Strafrecht, Allgemeiner Teil: Die Grundlagen und die Zurechnungslehre. Lehrbuch [2. neubearb. und erw. Aufl. Reprint 2011] 9783110906424, 9783110112146

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Strafrecht, Allgemeiner Teil: Die Grundlagen und die Zurechnungslehre. Lehrbuch [2. neubearb. und erw. Aufl. Reprint 2011]
 9783110906424, 9783110112146

Table of contents :
Verzeichnis der Abkürzungen, einschließlich der abgekürzt zitierten Literatur
1. BUCH. Die Grundlagen
1. KAPITEL. Das staatliche Strafen
1. Abschnitt: Der Inhalt und die Aufgabe des staatlichen Strafens
I. Der Begriff der Strafe
II. Die Theorie der positiven Generalprävention
III. Die absoluten Theorien
IV. Die relativen Theorien (die Präventionstheorien)
V. Die Vereinigungstheorien
VI. Anhang: Die Aufgaben der Maßregeln der Besserung und Sicherung
2. Abschnitt: Die materielle Legitimation des Strafrechts
I. Das Bezugsniveau des Strafrechtsschutzes: Normen als Strafrechtsgut
II. Materielle Legitimation des Strafrechts durch Rechtsgüterschutz?
III. Kritik der Lehre vom Rechtsgüterschutz
IV. Vorverlagerungen
V. Subsidiarität des staatlichen Strafens?
3. Abschnitt: Die Abgrenzung der staatlichen Strafe von anderen Reaktionen öffentlichen Rechts
I. Die Ordnungswidrigkeiten
II. Die Disziplinarmaßnahmen
III. Die Ordnungs- und Zwangsmittel nach den Prozeßordnungen
2. KAPITEL. Der Grundsatz der Gesetzesbindung und die Geltung des Strafrechts
4. Abschnitt: Die Gesetzesbindung und die zeitliche Geltung
I. Die Funktion des Grundsatzes der Gesetzesbindung
II. Die einzelnen Wirkungen des Grundsatzes der Gesetzesbindung
III. Die zeitliche Geltung, insbesondere das Rückwirkungsverbot
5. Abschnitt: Die räumliche und personelle Geltung
I. Die Prinzipien und die dogmatische Stellung
II. Die Ausgestaltung nach geltendem Recht
2. BUCH. Die Zurechnungslehre
1. TITEL. Der Inhalt und die Aufgabe der Zurechnung, hauptsächlich beim Begehungsdelikt
1. KAPITEL. Die Tatbestandsverwirklichung
6. Abschnitt: Die Grundlagen und die Grundbegriffe der Tatbestandsverwirklichung durch Handlung
I. Der Handlungsbegriff
II. Der Tatbestandsbegriff
III. Das Verhältnis von Tatbestand und Handlung
IV. Die Gestalten der Tatbestände
V. Anhang: Die gesetzestechnische Unterscheidung von Verbrechen und Vergehen
7. Abschnitt: Einzelheiten der Tatbestandsverwirklichung durch Handlung; 1. Teil: Der objektive Tatbestand
I. Der objektive Tatbestand als Gegenstand des Allgemeinen Teils
II. Die objektive Zurechnung: Die Kausalität
III. 1. Fortsetzung: Adäquanz?
IV. 2. Fortsetzung: Der Ausschluß bei erlaubtem Risiko
V. 3. Fortsetzung: Der Ausschluß bei erlaubtem Vertrauen (Vertrauensgrundsatz)
VI. 4. Fortsetzung: Die Garantenstellung und der Ausschluß der Zurechnung beim Regreßverbot
VII. 5. Fortsetzung: Risikoverwirklichung bei Risikokonkurrenz
VIII. 6. Fortsetzung: Der Ausschluß der Zurechnung bei Einverständnis, tatbestandsausschließender Einwilligung und Handeln auf eigene Gefahr
8. Abschnitt: Einzelheiten der Tatbestandsverwirklichung durch Handlung; 2. Teil: Der subjektive Tatbestand als Vorsatz
I. Der für den Vorsatz maßgebliche Zeitpunkt; Allgemeines
II. Der Vorsatz als Wissen
III. Die Gestalten des Vorsatzes
IV. Der Gegenstand des Vorsatzes und Abweichungsprobleme
V. Die Steuerungsmerkmale und sonstige subjektive Unrechtselemente
VI. Der subjektive Tatbestand aus psychologischer Sicht
9. Abschnitt: Einzelheiten der Tatbestandsverwirklichung durch Handlung; 3. Teil: Der subjektive Tatbestand als Fahrlässigkeit und als Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination
I. Die individuelle Fahrlässigkeit
II. Kritik der objektiven Fahrlässigkeit
III. Einzelprobleme der Fahrlässigkeit
IV. Die aus Vorsatz und Fahrlässigkeit zusammengesetzten Delikte (sogenannte Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen)
10. Abschnitt: Die objektiven Bedingungen (der Ausschließung) des Unrechts oder seiner Straftatbestandlichkeit
I. Die nur-objektiven Bedingungen des Unrechts oder seiner Straftatbestandlichkeit (die sogenannten objektiven Strafbarkeitsbedingungen)
II. Die rollenbezogenen Bedingungen der Ausschließung des Unrechts oder seiner Straftatbestandlichkeit (die sogenannten persönlichen Ausnahmen von der Strafbarkeit)
2. KAPITEL. Die Rechtfertigung
11. Abschnitt: Die allgemeinen Lehren
I. Die Prinzipien der Rechtfertigung
II. Das Postulat der „Einheit der Rechtsordnung“
III. Die Bestimmung prospektiver und auf Verdacht abstellender Rechtfertigungsmerkmale
IV. Die Konkurrenz von Rechtfertigungsgründen
V. Die subjektive Seite der Rechtfertigung
12. Abschnitt: Die Notwehr
I. Vorbemerkungen
II. Die notwehrfähigen Güter, die Staatsnotwehrhilfe
III. Der rechtswidrige Angriff
IV. Die Gegenwärtigkeit des Angriffs
V. Die Abwehr des Angriffs
VI. Die Erforderlichkeit der Abwehr
VII. Die Einschränkung des Notwehrrechts
VIII. Die Besonderheiten der Notwehrhilfe
IX. Die Wirkungen der Notwehr
13. Abschnitt: Der rechtfertigende Notstand
I. Die Arten des Notstands im Überblick
II. Der aggressive Notstand nach § 34 StGB
III. Die Besonderheiten des defensiven Notstands
14. Abschnitt: Die rechtfertigende Einwilligung
I. Der Grund der Strafbefreiung
II. Einzelheiten
15. Abschnitt: Grenzbereiche zu Notwehr, Notstand und Einwilligung
I. Das Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG
II. Recht auf zivilen Ungehorsam?
III. Die Pflichtenkollision
IV. Das Handeln im Interesse und mit mutmaßlicher Einwilligung des Verletzten
16. Abschnitt: Die Amtsrechte und weitere Rechtfertigungsgründe besonderer Regelungsbereiche
I. Die Amtsrechte
II. Das Handeln auf Anweisung (die dienstliche Anordnung und der militärische Befehl)
III. Die delegierten Amtsrechte (das Handeln pro magistratu)
IV. Die behördliche Erlaubnis (einschließlich der tatbestandsausschließenden Erlaubnis)
V. Die parlamentarischen Berichte
VI. Das Züchtigungsrecht
VII. Die Wahrnehmung berechtigter Interessen
3. KAPITEL. Die Schuld
17. Abschnitt: Allgemeine Lehren
I. Übersicht
II. Der psychologische und der normative Schuldbegriff
III. Die Begründung eines funktionalen Schuldbegriffs
IV. Der Aufbau des Schuldbegriffs
V. Die Abhängigkeit des Schuldzeitpunkts und des Schuldmaßstabs vom Vorverhalten
VI. Der Irrtum über Voraussetzungen und Folgen des Schuldtatbestands; insbesondere: Der Irrtum über Entschuldigungsvoraussetzungen als Entschuldigungsgrund
18. Abschnitt: Die Zurechnungsunfähigkeit und die im Zusammenhang mit ihr geregelten Fälle der Unzumutbarkeit (§§ 19, 20, 21 StGB)
I. Die Zurechnungsunfähigkeit der Kinder und bei Jugendlichen
II. Die Schuldunfähigkeit (Zurechnungsunfähigkeit und bereichsweise Unzumutbarkeit) nach § 20 StGB
III. Die sogenannte verminderte Schuldfähigkeit (die partielle Unzumutbarkeit) nach § 21 StGB
19. Abschnitt: Die Unrechtseinsicht und der Verbotsirrtum
I. Die Regelungsmodelle im Überblick und der Gang der Rechtsprechung
II. Kritik starrer Modelle und vorsatztheoretischer Modelle
III. Die elastische Schuldtheorie
IV. Die Unrechtseinsicht
V. Die fehlende Unrechtseinsicht (Verbotsirrtum), Irrtumsformen
VI. Der Begriff der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums
VII. Die rechtliche Folge des Verbotsirrtums
VIII. Der entschuldigende Irrtum über die Verbindlichkeit eines Befehls
20. Abschnitt: Die Unzumutbarkeit
I. Der entschuldigende Notstand (§ 35 StGB)
II. Die Zumutbarkeit beim Überzeugungstäter (Gewissenstäter)
III. Der Notwehrexzeß
IV. Die Besonderheiten der Zumutbarkeit beim Fahrlässigkeitsdelikt
V. Die Entschuldigung bei Interessenkollision (der sogenannte übergesetzliche, entschuldigende Notstand)
VI. Unspezifizierte Unzumutbarkeit als Entschuldigungsgrund?
4. KAPITEL. Ergänzung zur Tatbestandsverwirklichung: Die Beteiligung
21. Abschnitt: Die Täterschaft
I. Differenzierung der Beteiligten oder Einheitstäterschaft?
II. Die Voraussetzungen von Täterschaft in Sonderfällen (die deliktsspezifischen Tätermerkmale und die Vertreterhaftung)
III. Die Tatbestände der Täterschaft bei Herrschaftsdelikten
IV. 1. Fortsetzung: Das Selbst-Begehen, § 25 Abs. 1,1. Fallgruppe StGB
V. 2. Fortsetzung: Das gemeinschaftliche Begehen (die Mittäterschaft), § 25 Abs. 2 StGB
VI. 3. Fortsetzung: Das Begehen durch einen anderen (die mittelbare Täterschaft), § 25 Abs. 1, 2. Fallgruppe StGB
VII. Schluß
VIII. Die Täterschaft bei den Pflichtdelikten
22. Abschnitt: Die Teilnahme
I. Der Strafgrund der Teilnahme
II. Die Abhängigkeit der Teilnahme von der Haupttat
III. Die Anstiftung
IV. Die Beihilfe
23. Abschnitt: Die innere (qualitative) Akzessorietät bei akzessorischer Beteiligung (Mittäterschaft und Teilnahme)
I. Das Problem
II. Der Lösungsweg
III. Das Ergebnis
24. Abschnitt: Gemeinsame Regeln für Täterschaft und Teilnahme
I. Die Verwirklichung des Risikos der vorsätzlichen Beteiligung, insbesondere: Der Irrtum über die Beteiligtenrolle
II. Die sogenannte notwendige Teilnahme (die Beteiligung ohne Haftung)
III. Das Regreßverbot (die scheinbare Beteiligung)
5. KAPITEL. Ergänzung zur Tatbestandsverwirklichung und zur Schuld: Der Versuch und der Beteiligungsversuch
25. Abschnitt: Der Versuch
I. Die Grenzen der Vorverlagerung der Strafbarkeit
II. Die Stufen des Delikts
III. Der Strafgrund des (formellen) Versuchs
IV. Der subjektive Tatbestand beim Versuch
V. Der objektive Tatbestand beim unbeendeten Versuch; die Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch
VI. Der objektive Tatbestand beim beendeten Versuch
VII. Die Bestrafung des Versuchs
26. Abschnitt: Der Rücktritt
I. Die dogmatische Stellung und der Grund der Strafbefreiung
II. Der Rücktrittstatbestand beim ausführenden Täter
III. Der Rücktrittstatbestand bei Beteiligung
IV. Die Zurechenbarkeit des Rücktrittsverhaltens: Die Freiwilligkeit
V. Die Wirkung des Rücktritts
27. Abschnitt: Der Versuch der Beteiligung
I. Der Strafgrund des Beteiligungsversuchs
II. Die einzelnen Tatbestände des Beteiligungsversuchs
III. Die Strafbarkeit der Beteiligung nach § 30 StGB
IV. Der Rücktritt vom Versuch der Beteiligung
2. TITEL. Der Inhalt und der Aufbau der Zurechnung, hauptsächlich beim Unterlassungsdelikt
6. KAPITEL. Die Zurechnung beim Unterlassungsdelikt
28. Abschnitt: Handlung und Unterlassung
I. Die Trennung von Handlung und Unterlassung
II. Die gesetzlichen Tatbestände von Unterlassungsdelikten
III. Das Problem der Sonderpflicht bei der begehungsgleichen Unterlassung
29. Abschnitt /Das unechte Unterlassungsdelikt
I. Der Regelungsumfang von § 13 Abs. 1 StGB
II. Die objektive Zurechnung
III. 1. Fortsetzung: Die Garantenstellungen
IV. 2. Fortsetzung: Die Entsprechensklausel
V. Der subjektive Tatbestand
VI. Die Rechtswidrigkeit
VII. Die Schuld
VIII. Ergänzung zur Tatbestandsverwirklichung: Die Besonderheiten der Beteiligung durch Unterlassen
IX. Ergänzung zur Tatbestandsverwirklichung: Die Beteiligung am Unterlassen
X. Ergänzung zur Tatbestandsverwirklichung und zur Schuld: Der Versuch und der Versuch der Beteiligung durch Unterlassen
XI. Die fakultative Strafmilderung
30. Abschnitt: Das echte Unterlassungsdelikt
3. TITEL. Die Konkurrenz
7. KAPITEL. Die scheinbare und die echte Konkurrenz
31. Abschnitt /Die scheinbare Konkurrenz (sogenannte Gesetzeskonkurrenz)
I. Die Grundbegriffe und die Grundmodelle der Konkurrenzlehre
II. Die Prinzipien der Gesetzeskonkurrenz
III. Die einzelnen Fallgruppen der Gesetzeskonkurrenz
IV. Die Wirkungen der Gesetzeskonkurrenz
32. Abschnitt: Die Einheit des Verhaltens bei der echten Konkurrenz und bei der einfachen, quantitativ erweiterten Tatbestandsverwirklichung
I. Die Einheit der Handlung im Sinn von § 52 StGB
II. Das Verhältnis der Zahl der Handlungen zur Zahl der Delikte
III. Die handlungsvereinigenden Tatbestände
IV. Die Einheitlichkeit des Verhaltens beim Unterlassungsdelikt
V. Weitere Erscheinungsformen juristischer Handlungseinheit?
33. Abschnitt: Die Idealkonkurrenz und die Realkonkurrenz
I. Die Idealkonkurrenz
II. Die Realkonkurrenz
Sachregister

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Günther Jakobs · Strafrecht, Allgemeiner Teil

Strafrecht Allgemeiner Teil Die Grundlagen und die Zurechnungslehre Lehrbuch

von Günther Jakobs 2., neubearbeitete und erweiterte Auflage

W G DE

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1991

Dr. Günther Jakobs, o. Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Bonn

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das der US-AINSI-Norm für Haltbarkeit entspricht. Die Deutsche Bibliothek



CIP-Einheitsaufnahme

Jakobs, Günther: Strafrecht, Allgemeiner Teil: die Grundlagen und die Zurechnungslehre. Lehrbuch / von Günther Jakobs. — 2., neubearb. und erw. Aufl. — Berlin; New York: de Gruyter, 1991. ISBN 3-11-011214-0

© Copyright 1991 by Walter de Gruyter & Co., 1000 Berlin 30. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Satz und Druck: H. Heenemann GmbH & Co, 1000 Berlin 42. — Bindearbeiten: Dieter Mikolai, 1000 Berlin 10.

Vorwort Das Programm der ersten Auflage wurde unverändert weitergeführt: Die strafrechtliche Begriffswelt soll nach der gesellschaftlichen Aufgabe des Strafrechts eingerichtet werden und nicht nach natürlichen oder sonstigen gesellschaftsfremden Vorgaben. Das — in der Hauptsache nachfolgend abgedruckte — V o r w o r t zur ersten Auflage skizziert, was mit diesem Ordnungsansatz gemeint ist. Die vorliegende Auflage berücksichtigt Literatur und Rechtsprechung, soweit diese bis zum 1. Oktober 1990 erschienen waren. Fand ich in den Veröffentlichungen neue Bahnen beschritten, so habe ich mich bemüht, im Text oder in den Fußnoten darauf einzugehen, also nicht nur Fundstellen zu dokumentieren (für Studierende sei vermerkt, daß dies die nebensächlichste Aufgabe des Lehrbuchs ist), sondern eine Diskussion aufzunehmen. Eine solche Vorgehensweise kostet Platz. Für jede neue Zeile eine alte zu streichen, hätte das Buch zu stark auf den heutigen T a g ausgerichtet; so blieb nur die Vergrößerung des Umfangs. Für manche Hilfe danke ich herzlich. Das Manuskript mit einigen Tausend Änderungen gegenüber der ersten Auflage hat meine Sekretärin, Frau H. Gerharz, findig in die rechte Form gebracht. — Meine wissenschaftliche Mitarbeiterin, Frau B. Dalbkermeyer, sowie meine wissenschaftlichen Mitarbeiter, die H e r r e n Dr. A. Göbel, U. Mertin, B. Müssig, M. Pawlik und Dr. K.-H. Vehling, haben die Arbeit an der Neuauflage mit klugen Diskussionsbeiträgen gefördert und bei den Korrekturen engagiert geholfen. H e r r Regierungsrat ζ. Α. H. Lesch hat zahlreiche Änderungen bei der Darstellung der Lehre von der Beteiligung angeregt. — Frau Dr. D. Walther vom Verlag Walter de Gruyter bewies viel Verständnis f ü r die Sorgen eines Autors. Bonn im April 1991

Jakobs

V

Aus dem Vorwort zur ersten Auflage Das Buch beginnt . . . mit einer Anknüpfung an Welzel, seil, an seine Lehre, das Strafrecht habe die Geltung „positiver sozialethischer Aktwerte" zu sichern (Lehrbuch S. 2). So muß man ansetzen, wenn man die Wirkungen des Strafrechts nicht nur — wie Sommer und Winter — als natürliche Vorgänge, sondern — wie Rede und Antwort — als gesellschaftliche Vorgänge verstehen will. Bei dieser Sicht besteht die Aufgabe der Strafrechtsdogmatik darin, die Sätze zu entwickeln, die man braucht, um der Straftat als einer bedeutungshaltigen T a t (einer Tat mit expressivem Gehalt) durch einen bedeutungshaltigen Akt zu widersprechen. Dieser Widerspruch ist nach einer T a t erforderlich, um die vom Täter desavouierte Normgeltung wiederherzustellen. Wie eine äußerliche Verletzung die Erscheinungsform der Λ/orwverletzung ist, so ist die Strafe die Erscheinungsform, in der eine iVonwstabilisierung stattfindet. Hier trennen sich die Wege. Die ontologisierende Strafrechtsdogmatik zerbricht, und zwar gründlicher, als sie überhaupt je bewußt etabliert worden ist. Nicht nur die Begriffe Schuld und Handlung (und viele weitere auf geringerem Abstraktionsniveau), denen die Strafrechtsdogmatik immerhin ausdrücklich ein Wesen oder — verwaschener — eine (sachlogische, vorrechtliche) Struktur zuerkannt hat, werden zu Begriffen, von denen sich ohne Blick auf die Aufgabe des Strafrechts schlechthin nichts sagen läßt, sondern selbst der Begriff des Subjekts, dem zugerechnet wird, erweist sich als ein funktionaler Begriff. Damit soll nicht behauptet werden, nunmehr sei mit der Aufgabe des Strafrechts ein Punkt gefunden, mit dessen Hilfe dogmatische Sätze ein für allemal fixiert werden könnten. Im Gegenteil, jeder strafrechtsdogmatische Satz leidet an sämtlichen Unsicherheiten,· an denen die Verständigung über die Aufgabe von Strafrecht leidet. Die Abhängigkeit ist freilich nicht einseitig: Aus der Verständigung über dogmatische Sätze kann auf die Aufgabe von Strafrecht zurückgeschlossen werden. Die hohe Dichte der systematischen Verknüpfung des Schuldbegriffs mit der Strafzwecklehre (positive Generalprävention) mag als Beleg für die Gegenseitigkeit dienen. Setzt man bei der Aufgabe des Strafrechts an und nicht beim Wesen (oder bei der Struktur) der Gegenstände von Strafrechtsdogmatik, so führt das zu einer ( R e - ) N o r mativierung der Begriffe. Ein Subjekt ist bei dieser Sicht nicht, wer ein Ereignis bewirken oder hindern kann, sondern wer dafür zuständig sein kann. Ebenso verlieren die Begriffe Kausalität, Können, Fähigkeit, Schuld u. a. m. ihren vorrechtlichen Inhalt und werden zu Begriffen für Stufen von Zuständigkeiten. Diese Begriffe geben dem Strafrecht keine Regelungsmodelle vor, sondern entstehen erst im Zusammenhang strafrechtlicher Regelungen. Selbst die Annahme, zumindest nach dieser Entstehung müsse sich der Begriff auf ein homogenes vorrechtliches Substrat beziehen (auf Bewirken, Wollen, Kenntnis etc.), erweist sich als (naturalistisches) Mißverständnis. Bei der (Re-) Normativierung geht es nicht darum, losgelöst vom gesellschaftlichen Zusammenhang Normensysteme zu entwerfen (was man freilich auch unternehmen kann); vielmehr gelten die Bemühungen dem Straf recht in einer Gesellschaft der vorhandenen Gestalt, ohne daß freilich auf Ansprüche gegenüber der Wirklichkeit verzichtet würde. Ziel ist die optimale (nicht stets restlos gelingende) Systematisierung des geltenden Strafrechts. Deshalb findet sich hier auch kein Lösungsvorschlag, der nicht praktikabel wäre. VII

Vorwort Bei der normativen Sicht verschwinden einige Probleme, die von der traditionellen Dogmatik durch den steten Blick auf den Seinszusammenhang (oder Strukturzusammenhang) erzeugt werden. Neben zahlreichen Harmonisierungen im Schuldbegriff verliert insbesondere die Entgegensetzung von Begehungsdelikten und Unterlassungsdelikten an Schärfe; beide beruhen auf Organisationszuständigkeit oder auf institutioneller Zuständigkeit. Dabei hängen vom aktuellen Stand der Organisation des Subjekts als psychophysisches System (Handeln oder Unterlassen) nur eher zweitrangige Probleme ab. Erhebliche Neuordnungen ergeben sich ferner an zahlreichen anderen Stellen, etwa bei der objektiven Zurechnung, bei der Teilnahmelehre oder bei Einzelfragen der Rechtfertigung. Das Buch ist ein Lehrbuch in dem Sinn, daß in ihm eine Lehre entwickelt wird. Hier wird nicht sogleich die Ernte eingebracht, sondern erst einmal geackert. D a die Teilnahme an der Entwicklung einer Lehre die einzige Möglichkeit ist, Strafrechtswissenschaft zu lernen, richtet sich das Buch trotz seines für Anfänger recht hohen Schwierigkeitsgrads auch an Studenten. Notfalls müssen sie eben manches dreimal oder häufiger lesen. D a f ü r werden sie danach nicht nur wissen, wie man „gefestigte" oder gar „herrschende" Lehren in die Scheuern bringt. Die vorhandenen Theorien werden hier allerdings nicht übergangen. Vielmehr ist der große Umfang des Buchs auch eine Folge des intensiven Bemühens, den Stand der Diskussion zu referieren und zu belegen. Das geschieht sowohl zur Information des Lesers als auch — mehr noch — deshalb, weil die eigenen Ansichten erst in der Auseinandersetzung mit den vorhandenen Lehren entstehen.

VIII

Inhaltsverzeichnis Verzeichnis der Abkürzungen, einschließlich der abgekürzt zitierten Literatur

XXIII

1. B U C H

Die Grundlagen 1. K A P I T E L Das staatliche Strafen 1. Abschnitt: Der Inhalt und die Aufgabe des staatlichen Strafens I. Der Begriff der Strafe II. Die Theorie der positiven Generalprävention A. Die Notwendigkeit sicherer Normgeltung B. Die Öffentlichkeit des Konflikts C. Die Bedeutung der Strafe D. Die Konflikterledigung ohne Strafe E. Ergebnis III. Die absoluten Theorien A. Die Vergeltungstheorien B. Die Sühnetheorie IV. Die relativen Theorien (die Präventionstheorien) A. Die Generalpräventionstheorien B. Die Spezialpräventionstheorien 1. Die generelle Problematik 2. Die Verletzung des Tatprinzips 3. Neuere Konzepte V. Die Vereinigungstheorien VI. Anhang : Die Aufgaben der Maßregeln der Besserung und Sicherung A. Theorien der Maßregeln B. Die Differenzierung der Maßregelfunktion

2. Abschnitt:Die

materielle Legitimation des Strafrechts

I. Das Bezugsniveau des Strafrechtsschutzes : N o r m e n als Strafrechtsgut II. Materielle Legitimation des Strafrechts durch Rechtsgüterschutz? A. Allgemeine Probleme B. Der Begriff des Rechtsguts C. Nicht auf Rechtsgüter bezogene N o r m e n III. Kritik der Lehre vom Rechtsgüterschutz IV. Vorverlagerungen V. Subsidiarität des staatlichen Strafens?

3. Abschnitt / D i e Abgrenzung der staatlichen Strafe von anderen Reaktionen öffentlichen Rechts I. Die Ordnungswidrigkeiten A. Die historische Entwicklung B. Der gegenwärtige Stand

1 5 6 6 8 9 10 13 15 15 19 20 20 22 22 24 25 27 29 30 31

34 35 37 37 39 41 44 46 48

49 49 50 53

IX

Inhaltsverzeichnis II. Die Disziplinarmaßnahmen A. Die Notwendigkeit von Disziplinarmaßnahmen B. Die Abgrenzung und die Behandlung von Überschneidungen III. Die O r d n u n g s - u n d Zwangsmittel nach den Prozeßordnungen

55 56 57 61

2. K A P I T E L Der Grundsatz der Gesetzesbindung und die Geltung des Strafrechts 4. Abschnitt /Die Gesetzesbindung und die zeitliche Geltung I. Die Funktion des Grundsatzes der Gesetzesbindung A. Der Meinungsstand B. Die Gesetzesbindung als Objektivitätsgarantie II. Die einzelnen Wirkungen des Grundsatzes der Gesetzesbindung A. Die Gesetzlichkeit der Bestimmung B. Die Bestimmtheit des Gesetzes 1. Die Relativität der Bestimmtheit zum Regelungsgegenstand 2. Die Notwendigkeit von Vorannahmen des Interpreten zum Regelungsgegenstand 3. Die Folgerungen f ü r den Gesetzgeber 4. Die Folgerungen f ü r den Gesetzesanwender a) Das Problem des Generalisierungsverbots b) Die Notwendigkeit der Systembildung 5. Gewohnheitsrecht? III. Die zeitliche Geltung, insbesondere das Rückwirkungsverbot A. Der U m f a n g der erforderlichen Geltung B. Die Ausgestaltung der zeitlichen Geltung und des Rückwirkungsverbots nach positivem Recht 1. Die Tatzeit 2. Strafen und Nebenfolgen contra Maßregeln? 3. N u r materielles Recht? 4. Die Gesetzesänderung während der Tatzeit 5. Das Zeitgesetz C. Das mildeste Gesetz . .· 1. Die Bestimmung der kontinuierlichen Geltung 2. Die Bestimmung der mildesten Variante D. Rückwirkungsverbot bei Rechtsprechungsänderung? Abschnitt: Die räumliche und personelle Geltung I. Die Prinzipien und die dogmatische Stellung A. Die Prinzipien der Geltung 1. Der Gesetzeswortlaut nach dem Besonderen Teil 2. Die beschränkenden Prinzipien der Geltung B. Die dogmatische Stellung II. Die Ausgestaltung nach geltendem Recht A. Die Anwendung der einzelnen Prinzipien B. Die Probleme des Tatorts C. Prozessuale Besonderheiten D. Das interlokale Strafrecht E. Das ehemalige Verhältnis z u r D D R

X

63 63 64 67 69 72 73 73 75 78 82 82 85 89 90 92 94 94 94 95 96 97 99 99 103 104 106 107 107 107 110 111 112 112 117 119 119 120

Inhaltsverzeichnis 2. B U C H

Die Zurechnungslehre 1. T I T E L

Der Inhalt und die Aufgabe der Zurechnung, hauptsächlich beim Begehungsdelikt 1. KAPITEL Die Tatbestandsverwirklichung 6. Abschnitt: Die Grundlagen und die Grundbegriffe der Tatbestandsverwirklichung durch Handlung I. Der Handlungsbegriff A. Die strafrechtlichen Handlungstheorien 1. Die Handlungslehre als Teil der Zurechnungslehre 2. Die Möglichkeit einer schuldlosen H a n d l u n g 3. Der kausale Handlungsbegriff 4. Der finale Handlungsbegriff 5. H a n d l u n g als äußere Finalität? B. Die Handlung als individuell vermeidbare Erfolgsverursachung 1. Die T r e n n u n g von Handlungssteuerung und Antriebssteuerung 2. Exkurs: Der soziale Handlungsbegriff 3. Die individuelle Vermeidbarkeit 4. D i e T r e n n u n g von Handlung und Unterlassung a) Die Unterscheidung b) Der gemeinsame Oberbegriff c) Negativer Handlungsbegriff? 5. Grenzprobleme 6. Das Unvermeidbare C. Deliktsfähigkeit eines Verbands, insbesondere: Verbandshandlungen? II. Der Tatbestandsbegriff A. Die Tatbestandsverwirklichung als Stufe der Zurechnung B. Die Entwicklung des Tatbestandsbegriffs C. Die dogmatische Bedeutung des Tatbestands 1. Der Begriff des Tatbestands 2. Weitere Tatbestandsbegriffe 3. Kritik der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen 4. Das Verhältnis von Tatbestand und Unrecht a) Der Grundsatz b) Problemfälle III. Das Verhältnis von Tatbestand und Handlung A. Die H a n d l u n g als gemeinsamer Mindestinhalt der Tatbestände B. Die Zugehörigkeit des tatbestandlichen Erfolgs zur H a n d l u n g und zum Unrecht 1. Das Problem 2. Kein Unrecht ohne tatbestandsmäßigen Erfolg? 3. Unrecht stets ohne tatbestandsmäßigen Erfolg? 4. Ergebnis IV. Die Gestalten der Tatbestände V. Anhang: Die gesetzestechnische Unterscheidung von Verbrechen und Vergehen . . 7. Abschnitt: Einzelheiten der Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g ; 1. Teil: Der objektive Tatbestand I. Der objektive Tatbestand als Gegenstand des Allgemeinen Teils II. Die objektive Zurechnung: Die Kausalität A. Die Äquivalenztheorie

123 123 125 125 126 129 130 135 136 136 138 139 142 142 142 143 144 148 148 150 152 153 155 155 156 156 159 159 160 163 163 164 164 165 165 167 168 180

182 182 185 185 XI

Inhaltsverzeichnis

III.

IV.

V. VI.

VII.

VIII.

Β. Kritik der Formel von der condicio sine qua non C. Kausalität als Bedingung 1. Fortsetzung: Adäquanz? A. Die Grundbegriffe B. Die Adäquanztheorie 2. Fortsetzung: Der Ausschluß bei erlaubtem Risiko A. Die Begründung des erlaubten Risikos B. Die dogmatische Stellung des erlaubten Risikos C. Einzelheiten 1. Die Bewertungsmaximen 2. Die Beurteilungsbasis 3. Fortsetzung: Der Ausschluß bei erlaubtem Vertrauen (Vertrauensgrundsatz) . . 4. Fortsetzung: Die Garantenstellung und der Ausschluß der Zurechnung beim Regreßverbot A. Die Notwendigkeit einer Garantenstellung B. Fallgruppen fehlender Zurechnung C. Die sogenannten Unterlassungsdelikte durch Begehung D. Die Pflichtdelikte 5. Fortsetzung: Risikoverwirklichung bei Risikokonkurrenz A. Die Notwendigkeit der Isolierung eines Risikos B. Die Irrelevanz von Hypothesen C. Die Relativität des Unerlaubten D. Die Bestimmung der Risikoverwirklichung 1. Die Grundregel 2. Risiken in mehrfacher Zuständigkeit 3. Uberbedingte Erfolge E. Einzelfragen zur Risikoverwirklichung F. Die Berücksichtigung hypothetischer Erfolgsursachen bei der Strafzumessung . 1. Der Grundsatz 2. Die Möglichkeit einer Strafrahmenmilderung wegen hypothetischer Erfolgsursachen (Ähnlichkeit mit abstrakter Gefährdung oder Versuch) . . . . G. Risikoerhöhung? 6. Fortsetzung: Der Ausschluß der Zurechnung bei Einverständnis, tatbestandsausschließender Einwilligung und Handeln auf eigene Gefahr A. Das Einverständnis B. Die tatbestandsausschließende Einwilligung und das Handeln auf eigene Gefahr 1. Die Abgrenzung der tatbestandsausschließenden Einwilligung von der rechtfertigenden Einwilligung 2. Der zur Einwilligung Berechtigte 3. Die Objektivierung der Einwilligung 4. Die Einwilligung bei Zwang und Irrtum 5. Die Rechts-und Sittenwidrigkeit von Tat und Einwilligung 6. Der Gegenstand und die Intensität der Einwilligung und das Handeln auf eigene Gefahr 7. Weitere Einzelheiten

8. Abschnitt:

Einzelheiten der Tatbestandsverwirklichung durch Handlung; 2. Teil: Der subjektive Tatbestand als Vorsatz

I. Der für den Vorsatz maßgebliche Zeitpunkt; Allgemeines II. Der Vorsatz als Wissen A. Der Grund der Trennung von Vorsatz und Fahrlässigkeit und das Problem der Tatsachenblindheit B. Die Unterscheidung von Hauptfolgen und Nebenfolgen C. Die Intensität des Wissens

XII

186 188 195 195 195 198 200 201 204 204 206 208 212 213 214 219 220 220 222 223 224 226 226 229 230 231 233 233 234 235 238 239 242 242 244 245 246 250 250 254

255 255 258 258 261 262

Inhaltsverzeichnis III. Die Gestalten des Vorsatzes A. Der Vorsatz bei Hauptfolgen B. Der Vorsatz bei Nebenfolgen 1. Wissentlichkeit bei Nebenfolgen 2. Bedingter Vorsatz C. Alternativer Vorsatz D. Die zur Tatbestandsverwirklichung erforderliche Vorsatzgestalt IV. Der Gegenstand des Vorsatzes und Abweichungsprobleme A. Allgemeines B. Der Vorsatz bei Blankettgesetzen 1. Das Problem 2. Die Lösung C. Die normativen Tatbestandsmerkmale als Vorsatzgegenstand 1. Das Problem 2. Die Lösung a) Die Differenzierung der Merkmale b) Die Konsequenzen für die Scheidung von Vorsatz und Unrechtsbewußtsein c) Irrtumsprobleme D. Die Kausalität als Vorsatzgegenstand 1. Die Verwirklichung des gesehenen Risikos a) Grundsatz: Übertragung der Regeln der objektiven Zurechnung . . . . b) Einzelheiten 2. Die vorzeitige Vollendung und der dolus generalis 3. Der Objektsirrtum 4. Der Individualisierungsirrtum und der Motivirrtum E. Die privilegierenden Tatbestandsmerkmale als Vorsatzgegenstand V. Die Steuerungsmerkmale und sonstige subjektive Unrechtselemente VI. Der subjektive Tatbestand aus psychologischer Sicht

9. Abschnitt: Einzelheiten der Tatbestandsverwirklichung durch Handlung; 3. Teil: Der subjektive Tatbestand als Fahrlässigkeit und als Fahrlässigkeits-Kombination

264 266 268 268 269 278 279 282 284 286 286 287 288 288 290 290 293 294 295 295 295 297 300 303 305 305 307 311

Vorsatz-

I. Die individuelle Fahrlässigkeit A. Allgemeines B. Die Fahrlässigkeit als Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung II. Kritik der objektiven Fahrlässigkeit III. Einzelprobleme der Fahrlässigkeit A. Die Ubernahmefahrlässigkeit B. Die Entscheidungsrelevanz des erkennbaren Risikos C. Die Erkennbarkeit eines objektiv zurechenbaren Risikos D. Die Leichtfertigkeit E. Die scheinbare Fahrlässigkeit F. Fahrlässigkeit und Erfolg (fahrlässiger Versuch?) IV. Die aus Vorsatz und Fahrlässigkeit zusammengesetzten Delikte (sogenannte V o r satz-Fahrlässigkeits-Kombinationen)

10. Abschnitt: Die objektiven Bedingungen (der Ausschließung) des Unrechts oder seiner Straftatbestandlichkeit I. Die nur-objektiven Bedingungen des Unrechts oder seiner Straftatbestandlichkeit (die sogenannten objektiven Strafbarkeitsbedingungen) A. Das Problem B. Die Dogmatik der Bedingungen des Unrechts und der Straftatbestandlichkeit .

313 315 315 318 320 323 323 324 324 326 327 328 328

335 335 335 337 XIII

Inhaltsverzeichnis II. Die rollenbezogenen Bedingungen der Ausschließung des Unrechts oder seiner Straftatbestandlichkeit (die sogenannten persönlichen Ausnahmen von der Strafbarkeit) A. Die Abgrenzung zu den Verfahrenshindernissen B. Die rollenbezogenen Bedingungen C. Die Abgrenzung zu anderen materiellrechtlichen oder komplexen Bestrafungshindernissen

340 341 343 344

2. K A P I T E L Die Rechtfertigung 11. Abschnitt:

Die allgemeinen Lehren

I. Die Prinzipien der Rechtfertigung II. Das Postulat der „Einheit der Rechtsordnung" III. Die Bestimmung prospektiver und auf Verdacht abstellender Rechtfertigungsmerkmale IV. Die K o n k u r r e n z von Rechtfertigungsgründen V. Die subjektive Seite der Rechtfertigung A. Die sogenannte Rechtfertigungstendenz und die Unkenntnis der Merkmale eines Rechtfertigungstatbestands B. Zur Prüfungspflicht . . . : C. Die ungewisse Vorstellung von einer Rechtfertigungslage D. Die Rechtfertigung bei Fahrlässigkeitstaten E. Der Subsumtionsirrtum bei Merkmalen des Rechtfertigungstatbestands und der Bestandsirrtum (der indirekte Verbotsirrtum) F. Die Besonderheiten bei den normativen Merkmalen des Rechtfertigungstatbestands G. Die irrige Annahme der Verwirklichung eines Rechtfertigungstatbestands . . . VI. Die relative Rechtfertigung ; 2. Abschnitt: Die N o t w e h r I. II. III. IV. V. VI. VII.

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Vorbemerkungen Die notwehrfähigen Güter, die Staatsnotwehrhilfe Der rechtswidrige Angriff Die Gegenwärtigkeit des Angriffs Die Abwehr des Angriffs Die Erforderlichkeit der Abwehr Die Einschränkung des Notwehrrechts A. Einschränkung durch die Menschenrechtskonvention? B. Die Sondernormen f ü r hoheitliches Handeln C. Die Einschränkung der Notwehr neben hoheitlichem Handeln D. Die Einschränkung durch die Garantie der Mindestsolidarität E. Die Einschränkung wegen vorangegangenen Provokationsverhaltens F. Die Einschränkung durch Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit VIII. Die Besonderheiten der Notwehrhilfe IX. Die Wirkungen der Notwehr

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13. Abschnitt: Der rechtfertigende Notstand

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I. Die Arten des Notstands im Überblick II. Der aggressive Notstand nach § 34 StGB A. Die notstandsfähigen Güter, Staatsnotstandshilfe B. Die gegenwärtige Gefahr C. Die Erforderlichkeit D. Die Abwägung der widerstreitenden Interessen E. Die Angemessenheitsklausel III. Die Besonderheiten des defensiven Notstands XIV

408 412 414 415 417 419 427 431

Inhaltsverzeichnis 14. Abschnitt:Die

rechtfertigende Einwilligung

I. Der G r u n d der Strafbefreiung II. Einzelheiten

433 434 437

15. Abschnitt .'Grenzbereiche zu Notwehr, Notstand und Einwilligung I. Das Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 G G II. Recht auf zivilen Ungehorsam? III. Die Pflichtenkollision IV. Das Handeln im Interesse und mit mutmaßlicher Einwilligung des Verletzten . . . . 16. Abschnitt / D i e Amtsrechte und weitere Rechtfertigungsgründe besonderer Regelungsbereiche I. Die Amtsrechte II. Das Handeln auf Anweisung (die dienstliche A n o r d n u n g und der militärische Befehl) III. Die delegierten Amtsrechte (das Handeln pro magistratu) IV. Die behördliche Erlaubnis (einschließlich der tatbestandsausschließenden Erlaubnis) V. Die parlamentarischen Berichte VI. Das Züchtigungsrecht VII. Die W a h r n e h m u n g berechtigter Interessen

441 441 443 444 449

453 454 457 459 462 465 465 467

3. K A P I T E L Die Schuld 17. Abschnitt: Allgemeine Lehren I. Übersicht II. Der psychologische und der normative Schuldbegriff A. Der psychologische Ansatz B. Normativierung C. Die Schuldlehre des Finalismus D. Der gegenwärtige Stand III. Die Begründung eines funktionalen Schuldbegriffs A. Die Aufgabe des Schuldbegriffs B. Die Irrelevanz der Willensfreiheit C. Beispielhafte Fallgruppen D. Die Bedeutung des Schuldgrundsatzes f ü r die Strafbegründung und das Strafmaß E. Tatschuld und Lebensführungsschuld IV. Der Aufbau des Schuldbegriffs A. T r e n n u n g von Schuld und Verantwortung? B. Der Schuldtatbestand 1. Die Notwendigkeit eines Schuldtatbestands 2. Die einzelnen Merkmale des Gesamtschuldtatbestands im Uberblick: Der positive Schuldtatbestand 3. Fortsetzung : Die Unzumutbarkeit (der negative Schuldtatbestand) V. Die Abhängigkeit des Schuldzeitpunkts und des Schuldmaßstabs vom Vorverhalten A. Das Problem B. Der Vollrausch C. Actio libera in causa: Die causa libera als Tathandlung D. Zu verantwortende Erschwerung der N o r m b e f o l g u n g : Zumutbarkeit 1. Zumutbarkeit als Zuständigkeit 2. Unterschiedliche Zuständigkeit des Täters und des Tatbegünstigten

468 468 470 470 471 474 475 476 480 484 486 487 489 491 492 493 493 495 497 499 500 502 506 509 509 512

XV

Inhaltsverzeichnis VI. Der Irrtum über Voraussetzungen und Folgen des Schuldtatbestands; insbesondere : Der Irrtum über Entschuldigungsvoraussetzungen als Entschuldigungsgrund A. Der Irrtum über die Rechtsfolge B. Der Irrtum über die Voraussetzungen 18. Abschnitt:

Die Zurechnungsunfähigkeit und die im Zusammenhang mit ihr geregelten Fälle der Unzumutbarkeit (§§ 19, 20, 21 StGB)

I. Die Zurechnungsunfähigkeit der Kinder und bei Jugendlichen II. Die Schuldunfähigkeit (Zurechnungsunfähigkeit und bereichsweise Unzumutbarkeit) nach § 20 StGB A. Überblick B. Die krankhafte seelische Störung C. Der Schwachsinn D. Die Bewußtseinsstörung und die Abartigkeit 1. Nochmals: Zur Trennung von Zurechnungsunfähigkeit und Unzumutbarkeit bei § 20 StGB 2. Die tiefgreifende Bewußtseinsstörung 3. Die schwere seelische Abartigkeit E. Die normative Konsequenz (die Einsichts- und Befolgungsfähigkeit) III. Die sogenannte verminderte Schuldfähigkeit (die partielle Unzumutbarkeit) nach § 21 StGB 19. Abschnitt: Die Unrechtseinsicht und der Verbotsirrtum

513 513 513

517 521 522 522 524 526 527 527 529 531 534 536 540

I. Die Regelungsmodelle im Überblick und der Gang der Rechtsprechung A. Grundbegriffe und historische Entwicklung B. Umriß der Theorie des Verbotsirrtums bei einem funktionalen Schuldbegriff . . II. Kritik starrer Modelle und vorsatztheoretischer Modelle III. Die elastische Schuldtheorie IV. Die Unrechtseinsicht V. Die fehlende Unrechtseinsicht (Verbotsirrtum), Irrtumsformen VI. Der Begriff der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums A. Die Vermeidbarkeit als Zuständigkeit für den Defekt B. Einzelheiten VII. Die rechtliche Folge des Verbotsirrtums VIII. Der entschuldigende Irrtum über die Verbindlichkeit eines Befehls

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20. /IfecAniti.· Die Unzumutbarkeit I. Der entschuldigende Notstand (§ 35 StGB) A. Notstandstheorien B. Die einzelnen Voraussetzungen der Entschuldigung C. Die Hinderung der Entschuldigung bei Zuständigkeit des Täters für den Konflikt D. Die Strafmilderung II. Die Zumutbarkeit beim Überzeugungstäter (Gewissenstäter) A. Die Gestalten der Überzeugung B. Die Voraussetzungen der Entschuldigung III. Der Notwehrexzeß A. Die Theorie des Entschuldigungsgrunds B. Die Voraussetzungen der Entschuldigung IV. Die Besonderheiten der Zumutbarkeit beim Fahrlässigkeitsdelikt V. Die Entschuldigung bei Interessenkollision (der sogenannte übergesetzliche, entschuldigende Notstand) VI. Unspezifizierte Unzumutbarkeit als Entschuldigungsgrund?

567 567 568 571

XVI

573 575 576 577 580 582 582 583 586 587 590

Inhaltsverzeichnis 4. K A P I T E L Ergänzung zurTatbestandsverwirkiichung: Die Beteiligung 21. Abschnitt: Die Täterschaft I. Differenzierung der Beteiligten oder Einheitstäterschaft? II. Die Voraussetzungen von Täterschaft in Sonderfällen (die deliktsspezifischen Tätermerkmale und die Vertreterhaftung) A. Die deliktsspezifischen Tätermerkmale B. Die Vertreterhaftung III. Die Tatbestände der Täterschaft bei Herrschaftsdelikten A. Die Täterschaftsformen im Überblick B. Die Problematik der eigenhändigen Delikte C. Die Täterschaftstheorien 1. Die formell-objektive Theorie 2. Altere materielle Theorien 3. Die subjektive Theorie 4. Die Tatherrschaftslehre IV. 1. Fortsetzung: Das Selbst-Begehen, § 25 Abs. 1,1. Fallgruppe StGB V. 2. Fortsetzung: Das gemeinschaftliche Begehen (die Mittäterschaft), § 2 5 Abs. 2 StGB A. Der gemeinsame Tatentschluß B. Die objektive Seite des gemeinsamen Begehens 1. Die Bestimmung der anteiligen H e r r s c h a f t 2. Problematische Fallgruppen 3. Die täterschaftliche Beteiligung an einer Selbstverletzung C. Die Konsequenzen von Mittäterschaft VI. 3. Fortsetzung: Das Begehen durch einen anderen (die mittelbare Täterschaft), § 25 Abs. 1,2. Fallgruppe StGB A. Die Begründung der vorrangigen Zuständigkeit des mittelbaren Täters (überlegene Entscheidungsherrschaft) B. Die Fallgruppen mittelbarer Täterschaft 1. Die mittelbare Täterschaft durch ein W e r k z e u g ohne Tatbestandsvorsatz . . 2. Die mittelbare Täterschaft bei quasi-unvorsätzlicher Handlung, insbesondere Selbstverletzung des Werkzeugs 3. Die mittelbare Täterschaft durch ein gerechtfertigt handelndes Werkzeug . 4. Die mittelbare Täterschaft durch ein quasi-gerechtfertigt handelndes W e r k zeug 5. Die mittelbare Täterschaft durch ein schuldlos handelndes Werkzeug . . . . 6. Die mittelbare Täterschaft bei Selbstverletzung eines quasi-schuldlosen Werkzeugs 7. Weitere Fallgruppen? C. Die Konsequenzen der mittelbaren Täterschaft VII. Schluß A. Die Nebentäterschaft B. Die Beteiligungsformen der Teilnahme C. Die Beteiligung bei Fahrlässigkeit VIII. Die Täterschaft bei den Pflichtdelikten

22. Abschnitt: Die Teilnahme I. Der Strafgrund der Teilnahme A. Die Korrumpierungstheorie B. Die Unrechtsteilnahmetheorie C. Die Verursachungstheorie D. Die Theorie der erfolgsbezogenen Unrechtsteilnahme

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657 657 657 658 658 659

XVII

Inhaltsverzeichnis II. Die Abhängigkeit der Teilnahme von der Haupttat A. Die Voraussetzungen der Haupttat B. Die äußere (quantitative) Akzessorietät III. Die Anstiftung A. Die Besonderheit der Teilnahme durch Anstiftung B. Einzelheiten IV. Die Beihilfe A. Die Kausalität der Beihilfe B. Der Zeitpunkt der Beihilfe C. Restfragen 23. Abschnitt: Die innere (qualitative) Akzessorietät bei akzessorischer Beteiligung (Mittäterschaft und Teilnahme) I. Das Problem II. Der Lösungsweg A. Kritik der Lösungsvorschläge der Literatur B. Eigene Lösung: Die Beschränkung der besonderen persönlichen Merkmale auf Sonderpflichten und Eigenhändigkeit 1. Entgegensetzung von subjektiven Merkmalen und Sonderpflichten 2. Die Höchstpersönlichkeit subjektiver Merkmale 3. Die beschränkte Akzessorietät der Sonderpflichten und der Eigenhändigkeit; Abgrenzungen III. Das Ergebnis A. Strafbarkeitsbegründende Merkmale B. Strafbarkeitsmodifizierende Merkmale 24. Abschnitt: Gemeinsame Regeln für Täterschaft und Teilnahme I. Die Verwirklichung des Risikos der vorsätzlichen Beteiligung, insbesondere : Der Irrtum über die Beteiligtenrolle II. Die sogenannte notwendige Teilnahme (die Beteiligung ohne Haftung) III. Das Regreßverbot (die scheinbare Beteiligung) A. Der Meinungsstand B. Die Begründung des Regreßverbots, Fallgruppen

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677 678 681 681 682 682 683 687 688 688 690 691 692 694 696 696 697

5. KAPITEL Ergänzung zur Tatbestandsverwirklichung und zur Schuld : Der Versuch und der Beteiligungsversuch 25. Abschnitt: Der Versuch I. Die Grenzen der Vorverlagerung der Strafbarkeit II. Die Stufen des Delikts A. Die Grundbegriffe, der Versuch als formeller Begriff B. Die Unternehmensdelikte 1. Die echten Unternehmensdelikte 2. Die unechten Unternehmensdelikte C. Die Vorbereitung D. Die Beendigung III. Der Strafgrund des (formellen) Versuchs A. Der Meinungsstand B. Der Versuch als expressiver und tatbestandsnaher Normbruch IV. Der subjektive Tatbestand beim Versuch A. Die Beschränkung auf Vorsatzdelikte B. Die Tatentschlossenheit XVIII

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Inhaltsverzeichnis C. Die T a t als Gegenstand der Entschlossenheit 1. Die Tauglichkeit in subjektiver Sicht 2. Die Abgrenzung von Versuch und Wahndelikt a) Der Grundsatz b) Die normativen Tatbestandsmerkmale c) Die irrige Annahme von Sonderpflichten d) Zusammenfassung V. Der objektive Tatbestand beim unbeendeten Versuch; die Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch A. Das Ansetzen z u r Tatbestandsverwirklichung B. Die Unmittelbarkeit C. Die Bedeutung der Vorstellung des Versuchstäters D. Konkretisierungen VI. Der objektive Tatbestand beim beendeten Versuch A. Das Problem B. Die'Lösung VII. Die Bestrafjang des Versuchs A. Der U m f a n g der Strafbarkeit und die Kannmilderung B. Der grob unverständige Versuch

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26. Abschnitt:Der Rücktritt I. Die dogmatische Stellung und der Grund der Strafbefreiung II. Der Rücktrittstatbestand beim ausführenden Täter A. Der unbeendete Versuch . . . B. Die Grenze von unbeendetem und beendetem Versuch C. Der.beendete Versuch III. Der Rücktrittstatbestand bei Beteiligung IV. Die Zurechenbarkeit des Rücktrittsverhaltens : Die Freiwilligkeit A. Der Meinungsstand B. Die Lösung der Problematik V. Die Wirkung des Rücktritts

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27, Abschnitt: Der Versuch der Beteiligung

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I. Der Strafgrund des Beteiligungsversuchs II. Die einzelnen Tatbestände des Beteiligungsversuchs A. Die sogenannte versuchte Anstiftung, § 30 Abs. 1 StGB B. Die Annahme des Sich-Erbietens, § 30 Abs. 2,2. Fallgruppe StGB C. Das Sich-Bereiterklären, § 30 Abs. 2,1. Fallgruppe StGB D. Die Verabredung, § 30 Abs. 2,3. Fallgruppe StGB III. Die Strafbarkeit der Beteiligung nach § 30 StGB IV. Der Rücktritt vom Versuch der Beteiligung

766 767 767 769 770 770 771 771

2. T I T E L

Der Inhalt und der Aufbau der Zurechnung, hauptsächlich beim Unterlassungsdelikt 6. KAPITEL Die Zurechnung beim Unterlassungsdelikt 28. Abschnitt:Handlung und Unterlassung I. Die T r e n n u n g von Handlung und Unterlassung A. Die Prinzipien der T r e n n u n g B. Fallgruppen II. Die gesetzlichen Tatbestände von Unterlassungsdelikten III. Das Problem der Sonderpflicht bei der begehungsgleichen Unterlassung

775 775 775 777 779 781

XIX

Inhaltsverzeichnis 29. Abschnitt . D a s unechte Unterlassungsdelikt I. Der Regelungsumfang von § 13 Abs. 1 StGB II. Die objektive Zurechnung A. Der Erfolgssachverhalt B. Die Täterstellungen C. Die Abwendungsfähigkeit D. Die hypothetische Kausalität E. Erlaubtes Risiko, Normzweckzusammenhang III. 1. Fortsetzung: Die Garantenstellungen A. Überblick B. Die Pflichten kraft Organisationszuständigkeit 1. Die Sicherungspflichten bei Verkehrspflichten und Ingerenz a) Die Begründung der Pflichten b) Grenzfragen 2. Die Rettungspflichten bei Verkehrspflichten und Ingerenz 3. Die Übernahme von Pflichten, Obliegenheiten und Handlungsbereitschaften ; zugleich : Die Befreiung eines primär Verpflichteten durch Übernahme . 4. Die Pflichten kraft Organisationszuständigkeit zur Hinderung von Selbstverletzungen C. Die Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit 1. Das Problem 2. Das Eltern-Kind-Verhältnis 3. Die Ehe 4. Die Ersatzverhältnisse 5. Das besondere Vertrauen 6. Die genuin staatlichen Pflichten a) Staatliche Gewaltverhältnisse b) Staatszwecke IV. 2. Fortsetzung: Die Entsprechensklausel V. Der subjektive Tatbestand A. Der Unterlassungsvorsatz B. Die Unterlassungsfahrlässigkeit VI. Die Rechtswidrigkeit VII. Die Schuld VIII. Ergänzung z u r Tatbestandsverwirklichung: Die Besonderheiten der Beteiligung durch Unterlassen A. Pflichten kraft Organisationszuständigkeit B. Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit IX. Ergänzung zur Tatbestandsverwirklichung: Die Beteiligung am Unterlassen . . . . X . Ergänzung zur Tatbestandsverwirklichung und zur Schuld : Der Versuch und der Versuch der Beteiligung durch Unterlassen A. Der Versuch B. Der Rücktritt C. Der Beteiligungsversuch XI. Die fakultative Strafmilderung 30. Abschnitt: Das echte Unterlassungsdelikt A. Die Vollendung B. Der Versuch und der Rücktritt

XX

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Inhaltsverzeichnis 3. T I T E L

Die Konkurrenz 7. K A P I T E L Die scheinbare und die echte Konkurrenz 31. Abschnitt:Die

scheinbare Konkurrenz (sogenannte Gesetzeskonkurrenz)

861

I. Die Grundbegriffe und die Grundmodelle der Konkurrenzlehre II. Die Prinzipien der Gesetzeskonkurrenz A. Die Spezialität als Form der Gesetzeskonkurrenz 1. Der Grundsatz 2. Die Beschränkung der Gesetzeskonkurrenz auf Fallgruppen eines Delikts . B. Die Gründe für die Annahme von Gesetzeskonkurrenz III. Die einzelnen Fallgruppen der Gesetzeskonkurrenz A. Die Spezialität kraft Beschreibungsintensität B. Die Spezialität kraft Vollendungsdichte, Beteiligungs- und Erfolgsintensität (Subsidiarität) C. Die Spezialität zur Begleittat (Konsumtion) D. Die Spezialität kraft Vorgriffs (mitbestrafte Nachtat) IV. Die Wirkungen der Gesetzeskonkurrenz

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32. Abschnitt: Die Einheit des Verhaltens bei der echten Konkurrenz und bei der einfachen, quantitativ erweiterten Tatbestandsverwirklichung

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I. Die Einheit der Handlung im Sinn von § 52 StGB A. Die Einheit der H a n d l u n g im „natürlichen" Sinn B. Die juristische Handlungseinheit als Erweiterung der Einheit der „natürlichen" Handlung II. Das Verhältnis der Zahl der Handlungen zur Zahl der Delikte A. Die Mehrheitstheorie B. Keine mehrfache Gesetzesverletzung bei bloßer Quantitätssteigerung III. Die handlungsvereinigenden Tatbestände IV. Die Einheitlichkeit des Verhaltens beim Unterlassungsdelikt V. Weitere Erscheinungsformen juristischer Handlungseinheit? A. Die Sammelstraftat B. Die natürliche Handlungseinheit C. Der Fortsetzungszusammenhang 33. Abschnitt:Die

Idealkonkurrenz und die Realkonkurrenz

I. Die Idealkonkurrenz A. Die kumulierte Zurechnung B. Fallgruppen der Idealkonkurrenz C. Kritik der Klammerwirkung II. Die Realkonkurrenz A. Der Grundsatz der Gesamtstrafenbildung B. Der Vorgang der Gesamtstrafenbildung Sachregister

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XXI

Verzeichnis der Abkürzungen, einschließlich der abgekürzt zitierten Literatur Bei Periodika bezeichnen vierstellige Zahlen das Jahr, kleinere die Band- oder Jahrgangsnummer. Fundstellen von Gesetzen werden, soweit erforderlich, in den Fußnoten genannt. Zitate aus Kommentaren erfolgen in den Fußnoten ohne Titelangabe; ansonsten werden Buchtitel abgekürzt wiedergegeben. Zitate ohne besonderen Zusatz beziehen sich auf die letzte angegebene Auflage ¿es Werks.

a. A. aaO Ahegg Lehrbuch Abs. Abschn AcP a. E. AE AE Sterbehilfe AE Wirtschaftsstrafrecht a. F. AG AIFO a. 1. i. c. ALR AK-Bearbeiter

Anm. AO AöR Archiv f ü r Strafrecht Arndt-Festschrift ARSP Art. Arzt und Krankenhaus Arzt-WeberBT AT

anderer Ansicht am angegebenen O r t /. F. Ahegg Lehrbuch der Strafrechts-Wissenschaft, 1836 Absatz, Absätze Abschnitt Archiv f ü r die zivilistische Praxis am Ende J. Baumann u. a. Alternativentwurf eines Strafgesetzbuches AT, 1966 /. Baumann u. a., Alternativentwurf eines Gesetzes über Sterbehilfe, 1986 E. J. Lampe u. a. Alternativentwurf eines Strafgesetzbuches BT, Straftaten gegen die Wirtschaft, 1977 alte Fassung; alte Folge Amtsgericht AIDS-Forschung (Zeitschrift) actio libera in causa Allgemeines Landrecht f ü r die Preußischen Staaten (1794) Kommentar zum Strafgesetzbuch Bd. I, bearbeitet von W. Hassemeru. a., 1990; Bd. III, bearbeitet von H.Jung u. a., 1986 (Reihe Alternativkommentare) Anmerkung Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Archiv f ü r preußisches Strafrecht, siehe GA H. Ehmke u. a. (Hrsg.) Festschrift f ü r Adolf Arndt, 1969 Archiv f ü r Rechts- und Sozialphilosophie Artikel Arzt und Krankenhaus, Fachzeitschrift für das Krankenhauswesen G. Arzt, U. Weber Strafrecht Besonderer Teil Bd. I, 3. Auflage 1988; Bd. II, 1983; Bd. III, 2. Auflage 1986; Bd. IV, 2. Auflage 1989; Bd. V, 1982 Allgemeiner Teil XXIII

Abkíirzungs- und Literaturverzeichnis AtomG Bärmann-Festschrift Baumann- Weber KV BayObLG BayPAG BBG Bd. BDH

BDO Beling Grundzüge Bengel-Festschrift f e r n e r Straf recht BGB BGBl. I, II BGB-RGRK-Bearbeiter BGH

B G H bei Daliinger, u. a. m. BGH-Festschrift BGHZ

BierStG Binding-Festschrift Binding H a n d b u c h Binding Lehrbuch

Binding N o r m e n

ΒJagdG Blau-Festschrift Blei AT, BT XXIV

Holtz

Atomgesetz M. Lutter u. a. (Hrsg.) Festschrift f ü r Johannes Bärmann, 1975 /. Baumann, U. Weber Strafrecht Allgemeiner Teil, 9. Auflage 1985 Bayerisches Oberstes Landesgericht; Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen, Neue Folge, hrsg. von Mitgliedern des Gerichts Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei Bundesbeamtengesetz Band, Bände (arabische Zahl in Klammern: Nummer des Teilbands) Bundesdisziplinarhof; Entscheidungen des Bundesdisziplinarhofes, hrsg. von Mitgliedern des Bundesdisziplinarhofes Bundesdisziplinarordnung E. Beling Grundzüge des Strafrechts, 2. Auflage 1902; 10. Auflage 1928; 11. Auflage 1930 A. R. Lang (Hrsg.) Festschrift f ü r Karl Bengel, 1984 A. F. Berner Lehrbuch des Strafrechts, 18. Auflage 1898 Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Teil I, Teil II Das Bürgerliche Gesetzbuch, Kommentar hrsg. von Mitgliedern des Bundesgerichtshofs Bd. 1,12. Auflage 1982 Bundesgerichtshof in Strafsachen; Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen, hrsg. von den Mitgliedern des Bundesgerichtshofes und der Bundesanwaltschaft Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen nach dem Referat des jeweils genannten Autors a a O G. Krüger-Nieland (Hrsg.) 25 Jahre Bundesgerichtshof, 1975 Bundesgerichtshof in Zivilsachen; Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen, hrsg. von den Mitgliedern des Bundesgerichtshofes und der Bundesanwaltschaft Biersteuergesetz Festschrift für Karl Binding Bd. I, II, 1911 K. Binding H a n d b u c h des Strafrechts Bd. 1,1885 K. Binding Lehrbuch des Gemeinen Deutschen Strafrechts, Besonderer Teil Bd. I, 2. Auflage 1902; Bd. II (1), 1904; II (2), 1905 K. Binding Die N o r m e n und ihre Übertretung Bd. I, 1872; 4. Auflage 1922; Bd. II, 1877; 2. Auflage (1) 1914, (2) 1916; Bd. III, 1918; Bd. IV, 1919 Bundesjagdgesetz H.-D. Schwind u. a. (Hrsg.) Festschrift für Günter Blau, 1985 H.Blei Strafrecht Bd. I Allgemeiner Teil, 18. Auflage 1983; Bd. II Besonderer Teil, 12. Auflage 1983

Abkürzungs- und Literaturverzeichnis Blutalkohol Bockelmann- Volk AT, Bockelmann BT

Blutalkohol. Alcohol, Drugs and Behavior (Zeitschrift) P. Bockelmann, Κ. Volk Strafrecht Allgemeiner Teil, 4. Auflage 1987; P. Bockelmann Strafrecht Besonderer Teil Bd. 1,2. Auflage 1982; Bd. II, 1977; Bd. III, 1980 Arthur Kaufmann u. a. (Hrsg.) Festschrift f ü r Paul BokBockelmann-Festschrift kelmann, 1979 Bundesrat BR Bundesrechtsanwaltsordnung BRAO Beamtenrechtsrahmengesetz BRRG W. Frisch u. a. (Hrsg.) Festschrift f ü r Hans-Jürgen Bruns-Festschrift Bruns, 1978 R. Bruns-Gedächtnisschrift J. Baltzer u. a. (Hrsg.) Gedächtnisschrift f ü r Rudolf Bruns, 1980 Bundes-Seuchengesetz BSeuchG Bundessozialhilfegesetz BSHG Besonderer Teil; Bundestag BT Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln BtMG D. Schultz u. a. (Hrsg.) Festschrift zum 25jährigen BesteBund-gegen-Alkoholhen des Bundes gegen Alkohol im Straßenverkehr, 1982 im-StraßenverkehrFestschrift BVerfG Bundesverfassungsgericht; Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, hrsg. von den Mitgliedern des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über das Bundesverfassungsgericht BVerfGG Bundesverwaltungsgericht; Entscheidungen des BundesBVerwG verwaltungsgerichts, hrsg. von den Mitgliedern des Gerichts Carstens-Festschrift P. Börners, a. (Hrsg.) Einigkeit und Recht und Freiheit. Festschrift für Karl Carstens, 1984 N. Horn (Hrsg.) Europäisches Rechtsdenken in GeCoing-Festschrift schichte und Gegenwart, Festschrift f ü r Helmut Coing Bd. 1,1982 Digesta D. DAR Deutsches Autorecht ders. derselbe d. h. das heißt dies. dieselbe(n) Dissertation Diss. Deutsche Justiz, Rechtspflege und Rechtspolitik, AmtliDJ ches Organ des Reichsministers der Justiz Deutscher Juristentag DJT Ε. v. Caemmerer u. a. (Hrsg.) H u n d e r t Jahre Deutsches DJT-Festschrift Rechtsleben, Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages Bd. I, II, 1960 Festschrift der Juristischen Fakultät der Freien Universi41. DJT-Festschrift tät Berlin zum 41. Deutschen Juristentag, 1955 Die öffentliche Verwaltung DÖY A. Graf zu Dohna Der Aufbau der Verbrechenslehre, 4. Auflage 1950 Dohna Aufbau Deutsches Recht DR XXV

Abkürzungs- und Literaturverzeichnis Dreher-Festschrift Dreher- Tröndle DRiG DRiZ DRZ DStr. Dünnebier-Festschrift DVB1. E 1962 EbertKT EGGVG EGMR EGStGB Eichenberger-Festschrift

Einführung Eisenberg J G G Emge-Festschrift Engisch-Festschrift Epirrhosis (C. Schmitt-Festgabe) EStG etc. f, ff Faller-Festschrift FamRZ

Feuerbach Lehrbuch

Fn. Forensia Frank Frank-Festgabe Franzen-Gast-Samson XXVI G, Ges.

H.-H. Jescheck u. a. (Hrsg.) Festschrift f ü r Eduard Dreher, 1977 E. Dreher, H. Tröndle Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 44. Auflage 1988 Deutsches Richtergesetz Deutsche Richterzeitung Deutsche Rechts-Zeitschrift Deutsches Strafrecht (Zeitschrift) E.-W. Hanack u. a. (Hrsg.) Festschrift für H a n n s Dünnebier, 1982 Deutsches Verwaltungsblatt Regierungsentwurf eines Strafgesetzbuches mit Begründung, BT-Drucksache IV/650, BR-Drucksache 200/62 U. Ebert Strafrecht Allgemeiner Teil, 1985 Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Europäischer Gerichtshof f ü r Menschenrechte Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch G. Müller u. a. (Hrsg.) Staatsorganisation und Staatsfunktionen im Wandel. Festschrift f ü r Kurt Eichenberger, 1982 C. Roxin, W. Stree, H. Zipf, H. Jung Einführung in das neue Strafrecht, 2. Auflage 1975 U. Eisenberg Jugendgerichtsgesetz, 3. Auflage 1988 U. Klug (Hrsg.) Festschrift zum 70. Geburtstag von Carl August Emge, 1960 P. Bockelmann u. a. (Hrsg.) Festschrift f ü r Karl Engisch, 1969 H. Barion u. a. (Hrsg.) Epirrhosis, Festgabe f ü r C. Schmitt, 1968 Einkommensteuergesetz et cetera folgende W. Zeidler u. a. (Hrsg.) Festschrift für H a n s Joachim Faller, 1984 Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht; Zeitschrift f ü r das gesamte Familienrecht A. Ritter v. Feuerbach Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen Peinlichen Rechts, 14. Auflage, hrsg. von C. / . A. Mittermaier, 1847 Fußnote Forensia. Interdisziplinäre Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie und Recht R. Frank Das Strafgesetzbuch f ü r das Deutsche Reich, 1897; 3. und 4. Auflage 1903; 18. Auflage 1931 A. Hegler (Hrsg.) Beiträge zur Strafrechtswissenschaft, Festgabe f ü r Reinhard von Frank, Bd. I, II, 1930 K. Franzen, B. Gast-de Haan, E. Samson Steuerstrafrecht mit Steuerordnungswidrigkeiten, 3. Auflage 1985 Gesetz

A b k ü r z u n g s - und Literaturverzeichnis GA Gallas-Festschrift Geilen A T GG Gleispach-Festschrift

GmbHG Göppinger-Festschrift

Göppinger Kriminologie Grünhut-Erinnerungsgabe Grützner-Geburtstagsgabe

GS Güterbock-Festgabe GVB1. GVG GWB Hälsebner

Straîrecht

Haft KT, B T Hallermann-Festschrift HansOLG Hassemer E i n f ü h r u n g Heinitz-Festschrift Henkel-Festschrift HESt.

v. d. Heydte-Festschrift

HGB v. Hippel Straf recht

Archiv f ü r Strafrecht, begründet von Tb. Goltdammer; G o l t d a m m e r ' s Archiv f ü r Strafrecht K. Lackner u. a. (Hrsg.) Festschrift f ü r Wilhelm Gallas, 1973 G. Gei/e« Strafrecht Allgemeiner Teil, 4. Auflage 1979 Grundgesetz f ü r die Bundesrepublik Deutschland G. Dabm, W. Gallas, F. Schaffstein, E. Schinnerer, K. Siegert, L. Zimmerl G e g e n w a r t s f r a g e n der Strafrechtswissenschaft, Festschrift zum 60. Geburtstag von Graf W . Gleispach, 1936 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung H. ]. Kerner u. a. (Hrsg.) Kriminalität. Persönlichkeit, Lebensgeschichte u n d Verhalten. Festschrift f ü r H a n s Göppinger, 1990 H. Göppinger Kriminologie, 4. Auflage 1980 H. Kaufmann u. a. (Hrsg.) Erinnerungsgabe f ü r Max G r ü n h u t , o. J. D. Oebler u. a. ( H r s g . ) Aktuelle Probleme des Internationalen Strafrechts, H e i n r i c h G r ü t z n e r z u m . . . 65. Geburtstag, 1970 D e r Gerichtssaal; G r o ß e r Senat Festgabe f ü r D r . Karl G ü t e r b o c k , 1910 Gesetz- und V e r o r d n u n g s b l a t t Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen W e t t b e w e r b s b e s c h r ä n k u n g e n H. Hälschner D a s gemeine deutsche S t r a f r e c h t Bd. I, 1881 ; Bd. II (1) 1884; (2) 1887 F. Haft Strafrecht Allgemeiner Teil, 4. Auflage 1990; Besonderer Teil, 3. Auflage 1988 ]. Gerchow (Hrsg.) An den G r e n z e n von Medizin und Recht, Festschrift z u m 65. Geburtstag von . . . Wilhelm H a l l e r m a n n , 1966 Hanseatisches Oberlandesgericht W. Hassemer E i n f ü h r u n g in die G r u n d l a g e n des Strafrechts, 1981 H. Lüttger u. a. (Hrsg.) Festschrift f ü r Ernst Heinitz, 1972 C. Roxin u. a. (Hrsg.) G r u n d f r a g e n der gesamten Strafrechtswissenschaft, Festschrift f ü r H e i n r i c h H e n k e l , 1974 Höchstrichterliche Entscheidungen, Sammlung von Entscheidungen der Oberlandesgerichte und Obersten Gerichte in Strafsachen H. Kipp u. a. (Hrsg.) U m Recht und Freiheit, Festschrift f ü r Friedrich August Freiherr von der H e y d t e Bd. II, 19 77 Handelsgesetzbuch R.V.Hippel Deutsches Strafrecht Bd. I, 1925; Bd. II, 1930 XXVII

Abktirzungs- und Literaturverzeichnis E. Hirsch-Festschrift Honig-Festschrift HRR H r s g . (hrsg.) Hruschka A T Hübner-Festschrift i. e. IKV IRG i. V. m. JA /escheck A T

Jescheck-Festschrift JGG Jherings E r b e

JR Jura JurBl. JuS JW JWG JZ. Kaiser Kriminologie KastrGes. Armin K a u f m a n n Gedächtnisschrift Arthur KaufmannFestschrift H. Kaufmann-Gedächtnis schrift Kern-Festgabe Kern-Festschrift KG(Z) Kiesselbach-Festschrift XX-Bearbeiter KKOWiG-Bearbeiter Kleinknecht-Festschrift

XXVIII

Berliner Festschrift f ü r Ernst E. H i r s c h , 1968 Festschrift f ü r Richard M. H o n i g , 1970 A. Feisenherger (Hrsg.) Höchstrichterliche Rechtsprechung auf dem Gebiete des Strafrechts H e r a u s g e b e r (herausgegeben von) /. Hruschka Strafrecht nach logisch-analytischer Methode, 2. Auflage 1988 G. Baumgärtel u. a. (Hrsg.) Festschrift f ü r H e i n z H ü b ner, 1984 id est Internationale Kriminalistische Vereinigung Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen in V e r b i n d u n g mit Juristische Arbeitsblätter H.-H. Jescheck Lehrbuch des Strafrechts Allgemeiner Teil, 1969; 2. Auflage 1972; 3. Auflage 1978; 4. Auflage 1988 Tb. Vogler u. a. (Hrsg.) Festschrift f ü r H a n s - H e i n r i c h Jescheck, 1985 (Bd. I bis S. 775; Bd. II ab S. 779) Jugendgerichtsgesetz F. Wieacker u. a. (Hrsg.) Jherings Erbe, Göttinger Symposium z u r 150. W i e d e r k e h r des Geburtstags von R u dolph von Jhering, 1970 Juristische R u n d s c h a u Juristische Ausbildung Juristische Blätter Juristische Schulung Juristische W o c h e n s c h r i f t Gesetz f ü r J u g e n d w o h l f a h r t Juristenzeitung G. Kaiser Kriminologie, 8. Auflage 1989 Gesetz über die freiwillige Kastration und andere Behandlungsmethoden G. Dornseifer u. a. (Hrsg.) Gedächtnisschrift f ü r Armin K a u f m a n n , 1989 L. Philipps u. a. (Hrsg.) Jenseits des Funktionalismus. A r t h u r K a u f m a n n zum 65. Geburtstag, 1989 H. J. Hirsch u. a. (Hrsg.) Gedächtnisschrift f ü r Hilde K a u f m a n n , 1986 H.-H. Jescheck (Hrsg.) Festgabe f ü r E d u a r d Kern, 1957 ( = G A 1957 S. 297 ff) Tübinger Festschrift f ü r E d u a r d Kern, 1968 Kammergericht (in Zivilsachen) Festschrift f ü r Wilhelm Kiesselbach, 1947 G. Pfeiffer (Hrsg.) Karlsruher K o m m e n t a r zur S t r a f p r o z e ß o r d n u n g , 2. Auflage 1987 K. Boujong (Hrsg.) Karlsruher K o m m e n t a r zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, 1989 K. H. Gössel u. a. (Hrsg.) Festschrift f ü r T h e o d o r Kleinknecht, 1985

A b k ü r z u n g s - und Literaturverzeichnis Kleinknecht-Meyer

Th. Kleinknecht, K. Meyer S t r a f p r o z e ß o r d n u n g , 37. A u f lage 1985 Klug-Festschrift G. Kohlmann (Hrsg.) Festschrift f ü r Ulrich Klug, 1983 (Bd. I S. 1 bis 214; Bd. II ab S. 215) KO Konkursordnung Kölner Zeitschrift K ö l n e r Zeitschrift f ü r Soziologie und Sozialpsychologie Köstlin System G. R. Köstlin System des deutschen Strafrechts, 1855 Kohlrausch-Festschrift P. Bockelmann, G. Dahm u. a. Probleme der Straf rech tserneuerung, 1944 Kohlrausch-Lange E. Kohlrausch, R. Lange Strafgesetzbuch, 43. Auflage 1961 V. Krey Strafrecht Besonderer Teil Bd. I, 7. Auflage Krey BT 1989; Bd. II, 7. Auflage 1988 Kontrollratsgesetz KRG Kriminalistik Kriminalistik, Zeitschrift f ü r die gesamte kriminalistische Wissenschaft und Praxis Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen KriegswaffenG Kriminologisches J o u r n a l KrimJ KTS K o n k u r s - , T r e u h a n d - und Schiedsgerichtswesen (Zeitschrift) Lackner K. Lackner Strafgesetzbuch, 18. Auflage 1989 Lackner-Festschrift W Küperu. a. (Hrsg.) Festschrift f ü r Karl Lackner, 1987 G. Warda u. a. (Hrsg.) Festschrift f ü r Richard Lange, Lange-Festschrift 1976 Langenbecks Archiv Langenbecks Archiv f ü r klinische Chirurgie C.-W. Canaris u. a. (Hrsg.) Festschrift f ü r Karl Larenz, Larenz-Festschrift 1983 Leferenz-Festschrift /. Kerner u. a. (Hrsg.) Kriminologie — Psychiatrie — Strafrecht. Festschrift f ü r H . Leferenz, 1983 Landgericht LG v. Liszt(-Scbmidt) S t r a f r e c h t F. v. Liszt Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 2. A u f lage 1884; 5. Auflage 1892; 21. und 22. Auflage 1919; 25. Auflage, besorgt von Eb. Schmidt, 1927; 26. Auflage, besorgt von Eb. Schmidt, 1932 Ζ-ΛΓ-Bearbeiter Strafgesetzbuch Leipziger K o m m e n t a r , 8. Auflage, hrsg. von H. Jagusch, E. Mezger, A. Schaefer, W. Werner, Bd. I, 1957; Bd. II, 1958; 9. Auflage, hrsg. von P. Baldus, G. Willms, Bd. I, II, 1974; Bd. III, 1977; 10. Auflage, hrsg. von H.-H. Jescheck, W. Ruß, G. Willms, Bd. I bis III, 1985; Bd. IV, 1988; Bd. V , 1989; Bd. VI, VII, 1988 F. Lindenmaier, Ph. Möhring ( H r s g . ) Entscheidungen des LM Bundesgerichtshofes im N a c h s c h l a g e w e r k des Bundesgerichtshofes LR -Bearbeiter P. Rieß (Hrsg.) Löwe-Rosenberg. Die S t r a f p r o z e ß o r d n u n g und das Gerichtsverfassungsgesetz, 24. Auflage, Bd. 1, 1988; Bd. II, 1989 Leipziger Zeitschrift f ü r Deutsches Recht LZ Arthur Kaufmann u. a. (Hrsg.) Rechtsstaat und M a Maihofer-Festschrift schenwürde, Festschrift f ü r W e r n e r Maihofer, 1988 O. Triffterer u. a. (Hrsg.) Festschrift f ü r Walter MallMallmann-Festschrift mann, 1978 XXIX

Abkürzungs- und Literaturverzeichnis Martens-Gedächtnisschrift Materialien Maunz-Dürig-HerzogScholz Maurach A T Maurach-Festschrift Maurach-Gössel A T II; Maurach-Zipf KX I, II Maurach-SchroederMaiwaldBT I, Maurach-SchroederBT H. Mayer A T H . Mayer-Festschrift

II

H. Mayer Straf recht des deutschen Volkes H. Mayer Studienbuch M. E. Mayer KT MDR MedR Meisner-Festschrift Merkel Lehrbuch Mezger-Blei KT Mezger-Festschrift Mezger Strafrecht MonSchrKrim.

MonSchrPsychiatrNeurol. MRK MStGB Musterentwurf NArchCrimR Naucke Strafrecht Nervenarzt n. F. Niederschriften

XXX

I. v. Münch u. a. (Hrsg.) Gedächtnisschrift f ü r Wolfgang Martens, 1987 Materialien zur Strafrechtsreform Bd. I bis XV, 1954 bis 1962 Th. Maunz, G. Dürig, R. Herzog, R. Scholz Grundgesetz, Stand Dezember 1989 R. Maurach Deutsches Strafrecht Allgemeiner Teil, 3. Auflage 1965; 4. Auflage 1971 F.-C. Schroeder u. a. (Hrsg.) Festschrift f ü r Reinhart Maurach, 1972 R. Maurach, H. Zipf Strafrecht Allgemeiner Teil Bd. I, 7. Auflage 1988; R. Maurach, K.H.Gössel, H. Zipf Strafrecht Allgemeiner Teil Bd. II, 7. Auflage 1989 R. Maurach, F.-C. Schroeder, M. Maiwald Strafrecht Besonderer Teil Bd. I, 7. Auflage 1988; R. Maurach, F.-C. SchroederBd. II, 6. Auflage 1981 H. Λ/íjjer Straf recht Allgemeiner Teil, 1953 F. Geerds u. a. (Hrsg.) Beiträge zur gesamten Strafrechtswissenschaft, Festschrift für Hellmuth Mayer, 1966 H. Mayer Das Straf recht des deutschen Volkes, 1936 H. Md^er Straf recht Allgemeiner Teil, 1967 M. E. Mayer Der allgemeine Teil des deutschen Strafrechts, 1915 Monatsschrift f ü r deutsches Recht Medizinrecht (Zeitschrift) G. Brunner u. a. (Hrsg.) Sowjetsystem und Ostrecht, Festschrift f ü r Boris Meisner, 1985 A. Merkel Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 1889 E. Mezger, H. Blei Strafrecht I Allgemeiner Teil, 15. Auflage 1973 (siehe auch Blei ) K. Engisch u. a. (Hrsg.) Festschrift f ü r Edmund Mezger, 1954 E. Mezger Strafrecht, 1931 (gleichlautend 3. Auflage 1949) Monatsschrift f ü r Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform; — für Kriminalbiologie und Strafrechtsreform; — für Kriminologie und Strafrechtsreform Monatsschrift f ü r Psychiatrie und Neurologie Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Militärstrafgesetzbuch G. Heise, R. Riegel (Hrsg.) Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes, 2. Auflage 1978 Neues Archiv des Criminalrechts W. Naucke Strafrecht, Eine Einführung, 5. Auflage 1987 Der Nervenarzt (Zeitschrift) neue Fassung; neue Folge Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. I bis XIV, 1956 bis 1960

Abkürzungs- und Literaturverzeichnis Nipperdey

Κΐ

L. Enneccerus, H. C. Nipperdey Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts Bd. II, 15. Auflage 1960 Neue Juristische Wochenschrift NJW P. Noll Schweizerisches Strafrecht Allgemeiner Teil I, Noll Strafrecht A T 1981 R. Hauser u. a. (Hrsg.) Gedächtnisschrift f ü r Peter Noll, Noll-Gedächtnisschrift 1984 F. Nowakowski Das österreichische Strafrecht in seinen Nowakowski Grundzüge Grundzügen, 1955 Nummer Nr. Neue Zeitschrift f ü r Strafrecht Neue Zeitschrift f ü r Wehrrecht NStZ R. D. Herzberg u. a. (Hrsg.) Festschrift f ü r Dietrich NZWehrr. Oehler, 1985 (Bd. I S. 1 bis 240, Bd. II ab S. 241) Oehler-Festschrift Österreichische Juristenzeitung ÖJZ Osterreichische Zeitschrift f ü r Strafrecht OsterrZStr. Oberster Gerichtshof f ü r die Britische Zone; EntscheiOGH dungen des Obersten Gerichtshofes f ü r die Britische Zone in Strafsachen, hrsg. von den Mitgliedern des Gerichtshofes und der Staatsanwaltschaft beim Obersten Gerichtshof ohne Jahresangabe o.J. Oberlandesgericht (in Zivilsachen) OLG(Z) Entscheidung des genannten Oberlandesgerichts nach O L G bei Janiszewski u. a. m. dem Referat des genannten Autors a a O Göttinger Festschrift für das Oberlandesgericht Celle, O L G Celle-Festschrift 1961 M. Kohlhaas u. a. (Hrsg.) Entscheidungen der OberlanOLGSt. desgerichte zum Strafverfahrensrecht J. v. Olshausen Kommentar zum Strafgesetzbuch, bearOlsbausen beitetvon H. Freiersleben u. a., 12. Auflage 1942 H. Otto Grundkurs Strafrecht. Allgemeine Strafrechtslehre, 3. Auflage 1988; Die einzelnen Delikte, 2. Auflage Otto Grundkurs AT, BT 1984 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten W. Melnizky u. a. (Hrsg.) Strafrecht, Strafprozeßrecht OWiG und Kriminologie, Festschrift f ü r Franz Pallin, 1989 K. Wasserburg, u. a. (Hrsg.) Wahrheit und Gerechtigkeit Pallin-Festschrift im Strafverfahren. Festgabe f ü r Karl Peters, 1984 /. Baumann u. a. (Hrsg.) Einheit und Vielfalt des StrafPeters-Festgabe rechts, Festschrift f ü r Karl Peters, 1974 O. F. Freiherr v. Gamm u. a. (Hrsg.) Strafrecht, UnterPeters-Festschrift nehmensrecht, Anwaltsrecht. Festschrift f ü r G. Pfeiffer, 1988 Pfeiffer-Festschrift Gesetz über die H a f t u n g f ü r fehlerhafte Produkte ProdHaftG Personenstandsgesetz PStG Psychiat. Prax. Psychiatrische Praxis (Zeitschrift) Radbruch-Gedächtnisschrift Arthur Kaufmann (Hrsg.) Gedächtnisschrift f ü r Gustav Radbruch, 1968 Randnummer Rdn. XXXI

A b k ü r z u n g s - und Literaturverzeichnis recht. Zeitschrift f ü r juristische Ausbildung und Praxis (Schweiz) Rebmann-Festschrift H. Eyricb u. a. (Hrsg.) Festschrift f ü r K u r t Rebmann, 1989 Rechtstheorie Rechtstheorie, Zeitschrift f ü r Logik, Methodenlehre, Kybernetik und Soziologie des Rechts Reichsgericht in Strafsachen; Entscheidungen des RG Reichsgerichts in Strafsachen, hrsg. von den Mitgliedern des Gerichtshofes und der Reichsanwaltschaft Reichsgesetzblatt Teil I, Teil II RGBl. I, II O. Schreiber (Hrsg.) Die Reichsgerichtspraxis im deutRG-Festgabe schen Rechtsleben Bd. V, Strafrecht und S t r a f p r o z e ß recht, 1929 RGZ Reichsgericht in Zivilsachen; Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen, hrsg. von den Mitgliedern des Gerichtshofes und der Reichsanwaltschaft S. Hohenleitner u. a. (Hrsg.) Festschrift f ü r T h e o d o r Rittler-Festschrift Rittler, 1957 Richterakademie-Festschrift W. Schmidt-Hieber u. a. (Hrsg.) Justiz und Recht. Festschrift aus Anlaß des 10jährigen Bestehens der Deutschen Richterakademie, 1983 Th. Rittler Lehrbuch des Osterreichischen Strafrechts Äitt/erLehrbuch Bd. I Allgemeiner Teil, 2. Auflage 1954 Recht in O s t und West, Zeitschrift f ü r RechtsvergleiROW chung und innerdeutsche Rechtsprobleme Roxin Strafverfahrensrecht C. Roxin Strafverfahrensrecht, 21. Auflage 1989 Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz RuStG Seite S. Sarstedt-Festschrift R. Hamm (Hrsg.) Festschrift f ü r W e r n e r Sarstedt, 1981 W. Sauer Allgemeine Strafrechtslehre, 3. Auflage 1955 StfwerAllgemeine Strafrechtslehre Sauer-Festschrift Festschrift f ü r Wilhelm Sauer, 1949 Schaffstein-Festschrift G. Grünwald u. a. (Hrsg.) Festschrift f ü r Friedrich Schaffstein, 1975 F. Kaulbach u. a. (Hrsg.) Recht und Gesellschaft, FestSchelsky-Festschrift schrift f ü r H e l m u t Schelsky, 1978 E. Schmidbäuser Strafrecht Allgemeiner Teil, 1970; Schmidbäuser A T 2. Auflage 1975 E. Schmidbäuser Strafrecht Besonderer Teil, 2. Auflage ScbmidbäuserWT 1983 ScbmidbäuserStudienbuch E. Schmidbäuser Strafrecht Allgemeiner Teil. Studienbuch (unter Mitarbeit von H. Alwart), 1. Auflage 1984 P. Bockelmann u. a. (Hrsg.) Festschrift f ü r Eberhard Eb. Schmidt-Festschrift Schmidt, 1961 Eb. Schmidt L e h r k o m m e n t a r Eb. Schmidt L e h r k o m m e n t a r z u r S t r a f p r o z e ß o r d n u n g und z u m Gerichtsverfassungsgesetz Teil I, 2. Auflage 1964 K u r t Schneider-Festschrift H. Kranz (Hrsg.) Psychopathologie heute, Festschrift f ü r K u r t Schneider, 1962

recht

XXXII

Abkürzungs- und Literaturverzeichnis Schänke-Schröder (-Bearbeiter)

A. Schänke, H. Schröder Strafgesetzbuch, 15. Auflage 1970; 17. Auflage 1974; 23. Auflage, bearbeitet von Th. Lenckner, P. Cramer, A. Eser, W. Stree, 1988 Schröder-Gedächtnisschrift W. Stree u. a. (Hrsg.) Gedächtnisschrift f ü r H o r s t Schröder, 1978 Schultz KT (Schweiz) H. Schultz Einführung in den Allgemeinen Teil des Strafrechts, 3. Auflage 1977 Schultz-Festgabe H. Walder u. a. (Hrsg.) Lebendiges Strafrecht, Festgabe zum 65. Geburtstag von H a n s Schultz, 1977 G. Jahr (Hrsg.) Gedächtnisschrift f ü r Dietrich Schultz, D. Schultz-Gedächtnis1987 schrift Schweizer JuristentagsFestgabe zum Schweizer Juristentag, 1963 Festgabe Schweizerischer Rechtsquellenprobleme im Schweizerischen Recht, Festgabe . . . f ü r den schweizerischen Juristenverein, 1955 Juristenverein-Festgabe Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts Schweizerisches Bundesgericht Schwinge-Festschrift H. U. Evers u. a. (Hrsg.) Persönlichkeit in der D e m o k r a tie, Festschrift f ü r Erich Schwinge, 1973 Schweizerische Zeitschrift f ü r Strafrecht SchwZStr. scilicet (nämlich) seil. Scupin-Festschrift N. Achterberg u. a. (Hrsg.) Recht und Staat im sozialen Wandel, Festschrift f ü r H a n s Ulrich Scupin, 1983 Seemannsgesetz SeemannsG SGBI Sozialgesetzbuch. Allgemeiner Teil SJZ Süddeutsche Juristenzeitung STi-Bearbeiter H.-J. Rudolphi, E. Horn, E. Samson, H.-L. Schreiber Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch Bd. I, 2. Auflage 1977; H.-J. Rudolphi, E. Horn, E. Samson Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch Bd. I, 5. Auflage, Stand Juni 1989; Bd. II, 4. Auflage, Stand Oktober 1989 K. Hessen, a. (Hrsg.) Staatsverfassung und KirchenordSmend-Festgabe nung, Festgabe f ü r Rudolph Smend, 1962 Th. Soergel, W. Siebert Bürgerliches Gesetzbuch Bd. I, Soergel- Bearbeiter 12. Auflage 1987 Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten SoldatenG Beratungen des Sonderausschusses f ü r die StrafrechtsreSonderausschuß V form, Deutscher Bundestag, 5. Wahlperiode Spalte Sp. Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe (SprengstoffSprengstG gesetz) Strafsachen St. J. v. Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen GesetzStaudinger-He&rbeiter buch Bd. 1,12. Auflage 1980 Strafgesetzbuch (siehe 1/Fn. 2) StGB Strafprozeßordnung StPO G. Spendel (Hrsg.) Studien zur Strafrechtswissenschaft, Stock-Festschrift Festschrift f ü r Ulrich Stock, 1966 Strafrechtsänderungsgesetz StrÄndG XXXIII

Abkürzungs- und Literaturverzeichnis StrandungsO Stratenwerth A T Stratenwerth Schweizerisches Strafrecht StrRG StV StVG StVollzG

TierschutzG Tjong-Gedächtnisschrift Traeger-Festschrift 7rec/»e/SchwStGB TrifftererKT Tröndle-Festschrift u. a. u. a. m. Universität Heidelberg-Festschrift Universität zu Köln-Festschrift UPR UZwG VDAT, V D B T

Venzlaff-Festschrift VersG VGS VO VOR VRS VS WDStL VwArch. WaffG Wassermann-Festschrift WDO XXXIV

Strandungsordnung G. Stratenwerth Strafrecht Allgemeiner Teil I, 1971; 2. Auflage 1976; 3. Auflage 1981 G. Stratenwerth Schweizerisches Strafrecht A T I : Die Straftat, 1982 Gesetz zur Reform des Strafrechts Strafverteidiger Straßenverkehrsgesetz Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung (Strafvollzugsgesetz) Tierschutzgesetz H.-H. Jescheck u. a. (Hrsg.) Gedächtnisschrift für Zong U k T j o n g , 1985 Festschrift f ü r Ludwig Traeger, 1926 St. Trec^ie/Schweizerisches Strafgesetzbuch, 1989 O. Triffterer Österreichisches Strafrecht. Allgemeiner Teil. Unter Mitarbeit von K. Schmoller, 1985 H.-H. Jescheck u. a. (Hrsg.) Festschrift für Herbert Tröndle, 1989 und andere; unter anderem und andere(s) mehr Richterliche Rechtsfortbildung. Festschrift der Juristischen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Ruprecht-KarlsUniversität Heidelberg, 1986 Festschrift der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, 1988 Umwelt- und Planungsrecht (Zeitschrift) Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes K. Birkmeyer u. a. (Hrsg.) Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts, Allgemeiner Teil Bd. I bis VI, Besonderer Teil Bd. I bis IX, 1905 bis 1909 H. Polmeier u. a. (Hrsg.) Forensische Psychiatrie heute. U. Venzlaff. . . gewidmet, 1986 Versammlungsgesetz Vereinigte Große Senate Verordnung Zeitschrift f ü r Verkehrs- und Ordnungswidrigkeitenrecht Verkehrsrechtssammlung Vereinigte Strafsenate Veröffentlichungen der Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer Verwaltungsarchiv Waffengesetz Chr. Broda u. a. (Hrsg.) Festschrift f ü r Rudolf Wassermann, 1985 Wehrdisziplinarordnung

Abkürzungs- und Literaturverzeichnis v. Weber-Festschrift v. Weber Grundr\& Wegner Straf recht Welze! Abhandlungen Welzel-Festschrift Welzel Strafrecht Wessels AT, BT (1,2)

Wiener Kommentar-Bearbeiter WiStG wistra E. Wolf-Festschrift Ernst Wolf-Festschrift WStG Würtenberger-Festschrift Ζ ZAkDR ζ.

B.

ZBR ZDG Zipf Kriminalpolitik ZPO ZRP ZRV ZSchwR ZStW

H. Welzelu. a. (Hrsg.) Festschrift f ü r Hellmuth von W e ber, 1963 Η. v. WeberGrundriß des deutschen Strafrechts, 2. Auflage 1948 A. WegwerStrafrecht Allgemeiner Teil, 1951 H. Welzel Abhandlungen zum Strafrecht und zur Rechtsphilosophie, 1975 G. Stratenwerth u. a. (Hrsg.) Festschrift f ü r H a n s Welzel, 1974 H. Welzel Das Deutsche Strafrecht, 3. Auflage 1954; 7. Auflage 1960; 11. Auflage 1969 /. Wessels Strafrecht Allgemeiner Teil, 20. Auflage 1990; Strafrecht Besonderer Teil (1), 14. Auflage 1990; (2) 13. Auflage 1990 E. Foreggeru. a. (Hrsg.) Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 1979 ff (bis 35. Lieferung 1989) Gesetz zur Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts wistra, Zeitschrift f ü r Wirtschaft, Steuer und Strafrecht Th. Würtenberger u. a. (Hrsg.) Existenz und O r d n u n g , Festschrift für Erik Wolf, 1962 D. Bickelu. a. (Hrsg.) Recht und Rechtserkenntnis. Festschrift f ü r Ernst Wolf, 1985 Wehrstrafgesetz R. Herren u. a. (Hrsg.) Kultur, Kriminalität, Strafrecht, Festschrift für T h o m a s Würtenberger, 1977 Zivilsachen Zeitschrift der Akademie f ü r Deutsches Recht zum Beispiel Zeitschrift f ü r Beamtenrecht Zivildienstgesetz H. Z/p/Kriminalpolitik, 2. Auflage 1980 Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift f ü r Rechtsvergleichung Zeitschrift f ü r schweizerisches Recht Zeitschrift f ü r die gesamte Strafrechtswissenschaft

XXXV

1. BUCH

Die Grundlagen 1. KAPITEL Das staatliche S t r a f e n 1. ABSCHNITT Der Inhalt und die Aufgabe des staatlichen Strafens Literatur zu I bis V V. Achter Geburt der Strafe, 1951; M. Adams, St. Shavell Z u r Strafbarkeit des Versuchs, GA 1990 S. 337 ff; P.-A. Albrecht Spezialprävention angesichts neuer Tätergruppen, Z S t W 97 S. 831 ff; M. AncelDie neue Sozialverteidigung. Eine Bewegung humanistischer Kriminalpolitik, 1970; F. Arloth Strafzwecke im Strafvollzug, GA 1988 S. 403 ff; G. Arzt Der Ruf nach Recht und Ordnung, 1976; den. Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre, 1970; J. L. Austin Ein Plädoyer f ü r Entschuldigungen, in: G. Meggle (Hrsg.) Analytische Handlungstheorie Bd. I, 1977, S. 8 f f ; P. Badura Generalprävention und W ü r d e des Menschen, JZ 1964 S. 337 ff; A. Baratta Integrations-Prävention. Eine systemtheoretische Neubegründung der Strafe, KrimJ 1984 S. 132 f f ; ]. Baumann Der Schuldgedanke im heutigen deutschen Strafrecht und vom Sinn staatlichen Strafens, JurBl. 1965 S. 113 ff; ders. Strafe als soziale Aufgabe, Noll-Gedächtnisschrift S. 27 ff; M. Baurmann Zweckrationalität und Strafrecht, 1987; E. Beling Die Vergeltungsidee und ihre Bedeutung f ü r das Strafrecht, 1908; E. Benda Resozialisierung als Verfassungsauftrag, FallerFestschrift S. 307 ff; Chr. Bertel Die Generalprävention, Pallin-Festschrift S. 31 ff; H. Bielefeldt Strafrechtliche Gerechtigkeit als Anspruch an den endlichen Menschen, GA 1990 S. 108 ff; G. Blau Diversion und Strafrecht, Jura 1987 S. 25 ff; ders. und E. Franke Diversion und Schlichtung, ZStW 96 S. 485 ff; M. Bleuler Sühne und ärztliche Behandlung in ihrer heilenden Bedeutung, in: E. R. Frey (Hrsg.) Schuld, Verantwortung, Strafe, 1964, S. 103 ff; L. Böllinger Generalprävention als Sozialisationsfaktor? KrimJ 1987 S. 32 ff; /. Bohnert Paul Johann Anselm Feuerbach und der Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht, 1982; E. Brandt Oit Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips f ü r Entpoenalisierungen im Kriminalrecht, 1988; H.-J. Bruns Alte Grundfragen und neue Entwicklungstendenzen im modernen Strafzumessungsrecht, Welzel-Festschrift S. 739 ff; ders. Strafzumessungsrecht, 2. Auflage 1974; R.-P. Calliess Theorie der Strafe im demokratischen und sozialen Rechtsstaat, 1973; ders. Strafzwecke und Strafrecht, Zeitschrift f ü r Evangelische Ethik 33 (1989) S. 109 ff und N J W 1989 S. 1338 ff; D. Dölling Generalprävention durch Strafrecht: Realität oder Illusion?, ZStW 102 S. 1 ff; E. Dreher Ό ber die gerechte Strafe, 1947; / . Driendl Zur Notwendigkeit und Möglichkeit einer Strafgesetzgebungswissenschaft in der Gegenwart, 1983 ; E. Durkheim Kriminalität als normales Phänomen, in : F. Sack und R. König (Hrsg.) Kriminalsoziologie, 1968, S. 3 ff; U. Ebert Das Vergeltungsprinzip im Strafrecht, in: H.-H. Krummacher (Hrsg.) Geisteswissenschaften wozu?, 1988, S. 357 f; ders. Talion und Spiegelung im Strafrecht, Lackner-Festschrift S. 399 ff; K. Engelhardt Psychoanalyse der strafenden Gesellschaft, 1976; A. Eser Resozialisierung in der Krise? Peters-Festschrift S. 505 ff; F. Exner Die Theorie der Sicherungsmittel, 1914; L. Festinger Theorie der kognitiven Dissonanz, hrsg. von M. Irle und V. Möntmann, 1978; P. J. A. v. Feuerbach Revision der Grundsätze und Grundbegriffe des positiven peinlichen Rechts, 1799, N e u d r u c k 1966; Ο. K. Flechtheim Hegels Strafrechtstheorie, 2. Auflage 1975; N. Forster Positionen der schweizerischen Lehre in der Diskussion um die Straftheorien, SchwZStr. 101 (1984) S. 242 ff; E. Foth Bemerkungen zur Generalprävention, N S t Z 1990 S. 219 ff; D. Frehsee Schadenswiedergutmachung als Instrument strafrechtlicher Sozialkontrolle, 1987; E. R. Frey Schuld — Verantwortung — Strafe als kriminalpolitisches Problem, in: ders.

1

1. Abschn

l.Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

(Hrsg.) Schuld, Verantwortung, Strafe, 1964, S. 297 ff; M. Frommel Präventionsmodelle in der deutschen Strafzweckdiskussion, 1987; W. Gallas Gründe und Grenzen der Strafbarkeit. Gedanken zum Begriff des Verbrechens, in: Universitäts-Gesellschaft Heidelberg (Hrsg.) Heidelberger Jahrbücher Bd. IX, 1965 S. 1 ff; H. Garfinkel Bedingungen f ü r den Erfolg von Degradierungszeremonien, in: K. Liiderssenunà F. Sack (Hrsg.) Seminar: Abweichendes Verhalten Bd. III, 1977, S. 31 ff; A. Gehlen Urmensch und Spätkultur. Philosophische Ergebnisse und Aussagen, 2. Auflage, 1964; W. Gephart Strafe und Verbrechen. Die Theorie Emile Dürkheims, 1990; H. Giehring Sozialwissenschaftliche Forschung zur Generalprävention und normative Begründung des Strafrechts, KrimJ 1987 S. 2 ff; K. H. Göiie/Wesen und Begründung der strafrechtlichen Sanktionen, Pfeiffer-Festschrift S. 3 ff; F. Gramatica Grundlagen der défense sociale, 1965; E. Hanack P r o bleme des Vikariierens und der Unterbringung in einer Erziehungsanstalt (§5 67, 64 StGB), J R 1978 S. 399 ff; G. Hanak Kriminelle Situationen. Zur Ethnographie der Anzeigeerstattung, KrimJ 1984 S. 161 ff; B. Haffke Tiefenpsychologie und Generalprävention, 1976; ders. H a t emanzipierende Sozialtherapie eine Chance, in: K. Lüderssen und F. Sack (Hrsg. ) Seminar: Abweichendes Verhalten Bd. III S. 291 ff; W. Hassemer Generalprävention und Strafzumessung, in: W. Hassemer, K. Lüderssen, W. Naucke(Hrsg.) Hauptprobleme der Generalprävention, 1979, S. 29 ff; ders. Resozialisierung und Rechtsstaat, KrimJ 1982 S. 161 ff; ders. Strafziele im sozialwissenschaftlich orientierten Strafrecht, in: ders. u. a. (Hrsg.) Fortschritte im Strafrecht durch Sozialwissenschaften?, 1983, S. 1 ff; ders. Prävention im Strafrecht, JuS 1987 S. 257 ff; G. W. F. Hegel Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1821; J. Hellmer Uber die Glaubwürdigkeit des Strafrechts und die Bedeutung des zwischenmenschlichen Verhältnisses f ü r die Kriminalitätsbekämpfung, J Z 1981 S. 153 ff; J. Herrmann Diversion und Schlichtung in der Bundesrepublik Deutschland, ZStW 96 S. 457 ff; F. Herzog Die „dritte Dimension" der Verbrechensbekämpfung: Abschöpfung von Verbrechensgewinn, KJ 1987 S. 321 ff; ders. Prävention des Unrechts oder Manifestation des Rechts, 1987; E. E. Hirsch Die Steuerung menschlichen Verhaltens, JZ 1982 S. 41 ff; O. Höffe Kategorische Rechtsprinzipien, 1990; N. Hoerster Aktuelles in Arthur Schopenhauers Philosophie der Strafe, A R S P 58 S. 555 ff; ders. Zur Generalprävention als dem Zweck staatlichen Strafens, GA 1970 S. 272 f f ; H. Horstkotte Die Vorschriften des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafrechts über die Strafbemessung, JZ 1970 S. 122 ff; ]. Hruschka Strafe und Strafrecht bei Achenwall — Zu einer Wurzel von Feuerbachs psychologischer Zwangstheorie, JZ 1987 S. 161 ff; G.Jakobs Schuld und Prävention, 1976; ders. Strafrechtliche Schuld ohne Willensfreiheit? in: D. Henrich (Hrsg.) Aspekte der Freiheit, 1982 S. 69 ff; ders. Über die Aufgabe der subjektiven Deliktseite im Strafrecht, in: H. Witter (Hrsg.) Der psychiatrische Sachverständige im Strafrecht, 1987, S. 271 ff; ders. Über die Behandlung von Wollensfehlern und von Wissensfehlern, ZStW 101 S. 516 ff; H.-H. Jescheck Grundfragen der Dogmatik und Kriminalpolitik im Spiegel der Zeitschrift f ü r die gesamte Strafrechtswissenschaft, ZStW 93 S. 3 ff; G. Kaiser Verkehrsdelinquenz und Generalprävention, 1970; ders. Die Fortentwicklung der Methoden und Mittel des Strafrechts, ZStW 86 S. 349 ff; ders. Kriminalisierung und Entkriminalisierung in Strafrecht und Kriminalpolitik, Klug-Festschrift S. 579 ff; ders. Gewinnabschöpfung als kriminologisches Problem und kriminalpolitische Aufgabe, Tröndle-Festschrift S. 685 ff; ders. Die Freiheitsstrafe bei Franz v. Liszt im Lichte der modernen Kriminalpolitik, Klug-Festschrift S. 257 ff; I. Kant Metaphysik der Sitten, Erster Theil, 2. Auflage 1798 ; Arthur Kaufmann Das Schuldprinzip, 1961 ; ders. Dogmatische und kriminalpolitische Aspekte des Schuldgedankens im Strafrecht, J Z 1967 S. 553 ff; ders. Schuldstrafrecht und Resozialisierung, in: ders. Strafrecht zwischen Gestern und Morgen, 1983, S. 43 ff; ders. Über die gerechte Strafe, H . Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 425 ff; H. Kaufmann Gramaticas System der Difesa Sociale und das deutsche Schuldstrafrecht, v. Weber-Festschrift S. 418 ff; H. Kels en Vergeltung und Kausalität, 1941 ; H. ]. Kerner (Hrsg.) Diversion statt Strafe? Probleme und Gefahren einer neuen Strategie strafrechtlicher Sozialkontrolle, 1983 ; W.-H. Kiehl Strafrechtliche Toleranz wechselseitiger Ehrverletzungen, 1986; M. Killias Muß Strafe sein? Überlegungen zur Funktion von Sanktionen aus sozial-psychologischer Sicht, SchwZStr. 97 (1980) S. 31 ff; U. Kindhäuser Personalität, Schuld und Vergeltung, GA 1989 S. 493 ff; P. Klose Jus puniendi und Grundgesetz, ZStW 86 S. 33 ff; U. Klug Abschied von Kant und Hegel, in: /. Baumann (Hrsg.) Programm f ü r ein neues Strafgesetzbuch, 1968, S. 36 ff; W. KöbererLäßt sich Generalprävention messen? MonSchrKrim. 1982 S. 200 ff; M. Köhler Anmerkung zu B G H J Z 1982 S. 771 f, a a O S. 772 f; ders. Über den Zusammenhang von Strafrechtsbegründung und

2

Inhalt und Aufgabe staatlichen Strafens

1. Abschn

Strafzumessung, 1983; ders. Der Begriff der Strafe, 1986; ders. Strafbegründung im konkreten Rechtsverhältnis, Lackner-Festschrift S. 11 ff; D. Kratzsch Verhaltenssteuerung und Organisation im Strafrecht, 1985; ders. Unrecht und Prävention — eine Replik, GA 1989 S. 49 ff; L. Kuhlen Diversion im Jugendstrafverfahren, 1988; K. L. Kunz Prävention und gerechte Zurechnung, ZStW 98 S. 823 ff; K. Lackner Ό ber die Entwicklungen in der Strafzumessungslehre und ihre Bedeutung für die richterliche Praxis, 1978; P. Landau Das Unrecht als Stufe des abstrakten Rechts in Hegels Rechtsphilosophie, Arthur Kaufmann-Festschrift S. 143 ff; Th. LencknerStT3.it, Schuld und Schuldfähigkeit in : H. Göppinger und H. Witter (Hrsg.) Handbuch der forensischen Psychiatrie Bd. I, 1972, S. 3 ff; H. von der Linde Rechtfertigung und Entschuldigung im Strafrecht, 1988; R. LippoldReine Rechtslehre und Strafrechtsdoktrin, 1989; F. v. LisztDer Zweckgedanke im Strafrecht, ZStW 3 S. 1 ff; ders. Die deterministischen Gegner der Zweckstrafe, ZStW 13 S. 325 ff; ders. Kriminalpolitische Aufgaben, in: ders. Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge Bd. I, 1905, S. 290 ff; ders. Uber den Einfluß der soziologischen und anthropologischen Forschungen auf die Grundbegriffe des Strafrechts, in : ders. Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge Bd. II, 1905, S. 75 ff; K. Liiderssen Strafrecht und „Dunkelziffer", 1972; ders. Die generalpräventive Funktion des Deliktssystems, in: W. Hassemer, K. Lüderssen, W. Naucke (Hrsg.) Hauptprobleme der Generalprävention, 1979, S. 54 ff; ders. Vergeltung und Sühne vor dem Forum christlicher Ethik — kein Platz mehr für absolute Strafzwecke, in: L. Vallauri (Hrsg.) Christentum und modernes Recht, 1982, S. 1261 ff; ders. Der Freiheitsbegriff der Psychoanalyse und seine Folgen für das moderne Strafrecht, in: W. Hassemer u. a. (Hrsg.) Fortschritte im Strafrecht durch Sozialwissenschaften, 1983, S. 39 ff; ders. Die Krise des öffentlichen Strafanspruchs, 1989; D.-M. Luzon Generalprävention, Gesellschaft und Psychoanalyse, GA 1984 S. 393 ff; N. Lubmann Rechtssoziologie Bd. I und II, 1972; W. Maihofer Rechtsstaat und menschliche Würde, 1968; M. Maiwald Die Verteidigung der Rechtsordnung — Analyse eines Begriffs, GA 1983 S. 49 ff; ders. Gedanken zu einem sozialen Schuldbegriff, Lackner-Festschrift S. 149 ff; H. Marquardt Dogmatische und kriminologische Aspekte des Vikariierens von Strafe und Maßregel, 1972; H. Mayer Kant, Hegel und das Strafrecht, Engisch-Festschrift S. 54 ff; M. MelzerDie Neue Sozialverteidigung und die deutsche Strafrechtsreformdiskussion, 1970; ders. Die Neue Sozialverteidigung — ein neuer Begriff in der deutschen Strafrechtsreformdiskussion? J Z 1970 S. 764 ff; Menzel Protagoras als Kriminalist, Österreichische Zeitschrift für Strafrecht 1910 S. 389 ff; A. Merkel Gesammelte Abhandlungen aus dem Gebiet der allgemeinen Rechtslehre und des Strafrechts, 1899; J. Meyer u. a. (Hrsg.) Gewinnabschöpfung bei Betäubungsmitteldelikten, 1989; ders. Gewinnabschöpfung durch Vermögensstrafe? Z R P 1990 S. 85 ff; E. Mezger Strafzweck und Strafzumessungsregeln, Materialien Bd. I S. 1 ff; S. Mir Puig Die Funktion der Strafe und die Verbrechenslehre im sozialen und demokratischen Rechtsstaat, ZStW 95 S. 413 ff; R. Moos Positive Generalprävention und Vergeltung, Pallin-Festschrift S. 283 ff; H. Müller Oer Begriff der Generalprävention im 19. Jahrhundert, 1984; H. Müller-Dietz Vom intellektuellen Verbrechensschaden, GA 1983 S. 481 ff; ders. Integrationsprävention und Strafrecht, Jescheck-Festschrift S. 813 ff; Müller-Luckmann Zur begrifflichen und diagnostischen Problematik von Gesinnung und Reue, in: H. Göppinger und P. H. Bresser (Hrsg.) Tötungsdelikte, 1980, S. 113 ff; A. Nagler Die Verständigung der Strafrechtsschulen, GS 70 S. 6 ff; /. Nagler Oie Strafe, 1918; W. Naucke Kant und die psychologische Zwangstheorie Feuerbachs, 1962; ders. Die Reichweite des Vergeltungsstrafrechts bei Kant, Schleswig-Holsteinische Anzeigen 1964 S. 203 ff; ders. Paul Johann Anselm von Feuerbach. Zur 200. Wiederkehr seines Geburtstages am 14. November 1975, ZStW 87 S. 861 ff; ders. Generalprävention und Grundrechte der Person, in : W. Hassemer, K. Lüderssen, W. Naucke (Hrsg.) Hauptprobleme der Generalprävention, 1979, S. 9 ff; ders. Die Kriminalpolitik des Marburger Programms 1882, ZStW 94 S. 525 ff; ders. Die Sozialphilosophie des sozialwissenschaftlich orientierten Strafrechts, in: W. Hassemer u. a. (Hrsg.) Fortschritte im Strafrecht durch die Sozialwissenschaften?, 1983, S. 3 ff; U. Neumann Die Stellung des Opfers im Strafrecht, in: W. Hassemer (Hrsg.) Strafrechtspolitik, 1987, S. 225 ff; U. Neumann und U. Schroth Neuere Theorien von Kriminalität und Strafe, 1980; P. Noll Die ethische Begründung der Strafe, 1962; ders. Schuld und Prävention unter dem Gesichtspunkt der Rationalisierung des Strafrechts, H. MayerFestschrift S. 219 ff; F. Nowakowski Freiheit, Schuld, Vergeltung, Rittler-Festschrift S. 55 ff; H. Ostendorf Auf Generalprävention kann noch nicht verzichtet werden, Z R P 1976 S. 281 ff; ders. Alternativen zur strafverurteilenden Konfliktserledigung, Z R P 1983 S. 302 ff; K. Peters Die

3

1. Abschn

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

ethischen V o r a u s s e t z u n g e n des Resozialisierungs- und Erziehungsvollzugs, Heinitz-Festschrift S. 501 f f ; H. PfanderOer zentrale Begriff „Strafe", SchwZStr. 61 (1946) S. 173 f f ; H. Popitz Ü b e r die Präventivwirkung des Nichtwissens, 1968; W. Preiser Das Recht zu strafen, Mezger-Festschrift S. 71 f f ; den. Vergeltung und Sühne im altisraelitischen Strafrecht, Eb. Schmidt-Festschrift S. 7 f f ; / . Primoratz Banquos Geist. Hegels T h e o r i e der Strafe, 1986; G. Radbruch Paul J o h a n n Anselm Feuerbach. Ein Juristenleben, 3. Auflage o. J. ; A. Rieg Die m o d e r n e n T e n d e n z e n des französischen Strafrechts, Z S t W 81 S. 411 f f ; D. Rössner und R. Wulf O p f e r b e z o g e n e Strafrechtspflege, o. J. (1984); C. Roxin Sinn und G r e n z e n staatlicher Strafe, J u S 1966 S. 377 f f ; den. Franz von Liszt und die kriminalpolitische K o n z e p t i o n des Alternativentwurfs, Z S t W 8 1 S. 613 f f ; ders. S t r a f z u m e s s u n g im Lichte d e r Strafzwecklehre, Schultz-Festgabe S. 463 f f ; den. Die Wiederg u t m a c h u n g im System der Strafzwecke, in: H. Schöch (Hrsg.) W i e d e r g u t m a c h u n g und Strafrecht, 1987, S. 37 f f ; F. Schaffstein Spielraum-Theorie, Schuldbegriff u n d Strafzumessung nach den Strafrechtsreformgesetzen, Gallas-Festschrift S. 99 f f ; den. Überlegungen z u r Diversion, Jescheck-Festschrift S. 937 f f ; W.Schild Soziale und rechtliche V e r a n t w o r t u n g e n , J Z 1980 S. 597 f f ; ders. Strafe - Vergeltung oder G n a d e , SchwZStr. 99 (1982) S. 364 f f ; den. E n d e und Z u k u n f t des Strafrechts, A R S P 1984 S. 71 f f ; ders. Das Verständnis des Missetäters im normativen Wandel des Politischen, in: E. V. Heyern (Hrsg.) V o m normativen W a n d e l des Politischen, 1984, S. 117 f f ; ders. Entschuldigungen u n d Rechtfertigungen im Alltag, in: B.-O. Bryde (Hrsg.) Rechtsp r o d u k t i o n und Rechtsbewußtsein, 1988, S. 195 f f ; E. Schlechter Oe nihilo nihil — o d e r : Der Erziehungsgedanke im J u g e n d s t r a f r e c h t , G A 1988 S. 106 f f ; E. Schmidhäuser V o m Sinn der Strafe, 1963; Eh. Schmidt Z u r T h e o r i e des unbestimmten Strafurteils, SchwZStr. 45 (1931) S. 200 f f ; ders. S t r a f z w e c k u n d Strafzumessung in einem künftigen Strafgesetzbuch, Materialien Bd. I S. 9 f f ; ders. Vergeltung, Sühne und Spezialprävention, Z S t W 67 S. 177 f f ; ders. Kriminalpolitische u n d strafrechtsdogmatische Probleme in der deutschen S t r a f r e c h t s r e f o r m , Z S t W 69 S. 359 f f ; ders. E i n f ü h r u n g in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Auflage 1965; K. Schmoller Irrgarten der strafrechtlichen G e w i n n a b s c h ö p f u n g , Ö J Z 1990 S. 257 ff, 300 f f ; H. Schöch Strafzumessungspraxis und Verkehrsdelinquenz, 1973; ders. Empirische G r u n d l a g e n der Generalprävention, Jescheck-Festschrift S. 1081 f f ; H.-L. Schreiher W i d e r s p r ü c h e und Brüche in heutigen S t r a f k o n z e p t i o n e n , Z S t W 94 S. 279 f f ; B. Schünemann Das strafrechtliche D u n kelfeld — Stabilisator der Rechtstreue?, in: M. Irle (Hrsg.) D u r c h s e t z u n g des Rechts, 1984, S. 39 f f ; ders. Die Funktion des Schuldprinzips im Präventionsstrafrecht, in: ders. (Hrsg.) G r u n d fragen des m o d e r n e n Strafrechtssystems, 1984, S. 153 f f ; ders. Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft nach der S t r a f r e c h t s r e f o r m im Spiegel des Leipziger K o m m e n t a r s und des Wiener Kommentars, G A 1985 S. 341 ff, GA 1986 S. 293 f f ; H. Schultz Abschied vom Strafrecht? Z S t W 92 S. 611 f f ; M. Scott und St. Lymann V e r a n t w o r t u n g e n , in: H. Steinert (Hrsg.) Symbolische Interaktion, 1973, S. 294 f f ; K. F. Schumann Positive Generalprävention, 1989; K. Seelmann Hegels Straftheorie in seinen „Grundlinien der Philosophie des Rechts", J u S 1979 S. 687 f f ; ders. Paradoxien der O p f e r o r i e n t i e r u n g im Strafrecht, J Z 1989 S. 670 f f ; K. Seii^r Schadens Wiedergutm a c h u n g in einer künftigen Kriminalpolitik, Leferenz-Festschrift S. 145 f f ; R. Sieverts W ü r d e sich f ü r ein neues Strafgesetzbuch die E i n f ü h r u n g der unbestimmten Verurteilung empfehlen und in welchem U m f a n g e ? Wie w ä r e sie auszugestalten? Materialien Bd. I S . 107 f f ; G. Smaus T e c h n o kratische Legitimierungen des Strafrechts, Zeitschrift f ü r Rechtssoziologie 1985 S. 90 f f ; P. Strasser Verbrechenserklärungen u n d S t r a f k o n z e p t i o n e n , KrimJ 1979 S. 1 f f ; G. Stratenwerth Leitprinzipien der S t r a f r e c h t s r e f o r m , in: L. Brandt (Hrsg.) Arbeitsgemeinschaft f ü r F o r s c h u n g des Landes N o r d r h e i n - W e s t f a l e n , Geisteswissenschaft H e f t 162, 1970, S. 7 f f ; ders. Tatschuld und Strafzumessung, 1972; F. Streng Schuld, Vergeltung, Generalprävention, Z S t W 92 S. 637 f f ; ders. Tiefenpsychologie und Generalprävention, KrimJ 1987 S. 48 f f ; K. Ttedemann Die Fortentwicklung der M e t h o d e n und Mittel des Strafrechts unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung der Strafgesetzgebung, Z S t W 86 S. 303 f f ; ders. A n m e r k u n g zu B G H J Z 1975 S. 183 ff, a a O S. 185 f f ; V. Vanherg V e r b r e c h e n , Strafe und Abschreckung, 1982; Th. Vogler Möglichkeiten und Wege einer Entkriminalisierung, Z S t W 90 S. 132 f f ; K. Volk D e r Begriff der Strafe in der Rechtsp r e c h u n g des Bundesverfassungsgerichts, Z S t W 83 S. 405 f f ; M. Walter W a n d l u n g e n in der Reaktion auf Kriminalität, Z S t W 95 S. 32 f f ; ders. Ü b e r Alternativen z u m Strafrecht, Universität zu Köln-Festschrift S. 557 f f ; ders. Ü b e r die Bedeutung des Erziehungsgedankens f ü r das Jugendstrafrecht, in : ¿erj. (Hrsg.) Beiträge z u r Erziehung im Jugendkriminalrecht, 1989 S. 59 f f ; M. We-

4

1. Abschn

Inhalt und Aufgabe staatlichen Strafens ber W i r t s c h a f t u n d G e s e l l s c h a f t , 5. A u f l a g e 1 9 7 6 ; Th. Schritte z u w e l c h e m Ziel? N J W Degradierungen Westpbalen

Weigend

1 9 8 7 S. 1 1 7 0 f f ; K.

Weis

D a s Opferschutzgesetz — kleine Staatliches Strafen.

K a r l B i n d i n g , 1 9 8 9 ; E. A.

Wolff

NStZ

1 9 8 2 S. 1 1 2 , a a O

M a t e r i a l i e n B d . I S. 8 9 f f ; H. Zipf

S. 1 1 2 f ;

D.

Das neue Verständnis von Generalprävention und

s e i n e T a u g l i c h k e i t f ü r e i n e A n t w o r t a u f K r i m i n a l i t ä t , Z S t W 9 7 S . 7 8 7 f f ; G. Wolfslast zu B G H

Markierungen,

u n d R i t u a l e a u f e i n e r R e i s e o h n e W i e d e r k e h r , B l a u - F e s t s c h r i f t S. 4 0 5 f f ;

Th.

Würtenberger

Die unbestimmte

K r i m i n a l p o l i t i k , 2 . A u f l a g e 1 9 8 0 ; R.

Zaczyk

Anmerkung Verurteilung,

D a s U n r e c h t der

versuchten Tat, 1989.

1. Der Begriff der Strafe A 1. Welchen Inhalt und welche Aufgabe Strafe hat, läßt sich — auch beschränkt auf 1 staatliche Strafe — nicht unabhängig vom Bestand der O r d n u n g ausmachen, in der gestraft wird, und auch nicht unabhängig von der Verständigung über den Sinn dieser Ordnung. So wird, was den Bestand der O r d n u n g angeht, ein Staat, der seine Kräfte auf die Sicherung seiner Existenz konzentrieren muß (etwa im Krieg), Strafe so einsetzen, daß sie zumindest kurzfristig Effektivität garantiert (etwa Abschreckung durch harte Strafen), während ein Staat ohne akute Existenzprobleme kurzfristige Ineffektivität in Kauf nehmen kann, um auf lange Sicht inneren Frieden zu erzielen (etwa Vermeidung harter Strafen, um die Empfindlichkeit gegenüber Gewalt nicht abzustumpfen). Was die Verständigung über den Sinn der O r d n u n g betrifft, so hängt von ihr ab, ob Strafe etwa konflikttheoretisch als Kampfmittel der herrschenden Klasse oder sonst herrschender gesellschaftlicher Gruppen verstanden wird oder als Mittel, unberechtigte (oder unzeitgemäße) Herrschaftsansprüche abzuwehren, ob das von der „Obrigkeit" nach religiösen Vorstellungen zu führende „Schwert" trifft oder der Täter nach seinem eigenen Willen bestraft wird, weil auch er ein Vertragspartner im Sozialvertrag ist, etc. 2. Die trotz aller Unterschiede bestehenden Gemeinsamkeiten, die es erlauben, quer 2 durch die Ordnungen und deren Verständnis einheitlich von Strafe zu reden, sind folgende 1 : Stets geht es bei der Strafe um eine Reaktion auf einen Normbruch. Stets wird durch die Reaktion demonstriert, daß an der gebrochenen Norm festgehalten werden soll. Und stets erfolgt die demonstrierende Reaktion auf Kosten des für den Normbruch Zuständigen (Kosten sind in diesem Zusammenhang Einbußen an irgendwelchen Gütern). Es geht um eine normative Problematik: um die Z u o r d n u n g eines störenden Ereignisses zum Träger derjenigen Kosten, die zur Beseitigung der Störung notwendig sind. Die zur Bezeichnung der Strafe verwendeten Begriffe sind kontextabhängig, insbesondere sind es die Begriffe „ N o r m b r u c h " und „Zuständigkeit". Beispiele: Wie weit ein N o r m b r u c h objektiv an der äußeren Gestalt (am Erfolg) eines Verhaltens festgemacht wird und wie weit die subjektive Konstitution des Täters zu berücksichtigen ist, hängt von dem Maß ab, in dem f ü r den Bestand der Gesellschaft wenige, vorprägbare Sozialkontakte hinreichen oder in dem zur Ermöglichung differenter Kontakte die Gestaltung dem einzelnen Mitglied überlassen bleiben muß. Für eine Gesellschaft, die sich im 1

Achter ( G e b u r t S. 9 ff, 13 ff u n d passim) will erst v o n Strafe s p r e c h e n , w e n n n i c h t n u r reagiert w i r d , um „einen Riß im W e l t g e b ä u d e zu kitten" ( a a O S. 18), s o n d e r n w e n n bei d e r R e a k t i o n geg e n ü b e r dem T ä t e r ein V o r w u r f , ein T a d e l e r h o ben wird. Dieser T a d e l w i r d a b e r — w a s Achter w o h l a u c h nicht v e r k e n n t — n u r e r f o r d e r l i c h , wenn der G r u n d der Reaktion, der N o r m b r u c h , n i c h t m e h r n u r im „ W e l t g e b ä u d e " liegt, s o n d e r n

im K o p f des T ä t e r s ( m a n k ö n n t e a u c h den Begriff des N o r m b r u c h s f ü r dieses subjektive V e r s a g e n reservieren). J e d e n f a l l s w i r k e n die t a d e l n d e u n d die nicht t a d e l n d e R e a k t i o n f u n k t i o n a l äquivalent, seil. Gegenseitigkeit w i e d e r h e r s t e l l e n d , u n d z w a r auf K o s t e n eines Z u s t ä n d i g e n . — Z u r V e r b i n d u n g d e r S t r a f e mit d e m T a u s c h u n d mit dem O p f e r im M e r k m a l d e r Gegenseitigkeit siehe G e l ten U r m e n s c h S. 45 f f , 48. 5

1. Abschn

l.Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

Tausch von Standardartikeln und in ritualisierter Religionsausübung erschöpft, gelten andere Regeln als für eine Gesellschaft mit hoch komplexer Verknüpfung des Verhaltens ihrer Mitglieder. — Wenn es heute als selbstverständlich angesehen wird, daß für einen Normbruch immer nur zuständig sein kann, wer selbst daran handelnd oder nicht-hindernd beteiligt ist, so setzt diese Sicht — neben zahlreichen weiteren Bedingungen — voraus, daß die Mitglieder der Gesellschaft unvermittelt angehören (und nicht etwa vermittelt als Glieder einer Sippe). 3

B. Dieser Umriß, der nachfolgend für das geltende Recht — das Strafgesetzbuch (StGB)2 — ausgefüllt werden muß, unterscheidet sich von einem geläufig gezeichneten Bild der Strafe: Das Unrecht ist ein Übel und die Kostentragungspflicht für den Täter ist auch ein Übel, aber trotzdem läßt sich Strafe nicht als Übelszufügung wegen eines begangenen Übels bestimmen 3 : Es wäre unvernünftig, „ein Übel bloß deswegen zu wollen, weil schon ein anderes Übel vorhanden ist", und diese Sequenz der Übel bezeichnet die Strafe auch nur nach ihrem „oberflächliche(n) Charakter" 4 . Strafe muß positiv definiert werden: Sie ist Demonstration von Normgeltung auf Kosten eines Zuständigen. Dabei springt ein Übel heraus, aber die Strafe hat nicht schon bei diesem Effekt ihre Aufgabe erfüllt, sondern erst mit der Stabilisierung der verletzten Norm. II. Die Theorie der positiven Generalprävention 5 A. Die Notwendigkeit sicherer Normgeltung

4

1. Wie sich die Menschen beim Umgang mit der Natur nur zurechtfinden, soweit sie Regelmäßigkeiten erkennen können, so ist auch bei — hier allein interessierenden — sozialen Kontakten 5 3 Orientierung nur möglich, wenn nicht jederzeit mit jedem beliebigen Verhalten der anderen Menschen gerechnet werden muß. Ansonsten würde jeder Kontakt zu einem unkalkulierbaren Risiko 6 . Wenn ein sozialer Kontakt überhaupt eingegangen wird, ist dies schon ein Zeichen dafür, daß kein völlig unbestimmter Ausgang erwartet wird. Wird die Erwartung enttäuscht 7 , so entsteht für den Enttäuschten ein Konflikt, in dem er reagieren m u ß 8 ; denn durch die Enttäuschung steht 2 Vom 15. 5. 1871 RGBl. S. 127, in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. 3. 1987 BGBl. I S. 945, 1160, zuletzt geändert durch Art. 1 des 25. StrÄndG vom 20. 8. 1990, BGBl. I S . 1764. 3 So die Definition bei Grotius De iure belli ac pads, liber II caput X X , de poenis: „Poena est malum passionis, quod infligitur propter malum actionis". 4 Hegel Grundlinien der Philosophie des Rechts, Berlin 1821, § 9 9 5 Das folgende Modell des Zusammenhangs zwischen N o r m b r u c h und Normbestätigung durch Strafe erfaßt nicht jede Variante der staatlichen Strafe nach geltendem Recht, wohl aber die hauptsächlichen Züge. 5a Es geht nicht um — natürliche, nicht soziale — Kontakte mit zwnnoralischen Wilden oder sonst aus der Sozialität ausgegrenzten Anderen; auch die Entstehung von Sozialität wird hier nicht behandelt, sondern eine Bedingung ihres Bestands; kritisch KindhäuserCA 1989 S. 493 ff, 503. 6 Dabei liegt die Grenze zwischen einerseits dem Umgang mit der N a t u r und andererseits sozialen Kontakten nicht vorab fest: Sie verschiebt sich

6

zugunsten des sozialen Bereichs, soweit die N a t u r als personhaft agierend verstanden wird (dazu Kelsen Vergeltung passim), und zugunsten des natürlichen Bereichs, soweit Menschen als bloße Durchgangsstellen natürlicher Prozesse verstanden werden. 7 Eine Enttäuschung liegt vor, wenn sich eine Erwartung nicht erfüllt; ob das überraschend geschieht oder vorausgesehen wurde, ist f ü r den Begriff irrelevant. 8 Zum folgenden Text siehe Luhmann Rechtssoziologie Bd. I S. 40 ff; 53 ff, 106 f f ; Festinger T h e o rie der kognitiven Dissonanz S. 15 ff, 177 ff und passim; ferner Schild J Z 1980 S. 597 ff; Killias SchwZStr. 97 (1980) S. 31 ff; Jakobs Schuld und Prävention S. 8 f f ; ders. in: Aspekte der Freiheit S. 69 ff, 72 ff; siehe auch von der Linde Rechtfertigung S. 219 ff. — Zu Techniken der Konflikterledigung siehe ferner Scott und Lymann in : Symbolische Interaktion S. 294 ff, 295 ff; Schild in: Rechtsproduktion S. 195 ff; AK-Schild Rdn. 116 ff, 124 ff vor § 13; — juristisch weniger ergiebig Austin in: Analytische Handlungstheorie S. 8 ff.

Inhalt und Aufgabe staatlichen Strafens

1. Abschn

fest, daß die Bilanz zwischen den Verläufen, auf deren Eintritt er baut, und den Verläufen, die realisiert werden, nicht mehr stimmt: Die Orientierungsmuster des Enttäuschten müssen überprüft werden. 2 a) Nun können bei sozialen Kontakten auch Enttäuschungen der Art entstehen, 5 wie sie beim Umgang mit der Natur vorkommen. Jeder Mensch weiß, daß sein Gegen über auch „aus Fleisch und Blut" und deshalb natürlichen Gesetzen unterworfen ist, also etwa in tiefem Wasser ertrinkt, wenn er nicht schwimmen kann, umfällt, wenn er heftig gestoßen wird, oder in Krämpfe verfällt, wenn er einen epileptischen Anfall erleidet. Insoweit wird vom Partner des sozialen Kontakts nur erwartet, daß sein Befinden den Regeln alles Natürlichen folgt, nicht aber, daß er Rechtsnormen beachtet. Diese Erwartungen sind kognitiver Art, d. h. im Enttäuschungsfall hat man sich verkalkuliert und muß umlernen, also pro futuro — durch Erfahrung klug geworden — besser kalkulieren, wenn man die Enttäuschung nicht als quantité négligeable abtun kann. Damit soll nicht behauptet werden, das Recht könne oder dürfe niemals Nichtschwimmern Rettungsmaßnahmen in tiefem Wasser gebieten oder gewaltsam zum Torkeln gebrachten Personen verbieten, gegen Glasvitrinen zu fallen, oder von einem Krampfanfall Heimgesuchten, um sich zu schlagen, etc.; behauptet wird nur, daß in der Gesellschaft gegenwärtiger Gestalt diese Befindlichkeiten als natürlich behandelt werden (wobei nicht ausgeschlossen ist, daß man gegebenenfalls mit rechtlichem Nachdruck Vorsorge treffen muß, nicht in solche natürlichen Befindlichkeiten hineinzugeraten). Die Behandlung dieser Befindlichkeiten als natürlich erfolgt, weil die Zurechnung der Befindlichkeiten potentiell jedermann ohne Möglichkeit einer Vorsorge zum Straftäter machen und deshalb ebensoviel Erwartenssicherheit aufheben würde, wie sie garantieren könnte. — Der Grenzverlauf dieser Erwartungsart zur folgenden ist das Problem des Handlungsbegriffs (unten 6/1 ff), teils auch ein Problem der Schuld (unten 17/1 ff). b) Eine Enttäuschung speziell im Bereich sozialer Kontakte betrifft diejenigen Er- 6 Wartungen, die sich aus dem Anspruch an den Partner ergeben, dieser werde die geltenden Normen respektieren. Der Anspruch kann dabei der kognitiven Lagebeurteilung widerstreiten. Beispiel : Auch wer sieht, wie der Steuermann Alkohol trinkt, gibt den Anspruch auf eine sichere Fahrt nicht auf. Eine normative Erwartung muß auch im Enttäuschungsfall nicht preisgegeben, sondern kann (kontrafaktisch) durchgehalten werden, indem nicht die Erwartung des Enttäuschten, sondern der Normbruch des Enttäuschenden als der maßgebliche Fehler definiert wird. Beispiel: Man sperrt den Übeltäter zur Demonstration der Fehlerhaftigkeit seines Verhaltens ein. c) Weil Menschen die Welt gestalten (organisieren) können, aber auch immer in 7 einer schon gestalteten Welt (einer Welt mit Institutionen) leben, können sich die für die Ermöglichung sozialer Kontakte unumgänglichen, stabilen normativen Erwartungen — abgesehen von den unterschiedlichen Inhalten der Normen — auf zwei verschiedene Gegenstandsbereiche beziehen. Zum einen ist eine Erwartung notwendig, daß alle Menschen ihren Organisationskreis in Ordnung halten und somit Außenwirkungen ausbleiben, durch die andere geschädigt werden könnten. Die Stabilität dieser Erwartung ist nicht nur unumgänglich, weil niemand alle Organisationskreise zusammen beherrschen kann, sondern auch weil wegen des Rechts auf je eigene Organisation niemand solchermaßen umfassend herrschen darf. Diese Erwartung hat einen nur-negativen Inhalt: Die Organisationskreise sollen getrennt bleiben. Die Enttäuschung der Erwartung führt zu Delikten, die Herrschaftsdelikte heißen oder Delikte kraft Organisationszuständigkeit (unten 7/56 ff; 21/16 ff; 28/14; 29/29 ff). Zum anderen ist eine Erwartung des ordnungsgemäßen Funktionierens der elementaren Institutionen not7

1. A b S C h n

I · Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

wendig. Diese Erwartung hat einen positiven Inhalt, seil, daß die Institutionen auf den Organisationskreis einzelner Personen abgestimmt werden. Die Enttäuschung dieser Erwartung führt zu Delikten, die Pflichtdelikte heißen oder Delikte kraft institutioneller Zuständigkeit (unten 7/70; 21/115; 25/43 ff; 28/15; 29/57 ff). 7a

3. Allein die Erwartung, wer am sozialen Kontakt teilnimmt, werde die geltenden Normen respektieren wollen, macht solche Kontakte nicht planbar; denn der Partner muß nicht nur guten Willens sein, sich an die Ordnung zu halten, sondern er muß auch wissen, wann das normativ geregelte Verhalten der Fall ist. Beispiel: Wer andere Menschen nicht gefährden will, kann sich nur dann ungefährlich verhalten, wenn er zudem weiß, welche Verhaltensweisen gefährlich sind. Normbefolgung ist ohne Wissen davon, wie die Welt gestaltet ist und nach welchen Regeln Veränderungen miteinander verknüpft sind, nicht möglich. Trotzdem wird nur der Normbefolgungswille rechtlich garantiert, nicht auch das zur Normanwendung gehörende Wissen. Diese Beschränkung hat folgenden Grund 8 a : Ohne das zur Orientierung der Welt gehörende Wissen kann niemand planvoll leben; hinreichendes Bemühen um dieses Wissen wird also schon dadurch garantiert, daß ansonsten ein Scheitern des Lebens als poena naturalis droht. Der Normbefolgungsbereitschaft fehlt eine solche „natürliche" Garantie; das ist der Grund f ü r die Notwendigkeit einer Sanktion. Beispielhaft gesprochen: Wer die elementaren Regeln der Mathematik nicht beachtet, wird als Dummkopf angesehen, aber nicht, wer die elementaren Regeln des Zusammenlebens vernachlässigt; letzterer wird erst durch die Strafe f ü r unmaßgeblich erklärt (siehe unten 8/5).

