ders. A T § 16 C II 2 c cc; siehe auch Sax J Z 1976 S. 429 ff, 430 Fn. 5. — Weitere Angaben bei Paeffgen a a O S. 93 Fn. 181; Hirsch aaO. « Welzel Strafrecht §22 III 1 f; ders. Niederschriften Bd. II S. 31 ff; Hirsch Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen S. 200. — Dagegen ist eingewendet worden (Dreher Heinitz-Festschrift S. 207 ff, 213 u . a . m . ) , es gebe eine irrige Annähme von Rechtfertigungsvoraussetzungen in Verbotskenntnis; Beispiel soll sein:-Jemand wehrt sich gegen eine vermeintliche Attacke eines Geisteskranken in dem bei Angriffen Geisteskranker eröffneten Rahmen, meint aber, gegenüber solchen Personen dürfe man sich überhaupt nicht wehren. - Aber so wie das Unrechtsbewußtsein teilbar ist, ist auch das Rechtfertigungsbewußtsein teilbar: Es liegen also die irrige Annahme eines Rechtfertigungsgrunds und ein Wahndelikt gemeinsam vor (so schon Welzel Niederschriften Bd. II S. 34; eingehend Hirsch Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen S. 226 ff mit Nachweisen).

Allgemeine Lehren

11. AbSChn

tatbestands (also der Unrechtstatbestandsvorsatz) soll sich dadurch von der Fahrlässigkeit unterscheiden, daß sie dem Täter Impulse vermitteln soll, die Annahme des rechtfertigenden Sachverhalts nachzuprüfen (Appellfunktion des Tatbestandsvorsatzes), und zwar soll das für den Täter, der das Verbot an sich kennt, gegenüber dem Täter im direkten Verbotsirrtum erst recht gelten 6 4 . Weiterhin sollen nur so die Lücken vermieden werden können, die sich mangels umfassender Strafbarkeit fahrlässigen Verhaltens bei der Fahrlässigkeitslösung nach der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen ergeben. Als Konsequenz wird nach dieser Theorie bei einem vermeidbaren Irrtum der Strafrahmen für Vorsatztaten angewendet, wobei sich die Milderungsmöglichkeit nach den 17 Satz 2 i. V. m. 49 Abs. 1 StGB richtet. Teils wird für die hier zu behandelnde Irrtumsart über die genannten Vorschriften hinaus eine zwingende Milderung postuliert. — Wie man zur strengen Schuldtheorie auch stehen mag, jedenfalls reicht die Milderungsmöglichkeit nach § 49 Abs. 1 StGB nicht aus, da auch nach Anwendung dieser Vorschrift erhöhte Mindeststrafen bleiben können, was sich mit dem stufenlos sinkenden Vermeidbarkeitsmaß des Irrtums nicht verträgt 6 5 . bb) Gegen die Zugehörigkeit des Irrtums zum Verbotsirrtum nach der strengen 4 6 Schuldtheorie wird eingewendet, der Täter sei „an sich rechtstreu"; damit ist gemeint, daß ein Verhalten, wie der T ä t e r es sich aktuell vorstellt, rechtlich zutreffend als rechtmäßig zu werten ist 66 . Dem Argument der strengen Schuldtheorie wie dem genannten Gegenargument liegt derselbe Fehlschluß zugrunde: Weder der Schluß von der U n rechtstatbestandskenntnis auf einen Verbotsirrtum noch derjenige von der Rechtstreue-an-Sich auf einen Tatbestandsirrtum berücksichtigen, daß die Irrtumslage weder mit einem Tatbestandsirrtum noch mit einem Verbotsirrtum identisch sein könnte (und auch nicht ist). Ein an sich rechtstreues Verhalten in Unrechtstatbestandskenntnis kann es nicht geben, wenn ein Irrtum stets nur entweder den Unrechtstatbestand oder das Verbot betrifft. Das Zusammentreffen von Unrechtstatbestandskenntnis und Rechtstreue-an-Sich spricht also dafür, daß es sich um einen Irrtum eigener Art handelt. cc) Unabhängig davon wird die Appellfunktion der Kenntnis des Unrechtstatbe- 4 7 stands in doppelter Weise bestritten: Zum einen soll die Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts die Wirkung haben „die Impulse zur P r ü f u n g der Rechtfertigung lahmzulegen" 6 7 , zum anderen soll die Appellfunktion überhaupt nur im Kernstrafrecht und dort nur in dem Maß bestehen, wie der Tatbestand latent Träger des materiellen Unrechts ist, also bei abstrakten Gefährdungsdelikten nur abgeschwächt oder nicht mehr 6 8 . Gegen das erste Argument läßt sich vorbringen, daß Impulse nur im Maß der Unvermeidbarkeit der Annahme einer Rechtfertigungslage zwingend lahmgelegt sind; ansonsten bleiben sie wirkmächtig. Allerdings bleibt das zweite Argument, wonach ein Appell nur zu erwarten ist, wenn und soweit die Tatbestandsverwirklichung ohne Blick auf das Verbot ein enttäuschendes Verhalten ist. Besteht der Sinn einer Regelung darin, daß etwas geregelt ist, egal wie (alle können im Straßenverkehr je rechts fahren oder je links), so degeneriert der Tatbestand zu einem bloßen Vehikel der Rechtstechnik. Das freilich sind Randfälle (genauer unten zum Verbotsirrtum 19/19 ff). — Der entscheidende Einwand gegen die Bedeutung der Appellfunktion liegt darin, daß es 64 65 66

Welze! a a O ; Hirsch a a O S. 314 ff. Siehe Paeffgen Verrat S. 175 f. Es geht dabei um die Vorstellung von dem Gegenstand, den N o r m e n regeln, nicht um die Vorstellung von den tatsächlichen Voraussetzungen des Bestands der N o r m e n ; Beispiel: W e r bei flüchtiger Lektüre des Bundesgesetzblatts von der Aufhebung der „§§ 284 f" liest, dies auf das StGB be-

67

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zieht und sich entsprechend verhält, handelt im Verbotsirrtum, wenn es bei der A u f h e b u n g nicht um das StGB geht. Engisch Z S t W 70 S. 566 ff, 599; Schaffstein O L G Celle-Festschrift S. 175 ff, 183 f. Zielinski Handlungsund Erfolgsunwert S. 114 ff.

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11. A b s c h n

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

auch eine Appellfunktion ohne Tatbestandsvorsatz gibt, die Funktion also keine Auszeichnung des Tatbestandsvorsatzes sein kann. Abgesehen davon, daß von überhaupt jeder Lage, in der Unrecht erkennbar ist, der Impuls ausgehen sollte, das Unrecht zu vermeiden, hat jede Kenntnis eine erhöhte Appellfunktion, die dem Täter das Irreguläre und das in Richtung auf ein Gut Gefährliche seines Verhaltens offenbart. Eine solche Kenntnis liegt bei jedem bewußt unerlaubt riskanten Verhalten vor. Beispiel: Ein Arzt, der bewußt betrunken operiert, ohne die Folgen zu bedenken (Fahrlässigkeit), hat eher Anlaß, über die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens nachzudenken, als ein Arzt, der in der irrigen Annahme einer rechtfertigenden Einwilligung eine Routineoperation vornimmt, f ü r die ein Patient eine Einwilligung üblicherweise erteilt (Vorsatz). Die Appellfunktion ist also keine Besonderheit des Vorsatzes gegenüber der Fahrlässigkeit, so daß die Behandlung der vermeidbar irrigen Annahme einer Rechtfertigungslage als Fahrlässigkeit nicht ihretwegen unangemessen sein kann. 48

dd) Das weiterhin häufig vorgebrachte Gegenargument, bei irriger Annahme einer Rechtfertigungsvoraussetzung sei die Behandlung des Verhaltens als Vorsatz tat unangebracht 6 9 , beruht auf einer unterschwelligen Fortwirkung der Gleichsetzung von V o r satz und dolus malus und ist dogmatisch bedeutungslos 7 0 .

49

c aa) Die weiteren Meinungen siedeln zwischen den bezeichneten Extremen (Tatbestand und Verbot). Teils wird eine entsprechende Anwendung von § 16 Abs. 1 StGB auf den Irrtum empfohlen, indem die Eigenständigkeit des Irrtums anerkannt, aber seine Ähnlichkeit mit der Fahrlässigkeit („an sich rechtstreu") herausgestrichen wird: eingeschränkte Schuldtheorie (eingeschränkt, weil diese Irrtumsvariante wie ein Tatbestandsirrtum zu behandeln sein soll) 71 . Hierbei findet sich auch eine Ansicht, nach der die entsprechende Anwendung — bei der gegebenen Begründung dogmatisch „frei schwebend" — bei Beteiligung für akzessorisch Beteiligte nicht stattfinden soll; vielmehr soll Beteiligung an einer Tat in irriger Annahme einer Rechtfertigungslage Beteiligung an einer vorsätzlichen Tat sein 72 . — Die hauptsächlichen Argumente 7 3 sind: Die Intention auf einen positiven Gesamterfolg gleiche die erkannte Tatbestandsverwirklichung aus, so daß per Saldo im Bereich der bewußten Erfolgsverursachung kein Unrecht verbleibe, sondern allenfalls im Bereich der unbewußten Erfolgsverursachung. Ferner sei das Fehlen einer angenommenen Rechtfertigungslage so Zufall, wie in der Umkehrung der Eintritt eines nicht einkalkulierten Erfolgs Zufall sei, so daß auch die Rechtsfolge — Fahrlässigkeit — jeweils 69

Berühmt ist der Soldat im Krieg, „der in vermeidbarem Irrtum den vermeintlichen Gegner tötet, in Wirklichkeit aber einen Angehörigen der eigenen T r u p p e " und der seines Irrtums wegen „im Fall des W e r f e n s von Bomben sogar wegen Mordes bestraft werden" müßte (Dreher Heinitz-Festschrift S. 207 ff, 216 f ; ders. Niederschriften Bd. II S. 29); freilich hat schon Μ. E. Mayer den Soldaten als Vorsatztäter behandelt (AT S. 321). 70 Z u r Berücksichtigung der Irrtumsart im Urteilsten o r siehe Welzel Strafrecht § 22 III 1 f ; Hirsch Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen S. 342 f; siehe auch Paeffgen V e r r a t S. 95 f. 7 > B G H 3 S. 195 ff, 196; 3 S. 358 ff, 359; B G H GA 1969 S. 117 f, 118 (siehe aber die oben z u r P r ü fungspflicht genannten Entscheidungen zum N o t stand, die im Ergebnis auf die strenge Schuldtheorie hinauslaufen; dazu Schmidhäuser N J W 1975 S. 1807 ff, 1808 f ) ; Schaffstein MDR 1951 S. 196 f f ; ders. O L G Celle-Festschrift S. 175 ff,

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182 ff mit starker A n n ä h e r u n g an die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen; Stratenwerth A T Rdn. 503; Schönke-Schröder-Cramer § 15 Rdn. 26 und § 16 Rdn. 14; LK-Spendel § 32 R d n . 343; Engisch Z S t W 70 S. 566 ff, 601; Zielinski H a n d l u n g s - und Erfolgsunwert S. 230 f f ; Hruschka GA 1980 S. 1 ff, 14 ff. 72 SK-Rudolphi § 16 Rdn. 13. 73 Stratenwerth A T Rdn. 502 i. V. m. Rdn. 343 f ü h r t noch an, zwischen einer Tatbestandseinschränk u n g per Sozialadäquanz und einer Rechtfertigung bestehe keine scharfe G r e n z e , so daß schon deshalb die Irrtumskonsequenzen anzunähern seien. Das trifft freilich nach der hier vertretenen Differenzierung von tatbestandslosem Verhalten (ohne Blick auf den Verhaltenszusammenhang erlaubtes Verhalten) und gerechtfertigtem Verhalten (nur im Blick auf den Kontext tolerables Verhalten) nicht zu.

Allgemeine Lehren

11. Abschn

gleich sein müsse. Das zuletzt genannte Argument läuft im Ergebnis auf die Vorsatztheorie hinaus: Auch der objektive Bestand von N o r m e n ist zumindest von demjenigen Subjekt her gesehen Zufall, das ohne Normfeindschaft irrt. bb) Ein — im Ergebnis nicht überwindbarer — Nachteil dieser Lehre (wie auch der 5 0 nachfolgend 11/51 und 58 dargestellten Lehren) liegt in der Anbindung an die nur vereinzelt strafbare Fahrlässigkeit. Fahrlässigkeitstatbestände sind danach ausgewählt, wann mit einer nicht vorsätzlichen, aber vermeidbaren rechtswidrigen Tatbestandsverwirklichung zu rechnen ist (und andere Reaktionen nicht ausreichen, wie etwa die Schadensersatzverpflichtung bei fahrlässiger Sachbeschädigung ausreicht), und das stimmt mit der dogmatisch und kriminalpolitisch zutreffenden Behandlung der irrigen Annahme einer Rechtfertigungslage nicht bruchlos überein. So hat sich die Rechtsprechung bei Anwendung der eingeschränkten Schuldtheorie sachlich zutreffende Ergebnisse teils durch die gekünstelte Konstruktion einer Prüfungspflicht erschlichen. d) Weiterhin wird vorgeschlagen, nur die Rechtsfolge des § 16 StGB anzuwenden: 51 rechtsfolgenverweisende Schuldtheorie74. Hierbei wird der Irrtum als Irrtum eigener Art verstanden, durch den der Vorsatz nicht berührt werden soll, so daß ein Versuch und akzessorische Beteiligung möglich bleiben. Zur Begründung wird angeführt, der Handlungsunwert sei durch die positive Intention gemindert, aber es bleibe der V o r satz mit seiner Appellfunktion, was im Ergebnis dazu führe, daß ein gemindertes U n recht eines Vorsatzdelikts vorliege; der im Fall des vermeidbaren Irrtums zu erhebende Schuldvorwurf beruhe auf einem Aufmerksamkeitsmangel, nicht auf einem Bewertungsmangel („an sich rechtstreu") und sei deshalb der Fahrlässigkeitsschuld vergleichbar 7 5 . Teils wird die kriminalpolitisch unbefriedigende Beschränkung der Strafbarkeit auf Fälle, bei denen Fahrlässigkeit strafbar ist, f ü r einzelne Rechtfertigungsgründe, hauptsächlich mutmaßliche Einwilligung und W a h r n e h m u n g berechtigter Interessen (§ 193 StGB), unterlaufen, indem eine pflichtgemäße P r ü f u n g als Rechtfertigungsvoraussetzung interpoliert wird 7 6 . e) Schließlich wird die Eigenständigkeit des Irrtums ernst genommen und eine ei- 5 2 gene Rechtsfolge entwickelt 7 7 . Diese soll zunächst darin bestehen, daß alle Strafrahmen für Vorsatztaten auf Fahrlässigkeitsmaßstäbe zurechtgeschnitten werden: Stets soll der Rahmen entsprechend § 49 Abs. 1 StGB zu mildern sein, ferner soll, da sich die Vermeidbarkeit des Irrtums minimalisieren kann, auch eine Milderung entsprechend § 49 Abs. 2 StGB möglich sein, insbesondere um Mindeststrafen entfallen zu lassen. Innerhalb des Rahmens soll das Unrecht jedoch regelmäßig wegen der Appellfunktion des Vorsatzes höher liegen als dasjenige einer Fahrlässigkeitstat 78 . Weiterhin soll akzessorische Beteiligung möglich bleiben, solange der Irrtum vermeidbar ist; bei Unvermeidbarkeit soll freilich trotz gegebenen Tatbestandsvorsatzes das Unrecht entfallen 7 9 . f aa) Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, daß die Fahrlässigkeit wie der 5 3 Verbotsirrtum für die irrige Annahme der Verwirklichung eines Rechtfertigungstatbe7

« Zuerst Gallas ZStW 67 S. 1 ff, 45 f Fn. 89; Jescheck A T 5 41 III 2 und 3; Wessels AT § 11 III 1 b; Lackner § 17 Anm. 5 b; Krümpelmann GA 1968 S. 129 ff, 139 ff; Maurach-Zipf A T I § 37 HCl. 75 Gegen diese Mischung aus Vorsatzunrecht und Fahrlässigkeitsschuld Schmidhäuser N J W 1975 S. 1807 ff, 1809. 76 Jescheck A T § 4 1 III 2 d ; Lenckner H . MayerFestschrift S. 165 ff; Schönke-Schröder-Lenckner Rdn. 19 vor § 32. 77 Krümpelmann Beiheft ZStW 1978 S. 6 ff, 47 ff; de lege ferenda auch Dreher Heinitz-Festschrift

S. 207 ff, 223 ff; Herdegen BGH-Festschrift S. 195 ff, 208. 78 Krümpelmann Beiheft ZStW 1978 S. 6 ff, 50. " Krümpelmann a a O S. 48 f, 50; das Argument, das Unrecht entfalle bei Unvermeidbarkeit, deckt sich mit der auf den Handlungsunwert abstellenden Lösung bei Armin Kaufmann Welzel-Festschrift S. 393 ff, 398 ff; Zielinski Handlungs- und Erfolgsunwert S. 218 ff, 266 f; letzterer hält freilich Teilnahme an einem erlaubten Verhalten für möglich, a a O S. 302 ff.

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11. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

stands nur ein Prokrustesbett bieten. Die irrige Annahme einer Rechtfertigungslage ist ein so selbständiger Irrtum, wie die Rechtfertigung eine selbständige dogmatische Kategorie ist 80 . Mit dem indirekten Verbotsirrtum (oben 11/36 ff) hat der Irrtum gemeinsam, daß er die Norm nur zufällig trifft und schon deshalb vom direkten Verbotsirrtum unterschieden ist. Beispiele: Ob es bei der irrigen Annahme einer Lage aggressiven Notstands (etwa eines Großbrands) zu einem Hausfriedensbruch oder einer Sachbeschädigung oder leichten Körperverletzung oder Nötigung etc. kommt, oder gar zu einer Tötung (bei Risikoabwägung), hängt von Zufälligkeiten des Einzelfalls ab. Anders als beim indirekten Verbotsirrtum paßt aber § 17 StGB trotz seiner Elastizität hier nur schlecht. Denn beim Täter, der in der irrigen Annahme einer Rechtfertigungslage handelt, klaffen nicht erst der Begriff vom sozialen Ereignis (Tatsachenkenntnis plus Parallelbeurteilung im Täterbewußtsein) und der Begriff von der rechtlichen Bewertung dieses Ereignisses auseinander, sondern er irrt darüber, welches soziale Ereignis der Fall ist. Der Täter erreicht mit seiner Handlung die Wirkung nicht, die er nach eigener — und rechtlich zutreffender — Vorstellung zur Rechtfertigung braucht; mit anderen Worten, er unternimmt den untauglichen Versuch einer gerechtfertigten Handlung 8 1 . Das liegt zwischen dem Versuch eines Fahrlässigkeitstäters, eine Handlung ohne rechtlich relevante Wirkungen zu vollziehen, und dem Versuch eines Täters im Verbotsirrtum, sich im Rahmen des Rechts zu halten. — Der unbezweifelbar auch vorliegende Verbotsirrtum entsteht sekundär: So wie ein nicht vorsätzlich handelnder Täter immer auch im Verbotsirrtum handelt (denn wer nicht weiß, was er aktuell bewirkt, weiß auch nicht, daß sein Verhalten des Bewirkens wegen verboten ist), ohne daß deshalb die Behandlung des Tatbestandsirrtums nach § 17 StGB angemessen wäre, so folgt auch hier der Verbotsirrtum aus einer Verkennung nicht des (indirekten) Verbotsinhalts, sondern des (indirekten) Verbotsgegenstands. Das wiederum ändert nichts an der Vorsätzlichkeit der Tatbestandsverwirklichung, die sich auch als Schuldgegenstand nicht in eine fahrlässige Tatbestandsverwirkung (wie?) wandelt, sondern vorsätzlich bleibt, so daß es im Ergebnis um Schuld für eine Vorsatztat geht. Freilich wird die Schuld einer Vorsatztat mit abnehmender Vermeidbarkeit des Irrtums ausgehöhlt. Dadurch kann sich die verbleibende Schuld minimalisieren; deshalb sind erhöhte Mindeststrafen unangebracht. 54

bb) Da der Irrtum, wie schon oben dargelegt wurde, entgegen verbreiteter Meinung nicht schon einer Appellfunktion wegen den Täter belastet, kann es bei dieser Lage nur noch darum gehen, ob für den Fall eines vermeidbaren Irrtums der Strafrahmen des Vorsatzdelikts gilt, aber stets entsprechend § 49 Abs. 2 StGB zu mildern ist, oder ob nur gestraft wird, wenn das Gesetz durch einen für Fahrlässigkeit geltenden Strafrahmen erkennen läßt, wie im unteren Bereich der Zurechenbarkeit zu haften sein soll. Letzteres ist trotz der entstehenden Strafbarkeitslücken 82 aus zwei Gründen vorzugswürdig:

55

α) Einmal beläßt eine Milderung nach § 49 Abs. 2 StGB zu scharfe Höchststrafen, weil die Vorschrift nur die Mindeststrafen senkt. Beispiel: Es ist axiologisch ungereimt, wenn dem Arzt, der infolge Trunkenheit eine Routineoperation mit letalem Ausgang verpfuscht, nur aus einem bis zu fünfjähriger Freiheitsstrafe reichenden Rahmen zugemessen werden soll (§ 222 StGB), dem Arzt aber, der in irriger Annahme einer Einwilligung eine lebensgefährliche Operation bei einem ansonsten aussichtslosen Fall nach 80

Dreher H e i n i t z - F e s t s c h r i f t S. 2 0 7 ff, 223 f. > Paeffgen V e r r a t S. 125.

8

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82

Z u d e r e n E r t r ä g l i c h k e i t siehe Krümpelmann 1968 S. 129 ff, 143 ff.

GA

Allgemeine Lehren

11. Abschn

der lex artis vornimmt (mindestens Versuch), aus einem Rahmen bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe (§§ 212, 38 Abs. 2, 49 Abs. 2 StGB). Auch die rechtsstaatswidrige Weite des Rahmens spricht gegen die Lösung. ß) Zum anderen können die Gründe für die Straffreiheit der Fahrlässigkeit bei irri- 56 ger Annahme einer Rechtfertigungslage entsprechend gelten, so daß eine generelle Bestrafung bei vermeidbarem Irrtum zu kriminalpolitisch überhaupt nicht notwendigen Strafdrohungen führt. Beispiele: Wenn zum Schutz vor fahrlässiger Sachbeschädigung die daran anknüpfende Schadensersatzverpflichtung ausreicht, so mag sie auch zum Schutz vor Sachbeschädigung in irriger Annahme etwa eines Notstands genügen. — Wenn selbst leichtfertige Freiheitsberaubung straffrei ist, kann das Bedürfnis für die Bestrafung einer Freiheitsberaubung etwa bei irriger Annahme einer Notwehrlage nur per Gesetz, nicht aber per Dogmatik konstatiert werden. Eine durchgehend befriedigende Parallelisierung der Strafbarkeit bei irriger Annahme der Verwirklichung eines Rechtfertigungstatbestands mit der Strafbarkeit bei Fahrlässigkeit kann freilich auch dieses Argument nicht herstellen. cc) Gewichtiger ist das erste Argument: Nach geltendem Recht können die nicht 57 auf die Fahrlässigkeit schielenden Theorien nur Strafrahmen anbieten, die im Höchstmaß zu scharf und insgesamt zu weit sind. Demgegenüber wiegt das zweite Argument gering: Minimales Vorsatzunrecht ist häufig strafbar, wenn gewichtiges Fahrlässigkeitsunrecht nicht erfaßt wird. W ü r d e das geltende Recht eine Möglichkeit kennen, alle Strafrahmen auf ein Maß ohne Mindeststrafe und mit erheblich geminderter Höchststrafe zu reduzieren, so wäre für die Behandlung des Irrtums (im Fall seiner Vermeidbarkeit) dieser W e g zu wählen. dd) Ergebnis: 58 α) Mangels einer solchen Möglichkeit sind die Vorsatzstrafrahmen f ü r den Fall einer bestehenden Strafdrohung f ü r Fahrlässigkeit auf den Rahmen des Fahrlässigkeitsdelikts zu reduzieren. Die Konsequenzen dieser Lösung unterscheiden sich von denjenigen der rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie nicht. Freilich geht es sachlich nicht um eine Verweisung auf die Rechtsfolge der Fahrlässigkeitstat, sondern um die Konkretisierung des Vorsatzstrafrahmens. Da es bei einer Vorsatztat bleibt und der Strafrahmen auch durch Reduzierung des für Vorsatztaten geltenden Rahmens festgelegt wird, freilich nur bei bestehender Strafbarkeit eines Fahrlässigkeitsdelikts, ist es vorzugswürdig, die Lösung nicht als rechtsfolgenverweisende Schuldtheorie zu bezeichnen, sondern als unselbständige Schuldtheorie (seil, von Fahrlässigkeitsstrafe abhängige Schuldtheorie), wobei die Bezeichnung als Schuldtheorie hier — wie schon oben zur rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie — dahin negativ zu verstehen ist, daß der Irrtum Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht berührt; dagegen soll gerade nicht positiv eine Gleichheit des Irrtums mit dem Verbotsirrtum behauptet werden. ß) Wegen der Vorsätzlichkeit bleibt akzessorische Beteiligung, insbesondere Teil- 59 nähme, möglich. Das gilt auch bei Unvermeidbarkeit des Irrtums; denn auch dann liegt Unrecht vor. Das hat folgenden Grund 8 3 : Wenn ein enttäuschendes Verhalten in einem bestimmten Kontext tolerabel und dem Täter das Fehlen des Kontextes nicht erkennbar ist, so kann zwar das Defizit an Erkennbarkeit schon zur Uminterpretation des Verhaltenssinns herangezogen werden (analog der Lösung beim unvermeidbaren T a t bestandsirrtum); es fehlt dann Unrecht; — das Defizit kann aber auch erst zur Distanzierung des Täters vom objektiven Sinn seines Verhaltens eingesetzt werden (analog der Lösung beim unvermeidbaren Verbotsirrtum); es bleibt dann — nicht zurechenba83

Siehe aber oben zu Fn. 79.

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12. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

res — Unrecht. Für akzessorische Beteiligung paßt die letztere Lösung besser, da ansonsten bei mangelnder Täterqualifikation des Beteiligten an einer T a t in unvermeidbarem Irrtum ( w e n n also mittelbare Täterschaft ausscheidet) sachlich nicht zu rechtfertigende Strafbarkeitslücken entstehen. — Versuch ist nach allgemeinen Regeln möglich.

12. A B S C H N I T T

Die Notwehr Literatur K. Amelung Erweitern allgemeine Rechtfertigungsgründe, insbesondere § 34 StGB, hoheitliche Eingriffsbefugnisse des Staates? NJW 1977 S. 833 ff; den. Nochmals: § 34 StGB als öffentlichrechtliche Eingriffsnorm? N J W 1978 S. 623 f; ders. Die Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Grundrechtsgutes, 1981; den. Das Problem der heimlichen Notwehr gegen die erpresserische Androhung kompromittierender Enthüllungen, GA 1982 S. 381 ff; G. Arzt Notwehr, Selbsthilfe, Bürgerwehr, Schaffstein-Festschrift S. 77 ff; den. Notwehr gegen Erpressung, MDR 1965 S. 344 ff; den. Anmerkung zu BGH J R 1980 S. 210 f, aaO S. 211 ff; /. Baumann § 53 StGB als Mittel der Selbstjustiz gegen Erpressung? MDR 1965 S. 346 f; den. Rechtsmißbrauch bei Notwehr, M D R 1962 S. 349 f; Chr. Bertel Notwehr gegen verschuldete Angriffe, ZStW 84 S. 1 ff; H. Blei Probleme des polizeilichen Waffengebrauchs, JZ 1955 S. 625 ff; P. Bockelmann Anmerkung zu O L G Stuttgart N J W 1966 S. 745 ff, a a O ; ders. Menschenrechtskonvention und Notwehrrecht, Engisch-Festschrift, S. 456 ff; ders. Notwehr gegen verschuldete Angriffe, Honig-Festschrift S. 19 ff; ders. Notrechtsbefugnisse der Polizei, Dreher-Festschrift S. 235 ff; V. Busse Nötigung im Straßenverkehr, 1968; A. Constadinidis Die „Actio illicita in causa", 1982; K. Deubner Anmerkung zu B G H N J W 1969 S. 802, aaO S. 1184; A. Donatsch Die strafrechtliche Beurteilung von Rechtsgutsverletzungen bei der hoheitlichen Anwendung unmittelbaren Zwangs, 1981; B. Drews, G. Wacke, K. Vogel Gefahrenabwehr Bd. I, 8. Auflage 1975; H. Dubs Notwehr, SchwZStr. 89 (1973) S. 337 ff; R. Echterhölter Die Europäische Menschenrechtskonvention in der juristischen Praxis, J Z 1956 S. 142 ff; D. Engels Der partielle Ausschluß der Notwehr bei tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Ehegatten, GA 1982 S. 109 ff; R. Felber Die Rechtswidrigkeit des Angriffs in den Notwehrbestimmungen, 1979; H. Fuchs Probleme der Notwehr, in: Strafrechtliche Probleme der Gegenwart H e f t 8, 1981, S. 1 ff; W. Gallas Anmerkung zu OLG Stuttgart D R Z 1949 S. 42, aaO S. 43; G. Geilen Eingeschränkte Notwehr unter Ehegatten? JR 1976 S. 314 ff; den.. Notwehr und Notwehrexzeß, Jura 1981 S. 210 ff, 256 ff, 308 ff, 370 ff; Κ. H. Gössel Über die Rechtmäßigkeit befugnisloser strafprozessualer rechtsgutsbeeinträchtigender Maßnahmen, JuS 1979 S. 162 ff; V. Götz Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 6. Auflage 1980; A. Gutmann Die Berufung auf das Notwehrrecht als Rechtsmißbrauch? N J W 1962 S. 286 ff; R. Haas Notwehr und Nothilfe, 1978; R. Hassemer Ungewollte, über das erforderliche Maß hinausgehende Auswirkungen einer Notwehrhandlung - BGHSt 27, 313, JuS 1980 S. 412 ff; W. Hassemer Die provozierte Provokation und die Zukunft des Notwehrrechts, Bockelmann-Festschrift S. 225 ff; W. Haug Notwehr gegen Erpressung, MDR 1964 S. 548 ff; ders. Tonbandaufnahmen in Notwehr, N J W 1965 S. 2391 f; /. Herrmann Die Notwehr im amerikanischen Strafrecht, ZStW 93 S. 615 ff; Th. Hillenkamp Vorsatztat und Opferverhalten, 1981; K. Himmelreich Anmerkung zu AG Bensberg N J W 1966 S. 733 ff, a a O ; ders. Erforderlichkeit der Abwehrhandlung, Gebotensein der Notwehrhandlung, Provokation und Rechtsmißbrauch, Notwehrexzeß, GA 1966 S. 129 ff; ders. Notwehr und unbewußte Fahrlässigkeit, 1971; H. J. Hirsch Die Notwehrvoraussetzung der Rechtswidrigkeit des Angriffs, Dreher-Festschrift S. 211 ff; ders. Anmerkung zu BGH J R 1980 S. 114 f, aaO S. 115 ff; W. Hoffmann-Riem Übergang der Polizeigewalt auf Private? Z R P 1977 S. 277 ff; /. Hruschka Extrasystematische Rechtfertigungsgründe, Dreher-Festschrift S. 189 ff; ders. Rechtfertigung oder Entschuldigung im Defensivnotstand, N J W 1980 S. 21 ff; E. Kem Grade der Rechtswidrigkeit, ZStW 64 S. 255 ff; G. Jakobs Nötigung durch Drohung als Freiheitsdelikt, PetersFestschrift S. 69 ff; D. Kienapfel Anmerkung zu BGH 27 S. 336 ff, JR 1979 S. 72; P. Kirchhof Helfer in Not, JuS 1979 S. 428 ff; P. Klose Notrecht des Staates aus staatlicher Rechtsnot,

310

Notwehr

12. Abschn

ZStW 89 S. 61 ff; F.-W. Krause Zur Problematik der N o t w e h r , Bruns-Festschrift S. 71 f f ; D. Kratzsch Grenzen der Strafbarkeit im Notwehrrecht, 1968; ders. § 53 StGB und der Grundsatz nullum crimen sine lege, GA 1971 S. 65 ff; ders. Verfassungsbeschwerde gegen fehlerhafte A n wendung des § 53 StGB, N J W 1974 S. 1546 f; ders. Das (Rechts-)Gebot zu sozialer Rücksichtnahme als Grenze des strafrechtlichen Notwehrrechts — B G H N J W 1975, 62, JuS 1975 S. 435 f f ; V. Krey Studien zum Gesetzesvorbehalt im Strafrecht, 1977; ders. Z u r Einschränkung des N o t wehrrechts bei der Verteidigung von Sachgütern, J Z 1979 S. 701 ff; V. Krey und W. Meyer Z u m Verhalten von Staatsanwaltschaft und Polizei bei Delikten mit Geiselnahme, Z R P 1973 S. 1 f f ; R. Krüger Die Bedeutung der Menschenrechtskonvention f ü r das deutsche Notwehrrecht, N J W 1970 S. 1483 ff; /. Krümpelmann Die Bagatelldelikte, 1966; K. Kühl Die Beendigung des vorsätzlichen Begehungsdelikts, 1974; R. Lange Der „gezielte Todesschuß", J Z 1976 S. 546 f f ; Th. Lenckner Notwehr bei provoziertem und verschuldetem Angriff, GA 1961 S. 299 ff; ders. „Gebotensein" und „Erforderlichkeit" der N o t w e h r , GA 1968 S. 1 ff; ders. Anmerkung zu B G H 24 S. 356 ff, J Z 1973 S. 253 ff; P. Lerche D e r gezielt tödlich wirkende Schuß nach künftigem einheitlichem Polizeirecht. Zum Verhältnis hoheitlicher Eingriffsbefugnisse zu den allgemeinen Notrechten, v. d. Heydte-Festschrift Bd. II S. 1033 ff; K. Marxen Die sozialethischen Grenzen der N o t w e h r , 1979; ders. Die Grenzen der N o t w e h r bei Auseinandersetzungen in der Ehe, in: K. Lüderssen und F. Sack (Hrsg.) Vom Nutzen und Nachteil der Sozialwissenschaften f ü r das Strafrecht Bd. I, 1980, S. 63 ff; D. Merten Rechtsstaat und Gewaltmonopol, 1975; W. Niese Finalität, Vorsatz und Fahrlässigkeit, 1951; P. Noll Übergesetzliche Rechtfertigungsgründe, im besonderen die Einwilligung des Verletzten, 1955; F. Oetker Notwehr und Notstand, Frank-Festgabe Bd. I, S. 359 f f ; H. Otto Rechtsverteidigung und Rechtsmißbrauch im Strafrecht, Würtenberger-Festschrift S. 129 ff; H.U. Paeffgen Fotografieren von Demonstranten durch die Polizei und Rechtfertigungsirrtum, J Z 1978 S. 738 ff; J. Partsch Die Rechte und Freiheiten der europäischen Menschenrechtskonvention, in: Κ. A. Bettermann, F. L. Neumann, H. C. Nipperdey (Hrsg.) Die Grundrechte Bd. I (1), 1966, S. 235 ff; /. M. Ritter Der Volksgenosse als Helfer in Volksnot, GS 115 S. 239 ff; C. Roxin Die provozierte Notwehrlage, Z S t W 75 S. 541 ff; ders. Ein „neues Bild" des Strafrechtssystems, ZStW 83 S. 369 f f ; ders. Anmerkung zu B G H 24 S. 356 ff, N J W 1972 S. 1821 f; ders. Die „sozialethischen Einschränkungen" des Notwehrrechts, Z S t W 93 S. 68 ff; R. Rupprecht Die tödliche Abwehr des Angriffs auf menschliches Leben, J Z 1973 S. 263 f f ; F. Schaffstein Die allgemeinen Lehren vom Verbrechen in ihrer Entwicklung durch die Wissenschaft des Gemeinen Strafrechts, 1930; ders. N o t w e h r und Güterabwägungsprinzip, M D R 1952 S. 132 ff; ders. Handlungsunwert, Erfolgsunwert und Rechtfertigung bei den Fahrlässigkeitsdelikten, Welzel-Festschrift S. 557 ff; ders. Die strafrechtlichen Notrechte des Staates, Schröder-Gedächtnisschrift S. 97 f f ; E. Schmidbauer Uber die Wertstruktur der Notwehr, Honig-Festschrift S. 185 f f ; ders. N o t w e h r und N o t hilfe des Polizeibeamten aus strafrechtlicher Sicht, in: D. Merten (Hrsg.) Aktuelle Probleme des Polizeirechts, 1977, S. 53 f f ; W. Schmidt Anmerkung zu B G H J Z 1976 S. 31 f, a a O S. 32 f; R. Schmitt Tonbänder im Strafprozeß, JuS 1967 S. 19 ff; ders. Subjektive Rechtfertigungselemente bei Fahrlässigkeitsdelikten? — O L G H a m m , N J W 1962, 1169, J u S 1963 S. 64 ff; Chr. Schönehorn Zum Leitgedanken der Rechtfertigungseinschränkung bei Notwehrprovokation, N S t Z 1981 S. 201 ff; F.-C. Schroeder Die N o t w e h r als Indikator politischer Grundanschauungen, MaurachFestschrift S. 127 ff; ders. Notstandslage bei Dauergefahr - B G H N J W 1979, 2053, JuS 1980 S. 336 ff; H. Schröder Anmerkung zu B G H JR 1962 S. 186 f, a a O S. 187 ff; ders. N o t w e h r bei schuldhaftem Vorverhalten — B G H N J W 1972, 1821, J u S 1973 S. 157 f f ; H. Schumann Z u m Notwehrrecht und seinen Schranken, JuS 1979 S. 559 f f ; /. Schwabe Grenzen des Notwehrrechts, N J W 1974 S. 670 ff; ders. Die Notrechtsvorbehalte der Polizei, J Z 1974 S. 634 f f ; ders. Zur Geltung von Rechtfertigungsgründen des StGB für Hoheitshandeln, N J W 1977 S. 1902 ff; ders. Die Notrechtsvorbehalte der Polizei, 1979; K. Seelmann Grenzen privater Nothilfe, ZStW 89 S. 36 ff; H. Suppert Studien zur N o t w e h r und „notwehrähnlichen Lage", 1973; F. Sydow § 3 4 StGB — kein neues Ermächtigungsgesetz! JuS 1978 S. 222 ff.

I. Vorbemerkungen A. Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen, 1 rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwehren (§ 32 Abs. 2 StGB). Eine durch Notwehr gebotene Tat ist nicht rechtswidrig (§ 32 Abs. 1 StGB). 311

12. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. R e c h t f e r t i g u n g

Das Notwehrrecht legitimiert private Gewalt und ist deshalb im Maß seiner Ausgestaltung von politischen Konzepten des Verhältnisses Staat-Bürger abhängig. Die Indikationen „politischer Grundanschauungen" 1 sind dementsprechend deutlich 2 . B. Für die Gegenwart sind hauptsächlich die Diskussionen zu folgenden Problemkreisen zu nennen: 1. Staatsnotwehr und Vorrang staatlich organisierter Abwehr überhaupt; es geht um die Sicherung des staatlichen Anspruchs auf ein Monopol für die Garantie öffentlicher Ordnung per Gewalt (unten 12/6 ff, 45); 2. Geltung der Notwehrrechtfertigung auch für polizeiliches Handeln; im Streit ist das rechtsstaatlich erforderliche Maß der Bindung öffentlicher Gewalt (unten 12/39 ff, 41 ff); 3. Einschränkungen des erlaubten Abwehrumfangs aus diversen Gründen, die sämtlich auf eine (Mindest-)Solidarität mit dem Angreifer abzielen (unten 12/46 ff, 49 ff, 57 f)4. Zudem zeigt sich (auch) an der Notwehr ein Wandel des Rechtsverständnisses von einer Güterordnung hin zu einem Interaktionssystem, erkennbar am Wandel der Definition des rechtswidrigen Angriffs von einem schadensträchtigen Kausalvorgang zu einem schuldhaft schädigenden Verhalten (unten 12/16 ff).

II. Die notwehrfähigen Güter, die Staatsnotwehrhilfe A 1. Ein Angriff setzt die drohende Verletzung rechtlich geschützter Güter voraus. Der Umfang der wehrfähigen Güter richtet sich nicht allein nach dem Sira/rechtsschutz dieser Güter; erfaßt ist über die strafrechtlich geschützten Güter hinaus jedes rechtlich anerkannte, absolut ausgestaltete Gut (nicht notwendig ein absolutes Recht im Sinn des § 823 Abs. 1 BGB); Beispiele: der berechtigte unmittelbare Besitz 3 , die Intimsphäre im Privatbereich 4 , das Recht am eigenen Bild5, die Ehe, aber nicht gegen den Willen eines Partners 6 . — Strafrechtlich nur beschränkt geschützte Güter sind über diese Beschränkung hinaus erfaßt, also etwa das Vermögen auch gegen gewaltsame Entziehung ohne Bereicherungsabsicht, das Eigentum gegen Wegnahme zum vorübergehenden Gebrauch ohne Zueignungsabsicht etc. — Zur Problematik der Notwehr gegen die Ausreisebeschränkungen der D D R siehe oben 5/30. 2 a) Auch das Recht auf ungehinderten Gemeingebrauch ist notwehrfähig; die Wehr gegen denjenigen, der die Straße versperrt, ist sogar eine prototypische Not1

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Schroeder Maurach-Festschrift S. 127 ff; — zur Rückwirkung der Praxis staatlicher Gefahrenabwehr auf die Notwehr siehe Arzt SchaffsteinFestschrift S. 77 ff; siehe auch Schaffstein Schröder-Gedächtnisschrift S. 97 ff, 100. Siehe die Rechtsprechung des Reichsgerichts zur nationalsozialistischen Zeit; RG 71 S. 133 ff, 134 (Ausweichpflicht); RG 72 S. 57 ff, 58 f (Vorrang staatlicher Hilfe); besonders aber RG 69 S. 180 ff, 183 f; 72 S. 383 f, 384 (Sonderrechte für Uniformträger); siehe ferner zu der in nationalsozialistischer Zeit exzessiv und einseitig beanspruchten Staatsnotwehr das Gesetz über Maßnahmen der Staatsnotwehr vom 3. 7. 1934, RGBl. I S. 529; - eingehender Schroeder Maurach-Festschrift S. 127 ff, 131 f; — zur älteren Geschichte siehe Haas Notwehr S. 19 ff; zum gemeinen Recht siehe Schaffstein Die allgemeinen Lehren S. 68 ff; einen Uberblick über die Ge-

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schichte gibt LK-Spendel § 32 Rdn. 15 ff. - Zu den (parallelen) Problemen des Notwehrrechts in den USA siehe Herrmann ZStW 93 S. 615 ff. 3 Das Selbsthilferecht ist weiter, da es nicht an die Berechtigung des Besitzes gebunden ist, § 859 BGB; siehe RG 60 S. 273 ff, 278. 4 Nicht in einem öffentlichen Park, BayObLG N J W 1962 S. 1782 f. 5 B G H Z 24 S. 201 ff, 208; zu stark einschränkend (Photographieren von nicht spezifiziert verdächtigen Demonstranten durch die Polizei soll auch ohne polizeilichen Notstand im Rahmen der Polizeiaufgaben nach § 163 StPO rechtmäßig sein) B G H J Z 1976 S. 31 f; B G H JZ 1978 S. 762 f; hiergegen W. Schmidt J Z 1976 S. 32 f; Paeffgen J Z 1978 S. 738 ff mit ausführlichen Nachweisen. * O L G Z Köln N J W 1975 S. 2344 f; zum Verlöbnis siehe RG 48 S. 215 ff, 216 f.

Notwehr

12. Abschn

wehrhandlung. Freilich entbindet ein Angriff im Straßenverkehr den Angegriffenen nicht von der Beachtung der Verkehrsvorschriften, weil diese nicht nur dem Schutz des Angreifers dienen; Beispiel: Die Nötigung im Straßenverkehr (etwa durch Hindern eines korrekten Überholens) darf nach Notwehrrecht (Notstandsrechtfertigung bleibt — etwa f ü r den N o t a r z t im Einsatz — möglich) nicht durch Unterschreitung des Mindestabstands, Überschreitung der höchstzulässigen Geschwindigkeit, Fahren auf der falschen Seite etc. abgewehrt werden. b) Sehr streitig ist die Entscheidung, ob auch auf eine bestimmte Reihenfolge des Gemeingebrauchs ein wehrfähiger Anspruch geht, insbesondere bei Parkplätzen auf ein Recht des zuerst Gekommenen (weitere Fälle: Mißachtung der wartenden Reihe am Zoll, an der Theaterkasse, vor der Universitätsbibliothek, vor dem zu kleinen H ö r saal, — bis zum Drängeln auf dem Schulhof). Soweit es an einem rechtlichen Verteilungsverfahren fehlt, gibt es keinen Anspruch auf eine Zuteilung des Gebrauchs nach einer bestimmten Reihenfolge, wohl aber auf störungsfreien Vollzug des Gebrauchs; d. h. wer mit dem gemeinen Gebrauch beginnt, darf sich wehren, wenn er weggeschoben oder sonst behindert wird (in einer Veranstaltung ohne zugeteilte Plätze kann also niemand rechtswirksam nachkommenden Personen einen Platz „reservieren"); wer aber auf den Beginn nur wartet, braucht sich zwar von der Stelle, an der er wartet, nicht wegschieben zu lassen, hat aber keinen Anspruch auf einen bestimmten Rang seines Platzes. Beispiele: W e r in eine freie Parklücke fahren will, darf gegen eine Person, die diese Lücke „reserviert", Notwehr üben 7 . W e r aber vor dem Parkplatz (oder der Zollabfertigung etc.) in einer Schlange wartet, darf nicht per Notwehr verhindern, daß sich andere vor ihm in eine vorhandene Lücke schieben. 3. Relative Güter sind nicht wehrfähig; die rechtmäßige Durchsetzung von Ansprü- 5 chen außerhalb des Prozesses beschränkt sich auf den in § 229 BGB eröffneten RahB 1 a) Die Güter können dem Abwehrenden oder — bei der Notwehrhilfe — dritten Personen zustehen, auch juristischen Personen und unter diesen solchen öffentlichen Rechts, insbesondere dem Staat. Das ist zwar unstreitig, soweit es sich um Individualrechtsgüter in öffentlicher H a n d handelt (Eigentum, Vermögen, Besitz des Staats), aber schon in diesem Rahmen nicht stets problemlos. So ist beispielsweise Notwehrhilfe gegen den Angreifer zulässig, der den Belag einer Straße zerstört (ob es sich um privates oder öffentliches Eigentum handelt, zählt hier gleich), aber nicht gegen denjenigen, der auf der öffentlichen Straße unberechtigt einen Verkaufsstand errichtet, obgleich letzteres nicht nur die öffentliche Ordnung, sondern auch das Eigentum an der Straße beeinträchtigt. b) Notwehr(hilfe) ist eine Form der W a h r n e h m u n g des Rechts, das angegriffen wird, und also im privaten Bereich die W a h r n e h m u n g eines privaten Rechts, die allenfalls öffentlichrechtlich, seil, durch die Polizei, substituiert werden kann; im öffentlichrechtlichen Bereich ist Notwehr(hilfe) dementsprechend ein genuin öffentliches 7

BayObLG N J W 1963 S. 824 f; Busse Nötigung im Straßenverkehr S. 123 f f ; — einschränkend (nur wenn die H i n d e r u n g eine rechtswidrige N ö tigung ist; — was jedoch nicht nur in der Regel der Fall, sondern zudem irrelevant ist, da es auf die strafrechtliche Absicherung nicht ankommt) O L G Stuttgart N J W 1966 S. 746 f f ; O L G Düsseldorf N J W 1961 S. 1783 f; O L G Köln N J W 1979 S. 2056 f; offengelassen in O L G H a m b u r g N J W 1968 S. 662 f f ; - ablehnend Bockelmann N J W 1966 S. 745 ff, 747 unter verfehlter Gleich-

setzung des konkreten Gefährdungsverbots in § 1 S t V O mit den abstrakte G e f ä h r d u n g e n verbietenden Regelungen (ein A u t o f a h r e r soll wegen des § 1 S t V O nicht auf einen Fußgänger, der eine Parklücke sperrt, z u f a h r e n d ü r f e n ; — w a r u m nicht, wenn er seine Fäuste gebrauchen d ü r f t e ? Ein Automobil scheidet als Notwehrmittel nicht a priori aus). Z u r H e r k u n f t und z u r Funktion dieser D i f f e r e n zierung siehe Arzt Schaffstein-Festschrift S. 77 ff, 80 ff.

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12. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

Handeln, das bei Notwehrhilfe von Privaten substituiert wird, womit die Notwehrhilfehandlung in direkte Konkurrenz zu polizeilichem Handeln tritt 9 . Bei dieser Lage wiegt für den Staat der vereinzelte Verlust eines Guts weniger als die Verwischung der Kompetenzen durch ein Notwehrhilfehandeln 1 0 . 8

c) Zudem kann der Staat zahlreiche Güter nur bewahren, indem er nicht deren Bestand überhaupt schützt, sondern deren Bestand in einem bestimmten Verfahren: Die Legitimation des Schutzes leitet sich nicht allein vom Gut her, sondern auch von der Art und Weise seiner Erhaltung. So ist beispielsweise die Garantie der strafrechtlichen Normen nur durch prozessual geregelte Verfolgung möglich, nicht aber etwa durch eine beliebig auszugestaltende Sequenz zwischen der Straftat und einem Übel gegen den Täter. Solche Güter, die ohne Verfahren nicht geschützt werden können, dürfen von Privaten im Weg der Notwehr überhaupt nicht verteidigt werden; beispielhaft: Die materielle Gerechtigkeit, die durch den Freispruch des Täters eines Delikts beeinträchtigt wird, läßt sich nicht durch private Repression gegen den Täter verteidigen.

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2. Bei Berücksichtigung der bezeichneten Besonderheiten bleibt für die — auch von der Rechtsprechung im Grundsatz anerkannte 1 1 — Staatsnotwehrhilfe folgender Rahmen: a) Eine Verteidigung gegen solche Angriffe auf die staatliche O r d n u n g , die nur in der Übertretung einer abstrakte Gefährdungen verbietenden N o r m bestehen, scheidet aus der Staatsnotwehrhilfe aus 1 2 , da ein Angriff auf einzelne Bürger fehlt und der O r d nungsangriff nicht schwerer wiegt als die Verwischung der Kompetenz durch den Abwehrenden. Nicht notwehrfähig sind also die abstrakte Gefährdungen verbietenden Verkehrsvorschriften, einschließlich §316 StGB 1 3 , oder gar die öffentliche O r d n u n g allgemein. Demnach kommt eine Hinderung eines Suicidversuchs nach Notwehrregeln nur in Betracht, wenn durch die T a t (schuldhaft!) Individualinteressen verletzt werden, etwa das psychische Wohlergehen eines Kinds (zur Hinderung per Notstand siehe unten 13/29).

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b) Eine Verteidigung scheidet stets aus, wenn das angegriffene Gut nur in einem bestimmten Verfahren garantiert werden kann. — Allerdings bleiben Sondererlaubnisse 9

D a h e r rührt auch die Problematik einer privat o r ganisierten „Bürgerwehr": Die Verteidigung soll z w a r privaten Gütern gelten, aber nicht, wie es bei der N o t w e h r die Regel ist, ad hoc beim Angriff, sondern generell und vorab geplant; die organisierte Verbrechensverhütung ist jedoch polizeiliche Aufgabe. In verwaltungsrechtlicher T e r m i n o logie: Bürgerwehren verstoßen gegen den „Anschluß- und Benutzungszwang" bezüglich der Polizei; siehe Hoffmann-Riem ZRP 1977 S. 277 ff, 283; zu den Voraussetzungen der Akzeptabilität dieses Zwangs treffend Arzt Schaffstein-Festschrift S. 77 ff, 85 f.

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N o c h weitergehend Haas N o t w e h r S. 306 ff, 311 f: „ K o m p e t e n z a n m a ß u n g " und mangelnder Uberblick des Privaten über die Lage bei öffentlichen Gütern soll Notwehrhilfe überhaupt ausschließen. Allerdings lehnen die Entscheidungen f ü r die zum Spruch stehenden konkreten Fälle durchweg eine Rechtfertigung ab; — insbesondere R G 63 S. 215 ff, 220; unter Vorbehalt von Schranken auch R G 64 S. 101 ff, 103; zur Rezeption dieser

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Urteile (die sogenannte schwarze Reichswehr betreffend) siehe H. Mayer A T S. 182 ff mit Anm. 77; siehe ferner R G 56 S. 259 ff, 267 f (Kapp-Putsch); B G H 5 S. 245 ff (zu Abwehrhandlungen gegen den Film „Die Sünderin"); B G H N J W 1953 S. 1639; B G H N J W 1966 S. 310 ff, 312 (Südtirol); - siehe auch BVerfG 5 S. 86 ff, 376 ff (KPD-Urteil). 12 Im Ergebnis ebenso B G H 5 S. 245 ff, 247; B G H Z 64 S. 178 ff; Arzt Schaffstein-Festschrift S. 77 ff, 84; Stratenwerth A T Rdn. 419; SchönkeSchröder-Lenckner § 32 Rdn. 7 f; Jescheck A T § 32 II 1 b ; Maurach-Zipf A T I § 26 II A 3; LKSpendel § 32 Rdn. 197 f. » B G H V R S 40 S. 104 ff, 107; allerdings kann zu Beginn einer Trunkenheitsfahrt ersichtlich sein, daß es in ihrem Verlauf zu konkreten G e f ä h r d u n gen kommen wird; dann gelten je nach Dichte der G e f a h r die Regeln der Notwehrhilfe oder aber der notwehrähnlichen Lage zugunsten Privater; so wohl im Ergebnis O L G Koblenz N J W 1963 S. 1991 f.

12. Abschn

Notwehr

möglich, insbesondere nach § 127 Abs. 1 Satz 1 S t P O ; Beispiel : D e r mit Staatsgeheimnissen die Landesgrenze überschreitende Spion kann an dem Verrat zwar per Notwehrhilfe gehindert werden; die Strafverfolgung aber richtet sich nach dem in der S t P O geregelten V e r f a h r e n , so daß eine Festnahme zur Strafverfolgung nur nach § 127 Abs. 1 S t P O durch jedermann erfolgen kann, nicht aber nach den §§ 32 ff S t G B . Auch die der Festnahme nachfolgenden staatsanwaltschaftlichen und gerichtlichen Verfahren sind nicht durch Staatsnotwehrhilfe ersetzbar. Bricht aber der verurteilte Spion aus der Strafhaft aus, so richtet sich die Hilfe Privater zur Ergreifung wieder nach § 32 S t G B ; denn das abgeschlossene Strafverfahren kann nunmehr nicht mehr überspielt werden; freilich dürften die Beschränkungen des § 127 Abs. 1 S t P O entsprechend gelten. 14

W e n n die Sondererlaubnis nur beschränkte Rechte gibt, wie ζ. B. bei § 127 Abs. 1 Satz 1 S t P O nur das Recht zur Festnahme (also zur Freiheitsbeschränkung und zu minder schweren Eingriffen, aber nicht etwa zur Körperverletzung), so kann diese Beschränkung nicht dadurch umgangen werden, daß der Widerstand des Duldungspflichtigen gegen den Gebrauch des beschränkten Rechts unter Berufung auf Notwehr gebrochen wird 1 5 . Zwar ist der Angriff des Duldungspflichtigen auf Güter des Erlaubnisträgers notwehrfähig, für die Durchsetzung der Erlaubnis aber bleibt Notwehr ausgeschlossen. Beispiel: Sticht der Festzunehmende gegen den nach § 127 Abs. 1 Satz 1 S t P O Festnehmenden mit einem Messer, so darf sich der Festnehmende dagegen in rechtfertigender Notwehr wehren, aber nur zur Verteidigung seines Körpers, nicht zur Verteidigung des Festnahmerechts. Läßt sich die Festnahme ohne Verletzung des Festnehmenden nicht durchführen, so muß darauf verzichtet werden; eine Verletzung ist weder durch § 127 Abs. 1 Satz 1 S t P O , noch durch § 32 S t G B g e d e c k t 1 6 (auch N o t stand, § 34 S t G B , scheidet der Angemessenheitsklausel wegen aus, siehe unten 1 3 / 3 6 ) . c) Stets geht die Möglichkeit polizeilichen (oder sonst berufenen) Schutzes vor, da 1 1 die Verwischung der Kompetenzen unnötig ist, solange die berufenen Organe handlungsfähig sind 1 7 . Sind die berufenen Organe handlungsfähig, aber nicht hilfswillig, so bindet das den B ü r g e r 1 8 ; eine Ausnahme hiervon gilt nur für die Fälle der Abwehr eines „Hochverrats von o b e n " , also für die Staatsnotwehrhilfe als Widerstandsrecht gemäß Art. 20 Abs. 4 G G (unten 1 5 / 2 f). d) Proportionalität zwischen verteidigtem und zur Verteidigung verletztem Gut hat 1 2 in dem verbleibenden Rahmen zur Rechtfertigung nur die Bedeutung, die sie auch ansonsten bei der Notwehr h a t 1 9 . 3. Insgesamt steht damit die Staatsnotwehrhilfe zwischen Notwehr und Notstand 1 3 (die Einschränkungen zu 1 2 / 1 0 und 11 entsprechen der Angemessenheitsklausel des s 34 S t G B ) 2 0 . '« Nach RG 63 S. 215 ff, 220; siehe auch LK-Spendel § 32 Rdn. 156. '5 LK*-Hirsch Rdn. 145 vor § 5 1 mit Nachweisen der Rechtsprechung. 16 Siehe RG 65 S. 392 ff, 396 ff; 69 S. 308 ff, 312; streitig; a. A. Löwe-Rosenberg-Dünnebier § 127 StPO Rdn. 41 mit Nachweisen. " BVerfG 5 S. 86 ff, 376 ff (Rechtsbehelfe gehen vor); BGH N J W 1953 S. 1639. ' 8 Nicht unproblematisch, soweit das Legalitätsprinzip oder sonstiger Handlungszwang gilt; — für Bindung BGH 5 S. 245 ff, 247 f. " Stratenwerth AT Rdn. 419; a. A. B G H N J W 1966 S. 310 ff, 312 f.

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Überhaupt für Anwendung der Notiidn^iregeln Ritter GS 115 S. 239 ff, Jescheck AT § 32 II 1 b a. E.; — es ist jedoch kein Grund dafür ersichtlich, den Spion militärischer Geheimnisse beim Grenzübertritt anders zu behandeln als den Spion von Wirtschaftsgeheimnissen. — Zwischen Einzelangriffen auf den Staat (Notstandsrechtfertigung) und Staatsnotstand (keine Rechtfertigung, da diese Legalisierung eines Bürgerkriegs wäre) differenziert H. Mayer A T S. 182 f. — Zu pauschal ablehnend SK-Samson § 32 Rdn. 9; Haas Notwehr S. 306 ff, 312 f mit ausführlichen Nachweisen.

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2. Buch. 2. Kapitel. R e c h t f e r t i g u n g

III. Der rechtswidrige Angriff 14

A. N u r ein rechtswidriger Angriff (eines Menschen; Tierangriffe regeln sich nach § 228 BGB 2 0 a ) auf die bezeichneten Güter ermöglicht N o t w e h r ; Notwehr ist also ausgeschlossen, wenn der Angriff sich im Rahmen des erlaubten Risikos hält 2 1 . Notwehr scheidet auch aus, wenn der Angriff seinerseits gerechtfertigt ist: Der Rechtfertigung entspricht eine Duldungspflicht des Betroffenen. Die Rechtfertigung kann auch — und wird praktisch häufig — eine öffentlichrechtliche Eingriffsbefugnis sein (etwa bei der Vollstreckung einer prozeßordnungsgemäß verhängten Strafe). Die eingreifende Handlung muß insbesondere auch dann hingenommen werden, wenn sie, obgleich materiell falsch, gemäß einer Verfahrensordnung ergangen ist und die Verfahrensordnung die Abhilfe auf einen bestimmten Weg (insbesondere auf ein Rechtsmittel) kanalisiert. Beispiel: Die vorläufige Festnahme einer verdächtigen, materiell aber unschuldigen Person ist unter den Voraussetzungen des §127 Abs. 2 S t P O rechtmäßig und schließt Notwehr aus 2 2 . — Bei einer Rauferei kann sich keiner der Beteiligten auf Notwehr berufen, der sich bei seinem eigenen Verhalten nicht im Rahmen der erforderlichen Abwehr hält, sondern selbst angreift oder aber übermäßig stark abwehrt; es können sich also alle Beteiligten gegenseitig rechtswidrig angreifen 2 3 .

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B. An einem rechtswidrigen Angriff fehlt es auch, wenn derjenige, von dem eine Verletzung droht, ein an sich — jedenfalls für das O p f e r — gefahrloses Verhalten vollzieht, das nur zur Gutsverletzung zu werden droht, weil das Opfer sich seinerseits zurechenbar in den Wirkungsbereich des Verhaltens begibt. Beispiele: W e r sich vor ein fahrendes Auto wirft, wird nicht von dessen Fahrer angegriffen; wer sich in der Bibliothek beim Öffnungsschluß verbirgt, wird nicht durch den Schließer angegriffen etc. In diesen Fällen hat das potentielle Opfer selbst den zunächst gefahrlosen Verlauf ins Gefährliche gewendet, so daß es auch die Lasten der Konfliktlösung tragen muß.

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C. An einem rechtswidrigen Angriff fehlt es schließlich, wenn das Angriffsverhalten nicht voll, also als schuldhaft, zurechenbar ist 24 . Das ist in mehrfacher Hinsicht zu erläutern : 1. Es geht bei allen Notrechten um die Verteilung der Lasten für die Lösung eines sozialen Konflikts 2 5 , und speziell bei der Notwehr in der Art und Weise, daß der An20a

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Früher streitig; a. A. jetzt wieder LK-Spendel § 32 Rdn. 23, 38 ff, 58. - Aber auch Spendet kommt nicht an dem Problem vorbei, daß Tiere keine Adressaten von Normen — besser: keine zuständigen Verwalter von Organisationskreisen — sind. Man führe den Ansatz weiter: Wird der Kampf gegen Tiere, vom Löwen hinab bis zum Bazillus, zur Notwehr, besteht kein Grund, Schimmelpilze anders zu behandeln, ja Spendet müßte auch umstürzende Bäume, Lawinen oder gefährliche Maschinen als Angreifer definieren, was aber seine Kernthese, es gehe bei der Notwehr um den „Kampf für das Recht und gegen das Unrecht" desavouiert: Spendet mißdeutet das Recht als O r d n u n g für Zustände statt für Interaktionen. Hirsch Dreher-Festschrift S. 211 ff, 224 ff; Schaffstein M D R 1952 S. 132 ff, 136; Maurach-Zipf A T I § 26 II A 4; α. Α. Bockelmann A T § 15 Β I 1 d ; Jescheck A T §32 II 1 c; Baumann AT § 21 II l a ß. RG 72 S. 305 ff; 306; siehe auch RG 61 S. 297 ff, 299.

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" RG 72 S. 183 f; 73 S. 341 ff; B G H GA 1960 S. 213 f. 24 Obwohl die Qualität des Angriffsverhaltens als Problem des Begriffs Angriff oder als Problem der Rechtswidrigkeit des Angriffs behandelt wird, zählt gleich. Da die Schuldhaftigkeit schon im Angriffsbegriff stecken kann, trägt — ungeachtet der Unbestimmtheit des Rechtswidrigkeitsbegriffs — das vermeintliche Argument aus dem Wortlaut des § 32 StGB nicht, ein rechtswidriger Angriff sei eben kein notwendig schuldhafter Angriff (Hirsch Dreher-Festschrift S. 211 ff, 222; Felber RechtsWidrigkeit S. 131 f; Schönke-Schröder-Lenckner §32 Rdn. 19 mit Nachweisen; ähnlich Roxin ZStW 93 S. 68 ff, 82 f); daß ein schuldloses Handeln überhaupt ein Angriff ist, läßt sich so nicht beweisen. Die Rechtswidrigkeit des Angriffs kann also auch als Hinweis auf das Erfordernis mangelnder Rechtfertigung eines schuldhaften Verhaltens gelesen werden. 2 5 Siehe zum folgenden Problemkreis Felber RechtsWidrigkeit S. 129 ff.

Notwehr

12. Abschn

greifer sämtliche Lasten deshalb zu tragen hat, weil er rechtswidrig angreift. Demgemäß muß der rechtswidrige Angriff so definiert werden, daß gerade seinetwegen die in § 32 StGB bezeichnete Verteilung der Lasten tolerabel wird. Bei dieser Lage scheidet die Möglichkeit aus, den Angriff überhaupt nur als von Menschen verursachtes, und sei es unvermeidbar verursachtes, Drohen einer Gutsverletzung zu definieren 26 . Diese Bestimmung des rechtswidrigen Angriffs bleibt — wie der kausale Handlungsbegriff — in den naturalistischen Kategorien von Kausalität und Schaden stecken. Notwehr wird zum Güterverteidigungsinstrument ohne Blick darauf, ob überhaupt eine rechtlich garantierte Verhaltenserwartung enttäuscht wird oder der „Angreifer" sonst für den Konflikt zuständig ist. Diese Angriffsbestimmung verwechselt den Menschen als Durchgangsstadium eines Kausalverlaufs27 mit einer rechtlich — aus welchem Grund auch immer — zuständigen Person. Eine solchermaßen naturalistische Bestimmung der äußeren Konfliktsgenese ist zu unspezifisch 28 ; sie umfaßt nicht nur nach den Regeln der Notwehr aufzulösende Konflikte, sondern reicht viel weiter, bis in den Bereich der Konflikte, die nach den Regeln des aggressiven Notstands zu lösen sind. Insbesondere in den oben genannten Fällen, in denen das „Angriffs"-Opfer selbst eine an sich harmlose Lage ins Riskante umbiegt (jemand wirft sich vor ein fahrendes Auto), hat es weder die Rechte aus Notwehr noch diejenigen aus defensivem Notstand, sondern allein die Rechte aus aggressivem Notstand. 2 a) Es kann demnach nur noch darum gehen, ob zu einem rechtswidrigen Angriff 17 eine durch Vermeidbarkeit (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) begründete Zuständigkeit für den Konflikt gehört 29 oder sogar Zurechenbarkeit als schuldhaft 30 . — Würden die Maximen der Notwehrregelung als die Maximen der normalen Verteilung der Lasten eines sozialen Konflikts angesehen, so wäre es konsequent, sie auch auf Kinder, Geisteskranke und sonst schuldlos handelnde, aber immerhin handelnde (also sich vermeidbar — vorsätzlich oder fahrlässig — verhaltende) Personen anzuwenden. Der schuldlos Handelnde müßte dann die im Grundsatz unsolidarische, schonungslose Abwehr als sein unverdientes, schlechtes Schicksal zu akzeptieren versuchen, gleichsam 26

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So allerdings Baumann AT § 2 1 l i l a ; Bockelmann AT § 15 Β I 1 a und e; Dreher-Tröndle § 32 Rdn. 4; Stratenwerth AT 2 Rdn. 414 f, 421; (abschwächend AT 3 Rdn. 425); UO-Baldm §53 Rdn. 2, 7; LK-Spendel § 32 Rdn. 54 ff (unter Einschluß von „Schlaf- und Reflexhandlungen"); Kohlrausch-Lange 5 53 Anm. III; Jescheck AT § 32 II 1 a und c; Wessels AT § 8 V I ; Welze! Strafrecht § 14 II 1 a; Geilen Jura 1981 S. 210 ff, 256; — zeitweise überwiegende Ansicht, aber durch die Entwicklung der Dogmatik überholt. — Umfassende Nachweise bei Felber Rechtswidrigkeit S. 38 ff. Besonders gilt das gegen diejenigen Autoren, die selbst Krampfanfälle etc. zum Angriffsverhalten rechnen, siehe Baumann, Dreher-Tröndle, Welzel, alle aaO. Der bezeichnete Lösungsvorschlag führt bei konsequenter Durchführung zur völligen Aushöhlung von § 228 B G B ; denn eine Sachgefahr, die nicht irgendwann durch Änderungen der Befindlichkeit der Sache von Menschen beeinflußt worden wäre, gibt es praktisch nicht, so daß bei dieser Lösung § 32 StGB den Bereich des § 228 BGB umfaßt; siehe auch SK-Samson § 32 Rdn. 14.

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So die Lösung von Hirsch Dreher-Festschrift S. 211 ff, 222 ff mit freilich objektiver Fahrlässigkeitsbestimmung; ebenso Schönke-SchröderLenckner $ 32 Rdn. 19 ff, 21; Felber Rechtswidrigkeit S. 129 ff, 135 ff; Schumann JuS 1979 S. 559 ff, 560; Schaffstein MDR 1952 S. 132 ff, 136 unter Beschränkung auf Vorsatz; — aber drohende Verletzung aus völliger Gleichgültigkeit soll nicht notwehrfähig sein? So im Ergebnis mit freilich höchst unterschiedliehen Begründungen Haas Notwehr S. 223 ff mit ausführlichen Nachweisen; Suppert Studien S. 319 ff, 321; Schmidhäuser Honig-Festschrift S. 185 ff, 194 ff; ders. AT 9/86; ders. Studienbuch 6/65; Beling Grundzüge 11 S. 16; SK-Samson § 32 Rdn. 14 ί. V. m. 21; Krause Bruns-Festschrift S. 71 ff, 84; ähnlich Bertel ZStW 84 S. 1 ff, 11 f; Otto Würtenberger-Festschrift S. 129 ff, 140. — Unter Beschränkung auf Vorsatz auch H. Mayer A T S. 204; ders. Studienbuch § 22 II 2 vor a; — aber mindestens die Ausklammerung der Fahrlässigkeit aus Tatsachenblindheit (siehe schon Fn. 29 a. E.) ist axiologisch willkürlich. Zudem ist bei Vorsatztaten in entschuldigungsähnlichen Lagen geringere Schuld möglich als bei gewichtigen Fahrlässigkeitstaten.

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2. Buch. 2. K a p i t e l . R e c h t f e r t i g u n g

als seine Unkosten der Möglichkeit zu sozialem Kontakt (vorbehaltlich von Korrekturen zur Entschärfung der Abwehr innerhalb der Notwehr). Das Notwehrrecht des Angegriffenen wäre bei dieser Lösung für den schuldlosen Angreifer Unglück. 18

b) Zu einer solchen Lösung könnte es nur bei einer einseitigen Sicht kommen, nämlich vom Güterbestand des Angegriffenen her 3 1 . Unter Berücksichtigung auch der Perspektive des Angreifers läßt sich die Entscheidung, ihm — nur weil er vorsätzlich oder fahrlässig handelt 32 — eine mehr wiegende Duldungspflicht (Notwehr: alles Erforderliche) aufzuerlegen als dem Eigentümer gefährlicher Sachen (defensiver Notstand: das durch Proportionalität gemilderte Erforderliche), axiologisch nicht rechtfertigen. Vielmehr ergeben sich die folgenden Stufen der Zuständigkeit für einen Konflikt, denen jeweils Stufen der Erlaubnis zur Konfliktabwehr entsprechen: Wer unvermeidbar (nicht vorsätzlich oder fahrlässig) und ohne sonstigen Grund einer Zurechnung zu seinem Organisationskreis „angreift", wird zwar äußerlich (ohne Zurechnung) für eine Gefahr ursächlich, ist aber mangels Zuständigkeit für die Gefahr rechtlich an der Gefahr unbeteiligt, d. h. ein rettender Eingriff in seine Güter richtet sich nach den Regeln des aggressiven Notstands. Kommen Vorsatz oder Fahrlässigkeit hinzu, so bewirkt das nur (aber auch), daß das Organisationsverhalten als unerlaubt riskantes Verhalten eine Zuständigkeit begründet, der „Angreifer" also überhaupt rechtlich und nicht nur äußerlich als Quelle der Gefahr (und nicht als Unbeteiligter) zu definieren ist; mit anderen Worten, Vorsatz oder Fahrlässigkeit schließen wie andere Umstände, die eine Zuständigkeit des Eingriffsopfers begründen (etwa Sicherungspflichten), den aggressiven Notstand aus. Einen Grund zum Verzicht auf jegliche Rücksicht bei der Abwehr ist damit aber noch nicht dargetan: Die Lage entspricht dem defensiven Notstand, der stets eine — nicht notwendig per Vermeidbarkeit begründete — Zuständigkeit des Eingriffsopfers für die Gefahrenlage voraussetzt. Das noch schärfere Notwehrrecht muß demnach die Konsequenz von mehr als der Zuständigkeit des Angreifers sein; der Angreifer muß vielmehr das Recht verlieren, seine Interessen jenseits des Maßes der sowieso geltenden Mindestsolidarität ins Spiel zu bringen. Das kann nur geschehen, wenn der Angreifer den Konflikt schuldhaft verursacht hat 3 3 . Nur mit diesen Maßgaben trifft die allgemein übliche Bezeichnung des Grundprinzips zu, „daß das Recht dem Unrecht nicht zu weichen brauch(t)" 3 4 .

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c) Eine andere Frage ist, wer das Risiko des Irrtums 35 über die Schuldhaftigkeit des Angriffs trägt; ohne ein hoch angesetztes erlaubtes Risiko — wann könnte der Angrei31

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Bei dieser Sicht ist schon das Erfordernis einer Handlung des Angreifers ein Fremdkörper; nur bei einer solchen Fixierung auf Güter haben Argumente der Art, gegen geisteskranke Amokläufer müsse Notwehr zulässig sein etc., Bestand (Roxin ZStW 83 S. 369 ff, 387; Hirsch Dreher-Festschrift S. 211 ff, 217; Felber Rechtswidrigkeit, S. 130 f und passim); — natürlich muß Schutz zulässig sein, der aber auch bei unvermeidbaren Angriffshandlungen und selbst bei Reflexbewegungen nicht fehlen darf; daß der Schutz gerade N o t wehr sein muß, bleibt unbegründet. Bei genauer Betrachtung liegt nach verbreiteter Lehre nicht einmal notwendig eine Handlung vor. Wenn bei Fahrlässigkeit auf die objektive Sorgfalt abgestellt wird (Hirsch, Felber, Schänke-SchröderLenckner, alle aaO), so fehlt es für den unterdurchschnittlich Begabten an einer Güterangriffshandlung.

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Für das Erfordernis der Schuld spricht auch § 33 StGB, der — entgegen Hirsch Dreher-Festschrift S. 211 ff, 229 f — nicht auf Fälle des defensiven Notstands (§ 228 BGB) analog anzuwenden ist; denn die Rechtfertigungslage beim defensiven Notstand entsteht für den Eigentümer zumindest schuldlos, sonst liegt eine Notwehrlage vor; bei Schuldlosigkeit kann aber der Eigentümer nicht darauf verwiesen werden, sich mit dem vom Abwehrenden schuldhaft zugefügten Übermaß allein abzufinden. Deshalb paßt §33 StGB auch nur in eine Notwehrkonzeption, in der die Zurechnung zum Angreifer nicht schwächer ist als diejenige zum Exzeßtäter, also schuldhaft. 3 * Bemer Strafrecht § 58 vor 1; siehe auch LK-Spendel § 32 Rdn. 6, 13. 3 5 Zur Verteilung des Irrtumsrisikos treffend Felber Rechtswidrigkeit S. 123 f.

Notwehr

12. A b s c h n

fer nicht unerkannt geisteskrank sein? — wird das Notwehrrecht stumpf 3 6 . Die praktische Bedeutung des Schulderfordernisses liegt beim Ausschluß der Notwehrverteidigung gegen Kinder, evident Geisteskranke und evident schwer Betrunkene. 3. Das Erfordernis der Schuld bedeutet nicht, daß die Notwehr der Strafe ähnlich 2 0 sei 37 . Erlaubnis zur Abwehr nach dem Maß des zum Güterschutz Erforderlichen — und nicht proportional zum deliktischen Gewicht des Angriffs — schließt die Möglichkeit aus, Notwehr als Strafe zu erklären. Ebensowenig geht es um eine Sicherung der (empirischen) Geltung der Rechtsordnung 3 8 . Zwar gewinnt bei Berücksichtigung des Geltungsangriffs die Notwehr an Proportionalität, aber deren bedarf es nicht, da Recht dem zurechenbaren Unrecht auch um den Preis gewichtiger Güter nicht weichen muß. Zudem kann beim Ausgang von der Geltung der Rechtsordnung wie von einem pönalen Charakter der N o t w e h r der Ausschluß der N o t w e h r bei deliktisch gewichtigen, aber vom Angegriffenen als untauglich erkannten Angriffen nicht erklärt werden. Nach den beiden genannten Konzepten müßte zudem die Abwehr, soll sie etwas anderes sein als zufallsbedingte poena naturalis, von einer verantwortlichen Person vorgenommen werden, so daß Notwehr durch Schuldunfähige ausgeschlossen wäre. D. Ein rechtswidriger Angriff kann auch durch Unterlassen geleistet werden. Das 21 Unterlassen des handlungsfähigen Täters muß gegen eine Rechtspflicht verstoßen, um ein rechtswidriger Angriff zu sein 39 . Ist die Rechtspflicht eine Garantenstellung zum Schutz individueller Güter, gelten die allgemeinen Regeln. Beispiel: Der Operateur kann im Rahmen der Erforderlichkeit mit allen geeigneten Mitteln dazu genötigt werden, eine umfangreiche Operation medizinisch korrekt abzuschließen. — Handelt es sich um eine Garantenstellung zum Schutz von Gütern in öffentlicher H a n d oder um eine jedermann treffende Pflicht nach den §§ 138, 323 c StGB, gelten die oben bezeichneten Besonderheiten der Staatsnotwehrhilfe. Beispiel: Bei einem Unglücksfall, der medizinische Hilfe notwendig macht, darf der zufällig anwesende Arzt, von einem Privaten nur zur Hilfe gezwungen werden (im Rahmen des § 323 c StGB), wenn die Polizei nicht erreichbar ist. — Für die Sicherung relativer Güter bleibt überhaupt nur § 229 BGB 40 .

IV. Die Gegenwärtigkeit des Angriffs A 1. Notwehr ist nicht schon dann zulässig, wenn sie dem Angegriffenen am leich- 2 2 testen fällt, sondern nur, wenn der rechtswidrige Angriff gegenwärtig ist. Dies ist aus einem doppelten Grund der Fall: Einmal ist die Drastik des aktuellen Angriffs nötig, um die Vernachlässigung einer Verhältnismäßigkeit zwischen dem angegriffenem G u t und dem durch die Abwehr verursachten Schaden tolerabel zu machen. Zum anderen ist die planmäßige Deliktsverhütung wie die planmäßige Wiederbeschaffung von deliktisch entzogenen Gütern Aufgabe der Polizei; nur bei einem aktuellen Angriff über36

37

38 39

Wegen dieses Risikos verzichten Eb. Schmidt Niederschriften Bd. II U m d r u c k R 3 4 ( = Anlage N r . 21) S. 52 f und R G 27 S. 44 ff auf die Schuldhaftigkeit; — wie hier Haas N o t w e h r S. 245. So aber H. Mayer Studienbuch § 2 2 II 2 a; — ausführlich hierzu Haas N o t w e h r S. 151 ff. Schmidhäuser wie in Fn. 30. Insoweit überwiegende Ansicht; Maurach-Zipf A T I § 2 6 II A 2; SK-Samson § 3 2 Rdn. 7; Stratenwerth A T Rdn. 418; B a y O b L G N J W 1963 S. 824 f; O L G H a m m GA 1961 S. 181 ff; -

zweifelnd Schönke-Schröder-Lenckner § 32 Rdn. 10 f. - a. A. Bockelmann A T § 15 Β I 1 a; — ausführliche Nachweise bei Felber Rechtswidrigkeit S. 193 f Fn. 1. 4 ° R G 19 S. 298 ff; - zur A b g r e n z u n g von bloßen Vertragspflichten und Garantenpflichten siehe Felber Rechtswidrigkeit S. 193 ff, 198; zur rechtspolitischen Problematik der G r e n z e zwischen § 2 2 9 BGB und § 3 2 StGB siehe Arzt Schaffstein-Festschrift S. 77 ff, 81 f.

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12. A b s c h n

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

spielt der Zwang der Situation die Sorge um Kompetenzen. Dementsprechend ist die Gegenwärtigkeit zu interpretieren. 23

2. Bezugspunkt der Gegenwärtigkeit ist, anders als beim Versuch, nicht die (formelle) Tatbestandsverwirklichung (zumal es nicht nur um strafrechtlich geschützte Güter geht), wenn nicht ausnahmsweise Staatsnotwehr in Form der Deliktsverhinderung in Frage kommt, sondern der (materielle) Verlust eines Guts. Gegenwärtig ist der Angriff, wenn dieser Verlust vollzogen wird, d. h. — insoweit analog der Versuchsbestimmung — unmittelbar bevorsteht (Beispiel: Der Angreifer greift nach der Waffe, um sofort zu schießen) 41 oder aber stattfindet 4 2 oder unmittelbar stattgefunden hat (Beispiel: Der Dieb flieht auf Anruf mit der Beute; der Verteidiger hindert die Fortschaffung der Beute, indem er den Dieb erschießt) 43 . Der Angegriffene muß also weder den ersten Schlag abwarten noch darauf verzichten, dem Angreifer die Beute wieder zu entreißen, nur müssen seine Aktionen unvermittelte Reaktionen auf die Gutsverletzungshandlung sein. — Der Zeitpunkt der letzten Verteidigungschance ist kein Kriterium für die Bestimmung der Gegenwärtigkeit, da die Drastik des Angriffs von ihm nicht abhängt 4 4 .

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3. Verteidigung gegen künftige Angriffe ist — vor) der Präventiv-Notwehr abgesehen (dazu sogleich) — so wenig gerechtfertigt 4 5 wie Verteidigung schon gegen abgeschlagene, aber eventuell demnächst (nicht sofort!) zu wiederholende Angriffe 4 6 . Die Grenze verläuft so unscharf wie beim Versuchsbeginn.

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Β 1. Besondere Schwierigkeiten liegen bei der Abgrenzung eines vollzogenen, aber noch revertierbaren Angriffs von einer — nicht per Notwehr, sondern allenfalls nach § 229 BGB zu rechtfertigenden — Erzwingung von Schadensersatz. So dürfen beispielsweise andauernde Freiheitsberaubung oder Gewalt oder Schmerzzufügung durch Notwehr gebrochen werden, nicht aber andauernde Enteignung beim Diebstahl oder andauernder Vermögensentzug beim Betrug. Die Problematik 4 7 entspricht der Grenzbestimmung bei Ingerenz (siehe unten 29/8 und oben 6/83). — Im Ergebnis kommt es darauf an, ob das betroffene Gut nur eine Entfaltungschance bieten soll (Eigentum, Vermögen) — dann ist mit diesem Gut die Chance verloren — oder aber ob das Gut in der Entfaltung besteht (insbesondere Freiheit und Körper) — dann ist jeweils die Vorenthaltung von Entfaltungsmöglichkeiten ein erneuter Angriff. Beispiel: Die Wegnahme einer Brille beim Schwachsichtigen ist als Diebstahl spätestens unmittelbar nach dem Handlungsvollzug gerechtfertigt revertierbar, als Nötigung jedoch, solange dem Opfer durch den Mangel an Sehfähigkeit ein Verhalten abgezwungen wird.

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2. Unklar ist die Bestimmung des Angriffsendes in den Fällen, in denen der Angreifer den Verlauf zu einem weiteren Schaden nicht mehr beeinflußt oder sogar nicht mehr beeinflussen kann. Zwar ist Abwehr nicht schon allein deshalb ausgeschlossen, weil der Angreifer seinen Einfluß über das Geschehen verloren hat: Man darf den Zuschlagenden auch dann noch abwehren, wenn dieser den Schlag seinerseits nicht mehr 41 B G H N J W 1973 S. 255; R G 61 S. 216 f, 217; 67 S. 337 ff, 339 f. •>2 R G H R R 1940 N r . 1102. 43 R G 55 S. 82 ff, 84; siehe aber zum Mißverhältnis der Güter in dieser Entscheidung unten 12/46 f f ; R G 60 S. 273 ff, 277; R G H R R 1939 N r . 715. Bei nicht durch Abwehr reversiblen Schädigungen (Körperverletzung) ist freilich unmittelbar nach dem Schadenseintritt keine Abwehr mehr erforderlich. 44 Siehe aber unten z u r Präventiv-Notwehr; zutreffend Schönke-Schröder-Lenckner % 32 Rdn. 14.

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45

R G 64 S. 101 ff, 103; allzu notwehrfreundlich R G 53 S. 132 ff. 46 R G 43 S. 342 f f ; 48 S. 215 ff, 217; Ö L G Dresden D R i Z 1935 N r . 299. 47 D e r übliche Hinweis auf die Dauerdelikte (Jescheck AT ξ 32 II 1 d ; Dreher-Tröndle § 3 2 Rdn. 10; Schönke-Schröder-Lenckner §32 R d n . 15; siehe auch Kühl Beendigung S. 151 f f ; zum Begriff siehe Hau Beendigung S. 70 ff) erfaßt — abgesehen von der Unklarheit dieses Begriffs — das Problem nicht voll.

Notwehr

12. Abschn

stoppen kann. Wenn jedoch auch der äußere Vollzug des Angriffsverhaltens abgeschlossen ist, bleibt die Grenze in den Fällen zweifelhaft, in denen die Angriffsfolge noch auf Kosten des Angreifers hintangehalten werden könnte. So darf man ζ. B. denjenigen, der einem Opfer ein transplantierbares Organ zerstört hat, nicht in Nothilfe sein entsprechendes Organ nehmen und dem Opfer spenden, und zwar auch dann nicht, wenn die Verletzung des Opfers, etwa wegen zunehmender Hinfälligkeit oder andauernder Schmerzen, noch nicht abgeschlossen ist, es also nicht um Schadensersatz, sondern um Folgenverhütung geht. Abstrakt: Zweifelhaft ist, in welchem Maß neben dem Angriffsverhalten auch der Folgenverlauf zum Angriff gehört. Das dürfte nur der Fall sein, solange die aktuelle Gestaltung des Organisationskreises des Angreifers noch Bedingung für den Folgenverlauf ist (siehe die genannten Beispiele). 3. Das Erfordernis der Gegenwärtigkeit bedingt bei denjenigen Fallgestaltungen 27 eine „Verteidigungslücke", in denen der Angriff noch nicht begonnen hat, wenn die letzte Chance zu seiner Abwehr schon verstreicht. Da es in dieser Situation an der Drastik eines gegenwärtigen Angriffs fehlt, ist eine Abwehr nur beschränkt, nämlich nachrangig nach polizeilicher Hilfe und nur im Rahmen der bei defensivem Notstand geltenden Proportionalitätsgrundsätze, gerechtfertigt, dies zudem nur, wenn Art und (Mindest-)Umfang des kommenden Angriffs sich bereits abzeichnen. Beispiel: Wer den immer wiederkommenden Voyeur nicht anders von weiteren Besuchen abhalten kann, darf auf ihn schießen und ihn körperlich verletzen, auch wenn die Verletzung zur Abwehr der gegenwärtigen Störung nicht nötig ist, weil der Täter — freilich mit animus revertendi — flieht 48 . Einzelheiten dieser Präventiv-Notwehr(hilfe) oder notwehr(hilfe)ähnlichen Lage sind umstritten 49 . « Völlig übersehen von B G H N J W 1979 S. 2053 f; im Ergebnis wie hier Hruschka N J W 1980 S. 21 ff, 22; Hirsch JR 1980 S. 115 ff, 117; Schroetter JuS 1980 S. 336 ff, 341. 49 Grundlegend Suppert Studien S. 356 ff, der die Präventiv-Notwehr auch in Fällen zulassen will, in denen eine spätere Abwehr z w a r möglich wäre, aber zu schärferen Eingriffen f ü h r e n würde. — Die Rechtsprechung hat die Präventiv-Notwehr in den Fällen heimlicher T o n b a n d a u f n a h m e n z u r Abwehr einer späteren Nötigung, Erpressung etc. anerkannt; B G H Z 27 S. 284 ff, 290; B G H 14 S. 358 ff, 361; 19 S. 326 ff, 332 f; O L G Celle N J W 1965 S. 1677 ff; O L G Düsseldorf N J W 1966 S. 214; O L G Frankfurt N J W 1967 S. 1047 f; hierzu Haug M D R 1964 S. 548 ff, 552; den. N J W 1965 S. 2391 f; R. Schmitt J u S 1967 S. 19 ff; - ablehnend Arzt M D R 1965 S. 344 ff; Baumann MDR 1965 S. 346 f; ders. AT § 21 II 1 a γ Fn. 39 (schon keine tatbestandliche Vertraulichkeit nach § 201 StGB bei deliktischem Reden); LK-Spendel% 32 Rdn. 127 f f ; Notstandsrechtfertigung soll hinreichen nach Jescheck A T § 32 II 1 d ; Stratenwerth A T Rdn. 421; SchänkeSchröder-Lenckner § 3 2 Rdn. 17; Hillenkamp Vorsatztat und Opferverhalten S. 112 ff, 274 ff. - N a c h Amelung (GA 1982 S. 381 ff, 398 ff) sollen gegen Erpressung durch A n d r o h u n g k o m p r o mittierender Enthüllungen als heimliche Abwehr nur N o t w e h r durch „kommunikative Gegenwehr" (Gegennötigung) und durch „Fixierung des E r -

presserverhaltens" ( T o n b a n d a u f n a h m e n ) erlaubt sein. Bei anderer heimlicher Abwehr, insbesondere bei T ö t u n g des Erpressers, bestehe die G e f a h r , daß z w a r die Tatbestandsverwirklichung, nicht aber der rechtfertigende Kontext b e k a n n t w e r d e ; wegen dieser G e f ä h r d u n g des „Vertrauens in die R e c h t s o r d n u n g " sei solche Abwehr nicht geboten. — Es ist freilich sehr zweifelhaft, ob das Postulat, eine Rechtfertigungslage müsse ex post o f f e n k u n d i g werden können, generalisierbar ist. Die Versuche einer Einschränkung dürften ihre Plausibilität aus dem Umstand beziehen, daß eine D r o h u n g mit wahren Enthüllungen sachlich nicht Erpressung, sondern W u c h e r ist (Jakobs PetersFestschrift S. 69 ff). — Für Erpressung dürften folgende Grundsätze gelten: (1) Die — außer im Fall der vis absoluta — stets gegebene Möglichkeit, das abgenötigte Verhalten zu verweigern, nimmt der Abwehr z u r Vermeidung dieses Verhaltens (also z u r Vermeidung der schädigenden V e r m ö gensverfügung) immer dann die Erforderlichkeit, wenn d e r Fortgang des Geschehens noch vom E r presser abhängt. (2) Ist das angedrohte Übel seinerseits ein rechtswidriger Angriff und gegenwärtig, ist N o t w e h r nach allgemeinen Regeln zulässig; (3) bei fehlender Gegenwärtigkeit gelten die Regeln der notwehrähnlichen Lage. (4) D e r stets schon gegenwärtige psychische D r u c k erlaubt N o t w e h r so wenig, wie die Angst vor einer künftigen Beeinträchtigung ein gegenwärtiger Angriff ist.

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12. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. R e c h t f e r t i g u n g

V. Die Abwehr des Angriffs 28

A l . Gerechtfertigt ist nur die Abwehr durch Eingriff in Güter des Angreifers, nicht aber unbeteiligter dritter Personen 5 0 ; allerdings kann der vorsätzliche oder fahrlässige Eingriff in die Güter dritter Personen durch Notstand gerechtfertigt sein. Beispiel: Als Abwehrmittel gegen den Angriff benutzt der Angegriffene eine fremde Sache, die dabei beschädigt wird 5 1 . Eine Ausnahme besteht auch nicht f ü r Angriffsmittel im Eigentum dritter Personen oder f ü r Güter in öffentlichrechtlicher Zuständigkeit 5 2 . Beispiel: Eine Trunkenheitsfahrt, die zugleich Notwehrhilfe ist (der Fahrer will einem Angegriffenen zu Hilfe kommen), ist nur nach Notstandsregeln zu rechtfertigen 5 3 . 2. Bislang wenig geklärt ist das in zwei Fallgestaltungen auftauchende Problem, ob — im Rahmen des Erforderlichen — in alle Güter des Angreifers eingegriffen werden darf oder nur in solche Güter des Angreifers, die von diesem zum Angriff eingesetzt werden 5 4 . Bei einer Fallgestaltung geht es um die Auswahl der gegen den Angreifer verwendeten Abwehrmittel (darf man dem rechtswidrig Angreifenden ohne Blick auf Proportionalität dessen Meißener Porzellan entgegenschleudern?), bei der anderen um Gewalt gegen Sachen des Angreifers, um dessen Willen zu beugen (darf man in der Bibliothek oder dem Weinkeller des Angreifers vandalisch hausen oder den H u n d des Angreifers quälen, um den Angreifer zur Aufgabe zu zwingen?). Die Entscheidung hängt davon ab, ob sich der Angreifer durch seine Tat mit allem H a b und Gut ins Unrecht setzt (dann Notwehrrechtfertigung) oder nur beschränkt (dann nur Notstandsrechtfertigung). Da die Güter nur in ihrer Zuordnung zum Gutsträger rechtlich interessieren und der Gutsträger im Unrecht ist, dürfte die erstgenannte Lösung vorzuziehen sein (zweifelhaft).

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B. Die Abwehr kann als Schutzwehr (Schließen der T ü r vor dem heranstürmenden Angreifer, dessen Finger eingeklemmt werden) oder T r u t z w e h r erfolgen (Niederschlagen des mit anderen Mitteln nicht aufzuhaltenden Angreifers) 5 5 . Beide Abwehrformen können zusammentreffen; Beispiel: Als der Angreifer auf das Opfer zuspringt, hält dieses ein Messer vor; — Schutzwehr, soweit es um die Abwehr durch die Drohung mit weiteren Stichen geht, Trutzwehr, soweit die aktuelle Verletzung abwehrend wirken soll.

VI. Die Erforderlichkeit der Abwehr 30

A l . Der Verteidiger ist nur gerechtfertigt, wenn er unter den zur Abwehr geeigneten Mitteln dasjenige wählt, das den geringsten Verlust beim Angreifer bringt. Die erlaubte Abwehr korrespondiert nicht fix mit einem bestimmten Angriff, sondern je nach der Stärke von Täter und Opfer, den zur Verfügung stehenden Abwehrmitteln und den Erfolgsaussichten bei deren Einsatz kann die erforderliche Abwehr im übrigen gleicher Angriffe unterschiedlich sein 56 . Auf eine Proportionalität der betroffenen Gü50

Heute in der Hauptsache unstreitig; anders noch Frank § 53 Anm. II, 1. Abs. mit Beispielen, die sich heute sämtlich über eine Notstandsrechtfertigung des Eingriffs in die Güter dritter Personen lösen lassen. Werden unzuständige dritte Personen durch die Abwehr getötet oder massiv verletzt, bleibt nur die Möglichkeit einer Entschuldigung des Abwehrenden nach § 35 StGB; Stratenwerth AT Rdn. 429; - a. A. LK-Spendel § 32 Rdn. 216 mit Nachweisen des älteren Meinungsstands in Fn. 449. 51 RG 23 S. 116 f; 58 S. 27 ff, 29 mit Nachweisen; B G H 5 S. 245 ff, 248; B G H Z N J W 1978 S. 2028 f u. a. m.

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52

53 5t 55 56

Streitig; wie hier Scbönke-Schröder-Eser §32 Rdn. 32 mit Nachweisen; a. A. LK-Spendel §32 Rdn. 211. Siehe O L G Celle N J W 1969 S. 1775. So wohl Stratenwerth AT Rdn. 428. Siehe RG 16 S. 69 ff, 71. Das wird zum Teil — verwirrend — als Proportionalität der Intensität von Angriff und Verteidigung bezeichnet; Schönke-Schröder-Lenckner20 § 32 Rdn. 36; — stehen aber gegen einen schwachen Angriff nur intensive Abwehrmitte! zur Verfügung, dürfen diese trotz der Intensitätsdifferenz eingesetzt werden.