B. Die Öffentlichkeit des Konflikts 8

Freilich sind die nur-individuellen Enttäuschungen der Partner sozialer Kontakte keine öffentliche Angelegenheit und deshalb kein Anlaß für staatliche Reaktionen. Selbst wenn der Staat stellvertretend f ü r den individuell Enttäuschten, etwa zur Vermeidung von Lynchjustiz, die Verfolgung des Normbrechers übernehmen könnte 9 , ergäbe das ein allenfalls mittelbares öffentliches Interesse an der Enttäuschung. Dieser Vermittlung bedarf es aber nicht; denn durch den Bruch strafrechtlich garantierter N o r men entsteht auch ein öffentlicher Konflikt 1 0 , wenn es sich überhaupt um legitime Strafrechtsnormen handelt. Strafrechtlich werden nur solche Normen garantiert, auf deren generelle Beachtung zur Erhaltung der wesentlichen gesellschaftlichen Gestalt nicht verzichtet werden kann. Die Enttäuschung, der Konflikt und das Erfordernis einer Reaktion beim Normbruch dürfen deshalb nicht als Erlebnisse des individuellen Systems „Einzelmensch" gedeutet werden, sondern sind als Ereignisse im gesellschaftlichen Bezugssystem zu verstehen. Beispiel: Eigentum hat f ü r viele Menschen einen Wert, wie ihn existentielle Güter haben, hingegen achten es manche Menschen, freilich weniger zahlreich, gering; der strafrechtliche Schutz des Eigentums erfolgt aber ohne Blick auf den Inhaber gleich, und zwar nicht allein wegen der praktisch unumgänglichen Notwendigkeit, beim Zuschnitt der rechtlichen N o r m zu generalisieren, sondern auch und vorweg wegen der Ausrichtung des Schutzes auf die gesamtgesellschaftliche 8a

9 10

8

E i n g e h e n d e r Jakobs in: S a c h v e r s t ä n d i g e s . 271 ff, 277 f ; den. Z S t W 101 S. 516 f f , 522 ff. D a z u Arzt Ruf S. 39 ff, 60 ff. D . h. nicht, ein N o r m b r u c h sei n u r in seiner Eig e n s c h a f t als K o n f l i k t ö f f e n t l i c h . Z u r N o t w e n digkeit v o n N o r m b r ü c h e n g r u n d l e g e n d Durkheim (1895), jetzt in: K r i m i n a l s o z i o l o g i e S. 3 ff (Eine Gesellschaft, in d e r die üblichen, s t r a f r e c h t lich g a r a n t i e r t e n N o r m e n ü b e r h a u p t nicht m e h r

g e b r o c h e n w ü r d e n , m ü ß t e u n d w ü r d e so s t a r k e Kollektivgefühle p r o d u z i e r e n , d a ß a u f g r u n d dieser G e f ü h l e T a t e n als V e r b r e c h e n e m p f u n d e n w ü r d e n , die a n s o n s t e n als Kleinigkeiten o. ä. unauffällig blieben); eingehend Gephart Strafe S. 21 ff ( a u c h 142 f f ) ; weitere N a c h w e i s e bei Neumann u n d Schroth T h e o r i e n S. 109 f f ; AKHassemerKdn. 52 ff v o r § 1.

Inhalt u n d Aufgabe staatlichen Strafens

1. Abschn

Bedeutung des Eigentums. Diese öffentliche Perspektive schließt es nicht aus, bei einem Eigentumsdelikt die individuelle Betroffenheit des Opfers zu berücksichtigen, aber diese Betroffenheit muß wiederum als öffentliche Angelegenheit demonstrierbar sein (als der Nötigungseffekt des Diebstahls), wenn sie zumindest das Strafmaß beeinflussen soll. C. Die Bedeutung der Strafe 1. Ein Normbruch ist nicht seiner äußerlichen Folgen wegen ein strafrechtlich 9 relevanter Konflikt; denn das Strafrecht kann die äußerlichen Folgen nicht heilen. Strafe bewirkt keinen Schadensersatz; zudem sind zahlreiche Normbrüche komplett, bevor ein äußerlicher Schaden eingetreten ist, seil, stets bei Delikten mit materiellem Versuchscharakter und ansonsten stets im Fall von Versuch und Vorbereitung (unten 25/1 ff). Ein menschliches Verhalten ist aber nicht nur ein äußerlich wirkender Vorgang, sondern in dem Umfang, in dem der Mensch die Wirkungen seines Verhaltens überblickt oder überblicken kann, bedeutet sein Verhalten auch etwas, wie ein ausgesprochener Satz etwas bedeutet (zur Notwendigkeit, das Uberblicken-Können durch das Subjekt bei der Bestimmung der Bedeutung zu berücksichtigen, siehe unten 6/24 ff). Einem Täter, der sich in bestimmter Weise verhält und der die Merkmale seines Verhaltens kennt oder zumindest erkennen kann, wird zugerechnet, er halte das Verhalten für die maßgebliche Weltgestaltung. Diese Zurechnung erfolgt wegen der Zuständigkeit für die eigene Motivation : Wäre der Täter zur Vermeidung eines Verhaltens mit den relevanten Merkmalen dominant motiviert gewesen, so hätte er sich anders verhalten; also zeigt das vollzogene Verhalten, daß dem Täter an der Vermeidung aktuell nicht dominant gelegen war. Beispiel: Wer wissentlich betrunken ein Fahrzeug im Verkehr führt und die auch ihm erkennbaren, nachteiligen Folgen, etwa für das Leben anderer Verkehrsteilnehmer, nicht berücksichtigt, macht durch sein Verhalten expressiv, daß er in der Situation, in der er sich befindet, anderes für wichtiger hält, als das Leben der Verkehrsteilnehmer dominant in Acht zu nehmen. Diese Aussage, die dem Täter als seine Ansicht zugerechnet wird, ist das Gegenteil der Aussagen, die in den Normen der §§316 und 222 StGB getroffen werden. Dieser Widerspruch gegen die Norm durch ein Verhalten ist der Normbruch. Ein Normbruch ist also eine Desavouierung der Norm. Diese Desavouierung bewirkt in dem Maß einen sozialen Konflikt, in dem die Norm als Orientierungsmuster in Frage gestellt wird. — Die genaue Bestimmung, wann ein Normwiderspruch vorliegt, ist das Problem der Zurechnungslehre, insbesondere der Zurechnung als tatbestandliches und rechtswidriges Verhalten. 2 a) Damit zeichnet sich auch schon ab, wie die Strafe als Reaktion in dem Konflikt 10 zu verstehen ist: Sie darf — wie der Normbruch — nicht als ein nur-äußerliches Ereignis beurteilt werden (dann kommt nur die unvernünftige Sequenz zweier Übel heraus), sondern auch die Strafe bedeutet etwas, seil, daß die Bedeutung des normbrechenden Verhaltens unmaßgeblich und die Norm nach wie vor maßgeblich ist. Es wird demonstriert, daß der Täter nicht richtig organisiert hat: Man nimmt ihm Organisationsmittel weg 10a . Dieser auf Kosten des Täters vollzogene Widerspruch gegen den Normbruch ist die Strafe. b) Entsprechend der Lokalisierung von Normbruch und Strafe auf der Ebene der 11 Bedeutung, nicht der äußeren Verhaltensfolgen, darf als Aufgabe der Strafe nicht die Vermeidung von Güterverletzungen angesehen werden. Aufgabe ist vielmehr die Bestä10a

Zur Degradierung des Täters (im Anschluß an Garfinkel und Goffmann) siehe Weis Blau-Festschrift S. 405 ff.

9

1. Abschn

1. B u c h . 1. K a p i t e l . S t a a t l i c h e s S t r a f e n

tigung der N o r m g e l t u n g 1 1 , wobei Geltung mit Anerkennung gleichzusetzen ist. Die Anerkennung kann auch in dem Bewußtsein erfolgen, daß die N o r m gebrochen werden w i r d 1 2 ; die Erwartung (auch diejenige des zukünftigen Täters) geht in diesem Fall darauf, daß auch dann als Grund des Konflikts wiederum der N o r m b r u c h des Täters, nicht aber das Normvertrauen des Opfers bestätigt werden wird. Jedenfalls bewirkt die Strafe, daß die N o r m faktisch taugliches Orientierungsmuster bleibt 1 3 . Zusammenfassend : Aufgabe der Strafe ist die Erhaltung der Norm als Orientierungsmuster für sozialen Kontakt. Inhalt der Strafe ist ein auf Kosten des Normbrechers erfolgender Widerspruch gegen die Desavouierung der Norm.

D. Die Konflikterledigung ohne Strafe 12

1. Nicht auf jeden (bekanntgewordenen) N o r m b r u c h folgt Strafe. So kann auf Strafe verzichtet werden, wenn die Kompetenz des Täters bestritten werden kann, die N o r m zu desavouieren (der Täter ist ein Kind oder er ist geisteskrank, jedenfalls unmaßgeblich), oder wenn die Lage, in der er handelt, als eine Sondersituation definiert werden kann (er handelte in Todesnot, ohne dies verantworten zu müssen). Die Systematisierung solcher Möglichkeiten, den Täter von seinem N o r m b r u c h zu distanzieren, erfolgt in der Schuldlehre (unten 1 7 / 4 3 ff).

13

2 a) Daneben gibt es weitere Reaktionsmöglichkeiten 1 4 : Strafe kann durch funktionale Äquivalente ersetzt w e r d e n 1 4 3 ; mehr noch, der Konfliktfall muß nicht unbedingt 11

12

Luhmann Rechtssoziologie Bd. I S. 43; Neumann und Schroth Theorien S. 105. — Daß nur bei voll — auch zur Schuld — zurechenbaren sozialen Konflikten zu strafen ist, wird im 17. Abschnitt dargelegt; kritisch Lippold Rechtslehre S. 308 Fn. 67. — Kratzsch wendet ein, der hiesige Ansatz sei „zu schmal angelegt" (GA 1989 S. 49 ff, 53; Verhaltenssteuerung S. 92 ff). Nach seinem Modell sollen Täter und Opfer, Gesetzgeber und Gesetzesanwender Träger einer dynamischen Handlungsorganisation sein; Unrecht sei der schlechte Zustand des Systems, der gute Zustand, auf den die Organisation einzurichten sein soll, sei effektiver Rechtsgüterschutz, die Vermeidung von Zufallsschädigungen eingeschlossen. Unrechtsbekämpfung erfolgt vorrangig durch „Strukturierung des Gefährdungsverhaltens des potentiellen Täters, des Gefahrabwendungsverhaltens des Normsystems sowie der Wechselbeziehungen zwischen beiden" (GA 1989 S. 77). — Der entscheidende Unterschied dieses — in Teilbereichen durchaus erklärungsmächtigen — Ansatzes zum hiesigen Ansatz dürfte darin liegen, daß Kratzsch über der naturalistischen Seite der Handlung ihre kommunikative Seite vernachlässigt (deutlich etwa bei der Bestimmung des Versuchs, Verhaltensorganisation S. 436 ff, 444 ff) und deshalb den per Strafrecht zu erledigenden Bereich sozialer Konflikte überschätzt.

Luhmann Rechtssoziologie Bd. I S. 106; siehe schon M. Weher Wirtschaft und Gesellschaft, Erster Teil Kapitel I § 5, 3, Zweiter Teil Kapitel I § 1, 3. Absatz. 13 Müller-Dietz GA 1983 S. 481 ff, 485 ff weist zutreffend darauf hin, daß die Deutung, es gehe um

10

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l4a

die Erhaltung der Norm als Orientierungsmuster, bereits im 19. Jahrhundert bei der Lehre vom „intellektuellen Verbrechensschaden", den es a b z u gleichen gelte, zu finden ist. — Die der Strafe zum Teil zugesprochene Wirkung (Funktion?) einer Stärkung der Gruppensolidarität („säkularisierte Form mystischer Vereinigung", Garfinkelm: Abweichendes Verhalten Bd. III S. 31 ff, 33) ist zweifelhaft, was eine Solidarität über das Niveau hinaus angeht, das vor dem Normbruch vorhanden war. Nachweise bei Neumann und Schroth Theorien S. 103 ff; Herzog Prävention S. 125 ff. — Zu Dürkheims Festlegung der kollektiven Gefühle eingehend Gephart, Strafe S. 120 ff. Der Ersatz der Strafe wird teilweise als sogenannte Entkriminalisierung (oder Entpoenalisierung) gefeiert und kann auch eine solche sein. Freilich wird dabei meist übersehen, daß die Wahl anderer als strafender Wege zur Erledigung von Kriminalität nicht nur den Täter von Strafe entlastet, sondern auch dazu führen kann, daß dann eben die neuen Wege alles darüber zu Erledigende stigmatisieren. Eingehend zur Entkriminalisierung VoglerZStW 90 S. 132 ff; Kai'ier KlugFestschrift S. 580 ff; Walter Universität zu KölnFestschrift S. 557 ff; Brandt Bedeutung S. 169 ff, jeweils mit Nachweisen. Jakobs Schuld und Prävention S. 33; Schünemann Generalprävention S. 9. — Es geht bei der Theorie der positiven Generalprävention also nicht darum, jedenfalls Strafe und nicht eine andere Reaktion für angebracht zu erklären (das mißverstehen Schünemann in: Grundfragen S. 153 ff, 181 und BarattaKrimJ 1984 S. 132 ff, 140 ff).

Inhalt und Aufgabe staatlichen Strafens

1. Abschn

abgewartet werden : Auch Konflikt Vermeidung macht Strafe überflüssig. Aber vor dem Eintritt — jedenfalls zur Zeit noch — utopischer Ordnungen entstehen auch für die funktionalen Äquivalente der Strafe sowie für Konfliktvermeidungen Kosten (im Sinne irgendwelcher Einbußen), die verteilt werden müssen (siehe zur Subsidiarität der Strafe unten 2/26 ff). Jede zwangsweise erfolgende, nachteilige Reaktion hat informelle Konsequenzen: Wer sich solche Kosten auflädt, demonstriert seine Unfähigkeit zur Selbstverwaltung, beweist also mangelnde Kompetenz. Alle erzwungenen Erledigungsvarianten gefährden also den Status des Täters. Beispielhafte Erledigungsmöglichkeiten 14b sind : b aa) Der Konflikt läßt sich dem Opfer zuschieben, etwa wenn das Opfer darauf 13a verwiesen werden kann, daß es selbst an der aggressiven Gestaltung der Situation mitgewirkt hat (bei der Notwehrüberschreitung nach § 33 StGB; bei der Notwehrprovokation; bei der Strafmilderung nach dem benannten Teil von §213 StGB; bei der Retorsion nach den §§ 199,233 StGB Hc). bb) Man kann die enttäuschte Erwartung preisgeben, und zwar nicht aus Einsicht in ihren Mangel an Berechtigung, sondern wegen der faktischen Unmöglichkeit, sie zu stabilisieren. Beispiele bilden die Zurücknahme des sogenannten Demonstrationsstrafrechts durch das dritte Strafrechtsreformgesetz 1 4 ^, zahlreiche Fälle von vorgeblich nach § 218 a Absatz 2 Nr. 3 StGB indizierten Schwangerschaftsabbrüchen sowie Bereiche faktischer Nicht-Verfolgung bei Eigentumsdelikten (etwa Fahrraddiebstahl). Soweit nicht — wie im letzteren Fall — kognitive (Delinquenz praktisch erschwerende) Sicherungen möglich sind (Selbstschutz), bedroht die Preisgabe, da sie wiederholbar ist, die Verläßlichkeit der Orientierung. cc) Man kann von dem Konflikt erfahren, sich aber so verhalten, als hätte man ihn nicht zur Kenntnis genommen 1 4 e . Auch diese Verweigerung ist eine Reaktion. Wiederum erfolgt die Erledigung unter Bedrohung der allgemeinen Orientierung, da die Welt nur noch selektiv verarbeitet wird. Im Bereich informeller Normen ist das großzügige Ubersehen eines Fehlers geläufig. Bei den strafrechtlichen Normen liegen die Beispiele meist im Bereich bagatellhafter Verstöße. Gewichtiger war die Delinquenz in den Universitäten zur Zeit der Studentenunruhen ab 1968: Massenhafte Nötigungen und Beleidigungen, aber auch Freiheitsberaubungen und Körperverletzungen sind nicht registriert worden, weil befürchtet wurde, schon die Registrierung werde wie eine Provokation zu weiteren Taten wirken. dd) Optimaler privater kognitiver Schutz gegen Delinquenz ist kostenintensiv: Ent- 13b weder muß das geschützte Gut aus dem Verkehr gezogen werden, womit es in der Regel seine Funktion verliert (vergrabenes Geld bringt keine Zinsen), oder es bedarf kontrollierender Zuwendung (wer kann sich schon einen Revisor oder einen Leibwächter leisten?). Der erklärungsmächtigste Topos der Staatstheorie hat zum Inhalt, diese Schwäche des privaten Schutzes beruhe darauf, daß die Schutzaufgabe dem Staat 14

b Z u den Strategien, die dem einzelnen O p f e r z u r V e r f ü g u n g stehen, siehe Hanak K r i m J 1984 S. 161 ff, 166 ff mit N a c h w e i s e n . 14c D a z u KiehlToleranz S. 898 ff u n d p a s s i m ; Neumann in : S t r a f r e c h t s p o l i t i k S. 225 ff, 227 ff. l t d V o m 2 0 . 5 . 1 9 7 0 BGBl. I S. 505; d a z u LK-v. BubnoffKàa. 1 ff v o r § 125 mit N a c h w e i s e n . 14e Alle D e l i n q u e n z w i r d p r a k t i s c h n u r selektiv strafrechtlich verfolgt. O b die Selektion, die ein D u n kelfeld beläßt, n u r aus den — z u m a l im R e c h t s -

staat — b e s c h r ä n k t e n V e r f o l g u n g s m ö g l i c h k e i t e n resultiert o d e r a b e r die latente F u n k t i o n hat, U b i quität v o n D e l i n q u e n z zu verschleiern, ist streitig; g r u n d l e g e n d z u r F u n k t i o n des D u n k e l f e l d s Popitz P r ä v e n t i v w i r k u n g S. 20 u n d p a s s i m ; zu den s t r a f r e c h t l i c h e n K o n s e q u e n z e n aus diesem A n satz Lüderssen S t r a f r e c h t S. 20 f f ; kritisch Schiinemann in: D u r c h s e t z u n g S. 39 ff, 46 ff mit weiteren Nachweisen.

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1. A b S C h n

ι · Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

übertragen worden sei (Hobbes); nimmt der Staat freilich seine Aufgabe optimal wahr, zerstört er diejenigen Systeme (die Einzelnen), die er vor Zerstörung schützen soll (er wird zum totalen Staat). — Diese Einwendungen gegen den optimalen privaten wie öffentlichen Schutz sind kein Grund, sub-optimalen Schutz zur Konfliktvermeidung nicht erst zu versuchen. Deshalb sind nicht nur Leichtsinn des Opfers oder Fehlen angebrachter polizeilicher Kontrolle Gründe zur Milderung der Strafe, sondern insbesondere sind Maßregeln der Besserung und Sicherung legitim, solange sie verhältnismäßig limitiert werden. Aller kognitiver Schutz wird, wenn er nicht eine vorübergehende Angelegenheit bleibt, normativ flankiert (er wird zur Pflicht) : Dieses Abfärben der geschichtsmächtigen Ist-Gestalt der Gesellschaft auf ihre Soll-Gestalt heißt die normative Kraft des Faktischen. 13c

ee) Zahlreiche weitere nicht-strafende Reaktionen schillern wie einige vorgehend genannten zwischen kognitiven und normativen Erwartenssicherungen. α) Das gilt f ü r die sichernde oder erziehende Beeinflussung von Delinquenz durch Maßregeln (unten 1/53 ff). Maßregeln folgen auf die Feststellung eines Verhaltensfehlers beim T ä t e r ; sie enthalten die Ankündigung einer schärferen Mißbilligung in dem Sinn, daß Personen ohne Zurechnungsdefizit ein solches fehlerhaftes Verhalten als schuldhaft zugerechnet werden wird. ß) Bei der öffentlichen Mißbilligung unter Androhung der Intensivierung dieser Mißbilligung auf Kosten des Täters (Strafaussetzung, § 56 StGB; Verwarnung mit Strafvorbehalt, § 59 StGB) handelt es sich um eine partiell kognitive Erledigung (zukünftiges Wohlverhalten soll durch die konkretisierte Strafdrohung erzwungen werden) neben einer partiellen normativen (immerhin erfolgt eine öffentliche Verurteilung). N o c h stärker strafähnlich ist die Einstellung nach § 153 a S t P O ausgestaltet. γ) Zivilrechtliche Reaktionen nach einem strafrechtlichen Schuldspruch wiederholen die Mißbilligung; sie können auch anstelle eines Schuldspruchs erfolgen. Insbesondere eine Schadensersatzleistung als Beseitigung von Deliktsfolgen (und stärker noch ein S c h m e r z e n s g e l d b e s t ä t i g t die Geltung der übertretenen N o r m . Zudem dürften die Kosten in der Regel auf den Pflichtigen abschreckend wirken. Die dem Schadensersatz auch zugeschriebene Eigenschaft, eine Anerkennung des Opfers zu bewirken, mag sich im Einzelfall verwirklichen; dieser Erfolg ist aber jedenfalls nicht erzwingbar. — Die Bedeutung des Normübertritts hängt von der zu ersetzenden Schadenshöhe nicht ab (die H ö h e ist beim folgenlosen Mordversuch gleich Null und kann bei nicht einmal strafrechtlich sanktionierten N o r m e n — etwa bei dem Verbot fahrlässiger Sachbeschädigung — existenzvernichtende H ö h e n erreichen). Trotzdem mag im Einzelfall die Ersatzpflicht als Deliktsfolge hinreichen; zudem mag bei manchen Delikten ein V o r r a n g der Ersatzpflicht vor der Strafe dem Opfer gegenüber angebracht sein 14 e. Für weitere kommt ein — den zivilrechtlichen Rahmen übersteigender — umfassender Täter-Opfer-Ausgleich in Betracht 1 4 h . δ) Das Jugendstrafrecht kennt zwei ahndende Reaktionen : die Jugendstrafe und die Gruppe der Zuchtmittel. Daneben stehen die nicht ahndenden (und auch nicht „wegen" 14f 14

Dazu Arzt Intimsphäre S. 311 ff. S Aus der Literatur: grundlegend Frehsee SchadensWiedergutmachung passim mit umfassenden Nachweisen; zu den präventiven Wirkungen siehe Roxin in: Wiedergutmachung S. 37 ff; ferner Sessar Leferenz-Festschrift S. 145 ff; Seelmann J Z 1989 S. 670 ff, 672 f; de lege ferenda

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Lüderssen Krise S. 60 ff und passim (Kompensation und Resozialisierung als einzig legitime Reaktionen auf Kriminalität); zur prozessualen Seite siehe WeigendNyW 1987 S. 1170 ff, 1176. Siehe die Vorschläge bei Äössnerund Wulf Strafrechtspflege, passim; .KaiserKriminologie § 74.

Inhalt und Aufgabe staatlichen Strafens

1. Abschn

sondern nur „aus Anlaß" der T a t verhängten) Reaktionen der Gruppe der Erziehungsmaßregeln (§ 5 Abs. 1 und 2 J G G ) . Solange es eine besondere Behandlung der NichtErwachsenen gibt, in neuerer Zeit freilich verstärkt und offen, gibt es Versuche, zur Entwicklung „alternativer, nämlich informeller Verfahrensformen und Reaktionsweisen, die in Abkehr von dem in S t P O und J G G vorgesehenen ,normalen' Strafverfahren eine schnellere Reaktion auf kleinere und mittlere Straftaten und Jugendverfehlungen ohne stigmatisierende Wirkung gestatten" 1 4 1 (Umleitung vor der strafrechtlichen Erledigung: Diversion 14 i). Das Spektrum reicht von der Untätigkeit der Polizei in Bagatellfällen (diversion to nothing) bis zu intensiv erziehenden Programmen. ε) Selbst die poena naturalis, „dadurch das Laster sich selbst bestraft" 1 4 k , hat den Effekt einer Mißbilligung: Es geht nicht um die Konsequenz irgendeinen Verhaltens (das wäre schlicht Unglück), sondern eines speziell falschen Verhaltens. Wer einen Schaden als poena naturalis definiert, mißbilligt den Schadensgrund. — Zur Gefahr einer poena naturalis bei Fahrlässigkeit siehe unten 8/5. ζ) Das Gegenteil der poena naturalis ist der Verbrechensgewinn. Seine „Abschöpfung" ist deshalb eine strafende Reaktion 141.

E. Ergebnis 1. In den Kategorien der üblicherweise als Straftheorien bezeichneten Problembe- 1 4 reiche heißt das : Der Widerspruch gegen den N o r m b r u c h durch Strafe erfolgt nicht um seiner selbst willen, sondern weil auf garantierte Orientierungen im sozialen Leben nicht verzichtet werden kann. Die Strafe hat also eine Aufgabe, die sich letztlich auf genau dem Niveau auswirken soll, auf dem gesellschaftliche Interaktion stattfindet, und sich nicht darin erschöpft, etwas zu bedeuten: Strafe soll die Bedingungen solcher Interaktion schützen und hat deshalb eine präventive Aufgabe. 2. Der Schutz erfolgt durch Bestätigung der auf N o r m e n Vertrauenden in ihrem 1 5 Vertrauen. Die Bestätigung hat nicht zum Inhalt, nachfolgend werde niemand mehr Normen brechen, da die Strafe potentielle Delinquenten abschrecken werde, noch weniger geht es um irgendwelche Prognosen speziell zum künftigen Verhalten des Täters. Adressaten der Strafe sind primär überhaupt nicht einige Menschen als potentielle Täter, sondern alle Menschen, da alle ohne soziale Interaktionen nicht auskommen können und da deshalb alle Menschen wissen müssen, was sie dabei erwarten können. Insoweit erfolgt Strafe zur Einübung in Normvertrauen. Zudem belastet die Strafe das normbrechende Verhalten mit Kostenfolgen und erhöht deshalb die Chance, daß dieses Verhalten allgemein als nicht diskutable Verhaltensalternative gelernt wird. Insoweit erfolgt Strafe zur Einübung in Rechtstreue. Zumindest aber wird durch die Strafe der Konnex von Verhalten und Kostentragungspflicht gelernt, mag auch die N o r m trotz des Gelernten übertreten werden; insoweit geht es um Einübung in die Hi SchaffsteinJescheck-Festschrift S. 937 ff, 938. J Aus der Literatur Blau Jura 1987 S. 25 ff (anschaulich!); den. und Franke ZStW 96 S. 485 ff; Herrmann ZStW 96 S. 454 ff; Schaffstein Jescheck-Festschrift S. 937 ff; Walter Z S t W 9 5 S. 32 ff; Kuhlen Diversion, passim; — Diversion wird gleichermaßen als Aufweichung der Rechtsform wie als Ausweitung staatlich kontrollierten Zugriffs (dazu die Beiträge bei Kerner Diversion, passim; Albrecht Jugendstrafrecht S 5 II) kritisiert.

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Kant Metaphysik der Sitten Erster Theil, 2. Auflage, Königsberg 1798, II. Teil, 1. Abschnitt, Allgemeine Anmerkung E, mit dem nicht zu akzeptierenden Zusatz, der Gesetzgeber nehme darauf „gar nicht Rücksicht". 14 ' Siehe Kaiser Tröndle-Festschrift S. 685 ff; zum deutschen und ausländischen Recht eingehend Meyer u. a. m. : Gewinnabschöpfung, passim, jeweils mit Nachweisen; Herzog KJ 1987 S. 321 ff; zum österreichischen Recht Schmoller Ö J Z 1990 S. 257 ff, 300 ff; zur „Vermögensstrafe" siehe MeyerZKP 1990 S. 85 ff, 87 ff.

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1. Abschn

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

Akzeptation der Konsequenzen. — Die drei genannten Effekte lassen sich als Einübung in Normanerkennung zusammenfassen. Da diese Einübung bei jedermann erfolgen soll, handelt es sich bei dem beschriebenen Modell der Aufgabe staatlichen Strafens um Generalprävention durch Einübung in Normanerkennung15 (sogenannte positive oder allgemeine — d. h. nicht nur abschreckende — Generalprävention 1 6 ). 16

3. Sekundär mag die Strafe den Bestraften oder dritte Personen so beeindrucken, daß diese von künftigen Taten ablassen. Solche nicht über Normanerkennung, sondern über Furcht vermittelten Effekte sind Beigaben der Strafe, die erwünscht sein mögen; es ist aber nicht die Aufgabe der Strafe, diese Effekte hervorzurufen. Es wird freilich noch darzulegen sein, daß ein Mindestmaß an kognitiver Untermauerung der Normen zur Stabilisierung ihrer Geltung unabdingbar ist (siehe unten zu den Maßregeln 1/56). 15 Jakobs Schuld und Prävention S. 10 f, 32 f, freilich allein auf Einübung in Rechtstreue abstellend und unter Vernachlässigung der vertrauensbildenden und Akzeptation der Konsequenzen ermöglichenden Wirkung. — Hassemer verweist zutreffend auf die Nähe zu Welzeis (Strafrecht § 1 I S. 4) Lehre vom strafrechtlichen „Schutz der elementaren sozialethischen Gesinnungs-(Handlungs-)werte", AK-Hassemer Rdn. 253 f, 429 vor § 1. Er wirft der hiesigen Position freilich vor, ihr müsse „die rechtsstaatlich begründete Beschränkung strafrechtlicher Veranstaltungen zur Einübung in Normanerkennung . . . von außen angestückt werden" (aaO Rdn. 254; siehe auch ders. Einführung S. 286 f). Daran ist richtig, daß diese Beschränkung nicht im Begriff der Strafe steckt, sondern in der konkreten Gestalt derjenigen Gesellschaft, von der Strafrecht ein Teil ist. 16 Ähnliche Konzepte bei NollH. Mayer-Festschrift S. 219 ff (mit Ausführungen zur Einfärbung der Schuld durch Generalprävention S. 220 ff); ders. AT § 5 Abschnitte 4 und 5; Hassemer in: Hauptprobleme S. 29 ff, 51 ff; ders. in: Fortschritte S. 39 ff, 57 ff (auch ders. JuS 1987 S. 257 ff) ; AKHassemer Rdn. 429 ff vor § 1 ; Liiderssen in: Hauptprobleme S. 54 ff (mit einer Limitierung der Generalprävention durch den Vorrang von Spezialprävention S. 80); Schünemann GA 1986 S. 293 ff, 305 mit weiteren Nachweisen; eingehend Moos Pallin-Festschrift S. 283 ff, 300 ff. Darstellung der einzelnen Modelle bei Neumann und Schroth Theorien S. 33 ff; Schumann Generalprävention S. 2 ff und S. 14 ff, dort S. 26 ff auch zu den Möglichkeiten empirischer Sicherung der Theorien (dazu auch unten in dieser Fn.); Schumann weist zutreffend darauf hin, daß Modelle der hiesigen Art simplifizieren (S. 50). — Das Ergebnis berührt sich mit der Deutung von Schmidhäuser AT 3/16 (die hiesige Normanerkennung entspricht Schmidhäusers Vermeidung des offenen Rechtsbruchs); ders. Sinn S. 48 ff, 52; ders. Studienbuch S. 2/15 ff. — Weitreichende Übereinstimmung besteht auch mit einigen tiefenpsychologischen Deutungen des staatlichen Strafens als „latent wirksamer Sozialisationsfaktor" oder „kollektive Erziehung durch Strafandro-

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hung" (HaffkeTiefenpsychologie S. 80, 167) oder „Stützung der im Uber-Ich verankerten Wertordnung" (Streng ZStW 92 S. 637 ff, 674 und passim; ders. ZStW 101 S. 273 ff). Die Verbindlichkeit der bei diesen tiefenpsychologischen Deutungen vorausgesetzten Gesetzmäßigkeiten muß für das hier entwickelte Modell nicht notwendig akzeptiert werden. Siehe auch Engelhardt Psychoanalyse S. 212 ff; Baratta KrimJ 1984 S. 132 ff, 136 f; Giehring KrimJ 1987 S. 2 ff; Böllinger KrimJ 1987 S. 32 ff; Streng KrimJ 1987 S. 48 ff. — Ältere Ansätze: Nowakowski Rittler-Festschrift S. 55 f, 64 ff; H.Mayer Studienbuch § 3 I 2. — Zum Verhältnis der positiven Generalprävention zum vergeltenden Strafrecht Arthur Kaufmann H. Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 425 ff, 429 f. — Prinzipielle Einwendungen bei Köhler Zusammenhang, passim; dazu unten 1/Fn. 24; kritisch ferner Maiwald Lackner-Festschrift S. 149 ff, 155 ff; Calliess Zeitschrift für Evangelische Ethik 33 (1989) S. 109 ff, 112 ff; ders. N J W 1989 S. 1338 ff, 1339 f. - Zur Integrationsprävention als Verteidigung der Rechtsordnung im Bereich der Strafzumessung siehe Müller-Dietz Jescheck-Festschrift S. 813 ff, 817 ff; Maiwald GA 1983 S. 49 ff, 62 ff mit umfassenden Nachweisen. — Zu den empirischen Grundlagen Schöch Jescheck-Festschrift S. 1081 ff mit folgenden Resultaten (S. 1102, 1104): „Für den Bevölkerungsdurchschnitt liegt die Begehung von Straftaten wegen der hohen moralischen Verbindlichkeit von Strafrechtsnormen so fern, daß selbst bei minimalem Entdekkungsrisiko oder bei mildester Strafzumessungspraxis keine verbreitete Neigung zu Deliktsbegehung besteht. . . . Jede Strafe, welche den Normbruch überhaupt deutlich macht und nicht verharmlost, ist geeignet, die generalpräventive Aufgabe des Strafrechts zu erfüllen". Über besondere Deliktsgruppen oder besondere Tätergruppen soll damit nicht befunden sein. Zur kriminologischen Plausibilität der Wirkungsannahmen zur Integrationsprävention siehe auch Dölling ZStW 102 S. 1 ff, 14 ff. - Eingehende Nachweise zum Verhältnis von Schuld und positiver Generalprävention unten 17/Fn. 45.

Inhalt und Aufgabe staatlichen Strafens

1. Abschn

III. Die absoluten Theorien A. Die Vergeltungs theorien 1. Die Inhalte der Straftheorien 17 werden verbreitet auf zwei Formeln reduziert: 17 Punitur, quia peccatum est (absolute Theorie) und punitur, ne peccetur (relative Theorie) 18. Mit diesem Inhalt lassen sich freilich die Theorien der neueren Zeit überwiegend nicht mehr gegenüberstellen 18a . Für die Gegenwart kann sogar als ausgemacht gelten, daß nur zur Erhaltung der gesellschaftlichen Ordnung gestraft wird, so daß sich alle Theorien im „ne peccetur" treffen, genauer: im Interesse an Normstabilisierung. Der Streit geht nur noch darum, ob und in welchem Maß die Strafe nach dieser Aufgabe zu bestimmen ist oder aber einen von der Aufgabe unabhängigen Inhalt hat. Demgemäß wird hier wie folgt differenziert: Als absolut werden an einer Straftheorie alle Elemente bezeichnet, deren Inhalt sich ohne Blick auf den Beitrag der Strafe zum Erhalt der sozialen Ordnung allein aus dem Umstand ergibt, daß eine Norm gebrochen wurde; das können neben dem Ob der Strafe auch deren Maß oder Höchstmaß sein. Relativ sind demgemäß diejenigen Elemente von Straftheorien, deren Inhalt durch die Aufgabe der Strafe für die soziale Ordnung vermittelt wird. 2. Nach dem zuvor dargestellten Modell positiver Generalprävention soll die Strafe 18 Erwartenssicherheit bei sozialen Kontakten garantieren und damit Gesellschaft ermöglichen. Eine Rechtfertigung, so zu verfahren, gibt das Modell nicht; es setzt vielmehr voraus, daß die gesellschaftliche Ordnung die Kosten wert ist, die dem Normbrecher auferlegt werden 19 . Dagegen werden zwei Einwände erhoben : Zum einen soll das, was zu garantieren ist, nicht der reale gesellschaftliche Bestand sein, sondern die Gerechtigkeit; zum anderen soll die Garantie nicht so erfolgen dürfen, daß der Täter als Mittel zur Beförderung des Wohls der anderen Menschen benutzt wird. Das Gewicht beider Einwände ist schwer zu beurteilen, weil die Beförderung von Gerechtigkeit als Selbstzweck im strafrechtlichen Schrifttum heute nicht mehr vertreten wird und auch historisch nur vereinzelt vertreten worden ist. Wenn aber in der Hauptsache außer Streit steht, daß Strafrecht der Erhaltung erhaltenswerter (!) gesellschaftlicher Ordnung dienen soll, geht es nicht mehr um eine absolute Legitimation von Strafe, sondern nur noch um die absolute Begrenzung relativ legitimierter Strafe oder um die relative Untermauerung einer als unzureichend empfundenen absoluten Legitimation 19a . So ist selbst das bekannteste Prinzip vergeltenden Strafens, das Talionsprinzip — d. h. das Prinzip der Vergeltung einer (Ubel-)Tat mit Gleichem —, zumindest auch eine Strafbe-

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Z u r G e s c h i c h t e d e r S t r a f t h e o r i e n siehe v. Hippel S t r a f r e c h t Bd. I §§ 21 f f ; Nagler S t r a f e S. 120 f f ; MüllerBegriíí S. 64 ff. 18 Die F o r m e l n gehen auf Protagoras z u r ü c k ; ihre heutige Gestalt v e r d a n k e n sie Grotius, d e r wied e r u m an eine S e n t e n z Senecas a n k n ü p f t : „ N a m , ut Plato ait, n e m o p r u d e n s punit, quia p e c c a t u m est, sed ne p e c c e t u r . R e v o c a r i enim praeterita n o n possunt, f u t u r a p r o h i b e n t u r " . Siehe ν. Hippel S t r a f r e c h t Bd. I § 2 1 III 1; Menzel Ö s t e r r e i c h i sche Z e i t s c h r i f t f ü r S t r a f r e c h t 1910 S. 389 ff, 398. 18» E. A. Wolff Z S t W 97 S. 787 ff, 788. Wolff selbst e n t w i r f t gegen finale (zweckorientierte) S t r a f t h e o r i e n einen S t r a f b e g r i f f , in dem „die Beteiligten . . . sich in i h r e r finalen G e b u n d e n heit'^!) a u f n e h m e n u n d ihre V e r h ä l t n i s s e so o r d nen, „ d a ß gleichbedeutsame Selbstbestimmung

19 •9a

Dasein h a b e n k a n n " . K o n s e q u e n z : , „ U m d e r G e rechtigkeit willen' u n d ,um allgemeiner ä u ß e r e r Selbstbestimmung ( ä u ß e r e r Freiheit) willen' sind ein u n d dasselbe." (S. 826). — Es ist allerdings u n k l a r , wie n a c h diesem V e r s t ä n d n i s m e h r als bloß die Mißbilligung des V e r h a l t e n s , d e r S c h u l d s p r u c h , e r k l ä r t w e r d e n soll, nämlich a u c h die S t r a f e , die Ü b e l s z u f ü g u n g . SchmidhäuserAT 3 / 1 8 f ; ders. S t u d i e n b u c h 2 / 2 3 . A b s o l u t g e r e c h t e S t r a f e als sozial n ü t z l i c h ; siehe d a z u t r e f f e n d Hassemer in: F o r t s c h r i t t e S. 39 ff, 50 f. — Eine W e n d u n g ins P s y c h o l o g i s i e r e n d e ( V e r g e l t u n g als elementares B e d ü r f n i s ) b r i n g t Ebertin·. Geisteswissenschaften S. 35 ff, 49 ff.

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1. Abschn

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

grenzung: D a s Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn, H a n d um H a n d , Fuß um Fuß" e t c . 2 0 limitiert die R a c h e auf das Maß des Güterverlustes, den die T a t bewirkt hat. 19

3 a) Historisch wirkungsmächtig w a r die Gestalt, die Kantuwi Hegel der vergeltenden Strafe gegeben haben. N a c h Kant ist der Inhalt der S t r a f e 2 1 Talion („Hat er aber gemordet, so muß er sterben"). D i e A u f g a b e der Strafe besteht in der D u r c h s e t z u n g v o n Gerechtigkeit. Letzteres begründet Kant w i e f o l g t 2 2 : Zum einen darf Strafe immer nur gegen den Täter verhängt werden, „weil er verbrochen hat"; denn ansonsten, bei V e r f o l g u n g v o n General- oder Spezialprävention, wird „der Mensch . . . bloß als Mittel zu den Absichten eines anderen gehandhabt und unter die Gegenstände des Sachenrechts gemengt". Z u m anderen muß auch Gerechtigkeit verwirklicht w e r d e n 2 3 . „ D a s Strafgesetz ist ein kategorischer Imperativ"; denn geht „die Gerechtigkeit unter . . ., so hat es keinen Wert mehr, daß Menschen auf Erden leben". Zur Verdeutlichung des Kategorischen bringt Kant das Beispiel einer einverständlichen Gesellschaftsauflösung: A u c h dann müsse „der letzte im Gefängnis befindliche Mörder vorher hingerichtet werden"; ansonsten sei das V o l k „Teilnehmer an dieser öffentlichen Verletzung der Gerechtigkeit".

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b) W a s die V e r m e n g u n g des Täters unter die Gegenstände des Sachenrechts angeht, so kann und soll diese bei der hier vertretenen Präventionstheorie nicht kaschiert werden, w e n n auch, wie bei der Darstellung der Schuld n o c h z u zeigen sein wird, Strafe nach dieser T h e o r i e die Anerkennung des Täters als gleichartig voraussetzt (unten 17/48). Strafe kann überhaupt nur durch den Wert der O r d n u n g legitimiert werden, für deren Erhalt gestraft w i r d 2 4 . D i e absolute T h e o r i e erspart dieses Legitimationspro20

2. Buch Moses 21, Vers 24; dazu Preiser Eb. Schmidt-Festschrift S. 7 ff, 27 ff mit N a c h weisen; zur Talion im mittelalterlichen Rechtsdenken siehe Eb. Schmidt Geschichte S. 52 f; Bezüge zur Sanktionspraxis der Gegenwart bei Ebert Lackner-Festschrift S. 399 ff, 417 ff. 2 1 Zum Wandel der Lehre Kants siehe WelzelStrafrecht § 32 II 1 a. — Nach Nancee Schleswig-Holsteinische Anzeigen 1964 S. 203 ff, 205 ff, H. Mayer Engisch-Festschrift S. 54 ff, 62, Höffe Rechtsprinzipien S. 223 sollen die Ausführungen Kants nur auf Kriminalrecht im engeren Sinne (schwere Kriminalität), nicht auf Polizeirecht (leichte Kriminalität) zu beziehen sein. Das ist im Blick auf Kants Beispiele — etwa Beleidigungsfälle — zumindest zweifelhaft. — Zur Wendung Kants gegen den positivistisch-verwaltenden Staat einerseits wie gegen den Tugend erzwingenden Staat andererseits Bielefeldt GA 1990 S. 108 ff, 110 ff. 22 Alle Zitate aus der Metaphysik der Sitten, Erster Theil, 2. Auflage, Königsberg 1798, II. Teil, I. Abschnitt, Allgemeine Anmerkung, E. 2 3 Nach H. Mayer Engisch-Festschrift S. 54 ff, 69 ff, 73 soll Kant keine Begründung für die Verhängung von Strafe, sondern nur f ü r deren Maß liefern wollen; — das ist mit Kants Ausführungen zur Kategorik des Strafens nicht recht verträglich. Allerdings kennt Kant ( a a O Anhang, 5. Zusatz zur Erörterung des Begriffs des Strafrechts, Fn.) auch eine Strafpragmatik nach Klugheitsregeln; siehe dazu Schild A R S P 1984 S. 71 ff, 76 ff, 85.

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Insoweit zutreffend Klug in: Programm S. 36 ff, 40. — Die gegen das hiesige Konzept erhobenen V o r w ü r f e einer „konservativen Position" (Baratta KrimJ 1984 S. 132 ff, 143) oder „Klassenjustiz" (Srnaus Zeitschrift für Rechtssoziologie 1985 S. 90 ff, 100) treffen also zu, wenn die gegenwärtige gesellschaftliche O r d n u n g mit den zitierten Begriffen adäquat beschrieben sein sollte. Auch die (vorwurfsvolle) Feststellung von Zaczyk (Unrecht S. 34), selbst „die schlechte, wertlose O r d n u n g " könne „danach f ü r sich in Anspruch nehmen, Rechtsordnung zu sein" (zu ergänzen ist, wenn sie funktioniert), ist richtig (ähnlich wie Zaczyk AK-Schild §§20, 21 Rdn. 73). — Zaczyk selbst bestimmt in Anlehnung an Kant und Fichte ein durch praktisch-richtiges Verhalten konstituiertes Anerkennungsverhältnis zwischen den Einzelnen als Basis jeder (legitimen) Rechtsordnung (S. 126 ff). — Köhler versucht — durchaus in der Nachfolge von Kant und Hegel — eine absolute Strafbestimmung verbunden mit einer absoluten Bestimmung der Straftat. Diese ist „Selbstwiderspruch vor dem Forum der praktischen Vernunft" und ihre Maxime kann „eigentlich nicht konsequent allgemeingültig gewollt sein" (Begriff S. 31 ; Zusammenhang S. 33). Im Bereich des Rechts heißt das: Der Verbrecher negiert die Freiheit des anderen und „darin substantiell seine autonome Zweckhaftigkeit, eben durch die Selbstnegation des Handlungssubjekts als autonom Anerkennenden" (Begriff S. 49). Strafe ist zwar insoweit heteronom, als der Täter „in seiner konkreten Ver-

Inhalt und Aufgabe staatlichen Straf ens

1. Abschn

blem nicht; denn auch die Strafe am Täter, „weil er verbrochen hat", ist nur gerecht, wenn das Verbrechen legitim definiert ist. Zu dieser Definition aber leistet die absolute Theorie nichts 25 . Die Richtigkeit der Definition setzt Kant bei der Darlegung, das Strafgesetz sei „ein kategorischer Imperativ" 2 6 a , vielmehr voraus. Gelänge die Lösung des Legitimationsproblems absolut, d. h. für Normen, die nicht durch eine konkrete gesellschaftliche Situation vermittelt werden, so verlören diese Normen bei der von Kant beispielhaft angeführten Auflösung der Gesellschaft schon per Definition nichts von ihrer Legitimation, so daß das extrem Kategorische der absoluten Theorie auch für jede relative Theorie unumgänglich wäre: Die nach der Gesellschaftsauflösung wie zuvor notwendige Norm 2 6 müßte auch nach wie vor stabilisiert werden 27 . 4. Bei Hegel28 erhält die absolute Theorie eine Gestalt, deren Differenz zur hier 21 vertretenen positiven Generalprävention gering ist. Hegels Bezugssystem bei der Begründung von Strafe ist der Begriff des Rechts, das hiesige Bezugssystem bilden die Bestandsbedingungen der Gesellschaft. Ansonsten besteht folgende Ubereinstimmung: Hegel deutet die Straftat als „etwas Negatives", seil, als Verletzung des Rechts im Sinn einer Negierung des Rechts. Diese Verletzung erhebt einen Anspruch auf Geltung, aber dem Anspruch begegnet die Strafe als „Verletzung der Verletzung" und somit „Wiederherstellung des Rechts" 29 . Diese Verbindung ist absolut, da Recht notwendig immer auch wirklich durchgesetztes Recht sein muß 3 0 ; nicht die Nützlichkeit der Strafe ergibt

nunftmangelhaftigkeit selbst noch befangen" ist (Begriff S. 51), aber „es ist vernunftnotwendig, immanent gut, das Verbrechen . . . aufzuheben" (Begriff S. 50), und deshalb ist Strafe „mittelbar durch die Rechtsvernunft des Täters begründet" (Begriff S. 51). Ergebnis : „ . . . was Unrecht, Verbrechen, Strafe in konkreto bedeuten müssen, (bestimmt sich) gültig letztendlich im autonomen Vernunftschluß, d. h. eines praktischen Für-sichallgemeingültig-Wissens des der konkreten Rechtsbeziehung zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses" (Begriff S. 63). — So vernünftig das ist, so paßt es doch nur auf ihrerseits vernünftige Rechtsordnungen bei prinzipiell allseitiger Verstehbarkeit der Vernünftigkeit bis ins Detail. Für eine Ordnung, die zumindest auch Produkt aus Interessen und Sachzwang, Herkommen, Gewohnheit und anderem mehr ist, läßt sich die Frage der Bestandssicherung, ja selbst der Sicherung einer Möglichkeit des Übergangs zu größerer Vernunft, so nicht beantworten. Den Konzepten von Zaczyk und Köhler ähnlich ist dasjenige von AK-Schild Rdn. 49 ff, 74 ff vor § 13; SS 2°> 21 Rdn. 50 ff mit einer Kritik des hiesigen Konzepts Rdn. 72 ff. Siehe auch oben 9/Fn. 7 und 17/20 mit Fn. 45 d. 25 A.A. Naucke in: Hauptprobleme S. 9 ff, 25 f; siehe auch KunzZStW98 S. 823 ff, 828. 26 Kant meint im Beispiel nicht einen Verzicht auf jede Vergesellschaftung überhaupt, sondern auf eine konkrete Gesellschaft; das Kategorische entspricht dem Legalitätsprinzip, § 152 Abs. 2 StPO. Würde der Mörder freigelassen und käme in die Bundesrepublik Deutschland, so würde er gemäß § 7 Absatz 2 StGB bestraft! — Befremdlich ist freilich Kants frühere Bemerkung, in einer von

26a

27 28

29 30

Menschen (nicht von Gott) regierten Welt sei die Sequenz von T a t und Strafe „nur hypothetisch und jene unmittelbare V e r k n ü p f u n g der Begriffe von Übertretung und Strafwürdigkeit dienen den Regenten nur zur Rechtfertigung, nicht zur V o r schrift ihrer Verfügungen . . ." (Brief an Erhard vom 21. 12. 1792). Höffe Rechtsprinzipien S. 225 ff. Das verkennen Klug in : Programm S. 36 ff, 39 f und wohl auch Roxin JuS 1966 S. 377 ff, 383. Grundlinien der Philosophie des Rechts, Berlin 1821. — Zum folgenden Text siehe Flechtheim Hegels Straftheorie S. 78 ff, 82 ff, 91 ff, 102 ff; H. AferEngisch-Festschrift S. 54 ff, 74 ff; Seelmann JuS 1979 S. 687 ff; Herzog Prävention S. 75 ff mit dem Anliegen, die Vermittlung des objektiven Rechts mit der „subjektiven Rücksicht des Verbrechers" (Hegel) für die Gegenwart wieder zu gewinnen (siehe S. 135); Köhler LacknerFestschrift S. 11 ff, 30 ff, eindringlich darauf beharrend, daß Verbrechen nur ein „Selbstwiderspruch" in einem wirklich „vorgängig selbstschlüssig bezogenen Recht-Pflicht-Verhältnis" sein könne. — Zur Entwicklung bei Hegel selbst siehe Primoratz Geist S. 15 ff. — Inwieweit Hegel schon beim abstrakten Recht eine Straftheorie entwickelt, ist umstritten; kritisch Schild A R S P 1984 S. 71 ff, 88 ff; Landau Arthur K a u f m a n n Festschrift S. 143 ff, 158. Jedenfalls wird ohne Zurechnungslehre (als Teil der Moralität, a a O §§ 105 ff, zur Zeitbedingtheit der Zurechnung siehe § 118 a. E.) und ohne Bezug auf den Staat als strafende Instanz (aaO § 220) n u r die Gestalt entwickelt, in der sich Strafe ereignen kann. A a O §§ 99 und 101. A a O §97.

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1. Abschn

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hier ein Argument, sondern einzig die Begriff gewordene Idee des Rechts 31 . Da Hegel Tat und Strafe nicht als äußere Fakten aufeinander bezieht, sondern als bedeutungshaltige Vorgänge, kommt es — anders als bei Kant — nicht mehr auf die Artgleichheit an, sondern auf Gleichheit „nach dem Wert derselben" 32 . Dabei erkennt Hegel, daß die erforderliche Strafe der „ihrer selbst sicher gewordene(n) Macht der Gesellschaft" korreliert, d. h. das Strafmaß kann in konsolidierten Gesellschaften sinken, da dort „die Gefährlichkeit der Handlung für die Gesellschaft" geringer ist 33 . „Ein Strafkodex gehört darum vornehmlich seiner Zeit und dem Zustand der bürgerlichen Gesellschaft in ihr an" 3 4 . Bei Hegel ist also die Strafe zwar dem Begriff nach absolut, aber in ihrer konkreten Ausgestaltung relativ zum jeweiligen Stand der Gesellschaft. 22

5 a) Bei den neueren absoluten Theorien 3 5 einschließlich der Vereinigungstheorien steht die Strafe überhaupt unter dem Vorbehalt der gesellschaftlichen Notwendigkeit. Das entspricht auch der hier vertretenen Position; wenn es für Hegels „Verletzung der Verletzung" funktionale Äquivalente gibt, ist Strafe nicht erforderlich. Dieser Weg führt zu präventiven Modellen. Aber nach den neueren absoluten Theorien und den Vereinigungstheorien soll eine von den gesellschaftlichen Erfordernissen unabhängige, also absolute Bestimmung der Strafe insoweit zu retten sein, als die aus gesellschaftlicher Notwendigkeit verhängte Strafe durch das Maß der schuldangemessenen Strafe limitiert werden soll 36 . Die schuldangemessene Strafe wird also als eine absolut meßbare Strafe gedacht, die zwar nicht absolut verhängt werden muß, aber absolut nicht überschritten werden darf.

23

b) Dieses Konzept ist aus mehreren Gründen undurchführbar 3 7 . Zum einen wäre eine präventive Strafe, limitiert durch eine schuldangemessene Strafe, allenfalls noch zufällig präventiv tauglich, wenn Prävention und Schuld voneinander unabhängige Größen wären; denn gibt man der Prävention nicht, was sie braucht, bleibt sie aus. Beispiel: Mit den Präventionszielen „Erziehung" oder „Abschreckung" kann die Verhängung einer Strafe, die zur Erziehung oder zur Abschreckung zu kurz ist (dafür aber schuldangemessen), nicht begründet werden. Weiterhin kann seit dem endgültigen Abschied von der Talion beim Ubergang von Kant zu Hegel nicht mehr behauptet werden, das Gewicht einer Strafe lasse sich ohne Blick auf die konkrete gesellschaftliche Werterfahrung bestimmen, sei also vom Entwicklungsstand der Gesellschaft unabhängig 38 . Woher die Werterfahrung kommen soll, wenn nicht aus Annahmen über „die Gefährlichkeit der Handlung für die Gesellschaft" (Hegel), ist unerfindlich; mehr noch, jede andere Orientierung führt zu Wertungen, die im Rahmen staatlichen Stra31 32 33 34 35

18

A a O § 99. A a O §101. A a O § 218 ; auch Randbemerkung zu § 96. A a O § 218. Schon Binding N o r m e n Bd. I S. 430 ff; Bindings Relativierung der Strafe als „Bewährung der Rechtsherrlichkeit am Schuldigen nach dem Maße seiner Schuld" (aaO S. 423) auf die Fälle, „wenn dies notwendig ist" (aaO S. 430), wird oft übersehen (siehe die Nachweise bei Armin Kaufmann Normentheorie S. 229); — nachfolgend insbesondere Nagler Strafe S. 580 ff, 588 und passim mit eingehenden Nachweisen der Literatur bis zum Ende des Ersten Weltkriegs; Welzel Strafrecht § 32 I 1 a und 2; Maurach KT* § 7 I A und B; Arthur Kaufmann Schuldprinzip S. 201 ff, 207 (Vergeltung verbunden mit Sühne). — Die

Autoren relativieren teils nur das O b der Strafe, teils das O b und das Maß der zur Vergeltung angemessenen Strafe. — Zum Schulenstreit (mit den Protagonisten v. Liszt und Binding) subtil Frommel Präventionsmodelle S. 42 ff; Westphalen Binding S. 221 ff; jeweils mit Nachweisen. — Nachweise zu den Vereinigungstheorien siehe unten Fn. 70. 36 Dabei ist streitig, ob die Schuld die Strafe nur limitiert oder auch — im Maß des Erforderlichen — begründet; siehe dazu Arthur Kaufmann JZ 1967 S. 553 ff, 555; Lenckner Handbuch Bd. I S. 3 ff, 18 \ Jakobs Schuld und Prävention S. 5. 37 Zum folgenden Text siehe Jakobs Schuld und Prävention S. 3 ff. 38 Immer noch nicht überholt: v. Liszt ZStW 3 S. 1 ff, 24.

Inhalt und A u f g a b e staatlichen S t r a f e n s

1. Abschn

fens keinen legitimen Platz haben. Drittens wird eine nachprüfbare Strafzumessung unmöglich. Für die Obergrenzen der Strafrahmen läßt sich bei dem skizzierten Verständnis nicht mehr ausmachen, ob sie so hoch sind, weil mehr nicht schuldangemessen oder aber weil mehr präventiv überflüssig wäre. Dementsprechend bleibt für jeden einzelnen Zumessensakt ungewiß, welcher Rang der Schuld zukommt und welcher der Prävention. c) Bei dieser Lage drängt sich die Frage auf, weshalb an einem angeblich zweckfrei 24 gebildeten Schuldbegriff als Maßprinzip hartnäckig festgehalten wird. Es geht um ein Legitmationsproblem (wie bei Kant im Verbrechensbegriff ein Legitimationsproblem verborgen ist — was wird legitim als Verbrechen definiert? — und bei Hegel im Begriff des Rechts — welches positive Recht genügt dem Begriff?). Gäbe es eine zweckfrei bestimmter Schuld entsprechende Strafe, so wäre die Legitimation von Strafe in doppelter Hinsicht gefördert. Zum einen kann man allenfalls präventiv nutzlos, nicht aber an sich unrichtig strafen, wenn schon vor aller Prävention an sich Strafe verwirkt ist, eben die schuldangemessene Strafe. Zum anderen muß eine Prävention, die durch ein Schuldprinzip um ihre Extremfälle beschnitten ist, auch nicht als eine potentiell extreme, sondern nur als eine gemäßigte Prävention legitimiert werden; die Begrenzung durch Schuld erspart also entweder die Legitimation für das unverstümmelte präventive Konzept oder erspart eine offen erfolgende Begrenzung der Prävention durch den Vorrang anderer Ziele (Verbrechensprophylaxe ist nicht das höchste Ziel). — Die präventiven Inhalte von Schuld werden unten (Abschnitte 17 bis 20) ausführlich erörtert. B. Die Sühnetheorie Sühne als Einsicht des Täters in sein Unrecht und in die Notwendigkeit von Strafe 25 mit der Folge einer Versöhnung mit der Gesellschaft wird als Hauptaufgabe der Strafe heute nicht mehr ausgegeben 39 . Teils wird freilich behauptet, es sei legitim, Sühne durch Strafe zu ermöglichen 40 , jedoch ohne daß ein Zwang zur Sühne intendiert wäre. Soweit damit gemeint ist, der Bestrafungsvorgang einschließlich des Strafvollzugs solle so ausgestaltet werden, daß die Sühnebereitschaft des Täters gefördert wird 41 , geht es nicht um Probleme einer Straftheorie. Soweit freilich der Gedanke mitspielt, Sühne könne als Nebeneffekt (wie etwa die Sicherung vor einem Täter während eines Freiheitsentzugs ein Nebeneffekt ist) die Legitimation der Strafe mittragen, ist zu widersprechen: Die Strafe gleicht den Normbruch aus. Jede Erwartung an den Täter über die 26 Duldung der Strafe hinaus zielt auf mehr als einfachen Ausgleich. Sühne als betätigte Normanerkennung ist deshalb ein Grund, Strafe zu mildern (siehe § 46 Abs. 2 StGB letzte Fallgruppe) oder nicht zu strafen (siehe § 24 StGB), aber das Fehlen von Sühne gehört zwingend zum Zustand des nicht bereinigten Normbruchs und ist deshalb kein Strafgrund neben dem Normbruch. — Zudem rechnet das Versprechen an den Täter, 39 Siehe aber Preiser Mezger-Festschrift S. 71 ff, 77 ff; auch LK^-Koffka Rdn. 4 vor § 13; aus ärztlicher Sicht Bleuler in: Schuld, Verantwortung, Strafe S. 103 ff, 113 ff. — Zum Begriff der Sühne treffend Noll Begründung S. 8. — Ob der zur Sühne fähige Täter überhaupt zur Tat fähig ist, dürfte zweifelhaft sein; siehe zur Reue Müller-Luckmann in: Tötungsdelikte S. 119 ff,

40 ]escheck AT § 8 I 2 a und II 2 ; Welze! Strafrecht § 32 I 1 a; Arthur Kaufmann JZ 1967 S. 553 ff, 557 ff; ders. in: Strafrecht zwischen Gestern und Morgen, S. 43 ff, 50 f; Baumann JurBl. 1965 S. 113 f, 119; ders. AT § 3 II 2 b ßß; Frey in: Schuld, Verantwortung, Strafe S. 297 ff. 41 So insbesondere Baumann ÜÍO.

128.

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er könne sich mit der Gesellschaft durch Akzeptation der Strafe versöhnen, nicht ein, daß die informellen Sanktionen von den formellen unabhängig sein können 42 .

IV. Die relativen Theorien (die Präventionstheorien) A. Die Generalpräventionstheorien 27 1 a) Eingangs wurde bereits das Modell einer positiven Generalprävention entwikkelt, d. h. das Modell einer Strafe, deren Aufgabe Einübung in Normanerkennung ist. Zur Generalprävention findet sich aber auch die Ansicht, Aufgabe der Strafe sei die Abschreckung potentieller Täter. Es geht bei dieser Variante der Generalprävention nicht um die expressive Bedeutung der Strafe als Widerspruch gegen den Normbruch, sondern um die Drastik des Strafschmerzes als abschreckende Konsequenz normbrechenden Verhaltens: negative Generalprävention. Die bekannteste Ausprägung hat Feuerbach der negativ-generalpräventiven Theorie gegeben, freilich nicht als Straftheorie, sondern als Theorie der Strafandrohung durch Strafgesetze (Theorie des „psychologischen Zwangs") 43 . Alle Gesetzesübertretungen resultieren nach Feuerbach aus der „Sinnlichkeit", d. h. „das Begehrungsvermögen des Menschen (wird) durch die Lust an oder aus der Handlung zur Begehung . . . angetrieben" 44 . Die Täter durch physischen Zwang an der Tatausführung zu hindern, ist praktisch ausgeschlossen. Sollen Rechtsbrüche vermieden werden, so „bleibt daher dem Staate kein anderes Mittel übrig, als durch die Sinnlichkeit selbst auf die Sinnlichkeit zu wirken, und die . . . sinnliche Triebfeder durch eine andere sinnliche Triebfeder aufzuheben" 45 . Die Antriebe zur Handlung werden aufgehoben, „wenn jeder Bürger gewiß weiß, daß auf die Übertretungen ein größeres Übel folgen werde, als dasjenige ist, welches aus der Nichtbefriedigung des Bedürfnisses nach einer Handlung . . . entspringt" 46 . Dieses Wissen wird dem Bürger gegeben, indem ein Gesetz das „größere Übel", eben die Strafe, vor der Tat und unter genauer Beschreibung von Tat und Strafe 47 androht und indem der Ernst der Drohung durch Vollstreckung in jedem Fall der Übertretung verdeutlicht wird (zu ergänzen ist : sofern der Täter greifbar ist). „Die zusammenstimmende Wirksamkeit der vollstreckenden und gesetzgebenden Macht zu dem Zwecke der Abschreckung bildet den psychologischen Zwang" 48 . Die „vollstreckende Macht" darf freilich nicht zum Zweck der „zusammenstimmenden Wirksamkeit" tätig werden, weil ansonsten der bestrafte Mensch als bloßes Mittel für die Vorteile anderer Menschen mißbraucht würde, was Feuerbach — insoweit Kantianer — verwirft. Die Wirksamkeit ist deshalb nur ein — willkommener — Nebeneffekt der absolut zu begründenden Strafe: Strafe ist „rechtlich-notwendige Folge" des Verbrechens 49 . Es soll aber zulässig sein, mit dem absolut Notwendigen das Nützliche zu verbinden und die Realisierung der Strafdrohung eindrucksvoll zu gestalten 50 . 28

b) An Feuerbachs Theorie ist die Doppelstellung der Bestrafung durchaus unklar 51 : Als Verdeutlichung des Ernstes der Strafdrohung soll die Bestrafung zweckhaft wir42 Kritisch zur Sühne auch Stratenwerth AT Rdn. 15; Roxin JuS 1966 S. 377 ff, 379; Schmidbauer Sinn S. 52 ; Eb, Schmidt Materialien Bd. I S. 9 ff, 11 ff; den. ZStW 67 S. 177 ff, 187 ff; Mauracb-Zipf AT 1 § 7 Rdn. 19; Lüderssen in: Christentum S. 1261 ff, 1268 f; Neumann und SchrothTheorien S. 16 ff. 43 Siehe dazu Naucke Kant und die psychologische Zwangstheorie Feuerbachs, 1962; ders. ZStW 87 S. 861 ff, 880 ff; Radbruch Feuerbach S. 44 ff, 85 ff; Hruschka]Z 1987 S. 161 ff, 163 ff.

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44 45 46 47 48 49 50 51

Lehrbuch § 13; Revision S. 44. Revision S. 44 f. Revision S. 45 f; Lehrbuch § 13. Siehe dazu Bohnert Feuerbach S. 13. Lehrbuch § 14. Revision S. 49; Lehrbuch § 18. Revision S. 60. Siehe auch die Kritik bei Binding Normen Bd. I S. 500.

Inhalt und A u f g a b e staatlichen S t r a f e n s

1. Abschn

ken, als Strafe am Täter hingegen soll sie zweckfrei sein. Ansonsten bietet das Modell zwar eine H a r m o n i e der wichtigsten Strafrechtsgrundsätze: kein Umgang mit dem Täter wie mit einem „Gegenstand des Sachenrechts" (absolute Strafbegründung), Verhütung von N o r m b r ü c h e n („psychologischer Zwang" der Strafdrohung), Vermeidung unnötiger Strafen (die Realisierung der Strafe ist zur Stützung der Strafandrohung erforderlich) und strenge Gesetzesbindung der Strafe (genaue Androhung auf genau beschriebenes Verhalten vor der Tat). Aber das Modell hat Mängel, die es unbrauchbar machen: Weder beruhen alle Taten auf einem rationalen Kalkül der Tatfolgen, noch stellt ein rationales Kalkül auf die rechtlich notwendige Sequenz von T a t und Strafe ab, vielmehr berücksichtigt es die tatsächliche Chance bestraft zu werden oder der Strafe zu entgehen, was eine gewaltige Differenz ergeben mag. 2 a) Der hauptsächliche Mangel dieser negativen Generalprävention und ihrer neue- 2 9 ren Varianten 5 2 , die in diverser Weise eine Abschreckungswirkung der Strafe zum Zweck erheben, ist freilich nicht ihre Falsifizierung 5 3 . Gegen die Falsifizierung könnte man einwenden, sie betreffe überhaupt nicht diejenigen Deliktsgruppen, bei denen die Täter in der Regel zweckrational vorgehen, etwa die Delikte im Bereich der Wirtschaftskriminalität. Mehr noch, das Modell könnte dahin „verbessert" werden, daß die Verfolgungsintensität bis zu einer Dichte gesteigert wird, bei der die Abschreckung auf alle Personen wirkt, die nicht gerade Herostraten sind. Die Theorie der negativen Generalprävention setzt aber genuin falsch an: Sie mißt den potentiellen Vorteil des Delinquen ten und gleicht diesen Vorteil durch ein Übel aus, vernachlässigt aber den Schaden der Tat f ü r die gesellschaftliche O r d n u n g . Wenn anderen Tätern der Anreiz zur T a t genommen werden soll, muß das Übel gewichtiger sein als der Tatvorteil; dieser aber ist von dem sozialen Schaden unabhängig, den die T a t bewirkt. b) An dem dadurch entstehenden, potentiell krassen Mißverhältnis zwischen sozia- 3 0 lem Schaden und Strafquantum scheitert jede auch nur annähernd konsequente Anwendung des Modells Feuerbachs und seiner N a c h f o l g e r 5 4 . Beispielhaft gesprochen: Bei einem Mord um einiger hundert Mark Beute willen mag eine einigermaßen sicher erfolgende Geldstrafe von einigen tausend M a r k hinreichend prävenieren, während bei einer üblen Nachrede, die der Täter zur Erhaltung einer persönlichen Beziehung oder zur Steigerung seiner Karriere begeht, erst die Aussicht auf jahrelange Freiheitsstrafe ein hinreichendes Übel sein mag. Im Ergebnis müßten also alle Deliktsgruppen des BT, 52 Hoenter GA 1970 S. 272 ff; ders. ARSP Bd. 58 S. 555 ff; Ostendorf ZRP 1976 S. 281 ff; Strasser KrimJ 1979 S. 1 ff, 16 (zum Konzept aller genannten Autoren paßt freilich auch die positive Generalprävention); Vanberg Verbrechen, passim; Lucóri GA 1984 S. 393 ff unter Berufung auf psychoanalytische Theorien (S. 400 ff); siehe auch das ökonomische Modell bei Adams und ShavellGA 1990 S. 337 ff, 341 ff. - Die Rechtsprechung verwendet negative Generalprävention als Strafzumessungsgrund im Rahmen der schuldangemessen (wie?) bestimmten Strafe; BGH 28 S. 318 ff, 326 f; B G H bei Dallinger MDR 1973 S. Ill f und 899 f; BGH JZ 1975 S. 183 ff mit zustimmender Anmerkung Tiedemann aaO S. 185 ff, 186 f; BGH bei Haitz MDR 1976 S. 812; BGH NStZ 1982 S. 112 mit zutreffend ablehnender Anmerkung Wolfslast aaO S. 112 f; BGH StV 1982 S. 166 f und S. 167; BGH JZ 1982 S. 771 f mit ablehnender Anmer-

kung Köhler aaO S. 772 f; B G H NStZ 1984 S. 409; 1986 S. 358; insgesamt zustimmend LKG. Hirsch § 46 Rdn. 25; — zutreffend kritisch zur Rechtsprechung Bruns Strafzumessungsrecht S. 328 f mit weiteren Nachweisen. 53 Zur Falsifizierung (oder Nicht-Verifizierung) der Abschreckung (zu anderen generalpräventiven Konzepten siehe unten 1/Fn. 56) siehe Kaiser Generalprävention S. 339 ff, 351 ff; Schöch Strafzumessungspraxis S. 86 ff, 96 f, 197 ff; ders. Jescheck-Festschrift S. 1081 ff, 1098 ff, 1104; Albrecht, Dünkel und Spieß MonSchrKrim. 1981 S. 310 ff, 311, 313, 323; Köberer MonSchrKrim. 1982 S. 200 ff; Maiwald GA 1983 S. 49 ff, 69 ff; Berte! Pallin-Festschrift S. 31 ff; Driendl Strafgesetzgebungswissenschaft S. 39 ff; anders aber Vanberg Verbrechen S. 37 ff. 54 Kindhäuser GA 1989 S. 493 ff, 498; einige Verlegenheitslösungen bietet Hoerster GA 1970 S. 272 ff, 278 f.

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1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

die an dem angegriffenen Gut ausgerichtet sind, preisgegeben und neue Gruppen nach dem potentiellen Nutzenquantum gebildet werden. In der am schärfsten zu bestrafenden Gruppe fänden sich dann Delikte mit hohem Nutzenquantum, gleich ob sie durch Tötung eines Menschen, durch Urkundenfälschung oder durch beiläufigen Hausfriedensbruch begangen werden. Landesverrat hätte bei Ideologietätern im Bereich der Schwerkriminalität zu rangieren, bei Tätern des Lohns wegen im Bereich entsprechender Vermögensstraftaten etc. 31

c) Dieses potentiell krasse Mißverhältnis zwischen dem Nutzenquantum der Tat und ihrem Quantum an Sozialschädlichkeit resultiert daraus, daß im Abschreckungsmodell die Destinatäre des Strafbetriebs nicht vorkommen: die Mitglieder der Gesellschaft, die vor Normbrüchen bewahrt werden sollen. Die Mitglieder sehen das Delikt nicht vorrangig als ein Ereignis an, das dem Täter potentiell vorteilhaft, sondern das ihnen selbst potentiell nachteilig ist.

32

d) Verbreitet wird versucht, den Befund durch eine ergänzende Limitierung der Höchststrafen zu kaschieren: Auch die abschreckende Strafe soll das Schuldangemessene oder Verhältnismäßige nicht übersteigen dürfen, da sie ansonsten als willkürlich empfunden werde und ihre Abschreckungswirkung verliere. Aber so läßt sich allenfalls die Unzulässigkeit hoher Strafen in den Fällen hohen Täternutzens aber geringen Sozialschadens erklären. Jedoch wird auch die extrem niedrige Strafe bei geringem Täternutzen aber hohem Sozialschaden als willkürlich empfunden, so daß die Abschreckungsstrafe insoweit gleichfalls modifiziert werden muß. Im Ergebnis ist deshalb das Abschreckungsmodell als Straftheorie überhaupt untauglich.

33

e) Dadurch wird es nicht ausgeschlossen, daß in einzelnen Fällen Strafe mit der Intention der Abschreckung verhängt wird. In Krisenzeiten bricht der Notstand die Limitierungen, die in ruhigen Zeiten selbstverständlich sind 5 5 . 34 3. Modelle, die dem eingangs geschilderten Modell positiver Generalprävention hauptsächlich entsprechen, werden in der neueren Literatur zunehmend häufig vertreten 5 6 . Sie flankieren auch zahlreiche Varianten der Vergeltungstheorien. Differenzen bestehen freilich in zwei Punkten: Überwiegend wird das Schuldprinzip als Begrenzung der positiven Generalprävention verstanden, während es nach hiesiger Ansicht ein Derivat dieser Prävention ist (eingehend unten 17/18 ff). Ferner wird der expressive Gehalt von Normbruch und Strafe nur selten thematisiert. B. D i e Spezialpräventionstheorien 1. Die generelle Problematik 35

a) Wird die Aufgabe der Strafe darin gesehen, den Täter von künftigen Taten abzuhalten, spricht man von Spezialprävention. Daß der Inhalt des geltenden deutschen Strafrechts einigermaßen bruchlos oder auch nur in den hauptsächlichen Stükken auf Spezialprävention zugeschnitten sei, wird nicht behauptet; wohl aber wird postuliert, de lege ferenda das Strafrecht so auszugestalten, daß es für Spezialprävention tauglich ist, oder es durch taugliche Maßregeln zu ersetzen. Die Mindestanforderung geht dahin, jedenfalls auf diejenigen Strafen zu verzichten, durch deren Vollstrekkung sich die Wahrscheinlichkeit, daß der Täter weitere Verbrechen begeht, sogar erhöht.

36

b) Die Einwirkung auf den Täter kann dergestalt erfolgen, daß er mit physischer Gewalt von weiteren Taten abgehalten oder aber dazu gebracht wird, von sich aus 55 56

22

Siehe NaglerStriie S. 616 f. Nachweise oben 1/Fn. 16.

Inhalt und Aufgabe staatlichen Straf ens

1. Abschn

keine Straftaten mehr zu begehen. Letzteres geschieht im Weg der Besserung des Täters, sei dieser Weg Erziehung oder Dressur oder ein körperlicher Eingriff (ζ. B. Kastration), oder aber im Weg der Abschreckung durch eine warnend gemeinte Strafe. Die Aufgabe der Strafe und der sie flankierenden oder ersetzenden Maßregeln kann deshalb mit v. Liszt wie folgt bezeichnet werden: „1. Besserung der besserungsfähigen und besserungsbedürftigen Verbrecher; 2. Abschreckung der nicht besserungsbedürftigen Verbrecher; 3. Unschädlichmachung der nicht besserungsfähigen Verbrecher" 57 . c aa α) Die Antwort auf die Frage, ob und weshalb ein Modell dieser Art überhaupt 37 funktioniert, ist nicht selbstverständlich. Zweifel am Funktionieren sind freilich nicht angebracht, solange bei der Behandlung, die man dem Täter bessernd, abschreckend oder sichernd angedeihen läßt, immer noch so viel an Übel herausspringt, daß dadurch der Täter als Träger der Kosten des geschehenen Normbruchs markiert wird; denn solange mit einer Übelsfolge zugerechnet wird, bleiben die Wirkungen positiver Generalprävention möglich. Selbst der Umstand, daß überhaupt dem Täter zugerechnet und gegen ihn reagiert wird, kennzeichnet ihn als Konfliktsursache und bestätigt damit die Norm. Diese Wirkungen beruhen freilich auf dem Eindruck, den das zurechnende Strafurteil und die präventive Behandlung in der Allgemeinheit hervorrufen und haben deshalb mit Besonderheiten der Spezialprävention nichts zu tun; sie sind vielmehr generalpräventive Nebenwirkungen. ß) Spezifisch spezialpräventiv ist es, nicht die aktuelle Verletzung der Normgeltung 38 durch den Normbruch als Konflikt zu definieren, sondern den Normbruch als bloßes Symptom für kommende Taten desselben Täters zu nehmen; die Gefahr dieser Taten ist in spezialpräventiver Sicht der Konflikt. Auf die Erledigung der Enttäuschung einer normativen Erwartung muß also zugunsten der Enttäuschungsfestigkeit künftiger kognitiver Erwartungen verzichtet werden. Dieser Verzicht dürfte gelingen, wenn die kognitive Erledigung Erfolg verspricht und wenn zudem die Enttäuschten den Täter als ungleich, unmaßgeblich, hilfsbedürftig o. ä. definieren können, jedenfalls als eine Person, die — was Normbefolgung angeht — eine Sonderstellung hat. In solchen Fällen wird die für jedermann bestehende Verbindlichkeit der Norm nicht tangiert, weil der Täter dem Jedermann in einem relevanten Punkt nicht gleicht. Der Hauptanwendungsfall solcher kognitiver Enttäuschungserledigung ist die präventive Behandlung derjenigen Personen, bei denen sowohl Erziehbarkeit als auch ein Erziehungsdefizit plausibel sind, konkret: die Behandlung der Jugendlichen und Heranwachsenden. Deshalb ist das Jugendstrafrecht eine Domäne der Spezialprävention, und seine Ersetzung durch nicht-strafende und im Idealfall nicht einmal als Übel zu empfindende Maßnahmen ist eine spezialpräventiv gebotene Konsequenz, freilich nur, soweit ein Erziehungsdefizit plausibel dargestellt und praktisch behoben werden kann; denn ansonsten fügt sich auch das Jugendstrafrecht dem Muster positiver Generalprävention 5 7 a . γ) Läßt sich aber beim Täter keine Besonderheit ausmachen, so bringt die speziai- 39 präventive Umdeutung des Konflikts in die kognitive Ebene als zwingende Folge, daß für die Enttäuschten auch ihr eigenes Verhalten zu einer rein kognitiven Angelegenheit wird. Ist das abweichende Verhalten, das ein Jedermann vollzieht, eine Enttäuschung kognitiver Erwartungen, wie es eine Krankheit ist, so wandelt sich die Frage, wie man 57 57a

Z S t W 3 S. 1 ff, 35 f f ; „ M a r b u r g e r P r o g r a m m " . Eindringlich Bottke G e n e r a l p r ä v e n t i o n , passim, u n d d o r t a u c h zu den G e f a h r e n , die f ü r die rechtsstaatlichen V e r f a h r e n s g a r a n t i e n entstehen, w e n n ein s t r a f e n d e r Eingriff in eine spezialpräventive W o h l t a t u m d e f i n i e r t wird ; Schlächter G A

1988 S. 166 f f ; bei gleichzeitiger M i n i m i e r u n g staatlicher E i n g r i f f e Walter in: Bedeutung S. 59 f f ; Albrecht J u g e n d s t r a f r e c h t §§ 8, 9. - Z u den N i e d e r u n g e n d e r Praxis siehe O L G Schleswig S t V 1985 S. 420 f.

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1. Abschn

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

sich verhalten soll, für alle Menschen in die Frage, wie man sich verhalten wird. Gesellschaftliches Leben (wie auch individuelles menschliches Leben) dürfte bei dieser Normabstinenz nicht mehr organisierbar sein, jedenfalls nicht beim Ausgang von einer Gesellschaft der gegenwärtigen Gestalt. 40

bb) Es besteht also zumindest der Verdacht, daß Spezialprävention nur funktioniert, solange sie von generalpräventiven Nebeneffekten flankiert wird. Selbst v. Liszt läßt bei Personen, die keine Besonderheiten gegenüber jedermann aufweisen, unbenannte, aber eindeutig generalpräventive Erwägungen durchschlagen: Es soll beim erwachsenen Rückfälligen weniger um Besserung (die dem Täter jedenfalls nicht nur ein Übel bringt) als um Sicherung gehen, und zwar nicht in einem goldenen Käfig, sondern in „Strafknechtschaft" 5 8 . Auch v. Liszts Festhalten am Tatprinzip dürfte nicht nur auf den von ihm herausgestrichenen rechtsstaatlichen Gründen beruhen, sondern auch auf der generalpräventiven Eindruckskraft dieses Prinzips. 2. Die Verletzung des Tatprinzips

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a) Es gibt auch handfestere Einwendungen gegen Spezialprävention. Die wichtigste Einwendung ist die Verletzung des Tatprinzips. Bei der Generalprävention läßt sich — zumindest nominell — die Haftung auf das Maß beschränken, in dem der Täter durch seine Tat die Normgeltung (positive Generalprävention) oder die faktische Erwartung der Normbefolgung (negative Generalprävention) verschlechtert hat. Bei der Spezialprävention hingegen ist es — Gelegenheitstäter ausgenommen — von vornherein unmöglich, den Täter von der Bestrafung allein solcher Taten abzubringen, wie er sie vollzogen hat, ihn aber ansonsten unbehandelt zu lassen. Es gibt keine Konzepte, wie man einen Täter einzig von etwa mittelschweren Diebstählen oder Betrügereien o. ä. abbringen könnte, seil, allein von den Taten nach Art der begangenen Tat. Auch wenn man kein Alles-oder-nichts-Prinzip verfolgt, vielmehr akzeptiert, daß ein Mensch sozial mehr oder weniger angepaßt sein kann, ist doch die Vorstellung, einen nicht angepaßten Menschen einzig nach Art und Maß der von ihm begangenen Taten anpassen zu können, zumindest in der Mehrzahl aller Fälle lebensfremd. Die Theorie der Spezialprävention muß deshalb das Tatprinzip verabschieden: Die Tat ist nur noch Anlaß der Behandlung.

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b aa) Die Tat ist freilich ein schlechter Anlaß der Spezialprävention, weil sie — wiederum Gelegenheitstäter ausgenommen — häufig zu einem Zeitpunkt begangen oder entdeckt wird, in dem die Entgleisung nicht mehr reversibel ist. Taugliche Verfahren zur Spezialprävention sind nicht Strafen oder andere Behandlungen nach Begehung der Delikte des StGB, sondern wären etwa Hilfen bei Arbeitslosigkeit, Arbeitsunlust, Uberschuldung, familiären Schwierigkeiten, Süchten etc.

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bb) Die Disharmonie zwischen der Bindung des Strafrechts an eine sozialschädliche Tat (und nicht schon an eine Situation zunehmender Tatgeneigtheit) hat v. Liszt erkannt. Nach seiner Lösung soll „das Strafrecht . . . die unübersteigbare Schranke der Kriminalpolitik" sein 5 9 , was heißen soll, daß für das Ob der Strafe das „Strafrecht" mit seinem Tatprinzip, aber für Art und Maß der Strafe die „Kriminalpolitik" zuständig sein sollen. Damit wird beiden Seiten zugleich gedient und geschadet: Das Tatprinzip verdankt seine Herkunft denjenigen Straftheorien, die Strafe nach der Größe des an gerichteten Schadens zumessen wollen, und ist in einem spezialpräventiv orientierten 58 V. LisztZStW 3 S. 1 ff, 42 f. 59 Aufsätze und Vorträge Bd. II S. 75 ff, 80; siehe ferner ders. ZStW 13 S. 325 ff, 354 ff. - Siehe

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dazu Roxin ZStW 81 S. 613 ff, 637 ff; Jescheck Klug-Festschrift S. 257 ff,264.

Inhalt und Aufgabe staatlichen Strafens

1. Abschn

Modell funktionslos. Es hindert dort die Effektivität, wie es seinerseits die H ä l f t e seiner Aufgabe verliert, nämlich das M a ß des Defizits an N o r m g e l t u n g und d a d u r c h das M a ß an ausgleichender Strafe zu indizieren 5 9 a . cc) Die Abspaltung von der T a t geht so weit, daß es in zahlreichen Fällen sogar 4 4 unmöglich ist, z u r Urteilszeit eine bestimmte D a u e r der Rechtsfolge anzugeben, was bei Rechtsfolgen, die hauptsächlich aus Hilfen bestehen, rechtsstaatlich schadlos ist, nicht aber bei U b e l s z u f ü g u n g e n als Rechtsfolgen. D e r G r u n d f ü r die Unbestimmbarkeit liegt darin, daß die (vergangene) T a t n u r Anlaß f ü r eine (zukünftige) soziale Anpassung des Täters ist; der allein nach v o r n gewendete Blick k a n n als Zielpunkt n u r den E f f e k t der sozialen Anpassung ausmachen, und w a n n dieser P u n k t erreicht ist, läßt sich häufig nicht einmal näherungsweise und niemals genau v o r a u s s a g e n 6 0 . Die Zulässigkeit einer Freiheitsstrafe von unbestimmter D a u e r ist daher das hauptsächliche Erkennungszeichen eines p r i m ä r spezialpräventiv ausgerichteten S t r a f r e c h t s 6 1 (siehe § 19 J G G ) . c) Weiterhin ist gegen das Modell einzuwenden, daß bei ihm — wie bei der negativen 4 5 Generalprävention — das Q u a n t u m des sozialen Schadens und das Q u a n t u m der Reaktion nicht verbunden sind, so daß es zu krassen Mißverhältnissen k o m m e n kann. N a c h den Prinzipien der Spezialprävention müßte der immer wieder rückfällige T ä t e r geringfügiger Delikte trotz des n u r mäßigen Schadens seiner T a t e n „gesichert" werden (d. h. es wäre jahrelange Sicherungsverwahrung a n z u o r d n e n ) . Man mag solche Ergebnisse mit Hilfe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit korrigieren, steht d a n n aber vor der Schwierigkeit, von einer spezial-präventiven Reaktion mangels Verhältnismäßigkeit absehen zu müssen und von einer generalpräventiven Reaktion, weil sich Generalprävention als bloßer Lückenfüller nicht legitimieren läßt. G a n z entsprechende Schwierigkeiten ergeben sich bei T ä t e r n schwerer Taten, die keiner oder n u r geringfügiger sozialer Anpassung bedürfen. Beispiele d a f ü r bilden nicht n u r zahlreiche M ö r d e r aus der nationalsozialistischen Zeit, die nachfolgend eine jahrzehntelange Legalbewähr u n g bestanden haben, sondern ebenso T ä t e r in solchen Konfliktsituationen, deren W i e d e r k e h r unwahrscheinlich ist; bei Ausländern ohne Asyianspruch w ü r d e in der Regel nicht mehr als die Ausweisung erforderlich sein. Aber bei einem Verzicht auf eine Reaktion, die den Geltungsschaden ausgleicht, verstärkt sich die schon oben (1/39) z u r Spezialprävention allgemein beschriebene G e f a h r , daß die Möglichkeit von N o r m orientierung ü b e r h a u p t verlorengeht. 3. Neuere Konzepte a) Gewiß ist Spezialprävention nicht in der Gestalt festgeschrieben, in der v. Liszt sie 4 6 entworfen h a t 6 2 . Die Bedeutung der genannten Einwendungen ist auch nicht allgemein anerkannt. Radikale Postulate, die das „Strafrecht" als „Schranke der Kriminalpolitik" nicht mehr anerkennen, stellt insbesondere ein Flügel der Société Internationale de

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Dies d ü r f t e a u c h f ü r das t a t b e z o g e n e (das heißt, z u m G e w i c h t d e r T a t verhältnismäßige) M a ß n a h m e r e c h t in d e r K o n z e p t i o n v o n Baurmann Z w e c k r a t i o n a l i t ä t S. 16, passim, 301 ff gelten. v. Liszt A u f s ä t z e u n d V o r t r ä g e Bd. I S. 290 ff, 333,392. Siehe Würtenberger Materialien Bd. I S. 89 ff mit N a c h w e i s e n ; Sieverts Materialien Bd. I S . 107 ff. Einen Ü b e r b l i c k ü b e r den G a n g d e r K o n t r o v e r s e zwischen d e r „ s o z i o l o g i s c h e n " ( z w e c k o r i e n t i e r ten) kriminalpolitischen R i c h t u n g u n d d e r „klassischen" (an V e r g e l t u n g orientierten) R i c h t u n g

( s o g e n a n n t e r Schulenstreit) geben Mezger S t r a f r e c h t § 4, 2 ; Eb. Schmidt G e s c h i c h t e §§ 321 f ; Jescheck Z S t W 93 S. 3 ff, 44 ff. - E i n e t r e f f e n d e Analyse des g e g e n w ä r t i g e n S t a n d s gibt Albrecht Z S t W 97 S. 831 ff. - Als B e f ü r w o r t e r eines V o r r a n g s d e r S p e z i a l p r ä v e n t i o n in n e u e r e r Zeit ist insbesondere zu nennen Eb. Schmidt S c h w Z S t r . 45 (1931) S. 200 f f ; ders. Z S t W 67 S. 177 f f ; ders. Z S t W 69, S. 359 f f ; ders. M a t e r i a lien Bd. I S. 9 f f , 20 ff.

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1. Abschn

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

Défense Sociale 6 3 ; Gramatical·. V o n den „im System des Gesellschaftsschutzes anzuwendenden ,Maßnahmen" soll zu verlangen sein, daß sie „1. vollständig die Strafen ersetzen müssen; 2. einen einheitlichen Charakter haben müssen; 3. auch vorbeugende Maßnahmen umfassen müssen; 4. einen unbestimmten Charakter besitzen müssen, damit sie während des Vollzugs, entsprechend der ständigen Überwachung der Persönlichkeit, dauernd abgeändert, ersetzt oder ganz beseitigt werden können; 5. im Prinzip keinen Unterschied zwischen Erwachsenen und Minderjährigen machen dürfen . . .; 6. der Person angepaßt sein müssen und nicht auf die objektiv betrachtete T a t bezogen sein dürfen". 47

b aa) Die hier gegebene Kritik der Spezialprävention hat nicht den Zweck, den Vorgang der sozialen Anpassung zu perhorreszieren, sondern die Verabsolutierung dieser Anpassung. Beim Ausgang von einem Modell, in dem das Maß des eingetretenen sozialen Schadens und das Maß der Strafe verbunden sind, ist Spezialprävention unter den oben schon genannten Bedingungen eine alternative Strategie zur Erledigung des Konflikts und zudem der überhaupt einzige Gesichtspunkt, nach dem die Kostentragungspflicht des Täters auch f ü r diesen selbst sinnvoll gestaltet werden kann. bb) Der dafür zur Verfügung stehende Rahmen ist freilich eng, und zwar nicht nur wegen der Beschränkung der Strafzeit durch die positive Generalprävention und wegen der faktischen Beschränkung der Mittel, sondern auch wegen der rechtlichen Beschränkungen der Spezialprävention. Es gibt keine Legitimation des Staats, die sittliche Haltung der Bürger zu optimieren, sondern der Staat hat sich mit der äußeren Befolgung des Rechts zu begnügen (Relegalisierung 6 5 ). Insbesondere ist es nicht Ziel der Spezialprävention, ein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu schaffen, sondern dem Täter legales Verhalten zu erleichtern. Hauptsächlich wird sich Spezialprävention deshalb auf „Befreiung von äußeren und inneren Zwängen" 6 6 zu beschränken haben, d. h. auf Befreiung von besonderen Belastungen der Person, wobei diese Befreiung ohne Mitwirkung des Täters nur selten zu bewerkstelligen sein dürfte. Bei der Beseitigung der Belastungen wird auch das Gerüst der eine Person erst konstituierenden Haltungen zu informellen N o r m e n verändert; das aber darf nur mit Mitteln erfolgen, die auch gegenüber jedem anderen, nicht straffälligen Bürger legitim sind 6 7 . cc) Da der Täter nur in normativer Sicht die maßgebliche Ursache des Konflikts ist — etwa in pädagogischer oder in psychologischer Sicht mögen sich andere Ursachen

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Die P o s i t i o n des gemäßigten Flügels l ä u f t auf eine praktikabel gemachte Theorie der Spezialprävention hinaus. W e s e n t l i c h e E l e m e n t e sind: (1) G e sellschaftsschutz d u r c h (2) ein Ensemble v o n h a u p t s ä c h l i c h nicht s t r a f e n d e n M a ß n a h m e n z u r (3) R e s o z i a l i s i e r u n g ; dabei soll (4) das Individ u u m als v e r a n t w o r t l i c h e P e r s o n , nicht n u r als B e h a n d l u n g s o b j e k t a n g e s e h e n , zugleich a b e r (5) d u r c h alle H u m a n w i s s e n s c h a f t e n g e n a u e r f o r s c h t w e r d e n . D a s P r o g r a m m e r h e b t den A n s p r u c h , (6) nicht n u r sozialtechnologisch, sondern auch m o ralisch zu sein. Ancel Sozialverteidigung S. 2 6 ff u n d passim; d a z u MelzerSozialverteidigung passim; ders. J Z 1970 S. 764 ff, jeweils mit N a c h w e i sen; Rieg Z S t W 81 S. 411 ff, 414 f f ; Z i > / K r i m i nalpolitik 3.22. G r u n d l a g e n 2. Teil S. 2 1 3 ; — siehe d a z u H. Kaufmanns. W e b e r - F e s t s c h r i f t S. 418 f f ; Zipf Kriminalpolitik 3.21.

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Maihofer R e c h t s s t a a t s . 146. Stratenwerth Leitprinzipien S. 7 ff, 13. — Individualistisch Haffke in: A b w e i c h e n d e s V e r h a l t e n Bd. III S. 291 ff, 304: „ E m a n z i p i e r e n d e T h e r a p i e h a t . . . kein positives, inhaltlich erfülltes Ziel (Leben o h n e S t r a f t a t e n ) , s o n d e r n b e s t i m m t sich ausschließlich negativ, d. h. als H i l f e z u m F r e i - W e r den v o n einer u n b e g r i f f e n e n u n d e i n s c h n ü r e n d e n , meist s c h m e r z v o l l e n V e r g a n g e n h e i t . " — Ein Z u s a m m e n h a n g dieser B e f r e i u n g g e r a d e mit einer S t r a f t a t ist freilich n i c h t ersichtlich. Siehe d a z u Peters H e i n i t z - F e s t s c h r i f t S. 501 f f ; EserPeters-Festschrift S. 505 ff, 512 f f ; Hassemer K r i m J 1982 S. 161 ff, 165 f ; Lüdensen in: F o r t s c h r i t t e s . 67 ff, 79 ff.

Inhalt und Aufgabe staatlichen Strafens

. AbSChn

als maßgeblich aufdrängen —, mag es erfolgversprechender sein, zur Deliktsverhütung anderswo als gerade beim Täter mit einer Umorganisation zu beginnen. Gesellschaftstypische Konflikte lassen sich per Spezialprävention nicht effektiv beseitigen 673 .

V. Die Vereinigungs theorien 1. Es ist schon früh darauf hingewiesen worden, daß sich einzelne Aspekte der 4 8 Straftheorien kombinieren lassen 68 . Das kann verschiedenes bedeuten 6 9 · 7 0 : a) Mit einer Kombination ist nicht gemeint, daß ein Defizit einer Theorie, das deren 49 Praktizierbarkeit hindert, durch eine andere Theorie ausgefüllt werden dürfe; in solchen Fällen ist die defizitäre Theorie überhaupt untauglich. Beispiel: Vergeltungstheorien, die um präventive Überlegungen zur Notwendigkeit von Vergeltung ergänzt werden müssen, sind als Vergeltungstheorien zur Begründung der Notwendigkeit der Strafe untauglich; es handelt sich nach der Kombination um verkappte präventive Theorien 7 1 . Mit einer Kombination ist ferner nicht gemeint, daß mehrere Theorien kumuliert werden dürften; denn Kumulierung führt im Bereich divergenter Ziele der kombinierten Modelle zur Unbestimmbarkeit der Strafe; das zeigt sich etwa beim E 1962, der bei der Schuldstrafe ansetzt, aber zudem noch die Verhütung von Straftaten durch generelle und spezielle Abschreckung sowie durch Resozialisierung und

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T r e f f e n d Albrecht Z S t W 9 7 S. 831 ff, 857. A. Merkel G e s a m m e l t e A b h a n d l u n g e n Teil II S. 1 ff, 10 f f ; den. a a O S. 687 ff, 699 ff u n d passim; - d a g e g e n A. NaglerGS Bd. 70 S. 6 ff, 41 f ; Köhler Begriff S. 72 ff. Die R e c h t s p r e c h u n g (eingehend d a z u Bruns S t r a f r u m e s s u n g s r e c h t S. 230 f f ) h a t wenige Fixp u n k t e : Präventive Ü b e r l e g u n g e n d ü r f e n nicht z u r Überschreitung der schuldangemessenen S t r a f e f ü h r e n ( B G H 20 S. 264 ff, 267), ebensowenig z u einer U n t e r s c h r e i t u n g ( B G H 24 S. 132 f f , 134). U n k l a r ist die Stellung der G e n e r a l p r ä v e n t i o n ( d a z u Foth N S t Z 1990 S. 219 ff), w a s nicht v e r w u n d e r n k a n n , d a positive G e n e r a l p r ä v e n t i o n u n d Schuld nicht g e t r e n n t w e r d e n können; siehe BGH 6 S. 125 ff, 127; 24 S. 40 f f , 44 f f ; 24 S. 64 ff, 66; B G H G A 1976 S. 113 ff, 114. — D a s B u n d e s v e r f a s s u n g s g e r i c h t (eingehende D a r s t e l l u n g u n d Kritik seines S t r a f begriffs bei Volk Z S t W 83 S. 405 ff) h a t m e h r f a c h beim A u s g a n g v o m S c h u l d g r u n d s a t z Vereinig u n g s t h e o r i e n o h n e n ä h e r e Festlegung ihres I n halts f ü r v e r f a s s u n g s g e m ä ß e r k l ä r t ; B V e r f G 21 S. 391 ff, 4 0 4 ; 28 S. 264 ff, 2 7 8 ; 32 S. 98 ff, 109; 39 S. 1 ff, 57; 45 S. 187 ff, 253 f. - Bei d e r J u g e n d s t r a f e schließt die R e c h t s p r e c h u n g negative G e n e r a l p r ä v e n t i o n a u s ; B G H 15 S. 224 ff, 2 2 6 ; 16 S. 261 f f , 263. Die J u g e n d s t r a f e wegen S c h w e r e d e r Schuld (§ 17 Abs. 2 J G G ) soll n u r zulässig sein, w e n n „ e r z i e h e r i s c h e G r ü n d e " das v e r l a n g e n ; B G H 16 S. 261 ff, 263. N e u e r d i n g s wird j e d o c h a u c h „ d e r S c h w e r e d e r S c h u l d eigenständige B e d e u t u n g " b e i g e m e s s e n ; B G H StV 1982, S. 121 f ; im ersteren Sinn d a n n wieder B G H bei Böhm N S t Z 1984 S. 4 4 5 ; siehe EisenbergJGG§ 1 7 R d n . 33 ff.

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V e r e i n i g u n g s t h e o r i e n mit freilich unterschiedlic h e m V o r r a n g einer d e r vereinigten T h e o r i e n w e r d e n in d e r L i t e r a t u r ü b e r w i e g e n d v e r t r e t e n . — Roxin J u S 1966 S. 377 ff, 387 entwickelt eine „dialektische V e r e i n i g u n g s t h e o r i e " , n a c h d e r „die v e r s c h i e d e n e n S t r a f z w e c k e aus d e r einlinigen Ü b e r s t e i g e r u n g d a d u r c h in sozialkonstitutive B a h n e n " gelenkt w e r d e n sollen, „ d a ß sie die einz e l n e n A n s ä t z e d u r c h ein V e r f a h r e n gegenseitiger B e s c h r ä n k u n g ins G l e i c h g e w i c h t bringt". — A u c h bei Gössel P f e i f f e r - F e s t s c h r i f t S. 3 ff, 22 ff k a n n jede P r ä v e n t i o n n e b e n die V e r g e l t u n g t r e t e n ( „ m o d i f i z i e r t e V e r e i n i g u n g s t h e o r i e " ) . — F ü r eine V e r e i n i g u n g s t h e o r i e mit dem S c h w e r p u n k t auf S c h u l d a u s g l e i c h p l ä d i e r e n v. Hippel S t r a f r e c h t Bd. I § 21 X V I mit N a c h w e i s e n d e r älteren Liter a t u r ; Mezger Materialien Bd. I S. 1 f f , 2 f ; Jescheck A T 5 8 V ; LK-Jescheck Einleitung R d n . 32 f f ; Maurach-Zipf A T I § 7 R d n . 11 ff, 27 f f ; Bockelmann-Volk A T § 2 II 4 ; Dreher G e r e c h t e S t r a f e S. 127 f f ; Schönke-Schröder-Stree R d n . 11 ff v o r § 3 8 . — F ü r eine V e r e i n i g u n g s t h e o r i e im R a h m e n des S c h u l d a n g e m e s s e n e n mit d e m S c h w e r p u n k t auf S p e z i a l p r ä v e n t i o n a r g u m e n t i e r t Stratenwerth A T R d n . 30 f ; ders. T a t schuld S. 31 f ; w o h l a u c h Baumann-Weber AT § 3 II 2 a β ( n e b e n G e n e r a l p r ä v e n t i o n ) ; Benda F a l l e r - F e s t s c h r i f t S. 307 ff. — D e n R a h m e n des S c h u l d a n g e m e s s e n e n s p r e n g t Horstkotte J Z 1970 S. 122 f f , 124. — E i n e T h e o r i e , bei d e r die G e n e r a l p r ä v e n t i o n die Institution d e r S t r a f e b e g r ü n den soll, n i c h t a b e r die Regeln d e r Z u m e s s u n g , gibt Schmidhäuser A T 3 / 1 4 ff. Siehe a u c h Forster S c h w Z S t r . 101 (1984) S. 242 ff, 261 ff. Z u t r e f f e n d s c h o n ExnerTheorie

S. 36.

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1. Abschn

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

Sicherung des Täters erreichen will 7 2 , ohne daß ersichtlich wäre, wie diese Desiderate auf einen Nenner gebracht werden könnten. 50

b) Durch Kombination läßt sich nicht die Aufgabe umgehen, eine Theorie für eine praktizierbare Strafe zu entwickeln. Als eine solche Theorie ist hier eingangs die positive Generalprävention genannt worden, die nachfolgend, insbesondere zur Schuld, noch zu detaillieren sein wird. Aber diese Theorie (wie jede andere) erstreckt sich nicht auf jeden Abschnitt des gesamten Bestrafungsvorgangs, sondern beläßt ungestaltete Nischen, die nachrangig durch andere Theorien ausgefüllt werden können, wobei als nachrangige Theorie nur die Spezialprävention in Betracht kommt, da die Vergeltungstheorie, die Sühnetheorie und die Theorie der negativen Generalprävention überhaupt zu verwerfen sind (oben 1/17 ff, 25 f, 27 ff). Als hauptsächliche Folge ist der gesamte Straffollzug, f ü r den die Theorie der positiven Generalprävention nichts ergibt, möglichst spezialpräventiv effektiv auszugestalten (§§ 2 f StVollzG) 7 3 . Aber auch auf die vom Gesetzgeber zu wählenden Strafrahmen sowie auf die Strafzumessung wirkt die Spezialprävention ein; denn mit der Theorie der positiven Generalprävention lassen sich keine eindeutig bestimmten Strafquanten berechnen (ebensowenig mit einer anderen Theorie), sondern sie gibt einen Rahmen, der von der schon ernst zu nehmenden Reaktion und der noch nicht übertrieben scharfen Reaktion gebildet wird. Dieser Rahmen kann spezialpräventiv ausgefüllt werden, wenn insoweit effektive Maßnahmen möglich sind; ansonsten muß es beim Mindestmaß der schon ernst zu nehmenden Reaktion verbleiben 7 4 . Einzelheiten sind Gegenstand der Strafzumessungslehre.

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2 a) Abgesehen von dieser Vereinigung der positiven Generalprävention mit nachrangiger Spezialprävention besteht stets eine Konkurrenz beider Präventionen als mögliche Äquivalente (neben weiteren) zur Erledigung von Konflikten, wobei die Äquivalenz nach der Erledigungswirkung zu bestimmen ist und keine Ähnlichkeit der Erledigungsweise voraussetzt (nicht notwendig Strafe). Die Antwort auf die Frage, welche Erledigungsart zu wählen ist, muß nicht stets allein zugunsten einer einzigen Erledigungsart ausfallen (ζ. B. allein für Generalprävention : § 56 Abs. 3 StGB), sondern kann jeder Erledigungsart einen Teil zuweisen und die Arten in diesem Sinn vereinigen; Beispiele d a f ü r sind die Strafaussetzung zur Bewährung und verwandte Rechtsinstitute (§§ 56, 57, 59 StGB) : Neben den spezialpräventiven Zwang zum legalen Verhalten durch den konkretisierten Strafdruck, möglicherweise verbunden mit Weisungen und Bewährungshilfe (§§ 56 c, d StGB), tritt die generalpräventive öffentliche Mißbilligung, möglicherweise verbunden mit Auflagen (§§ 56 b StGB).

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b) Hauptbeispiel f ü r diese zuletzt genannte Art der Vereinigung bildet die Zweispurigkeit der Rechtsfolgen nach geltendem Recht: Im Rahmen des Verhältnismäßigen 72 73

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B e g r ü n d u n g S. 96. Siehe a b e r a u c h B V e r f G 64 S. 261 f f ; eingehend d a z u Arloth G A 1988 S. 403 f f ; O L G F r a n k f u r t N J W 1986 S. 598 f. Rahmentheorie oder Spielraumtheorie. — O b der R a h m e n d e r s c h u l d a n g e m e s s e n e n S t r a f e aus spezialpräventiven G r ü n d e n ü b e r s c h r i t t e n o d e r u n terschritten w e r d e n d a r f , ist streitig u n d n a c h hiesiger A n s i c h t zu verneinen, w o b e i freilich zu berücksichtigen ist, d a ß das mindestens S c h u l d a n gemessene n a c h der hiesigen K o n z e p t i o n z u gleich das mindestens z u r E r l e d i g u n g des K o n flikts E r f o r d e r l i c h e ist (siehe u n t e n z u r Schuld 17/31 f). W i r d die H e r a b s e t z u n g d e r S t r a f e toleriert, so ist a u c h die S c h u l d g e m i n d e r t ! — G e g e n

eine U n t e r s c h r e i t u n g v o m Schuldbegriff d e r ü b e r w i e g e n d e n A n s i c h t aus siehe B G H 24 S. 132 f f ; B G H J Z 1976 S. 650 f ; Bruns S t r a f z u m e s s u n g s r e c h t S. 217 ff, 233; ders. W e l z e l - F e s t schrift S. 739 ff, 7 4 4 ; Schaffstein Gallas-Festschrift S. 99 ff, 105; /escheck A T 5 4 I 3 u n d § 82 III 3 ; LK-Jescheck E i n l e i t u n g R d n . 31. — F ü r die Zulässigkeit einer U n t e r s c h r e i t u n g siehe Lackner E n t w i c k l u n g e n S. 23 f f ; Roxin Schultz-Festgabe S. 463 f f , 473 f f ; Schönke-Schröder-Stree R d n . 18 a v o r §§ 38 ff. — F ü r die Zulässigkeit a u c h einer Ü b e r s c h r e i t u n g siehe Horstkotte JZ 1 9 7 0 S . 122 ff, 124.

Inhalt und Aufgabe staatlichen Strafens

1. Abschn

(5 62 StGB) und Erforderlichen treten spezialpräventive Maßregeln der Besserung und Sicherung (§ 61 StGB) neben die Strafe für schuldhaftes Verhalten. Das Nebeneinanderwird freilich in doppelter Hinsicht zugunsten der Prävention durchbrochen (vikariierendes System) : Die Zeit des Vollzugs der Maßregel wird bei Vorwegvollzug auf die Strafe angerechnet (§ 67 Abs. 4 StGB), und bei Zweckerreichung der Maßregel kann die Strafe, falls mindestens die Hälfte erledigt ist, zur Bewährung ausgesetzt werden, ohne daß die Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 StGB erfüllt sein m ü ß t e n 7 5 (§ 67 Abs. 5 StGB).

VI. Anhang : Die Aufgaben der Maßregeln der Besserung und Sicherung Literatur H.-J. Albrecht Empirische Sanktionsforschung und die Begründbarkeit von Kriminalpolitik, MonSchrKrim. 1981 S. 310 ff; J.-B. Bae Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Maßregelrecht des StGB, 1985; P. Bockelmann Studien zum Täterstrafrecht, 1939; H.-J. Bruns Die Maßregeln der Besserung und Sicherung im StGB-Entwurf 1956, Z S t W 71 S. 210 ff; H. Dünnebier Die D u r c h f ü h r u n g der Zweispurigkeit bei den freiheitsentziehenden Maßregeln im Entwurf 1960 eines Strafgesetzbuches, ZStW 72 S. 32 ff; E. Dreher Die Vereinheitlichung von Strafen und sichernden Maßregeln, ZStW 65 S. 481 f f ; R. Eickhof/Die Benachteiligung des psychisch kranken Rechtsbrechers im Strafrecht, N S t Z 1987 S. 65 ff; F. Exner Die Theorie der Sicherungsmittel, 1914; E. R. Frey Heilen statt strafen? 1962; W. Frisch Das Marburger Programm und die Maßregeln der Besserung und Sicherung, ZStW 94 S. 565 ff; ders. Die Maßregeln der Besserung und Sicherung im strafrechtlichen Rechtsfolgensystem, ZStW 102 S. 343 ff; G. Grünwald Sicherungsverwahrung, Arbeitshaus, vorbeugende Verwahrung und Sicherungsaufsicht im Entwurf 1962, ZStW 76 S. 633 ff; K. A. Hall Sicherungsverwahrung und Sicherungsstrafe, Z S t W 70 S. 41 ff; E. Heinitz Die Individualisierung der Strafen und Maßnahmen in der Reform des Strafrechts und des Strafprozesses, 1960; H. Herrmann Die mit Freiheitsentzug verbundenen Maßnahmen der Sicherung und Besserung, Materialien Bd. II (1) S. 193 ff; H. Horstkotte Die Vorschriften des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafrechts über den Rückfall und die Maßregeln der Sicherung und Besserung, J Z 1970 S. 152 ff; P. KaenelCzñ Stooss und das zweispurige System der Strafrechtsfolgen, SchwZStr. 101 (1984) S. 3 ff; M. Köhler Der Begriff der Strafe, 1986; E. Kohlrausch Sicherungshaft. Eine Besinnung auf den Streitstand, ZStW 44 S. 21 ff; D. Lang-Hinrichsen Die kriminalpolitischen Aufgaben der Strafrechtsreform, Gutachten 43. D J T Bd. I (3/B), 1960; Th. Lenckner Strafe, Schuld und Schuldfähigkeit, in: H. Göppingernnd W. Witter (Hrsg.) H a n d buch der forensischen Psychiatrie Bd. I, 1972, S. 3 ff; H. Marquardt Dogmatische und kriminologische Aspekte des Vikariierens von Strafe und Maßregel, 1972; H. Mayer Strafrechtsreform f ü r heute und morgen, 1962; E. Mezger Die Vereinheitlichung der Strafe und der sichernden Maßnahmen, ZStW 66 S. 172 ff; P. Mrozynski Die Wirkung der Unschuldsvermutung auf spezialpräventive Zwecke des Strafrechts, J Z 1978 S. 255 ff; /. Nagler Verbrechensprophylaxe und Strafrecht, 1911; W. Naucke Tendenzen in der Strafrechtsentwicklung, 1975; F. Nowakowski Die Maßnahmenkomponente im StGB, in: ders. Perspektiven zur Strafrechtsdogmatik, 1981, S. 93 ff; ders. Z u r Rechtsstaatlichkeit der vorbeugenden Maßnahmen, v. Weber-Festschrift S. 98 ff; ders. Vom Schuld- zum Maßnahmenrecht? in: H. Göppinger und P. H. Bresser (Hrsg.) Kriminologische Gegenwartsfragen H e f t 10, 1972, S. 11 ff; W. Sax Grundsätze der Strafrechtspflege, in: K. A. Bettermann, H. C. Nipperdey, U. Scheuner {Hrsg.) Die Grundrechte Bd. III (2), 2. Auflage 1972 S. 909 ff; Eb. Schmidt Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Auflage 1965; H. Schröder Die Vereinheitlichung der Strafe und der sichernden Maßnahmen, ZStW 66

75

N a c h § 67 Abs. 5 a. F. k o n n t e die Reststrafe o h n e Blick auf eine mindestens erledigte Zeit ausgesetzt w e r d e n . Kritisch d a z u i n s b e s o n d e r e LK-Hanack § 67 R d n . 20 ff mit z u t r e f f e n d e n H i n w e i s e n auf die Q u e l l e d e r W i l l k ü r : Die T e i l n e h m e r am G e s e t z g e b u n g s v e r f a h r e n h a b e n sich gescheut, zwi-

schen a n t i n o m i s c h e n S t r a f z w e c k e n zu entscheiden ( P r o t o k o l l e S o n d e r a u s s c h u ß V S. 2323 f f ; nichtssagend B T - D r u c k s a c h e V 4095 S. 3 2 ) ; Hanack J R 1978 S. 399 ff, 4 0 2 ; a. A. Marquardt V i kariieren S. 164 f.

29

1. Abschn

l . B u c h . 1.Kapitel. Staatliches Strafen

S. 180 f f ; ders. D i e „ E r f o r d e r l i c h k e i t " v o n S i c h e r u n g s m a ß r e g e l n , J Z 1970 S. 9 2 f f ; C. Stooss S t r a f e u n d s i c h e r n d e M a ß n a h m e , S c h w Z S t r . 18 ( 1 9 0 5 ) S. 1 f f ; ders. D e r „ D u a l i s m u s " im S t r a f r e c h t , S c h w Z S t r . 41 ( 1 9 2 8 ) S. 54 f ; ders. Z u r N a t u r d e r s i c h e r n d e n M a ß n a h m e n , S c h w Z S t r . 44 ( 1 9 3 0 ) S. 2 6 1 f f ; G. Stratenwerth Z u r R e c h t s s t a a t l i c h k e i t d e r f r e i h e i t s e n t z i e h e n d e n M a ß n a h m e n im S t r a f r e c h t , S c h w Z S t r . 82 ( 1 9 6 6 ) S. 3 3 7 f f ; ders. S t r a f r e c h t l i c h e M a ß n a h m e n a n geistig A b n o r m e n , S c h w Z S t r . 89 ( 1 9 7 3 ) S. 131 f f ; W. Stree D e l i k t s f o l g e n u n d G r u n d g e s e t z . Z u r V e r f a s s u n g s m ä ß i g k e i t d e r S t r a f e n u n d s o n s t i g e n s t r a f r e c h t l i c h e n M a ß n a h m e n , 1960.

A. Theorien der Maßregeln 53

1 · D a s g e l t e n d e R e c h t k e n n t als R e a k t i o n auf eine S t r a f t a t n e b e n d e n S t r a f e n

oder

statt d e r S t r a f e n a u c h M a ß r e g e l n d e r Besserung u n d S i c h e r u n g : § 61 S t G B . S o wie die S t r a f e e i n e R e a k t i o n a u f e i n e B e e i n t r ä c h t i g u n g d e r N o r m g e l t u n g ist, s o die M a ß r e g e l eine R e a k t i o n a u f eine in d e r T a t o b j e k t i v i e r t e W i e d e r h o l u n g s g e f a h r . D i e s e bei

den

Vereinigungstheorien

auf,

schon genannte

Zweispurigkeit

der Reaktion

d r ä n g t sich

w e n n die S t r a f e u n d das z u r Spezialprävention E r f o r d e r l i c h e divergieren; d e m e n t s p r e c h e n d b e r u h t die V e r a n k e r u n g der Zweispurigkeit im geltenden R e c h t auf V e r s u c h e n , die V o r t e i l e einer s c h u l d g e b u n d e n e n S t r a f e mit einigen V o r t e i l e n spezialpräventiv eff e k t i v e r B e h a n d l u n g z u k o m b i n i e r e n 7 6 . W e g e n d e r S p a l t u n g d e r R e a k t i o n ist v o n Seiten der Präventionisten u n d aus deren Sicht zu Recht der V o r w u r f des Etikettenschwindels erhoben worden77. aussetzung

zur

— A u c h einzelne M o d a l i t ä t e n d e r Strafe, i n s b e s o n d e r e die S t r a f -

Bewährung

(§§ 5 6 ff S t G B )

und

der Vorrang

der

G e l d s t r a f e (§ 4 7

StGB), sind M a ß r e g e l n , n u r u n t r e n n b a r mit einer Strafe v e r k n ü p f t 7 8 . 54

2 a ) D i e T h e o r i e d e r M a ß r e g e l n ist l ä n g s t n i c h t s o d i f f e r e n z i e r t e n t w i c k e l t w o r d e n wie die T h e o r i e d e r S t r a f e n 7 9 . U b e r w i e g e n d b e g n ü g t m a n sich mit d e r Feststellung, eine M a ß r e g e l s o l l e — i m R a h m e n d e s V e r h ä l t n i s m ä ß i g e n (§ 6 2 S t G B ) — d a s G e m e i n i n t e r esse e r h a l t e n 8 0 . D a m i t ist f r e i l i c h w e n i g a n z u f a n g e n , weil u n k l a r b l e i b t , w i e die I n t e r e s -

76 Erstmals verwirklicht wurde die Zweispurigkeit unter dem Einfluß von E. F. Klein in 5 5 II 20 und § 1160 II 20 ALR. — Nachweise zur Geschichte bei Eb. Schmidt Geschichte § 2 4 1 ; LK-Tröndle Rdn. 9 vor § 38 ; LK-Hanack Rdn. 5 ff vor § 61 ; Frisch ZStW 102 S. 343 ff, 345 ff. - Grundlegend für die heutige Anerkennung der Zweispurigkeit war der Vorentwurf zu einem Schweizerischen Strafgesetzbuch von Carl Stooss (1893; Gesetz 1937); Stooss SchwZStr. 18 (1905) S. 1 ff; ders. SchwZStr. 41 (1928) S. 54 f; ders. SchwZStr. 44 (1930) S. 261 ff; - siehe dazu Kaenel SchwZStr. 101 (1984) S. 3 ff; Schultz Einführung S. 61 ff; Stratenwerth Schweizerisches Strafrecht 1/18 ff, jeweils mit Nachweisen. — In Deutschland war die Zweispurigkeit in den Reformentwürfen seit dem Vorentwurf von 1909 und dem Entwurf von 1913 im Prinzip unangefochten. Geltendes Recht wurde sie erstmals durch das Gesetz vom 24. 11. 1933 („Gewohnheitsverbrechergesetz", RGBl. I S. 995) : §§ 42 a ff StGB a. F. Das Ergebnis war zunächst dreispurig ( Bockelmann Studien S. 162); denn neben die Strafe für die T a t und die Maßregel trat in 5 20 a StGB a. F. Strafe für den „gefährlichen Gewohnheitsverbrecher". — Siehe ferner §§ 81 ff E 1962 und Begründung S. 207 f; §§ 66 ff AE und Begründung S. 121. 77 30

Kohlrausch ZStW 44 S. 21 ff, 33.

78 Teils wird die „bedingte Verurteilung" nicht als Kombination von Strafe und Maßregel, sondern als „dritte Säule" der Kriminalpolitik bezeichnet (Jescheck AT § 8 V I ; LK-Jescheck Einleitung Rdn. 40 ff). Unter bedingter Verurteilung werden dabei zusammengefaßt: Das vorläufige Absehen von Klage und die vorläufige Einstellung nach § 153 a StPO, die Verwarnung mit Strafvorbehalt nach den §§ 59 ff StGB (im Jugendstrafrecht die Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe nach den §§ 27 ff JGG), ferner Strafaussetzung oder Aussetzung des Strafrests zur Bewährung, §§ 56 bis 56 g, 58 StGB, § 57 StGB, und schließlich die Aussetzung einer Maßregel zur Bewährung, §§ 67 b, 67 c Abs. 2 Satz 4, 67 d Abs. 2, 67 g StGB. 79 Siehe LK-Hanack Rdn. 36 vor § 61 ; Köhler Begriff S. 82 Fn. 133; Frisch ZStW 102 S. 343 ff, 355 ff. 80 £ x n e r T h e o r i e S. 226 f f ; Mîg/erVerbrechensprophylaxe S. 19, 66 ff, 102 ff, 257 ff; Nowakowski v. Weber-Festschrift S. 98 ff, 103; Stree Deliktsfolgen S. 217 ff; Lenckner in: Handbuch Bd. I S. 3 ff, 185; LK-Hanack Rdn. 28 vor § 61 ; LK-Jescheck Einleitung Rdn. 39; Schönke-SchröderStree Rdn. 2 vor 5 61 ; Schmidhäuser AT 21/8 mit Fn. 4 u. a. m.

Inhalt und Aufgabe staatlichen Strafens

1. Abschn

sen des Täters zu gewichten sind: so gering wie die Interessen eines Angreifers bei der N o t w e h r (unten 12/30, 46 f) oder so hoch wie die Interessen eines Unbeteiligten beim aggressiven Notstand (unten 13/20 ff)? Unklar ist auch, was die drohende Beeinträchtigung des Gemeininteresses ist: die kommende Verletzung oder Gefährdung durch eine Naturkatastrophe oder die kommende Verletzung der Normgeltung oder einer Zwischenform o. ä. b) Schon konkreter ist der Vorschlag, die Maßregeln „notwehrrechtlich" zu verstehen 8 1 . Da freilich die N o t w e h r auf staatliches Abwehrhandeln gerade nicht paßt (unten 12/41 ff) und bei der Verhängung von Maßregeln zudem die Drastik eines gegenwärtigen Angriffs fehlt, geht die Parallele zur N o t w e h r sachlich fehl 8 2 . c) Nach einer ethisierenden Lösung soll die Maßregel den Verlust der „inneren Freiheit" des Täters ausgleichen und gerade wegen dieses Verlusts zu rechtfertigen sein: „Wer (der) inneren, von sittlicher Selbstbestimmung gelenkten Freiheit überhaupt nicht fähig (wie Geisteskranke) oder infolge von schlechten Anlagen, Lastern und Gewohnheiten nicht mehr hinreichend mächtig ist, kann die volle soziale Freiheit nicht beanspruchen" 8 3 . Diese Lösung ergibt freilich nichts f ü r die Maßregeln, die neben der Strafe für eine voll schuldhafte Tat verhängt w e r d e n 8 4 ; wenn der Täter f ü r den Gebrauch seiner „Freiheit" voll einstehen muß, müßte er nach der genannten Lösung auch volle soziale Freiheit beanspruchen können. d) Schließlich werden die Maßregeln auch unter die schon bekannten Institutionen des Rechts aufgeteilt: Teils sollen sie „personenrechtliche Fürsorgemaßnahmen" sein, teils echte Strafen 8 5 . Als Strafe soll insbesondere die Sicherungsverwahrung durchgehen: „Wer das Leben eines Gewohnheitsverbrechers geführt hat, der hat unbemessene Freiheitsstrafe verdient" 8 6 . Das geht freilich am Tatprinzip vorbei: Geschehene Taten sind immer auch zu bemessen; unbemessene Rechtsfolgen knüpfen deshalb nicht allein an die geschehenen Taten an, sondern zumindest zusätzlich an die Gefahr zukünftiger Taten ; f ü r Zukünftiges kann aber nicht schon gegenwärtig gestraft werden. e) Alle Maßregeln sollen ein habituelles Defizit des Täters ausgleichen, gelten also nicht demjenigen, dessen T a t aus situativen Gründen erklärt werden kann, wie dies insbesondere bei Schuldlosigkeit nach den §§ 17 (ohne Befund, siehe unten 18/24), 33, 35 StGB oder auch bei Rücktritt, §§ 24, 31 StGB (unten 26/42), der Fall ist. Trifft ein habituelles Defizit (etwa: eine Geisteskrankheit) mit einem situativen Erklärungsgrund zusammen (etwa: mit einem Affekt gemäß § 3 3 StGB), so ist eine Maßregel ausgeschlossen, solange der situative Grund die T a t mit bedingt, und sei es auch nur in geringfügiger Art und Weise.

B. Die Differenzierung der Maßregelfunktion 1. Zur Lösung ist die Beziehung zwischen dem Konflikt, den der Täter durch seine 5 5 T a t hervorruft, und der Maßregel genauer zu beschreiben. Dabei kann f ü r alle Maßregeln vorweg festgehalten werden, daß sie praktisch mit einem Übel verbunden sind, das der Täter zu tragen hat. Deshalb weisen auch die Maßregeln den generalpräventiven (normbestätigenden) Nebeneffekt auf, der schon bei der Behandlung der Spezialprä81 82 83

Sax in: G r u n d r e c h t e Bd. III (2) S. 909 ff, 960 ff, 963,965. Z u t r e f f e n d kritisch Nowakowski v. Weber-Festschrift S. 98 ff, 108 f. Welzel S t r a f r e c h t § 3 2 111; ebenso LJO-LangHinrichsen R d n . 13 f v o r § 42 a; Lang-Hinrichsen in: 43. D J T Bd. I Teil 3 H e f t B S. 5 ff, 42 f ; Gal-

84 85 86

las Niederschriften Bd. I V S. 55; Bockelmann Niederschriften Bd. I S. 56 f, 243 ff, 247; Bruns Z S t W 71 S. 210 ff, 211 f. Z u t r e f f e n d Stratenwerth A T R d n . 35. H. Mayer KT %7\\l. H. MayerΚΐ S 64 I 2.

31

1. Abschn

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

vention bezeichnet wurde (oben 1/37). Davon abgesehen sind zur Klärung der Beziehung zwischen Konflikt und Maßregel folgende Maßregelarten zu unterscheiden: (a) die strafergänzende Maßregel, (b) die strafersetzende Maßregel und (c) die strafvertretende Maßregel. 56

a aa) Was die strafergänzende Maßregel angeht, also die Maßregel neben der Strafe, so ist folgender Zusammenhang zu beachten: Ob es überhaupt möglich ist, Erwartungen durchzuhalten, die allein normativ gegen Enttäuschungen abgesichert sind, ist schon zweifelhaft. Jedenfalls bedürfen die elementaren Erwartungen, die das Strafrecht stabilisiert, auch einer kognitiven Untermauerung. Mit Strafe kann der Verlust an Gütern, den das Opfer erleidet, nicht ausgeglichen werden. Deshalb gehört zu den Voraussetzungen eines jeden (nicht aufgezwungenen) sozialen Kontakts neben der Gewißheit, daß im Enttäuschungsfall eine normative Garantie erfolgen wird (also neben der Gewißheit, im Recht zu sein), auch die (weniger gewisse) Wahrscheinlichkeit, daß man mit seinen elementaren Gütern ungeschoren davonkommt. Beispiel: Wer voraussichtlich gewiß von einem betrunkenen Autofahrer totgefahren wird, wenn er sich auf die Straße begibt, wird trotz der Garantie, im Recht zu sein, die Straße meiden. Freilich kann die kognitive Absicherung schwächer sein, als es die normative Garantie ist; der Witz der normativen Garantie besteht ja gerade darin, daß die Norm auch dann noch als allseitig verbindliches Verhaltensmuster akzeptiert werden kann, wenn ein Normbruch kognitiv nicht auszuschließen ist. Das heißt aber nicht, es könne darauf verzichtet werden, evidente Gefahrenquellen zu verstopfen. Die normative Garantie wirkt nur als eine brauchbare Garantie, wenn der Normbruch auch kognitiv ernsthaft angegangen wird; denn da allein vom Recht-Haben niemand leben kann, läßt sich auch allein mit der Gewißheit, daß notfalls eine normative Garantie erfolgt, das Leben nicht brauchbar organisieren. Wegen dieses Befunds sind die strafergänzenden Maßregeln erforderlich, also etwa Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) oder in einer Entziehungsanstalt (§ 64 S t G B ) oder in Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) neben der Strafe u. a. m. Die Aufgabe dieser Maßregeln besteht darin, dasjenige Maß an kognitiver Sicherheit herzustellen, ohne das die normative Garantie keine taugliche Organisationsgrundlage abgibt. Auch eine Maßregel, die neben eine Strafe tritt, dient also der Erhaltung von Normgeltung; sie stützt den Effekt der Strafe für die geschehene T a t durch kognitive Untermauerung der Norm, also auch abgesehen von dem schon bezeichneten generalpräventiven Nebeneffekt, der hauptsächlich aus dem Ubelscharakter der Maßregel resultiert. Die Verbindung von Maßregel und Normgeltung erklärt, weshalb der Normbruch für die Gefahr weiterer Normbrüche symptomatisch sein muß: Es geht nicht darum, aus Anlaß der Tat eine Generalrevision der Person des Täters vorzunehmen, sondern die Indizwirkung der Tat hindert eine Bereinigung der Situation allein durch Strafe. bb) Wegen ihrer bloßen Hilfsfunktion ist eine strafergänzende Maßregel auf das Quantum zu limitieren, das erforderlich ist, um den Strafeffekt zu stützen. Diese Limitierung ist für die Beendigung einer Maßregel höchst bedeutsam : Die Maßregel hat nicht erst zu enden, wenn die Gefahr weiterer Taten beseitigt ist, sondern schon dann, wenn die Geltung der Norm nicht mehr in Zweifel steht, weil ein ernsthafter und nicht offensichtlich erfolgloser Besserungsversuch unternommen worden ist (oder bei Sicherungsverwahrung : ein entsprechendes Abwarten geänderter Verhältnisse).

57

b) Bei einer strafersetzenden Maßregel, d. h. bei einer Maßregel aufgrund schuldlosen Verhaltens des Täters, bleibt — abgesehen vom generalpräventiven Nebeneffekt der Übelszufügung — nur jene dünne Beziehung zur Normgeltung, die sich aus dem 32

Inhalt und A u f g a b e staatlichen Strafens

1. Abschn

U m s t a n d ergibt, daß ü b e r h a u p t gegen den T ä t e r vorgegangen wird, daß also der Konflikt und der T ä t e r als dessen Ursache ernst genommen werden (auf bloße G e schmacklosigkeiten o d e r auf bloßen U n f u g hin erfolgt keine bessernde oder sichernde Reaktion). Eine straf ersetzende Maßregel hat aber nicht eine bloße Hilfsfunktion, sondern ist eine eigene Erledigungsart. D a der Konflikt n u r kognitiv und nicht n o r m a tiv angegangen wird, muß die Maßregel auch kognitiv erfolgreich sein: Zielpunkt ist — anders als bei der ergänzenden Maßregel — nicht die N o r m g e l t u n g , sondern die Gefahrfreiheit. c) Zwischen den beiden zuvor genannten Arten von Maßregeln ist die strafvertre- 58 tende Maßregel angesiedelt, das heißt die Maßregel, die gegenüber dem schuldhaften T ä t e r statt Strafe verhängt oder vollstreckt wird (§ 67 Abs. 4 und 5 StGB). Sie hat mit der strafergänzenden Maßregel gemeinsam, daß sie Reaktion auf einen z u r e c h e n b a r e n N o r m b r u c h ist, und mit der strafersetzenden Maßregel, daß die Lösung des Konflikts ganz im kognitiven Bereich gesucht wird. Die verletzte N o r m soll stabilisiert werden, indem die faktische C h a n c e ihrer Beachtung e r h ö h t wird. Es geht also um die Festigung von N o r m g e l t u n g allein d u r c h Beseitigung von G e f a h r . — O b das allerdings mehr als n u r vereinzelt d u r c h f ü h r b a r ist, ist nicht ausgemacht (siehe oben z u r Spezialprävention 1/39). 2 a) Entsprechend den unterschiedlichen Aufgaben der Maßregeln ist die Zwecker- 59 reichung unterschiedlich zu bestimmen. Bei der strafergänzenden Maßregel geht es n u r darum, die kognitive Sicherheit zu schaffen, die z u r U n t e r m a u e r u n g einer normativen Garantie erforderlich ist. Bei den beiden anderen Maßregelarten muß hingegen der Konflikt ü b e r h a u p t kognitiv erledigt werden ; die P r ü f u n g , ob die G e f a h r beseitigt ist, muß deshalb bei den zuletzt genannten Arten nach einem strengeren Maßstab erfolgen. b) Auch bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit86a ergeben sich je nach Art der 60 Maßregel unterschiedliche Interessenbeteiligungen u n d Interessengewichtungen. W ä h rend es bei einer strafergänzenden und (trotz des kognitiven Vorgehens) auch bei einer strafvertretenden Maßregel hauptsächlich um die Erhaltung von allgemeinem N o r m vertrauen geht, ist bei einer strafersetzenden Maßregel die Beseitigung von G e f a h r e n f ü r Güter (nicht f ü r N o r m e n ) vorrangig, was weniger zählt. — Die Interessen auf Seiten des Täters sind um so geringer zu gewichten, je stärker er f ü r die G e f a h r zuständig ist, so daß insoweit eine Reaktion gegenüber einem schuldhaft handelnden Gewohnheitstäter noch verhältnismäßig sein mag, w e n n sie gegenüber einem Geisteskranken schon unverhältnismäßig ist. — Weiterhin m u ß bei der strafvertretenden Maßregel zu Lasten des Täters berücksichtigt werden, daß ihn — im Gegensatz z u r Lage bei der strafergänzenden Maßregel — trotz schuldhaften Verhaltens keine Strafe trifft. — D e r Notwendigkeit dieser differenzierten A b w ä g u n g e n 8 7 wird die pauschale Formulierung von § 62 StGB nicht gerecht. Einzelheiten gehören z u r Lehre von den Rechtsfolgen. 3. Daß f ü r einen nicht (voll) verantwortlichen T ä t e r im Ergebnis die Gesamtbela- 60a stung durch Reaktionen anläßlich einer Straftat (nicht gemeint sind Reaktionen n a c h den Unterbringungsgesetzen der Länder) erheblich g r ö ß e r sein k a n n als diejenige eines voll verantwortlichen Täters, k a n n zumindest f ü r diejenigen Fälle nicht befriedigen, in denen der Verantwortungsverlust nicht dem T ä t e r selbst zugerechnet werden kann.

86a

D a z u mit N a c h w e i s e n B V e r f G N S t Z 1986 S. 185 f f ; Bae G r u n d s a t z S. 81 ff, 152 f f , 213 f f ; LK-Hanack § 62 R d n . 9 f f ; b e a c h t l i c h e Kritik bei EickhoffHStZ 1987 S. 65 ff.

87

SK-Hom § 62 R d n . 8 vergleicht die D i f f e r e n ziertheit z u t r e f f e n d mit d e r j e n i g e n bei d e r S t r a f zumessung.