Notwehr

12. Abschn

ter k o m m t es nicht an, vielmehr kann nach § 32 StGB die Verteidigung von Sachgütern, wenn der Angriff anders nicht abgewendet w e r d e n k a n n , bis z u r T ö t u n g des Angreifers gehen. — D a die Erforderlichkeit von der bezeichneten Situation des A b w e h renden abhängig ist, kann eine A b w e h r auch relativ gerechtfertigt sein, w e n n nämlich die Situationen f ü r mehrere Personen, die an der A b w e h r mitwirken, je unterschiedlich sind. Beispiel: W e r dem Verteidiger z u r Abwehr des Angreifers ein Messer reicht, obgleich ein (nur dem H e l f e n d e n verfügbarer) Prügel auch g e n ü g t hätte, wirkt an einer Abwehr mit, die z w a r f ü r den A u s f ü h r e n d e n rechtmäßig ist, f ü r den H e l f e n d e n aber rechtswidrig. 2. An dieser klaren Bestimmung des Erforderlichen ändert sich nichts, w e n n die 3 1 Wirkung der Abwehrmittel unsicher ist. Es geht dann um die Entscheidung, ob sogleich ein schärferes Mittel eingesetzt werden darf, w e n n die W i r k u n g des milderen Mittels ungewiß ist und eine sukzessive A n w e n d u n g beider Mittel nicht o h n e Risiko f ü r die E f fizienz der Abwehr möglich ist. Vorbehaltlich der noch zu n e n n e n d e n N o t w e h r e i n schränkungen muß der Angegriffene sich nur dann mit einer unsicheren Verteidigung begnügen, wenn ihm die sichere Verteidigung ohne zwischenzeitliche Nachteile erhalten bleibt 5 7 . Beispiel: Gegen einen Angriff mit der Faust darf der mit einem Messer bewehrte Verteidiger zunächst mit seiner W a f f e nur d r o h e n (falls das ü b e r h a u p t Erfolg verspricht und nicht U m k l a m m e r u n g und Verlust der Abwehrmöglichkeit zu befürchten sind), gegen einen Angriff mit einer S c h u ß w a f f e hingegen wird in der Regel nur die Möglichkeit sofortigen Zustechens bleiben 5 8 . 3. Kann ein Angriff zunächst noch mit einem milden Mittel abgewehrt w e r d e n , 3 2 nachfolgend aber nur mit einem schärferen, so besteht keine Verpflichtung zu einem frühzeitigen Beginn, um den Angreifer zu schonen. Beispiel: W e r es unterläßt, vor dem heranstürmenden Angreifer das T o r sicher zu verschließen, verliert nicht seine weitere Abwehrbefugnis. W e n n das Z u w a r t e n allerdings dem Angegriffenen nur minimale Vorteile bringt und die spätere A b w e h r zum T o d o d e r zu schweren V e r l e t z u n g e n beim Angreifer f ü h r t , kann der Verzicht auf f r ü h e Abwehr nach $ 323 c S t G B zu beurteilen sein (siehe auch unten 12/35). B. D e r Angegriffene ist nicht verpflichtet, unter mehreren zur V e r f ü g u n g stehenden 3 3 Mitteln auch dann dasjenige mit der mildesten W i r k u n g zu wählen, w e n n dieses Mittel f ü r den Angegriffenen gegenüber anderen Mitteln einen höheren Aufwand bedingt. D a s gilt, solange die V e r m e i d u n g des A u f w a n d s ihrerseits ein notwehrfähiges G u t und die Mindestsolidarität nicht verletzt ist; denn ansonsten w ü r d e dem Angegriffenen bei der Ausgestaltung der A b w e h r angesonnen werden, wovon er bei der Erlaubnis z u r Abwehr befreit ist, seil, auf G ü t e r zugunsten des Angreifers zu verzichten. Für den Bereich der Vermögensschäden heißt das, daß der Verteidiger ein V e r m ö g e n s s t ü c k bei der Verteidigung nicht deshalb opfern muß, um dem Angreifer das M e h r f a c h e an V e r lust zu sparen. Beispiel: W e n n der Angreifer seinen (!) H u n d auf den Angegriffenen hetzt, braucht der Angegriffene das Tier so wenig z u r Ablenkung mit (verfügbarer) Pastete zu füttern, wie er die Pastete opfern müßte, w e n n der H u n d auf sie gehetzt worden w ä r e ; jedenfalls darf er das Tier sogleich erschlagen, falls sonstige Rettungsalternativen ausscheiden. Die G r e n z e bildet die Mindestsolidarität (dazu g e n a u e r unten 12/46 f f ) ; von dem von jedermann zur Erhaltung besonders hochwertiger Güter (Leben, elementare Gesundheit etc.) geforderten Beitrag ist auch der Angegriffene nicht 57 R G 68 S. 182 f; 69 S. 23; B G H 24 S. 356 ff, 358; 25 S. 229 ff, 230 f; B G H GA 1965 S. 147 ff; B G H

B G H 26 S. 256 ff, 257; sehr stark bei P r o v o k a tion einschränkend B G H 26 S. 143 ff, 145 f.

JR 1980 S. 210 f, 211; BGH StV 1982 S. 467 f;

58 siehe BGH 26 S. 256 ff, 258; Mauracb-Zipf AT I

mit Einschränkungen f ü r Provokationsfälle auch

§ 26 II Β 2 a.

323

12. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

befreit. Beispiel: Niemand darf sogleich den Angreifer mit einem Schuß gezielt töten, weil Kampfunfähigkeit nur durch (verfügbare) mehrere Schüsse auf die Beine zu erreichen gewesen wäre, der Angegriffene jedoch die Abwehr billig halten will 59 . Aber Schüsse auf die Beine des Angreifers bleiben erforderlich, wenn auch ein Wurf mit (verfügbaren) alten Fayencen des Angegriffenen den Angriff abgewehrt hätte. Bei Bemessung des Aufwands zählen subjektive Präferenzen nur, wenn sie als unumgehbar plausibel gemacht werden können. So darf ζ. B. auch derjenige nicht schießen, der sich durch Schläge wehren kann, aber Schlagen, unfein oder übermäßig anstrengend findet. Der Bereich des üblicherweise alltäglich zu diversen Zwecken ohne Differenzierung eingesetzten Aufwands wird in der Regel als gleichgewichtig zu behandeln sein. — Nach diesen Grundsätzen ist fremde Hilfe, die präsent ist oder ohne den bezeichneten Rahmen übersteigenden Aufwand gerufen werden kann, vom Verteidiger zu akzeptieren, wenn dadurch die Abwehr milder wird. Beispiel: Mehrere Personen können den rasenden Angreifer festhalten; eine Person allein müßte ihn mit einer Waffe gefährlich verletzen 60 . — Eine Pflicht zur Vorbereitung der Abwehr durch Hilfebeschaffung vor der Gegenwärtigkeit des Angriffs besteht allerdings nicht. 34

C. Zur Abwehr ungeeignete Maßnahmen sind nicht erforderlich und deshalb nicht gerechtfertigt (ihr Einsatz kann aber nach § 33 StGB entschuldigt sein) 61 . Das zur Abwehr zu schwache Angriffsopfer darf also nicht dem Angreifer wenigstens die — zur Abwehr nutzlose — Unbill zufügen, die es zustande bringt, sondern muß den Angriff kampflos dulden62 (freilich wirkt der Angriff schuldmindernd, auch wenn der Angegriffene im sthenischen Affekt reagiert; siehe unten zu Notwehrexzeß 20/29). Notwehr ist keine Strafe; der Angreifer hat nicht etwa ein Mindestmaß an Abwehr verwirkt, sondern Notwehr dient dem Güterschutz und ist jenseits dessen unzulässig. — Da sich der Abwehrende eine zumindest kleine Erfolgschance in der Regel ausrechnen wird, dürfte der Komplex bei der hier vorgeschlagenen Bestimmung der Erforderlichkeit subjektiv und ex ante praktisch ohne größere Bedeutung sein.

35

D. Auch die Beurteilung der Rechtmäßigkeit automatisierter (oder tierischer) Schutzanlagen^ erfolgt nach diesen Grundsätzen. Da es an einer Verpflichtung des Angegriffenen fehlt, für den Fall eines Angriffs Vorsorge für die Verfügbarkeit möglichst schonender Abwehrmittel zu treffen, kann es bei Selbstschutzanlagen nicht darauf ankommen, ob im Fall des Angriffs eine den Angreifer stärker schonende Anlage auch genügt hätte; vielmehr sind die Anlagen so zu beurteilen, als habe sich der Angegrif59 Damit erledigen sich auch RG 69 S. 180 ff, 183 f; 72 S. 383 f, 384: Das unerfreuliche Bild eines in einer Rauferei verstrickten „Uniformträgers" hat gegenüber Leben und Gesundheit nur ein verschwindendes Gewicht. Ό Wie hier Haas Notwehr S. 279 ff mit Nachweisen ; Jescheck AT $ 32 II 2 c; RG 66 S. 244 ff, 245; 71 S. 133 ff, 134; 72 S. 57 ff, 58 (letztere Entscheidung mit verfehlter Begründung); — zu den Unterscheidungen des Reichsgerichts zwischen präsenter und erst noch zu beschaffender Hilfe siehe Kratzsch Grenzen der Strafbarkeit S. 13 ff; anders die überwiegende Ansicht; Schönke-Schröder-Lenckner § 32 Rdn. 41 (präsente Hilfe soll zu akzeptieren sein, nicht aber soll Hilfe zu rufen sein); Maurach-Zipf AT I § 26 II Β 2 a; AG Bensberg NJW 1966 S. 733 ff mit Anmerkung Himmelreich aaO S. 733 f. — Akzeptation von Hilfe

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ist entgegen der überwiegenden Lehre kein Ausweichen vor dem Angriff (Notwehr ist keine Sportart!); niemand darf die Notlage für sich zur alleinigen „Klärung" reklamieren. " LK9-Baldus §53 Rdn. 20; Dreher-Tröndle §32 Rdn. 16. 6 2 Differenzierend, ob die Verteidigung der Art nach geeignet ist oder nicht, Scbönke-SchröderLenckner§ 32 Rdn. 35; bei bloßem Intensitätsdefizit der Abwehr soll danach Rechtfertigung eintreten. 6 3 Die Notwendigkeit einer polizeirechtlichen Erlaubnis solcher Anlagen ist für § 32 StGB so irrelevant wie die Notwendigkeit eines Waffenscheins für die Rechtfertigung der Benutzung dieser Waffe in Notwehr; es fehlt jeweils am Rechtswidrigkeitszusammenhang.

Notwehr

12. Abschn

fene aller Abwehrmöglichkeiten bis auf die Benutzung der Anlage begeben 64 : Der Halter der Anlage trägt also das Haftungsrisiko für den Fall, daß die Anlage durch erkennbar schuldlos handelnde Personen oder bei bloßem Unfug (siehe unten 12/48) ausgelöst wird und den Angreifer verletzt, oder wenn bei Minimalangriffen die Mindestsolidarität mißachtet wird; Beispiel 65 : Selbstschüsse gegen den Zecher, der im fremden Obstgarten seinen Rausch ausschlafen will, sind unzulässig. Man mag solche Anlagen wegen dieser Gefahren überhaupt für einen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit und deshalb für unzulässig halten 66 , nur wird der Einsatz gegen Güter eines rechtswidrig Angreifenden dadurch (mangels Rechtswidrigkeitszusammenhangs) nicht auch rechtswidrig. E. Da der Angegriffene auch nur partielle Wirkungen des Angriffs nicht hinnehmen 3 6 muß, ist er nicht verpflichtet, dem Angriff auszuweichen67. Ob das Ausweichen als „schimpfliche Flucht" oder als Nachgeben des Klügeren zu interpretieren wäre, muß gleichgültig sein, solange das Freisein von Fremdbestimmung zu den notwehrfähigen Gütern zählt 68 . Die Grenze des Zulässigen liegt beim Ubergang zur Unfugabwehr und bei der Verletzung der Mindestsolidarität. F 1. Die Erforderlichkeit soll sich nach einer verbreiteten Meinung auf die Vertei- 3 7 digungshandlung beziehen, nicht auf den Verteidigungserfolg. Wegen dieses Handlungsbezugs soll Rechtfertigung auch dann eintreten, wenn dem Angreifer Verletzungen beigebracht werden, die der Verteidiger nicht vorausgesehen und deshalb auch nicht bei der Bestimmung der Erforderlichkeit berücksichtigt hat 69 . 2. Das zutreffende Ergebnis läßt sich jedoch mit den allgemeinen Irrtumsregeln bes- 3 8 ser begründen: a) Bringt die Abwehrhandlung unvermeidbar (weder vorsätzlich noch fahrlässig) eine Verletzungsfolge, so ist schon mangels einer diesbezüglichen Handlung nicht zu haften. Μ Wie hier LK*-Jagusch § 53 Anm. 3 Buchstabe f; — einschränkend LK^-Baldus § 53 Rdn. 26 und LK-Spendel § 3 2 Rdn. 248 f f ; siehe auch Maurach-Zipf A T I 5 26 II Β 2 d. 65 Siehe auch O L G Braunschweig M D R 1947 S. 205 f: keine Erlaubnis tödlicher Stromanlagen zum Schutz von Obst. Siehe H. Mayer KT S. 205. " Klar R G GA 46 (1898/99) S. 31 f: Verteidigung ist erlaubt, Ausweichen ist aber keine Verteidigung, also bei der Bestimmung des Erforderlichen nicht zu berücksichtigen; ebenso Kratzsch GA 1971 S. 65 ff, 75. 68 Soweit ein Zurückweichen vor den Angriffen geisteskranker Personen verlangt wird ( W e l z e l Strafrecht § 14 II 2; Stratenwerth A T Rdn. 435), erledigt sich die Problematik dadurch, daß nach der hier vertretenen Ansicht deren Attacken schon keine rechtswidrigen Angriffe sind. Ansonsten hauptsächlich wie hier die überwiegende Lehre; Schönke-Schröder-Lenckner § 32 Rdn. 40; Mauracb-Zipf A T I § 26 II Β 2 b jeweils mit N a c h weisen; ebenso auch die neuere Rechtsprechung; B G H 24 S. 356 ff, 358 (zu dieser Entscheidung siehe Roxin N J W 1972 S. 1821 f; Schröder J u S 1973 S. 157 f f ; Lenckner]Z 1973 S. 253 f f ) ; B G H N J W 1980 S. 2263 f (unter freilich verfehlter Be-

69

r u f u n g auf einen angeblichen E h r e n k o d e x f ü r R a u f h ä n d e l ; dagegen Arzt J R 1980 S. 211 ff, 212); B G H N S t Z 1981 S. 138, w o das Ausweichen n u r noch als Konsequenz von provozierten Angriffen genannt wird. — Anders aber R G 71 S. 133 ff, 134; B G H 5 S. 245 ff, 248 f und insbesondere B G H N J W 1962 S. 308 f, w o gefordert wird, den Wirkungskreis randalierender Angreifer von vornherein zu meiden (ablehnend hierzu Cutmann N J W 1962 S. 286 ff; Baumann MDR 1962 S. 349 f ; Schröder J R 1962 S. 187 ff). Im zu entscheidenden Fall w a r zwischen den Beteiligten über längere Zeit eine Art Privatkrieg — mit allerdings eindeutig verteilter Angreiferrolle — entb r a n n t ; deshalb war die Notwendigkeit von Abwehr planbar geworden; f ü r solche Fälle wäre de lege ferenda festzulegen, daß polizeiliche Hilfe auch gegen noch nicht gegenwärtige Angriffe anz u f o r d e r n ist. Siehe hierzu Himmelreich N o t w e h r und unbewußte Fahrlässigkeit passim; ders. CA 1966 S. 129 f f ; Niese Finalität S. 46; Schaffstein Welzel-Festschrift S. 557 ff, 576; Noll Übergesetzliche Rechtfertigungsgründe S. 37; R. Schmitt J u S 1963 S. 64 f f ; Schmidbauer AT 9 / 1 0 3 ; SchönkeSchröder-Lenckner § 3 2 Rdn. 38; ]escheck A T § 32 II 2 b ; R. Hassemer J u S 1980 S. 412 ff.

325

12. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. R e c h t f e r t i g u n g

b) Bringt die Abwehrhandlung vermeidbar (vorsätzlich oder — hier relevant — fahrlässig) eine Verletzungsfolge (Beispiel 70 : Schon beim Hochreißen der Schußwaffe zum Zweck einer D r o h u n g löst sich ein Schuß), so ist zu unterscheiden: aa) Ist die Verletzung zur Abwehr nötig, so ist ihre Herbeiführung erforderlich, gleich ob man auf die Handlung oder auf den Erfolg abstellt. bb) Ist die Verletzungsfolge der Handlung zur Abwehr überflüssig, hatte der Verteidiger aber nicht die Möglichkeit zu einer anderen Handlung, so ist mangels Verfügbarkeit eines milderen Abwehrmittels der Einsatz des scharfen Mittels gerechtfertigt. cc) Ist die Verletzung zur Abwehr überflüssig und hatte der Verteidiger eine erkennbare Verhaltensakernative mit milderer Folge, so darf er die Handlung mit der schärferen Folge nicht vollziehen 71 . — Bei Beurteilung des in dieser Fallgruppe gegebenen Irrtums über die Rechtfertigungslage sind der bei Notwehr regelmäßig vorliegende Entscheidungszwang sowie § 33 StGB zu berücksichtigen.

VII. Die Einschränkungen des Notwehrrechts A. Einschränkung durch die Menschenrechtskonvention? 39

1. Es geht um die Bedeutung von Art. 2 MRK 7 2 . Bei Auslegung der MRK ist umstritten, ob sie nur f ü r hoheitliches Handeln gilt 73 oder auch f ü r privates Handeln 7 4 , wobei die erste Lösung mit dem sonstigen Regelungsinhalt der Konvention (in den Art. 2 bis 9 MRK) und insbesondere dem sonstigen Inhalt des Art. 2 MRK (Todesstrafe, Festnahmerecht, Bekämpfung von Aufruhr und Aufstand) besser harmoniert.

40

2. Nachdem die Notwehrregelung des § 32 StGB lex posterior ist (seit 1. 1. 1975) 75 , muß die Konkurrenz von Konvention und Notwehr neu bestimmt werden, und zwar in einer stärker auf innerstaatliches Recht bezogenen Interpretation. Den Ansatz hierzu bildet, daß nach dem Wortlaut der Konvention zwar eine „Verteidigung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung" (Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a MRK) zulässig sein soll, daß aber weder von einem Angriff als schuldhaftes Verhalten noch von dessen Gegenwärtigkeit die Rede ist; mit anderen Worten, die Konvention regelt keine Notwehr im modernen Verständnis, sondern eine weit weniger spezifizierte N o t lage (nicht einmal eine Handlung als Mindestvoraussetzung steht fest). Was aber schon in dieser kaum spezifizierten Lage erlaubt ist, muß in einer streng spezifizierten Lage 7

° B G H 25 S. 229 ff, 230; 27 S. 313 ff; siehe auch RG 56 S. 285 f. ' B G H 27 S. 313 ff, 314. 72 Gesetz vom 17. 8. 1952, BGBl. II S. 686. - Die Konvention hat den Rang eines einfachen Gesetzes; BVerfG 10 S. 27 I f f , 274; völkerrechtlich bindet die Konvention in englischer und französischer Fassung; als innerstaatliches Recht wurde auch die deutsche Fassung verkündet; ihre Interpretation hat entsprechend der völkerrechtlichen Bindung unter Berücksichtigung des englischen und französischen Textes zu erfolgen. 73 Das wird meist als Verhältnis Staat—Bürger bezeichnet, aber zu diesem Verhältnis gehört jede N o r m und damit auch § 3 2 StGB! — Für Beschränkung auf hoheitliches Handeln: Strauß, Schafheutie u. a. Niederschriften Bd. II S. 131 ff; siehe auch a a O Anhang N r . 26, S. 79 ff; Bockelmann Engisch-Festschrift S. 456 ff; Partsch 7

326

74

75

in: Bettermann-Neumann-Nipperdey Bd. I (1) S. 235 ff, 333 ff, 336 mit eingehender Darstellung der Entstehung des "Wortlauts; Krüger N J W 1970 S. 1483 ff; Schönke-Schröder-Lenckner § 32 Rdn. 62; Lenckner GA 1968 S. 1 ff, 5 f; Krey J Z 1979 S. 701 ff, 709; Geilen Jura 1981 S. 210 ff, 370 ff, 377 f; Jescheck A T § 32 V und LK-Spendel % 32 Rdn. 259 mit ausführlichen Nachweisen. — O b die Konvention im Bereich hoheitlichen Handelns überhaupt von den einschlägigen Kompetenznormen abweicht, ist streitig; siehe Schönke-Schröder-Lenckner 5 32 Rdn. 62. Dürig in: Maunz-Dürig-Herzog-Scholz Art. 1 Abs. 2 Rdn. 62, Art. 2 Abs. 2 Rdn. 15; SK-Samson § 32 Rdn. 29; Echterhölter J Z 1956 S. 142 ff, 143; im Ergebnis auch Stratenwerth A T Rdn. 440. Hierbei wurde der Regelungsumfang der Konvention nicht geklärt, siehe BT-Drucksache V / 4095 S. 14 linke Spalte oben.

Notwehr

12. Abschn

nicht das Höchstmaß des Erlaubten bezeichnen76. Zudem ist der Begriff der Gewaltanwendung unbestimmt („Anwendung" als Handlung oder als bloßes Bewirken, Gewalt als Kraftentfaltung, gegen Personen und Sachen, körperliche Zwangswirkung, Zwangswirkung überhaupt?)77. Unbestimmt ist ebenfalls der Begriff der Verteidigung eines Menschen (als Person oder als biologisches System, im Gegensatz zu Sachen oder zu juristischen Personen, gegen alle Angriffe auf Persönlichkeitsrechte, auch gegen Angriffe auf sein Eigentum?). Bei dieser Lage — die fremdsprachlichen Texte geben keine Aufklärung, insbesondere nicht zur Frage der Qualifikation des Angriffs — gibt die Konvention nur eine umrißhafte Mindestgarantie für eine einzelne, weit bestimmte Konfliktlage unter mehreren möglichen, insbesondere enger bestimmbaren Konfliktlagen. Dieser Rahmen wird weder durch § 32 StGB noch durch die Normen, die hoheitliche Verteidigungen regeln, ausgeschöpft78. B. Die Sondernormen für hoheitliches Handeln 7 9 1. Notwehr ist eine in der Regel nicht vorbereitete Verteidigung eines Guts. Die regelmäßige Spontaneität80 wie auch die Fixierung am Gut und nicht an der öffentlichen Ordnung trennen Notwehr(hilfe) von hoheitlicher Gefahrenabwehr, insbesondere von polizeilicher Verbrechensverhütung. Das vorbereitete Handeln zur Verbrechensverhütung (eine Aufgabe der Polizei) folgt aus verschiedenen Gründen eigenen Regeln. Es geht einmal um die Bindung der öffentlichen Gewalt überhaupt, ferner um die Berechenbarkeit öffentlichen Handelns und um eine generalisierende Bestimmung der Effektivität; letzteres heißt: Der Fehlschlag im Einzelfall kann eines besseren generellen Erfolgssaldos wegen hingenommen werden. Jedenfalls geht es nicht um die im Einzelfall optimale Effektivität. Wenn ζ. B. ein Schuß, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich wirken wird, nur zur Abwehr von Gefahren für Leben und schwere körperliche Verletzung als polizeiliches Handeln zulässig ist 81 , so ergibt sich daraus kein Wertungswiderspruch zur Notwehrregelung für private Personen, die im Rahmen des Erforderlichen auch beim Schutz von Sachgütern Tötung zuläßt; vielmehr nimmt der Staat bei polizeilichem Handeln einen im Einzelfall nicht zu rechtfertigenden Verlust hin, um die Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns und Lebensschutz als staatliche Aufgabe um so deutlicher zu konturieren. Da ein abwehrender Bürger privat handelt, kann er die Erreichung der genannten Ziele nicht gefährden und deshalb im Einzelfall mehr Eingriffsbefugnis haben als ceteris paribus der Polizist 82 . Um76

77

78 79

Nur so ergibt sich auch eine einigermaßen brauchbare Harmonie mit Art. 2 Abs. 2 Buchstabe b MRK, der Tötung bei einer ordnungsgemäßen Festnahme und bei Flucht aus einer ordnungsgemäßen Festnahme zuläßt, ohne die Gewichtigkeit des Grunds der Festnahme auch nur zu erwähnen. Unklar ist auch die Dichte der Gefahr; jedenfalls wird der Verteidiger nicht die ersten Gewaltwirkungen abwarten müssen; — die Problematik der Gewaltanwendungsversuche mit untauglichen Mitteln dürfte je nach Lage wie bei der Notwehr oder wie beim Notstand zu entscheiden sein. Im Ergebnis ebenso Schmidhämer AT 9/88. Ein analoges Problem besteht beim rechtfertigenden Notstand; dazu unten 13/42 mit weiteren Nachweisen.

80

81

82

Bei organisierten Bürgerwehren mögen dementsprechend die Freiheiten der Notwehr(hilfe) als Bedrohung des Rechtsfriedens empfunden werden; siehe Arzt Schaffstein-Festschrift S. 77 ff, 86 f; Schaffstein Schröder-Gedächtnisschrift S. 97 ff, 102; siehe auch oben zur Staatsnotwehrhilfe 12/9 ff. Etwa nach Art. 45 Abs. 2 Satz 2 Bay. PAG vom 2 4 . 8 . 1 9 7 8 , GVB1. S. 561; ebenso nach § 41 Abs. 2 Satz 2 Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder, mitgeteilt bei Heise Musterentwurf (1978). Entsprechendes gilt für die Bindung der Mittel (Art. 40 Abs. 4 Bay.PAG), für das Erfordernis der Androhung (Art. 43 Bay.PAG; § 13 UZwG vom 10. 3. 1961, BGBl. I S. 165), die Subsidiarität des Schußwaffengebrauchs (Art. 45 Bay.PAG; § 12 UZwG) etc.

327

^

12.

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

Abschn

g e k e h r t m a c h t es d i e s t ä r k e r e B i n d u n g d e r P o l i z e i t o l e r a b e l , bei i h r e m

hoheitlichen

H a n d e l n v o n der G e g e n w ä r t i g k e i t a b z u r ü c k e n u n d die A b w e h r an die zeitliche w e i t e r e Gefahr 42

anzubinden83.

2. D i e g e n a n n t e K a n a l i s i e r u n g des polizeilichen H a n d e l n s w ü r d e obsolet und die f o r m e l l e R e c h t s s t a a t l i c h k e i t w ä r e d a h i n , w e n n d i e P o l i z e i s i c h n i c h t n u r a u f die L e g i t i m a t i o n e n z u h o h e i t l i c h e r Z w a n g s a n w e n d u n g , s o n d e r n a u c h a u f die im M e r k m a l

der

E r f o r d e r l i c h k e i t g e n e r a l k l a u s e l h a f t e N o t w e h r ( h i l f e ) b e r u f e n k ö n n t e 8 4 , z u m a l die N o t wehr(hilfe)

als

Bürgerrecht

aus

dem

Bereich

polizeilicher

Weisungsbefugnis

und

H a n d l u n g s v e r p f l i c h t u n g h e r a u s f ä l l t , s o d a ß j e d e r e i n z e l n e P o l i z i s t ü b e r sein E i n g r e i f e n allein z u e n t s c h e i d e n sein86·

87

hätte85. Also kann N o t w e h r

d u r c h die Polizei nicht

geboten

. F r e i l i c h b l e i b t d e r P o l i z i s t a u c h B ü r g e r u n d h a t die R e c h t e e i n e s B ü r g e r s ; s o -

w e i t e r j e d o c h als P o l i z i s t d i e A b w e h r d e s A n g r i f f s v e r f o l g t , ist sein H a n d e l n als B ü r g e r nicht g e b o t e n , wie überhaupt private A b w e h r neben polizeilicher A b w e h r nicht g e b o t e n i s t 8 8 . — O b es u m N o t w e h r h i l f e d u r c h die P o l i z e i f ü r p r i v a t e P e r s o n e n g e h t , o d e r o b ein P o l i z i s t i m D i e n s t selbst a n g e g r i f f e n w i r d , ist f ü r die L ö s u n g g l e i c h g ü l t i g 8 9 .

83

84

85

86

Der Gegensatz zwischen der polizeilichen Befugnis und § 32 StGB ist nicht derjenige zwischen Verhältnismäßigkeit und UnVerhältnismäßigkeit; auch § 32 StGB erlaubt nur eine verhältnismäßige Abwehr, aber nicht zu deuten als Güterproportionalität, sondern als Abwägung von Recht und Unrecht (insoweit ähnlich Bockelmann AT § 15 Β 1 4 ; Schroeder Maurach-Festschrift S. 127 ff, 139). Eine polizeiliche Befugnis bis hin zu der Abwehr, die nach § 32 StGB gerechtfertigt ist, würde so wenig unverhältnismäßig sein, wie ζ. B. Freiheitsstrafe bei Vermögenskriminalität unverhältnismäßig ist. So allerdings die überwiegende Ansicht im Strafrecht; Bockelmann Dreher-Festschrift S. 235 ff; Gössel JuS 1979 S. 162 ff, 165; Klose ZStW 89 S. 61 ff, 79; Lange J Z 1976 S. 546 ff, 547; Rupprecht J Z 1973 S. 263 ff, 264 f; Schwabe Notrechtsvorbehalte S. 38 ff, 51 ff, 54 ff; ders. N J W 1974 S. 670 ff, 672; ders. J Z 1974 S. 634 ff; ders. N J W 1977 S. 1902 ff; LfP-Baldus § 5 3 Rdn. 19; LK">-Hirsch Rdn. 144 vor § 51; LK-Spendel § 32 Rdn. 263 ff; Lackner § 3 2 Anm. 3 b; SchönkeSchröder-Lenckner § 32 Rdn. 42 mit ausführlichem Referat des Meinungsstands Rdn. 42 a. Zutreffend Drews- Wacke- Vogel Gefahrenabwehr S. 332; a. A. allerdings Schwabe Notrechtsvorbehalte S. 58. So mit unterschiedlicher Begründung und unterschiedlicher Reichweite Blei J Z 1955 S. 625 ff; ders. A T § 40 II 4; Haas Notwehr S. 319 ff; Amelung N J W 1977 S. 833 ff, 840; ders. N J W 1978 S. 623 f; Sydow JuS 1978 S. 222 ff, 224 f; Lerche v. der Heydte-Festschrift Bd. II S. 1033 ff, 1044 ff, 1048; SK-Samson § 3 2 Rdn. 35; tendenziell auch Drews-Wacke-Vogel Gefahrenabwehr S. 331 f; siehe auch BVerfG 33 S. 1 ff, 17. - Für ein durch die Verhältnismäßigkeit der betroffenen Güter begrenztes Notwehrhilferecht Seelmann ZStW 89 S. 36 ff, 50 ff; im Ergebnis ebenso Dreher-Tröndle Rdn. 6 vor § 32; für eine Begrenzung

328

87

nach den Maßstäben des defensiven Notstands Schaffstein Schröder-Gedächtnisschrift S. 97 ff, 112 f. — Für eine Begrenzung durch „Schutzpflichten . . . auch gegenüber demjenigen, von dem die Bedrohung ausgeht" Stratenwerth AT Rdn. 442. — Zum schweizerischen Recht siehe Donatsch Beurteilung S. 82 f. Das Merkmal des Gebotenseins in § 32 StGB ist nicht — im normlogischen Sinn — als „Befohlensein" zu verstehen, sondern als „Angebrachtsein". Es handelt sich um einen — rechtsstaatlich zweifelhaften — Sammelbegriff für Notwehreinschränkungen; siehe BT-Drucksache V/4095 S. 14; Baumann AT § 2 1 II 1 a a. Ε.; Krey J Z 1979 S. 701 ff, 713 f; siehe ferner Lenckner GA 1968 S. 1 ff, 2, 6; Himmelreich GA 1966 S. 129 ff, mit freilich verfehlter Aufschlüsselung des Begriffs; a. A. Kratsch Grenzen S. 44 ff; ders. GA 1971 S. 65 ff, 76, 81 f, der wegen des Art. 103 Abs. 2 G G über § 32 StGB ein Interpretationsverbot verhängt, dabei aber den Unterschied zwischen — verbotener — frei wertender und — zulässiger — systembildender Interpretation verkennt. Gegen Kratzsch zutreffend Stree in: Einführung S. 36; zum Streit um die Geltung des Grundsatzes der Gesetzesbindung für Rechtfertigungsgründe siehe Krey Studien S. 233 ff und oben 4/44.

Dazu unten 12/45; siehe auch Drews- Wacke- Vogel Gefahrenabwehr S. 332; — anders insbesondere Bockelmann Engisch-Festschrift S. 456 ff, 467; zutreffend dagegen wiederum Lerche v. der Heydte-Festschrift Bd. II S. 1033 ff, 1040. 8' Lerche v. der Heydte-Festschrift Bd. II S. 1033 ff, 1041 f; ein Notwehrrecht bei Angriffen gegen den Polizisten selbst (teils auch beim Angriff gegen nahe Angehörige) soll allerdings bestehen nach Blei J Z 1955 S. 625 ff, 627; Amelung N J W 1977 S. 833 ff, 839 f; Maurach-Zipf AT I § 26 II Β 2 a; Krey und Meyer ZRP 1973 S. 1 ff, 4.

88

Notwehr

12. Abschn

3 a) Die zu den polizeilichen Legitimationen übliche Klausel 90 , Notwehr — oder 4 3 die zivil- und strafrechtliche Wirkung von Notwehr — bleibe unberührt 9 1 , läuft leer, da Notwehr(hilfe) bei polizeilicher Abwehr rechtlich ausgeschlossen ist 92 . b) Es ist nicht selbstverständlich, daß ein polizeiliches Handeln unter Uberschrei- 4 4 tung polizeilicher Legitimationen, aber im Rahmen der Notwehrhilfe, mehr ist als ein Verstoß gegen polizeiliche Dienstpflichten 9 3 , seil, rechtswidrige Verletzung des bei der Abwehr betroffenen Guts. Der Zweck des Vorrangs der Sondernormen f ü r hoheitliches Handeln ist nicht in erster Linie der Schutz des Angreifers, sondern der Schutz des Rechtsstaats und allenfalls dadurch vermittelt auch des Angreifers. Freilich wird in der Umkehrung, nämlich bei der Anmaßung hoheitlicher Befugnisse durch Private — etwa bei Überschreitung der engen Grenzen der Staatsnotwehrhilfe oder bei Mißachtung des Vorrangs staatlicher Hilfe bei der Selbsthilfe — nicht nur wegen Amtsanmaßung (§ 132 StGB) gestraft, sondern (auch) wegen Verletzung des von der Abwehr betroffenen Guts; ebenso wird — mangels Sondervorschrift — beim Fehlen sonstiger sichernder Rechtfertigungsvoraussetzungen entschieden, etwa bei Mißachtung der Notwehrbegrenzung auf gegenwärtige Angriffe. Solange besondere Strafvorschriften für ein polizeirechtlich nicht mehr erlaubtes Handeln fehlen, wird auch in diesen Fällen aus dem Delikt zu strafen sein, das die Verletzung des bei der Abwehr betroffenen Guts erfaßt, obgleich dann die Strafe nicht vorrangig wegen der Verletzung des Guts (in der Hand des Angreifers), sondern wegen der Verletzung der rechtsstaatlichen Bindungen verhängt wird 9 4 . Der regelmäßig herabgesetzte Unrechtsgrad 9 5 ist bei der Strafzumessung zu berücksichtigen.

C. Die Einschränkung der Notwehr neben hoheitlichem Handeln Wenn die Polizei die Abwehr übernommen hat, beginnt die Phase staatlich organi- 4 5 sierter Angriffsabwehr. Eine private Abwehr würde die staatliche Zuständigkeit für die organisierte Abwehr in Frage stellen; Notwehr scheidet dann also aus 9 6 . Zu der Situa90

Nachweise bei Drews-Wacke-Vogel Gefahrenabwehr S. 331. " Z . B . Art. 39 Abs. 2 Bay. PAG (Fn. 81); § 3 5 Abs. 2 Musterentwurf (Fn. 81). 92 Diese Lösung mag eine erweiternde Interpretation einzelner polizeilicher Eingriffsbefugnisse nötig machen; hierzu Lerche v. der Heydte-Festschrift Bd. II S. 1033 ff, 1048. 9 3 Die Klausel könnte also dahin zu deuten sein, daß ein Vorliegen von N o t w e h r die disziplinarrechtliche Verfolgung nicht ausschließt. Einer solchen Lösung entspricht die Lage bei §§218 ff StGB; bei bloßem Verstoß gegen die z u r Rechtfertigung erforderlichen Verfahrenserfordernisse der Beratung oder ärztlichen Feststellung wird nicht wegen rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruchs, sondern wegen Verstoßes gegen die V e r f a h r e n s sicherung nach §§218 b, 219 StGB bestraft; — entsprechend wird die Klausel f ü r N o t w e h r als Spaltung der Rechtswidrigkeit verstanden von Kratzsch N J W 1974 S. 1546 f; Klose Z S t W 89 S. 61 ff, 79; Schmidhäuser in: Aktuelle Probleme S. 53 ff, 60; im Ergebnis auch Götz Allgemeines Polizei- und O r d n u n g s r e c h t § 10 Fall N r . 20 Anm. 2 (amtspflichtwidriges Verwaltungshandeln,

94

96

aber nicht strafbar); siehe auch Amelung Einwilligung S. 118 Fn. 11; ausführliche Nachweise bei Haas N o t w e h r S. 318 Fn. 13. Ausführlich hierzu Haas N o t w e h r S. 329 ff. Kern Z S t W 6 4 S. 255 ff, 264 f ; Lenckner Notstand S. 32 ff, 36; Haas N o t w e h r S. 338; Krümpelmann Bagatelldelikte S. 27 ff, 30 f. Streitig; die Entscheidung des Problems wird o f t nicht ausdrücklich herausgestellt, sondern m u ß dem Kontext entnommen werden. Ausdrücklich f ü r Zurücktreten der N o t w e h r (mit unterschiedlicher Reichweite; nach der hier vertretenen Ansicht geht es um ein Zurücktreten bei Ü b e r n a h m e durch die präsente Polizei; die Notwendigkeit, f ü r Präsenz der Polizei zu sorgen, richtet sich hingegen nach den Maximen der Erforderlichkeit, oben 12/33) Arzt Schaffstein-Festschrift S. 77 ff, 84; Bockelmann Honig-Festschrift S. 19 ff, 30; Haas N o t w e h r S. 289 ff mit N a c h w e i s e n ; Merten Rechtsstaat und Gewaltmonopol S. 56 f unter zweifelhafter Deutung der N o t w e h r als übertragene Gewalt; Eh. Schmidt L e h r k o m m e n t a r Teil I S. 37 Rdn. 6, S. 167 Rdn. 286; Schönke-SchröderLenckner §32 Rdn. 41; LK-Spendel §32 R d n . 234; - a. A. Suppert Studien S. 283 f.

329

12. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

tion, daß ein Privater die erforderliche Abwehr übernimmt, die ein anwesender Polizist wegen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht mehr leisten darf, kann es deshalb nicht kommen. Eine Abwehrhandlung, die bei präsenter Polizei von einem Privaten vollzogen wird, ist wegen der Kompetenzverwischung Unrecht und nur vermittelt durch diesen Grund auch wegen der Verletzung der Güter des Angreifers. Das Unrecht wird also modifiziert, entsprechend der Modifizierung des Unrechts bei Inanspruchnahme der Notwehr durch die Polizei. D. Die Einschränkung durch die Garantie der Mindestsolidarität 46

1. Die Notwehr kennt im Merkmal der Erforderlichkeit keine Güterproportionalität; der Angegriffene muß sich um die Güter des Angreifers nur insoweit scheren, als er sie nicht mehr als erforderlich verletzen darf. Diese Regelung, nach der bei uneingeschränkter Anwendung im Extremfall mehrere Mitglieder einer angreifenden Bande zur Verteidigung minimaler Werte getötet werden können, widerspricht dem Grundgedanken von § 323 c StGB, wonach in Notfällen auch Personen, die ansonsten in keiner Sonderbeziehung stehen, im öffentlichen Interesse97 gegenseitig zu Solidarität verpflichtet sind. Die Egalisierung dieses Widerspruchs ist eine der Konkretisierungen des Gebotenseins der Notwehr 98 . Allerdings wird nach § 323 c StGB die Versagung dieser Solidarität nur in Unglücksfällen oder bei gemeiner Not bestraft, während es bei der Notwehr um die Solidarität mit einem Angreifer geht, der als schuldhafter Verursacher für die Konfliktlage einzustehen hat. Der Grundgedanke der Vorschrift trifft aber trotzdem zu, da die Entscheidung, ob der Angreifer allein für die Folgen einzustehen hat oder aber noch auf eine Mindestsolidarität vertrauen darf, nicht nur davon abhängt, ob der Angreifer sich selbst ins Unrecht begibt, sondern auch in welchem Maß er das treibt. Weil der Angreifer immerhin für die Konfliktlage voll zuständig ist, kann die Pflicht zur Berücksichtigung der Interessen des Angreifers zwar an engere Voraussetzungen geknüpft werden als bei § 323 c StGB, aber sie endet bei rechtswidrigen Angriffen nicht überhaupt99. Zweifelhaft ist allerdings, ob sich der Haftungsumfang auch nach § 323 c StGB oder nach dem jeweiligen Verletzungsdelikt richtet. Letzteres dürfte allenfalls bei Trutzwehr der Fall sein 100 ; denn ansonsten, seil, bei Handeln nur im eigenen Organisationskreis, bleibt es schon nach allgemeinen Regeln bei einer Haftung aus § 323 c StGB (siehe oben 7/60, 65). Beispiel: Der Angegriffene schließt zur Vermeidung eines geringfügigen Hausfriedensbruchs vor dem heranstürmenden Angreifer das Tor, an dem sich der Angreifer, der das nicht merkt oder der nicht mehr stoppen kann, den Kopf einrennt; — § 323 c StGB durch Begehen (siehe oben 7/66). 97

98

Soweit — wie nachfolgend ausgeführt wird — Notwehr entfällt, besteht also wie bei § 323 c StGB eine öffentlich-rechtliche Entschädigungspflicht des Fiskus gegenüber dem Angegriffenen. — Zu den Bedingungen, die nötig sind, um einen Verzicht auf Notwehr tolerabel zu machen (auch faktische Übernahme durch die Polizei) siehe Arzt Schaffstein-Festschrift S. 77 ff, 84 ff; Schaffstein Schröder-Gedächtnisschrift S. 97 ff, 100. Siehe oben Fn. 87; — zur Geschichte der Einschränkungen siehe Eb. Schmidt Niederschriften Bd. II Anhang 21 S. 51 ff.

330

Die Wertungen lassen sich nicht mehr detaillieren; jedenfalls ist alles verfehlt, was die Proportionalität gegenüber § 323 c StGB zu Lasten des Angegriffenen verändert. 100 Di e Folge der Verletzung der Mindestsolidarität kann bei Trutzwehr Haftung aus dem entsprechenden Begehungs-Verletzungsdelikt sein, weil solche Abwehr nicht nur eine Organisation innerhalb des eigenen Organisationskreises ist, sondern ein Eingriff in einen fremden Kreis (zweifelhaft). 99

Notwehr 2.

12. Abschn

101

Einzelheiten :

a) Eine Pflicht zur Rücksicht läßt sich nicht begründen, wenn der Angreifer das Risiko der Abwehr/o/ge» im konkret erforderlichen Maß vorsätzlich und schuldhaft eingeht; denn so wie die vorsätzlich bewirkte Katastrophe keine Rettungspflicht zugunsten des Vorsatztäters bedingt, muß der Angegriffene nicht besorgen, was der Angreifer voll zurechenbar bewußt nicht selbst besorgt. — Ansonsten gilt: b) Das Notwehrrecht wird nur eingeschränkt, wenn der Angegriffene nach den Maximen der unterlassenen Hilfeleistung opferpflichtig ist, also nur bei geringwertigen oder ersetzbaren Gütern. c) Im gesamten Bereich derjenigen Abwehrschäden, deren drohender Eintritt kein Unglücksfall ist, bleibt die Abwehr unverändert erlaubt. Beispiel: Auch geringwertige Güter dürfen durch Verprügeln des Angreifers verteidigt werden. Es geht also nicht um eine durchgehende Güterproportionalität 102 . d) Je weniger der Angreifer für den Konfliktfall einzustehen hat, um so eher gilt ihm die Mindestsolidarität; versehentliche Angriffe rangieren also vor leichtfertigen oder vorsätzlichen Angriffen. Beispiel: Wer auf Grund falscher Auskunft in einem privaten Park darauf beharrt, das Gelände sei öffentlich, darf nicht um den Preis eines Beinbruchs aus dem Park entfernt werden, wohl aber, wer sich im Vertrauen auf die Abwehrschwäche des Berechtigten dort ergeht. 101

(zutreffende Kritik bei Schmidhäuser A T 9 / 1 0 9 ; ders. Studienbuch 6 / 7 3 f f ; ders. Honig-Festschrift S. 185 ff, 188), da der Abwehrende bei seiner Rett u n g nicht n u r auf die Schädigung des Angreifenden aus ist; Gallas D R Z 1949 S. 43; Schaffstein M D R 1952 S. 132 ff, 135; überwiegend so auch die Rechtsprechung; B G H N J W 1956 S. 920; B G H StV 1982 S. 219 f, 220 (im Ergebnis z u t r e f f e n d ) ; O L G Braunschweig MDR 1947 S. 205 f ; O L G H a m m N J W 1977 S. 590 f f ; B a y O b L G N J W 1954 S. 1377 f; BayObLGSt. 1964 S. 111 f f ; siehe auch R G 23 S. 116 f a. E.; undifferenziert (naturrechtswidrig) O L G Stuttgart D R Z 1949 S. 42 f. - Verfehlt die Entscheidung B a y O b L G N J W 1963 S. 824 f (Rechtsmißbrauch bei T o d t s d r o h u n g z u r Verteidigung eines Parkplatzes: D e r D r o h u n g ist schnell und leicht zu entkommen, also wirkt sie nicht übermäßig). - B G H 26 S. 51 f, 52 bringt die Mindestsolidarität zutreffend beim Gebotensein unter, legt aber die Entscheidungsmaßstäbe nicht offen. — Weitere Rechtsprechung bei Suppen Studien S. 58.

Ein Notwehrausschluß bei Minimaleingriffen entsprechend den Regeln b, c und d, nicht aber die Ausnahme vom Ausschluß nach der Regel a, wird auch von der überwiegenden Ansicht mit freilich höchst unterschiedlicher Begründung und Reichweite angenommen: 1. Überwiegend wird auf fehlendes „Rechtsbewährungsinteresse" abgestellt. Diese Formel erfaßt die Begrenzung der nach verbreiteter Lehre zulässigen N o t w e h r gegen schuldlos Angreifende. Für die Minimalangriffe muß hinzukommen, daß Rechtsbewährung nicht um jeden Preis erwünscht ist. Das dürfte der hiesigen Formel von der Mindestsolidarität entsprechen. — Jescbeck A T § 32 III 3 b ; Schönke-Schröder-Lenckner § 32 Rdn. 50; SK-Samson § 32 Rdn. 22 f; Krause Bruns-Festschrift S. 71 ff, 82; Lenckner G A 1968 S. 1 ff, 4; Roxin Z S t W 93 S. 69 ff, 94 f f ; Schumann J u S 1979 S. 559 ff, 565; siehe auch Dubs SchwZStr. 89 (1973) S. 337 ff, 347; der Sache nach ebenso Krey J Z 1979 S. 701 ff, 713 f. 2. Teils wird vom Opportunitätsprinzip bei der Strafverfolgung (oder der Verfolgung einer O r d nungswidrigkeit) her argumentiert, was freilich nur bei Strafähnlichkeit der N o t w e h r korrekt wäre und auch nicht dazu paßt, daß das angegriffene Gut nicht strafrechtlich geschützt sein muß und zudem nicht bei fehlendem Schutz zwingend von geringem Gewicht ist (etwa nicht: Intimsphäre, Nutzungsmöglichkeit wertvoller Sachen); Bockelmann Honig-Festschrift S. 19 ff, 30; Otto Wurtenberger-Festschrift S. 129 ff, 146 f. 3. Teils wird die Abwehr minimaler Angriffe durch schwere Güterverletzung beim Angreifer als Rechtsmißbrauch bezeichnet, was verfehlt ist

'°2

4. Als „Verbot des Unmaßes oder der Maßlosigkeit" wird die Einschränkung von LK-Spendel § 32 Rdn. 314 gedeutet. 5. Dem hiesigen Ansatz ähnlich, jedoch in der D u r c h f ü h r u n g abweichend Kratzsch Grenzen 5. 173 ff. 6. Α. A. (es gehe stets um die Verteidigung der empirischen Geltung der Rechtsordnung) Schmidhäuser Honig-Festschrift S. 185 ff, 190 f ; ders. A T 9 / 1 0 4 a. E.; ders. Studienbuch 6 / 7 5 ; siehe auch R G 55 S. 82 ff, 85 f. Ebenso Baumann A T § 21 II 1 a a. Ε.

12. A b s c h n 48

2. Buch. 2. Kapitel. R e c h t f e r t i g u n g

3. Nach den genannten Grundsätzen richtet sich auch die — seit Oetkerl0i — sogenannte Unfugabwehr, d. h. die Abwehr solcher Angriffe, die sozialadäquatem Verhalten angenähert bleiben (nächtliche Ruhestörung, etwa durch lauten Gesang nach Volksbelustigungen etc.). Hier ist ebenfalls nur die mäßige, nicht aber die schwer verletzende Abwehr geboten 1 0 4 . Das gilt auch, wenn die Summierung der individuellen Verletzungen sehr wohl gewichtig ist (Störung der Nachtruhe eines ganzen Häuserblocks); denn die Gewichtigkeit ist nur als Störung allgemeiner Güter erfaßbar und für diese gelten die Regeln der Staatsnotwehr (oben 12/9 ff).

E. Die Einschränkung wegen vorangegangenen Provokationsverhaltens105 49

1. An mehreren Regelungen des Strafrechts ist erkennbar, daß Güter, die der Inhaber aufs Spiel setzt, geringer veranschlagt werden als behütete Güter. Der Grund f ü r diese Abwertung ist stets, daß der Inhaber eines Guts, der dieses Gut zwar nicht selbst verletzt, auch nicht in eine Verletzung einwilligt, es aber zurechenbar in eine Konfliktlage hineinbringt, die zur Lösung des Konflikts erforderlichen Beeinträchtigungen des Guts zu einem Teil so tragen muß, wie gegebenenfalls die anderen zurechenbar am Konflikt beteiligten Personen ihren Teil. Der Rechtsgedanke ist ansatzweise in § 35 StGB beim Entschuldigungsausschluß für die verursachte Gefahr erkennbar, deutlicher schon in § 33 StGB im Verzicht auf Strafe trotz der Notwehrüberschreitung; besonders deutlich wird er in § 213, 1. Fallgruppe StGB, wonach das Strafmaß für vorsätzliche T ö t u n g drastisch sinkt, wenn der Täter „ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem Getöteten zum Zorne gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen" wurde. Wenn auch die Verantwortlichkeit des rechtswidrig Angreifenden eine volle Überwälzung auf den Provozierenden hindert, so muß doch nach § 213 StGB der Provozierende die Kosten der Konfliktlösung zum Teil selbst tragen. Es handelt sich um einen Zurechnungsgrund aus dem weiteren Begründungszusammenhang der Ingerenz (siehe unten 29/29 ff): Den Aufwand zur Lösung eines Konflikts hat derjenige (mit) zu tragen, der die auslösende Gefahr so geschaffen hat, daß sie sich keiner anderen Person (voll) zuordnen läßt; dementsprechend beschränkt die Provokation auch zugunsten des Provokateurs geleistete Notwehr^«//?.

50

2.

Konsequenzen1®6:

a) Die Übertragung dieses Rechtsgedankens auf die Notwehr ergibt zunächst, daß das Notwehrrecht bei Provokation nie voll entfällt; denn da ein rechtswidriger Angriff im Sinn des § 32 StGB Schuld voraussetzt, ist der Angreifer immer auch selbst für den Konflikt zuständig, so daß sich eine Lösung allein zu Lasten des Provozierenden verbietet. Beispiel: In der Situation nach § 213, 1. Fallgruppe StGB muß der Angriff des Totschlägers nicht von Rechts wegen kampflos geduldet werden. 103 Frank-Festgabe Bd. I S. 359 ff, 361 f. i n Siehe hierzu Jescheck AT § 32 III 3 b (in der Regel kein rechtswidriger Angriff); Schmidhäuser H o nig-Festschrift S. 185 ff, 197. — Für prinzipiellen Vorrang staatlicher Abwehr bei Unfugabwehr Arzt Schaffstein-Festschrift S. 77 ff, 82. 105 Es geht hier nicht um mittelbare Täterschaft durch ein gerechtfertigt handelndes Werkzeug: Wer eine Situation des rechtfertigenden Notstands täterschaftlich bewirkt, haftet für die Güterverletzungen, die zur Lösung der Kollision er-

332

106

forderlich sind, als mittelbarer Täter, hierzu unten 21/81 ff. Im Ansatz wie hier Marxen Grenzen S. 56 ff. — Überhaupt gegen die Berücksichtigung einer Provokation Binding Normen Bd. II (1) S. 621 ff, 625; v. Liszt-Schmidt Strafrecht § 3 3 II 1 a mit Nachweisen des damaligen Streitstands; Bockelmann Honig-Festschrift S. 19 ff; den. AT § 1 5 Β I 2 e; LK-Spendel §32 Rdn. 281 ff; Hassemer Bockelmann-Festschrift S. 225 ff, 243 f, der den üblichen Einschränkungsversuchen bei Provoka-

Notwehr

12. Abschn

b) D i e Ü b e r t r a g u n g e r g i b t f e r n e r , d a ß P e r s o n e n , die i h r e G ü t e r n i c h t in z u r e c h e n -

51

b a r e r W e i s e m i t d e m K o n f l i k t v e r k n ü p f t h a b e n , n i c h t n u r sich selbst v o l l v e r t e i d i g e n k ö n n e n , s o n d e r n a u c h v o m P r o v o z i e r e n d e n voll v e r t e i d i g t w e r d e n k ö n n e n .

Beispiel:

W e n n in d e r S i t u a t i o n n a c h § 2 1 3 S t G B d e r B e l e i d i g t e d e n B e l e i d i g e r u n d d e s s e n



u n b e t e i l i g t e — F r a u a n g r e i f t , f o l g t die V e r t e i d i g u n g d e r F r a u völlig d e n a l l g e m e i n e n Regeln107. c ) W e i t e r h i n e r g i b t s i c h , d a ß die P r o v o k a t i o n ein voll z u r e c h e n b a r e s ( s c h u l d h a f t e s ) V e r h a l t e n sein m u ß , d a a n s o n s t e n die Z u r e c h n u n g z u m A n g r e i f e r s t ä r k e r w ä r e als d i e j e n i g e z u m P r o v o z i e r e n d e n , s o d a ß die N o t w e h r m i t i h r e r e i n s e i t i g e n L a s t e n v e r t e i l u n g a n g e b r a c h t bliebe. E i n e P r o v o k a t i o n k a n n a u c h b e r ü c k s i c h t i g t w e r d e n , w e n n sie i h r e r seits p r o v o z i e r t ist: B e i d e r s e i t i g e P r o v o k a t i o n , d. h. b e i d e r s e i t i g e Z u s t ä n d i g k e i t f ü r d a s A g g r e s s i v e d e r S i t u a t i o n , ist a l s o m ö g l i c h 1 0 8 .

Beispiel: W i e d e r Beleidiger nur

be-

schränkte A b w e h r r e c h t e hat, w e n n der Beleidigte mit Fausthieben reagiert, h a t dieser tion — zutreffend — Regression „in ein . . . vorpositives Stadium von Entscheidung und Argumentation" bescheinigt (S. 227), mit der Ablehnung jeder Einschränkung freilich die Leistungsfähigkeit einer Dogmatik unterschätzt, die ihre Argumente nicht auf ein einziges Strafrechtsinstitut zuschneidet, sondern auf eine Systematik aus ist. — Für eine Berücksichtigung der Provokation nur bei der Strafzumessung Hillenkamp Vorsatztat und Opferverhalten S. 125 ff. Nach Baumann AT § 21 I 3 b; Lenckner GA 1961 S. 299 ff; Schönke-Schröder-Lenckner Rdn. 23 vor § 32; Schröder J R 1962 S. 187 ff; Berte! ZStW 84 S. 1 ff, 14 ff soll eine Zurechnung der Folgen des Abwehrverhaltens Uber eine Zurechnung der Provokation als Tathandlung möglich sein; Notwehr bleibt bei dieser Lösung nach einer Provokation — eingeschränkt (insbesondere Ausweichen soll der Abwehr vorgehen) — möglich, was aber die Haftung für die Provokation als einer actio illicita in causa nicht berühren soll. Bei dieser Konstruktion muß für die Bestimmung von Vorsatz oder Fahrlässigkeit auf die Lage bei der Provokation, nicht aber bei der Abwehr abgestellt werden (siehe aber auch Hruschka AT S. 372 ff). Ausführliche Kritik an der actio illicita in causa bei Roxin ZStW 75 S. 541 ff, 545 ff; Constadinidis Actio illicita S. 46 ff, 131 f; Bockelmann aaO. Eine weitere Lehre will dem Provokateur die Rechtfertigung der Abwehr versagen (Roxin ZStW 75 S. 541 ff, 556 ff, 583; SK-Samson § 3 2 Rdn. 25 ff; Stratenwerth AT Rdn. 436), sofern das Provokationsverhalten verboten oder sozialethisch mißbilligt (?) ist (einschränkend auf verbotenes Verhalten in der Absicht, einen Angriff hervorzurufen, jetzt Roxin ZStW 93 S. 68 ff, 90 f), dies bei Differenzen über die Lage bei fahrlässigen Provokationen u. a. m. — Selbst bei der rechtswidrigen Absichtsprovokation, also bei der gewollten Reizung eines anderen durch rechtswidriges Tun, hat jedoch der Provokateur keine Tatherrschaft über den auf ihn selbst erfolgenden rechtswidrigen Angriff (genauer: er ist nicht vorrangig zuständig), so daß sich eine unbeschränkte Duldungspflicht gegenüber dem Angreifer axiolo-

gisch nicht begründen läßt (Jescheck AT § 32 III 3 a). Die Lösung bringt also gegenüber der Konstruktion einer actio illicita in causa materiell keinen Gewinn. Insbesondere kann der Gedanke des Rechtsmißbrauchs das Ergebnis nicht tragen, da in der Abwehrsituation ein Anlaß zum Gebrauch gegeben ist und vor der Situation kein Notwehrrecht gebraucht wird (Beispiel: Der Gebrauch eines Feuermelders durch den vorsätzlichen Brandstifter selbst ist nicht Mißbrauch von Notrufen). — Wie weit die Autoren auch Notsianisrechtfertigung ausschließen wollen, ist teils unklar; für das Verbleiben von Notstandsrechtfertigung jedenfalls Stratenwerth aaO; Hruschka Dreher-Festschrift S. 189 ff, 208; diese Lösung führt dann im Ergebnis zu den auch hier vorgeschlagenen Konsequenzen. — Schöneborn NStZ 1981 S. 201 ff, 202 ff bestimmt die Provokation nach der Wirkung beim Provozierten: Dessen „verständliche und honorierungswürdige Gemütserregung" (S. 203) soll das Notwehrrecht einschränken.

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108

Soweit bei Absichtsprovokation ein Verteidigungswille verneint wird (Kratzsch Grenzen S. 39), werden die (zweifelhafte) Lauterkeit des Wollens und das (zweifellos gegebene) psychische Faktum eines Wollens vermengt. Entsprechendes gilt auch für die Meinung, der Provokateur willige in die Verletzung seiner Güter ein {MaurachZipf AT I § 26 II Β 2 c); zutreffend kritisch Hillenkamp Vorsatztat und Opferverhalten S. 127 ff. Die weit verbreitete Formulierung, der Provozierende sei nicht berufen, die Rechtsordnung zu wahren (besonders drastisch Otto WürtenbergerFestschrift S. 129 ff, 144 f, der von diesem Topos eine differenzierte Palette von Notwehrbeschränkungen herleitet) verkennt die Relativität der Provokationsfolgen und kann die NotwehrAiY/e nicht mehr adäquat erfassen. Damit dürften sich die Bedenken bei Hassemer Bockelmann-Festschrift S. 225 ff, 232 ff erledigen. — Wegen der Möglichkeit mehrseitiger Zuständigkeit sollte der Passus „ohne eigene Schuld" in §213 StGB gelesen werden als „in (Mit-) Zuständigkeit des Opfers".

333

52

12. A b s c h n

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

nur beschränkte Abwehrrechte, wenn der Beleidiger bei einer übersteigerten Abwehr der Hiebe zum Messer greift. 53 d aa) Die Übertragung führt schließlich dazu, daß in den allein verbleibenden Fällen beiderseits schuldhafter Beteiligung am Konflikt die Schuldhaftigkeit als spezifischer Grund einer Lastenverteilung ausscheidet. Somit muß die erforderliche Abwehr innerhalb der Notwehr nach Notstandsgesichtspunkten bestimmt werden, und zwar, da die rechtswidrige Aggression des Provozierten bleibt, entsprechend den Maximen des defensiven Notstands (§ 228 BGB). Daraus folgt insbesondere: Der Angegriffene muß möglichst ausweichen und sich ansonsten im Rahmen der Güterproportionalität des defensiven Notstands halten (genauer dazu unten 13/46). — Dem entsprechen die Ergebnisse der neueren Rechtsprechung 1 0 9 . 54

bb) Als Provokation kommt nur ein Verhalten in Betracht, das die Mitzuständigkeit für den Angriff begründet. Dies ist einmal bei einem eigenen rechtswidrigen Angriff des Provokateurs der Fall, der dann einen — als erforderliche Abwehr übersteigerten — Gegenangriff auslöst. W e r die Beziehung zu einer anderen Person selbst rechtswidrig-aggressiv gestaltet, ist nicht unbeteiligt, wenn der andere diese Gestaltung der Beziehung übernimmt. — Zum anderen geht es darum, daß der später Angegriffene und der spätere Angreifer sich gemeinsam auf den Angriff einlassen, etwa in der Form, daß der Angegriffene den Angreifer zum Angriff offen oder konkludent auffordert oder entsprechend auf eine Anfrage des Angreifers reagiert. — Eine fahrlässige Provokation ist möglich 1 1 0 und bei Leichtfertigkeit wohl nicht nur Theorie; Beispiel: Der rücksichtslose Autofahrer bringt den späteren Angreifer durch seine Fahrweise mehrfach in Notsituationen. — Bei leichter Fahrlässigkeit oder bei sonst am Rand der Zurechnung rangierenden rechtswidrigen Angriffen dürfte freilich die Zurechnung zum Provokateur hinter der Zurechnung zu demjenigen, der auf die Provokation hin angreift, voll zurücktreten. Beispiel: W e r sich leicht fahrlässig in der Zimmertür seines Hotels irrt, hat gegen die rechtswidrig angreifende Reaktion des Gestörten das volle Notwehrrecht. 55 cc) Keine Provokation ist ein Verhalten, das weder selbst ein rechtswidriger Angriff ist noch eine Aufforderung dazu; dies gilt auch, wenn das Verhalten sozial unüblich, unhöflich (Verweigerung einer beiläufig zu erledigenden Auskunft; Weigerung eines Gasts, an dem Restauranttisch, an dem er sitzt, weitere Gäste zu akzeptieren) oder unmoralisch ist (Ehebruch mit der Frau des dann vor Zorn Angreifenden) und ist auch ganz unabhängig von der beim Verhaltensvollzug waltenden subjektiven Seite, insbesondere von einer nicht im Verhaltensvollzug deutlich werdenden „Provokationsabsicht" 1 1 1 . Beispiel: W e r das Haus betritt, in dem er wohnt, das aber von einem Rauf109

In der Rechtsprechung geht es der Sache nach weniger um Notwehr allgemein als speziell um T ö t u n g des Angreifers in Notwehr (in der Regel durch einen planmäßig bewaffneten Angegriffenen). Die Rechtsprechung hat zunächst eine Provokation nicht berücksichtigt (RG 60 S. 261 f; 65 S. 163 ff, 165), dann aber, beginnend mit späteren Entscheidungen des Reichsgerichts (RG 71 S. 133 ff, 135; siehe aber R G 73 S. 341 ff), das Notwehrrecht zunehmend eingeschränkt, wobei die Anforderungen an eine Provokation bis hin zur vermeidbaren Kausalität verkümmert sind; B G H N J W 1962 S. 308 f, 309 (hierzu ablehnend Baumann M D R 1962 S. 349 f; Gutmann N J W 1962 S. 286 ff; Schröder JR 1962 S. 187). - In nachfolgenden Entscheidungen werden dem Provokateur Ausweichen und erhöhte Duldungs-

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pflichten auferlegt, ohne daß ihm jedoch das N o t wehrrecht voll abgesprochen wird; B G H 24 S. 356 ff, 358 f (mit Anmerkung Lenckner]Z 1973 S. 253 ff; Roxin N J W 1972 S. 1821 f ) ; 26 S. 143 ff mit einem Katalog der erlaubten Abwehreskalation des Provokateurs S. 145 f: Ausweichen — Schutzwehr — Trutzwehr, letzteres auch um den Preis, selbst leicht verletzt zu werden, nur mit mildesten Mitteln; - nach B G H 26 S. 256 ff darf der Provokateur den Angriff mit einem scharf wirkenden Mittel abwehren, wenn der Angreifer auf hinhaltende Abwehr hin nicht aufgibt. n o So auch B G H 24 S. 356 ff; 26 S. 143 ff. 1" Wird freilich im Vollzug des Verhaltens die Kampfeslust deutlich, so handelt es sich um eine Aufforderung zum Angriff und deshalb um eine Provokation.

Notwehr

12. Abschn

bold belagert wird, behält das volle Notwehrrecht, auch wenn er den Angriff sehnlich wünscht 1 1 2 . e) Entsprechend der Regelung bei § 213 StGB (und auch bei § 33 StGB) wird durch 5 6 eine Provokation nur das Recht zur Abwehr eines solchen Angriffs betroffen, der in der identischen — vom Provokateur aggressiv definierten — Situation erfolgt 1 1 3 .

F. Die Einschränkung durch Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit Die Garantieverhältnisse kraft institutioneller Zuständigkeit sind strafrechtlich nicht 5 7 umfassend, sondern nur beschränkt auf die tatbestandlich beschriebenen Verhaltensweisen geschützt. Einige dieser Verhältnisse, insbesondere die Ehe und das ElternKind-Verhältnis, zielen aber nicht nur auf diesen beschränkten Schutz, sondern auf eine umfassende Fürsorge, auch wenn deren Verletzung sich strafrechtlich nur punktuell niederschlägt. Beispiel: Bloße Lieblosigkeiten der Eltern gegenüber ihren Kindern widersprechen der institutionellen Pflicht, erfüllen aber keinen Deliktstatbestand. Die — tätige oder durch Unterlassen vollzogene — Versagung der geschuldeten Fürsorge ist auch dann, wenn sie keinen Straftatbestand verwirklicht, eine Pflichtwidrigkeit und deshalb — sofern schuldhaft — einer Provokation analog zu behandeln. Zudem besteht bei diesen Garantieverhältnissen eine — gegenüber Jedermannsver- 5 8 bindungen — erhöhte Opferpflicht. Deshalb geht es bei Notwehr zwischen den Partnern solcher Verhältnisse nicht nur um die oben bezeichnete Mindestsolidarität, sondern um einen höheren Einstand. Bei der Abwehr von Angriffen etwa eines Ehepartners hat der angegriffene Partner demzufolge in erhöhtem Maß auszuweichen oder leichtere Beeinträchtigungen seiner Güter hinzunehmen, bevor er existentielle Güter des Angreifers verletzt 1 1 4 . — Auch NotwehrA«7/e durch den Sonderverpflichteten dürfte beschränkt sein. Die Lage ist insoweit anders als bei Provokationsfällen. Die Differenz entspricht dem unterschiedlichen Entstehungsgrund der Sonderpflicht: als Organisationsfolge (bei der Provokation) oder — hier — institutionell.

VIII. Die Besonderheiten der Notwehrhilfe Die zur Notwehrhilfe 1 1 5 verbreitet anzutreffende Formulierung, eine Rechtferti- 5 9 gung gegen den Willen des Angegriffenen sei ausgeschlossen 1 1 6 , ist zu pauschal. Vielmehr ist zu differenzieren: 112

Unvertretbar B G H N J W 1962 S. 308 f; — unklar, aber jedenfalls einschränkend spricht B G H 24 S. 356 ff, 359 von einem „von Rechts wegen v o r w e r f b a r e n Verhalten" (also rechtswidriges Verhalten?); - B G H 27 S. 336 ff, 338 (mit zustimmender A n m e r k u n g Kienapfel J R 1979 S. 72) bringt eine sehr gemäßigte Definition der Provokation: „ein Verhalten . . . das bei vernünftiger W ü r d i g u n g der gesamten Umstände des Einzelfalls den folgenden Angriff als eine adäquate und voraussehbare Folge der Pflichtverletzung g i c ! ) des Angegriffenen erscheinen läßt". — O b als Pflichtverletzung freilich nur die Verletzung einer Rechtspflicht gemeint ist, bleibt offen. — Wie hier B G H N J W 1980 S. 2263 f. 113 B G H N S t Z 1981 S. 138. 114 Die Proportionen sind in Einzelheiten noch nicht hinreichend geklärt. Hauptsächlich wie hier Geilen J R 1976 S. 314 ff, 316, 318; Deubner N J W 1969 S. 1184; Marxen G r e n z e n S. 38 f f ; den. in: Vom N u t z e n etc. Bd. I S. 63 f f ; Roxin Z S t W 9 3 S. 68 ff, 100 f f ; Stratenwerth A T Rdn. 442. - Die

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einschlägigen Entscheidungen kaschieren das normative Problem (was ist zu dulden?) kognitiv (wie gefährlich w a r der Angriff?); B G H N J W 1969 S. 802; N J W 1975 S. 62 f. — Weitere EntScheidungen bei Geilen a a O S. 316 Fn. 14. - Ablehnung jeder Einschränkung bei Engels GA 1982 S. 109 ff, 114, 124 f ; LK-Spendel § 32 Rdn. 310; — siehe auch Kratzscb J u S 1975 S. 435 ff. Seelmann Z S t W 89 S. 36 ff versucht, nicht die N o t w e h r selbst, aber die N o t w e h r h i l f e durch G ü terproportionalität zu entschärfen, o h n e allerdings die Sonderstellung des Angriffsopfers so zu bezeichnen, daß der solidarische Rechtsgenosse (der Gleichgültige hilft nicht) nicht an ihr teilhaben k ö n n t e ; — gegen Seelmann siehe Roxin Z S t W 9 3 S. 68 ff, 71 f mit Fn. 8. B G H 5 S. 245 ff, 248; Lackner § 32 Anm. 2 g ; LK9-Baldus § 53 Rdn. 19; Schönke-ScbröderLenckner § 32 R d n . 25; /escheck A T § 32 I V ; — a. A. aber Schmidbauer A T 9 / 1 0 7 ; den. Studienbuch 6 / 8 0 ; S c A i W e r M a u r a c h - F e s t s c h r i f t S . 127ff, 141 f ; siehe auch Klose Z S t W 89 S. 61 ff, 96 f.

335

12. A b s c h n

2. Buch. 2. Kapitel. R e c h t f e r t i g u n g

A. Wenn der Angegriffene bei disponiblen Gütern eher den Verlust seines Guts dulden will als die Abwehr/o/gen beim Angreifer, so ist Notwehrhilfe nicht erlaubt. Beispiel: Der Angegriffene will nicht den — bei erforderlicher Abwehr eintretenden — Tod des Angreifers beim Angriff auf bloße Vermögenswerte. — Will der Angegriffene nicht nur dulden, sondern willigt er in den Angriff ein, so verliert der Angriff bei disponiblen Gütern schon seine Rechtswidrigkeit. 60

B. Will der Angegriffene nur die Abwehr handlung nicht, bleibt Nothilfe auch bei disponiblen Gütern gerechtfertigt. Beispiel: Der Angegriffene will die Abwehr eigenhändig erledigen, der Helfer kommt ihm zuvor.

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C. Bei nicht disponiblen Gütern (Leben nach §216 StGB) gehen die Regeln der Staatsnotwehrhilfe; hier bindet auch, wenn der Staat die Abwehrhandlung untersagt.

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D. Notwehrhilfe ist immer zulässig, wenn der Angegriffene den realen Willen hat, sich helfen zu lassen, sei dieser reale Wille erkannt, erkennbar oder unerkennbar. Beispiel : Wer den Angreifer in der irrigen Meinung abwehrt, das Opfer wolle dulden, erkennt nicht die gegebene Rechtfertigungslage (dazu oben 11/18 ff). Zudem ist Notwehrhilfe zulässig, wenn eine Entscheidung des Angegriffenen nicht herbeizuführen ist oder der Wille nicht ermittelt werden kann, aber unter Berücksichtigung der Präferenzen des Angegriffenen zu mutmaßen ist, daß er sich nicht für ein Dulden entscheiden würde. Mangels besonderer Anhaltspunkte gilt das rechtlich Vernünftige, also die Wahrung der Verteidigungschance, als Wille. Stellt sich nachträglich heraus, daß der unerkennbare, reale Wille abwich oder daß die Entscheidungsgrundlagen für die Mutmaßung unerkennbar falsch waren, hindert das die Rechtfertigung nicht. Beispiel: Wer das schon ohnmächtige Opfer eines Totschlagsversuchs in erforderlicher Abwehr durch Tötung des Angreifers vor der Vollendung rettet, handelt gerechtfertigt, auch wenn sich später ermitteln läßt, daß das Opfer den Angreifer als seinen Sohn erkannt hat und eher die eigene Tötung dulden wollte als die des Sohns.

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A. Gerechtfertigt ist nur die Abwehr durch Eingriff in die Güter des Angreifenden; dazu oben 12/28.

64

B. Ist bei einer Überschreitung der Erforderlichkeit das Nicht-mehr-Erforderliche vom Noch-Erforderlichen rechtlich trennbar, so bleibt das Noch-Erforderliche gerechtfertigt. Beispiel: Eine durch Notwehr gerechtfertigte Sachbeschädigung wird nicht dadurch rechtswidrig, daß der Verteidiger durch dieselbe Handlung überflüssigerweise noch eine weitere Sache zerstört. Bei erfolgsqualifizierten oder sonst zusammengesetzten Delikten bleibt bei Rechtfertigung eines Teils nur dann eine Strafbarkeit, wenn der Rest für sich ein Delikt bildet. Beispiel: Der Verteidiger nimmt dem in erforderlicher Abwehr niedergeschlagenen Angreifer — wie schon bei der Abwehr geplant — seine Wertsachen ab; — rechtswidriger Diebstahl, nicht Raub. — Bei Unteilbarkeit ist die Unrechtsminderung bei der Strafzumessung zu berücksichtigen 117 .

IX. Die Wirkungen der Notwehr

ι " Siehe Kern ZStW 64 S. 255 ff.

336

Rechtfertigender Notstand

13. Abschn

13. ABSCHNITT

Der rechtfertigende Notstand I. Die Arten des Notstands im Überblick Literatur P. Bockelmann Hegels Notstandslehre, 1935; A. Graf zu Dohna Die Rechtswidrigkeit als allgemeingültiges Merkmal im Tatbestande strafbarer Handlungen, 1905; E. Gimbemat-Ordeig Der Notstand: Ein Rechtswidrigkeitsproblem, Welzel-Festschrift S. 485 f f ; /. Goldschmidt Der N o t stand, ein Schuldproblem, Österreichische Zeitschrift f ü r Strafrecht 1913 S. 129 f f ; H. HenkelOei Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, 1932; H. J. Hirsch Strafrecht und rechtsfreier Raum, Bockelmann-Festschrift S. 89 f f ; Armin Kaufmann Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, 1959; Arthur Kaufmann Rechtsfreier Raum und eigenverantwortliche Entscheidung. D a r gestellt am Problem des Schwangerschaftsabbruchs, Maurach-Festschrift S. 327 f f ; E. Kem Grade der Rechtswidrigkeit, Z S t W 64 S. 255 ff; D. Kienapfel Der rechtfertigende Notstand, Ö J Z 1975 S. 421 ff; Th. Lenckner D e r rechtfertigende Notstand, 1965; R. Maurach Kritik der Notstandslehre, 1935; P. Noll Übergesetzliche Milderungsgründe aus vermindertem Unrecht, Z S t W 68 S. 181 ff; F. Oetker N o t w e h r und Notstand, V D A T Bd. II S. 255 ff; H.-J. Rudolphi Ist die Teilnahme an einer Notstandstat i. S. der §§ 52, 53 Abs. 3 und 54 StGB strafbar? Z S t W 78 S. 67 f f ; Eb. Schmidt Das Reichsgericht und der „übergesetzliche Notstand", Z S t W 49 S. 350 ff; H. Schröder Die Notstandsregelung des Entwurfs 1959 II, Eb. Schmidt-Festschrift S. 290 ff; K. Siegert Notstand und Putativnotstand, 1931; M. Wachinger Der übergesetzliche Notstand nach der neuesten Rechtsprechung des Reichsgerichts, Frank-Festgabe Bd. I S. 469 f f ; H. v. Weber Das N o t standsproblem und seine Lösungen in den deutschen Strafgesetzentwürfen von 1919 und 1925, 1925.

A 1. Die Lösung eines Konflikts, in dem die Gefahr für ein berechtigtes Interesse 1 nur auf Kosten des berechtigten Interesses eines an der Gefährdung Unbeteiligten erhalten werden kann, ist seit jeher streitig gewesen 1 . Eine individualistische Lösung nimmt zum Ansatz, daß eine Gefahr nicht vom Betroffenen einem anderen aufgehalst werden darf; die Notstandshandlung ist demgemäß stets rechtswidrig, wenn auch die Umschichtung der Gefahr im Einzelfall verzeihlich (entschuldigt) sein mag, nämlich bei existentieller Bedeutung der durch die Gefahr betroffenen Güter 2 . Eine eher auf gegenseitige Solidarität der Rechtsunterworfenen abstellende Lösung blickt auf die Interessenbilanz und gibt ein Recht zur Interessenverletzung, wenn die Notstandshandlung die Gesamtbilanz verbessert3. Die Rechtsfolge dieser Notstandslösung, Rechtfertigung, wird dann zur Vereinheitlichung auch in Fällen angenommen, in denen per Saldo mehr zerstört als erhalten, aber immerhin noch ein berechtigtes Interesse gewahrt wird 4 . — Der Zusammenstoß der Interessen gibt den Namen: Kollisionstheorie^. 1

2

3

Z u r Geschichte siehe H. Mayer KT S. 176 ff mit ausführlichen Nachweisen. So nach einem f r ü h e r verbreiteten Verständnis Kant Die Metaphysik der Sitten (Erster Theil, 2. Auflage, Königsberg 1798), Rechtslehre, Einleitung in die Rechtslehre, § Ε a. Ε., ferner Anhang zur Einleitung in die Rechtslehre, vor I und zu II, allerdings nur zum Fall der Lebensverletzung zum Lebensschutz; daß die Deutung, Kant lehre den Notstand als Entschuldigungsgrund, falsch ist, legt Bockelmann dar (Hegels Notstandslehre S. 4 ff). — Für Entschuldigung aber Feuerbach Lehrbuch § 9 1 ; Μ. E. Mayer A T S. 304 ff, auch f ü r 5 904 BGB und selbst f ü r den notwehrähnlichen § 228 BGB. Hegel Grundlinien der Philosophie des Rechts, Berlin 1821, § 127, der aber n u r die Fälle einer

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Rettung in Lebensnot durch Verletzung fremden Eigentums behandelt; hierzu und zu den Hegelianern eingehend Bockelmann Hegels Notstandslehre S. 21 ff, 54. v. Hippel Strafrecht Bd. II S. 221 ff; neuerdings wieder Gimbernat-Oräeig Welzel-Festschrift S. 485 ff, 492 f f ; z u r Entwicklung ausführlich Henkel N o t s t a n d S. 7 f f ; v. Weber N o t s t a n d s problem S. 1 ff. Die Bezeichnung Kollisionstheorie ist schlecht; der N a m e suggeriert, die betroffenen Interessen kollidierten; aber in der Regel (beim aggressiven Notstand) bringt erst die N o t s t a n d s h a n d l u n g das vorher unbeteiligte, weichende Interesse in den Konflikt ein!

337

13. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

2. Die Einseitigkeiten dieser nur auf Entschuldigung oder nur auf Rechtfertigung abstellenden sogenannten Einheitstheorien6 führten zur Herausarbeitung der heute nahezu unbestrittenen sogenannten Differenzierungstheorie^, wonach der Notstand je nach dem Interessensaldo als Rechtfertigungs- oder als Entschuldigungsgrund wirkt. Allerdings ist als Ergebnis der auf Rechtfertigung abstellenden Version der Einheitstheorie erhalten geblieben, daß auch der Notstand in der Form eines Entschuldigungsgrunds wegen der Wahrung berechtigter Interessen das Unrecht graduell, wenn auch nicht restlos, mindert8. Ferner ist ein ehemals wesentliches Ergebnis der Differenzierungstheorie, seil, die Ermöglichung von Notwehr gegen die entschuldigte Notstandstat, obsolet geworden, weil nach der neueren Interpretation der Notwehr ein „rechtswidriger Angriff" ein voll zurechenbares, also schuldhaftes Verhalten sein muß (oben 12/16 ff), so daß Notwehr gegen Taten im entschuldigenden Notstand ausscheidet. 3. Seit Kant wird immer wieder versucht, den Konsequenzen der Entscheidung für Rechtfertigung oder Entschuldigung durch Annahme eines bloß unverbotenen Notstandshandelns als Handeln im rechtsfreien Raum zu entkommen9. Diese sogenannte Exemtionstheorie wird teilweise nicht als generelle Notstandsregel, aber doch als Regel für einzelne Fallgruppen vorgeschlagen, insbesondere für Fälle der Konfliktlösung in Gefahrengemeinschaften: Sind mehrere berechtigte Interessen ohne Notstandstat demnächst alle verloren, kann aber durch eine sofortige Vernichtung einiger Interessen ein Teil des Gesamten erhalten werden, so soll nach dieser Lehre die Notstandshandlung unverboten sein, aber nicht berechtigt; insbesondere soll dem Hintangesetzten das Notwehrrecht bleiben10, oder es soll beiderseits unverbotenes Handeln vorliegen11. — Aber sehr wohl ist das Unverbotene (oder Rechtsfreie) im Verzicht auf das Rechtswidrigkeitsurteil insoweit rechtlich geregelt, als die Zurechnung abgebrochen wird; das Besondere des Unverbotenen oder Rechtsfreien liegt einzig in dem Umstand, daß die Konsequenzen des Zurechnungsabbruchs für Notwehr, Teilnahme etc. nicht systematisch, sondern mehr oder weniger verkappt freihändig entwickelt werden. B. Die Interessenabwägung läuft — wie erst recht eine Güterabwägung — darauf hinaus, daß der Zweck die Mittel heiligt, wenn nicht die Mittel auf die zur relevanten Ordnung passenden Mittel kanalisiert werden. Beispielhaft: Daß die Rechtfertigung eines Schwangerschaftsabbruchs nach §218 a Abs. 1 StGB — ein Spezialfall des rechtfertigenden Notstands — nur bei Vornahme durch einen Arzt möglich ist12, folgt aus der generellen Unangemessenheit nicht-ärztlicher Tätigkeit auf diesem Gebiet und hat, wenn der Nicht-Arzt ausnahmsweise über entsprechende Fähigkeiten verfügt, mit der Interessenabwägung im Einzelfall nichts zu tun. Deutlicher noch ist dies bei allen denjenigen Handlungen, deren Vornahme allein in die Kompetenz von Staatsorganen 6

7

8

Ausführliche Nachweise bei Maurach Notstandslehre S. 1 ff; siehe ferner die Kritik bei v. LisztSchmidt Strafrecht § 34 I 3 a. Wesentlich erarbeitet durch Goldschmidt Österreichische Zeitschrift für Strafrecht 1913 S. 129 ff, 161 f, 173 f (der Titel von Goldschmidts Abhandlung „Der Notstand, ein Schuldproblem" ist zu lesen als: Der in §§ 52, 54 StGB a. F. ( = 35 StGB n. F.) geregelte Notstand als Schuldproblem; daneben bleibt rechtfertigender Notstand möglich); nach den unterschiedlichen Grundlagen von Rechtfertigung und Entschuldigung differenziert schon klar Oetker VDAT Bd. II S. 255 ff, 332 f. Eingehend Lenckner Notstand S. 32 ff; Armin Kaufmann Dogmatik S. 156 f; Kern ZStW 64

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S. 255 ff, 264 ff, 288 f; Rudolphi ZStW78 S. 67 ff, 80 ff; Noll ZStW 68 S. 181 ff, 185. 9 Kant wie Fn. 2; Binding Handbuch Bd. I S. 763 ff, 766. 10 Nach Binding aaO S. 766 soll aber das Recht auf NotwehrAiV/e entfallen. " v. Weber Notstandsproblem S. 25 ff, 41; Henkel Notstand S. 90 ff; Siegert Notstand S. 33; — eingehend hierzu Lenckner Notstand S. 15 ff; — neuerdings wieder Arthur Kaufmann MaurachFestschrift S. 327 ff für Fälle des indizierten Schwangerschaftsabbruchs; hiergegen treffend Hirsch Bockelmann-Festschrift S. 89 ff. 12 So schon RG 61 S. 243 ff, 256 f.

Rechtfertigender Notstand

13. AbSChn

fällt; es gibt keine Ersetzung des Richters, Polizisten etc. im allgemein rechtfertigenden Notstand, es sei denn durch eine spezielle Sondererlaubnis (siehe unten 13/42). Deshalb ist wegen der Notwendigkeit, ein nicht nur interessegemäßes, sondern auch angemessenes Mittel einzusetzen, zum Notstand zunächst neben der Kollisionstheorie und dann ergänzend zur Kollisionstheorie die sogenannte Zwecktheorie entwickelt worden, wonach eine Handlung rechtmäßig ist, wenn sie „das angemessene (richtige) Mittel" zum „als berechtigt (richtig) anerkannten Zweck" ist13. Diese Zwecktheorie ist zur Limitierung der nur auf Abwägung abstellenden Theorien nach wie vor unerläßlich 14 . C 1. Das alte Recht enthielt in den §§ 52 und 54 StGB a. F. nur eine positivierte Regelung des im heutigen Verständnis entschuldigenden Notstands. Daneben traten insbesondere die Regelungen des bürgerlichen Rechts, seil. § 904 BGB (sogenannter aggressiver Notstand, d. h. das durch die Notstandshandlung verletzte Gut ist an der Konfliktentstehung unbeteiligt und wird durch die Notstandshandlung angegriffen) und § 228 BGB (sogenannter defensiver Notstand, d. h. der Konflikt stammt vom aufgeopferten Gut, gegen das verteidigend vorgegangen wird). Als richterrechtlicher Rechtfertigungsgrund war — in Verfolgung der Differenzierungstheorie — seit der Entscheidung des Reichsgerichts15 Band 61 S. 243 ff (1927) der sogenannte übergesetzliche rechtfertigende Notstand 16 als Rechtfertigungsgrund in der Rechtspraxis und in der Theorie unstreitig anerkannt. 2. Auch das gegenwärtige Recht folgt der Differenzierungstheorie, wie schon bei Betrachtung des geschriebenen Rechts deutlich wird. § 35 StGB regelt den entschuldigenden Notstand. Ob daneben ein übergesetzlicher entschuldigender Notstand anzuerkennen ist, ist streitig (unten 20/39 ff). § 34 StGB positiviert — nach dem Vorgang von § 16 OWiG (§14 OWiG a. F.) — den rechtfertigenden Notstand, und zwar in Satz 1 nach der Kollisionstheorie, aber in Satz 2 korrigiert durch eine Angemessenheitsklausel nach der Zwecktheorie. Die Vorschrift ist nach ihrem Wortlaut eine generelle Regelung des aggressiven Notstands und konkurriert mit dem weniger generellen, inhaltlich aber ansonsten voll entsprechenden § 904 BGB17. Eine umfassende Regelung des defensiven Notstands über § 228 BGB hinaus fehlt nach wie vor und ist durch systematische Interpretation zu entwickeln (unten 13/46 ff). Ferner ist die Regelung der Pflichtenkollision (unten 15/6 ff) durch § 34 StGB nur lückenhaft erfolgt. 3. Zahlreiche Sonderregelungen gehen vor: §§ 700 ff HGB (große Haverei); § 106 Seemannsgesetz18 (Sonderkompetenzen des Schiffskapitäns im Notfall); § 2 3 BJagdG 19 ί. V. m. den Sondervorschriften der Länder (Abschuß streunender Hunde etc.); insbesondere aber § 218 a StGB (Indikation zum Schwangerschaftsabbruch). — Auch § 127 Abs. 1 StPO kann als Sonderregelung einer defensiven Staatsnotstandshilfe verstanden werden. 13

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v. Liszt-Schmidt Strafrecht § 3 2 Β II 2 a; eingehend Eh. SchmidtZStW 49 S. 350 ff, 370 ff, 374 f; Dohna Rechtswidrigkeit S. 48; den. Aufbau S. 35; Henkel Notstand S. 88; — eingehend zu diesen Lehren Lenckner Notstand S. 60 ff. Natürlich kann man die sachlichen Leistungen der Zwecktheorie, seil, die Bestimmung der Angemessenheit, unter dem Namen der Interessenabwägung erledigen (so Lenckner Notstand S. 146 ff; Schröder Eb. Schmidt-Festschrift S. 290 ff, 293; LK?-Hirsch Rdn. 53, 80 f vor § 51; Schänke-Schröder-Lenckner § 34 Rdn. 46), nur ist diese Vermengung der Frage nach der speziellen Höherrangigkeit eines Interesses mit derjenigen seines formlosen (d. h. ungebundenen, im recht-

fertigenden Notstand zu vollziehenden) Schutzes wenig klar; — wie hier und mit weiteren N a c h weisen Jescheck AT § 33 IV 3 d Fn. 36. 15 Zu den früheren Entscheidungen des Reichsgerichts siehe Wachinger Frank-Festgabe Bd. I S. 469 ff. 16 Übergesetzlich noch gegenwärtig in Österreich, dazu eingehend Kienapfel ÖJZ 1975 S. 421 ff. 17 § 904 BGB enthält nach dem Wortlaut keine Angemessenheitsklausel nach Art von § 3 4 Satz 2 StGB, was aber eine entsprechende Anreicherung durch Interpretation nicht hindert, ' 8 Vom 26. 7. 1957 BGBl. II S. 713. " Vom 29. 11. 1952 BGBl. I S. 780.

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13. Abschn 8

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

4. Insgesamt kann die gegenwärtige gesetzliche Lage nicht befriedigen, dies w e n i g e r w e g e n der H e r v o r h e b u n g des aggressiven N o t s t a n d s in der gesetzlichen R e g e l u n g , sondern mehr w e g e n der prinzipiell eröffneten Möglichkeit, auch solche Konflikte auf einen an sich unbeteiligten Organisationskreis zu überwälzen, die den ursprünglich Betroffenen nicht in existenzielle N o t , ja nicht einmal in besonders gewichtige N o t und deshalb nicht in den Bereich allgemeiner Solidarität bringen. — Jedenfalls dürfte § 9 0 4 Satz 2 BGB auf alle Fälle eines aggressiven N o t s t a n d s a n z u w e n d e n sein.

II. Der aggressive Notstand nach § 34 StGB Literatur K. Amelung Erweitern allgemeine Rechtfertigungsgründe, insbesondere § 34 StGB, hoheitliche Eingriffsbefugnisse des Staates? NJW 1977 S. 833 ff; ders. Nochmals: § 34 StGB als öffentlichrechtliche Eingriffsnorm? N J W 1978 S. 623 f; K. Amelung und H. Schall Zum Einsatz von Polizeispitzeln: Hausfriedensbruch und Notstandsrechtfertigung, Wohnungsgrundrecht und Durchsuchungsbefugnis — OLG München DVB1. 1973, 221, JuS 1975 S. 565 ff; P. Bockelmann Strafrecht des Arztes, 1968; ders. Anmerkung zu BGH 12 S. 300 ff, JZ 1959 S. 495 ff; ders. Notrechtsbefugnisse der Polizei, Dreher-Festschrift S. 235 ff; E.-W. Böckenförde Der verdrängte Ausnahmezustand. Zum Handeln der Staatsgewalt in außergewöhnlichen Lagen, N J W 1978 S. 1881 ff; W. Bottke Das Recht auf Suicid und Suicidverhütung, GA 1982 S. 346 ff; A.-E. Brauneck Der strafrechtliche Schuldbegriff, GA 1959 S. 261 ff; H, Demuth Der normative Gefahrbegriff, 1980; F. DenckerOer verschuldete rechtfertigende Notstand, JuS 1979 S. 779 ff; W. Gallas Pflichtenkollision als Schuldausschließungsgrund, Mezger-Festschrift S. 311 ff; ders. Der dogmatische Teil des Alternativ-Entwurfs, ZStW 80 S. 1 ff; G. Geilen Neue juristisch-medizinische Grenzprobleme, JZ 1968 S. 145 ff; ders. Das Leben des Menschen in den Grenzen des Rechts, FamRZ 1968 S. 121 ff; ders. Probleme der Organtransplantation, JZ 1971 S. 41 ff; ders. Anmerkung zu OLG Frankfurt JZ 1975 S. 379 ff, aaO S. 380 ff; Κ. H. Gösset Über die Rechtmäßigkeit befugnisloser strafprozessualer rechtsgutsbeeinträchtigender Maßnahmen, JuS 1979 S. 162 ff; G. Grebing Die Grenzen des rechtfertigenden Notstands im Strafrecht, GA 1979 S. 81 ff; H. Henkel Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, 1932; H. J. Hirsch Anmerkung zu B G H JR 1980 S. 114 f, aaO S. 115 ff; E. Horn Konkrete Gefährdungsdelikte, 1973; ]. Hruschka Extrasystematische Rechtfertigungsgründe, Dreher-Festschrift S. 189 ff; ders. Anmerkung zu BayObLG JR 1979 S. 124 f, aaO S. 125 ff; ders. Rettungspflichten in Notstandssituationen, JuS 1979 S. 385 ff; G. Jakobs Literaturbericht, ZStW 91 S. 637 ff; D. Kienapfel Der rechtfertigende Notstand, Ö J Z 1975 S. 421 ff; ders. Anmerkung zu B G H JR 1977 S. 26 f, aaO S. 27 f; Th. Klefisch Die nat.-soz. Euthanasie im Blickfeld der Rechtsprechung und Rechtslehre, MDR 1950 S. 258 ff; P. Kirchhof Polizeiliche Eingriffsbefugnisse und private Nothilfe, NJW 1978 S. 969 ff; V. Krey Der Fall Peter Lorenz — Probleme des rechtfertigenden Notstandes bei der Auslösung von Geiseln, Z R P 1975 S. 97 ff; W. Küper Zum rechtfertigenden Notstand bei Kollision von Vermögenswerten, J Z 1976 S. 515 ff; ders. Grund- und Grenzfragen der rechtfertigenden Pflichtenkollision im Strafrecht, 1978; ders. Die sog. „Gefahrtragungspflichten" im Gefüge des rechtfertigenden Notstandes, J Z 1980 S. 755 ff; ders. Tötungsverbot und Lebensnotstand, JuS 1981 S. 785 ff; O. Lampe Defensiver und aggressiver übergesetzlicher Notstand, NJW 1968 S. 88 ff; R. Lange Terrorismus kein Notstandsfall? Zur Anwendung des $ 34 StGB im öffentlichen Recht, N J W 1978 S. 784 ff; D. de Lazzer und D. Rohlf Der „Lauschangriff". Ist nachrichtendienstliches Abhören der Wohnung zulässig? JZ 1977 S. 207 ff; Th. Lenckner Der rechtfertigende Notstand, 1965; P. Lerche Der gezielt tödlich wirkende Schuß nach künftigem einheitlichen Polizeirecht. Zum Verhältnis hoheitlicher Eingriffsbefugnisse zu den allgemeinen Notrechten, v. der Heydte-Festschrift Bd. II S. 1033 ff; G. Mangakis Die Pflichtenkollision als Grenzsituation des Strafrechts, ZStW 84 S. 447 ff; H. Otto Anmerkung zu OLG München N J W 1972 S. 2275, N J W 1973 S. 668; ders. Pflichtenkollision und Rechtswidrigkeitsurteil, 3. Auflage 1978; G. Radbruch Der Geist des englischen Rechts, 5. Auflage 1965; /. Rödig Zur Problematik des Verbrechensaufbaus, Lange-Festschrift S. 39 ff; C. Roxin Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, 2. Auflage 1973; ders. Zur Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit der Entfernung von Leichenteilen (§ 168 StGB), insbesondere zum rechtfertigenden strafrechtlichen Notstand (§ 34 StGB) - OLG Frankfurt, N J W 1975, 271, JuS 1976 S. 505 ff; E.

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Rechtfertigender Notstand

13. Abschn

Samson Legislatorische Erwägungen zur Rechtfertigung der Explantation von Leichenteilen, NJW 1974 S. 2030 ff; F. Schaffstein D e r Maßstab für das Gefahrurteil beim rechtfertigenden N o t stand, Bruns-Festschrift S. 89 ff; ders. Die strafrechtlichen Notrechte des Staates, Schröder-Gedächtnisschrift S. 97 ff; J. Schwabe Zur Geltung von Rechtfertigungsgründen des StGB für H o heitshandeln, N J W 1977 S. 1902 ff; ders. Die Notrechtsvorbehalte des Polizeirechts, 1979; G. Stratenwerth Prinzipien der Rechtfertigung, ZStW 68 S. 41 ff; F. Sydow § 34 StGB — kein neues Ermächtigungsgesetz! JuS 1978 S. 222 ff; H. Welzel Anmerkung zu O G H M D R 1949 S. 370 ff, aaO S. 373 ff; ders. Zum Notstandsproblem, Z S t W 6 3 S. 47 ff; / . Wolter Konkrete Erfolgsgefahr und konkreter Gefahrerfolg im Strafrecht - OLG Frankfurt, N J W 1975 S. 840, JuS 1978 S. 748 ff.

A. Die notstandsfähigen Güter, Staatsnotstandshilfe 1. Notstandsfähig ist jedes Gut, das notwehrfähig ist (oben 12/3 ff), also jedes 9 rechtlich anerkannte und absolut ausgestaltete Gut. Der Katalog in § 34 Satz 1 StGB ist — anders als derjenige in § 35 StGB — nicht abschließend. — Nach dem Wortlaut des § 34 Satz 1 StGB kann es sich um eine Gefahr handeln, die dem Abwehrenden selbst oder einem anderen droht; damit ist die Notstands/?i7/e ein Rechtfertigungsgrund wie der Notstand. Die Regelung ist sachgemäß, da nicht die — nur beim Bedrohten vorliegende — Zwangslage rechtfertigt, sondern die auf einem angemessenen Weg angestrebte positive Verhaltensbilanz. 2 a) Notstandshilfe kann demgemäß auch zugunsten der Güter in der Hand des 10 Staats geleistet werden und hat neben der Staatsnotwehrhilfe in den Fällen Bedeutung, in denen es an einem voll zurechenbaren Angriff fehlt. Auch die Rechtsprechung hat die Möglichkeit von Staatsnotstandshilfe anerkannt (siehe die Entscheidungen oben 12/Fn. 11). Daß neben Art. 20 Abs. 4 GG für Staatsnotstandshilfe kein Platz mehr sei20, ist nicht zuzugeben. Art. 20 Abs. 4 GG regelt das Widerstandsrecht auch gegen die Repräsentanten des Staats selbst (gegen den Hochverrat von oben), insbesondere gegen die Repräsentanten der Exekutive, aber beschränkt auf eine Not für die Staatsexistenz. Daß eine solche Regelung den gegenüber staatlicher Exekutive subsidiären Notstand ausschalten soll, widerspricht allgemeinen Konkurrenzregeln. Beispiel: Der Fahrer des Außenministers darf die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreiten, wenn dies ersichtlich ohne konkrete Gefahr möglich und erforderlich ist, um den Minister rechtzeitig zur Begrüßung eines Staatsbesuchs zum Flughafen zu bringen; Art. 20 Abs. 4 GG schließt das nicht aus. b) Die zur Staatsnotwehrhilfe geltenden Beschränkungen zum Schutz der staatli- 11 chen Kompetenzen (oben 12/9 ff) gelten bei der Staatsnotstandshilfe entsprechend 21 ; Einzelheiten: aa) Das Interesse des Staats am Unterbleiben abstrakter Gefährdungen ist so gering, daß die Hinderung dieser Gefährdungen durch einen Privaten wegen der damit verbundenen Verwischung der Kompetenzen per Saldo kein wesentlich überwiegendes Interesse wahrt. bb) Jede Staatsnotstandshilfe scheidet aus, wenn das gefährdete Gut nur in einem staatlich garantierten Verfahren, insbesondere nur durch die Rechtspflege, gewahrt werden kann. cc) Die Möglichkeit staatlich organisierten Schutzes geht vor; die Verweigerung der Hilfe durch handlungsfähige Staatsorgane bindet den Privaten bis auf Situationen des Widerstandsrechts nach Art. 20 Abs. 4 GG; dieses Widerstandsrecht bleibt als zusätzliches Recht. 20 So LK">-Hirsch Rdn. 92 vor § 51.

2' Ebenso Maurach-Zipf AT I § 27 III 6 c.

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13. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. R e c h t f e r t i g u n g

B. Die gegenwärtige Gefahr 12

Das notstandsfähige Gut muß in einer gegenwärtigen Gefahr schweben, wenn der Notstandseingriff gerechtfertigt sein soll. 1 a) Gefahr ist ein Zustand, in dem zu prognostizieren ist, daß eine Gutsverletzung nach dem zu erwartenden Verlauf nicht unwahrscheinlich ist. Die Gefahr ist nur für einen Notstand relevant, wenn sie das allgemeine Bestandsrisiko übersteigt. Eine überwiegende (oder noch höhere) Wahrscheinlichkeit eines schlechten Ausgangs ist, entgegen weit verbreiteter Formulierung 22 , nicht erforderlich 23 , vielmehr ist ein gegebenenfalls geringer Grad der Gefahr bei der Risikoabwägung zu berücksichtigen.

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b) Die Prognose ist, wie oben begründet wurde (11/12), objektiv ex ante zu stellen, wobei objektiv heißt, daß es nicht auf die Fähigkeiten des jeweiligen Urteilers, sondern diejenigen eines verständigen Beobachters ankommt 24 . Verständiger Beobachter ist der für die Konfliktlage der in Frage stehenden Art an sich (d. h. wenn sofortiger Entscheidungszwang fehlt) zuständige Fachmann, also für Feuersgefahren der Berufsfeuerwehrmann, für Gefahren einer Gebäudekonstruktion der Statiker, für Krankheiten der Arzt etc. Daß im Einzelfall eine Person, die auch bei verfügbarer Zeit als planmäßig beschaffbarer Fachmann nicht in Frage kommt, zufällig ein Urteil abgeben könnte, das der Wirklichkeit voll entspricht, kann den Begriff der Gefahr erweitern, nicht aber verengen, bevor nicht das Sonderwissen in die Situation eingebracht wird 25 . Beispiel: Die auch den aufmerksamen Arzt täuschende, simulierte Herzattacke ist eine Gefahr, selbst wenn die Ehefrau des Patienten, wäre sie anwesend, die Simulation „diagnostizieren" würde; erst wenn die Frau die ärztliche Beurteilungsbasis durch Mitteilung ihres Sonderwissens erweitert, entfällt das Gefahrurteil. Die Bestimmung erfolgt ex ante; hierbei kommt es auf den Wissensstand des verständigen Beobachters im Zeitpunkt der Handlung an, gegebenenfalls ergänzt um einen übersteigenden Wissensstand des Urteilenden 26 . Die Trennung einer sogenannten 22

LK^-Hirsch Rdn. 57 vor § 5 1 (höchst wahrscheinlich); B G H 8 S. 28 ff, 31 (Eintritt wahrscheinlicher als Ausbleiben, zu § 315 c StGB, entspricht § 315 a StGB a. F.); ebenso B G H 13 S. 66 ff, 70; siehe auch B G H 18 S. 271 ff; 19 S. 264 ff, 267 f; 19 S. 371 ff, 373; 22 S. 341 ff; O L G Frankfurt N J W 1975 S. 840; - sämtliche Entscheidungen zu Gefährdungsdelikten; — Darstellung der diesbezüglichen neueren Rechtsprechung bei Wolter JuS 1978 S. 748 ff. « So zutreffend RG 30 S. 179 ff, 180; B G H VRS 45 S. 38 ff; Schaffstein Bruns-Festschrift S. 89 ff, 104 f; Schönke-Schröder-Lenckner §34 Rdn. 15; Schönke-Schröder-Cramer Rdn. 5 vor § 306. 24 Anders Schaffstein Bruns-Festschrift S. 89 ff, 100 ff, der auf die Leistungsfähigkeit der Angehörigen des Verkehrskreises abstellt, dem der Betroffene angehört. Damit wird die Perspektive wieder mehr auf den Retter (wer handelt?) und weg von normativen Erwartungen des Eingriffsopfers (wessen Aufgabe sind welche Handlungen generell?) gelenkt. — Natürlich geht im Notfall keine Erwartung dahin, der zufällige Retter werde Fachmann sein; aber das heißt nur, daß man bereit ist, eine vorauszusehende Täuschung als Irrtum des Laien zu erklären, nicht aber ist man bereit, das Irrige für richtig zu halten.

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Anders die ansonsten mit der hiesigen Lösung übereinstimmenden Definitionen durch Blei AT § 45 II c und Schönke-Schröder-Lenckner § 34 Rdn. 14, welche auf „alle Gegenwartskenntnisse" oder „das gesamte menschliche Erfahrungswissen" abstellen. Die Kumulierung dieser Kenntnisse ist aber selbst bei fehlendem Zeitdruck nicht organisierbar, sondern allenfalls zufällig möglich; deshalb kann solche Kenntnis auch nicht Gegenstand generalisierbarer Erwartung sein. Die o f t anzutreffende Formulierung, die Ex-antePrognose sei eine nachträgliche Prognose, da sie vom Richter nachträglich in gedanklicher Rückversetzung in die Lage ex ante vollzogen werde, ist verwirrend und überflüssig; denn es kommt — wie bei der Kausalität — auf den geistigen Konnex, nicht aber auf das psychische Faktum des Nachvollzugs an. — Ebenso verwirrend und überflüssig ist der häufige Hinweis, die Prognose beruhe insofern auf einer generalisierenden Expost-Betrachtung, als man die anzuwendenden Erfahrungssätze nur generell ex post entwickeln könne (Maurach-Zipf A T I §27 III 3); denn der Erfahrungssatz muß nicht „post" die zu beurteilende Gefahrenlage entwickelt werden, sondern kann längst bekannt sein.

Rechtfertigender Notstand

13. Abschn

ontologischen Basis (was ist die Lage?) von einer nomölogischen Basis (was sind die Entwicklungsgesetze einer solchen Lage?) ist weder nötig noch überhaupt möglich (die Anlage zu einer bestimmten Entwicklung kann stets als Eigenschaft der Lage definiert werden) 27 . — Solange ohne Gefahrerhöhung durch Verbreitung der Wissensbasis das Urteil präzisiert werden kann, hat dies zu geschehen. — Zu der ex ante bestimmten Gefahr tritt ergänzend diejenige Lage, die sich nur bei der Betrachtung ex post als Schadensverlauf erschließt (siehe oben 11/10). Beispiel: Wer einen nicht anders abwendbaren Schadensverlauf effektiv in einer nach den Maximen des § 34 StGB richtigen Art und Weise stoppt, handelt in einer objektiv gegebenen Rechtfertigungslage, auch wenn eine Gefahr wegen der Ungewöhnlichkeit des Schadensverlaufs ex ante nicht feststellbar war. c) Die Quelle der Gefahr kann eine Naturkatastrophe oder ein menschliches Fehl- 14 verhalten, auch ein Delikt, sein. Letzteres wird für den Fall eines Handelns im Nötigungsnotstand, also für das Werkzeug eines mittelbaren Täters (unten 21/84), mit dem Argument bestritten, wer — und sei es unter Zwang — auf die Seite des Unrechts trete, handle ohne Billigung der Rechtsordnung 28 . Selbst beschränkt auf Fälle, in denen der mittelbare Täter voll schuldfähig ist, und beschränkt auf das abgenötigte Verhalten 29 und zudem beschränkt auf Fälle, in denen der mittelbare Täter das Geschehen noch in der Hand hält 30 , ist der Ausschluß von Notstand nicht gerechtfertigt 31 ; denn dem Werkzeug ist die Tat des mittelbaren Täters nicht zurechenbar und also hat es Anspruch auf Solidarität wie jeder andere, der nicht eigene Gefahren zu verantworten hat. Das zeigt auch die Notstandshilfe: Wenn das Eingriffsopfer nach § 323 c StGB oder gar als Garant verpflichtet sein kann, zur Rettung des Werkzeugs aus der Bedrohung durch den mittelbaren Täter das Eingriffsgut anzubieten, darf das Werkzeug sich das Gut auch nehmen. — Freilich schließt eine Möglichkeit des Werkzeugs, sich durch Notwehr oder — bei nicht schuldhaft handelndem mittelbaren Täter — defensiven Notstand vom mittelbaren Täter zu befreien, die Rechtfertigung der Konfliktlösung durch den Eingriff in Güter unbeteiligter Dritter aus, weil dann eine anderweitige Abwendungsmöglichkeit besteht. — Schließlich kann auch der Eingreifende selbst der Erzeuger der Gefahrenlage sein; siehe dazu unten zur mittelbaren Täterschaft 21/84. 2. Die Gegenwärtigkeit der Gefahr beim Notstand hat geringere Bedeutung als die 15 Gegenwärtigkeit des Angriffs bei der Notwehr: Hier geht es nur darum, den aktuellen Schutz vor Not im Notstand von dem planmäßigen Schutz als Aufgabe der Polizei zu 27

28

Die Bestimmung ist insgesamt wenig genau; die dogmatische Aufmerksamkeit hat bislang der Gefahr in § 34 StGB weniger gegolten (ausführlich zu dieser Gefahr freilich Schaffstein Bruns-Festschrift S. 89 ff; Blei AT § 45 II; Schönke-Schröder-Lenckner % 34 Rdn. 12 ff) als der sogenannten objektiven Voraussehbarkeit bei der Fahrlässigkeit (dazu oben 9/8 ff) und der Gefahr bei den konkreten Gefährdungsdelikten (dazu umfassend Horn Gefährdungsdelikte S. 46 ff; Demuth Gefahrbegriff S. 49 ff; siehe auch oben 6/79). — Die teils behauptete Gleichrichtung der Gefahrbegriffe im Strafrecht, selbst unter Einschluß der Gefahr bei Prognoseentscheidungen im Sanktionenrecht (etwa bei Maurach-Zipf AT I § 27 III 3), ist bislang wenig gesichert. Schönke-Schröder-Lenckner ner Notstand S. 117; S. 784 ff, 785.

% 34 Rdn. 41; Lange NJW

Lenck1978

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So Schönke-Schröder-Lenckner aaO; anders Lange aaO, der auch die Flucht vor dem abgenötigten Verhalten erfassen will (dem Räuber wird Falschgeld gegeben). Diese Problematik übersehen die Autoren a a O ; Beispiel: Die Erlaubnisse zum Löschen können nach vorsätzlicher Brandstiftung nicht andere sein als nach einer Zufallszündung. Ganz unbefriedigend ist die angebliche Ausnahme von diesem angeblichen Notstandsausschluß für den Staat bei Schönke-Schröder-Lenckner § 34 Rdn. 41; der „Staat als Hüter des Rechts" besteht, will man nicht den Rechtsstaat preisgeben, jedenfalls nicht aus der Exekutive ohne vorgehenden Gesetzgebungsakt des Parlaments. Mit diesem Akt entfällt freilich das Problem. — Zur hier vertretenen, ganz gegenteiligen Lösung, nämlich zur Beschränkung von § 34 StGB bei Staatsorganen, siehe unten 13/42.

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sondern. Eine Bevorratung mit Rettungspotential soll ausgeschlossen und die Beschränkung auf das aktuell Notwendige erzwungen werden 32 . Die Gegenwärtigkeit reicht also beim Notstand bis zu der Grenze, die bei der Notwehr durch die notwehrähnliche Lage bezeichnet wird (oben 12/27), also bis zur Notwendigkeit, aktuell in fremde Güter einzugreifen, wenn der Eintritt einer Schädigung nicht unvermeidbar werden soll 33 .

C. Die Erforderlichkeit 16

1. Nur der — objektiv ex ante bestimmt (oben 11/12) — erforderliche Eingriff ist gerechtfertigt, oder mit den Worten des Gesetzes, die Gefahr darf „nicht anders abwendbar" sein (§ 34 Satz 1 StGB). Die Bestimmung der Erforderlichkeit verläuft derjenigen bei der Notwehr analog:

17

a) Der Eingriff muß zur Beendigung der Gefahrenlage geeignet sein. Was auf die Gefahrenlage nicht einwirkt, ist ungeeignet; so ist ζ. B. die Trunkenheitsfahrt eines Arztes, der infolge seiner Trunkenheit zu fachmännischen Maßnahmen nicht mehr in der Lage ist, zur Rettung des Patienten ungeeignet 34 . Ein der Art nach brauchbares, der Menge nach jedoch zu schwaches Mittel ist ungeeignet; die Gefahr ist so nicht abwendbar; Beispiel 35 : Ein Handfeuerlöscher ist zur Bekämpfung eines Großbrands ungeeignet. Geeignet ist auch nicht, was nur den Weg zum Schaden modifiziert; Beispiel: Droht ein Konkursfall das Ansehen eines Berufsstands zu schädigen, ist die Verschleierung der Konkursreife durch Veruntreuung zur Abwendung des Ansehensverlusts ungeeignet 36 .

18

b) Der Eingriff muß weiterhin das mildeste Mittel zur Gefahrenbeseitigung sein. Die Milde bestimmt sich nach dem Gewicht der beteiligten Interessen; Beispiel zu § 218 Abs. 1 Nr. 2 S t G B : Ein Schwangerschaftsabbruch zur Beseitigung einer Suizidgefahr ist nicht gerechtfertigt, wenn die Gefahr durch leicht zu leistende Hilfe anderweitig beseitigt werden kann 3 7 . Kann der Retter Güter aus dem Rechtskreis des durch die Notstandshandlung Begünstigten einsetzen, so geht das dem Eingriff in Güter dritter Personen so lange vor, wie die einzusetzenden Güter des Begünstigten nicht diejenigen der Dritten wesentlich überwiegen, also ihrerseits im Notstand schutzwürdig werden; Beispiel : Niemand muß den Brand seines Hauses mit eigenem Schampus löschen, bevor er eine fremde Wasserleitung anzapft. Güter des — selbst nicht durch die T a t begünstigten — Retters sind nicht eher einzusetzen als Güter dritter Personen. Soweit mehrere Güter gleichen Gewichts zur Verfügung stehen — Beispiel: mehrere Autos zum Abtransport eines Kranken — kann der Retter wählen 38 . — Ein Eingriff in Güter des für die Gefahr Verantwortlichen geht bei dessen Schuldhaftigkeit (Notwehr!) überhaupt und ansonsten im Rahmen des defensiven Notstands vor (d. h. solange der Eingriff nicht außer Verhältnis zu den sonst möglichen Abwendungen steht). Beispiel: W e r von einem Hund gebissen wird, hat sich zur Versorgung der Wunde primär an dessen Eigentümer zu halten; nur wenn bei diesem kein Verbandsmaterial zu holen ist, darf beim nächsten Apotheker eingegriffen werden. 32 Siehe Jakobs ZStW 91 S. 637 ff, 642 ff, 648. 33 RG 61 S. 242 ff, 255; B G H 14 S. 1 ff, 3; LK9Hirsch Rdn. 57 vor § 51. 34 O L G Koblenz M D R 1972 S. 885; - bei geringen Chancen einer tauglichen Behandlung verschiebt sich das Problem in die Risikoabwägung.

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35 Nach Lenckner Notstand S. 79 f. 36 BGH N J W 1976 S. 680 mit Anmerkung Kienapfel J R 1977 S. 27 f und Besprechung Küper J Z 1976 S. 515 ff. 37 BGH 3 S. 8 ff. 3 8 Siehe Küper J Z 1976 S. 515 ff, 516.

Rechtfertigender Notstand

13. Abschn

Hilfe anderer Personen, die den Rettungseingriff mildert, sei es polizeiliche oder private Hilfe, ist nicht nur bei Präsenz zu akzeptieren, sondern auch herbeizuschaffen; ein ungemilderter Eingriff ist ansonsten nicht erforderlich. Wächst freilich der Aufwand zum Herbeischaffen zu einem Gewicht an, das der zu erwartenden Milderung nicht mehr proportional (hier im Sinn von gleich) ist oder erhöht sich das Schadensrisiko unproportional, kann ohne fremde Hilfe und ungemildert eingegriffen werden: Ein Rettungsversuch, der mindestens kostet, was er bringen kann, braucht nicht erst versucht zu werden. Beispiel: Im Notfall ist die Trunkenheitsfahrt (§316 StGB) eines Arztes rechtmäßig, wenn das Heranholen eines Taxis entweder nur durch längere Blockierung einer Notrufleitung möglich ist oder die bis zum Eintreffen des Taxis verstreichende Zeit die Heilungschance des Notfallpatienten mindert. 2. Die Erforderlichkeit eines Notstandseingriffs fehlt, wenn das Benötigte von drit- 19 ter Seite freiwillig angeboten wird. Die Erforderlichkeit fehlt aber nicht schon deswegen, weil eine Einwilligung beim Eingriffsopfer erfragt werden könnte 39 . Das Problem ist überhaupt nicht an der Einwilligung zu fixieren, da das Eingriffsopfer nur schlicht dulden muß (also hinnehmen, nicht auch einverstanden sein). Freilich mag es Fallgestaltungen geben, in denen nur mit Einwilligung eingegriffen werden darf, während ein Notstandseingriff ein unangemessenes Mittel ist, so etwa bei der Heilbehandlung.

D. Die Abwägung der widerstreitenden Interessen 1. Kennzeichen speziell des aggressiven Notstands ist eine Interessenbilanz derge- 20 stalt, daß das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Zur Ermittlung des Gewichts der Interessen ist zunächst das Gewicht der beteiligten Güter festzustellen. Die Strafrahmen des BT geben zur Bestimmung des Gewichts nur einen korrekturbedürftigen Anhalt, da sie nicht allein nach dem Gewicht der Güter, sondern auch nach der Schutzbedürftigkeit der Güter und anderen kriminalpolitischen Aspekten ausgerichtet sind 40 . So entspricht etwa der geringe Strafrahmen des Hausfriedensbruchs (§123 StGB) oder der Beleidigung (§185 StGB) nicht dem Gewicht der Güter Hausfrieden und Ehre. Zudem sind nicht alle notstandsfähigen Güter strafrechtlich geschützt. Es bleibt nur die Leitlinie, daß nach der gesamten Rechtsordnung die Elemente, die eine Person konstituieren, sowie die Grundbedingungen eines Rechtsstaats überhaupt vorrangig sind; bei den nachrangigen Gütern kann nochmals zwischen ersetzbaren und unersetzbaren Gütern differenziert werden. Das ergibt freilich auch keine zahlenmäßig geordnete Reihenfolge, aber das Gesetz selbst stellt nur auf eine grobe Stufung ab, wie sich am Erfordernis des wesentlichen Uberwiegens zeigt. 2 a) Zudem kann die Duldung eines Eingriffs in solche Güter nicht durch ein allge- 21 meines Solidaritätsverlangen gefordert werden, deren Aufopferung selbst in engen Gemeinschaften (Eltern-Kind-Verhältnis, Ehe) nicht nach den Regeln dieser Gemeinschaften rechtlich gefordert ist, mag auch die Aufopferung der Idee der Gemeinschaft entsprechen. Lebensverlust, auch beim Verlust einer nur noch kurzen Spanne, Verlust nicht nur beiläufiger Stücke der körperlichen Integrität, nicht nur beiläufiger Freiheitsverlust oder irreparabler Ehrverlust können im aggressiven Notstand in der Regel nicht gerechtfertigt werden. Beispiel41: Ein nicht mehr zu bremsender Zug wird von einem "

Geilen J Z 1971 S. 41 ff, 47; Roxin J u S 1976 S. 505 ff, 508; Samson N J W 1974 S. 2030 ff, 2031; Schönke-Scbröder-Lenckner § 3 4 Rdn. 20; a.A. LG Bonn J Z 1971 S. 56 f f ; Dreher-Tröndle § 168 Rdn. 4 mit Nachweisen.

40 LK^-Hirsch Rdn. 66 vor § 5 1 ; Stratenwerth Rdn. 454; anders R G 61 S. 243 ff, 255. N a c h Welzel Z S t W 63 S. 47 ff, 51.

AT

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Weichenwärter zur Vermeidung eines Zusammenstoßes mit einem voll besetzten Personenzug auf ein Nebengleis gelenkt, wo allerdings einige Gleisarbeiter überfahren werden; — rechtswidriges Umlenken. — Eine Ausnahme bilden Lebensbereiche, die nur organisierbar sind, wenn Pflichten zur Erduldung von nicht nur geringen Lebensgefahren (Militär in Kriegszeiten) oder gewichtigem Freiheitsverlust (Freiheitsstrafe) auferlegt werden. Die Organisation vollzieht sich in diesen Bereichen durch staatliches Handeln; aggressiver Notstand scheidet deshalb für den Organisator aus (die Anordnung von Freiheitsstrafe oder Wehrpflicht per aggressiven Notstand ist stets unangemessenes Mittel); die Sonderpflicht behält nur Bedeutung für den Ausschluß von Rechtfertigung und Entschuldigung, wenn sich der einzelne Sonderverpflichtete der Organisation unter Berufung auf den ihn treffenden Verlust entziehen will (Fahnenflucht, Flucht des Strafgefangenen). — Auch bei der Erhaltung des Staats durch Widerstand (Art. 20 Abs. 4 GG) kann eine als Nebenfolge eintretende Tötung unbeteiligter Personen — auf Unbeteiligte bezogen entspricht Art. 20 Abs. 4 GG dem aggressiven Notstand — gerechtfertigt sein (siehe unten 15/4). — Der oft verwendete Topos, das Leben sei stets ein Höchstwert 42 , ist freilich, wie schon diese Ausnahmen zeigen, verfehlt. Er würde zudem jede Risikoabwägung, selbst das erlaubte Risiko, unmöglich machen. 22

b aa) Vom Bereich der Ausnahmen abgesehen gilt: Eine sogenannte Perforation (Tötung eines Kinds in der Geburt zur Erhaltung des Lebens der Mutter, insbesondere bei Hydrocephalus) ist im aggressiven Notstand nicht zulässig43 und nur zu rechtfertigen, wenn die Konfliktlage als zum Verantwortungsbereich des Kinds gehörig, also einen defensiven Notstand auslösend, definiert wird 44 .

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bb) An der Unverfügbarkeit der bezeichneten Güter ändert sich nichts bei einer solcherart gestalteten Gefahrengemeinschaft der Beteiligten, daß ohne einen Eingriff in existentielle Güter eines Beteiligten alle Beteiligten verloren sind 45 . Für das Opfer bedeutet diese Lage, daß es sich mit seinen Gütern sowieso dem Ende nähert; ob ihm dies allein oder mit anderen und letzterenfalls aus diversen Gründen oder aus einem Grund (dann Gefahrengemeinschaft) widerfährt, ist so lange irrelevant, wie ihm die Konfliktlage nicht zugerechnet werden kann: Eine Duldungspflicht fehlt jedenfalls. — Auch wenn durch die Aufopferung des Lebens eines einzelnen Menschen das Leben mehrerer anderer Menschen erhalten werden kann, ohne den Eingriff in das Leben jedoch alle zusammen in kurzer Frist verloren sind, läßt sich kein Recht begründen, einem Menschen die Minima der Existenz zu nehmen. Die Lösung eines Konflikts auf dem Rücken einer Person, der die Konfliktursache nicht zuzurechnen ist und die keine 42 43

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Schönke-Schräder-Lenckner % 34 Rdn. 23 u. a. m. Zweifelhaft; die Grenze zwischen Leibesfrucht und Mensch hat weniger etwas mit Differenzen im Wert des jeweiligen Angriffsobjekts zu tun als mit Differenzen der Schutzbedürftigkeit; das Kind in der Geburt, aber mangels deren Vollendung noch mit der Mutter verbunden, kann deshalb auch als menschengleich geschützte Leibesfrucht, aber eben noch nicht voller Rechtsgenosse, verstanden werden; so Jescbeck AT § 3 3 IV 3 c. So LK*-Hirsch Rdn. 76 vor § 51; Scbönke-Schröder-Eser Rdn. 34 vor § 218; sehr streitig; die Lösung paßt bei Kollisionen nicht mehr, die nicht auf eine besondere Konstitution des Kinds zurückgeführt werden können. — Für übergesetzli-

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che (§ 35 StGB paßt für den Arzt mangels Näheverhältnis in aller Regel nicht) Entschuldigung Dreber-Tröndle §34 Rdn. 21; SK-Rudolphi Rdn. 15 vor § 2 1 8 ; — letztere Lösung ist allerdings für ärztliches Handeln wenig angemessen: Sollte defensiver Notstand (nach verbreiteter Lehre sogar Notwehr) gegen den Arzt zulässig sein? Siehe schon oben 13/3 zur Exemtionstheorie; streitig, wie hier Lenckner Notstand S. 27 ff; KüperCruniund Grenzfragen S. 48 ff, 57 ff, 121 f; Schmidhäuser AT 11/16; Maurach-Zipf ATI § 2 7 III 5 b; LH*-Hirsch Rdn. 76 vor § 5 1 ; SKSamson § 3 4 Rdn. 20; a. A. Otto Pflichtenkollision S. 107 ff; Stratenwerth AT 2 Rdn. 451 (zweifelnd ders. A T 3 Rdn. 457).

Rechtfertigender Notstand

13. Abschn

Sonderpflichten trägt, findet ihre absolute Grenze in der Anerkennung dieser Person als ihrerseits auch zu einer physischen und sozialen Existenz berechtigt. Rechtswidrig war also das Verhalten der Ärzte, die bei der Aktion zur Tötung geisteskranker Personen in der nationalsozialistischen Zeit einige Patienten an die T ö tungsaktion preisgaben und deshalb in ihren Positionen belassen und nicht durch Ärzte ersetzt wurden, die alle Patienten preisgegeben hätten 4 6 . — Rechtswidrig handelt auch der Arzt, der ein nur einmal verfügbares Gerät, etwa eine Herz-Lungen-Maschine, mit erkennbarer Todesfolge bei einem Patienten mit schlechter Prognose absetzt, um es bei einem neu eingelieferten Patienten mit besserer Prognose einzusetzen 4 7 . Entsprechend sind die Schulfälle zu entscheiden, nach denen zwei Bergsteiger nach einem Sturz an dem um eine Klippe laufenden Sicherungsseil hängen bleiben und ein Retter nur das Seil durchschneiden und einen der Bergsteiger vor dem baldigen T o d bewahren kann, während der andere nach dem Durchschneiden sofort zu T o d e stürzt 4 8 , oder mehrere Schiffbrüchige des Schiffs „Mignonette" den sowieso todkranken Schiffsjungen töten und verspeisen, um Kraft für das — gelingende! — Abwarten auf Rettung zu haben 4 9 , oder ein Fährmann einen Teil seiner Passagiere vor dem baldigen Ertrinken bei einem Schiffsleck rettet, indem er den anderen Teil sofort über Bord wirft 50 (was sich auf Ballonführer übertragen läßt, die sich bei einer Uber-WasserFahrt eines Teils ihrer Passagiere entledigen, um dem Rest eine Landung auf dem Festland zu ermöglichen), oder bei einem Schiffsleck Schotten zu einem Schiffsteil geschlossen werden, in dem sich noch Seeleute befinden, die dadurch eher sterben, als sie bei einem Vollaufen des ganzen Schiffs gestorben wären 5 1 : sämtlich Fälle rechtswidriger Notstandseingriffe. cc) Schließlich bleibt die Lösung auch dann unverändert, wenn der Eingreifende zur 24 Rettung des Begünstigten verpflichtet ist: Das Innenverhältnis Eingreifender-Begünstigter kann dem außenstehenden Eingriffsopfer keine Duldungspflichten bringen 5 2 . BGH N J W 1953 S. 513 f; O G H 1 S. 321 ff, 331 ff; 2 S. 117 ff, 122 ff; Welze! M D R 1949 S. 373 ff, 375; ders. ZStW 63 S. 47 ff; Gallas Mezger-Festschrift S. 311 ff, 326 f; Küper Grundund Grenzfragen S. 52 ff mit Nachweisen; den. JuS 1981 S. 785 ff, 793; a. A. (für Rechtfertigung) Brauneck GA 1959 S. 261 ff, 271; Otto Pflichtenkollision S. 109; Rödig Lange-Festschrift S. 39 ff, 58 f mit Fn. 44; Mangakis ZStW 84 S. 447'ff, 476 f mit Nachweisen des Meinungsstands S. 477 Fn. 70. π Fall von Welzel Strafrecht § 23 III 1; hierzu Geilen J Z 1968 S. 145 ff, 151; den. FaraRZ 1968 S. 121 ff, 126; Bockelmann Strafrecht des Arztes S. 126 Anm. 50. Die Entscheidung ist von der Beurteilung des Behandlungsabbruchs als Begehung oder als Unterlassung (dazu oben 7/64) unabhängig; das übernommene Vertrauen wiegt jedenfalls mehr als das erst noch zu übernehmende. — Zudem führt die Verfolgung der jeweils bei einer Einzelbewertung chancenreicheren Handlungsmöglichkeit nicht sicher zu einem per Saldo größeren Nutzen: Wenn mehrfach wegen einer jeweils chancenreicheren Tätigkeit abgebrochen wird, können die vernachlässigten Chancen in der Summe die bevorzugte Chance überragen.

ger, der in dem gleichfalls bekannten Schulfall stürzt und seinen Partner mitzureißen droht, wenn das Seil nicht sofort gekappt wird (siehe etwa Stratenwerth AT Rdn. 457 und SK-Samson § 34 Rdn. 20), kann (1) rechtswidrig und schuldhaft angreifen, wenn er durch einen außerhalb des erlaubten Risikos liegenden und schuldhaften Fehler stürzt; (2) im Sinn des defensiven Notstands angreifen, wenn der Grund des Sturzes in seinem Gefahrenbereich liegt; (3) nur eine Gefahr im Sinn eines aggressiven Notstands heraufbeschwören (dann keine Rechtfertigung der Verkürzung der verbleibenden Lebensspanne), (4 und 5) sich seinerseits im defensiven Notstand oder im Zustand der Notwehr befinden, wenn der Grund des Sturzes (schuldhaft oder nicht) vom Partner zu verantworten ist.

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Scbönke-Schröder-Lenckner § 34 Rdn. 24 mit Nachweisen; zur Herkunft des Falls siehe Küper JuS 1981 S. 785 ff, 786 Fn. 14. - Der Bergstei-

Siehe Radbruch Geist des englischen Rechts S. 69 ff. 50 Fall nach Klefisch M D R 1950 S. 258 ff, 261. 5 1 Fall nach H. Mayer A T § 27 III 1, der hier eine besondere Duldungspflicht annimmt; sehr zweifelhaft. 5 2 Α. A. für die Rettung naher Familienangehöriger Otto Pflichtenkollision S. 99 ff; siehe aber auch aaO Nachtrag S. 118; dagegen insbesondere Küper Grund- und Grenzfragen S. 83 ff mit ausführlichen Nachweisen. 49

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3 a) Im überhaupt verbleibenden Bereich rangieren nicht etwa die Sachgüter nach den persönlichen Gütern5i. Der verfassungsmäßig garantierte Schutz der Person wirkt auch auf Sachgüter zurück: Die meisten Sachgüter sind durch Arbeit entstanden und alle bieten Entfaltungschancen f ü r eine Person. Eine absolute Nachrangigkeit von Sachgütern würde also eine Mißachtung von Arbeit und personaler Entfaltungschance bedeuten und sich deshalb gegen die Person selbst kehren. So sind etwa vorübergehende N ö tigungen oder Freiheitsbeeinträchtigungen zur Rettung größerer Sachgüter nach § 34 StGB erlaubt. Für die Abwägung ist also weniger eine phänotypische Zuordnung relevant als das Maß, in dem das durch den Notstandseingriff betroffene Gut Entfaltungschancen oder — bei staatlichen Gütern — formelle oder materielle Rechtsstaatlichkeit repräsentiert. Freilich kommt es nicht allein auf die praktische Nutzbarkeit der Güter an (also nicht 2 Stunden Freiheit = 2 Stunden Durchschnittslohn etc.); denn Güter werden im sozialen Leben nicht als das, was sie sind, bewertet, sondern als was sie gelten; ihr symbolischer Gehalt geht in die Gewichtung ein 54 . So zählt ζ. B. die Freiheit selbst ceteris paribus mehr als das Ergebnis des Einsatzes von Freiheit in Arbeit (etwa ein Sachgut oder eine Dienstleistung), oder das Geld f ü r die tägliche N a h r u n g zählt — auch wenn der Grundbedarf sowieso gesichert ist — mehr als dieselbe Summe als Anlagekapital etc. N u r mit dem symbolischen Gehalt an Entfaltungschancen, den die Freiheit oder die körperliche Integrität enthalten, kann erklärt werden, daß im Schulfall der gewaltsamen Gewinnung dringend benötigten Transfusionsbluts Notstandsrechtfertigung ausscheiden soll 55 ; der beim Eingriffsopfer realisierte Verlust dürfte sich nicht von der Einbuße unterscheiden, die etwa ein Notfalleinsatz nach § 323 c StGB mit sich bringt; aber beim Notfalleinsatz (oder bei der prozessualen Zeugnispflicht u. a. m.) wird eine menschliche Leistung gefordert, bei der erzwungenen Transfusion hingegen ein Teil des Körpers eines Menschen; letzteres (der Mensch als medizinisches Depot!) symbolisiert stärker einen Gebrauch der Person als Sache 5 6 . Notstandsrechtfertigung scheidet auch aus, wenn eine gewichtige Wertdifferenz zwischen Sachgütern gegenüber ihrem gleichgewichtigen symbolischen Gehalt zurücktritt. Zum Beispiel darf bei einem Gewitterregen nicht die schutzlose, reich gekleidete Frau zum Erhalt ihrer Kleidung einer wertlos gekleideten Frau deren Schirm entwinden 5 7 , obgleich sie das Objekt etwa zur Verteidigung vor einem bissigen H u n d nehmen dürfte; im letzteren Fall vertritt das Objekt eine Waffe, im ersteren aber dient es der 53

So aber Düng in: Maunz-Qüng-Herzog Art. 1 Abs. 1 Rdn. 33; Lenckner Notstand S. 157 f f ; LK 9-Hirsch Rdn. 66 vor § 51; zur Kritik siehe Krey Z R P 1975 S. 97 ff, 98 f. 54 Eine Güterabwägung ist freilich nur möglich, wenn f ü r die Güter ein gemeinsamer Nenner gefunden werden kann; ob dies in restlos allen Kollisionsfällen möglich ist, ist zweifelhaft; siehe Stratenwerth AT Rdn. 454, 464. 55 Gallas Mezger-Festschrift S. 311 ff, 325 f; Lenckner Notstand S. 165; Schönke-Schröder-Lenckner § 3 4 Rdn. 41 mit Nachweisen; auch Ε 1962 Begründung S. 160; differenzierend Baumann AT § 22 II 1 b; LK>-Hirsch Rdn. 75 vor § 51; Roxin Kriminalpolitik S. 27 f. 56 Die Entscheidung ist im Blick auf die gesetzliche Wertung in §§ 81 a, 81 c StPO zweifelhaft; siehe Hirsch, Roxin, beide aaO. — Uberwiegend wird das Ergebnis durch einen unvermittelten Rekurs

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des bei einem Notstandseingriff in Individualrechtsgüter immer vorliegenden Eingriffs in die Autonomie einer anderen Person gewonnen; LH?-Hirsch a a O ; Lenckner Notstand S. 111 f; — daran ist richtig, daß dieser Eingriff in die Gewichtung der Güter eingehen muß, nicht richtig ist aber, daß er ein per se bestimmbares Gewicht hat: So wie auch ein Eigentums- oder Vermögensdelikt durch die Zwangswirkung, die vom Gutsverlust bewirkt wird, Angriff auf die Person und trotzdem als Personangriff ceteris paribus nicht vom Gewicht einer Nötigung ist, so kommt es auch bei der Rechtfertigung auf die jeweilige Nähe zur Autonomieverletzung an. — Eine Systematik der Berücksichtigung der Selbstbestimmung entwirft Stratenwerth ZStW 68 S. 41 ff, 50 ff. 57 Bockelmann AT 5 15 Β II 3 c; LK3-Hirsch Rdn. 82 vor § 51.

Rechtfertigender N o t s t a n d

13. Abschn

persönlichen Lebensgestaltung, und deren Gewicht ist nach den rechtlich durchsetzbaren Maximen dieser O r d n u n g nicht vom Preis der Mittel abhängig. b) Ein persönlichkeitsfernes Gut kann sein Defizit gegenüber einem Persönlichkeits- 26 nahen durch den U m f a n g des ihm drohenden Schadens überspielen 5 8 ; so rechtfertigt der drohende große Verlust von wirtschaftlich eingesetztem Vermögen nicht nur den Eingriff in persönlichkeitsnahes Vermögen, sondern auch in Freiheit und Körperintegrität; Beispiel: Die bei der Bekämpfung eines Kaufhausbrands angeordnete Straßensperre ist auch als Freiheitsbeeinträchtigung gerechtfertigt 5 9 . — Bei Differenzen im Maß der drohenden Verletzung können das gefährdete Gut und das Gut, in welches eingegriffen wird, identisch sein; Beispiel: Eine Extremität wird zur Vermeidung einer Vergiftung des ganzen Körpers amputiert. — Ist das Gut, in das eingegriffen wird, sowieso nicht mehr bestandsfähig, so mindert sich das Gewicht des ihm geltenden Interesses insoweit, als es sich um ein quantifizierbares Gut handelt. Beispiel: Zerstören Feuerwehrleute ein nicht mehr zu rettendes Gebäude, um die Brandbekämpfung eines anderen Gebäudes zu effektivieren, so sind sie gerechtfertigt (siehe auch unten zur entschuldigenden Interessenkollision 20/41 f). 4. Zur Gewichtung der beteiligten Güter im Maß der drohenden Verletzung tritt als 27 ein Moment der Interessenabwägung die Verantwortlichkeit für die bedrohliche Lage des gefährdeten Guts. Liegt diese Verantwortlichkeit beim Eingriffsopfer, so führt dies zum defensiven Notstand (dazu unten 13/46 ff); liegt die Verantwortlichkeit weder beim Inhaber des gefährdeten Guts noch beim Eingriffsopfer, so bleibt der Verantwortliche primär opferpflichtig, ansonsten gelten die allgemeinen Regeln. Liegt die Verantwortlichkeit beim Inhaber des gefährdeten Guts, so vermindert dies den W e r t des Guts nach dem Maß der Verantwortlichkeit: Die vorsätzliche Gefährdung eines disponiblen Guts schließt die Solidarität völlig aus; ansonsten gilt, daß eine objektivierte geringe Wertschätzung des gefährdeten Guts bei der Abwägung zu berücksichtigen ist 60 , insbesondere ein unsorgfältiger Umgang mit dem Gut. Beispiel: Besteht nach einem leichtfertig provozierten Unfall für mehrere Personen gleiche Lebensgefahr, so rangiert bei beschränkter Hilfsmöglichkeit das Leben des Provokateurs hinter demjenigen der nicht zurechenbar Betroffenen 6 1 . — N a c h üblicher Lehre soll allerdings ein „Verschulden" der Notstandslage den Notstand nicht beeinflussen 6 2 ; das ist insoweit richtig, als ein nicht voll disponibles Gut niemals und ein disponibles Gut nicht stets restlos „verspielt" wird; es entspricht aber dem System der Rechtfertigungsgründe, daß um so weniger Solidarität beansprucht werden kann, je stärker die Konfliktlage zurechenbar ist. Der Inhaber des gefährdeten Guts, der die Gefahr provoziert hat, kann 58 Henkel Notstand S. 103; LK*-Hirsch Rdn. 73 vor § 51; Lenckner Notstand S. 100; SK-Samson § 34 Rdn. 13 — überwiegende Ansicht. 59 Zu einer Abwägung zwischen persönlichen und staatlichen Gütern siehe B G H N J W 1979 S. 2621 f: Die Befreiung eines Menschen aus einer Unterdrückung geht einem einzelnen Verstoß gegen Paßgesetze vor, rechtfertigt aber nicht die Anlage einer unkontrolliert arbeitenden und damit im Schadensmaß nicht berechenbaren Fälscherwerkstatt. 60 Lenckner Notstand S. 98 ff; Schönke-SchröderLenckner § 34 Rdn. 33; SK-Samson § 34 Rdn. 14 mit zutreffendem Hinweis auf § 218 a StGB; eingehend Hruscbka AT S. 68 ff, 125 f, 163 f und passim.

61 Blei AT § 45 III b; a. A. Baumann AT § 22 II 1 b. " B G H VRS 36 S. 23 ff, 24; BayObLG N J W 1978 S. 2046 f mit insoweit zustimmenden Anmerkungen Hruscbka J R 1979 S. 125 ff und Dencker JuS 1979 S. 779 ff; Lenckner Notstand S. 103 f f ; LK9-Hirsch Rdn. 63 vor § 51; Schönke-SchröderLenckner 5 34 Rdn. 42 mit Nachweisen; siehe auch Kienapfel Ö J Z 1975 S. 421 ff, 427; hauptsächlich wie hier Küper J Z 1976 S. 515 ff, 518; auch im hiesigen Sinn B G H N J W 1976 S. 680; zur heftig umstrittenen älteren Rechtslage siehe ausführlich Henkel Notstand S. 135 ff mit N a c h weisen.

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13. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. R e c h t f e r t i g u n g

also nur noch ein abgeschwächtes Notstandsrecht haben. — Freilich ist der Konflikt nicht schon zurechenbar, wenn er erkennbar verursacht wird; vielmehr müssen — wie bei jeder Erfolgszurechnung — auch alle Voraussetzungen der objektiven Zurechnung gegeben sein. Beispiel: Eine Frau, die aus körperlichen oder seelischen Gründen zur Austragung einer Schwangerschaft voraussichtlich nicht in der Lage ist, hat trotz der Voraussehbarkeit eines Konflikts im Fall der vermeidbar bewirkten Schwangerschaft keine erhöhte Duldungspflicht 63 . — Zur Haftung wegen Provokation der Notstandslage siehe unten zur mittelbaren Täterschaft bei Vorsatz 21/84 und Fahrlässigkeit 21/113. 28

5 a) Das rechtlich anerkannte Interesse am Gut kann durch die Pflicht, die Gefahr hinzunehmen, gemindert oder aufgewogen werden 6 4 . Die Pflicht kann Sonderpflicht eines Berufsstands (Militär, Polizei, Feuerwehr) oder Teil einer Garantenstellung gegenüber einem Gut sein. Beispiele: Lebensgefahr eines Soldaten rechtfertigt nicht per Notstand dessen Fahnenflucht (§16 WStG); ein Bergführer kann beim Gewitter nicht unter Hinweis auf seine Gefährdung die Führung der Gruppe aufgeben. — Die Sonderpflicht kann auch Folge einer gewollten Entziehung des Guts sein; danach scheidet Notstandsrechtfertigung bei Taten gegen prozeßordnungsgemäß angeordnete Untersuchungshaft oder Strafhaft aus (zur parallelen Lösung über die Angemessenheitsklausel siehe unten 13/36). Eine Duldungspflicht wegen einer Zuständigkeit für die Gefahr führt zum defensiven Notstand.

29

b) Dieselbe Wirkung wie eine Duldungspflicht hat ein Duldungswille; soweit das Gut disponibel ist, schließt, wie bei der Notwehr, der Verzicht auf Rettung die Rechtfertigung einer trotzdem vorgenommenen Rettung aus. Beispiel: Will die Schwangere auch schwere Körperschäden dulden, so ist der Abbruch der Schwangerschaft nicht gerechtfertigt, § 218 a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Ist das Gut nicht (voll) disponibel (etwa das Leben), kann die gegen einen Verzicht (etwa auf ärztliche Behandlung einer Krankheit) vorgenommene Rettung ein unangemessenes Mittel und deshalb rechtswidrig sein (Zwangsbehandlung einer Krankheit; zur Bestimmung des Willens siehe oben zur Notwehrhilfe 12/59 ff). Jedenfalls ist der nicht disponible Rest notstandsfähig. Ist dieser Rest die öffentliche Ordnung allgemein, scheidet Notstand (Staatsnotstandshilfe) aus. Im Regelfall dürfte deshalb die Verhinderung eines Suizidversuchs nicht per Notstand zu rechtfertigen sein 65 .

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6. Schließlich nennt das Gesetz den Grad der drohenden Gefahren als Maßstab zur Konkretisierung der Interessenbilanz. Abstrakt gefährdendes Verhalten zur Hinderung konkreter Gefahren ist also ceteris paribus gerechtfertigt 66 . Auch konkrete Gefahren 63 So schon RG 61 S. 243 ff, 255. »« Küper JZ 1980 S'. 755 ff (mit zutreffenden Ausführungen zur Lozierung der Sonderpflichten in der Interessenabwägung); Lenckner Notstand S. 101; Baumann A T §22 II 1 b; Blei AT § 45 111b; LR?-Hirsch Rdn. 75 vor §51; Schönke-Schröder-Lenckner § 3 4 Rdn. 34; SKSamson § 3 4 Rdn. 17; eingehend Hruschka AT a a O 13/Fn. 60. « A. A. Bottke GA 1982 S. 346 ff, 356 ff mit Nachweisen. — Siehe schon oben zur Staatsnotwehrhilfe 12/9. 44 So eine umfangreiche oberlandesgerichtliche Rechtsprechung in Straßenverkehrssachen; O L G Hamm V R S 20 S. 232 f f ; O L G Hamm N J W 1958 S. 271; O L G H a m m VRS 36 S. 27 ff; O L G

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Düsseldorf V R S 30 S. 445 f; OLG Schleswig VRS 30 S. 462 ff; BayObLG J R 1965 S. 65 f; OLG Düsseldorf N J W 1970 S. 674 f; siehe auch OLG Hamm V R S 41 S. 141 ff. - Freilich läßt sich beim Antritt einer nur abstrakt gefährlichen Trunkenheitsfahrt, §316 StGB, der Eintritt konkreter Gefahren nicht ausschließen; aber die konkreten Gefahren sind erst bei ihrem Eintritt hinreichend gegenwärtig, d. h. drastisch, um in die Interessenbilanz eingehen zu können. Natürlich geht auch das Gewicht der gefährdeten Güter in die Abwägung ein. Beispiel: Erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitungen, um einem Sterbenden noch vor seinem Tod nahe sein zu können, sind — abgesehen von krassen Sonderfällen - nicht erlaubt; B G H VRS 59 S. 438 f.

Rechtfertigender Notstand

13. Abschn

am Rand des erlaubten Risikos können gerechtfertigt werden, wenn sie der Vermeidung hoher Gefahren f ü r Güter gleichen Gewichts dienen 6 7 . Bei einer Risikodifferenz kann auch ein Verhalten gerechtfertigt werden, durch das an einem Gut die hohe G e f a h r einer Verletzung desselben Maßes substituiert wird. Beispiel 68 : Der Vater wirft seine Kinder aus einem brennenden H a u s in die Arme zum Auffangen bereiter Personen; — Rechtfertigung der T ö t u n g bei einem Fehlschlag, ansonsten Rechtfertigung des Tötungsversuchs. 7. Immer tritt als beteiligtes Interesse das allgemeine Interesse am Ausbleiben von 31 Ordnungsstörungen auf die Seite des Guts, in das eingegriffen wird. Die Befreiung per Notstand aus alltäglichen kleineren Notlagen läßt sich also überhaupt nicht rechtfertigen: Die Ordnungsstörung schließt eine positive Bilanz bei Beseitigung der geringen N o t durch einen Notstandseingriff aus. Beispiel: Der Student, der auf dem W e g zum Bus merkt, daß er diesen und damit das Kolleg vielleicht verpassen wird, darf nicht zur Beschleunigung seines Vorankommens andere Passanten anrempeln, zur Seite stoßen etc. 8. Werden durch eine Notstandshandlung mehrere Interessen gewahrt oder wird in 3 2 mehrere Interessen eingegriffen, so sind die Gewichte der nebeneinandertretenden Interessen zu addieren, auch wenn die Interessen ungleichartig sind. Das ist insbesondere insoweit nicht selbstverständlich, als es sich um die Interessen auf der Eingriffsseite handelt; denn durch die Addition mag sich im Einzelfall ein Interesse nur mit Hilfe eines hinzutretenden, andersartigen Interesses gegenüber dem zu schützenden Interesse so durchsetzen, daß Notstandsrechtfertigung ausscheidet: Die Rechtswidrigkeit der Verletzung des einen Interesses hängt dann vom zufälligen Bestand noch eines anderen Interesses ab, was die P r ü f u n g erforderlich macht, ob die Verletzung noch im Schutzbereich der N o r m liegt. Beispiel 69 : Ist eine abstrakte Gefährdung der Grundwasserreinheit zur Durchsetzung eines an sich überwiegenden Interesses an der Erhaltung von Eigentum erlaubt, so wird bei Addition der Interessen der Eingriff verboten, wenn er nach der zufälligen Fallkonstellation neben der abstrakten Gefährdung des Grundwassers die Verletzung weiterer Interessen mit sich bringt (etwa Körperintegrität, fremdes Eigentum), die mit der Grundwasserreinheit nichts zu tun haben. Dieser zufällige Zusammentritt führt aber nicht dazu, daß — bei Versagung der Notstandsrechtfertigung — unter dem Namen der Gewässergefährdung die Verletzung eines anderen Interesses strafrechtlich sanktioniert wird 7 0 (was den Schutzzweck der N o r m verfälschen würde). Vielmehr steht das durch den Eingriff gewahrte Interesse von vornherein nur vermindert um diejenigen Interessen, die den Gewässerschutz — auch zufällig — flankieren, dem Interesse am Gewässerschutz gegenüber. Die Ausrichtung der Rechtswidrigkeit an Zufälligkeiten der Fallgestaltung ist nicht stärker als in den Grundfällen des Notstands: Der Begriff und die Gestalt einer Kollisionslage hängen immer von den zufällig jeweils gegebenen Bedingungen ab 7 1 . 67

Streitig; wie hier LfP-Hirsch Rdn. 70 vor § 5 1 ; a. A. Schönke-Schröder-Lenckner § 34 Rdn. 28; O L G Karlsruhe V R S 46 S. 275 f. Μ N a c h B G H bei Daliinger M D R 1971 S. 361 f. « N a c h BayObLG N J W 1978 S. 2046 f. 70 So aber die Kritik von Dencker J u S 1979 S. 779 ff. 7 ' Dencker J u S 1979 S. 779 ff bringt gegen diese Lösung vor, daß zwar ein T ä t e r , der z u r Rettung eines wertvollen Gegenstands das Interesse — im Beispiel — an Gewässerschutz und an gleichfalls

wertvollen fremden Sachen verletze, bezüglich des Gewässerschutzes rechtswidrig handele, aber nicht ein anderer Täter, der selbst Inhaber der beim Notstandseingriff a u f z u o p f e r n d e n Sachen ist. Diese befremdliche Lösungsdifferenz tritt freilich überhaupt nicht auf: D e r Eigentümer, der bei Rettung des wertvollen Gegenstands sowieso eigene Sachen zerstören muß, w a h r t überhaupt n u r ein um den unumgänglichen Verlust gemindertes Interesse!

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13. Abschn

2. B u c h . 2. K a p i t e l . R e c h t f e r t i g u n g

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9 a) Die Interessenbilanz muß zur Rechtfertigung erheblich positiv sein. Diese Erheblichkeit ist nicht etwa nötig, weil ein nur kleiner Gewinn die mit dem Notstandshandeln stets verbundene Ordnungsstörung nicht kompensieren könnte: Diese O r d nungsstörung geht schon in die Abwägung der beteiligten Interessen ein. Es geht vielmehr darum, daß Solidarität nicht schon verlangt wird, wenn sich dies per Saldo lohnt, sondern erst, wenn der Saldo die Notwendigkeit drastisch indiziert, wie auch § 323 c StGB eine Hilfspflicht nicht anordnet, wenn das nützlich ist, sondern wenn ein Katastrophenfall vorliegt. Die Lage ist anders, wenn das Eingriffsopfer wegen eines fürsorgerischen Garantieverhältnisses Garant f ü r das geschützte Gut, also nicht nur zu allgemeiner Solidarität verpflichtet ist; dann entfällt wegen der besonderen Leistungsverpflichtung die Berechtigung, zur Eingriffserlaubnis ein wesentliches Uberwiegen zu verlangen (siehe auch unten zur Pflichtenkollision 15/12 ff).

34

b) Ist bei Notstandshandlungen der Inhaber des gefährdeten Guts mit dem Inhaber des Guts, in das eingegriffen werden soll, identisch, so muß die (mutmaßliche) Einwilligung dieses Gutsinhabers zur Umschichtung der Gefahr vorliegen. Mit dieser (mutmaßlichen) Einwilligung aber sind, da es in diesem Fall nicht um die Solidarität eines Gutsinhabers mit einem anderen geht, auch unerhebliche Interessendifferenzen zu rechtfertigen. Beispiel: (Mutmaßliche) Einwilligung vorausgesetzt, können bei identischem Gutsinhaber 1000 Mark durch die Aufopferung von 999 Mark erhalten werden. Ebenso können subjektive Präferenzen in die Interessenbilanz eingehen.

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c) Die Gewichtung eines Interesses wird o f t zweifelhaft bleiben, dies teils parallel zu Ungewißheiten bei der Bestimmung eines Rechtsguts (oben 13/20). Da eine allgemeine Solidarität nur in axiologisch eindeutigen Bereichen verlangt werden kann, trägt das Risiko der axiologischen Unsicherheit der Eingreifende 7 2 .

E. Die Angemessenheitsklausel 36

1. Ein positiver Interessensaldo reicht zur Rechtfertigung nicht hin, wenn die Lösung des Konflikts (die Beseitigung der Gefahr) auf ein bestimmtes Verfahren kanalisiert oder überhaupt ausgeschlossen ist: Dann ist jede (andere) Konfliktlösung ein unangemessenes Mittel (§ 34 Satz 2 StGB). Die Angemessenheitsklausel soll den formellen Rechtsstaat gegenüber der freihändigen Nutzenoptimierung durch Interessenabwägung garantieren. Es handelt sich beim Zusammentreffen des bestimmten Verfahrens mit dem rechtfertigenden Notstand um den bedeutendsten Fall einer Konkurrenz von Rechtfertigungsregelungen. Die verbreitete Meinung, die Angemessenheitsklausel sei an sich überflüssig, dürfte auf einer Unterschätzung der in § 34 Satz 1 StGB enthaltenen Eingriffskompetenzen beruhen 7 3 . — Die Kanalisierungen können hier nicht erschöpfend beschrieben werden, da in einem Rechtsstaat so zahl- und variantenreiche Bindungen bestehen, wie die Bereiche kalkulierbarer Konflikte mannigfaltig sind.

37

2. Hauptsächlich sind zu nennen: a) Die Konsequenzen eines Mangels an Geld oder sonstigen geldgleich zu benutzenden Werten bei einem Privaten regeln das S H G , die K O , die Pfändungsschutzvor72

Anders — das Risiko trägt das Eingriffsopfer — Stratenwerth AT 2 Rdn. 457 (zweifelnd ders. AT 3 Rdn. 464); wenn sich das Eingriffsopfer aber in einem zweifelhaften Fall gegen den Eingriff wehrt, müßte nach dieser Lösung eine rechtswidrige Gegenwehr vorliegen, obgleich eine Pflicht, den Eingriff hinzunehmen, nicht jedermann plausibel begründet werden kann. — Im Ergebnis wie hier Schönke-Schröder-Lenckner § 34 Rdn. 45.

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73

Für eine eigenständige Bedeutung der Klausel — mit allerdings durchaus unterschiedlich gedeutetem Inhalt — Ε 1962 Begründung S. 159 f; Gallas ZStW 80 S. 1 ff, 26; Bockelmann A T § 15 Β II 3 c; Dreher-Tröndle §34 Rdn. 12; Jescheck A T § 3 3 IV 3 d ; SK-Samson §34 Rdn. 22; Schönke-Schröder-Lenckner § 34 Rdn. 46 u. a. m.

Rechtfertigender Notstand

13. Abechn

Schriften der Z P O u. a. m. Notstand kommt also nur in Frage, wenn der Einhaltung dieser Verfahren äußere Hindernisse entgegenstehen. Beispiel: Bei einem akuten Krankheitsanfall und Unerreichbarkeit anderer Hilfe stiehlt der Vater f ü r sein Kind das zum Überleben nötige Medikament; — Rechtfertigung; aber: Der Vater stiehlt aus Geldknappheit das Medikament, das die Sozialhilfe nicht gewährt; — keine Rechtfertigung 7 4 . b) Die Verteilung öffentlicher Mittel regelt sich nach den Haushalten und ihren Er- 3 8 gänzungen. Notstand kann die berufene Entscheidung nicht überspielen; sie kann allenfalls im Notfall in Geschäftsführung ohne Auftrag ersetzt werden. So dürfen etwa öffentliche Mittel so wenig wie private Mittel zweckentfremdet dafür verwendet werden, hungernde Kinder in Entwicklungsländern zu ernähren. Weiteres Beispiel: Reichen zu einer Konzertreise die öffentlichen Zuschüsse nicht aus, so dürfen f ü r andere Zwecke gebundene öffentliche Mittel nicht im Notstand f ü r die Reise verwendet werden, mag das Interesse an dieser Reise auch noch so überragen 7 5 . — Wie bei zweckgebundenem Geld, so gilt dies auch bei anderen gebundenen Sachen. Beispiel: In Kriegszeiten zu Militärzwecken bestimmtes Benzin darf auch bei desolater Lage der Zivilbevölkerung nicht zu deren Versorgung zweckentfremdet werden, solange eine Entscheidung der berufenen O r g a n e eingeholt werden kann 7 6 . c) Sehr schwierig ist die differenzierte Bestimmung, wann einerseits der Inhaber ei- 3 9 nes Rechts die Konsequenzen eines Mangels an Beweisen f ü r dieses Recht oder eines Vorhandenseins falscher Beweise gegen dieses Recht hinnehmen muß und wann andererseits der drohende Verlust des Rechts eine notstandsfähige Gefahr ist. aa) Notstand (oder auch Notwehr) gegen die Präsentation eines falschen Beweises 4 0 im gerichtlichen Verfahren würde die Ordnung des Verfahrens auflösen. Zum Beispiel dürfen eine falsche Aussage oder die Präsentation einer falschen Urkunde nur mit den prozessual vorgesehenen Mitteln, nicht aber ungebunden bekämpft werden; notfalls sind die verfälschten Beweisergebnisse hinzunehmen. Ebenso verhält es sich mit einem Beweismangel im gerichtlichen Verfahren; sofern kein Verfahren zur Beschaffung von Beweisen einschlägig ist (etwa nach der Z P O ein Antrag auf Parteivernehmung, §§ 445 ff Z P O , oder ein Antrag auf Urkundsvorlage nach §§ 422 f Z P O ) , darf dem Mangel nicht durch gefälschte Beweismittel oder Zerstörung der Beweismittel des Gegners abgeholfen werden. Wie das gerichtliche Verfahren sind alle anderen förmlich geregelten Verfahren zu behandeln, insbesondere das Ermittlungsverfahren nach der StPO. So ist etwa H a u s friedensbruch zur Aufdeckung von Rauschgiftkriminalität unzulässig, und zwar was private Personen wie auch was Strafverfolgungsorgane (jeweils als „Notstandshelfer") angeht; die Regeln über Durchsuchung, §§ 102 ff S t P O , sind abschließend und gehen vor 7 7 . bb) Die Bindung gilt nur, soweit das Verfahren reicht. Für Gefahren, die einem Be- 41 weisstück von außerhalb des Verfahrens drohen, gelten die allgemeinen Regeln. So darf etwa das Asservat, dessen Gewicht einzig in der Bedeutung für ein Verfahren liegt, im Notstand erhalten werden, wenn ihm bei einem Brand Gefahr droht. Diese Erlaubnis ist auf verfahrensunabhängige Gefahren beschränkt. 74

Absurd also die Ansicht der Verteidigung in B G H N J W 1976 S. 680 f (mit A n m e r k u n g Küper J Z 1976 S. 515 f f ; Kienapfel J R 1977 S. 27 f), GeldBeschaffung durch Untreue könne gerechtfertigt sein, da dadurch der Schaden an Ansehen, den ein Konkurs bringe, ausgeglichen werden könne.

75 Α. A. B G H 12 S. 300 ff, 304 ff mit kritischer Anm e r k u n g Bockelmann J Z 1959 S. 495 ff. 76 Anders R G 77 S. 113 ff, 115 f. 77 Α. A. O L G München N J W 1972 S. 2275 f; dagegen Otto NJTW 1973 S. 668 f f ; Ametung-Schall J u S 1975 S. 565 ff, 571.

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13. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. R e c h t f e r t i g u n g

Der Gefahr einer demnächst im Prozeß zu erwartenden Beweisnot darf aber vor oder neben dem Prozeß dann durch Beschaffung oder Sicherung eines Beweismittels per Notstand abgeholfen werden, wenn unabhängig von der gegenwärtigen Gefahr ein Anspruch auf Überlassung des Beweismittels gegen den Gegner besteht. In diesem Rahmen entspricht die Notstandserlaubnis der Selbsthilfeerlaubnis nach §§ 229 ff BGB 78 (dessen Beschränkungen, insbesondere die Ersatzpflicht nach § 231 BGB, analog anzuwenden sind). Beispiel: Hängt nach einem Unfall eine Rentenzahlungspflicht von der Frage ab, ob das Unfallopfer betrunken war, ist eine entgegen §168 StGB erfolgende Blutbeschaffung gerechtfertigt, wenn der Leistungspflichtige gegen den Leistungsberechtigten einen Anspruch auf Überlassung von Beweismaterial hat 79 , ansonsten nicht 80 . — Soweit die Verfahrensordnungen selbst für eine vorbereitende Beweisbeschaffung oder Beweissicherung Sonderregeln enthalten, die tatsächlich noch eingehalten werden können, gehen diese vor. Beispiel: Wer von der drohenden Zerstörung einer Urkunde durch seinen Prozeßgegner erfährt, hat seine Rechte an der Urkunde nach § 985 BGB, §§ 422 f ZPO primär durch eine einstweilige Verfügung (§§ 935 ff ZPO) durchzusetzen; erst wenn dies tatsächlich (zeitlich) unmöglich ist, gelten die Regeln von Notstand (oder Notwehr). 42

d) Ein Gesetzesvorbehalt oder eine Bindung von Eingriffserlaubnissen an eine bestimmte Stellung in der Staatsorganisation (von der Rechtsprechung als nur-richterliche Tätigkeit, Art. 92 GG, über sonstige Richtervorbehalte bis hin zum Vorbehalt für Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft) oder eine Bindung Privater an eine Einsetzung durch den Staat (Vormund, Konkursverwalter) kann nicht durch Notstand unterlaufen werden. Auch ist es im Bereich der gesamten staatlichen Eingriffsverwaltung ausgeschlossen, gesetzlich beschränkte — wenn auch, etwa teils im Polizeirecht, als Generalklauseln formulierte — Eingriffserlaubnisse durch die ungebundene Notstandsrechtfertigung zu substituieren (parallel dem Ausschluß von Notwehr für die Polizei) 81 . 7

» Siehe hierzu B G H 17 S. 329 ff; Geilen JZ 1975 S. 380 ff, 384. So im Ergebnis O L G Frankfurt N J W 1977 S. 859. 80 Α. A. O L G Frankfurt N J W 1975 S. 271 f mit ablehnender Anmerkung Geilen J Z 1975 S. 380 ff und im Ergebnis zustimmender, aber differenzierender Besprechung durch Roxin JuS 1976 S. 505 ff. — Roxin argumentiert a majore von den §§ 81 a, 81 c, 94 ff S t P O her. Aber diese V o r schriften, insbesondere § 81a StPO, wahren auch ein generelles Interesse (insbesondere, daß Straßenverkehrstaten alkoholisierter Täter überhaupt aufklärbar bleiben). Je nach Fallgestaltung macht erst dieses generelle Interesse den Eingriff nach § 81 a StPO verhältnismäßig. Das generelle Interesse kann jedoch zur Notstandserlaubnis nicht in § 34 StGB eingebracht werden (zur Hinderung der Notstandsrechtfertigung ist es in der Angemessenheitsklausel loziert), da es nicht gegenwärtig in Gefahr ist; für die W a h r u n g des generellen Interesses bleibt dem Gesetzgeber Zeit.

79

81

Hauptsächlich wie hier Lerche v. der HeydteFestschrift Bd. II S. 1033 ff, Grebing GA 1979 S. 81 ff; Amelung N J W 1977 S. 833 ff, 835 ff; den. N J W 1978 S. 623 f; de Lazzer und Rohlf J Z 1977 S. 207 ff, 211 f; Sydow JuS 1978 S. 222 ff, 225; Böckenförde N J W 1978 S. 1881 ff,

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1883; Kirchhof N J W 1978 S. 969 ff, 971 ff; Jescheck AT § 33 IV 3 d; SK-Samson § 34 Rdn. 22; Stratenwerth A T Rdn. 450 (der freilich den Kreis der gesetzlich beschränkten Eingriffserlaubnis enger zieht, als es hier geschieht); — a. A. B G H 27 S. 260 ff, („Kontaktsperre") mit ausdrücklicher Herabwertung bloßer „Verfahrensvorschriften" a a O S. 263 (dagegen zutreffend Böckenförde N J W 1978 S. 1881 ff, 1884 Fn. 28; - zudem ist es falsch, im Kontaktsperrefall allein auf Verfahrensvorschriften abzustellen; es geht auch um Nötigung zum Unterlassen von Kontakt); Schwabe Notrechtsvorbehalte S. 59 ff mit Nachweisen seiner früheren Publikationen a a O passim; Lange J Z 1976 S. 546 ff; Gössel JuS 1979 S. 162 ff; Schaffstein Schröder-Gedächtnisschrift S. 97 ff, 114 ff; Bockelmann Dreher-Festschrift S. 235 ff; Schönke-Schröder-Lenckner § 34 Rdn. 7 mit ausführlichem Referat des Meinungsstands. — Siehe auch die Nachweise oben 12/Fn. 84 ff. — Soweit das Notstandsrecht — anders als das Notwehrrecht — zugestanden wird, weil es durch Verhältnismäßigkeit beschränkt sei (Schaffstein aaO u. a.), wird übersehen, daß die Verhältnismäßigkeit allein keine rechtsstaatlichen Konturen leisten kann, da der Anwendungsbereich uferlos und die Bindung verschwommen bleiben.

Rechtfertigender Notstand

13. Abschn

Entsprechendes gilt für den Bereich staatlicher Organisationskompetenzen; auch sie sind nicht durch Notstand ersetzbar (niemand ohne gesetzlich zugeordnete Kompetenz kann per Notstand einen Beamten ernennen, entlassen o. ä.). Beispiele: Nach den genannten Grundsätzen dürfte die Freilassung von Strafgefangenen im Austausch gegen das Leben einer Geisel nicht zulässig sein — StPO und StGB schließen allgemeine Opportunitätserwägungen aus 82 —, wie sich auch daran zeigt, daß ein entsprechendes Recht sonst jedermann, der zur Verwirklichung fähig ist, zustehen müßte: Die Auflösung der rechtsstaatlichen Ordnung durch widersprechende Entscheidungen würde evident. — Der Verkehr zwischen Verteidiger und Beschuldigtem richtet sich nach den Verfahrensgesetzen (§§ 148 f StPO, §§ 31 ff EGGVG). Beschränkungen wie Erlaubnisse durch Notstandsrechtfertigung sind nicht möglich 83 ; ebensowenig darf der Verkehr zwischen Verteidiger und Beschuldigtem zur Abwendung von Gefahren belauscht werden 84 . — Unzulässig ist es auch, zur Abwehr noch so schwerer Gefahren ohne gesetzliche Kompetenz — § 100 a StPO — in die Privatsphäre eines noch so verdächtigen Bürgers einzudringen, etwa durch Installierung von Abhörgeräten („Lauschangriff", § 201 Abs. 2 StGB) 85 . — Eine Person, die sich wegen psychischer Defekte selbst gefährdet und andere Personen belästigt, darf ohne Mitwirkung eines Vormunds nur eingesperrt werden, wenn die Bestellung eines Vormunds oder Pflegers wegen tatsächlicher Hindernisse nicht erreicht werden kann 86 . — Verweigert der gesetzliche Vertreter einer Person die erforderliche Einwilligung in eine dringende Operation, so ist deren Durchführung im Notstand nur gerechtfertigt, wenn eine vormundschaftsgerichtliche Entscheidung wegen Zeitmangels nicht mehr eingeholt werden kann 87 . 3 a) Die Bindung an ein Verfahren gilt nur für den geregelten Bereich, wobei zum 4 3 geregelten Bereich freilich auch diejenigen Fälle gehören, für die — ausdrücklich oder gemäß systematischer Interpretation — schlechthin jeder Eingriff ausgeschlossen ist. Jenseits diesen Bereichs gelten die allgemeinen Regeln. Beispiel: Die strafprozessualen Beschränkungen zum Schutz von Wohnräumen (§§ 102 ff StPO) schließen auch privatisierte Strafverfolgungsmaßnahmen aus, gelten aber natürlich nicht, wenn es um die Bekämpfung eines Großbrands geht. — Auch wie die Erfüllung von Hilfspflichten (Garantenpflichten, Pflichten aus den §§ 138, 323 c StGB) zu erzwingen ist, richtet sich außerhalb speziell geregelter Bereiche (speziell geregelt ist etwa der Zwang gegen eine zu prozessualem Zeugnis verpflichtete Person) nach den allgemeinen Normen. b) Die Bindung an ein bestimmtes Verfahren wird insbesondere nicht unterlaufen, 4 4 wenn in fremde Güter nicht zur Durchsetzung einer Eingriffskompetenz, sondern nur gelegentlich eines Verhaltens in besonderer Kompetenz eingegriffen wird. So darf beispielsweise der Gerichtsvollzieher bei der Flucht vor einem aggressiven Schuldner in eine fremde Wohnung eindringen, wenn er sonst keine Rettung sieht 88 , und die Polizei darf den Verkehr von Strafverteidigern mit den in Untersuchungshaft befindlichen Be82

Fall L o r e n z ; f ü r eine Rechtfertigung Krey Z R P 1975 S. 97 f f ; Grebing GA 1979 S. 81 ff, 105 Fn. 137; siehe auch BVerfG 46 S. 160 ff. - Ahnungslos gegenüber den Konsequenzen einer rechtsstaatlichen Bindung Hochhut Juristen 2. Akt. » Fall Schleyer; a. A. B G H 27 S. 260 ff, 262 f f ; siehe auch BVerfG 46 S. 1 ff, 11 ff. 84 Abhörfall Stammheim; siehe Grebing GA 1979 S. 81 ff, 102 Fn. 123 mit Nachweisen.

S5 Fall T r a u b e ; de Lazzer und Rohlf J Z 1977 S. 207 ff; siehe auch Grebing G A 1979 S. 8 I f f , 102; α. Α. Schönke-Schröder-Lenckner $ 34 R d n . 7 u. a. m. — N a c h KK-Laufhütte Rdn. 4 vor § 94 soll präventive Belauschung zulässig sein. 8 Α. A. B G H 13 S. 197 ff, 200 ff. 87 Jescheck A T § 3 4 IV 3 Fn. 44 mit Nachweisen; siehe auch O L G H a m m N J W 1968 S. 212 ff. 88 Siehe hierzu Amelung N J W 1977 S. 833 ff; 839; Schwabe N J W 1977 S. 1902 ff, 1903 und Schaffstein Schröder-Gedächtnisschrift S. 97 ff, 114 f.

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13. AbSChn

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schuldigten bei Seuchengefahr untersagen, sofern sie einen Verkehr auch an Aufenthaltsorten ohne strafprozessuale Befangenheit untersagen dürfte. 45 4. Konsequenzen fehlender Angemessenheit: Ein unangemessenes Verhalten ist rechtswidrig, auch wenn es im übrigen den Voraussetzungen des § 34 StGB entspricht (zur Unrechtsmilderung und zur Verschiebung der Unrechtsart siehe oben zur Notwehr 12/44).

III. Die Besonderheiten des defensiven Notstands Literatur S i e h e z u II

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A. § 34 StGB (ausschnitthaft auch § 904 BGB) bestimmt den Interessensaldo dahin, das gewahrte Interesse müsse das zur Rechtfertigung beeinträchtigte wesentlich (unverhältnismäßig) überwiegen. Diese strenge Voraussetzung paßt nur, wenn in Güter einer Person eingegriffen wird, die für den Konflikt nicht zuständig ist. Muß jedoch die Person, in deren Güter zur Rettung vor der Gefahr eingegriffen wird, die Gefahr verantworten, so entsteht folgende Umkehrung der Proportionalität: Der für die Gefahr Zuständige muß — Fähigkeit unterstellt — die Gefahr beseitigen. Befreiung von dieser Pflicht, also ein solidarisches Opfer der anderen, kann er nach den Maximen des § 34 StGB nur verlangen, wenn sein Interesse an der Befreiung das durch die Gefahr bedrohte Interesse wesentlich überwiegt, d. h. wenn er zur Pflichterfüllung wesentlich mehr investieren muß, als er retten kann. Dementsprechend darf auch der durch die Gefahr Bedrohte (oder ein Notstandshelfer) in die Güter des Verantwortlichen im Rahmen des Erforderlichen noch dann eingreifen, wenn er mehr zerstört als er rettet, solange die Proportionen nicht unverhältnismäßig werden 8 9 . § 228 BGB regelt nur einen Ausschnitt dieses Bereichs, seil, den Eingriff in eine Sache, von der selbst die Gefahr droht. Aber weder die Nennung der Eingriffe nur in Sachen noch diejenige der Eingriffe nur in das gefährliche Gut sind eine abschließende Regelung. So kann die Abwehr in defensivem Notstand bis hin zur Tötung eines Menschen gehen, wenn nämlich anders schwere Schäden, deren Drohen vom Getöteten zu verantworten ist, nicht vermieden werden können 9 0 . Hierdurch erledigt sich die Problematik der rechtswidrigen Angriffe schuldlos handelnder Personen, gegen die nach der hier entwickelten Lehre keine Notwehr erlaubt ist.

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B. Ein defensiver Notstand liegt nur vor, wenn das Eingriffsopfer für die Gefahr zuständig ist, d. h. die Pflicht hat, die Gefahr selbst zu beseitigen oder nur infolge von Unfähigkeit diese Pflicht nicht hat. Praktisch bedeutsam dürften Pflichten aus Ingerenz einschließlich der Verkehrspflichten sein. Wegen dieses Verantwortungsprinzips, das die Kehrseite einer zumindest tatsächlichen Organisationsgewalt ist, bleibt die Entscheidung der sogenannten Perforation zweifelhaft (hierzu oben 13/22). — Die nur äußerliche Verbindung mit einer Herrschaftssphäre ohne Verantwortlichkeit begründet keinen defensiven Notstand. Beispiel: Wenn erwachsene Personen in ein befriedetes, fremdes Grundstück eindringen und von dort aus gefährliche Feuerwerkskörper werfen, liegt gegen den Grundstückseigentümer keine Lage eines defensiven Notstands vor, auch wenn er fähig wäre, die Personen zu hindern.

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C. Wie bei der Notwehr so ist auch bei defensivem Notstand eine Abwehr nur erlaubt, solange die aktuelle Gestaltung des Organisationskreises des Zuständigen Bedin89 O. Lampe N J W 1968 S. 88 ff; Hirsch JR 1980 S. 115 ff, 117; Hruschka Dreher-Festschrift S. 189 ff, 203; den. JuS 1979 S. 385 ff, 391 f; den. AT S. 78 ff; Lenckner Notstand S. 102 f.

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Schmidbauer KT 9/73 und 9/83; den. Studienbuch 6/41; SK-Samson § 3 4 Rdn. 16; siehe auch Schönke-Schröder-Lenckner § 34 Rdn. 30; LK">Hirsch Rdn. 76 vor § 51.

Rechtfertigende Einwilligung

14. Abschn

g u n g der n o c h a u s s t e h e n d e n F o l g e n ist. Es ist also nicht erlaubt, eine s c h w e r e K r a n k heit, die durch ein rechtswidriges V e r h a l t e n eines a n d e r e n verursacht w u r d e , d a d u r c h z u heilen, daß d e m anderen z w a n g s w e i s e das z u r H e i l u n g erforderliche O r g a n g e n o m m e n wird. D . A u c h beim d e f e n s i v e n N o t s t a n d entscheidet nicht allein das Ergebnis der Interes- 4 9 s e n a b w ä g u n g über die R e c h t f e r t i g u n g ; vielmehr m u ß das e i n g e s e t z t e Mittel a u c h a n g e messen sein. Beispiel: Eine geisteskranke P e r s o n , die w i e d e r h o l t z u A g g r e s s i o n e n n e i g t , darf nicht o h n e M i t w i r k u n g eines V o r m u n d s dauernd eingesperrt w e r d e n 9 1 .

14. A B S C H N I T T

Die rechtfertigende Einwilligung Literatur G.Arzt Willensmängel bei der Einwilligung, 1970; ders. Die Delikte gegen das Leben, ZStW 83 S. 1 ff; U. Ben Die Bedeutung der Sittenwidrigkeit f ü r die rechtfertigende Einwilligung, GA 1969 S. 145 ff; W. Bickelhaupt Einwilligung in die Trunkenheitsfahrt, N J W 1967 S. 713 f; P. Bockelmann Strafrecht des Arztes, 1968; K. Engisch Die Strafwürdigkeit der U n f r u c h t b a r m a chung mit Einwilligung, H . Mayer-Festschrift S. 399 ff; F. Geerds Einwilligung und Einverständnis des Verletzten im Strafrecht, GA 1954 S. 262 f f ; den. Einwilligung und Einverständnis des Verletzten im Strafgesetzentwurf, ZStW 72 S. 42 ff; G. Geilen Einwilligung und ärztliche Aufklärungspflicht, 1963; K. Geppert Rechtfertigende „Einwilligung" des verletzten Mitfahrers bei Fahrlässigkeitsstraftaten im Straßenverkehr? Z S t W 83 S. 947 ff; Th. Hillenkamp Vorsatztat und O p ferverhalten, 1981; H.J. Hirsch Hauptprobleme einer Reform der Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit, Z S t W 83 S. 140 ff; den. Einwilligung und Selbstbestimmung, Welzel-Festschrift S. 775 ff; R. Honig Die Einwilligung des Verletzten Teil I, 1919; E. Horn Der medizinisch nicht indiziert£, aber vom Patienten verlangte ärztliche Eingriff — strafbar? — B G H , N J W 1978, 1206, JuS 1979 S. 29 ff; J. Hruschka Anmerkung zu B G H J R 1978 S. 518 f, a a O S. 519 ff; D. Kientzy Der Mangel am Straftatbestand infolge Einwilligung des Rechtsgutsträgers, 1970; Th. Lenckner Wertausfüllungsbedürftige Begriffe im Strafrecht und der Satz „nullum crimen sine lege", J u S 1968 S. 249 ff, 304 ff; ders. Die Einwilligung Minderjähriger und deren gesetzlicher Vertreter, ZStW 72 S. 446 ff; P. Noll Ubergesetzliche Rechtfertigungsgründe, im besondern die Einwilligung des Verletzten, 1955; ders. Tatbestand und Rechtswidrigkeit: Die Wertabwägung als Prinzip der Rechtfertigung, Z S t W 77 S. 1 ff; C. Roxin Verwerflichkeit und Sittenwidrigkeit als unrechtsbegründende Merkmale im Strafrecht, JuS 1964 S. 373 ff; F. Schaffstein Handlungsunwert, Erfolgsunwert und Rechtfertigung bei den Fahrlässigkeitsdelikten, Welzel-Festschrift S. 557 f f ; E. Schmidhäuser Der Unrechtstatbestand, Engisch-Festschrift S. 433 ff; ders. Selbstmord und Beteiligung am Selbstmord in strafrechtlicher Sicht, Welzel-Festschrift S. 801 ff; Eb. Schmidt Schlägermensur und Strafrecht, J Z 1954 S. 369 ff; R. Schmitt Strafrechtlicher Schutz des Opfers vor sich selbst? Zugleich ein Beitrag zur Reform des Opiumgesetzes, Maurach-Festschrift S. 113 f f ; ders. § 226 a ist überflüssig, Schröder-Gedächtnisschrift S. 263 ff; H. Zipf Einwilligung und Risikoübernahme im Strafrecht, 1970; ders. Die Bedeutung und Behandlung der Einwilligung im Strafrecht, Ö J Z 1977 S. 379 ff. — Siehe ferner die Angaben zu 7/VIII.

I. Der Grund der Strafbefreiung A 1. N e b e n die tatbestandsausschließende W i r k u n g des W i l l e n s des B e t r o f f e n e n 1 beim Einverständnis und bei der tatbestandsausschließenden E i n w i l l i g u n g ( o b e n 7 / 1 0 4 f f ) tritt die R e c h t f e r t i g u n g s w i r k u n g bei der r e c h t f e r t i g e n d e n E i n w i l l i g u n g , u m 91 Siehe aber B G H 13 S. 197 ff, 200 ff.

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die es hier allein noch geht. Während sich die tatbestandsausschließende Einwilligung zwanglos daraus erklärt, daß der soziale Konflikt von einer bestimmt gearteten Beziehung zwischen einem Gut und seinem Träger abhängt und damit die Tatbestandsverwirklichung durch die Gestaltung dieser Beziehung bedingt ist, kann die rechtfertigende Einwilligung nur komplexer begründet werden. Von der öffentlichrechtlichen Natur des Strafrechts her gesehen bedarf die Abhängigkeit eines strafrechtlich-tatbestandlichen Unrechts vom Willen des Verletzten einer Erklärung; umgekehrt verhält es sich von den Gütern in privater Rechtszuständigkeit her gesehen: Die Begrenzung der unrechtshindernden Wirkung einer Einwilligung wird zum Problem. Zwischen den bezeichneten Extremen schwanken die historischen Lösungsentwürfe 1 , deren Vertreter bis in die Gegenwart nicht zu sonderlicher Einigkeit gefunden haben. 2 a) Nach üblicher Lehre soll der Einwilligende „auf Strafschutz verzichten" 2 . Demnach dürfte die gewollte Preisgabe eines verfügbaren Guts im irrigen Glauben an die Nicht-Verfügbarkeit mangels Kenntnis der Verzichtsfolge keine Einwilligung sein, ob nun auf den Willen zum Sfrd^chutzverzicht oder aber — schwächer und eher zutreffend — auf den Willen zum bloßen Verzicht auf strafrechtliche Recbtswidrigkeitsbeurteilung abgestellt wird. — Dieses Abstellen auf den Rechtsfolgewillen zeigt eine deutliche zivilistische Befangenheit. Schwerer wiegt, daß der Grund f ü r die Möglichkeit eines solchen Verzichts nicht innerhalb dieser Lehre thematisiert werden kann 3 . Um den Grund dieses Verzichts bemüht sich die Interessentheorie, indem der Grund der Rechtfertigung im Verzicht auf Interessen als Beziehungen zu Gütern (oder zu Zuständen, Rechten, Pflichten etc.) gesucht wird 4 . Dem steht eine Zurückführung der Einwilligung auf den Umgang mit „autonomer Herrschaft" über Güter nahe 5 . — Diese Lösungsentwürfe können dadurch, daß sie auf eine Beziehung zu einem Gut stau auf das Gut selbst abstellen, die unterschiedlichen Folgen gleicher Gutsverletzung einmal ohne Einwilligung und einmal mit Einwilligung erklären, da die Beziehung jeweils eine andere ist. Mehr als eine Erklärungsform gibt das freilich nicht her, denn wessen Interessen bis zu welchem Maß legitim sind, bleibt offen. b) Die nach der Interessentheorie unbestimmte Grenze soll nach der Abwägungstheorie durch einen Vergleich der sozialen Gewichtigkeit des Gebrauchs persönlicher Verfügungsmöglichkeiten einerseits und des allgemeinen Interesses an der Erhaltung von Gütern andererseits geleistet werden 6 . Es kann allerdings, was das allgemeine Interesse betrifft, nicht um ein Interesse an der Erhaltung eines Guts gehen; denn dieses Interesse müßte nicht nur bei einer Fremdverletzung mit Einwilligung, sondern auch bei ausschließlicher Selbstverletzung in eine Abwägung eingehen. Ausschließliche Selbstverletzung ist aber stets tatbestandslos. Die Alternative bei der Abwägung heißt deshalb nicht: Verfügungsfreiheit oder Güterbestand. Β 1. Es geht vielmehr um die Frage, wann die Selbstbestimmung des Einwilligenden f ü r den Fremden, der die Verletzung vollzieht, einen vernünftigen Handlungsanlaß ab1

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Zur Geschichte siehe Honig Einwilligung S. 1 ff; zur neueren Zeit Kientzy Einwilligung S. 5 ff. B G H 17 S. 359 f, 360; LfP-Hirsch Rdn. 104 vor § 5 1 ; Dreher-Tröndle Rdn. 3 vor § 3 2 ; SchänkeSchröder-Lenckner Rdn. 33 vor § 32; Geerds GA 1954 S. 262 ff, 263; den. ZStW 72 S. 42 ff, 43; Welzel Strafrecht § 14 VII 2 a; Uckner Rdn. 5 vor § 3 2 ; Lenckner ZStW 72 S. 446 ff, 453. Zutreffend kritisch Stratenwerth AT Rdn. 362; Jescheck AT § 34 II 2.

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Honig Einwilligung S. 116 ff; v. Hippel Strafrecht Bd. II § 19 II 2; v. Liszt-Schmidt Strafrecht § 35 IV mit ausführlichen Nachweisen. Schmidbauer AT 8/124; den. Engisch-Festschrift S. 433 ff, 452. Jescheck AT § 3 4 113; Noll Übergesetzliche RechtfertigungsgrUnde S. 74 ff; den. ZStW 77 S. 1 ff, 14 f; Ceppert ZStW 83 S. 947 ff, 952 f.

Rechtfertigende Einwilligung

14. AbSChn

gibt. Fehlt es daran, so wird durch eine Fremdverletzung ungeachtet der Einwilligung die Erwartung gestört, daß fremde Güter nicht tangiert werden dürfen. Vermag die Verletzung mit Einwilligung den Träger des Rechtsguts in seiner Autonomie nicht zu beeinträchtigen, so wird dennoch die generelle V e r k n ü p f u n g von Eingriffserlaubnis und — noch zu konkretisierender — Vernunft gestört. Anders als bei ausschließlicher Selbstverletzung, bei der eine Sozialbeziehung mit ihren Folgen nur mittelbar (an die Selbstverletzung anknüpfend) entstehen kann, ist eine Fremdverletzung stets genuin Sozialbeziehung; sie kann deshalb auch dann die allgemeinen Erwartungen vom Inhalt solcher Beziehungen stören, wenn der konkret Verletzte vom allgemeinen Standard abweicht und einwilligt. Allerdings wird in diesen Fällen das Unrecht verkürzt: Es geht nicht mehr um die Verletzung des Guts eines einzelnen Inhabers, sondern nur noch um die Gefährdung des allgemeinen Bestands bestimmter Güter durch Mißachtung der allgemein erwarteten Handlungsmaximen. Die Alternative bei der Abwägung lautet also: individuell oder allgemein bestimmter Handlungsanlaß. Mit dieser Maßgabe mag der Abwägungstheorie gefolgt werden. — Beispiel: Bei Überlassung des Lebens oder auch nur beider Beine eines Menschen f ü r ein Experiment werden die T ö t u n g oder die Körperverletzung durch die Einwilligung nicht gerechtfertigt, und zwar ohne Blick auf die durch das Experiment eröffneten Chancen; die Erwartung der Unzulässigkeit solcherart massiver Verletzungen wird so stark abgesichert, daß sie nicht einmal durch die Diskussion über etwaige Grenzen in Frage gestellt werden soll. — Bei Selbstverletzung eines experimentierenden Forschers fehlt hingegen trotz identischer Güter ein Unrecht (streitig, siehe unten 2 1 / 5 7 und sogleich Fn. 8). 2 a) Für die rechtfertigende Einwilligung verbleiben demnach die Fälle, in denen allein das Wollen des Dispositionsbefugten nicht schon einen rechtlich hinreichenden Anlaß zum Eingriff in seine Güter gibt, zur Rechtfertigung vielmehr zudem ein vernünftiger Einsatz dieser Güter hinzukommen muß. Für das Gut Leben ist § 216 StGB zu entnehmen, daß selbst eine qualifizierte Einwilligung, seil, das Verlangen der T ö tung (i. e. das Wollen — die „Beabsichtigung" — der Tötungshandlung und des T ö tungserfolgs) nicht rechtfertigt 7 ; dies ist dahin zu verstehen, daß kein gewisser Verlust des Lebens (allein) auf eine Einwilligung hin als vernünftig bewertet wird; über die Einwilligung in ein Risiko sagt die Vorschrift nichts. Die Strafe trotz des Verlangens (und trotz der Straffreiheit von Selbsttötung) gilt der allgemeinen Garantie des T ö tungsverbots 8 . b) Als Fälle der rechtfertigenden Einwilligung kommen danach etwa in Betracht: ι verletzende körperliche Eingriffe nicht nur beiläufiger Art, insbesondere bei ärztlichen Operationen zu Heilzwecken 9 , zu sonstiger Veränderung der Körperfunktionen (Ste7

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Allein der W o r t l a u t d e r V o r s c h r i f t besagt allerdings über die Lage bei V e r l a n g e n plus weiteren Gründen nichts. D e r S t r a f g r u n d , ja selbst die Berechtigung des § 2 1 6 StGB sind streitig; teils ähnlich wie hier, aber vermischt mit weiteren G r ü n d e n , Engisch H . M a y e r - F e s t s c h r i f t S. 399 ff, 412, 4 1 5 ; Hirsch W e l z e l - F e s t s c h r i f t S. 775 ff, 7 7 9 ; n u r im Ergebnis wie hier Arzt Z S t W 83 S. 1 ff, 36 f ( M i ß b r a u c h s verdacht); Schmidhäuser Welzel-Festschrift S. 801 ff, 817 (soziale B i n d u n g ; also soll a u c h Selbsttötung r e c h t s w i d r i g sein); Stratenwerth AT R d n . 375 f (soziale V e r a n t w o r t u n g g e g e n ü b e r dem V e r l a n g e n d e n ) ; — f ü r S t r a f f r e i h e i t d e r T ö t u n g auf V e r l a n g e n Schmitt M a u r a c h - F e s t s c h r i f t S. 113 ff, 118.

' Streitig ist, o b die e i n g r e i f e n d e ä r z t l i c h e H e i l b e handlung tatbestandsmäßige Körperverletzung ist. Die R e c h t s p r e c h u n g b e h a n d e l t seit R G 25 S. 375 ff ständig in s t r a f - u n d zivilrechtlichen E n t s c h e i d u n g e n ( B G H 11 S. 111 f f ; 12 S. 379 f f ; 16 S. 309 f f ; B G H Z 29 S. 34 f f ; 29 S. 176 f f ) den e i n g r e i f e n d e n Heileingriff o h n e Blick auf seine I n d i k a t i o n u n d seine D u r c h f ü h r u n g n a c h d e r lex artis als K ö r p e r v e r l e t z u n g . — Z w a r k a n n das G u t G e s u n d h e i t in sich — a n a l o g z u r V e r m ö g e n s b e Stimmung — saldiert w e r d e n ; d a n n ist jedenfalls d e r g e l u n g e n e Eingriff p e r S a l d o ein G e s u n d h e i t s f o r t s c h r i t t u n d nicht ein S c h a d e n . Diese Saldier u n g ist aber d o g m a t i s c h nicht z w i n g e n d , vielm e h r ist a u c h — a n a l o g z u m E i g e n t u m — eine E i n z e l b e s t i m m u n g d e r jeweiligen K ö r p e r f u n k t i o -

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2. Buch. 2. Kapitel. R e c h t f e r t i g u n g

rilisation, Kastration) 1 0 , zu kosmetischen Zwecken (soweit diese nicht schon Heilzwecke sind) oder zu Transplantationszwecken, ferner Einwilligungen in Verletzungen bei Sportarten, bei denen Verletzungen nicht beiläufiger Art zur Regel gehören (Boxkampf), sowie Einwilligungen in gewichtige Ehrverletzungen oder lang andauernde Freiheitsbeschränkungen u. a. m. — Soweit es um die Einwilligung in ein Risiko geht, gelten die Ausführungen zur tatbestandsausschließenden Einwilligung oben 7 / 2 8 entsprechend.