33

2. Abschn

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

2. ABSCHNITT Die materielle Legitimation des Strafrechts Literatur K. Amelung Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, 1972; ders. Buchbesprechung, ZStW 87 S. 132 ff; ders. Zur Kritik des kriminalpolitischen Strafrechtssystems von Roxin, JZ 1982 S. 617 ff; G. Arzt Viktimologie und Strafrecht, Monschrkrim 1984 S. 105 ff; A. Baratta Integrations-Prävention. Eine systemtheoretische Neubegründung der Strafe KrimJ 1984 S. 132 ff; R. BloyD ie Straftaten gegen die Umwelt im System des Rechtsgüterschutzes, ZStW 100 S. 485 ff; P. Bockelmann Literaturbericht, ZStW 74 S. 304 ff; E. Brandt Die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips für Entpoenalisierungen im Strafrecht, 1988; R.-P. Calliess Theorie der Strafe im demokratischen und sozialen Rechtsstaat, 1974; G. Dabrn Der Methodenstreit in der heutigen Strafrechtswissenschaft, ZStW 57 S. 225 ff; /. Driendl Zur Notwendigkeit und Möglichkeit einer Strafgesetzgebungswissenschaft in der Gegenwart, 1983; U. Ebert Verbrechensbekämpfung durch Opferbestrafung?, J Z 1983, S. 633 ff; J. Feinberg The Moral Limits of the Criminal Law, Bd. 1 (Harm to Others) 1984, Bd. 2 (Offence to Others) 1985, Bd. 3 (Harm to self) 1986, Bd. 4 (Harmless Wrongdoing) 1988; I. Fetscher Zum Prozeß um das Buch „Wie alles anfing" von . . . Baumann, in: K. Lüderssen u. a. (Hrsg.) Vom Nutzen und Nachteil der Sozialwissenschaften für das Strafrecht, Bd. 2 1980, S. 506 ff; Th. Fischer Das Verhältnis der Bekenntnisbeschimpfung (§ 166 StGB) zur Volksverhetzung (§ 130 StGB), GA 1989 S. 445 ff; M. Fromme! Präventionsmodelle in der deutschen Strafzweck-Diskussion, 1987; dies. Welzeis finale Handlungslehre in: U. Reifneru. a. (Hrsg.) Strafjustiz und Polizei im Dritten Reich, 1984, S. 86 ff; W. Gallas Zur Kritik der Lehre vom Verbrechen als Rechtsgutsverletzung, Gleispach-Festschrift S. 50 ff; ders. Beiträge zur Verbrechenslehre, 1968; M. Grünhut Methodische Grundlagen der heutigen Strafrechtswissenschaft, Frank-Festgabe Bd. I S. 1 ff; G. Grünwald Billigung von Straftaten (§ 140 StGB), in: K. Lüderssen u. a. (Hrsg.) Vom Nutzen und Nachteil der Sozialwissenschaften für das Strafrecht, Bd. 2 1980, S. 489 ff; E.-W. Hanack Empfiehlt es sich, die Grenzen des Sexualstrafrechts neu zu bestimmen? Gutachten 47. D J T Bd. I (A); R. Hassemer Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrechtsdogmatik, 1981; W. Hassemer Theorie und Soziologie des Verbrechens, 1973; ders. Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, 1974; ders. Buchbesprechung, ZStW 87 S. 146 ff; ders. Grundlinien einer personalen Rechtsgutslehre, Arthur Kaufmann-Festschrift S. 85 ff; ders. Symbolisches Strafrecht und Rechtsgüterschutz, NStZ 1989, S. 553 ff; Th. HillenkampYorsatztat und Opferverhalten, 1981 ; R. M. Honig Die Einwilligung des Verletzten Teil I, 1919; H. Jäger Strafgesetzgebung und Rechtsgüterschutz bei Sittlichkeitsdelikten, 1957; G. Jakobs Die Aufgabe des strafrechtlichen Ehrenschutzes, Jescheck-Festschrift S. 627 ff; ders. Kriminalisierung im Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung, ZStW 97 S. 751 ff; H. Jung Zur Strafbarkeit des Inzests, LeferenzFestschrift S. 311 ff; G. Kaiser Kriminalisierung und Entkriminalisierung in Strafrecht und Kriminalpolitik, Klug-Festschrift S. 579 ff; Arthur Kaufmann Subsidiaritätsprinzip und Strafrecht, Henkel-Festschrift S. 89 ff; ders. Tendenzen im Rechtsdenken der Gegenwart, 1976; J. Krümpelmann Die Bagatelldelikte, 1966; Kr. Kühl Neue Gesetze gegen terroristische Straftaten, N J W 1987 S. 737 ff; K.-L. Kunz Das strafrechtliche Bagatellprinzip, 1984; F.], Kurth Das Mitverschulden des Opfers beim Betrug, 1984; £.-/. Lampe Rechtsgut, kultureller Wert und individuelles Bedürfnis, Welzel-Festschrift S. 151 ff; F. v. Liszt Rechtsgut und Handlungsbegriff im Bindingschen Handbuche, ZStW 6 S. 663 ff; ders. Der Begriff des Rechtsgutes im Strafrecht und in der Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, ZStW 8 S. 133 ff; F. Loos Zum „Rechtsgut" der Bestechungsdelikte, Welzel-Festschrift S. 879 ff; M. Maeck Opfer und Strafzumessung, 1983; M. Marx Zur Definition des Begriffs „Rechtsgut". Prolegomena einer materialen Verbrechenslehre, 1972; K. Marxen Der Kampf um das liberale Strafrecht, 1975; M. E. Mayer Rechtsnormen und Kulturnormen, 1903; E. Mezger Die Straftat als Ganzes, ZStW 57 S. 675 ff; A. Montenbruck Abwägung und Umwertung, 1989; H. Müller-Dietz Instrumentuelle vs. sozialethische Funktion des Strafrechts — am Beispiel der Pönalisierung von Verhaltensweisen, Arthur Kaufmann-Festschrift S. 95 ff; W. Naucke Die Sozialphilosophie des sozialwissenschaftlich orientierten Strafrechts, in: W. Hassemer u. a., Fortschritte im Strafrecht durch die Sozialwissenschaften?, 1983 S. 3 ff; U. Neumann und U. Schroth Neuere Theorien von Kriminalität und Strafe, 1980; H. Otto Rechtsgutsbegriff und Deliktstatbestand, in : H. Müller-Dietz (Hrsg.) Strafrechtsdogmatik und Kriminal-

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Materielle Legitimation des Strafrechts

2. Abschn

politik, 1971, S. 1 f f ; ders. Personales Unrecht, Schuld und Strafe, Z S t W 87 S. 539 f f ; K. Peters Die ethischen Grundlagen des S t r a f p r o z e s s e s , Wiirtenberger-Festschrift S. 77 f f ; F. Preiser Wie weit sollte das Sittlichkeitsstrafrecht reformiert werden? Z S t W 82 S. 655 f f ; R. Rengier Zur Bestimmung und Bedeutung der Rechtsgüter im Umweltstrafrecht, N J W 1990 S. 2506 f f ; G. Roos Entkriminalisierungstendenzen im Besonderen Teil des Strafrechts, 1981; C. Roxin Sinn und Grenzen staatlicher Strafe, J u S 1966 S. 377 f f ; H.-J. Rudolphi Die verschiedenen Aspekte des Rechtsgutsbegriffs, Honig-Festschrift S. 151 f f ; W. Sax G r u n d s ä t z e der Strafrechtspflege, in: K. A. Bettermann, H. C. Nipperdey, U. Scheuner ( H r s g . ) Die Grundrechte Bd. III (2), 2. Auflage 1972, S. 909 f f ; F. Schaffstein D a s Verbrechen eine Rechtsgutsverletzung? Deutsches Strafrecht 2 (1935) S. 97 f f ; ders. D a s Verbrechen als Pflichtverletzung, in: G r u n d f r a g e n der neuen Rechtswissenschaft, 1935, S. 108 f f ; ders. Der Streit um das Rechtsgutsverletzungsdogma, Deutsches Strafrecht 4 (1937) S. 335 f f ; E. SchmidhäuserOer Unrechtstatbestand, Engisch-Festschrift S. 433 f f ; E. Schwinge Teleologische Begriffsbildung im Strafrecht, 1930; K. Seelmann Atypische Zurechnungsstrukturen im Umweltstrafrecht, N J W 1990 S. 1257 f f ; P. Sina Die Dogmengeschichte des strafrechtlichen Begriffs „Rechtsgut", 1962; G. Stratenwerth Leitprinzipien der Strafrechtsreform, 1970; K. Tiedemann Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht, 1969; H. Welzel Naturalismus und Wertphilosophie im Strafrecht, 1935; ders. Studien zum System des Strafrechts, Z S t W 58 S. 491 f f ; ders. U b e r den substantiellen Begriff des Strafgesetzes, Kohlrausch-Festschrift S. 101 f f ; K. D. Wiegand Die Tierquälerei, 1979; M. J. Worms Die Bekenntnisbeschimpfung im Sinne des § 166 Absatz 1 S t G B und die Lehre vom Rechtsgut, 1984; H. Zipf Kriminalpolitik, 2. A u f l a g e 1980.

I. Das Bezugsniveau des Strafrechtsschutzes: Normen als Strafrechtsgut A. Formell wird Strafrecht durch das verfassungsgemäße Zustandekommen der 1 strafrechtlichen Gesetze legitimiert. Die materielle Legitimation besteht darin, daß die strafrechtlichen Gesetze zur Erhaltung der staatlichen und gesellschaftlichen Gestalt erforderlich sind. Es gibt keinen genuinen Inhalt der strafrechtlichen Normen, sondern die möglichen Inhalte richten sich nach dem gegebenen Regelungszusammenhang. Zum Regelungszusammenhang gehören die Wirklichkeiten des sozialen Lebens ebenso wie die — insbesondere verfassungsrechtlichen — Normen. Β 1. Der Beitrag, den das Strafrecht zur Erhaltung der staatlichen und gesellschaftli- 2 chen Gestalt leistet, besteht in der Garantie von Normen. Die Garantie geht dahin, daß die Erwartungen, die zum Funktionieren des sozialen Lebens in der gegebenen und in der gesetzlich geforderten Gestalt unabdingbar sind, im Fall ihrer Enttäuschung nicht preisgegeben werden müssen. Man kann deshalb — was freilich dem üblichen Sprachgebrauch zuwiderläuft — die Enttäuschungsfestigkeit der wesentlichen normativen Erwartungen, und diese Enttäuschungsfestigkeit deckt sich mit praktizierter Normgeltung, als das vom Strafrecht zu schützende Gut definieren; dieses Gut wird nachfolgend das Straf rechtsgut genannt. 2 a) Bei dieser Begriffsverwendung mag die starke Anbindung an die strafrechtli- 3 chen Normen zunächst verwundern; denn Güterlassen sich auch ohne diesen normativen Umweg ausmachen, indem man benennt, was der Täter — jedenfalls im Fall eines Verletzungsdelikts im materiellen Sinn — zerstört: Leben, Gesundheit, Eigentum, wobei hier noch dahinstehen mag, ob die genannten Gegenstände um ihrer selbst willen oder wegen ihrer Leistungen für eine Person oder für die Gesellschaft Güter sein sollen. Es soll auch nicht bezweifelt werden, daß die genannten Gegenstände sinnvoll Güter genannt werden können; denn sie sind positiv bewertete Sachverhalte und deshalb für den Bewertenden „gut". b) Aber Güter dieser Art können zum größten Teil auch durch natürliche Abläufe 4 beeinträchtigt werden (Krankheit, Materialermüdung etc.) und ebenfalls durch Verläufe, die zwar von Menschen vermittelt werden, aber nicht vermeidbar (vorsätzlich 35

2. A b s c h n

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

oder fahrlässig) sind. Das kann zwar auf ihr Verständnis als Güter ohne Einfluß bleiben, nicht aber auf die Qualifizierung zu Strafrechtsgütern. Wenn man nämlich die positiv bewerteten Sachverhalte ohne Einschränkung als Strafrechtsgüter bezeichnet, ergibt sich die seltsame Konsequenz, daß sich das Strafrecht um den Verlust seiner Güter manchmal (oder je nach Bereich sogar zumeist) nicht kümmert: Der T o d an Altersschwäche, der Verderb einer Sache in der Zeit u. a. m. vernichten Güter im bezeichneten Sinn, erfüllen aber keinen strafrechtlichen Tatbestand 1 . Das Strafrecht hat also nicht die Aufgabe, den Bestand der bezeichneten Güter in jedem Fall zu garantieren, sondern nur bei bestimmt gearteten Angriffen. W ü r d e der Grund dieser Zurückhaltung von außen an das Strafrecht herangetragen, so wäre es angemessen, Gegenstände von der bezeichneten Art um ihrer selbst willen oder um ihrer Leistung für Personen oder f ü r die Gesellschaft willen Strafrechtsgüter zu nennen; denn strafrechtlich wäre dann ein umfassender Schutz angezeigt, der allein durch strafrechtsfremde Gründe auf bestimmte Angriffsweisen beschränkt würde. Bei diesem Verständnis müßte aber jede Vernichtung eines Guts im bezeichneten Sinn, wie sie auch erfolgen mag, eine strafrechtlich relevante Störung sein. Mit der Absurdität dieser Konzeption (jede Krankheit ein Angriff auf Strafrechtsgüter?) werden die Grenzen der Leistungsfähigkeit des bezeichneten Güterbegriffs deutlich : Er betrifft zwar sinnvoll als Güter zu bezeichnende Sachverhalte, vernachlässigt aber die spezifische Aufgabe des Strafrechts, da er schädliches Walten der N a t u r oder nicht vermeidbares Verhalten von Menschen zusammen mit dem — strafrechtlich allein interessierenden — zurechenbaren Verhalten über denselben Kamm der „Störung wegen Gutsverletzung" schert. In der Konsequenz wird jedenfalls bei Gütern, die nicht durch gesellschaftliche Evolution ihre Aufgabe verlieren, vielmehr physisch bedingt abieben (Altersschwäche), die Vergangenheit zu einem riesigen Rechtsgüterfriedhof, der hinreichend deutlich demonstriert, daß bei der Verletzung eines Guts im bezeichneten Sinn das Niveau, auf dem Strafrecht stattfindet, nicht notwendig erreicht wird. 5

C 1. Strafrechtlich interessiert nicht jede nachteilige Veränderung eines Guts als eines positiv bewerteten Sachverhalts; vielmehr muß sich die Veränderung gegen die positive Bewertung selbst richten. Das kann nur durch ein menschliches Verhalten mit dem expressiven Gehalt geschehen, eine Berücksichtigung der positiven Bewertung sei nicht angebracht. Nicht die Verursachung eines Todes ist Strafrechtsgutsverietzung (sie ist schlicht Gutsverletzung), sondern der in der vermeidbaren T ö t u n g liegende N o r m widerspruch. Die vermeidbare Tötung hat den Sinn eines Widerspruchs gegen die N o r m , die den Tötungsdelikten zugrunde liegt, weil der Täter wegen der Kenntnis (Vorsatz) oder Erkennbarkeit (Fahrlässigkeit) f ü r zuständig gehalten wird, das folgenreiche Verhalten und nicht eine schadlose Alternative gewählt zu haben (siehe unten 6/24). Die N o r m verpflichtet zu schadloser Organisation, aber der Täter organisiert zurechenbar schadensreich: Sein Weltentwurf ist demjenigen der N o r m entgegengesetzt. N u r diese Sicht hebt das Strafrechtsgut auf die Ebene, auf der gesellschaftliche Interaktion per Strafrecht stattfindet: die Ebene der Bedeutung von (deliktischem) Verhalten als Negation der Bedeutung von N o r m e n und der Bekräftigung des Festhaltens an der Normbedeutung durch die strafende Reaktion 2 . Strafrechtsgut im Bereich 1 BockelmannZStW74S. 311 ff, 313. 2 Bemühungen, Strafrechtsgut, N o r m b r u c h und Strafe auf ein Niveau zu bringen, sind selten. Zu nennen ist vorweg Welzel Strafrecht § 1 I; ders. ZStW 58 S. 491 ff, 509 f f ; ders. Kohlrausch-Festschrift S. 101 ff, 107 ff, der zwischen Sachverhaltswerten und Aktwerten trennt (freilich nur die

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Sachverhaltswerte als Rechtsgüter bezeichnet): „Wesentlicher als der Schutz der konkreten einzelnen Rechtsgüter ist die Aufgabe, die reale Geltung (Befolgung) der Aktwerte rechtlicher Gesinnung sicherzustellen" (Strafrecht aaO). — Zu Welzeis Lehre siehe Amelung Rechtsgüterschutz S. 165 ff, 273 f f ; Hassemer Theorie S. 87 ff. -

Materielle Legitimation des S t r a f r e c h t s

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der Eigentumsdelikte ist bei dieser Lösung nicht die fremde Sache oder die Beziehung des Eigentümers zu seiner Sache als Funktionseinheit f ü r Aktionen zur Bedürfnisbefriedigung oder zur Gewinnerzielung, sondern die Geltung des Norminhalts, Eigentumsschutz solle sein; entsprechend ist Strafrechtsgut im Bereich der Körperverletzungsdelikte die Geltung des Norminhalts, fremde Körperintegrität sei zu achten etc. Strafrechtsgut ist die praktische Verbindlichkeit der N o r m . 2. Das Strafrechtsgut im bezeichneten Verständnis kann nicht durch ein Verhalten 6 als äußerliches Ereignis, sondern nur durch ein Verhalten als bedeutungshaltiges Ereignis angegriffen werden. Wegen des Tatprinzips liegt freilich eine Straftat immer nur vor, wenn auch ein äußerliches, sinnenfälliges Ereignis stattfindet. Das Objekt dieses äußerlichen Verhaltens ist freilich nicht das Strafrechtsgut, vielmehr sind Strafrechtsgut und Handlungsobjekt {genauer wäre: Verhaltensobjekt) zu trennen 3 . Beim Handlungsobjekt kann es sich sogar um das Gegenteil eines Guts handeln, seil, wenn das Verhalten in der Produktion unerwünschter Gegenstände besteht, etwa bei der Geldfälschung oder der sonstigen Urkundenfälschung (§§ 146 ff, 267, 348 StGB), oder in der Produktion unerwünschter Informationen, etwa bei der Beleidigung, beim Geheimnisverrat und beim Betrug (§§ 185, 203, 263 StGB). Soweit das Handlungsobjekt nicht rechtlich negativ bewertet wird, kann man es als Angriffsobjekt bezeichnen. Manche Angriffsobjekte lassen sich ihrerseits als Güter definieren, die dem maßgeblichen Gut (dem Strafrechtsgut und auch dem Rechtsgut im noch zu bestimmenden Sinn) vorgelagert sind (etwa Eigentum als der Entfaltungsmöglichkeit vorgelagertes Gut), andere vermitteln nur den Angriff gegen ein Gut (etwa der Vollstreckungsbeamte beim Widerstand nach § 113 StGB).

II. Materielle Legitimation des Strafrechts durch Rechtsgüterschutz? A. Allgemeine Probleme 1. Das bislang behandelte Bezugsniveau des Strafrechtsguts steht bei der Diskussion 7 des Problems „Strafrecht als Rechtsgüterschutz" (oder „Straftat als Rechtsgutsverletz u n g " 4 ) üblicherweise nicht im V o r d e r g r u n d 5 . Es geht vielmehr darum, ob die StrafDer verbreitete Einwand, der Blick auf den Aktunwert führe zum Gesinnungsstrafrecht, da in Welzels System die Strafici keinen notwendigen Platz habe, trifft bislang jede Theorie: Selbst aus der Festlegung auf den Schutz sinnlich erfahrbarer Rechtsgüter ergibt sich keine Antwort auf die Frage, ob und wann ein so gefährlicher Angriff vorliegt, daß Strafe notwendig ist. Jede Straftat fängt im Kopf des Täters an und endet in der Außenwelt. Das Tatprinzip ist deshalb auch aus dem Prinzip eines Rechtsgüterschutzes im konventionellen Verständnis nicht zu erklären {Jakobs ZStW 97 S. 751 ff, 752 f; a. A. Sax Grundrechte Bd. III (2) S. 909 ff, 913; HassemerTheorie S. 97; Jescheck AT § 1 III 2 u. a. m.). Der Einwand von Baratta (KrimJ 1984 S. 132 ff, 139), der Unterschied von Recht und Moral werde aufgehoben, beruht auf der unbegründeten Gleichsetzung der (stattfindenden) Entnaturalisierung mit einem (nicht stattfindenden) vermehrten Zugriff auf Innerlichkeit. — Grundlegend ferner Schmidhäuser Engisch-Festschrift S. 433 ff, 444 f; ders. AT 2/30: „Rechtsgutsverletzung ist ein geistiges Phänomen . . . Rechtsgutsverletzung ist die Verletzung des vom Rechtsgut (?) ausgehenden Ach-

tungsanspruchs durch ein Willensverhalten"; ders. Studienbuch 5/27: „der von wertvollen Sachverhalten ausgehende Achtungsanspruch". — Ähnlich wie hier Otto ZStW 87 S. 539 ff, 554 ff, 562. 3 Jescheck AT § 26 I 4; Stratenwerth AT Rdn. 210; SchmidhäuserAT2/31 f; Maurach-Zipf A T I § 19 Rdn. 14 ff; Baumann-Weber KV % 12 II 3 a. 4 Gemeint ist nicht, jede Straftat müsse erfolgreich verletzen, sondern jede N o r m müsse den Zweck haben, Verletzungen zu verhüten, 5 Zur Dogmengeschichte siehe Sina Dogmengeschichte passim; grundlegend zum Zusammenhang zwischen der Geschichte des Begriffs Rechtsgut und der allgemeinen Geistesgeschichte Amelung Rechtsgüterschutz S. 15 ff mit teilweise erheblichen Korrekturen der Darstellung Sinas (dazu zusammenfassend S. 10 ff); eine Darstellung mit einem Schwerpunkt auf der Wechselbeziehung zwischen Rechtsgut und sozialer Wirklichkeit gibt Hassemer Theorie passim; zu Amelung siehe Hassemer ZStW 87 S. 145 ff; zu Hassemersiehe AmelungZStW 87 S. 132 ff; zum angelsächsischen Rechtskreis umfassend Feinberg Limits, passim.

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2. Abschn

l . B u c h . 1. Kapitel. Staatliches S t r a f e n

rechts normen (und damit erst mittelbar auch das Straf recht selbst) nur legitim sind, wenn sie Rechtsgüter schützen, ohne daß freilich sonderlich klar wäre, was ein Rechtsgut in diesem Zusammenhang ist. „Das Rechtsgut ist zu einem wahren Proteus geworden, der sich unter den Händen, die ihn festzuhalten glauben, sofort in etwas anderes verwandelt" 6 . — Nachfolgend wird als Rechtsgut der Schutzgegenstand einer Norm verstanden, dies im Gegensatz zur Normgeltung selbst als dem Strafrechtsgut. 8

2 a) Streitig ist schon, aus wessen Sicht festzulegen ist, was als Schutzgegenstand der N o r m in Betracht kommt, ja ob es überhaupt nur auf eine einzige Sicht ankommt (monistische Theorien) oder ob die Perspektive wechseln kann (dualistische Theorien). Neben der (monistischen) Zuordnung aller Rechtsgüter zum einzelnen Bürger 7 finden sich Zuordnungen zur Gesellschaft und dadurch zum Bürger 8 , ferner (dualistische) Zuordnungen, die bei Individualrechtsgütern dem Bürger, bei staatlichen oder überindividuellen Rechtsgütern der Gesellschaft oder dem Staat gelten sollen 9 , und schließlich (wiederum monistische) Zuordnungen einzig zur „Rechtsgemeinschaft" 1 0 .

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b) Der Streit betrifft drei zweckmäßigerweise zu trennende Problembereiche : aa) Zunächst geht es darum, wer der letztlich Begünstigte des „Schutzbetriebs" ist. Hier ist die Sicht möglich, daß selbst der Schutz der Einzelperson (Leben, Freiheit etc.) nur erforderlich ist, weil die Gesellschaft nun einmal handlungsfähige Mitglieder braucht, oder daß in der Umkehrung der Schutz des Staats (etwa gegen Hochverrat) oder gesamtgesellschaftlicher Institutionen nur erfolgt, weil der einzelne zum Uberleben der Hilfe des Staats bedarf. Dieser Streit um den Staatszweck läßt sich allein an den strafrechtlichen Normen nicht austragen, noch weniger beschränkt auf den Begriff Rechtsgut. Jedenfalls scheiden Radikallösungen aus: Strafrechtliche Normen sind durch die Androhung förmlicher Reaktionen garantiert und deshalb ohne förmliche Ordnung zwischen den einzelnen Individuen so wenig denkbar, wie in der Umkehrung eine Gesellschaft ohne Mitglieder denkbar ist 1 1 .

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bb) Weiterhin läßt sich fragen, aus wessen Sicht festzulegen ist, welche Güter, wem diese auch zustehen mögen, des Schutzes würdig und bedürftig sind. Diese Sicht ist immer die öffentliche, allgemeine, auch soweit es um den Schutz privater Güter geht; denn wenn etwas zum Rechtsgut einer strafrechtlichen Norm erhoben wird, heißt dies per Definition, daß der Schutz eine öffentliche Aufgabe wird. Damit ist freilich nicht ausgemacht, welche privaten Güter in öffentlicher Regie geschützt werden dürfen und welche öffentlichen Güter eines Strafrechtsschutzes bedürfen. Die Güterlehre ist bei der Entscheidung dieser Frage wenig hilfreich. Die Antwort hängt vielmehr von der Sozialschädlichkeit des Verletzungsverhaltens ab, mit der die Wertwidrigkeit des güterverletzenden Verhaltens nicht notwendig korrespondiert.

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cc α) Schließlich muß die Verfügungszuständigkeit für ein Gut festgelegt werden, soweit es als schutzwürdig und schutzbedürftig befunden wird. Die Entscheidung ist durch Annahmen zum letztlich Begünstigten nicht präjudiziert. So kann auch in einem Modell, nach dem der Eigentumsschutz nicht dem einzelnen dient, sondern das allgemeine Wirtschaftsleben und dadurch den Staat stärken soll, die Verfügungszuständigkeit dem einzelnen Bürger überlassen werden, etwa in der Annahme, dessen Egoismus WelzelXStW 58 S. 491 ff, 509. M. Marx Definition S. 79 ff und passim; Hassemer Theorie S. 68 ff, mit erheblichen Differenzierungen S. 233 ff. 8 SK-Rudolphi Rdn. 8 f vor § 1 ; ders. Honig-FestschriftS. 151 ff, 161 f; Calliess Theorie S. 131 ff, 143 ff.

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Tiedemann Tatbestandsfunktionen S. 113 ff, 118 f; ScAmiiÄa'HserEngisch-FestschriftS. 433 ff, 443 f und die ganz überwiegende Ansicht, siehe nur Maurach-Zipf AT I § 19 Rdn. 4 ff; SchönkeSchröder-Lenckner Rdn. 10 vor 5 13. 10 Binding Normen Bd. I S . 357 ff. 11 Siehe Amelung Rechtsgüterschutz S. 391 f.

Materielle Legitimation des Strafrechts

2. Abschn

garantiere einen wirtschaftlich optimalen E i n s a t z . I n der U m k e h r u n g k a n n in einem Modell, n a c h dem der S c h u t z des Guts allein zugunsten des einzelnen erfolgen soll, dessen V e r f ü g u n g s z u s t ä n d i g k e i t gebunden sein, etwa indem ihm v o r g e s c h r i e b e n wird, was dienlich ist (der richtige W i l l e des Zuständigen r a n g i e r t dann v o r dessen wirklichem W i l l e n ) . V o r allem a b e r lassen sich G ü t e r , die allen einzelnen dienen sollen, n u r gemeinsam verwalten, so daß auch bei einem individualistischen A n s a t z um die A n e r k e n n u n g v o n G ü t e r n in der V e r f ü g u n g s z u s t ä n d i g k e i t des Staats nicht h e r u m z u k o m men ist (etwa öffentliches E i g e n t u m ) l l a . N a c h geltendem R e c h t erfolgt die Bestimmung der Zuständigkeit — abgesehen v o n überhaupt u n v e r f ü g b a r e n G ü t e r n wie etwa dem B e s t a n d der B u n d e s r e p u b l i k D e u t s c h land — dualistisch; neben die G ü t e r in der Zuständigkeit des einzelnen o d e r eines Z u s a m m e n s c h l u s s e s von einzelnen treten die (seltener ü b e r h a u p t v e r f ü g b a r e n ) G ü t e r in der H a n d des Staats o d e r der anderen ö f f e n t l i c h r e c h t l i c h e n juristischen P e r s o n e n und die G ü t e r in allgemeiner gesellschaftlicher Zuständigkeit. — V o n der V e r f ü g u n g s z u ständigkeit hängt die (tatbestandsausschließende o d e r r e c h t f e r t i g e n d e ) W i r k u n g einer Einwilligung ab (unten 7 / 1 1 4 ; 14/7). ß) J e m e h r das V e r t r a u e n schwindet, die V o r a u s s e t z u n g e n des L e b e n s und d e r Lebensgestaltung der B ü r g e r würden sich auf n a t ü r l i c h e m W e g e , durch Selbststeuerung des M a r k t e s o d e r sonst o h n e finale R e g u l i e r u n g einstellen, um so häufiger ü b e r nimmt der S t a a t die V e r w a l t u n g dieser V o r a u s s e t z u n g e n und e r s t r e c k t bei seiner finalen R e g u l i e r u n g a u c h den S t r a f r e c h t s s c h u t z auf diese V o r a u s s e t z u n g e n , die dabei in den R a n g v o n R e c h t s g ü t e r n einrücken : U m w e l t , V o l k s g e s u n d h e i t etc. D e m P r i n z i p n a c h ist das keine N e u i g k e i t ; schlechthin j e d e Institutionalisierung von Staatstätigkeit kann zum R e c h t s g u t w e r d e n ; die m o d e r n e n Staatsziele stehen insoweit den klassischen (äußere und innere S i c h e r h e i t ) gleich. A b e r die neuen G ü t e r weisen quantitative B e s o n derheiten auf, die den R e c h t s g u t s b e g r i f f v e r w ä s s e r n : I h r e G r e n z e zum S o z i a l a d ä q u a ten ist, wenn sie s c h a r f ist, sachlich willkürlich ( v e r b o t e n e c o n t r a allgemein akzeptierte R a u s c h g i f t e ) und ansonsten ein s o l c h e r m a ß e n vages P r o d u k t v o n R e g i e r u n g s - und V e r w a l t u n g s e r m e s s e n , daß der S c h u t z des G u t s hinter dem S c h u t z der D u r c h s e t z b a r keit von E n t s c h e i d u n g e n zu verschwinden d r o h t ( U m w e l t ) . O b der Lebensqualitäten verwaltende S o z i a l s t a a t freilich auf den strafrechtlichen S c h u t z s o l c h e r R e c h t s g ü t e r verzichten k ö n n t e , ist nicht a u s g e m a c h t 1 ^

B. Der Begriff des Rechtsguts 1. Ein G u t ist ein positiv bewerteter S a c h v e r h a l t . S a c h v e r h a l t wird hierbei im weiten 12 Sinn verstanden, so daß der B e g r i f f nicht n u r ( k ö r p e r l i c h e und a n d e r e ) G e g e n s t ä n d e umfaßt, s o n d e r n auch Z u s t ä n d e und E n t w i c k l u n g e n . R e c h t s g u t wird ein G u t d a d u r c h , daß es r e c h t l i c h e n S c h u t z genießt. N u n läßt sich a r g u m e n t i e r e n , der rechtliche S c h u t z sei h i n r e i c h e n d e r und m a ß g e b l i c h e r Beweis f ü r die positive B e w e r t u n g des S a c h v e r halts. D a s R e c h t s g u t wird dann positivistisch bestimmt und der B e g r i f f u m f a ß t „alles,

Zac/.yk trennt ursprünglich interpersonal konstituierte Rechtsgüter (Unrecht S. 165 ff), Rechtsgüter der Gesellschaft (S. 170 ff) und Rechtsgüter des freiheitlichen Staats (S. 181 ff); an die unterschiedliche Konstitution knüpft er Konsequenzen für den Versuch, insbesondere bei Mängeln der Tathandlung (S. 231 ff). Dazu unten 25/Fn. 57. IIb Verzichtsfreundlich HassemerArthur KaufmannFestschrift S. 85 ff, 90 f f ; ders. N S t Z 1989

S. 553 ff, 557 f f ; wohl zurückhaltender AK-Hassemer Rdn. 274 ff vor § 1. — Eingehend für einen Rückbezug des Umweltschutzes auf den Einzelnen unter Ablehnung eines Schutzes der Umwelt um ihrer selbst willen AK-Hassemer Rdn. 2 7 6 ff, 280 vor § 1; Bloy Z S t W 100 S. 484, 487 ff; differenzierend Ä e r c g i f r N J W 1990 S. 2506 ff, jeweils mit Nachweisen.

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2. Abschn

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

was in den Augen des Gesetzes als Bedingung gesunden Lebens der Rechtsgemeinschaft für diese von Wert ist. . .'" 1 2 . Die Konkretisierung dieser Bestimmung führt zu einer „etwas tumultuarischen Aufzählung des ,Güterkapitals der Rechtsordnung" 1 3 , d. h. man kann an der Aufzählung keine Theorie der Gesellschaft ablesen, sondern nur die Schwankungen und Kompromisse der Praxis. Auch in dieser positivistischen Variante steckt freilich noch ein zum positiven Recht kritischer Aspekt 1 4 : Wenn ein Rechtsgut vorhanden sein soll, muß das Gesetz schon irgendeinen Sachverhalt als wertvoll für das „gesunde Leben" ansehen, und hieran fehlt es, wenn das Gesetz Verhaltensweisen regelt, deren Ertrag nicht f ü r etwas von Wert ist, sondern die um ihrer selbst willen ein Wert sind, insbesondere wenn das Gesetz sittliches Verhalten um seiner selbst willen vorschreibt. Allerdings läßt sich auch dieser kritische Rest des Rechtsgutsbegriffs noch verringern, indem die Definition des Begriffs so elastisch gefaßt wird, daß er schlechthin jeden Regelungszweck einschließt. Das Rechtsgut ist dann als „Sinn und Zweck der einzelnen Strafrechtssätze" 1 5 oder als „Abbreviatur des Zweckgedankens" 1 6 zu verstehen. 13

2. Überwiegend wird dem Rechtsgutsbegriff jedoch eine stärker kritische Funktion zugesprochen. Weder soll der Sachverhaltswert verzichtbar sein — daß die „bloße Sittenwidrigkeit" oder die „bloße Unmoral" mangels Rechtsgutsverletzung nicht als Straftat definiert werden dürfen, kann als eines der Hauptanliegen der Rechtsgutslehre bezeichnet werden 1 7 — noch soll es bei der Wertbestimmung allein auf die „Augen des Gesetzes" ankommen. Vielmehr soll das Gute am Rechtsgut schon vor seiner rechtlichen Anerkennung „Lebensinteresse" sein. „Nicht die Rechtsordnung erzeugt das Interesse, sondern das Leben; aber der Rechtsschutz erhebt das Lebensinteresse zum Rechtsgut" 1 8 , wobei freilich unklar bleibt, nach welchen Kriterien das positive Recht zwischen anzuerkennenden und zu verwerfenden Interessen unterscheidet (auch Verbrecher verfolgen Interessen) 1 9 . Bei weniger ausgeprägtem naturalistischem Optimismus tritt an die Stelle des interessenerzeugenden „Lebens" zumindest teilweise die Kultur. „Will man wissen, wie diese Interessen entstanden sind, so muß man Kulturgeschichte studieren, darf aber auch nicht vergessen, daß einige fundamentale Interessen mit der Natur des Menschen gegeben sind" 2 0 . Freilich schwächt die Unbestimmtheit der Interessenquelle „Kultur" (eine von der jeweiligen Rechtsordnung isolierte Kultur? 2 1 ) die kritische Potenz.

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Binding H a n d b u c h Bd. I S. 353 f; ders. N o r m e n Bd. I S. 338 ff, 341 f. - Zu Binding eingehend Amelung Rechtsgüterschutz S. 73 ff; Hassemer Theorie S. 42 f f ; Sina Dogmengeschichte S. 41 ff. v. Liszt Z S t W 6 S. 663 ff, 676 gegen Binding; d a z u f r o m m e / P r ä v e n t i o n s m o d e l l e S. 115 ff. Siehe Hassemer T h e o r i e S. 47; ders. A r t h u r K a u f mann-Festschrift S. 85 ff (zutreffend zur geringeren — weil ideologieanfälligeren — kritischen P o t e n z der nicht-personalen G ü t e r S. 89 ff, 92 f f ) ; AK-Hassemer R d n . 262 ff, 274 ff v o r § 1 ; Amelung Rechtsgüterschutz S. 80. Honig Einwilligung S. 94; im Ergebnis auch MaeckOpfer S. 26 ff. Grünhut Frank-Festgabe Bd. I S. I f f , 8; Schwinge Teleologische Begriffsbildung S. 27; siehe d a z u Amelung Rechtsgüterschutz S. 130 f f ; HassemerTheone S. 49.

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M. Marx Definition S. 84 f f ; Roxin J u S 1966 S. 377 ff, 382; Rudolphi Honig-Festschrift S. 151 ff, 162, 165; Jaeger Strafgesetzgebung S. 29 ff u n d passim; Worms Bekenntnisbeschimpf u n g S. 80 f u. a. m. — A. A. Preiser Z S t W 82 S. 655 ff, 658; wohl auch Peters W ü r t e n b e r g e r FestschriftS. 77 ff, 78 f. V. Liszt Straf recht 5 § 3 I 1 m i t F n . 1 ; ders. Z S t W 6 S. 662 ff, 673; ders. Z S t W 8 S. 133 ff. Z u r Kritik siehe Amelung Rechtsgüterschutz S. 82 ff, 95. M. E. Mayer S t r a f r e c h t S. 21 unter zutreffend differenzierender H e r v o r h e b u n g der auslösenden und gestaltenden Leistung des Strafrechts; ders. R e c h t s n o r m e n S. 14 f f ; siehe auch Lampe Welzel-Festschrift S. 151 ff. — Zu den neukantischen Lehren eingehend Amelung Rechtsgüterschutz S. 125 ff. Verneinend M. E. Λ/uyerRechtsnormen S. 23 f.

Materielle Legitimation des Strafrechts

2. Abschn

3 a) In neuerer Zeit bemüht man sich, die im Interesse 2 2 erfaßte, positiv bewertende 14 Beziehung zwischen einer Person und einem Sachverhalt f ü r den Rechtsgutsbegriff beizubehalten 2 3 , jedoch ohne den Begriff auch mit der Aufgabe zu belasten, die Quelle dieser bewertenden Beziehung zu bezeichnen (Leben, Kultur, verfassungsgemäße O r d nung etc. 2 4 ). Mit dieser Einbeziehung der Person in den Begriff des Rechtsguts läßt sich das Werthafte des Rechtsguts besser treffen als durch bloße Benennung von Objekten. Freilich verliert das Rechtsgut dadurch an Anschaulichkeit, was aber hinzunehmen ist, da sowieso keine Chance besteht, als Rechtsgut durchweg etwas Anschauliches auszumachen. Die Einbeziehung der Person muß freilich noch präzisiert werden. Es geht nicht um den von der Person vollzogenen Wertungsakt (der keines strafrechtlichen Schutzes bedarf), sondern um die Möglichkeit, daß eine Person ihre Interessen realisiert. Die einer Person zugeordnete, auf sie bezogene Möglichkeit der N u t z u n g und des Genusses eines positiv bewerteten Sachverhalts ist das Rechtsgut. Beispiel: Rechtsgut der Eigentumsdelikte ist nicht die Sache, an der Eigentum besteht, sondern die Beziehung möglicher N u t z u n g zwischen Eigentümer und Sache. b) Von dem bezeichneten Ansatz ausgehend werden Rechtsgüter beispielsweise 15 definiert als „Gegenstände in ihrer Bezogenheit auf den Menschen" 2 5 , „werthafte Funktionseinheiten" 2 6 , „Potentiale" 2 7 oder „Partizipalien", d. h. Bedingungen der Möglichkeit, an der sozialen Interaktion zu partizipieren 2 8 . — Nachfolgend wird der Begriff der Funktionseinheit übernommen. Bei diesem Begriff wird deutlich, daß nicht jeder beliebige Regelungsgegenstand einer N o r m ein Rechtsgut ist, vielmehr nur ein solcher Regelungsgegenstand, der eine Aufgabe f ü r die Gesellschaft oder f ü r eines ihrer Subsysteme, den Bürger eingeschlossen, zu erfüllen hat. D e r Begriff verhütet ferner das Mißverständnis, ein Rechtsgut müsse etwas sinnlich Wahrnehmbares oder doch auf ein solches Objekt bezogen sein. Freilich löst auch der Begriff der Funktionseinheit nicht das Problem, welche Aufgaben als rechtlich legitime Aufgaben anzuerkennen sind (auch eine kriminelle Vereinigung ist eine Funktionseinheit) ; insoweit bietet der Begriff gegenüber demjenigen des Interesses keinen V o r z u g : Diese Schwäche ist, wie noch zu zeigen sein wird, jedem Rechtsgutsbegriff konstitutionell mitgegeben.

C. Nicht auf Rechtsgüter bezogene Normen 1 a) Zahlreiche Norminhalte des geltenden Rechts lassen sich nicht erklären, wenn 16 der Zweck der N o r m e n allein im Rechtsgüterschutz gesucht wird, seil. u. a. die f ü r eine Güterverletzung irrelevanten Tatmodalitäten objektiver und subjektiver Art. Der Güterschutz reicht also nie zur Erklärung aller Deliktsmerkmale hin. Er ist sogar nicht einmal f ü r alle Delikte notwendig. Hauptsächlich versagt die Gleichsetzung von N o r m zweck und Rechtsgüterschutz oder von Straftat und Rechtsgüterverletzung bei Delikten mit einer Sonderpflicht aus institutioneller Zuständigkeit. 22 Der Begriff wird teils beibehalten; BaumannWeber KV § 12 II 3 a; Maurach-Zipf A T I § 19 II Rdn. 10. 23 M. Marx Definition S. 67; Sina Dogmengeschichte S. 60 ff, 96 ff; Ttedemann Tatbestands funktionen S. 115; Stratenwerth A T Rdn. 210. 2"· Freilich kann auch das Strafrecht die wertende Beziehung zeitlich zuerst realisieren. Zwar ist einzuräumen, daß das Strafrecht wenig geeignet ist, Evolution voranzutreiben; daraus folgt aber nicht, es dürfe prinzipiell nur nachklappen; zutreffend Stratenwerth A T Rdn. 51; Kunz Baga-

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tellprinzip S. 136 ff, 144; a. A. SK-Rudolphi Rdn. 5 vor § 1. M. Marx Definition S. 67; ähnlich Worms Bekenntnisbeschimpfung S. 79, 85 f u n d passim. SK-Rudolphi Rdn. 8 vor § 1 ; Rudolphi HonigFestschrift S. 151 ff, 163; Otto in: Strafrechtsdogmatik S. 1 ff, 8. LoosWelzel-Festschrift S. 879 ff, 888. Calliess Theorie S. 143 ff; — diese Definition dürfte zumindest f ü r diejenigen Güter nicht passen, die (auch) der Verweigerung von Partizipationen dienen (etwa Intimsphäre).

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b) Im Regelfall erschöpft sich das vom Täter erwartete Verhalten im Negativen : Der Täter soll kein Verhalten vollziehen, das Verletzen bedeutet (unten 7/56 f f ; 21/16 ff; 28/14; 29/29 ff). Bei den Sonderpflichten aus institutioneller Zuständigkeit soll aber zwischen Täter und Gut eine positive Beziehung bestehen, seil, eine — nicht notwendig eigennützige — Zuwendung, im Idealfall ein Stück Gemeinsamkeit der Lebenswelt (unten 7/70; 21/115; 25/43 f f ; 28/25; 29/57 ff). Wegen dieser Gemeinsamkeit treffen den Täter besondere Verhaltenserwartungen, deren Inhalt sich nicht (strafbegründende Sonderpflichten, echte Sonderdelikte) oder nur unvollkommen (straferhöhende Sonderpflichten, unechte Sonderdelikte) wiedergeben läßt, wenn auf das Nichtverletzen eines Guts abgestellt wird 2 9 . Die Erwartung, die eine Sonderpflicht betrifft, geht nicht vom vorhandenen Güterbestand aus, sondern von der Rolle, die dem Täter zu seiner Einpassung in eine Institution vorgeschrieben wird. Wenn schon der Begriff des Rechtsguts bemüht werden soll, so darf man nicht auf den schon vorhandenen Bestand an Funktionseinheiten und dessen Sicherung abstellen, sondern muß die vom Täter zu verwaltende Institution als Funktionseinheit definieren. Die Institution ist freilich nur eine Funktionseinheit, wenn sie intakt ist, w o f ü r wiederum der Täter seine Rolle richtig spielen muß. Die Beziehung des Täters ist eben nicht nur-negativ. Beispiele: Wer eine Person mißhandelt, die seiner Fürsorge untersteht (§ 223 b StGB), bewirkt damit nicht — neben Körperverletzung, aber diese ist kein Sonderdelikt — eine Verletzung des Fürsorgeverhältnisses, sondern das Fürsorgeverhältnis ist im Fall der Mißhandlung als reale Funktionseinheit (und nicht nur als Anspruch) überhaupt nicht vorhanden. Ebenso finden reale vormundschaftliche Vermögensverwaltung im Fall einer Untreue (§ 266 StGB) oder korrekte Amtsführung im Fall der Bestechung (§ 332 StGB) 3 0 oder Rechtsprechung im Fall der Rechtsbeugung (§ 336 StGB) nicht erst statt etc. Natürlich gehört zum Bestand schlechthin jeden Rechtsguts das Ausbleiben seiner Verletzung; bei den Sonderdelikten entsteht das Rechtsgut als Funktionseinheit aber nur, wenn der Sonderpflichtige die ihm in der Institution zugewiesene Rolle spielt. Bei den Sonderdelikten geht es also nicht um die Störung vorhandener, für sich intakter Funktionseinheiten, sondern um die Weigerung, sich zur Herstellung einer Funktionseinheit eingliedern zu lassen. — Eine entsprechende Verlagerung von der Rechtsgutsverletzung zum Nicht-Herstellen von Rechtsgütern ergibt sich bei eigenhändigen Delikten.

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2. Eine Rechtsgutsverletzung kann also nicht als Kern aller Delikte behauptet werden. Man hat dieses Ergebnis dahin gewendet, daß der Kern aller Delikte überhaupt nur noch in einer Pflichtverletzung zu finden sein soll 3 1 . Diese Pflichtverletzung soll nicht nur ein N a m e für dasjenige sein, was Rechtsgutsverletzungsdelikte und Sonderdelikte gemeinsam haben. Vielmehr wird mit der Formel vom Delikt als Pflichtverletzung mehr als ein Oberbegriff gemeint, seil, ein Verständnis aller Delikte nach Art der Sonderdelikte. Auf die Verletzung eines Rechtsguts durch Mißachtung der nur-negativen Beziehung (nicht verletzen!) soll es niemals ankommen, sondern stets auf die 29

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Freilich läßt sich d e r Rechtsgutsbegriff so d e h n e n , d a ß er alle m ö g l i c h e n D e l i k t s m e r k m a l e u n d damit a u c h S o n d e r p f l i c h t e n e r f a ß t (so etwa Mezger Z S t W 57 S. 675 ff, 6 9 7 ; AK-Hassevter R d n . 282 v o r § 1), w a s a b e r längst z u t r e f f e n d als „Begriffsn a c h t , die alle U n t e r s c h i e d e verschlingt", gerügt w o r d e n ist ( Welzel Z S t W 58 S. 491 ff, 511 Fn. 30). Die D e u t u n g d e r §§ 331 ff S t G B als Delikte z u r E r h a l t u n g d e r Bereitschaft d e r Bevölkerung, beh ö r d l i c h e E n t s c h e i d u n g e n zu a k z e p t i e r e n (Laos W e l z e l - F e s t s c h r i f t S. 879 ff, 890), verläßt die o b -

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jektive F u n k t i o n s e i n h e i t in R i c h t u n g eines G e f ü h l s s c h u t z e s ; d a z u sogleich unten 2 / 1 9 . Scba/fstein D S t r . 2 (1935) S. 97 f f ; den. in: G r u n d f r a g e n der neuen Rechtswissenschaft (1935) S. 108 f f ; a b g e s c h w ä c h t den. D S t r R 4 (1937) S. 335 f f ; Duhm Z S t W 57 S. 225 f f ; erheblich differenzierend Welzel ZStW58 S. 491 ff, 509 f f ; Gallas Gleispach-Festschrift S. 50 ff, 67 ff. — E i n g e h e n d e D a r l e g u n g bei Amelung R e c h t s g ü t e r s c h u t z S. 216 f f ; siehe a u c h Sina Dogmengeschichte S. 79 f f ; Marxen Kampf S. 177 f f ; Frommelin: S t r a f j u s t i z S. 86 ff.

Materielle Legitimation des Strafrechts

2. Abschn

Weigerung, sich in einer Institution rollenkonform zu verhalten, etwa als Volksgenosse, dem Land Treupflichtiger o. ä. — Diese Vermischung von nur-negativer Beziehung und Sonderpflicht beseitigt eine dogmatisch fruchtbare Differenzierung (siehe die Verweisungen 2/17). Historisch ist das skizzierte Verständnis der Straftat als Pflichtverletzung durch nationalsozialistisch inspirierte Versuche belastet, die Pflichten primär nicht über äußeres Verhalten, sondern über Gesinnungen zu definieren 3 2 . 3 a aa) Das Verständnis des Normzwecks als Rechtsgüterschutz paßt weiterhin bei 19 denjenigen N o r m e n nicht, die ohne Vermittlung über den Schutz von Gütern direkt den sozialen Frieden schützen sollen 3 3 , wie etwa 3 4 die Verbote der Tierquälerei 3 5 (§17 TierschutzG), der Beschimpfung von Bekenntnissen 3 5 3 (§ 166 StGB), des Verwandtenbeischlafs 3 5 b (§ 173 StGB), des Exhibitionismus (§ 183 StGB) und der Erregung öffentlichen Ärgernisses (§ 183 a StGB). Man mag einige dieser Delikte mit der Rechtsgutslehre harmonisieren, indem man sie als extrem-abstrakte Gefährdungsdelikte deutet, die den symbolischen Angriff auf benennbare Güter pönalisieren; wie § 90 a StGB den Staat in seinen Symbolen schützt, gelten bei diesem Verständnis die genannten Verbote dem menschlichen Leben, der Religionsfreiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung etc. Die Notwendigkeit eines so stark vorverlagerten Schutzes läßt sich freilich immer behaupten und liefert deshalb keine Begründung; kraß: Selbst die Pönalisierung der Verletzung von Tischsitten könnte als abstrakter Schutz vor Barbarei „erklärt" werden 3 6 . Man mag weiterhin ein Gut am Schutz der Gefühle der Betroffenen festmachen; dabei wird freilich das Rechtsgut zu einer Größe, die allein von der Sensibilität der Betroffenen abhängt und deshalb jeden Regelungsgegenstand einer N o r m umfassen kann, auch wenn dieser keine objektive Funktionseinheit ist 3 7 . bb) Entscheidend dürfte sein, daß ein Verstoß gegen die bezeichneten Verbote 20 höchst heterogene Ängste weckt, die von diffusen Vorstellungen über schädliche Weiterungen bis hin zur Abwehr solchen Verhaltens als eigene Möglichkeit reichen. Verboten wird das Verhalten dieser desorientierenden Wirkungen wegen 3 8 , die nicht durch eine soziale Nützlichkeit des Verhaltens kompensiert werden: Geschützt wird der soziale Frieden. Daß die Beunruhigung durch das Verhalten auf einem Mangel an 32 V o r dieser Gefahr bietet auch die Rechtsgutsverletzungslehre keinen Schutz: Rechtsgutsverletzung, Pflichtverletzung und Tatprinzip sind dreierlei; — dazu schon oben Fn. 2. — Überhaupt ist zu bezweifeln, daß die Rechtsgutsverletzungslehre einen prinzipiell „liberalen" Gehalt hat; dazu zutreffend Amelung Rechtsgüterschutz S. 257 ff. 33 Zum folgenden Text siehe Amelung Rechtsgüterschutz S. 344 ff, 371 f f ; Hassemer Theorie S. 160 ff und passim. 34 Das in diesem Zusammenhang häufig gebrachte Verbot der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (Hassemer Theorie S. 177 ff; SK-Rudolphi Rdn. 11 vor § 1 u. a. m.) kann als Rechtsgüterschutz gedeutet werden, wenn die §§ 185 ff StGB nicht nur als Individualschutz verstanden werden, sondern auch als Schutz der informellen Zurechnungsprinzipien vor verfälschendem Gebrauch; dazu Jakobs Jescheck-Festschrift S. 627 ff, 636 f. 35 Siehe dazu Gallas Beiträge S. 1 ff, 13; Roxin JuS 1966 S. 377 ff, 382 Fn. 20; Stratenwerth Leitprinzipien S. 7 ff, 25; HassemerTheorie S. 154; Ame-

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lung Rechtsgüterschutz S. 346, 378 ; Wiegand Tierquälerei S. 136 f (Tierschutz als Umweltschutz). Versuch einer Deutung als Delikt gegen die Person (Verletzung des „Anerkennungsverhältnisses") bei Worms Bekenntnisbeschimpfung S. 132 ff, 140; als abstraktes Gefährdungsverbot deutet die N o r m Fischer GA 1989 S. 445 ff. Dazu Jung Leferenz-Festschrift S. 31 I f f mit Nachweisen. Im E 1962 werden Straftaten gegen die Sittlichkeit (im engen Sinn) in der Begründung als abstrakte Gefährdungsdelikte auf anzuerkennende Rechtsgüter bezogen, siehe etwa zu § 203 (künstliche Samenübertragung) Begründung S. 356 f ; zu § 2 1 6 (Unzucht zwischen Männern) Begründung S. 376; zu § 220 a (unzüchtige Schaustellung) Begründung S. 384. Gegen die Gefühlsschutztheorien zutreffend Amelung Rechtsgüterschutz S. 346 f und passim; Fischer GA 1989 S. 445 ff, 456 ff. Grundlegend HassemerTheorie S. 126 ff, 192; siehe auch E G M R N J W 1984 S. 541 ff, 543.

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Aufklärung beruhen mag, verschlägt nichts; eine nicht aufgeklärte Gesellschaft und ein aufgeklärtes Strafrecht passen nicht zusammen 3 9 . 21

b) Mindestens aber muß es um den Schutz des Rechtsfriedens gehen. Die Inhalte des Verhaltens anderer Menschen dürfen nicht um der Inhalte selbst willen strafrechtlich geregelt werden. Ein Verhalten, das weder objektiv noch nach Meinung der Mitbürger Außenwirkungen hat, scheidet mangels sozialen Bezugs als bloße Unmoral aus dem Bereich des strafrechtlich zu regelnden Verhaltens aus. Was bloße Unmoral ist, läßt sich freilich nicht ohne Vorab-Annahmen über die Gestalt der Gesellschaft ermitteln. Daß zum Beispiel nicht die T ö t u n g eines verkrüppelten Menschen bloße Unmoral ist, wohl aber lesbische Betätigung, gilt nur für Gesellschaften, die eine Existenz aller Mitglieder als öffentliche Angelegenheit einklammern und eine einverständliche sexuelle Betätigung der Mitglieder ausklammern. Für Gesellschaften, die sich etwa als H o r t biologischer Elite definieren, mag die Entscheidung umgekehrt ausfallen; Gesellschaften, die eine Vervollkommnung ihrer Mitglieder zur öffentlichen Angelegenheit erheben, mögen beide im Beispiel genannten Verhaltensweisen pönalisieren. Es gibt also keine absolut gültige Grenze zwischen einerseits bloß unmoralischem Verhalten und andererseits Rechtsgüterverletzung, Sonderpflichtverletzung und Verletzung des sozialen Friedens; wohl aber läßt sich der Grenzverlauf relativ zu einer Gesellschaft bestimmter Gestalt ausmachen 3 9 a .

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A. Der positive Ertrag der Bemühungen um den Rechtsgutsbegriff ist dürftig. Es kommen noch zwei prinzipielle Einwendungen hinzu. 1. Zum einen kann die Rechtsgutslehre zwar das Gut in seiner Beziehung zum Inhaber begreifen, ohne damit jedoch die Notwendigkeit dartun zu können, das Gut auch strafrechtlich abzusichern 4 0 . Beispiel 41 : Die Wahrheit einer Information ist f ü r den Informierten stets ein Gut, sie ist aber nur in seltenen Fällen als Rechtsgut anerkannt. Deshalb muß der Gutsverletzung die Sozialschädlichkeit von außen aufgep f r o p f t werden, um sie als Rechtsgutsverletzung qualifizieren zu können. Welche Funktionseinheiten wegen der sozialen Bedeutung ihres Bestands zu Rechtsgütern erhoben werden, kann die Rechtsgutslehre so wenig ausmachen, wie sie begründen kann, daß der Schutz der N o r m e n stets Gütern zu gelten habe. Die Gestalt der vom Strafrecht zu schützenden Ordnung wird nicht durch alle Güter definiert und nicht stets nur durch Güter. Die Summe aller Rechtsgüter bildet nicht „die soziale O r d n u n g " 4 2 , sondern ist nur ein Ausschnitt aus der sozialen Ordnung, der zudem nur bei Kenntnis

III. Kritik der Lehre vom Rechtsgüterschutz

V o n den Vertretern der Lehre vom Rechtsgüterschutz werden zum Teil Friedensschutzdelikte als Ausnahme anerkannt ( S K - R u d o l p h i Rdn. 11 vor § 1 ; Hanack 47. D J T Band 1 Teil A S. 32 f; α. Α. Rudolphi Honig-Festschrift S. 151 ff, 165 f). 39a Siehe Kunz Bagatellprinzip S. 156 ff, 161,167. 40 Grundlegend Amelung Rechtsgüterschutz S. 331 ff, 350. — Amelung wiederholt bei seiner Entwicklung einer Sozialschadenslehre die schon in der Rechtsgüterlehre angelegte Vertauschung des Strafrecbtsguts mit dem von der N o r m geschützten Gut, also dem Rechtsgut im üblichen Verständnis. Das Strafrecht schützt als Bestandsbedingung der Gesellschaft einzig die Normgeltung, also die Enttäuschungsfestigkeit der Erwartung, und sozialschädlich und deshalb Straftat ist

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eine T a t nicht wegen ihrer äußerlichen Wirkung, sondern weil sie die Normgeltung desavouiert (so auch Amelung a a O S. 361). Bei dieser Lage liegt der „ O r t der Bestimmung sozialschädlicher Wirkungen des Verbrechens" nicht schon bei den durch die T a t als äußerliches Ereignis gestörten „Interaktionsprozessen" (so aber Amelung a a O S. 385 f), sondern erst bei der Normgeltung. N u r so ist die — von Amelung selbst angeführte ( a a O S. 388) — unterschiedliche Behandlung von Mordfällen und tödlichen Straßenverkehrsunfällen überhaupt erklärbar. 41 N a c h //«wemerStrafrechtsdogmatik S. 129 f. 42 So aber Welzel Strafrecht § 1 I 1 u. a. m. ; erheblich schwächer (Rechtsgut als „Argumentationstopos") AK-HassemerRdn. 289 vor § 1.

Materielle Legitimation des Strafrechts

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der Grenzen der sozialen O r d n u n g überhaupt bezeichnet werden kann. Erst das öffentliche Interesse an der Erhaltung eines Guts macht dieses zum Rechtsgut, und das öffentliche Interesse geht nicht stets nur auf die Erhaltung von Gütern. 2. Zum anderen genießen selbst die strafrechtlich anzuerkennenden Güter keinen 23 absoluten Schutz. Die Gesellschaft ist keine Veranstaltung zur Gütererhaltung oder gar Gütermaximierung; vielmehr werden zur Ermöglichung des sozialen Kontakts (den man freilich seinerseits wiederum als Gut bezeichnen mag) Güter aufgeopfert. Welche Risiken ein Gut im sozialen Kontakt ohne strafrechtlichen Schutz tragen muß, läßt sich nicht an den Gütern ablesen, die in den sozialen Kontakt eingebracht werden; denn diese Güter haben keinen isoliert von ihrem Einsatz im sozialen Kftntakt bestimmbaren Rang, sondern „in Wirklichkeit gibt es Rechtsgüter nur, wenn und soweit sie in ,Funktion' sind, d. h. soweit sie im sozialen Leben wirkend und Wirkungen empfangend darin stehen. Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum usw. sind nicht einfach ,da', sondern ihr Dasein ist In-Funktion-Sein, d. h. in der sozialen Verbundenheit W i r k u n gen ausübend und Wirkungen erleidend" 4 3 . Eine N o r m kann deshalb ein Gut — soweit es überhaupt um Güterschutz geht — nicht gegen alle, sondern nur gegen solche Risiken schützen, die nicht notwendige Folge des erlaubten sozialen Kontakts sind. Was aber ein erlaubter sozialer Kontakt ist, kann die Güterlehre nicht erklären: Die ganze Zurechnungslehre mit Ausnahme der Kausalität zwischen Handlung und Erfolg (bei Unterlassung: zwischen hypothetischer H a n d l u n g und Rettungserfolg) sowie allenfalls noch Teilen des aggressiven Notstands (Güterabwägung) liegt ebenso außerhalb der Perspektive der Güterlehre wie die Beschränkung des strafbaren Güterangriffs bei zahlreichen Delikten durch besondere subjektive oder objektive Tatmodalitäten oder — insbesondere bei den neuen „großflächigen Rechtsgütern" 4 3 a wie der „Umwelt" — durch verwaltungsrechtlich erlaubte Standards. Man versuche, die Gestalt des erlaubten Straßenverkehrs durch die Güter zu erklären, die an diesem sozialen Kontakt beteiligt sind! B. T r o t z dieser beiden prinzipiellen Mängel der Rechtsgutslehre verspricht es keinen 24 Gewinn, diese Lehre überhaupt zu verwerfen und stets ohne Vermittlung über ein Rechtsgut das Delikt durch die Sozialschädlichkeit des Verhaltens zu bestimmen 4 4 . Abgesehen davon, daß auch bei diesem W e g die Bestimmung der zu bewahrenden Gestalt von Staat und Gesellschaft vorausgesetzt, nicht aber gewonnen wird 4 5 , konkretisiert sich die soziale Gestalt bereichsweise in Gütern. Diese Verfestigung in Gütern hat die Funktion, die Frage nach der konkreten Sozialschädlichkeit jeder einzelnen Gutsverletzung durch Verweis auf die generelle Wichtigkeit des Guts abzuschneiden, mindestens aber das Gewicht der konkreten Sozialschädlichkeit zu relativieren. Insbesondere bei höchstpersönlichen Gütern (nicht übertragbare oder anderen Personen zur Nutzung überlaßbare Güter), abgeschwächt aber bei allen Gütern, sind die Funktionseinheiten ein Mittel, mit dem eine Gleichbehandlung nach dem Maß der zurechenbaren 43

WelzelZStW 58 S. 491 ff, 515. - Rudolphi (Honig-Festschrift S. 151 ff, 162 ff; SK-Rudolphi Rdn. 8 vor § 1) versucht, die Dynamik der sozialen Beziehungen in den Rechtsgutsbegriff hineinzunehmen. Das Rechtsgut und die Chance seines Bestands gehen dann ineinander Uber: Zumindest sozialadäquate Einwirkungen auf ein Gut werden zu dessen Vernichtung dem Begriff nach (gegenüber diesen Einwirkungen ist das Objekt kein Gut). An der Notwendigkeit eines Perspektivewechsels vom Gut zur Sozialschädlichkeit (was ist ein Gut, was ist ein schützenswertes Gut, in

welchem Umfang ist Schutz zu leisten?) ändert die Beschränkung des Rechtsgutsbegriffs auf konkret geschützte Güter nichts. Baratta KrimJ 1984 S. 132 ff, 137; Seelmann N J W 1990 S. 1257 ff, 1258 f; siehe auch oben 2/Fn. 11 b. 44 So auch Amelung Rechtsgüterschutz S. 393 ff; dazu Montenbruck Abwägung S. 76 ff. 45 Amelung Rechtsgüterschutz S. 363 mit Fn. 67, S. 382; Stratenwerth AT Rdn. 59; Neumann und SchrothTheorien S. 112 ff.

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Gutsverletzung garantiert werden soll 46 . Kraß: Bei einer Tötung soll die Frage nach dem sozialen Wert des Getöteten nicht aufgeworfen werden. Die bei direktem Zugriff auf die Sozialschädlichkeit bei allen Delikten anzubringende Strafbarkeitsbedingung, die Tat müsse geeignet sein, den sozialen Frieden zu stören, zwingt zu Differenzierungen, die bei den Güter schützenden Delikten ihrerseits mit sozialem Frieden unverträglich sind 4 7 . — Was hier zur relativen Berechtigung der Güterlehre festgehalten wurde, gilt entsprechend für die Institutionen bei den Sonderdelikten. — Freilich wird auch im Bereich der Verfestigung der sozialen Ordnung in Gütern oder Institutionen kein absoluter Schute: gewährleistet; die Merkmale des Schutzumfangs (der Zurechenbarkeit der Gutsverletzung sowie der Modalitäten seines Angriffs) müssen immer von außen an das Gut oder an die Institution herangetragen werden. 25

C. Im Ergebnis ist also ohne einen Filter der Sozw/schädlichkeit nicht auszukommen, wobei die Normen, die diesen Filter passieren, teils Rechtsgüter schützende Normen sind, teils Normen zur Herstellung von Rechtsgütern (Sonderdelikte und eigenhändige Delikte) und teils Normen zum Friedensschutz. Wichtig ist, daß die Strafbarkeit nicht an dem Wertwidrigen per se, sondern immer nur an der Soziaischädlichkeit ausgerichtet wird. Die Grenze des Sozialschädlichen ist freilich stets nur unscharf bestimmbar. Selbst eine Einigung auf die Formel, nur die Bestandsbedingungen der Gesellschaft seien durch das Strafrecht zu schützen, bringt wenig Ertrag, da es keine zwingende Grenze des Gesellschaftlichen und damit auch keinen numerus clausus der Bestandsbedingungen gibt. Beispiel : Ob Vergewaltigung — wie nach geltendem Recht — nur außerhalb der Ehe ein besonderes Delikt ist (und nicht schlichte Nötigung) oder auch innerhalb der Ehe, kann u. a. auch davon abhängen, ob der Eheschluß als Eröffnung eines umfassenden Privatbereichs oder ob sexuelle Selbstbestimmung umfassend als öffentliche Aufgabe verstanden wird. Im letzteren Fall wächst mit dem Bereich des öffentlich Relevanten der Bereich gesellschaftlicher Bestandsbedingungen.

25a

A. Ein Verhalten ist nicht erst dann eine soziale Störung, wenn ein Schaden am Rechtsgut perfekt eingetreten oder der Täter aus seiner Rolle irreversibel herausgetreten ist oder ein den Rechtsfrieden störendes Ereignis vollständig vorliegt. Strafrechtsgut ist die faktische Geltung der Normen, die garantieren, daß Rücksicht auf Rechtsgüter, Rollen und Rechtsfrieden erwartet werden kann (oben 2/2). Diese Geltung wird beeinträchtigt, wenn aus dem Verhalten des Täters entsprechende Rücksichtslosigkeit deutlich wird. Beispiel: Wer auf ein Opfer schießt, aber nicht trifft, entgeht nicht der Bestrafung mit dem Argument, mangels perfekter Verletzung oder gar Tötung des Opfers fehle es an einem Normbruch; vielmehr wird auch bei einem folgenlosen Angriff auf Leben und Gesundheit die faktische Geltung der Normen zum Schutz dieser Güter beeinträchtigt.

IV. Vorverlagerungen

Bei der Bestimmung des Beginns eines solchen Angriffs geht es nicht nur um optimalen Opferschutz (dafür wäre es zweckdienlich, schon böse Gedanken des Täters als 46 Da das Rechtsgut als Beziehung zu verstehen ist, kann der Nötigungseffekt berücksichtigt werden, den der Verlust f ü r den Gutsinhaber hat. Die legalen Nutzungen oder Genüsse des Inhabers dürfen aber bei gleichem Nötigungseffekt nicht nach ihrer mehr oder weniger hohen sozialen Nützlichkeit differenziert werden; (diese Pufferfunktion der Güter verkennt Maeck Opfer S. 31 ff). Beispiel: Ein Vermögensdelikt wiegt um so

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47

schwerer, je mehr der Verlust das Opfer zu Beschränkungen in seiner Lebensführung zwingt (wobei die Frage, ob das Opfer noch genug „übrig" hat, objektiv zu entscheiden ist); aber der Verlust von Investitionskapital und einer zur Ausschüttung an Mitarbeiter vorgesehenen Geldsumme zählen gleich. — Siehe B G H 29 S. 319 ff, 323. Dazu auch AmelungRechtsgüterschutz S. 390.

Materielle Legitimation des Strafrechts

2. Abschn

Angriff zu definieren), sondern auch um das Interesse von jedermann, also auch des Täters, an einer internen (von sozialer Verantwortung freien) S p h ä r e 4 7 a . Es handelt sich um das Problem der Bestimmung des Versuchsbeginns und der Bestrafung von Vorbereitungen (unten 25/1 ff), wobei sich die Lösung schlagwortartig dahin formulieren läßt, daß dem Täter wie dem Opfer ein Bereich eigener Organisation garantiert ist; die faktische Normgeltung wird demnach erst beeinträchtigt, wenn der Tätersich eine ihm nicht zukommende Organisation anmaßt. Β 1. Um Vorverlagerung geht es auch, wenn statt des Rechtsguts oder statt der 25b Institution, der eine bestimmte Rolle zugehört, schon die faktischen Bestandsbedingungen des Guts oder der Institution selbständig, als Vorfeldgüter, geschützt werden. Beispiele: Der Schutz von Leben und Gesundheit geschieht auch durch den Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs oder der Unverdorbenheit von Lebensmitteln; das Funktionieren eines justizförmigen Verfahrens setzt voraus, daß Rollenvertreter ihre Rollen nicht vermischen (§ 356 StGB). In diesem Bereich geht es nicht darum, daß ein Täter das Rechtsgut oder die Institution, in der er eine Rolle spielt, zu gering achtet, sondern daß ohne Blick auf die Fähigkeiten des einzelnen Beteiligten bestimmte Standards garantiert werden müssen. Beispiel: O b es f ü r den Prozeßausgang von Bedeutung ist, daß ein Zeuge die Wahrheit sagt, kann nicht jeder Zeuge nach seiner Fähigkeit zum Durchblick selbst entscheiden, wenn justizförmige Verfahren funktionieren sollen. Auch in diesem Bereich der abstrakten Gefährdungsdelikte gilt es zu beachten, daß die Totalisierung des Schutzes einzelner Güter immer zugleich eine Minimalisierung von Freiheit und Privatheit bedeutet. Daß der Kauf eines Messers nicht schon als Tötungsversuch strafbar ist, hülfe dem Tatprinzip wenig auf, wenn er — auch eingeschränkt auf einen Kauf „zu rechtswidrigen Zwecken" — als abstraktes Gefährdungsdelikt strafbar wäre. Wie beim Versuch so verläßt auch bei diesen Delikten der Täter seinen internen Bereich erst bei einer Organisationsanmaßung (eingehender unten 6/86 ff, 25/1 ff). 2. Die Grenze zwischen einem Rechtsgut als Funktionseinheit und einem Vorfeldgut verläuft durchaus unscharf, da auch das Vorfeld im Funktionszusammenhang steht. So mag man beispielsweise die Sicherheit des Straßenverkehrs als Vorfeldgut f ü r Leben und Gesundheit (u. a. m.) der Verkehrsteilnehmer ansehen oder als Rechtsgut in der Zuständigkeit der Allgemeinheit. Diese Möglichkeit zu Umformulierungen von einem Bereich in den anderen ist unschädlich, solange dabei die Kautelen, denen der verlassene Bereich unterliegt, mit übertragen werden. Was also im Beispiel zum V o r feldschutz von Leben und Gesundheit illegitim ist, bleibt auch f ü r ein eigenes Rechtsgut „Sicherheit des Straßenverkehrs" illegitim. C 1. Faktische Normgeltung ist eine Angelegenheit f ü r Täter wie O p f e r ; der Täter 25c muß die N o r m beachten, das O p f e r muß in seiner Erwartung, die N o r m werde beachtet, so sicher sein, daß es sein Verhalten danach ausrichten kann. Die Erwartenssicherheit des Opfers läßt sich auch ohne N o r m b r u c h angreifen, etwa indem dem O p f e r vorgespiegelt wird, die N o r m sei außer Kraft oder — praktisch wichtiger — die N o r m werde demnächst gebrochen werden oder indem man sonst Bedingungen schafft, die das Opfer an der kognitiven Basis der Erwartenssicherheit zweifeln lassen. 2. Bei solchen Verhaltensweisen ist zu unterscheiden : a) Der Täter kann propagieren, eine N o r m sei illegitim, etwa indem er ihre Übertretung belohnt oder billigt (§ 140 StGB), oder er kann gewaltsamen Umgang der Men47a Jakobs ZStW 97 S. 751 ff, 753 ff.

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2. Abschn

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

sehen untereinander als wünschbar darstellen (§131 StGB) u. a. m . 4 7 b , also ein rechtsfeindliches Klima schaffen, bei dem, greift es um sich, die desavouierten N o r m e n massenweise übertreten werden dürften. In solchen Fällen maßt sich der Täter ein Urteil über N o r m e n an, aber nicht eine ihm nicht zustehende Organisation. Der Täter regt auch keine Aktionen an, sondern interpretiert „nur" die Welt konträr zum Strafgesetz. Er äußert also eine — vielleicht extreme — Meinung, mehr nicht 4 7 c . In einem freiheitlichen Staat darf der Bürger auch kritische Meinungen über Strafgesetze haben, solange er die Strafgesetze befolgt; Klimaschutzdelikte sind deshalb ein Zeichen für ein Defizit an Freiheitlichkeit 47cl . Sie sind um so eher nötig, je brüchiger die Legitimation des Strafgesetzes wirklich ist; denn um so überzeugender läßt diese sich angreifen. b) Der Täter kann aber auch die Erwartenssicherheit durch Veränderung der kognitiven Basis des Erwartens angreifen, also indem er das Opfer in eine Lage versetzt, in der es nicht mehr von Normbefolgung ausgehen kann. Wenn dies anders als durch Mitteilung von Wahrheit geschieht (Bericht von einem drohenden Angriff), handelt es sich um eine Organisationsanmaßung des Täters: Dieser bedroht das Opfer selbst ausdrücklich oder konkludent (etwa durch öffentliche Aufforderung zur Tat) mit einem Delikt oder täuscht ihm den Bestand einer D r o h u n g vor; aufgrund des wirklich bevorstehenden Delikts oder doch der Vortäuschung bleibt dem Opfer keine Möglichkeit, sich rational so zu orientieren, als werde es nicht vom Delikt betroffen werden. Diese Beeinträchtigung der Erwartenssicherheit ist ein aus dem Unrecht des jeweils als bevorstehend angekündigten Delikts ableitbares Partialunrecht. Es wird hauptsächlich in den §§ 126,241 StGB pönalisiert 4 7 6 .

V. Subsidiarität des staatlichen Strafens ? 26

A. Verbreitet werden Strafrechtsnormen nur f ü r legitim gehalten, wenn ihre Aufgabe nicht durch andere Instrumente der Regelung des sozialen Kontakts übernommen werden kann, etwa durch polizeiliche Abwehr oder öffentlichrechtliche Fürsorge oder zivilrechtliche Schadensersatzansprüche oder Selbstschutz des Opfers, ferner durch Institutionen der informellen Sozialkontrolle u. a. m. : das sogenannte SubsidiaritätsprinzipM. Das Vikariieren von Strafe und Maßregel (§ 67 Abs. 4 StGB) und der V o r rang des Maßregelzwecks (§ 67 Abs. 5 StGB) sind — neben anderen materiellrechtlichen (§§ 47, 56, 57 StGB u. a. m.) und prozeßrechtlichen (§§ 153 ff StPO) Einrichtungen — massive positivrechtliche Ausprägungen des Prinzips. Bei den zumeist angeführten Beispielen (insbesondere bei der Verkümmerung der Abtreibung zum Abbruch der Schwangerschaft) geht es freilich nicht um Subsidiarität des Strafrechts, sondern um das volle oder partielle Ableben von N o r m e n durch die gesellschaftliche Entwicklung: Schon die Enttäuschung entfällt oder mindert sich. 47b Weitere Beispiele bei Jakobs ZStW 97 S. 751 ff, 779 ff. 47c

Siehe Grünwald in: Vom Nutzen und Nachteil Bd. II S. 489 ff, 503 f; Fetscher a a O S. 506 ff; Müller-Dietz Arthur Kaufmann-Festschrift S. 95 ff. 47 ^ N a h e z u offen eingestanden in BT-Drucksache VI/3521 S. 6, wo zur Gewaltverherrlichung eingeräumt wird, man gehe davon aus, auch Erwachsene vor Fehlentwicklungen schützen zu müssen: Das muß nicht totalitär, sondern kann paternalistisch gemeint sein, kaum jedoch freiheitlich. — G a n z ähnlich zur Belohnung und

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Billigung von Straftaten AK-Ostendorf § 140 Rdn. 3 : Die Zensur wird akzeptiert, wenn sie der Verhinderung von Verbrechensbereitschaft gilt. Zu weiteren Partialunrechtspönalisierungen siehe Jakobs ZStW 97 S. 751 ff, 777 f ; KühlNJW 1987 S. 737 ff, 743 ff. 48 Roxin JuS 1966 S. 377 ff, 382; Z/Kriminalpolitik § 3 , 2.5; Maurach-Zipf A T I § 2 Rdn. 13 ff; Arthur Kaufmann Tendenzen S. 33 ff; ders. H e n kel-Festschrift S. 89 ff, 100 f f ; SK-Rudolphi Rdn. 14 vor § 1; Roos Entkriminalisierungstendenzen S. 215 ff; Brandt Bedeutung passim. — Siehe auch Amelung JZ 1982 S. 617 ff, 618 f.

Abgrenzung von anderen Reaktionen

3. Abschn

B. D a s Subsidiaritätsprinzip ist die strafrechtliche V a r i a n t e des verfassungsrechtli- 27 chen G r u n d s a t z e s der V e r h ä l t n i s m ä ß i g k e i t , n a c h dem ein s t r a f e n d e r E i n g r i f f nicht erlaubt ist, w e n n der E f f e k t auch durch eine weniger einschneidende M a ß n a h m e erzielt werden k a n n 4 9 . D e r V e r h ä l t n i s m ä ß i g k e i t s g r u n d s a t z gilt a b e r nur, w e n n die K o s t e n der alternativen M a ß n a h m e eine P e r s o n treffen, die f ü r den zu lösenden K o n f l i k t zuständig ist ( K o s t e n im Sinn j e g l i c h e r E i n b u ß e verstanden, einschließlich des V e r z i c h t s a u f sozialen K o n t a k t ) . D e m G r u n d s a t z ist also nicht zu e n t n e h m e n , S t r a f e w e r d e illegitim, wenn der K o n f l i k t a u f irgendwessen K o s t e n anders als d u r c h S t r a f e verhütet o d e r erledigt werden k ö n n t e . K r a ß : J e d e r K o n f l i k t läßt sich erledigen, w e n n auf die enttäuschte E r w a r t u n g v e r z i c h t e t w i r d ; viele K o n f l i k t e lassen sich d u r c h V e r z i c h t a u f sozialen K o n t a k t erledigen, weiterhin viele d u r c h S e l b s t s c h u t z des O p f e r s , — a b e r eine V e r p f l i c h t u n g z u r Ü b e r n a h m e dieser K o s t e n läßt sich regelmäßig nicht damit b e g r ü n den, daß sie weniger wiegen als die S t r a f e wiegt. C . Bei dieser L a g e d a r f das Subsidiaritätsprinzip, soweit es die Belastung verschiebt, 28 nur angewendet w e r d e n , w e n n der alternativ Belastete u n a b h ä n g i g v o m Prinzip f ü r den K o n f l i k t zuständig ist. Beispiel : D e r Delinquent ist sowieso ein F ü r s o r g e f a l l , der Selbstschutz ist eine sowieso a n g e b r a c h t e M a ß n a h m e 5 0 etc. D i e p r a k t i s c h e R e l e v a n z des Prinzips wird weiterhin d a d u r c h e i n g e s c h r ä n k t , daß die weniger eingreifende M a ß n a h m e generell (bestimmt n a c h Deliktsgruppen o d e r T ä t e r gruppen) v e r f ü g b a r sein muß, wenn Zufallsergebnisse vermieden w e r d e n sollen. D e s halb scheiden zum Beispiel M a ß n a h m e n , die allein gegen r e i c h e T ä t e r v e r h ä n g t w e r d e n k ö n n e n ( V e r m ö g e n s k o n f i s k a t i o n statt Freiheitsstrafe), als alternative R e a k t i o n aus, auch wenn sie effektiv w ä r e n .

3. A B S C H N I T T

Die Abgrenzung der staatlichen Strafe von anderen Reaktionen öffentlichen Rechts I. Die Ordnungswidrigkeiten Literatur }. Baumann Uber die notwendigen Veränderungen im Bereich des Vermögensschutzes, J Z 1972 S. 1 ff; ders. Grabgesang für das Legalitätsprinzip, ZRP 1972 S. 273 ff; den. Bekämpfung oder Verwaltung der Kleinkriminalität? Schröder-Gedächtnisschrift S. 523 ff; / . Bohnert Die Entwicklung des Ordnungswidrigkeitenrechts, Jura 1984 S. 11 ff; P. Cramer Grundbegriffe des Rechts der Ordnungswidrigkeiten, 1971; F. Dencker Die Bagatelldelikte im Entwurf eines EGStGB, J Z 1973 S. 144 ff; E. Dreher Oie Behandlung der Bagatellkriminalität, Welzel-Festschrift S. 917 ff; / . de Figueiredo Dias Vom Verwaltungsstrafrecht zum Nebenstrafrecht, Je49

BVerfG 39 S. 1 ff, 44 ff, 46 ff. Zutreffende Problematisierung (Ist der Effekt die Normgeltung oder der Gutsbestand?) bei DriendlStrafgesetzgebungswissenschaft S. 33 ff, 37. 50 Das hebt insbesondere Hillenkamp Vorsatztat S. 195 f und passim zutreffend hervor; jetzt insoweit wohl auch Schünemann Faller-Festschrift S. 357 ff, 369; aus der umfangreichen Literatur siehe weiterhin insbesondere Arzt MonSchKrim 1984 S. 105 ff, 107 ff; Ebert J Z 1983 S. 633 ff,

638 ff; R. Hassemer Schutzbedürftigkeit S. 51 (insbesondere zum Betrug); Kurth Mitverschulden S. 99 (insbesondere zum Betrug); Maeck Opfer S. 23 ff (insbesondere zur Strafzumessung); siehe ferner die umfangreiche Rechtsprechung zur Strafzumessungsrelevanz des Opferverhaltens (Nachweise bei LK-G. Hirsch % 46 Rdn. 39 f ; Schönke-Schröder-Stree § 46 Rdn. 23 ff; zudem BGH StV 1983 S. 326 f.

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3. Abschn

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

scheck-Festschrift S. 79 ff; R. Frank Die Überspannung der staatlichen Strafgewalt, ZStW 18 S. 733 ff; E. Göhler Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, 8. Auflage 1987; /. Goldschmidt Das Verwaltungsstrafrecht, 1902; ders. Begriff und Aufgabe des Verwaltungsstrafrechts, GA 49 (1902) S. 71 ff; H.-L. GüntherOas Recht der Ordnungswidrigkeiten — Aufbruch zu neuen Ufern? in: 40 Jahre Bundesrepublik. 40 Jahre Rechtsentwicklung, 1990 S. 381 ff; H. ]. Hirsch Zur Behandlung der Bagatellkriminalität in der Bundesrepublik Deutschland, ZStW 92 S. 218 ff; H.-H. Jesckeck Das deutsche Wirtschaftsstrafrecht, J Z 1959 S. 457 ff; G. Kaiser Möglichkeiten der Bekämpfung von Bagatellkriminalität in der Bundesrepublik Deutschland, ZStW 90 S. 877 ff; ]. Krümpelmann Die Bagatelldelikte, 1966; K.-L. Kunz Das strafrechtliche Bagatellprinzip, 1984; D. Lang-Hinrichsen Zur Frage der Schuld bei Straftaten und Ordnungswidrigkeiten (kriminellem Unrecht und Verwaltungsunrecht), GA 1957 S. 225 ff; ders. „Verbandsunrecht", H . Mayer-Festschrift S. 49 ff; R. Lange Der Strafgesetzgeber und die Schuldlehre, JZ 1956 S. 73 ff; ders. Die Magna Charta der anständigen Leute, JZ 1956 S. 519 ff; ders. N u r eine Ordnungswidrigkeit? JZ 1957 S. 233 ff; C. Lindemann Gibt es ein eigenes Wirtschaftsstrafrecht? 1932; H. Mattes Die Problematik der Umwandlung der Verkehrsübertretungen in Ordnungswidrigkeiten, ZStW 82 S. 25 ff; ders. Untersuchungen z u r Lehre von den Ordnungswidrigkeiten. Erster Halbband, Geschichte und Rechtsvergleichung, 1977. Zweiter Halbband, Geltendes Recht und Kritik, 1982; H. Mayer Strafrechtsreform f ü r heute und morgen, 1962; M. E. Mayer Rechtsnormen und Kulturnormen, 1903; H. G. Michels Strafbare Handlung und Zuwiderhandlung, 1963; W. Naucke Die Wechselwirkung zwischen Strafziel und Verbrechensbegriff, 1985; K. Peters Beschränkung der Tatbestände im Besonderen Teil, Z S t W 77 S. 470 ff; K. Rebmann, W. Roth, S. Herrmann Gesetz über Ordnungswidrigkeiten 2. Auflage (Loseblatt) 1988; Rotberg Ordnungswidrigkeitengesetz, 5. Auflage 1975; W. Sax Grundsätze der Strafrechtspflege, in: K. A. Bettermann, H. C. Nipperdey, U. Scheuner{Hrsg.) Die Grundrechte Bd. III (2), 2. Auflage 1972, S. 909 ff; Eb. SchmidtProbieme des Wirtschaftsstrafrechts, SJZ 1948 Sp. 225 ff; ders. Rechtsnot im Wirtschaftsstrafrecht und ihre Überwindung, SJZ 1948 Sp. 569 ff; ders. Das Gesetz zur Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts, SJZ 1949 Sp. 665 ff; ders. Das neue westdeutsche Wirtschaftsstrafrecht, D R Z 1950 Beiheft 11; ders. Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, Arndt-Festschrift S. 415 ff; K. Ttedemann Die Gesetzgebungskompetenz für Ordnungswidrigkeiten, A ö R 89 (1964) S. 56 ff; ders. Verwaltungsstrafrecht und Rechtsstaat, O J Z 1972 S. 285 ff; F. Trops Begriff und Wert eines Verwaltungsstrafrechts, 1926; Th. Vogler Möglichkeiten und Wege einer Entkriminalisierung, ZStW 90 S. 132 ff; U. Weber Die Überspannung der staatlichen Bußgeldgewalt, ZStW 92 S. 313 ff; E. Wolf Die Stellung der Verwaltungsdelikte im Strafrechtssystem, Frank-Festgabe Bd. II S. 516 ff.

A. Die historische Entwicklung 1

1. E s g i b t N o r m e n , d u r c h w e l c h e die I d e n t i t ä t e i n e r G e s e l l s c h a f t , eines S t a a t s o d e r eines M e n s c h e n ( m i t - ) d e f i n i e r t w i r d . D a z u g e h ö r e n u. a. die z e n t r a l e n N o r m e n des S t G B , i n s b e s o n d e r e s o w e i t sie die E x i s t e n z b e r e c h t i g u n g jedes e i n z e l n e n B ü r g e r s u n d die G r u n d z ü g e d e r v e r f a s s u n g s m ä ß i g e n O r d n u n g g a r a n t i e r e n . U m diesen n u r r a n d u n scharf b e s t i m m b a r e n K e r n b e r e i c h von S t r a f r e c h t s n o r m e n lagern Ringe abgeleiteter („dienender") N o r m e n von wirklich oder vermeintlich abnehmender Wichtigkeit, w o bei die A b n a h m e d a s n o r m i e r t e V e r h a l t e n s t u f e n l o s d e m S o z i a l a d ä q u a t e n a n n ä h e r n k a n n . E s g e h t in d e n ä u ß e r e n R i n g e n e t w a n u r n o c h u m die V e r m e i d u n g a b s t r a k t e r G e f a h r e n (Beispiel: T r u n k e n h e i t im V e r k e h r , § 3 1 6 S t G B ) o d e r u m die G a r a n t i e , d a ß s t a a t l i c h e K o n t r o l l e g e f ä h r l i c h e n V e r h a l t e n s o r g a n i s i e r b a r bleibt (Beispiel: F a h r e n o h n e F a h r e r l a u b n i s , § 21 A b s . 1 u n d 2 S t V G , siehe u n t e n z u r b e h ö r d l i c h e n E r l a u b n i s 1 6 / 2 9 ) . J e w e n i g e r e v i d e n t die B e z i e h u n g z u m K e r n b e r e i c h ist u n d je m e h r sich d a s n o r m w i d r i g e V e r h a l t e n d e m S o z i a l a d ä q u a t e n a n n ä h e r t , u m so w e n i g e r ist es e r f o r d e r lich u n d h ä u f i g a u c h u m s o w e n i g e r t o l e r i e r b a r , auf e i n e n N o r m b r u c h in d e r A r t z u r e a g i e r e n , w i e dies b e i m B r u c h v o n K e r n n o r m e n d e r Fall ist. E s g e h t bei dieser H e r a b s t u f u n g d e r R e a k t i o n n i c h t u m eine A b s c h w ä c h u n g des S t r a f m a ß e s (Beispiel: M a n c h e V e r l e t z u n g d e r H a u s o r d n u n g eines G e s e t z g e b u n g s o r g a n s , § 112 O W i G , m a g e m p f i n d l i c h e r z u a h n d e n sein als m a n c h e r H a u s f r i e d e n s b r u c h , § 123 S t G B ) ; v i e l m e h r soll eine 50

Abgrenzung von anderen Reaktionen

3. Abschn

Reaktion, wie sie auf den Bruch der Kernnormen hin erfolgt, zugunsten einer Reaktion unterbleiben, die nicht mit dem Odium belastet ist, (auch) zur Erledigung der Kernkriminalität zu dienen. — Neben die Möglichkeit dieser materiellrechtlichen Sonderung tritt diejenige einer vereinfachten prozessualen Erledigung. 2 a) Das StGB von 1871 hatte die Sonderung materiellrechtlich nur schwach durch- 2 geführt, indem es die Kriminalität der Randbereiche, zusammen mit einigen Bagatellfällen der Kriminalität des Kernbereichs (Beispiel: Mundraub, § 370 Abs. 1 N r . 5 StGB a. F. als Privilegierung von Diebstahl und Unterschlagung), innerhalb des Strafrtchts erfaßte, aber durch eine unterhalb der Verbrechen und Vergehen angesiedelte Deliktsart, die Übertretungen. Eine Übertretung war ein mit H a f t oder (geringer 1 ) Geldstrafe bedrohtes Verhalten (§ 1 Abs. 2 StGB a. F., §§ 360 ff StGB a. F.). Für Übertretungen galten einige Sonderregelungen im A T (insbesondere nur beschränkte Strafbarkeit von Auslandstaten und keine Strafbarkeit von Versuch und Beihilfe, §§ 6, 43, 49 StGB a. F.). Die prozessuale Erledigung der Übertretungen erfolgte justizförmig mit allen wesentlichen Verfahrensgarantien 2 . Diese Regelung hat — freilich längst durch die noch zu nennenden Ordnungswidrigkeiten flankiert — bis 1975 gegolten 3 . Eine ausschließlich kriminalstrafrechtliche und ausschließlich justizförmige Lösung hatte weder Vergangenheit noch Z u k u n f t : b) Zuvor hatte es neben dem Kriminalstrafrecht jahrhundertelang ein Polizeistraf 3 recht 4 gegeben, wonach — neben mancher leichteren (nicht nur: bagatellhaften) Kriminalität — Taten geahndet wurden, die nicht in der Verletzung oder G e f ä h r d u n g der subjektiven Rechte eines Individuums bestanden, sondern im Zuwiderhandeln gegen Anordnungen zur Gefahrenabwehr im Vorfeld (vor der konkreten Gefährdung). D e r aufklärerische Gedanke, kriminell sei nur der Eingriff in subjektive Rechte, wirkt noch in M. E. Mayers Lehre von den „Verwaltungsdelikten" als den „kulturell indifferenten" Delikten nach: „Ein Mann, der alle Pflichten, die ihm von der kulturellen Tradition auferlegt sind, sorgsam erfüllt, kommt doch nicht all den Pflichten nach, die er gegen die Regierung h a t . . . Das kriminelle Unrecht ist kraft Gesetzes und aufgrund seiner kulturellen Schädlichkeit Unrecht, das polizeiliche Unrecht ist Unrecht kraft Gesetzes" 5 . Diese Unterscheidung zwischen einer vom Staat nur zu rezipierenden Grenze von Recht und Unrecht beim Kriminalstrafrecht und einer durch den Staat zu ziehenden Grenze beim nicht-kriminalstrafrechtlichen Unrecht findet sich — freilich ohne die Gleichsetzung von Verwaltung mit Gefahrenabwehr — bis in die Gegenwart, etwa in der Formulierung, die Rechtswidrigkeit der „Zuwiderhandlungen gegen Verwaltungsanordnungen" stehe und falle mit dem Umstand, daß diese Zuwiderhandlungen „gegen positiv geschaffene Vorschriften verstoßen, die aus dem Raum grundsätzlich freien und erlaubten Verhaltens vorübergehend Exklaven rechtlicher Gebote oder Verbote ausgrenzen" 6 . c) Die neuere Lehre vom Verwaltungsstrafrecht beginnt mit Goldschmidt7. Danach 4 dient das Verwaltungsstrafrecht nicht dem Gefahren abwehrenden, sondern dem 1 Zunächst bis zu einhundertfünfzig Mark, später bis zu f ü n f h u n d e r t Deutsche Mark. Gegen die Geltung des Legalitätsprinzips schon Frank ZStW 18 S. 733 ff, 745 ff. 3 Aufgehoben durch Art. 300 EGStGB vom 2. 3. 1974,BGBl. I S . 469. 4 Eingehende Darstellung bei Go/¿ícimi¿í Verwaltungsstrafrecht S. 70 f f ; Mattes Untersuchungen Halbbd. I S. 57 ff, 105 ff. 5 Rechtsnormen S. 115 f, siehe auch a a O S. 27. 2

6

Lange J Z 1956 S. 73 ff, 79; den. J Z 1956 S. 519 ff; ders. J Z 1957 S. 233 ff, 237; auch Michels Handlung S. 87 und passim. 7 Verwaltungsstrafrecht S. 529 f f ; ders. G A Bd. 49 (1902) S. 71 ff; weitere Nachweise der verwaltungsstrafrechtlichen Schriften Goldschmidts bei E. Wolf Frank-Festgabe Bd. II S. 516 ff, 518 Fn. 2. - Zum folgenden Text siehe KKOWiGBohnert Einleitung Rdn. 55 ff.

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3. Abschn

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

„Wohlfahrt" fördernden Staat. So wie die „ W o h l f a h r t . . . nie ein Zustand werden" kann, sondern „notwendig stets ein Ziel, eine unerreichte Sehnsucht" ist 8 , bringt das Verwaltungsdelikt keine Schädigung am Bestand (damnum emergens), sondern läßt Gewinn entgehen (lucrum cessans) 9 . Was aber Gewinn ist, kann nur die Verwaltung selbst definieren, ebenso wann eine Unterstützung der Wohlfahrt fördernden Tätigkeit des Staats durch den Bürger erforderlich ist 1 0 . Als Unrecht des Verwaltungsdelikts „bleibt also nur die eigentümliche Unterlassung der Unterstützung der auf Förderung des öffentlichen oder Staats-Wohls gerichteten bzw. fiktiv als solche Förderung erscheinenden Staatsverwaltung übrig. Dies ist die Verwaltungswidrigkeit. . . " n . Die Verwaltungsstrafe wird bei dieser Lösung zur „Selbsthülfe" der Verwaltung 1 2 , deren Realisierung Goldschmidt freilich den Verwaltungsgerichten zuweist 1 3 . 5

d) Die Grundzüge dieser Lehre Goldschmidts14 werden von E. Wolf nach nahezu drei Jahrzehnten in wertphilosophischer Einkleidung (Trennung von Gerechtigkeitswert und Wohlfahrtswert) wieder aufgenommen 1 5 und beeinflussen noch ein halbes Jahrhundert später — vermittelt durch Eb. Schmidt16, freilich in einer zum Teil nur verbalen Anknüpfung — das WiStG von 1949 1 7 . Dieses Gesetz wird erlassen, um die Verwaltungsstrafgewalt zu binden, die dem Staat bei der Wirtschaftslenkung in den vorangegangenen Krisenzeiten zugefallen war (insbesondere zur Zeit des ersten Weltkriegs und seit dem Ende der zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts) und in nationalsozialistischer Zeit ein totalitäres Gepräge erhalten hatte. Nach § 6 dieses Gesetzes ist zwischen Wirtschaftsstraftaten und Ordnungswidrigkeiten zu unterscheiden. Erstere werden mit Kriminalstrafe geahndet und justizförmig abgeurteilt, letztere (die Nachfolger von Goldschmidts Verwaltungsdelikten) in einem Bußgeldverfahren durch die Verwaltungsbehörden mit Geldbuße belegt. Kriterium der Unterscheidung 1 8 soll zum einen sein, ob die Tatwirkungen verwaltungsintern bleiben (dann Ordnungswidrigkeit) oder aber geeignet sind, „die Leistungsfähigkeit der staatlich geschützten Wirtschaftsordnung zu beeinträchtigen" (§ 6 Abs. 2 N r . 1 WiStG 1949). Schon dieses Kriterium scheidet (zumindest) teils nach Quantitäten, nicht aber nach Qualitäten. Zum anderen soll die Einstellung des Täters gegen die Wirtschaftsordnung entscheiden (bei Gewerbsmäßigkeit, Eigennutz etc.: Straftat; § 6 Abs. 2 N r . 2 WiStG 1949); damit richtet sich die Grenze — anders als bei Goldschmidt — überhaupt nicht mehr nach Besonderheiten des wirtschaftsstrafrechtlichen Regelungsbereichs, sondern nach unspezifischen Bewertungen (die zudem, wie bei subjektiven Unrechtselementen häufig, diffus bleiben). Diese T r e n n u n g zwischen Straftat und Ordnungswidrigkeit bedeutet zugleich eine Scheidung der Erledigungsarten: Ordnungswidrigkeiten werden nur auf Einspruch des Betroffenen justizförmig, ansonsten durch die Verwaltung mit Buße geahndet.

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Goldschmidt Verwaltungsstrafrecht S. 533, siehe auch S. 545. A a O S. 545 f. A a O S. 545 f. A a O S. 548. A a O S. 566. A a O S. 582 f. Zur Wirkung Goldschmidts siehe Mattes Untersuchungen Halbbd. I S. 149 ff mit umfassenden Nachweisen. Frank-Festgabe Bd. II S. 516 ff. SJZ 1948 Sp. 225 ff, 231 f f ; ders. SJZ 1948 Sp. 569 ff; ders. SJZ 1949 Sp. 665 ff, 669 ff; ders.

Das neue westdeutsche Wirtschaftsstrafrecht (Beiheft D R Z 1950 N r . 11); ders. Arndt-Festschrift S. 415 ff, 423 f. — Kritisch zu Eb. Schmidt Giintherm : 40 Jahre S. 381 ff, 382 ff. 17 Gesetz zur Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts vom 26. 7. 1949, WiGBl. S. 193. 18 Es gibt „Mischtatbestände", bei denen die Tatbestandsverwirklichung über die Zugehörigkeit zum Kriminal- oder Ordnungswidrigkeitenrecht entscheidet; zur Dogmatik der Unterscheidungsmerkmale siehe Lang-Hinrichsen GA 1957 S. 225 ff, 228 ff.

Abgrenzung von anderen Reaktionen

3. Abschn

B. Der gegenwärtige Stand 1. Für Ordnungswidrigkeiten wurde 1952 ein umfassendes Rahmengesetz geschaf- 6 fen 1 9 . Das geltende O W i G 2 0 zieht die Grenze zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten formal : Ordnungswidrigkeiten sind durch die gesetzliche D r o h u n g mit Geldbuße gekennzeichnet (§ 1 Abs. 1 O W i G ) . Die Geldbußen können nicht in Ersatzfreiheitsstrafen umgewandelt, aber durch Erzwingungshaft beigetrieben werden (§ 96 OWiG). Das O W i G hat einen eigenen AT, dessen Regelungen zur Zurechnung denjenigen des StGB hauptsächlich entsprechen (§§ 8 bis 13, 15, 16, 29 O W i G ; abweichend freilich die Einheitstäterschaft nach § 14 O W i G , dazu unten 21/5 ff, sowie die Möglichkeit, als Nebenfolge juristische Personen und Personenvereinigungen mit einer Geldbuße zu belegen, § 30 O W i G , siehe unten 6/43). Der Grundsatz der Gesetzesbindung gilt (§ 3 OWiG). Die Regelung der räumlichen Geltung folgt strenger dem Territorialitätsprinzip als bei Straftaten (§ 5 OWiG). Das Verfahren zur Ahndung führt die Verwaltungsbehörde durch (§§ 53 ff OWiG), was im Blick auf Art. 92 G G nicht unproblematisch ist 2 ». Anders als bei Strafverfahren (§ 152 Abs. 2 StPO) gilt nicht das Legalitätsprinzip (also kein Verfolgungszwang durch die Verwaltungsbehörde), sondern ein an pflichtgemäßes Ermessen gebundenes Opportunitätsprinzip (§ 47 O W i G ) . T r o t z der Durchsetzung der Buße in einem Verwaltungsverfahren gilt das O r d n u n g s widrigkeitenrecht als Teil des Strafrechts im weiteren Sinn, nicht als Verwaltungsrecht 2 2 , so daß sich die Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74 N r . 1 G G richtet. 2 a) Ob die erheblichen materiellrechtlichen (Buße statt Strafe 2 3 ) und prozessualen 7 (Verwaltungsverfahren nach dem Opportunitätsprinzip statt Gerichtsverfahren nach dem Legalitätsprinzip) Besonderheiten der Ordnungswidrigkeiten auf einer nur quantitativen Differenz zu den Straftaten beruhen oder ob Ordnungswidrigkeiten auch ein qualitativ eigenes Unrecht und eine qualitativ eigene Schuld aufweisen, ist streitig 2 4 , 19 20

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Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 25. 3. 1952; BGBl. I S . 177. Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 24. 5. 1968, BGBl. I S. 481 in der Fassung vom 2. 1. 1975, BGBl. I S . 80 mit Berichtigung S. 520. Siehe aber B V e r f G 8 S. 197 ff, 207; 22 S. 49 ff, 81. — Kritisch Herzog in: Maunz-DürigHerzog-Scholz Art. 92 R d n . 49. BVerfG 27 S. 19 ff, 32 f ; Tiedemann A ö R 89 (1964) S. 56 ff. - Z u r Geschichte des V e r f a h r e n s bei O r d n u n g s w i d r i g k e i t e n Bohnert J u r a 1984 S. 11 ff, 13 ff. Für ein Verständnis der Buße als „eine echte Strafe" Mattes Untersuchungen H a l b b d . II S. 251 ff, 299 mit u m f a s s e n d e n N a c h w e i s e n des Streitstands. Eine eigene Qualität der O r d n u n g s w i d r i g k e i t e n (oder der Verwaltungsdelikte) behaupten außer den oben schon G e n a n n t e n (M. E. Mayer, Goldschmidt, E. Wolf, Eh. Schmidt): R G 64 S. 193 ff, 195 f ; 75 S. 234 ff, 235 ; B G H G S 11 S. 263 ff, 264 ; Lange wie oben Fn. 6; Michels H a n d l u n g S. 78 ff (mit V o r b e h a l t e n S. 82 f ) ; Maurach A T 3 § 1 III Β 2; LKS-Jagusch Anm. A TV 1 v o r ξ 13; hauptsächlich auch O L G H a m m G A 1969 S. 156 f ; Cramer G r u n d b e g r i f f e S. 17 f ; Schönke-SchröderStree R d n . 35 v o r § 38 ; Stratenwerth A T Rdn. 43 („Geldbuße nicht mit einem persönlichen V o r -

wurf verbunden"). — de Figueiredo Dias Jescheck-Festschrift S. 79 ff unterscheidet rechtsvergleichend O r d n u n g s w i d r i g k e i t e n (Verhalten betreffend, das o h n e V e r s t o ß gegen eine positive N o r m neutral zu werten sei) u n d Straftaten, die entweder nach dem V e r w a l t u n g s - oder N e b e n strafrecht zu beurteilen sein sollen (Verstöße gegen die N o r m e n der sozialen G r u n d r e c h t e und der W i r t s c h a f t s o r d n u n g ) o d e r n a c h dem K e r n strafrecht (Verstöße gegen N o r m e n z u m S c h u t z der „persönlichen Betätigung"). — Für eine quantitativ bestimmte A b g r e n z u n g Krümpelmann Bagatelldelikte S. 166 f f ; Mattes ZStW 82 S. 25 f f ; ders. U n t e r s u c h u n g e n H a l b b d . II passim; Weber TStW 92 S. 313 ff, 316 f ; Güntherin: 40 J a h r e S. 381 ff, 387 f f ; Göhler O W i G R d n . 5 v o r § 1 ; Baumann-Weber A T § 4 I 2 a; Jescheck J Z 1959 S. 457 ff, 461; ders. A T § 7 V 3 b ; LK-Jescheck Einleitung R d n . 11 ; Schmidhäuser A T 8 / 1 0 7 ; hauptsächlich auch Kunz Bagatellprinzip S. 48 f f ; Maurach-Zipf ATI §1 R d n . 33 f f ; Sax H a n d b u c h Bd. III (2) S. 909 ff, 919 f f ; Rebmann-Roth-Herrmann OWiG R d n . 8 ff vor § 1 ; Lang-Hinrichsen H. MayerFestschrift S. 49 ff, 61 ; LK-Tröndle R d n . 64 v o r § 38; jetzt auch RotbergOWiG, E i n f ü h r u n g B. — Eine Verfahrens- u n d materiellrechtliche T r e n n u n g von „wirklichen V e r b r e c h e n " und V e r h a l -

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3. Abschn

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches S t r a f e n

wobei die Differenzierung nach Qualitäten und Quantitäten geläufig, aber wenig aussagekräftig ist, da schon der Bereich der Straftaten in sich je nach Blickrichtung qualitativ nicht homogen ist. Im Verlauf der Auseinandersetzung sind zahlreiche Merkmale eines N o r m b r u c h s als möglicher Sitz einer qualitativen Differenz anvisiert worden: N u r bei Straftaten soll es um Rechtsgüterschutz gehen, bei Ordnungswidrigkeiten aber um „bloße Normwidrigkeit"; Ordnungswidrigkeiten sollen nicht auf einem „sozialethisch" untermauerten Unrecht beruhen oder die Schuld bei Ordnungswidrigkeiten nicht auf einem „Gesinnungstadel", vielmehr soll es sich um eine „sozialethisch farblose Lässigkeit" handeln; die Wirkungen der Ordnungswidrigkeiten sollen verwaltungsintern bleiben oder es soll um allenfalls abstrakte Gefährdungen gehen u. a. m. 8

b) D a s geltende positive Recht widersetzt sich einer durchgehenden qualitativen Abgrenzung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten. Qualitätsdifferenzen von praktisch feststellbarer Deutlichkeit lassen sich an der Grenze zwischen Straftat und Ordnungswidrigkeit beispielsweise im Straßenverkehrsrecht (etwa § 3 1 6 S t G B als Straftat, § 24 a S t V G als Ordnungswidrigkeit) oder im Steuerrecht (etwa § 370 A O als Straftat, § 378 A O als Ordnungswidrigkeit) nicht ausmachen. Auch lassen sich bei einigen h o m o g e n als Ordnungswidrigkeit geregelten Komplexen einzelne Fallgruppen herauslösen, die qualitativ mit Straftaten vergleichbar sind, etwa bei einigen Verstößen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (§§ 38 ff G W B ) . Die Zuordnung wird in den genannten Bereichen von Annahmen darüber bestimmt, wie die H a n d h a bung der anfallenden Verfahren praktisch zu bewältigen ist (massenhafte Verkehrsstraftaten) und ob die Geldbuße ausreichend wirken wird. Die in der Theorie genannten Kriterien der Differenzierung sind teils überholt und teils von H a u s aus überhaupt nicht notwendig qualitativ. Überholt ist die Argumentation mit einer Sonderstellung der Verwaltung: Deren Funktionieren läßt sich als Rechtsgut definieren wie bei jeder anderen Funktionseinheit 2 5 ; es geht einzig um die Frage, wann und in welchem Maß die Verwaltung schützenswert ist. Alle anderen Kriterien lassen sich als Grenzpunkte quantitativer Differenzen deuten: V o n dem sozialethisch untermauerten Verletzungsunrecht, dessen schuldhafte Verwirklichung einen Gesinnungstadel verdient, bis zum bloßen U n g e h o r s a m gegen eine N o r m , die abstrakte Gefährdungen verbietet, reicht eine stufenlose S k a l a von Zwischengrößen. Es dürfte überhaupt verfehlt sein, die Differenz nur von der Seite der Normübertretung her beschreiben zu wollen; denn die Möglichkeit der Erledigung eines Konflikts durch eine Buße anstelle einer Strafe hängt auch von Faktoren ab, die mit Unrecht und Schuld nicht notwendig verbunden sind (normativer Z u s a m m e n h a n g ; Empfindlichkeit der Tätergruppe gegen A h n d u n g ; Möglichkeit, auch sehr hohe Geldbußen beizutreiben u . a . m . ) ; diese komplexe Betrachtung von Normverstoß und Reaktion ist bislang freilich kaum entwickelt worden. Schließlich ist die Suche nach einer qualitativen Differenz generell zweifelhaft, solange nicht ausgemacht ist, in welchem U m f a n g die Geldbuße von den Adressaten als Reaktion eigener Art (und nicht nur als abgeschwächte Strafe) verstanden wird.

9

c) Freilich lassen sich Zuordnungsregeln nennen, nur knüpfen sie sämtlich an quantifizierbare Kriterien a n : (aa) N o r m e n , deren Bruch hauptsächlich durch ein Verhalten geschieht, das sich vom Sozialadäquaten nur wenig unterscheidet (etwa §§ 117 bis 119 O W i G ) , passen besser in den Bereich der Ordnungswidrigkeiten, (bb) tensweisen, auf die per „soziale Kontrolle" nach einem „Interventionsgesetzbuch" zu reagieren sein soll, schlägt Naucke Wechselwirkung S. 40 vor.

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25 Siehe schon Lindemann Gibt es ein eigenes Wirtschaftsstraf recht? 1932; jetzt statt vieler Ttedemann Ö J Z 1972 S. 285 ff, 290.

Abgrenzung von anderen Reaktionen

3. Abschn

Dasselbe gilt für Normen, deren Zweck darin besteht, Fälle mit bagatellhaften Konsequenzen zu erledigen (etwa § 111 OWiG und weite Bereiche der abstrakte Gefährdungen erfassenden Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr 2 6 ), (cc) Eher zu den O r d nungswidrigkeiten gehören ferner bei nicht sonderpflichtigen Tätern diejenigen Verhaltensweisen, die den Staat bei der Verwirklichung der praktisch auswechselbaren Ziele stören. Der Erfolg der Tat wird hier durch „Willkür der Verwaltung" bestimmt; das dürfte der Grundgedanke der Lehre vom besonderen „Verwaltungsunrecht" sein. Bei fixen Zielen liegen Straftaten vor (etwa §§ 138, 153 ff StGB), wenn die N o r m nicht nur Bagatellfällen gilt. Normen, die im Wege des Verwaltungszwangs oder durch Versagung von Vergünstigungen durchgesetzt werden können, bedürfen nicht einmal einer Absicherung durch Bußgeldandrohung 2 7 . d) Eine positive qualitative Auszeichnung der Ordnungswidrigkeiten gibt es nicht. 10 Wohl aber kann bezeichnet werden, was nie Ordnungswidrigkeit sein kann, sondern entweder nur Straftat oder von jeder Ahndung frei: der Bruch der Normen des Kernbereichs, so randunscharf dessen Grenze auch sein mag. Der Kernbereich der gesellschaftlichen und staatlichen Verfassung ist nicht stets durch Strafrechtsnormen abgesichert (etwa Sozialstaatlichkeit wird nicht durch Strafrecht und auch nicht durch Ordnungswidrigkeitenrecht garantiert). Wenn aber eine Garantie erfolgt, muß sie der Art nach so streng sein, wie der Kernbereich fundamental ist. Auch Bagatellfälle der Verstöße gegen diejenigen Normen, die zum Kernbereich gehören, sollten nicht als Ordnungswidrigkeiten erledigt werden, sondern als Straftaten nach einem strafprozessualen Verfahren: Jede Reaktion muß den normativen Zusammenhang berücksichtigen, in dem der Einzelfall steht; dieser normative Zusammenhang reicht bei den Kernnormen stets über den Bagatellbereich des Einzelfalls hinaus; denn auch der im Einzelfall bagatellhafte Bruch einer Kernnorm verletzt ein elementares Prinzip, das zur Definition der Gesellschaft, nicht nur für ihren faktischen Bestand, erheblich ist. Es geht bei diesen Normen um mehr als den Bestand oder den Untergang von Gütern, nämlich um unverzichtbare Teile der Identität der Gesellschaft. Beispiel: Ein Totschlagsversuch in einem minder schweren Fall (§§ 22, 212, 213 StGB), zudem an den Grenzen zum Notwehrexzeß (§33 StGB) etc., mag mit einer geringen Strafe oder sogar nicht mehr zu ahnden sein; aber seine Ahndung mit Geldbuße wie bei falschem Parken oder ruhestörendem Lärm würde die sichere Verankerung des Tötungsverbots im Kernbereich lösen. Daran dürfte eine verfahrensmäßige Zuweisung solcher O r d nungswidrigkeiten zur StPO wenig ändern. Deshalb verbietet sich insbesondere eine Verlagerung der kleinen Eigentums- und Vermögenskriminalität in den Bereich der Ordnungswidrigkeiten, solange das Prinzip des Eigentums- und Vermögensschutzes zum Kernbereich gehören soll 28 . II. D i e Disziplinarmaßnahmen Literatur H. Arndt Der Zweck der Disziplinarstrafe, D Ö V 1966 S. 809 ff; ders. Der disziplinarrechtliche Grundtatbestand, D Ö V 1968 S. 39 ff; E. Barth Dienstbegriff und außerdienstliches Verhalten im Kritisch z u r U m w a n d l u n g des V e r k e h r s s t r a f rechts in O r d n u n g s w i d r i g k e i t e n r e c h t Mattes

ZStW 82 S. 25 ff, 35 ff.

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Z u t r e f f e n d WeberZStXU 92 S. 313 ff, 320 ff, 332 f mit Beispielen f ü r die M i ß a c h t u n g dieser Regel; Hirsch Z S t W 92 S. 218 ff, 2 4 3 ; Vogler Z S t W 90 S. 132 ff, 156; Günther in: 40 J a h r e S. 381 ff, 384 ff. Dreher W e l z e l - F e s t s c h r i f t S. 917 f f , 929 f ; Gün-

ther in: 40 J a h r e S. 381 ff, 391. - A.A. H. Mayer S t r a f r e c h t s r e f o r m S. 65 f ; Peters Z S t W 77 S. 470 f f , 501 ; Baumann J Z 1972 S. 1 ff, 3 ; ders. Z R P 1972 S. 273 f f ; ders. S c h r ö d e r - G e d ä c h t n i s s c h r i f t S. 523 f f , 525 f ; Dencker]Z 1973 S. 144 f f , 150 f ; e h e r a n d e r e r Ansicht a u c h Krümpelmann Bagatelldelikte S. 240 f ; Hirsch ZStW 92 S. 218 ff, 242 f f ; siehe a u c h Kaiser Z S t W 90 S. 877 ff. 55

3. Abschn

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

W e h r - , Disziplinar- und Strafrecht, H o n i g - F e s t s c h r i f t S. 1 ff; / . Baumann Kritische G e d a n k e n zur Disziplinarstrafe, JZ 1964 S. 612 ff; ders. D e r Lichtblick im Disziplinarrecht, JZ 1967 S. 657 f f ; K. Behnke Disziplinarrecht und Strafrecht, Z B R 1963 S. 257 f f ; ders. Bundesdisziplinarordnung, 2. A u f l a g e 1969; H. R. Claussen und W. Janzen Bundesdisziplinarordnung, 5. A u f l a g e 1985; K. Dau D e r Begriff des Dienstvergehens und sein Verhältnis z u m Straftatbestand, DVB1. 1968 S. 62 f f ; ders. Wehrdisziplinarordnung, 2. A u f l a g e 1990; M. Hagedorn V e r b o t der D o p p e l b e strafung n a c h Wehrdisziplinarrecht und (Wehr-)Strafrecht? N J W 1965 S. 9 0 2 ff; H. Köhler, G. Ratz B D O . Bundesdisziplinaranordnung und materielles Disziplinarrecht, 1989; A. Kreuzer A n m e r k u n g z u B V e r f G 27 S. 180 ff, N J W 1970 S. 507 f; R. Kugler Ist das Disziplinarrecht verfassungswidrig? Z B R 1960 S. 33 f f ; F. Ostler N e u e s im Disziplinarrecht, N J W 1967 S. 2 0 3 3 f f ; H. H. Rupp A n m e r k u n g z u B V e r f G 21 S. 379 ff, N J W 1967 S. 1651 f; Eb. Schmidt Strafrecht und Disziplinarrecht, in: D e u t s c h e Landesreferate z u m 3. internationalen K o n g r e ß für Rechtsvergleic h u n g 1950, S. 859 ff; U. Stock Entwicklung und W e s e n der Amtsverbrechen, 1932; W. Thieme V o m W e s e n des Disziplinarrechts, DVB1. 1957 S. 7 6 9 f f ; W. Wiese D e r V e r f a s s u n g s s a t z ne bis in idem — Art. 103 Abs. 3 G G — und das Verhältnis v o n Kriminalrecht und Dienststrafrecht, V e r w A r c h . 56 ( 1 9 6 5 ) S. 203 ff, 3 5 4 ff.

A. Die Notwendigkeit von Disziplinarmaßnahmen 11

1. Organisationen (hier verstanden als Systeme unterhalb von Gesellschaft und Staat), die nicht ersetzt oder ersatzlos aufgelöst werden können, bedürfen einer Garantie der N o r m e n , die zur Erfüllung ihrer Organisationsaufgaben nötig sind. Gegenüber Außenstehenden 2 9 erfolgt die Garantie durch das Strafrecht oder — insbesondere bei Mitwirkungspflichten gegenüber der Verwaltung — durch das Ordnungswidrigkeitenrecht; dabei können die N o r m e n allgemeinen Inhalt haben oder organisationsspezifisch gestaltet sein (wie etwa die N o r m e n der Straftaten des 4. bis 6. Abschnitts des BT des StGB). Auch gegenüber Organisationsangehörigen finden sich — neben den allgemeinen strafrechtlichen N o r m e n — strafrechtlich garantierte organisationsspezifische N o r m e n (etwa die §§ 121, 258 a, 331 ff StGB, §§ 15 ff, 19 ff, 30 ff, 42 ff WStG), freilich ohne daß vom Strafrecht die erforderlichen Garantien auch nur annähernd erschöpfend geleistet würden.

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2 a) Für die praktisch bedeutsamste Klasse von Angehörigen unverzichtbarer O r g a nisationen, f ü r Staatsdiener, sah das preußische ALR von 1794 einen detaillierten Katalog von Strafrechtsnormen vor (§§ 323 ff II 20 ALR), wobei es ein zweckvoll differenziertes Sanktionensystem zuließ, daß die jeweils verhängte Sanktion auch den Bedürfnissen der Verwaltung angemessen ausfiel 3 0 . Gemeinsames Merkmal dieser „Verbrechen der Diener des Staates" war nicht das Angriffsobjekt (die Organisation), sondern der Stand des Täters als Staatsdiener. Diese kriminalrechtliche Lösung des Disziplinierungsproblems wurde schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts aus mehreren Gründen nicht mehr beschritten 3 1 : Den wachsenden Ansprüchen an die Bestimmtheit der Kriminalgesetze konnten die Staatsdienerverbrechen schon bald nicht mehr genügen. Ferner fehlte aufgrund eines gewandelten Verständnisses des Strafrechts (Vergeltung oder Generalprävention durch Vergeltung) ein den Bedürfnissen bei der Verwaltung des Beamtenapparats angepaßtes strafrechtliches Maßregelsystem. Hauptsächlich 29 Die Grenze zwischen einem Außenstehenden und einem Organisationsangehörigen, insbesondere einem solchen zwangsverpflichteter Art, verläuft unscharf; so kann etwa der Zeuge im Gerichtsbetrieb als zwangsweise bestimmter Ad-hoc-Funktionär angesehen werden; siehe §§51, 70 StPO, §§ 380, 390 Z P O , §§ 153 ff StGB.

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Stock Entwicklung S. 145 ff; Eb. Schmidt'm: Lan desreferate S. 859 ff, 865; Wiese VwArch. Bd. 56 (1965) S. 203 ff, 213 f; teils abweichend Behnke ZBR 1963 S. 257 ff, der - bei Unterschieden im Verfahren ansetzend — schon nach dem ALR Strafrecht und Disziplinarrecht scheidet. 31 Stock Entwicklung S. 190 ff, 194 mit Nachweisen; Wiese VwArch. 56 (1965) S. 203 ff, 214 ff.

Abgrenzung von anderen Reaktionen

3. Abschn

aber wandte sich der Blick der Kriminalisten bei den hier in Rede stehenden Delikten vom Täter zum Erfolg: Die „Verbrechen der Diener des Staates" wurden zu „Verbrechen und Vergehen im Amte" gewandelt (28. Abschnitt des BT des preußischen StGB 1851) und konnten hinfort auch von Amtsverwaltern begangen werden, die nicht dem Stand der Staatsdiener angehörten (siehe jetzt § 11 Abs. 1 N r . 2 bis 4 StGB). b aa) Das V a k u u m nach diesem weitgehenden R ü c k z u g des Strafrechts aus dem 13 Personalverhältnis des Beamten füllen seitdem disziplinarrechtliche Regelungen aus. Das Verhältnis dieses Disziplinarrechts zum Strafrecht ist bislang nicht sonderlich überzeugend präzisiert worden. Die Unklarheiten resultieren zum einen aus schon unklaren Zieldefinitionen des Strafrechts und des Disziplinarrechts, die teils auf die völlig falsche Formel gebracht werden: Vergeltung kontra Zweckmäßigkeit. Zudem ist innerhalb des Disziplinarrechts die Bedeutung einer Treueverletzung f ü r die Bestimmung des Organisationsschadens umstritten; dabei handelt es sich um das Problem, inwieweit das Disziplinarvergehen vom alten Standesverbrechen herzuleiten ist. Die Lösung wird dadurch erschwert, daß ausformulierte Disziplinarverfehlungstatbestände fehlen. Die Frage nach dem Zusammenhang von Treueverletzung und Organisationsschaden stellte sich freilich bei denjenigen Organisationen nicht, die ihre Angehörigen zwangsrekrutieren (Schüler, Strafgefangene — siehe §§ 102 ff StVollzG), wenn nicht das Gesetz Gegenteiliges festlegt (Wehrpflichtige, § 1 Abs. 1 Satz 2 und §§ 7, 17 Abs. 2 u. a. m. SoldatenG 3 2 ); sie stellt sich weiterhin bei rahmenmäßig geregelten freien Berufen nicht mit dem N a c h d r u c k wie bei Staatsdienern (Beispiele : Rechtsanwälte, §§ 113 ff BRAO; disziplinarrechtliche, „ehrengerichtliche" Maßnahmen gibt es ferner f ü r Wirtschaftsprüfer, Ärzte, Apotheker u. a. m.). bb) Das System möglicher Reaktionen hängt von der — je nach Organisationsbe- 14 reich unterschiedlichen — Beziehung zwischen den Organisationsangehörigen und der Organisation ab. Bei Zwangsrekrutierung ist Entlassung unvereinbar mit der Organisationsaufgabe (wiederum eine Ausnahme: § 54 Abs. 1 N r . 4 W D O ) . Ansonsten wirkt sie spezialpräventiv sicher, so daß die kognitive Untermauerung, die bei jeder Strafe notwendig ist, im Disziplinarrecht leicht geleistet werden kann. Freiheitsentziehung kommt nur noch in Organisationen in Betracht, bei denen drastische Grundrechtseinschränkungen geläufig sind (§ 22 W D O ; § 103 Abs. 1 N r . 9 StVollzG), so daß das Bild der Organisation durch Gewalt gegen Personen nicht gestört wird (früher auch etwa: studentischer Karzer, Schularrest). — Die folgende Darstellung gilt hauptsächlich dem Disziplinarrecht der Beamten 33 .

B. Die Abgrenzung und die Behandlung von Überschneidungen 1 a) Es ist die Aufgabe von Disziplinarmaßnahmen, das Funktionieren der jeweiligen 15 Organisationen als Subsysteme des Staats gegen Störungen durch Organisationsangehörige sicherzustellen. Disziplinarmaßnahmen sind entweder Übelzufügungen, die zur 32 Siehe dazu aber Hagedom N J W 1965 S. 902 ff, 903. 33 Detailliert gesetzlich geregelt sind in der Regel nur die Disziplinarmaßnahmen und das Verfahren; f ü r Bundesbeamte gilt die B D O in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. 7. 1967, BGBl. I S. 751, 984; f ü r Richter siehe §§ 63 ff, 71 D R i G ; f ü r Staatsanwälte siehe § 122 Abs. 4 Satz 1 D R i G ; siehe für Landesbeamte die entsprechen-

den Landesgesetze. — Die Pflichten, deren Verletzung ein Dienstvergehen ist, also den BT des materiellen Disziplinarrechts, nennen die Beamtengesetze: §§ 52 ff BBG, §§ 35 ff BRRG, und die für Landesbeamte geltenden Landesgesetze; für Richter die §§ 38 ff DRiG. - Die Zurechnungslehre, also neben den Rechtsfolgen das Hauptstück des AT des materiellen Disziplinarrechts, ist nicht gesetzlich ausformuliert.

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3. Abschn

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

Pflichtbefolgung anhalten sollen (Pflichtenmahnung), oder aber Entfernung aus dem Dienst (Reinigungsmaßnahme, Epurierung). Wegen dieser Orientierung der Disziplinarmaßnahmen an den Bestandsbedingungen der Organisation, also wegen ihres offenen Zweckbezugs, wird verbreitet angenommen, Disziplinarmaßnahmen seien ein „Aliud" zu den Strafen 3 4 , woraus folgen soll, daß sie im Gegensatz zur Strafe niemals zur Vergeltung oder Sühne verhängt werden dürften und daß ihre Verhängung neben einer Kriminalstrafe nicht gegen Art. 103 Abs. 3 GG (ne bis in idem) verstoße. 16

b) Diese Argumentation gründet auf einem verfehlten Verständnis der Strafe. Ungeachtet aller Kontroversen ist ausgemacht, daß Strafe der Erhaltung von Ordnung dient (oben 1/17). Es besteht kein Hindernis, das Strafrecht (jedenfalls soweit es Pflichtdelikte regelt) als das vom Staat verwaltete allgemeine Disziplinarrecht der Gesellschaft anzusehen (wobei die Epurierung nur über Sicherungsverwahrung erfolgt, seit Landesverweisung unzulässig ist). Zudem gründet die Argumentation auf einem nicht hinreichend entwickelten Begriff der Disziplinarmaßnahme. Daß diese einem einzigen Zweck dient, heißt nicht, sie sei ein homogenes Mittel, wie ja auch im Strafrecht Strafen und Maßregeln dem einzigen Zweck dienen, die Ordnung zu erhalten, aber inhaltlich und in der Wirkungsweise unterschieden sind.

17

2 a) Daß Disziplinarmaßnahmen neben maßregelähnlichen Reaktionen auch Strafen enthalten müssen, ergibt sich aus ihrer Aufgabe, das Funktionieren der Organisation sicherzustellen. Die Organisierbarkeit des Beamtenapparats ist ohne normative Garantie nicht zu leisten, und die Garantie beschränkt sich nicht auf eine förmliche Mißbilligung des Normbruchs (Verweis, § 6 BDO), sondern erstreckt sich auf Übelszufügungen (Geldbuße, Gehaltskürzung etc., §§ 7 ff BDO). Diese angedrohten Übel werden nicht nur wegen ihrer spezialpräventiven Wirkung zugefügt, sondern zur Bestätigung der Norm. Beispiel: Ein Beamter, der den letzten Monat vor seiner Pensionierung grundlos nicht mehr zum Dienst erscheint, wird nicht von einer Disziplinierung mangels eines Bedürfnisses nach Spezialprävention verschont; denn eine solche Nachsicht würde die Normgeltung tangieren. Daß aber mit der Ubelszufügung keine vergeltende, sondern eine generalpräventive Aufgabe verfolgt wird, gibt keine qualitative Differenz zur Strafe ab (siehe oben 1/15). Eine Straffunktion findet sich selbst bei der Epurierung: Diese wird — insbesondere bei Eigentumsdelikten von Kassenverwaltern und ähnlichen Fällen — nicht erst eingesetzt, wenn die Gefahr weiterer Taten desselben Beamten die Organisation stört, sondern wenn es der Normgeltungsschaden erfordert 3 5 . Die Eigenschaft als Strafe geht auch nicht deshalb verloren, weil die disziplinarische Reaktion zum Ziel hat, das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität der Beamten zu sichern; denn dieses Vertrauen hat auf Dauer nur als Spiegelung der Normgeltung innerhalb der Beamtenschaft Bestand.

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58

H. Arndt D Ö V 1966 S. 809 ff, 811; Thiene DVB1. 1957 S. 769 ff, 773 (irrationale Sühne und Vergeltung bei der Strafe kontra rationale Mittel im Disziplinarrecht!); Wiese VwArch. 56 (1965) S. 203 ff, 354 ff, 368 ff; Behnke-Amdt BDO Einführung A Rdn. 24 ff; Claussen-Janzen B D O Einleitung A Rdn. 4 f f ; Köhler-Ratz BDO Einführung II 3; Maurach-Zipf ATI §1 Rdn. 17 f. — Stock Entwicklung S. 266 ff sieht im Strafrecht Generalprävention, im Disziplinarrecht Spezialprävention. — Nach Eb. Schmidt (in: Landesreferate S. 859 ff, 863) soll auch im

Disziplinarrecht Vergeltung zulässig sein und stattfinden, trotzdem aber „eine qualitative juristische Verschiedenheit der Erscheinungen" vorliegen, da es im Disziplinarrecht nur um die Verletzung des Treueanspruchs gehen soll (aaO S. 866 f, 873). — Zutreffend kritisch zur Tauglichkeit dieser Abgrenzungen Baumann AT § 4 I 4; den. J Z 1964 S. 612 ff, 614 f; den. JZ 1967 S. 657 ff. 35 Siehe die bei Claussen-Janzen B D O Einleitung D Rdn. 3 0 a ff aufgelisteten Entscheidungen.

Abgrenzung von anderen Reaktionen

3. Abschn

b) W e n n auch Disziplinarmaßnahmen neben ihrer Maßregelfunktion die Funktion 18 v o n Strafen (nicht: Kriminalstrafen) haben k ö n n e n 3 6 , so ist d o c h das System der Disziplinarmaßnahmen nicht etwa ein „verkleinertes" System der Strafen und Maßregeln des StGB. Vielmehr hat es aus f o l g e n d e m Grund andere Schwerpunkte: D i e Entfernung aus dem Dienst steht im Disziplinarrecht als absolut sicheres Mittel spezialpräventiver Einwirkung zur V e r f ü g u n g . D i e strafrechtlichen Äquivalente, lebenslange Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung, greifen ungleich tiefer in die Interessen, insbesondere die Rechte, des Belasteten ein; ihre V o r a u s s e t z u n g e n sind deshalb strenger. Beispiel: W e n n die Entfernung aus dem Dienst nur stattfände, w e n n den förmlichen und prognostischen V o r a u s s e t z u n g e n der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) entsprechende Bedingungen gegeben sind, wäre sie praktisch bedeutungslos. Das Disziplinarrecht ist also spezialpräventiv überlegen. D e m entspricht es, daß im Disziplinarrecht der täterorientierte Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens gilt, d. h. mehrere Einzelverfehlungen werden stets in der Person des Täters z u einem insgesamt z u beurteilenden Dienstvergehen g e b ü n d e l t 3 7 . E b e n s o wird täterorientiert nicht z w i s c h e n Versuch und V o l l e n d u n g differenziert 3 8 . 3. Abgesehen v o n der spezialpräventiven Überlegenheit des Disziplinarrechts unter- 19 scheiden sich die kriminalrechtlichen Reaktionen v o n den disziplinarrechtlichen dadurch, daß letztere stets nur die Aufgabe haben, eine bestimmte Organisation f u n k tionsfähig z u erhalten, während das Strafrecht gesellschaftliches Leben insgesamt ermöglichen soll. D a Disziplinarmaßnahmen aber innerhalb ihres beschränkten A u f g a benbereichs s o w o h l Straf- w i e Maßregeleigenschaft haben k ö n n e n , müssen zur Vermeidung einer Doppelbestrafung39 f o l g e n d e Grundsätze gelten :

36 Es ist die Forderung erhoben worden, deshalb Art. 103 Abs. 2 G G anzuwenden ( Kugler ZBR 1960 S. 33 ff, 34; a. A. Dau DVB1. 1968 S. 62 ff, 70; Eb. Schmidt in: Landesreferate S. 859 ff, 867). Voll gesetzlich bestimmte Tatbestände würden den Handlungsspielraum des Dienstherrn bei Einzelweisungen beträchtlich einschränken; Blankette wären wohl möglich. — Eine Beschränkung des Art. 103 Abs. 2 GG auf Strafen, die der Staat kraft seiner allgemeinen Gewalt (nicht: als Dienstherr) verhängt, entspricht der historischen Entwicklung. 37 Behnke-Arndt B D O Einführung Β Rdn. 1 ff; für Soldaten siehe Dau W D O Rdn. 10 f vor § 7 ; siehe auch den Grundsatz der Einheitlichkeit der Verfolgung einer Jugendstraftat, § 31 J G G , siehe ferner unten zur Einheitsstrafe 31/10. 38 Behnke-Arndt B D O Einführung Β Rdn. 10; der Ausschluß der Rücktrittsregeln ist freilich weder bei täterorientierter Begründung der Gleichbehandlung zwingend noch beim Abstellen auf die (schon im Versuchsfall gegebene) Pflichtverletzung. 39 Nach § 14 B D O (entsprechend S 8 Satz 1 W D O ) dürfen neben einer Strafe oder einer Ordnungsmaßnahme die leichteste Disziplinarmaßnahme nicht und eine mittlere nur bei besonderem Bedürfnis verhängt werden. Diese Regelung soll nicht Doppelbestrafungen vermeiden, sondern faktisch überflüssige Disziplinarmaßnahmen. Bei der Ermittlung des „aus den konkreten Umstän-

den des Einzelfalls" zu belegenden Bedürfnissen einer zusätzlichen disziplinarischen Reaktion ist im Zweifelsfall davon auszugehen, daß der Beamte schon die Kriminalstrafe hinreichend beachten wird; BVerwG N J W 1983 S. 1440 f. Die Rechtsprechung argumentiert zu Art. 103 Abs. 3 G G halbherzig: N a c h BVerfG 21 S. 379 ff, 384 (mit ablehnender Anmerkung Rupp N J W 1967 S. 1651 f ) ; 21 S. 391 ff, 403 f sollen Bestrafung und Disziplinierung nach der W D O nebeneinander bestehen können, aber bei einer der Disziplinierung nachfolgenden Bestrafung mit Freiheitsstrafe soll ein Disziplinararrest anzurechnen sein (BVerfG 21 S. 379 ff, 390 f). § 8 Satz 2 W D O legt nunmehr die zwingende Anrechnung „anderer Freiheitsentziehung" auf Disziplinararrest fest. — Eine gegenseitige Anrechnung von Geldstrafe und Geldbuße soll jedoch nicht stattfinden (BVerfG 27 S. 180 ff mit ablehnender Anmerkung Kreuzer N J W 1970 S. 507 f; BVerwG N J W 1970 S. 1860 f). Richtigerweise ist bei nachfolgenden Disziplinarverfahren die Anrechnung davon abhängig zu machen, ob ein disziplinarer Überhang geblieben ist; bei vorweg erfolgendem Disziplinarverfahren ist dessen strafend gemeinte Reaktion im Strafverfahren anzurechnen, wenn die Disziplinierungsgründe zugleich Strafzumessungsgründe sind (so im Ergebnis zutreffend O L G H a m m N J W 1978 S. 1063 {). Ungleichartige Sanktionen sind nach ihrem Wert zu verrechnen. — Größere „Anrech-

59

3. Abschn

1. Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

a) Zu einer Kriminalstrafe kann eine Disziplinarmaßnahme als besondere beamtenrechtliche (nicht nach allgemeinem Strafrecht mögliche) Maßregel ohne Straffunktion hinzukommen, was teils schon kraft Gesetzes erfolgt (§ 48 BBG; § 48 SoldatenG; § 30 WehrpflichtG). b) Soweit ein Disziplinarvergehen nicht als Straftat abzuurteilen ist, kann die Disziplinarmaßnahme auch Straffunktion haben, wenn das zur Erhaltung der Ordnung der Organisation erforderlich ist. c) Problematisch ist einzig, ob eine Kriminalstrafe und eine strafend gemeinte Disziplinarmaßnahme wegen einer Tat zusammentreffen können. Zur Lösung ist darauf abzustellen, ob bei der Zumessung der Kriminalstrafe die besondere Bedeutung des Normbruchs durch den Täter für die betreffende Organisation zu berücksichtigen ist — dann würde eine strafende Disziplinarmaßnahme zur Doppelbestrafung führen —, oder ob die Strafzumessung den Organisationsschaden nicht erfassen kann — dann bleibt ein disziplinarer Uberhang. Art. 103 Abs. 3 GG gilt also auch beim Zusammentreffen von Kriminalstrafe und strafender Disziplinarmaßnahme, wenn der gesamte Komplex kriminalstrafrechtlich erledigt werden kann. Beispiel: Führt ein Beamter im Dienst ein Dienstfahrzeug betrunken im Verkehr (§316 StGB), so gilt das Strafurteil die Gefährdung des Verkehrs allgemein ab, berücksichtigt aber nicht eine mögliche besondere Wichtigkeit des Gefährdungsverbots für die Organisation, die vielleicht auf Kraftfahrzeugverkehr unersetzbar angewiesen ist (Postzustellung) o. ä. Beispiele für die Möglichkeit, den Organisationsschaden schon bei der Zumessung der Kriminalstrafe zu berücksichtigen, bilden neben allen Amtsdelikten insbesondere die bei dienstlicher Gelegenheit begangenen Eigentums- und Vermögensdelikte; als Strafe zu verstehende Disziplinarmaßnahmen sind dann unzulässig. 20

4. Auch Straftaten — wie sonstiges Verhalten — außerhalb des Dienstes können disziplinarrechtliche Konsequenzen haben (§ 77 Abs. 1 Satz 1 BBG), sofern der Beamte durch die Tat die für seine Brauchbarkeit in der Organisation erforderliche „potestas und auctoritas" verscherzt hat 4 0 . Die Maßnahme kann auch als Strafe zu verstehen sein, etwa wenn ein Verweis nicht ausreicht und eine Entfernung aus dem Dienst nicht erforderlich ist; denn die Auswirkung auf das Amt berücksichtigt das Gericht bei der Strafzumessung für außerdienstliche Straftaten nicht. Schwierig ist freilich die Frage zu beantworten, wann eine unabhängig vom Dienst begangene Straftat (oder gar nur Ordnungswidrigkeit) zugleich ein Disziplinarvergehen ist. Nach früherem Verständnis soll der Beamte überhaupt eine erhöhte Pflicht zur Normbefolgung haben 4 1 , die aus dem besonderen Treueverhältnis resultieren soll. Das sind Nachwirkungen der alten Behandlung der Beamten als besonderer Stand. Bei einem funktionsbezogenen Verständnis der Treuepflicht muß eine Beschränkung dahin erfolgen, daß die Straftat den Schluß auf eine Beeinträchtigung der Organisation zuläßt 4 2 . Das darf wiederum nicht durch die diffuse Annahme präsumiert werden, die Allgemeinheit erwarte von Beamten ein in jeder Hinsicht tadelfreies Privatleben oder bei bestimmten Berufsgruppen (Kraftfahrer, Lokomotivführer) seien bestimmte außerdienstliche Straftaten (Trunkenheit im nungsfreundlichkeit" ist nicht rechtsstaatlich vorzugswürdig, da sie die Grenzen der Sanktionen verwischt und zu Übergriffen in den jeweils anderen Aufgabenbereich ermuntert. 40 Diirig in: Maunz-Dürig-Herzog-Scholz Art. 103 Abs. 3 Rdn. 128. 41 N o c h B D H 1 S. 55 ff, 59 ff; B D H ZBR 1962 S. 194 f.