II. Einzelheiten 7

A. Wie bei der tatbestandsausschließenden Einwilligung muß der Einwilligende über das betroffene Gut voll dispositionsbefugt sein und mit Einsichts- und Urteilsfähigkeit handeln. Sonderregeln mit generalisierten Altersgrenzen scheiden im Bereich der rechtfertigenden Einwilligung praktisch aus. Bei Eingriffen, deren Beurteilung besonderes Sachverständnis erfordert, insbesondere also bei ärztlichen Operationen nicht ganz beiläufiger Art, gelangt ein Laie zur Einsichts- und Urteilsfähigkeit erst nach einer Aufklärung durch einen Verständigen. Besteht für diesen, etwa für den behandelnden Arzt, die Pflicht, eine Entscheidung über die Einwilligung herbeizuführen (fehlt also bei gegebener Behandlungspflicht eine pauschale Einwilligung des Patienten), so folgt aus der Behandlungspflicht die sekundäre Pflicht zur Aufklärung über alle entscheidungsrelevanten Tatsachen. Diese Aufklärungspflicht kann wiederum mit der Pflicht zur möglichst schonenden Behandlung des Patienten kollidieren, und zwar dann, wenn der Patient das Ergebnis der Aufklärung nicht ohne Beeinträchtigungen nen möglich. Die Entscheidung kann demnach nur im Blick auf die Folgen der jeweiligen Bestimmungsweise getroffen werden. Daß die Einzelbestimmung hier unterlegen wäre, ist bislang nicht ausgemacht worden; im Gegenteil, nur die Einzelbestimmung kann ein Recht des Patienten auf ein Unterbleiben unerwünschter Körpereingriffe garantieren, bis ein Tatbestand der eigenmächtigen Heilbehandlung geschaffen wird (siehe hierzu Schönke-Scbröder-Eser § 223 Rdn. 31). Ist die beim Heileingriff „verbrauchte" Körperintegrität sowieso verloren (so schon im Fall RG 25 S. 375 ff), wird das Verletzungsunrecht zu einem Unrecht abstrakter Gefährdung (siehe oben 7/92 ff). Wird die „verbrauchte" Körperintegrität an anderer Stelle ausgeglichen, so ist das bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. — Wegen des Fehlens eines Tatbestands der eigenmächtigen Heilbehandlung ist die Einzelbestimmung auch der Lösung überlegen, die — ohne Blick auf den Heilerfolg — jede nach der lex artis vorgenommene Heilbehandlung aus dem Tatbestand der §§ 223 ff StGB ausscheidet; letztere Lösung geht zudem an dem Recht des Patienten vorbei, subjektive Präferenzen zu bilden. — Nach der hier vertretenen Vorsatzlehre ist es nicht möglich, bei einer nach der lex artis vorgenommenen, aber mißlungenen Heilbehandlung den Vorsatz der Körperverletzung generell zu verneinen (so aber Welze! Strafrecht § 39 I 3 a α ; LK-Hirsch Rdn. 5 vor § 223); siehe dazu oben 8/24. — Löst man sich von der saldierenden Betrachtung, so entsteht

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auch kein Widerspruch dadurch, daß im Einzelfall auch das Unterlassen einer Heilbehandlung Körperverletzung sein kann; in diesen Fällen geht es nicht um die zu „verbrauchende", sondern um die zu erhaltende Integrität. — Zu Einzelheiten siehe LK-Hirsch Rdn. 1 ff, 3 ff vor 5 223 mit Nachweisen. Die Rechtslage bei Kastration wird durch das Kastrationsgesetz vom 15. 8. 1969 (BGBl. I S. 1143) geregelt, was die „Entmannung" (§ 1 KastrGes.) angeht, nicht aber was unfinale Triebbeeinflussungen (etwa als Nebenfolge einer sonst indizierten Operation) oder — eine unbefriedigende Lücke — dauernde Triebbeeinflussung ohne Zugriff auf die Keimdrüsen angeht (vorweg die stereotaktische Operation). Bezüglich der letzten beiden Eingriffsarten bleiben die allgemeinen Regeln der rechtfertigenden Einwilligung. — Sterilisation ist nach der Rechtsprechung des B G H keine tatbestandliche Körperverletzung (BGH 20 S. 81 ff); Grund dieser Ansicht ist die verfehlte Annahme, der von einer lex specialis geregelte Bereich (so ehemals die Sterilisation) unterfalle nach dem (mittlerweile erfolgten) Fortfall der Spezialvorschrift nicht der lex generalis (§§ 223 ff StGB). Die Literatur wendet auf die Sterilisation die allgemeinen Regeln der rechtfertigenden Einwilligung an. — Einzelheiten gehören zur Interpretation der §5 223 ff StGB; siehe Maurach-Sckroeder BT I § 8 II 5 b ; LK-Hirsch § 2 2 6 a Rdn. 38 ff; Schönke-Schröder-Eser § 223 Rdn. 55 ff, 59 ff, jeweils mit Nachweisen.

R e c h t f e r t i g e n d e Einwilligung

14. Abschn

seiner Heilungschancen verkraften kann, insbesondere bei der Aufklärung über eine ungünstige Diagnose oder hohe Risiken des Eingriffs. Die Abwägung dieser kollidierenden Pflichten kann nicht ohne Berücksichtigung der Folgen geleistet werden, die aus der Bevorzugung der einen oder anderen Pflicht entstehen. Bei einem generellen Aufklärungsverzicht in allen Fällen, in denen bei Aufklärung auch negative oder überwiegend negative Folgen zu vermuten sind, würde aber das Vertrauen auf Wahrhaftigkeit zerstört. Der Verzicht muß demnach auf Ausnahmesituationen beschränkt bleiben, die nicht nur generell nach Art der Diagnose und der Risiken, sondern auch konkret nach der Lage beim einzelnen Patienten zu bestimmen sind (mutmaßlicher Verzicht auf Wahrheit) 1 1 . — Besteht keine Behandlungspflicht, so entfällt auch eine Aufklärungspflicht; allerdings bleibt die Aufklärung auch dann tatsächliche Voraussetzung einer wirksamen Einwilligung, wenn (ohne Pflicht) behandelt wird. B. Zur Objektivierung der Einwilligung sowie zu Zwang und Irrtum gelten die Aus- 8 führungen zur tatbestandsausschließenden Einwilligung entsprechend (oben 7/115, 116 ff). Insbesondere machen auch hier Zwang und — nicht rechtsgutsbezogener — Irrtum die Einwilligung nicht unwirksam, sondern führen zur H a f t u n g dessen, der den Defekt bewirkt, als mittelbarer Täter. Beispiel: Die Ehefrau spendet auf Rat eines Arztes eine Niere für ihren kranken Mann; später wird, wie von vornherein beabsichtigt war, das Organ einem anderen Patienten implantiert; — Körperverletzung durch den Arzt in mittelbarer Täterschaft, gleich ob er selbst oder ein anderer die Explantation vorgenommen hat: Da die erhöhte Verbundenheit gegenüber bestimmten nahestehenden Personen auch rechtlich als Handlungsanlaß mehr wiegt als die allgemeine Solidarität, ist die Güterumschichtung, die das Eingriffsopfer duldet, nur in der vorgespiegelten Lage „veranlaßt"; der Schöpfer der Situation hat demgemäß f ü r den ansonsten nicht veranlaßten Gutsverlust als mittelbarer Täter zu haften. C 1. Anders als bei der tatbestandsausschließenden Einwilligung, bei der die Willkür 9 des Einwilligenden für den Eingriff stets ein hinreichender (rechtlich anerkannter) Handlungsanlaß ist, muß bei der rechtfertigenden Einwilligung der Eingriff (nicht die Einwilligung!) auch nach allgemeinem Urteil veranlaßt sein. Das Gesetz formuliert dies nur partiell für Körperverletzung in § 226 a StGB dahin, der Eingriff bleibe rechtswidrig, „wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt" 1 2 . Die um Restriktion bemühte neuere Auslegung der Vorschrift dahin, geringere Verletzungen 11

Äußerst streitig; die hier skizzierte Position entspricht im Ergebnis der Rechtsprechung (BGH 11 S. 111 ff, 115; B G H Z 2 9 S. 46 ff, 57 f; 29 S. 176 ff, 185; B G H Z N J W 1972 S. 335 ff; ausführliche Nachweise der Rechtsprechung bei LKHirscb 5 226 a Rdn. 19 ff). Die Uberwiegend weniger strenge Ansicht der Literatur ist Konsequenz der Herausnahme des in den Körper eingreifenden ärztlichen Heileingriffs aus dem Körperverletzungstatbestand. Die Einwilligung ist dann nicht mehr „Rechtfertigungselement" eines Körpereingriffs, sondern nur noch „Rechtfertigungsschranke" der Behandlung überhaupt (Geilen Einwilligung und ärztliche Aufklärungspflicht S. 134, 195). — Zu Einzelheiten siehe Bockelmann Strafrecht des Arztes S. 50 ff; LK-Hirsch a a O ; Schönke-Schröder-Eser § 223 Rdn. 40 ff.

12

Die Generalisierbarkeit dieser Regelung ist streitig, was im Ergebnis an der allgemein fehlenden

Differenzierung von tatbestandsausschließender und rechtfertigender Einwilligung innerhalb derselben Tatbestände liegen dürfte. Für allgemeine Anwendung Baumann AT § 2 1 II 4 c; H.Mayer AT §24 II 1 b; Welzel Strafrecht § 14 VII 2 c; hauptsächlich wie hier auch Schmidhäuser A T 8/131; für Beschränkung auf Körperverletzung die wohl überwiegende Ansicht; Berz GA 1969 S. 145 ff, 150; Geppert ZStW 83 S. 947 ff, 956 f; SK-Samson Rdn. 45 vor § 3 2 ; ]escheck AT § 3 4 III 1 mit weiteren Nachweisen; auch Schmitt Schröder-Gedächtnisschrift S. 263 ff, der im Ergebnis für eine Streichung der Vorschrift plädiert, ohne freilich auf das Problem der gewichtigen Verletzung ohne vernünftigen Grund (etwa die als regelwidriger Faustkampf vereinbarte Streiterei) einzugehen.

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14. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

überhaupt auszunehmen (nach dem hiesigen System zählen geringere Eingriffe sowieso zur tatbestandsausschließenden Einwilligung) und den Sittenverstoß nach dem Gewicht des Eingriffs im Blick auf den verfolgten Eingriffszweck zu bestimmen 13 , interpretiert die Sittenwidrigkeit zutreffend als rechtliche Mißbilligung des Handlungsanlasses. Es geht darum, daß die T a t als noch vernünftiger, im Sinn von rechtlich noch vertretbarer, Umgang mit dem Gut zu bewerten ist 14 . Die Maßstäbe sind der Interessenabwägung beim Notstand mit der Maßgabe zu entnehmen, daß das durch den Eingriff verletzte Gut zum erstrebten Eingriffszweck nicht außer Verhältnis stehen darf. Beispiele: Sterilisation auf Einwilligung hin dürfte im Blick auf die sonst praktizierten Möglichkeiten zur Vermeidung ungewollter Schwangerschaften (jahrelanger Medikamentengebrauch) nicht unvernünftig sein; das Problem liegt bei der Einsichts- und Urteilsfähigkeit bezüglich der Irreversibilität, insbesondere bei jüngeren Einwilligenden. — Eine Einwilligung in einen Faustkampf ohne jede Regelbegrenzung beseitigt die Rechtswidrigkeit der Schläge nicht 15 . — In eine Schlägermensur unter Bedingungen, die erhebliche Verletzungen zulassen, Tötung aber ausschließen, kann mit rechtfertigender Wirkung eingewilligt werden 16 . — Es ist rechtswidrig, dem Körper süchtiger Personen Opiate zuzuführen, wenn eine medizinische Veranlassung fehlt 17 . — Die Entfernung aller Zähne wegen eines vom Einwilligenden vermuteten Gesundheitsbezugs aber ohne objektiv medizinischen Anlaß dürfte ohne Blick auf die tatsächlichen Korrekturmöglichkeiten rechtswidrig sein; daß die Entfernung als kosmetische Maßnahme durchgeführt werden könnte, schafft nur einen hypothetischen Anlaß 1 8 . — Bei eingreifenden Sexualhandlungen ohne gravierende Dauerfolgen entfällt durch Einwilligung schon der Tatbestand 1 9 . — Die nachdrückliche und längere Zeit durchgehaltene falsche Behauptung, ein anderer sei NS-Massenmörder, ist ohne Verfolgung eines rechtlich anerkannten Interesses auch mit Einwilligung rechtswidrige Verleumdung (abweichend die überwiegende Ansicht). — W e r ohne Möglichkeit jederzeitiger Reversion einen anderen für Wochen einsperrt, bedarf zur Rechtfertigung außer der Einwilligung eines rechtlich anerkannten Eingriffsinteresses. 10

2. Fehlt nicht für den Eingriff, wohl aber für die Einwilligung ein rechtlich gewichtiger Anlaß, so hindert das die Rechtfertigung nicht, da es nur um die Bewertung des Eingriffs geht. Beispiel: Die Einwilligung in eine — gefahrlos aufschiebbare — medizinisch indizierte Operation rechtfertigt auch, wenn der Patient sie nur erteilt, um nicht als Angeklagter in einem schon angesetzten Strafverfahren erscheinen zu müssen. 13 Arzt Willensmängel S. 39 f ; Hirsch Z S t W 83 S . 140 ff, 166 f ; LK-Hirscb § 2 2 6 a Rdn. 9 ; verfehlt SK-Hom § 226 a Rdn. 9, der meint, § 2 2 6 a S t G B sei nur verfassungsform, wenn die Rechtswidrigkeit auf diejenigen Fälle beschränkt werde, in denen die Körperverletzung im Zusammenhang mit einer Straftat begangen wird. Aber das Recht mißbilligt Handlungsanlässe zu einer tatbestandlichen T a t nicht erst bei ansonsten herzuleitender Rechtswidrigkeit und erst recht nicht erst bei ansonsten gegebener tatbestandlicher Rechtswidrigkeit, sondern umgekehrt kann Rechtswidrigkeit der tatbestandlichen T a t nur durch einen vernünftigen Zweck aufgehoben werden. 14

Mit dieser Auslegung dürften sich die verfassungsrechtlichen Bedenken (siehe Roxin J u S 1964 S . 373 ff, 3 7 9 ; Lenckner J u S 1968 S. 249 ff,

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304 ff, 307 f ; Schmitt Schröder-Gedächtnisschrift S. 263 ff, 265 mit weiteren Nachweisen) erledigen. 15 B G H 4 S. 89 ff, 92, wo zudem nicht einmal der verbliebene Rahmen der Einwilligung eingehalten wurde. 16 B G H 4 S. 24 ff, 32 mit freilich verfehlter Gleichsetzung von Sittenwidrigkeit und Strafwürdigkeit; dagegen Eh. Schmidt J Z 1954 S. 369 ff. 17 R G 77 S. 18 ff, 20 f, wo allerdings die Abgrenzung von täterschaftlichem Handeln zur Beteiligung an einer Selbstverletzung vernachlässigt wird. 18 B G H N J W 1978 S. 1206 mit ablehnender Besprechung Horn J u S 1979 S. 29 ff und ablehnender Anmerkung Hruschka J R 1978 S. 519 ff. 1 9 Α. A. (rechtswidrige Tatbestandserfüllung) R G 74 S. 91 ff, 9 4 ; R G J W 1929 S. 1015 ff, 1017; R G J W 1938 S. 30 f.

Rechtfertigende Einwilligung

14. AbSChfl

3. Soweit die Einwilligung dem Eingreifenden keinen rechtlich hinreichenden Handlungsanlaß gibt, ist trotz Rechtswidrigkeit das Unrecht gemindert, da wegen der Einwilligung die Beziehung des Gutsinhabers zum Gut, also der „personale Teil", nicht verletzt ist. Diese Unrechtsminderung ist bei der Strafzumessung zu berücksichtigen 20 . D 1. Das Wollen bei der rechtfertigenden Einwilligung bezieht sich bei der unmit- 12 telbaren Einwilligung auf den Erfolg. Gleichfalls ist eine rechtfertigende Einwilligung als mittelbare Einwilligung dergestalt möglich, daß nur die — erkanntermaßen folgenreiche — Verletzungshandlung oder gar nur ein sozialer Kontakt gewollt ist, der die Verletzungshandlung als nicht gewolltes Verhalten mit sich bringt; diese Einwilligung ist insbesondere in Form der Risikoeinwilligung praktisch bedeutsam: Wer von einem Betrunkenen aus Gefälligkeit im Auto mitgenommen wird, willigt nicht in das riskante Fehlverhalten selbst ein, wohl aber in eine Sozialbeziehung, die ohne das Risiko eines Fehlverhaltens nicht zu definieren ist (siehe oben 7/126 ff). Selbst eine Einwilligung in ein Tötungsrisiko rechtfertigt in den Fällen, in denen — wie bei der rechtfertigenden Einwilligung stets erforderlich — ein vernünftiger Grund besteht, die Tat trotz des Risikos zu vollziehen 21 . Die Vernünftigkeit ist entsprechend den Maximen der Interessenbewertung beim Notstand dergestalt zu ermitteln, daß das Risiko zu dem erzielbaren Nutzen nicht außer Verhältnis stehen darf. — Es handelt sich hier — wie schon bei der Einwilligung in ein tatbestandsausschließendes Risiko — nicht um ein spezifisches Problem fahrlässiger Verletzungshandlungen 22 , sondern der Risikohöhe und des Verhaltenszwecks, zumal bei gleicher Risikohöhe Fahrlässigkeit zwar die schwächere Steuerungsform, aber nicht notwendig das schwächere deliktische Verhalten ist (nämlich nicht bei Tatsachenblindheit, siehe oben 8/5). Beispiel: Wenn ein Arzt sich mangels anderer Möglichkeiten in Kenntnis des Risikos von einer mäßig betrunkenen Person zu einem Noteinsatz fahren läßt und mit der Folge schwerer Verletzungen verunglückt, ist die Tat des Fahrers bei Fahrlässigkeit oder, so er die Gefahr klar prognostiziert hat, bei Vorsatz gleichermaßen gerechtfertigt. Zum Eingehen eines Risikos gelten ansonsten die Ausführungen zur tatbestandsausschließenden Einwilligung entsprechend. Insbesondere ist bei bloßer Erkennbarkeit des Risikos — wiederum einen vernünftigen Anlaß vorausgesetzt — auch ein rechtfertigendes Handeln auf eigene Gefahr möglich, so etwa bei dem Notfalleinsatz eines Arztes, der mangels anderer Möglichkeiten einen mäßig Betrunkenen bittet, ihn zu fahren, ohne die Folgen zu bedenken. — Soweit das eingegangene Risiko ein dem allgemeinen Lebensrisiko angenähertes erlaubtes Risiko ist, das ohne besonderen Anlaß ausgelöst werden darf, schließt es schon den Tatbestand aus, auch wenn das gefährdete Gut bei gewisser Verletzung nicht ohne vernünftigen Grund und dann nur gerechtfertigt eingesetzt werden dürfte. 2. Soweit die rechtfertigende Einwilligung mangels eines vernünftigen Zwecks 1 3 wirkungslos ist, bleibt eine darin enthaltene tatbestandsausschließende Einwilligung wirksam. Beispiel23: Obgleich das Tötungsrisiko bei einem regellosen Boxkampf nicht 20

21

Hillenkamp Vorsatztat und Opferverhalten S. 240 ff. Sehr streitig; hauptsächlich wie hier B G H 7 S. 112 ff, 115 (der Sache nach allerdings eine MitWirkung an Selbstgefährdung betreffend); auch B G H 4 S. 89 ff, 93; LK>-Hirsch Rdn. 101 vor § 5 1 ; Schönke-Schröder-Lenckner Rdn. 104 vor § 32; — für Rechtfertigung eines Tötungsrisikos ohne Blick auf den vernünftigen Grund SK-Samson § 1 6 Anhang Rdn. 33; Schaffstein WelzelFestschrift S. 557 ff, 571 f; LK-Schroeder § 16

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Rdn. 181; — gegen die Rechtfertigung bei Einwilligung in ein Tötungsrisiko überhaupt B G H V R S 17 S. 277 ff, 279; BayObLG N J W 1957 S. 1245 f; O L G Karlsruhe N J W 1967 S. 2321 ff; Jescheck AT § 5 6 113; Bickelhaupt N J W 1967 S. 713 f; Geppert ZStW 83 S. 947 ff, 953 ff; Zipf Einwilligung S. 73; den. Ö J Z 1977 S. 379 ff, 383; Mauräch-Zipf AT I § 17 III Β 4 b. A.A. Stratenwerth AT Rdn. 1116 und die wohl überwiegende Ansicht. Siehe B G H 4 S. 89 ff, 93.

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15. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

gerechtfertigt ist, sind die beim Kampf ausgeteilten Prügel ohne Dauerfolgen dennoch keine tatbestandsmäßigen Körperverletzungen. 14 E. Zur Rücknahme gelten die Ausführungen zum Einverständnis entsprechend (oben 7/110).

15. A B S C H N I T T

Grenzbereiche zu Notwehr, Notstand und Einwilligung I. Das Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG Literatur Chr. Böckenförde Die Kodifizierung des Widerstandsrechts im Grundgesetz, JZ 1970 S. 168 ff; K. Hesse Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 11. Auflage 1978; /. Isensee Das legalisierte Widerstandsrecht. Eine staatsrechtliche Analyse des Art. 20 Abs. 4 Grundgesetz, 1969; Arthur Kaufmann (Hrsg.) Widerstandsrecht, 1972; H. Schneider Widerstand im Rechtsstaat, 1969; K. Stem Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland Bd. II, 1980.

1

A. Das Widerstandsrecht 1 ist als Reaktion gegen einen schuldhaften Angriff auf die in Art. 20 Abs. 1 bis 3 G G genannte Grundordnung ein Sonderfall der Staatsnotwehrhilfe, bei einem schuldlosen Angriff ein Sonderfall der defensiven Staatsnotstandshilfe; soweit es dritte Personen betrifft, ist es ein Sonderfall der aggressiven Staatsnotstandshilfe (alles streitig). Das Besondere des Widerstandsrechts liegt in seiner Beschränkung auf Deutsche (mit einer Lebensgrundlage in der Bundesrepublik Deutschland 2 ) und auf die deutsche Grundordnung sowie insbesondere in seiner Unabhängigkeit vom Willen der staatlichen Organe: Das Recht besteht auch gegen deren Willen, so vorweg beim Widerstandsrecht gegen den „Staatsstreich von oben". Für Nicht-Deutsche und zugunsten ausländischer Staaten verbleiben die allgemeinen Hilfsrechte.

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B. Einzelheiten: 1. Das Widerstandsrecht darf sich nur gegen ein Unternehmen zur Beseitigung der in Art. 20 Abs. 1 bis 3 G G fixierten Grundordnung richten 3 ; Unternehmen schwächerer Intention können mit den allgemeinen Hilfsrechten abgewehrt werden 4 . Ein Unternehmen beginnt mit dem Versuch (§11 Abs. 1 Nr. 6 StGB); hierfür kommt es nicht auf die Nähe zur Tatbestandserfüllung der Delikte nach den §§ 81 ff StGB an, sondern auf die versuchsgleiche Nähe zu der materiellen Beeinträchtigung der Grundordnung. Der Versuch muß — wie bei der Notwehr — gefährlich, d. h. ex ante erfolgversprechend 1

Z u r Entstehung des Art. 20 Abs. 4 G G siehe Bökkenförde J Z 1970 S. 168 f f ; z u r geschichtlichen Stellung und staatsphilosophischen Bedeutung siehe die Beiträge in: Arthur Kaufmann (Hrsg.) Widerstandsrecht; Stern Staatsrecht Bd. II S. 1488 ff; — die Rechtsprechung hatte lange vor der Positivierung (1968) ein Widerstandsrecht ane r k a n n t ; R G 56 S. 259 ff, 267 f; 63 S. 215 ff, 223 f f ; 64 S. 101 f f ; BGH NJW 1966 S. 310 ff, 313; BVerfG 5 S. 86 ff, 376 f; zum P r o blemkreis siehe zudem Hesse G r u n d z ü g e § 23 V I ; H. Schneider Widerstand im Rechtsstaat S. 8 ff; grundlegend Isensee Das legalisierte Widerstands-

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recht (passim); weiteres Schrifttum bei LK?Hirsch vor R d n . 92 vor § 5 1 ; Stern Staatsrecht Bd. II S. 1487 f und bei Backmann in: Arthur Kaufmann (Hrsg.) a a O S. 561 ff. Also nicht Bewohner der D D R ; Herzog in: Maunz-Diirig-Herzog-Scholz Art. 20 Abs. 4 Rdn. 51 f f ; Stern Staatsrecht Bd. II S. 1515. Zu den G r e n z e n der G r u n d o r d n u n g siehe Herzog in: Maunz-Dürig-Herzog-Scholz Art. 20 Abs. 4 Rdn. 13 ff. Streitig; a. A. LK>-Hirsch Rdn. 92 vor § 51. - Zu einem Fall fehlenden Widerstandsrechts siehe O L G Z Köln N J W 1970 S. 1322 ff, 1324.

Grenzbereiche zu Notwehr, Notstand, Einwilligung

15. Abschn

sein. Kann der Versuchsbeginn ohne Preisgabe der Möglichkeit effektiven Widerstands nicht abgewartet werden, so dürfte analog der notwehrähnlichen Lage ein Widerstand mit proportionalem Eingriffsrecht anzunehmen sein (sehr zweifelhaft, insbesondere wegen der Irrtumskonsequenzen). — Ob das Unternehmen von revolutionären Bürgern (Hochverrat von unten) oder von staatlichen Organen (Hochverrat von oben) betrieben wird, ist gleichgültig. Daß die Verfassungsfeindlichkeit des Unternehmens offenkundig sein müsse, ist nicht Voraussetzung der Rechtfertigung 5 ; die gegenteilige Ansicht entwertet das Widerstandsrecht gegen den Staatsstreich von oben, der vor seinem Vollzug kaum je offenkundig sein dürfte. 2. Das Widerstandsrecht ist subsidiär zu anderen Abwendungsmöglichkeiten 6 , ins- 3 besondere rangiert es nach den Befugnissen der handlungsfähigen und handlungswilligen Polizei. 3. Der Inhalt des Rechts ist — wenig präzise — als Widerstand beschrieben. Wider- 4 stand ist passiv (Verweigerung der Hilfe; insoweit bedarf es der Rechtfertigung nur bei einer ansonsten gegebenen Handlungspflicht) oder aktiv (Hindern mit dem erforderlichen Mittel bis hin zur Tötung 7 ) möglich. Unter mehreren geeigneten Mitteln ist nur das mildeste Mittel erlaubt. Wie bei Notwehrhilfe und Notstandshilfe dürften ineffektive Maßnahmen als nicht erforderlich aus der Rechtfertigung ausscheiden. Gerechtfertigt sind auch Eingriffe, die als unvermeidbare Nebenfolgen an Gütern unbeteiligter dritter Personen eintreten 8 . 4. Die Behandlung eines Irrtums über das Widerstandsrecht folgt allgemeinen Re- 5 geln; bei irriger Annahme weiter gezogener Grenzen des Rechts liegt also ein Verbotsirrtum vor; die irrige Annahme der Rechtfertigungslage folgt den Regeln der unselbständigen Schuldtheorie (oben 11/42 ff). Daß die letztere Lösung schwere Strafbarkeitslücken lasse und daß deshalb die strenge Schuldtheorie vorzuziehen sei9, kann bei dem mittlerweile langjährigen Fehlen einschlägiger Fälle nicht mehr behauptet werden, zumal schon zur alten Rechtslage einschlägige Fälle zum übergesetzlichen Widerstandsrecht fehlten. Es darf auch nicht nur von den Fällen möglichen Mißbrauchs durch „Widerstand"-Leistende her argumentiert werden, wie das überwiegend geschieht. Vielmehr mag im Einzelfall ein Staatsorgan zurechenbar den Anschein eines Angriffs auf die Grundordnung hervorrufen (zumal in Zeiten allgemeiner Verfassungsmüdigkeit, wenn Bürger mit Verfassungsbrechern sympathisieren); es wäre unangemessen, demjenigen, der hier zu widerstehen versucht, ein besonderes Irrtumsrisiko aufzubürden. II. Die Pflichtenkollision Literatur W. Gallas P f l i c h t e n k o l l i s i o n als S c h u l d a u s s c h l i e ß u n g s g r u n d , M e z g e r - F e s t s c h r i f t S. 3 1 1 f f ; H. J. Hirsch S t r a f r e c h t u n d r e c h t s f r e i e r R a u m , B o c k e l m a n n - F e s t s c h r i f t S. 8 9 f f ; / . Hruschka Rettungsp f l i c h t e n in N o t s t a n d s s i t u a t i o n e n , J u S 1 9 7 9 S. 3 8 5 f f ; Armin Kaufmann D i e D o g m a t i k der U n t e r -

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Α. A. Stern Staatsrecht Bd. II S. 1521; Herzog in: Maunz-Dürig-Herzog-Scholz Art. 20 Abs. 4 Rdn. 27; LIP-Hirsch Rdn. 96 vor § 5 1 ; Jescheck A T § 3 5 IV 4; zur alten Rechtslage (übergesetzliches Widerstandsrecht) siehe auch BVerfG 5 S. 86 ff, 376 f. -Hirsch Rdn. 89 vor § 51. Siehe die schon oben 13/23 genannten Fälle. — Überwiegende Ansicht; Maurach-Zipf AT I § 27 IV 2; Küper JuS 1971 S. 474 ff; ders. Grundund Grenzfragen S. 29 ff, 34, 119; ders. JuS 1981 S. 785 ff, 790 ff; Lenckner Notstand S. 5 und passim; — differenzierend Otto Pflichtenkollision S. 76 ff; ders. AT § 8 VI 4 c; - O.A. (alle Verhaltensweisen sollen rechtswidrig sein) Jescbeck AT § 33 V 1 b. — Die hier entwickelte Lösung ist nicht stets voll plausibel, seil, dann nicht, wenn der schädliche Verlauf noch im Organisationskreis des Täters liegt und es von Zufälligkeiten der Organisationsgestalt abhängt, ob die konkret eingeschlagene Richtung des Verlaufs per Handlung oder per Unterlassung bestimmt wird. Beispiel: Wenn ein Autofahrer auf eine lockere Gruppe von Fußgängern zurast und dabei zwar

noch grob die Richtung seines Fahrzeugs bestimmen, dieses aber nicht mehr rechtzeitig abbremsen kann, so ist die Begünstigung derjenigen Fußgänger, die zufällig beim Unterlassen (Nicht-Umlenken) verschont bleiben vor denjenigen, die beim Unterlassen getroffen werden, schwer zu begründen (siehe auch oben den „Weichenstellerfair 13/ 21). Nicht nur der Vorrang der Unterlassungspflicht, sondern auch die Anwendung der Regeln, die bei der Kollision von Unterlassungspflichten gelten, also die Freiheit des Täters zur Entscheidung, dürfte bei dieser Lage tolerabel sein. — Für die Lösung nach der überwiegenden Ansicht spricht allerdings, daß sie Manipulationen ausschließt, also garantiert, daß die Risikoverteilung, die bei der nun einmal gegebenen Organisationsgestalt ohne ändernde Eingriffe des Organisationsinhabers besteht, nicht ohne guten Grund geändert wird.

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15. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. R e c h t f e r t i g u n g

mit mehreren Verunglückten den einzigen verfügbaren Krankenwagen bestellt und benutzt, verhindert dadurch die Rettung anderer Verunglückter, aber mangels Sonderpflicht nur dann rechtswidrig, wenn ein Verzicht auf die eigene N u t z u n g (etwa bei einem glatten Beinbruch) im Blick auf eine Katastrophenlage beim anderen (etwa Lebensgefahr) nach den Grundsätzen des § 323 c StGB geboten ist 16 . 10

C. Kollidiert eine Unterlassungspflicht mit dem Interesse an Selbsterhaltung, so handelt es sich um den Normalfall des aggressiven Notstands: N u r bei wesentlichem Uberwiegen des Selbsterhaltungsinteresses und bei Angemessenheit darf eingegriffen werden (§34 StGB).

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D l . Schwierigkeiten bereitet die Kollision einer Handlungspflicht zur Erhaltung von Gütern dritter Personen mit der einzigen Möglichkeit zur Selbsterhaltung. Das Recht zum Egoismus wiegt so viel wie die Pflicht zum Altruismus, aber nur ceteris paribus, d. h. bei gleichrangiger Zuständigkeit des Garanten und des Inhabers des durch die Garantenstellung geschützten Guts 1 7 . Es geht hierbei nur um Fallgestaltungen, nach denen die Selbsterhaltung unter Verzicht auf die Versorgung einer anderen Person, aber sonst ohne Eingriff in deren Güter stattfindet. Beispiel: Der zur Ernährung einer anderen Person Verpflichtete ißt zur Vermeidung des Hungertods das letzte Nahrungsmittel selbst.

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2. Zur Bestimmung des Verhältnisses zwischen dem Gewicht des Selbsterhaltungsrechts und der Hilfspflicht ist nach Art und Inhalt der Garantenstellung zu differenzieren: a aa) Bei den Garantenstellungen kraft Organisationszuständigkeit (unten 29/29 ff) haftet der Garant auf Rücknahme des Risikos. Wie er das bewerkstelligt, ist seine Sache; sein Maß an Einsatz kann an sich notfalls bis zur Aufopferung gehen und Sonderfähigkeiten sind voll zu aktivieren, freilich innerhalb folgender Schranken: Der Garant kann sein Interesse an einer Mäßigung des Aufwands und am NichtEinsatz von Sonderfähigkeiten einbringen und so nach den Abwägungsmaximen, die für die jeweilige Fallgestaltung gelten, gerechtfertigt sein. Die Maximen sind bei Sicherungspflichten und Rettungspflichten des Angreifers während einer Notwehrlage diejenigen der Notwehr (alles Erforderliche ist bis zur Grenze der Mindestsolidarität zu opfern), ansonsten diejenigen des defensiven Notstands (die Opferpflicht reicht bis an das unverhältnismäßige Überwiegen des Interesses). Ist der Geschützte bei Sicherungspflichten auch seinerseits f ü r die Gefahr zuständig (der Betrunkene torkelt auf die Straße), so wird der Garant schon bei einem gleichgewichtigen Interesse frei. Beispiel: Niemand muß sein Auto an einem Baum demolieren, um einen auf der Straße streunenden H u n d nicht zu überfahren.

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bb) Das gilt auch bei Pflichten, deren Erfüllung mit der Erhaltung der eigenen existentiellen Güter unverträglich ist, wie sich aus systematischen Erwägungen ergibt: Die Differenz von Handlung und Unterlassung hängt im Bereich der Organisationszuständigkeit von Zufälligkeiten der Organisation ab, und Verbote trotz existentieller Risi16

So im Ergebnis insbesondere Otto Pflichtenkollision S. 77 ff, 87, der jedoch die Fälle eines fehlenden Eingriffs in einen fremden Lebenskreis trotz vorhandener Erfolgskausalität (bei Otto Fälle fehlender „Chancenanmaßung") stark überdehnt. — Unter der Bezeichnung einer erlaubten „sozialadäquaten" Nutzung von Rettungsmöglichkeiten der Sache nach weitgehend wie hier Küper Grund- und Grenzfragen S. 68, 80 ff.

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Die Problematik wird wenig thematisiert; siehe aber Otto Pflichtenkollision S. 77 ff, 89 ff und passim; Küper Grundund Grenzfragen S. 107 ff; — hauptsächlich wie im folgenden Text nach Garantenstellungen differenzierend (bei freilich teils anderem Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche) Hruschka JuS 1979 S. 385 ff; ders. AT S. 68 ff.

Grenzbereiche zu Notwehr, Notstand, Einwilligung

15. A b s c h n

ken, also Pflichten, die Vernichtung existentieller Güter zu dulden, kennt das Recht geläufig, seil, immer dann, wenn ein Rechtfertigungsgrund zur Abwälzung eines existentiellen Konflikts fehlt. Entsprechendes muß f ü r Gebote gelten. Beispiel: D r o h t ein Flugzeug abzustürzen und könnte der Pilot sich einzig retten, wenn er es auf einem Sportfeld landet, wobei er aber einige Sportler töten würde, ist die Handlung verboten und der Täter bei ihrem Vollzug allenfalls nach § 35 StGB entschuldigt; — droht aber das Flugzeug auf das belebte Sportfeld zu stürzen und kann der Pilot es nur darüber hinwegziehen, wenn er sich der Möglichkeit seiner eigenen Rettung begibt, entspricht der Systematik ein Gebot zur Handlung bei allenfalls nach § 35 StGB gegebener Entschuldigung. cc) Bei einer Garantenpflicht aus Übernahme (unten 2 9 / 4 6 ff) ist eine Leistung der 1 4 Qualität garantiert, wie sie ohne die Übernahme dem Gut von dritter Seite erbracht worden wäre. Wie der T ä t e r dieses qualitative Äquivalent erbringt, ist wiederum innerhalb der genannten Schranken seine Sache. In den Fällen, in denen der vor der Übernahme bestehende Schutz nur im Rahmen eines verhältnismäßigen Aufwands effektiv geleistet worden wäre, kann sich auch der Übernehmende darauf beschränken. b) Bei den Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit (unten 29/57 ff) ist in der 1 5 Regel ein ordentlicher Standard zu leisten, nicht aber eine Aufopferung und auch kein Einsatz von Sonderfähigkeiten. Anderes wäre bei dem teils berufsmäßigen Vollzug der Handlungen auch nicht längere Zeit durchzuhalten und wird deshalb vom Inhaber der betreffenden Rolle in der Regel auch nicht erwartet. Beispiele: Kein Krankenhausarzt muß sich dauernd bis zur psychischen oder physischen Erschöpfung anstrengen (siehe auch unten zum Eltern-Kind-Verhältnis 29/60); — ein Polizist mit zufälliger Kenntnis im Schweißen muß nicht bei Strafe der Freiheitsberaubung durch Unterlassen das beim Verkehrsunfall eingeklemmte Opfer herausschweißen. Sonderfähigkeiten sind freilich einzusetzen, wenn sie in analogen Situationen schon praktiziert worden sind und deshalb eine bestehende lex artis verändert haben; so dürfen etwa verbesserte medizinische Operationstechniken nicht ohne überwiegendes Interesse nur selektiv angewendet werden. — Nur vereinzelt gehört es zur Institution, daß im Notfall der Pflichtige dem Geschützten besondere Fähigkeiten voll zugute kommen läßt. O h n e Einschränkung dürfte das nur beim Verhältnis der Eltern zum Kind, und auch dort nur bei den personengebundenen Fähigkeiten der Fall sein, die ohne Aufopferung existentieller Güter aktiviert werden können. Beispiele: Die ärztlich ausgebildete Mutter muß dem eigenen Kind im Notfall fachmännisch helfen, auch wenn sie zuvor die Rolle der Arztin in der Familie nicht angenommen hat; — Eltern müssen ihren Kindern aber nicht ein zu deren Heilung erforderliches Organ spenden, und auch sehr begüterte Eltern schulden dem Kind erkaufbare ärztliche Leistungen nur bis zu einem ordentlichen Standard. — Pflichten zum Opfer existentieller Güter treffen den Garanten kraft institutioneller Zuständigkeit freilich dann, wenn der Zweck der ganzen Institution anders nicht erreichbar ist; das gilt hauptsächlich für den Soldaten im Krieg. Bei einigen Garantieverhältnissen kraft institutioneller Zuständigkeit muß der Verpflichtete — entsprechend seiner Duldungspflicht — nicht nur bei einem erheblichen, sondern auch bei einem kleinen Nutzensaldo die Rettung leisten, da er nicht nur zu allgemeiner Solidarität verpflichtet ist und somit das drastische Indiz einer erheblichen Interessendifferenz fehlen kann (oben 13/33).

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15. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel.

Rechtfertigung

III. Das Handeln im Interesse und mit mutmaßlicher Einwilligung des Verletzten Literatur H. Arndt D i e m u t m a ß l i c h e Einwilligung als R e c h t f e r t i g u n g s g r u n d , 1929; H. Eichter H a n d e l n im Interesse des V e r l e t z t e n als Rechtfertigungsgrund, 1 9 3 1 ; R. v. Hippel D i e B e d e u t u n g der G e schäftsführung o h n e A u f t r a g im Strafrecht, R G - F e s t g a b e Bd. V S. 1 ff; E. Mezger D i e subjektiven U n r e c h t s e l e m e n t e , G S 89 S. 2 0 7 ff; P. Noll Ü b e r g e s e t z l i c h e R e c h t f e r t i g u n g s g r ü n d e , im b e s o n d e ren die E i n w i l l i g u n g des V e r l e t z t e n , 1955; B. Rheineck Z u e i g n u n g s d e l i k t e und Eigentümerinteresse, 1979; C. Roxin G e l d als Objekt v o n E i g e n t u m s - und V e r m ö g e n s d e l i k t e n , H . Mayer-Festschrift S. 4 6 7 ff; den. Ü b e r die mutmaßliche Einwilligung, W e l z e l - F e s t s c h r i f t S. 4 4 7 ff; K. Tiedemann D i e mutmaßliche Einwilligung, insbesondere bei U n t e r s c h l a g u n g amtlicher Gelder — O L G K ö l n , N J W 1968, 2 3 4 8 , J u S 1970 S. 108 ff; L. Traeger Die E i n w i l l i g u n g des V e r l e t z t e n und andere U n r e c h t s a u s s c h l i e ß u n g s g r ü n d e im z u k ü n f t i g e n S t r a f g e s e t z , G S 94 S. 112 ff; H. Zipf Einwillig u n g und R i s i k o ü b e r n a h m e im Strafrecht, 1970; den. D i e B e d e u t u n g und B e h a n d l u n g der Einwilligung im Strafrecht, Ö J Z 1977 S. 379 ff; E. Zitelmann A u s s c h l u ß der Widerrechtlichkeit, A c P 9 9 S. 1 ff.

16

A. Der Rechtfertigungsgrund der Interessenwahrung beim Verletzten ist eine Modifikation der Einwilligung wie des rechtfertigenden Notstands: Wenn in die Güter dessen eingegriffen wird, dem Gefahr droht, und es somit nicht um ein Solidaritätsverlangen geht, sondern um Güterumschichtung innerhalb des Bestands eines Inhabers, bedarf es nicht eines wesentlich überwiegenden Rettungserfolgs, vielmehr reicht zur Rechtfertigung jeder Erfolg, wenn der Hilfsempfänger nur wirklich oder mutmaßlich mit der Leistung einverstanden ist 18 . Der zumindest erkennbare, bestehende oder herbeiführbare wirkliche Wille rangiert vor dem mutmaßlichen 19 . Beispiel: Die Aufnahme eines nichtöffentlichen Telefongesprächs auf Tonband ist nicht durch mutmaßliche Einwilligung zu rechtfertigen, da stets eine Einwilligung eingeholt oder zumindest mitgeteilt werden kann, daß aufgenommen wird. — Der Rechtfertigungsgrund ist also subsidiär. 18

Die Stellungnahmen zu dem Rechtfertigungsgrund sind äußerst kontrovers. Am Beginn steht die Deutung der Geschäftsführung ohne Auftrag, §§ 677 ff BGB, als Rechtfertigungsgrund (Zitelmann AcP 99 S. 1 ff, 102 ff; v. Hippel RG-Festgabe Bd. V S. 1 ff). Von Mezger wurde eine am mutmaßlichen Willen orientierte Version entwikkelt und die Sonderproblematik des Rechtfertigungsgrunds geklärt (GS 89 S. 207 ff, 287 ff; den. Strafrecht S. 218 ff; zwischen dieser Position und der Deutung als Geschäftsführung ohne Auftrag vermittelt Traeger G S 94 S. 112 ff, 155 ff). In neuerer Zeit wird dieser Ansatz beim mutmaßlichen Willen überwiegend übernommen, teils mit der Präzisierung, daß es um einen objektiv zu mutmaßenden Willen gehe, der von einem subjektiv-vermeintlichen Willen abgegrenzt wird, insbesondere mit entsprechenden Irrtumskonsequenzen ( R o x i n Welzel-Festschrift S. 447 ff, 451, 454 ff; ScbönkeSchröder-Lenckner Rdn. 58 vor 5 32; hierzu LK>Hirsch Rdn. 130 vor § 51). Verbreitet wird auch auf die (objektiv bestimmte) Interessenwahrung als Grund einer Rechtfertigung abgestellt (Frank Anm. III vor § 51, vorletzter Absatz), wobei die mutmaßliche Einwilligung nur eine limitierende Funktion hat (Arndt Mutmaßliche Einwilligung

370

S. 67 ff; Eichler Handeln im Interesse S. 5 1 , 5 3 ; H. Mayer A T §24 III; Schmidhäuser AT 9/49; Noll Übergesetzliche Rechtfertigungsgründe S. 137 f; Welze! Straf recht § 14 V). Nach der hier vertretenen Position sind der mutmaßliche Wille und die Interessenwahrung beide positive Voraussetzungen der Rechtfertigung (ebenso Baumann AT § 21 II 5 b). — Die heute überwiegende Ansicht geht vom mutmaßlichen Willen aus und unterscheidet Fälle mutmaßlichen fremdnützigen Wollens von solchen mutmaßlichen eigennützigen Wollens (Jescheck AT § 34 VII 1; Maurach-Zipf A T I § 2 8 112; Zipf ÖJZ 1977 S. 379 ff, 385 f; SK-Samson Rdn. 48 vor § 3 2 ; LfP-Hirsch Rdn. 126 vor § 51; — zu den gewichtigen Konsequenzen dieser Unterscheidung für die Mutmaßung des jeweiligen Wollens siehe insbesondere Roxin Welzel-Festschrift S. 447 ff, 464 ff, 470 ff). — Zur Kritik des mutmaßlichen, fremdnützigen Wollens siehe den folgenden Text. — Der Versuch, die fremdnützige Variante des Rechtfertigungsgrunds über die Sozialadäquanz zu lösen (Zip) Einwilligung S. 52 ff, 55), führt zur Konturenlosigkeit. " B G H 16 S. 309 ff, 312.

Grenzbereiche zu Notwehr, Notstand, Einwilligung

15. A b s c h n

Soweit es um eine geringe Differenz zwischen ihrerseits gewichtigen Interessen geht, kommt praktisch nur der ärztliche Heileingriff durch Körpereingriff am bewußtlosen Patienten in Betracht; der Arzt darf — mutmaßliche Einwilligung vorausgesetzt — schon eingreifen, wenn er überhaupt einen positiven Saldo erwarten kann, ohne Blick auf dessen Gewicht. Nicht erlaubt ist es freilich, unter Berufung auf einen wahren oder besseren Willen den wirklichen Willen des Patienten zu korrigieren oder Umstände, die gegen einen mutmaßlichen Willen zur Behandlung sprechen, außer Acht zu lassen. Bedeutsam ist der Rechtfertigungsgrund aber auch im Bereich geringer Interessen, deren Wahrung schon deshalb nichts Erhebliches bringt, weil sie selbst nicht erheblich sind. Beispiele: Jemand schießt auf fremdem Jagdgebiet ein verwundetes Reh, um es dem Jagdberechtigten abzuliefern; — jemand öffnet die von außen als solche erkennbare Postrechnung eines abwesenden Freunds, um die Telefongebühren zu bezahlen und die Stillegung des Anschlusses dadurch zu vermeiden (zu § 202 StGB). Β 1. Der rechtfertigende Grund ist die Erhaltung eines (objektiv bestimmten) Inter- 1 7 esses gemäß dem mutmaßlichen Willen des Inhabers. Wie bei der Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff B G B ) müssen Interesse (als Garantie eines positiven Erfolgs) und mutmaßlicher Wille (als Schutz vor übereifriger Fürsorge) zusammenkommen. Das Interesse läßt sich als Grenzfall noch annehmen, wenn der Eingriff zwar auch dem Eingreifenden oder dritten Personen dient, seine Vornahme aber zugleich immerhin noch einer informellen (nicht-rechtlichen) Obliegenheit entspricht, deren Erfüllung mutmaßlich gewollt ist. Beispiel: Der überraschend gekommene Freund erwartet bei starkem Regen den abwesenden Hausherrn in der unverschlossenen Garage (zu § 123 StGB). 2. Ein Handeln allein im überwiegenden Interesse des Eingreifenden oder dritter 1 8 Personen kann jedoch, auch wenn es mutmaßlich gewollt ist, nicht rechtfertigen; eine Erlaubnis zu kompensationsloser Verminderung fremder Interessen, nur limitiert durch den mutmaßlichen Willen des Interesseninhabers, wäre viel zu riskant, um als generelle Regelung tolerabel zu sein: Zumal bei bekanntermaßen großzügigen Personen wäre „Selbstbedienung" der potentiellen Destinatare nicht mehr strafrechtlich faßbar; jedermann wäre bei jeder Gabe gezwungen, wenn er in mutmaßlicher Einwilligung erfolgende Weiterungen ausschließen will, das Nicht-Präjudizielle seines Verhaltens herauszustreichen 20 . Soweit in den Fällen mutmaßlichen fremdnützigen Wollens nicht eine — gegebenenfalls generell und konkludent erteilte — Einwilligung vorliegt, mag es sich häufig um Fälle von Bagatellunrecht, aber eben Unrecht handeln. Beispiele 2 1 : Aufsammeln von ansonsten sowieso verderbendem Fallobst unter fremden 20

21

Daß die Handlungsveranlassung, die allein in einem Manko bei einem Fremden besteht, nicht auch schon für eine dritte Person eine Veranlassung zum Dulden eines Eingriffs abgibt, lehrt § 34 S t G B ; die Vorschrift wird unterlaufen, soweit man eine Rechtfertigung bei fremdnützigem mutmaßlichem "Willen annimmt. Viel diskutiert ist die Züchtigung fremder Kinder bei groben Unarten. — Unabhängig vom Streit um die Reichweite der mutmaßlichen Einwilligung ist hier jedenfalls die Annahme verfehlt, allein der mutmaßliche Wille des Inhabers der Personensorge entscheide; so aber Roxin WelzelFestschrift S. 447 ff, 4 6 6 ; denn was das Wohl des Kindes angeht, fehlt die Dispositionsbefugnis des Sorgerechtsinhabers zu einer Entscheidung, die dieses Wohl verletzt; es geht eben nicht nur um

die Verletzung von „Erziehungswillkür" eines „Berechtigten", sondern um Körperverletzung am Kind. — Was diese Körperverletzung wie auch den Eingriff in die Erziehungsbefugnis angeht, so wird nur dann ein positives Interesse gewahrt, wenn die Züchtigung überhaupt von Dritten ausgeübt werden kann, ohne überwiegend Schaden anzurichten, und das dürfte in der Regel zu verneinen sein (im Ergebnis ebenso Jescheck AT § 34 V I I 4 b ; R G 61 S. 191 ff, 193; 76 S. 3 ff, 6 ; O L G Saarbrücken N J W 1963 S. 2379 ff, 2381). Sollte dies aber ausnahmsweise zu bejahen sein — der gut bekannte Nachbar gibt dem 10-jährigen, der ihm mutwillig eine Fensterscheibe eingeworfen hat, einen mäßigen Backenstreich; dessen V a ter reagiert regelmäßig massiver —, kommt es immer noch auf den Willen des Inhabers der Perso-

371

16. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

B ä u m e n , E n t n a h m e eines H e f t p f l a s t e r s aus einer f r e m d e n H a u s a p o t h e k e , W e c h s e l n v o n G e l d in f r e m d e n K a s s e n 2 2 . K a n n der m u t m a ß l i c h e W i l l e nicht allein rechtfertigen, s o in der U m k e h r u n g die Int e r e s s e n w a h r u n g allein a u c h nicht. „ Z w a n g s f ü r s o r g e " ist rechtswidrig. D a s gilt — anders als n a c h § 6 7 9 B G B — auch dann, w e n n die I n t e r e s s e n w a h r u n g ö f f e n t l i c h e n Bel a n g e n o d e r der E r f ü l l u n g v o n Unterhaltspflichten dient. Beispiel: E i n e Bank tilgt entg e g e n der A n o r d n u n g e i n e s W e l t r e i s e n d e n w ä h r e n d seiner A b w e s e n h e i t seine A l i m e n tationsschulden durch die H i n g a b e verwalteter W e r t p a p i e r e ; — rechtswidrige U n t e r schlagung, § 246 StGB23.

16. A B S C H N I T T

Die Amtsrechte und weitere Rechtfertigungsgründe besonderer Regelungsbereiche Literatur H. Arndt Grundriß des Wehrstrafrechts, 2. Auflage 1966; U. Borebert Die vorläufige Festnahme nach § 127 S t P O , JA 1982 S. 338 f f ; H.-J. Bruns Zur strafrechtlichen Diskussion über das Züchtigungsrecht des Lehrers, J Z 1957 S. 410 ff; A. Donatsch Die strafrechtliche Beurteilung von Rechtsverletzungen bei der hoheitlichen Anwendung unmittelbaren Zwangs, 1981; E. Dreher Das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz, JZ 1953 S. 421 ff; A. Eser W a h r n e h m u n g berechtigter Interessen als allgemeiner Rechtfertigungsgrund. Zugleich ein Versuch über Rechtsgüterschutz und evolutives Recht, 1969; M. Fincke Darf sich eine Privatperson bei der Festnahme nach § 127 S t P O irren? GA 1971 S. 41 ff; ders. Das Risiko des privaten Festnehmers — O L G H a m m N J W 1972, 1826, JuS 1973 S. 87 f f ; Chr. Geisler Strafbarkeit von Amtsträgern im Umweltrecht, N J W 1982 S. 11 ff; H. Günther Nochmals: Der Begriff der Rechtmäßigkeit einer Vollstreckungshandlung i. S. d. § 113 Abs. 3 StGB, N J W 1973 S. 309 ff; R. Haas N o t w e h r und Nothilfe, 1978; H. J. Hirsch Soziale Adäquanz und Unrechtslehre, Z S t W 74 S. 78 ff; ders, Literaturbericht, Z S t W 90 S. 965 ff; E. Horn Strafbares Fehlverhalten von Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden, N J W 1981 S. 1 ff; H. Jung Das Züchtigungsrecht des Lehrers, 1977; D. Kienapfel Körperliche Züchtigung und soziale Adäquanz im Strafrecht, 1961; W. Meyer Der Begriff der Rechtmäßigkeit einer Vollstrekkungshandlung i. S. des § 113 Abs. 3 StGB, N J W 1972 S. 1845 f f ; ders. Nochmals: Der Begriff der Rechtmäßigkeit einer Vollstreckungshandlung i. S. des § 113 Abs. 3 StGB, N J W 1973 S. 1074 f; D. Oehler Handeln auf Befehl, JuS 1963 S. 301 ff; H. Ostendorf Die strafrechtliche Rechtmäßigkeit rechtswidrigen hoheitlichen Handelns, J Z 1981 S. 165 f f ; ders. Anmerkung zu KG JR 1980 S. 513, J R 1981 S. 292 f; Redelberger Das Züchtigungsrecht des Lehrers, N J W 1952 S. 1158 ff; H.-J. Rudolphi Probleme der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Amtsträgern f ü r Gewässerverunreinigungen, Dünnebier-Festschrift S. 561 ff; H. Rüping und U. Hüsch Abschied vom Züchtigungsrecht des Lehrers, GA 1979 S. 1 f f ; F. Schaffstein Soziale Adäquanz und Tatbestandslehre, Z S t W 72 S. 369 ff; H. Schall Anmerkung zu B G H N J W 1976 S. 1949 f, N J W 1977 S. 113 f; Eh. Schmidt Bemerkungen zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Frage des Züchtigungsrechtes des Lehrers, J Z 1959 S. 518 ff; F. E. Schnapp Amtsrecht und Beamtenrecht, 1977; /. Scholz Wehrstrafgesetz, 2. Auflage 1975; B. Schünemann Rundum betrachtet, JA 1972 S. 633 ff, 703 ff,

22

nensorge an. Die f r ü h e r verbreitete Berufung auf § 679 BGB (so noch Welzel Strafrecht § 14 V) ist überholt, da die Notwendigkeit körperlicher Züchtigung nicht mehr als selbstverständlich richtig gilt. Sehr streitig; siehe f ü r öffentliche Kassen O L G Köln N J W 1968 S. 2348 f mit ablehnender Besprechung Ttedemann J u S 1970 S. 108 f f ; anders (Tatbestandsausschluß der Zueignungsdelikte)

372

23

O L G Celle N J W 1974 S. 1833 im Anschluß an Roxin Welzel-Festschrift S. 447 ff, 462 und ders. H . Mayer-Festschrift S. 467 f f ; siehe hierzu Rheineck Zueignungsdelikte und Eigentümerinteresse (mit umfassenden Nachweisen). LIO-Hirsch Rdn. 129 vor § 5 1 ; Jescheck A T § 34 VII 2 ; Stratenwerth A T R d n . 397; a. A. Welzel Strafrecht § 14 V.

Amtsrechte und weitere Rechtfertigungsgründe

16. AbSChn

775 ff; H.-G. Schwenck Wehrstrafrecht im System des Wehrrechts und der gerichtlichen Praxis, 1973; ders. Die kriegerische Handlung und die Grenzen ihrer strafrechtlichen Rechtfertigung, Lange-Festschrift S. 97 ff; G. Stratenwerth Verantwortung und Gehorsam. Zur strafrechtlichen Wertung hoheitlich gebotenen Handelns, 1958; G.-St. Thiele Zum Rechtmäßigkeitsbegriff bei § 113 Abs. 3 StGB, JR 1975 S. 353 ff; den. Anmerkung zu BayObLG JR 1981 S. 29, aaO S. 30 f; O. Tnffterer Ein rechtfertigender (Erlaubnistatbestands-)Irrtum — Irrtumsmöglichkeiten beim polizeilichen Einsatz und deren dogmatische Einordnung, Mallmann-Festschrift S. 373 ff; Tb. Vormbaum Anmerkung zu BayObLG JR 1979 S. 475 ff, aaO S. 477 ff; H. Wagner Amtsverbrechen, 1979; den. Die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung — OLG Karlsruhe NJW 1974 S. 2142, JuS 1975 S. 224 ff; H. v. Weber Die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Handeln auf Befehl, MDR 1948 S. 34 ff; Th. Würtenberger Zur strafrechtlichen Bedeutung des Züchtigungsrechtes des Lehrers, DRZ 1948 S. 291 ff.

I. Die Amtsrechte A. Eine große Zahl weiterer Rechtfertigungsgründe ist — in schwankendem M a ß 1 — mit speziellen Rechtsbereichen verbunden; das gilt insbesondere f ü r Amtsrechte. In zahlreichen Gesetzen werden Befugnisse f ü r hoheitliches H a n d e l n d a d u r c h gegeben, daß ausdrücklich ein Eingriff zu bestimmten Z w e c k e n erlaubt (so in den Gesetzen über die A n w e n d u n g unmittelbaren Zwangs) o d e r aber ein Handlungsziel vorgeschrieben wird, das ohne Eingriff nicht erreicht werden kann (etwa Blutentnahme nicht o h n e Körperverletzung, § 81 a Abs. 1 S t P O , Fingerabdrücke nicht ohne N ö t i g u n g , § 81 b StPO). Β 1. Schwierigkeiten entstehen, wenn die Eingriffsvoraussetzungen z w a r vom h o - 2 heitlich H a n d e l n d e n ex ante angenommen w e r d e n , sich jedoch nachträglich herausstellt, daß der Eingriff nicht erforderlich war. N a c h einer verbreiteten Ansicht sollen zur Rechtfertigung wirklich vorliegen müssen: sachliche und örtliche Zuständigkeit, die wesentlichen Förmlichkeiten zum Schutz des Betroffenen (etwa die Bekanntgabe des Haftbefehls nach $ 114 a S t P O ) und die Verhältnismäßigkeit. Ansonsten soll der Beamte über das Vorliegen der tatsächlichen V o r a u s s e t z u n g e n seines Einschreitens nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden haben 1 , wobei die A b g r e n z u n g des angeblichen Ermessensbereichs von der sachlichen Zuständigkeit, von der aktuellen W e sentlichkeit der Förmlichkeit (oft korrespondiert mit Dringlichkeit eine geminderte Förmlichkeit) und von der Verhältnismäßigkeit durchaus unklar ist. — Diese K o n z e p tion wird teils dahin modifiziert, daß auch ein Irrtum über die rechtliche Zulässigkeit eines Eingriffs dem Tatsachenirrtum gleichstehen soll 2 . Abweichend wird teils auf den verwaltungsrechtlichen Bestand des hoheitlichen Akts abgestellt, also nur bei Nichtigkeit eine Rechtmäßigkeit verneint 3 , teils soll es auf die Vollstreckbarkeit a n k o m m e n 4 . 1 Lf?-Hirsch Rdn. 132 ff vor § 5 1 ; ]escheck A T § 3 5 I 2 und 3; wohl auch SK-Horn §113 Rdn. 11; B G H 4 S. 161 ff, 164 f; 21 S. 335 ff, 363; 24 S. 125 ff, 130; B a y O b L G J R 1981 S. 29 mit ablehnender Anmerkung Thiele a a O S. 30 f; kritisch Schönke-Schröder-Eser § 113 Rdn. 22 ff. — N a c h Schönke-Schröder-Lenckner Rdn. 86 vor § 32 soll die Rechtmäßigkeit nach allgemeinen Regeln aus der Einhaltung der objektiven Sorgfalt folgen ( f ü r das schweizerische Recht ähnlich Donatsch Beurteilung S. 182 ff). Das ergibt freilich kein Eingriffsrecht, sondern beläßt dem O p f e r das Recht z u r Abwehr in defensivem Notstand (dazu Lenckner a a O Rdn. 10 a und 11 vor § 32).

1

Stratenwerth V e r a n t w o r t u n g S. 190; LK-v. Bubnoff% 113 R d n . 34 mit weiteren Nachweisen; anders aber die Rechtsprechung; R G 30 S. 348 f f ; B G H 24 S. 125 ff, 130. 3 K G J R 1980 S. 513 f mit A n m e r k u n g Ostendorf J R 1981 S. 292 f ; Wagner J u S 1975 S. 224 f f ; ders. Amtsverbrechen S. 324 f f ; Meyer N J W 1972 S. 1845 ff, 1846; ders. N J W 1973 S. 1074 f; siehe auch Welzel Niederschriften Bd. X I I I S. 54 f, 60 f. • Schünemann JA 1972 S. 703 ff, 710, 775; Thiele J R 1975 S. 353 f f ; Ostendorf J Z 1981 S. 165 ff, 171 f f ; wohl auch LK-Spendel § 32 R d n . 68.

373

16. A b s c h n

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

3

2. Es geht um die Verteilung eines Irrtumsrisikos. Hierfür gelten folgende Regeln: a) Soweit das Gesetz selbst bei der Festlegung der Eingriffsvoraussetzungen Merkmale prospektiven Inhalts verwendet oder auf eine Verdachtslage abstellt (Gefahr, Verdacht, dringender Verdacht etc.), kommt es auf ein Ex-ante-Urteil zur Zeit der Eingriffshandlung an, wobei dieses Urteil objektiv, d. h. optimal zugerichtet zu fällen ist (siehe oben 11/12). Das Gesetz entlastet insoweit den Eingreifenden von dem Risiko späterer Erkenntnisse 5 .

4

b) Soweit es um die Vollstreckung selbständiger, insbesondere selbständig anfechtbarer Entscheidungen geht, ist der Vollstreckende, wenn die Entscheidung nicht nichtig ist, an den — vorläufigen oder endgültigen — Bestand der Entscheidung gebunden (sogenannte Tatbestandswirkung); hält er die speziellen Vollstreckungsvoraussetzungen ein, ist sein Handeln also rechtmäßig6. Beispiele: Die Vollstreckung eines vorläufig vollstreckbaren Urteils (§§ 708 ff ZPO) durch den Gerichtsvollzieher oder die Vollstreckung eines richterlichen Haftbefehls (§114 StPO) durch die Polizei sind bei ordnungsgemäßem Vollstreckungsvollzug rechtmäßig, auch wenn sich die Entscheidungen später als änderungsbedürftig herausstellen; das Risiko des Entscheidungsbestands soll den Vollstreckungsgang nicht belasten.

5

c) Bei sämtlichen anderen Eingriffsvoraussetzungen ist — ganz entsprechend den Ausführungen zu 16/3 und 4 — darauf abzustellen, ob der Eingriff zur Zeit seiner Vornahme Bestand haben soll. Es kommt also weder darauf an, ob die Maßnahme nichtig oder nur anfechtbar ist, noch ob sie in jeder Hinsicht den Eingriffsvoraussetzungen genügt; entscheidend ist, ob sie, stünde sie zur Zeit der Vornahme zum Spruch, aufgehoben würde — dann ist sie rechtswidrig — oder nur ergänzt oder trotz Mangels belassen würde (bei Verletzung von Sollvorschriften) — dann ist sie rechtmäßig. Das Ergebnis dürfte sich weitgehend mit der auf Vollstreckbarkeit abstellenden Lösung decken. Insbesondere müssen Eingriffsvoraussetzungen, die dem Schutz des Betroffenen dienen, wirklich (objektiv ex post) vorliegen, gleich ob sie als Förmlichkeiten zu deklarieren sind oder nicht. Beispiele: Die Anwendung von Zwang zur Duldung der Blutentnahme durch einen Nicht-Arzt ist nach § 81 a StPO nicht zu rechtfertigen, auch nicht, wenn der zwingende Polizist optima fide den Entnehmenden für einen Arzt hält und jeder andere ebenso geirrt hätte7. — Die Vollstreckung eines Titels gegen eine Person, gegen die der Titel nicht ergangen ist, ist ohne Blick auf die Vermeidbarkeit der Verwechslung rechtswidrig8.

6

d) Soweit dem eingreifenden Beamten bezüglich einzelner Merkmale der Eingriffsvoraussetzungen ein Beurteilungsspielraum zusteht (etwa bei der Schätzung des Werts einer gepfändeten Sache durch den Gerichtsvollzieher) oder — nach geltendem Recht selten — ein Ermessen (etwa bei der Auswahl aus mehreren pfändbaren Sachen durch den Gerichtsvollzieher), kommt es auf die Beurteilung zur Zeit des Eingriffs an. Daß verbreitet dem Eingreifenden pauschal ein „Ermessen"9 zugesprochen wird, entspricht nicht dem Gebot der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und ist auch nicht mit einem Interesse an der Entschlußkraft der Verwaltung zu rechtfertigen, obgleich die Rechtsprechung darauf kontinuierlich abstellt10; denn bei gesetzlich gebundener Verwaltung Triffterer Mallmann-Festschrift S. 373 ff, 388 ff. Scbönke-Scbröder-Eser § 113 Rdn. 32; Günther NJTW 1973 S. 309 ff, 311. 7 Α. A. BGH 24 S. 125 ff, 130 f. 8 A. A. RG 61 S. 297 ff, 299. 5 6

374

Hiergegen zutreffend Scbönke-Scbröder-Eser § 113 Rdn. 22,27. Ό Schon RG 35 S. 211 ff, 214 f; 72 S. 305 ff, 311 ff; BGH 4 S. 161 ff, 164 f; teils wörtlich ebenso BGH 21 S. 335 ff, 365 f. . 9

Amtsrechte und weitere Rechtfertigungsgründe

16. Abschn

fehlt es jenseits der bindenden Eingriffsvoraussetzungen sowohl an einer E r m ä c h t i g u n g zum Eingriff als auch an einem Interesse an Entschlußkraft. e) Eine auf Rechtsirrtum beruhende A n n a h m e , die Eingriffsvoraussetzungen seien 7 gegeben, geht mangels wirklich gegebener Eingriffsvoraussetzungen stets zu Lasten des Irrenden. D a ß in Fällen unklarer Gesetze o d e r einer später erfolgenden Ä n d e r u n g der gefestigten Gesetzesauslegung (etwa zu den u n p f ä n d b a r e n Sachen nach § 811 Z P O ) die Rechtslage zur Zeit des Eingriffs nicht zu fixieren ist, belastet nicht nur h o heitlich eingreifendes H a n d e l n , sondern jedes Verhalten in rechtlichen Grenzbereichen. f) Soweit der hoheitlich Eingreifende vermeidbar irrig und schuldhaft die Eingriffs- 8 Voraussetzungen annimmt, ist gegen ihn N o t w e h r zulässig; bei Unvermeidbarkeit defensiver Notstand (siehe oben 11/13). C 1. Amtsrechtliche Eingriffsrechte sind zahlreich; so finden sich etwa Erlaubnisse, 9 zum Zweck der Beweis- und Verfahrenssicherung Z w a n g a n z u w e n d e n , in der S t P O , wobei in persönliche G ü t e r verschiedener Art eingegriffen werden darf, wie in die Freiheit 51, 81 ff, 112 ff, 13411, 164, 2 3 6 S t P O ) oder in das H a u s r e c h t und in das Eigentum (§§ 94 ff S t P O ) , in das Fernmeldegeheimnis (§§ 100 a ff S t P O ) etc. Eingriffserlaubnisse finden sich ferner, wenn ein V e r f a h r e n mit nicht nur freiwilliger Beteiligung (Konkursverfahren) oder ein Vollstreckungsgang geregelt w e r d e n , beispielsweise die Strafvollstreckung nach den §§ 449 ff S t P O o d e r die Vollstreckung zivilrechtlicher T i tel, wobei im letzteren Fall der Z w a n g nicht nur gegen das Eigentum gerichtet ist (§§ 808 ff, 883 ff Z P O ) , sondern wiederum bis zur Freiheitsentziehung gehen kann, etwa bei der H a f t zur E r z w i n g u n g unvertretbarer H a n d l u n g e n nach § 888 Z P O o d e r zur Erzwingung einer eidesstattlichen Versicherung nach den §§ 901 ff Z P O . — Z e n tral sind weiterhin polizeirechtliche Ermächtigungsnormen nach den landesrechtlichen Polizeigesetzen, dem Gesetz über den Bundesgrenzschutz und den Gesetzen über die A n w e n d u n g unmittelbaren Z w a n g s des Bundes und der Länder etc.; Beispiele nach dem Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes: Identitätsfeststellung von Personen, § 10; erkennungsdienstliche Behandlung, § 11; zwangsweise D u r c h s e t z u n g einer Vorladung, § 12; Personengewahrsam, § 13; D u r c h s u c h u n g e n , §§ 17 f f ; ferner die Sondervorschriften über die A n w e n d u n g von Z w a n g , §§ 29 ff, insbesondere unmittelbaren Z w a n g einschließlich Schußwaffengebrauch, §§ 35 f f 1 2 . 2. Eine Rechtfertigung durch Völkerrechtsnormen handlungen in Betracht· 3 .

k o m m t insbesondere bei Kriegs- 10

II. Das Handeln auf Anweisung (die dienstliche Anordnung und der militärische Befehl) A 1. Z u r Lösung der Kollision' 4 zwischen der Gehorsamspflicht U n t e r g e b e n e r und 11 der Rechtswidrigkeit eines militärischen Befehls (§ 2 N r . 2 W S t G ) o d e r einer dienstlichen A n o r d n u n g (§ 55 Satz 2 BBG) gibt es zwei Lösungsansätze: Z u m einen kann die Verbindlichkeit der Anweisung durch deren Rechtmäßigkeit beschränkt w e r d e n ; dann " Dazu B G H N S t Z 1981 S. 22 f. Weitere Beispiele bei Jescheck A T § 35 I 1; zum Waffengebrauchsrecht insbesondere LK*-Hirsch Rdn. 139 ff vor § 51; zum Verhältnis der polizeilichen Befugnisse zu N o t w e h r und N o t s t a n d siehe oben 12/41 ff; 13/42. 13 Siehe Maurach-SchroederST I § 2 II C 2; Schwenk Lange-Festschrift S. 97 f f ; Schönke-Schröder-

12

Lenckner Rdn. 91 vor § 3 2 ; siehe auch B G H 15 S. 215 ff; 23 S. 104 ff. '4 N a c h Schnapp Amtsrecht S. 182 ff, 183, 185 soll es nicht zu einer Kollision k o m m e n können, da die verwaltungsinternen Rechtssätze und das „Außenrecht" zwei inkommensurable Rechtsbereiche sein sollen; sehr zweifelhaft.

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16. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. R e c h t f e r t i g u n g

gibt es keine verbindliche rechtswidrige Anweisung, und der irrige Glaube des Untergebenen an die Verbindlichkeit kann allenfalls entschuldigen. Bei voller Entschuldigung ist der Vorgesetzte mittelbarer Täter hinter dem entschuldigt handelnden Werkzeug. Gegen die Durchführung der Anweisung ist Notwehr oder — bei Schuldlosigkeit — defensiver Notstand möglich. Zum anderen kann der Gehorsam unbedingt angeordnet werden; dann ist nur eine nach allgemeinen Grundsätzen nichtige Anweisung unverbindlich; ansonsten begründet auch die rechtswidrige Anweisung eine Befolgungspflicht und bringt den Untergebenen in eine Kollision dieser Gehorsamspflicht mit der allgemeinen Pflicht zur Unrechtsvermeidung; diese Kollision kann entweder je nach dem Einzelfall oder generell aufgelöst werden. Soweit die Gehorsamspflicht vorgeht, ist der Untergebene gerechtfertigt; der Vorgesetzte ist mittelbarer Täter hinter einem gerechtfertigt handelnden Werkzeug 1 5 , vergleichbar dem Prozeßbetrüger, der den erlangten Titel durch den Gerichtsvollzieher vollstrecken läßt. 12

2. Eine gesetzliche Entscheidung zwischen den beiden Möglichkeiten fehlt. Die Verbindlichkeit von Anweisungen wird f ü r Soldaten in § 11 SoldatenG und in § 22 W S t G geregelt, für Beamte in den §§ 55 f BBG, §§ 37 f BRRG und den entsprechenden Gesetzen der Länder. Danach bindet eine dienstliche Anweisung nicht, die gegen die Menschenwürde verstößt oder deren Ausführung ein Strafgesetz verletzt, und zwar unabhängig davon, ob der Untergebene das erkannt hat 1 6 ; allerdings bestehen für Soldaten (§ 11 Abs. 2 Satz 2 SoldatenG, § 5 Abs. 1 WStG) und Vollzugsbeamte (§ 7 Abs. 2 Satz 2 U Z w G , ähnlich die Landesgesetze) Sonderregelungen des Verbotsirrtums dahin, daß sie nur bei Kenntnis der Verletzung eines Strafgesetzes oder bei Offensichtlichkeit dieses Umstands (also, so es an Kenntnis fehlt, bei Gleichgültigkeit oder Blindheit gegenüber dem Strafrecht) schuldhaft handeln (unten 19/51 ff). Bei unqualifizierter Vermeidbarkeit des Irrtums über die Strafrechtswidrigkeit wird der Konflikt durch Zurechnung zum Vorgesetzten erledigt.

13

3. Die Vorschriften lassen nicht erkennen, ob die Regelung auf einer generellen Unverbindlichkeit rechtswidriger Anweisungen beruht oder auf einer generalisierten Abwägung zwischen an sich verbindlichen Anweisungen und dem zu erwartenden Unrecht. Dementsprechend ist bei den Anweisungen an Soldaten oder Vollzugsbeamte, deren Durchführung eine Ordnungswidrigkeit verwirklichen würde 1 7 , die Bedeutung der generellen Freistellung von H a f t u n g 1 8 umstritten. Die Freistellung wird teils als Entschuldigung 1 9 und teils als Rechtfertigung durch generalisierte Abwägung der Pflichtenkollision 2 0 gedeutet. 15

Grundlegend Stratenwerth Verantwortung S. 10; — die Einwendungen, der Vorgesetzte könne bei dieser Lösung rechtmäßig durchführen lassen, was er selbst nicht rechtmäßig ausführen könnte (LfP-Hirsch Rdn. 153 vor §51), oder bei bürokratischer Staatsorganisation werde der in seinem Ursprung fehlerhafte Staatsakt rechtmäßig (Manrach-Zipf AT I § 29 I 2), verkennen, daß der U n tergebene Werkzeug ist. > So schon zu § 47 MStGB: B G H 2 S. 234 ff, 235 f; 5 S. 239 ff, 243; 15 S. 215 ff; 22 S. 224 ff. 17 Auch die Verwirklichung eines sonst nicht als Verstoß gegen die Menschenwürde oder die Strafrechtsnormen zu qualifizierenden Unrechts, etwa einer unerlaubten Handlung, kommt in Betracht: Zu entscheiden ist, ob dieses Verhalten ein rechtswidriges Verhalten ist, gegen das Notwehr oder — nach hiesiger Lösung für schuldlose

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rechtswidrige Angriffe — defensiver Notstand zulässig ist. 18 Anders bei sonstigen Beamten, für die eine Freistellung allenfalls nach einem Remonstrationsverfahren in Betracht kommt, § 38 Abs. 2 BRRG, § 56 Abs. 2 BBG. 19 Arndt Wehrstrafrecht S. 115; Baumann AT § 2 1 II 8 a; Dreher-Tröndle Rdn. 16 vor § 3 2 ; LK>Hirsch Rdn. 153 vor § 5 1 ; LK-Spendel §32 Rdn. 100 f; Maurach-Zipf A T I § 2 9 12; Oehler JuS 1963 S. 301 ff, 306; v. Weber M D R 1948 S. 34 ff, 37, 39. 20 Scholz Wehrstrafgesetz § 2 Rdn. 18 b; Schwenck Wehrstrafrecht S. 92; Jescheck AT § 3 5 1 1 3 ; Schönke-Schröder-Lenckner Rdn. 88 a vor § 3 2 ; Schmidhäuser AT 9/57; Stratenwerth Verantwortung S. 168, 181 ff mit weiteren Nachweisen, auch der älteren Literatur, S. 4 ff.

Amtsrechte und weitere Rechtfertigungsgründe

16. A b S C h n

4. Die letztgenannte Lösung dürfte vorzuziehen sein : Der Ausführende kann re- 14 gelmäßig nicht überblicken, wann die Begehung einer Ordnungswidrigkeit gerechtfertigt ist (etwa durch Notstand) und wann nicht; er wird dies mangels hinreichender Ausbildung auch nach Erklärungen nur selten selbständig entscheiden können. N u r wenn er von dem Risiko dieser Rechtswidrigkeiten entlastet wird, wenn er also von der Verbindlichkeit der Anweisung und der überwiegenden Bedeutung des Gehorsams ausgehen kann, dürfte das Verlangen nach Einpassung in eine Hierarchie tolerabel sein. Die „Kosten" hierarchischer Organisationen muß also derjenige tragen, der die Hierarchie benutzt (der Vorgesetzte als mittelbarer Täter), nicht den sie benutzt (der U n tergebene ist gerechtfertigt) 2 2 . — Für die Qualifikation des Verhaltens als O r d n u n g s widrigkeit oder als Straftat kommt es auf den Erfolgseintritt nicht an. Beispiel: Ein Befehl zur einfachen Körperverletzung einer dritten Person bleibt unverbindlich, auch wenn die D u r c h f ü h r u n g fehlschlägt (trotz der Straffreiheit des Versuchs von § 223 StGB). Diese Lösung ist für Fahrlässigkeitsdelikte praktisch bedeutsam. Beispiel: D e r Befehl zu einem ordnungswidrigen Umgang mit einem Fahrzeug ist unverbindlich, wenn der Umgang zugleich eine fahrlässige Körperverletzungs- oder Tötungshandlung ist, mag der Erfolg auch ausbleiben 23 . 21

B. Ansonsten gelten f ü r die Voraussetzungen, die an eine verbindliche Anweisung 1 5 zu stellen sind, die Ausführungen zu den Amtsrechten entsprechend. Ein allgemeines „Ermessensprivileg" ist auch hier abzulehnen. Soweit freilich ein Ermessen oder ein Beurteilungsspielraum bestehen und der Untergebene erkennt, daß der Vorgesetzte von einer verkürzten Tatsachenbasis ausgeht, muß er Gegenvorstellung erheben, und zwar auch im militärischen Bereich, soweit das zeitlich möglich ist; ist die Remonstration erfolglos, entsteht eine nach allgemeinen Grundsätzen zu lösende Pflichtenkollision 2 4 . Beispiel: Der zur Bedienung einer Maschine, die er nicht beherrschen kann, befohlene Soldat, darf auch nach erfolgloser Gegenvorstellung den Befehl nicht ausführen, wenn er dadurch irgendwelche Menschen an Leib oder Leben gefährden würde, wohl aber muß er bei drohendem geringfügigen Sachschaden gehorchen.

III. Die delegierten Amtsrechte (das Handeln pro magistratu) A l a ) Das Festnahmerecht für jedermann nach § 127 Abs. 1 Satz 1 S t P O besteht — 16 anders als das Amtsrecht nach Abs. 2 — nicht schon bei bloßem Verdacht einer T a t , sondern nur bei einer verwirklichten T a t des Festzunehmenden (objektiv ex post): Das 21

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Freilich befriedigt es nicht, daß die Grenze zwischen strafrechtlichem Unrecht und sonstigem Unrecht verläuft (insoweit zutreffend kritisch LK-Spendel § 32 Rdn. 88), weil die Strafbarkeit nicht allein von der Unrechtshöhe, sondern auch von der Notwendigkeit abhängt, auf ein Unrecht mit Strafe zu reagieren. Zudem ist der Übergang von einer Ordnungswidrigkeit zu einer Straftat teils (etwa beim Verhalten im Straßenverkehr) schwierig zu bestimmen. — De lege ferenda dürfte deshalb eine Differenzierung nach der nicht zu rechtfertigenden Verletzung notwehrfähiger Individualrechtsgüter und unverzichtbarer sonstiger Güter einerseits und andererseits der zu rechtfertigenden Verletzung verzichtbarer staatlicher Güter anzustreben sein. Soweit die auf Entschuldigung abstellende Lösung von einer im Ergebnis rechtswidrigen und im Ergebnis verbindlichen Anweisung ausgeht, löst

sie die Pflichtenkollision nicht a u f ; konsequent aber Lh?-Hirsch Rdn. 153 vor § 5 1 , der den rechtswidrigen Befehl immer f ü r unverbindlich hält. Jedenfalls bleibt der Untergebene bei dieser Lösung mit dem Risiko der Abwehr (defensiver N o t s t a n d , nach noch überwiegender Ansicht trotz Schuldlosigkeit des Untergebenen sogar N o t w e h r ) belastet. — N a c h Jescheck A T § 35 II 3 und Schönke-Schröder-Lenckner R d n . 11 f, 21, 89 vor § 32 soll auch bei der Rechtmäßigkeitslösung aggressiver N o t s t a n d gegen den Untergebenen bleiben. 23 Siehe B G H 19 S. 231 ff; eingehend SchönkeSchröder-Lenckner Rdn. 90 vor § 32. 24 Streitig; f ü r generelle Rechtfertigung nach der Gegenvorstellung B G H 19 S. 231 f f ; f ü r verbleibende Rechtswidrigkeit Scbönke-Schröder-Lenckner Rdn. 88 vor § 32 mit weiteren Nachweisen.

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16. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. R e c h t f e r t i g u n g

Risiko eines Irrtums soll nicht der Festzunehmende tragen, weil er nicht darauf vertrauen kann, daß ein nicht ausgebildeter Privatmann die Lage stets unter umfassender Abwägung aller Umstände beurteilt, zumal der Private nicht disziplinarisch verantwortlich ist. Für diese Risikozuordnung spricht auch, daß den Privaten — anders als den Polizisten (§ 163 StPO) — keine Verfolgungspflicht trifft. Ferner soll dem Privaten kein Anreiz zu polizeiähnlichem Handeln gegeben werden 25 . Der vom Festzunehmenden zurechenbar erregte Verdacht einer Tat reicht allerdings aus (siehe oben 11/9). 17

b) Einzelheiten: Es geht um die Sicherung einer strafenden oder förmlich sichernden Reaktion wegen der strafbaren Tat; eine vorläufige Festnahme nur zur Verhütung künftiger Straftaten ist deshalb nicht gerechtfertigt; wohl aber ist — wegen der Reaktion nach § 126 a StPO und des objektiven Verfahrens nach den §§ 413 ff StPO — eine vorläufige Festnahme gegenüber schuldlos Handelnden möglich, auch gegenüber Kindern (§19 StGB), da förmliche Erziehungsmaßnahmen (§§ 55 ff JWG) in Frage kommen 26 . Die Tat muß mit Strafe bedroht sein; bei Ordnungswidrigkeiten ist eine Identitätsfeststellung nur nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V. m. §§ 163 b, 163 c StPO zulässig27. Ein straffreier Versuch scheidet als Anlaßtat aus.

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Die Tat ist frisch, solange sie vollzogen wird oder so kurz zurückliegt, daß die Eindruckskraft des Rechtsbruchs nicht schwächer ist als beim Vollzug. Der Begriff ist randunscharf wie derjenige der Gegenwärtigkeit bei der Notwehr. Bei der zur Zeit einer frischen Tat beginnenden Verfolgung ist die Festnahme nicht mehr an die Frische der Tat gebunden. Akzessorische Beteiligungen sind auch frisch, wenn sie sich im frischen Vollzug der Haupttat auswirken. Beispiel: Der Gehilfe, der vor Monaten die Tatwaffe zum Totschlag dem Täter gegeben hat, rückt durch die Ausführungshandlung des Täters wieder in das Stadium der frischen Tat.

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Erlaubt ist die vorläufige, d. h. mindestens durch eine analoge Anwendung von § 128 StPO limitierte28 Festnahme durch denjenigen, der den Täter auf frischer Tat betroffen hat, oder durch einen Verfolgenden oder einen Gehilfen zur Verhinderung einer anzunehmenden (insoweit Verdachtstatbestand, und zwar subjektiv ex ante bestimmt, siehe oben 11/10) Flucht oder zur Feststellung der Identität. Nur der Festnahmeakt selbst (die Freiheitsberaubung und Nötigung, auch die einfache Körperverletzung durch kräftiges Zupacken) ist gerechtfertigt, nicht aber ein Zusammenschlagen, um den Täter fluchtunfähig zu machen, auch nicht ein Schießen auf den Flüchtenden etc.: Das Gesetz will das Maß delegierter Gewaltausübung überschaubar halten 29 . Erlaubt sind aber schwächere Maßnahmen als Festnahme, etwa ein Drohen mit Schüssen oder die Wegnahme der Autoschlüssel gegenüber einem betrunkenen Fahrer 30 oder die Wegnahme von Beweisstücken31 oder die Wegnahme des — ohne Durchsuchung zu erlangenden — Personalausweises. 25

Streitig; im Ergebnis wie hier Maurach-Zipf AT I § 29 II 1; Jescbeck A T § 35 IV 2, jeweils mit Nachweisen; a. A. B G H Z N J W 1981 S. 745 f; LR-Dünnebier § 127 StPO Rdn. 15; Roxin Strafverfahrensrecht § 3 1 A I 2 c; Fincke GA 1971 S. 41 ff, 45 f; den. JuS 1973 S. 87 ff; Borchert JA 1982 S. 338 ff, 342; offengelassen von O L G Zweibrücken N J W 1981 S. 2016. " Streitig; a. A. LR-Dünnebier § 127 StPO Rdn. 14 mit Nachweisen. 27 Praktisch wichtig ist die Differenz zwischen § 316 StGB und § 24 a StVG; siehe O L G Zweibrücken N J W 1981 S. 2016.

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Wenn die Festnahmegründe vorher entfallen, etwa durch Feststellung der Personalien, hat die Festnahme zu enden. 29 Anders LR-Dünnebier § 127 StPO Rdn. 40, der Gewalt zu bloßer Ermöglichung von Festnahme nach dem Maß der Verhältnismäßigkeit erlauben will. 30 O L G Saarbrücken N J W 1959 S. 1191; O L G Koblenz N J W 1963 S. 1991 f. 31 RG 8 S. 289 ff, 290 f; R G Z 64 S. 385 ff, 387.

Amtsrechte und weitere Rechtfertigungsgründe

16. AbSChn

2. Als delegiertes Amtsrecht ist das Festnahmerecht durch Verhältnismäßigkeit be- 2 0 schränkt, wobei allerdings die Abwägungsgrundsätze des defensiven Notstands gelten, da die Aggressivität vom Festnehmenden ausgeht 3 2 . Β 1. Die Selbsthilfe, §§ 2 2 9 ff B G B , ist ein Verfahren zur Sicherung — nicht Erfül- 2 1 lung — von Ansprüchen 3 3 . Sie steht dem Anspruchsinhaber zu; dieser kann die Selbsthilfe durch Gehilfen ausüben lassen, aber ein Jedermannsrecht besteht nicht 3 4 . Das Recht besteht nur, wenn sowohl „obrigkeitliche Hilfe" (polizeiliche Hilfe oder ein Arrest nach §§ 916 ff Z P O oder eine einstweilige Verfügung nach §5 9 3 5 ff Z P O ) nicht zu erlangen ist, d. h. zeitlich nicht eingeholt werden kann oder rechtswidrig versagt wird, als auch „ohne sofortiges Eingreifen die Gefahr (insoweit Verdachtstatbestand; zur Bestimmung des Verdachts siehe oben 1 1 / 1 0 ) besteht, daß die Verwirklichung des Anspruchs vereitelt oder wesentlich erschwert" wird. Läßt der Anspruchsberechtigte die an sich gegebene Zeit zur Erlangung obrigkeitlicher Hilfe verstreichen, verliert er das Selbsthilferecht nicht 3 5 . Selbsthilfe ist auch zur Verhinderung von Beweismittelvernichtungen zulässig (in der Regel wird hier sogar Notwehr gegeben sein), nicht aber zur Erzwingung von Leistungen, die prozessual mangels Beweises nicht durchgesetzt werden können 3 6 . Beispiel: D e r Gläubiger in Beweisnot darf nicht mangels prozessual durchsetzbarer Anspruchsverwirklichung zur Selbsthilfe greifen 3 7 . Erlaubte Eingriffshandlungen sind (a) die W e g n a h m e 3 8 und (b) die Zerstörung oder 2 2 die Beschädigung von Sachen, ferner (c) die Festnahme des fluchtverdächtigen (auch insoweit Verdachtstatbestand!) Verpflichteten und (d) die Brechung von Widerstand gegen zu duldende Handlungen. Beispiele: (a) D e r Eigentümer eines Fahrrads trifft nach einem Diebstahl den unbekannten Dieb mit dem O b j e k t und nimmt es ihm mangels anderer Möglichkeiten zur Sicherung seines Anspruchs ab, wobei er (d) die Abwehr des Diebs bricht. — (c) Ein Gastwirt nimmt den unbekannten Zechpreller bis zum Eintreffen der Polizei fest. — (a) Ein Gastwirt trifft im Straßengewühl den ihm sonst unbekannten Zechpreller wieder und nimmt diesem, indem (d) er dessen Abwehr bricht, Geld zur vorläufigen Sicherstellung ab (§ 2 3 0 Abs. 2 B G B ) 3 9 . — (b) Das V e r kehrsunfallopfer zersticht die Reifen des Unfallbeteiligten, der sich mit Hilfe seines Fahrzeugs rechtswidrig von der Unfallstelle entfernen will. 2. Beschränkungen der Zwangsvollstreckung, insbesondere nach § 8 1 1 Z P O , be- 2 3 schränken auch das Selbsthilferecht. Zur Verhältnismäßigkeit gelten die Ausführungen zum Festnahmerecht entsprechend (oben 1 6 / 2 0 ) . 3. Die Selbsthilfe dient nur der Forderungssicherung, nicht der Erfüllung; siehe 2 4 hierzu § 230 B G B . — Zu den zivilrechtlichen Folgen eines Irrtums über die Selbsthilfevoraussetzungen siehe § 2 3 1 B G B ; zum Irrtum über die Rechtswidrigkeit der Zueignung oder Bereicherung bei Eigentums- und Vermögensdelikten siehe oben 1 1 / 4 1 . C. Die Besitzkehr gegen verbotene Eigenmacht nach § 859 Abs. 2 und 3 B G B ist ein 2 5 Sonderfall der Selbsthilfe. Sie ist teils weiter, da sie ohne Rücksicht auf die Möglichkeit obrigkeitlicher Hilfe zulässig ist, teils enger, weil sie nur gegenüber einem auf frischer " 33

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Siehe RG 69 S. 308 ff, 311 f. Zu den geschützten Ansprüchen siehe StaudingerDilcher § 229 Rdn. 5 ff. Streitig; wie hier die überwiegende Ansicht; a. A. Soergel-Fahse § 229 Rdn. 9. Siehe oben zur entsprechenden Lage bei der Notwehr 12/33, 45. BGH 17 S. 329 ff, 330 f; Staudinger-Dilcher % 229 Rdn. 12.

57 Mißverständlich LK?-Hirsch Rdn. 146 vor § 51. 3 8 Zur Kontroverse, ob auch Sachen im Eigentum Dritter zur Sicherung von Forderungen weggenommen werden dürfen, siehe Staudinger-Dilcher § 2 2 9 Rdn. 17; BCB-R GRK-Johannsen §229 Rdn. 4. 3 9 Siehe B G H 17 S. 88 ff, 89 f.

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T a t betroffenen oder verfolgten Täter statthaft ist. Fehlt es an einer frischen Tat, richtet sich die Rechtfertigung nach § 229 BGB. — Die Besitzwehr des § 859 Abs. 1 BGB ist ein Rechtfertigungsgrund zur Verteidigung des Besitzes als äußeres Zeichen von (Rechts-)Sicherheit. Je nach Art des Angriffs — schuldhaft oder nicht — handelt es sich um einen notwehrähnlichen oder notstandsähnlichen Rechtfertigungsgrund 4 0 . Hilfe dritter Personen ist nur im Fall von § 860 BGB gerechtfertigt. — Die Schranken der Besitzkehr entsprechen denjenigen der Selbsthilfe, die Schranken der Besitzwehr je nach Lage denjenigen der Notwehr oder des defensiven Notstands. 26

D. Gesetzlich delegierte Amtsrechte haben ferner inne: als Bordgewalt der Schiffskapitän (§ 106 SeemannsG 4 1 ) und der Luftfahrzeugkommandant 4 2 . — Zu den Rechten des Strandvogts im Fall von Seenot siehe § 9 Abs. 2 StrandungsO 4 3 .

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E. Soweit im Einzelfall eine Delegation einzelner Vollzugshandlungen an private Helfer verwaltungsrechtlich zulässig erfolgt ist, handeln diese Helfer gerechtfertigt (siehe § 114 Abs. 2 StGB). Beispiel: Ein privates Abschleppunternehmen schleppt in polizeilichem Auftrag falsch parkende Fahrzeuge weg; — ein rechtmäßiges Verhalten, gegen das keine Gegenwehr zulässig ist.

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A. Als Einwilligung in den Umgang mit Gütern, die zur Disposition der Behörde stehen, ist die Erlaubnis ein Sonderfall der allgemeinen Einwilligung und folgt deren Regeln. Beispiel: Die Behörde erlaubt die Durchbrechung eines von ihr verwalteten, strafrechtlich geschützten Monopols 4 4 . Die Erlaubnis entspricht in der Regel der tatbestandsausschließenden Einwilligung. Eine nur bei vernünftigem Grund wirksame, also rechtfertigende Einwilligung dürfte bei den §§ 98 f StGB diskutabel sein 45 .

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B. Einen eigenständigen Bereich hat die behördliche Erlaubnis jedoch insoweit, als es um die Kontrolle von Risiken geht. Handelt es sich um ein Risiko mit Erlaubnisvorbehalt, das die allgemeine .Handlungsfreiheit mit sich bringt, so ist ein Eingehen des Risikos ohne Erlaubnis ein Ungehorsamsunrecht: Die Kontrolle über die an sich sozialadäquate Handlung wird unterlaufen. Beispiel: Fahren mit tauglichen Fahrkenntnissen, aber ohne Fahrerlaubnis, § 21 Abs. 1 und 2 StVG. Liegt die Erlaubnis vor, fehlt schon der Unrechtstatbestand. — Handelt es sich aber um ein Risiko mit Erlaubnisvorbehalt, das nur mit dem Blick auf erwartete Vorteile tolerabel ist, wie etwa beim Umgang mit Krankheitserregern (§ 19 Abs. 1 BSeuchenG), beim Umgang mit Betäubungsmitteln (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 BtMG) oder bei der Veranstaltung eines öffentlichen Glücksspiels (§ 284 StGB), so soll das Verbot des riskanten Handelns ohne Erlaubnis nicht nur Kontrolle erzwingen, sondern eine Abwägung von Risiko und Vorteil durch die Behörde garantieren. Die Erlaubnis ist dann Recbt/ertigungsvorsaisseuung (entsprechend der Einwilligung der Schwangeren zum Abbruch der Schwangerschaft nach §218 a Abs. 1 Nr. 1 StGB) 4 6 . Die Erlaubnis rechtfertigt nicht ein Risiko für Güter, die in die Abwägung nicht eingegangen sind; Beispiel: Die Erlaubnis zum Umgang mit Betäu-

IV. Die behördliche Erlaubnis

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Anders die überwiegende Ansicht, nach der die Störung des Besitzes objektiv definiert werden soll; siehe Haas Notwehr S. 344 ff mit ausführlichen Nachweisen. 41 Vom 26. 7. 1957, BGBl. II S. 713. 42 Gesetz zum Abkommen von T o k i o über strafbare und andere Handlungen an Bord von Luftfahrzeugen vom 14.2. 1969, BGBl. II S. 121, Art. 5 bis 10.

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"5 Vom 17. 5. 1874, RGBl. S. 73. 44 Siehe Welzel Niederschriften Bd. II S. 31 ff, 33; Jescheck A T § 33 VI 3. 45 Dreher- Tröndle Rdn. 5 vor $ 32 und 5 98 Rdn. 7. Hauptsächlich ebenso Jescheck AT § 33 VI, LK>Hirsch Rdn. 148 vor § 5 1 ; Scbönke-SchröderLenckner Rdn. 61 ff vor § 32; — unentschieden Maurach-Zipf AT I § 29 III.

Amtsrechte und weitere Rechtfertigungsgründe

16. Abschn

bungsmitteln rechtfertigt nicht die Lärmerzeugung bei der Verarbeitung der Mittel 4 7 . — Auch die rechtlich fehlerhafte, aber wirksame Erlaubnis hat strafrechtlich Bestand 4 8 ; mittelbare Täterschaft des Erteilenden ist möglich 4 9 . — Eine Erlaubnis unter Auflagen ist nur bei Erfüllung der Auflagen wirksam 5 0 .

V. Die parlamentarischen Berichte A. Nicht nur die in einer öffentlichen Presse erscheinenden, sondern alle wahrheits- 30 gemäßen parlamentarischen Berichte sind nach § 37 StGB von Verantwortung frei (Indemnität); die Vorschrift entspricht Art. 42 Abs. 3 G G unter Erweiterung auf Länderorgane. Anders als die Indemnitätsregel für parlamentarische Äußerungen nach § 36 StGB ist die Regelung f ü r wahrheitsgemäße parlamentarische Berichte ein Rechtfertigungsgrund 5 1 , da der Bürger in den Wahlen über die Zusammensetzung des Parlaments zu urteilen hat und deshalb — vergleichbar einem Richter — ein lückenloses „Tat"-Bild erwerben muß. Die Rechtfertigungswirkung wird mit dem Argument bestritten, der Berichterstatter könne nicht besser stehen als der Abgeordnete 5 2 ; dabei werden aber die unerwünschte T a t und der erwünschte Bericht von der T a t vermengt. B. Gerechtfertigt ist nur der wahrheitsgemäße Bericht über öffentliche Sitzungen. 31 Ein Bericht ist eine „erzählende Darstellung(en) eines historischen Vorganges in seinem wesentlichen Verlaufe" 5 3 . Der Bericht ist wahrheitsgemäß (nicht erforderlich: wortgemäß), wenn er Geschehen und Kontext zutreffend wiedergibt. Daß stets über die ganze Sitzung oder doch über einen ganzen Tagesordnungspunkt berichtet wird, ist nicht Voraussetzung der Rechtfertigung, wenn ein kleinerer Teil ohne Verfälschung des Kontextes dargestellt wird 5 4 ; ansonsten würde der Rechtfertigungsgrund f ü r mündliche Äußerungen praktisch entwertet. — Als gerechtfertigte Taten kommen — neben zivilrechtlichen Persönlichkeitsverletzungen — alle Delikte in Betracht, die durch Äußerungen begangen werden können, insbesondere die §§185 ff, 164 StGB, wohl auch Nötigungsdelikte und Delikte gegen private oder öffentliche Geheimhaltung u. a. m.

VI. Das Züchtigungsrecht A. Ein Züchtigungsrecht wird meist allein im Blick auf Körperverletzungsdelikte 32 behandelt; es ist aber auch für Freiheitsberaubung 5 5 und Nötigung relevant. Die ehemals in weitem Umfang rechtlich zulässige Züchtigung wird heute — abgesehen von dem Sonderproblem der Freiheitsstrafe und der Reaktionen nach dem J G G — nur noch als Recht der Erzieher minderjähriger Personen diskutiert 5 6 . — Vereinzelte V e r suche, die körperliche Züchtigung durch den Erzieher aus dem Tatbestand des § 223 StGB herauszunehmen 5 7 , haben nur zu so pauschalen Lösungen (insbesondere Sozialadäquanz) geführt, daß sie auf jeden anderen Rechtfertigungsgrund ebenso passen " Siehe ]escheck A T 5 33 VI 2. « Horn N J W 1981 S. 1 ff, 3. 49 Horn aaO; Kudolpbi Dünnebier-Festschrift S. 561 ff, 566; a. A. Geisler N J W 1982 S. 11 ff, 12 f. 50 B G H 8 S. 290 ff, 292. 51 O L G Braunschweig N J W 1953 S. 516 f; LKTröndle § 37 Rdn. 2; Schmidbauer A T 9 / 4 6 ; Dreher-Tröndle § 37 Rdn. 1. 52 ]escheck A T % 19 II 3; Schönke-Schröder-Lenckner § 3 7 Rdn. 1. 53 R G 18 S. 208 ff, 210.

54

SK-Samson § 3 7 Rdn. 2; a. A. die überwiegende Meinung; R G 18 S. 208 ff, 210; Dreher J Z 1953 S. 421 ff, 423; Maunz in: Maunz-Dürig-HerzogScbolz Art. 42 Rdn. 35; LK-Tröndle § 37 R d n . 5 mit Nachweisen. 55 Schmidbauer A T 9/54. 56 Einen Abriß der neueren Entwicklung gibt B G H 6 S. 263 ff, 266 f. 57 Würtenberger D R Z 1948 S. 291 ff, 292; Schaffstein Z S t W 72 S. 369 f f ; 383; Kienapfel Körperliche Züchtigung S. 107 f f ; Redelberger N J W 1952 S. 1158 ff, 1162.

381

16. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. R e c h t f e r t i g u n g

würden; die körperliche Züchtigung ist also nach allgemeinen Interpretationsgrundsätzen tatbestandsmäßig 5 8 . 33

B. Ein Züchtigungsrecht der Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern fällt in den rechtlich nur rahmenmäßig geregelten Bereich des familiären Innenverhältnisses, das Art. 6 Abs. 2 G G als „natürlich" beläßt und das auch vom bürgerlichen Recht nur wenig präzisiert wird (§ 1631 BGB). Rechtliche Reaktionen erfolgen erst beim Mißbrauch des Rechts (§ 1666 BGB): Die Züchtigung wird rechtswidrig. Ein Mißbrauch liegt vor, wenn die körperliche Züchtigung als nicht erforderlich, d. h. als per Saldo nutzlos oder gar schädlich belegbar ist. Das ist stets bei entwürdigender Behandlung 5 9 und bei Zufügung mehr als beiläufiger Verletzungen oder Schaffung einer entsprechenden Gefahr der Fall. Ansonsten ist auf die Wirkung f ü r das von den Eltern im Rahmen ihres „natürlichen" Rechts (Art. 6 Abs. 2 GG) bestimmte Erziehungsziel abzustellen 60 . — Das Recht der Eltern ist nicht übertragbar, kann aber dritten Personen zur Ausübung überlassen werden; der Gebrauch dieser Überlassung ist nur dann kein Mißbrauch, wenn das Kind erkennt, daß es nicht unbegrenzter Willkür anheimfällt und die Eltern Anlaß, Ziel und Umgang der Züchtigung bestimmen und kontrollieren (zum angeblichen Züchtigungsrecht in mutmaßlicher Einwilligung siehe oben 15/Fn. 21). Eine dem bezeichneten Rahmen entsprechende maßvolle Züchtigung wird in der Regel nur bei einem Handeln allein des Erziehungsziels wegen, nicht aber aus W u t oder Sadismus, stattfinden. Es widerspricht jedoch dem Tatprinzip, wenn der pädagogische Zweck der Handlung zur positiven Rechtfertigungsvoraussetzung erklärt wird, da das Fehlen der Zweckverfolgung, soweit es sich ausnahmsweise nicht im Fehlgehen der Züchtigungshandlung objektiviert, ein bloßes Internum bleibt und deshalb die Rechtfertigung nicht ausschließen kann 6 1 . Für nichteheliche Kinder siehe § 1705 BGB, f ü r die Personensorge des Vormunds siehe § 1800 BGB, jeweils in Verbindung mit § 1631 BGB, wobei im Fall des Vormunds freilich die Fundierung in Art. 6 Abs. 2 G G fehlt.

34

C 1. Das Züchtigungsrecht des Erziehers, konkretisiert am Züchtigungsrecht des Lehrers, ist umstritten. Das Reichsgericht hat ein Züchtigungsrecht aus dem Amt des Lehrers hergeleitet 62 . Das Schrifttum begründete zudem ein Züchtigungsrecht aus der Anstaltsgewalt der Schule. Der Bundesgerichtshof hat das Züchtigungsrecht nur vorübergehend aus pädagogischen Erwägungen — mit einem Vorbehalt seltener Ausnahmefälle — verworfen 6 3 , nachfolgend jedoch ein amtsrechtlich wie — im Schwerpunkt — gewohnheitsrechtlich begründetes Züchtigungsrecht anerkannt 6 4 , aber beschränkt auf die „Volksschule" und die entsprechenden unteren Klassen der weiterbildenden Schulen 6 5 .

35

2. Eine Revision dieser Rechtsprechung ist — ungeachtet der Fragwürdigkeit von Gewohnheitsrecht überhaupt — aus zwei Gründen dringlich 66 . Einmal genügt nach 58 Wie hier B G H 6 S. 263 ff, 264; Hirsch ZStW 74 S. 78 ff, 111 ff; Jung Züchtigungsrecht S. 20 ff; Dürig in: Maunz-Dürig-Herzog-Scholz Art. 2 Abs. 2 Rdn. 43; Rüping und Hüscb GA 1979 S. 1 ff, 3. 59 Verkannt von der überholten Entscheidung B G H N J W 1953 S. 1440 f. 60 SK-Hom § 223 Rdn. 13. 61 Stratenwerth AT Rdn. 491; siehe zur Rechtfertigungstendenz oben 11/18 ff. 62 R G 15 S. 376 ff, 378; 40 S. 432 ff, 433; 42 S. 221 f; 42 S. 277 ff, 278 f; 45 S. 1 ff.

382

"

B G H 6 S. 263 ff, 269. B G H 11 S. 242 ff, 245, 247 ff, 256; zustimmend Eb. Schmidt J Z 1959 S. 518 ff. " B G H 12 S. 62 ff: Ausschluß für eine Berufsschule. /escheck AT § 4 4 II 2; v. Weber M D R 1948 S. 34 ff, 40 f; Baumann AT § 29 II a; Lackner% 35 Anm. 2 d ; a. A. (Handeln aus seelischer Bedrängnis erforderlich) wohl Scbönke-Schröder-Lenckner § 3 5 Rdn. 21.

22

So zutreffend Dreher-Tröndle § 35 Rdn. 8. « Siehe oben 20/Fn. 1 und O G H 1 S. 310 ff, 313; B G H 3 S. 272 ff, 275 f; 18 S. 311 f; zur Problematik des Befehlsnotstands bei NS-Taten siehe J a u s f ü h r l i c h e N a c h w e i s e bei Roxin T ä t e r s c h a f t S. 44 ff. Frank a a O .

503

21. Abschn

2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

3. Die subjektive Theorie 27

a) Die Rechtsprechung, und hier schon das Reichsgericht, vermeidet alle geschilderten Schwierigkeiten durch die in den Ergebnissen elastische subjektive Theorie 48 . Ein Ausgangspunkt dieser Theorie, die zunächst nur für die Abgrenzung von Täterschaft und Beihilfe geschaffen, dann aber auf die Trennung von Täterschaft und Teilnahme überhaupt ausgedehnt wurde, ist die Äquivalenz aller Erfolgsbedingungen; dieser Äquivalenz wegen soll auf der objektiven Deliktsseite eine Differenzierung von Täterschaft und Teilnahme unmöglich sein 49 . Damit ist der Täterbegriff für die objektive Seite extensiv: Jeder Verursacher kann Täter sein. Dieser Ansatz ist — auch abgesehen von den Bedenken gegen die Vereinbarkeit des extensiven Täterbegriffs mit dem Grundsatz der Gesetzesbindung (oben 21/6 ff, 8) — bemerkenswert schief. Wenn die objektive Deliktseite nur durch Erfolgskausalität bestimmt wird, ist auch subjektiv nur ein Vorsatz auszumachen, der allein die Erfolgskausalität umfaßt. Soll aber ein täterschaftliches Delikt mehr sein als Kausalität plus Vorsatz, wäre die Beschränkung dieses „Mehr" auf ein subjektives Moment erst zu begründen 50 .

28

b) So hat denn die subjektive Theorie auch eine weitere Wurzel 5 1 ; diese ist der psychische (und insoweit, aber auch nur insoweit subjektive) Befund, daß bei Beteiligung mehrerer Personen einzelne Beteiligte ihren Beitrag anderen Beteiligten zu deren Verfügung stellen, die anderen Beteiligten hingegen die Entscheidung über die Verfügung treffen. So argumentiert das Reichsgericht in seinen frühen Entscheidungen 52 : Der Gehilfe hat einen vom Täter abhängigen Willen, d. h. er unterwirft seinen Willen dem des Täters, so daß er diesem anheimstellt, ob die Tat zur Vollendung kommen soll oder nicht. Der Mittäter kennt dagegen keinen ihn beherrschenden fremden Willen (Trennung nach animus auctoris und animus socii, Dolustheorie). In dieser Weise auf die Verschachtelung der Motivationen abstellend, gelingt es dieser Variante der subjektiven Theorie, eine Rangfolge der Beteiligten herzustellen 53 , aber eine Rangfolge, die durch die HandlungsVollzüge der Beteiligten konterkariert werden kann: Wer das Geschehen, so wie es sich abspielt, bestimmt, richtet sich nicht nur nach dem Wollen, sondern auch nach dem Vollbringen; denn ein Beteiligter mit animus auctoris ohne tätige Gestaltung des Delikts hat eben das Moment zur Täterschaft zuwenig, das ein Beteiligter mit animus socii bei tätiger Gestaltung des Delikts zur Teilnahme zuviel hat. Nachfolgende Versuche, subjektive und objektive Seite zur Deckung zu bringen, führen zur Tatherrschaftslehre.

29

c aa) Die subjektive Theorie in der Rechtsprechung ist einen anderen Weg gegangen. Die Rechtsprechung entleert die Formeln vom Täter- oder Gehilfenwillen und vom Wollen der Tat als eigener oder fremder zu bloßen Schlagworten, was das Reichs*> Seit R G 2 S. 160 f f , 162 f f ; 3 S. 181 ff s t ä n d i g e R e c h t s s p r e c h u n g des R e i c h s g e r i c h t s u n d — bei e i n z e l n e n S c h w a n k u n g e n — a u c h des B u n d e s g e r i c h t s h o f s bis in die n e u e s t e Z e i t ; B G H G A 1977 S. 306 mit N a c h w e i s e n ; B G H S t V 1981 S. 275 f, 276 ( a l l e r d i n g s sollen d e r „ U m f a n g d e r T a t b e t e i l i g u n g " u n d die „ T a t h e r r s c h a f t " Indizien d a f ü r lief e r n , o b die T a t v o m „ T ä t e r w i l l e n " g e t r a g e n ist). « v. Buri C a u s a l i t ä t S. 4 1 ; ders. Z S t W 2 S. 232 ff, 2 4 6 ; s o a u c h n o c h Baumann A T § 36 I 3 c δ . 50 Siehe LK-Roxin § 2 5 R d n . 2 2 ; SK-Samson §25 R d n . 17; z u m V e r s u c h dieser B e g r ü n d u n g siehe v. Buri Z S t W 2 S. 232 f f , 2 4 6 ; Baumann aaO. -

504

Grundlegend z u r Kritik der subjektiven T h e o r i e Welzel S J Z 1947 Sp. 645 f f ; Callas M a t e r i a l i e n Bd. I S. 121 f f , 129 f f ; ders. Beiheft Z S t W 1957 S. 3 f f , 5 ff. 51

U n d ist a u c h älter als die Ä q u i v a l e n z t h e o r i e , siehe die N a c h w e i s e bei Birkmeyer V D A T Bd. II S. 2 3 ff. 52 R G 3 S. 181 ff, 182. 53 D a z u i n s b e s o n d e r e Bockelmann V e r h ä l t n i s S. 2 ff, 48 f ; — f ü r G r e n z f ä l l e n o c h e b e n s o a r g u m e n t i e r e n d Cramer B o c k e l m a n n - F e s t s c h r i f t S. 389 f f , 402 f.

Täterschaft

21. Abschn

gericht selbst mehrfach rügt 54 . Die Formeln werden zu leeren Begriffshülsen: Jemand ist Täter, weil er den Täterwillen hat, — warum er den Täterwillen besitzt und was dieser besagen soll, bleibt offen 55 . Der Begriff des Täterwillens, wie er in der Rechtsprechung des Reichsgerichts verwendet wird, ist unbrauchbar, weil er nicht bezeichnet, wann die Tat das eigene Werk des Täters ist. Verstanden aber als ein besonderes Täterbewußtsein, etwa als Reflexion des Handelnden darüber, daß er auch Täter sein will, ist der Täterwille überflüssig. Wie zudem selbst eine nicht formelhaft angewandte subjektive Täterbestimmung schmerzlich lebensfremd wirken kann, zeigt kraß eine Entscheidung zu § 179 StGB 56 ., wonach bei einer·Schändung auch fremder Beischlaf als eigene Tat gewollt sein könne: „Das RG. hat in ständiger Rechtsprechung den Unterschied zwischen Täter und Gehilfen in der Willensrichtung des Mitwirkenden gefunden, und es liegt kein Grund vor, von dieser allgemein durchgeführten Rechtsprechung dann abzugehen, wenn die strafbare Handlung in einer Beischlafvollziehung besteht". — Das Ergebnis (täterschaftliche Haftung) ist zwar bei allen nicht streng formell-objektiven Theorien möglich, insbesondere auch bei der Tatherrschaftslehre, aber nicht per Wollen eines fremden Beischlafs als eigenen, sondern per (Mit-)Beherrschung der Situation. bb) Das Reichsgericht hat in späteren Entscheidungen den Täterwillen vielfach 30 durch das Interesse an der Tat oder an dem Taterfolg erschlossen 57 : Ob jemand die Tat als eigene will, soll sich nach seinem Interesse an der Tat oder am Taterfolg richten. Auf der unglücklichsten — nämlich auf das Interesse am Taterfolg abstellenden — Variante dieser Lehre beruht die zur Täterschaft bekannteste Entscheidung des Reichsgerichts (Badewannenfall 58 ): Die Schwester einer unehelich gebärenden Frau ertränkt das Neugeborene „im Interesse" der Mutter und nach Verabredung mit ihr; die Schwester soll deshalb trotz eigenhändigen Tatvollzugs nur Gehilfin sein, die Mutter Täterin 59 . Diese Radikalität (der eigenhändig Tätige als Gehilfe) war der frühen subjektiven Theorie fremd. Daß jeder Verursacher Täter sein konnte, wurde nicht dahin umgekehrt, daß der volldeliktisch und eigenhändig den Tatbestand Verwirklichende nur Gehilfe sein könne: Der letzte „Freie" wurde als nicht untergeordnet behandelt 60 ; das sinnenfällige Faktum der eigenhändigen Tat siegte über das psychische Faktum einer Unterordnung unter fremden Willen. Erst die Verhärtung der stereotypen Formulierung zu einer Theorie ermöglichte die extremen Weiterungen 61 . Wenn gegen die Interessentheorie üblicherweise eingewendet wird, sie scheitere an Delikten mit „altruistischer" Motivation, wie Tötung auf Verlangen (§216 StGB) oder auch Betrug (§ 263 StGB) und Erpressung (§ 253 StGB) bei Drittbereicherungsabsicht, so trifft das freilich nicht: § 216 StGB läßt sich als ein Fall vertypter isolierter (nicht akzessorischer) Beihilfe verstehen, und auch an einer Drittbereicherung kann ein eigenes 54 R G 15 S. 295 ff, 3 0 3 : „ b l o ß e s W o r t o h n e g r e i f b a ren S i n n " ; R G 71 S. 364 ff, 3 6 5 : „ f o r m e l h a f t e Wendung". 55 S o ζ . B. o h n e o d e r mit n u r r u d i m e n t ä r e r B e g r ü n d u n g R G 18 S. 273 ff, 281 f ; 37 S. 55 ff, 57 f ; 57 S. 307 f f ; 64 S. 2 7 3 ff, 274 f u. a. m . ; g e n a u e r f r e i lich u n d auf das V e r w i r k l i c h u n g s h a n d e l n abstellend, d a m i t a b e r a u c h n i c h t m e h r schlicht „ s u b jektiv" R G 9 S. 109 f f , 110 f ; 54 S. 152 f f ; O G H 1 S. 365 ff. 56 57

R G 71 S. 364 f. D i e I n t e r e s s e n t h e o r i e als e i g e n s t ä n d i g e T h e o r i e w u r d e s c h o n im 19. J a h r h u n d e r t a u f g e g e b e n ; siehe Birkmeyer V D A T Bd. II S. 26 ff, 56 ff.

5» R G 74 S. 84 ff. 59 Z u r — n i c h t a u s s c h l i e ß l i c h e n — W u r z e l dieser E n t s c h e i d u n g im V e r h ä l t n i s v o n B e t e i l i g u n g s f o r m u n d S t r a f m a ß ( T ö t u n g mit Ü b e r l e g u n g w a r n a c h § 2 1 1 S t G B a. F. M o r d ; die Tätersuait war Tod e s s t r a f e ; die M u t t e r w a r n a c h § 2 1 7 S t G B privilegiert) siehe Härtung J Z 1954 S. 4 3 0 ff. ω S o a u c h v.Buri Z S t W 2 S. 232 f f , 2 5 9 ; h i e r z u ausführlich mit N a c h w e i s e n Sax JZ 1963 S. 329 ff, 332 f. 61 E r s t m a l s R G 31 S. 80 f f ; a u c h h i e r z u Sax a a O .

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21. Abschn

2. Buch. 4. Kapitel. B e t e i l i g u n g

Vermögensinteresse oder ein eigenes ideales Interesse bestehen. Gewichtiger ist, daß bei allen Vorsatzformen außer bei Absicht ein Interesse am deliktischen Erfolg stets fehlt (deshalb ist die vom Reichsgericht gewählte Alternative der Interessentheorie indiskutabel; jedes Delikt ohne Absicht auf den Erfolg geschähe ohne Täter), wohingegen ein Interesse am Handlungs»o//z»g oder an außertatbestandlichen Folgen bei ausnahmslos jeder Handlung gegeben ist. D a die Schwester im Fall der oben genannten Entscheidung des Reichsgerichts die Handlung vollzog und den Erfolg beabsichtigte, hatte sie in jeder Hinsicht ein Interesse, und zwar auch ein eigenes: W a r u m hätte sie sonst mit Erfolgsabsicht gehandelt? Die Entscheidung ist damit nur in sich konsistent, wenn nicht schon auf das Faktum eines Interesses, sondern auf die Gewichtung der Interessen abgestellt wird: Die Mutter versprach sich mehr vom Erfolg. Da aber auch der Alleintäter ein Delikt ohne Verbindung mit dessen stärker interessiertem „Destinatar" als „Freundschaftsdienst" begehen kann (häufig bei §§ 257 bis 258 a StGB), ist die Gewichtung zur Differenzierung von Täterschaft und Teilnahme ungeeignet, es sei denn, man erkenne die „gespenstische Version einer Tat ohne jeden Täter" an 6 2 . Es kommt hinzu, daß die Interessentheorie nicht nur den Ausführenden entlastet, sondern sonstige Beteiligte belasten kann: Diese Belastung durch ein Interesse, das sich nicht in einer T a t objektiviert, verletzt das Tatprinzip. 31

d) Der Bundesgerichtshof hat bis auf wenige Ausnahmen 6 3 seine Entscheidungen in Formulierung und Inhalt nach der subjektiven Theorie ausgerichtet 6 4 . Neben einigen im Theorienstreit farblosen 6 5 oder kriminalpolitisch gefärbten Entscheidungen 6 6 sowie vereinzelten Anwendungen der subjektiven Theorie in Form der Interessentheorie 6 7 findet sich freilich eine größere Zahl von Entscheidungen, in denen die subjektive Theorie durch Erwägungen zur Tatherrschaft untermauert oder ergänzt wird: Täterund Gehilfenwillen sollen zumindest auch aus dem Maß der Beteiligung (oder bei Unterlassung: aus der „Pflichtenlage" 6 8 ) zu erschließen sein 6 9 , oder die Tatherrschaft wird doch ergänzend erwähnt 7 0 . Treffendes Resümee: „Es entscheidet das Gewollte . . . aber das Gewollte in seiner objektiven Bedeutung" 7 1 . In einigen Entscheidungen wird die Beteiligung an der Ausführung der Tat, insbesondere die eigenhändige Begehung, sogar zu einem nur noch in Extremfällen zu widerlegenden Indiz f ü r den Täterwillen 72 . Einen solchen Extremfall, also Teilnahme (Beihilfe) trotz eingehändiger Tatausführung, bejaht der Bundesgerichtshof 7 3 (Staschynskij-Urteil) in einem Fall von V e r f ü h r u n g und genauer Lenkung des Ausführenden durch eine staatliche Institution, die den Ausführenden durch systematische Erziehung zum Gehorsam bildet und ihm das „Tatrezept" detailliert vorschreibt. Die Entscheidung wird zu Unrecht viel gescholten; jede materielle Theorie muß Fälle kennen, in denen die eigenhändige Tatbestandserfüllung das materielle Moment nicht indiziert (siehe unten 21/36, 38); sie dürfte — ω Sax J Z 1963 S. 329 ff, 335. 63 Insbesondere B G H 19 S. 135 ff (einseitig fehlgeschlagene Doppelselbsttötung). 64 Eingehend Roxin Täterschaft S. 90 ff, 557 f f ; z u r Kontroverse innerhalb des B G H siehe ferner Baumann N J W 1962 S. 374 f f ; den. N J W 1963 S. 561 f f ; den. J u S 1963 S. 85 f f ; Dreher M D R 1964 S. 337 f; Roxin GA 1963 S. 193 ff; LK-Roxin § 25 Rdn. 14 bis 25; Sax J Z 1963 S. 329 ff; Schroeder R O W 1964 S. 97 ff. « B G H 6 S. 226 ff. 66 B G H 8 S. 390 ff, z u r Abgrenzung von Diebstahlsteilnahme und Hehlerei.

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67

2« Wie hier Roxin Täterschaft S. 289 f ; LK-Roxin § 2 5 Rdn. 136 mit weiteren Nachweisen (anders aber für Beihilfe a a O Rdn. 137); Rudolphi Bockelmann-Festschrift S. 369 ff, 377 f; Küper J Z 1981 S. 568 ff, 570 f f ; Stratenwerth AT Rdn. 817 f f ; auch die ältere Rechtsprechung; R G 8 S. 21 ff, 41 f; 59 S. 79 ff, 82; neuerdings, aber nicht stetig auch der B G H ; B G H GA 1977 S. 144 f; B G H bei Holtz M D R 1982 S. 446 (mit zweifelhafter Begründung); — a. A. Baumann AT § 36 I 3 d; /escheck A T 5 63 II 2; Maurach-Gössel A T II § 49 II A 2; Welzel Strafrecht § 15 IV 1; B G H 2 S. 344 ff; B G H GA 1966 S. 210; teils auch die jüngste Rechtsprechung; B G H J Z 1981 S. 596. 129 Überwiegende Ansicht; Küper Versuchsbeginn S. 11 f, 69 f mit Nachweisen.

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Schilling Verbrechensversuch S. 104 ff. Abhängigkeit einer H a n d l u n g von ihrer F o r t f ü h r u n g durch andere; siehe Gallas Materialien Bd. I S. 121 ff, 138; Küper Versuchsbeginn S. 60. So Schilling Verbrechensversuch S. 104 f; ausführliche Kritik bei Küper Versuchsbeginn passim; wiederum anders Rudolphi BockelmannFestschrift S. 369 ff, 384 ff, der jedoch mit seiner Lösung (jeder Mittäter muß z u m Versuch je f ü r sich in Tatbestandsnähe k o m m e n ) die Einheitlichkeit der T a t von Mittätern auflöst (dagegen z u treffend Küper J Z 1979 S. 775 f f ; Maiwald Z S t W 93 S. 864 ff, 879 f f ) ; wie hier B G H N S t Z 1981 S. 99; Jescheck A T § 63 IV 1; Maurach-Gössel A T II § 49 II C 1; Schönke-Schröder-Eser % 22 Rdn. 54 a; SK-Samson § 25 R d n . 55.

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21. Abschn

2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

VI. Die Tatbestände der Täterschaft bei Herrschaftsdelikten, 3. Fortsetzung: Das Begehen durch einen anderen (die mittelbare Täterschaft), § 25 Abs. 1, 2. Fallgruppe StGB Literatur K. Binding Das Subjekt des Verbrechens und die Satzungen des „Vorentwurfs zu einem Deutschen Strafgesetzbuch" über die „Teilnahme", GS 76 S. 87 ff; F. Dencker Der verschuldete rechtfertigende Notstand, JuS 1979 S. 779 ff; A. Graf zu Dohna Übungen im Strafrecht und Strafprozeßrecht, 3. Auflage 1929; W. Gallas Anmerkung zu BGH 2 S. 150 ff, JZ 1952 S. 371 ff; ders. Täterschaft und Teilnahme, Materialien Bd. I S. 121 ff; G. Geilen Suizid und Mitverantwortung, JZ 1974 S. 145 ff; Chr. Geisler Strafbarkeit von Amtsträgern im Umweltrecht, NJW 1982 S. 11 ff; M. Grünhut Grenzen strafbarer Täterschaft und Teilnahme, JW 1932 S. 366 ff; R. D. Herzberg Mittelbare Täterschaft bei rechtmäßig und unverboten handelndem Werkzeug, 1967; ders. Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, 1972; ders. Täterschaft und Teilnahme, 1977; ders. Zur Strafbarkeit der Beteiligung am frei gewählten Selbstmord, ZStW 91 S. 557 ff; Th. Hillenkamp Die Bedeutung der Vorsatzkonkretisierungen bei abweichendem Tatverlauf, 1971; ders. Vorsatztat und Opferverhalten, 1981; H. J. Hirsch Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, 1960; ders. Anmerkung zu BGH JR 1979 S. 429, aaO S. 429 ff; E. Horn Strafbares Fehlverhalten von Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden, NJW 1981 S. 1 ff; H. Jäger Verbrechen unter totalitärer Herrschaft, 1967; G. Jakobs Regreßverbot beim Erfolgsdelikt, ZStW 89 S. 1 ff; H.Johannes Mittelbare Täterschaft bei rechtmäßigem Handeln des Werkzeugs, 1963; R. Lange Der moderne Täterbegriff und der deutsche Strafgesetzentwurf, 1935; ders. Anmerkung zu OLG Bamberg SJZ 1950 Sp. 209 f, aaO; ders. Terrorismus kein Notstandsfall, NJW 1978 S. 784 ff; /. Meyer Kritik an der Neuregelung der Versuchsstrafbarkeit, ZStW 87 S. 598 ff; F. Nowakowski Tatherrschaft und Täterwille, JZ 1956 S. 545 ff; C. Roxin Straftaten im Rahmen organisatorischer Machtapparate, GA 1963 S. 193 ff; ders. Literaturbericht, ZStW 77 S. 100 ff; ders. Gedanken zur Problematik der Zurechnung im Strafrecht, Honig-Festschrift S. 133 ff; ders. Der Anfang des beendeten Versuchs, Maurach-Festschrift S. 213 ff; ders. Täterschaft und Tatherrschaft, 2. Auflage 1967 und 3. Auflage 1975; ders. Bemerkungen zum „Täter hinter dem Täter", Lange-Festschrift S. 173 ff; ders. Tatentschluß und Anfang der Ausführung beim Versuch, JuS 1979 S. 1 ff; ders. Die Mitwirkung beim Suizid, Dreher-Festschrift S. 331 ff; H.-J. Rudolphi Probleme der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Amtsträgern für Gewässerverunreinigungen, Dünnebier-Festschrift S. 561 ff; G. Schilling Der Verbrechensversuch des Mittäters und des mittelbaren Täters, 1975; F.-C. Schroeder Der Täter hinter dem Täter, 1965; G. Spendel Fahrlässige Teilnahme an Selbst- und Fremdtötung, JuS 1974 S. 749 ff; ders. Der „Täter hinter dem Täter" — eine notwendige Rechtsfigur? Lange-Festschrift S. 147 ff; K. Tiedemann Anmerkung zu BGH JR 1981 S. 468 ff, aaO S. 470 ff; H. v. Weber Anmerkung zu OLG Bamberg NJW 1950 S. 35 f, aaO; H. Welzel Studien zum System des Strafrechts, ZStW 58 S. 491 ff; ders. Zur Kritik der subjektiven Teilnahmelehre, SJZ 1947 Sp. 645 ff; ders. Anmerkung zu OLG Bamberg DRZ 1950 S. 303, aaO S. 303 f; ders. Abhandlungen zum Strafrecht und zur Rechtsphilosophie, 1975; J. Wolter Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr und Verletzung in einem funktionalen Straftatsystem, 1981; H. ZipfOie mittelbare Täterschaft und ihre Einordnung in § 12 StGB, ÖJZ 1975 S. 617 ff.

A. Die Begründung der vorrangigen Zuständigkeit des mittelbaren Täters (überlegene Entscheidungsherrschaft) 62

1 a) Wie der Täter sich mechanischer Werkzeuge bedienen kann, so kann er auch andere Personen als seine Werkzeuge einsetzen. Hierbei geht es nicht um die Benutzung der anderen Personen als nicht handelnde Objekte (der Täter stößt mit Gewalt einen Passanten in eine Schaufensterscheibe, die zerstört wird; ein Fall des Selbst-Begehens), sondern um den Einsatz von Handlungen anderer Personen. Man spricht hier herkömmlich von mittelbarer Täterschaft, ein Begriff, der zwar zur Ausfüllung von 522

Täterschaft

21. Abschn

Strafbarkeitslücken geschaffen wurde (dazu oben 21/17), seine Funktion als Lückenbüßer aber mittlerweile verloren hat 133 . b) Kennzeichen der mittelbaren Täterschaft ist die vorrangige Zuständigkeit des 63 mittelbaren Täters kraft seiner überlegenen Entscheidungsherrschaft. Überlegene Entscheidungsherrschaft heißt: Dem Werkzeug ist die Vermeidung der Tatbestandsverwirklichung eines Vorsatzdelikts in Zurechnung ausschließender Weise erschwert, und für diese Erschwerung ist der mittelbare Täter zuständig. Mittelbare Täterschaft ist also bei volldeliktischem (vorsätzlichem und schuldhaftem) Handeln des Tatmittlers nicht möglich (zweifelhaft; siehe auch unten 21/94 f). Nicht aber muß der mittelbare Täter selbst stets volldeliktisch handeln; auch der Geisteskranke, der einen anderen mit Todesdrohungen zu einer Tat nötigt, ist mittelbarer Täter, wie sogar der selbst zu solcher Nötigung Genötigte mittelbarer Täter ist (und zugleich Werkzeug eines mittelbaren Täters). Auch das Werkzeug ist — Vorsatz und deliktsspezifische Tätermerkmale unterstellt — Täter, und zwar in der Regel per Handlungsherrschaft, zumeist wohl auch per Gestaltungsherrschaft. Täterschaft folgt auch bei mittelbarer Täterschaft aus der Unrechtsverwirklichung. Daß u. a. die Entschuldigung des Werkzeugs Bedingung für die Täterschaft des mittelbaren Täters sein kann, hindert den je individuellen Unrechtsbezug der Täterschaft nicht. c) Wie bei jeder Täterschaft kann auch bei mittelbarer Täterschaft das Unrecht des 64 Tuns durch Rechtfertigungsgründe ausgeschlossen sein. Beispiel: Wer ein Werkzeug zu einer durch Nothilfe gerechtfertigten Verletzung eines Angreifers zwingt, ist mittelbarer Täter dieser Verletzung, aber gerechtfertigt, auch wenn die Nötigung des Werkzeugs ihrerseits nicht gerechtfertigt ist. Das Unrecht der Beherrschung des Werkzeugs ist also vom Unrecht der durch Beherrschung bewirkten Tat zu trennen. 2 a) Die Überlegenheit der Entscheidungsherrschaft ist normativ nach ihrer Wir- 65 kung auf die Zurechnung zum Tatmittler zu bestimmen, nicht aber nach ihrer motivierenden Stärke im Einzelfall 134 ; denn es geht nicht um den gruppendynamischen, sondern um den normativen Rang der Beteiligung. Bis zum Abbruch der Zurechnung zum Tatmittler führt dessen Beeinflussung zu Mittäterschaft, Anstiftung oder Beihilfe, also zur Verbindung von Organisationskreisen (mit der Folge von Akzessorietät), nicht aber zur Degradierung seiner Organisation zum Werkzeug eines vorrangig Zuständigen. b aa) Eine Auflösung der mittelbaren Täterschaft in (erzwungene oder mit List be- 66 wirkte) Mittäterschaft wäre teilweise möglich, aber dabei ginge das Spezifikum der mittelbaren Täterschaft verloren, seil, die Unterlegenheit des Werkzeugs bei der Entscheidung über die Tat mit der Folge einer eigenen Tat des mittelbaren Täters. Insbesondere kann bei der mittelbaren Täterschaft nicht nur jede Handlungsherrschaft, sondern zudem jede mehr als beiläufige Mitgestaltung fehlen und doch Entscheidungsherrschaft vorliegen. Beispiel: Der Vater schickt seinen 10-jährigen Sohn ohne Geld, aber mit dem Auftrag weg, bald, nicht aber ohne Bier nach Hause zu kommen. Wo und in welcher Weise der Sohn schuldlos delinquiert, mag nur umrißhaft bestimmt sein; der Vater ist trotzdem im Rahmen seines Vorsatzes mittelbarer Täter des vom Sohn begangenen Eigentums- oder Vermögensdelikts. Zur überlegenen Entscheidungsherrschaft kann noch Gestaltungsherrschaft hinzukommen. Mittelbare Täterschaft ist dann mit erzwungener Mittäterschaft kombiniert; '53 Maurach-Gössel KT II § 48 I B. Sehr streitig; siehe Roxin T ä t e r s c h a f t S. 146 f, 168.

134

523

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2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

Beispiel: Der mittelbare Täter zwingt das Werkzeug zu einer vom mittelbaren Täter detailliert vorbereiteten Tat. Die überlegene Entscheidungsherrschaft ist wie die formelle Handlungsherrschaft und wie die Gestaltungsherrschaft faktisch teilbar: Mehrere Personen können mit vereinten Kräften ein Werkzeug für sich einsetzen; sie sind dann Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB) in mittelbarer Täterschaft des Delikts. — Auch können bei einer Tat mehrere Werkzeuge eingesetzt werden, und zwar als (erzwungene) Mittäter. Beispiel: Ein Vater zwingt seine Kinder, eine fremde Sache gemeinsam zu zerstören. Mehrere Werkzeuge können auch (erzwungene) Nebentäter sein; Beispiel: Ein Vater zwingt seine Kinder, je ein Bündel Devisen über die Grenze zu schmuggeln; die Gesamtsumme überschreitet das erlaubte Familienlimit. 67

bb) Der mittelbare Täter muß die deliktsspezifischen Tätermerkmale in seiner Person erfüllen. Fehlt dem Inhaber der Entscheidungsherrschaft eine Täterqualifikation (eine nicht treupflichtige Person nötigt den treupflichtigen Vermögensverwalter unter Todesdrohungen zur Untreue), kann er nur Teilnehmer sein, und auch dies nur dann, wenn die Voraussetzungen der §§ 26, 27 StGB, insbesondere eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat, gegeben sind. Fehlt eine solche Haupttat, so ist der Inhaber der Entscheidungsherrschaft aus dem Delikt, das besondere Täterqualifikationen erfordert, nicht strafbar. Beispiele: Geschicktes Lügen f ü r den angeklagten Freund führt zu einem materiell unrichtigen, freisprechenden Urteil; — zwar Strafvereitelung ($258 Abs. 1 StGB) in mittelbarer Täterschaft, aber auch dann keine Beteiligung an einer Rechtsbeugung (§ 336 StGB), wenn der Richter bei Aufmerksamkeit den Schwindel hätte durchschauen können, das Urteil also vermeidbar falsch erlassen wird. — Nach einem Verkehrsunfall wird einem Unfallbeteiligten von einer dritten Person vorgespiegelt, es sei nichts passiert; der Beteiligte entfernt sich arglos 1 3 5 ; — keine Beteiligung an der Unfallflucht (§ 142 StGB) mangels vorsätzlicher H a u p t t a t und keine mittelbare Täterschaft mangels Qualifikation.

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3 a) Bei nahezu allen Fallgruppen mittelbarer Täterschaft, insbesondere aber bei der Benutzung eines unvorsätzlich Handelnden und eines Entschuldigten, ist streitig, ob der Defekt, der die Zurechnung zum Tatmittler ausschließt, vom Hintermann geschaffen oder mindestens ausgenutzt worden sein muß oder ob es zur Begründung mittelbarer Täterschaft hinreicht, daß der Defekt vorliegt und dem Hintermann bekannt ist 136 . Die Frage ist so freilich schief gestellt. Es geht darum, ob der Hintermann im Verhältnis zum Opfer vorrangig zuständig ist, den Defekt zu berücksichtigen. Diese vorrangige Zuständigkeit kann schon ohne jede besondere Beeinflussung gegeben sein (etwa bei der Labilität eines Kindes) und trotz Schaffens des Defekts noch fehlen (etwa bei der Erregung eines Irrtums durch sozialadäquates Verhalten). Statt auf ein Schaffen oder auf ein Ausnutzen ist darauf abzustellen, ob der Hintermann von dem Zusammenhang zwischen dem Zurechnungsdefekt und der Tatausführung distanziert werden kann oder ob dieser Zusammenhang eher zu seinem Organisationskreis gehört als zum Organisationskreis des Tatmittlers oder des Opfers. Im letzteren Fall ist der Hintermann vorrangig zuständig.

135 Nach O L G Stuttgart VRS 17 S. 272 ff. 136 Einzelheiten sind in verwirrendem Maß streitig. Differenzierend zwischen den Fällen des § 35 StGB (Schaffen oder Umgestalten der Defektlage erforderlich) und des § 20 StGB sowie des § 3 J G G (Kenntnis plus Kausalität hinreichend) Herzberg Täterschaft S. 16, 30 f; für § 20 StGB

524

und § 3 J G G ebenso Schönke-Schröder-Cramer § 25 Rdn. 33, 39 ff; innerhalb der Fälle von §§ 20, 35 StGB, 3 J G G differenzierend Bockelmann AT § 22 II 3 a; Jescbeck AT § 62 II 4 und 6. - Zum Problembereich mit ausführlichen Nachweisen Jescbeck A T § 62 I 3, II 4 und 6; LK-Roxin § 25 Rdn. 51, 84.

Täterschaft

21. Abschn

b) Eine vorrangige Zuständigkeit für den Zusammenhang von Defekt und Tataus- 6 9 führung besteht in folgenden drei Fällen: aa) Der Defekt wird vom Hintermann erregt, indem er ein Sonderrisiko für die Defektentstehung schafft. Hier sind die klassischen Fälle von mittelbarer Täterschaft per Lüge, Drohung oder Gewalt angesiedelt. bb) Der Defekt ist zwar an sich eigene Angelegenheit des Ausführenden, aber der 7 0 Hintermann organisiert die Verbindung von Defekt und Tat. Hierbei geht es hauptsächlich um willkürliche Verknüpfungen zwischen Defekt und Tat durch den Hintermann. Beispiel: Dem in Lebensnot Befindlichen wird Rettung nur für den Fall angekündigt, daß er zuvor einen anderen Menschen tötet. cc) Der Defekt ist von jedermann jederzeit zu berücksichtigen, weil das Opfer ei- 71 nen Anspruch darauf hat, daß der Hintermann den Defekt des Tatmittlers einkalkuliert. Es handelt sich vorweg um Kinder sowie geisteskranke und geistesschwache Personen als Werkzeug. Diese können bei der Gefahr einer Selbstverletzung Rücksichtnahme auf ihre Schwäche verlangen, wie auch das Opfer einer Fremdverletzung verlangen kann, daß der Hintermann die konstitutionelle Schwäche des Tatmittlers berücksichtigt. Darüber hinaus fällt zu dieser Fallgruppe die Entscheidung zu einer der umstritten- 72 sten Fragen der gesamten Beteiligungslehre: Hat nämlich bei einem unvorsätzlichen oder (bei Selbstverletzung) quasi-unvorsätzlichen Ausführenden das Opfer stets einen Anspruch auf Berücksichtigung des Defekts, so ist jeder vorsätzlich Handelnde hinter einem unvorsätzlich Handelnden — spezielle Tätermerkmale vorausgesetzt — mittelbarer Täter, und die Möglichkeit von Teilnahme an unvorsätzlicher Haupttat bleibt ein Spezialproblem für Sonderdelikte, bei denen dem Hintermann die Sonderqualifikation fehlt. Ist aber die Unvorsätzlichkeit eine eigene Angelegenheit des Tatausführenden und nicht des Hintermanns oder ist sie dies zumindest bei Vermeidbarkeit des Irrtums oder bei Leichtfertigkeit oder Tatsachenblindheit o. ä., so muß auch die Möglichkeit einer Teilnahme an unvorsätzlicher Tat anerkannt werden; denn wenn der Hintermann für den Defekt nicht zuständig ist, kann er durch ihn weder belastet werden (vom Teilnehmer zum mittelbaren Täter) noch entlastet (vom Teilnehmer zum straffrei Beteiligten). Daß der vorsätzlich handelnde Beteiligte dabei auch bei Unvorsätzlichkeit des Tatausführenden aus dem Vorsatztatbestand zu bestrafen wäre, folgt aus der Höchstpersönlichkeit der Vermeidbarkeitsform (dazu unten zu §28 StGB 23/12,16 ff). Im Grenzfall, seil, bei Unvermeidbarkeit der Tatbestandsverwirklichung für den Tatausführenden, müßte sogar eine Teilnahme ohne Tatbestandshandlung des Haupttäters anerkannt werden. Das Vorsatzerfordernis der Haupttat nach den §§ 26, 27 StGB zeigt, daß das Gesetz den allein vorsätzlichen Hintermann nicht als Teilnehmer bestrafen will, sondern unter Verzicht auf Akzessorietät als mittelbaren Täter. Nach positivem Recht ist also davon auszugehen, daß die Unvorsätzlichkeit eines Beteiligten ein Umstand ist, für den jedenfalls bei Fremdverletzungen der vorsätzlich handelnde Hintermann — vorbehaltlich eines Regreßverbots (unten 24/13 ff, 21) — vorrangig zuständig ist. Bei Selbstverletzungen ist diese Lösung nicht präjudiziell. Diese gesetzliche Regelung ist nicht vorzugswürdig, da jedenfalls in den Fällen von überdurchschnittlichem Leichtsinn des Tatausführenden die Annahme einer vorrangigen Zuständigkeit des Hintermanns den allgemeinen Prinzipien der Verantwortungsverteilung widerstreitet. Beispiel: Wirft jemand dem Opfer einen Stein an den Kopf, wobei die dann auch eintretenden Folgen sich aufdrängen, so sollte die Haftung dessen, der dem Werfenden den Stein gereicht 525

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hat, nicht davon abhängen, ob der Werfende erkanntermaßen leichtsinnig (nach geltendem Recht mittelbare Täterschaft) oder erkanntermaßen vorsätzlich (nach geltendem Recht Beihilfe) oder vermeintlich leichtsinnig oder vorsätzlich handelt (zur Lösung der letzten beiden Fallgruppen unten 24/4 f). Auch eine unterschiedliche Bestimmung des Versuchsbeginns (quantitative Akzessorietät), seil, bei Leichtsinn nicht akzessorisch, bei Vorsatz aber akzessorisch, ist nicht angebracht. Die Möglichkeit einer Teilnahme an unvorsätzlicher Tat sollte also de lege ferenda anerkannt werden (siehe auch unten 22/12 ff, 17). Zur entsprechenden Anwendung von § 27 Abs. 2 Satz 2 StGB siehe unten 21/108. 73

c) Liegt keine der genannten Zuständigkeiten vor, so bleibt es bei akzessorischen Beteiligungsformen.

B. Die Fallgruppen mittelbarer Täterschaft 1. Die mittelbare Täterschaft durch ein Werkzeug ohne Tatbestandsvorsatz 74

a) Diese Fallgruppe 137 gilt bei Vertretern der Tatherrschaftslehre als Prototyp von Täterschaft, wobei teils sogar «»mittelbare Täterschaft angenommen wird 1 3 8 , weil nur der Hintermann vorsätzlich handele und also auch nur er Inhaber der „finalen Tatherrschaft" sein könne. Bei dieser Betrachtung rangieren die psychischen Fakten (nur Vorsatz gibt Herrschaft) vor der Bestimmung von Zuständigkeiten (wieso ist Herrschaft per se relevant?). Es wurde schon ausgeführt, daß eine Differenzierung nach den Gründen der Unvorsätzlichkeit angebracht wäre, aber de lege lata ausscheidet (oben 21/72). Nach geltendem Recht ist deshalb auch gleichgültig, ob der unvorsätzlich Ausführende vermeidbar oder unvermeidbar gehandelt hat. Beispiel: Ein Arzt gibt mit Tötungsvorsatz einer Krankenschwester eine Spritze mit einer Überdosis Morphium zur Anwendung bei einem Kranken. Die Schwester injiziert, ohne die Wirkung der Spritze zu ahnen; der Patient stirbt. Der Arzt ist Täter einer vorsätzlichen Tötung, die Schwester, je nach Vermeidbarkeit, Täterin einer fahrlässigen Tötung oder aber hat kein Unrecht begangen 1 3 9 .

75

b) Partiell mittelbare Täterschaft kann in zwei Versionen vorkommen: aa) Bei qualitativer Teilherrschaft tritt zur Teilnahme am Delikt mittelbare Täterschaft bezüglich eines ideal konkurrierenden Delikts; Beispiel: Der Ausführende wird zur Zertrümmerung einer Fensterscheibe animiert; nur der Anstiftende weiß, daß ein hinter dem Fenster schlafendes Kind durch die Splitter verletzt werden wird; — Anstiftung zur Sachbeschädgiung in Idealkonkurrenz (§ 52 StGB) mit Körperverletzung in mittelbarer Täterschaft. bb) Bei quantitativer Teilherrschaft überschauen der Tatausführende nur zum Teil, der mittelbare Täter aber voll das unrechtsbestimmende Maß der Verletzung an einem Angriffsobjekt; Beispiel: Der Ausführende wird angestiftet, das Opfer zu ohrfeigen; der Anstiftende weiß allein, daß das Opfer an einer Kopfverletzung leidet und tagelang schwere Kopfschmerzen haben wird 1 4 0 ; — mittelbare Täterschaft für den überschießenden Teil.

76

c) Für den Irrtum des Tatausführenden über die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gilt: Soweit es an einer Zuständigkeit des Hintermanns für den Zusam13? Die Fallgruppe entstand als Umgehung der zu engen Fassung des alten restriktiven Täterbegriffs bei zugleich geltender strenger Akzessorietät; siehe Grünhut J W 1932 S. 366 f und oben 21/25. 138 Welze! Strafrecht § 15 II 1.

526

' 3 ' Siehe RG 39 S. 298 ff; 47 S. 148 f; 62 S. 369 ff, 390; 70 S. 212 ff; B G H 9 S. 370 ff, 380. Herzberg Täterschaft S. 27 f; Roxin Lange-FestSchrift S. 173 ff, 184 ff; mittelbare Täterschaft ablehnend /escheck AT § 62 II 2.

140

Täterschaft

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menhang von Irrtum und Tatausführung fehlt, mittelbare Täterschaft also ausscheidet, bleibt Teilnahme, da der Ausführende immerhin den Tatbestand vorsätzlich verwirklicht. Das positivrechtliche Vorsatzerfordernis für die Haupttat zwingt hier also nicht zur Umdeutung von Teilnahme in mittelbare Täterschaft. Auch ansonsten hat der Ausführende über die Tatbestandsverwirklichung selbst Herrschaft, wie er Tatbestandsvorsatz hat; da ihm aber die Voraussetzungen eines rechtswidrigen Geschehens nicht bekannt sind, kann der Hintermann bei insoweit bestehender überlegener Entscheidungsherrschaft vorrangig zuständig sein141. — Es besteht eine Affinität dieses Irrtums zum Verbotsirrtum, wie an der vorsätzlichen Tatbestandsverwirklichung durch das Werkzeug deutlich wird; das Ergebnis könnte deshalb auch durch die entsprechende Anwendung der Regeln zur mittelbaren Täterschaft bei Benutzung eines über das Verbot Irrenden begründet werden. 2. Die mittelbare Täterschaft bei quasi-unvorsätzlicher Handlung, insbesondere Selbstverletzung des Werkzeugs a) Mittelbare Täterschaft kann auch vorliegen, wenn das Werkzeug selbst bei Vor- 77 satz nicht tauglicher Täter wäre, weil ihm eine Sonderqualifikation fehlt; Beispiel: Ein Vormund läßt wertvolle Gegenstände aus dem Mündelvermögen von einem ahnungslosen Nicht-Qualifizierten zerstören (zu § 266 StGB). Insbesondere mag das Werkzeug nicht tauglicher Täter sein, weil es sich selbst verletzt. Beispiele: Der mittelbare Täter veranlaßt das nichts ahnende Werkzeug, eine Hochspannungsleitung zu berühren 142 ; — der mittelbare Täter schüttet dem Werkzeug eine berauschende Menge Alkohol in einen Fruchttrank, den das Werkzeug arglos austrinkt; — jeweils Körperverletzung in mittelbarer Täterschaft. b) Bei Selbstverletzung ist das Opfer mit dem Tatmittler identisch; bei dieser Lage 78 ist Haftungsfreiheit des Hintermanns eher diskutabel als bei Fremdverletzung. Bei Fremdverletzung wächst nach positivem Recht die Teilnahme an unvorsätzlicher Tat nur deshalb stets zur mittelbaren Täterschaft an, weil der Leichtsinn des Tatmittlers jedenfalls keinen Grund abgibt, den Hintermann gegenüber dem Opfer zu entlasten; deshalb gilt der Hintermann gegenüber dem Opfer als vorrangig zuständig. Bei Identität von Tatmittler und Opfer kann sich der Hintermann aber auf die eigene Zuständigkeit des Tatmittlers und Opfers berufen. Diese eigene Zuständigkeit besteht, solange der Hintermann den Defekt weder durch ein Sonderrisiko erregt noch die Verbindung von Defekt und Tat organisiert hat und das Opfer auch nicht gegenüber jedermann Rücksicht auf seine Schwäche verlangen kann (siehe dazu oben 21/71 f). Beispiel: Der Gastwirt, der dem magenkranken Gast das Gewünschte serviert, haftet auch dann nicht wegen Körperverletzung in mittelbarer Täterschaft, wenn nur er allein die schädlichen Folgen des Verzehrs erkannt hat. — Bei drohendem großen Schaden bleibt die Haftung aus § 323 c StGB. c) In Fällen der teilweise bewußten Selbstverletzung des Werkzeugs bleibt die Haf- 79 tung wegen des „täterschaftlichen Überhangs" bestehen; Beispiel: Dem zum „Genuß" einer Pfeife mit Haschisch Entschlossenen reicht der mittelbare Täter in Kenntnis der Umstände eine Pfeife mit Opium; mittelbare Täterschaft für das vom Ausführenden nicht erkannte Maß der Selbstverletzung. d) Der Betrug ist eine Vertypung von mittelbarer Täterschaft bei unvorsätzlich 80 handelndem Werkzeug für die Verfügung. Zudem kann die Täuschungshandlung Iii LK-Roxin § 2 5 Rdn. 65; Roxin Täterschaft S. 205 ff; a. A. Hirsch Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen S. 326 ff.

n 2 Jescbeck A T § 62 II 1.

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durch ein Werkzeug begangen werden 1 4 3 ; dann beherrscht der Täter über das Werkzeug für die Täuschung das Werkzeug für die Verfügung. 3. Die mittelbare Täterschaft durch ein gerechtfertigt handelndes Werkzeug 81

a aa) Der Konflikt, den ein gerechtfertigtes Verhalten auslöst, wird durch Verweis auf den rechtfertigenden Zusammenhang des Verhaltens erledigt. Ist diese Rechtfertigungslage kein Zufallsprodukt, vielmehr von einem Menschen organisiert worden, so wird durch den Verweis auf die Lage zugleich der für die Organisation Zuständige belastet: Weil er für die Situation zuständig ist, die ein gerechtfertigtes Verhalten ermöglicht, haftet er auch für dieses Verhalten. Meist wird die Fallgestaltung so liegen, daß die Erzeugung des rechtfertigenden Zusammenhangs die Alternative völliger Schadlosigkeit überhaupt ausschließt; der Gerechtfertigte kann dann nur noch über die Verteilung des Schadens entscheiden und hat gegenüber dem Erzeuger der Situation eine weniger alternativenreiche und damit unterlegene Entscheidungsherrschaft; denn der Erzeuger hatte auch die Alternative völliger Schadlosigkeit zur Verfügung. Soweit der Gerechtfertigte ausnahmsweise keine Alternative verliert (bei der rechtswidrigen, aber bestandskräftigen behördlichen Genehmigung), ist er doch für die Wahl zwischen den Handlungsmöglichkeiten nicht mehr verantwortlich 144 . Besteht freilich für die Situation, in der eine Tatbestandsverwirklichung gerechtfertigt ist, keine vorrangige Zuständigkeit, handelt es sich vielmehr um eine Auslösung der Situation ohne überlegene Entscheidungsherrschaft, so ist der Auslösende nicht mittelbarer Täter, sondern bloßer Teilnehmer. Beispiel: Jemand berichtet — objektiv wahr oder unwahr, jedenfalls optima fide — der Staatsanwaltschaft von einer schweren Straftat einer dritten Person; es kommt unter Beachtung von § 127 Abs. 2 StPO wie erwartet zu einer vorläufigen Festnahme: straflose Beteiligung an gerechtfertigter Freiheitsberaubung; nicht etwa gerechtfertigte Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft. Ob der Gerechtfertigte zur Tat verpflichtet ist (Pflicht des Richters zum Erlaß eines Haftbefehls, wenn die Voraussetzungen der §§112 ff StPO vorliegen) oder nicht (keine Pflicht des rechtswidrig Angegriffenen zur Notwehr), ist gleichgültig; nicht das Maß des Drangs zur Tat (das mag etwa bei Befolgung schlichter Dienstanweisungen minimal sein), sondern der Abbruch der Zurechnung durch Rechtfertigung beim Ausführenden begründet die mittelbare Täterschaft.

82

bb) In der Umkehrung fehlt es an mittelbarer Täterschaft und erledigt sich nach allgemeinen Regeln, wenn der Tatausführende sich nicht gerechtfertigt verhält, mag für ihn auch ein mächtiger Drang zur Tat bestehen. Beispiel: Der Beteiligte berichtet dem Bandenchef wahrheitswidrig von der „Untreue" eines Mitglieds. Der Chef tötet den vermeintlich Abtrünnigen. Mittelbare Täterschaft scheidet auch aus, soweit der Ausführende — erwartungsgemäß — die Grenzen der Rechtfertigung zurechenbar überschreitet; Beispiel: Das Opfer wird zu einem Angriff gezwungen; statt schlicht zurückzuprügeln, verletzt der Angegriffene in seiner Wut das Opfer schwer; — mittelbare Täterschaft nur bezüglich der in der schweren Körperverletzung (§§ 224, 225 StGB) enthaltenen einfachen Körperverletzung (§ 223 S t G B ) 1 4 5 . 143

145

Siehe B G H N J W 1981 S. 1744 f mit Anmerkung Tiedemann J R 1981 S. 470 ff, zu § 264 StGB. Siehe Horn N J W 1981 S. 1 ff, 3 ff. Zu der die Rechtswidrigkeit mehrerer Beteiligter vol! relativierenden und dann auf Güterabwägung

528

abstellenden Lösung von Johannes Mittelbare Täterschaft S. 44 ff, 47 ff siehe Roxin ZStW 77 S. 100 ff.

Täterschaft

21. Abschn

cc) Es ist gleichgültig, ob der mittelbare Täter die erzeugte Rechtfertigungssituation 83 zur Zeit der gerechtfertigten Tat noch zurücknehmen kann, so wie ja auch beim unmittelbaren Täter gleichgültig ist, ob er nach dem beendeten Versuch noch eine Möglichkeit hat, den Verlauf zum Erfolg zu revozieren. b) Beispielhafte Einzelfälle: aa) Zuständigkeit für eine Situation, die eine Tat im aggressiven Notstand rechtfertigt. 84 Beispiel: Nach Kaperung eines Taxis zwingt der Täter den vom Taxiunternehmer angestellten Fahrer unter Todesdrohungen zu einer Fahrweise, die das Fahrzeug — wie allen klar ist — beschädigt; — gerechtfertigte Sachbeschädigung (§ 303 StGB) durch den Fahrer 146 , aber rechtswidrige Sachbeschädigung in mittelbarer Täterschaft durch den Nötigenden (neben ideal konkurrierender Nötigung in unmittelbarer Täterschaft). Der Organisator der Situation kann selbst der Täter der gerechtfertigten Tat sein. Beispiel: Jemand setzt eine fremde, gefährliche Maschine grundlos in Gang; weil der Betrieb dritte Personen gefährdet, zerstört er sie sodann in erforderlicher Notstandshilfe; — gerechtfertigte Sachbeschädigung (§ 303 StGB) in unmittelbarer Täterschaft, aber nicht gerechtfertigte Sachbeschädigung in mittelbarer Täterschaft. Auch wenn der Täter selbst das in der von ihm zu verantwortenden Notlage handelnde Werkzeug ist, muß er schon bei der Organisation der Lage alle Tätervoraussetzungen aufweisen; Vorsatz und Fahrlässigkeit sind auf diesen Zeitpunkt zu beziehen. Beispiel: Wenn ein Arzt sich betrinkt und dabei fahrlässig verkennt, daß er Bereitschaftsdienst hat und noch ein Fahrzeug wird lenken müssen, so haftet er für die anschließend in einer Lage rechtfertigenden Notstands erforderlich werdende — und dann von ihm vorsätzlich vollzogene — Trunkenheitsfahrt jedenfalls nicht als Vorsatztäter, weil die Konfliktlage nicht vorsätzlich hervorgerufen wurde, aber auch nicht als Fahrlässigkeitstäter, weil §316 StGB ein formulierungsmäßig eigenhändiges Delikt ist 147 . Die Voraussetzungen entsprechen also denjenigen bei actio libera in causa (oben 17/64 ff; siehe auch zum rechtfertigenden Notstand oben 13/14 mit weiteren Nachweisen). Die Organisation der Situation kann auch durch Unterlassen erfolgen, wenn die Unterlassung von begehungsgleichem Gewicht ist oder — bei Selbstgefährdung — in der Vernachlässigung einer elementaren Obliegenheit besteht. Beispiel zu letzterem: Ein Student vertrödelt am Samstag vorsätzlich und in Kenntnis des Kommenden in der Bibliothek die Schließzeit, wird eingeschlossen und muß nunmehr, um nicht bis zum Montag eingeschlossen zu bleiben, eine Glastür zerstören; — rechtswidrige Sachbeschädigung (§ 303 StGB) in mittelbarer Täterschaft, obwohl die unmittelbare Sachbeschädigungshandlung rechtmäßig ist. Bei Sonderdelikten und alleiniger Qualifizierung des Werkzeugs ist eine Haftung nur bei Anerkennung einer relativen Rechtfertigung möglich. Beispiel: Ein Richter wird mit Todesdrohungen zur Rechtsbeugung in einem Fall geringer Bedeutung gezwungen; — zwar ist das Sonderdelikt in der Person des Richters gerechtfertigt (§ 34 StGB), aber nur im Verhältnis zum Richter selbst; für den Zwingenden ist zur Abwehr der Gefahr nicht die Rechtsbeugung erforderlich, sondern die Preisgabe der Drohung ist milderes Mittel. bb) Zuständigkeit für eine Situation, die eine Tat im defensiven Notstand148 rechtfer- 85 tigt. Beispiel: Der mittelbare Täter bestimmt den Angreifer, den er listig zu diesem 146

147

Streitig, siehe oben 13/14; wie hier mit Nachweisen Herzberg Mittelbare T ä t e r s c h a f t S. 31; a.A. insbesondere Lange N J W 1978 S. 784 ff, 785. Dencker J u S 1979 S. 779 ff, 783.

148

N a c h der hier z u r N o t w e h r vertretenen Lösung ist N o t w e h r nur gegen schuldhaftes Angriffsverhalten gerechtfertigt. N a c h der insoweit abweichend entscheidenden überwiegenden Ansicht

529

21. A b s c h n

2. B u c h . 4. K a p i t e l . B e t e i l i g u n g

Zweck in schuldausschließendem Maß betrunken gemacht hat, eine dritte Person anzugreifen; der Angegriffene wehrt sich, wie der mittelbare Täter vorausgesehen hat, unter erforderlicher Verletzung des Angreifers; — mittelbare Täterschaft bezüglich der Körperverletzung (§ 223 StGB) am Angreifer durch den Angegriffenen als Werkzeug (in Idealkonkurrenz mit Nötigung des Angegriffenen). An einer überlegenen Zuständigkeit des Hintermanns fehlt es, wenn dem Tatmittler keine Alternativen abgeschnitten werden und ihm auch nicht die Verantwortung für die Wahl zwischen den Handlungsmöglichkeiten genommen wird; insbesondere führt also das Schaffen bloßer Tatanreize nicht zur mittelbaren Täterschaft. Beispiele: Wer den Angreifer über das hohe Maß der zu erwartenden Abwehr täuscht, mag Teilnehmer am Angriff sein, ist aber jedenfalls nicht mittelbarer Täter der Abwehr; denn für den Angriff bleibt der Angreifer selbst vorrangig zuständig 1 4 9 . Erst recht fehlt es an mittelbarer Täterschaft, wenn dem Angreifer bloß Mittel oder Ratschläge zum Angriff oder dem Angegriffenen Mittel oder Ratschläge zur Verteidigung gegeben werden. 86

cc) Zuständigkeit für eine Situation, die eine eingreifende Amtshandlung rechtfertigt. Beispiele: Eine falsche Aussage in einem Zivilprozeß täuscht den Richter über die Rechtslage; er verurteilt den Beklagten zu einer materiell nicht gerechtfertigten Zahlung; — Betrug, hier durch den rechtmäßig (prozeßordnungsgemäß) verfügenden Richter 1 5 0 (der zudem undoloses Werkzeug ist, da er die Rechtswidrigkeit der Bereicherung nicht kennt). — Eine vorsätzlich falsche Anschuldigung des mittelbaren Täters führt zu einer nach den §§ 112 ff StPO bei der gegebenen Beweislage rechtmäßigen Untersuchungshaft 1 5 1 . — Ist der Aussagende nicht vorrangig zuständig, insbesondere weil er optima fide aussagt, so scheidet mittelbare Täterschaft aus, auch bei unmoralischer Motivation; Beispiel: Die Frau zeigt ein schweres Delikt ihres Ehemanns an, um ihn für einige Jahre los zu werden 1 5 2 . — Eine wahrheitsgemäße Anzeige, die zu einer, wie der Täter weiß, rechtsbeugenden Verurteilung führt, ist Teilnahme an der Unrechtstat des Richters (wenn sie nicht nach den Regeln des Regreßverbots, unten 24/13 ff, haftungsfrei ist), nicht aber eine Tat in mittelbarer Täterschaft 1 5 3 .

87

dd) Eine Behörde erteilt eine rechtfertigende Erlaubnis, die materiell rechtswidrig, aber bestandskräftig ist 154 . ee) Nicht bei Straftaten, aber bei Ordnungswidrigkeiten, ist mittelbare Täterschaft des vorgesetzten Beamten oder Militärs durch einen verbindlichen Befehl an den durch Befehl gerechtfertigten Taten des Untergebenen möglich (siehe oben 16/11 ff).

88

4. Die mittelbare Täterschaft durch ein quasi-gerechtfertigt handelndes Werkzeug a) Auch wenn ein Opfer dazu gebracht wird, in eigene, disponible Güter einzugreifen, aber in einer dem rechtfertigenden Notstand entsprechenden Proportionierung, ist derjenige, der für die Notwendigkeit des Eingriffs zuständig ist, mittelbarer Täter, ob-

H9

150 '5' 152

geht es in der Fallgruppe um Notwehrrechtfertigung. Jescheck AT § 62 II 3; LK-Roxin § 25 Rdn. 51, jeweils mit Nachweisen; a. A. Herzberg Mittelbare TäterschaftS. 28 f; Maurach-CösselKTU^S II Β1. RG 72 S. 150 f. B G H 3 S. 4 ff; 10 S. 306 ff, 307. Welzel SJZ 1947 Sp. 645 ff, 647 f; den. D R Z 1950 S. 303 f; Jescheck AT § 62 II 3; siehe auch B G H 3 S. 111 ff, 114 f; B G H N J W 1958 S. 874; a. A. O L G Bamberg SJZ 1950 Sp. 207 ff mit zustimmender Anmerkung Lange aaO.

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153 LK-Roxin 5 25 Rdn. 64; siehe auch B G H 3 S. 111 ff (unklar S. 129, mittelbare Täterschaft?); B G H 4 S. 66 ff. - Zum Problembereich Herzberg Mittelbare Täterschaft S. 33 ff. — Zu dem für Denunziantenfälle seinerzeit in der britischen und französischen Zone gültigen K R G N r . 10 siehe v. Weber N J W 1950 S. 35 f; Jescheck AT § 62 II 3. 154 Horn N J W 1981 S. 1 ff, 3 ff; Rudolphi Dünnebier-Festschrift S. 561 ff, 566; dagegen Geisler N J W 1982 S. 11 ff, 12 f.

Täterschaft

21. AbSChn

gleich die Preisgabe disponibler Güter durch den Inhaber in jeder Situation erlaubt ist. Wie bei gerechtfertigten Notstandstaten kann hier der Inhaber der Dispositionsbefugnis nur über die Verteilung des Schadens entscheiden und hat deshalb auch nur eine unterlegene Entscheidungsherrschaft, die er, zumindest solange er sich im Rahmen der Proportionierung des § 34 StGB hält, so gebraucht, wie sie auch ein Dritter an seiner Stelle bei rechtlicher Billigung gebrauchen könnte (Quasi-Rechtfertigung) 155 . — Beispiele: Nach Kaperung eines Taxis zwingt der mittelbare Täter den Eigentümer, der zugleich Fahrer ist, zu einer das Fahrzeug beschädigenden Fahrweise. — Der Lehrherr zwingt mit gewichtigen Drohungen seinen Lehrling, ein ungereinigtes Stück Darm zu essen 156 . b) § 34 StGB enthält mit dem Merkmal des wesentlichen Überwiegens des gerecht- 89 fertigten Interesses eine Grenze, die nur Grenze der zwischenmenschlichen Solidarität ist. Im Fall der Preisgabe des Guts durch den Dispositionsbefugten selbst gilt diese Beschränkung nicht; deshalb ist die Fallgruppe der mittelbaren Täterschaft bei QuasiRechtfertigung über § 34 StGB hinaus zu erweitern: Solange die vom Opfer praktizierte Werthierarchie überhaupt plausibel ist, liegt mittelbare Täterschaft vor 157 . Beispiel : Um eine vom mittelbaren Täter gefährdete Sache bestimmten Werts und hohen Affektionsinteresses zu erhalten, zerstört das Opfer eine Sache gleichen Werts, aber minderen Affektionsinteresses; Sachbeschädigung (§ 303 StGB) an der zerstörten Sache in rechtswidriger mittelbarer Täterschaft. — Auch die gesetzlichen Vertypungen dieser Fallgruppe, Nötigung (§ 240 StGB) und Erpressung (§ 253 StGB), stellen nicht auf die starren Grenzen einer objektivierten Interessenabwägung ab 158 . c) Das Opfer gibt in dieser Fallgruppe das Gut — notgedrungen — selbst preis. Die 90 darin liegende Einwilligung ist trotz der Zwangslage wirksam 159 , wie deutlich wird, wenn das Opfer eine unbeteiligte dritte Person, die auf die Zwangslage keinen Einfluß hat, um die Tat bittet (oder den Erzeuger der Zwangslage, wenn dieser den Einfluß auf die Lage verloren hat). Mittelbare Täterschaft liegt nicht etwa deshalb vor, weil das Opfer nicht wahrhaft wollte, sondern weil der mittelbare Täter für eine Lage vorrangig zuständig ist, in der das Wollen einer Güterumschichtung vernünftig ist 160 . 5. Die mittelbare Täterschaft durch ein schuldlos handelndes Werkzeug a aa) Der Verweis auf die Bedingungen der Zurechnungsunfähigkeit oder ausge- 91 schlossener Zumutbarkeit bringt — entsprechend der Lage bei Rechtfertigung — zwar eine Entlastung des schuldlos Handelnden, aber damit zugleich eine Belastung dessen, der für diese Bedingungen ausgeschlossener Schuld zuständig ist. Wer für die Bedingungen der Schuldlosigkeit eines anderen zuständig ist, haftet — sonstige Zurechnungsvoraussetzungen unterstellt — für das schuldlos vollzogene Verhalten. Diese Haftung kann allein mit den Regeln der Teilnahme und der Mittäterschaft, die bei Entschuldigung des Tatausführenden anwendbar bleiben (§ 29 StGB), nicht erledigt werden, weil bei Anwendung dieser Regeln zwar das Mitbewirken einer Tat erfaßt wird, 155

Siehe auch SK-Rudolphi Rdn. 80 f vor § 1 mit Nachweisen. RG 26 S. 242 f. 157 Jakobs Z S t W 89 S. 1 ff, 33 f; zu den nicht mehr plausiblen Umschichtungen einer G e f a h r Roxin Honig-Festschrift S. 133 ff, 142 f; Wolter Objektive und personale Z u r e c h n u n g S. 343 f f ; siehe auch Hillenkamp Vorsatztat und Opferverhalten S. 301 f; weitere Nachweise bei Jakobs a a O S. 15. 158 D j e Maximen dieser Tatbestände lassen sich aber auch nicht direkt übertragen, so daß jede A n d r o 156

hung eines empfindlichen Übels bezüglich jeden abgenötigten Verhaltens mittelbare T ä t e r s c h a f t begründen w ü r d e : Der T ä t e r der §§240, 253 StGB beherrscht nur den D r u c k , nicht auch das abgenötigte Verhalten. 159 Siehe oben 7/116 ff; 14/8; a. A. insbesondere Herzberg Täterschaft S. 35 f f ; siehe aber auch den. Mittelbare Täterschaft S. 56 f; zum Problem ferner Roxin Täterschaft S. 587 ff. " 0 V e r k a n n t von B G H 17 S. 359 f.

531

21. Abschn

2. Buch. 4. Kapitel. B e t e i l i g u n g

nicht aber die vorrangige Zuständigkeit für den Grund des Schuldausschlusses. W e r die Schuldlosigkeit des Tatausführenden überlegen beherrscht, ist nicht nur Beteiligter an der Tat, sondern begeht durch die überlegene Herrschaft eine eigene, mittelbare Tat 1 6 1 . 92

bb) Da Täterschaft zum Unrecht gehört, auch wenn sie durch vorrangige Zuständigkeit f ü r die Schuldlosigkeit des Werkzeugs begründet wird, ist es irrelevant, ob der mittelbare Täter seinerseits schuldhaft handelt 1 6 2 . Es kommt nicht etwa auf die Schuld des mittelbaren Täters an, sondern auf seine vorrangige Zuständigkeit f ü r die Bedingungen der Schuldlosigkeit des Tatausführenden (in üblicher Terminologie: auf die T a t herrschaft über die Bedingungen der Unschuld). Beispiel: Ein geisteskranker mittelbarer Täter zwingt das Werkzeug mit Todesdrohungen zu der T ö t u n g einer dritten Person.

93

cc) Weist allein das Werkzeug die erforderlichen speziellen Täterqualifikationen auf, so hat derjenige, der das Werkzeug beherrscht, immer noch überlegene Entscheidungsherrschaft, kann aber — mangels Qualifikation — nicht Täter sein. Es bleibt allein Teilnahme.

94

dd α) Da die Schuld quantifizierbar ist, könnte man bei Beherrschung einer nur partiellen Entschuldigung von partieller mittelbarer Täterschaft sprechen. Fälle dieser Art wären etwa die Erregung eines schuldmindernden Verbotsirrtums, § 17 Satz 2 StGB, eines schuldmindernden Rauschs, § 2 1 StGB, oder durchschaubares Vortäuschen eines entschuldigenden Notstands, § 35 Abs. 2 StGB. Das Problem gleicht dem der Abgrenzung von Mittäterschaft und Teilnahme per Gestaltungsherrschaft; auch dort findet sich die stufenlose Annäherung an das zur Täterschaft hinreichende Maß der Mitwirkung. ß) Es gibt drei Lösungsmöglichkeiten: Man kann auf überwiegende Entschuldigung abstellen, oder — strenger — nur die Fälle an der Grenze zur Entschuldigung können noch zur mittelbaren Täterschaft geschlagen werden 1 6 3 , oder aber — noch strenger — nur volle Schuldlosigkeit des Werkzeugs kann mittelbare Täterschaft begründen. Die letzte Lösung ist vorzuziehen. Soweit dem Tatausführenden auch nur ein Rest von Verantwortlichkeit bleibt, kann für andere Beteiligte jedenfalls bezüglich dieses Rests keine vorrangige Zuständigkeit bestehen. Deshalb passen bei dieser Lage die Konsequenzen der nicht-akzessorischen mittelbaren Täterschaft schlechter als diejenigen akzessorischer Beteiligungsformen. Die Konsequenzen mittelbarer Täterschaft sind die individualisierte Versuchsbestimmung (siehe unten 21/105) und die Täterhaftung auch ohne Gestaltungsherrschaft (siehe oben 21/66), insbesondere auch bei fehlender Täterqualifikation des Tatmittlers. Wer f ü r eine nur partielle Schuldminderung vorrangig zuständig ist, hat nur ein Stück Herrschaft über die Entscheidung, nicht aber volle Herrschaft 1 6 4 , und kann deshalb mangels einer voll eigenen T a t nur per Gemeinsamkeit mit den anderen Beteiligten voll zuständig werden. Einen „Täter hinter dem Täter" 1 6 5 — genauer: Einen T ä t e r hinter dem nicht voll in der Entscheidungsherrschaft unterlegenen Täter — kann es nicht geben (zweifelhaft). Das Problem dürfte praktisch nahezu irrelevant sein; denn eine allenfalls geringfügige Restschuld des partiellen Werkzeugs hat bei gegebener Möglichkeit, den Konflikt auf einen mittelbaren Täter zu verlagern, überhaupt keinen Bestand. 161

162 163

Zum Problembereich Roxin Täterschaft S. 142 ff, 208 ff, 233 ff; Gallas Materialien Bd. I S. 121 ff, 133 ff; Herzberg T ä t e r s c h a f t S. 13 ff, 29 ff. Teilweise abweichend LK-Roxin § 25 Rdn. 70. So insbesondere Schroeder T ä t e r hinter dem T ä t e r S. 120 ff; auch Maurach-Gössel A T II § 4 8 II Ε

532

165

1 a; f ü r § 17 Satz 2 StGB beim Irrtum über das „sozial Wertwidrige" auch LK-Roxin § 25 Rdn. 68 ff; Roxin Lange-Festschrift S. 173 ff, 181 f. Gallas Materialien Bd. I S. 121 ff, 134 f. Begriff von Kohlrausch-Lange Anm. I Β I vor § 47.

Täterschaft

21. Abschn

γ) Freilich ist die Beherrschung der partiellen Schuldlosigkeit im Rahmen der Mittäterschaft ein mitgestaltendes Moment, so daß praktisch oft täterschaftliche Haftung, aber eben nicht in Form von mittelbarer Täterschaft, sondern von Mittäterschaft, begründet werden kann. Die größere Rechtssicherheit dieser Lösung 166 ist ein Nebengewinn: Die Schätzung von Quantitäten, die eine exakte Bestimmung von Mittäterschaft häufig belastet, bleibt bei der mittelbaren Täterschaft bedeutungslos; hier liegt die Grenze bei der überlegenen Zuständigkeit für den vollen Verantwortungsverlust. δ) Freilich ist ein Bruch zwischen dieser Lösung und der nach geltendem Recht un- 95 umgänglichen Lösung zur mittelbaren Täterschaft beim unvorsätzlich handelnden Werkzeug einzuräumen: Dort kommt es auf — selbst grobe — Fahrlässigkeit beim Werkzeug nicht an. Dieser Bruch ist im Gesetz selbst angelegt; er ist eine Konsequenz des Erfordernisses einer vorsätzlichen Tat bei akzessorischen Beteiligungsformen (dagegen oben 21/72 und unten 22/17 f). — Ferner kann die Lösung für Fälle von Selbstverletzungen (unten 21/97 ff) wenig befriedigen, da eine partielle mittelbare Täterschaft dort mangels tatbestandsmäßiger Haupttat nicht als akzessorische Beteiligung aufgefangen werden kann. b) Beispielhafte Einzelfälle; es kommen alle Bedingungen ausgeschlossener Schuld 96 beim Werkzeug in Betracht, wenn der mittelbare Täter die Bedingungen seinerseits nicht nur kennt, sondern auch dafür vorrangig zuständig ist. Insbesondere sind zu nennen: aa) Ausnutzung der — etwa elterlichen — Autorität gegenüber einem Kind (§19 StGB) oder einem nach § 3 JGG nicht reifen Jugendlichen 167 . Ist das Kind entgegen der gesetzlichen Vermutung vorzeitig zur Normerkenntnis und -befolgung reif, liegt nur Teilnahme (oder Mittäterschaft) vor 168 . bb) Vorrangige Zuständigkeit für eine nach § 20 StGB Schuld ausschließende Lage. Ohne vorrangige Zuständigkeit bleibt es bei der Regelung von § 29 StGB; etwa bloßes Animieren zum völligen Sich-Berauschen begründet deshalb keine Täterschaft, wohl aber ζ. B. das heimliche Eingeben von Rauschmitteln. — Zum Fall der Identität von mittelbarem Täter und Werkzeug siehe oben zur actio libera in causa 17/64 ff. cc) Vorrangige Zuständigkeit für einen unvermeidbaren Verbotsirrtum (§17 StGB) beim Tatmittler. Teils wird hier nur Teilnahme angenommen 169 , da der Verbotsirrtum die Tat erleichtere, ohne den „Bestimmenden . . . zum Herrn über das Tatgeschehen" zu machen. Doch dürfte schon beim unvorsätzlichen Werkzeug und beim gerechtfertigten Werkzeug die Lage häufig so gestaltet sein, daß das Werkzeug nur seine (vermeintliche) Handlungsfreiheit gebraucht und keinem Druck zur Tat hin ausgesetzt ist. Die überlegene Entscheidungsherrschaft kann nicht nur darin bestehen, daß dem Werkzeug Alternativen faktisch abgeschnitten werden; vielmehr reicht es hin, wenn das Werkzeug für die Wahl zwischen den bestehenden Handlungsmöglichkeiten auf eine vorrangige Zuständigkeit des mittelbaren Täters verweisen kann, also seinerseits nicht mehr verantwortlich wählt. dd) Vorrangige Zuständigkeit für eine Notsituation nach § 35 StGB oder für den unvermeidbaren Irrtum des Tatmittlers, eine solche Situation liege vor. Beispiel: Der mittelbare Täter zwingt das Werkzeug mit Todesdrohungen zur Tötung eines Meni " Herzberg Täterschaft S. 12 f. Siehe R G 61 S. 265 ff, 267.

168 169

Jescheck A T § 62 II 4. Welzel Strafrecht § 15 II a α. 533

21. Abschn

2. B u c h . 4. K a p i t e l . B e t e i l i g u n g

sehen 170 oder täuscht dem Werkzeug für den Fall einer Weigerung in nicht durchschaubarer Weise Todesdrohungen einer dritten Person vor. Muß der Bedrohte die Gefahr nach § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB hinnehmen, so scheidet mangels (voller) Entschuldigung mittelbare Täterschaft aus. Beispiel: Dem Totschläger wird mit einer Anzeige und der dann gewissen Konsequenz langjähriger Freiheitsstrafe für den Fall gedroht, daß er nicht einen weiteren Totschlag begeht. ee) Erteilen eines militärischen Befehls zu einer Straftat, wobei der Untergebene die Rechtswidrigkeit nicht erkennen kann und deshalb schuldlos handelt (§ 5 Abs. 1 WStG, § 11 Abs. 2 Satz 2 SoldatenG 1 7 1 ; siehe oben 19/51 ff). 6. Die mittelbare Täterschaft bei Selbstverletzung eines quasi-entschuldigten Werkzeugs 97 a) Für eine Selbstverletzung gibt es mangels Tatbestands keine rechtliche Schuld, aber die gesetzlichen Typen des Schuldausschlusses geben auch bei Selbstverletzung eine Leitlinie für die Entscheidung, wann der sich selbst Verletzende eine zurechenbare Entscheidung getroffen hat und wann die Entscheidungsherrschaft ein anderer besitzt. Naturgemäß kommen hier nicht diejenigen Schuldausschließungen in Betracht, die auf unvermeidbarer Verkennung der Grenzen von Handlungsfreiheit beruhen (insbesondere § 17 StGB). Relevant sind vielmehr Situationen analog §§ 19, 20, 35 StGB. Beispiele: Eltern bringen ein etwa 15-jähriges Mädchen durch andauernde schwere Quälerei zur Selbsttötung 172 (zudem: Tötung des Kindes, begangen durch die Eltern, ist ein Pflichtdelikt, siehe unten 21/116). — In einem KZ-Häftling wird durch schwerste Peinigungen der Wille zur Selbsttötung erweckt 1 7 3 . — Einem Geisteskranken wird so lange eingeredet, sein Leben sei lebensunwert, bis er sich selbst tötet. — Einer in Verantwortung ausschließendem Maß heroinabhängigen Person wird ohne Vorsichtsmaßnahmen Heroin zur Verfügung gestellt, das diese (was nicht erkannt wurde, aber erkennbar war) in tödlicher Dosis injiziert: Körperverletzung mit Todesfolge, § 226 StGB, in mittelbarer Täterschaft (je nach subjektiver Seite: § 229 StGB) 174 . 98

b) In allen Fällen 175 muß ausgeschlossen sein, daß das sich verletzende Opfer eine nach rechtlichen Maßstäben zählende Handlungsalternative besitzt; insbesondere reicht eine Drucksituation unterhalb des in § 35 StGB bezeichneten Maßes nicht aus, gleich ob sie geschaffen, ausgenutzt 1 7 6 oder vorgetäuscht 1 7 7 wird.

99

c aa) Abgesehen von den oben bezeichneten Fällen überlegener Entscheidungsherrschaft ist für Personen, die nicht Garanten sind, die Beteiligung an einer Selbstverletzung, insbesondere einer Selbsttötung, im Ergebnis straffrei 1 7 8 (siehe oben 21/57 und die dortigen Verweisungen). 170

R G 64 S. 30 ff, 32; im Fall RG 31 S. 395 ff, 398 (erzwungene Abtreibung) dürfte das Werkzeug bereits gerechtfertigt gewesen sein. 171 Weitergehend Schroeder Täter hinter dem Täter S. 131 ff. 172 Fall der Hildegard Höfeid; hierzu Lange Der moderne Täterbegriff S. 32 f; Welze! ZStW 58 S. 491 ff, 544. O G H 2 S. 5 ff, 7 f. 1 7 4 Siehe RG 77 S. 18 ff; OLG Celle MDR 1980 S. 74; zutreffend auf Verantwortungsausschluß abstellend O L G Stuttgart N J W 1981 S. 182 f. 175 Die in diesem Zusammenhang meist gebrachten Entscheidungen (RG 26 S. 242 f — ein Lehrherr zwingt seinen Lehrling, ein ungereinigtes Stück Darm zu essen — und RG 46 S. 61 ff — ein Be-

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176

177

amter reicht gemäß der Dienstvorschrift ein ihn beleidigendes Schriftstück zuständigkeitshalber weiter) gehören zur oben bezeichneten Gruppe des quasi-gerechtfertigten Verhaltens. Zudem dürfte es an einem „quasi-entschuldigenden" Druck gefehlt haben. Α. A. und uferlos ausweitend Herzberg TäterSchaft S. 39 f; siehe die Kritik bei Roxin Täterschaft S. 589 f. A.A. Roxin Täterschaft S. 227 ff („Betrug ums Leben"). — Zum Problemkreis siehe Schroeder Täter hinter dem Täter S. 91 f. R G 70 S. 313 ff, 315; B G H 2 S. 150 ff mit Anmerkung Gallas J Z 1952 S. 371 ff; Jescheck AT § 6 2 11 1.

Täterschaft

21. Abschn

bb) Strafbarkeit wird insbesondere für Fälle behauptet, in denen der Mitwirkende Garant ist 179 , und zwar an sich zu Recht, wenn ein Wertungswiderspruch vermieden werden soll. Soweit hiergegen vorgebracht wird, damit werde die Lösung für aktives Tun unzulässig verfälscht 180 , so trifft das nicht zu, denn es gibt keinen Satz des Inhalts, die Maximen der Unterlassungshaftung seien weniger verallgemeinerungsfähig als diejenigen der Begehungshaftung 181 . Die Unterlassungslösung krankt aber an einer leichtfertigen Behauptung irgendwelcher Garantenstellungen, die ihrerseits ohne Blick auf die immerhin auch nicht unmaßgebliche Begehungshaftung entwickelt werden, genauer, die ohne Prüfung ihrer Leistungsfähigkeit auf Selbsttötungsverhütung erstreckt werden. Wenn wirklich eine Garantenstellung gegen den Willen des Geschützten angenommen werden kann (etwa wegen voller oder partieller, dauernder oder temporärer Zurechnungsunfähigkeit), so macht auch die Konstruktion von mittelbarer Täterschaft keine Schwierigkeiten. In der Regel dürfte sich die Täterschaft dann schon nach den Regeln der Pflichtdelikte ergeben (bei Garantenstellungen wegen institutioneller Zuständigkeit). Es ist aber verfehlt, Garantenstellungen wie Ehe oder Arztvertrag 182 ohne weiteres auch die Selbsttötungsverhütung zuzuschlagen. Soweit die Selbsttötung ein Unglücksfall ist, bleibt — bei Begehung wie Unterlassung — die Möglichkeit einer Haftung aus § 323 c StGB. 7. Weitere Fallgruppen? Teilweise wird die mittelbare Täterschaft weit über den hier bislang angesproche- 100 nen Rahmen ausgedehnt. a) Das gilt zunächst für die subjektive Theorie, für die von ihren Prämissen her die Zurechnungslage beim Tatausführenden gleichgültig ist; der Täter hinter dem Täter wird zum geläufigen Begriff 183 . — Zur Kritik siehe oben 21/27 ff. b) Roxin will mittelbare Täterschaft (aa) beim Irrtum über den „konkreten Hand- 101 iungssinn" anerkennen: Der Tatbestand als „abstrakt-begriffliches Gebilde" 184 erfasse nicht das im konkreten Fall für die Beteiligten an der Tat Relevante; aber auch eine Täuschung über dieses Relevante — etwa durch Erregen eines error in persona vel objecto — verleihe dem Täuschenden Herrschaft (siehe das sogleich 21/102 folgende Beispiel185). In der Tat wird der reale psychische Tatanreiz in den gemeinten Fällen vom Täuschenden manipuliert. Da es aber, wie dargelegt, nicht um die Stärke des Drangs zur Tat, sondern um Verantwortungsbereiche geht, scheidet mittelbare Täterschaft aus. Zudem ist ein Irrtum über den „konkreten Handlungssinn" ein nicht präzisierbarer Unterfall des — unbestritten — irrelevanten Motivirrtums; Beispiel: Der Täter zerstört einen Tresor in der von einer dritten Person listig erregten Hoffnung, viel Geld vorzufinden; der Tresor ist leer; — trotz Zweckverfehlung volle Haftung für vollendete Sachbeschädigung (§ 303 StGB) und versuchten Diebstahl (§§ 22, 242 StGB). — (bb) Ferner soll die vorrangige Zuständigkeit für einen Risikoirrtum zur mittelbaren B G H JR 1979 S. 429; Geilen J Z 1974 S. 145 ff; Herzberg Unterlassung S. 266; den. ZStW 91 S. 557 ff. >80 Roxin Dreher-Festschrift S. 331 ff, 348; Hirsch J R 1979 S. 429 ff, 432, jeweils mit ausführlichen Nachweisen. 181 Insoweit wie hier Herzberg Z S t W 91 S. 557 ff, 567. 182 Der Arztvertrag kann zudem, was der B G H a a O übersieht, vom Selbsttötungskandidaten jederzeit grundlos gekündigt werden.

183 Baumann A T § 36 I 4; B G H 18 S. 87 ff, 89 (bezüglich des lenkenden Chefs eines Geheimdienstes). 184 T ä t e r s c h a f t S. 214; kritisch hierzu insbesondere Welzel Straf recht § 15 II 4 b ; hierzu wiederum Roxin T ä t e r s c h a f t 2 S. 616 f f ; den. Lange-Fests c h r i f t S . 173 ff, 184 f. 185 Weitere Beispiele bei Roxin T ä t e r s c h a f t S. 212.

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21. Abschn

2. Buch. 4. Kapitel. B e t e i l i g u n g

Täterschaft führen: Jemand redet wider besseres Wissen dem Ausführenden ein, die Erfolgsgefahr sei gering (sie bleibt aber hoch genug für einen Vorsatz des Ausführenden); der Ausführende würde bei voller Kenntnis nicht handeln 1 8 6 . Auch hier treten Annahmen zur Stärke des Tatantriebs und zur Gruppendynamik, an die Stelle der Abklärung von Verantwortungsbereichen. 102

c) Die Möglichkeit einer mittelbaren Täterschaft ohne überlegene Zuständigkeit wird teils für die Fälle der „Benutzung eines Tatentschlossenen" bejaht 1 8 7 . Beispiel 188 : Das ausersehene O p f e r weiß, daß es vom Täter ermordet werden soll; es lockt zur Tatzeit ein anderes O p f e r an den vorgesehenen Tatort. Der T ä t e r tötet im error in persona den anderen. — Eine H a f t u n g läßt sich jedoch nur aus Teilnahme und — bei weiterer Mitgestaltung — Mittäterschaft herleiten. Daß der Beteiligte das Ob der Tat ermöglicht, verschlägt nichts: Dieses Ermöglichen leistet jeder Beteiligte, der notwendig ist (jeder notwenige Gehilfe ermöglicht die Tat) 1 8 9 .

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d) Mittelbare Täterschaft wird ferner verbreitet bei der Benutzung „organisatorischer Machtapparate"i90 angenommen, insbesondere im Blick auf die Tötungen der Juden und Regimegegner in der nationalsozialistischen Zeit: Der „Schreibtischtäter" soll mittelbarer Täter sein 1 9 1 . Zwar läßt sich bei Betrachtung der Gruppendynamik an einer Überlegenheit der Personen, die Judentötungen etwa im Reichssicherheitshauptamt anordneten, nicht zweifeln. Die Annahme mittelbarer Täterschaft ist jedoch ebenso überflüssig wie schädlich. Überflüssig ist sie, weil die subjektive Theorie mit der objektiven Überlegenheit nur die Basis zur Konstruktion eines sowieso irrelevanten Täterwillens schafft, während die Tatherrschaftslehre in der Version, daß Beiträge nach Versuchsbeginn nötig sind, diese ihrerseits unnötige Restriktion durch mittelbare Täterschaft wieder beseitigt. Nach der hier vertretenen Ansicht ist Mittäterschaft im Regelfall problemlos; ansonsten bleibt Anstiftung. Schädlich ist die Konstruktion einer mittelbaren Täterschaft, weil sie die bei den Taten zur Zeit des nationalsozialistischen Regimes keineswegs nur erzwungene organisatorische Verbindung aller Beteiligten zu einem gemeinsamen T u n verdeckt: N u r durch die Gemeinsamkeit von Anordnenden und Ausführenden kann eine einzelne T a t des Ausführenden als Beitrag zu einer mehrere Ausführungshandlungen umfassenden Einheit interpretiert werden.

186 Roxin T ä t e r s c h a f t S. 220 f. 187 Ausführlich mit Nachweisen Schroeder Täter hinter dem T ä t e r S. 143 f f ; Maurach-Gössel A T II § 48 Ii Ε 1 a; Spendel Lange-Festschrift S. 147 ff, 160 ff, 168 ff. 188 „Dohna-Fall", zurückgehend auf Dohna Ü b u n gen im Strafrecht 3 , 1929, Fall 36 S. 93 f. >89 Abweichend lVelzel Strafrecht § 15 V : Nebentäterschaft; ebenso ZipfÖJZ 1975 S. 617 ff, 619. " 0 Auch dahin läßt sich B G H 18 S. 87 ff, 89 verstehen. — Die variantenreich vorliegenden Begründungen f ü r mittelbare T ä t e r s c h a f t überzeugen allesamt wenig. Teils wird auf die praktische Austauschbarkeit der Ausführenden abgestellt; aber bei den nationalsozialistischen Gewalttaten waren alle Ausführenden nicht gleichzeitig austauschbar und die Austauschbarkeit einzelner (oder die sukzessive Austauschbarkeit aller) Mitwirkender ist bei Beteiligung keine Besonderheit (im StachinskijFall w a r der Ausführende wahrscheinlich überhaupt nicht austauschbar). Teils wird die Tatentschlossenheit der Ausführenden herausgestrichen;

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— aber eine unabhängige Tatentschlossenheit (siehe oben 21/102) dürfte der Mehrzahl der Tatausführenden in der nationalsozialistischen Zeit (wie auch Stachinskij) durchaus gefehlt haben; ein selbständiger Entschluß widersprach dem „Führerprinzip". Auch ist ganz unklar, auf welcher H ö h e der Hierarchie der mittelbare Täter angesiedelt werden soll: nur der „Führer", der zuständige Minister, der Abteilungsleiter im Reichssicherheitshauptamt etc. bis hinab zum Leiter eines Exekutionskommandos? Wer zwischen Spitze und Ausführenden mittelbarer T ä t e r sein soll, bleibt offen. 191 Roxin CK 1963 S. 193 ff, 200 f f ; ders. Täterschaft S. 242 f f ; ders. Lange-Festschrift S. 173 ff, 192 f; LK-Roxin § 25 Rdn. 88 ff; Maurach-Gössel A T II 5 48 II Ε 1 a; Schroeder T ä t e r hinter dem T ä t e r S. 166 ff; Stratenwerth A T Rdn. 790 f; Herzberg Täterschaft S. 41 f f ; teils abweichend SchmidhäuserKT 14/50; a. A. SK-Samson § 25 Rdn. 36; Jescheck A T § 62 II 8. — Siehe auch Jäger Verbrechen unter totalitärer H e r r s c h a f t S. 166 ff.