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42 B D H N J W 1966 S. 688 f; BVerwG N J W 1968 S. 858 f (beide Entscheidungen betreffen nur fahrlässige Taten); Behnke-Amdt B D O Einführung Β Rdn. 150; Claussen-Janzen B D O Einleitung C Rdn. 58 c; H. Arndt D Ö V 1966 S. 809 ff; ders. D Ö V 1968 S. 39 ff; Wiese VwArch. 56 (1965) S. 203 ff, 354 ff, 358 ff; Dau DVB1. 1968 S. 62 ff, 68; Barth Honig-Festschrift S. 1 ff mit weiteren Nachweisen.

Abgrenzung von anderen Reaktionen

3. Abschn

Verkehr)* nur-strafrechtlich nicht zu erledigen 4 2 a . Einzelheiten sind Gegenstand des materiellen Disziplinarrechts. 5. Eine disziplinare Pflichtwidrigkeit wird wie ein Pflichtdelikt behandelt; insbeson- 21 dere entfällt dadurch die Differenzierung von Täterschaft und Teilnahme 4 3 (siehe unten 21/115).

III. Die Ordnungs- und Zwangsmittel nach den Prozeßordnungen A. Ordnungsmittel sind Reaktionen auf eine Zuwiderhandlung und sollen die Be- 22 deutung der übertretenen N o r m auf Kosten des Täters (durch Ordnungsgeld oder Ordnungshaft) demonstrieren; es handelt sich also sachlich um Strafen, die freilich — um die Kautelen, denen das Kriminalstrafrecht unterliegt, nicht eingreifen zu lassen, insbesondere auch um das Erfordernis eines Strafverfahrens zur Realisierung des Ordnungsmittels zu vermeiden — nicht Strafen genannt werden sollen (Art. 5 EGStGB). Zweck der Ordnungsmittel ist die Garantie von Normgeltung. Der Zweck der Zwangsmittel ist es hingegen, ein bestimmtes äußerliches Verhalten abzunötigen. Sachlich handelt es sich bei den Zwangsmitteln also — in strafrechtlicher Terminologie — um „bessernde" Maßregeln. Ordnungsmittel sind zur Zweckerreichung stets restlos zu vollstrecken, Zwangsmittel haben schon ihren Zweck erreicht, wenn das abgenötigte Verhalten vollzogen wird; ist letzteres der Fall, bevor das verhängte Zwangsmittel „aufgebraucht" ist, wird der Zwang trotzdem beendet. Beispiel 4 4 : Verweigert ein Zeuge grundlos das Zeugnis, so wird gegen ihn nach dem Maß seiner Pflichtwidrigkeit O r d nungsgeld festgesetzt (für den Strafprozeß siehe § 70 Abs. 1 Satz 2 S t P O ) ; sprechen Gründe dafür, daß der Zeuge bei seiner Weigerung beharrt, ordnet das Gericht Erzwingungshaft an (für den Strafprozeß siehe § 70 Abs. 2 StPO), die (spätestens) endet, wenn der Zeuge aussagewillig wird oder wenn es auf die Aussage nicht mehr ankommt, während das Ordnungsgeld dadurch nicht berührt wird. B. Ordnungsmittel nach den Prozeßordnungen sind das Gegenstück zu den Reak- 23 tionen der Verwaltung auf „Verwaltungsdelikte" (oben 3/1 ff). Sie setzen Verschulden voraus 4 5 . Ergehen sie wegen eines Verhaltens, das zugleich eine Straftat ist, so ist im Strafverfahren die Sanktionierung durch ein Ordnungsmittel anzurechnen 4 6 . Beispiele f ü r Ordnungsmittel: sitzungspolizeiliche Ordnungsmittel nach 5 178 G V G ; Ordnungsmittel wegen einer Zuwiderhandlung gegen Unterlassungs- und Duldungspflichten nach § 890 Z P O (zu Unrecht verbreitet als Erzwingungsmaßnahmen bezeichnet); Ordnungsmittel gegen Beweispersonen, §§ 51, 70 Abs. 1, 77, 95 Abs. 2 StPO, §§ 380, 390 Abs. 1,409 Z P O . C. Der Grundfall f ü r die Anwendung von Zwangsmitteln ist die Erzwingung unver- 24 tretbarer Handlungen nach § 888 Z P O . Ob das den Zwang veranlassende Unterlassen voll zurechenbar sein muß, hängt davon ab, ob der Anspruch nur auf eine zurechenbare Leistung geht oder nicht. Die Vermeidbarkeit (Vorsätzlichkeit oder Fahrlässigkeit) des veranlassenden Unterlassens ist Mindestvoraussetzung. Weitere Beispiele: Erzwingung von Beweisleistungen, § 7 0 Abs. 2 StPO, § 390 Z P O ; Erzwingung der 42a

BVerwG N J W 1983 S. 1440; O V G Münster N J W 1987 S. 2034 f, 2035; auch noch BVerwG N J W 1984 S. 504 f; zu pauschal BVerwG 76 S. 371 ff. 43 Behnke-Amdt B D O Einführung Β Rdn. 11. 44 Nach R G 57 S. 29 ff. 45 BVerfG 58 S. 159 ff, 162 f (zu § 890 Z P O ) ; schon BVerfG 20 S. 323 ff, 332 (§ 890 Z P O

a. F.). — Verschulden ist streitig f ü r § 177 G V G ; KK-Mayr% 177 G V G Rdn. 5 mit Nachweisen; die Vorschrift kann — entgegen dem Wortlaut — als Regelung unmittelbaren Zwangs verstanden werden. 46 O L G Saarbrücken N J W 1968 S. 1687 f ; LKTröndle Rdn. 70 vor § 38.

61

3. A b S C h n

I · Buch. 1. Kapitel. Staatliches Strafen

Herausgabe von Gegenständen, die zu beschlagnahmen sind, § 9 5 Abs. 2 S t P O ; Erzwingung einer eidesstattlichen Versicherung im zivilprozessualen Vollstreckungsverfahren, § 901 Z P O ; Erzwingung der Zahlung von Geldbußen wegen einer Ordnungswidrigkeit, § 96 OWiG.

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2. KAPITEL Der Grundsatz der Gesetzesbindung und die Geltung des Strafrechts 4. ABSCHNITT Die Gesetzesbindung und die zeitliche Geltung I. Die Funktion des Grundsatzes der Gesetzesbindung Literatur A. Arndt (Vermischtes), N J W 1961 S. 14 ff; ders. (Vermischtes), N J W 1964 S. 1310 ff; den. Zum Problem der strafrechtlichen Verjährung, JZ 1965 S. 145 ff; / Baumann Rechtmäßigkeit von Mordgeboten? N J W 1964 S. 1398 ff; den. Der Aufstand des schlechten Gewissens, 1965; L. v. Bar Gesetz und Schuld im Strafrecht Bd. I, 1906; G. Bemmann Zur Frage der nachträglichen Verlängerung der Strafverfolgungsverjährung, JuS 1965 S. 333 ff; E. Benda V e r j ä h r u n g und Rechtsstaat, 2. Auflage 1965; H. Bindokat Teleologie und Analogie im Strafrecht, J Z 1969 S. 541 ff; P. Bockelmann Richter und Gesetz, Smend-Festgabe S. 23 ff; ]. Bohnert Paul Johann Anselm Feuerbach und der Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht, 1982; G. Bopp Die Entwicklung des Gesetzesbegriffes i. S. des Grundrechts „Nulla poena, nullum crimen sine lege", 1966; F. CalvelliAdorno Die Verlängerung der Verjährungsfrist f ü r die Strafverfolgung von Verbrechen, die mit lebenslangem Zuchthaus bedroht sind, N J W 1965 S. 273 ff; W. Class Generalklauseln im Strafrecht, Eb. Schmidt-Festschrift S. 122 ff; P. J. A. Feuerbach Revision der Grundsätze und Grundbegriffe des positiven peinlichen Rechts Teil I, 1799; G. Frost Die V e r j ä h r u n g bei NS-Verbrechen, DRiZ 1965 S. 89 ff; G. Grünwald Zur Kritik der Lehre vom überpositiven Recht, 1971; den. Bedeutung und Begründung des Satzes „nulla poena sine lege", Z S t W 76 S. 1 ff; den. Zur verfassungsrechtlichen Problematik der rückwirkenden Änderung von Verjährungsvorschriften, M D R 1965 S. 521 ff; ders. Anmerkung zu BVerfG, JZ 1976, S. 766 f, a a O S. 767 ff; H. L. Hart Recht und Moral, 1971; E. Jantsch Das strafrechtliche Verjährungsproblem, DRiZ 1968 S. 196 ff; H.Jung Rückwirkungsverbot und Maßregeln, Wassermann-Festschrift S. 875 ff; U. Klug Die Verpflichtung des Rechtsstaats zur Verjährungsverlängerung, J Z 1965 S. 149 ff; G. Kohlmann Der Begriff des Staatsgeheimnisses und das verfassungsrechtliche Gebot der Bestimmtheit von Strafvorschriften, 1969; M. KrahlOie Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs zum Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht (Art. 103 Abs. 2 GG), 1986; V. Krey Studien zum Gesetzesvorbehalt im Strafrecht, 1977; ders. Keine Strafe ohne Gesetz, 1983; ders. Parallelitäten und Divergenzen zwischen strafrechtlichem und öffentlichrechtlichem Gesetzesvorbehalt, Blau-Festschrift S. 123 ff; K.-L. Kunz Das strafrechtliche Bagatellprinzip, 1984; H.-P. ¿ewme/Unbestimmte Strafbarkeitsvoraussetzungen im Besonderen Teil des Strafrechts und der Grundsatz nullum crimen sine lege, 1970; W. LewaldOzs Dritte Reich — Rechtsstaat oder Unrechtsstaat? N J W 1964 S. 1658 ff; F. v. Liszt Uber den Einfluß der soziologischen und anthropologischen Forschungen auf die Grundbegriffe des Strafrechts, in: ders. Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge Bd. II, 1905, S. 75 ff; M. Lorenz Strafrechtliche V e r j ä h r u n g und Rückwirkungsverbot, GA 1968 S. 300 ff; K. Lüderssen Politische Grenzen des Rechts — rechtliche Grenzen der Politik, in: ders. Kriminalpolitik auf verschlungenen Wegen, 1981, S. 143 ff; G.-A. MangakisÜ ber die Wirksamkeit des Satzes „nulla poena sine lege", ZStW 81 S. 997 ff ; Κ. Marxen Strafgesetzgebung als Experiment? GA 1985 S. 533 ff; H. MayerOie gesetzliche Bestimmtheit der Tatbestände, Materialien zur Strafrechtsreform Bd. I, S. 259 ff; /. Meyer-Ladewig Der Satz „nulla poena sine lege" in dogmatischer Sicht, M D R 1962 S. 262 ff; A. MichaelOer Grundsatz in dubio pro reo im Strafverfahrensrecht, 1981; W. Naucke Rechtspolitische Vorentscheidungen bei der Diskussion einer Verlängerung von Verjährungsfristen für NS-Verbrechen, Z R P 1969 S. 8 ff; ders. Die Aufhebung des strafrechtlichen Analogieverbots 1935, in: NS-Recht in historischer Perspektive,

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4. AbSChn

l . Buch. 2. Kapitel. Gesetzesbindung. Geltung des Strafrechts

1981, S. 71 ff; M. Pawlowski Zur Rückwirkung von Gesetzen, N J W 1965 S. 287 f; den. Der Stand der rechtlichen Diskussion in der Frage der strafrechtlichen Verjährung, N J W 1969 5. 594 f; B. PierothOer rückwirkende Wegfall des Strafantragserfordernisses, JuS 1977 S. 394 ff; /. PföhlerZur Unanwendbarkeit des Rückwirkungsverbots im Strafprozeßrecht in dogmenhistorischer Sicht, 1988; A. Ransiek Gesetz und Lebenswirklichkeit, 1989; K. Redeker Bewältigung der Vergangenheit als Aufgabe der Justiz, N J W 1964 S. 1097 ff; A. Roesen Rechtsfragen der Einsatzgruppen-Prozesse, N J W 1964 S. 133 ff; ders. Nochmals: Rechtsfragen der Einsatzgruppen-Prozesse, N J W 1964 S. 1111 f; H.-J. Unrechtsbewußtsein, Verbotsirrtum und Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums, 1969; H. Rüping Nullum crimen sine culpa. Zur Diskussion um das Analogieverbot im Nationalsozialismus, Oehler-Festschrift S. 27 ff; W. Sax Grundsätze der Strafrechtspflege, in : K. A. Bettermann, H. C. Nipperdey, U. Scbeuner (Hrsg.) Die Grundrechte Bd. III (2), 2. Auflage 1972, S. 909 ff; H. SeegerÜber die rückwirkende Kraft neuer Strafgesetze, 1862; R. Schmid N a c h w o r t zum Streit um die Verlängerung der Verjährungsfrist f ü r NS-Verbrechen, N J W 1965 S. 1952 f; R. Schmitt Der Anwendungsbereich von § 1 Strafgesetzbuch (Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz), Jescheck-Festschrift S. 223 ff; G. SchöckelOie Entwicklung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots bis zur französischen Revolution, 1968; A. Schottlaender Die geschichtliche Entwicklung des Satzes: Nulla poena sine lege, 1911; H.-L. Schreiber Zur Zulässigkeit der rückwirkenden Verlängerung von Verjährungsfristen früher begangener Delikte, ZStW 80 S. 348 ff; den. Gesetz und Richter, 1976; B. Schünemann Nulla poena sine lege? 1978; den. Ungelöste Rechtsprobleme bei der Bestrafung nationalsozialistischer Gewalttaten, Bruns-Festschrift S. 223 ff; H. Schultz Internationalstrafrechtliche Spiele, Tröndle-Festschrift S. 895 ff; K. Yiedemann Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht, 1969; M. Waibltnger Die Bedeutung des Grundsatzes „nullum crimen sine lege" f ü r die Anwendung und Fortentwicklung des schweizerischen Strafrechts, in: Festgabe f ü r den schweizerischen Juristenverein, 1955, S. 212 ff; G. Warda Dogmatische Grundlagen des richterlichen Ermessens im Strafrecht, 1962; R. Wassermann (Vermischtes), J R 1965 S. 222 ff; H. v. Weber Zur Geschichte der Analogie, ZStW 56 S. 653 ff; H. Welzel Gesetzmäßige Judentötungen? N J W 1964 S. 521 ff; H. Woesner Generalklausel und Garantiefunktion der Strafgesetze, N J W 1963 S. 273 ff; H. A. ZachariaeOber die rückwirkende Kraft neuer Strafgesetze, 1834.

A. Der Meinungsstand 1

l a ) D e r in A r t . 103 Abs. 2 G G u n d g l e i c h l a u t e n d in § 1 S t G B (siehe a u c h A r t . 7 Abs. 1 M R K ) positivierte G r u n d s a t z der G e s e t z e s b i n d u n g g e h ö r t zu denjenigen N o r m e n , d e r e n I n t e r p r e t a t i o n so z u g e s p i t z t w e r d e n k a n n , d a ß sie a n d e r P r a x i s s c h e i t e r n m ü s s e n o d e r die P r a x i s a n i h n e n s c h e i t e r n m u ß . E i n e n i c h t a n d e r R e i n h e i t d e r I d e e , sondern an der praktischen Effektivität der N o r m orientierte Interpretation hat von v o r n h e r e i n f o l g e n d e n Z u s a m m e n h a n g z u b e r ü c k s i c h t i g e n : Ein m a x i m a l e s B e s t i m m t heitsverlangen ü b e r f o r d e r t jede — nicht utopische — Gesetzgebungs- und Auslegungsp r a x i s . D e s h a l b w i r d d e r G r u n d s a t z bei e i n e m m a x i m a l e n V e r l a n g e n z u einer b l o ß e n „ l e i t e n d e n I d e e " 1 o h n e V e r b i n d l i c h k e i t im E i n z e l f a l l v e r k o m m e n . O p t i m a l e E f f e k t i v i t ä t stellt sich n u r ein, w e n n d a s B e s t i m m t h e i t s v e r l a n g e n n u r ( a b e r a u c h ) so h o c h a n g e s e t z t w i r d , d a ß es d i e P r a x i s kritisiert, o h n e sie im g r o ß e n u n d g a n z e n z u d e s a v o u i e r e n . S c h o n aus diesem simplen B e f u n d k a n n geschlossen w e r d e n , d a ß der Bestimmtheitsg r u n d s a t z nicht d u r c h das ganze Strafrecht dasselbe M a ß an Strenge aufweisen k a n n : G e m e s s e n a n d e m im B T bei d e r T a t b e s c h r e i b u n g e r r e i c h b a r e n S t a n d a r d w ä r e n n i c h t n u r weite Teile der Rechtsfolgenbestimmungen verfassungswidrig unbestimmt, s o n d e r n a u c h die h a u p t s ä c h l i c h e n V o r s c h r i f t e n d e r Z u r e c h n u n g s l e h r e des A T .

2

b ) D i e g e b r ä u c h l i c h e n l a t e i n i s c h e n F o r m u l i e r u n g e n des G r u n d s a t z e s d e r G e s e t z e s b i n d u n g — n u l l a p o e n a sine lege ( s c r i p t a , stricta, p r a e v i a , c e r t a ) , n u l l a p o e n a sine 1 So tendenziell Sax in: Grundrechte Bd. III (2) S. 909 ff, 998 ; Bockelmann Smend-Festgabe S. 23 ff; Meyer-Ladewig MDR 1962·

64

S. 262 ff, 264; siehe hierzu auch Schünemann Nulla poena S. 8 ; Krabi Rechtsprechung S. 4 f.

G e s e t z e s b i n d u n g und zeitliche G e l t u n g

4. Abschn

crimine, nullum crimen sine poena legali — stammen von Feuerbach2, der sie als Element seiner Straftheorie (Strafandrohungstheorie) entwickelt: Die Generalprävention durch „psychologischen Zwang" soll um so effektiver wirken, je genauer die Tat und das angedrohte Strafübel bestimmt sind 3 . Bedeutsamer als diese straftheoretische Herleitung ist freilich die staatstheoretische Fundierung im Rechtsdenken der Aufklärung: Ein Gebrauch der Handlungsfreiheit ohne die Gefahr, bestraft zu werden, ist nur bei gegebener Vorab-Bestimmung des Strafbaren möglich und die Sicherung vor — insbesondere richterlicher — Willkür ist nur gewährleistet, wenn die Vorab-Bestimmung im Einklang mit dem Vernünftigen (Montesquieu) oder allgemein Gewollten (Rousseau) erfolgt, eben als Gesetz 4 . 2 a) Für das gegenwärtige Recht werden dem Grundsatz unterschiedliche Funktio- 3 nen zugesprochen 5 . So wird behauptet, der Grundsatz spezifiziere das Schuldprinzip; denn von einer „bewußten oder vorwerfbar unbewußten Fehlentscheidung" sei nur zu sprechen, wenn „zum Zeitpunkt der Tatentscheidung ihr Richtpunkt: das den U n rechtstatbestand spezifizierende Strafgesetz, bereits vorhanden gewesen" sei 6 . — D a mit läßt sich freilich weder erklären, weshalb die Bestimmtheit gerade gesetzlich erfolgen noch weshalb sie auch Strafbarkeit und Strafmaß umfassen soll 7 (was auch teils ausgeschlossen wird). V o r der offenen Berücksichtigung des Zusammenhangs v o n Verbotsirrtum und Schuld mag es notwendig gewesen sein, im Irrtumsfall eine dogmatisch sonst nicht zu begründende Schuldlosigkeit mit Hilfe des Grundsatzes der Gesetzesbindung darzutun 8 . Die Verbindung des Schuldgrundsatzes mit der Gesetzesbindung wird aber heute von den Regeln des Verbotsirrtums (§ 17 StGB) geleistet 9 , so daß der Grundsatz der Gesetzesbindung von dieser Nebenfunktion entlastet werden kann.

2 Lehrbuch · (1801) § 24. 3 Feuerbach Revision S. 44 ff; den. Lehrbuch §5 8 ff, 20. Siehe dazu Bohnert Feuerbach S. 13; Pföhler Unanwendbarkeit S. 246 ff. Eingehender oben 1/27. 4 Zur Geschichte umfassend Schreiber Gesetz und Richter S. 17 bis 208; siehe ferner ders. ZStW 80 S. 348 ff, 351 ff; Schöckel Entwicklung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots S. 5 ff; Pföhler Unanwendbarkeit S. 185 ff; für die Zeit seit dem Ende des 18. Jahrhunderts Bopp Entwicklung des Gesetzesbegriffs passim; Krey Keine Strafe Rdn. 1 ff; aus der älteren Literatur Zachariae Über die rückwirkende Kraft; Seeger Über die rückwirkende Kraft; v. Bar Gesetz und Schuld Bd. IS. 9 ff; vollständige Nachweise bei Schreiber aaO S. 233 ff. 5 Eine straftheoretische Begründung wie bei Feuerbach findet sich nicht mehr. Freilich will Schürtemann Nulla poena S. 13 f zwischen Bereichen von Norminternalisierung durch Sozialisation und anderen Bereichen unterscheiden, bei denen erst eine „Konfrontation mit der Strafdrohung einen Präventionseffekt auslöst". Die Bereiche dürften allerdings subjektiv je unterschiedlichen Zuschnitt haben; etwa Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung können je nach dem potentiellen Täter wegen der Tabuierung oder wegen der Strafdrohung unterbleiben. Hauptsächlich aber

ist — wie gegen Feuerbach — zweierlei einzuwenden. Erstens ist die Verbindung von Androhungsprävention und Bestimmtheit eine psychologisierende Spekulation; daß die präzise Drohung stärker wirkt als die pauschalierende oder vage D r o hung wirken, ist empirisch nicht belegt. Zweitens ist die Beschränkung der Bestimmtheit auf präventiv bedeutsame Umstände zu eng (nicht erfaßt werden etwa eine nicht allzu krasse Erhöhung der Sanktion oder eine Verlängerung der Verjährung). Sax in: Grundrechte Bd. III (2) S. 909 ff, 998 f; ähnlich Dürig in: Maunz-Dürig-Herzog-Scholz Art. 103 Rdn. 104; Bockelmann Niederschriften Bd. III S. 288 ; Bopp Entwicklung des Gesetzesbegriffs S. 145 ff; Rudolphi Unrechtsbewußtsein S. 98 (anders aber jetzt SK-Rudolphi% 1 Rdn. 2). 7 Zutreffend kritisch Schreiber Gesetz und Richter S. 211 f; ders. ZStW 80 S. 348 ff, 360; Grünwald ZStW 76 S. 1 ff, 12. 8 Siehe die bei Schreiber Gesetz und Richter S. 211 genannte ältere Literatur. 9 Das erkennt auch Sax in : Grundrechte Bd. III (2) S. 909 ff, 998 ; aber die von ihm beschworene Differenz zwischen dem Regelungsgegenstand von § 17 StGB und dem „Unrechtstatbestand" als „Richtpunkt" der „Tatentscheidung" bleibt durchaus diffus.

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4. AbSChn

I · B u c h . 2. Kapitel. Gesetzesbindung. Geltung des S t r a f r e c h t s

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b) Die Verbindung des Grundsatzes der Gesetzesbindung mit demokratischen Prinzipien^0 ist nur für Teile des Grundsatzes ergiebig; denn Eingriffe von dem Gewicht strafrechtlicher Sanktionen bedürfen in einer Demokratie zwar möglichst unvermittelter demokratischer Legitimation 11 — insoweit besteht eine Verbindung mit den Prinzipien der jeweiligen Staatsform, hier also mit demokratischen Prinzipien —, ohne daß sich jedoch schon daraus ein Verbot rückwirkender Bestimmungen des Strafbaren oder des Strafmaßes oder die Verbote unbestimmter Gesetze oder nicht allgemein geltender Strafbarkeitsbedingungen ergäben. Die Probleme der Gesetzesrückwirkung, Gesetzesbestimmtheit und der Trennung von allgemeinem Gesetz und Einzelakt sind nicht demokratiespezifisch.

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c) Wenig erhellend wirkt auch die Verknüpfung des Grundsatzes der Gesetzesbindung mit der Gewaltenteilung11. Ein in idealer Weise bestimmtes Gesetz, bei dessen Anwendung der Richter im Sinne Montesquieus nur als „bouche qui prononce les paroles de la loi" 1 3 fungiert, führt — wie schon Montesquieu ausführt — überhaupt nicht zur Gewaltenteilung, sondern zur völligen Unterordnung der Judikative unter die Legislative. Wenn in der neueren methodologischen Literatur die Unmöglichkeit einer idealen Bestimmtheit und dementsprechend ein genuin richterlicher Anteil an der Normbestimmung für den Einzelfall hervorgehoben wird, so ergibt sich erst durch diese „Entdeckung" des richterlichen Anteils der Befund eines Zustands der Gewaltenteilung. — Für das Rückwirkungsverbot gibt die Gewaltenteilung überhaupt nichts her: Das Verbot trifft jede Gewalt 1 4 .

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d aa) Verbreitet wird die Funktion des Grundsatzes der Gesetzesbindung im Vertrauensschutz als einer notwendigen Komponente des Rechtsstaats gesucht 15 . Die Richtigkeit dieses Ansatzes wird hier nicht bestritten. Handlungsfreiheit hat nur dort vollen Wert, wo keine Gefahr besteht, daß in nicht kalkulierbarer Weise belastende Folgen an das Verhalten geknüpft werden. Deshalb ist das Vertrauen eines rechtstreuen Bürgers schützenswert, sein Verhalten werde nicht nachträglich als Unrecht definiert. Aber dieses Vertrauen kann den Grundsatz in doppelter Hinsicht nicht allein tragen.

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bb α) Zum einen korrespondiert mit dem schützenswerten Vertrauen des Rechtstreuen in die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens nicht auch ein schützenswertes Vertrauen des Rechtsuntreuen, nur mit den zur Tatzeit gesetzlich angedrohten Sanktionen belegt zu werden. Das wird mittelbar dadurch ganz überwiegend anerkannt, daß zur 10

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Grünwald ZStW 76 S. 1 ff, 14; Krey Blau-Festschrift S. 123 ff, 130, 132 (aber nicht für das Rückwirkungsverbot); Ransiek Gesetz S. 40 ff; siehe auch Schiinemann Nulla poena S. 11. Ferner muß bei diesen Eingriffen die „Einheitlichkeit der staatlichen Willensbildung" garantiert sein; H. Mayer Materialien Bd. IS. 259 ff, 274. Siehe dazu Grünwald ZStW 76 S. 1 ff, 14; Krey Blau-Festschrift S. 123 ff, 130. — So jetzt aber das BVerfG 73 S. 206 ff, 235 : Es soll „sichergestellt werden, daß der Gesetzgeber über die Strafbarkeit entscheidet". De l'esprit des lois X I 6. Schreiber Gesetz und Richter S. 219. — Binding Handbuch S. 25 leitet aus der Gewaltenteilung die Pflicht des Richters zur rückwirkenden Anwendung neuer Gesetze her; denn den Richter soll nach Binding stets das neueste Gesetz binden, um die Situation einer Entscheidung zwischen zwei Gesetzen nicht erst aufkommen zu lassen;

siehe dagegen Schocket Entwicklung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots S. 73; SchreiberGesetz und Richter S. 219. 15 BVerfG 13 S. 215 ff, 223 f; 13 S. 262 ff, 271; 14 S. 288 ff, 297; 15 S. 313 ff, 324; 25 S. 269 ff, 290 f; 26 S. 41 ff, 42; 37 S. 201 ff, 207; 47 S. 109 ff, 120; 48 S. 48 ff, 56; BVerfG J Z 1981 S. 741 ff, 742; BVerfG 73 S. 206 ff, 234 ff; BVerfG NStZ 1987 S. 450; 1990 S. 238 f; siehe auch BVerfG N J W 1984 S. 225 f; CalvelliAdorno N J W 1965 S. 273 ff, 274; Klug J Z 1965 S. 149 ff, 151; Sax in: Grundrechte Bd. III (2) S. 909 ff, 998 f; Warda Grundlagen S. 43 ff; Class Eb. Schmidt-Festschrift S. 122 ff, 137 f; Kohlmann Begriff des Staatsgeheimnisses S. 252 ff; Krey Studien S. 207; Tiedemann Tatbestandsfunktionen S. 193 f; Woesner N J W 1963 S. 273 ff; siehe auch Schocket Entwicklung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots S. 66.

G e s e t z e s b i n d u n g und zeitliche G e l t u n g

4. Abschn

Schuld Kenntnis oder Erkennbarkeit des Unrechts, aber nicht der Strafbarkeit, noch weniger des Strafmaßes gefordert wird ; bei gegebener Kenntnis oder Erkennbarkeit des Unrechts wird ein Vertrauen in die Straflosigkeit also nicht geschützt 16 . Auch soweit diese Lehre einzuschränken ist (unten 19/23), geht es nur um Kenntnis oder Erkennbarkeit der Strafe oder der Strafhöhe als Indiz für das Gewicht des Unrechts, nicht aber als verbindliche „Preisauszeichnung" für böse Taten. Ein Irrtum des Täters läßt sich im Rahmen der Tatzurechnung berücksichtigen und bedarf keiner sonstigen Absicherung. Schon die Lozierung des hiesigen Problems außerhalb der Zurechnung zeigt, daß die Täterpsyche (Vertrauen) nicht der rechte Ansatzpunkt ist: Wenn der Grundsatz der Gesetzesbindung die „magna charta des Verbrechers" ist 17 , so doch nicht deshalb, um dem „Verbrecher" die Verhaltenskonsequenzen im Detail kalkulierbar zu gestalten, ja überhaupt nicht seinetwegen. ß) Zum anderen, und das wiegt schwerer, sind nicht alle erforderlichen Bedingungen 8 eines Rechtsstaats Gegenstand eines Vertrauens potentieller Täter; denn ein Rechtsstaat erschöpft sich nicht in dçn Garantien, auf die es einem potentiellen Täter legitimerweise ankommt. Es geht vielmehr darum, daß der Staat Normvertrauen auf lange Sicht und in diesem Sinn generalisiert zu erhalten trachtet; dabei mag er im Einzelfall auf Mittel allein deshalb verzichten, weil deren genereller Nichtgebrauch vorzugswürdig ist. Die Garantie ausnahmsloser Bindung rangiert dann höher als die Zweckmäßigkeit des Vorgehens bei der Erledigung eines Einzelfalls. Der Grundsatz der Gesetzesbindung führt bei diesem Verständnis stets dann, wenn eine Entscheidung seinetwegen fällt, zu einer unbefriedigenden Lösung des Einzelfalls; denn die Strafbarkeit kann nur in denjenigen Fällen speziell an dem Grundsatz scheitern, in denen sie ansonsten angebracht ist. Fälle sowieso dubioser Strafbarkeit erledigen sich schon ohne Blick auf die Gesetzesbindung. Der Grundsatz produziert also Einzelfall«ngerechtigkeit 18 (zugunsten der Täter), um die Bindung des Staats generell zu festigen.

B. Die Gesetzesbindung als Objektivitätsgarantie Die Bindung, um die es geht, soll Objektivität garantieren : Das strafbare Verhalten 9 und das Strafmaß sollen nicht unter dem Eindruck geschehener, aber noch abzuurteilender Taten und nicht als Mittel gegen schon bekannte Täter bestimmt werden, sondern vorab und allgemein gültig, eben durch ein vor der Tat erlassenes, bestimmtes Gesetz 19 . Das Prinzip umfaßt alle Strafbarkeitsvoraussetzungen und ist nicht auf den Bereich des Zurechenbaren (sowie der unstreitig erfaßten nur-objektiven Bedingungen und der rollenbezogenen Ausnahmen von der Strafbarkeit, unten 10/1 ff, 15 ff) beschränkt: Insbesondere muß auch die Verjährung gesetzlich bestimmt sein und darf nicht rückwirkend verlängert werden, sei die Frist vor dem Verlängerungsakt abgelau16

Grünwald ZStW 76 S. 1 ff, 12 f ; ders. MDR 1965 S. 521 ff, 523; Waiblinger Juristenvereins-Festgabe S. 212 ff, 228; Schreiber Gesetz und Richter S. 214 f. 17 v. Liszt Aufsätze und Vorträge Bd. II S. 75 ff, 80. 18 So zutreffend LKb-Nagler Anm. I 2 zu § 2 StGB in der seit 1935 geltenden, den Grundsatz der Gesetzesbindung aufhebenden Fassung. — Siehe ferner zu § 2 StGB a. F. Naucke in: NS-Recht S. 71 ff; Rüping Oehler-Festschrift S. 27 ff, 41 f. 19 Schreiber Gesetz und Richter S. 213 ff; den. ZStW 80 S. 348 ff, 362 ff mit zahlreichen Nachweisen; Grünwald M D R 1965 S. 521 ff, 523;

Marxen GA 1985 S. 533 ff, 545 ff; siehe ferner Arndt N J W 1961 S. 14 ff; den. JZ 1965 S. 145 ff, 147 f; Baumann Aufstand S. 12 ff; Waiblinger Juristenvereins-Festgabe S. 212 ff, 228; Mangakis ZStW 81 S. 997 ff, 1006; Lemme! Unbestimmte Strafbarkeitsvoraussetzungen S. 160; Pawlowski N J W 1965 S. 287 f; Jung Wassermann-Festschrift S. 875 ff, 884 (objektives Vertrauen); siehe auch BVerfG N J W 1984 S. 225: „spezielle Ausgestaltung des Willkürprinzips". — Scharf dagegen bei subjektiv-historischer Interpretation Pföhler Unanwendbarkeit S. 288 ff.

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4. AbSChn

I · Buch. 2. Kapitel. Gesetzesbindung. Geltung des Strafrechts

fen oder nicht 2 0 . D e r psychologisierende Vertrauensaspekt verleitet zu der Annahme, die Verjährung sei kein Gegenstand des Grundsatzes der Gesetzesbindung, da sie in der Täterkalkulation keine Rolle und erst recht keine schützenswerte Rolle spiele. Aber darauf kommt es nicht an; vielmehr entscheidet, daß der Staat bei einer Verlängerung der Verjährungsfrist (oder bei einer verlängernden Festlegung der Verjährungsberechnung oder einer Erleichterung der Verjährungsunterbrechung etc.) seine Strafbefugnis erweitert, und zwar bei gewollter Rückwirkung auch unter dem Eindruck der schon geschehenen, aber noch abzuurteilenden Taten (wieso sonst Rückwirkung?). Entsprechendes gilt für das Erfordernis eines Strafantrags oder einer Verfolgungsermächtigung, das nicht rückwirkend gestrichen werden darf 2 1 . Auch die Einstellungsmöglichkeit nach den §§ 153, 153a S t P O darf nicht rückwirkend beschnitten w e r d e n 2 1 3 . Das Prinzip der Gesetzesbindung endet bei den N o r m e n der Gerichts- und Verfahrensorganisation 2 2 , umfaßt freilich noch die Garantien für einen objektiven Ablauf, die nicht rückwirkend verengt, sondern allenfalls durch funktionale Äquivalente ersetzt werden dürfen. — Die Grenze ist in Einzelheiten bislang nicht hinreichend geklärt 2 3 . D a die Unterscheidung von materiellem Recht und Prozeßrecht ohne Vorannahmen vom Sehr streitig; da rechtsstaatliche Regeln nur dann im großen und ganzen effektiv sind, wenn sie auf Ereignisse angewendet werden, die in einem Rechtsstaat möglich sind, ist es nicht zufällig, daß die Verjährungsfristen gerade bei der Verfolgung von nationalsozialistischen Verbrechen erhebliche Lücken der Verfolgbarkeit bewirkten (zur freilich auch mangelnden Intensität der Verfolgung siehe Baumann Aufstand S. 5 ff). Die Lösung, Art. 103 Abs. 2 GG und § 1 StGB insoweit durch ein verfassungsänderndes Gesetz zu suspendieren, wurde zugunsten einer Manipulation der Verjährungsfristen verworfen. Seitdem sieht die mit Billigung des Bundesverfassungsgerichts praktizierte Garantie der Gesetzesbindung so aus, daß die Verjährung bei noch laufenden Fristen restlos rückwirkend gehindert werden kann, während etwa die Strafdrohung (zutreffend!) auch nicht um einen einzigen Tagessatz Geldstrafe rückwirkend erhöht werden darf: BVerfG 25 S. 269 ff, 286 ff (betrifft das Berechnungsgesetz vom 13. 4. 1965, BGBl. I S. 315); CalvelliAdorno N J W 1965 S. 273 ff; Benda Verjährung und Rechtsstaat S. 24; Bemmann JuS 1965 S. 333 ff; Frost DRiZ 1965 S. 89 ff; Naucke Z R P 1969 S. 8 ff; Klug JZ 1965 S. 149 ff; Wassermann JR 1965 S. 222 ff; Schmitt Jescheck-Festschrift S. 223 ff, 230; Pföhler Unanwendbarkeit S. 294; AK-Hassemer § 1 Rdn. 63; Dürig in : Maunz-Dürig-Herzog-Scholz Art. 103 Rdn. 109 und die überwiegende Ansicht. — Wie hier grundlegend Schreiher ZStW 80 S. 348 ff, 359 ff; Grünwald MDR 1965 S. 521 ff; siehe ferner Arndt N J W 1961 S. 14 ff; den. JZ 1965 S. 142 ff; Jantsch DRiZ 1968 S. 196 ff; Lorenz GA 1968 S. 300 ff; R. Schmid N J W 1965 S. 1952 f; Schünemann Nulla poena S. 25 f; Pawlowski N J W 1965 S. 287 f; ders. N J W 1969 S. 594 f; Lüdensen in: Kriminalpolitik S. 143 ff, 165; Michael Grundsatz S. 104 ff; Jescheck AT § 15 IV 4; hauptsächlich auch Baumann Aufstand S. 10 ff.

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21 Jescheck AT § 15 IV 4; H. Mayer AT § 54 I 2; ders. Studienbuch § 7 12; Pieroth JuS 1977 S. 394 ff, 396; Michael Grundsatz S. 107 ff; a. A. die überwiegende Ansicht; RG 75 S. 306 ff, 310 ff; 76 S. 328; 77 S. 106 f; 77 S. 181 ff, 183; BGH 20 S. 22 ff, 27; OLG Hamm NJW 1961 S. 2030 und N J W 1970 S. 578; Krey Keine Strafe Rdn. 110; ders. Blau-Festschrift S. 123 ff, 125 f, 135 f; Pföhler Unanwendbarkeit S. 295 (mit eingehender Darstellung des Meinungsstands S. 40 ff, 74 ff); Baumann-Weher AT § 12 I 2 b; LK-Tröndle § 2 Rdn. 9; Maurach-Zipf AT I § 12 Rdn. 6 f; ders. AT II § 75 II A 2; Schönke-Schröder-Stree § 77 Rdn. 8; SK-Rudolphi Rdn. 10 vor §77. 2a ' Kunz Bagatellprinzip S. 89 ff, 90 f. - Zudem: Die nur vage Ausgestaltung der Einstellungsvoraussetzungen wird dem Unbestimmtheitsverbot nicht gerecht; dazu Krahl Rechtsprechung S. 68 ff. 22 SK2-Schreiher § 1 Rdn. 9; Marxen GA 1985 S. 533 ff, 551 f; Schönke-Schröder-Eser §2 Rdn. 6, 7; Baumann-Weher KT § 12 I 2 b; Grünwald MDR 1965 S. 521 ff; ders. JZ 1976 S. 767 ff, 771 ; Welzel Strafrecht § 5 II 5 b a. E.; insoweit auch übereinstimmend BGH 22 S. 321 ff, 325. A.A. Pföhler Unanwendbarkeit S. 295 (mit Darstellung des Meinungsstands S. 40 ff, 81 ff); KKOWtG-Rogall% 1 Rdn. 46 f. 23 Heikel ist insbesondere der Fall rechtsstaatswidriger Verengung der Strafgewalt aus Opportunitätserwägungen, so daß die rückwirkende Erweiterung gerade die Wiederherstellung der Objektivität bewirkt. Von der Entscheidung über die Zulässigkeit dieser Rückwirkung hängt die Anwendbarkeit des Grundsatzes der Gesetzesbindung auf nationalsozialistische Gewalttaten ab, soweit diese während der nationalsozialistischen Herrschaft nicht verfolgt und noch weniger bestraft wurden. Freilich wird behauptet, die Befolgung von (gesetzlichen oder sonstigen) staatli-

Gesetzesbindung und zeitliche Geltung

4. A b s c h n

Unterscheidungszweck nicht geleistet werden kann, gibt sie zur Begründung des Bereichs, den die Garantie erfaßt, nichts her; die Anknüpfung an eine zu anderen Zwecken getroffene Unterscheidung führt zu Zufallsergebnissen 2 4 . II. Die einzelnen W i r k u n g e n des Grundsatzes der Gesetzesbindung Literatur B. Ackermann D a s A n a l o g i e v e r b o t im geltenden und zukünftigen S t r a f r e c h t , 1 9 3 4 ; K. Amelung R e c h t s g ü t e r s c h u t z und S c h u t z der Gesellschaft, 1 9 7 2 ; ders. Z u r Kritik des kriminalpolitischen Strafrechtssystems v o n R o x i n , in: B. Schünemann ( H r s g . ) G r u n d f r a g e n des m o d e r n e n S t r a f rechtssystems, 1 9 8 4 , S. 8 5 ff; G. Arzt P r o b l e m e der Kriminalisierung und Entkriminalisierung sozialschädlichen Verhaltens, Kriminalistik 1 9 8 3 S. 117 f f ; / . Baumann Die natürliche W o r t b e chen Anordnungen terroristischen Inhalts, gehe es um ihre Befolgung durch die Justiz (insbesondere bei Todesurteilen nach Denunziationen, dazu unten zur mittelbaren Täterschaft 21/86) oder um Tötungen in Konzentrationslagern, sei auch während der nationalsozialistischen Zeit strafbar gewesen. (a) Teils wird dies mit der Naturrechtswidrigkeit der staatlichen Anordnungen begründet, die eine Strafbarkeit hinderten. Dabei wird aber verkannt, daß es keine naturrechtliche Strafbarkeit gibt; selbst wenn eine solche angenommen werden sollte, ist sie jedenfalls keine gesetzlich bestimmte Strafbarkeit im Sinn des Grundsatzes der Gesetzesbindung. Auch durch die Überlegung, daß die Strafbarkeit nach den Normen der Weimarer Zeit durch die ergangenen staatlichen Anordnungen wegen deren Naturrechtswidrigkeit nicht beseitigt worden sei und deshalb fortbestanden habe, läßt sich die gesetzliche Strafbarkeit zur Tatzeit nicht begründen; denn bei dieser Konstruktion werden dem damaligen Staat Normen untergeschoben (etwa Strafbarkeit der Tötung von Regimegegnern), die er nun einmal nicht gewollt hat, so daß sie nur Uberpositiv begründet sind (Grünwald Kritik der Lehre vom überpositiven Recht S. 11; ders. ZStW 76 S. I f f , 5; Schünemann Bruns-Festschrift S. 223 ff, 225 mit Nachweisen Fn. 7; treffend Hart Recht und Moral S. 44 f: Die Annahme, „alle unsere Werte" — seil. Verzicht auf Rückwirkung und Ahndung von nationalsozialistischen Gewalttaten — „ließen sich letzten Endes in einem einzigen System unterbringen", sei ein „romantische(r) Optimismus"). (b) Teils wird eine Strafbarkeit immerhin insoweit angenommen, als es an einer gesetzlichen Aufhebung der Strafbarkeit — insbesondere der T ö tung - gefehlt habe (TfcWze/NJW 1964 S. 521 ff; Lewald N J W 1964 S. 1658 ff; Arndt N J W 1964 S. 1310 ff; Ä«fo!:r N J W 1964 S. 1097 ff; Baumann N J W 1964 S. 1398 ff, 1405; gegen Roesen N J W 1964 S. 133 ff und 1111 f)· Bei diesem Versuch, den totalitären Staat in Kategorien zu sezieren, in denen er nicht stattfindet (dazu Baumann N J W 1964 S. 1398 ff, 1401 mit Nachweisen), ist der Bezug zum Überpositiven normativ verschleiert, aber doch der Sache nach leitend vorhanden :

Dem totalitären, zivilisationsverleugnenden Staat wird die Rechtsquellenlehre gewaltenteilender, zivilisierter Staaten übergestülpt, als sei diese überpositiv gültig. Was dabei herauskommt, kann nur dann als geltendes Recht bezeichnet werden, wenn die Geltung von dem, was im großen und ganzen praktiziert wird, restlos abgekoppelt wird. Daß der Grundsatz der Gesetzesbestimmtheit diese ideale, durch Praxis nicht derogierbare Geltung meint, ist bislang nicht begründet worden, (c) Schließlich wird vorgeschlagen, die Nichtbestrafung in der nationalsozialistischen Zeit, soweit sie auf Führerbefehlen o. ä. beruht, als nur faktische Aufhebung der Strafbarkeit zu definieren, die nunmehr, wie bei einer Änderung der Rechtsprechung, durch andere Handhabung rückwirkend anulliert werden könne (Schünemann Bruns-Festschrift S. 223 ff, 234 f)· Aber auch diese Differenzierung zwischen Norm und Handhabung operiert mit Kategorien, die der totalitäre Staat so nicht kennt. Zudem paßt die Parallele zur Rechtsprechungsänderung nicht, weil die Nichtverfolgung der Gewalttaten in der nationalsozialistischen Zeit gerade kein Verhalten bei grundsätzlicher Anerkennung der in der Weimarer Zeit und heute geltenden Normen war, sondern Vollzug einer anderen Ordnung. Ergebnis: Der Grundsatz der Gesetzesbindung paßt nur bei einer kontinuierlichen Ordnung. Es wäre deshalb vorzugswürdig gewesen, ihn für die Beurteilung von nationalsozialistischen Taten zu suspendieren, wie es Art. 7 Abs. 2 M R K (sogenannte Nürnbergklausel) vorsieht (dazu besteht freilich ein Ratifizierungsvorbehalt der Bundesrepublik; siehe BGBl. 1954 II S. 14). Die Funktion des statt dessen gewählten Auswegs dürfte darin liegen, daß bei ihm der politische, seil, legalisierte Anteil am kriminellen Verhalten nicht artikuliert wird und dementsprechend das Kriminell-Werden als Privatangelegenheit der Täter definiert werden kann; zu Korrekturen dieses Ansatzes im Rahmen der Schuld siehe unten 19/9. 24

Man mag in der Umkehrung als materiellrechtlich alle Bereiche bezeichnen, die zum Bestimmtheitsgrundsatz gehören; Gallas Niederschriften Bd. V S. 104 f; Schmidhäuser A T 5/21. — Dazu auch Krahl Rechtsprechung S. 68 ff.

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4. AbSChn

l. Buch. 2. Kapitel. Gesetzesbindung. Geltung des Strafrechts

deutung als Auslegungsgrenze im Strafrecht, M D R 1958 S. 394 ff; ders. Dogmatik und Gesetzgeber. Vier Beispiele, Jescheck-Festschrift S. 105 ff; E. Beling Bayerische Sondergesetzgebung, ZStW 40 S. 511 f; B. Bender Zur Methode der Rechtsfindung bei der Auslegung und Fortbildung gesetzten Rechts, JZ 1957 S. 593 ff; H. BindokatTeleologie und Analogie im Strafrecht, J Z 1969 5. 541 ff; H. Blei Anmerkung zu OLG H a m m , N J W 1975 S. 1370 f, JA 1975 S. 587; H.-J. Bruns Die sog. „tatsächliche" Betrachtungsweise im Strafrecht, J R 1984 S. 133 ff; ders. Zur strafrechtlichen Relevanz des gesetzesumgehenden Täterverhaltens, GA 1986 S. 1 ff; J.-M. Cadus Die faktische Betrachtungsweise, 1984; R. P. Callies Der strafrechtliche Nötigungstatbestand und das verfassungsrechtliche Gebot der Tatbestandsbestimmtheit, N J W 1985 S. 1506 ff; W. Class Generalklauseln im Strafrecht, Eb. Schmidt-Festschrift S. 122 ff; U. Dopslaff Wortbedeutung und N o r m z w e c k als die maßgeblichen Kriterien f ü r die Auslegung von Strafrechtsnormen, 1985; G. Dürig Anmerkung zu O L G Düsseldorf, N J W 1961 S. 1831 ff, a a O S. 1831 f; D. Engels Der partielle Ausschluß der N o t w e h r bei tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Ehegatten, GA 1982 S. 109 ff; K. Engisch Logische Studien zur Gesetzesanwendung, 3. Auflage 1963; ders. Der Begriff der Rechtslücke, Sauer-Festschrift S. 85 ff; ders. Die Strafbarkeit der Unfruchtbarmachung mit Einwilligung, H . Mayer-Festschrift S. 399 ff; ders. Einführung in das juristische Denken, 7. Auflage 1977; ders. Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft unserer Zeit, 2. Auflage 1968; ders. Methoden der Strafrechtswissenschaft, in: M. Thiel (Hrsg.) Enzyklopädie der geisteswissenschaftlichen Arbeitsmethoden, Methoden der Rechtswissenschaft Teil I, 1972, S. 39 ff; /. Ess er Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 1972; H. Fiedler Die Rechtsfindung aus dem Gesetz im Lichte der neueren Logik und der Methodenlehre, KlugFestschrift S. 55 ff; M. Finche Das Verhältnis des Allgemeinen zum Besonderen Teil des Strafrechts, 1975; H. Franzmann Mainachtsstreiche vor Gericht, JZ 1956 S. 241 ff; F. Geerds Zur Problematik der strafrechtlichen Deliktstypen, Engisch-Festschrift S. 406 ff; O. A. Germann Probleme und Methoden der Rechtsfindung, 2. Auflage 1967; M. Grünhut Begriffsbildung und Rechtsanwendung im Strafrecht, 1926; ders. Methodische Grundlagen der heutigen Strafrechtswissenschaft, Frank-Festgabe Bd. I S. 1 ff; G. Grünwald Bedeutung und Begründung des Satzes „nulla poena sine lege", Z S t W 76 S. 1 ff; F. Haft Generalklauseln und unbestimmte Begriffe im Strafrecht, JuS 1975 S. 477 ff; E.-W. Hanack Zur verfassungsmäßigen Bestimmtheit und strafrechtlichen Auslegung des Begriffs „unzüchtige Schrift" (§ 184 Abs. 1 N r . 1 StGB, Art. 103 Abs. 2 GG), J Z 1970 S. 41 ff; E. Hafter Lücken im Strafgesetzbuch, SchwZStr. 62 (1947) S. 133 ff; W. //íWíemerTatbestand und Typus, 1968; ders. Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, 1974; ders. Uber die Berücksichtigung der Folgen bei der Auslegung der Strafgesetze, Coing-Festschrift S. 493 ff; E. Heinitz Zur Verfassungsmäßigkeit der Strafbestimmung gegen den groben Unfug, E. Hirsch-Festschrift S. 47 ff; H. Henkel Recht und Individualität, 1958; H. ]. Hirsch Rechtfertigungsgründe und Analogieverbot, Tjong-Gedächtnisschrift S. 40 ff; ders. Zum Spannungsverhältnis von Theorie und Praxis im Strafrecht, Tröndle-Festschrift S. 19 ff; F. Höpfel Zu Sinn und Reichweite des sogenannten Analogieverbots, JurBl. 1979 S. 505 ff, 575 ff; Th. Heller Logik und Axiologie der analogen Rechtsanwendung, 1961 ; Th. Hillenkamp Vorsatztat und Opferverhalten, 1981; / . Hruschka Das Verstehen von Rechtstexten, 1972; ders. Kann und sollte die Strafrechtswissenschaft systematisch sein? JZ 1985 S. 1 ff; H. Isenbeck Der „ähnliche" Eingriff nach § 315 b Abs. 1 N r . 3 StGB, N J W 1969 S. 174 ff; H. Jäger Strafgesetzgebung als Prozeß, Klug-Festschrift S. 83 ff ; G. Jakobs Niedrige Beweggründe beim Mord und die besonderen persönlichen Merkmale in § 50 Abs. 2 und 3 StGB, N J W 1969 S. 489 ff; ders. Nötigung durch Gewalt, H . Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 791 ff; A. Jost Zum Analogieverbot im Strafrecht, SchwZStr. 65 (1950) S. 358 ff; Arthur Kaufmann Analogie und „Natur der Sache", 2. Auflage 1982; U. Klug Juristische Logik, 3. Auflage 1966; G. Kohlmann Der Begriff des Staatsgeheimnisses und das verfassungsrechtliche Gebot der Bestimmtheit von Strafvorschriften, 1969; ders. Das (Rechts-)Gebot zu sozialer Rücksichtnahme als Grenze des strafrechtlichen Notwehrrechts — B G H N J W 1975, 62, JuS 1975 S. 435 ff; M. KrahlOie Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs zum Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht, 1986; D. Kratzsch § 53 StGB und der Grundsatz nullum crimen sine lege, GA 1971 S. 65 ff; V. Krey Studien zum Gesetzesvorbehalt im Strafrecht, 1977; ders. Keine Strafe ohne Gesetz, 1983; ders. Gesetzestreue und Strafrecht, ZStW 101 S. 838 ff; W. Küper Richterrecht im Bereich der Verkehrsunfallflucht, Universität Heidelberg-Festschrift S. 451 ff; K. Lackner Die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs, N J W

70

Gesetzesbindung und zeitliche Geltung

4. Abschn

1976 S. 1233 ff; ders. Zu den Grenzen der richterlichen Befugnis, mangelhafte Strafgesetze zu berücksichtigen, Universität Heidelberg-Festschrift S. 39 ff; W. Langer Gesetzlichkeitsprinzip und Strafmilderungsgründe, Dünnebier-Festschrift S. 421 ff; K. Latenz Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Auflage 1975; H.-P. Lemmel Unbestimmte Strafbarkeitsvoraussetzungen im Besonderen Teil des Strafrechts und der Grundsatz nullum crimen sine lege, 1970; Th. Lenckner Wertausfüllungsbedürftige Begriffe im Strafrecht und der Satz „nullum crimen sine lege", JuS 1968 S. 249 ff, 304 ff; P. Liver Der Wille des Gesetzes, 1954; F. Loos Bemerkungen zur historischen Auslegung, Wassermann-Festschrift S. 123 ff; M. MaiwaldDer Zueignungsbegriff im System der Eigentumsdelikte, 1970; den. Bestimmtheitsgebot, tatbestandliche Typisierung und die Technik der Regelbeispiele, Gallas-Festschrift S. 137 ff; H. MayerOzs Analogieverbot im gegenwärtigen deutschen Strafrecht, SJZ 1947 Sp. 12 ff; den. Die gesetzliche Bestimmtheit der Tatbestände, Materialien Bd. I S. 259 ff; A. Mennicken Das Ziel der Gesetzauslegung, 1970; E. Mezger Die zeitliche Herrschaft der Strafgesetze, ZStW 42 S. 348 ff; W. Mittermaier Über Analogie im Strafrecht, SchwZStr. 63 (1948) S. 403 ff; W. Naucke Zur Lehre vom strafbaren Betrug, 1964; ders. Uber Generalklauseln und Rechtsanwendung im Strafrecht, 1973; den. V o m Nutzen der subjektiven Auslegung im Strafrecht, Engisch-Festschrift S. 274 ff; den. Die Aufhebung des strafrechtlichen Analogieverbots 1935, in: NS-Recht in historischer Perspektive, 1981, S. 71 ff; H.-M. Pawlowski Methodenlehre f ü r Juristen, 1981; K. Peters In welcher Weise empfiehlt es sich, die Grenzen des strafrichterlichen Ermessens im künftigen Strafgesetzbuch zu regeln? Gutachten 41. D J T Bd. I (2), 1955, S. 1 ff; /. Piegler Volksbräuche vor Gericht, J Z 1955 S. 721 ff; A. Ransiek Gesetz und Lebenswirklichkeit, 1989; Tb. Rittler Gesetztes und nichtgesetztes Strafrecht, ZStW 49 S. 451 ff; C. Roxin Verwerflichkeit und Sittenwidrigkeit als unrechtsbegründende Merkmale im Strafrecht, JuS 1965 S. 373 ff; ders. Die „sozialethischen Einschränkungen" des Notwehrrechts, ZStW 93 S. 68 ff; den. Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, 2. Auflage 1973; H.-J. Rudolpbi Anmerkung zu B G H 34 S. 211 ff, N S t Z 1987 S. 324 ff; H. H. Rupp Die Bindung des Richters an das Gesetz, N J W 1973 S. 1769 ff; W. Sax Das strafrechtliche „Analogieverbot", 1953; ders. Grundsätze der Strafrechtspflege, in: K. A. Bettermann, H. C. Nipperdey, U. Scheuner (Hrsg.) Die Grundrechte Bd. III (2), 2. Auflage 1972, S. 909 ff; R. Scheyhing Volksbräuche und Rechtsordnung, JZ 1959 S. 239 ff; E. Schlechter Zum „Minimum" bei der Auslegung normativer Merkmale im Strafrecht, N S t Z 1984 S. 300 ff; E. Schmidhäuser Strafgesetzliche Bestimmtheit: eine rechtsstaatliche Utopie, Martens-Gedächtnisschrift S. 231 ff; R. Schmitt Der Anwendungsbereich von § 1 Strafgesetzbuch (Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz), Jescheck-Festschrift S. 223 ff; A. Schänke Auslegung, Analogie und Gewohnheitsrecht im Strafrecht, M D R 1947 S. 85 ff; H.-L. Schreiber Gesetz und Richter, 1976; F.-C. Schroeder Die Bestimmtheit von Strafgesetzen am Beispiel des groben Unfugs, JZ 1969 S. 775 ff; H. Schröder Gesetz und Richter im Strafrecht, 1953; ders. In welcher Weise empfiehlt es sich, die Grenzen des strafrichterlichen Ermessens im künftigen Strafgesetzbuch zu regeln? Gutachten 41. D J T Bd. I (2), 1955, S. 61 ff; ders. Anmerkung zu O L G Celle, J R 1964 S. 391 f, a a O S. 392; ders. Anmerkung zu O L G H a m m , J Z 1966 S. 649 f, a a O S. 649 ff; U. SchrothTheorie und Praxis subjektiver Auslegung im Strafrecht, 1983; B. Schünemann Nulla poena sine lege? Rechtstheoretische und verfassungsrechtliche Implikationen der Rechtsgewinnung im Strafrecht, 1978; ders. Methodologische Prolegomena zur Rechtsfindung im Besonderen Teil des Strafrechts, Bockelmann-Festschrift S. 117 ff; ders. Die Gesetzesinterpretation im Schnittfeld von Sprachphilosophie, Staatsverfassung und juristischer Methodenlehre, Klug-Festschrift S. 169 ff; ders. Die Funktion des Schuldprinzips im Präventionsstrafrecht, in: ders. (Hrsg.) G r u n d f r a g e n des modernen Strafrechtssystems, 1984, S. 153 f f ; ders. Die Regeln der Technik im Strafrecht, Lackner-Festschrift S. 367 ff; J. Schulze-Osterloh Unbestimmtes Steuerrecht und strafrechtlicher Bestimmtheitsgrundsatz, in: D. Kohlmann (Hrsg.) Strafverfolgung und Strafverteidigung im Steuerstrafrecht, 1983, S. 43 ff; G. Schwalm Der objektivierte Wille des Gesetzgebers, Heinitz-Festschrift S. 47 ff; E. Schwinge Teleologische Begriffsbildung im Strafrecht, 1930; Chr. Starck Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970; H. Stockei Gesetzesumgehung und Umgehungsgesetze im Strafrecht, 1966; ders. Bekämpfung der Gesetzesumgehung mit Mitteln des Strafrechts, Z R P 1977 S. 134 ff; W. StreeOit Ersatzhehlerei als Auslegungsproblem, JuS 1961 S. 50 ff; K. Tiedemann Strafbare Erschleichung von Investitionszulagen durch Aufhebung und Neuabschluß von Lieferverträgen, N J W 1980 S. 1557 ff; G. TimpeDie Nötigung, 1989; H. Tröndle Ein Plädoyer f ü r die Verfassungsgemäßheit des § 240 StGB, Lackner-Festschrift

71

4. AbSChn

l . Buch. 2. Kapitel. Gesetzesbindung. Geltung des Strafrechts

5. 627 ff; M. Waiblinger D i e Bedeutung des G r u n d s a t z e s „nullum crimen sine lege" für die A n w e n d u n g und Fortentwicklung des s c h w e i z e r i s c h e n Strafrechts, in : Festgabe für den s c h w e i z e rischen Juristenverein, 1955, S. 2 1 2 f f ; H. Welzel Auf w e l c h e Bestandteile einer Strafvorschrift bezieht sich der S a t z : nulla p o e n a sine lege? JZ 1952 S. 617 f; H. Woesner Generalklausel und Garantiefunktion der Strafgesetze, N J W 1963 S. 2 7 3 f f ; Th. Zimmermann Struktur- und Einzelfragen der G e s e t z e s a u s l e g u n g im Spiegel der E n t w i c k l u n g höchstrichterlicher Rechtsprechung, G A 1955 S. 3 3 6 f f ; ders. D e r "Wortlaut des G e s e t z e s im Spiegel höchstrichterlicher Rechtsprechung, N J W 1956 S. 1262 f f ; R. Zippelius R e c h t s n o r m und richterliche Entscheidungsfreiheit, JZ 1 9 7 0 S . 241 f f ; ders. E i n f ü h r u n g in die juristische Methodenlehre, 1971.

10

Die Wirkungen des Grundsatzes sind : (1) Die Bestimmung der Strafbarkeit hat durch Gesetz (lex scripta) zu erfolgen. (2) Das Gesetz hat die Strafbarkeit zu bestimmen (lex certa), wobei unter Strafbarkeit das O b wie das Maß von Strafe zu verstehen ist; der Interpret ist an die Bestimmung gebunden (lex stricta). (3) Die Bestimmung muß vor der Tat erfolgen (lex praevia); die Darstellung dieses Rückwirkungsverbots erfolgt im Zusammenhang mit der zeitlichen Geltung (unten 4/48 ff).

A. Die Gesetzlichkeit der Bestimmung 11

1. Gesetz im Sinn des Grundsatzes der Gesetzesbindung ist jede geschriebene Rechtsnorm 2 5 , handele es sich um ein förmliches Gesetz, eine Rechtsverordnung 2 6 oder eine Satzung 2 7 . Bei Rechtsverordnungen und Satzungen muß die Ermächtigungsnorm „nach Inhalt, Zweck und Ausmaß" so konkretisiert sein, „daß die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Art der Strafe f ü r den Bürger schon aus der Ermächtigung und nicht erst aus der auf sie gestützten V e r o r d n u n g " — oder Satzung — „voraussehbar sind" 2 8 . Bei Blankettgesetzen muß also das Blankett selbst (oder ein anderes förmliches Gesetz 2 8 a ) die Voraussetzungen der Strafbarkeit umreißen sowie die Strafart bestimmen 2 9 , soweit die ausfüllenden N o r m e n nicht ihrerseits förmliche Gesetze sind. Freiheitsstrafe kann nur durch ein förmliches Gesetz angedroht werden, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG, das neben der Strafart auch das Strafmd/? festlegt 3 0 ; lediglich die „Spezifizierung des Straftatbestandes" kann hier delegiert werden 3 1 . — Auch für Völkerstrafrecht gilt der Grundsatz der Gesetzesbindung; selbst soweit Völkerstrafrecht als allgemeine Regel nach Art. 25 G G anzusehen sein sollte, bedarf es zur Strafanwendung also eines Transformationsgesetzes 3 2 .

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2. Die Gesetzesform ist erforderlich, da die Strafbarkeit durch allgemeine, nicht nur f ü r den Einzelfall oder nur f ü r eine einzelne Person geltende Regeln bestimmt werden 25 Eingehend Starck Gesetzesbegriff S. 21 ff, 177 ff; zum folgenden Text siehe ferner Dürig in: Maunz-Diirig-Herzog-Scholz Art. 103 Rdn. 106, Art. 104 Rdn. 14; Jescheck AT § 13 II 1 ; SchönkeSchröder-Eser § 1 Rdn. 8; LK-Tröndle §1 Rdn. 11 ; Maurach-Zipf AT I § 10 Rdn. 9. 26 BVerfG 14 S. 174 ff, 185; 14 S. 245 ff, 251; 14 S. 254 ff, 257; 22 S. 21 ff, 25. 27 BVerfG N J W 1972 S. 860 ff. 28 BVerfG 14 S. 174 ff, 185 f; 14 S. 245 ff, 251 und die anderen in den vorgehenden Fußnoten genannten Entscheidungen. 28a BVerfG N J W 1987 S. 3175 f. 72

29 BVerfG 14 S. 245 ff, 252; NStZ 1989 S. 229 f. Zur Problematik der Ausfüllung einer N o r m durch „Regeln der Technik" Schiinemann Lackner-FestschriftS. 367 ff. 30 Siehe die vorangehenden Fußnoten; α. Α., aber durch die Rechtsprechung des BVerfG überholt, OLG Düsseldorf N J W 1961 S. 1831 ff mit Anmerkung Dürig a a O ; O L G Köln N J W 1962 S. 1214 ff. 31 BVerfG 14 S. 174 ff, 187. 32 Jescheck KT § 14 I 2 mit eingehenden Nachweisen zum Völkerstrafrecht aaO II und III.

G e s e t z e s b i n d u n g u n d zeitliche G e l t u n g

4. Abschn

soll. Dabei geht es nicht um die Allgemeinheit des Gesetzes als Garant einer richtigen Lösung (als Parallele zum Naturgesetz), sondern um die Allgemeinheit zur Vermeidung von Willkür. — Wegen der notwendigen Schriftlichkeit des Gesetzes scheidet Gewohnheitsrecht zur Begründung von Strafbarkeit aus. Der Grund dafür ist, daß Gewohnheitsrecht — auch bei der strafrechtlich allein relevanten Form des durch Gerichtsgebrauch geprägten Gewohnheitsrechts — nicht von einer möglichst unvermittelt demokratisch legitimierten Instanz gesetzt wird. In dem Maß, in dem die historische Legitimation von Recht überhaupt zweifelhaft wird, verschmilzt das Problem des Gewohnheitsrechts mit allgemeinen Problemen der Norminterpretation (siehe unten zur Bestimmtheit 4/46 f).

B. Die Bestimmtheit des Gesetzes 1. Die Relativität der Bestimmtheit zum Regelungsgegenstand a) Wird — wie hier — der Grundsatz der Gesetzesbindung vornehmlich als Objek- 1 3 tivitätsgarantie verstanden, so muß er um so strenger gehandhabt werden, je anfälliger der Regelungsbereich gegen Wertungen ist, die wegen des zur Entscheidung stehenden Einzelfalls getroffen werden und nicht generalisierbar sind. Ein Bereich, der schon kraft seiner alle oder nahezu alle Delikte umfassenden Weite gegen Manipulationen wegen des Einzelfalls resistent ist, muß gesetzlich weniger genau bestimmt werden als ein mehr auf den Einzelfall zugeschnittener Bereich. b) Allerdings wird diese Regel erheblich durchbrochen: Die f ü r Einzelfallmanipula- 14 tionen besonders anfällige Festlegung der Tatfolgen 3 3 , hauptsächlich der Strafen, aber auch der Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 N r . 8 StGB), ist nur relativ ungenau gesetzlich bestimmt, weil es bislang nicht gelungen ist, eine O r d n u n g aller möglicherweise legitimen Strafzumessungserwägungen und ihrer Auswirkungen auf das Strafmaß aufzustellen. Das Gesetz verkleinert diesen Mangel — ohne daß er dadurch nebensächlich würde — indem es die Strafen immerhin rahmenmäßig bestimmt und zudem tatbestandliche Abweichungen mit milderen (Privilegierungen) oder strengeren (Qualifizierungen) Strafrahmen bildet oder dem Richter zu bilden aufgibt (minder oder besonders schwere Fälle), letzteres mit (teils bindenden) Beispielen oder ohne Anleitung (siehe unten 6/99 ff). Freilich können für Fälle, in denen zweifelhaft bleibt, ob der Richter eine Erschwerungs- oder Milderungsmöglichkeit anwenden soll, extrem breit und nicht mehr als „bestimmt" zu bezeichnende Strafrahmen möglich werden, etwa bei den §§ 83 a Abs. 1 in Verbindung mit 81 StGB (lebenslange Strafe bis hin zum Absehen von Strafe) 3 4 . Das Problem erledigt sich in der Regel dadurch, daß im Einzelfall mindestens eines der Extreme als Reaktion praktisch ausscheidet, weil der mit Hilfe der gesicherten Strafzumessungsregeln bereitzustellende Rahmen dieses Extrem nicht berührt. Diese interpretatorische Bestimmtheit ist freilich keine gesetzliche Bestimmtheit 3421 . — Beim zumeist rügend genannten Beispiel besonderer Unbestimmtheit, seil, bei der Geldstrafe 33 Zur Geltung des Grundsatzes der Gesetzesbindung insoweit siehe BVerfG 25 S. 269 ff, 286; B G H 18 S. 136 ff, 140; Schröder Verhandlungen 41. DJT Bd. I (2) S. 61 ff, 76; Schönke-SchröderEser% 1 Rdn. 23; LK-Tröndle § 1 Rdn. 17; überhaupt gegen die Anwendung des Grundsatzes auf Tatfolgen Peters Verhandlungen 41. DJT Bd. I (2) S. 1 ff, 19; Schröder Gesetz und Richter S. 28. 34 Siehe Schünemann Nulla poena S. 7 f; StratenwerthKÏ Rdn. 84.

' 4 a Anders offenbar das BVerfG, das immer wieder „eine im Schrifttum weithin anerkannte Rechtsprechung" als Beleg für Bestimmtheit heranzieht, als komme es auf die Gesetzlichkeit der Bestimmtheit nicht an; zuletzt BVerfG 73 S. 206 ff, 243 mit Nachweisen. Kritisch dazu Krahl Rechtsprechung S. 258 ff, 261 ff, 402 ff.

73

4. A b S C h n

l . B u c h . 2. K a p i t e l . G e s e t z e s b i n d u n g . G e l t u n g d e s S t r a f r e c h t s

(genannt werden 10 D M bis 7 200 000 DM, §§ 40 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 3, 54 Abs. 2 Satz 2 StGB), wird verkannt, daß nicht die Gesamtsumme, sondern die Zahl der Tagessätze die Strafhöhe bestimmt (also ein T a g bis zu 720 Tage, ein Tausendstel des gerügten Rahmens) und daß zudem die Strafhöhe durch die Summe der — in engerem Rahmen festzusetzenden — Einzelstrafen limitiert wird, § 54 Abs. 2 Satz 2 StGB. — Die Androhung von Geldstrafe in unbeschränkter H ö h e ist überholt (Art. 12 Abs. 2 EGStGB). — Die Bestimmung von Geldstrafe, die neben Freiheitsstrafe tritt, erfolgt nach § 4 1 StGB bei zutreffender (freilich bestrittener) Auslegung hinreichend genau durch die beabsichtigte Bereicherung 3 5 . — Eine Androhung jeder „gesetzlich zulässigen" Strafe wäre mit dem Grundsatz der Gesetzesbindung nicht vereinbar 3 6 . 15

c) Bei der Festlegung des deliktischen Verhaltens verfährt das Gesetz nach der schon genannten Regel, allgemeine Merkmale des Delikts weniger genau zu bestimmen als diejenigen eines einzelnen Deliktstyps im Sinn des BT. Fast alle allgemeinen Voraussetzungen der Zurechnung — objektive Zurechnung einschließlich der besonderen Voraussetzungen unechter Unterlassung, Vorsatz und Fahrlässigkeit, (teils) Rechtfertigung, Beteiligung, (teils) Schuld, (teils) Versuch und diverse Irrtumsbereiche — werden, wenn überhaupt, nicht so detailliert gesetzlich ausformuliert, wie es bei der Ausformulierung der Deliktstypen im BT Standard ist. Das gilt freilich nicht ausnahmslos; neben zahlreichen generalklauselartigen Begriffen im BT finden sich dort besondere Anknüpfungen an allgemeine Lehren, die keine Präzisierung bringen. Beispiel: Die im BT bei den begehungsgleichen echten Unterlassungsdelikten genannten Garantenstellungen kommen über die Vagheit des § 13 StGB nicht hinaus (sie gehören ja auch sachlich in den AT). Die im großen und ganzen weniger präzise gesetzliche Bestimmung der allgemeinen Zurechnungsvoraussetzungen dürfte neben der bezeichneten Regel weitere Gründe haben: Zum einen dürfte die Zurückhaltung des Gesetzes bei Bestimmung der allgemeinen Merkmale des Delikts die Funktion haben, diese Merkmale als „aus der Sache selbst" gültig zu demonstrieren (was sie, vom Handlungsbegriff an, nicht sind, unten 6/22). Was aber „der Sache selbst" entspricht, läßt sich besser durch den Sachverstand der Juristen legitimieren als politisch. Zum anderen können karge Regeln durch die Rechtsprechung elastisch ausgefüllt werden, so daß ein Raum f ü r Rechtsfortbildung bleibt. Weiterhin schafft die Elastizität die Möglichkeit, bei unbefriedigenden Entscheidungen von Einzelfällen die Verantwortung zwischen Gesetzgeber und Rechtsprechung diffus zu lassen. Schließlich dürfte auch die traditionell besonders intensive wissenschaftliche Bearbeitung der Zurechnungslehre den Gesetzgeber von mancher Festlegung abhalten (zumal die Zurechnungslehre teils nur schwer politisierbar ist); das gilt allerdings weniger wegen der Scheu, wissenschaftliche Kontroversen abzuschneiden, als aus Ratlosigkeit über die auf Dauer vorzugswürdige Lösung. Hierzu gibt es freilich auch Gegenbeispiele, etwa die Positivierung der schuldtheoretischen Lösung in § 17 StGB (dazu unten 19/1 ff).

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d) Entsprechend der Regel, daß die Genauigkeit der gesetzlichen Bestimmung bei zunehmender Generalität des Geregelten abnimmt, muß der Rechtsanwender im AT, 35 Absicht verlangen O L G H a m m N J W 1975 S. 1370 f mit A n m e r k u n g Blei JA 1975 S. 587; O L G Düsseldorf G A 1976 S. 117 f, freilich bei vorschneller V e r n e i n u n g der Absicht in den zu entscheidenden Fällen; a. A. (jeder V o r s a t z hinreichend) Schönke-Schröder-Stree § 41 R d n . 3; Dreher-Tröndle §41 R d n . 3; Lackner §41 Anm. 2; LK-Trrindle% 41 R d n . 4. — Läßt man die

74

36

erkannte, aber nicht gewollte Bereicherung hinreichen, so sind die Anwendungsfälle von § 4 1 S t G B unbestimmt, weil f ü r die V o r s c h r i f t neben § 73 S t G B kein Zweck m e h r ausgemacht werden kann. Α. A. B G H 13 S. 190 ff, 191 f, mit (Besatzungs-) zeitgebundener Begründung.

Gesetzesbindung und zeitliche Geltung

4. Abschn

dort insbesondere bei der Zurechnungslehre, die gesetzlichen Vorschriften stärker präzisieren, um sie auf den Einzelfall anwendbar zu machen, als es im B T der Fall ist. Auch die Grenzen der zur Präzisierung erlaubten Ergänzungen der gesetzlichen V o r schriften sind bei der allgemeinen Zurechnungslehre weiter gezogen als im BT. Bei den allgemeinen Regeln der Zurechnung sind Ergänzungen zu den gesetzlichen Vorschriften erlaubt, solange sie nicht den gesetzlichen Vorschriften widersprechen; es können also auch gesetzlich nicht einmal andeutungsweise fixierte Regelungen eingeführt werden, wenn sie nur mit den gesetzlichen Vorschriften harmonieren. Im B T sind Ergänzungen, die den Bereich des Strafbaren erweitern, hingegen nur erlaubt, solange sie den gesetzlichen Vorschriften entsprechen; es können keine neuen, nicht gesetzlich bestimmten Regelungen eingeführt, sondern nur die vorhandenen anwendbar gemacht werden. Mit anderen Worten, bei der allgemeinen Zurechnungslehre sind die gesetzlichen Vorschriften Fixpunkte eines ansonsten nach Inhalt und U m f a n g ohne gesetzliche Leitung zu bildenden Systems; im B T liefern die gesetzlichen Vorschriften zugunsten des Täters das gesamte zur Systembildung verfügbare Material, das freilich durch Ergänzungen anwendbar gemacht werden darf. Beispiel: Wenn es systematisch vorzugswürdig ist, können zur Zurechnungslehre Irrtumsregelungen neben denjenigen der §§ 16 f S t G B entwickelt werden (dazu unten 11/52 f f ) ; im B T ist es aber nicht erlaubt, zur Komplettierung des Freiheitsschutzes auch die Nötigung (§ 240 S t G B ) ohne Drohung und ohne Gewalt, etwa durch Verführung, als strafbaren Deliktstyp zu entwickeln, wobei die Nötigung zugleich ein krasses Beispiel für eine Vorschrift bildet, die erst durch Ergänzungen überhaupt anwendbar wird. 2. Die Notwendigkeit von Vorannahmen des Interpreten zum Regelungsgegenstand Der genannte Befund nur relativer Bestimmtheit wird üblicherweise unter den Be- 17 Zeichnungen (der Grenze) des Analogieverbots sowie der (Un-)Zulässigkeit von Gewohnheitsrecht und Richterrecht behandelt. Zum Verständnis der Problematik sind folgende Grundlagen der Gesetzesinterpretation 3 7 zu beachten : a) Das Gesetz regelt, solange es überhaupt eine allgemeine Regelung trifft, also 18 Gesetz und nicht Einzelmaßnahme ist, nie nur einen einzigen denkbaren Fall (nicht: der bestimmte Täter, der zu bestimmter Zeit etc.), sondern stets eine Fallklasse (alle Amtsträger, die bei der Ausübung ihres Amts etc.). Die Interpretation des Gesetzes besteht darin, die Merkmale der Klasse zu spezifizieren (woran erkennt man Amtsträger, wann üben sie ihr Amt aus ? etc.). Diese Spezifizierung mag im Einzelfall simpel vorzunehmen sein (daß ein Polizist während einer ihm aufgetragenen Festnahme ein Amtsträger in Ausübung seines Amts ist, wird als selbstverständlich angenommen, weil sonst nicht mehr verstehbar wäre, was das Gesetz überhaupt regeln will). Aber selbst in Fällen höchster Simplizität der Interpretation gelingt diese nur, weil der Interpret eine V o r a n nahme vom Regelungszweck hat (kraß : Kein Jurist denkt beim Begriff des Amtsträgers nur oder in erster Linie an Personen, die amtlich körperliche Gegenstände tragen, obgleich ein Kind, das eben falsche Vorstellungen vom Regelungszweck hat, die Metaphorik des Tragens verkennen mag). Diese Abhängigkeit des Gesetzesverständnisses von der Vorannahme dessen, was die Regelung bezweckt, ist unvermeidbar (sogenannter hermeneutischer Zirkel). Daß dem Zirkel nicht zu entkommen ist, heißt freilich 37

Eine Methodenlehre wird hier nicht gegeben. Aus

denlehre 5 15. — Ferner wird hier keine Lehre der

der grundlegenden methodologischen Literatur sind zu nennen Engisch in: E n z y k l o p ä d i e S. 39 f f ; ders. E i n f ü h r u n g K a p . IV bis V I I ; Latenz Methodenlehre Teil II K a p . 3 f ; Esser Vorverständnis und Methodenwahl K a p . V ; Pawlowski Metho-

G e s e t z e s a n w e n d u n g (Lehre vom Syllogismus etc.) gegeben. Aus der grundlegenden Literatur hierzu siehe Engisch Logische Studien p a s s i m ; ders. E i n f ü h r u n g K a p . I I I ; Klug Juristische L o g i k S. 97 ff.

75

4. AbSChn

I · Buch. 2. Kapitel. Gesetzesbindung. Geltung des Strafrechts

nicht, alle Vorannahmen von Regelungszwecken seien gleichwertig und Interpretation erschöpfe sich in der Benennung eines Panoramas von Spezifizierungen der Klassenbegriffe, diese geordnet nach Vorannahmen. Vielmehr liefert die Interpretation nur unbrauchbare oder allenfalls zufällig brauchbare Ergebnisse, wenn die Vorannahmen zufällig sind (siehe die oben genannte kindlich-naive V o r a n n a h m e zum Amtsträger). 19

b aa) Zur Bestimmung tauglicher Vorannahmen gibt es — bei zahlreichen Mischformen — drei Methoden: Man versucht entweder zu ermitteln, was beim Erlaß der zu interpretierenden N o r m vom Erlassenden legitimerweise (!) geregelt werden sollte 3 8 (subjektive Theorie; „Wille des Gesetzgebers"), oder man geht von den Vorannahmen aus, die in das System des gegenwärtig legitimerweise zu Regelnden — möglichst — bruchlos passen (objektive Theorie; „Wille des Gesetzes") oder man hält sich an das zur Zeit des Erlasses bestehende System der Regelungen (historische Theorie; „historischer Wille des Gesetzes").

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bb) Freilich können die Methoden ohne wechselseitige Anleihen in der Regel nicht durchgeführt werden; denn je mehr (subjektiven oder historischen) Sinn ein Text hat, um so weniger läßt er sich ohne Zerstörung in einen anderen (historischen oder objektiven) Regelungszusammenhang verpflanzen, und je dringender eine bestimmte Regelung erwartet wird, um so weniger läßt sich eine andere Regelung allein wegen eines (historischen) Textes oder allein wegen der (subjektiven) Vorannahmen der Verfasser eines Textes oktroyieren. Schließlich wird eine N o r m auch nur selten vom Gesetzgeber ohne Berücksichtigung des Zusammenhangs erlassen, in den sie gerät. Jedenfalls läßt sich ein Sinn der Regelung nicht mehr garantieren, wenn die Vorannahmen nicht Glieder einer einzigen Entwicklungskette sind, sondern unverbunden nebeneinander stehen: O h n e Konnexität der subjektiven, historischen und objektiven Vorannahmen vom Regelungszweck produziert die Interpretation allenfalls Zufallsergebnisse 3 9 . Beispiel: Interpretiert man die Regelung des Verbotsirrtums, § 17 StGB, mit den Vorannahmen der Vorsatztheorie, lassen sich die Ergebnisse axiologisch nicht mehr rechtfertigen (siehe unten 19/15).

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c aa) Vorzugswürdig ist die objektive Theorie 4 0 , dies mit der Maßgabe, daß das bezeichnete Konnexitätserfordernis genuiner Bestandteil der Theorie ist. — Die subjektive Theorie ist in einer Demokratie mangels verbindlicher Festlegung der V o r a n nahmen der jeweiligen Parlamentsmehrheiten nicht durchführbar. Ministerielle Begründungen von Gesetzesentwürfen oder bei Beratungen geäußerte Vorstellungen einzelner Redner sind allenfalls Indizien f ü r die Vorannahmen einiger Parlamentarier; die Mehrheit mag sogar — mangels Sachkunde oder Interesse — überhaupt keine Vorstel-

38 Was wiederum ein Interpretationsakt ist, also seinerseits auf Vorannahmen beruht etc. 39 Siehe Mennicken Ziel S. 58 ff; Stratenwerth Germann-Festschrift S. 257 ff, 264 f; Schönke-Schröder-Eser § 1 Rdn. 43. — Loos Wassermann-Festschrift S. 123 ff, 129 unterschätzt wohl die Bindung durch Konnexität, wenn er der hiesigen Lehre die Eignung abspricht, zu stabilen Ergebnissen zu führen. « BVerfG 1 S. 301 ff, 312; 6 S. 56 ff, 75; 11 S. 126 ff, 129 f; 34 S. 269 ff, 288 ff; - so überwiegend auch der Bundesgerichtshof; B G H 1 S. 1 ff, 3 („Gesetzgeber" sagend und „Gesetz" meinend); 1 S. 74 ff, 76; 1 S. 158 ff, 161 ff, 167; 1 S. 313 ff, 316; 10 S. 157 ff, 159; 14 S. 165 ff, 167;

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24 S. 40 ff, 41 f; 34 S. 211 ff mit zustimmender Anmerkung Rudolphi NStZ 1987 S. 324 (weitere Nachweise bei LK-Tröndle % 1 Rdn. 46). - Wie hier ferner Binding Handbuch S. 456 f ; Grünhut Frank-Festgabe Bd. I S. 1 ff, 6; Schwinge Teleologische Begriffsbildung S. 47 ff; Mezger Strafrecht § 11 I 2 b; Welzel Strafrecht § 5 II 2; German η Probleme und Methoden S. 47 ff, 74; Schwalm Heinitz-Festschrift S. 47 ff mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen; Zippelius JZ 1970 S. 241 ff, 243; ders. Einführung S. 25 ff; Baumann-Weber AT § 13 II 2 a ff; BockelmannVolk AT § 4 C H 2; Maurach-Zipf A T I § 9 Rdn. 22 ff; LK-Tröndle § 1 Rdn. 46; SchmidhäuserAT 5/33; SK-Rudolphi% 1 Rdn. 32; Hasscmer

Gesetzesbindung und zeitliche Geltung

4. AbSChn

lungen vom Regelungszweck gehabt haben 4 1 . Beispiel: Der Mehrheit der Parlamentarier hat eine Vorstellung vom Regelungszweck der Entsprechensklausel in § 13 StGB bei der Abstimmung gewiß gefehlt. — Die historische Theorie kann nicht verbindlich sein, wenn der damalige Regelungszusammenhang nicht mehr besteht, insbesondere weil der damals angenommene Legitimationsgrund der Regelung entfallen ist. Beispiel: Die Regelung des Verbotsirrtums (§17 StGB) verdankt ihre Entstehung überwiegend einem ontologisierenden Schuldbegriff; entfällt dessen Legitimationskraft, weil die Zweckbestimmung des Schuldbegriffs erkannt wird, so muß sich auch die Interpretation der Vorschrift entsprechend wandeln (siehe unten 19/30). Die Wandlung der N o r m gelingt um so eher, als ihr Regelungsgehalt vage ist. — Bei Konnexität der Regelungszusammenhänge geht die historische Theorie in der objektiven Theorie auf. bb) Der V o r r a n g der objektiven Theorie bedeutet nicht, jeder Interpret dürfe das 2 2 Gesetz nach seinen Regelungsvorstellungen einfärben. Denn wie schon oben dargelegt wurde, produziert die objektive Auslegung ohne Konnexität der V o r a n n a h m e n axiologisch passende Ergebnisse allenfalls per Zufall. Beispiel: Das StGB läßt sich nicht ohne schwere Wertungswidersprüche allein mit den Vorannahmen interpretieren, Regelungszweck sei etwa eine Androhungsprävention im Sinn Feuerbachs oder Spezialprävention im Sinn des Marburger Programms von v. Liszt o. ä. Eben wegen der U n m ö g lichkeit, mit inkonnexen Vorannahmen widerspruchsfreie Ergebnisse zu erzielen, ist jede systematisch passende Interpretation ein Zeichen dafür, daß der — offengelegte oder noch latente — „Wille des Gesetzes" getroffen wurde. Die Widerspruchsfreiheit wird nach der hiesigen Ansicht also vorrangig zwischen den N o r m e n und nicht in der Geschichte einer N o r m gesucht. Bei dieser systematischen Absicherung eröffnet die objektive Theorie — entgegen einer verbreiteten Ansicht — kein Einfallstor f ü r Willkür, so daß bei ihr — wie bei den anderen Theorien — weniger ein Ubermaß an

Strafrechtsdogmatik S. 38 f, 155 f, 211. — Für einen Methodensynkretismus bei Vorrang der objektiven Theorie (was im Ergebnis der hiesigen Ansicht am nächsten kommt) Stratenwertb Germann-Festschrift S. 257 ff, 266; /escheck A T S 17 IV 2; Schönke-Schröder-Eser §1 Rdn. 44; SK2-Schreiber§ 1 Rdn. 23. — Für einen Methodensynkretismus mit V o r r a n g der subjektiven Theorie Liver Wille des Gesetzes S. 19 ff. — Vermittelnd ist auch die Theorie von Krey Studien S. 184 ff, wonach die „rechtspolitische Wertentscheidung des Gesetzgebers" zwar eine Schranke der Auslegung sein, aber durch „höherrangige Wertungen" oder „neuere Wertungen des heutigen Gesetzgebers" überholt werden soll. — Für die subjektive Theorie Engisch Einführung S. 94 ff (mit erheblichen Einschränkungen S. 96) ; H. Mayer AT § 1 3 IV 2; ders. Studienbuch § 6 III 2; Naucke Betrug S. 189 (erheblich modifiziert aber den. Engisch-Festschrift S. 274 ff, 286); Bindokat JZ 1969 S. 541 ff; Laos Wassermann-Festschrift S. 123 ff (mit anderer Terminologie). — Die subjektive Theorie muß wenigstens die Einschränkungen akzeptieren, die Krey a a O nennt: Wie soll ansonsten etwa heute die Auslegung der von 1941 (!) stammenden Fassung des § 211 StGB im Merkmal der niedrigen Beweggründe vorzunehmen sein? — Eine einge-

hende Darstellung und Kritik der subjektiven, objektiven und vermittelnden Theorie bringt MennickenZiel S. 19 ff, 48 ff, 58 ff. 41 Siehe Germann Probleme und Methoden S. 47 ff, 66; Stratenwertb Germann-Festschrift S. 257 ff, 268 f. — Zum Problem aus der Sicht der subjektiven Theorie siehe Engisch Einführung S. 95 mit Nachweisen S. 95 mit Nachweisen; Loos Wassermann-Festschrift S. 123 ff, 125 und Schroth Auslegung passim. Schroth will nicht auf einen psychologisierend verstandenen Willen abstellen, sondern auf die „transparent gewordene Handlung eines Gesetzgebers, die zu einem Gesetz geführt hat" (S. 84). Das bedeutet je nach Abstraktionsniveau der Handlungsinterpretation Verschiedenes (letztlich geht es stets um eine Handlung, die eine als vernünftig gedachte O r d nung garantieren soll) und läßt nicht erkennen, wie weit der Kontext der Handlung (die „Geschäftsgrundlage" des Gesetzgebers) mit transparent zu werden hat. Vom gesetzgeberischen Willen soll der Interpret allenfalls mit ausdrücklicher Begründung abweichen dürfen (S. 101 f, 153). Eine Erweiterung der Strafbarkeit gegen den Willen des Gesetzgebers soll unzulässig sein (S. 114, 153), was freilich wegen der Vagheit des Kontextes der gesetzgeberischen Handlung wenig garantiert.

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4. AbSChn

I · Buch. 2. Kapitel. Gesetzesbindung. Geltung des Strafrechts

Variabilität der Ergebnisse zu rügen sein dürfte als eine Immobilität des gesamten Regelungskomplexes, die durch die systematische V e r k n ü p f u n g aller Regelungsteile bewirkt wird. 3. Die Folgerungen für den Gesetzgeber 23

a) Bei der Erörterung, welche Konsequenzen der geschilderte Befund f ü r den Grundsatz der Gesetzesbindung hat, ist zwischen den Ansprüchen an den Gesetzgeber einerseits und den Gesetzesanwender andererseits zu unterscheiden. Dem Gesetzgeber ist verboten, unbestimmtes Verhalten mit Strafe zu bedrohen. Wann ein Gesetz als unbestimmt zu bezeichnen ist, kann freilich nicht absolut ausgemacht werden; denn jede Regelung, die den Einzelfall überschreitet, erhält — wie soeben dargestellt wurde — ein Stück ihrer zur Anwendung auf den Einzelfall erforderlichen Bestimmtheit durch den Rechtsanwender. Der Gesetzgeber könnte aber den Spielraum des Rechtsanwenders beliebig variieren. So läßt sich zum Beispiel folgende Skala steigender Bestimmtheit aufmachen: Ein deliktisches Verhalten kann beschrieben werden als „schlechtes Benehmen" oder „sozialschädliches schlechtes Benehmen" oder „in einer bürgerlichen Gesellschaft sozialschädliches schlechtes Benehmen" oder „Störung der f ü r eine bürgerliche Gesellschaft elementaren Regeln" oder „Verstoß gegen die Eigentumsordnung" oder „Zueignung einer fremden Sache" oder „auf Dauer gerichtete Enteignung des an einer fremden Sache Berechtigten und Aneignung durch den Täter" etc., wobei auch noch der Sachwert, die Situation des Opfers, die Tatgründe (Not, Neid, Verschwendungssucht etc.), ferner die allgemeinen Voraussetzungen der Zurechnung u. a. m. spezifiziert werden mögen, soweit sie f ü r die Rechtsfolge relevant sein können. Die Genauigkeit kann dabei in der Theorie so hochgeschraubt werden, daß nicht mehr zu erwarten ist, der beschriebene Fall werde sich auch ereignen; das Gesetz regelt dann mehr Spezifizierungen als praktisch vorkommen.

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b aa) Entsprechend der Funktion des Grundsatzes der Gesetzesbindung als Objektivitätsgarantie ist die Bestimmtheit f ü r die Deliktstypen des BT so anzusetzen, daß die N o r m im großen und ganzen nur bei legitimen Vorannahmen eines Regelungszwecks zu systematisch passenden Ergebnissen führt. Das Gesetz muß seinen Mißbrauch für illegitime Regelungszwecke selbst sperren41a. Freilich kann das Gesetz nicht auf Klauseln verzichten, die sich einem Wandel der sozialen O r d n u n g elastisch anpassen und die eine Berücksichtigung von Besonderheiten des Einzelfalls zulassen 4 2 . Durch diese Generalklauseln darf das Gesetz aber nicht zu einem Blankett werden, das überhaupt nur noch auf die jeweils f ü r ein Zusammenleben notwendigen N o r m e n verweist, sondern es muß selbst ausführen, welche Elemente (Güter, Institutionen) einer O r d n u n g es schützen will.

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bb) Ferner ist bei den Deliktstypen des BT unnötige Unbestimmtheit zu vermeiden. Läßt sich eine relativ ungenaue Regelung genauer bestimmen, so muß die genauere Variante gewählt werden 4 3 . Das gilt freilich nicht, wenn die genauere Regelung so viel schwerer zu handhaben ist (sie ist oft auch die umständlichere Regelung), daß bei ihrer Anwendung der Vorsprung an Exaktheit wieder verlorengeht. 41a

„Ergebnis- und Programmsicherung", AK-Hassemer § 1 Rdn. 19 f f ; siehe auch Ransiek Gesetz S. 47 ff. 42 Siehe Henkel Recht und Individualität S. 24 ff; Engisch Idee der Konkretisierung S. 212 ff; Sax in: Grundrechte Bd. III (2) S. 909 ff, 1006 ff; Lenckner JuS 1968 S. 249 ff, 304 ff; - BVerfG

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48 S. 48 ff, 56 f; BVerfG N J W 1987 S. 3175 f, jeweils mit Nachweisen weiterer Entscheidungen. 43 Lenckner JuS 1968 S. 249 ff, 304 f f ; Kohlmann Begriff des Staatsgeheimnisses S. 252 ff; Naucke Generalklauseln S. 3 ff; AK-Hassemer §1 Rdn. 41.

Gesetzesbindung und zeitliche Geltung

4. Abschn

cc) Bei den allgemeinen Elementen der Zurechnung reicht die Regelung der G r u n d - 26 züge. c) Auch die genannten Regeln geben kein fixes Maß an Bestimmtheit 43 ®; das Ergeb- 27 nis ihrer Anwendung hängt vielmehr davon ab, was noch als Interpretation einer N o r m und was schon als Bildung einer neuen N o r m verstanden wird (dazu unten 4/37 ff). Die Regeln wirken also je nach der geübten Interpretationskultur mit unterschiedlicher Strenge. Beispiele: Eine N o r m , nach der die Beeinträchtigung „höchstpersönlicher Güter" bestraft wird, wäre verfassungswidrig; denn die Güter sind benennbar (Leben, Leib, Freiheit u. a. m.), ohne daß eine spezifizierte N o r m schwerer zu handhaben wäre (um welches höchstpersönliche Gut es geht, muß zur Spezifizierung des Tatgewichts sowieso bestimmt werden). Daß bei genauer Benennung der einzelnen Güter Abgrenzungsprobleme, Überschneidungen und Lücken entstehen können, ist notwendige Folge einer jeden Spezifizierung und wird deshalb von einer Rechtsordnung, die den Grundsatz der Gesetzesbindung kennt, in Kauf genommen. — Wenn das Gesetz ein spezifiziertes höchstpersönliches Gut schützt, etwa Körperintegrität (die freilich noch weiter spezifiziert werden könnte), so mag es den insoweit fixierten Schutz ansonsten von der jeweiligen Gestalt der sozialen O r d n u n g abhängig machen, indem es auf die Verletzung der Integrität durch sozialinadäquates Verhalten abstellt: M/?handlung im Sinn von § 223 StGB. Aber wie weit der Begriff der Mißhandlung an die körperliche Fundierung des Eingriffs gebunden bleibt und wie weit er zur allgemein unangemessenen Behandlung ausufern kann (Beispiel: nächtliche Telefonanrufe als Mißhandlung?), richtet sich nach dem Interpretationsstandard, der durch den Umgang mit allen strafrechtlichen N o r m e n geprägt wird. Schulfälle einer unbestimmten Regelung sind die Bestrafung jeder Person, die „ge- 28 gen die öffentliche O r d n u n g verstößt" 4 4 , und das Kuriosum einer N o r m der Münchner Räte von 1919: „Jeder Verstoß gegen revolutionäre Grundsätze wird bestraft. Die Art der Strafen steht im freien Ermessen des Richters" 4 5 . Solche N o r m e n sind nur noch Blankette, die kein Element der zu schützenden O r d n u n g mehr bezeichnen; sie sind deshalb schlechthin unbestimmt. Das gilt auch f ü r § 360 Abs. 1 N r . 11 StGB a. F. (nur geringfügig verbessert: § 118 Abs. 1 OWiG), wonach zu strafen sein sollte, wer (ungebührlicherweise ruhestörenden Lärm erregt oder) „groben U n f u g verübt". Auch diese N o r m benennt kein Element des Schutzes mehr, sondern schützt nur noch O r d n u n g allgemein. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die N o r m sei noch verfassungsgemäß 4 6 , entleert den Grundsatz der Gesetzesbindung bis zum Nichtssagenden. Der grobe U n f u g kann — anders als bei der nachfolgend noch zu nennenden Fallgruppe eines diffusen Schutzumfangs bestimmter Güter — auch nicht durch restriktive Interpretation bestimmt gemacht werden, da mangels Andeutung des Regelungsgegenstands außer der O r d n u n g selbst ein Interpretationsgegenstand fehlt. Der Grundsatz der Gesetzesbindung verlangt eine mindestens auch gesetzliche und nicht nur interpretatorische Bestimmtheit47. 43a

Zur — wenig an einer Objektivitätsgarantie orientierten — neueren Rechtsprechung mit umfassenden Nachweisen Krahl Rechtsprechung S. 104 ff. 44 Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1953 S. 75 f. 45 Bei Behng'ZSCW 40 S. 511. 46 BVerfG 26 S. 41 ff, 43 f mit zweifelhaftem Hinweis auf das geringe Gewicht der angedrohten

Strafe; dazu zutreffend Woesner N J W 1963 S. 273 ff, 274 f. - Nach dem Gewicht der Strafe differenziertauch BVerfG N J W 1987 S. 3175 f. 47 Im Ergebnis wie hier: Schröder J R 1964 S. 392; den. J Z 1966 S. 649 ff; Schroeder J Z 1969 S. 775 f f ; a.A. Heinitz E. Hirsch-Festschrift S. 47 ff, 59 f; weitere Nachweise bei SchönkeSchröderi7 5 360 Rdn. 47 ff.

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I · Buch.

2. Kapitel. Gesetzesbindung. Geltung des Strafrechts

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d aa) Es gibt zwar kein Gefälle der Bestimmtheit von deskriptiven Deliktsmerkmalen, insbesondere Tatbestandsmerkmalen, hinab zu normativen 4 8 , da normative Merkmale bestimmt sind, wenn die relevante Wertung ihrerseits bestimmt ist 4 9 . Merkmale wie etwa „fremd" bei den Eigentumsdelikten oder „außerehelich" bei den §§ 177 ff StGB sind normativ und zugleich relativ hoch bestimmt. Zudem sind alle, auch die meist als deskriptiv bezeichneten Deliktsmerkmale normativ begrenzt und im Grenzfall möglicherweise unbestimmt (etwa: Ende des Menschseins mit dem Hirntod?). Wohl aber gibt es ein Gefälle vom Schutz der klassischen Güter und Angriffsobjekte hinab zum Schutz von Positionen und Chancen, deren Beeinträchtigung im großen Umfang sozialadäquat ist und überhaupt keine Enttäuschung darstellt oder massenweise gerechtfertigt wird. Bei diesen Gütern (Handlungsfreiheit, Chance der körperlichen und seelischen Entwicklung, Intimsphäre, Ehre, auch einige Formen von Vertrauen u. a. m.) bezeichnet das Gesetz noch die Elemente der Ordnung, nimmt aber die Bestimmung sogleich f ü r zahlreiche — regelmäßig nur diffus bezeichnete — Fälle wieder zurück oder überläßt die unumgängliche Rücknahme der Rechtsprechung. Dabei handelt es sich teils um ein Unvermögen des Gesetzgebers, den Deliktstyp präziser zu beschreiben, teils um bewußt gewählte Formelkompromisse (so bei den §§ 184 c Nr. 1, 218 a Abs. 2 N r . 3 StGB). Beispiele: Die Handlungsfreiheit ist nur gegen „verwerfliches" Handeln geschützt (§ 240 Abs. 2 StGB; ebenso verhält es sich beim Freiheits- und Vermögensschutz nach § 253 Abs. 2 StGB), die Entwicklungschance eines Kinds nur gegen die Gefahr „erheblicher" Schäden durch „gröbliche" Pflichtverletzung (§ 170 d StGB), die Ehre nicht bei „Wahrnehmung berechtigter Interessen" (§ 193 StGB), die sexuelle Selbstbestimmung nur gegen „sexuelle Handlungen, . . . die im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sind" (§ 184 c N r . 1 StGB) 5 0 ; Vertrauen bei der Wahrnehmung von Vermögensinteressen durch andere nennt § 266 Abs. 1, 2. Fallgruppe StGB ganz uferlos und überläßt die Begrenzung der Rechtsprechung; der Schutz der Leibesfrucht endet bei Gefahr einer schweren Notlage für die Schwangere (§218 a Abs. 2 N r . 3 StGB) 51 etc.

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bb) In solchen Fällen ist die Regelung nur verfassungsgemäß, wenn sich bei strafbegründenden Merkmalen durch Reduktion auf ihren Kernbereich die Elemente der O r d n u n g genau ausmachen lassen oder wenn bei strafhindernden Merkmalen die Herleitung aus einem allgemeinen Prinzip möglich ist. Das ist — zur Strafbegründung — etwa bei Nötigung und Erpressung der Fall, wenn einzig auf die rechtlich garantierte Freiheit abgestellt wird 5 2 , ferner — zur Strafhinderung — bei der Einwilligungsrechtfertigung der Körperverletzung (§ 226 a StGB), wenn die „guten Sitten" entsprechend den allgemeinen Prinzipien der Rechtfertigung als rechtlich vernünftiger Handlungsanlaß verstanden werden (unten 14/9). Beim Treubruchstatbestand der Untreue gelingt die Reduktion nicht (jede Grenzziehung etwa zwischen dem Finder einer Sache und 48 Siehe unten 8/48 ff; überhaupt einschränkend zur Tauglichkeit der Begriffe bei der Herstellung von Bestimmtheit Haft JuS 1975 S. 477 ff, 483 f; dagegen Schünemann Nulla poena S. 30. Siehe Kohlmann Begriff des Staatsgeheimnisses S. 259 ff; Schünemann Nulla poena S. 29 ff; Krey Studien S. 78, 98, 101, 113 und passim; LemmeI Strafbarkeitsvoraussetzungen S. 45 ff. 50 Dazu LK- Tröndle § 1 Rdn. 16. 51 Dazu LacknerWyVJ 1976 S. 1233 ff, 1239. 52 Die Verwerflichkeitsklausel wird dann überflüssig, weil der Bruch eines garantierten Rechts per Definition in den aktuellen (das heißt: notwehrfn-

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higen) Güterbestand einer Person eingreift; dazu Jakobs H. Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 791 ff, 796 ff; Timpe Nötigung S. 70 ff. Stellt man aber auf die Verwerflichkeitsklausel ab, wird die Vorschrift unbestimmt, weil sie die Ordnung nicht nennt, von der aus das Verwerfliche ermittelt werden soll. Das BVerfG 73, S. 207 ff, 252 ff hat freilich die Verfassungswidrigkeit der Vorschrift nicht festgestellt; N J W 1988 S. 693 f; für Verfassungsgemäßheit Tröndle Lackner-Festschrift S. 627 ff, 631 f; dagegen Callies NJW 1985 S. 1506 ff; siehe auch Hirsch Tröndle-Festschrift S. 19 ff, jeweils mit Nachweisen.

Gesetzesbindung und zeitliche Geltung

4. Abschn

dem Vormund in Vermögensangelegenheiten ist willkürlich), so daß die Vorschrift verfassungswidrig ist. — Alle genannten Lösungen sind streitig. e) Schwierig ist die Behandlung der zunehmend häufiger verwendeten unbestimmten 31 Mengenbezeichnungen f ü r die Erfolgsquantität („erheblich" 5 3 etc.). Sie können teils Bagatellkriminalität ausklammern; überwiegend sind sie jedoch dahin zu verstehen, daß nur ein gewisses Maß an Erfolgsherbeiführung überhaupt rechtswidrig ist. So sind kleine Defekte in der Entwicklung eines Kindes noch sozialadäquate Varianten der N o r m (zu § 170 d StGB); entsprechend mögen geringfügige sexuelle Handlungen zwar schon Aufdringlichkeiten oder Geschmacklosigkeiten sein, ohne aber deshalb aus dem Rahmen des noch allgemein Tolerierten zu fallen (zu § 184 c N r . 1 StGB); schon hilflos wirkt „viele Personen" in § 283 a N r . 2 StGB. — Das Maß läßt sich genauer bestimmen, wenn das Gesetz selbst Beispiele f ü r die H ö h e nennt („Wer einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff vornimmt", §§315 Abs. 1 N r . 4, 315 b Abs. 1 N r . 3 StGB 54). f) Generalklauseln, die außerrechtliche Wertungen benennen („verwerflich", „nied- 32 rige Beweggründe" etc. 5 5 ), sollen nach einer verbreiteten Auffassung einzig durch unbestrittene Wertungen ausgefüllt werden dürfen 5 6 - 5 7 . Dadurch wird freilich nicht ausgeschlossen, daß selbst eine unbestrittene Wertung noch zu weit sein kann (so bei § 240 Abs. 2 StGB; das unbestritten Verwerfliche indiziert nicht stets eine Beschränkung rechtlich garantierter Freiheit; — siehe zu Fn. 52). Aber die unbestrittene W e r tung kann auch zu eng sein: Wenn das Gesetz nur f ü r den Fall einer eindeutigen Entscheidung der Wertungskontroverse sinnvoll ist, dann ist diese Entscheidung zu akzeptieren. Beispiel: Die Bewertung einer Verletzung zum Zweck einer T ö t u n g auf Verlangen ist gegenwärtig kontrovers; das Gesetz wertet aber allein das Verlangen nicht als hinreichenden Grund zur Tötung (§216 StGB) und damit auch nicht zur Verletzung. — Die Befreiung von moralisierenden Strafbegründungen läßt sich eher durch eine Reduktion der außerrechtlichen Wertungen auf rechtliche Wertungen erreichen als durch Bindung an die überwiegende Moral. So können die „guten Sitten" bei § 226 a StGB als rechtlich plausibler Handlungsanlaß definiert werden (unten 14/9), die niedrigen Beweggründe beim Mord als rechtlich geringwertige Anlässe 5 8 (ob der Tyrannenmord eine Tötung mit niedrigem Beweggrund ist, hat der Richter dann ohne Anleihen bei der allgemeinen Bewertung, vielmehr allein im Blick auf Art. 20 Abs. 4 G G zu verneinen), die Verwerflichkeit bei der Nötigung erledigt sich durch eine Reduktion auf die rechtlich garantierte Freiheit etc. Die Verwendung von Generalklauseln bei der Bestimmung der Deliktstypen des BT ist ein Zeichen f ü r ein Legitimationsdefizit des Gesetzgebers, das mit der Distanz 53

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„Erheblich" kann sich aber auch auf die Qualität eines Merkmals beziehen, so etwa bei § 265 b Abs. 1 Nr. 1 StGB; zur Bestimmtheit insoweit siehe B G H 30 S. 285 ff, 291 ff. B G H 22 S. 365 ff, 366 f; Krey Studien S. 223 ff; a. A. (verfassungswidrig) Isenbeck N J W 1969 S. 174 ff, 176. Zu „unrichtig" und „unvollständig" in § 265 b Abs. 1 Nr. 1 StGB siehe B G H 30 S. 285 ff, 286 f. Grünwald Z S t W 76 S. 1 ff, 16; Roxin JuS 1964 S. 373 ff, 379 ff; Engisch H . Mayer-Festschrift S. 399 ff, 4 0 1 ; H. Mayer Materialien Bd. I S. 259 ff, 2 7 7 ; Schlüchter N S t Z 1984 S. 300 ff, 301 ff; Ransiek Gesetz S. 68 ff, 78; SchönkeSchröder-Eser § 1 Rdn. 22;/escbeckAT§ 15 I 3.

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G a n z kurzsichtig ist die teils erfolgende, schlagwortartige Bezeichnung dieser Deutung als ein „in dubio pro libertate" (zur Verwendbarkeit dieser Maxime Amelung Rechtsgüterschutz S. 326 ff; /¿gerKlug-Festschrift S. 83 ff, 91 ff mit N a c h w e i s e n ) ; — die libertas des Täters kann die Vernichtung des Opfers sein, etwa bei § 2 1 8 a Abs. 2 N r . 3 StGB. Strafrecht nimmt Freiheit des einen zur Ermöglichung von Freiheit des anderen; zutreffend Arzt Kriminalistik 1981 S. 117 ff, 118. SK-Hom § 2 1 1 Rdn. 8; Jakobs N J W 1969 S. 489 ff.

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4. AbSChn

l . Buch. 2. Kapitel. G e s e t z e s b i n d u n g . Geltung des Strafrechts

zwischen Gesetz und Einzelfall nicht voll erklärt werden kann, da der Gesetzgeber die Vernachlässigung von Besonderheiten des Einzelfalls durch den Vorteil einer rechtssicheren Anordnung kompensieren könnte. O b dem Legitimationsdefizit des Gesetzgebers ein Legitimationsvorsprung des Richters entspricht, ist nicht ausgemacht; es mag auch um eine allgemeine Unfähigkeit oder Inopportunität gehen, die „magna charta des Verbrechers" präzis zu formulieren 5 9 . 4. Die Folgerungen für den Gesetzesanwender a) Das Problem des Generalisierungsverbots 33

aa) Die Bindung des Gesetzesanwenders an die Bestimmung der Deliktstypen im BT durch das Gesetz (bei der Zurechnungslehre im A T ist die Bindung schwächer, dazu oben 4/13, 15 und unten 4/43) hat folgenden Inhalt: Da der Grundsatz nur zugunsten des Täters wirkt (er garantiert Gesetzesbindung der Strafbarkeit, nicht der Straffreiheit), darf der Gesetzesanwender bei der Auslegung des Gesetzes das Niveau der Generalisierung, auf dem das Gesetz die positiven Merkmale des Deliktstyps formuliert, senken, also spezieller werden und dadurch den Anwendungsbereich verengen, wenn diese Senkung dem gesetzlichen System eher entspricht als die Beibehaltung des Niveaus. Der Gesetzesanwender darf aber nie das Generalisierungsniveau der positiven Merkmale des Deliktstyps erhöhen, also genereller werden und dadurch den Anwendungsbereich erweitern. Dieses Generalisierungsverbot — überwiegend wird es (schlecht) als Analogieverbot bezeichnet 6 0 — gilt insbesondere auch, wenn sich aus dem System des Gesetzes klar ergibt, daß die Gesetzesfassung zu eng ist; denn der Grundsatz der Gesetzesbindung soll nicht Bestrafung ohne guten Grund, sondern Bestrafung ohne Gesetz hindern. Beispiel: Im System des Eigentumsschutzes klafft eine axiologisch nicht zu rechtfertigende Lücke; denn eine Sachzueignung ohne Wegnahme (kein Diebstahl) und ohne Gewahrsam des Täters (keine Unterschlagung) ist keine Straftat. Der Grundsatz der Gesetzesbindung verbietet, die Lücke zu schließen, was etwa geschehen könnte, indem der Gewahrsam bei der Unterschlagung solchermaßen generalisiert ausgelegt wird, daß jeder Täter Gewahrsam hat, der nicht wegnimmt 6 1 . Bei den negativen Merkmalen des Deliktstyps (etwa: ohne Erlaubnis, ohne Willen des Opfers etc., soweit das Fehlen der Erlaubnis oder Einwilligung Tatbestandsmerkmal ist) gilt das Generalisierungsverbot mit der Maßgabe, daß das Fehlen des Merkmals wohl spezifiziert, aber nicht generalisiert werden darf; d. h. das Merkmal selbst darf 59 Eindringlich Naucke in : NS-Recht S. 71 ff, 104. 60 Die Bezeichnung ist schlecht, weil ohne Analogieschlüsse (Schlüsse aus hinreichender Ähnlichkeit auf die Notwendigkeit von Gleichbehandlung; eingehend Heller Logik und Axiologie S. 44 ff) bei der Interpretation nicht auszukommen ist. Bei jeder Feststellung, daß ein Fallbereich noch von einer N o r m erfaßt wird, beruht die Argumentation, so sie material erfolgt, auf der Behauptung hinreichender Ähnlichkeit des Noch-Erfaßten mit dem Kernbereich der Regelung. Grundlegend Sax Analogieverbot S. 94 ff; Arthur Kaufmann Analogie S. 1 ff mit Nachweisen des Meinungsstands S. 61 ff; Waiblinger Juristenvereins-Festgabe S. 212 ff, 254 ff. - Nach Arthur Kaufmann aaO S. 52 besagt der Grundsatz der Gesetzesbindung, „daß der Typus der strafbaren Handlung in einem formellen Strafgesetz fixiert, d. h. mehr

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oder weniger vollständig beschrieben werden muß" und daß die Überschreitung der Grenzen des Typus verboten ist. 61 So im Ergebnis die große berichtigende Auslegung des § 246 StGB, die freilich nicht mit einer Generalisierung des Gewahrsamsbegriffs, sondern mit seiner Streichung zum Ziel kommen will; wie hier die überwiegende Ansicht; a. A. Welzel Strafrecht § 46 vor 1 (die dort und bei Welzel JZ 1952 S. 617 f vertretene Ansicht, es gehe beim Gewahrsamsbegriff der Unterschlagung um eine Abgrenzungsformel und nicht um ein Merkmal des Unrechtstatbestands, dürfte richtig sein; Gesetzesbindung gilt aber für alle Deliktstypisierungen, auch soweit sie nicht zum Unrechtstatbestand gehören); — eingehend zum Problem mit Nachweisen Maiwald Zueignungsbegriff S. 210 ff.

Gesetzesbindung und zeitliche Geltung

4. Abschn

generalisiert, aber nicht spezifiziert werden (Beispiel: Je enger eine Erlaubnis definiert wird, um so weiter ist der Bereich, in dem sie fehlt). bb α) W a n n gegen das Verbot, das Generalisierungsniveau des Gesetzes zu erhö- 34 hen, verstoßen wird, ist äußerst schwierig und im Ergebnis nur randunscharf auszumachen. Das hat folgende G r ü n d e : Der Umfang der vom Gesetz benannten Deliktsmerkmale bestimmt sich danach, wie der Gesetzesanwender sie versteht. Das wiederum hängt, wie oben dargelegt wurde, von den Vorannahmen ab, die der Anwender vom Regelungszweck hat. Erwartet etwa der Interpret eine Regelung des Bereichs χ und nennt das Gesetz das Merkmal y, so kann der Interpret — theoretisch unbeschränkt, praktisch in Grenzen — zu der Auffassung kommen, die Bezeichnung f ü r y sei als juristischer terminus technicus f ü r χ zu verstehen. Meistens geht es darum, daß der Interpret meint, das Gesetz enge den Regelungsgegenstand zu sehr ein oder benenne gar die falsche Spezies. Es wird also eine umfassende und sachgerechte Regelung (x) erwartet, das Gesetz bringt aber eine — im ersten Verständnis — partielle oder überhaupt nicht passende Regelung (y). Versteht nunmehr der Interpret die partielle Regelung als Regelung pars pro toto oder die nicht passende Regelung als mißglückten, jedoch für andere Fälle beispielhaften und tauglichen Regelungsversuch, so verstößt er gegen das Generalisierungsverbot, weil er das Gesetz erweitert (mag er es — bei den unpassenden Merkmalen — auch zugleich an anderer Stelle verengen). Versteht der Interpret aber die beschränkende oder nicht passende Bezeichnung des Merkmals (y) als juristischen terminus technicus für das Ganze oder das Passende (x), so trifft das Gesetz die umfassende oder passende Regelung selbst, wenn auch in einer Fachsprache, die sich nicht schon im ersten Verständnis erschließt. Beispiel 6 2 : Qualifiziert eine Vorschrift den Forstdiebstahl, „wenn . . . ein bespanntes Fuhrwerk, ein Kahn oder ein Lasttier mitgebracht ist" (so früher § 3 Abs. 1 N r . 6 des Preußischen Forstdiebstahlge62

B G H 10 S. 375 f; die Entscheidung wendet die im Text sogleich genannte Vorschrift an. — Weitere Beispiele, bei denen die Annahme einer Fachsprache zu einer höheren Generalisierung kommt als sich beim ersten Verständnis ergibt: Ist elektrische Energie eine fremde Sache im Sinn des § 242 StGB, weil Sache alles ist, was mit Zueignungsabsicht aus dem Herrschaftsbereich des Berechtigten entfernt werden kann (verneinend RG 29 S. 111 ff, 115 f; 32 S. 165 ff, 186)? - Ist es Gewalt, wenn der Täter dem Opfer heimlich ein Narkosemittel beibringt (bejahend BGH 1 S. 146 ff) oder dem Opfer eine schußbereite Pistole entgegenhält (bejahend B G H 23 S. 126 ff) oder wenn die Täter einen Generalstreik inszenieren (bejahend B G H 8 S. 102 ff) oder sitzend Straßenbahnschienen blockieren (bejahend B G H 23 S. 47 ff), weil es nicht auf die aufgewendete Kraft ankommt, sondern allein auf die — nicht notwendig körperlich vermittelte — Zwangswirkung? — Liegt ein Einifeigediebstahl auch bei Ein kriechen vor, weil das Steigen jedes Sich-Hineinbegeben umfaßt (zu § 243 StGB a. F. bejahend B G H 14 S. 198 ff, 200)? Unterdrückt einen Brief auch, wer eine Postanweisung oder Zahlkarte oder Paketkarte unterdrückt, weil Brief jede schriftliche Nachricht per Post ist (zu § 354 StGB a. F. bejahend RG 1 S. 114 ff, 115; 72 S. 193 ff; 73 S. 236 ff; 77 S. 326 ff, 327)? - Ge-

braucht eine Waffe, wer dem O p f e r Salzsäure ins Gesicht schüttet, weil W a f f e jedes Kampfmittel ist (bejahend zu % 250 Abs. 1 N r . 1 StGB a. F. B G H 1 S. 1 ff; siehe schon R G GA Bd. 62 S. 321 : heißer Kaffee als Waffe) ? — Ist die Selbsttötung durch eine verantwortliche Person ein Unglücksfall im Sinn des § 323 c StGB (verneinend B G H 2 S. 150 ff; bejahend B G H GS 6 S. 147 ff und nachfolgende Entscheidungen)? — Liegt ein Unfall im Straßenverkehr auch dann vor, wenn einer der Beteiligten den Schaden vorsätzlich herbeigeführt hat (bejahend B G H 24 S. 382 ff)? Entfernt sich vom Unfallort (§ 142 Abs. 2 StGB), wer ohne sein Zutun weggefahren wird (bejahend BayObLG N J W 1982 S. 1059 f)? - Entfernt sich berechtigt oder entschuldigt vom Unfallort, wer sich unvorsätzlich entfernt (zu § 142 Abs. 2 N r . 2 StGB; bejahend B G H 28 S. 130 ff; eingehend Küper Universität Heidelberg-Festschrift S. 451 ff)? — Ist Absetzen auch ein erfolgloses Bemühen um Absatz (zu § 259 StGB; bejahend B G H 27 S. 45 ff; eingehend zur Argumentation Schroth Auslegung S. 131 ff, 134 ff; Lackner Universität Heidelberg-Festschrift S. 39 ff, dort auch weitere Beispiele)? — H a t ein Hinzukommender einen Täter auf frischer T a t schon betroffen, bevor er diesen registriert hat (zu § 252 StGB; bejahend B G H 26 S. 95 ff; siehe auch B G H 28 S. 224 ff, 227 f)? 83

4. A b S C h n

l . B u c h . 2. K a p i t e l . G e s e t z e s b i n d u n g . G e l t u n g d e s S t r a f r e c h t s

setzes), u n d benutzt der T ä t e r einen Lastwagen, so beruht die Verurteilung des Täters aus der Qualifizierung auf einer unzulässigen Gesetzeserweiterung, wenn unter dem bespannten F u h r w e r k ein W a g e n mit Zugtier verstanden wird, das stellvertretend f ü r den nicht bezeichneten generellen Begriff (etwa: gezogenes oder angetriebenes Landf a h r z e u g ) steht; die Verurteilung wäre aber zulässig, wenn die Bezeichnung als bespanntes F u h r w e r k z u m juristischen terminus technicus f ü r gezogene oder angetriebene L a n d f a h r z e u g e interpretiert werden kann. — Das Problem läßt sich also auf folgende Frage zuspitzen: W a n n darf der Interpret eine besondere juristische oder gar n u r strafjuristische 6 2 a oder gar n u r bei einer bestimmten N o r m geltende Terminologie reklamieren? 35

ß) Z u r Lösung wird verbreitet versucht, den Interpreten an den Begriffsinhalt bei umgangssprachlichem W o r t g e b r a u c h (Sprachgebrauch des täglichen Lebens, natürlicher, allgemeiner Sprachgebrauch etc.) zu b i n d e n 6 3 . Das f ü h r t aber zu keinem verwertbaren Ergebnis; denn es gibt nicht n u r eine einzige Umgangssprache, die Begriffsinhalte produziert. Vielmehr bildet sich die Umgangssprache in einer Fülle regionaler, beruflicher und sonstiger Bereichssprachen, ohne daß sich einer der Bereiche als strafrechtlich maßgeblich herausheben würde. Deshalb kann f ü r alle nicht ganz selten verwendeten W ö r t e r in der Regel ein so umfangreiches Arsenal von umgangssprachlichen Bedeutungen angeboten werden, daß die strafrechtliche Begriffsbildung nicht nennenswert begrenzt wird. Beispiel: Eine Sache, nach dem Sprachgebrauch des StGB ein körperlicher Gegenstand, ist nach üblichem Sprachgebrauch z w a r auch ein k ö r p e r licher Gegenstand, daneben aber auch der Gegenstand einer Aufgabe (Beispiel: die „Sache" der Justiz) oder die Aufgabe selbst (Beispiel: „die Sache läuft") u. a. m. In der U m g a n g s s p r a c h e ist es auch nichts besonderes, w e n n ein Teil das G a n z e vertritt (eine Frau k a n n ihren „ M a n n " stehen; N o t , die kein G e b o t kennt, kennt auch kein Verbot, generalisiert: keine Regel) oder sonst der Sinn der Rede metaphorisch zu bestimmen ist, insbesondere bei sogenannten Redewendungen. Gewiß schränkt der Kontext das Arsenal möglicher Bedeutungen ein 6 3 a , aber die Umgangssprache ist auch o f f e n f ü r 62a

Eine besondere ííra/juristische Terminologie behaupten f ü r Teilbereiche die Vertreter der „faktischen Betrachtungsweise", wobei „faktisch" als Entgegensetzung zu „zivilistisch" oder „verwaltungsrechtlich" etc. gemeint ist; Bruns J R 1984 S. 133 ff; dagegen insbesondere Cadus Betrachtungsweise passim, jeweils mit Nachweisen; siehe auch unten 21/14. 63 Auf den Wortsinn bei umgangssprachlicher Verwendung (in welchem umgangssprachlichen Bereich?) stellen ab Krey Studien S. 146 ff, 153 und passim (freilich soll im Zweifelsfall der juristische Sprachgebrauch entscheiden); ders. ZStW 101 S. 838 ff, 843 f f ; Schänemann Nulla poena S. 19 f; ders. Bockelmann-Festschrift S. 117 ff, 124 f ; ders. Klug-Festschrift S. 169 ff, 176 ff (Schünemanns Z u o r d n u n g der Sprachbereiche: juristische Fachsprache als Objektsprache — Umgangssprache als Metasprache, klärt zwar, wie eine Begrenzung einer Sprache durch eine andere zu denken ist, bringt aber für die beiden Hauptfragen nichts: Welchen Bereich der Umgangssprache will man gelten lassen, ferner, wieso soll die Bedeutung in einem anderen Kontext für die Auslegung im strafrechtlichen Kontext verbindlich sein?); Baumann-Weber KV § 13 I 3 und

84

63a

II 1 ; ders. M D R 1958 S. 394 ff; Engisch in: Enzyklopädie S. 39 ff, 62 f (natürlicher Sprachgebrauch, wenn nicht das Gesetz eine Fachterminologie wählt); ders. Einführung Kap. IV; AK-Hassemer § 1 Rdn. 80 (ein zur Gesetzesauslegung „externer" und „realer" Sprachgebrauch). — Eine Abweichung vom „nackten Wortlaut" hält f ü r zulässig Hafter SchwZStr. 62 (1947) S. 133 ff, 136. — Teils wird ein nicht näher bezeichneter Wortsinn als Auslegungsgrenze beschworen; BVerfG 73 S. 206 ff, 235; Schreiber Gesetz und Richter S. 230; Welzel Strafrecht S 5 II 2; SK-Rudolphi § 1 Rdn. 29; v. Hippel Strafrecht Bd. II § 3 IV 2; Schänke M D R 1947 S. 85 ff, 86; ¡escheck A T § 17 IV 5; Bender J Z 1957 S. 593 ff, 598 f; Roxin Kriminalpolitik S. 15 Fn. 41 ; //¿//encampVorsatztatS. 135 ff, 138. Schünemann in : Strafrechtssystem S. 153 ff, 186; — beiläufig, wenn Schünemann zu dem im Text angeführten Beispiel behauptet, schon der H i n z u tritt des Tatbestandsmerkmals „Wegnahme" zum Merkmal „Sache" beweise, daß Sache ein körperlicher Gegenstand sein müsse, schneidet er den möglichen Kontext viel zu klein und nimmt dadurch selbst seiner Sache viel von ihrer Überzeugungskraft weg.

Gesetzesbindung und zeitliche Geltung

4. Abschn

neue Wortbedeutungen in neuen oder neu gesehenen Kontexten, und Sicherheit über den relevanten Kontext stellt sich erst nach der Interpretation ein. N u n könnte man in Kauf nehmen, daß bei den ubiquitären W ö r t e r n das Arsenal möglicher Wortbedeutungen nahezu Beliebiges verfügbar hält (etwa der Diebstahlstatbestand läßt sich nach den umgangssprachlich möglichen Wortbedeutungen bis hin zu jeder eigennützigen Rechtskränkung ausdehnen), wenn die Beschränkung f ü r die weniger gebräuchlichen Wörter tauglich wäre. Auch das ist freilich nicht der Fall; denn wird bei der Ermittlung der möglichen Bedeutung der strafrechtliche Kontext abgekoppelt, so kann sich nur noch per Zufall ein passender Regelungssinn einstellen, weil die mögliche Wortbedeutung in außerstrafrechtlichen Kontexten strafrechtlich überhaupt unverwertbar sein mag. Beispiel: Die Bezeichnung als bewaffneter H a u f e n dürfte außer in § 127 StGB nur in einigen paramilitärischen Verbänden benutzt werden. Wieso sollte diese Verwendung den Strafrechtsinterpreten binden? — Wird aber bei der Ermittlung der möglichen Bedeutung der strafrechtliche Kontext einbezogen, wie es dem Faktum entspricht, daß die sprachbestimmende Alltäglichkeit nicht vor den T o r e n der Justiz endet, so kann bei sämtlichen Bezeichnungen die ermittelte Wortbedeutung die strafrechtliche Interpretation nicht mehr begrenzen, weil die Wortbedeutung selbst schon durch diese Interpretation bestimmt ist. γ) Wegen dieses Dilemmas wird vorgeschlagen, statt auf die Wortbedeutung auf den 36 Sinn einer Regelung abzustellen 6 4 . Aber auch das bietet keine Lösung, weil bei einer Differenz zwischen der ausformulierten und der sinnhaften Regelung die letztere eben nicht ausformuliert ist, wie es der Grundsatz der Gesetzesbindung verlangt. Ein Regelungssinn, der sich nur aus dem Zusammenhang o. ä. ergibt, ist nicht der Sinn einer lex scripta 65 . b) Die Notwendigkeit der Systembildung aa) Das Problem des Generalisierungsverbots läßt sich nur lösen, wenn anerkannt 37 wird, daß es eine zwingende Grenze bei der Interpretation nicht gibt, daß sich die Grenze vielmehr nach der praktizierten Interpretationskultur richtet. Damit ist gemeint, daß die Grenze der Auslegung nicht der Sinn ist, den die Begriffe des Rechts haben, sondern der ihnen beigelegt werden k a n n 6 6 . Einzelheiten: bb) Wenn die strafrechtlichen N o r m e n nicht willkürlich sein sollen, müssen sie 38 miteinander verbunden sein und in diesem Sinn ein System bilden (einen nicht notwendig vollständigen, aber im vorhandenen Teil widerspruchsfreien Zusammenhang 6 6 a ). Das System besteht nicht nur aus ungleichen Bauelementen; vielmehr wiederholen sich zahlreiche Merkmalsbezeichnungen bei zahlreichen N o r m e n (die Bezeichnungen für 6·»

Germann Probleme und Methoden S. 47 ff, 104: „ H ö h e r als der Wortlaut des Gesetzes" steht „,sein Sinn und Zweck. Das gilt sogar für das Strafrecht"; HöpfeL JurBI. 1979 S. 505 ff, 575 ff, 581 f (freilich unter Vermengung mit anderen Ansichten); Zimmermann GA 1955 S. 336 ff, 339; den. N J W 1956 S. 1262 f f ; siehe auch Mauracb-Zipf A T I § 9 Rdn. 21. - Eine Recht schaffende Auslegung wollen auch die genannten Autoren nicht anerkennen. 65 Zutreffend Jost SchwZStr. 65 (1950) S. 358 ff, 369 und die überwiegende Ansicht. 66 Hauptsächlich wie hier B G H 10 S. 157 ff, 159 f ; Hassemer Tatbestand und Typus S. 160 ff, 164; Schmidhäuser A T 5/42; wohl auch Stree JuS 1961

S. 50 ff, 51; Stratenwerth A T Rdn. 100 a. E.; LK-Tröndle § 1 Rdn. 31 und passim. — Auf den bestehenden juristischen Sprachgebrauch abstellend (falls ein solcher fehlt, auf den allgemeinen Sprachgebrauch) Schönke-Schröder-Eser §1 Rdn. 37 f. — Auf den zur Zeit der Gesetzesauslegung beilegbaren Sinn abstellend H. Mayer SJZ 1947 Sp. 12 ff. 66a i3¡ e Notwendigkeit einer Beschränkung des Systems auf logische, mathematische (oder naturwissenschaftliche) „Strukturen" ist behauptet worden (eindringlich Hruschka J Z 1985 S. 1 ff), freilich bislang ohne eine Begründung, die von einem seinerseits nicht begründeten Wissenschaftsverständnis unabhängig wäre.

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4. AbSChn

1· Buch. 2. Kapitel. Gesetzesbindung. Geltung des Strafrechts

die Täter oder f ü r die Tatobjekte einer Deliktsgruppe etc.), ferner die Arten und Weisen, in denen sie verwendet werden (Tätigkeitsbezeichnungen werden häufig eingesetzt, um die unmittelbare und die vermittelte Verursachung eines Erfolgs zu treffen) u. a. m. Nicht nur die Deliktstypen insgesamt, sondern nahezu alle Komponenten, aus denen sie aufgebaut sind, werden deshalb im System wie die Knoten eines Netzes mehrfach miteinander verbunden. Bei dieser Lage ist die Möglichkeit, der Bezeichnung eines Deliktsmerkmals eine Bedeutung zu geben, der vom strafrechtlichen Usus abweicht, nicht nur durch das Erfordernis beschränkt, das Ergebnis systematisch einzupassen (schon das schließt beliebige Vorannahmen des Interpreten aus), sondern auch die Begründung, mit der die Bedeutung festgelegt wird, darf nicht das System durcheinanderbringen, wenn man sie auf die Lösung anderer Interpretationsprobleme überträgt. Die Begründung muß also ohne Schaden f ü r das System generalisierbar sein 6 7 . Diese Generalisierbarkeit des Interpretationsgrunds muß natürlich nur f ü r analoge Interpretationsprobleme bestehen. Beispiel: Wenn bei einem Sonderdelikt trotz eines männlich formulierten Rollennamens (der Arzt, der Amtsträger) auch Frauen Täter (Täterinnen!) sein können, weil eine Differenzierung nach dem Geschlecht willkürlich wäre, so besagt das nichts f ü r die Interpretation von Delikten, bei denen das Geschlecht die Rolle bestimmt, etwa die Delikte gegen sexuelle Selbstbestimmung. Die Ernsthaftigkeit des Bemühens, Willkür durch Bindung an das System auszuschalten und den vom Gesetz verwendeten Merkmalsbezeichnungen eine Bedeutung nur nach Regeln beizulegen, die verallgemeinert werden können, ist dasjenige, was oben als Interpretationskultur bezeichnet wurde. 39

cc) Der Interpret geht bei dieser Lösung zwar vom bisherigen (bis zu seiner Interpretation üblichen) strafrechtlichen Sprachgebrauch aus, ist aber an ihn nicht gebunden. Vielmehr kann die zu interpretierende N o r m einen neuen Kontext und damit neue Bedeutungen alter Bezeichnungen von Deliktsmerkmalen bringen. Der Interpret ist allerdings daran gebunden, daß ein von ihm behaupteter Grund f ü r ungewöhnliche Auslegung generalisierbar, d. h. in entsprechenden Lagen wiederholbar sein muß, ohne das System zu zerstören. Wegen dieser Bindung ist es praktisch ausgeschlossen, daß der Interpret einer Merkmalsbezeichnung eine Bedeutung beilegt, die völlig außerhalb des bisherigen Verständnisses liegt 68 oder gar das Gegenteil bildet. Ferner ist es ausgeschlossen, daß einer Bezeichnung mit — bisher — spezieller Bedeutung der Inhalt einer Bezeichnung mit genereller Bedeutung beigelegt wird, sofern auch die Bezeichnung mit genereller Bedeutung im strafrechtlichen Sprachgebrauch geläufig ist. In den genannten Fällen wäre die Wortwahl des Gesetzes willkürlich; Willkür als allgemeine Regel würde aber jedes System zerstören. Zwar schafft der Interpret durch die Interpretation den Inhalt einer Regelung; dabei bindet ihn jedoch, daß die Regeln, die er anwendet, und die Freiheiten, die er sich nimmt, auf die Interpretation aller Regelungen zurückwirken. Das System erzwingt Kontinuität. Ein Beispiel f ü r eine kontinuierliche, nach mehreren Entwicklungsschritten freilich zu erheblicher Inhaltsänderung führende Interpretation ist die Auslegung der Gewalt bei der Nötigung (§ 240 StGB) von der Kraftentfaltung mit Körperwirkung und Zwangswirkung über die bloße Körperwirkung mit Zwangswirkung hin zur auch psychisch vermittelbaren Zwangswirkung 6 9 .

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dd α) Ergeben sich bei einem geläufigen, aber engen, spezifizierenden Verständnis einer Regelung Lücken, so ist das allein kein Grund f ü r eine generalisierende Interpre67

68

Zippelius JZ 1970 S. 241 f f , 245. Beispiel: S i c h - n i c h t - M e l d e n ist keine F l u c h t ; B G H 7 S. 112 ff, 117; a. A. B G H 5 S. 125 ff, 127 ff.

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B V e r f G 73 S. 206 ff, 236 f f ; R G 72 S. 350 f f , 351 ; B G H 1 S. 146 f f ; B G H 8 S. 102 f f ; 23 S. 47 ff, 49 ff.

Gesetzesbindung und zeitliche Geltung

4. Abschn

tation. Eine Rechtsordnung, die den Grundsatz der Gesetzesbindung anerkennt, kann nicht zugleich so zu interpretieren sein, daß alle Lücken geschlossen werden; denn der Grundsatz ist nur nötig, wenn regelungsbedürftige Bereiche nicht geregelt werden, also Regelungslücken bestehen bleiben. Ein geläufiges Verständnis darf erst zugunsten eines generellen Verständnisses preisgegeben werden, wenn die Regelung ansonsten willkürlich wird, weil sie gleichrangige Fallgruppen ungleich oder gar weniger gewichtige Fallgruppen strenger behandelt als gewichtigere Fallgruppen, die ferner zumindest ebenso regelungsbedürftig sind, insbesondere praktisch ebenso häufig vorkommen. Schließlich muß die generalisierende Interpretation auch geeignet sein, das Regelungsproblem in der Hauptsache zu erledigen; daran fehlt es, wenn sie nur die Grenzen des Problems geringfügig verschiebt. ß) Die genannten vier Voraussetzungen — (1) Kontinuität der Begriffsentwicklung, 41 (2) ansonsten bestehende Wertungswillkür; (3) gleichrangige Regelungsbedürftigkeit und (4) Geeignetheit — scheiden Extremfälle aus, lassen aber einen breiten Bereich des Zweifels. Beispiel f ü r einen Fall im Grenzbereich ist die oben angeführte Interpretation, nach der beim qualifizierten Forstdiebstahl als bespanntes Fuhrwerk auch ein Lastwagen anzusehen sein soll: (a) Die Bedeutungsverschiebung liegt noch innerhalb der üblichen Kontinuität; denn es entspricht strafrechtlich geläufiger Interpretation, die Bezeichnung eines Gegenstands auch f ü r dessen funktionale Äquivalente gelten zu lassen (Chemikalien als Waffe, Einkriechen als Einsteigen etc.; — siehe Fn. 62), wenn geläufige Oberbegriffe fehlen, (b) Ohne Erweiterung bestünde Wertungswillkür ; denn die Forstdiebstähle mit Lastwagen sind gleich schwer, im Zweifel schwerer als diejenigen mit Zugtier und Wagen, (c) Die Regelungsbedürftigkeit ist zumindest heute mehr als gleichrangig und (d) die bezeichnete Auslegung dürfte das Problem hauptsächlich erledigen, ist also auch geeignet. Beispiel für eine nach den genannten Maximen gewiß erlaubte generalisierende Begriffsbestimmung ist die Interpretation der Zeugungsfähigkeit in § 224 StGB als auch die Empfängnisfähigkeit umfassend 7 0 . Gewiß nicht mehr erlaubt ist beispielsweise die Interpretation der Selbsttötung einer verantwortlichen Person als Unglücksfall im Sinne von § 323 c StGB (siehe oben Fn. 62); denn die Wertung ist nicht willkürlich, wenn der Unglücksfall auf Konstellationen beschränkt bleibt, in denen der Betroffene die Entstehung der Gefahrenlage jedenfalls nicht vorsätzlich und voll zurechenbar inszeniert hat. ee) Verbreitet wird zum BT eine derogierende Kraft des Gewohnheitsrechts gegen- 42 über überholten, aber nicht aufgehobenen Vorschriften, vornehmlich Bewirtschaftungsvorschriften aus Kriegszeiten, behauptet 7 1 . Der Sache nach geht es jedoch nicht um Gewohnheitsrecht (sollte die Nichtanwendung bis zur Gewohnheitsbildung Strafvereitelung sein, § 258 StGB?), sondern um die Interpretation eines nach seinem W o r t laut unbeschränkt geltenden Gesetzes als Zeitgesetz (§ 2 Abs. 4 StGB) 7 2 . ff) Wenn bei Blankettgesetzen Generalisierungen („Analogien") zu den Interpreta- 42 a tionsregeln des Normenkomplexes gehören, auf den verwiesen wird, so begründet allein die Anknüpfung daran keinen Verstoß gegen das Generalisierungsverbot 7 2 a . Dies ist insbesondere f ü r Fälle bedeutsam, in denen das Blankett an einen Regelungseffekt anknüpft, der sich aus den Regeln eines bestimmten Normenkomplexes ergibt.

70 71

RG J W 1933 S. 2911. Maurach-Zipf A T I § 8 Rdn. 42; StratenwerthAT Rdn. 94; - siehe auch B G H 5 S. 12 ff, 23; 8 S. 360 ff, 381. 72 siehe MezgerZStW 42 S. 348 ff.

72a Höpfel JurBl. 1979 S. 505 ff, 575 ff, 585; Hirsch Tjong-Gedächtnisschrift S. 50 ff, 64 f; Ransiek Gesetz S. 107 ff; Scbönke-Schröder-Eser §1 Rdn. 33.

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4. AbSChn

I · Buch. 2. Kapitel. Gesetzesbindung. Geltung des Strafrechts

Beispiele: N a c h § 42 A O löst ein U m g e h u n g s g e s c h ä f t diejenige S t e u e r p f l i c h t aus, die in d e n S t e u e r g e s e t z e n a n d a s u m g a n g e n e G e s c h ä f t g e k n ü p f t w i r d ; das ist Steuerrechtsa.n&logie, a b e r die A n k n ü p f u n g v o n § 370 A O a n so e n t s t a n d e n e S t e u e r p f l i c h t e n ist keine Strafrecbtsa.na\ogie; d e n n es w i r d a n w i r k l i c h e S t e u e r p f l i c h t e n u n d n i c h t a n etwas S t e u e r p f l i c h t ä h n l i c h e s a n g e k n ü p f t 7 2 1 " . E n t s p r e c h e n d sind b e i m M e r k m a l „ f r e m d " a u c h nicht-positivierte G r ü n d e des E i g e n t u m s e r w e r b s z u b e r ü c k s i c h t i g e n , d a sie zu wirklic h e r E i g e n t u m s z u o r d n u n g u n d n i c h t n u r z u einem a n a l o g e n E r g e b n i s f ü h r e n . — Freilich v e r s t ö ß t eine V e r w e i s u n g auf einen ü b e r h a u p t u n b e s t i m m t e n N o r m e n k o m p l e x gegen d a s U n b e s t i m m t h e i t s v e r b o t ; a b e r n i c h t alle n i c h t - p o s i t i v i e r t e n N o r m e n k o m p l e x e sind u n b e s t i m m t 7 2 c . 43

gg cc) D a s G e n e r a l i s i e r u n g s v e r b o t gilt f ü r die Z u r e c h n u n g s l e h r e im A T nicht, d a s c h o n die G e n e r a l i t ä t dieser M a t e r i e ein S c h u t z v o r W i l l k ü r e n t s c h e i d u n g e n i s t 7 3 ( o b e n 4 / 1 3 , 15). Freilich k a n n das G e s e t z M i n d e s t b e d i n g u n g e n f ü r Z u r e c h n u n g f e s t l e g e n ; ein Beispiel h i e r f ü r bilden die §§ 2 6 f S t G B , w o n a c h A n s t i f t u n g u n d Beihilfe eine — u . a . — v o r s ä t z l i c h e H a u p t t a t v o r a u s s e t z e n . F e r n e r k a n n d a s G e s e t z einen Bereich abschließ e n d r e g e l n ; so ist e t w a die S t r a f b a r k e i t v o n V o r b e r e i t u n g s h a n d l u n g e n in § 30 S t G B a b s c h l i e ß e n d bestimmt, so d a ß Beihilfe z u dieser V o r b e r e i t u n g s t r a f f r e i ist ( e i n g e h e n d e r u n t e n 2 7 / 8 ) . F ü r d e n v e r b l e i b e n d e n Bereich w i r d ein G e n e r a l i s i e r u n g s v e r b o t z w a r b e h a u p t e t 7 4 , a b e r n i c h t k o n s e q u e n t d u r c h g e h a l t e n . S o w i r d e t w a die v o m G e s e t z n i c h t geregelte v e r m e i d b a r irrige A n n a h m e , die V o r a u s s e t z u n g e n eines R e c h t f e r t i g u n g s g r u n d s lägen v o r , in d e r L i t e r a t u r v a r i a n t e n r e i c h b e w e r t e t ( u n t e n 1 1 / 4 3 f f ) , o h n e d a ß j e d o c h ein so i r r e n d b e g a n g e n e s Delikt m a n g e l s R e g e l u n g des I r r t u m s t y p s f ü r jedenfalls s t r a f f r e i g e h a l t e n w ü r d e , wie es beim F e h l e n eines D e l i k t s t y p s des B T selbstverständlich wäre.

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ß) T e i l w e i s e w e r d e n i m m e r h i n die R e c h t f e r t i g u n g s g r ü n d e a u s d r ü c k l i c h aus d e m — v e r m e i n t l i c h bei d e r allgemeinen Z u r e c h n u n g s l e h r e g e l t e n d e n — G e n e r a l i s i e r u n g s v e r b o t a u s g e n o m m e n 7 5 , u n d z w a r aus zwei G r ü n d e n : J e d e A n e r k e n n u n g eines n i c h t g e s c h r i e b e n e n R e c h t f e r t i g u n g s g r u n d s (so bis z u § 34 S t G B n. F. d e r r e c h t f e r t i g e n d e N o t s t a n d , f e r n e r Einwilligung, m u t m a ß l i c h e Einwilligung u. a. m.) e r w e i t e r t die S t r a f b a r k e i t dessen, d e r d e n g e r e c h t f e r t i g t e n T ä t e r h i n d e r t ; j e d e E i n s c h r ä n k u n g eines gesetzlich v e r t y p t e n R e c h t f e r t i g u n g s g r u n d s s c h a f f t S t r a f b a r k e i t f ü r die Fälle, die o h n e

Schulze-Osterloh in: Strafverfolgung S. 43 ff, 62. Die Umgehung von Straftatbeständen ist ein Mittel, ihre Verwirklichung zu vermeiden; daß dies mit rechtlich negativ zu wertenden Intentionen geschieht, ändert nichts an der Geltung von Art. 103 Abs. 2 GG. Für Beispiele zu Grenzfällen zwischen Tatbestandsverwirklichung und Tatbestandsumgehung siehe oben 4/Fn. 62. Die Wirkung der Umgehung außerstrafrechtlicher Rechtsvorschriften richtet sich nach dem betreffenden Rechtsgebiet; Täuschung über die eingetretene oder ausgebliebene Rechtswirkung kann all diejenigen Delikte verwirklichen, die durch falsche Informationen begangen werden können. Dazu siehe Stockei Gesetzesumgehung passim; ders. Z R P 1977 S. 134 ff; Tiedemann N J W 1980 S. 1557 ff, 1558 f; Bruns GA 1986 S. 1 ff, jeweils mit Nachweisen. 73 Hauptsächlich wie hier Maurach AT 4 § 10 II Β 3 b; LK-Tröndle'% 1 Rdn. 38. - Wird der 72c

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Sinn des Bestimmtheitsgrundsatzes nicht in einer Objektivitätsgarantie gesehen, kann die Entscheidung zum A T anders ausfallen; so muß etwa die auf Voraussehbarkeit abstellende Lösung — mit Feuerbach — A T und BT gleich behandeln. 74 Kratzsch GA 1971 S. 65 ff, 68 f f ; Krey Studien S. 228, Höpfel JurBl. 1979 S. 505 ff, 575 ff, 584; Fincke Verhältnis S. 13 f f ; ]escheck AT § 15 III 2 c; SK-Rudolphi%, 1 Rdn. 24; BaumannWeher A T § 13 III; Baumann Jescheck-Festschrift S. 105 ff, 111 ff; Maurach-Zipf A T I § 10 Rdn. 21; Schönke-Schröder-Eser§ 1 Rdn. 25. 75 Krey Studien S. 236; Amelung in: Strafrechtssystem S. 85 ff, 95; Roxin Kriminalpolitik S. 31 f; ders. ZStW 93 S. 68 ff, 78 ff; dagegen insbesondere Kratzsch GA 1971 S. 65 ff; ders. JuS 1975 S. 435 ff; Engels GA 1982 S. 109 ff, 114 ff. Hirsch Tjong-Gedächtnisschrift S. 50 ff, 66; LKHirsch Rdn. 36 ff, 39 vor § 32 unterscheidet nach strafrechtlicher (nicht einschränkbarer) und außerstrafrechtlicher (einschränkbarer) Regelung

Gesetzesbindung und zeitliche Geltung

4. Abschn

Einschränkung gerechtfertigt wären. Beides, Anerkennung nicht geschriebener Rechtfertigung wie Einschränkung der geschriebenen, hat sich aber als systematisch notwendig erwiesen. Mit partiellen Bereinigungen dieser Art läßt sich freilich das Problem nicht lösen. Angefangen beim Unrechtstatbestand (keine einzige Voraussetzung der objektiven Zurechnung wird vom Gesetz geregelt) und bis hin zur Schuld werden alle Deliktsstufen durch die lex scripta nur so rudimentär bestimmt, daß ohne Ergänzungen strafbegründender wie strafeinschränkender Merkmale nicht auszukommen ist. Der Versuch, die allgemeine Zurechnungslehre mit den Deliktstypen des B T über einen einzigen Leisten zu schlagen, zerstört angesichts der zur Zurechnungslehre unvermeidbaren Ausnahmen vom Generalisierungsverbot die Strenge des Grundsatzes der Gesetzesbindung überhaupt. Aber nicht allein die Lückenhaftigkeit der gesetzlichen Bestimmungen zur Zurechnung im A T , sondern auch deren teils hochgradige Ungenauigkeit macht es notwendig, zwischen der Zurechnungslehre des A T und den Deliktstypen des B T zu differenzieren; so sollte nicht zweifelhaft sein, daß die Ungenauigkeiten, die § 13 S t G B beläßt, bei der Beschreibung eines Deliktstyps des B T wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gesetzesbindung zur Verfassungswidrigkeit führen würden. D e m Grundsatz wird insgesamt besser genügt, wenn diese Differenzen nicht kaschiert werden. — Speziell zu den Rechtfertigungsgründen heißt d a s : O b sich nicht-positivierte Rechtfertigungsgründe noch an einen Pauschalbegriff eines bestimmten Tatbestands anklammern lassen (insbesondere: „wer rechtswidrig. . .") oder ob Einschränkungen von Rechtfertigungsgründen mit dem Wortlaut eines Rechtfertigungsgrunds dank dessen pauschaler Fassung noch vereinbar sind (etwa: „geboten" in § 32 Abs. 1 StGB), ist ohne Bedeutung: Solchermaßen vage „Regelungen" legitimieren nichts, da sie dem Unbestimmtheitsverbot nicht genügen können. Lassen sich aber Rechtfertigungsgründe oder deren Einschränkungen systematisch herleiten, so ist dies auch ohne Anknüpfung an einen Pauschalbegriff erlaubt, solange die Herleitung die gesetzliche Regelung nur ergänzt, nicht aber verdrängt (dazu oben 4/16). γ) J e vager die gesetzliche Rahmenbestimmung bei der Zurechnungslehre ist, um so 45 wichtiger ist freilich die systematische Absicherung derjenigen Lehren, die vom Gesetzesanwender unter Beachtung der gesetzlichen Fixpunkte zu entwickeln sind. W a s damit genau gemeint ist, kann nur die gesamte in diesem Lehrbuch entwickelte Zurechnungslehre verdeutlichen; beispielhaft sei auf die Herleitung der Garantenstellung kraft Organisationszuständigkeit aus der Organisationszuständigkeit bei Begehungsdelikten verwiesen (unten 7/56 f f ; 2 3 / 2 4 ; 2 8 / 1 4 ; 29/29 ff und passim), ferner auf die Parallelisierung von Begehungs-Pflichtdelikten mit Unterlassungsdelikten kraft institutioneller Zuständigkeit (unten 7 / 7 0 ; 2 1 / 1 1 5 ; 2 3 / 2 5 ; 2 8 / 1 5 ; 29/57 ff und passim). 5. Gewohnheitsrecht? a) Die Systematisierung kann nicht durch einen Bezug auf Gewohnheitsrecht er- 46 spart werden. Während die gewohnheitsrechtliche Strafbegründung eines Deliktstyps des Rechtfertigungsgrunds — ein äußerliches und insbesondere für alle Amtsrechte und für das Handeln p r o magistratu zufälliges Kriterium. Z u dem kann Hirsch auch im Bereich der strafrechtlich geregelten Rechtfertigungsgründe das Analogieverbot nicht konsequent d u r c h f ü h r e n : Einschränkungen von Rechtfertigungsgründen sollen auch zulässig sein, wenn die Einschränkbarkeit vage umrissen, nicht aber bestimmt ist

( T j o n g - G e d ä c h t n i s s c h r i f t S. 62 f)> obgleich nach Art. 103 Abs. 2 G G , § 1 S t G B die G r e n z e zwischen einerseits den bestimmten und andererseits den nicht bestimmten Regelungen verläuft, nicht aber zwischen andeutenden Regelungen und dem Fehlen von Andeutungen. V a g e Regelungen stehen also nach den genannten V o r s c h r i f t e n dem Fehlen jeder Regelung gleich.

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4. AbSChn

I · Buch. 2. Kapitel. Gesetzesbindung. Geltung des Strafrechts

des BT nach heute einhelliger Ansicht ausgeschlossen ist 7 6 , wird dem Gewohnheitsrecht im A T zugestanden, Regelungslücken verbindlich ausfüllen zu k ö n n e n 7 7 . Dem ist freilich nicht zu folgen. Was den Grundsatz der Gesetzesbindung angeht, so kann er per Gewohnheitsrecht nie umgangen werden, da der Bruch rechtsstaatlicher G r u n d sätze auch dann nicht Recht wird, wenn er langer Übung gemäß und optima fide erfolgt 7 8 . Beispiel: Das Erfordernis eines förmlichen Gesetzes f ü r die Androhung einer Freiheitsstrafe (Art. 104 Abs. 1 Satz 1 G G ) kann nicht durch Gewohnheitsrecht obsolet werden. — Ansonsten mag ein Gesetz zwar auf die gewohnten Rechtsinstitute oder deren gewohnte H a n d h a b u n g zugeschnitten sein, so daß es sich nur in Kontinuität mit dem Gewohnten sinnvoll interpretieren läßt; es ist aber auch dann nicht die Gewohnheit, sondern der systematische Zusammenhang, der das Rechtsinstitut oder seine H a n d h a b u n g legitimiert. Beispiel: § 25 Abs. 1,2. Fallgruppe StGB betrifft die längst vor Schaffung dieser Regelung anerkannte mittelbare Täterschaft, ohne daß die Regelung deshalb die bislang gebräuchlichen Formen festschriebe und andere Formen ausschlösse; so hatte sich etwa der Anwendungsbereich der mittelbaren Täterschaft durch die Abkehr von der strengen Akzessorietät (durch § 50 Abs. 1 StGB a. F.; jetzt § 29 StGB) insoweit verschoben, als die Schuldlosigkeit eines Beteiligten einen anderen Beteiligten nur dann zum mittelbaren Täter macht, wenn der andere Beteiligte f ü r den Defekt zuständig ist. Das gesetzliche System, nicht die Gewohnheit bestimmt den Inhalt von Zurechnung. 47

b) N u r in Bereichen, in denen das System selbst auf Gewohnheit verweist, insbesondere beim erlaubten Risiko mit historischer Legitimation (unten 7/36) und bei weiteren Ausprägungen der Sozialadäquanz, kann die in Rechtsüberzeugung gewonnene Gewohnheit zur Rechtslegitimation erforderlich sein; so mögen etwa in Befolgung von Fastnachtsbräuchen oder sonstigen Volksbräuchen begangene bagatellhafte Tatbestandsverwirklichungen gewohnheitsrechtlich gerechtfertigt sein 7 9 . — Auch können Blankette gewohnheitsrechtlich ausgefüllt werden, wenn das Rechtgebiet, auf das verwiesen wird, gewohnheitsrechtliche Regelungen kennt 7 9 3 .

III. Die zeitliche Geltung, insbesondere das Rückwirkungsverbot Literatur A. Bergmann Zeitliche Geltung und Anwendbarkeit von Steuerstrafvorschriften, N J W 1986 S. 233 ff; H. ]. Bruns Die „Bestrafung aus dem mildesten Gesetz" bei wahldeutiger Tatfeststellung (S 2 b StGB), Deutsches Strafrecht 3 (1936) S. 277 ff; D. Dannecker Die Neuregelung der Abzugsfähigkeit von Parteispenden als gesetzliche Milderung im Steuerrecht, in W. de Boor u. a. Parteispendenproblematik, 1986, S. 91 ff; W. Diefenbach Die verfassungsrechtliche Problematik des § 2 Abs. 4 StGB, 1966; Th. Dingeldey Strafrechtliche Konsequenzen einer etwaigen Nichtigkeitserklärung des Parteispendenfinanzierungsgesetzes durch das BVerfG, N S t Z 1985 S. 337 ff; A. Eckert Anmerkung zu O L G Karlsruhe N J W 1967 S. 2167 f, N J W 1968 S. 1380 f; Chr. Flämig Steuerrecht als Dauerrecht, 1985; H. Franzheim Parteispenden — Steuerhinterziehung — Straffreiheit? N S t Z 1982 S. 137 ff; W. Gallas Der dogmatische Teil des Alternativ-Entwurfs, ZStW 80 S. 1 ff; Ο. A. Germann Maßnahmerecht des schweizerischen Strafgesetzbuchs, SchwZStr. 73 (1958) S. 44 ff; E. Göhler Das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch, N J W 1974 S. 825 ff; N.J. 76 Α. A. Rittler ZStW 49 S. 451 ff, 466 f, 476. 77 Schänke M D R 1947 S. 85 ff, 86; Schmitt Jescheck-Festschrift S. 223 ff, 226; Maurach-Zipf A T I § 8 Rdn. 41; Jescheck AT §12 I V 2 ; Schönke-Schröder-Eser$ 1 Rdn. 10 ff. — Kritisch Krey Keine Strafe Rdn. 107; SK-Rudolphi §1 Rdn. 21; Stratenwerth A T Rdn. 92 („eigentlich . . . ergänzendes Richterrecht"); Schmidhäu-

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ser AT 5/7 (gewohnheitsrechtliche Bindung an eine Auslegung); AK-Hassemer § 1 Rdn. 64 ff; KKOWiG-RogallS 3 Rdn. 21 f. 78 Siehe Fincke Verhältnis S. 14. 79 Siehe Piegler J Z 1955 S. 721 ff; Franzmann JZ 1956 S. 241 ff; Scheyhing J Z 1959 S. 239 ff, 241; Jescheck ΑΊ % 12 IV 2. R G 4 6 S . 108 ff, 111 f.

Gesetzesbindung und zeitliche Geltung

4. Abschn

Gross Über das „Rückwirkungsverbot" in der strafrechtlichen Rechtsprechung, GA 1971 S. 13 ff; W. Grunsky Grenzen der Rückwirkung bei einer Änderung der Rechtsprechung, 1970; K. Händel Anwendung des Beweisgrenzwerts von 1,3 Promille auf vor dem 9. 12. 1966 begangene Taten, N J W 1967 S. 537 f; B. Haffke Pro-mille-Grenze und Rückwirkungsverbot, Blutalkohol 1972 S. 32 ff; W. Hardwig Berücksichtigung der Änderung eines Strafgesetzes in der Revisionsinstanz bei Vorliegen eines rechtskräftigen Schuldspruchs, J Z 1961 S. 364 ff; E. Horn Blutalkoholgehalt und Fahruntüchtigkeit, 1970; H. Jung Rückwirkungsverbot und Maßregel, Wassermann-Festschrift S. 875 ff; G. Kohlmann Der Begriff des Staatsgeheimnisses und das verfassungsrechtliche Gebot der Bestimmtheit von Strafvorschriften, 1969; V. Krey Studien zum Gesetzesvorbehalt im Strafrecht, 1977; ders. Keine Strafe ohne Gesetz, 1983; ders. Parallelitäten und Divergenzen zwischen strafrechtlichem und öffentlichrechtlichem Gesetzesvorbehalt, Blau-Festschrift S. 123 ff; W. Küper Anmerkung zu B G H 26 S. 94 ff, N J W 1975 S. 1329 f ; H. Kunert Z u r Rückwirkung des milderen Steuerstrafgesetzes, N S t Z 1982 S. 276 ff; F. Loos Anmerkung zu O L G Köln JR 1975 S. 247 f, a a O S. 248 ff; F. MattilZeit und materielles Strafrecht, GA 1965 S. 129 ff; P. Mazurek Zum Rückwirkungsgebot gemäß § 2 Abs. 3 StGB, JZ 1976 S. 233 ff; H. Messmer und L. Sergschneider Rückwirkende Anwendung der Entscheidung des B G H über die 1,3-Promille-Grenze? DAR 1967 S. 45 ff; K. Meyer Anmerkung zu BayObLG J R 1975 S. 68 f, a a O S. 69 ff; / . Meyer-Ladewig Der Satz „nulla poena sine lege" in dogmatischer Sicht, M D R 1962 S. 262 ff; E. Mezger~D\t zeitliche Herrschaft der Strafgesetze, ZStW 42 S. 348 f f ; K. Mohrbotter Garantiefunktion und zeitliche Herrschaft der Strafgesetze am Beispiel des § 250 StGB, ZStW 88 S. 923 ff; ders. Einige Bemerkungen zum Verhältnis von Form und Stoff bei der Änderung strafrechtlicher Rechtssätze (§ 2 StGB), J Z 1977 S. 53 ff; H. Müller-Dietz Verfassungsbeschwerde und richterliche Tatbestandsauslegung im Strafrecht, Maurach-Festschrift S. 41 ff; W. Naucke Anmerkung zu O L G Karlsruhe N J W 1967 S. 2167 f, N J W 1968 S. 758 f; ders. Rückwirkende Senkung der Promillegrenze und Rückwirkungsverbot (Art. 103 Abs. 2 GG), N J W 1968 S. 2321 ff; ders. Tendenzen in der Strafrechtsentwicklung, 1975; ders. Die Mißachtung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots — 1933 bis 1945, Coing-Festschrift Bd. I S. 225 ff; F. Nowakowski Zur Rechtsstaatlichkeit der vorbeugenden Maßnahmen, v. Weber-Festschrift S. 98 ff ; / / . Riese Rückwirkende Senkung der Promillegrenze und Rückwirkungsverbot (Art. 103 Abs. 2 GG), N J W 1969 S. 547 f; H.-J. Rudolphi Unrechtsbewußtsein, Verbotsirrtum und Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums, 1969; H. Rüping Blankettnormen als Zeitgesetze, N S t Z 1984 S. 450 f; H. Saiger Die Zerstörung des Vertrauens in eine gefestigte Rechtsprechung, Blutalkohol 1990 S. 1 ff; E. Samson Möglichkeiten einer legislatorischen Bewältigung der Parteispendenproblematik, wistra 1983 S. 235 ff; W. Sarstedt Beweisregeln im Strafprozeß, E. Hirsch-Festschrift S. 171 ff; P.J. Schick Zeitgesetze, JurBI. 1969 S. 639 ff; H. Schäfer Amnestie für versteckte Parteispenden durch Änderung des Steuerrechts? wistra 1983 S. 167 ff; H.-L. Schreiher Rückwirkungsverbot bei einer Änderung der Rechtsprechung im Strafrecht? J Z 1973 S. 713 ff; ders. Parteispenden und Strafrecht, Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 819 ff ; F.-C. Schroeder Anmerkung zu B G H 24 S. 103 ff, J R 1971 S. 379 ff; ders. Der zeitliche Geltungsbereich der Strafgesetze, Bockelmann-Festschrift S. 785 ff; H. Schröder Anmerkung zu B G H J R 1966 S. 68, a a O S. 68 ff; B. Schünemann Nulla poena sine lege? 1978; ders. Kritische Bemerkungen zur These von der strafrechtlichen Rückwirkung des Parteifinanzierungsgesetzes 1984, in: W. de Boor u. a. Parteispendenproblematik, 1986, 119 ff; U. Sommer Das „mildeste Gesetz" im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB, 1979; W. Straßburg Rückwirkungsverbot und Änderung der Rechtsprechung im Strafrecht, Z S t W 82 S. 948 ff; W. Stree Deliktsfolgen und Grundgesetz. Z u r Verfassungsmäßigkeit der Strafen und sonstigen strafrechtlichen Maßnahmen, 1960; K. Tiedemann Zeitliche Grenzen des Strafrechts, Peters-Festschrift S. 193 ff; ders. Der Wechsel von Strafnormen und die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, J Z 1975 S. 692 ff; ders. Wirtschaftsstrafrecht und Wirtschaftskriminalität Bd. I, 1976; ders. Die gesetzliche Milderung im Steuerstrafrecht, 1985; ders. Das Parteienfinanzierungsgesetz als strafrechtliche lex mitior, N J W 1986 S. 2475 f f ; ders. Die Parteispenden-Entscheidung des BGH, N J W 1987 S. 1247 f; L. TraegerOie zeitliche Herrschaft des Strafgesetzes, V D A T Bd. VI S. 317 ff; H. Tröndle Rückwirkungsverbot bei Rechtsprechungswandel? Dreher-Festschrift S. 117 ff; G. Weener Anmerkung zu BayObLG M D R 1974 S. 685, M D R 1975 S. 161 f.

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4. AbSChn

I • Buch. 2. Kapitel. Gesetzesbindung. Geltung des Strafrechts

A. Der Umfang der erforderlichen Geltung 48

1. Der Inhalt der zeitlichen Geltung erschöpft sich nicht im Rückwirkungsverbot. Vielmehr muß bei jeder Änderung der Gesetzeslage zwischen Tatzeit und Entscheidungszeit ermittelt werden, welches Gesetz auf die Tat anzuwenden ist, wobei das Verbot einer den Täter belastenden, rückwirkenden Anwendung nur einen — freilich wichtigen — Teilaspekt regelt 8 0 . Da der Grundsatz der Gesetzesbindung eine Objektivitätsgarantie bieten soll, muß das Gesetz bei der Tat schon gelten, und zwar mit zweifachem Inhalt: Das Gesetz muß das strafbare Verhalten und auch den Strafrahmen bestimmen.

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2 a) Es ist nicht selbstverständlich, ob und in welchem Sinn das Gesetz bei der Entscheidung überhaupt noch gelten muß. Man kann — in rein materiellrechtlicher Betrachtung — die konkrete Strafe als eine mit der T a t verwirkte Rechtsfolge ansehen, die später in einem richterlichen Erkenntnisakt festgestellt wird (nicht geschaffen, mag auch der Richter bei dieser Feststellung einen Beurteilungsspielraum haben). Bei diesem Verständnis mag das Gesetz zur Entscheidungszeit nur noch in dem sehr abgeschwächten Sinn gelten, daß die von ihm in der Vergangenheit schon bewirkten Rechtsfolgen anzuerkennen sind. Die sehr abgeschwächte Geltung entspräche etwa derjenigen, die das Erbrecht des preußischen ALR heute noch insoweit hat, als die in der Zeit (und im Raum) der vollen Geltung dieses Gesetzes entstandenen Rechtspositionen weiterhin anerkannt werden. Diese rein materiellrechtliche Betrachtung hätte den Vorzug, daß — beim Fehlen einer gegenteiligen Anordnung im Änderungsgesetz — alle Altfälle 8 1 gleich behandelt würden, seil, nach dem geänderten Gesetz, ob nun die Fälle bei der Gesetzesänderung schon entschieden sind oder nicht. Soweit das nicht paßt, mag der Gesetzgeber Sonderregeln schaffen. Aber trotz des genannten Vorzugs ist diese Betrachtung f ü r das Strafrecht überwiegend nachteilig 8 2 ; denn bei ihr wird nicht deutlich, daß es bei der Abfolge von T a t und Strafe nicht um eine eo ipso eintretende Sequenz geht, sondern daß dem expressiven Gehalt der Straftat der expressive Gehalt des Bestrafungsd^ts entspricht, vergleichbar mit Rede und Widerrede. Stellt man auf eine durch die Tat ausgelöste Strafverwirkungs-v4«ío«íJíi& ab, so verkümmert dieser expressive Gehalt.

50

b) Deshalb muß das Gesetz zur Entscheidungszeit in einem strengeren Sinn gelten: Es reicht nicht hin, wenn noch anerkannt wird, daß die Strafdrohung in der Vergangenheit rechtens war, sondern es muß immer noch geboten sein, die Strafdrohung zu realisieren. Eine umfassende Geltung ist freilich nicht erforderlich; vielmehr mag dem Gesetz zur Entscheidungszeit die Kraft abgehen, auch noch die Strafbarkeit f ü r N e u fälle anzuordnen; die (Realisierung der) Strafdrohung bleibt dann auf Altfälle beschränkt. Im Ergebnis muß also der alte Fall noch ein gegenwärtiger Konflikt sein. Weniger als diese Fortgeltung der Strafdrohung f ü r Altfälle reicht freilich aus formellrechtsstaatlichen Gründen nicht hin; denn es muß nach dem Grundsatz der Gesetzesbindung eben die Strafbarkeit zur Tatzeit sein (i. e. die schon zur Tatzeit geltende Strafdrohung), die im Urteil zur verhängten Strafe konkretisiert wird. Bei einer Änderung zwischen Tatzeit und Entscheidungszeit kann das Gesetz also nur angewendet werden, wenn und soweit seine Strafdrohung voll (gegebenenfalls voll in einer Verschärfung enthalten) oder in abgemilderter Stärke identisch bleibt. Bleiben nur Teile 80 ScArtWerBockelmann-Festschrift S. 785 ff. 81 Es geht um die schon geschehenen Fälle; der relevante Zeitpunkt richtet sich nach dem Kontext (Zeitpunkt einer Gesetzesänderung, eines Urteüs1

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Im Ergebnis ebenso Tiedemann Peters-Festschnk S. 193 ff, 196; den. Milderung S. 14 f.

Gesetzesbindung und zeitliche Geltung

4. Abschn

identisch (etwa eine scharfe Strafdrohung wird gemildert), so sind auch nur diese Teile zur Entscheidungszeit anwendbar (es ist von der gemilderten Strafdrohung auszugehen). Was f ü r die Bestimmung der Identität zählt, ist freilich der Gesetzes tnbalt; die Gesetzesfortnulierungmag sich wandeln. 3. Die Änderung eines Gesetzes zwischen Tatzeit und Entscheidungszeit, also die 51 Schärfung oder Milderung oder Aufhebung der Strafdrohung f ü r den ganzen Bereich einer N o r m oder f ü r einen Teil, kann unterschiedlich gedeutet werden (und ist nach geltendem Recht in der Regel nicht als eine — bislang behandelte — Änderung bei Fortbestand der alten Regelung f ü r Altfälle zu verstehen). Folgende Varianten einer Gesetzesänderung 8 3 sind möglich: a) Das Gesetz wird geändert, weil die alte Regelung f ü r alle Fälle unangemessen ist. Dann gilt eine Milderung (Einschränkung des strafbaren Verhaltens oder Milderung der Strafdrohung) auch f ü r Altfälle, weil zur Entscheidungszeit die Anwendung des strengeren Gesetzes nicht mehr angebracht ist. Die Begründung ist materiell-rechtsstaatlich: Vermeidung unnötiger Strafen. Eine Schärfung (Erweiterung des strafbaren Verhaltens oder Schärfung der Strafdrohung) kann nicht f ü r Altfälle gelten, da die erhöhte Quantität dem Tatzeitgesetz abgeht, so daß die Identität des Gesetzes zur Tatzeit und desjenigen der Entscheidungszeit insoweit fehlt. Die Begründung ist f o r mell-rechtsstaatlich : Rückwirkungsverbot. b) Das Gesetz wird geändert, weil das alte Gesetz nur Neufälle unangemessen regelt. Dann gilt eine Schärfung schon wegen des Regelungszwecks (materiell) nicht f ü r Altfälle; das Rückwirkungsverbot kommt (formell) ergänzend hinzu. Eine Milderung dürfte gleichfalls nicht f ü r Altfälle gelten; das positive Recht erstreckt freilich die Milderung auf Altfälle, ausgenommen bei Zeitgesetzen; das ist der Sache nach eine — nur für Zeitgesetze widerlegbare — Vermutung, jede Milderung erfolge auch deshalb, weil sonst die Altfälle unangemessen geregelt wären. 4. Der geschilderten Lage hat das Gesetz in § 2 Abs. 1 StGB die verfehlte Formulie- 52 rung gegeben, es komme auf das zur Zeit der T a t geltende Gesetz a n 8 4 , so als beruhe die Strafe auf dem Tatzeitgesetz und könne nachfolgend allenfalls limitiert werden. Die Umkehrung ist richtig; denn das Tatzeitgesetz kann nicht festlegen, was zur Entscheidungszeit als Enttäuschung zu definieren ist. Deshalb muß zur Entscheidungszeit die Strafdrohung mindestens in dem Sinn gelten, daß das zugehörige Tatverhalten als Enttäuschung einer Erwartung zu definieren ist, die einer normativen Garantie bedarf, mag sich auch diese Definition auf Altfälle beschränken. Das Erfordernis der Identität zurück bis zum Tatzeitgesetz hat nur limitative Bedeutung. Dieses Verständnis entspricht im Ansatz einer neueren Ansicht, nach der es auf das Gesetz zur Entscheidungs-

83 Die verbreitete Annahme, bei einer Bewertungsänderung intendiere der Gesetzgeber Rückwirkung des neuen Gesetzes, bei einer „Tatsachen"-Änderung hingegen nicht (BGH 20 S. 178 ff, 182; E 1962 Begründung S. 107; Bokkelmann Niederschriften Bd. III S. 288 ff, 291 f; Stratenwerth A T Rdn. 82 u. a. m.) ist falsch. Stets geht es darum, wie der Gesetzgeber die Bestandsbedingungen von Staat und Gesellschaft und die zu stabilisierende Gesellschaftsgestalt versteht, wobei beides Wertungen voraussetzt. — Zu den Gründen für eine Gesetzesänderung siehe auch Schick JurBl. 1969 S. 639 ff; Tiedemann Peters-

Festschrift S. 193 ff, 200 f ; Matti! GA 1965 S. 129 ff, 136 f; Schroeder Bockelmann-Festschrift S. 785 ff, 789; Frank § 2 Anm. V 2 a und b; Maurach-Zipf A T I 5 1 2 Rdn. 20 f; LKTröndle% 2 Rdn. 47. Ebenso die überwiegende Ansicht, freilich mit der nur formell-rechtsstaatlichen Begründung durch das Rückwirkungsverbot; Dürig in: Maunz-Dürig-Herzog-Scholz Art. 103 Rdn. 109; LKTröndle 5 2 Rdn. 1 ; SK-Rudolphi § 2 Rdn. 1 ; Mohrbòtter ZStW 88 S. 923 ff, 930 f. - Wie hier KKOWiG-Rogall § 4 Rdn. 3; teils ähnlich Schönke-Schröder-Eser% 2 Rdn. 2.

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4. AbSChn

l . B u c h . 2. K a p i t e l . G e s e t z e s b i n d u n g . G e l t u n g d e s S t r a f r e c h t s

zeit a n k o m m t 8 5 , wobei aber zu ergänzen ist, daß zur Entscheidungszeit eine allgemeine, seil. Altfälle und Neufälle umfassende Geltung gerade nicht erforderlich ist, und eine auf Neufälle beschränkte Geltung nicht hinreicht. — Im Ergebnis bedarf es also einer zur Entscheidungszeit bestehenden Geltung für Altfälle. Aus formell-rechtsstaatlichen Gründen kommt hinzu, daß schon zur Tatzeit das strafbare Verhalten und der Strafrahmen gesetzlich bestimmt sein müssen.

B. Die Ausgestaltung der zeitlichen Geltung und des Rückwirkungsverbots nach positivem Recht 1. Die Tatzeit 53

a) Die Tatzeit, zu der das Verhalten und die Strafdrohung schon gesetzlich bestimmt sein müssen, definiert § 8 StGB als Zeitpunkt des Verhaltens ohne Blick auf den Erfolgseintritt. Für Handlungen kommt es also auf den Zeitpunkt des Handlungsvollzugs an, und zwar ohne Blick auf die Akzessorietät von Mittäterschaft 8 6 und Teilnahme. Beispiel: Ist die Hingabe eines Werkzeugs an den Ausführenden das Tatverhalten, so kommt es einzig auf den Zeitpunkt des Gebeakts an, gleich ob die Hingabe Beihilfe oder (auch noch) konkludent erfolgende Anstiftung zur Haupttat ist oder ein mittäterschaftlicher Beitrag zur gemeinsamen Tat oder ob, bei mittelbarer Täterschaft, das Verhalten nicht akzessorisch bewertet wird. Irrelevant ist auch der Zeitpunkt der (vorgestellten) Vollendung (§ 8 Satz 2 StGB). Tritt also ein Gesetz erst in Kraft, nachdem einige Beteiligte ihre Beiträge schon restlos geleistet haben, so sind diese — wenn eine Unterlassungshaftung ausscheidet — selbst dann straffrei, wenn die anderen Beteiligten erst bei Geltung des Gesetzes ihre Beiträge leisten.

54

b) Bei Unterlassungsdelikten gilt der Zeitpunkt des Handeln-Müssens. Da die Handlungspflicht nur bei gegebener Handlungsfähigkeit besteht, kommt es nicht auf den ganzen Zeitraum an, in dem ein Nicht-Unterlassender rettend tätig geworden wäre, sondern nur auf den Zeitraum bestehender Fähigkeit zur Erfolgsabwendung, also auf den Zeitraum der realen Verweigerung vor den Anforderungen des Rechts. Beispiel: Unterläßt ein Chirurg pflichtwidrig eine lebensrettende Operation, die mehrere Stunden dauern würde, aber spätestens in wenigen Minuten begonnen werden müßte, so dauert der Verhaltenszeitraum vom Versuchsbeginn bis zum Ablauf der wenigen Minuten (Versuchsbeendigung), ohne Blick auf die hypothetische Operationsdauer. — Mit einer pflichtwidrigen Unterlassung, die einer Handlung nachfolgt, beginnt eine weitere Tatzeit, ohne daß es auf die Art der Konkurrenz von Handlung und Unterlassung ankäme.

2. Strafen und Nebenfolgen contra Maßregeln? 55

a) N a c h § 2 Abs. 1 StGB gilt das Tatzeitgesetz f ü r Strafen und Nebenfolgen. Strafen sind Freiheitsstrafe (§§ 38 f StGB) und Geldstrafe (§§ 40 ff StGB), Nebenstrafe ist das Fahrverbot (§ 44 StGB). Nebenfolgen sind nicht nur die in 5 45 StGB genannten Reaktionen (Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts), sondern alle Reaktionen, die der Wiederherstellung der Lage vor der T a t dienen, wie etwa die Urteilsbekanntmachung nach § 200 StGB 8 7 . Für Verfall, Einziehung und Unbrauchbarmachung bestimmt dies § 2 Abs. 5 StGB nochmals ausdrücklich. 85

94

Tiedemann P e t e r s - F e s t s c h r i f t S. 193 ff, 197; den. W i r t s c h a f t s s t r a f r e c h t Bd. I S . 160 ff, 163; ders. J Z

86

Insoweit a. A. LK-Tröndle Schröder-Eser% 8 R d n . 3.

1975 S. 692 f f ; Sommer S. 60 ff.

87

Schönke-Schröder-Eser§

D a s „mildeste G e s e t z "

$ 8 R d n . 2; 2 R d n . 4 f.

Schönke-

Gesetzesbindung und zeitliche Geltung

4. Abschn

b) Auch die zur Verhängung einer Maßregel der Besserung und Sicherung (§§ 61 ff 56 StGB) vorausgesetzte rechtswidrige Tat muß als straftatbestandliche T a t ( § 1 1 Abs. 1 N r . 5 StGB) zur Tatzeit gesetzlich bestimmt sein 8 8 . In § 2 Abs. 6 StGB wird aber angeordnet, daß die Maßregel — vorbehaltlich einer anderen gesetzlichen Bestimmung — nicht schon im Tatzeitpunkt vorgesehen sein muß. Diese Regelung kann in rechtsstaatlicher Sicht nicht befriedigen; denn auch Maßregeln bedürfen einer Objektivitätsgarantie, wenn es sich um spezifisch strafrechtliche Reaktionen handelt, also um verwaltungsrechtlich nicht ersetzbare Maßregeln. Daß Maßregeln keine Strafen sind 8 9 , besagt nichts über das Gewicht des Eingriffs und die Gefahr des Mißbrauchs 9 0 , wie sich besonders deutlich bei Anstaltsunterbringungen und Sicherungsverwahrung zeigt. — Die Möglichkeit, eine andere (seil, auf die Tatzeit abstellende) gesetzliche Bestimmung zu treffen, hat das Gesetz f ü r neu eingeführte Maßregeln in Art. 301 (sozialtherapeutische Anstalt), Art. 303 (Führungsaufsicht) und Art. 305 (Berufsverbot) EGStGB genutzt, so daß die Rückwirkungserlaubnis f ü r Maßregeln derzeit praktisch irrelevant ist. 3. Nur materielles Recht? Der Grundsatz der Gesetzesbindung und mit ihm das Rückwirkungsverbot muß so 57 weit reichen, wie eine Objektivitätsgarantie erforderlich ist. Das Verbot endet deshalb nicht vor dem Prozeßrecht (dazu schon oben 4/9 mit Nachweisen). Im Prozeßrecht kann — entsprechend dem Gefälle an gesetzlicher Bestimmtheit vom BT hinab z u r Zurechnungslehre des A T — eine Rückwirkung um so eher akzeptiert werden, als sie alle Delikte betrifft und deshalb nicht oder nur schwer zu Manipulationen ausgenutzt werden kann. Prozessuale Sonderregeln für einzelne Delikte dürfen freilich nicht rückwirkend eingeführt werden. So dürfte eine Erweiterung der Katalogtaten bei Untersuchungshaft nach den §§112 Abs. 3 und 112 a Abs. 1 S t P O nicht zurückwirken (anders die ganz überwiegende Ansicht). Es ist aber auch bei prozessualen Vorschriften, die nur einzelnen Delikten gelten, zulässig, eine Regelung durch ein funktionales Äquivalent zu ersetzen, etwa den Rechtszug zu variieren, wenn das letztlich entschei-

88 E 1962 Begründung S. 108; Stratenwerth AT Rdn. 79; Germann SchwZStr. 73 (1958) S. 44 ff, 85 f. 89 So die begriffsjuristische Begründung des E 1962, Begründung S. 108; ebenso dürftig zu S 2 Abs. 4 StGB a. F. (da Art. 103 Abs. 2 G G nur die Strafbarkeit nennt, „muß hieraus geschlossen werden, daß der einfache Gesetzgeber hinsichtlich der Maßregeln freigestellt ist") B G H 24 S. 103 ff, 106 (zur Polizeiaufsicht; mit kritischer Anmerkung Schroeder J R 1971 S. 379 f f ) ; B G H 5 S. 168 ff, 173 f (zur Entziehung der Fahrerlaubnis); siehe ferner B G H 16 S. 49 ff, 55 f ; 19 S. 64 ff, 69. - In BT-Drucksache V/4095 S. 4 wird zutreffend darauf abgestellt, ob die Maßregel verwaltungsrechtlich ersetzbar ist (Rückwirkung) oder nicht (keine Rückwirkung), ohne daß aber eine entsprechende Gesetzesformulierung vorgeschlagen worden wäre. 90 Soweit der Grundsatz der Gesetzesbindung — verfehlt (oben 4/3) — mit dem Schuldprinzip verknüpft wird, ist es konsequent, ihn auf Maßregeln nicht zu erstrecken; so bei Sax Grundrechte Bd. III (2) S. 909 ff, 1000; Dürig in: Maunz-Dü-

rig-Herzog-Scholz Art. 103 Rdn. 117. — Die in der Umkehrung behauptete Verfassungswidrigkeit von § 2 Abs. 6 StGB (so eingehend Diefenbach Problematik des 5 2 Abs. 4 StGB — gemeint ist § 2 Abs. 4 StGB a. F. — passim; Jung Wassermann-Festschrift S. 875 ff, 884 ff: wegen der Integration der „Maßregeln in ein repressives System der Verhaltenssteuerung") kann nur für diejenigen Fälle begründet werden, in denen die Maßregeln nicht als verwaltungsrechtliche Reaktionen rechtsstaatlich vertretbar durchgeführt werden können. — Hauptsächlich wie hier Gallas ZStW 80 S. 1 ff, 11; Nowakowskiv. Weber-Festschrift S. 98 ff, 118 f¿ Naucke Tendenzen S. 27; Baumann-Weber A T S 6 IV 2; SK-Rudolphi § 2 Rdn. 18; SKI-Schreiber 5 2 Rdn. 13; Stratenwerth KT Κάη. 79; H. AfajerStudienbuch § 7 I 2; Maurach-Zipf A T I § 12 Rdn. 18 f; AK-Hassemer § 2 Rdn. 60 f. Siehe auch Η. Mayer A T I 15 IV; LK-Tröndle § 2 Rdn. 53 ff; Stree Deliktsfolgen S. 33 ff; Schönke-Schröder-Eser §2 Rdn. 43; Krey Studien S. 218 f f ; den. Blau-FestschriftS. 123 ff, 124 f.

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4. A b S C h n

I · Buch. 2. Kapitel. Gesetzesbindung. Geltung des Strafrechts

dende Gericht identisch bleibt (zumindest über § 121 Abs. 2 GVG) oder höherrangig ist 9 ». 4. Die Gesetzesänderung während der Tatzeit 58

a) Wird das Gesetz geändert, während die Tat begangen wird, so soll nach § 2 Abs. 2 StGB das bei Beendigung der Tat geltende Gesetz anzuwenden sein. Diese Regelung ist höchst mißverständlich formuliert und sachlich bedeutungslos : 59 b aa) Besteht die Gesetzesänderung darin, daß ein bestimmtes Verhalten erst während seines Vollzugs strafbar wird, so kann der Täter nur bestraft werden, wenn der nach der Änderung vollzogene Verhaltensteil noch ein komplettes Delikt ergibt. Das kann bei Einheit der Handlung im „natürlichen" Sinn (im Fall einer quantitativ gesteigerten Tatbestandsverwirklichung), bei juristischer Handlungseinheit, insbesondere bei Dauerdelikten und bei den Delikten mit quantitativ unbestimmtem Täterverhalten (unten 32/1 ff, 16 ff, 26 ff), der Fall sein, ferner und hauptsächlich, folgt man der üblichen Lehre, bei Fortsetzungszusammenhang (unten 32/38 ff). Beispiel: Wer zur Zeit des Inkrafttretens von § 326 Abs. 1 StGB unbefugt Gifte außerhalb einer zulässigen Anlage gelagert hatte, kann für das vom Geltungsbeginn an vollzogene Verhalten (Unterlassung) nach der genannten Vorschrift bestraft werden. Das vorangegangene Verhalten bleibt straffrei 9 2 und darf auch bei der Strafzumessung nur allgemein als Vorverhalten berücksichtigt werden. § 2 Abs. 2 StGB besagt insoweit also nur, daß teilbares Verhalten zu teilen ist. — Bei unteilbarem Verhalten, wenn also nur eine partielle Tatbestandsverwirklichung in die Zeit der Strafbarkeit fällt, bleibt der Täter ganz straffrei. Bei anderer Auslegung verstieße § 2 Abs. 2 StGB gegen das Rückwirkungsverbot und wäre verfassungswidrig. Beispiel: Würde der Gesetzgeber die Wegnahme von ComputerSoftware in bloßer Gebrauchsabsicht unter Strafe stellen, so bliebe straffrei, wer vor Geltungsbeginn der Vorschrift fremden Gewahrsam schon gebrochen hätte, auch wenn er neuen Gewahrsam nach Geltungsbeginn begründen würde; denn allein die neue Gewahrsamsbegründung in Gebrauchsabsicht wäre keine komplette Tatbestandsverwirklichung. 60

bb) Besteht die Gesetzesänderung in einer Milderung einschließlich völliger Aufhebung der Strafbarkeit, so ergibt sich die Rechtsfolge bei teilbaren wie bei unteilbaren Taten aus § 2 Abs. 3 StGB, bei Zeitgesetzen aus § 2 Abs. 4 StGB. 61 cc) Es bleibt die Strafschärfung. Erfolgt sie während einer unteilbaren Tat, so kommt sie f ü r diese Tat nicht mehr in Betracht, weil sie sonst partiell zurückwirken würde. Beispiel: Tritt ein verschärfter Strafrahmen für Raub in Kraft, nachdem der Täter das Opfer niedergeschlagen, aber bevor er ihm die Beute weggenommen hat, so ist dieser Rahmen auf diese Tat — wenn Gewalt durch Unterlassen ausscheidet — nicht mehr anzuwenden 9 3 . Erfolgt die Schärfung während einer teilbaren Tat, so wird der Täter aus der strengeren Vorschrift verurteilt 9 4 ; die strengere Vorschrift ist aber zur 91 Bei dem Verlust einer zweiten Tatsacheninstanz ist die Entscheidung zweifelhaft; aber was eine mildere Regelung ist, läßt sich hier nicht mehr ausmachen: Auch die Staatsanwaltschaft kann erfolgreich Berufung einlegen. 92 R G 62 S. 1 ff, 3 mit Nachweisen der vorgehenden Rechtsprechung; Schönke-Schröder-Eser §2 Rdn. 15 ; LK- Tröndle § 2 Rdn. 28 ; ebenso E 1962 BegründungS. 106. Das gilt auch für eine Qualifizierung, die nach (partieller) Verwirklichung des Grunddelikts, aber vor Verwirklichung des qualifizierenden

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Merkmals in Kraft tritt. Beispiel: Tritt eine Qualifizierung der Körperverletzung als „Körperverletzung mit Verlassen in hilfloser Lage" nach der Verletzung, aber vor dem Verlassen in Kraft, so ist sie nicht mehr anzuwenden, da das Verlassen sonst rückwirkend an den Grundtatbestand angebunden würde. 94 So schon die Rechtsprechung des Reichsgerichts ; R G 43 S. 355 ff, 356; 56 S. 55 ff, 56; 62 S. I f f , 5; 68 S. 338 f; 74 S. 132 ff, 133 und andere EntScheidungen,

Gesetzesbindung und zeitliche Geltung

4. AbSChn

Vermeidung einer Rückwirkung so anzuwenden, daß bei der Strafzumessung die mildere Bewertung des ersten Tatteils berücksichtigt wird 9 5 . — Die genaue Angabe des Verlaufs der Scheidelinie zwischen alter und neuer N o r m durch N e n n u n g auch der alten N o r m und des von ihr erfaßten Tatteils im Urteil würde das Rückwirkungsverbot besser befolgen, als es bei der gegenwärtigen Regelung der Fall ist. 5. Das Zeitgesetz a aa) Nach § 2 Abs. 4 StGB sind Gesetze, die nur für bestimmte Zeit gelten sollen, 6 2 vorbehaltlich einer anderen gesetzlichen Bestimmung auch dann noch anzuwenden, wenn sie „außer Kraft getreten" sind. Freilich ist die Anwendbarkeit ein hinreichender Beweis dafür, daß die Gesetze nicht restlos „außer Kraft getreten" sind, vielmehr in dem oben bezeichneten und materiell einzig notwendigen und hinreichenden Sinn einer Anwendbarkeit auf Altfälle noch weitergelten. Was dem Zeitgesetz vom Endzeitpunkt an abgeht, ist einzig die Kraft, noch Neufälle zu regeln. bb) Als Begründung f ü r die Regelung des § 2 Abs. 4 StGB wird verbreitet angeführt, 6 3 zeitgebundene Gesetze verlören ohne Fortgeltung f ü r Altfälle gegen Ende ihrer Zeit an Autorität, da die kommende Straffreiheit absehbar werde 9 6 . Es ist jedoch nicht zu erkennen, was am Zerbröckeln der Autorität einer sowieso bald abgelebten N o r m nachteilig sein soll. Dieser Grund trägt also nicht. Vielmehr erfolgt der weitere Vollzug der Strafdrohung beim Zeitgesetz nicht, weil die N o r m sonst zur Zeit ihrer vollen Geltung nicht durchzusetzen wäre, sondern weil das vergangene Verhalten (der Altfall) auch zur Urteilszeit noch als Enttäuschung einer Erwartung definiert wird, die normativer Garantie bedarf. Auch beim Zeitgesetz dient die Entscheidung der Erledigung eines gegenwärtigen Konflikts, nicht eines vergangenen96a. Die einzige Besonderheit eines Zeitgesetzes ist, daß sich zur Entscheidungszeit eine Enttäuschung nicht mehr neu ereignen kann, weil sich „die Zeiten" gewandelt haben, mag dies besagen, daß das Ereignis nicht mehr vorkommt oder als neues Ereignis nicht mehr enttäuschend auffällt. b aa) Bei materieller Betrachtung liegt ein Zeitgesetz immer dann vor, wenn ein 6 4 Gesetz ausdrücklich oder aus systematischen Erwägungen Neufälle nicht erfaßt, aber f ü r Altfälle die zutreffende Regelung bleibt 9 7 . Diese materielle Betrachtung ist aber mit § 2 Abs. 3 und 4 StGB nicht vereinbar, da Milderungen (einschließlich Strafaufhebungen) zurückwirken sollen (Abs. 3), wenn nicht das geänderte Gesetz „nur f ü r bestimmte Zeit gelten" sollte (Abs. 4). Es reicht für ein Zeitgesetz also nicht hin, wenn sich die beinahe zu jeder N o r m mögliche allgemeine Zeitgebundenheit aktualisiert, vielmehr ist Zeitgesetz nur ein in besonderer^!eise an einen vorübergehenden Umstand gebundenes Gesetz. Beispiel: Würde W o h n r a u m am Markt im Uberfluß verfügbar und deshalb § 302 a Abs. 1 N r . 1 StGB aufgehoben, so wäre die Anwendung dieser Vorschrift auf Altfälle (seil. Fälle zur Zeit knappen Wohnraums) zwar angebracht, aber nach der gegenwärtigen Gesetzesformulierung mangels einer besonderen zeitlichen Bindung ausgeschlossen. Die gesetzliche Definition des Zeitgesetzes bindet zugunsten des Täters. Soweit f ü r den Täter freilich die Annahme eines Zeitgesetzes günstiger ist, kann eine N o r m trotz 95

B G H StV 1984 S. 202; LK-Tröndle % 2 Rdn. 28; Schönke-Schröder-Eser% 2 Rdn. 14; SK-Rudolphi § 2 Rdn. 4; Dreher-Tröndle § 2 Rdn. 3; a. A. (für ein ehrengerichtliches Verfahren gegen Rechtsanwälte) B G H 29 S. 124 ff, 129. 96 B G H 6 S. 31 ff, 38; LK-Tröndle § 2 Rdn. 46; Jescheck AT § 15 IV 6; Schönke-Schröder-Eser §2

Rdn. 36; dagegen kritisch Tiedemann PetersFestschrift S. 193 ff, 198 f; — überhaupt kritisch zu Zeitgesetzen MezgerZStW 42 S. 348 ff, 359 f f ; ders. Strafrecht § 8 IV 2. Α. A. AK-Hassemer% 2 Rdn. 47. 9/ Siehe Stratenwerth AT Rdn. 80.

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4. AbSChn

l . Buch. 2. Kapitel. Gesetzesbindung. Geltung des Strafrechts

Fehlens einer besonderen Bindung als Zeitgesetz interpretiert werden : Ihre Anwendung auf Neufälle kann unterbleiben. 65

bb) Die besondere zeitliche Bindung kann durch die kalendermäßige Angabe 9 7 a des Tags geschehen, an dem Alt- und Neufälle geschieden werden (an dem das Gesetz „außer Kraft" tritt), oder aber durch die Bezeichnung eines Ereignisses, dessen Eintritt mit der Scheidung verbunden ist, wobei der Tag noch unbestimmt sein mag (Ende eines Kriegs, erfolgreiche Bekämpfung einer Seuche etc.) 9 8 . Wenn verbreitet daneben noch Zeitgesetze im weiteren Sinne anerkannt werden, bei denen die Scheidelinie nicht benannt, sondern nur nach dem systematischen Zusammenhang der Vorschrift zu ermitteln ist 9 9 , so läßt sich das bei einer Anwendung zu Lasten des Täters mit dem Grundsatz der Gesetzesbindung nicht vereinbaren. Ein Zeitgesetz gilt stets für alle Altfälle, gleich wann es seine besondere Terminierung erhalten hat (ob schon bei seinem Erlaß oder erst kurz vor seinem Außerkrafttreten), es sei denn, die Terminierung nenne auch einen Anfangszeitpunkt (dann folgt auf ein nicht terminiertes Gesetz vom genannten Zeitpunkt an ein Zeitgesetz); denn eine Tat, die zur Geltungszeit eines nicht terminierten Gesetzes begangen wird, wird nicht dadurch strenger behandelt, daß später eine Terminierung dieses Gesetzes e r f o l g t " 3 .

66

c) Schwierigkeiten bereitet die Behandlung von Blankettgesetzen, wenn die ausfüllenden Normen geändert werden. Sind die ausfüllenden Normen terminiert, und zwar auch für Altfälle, so wird über diese terminierten Normen das Blankettgesetz zum Zeitgesetz 9 9 b . Liegt kein Zeitgesetz vor, so heißt das freilich nicht, jede begünstigende Änderung der ausfüllenden Normen wirke wegen § 2 Abs. 3 StGB zurück. Vielmehr bleibt die Rückwirkung aus, wenn das Blankett nicht an die ausfüllende Norm selbst,

97a Eine solche Angabe führt nicht zwingend zur Annahme eines Zeitgesetzes: Läuft nicht nur die Geltungszeit eines Gesetzes (für Neufälle) ab, sondern verliert es auch für Altfälle seine Legitimation, so kann die Terminierung zugunsten des Täters als ex ante erfolgte Festlegung eines schlichten Außerkrafttretens interpretiert werden. 98 Ebenso wohl Tiedemann Peters-Festschrift S. 193 ff, 202, der ausdrückliche, aber wohl nicht nur kalendermäßige Bindung verlangt; ders. Milderungen S. 31; Rüping NStZ 1984 S. 450 f,451. — Der Gesetzgeber wollte einen weiter gefaßten Begriff des Zeitgesetzes (siehe Göhler N J W 1974 S. 825 ff, 831 ; LK-Tröndle § 2 Rdn. 47), hat dies aber in der Formulierung nicht hinreichend ausgedrückt. 99 BGH N J W 1952 S. 72 f; BGH 6 S. 31 ff, 39; 18 S. 13 ff, 14; 20 S. 178 ff, 182 f; OLG Karlsruhe N J W 1968 S. 1581 f, 1582; Schönke-SchröderEser% 2 Rdn. 36; LK-Tröndle § 2 Rdn. 45; überwiegende Ansicht. 9 9 a Α. A. wohl Flämig Steuerrecht S. 85 f; aber mit dieser Ansicht läßt sich nicht mehr erklären, daß eine mittlerweile geänderte steuerrechtliche Regelung noch für frühere Veranlagungszeiträume anwendbar bleiben kann. 99b Deshalb ist die Steuerhinterziehung (§ 370 AO) Zeitgesetz, wenn bei einer Änderung von Steuersätzen, Freigrenzen etc. das alte Limit für Fälle im alten Veranlagungszeitraum gültig bleibt. Konse-

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quenz: Eine Milderung der Steuerlast wirkt nicht auf Fälle im alten Veranlagungszeitraum; Franzen-Gast-Samson% 369 Rdn. 25; Bergmann NJW 1986 S. 232 ff; Schünemann in: Parteispendenproblematik S. 119 ff, 124; BGH N J W 1987 S. 1274 ff, 1276 mit ablehnender Besprechung Tiedemann aaO S. 1247 f; LG Bochum NJW 1985 S. 1968 ff; AG Düsseldorf N J W 1985 S. 1971; a. A. Tiedemann Milderung S. 30 ff; ders. N J W 1986 S. 2475 ff, 2477, der die steuerliche Rechtslage von der strafrechtlichen trennen will; Flämig Steuerrecht S. 71 ff, 110 ff; Dannecker in: Parteispendenproblematik S. 91 ff; Schreiber Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 819 ff, 828. — Freilich geht es nicht schon allein deshalb um Zeitgesetze, weil Steuergesetze dem jeweiligen Finanzbedarf der öffentlichen Hand folgen. Jedes taugliche Gesetz folgt irgendwelchen Bedürfnissen der Zeit. Der Gesetzgeber erzeugt aber ein Zeitgesetz, indem er das Steuergesetz terminiert; dies kann auch dadurch geschehen, daß er mit dem Anwendungsbeginn eines neuen Gesetzes die Weitergeltung des alten Gesetzes für Altfälle bestimmt, wie es zum Beispiel im § 52 Absatz 17 a EStG (Abzugsfähigkeit von Parteispenden) geschehen ist. — Eine Bibliographie zur Parteispendenproblematik findet sich in : W. de 2?oor(Hrsg.) Parteispendenproblematik, 1986 S. 185 bis 201. — Siehe auch unten 4/Fn. 106.

Gesetzesbindung und zeitliche Geltung

4. Abschn

sondern an deren Regelungseffekt anknüpft (eingehend unten 4/72 zum milderen Gesetz), wie ζ. B. die Eigentumsdelikte nicht an die §§ 929 ff BGB anknüpfen, sondern an das als Effekt dieser Vorschriften entstandene Eigentum. Die Bestandskraft der Anknüpfung an den Regelungseffekt über eine Gesetzesänderung hinweg ist nicht die Wirkung eines Zeitgesetzes, sondern einer (oben 4/49 schon bezeichneten) Weitergeltung der alten N o r m in einem sehr abgeschwächten Sinn. d) Zwischen einer Befristung der Geltungsdauer eines Gesetzes und seiner tatbe- 67 standlichen Beschränkung auf einen bestimmten Zeitraum muß unterschieden werden 1 0 0 : N u r im letzteren Fall wird die Befristung Gegenstand des Unrechts und damit auch von Vorsatz und Fahrlässigkeit, im ersteren Fall gelten die Regeln des Verbotsirrtums (§ 17 StGB). Beispiel: Beim Angriff gegen Organe und Vertreter ausländischer Staaten (§ 102 StGB) erfolgt eine Strafbarkeit nur, wenn sich die Person zur Zeit des Angriffs in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhält. Darauf muß sich der Vorsatz beziehen (zweifelhaft; das Inlandsmoment läßt sich wie die Verbürgung der Gegenseitigkeit auch als nur-objektive Bedingung deuten). Wäre das Gesetz Zeitgesetz für den Zeitraum des Aufenthalts, so wäre die irrige Annahme des Zeitendes Verbotsirrtum (etwa der Irrtum, der amtliche Aufenthalt sei in einen Privaturlaub übergegangen). — Eine N o r m mit zeitgebundener nur-objektiver Tatbestandsbtá\n%un% (etwa §§ 102 ff, 104 a StGB, siehe unten 10/3) ist von einem Zeitgesetz dadurch unterschieden, daß sie außerhalb der Zeit immerhin Unrecht, wenn auch kein straftatbestandliches Unrecht festlegt und daß der Eintritt des relevanten zeitlichen Ereignisses überhaupt irrtumsresistent, also nicht einmal nach § 17 StGB zu berücksichtigen ist. Eine N o r m mit zeitgebundener nur-objektiver i/wrec&tibedingung (siehe unten 10/2) gibt es im positiven Recht nicht; sie wäre — bis auf den Fall des Irrtums über den Eintritt des relevanten zeitlichen Ereignisses — mit einem Zeitgesetz äquivalent. C. Das mildeste Gesetz 1. Die Bestimmung der kontinuierlichen Geltung a) Wenn das Gesetz der Tatzeit mit dem Gesetz der Entscheidungszeit nicht voll 68 identisch ist und kein Zeitgesetz vorliegt, ist „das mildeste Gesetz anzuwenden" (§ 2 Abs. 3 StGB). Bei einer nachträglichen Verschärfung, die an sich Altfälle umfaßt, fehlt es an der vollen quantitativen Identität des Tatzeitgesetzes (Rückwirkungsverbot). Bei einer nachträglichen Milderung einschließlich einer Aufhebung wird — von Zeitgesetzen abgesehen — unwiderleglich vermutet, daß sie Altfälle umfaßt; deshalb ist zur Entscheidungszeit eine strafrechtliche Reaktion nur noch reduziert (Milderung) oder überhaupt nicht mehr (Strafaufhebung) erforderlich (siehe schon oben 4/51). Das gilt auch bei Milderungen und Aufhebungen nach der Tat, die zur Entscheidungszeit schon wieder revidiert sind (sogenannte Zwischengesetze)·, denn dem Täter soll die günstigste Beurteilung gewährt werden, die zu seiner Tat rechtens ist oder w a r 1 0 0 a . 100 A.A. Mezger Strafrecht § 8 IV 2; Frank § 2 Anm. V 2 a: „Frage der Technik ohne sachlichen Unterschied". 100a A. A. BVerfG N S t Z 1990 S. 238 f unter einseitigem Abstellen auf Voraussehbarkeit. — Nie rechtens waren Gesetze, die mittlerweile durch das BVerfG für ex tunc nichtig erklärt wurden (zum Parteienfinanzierungsgesetz, bei dem es freilich aus mehreren Gründen — siehe oben 4/66, unten 4/72 — überhaupt nicht um die Problematik eines Zwischengesetzes geht, im Ergebnis a. A. Dingel-

dey N S t Z 1985 S. 337 ff, 340 mit Ausnahmen; Ulsenheimer N J W 1985 S. 1229, 1234). Solche Gesetze sind n u r für Fälle bestandskräftig, die vor der Nichtigkeitserklärung zugunsten eines Täters abgeschlossen wurden (§ 79 Abs. 2 BVerfGG). Dabei ist der Verfahrensabschluß ein formelles Kriterium. Die Gegenansicht will daraus fehlerhaft eine materielle Gleichheit folgern (zudem in Gestalt der materiell-rechtsstaatlich nicht existenzfähigen Gleichheitim materiellen ¿/«recht).

99

4. A b S C h n

I · Buch. 2. Kapitel. Gesetzesbindung. Geltung des Strafrechts

69

b) Entscheidungszeit ist jede Zeit, in der über die Rechtslage b e f u n d e n werden kann, also auch n o c h die Zeit der Entscheidung im Revisionsverfahren (siehe § 354 a S t P O ) ; freilich m u ß die Verletzung materiellen Rechts gerügt w o r d e n sein, w e n n die Milderung materiellen Rechts n o c h berücksichtigt werden soll 1 0 1 . Ist diese Zeit verstrichen, kann eine materiellrechtliche Gesetzesänderung die Entscheidung n o c h beeinflussen, wenn (zufällig!) eine mit der Verletzung formellen Rechts begründete Revision erfolgreich ist. Ansonsten k a n n eine Entscheidung n u r im G n a d e n w e g geändert werden. Hierbei ist die G n a d e n i n s t a n z nicht an die V e r m u t u n g des § 2 Abs. 3 StGB gebunden, die Anwendung milderer Gesetze o d e r gar einer S t r a f b a r k e i t s a u f h e b u n g auf Altfälle sei stets angebracht.

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c) Das Gesetz, das als mildestes Gesetz angewendet w e r d e n soll, ist nicht n u r die Bestimmung des Deliktstyps nach dem BT, sondern die gesamte Rechtslage. Bei Blankettgesetzen w i r k t nicht jede Ä n d e r u n g der ausfüllenden N o r m e n z u r ü c k 1 0 2 . Vielmehr ist zu differenzieren :

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aa) Sichert das Blankettgesetz n u r den Gehorsam gegenüber der ausfüllenden N o r m , so wirkt die A u f h e b u n g der ausfüllenden N o r m so z u r ü c k , wie auch sonst die A u f h e b u n g eines Verbots zurückwirkt. Beispiel : W i r d eine Geschwindigkeitsbeschränkung nach der S t V O ersatzlos aufgehoben, so sind Altfälle von Geschwindigkeitsüberschreitungen nicht m e h r s t r a f b a r 1 0 3 . Diese Lösung kann allerdings unangemessen sein, w e n n das Gesetz durch die A u f h e b u n g keinen größeren Verhaltensspielraum, sondern n u r einen anders zugeschnittenen Verhaltensspielraum erlauben will, als bisher erlaubt war, etwa indem es eine Geschwindigkeitsbeschränkung aufhebt, aber zugleich bislang nicht erforderliche Sicherungsmaßnahmen vorschreibt. In diesen Fällen kann die alte ausfüllende N o r m vor ihrer A u f h e b u n g z u r Vermeidung von R ü c k w i r k u n g gesetzlich zum Zeitgesetz umformuliert w e r d e n ; wegen des Grundsatzes der Gesetzesbindung bleibt aber auch n u r dieser Weg.

72

bb) Sichert das Blankettgesetz aber den Regelungseffekt, den die ausfüllende N o r m erzielt, so wird durch die A u f h e b u n g der ausfüllenden N o r m die weitere E r z e u g u n g dieser Regelungseffekte ausgeschlossen, ohne daß jedoch die alten Effekte d a d u r c h hinfällig w ü r d e n . Beispiele: Ändert der Gesetzgeber die V o r f a h r t rechts vor links in eine solche links vor rechts, so berührt das nicht das V o r f a h r t s r e c h t (den Regelungseffekt), das der von rechts K o m m e n d e seinerzeit hatte. — V o r t ä u s c h e n einer Straftat (§ 145 d StGB) wird nicht milder, wenn die N o r m , deren Ü b e r t r e t u n g vorgetäuscht w u r d e , außer K r a f t gesetzt wird, Verdächtigung (§ 164 StGB) nicht durch A u f h e b u n g der Verfolgbarkeit f ü r den Verdächtigungsgegenstand, Strafvereitelung nicht durch A u f h e b u n g der Verfolgbarkeit f ü r die vom Destinatar der Vereitelung begangene T a t ; denn diese Gesetze knüpfen an den Regelungseffekt der Bezugsnormen an (das Vorliegen von U n r e c h t z u r Zeit der Tat), nicht aber an die N o r m e n selbst 1 0 4 . — Entsprechendes gilt bei der Fälschung von Geld, das v o r der Entscheidung außer K r a f t gesetzt 101 BGH 26 S. 94; a. A. (Inhalt der Rüge unbeachtlich) Küper N J W 1975 S. 1329 f. - Siehe ferner BayObLG JZ 1961 S. 389 f; Hardwig JZ 1961 S. 364 ff. 102 Die Rechtsprechung verneinte zunächst jede Rückwirkung (RG 49 S. 411 ff, 413; BGH 7 S. 294 ff, 295 f), entscheidet nunmehr aber danach, ob die ausfüllende N o r m Zeitgesetz ist, wobei sie freilich auch hier den Begriff im weiten Sinn versteht: B G H 20 S. 178 ff, 180 ff. 103 B G H 6 S. 31 ff, 36 ff, 40.

100

104 Anders bei § 257 StGB, wenn nicht nur die Rechtspflege als Schutzgut angesehen wird (im Ergebnis ebenso BGH 14 S. 156 ff). — Hauptsächlich wie hier Schönke-Schröder-Eser §2 Rdn. 26 f; LK-Tröndle § 2 Rdn. 6; (mit Abweichungen zu den §§ 257 ff StGB:) SK-Rudolphi § 2 Rdn. 8 a ff. — Α. A. (im Grundsatz Milderung) Tiedemann Milderung S. 21; Mazurek JZ 1976 S. 233 ff, 235 f mit willkürlichen Ausnahmen S. 237 f; für Rückwirkung einer „günstigeren Gestaltung der gesamten Rechtslage", nicht

Gesetzesbindung und zeitliche Geltung

4. Abschn

w i r d 1 0 5 : Das Fälschungsverbot knüpft an den zur Zeit der T a t bestehenden Regelungseffekt „Zahlungsmittel" an. — Bei Eigentumsdelikten folgt die Bestimmung der Fremdheit einer Sache dem Zivilrecht der Tatzeit; ebenso richtet sich bei Steuerdelikten die Strafbarkeit nach der Steuerschuld, so wie sie zur Tatzeit besteht oder entsteht 1 0 6 . d) Bei einer Variation des Unrechtstatbestands oder sonstiger Bestrafungsvorausset- 7 3 zungen durch eine Gesetzesänderung muß unterschieden werden, ob das Gesetz für den konkreten Fall in den Bestrafungsvoraussetzungen identisch geblieben ist 1 0 7 , mag auch in der Strafdrohung oder durch ein Antragserfordernis etc. eine Schärfung oder Milderung eingetreten sein, oder ob mangels Identität des Gesetzes für den konkreten Fall die T a t überhaupt straffrei geworden ist. aa) Die Erweiterung der Strafbarkeit: Das Gesetz bleibt identisch, wenn die Straf- 7 4 barkeit nur erweitert wird, also mindestens eine der bisherigen Bestrafungsvoraussetzungen generalisiert oder eine Strafbarkeitsausnahme spezialisiert wird. Freilich ist bei der Bestimmung des mildesten Gesetzes zu beachten, daß sich durch die Erweiterung das relative Gewicht des konkreten Falls verschiebt 1 0 8 . Beispiel: Erweitert das Gesetz die Verführung (§ 182 StGB) durch Anhebung des Schutzalters von „unter sechzehn J a h r e n " bis zu „unter achtzehn Jahren", so wird die Verführung einer Fünfzehnjährigen vom bislang — unter dem Aspekt des Alters — mildesten Fall zu einem Fall gehobener Quantität. Bei gleichem Strafrahmen wäre also das alte Gesetz milder.

hingegen bei bloßer Ersetzung einer Regelung durch eine andere AK-Hassemer § 2 Rdn. 38. — Α. A. speziell zu § 164 S t G B B a y O b L G J R 1975 S. 68 f (dagegen Meyer J R 1975 S. 69 ff; Wenner M D R 1975 S. 161 f ) ; zu § 145 d S t G B siehe O L G Düsseldorf N J W 1969 S. 1679 f. - Siehe ferner MohrbotterZSW 88 S. 923 ff, 956 ff. 105 Mezger Z S t W 42 S. 348 ff, 3 7 5 ; insoweit überwiegende Ansicht. 106 Im Ergebnis ebenso B G H 20 S. 178 ff, 181; Franzen-Gast-Samson § 369 A O Rdn. 2 5 ; Samson wistra 1983 S. 235 ff, 237 ff; Franzheim N S t Z 1982 S. 137 ff, 138; Schäferwistra 1983 S. 167 ff, 169; Bergmann N J W 1986 S. 233 ff; a. A. Kunert N S t Z 1982 S. 276 f f ; Äwpi'ngNStZ 1984 S. 450 f; Tiedemann Milderung S. 18 ff, 2 9 ; ders. N J W 1986 S. 2475 ff. Tiedemann wendet zum Regelungseffekt der Fremdheit bei Eigentumsdelikten ein, wenn der Gesetzgeber „das Eigentum gänzlich abschafft oder die Eigentumsordnung wesentlich ändert", sei „nicht recht ersichtlich", weshalb keine Rückwirkung stattfinden soll (Milderung S. 2 0 ) ; aus diesem Einwand folgt freilich nur, daß revolutionäre Änderungen und Kontinuität unverträglich sind, bei Eigentumsdelikten wie anderswo. Für die weniger einschneidenden Veränderungen verkennt Tiedemann den Zusammenhang zwischen dem Anknüpfungspunkt des Blanketts und dem Inhalt des tatbestandlichen Unrechts: Würde das Strafrecht bei Blankettgesetzen immer nur auf „außerstrafrechtliche Normen" verweisen, so gehörten nur stets deren V o r aussetzungen zum Unrecht; der Regelungseffekt hätte keine Stellung im objektiven Tatbestand und wäre deshalb auch kein Vorsatzgegenstand. Eine

solche Lösung wäre mit zahlreichen Tatbeständen offenbar unverträglich (bei Eigentumsdelikten gehört die Fremdheit der Sache zum Tatbestand, bei der Steuerhinterziehung die Verkürzung von Steuern, also der jeweilige Regelungseffekt). — Siehe auch oben zum Zeitgesetz 4/66 und unten zum subjektiven Tatbestand 8/47, 48 ff). KKOWiG-Rogali § 4 Rdn. 2 6 ; zu eng Sommer Das „mildeste Gesetz" S. 169, 192: Identität nur, wenn „beide Gesetze tatsächlich an dieselben Merkmale des Sachverhalts anknüpfen" (inkonsequent dazu die Berücksichtigung des „typischen Gesamtgeschehensablaufs" oder der „typischen Beschreibung" S. 191 f und passim). — Jede Norm regelt ein Bündel von Sachverhalten. Die gebündelten Sachverhalte bleiben unberührt, wenn das Gesetz weitere Sachverhalte hinzugibt (generalisiert, also an weniger Merkmale anknüpft) und die gebündelt bleibenden Sachverhalte berührt es auch nicht, wenn das Gesetz einzelne ausklammert (spezialisiert, also an mehr Merkmale anknüpft). — Zu weit Laos J R 1975 S. 248 ff, 249, der auf den identischen „unmittelbaren Regelungseffekt" abstellt (ebenso O L G Köln N J W 1974 S. 1830 f; K G N J W 1976 S. 813 f, zu §§ 180 S t G B a. F., 180 a Abs. 1 Nr. 1 und 2 S t G B n. F.). D a ß ein Verhalten zur Tatzeit wie zur Entscheidungszeit überhaupt normwidrig ist, garantiert nicht die Identität von Unrecht und Schuld, wie ja auch sonst bei Einheitlichkeit des Verhaltens (bei Idealkonkurrenz) unterschiedliche Unrechts- und Schuldgehalte zusammentreffen können. Sommer Das „mildeste Gesetz" S. 81 f.

101

4. AbSChn 75

I · Buch. 2. Kapitel. Gesetzesbindung. Geltung des Strafrechts

bb) Der Austausch strafbarkeitskonstitutiver Merkmale ;Das Gesetz bleibt nicht identisch, wenn auch nur eine der Bestrafungsvoraussetzungen durch eine neue Voraussetzung ersetzt wird. Geschieht der Austausch bei qualifizierenden Merkmalen, kann noch aus dem Grunddelikt bestraft werden; bei einem Austausch von Merkmalen des Grunddelikts wird die Strafbarkeit ganz aufgehoben. Ein Merkmal ist gegenüber dem bisherigen Merkmal neu, wenn es weder Gattungsbegriff (Strafbarkeitserweiterung, oben 4/74) noch Artbegriff (Strafbarkeitsbeschränkung, unten 4/76) zum alten Merkmal ist; denn fehlt es an beidem, dann umfaßt die neue Regelung nicht die alte (kein Gattungsbegriff) und setzt auch nicht einen Teil der alten Regelung fort (kein Artbegriff). Beispiele: Erweitert das Gesetz das Angriffsobjekt der Körperverletzung (§ 223 StGB) auf den menschlichen Embryo oder das Angriffsobjekt der Beleidigung (§ 185 StGB) auf juristische Personen, so bleibt das Gesetz, was Taten gegen Menschen angeht, identisch; denn die neue Bestimmung (menschliches Lebewesen überhaupt, Person überhaupt) ist Gattungsbegriff zur alten (Mensch von der Geburt an, natürliche Person). — Verengt das Gesetz den Schwangerschaftsabbruch (§218 Abs. 1 StGB) durch Beschränkung des Angriffsobjekts auf den menschlichen Embryo vom 6. Monat an, bleibt das Gesetz, was Taten gegen den mindestens 6 Monate alten Embryo angeht, gleichfalls identisch; denn das Merkmal nach neuem Recht ist Artbegriff zum Merkmal nach altem Recht. — Ersetzt aber das Gesetz bei der unerlaubten Veranstaltung eines Glücksspiels (§ 284 StGB) den Begriff des Glücksspiels durch die Angabe, es müsse sich um ein Spiel handeln, bei dem in einem Durchlauf mehr als eintausend DM verloren werden können, so ist das Gesetz nicht mehr identisch, auch nicht f ü r diejenigen Fälle, in denen ein Glücksspiel im Sinn der alten Bestimmung dieser neuen Spezifizierung genügt; denn das neue Merkmal ist weder Gattungsbegriff (bei Glücksspielen kann es um kleinere Beträge gehen) noch Artbegriff (auch bei Geschicklichkeitsspielen kann der Betrag verloren werden) zum alten Begriff. Demgegenüber soll es nach der Rechtsprechung und einer verbreiteten Lehre zur Bestrafung hinreichen, wenn das Täterverhalten die Merkmale des alten wie des neuen Gesetzes verwirklicht, auch wenn dies durch jeweils unterschiedliche Teile des Verhaltens geschieht, sofern nur der Unrechtstyp gleich bleibt 1 0 9 . Bei dieser Lösung können Bestrafungsvoraussetzungen ausgetauscht werden: Weder ist das alte Gesetz notwendig eine genauere Bestimmung des neuen, noch umgekehrt. Beispiel 1 1 0 : Wird Straßenraub (§ 250 Abs. 1 N r . 3 StGB a. F.) gegen Raub mit Waffen (§ 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB n. F.) ausgetauscht, kann nach dieser Ansicht ein Straßenraub, der mit Waffen stattfindet, nach der Gesetzesänderung aus der neuen Qualifizierung bestraft werden, wenn man den Austausch nicht als Wechsel des Unrechtstyps definieren muß 1 1 1 . Diese Lösung verstößt gegen den Grundsatz der Gesetzesbindung, da bei ihr keine Identität von Tatzeitgesetz und Entscheidungszeitgesetz (seil, der Qualifizierung des Raubs) besteht: Die zur Entscheidungszeit maßgeblichen Tatmerkmale sind zur Tatzeit nicht, auch nicht in genereller Form, benannt; dieser Mangel kann durch eine vage Wertung (Kontinuität des Unrechtstyps) nicht geheilt werden.

109 B G H GS 26 S. 168 ff, 172 f f ; B G H GA 1978 S. 147 f ; B G H J Z 1979 S. 75 ff, 77; Mohrbotter ZStW 88 S. 923 ff; Ttedemann Peters-Festschrift S. 193 ff, 202 f f ; den. J Z 1975 S. 692 ff; Mazurek J Z 1976 S. 233 ff, 234; Schönke-Schröder-Eser% 2 Rdn. 24; LK-Tröndle § 2 Rdn. 29; Maurach-Zipf A T I § 12 Rdn. 16; SKï-Schreiber% 2 Rdn. 10 a. 110 B G H GS 26 S. 168 ff, 173 f.

102

III

Der B G H a a O S. 173 hat die „Kontinuität des Unrechtstyps" bejaht; das wird — zutreffend — auch von Verfechtern dieses Lösungsansatzes kritisiert; der B G H hält das Grunddelikt für den Unrechtskern, statt bei der Qualifikation auf den Unrechtskern des qualifizierenden Merkmals abzustellen.

Gesetzesbindung und zeitliche Geltung

4. Abschn

cc) Die Beschränkung der Strafbarkeit: Das Gesetz bleibt identisch, wenn sein An- 76 Wendungsbereich nur beschränkt wird. Da die beschränkenden Merkmale im Gesetz der Tatzeit nicht spezifiziert sind, wird teils angenommen, sie seien zur Tatzeit auch nicht bestimmt; die nachträgliche Benennung habe also zur Folge, daß an bisher irrelevante Tatteile angeknüpft, also die Identität zwischen den Gesetzen der Tatzeit und der Urteilszeit unterbrochen werde und Altfälle somit straffrei seien 1 1 2 . Dabei wird verkannt, daß die alte N o r m diejenigen Merkmale, die eine Verengung spezifizieren, auch benennt, nur zusammen mit jeder möglichen anderen Spezies, eben generell. Beispiel: Bei der Bestimmung eines Angriffsobjekts durch den Begriff der Sache sind die öffentlichen Sachen oder die fremden Sachen oder die Sachen, die einen bestimmten Wert haben, nicht etwa unbestimmt, sondern sie sind nur nicht spezifiziert, d. h. sie sind alle miteinander zusammen bestimmt. Die Gegenansicht führt zu der zumindest befremdlichen Lösung, daß eine Gesetzesänderung, die etwa den Diebstahl auf Objekte von mindestens einhundert DM Wert beschränkt, auch diejenigen Alttaten straffrei stellt, bei denen Millionen gestohlen wurden. — Freilich ist der Gegenansicht einzuräumen, daß es Zufall (also kein tauglicher Zurechnungsgrund) sein kann, ob der Täter bei einer zur Tatzeit generell beschriebenen T a t Spezifikationen erkennt, die nach dem Gesetz der Tatzeit zur Zurechnung nichts beitragen, aber nach dem Gesetz der Entscheidungszeit erforderlich sind. Beispiel : O b der Diebstahl einer Sache eine juristische oder eine natürliche Person schädigt, mag der Täter nach geltendem Recht wissen, ohne daß dieses Wissen die Rechtsfolge beeinflußt; es ist also zufällig; würde das Gesetz die O p f e r entsprechend differenzieren, wäre die Grenze tatbestandskonstitutiv und ginge deshalb auch in den Vorsatz ein. Zu Zufallsergebnissen kommt es immer, wenn die Gesetzesbeschränkung einen anderen Regelungszweck verfolgt als das beschränkte Gesetz; die Identität der Gesetze bleibt dann nur-formal. U m auch eine materielle Identität zu garantieren, muß die Beschränkung eines Gesetzes deshalb an Differenzierungen anknüpfen, die auch nach der alten N o r m sinnvolle Grenzen ergeben. Das ist immer dann der Fall, wenn Spezifizierungen genannt werden, die im Rahmen der alten N o r m legitime Strafzumessungserwägungen sind. Etwa eine Wertgrenze beim Diebstahl ließe deshalb die materielle Identität unangetastet, nicht aber die Abgrenzung nach Investitions- oder Verbrauchsgütern. 2. Die Bestimmung der mildesten Variante a) Bleibt die Strafbarkeit bei einer Gesetzesänderung erhalten, so muß das bei der 77 Anwendung auf den konkreten Fall mildeste Gesetz bestimmt werden, genauer: Das Gesetz der Entscheidungszeit muß zurückgeschnitten werden, soweit es strenger ist als das Gesetz der Tatzeit oder ein eventuelles Zwischengesetz 1 1 2 a . Das mildeste Gesetz wird nicht nach der allgemeinen gesetzlichen Wertung, sondern nach der Auswirkung auf den Täter bei der konkreten T a t bestimmt, und zwar bei Beteiligung f ü r jeden Beteiligten gesondert. Bei Realkonkurrenz ist jede Einzelstrafe als mildeste Strafe zu bilden. b) Nach einer verbreiteten Ansicht sind die Gewichte der Tatfolgen des alten Geset- 78 zes kumuliert denjenigen des geänderten Gesetzes gegenüberzustellen, nicht getrennt nach den einzelnen strafrechtlichen Reaktionen (Alternativität der Gesetze) 1 1 3 . Da112

SK-Rudolpki § 2 Rdn. 10; Schroeder Bockelmann-Festschrift S. 785 ff, 796; Schünemann Nulla poena S. 26 f; siehe auch AK-Hassemer$ 2 Rdn. 32. 112a Tiedemann Milderung S. 17.

113

B G H 20 S. 22 ff, 30 (mit Nachweisen der gleichsinnigen Rechtsprechung des Reichsgerichts); 24 S. 94 ff, 97; B G H N J W 1965 S. 1723 f ; B G H bei Holtz M D R 1983 S. 619 ff, 623; O L G Karlsruhe N J W 1970 S. 2072 f.

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4. AbSChn

1 · Buch. 2. Kapitel. Gesetzesbindung. Geltung des Strafrechts

nach kann im Ergebnis nur das alte oder das geänderte Gesetz milder sein, nicht aber bezogen auf eine Folge das alte, auf eine andere das geänderte. Diese Lösung kann nicht durchgehalten werden; jedenfalls bei den in § 2 Abs. 5 StGB genannten Reaktionen muß eine Einzelbestimmung erfolgen 1 1 4 : Das Rückwirkungsverbot von § 2 Abs. 5 StGB ist mit dem Gebot, insoweit das neue Gesetz bis zum U m f a n g der alten Regelung zurückzuschneiden, voll identisch, durchbricht also die Alternativität. Die auf Alternativität abstellende Lösung wird auch dem Grundsatz der Gesetzesbindung nicht gerecht, und zwar zum einen nicht, wenn das Gesetz der Entscheidungszeit in der Hauptsache milder ist, aber zudem zwingende Reaktionen kennt, die das Gesetz der Tatzeit nicht vorsieht. Zum anderen verstößt die kritisierte Lösung gegen den G r u n d satz der Gesetzesbindung, wenn die Strafberechnung nach dem Gesetz der Entscheidungszeit den Täter zwar im Ergebnis schon entlastet, bei einzelnen Berechnungsschritten aber in einem Maß belastet, das nach dem Gesetz der Tatzeit zu hoch ist. Beispiel: Kennt das Gesetz der Entscheidungszeit die Erhöhung der Mindeststrafe bei Rückfall (§ 48 StGB) nicht mehr, hat es aber die bislang nicht limitierte Mindeststrafe f ü r das betreffende Delikt auf 3 Monate angehoben, so ist das Gesetz im Ergebnis milder, wenn nach alter Rechtslage 7, nach neuer 4 Monate verwirkt sind; das Ergebnis kommt jedoch durch eine zur Tatzeit nicht vorliegende gesetzliche Belastung des Täters (seil, die neue Mindeststrafe) zustande. Diese Belastung ist ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzesbindung. — Zur Vermeidung dieser Verstöße hat die Bestimmung des mildesten Gesetzes f ü r jede Reaktionsart und für jeden Schritt der Bestimmung getrennt zu erfolgen, so daß je nach der strafrechtlichen Reaktion oder nach dem anstehenden Berechnungsschritt unterschiedliche Gesetze als jeweils mildere Gesetze anzuwenden sein k ö n n e n 1 1 5 . Im Beispielsfall wäre im Rahmen der Strafdrohung des Tatzeitgesetzes (insoweit größere Milde des alten Gesetzes), aber ohne Berücksichtigung des Rückfalls (insoweit größere Milde des neuen Gesetzes) zuzumessen. 79

c) Das Gewicht verschiedener Reaktionen wird objektiv bestimmt 1 1 6 . Geldstrafe ist milder als eine ebenso lange Freiheitsstrafe. Wäre nach einem Gesetz eine kürzere Freiheitsstrafe verwirkt als das andere Gesetz als Laufzeit der Geldstrafe festlegt, ist die Strafzumessung in eine Bestimmung der Strafdauer und eine Bestimmung der Strafart zu zerlegen und das jeweils mildere Gesetz anzuwenden 1 1 7 . — Freiheitsstrafe ist schwerer als Strafarrest nach § 9 WStG, Jugendstrafe schwerer als Jugendarrest. Geldbuße nach dem O W i G rangiert nach Geldstrafe.

D. Rückwirkungsverbot bei Rechtsprechungsänderung? 80

1. W ü r d e jedes Gericht an die Maximen jeder seiner früheren Entscheidungen und jeder Entscheidung der ihm vorgehenden Gerichte gebunden, so käme das dem Verbot an die Justiz gleich, aus ihren Fehlern zu lernen. Freilich kann allein aus der Notwendigkeit, Änderungen der Rechtsprechung zuzulassen, nicht auf die Zulässigkeit ge114

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Dies e i n r ä u m e n d , a n s o n s t e n f ü r Alternativität Maurach-ZipfAT I $ 12 R d n . 14; LK-Tröndle%2 R d n . 40 in V e r b i n d u n g mit 51 ; SK-Rudolphi §2 R d n . 12. SchröderJR 1966 S. 68 f f ; Schönke-Schröder-Eser § 2 R d n . 34; Sommer D a s „mildeste G e s e t z " S. 85 ff, 92 f f ; AK-Hassemer% 2 R d n . 45. Einzelheiten mit N a c h w e i s e n bei LK-Tröndle 52 R d n . 3 8 ; Sommer D a s „mildeste G e s e t z " S. 110 ff, 114.

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Α. A. die ü b e r w i e g e n d e Ansicht, w o n a c h jede G e l d s t r a f e milder sein soll als jede Freiheitsstrafe; R G 2 S. 205 f f ; 42 S. 427 ff, 4 3 0 ; 51 S. 327 f f ; 57 S. 121 ff, 122; 57 S. 193 ff, 198; 59 S. 91 ff, 98; 65 S. 229 ff, 2 3 0 ; B a y O b L G M D R 1972 S. 884; LK-Tröndle § 2 R d n . 38; SK-Rudolphi §2 R d n . 12.

Gesetzesbindung und zeitliche Geltung

4. Abschn

schlossen werden, jede Änderung jederzeit durchzusetzen. Bei gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung kann die Lage eintreten, daß die Entscheidungsmaximen gesetzliche Regelungen vertreten (etwa im Straßenverkehrsrecht), und deshalb wird vorgeschlagen, diese Maximen mit einer Objektivitätsgarantie durch ein Rückwirkungsverbot a u s z u s t a t t e n 1 1 8 . Wenn demgegenüber vorgebracht wird, der richterliche Erkenntnisakt sei notwendig retrospektiv und auf einen Einzelfall b e z o g e n 1 1 9 , so wird diese Charakterisierung der A u f g a b e der Rechtsprechung nicht gerecht, einen Fall systematisch, d. h. axiologisch passend zu allen anderen möglichen, auch für die Zukunft erwarteten Fällen zu beurteilen. 2. T r o t z der möglichen Wirkungsgleichheit von höchstrichterlicher Rechtspre- 81 chung und Gesetz trifft die Rechtsprechung jedoch kein R ü c k w i r k u n g s v e r b o t 1 2 0 ; denn der Wirkungsgleichheit entspricht keine Funktionsgleichheit. Die Rechtsprechung hat die Aufgabe, ihre Entscheidungen aus dem Gesetz zu begründen. Die bestehenden Bindungen, seil. Gesetzesbindung und Begründungszwang, werden verwässert, wenn ein Rückwirkungsverbot hinzukommt. Denn neben einer Bindung, bei der die (wörtlich) selbstherrlichen Akte des Gesetzgebers erträglich werden, verlören die Bindungen der Rechtsprechung (seil. Gesetzesbindung und Begründungszwang) an Gewicht; mit anderen Worten, eine Judikative, die wie ein Gesetzgeber gebunden wäre, würde auch judizieren, als gebe sie Gesetze. Soweit das Rückwirkungsverbot für die Rechtsprechung auf Vertrauensschutz gestützt wird, ist bislang nicht ausgemacht, ob die Vorteile des Schutzes nicht durch die Nachteile der erhöhten Immobilität der Rechtsprechung kompensiert werden. Auch wenn das Vertrauen faktisch bestehen sollte, kann es doch rechtlich unerwünscht sein, weil es die Judikative überfordert. 3. N a c h geltendem Prozeßrecht ist ein Rückwirkungsverbot zudem nicht durch- 82 f ü h r b a r 1 2 1 . E s sollte auch de lege ferenda nicht durchführbar gemacht werden. Vielmehr liegt die L ö s u n g für diejenigen Regelungsbereiche, in denen ein Bedürfnis nach einem Rückwirkungsverbot besteht, weil die Rechtsprechung den Gesetzgeber vertritt, in einer intensiveren gesetzlichen Regelung, insbesondere im Straßenverkehrsrecht 1 2 2 . 118

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Düng in: Maunz-Dürig-Herzog-Scholz An. 103 Rdn. 112 mit Fn. 2 f ; SchreiberJZ 1973 S. 713 ff; Müller-Dietz Maurach-Festschrift S. 41 ff; Mattil GA 1965 S. 129 ff, 140; Kohlmann Begriff des Staatsgeheimnisses S. 271 f f ; Gross GA 1971 S. 13 ff, 18; Straßburg ZStW 82 S. 948 ff, 964; Grunsky Grenzen S. 14 ff; SKI-Schreiber 51 Rdn. 6; Baumann- Weber A T § 12 I 2 a; SchönkeSchröder-Eser § 2 Rdn. 9; AK-Hassemer §1 Rdn. 50 ff. — Speziell gegen die Erlaubnis einer rückwirkenden Senkung der Promillegrenze als Indiz für Fahruntüchtigkeit Naucke N J W 1968 S. 758 f ; ders. N J W 1968 S. 2321 ff; Messmerund Bergschneider D A R 1967 S. 45 f f ; siehe auch O L G Düsseldorf N J W 1973 S. 1054. - Weitere Nachweise bei LK- Tröndle § 2 Rdn. 17 Fn. 34 ff.

Schünemann Nulla poena S. 28 ; Tröndle DreherFestschrift S. 117 ff, 133 f u. a. m. 120 Im Ergebnis ebenso Tröndle Dreher-Festschrift S. 117 ff, 135 f ; Stree Deliktsfolgen S. 80 ff; Meyer-Ladewig M D R 1962 S. 262 ff; Schünemann Nulla poena S. 27 f ; Bockelmann-Volk AT § 4 C H 4; Jescheck A T § 1 5 f V 3 mit Fn. 34;

Schmidhäuser AT 5/39; LK-Tröndle §2 Rdn. 17 f f ; SK-Rudolphi § 1 Rdn. 8; siehe auch Stratenwerth A T Rdn. 97; Krey Keine Strafe Rdn. 112 f; KKOWiG-Rogall § 1 Rdn. 48 ff. Speziell für die Erlaubnis der Rückwirkung bei der Senkung der Promillegrenze durch B G H 21 S. 157 ff siehe O L G Karlsruhe N J W 1967 S. 2167 f; K G N J W 1967 S. 1766; O L G Frankfurt N J W 1969 S. 1634 f f ; Sarstedt E. HirschFestschrift S. 171 ff, 184; Haffke Blutalkohol 1972 S. 32 ff; Riese N J W 1969 S. 549 f; Händel N J W 1967 S. 537 f. Zur erneuten Senkung durch B G H StV 1990 S. 353 ff siehe schon Saiger Blutalkohol 1990 S. 1 ff, 6 ff. 121 Dazu mit Nachweisen Tröndle Dreher-Festschrift S. 117 ff, 124 ff; LK-Tröndle § 2 Rdn. 22 ; auch Schreiber J Z 1973 S. 713 ff, 716 f. 122 Das gilt zum einen für die üblich gewordene Präzisierung der StVO durch Leitsätze der Obergerichte. Das gilt aber auch für den Ausgangsfall der neueren Diskussion, seil, für die Senkung der Promillegrenze als zwingendes Indiz für die

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5. AbSChn

l. Buch. 2. Kapitel. Gesetzesbindung. Geltung des Strafrechts

Im übrigen schützt die Regelung des Verbotsirrtums in § 17 StGB vor einer Ü b e r f o r d e rung des Täters bei einem Wechsel der R e c h t s p r e c h u n g 1 2 3 ; das gilt bei der hier vorgen o m m e n e n Normativierung der Vermeidbarkeit (unten 1 9 / 3 0 ) insbesondere auch für Fälle gefestigter, aber in ihrer Berechtigung zweifelhafter Rechtsprechung (also bei verbleibendem bedingten Unrechtsbewußtsein).

5. A B S C H N I T T

Die räumliche und personelle Geltung Literatur F. Becker Anmerkung zu LG Ravensburg, NStZ 1984 S. 459, NStZ 1985 S. 269 f; E.-W. Böckenförde Die Teilung Deutschlands und die deutsche Staatsangehörigkeit, Epirrhosis (Festgabe für Carl Schmitt) S. 423 ff; K. Cornili Die Fremdrechtsanwendung im Strafrecht, 1978; H. Dichgans Zur Rechtsnatur des mitteldeutschen Regimes, N J W 1966 S. 2255 ff; W. Gallas Der dogmatische Teil des Alternativentwurfs, ZStW 80 S. 1 ff; L. Gardocki Über den Begriff des internationalen Strafrechts, Z S t W 9 8 S. 703 ff; K. GeppertZum Geltungsbereich des § 170 b StGB bei Unterhaltsverletzungen zum Nachteil von DDR-Bürgern, JR 1988 S. 221 ff; K. H. GösselOns Rechtsgut als ungeschriebenes strafbarkeitseinschränkendes Tatbestandsmerkmal, Oehler-Festschrift S. 97 ff; G. Grünwaldlst der Schußwaffengebrauch an der Zonengrenze strafbar? JZ 1966 S. 633 ff; den. Zur Kritik der Lehre vom überpositiven Recht, 1971; H. Jobannes Zur Angleichung des Straf- und Strafprozeßrechts in der EWG, ZStW 83 S. 531 ff; H. Jung Die Inlandsteilnahme an ausländischer strafloser Haupttat, JZ 1979 S. 325 ff; N. Kilian Strafbarkeit der Denunziation eines Fluchtunternehmens, N J W 1983 S. 2305 f; E. Klein DDR-Staatsbürgerschafterwerb und deutsche Staatsangehörigkeit, N J W 1983 S. 2289 ff; /. Kohler Internationales Strafrecht, 1917; V. Krey Zum innerdeutschen Strafanwendungsrecht de lege lata und de lege ferenda, 1969; ders. Anwendung des „internationalen Strafrechts" im Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zur DDR, JR 1980 S. 45 ff; ders. Deutsch-deutsche Kollisionen im Strafrecht, in: G. Zieger u. a. (Hrsg.) Die strafrechtliche Entwicklung in Deutschland, 1988, S. 199 ff; ders. und N. Arenz Schutz von DDR-Bürgern durch das Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland, JR 1985 S. 399 ff; W. Kunz Zum Geltungsbereich des § 170b StGB, N J W 1987 S. 881 f; K. Lenzen Das Mitführen von Waffen durch ausländische Sicherheitsbeamte in deutschen Luftfahrzeugen, JR 1983 S. 181 ff; ders. Anmerkung zu KG J R 1985 S. 516, aaO S. 516 f; G. Liebelt Zum deutschen internationalen Strafrecht. . ., 1978; ders. Anmerkung zu OLG Karlsruhe NStZ 1985 S. 317, NStZ 1989 S. 182 f; R. Linke Grenzen der Strafgerichtsbarkeit, Ö J Z 1984 S. 487 ff; H. Lüttger Bemerkungen zur Methodik und Dogmatik des Strafschutzes für nichtdeutsche öffentliche Rechtsgüter, Jescheck-Festschrift S. 121 ff; H. v. Mangoldt Anmerkung zu BVerwG JZ 1983 S. 539 ff, aaO S. 543 ff; J. Martin Strafbarkeitgrenzüberschreitende Umweltbeeinträchtigungen, 1986; H. Mayer Völkerrecht und internationales Strafrecht, JZ 1952 S. 609 ff; F. Nowakowski Anwendung des inländischen Strafrechts und außerstrafrechtliche Rechtssätze, JZ 1971 S. 633 ff; D. OehlerInternationales Strafrecht, 2. Auflage 1983; ders. Theorie des Strafanwendungsrechts, Grützner-Geburtstagsgabe S. 110 ff; ders. Die Ausbildung von Frankreichs Internationalem Strafrecht in der Neuzeit, Engisch-Festschrift S. 289 ff; ders. Anmerkung zu BGH JZ 1968 S. 189 ff, aaO S. 191 ff; ders. Anmerkung zu OLG Karlsruhe JR 1978 S. 379 ff, aaO S. 381 ff; Fahruntüchtigkeit nach § 3 1 6 StGB. Wenn die Promillegrenze ein zwingendes Indiz für die Fahruntüchtigkeit ist und sich zur Verhaltenslenkung besser eignet, als der Begriff der Fahruntüchtigkeit selbst, sollte der Gesetzgeber sie im Gesetz auch nennen. Soll die Promillegrenze nicht notwendiger Vorsatzgegenstand werden, mag der Gesetzgeber sie alternativ zur materiel-

106

len Fahruntüchtigkeit anführen (siehe dazu, daß die Promillegrenze bei der gegenwärtigen Fassung von § 3 1 6 StGB kein Tatbestandsmerkmal ist, Sarstedt E. Hirsch-Festschrift S. 171 ff, 184 f; Eckert N J W 1968 S. 1390 f ; Horn Blutalkoholgehalt S. 54 und passim). 123 A «¿o/pi«'Unrechtsbewußtsein S. 98 ff.

Räumliche und personelle Geltung

5. Abschn

ders. Zur Rückwirkung des Begriffs des Deutschen im geltenden deutschen Internationalen Strafrecht, Bockelmann-Festschrift S. 771 ff; ders. Die internationalstrafrechtlichen Bestimmungen des künftigen Umweltstrafrechts, GA 1980 S. 241 ff; ders. Anmerkung zu BGH 29 S. 85 ff, JR 1980 S. 381 ff; ders. Strafrechtlicher Schutz ausländischer Rechtsgüter, insbesondere bei Urkunden, in der Bundesrepublik Deutschland, JR 1980 S. 485 ff; ders. Anmerkung zu BayObLG JR 1982 S. 159 f, aaO S. 160; ders. Anmerkung zu BGH 32 S. 293 ff, JZ 1984 S. 948 ff; ders. Neuer Wandel in den Bestimmungen über den strafrechtlichen Geltungsbereich in den völkerrechtlichen Verträgen, Carstens-Festschrift S. 435 ff; H. Roggemann Grenzübertritt und Strafanwendung zwischen beiden deutschen Staaten, ZRP 1976 S. 243 ff; E. Roßwog Das Problem der Vereinbarkeit des aktiven und passiven Personalgrundsatzes mit dem Völkerrecht, 1965; C. F. Rüther und Th. Vogler Besprechung von BGH 34 S. 334 ff, JR 1988 S. 136 ff; H.-J. Sack Das Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität, NJW 1980 S. 1424 ff; W. Sax Zar Frage der Notwehr bei Widerstandsleistung gegen Akte sowjetzonaler Strafjustiz, JZ 1959 S. 385 ff; F.-C. SchroederOer „räumliche Geltungsbereich" der Strafgesetze, GA 1968 S. 353 ff; ders. Zur Strafbarkeit der Fluchthilfe, JZ 1974 S. 113 ff; ders. Anmerkung zu LG Berlin JZ 1976 S. 98 f und KG JZ 1976 S. 99 f, aaO S. 100 f; ders. Notwehr bei Flucht aus der DDR, NJW 1978 S. 2577 ff; ders. Anmerkung zu BGH 30 S. 1 ff, NStZ 1981 S. 179 ff; ders. Urkundenfälschung mit Auslandsberührung, NJW 1990 S. 1406 f; H. Schröder!eWnahme im internationalen Strafrecht, ZStW 61 S. 57 ff; ders. Grundlagen und Grenzen des Personalitätsprinzips im internationalen Strafrecht, JZ 1968 S. 241 ff; H. J. Schroth Differenzierung zwischen Inland und räumlichem Geltungsbereich des Strafrechts? NJW 1981 S. 500 f; D. Sternberg-Lieben Internationaler Musikdiebstahl und deutsches Strafanwendungsrecht, NJW 1985 S. 2121 ff; Th. VoglerOer Fall Kappler in internationalstrafrechtlicher Sicht, NJW 1977 S. 1866 f; ders. Geltungsanspruch und Geltungsbereich der Strafgesetze, Grützner-Geburtstagsgabe S. 149 ff; ders. Die Ahndung im Ausland begangener Verkehrsdelikte nach dem Entwurf eines Gesetzes über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, DAR 1982 S. 73 ff; H. v. Weber Interlokales Strafrecht, Kohlrausch-Festschrift S. 120 ff; ders. Das passive Personalitätsprinzip, in : E. Wolff (Hrsg.) Deutsche Landesreferate zum III. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung in London, 1950, S. 894 ff; W. Wengler Anmerkung zu BGH 30 S. 1 ff, JR 1981 S. 206 ff; W. Woesner Deutsch-deutsche Strafrechtskonflikte, ZRP 1976 S. 248 ff; W. ZieherOzs sogenannte internationale Strafrecht nach der Reform, 1977.

I. Die Prinzipien und die dogmatische Stellung A. Die Prinzipien der Geltung 1. Der Gesetzeswortlaut nach dem Besonderen Teil a) D e r B T beschreibt das zu b e s t r a f e n d e V e r h a l t e n überwiegend o h n e Bezug auf die 1 Belegenheit der T a t , die Staatsangehörigkeit des T ä t e r s u n d die staatliche Z u o r d n u n g des Betroffenen. D e r A u s l ä n d e r , der im Ausland einen A u s l ä n d e r verletzt, tötet, nötigt, beleidigt, betrügt etc., w ä r e allein n a c h dem W o r t l a u t der e n t s p r e c h e n d e n V o r s c h r i f t e n des B T n a c h deutschem S t r a f r e c h t s t r a f b a r . Diese weite G e l t u n g der V o r s c h r i f t e n des B T wird d u r c h die §§ 3 ff StGB, die N o r m e n des s o g e n a n n t e n internationalen Strafrechts1 , verengt. Freilich sind teils schon die V o r s c h r i f t e n des B T n a c h ihrem W o r t l a u t spezieller o d e r w e r d e n d u r c h I n t e r p r e t a t i o n spezialisiert, u n d z w a r bei den Delikten, die den Staat unmittelbar, d. h. nicht n u r über die G ü t e r der Bürger vermittelt, b e t r e f f e n o d e r die vor staatlicher B e d r ü c k u n g schützen, sowie bei n u r o r d n e n d e n V o r s c h r i f t e n o h n e Eigenwert der garantierten O r d n u n g (z. B. S t r a ß e n v e r k e h r s v o r s c h r i f t e n ) .

1 Zum Begriff : Gardockt ZStW 98 S. 703 ff.

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5. A b S C h n

l . Buch. 2. Kapitel. G e s e t z e s b i n d u n g . Geltung des Strafrechts

Beispiele zum O r t : Zahlreiche Staatsschutzdelikte stellen aus außenpolitischen Rücksichten auf einen Erfolg oder eine Tätigkeit im räumlichen Geltungsbereich des StGB ab (§§ 84 ff, 91 StGB); — Repräsentanten ausländischer Staaten erhalten im Inland besonderen Schutz (§§ 102 ff StGB); — Bannkreisverletzung (§ 106 a StGB) kann praktisch täterschaftlich nur in der Bundesrepublik begangen werden; — Verschleppung (§ 234 a StGB) setzt einen Erfolg außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des StGB voraus. Beispiele zum Täter: Friedensgefährdende Beziehungen (§ 100 StGB) setzen die Tat eines Deutschen voraus (Treubruch); — Umkehrung: Das Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 G G rechtfertigt nur Deutsche. — Die Täter von Amtsdelikten müssen zwar nicht, werden aber praktisch je nach Tätergruppe ausschließlich (Richter, siehe § 9 Nr. 1 DRiG) oder überwiegend Deutsche sein, jedenfalls müssen sie in einem Amtsverhältnis nach deutschem Recht stehen (§11 Abs. 1 N r . 2, 3 StGB l a ). Beispiele zum Betroffenen: Bei den Staatsschutzdelikten schützt der Staat — mangels der Möglichkeit einer einigermaßen generellen Bewertung der Schutzwürdigkeit anderer Staaten — ausdrücklich nur seinen eigenen Bestand, den seiner Organe, den Vollzug für ihn selbst vorzunehmender Amtshandlungen etc. (siehe §§ 84 ff S t G B , b , Ausnahmen in den §§ 102 ff StGB; siehe auch § 113 Abs. 1 sowie §§ 331 ff StGB, jeweils i. V. m. § 11 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 StGB). Soweit internationale Verflechtungen eine Ausdehnung des Schutzes auf fremde Staaten notwendig machen, ist eine Erweiterung des Tatbestands erforderlich, wie das für einige Vorschriften zum Schutz der Truppen der Nato-Vertragsstaaten geschehen ist , c . 2

b aa) Die Legalordnung läßt folgende Maxime erkennen : Delikte gegen Güter, deren Schutzwürdigkeit nicht von Eigentümlichkeiten eines fremden Staates abhängt, werden generell ausformuliert, Delikte zum Schutz des Staats und der Eigentümlichkeiten seiner Ordnung werden spezialisiert 2 . — Folglich sind auch Gefangenenbefreiung (§ 120 StGB) 3 , Vortäuschen einer Straftat (§ 145 d StGB) 4 , uneidliche Falschaussage und Meineid (§§ 153 ff StGB) sowie Strafvereitelung (§ 258 StGB) so zu interpretieren, daß sie nur die inländische Rechtspflege schützen 5 ; Steuerhinterziehung (§ 370 AO) ist aus entsprechenden Gründen ein Delikt nur gegen innerstaatliche Finanzinter-

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2

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Zu Nr. 4 siehe LK-Tröndle S 11 Rdn. 61. Zu § 99 StGB („geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland") siehe BGH 29 S. 325 ff. Art. 7 des 4. StrÄndG vom 11. 6. 1957, BGBl. I S. 597, in der Fassung des Art. 147 EGStGB; zur Auswirkung auf § 99 StGB siehe B G H N J W 1984 S. 2769 ff. Siehe im einzelnen den Katalog bei LK-Tröndle Rdn. 25 ff vor § 3; zum Streitstand eingehend und kritisch Lüttger Jescheck-Festschrift S. 121 ff, 131 ff, 145 ff, der die Anwendung deutschen Strafrechts zum Schutz nichtdeutscher öffentlicher Rechtsgüter in der Hauptsache auf Fälle ausdrücklichen Auslandsbezugs beschränken will (SS 102 ff, 132a Abs. 1 Nr. 1, 4, SS 152, 184 Abs. 1 Nr. 9, S 264 Abs. 6 StGB u. a. m.); dem ist zu folgen; freilich hindert dies nicht die Bestrafung ohne ausdrücklichen Auslandsbezug bei tatbestandsmäßiger (S 9 Abs. 1 StGB) Inlands-

wirkung (siehe das Beispiel zu Fn. 7). — Zu S 304 StGB siehe zutreffend Schroeder]Z 1976 S. 100 f gegen LG Berlin und KG J Z 1976 S. 98 ff; - zu S 123 StGB beim Eindringen in eine (in Deutschland gelegene) ausländische Botschaft siehe OLG Köln StV 1982 S. 471 f; - eingehend zu Urkundsdelikten Schroeder N J W 1990 S. 1406 f; zur Verletzung von Urheberrechten siehe Sternberg-Lieben N J W 1985 S. 2121 ff, 2124 f; - zu zahlreichen Vorschriften Gössel Oehler-Festschrift S. 97 ff, 104 ff. 3 Hierzu Vog/erNJW 1977 S. 1866. 4 OLG Düsseldorf JZ 1982 S. 340. 5 Für die S S 153 ff StGB streitig; wie hier SK-Rudolphi Rdn. 4 vor S 153; Schröder JZ 1968 S. 244; LK-Tröndle Rdn. 28 vor S 3. — Zur Erweiterung der S§ 153 ff StGB auf internationale Organisationen siehe Vogler Grützner-Geburtstagsgabe S. 149 ff, 153; Jescheck KÏ % 18 III 8 mitFn. 70.

Räumliche und personelle Geltung

5. Abschn

essen 6 . — Ausländische Reisepässe sind auch im Inland geschützte Urkunden, da auf ihren Inhalt allgemein vertraut wird 7 , wobei geschützter Rechtsverkehr auch die zwischenstaatlichen Vereinbarungen entsprechende Ausweiskontrolle durch DDR-Beamte war 8 . — Die Pflicht, zum Schutz von Gläubigern Handelsbücher zu führen (§ 283b StGB i. V. m. den blankettausfüllenden Normen des Handelsrechts), besteht generell 8 *. — Werden kriminelle oder terroristische Vereinigungen als Mißbrauch der Organisationsfreiheit verstanden, muß die Vereinigung nach den §§ 129, 129 a StGB im räumlichen Geltungsbereich des Grundgesetzes bestehen 9 . — Die Anwendbarkeit von § 170b StGB hat zwei Voraussetzungen: (1) Es muß sich um eine Unterhaltspflicht nach deutschem Zivilrecht handeln oder, wenn sie aus fremdem Recht begründet wird, um eine Pflicht, wie sie nach deutschem Zivilrecht auch bestünde; denn fremdrechtsbegründete Unterhaltsansprüche können nicht per se den Schutz deutschen Ära/rechts erhalten. (2) Zudem muß die Nichtzahlung die Gefahr der Inanspruchnahme deutscher Sozialbehörden vergrößert haben 1 0 . bb) Umstritten ist die Interpretation der Straßenverkehrsdelikte (im Ergebnis irrele- 3 vant für Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr, § 5 OWiG). Die Normen dienen dem Schutz von Gütern, deren Schutzwürdigkeit von der staatlichen Ordnung unabhängig ist; für die Art, in der dieser Schutz erreicht werden soll, gibt es aber mehrere äquivalente Lösungen (Rechtsverkehr/Linksverkehr etc.), so daß die Strafvorschriften, mögen sie auch im Einzelfall auf die Verkehrsregeln in einem anderen Land passen, immer nur im Blick auf eine bestimmte Verkehrsregelung (unter mehreren möglichen) geschaffen worden sind. Deshalb sind die Strafvorschriften, die auf ein bestimmtes Verkehrsverhalten abstellen, restriktiv zu interpretieren, wenn nicht das Verhalten in jeglichem Verkehr die gleiche Bedeutung hat (wie es wohl bei den §§ 142, 315c, 316 StGB der Fall i s t ) — Die allgemeinen Vorschriften zum Individualschutz (insbesondere die §§ 222, 230 StGB) sind sowieso generell zu interpretieren, auch im Bereich des Straßenverkehrs. cc) Aus einer generellen Ausformulierung von Normen folgt nicht, daß sich die 4 Bestimmung der Zugehörigkeit des Guts sowie das Verbot des Angriffs etc. nur nach deutschem Recht zu richten hätten; denn soweit das Strafrecht Blankettcharakter hat, ist mit seiner Generalität nicht auch ausgemacht, daß die Ausfüllung des Blanketts durch Normen deutschen Rechts erfolgen müsse. Insbesondere in zivil- oder verwaltungsrechtlichen Vorfragen können ausländische Rechtsordnungen entscheiden (für die Fremdheit einer im Ausland belegenen Sache, für Aneignungs- und Pfandrechte, für das Bestehen einer privaten oder öffentlich-rechtlichen Forderung, für Buchführungspflichten bei Konkursstraftaten 1 l a etc.) 1 2 . 6 BayObLG N J W 1980 S. 1057 f ; - was die §§ 267 ff StGB angeht, wird in der Entscheidung verkannt, daß der Aussteller eines schlichten Datumsstempels nicht erkennbar ist und es deshalb an der Urkundsqualität mangelt. 7 KG J R 1980 S. 516 f f ; OeWerJR 1980 S. 485 ff. 8 KG J R 1981 S. 37 f. 8a O L G Karlsruhe N S t Z 1985 S. 317, zweifelhaft. 9 Streitig; B G H 30 S. 328 ff mit Nachweisen. 10 Sehr streitig; im Ansatz wie hier Oehler J R 1978 S. 381 f f ; ders. J R 1980 S. 485 f f ; B G H 29 S. 85 ff (dagegen Kunz N J W 1987 S. 881 f) mit Nachweisen der vor dieser Entscheidung unterschiedlichen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte; BayObLG N J W 1982 S. 1243 (zur subsidiären H a f t u n g der Sozialbehörden); LG Ravensburg NStZ 1984 S. 450 mit ablehnender Anmerkung

Becker N S t Z 1985 S. 269 f (keine Anwendbarkeit bei Berechtigten in der D D R ) . — Neuerdings wird stärker auf den Schutz des Anspruchsberechtigten abgestellt: K G J R 1985 S. 516 mit zustimmender Anmerkung Lenzen a a O S. 516 f ; BayObLG J R 1988 S. 261 ff; Geppert J R 1988 S. 221 ff; Krey in: Entwicklung S. 199 ff, 234 ff, jeweils mit eingehenden Nachweisen. Π Sehr streitig; B G H 21 S. 277; O L G Karlsruhe N J W 1985 S. 2905; LK-Tröndle Rdn. 38 vor § 3; a. A. Oehler J Z 1968 S. 191 ff. - Zur lex ferenda bei Verkehrsdelikten siehe Vogler D A R 1982 S. 73 ff, 76 ff. lla Liebelt N S t Z 1989 S. 182 f; siehe auch O L G Karlsruhe N S t Z 1985 S. 317. 12 Einzelheiten bei Cornili Fremdrechtsanwendung S. 71 ff, 98,120; siehe unten zu § 9 StGB.

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5. AbSChn

I • Buch. 2. Kapitel. G e s e t z e s b i n d u n g . Geltung des Strafrechts

2. Die beschränkenden Prinzipien der Geltung 5

a) Der trotz der genannten Einschränkungen des BT verbleibende Regelungsbereich ist noch zu weit. Es herrscht heute — schon wegen des völkerrechtlichen G r u n d satzes der Nichteinmischung — Einigkeit, daß kein Staat dazu berufen ist, gegen jedermann und überall auf der Welt per Strafrecht für die Stabilisierung von O r d n u n g zu sorgen, daß vielmehr ein legitimierender Anknüpfungspunkt erforderlich ist 1 3 . Vindiziert ein Staat einen Anspruch ohne Legitimation, ist der Konflikt von innerstaatlichem Recht und Völkerrecht nach allgemeinen Grundsätzen zu lösen.

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b) Die anerkannten Legitimationsgründe sind, zumal bei ihrer Kombination, sehr weit. Sämtliche Prinzipien werden — in freilich unterschiedlichem Maß — vom geltenden Recht beansprucht. aa) V o m aktiven Personalitätsprinzips werden Taten der Staatsangehörigen ohne Blick auf den O r t der Tat erfaßt. Das Prinzip ist aus dem Stammesprinzip entstanden (lex ossibus inhaeret) 1 5 . Als Domizil- oder Heimatprinzip wird es auf den Wohnsitz bezogen. D a andere Völker mit gutem Grund andere Rechtsordnungen haben können, nach denen sogar geboten sein mag, was der Heimatstaat verbietet oder umgekehrt 1 6 , ist mit diesem Prinzip bei Auslandstaten ohne N a c h p r ü f u n g , ob die N o r m auf die Verhältnisse im Ausland paßt (siehe § 3 Abs. 2 StGB a. F.), nicht auszukommen 1 7 . — Freilich kommt ein Staat, der sich mit seiner Rechtsordnung international isoliert hat, ohne das Prinzip nicht aus (§ 3 StGB a. F. wurde 1940 eingeführt!).

7

bb) N a c h dem Territorialitätsprinzip bestraft ein Staat Taten auf dem Staatsgebiet, teils unter H i n z u n a h m e des Festlandsockels (siehe unten 5/15), ohne Blick auf die Staatsangehörigkeit der Beteiligten und Betroffenen. Die Anerkennung dieses Prinzips ist — bei im einzelnen heterogenen Wurzeln — maßgeblich durch die Entwicklung des Souveränitätsbegriffs und insbesondere dessen negativer Seite, der Anerkennung fremder (Gebiets-)Hoheit, gefördert w o r d e n 1 8 . Ein entsprechendes Bestrafungsrecht wird heute von allen Staaten beansprucht. — Seine Ergänzung findet das Prinzip im Flaggenprinzip f ü r Schiffe und Luftfahrzeuge 1 9 , wobei Flaggen- und Territorialitätsprinzip konkurrieren können (ein privates Schiff mit der Flagge eines Staats in den Hoheitsgewässern eines anderen). — Für Distanz- und Transitverbrechen bringt das Territorialitätsprinzip schwer zu lösende Probleme (siehe unten 5/22 f).

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cc) N a c h dem Schutzprinzip (Realprinzip; bezogen auf Individualschutz auch: passives Personalitätsprinzip)20 bestraft ein Staat Angriffe gegen sich oder die Güter seiner Bürger. Bestimmend ist also die staatliche Zugehörigkeit des Betroffenen; Täter kann somit auch sein, wer durch die verletzte Rechtsordnung nicht seinerseits geschützt ist: Der zu leistende Gehorsam findet dann kein Synallagma in einem Schutz als

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Oehler Internationales Strafrecht S. 123 ff; ders. GA 1980 S. 241 ff, 242; ders. Carstens-Festschrift S. 435 ff (speziell zu völkerrechtlichen Verträgen mit zahlreichen Nachweisen); Linke Ö J Z 1984 S. 487 ff; treffend zur Willkür der internationalrechtlichen „Spiele" Schultz Tröndle-Festschrift S. 895 ff. Rechtsvergleichend Oehler Internationales Strafrecht S. 443 ff; verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Personalitätsprinzip bei H. Mayer JZ 1952 S. 609 ff. — Zur Begründung des aktiven Personalitätsprinzips aus der Solidarität der Staaten siehe Schröder JZ 1968 S. 241 ff.

15 Kohler Internationales Strafrecht S. 6 ff; Oehler Internationales Strafrecht S. 45 ff. 16 Zur völkerrechtlichen Konsequenz siehe Jescheck ATS Π3. 17 Schröder JZ 1968 S. 241 ff, 242 f. 18 Oehler Internationales Strafrecht S. 54 ff, 117 ff; ders. Engisch-Festschrift S. 289 ff. 19 Zu der teilweise bestehenden Bestrafungs/>//icAi nach internationalen Abkommen siehe Jescheck A T S 18 II 2. 20 Hierzu Oehler Internationales Strafrecht S. 367 ff; ders. Grützner-Geburtstagsausgabe S. 110 ff, 118.

Räumliche und personelle G e l t u n g

5. Abschn

Gegenleistung 21 . Beim Staatsschutz ist dieses Prinzip wegen des allgemein nationalen Zuschnitts der Delikte unumgänglich : Da kein anderer Staat „Nothilfe" übt, bleibt nur „Notwehr". — Beim Individualschutz ist umstritten, ob eine „identische N o r m " (strafbewehrte N o r m gleichen Regelungsinhalts) am Tatort erforderlich ist 2 2 ; da das passive Personalitätsprinzip gerade bei diskriminierender Behandlung der Güter von Ausländern nötig ist, würde dieses Erfordernis das Prinzip entwerten und im Prinzip stellvertretender Strafrechtspflege aufgehen lassen. Auf den Ausgleich von Diskriminierungen sollte seine Anwendung ohne identische N o r m dann aber auch beschränkt bleiben. dd) Das Universalitätsprinzip (Weltrechtsprinzip) soll dem Schutz von Gütern die- 9 nen, die jede Kulturnation anerkennt und die typisch durch international organisierte Verbrecherbanden angegriffen werden, so daß jede Tat für jede Nation (zumindest) abstrakt gefährlich ist. Gegen den Willen derjenigen Staaten, auf deren Territorium die Taten begangen wurden, und zu den derjenigen, denen die Tatopfer angehören, wäre diese Anwendung des Weltrechtsprinzips freilich eine wohl völkerrechtlich unzulässige Einmischung. — Das Prinzip ist nur erforderlich, weil einige Nationen die betreffenden Güter nicht anerkennen; denn ansonsten reichten die anderen Prinzipien aus 2 3 . ee) Das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege ist bei engem Verständnis die 10 Kehrseite unterbleibender Auslieferung: Aut dedere aut punire (Grotius). Im weiteren Sinn kann darunter jede Bestrafung einer Tat verstanden werden, die auch von einem anderen Staat mit legitimem Grund vorgenommen werden könnte.

B. Die dogmatische Stellung 1. Die dogmatische Stellung, insbesondere die normlogische Bedeutung der §§ 3 ff 11 StGB, ist wenig geklärt 2 4 . Teils (a) werden die Vorschriften als Regelung des Umfangs einer Strafgewalt verstanden, die dem materiellen Recht vorgehen soll 2 5 , teils (b) als Spezifizierung der „sekundären N o r m " (also der N o r m des Strafgesetzes, die den Straforganen gebietet, auf Straftaten mit Sanktionen zu reagieren 2 6 ); die Festlegung des schuldhaften Unrechts soll nach diesem Verständnis universell erfolgen, so daß die primäre Norm, auf deren schuldhafte Übertretung hin gestraft werden soll, generalisiert bleibt. Schließlich (c) findet sich auch das Verständnis als Spezifizierung der Anwendung des Tatbestands, also auch der primären N o r m 2 7 . 2 a) Für eine befriedigende Lösung ist zu differenzieren: Die Legitimation zur 12 Strafe liegt beim aktiven Personalitäts-, beim Territorialitäts- und beim Schutzprinzip, teils auch beim Universalitätsprinzip darin, daß die Tat die Ordnung des strafenden Staats stört, während dies eben bei einer schlicht fremden T a t nicht der Fall ist. Deshalb sind die Voraussetzungen der Anwendung des Strafrechts nach diesen Prinzipien Teil der Bestimmung dessen, was nach der Ordnung des Staats Unrecht ist, also Tatbe21 Siehe E. W. Böckenförde Epirrhosis (C. SchmittFestgabe) S. 423 ff, 434; Gallas ZStW 80 S. 1 ff, 15. 22 So Roßwog Vereinbarkeit S. 184. 23 Oehler Internationales Strafrecht S. 519 f; zur Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht siehe BGH 27 S. 30 ff; BGH 34 S. 334 ff (wo wahrscheinlich die Annahme einer Inlandstat begründbar gewesen wäre; das Hauptproblem des Falles liegt auf prozessualem Gebiet: ne bis in idem bei ausländischer Vorverurteilung? Siehe zu der Entscheidung Rüther und Vogler JR 1988 S. 136 ff, 139 ff).

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Hierzu Zieher Das sogenannte internationale StrafrechtS. 35 ff. 25 /escheck AT § 18 I 1 ; LK-TröndleKdn. 2 v o r § 3. 26 Hierzu Scbroeder GA 1968 S. 353 ff; BaumannWeber AT § 6 II; Schröder Z S t W 6 1 S. 57 ff, 90 ff. 27 Oehler Grützner-Geburtstagsgabe S. 110 ff; unklar — auch die primäre N o r m betreffend? — Krey Strafanwendungsrecht S. 86: „strafbegründendes materielles Recht"; differenzierend Liebelt Zum deutschen internationalen Strafrecht S. 150 f.

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5. AbSChn

I · Buch. 2. Kapitel. Gesetzesbindung. Geltung des Strafrechts

standsmerkmale. Daß das geltende deutsche Recht aus politischen Rücksichten (nicht wegen Verneinung einer Störung) Lücken läßt, verschlägt nichts ; auch der BT läßt aus diversen Gründen Lücken. Es geht also insoweit um Strafgewalt oder Normanwendung nur in dem Sinn, daß spezifiziert wird, was Unrecht ist. b) Beim Prinzip stellvertretender Strafrechtspflege einschließlich der nicht zum Selbstschutz, sondern aus Solidarität zu vollziehenden Bestrafungen nach dem Universalitätsprinzip geht es um die Ahndung von Störungen fremder Ordnungen. Hierbei wird beim Universalitätsprinzip eine allgemein gleiche Unrechtsdefinition präsumiert; der Tatbestand ist insoweit schrankenlos. Beim Stellvertretungsprinzip dient das deutsche Strafrecht nur als Transformationsregel f ü r die fremdstaatliche identische N o r m . 13

3. Die Konsequenzen f ü r die subjektive Seite sind bislang nur punktuell erörtert w o r d e n 2 8 . Soweit vom Begehungsort die Strafbarkeit überhaupt abhängt oder aber die Bestimmung des geschützten Guts (etwa bei § 109 g Abs. 2 StGB), wird der O r t wie jedes andere Tatbestandsmerkmal zu behandeln sein 2 9 . Soweit der O r t f ü r die Bestimmung der Strafbarkeit und des geschützten Guts irrelevant ist, also zumindest relative Universalität praktiziert wird, dürfte die (Un-)Kenntnis des Orts f ü r den Tatbestandsvorsatz bedeutungslos sein. — Die irrige Annahme, Deutscher zu sein, führt beim aktiven Personalitätsprinzip zum Wahndelikt, da es um eine Statusbestimmung geht (siehe unten 25/43 ff). — Beim Stellvertretungsprinzip ist die /remi&taatliche N o r m f ü r die Schuld (§ 17 StGB) maßgeblich.

II. Die Ausgestaltung nach geltendem Recht A. Die Anwendung der einzelnen Prinzipien 14

1 a) Das geltende Recht ordnet in dem bei Auslegung des BT verbleibenden Rahmen voll das Bestrafungsrecht nach dem Territorialitätsprinzip an (§ 3 StGB), was nach völkerrechtlichen Regeln die Siddftschiffe als territoire flottant umfaßt 3 0 . Es wird ergänzt durch das f ü r Privatfahrzeuge relevante Flaggenprinzip (§ 4 StGB) 3 1 , das auf die Berechtigung zur Führung der Bundesflagge (§§ 1, 2, 10, 11 Flaggenrechtsgesetz) oder des Staatszugehörigkeitszeichens (§§ 2, 3 Luftverkehrsgesetz), nicht auf die tatsächliche Ausübung abstellt.

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b) Die Interpretation der Bezeichnung Inland (§ 3 StGB) f ü r das Territorium konnte von der Entstehung der Bundesrepublik Deutschland an nicht an einem völkerrechtlichen Anspruch auf das Staatsgebiet in den Grenzen vom 31. 12. 1937 ausgerichtet werden 32 , da die N o r m e n des BT nach Inhalt und Strafmaß auf eine faktische Lage 28

Schönke-Schröder-Eser Rdn. 73 vor § 3 ; Jescheck A T § 18 V ; AK-Lemke § 9 Rdn. 25, jeweils mit Nachweisen. — Zum Universalitätsprinzip zutreffend (aber in der auch andere Prinzipien gleichstellenden Formulierung zu weit) B G H 27 S. 30 ff, 34. 29 Α. A. Dreher-Tröndle § 3 Rdn. 14; wie hier wohl R G 1 S. 274 ff, 276; 25 S. 424 ff, 426. 30 Kritisch Oehler Internationales Strafrecht S. 313 f, 333 ff. 31 Daran knüpfen — neben dem Prinzip des Beladungsorts des Schiffs oder Fahrzeugs — auch das Osloer und das Londoner Abkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung a n ; siehe Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes zu den Ubereinkommen . . . zur Verhütung der Meeresverschmut-

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zung . . . vom 11.2. 1977 (BGBl. II S. 165). Freilich dürfte (entgegen dem Wortlaut von Art. 2 Abs. 2 i. V. m. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes) auch für ein deutsches Schiff eine Erlaubnis eines anderen Vertragspartners ein unbefugtes H a n deln nach § 324 Abs. 1 StGB ausschließen, wenn das Schiff deutsches Territorium nicht berührt und wenn der Täter nicht im Bereich des Festlandsockels (§ 5 N r . 11 StGB) handelt. — Zum Verhältnis von Flaggen- und Territorialitätsprinzip zueinander Lenzen J R 1983 S. 181 ff, 182 ff. 32 So aber zunächst die Rechtsprechung; B G H 5 S. 364 ff; 8 S. 169 ff, 170; offengelassen in B G H 27 S. 5 f f ; anders (funktionelle Inlandsbestimmung) dann B G H 30 S. 1 ff; OLG Düsseldorf J R 1980 S. 73 ff.