Täterschaft

21. Abschn

e) Schließlich soll mittelbare Täterschaft einer Person mit Täterqualifikation durch 1 0 4 Benutzung eines dolosen, aber aus subjektiven oder objektiven Gründen nicht als T ä t e r qualifizierten Ausführenden möglich sein. Es geht um den Fall des absichtslos dolosen „ Werkzeugs"; Beispiel: Jemand läßt sich in Zueignungsabsicht von einem Bösgläubigen, der aber ohne Zueignungsabsicht handelt, eine Sache durch W e g n a h m e beschaffen 1 9 2 ; — Diebstahl in mittelbarer Täterschaft? Jedenfalls Unterschlagung. — Genannt wird ferner ein qualifikationslos doloses „Werkzeug"; Beispiel: Auf Veranlassung des buchführenden Beamten (Intraneus) schreibt ein Nichtbeamter (Extraneus) eine Falschbeurkundung als Erklärung des Beamten nieder 1 9 3 ; — Falschbeurkundung im Amt in mittelbarer Täterschaft? Teilnahme scheidet mangels tatbestandsmäßiger Haupttat aus; Täterschaft des Qualifizierten ist nach allgemeinen Regeln (Mitgestaltung) möglich; problematisch sind allein die Fälle, in denen der Qualifizierte nach allgemeinen Regeln nur Teilnehmer ist. Das Problem ist durch die Entwicklung der Pflichtdelikte, bei denen der Pflichtige (Intraneus) auch bei geringfügigem Beitrag (oder per Unterlassung) Täter ist (weil er immer voll zuständig ist), zum Teil hinfällig geworden 1 9 4 . Jenseits der Pflichtdelikte und jenseits des Fehlens von Tatherrschaft beim Qualifizierten läßt sich strafrechtliche H a f t u n g nicht begründen: Der Extraneus oder der absichtslos Handelnde vollzieht die Tathandlung, ist aber mangels deliktsspezifischer Täterqualifikation nicht Täter eines Delikts, und der Intraneus oder mit Absicht Handelnde begeht nicht täterschaftlich, sondern beteiligt sich nur. Der Einwand, daß es der Qualifizierte oder absichtlich Handelnde kraft dieser Auszeichnungen in der H a n d habe, ob es überhaupt zu einem deliktischen Geschehen komme 1 9 5 , ist ein Zirkel: D a ß ein deliktisches Geschehen überhaupt vorliegt, entbehrt jeder Begründung. Mittelbare Täterschaft scheidet also aus 1 9 6 .

C. Die Konsequenzen der mittelbaren Täterschaft 1. Der mittelbare T ä t e r begeht durch das W e r k z e u g eine eigene Tat. Die T a t h a n d - 1 0 5 lung ist mit dem Abschluß der Einwirkung auf das Werkzeug abgeschlossen, wenn nicht ausnahmsweise noch weitere Lenkungsmaßnahmen vorgesehen sind (etwa wenn das Opfer vom mittelbaren Täter dem Werkzeug noch zugetrieben werden soll). Deshalb liegt im Regelfall — anders als bei der (akzessorischen) Mittäterschaft — mit dem Abschluß der Einwirkung ein beendeter Versuch des mittelbaren Täters vor. Wird nicht auf das Werkzeug eingewirkt, sondern nur auf die Lage, in der es sich befindet (der Täter installiert eine Straßensperre, in die ein ahnungsloser Kraftfahrer mit der Folge seines Todes fahren soll 1 9 7 ), so entscheidet der Zeitpunkt, in der die Lage geschaffen wird 1 9 8 . — Zu den Fällen, in denen dem Täter eine Revokationsmöglichkeit bleibt, " 2 RG 39 S. 37 ff. 193 R G 28 S. 109 f, 110. Siehe unten 21/115 f f ; Roxin Täterschaft S. 602 ff mit Nachweisen. 1?5 Gallas Materialien Bd. I S. 121 ff, 135 f, 136. Stratenwerth A T Rdn. 793 bis 801 (die Konstruktion einer Anstiftung ohne H a u p t t a t hat Stratenwerth aufgegeben, Rdn. 797); SK-Samson §25 Rdn. 34 f f ; Roxin Täterschaft S. 602 ff; LK-Roxin § 25 Rdn. 91 f f ; Herzberg Täterschaft S. 31 ff; a.A. Gallas Materialien Bd. I S. 121 ff, 135 f; Jescheck A T § 6 2 II 7; Welzel Strafrecht § 15 II 3 („soziale T a t h e r r s c h a f t " beim Intraneus). l« 7 Siehe auch R G 66 S. 141 ff.

1,8

Sehr streitig; wie hier Jescheck A T § 62 IV 1; Roxin Maurach-Festschrift S. 213 ff, 227 ff mit zutreffenden Modifizierungen f ü r die Fälle, in denen der mittelbare T ä t e r das deliktische Geschehen in seinem Herrschaftsbereich hält; ders. J u S 1979 S. 1 ff, 11 f; SK-Rudolphi § 2 2 R d n . 20; Meyer Z S t W 87 S. 598 ff, 608; Schilling Verbrechensversuch S. 11 ff, 32 ff, 104 ff und passim mit u m f a s senden Nachweisen (freilich unter verfehlter Gleichsetzung von Mittäterschaft und mittelbarer T ä t e r s c h a f t ) . Ebenso auch die überwiegende Rechtsprechung; B G H 4 S. 271 ff, 273; 30 S. 363 f f ; O G H 2 S. 5 ff, 7 f; auch schon R G 66 S. 141 ff, 142; siehe aber auch R G 45 S. 282 ff, 285 f. — Teils wird differenziert, ob das W e r k -

537

21. Abschn

2. B u c h . 4. K a p i t e l . B e t e i l i g u n g

siehe unten zum beendeten Versuch 25/73 ff. — Im Schrifttum wird teils darauf abgestellt, ob das Geschehen aller Beteiligter zusammengenommen als unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung (§ 22 StGB) zu werten ist, was praktisch meist auf eine Entscheidung nach dem Verhalten des Werkzeugs hinauslaufen dürfte 1 9 9 . Dieser Lösung ist nur f ü r diejenigen Fälle der Benutzung eines unvorsätzlich handelnden Werkzeugs zu folgen, die sachlich Teilnahme an unvorsätzlichem T u n sind (siehe oben 21/72). 106

2. Ein Individualisierungsirrtum des Ausführenden kann je nach Fallgestaltung auch f ü r den mittelbaren T ä t e r ein bloßer Individualisierungsirrtum sein. Zwar ist der T a t mittler in dem seine Unterlegenheit bestimmenden Moment (die Unvorsätzlichkeit, die Schuldlosigkeit etc.) als ein Werkzeug zu behandeln wie etwa ein mechanisches W e r k zeug; d. h. aber nicht, jedes Fehlgehen des Einsatzes sei f ü r den mittelbaren Täter aberratio ictus wie beim Fehlgehen eines mechanischen Werkzeugs; denn soweit das menschliche Werkzeug — sei es auch unverantwortlich — vorsätzlich handelt, führt es einen Plan des mittelbaren Täters durch, und es kommt — wie bei Mittäterschaft — darauf an, ob es sich an den Plan hält oder nicht. Ansonsten wäre die mittäterschaftliche H a f t u n g unverständlicherweise weiter als die bei mittelbarer Täterschaft. Deutlich wird dies, wenn der mittelbare Täter dem Werkzeug die Konkretisierung des Opfers überläßt und das W e r k z e u g dann bei dem von ihm individualisierten Menschen einem error in persona unterliegt. Ein Widerspruch zur „Einzellösung" beim Versuch ist dies nicht, da es beim Versuch um die definitive Bestimmung des O b der T a t geht, hier aber um die Individualisierung des Opfers, die der mittelbare Täter mit der definitiven Bestimmung des O b noch nicht geleistet hat. Beispiel: Das in qualifizierter Weise genötigte Werkzeug erschießt instruktionsgemäß einen bestimmt beschriebenen Mann in einer bestimmten W o h n u n g ; das Opfer ist nicht — wie vom mittelbaren Täter erwartet — der Hausherr, sondern der ihm ähnliche H a u s f r e u n d ; — volle H a f t u n g des mittelbaren Täters. Auch bei unvorsätzlich handelndem Werkzeug kann der mittelbare Täter trotz eines Individualisierungsirrtums für vorsätzliche Vollendung haften, wenn das Werkzeug immerhin das Objekt vorsätzlich aussuchen soll und sich im Rahmen des Plans hält. Beispiel: Eine Krankenschwester soll einem bestimmt individualisierten Patienten in einem bestimmten Bett eine — wie sie nicht weiß — tödliche Injektion verabreichen; auf Grund eines Irrtums der Verwaltung liegt im Bett des ausersehenen Opfers mittlerweile eine andere Person, auf die alle vereinbarten Individualisierungsmerkmale aber gleichfalls zutreffen. Diese Person wird getötet. — Bei der Konkretisierung handelt die Krankenschwester sehr wohl vorsätzlich und im Rahmen des verabredeten Plans; deshalb haftet der mittelbare Täter für die Vollendung 2 0 0 .

107

3. Da die Bestimmung von Täterschaft Bestimmung von Unrecht ist, muß jeder T ä ter einer Vorsatztat die Umstände kennen, die ihn zum Täter machen (§§ 15, 16 StGB),

199

zeug unvorsätzlich handelt (dann wie hier) oder vorsätzlich (dann wie bei Mittäterschaft); so Welzel Strafrecht § 24 III 5. Bei einer Bestimmung der mittelbaren Täterschaft, die, wie hier geschehen, streng an den rechtlich bedeutsamen Verantwortungsverlust beim Werkzeug gebunden ist, besteht f ü r diese Differenzierung kein Anlaß. Freilich wäre eine solche Differenzierung bei Anerkennung eines vorsätzlichen und verantwortlichen „Werkzeugs" sinnvoll. So wohl — im einzelnen sehr differenzierend — Blei AT §74, 2; Schönke-Schröder-Eser §22

538

200

Rdn. 54; Maurach-Gössel A T II § 4 1 II D 2 b; Stratenwertb AT Rdn. 836 ff; Dreher-Tröndle § 22 Rdn. 18, jeweils mit Nachweisen, Wie hier Schönke-Schröäer-Cramer § 25 Rdn. 52 f; ähnlich die Lösung, die nur bei unvorsätzlichem Werkzeug aberratio ictus annimmt; Welzel Straf recht § 13 I 3 d γ ; Wessels AT § 13 III 4; stets f ü r aberratio ictus, aber in deren Wirkung differenzierend (bei nicht höchstpersönlichem Rechtsgut: Vollendung) Hillenkamp Vorsatzkonkretisierungen S. 68 ff, 102 f, 112 ff, 126.

Täterschaft

21. Abschn

also bei der mittelbaren Täterschaft, daß er Umstände setzt, die ein verantwortliches (oder bei Bewirken von Selbstverletzung: quasi-verantwortliches) Verhalten des Werkzeugs ausschließen. Den Verantwortungsausschluß selbst muß er nicht kennen: Dieser ist die strafrechtliche Formulierung einer für die Zurechnung relevanten Überlegenheit über das Werkzeug. Dementsprechend ist auch irrelevant, wie das Werkzeug selbst seine Verantwortlichkeit einschätzt. — Nimmt der Beteiligte eine Täterschaft begründende Lage irrig an, so führt dies allenfalls — bei Versuchsbeginn — zum täterschaftlichen Versuch (gegebenenfalls neben fahrlässiger Vollendung); kennt der Beteiligte die mittelbare Täterschaft begründende Lage nicht, bleibt es bei einem Versuch akzessorischer Beteiligung (Mittäterschaft oder Teilnahme), neben den bei Vollendung fahrlässige Täterschaft treten kann. Beispiel: Der Beteiligte weiß nicht, daß seine mäßig gemeinte Nötigung zur Tat vom Ausführenden unvermeidbar irrig als Todesdrohung verstanden wird. — Ausführlich zu den Fällen des Irrtums über eine Beteiligtenrolle unten 24/1 ff. 4. Der Strafrahmen für ein Verhalten in mittelbarer Täterschaft ist derselbe, der bei 1 0 8 eigenhändiger Täterschaft oder Mittäterschaft angewendet wird. Das positive Recht erfaßt jedoch einige Fälle als mittelbare Täterschaft in Gestalt der Benutzung eines unvorsätzlich handelnden Werkzeugs, die sachlich Teilnahme an unvorsätzlicher T a t sind. Soweit es sich bei dieser als mittelbare Täterschaft erfaßten Teilnahme um Beihilfe handelt, ist der Strafrahmen in analoger Anwendung von § 27 Abs. 2 Satz 2 StGB herabzusetzen.

VII. Die Tatbestände der Täterschaft bei Herrschaftsdelikten, Schluß Literatur H. Bindokat „Fahrlässige Mittäterschaft im Straf recht", JZ 1979 S. 434 ff; M. Fincke Der Täter neben dem Täter, GA 1975 S. 161 ff; Κ. H. Gössel Dogmatische Überlegungen zur Teilnahme am erfolgsqualifizierten Delikt nach 5 18 StGB, Lange-Festschrift S. 219 ff; F. Loos Anmerkung zu BGH JR 1982 S. 341, aaO S. 342 f; B. Schünemann Fahrlässige Tötung durch Abgabe von Rauschmitteln? NStZ 1982 S. 60 ff; R. Seebald Teilnahme am erfolgsqualifizierten und am fahrlässigen Delikt, GA 1964 S. 161 ff.

A. Die Nebentäterschaft Begehen mehrere Personen unabhängig voneinander je eine Tat, so können die T ä - 1 0 9 ter als Nebentäter201 bezeichnet werden, um zu verdeutlichen, daß isolierte Taten vorliegen und es an einer Beteiligung fehlt. Beispiel: Zufällig gleichzeitig versuchen zwei Täter je an einer Ecke ein und dasselbe Haus in Brand zu setzen. Der Begriff des Nebentäters hat nur einen negativen Inhalt: Es fehlt an Mittäterschaft, mittelbarer Täterschaft oder Teilnahme; die Verwendung des Begriffs bringt also nur dann eine Information, wenn dieses Fehlen einer Verbindung einen Vermerk verdient (es wäre nichtssagend, von Charlotte de Corday und einem Warenhausdieb zu vermerken, sie seien Nebentäter). — Bemerkenswert ist die Nebentäterschaft insbesondere, wenn ein deliktischer Erfolg durch ein nicht koordiniertes Handeln mehrerer Personen herbeigeführt wird; in der Regel dürfte nur beim zuletzt Handelnden täterschaftliche Vollendung gegeben sein, da das Auftreten eines weiteren Täters nur selten zum Risiko der Handlung des ersten Täters gehören dürfte (siehe oben 7/28, 72 ff). Beispiel 202 : Ein Täter schlägt 201 Zum Problemkreis siehe Fincke G A 1975 5. 161 ff, insbesondere auch z u m Strafantrag, zur Einziehung und z u r prozessualen Behandlung (je isoliert); LK-Roxin § 25 Rdn. 160 f; Jescbeck A T

202

§ 63 II 3; R G 19 S. 141 ff, 144 f; 55 S. 78 f, 79; 68 S. 251 ff, 256. Siehe B G H N J W 1966 S. 1824 f.

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21. Abschn

2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

mit Tötungsvorsatz das Opfer nieder und entfernt sich; ein anderer Täter bringt danach dem O p f e r seinerseits Verletzungen bei; tödlich ist die Summe der Verletzungen. Bemerkenswert ist Nebentäterschaft auch, wenn mehrere Personen ohne Koordination für sich schon deliktische Teilstücke eines mehraktigen Delikts vollziehen, wobei das mehraktige Delikt mangels Verbundenheit der Beteiligten nicht verwirklicht wird. Beispiel: Jemand schlägt ein Opfer bewußtlos (Körperverletzung, § 223 StGB; zugleich Gewaltanwendung); ein anderer findet das Opfer und bestiehlt es (§ 242 StGB); kein Raub (S 249 StGB).

B. Die Beteiligungsformen der Teilnahme 110

Die bezeichneten Formen der (versuchten) Beherrschung einer Erfolgsherbeiführung treten alle auch bei der (versuchten) Bewirkung eines Teilnahmeerfolgs auf: Es gibt alleinige Anstiftung (Beihilfe) und Mitanstiftung (Mitbeihilfe); Beispiele: Zwei Personen reden verabredungsgemäß auf den als Täter Ausersehenen ein, bis er die Tat begeht; zwei Mechaniker bauen f ü r den Täter gemeinsam das Tatwerkzeug. Möglich ist auch mittelbare Anstiftung (Beihilfe); Beispiel: Jemand nötigt den Gehilfen unter schwersten Drohungen, die vom Täter zu vernichtende Urkunde (§ 274 StGB) aus einem Panzerschrank zu holen. Schließlich kann Nebenanstiftung (Nebenbeihilfe) vorliegen; Beispiel zur Nebenbeihilfe: Ein Beteiligter borgt dem Täter die zur Tat erforderliche Gesichtsmaske; unabhängig davon gibt ihm ein anderer die Tatwaffe. — Zu haften ist in allen genannten Fällen nur für Teilnahme, denn die Herrschaft erstreckt sich nur auf ein Teilnahmeverhalten.

C. Die Beteiligung bei Fahrlässigkeit 111

1. Bei Fahrlässigkeit fehlt die Kenntnis vom Erfolgsbezug der Handlung. Beim Zusammenwirken mehrerer Personen kann demnach die Verschachtelung von Aktionen, also die Einpassung einer Aktion in die Aktion eines anderen, nur das Verhalten ohne den Erfolgsbezug betreffen: Bei (höchstens) allseitiger Fahrlässigkeit ist keinem Beteiligten klar, wie die Sache schließlich ausgeht. Das Gesetz verzichtet deshalb überhaupt auf eine Abstufung der Beteiligungsformen und behandelt alle fahrlässigen Verursachungen oder (bei Unterlassung) Nichthinderungen eines Erfolgs gleich. Die übliche Formulierung, jeder sei Täter, ist mißverständlich: Die Arten der Verursachung (selbst, durch andere, mit anderen, teilnehmend) werden nicht differenziert, vielmehr werden alle Beteiligten uniformiert. Das Ergebnis mag man Täterschaft im Sinn der Fahrlässigkeitsdelikte nennen 2 0 3 . Die Uniformierung betrifft nur die Art der Verursachung, nicht aber sonstige deliktsspezifische Tätermerkmale des fahrlässigen Delikts, wie etwa je nach Delikt Eigenhändigkeit, spezielle subjektive Tätermerkmale oder Sonderpflichten. Beispiel zu § 163 StGB: Das fahrlässige Bewirken einer fahrlässigen oder gar unvermeidbaren Falschaussage eines anderen ist straffrei 2 0 4 .

112

D a auch ohne Kenntnis der Erfolgsbezogenheit immerhin die Verhaltensweisen verschachtelt werden können, sind eine Ordnung der Beteiligungen nach ihrem Rang (vorrangige Zuständigkeit bei mittelbarer Täterschaft) und eine Stufung der im gleichen Rang zu behandelnden Beteiligungen (nach Täterschaft und Teilnahme) mög-

203 BGH 4 S. 20 ff, 21; 7 S. 112 ff. 20« LK-Roxin §25 Rdn. 158; Schönke-SchröderCramer § 25 Rdn. 60.

540

Täterschaft

21. A b s c h n

lieh 2 0 5 ; freilich bleibt das bei /remtfverletzung ohne positivrechtliche Auswirkung. Beispiele (bei sämtlichen Beteiligten soll nur Fahrlässigkeit vorliegen): Jemand wirft selbst ein Brett aus dem Fenster auf die Straße, ein Passant wird verletzt (analog § 25 Abs. 1, 1. Fallgruppe StGB), bringt einen anderen durch qualifizierte Nötigung zum Wurf (analog § 25 Abs. 1, 2. Fallgruppe StGB), wirft zusammen mit einem anderen (analog § 25 Abs. 2 StGB), rät zu dem Wurf (analog § 26 StGB) oder öffnet das Fenster zu dem Wurf eines anderen (analog § 27 StGB). — Die Möglichkeit von Rängen und von Stufungen innerhalb eines Rangs wird bei erfolgsqualifizierten Delikten deutlich, soweit sich auf die Folge nur Fahrlässigkeit bezieht (§18 StGB): Hier ist das fahrlässig erfolgbringende Geschehen zum Teil seinerseits als Vorsatzdelikt ausformuliert; im G r u n d delikt werden demgemäß die Beteiligungsformen differenziert; bei der Erfolgsqualifizierung wird diese Differenzierung bedeutungslos. 2. Praktisch wichtig und der Sache nach anerkannt sind zwei Fälle fahrlässiger mit- 1 1 3 telbarer Täterschaft. Es handelt sich zum einen um die fahrlässige actio libera in causa (eingehend oben 17/64 ff); mittelbarer Täter und W e r k z e u g sind dabei identisch. Zum anderen geht es um das fahrlässige Schaffen einer Lage, die einen per Notstand gerechtfertigten Eingriff erforderlich macht (siehe oben zur vorsätzlichen mittelbaren Täterschaft 21/84 und oben zum Notstand 13/14). Beispiel 206 : Der Fahrer eines mit Schmutz beladenen Lastwagens befährt ohne vernünftigen Grund einen unbefestigten Weg, obgleich er erkennen könnte, daß der Lastwagen einsinken und nur durch ein Abladen an O r t und Stelle zu retten sein wird, wobei das Grundstück beschädigt oder Grundwasser verschmutzt werden muß etc. 3. Bei Selbstverletzung eines Beteiligten ist zu beachten, daß die T a t des Sich-Verlet- 1 1 4 zenden die Beiträge Dritter nicht vermitteln kann, da sie das Unrecht einer Fremdverletzung stets abschwächt 2 0 7 (siehe oben 21/56 ff und die dortigen Verweisungen). Z u r H a f t u n g wegen einer fahrlässigen Mitwirkung an einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Selbstverletzung kann es also nur kommen, wenn ein Grund vorhanden ist, der die Vermittlung des Verlaufs durch den Sich-Verletzenden überspringt: eine mittelbare Täterschaft oder eine Garantenstellung. Beispiel: Das Verleihen eines Autos an einen leichtsinnigen Menchen, der damit zu T o d e fährt, ist straffrei, was die Selbstverletzung angeht (also nicht bezüglich der Gefährdung dritter Personen). — Die Rechtsprechung nimmt bei der Hingabe von Rauschgift mit erkennbarer Todesfolge eine H a f t u n g des Gebers an 2 0 8 , was wohl verfehlt ist, da der Geber zwar Garant f ü r das gefährliche Mittel ist, nicht aber gegenüber einem noch schuldfähigen Empfänger, der in seiner Fähigkeit zur Erkenntnis der Gefahr dem Geber nicht unterlegen ist.

VIII. Die Täterschaft bei den Pflichtdelikten Literatur Siehe zu IV

A. Tatherrschaft kennzeichnet Täterschaft, weil ein Beteiligter mit dem tatherr- 1 1 5 schaftlichen Verhalten seinen Organisationskreis zu Lasten des vom Delikt Betroffenen gestaltet: Haftungsgrund ist die Zuständigkeit f ü r die Schadlosigkeit der eigenen O r 205

Anders die überwiegende Ansicht; LK^-Busch s 47 Rdn. 33; SK-Samson § 2 5 Rdn. 41; LK-Roxin § 25 Rdn. 156 ff, jeweils mit Nachweisen; wie hier Stratenwerth A T Rdn. 1150 f; siehe auch Seebalä GA 1964 S. 161 ff, 168 f f ; Bindokat J Z 1979 S. 434 ff. 2°6 N a c h Bay O b LG N J W 1978 S. 2046 f.

207 f ü r fahrlässiges Bewirken einer vorsätzlichen Selbstverletzung ebenso B G H 24 S. 342 ff, 344; Spendet J u S 1974 S. 749 ff. 208 B G H N J W 1981 S. 2015 mit ablehnender A n m e r k u n g Loos J R 1982 S. 342 f ; B a y O b L G StV 1982 S. 73 f ; — zutreffende Kritik bei Schünemann N S t Z 1982 S. 60 ff.

541

21. A b s c h n

2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

ganisation. Tatherrschaft als Kennzeichnen von Täterschaft ist deshalb auf Delikte zu beschränken, bei denen sich die Beziehung zum Betroffenen in dessen Schadlosigkeit erschöpft. N u r hier — d. h. allerdings bei der Mehrzahl aller Delikte — ist die Zuständigkeit Folge eines Organisationsakts. Beispiele sind die von jedermann begehbaren Erfolgsdelikte bei Begehung durch einen Jedermann. 116

Β 1. Es gibt jedoch auch Delikte, bei denen bestimmte Personen überhaupt für den Bestand eines Guts einzustehen haben und nicht nur dafür, daß der eigene Organisationskreis ein Gut nicht schädigend tangiert (Pflichtdelikte). In diesen Fällen ist die Beziehung des Beteiligten zum Gut immer unmittelbar, d. h. ohne akzessorische Vermittlung, d. h. wiederum stets täterschaftlich, und zwar ohne Blick auf ein T u n überhaupt. Der Beteiligte ist mindestens Unterlassungstäter und bei auch nur beiläufigem Beitrag durch T u n Täter per Begehung; die Differenzierung Begehung — Unterlassung verliert also ihren Sinn (oben 7/70). Zu den Pflichtdelikten zählen alle Delikte, deren T ä ter als Garanten zu institutionell abgesicherter Fürsorge f ü r ein Gut verpflichtet sind (hierzu eingehend unten 29/57 ff). Beispiel 209 : Der Vormund, der einer dritten Person den erfolgreichen Rat gibt, wie das anvertraute Mündelvermögen durch die dritte Person entzogen werden kann, ist Täter der Untreue, auch wenn ihm bei der Entziehung die Tatherrschaft fehlt. — Für die bezeichneten Garanten werden auch Jedermannsdelikte zu Pflichtdelikten, selbst im Fall der Begehung, d. h. Teilnahme scheidet zu Gunsten umfassender Täterschaft aus. Beispiel: Die T ö t u n g ihres Kindes ist für die Eltern Pflichtdelikt, so daß ohne Blick auf das Ob und das Maß der Beteiligung stets Täterschaft vorliegt. Diese Unmittelbarkeit ermöglicht eine H a f t u n g des Garanten auch bei tatbestandsloser (!) Selbstverletzung des Opfers; denn bei Pflichtdelikten wird die faktisch unter Umständen vorhandene Vermittlung des Verhaltens des Pflichtigen hin zur Verletzung durch das Verhalten anderer Beteiligter auch im Fall der Selbstverletzung durch die unmittelbare Zuständigkeit für das Gut übersprungen. Garantenstellungen kraft Organisationszuständigkeit überspringen die Akzessorietät nicht, da es bei diesen Pflichten allein um die rechte Gestaltung des eigenen Organisationskreises geht, also um Zuständigkeit kraft Herrschaft.

117

Wenn der Tatbestand eines Pflichtdelikts auf ein bestimmtes Verhalten abstellt, das der Pflichtige selbst vollziehen muß, so ist ohne dieses Verhalten (oder eine „entsprechende" Unterlassung, § 13 Abs. 1 StGB) Täterschaft ausgeschlossen. Beispiel: Die Tathandlung der Vorteilsannahme (§ 331 StGB) besteht (neben anderem) im Sicb-versprechen-Lassen eines Vorteils; dieser Tathandlung steht das Zulassen eines Versprechens an Dritte, etwa des Versprechens der Spende an eine karitative Organisation, nicht gleich.

118

2. D a bei den Pflichtdelikten die Verschachtelung von Verhaltensweisen stets durch die Unmittelbarkeit der Pflicht übersprungen wird, kann die Gesamtlösung zum Versuchsbeginn nicht gelten: Jeder pflichtige Beteiligte steht dem betroffenen Gut unvermittelt gegenüber, so daß der Versuchsbeginn nur nach seinem eigenen Verhalten zu bestimmen ist (Einzellösung). Die Lösung ist insbesondere für die Beteiligung von Garanten aus Ehe, Eltern-Kind-Verhältnis etc. an Begehungsdelikten von Bedeutung: Ein Beitrag des Garanten ohne Tatherrschaft kann schon täterschaftlicher Versuch sein, und zwar selbst, wenn der Versuch der „Haupttat" ausbleibt. Beispiel: Der Mann, der den Mördern seiner Ehefrau hilft, ist Täter einer versuchten Tötung, wenn er nach der Leistung seiner Hilfe den weiteren Einfluß auf das Geschehen verliert; — das Ergebnis harmoniert mit der Unterlassungsseite des Verhaltens: Der täterschaftliche Garant be209 Nach Roxin Täterschaft S. 355.

542

Teilnahme

22. Abschn

geht — spätestens — einen V e r s u c h , w e n n er die letzte Rettungschance verstreichen läßt (siehe unten z u § 13 StGB 2 9 / 1 1 3 ff). 3. D i e Deliktsgruppe der Pflichtdelikte wurde v o n Roxin e n t w i c k e l t 2 1 0 . Genauer als 119 die Bezeichnung „Pflichtdelikte" wäre „Delikte mit akzessorietätüberspringender Pflicht" 2 1 1 . Prinzip und Einzelheiten sind höchst streitig 2 1 2 . — D i e Entwicklung der Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit erfolgt bei der Darstellung des Unterlassungsdelikts (unten 2 9 / 5 7 ff). — Zur Milderung des Strafrahmens siehe unten zur U n terlassung 2 9 / 1 2 6 . — Z u den eigenhändigen D e l i k t e n siehe s c h o n o b e n 2 1 / 2 2 .

22. A B S C H N I T T

Die Teilnahme I. Der Strafgrund der Teilnahme Literatur P. Bockelmann Über das Verhältnis von Täterschaft und Teilnahme, 1949; ders. Nochmals über das Verhältnis von Täterschaft und Teilnahme, GA 1954 S. 193 ff; ders. Die moderne Entwicklung der Begriffe Täterschaft und Teilnahme, in: ders. Strafrechtliche Untersuchungen, 1957, S. 109 ff; ders. Zur Problematik der Beteiligung an vermeintlich vorsätzlich rechtswidrigen Taten, Gallas-Festschrift S. 261 ff; G. Dahn Anmerkung zu O L G Stuttgart M D R 1959 S. 508, a a O S. 508 ff; R. D. Herzberg Anstiftung und Beihilfe als Straftatbestände, GA 1971 S. 1 ff; /. Krümpelmann Die strafrechtliche Behandlung des Irrtums, Beiheft ZStW 1978 S. 6 ff; R. Lange Die notwendige Teilnahme, 1940; ders. Zur Teilnahme an unvorsätzlicher Haupttat, JZ 1959 S. 560 ff; W. Langer Das Sonderverbrechen, 1972; £.-/. Lampe Über den Begriff und die Formen der Teilnahme am Verbrechen, ZStW 77 S. 262 ff; K. Lüderssen Zum Strafgrund der Teilnahme, 1967; H. Mayer Täterschaft, Teilnahme, Urheberschaft, Rittler-Festschrift S. 243 ff; M.-K. Meyer Tatbegriff und Teilnehmerdelikt, GA 1979 S. 252 ff; E. Mezger Teilnahme an unvorsätzlichen Handlungen, JZ 1954 S. 312 ff; H. Otto Straflose Teilnahme? Lange-Festschrift S. 197 ff; C. Roxin Ein „neues Bild" des Strafrechtssystems, ZStW 83 S. 369 ff; ders. Täterschaft und Tatherrschaft, 3. Auflage 1975; E. Scbmidhäuser Über die Anzeigepflicht des Teilnehmers, BockelmannFestschrift S. 683 ff; Chr. Schönebom Kombiniertes Teilnahme- und Einheitstätersystem für das Strafrecht, ZStW 87 S. 902 ff; St. Trechsel Der Strafgrund der Teilnahme, 1967; H. Welzel Studien zum System des Strafrechts, ZStW 58 S. 491 ff; ders. Buchbesprechung, ZStW 61 S. 209 ff; ders. Teilnahme an unvorsätzlichen Handlungen? JZ 1954 S. 429 f; ders. Anmerkung zu B G H 4 S. 355 ff, JZ 1953 S. 763 f; ders. Anmerkung zu BGH 5 S. 47 ff, J Z 1954 S. 128 ff; ders. Vom Bleibenden und Vergänglichen in der Strafrechtswissenschaft, Grünhut-Gedächtnisschrift S. 173 ff.

A. Die Korrumpierungstheorie 1. Teilnehmer (Anstifter o d e r Gehilfe) ist der Beteiligte, der nicht Täter sein kann, 1 sei es, weil seine Organisationsleistung nur einen a b g e s c h w ä c h t e n Beitrag z u m D e l i k t bringt (ihm fehlt die Tatherrschaft), sei es, weil ihm deliktsspezifische Tätervoraussetz u n g e n fehlen. Bei Bestimmung des H a f t u n g s g r u n d s der T e i l n a h m e (sogenannter

Täterschaft S. 352 ff, 459 ff; siehe ferner LK-Roxin § 25 Rdn. 29 f f ; Schönke-Schröder-Cramer Rdn. 61 vor 5 25 und § 25 Rdn. 78 f. 211 Für den Bereich der Unterlassungsdelikte schon Grünwald GA 1959 S. 110 ff, 118; Armin Kaufmann Dogmatik S. 189 ff, 291 ff.

212

Siehe Herzberg T ä t e r s c h a f t S. 32 f; Wagner Amtsverbrechen S. 70 ff (zu den Amtsverbrechen als Pflichtdelikte); Stratenwerth A T Rdn. 795 f (zum Bereich der Begehung stark einschränkend, siehe R d n . 797); Scbmidhäuser KT 14/51; SK-Samson § 2 5 Rdn. 35; kritisch überhaupt Maurach-Gössel A T II § 47 III C 2 a; Langer Sonderverbrechen S. 223 ff.

543

22. Abschn

2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

Strafgrund der Teilnahrae; genauer wäre Unrechtsgrund der Teilnahme) kann vom Haftungsgrund bei Täterschaft ausgegangen werden; Teilnahme ist dann „verkleinerte Täterschaft". Der Haftungsgrund kann aber auch anders bestimmt werden als bei T ä terschaft. 2

2 a) So kann das Unrecht der Teilnahme auf dasjenige bezogen werden, was mit dem Täter geschieht: Der Teilnehmer produziert zwar nicht die Tat, aber doch den schuldigen Täter (Korrumpierungstheorie als Schuldteilnahmetheorie 1 ). Beim schuldlos handelnden Täter wird immerhin noch seine „soziale Desintegration" bewirkt, zumindest wird er in die Gefahr einer Desintegration gebracht (Korrumpierungstheorie als Unrechtsteilnahmetheorie 2 ). b) Die Schuldteilnahmetheorie speziell ist mit § 29 StGB nicht zu vereinbaren 3 , wie die Korrumpierungstheorie allgemein mit den §§ 26 und 27 Abs. 2 StGB unvereinbar ist: Die Bindung des Strafrahmens für Teilnahme an den Rahmen f ü r die Tätertaf läßt erkennen, daß das Gesetz unabhängig von der Korrumpierung des Täters auf das Unrecht der Tat abstellt, und dieses Tatunrecht harmoniert mit dem Korrumpierungsunrecht nicht. Unter dem Aspekt der Korrumpierung bleibt die Gleichheit zwischen etwa der V e r f ü h r u n g eines Jugendlichen zum Diebstahl und dem Tip an einen Gewohnheitsdieb, die durch die gleiche Benennung als „Anstiftung zum Diebstahl" suggeriert wird, blasser Nominalismus. Der Gesetzgeber müßte, wollte er der Korrumpierungstheorie folgen, Korrumpierungs-Delikte nach Art von § 170 d StGB schaffen. Schließlich erklärt diese Theorie auch nicht, was sie erklären will, nämlich das'Unrecht der Teilnahme; denn der Teilnehmer bewirkt ja regelmäßig die Korrumpierung des Täters nicht mit Tatherrschaft: Der Teilnehmer ermöglicht ein Delikt des Täters, und es wäre zu begründen, weshalb der Teilnehmer dafür haften soll, daß der Täter die Möglichkeit ergreift 4 .

B. Die Unrechtsteilnahmetheorie Haftungsgrund kann sein, daß der Täter fremdes Unrecht ermöglicht: Die fremde Tat ist dann der Erfolg der Teilnahmehandlung (Unrechtsteilnahmetheorie im eigentlichen Sinn 5 ). Die positivrechtliche Abhängigkeit des Teilnahmeunrechts vom Unrecht der Haupttat läßt sich mit diesem Haftungsgrund gut erklären, insbesondere auch die Möglichkeit einer strafbaren Teilnahme des Extraneus am Sonderdelikt: Das Täterunrecht ist der Erfolg des Teilnehmerverhaltens; um das im Täterdelikt angegriffene Gut geht es nur noch mittelbar 6 . Deshalb müßte nach dieser Lösung die eigene Beziehung des Teilnehmers zum Erfolg der Haupttat unbeachtlich sein: Unrecht wäre die Beteiligung des agent provocateur 7 ; volles Unrecht wäre ferner die Mitwirkung an einer Tat, die (versehentlich) disponible Güter des Teilnehmenden trifft 8 ; schließlich wäre auch die (notwendige) Teilnahme des durch eine N o r m selbst Geschützten als Unrecht zu behandeln (siehe unten 24/8 ff). In allen diesen Fällen wird eine fremde Tat ermöglicht. N o c h heikler wäre die Lage bei Mittäterschaft: Jeder Mittäter ermöglicht durch 1

2 3

4

H. Mayer Strafrecht des Deutschen Volkes § 33 I (S. 334); als ergänzender H a f t u n g s g r u n d noch ders. A T § 49 II 1 b aa; den. Studienbuch § 39 II 4; ders. Rittler-Festschrift S. 243 ff, 253 ff. Trechsel Strafgrund S. 54 ff. Α. A. n u r H.Mayer, insbesondere Rittler-Festschrift a a O . Deshalb sprechen H. Mayers — berechtigte — Zweifel an der rechtlichen Gleichwertigkeit von physisch und psychisch vermittelter Kausalität ge-

544

gen seine eigene Teilnahmetheorie; siehe H. Mayer Rittler-Festschrift S. 243 ff, 256 f. 5 D e r Formulierung nach so Welzel Strafrecht § 16 I 2 a und 3; ders. Z S t W 61 S. 209 ff, 213. 6 Lüderssen Strafgrund S. 54; siehe auch Stratenwerth A T Rdn. 858 f. 7 Insoweit auch unentschieden Welzel Strafrecht § 16 II 3. 8 So wohl auch Welzel Strafrecht § 16 I 3.

Teilnahme

22. Abschn.

seinen Beitrag das Unrecht der anderen; neben Täterschaft müßte konkurrierend Teilnahme treten; das Delikt würde „verdoppelt".

C. Die Verursachungstheorie 1. Der Lösungsweg der Verursachungstheorie verläuft entgegengesetzt: Nicht das 4 Unrecht des Täters wird dem Teilnehmer zugerechnet, sondern die — freilich mittelbare — Erfolgsverursachung durch den Teilnehmer selbst, und zwar die Verursachung desjenigen Erfolgs, der Erfolg der Tätertat ist. Wie bei der Theorie der Unrechtsteilnahme die Beziehung des Teilnehmers zum Erfolg der Haupttat verkümmert, so verkümmert hier die Vermittlung des Erfolgs durch einen unrecht handelnden Täter. Deutlich wird das bei der Teilnahme am Sonderdelikt, etwa bei der Anstiftung zum echten Amtsdelikt: Die Vermittlung durch den Sonderpflichtigen kann mit einer Version der Verursachungstheorie als „rein faktischer Natur" 9 gedeutet werden, d. h. als bloße Bedingung zur Erreichung eines Erfolgs; Haftung des nicht sonderpflichtigen Teilnehmers am Sonderdelikt ist dann selbstverständlich. Die Vermittlung kann aber auch mit einer anderen Version als etwas verstanden werden, das den Teilnehmer nichts angeht, da es auf seine eigene Beziehung zum Erfolg ankommt. Die Vermittlung ist dann funktionslos; die vom Gesetz (§ 28 Abs. 1 StGB) vorausgesetzte Haftung des nicht sonderpflichtigen Teilnehmers am Sonderdelikt erscheint als „sachwidrig" 10 ; allenfalls wird sie als eigenständige, zur Teilnahme „ungleichartige" Beteiligungsform toleriert1 1 . — In beiden Versionen ist das in der Person des Täters verwirklichte Unrecht ohne Bedeutung für den Teilnehmer. 2. Beide Versionen gehen wegen des Blicks auf die Beziehung Teilnehmer—Erfolg 5 am gesetzlichen Erfordernis einer Haupttat vorbei. Sie sind Abkömmlinge der Urheberlehre, die in reiner Ausprägung zum extensiven Täterbegriff führt (hierzu oben 21/6 ff, 8). Dabei beläßt freilich die engere Lösung Sonderpflichten als nicht-extensiv; sie wird deswegen aber dem weiten Teilnehmertatbestand des Gesetzes nicht gerecht. Die weite Lösung (Vermittlung als „rein faktischer Natur") muß — wie der extensive Täterbegriff — die Tatbestandsbestimmtheit auflösen; die Haupttat schrumpft vom tatbestandsmäßigen Verhalten zu einem Verhalten, das nur noch den Beitrag des Teilnehmers wirksam vermitteln muß 12 .

D. Die Theorie der erfolgsbezogenen Unrechtsteilnahme 1. Zur Bestimmung des Unrechts der Teilnahme ist zu berücksichtigen: 6 a) Die Deliktsbeschreibungen des BT erfassen allein die täterschaftliche Ausführung des Selbst-Begehenden. Strafbarkeit von Teilnahme ist also Ausdehnung der Strafbarkeit. Als Strafbarkeitsausdehnungen haben sich freilich auch schon die Mittäterschaft und die mittelbare Täterschaft erwiesen. Diese täterschaftlichen Ausdehnungen binden die Haftung aber an die Gestaltung der konkreten Tatbestandsverwirklichung oder an die Entscheidung darüber; jedenfalls bleibt eine dichte Beziehung zwischen Täterverhalten und Deliktsbeschreibung des BT. Bei der Teilnahme kann diese Beziehung zur bloßen Kausalität verkümmern. Die Strafbarkeit wird bei der Teilnahme also ungleich weiter ausgedehnt als bei Mittäterschaft und mittelbarer Täterschaft. Ein gesetzlich bestimmtes Teilnahmeunrecht läßt sich bei dieser Lage nur finden, wenn nicht jede belie9

Lüderssen Strafgrund S. 137. Schmidhäuser A T 14/57 ff, 85; Langer Sonderverbrechen S. 485 f. " M.-K. Meyer GA 1979 S. 252 ff, 269. 10

12

Siehe Lüderssens Ausführungen z u r „Teilnahme" an f r e m d e r Selbstverletzung, S t r a f g r u n d S. 168; — kritisch wie hier SK-Samson R d n . 11 vor § 26.

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22. Abschn

2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

bige Erfolgsverursachung zur Teilnahme werden kann, sondern nur eine solche Erfolgsverursachung, die über die gesetzlich bestimmte T a t oder über ihre täterschaftlichen Erweiterungen vermittelt wird. Diese Vermittlung ist nicht nur faktischer N a tur 1 3 , sondern wegen der Tatbestandsbestimmtheit erforderlich 1 4 . 7

b) Das Verbot der Verwirklichung des Tatbestands, so wie er im BT beschrieben ist, übertritt der Teilnehmer nie, sondern stets nur das durch die Teilnahmeregelungen erweiterte Verbot. Daraus ist geschlossen worden, auch die Teilnahme an Sonderdelikten im engeren Sinn ergebe sich allein aus dieser Erweiterung 1 5 . An diesem Schluß ist richtig, daß es jedenfalls um eine Strafbarkeitserweiterung geht. Aber diese Erweiterung hat bei den Sonderdelikten einen anderen Inhalt als bei Jedermannsdelikten. Bei den Sonderdelikten verbindet die Haupttat den Teilnehmer mit einer Institution, die ihn ansonsten nichts angeht (er hat keinen Status); wird der Haupttäter als durch eine Maschine ersetzt gedacht, so entfällt der Deliktstatbestand. Bei den Jedermannsdelikten bedarf es keines Status; wird die Haupttat maschinell ersetzt gedacht, wächst der Teilnehmer zum selbst begehenden Täter an. Mit anderen Worten, Teilnahme bei Sonderdelikten führt zur Zurechnung trotz Rollentrennung; Teilnahme bei Jedermannsdelikten hingegen zur Zurechnung trotz Arbeitsteilung. Bei Sonderdelikten erweitern die Teilnahmeregeln nicht nur den Bereich des normwidrigen Verhaltens, sondern auch den Adressatenkreis, und zwar von Inhabern eines bestimmten Status auf Jedermann. Bei Sonderdelikten tritt also neben die rechtsstaatliche Bedeutung des Erfordernisses einer Haupttat noch eine materielle Bedeutung: O h n e ein Haupttatunrecht kann ein Teilnehmer, der die deliktsspezifischen Täterqualifikationen nicht selbst aufweist, kein tatbestandliches Unrecht bewirken. N u r über die Person eines Qualifizierten wird der Beitrag des Nicht-Qualifizierten überhaupt zur Enttäuschung. Deshalb ist nur bei Sonderdelikten die Quantität des Unrechts eines teilnehmenden Extraneus höchstens so groß wie das Unrecht, das der Intraneus verwirklicht. Beispiel: Bei einem für den Richter unvermeidbaren Fehlurteil wird aus dem Verhalten des Richters keine Stellungnahme f ü r Rechtsbeugung expressiv; damit fehlt ein Normbruch, den der Extraneus durch Teilnahme am Sonderdelikt gutheißen könnte. Seine vorhandene Stellungnahme zur eigenen Behandlung von Rechtssachen ist f ü r den Tatbestand von § 336 StGB irrelevant.

8

c) Der Teilnehmer haftet nicht, weil das Produzieren einer Haupttat für den Haupttäter Unrecht ist, sondern weil das Produzieren fremder Haupttaten für ihn selbst Unrecht ist. Deshalb muß er auch selbst auf Vollendung der Haupttat ausgehen (siehe unten 23/16). W e n n sich die Teilnahme vollenden soll, muß ferner ein Gut getroffen werden, das dem Teilnehmer gegenüber geschützt ist. D a ß der Teilnehmer nicht tauglicher Täter sein muß — tauglicher Täter ist er in seiner Rolle als Teilnehmer, also ohne Tatherrschaft oder ohne Sonderpflicht, nie — heißt nicht, er hafte auch dann f ü r Vollendung, wenn er selbst als Täter eines allgemein begehbaren Delikts nicht wegen Vollendung haften würde, seil, beim irrtümlichen Angriff auf eigene Güter. Beispiel: Der über sein Eigentum ahnungslose wahre Erbe, der einen Diebstahl gegen den vermeintlichen Erben unterstützt, begeht ungeachtet der Vollendung der Tat durch den Haupttäter nur eine Teilnahme am versuchten Diebstahl. Es handelt sich höchstens um Teilnahme am Versuch, da er das eigene Eigentum nicht vollendet angreifen kann, aber auch mindestens um Teilnahme am Versuch (und nicht nur um versuchte Teilnahme), da die Haupttat einen Versuch des Zugriffs auf vermeintlich allseitig fremdes •3 So aber Lüderssen aaO in Fn. 9. 14 SK-Samson Rdn. 14, 27 vor § 26.

546

15 Roxin ZStW 83 S. 369 ff, 399; SK-Samson Rdn. 16 vor § 26.

Teilnahme

22. Abschn

Eigentum darstellt. Kennt der Haupttäter die wahre Lage, so hat der Teilnehmer die Förderung einer Tat, die zumindest versuchter Zugriff auf allseitig fremdes Eigentum ist, nicht erreicht; es bleibt bei nur versuchter Teilnahme 16 . — Zur straffreien sogenannten „notwendigen Teilnahme" siehe unten 24/7 ff. 2. Unrecht der Teilnahme ist somit der eigene — aber nicht täterschaftliche — An- 9 griff auf ein Gut durch das Bewirken einer täterschaftlichen Tat 1 7 , genauer 18 : das Bewirken einer täterschaftlichen Tat bei eigenem Vollendungsvorsatz. Diese Theorie einer erfolgsbezogenen Unrechtsteilnahme entspricht in den Ergebnissen der von der überwiegenden Lehre vertretenen „akzessorietätsorientierten Verursachungstheorie", d. h. einer Theorie, die eine Verursachung um eine Unrechtsteilnahme ergänzt 19 . Unter den genannten Formeln verbergen sich freilich heterogene Gegenstände. Nur bei Sonderdelikten hat die Haupttat, wie gezeigt wurde, materielle Bedeutung. De lege ferenda dürfte eine Trennung der jeweiligen Teilnahmeregelungen zu erwägen sein. — Siehe auch zur qualitativen Akzessorietät unten 23/25.

II. Die Abhängigkeit der Teilnahme von der Haupttat Literatur Siehe zu I

A. Die Voraussetzungen der Haupttat 1. Die Haupttat muß nicht schuldhaft sein (§§ 26, 27, 29 StGB), sogenannte limi- 10 tierte Akzessorietät. Zur Problematik der Abgrenzung der Schuld von besonderen persönlichen Merkmalen nach § 28 StGB siehe unten 23/5 und passim. 2 a) Die Haupttat muß tatbestandsmäßig und rechtswidrig sein (§§26, 27 StGB). 11 Teilnahme an rechtmäßigen Taten, seien es nicht tatbestandsmäßige oder gerechtfertigte Taten, bleibt Teilnahme, ist aber gleichfalls rechtmäßig (zur relativen Rechtswidrigkeit siehe oben 12/30). Darauf beruht die Straffreiheit der Teilnahme an — tatbestandsloser! — Selbsttötung (siehe oben 21/57 ff). Bei unvermeidbar irriger Annahme einer Rechtfertigungslage durch den Ausführenden ergibt sich die Rechtswidrigkeit im Sinn der §§ 26, 27 StGB aus der (quasi-versuchten) Tatbestandsverwirklichung und dem unberührt bleibenden Tatbestandsvorsatz20; Teilnahme bleibt dann also möglich (wichtig, wenn dem Nicht-Ausführenden eine Täterqualifikation fehlt, insbesondere bei Sonderdelikten). — Fälle eines Irrtums des Teilnehmers erledigen sich nach allgemeinen Regeln, wobei zu beachten ist, daß die irrige Annahme, die Haupttat erfülle einen Deliktstatbestand oder sei nicht gerechtfertigt, nur Versuch der Teilnahme an einer Unrechtstat und deshalb nur im Rahmen von §30 StGB strafbar ist; Beispiel: Jemand hilft zu einer Trunkenheitsfahrt, § 316 StGB, ohne zu wissen, daß diese durch Notstand, § 34 StGB, gerechtfertigt ist: (hier straffreie) versuchte Teilnahme. Die Un16

Streitig; siehe Welzei Strafrecht § 16 II 2; Lüdersien Strafgrund S. 131 f, 167 f; SK-Samson Rdn. 8, 24 vor § 26; Stratenwerth A T Rdn. 860. 17 LK-Roxin Rdn. 1 vor § 26; SK-Samson Rdn. 14 ff vor § 26; Stratenwerth A T R d n . 858 ff. 18 An einem „Angriff auf ein G u t " kann es bei einigen Delikten fehlen, siehe oben z u r Rechtsgutslehre 2/16 ff. 19 Jescheck A T § 64 I 2; Maurach-Gössel A T II § 50 III D 2; Baumann A T § 37 I 1 b und II 1, jeweils mit Nachweisen; auch R G 15 S. 315 ff, 316; 59 S. 34 f, 35; B G H 9 S. 370 ff, 378. - Die Konver-

20

genz mit der überwiegenden Ansicht betrifft n u r die Ergebnisse; zum Begründungsgang siehe SKSamson Rdn. 11 vor § 2 6 ; LK-Roxin Rdn. 15 f vor § 26. — Zum Problemkreis siehe ferner Bokkelmann GA 1974 S. 193 ff; Lange N o t w e n dige Teilnahme S. 59 f f ; Otto Lange-Festschrift S. 197 ff, 201 f f ; ders. J u S 1982 S. 557 ff, 558 f; Lampe Z S t W 77 S. 262 ff; Herzberg GA 1971 S. 1 ff. Im Ergebnis ebenso LK-Roxin Rdn. 25 vor § 26; a. A. Krümpelmann Beiheft Z S t W 1978 S. 6 ff, 50.

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22. AbSChn

2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

kenntnis der Tatbestandserfüllung beläßt allenfalls Fahrlässigkeit und schließt somit eine Differenzierung der Beteiligungsformen aus (siehe oben 21/111 ff). 12

b aa) Die tatbestandsmäßige Haupttat muß stets vorsätzlich sein (§§ 26, 27 StGB). Die Vorsatzlosigkeit des unmittelbar Ausführenden kann zur mittelbaren Täterschaft desjenigen führen, der vorsätzlich die Ausführung bewirkt. In den Fällen aber, in denen nur der unmittelbar, aber unvorsätzlich Ausführende als T ä t e r qualifiziert ist, nicht aber der die Ausführung mittelbar vorsätzlich Bewirkende, ist eine Strafbarkeit des Hintermanns ohne Vorsatz des Ausführenden überhaupt ausgeschlossen. Mittelbare Täterschaft scheitert in diesen Fällen am Mangel der Qualifizierung des Hintermanns, Teilnahme an der Unvorsätzlichkeit der Haupttat. — Beispiele 21 : Jemand bewirkt durch die Vorspiegelung, alle Welt wisse sowieso Beschied, daß ein Arzt ein Geheimnis preisgibt (§ 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB). Ferner 2 2 : Nach einem Verkehrsunfall wird einem Beteiligten vorgespiegelt, es sei nichts passiert; der Beteiligte entfernt sich arglos.

13

bb) Positivrechtlich f ü r strafbar erklärte Fälle von Beteiligungen an einem unvorsätzlichen Sonderdelikt vertypen die §§ 160, 271 f StGB. Ansonsten sind solche Beteiligungen straffrei. Dieses Ergebnis wird verbreitet mißbilligt 23 und vereinzelt umgangen 2 4 . Die Mißbilligung trifft die Lösung einiger Fallgruppen zu Recht. Die Unvorsätzlichkeit der Haupttat ist ein natürlicher Befund, der nicht notwendig die Unzuständigkeit des Vorsatzlosen f ü r die Verbindung von Defekt und T a t zur Folge hat. Ist aber für diese Verbindung der unvorsätzlich Handelnde selbst zuständig, so kann auch eine akzessorische, d. h. teilnehmende (oder auch mittäterschaftliche) Zuständigkeit begründet werden. Die Suggestivkraft der Begriffe „Tatherrschaft" oder gar „finale Tatherrschaft" verschleiert, daß es bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme um den Rang und die Stufung von Zuständigkeiten geht, nicht aber um psychische Fakten.

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cc) Zur Lösung sind drei Problemkreise zu unterscheiden: α) Was zunächst die Jedermannsdelikte angeht, so wird das Problem überwiegend durch eine großzügige Definition der mittelbaren Täterschaft kaschiert: Jeder unvorsätzlich Handelnde soll f ü r jeden vorsätzlich Handelnden Werkzeug sein. Damit wird jeder vorsätzlich Handelnde zugunsten des Opfers zur Amme eines unvorsätzlich Handelnden, was bei Unvermeidbarkeit des Irrtums richtig sein mag, bei Leichtsinn aber axiologisch ungereimt ist (siehe schon oben zur mittelbaren Täterschaft 21/72). — Bei Anwendung der Regeln der Teilnahme müßte der Teilnehmer ohne Blick auf die Strafbarkeit von Fahrlässigkeit (es geht nicht um Fahrlässigkeit, sondern um fehlenden Vorsatz) aus dem Strafrahmen für Vorsatzdelikte haften, da die Vermeidbarkeitsform höchstpersönlich wirkt (siehe unten zur qualitativen Akzessorietät 23/16 ff).

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ß) Bei den Delikten, die formulierungsmäßig oder faktisch Sonderdelikte sind, ohne eine Sonderpflichtverletzung zu enthalten, führt auch der Ausweg der mittelbaren T ä terschaft nicht zur H a f t u n g , wenn der vorsätzliche Veranlasser keine Täterqualifikation aufweist. In diesem Bereich sind de lege lata die schwersten Wertungswidersprüche zu finden: Die Unterstützung des unvorsätzlich Handelnden ist straffrei. Beispiel 2' Nach B G H 4 S. 355 ff; O L G Köln MDR 1962 S. 591 f. 22 Nach O L G Stuttgart VRS 17 S. 272 ff. 23 „Rechtspolitischer Mißgriff", „Fehlentscheidung" (Schönke-Schröder-Cramer Rdn. 32 f vor $25); „Sachstruktur verfehlt" (Schmidhäuser AT 14/94); siehe ferner Roxin Täterschaft S. 352 ff, 551 ff; Scbönebom ZStW 87 S. 902 f f , ' 9 1 3 ; — aus der Zeit von §§ 48, 49 StGB a. F. siehe LK*-Mezger § 48 Anm. 2 d und § 50 Anm. 4 und 5 d; Mezger

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J Z 1954 S. 312 ff (dagegen Welzel J Z 1954 S. 429 0 ; Lange J Z 1959 S. 560 ff; Lampe ZStW 77 S. 262 f f ; Duhm MDR 1959 S. 508 ff. Schmidhäuser Studienbuch 10/22, der den V o r satzbegriff in den §§ 26 f StGB, soweit er eine Eigenschaft der Haupttat betrifft, als Willentlichkeit im Sinn des Gewolltseins der Körperbewegung (Basishandlung) nebst eventuell beabsichtigter (tatbestandlicher?) Folgen (Folgenhandlung, a a O 5/10) interpretiert.

Teilnahme

22. Abschn

(siehe auch das eingangs genannte Beispiel zur Verkehrsunfallflucht): W e r einem Betrunkenen rät, in Kenntnis seiner Trunkenheit ein Auto zu führen, haftet als Teilnehmer der Trunkenheit im Verkehr; wer denselben Rat einem Täter gibt, der sich leichtsinnig oder mit gutem Grund, jedenfalls aber irrig f ü r voll fahrtüchtig hält, haftet nicht. Soweit de lege ferenda eine — vorzugswürdige 2 5 , aber teils zu verquälten Formulierungen führende 2 6 — Umformulierung in Jedermannsdelikte ausscheidet, bringt nur die Anerkennung einer Teilnahme an unvorsätzlicher T a t Abhilfe. Auch bei einer U m formulierung in Jedermannsdelikte liegt die Lösung nicht in der pauschalen Anwendung der mittelbaren Täterschaft, sondern in der Differenzierung nach der Zuständigkeit für den Zusammenhang von Defekt und Tatbestandsverwirklichung. γ) Die Sonderdelikte im engeren Sinn verlangen nach einer eigenen Lösung. Hier 16 übernimmt der Sonderpflichtige nicht nur die Ausführungshandlung (Arbeitsteilung), sondern er allein bringt die Pflicht ein (Rollentrennung). Deshalb bezeichnet seine Pflichtverletzung das Höchstmaß an Normgeltungsschaden; beispielhaft gesprochen, seine Pflichtverletzung ist das Nadelöhr, das von allem Beteiligtenunrecht passiert werden muß. Die Bestrafung von Teilnahme ist demnach allenfalls in dem Maß angebracht, in dem die Haupttat f ü r den Qualifizierten zurechenbares Unrecht ist, also bei Fahrlässigkeit nur bei Bestand eines entsprechenden Fahrlässigkeitstatbestands und bei Unvermeidbarkeit überhaupt nicht. Da Fahrlässigkeitstatbestände bei echten Sonderdelikten regelmäßig fehlen, verliert damit die Fallgruppe jede praktische Bedeutung. Beispiel: Der Richter, der auf Grund eines plumpen Täuschungsmanövers ein falsches Urteil fällt, begeht trotz Leichtsinns mangels Vorsatzes keine nach § 336 StGB tatbestandsmäßige Rechtsbeugung; das schließt alle Teilnehmer von der H a f t u n g aus, die ihre Pflicht nur von derjenigen des Richters ableiten können. dd) Im Ergebnis hat das Gesetz 2 7 eine naturalistische Differenzierung getroffen 17 (Vorsatz/Fahrlässigkeit), wo eine wertende angebracht gewesen wäre (Zuständigkeit/ Unzuständigkeit). Die gegen die Möglichkeit einer Teilnahme an unvorsätzlicher T a t und für die gesetzliche Lösung vorgebrachten Argumente der überwiegenden Lehre leiden sämtlich an einem Mangel an Differenzierung: Die Lösung bei den Sonderdelikten im engeren Sinn (die jedenfalls praktisch auf Straffreiheit der Teilnahme an nicht strafbarer unvorsätzlicher T a t hinauslaufen muß) wird mit der Lösung bei Jedermannsdelikten in eins gesetzt und dagegen ausgespielt 28 , und bei Jedermannsdelikten wird die falsche Alternative aufgebaut, es komme bei sämtlichen Fällen entweder nur mittelbare Täterschaft oder aber nur Teilnahme an unvorsätzlicher Tat in Betracht; letzteres ist dann natürlich keine überzeugende Lösung f ü r die Fälle, in denen der Hintermann f ü r den Zusammenhang von Defekt und Tat zuständig ist. — Eine befriedigende Regelung muß sowohl Teilnahme an unvorsätzlicher T a t wie mittelbare Täterschaft durch Benutzung eines unvorsätzlich handelnden Werkzeugs kennen, ersteres f ü r die Fälle der

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Der Vorzug besteht darin, auch die Fälle von vis absoluta, in denen es schon an einer Handlung des Gezwungenen fehlt, erfassen zu können. Beispiel: Eine Frau zwingt einen Mann mit vis absoluta zu exhibitionistischen „Handlungen". Etwa zu § 316 StGB: Wer täterschaftlich bewirkt, daß ein Fahruntüchtiger ein Fahrzeug führt etc.; ähnlich unbeholfen schon jetzt § 177 Abs. 1 StGB. Wie das Gesetz schon die Rechtsprechung zu den SS 48, 49 StGB a. F. seit B G H 9 S. 370 ff (unter Preisgabe von B G H 4 S. 355 ff; 5 S. 47 ff). Aus der Literatur siehe insbesondere Welzel J Z 1953

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S. 763 f; den. J Z 1954 S. 128 f f ; ders. Strafrecht S 16 I 2 a mit ausführlichen Nachweisen der Literatur zum alten Recht; den. Z S t W 58 S. 491 ff, 537 ff, 546; ders. Grünhut-Gedächtnisschrift S. 173 ff, 179 ff; Bockelmann Verhältnis S. 15 ff; ders. GA 1954 S. 193 ff; den. Untersuchungen S. 109 ff, 124 f. Als Schreckgestalt wird neben dem genannten Beispiel zur Rechtsbeugung die Teilnahme an „unvorsätzlicher Untreue" genannt; siehe H. Mayer Rittler-Festschrift S. 243 ff, 266.

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22. Abschn

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Unzuständigkeit des Beteiligten für die Verbindung von Defekt und Tat, letzteres für die Fälle der Zuständigkeit. 18 ee) Der Wortlaut des Gesetzes ist eindeutig. Deshalb ist es mit dem Bestimmtheitsgrundsatz unverträglich, Teilnahme an einer unvorsätzlichen Haupttat jedenfalls dann anzuerkennen, wenn die Haupttat nach der Vorstellung des Teilnehmers vorsätzlich sein sollte, aber unvorsätzlich vollzogen wurde. Entsprechende Fallkonstellationen sind nicht nur bei Sonderdelikten denkbar; Beispiel: Die Krankenschwester reicht dem Arzt wunschgemäß und im Bewußtsein der Folgen ein Medikament in einer schädigend hohen Dosis; der Arzt hatte sich bei der Mengenangabe geirrt; die Schwester ging davon aus, der Arzt habe die Folgen eingeplant, etc.; — mangels vorsätzlicher Haupttat keine Teilnahme der Schwester an einer Körperverletzung; mangels Kenntnis der Unvorsätzlichkeit keine mittelbare Täterschaft der Schwester; möglich bleiben Teilnahmeversuch und fahrlässige Täterschaft. — Ferner leidet die Lösung, die in solchen Fällen die §§ 26, 27 StGB anwendet, an einer ungerechtfertigten Mißachtung der üblichen Regeln über die Kongruenz von objektivem Verlauf und Vorsatz 29 . Diese Mißachtung erklärt sich aus der Gleichstellung von „Bewirken" mit „akzessorischem Bewirken" also aus Resten des extensiven Täterbegriffs (Urheberlehre).

B. Die äußere (quantitative) Akzessorietät 19

1. Wie schon bei der Mittäterschaft, so werden auch bei der Teilnahme die Beiträge aller Personen zu einem deliktischen Geschehen verbunden, das die Stadien der Vorbereitung und des Versuchs einheitlich durchläuft (Gesamtbetrachtung), also nicht nach den Beteiligten gesondert (Einzelbetrachtung). Auch wenn ein Teilnehmer seinen Beitrag voll geleistet hat, liegt für ihn nur dann ein Versuch vor, wenn das deliktische Geschehen insgesamt bis zum Versuch gediehen ist. Alle Beiträge werden also nach den quantitativen Fortschritten der gesamten Tat behandelt, so als vollzöge ein einziger Täter alles allein.

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2 a) Bleibt die Haupttat aus, so liegt nur Versuch einer Teilnahme vor. Beispiele: Der Angestiftete weigert sich, die Tat zu begehen; — der Angestiftete will die Tat begehen, scheitert aber schon vor dem Versuch. Dieser Versuch der Teilnahme ist im Rahmen des § 30 StGB strafbar (§ 30 StGB formuliert also eine Ausnahme von der Akzessorietät); ansonsten ist der Versuch als Versuch straffrei (nicht auch stets als Tat nach § 138 StGB) 30 , und zwar auch bei Verbrechen 31 . b) Wird die täterschaftliche Haupttat immerhin versucht, so ist über die Tatbestandsbindung der Täterschaft die Tatbestandsbindung der Teilnahme garantiert; der Teilnehmer haftet im Maß des Gelingens, also wegen Teilnahme am Versuch, dies aber nur, wenn der Versuch des Täters auch'strafbar ist, also bei Vergehen (§12 Abs. 2 StGB) nicht ohne Sonderregelung im BT (§ 23 Abs. 1 StGB).

III. Die Anstiftung Literatur G. Bemmann Z u m Fall R o s e - R o s a h l , M D R 1958 S. 8 1 7 f f ; ders. D i e U m s t i m m u n g d e s T a t e n t s c h l o s s e n e n , G a l l a s - F e s t s c h r i f t S. 2 7 3 f f ; P. Cramer A n m e r k u n g z u B G H 19 S. 3 3 9 f f , J Z 1 9 6 5 29

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Zutreffend Bockelmann Gallas-Festschrift S. 261 ff, 267; - sehr streitig, Nachweise bei JeScheck A T § 61 VII 3 Fn. 44. Z u r subsidiären Bestrafung aus § 138 StGB siehe Schmidhäuser Bockelmann-Festschrift S. 683 ff mit Nachweisen. Zwar ist die Verbrechensteilnahme selbst Verbrechen (§ 12 Abs. 2, § 26 StGB; § 12 Abs. 1 und 3,

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§ 27 StGB), aber die generelle Strafbarkeit des Verbrechensversuchs ( § 2 3 Abs. 1 StGB) erfaßt n u r Täterschaft (arg. § 30 StGB) und zudem bestimmt sich der Versuch eines Delikts mehrerer akzessorisch Beteiligter einheitlich, nämlich nach der Ausführungshandlung; siehe schon oben z u r akzessorischen Mittäterschaft,

Teilnahme

22. Abschn

S. 31 f; E. Dreher Der Paragraph mit dem Januskopf, Gallas-Festschrift S. 307 ff; M. Fincke Das Verhältnis des Allgemeinen zum Besonderen Teil des Strafrechts, 1 9 7 5 ; W. Gallas Anmerkung zu B G H J R 1956 S. 2 2 6 , a a O S. 2 2 6 f; den. Der dogmatische Teil des Alternativentwurfs, Z S t W 80 S. 1 ff; Κ. H. Gössel Dogmatische Überlegungen zum erfolgsqualifizierten Delikt nach § 18 StGB, Lange-Festschrift S. 2 1 9 ff; Armin Kaufmann Die Dogmatik im Alternativentwurf, Z S t W 80 S. 34 ff; L. Martin Beihilfe zur Anstiftung, D R i Z 1955 S. 2 9 0 f; D. Meyer Der mißverständliche Bestechungsversuch, J u S 1970 S. 529 ff; ders. Anstiftung durch Unterlassen? M D R 1 9 7 5 S. 9 8 2 ff; H. Otto Anstiftung und Beihilfe, JuS 1982 S. 557 ff; K. Rogall Die verschiedenen Formen des Veranlassens fremder Straftaten, GA 1975 S. 11 ff; E. Samson Die öffentliche Aufforderung z u r Fahnenflucht an Nato-Soldaten, J Z 1969 S. 258 ff; F.-C. Schroeder D e r T ä t e r hinter dem T ä t e r , 1 9 6 5 ; / . Schulz Die Bestrafung des Ratgebers, 1 9 8 0 ; R. Seehaid Teilnahme am erfolgsqualifizierten und am fahrlässigen Delikt, GA 1964 S. 161 ff; W. Stree Bestimmungen eines Tatentschlossenen zur Tatänderung, Heinitz-Festschrift S. 2 7 3 ff.

A. Die Besonderheit der Teilnahme durch Anstiftung 1. Anstiften ist vorsätzliches Bestimmen zu vorsätzlicher T a t (§ 26 StGB). Die Inter- 2 1 pretation des „Bestimmens" ist schwierig und umstritten. Auch der notwendige Gehilfe (ζ. B. wer dem Täter das sonst unerreichbare und einzig taugliche Tatwerkzeug verschafft) „bestimmt" im weiteren Sinn zur Tat, da er den zuvor tatohnmächtigen Willen des Täters tatmächtig und damit erst zu einem strafrechtlich relevanten Vorsatz macht. Erst recht „bestimmt" im weiteren Sinn, wer eine Gelegenheit schafft, deren Versuchungen oder Zwängen ein anderer erwartungsgemäß erliegt und deshalb einen D e liktsvorsatz faßt (jemand bestiehlt einen Ganoven, wissend, daß dieser sich anderen Orts schadlos halten wird). Zur Vermeidung dieser Ausuferungen verlangt eine verbreitete Meinung eine geistige Beeinflussung des Angestifteten durch den Anstifter, gemeint ist eine verbale oder sonstige Kommunikation 3 2 . 2. Diese Einschränkung ist noch zu schwach; denn per Kommunikation wirkt auch 2 2 psychische Beihilfe. Da Anstiftung wie das Verhalten strafbar ist, zu dem angestiftet wird, muß sie in der Interpretation voll von der Beihilfe abgeschichtet werden. Deshalb muß nicht nur irgendeine geistige Beeinflussung vorliegen, sondern eine Beeinflussung dahingehend, daß die T a t stattfinden soll. Diese Beeinflussung muß nicht nur vollzogen werden, sondern sie muß auch wirken, d. h. der Vorsatz des Angestifteten muß gerade durch die Kommunikation mit dem Anstifter über die Notwendigkeit der T a t zustande kommen. Daß der Anstifter die T a t für angebracht hält, muß für den Angestifteten ein Grund sein, den Tatvorsatz zu fassen. Mit anderen Worten, nicht die Kommunikation über die Handlungen, die man alle vollziehen kann, sondern die Kommunikation über die Handlungen, die man vollziehen soll, gehört zur Anstiftung und muß wirken, d. h. den Beeinflußten zur T a t bringen 33 . " Schmidbauer AT 14/104; ]escheck AT § 64 III 1; H. Mayer KT § 49 III 1 b; LK-Roxin § 26 Rdn. 12 mit weiteren Nachweisen; — schwächer („psychische" Beeinflussung) Stratenwerth AT Rdn. 881; — a.A. Lackner § 2 6 Rdn. 2; SK-Samson § 2 6 Rdn. 5; strenger Otto JuS 1982 S. 557 ff, 560 („unmittelbar auf den Willen des Täters beeinflussend" einwirken). 33 Das deckt sich im Ansatz mit der Meinung von Schulz, der die zur Anstiftung erforderliche Wirkung auf diejenige per „Planberrschaft" reduziert (Ratgeber S. 137 ff). Planherrschaft soll derjenige haben, der den „deliktischen Sinnzusammenhang" schafft (S. 150). Dabei berücksichtigt Schulz

nicht, daß die Übernahme des Plans durch den Ausfuhrenden nicht mehr sein muß, als die Übernahme einer guten Idee. Die Übernahme unterscheidet sich deshalb allenfalls quantitativ von sonstigen psychischen Beeinflussungen. Planherrschaft bringt — wie Schulz einräumt — keine Form von Herrschaft zur Tat, sondern nur eine Herrschaft im Vorfeld. Eine solche Herrschaft im Vorfeld hat aber auch der notwendige Gehilfe, seil, eine Herrschaft über die Durchführbarkeit. Es muß zur Höherstufung der Anstiftung gegenüber der Beihilfe ein Durchgriff des Anstifters auf die Tat hinzukommen: eben durch den Täter, der seinen Vorsatz abhängig faßt.

551

22. Abschn

2. Buch.

4. Kapitel. Beteiligung

Psychische Beeinflussung ist also nur dann Anstiftung, wenn der Täter — wie bei der älteren subjektiven Theorie zur Täterschaft — seinen Entschluß in Abhängigkeit vom Willen des Beeinflussenden faßt, mag er ihn auch später unabhängig von diesem Willen durchhalten. Bringt den Täter aber allein das vermittelte Wissen zur Tat, ohne daß gerade der Wille des Beeinflussenden kausal wird, so ist die Anstiftung nur versucht und allein (psychische) Beihilfe vollendet. — Beispiele: Dem Täter wird von einer Tatgelegenheit berichtet; der Täter vollzieht die Tat der günstigen Tatlage wegen; — nur (psychische) Beihilfe. — Der noch unentschlossene Täter holt sich bei einem Fachmann Rat, der sich äußert, der Täter solle die Tat wagen; — gleichfalls nur (psychische) Beihilfe, da den Täter allein die Meinung von der Durchführbarkeit, nicht aber der Durchführungswille des Beeinflussenden interessiert. — Dem Täter wird für den Fall der Tatgestaltung eine Belohnung versprochen; der Belohnung wegen wird die Tat begangen; oder dem für den Fall einer Belohnung bedingt entschlossenen Täter, der sich anbietet, wird die Belohnung zugesagt; — in beiden Fällen Anstiftung, weil der Täter seinen Vorsatz nicht fassen würde, wenn nicht der Beeinflussende die Tat wollte. Nur wenn der Tatvorsatz in der beschriebenen Weise als abhängiger Vorsatz gefaßt wird, ist der psychische Einfluß mehr als Anreiz, Hilfe oder „guter" Rat; also ist auch nur dann eine Hervorhebung der Anstiftung neben der Beihilfe angebracht 34 .

B. Einzelheiten 23

1. Ein besonderer Nachdruck des Bestimmens ist nicht erforderlich. Das Arsenal der Anstiftungsmittel35 reicht von der täuschungs- und herrschaftsfreien Kommunikation darüber, daß die Tat sein soll (was auch in Frageform geschehen kann 3 6 ), bis hin zu den Mitteln der mittelbaren Täterschaft, solange der Beeinflußte vorsätzlich handelt. Täuschungen, die beim Getäuschten den Vorsatz ausschließen, scheiden aus (es liegt dann mittelbare Täterschaft vor, siehe oben 21/74). — Die Differenzierung der Rechtsprechung zwischen bloßer Bitte (keine Anstiftung 37 ) und Schaffen eines Motivs (Anstiftung 38 ) ist undurchführbar. — Die Rechtsprechung hat zur Abgrenzung wenig geleistet, da der eigennützige Anstifter (also der Regelfall) nach der subjektiven Theorie als Mittäter haftet.

24

2 a) Wer schon jedenfalls zur Tat entschlossen ist (omnimodo facturus), kann nicht mehr erfolgreich angestiftet werden (aber dessen Anstiftung kann — bei Unkenntnis der Tatentschlossenheit — versucht werden, § 30 Abs. 1 StGB). Ein Tatentschluß liegt freilich nicht schon vor, wenn jemand allgemein zur Tat geneigt ist 39 ; zur Abgrenzung zwischen Tatgeneigtheit und Tatentschluß siehe unten zum Versuch 25/29 ff.

25

b) Freilich kann der schon zur Tat Entschlossene zu Änderungen des Entschlusses gebracht werden. Hierbei ist anerkannt, daß zu selbständig strafbaren Übersteigerungen der bislang geplanten Tat angestiftet werden kann (unstreitig); Beispiel: Dem zur Körperverletzung Entschlossenen wird geraten, in die Wohnung des Opfers einzudringen und die Tat dort zu vollziehen, wie es auch geschieht; — Anstiftung zum Hausfriedensbruch, §§ 26, 123 StGB, je nach Fallgestaltung ideal konkurrierend mit Beihilfe zur Körperverletzung, §§ 27, 223 StGB. Ansonsten kommt es darauf an, ob die Tat für 34

35

Teils ähnlich D. Meyer JuS 1970 S. 529 ff; den. M D R 1975 S. 982 ff. Zur Anstiftung durch Erregung eines Irrtums: O L G H a m b u r g HESt. 2 S. 316 f; RG 71 S. 98 ff, 99. — Zur Anstiftung zu weit, da den bloßen Rat umfassend, R G 53 S. 189 ff, 190. - Siehe auch die Aufzählung der Tatmittel in § 48 StGB a. F.

552

56 B G H GA 1980 S. 183 f. RG H R R 1942 N r . 741. RG 36 S. 402 ff, 405. 3 » RG 37 S. 172 f; B G H bei Daliinger M D R 1957 S. 395; M D R 1972 S. 569. 38

Teilnahme

22. Abschn

den Beeinflußten identisch bleibt (keine Anstiftung) oder sich ändert (Anstiftung). W a n n letzteres der Fall ist, läßt sich teils nur schwierig bestimmen und ist insgesamt sehr streitig 40 . Das Spektrum reicht von der Annahme identischer Taten bei gleichem „Maß der Rechtsgutsverletzung" 4 1 bis hin zur Bestimmung der Identität durch jede einzelne Qualifizierung eines Delikts 4 2 . Die überwiegende Ansicht nimmt Identitätswechsel beim Übergang zu einem „Aliud" 43 sowie bei „erheblicher" Ubersteigerung 4 4 an. c) Zur Lösung ist zu beachten: 26 aa) Ein Wechsel des Täters ändert die Tat f ü r den Beeinflußten natürlich stets, mag sie auch für andere Beteiligte identisch bleiben. Beispiel: Der Bandenchef bestimmt statt des zunächst ausersehenen Bandenmitglieds ein anderes Mitglied zum Mittäter einer Mordtat; — Anstiftung, obgleich die T a t f ü r die anderen Mittäter und sonst Beteiligte identisch bleibt. bb) Ein Wechsel des Tatobjekts ändert die Identität gleichfalls, auch wenn es dem Täter auf die Identität des Objekts nicht ankommt. Beispiel: Dem Täter wird geraten, doch nicht — wie geplant — die Fensterscheiben in einer vollbeleuchteten City-Straße einzuwerfen, sondern lieber eine schwach beleuchtete Seitenstraße zu wählen. D e r Vorsatz des Täters muß aber vom Willen des Umstimmenden abhängig gefaßt werden (sonst nur psychische Beihilfe), woran es bei solchen Fallgestaltungen meist fehlen dürfte. cc) Ein Wechsel des Tatmittels, der Tatzeit oder des Tatorts ändert die Identität gleichfalls, soweit es sich nicht um (absolute oder relative) Begleitumstände handelt (siehe oben zur Kausalität 7/14 ff). In aller Regel wird freilich der Täter eine bloße Änderung dieser Modalitäten nicht in Abhängigkeit vom Willen des zur Änderung Bestimmenden vornehmen, sondern allein wegen der f ü r ihn vorteilhafteren Gestaltung. Das gilt auch bei quantitativ erheblichen Übersteigerungen, mögen sie tatbestandlich ausformuliert sein oder nicht. Beispiel: Statt schlichter Wegnahme (§ 242 StGB) wird Wegnahme mit Gewalt angeraten (§249 StGB); — keine Anstiftung zum Raub, und auch keine Anstiftung zur Nötigung, wenn allein das vermittelte Wissen zur Änderung der Modalität führt 4 5 . — Umgekehrt wird der Anstifter dem Täter die Wahl des Mittels in einem bestimmten Rahmen häufig anheimstellen. dd) Ein Wechsel des Tatziels (des Zwischenziels oder des Beweggrunds) dürfte regelmäßig Abstiftung verbunden mit erneuter Anstiftung sein. Beispiel: Der zu einem Sprengstoffattentat entschlossene Anarchist wird dazu bekehrt, nicht f ü r die Internationalisierung der Revolution, sondern für die Einheit der Nation zu bomben; — Anstiftung. 3. Da es bei der Anstiftung darum geht, daß der Beeinflußte zu einer T a t k o r r u m - 27 piert, nicht aber nur allgemein in seinen deliktischen Neigungen bestärkt wird, muß die Tat bestimmt sein. Freilich muß der Anstifter mangels Tatherrschaft (hier: mangels Gestaltungsherrschaft) die Konkretisierung der am besten tatnah zu entscheidenden Modalitäten dem Beeinflußten überlassen; wenn er als Anstifter haften soll, so muß er aber 40

Ausführliche Nachweise bei Schulz Ratgeber S. 16 ff, 56 ff, 101 ff. «> SK-Samson § 26 Rdn. 4. « Stree Heinitz-Festschrift S. 273 ff, 291 f; Otto J u S 1982 S. 557 ff, 561 (zudem durch jede Begehungsmodalität). Zur Fahrlässigkeit R G 59 S. 53 f; 76 S. 68 ff, 70. to RG 73 S. 230 f.

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32. AbSChn

2. B u c h . 7. K a p i t e l . S c h e i n b a r e u n d e c h t e K o n k u r r e n z

renginge. Die zumeist genannte Trunkenheitsfahrt nach § 3 1 6 StGB und die Fahrt ohne Fahrerlaubnis nach § 2 1 Abs. 1 Nr. 1 StVG dürften freilich in der Regel schon nach allgemeinen Grundsätzen einfache Gesetzesverletzungen sein 41 > 42 . Insbesondere aber bei Freiheitsberaubung und lang andauernder Nötigung wird häufig trotz je zeitlich isolierter Verhaltensweisen nur eine einzige T a t gegeben sein. Die subjektive Einheitlichkeit kann sich in diesen Fällen darauf reduzieren, „bei Bedarf" weiterhandeln zu wollen. Beispiel: Das eingesperrte Opfer ermöglicht nach zwei Tagen seine Flucht; der Täter verhindert diese, so daß die Freiheitsberaubung weitere zwei Tage dauert; — nicht zwei Freiheitsberaubungen von je zwei Tagen, sondern eine einfache Freiheitsberaubung von vier Tagen, wenn subjektive Einheitlichkeit gegeben ist. — Der Hausbesetzer hindert den Berechtigten bei dessen allwöchentlichen Besuchen jedes Mal am Betreten des Hauses; — bei subjektiver Einheitlichkeit: eine Nötigung. — Dauerdelikte sind auch die Unterlassungsvarianten der §§ 123 und 170 b StGB. 28

B. Bei zahlreichen Delikten besteht das deliktische Verhalten in einer quantitativ unbestimmten Beteiligung an einer schon bestehenden oder vom Täter erst initiierten rechtswidrigen Veranstaltung. Die einzelnen Beteiligungsakte werden dann auch bei zeitlicher Isolierung dadurch zusammengefaßt, daß der Täter sich — bei subjektiver Einheitlichkeit — immer wieder an der identischen Veranstaltung beteiligt. Hauptsächlich geht es um die Bildung krimineller oder terroristischer Vereinigungen (§§ 129 f StGB), ferner um Agententätigkeit (§§ 98 f StGB), friedensgefährdende Beziehungen (§ 100 StGB), Förderung der Prostitution (§ 180 a StGB), Beteiligung an einer Schlägerei (§ 227 StGB), nach der Rechtsprechung auch Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (§11 Abs. 1 Nr. 1 BetäubMG), dies auch zusammen mit Erwerb oder Einfuhr 4 3 u. a. m. — Nicht hierher gehört die Geldfälschung (§ 146 StGB) 4 4 ; die einzelnen Akte des Herstellens oder Vertreibens sind — wie bei der Urkundenfälschung — beim Fehlen der Einheitlichkeit des Vollzugs selbständig. Zwar wird die Herstellung oft einen längeren Zeitraum beanspruchen, tatbestandliches „Nachmachen" i. S. von § 146 StGB ist hierbei jedoch nur der letzte Abschnitt, der unmittelbar (§ 22 StGB) das Produkt Geld hervorbringt.

29

C. Bei den — notwendig oder fakultativ — mehraktigen Delikten45 (mit dem Unterfall der durch Nacheinanderschaltung anderer Delikte zusammengesetzten Delikte) erfolgt die Tatbestandsverwirklichung durch eine Sequenz von Handlungen. Dabei verwirklicht jeder Einzelakt nur einen Teil des Tatbestands und erst in ihrer Zusammenfassung verwirklichen die Akte den gesamten Tatbestand einfach. Beispiele bilden Vergewaltigung und sexuelle Nötigung (§§ 177 f StGB), Entführung gegen den Willen des Entführten (§ 237 StGB), einige Qualifizierungen der Nötigung, insbesondere Raub 41

42

Z u r T r u n k e n h e i t s f a h r t BayObLG N J W 1960 S. 879 f; O L G Stuttgart N J W 1964 S. 1913 f; die These, ein Verkehrsunfall unterbreche das Delikt ( B G H 21 S. 203 ff, 204; O L G Celle J R 1982 S. 79 f mit zustimmender Anmerkung Rüth a a O S. 80; BayObLG J R 1982 S. 249 f mit Anmerkung Hentschel a a O S. 250 f), ist für diejenigen Fälle richtig, in denen der Unfall die subjektive Einheitlichkeit zerreißt; sehr streitig, siehe Scbönke-Schröder-Stree Rdn. 84 f vor § 5 2 mit Nachweisen. Die verschiedene Objekte konkret gefährdende T r u n k e n h e i t s f a h r t nach § 3 1 5 c Abs. 1 N r . 1 StGB ist n u r bei G e f ä h r d u n g verschiedener Sachen als einfache Gesetzesverletzung möglich, bei G e f ä h r d u n g verschiedener Personen hingegen

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zerbricht die Höchstpersönlichkeit der Güter die Einheitlichkeit des Erfolgs, und es liegt gleichartige Idealkonkurrenz v o r ; a. A. B G H 22 S. 67 ff, 71 f; BayObLG V R S 63 S. 275 und die überwiegende Ansicht. Die Entscheidung fällt freilich anders aus, wenn man den Einzelnen nicht auch per se, sondern nur als zufälligen Repräsentanten der Allgemeinheit f ü r geschützt hält. « B G H 25 S. 290 ff; B G H N J W 1981 S. 1325 f. 44 Α. A. Jescheck A T § 66 III 1. 45 Siehe Geerds K o n k u r r e n z S. 264 ff; Schmitt Z S t W 75 S. 43 ff, 46 f; Warda J u S 1964 S. 81 ff, 84 f; Mniwald Handlungseinheit S. 70 ff; SKSamson Rdn. 24 vor § 52; LK-Vogler Rdn. 16 vor § 5 2 ; Schönke-Schröder-Stree Rdn. 14 vor § 5 2 ; Jescheck A T § 66 II 2.

Einheit des V e r h a l t e n s

32. AbSChn

( § S 249 f StGB, aber auch SS 239 a und b, 252, 253, 255 StGB), besonders schwere Brandstiftung nach S 307 Nr. 3 StGB u. a. m. Zum Teil besteht bei diesen Tatbeständen die Verwirklichung notwendig aus mehreren Akten, wie etwa bei der Entführung gegen den Willen des Entführten ( S 237 StGB) erst die Entführung und dann eine sexuelle Handlung stattfinden müssen oder beim räuberischen Diebstahl ( S 252 StGB) erst der Diebstahl und dann die Verteidigung der Beute. Teils freilich ist die Tatbestandsverwirklichung nicht notwendig, aber in den praktisch allein relevanten Fällen mehraktig. So mögen Fälle des Raubs (S 249 StGB) denkbar sein, bei denen der Täter uno actu nötigt und wegnimmt, etwa indem er dem Opfer die Sache so aus der Hand reißt, daß sie ohne weiteres Zutun vom Gewahrsam des Opfers in denjenigen des Täters wechselt, oder in Fällen der besonders schweren Brandstiftung nach S 307 Nr. 3 StGB mag das In-Brand-Setzen durch eine zweckvoll dergestalt arrangierte Explosion erfolgen, daß dadurch zugleich Löschgeräte vernichtet werden. Eine Beschränkung der Tatbestandsverwirklichung auf solche einaktigen Fälle brächte jedoch keine axiologisch sinnvolle Abgrenzung. Deshalb können die Tatbestände auch durch mehrere, aufeinander aufbauende Teilhandlungen verwirklicht werden, indem etwa beim Raub zuerst die Gewaltanwendungshandlung vollzogen wird und dann die Wegnahmehandlung oder bei der besonders schweren Brandstiftung nach S 307 Nr. 3 StGB erst die Vernichtung der Löschgeräte und anschließend das In-Brand-Setzen. Der Tatbestand gibt dabei den Einzelakten der Handlungssequenz eine gemeinsame Bedeutung, eben diejenige des betreffenden Delikts.

IV. Die Einheitlichkeit des Verhaltens beim Unterlassungsdelikt46 A. Beim Unterlassungsdelikt gelten die Ausführungen zum Begehungsdelikt ent- 30 sprechend. Für die Frage der Einheitlichkeit des Unterlassens kommt es darauf an, ob in der Unterlassung einer bestimmten Aktion die Verletzung mehrerer Pflichten expressiv (d. h. mindestens versucht) wird — dann Tateinheit — oder ob die Pflichten auf das Unterlassen je verschiedener Aktionen zu beziehen sind. Stehen dem Täter für verschiedene Pflichten mehrere Abwendungsmöglichkeiten zur Verfügung, die nach Wahl des Täters entweder je eigene Aktionen fordern, oder aber in einer alle Pflichterfüllungen zumindest beginnenden einzelnen Aktion bestehen, so liegt Tatmehrheit vor 47 : Der Täter, der alle Aktionen unterläßt, unterläßt damit zwar auch diejenige Aktion, durch die alle Pflichterfüllungen zumindest begonnen würden. Das Unterlassen dieser Aktion macht aber nicht expressiv, daß er alle Pflichten nicht erfüllen wird; denn er könnte ja einzelne Pflichten durch isolierte Aktionen erfüllen. Beispiel48: Wer mehrere Unterhaltspflichten verletzt, verhält sich in Unterlassungsmehrheit (Realkonkurrenz), wenn er durch einen einzigen Auftrag seinen Angestellten zur rechtzeitigen Erfüllung aller Verpflichtungen bewegen, aber auch getrennte Wege zur Zahlung einschlagen könnte. Unterlassungseinheit wird nur gestiftet, wenn zwingend mit einer bestimmten Aktion die Erfüllung aller Verpflichtungen zumindest begonnen werden müßte. — Für die Bestimmung der dem Täter zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Pflichterfüllung zählt erst die Lage vom Versuchsbeginn an, da aus dem vorangehenden Unterlassen kein deliktisches Fehlen eines Handlungswillens expressiv wird. Pflichten, deren gemeinsame Erfüllung zwar vor, nicht aber nach Versuchsbeginn mit einer bestimmten Aktion zumindest begonnen werden muß, werden also unterlassungsmehrheitlich ver46

Eingehend Struensee Konkurrenz passim; Maiwald Handlungseinheit S. 105 ff; siehe ferner Höpfner Einheit Bd. I S. 164 ff; Geerds Konkurrenz S. 262, 272 mit Fn. 172, 291 f; den. J Z 196 4 S. 593 ff; Herzberg M D R 1971 S. 881 ff, 883;

Schönke-Schröder-Stree Rdn. 28 vor § 52; /escheck A T § 66 IV 2; LK-Vogler Rdn. 39 ff vor § 52. " Α. A. Struensee Konkurrenz S. 46 ff, 56, 105. 48 Nach B G H 18 S. 377 ff, 379; BayObLG N J W 1960 S. 1730.

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32. AbSChn

2. B u c h . 7. K a p i t e l . S c h e i n b a r e u n d e c h t e K o n k u r r e n z

letzt, auch wenn sie vor dem kritischen Zeitpunkt nur gemeinsam durch eine Aktion zu erfüllen waren 4 9 . — Vom Versuchsbeginn an reicht zur Unterlassungseinheit eine einzelne notwendig gemeinsame Rettungshandlung aus. 31 Β 1. Entsprechend der Lage beim Begehungsdelikt gibt es auch eine juristische Unterlassungseinheit 50 . Diese liegt vor, wenn bei gegebener subjektiver Einheitlichkeit das Unterlassen einer Pflichterfüllung zumindest der Versuch des Unterlassens einer weiteren Pflichterfüllung ist. Bei Fahrlässigkeit entscheidet das Verhältnis zwischen den gekannten Unterlassungen bei nicht gekannten Folgen. Beispiele: Sieht der Wächter den Flammen zu, wie sie eine Sache nach der anderen ergreifen und zerstören, so unterläßt er in juristischer Unterlassungseinheit (Ergebnis hier: eine einfache, quantitativ gesteigerte Sachbeschädigung). — Zur Fahrlässigkeit: Beißt ein Hund mehrere Kinder rasch nacheinander und unterläßt es der Halter, das Tier zurückzupfeifen, weil er fahrlässig nicht erkennt, daß es sein Hund ist oder daß der Hund nicht nur spielt o. ä., so liegt eine juristische Unterlassungseinheit vor (Ergebnis hier: mehrere Körperverletzungen in gleichartiger Idealkonkurrenz). — Die zur Begehung genannten Erweiterungen der Einheitlichkeit bei Dauerdelikten 5 1 und Delikten per Beteiligung an einer rechtswidrigen Veranstaltung gelten entsprechend. 32

2. Die Abgrenzung von gleichartiger Idealkonkurrenz und einfacher, aber quantitativ gesteigerter Tatbestandsverwirklichung richtet sich also nach der Art des betroffenen Guts (höchstpersönliche Delikte) oder der Identität des Täters (Beteiligung an eigenhändigen Delikten). Beispiel: Wer durch Unterlassen einen Güterzug mit der Folge bloßen Sachschadens entgleisen läßt, begeht eine einzige Sachbeschädigung durch Unterlassen, gleichgültig wie viele Personen Eigentümer der Güter sind; wer aber ceteris paribus einen Personenzug mit der Folge von Tötung und Körperverletzung mehrerer Personen entgleisen läßt, begeht mehrfache Tötung und Körperverletzung durch Unterlassen in gleichartiger Idealkonkurrenz.

33

C. Handeln und Unterlassen können sich in einer juristischen Verhaltenseinheit abwechseln (siehe unten 32/zu Fn. 83). Insbesondere beim Führen von Fahrzeugen ist das praktisch stets der Fall (Handeln: Gas-Geben; Unterlassen: Nicht-Bremsen). Delikte mit handlungsvereinigenden Tatbeständen können voll durch Unterlassen begangen werden; Beispiel: Der Wächter hindert zunächst nicht das Unbrauchbar-Werden von Löschgeräten und später nicht den Brand (§ 307 Nr. 3 StGB). Auch ein Wechsel von Handlung und Unterlassung ist möglich (etwa bei Freiheitsberaubung; Handeln: Einsperren; — Unterlassen: Nicht-Freilassen).

V. Weitere Erscheinungsformen juristischer Handlungseinheit? A. Die Sammelstraftat 34

Teils wird die Einheitlichkeit einer Tat mit der Folge einer nur einfachen, quantitativ erweiterten Tatbestandsverwirklichung oder aber einer Idealkonkurrenz weit über den hier bezeichneten Rahmen ausgedehnt. Die ehemals angenommene Einheitlichkeit einer Sammelstraftat (Kollektivdelikt) wird freilich mittlerweile überwiegend nicht mehr anerkannt. Es geht um Delikte, bei denen das Tatverhalten als sich wiederholendes oder mit der Intention der Wiederholung vollzogenes Verhalten beschrieben wird: als gewerbsmäßig (§§ 180 a, 260, 292 Abs. 3, 293 Abs. 3 StGB), d. h. in der — nicht unbedingt verwirklichten 52 — Absicht, 49

Auch insoweit a. A. Struensee K o n k u r r e n z S. 77 f. 50 Siehe RG 76 S. 140 ff, 143 f.

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51

Siehe Struensee K o n k u r r e n z S. 57, 75 f; son 5 52 Rdn. 14. 52 B G H 26 S. 5 ff, 8.

SK-Sam-

E i n h e i t des V e r h a l t e n s

32. Abschn

sich aus wiederholter Begehung eine Einnahmequelle zu beschaffen 5 3 , als geschäftsmäßig (§ 144 StGB), d. h. in verwirklichter berufsähnlicher, wenn auch nicht notwendig gewinnbringender Ausübung 5 4 , oder als gewohnheitsmäßig (§§ 292 Abs. 3, 293 Abs. 3 StGB), d. h. einem durch mehrfache Begehung begründeten H a n g folgend 5 5 . Der Zweck dieser Merkmale ist es, ein mit einer bestimmten, rechtlich mißbilligten Haltung vollzogenes Verhalten zu erfassen, mag die Haltung als reines Innenmerkmal Bestand haben oder eine Objektivierung in weiteren Taten erfordern. Die einzelne Tat gehört zwar stets zu dem Verhalten, das die Haltung objektiviert, und vermittelt über die Haltung hängen die Taten durchaus zusammen; das begründet aber mangels Einheitlichkeit des Vollzugs keinen Zusammenhang der Tatbestandsverwirklichungen: Eine Haltung ist kein Tatvollzug und stiftet deshalb auch dann keine einheitliche Gesetzesverletzung oder Tateinheit, wenn die Haltung ein Tatbestandsmerkmal ist 56 . — Das wird mit dem Argument bestritten, jede Einzelhandlung sei „unselbständiger Bestandteil der durch sie charakterisierten bestimmten verbrecherischen Lebensführung (des gesamten ,Verbrechensbetriebs')" 5 7 , es komme also dem Gesetz mehr auf die Beteiligung an einer Veranstaltung an als auf die einzelne Tat. Diese Veranstaltung ist hier freilich im Gegensatz zur Lage bei den oben anerkannten Fällen ein In-sich-Geschäft des Täters und müßte jeden subjektiven Zusammenhang gleichermaßen erfassen: Alle aus einer Planung oder einer Verführbarkeit oder einer Reizbarkeit etc. hervorgehenden Taten müßten eine einfache Gesetzesverletzung sein; der nur-subjektive Konnex (dagegen oben 32/10 f) wäre unvermeidbar.

B. Die natürliche Handlungseinheit 1. Ferner soll eine sogenannte natürliche Handlungseinheit 5 8 zur Zusammenfassung 35 mehrerer Handlungen zu einem einfachen deliktischen Geschehen oder zur Idealkonkurrenz führen können. Eine solche Handlungseinheit ist jedoch so wenig anzuerkennen, wie es ein natürliches Delikt oder einen natürlichen Tatbestand gibt. — Nach der Rechtsprechung soll zur Begründung einer natürlichen Handlungseinheit ein einheitliches Ziel nicht hinreichen; vielmehr soll neben einem „einheitlichen Willensentschluß" 5 9 ein „solche(r) unmittelbare(r) Zusammenhang" erforderlich sein, „daß sich das gesamte Tätigwerden an sich (objektiv) auch für einen Dritten als ein einheitliches zusammengehöriges T u n bei natürlicher Betrachtungsweise erkennbar macht", wobei „entscheidend . . . im wesentlichen nur die Auffassung des Lebens" sein könne 6 0 . Nach 53

RG 58 S. 19 ff, 20; 66 S. 19 ff, 21; B G H 1 S. 383 f; — zutreffend mehr auf die Objektivierung des Gewerbes abstellend Stratenwerth Schultz-Festgabe S. 88 ff, 105 f. 5t So jedenfalls bei § 144 StGB: sich zum Geschäft machen, nicht nur machen-wollen; nur-subjektiv ist die Definition der Geschäftsmäßigkeit in RG 61 S. 47 ff, 51 ff; 72 S. 313 ff, 315. 55 RG 59 S. 142 ff, 143; B G H 15 S. 377 ff, 380 f mit kritischer Anmerkung Bindokat N J W 1961 S. 1731 f. 56 So die Rechtsprechung seit RG GS 72 S. 164 ff, 175 ff mit kritischer Besprechung Schwarz ZAkDR 1938 S. 539 ff; RG 72 S. 257 ff, 258 f; 72 S. 401 f; B G H 1 S. 41 ff, 42 f; ferner die überwiegende Lehre; Härtung SJZ 1950 Sp. 326 ff, 332 f; Geerds Konkurrenz S. 269 f; Schmitt ZStW 75 S. 43 ff, 62; Kohlrausch Z A k D R 1938 S. 473 ff; Preiser ZStW 58 S. 743 ff, 748 ff; Schmidhäuser AT 18/21; ]escheck AT § 6 6 V I ; LK-Vogler

Rdn. 26 f vor § 52; Kohlrausch-Lange Anm. II Β 3 a vor § 73; Maurach-Gössel AT II § 56 III B; Schönke-Schröder-Stree Rdn. 93 ff vor § 52; Stratenwerth AT Rdn. 1239. 57 Welze! Strafrecht § 2 9 II 5; Binding Handbuch Bd. I S. 551; Eb. Schmidt SJZ 1950 Sp. 286 ff, 292; ders. J Z 1952 S. 136 f; H. Mayer AT S. 410; Sauer Strafrechtslehre S. 230. 58 Eingehende Darstellung der Rechtsprechung bei Maiwald Handlungseinheit S. 13 ff, 41; Blei JA 1972 S. 711 ff, JA 1973 S. 95 ff. 5' RG 44 S. 223 ff, 227; B G H N J W 1977 S. 2321; — dieser Entschluß soll sich von einem „Gesamtvorsatz" unterscheiden. Die Rechtsprechung schwankt; Nachweise bei Maiwald Handlungseinheit S. 16 ff, 68 ff. 60 RG 58 S. 113 ff, 116; B G H 4 S. 219 ff, 220; siehe ferner B G H 10 S. 129 ff, 130 f; 10 S. 230 ff, 231; 22 S. 67 ff, 76.

745

32. Abschn

2. B u c h . 7. K a p i t e l . S c h e i n b a r e u n d e c h t e K o n k u r r e n z

dieser Formel hängt die Einheitlichkeit des Verhaltens davon ab, mit welcher Perspektive der gedachte Beobachter ausgestattet wird: mehr subjektiv (Planungszusammenhang) 6 1 oder mehr am äußeren Bild orientiert (Gleichförmigkeit der Einzelakte) 62 etc. Die Formel vertauscht die tatbestandliche Wertung gegen eine nicht fixierbare „Auffassung des Lebens" und ist deshalb ganz unbrauchbar. So hat die Rechtsprechung ζ. B. verschiedene Taten während einer Flucht als Teile einer „Flucht vor der Polizei" verknüpft 6 3 ; mit dieser Methode vorrechtlicher Typenbildung läßt sich beliebig viel mehr (bis hin zur „Flucht aus dem Alltag") oder weniger (bis zur Beschränkung auf den „ersten Schritt der Flucht") verknüpfen. 36

2. Ob die natürliche Handlungseinheit auch bei Verletzung höchstpersönlicher Güter verschiedener Inhaber Einheit stiften kann, ist streitig 64 und hängt von der Rechtsfolge der natürlichen Handlungseinheit ab 65 . Wer als Rechtsfolge nur eine einfache Gesetzesverletzung annimmt, muß bei höchstpersönlichen Gütern die Möglichkeit einer natürlichen Handlungseinheit ausschließen, da sich diese Güterverletzungen nicht zu einer Gesamtverletzung bündeln lassen. Wer hingegen nur die Einheitlichkeit des Verhaltens als Rechtsfolge behauptet und bei einer natürlichen Handlung mehrere Gesetzesverletzungen für möglich hält, kann bei höchstpersönlichen Gütern eine mehrfache Gesetzesverletzung in Idealkonkurrenz annehmen.

37

3. Im Ergebnis ist die natürliche Handlungseinheit — soweit sie nicht nur ein (schlechter) Name für die oben spezifizierte juristische Handlungseinheit ist — mangels Fixierbarkeit kein brauchbares strafrechtliches Institut 66 .

C. Der Fortsetzungszusammenhang 38

1. Nach weit überwiegender Ansicht, insbesondere nach gefestigter Rechtsprechung, soll auch ein Fortsetzungszusammenhang die Einheitlichkeit einer Handlung stiften können. Dabei handelt es sich um ein Rechtsinstitut, das zum Teil materiellrechtlich begründet wird, zum Teil aber auch aus prozessualen Gründen dem materiellen Recht aufgepfropft wird. Es geht hauptsächlich um folgende Anliegen: Die Bestimmung von einzelnen Strafen für gleichzeitig abzuurteilende einzelne Taten (§ 53 Abs. 1 StGB) soll bei Ähnlichkeit der Taten vermieden werden 6 7 , ferner sollen die Notwendigkeit von Nachtragsanklagen (§ 266 StPO) eingeschränkt und der Umfang der Rechts" B G H 22 S. 67 ff, 76; B G H VRS 28 S. 359 ff, 361; etwas einschränkend B G H VRS 48 S. 191; — gerade nicht subjektiv B G H N J W 1976 S. 1512 f, 1513. " RG 76 S. 140 ff, 143 f; B G H 10 S. 230 ff, 231; B G H VRS 36 S. 354. ig B G H 22 S. 67 ff, 76. 64 Die Lösung nach der Rechtsprechung ist deshalb weitgehend unklar, weil das Problem nicht gesehen wird; siehe B G H 16 S. 397 f, 398. — Eingehend Hellmer CA 1956 S. 65 ff; Maiwald H a n d lungseinheit S. 80 ff; den. N J W 1978 S. 300 ff, 301. 65 Zutreffend nach der Rechtsfolge differenzierend Maiwald Handlungseinheit S. 113; Puppe Idealkonkurrenz S. 255 mit Nachweisen Fn. 1. 66 Kritisch auch Honig Studien S. VII f; Geerds Konkurrenz S. 246 ff, 249, 282 ff; Werle Konkurrenz S. 97 ff; Jescheck AT § 66 III 3; SchänkeSchröder-Stree Rdn. 22 ff vor § 52; SK-Samson Rdn. 21 vor § 52; Blei AT § 93 I 4; Schmitt ZStW 75 S. 43 ff, 46 ff; LK-Vogler Rdn. 13 vor § 52;

746

Maurach-Cössel AT II 5 54 II A; Stratenwerth AT Rdn. 1217. — Einschränkend auch Schmidhäuser AT 18/10 ff; stark einschränkend (natürliche Handlungseinheit nur bei einheitlicher Motivationslage in der identischen Situation und nicht bei höchstpersönlichen Gütern) Maiwald H ä n d lungseinheit S. 68 ff; den. N J W 1978 S. 300 ff, 302. — Hauptsächlich wie die Rechtsprechung Warda JuS 1964 S. 81 ff, 83; Schroeder Jura 1980 S. 240 ff; siehe auch Bruns Heinitz-Festschrift S. 317 ff, 319 ff. Es soll sich dabei nach RG 70 S. 243 ff, 244 um eine „lästige, überflüssige und wunderlich anmutende Arbeit" handeln, was aber zu den Merkmalen der Überflüssigkeit und Wunderlichkeit ein Zirkelschluß ist und im Merkmal der Lästigkeit strafrechtlich nichtssagend. — Zum FortsetzungsZusammenhang als Vehikel zur Umschiffung des gemeinrechtlichen „quot crimina, tot poena" siehe Doerr Fortgesetztes Delikt S. 12 ff; Höpfner Einheit und Mehrheit S. 47 f; Buchholz Selbständigkeit S. 11 f; Preiser ZStW 58 S. 743 ff, 777 f.

Einheit des V e r h a l t e n s

32. AbSChn

kraft des Urteils (§ 264 StPO) in den Fällen erweitert werden, in denen das Gericht einige wenige Taten aus einem großen Gesamtkomplex ähnlicher Taten nicht mit abgeurteilt hat. 2. Als Erfordernisse einer fortgesetzten H a n d l u n g werden überwiegend objektive 3 9 und subjektive Merkmale genannt: a) Die objektiven Merkmale: aa) Fortsetzungszusammenhang soll nur zwischen Angriffen gegen dasselbe G u t möglich sein; damit ist nicht eine Identität des Angriffsobjekts gemeint, sondern daß die Fortsetzung eine bloße quantitative Steigerung der schon vollzogenen Tatbestandsverwirklichung ist 68 (siehe oben 32/16 ff). Demnach soll bei Tötungen (Tötungsversuchen) und Körperverletzungen verschiedener Personen 6 9 , bei Abbruch verschiedener Schwangerschaften einer oder mehrerer Frauen 7 0 oder bei Beeinträchtigung der sexuellen Selbstbestimmung verschiedener Opfer 7 1 Fortsetzungszusammenhang ausscheiden, ferner bei Erpressung mehrerer Opfer 7 2 , Urheberrechtsverletzungen an Werken verschiedener Autoren 7 3 (sehr zweifelhaft), Bestechung mehrerer Beamter 7 4 u. a. m. Eine sachliche Berechtigung hat das genannte Erfordernis nicht. Fehlt es an einer bloß quantitativen Erweiterung des ersten Delikts, so entfällt nicht die Einheitlichkeit des Verhaltens, sondern nur die Möglichkeit einer einfachen Gesetzesverletzung, und es kommt zu gleichartiger Idealkonkurrenz 7 5 ; nur diese Lösung entspricht der Lage bei den positivrechtlich geregelten Fällen von Handlungseinheit. Im Ergebnis dürfte das Merkmal der Gutsidentität dazu dienen, bei fehlender Identität der Handlung im „natürlichen" oder juristischen Sinn eine Homogenität des deliktischen Geschehens zu suggerieren. bb) Weiterhin soll nur bei Verletzung desselben Verbots Fortsetzungszusammen- 4 0 hang möglich sein 76 . Eine hinreichende Identität soll noch zwischen Grunddelikt und Qualifizierung vorliegen 7 7 , nicht aber mehr zwischen Delikten, die dasselbe Gut gegen unterschiedliche Angriffsweisen schützen, wie etwa zwischen Diebstahl und Unterschlagung 7 8 , Steuerhinterziehung und Steuerhehlerei 7 9 , Vorteilsannahme und Bestechlichkeit 80 oder Beleidigung und Verleumdung 8 1 . Auch dieses Merkmal hat keine sachliche Berechtigung, wenn die Einheitlichkeit parallel zur positivrechtlichen Konkurrenzregelung bestimmt wird; es geht dann wiederum nur um die Differenz zwischen einer einfachen Tatbestandsverwirklichung und Idealkonkurrenz. cc) Schließlich soll Einheitlichkeit nur bestehen, wenn der äußere Ablauf der Tatbe- 4 1 standsverwirklichung(en) ähnlich ist. Als hinreichend wird noch die Ähnlichkeit zwischen dem Diebstahl eines Werkzeugs für einen weiteren Diebstahl und diesem weiteren Diebstahl angesehen 8 2 . Ungleichartigkeit soll zwischen Begehung und Unterlasse R G 51 S. 305 ff, 3 0 8 ; 57 S. 140 f ; 70 S. 243 ff, 244 f. R G 70 S. 243 ff, 2 4 4 ; O G H 1 S. 203 ff, 204. 70 R G 59 S. 98 f f ; R G Η R R 1938 N r . 1209. 71 R G 53 S. 274 f ; B G H 18 S. 26 f f ; siehe f e r n e r R G 70 S. 283 ff, 2 8 4 ; 72 S. 257 ff. " R G Η R R 1937 N r . 9 8 1 ; B G H LM 5 253 S t G B N r . 7. 73 B a y O b L G N J W 1965 S. 2166 f. 74 R G 72 S. 174 ff. 75 Siehe B G H 1 S. 21 f, 22; - z u r Kritik des E r fordernisses siehe SK-Samson R d n . 36 v o r § 5 2 ; Stratenwerth A T R d n . 1221 ff, 1223; Struemee K o n k u r r e n z S. 86 ff.

76

R G 51 S. 305 ff, 3 0 8 ; 56 S. 323 f ; 57 S. 81 ff. 77 r g 53 S. 262 ff, 2 6 3 ; 70 S. 386 ff. 78 R G 58 S. 228 ff, 229 f ; B G H G A 1962 S. 78 ff, 79. 79 B G H 8 S. 34 ff, 35. 8° B G H N J W 1959 S. 108. 81 R G Η R R 1938 N r . 186. 82 B G H M D R 1978 S. 623; B G H S t V 1982 S. 4 6 8 ; siehe a u c h B G H V R S 13 S. 41 f f ; B G H bei Dallinger M D R 1957 S. 5 2 6 ; 1967 S. 12 f ; 1968 S. 7 2 7 ; 1973 S. 554 f. - Α. A. B G H D A R 1965 S. 282.

747

32. Abschn

2 . Buch. 7. Kapitel. Scheinbare und echte

Konkurrenz

sung bestehen 83 , was freilich der rechtlichen Gleichheit der Pflichtgründe nicht gerecht wird. Wer ζ. B. bei einer Amokfahrt eine Reihe parkender Autos zerbeult, teils indem er sie anfährt (Tun), teils indem er nicht zur Seite lenkt (Unterlassen), mißbraucht seine Organisationsgewalt über eine gefährliche Sache einheitlich. — Vollrausch (§ 323 a StGB) und Taten von der Art der Tat im Rausch dürften nach den referierten Grundsätzen nicht hinreichend ähnlich sein 84 . Das Merkmal der Ähnlichkeit ist äußerlich und ohne rechtliche Relevanz; die Berücksichtigung der für seine Notwendigkeit zumeist angeführten Lebensanschauung bedeutet einen Verzicht auf tatbestandliche Kategorien zugunsten diffuser außerrechtlicher Wertungen. 42

dd) Teils finden sich — nicht streng durchgehalten — die Postulate zeitlicher Dichte der Teile einer Verhaltenssequenz, Einheitlichkeit oder Ähnlichkeit der Tatsituation u. a. m. b) Subjektive

43

Merkmale:

aa) Nach der älteren Rechtsprechung soll zur Verklammerung der Handlungssequenz zu einer Tat ein Gesamtvorsatz erforderlich sein, „der so beschaffen sein muß, daß er vor oder spätestens bei Verwirklichung des ersten Teilakts der geplanten Handlungsreihe deren sämtliche Teile in den wesentlichen Grundzügen ihrer künftigen Gestaltung umfaßt" 85 . Insbesondere soll der Plan, zukünftig bei jeder sich bietenden Gelegenheit eine gleichartige Tat zu begehen, zur Verklammerung nicht hinreichen 86 , ebensowenig der Vorsatz, einen bestimmten Deliktserfolg (etwa den Diebstahl einer bestimmten Geldsumme) auf beliebige Weise herbeizuführen 87 . 44

bb) Das Erfordernis des Gesamtvorsatzes privilegiert den umsichtig planenden Täter 88 (keine Anwendung von § 52 Abs. 2 Satz 2 StGB) und verdammt den Fortsetzungszusammenhang — abgesehen von Fällen planmäßigen Leerräumens einer Quelle von Diebesgut — zur praktischen Bedeutungslosigkeit, so man das Erfordernis ernst nimmt und nicht mit Fiktionen operiert. Deshalb läßt die Literatur verbreitet einen Fortsetzungsvorsatz genügen 89 , der gegeben sein soll, wenn „jeder spätere Entschluß als Fortsetzung des vorangegangenen erscheint, weil diese Entschlüsse eine fortlaufende psychische Linie bilden" 90 . Diese Linie soll insbesondere noch vorliegen, wenn der Täter die Nichtentdeckung der ersten Tat zum Anlaß einer Wiederholung nimmt. Die Definition des Fortsetzungsvorsatzes gibt nur eine nahezu beliebig ausfüllbare Leerformel; die Ausfüllung hängt davon ab, in welcher Richtung und mit welcher Genauigkeit die Verknüpfungen der Tat mit der (einen!) Vita des Täters gesucht werden, also ob man den Täter als planendes Subjekt nimmt (dann Einheitlichkeit der Planungsgrundlage) oder als verführbares Subjekt (dann Einheitlichkeit der Situation, die BGH GA 1955 S. 211; O L G Frankfurt N J W 1953 S. 557 f; OLG Bremen N J W 1955 S. 1606 f; wohl auch O L G Köln V R S 63 S. 128 ff, 129; Schönke-Scbröder-Stree Rdn. 41 vor § 5 2 ; a. A. BGH 30 S. 207 ff, 210 ff. 84 Hein StV 1982 S. 235 ff. 85 B G H 15 S. 268 ff, 271 im Anschluß an RG 51 S. 305 ff, 308; 66 S. 45 ff, 47; 66 S. 236 ff, 238; 70 S. 51 ff, 52; 72 S. 211 ff, 213; 75 S. 207 ff, 209; BGH 1 S. 313 ff, 315; 2 S. 164 ff, 167; 8 S. 34 ff, 35 u. a. m. 8 6 BGH StV 1981 S. 125 f mit Nachweisen vorangehender Rechtsprechung. S7 Freilich soll nach BGH StV 1982 S. 222 bei bestimmtem Gesamterfolg eine nur vage Bestim83

748

88

89

90

mung von Verletztem, Tatort und Tatzeit hinreichen. Kraß: Die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung wird zum Indiz für Fortsetzungszusammenhang und bewirkt im Ergebnis eine mildere Bestrafung; so BGH StV 1981 S. 626 f. Schönke-Schröder-Stree Rdn. 52 vor § 5 2 ; SKSamson Rdn. 44 vor § 52; Maurach-Gössel AT II § 54 III Β 1 b cc; Blei AT § 94 II 2; Eh. Schmidt SJZ 1950 Sp. 286 ff; Roth-Stielow N J W 1955 S. 450 f; — siehe auch Stratenwerth AT Rdn. 1231 f; — wie die Rechtsprechung aber JeScheck AT § 66 V 2 c; LK-Vogler Rdn. 61 vor § 52. Schönke-Schröder-Stree aaO.

Einheit des Verhaltens

32. AbSChn

den Vorsatz weckt) oder als unbewußt motiviertes Subjekt (dann Einheitlichkeit der triebdynamischen Konstellation) oder überhaupt als Subjekt (dann restlose Einheitlichkeit). cc) Die neuere Rechtsprechung erweitert den Gesamtvorsatz in Richtung auf den 4 5 Fortsetzungsvorsatz; es soll hinreichen, wenn der Täter den Vorsatz bildet, „solange das erste Teilstück der f ü r die Beurteilung in Betracht kommenden Handlungsreihe noch nicht abgeschlossen ist", wobei es für den Abschluß auf einen „nach der natürlichen Auffassung des Lebens bemessenen Bereich bis zur tatsächlichen Beendigung der Tat" ankommen soll 91 ; das „Teilstück" kann seinerseits eine Fortsetzungstat sein 92 . Freilich gibt dieser Verweis auf den Zeitpunkt der Vorsatzverknüpfung keine Begründung für die Besserstellung desjenigen Täters, dem immerhin der Appetit beim Essen kommt, gegenüber demjenigen, der zunächst einmal satt ist, — mit der Folge von Realkonkurrenz weiterer Taten. dd) Zwischen Täterschaft und Teilnahme soll ein Fortsetzungsvorsatz ausgeschlos- 4 6 sen sein, weil der Vorsatz zur Begehung einer Tat „als eigener" nicht mit dem Vorsatz zur Begehung einer Tat „als fremder" einheitlich bestehen könne 9 3 . — Das ist schon für die subjektive Theorie zu Täterschaft und Teilnahme zweifelhaft; f ü r die Tatherrschaftslehre fehlt überhaupt jeder Anlaß, die Identität einer Tat an eine konstante Begehungsform zu binden. Bei Fahrlässigkeitstaten ist ein Gesamtvorsatz oder Fortsetzungsvorsatz insoweit möglich, als der Täter die Handlungen ohne ihre fahrlässig herbeigeführten Weiterungen einheitlich plant (Gesamthandlungswillen) 9 4 . Beispiel: Eine Mutter gibt ihrem Kind allabendlich die zehnfache Menge Hustensaft („damit es sicher wirkt"), ohne die Verletzungsfolgen zu bedenken. Auch Fortsetzungszusammenhang von Fahrlässigkeitstaten mit Vorsatztaten muß möglich sein, wenn die H a n d lungen einer Gesamtplanung entspringen; Beispiel: Der Täter unternimmt eine mehrfach unterbrochene Trunkenheitsfahrt, teils mit Vorsatz, teils — seine Trunkenheit vergessend — mit Fahrlässigkeit (§ 316 StGB). Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen sind wie Vorsatztaten zu behandeln 9 5 (§11 Abs. 2 StGB). 3. Abweichende Konzeptionen96: In der Literatur wird verbreitet bei Bestimmung des 4 7 Zusammenhangs auf einen Gesamtvorsatz oder einen Fortsetzungsvorsatz verzichtet, wobei die notwendige Einheit teils — subjektivierend — in der „Einheit strafbarer Lebensführung" 9 7 gesucht wird oder — objektivierend — in „äußeren Merkmalen der Zusammengehörigkeit" 9 8 . Diesen Lehren 9 9 ist einzuräumen, daß sich bei Verzicht auf 91 B G H 19 S. 323 ff, 324 mit Anmerkung Schröder JR 1965 S. 106; BGH 21 S. 319 ff, 322; B G H StV 1981 S. 124 f, 125; siehe schon R G 17 S. 103 ff, 113; Doerr Fortgesetztes Delikt S. 95; Schirmeyer Fortgesetztes Verbrechen S. 61 f. 92 B G H 23 S. 33 ff, 34 f. « RG 67 S. 130 ff, 139 f; 67 S. 401 ff, 405; B G H 23 S. 204 ff, 206 mit weiteren Nachweisen. 94 O G H 1 S. 344 ff, 347; Schönke-Schröder-Stree Rdn. 55 vor § 52; SK-Samson Rdn. 45 vor § 52; Stratenwerth AT Rdn. 1232; Koch N J W 1956 S. 1267 f; im Ergebnis auch Welzel Strafrecht § 29 II 4 b β. — Α. Λ. die überwiegende Rechtsprechung; RG 76 S. 68 ff, 70; R G J W 1934 S. 2145 f mit Anmerkung Mezger a a O S. 2145 f; B G H 5 S. 371 ff, 376; 22 S. 67 ff, 71; zum Teil auch die Literatur; Baumann AT § 41 II 4 b α ; Jescheck AT § 6 6 V 2 d ; Doerr Frank-Festgabe Bd. II S. 210 ff, 212; LK-VoglerKin. 72 vor § 52.

»5 B G H 22 S. 67 ff, 71; LK-VoglerRdn. 73 vor § 52. 96 Zur Ablehnung des Instituts siehe unten 32/50. Siehe auch Nowakowski, der den FortsetzungsZusammenhang mit materiellrechtlichen und prozessualen Konsequenzen ausstatten, aber auf die Begehung einer einzigen strafbaren Handlung in Teilakten beschränken will und daneben das Institut einer „gleichartigen Verbrechensmenge" anerkennt, das nur prozessuale Bedeutung haben soll (Fortgesetztes Verbrechen S. 10 f, 42 ff, 49 f, 55, 56 ff, 72). 97 Welzel Strafrecht 5 29 II 4 b; siehe auch Schirmeyer Fortgesetztes Verbrechen S. 46 ff, 94 ff. 9 « Mezger Lehrbuch §67 IV 2; den. J W 1938 S. 3265 ff, 3268. 99 Siehe außer den schon Genannten Honig H a n d lungseinheit S. 137; ders. Schröder-GedächtnisSchrift S. 167 ff, 174; Frank § 7 4 Anm. V 2 c ß (S. 240); v. Hippel Strafrecht Bd. II §39 V 5;

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32. Abschn

2. B u c h . 7. K a p i t e l . S c h e i n b a r e u n d e c h t e

Konkurrenz

einen Gesamtvorsatz der Zweck des Instituts vollkommener erreichen läßt, seil, hauptsächlich die Vermeidung stereotyp sich wiederholender Strafzumessungen für einzelne Taten aus einer Serie. Dem steht jedoch als Nachteil die noch weitergehende Ausdehnung eines materiell nicht begründbaren Instituts entgegen; denn aus einer wie auch immer gearteten Gemeinsamkeit mehrerer Handlungen läßt sich nicht herleiten, daß die Rechtsfolge schwächer sein müsse als bei mehreren Handlungen ohne Gemeinsamkeit; bei letzteren kann aber nach positivem Recht die Obergrenze des Strafrahmens zu schärfen sein (§ 54 Abs. 2 Satz 2 StGB). 48

4 a) Die Konsequenzen von Fortsetzungszusammenhang sind diejenigen einer einfachen Tatbestandsverwirklichung durch mehrere Akte, sofern Fortsetzungszusammenhang nur zur Begründung einer quantitativ gesteigerten Tatbestandsverwirklichung anerkannt wird. Ansonsten geht es um die Konsequenzen von Handlungseinheit. Jedenfalls müssen die einzelnen Taten je für sich als tatbestandsmäßig, rechtswidrig, schuldhaft und verfolgbar festgestellt werden 1 0 0 . — Zur Klammerwirkung siehe unten 33/11 f. 49 b) Die prozessualen Wirkungen des Fortsetzungszusammenhangs harmonieren teils nicht mit der materiellrechtlichen Fundierung des Instituts. Das zeigt sich zunächst bei dem Prinzip in dubio pro reo, das insbesondere die Rechtsprechung beim Fortsetzungszusammenhang nicht anwenden will 101 , obwohl die Anwendung für materiellrechtliche Institute zwingend ist und in sonstigen Fällen juristischer Handlungseinheit auch stattfindet. Soweit der Fortsetzungszusammenhang im Einzelfall nicht zur milderen Rechtsfolge führt (insbesondere bei Summierung mehrerer geringwertiger Erfolgsmengen zu einer nicht mehr geringwertigen Menge), ist im Zweifel Realkonkurrenz anzunehmen 1 0 2 . Am deutlichsten zeigt sich die Disharmonie bei der Wirkung einer wegen Fortsetzungszusammenhang rechtskräftig erkennenden Entscheidung: Diese Entscheidung soll den Fortsetzungszusammenhang unterbrechen 1 0 3 . Da ein rechtskräftiges Urteil mit dem äußeren Konnex von Taten nichts zu tun hat und mit dem subjektiven Konnex allenfalls bei zeitweise reuigen Tätern, zerstört diese — praktisch nicht umgehbare — Konsequenz die materiellrechtliche Basis. Aber auch die Einheitlichkeit der Tat bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über zumindest einen Teil der Tat wird prozessual überwiegend nicht durchgehalten. Bei materiellrechtlicher Einheitlichkeit müßte jede Entscheidung über einen Teil — gleich ob er als bloßer Teil bekannt ist oder irrig als selbständig beurteilt wird — das gesamte Geschehen erledigen; ein weiteres Verfahren wäre nur zulässig, wenn sich sein Gegenstand so darstellt, daß er nicht mit dem schon erledigten Teil in Fortsetzungszusammenhang steht 104 . Diese Regeln beachtet die Rechtsprechung nicht. Nach ihr soll Dohna A u f b a u S. 66; ders. D S t r . 1942 S. 19 ff, 2 1 ; v. Liszt-Scbmidt S t r a f r e c h t § 55 II 1. — D e r Ü b e r g a n g z u r Lehre vom F o r t s e t z u n g s v o r s a t z ist fließend, siehe Maurach-Gössel A T II § 54 III Β 1 b cc u n d die a n d e r e n oben in Fn. 91 z u m F o r t s e t z u n g s v o r s a t z g e n a n n t e n A u t o r e n . — Die z u r objektivierenden L e h r e entgegengesetzte Ansicht (es soll auf die objektive Einheitlichkeit verzichtet w e r d e n ) vertritt Schlosky Z S t W 61 S. 245 ff, 266 ff. 100 B G H BGH 101 B G H S. 16

750

1 S. 313 ff, 315; B G H 17 S. 157 f, 158; S t V 1981 S. 275 f und S. 542. 23 S. 33 ff, 35; B G H bei Herlan M D R 1955 f ; B G H S t V 1981 S. 125 f, 126.

102

Eingehend Stree In d u b i o p r o r e o S. 24 ff, 26; siehe f e r n e r Schönke-Schröder-Stree Rdn. 63 v o r § 5 2 ; SK-Samson R d n . 46 v o r § 52; LK-Vogler R d n . 75 v o r 5 52; Bringewat J u S 1970 S. 329 ff, 3 3 1 ; Wolter Alternative u n d eindeutige V e r u r t e i lung S. 259 ff. — Z u r Beschwer d u r c h die A n n ä h m e von F o r t s e t z u n g s z u s a m m e n h a n g wegen des nach ü b e r w i e g e n d e r Ansicht späteren V e r j ä h r u n g s b e g i n n s siehe o b e n 3 2 / 2 5 mit Fn. 37. 103 R G 66 S. 45 ff, 48; B G H 9 S. 324 ff, 326; LKVogler R d n . 94 v o r § 52; Schönke-Schröder-Stree R d n . 74 v o r § 52; ü b e r w i e g e n d e Ansicht. >° Stratenwerth J u S 1962 S. 220 f f ; SK-Samson R d n . 50 ff v o r § 52; Eb. Schmidt L e h r k o m m e n t a r Teil I R d n . 303 ff. 4

E i n h e i t des V e r h a l t e n s

32. Abschn

zwar eine Verurteilung wegen einer fortgesetzten T a t den gesamten Handlungskomplex erledigen, auch wenn nur ein Bruchteil der Teilakte dem Gericht bekannt geworden ist 105 . Die Rechtsprechung hält aber ein weiteres Verfahren für zulässig, wenn die vorgehende Entscheidung auf Freispruch lautet 1 0 6 oder auf Verurteilung wegen einer oder mehrerer nicht in Fortsetzungszusammenhang stehender Akte 1 0 7 , also wenn das vorgehend entscheidende Gericht nicht von Fortsetzungszusammenhang ausgeht. In diesen Fällen soll die Strafklage nur bezüglich der im vorgehenden Erkenntnis ausgesprochenen Einzelakte verbraucht sein. Da jedoch die Tatsachenfeststellung durch das vorgehend entscheidende Gericht das nachfolgend entscheidende nicht bindet, kann der nach Ansicht des letzteren einheitliche Prozeßgegenstand nicht deshalb wirksam aufgespalten werden, weil ersteres die Grenze des Prozeßgegenstands irrig zu eng gezogen hat. In der Umkehrung kann das nachfolgend entscheidende Gericht, sofern es Fortsetzungszusammenhang verneint, Taten aburteilen, die das vorgehend entscheidende Gericht, hätte es sie gekannt, in einen Fortsetzungszusammenhang einbezogen hätte. — In Fällen juristischer Handlungseinheit jenseits des Fortsetzungszusammenhangs wird die Einheitlichkeit hingegen konsequent berücksichtigt. 5 a) Im Ergebnis ist der Fortsetzungszusammenhang als materiellrechtliches Institut 50 nicht anzuerkennen108. Es läßt sich kein Grund ausmachen, nach dem — jenseits der Tatbestandsformulierung — konnexe und nicht konnexe Taten sinnvoll so getrennt werden könnten, daß die konnexen Taten zur Handlungseinheit, die nicht konnexen zur Handlungsmehrheit zu schlagen wären. Das Hauptanliegen der Vertreter der Lehre vom Fortsetzungszusammenhang, seil, die Vermeidung einer Zerfaserung der Strafzumessung in Einzelstrafen bei Realkonkurrenz, wird um den Preis einer weder materiell richtigen noch dem System des positiven Rechts entsprechenden Privilegierung bei Serientaten erkauft (keine Anwendung von § 54 Abs. 2 Satz 2 StGB). Die Ersparnisse an Strafzumessungsaufwand sind zudem gering, wenn das Erfordernis ernstgenommen wird, jeden Einzelakt genau aufzuklären 1 0 9 . b) Uber den Fortsetzungszusammenhang als prozessuales Institut ist hier nicht zu 51 befinden. Immerhin liegt auf der H a n d , daß die prozessuale Sperrwirkung — soweit sie überhaupt anerkannt wird — bei krassen Differenzen zwischen den aufgeklärten und den unentdeckt gebliebenen Tatteilen allenfalls ein notwendiges Übel, nicht aber erwünscht ist; sie kann in weniger krassen Fällen durch eine Entscheidung über § 154 a StPO ersetzt werden. Dem verbleibenden Bedürfnis zur Vermeidung von Nachtragsanklagen ist notfalls durch ein rein prozessuales Rechtsinstitut zu genügen. '»5 RG 72 S. 99 ff, 105; 72 S. 21 I f f , 212; B G H 6 S. 92 ff, 95; 15 S. 268 ff, 270; B G H GA 1958 S. 366 f. — Dagegen kritisch Mann und Mann ZStW 75 S. 251 ff; Jagusch N J W 1972 S. 454 f, 455. — Zu den Problemen bei Teilrechtskraft siehe Stree Engisch-Festschrift S. 676 ff. 106 RG 47 S. 397 ff, 399; 54 S. 333 ff, 335; 66 S. 19 ff, 26; LK-Vogler Rdn. 99 vor § 5 2 ; Schönke-Scbröder-Stree Rdn. 72 vor § 52. — Ein Freispruch bei erkanntem Fortsetzungszusammenhang (etwa wegen Tatbestandslosigkeit des Tuns oder wegen Rechtfertigung) müßte freilich auch nach der Rechtsprechung ein weiteres Verfahren ausschließen. 107 RG 51 S. 253 ff, 254; 54 S. 283 ff, 285; 72 S. 257 ff, 258; B G H GA 1958 S. 367 f; B G H N J W 1963 S. 549 f; OLG Hamburg JZ 1964 S. 34; a. A. außer den oben Fn. 104 genannten

B G H 15 S. 268 ff, 272 (nur obiter dictum). Schönke-Schröder-Stree Rdn. 73 vor $ 52 und LKVogler Rdn. 96 f vor 5 52 wollen immerhin § 55 StGB analog anwenden, dies aber ohne § 54 Abs. 2 Satz 2 StGB. — Nach der Rechtsprechung soll freilich das fortgesetzte Verhalten auch dann Gegenstand der Urteilsfindung sein, wenn n u r ein einzelner Akt angeklagt wurde; BayObLG V R S 63 S. 278 f. 108 Schmidhäuser AT Rdn. 18/20; ders. Studienbuch 14/18; Stratenwerth AT Rdn. 1238; siehe auch Jescheck A T § 66 V 1; Ä. Schmitt Z S t W 75 S. 43 ff, 59 ff; Wahle GA 1968 S. 97 ff, 109; Preiser ZStW 71 S. 341 ff, 383 f. - Wiederum kritisch zu diesen Gegenstimmen Bringewat Z S t W 84 S. 585 ff mit weiteren Nachweisen. !°9 Schmidhäuser AT 18/20.

751

33. Abschn

2. Buch. 7. Kapitel. Scheinbare und echte K o n k u r r e n z

33. A B S C H N I T T

Die Idealkonkurrenz und die Realkonkurrenz I. Die Idealkonkurrenz Literatur F. Geerds Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961; Κ. H. Gössel Anmerkung zu BVerfG JR 1982 S. 108 ff, aaO S. 111 ff; G. Grünwald Oer Verbrauch der Strafklage bei Verurteilungen nach den §§ 129, 129 a StGB, Bockelmann-Festschrift S. 737 ff; J. Hellmer Anmerkung zu B G H 18 S. 26 ff, N J W 1963 S. 116; R. Maurach Zur Rechtsnatur des erpresserischen Kindesraubes (§ 239 a StGB), JZ 1962 S. 559 ff; R. Maschinsky Zur Frage von Tateinheit und Tatmehr.heit, DJ 1942 S. 503 f; K. Meyer Anmerkung zu OLG Karlsruhe JR 1978 S. 34 f, aaO S. 35 f; E.-J. Oske Das Konkurrenzverhältnis der Dauerdelikte zu den übrigen Straftaten, M D R 1965 S. 532 ff; Eb. Schmidt Anmerkung zu OLG Bremen JZ 1951 S. 21 ff, aaO; R. Schmitt Die Konkurrenz im geltenden und künftigen Strafrecht, ZStW 75 S. 43 ff; E. Struensee Die Konkurrenz bei Unterlassungsdelikten, 1971; E. Wahle Die sogenannte „Handlungseinheit durch Klammerwirkung", GA 1968 S. 97 ff; G. Warda Grundfragen der strafrechtlichen Konkurrenzlehre, JuS 1964 S. 81 ff; G. Werle Die Konkurrenz bei Dauerdelikt, Fortsetzungstat und zeitlich gestreckter Gesetzesverletzung, 1981; den. Konkurrenz und Strafklageverbrauch bei der mitgliedschaftlichen Beteiligung an kriminellen oder terroristischen Vereinigungen, N J W 1980 S. 2671 ff.

A. Die kumulierte Zurechnung 1

1 a) Bei Handlungseinheit sind dem Täter alle verwirklichten Delikte kumuliert zuzurechnen; insoweit konkurrieren die Gesetze realiter. Die Konkurrenz der Rechtsfolgen dieser zuzurechnenden Strafgesetze löst das positive Recht durch Strafrahmenabsorption und Strafrahmenkombination. Die Absorption stiftet den Namen für diese Konkurrenz: Die mehreren Strafdrohungen sind der Idee nach in einer einzigen vereinigt. Nach der Regelung des Gesetzes wird nur auf eine Strafe erkannt (§ 52 Abs. 1 StGB), die innerhalb desjenigen Rahmens zu bestimmen ist, der die schwerste Strafe zuläßt (§ 52 Abs. 2 Satz 1 StGB). Es entscheidet — anders als bei § 54 Abs. 1 Satz 1 StGB — nicht die H ö h e der Strafe, die innerhalb eines Rahmens bei isolierter Betrachtung eines Delikts zuzumessen ist, sondern die Strafdrohung. Beispiel: Auch bei handlungseinheitlicher Verwirklichung einer nur minimalen Sachbeschädigung mit einem massiven Hausfriedensbruch rangiert der Rahmen von § 303 StGB vor demjenigen von § 123 StGB. Sind die höchsten angedrohten Strafen bei mehreren Rahmen gleich (so stets bei gleichartiger Idealkonkurrenz), so wird ein beliebiger Rahmen ausgewählt, wobei es freilich sinnvoll sein dürfte, denjenigen zu wählen, der zum konkret schwersten Delikt gehört. Beispiel: Wird eine gewichtige Zerstörung von Bauwerken mit einem beiläufigen Diebstahl handlungseinheitlich vollzogen, so ist der Strafrahmen des § 305 StGB anzuwenden; überwiegt der Diebstahl, so geht der Rahmen des § 242 StGB vor. Der Rahmen ist nach dem Kombinationsprinzip um gegebenenfalls höhere Mindestdrohungen (§ 52 Abs. 2 Satz 2 StGB) oder strengere Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen der anderen Rechtsfolgenbestimmungen zu ergänzen (§ 52 Abs. 4 StGB), — eine der sogenannten Sperrwirkungen des milderen Gesetzes. Mindestdrohung ist auch die obligatorische Androhung von Freiheitsstrafe; droht ein anderes Gesetz eine höhere, aber fakultative Freiheitsstrafe an, so sperrt das Obligatorische der geringeren Androhung das Fakultative der höheren (natürlich bleibt § 47 StGB anwendbar).

2

Bei der Bestimmung der Höchst- und Mindeststrafen kommt es auf das im konkreten Fall einschlägige Maß der Strafdrohung an; also sind nicht nur Rahmenänderungen durch Qualifizierungen und Privilegierungen, sondern — anders als nach § 12 Abs. 3 752

Idealkonkurrenz und Realkonkurrenz

33. Abschn

StGB — auch besonders schwere oder minder schwere Fälle zu berücksichtigen 1 . Beispiel: Treffen Betrug und Urkundenfälschung handlungseinheitlich zusammen, so sind im Grundfall die Höchststrafen gleich; wird der Betrug in einem besonders schweren Fall begangen, so ist aus dem Rahmen des § 263 Abs. 3 StGB zuzumessen; ist (auch) die Urkundenfälschung ein besonders schwerer Fall, so gilt der Rahmen von § 267 Abs. 3 StGB (in Verbindung mit § 38 Abs. 2 StGB). Kann ein einziger Sachverhalt bei zwei verschiedenen der verwirklichten Delikte, insgesamt aber nur einmal, einen besonders schweren oder minder schweren Fall bilden, so ist er so zu verbrauchen, daß er die größte Strafrahmensteigerung oder größte Strafrahmensenkung bewirkt. Kumulieren verschiedene Strafarten, so rangiert nach allgemeinen Regeln bestimmte Freiheitsstrafe vor Freiheitsstrafe in Form von Strafarrest (§§11, 12 W S t G ) ; jede Freiheitsstrafe rangiert vor Geldstrafe (im StGB ist stets auch Freiheitsstrafe angedroht; zum Landesrecht siehe Art. 3 EGStGB). b) N u r solche Strafdrohungen können eine andere absorbieren oder mit einer ande- 3 ren kombiniert werden, die unbedingt anwendbar und prozessual durchsetzbar sind. Beispiele: Werden Beteiligung an einer Schlägerei, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch tateinheitlich vollzogen, so gilt die Strafdrohung nach § 227 StGB nur dann, wenn die dort genannte Strafbarkeitsbedingung verwirklicht ist; fehlt es daran und ist nur f ü r den Hausfriedensbruch ein Strafantrag gestellt, so bleibt auch die Strafdrohung für Sachbeschädigung unberücksichtigt 2 . Entsprechendes gilt, wenn bei isolierter Betrachtung eines Delikts nach § 60 StGB von Strafe abzusehen wäre 3 . 2. Die Delikte, deren Strafrahmen nicht angewendet werden, sind bei der Strafzu- 4 messung zu berücksichtigen, wenn nicht auf eine Zumessung zu verzichten ist, weil eine absolute Strafe verhängt wird 4 . Die verbreitete Formulierung, eine Berücksichtigung könne zwar, müsse aber nicht zwingend erfolgen 5 , ist ein Relikt aus der Zeit, in der ein Übergang im Verständnis der Idealkonkurrenz von der absoluten Absorption hin zur bloßen Strafrahmenabsorption stattfand. Eine bloß fakultative Berücksichtigung (wann überhaupt?) ist zudem material nicht haltbar: Keine deliktische Quantität verliert ihre Relevanz f ü r die Strafzumessung, weil der T ä t e r noch mehr an Quantität verwirklicht hat. Schließlich ist die bezeichnete Formulierung auch schon deshalb unangebracht, weil das den Strafrahmen spendende Gesetz nicht das konkret schwerste Delikt betreffen muß. Beispiel: Wenn eine massive Verleumdung mit einem minimalen Betrug handlungseinheitlich zusammentrifft (§§ 187, 263 StGB), so ist aus dem Rahmen des Betrugs zuzumessen, aber nicht allein und nicht einmal primär wegen des Betrugs. — Freilich können einzelne der handlungseinheitlichen Delikte so minimal sein, daß ihre — durchaus stattfindende — Berücksichtigung bei der Strafzumessung das Ergebnis nicht einmal um eine einzige Strafeinheit verschärft (siehe aber auch zu den quantitätsunabhängigen Strafzumessungstatsachen oben bei den Wirkungen der Gesetzeskonkurrenz 31/38).

B. Fallgruppen der Idealkonkurrenz 1 a) Die tatbestandlichen Handlungen werden nie voll einheitlich vollzogen, sondern 5 einheitlich können Handlungen nur in einer generelleren Bestimmung sein (oben 1 Jescheck A T § 67 IV 2; Baumann A T § 41 11 1 b; SK-Samson § 52 Rdn. 30; Schönke-Schröder-Stree § 5 2 Rdn. 37; LK-Vogter $ 52 Rdn. 44. - Zum alten Recht schon R G 75 S. 14 ff, 17 f; 75 S. 19 ff, 22; 76 S. 59 ff, 60 f. 2 Siehe B G H 7 S. 305 ff; 17 S. 157 f; Einzelheiten bei LK-Vogler $ 52 Rdn. 47.

3

Α. A. (Gesamtbetrachtung aller Gesetzesverletzungen f ü r die Entscheidung nach 5 60 StGB) OLG Köln NJW 1971 S. 2036 ff, 2037: BayObLG N J W 1972 S. 696. 4 RG 49 S. 401 ff, 402. 5 RG 22 S. 388 ff, 393; O L G H a m b u r g J R 1951 S. 86 f; LK-Vogler § 52 R d n . 46; Schönke-Schröder-Stree § 52 Rdn. 47; SK-Samson § 52 Rdn. 27.

753

33. Abschn

2. B u c h . 7. K a p i t e l . S c h e i n b a r e u n d e c h t e K o n k u r r e n /

32/2). Sind für eine Tatbestandsverwirklichung aus praktischen oder rechtlichen Gründen mehrere Teilhandlungen erforderlich, so reicht es zur Begründung von Handlungseinheit hin, wenn mindestens eine dieser Teilhandlungen in genereller Bestimmung mit der Ausführungshandlung einer weiteren Tatbestandsverwirklichung oder mit einer Teilhandlung zu dieser Tatbestandsverwirklichung identisch ist. Üblicherweise wird dies dahin formuliert, daß Teilidentität der Ausführungshandlungen hinreicht 6 , wobei als Ausführungshandlung eben nicht die tatbestandlich bestimmte Handlung, sondern die genereller bestimmte Handlung bezeichnet wird. Beispiel: Sind bei einem Diebstahl zum Bruch des Gewahrsams und zu dessen Neubegründung mehrere Teilhandlungen erforderlich und ist nur die Ausführung des Gewahrsamsbruchs zugleich Ausführung eines Verstrickungsbruchs (§ 136 StGB), so konkurriert der Verstrickungsbruch mit dem Diebstahl ideal, obgleich der Diebstahl zudem aus Teilhandlungen besteht, die nicht zugleich Ausführung des Verstrickungsbruchs sind (seil, die Handlungen zur Gewahrsamsneugründung) und gegebenenfalls umgekehrt (der Verstrickungsbruch mag schon vor dem Diebstahl begonnen haben o. ä.). b) Handlungseinheit zwischen vorsätzlichen und fahrlässigen Taten ist nach diesen Regeln problemlos 7 ; Beispiel: Die Ausführung einer vorsätzlichen Sachbeschädigung ist zugleich Ausführung einer fahrlässigen Körperverletzung oder Tötung. c aa) Die Identität von Teilhandlungen, die der Tatbestandsverwirklichung voroder nachgelagert sind, reicht freilich zur Begründung von Handlungseinheit nicht hin, auch nicht, wenn das gesamte Geschehen subjektiv eine einzige Sinneinheit ist (siehe oben zur natürlichen Handlungseinheit und zum Fortsetzungszusammenhang 32/35, 44). Beispiele: Der Diebstahl eines Tatmittels und die geplante Tat oder die Verwertung der Tatbeute und die vorangegangene Beschaffung der Beute stehen nicht schon allein deswegen in Tateinheit, weil für den Täter der erste Akt ohne den nachfolgenden sinnlos ist. bb) Verbreitet wird auch Teilhandlungen, die der Tatbestandsverwirklichung nachgelagert sind, die Kraft zur Stiftung von Handlungseinheit dann zugesprochen, wenn es sich um Handlungen nach der Vollendung, aber vor der Beendigung eines Delikts handelt 8 . Das ist zumindest insoweit abzulehnen, als es bei der Beendigung um die Realisierung einer Absicht geht, die nicht den Gutsangriff, sondern die Täterhaltung charakterisiert (insbesondere die Bereicherungs- und Vorteilsabsicht); bei diesen Beendigungen handelt es sich nicht um Tathandlungen, sondern um Objektivierungen einer nur in ihrer subjektiven Ausprägung bei der Tat relevanten Motivationslage. Beispiel: Wenn der Täter nach vollendetem Betrug seine Bereicherung nur durch Begehung eines Hausfriedensbruchs erlangen kann, konkurrieren Betrug und Hausfriedensbruch real. Diejenigen Beendigungen hingegen, die den Angriff auf das geschützte Gut intensivieren, dürften regelmäßig mit dem Vollendungsverhalten eine Handlung im juristischen Sinn bilden: Der Täter führt die bereits begonnene Veranstaltung zur Gutsverletzung über die Vollendung hinaus fort. Beispiel: Die Sicherung der £wieignung beim Diebstahl (nicht aber die Sicherung der /4»eignung) bildet juristisch eine Handlung mit der Diebstahlsvollendung; geschieht die Sicherung durch eine Sachbeschädigung, so konkurriert diese mit dem Diebstahl ideal, wenn nicht ein Fall der Spezialität kraft Vorgriffs (mitbestrafte Nachtat) vorliegt. 6 Überwiegende Ansicht; a. A. Wahle GA 1968 S. 97 ff, 110. ^ R G 48 S. 250 ff, 251; 72 S. 120 ff, 123; R G DR 1943 S. 753; B G H 1 S. 278 ff, 280; 17 S. 333 ff, 337.

754

8

BGH S. 24 AT Rdn. Rdn.

26 S. 24 ff, 27 f; Struensee K o n k u r r e n z f; Warda]u.S 1964 S. 81 ff, 87; Stratenwerth Rdn. 1244; Schönke-Schröder-Stree 5 52 11; fescheck A T § 67 II 2; SK-Samson § 52 12.

I d e a l k o n k u r r e n z und R e a l k o n k u r r e n z

33. Abschn

2 a) Begebungstaten können auch mit Unterlassungstaten „handlungs-"einheitlich 8 (genauer: verhaltenseinheitlich) vollzogen werden. Das ist f ü r diejenigen Fälle von Verhaltenseinheit, die zu einer einfachen, nur quantitativ gesteigerten Tatbestandsverwirklichung führen, zumindest der Sache nach allgemein anerkannt. Beispiel: W e r einen anderen Menschen einsperrt und nicht wieder freiläßt, begeht eine einfache Freiheitsberaubung. Aber auch Verhaltenseinheit mit der Folge von Idealkonkurrenz ist möglich 9 . Freilich reicht bloße Zeitgleichheit zur Verhaltenseinheit nicht hin. Beispiel: W e r während eines Hausfriedensbruchs in der Version des Sich-nicht-Entfernens den Hausherrn beschimpft (§§ 123, 185 ff StGB), begeht real konkurrierende Delikte. V e r haltenseinheit liegt aber bei Fallgestaltungen vor, die der Einheit der H a n d l u n g im „natürlichen" Sinn entsprechen. W e r nicht nur zeitgleich mit einem Verbot ein Gebot übertritt, sondern an Stelle der Gebotserfüllung einem Verbot nicht genügt, begeht und unterläßt verhaltenseinheitlich, weil in seinem Verhalten eine doppelte rechtliche Fehlerhaftigkeit expressiv wird: Das Verhalten hat die Gestalt einer Verbotsübertretung und zudem nicht die Gestalt einer Gebotserfüllung. Nicht bloße Zeitgleichheit, sondern Verhaltenseinheit liegt demnach vor, wenn die zur Gebotserfüllung erforderlichen Körperbewegungen (die Handlungen im „natürlichen" Sinn) nicht neben denjenigen der Verbotsübertretung vollzogen werden können (oder umgekehrt). Die Grenze zwischen Verhaltenseinheit und bloßer Zeitgleichheit trifft hier freilich ebensowenig eine material indizierte Differenz, wie überhaupt die Grenze von Idealkonkurrenz und Realkonkurrenz eine solche Differenz trifft. Beispiel zur Vei Iniltenseinheit: Ein Arzt, der infolge einer fahrlässigen Verwechslung einen sofort indizierten Körpereingriff zur Linderung akuter Schmerzen nicht beim Erkrankten, sondern stattdessen bei einem Gesunden vollzieht, verletzt verhaltenseinheitlich den Kranken durch Unterlassen und den Gesunden durch Handeln. b) Weiterhin treffen Begehung und Unterlassung verhaltenseinheitlich zusammen, 9 wenn sie in der allgemeinen Form juristischer Handlungseinheit verbunden sind, also aufeinander so folgen, daß die Vollendung eines der deliktischen Verhalten sogleich Versuchsbeginn des anderen Verhaltens ist. In diesen Fällen macht die Vollendung des einen Verhaltens zugleich den anderen Normbruch expressiv. Beispiel: Die Eltern fahren betrunken von zu Hause weg (§316 StGB), statt f ü r ihr schwer erkranktes Kind einen Arzt zu holen (§§ 212, 13, 22 StGB). 3. Bei der Konkurrenz mit einem Dauerdelikt ist zu beachten, daß weder Zeit- 10 gleichheit noch Einheitlichkeit des subjektiven Sinns zur Handlungseinheit hinreichen. Das heißt aber nicht, nur Delikte, die der Aufrechterhaltung des Dauerdelikts dienen (also zugleich Fortsetzungen des Dauerdelikts sind), könnten mit dem Dauerdelikt in Idealkonkurrenz stehen 1 0 . Vielmehr liegt — entsprechend dem soeben dargelegten Verhältnis von Begehung und Unterlassung und ebenso entsprechend ohne materiale Begründung — stets dann mehr als bloße Zeitgleichheit oder bloße subjektive Einheit9

S e h r streitig; h a u p t s ä c h l i c h w i e hier R G 71 S. 200 ff, 2 0 4 ; 75 S. 355 ff, 3 6 0 ; B a y O b L G N J W 1957 S. 1485; Baumann A T § 41 II 1 a mit Fn. 13; LK^-Mösl § 7 3 R d n . 4 ; Maschinsky D J 1942 S. 503 f, 504. — Α. A. ( I d e a l k o n k u r r e n z n u r bei D a u e r d e l i k t e n ) R G 68 S. 315 ff, 317 f ; B G H 6 S. 229 ff, 2 3 0 ; Jescheck A T § 6 7 I I I ; SchönkeSchröder-Stree R d n . 19 v o r § 5 2 ; KohlrauschLange § 7 3 A n m . I ; Stratenwerth A T R d n . 1245; LK-Vogler §52 R d n . 12; — v e r m i t t e l n d Lackner § 52 A n m . 2 c.

10

S o f r e i l i c h die ü b e r w i e g e n d e A n s i c h t ; Oske M D R 1965 S. 532 f f ; Jescheck A T § 67 I I I 2 ; SK-Samson § 52 R d n . 13; Schmidbauer AT 1 8 / 4 3 ; LK-Vogler § 52 R d n . 2 5 ; Stratenwerth A T R d n . 1 2 4 5 ; Lackner § 52 A n m . 2 c . — T e i l s ä h n l i c h w i e hier Welze! S t r a f r e c h t § 3 0 I 4 ; Schönke-Schröder-Stree R d n . 91 v o r § 5 2 ; Maurach J Z 1962 S. 559 ff, 5 6 2 ; Eb. Schmidt J Z 1951 S. 21 f f ; siehe a u c h Maurach-Gössel A T II § 54 I I I A.

755

33. AbSChn

2. Buch. 7. Kapitel. Scheinbare und echte K o n k u r r e n z

lichkeit vor, wenn die zur Verwirklichung eines weiteren Delikts erforderlichen Körperbewegungen (die Handlungen im „natürlichen" Sinn) mit der Beendigung des Dauerdelikts unverträglich sind 11 oder wenn zumindest ein Abschnitt des Dauerdelikts zugleich Versuchsbeginn des weiteren Delikts ist (oder umgekehrt). Beispiel: Wer das seiner Freiheit beraubte Opfer verprügelt, statt ihm sofort die Fesseln aufzuschließen, begeht handlungseinheitlich die Delikte nach den §§ 223, 239 StGB; ebenso liegt Handlungseinheit vor, wenn der Täter das Opfer seiner Freiheit beraubt und damit unmittelbar zur Verwirklichung eines weiteren Delikts ansetzt.

C. Kritik der Klammerwirkung 1. Besteht eine tatbestandliche Handlung aus mehreren Handlungen im „natürlichen" Sinn, so können die Teilhandlungen dieses bestimmten Delikts je mit verschiedenen anderen Delikten in Handlungseinheit stehen. In Rechtsprechung und Literatur wird in diesem Fall eine Verklammerung der verschiedenen Delikte durch das bestimmte Delikt angenommen 1 2 : Wenn verschiedene Delikte alle mit einem bestimmten Delikt in Handlungseinheit stehen, so soll auch zwischen diesen mehreren Delikten Handlungseinheit bestehen, eben per Verklammerung durch das bestimmte Delikt. Diese Lösung beruht auf einem naturalistischen Mißverständnis dessen, was deliktische Handlung und dementsprechend Handlungseinheit ist 13 , wobei das Mißverständnis freilich durch den äußerlichen und material verfehlten Ansatz des Gesetzes bei der Handlungseinheit begünstigt wird. Die Verklammerung wird auch nicht konsequent durchgehalten: Wenn die Strafdrohung beim verklammernden Delikt geringer ist als bei den verklammerten Delikten (teils ist auch vom Gewicht der Tatbestände oder des Unrechts die Rede; — generell oder bei der konkreten Tat?), so soll Realkonkurrenz vorliegen 14 . Auch für die Fälle, in denen die Strafdrohung des verklammernden Delikts zumindest gleich stark ist, wird es als unbefriedigend erkannt, daß die strengeren Regelungen der Realkonkurrenz (§ 54 Abs. 2 StGB) entfallen, nur weil der Täter neben handlungsmehrheitlichen Delikten noch ein verbindendes Delikt begangen hat. Für eine Klammerwirkung spricht einzig, daß um die Idealkonkurrenz aller handlungsmehrheitlichen Delikte mit einem bestimmten gemeinsamen Delikt nicht herumzukommen ist. Es scheint also bei der Annahme von Realkonkurrenz folgendes Dilemma zu bestehen: Entweder wird das bestimmte gemeinsame Delikt bei jeder der handlungsmehrheitlichen Taten in Handlungseinheit angefügt und somit unzulässig 11 D a s bleibt u n b e r ü c k s i c h t i g t in R G 32 S. 137 ff, 139 f u n d w o h l a u c h in R G 54 S. 288 f, 2 8 9 ; 66 S. 346 f f , 3 4 7 ; B G H 18 S. 29 f f , 3 4 ; B G H LM § 177 S t G B N r . 8, 10; B G H G A 1967 S. 21 f ; z u t r e f f e n d a b e r R G 66 S. 117 ff, 119. 12

R G 44 S. 2 2 3 f f , 228 f ; 56 S. 329 ff, 3 3 0 ; 60 S. 241 ff, 2 4 3 ; 66 S. 117 f f , 1 1 9 f ; 68 S. 2 1 6 ff, 217 f ; s t ä n d i g e R e c h t s p r e c h u n g . Warda J u S 1964 S. 81 ff, 8 8 ; Geerds Konkurrenz S. 280 f f ; Jescheck A T 5 67 II 3 ; Maurach-Gössel A T II § 55 I C 7 c ; Schönke-Schröder-Stree § 52 R d n . 14 f f ; Lackner § 52 A n m . 2 b u n d die ü b e r w i e g e n d e L e h r e ; — kritisch gegen eine K l a m m e r w i r k u n g Wahle G A 1968 S. 97 ff, 107 f f ; R. Schmitt Z S t W 75 S. 4 3 f f , 4 8 ; Stratenwerth A T Rdn. 1246; LK- Vogler § 52 R d n . 2 9 ; Schmidhäuser AT 1 8 / 4 1 . — D i f f e r e n z i e r e n d Struensee Konkurrenz S. 26 f f ; Werle N J W 1980 S. 2671 ff, 2 6 8 0 ; ders.

K o n k u r r e n z S. 167 ff, 195 f f , 211 ff (mit eingehender Darstellung und Kritik der Klammerwirk u n g S. 48 f f ) , d e r alle d i e j e n i g e n E i n z e l a k t e s c h o n aus d e m v e r k l a m m e r n d e n D e l i k t h e r a u s l ö sen will, die gegen ein ideal k o n k u r r i e r e n d e s G e setz m i n d e s t e n s gleichen G e w i c h t s v e r s t o ß e n (insb e s o n d e r e z u den β 129, 129 a S t G B ) . 13 Schmidhäuser A T 18/41. It B G H 1 S. 67 f f ; 2 S. 246 f f ; 3 S. 165 ff, 167; 6 S. 92 f f , 9 7 ; 18 S. 66 ff, 69 mit A n m e r k u n g Hellmer N J W 1963 S. 116; B G H 2 3 S. 141 ff, 149 f ; 29 S. 288 f f , 291 f ; B G H N J W 1975 S. 985 f, 9 8 6 ; B G H J Z 1982 S. 612 f (mit d e r K l a r s t e l l u n g , d a ß keine E n t k l a m m e r u n g s t a t t f i n d e n soll, w e n n n u r eines d e r v e r k l a m m e r t e n D e l i k t e s c h w e r e r ist); Schönke-Schröder-Stree 5 52 R d n . 17 mit w e i t e r e n Nachweisen.

Idealkonkurrenz und Realkonkurrenz

33. AbSChn

m e h r f a c h v e r w e r t e t 1 5 , o d e r aber es wird n u r einer d e r T a t e n handlungseinheitlich attachiert, wobei freilich die H a n d l u n g s e i n h e i t d e r a n d e r e n T a t e n mit diesem D e l i k t u n b e n a n n t bleibt 1 6 . 2. Die A n n a h m e von I d e a l k o n k u r r e n z aller Delikte ist freilich ein falscher u n d u n - 1 2 nötiger Ausweg. D e r A u s w e g ist falsch, weil die „ v e r k l a m m e r t e n " D e l i k t e ihrerseits keine gemeinsame H a n d l u n g aufweisen u n d deshalb nicht ideal k o n k u r r i e r e n , und er ist unnötig, weil f o l g e n d e r Lösungsweg s o w o h l die I d e a l k o n k u r r e n z aller h a n d l u n g s mehrheitlichen Delikte mit dem einen gemeinsamen Delikt als auch die H a n d l u n g s mehrheitlichkeit der Delikte berücksichtigt: Z u n ä c h s t ist f ü r die h a n d l u n g s m e h r h e i t lichen Delikte nach den Regeln der i ? e d / k o n k u r r e n z , o h n e Blick auf die H a n d l u n g s einheitlichkeit z u m g e m e i n s a m e n D e l i k t 1 7 , eine S t r a f e f e s t z u l e g e n ; s o d a n n ist die gef u n d e n e Strafe, die alle h a n d l u n g s m e h r h e i t l i c h e n Delikte berücksichtigt, im Blick auf die einmal bestehende I d e a l k o n k u r r e n z z u m gemeinsamen Delikt nach d e r Regel des § 52 StGB zu e r g ä n z e n . Letzteres geschieht f o l g e n d e r m a ß e n : Es wird d e r S t r a f r a h m e n mit der höchsten S t r a f d r o h u n g ermittelt, w o b e i f ü r die real k o n k u r r i e r e n d e G r u p p e der strengste R a h m e n d e r verwirklichten Delikte o d e r — f ü r den Fall n o c h g r ö ß e rer Strenge — derjenige des § 54 Abs. 2 S t G B gilt. M i n d e s t s t r a f e n etc. w e r d e n nach dem Kombinationsprinzip berücksichtigt (§ 52 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 S t G B ) ; die nach § 52 Abs. 1 S t G B e r f o r d e r l i c h e eine Strafe wird d u r c h eine E r h ö h u n g d e r s c h o n feststehenden S t r a f e (seil, f ü r die handlungsmehrheitlichen Delikte) gebildet, w e n n nicht das gemeinsame handlungseinheitliche Delikt im Blick auf das G e w i c h t d e r h a n d l u n g s mehrheitlichen Delikte eine quantite negligeable ist. Beispiel: Begeht ein T ä t e r z u r A u f rechterhaltung einer e i n f a c h e n Freiheitsberaubung m e h r f a c h u n d n u r d u r c h die Freiheitsberaubung v e r b u n d e n eine e i n f a c h e K ö r p e r v e r l e t z u n g , so ist z u n ä c h s t die S t r a f e f ü r die real k o n k u r r i e r e n d e n K ö r p e r v e r l e t z u n g e n nach den Regeln d e r §§ 53 f S t G B festzusetzen; diese S t r a f e ist innerhalb des bezeichneten strengsten R a h m e n s w e g e n d e r einmal ideal k o n k u r r i e r e n d e n Freiheitsberaubung zu s c h ä r f e n , so wie es allgemein den Prinzipien der S t r a f z u m e s s u n g bei I d e a l k o n k u r r e n z entspricht.

II. Die Realkonkurrenz Literatur E. Bender Doppelte Gesamtstrafe oder „Einheits"-Gesamtstrafe? N J W 1964 S. 807 f; K. Böhm Zusammentreffen von lebenslanger Freiheitsstrafe mit anderen Strafen und freiheitsentziehenden 15

S o die ü b e r w i e g e n d e A n s i c h t im Fall d e r „ E n t k l a m m e r u n g " m a n g e l s G e w i c h t des a n sich v e r k l a m m e r n d e n Delikts. D a d u r c h — wie a u c h d u r c h die hier v o r g e s c h l a g e n e L ö s u n g - w i r d die I d e a l k o n k u r r e n z zwischen den handlungseinheitliehen T a t e n u n d d e m b e s t i m m t e n g e m e i n s a m e n Delikt n i c h t a u f g e l ö s t ; die r e c h t s k r ä f t i g e E r l e d i g u n g des l e t z t e r e n Delikts k a n n also alle V e r f a h ren mit d e n e r s t e r e n D e l i k t e n als P r o z e ß g e g e n stand s p e r r e n . Z w a r d ü r f t e d e r S a t z , I d e a l k o n k u r r e n z f ü h r e stets z u r T a t i d e n t i t ä t im S i n n des P r o z e ß r e c h t s , n i c h t u n e i n g e s c h r ä n k t gelten ( o b e n 3 2 / F n . 22). E i n e A u s n a h m e ist a b e r n i c h t a n g e b r a c h t , w e n n d a s Delikt, d a s G e g e n s t a n d eines Urteils ist, dieselbe V e r l e t z u n g s r i c h t u n g a u f w e i s t wie das h a n d l u n g s e i n h e i t l i c h e D e l i k t : In d i e s e m Fall ist d e r P r o z e ß g e g e n s t a n d n u r q u a n t i t a t i v u n bestimmt. D e m g e m ä ß s p e r r t — o h n e Blick auf eine K l a m m e r w i r k u n g — eine V e r u r t e i l u n g a u s den §§ 129, 129 a S t G B ein w e i t e r e s V e r f a h r e n

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w e g e n aller T a t e n , die als m i t g l i e d s c h a f t l i c h e Beteiligungsakte vollzogen wurden; eingehend Grünwald B o c k e l m a n n - F e s t s c h r i f t S. 7 3 7 ff. — Α. A. B V e r f G N J W 1978 S. 4 1 4 f ; N J W 1981 S. 1433 f f ; B G H 2 9 S. 288 f f , 292 f f ; B G H G A 1980 S. 314 ff. — F ü r eine A u f l ö s u n g d e r T a t n a c h d e n §5 129, 129 a S t G B in real k o n k u r r i e r e n d e E i n z e l a k t e Werle N J W 1980 S. 2671 f f ; ders. K o n k u r r e n z S. 161 ff. — F ü r eine B e s c h r ä n k u n g d e r §§ 129, 129 a S t G B auf o r g a n i s a t i o n s b e z o g e n e A k t e O L G K a r l s r u h e J R 1978 S. 34 f mit Anmerkung Meyer aaO S. 35 f ; LK-Vogler R d n . 23 v o r § 5 2 ; Gössel J R 1982 S. 111 ff, 112. W e g e n des D i l e m m a s soll n a c h SK-Samsott § 52 R d n . 19 o h n e Blick auf d a s G e w i c h t d e r T a t e n stets I d e a l k o n k u r r e n z a n z u n e h m e n sein. D a s A u s k l a m m e r n v o n ideal k o n k u r r i e r e n d e n D e l i k t e n bei d e r S t r a f z u m e s s u n g ist k e i n e B e s o n d e r h e i t dieses L ö s u n g s w e g s , v i e l m e h r bei f e h l e n d e m S t r a f a n t r a g f ü r ein D e l i k t etc. g e l ä u f i g .

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33. AbSChn

2. B u c h . 7. K a p i t e l . S c h e i n b a r e u n d e c h t e K o n k u r r e n z

Maßregeln, N J W 1982 S. 135 ff; H.-J. Bruns Zum Verbot der Doppelverwertung von Tatbestandsmerkmalen oder strafrahmenbildenden Umständen, H . Mayer-Festschrift S. 353 ff; den. Strafzumessungsrecht, 2. Auflage 1974; ders. Leitfaden des Strafzumessungsrechts, 1980; E. Dreher Doppelverwertung von Strafbemessungsumständen, J Z 1957 S. 155 ff; H. Jagusch Anmerkung zu B G H 24 S. 268 ff, N J W 1972 S. 454 f; K. Niederreuther Die prozessuale Behandlung der Realkonkurrenz im geltenden und künftigen Recht, 1930; H. Sacksofsky Die Problematik der doppelten Gesamtstrafe, N J W 1963 S. 894 f; O. Schweling Die Bemessung der Gesamtstrafe, GA 1955 S. 289 ff.

A. Der Grundsatz der Gesamtstrafenbildung 13

1. Soweit eine Handlungsmehrheit nicht nach den Regeln der Gesetzeskonkurrenz zu erledigen ist und es nicht um einen handlungsvereinigenden Tatbestand geht, werden dem Täter alle verwirklichten Delikte kumuliert zugerechnet, und für jedes selbständige Delikt wird eine Strafe bestimmt. Delikte und Einzelstrafen konkurrieren somit realiter. Aber aus den — zeitigen — Einzelstrafen wird eine Gesamtstrafe gebildet, in der die Einzelstrafen nur noch der Idee nach vereinigt sind. Die Realkonkurrenz wird also nach positivem Recht so wenig rein durchgeführt wie die Idealkonkurrenz. Der Unterschied dieser Regelung von Tatmehrheit zu mehreren Verurteilungen wegen mehrerer Taten (die nicht schon im ersten Urteil als real konkurrierend erledigt werden konnten, sonst erfolgt eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB) besteht im Ersatz der Addition (Kumulation) aller Strafen durch Asperation der schwersten Einzelstrafe (§ 54 Abs. 1 Satz 1 StGB). Der Unterschied zur Idealkonkurrenz besteht — abgesehen vom Verfahren der Strafzumessung: erst Einzelstrafen, dann Gesamtstrafe — darin, daß zur Schärfung der höchsten Einzelstrafe der Strafrahmen des § 54 Abs. 2 StGB zur Verfügung steht. Beide Unterschiede sind de lege ferenda zu überprüfen. Was den Unterschied zur Lage bei mehreren Verurteilungen angeht, so dürfte dort eine erweiterte Zulassung nachträglicher Gesamtstrafenbildung tolerabel sein (siehe unten 33/15). Der Unterschied zur Idealkonkurrenz — stets Beschränkung auf den Rahmen des schwersten verwirklichten Delikts bei Idealkonkurrenz, stets der Rahmen des § 54 Abs. 2 StGB bei Realkonkurrenz — läßt sich überhaupt nicht begründen.

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2 a) Der bei tatmehrheitlicher Verurteilung erfolgende Verzicht auf eine Addition der Einzelstrafen wird mit zwei Argumenten begründet. Zum einen soll sich „die Freiheitsstrafe ihrer Natur nach gerade durch die Verlängerung der ohne Unterbrechung zu verbüßenden Strafzeit . . . empfindlicher gestalte(n)" 18 . Zum anderen soll die Vollstreckung mehrerer, addiert faktisch lebenslanger Strafen die Zeitigkeit der Freiheitsstrafe aufheben 1 9 . Das erste Argument beruht auf bislang nicht fundierten Spekulationen über den Strafschmerz; das zweite kann nicht erklären, weshalb auch innerhalb der für zeitige Strafen geltenden Grenze von fünfzehn Jahren nicht addiert wird. Der Sache nach geht es darum, daß die Strafe als Symbol der Mißbilligung des Täterverhaltens zu verstehen ist und mehrere Mißbilligungen gleichzeitig symbolisieren kann. Die Vollstreckung der Gesamtstrafe erfolgt demgemäß auch nicht dergestalt, daß die Taten bestimmten Gesamtstrafenteilen zuzuordnen wären, sondern die gesamte Strafe wird wegen aller Taten vollstreckt. Die Funktion der Gesamtstrafe besteht nach diesem Verständnis nicht darin, eine bestimmte Summe Strafschmerz zu bewirken. Die Effektivität der Strafe läßt sich auch hier nicht naturalistisch bestimmen. Vielmehr muß durch die Gesamtstrafe die Mißbilligung aller Taten expressiv werden; hierfür bedarf es so 18

R G 44 S. 302 ff, 306; 25 S. 298 ff, 299.

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" Ε 1962 Begründung S. 192 f; Schönke-SchröderStree Rdn. 4 vor § 52; Jescbeck A T § 68 II 1; LKVogler 5 53 Rdn. 2.

Idealkonkurrenz und Realkonkurrenz

33. AbSChn

wenig der Addition der Einzelstrafen, wie es zur Zusammenfassung einzelner sprachlicher Sinneinheiten einer Addition der diese Einheiten verkörpernden W ö r t e r bedarf. Treffend formuliert das Reichsgericht, daß die Festsetzung der Gesamtstrafe eine „richterliche Entscheidung über die Modalität der Vollstreckung der Einzelstrafen" ist 20 : Die Einzelstrafen werden also alle, und zwar gleichzeitig, vollstreckt, obgleich die Gesamtstrafe geringer ist als die Summe der Einzelstrafen. b) Alle Begründungen f ü r die Gesamtstrafe sind freilich damit unverträglich, daß 15 die Gesamtstrafenbildung auf Fälle beschränkt ist, in denen mehrere Taten gleichzeitig abgeurteilt werden oder in denen — bei mehreren Entscheidungen, nachträgliche Gesamtstrafenbildung, § 55 StGB — alle Taten vor der früheren Entscheidung liegen. Diese Regelung wird wohl von der Befürchtung geprägt, eine Einbeziehung auch von Taten nach einer früheren Entscheidung nehme der N o r m die spezialpräventive Kraft, da der Täter dann keine Erhöhung der Gesamtstrafe um so viele Strafeinheiten zu befürchten habe, wie die T a t allein genommen ausmacht. Diese Befürchtung paßt aber weder zu der geläufigen Spekulation über die progressive Zunahme des Strafschmerzes in der Zeit noch zu der hiesigen Ansicht, nach der es auf den expressiven Gehalt der Gesamtstrafe ankommt 2 1 . Auch ist das Ergebnis der Beschränkung — die Strafensumme kann fünfzehnjährige Freiheitsstrafe übersteigen — mit der Zeitigkeit der Freiheitsstrafe unverträglich. Die Berücksichtigung vorgehender Verurteilungen bei der Strafzumessung wegen der nachfolgenden Taten 2 2 läuft zwar auf eine partielle Korrektur des insoweit verfehlten Gesetzes hinaus, führt aber zu unangemessenen Ergebnissen, wenn das erste Urteil keinen Bestand hat (etwa bei erfolgreicher Wiederaufnahme). — Jedenfalls ist — neben § 57 StGB — § 57 a StGB entsprechend auf Strafensummen anzuwenden, bei denen zwei Drittel mehr ist als f ü n f z e h n Jahre. 3. Die Regelung des Gesetzes betrifft nur den Fall, daß mehrere zeitige Freiheits- 1 6 strafen verwirkt sind (§ 53 Abs. 1 StGB). Bei auch nur einer lebenslangen Strafe soll kumuliert werden 2 3 . Die Kumulierung erfolgt nach § 260 Abs. 4 Satz 5 S t P O aber nicht im Urteilstenor, sondern nur in den Gründen und hat — neben der Verdeutlichung des Tatumfangs f ü r eine Gnadenentscheidung — die Funktion, daß beim Fortfall der Verurteilung wegen einer Tat der Anteil der anderen Taten an der Verurteilung fixiert werden kann. Dieses Ziel läßt sich freilich besser erreichen, wenn die lebenslange Freiheitsstrafe in analoger Anwendung von § 54 Abs. 2 Satz 2 StGB als eine Strafe verstanden wird, die als Gesamtstrafe alle anderen Strafen absorbiert, selbst wenn diese lebenslange Strafen sind 2 4 , wie auch eine fünfzehnjährige Freiheitsstrafe alle zeitigen Strafen absorbiert. Diese Lösung, bei der neben einer lebenslangen Strafe andere Strafen — seien es ihrerseits lebenslange oder zeitige Strafen, letzteres als Einzelstrafen oder als eine Gesamtstrafe — zwar verwirkt, aber nicht Verurteilungsgegenstand werden können (§ 53 Abs. 1 StGB), harmoniert auch besser mit § 57 a StGB als die Konstruktion einer mehrfachen Verurteilung 2 5 .

B. Der Vorgang der Gesamtstrafenbildung 1. Die Gesamtstrafe wird bei einer gleichzeitigen Verurteilung wegen mehrerer T a - 1 7 ten (§ 53 Abs. 1 StGB) und bei einer Verurteilung 2 6 wegen Taten, die vor einer frühe20

R G 25 S. 298 ff, 309; 44 S. 302 ff, 306. 21 Siehe auch Stratenwerth A T Rdn. 1258. 22 D a f ü r Schönke-Schröder-Stree § 53 Rdn. 8; a. A. R G 4 S. 54 ff; O L G H a m m N J W 1971 S. 1373 f, 1374; Dreher-Tröndle § 38 Rdn. 3. 23 Maurach-Gössel AT II § 56 IV A 3 a; Jescheck A T § 6 8 II 1; LK-Vogler 5 53 Rdn. 12; Schänke-

Schröder-Stree 5 53 Rdn. 25; siehe auch R G 54 S. 290 f. Ähnlich v. Hippel Strafrecht Bd. II § 38 III 1. " Siehe Böhm N J W 1982 S. 135 ff. 26 Wird die Möglichkeit einer Gesamtstrafenbildung bei der späteren Verurteilung nicht w a h r g e n o m men, so ist die Gesamtstrafe nach § 460 S t P O zu 24

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33. Abschn

2. Buch. 7. Kapitel. Scheinbare und echte K o n k u r r e n z

ren Verurteilung liegen (5 55 Abs. 1 StGB), gebildet. Werden mehrere Taten gleichzeitig abgeurteilt, von denen mindestens eine vor und mindestens eine nach einer früheren Verurteilung liegt, so kann keine Gesamtstrafe gebildet werden, die beide Gruppen verbindet, da die frühere Verurteilung die nachfolgende(n) Tat(en) aus der Gesamtstrafe aussperrt 2 7 (§ 55 Abs. 1 Satz 1 StGB a. E.). Das Ergebnis — nachträgliche Gesamtstrafe für die Taten der ersten Verurteilung und vorgehende Taten gemäß § 55 StGB, Kumulation mit der Strafe für nachfolgende Taten — ist natürlich so unbefriedigend, wie die Beschränkungen des § 55 StGB überhaupt unbefriedigend sind. Eine andere Entscheidung (seil. Gesamtstrafe) würde aber den Täter, der vor der ersten Verurteilung noch weitere Taten begangen hat, gegenüber demjenigen begünstigen, der keine Taten vor der ersten Verurteilung „in Reserve" hat (Kumulation). Auch wäre das Ergebnis von dem Zufall abhängig, ob die erste Verurteilung alle vor ihr liegenden Taten erfaßt (dann Kumulation mit der Verurteilung wegen nachfolgender Taten) oder nicht (dann Gesamtstrafe). Sind f ü r die einzelnen Taten je Freiheitsstrafe oder je Geldstrafe 2 8 auszuwerfen, so ist die Gesamtstrafenbildung zwingend vorgeschrieben (§ 53 Abs. 1 StGB). Beim Zusammentreffen von Freiheits- und Geldstrafe hat das Gericht die Möglichkeit, auf eine Gesamtfreiheitsstrafe (§ 53 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 54 Abs. 3 StGB) oder auf Geldstrafe gesondert neben Freiheitsstrafe zu erkennen (§ 53 Abs. 2 Satz 2 StGB), wobei es im letzteren Fall freilich nicht um bloße Kumulation von Freiheits- und Geldstrafe geht, sondern um eine Bestimmung beider Strafen entsprechend den Zumessungsregeln des § 54 Abs. 1 Satz 2 StGB 2 9 (streitig). 18

2. Für die Bestimmung der Gesamtstrafe gibt das Gesetz einen dreifach fixierten Rahmen: Sie muß um mindestens eine Strafeinheit höher sein als die höchste Einzelstrafe (die sogenannte Einsatzstrafe, § 54 Abs. 1 Satz 1 StGB), wenn diese nicht schon das Höchstmaß ausmacht; sie muß ferner um mindestens eine Strafeinheit niedriger sein als die Summe aller Einzelstrafen (§ 54 Abs. 2 Satz 1 StGB), und sie darf schließlich fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe (also das Höchstmaß zeitiger Freiheitsstrafe überhaupt, § 38 Abs. 2 StGB) und siebenhundertzwanzig Tagessätze Geldstrafe (also das Doppelte des regelmäßigen Höchstsatzes, § 40 Abs. 2 StGB) nicht übersteigen (§ 54 Abs. 2 Satz 2 StGB). Innerhalb dieses Rahmens erfolgt die Strafbestimmung unter zusammenfassender Würdigung der Person des Täters und der einzelnen Taten, d. h. unter Berücksichtigung aller Grundsätze der Strafzumessung bei der Zusammenfassung 3 0 . Da es bei der Gesamtstrafenbildung nur noch um die Frage geht, wie die bilden, u n d z w a r a u c h , w e n n eine d e r S t r a f e n mittlerweile s c h o n v o l l s t r e c k t w o r d e n ist, s o f e r n n u r a u s e i n e r a n d e r e n S t r a f e n o c h (ein Rest) z u v o l l s t r e c k e n ist; KK-Chlosta § 460 R d n . 10. — Sind bei e i n e r s p ä t e r e n F e s t s e t z u n g einer S t r a f e frühere — gesamtstrafenfähige — Strafen schon v o l l s t r e c k t , s o soll n a c h B G H M D R 1982 S. 946 f o l g e n d e r W e g z u l ä s s i g sein: Es wird eine h y p o t h e t i s c h e (als w ä r e n i c h t v o l l s t r e c k t ) G e s a m t s t r a f e gebildet u n d als n e u e S t r a f e w i r d n u r d e r e n n i c h t v o l l s t r e c k t e r Teil a u s g e w o r f e n . 27

S t r e i t i g ; w i e hier R G 4 S. 54 f f , 55 f f ; B G H 9 S. 370 ff, 3 8 3 ; B G H G A 1963 S. 374 f ; s t ä n d i g e R e c h t s p r e c h u n g ; Bender N J W 1964 S. 807 f ; LKVogler § 55 R d n . 12; Dreher-Tröndle § 55 R d n . 5 ; Lackner § 55 A n m . 2 b ; Jescheck A T § 68 III 2. Α. A. (es sei eine G e s a m t s t r a f e aus allen E i n z e l s t r a f e n z u b i l d e n ) Sacksofsky N J W 1963 S. 894 f ;

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SK-Samson § 53 R d n . 9. — V e r m i t t e l n d (eine G e s a m t s t r a f e soll a u s allen E i n z e l s t r a f e n n u r d a n n gebildet w e r d e n , w e n n die v o r g e h e n d e V e r u r t e i l u n g im Blick auf die f o l g e n d e n T a t e n einen „ w a r n e n d e n Appell" ausübte) Schönke-SchröderStree § 5 5 R d n . 14 ff, 16. — Ist die V o r v e r u r t e i l u n g e r l e d i g t (im S i n n v o n § 55 Abs. 1 S a t z 1 S t G B ) , so h i n d e r t sie eine G e s a m t s t r a f e f ü r die f r ü h e r e n u n d die s p ä t e r e n T a t e n nicht m e h r ; B G H N S t Z 1982 S. 377. 28

29

Z u m Problem unterschiedlicher siehe B G H J Z 1978 S. 319 ff.

Tagessatzhöhen

Z u r G e l d s t r a f e n a c h § 53 A b s . 3 i. V . m. § 52 Abs. 3 S t G B siehe LK-Vogler% 53 R d n . 16. 30 B G H 24 S. 268 ff, 269 m i t A n m e r k u n g Jagusch N J W 1972 S. 454 f ; siehe f e r n e r Schweling CA 1955 S. 289 ff.

Idealkonkurrenz und Realkonkurrenz

33. Abschn

verwirkten Einzelstrafen zu vollstrecken sind, ist nicht etwa der gesamte Strafzumessungsvorgang durch erneute Würdigung der einzelnen Taten zu wiederholen. Vielmehr erfolgt die Schärfung der höchsten verwirkten Strafe wegen der anderen verwirkten und schon fixierten Strafen, so daß die zugehörigen Taten nur vermittelt über die Strafen in die zusammenfassende Würdigung bei der Bestimmung der Gesamtstrafe aufzunehmen sind. D a also die anderen Strafen und nicht die anderen Taten ein Schärfungsgrund sind, dürfen Strafzumessungserwägungen, die schon bei der Bestimmung der Einzelstrafen verbraucht wurden, nicht erneut berücksichtigt werden 3 1 (Mehrfach verwertungsverbot). Freilich erlaubt das Gesetz auch keinen mathematisierten Schematismus der Zusammenrechnung von Strafen (etwa: höchste verwirkte Strafe plus χ P r o zent der anderen verwirkten Strafen), ja nicht einmal je eine Schärfung der höchsten verwirkten Strafe f ü r eine jede der anderen Strafen, sondern nur eine einfache Schärfung 3 2 . Die Einzelstrafen unterhalb der höchsten Einzelstrafe haben deshalb praktisch auf die Strafbestimmung innerhalb des Strafrahmens je nach der Gesamtlage einen ganz unterschiedlichen Einfluß. — Für Nebenstrafen etc. siehe § 53 Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 4 StGB und $ 55 Abs. 2 StGB. — Einzelheiten sind Gegenstand der Strafzumessungslehre.

51 Dreher J Z 1957 S. 155 ff, 157; Scbönke-SchröderStree § 5 4 Rdn. 15; SK-Samson 5 54 Rdn. 9; Jescheck A T § 8 2 V 3; siehe auch O L G Bremen N J W 1952 S. 1069; O L G Köln N J W 1953 S. 275 f, 276. — Die teilweise erheblich abweichenden Ansichten ( B G H 8 S. 206 ff, 210 f; 24 S. 268 ff, 270; Bruns H. Mayer-Festschrift

S. 353 ff, 374; ders. Strafzumessungsrecht S. 473; ders. Leitfaden S. 115; Schweling G A 1955 S. 289 ff, 292; LK- Vogler § 54 R d n . 11) beruhen auf Unklarheiten über den S c h ä r f u n g s g r u n d : die anderen Strafen oder die z u g r u n d e liegenden T a ten? 32 Siehe R G 44 S. 302 ff, 304 f; B G H 12 S. 1 ff, 6 f.