Räumliche und personelle Geltung

5. Abschn

bezogen sind, der die Lage in der D D R wie jenseits der Oder-Neisse-Linie nicht entsprach, ohne daß dies — mit Ausnahmen bei den Staatsschutzdelikten — berücksichtigt worden wäre. Selbst ungeachtet der allenfalls sporadisch gegebenen tatsächlichen Möglichkeit einer Strafverfolgung, die allein schon die Übernahme der O r d nungsgarantie in diesen Gebieten ausschloß, fehlten also die Voraussetzungen einer sinnvollen Erstreckung des StGB. Ein von der faktischen Lage absehender, normativer Inlandsbegriff bezüglich der nunmehr Polen zugeordneten Gebiete hatte spätestens nach Anerkennung der Oder-Neisse-Linie in Art. 1 Abs. 1 des Warschauer Vertrags vom 7. 12. 197 0 3 3 keine rechtliche Basis mehr (überwiegende Ansicht) ; für das ehemalige Gebiet der D D R war dies trotz Art. 6 des Grundlagenvertrags vom 21. 12. 1972 3 4 , wonach „die Hoheitsgewalt jedes der beiden Staaten . . . auf sein Staatsgebiet beschränkt" ist, umstritten 3 5 , aber ebenso zu entscheiden 3 6 . Inland war somit das Bundesgebiet sowie Westberlin: sogenannter funktioneller Inlandsbegriff 3 7 ; gemeint war ein íírd/rec/>£sfunktioneller Begriff, der den staats- und völkerrechtlichen Inlandsbegriff 3 8 nicht präjudizieren sollte. Der Begriff war unter der Voraussetzung entsprechender Uberleitungsgesetze für Berlin 39 praktisch deckungsgleich mit dem des räumlichen Geltungsbereichs (nach den §§ 5, 48, 84 ff, 91 StGB u. a. m.), womit nicht das Gebiet gemeint war, auf das die Bundesrepublik Deutschland Normen erstrecken konnte (das war und ist nach den §§ 5 bis 7 StGB auch das Ausland), sondern das Gebiet, in dem sie die Garantie der Normen zu vollziehen hatte, also Gerichtshoheit ausübte 4 0 . Bei einzelnen Vorschriften, insbesondere den §§ 109 bis 109 k StGB, fehlte es daran f ü r Berlin. Die verschleiernde Terminologie, die den Zweck hatte, eine politisch brisante Entscheidung der Rechtsprechung zu überlassen 4 1 , war mangels der nach Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB erforderlichen Bestimmtheit rechtsstaatlich nicht korrekt 4 2 . c aa) Seit dem Wirksamwerden des Beitritts der D D R am 3. 10. 1990 ist deren ehemaliges Gebiet Teil des Inlands. Die Vorbehaltsrechte der Alliierten ruhen (und werden demnächst wohl ausgesetzt), so daß auch alle Besonderheiten der Geltung für Berlin entfallen sind. Das StGB gilt auf dem Gebiet der ehemaligen D D R einschließlich Ostberlins freilich mit den Änderungen gemäß Art. 8 des Einigungsvertrages 4 2 a i. V. m. Anlage I Kapitel 3, Sachgebiet C; insoweit gelten die Regeln des interlokalen Strafrechts (unten 5/27). bb) Das Ob und das Wie der Strafbarkeit von Taten, die in der D D R vor dem Wirksamwerden des Beitritts begangen wurden, richtet sich nach § 2 StGB, es sei denn, das Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland habe schon zuvor für solche Taten gegolten (so die zutreffende Klarstellung in § 315 Abs. 4 EGStGB in der Fassung von

33 BGBl. 1972 II S. 353. 34 BGBl. 1973 I I S . 421. 35 Für die Einbeziehung der D D R in das Inland insbesondere Dreher37 5 3 Rdn. 3; abgeschwächt Dreher-Tröndle38 § 3 Rdn. 3. 36 Überwiegende Ansicht, insbesondere Oehler Internationales Strafrecht S. 284; Schönke-Schröder-Eser Rdn. 29, 62 f vor § 3 ; LK-Tröndle Rdn. 46 vor 5 3; Lackner § 3 Vorbemerkung 4 a, jeweils mit Nachweisen; jetzt auch B G H 30 S. 1 ff. 37 Für die Rechtsprechung jetzt B G H 30 S. 1 ff; O L G Düsseldorf J R 1980 S. 73 ff mit ausführlichen Nachweisen; BayObLG J R 1982 S. 159.

38 Siehe BVerfG 36 S. 1 ff, 23, 31. 39 Dreher-Tröndle Rdn. 2 vor § 80. 40 SchroederGA 1968 S. 353 ff. 41 BT-Drucksache V/4095 S. 4; auch Protokolle Sonderausschuß V S. 2346 f. 42 Siehe auch B G H 7 S. 54 ff, 55. Art. 1 des Vertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31. 8. 1990, BGBl. II S. 889; Bundesgesetz gemäß Art. 1 des Einigungsvertragsgesetzes vom 23. 9. 1990, BGBl. II S. 885.

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5. A b S C h n

l . Buch. 2. Kapitel. Gesetzesbindung. Geltung des Strafrechts

Anlage I, Kapitel III, Sachgebiet C, Abschnitt II des Einigungsvertrags). Waren nach dem Recht der D D R nur andere Rechtsfolgen als Freiheitsstrafe, Verurteilung auf Bewährung oder Geldstrafe verwirkt, so wird von Strafe abgesehen (Abs. 1 des § 315 EGStGB in der soeben genannten Fassung; zu weiteren Einzelheiten siehe Sachg e b i e t e aaO). d) § 5 N r . 11 StGB bringt f ü r einige Delikte gegen die Umwelt (§§ 324, 326, 330 und 330 a StGB) eine Erweiterung des relevanten Territoriums um den deutschen Festlandsockel 4 3 . 16

2 a) Das Territorialitätsprinzip wird in den §§ 5 bis 7 StGB erheblich, ohne durchgehende Plausibilität und teils unübersichtlich durch weitere Prinzipien, insbesondere durch das Schutzprinzip, ergänzt. Das Scbutzprinzip gilt in den Fällen, in denen die Staaten üblicherweise nur ihre eigenen Güter schützen, also im Bereich des Schutzes des Staats und (der Tätigkeit) seiner O r g a n e : § 5 N r . 1, 2, 3 b, 4, 5 a, 10 und 14 StGB. Aus dem Schutzprinzip folgt auch die Bestrafung derjenigen Taten deutscher oder ausländischer Amtsträger oder f ü r den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter (§11 Abs. 1 N r . 2 und 4 StGB) nach § 5 N r . 12 und 13 StGB, die sich gegen das Funktionieren der staatlichen Tätigkeit richten, etwa Vorteilsannahme und Bestechlichkeit (§§331 f StGB) oder Rechtsbeugung (§ 336 StGB). In anderen Fällen von § 5 N r . 12 und 13 StGB handelt es sich um die Ausprägung eines auf ausländische Amtsträger oder f ü r den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete ausgedehnten (aktiven) Personalitätsprinzips: Amtliche Tätigkeit soll überall den Beschränkungen deutschen Strafrechts unterliegen. Der Verzicht auf eine identische N o r m im Ausland ist insoweit noch plausibel, obgleich die besonderen Verhältnisse am T a t o r t wie in § 3 Abs. 2 StGB a. F. hätten berücksichtigt werden sollen 4 4 . Jedenfalls ist die Erfassung der deutschen Amtsträger und f ü r den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten auch bei Taten schlicht „während eines dienstlichen Aufenthalts" ( § 5 N r . 12, 1. Fallgruppe StGB) durch eine (das Gesetz zugunsten des Täters korrigierende) Berücksichtigung des Gedankens von § 3 Abs. 2 StGB a. F. einzuschränken : Wenn die T a t am T a t o r t wegen der dortigen Verhältnisse zu tolerieren ist, fehlt ein Schutzgut und selbst der „diffuse Gesichtspunkt", über das private Verhalten der dienstlich Tätigen das Ansehen des Dienstes zu schützen 4 5 , trägt in diesen Fällen mangels Gefährdung des Ansehens nicht. Zum Schutzprinzip zugunsten privater Güter ohne Blick auf eine identische N o r m am Tatort oder die dortigen Verhältnisse siehe § 5 N r . 6 und 7 S t G B 4 6 ; zum Begriff Deutscher in N r . 6 siehe unten 5/18. Der Inlandsbegriff in N r . 6 hat eine Schutzfunktion und umgriff deshalb — anders als derjenige des § 3 StGB — auch das Gebiet der D D R 4 7 . Praktische Bedeutung hatte das nur f ü r § 241 a StGB 4 8 .

43 Gegen den ursprünglichen Versuch, die Problematik nach dem Weltrechtprinzip zu regeln, siehe Oehler GA 1980 S. 241 ff, der die geltende Lösung dem Schutzprinzip zuordnet, aaO S. 245 f; ebenso SackNJW 1980 S. 1424 ff. 44 Relevant etwa bei einer Tat nach § 203 Abs. 2 Satz 2 StGB in einem Land, in dem mangels hinreichender Entwicklung für Datenschutz kein Bedürfnis besteht. 45 Zutreffend kritisch SK-Samson § 5 Rdn. 20. 46 Zu Nr. 7 zutreffend kritisch SK-Samson S 5 Rdn. 16.

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47 B G H 30 S. 1 ff, 5 ff mit Anmerkung Schroeder NStZ 1981 S. 179 ff; B G H 32 S. 293 ff, 294 ff; Lackner % 5 Anm. 3; siehe auch OLG Düsseldorf JR 1980 S. 73 ff, 75; - a. A. mit beachtlichen Argumenten SK-Samson § 5 Rdn. 15; Wengler JR 1981 S. 206 ff; Schroth N J W 1981 S. 500 f; Krey und Arenz]K 1985 S. 399 ff, 405 f, 407 f. 48 Zu § 234a StGB siehe die Vorauflage 5/17 a. E. und BGH 30 S. 1 ff, 5 ff.

Räumliche und personelle Geltung

5. Abschn

b) Zu § 5 N r . 3 a, 5 b, 8 und 9 StGB wird für den Täter - bei N r . 8 auch für das 17 O p f e r — auf die deutsche Staatsangehörigkeit und auf die „Lebensgrundlage im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes" abgestellt. Dieser Sprachgebrauch ist unglücklich: Bei § 5 N r . 3 a und 5 b StGB rührt die Einschränkung des Schutzprinzips durch ein personales M o m e n t insbesondere aus der ehemals bestehenden N o t w e n d i g k e i t her, die Bürger der D D R z u entlasten, so daß die Lebensgrundlage weniger räumlich als nach der Abhängigkeit v o n der Bundesrepublik und der deshalb z u erwartenden T r e u e gegenüber deren N o r m e n z u definieren ist 4 9 . Bei N r . 8 und 9 sollen — o h n e z w i n g e n d e A n k n ü p f u n g an das Schutzprinzip ( N r . 9 !) — U m g e h u n g e n der A u s w i r k u n g des Territorialitätsprinzips erfaßt w e r d e n ; insoweit hat die Lebensgrundlage streng das räumliche Zentrum z u s e i n 5 0 , da ansonsten nicht einmal der Anschein der U m g e h u n g entstehen kann. — N r . 8 gilt auf dem ehemaligen D D R - G e b i e t o h n e § 175 StGB, N r . 9 gilt dort überhaupt nicht (Anlage I, Kapitel III, Sachgebiet C, Abschnitt III des Einigungsvertrags, siehe 5 / F n . 42 a). c) Das Schutzprinzip gilt nach § 7 Abs. 1 StGB ferner für T a t e n gegen Deutsche im 18 Ausland, freilich unter der V o r a u s s e t z u n g einer identischen N o r m am Tatort oder des Fehlens einer Strafgewalt am Tatort; es ist damit dem Stellvertretungsprinzip angenähert. W e r D e u t s c h e r ist, ist unter Ausgang v o n Art. 116 Abs. 1 G G und dem R u S t G funktional z u bestimmen: Als D e u t s c h e waren auch Bürger der D D R geschützt, soweit es um Delikte ging, durch die es dem O p f e r erschwert oder u n m ö g l i c h gemacht wurde, im Schutz der Bundesrepublik Deutschland z u bleiben o d e r sich in deren S c h u t z z u b e g e b e n 5 1 . Bürger der D D R waren aber nicht mit Pflichten belastet; z u ihren Gunsten — bei § 5 N r . 3 a, 5 b, 8 (nur auf der Täterseite), 9, § 7 Abs. 2 N r . 1 StGB — waren sie wie Ausländer z u behandeln, da sie bereits der Strafgewalt der D D R u n t e r l a g e n 5 2 ; siedelten sie nach der T a t in die Bundesrepublik Deutschland um, standen sie wie ein Ausländer, der die deutsche Staatsangehörigkeit erworben h a t 5 2 a . D i e identische N o r m

So im Ergebnis die überwiegende Ansicht; Schönke-Schröder-Eser § 5 Rdn. 9 mit Nachweisen. 50 So SK-Samson § 5 Rdn. 8 ff. 51 Siehe BVerfG 36 S. 1 ff, 30 f. - Versuche einer Einengung des Schutzes auf Fälle, in denen Bürger der D D R ihre Lebensgrundlage im Geltungsbereich des StGB hatten oder sich dort aufhielten (Schönke-Schröder-Eser Rdn. 66 vor § 3, § 7 Rdn. 5 f; Kilian N J W 1983 S. 2305; überhaupt gegen die Erstreckung des Schutzes des § 7 Absatz 1 StGB auf Bürger der D D R KreyvmA Arenz J R 1985 S. 329 ff, 406 f), ließen Personen schutzlos, die daran gehindert wurden, sich in die Bundesrepublik Deutschland zu begeben. Zwar fiel dieser Schutz f ü r Taten auf dem Territorium der ehemaligen D D R und paktierender Staaten mangels einer identischen N o r m (unten 5/29) regelmäßig weg; aber Bürger der D D R , die von einem anderen Land aus nach Deutschland einreisen wollten (etwa indem sie von einer Reisegruppe absprangen) verdienten Schutz speziell durch die Bundesrepublik Deutschland. Es wäre freilich unnötig und wohl auch völkerrechtlich von zweifelhafter Legitimität gewesen, Bürger der D D R bei schlechthin allen gegen sie gerichteten Taten den Bürgern der Bundesrepublik Deutschland

gleichzustellen (Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland bei einer Kirmesschlägerei in Leipzig im Jahr 1988 oder bei einem Betrug gegen einen Bürger der D D R in Schweden?): Die D D R gewährte ihren Bürgern eigenen Schutz. Dieser Schutz umfaßte allerdings nicht Optionen der Bürger für die Bundesrepublik Deutschland; auf diesen Schutz war deshalb § 7 Abs. 1 StGB zu beschränken, was die Bürger der D D R angeht. Ähnlich B G H 32 S. 293 ff, 298, bei freilich anderer Bestimmung der identischen N o r m am T a t o r t S. 294 f. — Zur teilweisen Berücksichtigung der Vorschriften der D D R über den Erwerb der Staatsangehörigkeit siehe BVerfG JZ 1983 S. 539 ff mit zustimmender Anmerkung von v. Mangoldt a a O S. 534 ff und ablehnender Besprechung von Klein N J W 1983 S. 2289 ff; zur Nichtberücksichtigung des Verlustes der D D R Staatsangehörigkeit siehe die zivilrechtliche Entscheidung K G N J W 1983 S. 2324 f. 52 Krey und Arenz J R 1985 S. 399 ff, 400 f; Schönke-Schröder-Eser Rdn. 64 vor § 3; Jescheck AT § 2 0 III 3 b ; Maurach-ZipfAT I § 11 Rdn. 25; Dreher-Tröndle § 7 Rdn. 3 mit Nachweisen; a. A. B G H N J W 1978 S. 113 ff, 115 in einem obiter dictum zu § 7 StGB; Dreher37 § 7 Rdn. 3. 52il KG J R 1988 S. 345 f.

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5. AbSChn

I · Buch. 2. Kapitel. Gesetzesbindung. Geltung des Strafrechts

am Tatort muß kriminelle Strafe vorsehen 5 3 , und zwar zum Schutz von Individualrechtsgütern. Die Fassung des Tatbestands wie auch Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe am T a t o r t sowie in prozessuale Form gekleidete materiellrechtliche Strafbarkeitsvoraussetzungen sind zu beachten 5 4 . Dies ist zwar insbesondere f ü r diejenigen Fälle streitig, in denen nicht zum Tatbestand gehörende Regelungen gegen allgemein anerkannte Rechtsgrundsätze verstoßen 5 5 , aber die Gegenmeinung übersieht, daß das nach dem Gesetz nun einmal erforderliche Faktum einer Strafdrohung ein Produkt positiven Rechts ist und durch das naturrechtliche Postulat einer Strafdrohung nicht ersetzt werden kann (siehe oben zum Grundsatz der Gesetzesbindung 4/Fn. 23; ferner unten 5/29): Die identische N o r m muß eine am T a t o r t bestehende, nicht nur nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen erst zu errichtende, N o r m sein. — Ist eine juristische Person verletzt, so kommt es darauf an, ob sie ihren Sitz im Inland hat 5 6 . Eine juristische Person mit Sitz im Ausland wird nicht geschützt, auch wenn die Mitglieder alle Deutsche sind. 19

3. Das Stellvertretungsprinzip gilt — unter der Voraussetzung einer identischen N o r m (die kriminelle Strafe vorsehen muß 5 7 ) oder des Fehlens von Strafgewalt am T a t o r t — nach § 7 Abs. 2 N r . 1 StGB f ü r die Fälle der nach Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG unzulässigen Auslieferung (auch für „Neu"-Bürger aus der D D R 5 8 ) sowie nach § 7 Abs. 2 N r . 2 StGB f ü r die Fälle der nach dem IRG zulässigen, aber unterbleibenden Auslieferung 5 8 3 . Die f ü r § 7 Abs. 2 StGB maßgebliche Tatzeit bestimmt sich nach § 8 StGB (dazu oben 4/53 f). — Da das Stellvertretungsprinzip an persönliche Verhältnisse anknüpft, kann es vorkommen, daß von mehreren Beteiligten einige erfaßt werden, andere nicht. — Die Berücksichtigung einer gegebenenfalls milderen Strafdrohung am Tatort entspräche dem Stellvertretungsprinzip und ist deshalb de lege ferenda für § 7 Abs. 2 StGB zu fordern. — Soweit § 7 Abs. 2 N r . 1 StGB nicht durch das Stellvertretungsprinzip erklärt werden kann (so etwa bei einer Tat, f ü r die kein Staat außer der Bundesrepublik Deutschland Strafgewalt beansprucht), beruht diese Vorschrift auf dem aktiven Personalitätsprinzip 5 9 . Dieses Prinzip mag bei einigen schwersten Delikten angebracht sein (Beispiel: Mord durch einen Deutschen an einem Staatenlosen, wobei der T a t o r t keiner Strafgewalt unterliegt) ; ansonsten ist freilich seine Berechtigung zumindest zweifelhaft.

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4. Schließlich ordnet § 6 StGB Bestrafung nach dem Weltrechtsprinzip f ü r Völkermord ( N r . 1) sowie f ü r Delikte an, die nur bei internationaler Solidarität wirksam bekämpft werden können (Nr. 2 bis 8). Der Inhalt des Katalogs wird überwiegend durch internationale Abkommen bestimmt. Die Generalklausel in N r . 9, nach der auch Taten einbezogen werden, zu deren Verfolgung 6 0 sich die Bundesrepublik Deutschland durch zwischenstaatliche Abkommen verpflichtet hat, ist überflüssig: Ist das Abkommen ratifiziert und damit innerstaatliches Recht, so wird die Geltung 6 1 schon

53 B G H 27 S. 5 ff, 9; erweiternd LK-Tröndle §7 Rdn. 4 a. 54 Roggemann Z R P 1976 S. 243 f f ; Krey und Arem J R 1985 S. 399 ff, 403 f, jeweils mit Nachweisen; verfehlt Woesner Z R P 1976 S. 248 ff, 250; O L G Düsseldorf N J W 1983 S. 1277 f. 55 Siehe LK-Tröndle § 7 Rdn. 5; Lackner §7 Anm. 2; Kilian N J W 1983 S. 2305 f, jeweils mit Nachweisen. 56 den. LK-Tröndle § 7 Rdn. 10 mit Nachweisen. 57 BayObLG J R 1982 S. 159 f mit Anmerkung Oeh/erJR 1982 S. 160.

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58 Krey und Arenz J R 1985 S. 399 ff, 402. 58a B G H N S t Z 1985 S. 545. - Zur Behandlung der in der NS-Zeit bis zum Kriegsende per „Zwangsakt" Deutschen nach § 7 Abs. 2 StGB siehe Oeh/erBockelmann-Festschrift S. 771 ff. 59 Siehe Schönke-Schröder-Eser § 7 Rdn. 1 mit Nachweisen. 60 Gemeint ist: zu deren Umfassung durch den Geltungsbereich des deutschen Strafrechts; SchönkeSchröder-Eser5 6 Rdn. 10. 61 Gemeint ist die Geltung der bestehenden Strafvorschriften; Dreher-Tröndle% 6 Rdn. 9.

Räumliche und personelle Geltung

5. Abschn

deshalb erweitert; ist das Abkommen nur völkerrechtlich verbindlich, fehlt es an hinreichender gesetzlicher Bestimmtheit (Art. 103 Abs. 2 G G , § 1 StGB) 6 2 .

B. Die Probleme des Tatorts 1. Der für das Territorialitäts- und Flaggenprinzip sowie ansonsten beim E r f o r d e r - 21 nis einer identischen N o r m wichtige Tatort wird in § 9 StGB nach dem Ubiquitätsprinzip weit bestimmt: T a t o r t ist bei Täterschaft der O r t der H a n d l u n g (i. e. der Ausführungshandlung und des Versuchs 6 3 und der Vorbereitung nach § 30 StGB sowie nach Sonderregelungen, etwa § 159 StGB) wie auch der O r t des (beim Versuch: vorgestellten und im Versuchsbeginn objektivierten 6 3 3 ) tatbestandlichen Erfolgs, bei der Teilnahme der O r t der Teilnehmerhandlung wie auch der O r t der (beim Teilnahmeversuch : vorgestellten) Haupttat, und zwar bei der Inlandsteilnahme ohne Blick auf die Strafbarkeit der Haupttat an deren Tatort. Für die praktisch zentralen Fälle der Bestimmung des Orts f ü r das Territorialitätsprinzip werden also die Handlungen im Inland (Tabuierung deliktischen Verhaltens) wie die Erfolge im Inland (Schutzprinzip) erfaßt, ersteres freilich nur, wenn das ausländische Gut durch die inländische N o r m geschützt ist (siehe oben 5/2 f). Letzteres ist beim Eingriff im Ausland und bloßem Erfolgseintritt im Inland (der im Ausland Angeschossene schleppt sich über die Grenze und stirbt im Inland) eine bedenklich weite Regelung (unbedenklich : Der Schuß von jenseits der Grenze trifft im Inland) 6 4 . — Z u r Bestimmung der H a n d l u n g siehe oben 4/53 f. — Die Bestimmung des Erfolgsorts bereitet bei nicht dinglich fixierbaren Erfolgen (etwa Vermögensschaden durch Verlust einer Forderung, Ehrverletzung) Schwierigkeiten; die Bestimmung wird hier in Analogie zur Lage bei dinglich fixierbaren Erfolgen (etwa Sachbeschädigung) ohne Blick auf den Aufenthaltsort des Inhabers des verletzten Guts zu erfolgen haben 6 4 a . — Abstrakte Gefährdungsdelikte werden am O r t des Handlungsvollzugs und eines eventuell tatbestandlichen Zwischenerfolgs begangen (Gebrauchmachen von einer Urkunde, § 267 Abs. 1 3. Variante geschieht am Orte der Beweiserhebung), nicht aber auch am O r t eines möglichen oder wirklichen Schadenseintritts (Trunkenheitsfahrten im Ausland, aber hart an der Grenze und deshalb mit möglichen Inlandsfolgen, sind keine Inlandstaten nach § 316 StGB, anders bei § 315 c StGB); denn der mögliche oder reale Schadenseintritt ist bei abstrakten Gefährdungsdelikten kein tatbestandlich relevanter Umstand 64 ' 5 (zweifelhaft). Erfolg im Sinn von § 9 Absatz 1 StGB ist immer nur der tatbestandsmäßige Erfolg, nicht ein sonstiger Schaden, und zwar auch dann nicht, wenn er strafzumessungsrelevant wäre. Beispiel: Der allein gegenüber einer ausländischen Tochtergesellschaft Treupflichtige begeht im Ausland eine Untreue, deren Schaden freilich von der inländischen Muttergesellschaft getragen werden m u ß ; — keine Geltung deutschen Strafrechts nach den §§ 3, 9 Abs. 1 StGB, da der tatbestandsmäßige Schaden (nämlich der Schaden bei einer Person, deren Vermögensinteressen zu betreuen sind, § 266 StGB) im Ausland eintritt 6 4 0 . — Zu den objektiven Bedingungen siehe unten 10/8. 2. Bezieht sich eine H a n d l u n g im Ausland tatbestandlich auf eine Situation im 22 Inland, so ist sie auch im Inland begangen; Beispiel: Wer bei einer im Inland eingetrete62

Siehe auch LK-Tröndle § 6 Rdn. 9; SchönkeSchröder-Eser$ 6 Rdn. 10. 63 KG JR 1981 S. 37 f, 38. 63a p(j r deinen ausreichenden Anknüpfungspunkt hält die bloße Vorstellung Oehler Internationales Strafrecht S. 215. 64 Siehe Krey Strafanwendungsrecht S. 133 ff.

64a 64b

64c

Oehler Internationales StrafrechtS. 211 f. Α. A. Martin Strafbarkeit S. 79 ff, 118 ff, passim, mit differenzierten Entscheidungen, wie sich die inländischen Sicherheitsstandards zu den ausländischen verhalten S. 287 ff, 305 ff. O L G Frankfurt N J W 1989 S. 675 f.

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5. AbSChn

I • Buch.

2. Kapitel. G e s e t z e s b i n d u n g . Geltung des Strafrechts

nen Zahlungsunfähigkeit im Ausland eine Konkurshandlung nach § 283 Abs. 1 StGB vollzieht, begeht (auch) im Inland (zweifelhaft). Bei täterschaftlicher Handlung im Inland und Erfolg im Ausland (Distanzdelikt) oder Teilnahmehandlung im Inland bei ansonsten im Ausland stattfindender T a t (Distanzteilnahme) sind die Ergebnisse einer wörtlichen Anwendung des § 9 StGB dann unbefriedigend, wenn die Erfolgsherbeiführung am O r t des Erfolgs oder der Haupttat aus plausiblen Gründen straffrei ist. Beispiele finden sich nicht nur im Bereich der stark kultureigentümlichen Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung, sondern bei nahezu allen Delikten, die überhaupt Güter ohne Blick auf deren Belegenheit schützen, ferner bei den Handlungspflichten der Unterlassungsdelikte und der durch Sonderpflichten gekennzeichneten Begehungsdelikte wie auch bei Rechtfertigungsgründen. Konkret: Industrielle Einrichtungen werden in ein wenig entwickeltes Land geliefert, wobei der Betrieb solcher Einrichtungen in Deutschland das erlaubte Risiko einer Gesundheitsgefährdung überschreiten würde; für das Empfängerland bieten die Einrichtungen jedoch ein Höchstmaß an finanzierbarer Sicherheit 6 5 . Soweit das Problem gesehen wird, wird vorgeschlagen, die Zugehörigkeit des angegriffenen Guts (etwa die Fremdheit der Sache), das erlaubte Risiko, die Garantenstellung bei den unechten Unterlassungsdelikten u. a. m. nach dem jeweils ausländischen Recht zu beurteilen 6 6 . Dem ist zu folgen; ferner ist — wie schon zu § 5 Nr. 12 und 13 StGB — überhaupt der Rechtsgedanke von § 3 Abs. 2 StGB a. F. anzuwenden: Wenn es am O r t des Erfolgs oder der Haupttat wegen der dortigen besonderen Verhältnisse an einem strafwürdigen Unrecht fehlt (was f ü r die §§ 5 bis 7 StGB ex lege negativ entschieden ist!), wird deutsches Recht nicht auf Erfolge oder Haupttaten an diesen Orten erstreckt 6 7 . Daß das deutsche Strafrecht manche Güter ohne Blick auf deren Belegenheit schützt, heißt nicht, daß Schutzumfang, besondere Pflichten, Rechtfertigung und Entschuldigung auch ohne Blick auf deren räumlichen Bezug übertragbar wären. Nationale Spezifika lassen sich eben nicht nur beim angegriffenen Gut ausmachen. — N u r so ist auch zu vermeiden, daß die Auslieferung wegen einer Straftat, die im empfangenden, rechtsstaatlich verfaßten Land mit Todesstrafe bedroht ist, als Beihilfe zum Totschlag qualifiziert werden muß 6 8 . 23

3. H a n d l u n g ist in § 9 StGB das jeweils eigene Verhalten des Beteiligten. Wer sich freilich an objektiv und subjektiv tatbestandsmäßigem und rechtswidrigem Verhalten anderer Beteiligter in zurechenbarer Weise beteiligt, begeht nach § 9 Absatz 2 StGB auch an dem Ort, an dem der andere Beteiligte handelt. Beispiel: Wer vom Ausland aus einen Gehilfen im Inland zur Ubersendung von Mordmitteln bewegt, begeht wegen der (selbständigen oder hinter der Täterschaft zurücktretenden) Anstiftung zur im Inland begangenen Beihilfe (zur eigenen Auslandstat oder zur Auslandstat einer dritten Person) auch im Inland. — Wird im Ausland ein im Inland begangenes Unrecht fortgesetzt, so begründet allein die Fortsetzung nicht schon ein Begehen im Inland. Beispiel: Wird vom Inland aus eine im Ausland befindliche Person zu einer T a t im Ausland angestiftet, so wird die Anstiftung zwar nach § 9 Absatz 2 StGB im Inland begangen, aber der Angestiftete begeht im Ausland (wenn er nicht, etwa durch das Verlangen nach « Weitere Fälle bei SK-Samson% 9 Rdn. 15. 66 Mowakowski JZ 1971 S. 633 ff; je nach Anknüpfungsprinzip differenzierend (außer bei der Bestimmung der Zugehörigkeit des Guts) Liebelt Zum deutschen internationalen StrafrechtS. 239; für eine Anwendung deutschen Rechts einschließlich des zugehörigen Kollisionsrechts Comils Fremdrechtsanwendung S. 71 ff. 67 SK-Samson% 9 Rdn. 20; Jescheck AT § 18 I 1; an-

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ders die überwiegende Ansicht; für eine verfahrensrechtliche Lösung LK-Tröndle% 9 Rdn. 15. 68 Für die Zulässigkeit der Auslieferung zutreffend BVerfG 18 S. 112 ff; sehr streitig; Nachweise bei Maurach-Zipf A T I § 11 Rdn. 38. — Für eine Zurücknahme des weiten § 9 StGB auf Fälle der in den §§ 5 bis 7 StGB beschriebenen Art Jung JZ 1979 S. 325 ff.

Räumliche und personelle G e l t u n g

5. A b S C h n

Belohnung, die Anstiftung zurechenbar bewirkt hat). Von mehreren Tatbeiträgen können also einige dem deutschen Strafrecht unterfallen, andere nicht (siehe auch oben 5/19 a. E.). — Handelt ein Beteiligter nicht tatbestandsmäßig oder nicht rechtswidrig, also insbesondere als irrendes Werkzeug, so ist sein Beitrag kein Unrecht und deshalb weder eine Handlung im Sinn von § 9 StGB noch ein Verhalten, an das sich eine akzessorische Beteiligung anlehnen könnte; ein solcher Beitrag ist nur kausale Durchgangsstelle zum Erfolg (wie ein Naturereignis): Transitdelikte, die das Inland kausal durchlaufen, ohne daß im Inland ein Unrechtsverhalten vollzogen würde (oder der tatbestandsmäßige Erfolg einträte), werden nicht im Inland begangen 6 9 , da solche Delikte mangels eines im Inland vollzogenen Unrechten Verhaltens nicht die Normgeltung im Inland und mangels Erfolgs im Inland nicht den inländischen Güterbestand beeinträchtigen, also kein Kriterium für eine Anknüpfung bieten. Beispiel: Ob der beleidigende Brief von Dänemark nach der Schweiz in Frankfurt per Hand oder von einem Automaten umgeladen wird, steht gleich — jedenfalls kein Begehen im Inland (anders, wenn der Brief in Frankfurt von einem Gehilfen in den Briefkasten geworfen wird). 4. Bei Unterlassungsdelikten ist — neben dem O r t des (vorgestellten) Erfolgs — statt 2 4 des Orts der Handlung derjenige Ort maßgeblich, an dem der Täter hätte handeln müssen, und zwar f ü r Täterschaft wie für Teilnahme. Das ist immer der Ort, an dem der Unterlassungstäter sich befunden hat; denn dort hätte er mit seinen Handlungen beginnen müssen 7 0 . Mußte er sich zum Zweck der Rettung an andere Orte begeben, so werden diese dadurch nicht zu Tatorten; denn es geht nicht um jeden O r t eines hypothetisch rechtmäßigen Verhaltens (unterbliebener Rettung), sondern nur um den Ort der realen Verweigerung gegenüber dem Recht (abweichend die überwiegende Ansicht). Bei Unterlassungshaftung aus Verkehrspflichten und Ingerenz ist dies auch der Ort, an dem die Gefahrenquelle liegt.

C. Prozessuale Besonderheiten 1. Soweit sich aus den §§ 3 ff StGB die Anwendung deutschen Strafrechts ergibt, 2 5 kann auch konkurrierend eine ausländische Zuständigkeit gegeben sein. Bei ausländischer Vorverurteilung gilt der auf die Rechtssicherheit nach der eigenen Rechtsordnung bezogene Art. 103 Abs. 3 GG nicht 7 1 . Die Anrechnung einer verbüßten Strafe ordnet § 53 Abs. 3 Satz 1 StGB an, sowie die regelmäßige Anrechnung einer sonstigen Freiheitsentziehung im Zusammenhang mit der Tat, § 53 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. Abs. 1 StGB (siehe auch § 153 dAbs. 1 Nr. 3 StPO). 2. Die teilweise wenig billigenswerten Folgen des Ubiquitätsprinzips und Flaggen- 2 6 prinzips bereinigt § 153 c Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 bis 4 StPO auf prozeßrechtlicher Ebene. § 154 b StPO ermöglicht es, bei Auslieferung und Ausweisung auf die Durchsetzung der Bestrafung in der Bundesrepublik Deutschland zu verzichten.

D. Das interlokale Strafrecht Beim interlokalen Strafrecht geht es um die Anwendung des Strafrechts einzelner 2 7 Länder der Bundesrepublik Deutschland, handele es sich um partiell geltendes Bundesstrafrecht (siehe Art. 125 G G ; ferner oben 5/15) oder um Landesstrafrecht. Nach Sehr streitig; wie hier Oebler Internationales Strafrecht S. 217 f; Schönke-Schröder-Eser %9 Rdn. 6; KKOWiG-Rogall% 7 Rdn. 9, jeweils mit Nachweisen; a. A. Jescheck AT § 18 IV 2 a ; Vor-

auflage. — Sonderregelungen sind möglich, etwa § 29 Abs. 1 Nr. 5 BtMG. 70 Unklar Schänke-Schröder-Eser% 9 Rdn. 5. 71 B G H N J W 1969 S. 1542 f.

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5. A b S C h n

l. Buch. 2. Kapitel. Gesetzesbindung. Geltung des Strafrechts

üblicher Auffassung soll es sich beim interlokalen Strafrecht im Gegensatz zum internationalen Strafrecht um Kollisionsrecht handeln 7 2 . Diese Ansicht ist zumindest verwirrend : Das internationale Strafrecht regelt auch Kollisionsfälle, freilich nach geltenden Vorschriften stets durch Verzicht auf jede Strafrechtsanwendung (Auslandstat eines Ausländers beim Fehlen der Voraussetzungen der 4, 5, 6, 7 Abs. 1, Abs. 2 N r . 2 StGB) oder durch Anwendung allein des deutschen Strafrechts, bei immerhin teilweise mittelbarem Bezug auf ausländisches Strafrecht, nämlich in den Fällen, in denen eine identische N o r m am Tatort erforderlich ist. Daß im internationalen Strafrecht die unmittelbare Anwendung ausländischen Strafrechts nicht vorgesehen ist (wie etwa in Art. 6 des schweizerischen Strafgesetzbuchs) und eine konkurrierende ausländische Zuständigkeit erhalten bleiben kann, ist kein Verzicht auf die Entscheidung, sondern das Ergebnis der Entscheidung einer Kollision. Auch regelt das interlokale Strafrecht nicht nur Kollisionen, sondern zudem den Anwendungsbereich, und zwar — gewohnheitsrechtlich, besser: nach allgemeinen Prinzipien eines Bundesstaats — nach dem analog §§3 und 9 StGB bestimmten Tatortprinzip 7 3 . Ein daneben noch teilweise behauptetes Wohnsitzprinzip 7 4 ist abzulehnen, da die Störung der Ordnung im Land vom Wohnsitz unabhängig ist. Der Bierbrauer mit Wohnsitz in München, der in Hessen Bier vertreibt, das den bayerischen Reinheitsvorschriften nicht genügt (§§ 9, 18 BierStG 7 4 a ), ist von Haftung frei, so wie der Frankfurter, der entsprechende Produkte in München vertreibt, haftet. Die Kollision von Strafbarkeit in einem Land und Straffreiheit in einem anderen oder unterschiedlicher Strafbarkeit in den Ländern ist folgendermaßen aufzulösen : Die Gerichte des Landes wenden das Recht des Tatorts an, auch wenn es sich um Recht eines anderen Lands handelt; bei mehreren Begehungsorten wird das strengste Gesetz angewendet 7 5 . Gilt bei Auslandstaten deutsches Strafrecht, so kommt es im Fall divergierenden Inlandsrechts darauf an, an welchem O r t der Täter seine Lebensgrundlage hat (so auch Art. 1 b EGStGB in der Fassung von Anlage I, Kapitel III, Sachgebiet C, Abschnitt II des Einigungsvertrags; siehe Fn. 42 a).

£. Das ehemalige Verhältnis zur DDR 28

1 a) Das ehemalige Verhältnis zur D D R ist für eine Ubergangszeit noch strafrechtlich bedeutsam; denn Taten auf dem Gebiet der D D R vor dem Wirksamwerden des Beitritts, für die bereits seinerzeit das StGB galt, sind auch nach dem Beitritt ohne Filterung durch § 2 StGB zu beurteilen (oben 5/15). b) Für Taten aus der Zeit rechtsstaatswidriger Zustände in der D D R gilt folgendes : Der Bundesgerichtshof in seiner früheren Rechtsprechung und die ehemals überwiegende Lehre wandten die Regeln des interlokalen Strafrechts auch auf das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zur D D R an 7 6 . Schon die Notwendigkeit, das 72 Jescbeck A T § 20 I 1 ; LK- Trödle Rdn. 85 vor § 3 ; SK-Samson% 3 Rdn. 15. 73 Schon Kohler Internationales Strafrecht S. 223; RG 74 S. 219 f f ; ganz überwiegende Ansicht. 74 Jescheck A T § 20 I 3 ; differenzierend SchönkeSchröder-Eser Rdn. 54 vor § 3 ; dagegen Baumann-WeberAT%6 II 4. 74a Zum Landesrecht siehe B G H 11 S. 365 ff, 368 f. 75 R G 75 S. 385 ff; 76 S. 201 ff; v. Weber Kohlrausch-FestschriftS. 120 ff.

120

76 B G H 2 S. 300 ff, 308; 7 S. 54 ff, 55; LG Stuttgart J Z 1964 S. 101 ff; offen dann aber B G H 27 S. 5 ff; siehe auch B G H N J W 1978 S. 113 ff, 115, zu § 7 Abs. 2 StGB. — A.A. — entsprechende Anwendung der §§ 3 ff StGB — nunmehr B G H 30 S. 1 ff; mit Ausdehnungen zu § 7 Abs. 1 StGB (dazu sogleich 5/29) B G H 32 S. 293 ff, 294 ff; - siehe schon O L G Düsseldorf J R 1980 S. 73 ff; - unentschieden KG J R 1981 S. 37 f, 38.

Räumliche und personelle Geltung

5. Abschn

Straf recht der D D R am ordre public der Bundesrepublik Deutschland zu p r ü f e n 7 7 zeigt jedoch, daß die jeweiligen Normen einem kraß unterschiedlichen Rechtsverständnis entspringen, so daß die Anwendung von Normen (auch Rechtfertigungsgründen etc.) der D D R in der Bundesrepublik Deutschland eine Isolierung aus dem N o r m k o n text, also aus der zu schützenden Ordnung, und damit eine Umbestimmung des materialen Gehalts voraussetzt. Es geht somit nicht, wie beim interlokalen Strafrecht, um eine in den wesentlichen Prinzipien gemeinsame und nur in den Konkretisierungen räumlich aufgeteilte O r d n u n g 7 8 . Richtiger dürfte deshalb die heute weit überwiegend, auch vom Bundesgerichtshof, vertretene Anwendung der §§ 3 ff StGB sein 7 9 , siehe schon oben 5/15. c) Auch für Taten nach der Veränderung der politischen Verhältnisse in der D D R (1989) gab es bis zum Wirksamwerden des Beitritts der D D R zur Bundesrepublik Deutschland keine vorzugswürdige Alternative zu dieser Regelung 7 9 a , weil die Gesetzgebungskompetenzen im Strafrecht in der Bundesrepublik Deutschland und in der D D R nicht durch eine einheitliche Verfassung gebunden waren. 2. Es bleiben für Taten aus der Zeit, in der innerhalb der D D R rechtsstaatswidrige 29 Zustände herrschten, schwere Probleme bei der praktisch wichtigen Anwendung von § 7 Abs. 1 und Abs. 2 N r . 2 StGB (zu § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB siehe oben 5/18). a) Die Verhinderung von „Republikflucht" durch Tötung des Flüchtlings oder durch Freiheitsberaubung war nach dem innerstaatlichen Recht der D D R nicht strafbar 8 0 . Daran ändert auch der klare Verstoß gegen elementare humanitäre Grundsätze nichts, da selbst die Verneinung der Rechtfertigungswirkung des Schießbefehls die Straf barkeit nicht „wiederherstellen" kann. Entsprechendes gilt bei Denunziationen von Fluchtwilligen, die daraufhin in der D D R Freiheitsstrafe erlitten 8 0 3 . Eine Normenordnung wird verfälscht, wenn aus ihrem Zusammenhang einzelne Normen gestrichen und damit die verbleibenden Normen inhaltlich verändert werden; die veränderten Normen sind dann nicht mehr die des betreffenden Staats 8 1 . Die — zugegebenermaßen unbefriedigende — Lage kann nur durch die Änderung des positiven Rechts, nicht aber durch die Konstruktion „natürlicher Strafbarkeit" verbessert werden (siehe schon oben 5/18)82. b aa) Noch ungeklärt ist die Lage bei der Erzwingung von „Republikflucht" mit 30 Notrechten, die gegenüber Grenzsoldaten der D D R geltend gemacht wurden (§§ 32 ff StGB bei Tötung der Grenzsoldaten?). Die Rechtswidrigkeit der Flucht nach der 77 B G H 7 S. 54 ff, 55 ; Maurach Κΐ ^ § 11 I l C b . 78 JescheckKT% 20 III 1. 79 Eingehend Krey J R 1980 S. 45 ff; ders. in: Entwicklung S. 199 f f ; Krey und Arenz J R 1985 S. 399 ff, 401 f mit ausführlichen Nachweisen zu der Kontroverse um eine direkte oder analoge Anwendung. 79a A. A. — interlokales Strafrecht — Wessels AT § 2 III 3. 80 GrünwaldJZ 1966, S. 633 ff. 80a Soweit nicht § 5 Absatz 1 N r . 6 eingreift; — a. A. B G H 32 S. 293 ff, 298 f „jedenfalls", soweit es um Delikte geht, „in denen sich die mit der politischen Verdächtigung (oder Verschleppung) verbundene und von diesem Tatbestand vorausgesetzte Gefährdung verwirklicht und in eine Verletzung übergeht". — Durch diese Auslegung des § 7 Absatz 1 StGB (noch entschiedener für die Anwen-

dung dieser Vorschrift Oehler J Z 1984 S. 948 ff, 949) wird die strenge Enumeration in § 5 Absatz 1 N r . 6 StGB unterlaufen. 81 Grünwald Zur Kritik der Lehre vom überpositiven Recht S. 11; Krey und Arenz J R 1985 S. 399 ff, 403 f. 82 Äußerst streitig; siehe zu den unterschiedlichen Positionen Grünwald]7,1966 S. 633 f f ; Dichgans N J W 1966 S. 2255 f f ; Krey Strafanwendungsrecht S. 150 f; LK-Tröndle Rdn. 99 f vor § 3 ; Dreher-Tröndle 5 3 Rdn. 12; Schönke-SchröderEserRdn. 70 vor § 3; SchroederJZ 1974 S. 113 f f ; Roggemann Z R P 1976 S. 243 ff; Woesner Z R P 1976 S. 248 ff; LG Stuttgart J Z 1964 S. 101 ff (Fall H a n k e ) ; Oehler Internationales Strafrecht S. 286 Fn. 19; differenzierend O L G Düsseldorf J R 1980S. 73 ff, 75.

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5. A b S C h n

l. Buch. 2. Kapitel. Gesetzesbindung. Geltung des Strafrechts

Ordnung der D D R bindet die Bundesrepublik Deutschland nicht 8 3 . Mangels einer solchen Bindung wird aber nicht jede Verhinderung eines Grenzübertritts zu einem nach deutschem Strafrecht rechtswidrigen Akt, so etwa nicht bei fliehenden Tätern nicht politisch gefärbter Delikte. In den anderen Fällen ist bei der Entscheidung über ein Notwehrrecht des Flüchtenden zu berücksichtigen, daß die DDR-Grenzsoldaten teils ohne die Chance agierten, ihrerseits für das System der Bundesrepublik Deutschland zu optieren. bb) Im Ergebnis wird der Flüchtling, der ohne einen nach materiell rechtsstaatlichen Normen akzeptablen Grund in seiner Freizügigkeit behindert wurde und sein Recht deshalb gewaltsam reklamierte, gegen den Grenzsoldaten, der ihn hinderte, nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland ein Notwehrrecht haben, in vollem Umfang freilich nur, wenn der Grenzsoldat bei Duldung der Flucht nicht in eine Notlage nach § 35 StGB geriet 8 4 (zu den Notrechten bei entschuldigtem Angriff siehe unten 12/18). Daß es ein allgemein völkerrechtlich anerkanntes Auswanderungsrecht nicht gibt 8 5 , ist irrelevant; denn das deutsche Strafrecht garantiert nicht nur völkerrechtlich anerkannte Positionen. — Die Konsequenzen dieser Lösung für Notwehrhilfe und polizeilich legitimierte Hilfe, insbesondere durch den Bundesgrenzschutz, und die jeweilige Unsicherheit der tatsächlichen Lage (will der Flüchtling nur Freizügigkeit?) können freilich wenig befriedigen 8 6 .

83 Abweichend Roggemann a a O ; Grünwald aaO, der freilich bei der Ermittlung der Verhältnismäßigkeit des Schießbefehls die Wertigkeit der vom Flüchtling verfolgten Zwecke unbeachtet läßt (S. 638). 84 Hierzu SchroederNfW 1978 S. 2577 ff, 2578. 85 Zur davon abweichenden völkervertragsrechtlichen Lage siehe /escheck A T § 20 III 3 b; Woesner Z R P 1976 S. 248 f f ; Schönke-Schröder-Eser Rdn. 70 vor § 3.

122

86 Alles äußerst streitig; O L G Hamm JZ 1976 S. 610 f f ; B G H N J W 1978 S. 113 ff (beides Fall Weinhold); O L G Düsseldorf M D R 1985 S. 521 (die Grenzorgane der D D R sollen — allenfalls abgesehen von flagranten Verletzungen des Rechts auf Ausreise — die üblichen „Kontrollund Eingriffsbefugnisse" gehabt haben) ; zur Literatur siehe die vorangehenden Fn., zudem Sax JZ 1959 S. 385 ff; SchroederNyW 1978 S. 2277 ff.

2. BUCH

Die Zurechnungslehre 1. T I T E L

Der Inhalt und die Aufgabe der Zurechnung, hauptsächlich beim Begehungsdelikt 1. KAPITEL Die Tatbestandsverwirklichung 6. ABSCHNITT Die Grundlagen und die Grundbegriffe der Tatbestandsverwirklichung durch Handlung I. Der Handlungsbegriff Literatur H. Achenbach Historische und dogmatische Grundlagen der strafrechtssystematischen Schuldlehre, 1974; ders. Die Sanktionen gegen die Unternehmensdelinquenz im Umbruch, JuS 1990, S. 601 ff; B.Ackermann Die Strafbarkeit juristischer Personen im deutschen Recht und in ausländischen Rechtsordnungen, 1984; H. Alwart Recht und Handlung, 1987; A. BarattaOber Jherings Bedeutung für die Strafrechtswissenschaft, Jherings Erbe, S. 17 f f ; H.-J. Behrendt Die Unterlassung im Strafrecht, 1979; den. Affekt und Vorverschulden, 1983; den. Das Prinzip der Vermeidbarkeit im Strafrecht, Jescheck-Festschrift S. 303 ff; R. Bloy Finaler und sozialer H a n d lungsbegriff, ZStW 90 S. 609 ff; P. Bockelmann Über das Verhältnis von Täterschaft und Teilnahme, 1949; E. v. Bubnoff Die Entwicklung des strafrechtlichen Handlungsbegriffes von Feuerbach bis Liszt unter besonderer Berücksichtigung der Hegelschule, 1966; B. Burkhardt Der Wille als konstruktives Prinzip der Strafrechtsdogmatik, in: Heckhausen u. a. (Hrsg.) Jenseits des Rubikon, 1987 S. 319 ff; R. Busch G r u n d f r a g e n der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Verbände, 1933; den. Moderne Wandlungen der Verbrechenslehre, 1949; G. Dornseifer Rechtstheorie und Strafrechtsdogmatik Adolf Merkels, 1979; K. Engisch Oer finale Handlungsbegriff, Kohlrausch-Festschrift S. 141 ff; den. Empfiehlt es sich, die Strafbarkeit der juristischen Person gesetzlich vorzusehen? Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages Bd. II (E), 1954, S. 12 ff; den. T u n und Unterlassen, Gallas-Festschrift S. 163 ff; ders. Logische Überlegungen z u r Verbrechensdefinition, Welzel-Festschrift S. 343 ff; H. A. Fischer Die Rechtswidrigkeit mit besonderer Berücksichtigung des Privatrechts, 1911; H. Franzheim Sind falsche Reflexe des Kraftfahrers strafbar? N J W 1965 S. 2000 f; W. Gallas Zum gegenwärtigen Stand der Lehre vom Verbrechen, ZStW 67 S. 1 ff; ders. Studien zum Unterlassungsdelikt, 1989; H. Geier Elemente einer soziologischen Theorie des Unterlassens, Kölner Zeitschrift 1986 S. 644 ff; E. Gimbernat Ordeig H a n d lung, Unterlassung und Verhalten, Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 159 f f ; E. Göhler Oie strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen, Beiheft Z S t W 1978 S. 100 ff; Κ. H. Gössel Wertungsprobleme des Begriffs der finalen Handlung, 1966; K. A. Hall Fahrlässigkeit im Vorsatz, 1959; W. HardwigD'ie Zurechnung, 1957; F. Härtung Empfiehlt es sich, die Strafbarkeit der juristischen Person gesetzlich vorzusehen? Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. II (E), 1954 S. 43 ff; E. Heinitz Der Ausbau des Strafensystems, Z S t W 65 S. 26 ff; ders. Empfiehlt es sich, die Strafbarkeit juristischer Personen gesetzlich vorzusehen? Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages Bd. II (E), 1954, S. 73 ff; R. D. Herzberg Die Unterlassung im

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6. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

Strafrecht und das Garantenprinzip, 1972; ders. Das Wollen beim Vorsatzdelikt und dessen Unterscheidung vom bewußt fahrlässigen Verhalten, JZ 1988 S. 573 ff, 635 ff; H. J. Hirsch Der Streit um Handlungs- und Unrechtslehre, insbesondere im Spiegel der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, ZStW 93 S. 831 ff, 94 S. 239 ff; A. Hold v. Femeck Die Rechtswidrigkeit Bd. I, 1903; /. Hruschka Strukturen der Zurechnung, 1976; ders. und / . C. Joerden Supererogation: V o m deontologischen Sechseck zum deontologischen Zehneck, A R S P Bd. LXXIII (1987) S. 93 ff; A. Huss Die Strafbarkeit der juristischen Person, ZStW 90 S. 237 ff; G. Jakobs Vermeidbares Verhalten und Strafrechtssystem, Welzel-Festschrift S. 307 ff; ders. Die juristische Perspektive zum Aussagewert der Handlungsanalyse einer Tat, in: /. Gerchow (Hrsg.) Zur Handlungsanalyse einer Tat, 1983 S. 21 ff; ders. Uber die Aufgabe der subjektiven Deliktseite im Strafrecht, in: H. Witter (Hrsg.) Der psychiatrische Sachverständige im Strafrecht, 1987 S. 271 ff; H.-H. Jescheck Die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Personenverbände, ZStW 65 S. 210 ff; ders. Die Behandlung der Personenverbände im Strafrecht, SchwZStr. 70 (1955) S. 243 ff; ders. Die Entwicklung des Verbrechensbegriffs in Deutschland seit Beling im Vergleich mit der österreichischen Lehre, ZStW 73 S. 179 ff; ders. Der strafrechtliche Handlungsbegriff in dogmengeschichtlicher Entwicklung, Eb. Schmidt-Festschrift S. 139 ff; ders. Grundlagen der Dogmatik und Kriminalpolitik, ZStW 93 S. 1 ff; Armin Kaufmann Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, 1959; ders. Zum Stande der Lehre vom personalen Unrecht, Welzel-Festschrift S. 393 ff; ders. Das Übernationale und Uberpositive in der Strafrechtswissenschaft, Tjong-Gedächtnisschrift S. 100 ff; Arthur Kaufmann Einleitung z u : G. Radbruch Der Handlungsbegriff, N a c h d r u c k 1967, S. VII ff; ders. Die ontische Struktur der Handlung, H . Mayer-Festschrift S. 79 ff; ders. Die finale H a n d lungslehre und die Fahrlässigkeit, JuS 1967 S. 145 ff; U. K. Kindhäuser Intentionale Handlung, 1980; ders. Basis-Handlungen, Rechtstheorie 1980 S. 479 ff; ders. Kausalanalyse und Handlungszuschreibung, GA 1982 S. 477 ff; ders. Der Vorsatz als Zurechnungskriterium, ZStW 96 S. 1 ff; ders. Gefährdung als Straftat, 1989; ders. Z u r Unterscheidung von Tat- und Rechtsirrtum, GA 1990 S. 407 ff; U. Klug Der Handlungsbegriff des Finalismus als methodisches Problem, EmgeFestschrift S. 33 ff; E. Kohlrausch Irrtum und Schuldbegriff im Strafrecht, 1903; /. Krümpelmann Motivation und Handlung im Affekt, Welzel-Festschrift S. 327 ff; ders. Vorsatz und Motivation, ZStW 87 S. 888 ff; E.-J. Lampe Das personale Unrecht, 1967; ders. Verantwortung und Verantwortlichkeit im Strafrecht, in: W. Maihofer u. a. (Hrsg.) Jahrbuch f ü r Rechtssoziologie und Rechtstheorie Bd. XIV, 1989 S. 286 ff; D. Lang-Hinrichsen „Verbandsunrecht", H . Mayer-Festschrift S. 49 ff; K. Larenz Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, 1927; H. von der Linde Rechtfertigung und Entschuldigung im Strafrecht? 1988 ; R. Lippold Reine Rechtslehre und Strafrechtsdoktrin, 1989; K. Luff Die biologische Betrachtung von Verkehrsunfällen und ihre Bedeutung f ü r die Verkehrsrechtsprechung, D A R 1959 S. 89 ff; N. Luhmann Soziologische Aufklärung Bd. III, 1981; W. Maihofer Oer Handlungsbegriff im Verbrechenssystem, 1953; ders. Zur Systematik der Fahrlässigkeit, ZStW 70 S. 159 ff; ders. Der Unrechtsvorwurf, Rittler-Festschrift S. 141 ff; ders. Der soziale Handlungsbegriff, Eb. Schmidt-Festschrift S. 156 ff; M. Maiwald Abschied vom strafrechtlichen Handlungsbegriff? ZStW 86 S. 636 ff; H. Mayer Vorbemerkungen z u r Lehre vom Handlungsbegriff, v. Weber-Festschrift S. 137 ff; A. Merkel Kriminalistische Abhandlungen Bd. I, 1867; E. Mezger Oie subjektiven Unrechtselemente, GS 89 S. 207 ff; ders. Moderne Wege der Strafrechtsdogmatik, 1950; K. Michaelowa Der Begriff der strafrechtswidrigen Handlung, 1968; R. Moos Die finale Handlungslehre, in: Strafrechtliche Probleme der Gegenwart Bd. II, 1974, S. 5 ff; J. Nagler Der heutige Stand der Lehre von der Rechtswidrigkeit, Binding-Festschrift Bd. I I S . 273 ff; W. Niese Finalität, Vorsatz und Fahrlässigkeit, 1951 ; P. Noll Der strafrechtliche Handlungsbegriff, in: A. Mergen (Hrsg.) Kriminologische Schriftenreihe Bd. 54, 1971, S. 21 ff; F. Nowakowski'Zu Welzeis Lehre von der Fahrlässigkeit, JZ 1958 S. 335 ff, 388 ff; ders. Probleme der Strafrechtsdogmatik, JurBl. 1972 S. 19 ff; D. Oehler Das objektive Zweckmoment in der rechtswidrigen Handlung, 1959; ders. Die erlaubte Gefahrsetzung und die Fahrlässigkeit, Eb. Schmidt-Festschrift S. 232 ff; K. Otter Funktionen des H a n d lungsbegriffs im Verbrechensaufbau, 1973; R. Pohl-Sichtermann Geldbuße gegen Verbände, 1974; G. Radbruch Der Handlungsbegriff in seiner Bedeutung f ü r das Strafrechtssystem, 1904; ders. Z u r Systematik der Verbrechenslehre, Frank-Festgabe Bd. I S. 158 ff; ders. Rechtsidee und Rechtsstoff, ARSP 17 S. 343 ff; ders. Rechtsphilosophie (Literaturbericht), ZStW 25 S. 251 ff; Th. RittlerOie finale Handlungstheorie im Strafrechtssystem Maurachs, JurBl. 1955 S. 613 f; H.

124

Tatbestandsverwirklichung. G r u n d l a g e n

6. Abschn

E. Rotberg F ü r Strafe gegen V e r b ä n d e , DJT-Festschrift Bd. II S. 193 f f ; C. Roxin Einige Bemerkungen z u m Verhältnis v o n Rechtsidee und Rechtsstoff in der Systematik unseres Strafrechts, R a d b r u c h - G e d ä c h t n i s s c h r i f t S. 260 f f ; ders. Z u r Kritik der finalen H a n d l u n g s l e h r e , Z S t W 74 S. 515 f f ; H.-J. Rudolphi D e r Z w e c k staatlichen Strafrechts und die strafrechtlichen Z u r e c h n u n g s f o r m e n , in: B. Schünemann (Hrsg.) G r u n d f r a g e n des m o d e r n e n Strafrechtssystems, 1984 S. 69 f f ; G. Schewe Reflexbewegung H a n d l u n g V o r s a t z , 1972; ders. Alkoholdelinquenz aus medizinischer Sicht, Beiheft Z S t W 1981 S. 39 f f ; ders. Wille u n d Freiheit — juristische und medizinisch-psychologische Aspekte, in: / . Gerchow (Hrsg.) Z u r H a n d l u n g s a n a l y s e einer T a t , 1983 S. 1 f f ; W. Schild Die „Merkmale" der Straftat und ihres Begriffs, 1979; E. Scbmidhäuser'Willkürlichkeit und Finalität als U n r e c h t s m e r k m a l e im Strafrechtssystem, Z S t W 66 S. 27 f f ; ders. Z u r Systematik der Verbrechenslehre, R a d b r u c h - G e d ä c h t n i s s c h r i f t S. 268 f f ; ders. W a s ist aus der finalen H a n d l u n g s l e h r e g e w o r d e n ? J Z 1986 S. 109 f f ; ders. Begehung, H a n d l u n g u n d Unterlassung im Strafrecht, Armin K a u f m a n n - G e d ä c h t n i s s c h r i f t , S. 131 f f ; Eb. Schmidt Soziale H a n d lungslehre, Engisch-Festschrift S. 339 f f ; ders. D e r A r z t im Strafrecht, 1939; R. Schmitt Strafrechtliche M a ß n a h m e n gegen V e r b ä n d e , 1958; K. Schneider Oie Beurteilung der Z u r e c h n u n g s f ä higkeit, 4. Auflage 1961 ; Chr. Schöneborn Z u m „ E r f o l g s u n w e r t " im Lichte der sozialpsychologischen Attributionstheorie, G A 1981 S. 70 f f ; B. Schünemann E i n f ü h r u n g in das strafrechtliche Systemdenken, in: ders. (Hrsg.) G r u n d f r a g e n des m o d e r n e n Strafrechtssystems, 1984 S. 1 f f ; ders. Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft nach der S t r a f r e c h t s r e f o r m im Spiegel des Leipziger K o m m e n t a r s u n d des W i e n e r K o m m e n t a r s , G A 1985 S. 341 ff, G A 1986 S. 293 f f ; R. Seiler Strafrechtliche M a ß n a h m e n als Unrechtsfolgen gegen P e r s o n e n v e r b ä n d e , 1967; R. Spiegel Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des K r a f t f a h r e r s f ü r Fehlreaktionen, D A R 1968 S. 283 f f ; G. Stratenwerth Die Bedeutung der finalen H a n d l u n g s l e h r e f ü r das schweizerische Strafrecht, SchwZStr. 81 (1965) S. 179 f f ; ders. Literaturbericht, Z S t W 85 S. 469 f f ; ders. U n b e w u ß t e Finalität? Welzel-Festschrift S. 289 f f ; E. Struensee D e r subjektive T a t b e s t a n d des fahrlässigen Delikts, J Z 1987 S. 53 f f ; K. Ttedemann Wirtschaftsstrafrecht u n d Wirtschaftskriminalität Bd. I, 1976; ders. Die „Bebußung" von U n t e r n e h m e n nach dem 2. Gesetz z u r B e k ä m p f u n g der W i r t s c h a f t s k r i minalität, N J W 1988 S. 1169 f f ; 2. U. Tjong D e r U r s p r u n g und die philosophische G r u n d l a g e der Lehre von den „sachlogischen S t r u k t u r e n " im Strafrecht, A R S P 54 S. 411 f f ; H. v. Weber G r u n d riß des tschechoslowakischen Strafrechts, 1929; ders. Z u m A u f b a u des Strafrechtssystems, 1935; ders. U b e r die Strafbarkeit juristischer Personen, G A 1954 S. 237 f f ; ders. Bemerkungen z u r Lehre vom H a n d l u n g s b e g r i f f , Engisch-Festschrift S. 328 f f ; H. Wegener Z u m Aussagewert der H a n d lungsanalyse einer T a t — die psychologische Perspektive, in: /. Gerchow (Hrsg.) Z u r H a n d l u n g s analyse einer T a t , 1983 S. 35 f f ; O. Weinberger Die formal-finalistische H a n d l u n g s t h e o r i e u n d das Strafrecht, Klug-Festschrift S. 199 f f ; H. Welze!Naturalismus u n d Wertphilosophie im Strafrecht, 1935; ders. Kausalität und H a n d l u n g , Z S t W 51 S. 703 f f ; ders. Studien z u m System des Strafrechts, Z S t W 58 S. 491 f f ; ders. U m die finale H a n d l u n g s l e h r e , 1949; ders. V o m Bleibenden und vom Vergänglichen in der Strafrechtswissenschaft, G r ü n h u t - E r i n n e r u n g s g a b e S. 173 f f ; ders. Das neue Bild des Strafrechtssystems, 1951, 4. Auflage 1961 ; ders. Die finale H a n d l u n g s l e h r e u n d die fahrlässigen H a n d l u n g e n , J Z 1956 S. 316 f f ; ders. Die N a t u r r e c h t s l e h r e Samuel P u f e n d o r f s , 1958 ; ders. Fahrlässigkeit und Verkehrsdelikte, 1961 ; ders. Zur D o g m a t i k im Strafrecht, M a u r a c h Festschrift S. 3 f f ; ders. Ein unausrottbares Mißverständnis? Z u r Interpretation der finalen H a n d lungslehre, N J W 1968 S. 425 f f ; ders. Die deutsche strafrechtliche D o g m a t i k der letzten 100 J a h r e und die finale Handlungslehre, J u S 1966 S. 421 f f ; ders. A b h a n d l u n g e n z u m S t r a f r e c h t u n d z u r Rechtsphilosophie, 1975 \ E. A. Wolff D e r Handlungsbegriff in der Lehre vom V e r b r e c h e n , 1964 ; ders. Das P r o b l e m der H a n d l u n g im Strafrecht, R a d b r u c h - G e d ä c h t n i s s c h r i f t S. 291 f f ; /. Wolter Objektive und personale Z u r e c h n u n g von Verhalten, G e f a h r und V e r l e t z u n g in einem f u n k t i o n a len Straftatsystem, 1981; G. H. v. Wright und G. Meggle Das Verstehen von H a n d l u n g e n , Rechtstheorie 20 (1989) S. 3 f f ; U. ZiegertVorsatzschuld und V o r v e r s c h u l d e n , 1987.

A. Die strafrechtlichen Handlungstheorien 1. Die Handlungslehre als Teil der Zurechnungslehre D i e A u f g a b e d e r Z u r e c h n u n g ergibt sich aus d e r A u f g a b e v o n S t r a f e u n d w u r d e 1 s c h o n im Z u s a m m e n h a n g m i t d e r S t r a f e s k i z z i e r t ( o b e n 1 / 1 f f ) . D i e Z u r e c h n u n g l e g t f e s t , w e l c h e P e r s o n z u r S t a b i l i s i e r u n g d e r N o r m g e l t u n g z u b e s t r a f e n ist. D a s E r g e b n i s

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6. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

lautet: Zu bestrafen ist ein Subjekt, das sich normwidrig und schuldhaft verhalten hat (wenn nicht das Gesetz auf Strafe verzichtet, was aus diversen Gründen möglich ist). Die Lehre von der Zurechnung entwickelt die verwendeten Begriffe: Verhalten des Subjekts, Normbruch, Schuld. Die Darstellung beginnt mit der Handlung; diese ist das Verhalten des Subjekts beim Begehungsdelikt. Die zur Bestimmung der Handlung zu lösenden Probleme sind mit nahezu allen Problemen der Zurechnung als Delikt 1 verknüpfbar, insbesondere mit der Lehre vom Tatbestand (gehen die allgemeinen Merkmale der Handlung dem Tatbestand vor oder werden sie durch den Tatbestand bestimmt?), der Lehre vom Unrecht (wie stark darf mit der Handlung das Unrecht individualisiert oder subjektiviert werden?), der Lehre von der Schuld (ist überhaupt eine nicht voll zurechenbare, also nicht schuldhafte Handlung eine spezifisch menschliche Handlung?) und schließlich mit der Differenzierung zwischen Tun und Unterlassen (ist beides Handlung, weil beides Delikt sein kann?). Entsprechend variantenreich und komplex sind die Lösungsvorschläge, wobei die literarische Lage noch dadurch verdunkelt wird, daß zwischen dem Sachproblem (was sind die Voraussetzungen der Zurechnung und wie sind sie zu ordnen; wie ist ein Verbrechen aufgebaut?) und dem terminologischen Problem (was kann oder muß als Handlung bezeichnet werden?) nicht stets deutlich unterschieden wird 2 . 2. Die Möglichkeit einer schuldlosen Handlung 2

a) Es besteht kein logisches Hindernis, nur die voll zurechenbare, also schuldhafte Tat eine Handlung zu nennen. Ein nur rechtswidriges, aber schuldloses Verhalten ist bei diesem Sprachgebrauch keine komplette, sondern eine unvollständige Handlung. Die Wahl dieser Lösung bedeutet nicht, daß überhaupt nur Straftaten Handlungen sein könnten, also rechtmäßiges Verhalten schon keine Handlung wäre. Der Begriff der Handlung kann vielmehr an der vollen Zurechenbarkeit ohne Berücksichtigung der Rechtswidrigkeit festgemacht werden; zurechenbar können nicht nur „böse", sondern auch „gute" Werke sein, und Zurechnung ist nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine sozialethische Kategorie. Beispiel : Ob jemand ein Gerät baut, um Menschen zu retten oder rechtswidrig zu vernichten, die Frage nach der Zugehörigkeit von Werk und Folge zum Konstrukteur, also die Frage nach der Zurechnung, läßt sich jedenfalls stellen 2 a . Der Bestand einer Handlung von rechtlicher Erheblichkeit bleibt bei dieser Lösung freilich von den rechtlichen Zurechnungsvoraussetzungen abhängig; die Handlung wird zu einem Begriff, der relativ zum jeweils relevanten Zurechnungssystem ist.

3

b) Ein Handlungsbegriff, der — in moderner Terminologie — das Nicht-Schuldhafte ausschließt, ist von Hegel entwickelt 3 und von den Hegelianern, insbesondere von •Ahegg*, Berner5 und Köstlin6, in die Strafrechtswissenschaft eingeführt worden 7 . 1 Die ältere Lehre differenziert zwischen Delikt und Verbrechen. Delikt ist danach „die schuldhafte normwidrige Handlung, einerlei ob sie strafbar ist oder nicht"; Verbrechen ist die strafbare Erscheinungsform des Delikts (Binding Handbuch S. 499 ff, 503; dazu Armin Kaufmann Normentheorie S. 30). Diese Differenzierung wird hier nur bei Anlehnungen an ältere Literatur durchgeführt; ansonsten wird als Oberbegriff der des Delikts verwendet. — Zum Begriff des Verbrechens im gesetzestechnischen Sinn siehe unten 6/102 ff. 2 Zur terminologischen Kontroverse siehe Klug Emge-Festschrift S. 33 ff. — Eine kritische Dar-

126

Stellung der hiesigen Position bringt Schmidhäuser J Z 1986 S. 109 ff, 115 ff. - Einen kritischen Vergleich wissenschaftlich möglicher Systeme versucht Z-ippoWRechtslehre S. 179 ff. 2a Hruscbka und Joerden A R S P 73 (1987) S. 93 ff. 3 Zur Zurückführung auf Pufendorf siehe Welzel Die Naturrechtslehre S. Pufendorfs S. 19 ff, 84 ff; den. Strafrecht § 8 III 1. 4 LehrbuchS. 124 ff. 5 Lehrbuch § 35 I, § 62. 6 System § 56. 7 Eingehend hierzu v. Bubnoff Entwicklung S. 36 ff; siehe auch OtterFunktionen S. 30 ff.

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. Abschn

Hegel8 : „Die Äußerung des Willens als subjektiven oder moralischen ist Handlung . . . Erst die Äußerung des moralischen Willens ist Handlung". Der Vorteil eines so gebildeten Handlungsbegriffs liegt darin, daß die Handlung nicht nach ihren äußeren Teilen (Körperbewegung oder Erfolg), sondern nach ihrem Sinnbezug zur Norm bestimmt wird. Das heißt für die verbrecherische Handlung: Nicht das äußere Geschehen ist das Schlimme, sondern die im Faktum des Handlungsvollzugs erkennbar werdende Haltung des Täters zur Norm, also zur Ordnung allge mein. Wiederum Hegel9: In des Täters „als eines Vernünftigen Handlung liegt, daß sie etwas Allgemeines, daß durch sie ein Gesetz aufgestellt ist, das er in ihr für sich anerkannt hat, unter welches er also, als unter sein Recht subsumiert werden darf". Dieser Handlungsbegriff paßt für eine Straftheorie, nach der die Strafe gleichfalls nicht einem äußeren Zustand, sondern dem Bestand der Normen gilt; Hegels Konzeption hierzu ist bekannt: Es geht bei der Bestrafung des Verbrechers um „das Aufheben des Verbrechens, das sonst gelten würde", und das heißt um „die Wiederherstellung des Rechts" 1 0 . Ein so gestalteter Handlungsbegriff leistet nichts bei der Ermittlung und didaktischen Aufbereitung dessen, was ein Delikt ist; er läßt vielmehr die Zurechnungsvoraussetzungen in einer ungegliederten Gemengelage 11 . Dies allein führt freilich nicht zur Ablösung des Handlungsbegriffs Hegels. Bedingung für die Entwicklung ist vielmehr auch, daß Hegels Deutung des Delikts als Sinnausdruck abdankt. Bei Hegel geht es so deutlich um einen Handlungssinn, um den in der Handlung „geäußerten" Entwurf einer Weltgestaltung, daß die Lösung nur für den wirklich gemeinten Sinn, also bei Vorsatztaten, paßt: „Das Recht des Willens aber ist, in seiner Tat nur dies als seine Handlung anzuerkennen, . . . was davon in seinem Vorsatze lag" 1 2 . Fahrlässigkeitstaten sind bei dieser Konzeption nicht erfaßt 1 } . c) Die Gegenposition zum Verständnis der Handlung als Sinnausdruck ist das 4 Verständnis der Handlung als äußerlich gefährlicher Vorgang, und dieser Wechsel, die Naturalisierung des Strafgrunds, also der Wandel der Straftheorie von der Vergeltung am vernünftigen Menschen hin zur Sicherung vor Gefahren für Interessen, ist die Basis, auf der am Ende des vorigen Jahrhunderts ein Umbau der Handlungslehre zunächst dahin erfolgt, daß Handlung nicht mehr das voll zurechenbare Verhalten ist, sondern ein für Interessen gefährlicher Willkürakt 14 . Prägnant zeigt diesen Wechsel Mezgers (spätere) Definition des Unrechts: „Unrecht ist Widerspruch gegen das Recht als Bewertungsnorm, Veränderung eines rechtlich gebilligten bzw. Herbeiführung eines rechtlich mißbilligten Zustandes, nicht rechtlich mißbilligte Veränderung eines Zustandes. Das Verbrechen ist rechtswidrig, weil es Rechtswidrigkeit bewirkt" 1 5 . 8

Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1821, § 113; — bei Hegel findet sich freilich auch die R e d e von H a n d l u n g e n ( ! ) zur Moralität unfähiger Personen, a a O § 120. 9 HegelaO§ 100. 10 Hegel a a O § 9 9 . 1 ' D a s ist kein S p e z i f i k u m der Handlungslehre Hegels, sondern trifft die im 19. J a h r h u n d e r t g a n z übliche K o n f u n d i e r u n g von U n r e c h t und Schuld ; siehe hierzu, insbesondere zu A. Merkel und Hold v. Femeck, Mezger G S 89 S . 207 ff, 208 f f ; siehe auch unten 6/74. 12 H e g e U a O ^ 117. 13 Streitig; siehe Larenz Hegels Zurechnungslehre S. 33, 55; Jakobs S t u d i e n S . 41 f. 14 Freilich wird von v. Liszt und Radbruch gerade

nicht eine teleologisch am S t r a f z w e c k ausgerichtete Systembildung intendiert, sondern ein klassifikatorisches S y s t e m ; siehe v. Liszt S t r a f r e c h t ^ § 2 8 ; Radbruch H a n d l u n g s b e g r i f f S . 7 ff, 66 f. Radbruch hat diese Sichtweise später preisgegeb e n ; ders. Z S t W 25 S. 251 ff, 2 5 6 ; den. A R S P 17 S. 343 f f ; ders. F r a n k - F e s t g a b e Bd. I S. 158 ff. Zur Systematik Radbruchs eingehend Schmidhäuser R a d b r u c h - G e d ä c h t n i s s c h r i f t S . 268 f f ; siehe auch Arthur Kaufmann Einleitung zum N a c h druck von Radbruch Handlungsbegriff (Darmstadt 1967) S. V I I ff, X f. - Aber die Wahl des klassifikatorischen Systems und die E i n o r d n u n g der H a n d l u n g nach diesem System hat die latente Funktion der Darstellung auch einer Straftheorie. 15 G S 89 S. 207 ff, 245 f ; H e r v o r h e b u n g e n original.

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6. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

Dieser Umbau hat ein Ergebnis gebracht, das bis heute nützlich ist, seil, die Stufung der Zurechnungsvoraussetzungen. Ungeachtet der Entscheidung, welcher Teil des gestuften Zurechnungsgefiiges als Handlung bezeichnet wird, bleibt doch die Trennung von mindestens zwei Stufen: einer Zurechnung als Unrecht und einer Zurechnung als Schuld. Diese Trennung ist notwendig; denn für einen Teil der Zurechnung, eben für die Schuld, kann die Beziehung des Täters zu einem vorgehenden Teil, eben zum Unrecht, bedeutsam sein. Es geht vorweg um die Fähigkeit zur Einsicht in das Unrecht und zum Verhalten gemäß der Einsicht (§§ 17, 20, 21 StGB, § 3 J G G 1 6 ) . Mit anderen Worten, die erste Zurechnungsfrage, ob jemand durch sein Verhalten gegen eine N o r m verstößt, sich also unrecht verhält, ist von der zweiten Zurechnungsfrage zu trennen, ob der Normverstoß durch einsichtiges Verhalten zu vermeiden war. Keine N o r m kann nur für den Fall ihrer Einsehbarkeit gelten; denn sie muß als schon geltende N o r m Gegenstand der Einsicht sein 1 7 . 5

d) Wenn die Beziehung des Täters zum Unrecht nicht Voraussetzung des Unrechts sein kann, so könnte aber trotz der Notwendigkeit einer Stufung nur dasjenige Verhalten Handlung genannt werden, das nicht nur Unrecht ist, sondern auch von einem einsichtsfähigen etc. Täter vollzogen wird: Der Handlungsbegriff Hegels bliebe im Ergebnis unangetastet. Eine solche Verwendung des Handlungsbegriffs entspräche sogar einer gebräuchlichen rechtlichen Terminologie, nach der Handlung dasjenige Verhalten genannt wird, das Rechtswirkungen (hier Strafe) erzeugen kann. Diese zunächst auch in der Strafrechtswissenschaft trotz vollzogener Stufung der Zurechnungsvoraussetzungen beibehaltene Terminologie 1 8 tritt jedoch hinter der Verwend u n g des H a n d l u n g s b e g r i f f s s c h o n allein f ü r das Unrechte T u n z u r ü c k : D e r Streit u m

den Handlungsbegriff wird zum Streit um den Unrechtsbegriff. Neben dem schon erwähnten Blickwechsel vom Normbruch hin zur Interessenverletzung ist ein Grund für diese Zuweisung des Handlungsbegriffs an den Zurechnungs-„Anfang", daß die Aufgliederung der Zurechnungsvoraussetzungen in einem klassifikatorischen System den Blick vom Zusammenhang der Glieder ablenkt. — Die Konzentration auf das

16 V e r g l e i c h e d e m g e g e n ü b e r die F o r m u l i e r u n g v o n 5 51 S t G B in d e r F a s s u n g v o n 1871, n a c h der die Schuld n i c h t reflexiv z u m U n r e c h t , also nicht als Z u r e c h n u n g s s t w / e bestimmt w i r d , s o n d e r n u n g e s t u f t als „freie W i l l e n s b e s t i m m u n g " . 17

128

E i n g e h e n d Jakobs Studien S. 9 ff, 11 f mit N a c h w e i s e n ; ders. W e l z e l - F e s t s c h r i f t S. 307 ff, 317 ff. — Allerdings k a n n d e r k o n k r e t verpflichtete A d r e s s a t e n k r e i s einer N o r m d u r c h die Fähigkeiten d e r jeweiligen Individuen e i n g e s c h r ä n k t w e r d e n — d a r a u f b e r u h t die Lehre vom p e r s o n a l e n U n r e c h t ( u n t e n 6 / 8 ) —, n u r eben logisch nicht d u r c h die Fähigkeit z u r Einsicht in eben die N o r m als N o r m , die aufgestellt w e r d e n soll. Freilich läßt sich — n i c h t die K o n s t r u k t i o n , a b e r — das E r g e b n i s einer d u r c h die eigene E i n s e h b a r k e i t b e s c h r ä n k t e n N o r m erzielen, indem die konkrete N o r m n u r an d e n j e n i g e n adressiert w i r d , d e r eine — im A d r e s s a t e n k r e i s u n b e s c h r ä n k t e — hypothetische N o r m d e r in F r a g e s t e h e n d e n A r t einsehen k ö n n t e . — D a z u siehe Mezger G S 89 S. 207 ff, 208 f f ; Lampe P e r s o n a l e s U n r e c h t S. 11 f f ; Nagler B i n d i n g - F e s t s c h r i f t Bd. I S. 273 f f ; Armin

Kaufmann N o r m e n t h e o r i e S. 121 f f ; ders. W e l z e l - F e s t s c h r i f t S. 393 ff, 396 Fn. 4. — G e g e n die T r e n n u n g v o n U n r e c h t u n d S c h u l d von der Linde R e c h t f e r t i g u n g S. 137 ff. 18 U n d z w a r neben d e r H a n d l u n g als W i l l k ü r a k t beibehalten i n s b e s o n d e r e v o n v. Liszt selbst: „ W i r k ö n n e n die Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t a u c h bestimm e n als s t r a f r e c h t l i c h e Handlungsfähigkeit. D e n n H a n d l u n g s f ä h i g k e i t im juristischen Sinne ist die Fähigkeit, . . . solche H a n d l u n g e n ( v o r z u n e h m e n ) , an welche als T h a t b e s t a n d das R e c h t den Eintritt v o n R e c h t s f o l g e n k n ü p f t " ; S t r a f r e c h t 5 § 35 I. — Parallel liegt die L ö s u n g v o n E. A. Wolff, d e r neben einem sozialen H a n d l u n g s b e griff ( d a z u unten 6 / 2 3 ) einen individuellen H a n d lungsbegriff entwickelt u n d diesen d u r c h die S c h u l d h a f t i g k e i t definiert („freies, sinnbezogenes E r g r e i f e n einer dem einzelnen o f f e n s t e h e n d e n M ö g l i c h k e i t " ) ; H a n d l u n g s b e g r i f f S. 17; ders. R a d b r u c h - G e d ä c h t n i s s c h r i f t S. 291 ff, 298. — Siehe a u c h Jakobs W e l z e l - F e s t s c h r i f t S. 307 ff, 318 f.

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. AbSChfl

Unrecht wird ferner durch die Formulierung einer objektiven (also jedenfalls schuldlosen) Rechtswidrigkeit im Zivilrecht durch v. Jhering verstärkt 1 9 . 3. Der kausale Handlungsbegriff a) Jherings objektive Rechtswidrigkeit stößt zunächst im Strafrecht auf Wider- 6 spruch; Schuld und Unrecht sollen nach ganz überwiegender Ansicht untrennbar sein 20 . Die bis zur Gegenwart entscheidende Abwendung von dieser Ansicht erfolgt erst durch v. Liszt 21, Beling 2 2 und Radbruch 23 , und zwar dergestalt, daß das deliktische Tun in zwei verschiedenartige Bestandteile zu zerlegen sein soll: In den äußeren (objektiven) Kausalvorgang einerseits und den inneren (subjektiven) Willensinhalt andererseits. Handlung soll hierbei ein Kausalvorgang sein, soweit er auf menschliches Wollen gleich welchen Inhalts, auf willkürliche Körperbewegung, zurückgeführt werden kann. Willkürliche Körperbewegung wiederum wird definiert als „die durch Vorstellung bewirkte, durch die Innervation der Bewegungsnerven erfolgende Anspannung (Kontraktion) der Muskeln" 2 4 . Der Wille des Menschen wird also als Faktum genommen ohne Blick auf seinen Inhalt und schon deshalb ohne Blick auf seinen Sinn. „Für die Feststellung, daß eine ,Handlung vorliegt genügt die Gewißheit, daß der Täter willentlich thätig geworden bzw. unthätig geblieben ist. Was er gewollt hat, ist hierfür gleichgültig; der Willensinhalt ist nur von Bedeutung für die Frage der Schuld" 2 5 . Grund dieser Verkürzung des Willens ist das Bemühen um die Reinlichkeit einer Scheidung des Kausalzusammenhangs vom Schuldzusammenhang, und zwar „nicht nur bis zur Körperbewegung", also im Bereich der dem körperlichen Akt nachfolgenden Kausalität, „sondern bis zum Willen hinauf" 2 6 . Bei dieser Trennung der Deliktsaußenseite als Unrecht und der Deliktsinnenseite als Schuld wird die Außenseite zunächst drastisch als eine „sinnlich wahrnehmbare Veränderung" definiert, etwa bei der Beleidigung als „Erregung von Luftschwingungen und von physiologischen Prozessen im Nervensystem des Angegriffenen" 2 7 . Das ändert sich nachfolgend dahin, daß ein Erfolg auch in seiner sozialen Bedeutung Außenwirkung sein kann, etwa eine Beleidigung als Abwertung 2 8 . Ferner ändert sich die Gleichung: Unrecht zu Schuld ist gleich Außen zu Innen, und zwar durch die Herausarbeitung subjektiver Unrechtselemente 2 8 1 (unten 8/93). Es kommt noch die Erkenntnis hinzu, daß das beim Versuch allein vorhandene objektive Bruchstück ohne Berücksichtigung des Vorsatzes nur schwer als ein Unrecht spezifiziert werden k a n n 2 8 · 3 . Wenn aber der Vorsatz zum Unrecht des Versuchs gehört, kann er bei der Vollendung nicht 19 Das Schuldmoment im Römischen Privatrecht (Birnbaum-Festschrift), 1867, S. 4 ff; dazu H. A. Fischer Rechtswidrigkeit S. 120 ff; Mezger GS 89 S. 207 ff, 211 ff; Welzel]uS 1966 S. 421 ff; Baratta in: Jherings Erbe S. 17 ff, 18 ff; Achenbach Grundlagen S. 23 ff. — Das nicht schuldhafte Unrecht ist als „unbefangenes Unrecht" schon von Hegel entwickelt worden (aaO S 83, § 84 f f ; dazu v. Jhering a a O S. 5 Fn. 1), aber für dessen Handlungsbegriff ohne Folgen geblieben. 20 So kurz vor Jherings Schrift dezidiert A. Merkel Kriminalistische Abhandlungen Bd. I S. 42 f f ; ferner Binding Normen Bd. Π S. 153 f (anders schon Bd. 12 S. 245); Kohlrausch Irrtum und Schuldbegriff S. 23 ff und passim; Hold v. Ferneck Rechtswidrigkeit Bd. I S. 276 ff, 370 ff; zu Dohna Rechtswidrigkeit als allgemeingültiges M e r k m a l s . 55 ff.

21 Strafrecht2 § 28. 22 Grundzüge des Strafrechts 2 S. 38. 23 Handlungsbegriff S. 68 ff, 129 f. 24 v. Liszt a a O I I . 25 Beling a a O S. 38, Hervorhebungen original; Radbruch a a O S. 130 f. 26 Radbruch a a O S. 131. 27 v. Liszt Strafrecht 2 5 28. 28 Frank-Festgabe Bd. I S . 158 ff, 161. 28a Kritisch ¿/>o/¿Rechtslehre S. 292 ff. 28b Lippold Rechtslehre S. 262 skizziert zwei — praktisch aber kaum befriedigende — Konzepte einer rein objektiven Versuchsbestimmung (objektive Gefährlichkeit des Versuchs und Versuchsschuld ohne Versuchsunrecht), gegen die das im Text genannte Versuchsargument nicht vorgebracht werden kann.

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6. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

nur ein Schuldmoment sein, zumal die Abgrenzung von Versuch und Vollendung teils ohne materiale Bedeutung ist (dazu unten 25/1). Schließlich ist auch das Verständnis der Schuld als etwas Inneres nicht nur insoweit verfehlt, als das Innere als eine psychische Beziehung zu einem äußeren Erfolg verstanden wird (eine solche Beziehung zu einem tatbestandlich relevanten Erfolg fehlt bei der Fahrlässigkeit überhaupt, unten 9/3, 5), sondern die Bezeichnung als etwas Inneres ist auch verkürzend; denn es geht — abgesehen von der Zugehörigkeit des Unrechts zum Schuldtatbestand (unten 17/44, 47) — bei der Schuld nicht allein um eine psychische Lage, sondern auch um deren Bewertung (normativer Schuldbegriff 2 9 , unten 17/7, 46 und passim). Die klassifizierende und systembildende Bedeutung des kausalen Handlungsbegriffs ist also aus mehreren Gründen zerbrochen 3 0 . 7

b) Daß eine Handlung ein Willkürakt ohne Blick auf den Inhalt der Willkür sei, wird allerdings bis in die Gegenwart vertreten 31 . Aber nachdem das Unrecht nicht mehr als äußere Seite des Delikts verstanden werden kann, kann dieser Handlungsbegriff nicht mehr das Unrecht bündeln; er scheidet nur Reflexbewegungen, Krampfakte, Körperbewegungen im Schlaf und in Bewußtlosigkeit sowie mit absoluter (unwiderstehlicher) Gewalt erzwungene Bewegungen aus dem Zurechnungszusammenhang aus 3 2 , leistet aber sonst nichts; ja selbst die Ausscheidung bringt nichts, soweit die Körperbewegung, die nicht Willkürakt ist, unter Bedingungen vorgenommen wird, die ihrerseits durch Willkürakte zustandegekommen sind. Beispielhaft: Das finale Erschlagen eines Menschen mit einem Hammer ist nach dieser Lehre Tötungshandlung, wie es die arglose Produktion des Hammers oder die Zeugung von Täter wie Opfer (!) sind; Willkürakte liegen allemal vor. Zwar ist ein Krampfanfall im Porzellanladen nicht Handlung, wohl aber das Hineingehen in den Laden etc. Gerade diese Unverbindlichkeitdes kausalen Handlungsbegriffs dürfte Grund seiner Verbreitung sein: E r p r ä j u d i ziert nahezu nichts. 4. Der finale Handlungsbegriff

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9

a) Es ist das Verdienst der finalen Handlungslehre, im Handlungsbegriff und damit im Unrecht die Trennung von objektiver und subjektiver Deliktseite überwunden zu haben: Das Unrecht wird vom naturalistischen Unrecht zum sogenannten personalen Unrecht. Es geht hierbei darum, die Überlegung dogmatisch umzusetzen, daß ein Willkürakt ohne Blick auf seinen Inhalt ein Kausalfaktor wie jeder andere auch ist und deshalb zur Bestimmung dessen, was eine Normwidrigkeit ist, nichts beiträgt. Es ist sinnlos, Normen an Kausalfaktoren zu adressieren, und auch sinnlos, sie an Menschen zu adressieren, soweit diese ohne Fähigkeit zur Beeinflussung des Kausalverlaufs nur Glieder im natürlichen Kausalnexus sind. Die N o r m kann sich also allein auf vermeidbare Verläufe beziehen: Handlung ist das für den Verursacher vermeidbare Bewirken eines Erfolgs. b aa) Die Entwicklung der finalen Handlungslehre ist ein Werk Welzeh 29 Zur Dogmengeschichte eingehend Achenbach Grundlagen S. 97 ff. 30 Siehe v. Bubnoff Entwicklung S. 135 ; beachtliche Gegeneinwendungen aber bei Lippold Rechtslehre S. 233 ff, 292 ff und passim. 31 Baumann-Weber KV % 16 II; LK^ -Heimann- Trosien Einleitung Rdn. 31; Dreher-Tröndle Rdn. 3 vor § 13 ; — aus der Zwischenzeit ist insbesondere zu nennen Mezger Strafrecht § 14; zur österreichischen Schule siehe Moos in: Strafrechtliche

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33

. Er stellt

Probleme S. 5 ff. — Zur Diskussion zwischen Spanien und Deutschland siehe Gimbemat Ordeig Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 159 ff, 163 ff. 32 v. Liszt Strafrecht2 § 2 8 ; Mezger Strafrecht § 14 I; Baumann- Weber KV % 16 I 2. 33 Die erste — freilich unausgebildete — Lehre, wo nach der Vorsatz als subjektiver Tatbestand zum Unrecht gehört, findet sich bei v. Weber G r u n d riß des tschechoslowakischen Strafrechts § 9 ; w.

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. AbSCtW

in Anlehnung an denkpsychologische Überlegungen 3 4 neben die Determinationsform der Kausalität diejenige der „Intentionalität". Damit ist gemeint, daß ein Mensch die Folgen seiner Körperbewegungen gedanklich antizipieren, die kausalen Prozesse zur Erreichung eines intendierten Ziels auswählen und die zum Ablauf der Prozesse notwendigen Bedingungen „setzen" k a n n 3 5 . Intentionalität soll freilich auch vorliegen, wenn nicht Bedingungen eines kausalen Prozesses gesetzt werden, sondern wenn des Ziels wegen Kausalfaktoren nicht eingesetzt werden, nämlich bei Unterlassungsdelikten. Auch soll nicht nur das aktuell Intendierte (also nur das Vorsätzliche oder gar nur das Absichtliche) zurechenbar sein; vielmehr soll hinreichen, daß jemand die intentionale Steuerung hätte übernehmen können (bei Fahrlässigkeit). Das Ergebnis umgreift vorsätzliches und fahrlässiges Handeln wie Unterlassen: „Als eigene T a t oder H a n d lung einem Subjekt zugehörig und in diesem Sinne objektiv zurechenbar ist jeder tatbestandlich festgelegte Erfolg, der vom Täter sinnhaft gesetzt oder dessen Abwendung vorhersehbar und sinnhaft setzbar war" 3 6 . bb) Der Handlungsbegriff, der also zunächst das Intendierte und das Intendierbare 1 0 umfaßt, und zwar durch T u n wie durch Unterlassen, schrumpft nachfolgend auf den Bereich des Prototyps intentionalen Verhaltens, auf das finale T u n 3 7 . Da die H a n d l u n g ohne planvolle Steuerung nur ein „blinder Kausalprozeß" sein könne, wird der „zielbewußte, das kausale Geschehen lenkende Wille" zum „Rückgrat der finalen Handlung". „Menschliche Handlung ist Ausübung der Zwecktätigkeit. Handlung ist darum f i n a les', nicht lediglich ,kausales Geschehen. Die ,Finalität' oder Zweckhaftigkeit der Handlung beruht darauf, daß der Mensch auf G r u n d seines Kausalwissens die möglichen Folgen seines Tätigwerdens in bestimmtem U m f a n g voraussehen, sich darum verschiedenartige Ziele setzen und sein Tätigwerden auf diese Zielerreichung hin planvoll lenken kann. Auf Grund seines kausalen Vorauswissens vermag er die einzelnen Akte seiner Tätigkeit so zu steuern, daß er das äußere Kausalgeschehen auf ein Ziel hinlenkt und es so final überdeterminiert. Finale Tätigkeit ist ein bewußt vom Ziel her gelenktes Wirken, während das reine Kausalgeschehen nicht vom Ziel her gesteuert, sondern die zufällige Resultante der jeweils vorliegenden Ursachenkomponenten ist. Finalität ist darum — bildlich gesprochen — ,sehend', Kausalität,blind'" 3 8 . Die finale Steuerung soll sich nach dieser Lehre in zwei Phasen vollziehen, und zwar (1) in der Phase der Vorwegnahme des Ziels sowie der Auswahl der zur Erreichung des Ziels erforderlichen Mittel unter Berücksichtigung der Nebenfolgen und (2) in der Phase der Verwirklichung „in der Realwelt", was die H a n d l u n g (auch) zum Kausalprozeß, aber zum „überdeterminierten" Kausalprozeß macht 3 9 . Beispiel 40 : Der Täter eines

Weber hat nachfolgend nie die finale Handlung als strafrechtlich allein relevante Handlungsgestalt anerkannt; siehe ders. Zum Aufbau des Strafrechtssystems S. 11 ff; ders. G r u n d r i ß 2 § 8; ders. Engisch-Festschrift S. 328 ff. — Außer den nachfolgend genannten Schriften Welzeis sind für die Entwicklung der finalen Handlungslehre vorweg anzuführen: Busch Moderne Wandlungen S. 7 ff; Niese Finalität S. 12, 15 ff und passim; Maurach A T I § 16 I A 1 und 2; Armin Kaufmann N o r mentheorie S. 282 ff und passim; Stratenwerth SchwZStr. 81 (1965) S. 179 ff, 197 f f ; ders. A T Rdn. 144 ff; Gössel Wertungsprobleme S. 91 ff; — weitere Nachweise zur Situation in den 30er Jahren bei Welzel ZStW 58 S. 491 ff, 498 ff; zu Einzelfragen siehe den nachfolgenden Text.

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Zur Geschichte der finalen Handlungslehre siehe Welze! Das neue Bild 4 V o r w o r t S. I X ; ders. JuS 1966 S. 421 ff, 423 f f ; Tjong A R S P 54 (1968) S. 411 ff, 415 ff. Strafrecht und Philosophie (1930), jetzt in: Abhandlungen S. 1 ff, 4; ders. ZStW 51 S. 703 ff, 709 ff. Welzel ZStW 51 S. 703 ff, 720; siehe auch ders. Naturalismus S. 81 ff. Welzel ZStW 58 S. 491 ff, 505 f f ; ders. U m die finale Handlungslehre S. 9 f f ; ders. Das neue Bild § 1 ; ders. Grünhut-Erinnerungsgabe S. 173 ff; ders. N J W 1968 S. 425 ff; ders. Strafrecht § 8. Welzel Strafrecht § 8 I vor 1. Strafrecht § 8 I l a und b. N a c h B G H 7 S. 363 ff.

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6. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

Raubs (Ziel: Zueignung) plant zunächst eine Gewaltanwendung (Zwischenziel) durch Drosseln mit einem Riemen (Tatmittel), verwirft dieses Mittel aber wegen des hohen Todesrisikos (Nebenfolge) und plant sodann Schläge mit einem Sandsack (neues Mittel; Abschluß der ersten Phase). Als diese in die T a t umgesetzte Planung nicht wirkt (das Zwischenziel wird verfehlt; Fehlschlag in der Verwirklichungsphase), greift der Täter auf den vorangehenden, riskanten Tatplan zurück (auf das „alte" Mittel zum Zwischenziel; Rückkehr in die erste Phase); das Opfer erstickt (die Nebenfolge tritt ein; Verwirklichung in der Realwelt). — Es soll sich in diesem Beispielsfall nicht nur um eine finale Raubhandlung, sondern auch um eine finale Tötungshandlung handeln«. 11

cc) V o r der erforderlichen Kritik und Weiterführung des finalen Handlungsbegriffs sei der mit dieser Lehre erreichte Stand markiert: Die Handlung ist nicht — wie beim kausalen Handlungsbegriff — nur Bindeglied zwischen einem Täter und einem die Rechtswidrigkeit begründenden Erfolg, sondern ist selbst „Sinnausdruck" 4 2 und trägt als verbotene H a n d l u n g selbst das Rechtswidrigkeitsurteil, ist also Unrecht. Daß beim Vorsatzdelikt der Vorsatz als subjektiver Tatbestand Unrechtsvoraussetzung ist, ist heute — in dieser Beschränkung — überwiegende Ansicht und das Minimum einer sogenannten personalen Unrechtslehre. Allerdings darf hierbei unter „Sinnausdruck" nicht die individuelle Stellungnahme zur Norm verstanden werden; denn die Finalität besteht unabhängig von einer normativen Regelung des final gestalteten Gegenstandsbereichs. Im Bereich der Verstöße gegen rechtliche Regelungen ist die finale Handlung Eigenschaft des Unrechten Verhaltens, mag es schuldhaft sein oder nicht. Es geht also um den „Sinnausdruck" als Stellungnahme zur Gestalt des Gegenstandsbereichs der N o r m e n , nicht zur Gestalt der N o r m e n selbst. Beispiel : Der Arzt, der einem schwer leidenden Patienten auf dessen Bitte hin eine tödliche Injektion verabreicht, äußert mit seiner Handlung nicht jedenfalls eine Mißachtung der N o r m gegen T ö t u n g als allgemeiner N o r m ; denn er mag sein Verhalten unvermeidbar für rechtmäßig halten; — er äußert aber, daß in der ihm bekannten Situation die Tötungshandlung sein soll und verstößt deshalb gegen die — in dieser Situation Tötung verbietende — Norm. Er äußert dies auch, wenn er als Geisteskranker nach § 20 StGB nicht schuldhaft handeln sollte, nur dann als eben nicht voll zurechenbaren „Sinnausdruck" 4 3 . 41 42 43

Siehe W e / z e / S t r a f r e c h t § 8 I 1 b. W e / z e / Z S t W 58 S. 491 ff, 503. D e m Ergebnis d ü r f t e n n e u e r e s p r a c h p h i l o s o p h i sche E n t w ü r f e n a h e s t e h e n . Hruschka interpretiert die H a n d l u n g als — v o n den jeweils a n d e r e n S u b jekten — a n z u n e h m e n d e R e g e l a n w e n d u n g d u r c h ein S u b j e k t ( S t r u k t u r e n S. 13 u n d passim), Kindhäuser als e n t s c h e i d b a r e s T u n , d u r c h d a s d e r H a n d e l n d e in d e r Lage ist, ein Ereignis h e r b e i z u f ü h r e n (Intentionale H a n d l u n g S. 175, 202 u n d p a s s i m ; siehe a u c h ders. R e c h t s t h e o r i e 1980 S. 479 f f ; ders. G A 1982 S. 477 ff, 487 f f ) . Die l e t z t g e n a n n t e V e r s i o n ist v o n d e r Perspektive des S u b j e k t s entwickelt, die e r s t g e n a n n t e v o n d e r Perspektive d e r M i t - S u b j e k t e (Hruschka aaO S. 16 f, 21 f u n d p a s s i m ; — Kindhäusers Argumente gegen Hruschka sind die stereotypen A r g u mente der finalen Handlungslehre! AaO S. 200 ff). J e d e n f a l l s g e h t es n a c h diesen L e h r e n bei d e r Feststellung einer H a n d l u n g nicht u m die W a h r n e h m u n g eines F a k t u m s , s o n d e r n (bei Hruschka) u m eine Deutung ( a a O S. 13); (bei

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Kindhäuser:) „ H a n d e l n i s t . . . die I n t e r p r e t a t i o n einer intentionalen Selbstverwirklichung" ( a a O S. 207). Kindhäuser will freilich neuerdings die S t r a f t a t nicht m e h r als H a n d l u n g verstehen, s o n d e r n als „ E r g e b n i s einer gestuften Z u s c h r e i b u n g v o n V e r a n t w o r t u n g , die den V o r w u r f z u m G e g e n s t a n d hat, nicht u m d e r N o r m b e f o l g u n g willen die V e r m e i d u n g d e r T a t b e s t a n d s v e r w i r k l i c h u n g intendiert zu h a b e n " ( G e f ä h r d u n g S. 25). — Z u r Fahrlässigkeit siehe Kindhäuser Intentionale H a n d l u n g S. 210 u n d Z S t W 96 S. 1 ff, 15 Fn. 56, sowie i n s b e s o n d e r e G e f ä h r d u n g S. 62 ff, 91 ff, 102 ff, 120 f f : „Fahrlässig ist . . . eine . . . T a t b e s t a n d s v e r w i r k l i c h u n g , die d e r T ä t e r hätte vermeiden o d e r v e r h i n d e r n k ö n n e n , w e n n er hierzu n i c h t a u f g r u n d einer Obliegenheitsverletzung . . . z u m T a t z e i t p u n k t u n f ä h i g gewesen w ä r e " ( G e f ä h r d u n g S. 351). F ü r Kindhäuser ist also die fahrlässige E r f o l g s h e r b e i f ü h r u n g selbst keine H a n d l u n g ( G e f ä h r d u n g S. 129). Fahrlässigkeit wird vielmehr zu einer A r t actio libera in causa ( a a O ) . A b e r es geht beim fahrlässigen Begehungs-

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. AbSChíl

c) Gegen die Konzeption Welzels sind zahlreiche Einwände formuliert worden, die 1 2 teils zu einer Weiterbildung nötigen 4 4 . aa) So wird — nicht nur unter der Suggestivkraft des Worts „final" — vorgebracht, die Lehre passe überhaupt nur auf Absichtstaten 4 5 , — ein Einwand, den Welzeldurch die Betonung der Zwecktätigkeit provoziert hatte; denn bei bloßen Nebenfolgen kann von deren zweckhafter Herbeiführung nicht die Rede sein. Allerdings findet sich auch eine finale Handlung, wenn die Zwecktätigkeit nicht bis hin auf die Folgen erstreckt wird; denn der HandlungsVollzug ist, solange ein bewußter "Willkürakt vorliegt, immer bezweckt, mögen die Folgen bezweckt sein oder nicht. Wenn die Folgen nicht bezweckt, aber dem T ä t e r bekannt sind, ist der finale Handlungsvollzug auch für diese Nebenfolgen ein „Sinnausdruck", und zwar des Inhalts, daß ihre Vermeidung hinter dem Interesse am Handlungsvollzug zurückzutreten hat. Freilich verlagert sich der Akzent der rechtlichen Relevanz der Handlung in diesem Fall vom Bezweckten hin zum I n - d e n - K a u f - G e n o m m e n e n : Das Bezweckte interessiert nicht seines Inhalts wegen, sondern weil der Täter, so wie er das Bezweckte vollzieht, es auch bleiben lassen und damit die Nebenfolgen vermeiden könnte. Mit anderen Worten, das Finale interessiert nur als Moment, das die Vermeidbarkeit von erkannten Nebenfolgen indiziert. bb) In der Umkehrung wird eingewandt, die Scheidung zwischen sehender Uberde- 1 3 termination und blinder Kausalität sei nicht diejenige zwischen V o r s a t z und NichtVorsatz, sondern sei die Scheidung zwischen V o r s a t z plus bewußter Fahrlässigkeit und Nicht-Bewußtem 4 6 . Dieser Einwand läuft bei der hiesigen Abgrenzung von V o r s a t z und Fahrlässigkeit leer, da nach dieser Lösung kein Raum für die bewußte Fahrlässigkeit bleibt (siehe unten 9/3). Soweit aber die bewußte Fahrlässigkeit als Form der Fahrlässigkeit anerkannt wird, lautet das Problem nicht, wie sie aus der Handlung auszuklammern, sondern wie die ««bewußte Fahrlässigkeit als Handlung zu begründen ist. cc) Daß es ein Verhalten aus „interessenlose(r) ungerichtete(r) Freude" gibt, steht 1 4 seiner Beurteilung als Zwecktätigkeit nicht entgegen 4 7 . Es kommt nicht auf die Nützlichkeit eines Verhaltens an und auch nicht darauf, ob jenseits des Verhaltensvollzugs weitere Ziele verfolgt werden. S o ist z. B. ein Spazierengehen, das nichts bezweckt als das Gehen, immer noch ein finales Tun (zu den Automatismen unten 6/35 ff). dd) Deutlicher noch als bei den vom Vorsatz umfaßten Nebenfolgen einer finalen 1 5 Handlung wird die auf Handlungsfolgen bezogene Finalität als Zweckhaftigkeit bei den fahrlässigen Handlungen unerheblich. Das Verhältnis von (unbewußter) Fahrlässigkeit und finaler Handlung ist seit je ein Problemfall für die finale Handlungslehre. n e r T r e n n u n g von V o r s a t z und U n r e c h t s b e w u ß t sein), so werden diese Behauptungen hier nicht ü b e r n o m m e n . N a c h der hier entwickelten Systematik ist die F u n k t i o n von Z u r e c h n u n g der leitende G e s i c h t s p u n k t der Systembildung, nicht der H a n d l u n g s b e g r i f f . — E i n w ä n d e gegen die systematische E r t r a g s k r a f t des finalen H a n d l u n g s b e griffs werden deshalb nicht zum H a n d l u n g s b e griff, sondern jeweils bei der entsprechenden Z u r e c h n u n g s v o r a u s s e t z u n g behandelt.

delikt nicht um die V e r l e t z u n g einer Pflicht, erst nach sorgfältiger K o n t r o l l e ( c a u s a libera) zu handeln ( a c t i o ) , sondern nicht o h n e K o n t r o l l e zu handeln (siehe dazu das Beispiel bei Kindhäuser, Gefährdung S. 77). — Neuere Entwürfe rücken vom individuellen Sinn n ä h e r an den k o m m u n i kativen S i n n ; siehe v. Wright und Meggle R e c h t s therorie 20 ( 1 9 8 9 ) S . 3 ff. 44

Es geht um die H a n d l u n g als V o r a u s s e t z u n g des U n r e c h t s . S o w e i t vom finalen H a n d l u n g s b e g r i f f her systematische K o n s e q u e n z e n behauptet w e r den, die über die Bildung eines O b e r b e g r i f f s des Unrechten V e r h a l t e n s hinausgehen (etwa zum E r fordernis einer vorsätzlichen H a u p t t a t bei der T e i l n a h m e ; z u r N o t w e n d i g k e i t finaler T a t h e r r schaft bei der T ä t e r s c h a f t ; z u r N o t w e n d i g k e i t ei-

45

Hardwig Zurechnung Z S t W 6 6 S . 27 ff, 3 6 f.

S . 81 ;

Schmidhäuser

Engisch K o h l r a u s c h - F e s t s c h r i f t S . 141 ff, 155 f ; Gallas Z S t W 67 S . 1 ff, 4 3 . 47

Anders aber S. 13 ff, 15.

Hall

Fahrlässigkeit

im

Vorsatz

133

6. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

Nach mannigfaltigen Wandlungen 4 8 hat sich insbesondere unter dem Einfluß von Niese 4 9 bei den Anhängern der finalen Handlungslehre folgende Konzeption durchgesetzt: Auch die fahrlässige Handlung soll final sein, aber nicht final zur fahrlässig herbeigeführten Folge, sondern außertatbestandlich final 5 0 . Hierbei ist an Fälle gedacht, in denen der fahrlässig Handelnde mit seiner H a n d l u n g bestimmte Erfolge bezweckt, nur eben nicht den fahrlässig herbeigeführten Erfolg. Die Fahrlässigkeit soll zu der finalen H a n d l u n g als Eigenschaft hinzukommen, seil, als Art und Weise der Steuerung und Lenkung, die der „im Verkehr erforderlichen Sorgfalt" widerspricht 5 1 . Die Lösung kann in dieser Gestalt nicht befriedigen; denn bei ihr ist der Inhalt des Gewollten mit dem Tatbestand unverbunden, eben außertatbestandlich. Insoweit handelt es sich also um den Willkürakt der kausalen Handlungslehre mit einer überflüssigen Benennung des Inhalts der aber gerade im Inhalt rechtlich irrelevanten Willkür 5 2 . Beispiel: Wenn bei identischer Gestalt des Handlungsvollzugs ein Stein, der durch die Wucht des Falls einen Menschen voraussehbar tötet, von einem Weg bergab gestoßen wird, so ist das nach dieser Lehre eine fahrlässige Tötungshandlung, gleich ob der Täter auf ein anderes Objekt zielte oder nur sehen wollte, wie weit der Stein rollt oder nur den Weg räumen wollte oder erproben wollte, ob er es leistet, ihn vom Weg fortzubewegen etc. Die final angestrebten Handlungs/o/gen interessieren nicht; relevant ist allein der — auch finale — HandlungsîW/zMg. Und in dieser Beschränkung auf den Handlungsvollzug behält der finale Handlungsbegriff seine Berechtigung; denn er bezeichnet bei Körperbewegungen, die willkürlich vollzogen werden, das verbotene Verhalten in einer konkreten Gestalt. Freilich ist das Finale am finalen Handlungsvollzug mit den voraussehbaren Folgen eines Fahrlässigkeitstatbestands nicht wegen der Finalität das Unrechte, sondern wegen der finalen Vermeidbarkeit. Die Finalität ist also hier nur Erscheinungsform der relevanten Gattung „Vermeidbarkeit". 16

ee) N o c h gewichtiger sind die Einwände bei den automatisierten Reaktionen (eingehender unten 6/35 ff), d. h. bei Reaktionen, die so eingeschliffen sind, daß sie auf einen auslösenden Reiz hin ohne Beteiligung des wachen Bewußtseins und also ohne bewußten Willen ablaufen. Diesen Reaktionen, die insbesondere im Bereich des Straßenverkehrs strafrechtlich bedeutsam werden, fehlt die bewußte Finalität und damit die „sehende" Uberdetermination. Trotzdem fehlt nicht jede Finalität, vielmehr ist eine vorgeformte, aktuell freilich unbewußt ablaufende Finalität vorhanden. Diese unbewußte Finalität interessiert — wie die bewußte — nicht per se, sondern nur soweit sie motivatorisch überformt werden kann. Daran fehlt es etwa, wenn der Automatismus so schnell abläuft, daß f ü r Korrekturen keine Zeit bleibt. Die motivatorische Überformung wiederum hängt nicht zwingend von der Finalität des Automatismus ab : Sollte es unkoordinierte Handlungsvollzüge geben, die motivatorisch überformbar sind, spräche nichts gegen ihre Einbeziehung in den Handlungsbegriff. Selbst auf unbewußte Finalität kann also im Grenzfall verzichtet werden: Es geht nicht um finale Erfolgsbewirkungen oder auch nur um finale Handlungsvollzüge, sondern um die Bedingungen 48 Siehe Jakobs Studien S. 70 ff mit Nachweisen; We/ze/Strafrecht § 18 Einleitung 4. 49 Finalität S. 53,62 f. 50 Dabei ist nur das Fehlen einer Finalität zum Erfolg des Tatbestands des fahrlässigen Delikts gemeint; natürlich kann sich die Finalität ihrerseits auf den Erfolg eines Vorsatztatbestands richten. Beispiel: W e r beim finalen Schießen mit einem Gewehr auf ein Ziel versehentlich einen Passanten trifft, handelt bezüglich dessen Verletzung

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unfinal, mag das finale Schießen auf das ausersehene Ziel tatbestandsmäßig oder nicht tatbestandsmäßig sein. — Siehe auch unten 9/10 zu b. 51 Welze! Strafrecht § 18 Einleitung 4; eingehend zur Fahrlässigkeit unten 9/1 ff. 52 So die Kritik von Arthur Kaufmann H . MayerFestschrift S. 79 ff, 95; ders. JuS 1967 S. 145 ff, 147; Struensee]Z 1987 S. 53 ff, 55 f; Jescheck A T § 2 3 III 2 b ; H. Mayer Studienbuch § 9 II; BleiKÎ § 20.

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

β. A b S C h n

der Vermeidbarkeit des Verhaltens. Freilich konkretisieren sich diese Bedingungen weit überwiegend, jedoch nicht notwendig in (zumindest äußerlich) finalen Handlungsvollzügen. ff) Zusammenfassung der Kritik 5 3 : Finalität als bewußte und zweckhafte Lenkung 17 von Folgen des Handlungsvollzugs erstreckt sich nicht auf vorsätzlich verwirklichte Nebenfolgen und erst recht nicht auf fahrlässig verwirklichte Folgen. Aber auch die Erweiterung des Begriffs der Finalität auf eine bewußte Lenkung des Vollzugs einer Handlung bringt noch keinen geeigneten Generalnenner, da Automatismen nicht notwendig bewußt ablaufen. Im Ergebnis ist die Finalität eine verkürzende (!) Metapher für die Bedingungen vermeidbaren Verhaltens, mehr nicht 5 4 . 5. Die Handlung als äußere Finalität? a) Nicht nur bei Automatismen, sondern auch in Grenzfällen von Affekttaten (unten 1 8 8/13; 18/17) und Taten stark berauschter Personen (unten 6/41) fehlt ein Bewußtsein, mit körperlichen Aktionen irgendeinen Zweck zu verfolgen, also eine Finalität im Sinn der finalen Handlungslehre. Es ist deshalb vorgeschlagen worden, bei der Bestimmung des Handlungsbegriffs auf das Bewußtsein des Agierenden von der Zweckhaftigkeit seiner Aktion zu verzichten (was auch bei der hier vertretenen Lösung für erforderlich gehalten wird), nicht aber auf die Finalität, diese vielmehr als äußere Finalität von begleitenden subjektiven Erlebnissen zu lösen. Handlung ist dann, was in noch erkennbarer „regulativer Anpassung" oder „adaptiver Veränderlichkeit" der Körperreaktionen unter „Beibehaltung eines gleichbleibenden Ziels" vollzogen wird 5 5 . Die aktuell vorliegende äußere Finalität mag hierbei mehr oder weniger deutlich sein; das zur Bejahung einer Handlung hinreichende Quantum soll in „wertender Entscheidung" bestimmt werden 5 6 . „Von den eigentlichen Willenshandlungen mit klar erlebter subjektiver Beteiligung am Bewegungsakt über die Gewöhnungen bis zu den einfachen Reflexen wie dem Patellarsehnenreflex lassen sich . . . nicht nur insofern gleitende Ubergänge aufweisen, als die subjektive Beteiligung des Handelnden am Bewegungsakt immer mehr zurücktritt, so daß die niederen Motilitätsvorgänge schließlich ohne das mindeste Bewußtseinskorrelat ablaufen ( . . . ) ; auch für den Betrachter tritt die regulative Anpassung an künftig erwartete Ereignisse und erstrebte Ziele, die Finalität also, immer mehr in den Hintergrund, und bei den niederen Reflexen wie bei dem Patellarsehnenreflex entsteht endlich der Eindruck einer nur noch mechanischen Verursachung der Bewegung durch den Schlag auf die Sehne. Aber die regulative Anpassung verschwindet keineswegs" 57 . 53 Zum Streit um die finale Handlungslehre siehe zudem folgende Kontroversen: Engisch Kohlrausch-Festschrift S. 141 f f ; dazu Welzel Lehrb u c h s S. 24 f; — Bockelmann Über das Verhältnis etc. S. 20 ff; dazu WelzelUm die finale H a n d lungslehre passim; — Mezger Moderne Wege passim; dazu Niese Finalität passim; — Rittler JurBl. 1955 S. 613 f; dazu WelzelJZ 1956 S. 316; - Nowakowski JZ 1958 S. 335 ff, 388 ff; dazu aber ders. JurBl. 1972 S. 19 ff ; - Roxin ZStW 74 S. 515 ff; dazu WelzelVom Bleibenden und Vergänglichen passim, = Grünhut-Erinnerungsgabe S. 173 ff; — weitere Nachweise bei WelzelStrafrecht § 8 III 2 a. E. — Kritisch zum gegenwärtigen Stand Schmidhäuser]Z 1986 S. 109 ff. 54 Welzels späte Erklärung des finalen Handlungs-

begriffs als „biokybernetische Betrachtungsweise" (Strafrecht § 8 I l b a. E.; a a O § 18 vor I a. E.; ders. Maurach-Festschrift S. 3 ff, 8) deutet die Wendung zu den Bedingungen der Verhaltenssteuerung an; freilich geht die hier vorgenommene Verlagerung des Akzents von dem aktuell Gesteuerten auf das Vermeidbare über Welzels Umdeutung hinaus; siehe auch Stratenwerth Welzel-Festschrift S. 289 ff, 299 f ; - zum gegenwärtigen Stand siehe Hirsch ZStW 93 S. 831 ff, 94 S. 329 ff. 55 Schewe Reflexbewegung S. 57 ff, 109 mit Fn. 169. 56 Schewe a a O S. 67,70,146. 57 Schewe a a O S. 67; ders. in: Handlungsanalyse S. 1 ff, 7.

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6. A b S C h n

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2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

b) Dieser Lösungsentwurf 58 wiederholt den Fehler der finalen Handlungslehre: Er macht den Begriff der Handlung allein an den Eigenschaften des vollzogenen Akts fest und vernachlässigt die Frage nach den Alternativen, die der Akteur hat. Im Ergebnis ist die Lösung teils zu eng und teils zu weit. Zu eng ist sie, da die äußere Finalität Mindestbedingung für eine Handlung sein soll; — aber nicht das Geformte des Akts entscheidet, sondern seine Vermeidbarkeit. Zu weit ist die Lösung insoweit, als sie auch solche äußerlich finalen Körperreaktionen noch zur Handlung zählt, die nicht vermieden werden können; — damit verliert der Handlungsbegriff seine begrenzende Funktion. Schließlich vermischt die Lösung die Unterscheidung von Begehung und Unterlassung: Der motivatorisch aufhebbare Automatismus und die kurzgeschlossene Reflexbewegung, die nur durch Gegenaktivität (Verkrampfung eines Muskels etc.) vermeidbar ist, werden beide per äußere Finalität zur Handlung.

B. Die Handlung als individuell vermeidbare Erfolgsverursachung 1. Die Trennung von Handlungssteuerung und Antriebssteuerung 20 Es geht bei der Bestimmung des Handlungsbegriffs nicht nur darum, einem Subjekt seine Aktion zuzurechnen, sondern mit der Festlegung des Handlungsbegriffs wird zugleich bestimmt, was ein Subjekt und was seine Aktion ist. Allerdings bestimmt das geltende Strafrecht, daß ein handelndes Subjekt nur ein Mensch und nicht etwa eine juristische Person sein kann (siehe unten 6/43 ff). Die für strafrechtliches Unrecht relevante psychophysische Konstitution des Menschen ist jedoch nicht von vornherein festgelegt. Schon die Differenz der bislang zum Unrecht behandelten Handlungsbegriffe ist auch eine Differenz der handelnden Subjekte: Das überhaupt willkürlich agierende Subjekt des kausalen Handlungsbegriffs ist weniger spezifiziert als das gesteuert agierende Subjekt des finalen Handlungsbegriffs. 21

Nach dem kausalen wie nach dem finalen Handlungsbegriff soll es auf Willensakte ankommen. Damit ist entschieden, daß es auf die Entstehung des Willens nicht ankommen soll; die Steuerung des Willens (die Antriebssteuerung im Gegensatz zur Handlungssteuerung als der Verwirklichung des Willens) hat auf das Vorliegen einer Handlung keinen Einfluß 5 9 . Diese Entscheidung ist auch eine Entscheidung über das Subjekt, dem zugerechnet wird: Es kann sich im Unrechtsbereich von der Entstehung seines Willens nicht distanzieren, indem es etwa darauf hinweist, daß sein Wille zur Aktion in einer ihm selbst ungeheueren Art und Stärke entstanden sei und es ihm nicht gelungen sei, die Entstehung des Willens zu unterdrücken ; auch wenn das plausibel sein sollte, bleibt doch die gewollte Aktion Unrechtes Handeln. Beispiel: Wenn angesichts eines begehrten fremden Gegenstands „Gegenstrebungen . . . von dem Besitztrieb einfach überrannt werden" und die Wegnahme der Sache aus dem „reine(n) Kräftespiel der Triebe" resultiert 60 , ändert das an der Handlungsqualität der Wegnahme nichts. Es wird also bei der Bestimmung des Zurechnungssubjekts ein psychophysisches Gefüge zu einem System erklärt, bei dem im Unrechtsbereich nur der Output in Form von Willkürakten (kausaler Handlungsbegriff) oder gesteuerten Akten (finaler Handlungsbegriff) interessiert, die Antriebssteuerung ist im Unrechtsbereich eigene (innere) Sache des Systems, d. h. des Zurechnungssubjekts. Deshalb liegt überhaupt keine Handlung und 58

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Z u Schewe siehe Stratenwerth A T R d n . 148; den. Z S t W 85 S. 469 f f ; den. Welzel-Festschrift S. 289 f f ; Jakobs W e l z e l - F e s t s c h r i f t S. 307 ff, 310 f f ; den. in: H a n d l u n g s a n a l y s e S. 21 ff, 26 f ; Krümpelmann W e l z e l - F e s t s c h r i f t S. 328 ff, 337 f ; Ziegert V o r s a t z S. 31 ff.

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E i n g e h e n d , a u c h zu den Schwierigkeiten d e r D i f f e r e n z i e r u n g , Krümpelmann Z S t W 87 S. 888 f f ; siehe f e r n e r Burkhardt in: Jenseits des R u b i k o n S. 319 ff, 329 ff. Beispiel n a c h K. Schneider Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t S. 21.

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. AbSChn

nicht etwa eine rechtmäßige Handlung vor, wenn das Subjekt die zur rechtswidrigen Betätigung drängenden Strebungen mühsam und in langem Kampf unterdrückt; motivatorisch bleibende Regungen sind kein Output, sondern eben eigene Sache des Systems „Zurechnungssubjekt". Selbstbeherrschung ist strafrechtlich keine Handlung, — aber das von der Explosion seiner Antriebe mitgerissene Subjekt handelt. „Handlungsbegriff" ist also eine mißverständliche Bezeichnung für das, was es abzuhandeln gilt; es geht darum, was überhaupt ein Subjekt und was für das Subjekt Außenwelt ist und wann die Gestalt der Außenwelt mit dem Subjekt verbunden (ihm zugerechnet) werden kann 61. Der soeben skizzierte Ausschluß der Antriebssteuerung aus dem Handlungsbegriff 2 2 und damit aus dem Unrecht erfolgt nicht etwa ontologisch oder sachlogisch zwingend, sondern ist das Ergebnis des Versuchs, die Art der strafrechtlich relevanten Erwartungen und ihrer Garantien bei sozialem Kontakt zu formulieren 6 2 . Eine für alle sozialen Formationen gleichermaßen richtige Entscheidung gibt es hier nicht 6 2 a . So dürften etwa — im außerrechtlichen Bereich — die Erwartungen der Eltern an ihr temperamentvolles vierjähriges Kind dahin gehen, daß es lernt, sich dem Ansturm der Antriebe entgegenzusetzen; das Gelingen der Erwartung wird als positive Leistung (Handlung) gelobt und das Mißlingen als Unterlassung einer erwarteten Handlung getadelt. Es wird also — anders als im Strafrecht — nicht das Kind einschließlich seiner Antriebe als Zurechnungssystem definiert, sondern Zurechnungssystem ist nur das mit der Antriebshemmung umgehende Subjekt; die Antriebe sind vielmehr bei diesem Handlungsmodell die vom Subjekt zu gestaltende Welt, das Objektive. — In ganz entsprechender Weise eigentümlich sind psychologische und psychiatrische Handlungsmodelle gestaltet, die von den jeweils fachwissenschaftlich geprägten Erwartungen an die Probanden oder Patienten bestimmt werden. Die strafrechtliche Unrechtszurechnung kann sich ein so hohes Maß an Berücksichtigung der jeweils individuellen Konstitution nicht leisten; denn das Strafrecht muß auch Erwartenssicherheit bei lockeren und anonymen sozialen Kontakten ermöglichen, also in Lagen, in denen eine Berücksichtigung der Antriebsseite schon mangels Erkennbarkeit ausgeschlossen ist. Kraß: Die Erwartungen an einen Mitreisenden in der Straßenbahn gehen unabhängig von Spekulationen über seine Antriebskonstellation 61

Luhmann Soziologische Aufklärung Bd. III S. 50 ff, 57 f, auch 67 ff. 62 Siehe Bloy ZStW 90 S. 609 ff, 656. - T r o t z der Ausklammerung der AntriebsifeKerwng aus dem Unrecht können bestimmte Antriebsarten zum Unrecht gehören; dies ist sogar häufig der Fall, siehe unten zu den subjektiven Unrechtselementen 8/91 ff. Es geht allein darum, daß die Beherrschung des Antriebs kein Unrechtsproblem ist. — Siehe hierzu Krümpelmann ZStW 87 S. 888 ff, 896 f. 62a Deshalb ist Gallas insoweit zuzustimmen, als er einen „natürlichen Handlungsbegriff, an den die übrigen Verbrechensmerkmale als Attribute anknüpfen" für die Begehung wie für die Unterlassung verwirft (Studien S. 49; ders. ZStW 67 S. 1 ff, 8 ff). Es geht nicht um Natur, sondern um Zurechnung, und hier wiederum speziell um strafrechtliche Zurechnung. Wenn Gallas weiterhin eine Anknüpfung an vorrechtliche Gegebenheiten mit der Begründung ausscheidet, „das Recht als autonomes Prinzip zweckmäßiger Ge-

staltung des Gemeinschaftslebens" schaffe sich „den sozialen Stoff, an den es anknüpft, selbst" (Studien S. 42), so ist dies zwar übertrieben, aber im hier interessierenden Ausschnitt richtig: Strafrechtliche Zurechnung läßt sich nicht komplett einer strafrechtsfreien Sozialität ablauschen. Das alles schließt es aber nicht aus, innerhalb der strafrechtlichen Zurechnung zum Unrecht Zurechnungsstufen zu ermitteln (Verhalten, weitere objektive Zurechenbarkeit, Vorsatz und Fahrlässigkeit). Wenn Gallas meint, die Verhaltensebene lasse sich nicht als gemeinsame Stufe einrichten, da das Unterlassen nur „Gedankengebilde" sei, während das Handeln einen „Ausschnitt aus der sozialen Wirklichkeit" darstelle (Studien S. 54), so ist dem zu widersprechen: Eine H a n d l u n g ist nicht als verursachende Körperbewegung sozial relevant, sondern als Deutungsschema sozialen Geschehens; dem steht eine Unterlassung in nichts nach. Verhalten ist ein Teilschema im Deutungsschema „Unrecht".

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6. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

dahin, er werde sich rechtskonform motiviert verhalten. Dementsprechend berücksichtigen weder der kausale noch der finale Handlungsbegriff die Konstellation der Antriebsseite. Sie unterscheiden sich allein im Bereich der Handlungssteuerung: Der kausale Handlungsbegriff wählt die höchstmögliche Weite (Gleichsetzung mit der Kausalität), der finale Handlungsbegriff beschränkt das Unrecht jedenfalls im Vorsatzbereich auf individuell gesteuerte Verläufe. 2. Exkurs : Der soziale Handlungsbegriff 23

Einen Mittelweg sucht die Lehre vom sozialen Handlungsbegriff, nach der die Handlungssteuerung sich weder in der Kausalität erschöpfen noch individuell bestimmt werden soll; vielmehr soll die Handlungssteuerung objektiv-generalisierend ermittelt werden, d. h. daß im Unrechtsbereich Abweichungen von dem objektiv-generalisierend festgelegten Standard zur inneren Angelegenheit des Subjekts werden. Die hierzu vorgelegten Vorschläge differieren stark 6 3 . Teils wird insoweit generalisiert, als der Täter als „eine mit normalem Verständnis begabte verantwortliche Person" angesehen wird 6 4 , teils wird — enger — auf „den typischen sozialen Durchschnitt des Jemand in bestimmter sozialer Rolle und Lage (etwa als Kraftfahrer, als Arzt)" abgestellt 65 oder — in der Blickwendung vom potentiellen Opfer her — auf die erwartbaren Fähigkeiten 6 6 , teils auf den „objektiv erkennbare(n) Sinngehalt" der Handlung als „funktionale Sinneinheit" 67 . Vergröbernd : Eine Handlung bestimmter Art, etwa eine Tötungshandlung, liegt nach dieser Lehre vor, wenn der Normalbegabte oder der durchschnittliche Rollenträger, hätte er eine identische Aktion vollzogen, die Folgen eben der bestimmten Art (die Tötung) einkalkuliert hätte.

63 Sie sind teils nur Hervorhebungen der sozialen Relevanz anderweit begründeter Handlungsbegriffe oder Beschränkungen solcher Handlungsbegriffe durch das Erfordernis sozialer Relevanz. Den Ausgang nimmt die Lehre mit Eb. Schmidt (Arzt im Strafrecht S. 75 Fn. 29; siehe auch v. Liszt-Schmidt Strafrecht § 28 und § 30) durch einen Rekurs auf die „soziale Sinnhaftigkeit" eines Verhaltens, wobei „Muskelinnervation" und „Körperbewegung" nicht einmal mehr „Beziehungsobjekt rechtlicher Wertung" sein sollen. Neben dieser genuin sozial bezogenen Konzeption stehen sekundär-soziale Konzeptionen, so die auf objektive Bezweckbarkeit abstellenden Lehren bei Engisch (Kohlrausch-Festschrift S. 141 ff, 160 f), Larenz (Hegels Zurechnungslehre S. 94 ff), Oehler(Objektives Zweckmoment S. 71 ff, 124 ff; den. Eb. Schmidt-Festschrift S. 232 ff, 236 f) u. a. m. ; — es geht um Beschränkungen der uferlosen Weite des kausalen H a n d lungsbegriffs. — Jescheck faßt das finale Handeln bei vorsätzlichem Verhalten und objektiv steuerbares Verhalten bei fahrlässigem Verhalten (bezüglich der Objektivität zweifelhaft: AT § 23 IV 1 geht es um die dem Täter „nach seiner Freiheit zu Gebote stehende Reaktionsmöglichkeit", — a a O § 55 I geht es um objektive Sorgfalt) sowie Untätigkeit beim Bestehen einer Handlungserwartung beim Unterlassen zum „sozialerhebliche(n) menschliche(n) Verhalten" zusammen (AT

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S 23 IV 1 ; den. Eb. Schmidt-Festschrift S. 139 ff, 151 f; ebenso Wessels AT § 3 II 2c); — jedenfalls ist im Bereich vorsätzlicher Begehung das Beziehungsobjekt noch vor-sozial, der Handlungsbegriff also sekundär-sozial. — Weitere Nachweise sogleich zum Text. — Zur Kritik siehe Otter Funktionen S. 37 ff, 74 ff; Bloy ZStW 90 S. 609 ff; Schünemann GA 1985 S. 341 ff, 346 f; Maurach-Zipf AT I § 1 6 Rdn. 50 ff; SchönkeSchröder-Lenckner Rdn. 33 ff vor § 13. — Zum Problem des Oberbegriffs für T u n und Unterlassen siehe unten 6/31 f. £. A. Wolff Handlungsbegriff S. 32 mit treffenden Bemerkungen zur sozialen Realität der Individualität Fn. 9 zu S. 31; ders. Radbruch-Gedächtnisschrift S. 291 ff, 299. Maihofer Eb. Schmidt-Festschrift S. 156 ff, 177; siehe auch ders. Rittler-Festschrift S. 141 ff, 148; ders. ZStW 70 S. 159 ff, 171; - damit ist wohl Maihofers Definition der Handlung als nur-äußerlicher Vorgang („auf die Verletzung von Sozialgütern gerichtetes Verhalten", Handlungsbegriff S. 72; ähnlich v. WeèerEngisch-Festschrift S. 328 ff, 332 f) preisgegeben; gegen die letztere Version Gallas ZStW 67 S. 1 ff, 12 Fn. 36; Armin Kaufmann Dogmatik S. 23 f; Welzel Strafrecht § 7 II. SchönebornGA 1981 S. 70 ff, 78 ff. Eb. Schmidt Engisch-Festschrift S. 339 ff, 341.

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. Abschn

3. Die individuelle Vermeidbarkeit a) Trotz dieser Nivellierung der Handlungssteuerung behält die Handlung beim 24 sozialen Handlungsbegriff mehr Konturen als beim kausalen Handlungsbegriff. Aber durch die Nivellierung schon der Handlungssteuerung verschwindet das Subjekt im Standard, als sei nicht ein Subjekt, sondern ein Phantom des Normalbegabten Träger des sozialen Kontakts. Eine solche Nivellierung mag im Zivilrecht berechtigt sein, für das Strafrecht kann sie nicht überzeugen; denn strafrechtliche Zurechnung, die an den individuellen Fähigkeiten ausgerichtet wird, übergreift Rollen. Das soll nicht heißen, aus dem individuell vorwerfbaren Versagen in einer Rolle müßten zwingend überall, in jeder Rolle, Konsequenzen gezogen werden, aber es kann doch so sein; denn das Versagen beruht bei individueller Vorwerfbarkeit nicht nur auf den Identitätsmerkmalen eines Rollenträgers, sondern betrifft auch den Teil des Subjekts, der bei verschiedenen Rollen die Einheit des Trägers stiftet, also die rollenunabhängigen Identitätsmerkmale. Beispielhaft gesprochen : Ein Chirurg, der bei seiner Arbeit individuell vermeidbar nicht aufpaßt, kann Zweifel an seiner Kompetenz in anderen Rollen nicht durch den Hinweis ausräumen, sein Versagen sei rollenspezifisch gewesen; denn es war ein Versagen desjenigen Teils des Subjekts, das mehreren, wenn nicht allen Rollen gemeinsam ist. Der Täter muß deshalb das Stigma, das er in einem Lebensbereich erworben hat, auch in anderen Lebensbereichen tragen. Deshalb gibt die Tat nicht nur den Personen Anlaß, sich zu distanzieren, die in derjenigen Rolle mit ihm verkehren, in der er versagt hat, sondern er wird rollenübergreifend isoliert. Es ist die Aufgabe individualisierender Zurechnung eine möglichst umfassende Distanzierung vom Täter zu ermöglichen 6 7 a . Der Standard bleibt bei dieser Lösung nicht unberücksichtigt: Er bestimmt Institute der objektiven Zurechnung (garantenbezogene Begehung, erlaubtes Risiko, Vertrauensgrundsatz), dies aber neben, nicht statt der Individualisierung. Die individualisierende Garantie hat zum Inhalt, daß die rechtlichen Normen stets dominantes Motiv sind. Was aufgrund des dominanten Motivs beim einzelnen Menschen an Handlungsvollzügen herauskommt, hängt von der individuellen Fähigkeit zur Handlungssteuerung ab. Wenn schon die Möglichkeiten der individuellen Handlungssteuerung versagen, der einzelne also unvermeidbar (nicht einmal fahrlässig) einen Erfolg, etwa eine Tötung, verursacht, fehlt ein individueller Sinnausdruck des Inhalts, daß anderes wichtiger sei, als das Leben der Menschen dominant in Acht zu nehmen; es fehlt also ein nicht rechtskonformer Weltentwurf und die N o r m ist nicht verletzt. „Individueller Sinnausdruck" wird eine Tat dabei nicht durch psychische (oder sonstige) Eigenschaften per se, sondern durch die Verständigung darüber, was ein Subjekt ist und wann es für die Folgen seiner Organisation zuständig ist. Es geht also nicht um ein Problem der Psychologie, sondern der Zurechnungslehre. — Die solchermaßen stark subjektiv orientierte Deutung der N o r m ist freilich nicht allgemein gültig 6 7 b , sondern der Versuch einer Beschreibung gegenwärtig im Geltungsbereich des Strafrechts praktizierter Interaktionsbedingungen. Die Möglichkeit, bei der Zurechnung auf das individuell Gemeinte (Vorsatz) oder individuell Meinbare (Fahrlässigkeit) und nicht auf das Bewirkte abzustellen, dürfte voraussetzen, daß die Interaktionen mit hoher Wahrscheinlichkeit sowieso nicht schädlich ausgehen. W o ein Grund zu großem Mißtrauen besteht, wird der Handlungsbegriff objektivistischer (siehe auch unten zur Schuld 17/3), ebenso bei ritualisierten Interaktionen; Beispiel: Wer im Foyer der Oper einen Besucher anrempelt, kann sich nicht die Entschuldigung mit der Begründung sparen, er habe das Rempeln nicht vermeiden können. 67a 67b

Jakobs in : D e r S a c h v e r s t ä n d i g e S. 271 ff, 274 f. Die D e u t u n g k a n n hier a u c h nicht bewiesen, son-

d e m n u r plausibel g e m a c h t w e r d e n ; kritisch p o W R e c h t s l e h r e S. 308 f Fn. 67.

Lip-

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6. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

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Im Ergebnis ist also die Antriebssteuerung aus dem Handlungsbegriff auszuklammern, aber die Handlungssteuerung durchgehend nach den individuellen Fähigkeiten des Täters zu bestimmen 68 . Nur so läßt sich garantieren, daß der Sinnausdruck der Handlung jeweils Sinnausdruck eines Subjekts ist. Die finale Handlungslehre verfährt im Ergebnis bei Vorsatztaten ebenso; es gilt nur, die im Vorsatzbereich in der Finalität steckende Vermeidbarkeit als das entscheidende Kriterium auf Fahrlässigkeitstaten und automatisierte Reaktionen zu übertragen. Bei der hier gewählten Lösung ist Unrecht weder Störung des Rechtsgutsbestands (wie aber beim kausalen Handlungsbegriff) noch Störung der Rechtsgutssicherheit (wie bei den kausalistisch orientierten Versuchstheorien) noch allein Rollen- oder Standardverletzung (wie beim sozialen Handlungsbegriff), sondern Objektivierung einer falschen Haltung zur Norm (wobei die Norm einen Standard etablieren mag, wie insbesondere bei abstrakten Gefährdungsdelikten, oder über Standards interpretiert werden mag, seil, vermittels objektiver Zurechnung). Auf die bezeichnete Haltung kommt es an, weil sie die Möglichkeit dichter Interaktion mit der Möglichkeit freier Bestimmung der eigenen Organisation vermittelt. Beispielhaft gesprochen: Wäre jede Körperbewegung reguliert, gäbe es also — bei erschöpfender Standardisierung durch das Gesetz — keine freie Bestimmung der eigenen Organisation, so bliebe dem Handlungsbegriff ebensowenig etwas zu leisten wie in der Umkehrung im Hobbesschen Naturzustand völliger Freiheit, in dem keine Interaktionsmöglichkeit garantiert wird.