761

Sachregister Die fetten Zahlen verweisen auf die Abschnitte, die mageren auf deren Randnummern. Abartigkeit siehe Unzumutbarkeit Abbruch ärztlicher Intensivbehandlung 7 64 aberratio ictus siehe Objektsirrtum Abschreckung siehe Generalprävention, negative Absicht 8 15 ff Beschränkung der — auf Hauptfolgen 8 15 Endziel und Zwischenziel bei — 8 15 — bei Situationsbeschreibungen 8 16 Vorstellungsseite der — 8 17 Willensseite der — 8 15 f siehe auch subjektive Unrechtselemente; Vorsatz; Vorsatzgestalt absolute Straftheorie siehe Vergeltungstheorie Absorption siehe Konkurrenz Abwägung siehe Interessenabwägung; defensiver Notstand Abweichung des Kausalverlaufs 8 64 ff Adäquanzlösung 8 64 f, 72 Quantitätsirrtum 8 73 — bei zu enger Risikodefinition 8 68 f — bei zu weiter Risikodefinition 8 67 mehrfache Risikoverwirklichung 8 70 — als Problem der Risikoverwirklichung 8 64 ff siehe auch Irrtum über Beteiligung actio libera in causa 17 57 f, 64 ff Beteiligung an eigener T a t bei — 17 67 fahrlässige — 17 66; 21 113 Rücktritt bei — 17 68 Verhältnis der — zur mittelbaren Täterschaft 17 64 Versuchsbeginn bei — 17 68 Voraussetzungen der — 17 65 ff vorsätzliche — 17 66 Vorverlagerung der Tathandlung bei — 17 68 Adäquanztheorie siehe objektive Zurechnung Affekt — beim Notwehrexzeß 20 29 Unrechtsbewußtsein bei Taten im — 19 26 Unzumutbarkeit bei Taten im — 8 17 f Vorsatz bei Taten im — 8 13 Zurechnungsunfähigkeit bei Taten im — 18 10 agent provocateur 23 16 ff (22 3, 8; 29 33)

aggressiver Notstand 13 9 ff (13 5) Abgrenzung zum erlaubten Risiko 7 41 Abgrenzung zur N o t w e h r 12 18 Eignung der Abwehr 13 17 Erforderlichkeit des Eingriffs 13 16 ff Exzeß beim — 20 32 — bei hypothetischen Erfolgsursachen 7 9 6 ; 1 3 26 Gefahrbegriff beim — 13 12 ff Gefahrenquelle 13 14 Gegenwärtigkeit der Gefahr 13 15 geschützte Güter 13 9 ff Staatsnotstandshilfe im — 13 10 f siehe auch Angemessenheit; Interessenabwägung Akzessorietät 22 19 f; 23 1 ff (21 3 ff, 72 f) extreme — 21 17 limitierte — 21 72, 91 f; 22 10; 23 5 Pflichtdelikte als akzessorietätsüberspringende Delikte 21 116 siehe auch qualitative (innere) —; quantitative — alternativer Vorsatz 8 33 Alternativität 31 Fn. 13 Amtsrechte 16 1 ff Beurteilungsspielraum des Amtsträgers 16 6 (16 15) Delegation im Einzelfall 16 27 Delegation durch Gesetz 16 16 ff, 26 Ermessensprivileg des Amtsträgers 16 2, 15 indirekter Verbotsirrtum des Amtsträgers 16 7 Tatbestandswirkung zu vollstreckender Entscheidungen 16 4 Vollstreckbarkeitslösung 16 5 (16 2) Voraussetzungsirrtum des Amtsträgers 16 8 siehe auch Handeln pro magistratu Analogieverbot siehe Auslegung Angehöriger — als Begünstigter beim entschuldigenden Notstand 20 7 — Privilegierter 10 19 Sonderpflicht eines — bei Unzumutbarkeit 17 75

763

Ang

Sachregister

Angemessenheit der Notstandstat 13 36 ff, 49 (13 19) — bei Beweismangel im Prozeß 13 39 ff — bei Duldungs- und Opferpflichten 13 43 — bei Geldmangel 13 37 f V o r r a n g des formellen Rechtsstaats 13 42 Angriffsobjekt 2 6 Anordnung siehe Anweisung Anrechnung — des Maßregelvollzugs auf die Strafe 1 52 Anstiftung 22 21 ff Abgrenzung der — zur psychischen Beihilfe 22 22 Begriff der — 22 21 — zur Entschlußänderung 22 25 f — zum erfolgsqualifizierten Delikt 22 29 Exzeß des Angestifteten 22 29 Ketten- 22 30 Konkretisierung der T a t 22 27 Konkretisierung des Täters 22 28 Mittel der — 22 23 omnimodo facturus 22 24 Strafrahmen 22 31 versuchte — 27 3 ff siehe auch Beteiligung am und durch Unterlassen Antriebssteuerung 6 21 f, 25 Anweisung als Rechtfertigungsgrund 16 11 ff (19 51) Anweisung zu rechtswidrigem Verhalten 16 11 Entschuldigungslösung 16 13 Ermessen des Anweisenden 16 15 gesetzliche Regelungen 16 12 mittelbare Täterschaft des Anweisenden 16 11 Rechtfertigungslösung 16 13 f Arzt siehe Abbruch ärztlicher Intensivbehandlung; bedingter Vorsatz; institutionelle Pflichten; mutmaßliche Einwilligung; rechtfertigende Einwilligung; Übernahme Asperation siehe Konkurrenz Aufklärungspflicht siehe rechtfertigende Einwilligung Auflagen — als Tatfolge 1 51 Auslegung 4 17 ff — im A T 4 43 ff Generalisierbarkeit der — 4 22, 37 ff Generalisierungsverbot (Analogieverbot) bei der — 4 33 ff historische Theorie der — 4 19 ff Konnexität der Vorannahmen bei der — 4 20 f

764

Lückenschließung durch — 4 40 f objektive Theorie der — 4 19 ff — bei Rechtfertigungsgründen 4 44 (12 Fn. 87) Regelungssinn und — 4 36 — und Sprachgebrauch 4 35, 39 subjektive Theorie der — 4 19 ff Systembildung bei der — 4 22, 37 ff, 45 Vorannahmen des Interpreten bei der — 4 18 ff — von Zeitgesetzen 4 64 f siehe auch Gesetzesbindung Ausnahmen von der Strafbarkeit persönliche — siehe rollenbezogene Bedingungen Aussetzung — des Strafrests 1 52 — der Strafe 1 51, 53 Automatismus siehe Handlung Beamtengesetze siehe Anweisung (gesetzliche Regelungen) bedingte Verurteilung 1 Fn. 78 bedingter Vorsatz 8 21 ff Billigungstheorien 8 26 Bundesgerichtshof zum — 8 28 emotionsorientierte Einstellungstheorien 8 26 ff Frank'sche Formel 8 27 gültiges Urteil als — 8 23 intellektorientierte Einstellungstheorien 8 25 intellektuelle Theorie 8 22 — als Mißachtung von Risikomaximen 8 Fn. 53 Prinzipien der Abgrenzung zur Fahrlässigkeit 8 21 — bei Risikogewöhnung 8 31 f — bei riskanten ärztlichen Operationen 8 24 Theorie der Selbstbegrenzung des Verwirklichungswillens 8 29 Untergrenze der Wahrscheinlichkeit bei — 8 30 ff — und Vermeidewille 8 24 Wahrscheinlichkeitstheorie 8 Fn. 47 siehe auch Vorsatz; Vorsatzgestalt Bedingung siehe Kausalität Beendigung 25 12; 33 7 Befehl siehe Anweisung; Verbotsirrtum beim Handeln auf Befehl Befolgungsunfähigkeit siehe Einsichtsunfähigkeit Begleitumstände absolute — 7 16 relative — 7 16 f, 82

fette Zahl = Abschnitt, magere Zahl = R a n d n u m m e r Begnadigung 10 25 behördliche Erlaubnis 16 28 f — als Fall der Einwilligung 16 28 rechtfertigende — 16 29 tatbestandsausschließende — 16 29 Beihilfe 22 33 ff — beim Dauerdelikt 22 40 f — als Gefährdungsdelikt 22 35 hypothetische Erfolgsursachen 22 37; 29 102 Kausalität der — 22 33 ff — bei mehraktigen Delikten 22 40 Normzweckzusammenhang bei — 22 37 objektive Zurechnung der — 22 36 ff — als Risikoerhöhung 22 35 Strafmilderung f ü r — 22 44 — nach Vollendung 22 40 Zeitpunkt der — 22 38 ff siehe auch Beteiligung am und durch Unterlassen Bereiterklären siehe Beteiligungsversuch Besitzkehr 16 25 Besitzwehr 16 25 besondere persönliche Merkmale siehe qualitative Akzessorietät; Vertreterhaftung besonders schwere Fälle 6 99 ff (6 104 f; 8 43) — bei Gesetzeskonkurrenz 31 21 Beteiligtenrolle siehe Irrtum über Beteiligung; Täterschaft; Täterschaftsformen; Teilnahme Beteiligung siehe — an einer Selbstverletzung; — am und durch Unterlassen; notwendige Teilnahme; Täterschaft; Täterschaftsformen; Teilnahme Beteiligung an einer Selbstverletzung 21 38, 56 ff, 77 ff, 88 ff, 97 ff, 114; 24 9; 29 53 ff, 106 — bei deliktischer Selbstverletzung 21 56 — bei Entscheidungsherrschaft 21 77 ff, 88 ff, 97 ff — bei Entscheidungsherrschaft des Opfers 21 58 fahrlässige — 21 114 — bei fahrlässiger Selbstverletzung 21 78, 114 — durch Garanten 21 99 — bei Gestaltungsherrschaft 21 58 — durch Selbst-Begehen 21 38, 58 Straffreiheit der Selbstverletzung 21 57 — durch Unterlassen in Entscheidungsherrschaft 29 55 — durch Unterlassen bei institutioneller Pflicht 29 63, 75 — durch Unterlassen, Prinzip 29 53 — durch Unterlassen in Quasi-Eigenhändigkeit 29 56

def

Beteiligung am Unterlassen 29 108 ff Abgrenzung von Mittäterschaft und Teilnahme 29 11-1 Anstiftung 29 109 — bei echter Unterlassung 30 4 Grundsatz 29 108 mittelbare Täterschaft 29 110 qualitative Akzessorietät 29 112 Beteiligung durch Unterlassen 29 101 ff Abgrenzung von Mittäterschaft und Teilnahme 29 102 Anstiftung 29 104 hypothetische Kausalität der Beihilfe 29 102 Meinungsstand zur — 29 105 mittelbare Täterschaft 29 103 — bei Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit 29 106 f — bei Pflichten kraft Organisationszuständigkeit 29 101 ff — bei echter Unterlassung 30 4 Beteiligungsversuch 27 1 ff — durch Annahme eines Erbietens 27 9 Beteiligung am — 27 8 Ernsthaftigkeit des — 27 9 f, 12 — durch Sich-Bereiterklären 27 10 — beim Sonderdelikt 27 7 Strafbarkeit des — 27 14 Strafgrund des — 27 1 f — durch Unterlassen 29 122 — durch Verabredung 2 7 1 1 1 Verbrechensbestimmung beim — 27 6 als versuchte Anstiftung 27 3 ff siehe auch Rücktritt; Rücktritt bei Beteiligung Bewährung 10 23 Bewährungshilfe 1 51 Bewußtseinsstörung siehe Unzumutbarkeit Blankettgesetz Rückwirkung beim — 4 70 ff Schuldtheorie beim — 19 20 — als Zeitgesetz 4 66 siehe auch Vorsatz bei Blankettgesetzen Bürgerwehr siehe N o t w e h r corpus delicti 6 48 Dauerdelikte Begriff der - 6 80 ff Beteiligung bei — 21 60; 22 38 ff Konkurrenz bei — 32 27; 33 10 Unterlassung bei — 29 8 defensiver Notstand 13 46 ff (12 18; 13 5; 16 20) Angemessenheit 13 49 — bei Angriffen Schuldloser 12 18 765

del

Sachregister

Exzeß beim — 20 32 Interessenabwägung beim — 13 46 — statt Notwehr nach Provokation 12 53 Perforation 13 22, 47 W a h r n e h m u n g berechtigter Interessen 16 37 Zuständigkeit des Eingriffsopfers 13 47 delictum sui generis siehe eigenständiges Verbrechen Deliktsaufbau siehe Zurechnung Deliktsbegriff 6 Fn. 1 Deliktsstufen 25 1 siehe auch Beendigung; Versuch; Vollendung; Vorbereitung deskriptive Tatbestandsmerkmale siehe Vorsatz bei normativen Tatbestandsmerkmalen dienstliche Anordnung siehe Anweisung direkter Vorsatz siehe Absicht; Wissentlichkeit Distanzdelikt siehe Tatort Disziplinarmaßnahmen 3 11 ff Abgrenzung der — von Strafen und Maßregeln 3 15 ff Geschichte der — 3 12 dolus — antecedens 8 1 — generalis 8 77 ff — malus 19 14 (11 48; 19 21) — subsequens 8 1 dolus alternatirus siehe alternativer Vorsatz dolus directus ersten Grads siehe Absicht dolus directus zweiten Grads siehe Wissentlichkeit dolus eventualis siehe bedingter Vorsatz eigenhändige Delikte 21 19 ff (6 90; 21 9) Beteiligung an — 21 22 Höchstpersönlichkeit der — 21 19 (21 21) mittelbare Täterschaft bei — 21 22 Mittäterschaft bei — 21 22 nur-positivrechtlich — 21 20 Pflichtdeliktsregeln für — 21 22; 23 26 qualitative Akzessorietät 23 26 unechte Unterlassung bei — 29 2, 79 (21 22) Wahndelikt bei — 25 51 Eigenhändigkeit siehe eigenhändige Delikte; Selbst-Begehen eigenständiges Verbrechen 6 98 Einheit der Handlung 32 1 ff (4 59) Abgrenzung der — zur tatbestandlichen Handlung 32 2 bloße Quantitätssteigerung 32 16 ff (Abgrenzung zur Idealkonkurrenz 32 23; eigenhändige Delikte 32 22; höchstpersönliche Güter 32 18 ff; homogenes Unrecht 32 17; Rechtsfolgen 32 24 f; 766

Strafantrag 32 25; Teilnahme 32 25; Verjährung 32 25) Dauerdelikte 32 27 Einheit von Handeln und Unterlassen 32 33; 33 8 f Einheitstheorie 32 13, 15 Handlung im natürlichen Sinn 32 1 ff handlungsvereinigende Tatbestände 32 26 ff juristische Handlungseinheit 32 5 ff (Einheitlichkeit des Vollzugs 32 10 f; subjektive Einheitlichkeit 32 8 f) mehraktige Delikte 32 29 Mehrheitstheorie 32 12 ff partielle Identität 32 3 f; 33 5 Tat im prozessualen Sinn 32 Fn. 22 Veranstaltungsdelikte 32 18 siehe auch Einheit des Unterlassungsverhaltens; Fortsetzungszusammenhang; Idealkonkurrenz; natürliche Handlungseinheit; Sammelstraftat Einheit der Rechtsordnung 11 4 ff Einheit des Unterlassungsverhaltens 32 30 ff bloße Quantitätssteigerung 32 32 Einheit von Handeln und Unterlassen 32 33; 33 8 f juristische Unterlassungseinheit 32 31 Verhalten im natürlichen Sinn 32 30 Einheitsstrafe 3 1 1 0 Einheitstäter 21 5 ff Einsichtsunfähigkeit und Befolgungsunfähigkeit bei Schuldunfähigkeit 18 24 ff Abgrenzung zur Regelung des Verbotsirrtums 18 24, 31 Normativität der Begriffe 18 25 Einstandspflicht siehe Garantenstellung Einverständnis 7 104 ff Dispositionsbefugnis 7 106 mittelbares — 7 109 Objektivierung 7 110 — bei Rechts- und Sittenwidrigkeit 7 105 unmittelbares — 7 109 Widerruf 7 110 — bei Zwang und Irrtum 7 107 f Einwilligung siehe behördliche Erlaubnis; mutmaßliche —; rechtfertigende —; tatbestandsausschließende — Eltern siehe institutionelle Pflichten Entscheidungsherrschaft siehe mittelbare T ä terschaft Entscheidungszeit 4 69 siehe auch zeitliche Geltung entschuldigender Notstand Erforderlichkeit 20 6 — und funktionaler Schuldbegriff 20 4 Gefahr beim — 20 5

fette Zahl = Abschnitt, magere Zahl = Randnummer gefährdete Güter beim — 20 8 f gefährdeter Personenkreis beim — 20 7 Gegenwärtigkeit der Gefahr 20 6 normativierende Lösung 20 2 psychologisierende Lösung 20 1 Rettungsvorsatz beim — 20 10 f — zum Schutz von Sachgütern 20 9 Strafmilderung beim — 20 19 Theorie der doppelten Schuldminderung 20 3 Zumutbarkeit durch institutionelle Pflichten 20 13 ff Zumutbarkeit durch Vorverhalten 20 16 Zumutbarkeit als Zuständigkeit 20 12 ff Zuständigkeit bei Personenmehrheit 17 75 siehe auch Interessenkollision Entschuldigung siehe Unzumutbarkeit Entsprechensklausel 29 78 ff (29 7) eigenhändige Delikte 29 79 Information durch Unterlassen 29 80 f subjektive Merkmale 21 91 f Enttäuschung siehe Erwartung Erfolg Verhältnis des — zu Unrecht und H a n d lung 6 69 ff Erfolgsabwendung Abgrenzung der — zum Schadensersatz 6 83; 12 25; 29 8 Erfolgsdelikte 6 78, 80 (7 30) kupierte — 6 93 (8 89) Erfolgsqualifizierungen 9 28, 30 ff (7 31) Anstiftung zu — 22 29 — als besonders schwerer Fall 8 43 Gefährdung als Erfolg bei — 9 30 Grund der Qualifizierung 9 33 — bei Leichtfertigkeit 9 31 Mittäterschaft bei — 21 46 Rücktritt vom Versuch der — 26 49 Risikoverwirklichung bei — 9 34 ff Strafrahmen der — 9 37 Versuch bei — 25 25 ff Erfolgsunwert 6 76 Erforderlichkeit siehe aggressiver Notstand; Notwehr Erlaubnis siehe behördliche Erlaubnis erlaubtes Risiko 7 30, 33, 35 ff Abgrenzung zum rechtfertigenden N o t stand 7 41 Anonymität der O p f e r 7 38 Begrenzung durch eine lex artis oder technische N o r m e n 7 44 Begrenzung durch rechtliche N o r m e n 7 43 Bereiche mit einem — 7 46, 48 Beurteilung objektiv ex ante 7 47 f — bei Fahrlässigkeit 9 7 , 1 1 Grundrisiko 7 45

Fes

— und Handlungsfreiheit 7 35 — durch historische Legitimation 7 36 — als Merkmal des Unrechtstatbestands 7 39 ff Mindestrisiko 7 42, 45 — durch Risikoabwägung 7 35 — bei Sonderwissen des Täters 7 49 f Ermächtigung 10 12 Ermessen siehe Amtsrechte; Anweisung error in persona vel objecto siehe Individualisierungsirrtum Erwartung Enttäuschung einer — als öffentlicher Konflikt 1 8 kognitive — 1 5, 56 normative — 1 6, 56 Preisgabe einer — 1 13 — bei sozialadäquatem Verhalten 7 30 Stabilisierung einer — 1 4 ff Uminterpretation nach Enttäuschung einer — 1 13 Exterritorialität 10 13 Exzeß eines Beteiligten 21 45, 106; 22 29 umgekehrter — 26 3 Fahrlässigkeit 9 1 ff Abweichungsprobleme bei — 9 18 ff bewußte — 9 3, 23 Entscheidungsrelevanz des Risikos 9 15 Erkennbarkeit, Definition 9 2 Erkennbarkeit der Kausalität 9 16 Erkennbarkeit des sich verwirklichenden Risikos 9 16 f — und erlaubtes Risiko 9 7 — als individuelle Erkennbarkeit 9 5 ff — als genereller Begriff zum Vorsatz 9 4 grobe — 9 23 ff Intensität der Erkennbarkeit 9 26 — als Irrtum 9 1 Kenntnisverschaffungspflicht 9 2 objektive Voraussehbarkeit 9 8 ff Prinzipien der Abgrenzung zum Vorsatz 8 21 Rechtfertigung bei — 11 30 ff scheinbare — 9 26 — bei Sonderwissen 9 11 Sorgfaltspflicht 9 6 Strafbarkeit der — 9 2 Täterschaft bei — 21 111 Übernahme- 9 14 Unzumutbarkeit bei — 20 35 ff Versuch bei — 9 27; 25 28 siehe auch Unterlassungsfahrlässigkeit Festnahmerecht 16 16 ff (12 10) frische T a t 16 18 entschuldigter Exzeß beim — 20 32

767

Fla

Sachregister

Inhalt des — 16 19 Irrtumsrisiko beim — 16 16 Schutzzweck des — 16 17 Verhältnismäßigkeit 16 20 Flaggenprinzip siehe räumliche Geltung Folgefehler 7 Fn. 101 Folgeunfall 7 Fn. 101 Folgeverletzung 7 Fn. 129 Fortsetzungszusammenhang 32 38 ff Ähnlichkeit der Tatabläufe 32 42 f Fortsetzungsvorsatz 32 44 f Funktion des — 32 38 Gesamtvorsatz 32 43 Identität des Guts 32 39 Identität der N o r m 32 40 Kritik des - 32 38 ff, 50 f materiellrechtliche Konsequenzen 32 48 Meinungsstand 32 47 prozessuale Konsequenzen 32 49 — zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit 32 46 Freiheitsstrafe — von unbestimmter Dauer 1 44, 46 Freiwilligkeit beim Rücktritt 26 30 ff — und äußerer Anlaß 26 36 ff — vom beendeten Versuch 26 41 Definition der — 26 30, 40 Einzelheiten der — 26 42 ff Frank'sche Formel 26 31 Furcht vor Strafe 26 43 — vom konkreten Versuch 26 35 normativierende Lösung 26 34 psychologisierende Lösung 26 31 ff — bei schuldlosem Versuch 26 42 funktionaler Schuldbegriff 17 3, 18 ff (19 53) Abhängigkeit von der gesellschaftlichen Verfassung 17 22 — beim Gewohnheitstäter 17 26 Lebensführungsschuld beim — 17 34 ff Limitierung durch Schuld beim — 17 33 Schuld als Verteilung von Zuständigkeit 17 20 ff Schuldgrundsatz beim — 17 29 ff Sozialisationsdefekte beim — 17 28 Tatsituation beim — 17 27 unspezifizierte Unzumutbarkeit beim — 20 44 f Willensfreiheit und — 17 23 ff (18 27) garantenbezogene Begehung 7 56 ff; 28 13 f (7 30) Abbruch ärztlicher Intensivbehandlung 7 64, 66 Garantenstellung beim Begehen 7 57 f, 66, 68 768

Haftungsausschluß bei ubiquitären Risiken 7 65 Haftungsausschluß bei Zuständigkeit des Verletzten 7 60 ff Haftungsausschluß bei Zweitschäden 7 65 Irrelevanz der Garantenstellung für die SS 138, 323 c StGB 7 67 siehe auch Regreßverbot Garantenpflichten allgemein Arten der Zuständigkeit 29 28, 57 Funktionenlehre 29 27 Grundlagen 7 56 ff; 28 13 ff — aus institutioneller Zuständigkeit 29 57 ff Meinungsstand zu — 29 Fn. 53 — aus Organisationszuständigkeit 29 29 ff Rechtsquellenlehre 29 26 siehe auch Beteiligung an einer Selbstverletzung; garantenbezogene Begehung; institutionelle Pflichten; Regreßverbot; Rettungspflichten; Sicherungspflichten; Übernahme; Vertrauensgrundsatz Gefährdungsdelikte abstrakte — 6 86 ff Beihilfen als — 22 35 konkrete — 6 78 f Gefahr — bei konkreten Gefährdungsdelikten 6 79 Gefahrengemeinschaft siehe Interessenabwägung; Interessenkollision Geisteskrankheiten siehe Zurechnungsunfähigkeit Geldstrafe V o r r a n g der — 1 53 Geltung siehe personelle —; räumliche —; zeitliche — Generalprävention negative — 1 27 ff positive — 1 4 ff, 14 f, 18, 34 Gesamtwürdigung bei fakultativer Strafrahmenmilderung 18 33; 19 50; 25 78; 29 127 Geschäftsführung ohne Auftrag siehe mutmaßliche Einwilligung Gesetz siehe Gesetzesbindung Gesetzesbindung 4 1 ff — im A T 4 15 f, 43 ff Begriff des Gesetzes bei — 4 11 (16 35) — und Demokratie 4 4 Folgerungen aus der — f ü r den Gesetzgeber 4 23 ff Funktion der — 4 1 ff — bei Generalklauseln 4 32 — und Gewaltenteilung 4 5 — bei normativen Merkmalen 4 29 f

fette Zahl = Abschnitt, magere Zahl = R a n d n u m m e r — als Objektivitätsgarantie 4 9 ff (4 13 ff, 48) — bei Rechtsfolgen 4 14 Relativität der — 4 13 ff — und Schuldprinzip 4 3 — bei Teilnahme 2 1 6 — bei unbestimmten Mengenbezeichnungen 4 31 unbestimmte Regelungen 4 28 — und Vertrauensschutz 4 6 ff (4 81) siehe auch Auslegung Gesetzeskonkurrenz 31 2, 11 ff Abgrenzung zur Idealkonkurrenz 31 38 Beteiligung am generellen Delikt 31 42 — bei Fallgruppen eines Delikts 31 13 ff — als Formulierungskonkurrenz 3 1 1 1 Gründe f ü r — 31 16 ff Kombination der Strafrahmen bei — 31 39 partieller Verbotsirrtum bei — 31 43 Rücktritt bei — 31 44 Sperrwirkung des milderen Gesetzes 31 39 Spezialität als einzige Form der — 3 1 1 2 Strafantrag bei — 31 47 Strafhindernisse beim spezielleren Delikt 31 41 Verjährung bei — 31 46 — beim Versuch des generelleren Delikts 31 45 — beim Versuch des spezielleren Delikts 31 40 siehe auch Alternativität; Spezialität zur Begleittat; Spezialität kraft Beteiligungsintensität; Spezialität im engeren Sinn; Spezialität kraft Erfolgsintensität; Spezialität kraft Vollendungsdichte; Spezialität kraft Vorgriffs Gesinnungsmerkmale siehe subjektive Unrechtselemente Gestaltungsherrschaft siehe Mittäterschaft Gewissenstäter siehe Überzeugungstäter Gewohnheitsrecht 4 46 f (4 12, 17, 42) — beim Züchtigungsrecht 16 34 f Gewohnheitstäter siehe funktionaler Schuldbegriff Grundsatz der Gesetzesbindung siehe Gesetzesbindung

Handeln auf eigene Gefahr 7 129 Handeln pro magistratu siehe Amtsrechte; Besitzkehr; Festnahmerecht; Selbsthilfe Handlung 6 1 ff äußere Finalität als — 6 18 f Automatismus als — 6 35 ff (6 16, 19; 8 14) Bestimmung des Subjekts durch die — 6 21; 28 1

Hei

— bei Bewußtlosigkeit 6 41 Fehlen der — bei der Unterlassung 6 37; 28 1 ff finale — bei Automatismen 6 16 finale — bei bewußter Fahrlässigkeit 6 finale — bei Fahrlässigkeit 6 15 finale — bei Nebenfolgen 6 12 Gleichheit von — und Unterlassung in Erfolgsdifferenz 6 29 (6 33; 20 Fn. 29 17)

28,

13

der 66;

— als individuelle Vermeidbarkeit 6 20 ff, 24 ff, 34 (9 9; 28 1) intentionale — 6 Fn. 43, Fn. 68 — als Motiv zuviel 6 30; 28 3 (7 Fn. 118) — als Regelanwendung 6 Fn. 43 Relativität der — als individuelle Vermeidbarkeit 6 27 — als Sinnausdruck 6 11 Subjekt der — 6 21; 28 1 (17 19) Trennung von — und Schuld im Finalismus 6 11 — bei Trunkenheit 6 41 Umformulierbarkeit der — in Unterlassung 28 2 — eines Verbands 6 43 f Verhältnis von Tatbestand und — 6 67 f — bei vis absoluta 6 40 — als Willensverhalten 6 Fn. 68 Willkürakt als - 6 7 f (6 21; 7 1 f) Zusammentreffen von — und Unterlassung 28 11 ff siehe auch Handlungsbegriff Handlungsbegriff 6 1 ff; 28 1 ff (17 19) Bestimmung des Subjekts durch den — 6 21;28 1 — Hegels und der Hegelianer 6 3, 5 finaler — 6 8 ff, 31 kausaler — 6 4, 6 ff, 31 Kritik des finalen — 6 12 ff, 17 Kritik des kausalen — 6 6 f Kritik des sozialen — 6 23 negativer — 6 33 — und Schuldhaftigkeit 6 2 f; 17 19 sozialer — 6 23, 31 Stellung des Erfolgs im — 6 69 ff, 75 siehe auch H a n d l u n g Handlungseinheit siehe Einheit der H a n d l u n g ; Idealkonkurrenz Handlungsobjekt 2 6 Handlungssteuerung 6 21 f, 25 Handlungsunwert 6 76 Heilbehandlung, Heileingriff siehe mutmaßliche Einwilligung; rechtfertigende Einwilligung Heimatprinzip siehe personelle Geltung

769

Her

Sachregister

Herrschaftsdelikte 7 71; 21 3 » , 16 tt, 37 tt, 40 ff, 62 ff siehe auch Organisationszuständigkeit und zu den einzelnen Täterschaftsformen hypothetische Erfolgsursachen Ähnlichkeit des Verhaltens mit abstrakter Gefährdung bei - 7 92, 96 f (8 74; 20 41 f) Ähnlichkeit des Verhaltens mit einem Versuch bei - 7 92, 96 f (8 74) — bei Beihilfe 22 37 Strafrahmenmilderung bei — 7 96 f (8 74) Grundsatz der Irrelevanz — 7 90 f, 93 ff siehe auch aggressiver Notstand; Interessenkollision; Kausalität; Normzweckzusammenhang; Unterlassung

Idealkonkurrenz 31 4; 33 1 ff — bei Beendigungshandlungen 33 7 — bei besonders schweren und minder schweren Fällen 33 2 — bei Dauerdelikten 33 10 gleichartige — 32 1 — von H a n d l u n g und Unterlassung 33 8 f Klammerwirkung bei —, Meinungsstand 33 11 Klammerwirkung bei —, Kritik 33 12 Kombination bei — 33 1 kumulierte Zurechnung bei — 33 1 f Sperrwirkung des milderen Gesetzes 33 1 Strafrahmenbestimmung bei — 33 1 ff Strafzumessung bei — 33 4 Teilidentität der Handlungen 33 5 verschiedenartige — 32 1 siehe auch Einheit der Handlung Immunität 10 14 Indemnität 16 30 (10 15) indirekter Verbotsirrtum 11 36 ff (11 53) — bei Amtsrechten 16 7 — bei Befehlen 19 52 Zusammentreffen des — mit einem Voraussetzungsirrtum 11 38 Individualisierungsirrtum 8 82 — bei Mittäterschaft 21 45 — bei mittelbarer Täterschaft 21 106 in dubio pro libertate 4 Fn. 57 Ingerenz siehe Rettungspflichten; Sicherungspflichten; Übernahme inkongruente Delikte 6 92 ff (21 9; 23 19 f) Inland siehe räumliche Geltung innere Akzessorietät siehe qualitative Akzessorietät Institution 29 Fn. 114 siehe auch institutionelle Pflichten; Pflichtdelikte; Sonderdelikte

770

institutionelle Pflichten 7 70 f; 21 115 f; 28 13 f; 29 57 ff (1 7; 2 16 f; 3 21) Abgrenzung Vertrauen zu Übernahme 29 46, 67 Amtspflichten 29 74 ff — des Arztes 29 70 besonderes Vertrauen 29 46, 67 ff Ehe 29 63 f elementare Sicherheit 29 72, 76 Eltern-Kind-Verhältnis 29 59 ff — beim entschuldigenden Notstand 20 13 — beim Ersatz staatlichen Elementarschutzes 29 72 Ersatzverhältnisse 29 66 garantiebegründendes Vertrauen 29 69 ff garantievermittelndes Vertrauen 29 73 Gefahrengemeinschaft 29 71 Geschwister 29 62 Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit 29 77 — Grundsatz 29 58 Hausgemeinschaft 29 70 — zur Hinderung von Selbstverletzung 29 63, 75 — und Interessenkollision 15 15 Intimgruppen 29 66 Lebensgemeinschaft 29 71 — als Notwehreinschränkung 12 57 f — bei rechtfertigendem Notstand 13 28, 33 — kraft staatlicher Gewaltverhältnisse 29 74 f — des Vaters 29 61 f Verlöbnis 29 65 siehe auch Pflichtdelikte; qualitative Akzessorietät Interessenabwägung beim aggressiven Notstand 13 20 ff absolute Opfergrenze 13 21 — bei Eingriffen in die Güter des Begünstigten 13 34 Erheblichkeit der Interessendifferenz 13 33 f — bei Gefahrengemeinschaft 13 23 Gewicht des Gefahrengrads 13 30 Gewicht einer Gefahrtragungspflicht 13 28 Gewicht der Güter 13 20, 25 f Gewicht der Ordnungsstörung 13 31 Gewicht der Pflicht des Eingreifenden 13 24 Gewicht von Sonderpflichten 13 21, 33 Gewicht einer Verantwortlichkeit des Gutsinhabers 13 27 — bei hypothetisch verlorenen Gütern 13 26; 29 25 (20 41 f) Kumulierung von Interessen 13 22

fette Zahl = Abschnitt, magere Zahl = Randnummer Leben als Höchstwert, Kritik 13 21 Perforation 13 22 symbolischer Gehalt der Güter 13 25 f W a h r n e h m u n g berechtigter Interessen 16 37 Interessenkollision 20 39 ff Abgrenzung der — zur Pflichtenkollision 20 39 — bei hypothetisch verlorenen Gütern 20 41 f Voraussetzungen der Entschuldigung wegen — 20 42 interlokales Strafrecht 5 27 internationales Strafrecht siehe personelle Geltung; räumliche Geltung; T a t o r t Interpretation siehe Auslegung Intoxikation siehe Zurechnungsunfähigkeit irrige Annahme siehe Irrtum Irrtum siehe Einverständnis; Fahrlässigkeit (Unterlassungsfahrlässigkeit); indirekter Verbotsirrtum; Irrtum über Beteiligung; Irrtumsrisiko; N o t w e h r ; rechtfertigende Einwilligung; Rechtfertigungstendenz; Rechtsfolgenirrtum beim Schuldtatbestand; Schuldtheorie; Subsumtionsirrtum; tatbestandsausschließende Einwilligung; Verbotsirrtum; Verbotsirrtum beim Befehl; Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums; Versuch (Unterlassungsversuch); Voraussetzungsirrtum; Vorsatz (Unterlassungsvorsatz); Vorsatz bei normativen Tatbestandsmerkmalen; Vorsatzabweichungen; V o r satztheorie; Widerstandsrecht Irrtum über Beteiligung 24 1 ff — als Irrtum über Arbeitsteilung 24 6 — als Problem der Risikoverwirklichung 24 1 ff — durch Uberschätzung fremder Verantwortlichkeit 24 4 — durch Unterschätzung fremder Verantwortlichkeit 24 5 Irrtumsrisiko bei Rechtfertigungsmerkmalen — allgemein 11 9 ff, 26 f, 29 — bei Amtsrechten 16 2 ff — bei axiologischer Unsicherheit beim Notstand 13 35 — bei Befehlen 16 14; 19 53 — beim Festnahmerecht 16 16 — bei Notstand 13 13 — bei N o t w e h r 12 19 Kausalität 7 6 ff — beim Abbruch rettender Verläufe 7 22 ff Aquivalenztheorie 7 6 f Bedingungstheorie 7 6 f

Leg

— der Beihilfe 22 33 ff Doppel- 7 21 — f ü r den Erfolg in konkreter Gestalt 7 15 ff — trotz Ersatzbedingung 7 10, 12, 18 f, 24 — als Gegenstand des A T 7 4 f hypothetische — der Unterlassung 7 26; 29 15 ff Irrelevanz der — f ü r Begleitumstände 7 14 — f ü r den konkreten Verlauf 7 18 f kumulative — 7 20 keine — negativer Bedingungen 7 25, 88 — durch psychische Ereignisse 7 27 — und Stand der Naturwissenschaften 7 Fn. 14 Theorie der condicio sine qua non 7 8 ff keine — bei überholender Bedingung 7 13 T r e n n u n g von — und Zuständigkeit 7 28 siehe auch hypothetische Erfolgsursachen; objektive Zurechnung Kombination siehe K o n k u r r e n z Konflikt 1 4 ff; 4 50, 64 Erledigung des — ohne Strafe 1 12 f, 22, 38, 45, 47, 51 öffentlicher — 2 10, 25 Verweigerung der Kenntnisnahme 1 13 siehe auch Erwartung; Unzumutbarkeit; Zurechnungsunfähigkeit Konkurrenz 31 1 f f ; 32 1 f f ; 33 1 ff absolute Absorption 3 1 4 Asperation 31 4, 8 f Einheitsstrafe 31 10 Exklusionsprinzip 3 1 9 Kombination 31 4, 9; 33 1 Kumulation 31 7, 9; 33 1 f Strafenkonkurrenz 31 6 Strafrahmenabsorption 31 4, 9 Strafrahmenkonkurrenz 31 3 ff siehe auch Einheit der H a n d l u n g ; Gesetzeskonkurrenz; Idealkonkurrenz, Realkonkurrenz Konkurrenz, echte siehe Idealkonkurrenz; Realkonkurrenz Konkurrenz von Rechtfertigungsgründeq siehe Rechtfertigungsgründe Konkurrenz, scheinbare siehe Gesetzeskonkurrenz Konsumtion siehe Spezialität zur Begleittat krankhafte seelische Störung siehe Zurechnungsunfähigkeit Lebensführungsschuld 17 34 ff (19 36) Legitimation des Strafrechts 2 1 ff — durch Friedensschutz 2 19 — durch Gesellschaftsschutz 2 1, 24 f — durch Pflichten 2 18

771

Lei

Sachregister

— durch Rechtsgüterschutz 2 7 ff, 24 — durch Schutz des Funktionierens von Institutionen 2 16 f Leichtfertigkeit 9 23 ff (8 Fn. 44) — bei gerechtfertigtem Verhalten 9 25 Wertungsprobleme 9 24 Lücken des Gesetzes siehe Auslegung

Maßregeln der Besserung und Sicherung 1 53 ff Beendigung der — 1 56 ff Entziehungsanstalt 1 56 psychiatrisches Krankenhaus 1 56 Sicherungsverwahrung 1 56 strafergänzende — 1 56 strafersetzende — 1 57 strafvertretende — 1 58 materielles Recht Grenze des — zum Prozeßrecht 10 10 f Menschenrechtskonvention siehe Notwehreinschränkungen Merkmale, besondere persönliche siehe qualitative Akzessorietät; Vertreterhaftung mildestes Gesetz siehe zeitliche Geltung militärischer Befehl siehe Anweisung minder schwere Fälle 6 99 ff (6 104 f; 8 85) Mindeststrafen 18 30; 19 50; 20 19 mitbestrafte Vor- und Nachtat siehe Spezialität kraft Vollendungsdichte; Spezialität kraft Vorgriffs Mitbewußtsein siehe Vorsatz Mittäterschaft 21 40 ff — des Bandenchefs 21 52 — bei breiter Arbeitsteilung 21 55 Entscheidungsherrschaft bei — 21 48 Exzeß eines Mittäters 21 45 — durch formelle Tatherrschaft 21 47 (21 35) Gegenstand der Gestaltungsherrschaft 21 50 — durch geistige Leistungen 21 52 gemeinsamer Tatentschluß als Einpas• sungsentschluß 21 43 gemeinsamer Tatentschluß, Kritik 21 41 f gemeinsamer Tatentschluß, Meinungsstand 21 41 gemeinsames Begehen bei — 21 47 ff — durch Gestaltungsherrschaft 21 49 ff (21 35) — als gleichrangige Zuständigkeit 21 40 (21 3, 17) Individualisierungsirrtum bei — 21 45 Konsequenzen der — 21 59 ff Maß der Herrschaft bei — 21 49, 54 f — bei mehraktigen Delikten 21 53 772

— durch partielle mittelbare Täterschaft 21 94 Realisierung der Gestaltungsherrschaft 21 51 — bei Selbstverletzung 21 56 ff sukzessive — 21 60 Versuchsbeginn bei — 21 61 — vor Versuchsbeginn 21 47, 51 Zeitpunkt der subjektiven Seite 21 45 — bei Zwang und Irrtum 21 44 siehe auch Beteiligung an einer Selbstverletzung; Beteiligung am und durch Unterlassen mittelbare Täterschaft 21 62 ff Abgrenzung zur Beteiligung an gerechtfertigter T a t 2 1 8 1 Abgrenzung zur Beteiligung an schuldloser T a t 21 91 f Abgrenzung zur Mittäterschaft 21 66 keine — bei absichtslos-dolosem Werkzeug 21 104 — bei aggressivem Notstand 21 84, 113 keine — bei Benutzung organisatorischer Machtapparate 21 103 keine — bei Benutzung Tatentschlossener 21 102

Bestimmung der Überlegenheit 21 65 — bei defensivem Notstand 21 85 — bei dienstlicher Anweisung 16 11; 19 53; 21 96 — als Entscheidungsherrschaft 21 63 — bei gerechtfertigten Amtshandlungen 21 86 Grenzen der — 21 63, 65, 68 ff, 82, 100 ff Individualisierungsirrtum bei — 21 106 — bei Kindern 21 96 — in Mittäterschaft 21 66 keine — bei Motivirrtum 21 101 f partielle — 21 75, 79, 94 keine — bei qualifikationslos-dolosem Werkzeug 21 104 — bei Quasi-Entschuldigung 21 97 ff — bei Quasi-Rechtfertigung 21 88 ff — bei Quasi-Unvorsätzlichkeit 21 77 ff, 80 — bei rechtfertigender Erlaubnis 21 87 — bei Rechtfertigung des mittelbaren T ä ters 21 64 — bei Rechtfertigung des Werkzeugs 21 81 ff — bei Schuldlosigkeit 21 90 ff — bei Schuldunfähigkeit 21 96 Strafrahmen für — 21 108 — bei tatbestandsausschließender Einwilligung 7 118 ff Tätermerkmale, spezielle 21 67

fette Zahl = Abschnitt, magere Zahl = Randnummer — und Teilnahme an unvorsätzlicher Tat 21 72; 22 14 — bei unvermeidbarem Verbotsirrtum 21 96 — bei unvorsätzlicher Selbstverletzung 21 78 f — bei Unvorsätzlichkeit 21 74, 76 — bei Unzumutbarkeit 21 96 Versuchsbeginn bei — 21 105 — bei Voraussetzungsirrtum 21 76 vorrangige Zuständigkeit bei — 21 63, 68 ff, 91 (21 3, 17) Vorsatz bei — 21 107 Zuständigkeit durch Pflicht zur Rücksicht 21 71 Zuständigkeit durch Schaffen eines Sonderrisikos 21 69 Zuständigkeit durch willkürliche Folgenverknüpfung 21 70 siehe auch Beteiligung am und durch Unterlassen Motivirrtum 8 82; 21 101 f Motivmerkmale 8 42 mutmaßliche Einwilligung 15 16 ff (13 34) — in Heileingriff 15 16 Subsidiarität der — vor wirklicher Einwilligung 15 16 Verhältnis der — zur Geschäftsführung ohne Auftrag 15 17 Voraussetzungen der — 15 17 nationalsozialistische Gewalttaten siehe mittelbare Täterschaft, Benutzung organisatorischer Machtapparate; Rückwirkungsverbot; Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums natürliche Handlungseinheit 32 35 ff Nebentäterschaft 21 109, 115; 23 31 ne bis in idem — bei Fortsetzungszusammenhang 32 49 — bei Strafen und Disziplinarmaßnahmen 3 19 ff Neurosen siehe Unzumutbarkeit Normanerkennung 1 15; 17 18 normative Tatbestandsmerkmale — des Unrechtstatbestands 8 48 ff (6 65; 8 3) — des Rechtfertigungstatbestands 11 39 ff siehe auch Rechtfertigungstatbestand; Vorsatz bei — Normbruch Bedeutung (expressiver Gehalt) des — 1 9 Normgeltung Anerkennung von — und Verbotsirrtum 19 12, 38 ff Garantie der — als Strafrechtsgut 1 2 ff, Fn. 40

Not

Normzweckzusammenhang 7 30, 72 ff — bei Beihilfe 22 37 Erfolgsbeschleunigung und — 7 86 Erhaltung normativer Garantien als — 7 72, 89, 93 f Erklärung des Schadensverlaufs 7 74 — bei Folgefehlern, Folgeunfällen oder Folgeverletzungen 7 Fn. 101, Fn. 129 Irrelevanz des hypothetischen Verlaufs 7 72 f, 77, 80, 86 ff — bei mehrfacher Risikoverwirklichung 7 84 — bei mehrseitiger Risikozuständigkeit 7 80, 83 — bei negativen Bedingungen 7 88 — bei Risikovariation 7 81 f spezifizierte unerlaubte Beziehung 7 75 f — bei ubiquitären Risiken 7 78 ff siehe auch hypothetische Erfolgsursachen; Risikoerhöhung; Unterlassung Notstand 13 1 ff, 9 ff; 20 1 ff Differenzierungstheorie zum — 13 2, 6 Einheitstheorien zum — 13 1 Exemtionstheorie zum — 13 3 Kollisionstheorie zum — 13 Fn. 3; 13 4, 6 Sonderregelungen des — 13 7 übergesetzlicher rechtfertigender — 13 5 Zwecktheorie zum — 13 4, 6 siehe auch Angemessenheit; aggressiver —; defensiver —; entschuldigender —; Interessenabwägung beim aggressiven —; Interessenkollision; Pflichtenkollision; Widerstandsrecht Notstandshilfe 13 10 f; 15 1 Notstandsprovokation 13 27; 21 84, 113 Notwehr 12 1 ff Abgrenzung zu planmäßiger Deliktsverhütung 12 22 Abgrenzung zu rechtfertigenden Notständen 12 18 Abwehr bei — 12 28 Ausweichpflicht bei — 12 36 — durch automatisierte Schutzanlagen 12 35 — als Besitzwehr 16 25 — durch Bürgerwehren 12 Fn. 9 Eignung der Abwehr 12 34 Ende des Angriffs 12 25 f Erforderlichkeit 12 30 ff Erforderlichkeit bei unsicherer Abwehrwirkung 12 31 — gegen Erpressung 12 Fn. 49 Gebotensein der — 12 Fn. 87 Gegenwärtigkeit des Angriffs 12 22 ff Irrtum über die Abwehrwirkung 12 37 f Kosten der Abwehr 12 33

773

not

Sachregister

Proportionalität bei — 12 12 rechtswidriger Angriff 12 14 ff relative Erforderlichkeit 12 30 Schulderfordernis beim Angreifer 12 16 ff — durch Schutzwehr 12 29 Staatsnotwehrhilfe 12 6 ff Strafähnlichkeit der — 12 20 — durch Trutzwehr 12 29, 46 Unterlassen als Angriff 12 21 Verfahrensvorrang bei Staatsnotwehrhilfe 12 8, 10 Verspätung der Abwehr 12 32 Vorrang polizeilichen Schutzes 12 11 wehrfähige Güter 12 3 ff Wirkungen der — 12 63 f siehe auch Notwehreinschränkungen notwehrähnliche Lage 12 27 (12 24) Notwehreinschränkungen 12 39 ff — neben hoheitlichem Handeln 12 45 — durch die Menschenrechtskonvention 12 39 f — durch die Mindestsolidarität 12 46 ff Notwehrexzeß nach provoziertem Angriff 20 34 — durch Provokation 12 49 ff — durch Sondernormen für hoheitliches Handeln 12 41 ff — durch Sonderpflichten 12 57 f — bei Unfugabwehr 12 48 Notwehrexzeß 20 28 ff Affektlage beim — 20 29 analoge Fälle zum — 20 32 bewußter — 20 30 extensiver — 20 31 Exzeß bei Putativnotwehr 20 33 Grund der Strafbefreiung für — 20 28 intensiver — 20 31 — nach provoziertem Angriff 20 34 unbewußter — 20 30 Zuständigkeit bei Personenmehrheit 17 75 Notwehrhilfe 12 59 ff (12 6 ff) Notwehrprovokation siehe Notwehreinschränkungen notwendige Teilnahme 24 7 ff (7 Fn. 55; 22 3) Begegnungsdelikte bei Rangdifferenz 24 8 Begegnungsdelikte bei Ranggleichheit 24 9 ff Konvergenzdelikte 24 7 — bei Selbstverletzung 24 9 nullum crimen, nulla poena sine lege siehe Auslegung; Gesetzesbindung nur-objektive Bedingungen 10 1 ff (4 67; 7 99) Auswirkung auf Beteiligung 10 9 Auswirkungen auf Tatort und Tatzeit 10 8 — als Indiz der Strafwürdigkeit 10 5 — der Straftatbestandlichkeit 10 1, 3 f 774

tatbestandliche Zuordnung der — 10 6 — des Unrechts 10 1 f, 4 Verwirklichung des Normzwecks 10 7 (17 63) siehe auch Vollrausch objektive Strafbarkeitsbedingungen siehe nurobjektive Bedingungen objektive Zurechnung 7 6 ff (8 44) Adäquanzbegriff 7 32 Adäquanztheorie 7 31 ff Grundprinzipien der — 7 30 Kausalität als Beginn der — 7 5, 29 Kritik der Adäquanztheorie 7 33 ff, 78, 85 Relevanztheorie 7 Fn. 57 siehe auch Beihilfe; erlaubtes Risiko; garantenbezogene Begehung; Normzweckzusammenhang; Regreßverbot; Unterlassung; Vertrauensgrundsatz Objektsirrtum 8 80 f — bei Zusatzindividualisierungen 8 81 omnimodo facturus siehe Anstiftung Ordnungsmittel 3 22 f Ordnungswidrigkeiten Abgrenzung von — und Straftaten 3 8 ff Geschichte der — 3 3 ff Ordnungswidrigkeitengesetz Grundzüge des — 3 6 rechtfertigender Notstand 13 6 Täterschaft 21 7, 10 Verbotsirrtum 19 18 Organisationskreis siehe Organisationszuständigkeit Organisationszuständigkeit 7 56 ff; 28 13 f; 29 29 ff (1 7; 7 71) — beim entschuldigenden Notstand 20 16 f — bei Kollision von Pflichten und Obliegenheiten 15 12 nur-negativer Inhalt der — 1 7; 28 14 Tatort bei Haftung kraft — 5 24 — des Überzeugungstäters 20 26 Zumutbarkeit wegen — 17 72 ff, 74 siehe auch Herrschaftsdelikte; qualitative Akzessorietät; Teilnahme; Zuständigkeit Parallelbeurteilung siehe Rechtfertigungstatbestand; Vorsatz bei normativen Tatbestandsmerkmalen; Unrechtseinsicht parlamentarische Berichte 16 30 f partielle Unzumutbarkeit 18 28 ff Abgrenzung zur Regelung des Verbotsirrtums 18 31 Ausschluß der — nach dem Wehrstrafgesetz 18 35

fette Zahl = Abschnitt, magere Zahl = Randnummer Gesamtwürdigung bei — 18 33 Kannmilderung 18 32 ff — bei minimalisierter Zuständigkeit 18 30 Quantifizierbarkeit der — 18 30 — als partielle Unzuständigkeit 18 34 siehe auch Einsichtsunfähigkeit; Unzumutbarkeit; Zurechnungsunfähigkeit Perforation siehe defensiver Notstand; Interessenabwägung beim aggressiven Notstand Personalitätsprinzip siehe personelle Geltung persönliche Ausnahmen von der Strafbarkeit siehe rollenbezogene Bedingungen personelle Geltung 5 1 ff — nach dem aktiven Personalitätsprinzip 5 6, 16 f dogmatische Zuordnung der — 5 11 f — nach dem Heimatprinzip 5 6, 17 prozessuale Besonderheiten der — 5 25 f — nach dem Schutzprinzip 5 8, 16 ff — bei stellvertretender Strafrechtspflege 5 10, 18 f — und subjektive Tatseite 5 12 — im Verhältnis zur D D R 5 28 ff Pflichtdelikte 7 70 f; 21 115 ff; 28 15; 29 53 ff, 106 f (21 2, 104) — als akzessorietätsüberspringende Delikte 21 116 qualitative Akzessorietät zum — 23 25 Täterschaft bei — 21 115 ff verhaltensgebundene — 21 117 Versuchsbeginn bei — 21 118 siehe auch institutionelle Pflichten Pflichtenkollision 15 6 ff (19 31; 20 39) — bei gleichgewichtigen und gleichartigen Pflichten 15 6 — zwischen Handlungs- und Unterlassungspflichten 15 8 f — zwischen Handlungspflichten und Selbsterhaltung 15 11 ff — bei mehreren Verpflichteten 15 Fn. 10 — zwischen Unterlassungspflichten und Selbsterhaltung 15 10 — bei verschiedenartigen Pflichten 15 7 — bei verschiedengewichtigen Pflichten 15 7 Prävention siehe Generalprävention; Spezialprävention Präventivnotwehr siehe notwehrähnliche Lage Privilegierungen 6 96 (4 14; 6 105) Gesetzeskonkurrenz bei — 31 19 (31 32, 39) irrige Annahme der Merkmale von — 8 84 (8 87) Unkenntnis der Merkmale von — 8 83 — der unterlassenen Verbrechensanzeige 10 17

qua

Provokation siehe Notwehreinschränkungen Prozeßrecht siehe materielles Recht Priifungspflicht 11 24 ff (11 51) — bei ex ante bestimmten Merkmalen 11 26 f Psychopathien siehe Unzumutbarkeit Psychosen siehe Zurechnungsunfähigkeit Putativdelikt siehe Wahndelikt Putativrechtfertigung siehe indirekter Verbotsirrtum; Voraussetzungsirrtum (als irrige Annahme bei Rechtfertigung)

qualifizierter Versuch siehe Rücktritt Qualifizierungen 6 97 (4 14; 6 105) — bei Gesetzeskonkurrenz 31 20, 39 qualitative Akzessorietät 23 1 ff keine — bei affektiven Merkmalen 23 21 agent provocateur 23 16 ff besondere persönliche Merkmale 23 25, 28 ff, 33 ff (23 4, 7; 29 112) keine — bei besonderen Vorsatzformen 23 23 eingeschränkt akzessorische Merkmale 23 24 ff (23 3 f, 7; 29 112) eingeschränkte — bei Eigenhändigkeit 23 26 eingeschränkte — bei Sonderpflichten 23 25 f (23 14 f; 29 112) Fehlen eines strafbarkeitsbegründenden Merkmals 23 31 — bei Garantenpflichten kraft Organisationszuständigkeit 23 24; 29 112 gesetzliche Regelung der — 23 1 f höchstpersönliche Merkmale 23 12, 16 ff (23 3 f, 7, 33) keine — bei Konstitutions- und Gesinnungsmerkmalen 23 22 Meinungsstand 23 9 ff Meistbegünstigung 23 4 keine — bei Schuldmerkmalen 23 5, 7 f strafbarkeitsbegründende Merkmale 23 28 ff strafbarkeitsmodifizierende Merkmale 23 33 ff strafschärfende Merkmale 23 34 keine — bei subjektiven Merkmalen 23 12, 16 ff (23 27) keine — bei subjektiven Unrechtselementen 23 10, 19 ff — bei Täterbeschreibungen 23 24 täterbezogene contra tatbezogene Merkmale 23 10 keine — bei überschießenden Vorsätzen 23 19 f keine — beim Vorsatz 23 16 ff 775

Qua

Sachregister

voll akzessorische Merkmale 23 3 f, 7, 24, 32, 35; 29 112 wertbezogene contra wertneutrale Merkmale 23 11 Widersprüchlichkeit des Gesetzes 23 2, 4, 34 Quantitätssteigerung, bloße siehe Einheit der Handlung; Einheit des Unterlassungsverhaltens quantitative Akzessorietät 22 19 f (21 61, 105) räumliche Geltung 5 1 ff — nach dem BT 5 1 ff — bei Blankettgesetzen 5 4 dogmatische Zuordnung der — 5 11 f Erstreckung der — auf den Festlandsockel 5 15 — nach dem Flaggenprinzip 5 7 Inlandsbegriff bei der — 5 15 f prozessuale Besonderheiten zur — 5 25 f — bei stellvertretender Strafrechtspflege 5 10 — und subjektive Tatseite 5 12 — nach dem Territorialitätsprinzip 5 7, 14 f — nach dem Universalitätsprinzip 5 8, 20 — im Verhältnis zur D D R 5 28 ff siehe auch Tatort räumlicher Geltungsbereich 5 15 Rahmentheorie siehe Spielraumtheorie Rausch siehe Vollrausch; Unzumutbarkeit; Zurechnungsunfähigkeit Realkonkurrenz 31 4, 6 ff; 33 13 ff Einsatzstrafe 33 18 Gesamtstrafenbildung 33 17 f Grenzen der Gesamtstrafenbildung 33 15 f kumulierte Zurechnung bei — 33 13 — bei lebenslanger Freiheitsstrafe 33 16 Prinzipien der Schärfung der Einsatzstrafe 33 18 Strafrahmen bei — 33 13, 18 Strafrahmen und Summe der Einzelstrafen 33 18 vollstreckungsrechtliche Lösung 33 14 rechtfertigende Einwilligung 14 1 ff Abgrenzung der — zur tatbestandsausschließenden Einwilligung 7 111 ff; 14 4 f, 13 Abwägungstheorie 14 3 f ärztliche Aufklärungspflicht 14 7 — in ärztliche Heilbehandlung 14 6, Fn. 9 — als behördliche Erlaubnis 16 28 Dispositionsbefugnis bei — 14 7 Interessentheorie 14 2 — in Kastration 14 10 mittelbare — 14 12 776

Sittenwidrigkeit der Tat trotz Einwilligung 14 9 — in Sterilisation 14 6, 9 — in eine Tötung 14 5 — in ein Tötungsrisiko 14 12, 14 unmittelbare — 14 12 vernünftiger Handlungsanlaß bei — 14 9, 11 Verzichtstheorie 14 2 — bei Zwang und Irrtum 14 8; 21 90 siehe auch tatbestandsausschließende Einwilligung rechtfertigender Notstand siehe aggressiver Notstand; defensiver Notstand; Notstand; Pflichtenkollision Rechtfertigung 11 1 ff; 12 1 ff; 13 1 ff; 14 1 ff; 15 1 ff; 16 1 ff Abwehrbefugnis bei gerechtfertigtem Eingriff 11 13 ff — bei Fahrlässigkeitstaten 11 30 f Prinzipien der — 11 1 ff Prinzip der Interessendefinition durch das Opfer 11 3, 11 Prinzip der Veranlassung 11 3, 9 Prinzip der Verantwortung 11 3, 9 relative — 12 30 Solidaritätsprinzip 11 3, 12 subjektive Seite der — 11 18 ff siehe auch zu den einzelnen Rechtfertigungsgründen; Einheit der Rechtsordnung; indirekter Verbotsirrtum; Prüfungspflicht; Rechtfertigungslage; Rechtfertigungstatbestand; Rechtfertigungstendenz ; Voraussetzungsirrtum Rechtfertigungsgründe Auslegung der — 4 44 Konkurrenz von — 11 16 f; 12 41 ff; 13 42 unvollkommen zweiaktige — 11 18, 21 siehe auch zu den einzelnen Rechtfertigungsgründen; Rechtfertigung Rechtfertigungslage ungewisse Vorstellung von einer — 11 28 ff siehe auch Rechtfertigungstendenz; Voraussetzungsirrtum Rechtfertigungstatbestand normative Merkmale, zu enge Parallelbeurteilung 11 40 normative Merkmale, zu weite Parallelbeurteilung 11 39 normative Merkmale, Rechtswidrigkeit der Zueignung oder Bereicherung 11 41 prospektive Merkmale 11 7 ff (16 3) Verdachtsmerkmale 1 1 7 (16 3) siehe auch Rechtfertigungstendenz; Voraussetzungsirrtum

fette Zahl = Abschnitt, magere Zahl = Randnummer Rechtfertigungstendenz 11 18 ff — bei Fahrlässigkeitstaten 11 32 Meinungsstand zur — 11 18 Rechtfertigungsabsicht, Kritik 11 20 f Versuch bei fehlendem Rechtfertigungsvorsatz 11 23 Vollendung bei fehlendem Rechtfertigungsvorsatz, Kritik 11 22 siehe auch Rechtfertigungstatbestand; Voraussetzungsirrtum Rechtfertigungsvorsatz siehe Rechtfertigungstendenz Rechtsfolgenirrtum beim Schuldtatbestand 17 76 rechtsfreier Raum 13 3; 15 Fn. 11 Rechtsgut 2 7 ff Begriff des — 2 12 ff Begünstigter 2 9 — als Beziehung 2 14 f — als Funktionseinheit 2 15, 17 Kritik der Lehre vom — 2 22 ff siehe auch Legitimation des Strafrechts; Normgeltung Rechtstreue 17 20 (1 15; 11 46) siehe auch Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums; Verbotsirrtum Rechtsuntreue siehe Rechtstreue Rechtswidrigkeit objektive — 6 5 f — der Zueignung oder Bereicherung 11 41 siehe auch Unrecht Rechtswidrigkeitsmerkmale spezielle - 6 64 f (8 51, 56) Reflex siehe Handlung Regelbeispiele 6 99 Regelstrafrahmen 6 104 Regreßverbot 7 59; 24 13 ff (7 30; 22 37) kein — für Garanten 24 19 Grundsatz 7 59; 24 15 Haftung für unterlassene Hilfeleistung durch Begehen 24 20 Meinungsstand 24 14, 21 Irrelevanz der subjektiven Seite 24 21 — bei isolierten Handlungen 24 16 — bei verbundenen Handlungen 24 17 f siehe auch garantenbezogene Begehung relative Theorien siehe Generalprävention; Spezialprävention Relegalisierung 1 47 Relevanztheorie siehe objektive Zurechnung „Republikflucht" 5 29 f Rettungspflichten 29 38 ff Begründung aus vorrangiger Zuständigkeit 29 39 f

Rüc

Definition des Organisationskreises bei — 29 38 — bei erlaubt riskantem Vorverhalten 29 42 — bei fremdem Verhalten 29 45 — bei gerechtfertigtem Vorverhalten 29 43 f — bei rechtswidrigem Vorverhalten 29 41 Richterrecht siehe Auslegung Risikoerhöhung 7 98 ff; 9 17 Beihilfe als — 22 35 — als Ersatz für fahrlässigen Versuch 7 98 Gefährdung statt Verletzung bei — 7 99 — und in dubio pro reo 7 100 f, 103 Perspektive zur Ermittlung der — 7 101 siehe auch Unterlassung Risikogewöhnung 8 31 f; 9 15 Risikokonkurrenz siehe Normzweckzusammenhang Risikoverwirklichung siehe Normzweckzusammenhang rollenbezogene Bedingungen — für Ärzte, Rechtsanwälte, Geistliche 10 17 — der Ausschließung des Unrechts oder seiner Straftatbestandlichkeit 10 15 ff — für Parlamentarier 10 16 Rückfall 17 26 Rücktritt 26 1 ff — bei actio libera in causa 17 68 — als Deliktsausgleichungsgrund 26 2 — beim erfolgsqualifizierten Delikt 26 49 ernsthaftes Bemühen 26 23, 27; 27 21 — bei Gesetzeskonkurrenz 31 44 Gnadentheorie 26 8 Grund der Strafbefreiung 26 1, 4 (10 21) kriminalpolitische Theorie 26 5 Prämientheorie 26 8 — bei qualifiziertem Versuch 26 48 — vom Rettungsversuch 7 62 Strafzwecktheorie 26 6 Umfang der Strafbefreiung 26 48, 50 Strafmilderung bei rücktrittsähnlichem Verhalten 26 23, 29, 47 — als umgekehrter Exzeß 26 3 — vom Unterlassungsversuch 29 119 ff siehe auch Freiwilligkeit; — bei Beteiligung; — des Tatausführenden Rücktritt bei Beteiligung 26 24 ff; 27 15 ff Abgrenzung von Beteiligungsversuch und Beteiligung am Versuch 26 26; 27 15 — bei Annahme eines Erbietens 26 19 — beim Anstiftungsversuch 27 20 — beim Bereiterklären 27 17 — vom Beteiligungsversuch 27 15 ff — beim fehlgeschlagenen Versuch 26 27 777

Rüc

Sachregister

Regelungsumfang des Gesetzes 26 25 f durch Tataufgabe 26 27 — bei Vollendung der Tat 26 28 f — bei Verabredung 27 18 — durch Verhindern der Vollendung 26 27 Rücktritt des Tatausfiihrenden 26 9 ff Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch 26 14 f — durch Abwenden der Vollendung 26 20 — vom beendeten Versuch 26 18 ff fehlgeschlagener beendeter Versuch 26 19 Irrtum über Fehlschlag beim unbeendeten Versuch 26 11 f Normzweckzusammenhang 26 20 Strafbefreiung contra Unterlassungshaftung 26 21 f — durch Tataufgabe 26 9 f Tataufgabe, Begriff 26 10 — vom unbeendeten Versuch 26 9 ff unerkannter Fehlschlag beim beendeten Versuch 26 23 — bei vorzeitiger Vollendung 26 13 siehe auch Freiwilligkeit beim Rücktritt; Rücktritt bei Beteiligung Rückwirkungsverbot 4 48 ff (4 68 ff) — bei Änderung der Rechtsprechung 4 80 ff — bei Bestrafung nationalsozialistischer Gewalttaten 4 Fn. 23 formelles und materielles — 4 51 — bei Maßregeln 4 55 f — bei Prozeßrecht 4 57 — bei Verjährungsverlängerung 4 9 siehe auch zeitliche Geltung sachgedankliches Bewußtsein siehe Vorsatz Sammelstraftat 32 34 scheinbare Konkurrenz siehe Gesetzeskonkurrenz Schuld 17 1 ff; 18 1 ff; 19 1 ff; 20 1 ff — als Straflimitierung 1 22 ff; 17 33 (1 32, 34) — eines Verbands 6 45 Verhältnismäßigkeit statt — 17 4 — als Zuständigkeit 17 1 siehe auch actio libera in causa; funktionaler Schuldbegriff; Schuldbegriff; Schuldmerkmale; Schuldtatbestand; Unrechtseinsicht; Unzumutbarkeit; Verbotsirrtum; Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums; Vollrausch; Zurechnungs(un)fähigkeit Schuldbegriff Aufbau des - 17 2, 14, 39 ff, 43 ff Definition der Schuld (durch asoziale Ge778

sinnung 17 11; durch Dafür-Können 17 16; durch fehlerhafte Gesinnung 17 17; durch individuelle Zumutbarkeit 17 10, 12; durch Rechtsuntreue 17 20; durch Verstoß gegen eine Pflichtnorm 17 9; durch Vorwerfbarkeit 17 7, 13 ff) — des Finalismus 17 13 ff Geschichte des — 17 5 ff normativer — 17 3, 7 ff, 13 ff psychologischer — 17 5 ff Sprachgebrauch 17 46 Trennung von Schuld und Verantwortung 17 39 ff Verhältnis von Sachverhalt und Wertung 17 12 siehe auch funktionaler Schuldbegriff; Schuldtatbestand; Unzumutbarkeit Schuldgrundsatz siehe funktionaler Schuldbegriff Schuldmerkmale spezielle — 17 2, 52 Schuldtatbestand 17 43 ff (6 53) Inhalt des - 17 44, 47 ff Mißachtung (des Geltungsgrunds) einer Norm als Merkmal des — 17 51; 19 6 ff spezielle Schuldmerkmale 17 52 Unrecht als Merkmal des — 17 47 Unzumutbarkeit als negativer — 17 53 ff Verhältnis des positiven — zur Unzumutbarkeit 17 45 Zurechnungsfähigkeit als Merkmal des — 17 48 ff Schuldtheorie 19 2 (8 3) Appellfunktion des Tatbestands 11 47; 19 21 — bei Blankettgesetzen 19 20 eingeschränkte — 11 49 ff elastische — 19 2 — im Nebenstrafrecht 19 18 ff rechtsfolgenverweisende — 11 51 starre — 19 1 f, 16 strenge — 11 45 ff unselbständige — 11 58 f siehe auch Unrechtseinsicht; Verbotsirrtum; Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums; Voraussetzungsirrtum (als irrige Annahme beim Rechtfertigungstatbestand); Vorsatztheorie Schuldunfähigkeit — als Zurechnungsunfähigkeit oder Unzumutbarkeit 18 3 ff, 6, 14 ff (18 18, 28)

siehe auch partielle Unzumutbarkeit; Unzumutbarkeit; Zurechnungsunfähigkeit Schutzbereich der Norm siehe Normzweckzusammenhang

fette Zahl = Abschnitt, magere Zahl = Randnummer Schutzprinzip siehe personelle Geltung Schwachsinn siehe Zurechnungsunfähigkeit Schwangerschaftsabbruch Verweigerung der Mitwirkung beim — 20 Fn. 39 Selbst-Begehen 21 37 ff Begriff des — 21 37 — bei Selbstverletzung 21 38 — bei Unterlassung 29 56, 108 volle Zuständigkeit bei — 21 3, 17, 38 — des Werkzeugs 21 39 Selbsthilfe 16 21 ff Beschränkungen der — 16 23 entschuldigter Exzeß bei der — 20 32 Inhaber des Rechts 16 21 Inhalt des -rechts 16 22 (16 24) Schutzzweck des -rechts 16 21 Verhältnis zur obrigkeitlichen Hilfe 16 21 Selbstverletzung siehe Beteiligung an einer — Sicherungspflichten 29 29 ff — wegen Beteiligung an fremdem Verhalten 29 36 — bei fremdem Verhalten 29 32 ff — wegen Gewalt über andere Personen 29 35 — durch Ingerenz 29 29, 31 — nach der Rechtsprechung 29 37 — wegen Rückwirkung fremden Verhaltens 29 36 Verkehrspflichten als — 29 29 f Soldatengesetz siehe Anweisung; Verbotsirrtum beim Befehl Sonderdelikte — im engeren Sinn 6 91; 21 115 ff; 23 25; 25 43 ff; 28 15; 29 43 ff, 57 ff, 106 f, 112, 115 (21 9, 17) Beteiligungsversuch bei — 27 7 echte — 6 91; 23 28 ff irrige Annahme der Sonderpflicht als Wahndelikt 25 43 ff Teilnahme des Extranen an — 22 3 f, 7; 23 25 Teilnahme an unvorsätzlichen — 22 13, 15 f unechte — 6 91; 23 34 — im weiteren Sinn 6 91; 21 9; 25 44, 49; 28 13 ff siehe auch Akzessorietät; Pflichtdelikte; Tätermerkmale; Vertreterhaftung Sorgfaltspflicht siehe Fahrlässigkeit Sozialadäquanz 7 30 Sperrwirkung siehe Gesetzeskonkurrenz; Idealkonkurrenz Spezialität siehe Gesetzeskonkurrenz; — zur Begleittat; — kraft Beteiligungsintensität;

Str

— im engeren Sinn; — kraft Erfolgsintensität; — kraft Vorgriffs Spezialität zur Begleittat 31 18, 30 ff Abgrenzung zur Spezialität im engeren Sinn 31 30 Begleittaten zu straffreiem Verhalten 3 1 3 3 — bei Tötung und Körperverletzung 31 32 privilegierende Wirkung der — 31 31 Spezialität kraft Beteiligungsintensität 31 18, 28

Spezialität im engeren Sinn 31 16, 18, 19 ff — bei besonders schweren Fällen 31 21 — bei erfolgsqualifizierten Delikten 31 25 Konkurrenz von Spezifizierungen 31 23 ff — bei Privilegierungen 31 19 — bei Qualifizierungen 31 20 — im Verhältnis von Vorsatz und Fahrlässigkeit 21 22 Spezialität kraft Vollendungsdichte 31 18, 26 f Spezialität kraft Vorgriffs 31 18, 34 ff Spezialprävention 1 35 ff, 46 f, 50 Spielraumtheorie 1 Fn. 73 Sprachgebrauch siehe Auslegung Staatsnotstandshilfe 13 10 f; 15 1 siehe auch aggressiver Notstand Staatsnotwehrhilfe 12 6 ff, 59 ff; 15 1 siehe auch Notwehr stellvertretende Strafrechtspflege siehe personelle Geltung; räumliche Geltung Sterilisation siehe rechtfertigende Einwilligung Steuerungsmerkmale siehe Vorsatzgestalt Strafantrag 10 12; 31 47; 32 25 Strafausschließungsgründe 10 18 ff — für Angehörige 10 19 — bei Begnadigung 10 25 — bei Bewährung 10 23 — für Minderjährige 10 20 — bei Verjährung 10 22 siehe auch Rücktritt Strafbarkeitsbedingungen siehe nur-objektive Bedingungen Strafe Aufgabe der - 1 1 ff, 11 allgemeine Definition der — 1 2 Bedeutung (expressiver Gehalt) der — 1 10 f (2 5; 4 49) Inhalt der — 1 11 — als Übelszufügung 1 3 Strafgrund der Teilnahme 22 1 ff Korrumpierungstheorie 22 2 Theorie der erfolgsbezogenen Unrechtsteilnahme 22 6 Unrechtsteilnahmetheorie 22 3 Verursachungstheorie 22 4 f

779

Str

Sachregister

Strafgrund des Versuchs 25 13 ff dualistische Theorie 25 18 Eindruckstheorie 25 20 Expressivität und Tatbestandsnähe als — 25 21 ff Mangel am Tatbestand 25 16 objektiv-formelle Theorie 25 70 objektive Gefährlichkeitstheorie 25 13 f subjektive Theorie 25 17 Tätertheorie 25 19 Strafrechtsgut siehe Normgeltung Strafrechtsnormen Kernbereich und Randbereich der — 3 1 ff, 10 siehe auch Normgeltung Straftheorien siehe Generalprävention; Spezialprävention; Sühnetheorie; Vereinigungstheorie; Vergeltungstheorie Strafverlangen 10 12 subjektive Unrechtselemente 8 88 ff, 99 (8 45; 21 9; 23 20 f f ; 29 91 f) affektiv bestimmte Antriebe als — 8 95 f Gesinnungsmerkmale als — 8 97 Konstitutionsmerkmale als — 8 97 f Kritik der Psychowissenschaften 8 100 ff Motive als — 8 94, 96 qualitative Akzessorietät der — 23 10, 20 ff Steuerungsmerkmale als — 8 88 ff typisierende Vorsätze als — 8 91 f siehe auch Vorsatzgestalt Subsidiarität siehe Spezialität kraft Beteiligungsintensität; Spezialität kraft Erfolgsintensität; Spezialität kraft Vollendungsdichte Subsidiarität der Strafe 2 26 ff Subsumtionsirrtum — bei Merkmalen des Rechtfertigungstatbestands 11 36 — bei Merkmalen des Unrechtstatbestands 8 50, 86 Süchte siehe Unzumutbarkeit Sühnetheorie 1 25 f System siehe Auslegung Täterbegriff extensiver — 21 8, 27 restriktiver — 21 8, 22 6 Tätermerkmale, spezielle 21 9, 18, 67, 93, 111; 29 9 (23 5) — bei actio libera in causa 17 67 Täterschaft siehe Akzessorietät; eigenhändige Delikte; Einheitstäter; Herrschaftsdelikte; Nebentäterschaft; Organisationszuständigkeit; Pflichtdelikte; Täterbegriff; Tätermerkmale; Täterschaft bei Fahrlässigkeit; Täterschaftsformen; Täterschaftstheorien;

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Tatherrschaft; Teilnahme; Vertreterhaftung; Zuständigkeit Täterschaft bei Fahrlässigkeit 21 111 ff mittelbare Täterschaft 21 113 — bei Selbstverletzung 21 114 spezielle Tätermerkmale 21 111 Täterschaftsformen siehe Mittäterschaft; mittelbare Täterschaft; Selbst-Begehen Täterschaftstheorien 21 24 ff ältere materielle Theorie 21 26 Animustheorie 21 28 f — des Bundesgerichtshofs 2 1 3 1 formell-objektive Theorie 21 25 Interessentheorie 21 30 — des Reichsgerichts 21 29 subjektive Theorien 21 27 ff, 100 Tatherrschaftslehre 21 32 ff Tätigkeitsdelikte 6 85 Talion 1 18 Tatbestand 6 46 ff — als Entschuldigungstatbestand 6 53; 17 53 ff — als Gesamtschuldtatbestand 6 53 — als Gesamtunrechtstatbestand 6 53, 57 — als Leitbildtatbestand 6 53 objektiver und subjektiver — 6 68; 7 1 ff offener - 6 61 ff — als Rechtfertigungstatbestand 6 53, 56 — als Sachverhalt 6 53 — als Schuldtatbestand 6 53; 17 43 ff — im Sinn der Rechtstheorie 6 53 — als Unrechtstatbestand 6 52, 54 ff Verhältnis von — und Handlung 6 67 ff Verhältnis von — und Unrecht 6 59 ff siehe auch Tatbestandsbegriff tatbestandsausschließende Einwilligung 7 111 ff Abgrenzung der — zur rechtfertigenden Einwilligung 7 111 ff — als behördliche Erlaubnis 16 28 Dispositionsbefugnis bei der — 7 114, 131 mittelbare — in sozialen Kontakt 7 126 ff, 128 mittelbare Täterschaft durch Bewirken einer - 7 118 ff Objektivierung der — 7 115 — bei rechtsgutsbezogener und nicht rechtsgutsbezogener Täuschung 7 121 ff — bei Rechts- und Sittenwidrigkeit 7 124 — in ein Risiko 7 113, 128 unmittelbare — 7 125, 128 Verhältnis der — zur Selbstverletzung 7 119 ff, 130 — bei Zwang und Irrtum 7 116 f f ; 21 90 siehe auch Handeln auf eigene G e f a h r ; rechtfertigende Einwilligung

fette Zahl = Abschnitt, magere Zahl = Randnummer Tatbestandsbegriff 6 51 ff Geschichte des — 6 48 ff siehe auch Rechtswidrigkeitsmerkmale; Tatbestand; Tatbestandsmerkmale Tatbestandsmerkmale — bei besonders oder minder schweren Fällen 6 99 ff negative — 6 54 ff; 11 44 negativ gefaßte — 6 56 Überschreitung erlaubter Risiken als — 7 39 ff siehe auch normative Tatbestandsmerkmale; Privilegierungen; Qualifizierungen; Vorsatz bei normativen Tatbestandsmerkmalen Tatbestandsverwirklichung — als Zurechnungsstufe 6 46 f Tatherrschaft 21 32 ff — als Entscheidungsherrschaft 21 35 f, 48, 58, 62 ff formelle — 21 35 f, 37 ff, 48 — als Gestaltungsherrschaft 21 35 f, 40 ff Meinungsstand zur — 21 33 siehe auch Mittäterschaft; mittelbare Täterschaft; Selbst-Begehen Tatort besondere Verhältnisse am — 5 22 — bei einem Distanzdelikt 5 22 — bei Handlungen 5 21 ff — bei nur-objektiven Bedingungen 10 8 — bei Transitdelikten 5 23 — nach dem Ubiquitätsprinzip 5 21 — bei Unterlassungen 5 24 Tatprinzip 1 41 ff, 54; 2 Fn. 2; 2 6; 6 34, 73; 11 20; 20 11 (25 9) Tatsachenblindheit 8 5 f, 10; 9 23; 19 1, 14; 20 30 Tatschuld 17 34 ff Tatzeit Gesetzesänderung während der — 4 58 ff — bei Handlungen 4 53 — bei nur-objektiven Bedingungen 10 8 — bei Unterlassungen 4 54 Teilnahme 22 1 ff Beteiligungsformen der — 21 110 — an eigener Tat 17 67 Kritik des Vorsatzerfordernisses der Haupttat 22 17 f — an rechtmäßiger Tat 21 11 — trotz Selbst-Begehens 21 30 f, 36 — an Sonderdelikten 22 3, 7, 15 f; 23 14 f — bei Unkenntnis der Rechtswidrigkeit der Haupttat 22 11 — an unvorsätzlicher T a t 21 72; 22 12 ff, 17

Unr

— bei einem Voraussetzungsirrtum des Ausführenden 22 11 — als Zuständigkeit 22 13 Zuständigkeit bei — 21 3 siehe auch agent provocateur; Akzessorietät; Anstiftung; Beihilfe; notwendige Teilnahme; Strafgrund der Teilnahme Territorialitätsprinzip siehe räumliche Geltung Transitdelikte siehe Tatort Triebstörungen siehe Unzumutbarkeit Übernahme 29 46 ff Abgrenzung der — zum besonderen Vertrauen 29 46, 67 — des Arztes 29 Fn. 102 Befreiung des Übergebenden 29 52 Definition der — 29 48 f Ende der H a f t u n g für — 29 51 Gegenstand der — 29 47 Mindest-Risikohöhe für — 29 50 Übernahmeverhalten 6 39, 42; 9 14 Übertretung 3 2; 6 102 Überzeugungstäter 20 20 ff Begehung und Unterlassung beim — 20 27 Grundsatz 20 20, 23 harter — als Konflikttäter 20 22 — und Ideologietäter 20 22 Unrechtseinsicht beim — 19 24 Unzumutbarkeit beim — 20 24 ff Unzuständigkeit des — für den Konflikt 20 26

Unzuständigkeit des — für die Überzeugung 20 24 f weicher — 20 21 Ubiquitätsprinzip siehe Tatort Umkehrprinzip — bei der Unterlassung 28 Fn. 3 — beim Versuch 25 52 ff Unfugabwehr 12 48 Ungehorsamsdelikte 6 88 Universalitätsprinzip siehe räumliche Geltung Unkenntnis siehe Irrtum Unmoral bloße — als Gegenstand strafrechtlicher Verbote 2 13, 21 Unrecht äußere Seite von — 6 72 f Stellung des Erfolgs im — 6 69 ff Verhältnis von — und Tatbestand 6 59 ff siehe auch Legitimation des Strafrechts Unrechtseinsicht 17 21, 51; 19 1 ff belastende bedingte — 19 1, 29 entlastende bedingte — 4 82; 19 30 entlastende unbedingte — 19 Fn. 54 Intensität der — 19 26 781

uns

Sachregister

— als Kenntnis des Einschreitens ex officio 19 23 — als Kenntnis des Grunds der Störung 19 24 — als Parallelbeurteilung 19 24 Teilbarkeit der — 19 27 f — beim Überzeugungstäter 19 24 unbedingte — 19 1 Verhältnis von positivem und überpositivem Recht bei der — 19 25 — bei widersprechenden Normen 19 31 Zeitpunkt der — 19 26 unspezifizierte Unzumutbarkeit 20 43 ff — beim funktionalen Schuldbegriff 20 45 untauglicher Täter siehe Wahndelikt unterlassene Hilfeleistung durch Begehen 7 67 (24 20) — durch Notwehrüberschreitung 12 46 Unterlassung 28 1 ff; 29 1 ff; 30 1 ff Abgrenzung der — von der Handlung bei Automatismen 6 37 Abwendungsfähigkeit 29 10 ff Beteiligungsversuch durch — 29 122 echte — 28 9; 30 1 ff echte begehungsgleiche — 28 10, 13 f; 30 lf echte nicht begehungsgleiche — 28 11; 30 lf eigenhändige Delikte bei — 29 2, 79 Entsprechensklausel bei unechter — 29 7, 78 ff Fehlen einer Handlung bei der — 6 28, 30 gesetzliche Regelung der unechten — 29 1 hypothetische Erfolgsursachen 29 21 ff hypothetische Kausalität der — 29 15 ff Kannmilderung 29 123 ff Kannmilderung, analoge Anwendung auf Begehungs-Pflichtdelikte 29 126 Kannmilderung bei institutionellen Pflichten 29 125 keine Kausalität der — 7 26; 29 15 ff Maß der geforderten Aufopferung 23 14 — als Motiv zuwenig 6 30; 28 3 Normlogik 28 3; 29 1 , 3 Normzweckzusammenhang bei — 29 19 ff Pflicht bei begehungsgleicher — 28 13 ff — einer Risikominderung 29 20 Risikovariation bei — 29 24 Schuld bei der - 29 96 ff subjektive Unrechtselemente bei — 29 91 f tatbestandsmäßiger Erfolg der — 29 2, 8 unechte — bei eigenhändigen Delikten 29 2, 79 unechte — und Gesetzesbindung 29 2 ff Zusammentreffen von Handlung und — 28 4 ff 782

siehe auch Beteiligung am und durch Unterlassen; Entsprechensklausel; Garantenpflichten ; Unterlassungsfahrlässigkeit; Unterlassungsversuch; Unterlassungsvorsatz Unterlassung durch Begehung 7 69 Unterlassungsfahrlässigkeit 29 93 f; 30 3 Unterlassungsversuch 29 113 ff; 30 5 Abgrenzung zum Wahndelikt 29 115 beendeter und unbeendeter — 29 116 — bei echter Unterlassung 30 5 Rücktritt vom — 29 119 ff subjektive Seite beim — 29 114 Versuchsbeginn 29 118 Unterlassungsvorsatz 29 82 ff; 30 3 — und Garantenstellung 29 89 f Gegenstand des — 29 86 f, 89 Grundsatz 29 82 Intensität des Wissens 29 88 Meinungsstand zum — 29 83 ff Vorsatzarten beim — 29 91 f Unternehmensdelikte 25 5 ff echte — 25 5 unechte — 25 7 Versuch der echten — 25 6 Unzumutbarkeit 17 53 ff, 69 ff; 20 1 ff (17 2, 35, 57 f) Abgrenzung der — zur Zurechnungsunfähigkeit 18 6, 14 ff (18 3 ff, 18, 28) Ermittlung der Unzuständigkeit 17 72 ff Maßstabsabhängigkeit der — 17 55, 70 f (18 12) — durch Neurosen 18 21 — durch Psychopathien 18 20 — beim Rausch 18 12 relative (Un-)Zuständigkeit 17 73 — durch schwere seelische Abartigkeit 18 19 ff — durch Süchte 18 23 — durch Triebstörungen 18 22 — als Unzuständigkeit 17 55, 69 ff Verhältnis der — zum positiven Schuldtatbestand 17 45 Zuständigkeit bei Personenmehrheit 17 75 siehe auch Einsichtsunfähigkeit; entschuldigender Notstand; Interessenkollision; Notwehrexzeß; partielle Unzumutbarkeit; Uberzeugungstäter; unspezifizierte Unzumutbarkeit; Unzumutbarkeit bei Fahrlässigkeit, bei Unterlassung; Zurechnungsunfähigkeit Unzumutbarkeit bei Fahrlässigkeit 20 35 ff Besonderheiten der — gegenüber Vorsatz 20 36 f Parallele zum Vorsatz 20 35

fette Zahl = Abschnitt, magere Zahl = Randnummer — und Risikoabwägung 20 38 — bei Unterlassung 29 100 Unzumutbarkeit bei Unterlassung 29 97 ff Unzuständigkeit siehe Zuständigkeit Urkundenfälschung subjektive Seite der — 8 39 f (23 19) Ursache siehe Kausalität

Verabredung siehe Beteiligungsversuch Verantwortung siehe Schuldbegriff Verbandshandlung siehe Handlung Verbandsschuld siehe Schuld Verbotsirrtum 19 6 ff, 32 ff (11 45 ff; 17 21) Abgrenzung zur Zurechnungsunfähigkeit und zur Unzumutbarkeit 18 25 Anerkennung des Geltungsgrunds von Normen trotz — 19 11 f doppelter — 19 28 durch Fahrlässigkeit vermittelter — 19 34 — als Grundlagenirrtum 19 8 ff, 13 — nach dem funktionalen Schuldbegriff 19 6 ff — als Irrtum im verfügbaren Bereich 19 11 ff Irrtumsformen 19 32 partieller — 31 43 — aus Rechtsgleichgültigkeit 19 49, 54 Rechtsprechung zum — 19 3 ff Sonderregeln beim Handeln auf Anweisung 16 12; 19 51 ff — durch ein Sozialisationsdefizit 19 8 f unvermeidbarer — 19 46 siehe auch indirekter —; Schuldtheorie; Unrechtseinsicht; — beim Handeln auf Befehl; Vermeidbarkeit des —; Vorsatztheorie Verbotsirrtum beim Handeln auf Befehl 19 51 ff — nach dem funktionalen Schuldbegriff 19 53 — als indirekter Verbotsirrtum 19 52 Irrtumsrisiko beim — 19 54 — nach dem SoldatenG 19 53 — nach dem WStG 19 53, 55 Verbrechen — im gesetzestechnischen Sinn 6 102 ff — im Sinn der Strafrechtsdogmatik 6 Fn. 1 Vereinigungstheorien 1 48 ff Verfahrenshindernisse 10 10 ff Vergehen — im gesetzestechnischen Sinn 6 102 ff Vergeltungstheorie 1 17 ff Verhältnismäßigkeit — statt Schuld 17 4

Ver

— von T a t und Maßregel 1 52, 54 ff, 60 — von Tat und Strafe 1 45 Verhalten Bedeutung (expressiver Gehalt) von — 1 9; 2 5f — als Oberbegriff von Handlung und Unterlassung 6 31 f, 33 siehe auch Handlung; Handlungsbegriff; Unterlassung verhaltensgebundene Delikte 6 84; 21 9, 117; 29 7, 78 ff Verjährung — bei bloßer Quantitätssteigerung 32 25 — bei Gesetzeskonkurrenz 31 46 Grund der Strafbefreiung 10 22 — und Grundsatz der Gesetzesbindung 4 9 Verkehrspflichten siehe Rettungspflichten; Sicherungspflichten Verletzungsdelikte 6 78 Vermeidbarkeit (als Merkmal der Handlung) 6 8, 20 ff, 24 ff, 68; 17 19, Fn. 103 — bei Automatismen 6 36 ff Begriff der — 6 26 f Fahrlässigkeit als — 9 2, 4 — bei Reflexen 6 36 ff Relativität der — 6 27, 34 Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums 19 35 ff Anlaß zur Vermeidung 19 40 ff Fehlerhaftigkeit einer hypothetischen Auskunft 19 45 — bei Gefahr großen Schadens 19 48 — und Gewissensanspannung 19 41, Fn. 70 minimalisierte — 19 50 — bei nationalsozialistischen Gewalttaten 19 9 — als nicht hinreichende Normanerkennung 19 38 ff — als normativer Begriff 19 36 f Obliegenheiten zur Normermittlung 19 38 f, 41 ff — im Randbereich des Rechtmäßigen 19 48 — als Zuständigkeit 19 35 ff, 47 ff (19 8, 33) verminderte Schuldfähigkeit siehe partielle Unzumutbarkeit versari in re illicita 9 33; 19 27 Versuch 6 70; 25 1 ff abergläubischer — 25 22 Abgrenzung von tauglichem und untauglichem — 25 13, 17 Abgrenzung von Vorbereitung und — 25 55 ff 783

Ver

Sachregister

Vertrauensgrundsatz 7 30, 51 ff — der Anstiftung 27 3 beendeter — 25 4, 71 ff; 26 14 ff Abgrenzung des — zum erlaubten Risiko 7 51 — bei Fahrlässigkeit 9 27; 25 28 — als Aufteilung von Zuständigkeit 7 53 fehlgeschlagener beendeter — 26 23 Ausschluß des — bei Regelunkundigen 7 fehlgeschlagener unbeendeter — 26 11 f 54 Gesamtwürdigung bei der Strafrahmen— bei eigenem Fehlverhalten 7 55 wahl 25 77 Vorrangigkeit des Regreßverbots 7 52 grob unverständiger — 25 81 ff Kannmilderung 25 77 Vertreterhaftung 21 10 ff — im materiellen Sinn 25 2, 85 erfaßte Vertretungsverhältnisse 21 12 qualifizierter — 26 48 faktische Betrachtungsweise 21 14 Strafbarkeit des — 25 76 Handeln „als Vertreter" 21 13 subjektive Tauglichkeit des — 25 36 — nur bei objektiven Täterbeschreibungen unbeendeter — 25 4; 26 14 ff 21 11 versuchsbezogene Gründe bei der StrafSonderpflichten bei — 21 11 rahmenwahl 25 79 f — nur bei strafbarkeitsbegründenden Umkehrprinzip 25 52 ff Merkmalen 21 10 siehe auch Beendigung; Beteiligungsversubjektive Merkmale und — 21 11, 15 such; Deliktsstufen; Rücktritt; Straf- Verwaltungsdelikt, Verwaltungsstrafrecht siehe grund des Versuchs; UnterlassungsverOrdnungswidrigkeit such; Unternehmensdelikte; Versuchs- vikariierendes System 1 52, 58 beginn; Vollendung; Vorbereitung; Vollendung Vorsatz beim Versuch — als formeller Begriff 25 1 Versuchsbeginn 25 55 ff Sonderregeln zum Rücktritt trotz — 25 3 — bei actio libera in causa 17 68 Vollrausch 17 59 ff; 21 23 (9 10; 10 1 f; 17 kein — trotz Beendigung 25 72 ff 57 f, Fn. 86) Einbruch in eine Schutzsphäre als — 25 68, Beteiligung am — 21 23 74 Beweisprobleme beim — 17 62 Einheitlichkeit des Angriffs beim — 25 67, Gefährlichkeitstheorien 17 59 f 74 Normzweckzusammenhang beim — 17 63 — als formeller Begriff 25 56 Strafgrund des — 17 59, 61 Gesetzesformel für den — 25 55 f Voraussetzungsirrtum (als irrige Annahme — bei Mittäterschaft 2 1 6 1 beim Rechtfertigungstatbestand) 11 42 ff — bei mittelbarer Täterschaft 21 105; 25 Abgrenzung zu anderen Irrtümern 11 53 75 — bei Amtsrechten 16 8 negative Richtlinien zum — 25 64 f, 73 Appellfunktion des Vorsatzes 11 47, 54 — bei Pflichtdelikten 21 118 — und Beteiligung 11 49, 59 positive Richtlinien zum — 25 66 ff, 74 eigenständige Rechtsfolge beim — 11 52, — bei Qualifizierungen 25 70 54 ff kein — bei retardierendem Verhalten 25 64 eingeschränkte Schuldtheorie 11 49 ff — bei steigendem Revokationsaufwand 25 Lehre von den negativen Tatbestandsmerk73 malen 6 54 ff; 11 44 — bei sozialüblichem Verhalten 25 65, 73 rechtsfolgenverweisende Schuldtheorie 11 — bei Taten mit Revokationsmöglichkeit 51 25 58, 72 ff Rechtstreue beim — 11 46 Tätervorstellung beim — 25 60 strenge Schuldtheorie 11 45 ff Theorie der vorletzten Handlung 25 62 unselbständige Schuldtheorie 11 58 f Unmittelbarkeit beim — 25 59 siehe auch Rechtfertigungstatbestand; WiUnmöglichkeit einer deduzierenden Forderstandsrecht mel 25 63 Voraussetzungsirrtum (als irrige Annahme — beim Unterlassungsversuch 29 118 beim Schuldtatbestand) 17 78 ff zeitliche Nähe der Vollendung als — 25 — als actio libera in causa 17 84 66, 74 entschuldigende Wirkung beim unvermeidsiehe auch Unterlassungsversuch baren — 17 81 ff vermeidbarer — 17 83 Vertrauen siehe institutionelle Pflichten 784

fette Zahl = Abschnitt, magere Zahl = Randnummer vorstellungsabhängige Merkmale 17 79 ff vorstellungsunabhängige Merkmale 17 78 Voraussetzungsirrtum (als Unkenntnis beim Rechtfertigungstatbestand) siehe Rechtfertigungstendenz Voraussetzungsirrtum (als Unkenntnis beim Schuldtatbestand) 17 80 — als Verbotsirrtum 17 77; 19 6 ff Vorbereitung 25 8 ff — als Beteiligungsversuch 27 1 ff Rücktritt von der — 25 11; 27 15 ff typisierte — 25 10 untypisierte — 25 8 siehe auch Beteiligungsversuch vorläufige Festnahme siehe Festnahmerecht Vorsatz 8 1 ff — bei Affekttaten 8 13 alternativer — 8 2, 15 Appellfunktion des — 11 47; 19 21 — bei Automatismen 8 14 — bei besonders schweren Fällen 8 43 Entscheidungsrelevanz des erkannten Risikos 8 17, 30 ff Erfordernis von — 8 4 Erlebnis als — 8 11 genereller — 8 2 — bei Hauptfolgen 8 7, 15 ff Intensität des Wissens 8 10 ff, 12 (19 26) Kritik der Psychowissenschaften 8 13, 100 ff Mitbewußtsein als — 8 11 — bei Nebenfolgen 8 7 f, 18 ff objektive Zurechnung und — 8 44 Planungszusammenhang beim — 8 2, 37 ff, 91 sachgedankliches Bewußtsein als — 8 11 — als speziellerer Begriff zur Fahrlässigkeit 9 4 subjektive Unrechtselemente als Gegenstand des — 8 45 Tatbestandsverwirklichung als Gegenstand des — 8 43, 63 Wechsel des — 8 2 — als Wissen 8 7 ff „Wissen und Wollen" als — 8 8 Zeitpunkt des — 8 1 f siehe auch Absicht; alternativer —; bedingter —; dolus; Irrtum; Tatsachenblindheit; Unterlassungsvorsatz; — bei Blankettgesetzen; — bei normativen Tatbestandsmerkmalen; Vorsatzabweichungen; Wissentlichkeit Vorsatz bei Blankettgesetzen 8 46 ff — bei Normen mit Regelungseffekt 8 47 — bei nur verhaltenslenkenden Normen 8 47

Vor

Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen 9 28 ff nicht-qualifizierende — 9 29; 22 29 qualifizierende — 9 30 ff Versuch bei — 25 27 siehe auch Erfolgsqualifizierungen Vorsatz bei normativen Tatbestandsmerkmalen 8 48 ff Abgrenzung von Vorsatz und Unrechtsbewußtsein 8 57 Bedeutungskenntnis als — 8 52 ff deskriptiv contra normativ 8 51 Irrtum über den Entstehungsgrund 8 58 normbegrenzte Merkmale 8 53 normbezogene Merkmale 8 54 normgefüllte Merkmale 8 55 f Parallelbeurteilung beim — 8 49, 61 f Subsumtionsirrtum beim — 8 50 umgekehrter Subsumtionsirrtum beim — 8 59 Versuch 8 60 siehe auch Rechtfertigungstatbestand; Wahndelikt Vorsatz beim Versuch 25 24 ff bedingtes Wollen 25 29 Entschluß mit Rücktrittsvorbehalt 25 34 f Entschluß auf unsicherer Tatsachengrundlage 25 31 f — bei erfolgsqualifizierten Delikten 25 25 ff — als Tatentschlossenheit 25 29 ff Tatgeneigtheit 25 30 subjektive Tauglichkeit beim — 25 36 Vorstellung als Spezifizierung von Vorsatz 25 24 siehe auch Wahndelikt Vorsatzabweichungen siehe Abweichung des Kausalverlaufs; dolus generalis; Fahrlässigkeit; Individualisierungsirrtum; Motivirrtum; Objektsirrtum; Vorsatz bei normativen Tatbestandsmerkmalen; Vorsatz beim Versuch; vorzeitige Vollendung Vorsatzgestalt 8 15 ff, 34 ff (8 88; 23 13) — bei Delikten mit vorverlagerter Vollendung 8 39 f Differenzierung der — nach Steuerungsgraden 8 35 — bei feindlicher Willensrichtung 8 37 — bei koordinierenden Beteiligten 8 38 — bei Motivmerkmalen 8 42 — bei Planungszusammenhängen 8 37 ff — bei Risikoerlaubnissen 8 36 — bei typisierenden Absichten 8 41 Vorsatztheorie 19 2, 14 elastische — 19 17 surre — 19 14 785

Vor

Sachregister

starre — und geltendes Recht 19 15 siehe auch Schuldtheorie; Verbotsirrtum Vor- und Nachtat siehe Spezialität kraft Vollendungsdichte und kraft Vorgriffs Vorteilsabsicht 8 41, 91 Akzessorietät bei — 23 20 Rechtswidrigkeit des Vorteils 11 41 Vorwerfbarkeit siehe Schuld vorzeitige Vollendung 8 75 ff Rücktritt bei — 26 13 Wahndelikt 25 37 ff (11 40) — bei eigenhändigen Delikten 25 51 kein — bei irriger Annahme von Organisationszuständigkeit 25 44 ff irrige Annahme von Sonderpflichten als — 25 43 ff umgekehrter Subsumtionsirrtum als — 25 39 Umkehrprinzip 25 52 ff zu weite Parallelbeurteilung als — 25 42 Wahrnehmung berechtigter Interessen 16 37 Wehrstrafgesetz siehe Anweisung; partielle Unzumutbarkeit; Verbotsirrtum beim Handeln auf Befehl Weisungen — als Tatfolge 1 51 Werkzeug, menschliches siehe mittelbare Täterschaft Widerstandsrecht 15 1 ff Angriffsart beim — 15 2 Inhalt des — 15 4 Subsidiarität des — 15 3 Verhältnis des — zu anderen Rechtfertigungsgründen 15 1 Voraussetzungsirrtum beim — 15 5 Willensfreiheit 17 23 ff (18 27) Wissen siehe Vorsatz Wissentlichkeit 8 18 ff — zwischen Handlungsvollzug und Nebenfolge 8 18 — zwischen Hauptfolge und Nebenfolge 8 18 Höhe der Gewißheit bei — 8 19 Wollen bei - 8 20 siehe auch Vorsatz; Vorsatzgestalt Wollen siehe Vorsatz; Vorsatz beim Versuch Zeitgesetz 4 62 ff (4 42) zeitliche Geltung 4 48 ff — bei einem Blankettgesetz 4 66, 70 ff Bestimmung des mildesten Gesetzes 4 77 ff — einer Strafmilderung 4 60, 70 ff — einer Strafschärfung 4 61, 68 ff — bei Variation der Bestrafungsvoraussetzungen 4 73 786

Umfang der — 4 50, 52 siehe auch Rückwirkungsverbot Züchtigungsrecht 16 32 ff vom — Betroffene 16 33 f — der Eltern 16 33 — des Erziehers 16 34 ff durch — gerechtfertigte Eingriffe 16 32, 36 mutmaßliche Einwilligung des Berechtigten 16 33 (15 Fn. 21) Rechtfertigungstendenz beim — 11 20 Überlassung des — an dritte Personen 16 33, 35 Zueignungsabsicht 8 41 Akzessorietät bei — 23 Fn. 8; 23 20 Rechtswidrigkeit des Beabsichtigten 11 41 Zumutbarkeit siehe partielle Unzumutbarkeit; Unzumutbarkeit Zurechnung Probleme der Stufung der — 6 1, 4, 46 f, 59 ff; 7 1; 17 19 f Zurechnungsfähigkeit Definition der — 17 48 — als Gleichheit 17 48 ff keine Quantifizierbarkeit der — 17 49 siehe auch Zurechnungsunfähigkeit Zurechnungsunfähigkeit 18 1 ff Abgrenzung der — zur Unzumutbarkeit 18 3 ff, 14 ff (18 18, 28) Adressatenproblem bei — 6 74; 17 50 Analogiefähigkeit der gesetzlichen Gründe von — 18 7 — wegen Bewußtseinsstörung 18 17 biologisch-psychologische Methode 18 3 — und Determination 18 4 — bei Heranwachsenden 18 2 — durch Intoxikationen, insbesondere Räusche 18 11 — bei Jugendlichen 18 2 — der Kinder 18 1 Konsequenz von — 18 24 ff körperliche Befunde für — 18 10 — durch krankhafte seelische Störungen 18 8 ff psychologisch-normative Methode 18 3 — durch Schwachsinn 18 13 — als Unzuständigkeit 18 5 f siehe auch Einsichtsunfähigkeit; partielle Unzumutbarkeit; Unzumutbarkeit; Zurechnungsfähigkeit Zuständigkeit Aufteilung der — beim Vertrauensgrundsatz 7 53 — für Abwehrkosten bei Notwehr 12 17 f — des Angreifers beim Notwehrexzeß 20 28

fette Zahl = Abschnitt, magere Zahl = Randnummer Einsichtsunfähigkeit und Befolgungsunfähigkeit als Unzuständigkeit 18 25, 34 — für die Gefahr beim defensiven Notstand 13 47 — beim Normzweckzusammenhang 7 75 — bei Sonderwissen 7 50 Schuld als — 17 1 Trennung von — und Kausalität 7 28 Unzumutbarkeit als Unzuständigkeit 17 55, 69 Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums als — 19 8, 33, 35 ff, 47 ff Zumutbarkeit beim entschuldigenden Notstand als — 20 12 ff

Zwi

Zurechnungsunfähigkeit als Unzuständigkeit 18 6 siebe auch Garantenpflichten; Herrschaftsdelikte; institutionelle Zuständigkeit; Organisationszuständigkeit; Pflichtdelikte; qualitative Akzessorietät; Teilnahme Zuständsdelikte 6 80 ff Zwangsmittel 3 21, 24; 16 9 Zweispurigkeit 1 53 (1 52) Zweitschäden siehe garantenbezogene Begehung Zwischengesetz 4 68

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