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b) Der Begriff der Vermeidbarkeit: Bei der Vermeidbarkeit kommt es nicht darauf an, ob der Täter erkennen kann, daß der Vollzug einer Aktion für sich (Tätigkeitsdelikte, Versuch) oder wegen der Folgen (Erfolgsdelikte) verboten ist. Die Vermeidbarkeit ist also unabhängig von der Erkennbarkeit einer rechtlichen Regelung und muß das auch sein, weil die Erkennbarkeit der Rechtsnorm zur Macht des Täters, etwas herbeizuführen oder nicht herbeizuführen, nichts beiträgt, sondern nur dem rechtstreuen Täter einen guten Grund gibt, seine Macht zur Vermeidung von Verbotenem (wie zur Befolgung von Gebotenem) zu gebrauchen: Die Erkennbarkeit des Rechts gehört zur Antriebssteuerung, nicht zur Handlungssteuerung, ist also im Bereich des Unrechts eigene (innere) Sache des Subjekts, dem zugerechnet wird.

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Die Vermeidbarkeit wird mit Hilfe der Hypothese bestimmt, daß der Täter, hätte er

68 Zum intentionalen Handlungsbegriff Schmidhausen besteht folgender Unterschied: Schmidhäuser versteht das Unrecht als Verletzung eines Achtungsanspruchs (AT 6/6), wobei die Verletzung durch ein Willensverhalten erfolgen soll (AT 6/7 f; 8/19 f f ; ähnlich Alwart Recht S. 114 f f ) ; Willensverhalten wiederum soll mindestens Wollen der körperlichen Bewegung sein (AT 8/23; Studienbuch 5/10: die Basishandlung). Sieht man vom so nicht lösbaren Problem der Automatismen oder der schon im Handlungsvollzug mißlingenden Körperaktivitäten ab, bleibt das weitere Problem, wie ein Achtungsanspruch als geistiges Sein (AT 2/30, 35) von einem Willensverhalten verletzt werden kann. Das ist der Fall, wenn das Willensverhalten gleichfalls mehr als ein psychisches Faktum ist, wenn also nicht allein darauf abgestellt wird, daß etwas gewollt wird, was dann Folgen zeitigt, sondern daß der Wollende zu dem geistigen Sein, um das es geht, Zugang hat. Der

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Zugang aber, die Vorsätzlichkeit oder Fahrlässigkeit des Willensverhaltens, fällt bei Schmidhäuser wie bei den Kausalisten aus dem Handlungsbegriff und dem Unrecht hinaus und ist Bestandteil der Schuld (AT 6/13, 10/32 ff). Das ändert sich nur marginal, wenn unter dem Oberbegriff der intentionalen Handlung neben der Basishandlung eine Folgenhandlung eingeführt wird, die auch noch die gewollten (beabsichtigten) Folgen als Bestandteil der Handlung erfaßt (Studienbuch 5/10, 5/13 f f ) ; denn bei dieser Erweiterung wird die Handlung immer noch als psychisches Faktum (nach dem Gewollten) bestimmt. — Die freilich vorzugswürdige Konsequenz des Ansatzes von Schmidhäuser, seil, die Befreiung der V o r sätzlichkeit vom Willen (AT 7/36 ff; 8/26 f f ; 10/31 ff), läßt sich bei dem hier gewählten Ansatz, die Handlung mit Hilfe einer Hypothese zu bestimmen, gleichfalls erzielen; siehe unten 8/8.

Tatbestandsverwirklichung. G r u n d l a g e n

6. Abschn

das dominante Motiv 6 9 zur Vermeidung einer bestimmten Aktion, diese Aktion real vermeiden würde. Das Motiv wird also schlechthin unterstellt; wie es zustandekommt, interessiert im Unrechtsbereich nicht 7 0 . Beispiel: Wirft jemand Ziegel von einem Dach auf einen Weg, so kann er die Aktion „Werfen von Ziegeln auf einen Weg" vermeiden, und zwar wenn er bewußt Ziegel auf einen Weg wirft, indem er es schlicht unterläßt; ist ihm freilich nicht aktuell bewußt, daß dort, wohin er die Ziegel bewußt wirft, ein Weg ist, oder wirft er gar ohne Beteiligung des wachen Bewußtseins automatisch, kann er die Aktion immer noch vermeiden, wenn er bei dominanter Motivierung, ja keine Ziegel auf einen Weg zu werfen, die entsprechenden Eigenschaften seiner Handlung erkennen und diese dann unterlassen würde. Dabei kann sich der Täter die Mühe, die Konsequenzen seiner Aktionen zu beurteilen, dadurch ersparen, daß er Aktionen mit unbekannten Konsequenzen per se unterläßt. Ob der Täter überhaupt daran interessiert ist, keine Ziegel auf den Weg zu werfen, oder ob ihm das gleichgültig ist, etwa weil es nicht verboten ist oder weil der Täter von einem Verbot nichts weiß oder sich um ein Verbot nicht schert, ist für die Vermeidbarkeit gleichgültig: Die Antriebssteuerung ist im Unrechtsbereich seine Sache. — Unvermeidbar ist die Aktion freilich, wenn der Täter nicht erkennen kann, daß dort, wohin er die Ziegel wirft, ein Weg verläuft, oder daß die Ziegel, die er wirft, dort auftreffen, wo ein — an sich bekannter — Weg verläuft: Dann vollzieht der Täter immer noch die Handlung „Werfen von Ziegeln", aber nicht mehr die Handlung „Werfen von Ziegeln auf einen Weg". Was Inhalt einer Handlung ist, hängt also vom jeweiligen Erkenntnisvermögen des Agierenden ab. Das mindeste an äußerem Erfolg ist eine (eben beim Motiv ihrer Vermeidung vermeidbare) Körperbewegung. Wenn hier Handlung als vermeidbare Erfolgsverursachung definiert wird, so geht es nicht um Verursachung von Erfolgen im Sinn der Erfolgsdelikte (auch beim Versuch wird gehandelt!) und nicht einmal notwendig um die Verursachung eines tatbestandlichen Geschehens, sondern um alle in ihrer Gestalt erkennbaren Körperbewegungen und — wenn ihrerseits erkennbar — deren Konsequenzen 7 0 3 . Die individuell vermeidbare Erfolgsverursachung ist der Oberbegriff für vorsätzliches und (individuell) fahrlässiges Handeln. Die Erkenntnis des Verhaltensvollzugs und gegebenenfalls seiner Folgen (bei Vorsatz) oder die individuelle Erkennbarkeit (bei Fahrlässigkeit) gehören als Bedingungen der Vermeidung zur Handlung und damit zum Unrecht. Im Vorsatzbereich besteht also im Ergebnis kein Unterschied zum finalen Handlungsbegriff; nur hat sich der Blick von der Finalität zum Erfolg auf die Bedingungen der Vermeidbarkeit des Erfolgs verschoben. Diese Wendung des Blicks ergibt einen Handlungsbegriff, der fahrlässige Handlungen, auch als fahrlässige automatisierte Reaktionen, genuin miterfaßt, seil, über die jeweiligen Bedingungen der Vermeidbarkeit 7 1 . 69 Dieses Modell geht von der Vorstellung aus, daß die dominante Überzeugung von der Vorzugswürdigkeit einer Verhaltensalternative die Antriebsseite „klärt". Diese Vorstellung ist schon für die Handlungsebene wenig plausibel, soweit die Antriebsseite während des relevanten Verhaltens aktuell von körperlich fundierten Gegenantrieben gestört wird. Beispiel: Ist das Herausziehen der Hand aus kochendem Wasser Handlung, weil die Hand bei dominanter Motivation zum Verbleiben nicht herausgezogen würde? Oder für die Unterlassung: Ist jedermann fähig, auch bei stärksten Schmerzen jeden Schrei zu unterdrücken, indem er sich dominant zum Verschließen des Munds motiviert? — Bei elementaren Gegenantrieben

massiver Stärke wird man das Subjekt — wie im Zustand des Schlafs oder der Bewußtlosigkeit — für nicht dominant zur Vermeidung motivierbar ansehen müssen. 70 Siehe hierzu Jakobs Welzel-Festschrift S. 307 ff, 309 f; ders. Studien S. 34 ff; Armin Kaufmann Dogmatik S. 38 ff; KindbäuserGA 1990 S. 407 ff, 416. 70a Dies mißversteht wohl Lippold Rechtslehre S. 253 mit Fn. 9. 71 Im Ergebnis wie hier Stratenwerth AT Rdn. 158 ff, 161; SK-Samson §16 Anhang Rdn. 13 ff; zum Ganzen siehe Jakobs WelzelFestschrift S. 307 ff, 308 ff.

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6. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

4. Die Trennung von Handlung und Unterlassung a) Die Unterscheidung 28

Die vorangegangene Argumentation stellt darauf ab, daß der Täter eine Aktion bestimmter Art (Tätigkeitsdelikt) oder bestimmter, über die Tätigkeit hinausgehender Folgen (Erfolgsdelikt) vollzieht, also etwas tut. Der Handlungsbegriff wird hierbei als Begriff der Begehungsdelikte behandelt, bei denen der Täter ein Ereignis (einen Handlungsvollzug oder einen Handlungsvollzug nebst Folgen) verursacht. Es gibt freilich nicht nur Haftung für Verursachungen, sondern auch Haftung für das Unterlassen, ein schon anderweit hinreichend bedingtes Ereignis abzuwenden. Auch das Unterlassungsdelikt setzt Vermeidbarkeit voraus, freilich gegenüber der Begehung mit umgekehrtem Bezug zur Motivation und zur Körperbewegung: Bei der Begehung führt eine bewußte oder unbewußte Antriebslage zur Bildung eines Motivs zur Körperbewegung und diese verursacht ein Ereignis, — bei der Unterlassung tritt ein Ereignis ein, das ausgeblieben wäre, wenn der Täter sich zur Hinderung motiviert und die nötigen Körperbewegungen vollzogen hätte. Wie bei der Begehung die Vermeidbarkeit der Vorsatz oder die Fahrlässigkeit des eigenen Verhaltens ist, so ist auch bei der Unterlassung die Vermeidbarkeit an das eigene Verhalten gebunden. Sie enthält also nicht nur die Kenntnis oder Erkennbarkeit der Bedingungen eines Erfolgseintritts, sondern die Abhängigkeit der Bedingungen vom eigenen Verhalten muß hinzukommen, also die Beeinflußbarkeit.

29

Setzt man Vermeidbarkeit und Handlung gleich und definiert die Handlung als einen Vorgang, der eine Differenz (etwa Leben) zwischen einem Tun (etwa Erschießen oder vor dem T o d Retten) und einem Unterlassen (etwa Nicht-Erschießen oder NichtRetten) bezeichnet, gleich welche der Alternativen realisiert wird, so paßt auch die Unterlassung unter den Begriff der Handlung und die Handlung ist Oberbegriff für Begehen wie für Unterlassen. — Stellt man aber darauf ab, welche der Alternativen verwirklicht wird, so muß für die Verwirklichung durch Kausal-Werden (Handeln, Begehen, Tun) ein anderer Name gesucht werden als für den Eintritt eines Ereignisses, der nicht abgewendet wird (Unterlassen, Begehen durch Unterlassen), obgleich beide Alternativen eben in der Erîo\gsdifferenz identisch bleiben und auch insoweit gemeinsam benannt werden können : Beide sind menschliche Verhaltensweisen.

30

Hier wird eine Terminologie gewählt, nach der nur das Tun als eine Handlung benannt wird. Bei dieser Terminologie ist eine Unterlassung ein Verhalten, bei dem eine Handlung fehlt. Handlung und Unterlassung haben aber gemeinsam, Verhaltensweisen des Menschen zu sein. Bezogen auf deliktisches Verhalten: Bei der Handlung ist ein Motiv und in dessen Konsequenz eine Körperbewegung zuviel vorhanden, eben das deliktische Motiv (der Täter hat Verbotenes verursacht, hätte aber unterlassen sollen), — bei der Unterlassung ist ein Motiv etc. zuwenig vorhanden, eben das deliktsabwendende Motiv (der Täter hat Gebotenes nicht verursacht, er hätte aber handeln sollen) (zum Ganzen siehe unten 28/3). b) Der gemeinsame Oberbegriff

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Unabhängig von dieser terminologischen Trennung 7 2 von Handlungen und Unterlassungen besteht das Problem, wie weit im Oberbegriff des menschlichen Verhaltens mehr steckt als die bloße Summierung der Voraussetzungen des Handelns einerseits und Unterlassens andererseits, wie weit also Handlung wie Unterlassung gemeinsame 72

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Zu den terminologischen Möglichkeiten siehe Maihofer Handlungsbegriff S. 12 ff; Klug EmgeFestschrift S. 33 f f ; eingehend mit Darstellung

des — teils widersprüchlichen — Sprachgebrauchs Scbmidhäuser Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 131 ff, 137 ff.

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. Abschn

Merkmale aufweisen. Eine Gemeinsamkeit 73 fehlt um so eher, je mehr der Handlungsbegriff ohne Blick auf die dem Subjekt eröffneten Alternativen allein an den psychischen und physischen Fakten festgemacht wird, die sich beim Handeln ereignen. Deshalb kann zum kausalen Handlungsbegriff allenfalls ein Ober-„Begriff" für Handlung und Unterlassung gebildet werden, der einen Namen (eben keinen Begriff) für das Faktum abgibt, daß im Strafrecht Handlungen wie Unterlassungen strafbar sein können. Radbruch: „Die Unterlassung hat also nicht nur die Merkmale Wille, Tat und Kausalität zwischen beiden nicht mit der Handlung gemein, sie erschöpft sich vielmehr gerade darin, sie zu verneinen. Besäße sie an Stelle jener Merkmale andere positive Merkmale, so wäre noch Hoffnung, sie mit der Handlung unter einen Hut zu bringen. So aber lassen sich, so wahr man nicht Position und Negation, a und non-a unter einen Oberbegriff bringen kann, auch Handlung und Unterlassung nicht unter einem solchen zusammenbiegen, er nenne sich nun Handlung im weiteren Sinne, menschliches Verhalten oder, wie immer sonst!" 7 4 . — Der finale Handlungsbegriff benennt mit der Finalität das Merkmal, in dem sich die Fähigkeit zur Entscheidung einer Alternative konzentrieren soll und kann deshalb in der „Handlungsfähigkeit" das „Gemeinschaft stiftende Moment zwischen Handlung und Unterlassung" finden 7 5 . — Der soziale Handlungsbegriff wird ζ. T . gerade mit der Funktion entwickelt, Gemeinsamkeit zwischen Handlung und Unterlassung zu stiften 76 . Nach dem hier verwendeten Begriff der Handlung als vermeidbare Erfolgsverursa- 3 2 chung und dem korrespondierenden Unterlassungsbegriff als vermeidbare Nichthinderung eines Erfolgs läßt sich ein Oberbegriff des Verhaltens bilden, der in der vermeidbaren jeweiligen E r f o l g s d i f f e r e n z die Gemeinsamkeit von Handeln wie Unterlassen umfaßt. Beispiel : Ob jemand den Tod eines anderen vermeidbar verursacht oder aber die anderweit angelegten hinreichenden Bedingungen zum T o d vermeidbar (vorsätzlich oder fahrlässig) nicht abwendet, ist trotz des Unterschieds zwischen Handlung und Unterlassung in der vermeidbaren Differenz zwischen den jeweiligen Alternativen gleich; es ist eben die Differenz zwischen Tod und Leben 7 7 . Formelhaft: Verhalten ist die Vermeidbarkeit einer Erfolgsdifferenz. c) Negativer Handlungsbegriff? Daß schon für den Handlungsbegriff die dem Täter eröffnete Alternative in den 3 3 Blick zu nehmen ist, hat dazu verführt, beim Begehungsdelikt überhaupt nur noch die Alternative zu beachten und die Lösung des Handlungsbegriffs für Begehung wie Unterlassung einheitlich über das — weniger durch Naturalismen vorbelastete — Unterlassen zu versuchen: Handlung (hier als Oberbegriff von Tun und Unterlassen) soll nach dieser Lehre vom negativen Handlungsbegriff das „vermeidbare Nichtvermei73

74 75

Zu den logischen Problemen der Begriffsbildung siehe Engisch Welzel-Festschrift S. 343 ff, 355 ff; siehe auch Weinberger Klug-Festschrift S. 199 ff, 208 f. Zur Position von Gallas siehe oben 6/Fn. 62 a. — Soziologisch (Handlung und Unterlassung zu stark trennend, als setze nicht auch Handlung soziale Erwartungen voraus) Geser Kölner Zeitschrift 1986 S. 644 ff. Handlungsbegriffs. 140. — Zutreffendelogische Kritik bei £i/>/>oMRechtslehre S. 255. Armin Kaufmann Dogmatik S. 84 f; — anders freilich Maurach-Gössel A T II § 4 5 Rdn. 17 ff; Gössel Wertungsprobleme S. 94 f, wonach auch

die Unterlassung final sei: Auch körperliche Untätigkeit werde zielgerichtet eingesetzt und sei deshalb Handlung. — Aber das Vergessen eines Termins (Unterlassung) oder das desinteressierte Betrachten eines Unglücks, ohne zu helfen (Unterlassung), sind keine zweckvollen Einsätze von Untätigkeit. — Eingehender unten zur subjektiven Seite des Unterlassungsdelikts 29/82 ff. 76 Jescheck A T § 23 I V mit Nachweisen ; E. A. Wolff Handlungsbegriffs. 17 ff; Wessels A T § 3 II 2c. 77 Jakobs Studien S. 27; ders. Welzel-Festschrift S. 307 ff, 309 f.

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6. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

den in Garantenstellung" sein 78 oder die Nichtvornahme einer gefahrvermeidenden Handlung, wobei die Gefahr vom eigenen „Destruktionstrieb" des Täters oder unabhängig vom Täter produziert werden kann 7 9 . Dieser Versuch, das Begehungsdelikt über die Unterlassung aus den Fesseln der naturalistischen Betrachtung 8 0 zu lösen, ist ein später Gegenschlag auf die abgetanen, aber in der Blütezeit naturalistischer Betrachtung gängigen Versuche, der Unterlassung Kausalität für den Erfolg zuzuschreiben und sie so in Begehung umzudeuten (unten 28/2; 29/15 ff). Das Ergebnis ist wiederum terminologische Wirrnis: Daß der Begehungstäter schon als Produzent der Verursachung haftet, wird mit einem Nichtvermeiden oder mit der Fähigkeit, sich selbst zu hindern, wenig vollkommen bezeichnet. Der Begehungstäter erscheint nur als Aussparung in der Beschreibung dessen, was er nicht ist 8 1 . 5. Grenzprobleme 34

a) Eine Handlung fehlt, wenn die Erfolgsherbeiführung unvermeidbar, also nicht einmal fahrlässig geschieht. Da bei mehreren Folgen einer einzigen Körperbewegung die Vermeidbarkeit unterschiedlich zu beurteilen sein kann, ist die Handlung ein relativer Begriff 8 2 : Im Blick auf bestimmte Folgen mag eine Handlung gegeben sein, auf andere hingegen nicht. Beispiel: Wer ein vermeidbar für ungeladen gehaltenes Gewehr in ein Gebüsch hin abdrückt und einen dort verborgenen Menschen verletzt, mit dessen Aufenthalt an dieser Stelle er unvermeidbar nicht rechnet, handelt in bezug auf das Abdrücken vorsätzlich, in bezug auf das Losgehen eines Schusses fahrlässig, und in bezug auf die Verletzung des Menschen handelt er nicht. Der Erfolg einer Handlung kann schon der äußere Vollzug des Verhaltens sein. Vollzug und Folgen können auch im Körper oder auch nur im Kopf des Subjekts 78

Herzberg Unterlassung S. 172 ff; den. J Z 1988 S. 573 ff, 576 f. - Daß der Handlungsbegriff mit seinem Bezug auf die Garantenstellung nicht das strafrechtlich relevante Verhalten abdeckt, seil, nicht die echten, nicht begehungsgleichen Unterlassungen (unten 28/11), hat Herzberg gesehen (S. 176 f); damit zerbricht aber nicht nur die systematische Bedeutung seines Handlungsbegriffs überhaupt, sondern in einer von Herzberg auch weit unterschätzten Quantität; denn im Nebenstrafrecht sind echte, nicht begehungsgleiche Unterlassungen eine geläufige Regelungsform (einige Beispiele unten 29/Fn. 54 und bei Herzberg a a O ) ; — zutreffend kritisch Stratenwerth Welzel-Festschrift S. 289 ff, 296 Fn. 21. - Was soll schließlich der Inhalt der Garantenstellung sein, wenn nicht ein „vermeidbares Nichtvermeiden", das also unabhängig von der Garantenstellung (wieso dann nicht als Handlung?) Bestand haben muß.

79 Behrendt Unterlassung S. 121 ff, 130; ders. Jescheck-Festschrift S. 303 ff. — Die Materialisierung durch Anknüpfung an die Destruktivität dürfte zu eng sein; sollten im rechtfertigenden Notstand begangene Taten (als Interessenerhaltung das Gegenteil von Destruktivität) keine Handlungen mehr sein? Für Behrendt ergibt sich weiterhin die Schwierigkeit, die Bekämpfung des Destruktionstriebs als rein inneres Verhalten zum Gegenstand rechtlicher Wertung machen zu müs-

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sen (Tatprinzip?) oder aber — so seine Lösung (Unterlassung S. 155 ff, 165 ff, 169 ff) - erst an die Objektivierungen des Destruktionstriebs in Körperbewegungen anknüpfen zu können; zum Zeitpunkt dieser Objektivierungen kann es jedoch — etwa bei schnellen Automatismen, aber auch bei anderen knappen Handlungsvollzügen (ein Faustschlag) — für eine Gegensteuerung schon zu spät sein: Die gesteuerte (!) Handlung ist dann nicht mehr zu bremsen und wäre nach Behrendt strafrechtlich irrelevant. — Eine entsprechende Lösung zum Affekt entwickelt ders. AffektS. 77 ff, 100. 80 Siehe Herzberg a a O S. 184: „durch und durch normative Materie". 81 Freilich bleibt es ein Verdienst der Lehre, für das Begehungsdelikt die Notwendigkeit herausgestellt zu haben, daß die Handlungsalternative zu berücksichtigen ist. — Die Lehre ist bisher überwiegend abgelehnt worden, ohne daß freilich ihre Positiva hinreichend gewürdigt werden; LK-Jescheck Rdn. 30 vor § 1 3 ; Schönke-SchröderLenckner Rdn. 36 vor § 13; Stratenwerth WelzelFestschrift S. 289 ff, 296 f; Maiwald ZStW 86 S. 626 ff, 653 Fn. 86; Engisch Gallas-Festschrift S. 163 ff, 193 ff; Maurach-Gössel AT II § 4 5 Rdn. 12 ff ; siehe aber auch Jakobs Welzel-FestschriftS. 307 f f , 3 1 0 F n . 12. 82 Welzel Strafrecht § 8 I I b ; ders. N J W 1968 S. 425 ff.

Tatbestandsverwirklichung. G r u n d l a g e n

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AbSChn

stattfinden. Auch Kopfrechnen, Nachdenken etc. sind Handlungen 8 3 . Unabhängig davon kann freilich wegen des Tatprinzips der bloße Gedanke als Handlung nicht verboten und das bloße Denken ohne Ziel einer Objektivation nicht geboten sein. Als Zwischenstufe zur Objektivation kann jedoch Denken die gebotene Handlung sein und ist es bei Unterlassungsdelikten in geläufiger Weise; Beispiel: Dem Notarzt ist geboten, die sinnlich wahrgenommenen Tatsachen gedanklich zu einer Diagnose zu verarbeiten (Handeln !), um dann eine Therapie beginnen zu können etc. b) Das Problem der Automatismen: Es gibt Bereiche, in denen die Unterscheidung 35 von Handlung und Unterlassung ohne Konsequenzen für die Zurechnung ist, da der Täter jedenfalls haftet. Hierzu zählen die Fälle, in denen Handeln und Unterlassen durch einen Organisationsakt austauschbar sind. Beispiel : Ob ein Autofahrer Gas gibt (Handlung) oder nicht bremst (Unterlassung) ist — gleiche Vermeidbarkeit unterstellt — bedeutungslos (siehe unten zur Haftung kraft Organisationszuständigkeit bei der Unterlassung 29/29 ff). Entsprechend spitz wird die Differenzierung von Handlung und Unterlassen, wenn es um die Organisiertheit des Körpers des Täters geht; die Differenzierung hat hier keinen Eigenwert mehr, sondern ergibt sich nur aus der konsequenten Anwendung der zu anderen Bereichen entwickelten Maximen auf einen Grenzfall. aa) Es würde üblicher Terminologie entsprechen, die Fälle der Körperbewegungen, 36 die durch eine unmittelbare (nicht zentral vermittelte) Überleitung eines sensorischen Reizes in eine motorische Aktion entstehen, als Reflexe aus dem Handlungsbegriff auszuscheiden 84 , hingegen die eingeübten oder instinkthaften, jedenfalls ohne Beteiligung des wachen Bewußtseins ablaufenden Reaktionen, die zentral koordiniert vollzogen werden, als Automatismen der Handlung zuzuordnen 8 5 . Diese Lösung, orientiert an der zentralen, wenn auch unbewußten Steuerung, mag im großen und ganzen das Richtige treffen, sie ist jedoch methodisch und in der Beschreibung der zu behandelnden Gegenstände fragwürdig: Methodisch geht die Lösung allein von dem Ereignis aus, das sich vollzieht, ohne auf die Alternative zu blicken, was bei dominant auf Vermeidung gerichteter Motivation geschähe; zudem dürfte sich die Trennung von Steuerung und Nicht-Steuerung mit dem Kriterium der zentralen Vermittlung eines Reizes allenfalls grob phänotypisch ziehen lassen 86 . bb) Bei der Berücksichtigung der Alternative ergibt sich folgende Differenzierung : 37 α) Da das Strafrecht dominante Motivation zur Vermeidung verbotenen Verhaltens garantiert, sind diejenigen Körperreaktionen, deren Antriebsseite bei dominanter Moti-

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Gossel Wertungsprobleme S. 94 f; Maurach-Gössel AT II S 45 Rdn. 20; a. A. LK-Jescheck Rdn. 36 vor § 1 3 ; wohl auch Herzberg Unterlassung S. 188; siehe auch Maiwald ZStW 86 S. 626 ff, 640 ff. 8t OLG Frankfurt VRS 28 S. 365 ff; OLG Hamm N J W 1975 S. 657 f; überwiegende Ansicht; Schönke-Schröder-Lenckner Rdn. 40 vor § 13; Jescheck AT § 23 IV 2 a; SK-Rudolphi Rdn. 21 vor § 1 ; Gössel Wertungsprobleme S. 102 f; Franzheim N J W 1965 S. 2000 f; Spiegel DAR 1968 S. 283 ff; 286. - Α. A. freilich Maihofer Handlungsbegriff S. 33 ff; v. Weber Engisch-Festschrift S. 328 ff, 335 ; Nowakowski Grundzüge S. 43. — Weitere Nachweise bei Jakobs Studien S. 76 ff.

85 So überwiegende Ansicht; H. Mayer AT S. 42 ff, 44; ders. Studienbuch § 8 114; Hall Fahrlässigkeit im Vorsatz S. 13 ff; Arthur Kaufmann JuS 1967 S. 145 ff, 151 f; ders. H. MayerFestschrift S. 79 ff, 109 ff; weitere Nachweise bei Schönke-Schröder-Lenckner Rdn. 41 vor § 13 und Jakobs Studien S. 76 ff. — Welzel hat bei den Automatismen darauf abgestellt, ob bei einem finalen Verhalten die „Funktionsgrenze" der „automatisierten Handlungsbereitschaften" mangelhaft be rücksichtigt wird ; Fahrlässigkeit und Verkehrsdelikte S. 34; ders. Strafrecht § 20 II a. E.; ders. Das neue Bild S. 57; — das Problem der überraschend, aber noch beherrschbar ausgelösten Automatismen läßt sich so nicht erfassen. 86 Schewe Reflexbewegung S. 63 ff, 67.

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vation zur Vermeidung keinen Bestand hätte, Handlungen; denn die Organisation der Antriebsseite ist beim Handlungsbegriff Sache des Subjekts. ß) Diejenigen Körperreaktionen aber, die nicht nur-motivatorisch erledigt, jedoch durch eine körperliche Gegenaktivität in ihren Auswirkungen gestoppt werden können, sind keine Handlungen, aber durch Handlungen beherrschbar, also Unterlassungen 8 6 a ; denn die dominant auf Vermeidung gerichtete Motivation hebt in diesen Fällen nicht den Antrieb auf, sondern bewirkt eine gegensteuernde Handlung (das Verkrampfen eines Muskels hindert die Bewegungswirkung des Patellarsehnenreflexes ; das Aufeinanderbeißen der Zähne hindert das Kältezittern des Unterkiefers etc.). Zur Haftung in diesem Bereich ist für die praktisch relevante unechte Unterlassung eine Garantenstellung erforderlich ( § 1 3 StGB), die freilich regelmäßig wegen der Organisationszuständigkeit für den eigenen Körper vorliegt 8 7 . γ) Schließlich können Reaktionen unvermeidbar sein, und zwar weil sie sich entweder überhaupt nicht vermeiden lassen (ζ. B. starke Formen des Erbrechens) oder aber zumindest nicht in Situationen, in denen nur wenig Reaktionszeit zur Verfügung steht. 38

cc) Für den praktisch wichtigen Fall der Automatismen, insbesondere der automatisierten Reaktionen beim Führen eines Kraftfahrzeugs, scheidet also eine einheitliche Klassifizierung aus. α) Soweit der Automatismus motivatorisch aufhebbar ist und es an der Zeit, die der Motivationsprozeß dauert, nicht fehlt, handelt es sich um eine Handlung: Bei dominanter Motivation zur Vermeidung fände die Körperbewegung nicht statt. Beispiel: Bei Glatteis muß der Autofahrer besonders sanft beschleunigen oder bremsen etc., um nicht ins Schleudern zu geraten; er darf deshalb beim Aufleuchten der Bremslichter eines Vorfahrenden nicht „wie sonst" kräftig auf die Bremse treten, sondern muß den Impuls dazu aufheben und die Steuerungsmaßnahmen — ähnlich wie ein Anfänger — wieder wachbewußt übernehmen. ß) Ist der Automatismus so verselbständigt, daß er nur-motivatorisch nicht aufgehoben werden kann, so kann er trotzdem in einzelnen Fällen durch einen bewußten Willensakt im Ablauf gestört werden. Er ist dann keine Handlung, aber durch eine Handlung sind seine Folgen paralysierbar, und das Ausbleiben der paralysierenden Handlung ist Unterlassung. Beispiel : Das bei hoher Geschwindigkeit vor ein Kraftfahrzeug laufende Kleintier wird kaum ein Fahrer, zumindest wenn er erstmals in der Situation ist, ohne bewußtes krampfhaftes Einhalten der Fahrrichtung (zur Vermeidung von Ausweichbewegungen) überfahren können. — Das Schreien bei starken Schmerzen läßt sich durch das sprichwörtliche Zusammenbeißen der Zähne in Maßen vermeiden (zu den Grenzproblemen siehe oben 6/Fn. 69). γ) Der Automatismus kann schon ablaufen, ehe das Subjekt die Situation oder die Fehlerhaftigkeit des automatischen Reagierens in der Situation wahrgenommen hat: Er ist dann weder Handlung noch ist das Ausbleiben einer paralysierenden Handlung eine Unterlassung. Beispiel: Der Fahrer bremst automatisch, als das Fahrzeug auf vermeintlich nasser, in Wirklichkeit aber ölverschmierter Straße leicht schlingert; durch das Bremsen gerät das Fahrzeug sofort ins Schleudern und verletzt einen anderen Menschen.

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AK-Zielinski §§ 1 5 , 1 6 R d n . 26. Sie kann aber auch durch die Ü b e r n a h m e der Organisation durch Dritte überspielt w e r d e n ; Beispiel: D e r Patient, dem der Assistenzarzt zur R e f l e x p r ü f u n g auf d a s Knie schlägt, während sich

der kurzsichtige O b e r a r z t — in eine andere U n tersuchung vertieft — dicht über den Fuß beugt, ist nicht G a r a n t für die Vermeidung einer K ö r perverletzung beim O b e r a r z t .

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. AbSChn

dd) Fehlt eine Vermeidbarkeit in der Situation, so kann freilich das Verhalten, mit 3 9 dem das Subjekt in die Situation gekommen ist, einen Haftungsgrund abgeben (Vermeidbarkeit durch Übernahme einer Situation) 8 8 . Mit dieser Haftung f ü r die Übernahme ist auch zu begründen, daß bei der Bestimmung der Vermeidbarkeit eine — psychisch unvermeidbare — Schrecksekunde nicht stets berücksichtigt wird. Wenn sich jemand vermeidbar in eine Situation manövriert, in der er wegen Schreckens automatisiert falsche Reaktionen leistet 89 oder richtige Reaktionen nicht leistet 90 , so ist die Übernahme dieser Situation die Überschreitung des erlaubten Risikos. Nicht das Ausbleiben der Schrecksekunde wird erwartet, sondern das Ausbleiben der Übernahme 9 1 . c) Daß die mit vis absoluta erzwungenen Körperbewegungen keine Handlungen 4 0 sind, entspricht allgemeiner Meinung, ist auch richtig, aber mißverständlich begrenzt: Lageveränderungen des Körpers eines Subjekts, die sich vom Subjekt nicht rein motivatorisch erledigen lassen, sind sämtlich keine Handlungen; bei absoluter Gewalt lassen sie sich auch nicht durch Gegenaktivität erledigen, sind also auch keine Unterlassungen; nur letzteres ist bei nicht absolut gewaltsamer Einwirkung anders. Beispiel : Wenn einem seinerseits antriebslos bleibendem Subjekt zur Herstellung einer unechten Urkunde (§ 267 StGB) die Hand geführt wird, fehlt es jedenfalls an einer Fälschungshandlung des Subjekts; wird die H a n d mit nicht unwiderstehlicher Gewalt geführt, mag eine Urkundenfälschung durch Unterlassung vorliegen. — Handlungen sind freilich die durch erzwungene Motivation des Subjekts bewirkten Aktionen. Beispiel: Der Lithograph wird so lange gefoltert, bis er die Druckplatten zur Fälschung herstellt (§ 149 StGB). d) Keine Handlungen sind die — unbewußt motivierten und auch äußerlich finalen 41 — Reaktionen von Subjekten im Tiefschlaf und in völliger Bewußtlosigkeit; denn dem Subjekt fehlt während der Dauer der bezeichneten Zustände die Möglichkeit des bewußten Erlebens der eigenen Aktion; damit fehlt die Ebene, auf der eine dominante andere Motivation hergestellt werden soll. Die bei der Bestimmung der Handlung vorgenommene Unterstellung anderer dominanter Motivation stört zwar immer das konkrete Sinngefüge des Subjekts; bei einem Schlafenden oder Bewußtlosen würde die Unterstellung aber das Seinsgefüge (Schlaf, Bewußtlosigkeit) zerstören. Bei schweren Graden von Trunkenheit dürfte die Grenze zwischen der noch bewußt — nicht notwendig reflektiert — erlebbaren eigenen Aktion und dem Fehlen der Erlebnismöglichkeit praktisch schwer zu bestimmen sein 92 . — Bei Affekttaten (siehe auch unten zum Vorsatz 8/13 und unten zur Schuld 18/17) handelt es sich um H a n d -

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D e s h a l b w i r d die A b g r e n z u n g s f u n k t i o n des H a n d l u n g s b e g r i f f s teils b e z w e i f e l t ; Armin Kaufmann W e l z e l - F e s t s c h r i f t S. 393 ff, 394; Otter F u n k t i o n e n S. 179 ff, a b e r zu U n r e c h t : D a s v o r verlagerte V e r h a l t e n m u ß v e r m e i d b a r in b e z u g auf die relevanten Folgen sein; d a ß es sich ü b e r h a u p t u n t e r irgendeinem Aspekt u m ein V e r h a l t e n handelt, reicht n i c h t aus. Beispiel: W e r in einen P o r z e l l a n l a d e n geht u n d d o r t bei einem plötzlichen Knall u n v e r m e i d b a r z u s a m m e n z u c k t u n d eine S a c h e beschädigt, hat, so das G e s c h e h e n beim H i n e i n g e h e n nicht v o r a u s s e h b a r w a r , z w a r beim H i n e i n g e h e n eine H a n d l u n g , nicht a b e r eine S a c h b e s c h ä d i g u n g s h a n d l u n g vollzogen. O L G F r a n k f u r t V R S 28 S. 364 ff (mit freilich viel

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z u w e i t g e h e n d e n Pflichten z u r Einstellung auf G e f a h r e n ) ; B G H V R S 33 S. 358 ff, 361 f. B G H V R S 23 S. 376 ff, 3 7 8 ; 25 S. 51 f ; 26 S. 2 0 3 ff, 205; 27 S. 119 ff, 123; 34 S. 205 ff, 2 0 7 ; 34 S. 434 ff, 4 3 5 ; 38 S. 119 f. Siehe Spiegel D A R 1968 S. 283 f f , 291 f (bei freilich verfehlter B e h a n d l u n g als S c h u l d p r o b l e m ) ; Luff D A R 1959 S. 89 ff, 92. - W e i t e r e N a c h weise bei Schönke-Schröder-Cramer § 15 R d n . 2 1 6 ; JakobsStudienS. 81 Fn. 157. Siehe B G H 1 S. 124 ff, 126 f ; LK-Jescheck R d n . 33 v o r § 1 3 ; Schönke-Schröder-Lenckner R d n . 42 v o r § 13; — kritisch z u r s t r a f r e c h t l i c h e n A b g r e n z u n g Schewe R e f l e x b e w e g u n g S. 40 ff, 68 f f ; den. A l k o h o l d e l i n q u e n z S. 39 ff, 68 f.

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6. AbSChn

2. B u c h . 1. K a p i t e l . T a t b e s t a n d s v e r w i r k l i c h u n g d u r c h H a n d l u n g

lungen, solange überhaupt noch ein Bewußtsein des Agierens bestehen kann, mag das Subjekt sich auch als von den eigenen Antrieben getrieben empfinden 93 . 42

Wenn es in den genannten Fällen an einer Handlung fehlt, kann — wie bei den Automatismen (oben 6/39) — immer noch die Übernahme der Situation ein Verhalten sein, das zur Haftung führt. Beispiel: Die Mutter, die sich bezecht oder nach Einnahme von Schlafmitteln mit ihrem Säugling in ein enges Bett legt, haftet dieses Verhaltens wegen, wenn sie das Kind durch ihre Bewegungen im Tiefschlaf erdrückt. — § 323 a StGB erfordert freilich, daß in der Situation des (nicht auszuschließenden) Schuldausschlusses noch gehandelt (oder unterlassen) wird; denn die Vorschrift soll dem Verlust der Zurechenbarkeit des Verhaltens entgegenwirken, nicht aber der Gefahr, daß eine Person mangels Beherrschbarkeit der massa carnis handlungsunfähig wird. 6. Das Unvermeidbare

42a

Für Unvermeidbares selbst ist strafrechtlich nicht zu haften. Dies heißt aber nicht, etwas Unvermeidbares könne niemals zur strafrechtlichen Haftung beitragen. Vielmehr kann dadurch die Pflicht begründet werden, ein eventuell nachfolgendes Stadium der Vermeidbarkeit zu nutzen oder für eine von anderen Personen arrangierte Vermeidung die Kosten zu tragen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn ein Organisationskreis einer Person unvermeidbar in den Organisationskreis anderer Personen eindringt; es ist dann Aufgabe des Inhabers des eindringenden Organisationskreises, das Geschehen nachträglich zu revozieren. Beispiel: Der soeben erworbene Haushund entpuppt sich plötzlich als tollwütig und fällt einen Passanten an. Hier ist der Erwerb mangels Vermeidbarkeit keine Körperverletzungshandlung, aber aus der Herrschaftsbegründung über das Tier folgt eine Pflicht zum Schutz und zur Rettung des Opfers (durch Zurückziehen, notfalls durch Tötung des Hundes), die ansonsten nicht bestünde. Was unvermeidbar ist, kann also trotzdem die Zuständigkeit für einen Schadensverlauf begründen 93 ». Eine solche Zuständigkeit wird aber nicht von der Kausalität per se ausgelöst. Beispiel: Der soeben erworbene Hund lockt ein streunendes Tier an, das sodann einen Passanten anfällt etc. Hier fehlt nicht die Kausalität, wohl aber eine hinreichend umfassende Herrschaft. — Eingehender unten 29/29 ff. C . Deliktsfähigkeit eines Verbands, insbesondere: Verbandshandlungen?

43

1. Juristische Personen (des privaten oder öffentlichen Rechts) und andere Verbände können nach geltendem deutschen Strafrecht nicht bestraft werden. Gegen juristische Personen, nicht rechtsfähige Vereine und Personenhandelsgesellschaften kann freilich nach dem OWiG bei Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten ihrer Organe, Vorstände oder vertretungsberechtigten Gesellschafter eine Geldbuße festgesetzt werden, wenn die Tat Pflichten des Verbands verletzt hat oder der Verband bereichert wurde oder werden sollte (§ 30 Abs. 1 OWiG; siehe auch die weiteren Absätze). Diese doppelt halbherzige Lösung — keine Strafe, aber Geldbuße, und dies nur als Kannvorschrift — wurde gewählt, weil die Strafe vorgeblich wegen ihrer Bindung an ein abwertendes Schuldurteil gegenüber Verbänden im Gegensatz zur sozialethisch eher

93 93a

148

Krümpelmann Welzel-Festschrift S. 327 ff, 337 f, gegen Schewe a a O . Hierauf beruht die Plausibilität des Ansatzes von Schmidbauer A T 8/19 ff (oben 6/Fn. 68), der

freilich z u naturalistisch argumentiert: E r erschließt die Zuständigkeit aus dem Faktum des Zusammentreffens mehrerer Organisationskreise (siehe die Beispiele 8/33).

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

β. A b S C h n

indifferenten Geldbuße unangemessen sein soll 9 4 . — Zur Vertreterhaftung siehe unten 21/10 ff. In der Literatur 9 5 ist umstritten, ob eine juristische Person (oder ein sonstiger 4 4 Verband) im strafrechtlichen Sinn überhaupt handlungsfähig ist, was überwiegend nicht nur für die lex lata verneint w i r d 9 6 (societas delinquere non potest), jedoch zu U n r e c h t 9 7 : Schon bei der natürlichen Person ist die Feststellung einer H a n d l u n g nicht nur-naturalistisch zu erledigen; vielmehr geht es um die wertende Bestimmung des Zurechnungssubjekts, also darum, welches System aus Psyche und Körper nach seinen Außenwirkungen beurteilt wird (oben 6/21). D a ß bei der Bestimmung des Subjekts das zu bildende System stets aus den Ingredienzen einer natürlichen Person (Psyche und Körper) zusammengesetzt werden müsse und nicht auch aus denjenigen einer juristischen Person (Verfassung und Organe) zusammengesetzt werden dürfe, läßt sich nicht begründen. Vielmehr lassen sich auch Verfassung und O r g a n e der juristischen Person als ein System definieren, bei dem — entsprechend der Lage bei der natürlichen Person — Interna nicht interessieren (Beispiel: Die Verabredung zweier Organe zu einem Verbrechen ist noch kein nach § 30 StGB strafbares Handeln der juristischen Person), wohl aber der Output. Verfassungsgemäße Organhandlungen werden dadurch zu eigenen Handlungen der juristischen Person. 2. Schwieriger ist es, die Schuld der juristischen Person zu bestimmen. Mit der 4 5 Schuld ihrer Organe ist eine Schuld der juristischen Person so wenig gegeben, wie bei Beteiligungen nach den §§ 25 ff StGB an der Schuld der anderen Beteiligten teilgenommen wird (§ 29 StGB). Auch ist es ausgeschlossen, auf die Feststellung von Schuld überhaupt zu verzichten. Wie bei natürlichen Personen gibt es Fallgestaltungen, in denen die Person zwar handelt, aber plausibel machen kann, daß die internen H a n d lungsbedingungen als unverfügbar gelten müssen, d. h. zu entschuldigen sind. Insbesondere geht es darum, daß ein Organ mit W i r k u n g f ü r die juristische Person handelt, ohne daß die Kompetenz des Organs durch die Verfassung der juristischen Person beschnitten werden könnte. Auch wenn das O r g a n der Person oktroyiert worden ist, sind dessen Handlungen zwar auch Handlungen der juristischen Person, beruhen aber nicht auf den Eigenheiten dieser Person. In solchen Fällen ist der unverfügbare gesetzliche Verfassungsrahmen eine Bedingung der H a n d l u n g und die juristische Person daher entschuldigt. — Für die Handlung wie f ü r die Schuld sind also die dogmatischen Formen (nicht nur die Namen) bei der natürlichen und der juristischen Person identisch.

94

Göhler Beratungen Sonderausschuß V S. 1079; den. Beiheft ZStW 1978 S. 100 ff, 102. Immerhin ist die frühere Bezeichnung der Buße als Nebenfolge entfallen; dazu eingehend Ttedemann N J W 1988 S. 1169 ff; Achenbach JuS 1990 S. 602 ff, 605 ff. Als Maßregeln sind im Strafrecht wie im Ordnungswidrigkeitenrecht Verfall und Einziehung möglich (SS 73,73a, 75 StGB; S 29 OWiG). 95 Zur Rechtsvergleichung siehe Huss ZStW 90 S. 237 ff; Jescheck SchwZStr. 70 (1955) S. 243 ff, 252 ff; Schmitt Maßnahmen S. 29 ff; Ackermann Strafbarkeit S. 75 ff. 96 LK-Jescheck Rdn. 35 vor S 13; Jescheck AT S 23 V 1 ; den. SchwZStr. 70 (1955) S. 243 ff, 259 (anders ders. ZStW 65 S. 210 ff, 212 f : Verbände sollen handlungsfähig, aber nicht schuldfähig sein); Maurach-Zipf A T I S 15 Rdn. 6 ff; Engisch Ver-

handlungen 40. D J T 11(E) S. 7 ff; Härtung ebendort S. 43 ff; Heinitz ebendort S. 67 ff; den. ZStW 65 S. 26 ff, 51; Lang-Hinrichsen H. Mayer-Festschrift S. 49 ff, 53 Fn. 21; Schmitt Maßnahmen S. 178 ff; Schmidhäuser AT 8/15; Pohl-Sichtermann Geldbuße S. 3 ff. — Verneinend auch die Rechtsprechung seit RG 16 S. 121 ff, 123 ff; BGH 3 S. 130 ff, 132. 97 Im Ergebnis hauptsächlich wie hier BaumannWeher AT S 16 II 3 a ; M. E. Mayer KT S. 96 f; v. Liszt-Schmidt Strafrecht S 28 I 2 mit Fn. 4; Busch Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit S. 89 ff; Rotherg DJT-Festschrift Bd. II S. 193 ff, 197; v. Weber GA 1954 S. 237 ff, 241; Ackermann Strafbarkeit S. 186 ff; — siehe auch Ttedemann Wirtschaftsstrafrecht Bd. IS. 204 ff.

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6. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

II. Der Tatbestandsbegriff Literatur I. Andrejew Die integrierende Lehre vom Tatbestand, H . Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 639 ff; G. ArztDie Neufassung der Diebstahlsbestimmungen, JuS 1972 S. 515 ff; ders. Anmerkung zu B G H StV 1985 S. 103 f, a a O S. 104 ff; den. Erfolgsdelikt und Tätigkeitsdelikt, SchwZStr. 107 (1990) S. 168 ff; /. Baumann Folgenlose Verkehrsgefährdung als Massenerscheinung, 1961 ; ders. Haltet den Dieb! DAR 1962 S. 93 ff; den. H a t oder hatte der Handlungsbegriff eine Funktion? Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 181 ff; E. Beling Die Lehre vom Tatbestand, 1930; H. Blei Literaturübersicht, JA 1975 S. 237 ff; M. Bergmann Die Milderung der Strafe nach § 49 Abs. 2 StGB, 1988; U. Berz Formelle Tatbestandsverwirklichung und materialer Rechtsgüterschutz, 1986; / Bohnert Die Abstraktheit der abstrakten Gefährdungsdelikte — B G H N J W 1982, 2329, JuS 1984 S. 182 f f ; W. Brehm Z u r Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdelikts, 1973; ders. Die ungefährliche Brandstiftung - B G H N J W 1975, 1369, JuS 1976 S. 22 ff; H. Bruns Kritik der Lehre vom Tatbestande, 1932; H.-J. Bruns Anmerkung zu B G H J R 1986 S. 336 f, a a O S. 337 ff; ders. Uber Strafrahmenänderungen bei unterschiedlich Beteiligten an unbenannten Falldifferenzierungen, GA 1988 S. 339 ff; E. Buchholz Tatbestandslehre in der D D R , ZStW 101 S. 943 ff; R.-P. Calliess Die Rechtsnatur der „besonders schweren Fälle" und Regelbeispiele im Strafrecht, J Z 1975 S. 112 ff; W. Class Grenzen des Tatbestandes, 1933; H. Demuth Der normative Gefahrbegriff, 1980; F. Dencker Erfolg und Schuldidee, Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 441 ff; G. Dornseifer Rechtstheorie und Strafrechtsdogmatik Adolf Merkels, 1979; E. Dreher Anmerkung zu B G H 20 S. 140 ff, JZ 1965 S. 455 f; ders. Der Irrtum über Rechtfertigungsgründe, Heinitz-Festschrift S. 207 ff; ders. Nochmals zur Sphinx des § 113 StGB, J R 1984 S. 401 ff; U. Ebert und K. Kühl Das Unrecht der vorsätzlichen Straftat, Jura 1981 S. 225 ff; K. Engisch Untersuchungen über Vorsatz und Fahrlässigkeit im Strafrecht, 1930; ders. Anmerkung zu O L G Frankfurt SJZ 1946 Sp. 231 f, a a O Sp. 232 ff; ders. Die neuere Rechtsprechung zur Trichotomie der Straftaten, SJZ 1948 Sp. 660 ff; den. Der Unrechtstatbestand im Strafrecht, DJT-Festschrift Bd. I S. 401 ff; ders. Die normativen Tatbestandselemente im Strafrecht, Mezger-Festschrift S. 127 ff; ders. Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum bei Rechtfertigungsgründen, ZStW 70 S. 566 ff; J. Fabry Der besonders schwere Fall der versuchten Tat, N J W 1986 S. 15 ff; M. Fincke Das Verhältnis des Allgemeinen zum Besonderen Teil des Strafrechts, 1975; R. Frank Rechtsprechung des Reichsgerichts, ZStW 14 S. 354 ff; W. Frisch Vorsatz und Risiko, 1983; ders. Riskanter Geschlechtsverkehr eines HIV-Infizierten als Straftat? - B G H 36, 1, JuS 1990 S. 362 ff; W. Gallas Zum gegenwärtigen Stand der Lehre vom Verbrechen, ZStW 67 S. 1 ff ; ders. Abstrakte und konkrete Gefährdung, Heinitz-Festschrift S. 171 ff; ders. Zur Struktur des strafrechtlichen U n rechtsbegriffs, Bockelmann-Festschrift S. 155 ff; M. Grünhut Methodische Grundlagen der heutigen Strafrechtswissenschaft, Frank-Festgabe Bd. I S. 1 ff; B. Haffke Delictum sui generis und Begriffsjurisprudenz, JuS 1973 S. 402 ff; K. A. Hall Die Lehre vom corpus delicti, 1933; V. Hassemer Delictum sui generis, 1974; W. Hassemer Tatbestand und Typus, 1968; E. Heinitz Empfiehlt sich die Dreiteilung der Straftaten auch f ü r ein neues Strafgesetzbuch, Materialien Bd. I S. 55 ff; R. v. Hippel Gefahrenurteile und Prognoseentscheidungen in der Strafrechtspraxis, 1972; H. ]. Hirsch Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, 1960; ders. Soziale Adäquanz und Unrechtslehre, ZStW 74 S. 78 ff; ders. Literaturbericht, ZStW 84 S. 380 ff; ders. Der Streit um Handlungs- und Unrechtslehre, insbesondere im Spiegel der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, ZStW 93 S. 831 ff, 94 S. 239 ff; den. Zur Reform der Reform des Widerstandsparagraphen (§ 113 StGB), Klug-Festschrift S. 235 ff; A. Hold v. Ferneck Die Rechtswidrigkeit Bd. I, 1903; E. Horn Konkrete Gefährdungsdelikte, 1973; A. Hoyer, Die Eignungsdelikte, 1987; ders. Zum Begriff der „abstrakten Gefahr", JA 1990 S. 183 ff; /. Hruschka Die Dogmatik der Dauerstraftaten und das Problem der Tatbeendigung, GA 1968 S. 193 ff; B. Imhof Die Einteilung der strafbaren Handlungen, Materialien Bd. II (1) S. 1 ff; H.-Chr. Jahr Die Bedeutung des Erfolges f ü r das Problem der Strafmilderung beim Versuch, 1981; G. Jakobs Nötigung durch D r o h u n g als Freiheitsdelikt, Peters-Festschrift S. 69 ff; ders. Kriminalisierung im Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung, ZStW 97 S. 751 ff; ders. Nötigung durch Gewalt, H . Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 791 ff; H.-H. Jescheck Die Entwicklung des Verbrechensbegriffs in Deutschland seit Beling im Vergleich mit der österreichischen Lehre, ZStW 73 S. 179 ff; ders. Neue Strafrechts-

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Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. Abschn

dogmatik und Kriminalpolitik in rechtsvergleichender Sicht, ZStW 98 S. 1 ff; /. C. Joerden Strukturen des strafrechtlichen Verantwortlichkeitsbegriffs: Relationen und ihre Verkettungen, 1988; A. Kastenbauer Oie Regelbeispiele im Strafzumessungsvorgang, 1986; Armin Kaufmann Tatbestandseinschränkung und Rechtfertigung, JZ 1955 S. 37 ff; ders. Die Dogmatik im Alternativentwurf, ZStW 80 S. 34 ff; ders. Zum Stande der Lehre vom personalen Unrecht, Welzel-Festschrift S. 393 ff; ders. Die Funktion des Handlungsbegriffs im Strafrecht, in: G. Dornseiferu. a. (Hrsg.) Strafrechtsdogmatik zwischen Sein und Wert, 1982 S. 21 ff; ders. Die Rechtswidrigkeit im Zivilund Strafrecht, a a O S. 35 ff; ders. Rechtspflichtbegründung und Tatbestandseinschränkung, Klug-Festschrift S. 277 ff; Arthur Kaufmann Zur Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, J Z 1954 S. 653 ff; ders. Tatbestand, Rechtfertigungsgründe und Irrtum, J Z 1956 S. 353 ff, 393 ff; ders. Unrecht und Schuld beim Delikt der Volltrunkenheit, J Z 1963 S. 425 ff; ders. Einige Anmerkungen zu Irrtümern über den Irrtum, Lackner-Festschrift S. 185 ff; U. Kindhäuser Gefährdung als Straftat, 1989; E. F. Klein Grundsätze des Gemeinen Deutschen und Preußischen Peinlichen Rechts, 1796; U. Klug Sozialkongruenz und Sozialadäquanz im Strafrecht, Eb. Schmidt-Festschrift S. 249 ff; M. Köhler Die bewußte Fahrlässigkeit, 1982; D. KratzschVer haltenssteuerung und Organisation im Strafrecht, 1985; ders. Prävention und Unrecht — eine Replik, GA 1989 S. 49 ff; D. Krauß Erfolgsunwert und Handlungsunwert im Unrecht, ZStW 76 S. 19 ff; J. KrümpelmannOie Bagatelldelikte, 1966; M. Kruse Die scheinbare Rechtsgutsverletzung bei den auf Enteignung gerichteten Eigentumsdelikten, 1986; K. Kühl Landfriedensbruch durch Vermummung und Schutzbewaffnung? N J W 1986 S. 874 ff; W. Küper Deliktsversuch, Regelbeispiel und Versuch des Regelbeispiels, JZ 1986 S. 519 ff; G. KüpperZ,\im Verhältnis von dolus eventualis, Gefährdungsvorsatz und bewußter Fahrlässigkeit, ZStW 100 S. 758 ff; L. Kuhlen Der H a n d lungserfolg der strafbaren Gewässerverunreinigung (§ 324 StGB), GA 1986 S. 389 ff; K. Lackner Das konkrete Gefährdungsdelikt im Verkehrsstrafrecht, 1967; E. ]. Lampe Das personale U n recht, 1967; D. Lang-HinrichsenTatbestandslehre und Verbotsirrtum, J R 1952 S. 302 ff; ders. Die irrtümliche Annahme eines Rechtfertigungsgrundes in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, J Z 1953 S. 362 ff; R. LangeOie Systematik der Strafdrohungen, Materialien Bd. I S. 69 ff; W. Langer Vorsatztheorie und strafgesetzliche Irrtumsregelung, GA 1976 S. 193 ff; K. Laubenthal Der Versuch des qualifizierten Delikts einschließlich des Versuchs eines besonders schweren Falls bei Regelbeispielen, J Z 1987 S. 1065 ff; H. Luden Uber den Thatbestand des Verbrechens nach gemeinem teutschen Rechte, 1840 ; ΛΓ. Lüderssen Die strafrechtsgestaltende Kraft des Beweisrechts, ZStW 85 S. 288 ff; ders. Erfolgszurechnung und „Kriminalisierung", Bockelmann-Festschrift S. 181 ff; W. Mathofer Objektive Schuldelemente, H . Mayer-Festschrift S. 185 ff; M. Maiwald Bestimmtheitsgebot, tatbestandliche Typisierung und die Technik der Regelbeispiele, Gallas-Festschrift S. 137 ff; ders. Z u r Problematik der „besonders schweren Fälle" im Stafrecht, N S t Z 1984 S. 433 ff; ders. Die Bedeutung des Erfolgsunwertes im Unrecht, in: H. Schöch (Hrsg.) Wiedergutmachung und Strafrecht, 1987 S. 64 ff; K. Marxen Straftatsystem und Strafprozeß, 1984; E. Mezger Wandlungen der strafrechtlichen Tatbestandslehre, N J W 1953 S. 2 ff; ]. Minas-v. Savigny Negative Tatbestandsmerkmale, 1972; S. Mir Puig Die „ex ante"-Betrachtung im Strafrecht, Jescheck-Festschrift S. 338 ff; A. Montenbruck Strafrahmen und Strafzumessung, 1983; ders. Zur Aufgabe der besonders schweren Fälle, N S t Z 1987 S. 311 ff; Chr. Mylonopoulos Uber das Verhältnis von Handlungs- und Erfolgsunwert im Strafrecht, 1981 ; /. Nagler Der heutige Stand der Lehre von der Rechtswidrigkeit, Binding-Festschrift Bd. II S. 273 ff; F. Nowakowski Zur Lehre von der Rechtswidrigkeit, Z S t W 63 S. 287 ff; ders. Rechtsfeindlichkeit, Schuld, Vorsatz, ZStW 65 S. 379 ff; ders. Probleme der Strafrechtsdogmatik, JurBl. 1972 S. 19 ff; H. Ostendorf G rundzüge des konkreten Gefährdungsdelikts, JuS 1982 S. 426 ff; H.-U. Paeffgen Der Verrat in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses (§ 97 b StGB) und die allgemeine Irrtumslehre, 1979; C. Roxin Offene Tatbestände und Rechtspflichtmerkmale, 1959; ders. Die Irrtumsregelung des Entwurfs 1960 und die strenge Schuldtheorie, MonSchrKrim. 1961 S. 213 f f ; ders. Ein neues Bild des Strafrechtssystems, ZStW 83 S. 369 ff; ders. Literaturbericht, ZStW 82 S. 675 ff; H.-J. Rudolphe Inhalt und Funktion des Handlungsunwertes im Rahmen der personalen Unrechtslehre, Maurach-Festschrift S. 51 ff; i7. Sack Die Kriminologie auf fremdem Boden, in: K. Lüderssen und F. Sack (Hrsg.) Vom Nutzen und Nachteil der Sozialwissenschaften f ü r das Strafrecht Bd. I, 1980, S. 35 ff; W. Sax „Tatbestand" und Rechtsgutsverletzung, J Z 1976 S. 9 ff, 80 ff, 429 ff; G. Schäfer Anmerkung zu B G H 33 S. 370 ff, JR 1986 S. 522 ff; F. Schaffstein Handlungsunwert, Erfolgsun-

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6. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

wert und Rechtfertigung bei den Fahrlässigkeitsdelikten, Welzel-Festschrift S. 557 ff; W. Schild Die „Merkmale" der Straftat und ihres Begriffs, 1979; U. Schittenbelm Probleme der umweltgefährdenden Abfallbeseitigung nach § 326 StGB, GA 1983 S. 310 ff; E. Schmidhäuser Der Unrechtstatbestand, Engisch-Festschrift S. 433 ff; ders. Zum Begriff der Rechtfertigung im Strafrecht, Lackner-Festschrift S. 77 ff; R. Schmitt Juristische „Aufrichtigkeit" am Beispiel des §243 StGB, Tröndle-Festschrift S. 313 ff; Chr. Schönehorn Zum „Erfolgsunwert" im Lichte der sozialpsychologischen Attributionstheörie, GA 1981 S. 70 ff; F. C. Schroeder Die Gefährdungsdelikte, Beiheft ZStW 1982 S. 1 ff; H. Schröder Gesetzliche und richterliche Strafzumessung, MezgerFestschrift S. 415 ff; ders. Die Gefährdungsdelikte im Strafrecht, ZStW 81 S. 7 ff; B. Schünemann Moderne Tendenzen in der Dogmatik der Fahrlässigkeits- und Gefährdungsdelikte, JA 1975 S. 435 ff, 511 ff, 575 ff, 647 ff, 715 ff, 787 ff; ders. Einführung in das strafrechtliche Systemdenken, in: ders. (Hrsg.) Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, 1984 S. 1 ff-, ders. Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft nach der Strafrechtsreform im Spiegel des Leipziger Kommentars und des Wiener Kommentars, GA 1985 S. 341 ff, GA 1986 S. 293 ff; H. Schweikert Die Wandlungen der Tatbestandslehre seit Beling, 1957; W. Stockt Ist durch die Neufassung des § 1 StGB durch das 1. Strafrechtsreformgesetz (bzw. § 12 des 2. Strafrechtsreformgesetzes) der Theorienstreit über die Dreiteilung der Straftaten beendet? GA 1971 S. 236 ff; E. Steininger Der Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale, JurBl. 1987 S. 205 ff, 287 ff; D. Sternberg-Lieben Versuch und § 243 StGB, Jura 1986 S. 183 ff; ders. Gleichstellung von „versuchtem" und „vollendetem" Regelbeispiel? NStZ 1984 S. 538 ff; G. Stratenwerth Handlungs- und Erfolgsunwert im Strafrecht, SchwZStr. 79 (1963) S. 233 ff; ders. Zur Relevanz des Erfolgsunwerts im Strafrecht, Schaffstein-Festschrift S. 177 ff; W. Stree Beteiligung an einer Schlägerei — BGHSt. 16, 130, JuS 1962 S. 93 ff; R. F. Suarez-Montes Weiterentwicklung der finalen Unrechtslehre? Welzel-Festschrift S. 379 ff; K. Tiedemann Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht, 1969; ders. Neue Auslegungs- und Methodenfragen des Strafrechts, in: Studi in memoria di Giaccomo Dalita, Bd. 3, 1984 S. 2149 ff; G. Timpe Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB und das Doppelverwertungsverbot, 1983; ders. Anmerkung zu BGH J R 1986 S. 75 f, aaO S. 76 f; H. Vianden-Grüter Der Irrtum über Voraussetzungen, die für § 240 II StGB beachtlich sind, GA 1954 S. 359 ff; E. Wahle Zur strafrechtlichen Problematik „besonders schwerer Fälle", erläutert am Beispiel der Verkehrsunfallflucht, GA 1969 S. 161 ff; H. v. Weber Negative Tatbestandsmerkmale, Mezger-Festschrift S. 183 ff; U. WeberOie Uberspannung der staatlichen Bußgewalt, ZStW 92 S. 313 ff; ders. Die Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes durch Gefährdungs- und Unternehmensdelikte, Beiheft ZStW 1987 S. 1 ff;//. WelzelZuT Systematik der Tötungsdelikte, J Z 1952 S. 72 ff; ders. Der Irrtum über die Zuständigkeit einer Behörde, J Z 1952 S. 133 ff; ders. Der Irrtum über die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung, JZ 1952 S. 19 f; ders. Anmerkung zu BGH 3 S. 248 ff, JZ 1953 S. 119 ff; ders. Die Regelung von Vorsatz und Irrtum im Strafrecht als legislatorisches Problem, ZStW 67 S. 196 ff; ders. Diskussionsbemerkungen zum Thema „Die Irrtumsregelung im Entwurf", ZStW 76 S. 619 ff; ders. Das neue Bild des Strafrechtssystems, 4. Auflage 1961 ; /. Wessels Zur Problematik der Regelbeispiele für „schwere" und „besonders schwere Fälle", Maurach-Festschrift S. 295 ff; ders. Zur Indizwirkung der Regelbeispiele für besonders schwere Fälle einer Straftat, Lackner-Festschrift S. 423 ff; E. Wolf Die Typen der Tatbestandsmäßigkeit, 1931; /. Wolter Konkrete Erfolgsgefahr und konkreter Gefahrerfolg im Strafrecht — OLG Frankfurt NJW 1975, 840, JuS 1978 S. 748 ff; ders. Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr und Verletzung in einem funktionalen Straftatsystem, 1981; D. Zielinski Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff, 1973; H. Zipf Anmerkung zu BayObLG J R 1981 S. 118 f, aaO S. 119 ff; R. Zippelius Die Rechtswidrigkeit von Handlung und Erfolg, AcP 157 S. 390 ff.

A. Die Tatbestandsverwirklichung als Stufe der Zurechnung 46

1- Bei der strafrechtlichen Zurechnung folgt allein aus dem Umstand nichts, daß etwas eine Handlung ist; vielmehr interessiert zur Zurechnung zum Handelnden immer nur die straftatbestandliche Handlung. Allein aus dem Vorliegen einer straftatbestandlichen Handlung folgt freilich auch nichts, was die Zurechnung zum Handelnden als strafbar angeht: Die Rechtsfolge Strafe setzt rechtswidriges und schuldhaftes straftat152

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. Abschn

bestandliches Handeln (oder Unterlassen unten 28/9 ff) voraus. — N u r bei einzelnen Maßregeln (siehe §§ 63 ff, 71 StGB, §§ 69, 70 StGB) oder bei Verfall und Einziehung (§§ 73 ff, 76 StGB) reicht straftatbestandlich-rechtswidriges Handeln. Diese alleinige Relevanz der tatbestandlichen, rechtswidrigen und schuldhaften Handlung darf freilich nicht zu der Annahme verleiten, alle Bedingungen der Zurechnung seien überhaupt äquivalent; sie sind dies nur für das Endergebnis der Strafbarkeit; dafür spielt es keine Rolle, ob ein Tatbestandsmerkmal fehlt oder ein Täter entschuldigt handelt. Aber das Ergebnis läßt sich nur sicher ermitteln, wenn die Zurechnungsvoraussetzungen in bestimmter Weise gegliedert werden 9 8 , und zwar nicht nur aus didaktischen Gründen. Denn zum einen sind einzelne Zurechnungsvoraussetzungen vom Bestand anderer abhängig (§ 16 StGB bestimmt den Vorsatz mit Hilfe des Begriffs Tatbestand, §§ 17, 20, 21 StGB bestimmen die Schuld mit Hilfe des Begriffs Unrecht). Zum anderen ist die gesetzliche Regelung der Zurechnungsvoraussetzungen, insbesondere derjenigen subjektiver Art, nur lückenhaft erfolgt; das Problem der Zuordnung eines nicht geregelten Bereichs ist aber nicht mit der pauschalen Erkenntnis lösbar, daß es überhaupt um Zurechnung geht, sondern nur mit der Differenzierung, zu welchem — eigenen Regeln folgenden — Teilkomplex das Problem gehört. Beispiel: Wer irrig meint, er werde angegriffen und sich durch Verletzung des vermeintlichen Angreifers wehrt, irrt über einen Rechtfertigungstatbestand; die Relevanz des Irrtums (§16 oder § 17 StGB oder Sonderform ?) ist allein mit der Erkenntnis, daß der Täter das Deliktische seines Tuns nicht kennt, nicht zu leisten (zur Lösung unten 11/42 ff). 2. Eine Gliederung ist auch nötig, weil bei der Bestimmung von Zurechnung als 47 Vorfrage auch ein nicht straftatbestandliches oder straftatbestandlich-rechtswidriges, aber nicht schuldhaftes Handeln einer anderen Person bedeutsam sein kann. Beispiele: Notwehr ist nicht nur gegen straftatbestandlich-rechtswidrige, sondern überhaupt gegen rechtswidrige (und zudem schuldhafte) Angriffe erlaubt (§ 32 StGB, unten 12/14 ff); — Beteiligung mehrerer Personen setzt nicht allseits schuldhaftes, sondern nur straftatbestandlich-rechtswidriges Verhalten voraus (§29 StGB, unten 23/5), bei einigen Formen der mittelbaren Täterschaft sogar nicht einmal allseits straftatbestandliches Handeln (unten 21/77 ff, 88 ff, 97 ff). Der hier verwendete Begriff des Tatbestands und sein Verhältnis zu den benachbarten Deliktsstufen Handlung und Unrecht sind erklärungsbedürftig:

B. Die Entwicklung des Tatbestandsbegriffs 1. Der Begriff Tatbestand wurde bei der Entwicklung der Lehre vom corpus delicti 4 8 gewonnen 99 . Diejenigen äußeren Zeichen eines Verbrechens nannte man das corpus delicti, die zu besonderen Verfolgungsmaßnahmen („Spezialinquisition") berechtigten. Corpus delicti war also ein — nach heutigem Verständnis — prozessualer Begriff. Der Begriff des Tatbestands verdrängt den des corpus delicti bei der Wendung des Blicks 98

Das schließt nicht aus, daß im Einzelfall das Ergebnis ohne Blick auf die einzelnen Gliederungsschritte vorweggenommen werden k a n n ; ζ. B. ist der dauernd schwer Psychotische dauernd schuldunfähig und die Frage nach einer rechtswidrigen T a t ist, was die Strafbarkeit (und nicht die Sicherung) des Täters angeht, mit dem Feststehen der Psychose vor aller P r ü f u n g zu Tatbestand und Rechtswidrigkeit und sonstiger Entschuldigung entschieden.

99

Zum folgenden Text siehe Schweikert Wandlungen S. 7 f f ; Hall Lehre vom corpus delicti S. 12 ff und passim; Bruns Kritik S. 10 f f ; Marxen Straftatsystem S. 44 ff; Luden Über den Thatbestand des Verbrechens S. 5 f f ; Mittermaier N o t e n I und II in: Feuerbach L e h r b u c h 14 § 8 1 . — Zur Entwicklung in der D D R bis 1989 Buchholz ZStW 101 S. 943 ff.

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6. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

vom Prozessualen (was ist als geschehen anzunehmen?) zum Materiellen (wie ist Geschehenes zu werten?). Auch nach dieser Wendung — die nur H a n d in H a n d mit einem Wandel der Prozeßformen möglich war — wird zunächst noch mit corpus delicti oder Tatbestand das konkret Geschehene (in heutiger Terminologie: ein Sachverhalt) bezeichnet, aber nicht mehr als prozessual relevanter Sachverhalt, sondern als ein nach materiellrechtlicher Erheblichkeit bestimmter Sachverhalt. E. F. Klein100: „Diejenigen Thatsachen, welche zusammengenommen den Begriff einer gewissen Gattung von Verbrechen bestimmen, machen den Thatbestand aus (corpus delicti)". Mit zunehmender wissenschaftlicher Durchdringung des Strafrechts schwindet das Interesse an den Tatsachen zugunsten der Gattung. Schon bei Feuerbach101 ist Tatbestand ein „Inbegriff von Merkmalen": „Der Inbegriff der Merkmale einer besonderen Handlung oder Thatsache, welche in dem gesetzlichen Begriff von einer bestimmten Art rechtswidriger H a n d lungen enthalten sind, heißt der Thatbestand des Verbrechens (corpus delicti)". 49

2 a) Mit dem so bestimmten Begriff des Tatbestands läßt sich neben dem des Verbrechens nichts anfangen: Tatbestand und Verbrechen decken sich in der Hauptsache (streitig blieb, ob die Zurechnungsfähigkeit zum Tatbestand gehören sollte). Erst zu Beginn dieses Jahrhunderts wird der Begriff dogmatisch aktiviert, indem Beling ihn als selbständige Stufe des Verbrechens vor Rechtswidrigkeit und Schuld etabliert (Lehre vom Verbrechen, 1906). Nach Beling102 ist jedes Verbrechen eine H a n d l u n g und zwar eine „tatbestandsmäßige, rechtswidrige, schuldhafte, einer auf sie passenden Strafdrohung unterstellbare und den Strafdrohungsbedingungen genügende H a n d l u n g " 1 0 3 . Dabei wird der Tatbestand verstanden als „Inbegriff der Merkmale, die ergeben, um welches Verbrechen es sich typisch handelt" 1 0 4 , als „Verbrechenstyp" 1 0 5 ; dieser Tatbestand als Verbrechenstyp soll aber kein Werturteil enthalten 1 0 6 . Zugleich soll der Tatbestand „ganz objektiv", also frei von Vorsatz und Fahrlässigkeit oder sonstigen subjektiven Beimengungen sein 1 0 7 , mit Ausnahme der Willkürlichkeit, die jeder H a n d lung nach dem Verständnis der kausalen Handlungslehre eignet. Vorsatz und Fahrlässigkeit sollen die „Beziehung der Psyche zum Tatbestand" sein, nicht Teil des Tatbestands 1 0 8 . Schließlich soll der Tatbestand die Bestimmtheit des Strafgesetzes garantieren: N u r die Bestimmung des Tatbestands im positiven Recht soll ein Verbrechen konstituieren (§ 2 StGB a. F.; jetzt Art. 103 Abs. 2 G G ; § 1 StGB) 1 0 9 .

50

b) Beling hat mit dieser Fülle von Funktionen des Tatbestands den Tatbestandsbegriff überfrachtet und die systematischen Implikationen einzelner Funktionen unterschätzt. Wenn der Tatbestand den Verbrechenstyp bezeichnen soll, kann er, wie schon die bald nach Beling entwickelte Lehre von den subjektiven Unrechtselementen erbrachte (unten 8/93), nicht nur objektive Merkmale enthalten. Enthält er aber nur objektive Merkmale, so kann er wiederum nicht die Bestimmtheit der T a t garantieren; denn garantiert ist das Verbrechen in seiner ganzen gesetzlichen Gestalt, mögen die Merkmale objektiv oder subjektiv sein (oben 4/9). Schließlich kann die angebliche Wertfreiheit eines Verbrechenstyps nur dahin verstanden werden, daß mit der Tatbestandlichkeit noch nichts über eine Rechtfertigung oder Entschuldigung ausgemacht ist, während das Werturteil, daß das Tatbestandliche nicht sozial unauffällig ist, mit dem Verbrechenstyp unlösbar verknüpft ist. 100

105

101 102

106 107

Grundsätze § 68. Lehrbuch § 81. Eingehend dazu SchweikertWandlungen 103 Lehre vom Verbrechen S. 7. 104 A a O S. 3.

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S. 14 ff.

AaO AaO AaO 108 A a O 109 A a O

S. S. S. S. S.

V, 21,110. 147. 178 f. 179. 23 ff.

Tatbestandsverwirklichung. G r u n d l a g e n

β. A b S C h n

Ist also Belings K o n z e p t in sich nicht k o n s e q u e n t 1 1 0 , so ist d o c h sein Versuch, neben der H a n d l u n g , n o c h vor dem U n r e c h t eine weitere Deliktsstufe zu etablieren, d u r c h f ü h r b a r , und die sich dabei ergebende Gliederung des Delikts als eine tatbestandliche rechtswidrige und schuldhafte H a n d l u n g ist vorzugswürdig. Das ist freilich bis in die Gegenwart streitig.

C. Die dogmatische Bedeutung des Tatbestands 1. Der Begriff des Tatbestands U n r e c h t ist eine H a n d l u n g , die sozial nicht erträglich ist. H a n d l u n g e n , die nicht 51 U n r e c h t sind, k ö n n e n sich von Unrechten H a n d l u n g e n in doppelter Weise unterscheiden: (a) Sie k ö n n e n die Merkmale der Unrechten H a n d l u n g nicht aufweisen (ein erkanntermaßen folgenloser Schuß in die Luft ist eben keine T ö t u n g oder K ö r p e r v e r letzung oder Sachbeschädigung) oder aber (b) sie k ö n n e n sämtliche Merkmale der Unrechten H a n d l u n g aufweisen, aber zudem weitere Merkmale, Rechtfertigungsmerkmale, die das an sich sozial Unerträgliche tolerabel machen (eine vorsätzliche K ö r p e r verletzung in erforderlicher A b w e h r eines rechtswidrigen Angriffs ist erlaubt, § 32 StGB). Im ersteren Fall ist nichts geschehen, was sozial auffällig w ä r e (jedenfalls nichts in der strafrechtlich vorausgesetzten Massivität u n d gesetzlichen Bestimmtheit), im letzteren m u ß die Erträglichkeit des Geschehens positiv b e g r ü n d e t werden. Beispielhaft gesprochen: Im ersteren Fall wirkt auf einen Hebel (dessen Bewegung in eine bestimmte Richtung das U n r e c h t anzeigt) keine K r a f t ; im letzteren Fall wirkt eine K r a f t , aber sie wird d u r c h eine G e g e n k r a f t aufgehoben. Jedenfalls fehlt es am U n r e c h t ; in der W i r k u n g f ü r das U n r e c h t sind also das Fehlen von Merkmalen einer U n r e c h t s h a n d l u n g und das V o r h a n d e n s e i n von Rechtfertigungsmerkmalen äquivalent, aber n u r insoweit. Inhaltlich, in ihrer Zusammensetzung, ist eine H a n d l u n g , die nicht die Merkmale einer U n r e c h t s h a n d l u n g aufweist, von einer solche Merkmale aufweisenden, aber gerechtfertigten H a n d l u n g verschieden : Erstere ist ohne Blick auf den sozialen Zusammenbang, in dem sie steht, kein Unrecht, letztere ist dies nur wegen des Blicks auf den Zusammenhang. Die Unterscheidung ist trotz der Äquivalenz f ü r das U n r e c h t wichtig; w ä r e n die bezeichneten H a n d l u n g e n nicht n u r in ihren W i r k u n g e n f ü r das U n r e c h t , sondern auch gegenständlich gleich, müßten auch die subjektiven Seiten, insbesondere auch im Irrtumsfall, gleich behandelt w e r d e n ; Unkenntnis von Unrechtsvoraussetzungen und irrige Annahme von Rechtfertigungsvoraussetzungen müßten gleiche W i r k u n g zeigen. D a aber die bezeichneten H a n d l u n g e n gegenständlich unterschieden sind, mögen auch die Irrtumskonsequenzen differieren (eingehend siehe unten 11/18 ff, 42 ff). Der Inbegriff der Merkmale, mit denen ein Verhalten beschrieben wird, das allenfalls 5 2 in einem Rechtfertigungszusammenhang tolerierbar ist, heißt Unrechtstatbestand (zu den Besonderheiten bei nur-objektiven Bedingungen siehe unten 10/1 ff, 15 ff). Die Feststellung, daß ein Unrechtstatbestand verwirklicht ist, erfolgt unabhängig vom Bestand eines Rechtfertigungszusammenhangs. Dieser Unrechtstatbestand ist gemeint, w e n n nachfolgend der Tatbestandsbegriff ohne Zusatz verwendet wird. Es gibt so viele Tatbestände, wie es im positiven Recht Ausformulierungen verschiedener H a n d l u n g e n gibt; hierbei k a n n eine Gesetzesbestimmung mehrere T a t b e s t ä n d e enthalten (etwa § 266 Abs. 1 StGB enthält in der ersten Fallgruppe einen Mißbrauchstatbestand, in der weiteren einen T r e u b r u c h s t a t b e s t a n d ) oder einen T a t b e s t a n d mit mehreren Unterfallgrup-

110 Beling hat das Konzept später korrigiert, in: Die Lehre vom Tatbestand, 1930; insbesondere hat Beling bei der Korrektur die Verbindung von

Tatbestand und Deliktstyp oder auch nur Unrechtstyp preisgegeben; aaO S. 10 ff; eingehend SchweikertWandlungen S. 76 ff.

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2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

pen (etwa § 240 StGB enthält die Differenzierung nach der T a t b e g e h u n g durch Gewalt oder durch D r o h u n g ) . 2. Weitere Tatbestandsbegriffe 53

V o r einer Behandlung der Kontroversen zu dieser Bestimmung des Tatbestands sei bezeichnet, was sich rein terminologisch erledigen läßt: a) Die Bezeichnung eines tatsächlichen Geschehens (Sachverhalt) als Tatbestand, also die A n k n ü p f u n g an die konkrete Seite des corpus delicti, ist heute strafrechtlich ungebräuchlich (anders im Zivilprozeßrecht, siehe § § 3 1 3 ff, 543 Z P O ) . b) D a ß die Garantie des Art. 103 Abs. 2 G G , § 1 StGB sich nicht auf den Unrechtstatbestand beschränkt, sondern auf einen umfassenderen Garantietatbestand bezogen werden muß, ist allgemein a n e r k a n n t (siehe oben 4/9). c) Ansonsten k a n n als Tatbestand jeder Inbegriff von Merkmalen bezeichnet werden, der ein rechtlich relevantes Urteil b e g r ü n d e t 1 1 1 . So k a n n man neben einem U n rechtstatbestand auch einen Rechtfertigungstatbestand, seil, die Voraussetzungen einer Rechtfertigung, anerkennen und k a n n den Unrechtstatbestand mit dem Fehlen des Rechtfertigungstatbestands zu einem Gesamtunrechtstatbestand112 verbinden; denn U n r e c h t liegt immer und n u r beim Vorliegen des Unrechtstatbestands und Fehlen des Rechtfertigungstatbestands vor. Entsprechend dem Unrechtstatbestand kann ein Schuldtatbestand gebildet w e r d e n 1 1 3 , der die positiven Merkmale der Schuld zusammenfaßt, und wiederum entsprechend dem Rechtfertigungstatbestand ein Entschuldigungstatbestand, der die Merkmale der Entschuldigungsgründe vereinigt; beide lassen sich — entsprechend dem Gesamtunrechtstatbestand — zu einem Gesamtschuldtatbestand verbinden. — Die Merkmale, die bei Vorsatzdelikten vom V o r s a t z umfaßt werden müssen, k a n n man zu einem Leitbildtatbestand YCreinen114; entsprechend können die Merkmale, deren Verwirklichung z u r Schuld erkannt oder erkennbar sein muß, Tatbestände genannt werden. Es ist n u r eine Frage der terminologischen Zweckmäßig keit, ob man auch f ü r sämtliche materiellrechtlichen Bestrafungsvoraussetzungen, einschließlich der nur-objektiven Bedingungen (unten 10/1 ff), einen eigenen Tatbestandsbegriff bildet (teils genannt: Tatbestand im Sinn der Rechtstheorie115) oder sogar f ü r alle materiellen und prozessualen Voraussetzungen, dies wiederum generell oder k o n kretisiert auf ein einzelnes V e r f a h r e n (im letzteren Fall wird ζ. B. die aktuelle Anwesenheit eines zuständigen Richters zum Tatbestandsmerkmal der konkreten Verurteilung eines Delinquenten). Schließlich k a n n man auch von einem Handlungstatbestand als von den Merkmalen der H a n d l u n g im Strafrecht oder von einem Strafanwendungstatbestand als von den nach §§ 3 ff StGB erforderlichen Merkmalen der A n w e n d u n g deutschen Strafrechts reden u. a. m. 3. Kritik der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen

54

a) Die Selbständigkeit der beschriebenen Wertungsstufe des Unrechtstatbestands vor der W e r t u n g s s t u f e des Unrechts ist höchst umstritten und mit der üblichen Teilung 111 Engisch Mezger-Festschrift S. 127 ff, 130 ff; Jescbeck AT § 25 I 3. 112 Engisch DJT-Festschrift Bd. I S. 401 ff, 409; der Gesamtunrechtstatbestand wird von den Vertretern der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen — unten 6/54 ff — teils auch schlicht Unrechtstatbestand genannt. 113 Gallas ZStW 67 S. I f f , 31; Schmidhäuser En-

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gisch-Festschrift S. 433 ff, 446; Engisch DJTFestschrift Bd. I S. 401 ff, 413; Maihofer H. Mayer-Festschrift S. 185 ff, 191,201. 114 Siehe Engisch Mezger-Festschrift S. 127 ff, 132 mit Nachweisen. 115 Mezger N J W 1953 S. 2 ff; ders. Strafrecht 5 21 II 1 ; Jescheck AT § 25 I 3; Engisch MezgerFestschrift S. 127 ff, 130.

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

β. A b S C h l l

von Tatbestand und Rechtswidrigkeit auch nur unvollkommen bezeichnet. Versuche, die Lage dadurch zu vereinfachen, daß die Rechtfertigungsvoraussetzungen zu negativen Tatbestandsmerkmalen erklärt werden, so daß Tatbestandsverwirklichung und Unrecht stets zusammenfallen, sind freilich verfehlt: aa) Die radikalste Position gegen die Anerkennung des Tatbestands als rechtliche 55 Wertungsstufe bezieht die von A. Merkelilb und Frank117 begründete Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen 1 1 8 , nach der die Merkmale des hier als Unrechtstatbestand bezeichneten sogenannten positiven Tatbestands mit dem Fehlen der Merkmale eines Rechtfertigungstatbestands zu einem einzigen Gesamtunrechtstatbestand vereinigtwerden 1 1 9 . Nach dieser Lehre soll der Gesamtunrechtstatbestand die Merkmale des Unrechtstatbestands plus das Fehlen (deshalb: negativ) sämtlicher Rechtfertigungstatbestände umfassen. Beispiel: Der Tatbestand des § 303 Abs. 1 StGB lautet nach dieser Lehre: Jemand beschädigt oder zerstört eine fremde Sache außer in den Fällen (1) der erforderlichen Abwehr eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs (etc., § 32 StGB) oder (2) der Abwendung einer gegenwärtigen . . . Gefahr (etc., § 34 StGB) etc. bb) Es geht bei der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen also nicht um 56 negativ gefaßte Merkmale des Unrechtstatbestands120, wie ζ. B. das Fehlen einer tatbestandsausschließenden Einwilligung (unten 7/111 ff) oder das Aufheben fremden Gewahrsams ohne Willen des Gewahrsamsinhabers bei der Diebstahlswegnahme oder das Eintreten ohne Willen des Berechtigten beim Eindringen des Hausfriedensbruchs oder das nicht öffentliche Wort bei der Vertraulichkeitsverletzung. Solche negativ gefaßten Tatbestandsmerkmale bezeichnen nicht den besonderen Zusammenhang, in dem eine sozial auffällige Handlung tolerierbar ist (so aber die Rechtfertigungstatbestände), sondern ihr Fehlen macht die Handlung erst sozial auffällig. In der Regel geht es bei den negativ gefaßten Tatbestandsmerkmalen darum, daß eine Handlung gegen ein Gut gerichtet ist, das nur nach der Willkür des Betroffenen geschützt ist; deshalb ist das Fehlen eines konformen Willens Bedingung dafür, daß die Handlung überhaupt etwas Geschütztes verletzt. Beispiel: Wenn jemand mit seinem Willen kahlgeschoren wird, ist das nicht eine tatbestandliche, aber wegen des Zusammenhangs (Einwilligung) gerechtfertigte Körperverletzung, sondern überhaupt keine tatbestandliche Körperverletzung; denn insoweit ist nicht ein Bestand an Haaren garantiert, sondern das Bestehende nach der Willkür des Inhabers. — Alle negativ gefaßten Tatbestandsmerkmale lassen sich in positive Merkmale umformulieren; insbesondere geht es beim Fehlen einer tatbestandsausschließenden Einwilligung um das Vorliegen eines Angriffs auf fremde Dispositionsbefugnisse. b) Der auf den Rechtfertigungstatbestand bezogenen Lehre von den negativen 57 Tatbestandsmerkmalen ist einzuräumen, daß über das Unrechtsurteil allein der Gesamtunrechtstatbestand entscheidet. Ein gerechtfertigtes Verhalten ist nicht weniger rechtmäßig als ein nicht erst tatbestandsmäßiges Verhalten, und es ist ebensowenig 116 Lehrbuch 1 § 30. 117 ZStW 14 S. 354 ff, 363; ders. StGB 1, 1897, § 59 Anm. II 2. 118 Eingehend zur Dogmengeschichte Hirsch Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen S. 13 bis 219. 119 Baumann-Weber AT § 19 III 3 b γ; SK-Samson Rdn. 9 ff vor § 3 2 ; Engisch DJT-Festschrift S. 401 ff, 406; ders. ZStW 70 S. 566 ff, 583 ff; Arthur Kaufmann JZ 1954 S. 653 ff; den. JZ 1956 S. 353 ff, 393 ff; ders. Lackner-Festschrift

S. 185 ff, 187; Roxin Offene Tatbestände S. 174 ff; ders. MonSchrKrim. 1961 S. 213 ff; Lang-Hinrichsen J R 1952 S. 306 ff; ders. JZ 1953 S. 363 ff; v. Weber Mezger-Festschrift S. 183 ff; Schünemann GA 1985 S. 341 ff, 347 ff, 351, 373 f; — Nachweis des Meinungsstands der älteren Literatur bei Λ/ezgerStrafrecht § 22 II Fn. 8. 120 Beides vereinigt aber v. Weber Mezger-Festschrift S. 183 ff; dagegen zutreffend Hirsch Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen S. 256 ff; Jescheck AT § 25 III 3.

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verboten oder normwidrig wie ein solches 121 . Aber das gilt nur, was das Ergebnis angeht, und besagt über den Grund des Unrechts wie über die Relevanz der dem Unrecht vorgehenden Wertungsstufe nichts 122 . Daß der Unrechtstatbestand und die Rechtfertigungsvoraussetzungen entgegen der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen zu trennen sind 123 , zeigt sich deutlich bei den Konsequenzen für die subjektive Seite, und zwar unabhängig von einer Entscheidung der Irrtumsfälle. Der Vorsatz hat sich nach § 16 StGB bei Begehung der Tat auf alle Umstände zu erstrecken, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören. Das Verlangen einer Kenntnis bei der Tat vom Fehlen sämtlicher Rechtfertigungstatbestände (eben vom negativen Teil des Gesamtunrechtstatbestands) wäre aber auch bei Berücksichtigung nicht reflektierter Bewußtseinsinhalte nicht nur psychologisch monströs, sondern bezogen auf sämtliche Rechtfertigungstatbestände überhaupt nie zu leisten (siehe nur die unten 12. bis 16. Abschnitt beispielhaft genannten Rechtfertigungsgründe). Im Regelfall ist nicht mehr zu erwarten als das Fehlen der Annahme eines Rechtfertigungstatbestands, also das Fehlen einer psychischen Vergegenwärtigung der Rechtfertigungslage, allenfalls verbunden mit der pauschalen Annahme, unrecht zu handeln und nur in Einzelfällen mit der Annahme vom Fehlen eines bestimmten einzelnen Rechtfertigungsgrunds 124 . 58

Dieser Befund resultiert nicht aus der negativen Fassung der Rechtfertigungsvoraussetzungen ; negativ gefaßte Tatbestandsmerkmale bieten bei § 16 StGB keine Besonderheiten. Er resultiert auch nicht allein aus der großen Anzahl von Rechtfertigungsgründen, die es gibt und deren Vergegenwärtigung rein quantitativ nicht zu leisten ist. Der Befund folgt vielmehr aus dem materiellen Verhältnis von Unrechtstatbestand und Rechtfertigung 1 2 5 : Der Unrechtstatbestand ist eine eigene rechtliche (und soziale) Sinneinheit, unabhängig von einer gegebenen Rechtfertigungslage; denn die Rechtfertigung kann das Unrecht, nicht aber die soziale Auffälligkeit des Geschehens beseitigen. Das Töten eines Menschen in Notwehr ist zwar kein Unrecht, aber seine soziale Auffälligkeit wird daran deutlich, daß die Tötung mit der Notwehr verklammert werden muß, um tolerierbar zu werden; das Töten allein ist nicht tolerierbar, während sich bei einem tatbestandslosen Vorgang, etwa bei dem Erschlagen einer Mücke, die Frage nach dem Handlungskontext nicht erst stellt 126 . Mit anderen Worten, die strafrecht121 Stratenwerth A T R d n . 178. Weber Mezger-Festschrift S. 183 ff, 185 will das 122 Siehe Minas-v. Savigny Negative Tatbestandssogar für negativ gefaßte Unrechtstatbestandsmerkmale S. 78 ff. merkmale gelten lassen; zutreffend hiergegen Ar123 Dreher Heinitz-Festschrift S. 207 ff; Armin min Kaufmann JZ 1955 S. 37 ff, 38 ; Hirsch Lehre Kaufmann Normentheorie S. 138 ff, 248 ff; ders. von den negativen Tatbestandsmerkmalen S. JZ 1955 S. 37 ff; Welzel ZStW 67 S. 196 ff, 267 ff. 208 ff; ders. ZStW 76 S. 619 ff, 621 ff; ders. Das 125 Armin Kaufmann hat nachgewiesen, daß auch neue Bild 4 S. 22 ff; ders. Niederschriften Bd. II wegen der Beschränkung von gerechtfertigten S. 31 ff; ders. Strafrecht S 10 III, § 14 I 1 ; NowaEingriffen auf das Erforderliche eine dem Unkowski ZStW 65 S. 379 ff, 392 ; Hirsch Lehre von recht vorgehende Wertungsstufe anzuerkennen den negativen Tatbestandsmerkmalen S. 220 ff, ist; JZ 1955 S. 37 ff, 40 f; ders. Normentheorie 267 ff, 332 ff, 347 ; LK-Hirsch Rdn. 7 ff vor § 32 ; S. 255 f; — jedoch ist zweifelhaft, ob diese Stufe Schönke-Schröder-Lenckner Rdn. 4 vor § 3 2 ; durch den Tatbestand oder nicht vielmehr durch Maurach-Zipf A T I §37 Rdn. 24 ff; Lackner eine tatbestandsunabhängige InteressengewichAnm. III 3 vor § 1 3 ; Bockelmann AT §1011; tung gebildet wird. Stehen etwa zur Abwehr einer WesselsAT§ 5 II 3; § 11 III l a ; /escheckAT§ 25 I Gefahr eine minimale (aber tatbestandliche!) bis III; Paeffgen Verrat S. 78 ff; — im Ergebnis Sachbeschädigung oder eine gravierende (tatbeauch Gallas ZStW 67 S. 1 ff, 16 ff ; hierzu eingestandslose!) Sachentziehung zur Alternative, muß hend Ife/ze/Strafrecht § 10 III. die Gewichtung ohne Berücksichtigung tatbestandlich ausformulierter Eingriffe erfolgen kön124 In der Literatur wird teils das Fehlen der Annen. nahme eines Rechtfertigungstatbestands, also entgegen § 16 StGB das Ausbleiben eines psychi- 126 Welzel Strafrecht § 14 I 1. — Das Gesagte gilt auch, wenn die Verbotsmzieút Inhalt eines Geschen Ereignisses, für hinreichend gehalten; v.

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Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. Abschn

liehen Folgen tatbestandslosen oder tatbestandlich-gerechtfertigten Tuns sind zwar gleich, aber die rechtlichen Begründungen der Folgen sind unterschiedlich, je ob der Tatbestand verwirklicht wurde oder nicht; im letzteren Fall bedarf es der Berücksichtigung von Rechtfertigung nicht. Wenn demgegenüber argumentiert wird, die Gemeinsamkeit zwischen einer tatbestandsmäßig-rechtswidrigen und einer tatbestandsmäßiggerechtfertigten Tat, eben die Tatbestandserfüllung, sei ein „juristisches Kunstprodukt" 127 , so wird der Blick einseitig auf die Folge gerichtet und der Begründungsgang vernachlässigt; mit diesem Verfahren läßt sich nicht nur der Tatbestand, sondern selbst das Unrecht zum „juristischen Kunstprodukt" stilisieren: Uber die Strafe fallen die Würfel erst bei der Schuld, und auf allen vorgehenden Stufen fallen nur Vorbehaltsurteile. 4. Das Verhältnis von Tatbestand und Unrecht a) Der Grundsatz Die beschriebene Selbständigkeit des Tatbestands wird überwiegend als Selbstän- 5 9 digkeit gegenüber dem Unrechtsurteil wie gegenüber dem Rechtfertigungsurteil verstanden. Der verwirklichte Tatbestand soll demgemäß bei fehlender Rechtfertigung nicht das Unrecht sein, sondern es nur „indizieren"; bei gegebener Rechtfertigung soll er die soziale Auffälligkeit trotz Fehlens eines Unrechts bezeichnen. Als Konsequenz wird ein dreistufiger Deliktsaufbau vorgeschlagen : Delikt soll die tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlung sein. — Mit dieser Dreistufigkeit wird das Verhältnis von Tatbestand und Unrecht nicht zutreffend bezeichnet. Tatbestand und Unrecht (oder formell: Rechtswidrigkeit) sind nur dann gesonderte Stufen des Delikts, wenn die Stufe Rechtswidrigkeit zur Stufe Tatbestand etwas hinzufügt. Das ist bei gegebener Rechtfertigung der Fall, da dann zum Unrechtstatbestand der Rechtfertigungstatbestand hinzukommt. Im Fall fehlender Rechtfertigung jedoch muß zwar dieses Fehlen in einem Gedankenschritt festgestellt werden, der von der Ermittlung der Tatbestandsverwirklichung verschieden ist, und insofern mag man von einer Stufe der Deliktsermittlung sprechen, aber eine Stufe des Delikts selbst ist das Fehlen von Rechtfertigung nicht; vielmehr ist der verwirklichte Tatbestand im Fall des Fehlens von Rechtfertigungsgründen das Unrecht129. Meint man aber mit den Stufen des Delikts nicht das jeweilige Urteil mit seinem sachlichen Substrat, sondern den Ermittlungsgang, so ist es zwar konsequent, Tatbestand und Unrecht auch im Fall fehlender Rechtfertigungsgründe getrennt zu zählen; man muß dann freilich konsequent auch bei der Schuld die positiven Schuldvoraussetzungen und das Fehlen von Entschuldigungsgründen trennen 1 2 9 . — Allein im Fall einer

127 128

bots ist (der einen Haftbefehl vollstreckende Polizist soll Feiheit nehmen); a. A. Armin Kaufmann Klug-Festschrift S. 277 ff, 280 mit der Begründung, in diesen Fällen fehle die den Rechtfertigungsgründen eigentümliche Limitierung durch die Erforderlichkeit (siehe auch Klug Eb. Schmidt-Festschrift S. 249 ff, 260 ff). - Jedoch ist die Erforderlichkeitsprüfung Bestandteil der Gebotsbegründung durch das Gesetz oder der Gebotskonkretisierung durch eine zuständige Stelle (bei Erlaß des Haftbefehls). Bei „Arbeitsteilung" muß nicht jeder Beteiligte die Erforderlichkeit selbst beurteilen. Roxin Offene Tatbestände S. 181. Schmidhäuser Engisch-Festschrift S. 433 ff, 454;

ders. A T 8/2, 8/11, 9/5 f ; ders. Lackner-Festschrift S. 77 ff, 89 f; Kruse Rechtsgutsverletzung S. 219 ff. — Der Tatbestand ist also — in der älteren Terminologie — nicht mit M. E. Mayer als ratio cognoscendi des Unrechts anzusehen (AT S. 52, 182 ff, 185), sondern mit Mezger als ratio essendi (Strafrecht § 2 2 I); freilich steht Mezgers Option f ü r den Unrechtstatbestand als ratio essendi mit seiner Anerkennung der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen (aaO II; LKi-Mezger Einleitung S. 11) in Widerspruch. Siehe hierzu Class Grenzen des Tatbestandes S. 142 ff, 147; We/ze/Strafrecht § 10 III. 129 Siehe Scimii/AatuerEngisch-FestschriftaaO.

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6. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

— aus objektiven oder subjektiven Gründen — nur partiellen Rechtfertigung gelangt man zu einem Unrecht über zwei Stufen mit je eigenem Substrat: über den Tatbestand und über die unrechtsmindernde partielle Rechtfertigung. Es handelt sich bei der Zählung von negativen Deliktsvoraussetzungen um einen Abkömmling der verfehlten Gleichstellung negativer Bedingungen mit positiven Bedingungen bei der Kausalität; der nur-hypothetische Charakter der negativen Bedingungen geht dabei verloren (unten 7/25). b) Problemfälle 60

Die Gleichstellung von Tatbestandsverwirklichung und Unrecht beim Fall fehlender Rechtfertigung gilt freilich nur, wenn der Tatbestand als komplettes Unrechtssubstrat verstanden wird und die Ermittlung der Rechtswidrigkeit sich allein auf die Feststellung des Fehlens von Rechtfertigung beschränkt. Das ist zu zwei Problemkreisen streitig; es geht hierbei um (aa) die Lehre von den offenen Tatbeständen und (bb) die Lehre von den speziellen Rechtswidrigkeitsmerkmalen (auch Rechtspflichtmerkmale genannt). Nach beiden Lehren soll es tatbestandsunabhängige positive Unrechtsvoraussetzungen geben.

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aa) Zu den offenen Tatbeständen: α) Nach der Lehre von den offenen Tatbeständen sollen bei einzelnen Tatbeständen — es geht hauptsächlich um Nötigung und Erpressung (§§ 240, 253, 255 StGB) — die Tatbestandsmerkmale mehr als das Unrecht der jeweiligen Art umschreiben, und diese Tatbestände sollen nicht durch einschränkend-ergänzende Tatbestandsinterpretation auf das Maß des Unrechts zu reduzieren sein. Vielmehr soll der Tatbestand seine Weite behalten, aber es soll „durch ein selbständiges richterliches Werturteil" festgelegt werden, ob die Tatbestandsverwirklichung Unrecht ist 1 3 0 . Das Urteil — in den §§240 Abs. 2 und 253 Abs. 2 StGB als die Verwerflichkeit der Tat beschrieben — ist gesetzlich nur durch den Rekurs auf eine soziale Wertung angedeutet; diese Wertung soll nicht in Tatbestandsmerkmale aufgelöst werden, sondern Rechtswidrigkeitswertung bleiben. Bei dieser — überwiegend abgelehnten 1 3 1 — Lösung gibt es außerhalb des Tatbestands positive Unrechtsmerkmale, eben die Merkmale des „richterlichen Werturteils"; in Konsequenz dessen ist die Rechtswidrigkeit eine eigene Deliktsstufe mit positivem Inhalt.

62

ß) Eine unvollkommene gesetzliche Ausformulierung von Tatbestandsmerkmalen ist nichts besonderes ; sie findet sich bei den Garantenstellungen der unechten Unterlassungsdelikte (unten 29/26 ff), beim erlaubten Risiko (unten 7/35 ff) und bei weiteren Merkmalen in schwankendem Maße, ohne daß die entsprechenden Tatbestände dadurch zum Unrecht hin offen würden; sie sind nur „offen" für intensive Konkretisierung durch Interpretation. Das ist bei den sogenannten offenen Tatbeständen nicht anders: Auch hier gilt es nicht, die gesetzlich bezeichneten Merkmale nur zu bewerten; vielmehr ist die Wertung nur möglich, wenn zunächst ermittelt wird, in welchem 130

Welzel Strafrecht § 14 I 2 b ; siehe auch Niederschriften Bd. VI S. 276 ff. 131 Mit freilich heterogenen Begründungen; siehe Engisch DJT-Festschrift Bd. I S. 401 ff, 411 f; Gallas ZStW 67 S. 1 ff, 24 f ; Hirsch Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen S. 289 ff; ders. ZStW 74 S. 78 ff, 117 ff ; Roxin Offene Tatbestände S. 153 f und passim, dort zahlreiche Nachweise S. 15 f f ; Jescheck A T S 25 II 1 ; LK-Je-

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scheck Rdn. 43 vor § 13; LK-Hirsch Rdn. 19 ff vor § 32; Baumann-Weber ΑΎ § 19 III 2 a ; Stratenwerth A T Rdn. 352; — die Stellungnahme von Schmidhäuser ser AT 9/11 wird durch das Verständnis bestimmt, § 240 StGB sei tatbestandlich geschlossen beschrieben; hiergegen Roxin ZStW 83 S. 369 ff, 385; Jakobs Peters-Festschrift S. 69 ff, 70.

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. AbSChn

sozialen Zusammenhang die gesetzlich bezeichneten Merkmale verwirklicht werden. Die Merkmale des sozialen Zusammenhangs ergänzen die gesetzlich bezeichneten Merkmale zu einem Inbegriff, der ein komplettes Substrat des Unrechts ist. Die Konkretisierung erfolgt also durch Tatbestandsergänzung; daß hierbei den Interpreten der Vorgriff auf ein mögliches Unrecht leitet, schließt es nicht aus, daß als Ergebnis der Konkretisierung ein Unrechtstatbestandherauskommt. Beispiel: Droht bei einem Dauerlieferungsvertrag der Lieferant mit einem für den Bezieher ruinösen Kontraktbruch, wenn der Bezieher nicht ohne Zinsvergütung Vorkasse leistet, so gehören die besonderen Bedingungen der Drohung, seil, die Ankündigung der Verweigerung vertraglich garantierter Leistungen, zum Tatbestand (Vorsatzerfordernis ! ) 1 3 2 . Bei dieser Ergänzung des Tatbestands ist das Fehlen von Rechtfertigungsvoraussetzungen so wenig negatives Tatbestandsmerkmal, wie bei bestimmt-geschlossenen Tatbeständen. Im Fall einer Rechtfertigung bleibt also die Tatbestandsmäßigkeit bestehen 1 3 3 . Die Grenze zwischen Tatbestandslosigkeit und Rechtfertigung richtet sich auch bei den offenen Tatbeständen danach, ob ein Verhalten nur in einem bestimmten Kontext tolerierbar ist (Rechtfertigung) oder ob es schon ohne Blick auf den Kontext nicht stört (Tatbestandslosigkeit) (oben 6/58). Insbesondere für Nötigungsdelikte heißt das : Ist der Gezwungene selbst dafür zuständig, daß sich ein Organisationsverhalten des Zwingenden auf seinen (des Gezwungenen) Organisationskreis als Zwang auswirkt, so fehlt schon der Nötigungstatbestand. Beispiel: Der Student muß, um nicht eingeschlossen zu werden, bei Offnungsschluß die Bibliothek verlassen. Ist der Zwingende für den Konnex zuständig, hat aber ein Recht zum Zwang, so verhält er sich tatbestandsmäßig, aber gerechtfertigt. Beispiel : Ein Garant kann nur mit einer Ohrfeige dazu gebracht werden, seiner Pflicht zur Hilfe nachzukommen; — dies ist zwar (neben Körperverletzung) eine Beeinträchtigung der Freiheitssphäre, also eine tatbestandliche Nötigung, aber wegen des zugleich bestehenden Rechtfertigungstatbestands (§ 32 StGB) kein Unrecht. γ) Die Ablehnung der Lehre von den offenen Tatbeständen zugunsten unbestimmt- 6 3 geschlossener Tatbestände hat Konsequenzen für die subjektive Deliktsseite: Der Vorsatz muß sich auf die ergänzenden Tatbestandsmerkmale beziehen. Daß diese Merkmale nicht nur-deskriptiv sein können, sondern auch die Zuordnung von Gütern umgreifen müssen, hindert das Vorsatzerfordernis so wenig wie sonst bei normativen Tatbestandsmerkmalen (unten 8/48 ff). Nicht zum Tatbestand gehört freilich das Verwerflichkeitsurteil selbst 1 3 4 . bb) Zu den speziellen Recbtswidrigkeitsmerkmalen:

64

α) Zahlreiche Merkmale, die eine staatliche (oder private) Zuständigkeit bezeichnen (insbesondere „zuständig" in den §§110, 116, 137 StGB a. F., „rechtmäßig" in den §§ 113 Abs. 3 und 136 Abs. 3 StGB), behandelt die Rechtsprechung als vorsatzunabhängig (sogenannte objektive Strafbarkeitsbedingungen), obgleich ihr Fehlen schon das Unrecht beseitigt. Beispiel: § 113 StGB schützt überhaupt nur vor Angriffen auf rechtmäßiges Vollstreckungshandeln. Die Lehre von den speziellen Rechtswidrigkeitsmerkmalen bringt gegenüber der Gruppierung der Merkmale zu den sogenannten objektiven Strafbarkeitsbedingungen eine bessere Deckung von objektiver und subjek132 BGH LM Nr. 3 zu § 240; Vianden-Grüter GA 1954 S. 359 ff; Armin Kaufmann Klug-Festschrift S. 277 ff, 282 f. '33 Insoweit a. A. Roxin Offene Tatbestände, S. 186 f; den. ZStW 82 S. 675 ff, 683; Schönke-

Schröder-Lenckner Rdn. 66 vor § 13; wie hier LK-Hirsch Rdn. 21 vor § 32; Armin Kaufmann aaO Fn. 132; Jakobs H. Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 791 ff, 797 f mit Fn. 26. 134 Α. A. Langer GA 1976 S. 193 ff, 200.

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6. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

tiver Seite, weil sie die Merkmale zwar nicht dem Tatbestand (dann Vorsatzerfordernis) zuordnen, aber doch als positive Rechtswidrigkeitsvoraussetzung verstehen will, so daß immerhin die Regeln des Verbotsirrtums gelten 1 3 5 . Sofern jedoch die Merkmale überhaupt zur Konstituierung von Unrecht nötig sind, müssen sie auf ein Substrat verweisen, dessen Begriff dann aber auch sämtliche Voraussetzungen erfüllt, die an ein Tatbestandsmerkmal zu stellen sind: Der Begriff bezeichnet also eine positive Unrechtsvoraussetzung 1 3 6 . D a ß solcherart pauschal ausformulierte Tatbestandsmerkmale sich ihrerseits auf eine Rechtswidrigkeit beziehen, die der Rechtswidrigkeit, die durch den Tatbestand erst begründet wird, entspricht (sogenannte gesamttatbewertende Merkmale), ist keine Besonderheit dieser Merkmale, sondern kommt bei zahlreichen normativen Tatbestandsmerkmalen geläufig vor. Beispiel: In der Rechtmäßigkeit der Amtsausübung ist das — freilich an diesem O r t noch nicht strafrechtlich garantierte — Verbot des Widerstrebens enthalten (siehe unten 8/57). 65

ß) Rechtspflichtmerkmale sind also in normative Tatbestandsmerkmale aufzulösen. Für die hauptsächlich relevanten Fälle der §§113 und 136 StGB heißt d a s 1 3 7 : Die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung ist in § 113 Abs. 1 StGB Tatbestandsmerkmal (also Vorsatzerfordernis ! — Zur irrigen Annahme der Rechtmäßigkeit siehe unten 25/51 a); die Störung einer rechtswidrigen Amtshandlung ist — was allein die Hinderung der rechtswidrigen Amtstätigkeit, nicht Eingriffe in Güter des Beamten oder des Staats angeht — nicht erst gerechtfertigt, sondern trifft kein Schutzobjekt 1 3 8 . § 113 Abs. 4 Satz 1 StGB regelt den Fall von Fahrlässigkeit. Absatz 4 Satz 2 der Vorschrift bringt einen weiteren Tatbestand, und zwar als Verbot abstrakter Gefährdung: Selbst gegen eine vermeintlich rechtswidrige Amts135

Welze!Strafrecht § 14 I 2 c ; den. J Z 1952 S. 19 f; den. JZ 1952 S. 133 ff; den. J Z 1953 S. 119 ff; den. ZStW 67 S. 196 ff, 224; Armin Kaufmann Normentheorie S. 101, 257 ff, 285 f; den. KlugFestschrift S. 277 ff, 287 f f ; weitere Nachweise bei Roxin O f f e n e Tatbestände S. 15. — Ablehnend mit freilich unterschiedlicher Begründung die überwiegende Ansicht; Baumann-Weber KV § 26 II 4 a ; Engisch Mezger-Festschrift S. 127 ff, 157 f; den. DJT-Festschrift Bd. I S. 401 ff, 411 f; Gallas ZStW 67 S. 1 ff, 24; Hirsch Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen S. 296 ff; Roxin Offene Tatbestände S. 132 ff, 188; Steininger JurBl. 1987 S. 205 ff, 287 ff, 293 ff; LK-Hirsch Rdn. 19 ff vor § 32 mit weiteren Nachweisen. 136 Hauptsächlich wie hier Jescheck AT § 2 5 1 1 2 ; LK-Jescheck Rdn. 43 vor § 13; Engisch MezgerFestschrift S. 127 ff, 157 ff; Roxin Offene Tatbestände S. 132 ff, 135; — teils findet sich freilich die mißverständliche Gegenüberstellung von beschreibenden Teilen des Merkmals einerseits gegen das Verbot andererseits. Diese Differenzierung geht daran vorbei, daß Tatbestände — im schwankenden Maß — formell oder informell geregelte (und deshalb schon Verbote enthaltende) Wirklichkeit erfassen. 137 Zu den zahlreichen Lösungsvorschlägen zu diesen Vorschriften siehe Dreher J R 1984 S. 401 ff (u. a. mit Nachweis seiner vorangehenden Arbeiten); Hirsch Klug-Festschrift S. 235 ff, 243 ff; Schünemann in: Strafrechtssystem S. 1 ff,

162

16 ff; Bergmann Milderung S. 109 ff; MaurachSchroeder BT II § 69 II 3; Schönke-Schröder-Eser § 113 Rdn. 19 ff, jeweils mit Nachweisen. 138 Hirsch ZStW 84 S. 380 ff, 390 ff; anders jetzt Hirsch Klug-Festschrift S. 235 ff, 249, u. a. mit dem beachtlichen Argument, auch bei § 240 StGB sei das Recht zur Nötigung ein Problem der Rechtfertigung, nicht des Tatbestands (dazu differenzierend oben 6/62 Fn. 133). Jedoch ist es für einen freiheitlichen Staat nützlich, einen rechtswidrig vollstreckenden Beamten bezüglich seiner rechtswidrig ausgeübten Amtstätigkeit nicht durch das Merkmal der Erforderlichkeit zu schützen, das die einschlägigen Rechtfertigungsgründe kennzeichnet. Insbesondere soll sich der Bürger auch bei erkannter Nutzlosigkeit oder Überflüssigkeit von Abwehrversuchen gegen rechtswidrige Vollstreckungshandlungen stellen dürfen (siehe den Sachverhalt, der O L G Düsseldorf N S t Z 1984 S. 316 f zugrunde liegt). Diese Lösung harmoniert mit der Privilegierung, die § 113 StGB gegenüber § 240 StGB bringt. Beispiel: Man darf den Gerichtsvollzieher bei einer rechtswidrigen Vollstreckung auch dann gewaltsam hindern, ein Pfandobjekt zu untersuchen, wenn man weiß, daß er es bei der Untersuchung als unpfändbar erkennen wird. — Sollte freilich die Privilegierung aufgehoben werden, w o f ü r Hirsch plädiert (aaO S. 241 ff), so wäre die Rechtfertigungslösung vorzugswürdig.

Tatbestandsverwirklichung. G r u n d l a g e n

6. AbSChfl

handlung soll nur angemessen, d. h. mit Rechtsmitteln vorgegangen werden, solange dies ohne Preisgabe erheblicher Interessen möglich ist, wobei die Erheblichkeit relativ zur (angenommenen) Drastik der Rechtswidrigkeit der Amtshandlung steht (das Gesetz bezeichnet dies schlecht als Zumutbarkeit). Bei der Verwirklichung dieses Tatbestands eines abstrakten Gefährdungsdelikts ist die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung eine unrechtsunabhängige sogenannte objektive Strafbarkeitsbedingung, genauer, eine nur-objektive Unrechtsbedingung (siehe unten 10/1 ff, 2). — Entsprechendes gilt für § 136 StGB. — Zu den Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einer Amtshandlung siehe unten bei den Rechtfertigungsgründen 16/2 ff. cc) Im Ergebnis ist also die Tatbestandsverwirklichung die einzige positive Un- 6 6 rechtsvoraussetzung.

III. Das Verhältnis von Tatbestand und Handlung Literatur Siehe zu II

A. Die Handlung als gemeinsamer Mindestinhalt der Tatbestände 1. Auch Tatbestand und Handlung sind nicht verschiedene Deliktsstufen. Die 6 7 Handlung ist ein relativer Begriff, d. h. es gibt keine Handlung-an-Sich, sondern nur jeweils durch die vermeidbaren Außenwirkungen des Subjekts bestimmte Handlungen (oben 6/27, 34). Diese Wirkungen sind als nicht tatbestandsmäßige Wirkungen rechtlich unerheblich (Spazierengehen ist nicht, weil es Handlung ist, strafrechtlich relevant), als tatbestandsmäßige Wirkungen aber sind sie selbst Tatbestandsverwirklichungen. Diese Identität von Handlung und Tatbestandsverwirklichung schließt es aus, beide als getrennte Deliktsstufen zu behandeln. Trotzdem wäre es verfehlt, den Handlungsbegriff in demjenigen des Tatbestands aufgehen zu lassen, was verbreitet mit der — in sich zutreffenden — Begründung vorgeschlagen wird, strafrechtlich relevant sei (frühestens) die Tatbestandsverwirklichung. Denn der Begriff des Tatbestands steht überhaupt nicht vor demjenigen der Handlung fest; das Problem, was eine Handlung ist, kann durch seine Einordnung als Tatbestandsproblem also nicht erledigt werden 1 3 8 a . Auch wenn man nicht den Anspruch einiger Finalisten erhebt, die „finale Struktur menschlichen Handelns" den „strafrechtlichen Normen" als „schlechthin konstitutiv" vorzusetzen 1 3 9 , bleibt zu lösen, was Handlung ist. Die Lösung hat dann freilich nicht ohne, sondern mit Blick auf die bestehenden Normen zu erfolgen (ζ. B. ist die Beschränkung der Handlungssubjekte auf natürliche Personen kein vortatbestandliches Spezifikum des Handlungsbegriffs, siehe oben 6/22). Bei diesem Verständnis ist die Handlung beim Begehungsdelikt der größte gemeinsame Nenner restlos aller Tatbestände. Die Handlung wurde oben (6/20 f) als Begriff davon bezeichnet, was als ein Subjekt zu definieren ist, das sich enttäuschend verhalten kann und was als von diesem Subjekt gestaltete Welt. Alle Tatbestände beschreiben enttäuschende Weltgestaltungen von Subjekten; die Bedingungen der Handlung sind die Mindestbedingungen der Tatbestände. 2. Die Merkmale der Handlung sind also Merkmale des Tatbestands. Aus dem oben 6 8 entwickelten Handlungsbegriff als individuell vermeidbare Erfolgsverursachung folgt

139

Zutreffend Armin Kaufmann in: Strafrechtsdogmatik S. 21 ff, 31 ff, 3 3 : die Handlung als Regulator für den Unrechtsbereich (dazu Baumann Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 181 ff). Welzel Strafrecht § 8 II vor 1 ; unter Erstreckung

auf das Zivilrecht Armin Kaufmann in: Strafrechtsdogmatik S. 35 ff, 40 ff; neuestens nachdrücklich für einen dem Recht vorgegebenen Handlungsbegriff Hirsch Z S t W 93 S. 831 ff, 863 und passim, 94 S. 239 ff.

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6. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

für den Tatbestand, daß dieser — wie die Handlung — nicht etwa Nur-Objektives (etwa nur erfolgbringende Körperaktivität) oder etwas Nur-Subjektives (etwa nur Vorsatz) ist, sondern eine Gestalt aus objektiven und subjektiven Momenten: die (subjektiv) Vermeidbarkeit von (objektiv) einem Erfolg im weiteren Sinn, der mindestens eine Körperaktivität ist, aber auch eine solche nebst Folgen sein kann. Demgemäß werden ein objektiver und ein subjektiver Tatbestand unterschieden, wobei als objektiv die Deliktsaußenseite von der Körperaktivität an verstanden wird, als subjektiv die psychische (innere) Verfassung der jeweils Beteiligten. Was objektiv ist, hängt also vom einzelnen Beteiligten ab ; ζ. B. ist der Vorsatz des Angestifteten für diesen subjektiv, für den Anstifter aber objektiv. Diese Trennung von objektivem und subjektivem Tatbestand bedeutet keine Beziehungslosigkeit der Teile: Der subjektive Tatbestand ist die Bedingung des objektiven. Wenn trotzdem nachfolgend zum vollendeten Delikt der objektive Tatbestand dem subjektiven vorangestellt wird, so erfolgt diese Abkehr von der Reihenfolge bei der Deliktsgenese hauptsächlich der besseren Darstellbarkeit wegen; denn da der subjektive Tatbestand die Vermeidbarkeit der Verwirklichung des objektiven ist, müßte bei vorgezogener Darstellung des subjektiven Tatbestands der gesamte objektive Tatbestand implizit abgehandelt werden. Eine gewisse sachliche Berechtigung mag der Beginn mit dem objektiven Tatbestand auch darin finden, daß die individuelle Deliktsgenese für das Delikt als soziale Erscheinung etwas ist, das nur im Rückschluß erkannt wird: Als soziale Erscheinung wird das Delikt erst mit seiner Objektivation erfahrbar. — Die gesonderte Darstellung von objektivem und subjektivem Tatbestand darf auch nicht zu der Annahme verleiten, jeder der Teile sei für sich qualitativ Unrecht; vielmehr ist eine nur-objektive Tatbestandsverwirklichung — etwa eine unvermeidbare Tötung — Unglück, aber kein Unrecht, und ein Deliktsvorsatz ohne Außenseite ist nicht einmal ein Tatversuch.

B. Die Zugehörigkeit des tatbestandlichen Erfolgs zur Handlung und zum Unrecht 1. Das Problem 69

Daß zum Unrecht eine Außenseite gehört, ist des Tatprinzips wegen unstreitig; streitig ist freilich, ob diese Außenseite potentiell mehr umschließt als den Handlungsvollzug, seil, auch vermeidbare Vollzugs folgen. So wie der Handlungsbegriff hier unter dem Aspekt einer Regelung von Erwartungszusammenhängen und damit zweckorientiert gebildet wurde, so läßt sich auch die Frage, ob zur Unrechten Handlung nur der Handlungsvollzug, oder aber bei Erfolgsdelikten auch ein darüber hinausgehender Handlungserfolg (einschließlich einer konkreten Gefährdung) gehört, nicht a priori entscheiden 140 . Der Streit um die Zugehörigkeit des Erfolgs zum Unrecht hat nur Sinn, wenn er als Streit darum geführt wird, ob ein Unrechtsbegriff mit zugehörigem Erfolg oder ein solcher ohne zugehörigen Erfolg besser zur Systematisierung eines Strafrechts taugt, dem es um Stabilisierung von Erwartungen geht; — entsprechendes gilt für den Zusammenhang von Erfolg und Handlung. Hierbei hilft insbesondere auch kein Rückschluß von der Schuld auf das Unrecht weiter; daß der Abhängigkeit einer strafrechtlichen Haftung vom Erfolgseintritt das Schuldprinzip entgegensteht 141 , läßt sich nicht ausmachen, da die Schuld ebensowenig systemunabhängig definierbar ist wie das Unrecht (hierzu unten 17/18 ff). HO

Zu den möglichen V e r w e n d u n g e n des Begriffs Unrecht siehe auch Schmidháuser A T abweichend noch ders. A T 1 8/89.

164

8/82;

141

So

Krauß

Z S t W 76 S. 19 ff, 62, bei allerdings

vermittelnder L ö s u n g .

6. A b S C h n

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

2. Kein Unrecht ohne tatbestandsmäßigen Erfolg? a aa) Man kann den Unrechtsbegriff für ein objektives Geschehen, etwa f ü r eine 7 0 Rechtsgutsverletzung, reservieren und dann beim Versuch konsequent nicht wegen eines Versuchsunrechts strafen, das es dann nicht gibt, sondern wegen des Versuchs, ein (real nicht vorhandenes!) Unrecht zu verwirklichen 1 4 2 . Der Unrechtsbegriff wird dann unter einem anderen Aspekt gebildet als der Handlungsbegriff. bb) Die gleiche Konsequenz f ü r den Versuch ergibt sich bei einer Betrachtung, die beim Zweck der N o r m ansetzt, Verletzungen oder Gefährdungen an Rechtsgütern, Angriffsobjekten etc. zu verhüten, und zwar durch Beeinflussung der menschlichen Motivation dahin, die negativ beurteilten Folgen nach Kräften zu vermeiden 1 4 3 . Objektive und subjektive Seite bestimmen dann zusammen, und zwar jeweils notwendig und jeweils nicht hinreichend das Unrecht. Wenn der Erfolg ausbleibt, also beim Versuch, gibt es nichts zu vermeiden und das Unrecht des Versuchs ist wiederum kein reales, sondern nur vorgestelltes U n r e c h t , 4 4 . b) Beide Lösungen sind konsequent durchführbar, haben aber keinen Begriff f ü r die 71 Störung, die beim Versuch nicht nur im Täterbewußtsein vorgesetzt, sondern wegen der Sichtbarkeit des Normangriffs schon perfekt ist, eben für das Versuchsunrecht. Solange deutlich bleibt, daß Unrecht als zwingende Basis einer Strafe in diesem System nicht gefordert wird, sondern vorgestelltes Unrecht hinreicht 1 4 5 , bleibt diese Art der Begriffsverwendung schadlos. Da die Begriffsbildung freilich vom (polizeilichen) Aspekt der Erfolgsvermeidung ausgeht statt vom strafrechtlichen Aspekt der Abarbeitung einer Normverletzung, kann sie strafrechtliche Gegenstände nicht adäquat erfassen. 3. Unrecht stets ohne tatbestandsmäßigen Erfolg? a) Im gegenteiligen Extrem werden Unrecht und Handlung um den Erfolg gekappt. 7 2 Unrecht soll am HandlungsVollzug kleben und mit dem beendeten Versuch komplett sein 1 4 6 . Auch das ist konsequent durchführbar, wenn Unrecht und Strafe offen voneinander abgekoppelt werden, wenn also zum einen in Kauf genommen wird, daß ein identisches Unrecht teils strafbar ist, teils nicht, seil, stets strafbar bei Vollendung, nicht aber stets strafbar beim beendeten Versuch (§23 Abs. 1, 2. Fallgruppe StGB), zum anderen, daß die Milderungsmöglichkeit beim Versuch (§ 23 Abs. 2 StGB) nichts mit dem Unrecht des Versuchs, jedenfalls des beendeten Versuchs zu tun hat. Mit anderen Worten, die Position zeigt konsequent den maximalen Anteil eines Subjekts an einem enttäuschenden Verhalten, zeigt aber nicht, daß etwa nur dieser maximale Anteil eine geeignete Basis zur Entwicklung der Rechtsfolge ist 1 4 7 . Gegenteiliges wird allerdings behauptet: Allein das Handlungsunrecht im geschilderten Verständnis soll Basis der Strafe sein 1 4 8 , da der Verlauf nach beendetem Versuch nicht mehr in der H a n d des Täters liege und insoweit Zufall und f ü r Strafe irrelevant sei. Als Konsequenz wird der Ausschluß einer Strafmilderung f ü r den beendeten Versuch vorgeschlagen. Kraß: 142

A u s n e u e r e r Zeit Nowakowski

H3

S t r a f r e c h t S. 4 2 f m i t w e i t e r e n N a c h w e i s e n ; ders. Z S t W 63 S. 2 8 7 f f , 2 9 9 ff, 3 1 3 ; — Nowakowski hat diese Lehre preisgegeben; J u r B l . 1972 S. 19 f f , 2 2 f. A u s f ü h r l i c h Jakobs S t u d i e n S. 1 ff mit N a c h w e i sen. Jakobs a a O S. 120 ff. Jakobs a a O S . 125. Armin Kaufmann Z S t W 80 S. 34 f f , 50 f ; ders.

144 145 146

Österreichisches

Welzel-Festschrift

147 148

S. 3 9 3 f f , 4 0 3 ;

auch

schon

ders. N o r m e n t h e o r i e S. 7 2 ; Zielinski Handlungsu n d E r f o l g s u n w e r t S. 127 ff u n d p a s s i m . — A u s zivilistischer S i c h t Zippelius A c P 157 S. 3 9 0 f f , 395. S o i n s b e s o n d e r e k r i t i s c h Stratenwerth Schaffs t e i n - F e s t s c h r i f t S. 177 f f , 185. Armin Kaufmann wie o b e n Fn. 146; Zielinski a a O S. 136 f f , 1 4 4 ; Horn K o n k r e t e G e f ä h r d u n g s d e l i k t e S. 82.

165

6. AbSChn

2. B u c h . 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

„Wieso, wenn das Opfer lange nach der Tat dem Plan des Täters gemäß . . . stirbt, sich Handlungsunrecht und Tatschuld erhöhen könnten, ist nicht erfindlich" 1 4 9 . 73

b) Bei dieser Position wird die Unrechtsrelevanz des Erfolgs mit derjenigen des Erfolgseintritts vertauscht. Die erfolgreiche Handlung ist schon ^ordern Erfolgseintritt gelungene Objektivation eines Vorsatzes, die erfolglose nicht, mag auch in zahlreichen Fällen das Gelingen vor dem Erfolgseintritt nicht zu ermitteln sein. — Ferner gilt: Wie es bei allen Tätern, die einen durchhaltbaren Vorsatz haben (und ansonsten steht eine Bestrafung des Versuchs nicht zur Diskussion), Zufall ist, ob der Schritt von der (meist straflosen) Vorbereitung zum (seltener straflosen) Versuchsbeginn oder vom Versuchsbeginn zur Versuchsbeendigung gelingt, so kann es auch als Zufall bezeichnet werden, ob die Versuchshandlung so ausfällt, daß sie einen Erfolg bringt oder nicht. Für ein Unrecht als Basis von Strafe wäre dies alles aber nur irrelevant, wenn gerade die im Erfolg sich erweisende Tauglichkeit für die Strafe irrelevant wäre ; daß dies nicht der Fall ist, entspricht geltendem Recht und zeigt sich in der weiten Straffreiheit des Versuchs bei Vergehen und der prinzipiellen Straffreiheit des Versuchs bei Fahrlässigkeitstaten, in der Milderungsmöglichkeit beim Versuch 1 5 0 und in der noch weitergehenden Reduzierung der Strafbarkeit beim grob unverständigen Versuch. Diese gesetzlichen Regelungen sind auch nicht etwa verfehlt: Es geht nicht um die individuelle, sondern um die soziale Bedeutung von Verhalten 1 5 1 , und die soziale Bedeutung ist nicht am Kopf des Täters ablesbar, sondern muß aus der Tat in den Kopf des Täters zurückgeschlossen werden: Nur für den Täter beginnt die Tat mit dem Vorsatz; für die anderen Menschen beginnt sie mit ihrer Objektivation 1 5 2 . Wenn nun die Tatbestände richtig gebildet sind, d. h. wenn die Vollendung auf eine Gutsverletzung, zumindest aber auf ein für den Normbruch signifikantes Ereignis festgelegt ist, so hat zwingend die vollendete Tat mehr Signifikanz. Weshalb gerade dieser Umstand unrechtsirrelevant sein soll, solange das Unrecht überhaupt eine äußere Seite hat, ist bislang nicht begründet worden. Die oft behauptete Schuldgleichheit des Vollendungstäters mit demjenigen eines zufällig scheiternden beendeten Versuchs 1 5 3 besteht nicht, da bei letzterem mangels vollendeten Unrechts die Frage nach der vollen Schuld nicht auftaucht, jedenfalls wiederum solange man am Tatprinzip festhält154. 149 Armin Kaufmann wie oben Fn. 146. 150 Gegen die unrechtsunabhängige Erklärung dieser Differenzen bei Zielinski aaO S. 205 ff (das Strafbedürfnis soll differieren) und Horn aaO S. 100 ff (die Eindruckskraft des Erfolgs soll spezialpräventive Konsequenzen haben) zutreffend Stratenwerth Schaffstein-Festschrift S. 177 ff, 187; Timpe Strafmilderungen S. 95 ff, 105 ff; Dencker Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 441 ff, 448; siehe ferner Schöneborn G A 1981 S. 70 ff, 75; Mylonopoulos Verhältnis S. 59 ff; Maiwald'm: Wiedergutmachung S. 64 ff, 66 ff. 151 Gallas Bockelmann-Festschrift S. 153 ff, 164 f. 152 So für das Fahrlässigkeitsdelikt schon treffend Engisch Untersuchungen S. 342. — Domseifer wendet ein, der Handlungsvollzug reiche zur Objektivation hin (Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 427 ff, 438). Da aber auch der Handlungsvollzug schon Motivations/o/ge ist, bleibt offen, wieso weitere Folgen ausgeklammert werden sollen. 153 Armin Kaufmann Welzel-Festschrift S. 393 ff,

166

403; siehe das obige Zitat zu Fn. 149; siehe auch Kraußwie oben Fn. 141. 154 Literatur außer den schon Genannten: im Ergebnis hauptsächlich wie hier Stratenwerth SchwZStr. 79 (1963) S. 233 ff; Krümpelmann Bagatelldelikte S. 62 ff; HirschZSxW 93 S. 831 ff, 94 S. 239 ff, 240 ff, 248 ; Lampe Das personale Unrecht S. 210 ff; Rudolphi Maurach-Festschrift S. 51 ff, 58 ff; Wolter Objektive und personale Zurechnung S. 109 ff, 113 ff; Ebert und Kühl Jura 1981 S. 225 ff, 234 f; Paeffgen Verrat S. 103 ff, 110 ff; siehe auch Jahr Bedeutung S. 3 6 f und passim; — gegen die hier eingenommene Position Suarez-Montes Welzel-Festschrift S. 379 ff; Mir Puig Jescheck-Festschrift S. 338 ff, 345; Schaffstein Welzel-Festschrift S. 557 ff, 561; Lüderssen Z S t W 8 5 S. 288 ff, 292; ders. Bockelmann-Festschrift S. 181 ff, mit beachtlichen Ausführungen zur Bedeutung des Erfolgs für Selektion und Verfahren; diese Ausführungen gelten bei einer Inkorporierung des Erfolgs in das Unrecht gleichermaßen. Das kommt aber nicht in Lüderssens Perspektive, weil

Tatbestandsverwirklichung. G r u n d l a g e n

6, AbSChn

c) Eine weitere Position, nach der die N o r m des Gesetzes sich nur an den schuldfä- 7 4 higen Täter wenden soll, so daß Unrecht und Schuld zu einem Begriff verschmelzen, ist in ihrer normlogischen Durchführbarkeit ungeklärt und heute nur noch von historischem Interesse 1 5 5 . 4. Ergebnis a) Im Ergebnis zwingt nichts zur Bildung erfolgsgelöster Handlungs- und U n - 7 5 rechtsbegriffe, die dann als Basis der Strafe unmaßgeblich sein müßten. Aber auch Begriffe, in denen der Erfolg Handlung und Unrecht unverzichtbar mit bedingt, sind wegen der Strafbarkeit des Versuchs nicht angebracht (zu den nur-objektiven Bedingungen siehe unten 10/1 ff). Also bietet es sich an, den Erfolg als Handlungs- und Unrechtsbestandteil zu definieren, ohne daß jedoch dieser Bestandteil notwendig oder hinreichend wäre, so wie — beispielhaft gesprochen — Rosinen Bestandteil eines Kuchens sein können, ohne daß jeder Kuchen Rosinen enthalten müßte. Anders f o r m u liert: Der Erfolg ergänzt die Versuchshandlung z u r Vollendungshandlung und das Versuchsunrecht zum Vollendungsunrecht. b) Teils wird in dem beschriebenen Zusammenhang mit einer Unterscheidung der 7 6 Begriffe Handlungs- und Erfolgsunwert operiert. Soweit der Handlungsunwert dabei als Intentionsunwert 1 5 6 und der Erfolgsunwert als Sachverhaltsunwert verstanden wird 1 5 7 , geht es allein um die Trennung der subjektiven von der objektiven Seite des Unrechts. Eine genauere Analyse kommt mit dieser Differenzierung nicht aus. Vielmehr tritt neben den Sachverhaltsunwert der Verlaufsunwert als Unwert eines erfolgbringenden Handlungsvollzugs, und neben den Intentionsunwert tritt derjenige der Objektivierung dieser Intention 1 5 8 . Beispiel : W e r eine fremde Fensterscheibe einwerfen will und vermeidbar statt der Scheibe einen Menschen schmerzhaft trifft, verwirklicht den Verlaufs- und den Sachverhaltsunwert der Körperverletzung wie den Objektivierungsunwerte und den „Intentions"-Unwert einer vorsätzlichen Sachbeschädigung und einer fahrlässigen Körperverletzung. — Diese T r e n n u n g von Unwerten gilt nur der Klärung des möglichen Aufbaus von Unrecht; so wenig ein objektiver Tatbestand f ü r sich Unrecht ist, so wenig ist es allein ein Erfolgsunwert oder ein Verlaufsunwert: Mindestbedingungen f ü r Unrecht sind stets die Mindestbedingungen der Handlung. Demnach erfordert Unrecht mindestens Intentions- und Objektivierungsunwert; Handlung ist eben das vermeidbare („Intention") Bewirken mindestens einer Körperbewegung (Objektivierung).

er wie selbstverständlich bei einem ontologisierenden Normbegriff ansetzt (S. 182 f) und damit den Weg zu einer funktionalen Betrachtung von vornherein versperrt; dagegen eingehend Schöneborn GA 1981, S. 70 ff, 78 ff. - Zum sozialwissenschaftlichen Impetus bei Lüdensen siehe Sack in: Vom Nutzen und Nachteil Bd. I S. 35 ff; — ausführliche Nachweise bei Zielinski wie in Fn. 146. 155 Zur Kontroverse um die Position von Binding siehe Nagler Binding-Festschrift Bd. II S. 273 ff; Armin Kaufmann Normentheorie S. 145 ff; — zu Hold von Femeck Die Rechtswidrigkeit Bd. I siehe Armin Kaufmann Normentheorie S. 109 f

und passim; siehe auch Jakobs Studien S. 9 ff; — zu A. Merkel Kriminalistische Abhandlungen Bd. I S. 44 (klassisch: „Als rechtsverletzend ist. . . eine Wirksamkeit stets nur insofern und insoweit zu charakterisieren, als sie eine Zurechenbare ist") siehe jetzt Domseifer Rechtstheorie und Strafrechtsdogmatik Adolf Merkels S. 82 ff. 156 Der Begriff ist auf das absichtlich begangene Delikt hin formuliert; für Vorsatz und Fahrlässigkeit insgesamt geht es um den Vermeidbarkeitsunwert. 157 Rudolphi Maurach-Festschrift S. 51 ff. 158 Siehe Gallas Bockelmann-Festschrift S. 155 ff.

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6. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

IV. Die Gestalten der Tatbestände Literatur Siehe zu II

77

A. Einige Tatbestandsgestalten sind von so durchgehender Bedeutung, daß sie zumindest teilweise im A T geregelt sind; ihre Behandlung erfolgt hier in jeweils eigenen Abschnitten. Es handelt sich um die Unterscheidung von Begehungsdelikten und U n terlassungsdelikten, die schon eine Unterscheidung nach den Tatbeständen ist (§13 StGB) (unten 28/1 ff), um die Unterscheidung von Vollendung, Versuch (einschließlich der Unternehmung) und Vorbereitung (§§ 22 ff, 11 Abs. 1 N r . 6, 30 f StGB) (unten 25/1 ff), um die Unterscheidung von Tätertatbeständen und Teilnehmertatbeständen (§§ 25 ff StGB) (unten 21/1 ff; 22/1 ff) und um die Unterscheidung von Vorsatztatbeständen und Fahrlässigkeitstatbeständen (§15 StGB) (unten 8/1 ff; 9/1 ff) mit der Mischform der Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination (siehe § 18 StGB) (unten 9/28 ff). Über diese ausdrücklich geregelten Tatbestandsgestalten hinaus weisen zahlreiche Tatbestände des BT ohne Blick auf die jeweils geschützten Güter Gemeinsamkeiten der Gestalt auf, die Klassifizierungen zulassen 1 5 9 . Auf diese Klassifizierungen ist hier hinzuweisen, insbesondere soweit die Anwendbarkeit allgemeiner Regeln von der Gestalt abhängt.

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B l a ) Jedes Delikt muß des Tatprinzips wegen einen Erfolg außerhalb der Täterpsyche aufweisen, also zumindest eine Körperaktion 16 °. Bei Erfolgsdelikten muß darüber hinaus ein vom Handlungsvollzug bedingter Erfolg eintreten. N u r bei diesen Erfolgsdelikten stellt sich das strafrechtliche Kausalproblem. Der Erfolg im engeren Sinn der Erfolgsdelikte wird vom Gesetz überwiegend als perfekte Veränderung an einem Einwirkungsobjekt bezeichnet, etwa als T o d bei den Tötungsdelikten, als Wegnahme beim Diebstahl etc.; dabei geht es nur bei den Verletzungsdelikten, nicht aber notwendig bei allen Delikten, um die Schädigung eines Angriffsobjekts, so z. B. nicht bei der Herstellung einer U r k u n d e in der 1. Fallgruppe von § 267 StGB (die hergestellte Urkunde ist Erfolg, aber kein verletztes Objekt). Neben die perfekte Veränderung als Erfolg tritt die konkrete Gefährdung eines Angriffsobjekts, etwa von Leib oder Leben eines anderen oder von fremden Sachen von bedeutendem Wert bei den §§ 315, 315 äff StGB. Bei reinen Verletzungsdelikten wird vom Gesetz nur der Erfolg beschrieben, den — irgendwie — herbeizuführen verboten ist. Bei solchen Delikten muß der Täter selbst bestimmen, welches Verhalten den Erfolg herbeiführen könnte, und er muß die ermittelten Verhaltensweisen meiden. Beispiel : Bei § 303 StGB (ein Verletzungserfolgsdelikt) muß der Täter jedes unerlaubte Risiko f ü r eine Sache meiden, aber bei § 316 StGB (ein abstraktes Gefährdungsdelikt) muß er nur Fahren in rauschmittelbedingter Unfähigkeit meiden, dies zwar auch beim Fehlen einer Erfolgsgefahr, aber sonst nichts. Beim Verletzungserfolgsdelikt muß demnach die N o r m stärker als bei anderen Delikten konkretisiert werden, bis sie das konkrete Verhalten exakt beschreibt. Diese Konkretisierung leistet vor der T a t der Täter selbst (so er mit Unrechtsbewußtsein handelt; ansonsten könnte er sie leisten, solange er das Unrecht vermeiden könnte), danach das Strafverfolgungsorgan, jedenfalls leistet sie nicht der Gesetzgeber. Das Verletzungserfolgsdelikt ist also ein Kennzeichen dezentraler gesellschaftlicher Regulierung, wäh159 Meist Tatbestandstypen genannt, E. Wolf Typen S. 12 f f ; Jescheck A T § 26 II. - Die Zuordnung der Klassifikationsprobleme zum AT ist nicht eindeutig. Der Text folgt Fincke Verhältnis S. 27

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(allgemein, formell, Gestalt — besonders, materiell, Inhalt). 160 Maurach-Zipf AT § 20 Rdn. 27 f ; Baumann-Weber AT § 16 III la.

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. Abschn

rend Delikte, die das normwidrige Verhalten stärker konkretisiert beschreiben, einer eher zentralen Regulierung zugehören. b) Die konkrete Gefahr ist ein Erfolg, weil sie mehr ist als der Vollzug einer 7 9 Handlung bei bestimmter subjektiver Lage, nämlich die Herstellung einer Gefahrenlage für ein bestimmtes, wirklich gegebenes Angriffsobjekt 161 . Einzelheiten zum Begriff sind streitig, wobei Schwierigkeiten bei der Berücksichtigung derjenigen Tatumstände auftreten, die sich aus der Täterperspektive (subjektiv ex ante) anders darstellen als nach allgemeinem Urteil (objektiv ex ante) oder gar nach dem Tatvollzug (ex post); es geht also u. a. darum, ob und wann aus dem Ausbleiben einer Verletzung auf das Fehlen einer Gefahr beim Handlungsvollzug und wann aus dem Eintritt einer Verletzung auf das Vorliegen einer Gefahr beim Handlungsvollzug geschlossen werden darf. Frühere Lösungsversuche verschieben das Problem in den Begriff der "Wahrscheinlichkeit; es soll unter Verzicht „auf genaue wissenschaftliche Umschreibung" um dasjenige gehen, was „nach allgemeiner Lebenserfahrung im Einzelfall" nicht unwahrscheinlich ist 1 6 2 oder um das nach der Entscheidung des „bestmöglichen Beurteilers" nicht Unwahrscheinliche 163 . Nach neueren Entwürfen soll diese Unschärfe beseitigt werden, indem auf die Erklärbarkeit der Verlaufsnotwendigkeit (ex post!) durch „einschlägige Fachkreise" abgestellt 164 , oder — wohl erfolgversprechender — eine normative Lösung versucht wird : Es soll beim Ausbleiben des Erfolgs darauf ankommen, ob auf die hindernden Momente zu „vertrauen" war 1 6 5 oder ob diese „normal" verfügbar waren 1 6 6 oder ob ein Gut noch mit den Mitteln des Organisationsbereichs, dem es angehört, gezielt vor einer Verletzung bewahrt werden konnte 1 6 6 a (dann jeweils keine konkrete Gefahr). — Einzelheiten sind ungeklärt 167 . Soweit der Täter beim konkreten Gefährdungsdelikt das Gefahrurteil nachvollzieht, hat er Gefährdungsvorsatz und zugleich dolus eventualis der Verletzung, wenn die Gefahr von entscheidungsrelevanter Dichte ist. Beispiel: Wer weiß, daß er bei einem bestimmt gearteten Sexualkontakt den Partner mit einer Krankheit infizieren kann, von der, wie er gleichfalls weiß, es nicht unwahrscheinlich ist, daß sie tödlich verläuft, hat nicht nur Lebensgefährdungsvorsatz, sondern auch Tötungsvorsatz (siehe auch unten 8/23). Ein Gefährdungsvorsatz ohne Verletzungsvorsatz ist nur möglich, wenn der Täter das objektive Gefahrenurteil kennt, ohne daß es für ihn einsichtig ist, oder wenn die Gefahr von nicht entscheidungsrelevanter Dichte ist 1 6 8 .

161 Horn Konkrete Gefährdungsdelikte S. 161 ff mit weiteren Nachweisen. 162 BGH 18 S. 271 ff, 272 mit Nachweisen der vorgehenden Rechtsprechung. 163 Schröder ZStW 81 S. 7 ff, 8 f. 164 Horn Konkrete Gefährdungsdelikte S. 192; zur Gefahr bei Erfolgseintritt siehe aaO S. 52 ff. 165 Schünemann JA 1975 S. 787 ff, 796. 166 Demutb Gefahrbegriff S. 218. 166a Kindhäuser Gefährdung S. 201 ff, 214. 167 Siehe außer den schon Genannten Lackner Das konkrete Gefährdungsdelikt S. 16 ff; v. Hippel Gefahrenurteile und Prognoseentscheidungen in der Strafrechtspraxis S. 83 ff; Gallas HeinitzFestschrift S. 171 ff; Hoyer Eignungsdelikte S. 73 ff; Schmidbauer AT 8/33; SK-Horn Rdn. 4 ff vor § 306; Ostendorf JuS 1982 S. 426 ff; Maurach-Schroeder BT II §51 I I I ; Schroeder Beiheft ZStW 1982 S. 1 ff, 11 ff; Wolter]^ 1978

S. 748 ff; ders. Objektive und personale Zurechnung S. 197 ff mit weiteren Nachweisen. Sehr streitig; in der Hauptsache wie hier Hom Konkrete Gefährdungsdelikte S. 204 ff, 210; Frisch Vorsatz S. 297 ff; ders. JuS 1990 S. 362 ff, 366; Joerden Strukturen S. 150 ff; a.A. Köhler Bewußte Fahrlässigkeit S. 287 f; Küpper ZStW 100 S. 758 ff, 768 f (Verletzungsvorsatz als Kenntnis des — nicht notwendig wahrscheinlichen — Erfolgseintritts plus Hinnahme des Erfolgseintritts; Gefährdungsvorsatz als Kenntnis der Erfolgswahrscheinlichkeit plus Hinnahme dieser Wahrscheinlichkeit; bewußte Fahrlässigkeit als Kenntnis bloßer Erfolgsmöglichkeit bei beliebiger Einstellung oder aber Kenntnis von Erfolgswahrscheinlichkeit bei Vertrauen auf das Ausbleiben des Erfolgs; — das ist ebenso theorielos wie unpraktikabel), jeweils mit Nachweisen. — Beispiel: Zum Gefährdungsvorsatz

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6. A b S C h n

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2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

c) Die Erfolgsdelikte werden meist in die Untergruppen der Zuständsdelikte und der Dauerdelikte unterteilt. Beim Zustandsdelikt soll mit der Herbeiführung eines Zustands die T a t abgeschlossen (vollendet und beendet) sein (Beispiel ist § 303 StGB) ; bei Dauerdelikten soll der Zustand vom Täter nach seiner ersten Herbeiführung (also nach der Vollendung) aufrechterhalten werden (Beispiel ist § 316 StGB). Eine Differenzierung in der angedeuteten Richtung ist f ü r den Zeitpunkt der Teilnahme (unten 21/60; 22/38 ff), f ü r die Sicherungs- und Rettungspflichten bei den Unterlassungsdelikten (unten 29/8), f ü r Fragen der Konkurrenz (unten 32/27), der V e r j ä h r u n g (§ 78 a StGB), der Strafanwendung (§ 9 StGB) u. a. m. bedeutsam, aber mit der bezeichneten Gegenüberstellung allein nicht zu leisten und auch nicht mit einer für alle Problemkreise gleichermaßen gültigen Lösung 1 6 9 . Fallgruppen :

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aa) Bei einigen Delikten, den Dauerdelikten im engeren Sinn, wird das Unrecht mit dem Maß des Eingriffs in ein Gut durch weiteres Handeln oder Unterlassen des Täters intensiviert. Das deliktische Verhalten verlängert sich dann um das folgende Verhalten, an dem Teilnahme möglich ist, das die Verjährung hindert etc. Beispiele sind die Freiheitsberaubung, falls der Täter die Beraubung während ihrer Dauer durch sein Verhalten aufrecht erhält, also das Opfer handelnd festhält oder unterlassend nicht befreit, ferner die fortdauernde Nötigung oder die fortdauernde Trunkenheitsfahrt nach § 315 c Abs. 1 N r . 1 Buchstabe a StGB 1 7 0 oder § 316 StGB 1 7 1 .

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bb) Bei einigen der genannten Tatbestände kann die Fallgestaltung eintreten, daß sich das Maß des Eingriffs noch nicht verwirklicht, obgleich der Täter bereits seinen Einfluß über das Geschehen verloren hat. Dann ist das deliktische Verhalten abgeschlossen, aber der Erfolgseintritt ist noch nicht perfekt, obgleich ein zur Vollendung genügender Erfolg bereits vorliegt. Beispiele: D e r Täter wirft das Opfer in einen Schacht, wo er es allein oder mit fremder Hilfe nicht mehr herausbekommt; das freiheitsberaubende Verhalten ist mangels noch bestehender Einflußmöglichkeit vollzogen, der Freiheitsberaubungserfolg hat aber, solange das Opfer eingeschlossen ist, noch nicht sein volles Maß erreicht. — Der Täter verletzt das Opfer, das nunmehr unbeeinflußbar dauernde Schmerzen leidet. — In solchen Fällen kann von Dauerdelikten im weiteren Sinn gesprochen werden; strafrechtliche Institutionen, die ein Täterverhalten voraussetzen (Teilnahme), sind nicht mehr anwendbar, wohl aber solche, die auf den Zeitpunkt eines Erfolgseintritts abstellen (trotz Vollendung kein Beginn der Verj ährungsf rist).

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cc) Die Abgrenzung der Delikte, bei denen sich potentiell in der Zeit das Unrecht summieren kann, von denjenigen mit sogleich perfektem Erfolg (Zuständsdelikte) ist schwierig und geht quer durch einzelne Tatbestände. Der Gesetzgeber hat in den einzelnen Tatbeständen überwiegend nicht das Gut benannt, dem der strafrechtliche Schutz gilt, sondern ein Objekt oder abgeleitetes Gut, in dem sich das Hauptgut verdinglicht. So besteht der gesamte Eigentumsschutz nicht wegen der eigentumsfähinach § 145 a StGB bedarf es also nur des Wissens, daß ein Verstoß gegen Weisungen nach objektivem Urteil die Verwirklichung des Maßregelzwecks hindern k a n n ; der subjektiven Uberzeugung von dieser Konsequenz bedarf es nicht (im Fall O L G H a m b u r g N J W 1985 S. 1232 f war die subjektive Einsicht gegeben, so daß es auf die Kenntnis nur-objektiv beurteilter Gefährlichkeit nicht ankam). — Zum dolus eventualis siehe unten 8/21 ff.

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Zum folgenden Text siehe Hmschka GA 1968 S. 193 ff; speziell zu den abstrakten Gefährdungsdelikten als Dauerdelikten siehe Hau Beendigung S. 90 f, 94 f f ; Jescheck Welzel-Festschrift S. 683 ff, 686; Scbittenhelm GA 1983 S. 310 ff, 322 ff (zu $ 326 StGB). B G H 22 S. 67 ff, 71; siehe aber unten zur Konkurrenz 32/Fn. 42. B G H V R S 48 S. 354 ff, 355; 49 S. 177 ff; 49 S. 185 u. a. m.

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. A b S C h n

gen Sachen, sondern wegen der Beziehung des Eigentümers zu seinen Sachen, also wegen der Freiheit des Eigentümers. Wird bei solcher Lage das abgeleitete G u t perfekt verändert (eine Sache zerstört oder gestohlen), so ist das nicht notwendig eine perfekte Veränderung des Hauptguts, dessen Schutz intendiert wird (die Sache fehlt tagtäglich fortlaufend und zwingt immer erneut zu freiheitsbeschränkenden Dispositionen). D a der Tatbestand jedoch allein auf den Bestand des abgeleiteten Guts abstellt, sind die Summierungen der Verluste, die mit der Zeit beim Hauptgut anlaufen, keine tatbestandlichen Erfolge; der Erfolg ist mit der Veränderung am abgeleiteten Gut perfekt. Beispiel: In § 223 StGB werden die Funktionen der Körperlichkeit f ü r den Menschen geschützt. Der tatbestandsmäßige Erfolg ist mit dem körperlichen P r o z e ß perfekt, der zum Verlust einer Funktion f ü h r t (der Arm ist gelähmt), auch wenn das O p f e r die Auswirkungen des Verlusts (die Bewegungseinschränkungen) zukünftig tagtäglich neu erfährt und darunter seelisch leidet. Die Wiederholung der Leiden vermehrt nicht per se, sondern nur bei weiterer körperlicher Fundierung (etwa bei fortdauernden Schmerzen oder fortdauernder Sucht 1 7 1 3 ) den tatbestandsmäßigen Körperverletzungserfolg (nur dann Dauerdelikt). Insbesondere ist der Erfolg der §§ 224 f StGB mit dem Eintritt der Schädigung von unabsehbarer Dauer schon vor Ablauf eines längeren Zeitraums perfekt, wenn nicht, wie es allerdings bei einzelnen Fallgruppen der Vorschriften regelmäßig der Fall sein dürfte, weitere funktionsstörende körperliche Prozesse ablaufen. — Soweit trotz perfekten tatbestandlichen Erfolgs eine Reversion der Lage möglich ist (die zerstörte Sache kann repariert werden, der gelähmte Arm reaktiviert), f ü h r t — anders als beim Dauerdelikt — die Hinderung der Reversion keinen tatbestandsmäßigen Erfolg herbei und die pflichtwidrige Unterlassung der Reversion ist kein Unterlassungsdelikt. — Einzelheiten gehören zur Interpretation der Tatbestände des BT. d) Die Tatbestände aller Erfolgsdelikte können sich entweder mit der Beschreibung 84 von Täter und Erfolg begnügen („wer . . . verletzt"; §§ 212, 222, 223 Abs. 1, 2. Fallgruppe, 230, 303 StGB) oder aber eine Verhaltensbindung hinzufügen, also Art und Weise der Erfolgserreichung auf einzelne der praktisch möglichen Varianten beschränken. So gibt es ζ. B. keinen Tatbestand, der überhaupt die Entziehung von Eigentum oder Vermögen erfaßt, sondern stets findet sich eine Verhaltensbindung (Wegnahme, Täuschung, Gewalt oder D r o h u n g etc.). Die Verhaltensbindung ist bei der Übertragung von Begehungsdelikten in unechte Unterlassungsdelikte entsprechend zu übertragen, § 13 StGB (unten 29/78 ff). 2. Bei den Tätigkeitsdeliktenbeschreibt der Tatbestand einen Handlungsvollzug. Da 85 der Handlungsvollzug aber seinerseits wieder eine Außenseite und in dem Sinn einen Erfolg aufweist, läßt sich die so definierte Deliktsgruppe von verhaltensgebundenen Erfolgsdelikten nicht sauber trennen 1 7 1 ' 5 . Beispiele: Hausfriedensbruch in der Form des Eindringens (§ 123 StGB) mag man als Tätigkeitsdelikt bezeichnen, aber auch als Delikt, bei dem ein „Darinnensein" auf bestimmte Art und Weise bewirkt wird; Meineid (§ 154 StGB) kann als Schwören oder als eigenhändiges Bewirken eines Eides definiert werden 1 7 2 (oder gar als Kommunikation mit der dem Eid abnehmenden Stelle, dann nur verhaltensgebundenes Erfolgsdelikt). Eine eigene Gruppe bilden allenfalls diejenigen Delikte, bei denen eine Verlängerung des Unrechts über die Zeit der Tätigkeit hinaus ausgeschlossen ist; dies ist wohl 171a 171b

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Siehe O L G F r a n k f u r t N J W 1988 S. 2965. Arzt SchwZStr. 107 (1990) S. 168 ff, 172. Beide Delikte w e r d e n als Tätigkeitsdelikte häufig genannt, siehe Jescheck A T § 26 II 1 b ; MaurachZipf A T I § 2 0 R d n . 28; — der teils genannte

W i d e r s t a n d nach § 113 S t G B ist kein Tätigkeitsdelikt, s o n d e r n ein verkapptes U n t e r n e h m e n s d e likt: D e r E r f o l g des W i d e r s t a n d s ist nicht z u r V o l l e n d u n g nötig, g e h ö r t aber, w e n n er eintritt, zum Unrechtstatbestand.

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6. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

bei der Trunkenheitsfahrt (§316 StGB), beim Verwandtenbeischlaf (§ 173 StGB) und bei einigen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 ff StGB) der Fall, ferner bei denjenigen Delikten mit materiellem Versuchscharakter, bei denen das Ausbleiben der Vollendung mit dem Handlungsabschluß feststeht. Tätigkeitsdelikte in diesem Sinn sind also Delikte, die keine Ingerenzhaftung auslösen können. Nicht hierher gehören Hausfriedensbruch (die Dauer des Verweilens nach dem Eindringen bestimmt das Unrecht mit) und Meineid (bis zur Aufdeckung bleibt die Rechtspflege gefährdet). 86

3 a) Sowohl Tätigkeitsdelikte als auch Erfolgsdelikte können abstrakte Gefährdungsdelikte sein. Sie sind dies, wenn weder der objektive noch der subjektive Tatbestand auf die Verletzung oder konkrete Gefährdung eines Guts abstellen 1 7 3 . Strafgrund ist die generelle (vom Einzelfall abstrahierte) Gefährlichkeit eines bestimmten Verhaltens oder eines Verhaltens mit bestimmter Folge 1 7 4 . Beispiele 175 sind die §§ 153 ff (eine Gefährdung der Rechtspflege kann objektiv und subjektiv auszuschließen sein), 306 (keine Gefahr für ein konkretes Menschenleben erforderlich), 308 (die Gefahr ist nur nach Beschaffenheit und Lage konkretisiert, andere Faktoren können eine konkrete Gefahr ausschließen), 316 (kein Personen- oder Sachgut muß konkret gefährdet sein), 331 StGB (die Gefahr, auch nur der Anschein parteiischen Verwaltungshandelns könne entstehen, kann fehlen).

86a

b) Die generelle Problematik aa) Ein Bedürfnis nach abstrakten Gefährdungsdelikten 1 7 5 a besteht immer dann, wenn ein sozialer Bereich nur bei Standardisierung des Verhaltens organisiert werden kann. Dies ist der Fall, wenn etwa wegen der Kompliziertheit des Bereichs nicht zu erwarten ist, die sich darin bewegenden Personen würden sich selbst so steuern, daß Schäden ausbleiben. Beispiele: Ein Zeuge vor Gericht kann nicht die Relevanz seiner Aussage selbst beurteilen (§§ 153 ff StGB) oder ein Nichtfachmann nicht die Konsequenzen eines Wohnhausbrands (§§ 306 f StGB). Weiterhin lassen sich massenhaft gleichförmige Entscheidungen, wie sie etwa im Straßenverkehr erforderlich sind (Auf welches Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer muß man sich einstellen?), nur bei einer Standardisierung des Verhaltens der Beteiligten ermöglichen. Schließlich kann ein

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N u r objektiv gesehen kann eine konkrete Gefährdung bei allen Delikten mit vorverlagerter Vollendung, bei Unternehmensdelikten und beim Versuch fehlen, unten 25/1, 57. 174 Kindhäuser (Gefährdung S. 225 ff, 238 ff, 277 ff) meint, mit der „generellen Schadensrelevanz" könne die H a f t u n g im Einzelfall nicht begründet werden: „Zugunsten des Täters ist. . . anzunehmen, daß das fragliche Verhalten nicht zu einer Verletzung hätte führen können" (S. 238). Er deutet die abstrakten Gefährdungsdelikte deshalb als Verletzungen eines spezifischen Gutes: „Sicherheit, die durch abstrakte Gefährdung tangiert wird, ist der dem über Güter Verfügenden rechtlich garantierte Zustand, daß hinreichend vorgesorgt ist" (S. 280). — Es dürfte sich dabei nur um ein Partialgut handeln, das bei den Verletzungsdelikten auch tangiert wird (siehe dazu a a O . S. 337 f). — Daß abstrakte Gefährdungsdelikte stets Tätigkeitsdelikte seien — so etwa Ostendorf ]uS 1982 S. 426 ff, 429 u. a. m. ist falsch; siehe die Beispiele sogleich im Text.

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175 Auch die §§ 264,265 b StGB werden überwiegend als abstrakte Gefährdungsdelikte verstanden (Schönke-Schröder-Lenckner% 264 Rdn. 5, § 265b Rdn. 4, jeweils mit Nachweisen); dem widerspricht jedoch die Rücktrittsregelung in den §§ 264 Abs. 4, 265 b Abs. 2 StGB; denn wenn die Verhinderung einer Leistung nach der T a t befreit, muß auch die zutreffende Erkenntnis bei der Tat, daß eine Leistung ausgeschlossen ist, zur Straffreiheit führen. — Jedenfalls ist § 23 Abs. 3 StGB entsprechend anzuwenden; Beispiel: Der Täter gibt allgemein offenkundige Tatsachen kraß falsch an. 175a Zum folgenden Text: Jakobs Z S t W 97 S. 751 ff, 777 ff; Weber Beiheft ZStW 1987 S. 1 ff, 15 ff; ders. ZStW 92 S. 313 ff; Berz Tatbestandsverwirklichung S. 100 ff; tfü/MNJW 1986 S. 874 ff; Kindhäuser Gefährdung S. 177 ff, 225 ff. Eingehend zur Beherrschung des Zufalls durch das Verbot abstrakter Gefährdung Kratzsch Verhaltenssteuerung S. 274 ff, 283 ff; ders. GA 1989 S. 49 ff, 67 ff.

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

5. A b S C h n

im Einzelfall nur marginal riskantes Verhalten durch H ä u f u n g erheblich riskant werden; kann sich die H ä u f u n g jederzeit ereignen, muß es zum Standard gehören, solches Verhalten überhaupt zu vermeiden 175 b. Beispiele: Eine Autofahrt in mäßiger T r u n k e n heit oder ein Liter Altöl in einem großen Fluß bewirken kein darstellbares Risiko, wohl aber massenhaftes Vorkommen solchen Verhaltens (§§ 316, 324 StGB). bb) Freilich muß sich auch das Bedürfnis nach Standardisierung daran orientieren, daß es um N o r m e n zur Regelung sozialen Verhaltens geht; eine Standardisierung privater (interner) Bereiche per Strafrecht scheidet also aus; der Täter muß sich vielmehr eine ihm nicht zustehende Organisation anmaßen (unten 25/1 a ff). Zur Lösung der sich ergebenden Abgrenzungsschwierigkeiten ist zu unterscheiden : α) In einer ersten Fallgruppe liegt ein externes Verhaken vor, das eo ipso stört; lediglich die Schadensneigung dieses Verhaltens wird generalisierend bestimmt. Beispiele sind Falschaussage, Meineid oder Brandstiftung an bewohnten Gebäuden. ß) Bei der nächsten Gruppe wird nicht nur die Schadensneigung, sondern auch das Extern-Störende generalisierend festgelegt. Ein Verhaltenstyp, bei dem der Täter sich manchmal eine fremde Organisation anmaßt, wird als generell anmaßend definiert. Beispiele bilden die Trunkenheit im Verkehr, Bankrott nach § 283 Abs. 1 N r . 1 StGB oder unerlaubter Umgang mit Kernbrennstoffen. In beiden bislang genannten Gruppen ist das gefährliche Verhalten komplett vollzogen worden : Die Vorverlagerung der Strafbarkeit ist also nicht größer als beim beendeten Versuch. γ) Die Beurteilung wird schwieriger, wenn ein Verhalten kriminalisiert wird, das ohne nachfolgendes und seinerseits deliktisches Zutun des Täters oder einer anderen Person überhaupt nicht oder allenfalls minimal gefährlich ist. Als Beispiel mag die Produktion automatischer Selbstladewaffen ohne Erlaubnis dienen (§ 52 a W a f f G ) . So evident es einerseits sein mag, daß mit dem Verhalten ein gefährlicher Verlauf beginnt, so evident ist auf der anderen Seite, daß die Realisierung der Gefahr erst von Taten droht, die vielleicht noch nicht einmal geplant, jedenfalls aber noch nicht versucht oder sonst externalisiert worden sind. Es geht also um ein Verhalten, das selbst bei Voraussicht der möglichen Weiterungen noch keine Deliktsausführung wäre, sondern Vorbereitung eines eigenen Delikts oder Teilnahme an einem fremden, noch im Vorbereitungsstadium steckenden Delikt, mit anderen Worten, die Strafbarkeit wird ins Vorbereitungsstadium vorverlagert. Diese Vorverlagerung ist in einigen Fällen unumgänglich, etwa wenn Prototypen von Deliktsmitteln produziert, aber zunächst noch im internen Bereich aufbewahrt werden: Waffen, Falschgeld, gefälschte Pässe, Rauschgift etc.; denn bei solchen Gegenständen besteht die erhöhte Gefahr, daß, wenn nicht der Produzent selbst, so doch irgend jemand sie deliktisch nutzt (ein Maschinengewehr ist generell verbrechenstauglicher als ein Küchenmesser, Falschgeld mehr als Schreibmaschinenpapier), eventuell auch ohne den Willen ihres Produzenten. Freilich legitimiert diese Überlegung nur eine Strafe f ü r das Schaffen der abstrakten Gefahr, daß künftige Delikte irgendeiner Person erleichtert werden. Der Täter darf nicht befragt werden, was er plant, weil seine Planung noch in seinem Internbereich liegt. Es darf einzig darauf ankommen, ob er ohne Blick auf seine Planung eine generell gefährliche Situation herbeiführt. Abstrakte Gefährdungsdelikte der zuletzt in Rede stehenden Art dringen dann in den Internbereich ein, mißachten somit das Tatprinzip und sind rechtsstaatlich nicht korrekt, wenn der Planungszusammenhang des Täters zur Strafbegründung oder 175b Kuhlen GA 1986 S. 389 ff, 399 ff.

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6. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

Straferhöhung herangezogen wird 1 7 5 c . Hauptbeispiele finden sich bei den Geldfälschungs- und Urkundsdelikten: Eine Fälschung zum Gebrauch wird wie der Gebrauch selbst pönalisiert (§§ 146 f, 267 StGB); daran wird deutlich, daß das gefährliche Schaffen von Falsifikaten als externe Tat definiert wird, um etwas anderes, nämlich die Gebrauchsabsicht, zu pönalisieren. Solche Delikte sind durch ein abstrakt gefährliches Verhalten verkappte Bestrafungen für bloße Planung, also für Gedanken. Weitere Beispiele geben die §§311 b, 316c Abs. 3 StGB. 87

c) Einzelprobleme der ist stets eindeutig (aa) welche Delikte abstrakte Gefährdungsdelikte sind, noch (bb) wie abstrakt sie jeweils sind. aa) Bei der Gruppe derjenigen Tatbestände, die auf die „Eignung" eines Verhaltens für einen Erfolg abstellen (etwa die §§ 130, 130a, 186, 187, 229, 308, 326 StGB) oder allgemein auf eine „Gefährdung" (§ 223 a StGB) ist streitig, ob die Eignung oder Gefährdung konkret oder abstrakt zu verstehen ist 1 7 6 . Gegen die Interpretation als abstraktes Gefährdungsdelikt spricht, daß eine abstrakte Gefahr allein durch Benennung des zu schützenden Guts nicht in einer Weise bestimmt werden kann, die Art. 103 Abs. 2 CG, § 1 StGB genügt; denn die Zahl der Faktoren, von denen abstrahiert werden kann, ist prinzipiell unbeschränkt und dementsprechend unbegrenzt wäre der Begriff der Gefahr. Das heißt aber nicht, die Gefahr müsse konkret sein; denn verletzungsgeeignet ist nicht nur der Angriff auf ein am Einwirkungsort vorhandenes, bestimmt geartetes Angriffsobjekt (siehe oben 6/79), sondern auch der Angriff auf ein Objekt, das überhaupt nicht oder nicht mit bestimmten Eigenschaften vorhanden ist, mit dessen Vorhandensein und bestimmten Eigenschaften aber gerechnet werden muß. Beispiel: Wer Warenvorräte anzündet, die er neben fremden Vorräten gelagert hat, verwirklicht auch dann den Tatbestand des § 308 StGB, wenn die fremden Vorräte kurz zuvor unbemerkt gestohlen wurden (kein konkretes Angriffsobjekt vorhanden) oder unbemerkt so abgedeckt oder angefeuchtet wurden, daß sie nicht entflammt werden können (konkret keine Eigenschaft „entflammbar").

88

bb α) Die abstrakten Gefährdungsdelikte sind als Ungehorsamsdelikte formuliert, d. h. vom Normunterworfenen wird auch dann Befolgung verlangt, wenn eine konkrete Gefährdung auszuschließen ist (das dürfte in bestimmten Bereichen des Straßenverkehrsrechts sogar die Mehrzahl der Fälle sein). Beispiele: Die 50jährige Zeugin gibt sich bei den Angaben zur Person als 49jährig aus; — vor dem In-Brand-Setzen des Wohnhauses hat der Täter alle erdenklichen Kontrollen dahin vorgenommen, daß sich kein Mensch im Gebäude aufhält; — der Täter fährt tief in der Nacht mit 1,3 Promille wenige Meter über eine weithin als völlig leer erkennbare, abgelegene Nebenstraße. Die Gehorsamsübung hat trotz evidenter Gefahrlosigkeit dann immer noch einen Sinn, wenn Regelbefolgung eingeübt werden muß 1 7 7 . Beispiel : Wenn Autofahrer im Stadtbereich jedesmal reflektieren, ob es sich lohnt, an einer rot zeigenden Ampel anzuhalten, 175c Jakobs Z S t W 97 S. 751 ff, 770 f f ; Weber Beiheft Z S t W 1987 S. 1 ff, 15 f f , 17 f f , freilich a. A. f ü r die G e l d f ä l s c h u n g . 176 E i n g e h e n d Gallas H e i n i t z - F e s t s c h r i f t S. 171 f f ; SK-Horn R d n . 15 ff v o r § 3 0 6 ; Scbönke-Schröder-Cramer R d n . 3 ff v o r § 306 jeweils mit N a c h w e i s e n ; zu § 326 S t G B Schittenhelm GA 1983 S. 310 ff, 317 ff. 177 Lackner G e f ä h r d u n g s d e l i k t e S. 9. — Die L ö s u n g Horns, das a b s t r a k t e G e f ä h r d u n g s d e l i k t d u r c h eine objektive S o r g f a l t s w i d r i g k e i t des V e r h a l t e n s anzureichern (Konkrete Gefährdungsdelikte

174

S. 94 f mit Fn. 114) f ü h r t mangels eines subjektiven Bezugs auf die Sorgfaltswidrigkeit zu einer objektiven S t r a f b a r k e i t s b e d i n g u n g . — W i r d — jedenfalls beim Fehlen einer k o n k r e t e n G e f a h r — a u c h individuelle Fahrlässigkeit verlangt (Hoyer Eignungsdelikte S. 41 f f ; ders. J A 1990 S. 183 ff), geht die E i n ü b u n g in R e g e l b e f o l g u n g verloren. — W e n n Schünemann auf N o r m e n mit bloß f o r m a l e r O r d n u n g s f u n k t i o n abstellt (JA 1975 S. 787 ff, 798), so ist dies das Ergebnis, gibt aber keine B e g r ü n d u n g f ü r die N o t w e n d i g k e i t solcher Normen.

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. Abschn

wird sich kein zugleich flüssiger wie sicherer Straßenverkehr ergeben. Ansonsten gelten die allgemeinen Regeln f ü r Bagatellfälle. Ferner ist zur Rechtfertigung der abstrakten Gefährdungsdelikte zu berücksichtigen, daß der Begriff der abstrakten Gefahr mit der Konsequenz notfalls nutzlosen Gehorsamsverlangens relativ zu dem willkürlich wählbaren Abstraktionsniveau ist, auf dem die Rechtsgüter angesiedelt werden. Stellt man ζ. B. bei den Vermögensdelikten nicht auf das Vermögen als Gut ab, sondern — abstrakter — auf die im Vermögen verdinglichte Freiheit, so werden die Vermögensdelikte zu abstrakten Freiheitsgefährdungsdelikten (die Gefahr einer konkreten Freiheitsbeeinträchtigung kann fehlen, etwa weil der Betrag für den Inhaber quantité négligeable ist oder vor seiner nächsten Nutzung bei einer Naturkatastrophe sowieso verlorengegangen wäre). Wenn ein Delikt ein abstraktes Gefährdungsdelikt ist, so heißt dies also nicht, daß sein Erfolg nicht dennoch ein Objekt verletzen könne, welches das Gut auf einer weniger abstrakten Ebene repräsentiert. Wie diese Repräsentationsfunktion bei Eigentum und bei Vermögen als selbstverständlich hingenommen wird, so daß Eigentum und Vermögen ohne Blick auf die Weiterungen als selbst schutzwürdige Güter behandelt werden können, so stehen im Bereich der abstrakten Gefährdungsdelikte etwa auch die Wahrheit im Verfahren für die ordnungsgemäße Rechtspflege (§§ 153 ff StGB) oder die Uneigennützigkeit des Beamten f ü r die Funktionsfähigkeit des Verwaltungsapparats (§331 StGB) 178. ß ) Somit bleiben als Problemfälle diejenigen Delikte, bei denen es weder um Regel- 8 9 befolgung geht noch um die Repräsentanzfunktion eines Objekts und die zudem einen erhöhten Mindeststrafrahmen haben, so daß die zu erwartenden Minimalfälle nicht entsprechend minimal zugemessen werden können. Bei diesen Delikten, insbesondere bei § 306 StGB, ist der Tatbestand durch das ungeschriebene Erfordernis einer — auch folgenlosen — Fahrlässigkeit bezüglich des geschützten Guts anzureichern, um Strafrahmen und Unrechtsquantität in eine Balance zu bringen 1 7 9 . 4. Eigenhändige Delikte haben mit den abstrakten Gefährdungsdelikten gemeinsam, 9 0 daß es um den Vollzug eines (durch seine Gestalt oder seine Folgen) bestimmten Verhaltens geht; das Unrecht ist jedoch bei ihnen nicht die generelle Gefährlichkeit dieses Verhaltens, sondern die persönliche Insuffizienz des Täters, die sich im deliktischen Verhalten objektiviert. Eigenhändige Delikte können bei der Deliktsbeteiligung 178 Im Ergebnis ebenso Schiinemann a a O : „vergeistigtes Zwischenrechtsgut". 179 Sehr streitig; offengelassen für ξ 306 StGB in B G H 26 S. 121 ff, 124 f mit Nachweisen; nach B G H N J W 1982 S. 2369 (mit einer - jede Einschränkung ablehnenden — Besprechung durch Bohnert JuS 1984 S. 182 f f ) ; B G H StV 1984 S. 446 f; B G H N S t Z 1985 S. 408 f soll bei § 306 StGB eine hinreichende Sorgfalt zur Vermeidung einer Todesfolge allenfalls bei sehr übersichtlichen Gebäuden geleistet werden können; ansonsten soll Sorgfalt bei der Strafzumessung honoriert werden; großzügig § 306 StGB verneinend aber B G H N S t Z 1984 S. 455. - Ben. Formelle Tatbestandsverwirklichung S. 110 ff, 115 will bei abstrakten Gefährdungsdelikten überhaupt Handlungen aus dem Tatbestand ausnehmen, die im sicheren Wissen der Schadlosigkeit vollzogen werden, wenn sich nicht das

Verhalten doch als verletzend erweist. — Kindhäuser verwirft die Möglichkeit einer Tatbestandseinschränkung mit dem Argument, die H a f t u n g aus dem eingeschränkten, also spezielleren Tatbestand geschehe sine lege (Gefährdung S. 225 ff, 228). Freilich werden jedenfalls diejenigen Einschränkungen zulässig bleiben, die bei einem unbeschränkten Tatbestand im Rahmen der Strafzumessung belasten würden. — Zum Problem der Tatbestandseinschränkung siehe außer den schon Genannten Schröder ZStW 81 S. 7 ff, 10 f; Stree JuS 1962 S. 93 ff; BaumannWeber KT § 12 II 2 b; den. Folgenlose Verkehrsgefährdung S. 173; den. DAR 1962 S. 93 ff, 99; Arthur Kaufmann J Z 1963 S. 425 ff, 432; Brehm JuS 1976 S. 22 f f ; ders. Dogmatik S. 105 ff, 137 ff; Tiedemann in: Studi S. 2149 ff, 2151 ff; Wolter Zurechnung S. 276 f f ; Weber Beiheft ZStW 1987 S. 1 ff, 32 ff.

175

6. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

nicht nach allgemeinen Regeln behandelt werden (unten 21/22); ferner bestehen Besonderheiten bei der unechten Unterlassung (unten 29/2,79). 91

5. Bei Sonderdelikten im weiteren Sinn kann nicht jedermann Täter (für Teilnehmer siehe unten zu § 28 StGB 23/24 ff) eines vollendeten Delikts sein, sondern nur eine Person mit bestimmten Eigenschaften oder in bestimmter Lage. Die Weite dieser Definition reicht vom Beamten als dem alleinigen Täter von Amtsdelikten (insbesondere SS 331 ff StGB) bis hin zum Täter der vollendeten Eigentumsdelikte (§§ 242 ff, 303 StGB), der immer nur der Nichteigentümer sein kann, oder bis hin zum Täter der vollendeten Tötung, der immer nur nicht-identisch mit dem Opfer sein kann. Die wegen dieser Weite unbrauchbare Deliktsgruppe gewinnt Konturen, wenn sie auf die Alternative verengt wird, ob Täter des betreffenden Delikts nur eine Person sein kann, die unabhängig von der Deliktsbegehung in einer Beziehung (Status) zu dem geschützten Gut steht (Sonderdelikt im engeren Sinn), oder ob die Beziehung zum Gut nur durch das deliktische Verhalten vermittelt wird; es ergeben sich sodann für Beteiligung (unten 21/115 f f ; 23/25) und Versuch (unten 25/43 ff) Besonderheiten, auch beim Unterlassungsdelikt (unten 29/57 ff, 106 f, 112, 115). Begründet die Sonderpflicht die Strafbarkeit (Beispiel: §331 StGB), so spricht man von echten, ansonsten (bei bloßer Straferhöhung) von unechten Sonderdelikten (Beispiel: § 340 Abs. 1, 1. Fallgruppe StGB).

92

6. H ä u f i g sind der objektive und der subjektive Tatbestand nicht kongruent, vielmehr ist der subjektive Tatbestand genauer spezifiziert, d. h. er hat mehr kumulativ zu erfüllende Merkmale als der objektive Tatbestand 1 8 0 > 1 8 0 a . Diese Deliktsgestalt ist sehr variantenreich; die Terminologie ist uneinheitlich 1 8 1 .

93

a) Es kann darum gehen, daß das Delikt als vollendet beschrieben wird, bevor eine Gutsverletzung eingetreten ist (zur Vollendung als formeller Begriff unten 25/1 f). Weil ein Erfolg an einem Gut fehlt, spricht man von kupierten Erfolgsdelikten. Diese Erfolgskupierung kann in doppelter Weise erfolgen: Zum einen kann der Gesetzgeber in seiner Ungeduld auf einen Teil des zur Gutsverletzung erforderlichen Verhaltens verzichten; dann ist das Delikt vollendet, obgleich die Gutsverletzung nicht einmal beendet versucht wurde (unvollkommen oder verkümmert zweiaktige Delikte). Der Tatbestand lautet abstrakt: „Wer mit dem Vorsatz, ein Gut zu verletzen, die erste(n) von mehreren Handlungen vollzieht. . Zum anderen kann der Gesetzgeber zwar bis zur Beendigung des Täterverhaltens warten, aber doch auf den Eintritt des Erfolgs verzichten. Der Tatbestand lautet abstrakt: „Wer alles getan hat, was nach seinem Vorsatz zur Gutsverletzung erforderlich ist. . .". — Die Zugehörigkeit dieser subjektiven Merkmale zum Unrecht folgt daraus, daß es sich um die Vermeidbarkeitsbedingungen (also Handlungsbedingungen) des geplanten Gesamtunrechtsverhaltens handelt.

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b) Aber auch unabhängig von der Gutsverletzung sind überschießende subjektive Merkmale häufig, und zwar als Absichten („wer ein Gut schädigt, um etwas — isoliert strafrechtlich irrelevantes — zu erreichen"), Bewertungen von Handlungsantrieben („wer aus nichtigem Anlaß . . .") oder als Konstitutions- und Gesinnungsmerkmale 180 Das Gegenteil, seil, die genauere Spezifizierung des objektiven Tatbestands, ist wegen der Regelung des § 16 Abs. 1 StGB ausgeschlossen. Freilich kann für einen Teil des subjektiven Tatbestands Fahrlässigkeit hinreichen, so insbesondere bei den erfolgsqualifizierten Delikten, § 18 StGB, unten 9/30. Zu den nur-objektiven Merkmalen als vorsatzunabhängige BestrafungsVoraussetzungen siehe unten 10/1 ff, 15 ff.

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180:1

Wird selbst das Rudiment des objektiven Tatbestands verfehlt, bleibt es beim Versuch. Beispiel: Wer Geld aus einer Tasche (nicht aber die Tasche selbst) stehlen will, freilich nur die leere Tasche erlangt, versucht nur einen Diebstahl; B G H StV 1990 S. 205 f. 181 Siehe zum folgenden Text Mezger KT §21 III 1 und 2; LK9-Heimann-Trosien Einleitung Rdn. 75; Maurach-Zipf A T I § 20 Rdn. 38 ff.

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. Abschn

(Absichts- und Tendenzdelikte; „wer mit bestimmter Haltung . . ."). Die Zugehörigkeit zum Unrecht kann im Einzelfall zweifelhaft sein. Die Aufgliederung in Deliktstypen ist für die Entscheidung unergiebig. Zu Einzelheiten siehe unten zu der Lehre von den subjektiven Unrechtselementen 8/91 ff. 7. Erhebliche Bedeutung hat die Unterscheidung von Grundtatbeständen und abge- 9 5 wandelten Tatbeständen, wobei die Abwandlung immer in der Weise geschieht, daß zum Grundtatbestand kumulativ zu erfüllende Tatbestandsmerkmale ergänzt werden 182. a) Die Ergänzung erfolgt bei den — seltenen — XJnrechtsprivilegierungen durch 9 6 Hinzufügung unrechtsmildernder Merkmale; so wird ζ. B. bei der Tötung auf Verlangen ( § 2 1 6 StGB) zum Totschlag ( § 2 1 2 StGB) das ausdrückliche und ernsthafte Verlangen des Getöteten hinzugefügt. Nicht jede Privilegierung ist jedoch eine Unrechtsprivilegierung; vielmehr können auch schuldmildernde Umstände bei gleichbleibendem Unrechtstatbestand nur den Schuldtatbestand ergänzen. So gleicht bei der Kindstötung der Unrechtstatbestand demjenigen des Totschlags, aber der Schuldtatbestand wird um die in § 217 StGB genannten objektivierten Schuldmilderungsmerkmale ergänzt. — Die Privilegierung kann sich auch allein auf ein Antragserfordernis beziehen, ζ. B. bei den §§ 247, 248 a, 263 Abs. 4 StGB. — Unrechtsprivilegierungen bieten Besonderheiten bei Vorsatz und Irrtum (§ 16 Abs. 2 StGB, unten 8/83 ff), Schuldprivilegierungen beim Irrtum (unten 17/77 ff), alle Privilegierungen bei der Konkurrenzlehre (unten 31/19, 3 2 , 3 7 , 3 9 , 4 5 , 47). b) Bei den Unrechtsqualifizierungen erfolgt die Ergänzung durch unrechtserhö- 9 7 hende Merkmale, teils nur-subjektiver A r t 1 8 3 . Die ergänzenden Merkmale bilden überwiegend für sich allein keinen eigenen Deliktstatbestand, ja nicht einmal eine Handlung, so ζ. B. nicht die Mordmerkmale, die Sonderpflichten bei allen unechten Sonderdelikten und die Qualifizierungen, die nur Merkmale der Tat- oder Tätersituation sind. Teils ergänzt jedoch der Gesetzgeber den Grundtatbestand um ein schon für sich strafbares Verhalten (zusammengesetzte Tatbestände). So verfährt er insbesondere bei den durch fahrlässige Tötung oder Körperverletzung (erfolgs-) qualifizierten Delikten, wie den §§ 224, 226, 239 Abs. 2 und 3, 251, 307 Nr. 1 StGB u. a. m. Es werden aber auch (Ausschnitte aus) Vorsatzdelikten ergänzt, so besteht ζ. B. der Raub (§ 249 StGB) aus einem durch qualifizierte Nötigung (ein Ausschnitt aus § 240 StGB) begangenen Diebstahl (§ 242 StGB); der räuberische Diebstahl (§ 252 StGB) besteht aus Diebstahl und dem Versuch qualifizierter Nötigung in getrennten Handlungsabschnitten. c) Teils wird bei den bezeichneten Abwandlungen danach differenziert, ob ein 9 8 eigenständiges Verbrechen (delictum sui generis) entsteht (so angeblich der Raub gegenüber dem Diebstahl oder nach älterer Ansicht der Mord gegenüber dem Totschlag 1 8 4 ) oder aber die Abwandlung unselbständig bleibt. An diese Differenzierung sollen sich insbesondere Konsequenzen für die Teilnahme knüpfen: Besondere persönliche Merkmale, die ein eigenständiges Delikt begründen, sollen nach § 28 Abs. 1 StGB, diejenigen, die einen Tatbestand zur unselbständigen Abwandlung ergänzen, nach § 28 Abs. 2 StGB zu behandeln sein. — Diese Differenzierung findet im Gesetz keine Stütze und 182

Den Versuch, die Strafrahmenstufung kodifizierter Deliktsabwandlungen (seien es Qualifizierungen und Privilegierungen, seien es besonders und minder schwere Fälle, 6/99 ff) auf Delikte ohne

183

Letzteres bei den Mordmerkmalen des § 2 1 1 Abs. 2, 1. und 3. Gruppe S t G B (der Mord ist freilich seit BVerfG 45 S. 187 ff ein ergänzungsbedürftiger Tatbestand).

Strafrahmenstufungen zu übertragen und dadurch die Strafrahmen dieser Delikte zu konkretisieren, unternimmt Montenbruck Strafrahmen S. 67 ff.

'84

Dagegen zutreffend Schönke-Schröder-Eser Nachweisen.

Welze! J Z 1952 S. 72 ff; Rdn. 2 ff vor § 2 1 1 mit

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6. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

opfert die gesetzliche Tatbestandstechnik zu Gunsten unklarer vorrechtlicher Vorstellungen von einem Deliktstyp; sie ist deshalb abzulehnen 1 8 5 . Qualifizierungen sind auch bei gleichbleibendem Unrecht durch einen ergänzten Schuldtatbestand denkbar; ob das geltende Recht solche reinen Schuldqualifizierungen kennt (§211 Abs. 2, 1. und 3. Gruppe StGB?), hängt von der Auslegung einzelner Merkmale als subjektive Unrechtselemente oder als Schuldelemente ab; dazu unten 8/96,98. 99

8 a) N a c h verbreiteter Ansicht ergänzen die Merkmale der besonders schweren Fälle (§§240 Abs. 1, 263 Abs. 3, 266 Abs. 2, 267 Abs. 3 StGB u. a. m.) oder der minder schweren Fälle (§§ 177 Abs. 2, 217 Abs. 2, 249 Abs. 2, 311 Abs. 2 StGB u. a. m.) nicht den Tatbestand, und zwar selbst dann nicht, wenn sie durch zwingende Beispiele (§213 StGB) oder durch Regelbeispiele (§§ 218 Abs. 2, 243 StGB u. a. m.) benannt werden. Es soll sich vielmehr um Strafzumessungsregeln handeln 1 8 6 . In dieser Allgemeinheit — Tatbestand contra Strafzumessungsregel — ist dies freilich überhaupt kein Gegensatz. So wie einige Grundtatbestände unbestimmt-geschlossen sind (siehe oben zur Lehre von den offenen Tatbeständen 6/60 ff), so besagt die Unbestimmtheit der besonders schweren oder minder schweren Fälle nichts gegen die Zugehörigkeit zum Tatbestand, und da die Quantität an Tatbestandserfüllung, vermittelt über die ceteris paribus entsprechende Quantität an Schuld, die wichtigste Strafzumessungsregel ist (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB), besagt die Zugehörigkeit zu diesen Regeln nichts gegen diejenige zum Unrechtstatbestand. Wie also ζ. B. das Gesetz in § 242 StGB nicht zwischen dem Diebstahl einer kleinen Summe und dem einer großen Summe etc. differenziert, trotzdem aber die Differenz zwischen beiden Diebstählen eine Unrechtsdifferenz ist, so ist auch alles das, was der Richter — einem bindenden Beispiel oder einem Regelbeispiel folgend oder frei — als Merkmal eines besonders schweren oder minder schweren Falls zusammenträgt, als mindernd oder erschwerend zurechenbares Material dem Tatbestand zugehörig. Die Merkmale dieses Materials sind von anderen strafbegründenden oder strafändernden Deliktsmerkmalen nicht einmal durch ihre gesetzliche Unbestimmtheit unterschieden; eine solche Unbestimmtheit weisen auch die zu ergänzenden Merkmale der unbestimmt-geschlossenen Tatbestände auf. Wie bei den Privilegierungen und Qualifizierungen können die minder schweren oder besonders schweren Fälle freilich vom Unrechtstatbestand unabhängig und nur dem Schuldtatbestand zuzuordnen sein. Die Merkmale sind also (Unrechts- oder Schuld-) Tatbestandsmerkmale 1 8 7 , seien sie unbenannt oder als Regelbeispiel oder als bindendes Beispiel benannt.

100

b) Damit freilich ist wenig gelöst. O b der zu ergänzende Tatbestandsteil, soweit es überhaupt um den Unrechtstatbestand geht, vorsätzlich oder fahrlässig oder teils fahrlässig (etwa analog § 18 StGB) zu verwirklichen ist, läßt sich nur zu jedem Sachkom185 Jescheck A T § 2 6 1111 und 3; V. Hassemer Delictum sui generis S. 88 f f ; Haffke JuS 1973 S. 402 ff, 407 ff. 186 Jescheck A T § 2 6 V ; Scbönke-Scbröder-Stree Rdn. 44 vor § 38 ; LK-G. Hirsch Rdn. 45 vor § 46; Arzt JuS 1972 S. 515 ff; Blei JA 1975 S. 237; Schröder Mezger-Festschrift S. 415 ff, 427; Kastenbauer Regelbeispiele S. 125 ff, 177; Schmitt Tröndle-Festschrift S. 313 f f ; Wessels MaurachFestschrift S. 295 ff, 299 mit zahlreichen N a c h weisen; — ebenso B G H 23 S. 254 ff, 256, aber nicht den Unrechtstatbestand betreffend, sondern

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den Tatbestand im Sinn des § 12 StGB und die T a t im Sinn von 5 260 Abs. 4 S t P O (zu letzterem siehe B G H N J W 1970 S. 2120; dagegen freilich wiederum B G H 27 S. 287 ff, 289); B G H 26 S. 104 ff, 105 dort als überflüssiges obiter dictum; siehe auch BayObLG N J W 1980 S. 2207. 187 Calliess J Z 1975 S. 112 ff, 117 mit weiteren Nachweisen S. 113 Fn. 8; Wahle GA 1969 S. 161 ff; — als normatives Tatbestandsmerkmal will Maiwald den gesamten besonders schweren Fall verstehen, Gallas-Festschrift S. 137 ff, 150; ders. N S t Z 1984 S. 433 ff, 435.

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. A b S C h n

plex gesondert entscheiden (siehe unten zum Vorsatz 8/43). — Für den Versuch ergeben sich nach der hier vertretenen Versuchslösung keine Besonderheiten, da zum einen die Verwirklichung eines einzelnen Tatbestandsmerkmals sowieso den Versuch nicht bedingt und zum anderen der Versuch des besonders schweren Falls keine Vollendung der erschwerenden Umstände erfordert 1 8 8 . — Auch die Konkurrenzlehre hindert die Tatbestandslösung nicht, sondern begünstigt sie: Wenn der besonders schwere Fall in einem für sich strafbaren Delikt besteht, ist die gesonderte Benennung dieses Delikts zur Benennung dessen, was zugerechnet wird, nicht mehr angebracht; die Folge ist Gesetzeskonkurrenz wie bei einer ausformulierten Qualifizierung 1 8 9 . O b nicht nur an der Verwirklichung des Grundtatbestands, sondern auch an der Verwirklichung der Merkmale für einen minder oder besonders schweren Fall teilgenommen werden kann, richtet sich nach allgemeinen Regeln 1 8 9 a , was hauptsächlich heißt: Vorsatz und Fahrlässigkeit sowie alle allgemeinen oder speziellen Schuldmerkmale sind nicht akzessorisch, Sonderpflichten und Eigenhändigkeit sind beschränkt akzessorisch (was sich wegen § 28 Abs. 2 StGB bei den hier allein interessierenden strafmodifizierenden Merkmalen auf den Strafrahmen nicht auswirkt), andere Merkmale sind voll akzessorisch (eingehend unten 23. Abschnitt). Beispiel: Bildet der Richter bei § 263 StGB einen besonders schweren Fall nach Abs. 3 der Vorschrift, weil der Schaden Millionen beträgt und die wirtschaftliche Existenz mehrerer Opfer vernichtet wurde, so trifft das nicht einen Teilnehmer, der von der Existenzvernichtung nichts wußte (entsprechend § 16 Abs. 1 StGB). Liegt der Grund für den besonders schweren Fall in der Amtsstellung des Täters, so gilt für die Beteiligung § 28 Abs. 2 StGB. — Da die Rechtsprechung freilich auf eine Gesamtbetrachtung abstellt, also den besonders oder minder schweren Fall aus einem Konglomerat höchstpersönlicher, beschränkt akzessorischer und voll akzessorischer Merkmale zusammensetzt (unten 6/101), ist sie praktisch gezwungen, die Entscheidung für jeden Beteiligten von Grund auf neu zu treffen 189b . Die Tatbestandslösung bedeutet nicht, daß bei entsprechenden Strafrahmendifferenzen § 12 StGB anwendbar wäre: § 12 StGB hat eine gesetzestechnische Funktion und ist deshalb gegen materiale Überlegungen resistent (unten 6/103). — Auch ist es terminologisch vorzugswürdig, als Qualifizierung oder Privilegierung nur die gesetzlich-bestimmt bezeichneten Tatbestandsvarianten zu bezeichnen. c) In der Anreicherung besonders schwerer oder minder schwerer Fälle durch 101 Beispiele 190 liegt gegenüber undifferenziert weiten Strafrahmen ein Gewinn an Tatbestandsbestimmtheit, wenn die Beispiele als belastende Beispiele abschließend, aber f ü r den Richter unverbindlich, und als entlastende Beispiele nicht abschließend, aber für den Richter verbindlich sind: Das Gesetz legt dann immerhin das Höchstmaß des Eingriffs fest (so z. B. in § 213 StGB). Wenn das Gesetz jedoch mittlerweile überwiese

BGH 33 S. 370 ff, 373 ff mit Anmerkung Schäfer JR 1986 S. 522 ff; B G H NStZ 1984 S. 262 f; Maiwald NStZ 1984 S. 433 ff, 437; Laubenthal JZ 1987 S. 1065 ff, 1068 ff; Fabry N J W 1986 S. 15 ff, 18 ff; Kastenbauer Regelbeispiele S. 307 ff; hauptsächlich auch BGH StV 1985 S. 103 f; a.A. BayObLG JR 1981 S. 118 f mit zutreffend kritischer Anmerkung Zipf aaO S. 119 ff; Wessels Lackner-Festschrift S. 423 ff, 430 ff; Küper JZ 1986 S. 518 ff, 522 ff; SternbergLieben}\ira 1986 S. 183 ff, 187 f; ders. NStZ 1984 S. 538 ff, 540 f mit Nachweisen; überhaupt gegen

die Verbindung von Versuch in besonders schwerem Fall Arzt StV 1985 S. 104 ff. 189 Im Ergebnis ebenso Wessels Maurach-Festschrift S. 295 ff, 308; Jescheck AT § 26 V 2 a. E.; § 69 II 3 b. 189a Jescheck AT § 2 6 V 2 ; Maiwald NStZ 1984 S. 433 ff, 437 f. 189b Für diese Lösung auch Bruns GA 1988 S. 339 ff, 353 ff; Kastenbauer Regelbeispiele S. 328 ff; wohl auch Blei JA 1975 S. 237. 190 Zur Entstehung dieser Technik siehe Lange Materialien Bd. I S. 69 ff, 84 f.

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6. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

gend nur noch in jeder Richtung unverbindliche Regelbeispiele anbietet, besteht kaum mehr ein qualitativer Gewinn gegenüber undifferenziert weiten Strafrahmen. „Ein Gesetz, das ,ein bißchen' bestimmt ist, bleibt eben ein unbestimmtes Gesetz" 1 9 1 und zeugt von der Scheu des Gesetzgebers, präzise, wenn auch lückenhafte Straftatbestände zu verantworten. Die Ungenauigkeit der Regelung wird von der Rechtsprechung noch dadurch vergrößert, daß sie allgemeine Strafmilderungen — etwa bei Versuch oder verminderter Schuldfähigkeit — in minder schwere Fälle umdeutet 1 9 2 oder sonst eine Gesamtbetrachtung anstellt 1 9 2 3 , als gehe es nicht darum, mit dem Strafrahmen die Strafe, sondern mit der Strafe den Strafrahmen zu finden. Dieses Verfahren ist auch deshalb verfehlt, weil sich die Bindung des minder schweren Falls an einen bestimmten Tatbestand bei der Ausfüllung durch Umstände, die bei jedem Delikt möglich sind, nicht mehr erklären läßt.

V. Anhang: Die gesetzestechnische Unterscheidung von Verbrechen und Vergehen Literatur Siehe zu II

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A l . Rechtswidrige Taten nach § 11 Abs. 1 N r . 5 StGB, also straftatbestandserfüllende Taten, nicht bloße Ordnungswidrigkeiten oder bloße unerlaubte Handlungen etc., sind nach positivem Recht abschließend 1 9 3 in Verbrechen 1 9 4 und Vergehen aufgeteilt (§ 12 StGB). Durch das Zweiteilungsschema wurde eine lange Tradition 1 9 5 einer Dreiteilung von Taten in Verbrechen, Vergehen und Übertretungen abgelöst. Die Übertretungen sind dabei teils zu Ordnungswidrigkeiten abgewertet und teils zu Vergehen aufgewertet worden (letzteres insbesondere bei § 370 Abs. 1 N r . 5 StGB a. F., der sogenannte Mundraub). Sowohl der Verzicht auf eine stärkere Differenzierung wie auch die Beibehaltung der noch vorhandenen Differenzierung sind umstritten 1 9 6 . — Die Aufteilung richtet sich nach der Mindeststrafe, mit der die Verwirklichung aller strafrahmenrelevanten bindenden Merkmale des BT bedroht ist.

103

2. Obgleich die Scheidung eine solche nach dem generalisierten Tatgewicht ist, hat sie in § 12 StGB selbst nur gesetzestechnische Bedeutung 1 9 7 : Aus der Scheidung folgt, ob eine bestimmte strafrechtliche, strafprozessuale, oder andere Institution anzuwenden ist oder nicht, was dann freilich materiale Auswirkungen hat. Da die Scheidung der rechtssicheren Anwendung bestimmter Rechtsinstitute dienen soll, darf die vom Gesetz 191 Maiwald Gallas-Festschrift S. 137 ff, 159; ders. N S t Z 1984 S. 433 ff, 440; zur Kritik siehe auch Baumann-Weber KV § 1 2 II 2 d ; Maurach-Zipf A T II § 62 Rdn. 56 ff. 192 B G H 16 S. 360 ff, 362 f ; 27 S. 298 ff, 299; B G H StV 1982 S. 70, S. 71, S. 113, S. 221, S. 417; B G H GA 1986 S. 120; J R 1986 S. 75 f mit ablehnender Anmerkung Timpe a a O S. 76 f ; J R 1986 S. 336 f mit Anmerkung Bruns a a O S. 337 ff; — oder die Milderung nach § 21 StGB wird als Hinderung eines besonders schweren Falls verwertet, so B G H N J W 1986 S. 1699. - Auch innerhalb des BT hält die Rechtsprechung den Grundsatz nicht ein, daß die speziellere Regelung vorgeht; so sollen nach B G H 33 S. 92 f die Gründe für die Milderung nach § 31 BtMG auch als Gründe für einen minder schweren Fall gemäß § 30 Abs. 2 BtMG einzuordnen sein; dazu Frisch J R 1986 S. 89 ff, 91, der beide Vorschriften kombiniert;

180

192a

193 194

195

196 197

aber das ist nur richtig, wenn für beide je gesonderte Gründe vorliegen. B G H 23 S. 254 ff, 257; 26 S. 97 ff, 99; 28 S. 318 ff, 319 f; 29 S. 319 ff, 322; B G H StV 1984 S. 73, S. 284; N S t Z 1984 S. 357; StV 1988 S. 249 f. - Dagegen Montenbruck NStZ 1987 S. 311 ff, 313 mit Nachweisen der Literatur. Siehe auch unten 25/78. B G H 28 S. 93 ff, 94. Hier im gesetzestechnischen Sinn; zum Begriff des Verbrechens als dogmatischer Begriff siehe oben 6/Fn. 1. Zur Geschichte Heinitz Materialien Bd. I S. 55 ff; Maurach-Zipf A T I § 1 3 Rdn. 20; Blei AT § 25 I. — Rechtsvergleichend Imhof Materialien Bd. II (1) S. 1 ff. Zu letzterem kritisch Stockei GA 1971 S. 236 ff, 242 mit Nachweisen. Schönke-Schröder-Eser § 12 Rdn. 4.

Tatbestandsverwirklichung. Grundlagen

6. Abschn

vorgenommene Formalisierung nicht durch materiale Überlegungen unterlaufen werden. Beispiel: § 213 StGB ist auch im bindend genannten Teil nach dem Wortlaut ein minder schwerer Fall des Totschlags, also Verbrechen nach den §§ 212,12 Abs. 1 und 3 StGB. Eine materiale Begründung dafür, weshalb dieser Teil nicht von dem unbenannten Teil gelöst und als geschlossene Privilegierung ausgestaltet wird (dann Vergehen nach § 12 Abs. 2 StGB), läßt sich nicht geben. T r o t z d e m darf § 213 StGB auch nicht zugunsten Gunsten des Täters wie ein Vergehen behandelt werden, da einige der rein technischen Regelungsfolgen dann unterlaufen w ü r d e n ; insbesondere würde die Anordnung der Versuchsstrafbarkeit fehlen, die bei Verbrechen — eine Methode ohne materiale Bedeutung — generell in § 23 Abs. 1 StGB erfolgt 1 9 8 . Die Scheidung von Verbrechen und Vergehen hat Konsequenzen f ü r die Versuchsstrafbarkeit (§ 23 Abs. 1 StGB), den Beteiligungsversuch (§ 30 StGB), f ü r Nebenfolgen (§ 45 StGB), f ü r einzelne Tatbestände des BT (§ 241 StGB), ferner für die Gerichtszuständigkeit (§§25, 74 GVG) und in erheblichem Maß f ü r das Strafverfahren (§§ 140 Abs. 1 N r . 2 , 1 5 3 , 1 5 3 a, 407 StPO). Β 1. Mit mindestens einem J a h r Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige Taten sind 1 0 4 Verbrechen (§12 Abs. 1 StGB); ist die Mindeststrafe geringer, handelt es sich um Vergehen (§ 12 Abs. 2 StGB; die Vorschrift ist redundant). Es kommt auf die mindestens angedrohte Strafe an; von der konkret verwirkten Strafe wird also abstrahiert. Die Mindeststrafe ist zudem nicht jedenfalls dem auf die T a t anzuwendenden Strafrahmen zu entnehmen; auch insoweit wird abstrahiert; denn es bleiben nach § 12 Abs. 3 StGB bei der Bestimmung des Strafrahmens (des sogenannten Regelstrafrahmens) folgende Veränderungen des anzuwendenden Strafrahmens außer Betracht: (a) Schärfungen und Milderungen nach dem A T (§ 49 Abs. 1 N r . 3, Abs. 2 StGB), seien sie fakultativ (§§ 13 Abs. 2, 17 Satz 2, 21, 23 Abs. 2, 3, 30 Abs. 1 Satz 3, 35 Abs. 1 Satz 2 StGB) oder obligatorisch (§§ 27, 28 Abs. 1, 30 Abs. 1 Satz 2, 35 Abs. 2 Satz 2 StGB '99). — § 28 Abs. 2 StGB führt freilich zu einem anderen Strafrahmen nach dem BT und deshalb auch im Sinn des § 12 StGB 2 0 0 , (b) Ferner bleiben besonders schwere oder minder schwere Fälle unberücksichtigt, seien sie unbenannt, bindend benannt oder mit Regelbeispielen benannt 2 0 1 , (c) Nach § 4 J G G bleiben ferner die besonderen jugendstrafrechtlichen Rechtsfolgen unberücksichtigt. 2. Da die Strafrahmen von Qualifizierungen und Privilegierungen berücksichtigt 1 0 5 werden, heißt das Ergebnis positiv gewendet: Es entscheidet die Mindeststrafe des Strafrahmens vom Grunddelikt oder von der Qualifizierung oder Privilegierung, die im Normalfall (wenn kein besonders schwerer oder minder schwerer Fall vorliegt) f ü r den voll schuldhaft handelnden Täter des vollendeten Begehungsdelikts gilt. Beispiele: Der Raubgehilfe (§§ 250, 27, 49 Abs. 1 N r . 3, 2. Fallgruppe StGB) begeht ein Verbrechen, obgleich die Mindeststrafe des auf ihn anzuwendenden Rahmens nur 3 Monate beträgt. — Die Mißhandlung von Schutzbefohlenen in einem besonders schweren Fall (§ 223 b Abs. 2 StGB) bleibt Vergehen (also ist der Versuch straffrei, § 23 Abs. 1 StGB). — § 216 StGB (Privilegierung) ist ein Vergehen (deshalb ist in § 216 Abs. 2 StGB die Versuchs198 Α. A. — Straffreiheit des Versuchs — Bockelmann BT Bd. II § 4 I vor 1 ; wohl auch Otto BT § 5 11. Es ist aber axiologisch ungereimt, den Versuch nach § 213 StGB straflos zu lassen, wenn die Versuche nach § 2 1 6 StGB und selbst nach § 223 a StGB strafbar sind. Eingehend wie hier LK-Lange § 213 Rdn. 2. 199 § 48 StGB ist für die Grenze von einem Jahr ohne Bedeutung.

200 201

B G H 6 S. 309 ff; Schönke-Schröder-Eser § 12 Rdn. 13. B G H 11 S. 233 ff, 241; 20 S. 184 ff, 185 f; überwiegende Ansicht; die Zweifel von DreherjT, 1965 S. 455 f und Stockei GA 1971 S. 236 ff, 241 dürften durch die neue Gesetzesfassung überholt sein.

181

7. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

s t r a f b a r k e i t a u s d r ü c k l i c h g e r e g e l t ) , § 2 1 3 S t G B ( m i n d e r s c h w e r e r Fall) ist h i n g e g e n bei g l e i c h e m S t r a f r a h m e n V e r b r e c h e n (die V e r s u c h s s t r a f b a r k e i t f o l g t a u s §§ 212, 23 A b s . 1 , 1 2 A b s . 1, 3 S t G B ) . 106

3. D i e d o p p e l t e A b s t r a h i e r u n g — v o n d e r k o n k r e t v e r w i r k t e n S t r a f e u n d v o m a n z u w e n d e n d e n S t r a f r a h m e n — p a ß t s c h l e c h t z u d e m S y s t e m des S t G B , d a d a s G e s e t z a n s o n s t e n e n t w e d e r h o c h g r a d i g d i f f e r e n z i e r t o d e r d o c h z u m i n d e s t i n n e r h a l b eines R a h m e n s h o c h g r a d i g e D i f f e r e n z i e r u n g e n z u l ä ß t ( e t w a bei d e n b e s o n d e r s s c h w e r e n o d e r m i n d e r s c h w e r e n F ä l l e n des B T ) , u m eine e i n z e l f a l l a d ä q u a t e L ö s u n g z u e r m ö g lichen^2.

7. A B S C H N I T T

Die Einzelheiten der Tatbestands Verwirklichung durch Handlung; 1. Teil : Der objektive Tatbestand I. Der objektive Tatbestand als Gegenstand des Allgemeinen Teils Literatur E. Beling Der gegenwärtige Stand der strafrechtlichen Versuchslehre, GS 101 S. 1 ff; H. J. Bruns Ungeklärte verfahrensrechtliche Fragen des Contergan-Prozesses, Maurach-Festschrift S. 469 ff; M. v. Buri Über Causalität und deren Verantwortung, 1873; ders. Die Causalität und ihre strafrechtlichen Beziehungen, 1885; M. Burgstaller Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht, 1974; /. Bustos Ramirez Die objektive Zurechnung, Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 213 ff; G. Domseifer Unrechtsqualifizierung durch den Erfolg — ein Relikt der Verdachtsstrafe? Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 427 ff; U. EbertundK. iföW Kausalität und objektive Zurechnung, J u r a 1979 S. 561 ff; K. Engisch Die Kausalität als Merkmal der strafrechtlichen Tatbestände, 1931; ders. V o m Weltbild des Juristen, 2. Auflage 1965; ders. Das Problem der psychischen Kausalität beim Betrug, v. Weber-Festschrift S. 247 ff; W. Frisch Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolgs, 1988 ; / . Glaser Abhandlungen aus dem Oesterreichischen Strafrecht, 1858; A. GmiirOer Kausalzusammenhang zwischen Handlung und Erfolg im Strafrecht, 1958; W. Hardwig Die Zurechnung, 1957; K. Hertel Anmerkung zu B G H N J W 1966 S. 1823 ff, a a O S. 2418 f; A. Horn Causalitäts- und Wirkensbegriff, dessen empirische Feststellung und criminalrechtliche Bedeutung, GS 54 S. 321 ff; ders. Der Versuch, ZStW 20 S. 309 ff; E. Horn Konkrete Gefährdungsdelikte, 1973; G. Jakobs Risikokonkurrenz — Schadensverlauf und Verlaufshypothese im Strafrecht, Lackner-Festschrift S. 53 ff; J. C. Joerden Die „Verdoppelung" — ein zentrales Strukturproblem des Strafrechts; ders. Dyadische Fallsysteme im Strafrecht, 1986; ders. O G H JB1 1987, 191 - ein Fall alternativer Kausalität? JurBl. 1988 S. 433 ff; M. Kahlo Das Bewirken durch Unterlassen bei drittvermitteltem Rettungsgeschehen, GA 1987 S. 66 ff; H. ]. Kahrs Das Vermeidbarkeitsprinzip und die condicio-sine-qua-non-Formel im Strafrecht, 1968; Armin Kaufmann Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, 1959; ders. Tatbestandsmäßigkeit und Verursachung im Contergan-Verfahren, J Z 1971 S. 569 ff; ders. Objektive Zurechnung beim Vorsatzdelikt? Jescheck-Festschrift S. 251 ff; Arthur Kaufmann Die Bedeutung hypothetischer Erfolgsursachen im Strafrecht, Eb. Schmidt-Festschrift S. 200 f f ; D. Kion Grundfragen der Kausalität bei Tötungsdelikten, JuS 1967 S. 499 ff; E. Kleine-Kosack Kausalitätsprobleme im Umweltstrafrecht, 1988; L. Kuhlen Fragen einer strafrechtlichen Produkthaftung, 1989; E.-J. Lampe Die Kausalität und ihre strafrechtliche Funktion, Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 189 ff; M. Maiwald Kausalität und Strafrecht, 1980; ders. Zurechnungsprobleme im Rahmen erfolgsqualifizierter Delikte - BGHSt 31, 96, JuS 1984 S. 439 ff; M. L. Müller Die Bedeutung des Kausalzusammenhangs im Straf- und Schadensersatzrecht, 1912; W. NauckeÜber das Regreß-

202

Kritisch Engisch

182

auch SJZ

Stratenwerth

AT

Rdn. 138 f f ;

1946 Sp. 232 ff; ders. SJZ

1948

Sp. 660 ff; Rdn. 15 f.

anders

aber

LK-Tröndle

§12

Objektiver Tatbestand

7. Abschn

verbot im Strafrecht, Z S t W 7 6 S. 4 0 9 ff; I. Puppe Der Erfolg und seine kausale Erklärung im Strafrecht, Z S t W 92 S. 863 ff; dies, Kausalität, S c h w Z S t r . 107 ( 1 9 9 0 ) S. 141 ff; / . Rödig Die Denkform der Alternative in der Jurisprudenz, 1 9 6 9 ; C. Roxin Bemerkungen z u r sozialen Adäquanz im Strafrecht, Klug-Festschrift S. 3 0 3 ff; ders. Finalität und objektive Zurechnung, Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 2 3 7 ff; E. Samson Hypothetische Kausalverläufe im Strafrecht, 1 9 7 2 ; ders. Kausalitäts- und Zurechnungsprobleme im Umweltstrafrecht, Z S t W 9 9 S. 6 1 7 ff; E. Schliichter Grundfälle zur Lehre von der Kausalität, J u S 1 9 7 6 S. 312 ff, 378 ff, 518 ff, 7 9 3 ff; E. Schmidhäuser „Objektiver" und „subjektiver" Tatbestand: Eine verfehlte Unterscheidung, Schultz-Festgabe S. 61 ff; F. C. Schroeder D e r Kausalzusammenhang im Strafrecht der D D R , Meisner-Festschrift S. 4 9 9 ff; J. Schulz Gesetzmäßige Bedingung und kausale Erklärung, L a c k ner-Festschrift S. 39 ff; G. Spende! Die Kausalitätsformel der Bedingungstheorie für die H a n d lungsdelikte, 1 9 4 8 ; H. TarnowskiOie systematische Bedeutung der adäquaten Kausalitätstheorie für den Aufbau des Verbrechensbegriff, 1 9 2 7 ; L. Träger Oer Kausalbegriff im Straf- und Zivilrecht, 2. Auflage 1 9 2 9 ; O. Triffterer Die Theorie der objektiven Zurechnung in der österreichischen Rechtsprechung, Klug-Festschrift S. 4 1 9 ff; H. Walder Die Kausalität im Strafrecht, SchwZStr. 93 ( 1 9 7 7 ) S. 113 ff; H. WegscheiderKausalitätsfragen im Umweltstrafrecht, Ö J Z 1983 S. 90 ff; Ε. A. ^ / / / K a u s a l i t ä t von T u n und Unterlassen, 1965.

A. Der objektive Tatbestand ist die Außenseite des Unrechts; mit dem objektiven 1 Tatbestand tritt das Delikt als soziale und deshalb strafrechtlich überhaupt relevante Größe in Erscheinung. Der objektive Tatbestand ist für sich allein aber kein Unrecht, da er für sich keine tatbestandsmäßige Handlung enthält und somit die Mindestbedingungen des Unrechts nicht erfüllt. Seine Behandlung vor dem — zeitlich früher beginnenden — subjektiven Tatbestand hat vornehmlich einen darstellerischen Grund: Der objektive Tatbestand ist Gegenstand des subjektiven Tatbestands, er ist in antizipierter (Vorsatz) oder antizipierbarer (Fahrlässigkeit) Gestalt ein Teil der Täterpsyche und müßte deshalb bei anderem Vorgehen in seiner subjektiven Spiegelung, also indirekt, abgehandelt werden. Um das zu vermeiden, ist zunächst von der konkreten Gestalt einer Handlung abzusehen, also davon, daß ein Handlungsvollzug (nebst Folgen) nur dann ein bestimmter Handlungsvollzug (nebst Folgen) ist, wenn die bestimmt geartete Körperbewegung (nebst Folgen) gerade wegen ihrer Art (oder wegen ihrer Folgen) motivatorisch beeinflußbar, also individuell vermeidbar, ist. Statt dessen ist hier unter Verzicht auf die Vermeidbarkeit der bestimmten Handlung (nebst Folgen) darauf abzustellen, ob die Körperbewegung überhaupt zu einer Handlung gehört. Die Handlung in diesem Sinn ist zwar nur eine Modifikation des oben abgelehnten Willkürakts im System von v. Liszt, Beling und Radbruch, erfüllt aber an der hiesigen Stelle eine andere Funktion als im alten System: Sie ist hier nicht die einzige Verbindung von Subjekt und Unrecht, sondern sie ist nur der erste Schritt einer im subjektiven Tatbestand (den das alte System nicht kannte!) bis zur bestimmten Handlung fortzusetzenden Verbindung von Subjekt und Unrecht. Es geht also um folgende Prüfungsschritte: Zunächst wird ermittelt, ob bestimmte 2 Außenwirkungen irgendeiner Handlung vorliegen (objektiver Tatbestand), sodann ob gerade diese Außenwirkungen eine Verwirklichung einer durch sie bestimmten Handlung sind (der auf den objektiven Tatbestand bezogene subjektive Tatbestand). — Freilich könnte man das Objektive des objektiven Tatbestands noch objektiver nehmen und jedes körperliche Bewirken ausreichen lassen, also auf den „Willkürakt" verzichten und allein bei der Äußerlichkeit der Körperbewegung ansetzen. Die Lösungen wären voll äquivalent, da der subjektive Tatbestand dem objektiven Tatbestand mindestens kongruent sein muß: Wird der objektive Tatbestand weiter gefaßt, als es hier geschieht, so klammert eben der subjektive Tatbestand weitere Verwirklichungen des 183

7. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

objektiven Tatbestands aus dem Unrecht aus. Jedenfalls muß man sich vor der Annahme hüten, allein die Verwirklichung eines objektiven Tatbestands sei schon ein Stück Unrecht; fehlt dem objektiven Tatbestand die subjektive Entsprechung, so ist er qualitativ kein Unrecht: Außenwirkungen ohne subjektive Entsprechungen sind in den Beschreibungen der einzelnen Verbrechen überhaupt nicht gemeint. Die hier gewählte Weise der Darstellung zerreißt also die Unrechtshandlung in zwei Teile, die isoliert rechtlich unerheblich sind 3

B. Die Interpretation einzelner objektiver Tatbestände ist Angelegenheit des BT. Freilich bieten einzelne Klassen objektiver Tatbestandsmerkmale spezifische Schwierigkeiten bei der Anwendung der allgemeinen Regeln; die Behandlung dieser Merkmale erfolgt im jeweiligen Sachzusammenhang; zu nennen sind insbesondere die sogenannten normativen Tatbestandsmerkmale (unten 8/48 ff), die Tätermerkmale (unten 7/56 ff; 8/88 ff; 21/115 ff; 29/29 ff, 57 ff, passim) und die verhaltensbeschreibenden Merkmale (unten 29/78 ff, passim).

4

C l . Bei der Lehre von der objektiven Zurechnung geht es um die Bestimmung der allgemeinen objektiven Eigenschaften eines zurechenbaren Verhaltens, wobei von den hier zu entwickelnden Instituten im BT allenfalls die Kausalität ausdrücklich oder implizit genannt wird. Freilich sind nicht alle Institute der objektiven Zurechnung bei allen Delikten des BT gleich bedeutsam. Insbesondere betreffen Kausalitätsprobleme praktisch nur Erfolgsdelikte im engeren Sinn (oben 6/78). Zwar hat jedes strafrechtlich relevante Verhalten einer Außenseite und damit etwas, das vom Täter bewirkt wird. Auch die Produktion dieser Außenseite läßt sich als Kausalwerden darstellen 2 . In aller Regel ist freilich bei einem Delikt, das schon mit dem Vollzug eines bestimmten Verhaltens vollendet ist, die Rede von einem Kausalzusammenhang verwirrend: Der Vollzug ist vom Subjekt verursacht, wenn er überhaupt Handlung ist (und nicht etwa durch vis absoluta erzwungen).

4a

2. Insbesondere bei Erfolgsdelikten ergibt sich die Notwendigkeit, allgemeine Regeln objektiver Zurechnung zu entwickeln, aus folgendem G r u n d : Das Gesetz benennt nur das Bewirken eines Erfolgs; dieses Bewirken kann aber nur genügen, wenn es rechtlich wesentlich ist. Die Wesentlichkeit fehlt nicht nur, wenn sich zum subjektiven Tatbestand herausstellt, daß der Erfolg subjektiv nicht vermeidbar war; die rechtliche Wesentlichkeit fehlt vielmehr schon, wenn der Täter für das, was er bewirkt, nicht zuständig ist. Beispiel: Der Veranstalter eines Volksfests ist f ü r die in dessen Verlauf stattfindenden mannigfachen Straftaten (Raufhandel, Körperverletzung, Beleidigung, Trunkenheitsfahrt, Zechprellerei) jedenfalls nicht schon deshalb zuständig, weil er das Volksfest bewirkt hat. Die Bezeichnung der objektiven Bedingungen der Zuständigkeit als objektive Zurechnung darf weder dahin verstanden werden, es gehe nur hier um Zurechnung; um Zurechnung geht es vielmehr auch beim subjektiven Tatbestand und bei der Schuld. N o c h darf angenommen werden, es komme bei der objektiven Zurechnung eine komplette strafrechtliche Zurechnung heraus (siehe 7/1); dazu bedarf es noch eines subjektiven Tatbestands und der Schuld. Es geht allein um die allgemeinen objektiven Eigenschaften zurechenbaren Verhaltens.

4b

3. Die Institute der objektiven Zurechnung lassen sich sämtlich auf zwei Wurzeln zurückführen und haben — den unterschiedlichen Wurzeln entsprechend — zwei 1 Zur hier gewählten — ganz üblichen — Darstellung siehe die Kritik bei Schmidhäuser SchultzFestgabe S. 61 ff.

184

2

WelzelStrafrecht § 9 I ; dagegen GmwrKausalzusammenhangS. 18.

Objektiver Tatbestand

7. Abschn

unterschiedliche Inhalte 2 3 . Zum einen geht es um den Zweck des Strafrechts, Erwartenssicherheit zu gewährleisten. Aus diesem Regelungszweck ergibt sich, daß sozialadäquates Verhalten nicht als Unrecht zugerechnet werden kann, und zwar auch dann nicht, wenn es durch eine unglückliche Verkettung schädigend wirkt. Der Vollzug sozialadäquaten Verhaltens ist erlaubt. Insbesondere die Institute: erlaubtes Risiko, Vertrauensgrundsatz, garantenbezogene Begehung und Regreßverbot sind Explikationen der Sozialadäquanz 2 b . Diese Institute überschneiden sich, so daß die Zuordnung einzelner Fälle zweifelhaft bleiben mag. — Zum anderen ist es die strafrechtlich dominierende Regelungsform des Erfolgsdelikts, der die Institute der objektiven Zurechnung dienen. Hier liegt der Hauptanwendungsbereich der zur Kausalität zu entwickelnden Regeln. Zudem bringt es die Regelungsform mit sich, daß ein vom Täter unerlaubt gesetztes Risiko sich auch verwirklichen muß, wenn es zur Vollendung kommen soll. Die Voraussetzungen dieser Verwirklichung werden zur Risikokonkurrenz erläutert. Aber Kausalität und Risikoverwirklichung sind nicht nur Probleme der Vollendung bei Erfolgsdelikten; auch das erlaubte Risiko und andere Institute, auf die bei folgenlosem Verhalten nicht verzichtet werden kann, lassen sich ohne Kenntnis der Kausalität und der Risikoverwirklichung nicht bestimmen: "Wenn bei diesen Instituten der Verlauf zum Erfolg in der Perspektive ex ante erscheint, so ist es doch dieselbe Verlaufsart, die bei der Vollendung ex post ermittelt wird.

II. Die objektive Zurechnung: Die Kausalität Literatur Siehe z u I

A. Die Aquivalenztheorie 1. Soweit ein Erfolg objektives Tatbestandsmerkmal ist, läßt sich nicht immer ein- 5 fach entscheiden, ob der Erfolg mit dem Verhaltensvollzug in dem Zusammenhang steht, den das Gesetz „verursachen" nennt (§§ 222, 230 StGB u. a. m.) oder als „Folge" bezeichnet (alle erfolgsqualifizierten Delikte, § 18 StGB; siehe auch § 225 StGB), in der Regel aber mit dem Gebrauch eines Verbs impliziert („töten" bei den §§211 ff StGB, „mißhandeln" und „beschädigen" bei § 223 StGB; „beschädigen" oder „zerstören" bei

2a

Sachlich ebenso Frisch Verhalten S. 9 ff und passim, der den Zurechnungsbegriff allein für die Erfolgsverursachungen im engeren Sinn reserviert und die restlichen Teile der objektiven Zurechnung als Lehre vom tatbestandsmäßigen Verhaken bezeichnet. Aber auch der Erfolg gehört — bei der Vollendung — zum tatbestandsmäßigen Verhalten und auch das Verhalten ist kein naturwüchsiges Ereignis, sondern normativ, also per Zurechnung bestimmt (was Frisch auch nicht bezweifelt). — Kritisch zur Lehre von der objektiven Zurechnung bei Vorsatzdelikten Armin Kaufmann Jescheck-Festschrift S. 251 ff, 269 ff; dazu Lampe Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 189 ff; zur deutsch-spanischen Diskussion Bustos Ramirez Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 213 ff; zum Stand der Lehre in der höchstrichterlichen Rechtsprechung siehe den materialreichen Bericht von 7n//iererKlug-FestschriftS. 419 ff.

2b

Zur Geschichte und Verwendung dieses Begriffs zuletzt Roxin Klug-Festschrift S. 303 ff mit Nachweisen. — Der Anspruch der Lehre von der objektiven Zurechnung geht also über die Lösung von Einzelfragen im BT hinaus; dagegen Armin Kaufmann Jescheck-Festschrift S. 251 ff, 269 ff (wiederum zutreffend gegen Armin Kaufmann Roxin Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 237 ff, 242 ff). Dabei hängt von der positiven (objektive Zurechnung als Zurechnungsvoraussetzung) oder negativen (Fehlen der objektiven Zurechnung als Zurechnungshindernis) Formulierung mangels Bestimmbarkeit einer Normallage nichts ab (siehe unten 7/41; anders Armin Kaufmann aaO S. 266); daß jedenfalls bei T ö tungsdelikten „jeden vorsätzlich Tötenden" (verstanden als vorsätzlich einen T o d Verursachenden) „sein Opfer etwas an(geht)" (aaO S. 270), wird hier bestritten ; siehe etwa die Beispiele unten 7/64,24/16.

185

7. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

§ 303 StGB etc.). Die Z u o r d n u n g dieser Problematik zum A T 3 erfolgt nicht nur, weil das Gesetz beim überwiegenden Teil aller Delikte das deliktische Verhalten (auch) über einen Erfolg im engeren Sinn definiert, sondern vorweg wegen der beispielhaften Bedeutung der an den Erfolgsdelikten entwickelten Prinzipien der Zurechnung f ü r alle Delikte. 6

2. Einerseits besteht zwischen schlechthin allen Ereignissen, die stattfinden, eine wirkliche Beziehung im zeitlichen Kontinuum: Sie lassen sich nach vorzeitig, gleichzeitig und nachzeitig ordnen. Diese Beziehung allein ist jedoch strafrechtlich irrelevant, da sie zur Zurechnung ungeeignet ist; denn sie verbindet nicht ein bestimmtes Subjekt mit einem Ereignis, sondern alle Subjekte mit allen Ereignissen. Andererseits ist zur Verbindung von Subjekt und Ereignis nicht erforderlich, daß die Kraft, die bei einem raum-zeitlichen Ereignis wirkt, vom Subjekt geliefert wird. Es gilt also nicht: „causa aequat effectuai" 4 . Strafrechtlich kann eine „kleine Ursache große Wirkung" haben; denn ob jemand erhebliche eigene Körperkraft aktiviert oder geringe eigene Kraft zur Entfesselung latent vorhandener Potentiale nutzt, zählt wegen des gleichen Effekts gleich. Beispiel: Ein Dolchstich (eigene Körperkraft) ins H e r z des Opfers hat keine andere Wirkung als ein Pistolenschuß (Entfesselung des im Pulver enthaltenen Potentials).

7

3. Der strafrechtliche Kausalbegriff 4 a liegt zwischen den bezeichneten Extremen. Er muß alles erfassen, was äußerstenfalls noch als Beziehung Subjekt-Erfolg hinreicht, aber ausscheiden, was nie hinreicht. Bei Begehungsdelikten wird dem Täter nie mehr verboten, als ein Verhalten zu vollziehen, das Bedingung des tatbestandlichen Erfolgs ist (Bedingungstheorie), wobei die Bewertung der Bedingung (liegt sie im Zuständigkeitsbereich des Täters, des Opfers oder eines Dritten?) als Gegenstand der sonstigen objektiven Zurechnung und die Erkennbarkeit der Bedingung (vorsätzlich oder fahrlässig oder unvermeidbar?) als Gegenstand des subjektiven Tatbestands zunächst dahinstehen: Alle Bedingungen zählen gleich (Äquivalenztheorie). — Es wird noch zu zeigen sein, daß die Grenze zwischen Erfolgsbedingungen und Nicht-Erfolgsbedingungen durchaus unscharf ist.

B. Kritik der Formel von der condicio sine qua non 8

1. Die Äquivalenztheorie ist im Anschluß an Glaser 5 von v. Buri entwickelt worden 6 . Eine verwirrende, das Kausalproblem verfälschende und letztlich restlos überflüssige Rolle spielt dabei freilich bis in die Gegenwart die Fassung der Bedingung als condicio (conditio) sine qua n o n ; nach dieser Fassung soll Ursache eines strafrechtlich

3 Die Z u o r d n u n g ist nicht selbstverständlich; anders noch SerrcerStrafrecht § 62, der das Kausalproblem dem BT und dort vorweg den Tötungsdelikten zuordnet. Historisch setzt sich die Zuordnung zum A T mit dem Aufkommen der naturalistischen Verbrechensbetrachtung und der Trennung von objektiver Außenseite als Unrecht und subjektiver Innenseite als Schuld durch; oben 6/6. 4 Traeger Kausalbegriff S. 30; Engisch Weltbild S. 127 ff, 135; Jakobs Studien S. 19; — anders eine Version der heute bedeutungslosen sogenannten individualisierenden, d. h. die Bedingungen gewichtenden, Kausaltheorien; siehe Horn

186

GS 54 S. 321 ff; ders. ZStW 20 S. 309 ff, 315. Siehe zur Kritik der individualisierenden T h e o rien v. Liszt-Schmidt Strafrecht § 29 VII 2 und 3, mit weiteren Nachweisen. 4a Zu der im Strafrecht der D D R mit dem Begriff „Kausalität" bislang behandelten Problematik siehe Schroeder Meisner-Festschrift S. 499 ff mit Nachweisen. 5 Abhandlungen S. 298. 6 Über Causalität und deren Verantwortung 1873; Die Causalität und ihre strafrechtlichen Beziehungen, 1885, und in zahlreichen weiteren Publikationen.

Objektiver Tatbestand

7. Abschn

bedeutsamen Erfolgs „jede Bedingung" sein, „die nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg entfiele" 7 . 2 a) Die Formel ist überflüssig, weil sie nicht einmal eine Definition, noch weniger 9 eine Formel zur Ermittlung von Kausalität ist; denn das Resultat, das sich beim Wegdenken der Bedingung ergibt, kann nur ermittelt werden, wenn man schon vorab weiß, ob die Bedingung kausal ist: Die Formel ist ein Zirkel, da der zu definierende Begriff verkappt in dem Material erscheint, mit dem definiert w i r d 8 . b) Die Formel zerstört ferner die Äquivalenz aller Bedingungen, da diejenige Bedin- 10 gung, die eine ansonsten wirkende Bedingung (Ersatzbedingung) verdrängt, nach der Formel nicht kausal sein soll. Beispiel : Vergiftet der Vater den Tee des Kinds, was, hätte er das unterlassen, die Mutter getan hätte, so wäre der Vater nach der Formel bei deren wörtlicher Anwendung nicht kausal, da sein Verhalten keine Erfolgsdifferenz bringt. Bei solchen Ergebnissen werden unter dem Namen der Kausalität — überdies falsche — Entscheidungen zur Zuständigkeit für Kausalität, also zur sonstigen objektiven Zurechnung gefällt 9 . — Spendelversucht, dem Dilemma durch eine variierte Fassung der Formel zu entkommen: Es sollen in der hypothetischen Lage, die sich per „Wegdenken" von Bedingungen ergibt, nicht andere Bedingungen mit ihren Wirkungen „hinzugedacht" werden d ü r f e n 1 0 . Wenn man freilich schon weiß, was Bedingung und was Ersatzbedingung ist, bleibt das „Wegdenken" überflüssiger Ballast. Schlimmer noch: Wenn Wirkungen nur „wegzudenken", nicht aber „hinzuzudenken" sind, dürfen auch die Wirkungen von Kausalverläufen, die einen Erfolg hindern (sogenannte rettende Verläufe), nicht „hinzugedacht" werden 1 1 . Beispiel: W e r einen Menschen ins H e r z sticht, wäre nicht f ü r dessen T o d kausal, da der Mensch ohne den Stich nur als lebendig zu denken ist, wenn die Herzschläge und der funktionierende Blutkreislauf, die realiter wegen des Stichs ausgeblieben sind, „hinzugedacht" werden 1 2 . c) Der methodische Fehler der Formel liegt in folgendem: Die Formel arbeitet mit 11 einer Hypothese; diese Vorgehensweise ist angebracht, wenn das Verhältnis von Input und Output eines Systems zu prüfen und der gesamte Input (und der Output) kontrollierbar ist, also beim Ausbleiben des Inputs (beim „Wegdenken") nichts an dessen Stelle treten kann. Wenn aber unbekannt ist, was in das System (in den Kausalverlauf zum Erfolg) an Ersatzbedingungen einfließen kann, läßt sich am O u t p u t (am Erfolg) allen1

B G H 1 S. 332 f f , 333; 7 S. 112 ff, 114; O L G Stuttgart J Z 1980 S. 618 ff, 6 1 9 ; so s c h o n das Reichsgericht in s t ä n d i g e r R e c h t s p r e c h u n g : R G 1 S. 373 ff, 374; 5 S. 29 ff, 31; bis hin zu R G 75 S. 372 f f , 3 7 4 ; 77 S. 18 ff. - Siehe f e r n e r Mezger S t r a f r e c h t § 15 I I ; H. Mayer A T § 19 II v o r 1; Baumann-Weber KV § 17 II 2 a ; Frisch V e r h a l t e n S. 521 f f ; als D e f i n i t i o n — nicht als F o r m e l z u r Kausalitätsermittlung — a u c h Stratenwerth AT R d n . 218 f. 8 Z u r Kritik g r u n d l e g e n d Engisch Kausalität S. 16; ders. Weltbild S. 130 u n d d o r t Fn. 2 8 8 ; ders. v. W e b e r - F e s t s c h r i f t S. 247 ff, 2 6 1 ; — siehe z u r Kritik f e r n e r Arthur Kaufmann Eb. S c h m i d t - F e s t schrift S. 200 f f , 207 f f ; Armin Kaufmann Dogmatik S. 59 f f ; Jakobs Studien S. 2 0 ; Burgstaller Fahrlässigkeitsdelikt S. 81 f f ; 84 f f ; Puppe Z S t W 92 S. 863 f f , 865 ff dies. S c h w Z S t r . 107 (1990) S. 141 f f ; Maiwald Kausalität S. 57; ders. J u S 1984 S. 439 f f , 4 4 0 ; ]escheck A T § 28 II 4 mit weiteren N a c h w e i s e n .

9

10 11 12

D a s ü b e r s i e h t Rödig D e n k f o r m S. 110 ff, 123, 125; Rödig f r a g t nicht n a c h der Kausalität, s o n d e r n gleich n a c h d e r Erfolgs nestand ( m i ß v e r s t ä n d l i c h

p e r Z S t W 100 S. 7 5 8 f f , 7 8 1 ff.

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. Abschn

hindert das den Vorsatz nicht, falls sich bei rechtlicher Gewichtung ein entscheidungserhebliches Maß ergibt. Auch die Bestimmung der zur Entscheidungsrelevanz hinreichenden Risikohöhe erfolgt jedenfalls im Ansatz nach rechtlichem und nicht nach individuellem Urteil 6 8 : Das nicht mehr erlaubte Risiko hat entscheidungsrelevant zu sein, auch wenn es der Täter noch für beiläufig hält. Davon erfolgen jedoch erhebliche Abstriche. Eine große Zahl unerlaubter Risiken, insbesondere im Straßenverkehr, ist nicht auf Situationen bezogen, die in nennenswerter Häufigkeit individuell als schadensträchtig erlebt werden, sondern die nur wegen ihres massenhaften Vorkommens statistisch als schadensträchtig ausgewiesen sind 6 9 . Da die menschliche Psyche aber nicht schlicht den Regeln der Statistik folgt, gibt es einen Bereich des zwar noch statistisch, im individuellen Erleben aber nicht mehr aufweisbaren Risikos. Beispiel: Wer mäßig betrunken ein Auto lenkt, setzt ein statistisch kalkulierbares, individuell aber bei einiger Gewöhnung im Erfolgsbezug (nicht: im Ungehorsam; das Verbot abstrakter Gefährdung bleibt einsichtig) bedeutungsloses Risiko. Risiken solcher Art sind aber nicht nur wegen ihrer geringen H ö h e individuell bedeutungslos; vielmehr kann ein Subjekt praktisch nur existieren, wenn es lernt, sich mit solchen Risiken trotz der immerhin noch gegebenen, wenn auch geringen, H ö h e zu arrangieren: Im Alltag werden dem Subjekt diese unerlaubten Risiken ubiquitär aufgezwungen, und wenn es lernt, sie wegen der Vorteile sozialen Kontakts zu tolerieren, verlernt es damit zugleich, daß sie schon ihres, wenn auch geringen, Erfolgsbezugs wegen zu meiden sein sollen. Beispiel: Ein Autofahrer, der jedesmal, wenn ein Nachfolgender den Sicherheitsabstand unterschreitet, seines eigenen Lebens wegen in Angst gerät, muß das Fahren wegen psychischer Erschöpfung bald einstellen; er muß lernen, in solchen Situationen zu reagieren, ohne sich seinen Tod vorzustellen. Verhält er sich aber selbst entsprechend falsch, so kann er den T o d der anderen auch nicht mehr als entscheidungserheblich prognostizieren (siehe unten 8/102). Gewiß hindert das nicht die Möglichkeit, die Entscheidungsrelevanz normativ herzustellen. Aber die mit der Normativierung einhergehende Uberforderung des Subjekts dürfte nur tolerabel sein, wenn die psychische Disposition des Subjekts, also seine Gewöhnung an das Risiko, als seine eigene Angelegenheit dargetan werden k a n n 6 9 a . Niemand kann sich darauf berufen, er habe sich ein besonders gefährliches Leben angewöhnt und mute Sondergefahren nunmehr auch anderen Personen z u 6 9 b . Wenn aber die Risikogewöhnung Folge eines praktisch unumgehbaren Verhaltens ist, also insbesondere Folge rechtmäßiger Teilnahme am Straßenverkehr, dann liegt ihr Grund nicht im Verantwortungsbereich des Täters und eine Normativierung ist ausgeschlossen 7 0 . 68

A.A. E.A.Wolff G a l l a s - F e s t s c h r i f t S. 197 ff, 222 ff, der in Fällen d e r Gleichgültigkeit n o r m a t i viert, a n s o n s t e n a b e r d a r a u f abstellt, ob die G e f a h r individuell „ n i c h t - ü b e r g e h b a r " ( V o r s a t z ) ist o d e r nicht; individualisierend a u c h Stratenwertb A T R d n . 309.— Z u r P o s i t i o n v o n Köhlersieht unten 9 / F n . 7. 69 Philipps Z S t W 85 S. 27 ff, 42 ; Jakobs B r u n s - F e s t s c h r i f t S . 31 ff, 32 f. 69a V o r s a t z liegt also n u r v o r , w e n n es A u f g a b e des T ä t e r s ist, das gekannte Risiko als beachtliches Risiko zu interpretieren. D a ß hier, wie Köhler Bewußte Fahrlässigkeit S. 292 Fn. 4 a u s f ü h r t , d e r „ E i n b e z u g d e r subjektiv-intersubjektiven A u t o -

n o m i e s t r u k t u r " vernachlässigt w e r d e (ähnlich die Kritik bei Ziegert V o r s a t z S. 109), w ä r e n u r r i c h tig, w e n n die „ A u t o n o m i e s t r u k t u r " als aktuelle Befindlichkeit, also p s y c h o l o g i s i e r e n d , v e r s t a n den w e r d e n m ü ß t e , — so als g e h ö r t e die Z u s t ä n digkeit f ü r die eigene Befindlichkeit nicht z u r A u t o n o m i e ! E i n e m S u b j e k t , das f ü r die eigene H a l t u n g n i c h t m e h r z u s t ä n d i g ist, fehlt A u t o n o m i e überhaupt. 69b Z u weit d e s h a l b die B e r ü c k s i c h t i g u n g d e r R i s i k o g e w ö h n u n g bei Herzog u n d Nestler- Tremel StV 1987 S. 360 ff, 364. 70 D a z u eingehend Jakobs Bruns-Festschrift S. 31 f f ; ders. Beiheft Z S t W 1974 S. 6 f f , 23 f f ;

277

8. A b S C h n

32

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

cc) Ein Risiko ist demnach erst dann entscheidungserheblich und reicht zum Vorsatz hin, wenn es nicht nur der Höhe nach unerlaubt ist, sondern zudem das Maß übersteigt, das noch allgemein als aufgedrängtes unerlaubtes Risiko hingenommen werden muß, sofern bestimmte Lebensbereiche nicht überhaupt gemieden werden sollen. Beispiel: "Wer im Straßenverkehr — jeweils in aktueller Kenntnis des Erfolgsrisikos — in noch mäßigem Rahmen die Höchstgeschwindigkeit überschreitet oder den Sicherheitsabstand unterschreitet etc., hat trotz seiner Kenntnis nur Vorsatz zu einem abstrakten Gefährdungstatbestand; wer aber vor einer Bergkuppe auf enger Straße überholt oder blindlings eine Ampel bei Rotlicht überfährt, hat Verletzungsvorsatz; solche Situationen werden ja auch nicht selten als brenzlig erlebt. — Wichtiger noch sind diese Grenzen für das fahrlässige Delikt, siehe unten 9/15.

C. Alternativer Vorsatz 33

Der alternative Vorsatz (auch: dolus alternativas ) ist kein Vorsatz von selbständiger Gestalt, sondern eine Verbindung von zwei Vorsätzen, deren Verwirklichungen sich nach dem Urteil des Täters gegenseitig ausschließen. Beispiel : Der Täter schießt auf das Opfer, das vor einer großen Fensterscheibe steht; ihm ist klar, daß er entweder das Opfer oder aber die Scheibe treffen wird. — Es können sich zum alternativen Vorsatz alle Vorsätze verbinden, die nicht den sicheren Eintritt der Handlungskonsequenz zum Inhalt haben 7 1 (also ist selbst bei Wissentlichkeit im weiteren Sinn ein alternativer Vorsatz möglich). Abgesehen von der Wissentlichkeit im engeren Sinn ist jeder Vorsatz alternativ, nur bezieht sich meist eine der Möglichkeiten nicht auf eine Tatbestandsverwirklichung, sondern auf einen sonstigen Erfolg im natürlichen Sinn. Beispiel: Wer als Haupt- oder Nebenfolge erkennt, daß ein Angriffsobjekt vielleicht von einer Kugel getroffen werden wird, weiß zugleich, daß andernfalls die Kugel sonstwohin fliegen wird. Da es zum Vorsatz hinreicht, wenn eine der Möglichkeiten einen Tatbestand verwirklicht und die andere nicht, ebenso umgekehrt, müssen in dem Fall, daß beide Möglichkeiten einen Tatbestand verwirklichen (so das obige Beispiel des Schusses auf einen Menschen vor einer Glasscheibe), zwei Vorsätze vorliegen 7 2 , so daß Vollendung «»¿Versuch handlungseinheitlich verwirklicht werden 7 3 . Alle anderen Lösungsvorschläge 7 4 leiden Philipps ZStW 85 S. 27 ff; E. A. Wolff GallasFestschrift S. 197 ff, 214 ff; siehe auch AK-Zielinski 15, 16 Rdn. 76 f; Rasch in: Handlungsanalyse S. 46 ff, 52. 71 Welzel Strafrecht § 13 I 2 d ; LK-Schroeder % 16 Rdn. 106; Jescheck A T § 29 III 4; Jakobs Konkurrenz S. 147 ff mit "weiteren Nachweisen. 72 Stratenwerth A T Rdn. 301 mit dem freilich verwirrenden Hinweis, es handele sich um bedingten Vorsatz, der nicht Nebenfolgen betreffe. 73 Welzel Strafrecht § 13 I 2 d; Schönke-SchröderCramer% 15 Rdn. 91 ; Jescheck A T § 29 III 4; SKRudolphi § 16 Rdn. 47; eingehend Jakobs Konkurrenz S. 147 ff mit weiteren Nachweisen. Zur Handlungseinheit bei homogenem Unrecht siehe unten 32/16 ff. — Gegen die Lösung wird von Joerden (ZStW 95 S. 565 f f ; ders. Dyadische Fallsysteme S. 57) vorgebracht, der Täter dürfe mangels eines kumulativen Vorsatzes nicht wegen mehrerer Vollendungen haften, wenn sich entgegen seinen Erwartungen mehr als eine Möglich-

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keit realisierte (freilich betrifft die Zurechnung eines per Irrtum produzierten Uberschusses kein spezifisches Problem des alternativen Vorsatzes). Bei der Lösung verkennt Joerden^ daß zur H a f tung für Vollendung nicht schon Vorsatz plus Erfolgseintritt hinreichen, sondern auch die Verwirklichung der vom Täter gesehenen Gefahr erforderlich ist. Danach mag überhaupt keine der kumulierten Erfolgsverursachungen zurechenbar sein oder jede nur als fahrlässig herbeigeführt oder ein Teil nur als fahrlässig herbeigeführt! Sind mehrere Möglichkeiten je für sich als vorsätzlich herbeigeführt zurechenbar, begrenzen die allgemeinen Regeln zum Quantitätsirrtum die H a f t u n g (unten 8/64 ff). — Bei Auswertung seiner logischen Studien verkennt Joerden (ZStW 95 S. 569 ff, 573 f f ; Dyadische Fallsysteme S. 55 ff) folgendes: Er bejaht Vorsatz bei Postnonpendenz (von zwei Sachverhalten mag der erste vorliegen oder keiner, aber nicht der zweite und auch keine Kumulation beider), ferner bei Pränonpen-

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. Abschn

daran, das Maß des bekannten Unrechts nicht voll abdecken zu können. — Geht es um mehr als zwei sich ausschließende Möglichkeiten, gilt die Lösung entsprechend. Die alternative Vorsatzverbindung ist im Verhältnis von Tötungsdelikten zu Körperverletzungsdelikten viel behandelt worden. Tötung und die zur Tötung erforderliche Körperverletzung verhalten sich nicht alternativ, wohl aber baldige Tötung und eine durch die Fortdauer in der Zeit gekennzeichnete schwere Körperverletzung (SS 224 f StGB) 75.

D . Die zur Tatbestandsverwirklichung erforderliche Vorsatzgestalt Die Bestimmung der erforderlichen Gestalt des Vorsatzes bereitet bei einzelnen 3 4 Delikten erhebliche Schwierigkeiten, weil die Terminologie des Gesetzes (insbesondere bei Verwendung des Begriffs Absicht) und die Gründe für das Verlangen nach einem qualifizierten Vorsatz durchweg unklar sind 7 6 . Es lassen sich folgende Prinzipien ausmachen, die auch kumuliert werden können : 1. Häufig stuft der Gesetzgeber die Haftung unmittelbar nach den Stufen der 3 5 Steuerung; die Gewichtung des Unrechts entspricht dann dem Steuerungsmaß. Es geht um die im Kernstrafrecht überwiegende Stufung von (milderen) Fahrlässigkeitsdelikten zu Vorsatzdelikten, dies vereinzelt über die Zwischenform der erfolgsqualifizierten Delikte. 2. Bedingter Vorsatz reicht bei einigen Delikten generell oder bezüglich einzelner 3 6 Tatbestandsmerkmale nicht aus, weil ein noch erlaubt riskantes Verhalten aus dem Tatbestand ausgeschieden werden soll 7 6 a . Dies geschieht insbesondere durch Verschärfung des schlicht Vorsätzlichen zum "Wissentlichen 77 . Beispiele bilden § 187 StGB, der die "Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) ausschließt 78 , und §164 Abs. 1 und 2 StGB im Merkmal „wider besseres Wissen" (die Aufklärungsanzeige soll erlaubt sein 79 ) und wohl auch in dem Merkmal der Absicht, „behördliche Maßnahmen" herbeizuführen (das riskante Verteidigungsverhalten eines selbst Verdächtigen soll straffrei sein 8 0 ). d e n z (der zweite S a c h v e r h a l t liegt v o r o d e r keiner, a b e r nicht d e r erste u n d a u c h keine K u m u l a tion), nicht a b e r einen doppelten V o r s a t z bei K o n t r a v a l e n z (der erste o d e r der zweite S a c h v e r halt liegt v o r , jedenfalls a b e r einer d e r S a c h v e r halte und keine K u m u l a t i o n ) . Joerden b e g r ü n d e t letzteres damit, K o n t r a v a l e n z k u m u l i e r e n i c h t P o s t - und P r ä n o n p e n d e n z , da d e r bei P o s t - u n d P r ä n o n p e n d e n z sichere A u s s c h l u ß je eines S a c h verhalts sich bei K o n t r a v a l e n z n i c h t k u m u l i e r t f i n d e ( D y a d i s c h e Fallsysteme S. 58 Fn. 25). Auf die K u m u l a t i o n d e r Ausschlüsse k o m m t es a b e r ü b e r h a u p t nicht an, d a bei P o s t - u n d P r ä n o n p e n d e n z V o r s a t z nicht etwa vorliegt, weil jeweils ein Sachverhalt ausgeschlossen ist, s o n d e r n weil d e r jeweils a n d e r e m ö g l i c h ist, u n d die Möglichkeiten w e r d e n bei K o n t r a v a l e n z k u m u l i e r t (siehe a u c h ders. G A 1984 S. 249 ff, 254 ff). 74

V o r r a n g des V o l l e n d e t e n , V o r r a n g des S c h w e r e ren u. a. m. (mit diversen T o p o i Wessels A T § 7 II 4 ; LK-Schroeder 5 16 R d n . 106 mit weiteren N a c h w e i s e n ; LK-Vogler § 2 2 Rdn. 6; MaurachZipf A T I § 2 2 R d n . 27; Schneider G A 1956

S. 257 ff, 2 5 9 ) ; f ü r I d e a l k o n k u r r e n z , a b e r beim Ausbleiben jeden E r f o l g s f ü r den V o r r a n g des S c h w e r e r e n Haft A T 6. Teil § 2 , 3 b dd. 75 E i n g e h e n d Jakobs K o n k u r r e n z S. 119 ff, 145 ff, 161 f f ; siehe a u c h u n t e n 3 1 / 3 2 . 76 Z u m f o l g e n d e n T e x t siehe Gehrig Absichtsbegriff S. 32 f f ; Stein B e t e i l i g u n g s f o r m e n l e h r e S. 355 f f ; Stratenwerth A T R d n . 315 f f ; siehe a u c h Eser S t u d i e n k u r s Bd. I V 15/24 ff. 76a Z u r Absicht bei § 257 S t G B ä h n l i c h Gehrig A b sichtsbegriff S. 110 ff. 77 Göhler N J W 1974 S. 825 ff, 8 2 6 ; Frisch V o r s a t z S. 392 ff, 404. 78 Schönke-Schröder-Lenckner § 193 R d n . 2 ; streitig· 79 Zur alten Rechtslage siehe Bockelmann NJW 1959 S. 1849 ff. 80 Streitig, siehe Schönke-Schröder-Lenckner § 164 R d n . 32; a. A. Langer G A 1987 S. 289 ff, 305 f. — Die R e g e l u n g ist auf die §§ 153 ff S t G B n i c h t ü b e r t r a g b a r ; im Ergebnis f ü r V e r s u c h s f ä l l e a. A. Arzt J e s c h e c k - F e s t s c h r i f t S. 391 f f , 4 0 3 ; siehe a u c h u n t e n 2 5 / F n . 34.

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8. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

37

3. In zahlreichen Fällen wird der Vorsatz als Planungszusammenhang beschrieben, etwa mit dem Begriff der Absicht oder mit der Formulierung „um . . . zu". Hierbei ist zu differenzieren : a) Vereinzelt ist die Absicht auf einen bloßen Teilschaden gerichtet und dann Kennzeichen einer dem ganzen Gut feindlichen Willensrichtung, so etwa bei § 229 StGB. Absicht ist dann im eigentlichen Sinn zu verstehen.

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b) Weiterhin kennzeichnen einige Absichten auf einen Schaden am ganzen Gut denjenigen Täter, der sich bei Handlungen, die noch im Vorfeld der Schädigung liegen, koordinierend einsetzt und deshalb nicht ein bloßer Mitläufer ist, so bei den §§ 87 Abs. 1 (unklar wegen der hinzutretenden Wissentlichkeit 8 1 ), 88 Abs. 1, 89 Abs. 1 StGB 8 2 . Auch in diesem Fall ist die Absicht im eigentlichen Sinn zu verstehen mit dem Ergebnis, daß eine gedungene Person, die des Geldes wegen handelt, selbst bei massivem Einsatz nicht erf aßt werden k a n n 8 3 .

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c) Häufiger geht es jedoch um einen überschießenden Verletzungsvorsatz. Die Lage ist hier einigermaßen verwickelt. Es handelt sich um Delikte, deren Vollendung auf ein signifikantes Stadium der Gefährdung vorverlagert ist. Dieses Stadium der Gefährdung wird aber nicht unmittelbar tatbestandlich beschrieben, sondern durch eine bestimmte H a n d l u n g (etwa eine Fälschungshandlung) und den Planungszusammenhang, in dem die Handlung steht (etwa die Absicht, das Falsifikat zu gebrauchen). Bei Arbeitsteilung unter mehreren Beteiligten können nun Handlung und Planung auseinanderfallen: Einer handelt (etwa fälscht verabredungsgemäß die Urkunde) und ein anderer plant die Weiterungen (etwa beabsichtigt den Gebrauch der Urkunde), wobei diese Weiterungen dem ersten gleichgültig sein mögen. Beispiel: Den Lohnfälscher interessiert weder, ob dem Auftraggeber mit den Falsifikaten eine Täuschung gelingt, noch ist er sich auch nur sicher, ob die T a t bis zur Täuschung gedeihen wird. An Art und Maß der Gefährdung ändert dieses Auseinanderfallen von Handlung und Planung bei solchen Delikten nichts (hauptsächlich Geldfälschungsdelikte und Urkundsdelikte). W ü r d e nun für die Handlungen, die bei Eintritt der Vollendung noch ausstehen, jeder Vorsatz hinreichen 8 4 , entfiele der Planungszusammenhang als Spezifikum der Gefährdung. Beharrt man freilich auf Absicht im eigentlichen Sinn 8 5 oder auf direktem V o r s a t z 8 6 , kann der Täter nicht mehr erfaßt werden, der neutraler Ziele willen (etwa der Bezahlung wegen) fremder Planung zuarbeitet und sich des Gelingens der fremden Planung nicht gewiß ist. Im Ergebnis muß also für die noch ausstehenden Handlungen bei Arbeitsteilung zwar jeder Vorsatz hinreichen 8 7 , aber ergänzt um die Kenntnis, daß der andere Beteiligte die Fortführung im eigentlichen Sinn beabsichtigt 8 8 .

40

Will der Täter alle Akte allein vollziehen, so erledigen sich Zweifel daran, ob er sich selbst zum zweiten Akt entschließen wird, nach den Regeln des bedingten Wollens 8 8 a 81 Dazu Dreher-Tröndle§ 87 Rdn. 13. 82 Krautbu. a. J Z 1968 S. 577 ff, 582 f. 83 Schönke-Schröder-Stree § 88 Rdn. 22; a. A. freilich LK-Willms § 87 Rdn. 16; grundlegend zur Absicht bei Staatsschutzdelikten F.-C. Schroeder Schutz S. 296 f f ; speziell zu §99 StGB siehe B G H 31 S. 317 ff, 320 ff mit Anmerkung SchroederJZ 1983 S. 671 ff, 672 f. 84 So Stratenwerth ΑΎ Rdn. 318. 85 So für § 146 StGB Schönke-Schröder-Stree § 146 Rdn. 7, was wegen der in § 146 StGB genannten Ermöglichungsabsicht auch die relevanten Fälle abdeckt.

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86 So für § 267 StGB Schönke-Schröder-Cramer § 267 Rdn. 91; ferner Cramer JZ 1968 S. 30 ff; LencknerNyW 1967 S. 1890 ff; beide gegen BayO b L G J Z 1968 S. 29 f (dort: Absicht im engeren Sinn). 87 Herzberg ZStW 88 S. 68 ff, 95 f ; den. JuS 1983 S. 337 ff, 338. 88 Ähnlich Gehrig Absichtsbegriff S. 79 ff, 92; siehe auch Schmidhäuser KT 14/81; BT 14/24 (zu $ 267 StGB). 88a Gehrig Absichtsbegriff S. 33 ff, 39.

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. Abschn

(siehe unten 25/29 ff). Vollzieht der Täter des ersten Akts diesen Akt ohne eigenen Vorsatz zur V o r n a h m e des nachfolgenden Akts und auch ohne Abstimmung mit einem anderen Täter, der den nachfolgenden Akt vollzieht, so ist er nach den Regeln des Regreßverbots straffrei; d. h. er haftet f ü r das Ergebnis seines Akts, regelmäßig ein Falsifikat, nur nach den Regeln der H a f t u n g f ü r ein gefährliches Objekt. Beispiel: Der Täter erkennt, daß der von ihm zu Demonstrationszwecken geschriebene unechte Wechsel möglicherweise mißbraucht wird; — H a f t u n g nur, wenn eine Garantenstellung besteht. Soweit H a n d l u n g und Plan nicht auseinanderfallen können, weil mit der Handlung alles zum Erfolgseintritt Notwendige vollzogen worden ist (so etwa bei der 3. Fallgruppe von § 267 Abs. 1 StGB), reicht bezüglich des Erfolgs jeder Vorsatz aus, aber diejenigen Momente, die das Planungsrisiko bezeichnen, müssen auch hier — und zwar notwendig vom Täter selbst — im eigentlichen Sinn beabsichtigt sein. So muß der Täter bei § 2 6 7 Abs. 1, 3. Fallgruppe StGB oder bei § 273, 1. Fallgruppe StGB den Gebrauch in der Beweissituation beabsichtigen (etwa: ein gefälschtes Dokument zu einem Beweisantrag vorzulegen), nicht aber muß er den Täuschungserfolg beabsichtigen (daß das Gericht den Beweis überhaupt erhebt und sich täuschen läßt etc.). d) Manche Güter, insbesondere Eigentum und Vermögen, sind nicht nur gegen ihre 41 Zerstörung anfällig, sondern auch gegen ihre Verschiebung (Wegnahme in Zueignungsabsicht, Vermögensverschiebung in Vorteilsabsicht), das heißt, gegen ihre Verlagerung zu einem anderen Begünstigten zu dessen Nutzung. Eine bloße Entziehung ohne Verschiebung (etwa eine Sachentziehung aus Sadismus) ist so untypisch, daß das Gesetz darauf verzichtet, sie zu erfassen; untypisch ist auch eine Entziehung mit zufällig folgendem Verschiebungseffekt: Wer sich die Mühe einer Entziehung macht, will in der Regel einen Vorteil herausschlagen. Die Anfälligkeit der betreffenden Güter besteht gerade darin, daß sie zur Verschiebung reizen. Das Gesetz formuliert deshalb eine Absichtsbeziehung, etwa Zueignungsabsicht als Aneignungsabsicht bei den §§ 242, 249 StGB (zum Enteignungsvorsatz siehe die vorige Gruppe oben 8/40) oder Vorteilsabsicht (oder um zu bereichern) bei den §§ 253, 263 StGB. Die ganz herrschende Lehre fordert hier Absicht im eigentlichen Sinn 8 9 , was auch in der Regel paßt, aber die Lösung in Grenzfällen verfehlt. Zwar ist in dieser Gruppe — wie in der vorigen Gruppe — das Vorliegen einer Absicht unerläßlich, weil hier gerade der Tatzweck den Tattyp bestimmt, wie dort der Tatzweck den gefährlichen Zusammenhang kennzeichnet. Bei Arbeitsteilung können aber auch hier Handlung und Planung auseinanderfallen, insbesondere wenn der Planende f ü r die gesamte T a t a u s f ü h r u n g einen Beteiligten dingt, den der Ausgang nicht interessiert. Beispiel: Der Inhaber eines Betriebs bestimmt einen Angestellten gegen eine vorab gezahlte Belohnung zu täuschenden Erklärungen gegenüber dritten Personen, durch die dem Betrieb per Irrtum etc. (§ 263 StGB) Vorteile zufließen sollen. Der Inhaber hat die Absicht, aber er ist nach der Tatherrschaftslehre nicht Täter (der subjektiven Theorie bleibt das Problem verborgen). Der Angestellte beabsichtigt keine Vorteile f ü r die Firma, zumal er schon vorab belohnt wurde, weiß aber von der Absicht des Inhabers. — Es muß auch hier ausreichen, daß die Tat in einem fremden Planungszusammenhang steht; die typisierende „Absicht" umfaßt also jeden Vorsatz, jedoch muß das Wissen des Ausführenden hinzukommen, daß die T a t wegen der Pläne eines absichtlich handelnden Beteiligten vollzogen w i r d 8 9 a . Bei § 242 StGB ist wegen der engen Fassung (sich zueignen) erforderlich, daß einer der an einem Kollektiv Beteiligten sich selbst zueignen will; allseitig fremdnützige Taten

89 Unklar allerdings B G H 16 S. 1 ff; hierzu Welzel N J W 1962 S. 20 ff.

89a

Siehe auch Samson JA 1989 S. 449 ff, 454; gegen diese Lösung Gehrig Absichtsbegriff S. 46.

281

8. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

scheiden aus, ohne daß dies an dem Mindestinhalt des Vorsatzes (jeder Vorsatz plus Kenntnis eines Planungszusammenhangs) etwas ändern würde (wichtig für die Teilnahme, siehe unten zu § 28 StGB, 23/20). Meist überschießt die Verschiebungsabsicht den objektiven Tatbestand, nicht aber notwendig; so muß bei der Nötigung (§ 240 StGB) das zur Vollendung erforderliche Opferverhalten in einem Planungszusammenhang stehen; erst dieser Planungszusammenhang typisiert ein ansonsten nicht gesondert strafbares „gewaltsames Bewirken fremden Verhaltens" gerade zu einer Nötigung 90 . 42

4. Bei den Motivmerkmalen schließlich (genauer unten 8/94) geht es um die quantitativ unverhältnismäßige oder aber gefährliche Verbindung zwischen Antrieb und Handlung, nicht notwendig auch zwischen Antrieb und Handlungserfolg. Die Merkmale sollen also Situationen kennzeichnen, bei denen der Antrieb zum Vollzug einer bestimmten Handlung drängt, wobei sich auf die Folgen dieser Handlung sehr wohl nur dolus eventualis beziehen kann (schon oben 8/9). IV. Der Gegenstand des Vorsatzes und Abweichungsprobleme Literatur L. Backmann Die Rechtsfolgen der aberratio ictus, JuS 1971 S. 113 ff; ders. Grundfälle zum strafrechtlichen Irrtum, JuS 1972 S. 196 ff; / Baumann Grenzfälle im Bereich des Verbotsirrtums, Welzel-Festschrift S. 533 ff; /. Brammsen Inhalt und Elemente des Eventualvorsatzes — Neue Wege in der Vorsatzdogmatik, JZ 1989 S. 71 ff; H.-J. Bruns Strafzumessungsrecht, 2. Auflage 1974; Th. Darnstädt Der Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale im Strafrecht, JuS 1978 S. 441 ff; N. Dölp Anmerkung zu BGH NStZ 1989 S. 475, aaO S. 475 f; U. DopslaffPlädoyer für einen Verzicht auf die Unterscheidung in deskriptive und normative Tatbestandsmerkmale, GA 1987 S. 1 ff; /. Driendl Irrtum oder Fehlerprognose über abweichende Kausalverläufe, GA 1986 S. 253 ff; K. Engisch Untersuchungen über Vorsatz und Fahrlässigkeit im Strafrecht, 1930; ders. Die normativen Tatbestandsmerkmale im Strafrecht, Mezger-Festschrift S. 127 ff; ders. Bemerkungen zu Theodor Rittlers Kritik der Lehre von den subjektiven Tatbestands- und Unrechtselementen, Rittler-Festschrift S. 165 ff; ders. Methoden der Strafrechtswissenschaft, in: M. Thiel (Hrsg.), Enzyklopädie der geisteswissenschaftlichen Arbeitsmethoden, Methoden der Rechtswissenschaft Teil I, 1972, S. 39 ff; D. Franke Probleme beim Irrtum über Strafmilderungsgründe: § 16 II StGB, JuS 1980 S. 172 ff; K. Tramen, Β. Gast-de Haan, E. Samson, W. Joecks Steuerstrafrecht mit Steuerordnungswidrigkeiten und Verfahrensrecht, 3. Auflage 1985; W. Trisch Die „verschuldeten" Auswirkungen der Tat. Zugleich ein Beitrag zur Irrtumsproblematik im Strafzumessungsrecht, GA 1972 S. 321 ff; ders. Vorsatz und Risiko, 1983; ders. Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolgs, 1988; G. Geilen Sukzessive Zurechnungsunfähigkeit, Unterbringung und Rücktritt — BGHSt. 23, 356, JuS 1972 S. 73 ff; ders. Zur Problematik des schuldausschließenden Affekts, Maurach-Festschrift S. 173 ff; A. Geyer Zur Lehre vom dolus generalis und vom Kausalzusammenhang, GA Bd. 13 (1865) S. 239 ff und 313 ff; T. Haft Grenzfälle des Irrtums über normative Tatbestandsmerkmale im Strafrecht, JA 1981 S. 281 ff; ders. Der doppelte Irrtum im Strafrecht, JuS 1980 S. 430 ff, 588 ff, 659 ff; K. A. Hall Irrtum über Strafmilderungsund Straferhöhungsgründe, Maurach-Festschrift S. 107 ff; A. Hegler Subjektive Rechtswidrigkeitsmomente im Rahmen des allgemeinen Verbrechensbegriffs, Frank-Festgabe Bd. I S. 251 ff; R. D. Herzberg Aberratio ictus und abweichender Tatverlauf, ZStW 85 S. 867 ff; ders. Aberratio ictus und error in obiecto, JA 1981 S. 369 ff und 470 ff; ders. Die Abgrenzung von Vorsatz und bewußter Fahrlässigkeit — ein Problem des objektiven Tatbestandes, JuS 1986 S. 249 ff; Th. Hillenkamp Die Bedeutung von Vorsatzkonkretisierungen bei abweichendem Tatverlauf, 1971 ; H. J. Hirsch Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, 1960; ders. Ehre und Beleidigung, 1967; J. Hruschka Die Herbeiführung eines Erfolges durch einen von zwei Akten bei eindeutigen und mehrdeutigen Tatsachenfeststellungen, JuS 1982 S. 317 ff; G. Jakobs Studien zum fahrlässigen Erfolgsdelikt, 1972; ders. Anmerkung zu B G H N J W 1974 S. 958 f, aaO S. 1829 f; ders. 90 Jakobs Peters-Festschrift S. 69 ff, 78 ; streitig. 282

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. Abschn

Nötigung durch D r o h u n g als Freiheitsdelikt, Peters-Festschrift S. 69 ff; U. Janiszewski Zur P r o blematik der aberratio ictus, M D R 1985 S. 533 ff; Armin Kaufmann Objektive Zurechnung beim Vorsatzdelikt? Jescheck-Festschrift S. 251 ff; Arthur Kaufmann Die Parallelwertung in der Laiensphäre, 1982; ders. Recht und Sprache, in: U. Dürrmülleru. a. (Hrsg.) Sprache und Wissenschaft, 1984 S. 9 ff; ders. Einige Anmerkungen zu Irrtümern über den Irrtum, Lackner-Festschrift S. 185 ff; U. Kindhäuser Rohe Tatsachen und normative Tatbestandsmerkmale, JA 1984 S. 465 ff; ders. Zur Unterscheidung von Tat- und Rechtsirrtum, GA 1990 S. 407 ff; M. Köhler Die bewußte Fahrlässigkeit, 1982; ]. Krümpelmann Die strafrechtliche Behandlung des Irrtums, Beiheft Z S t W 1978 S. 6 ff; W. Küper Zur irrigen Annahme von Strafmilderungsgründen, GA 1968 S. 321 ff; ders. Vorsatz und Risiko. Zur Monographie von Wolfgang Frisch, GA 1987 S. 479 ff; G. Küpper Zum Verhältnis von dolus eventualis, Gefährdungsvorsatz und bewußter Fahrlässigkeit, ZStW 100 S. 758 ff; L. Kuhlen Anmerkung zu B G H StV 1986 S. 179 f, StV 1987 S. 437 ff; ders. Die Unterscheidung von vorsatzausschließendem und nicht vorsatzausschließendem Irrtum, 1987; K. H. Kunert Die normativen Merkmale der strafrechtlichen Tatbestände, 1958; R. Lange Der Strafgesetzgeber und die Schuldlehre. Zugleich ein Beitrag zum Unrechtsbegriff bei den Zuwiderhandlungen, JZ 1956 S. 73 ff; ders. N u r eine Ordnungswidrigkeit? J Z 1957 S. 233 ff; U. Loewenheim Error in obiecto und aberratio ictus — O L G Neustadt, N J W 1964, 311, JuS 1966 S. 310 ff; K. Lüderssen Die Parteispendenproblematik im Steuerrecht und Steuerstrafrecht — Vorsatz und Irrtum, wistra 1983 S. 223 ff; W. Maihofer Objektive Schuldelemente, H . Mayer-Festschrift S. 185 ff; M. MaiwaldDer „dolus generalis". Ein Beitrag zur Lehre von der Zurechnung, ZStW 78 S. 30 ff; ders. Zur Problematik der „besonders schweren Fälle" im Strafrecht, N S t Z 1984 S. 433 ff; ders. Unrechtskenntnis und Vorsatz im Steuerstrafrecht, 1984; H. MayerOas Problem des sogenannten dolus generalis, J Z 1956 S. 109 ff; F. Meyer Oer Verbotsirrtum im Steuerstrafrecht, NStZ 1986 S. 443 ff; ders. Enthält der Tatbestand der Steuerhinterziehung ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, das jeglichen Verbotsirrtum ausschließt? N S t Z 1987 S. 500 f; E. MezgerYom Sinn der strafrechtlichen Tatbestände, Traeger-Festschrift S. 187 ff; R. Nierwetberg Der strafrechtliche Subsumtionsirrtum, Jura 1985 S. 238 ff; P. Noll Tatbestand und Rechtswidrigkeit: Die Wertabwägung als Prinzip der Rechtfertigung, ZStW 77 S. 1 ff; D. Oehler Zum Eintritt eines hochgradigen Affekts während der Ausführungshandlung, GA 1956 S. 1 ff; ders. Anmerkung zu B G H 23 S. 133 ff, J Z 1970 S. 380 ff; E. Osenbrüggen Casuistik des Criminalrechts, 1854; C. Prittwitz Zur Diskrepanz zwischen Tatgeschehen und Tätervorstellung, GA 1983 S. 110 ff; I. Puppe Zur Revision der Lehre vom „konkreten" Vorsatz und der Beachtlichkeit der aberratio ictus, GA 1981 S. 1 ff; dies. Tatirrtum, Rechtsirrtum, Subsumtionsirrtum, GA 1990 S. 145 ff; W. Reiß Zur Abgrenzung von untauglichem Versuch und Wahndelikt am Beispiel der Steuerhinterziehung, wistra 1986 S. 193 ff; C. Roxin Offene Tatbestände und Rechtspflichtmerkmale, 2. Auflage 1970; ders. Gedanken zum „dolus generalis", Würtenberger-Festschrift S. 109 ff; W. Sax „Tatbestand" und Rechtsgutsverletzung, JZ 1976 S. 9 ff, 80 ff, 429 ff; F. SchaffsteinTatbestandsirrtum und Verbotsirrtum, O L G Celle-Festschrift S. 175 ff; G. v. Scheurl Rücktritt vom Versuch und Tatbeteiligung mehrerer, 1972; E. Schlüchter Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale im Strafrecht, 1983; dies. Zur Irrtumslehre im Steuerstrafrecht, wistra 1985 S. 43 ff, 94 ff; dies. Grundfälle zum Bewertungsirrtum des Täters im Grenzbereich zwischen §§16 und 17 StGB, JuS 1985 S. 373 ff, 527 ff, 617 ff; H. L. Schreiber Grundfälle zu „error in objecto" und „aberratio ictus" im Strafrecht, JuS 1985 S. 873 ff; F. C. SchroederOer Irrtum über Tatbestandsalternativen, GA 1979 S. 321 ff; B. Schünemann Moderne Tendenzen in der Dogmatik der Fahrlässigkeits- und Gefährdungsdelikte, JA 1975 S. 435 ff, 511 ff, 575 ff, 647 ff, 715 ff, 787 ff; J. M. Silva-Sanchez Aberratio ictus und objektive Zurechnung, ZStW 101 S. 353 ff; E. Steininger Oer Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale, JurBl. 1987 S. 205 ff, 287 ff; F. Streng Anmerkung zu BayObLG J R 1987 S. 431, a a O S. 431 ff; K. Thomas Die Steueranspruchstheorie und der Tatbestandsirrtum im Steuerstrafrecht, N S t Z 1987 S. 260 ff; K. Tiedemann Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht, 1969; ders. Zur legislatorischen Behandlung des Verbotsirrtums im Ordnungswidrigkeiten- und Steuerstrafrecht, ZStW 81 S. 869 ff; W. G. Tischler Verbotsirrtum und Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale, 1984; G. Warda Die Abgrenzung von Tatbestands· und Verbotsirrtum bei Blankettstrafgesetzen, 1955; ders. Grundzüge der strafrechtlichen Irrtumslehre, Jura 1979 S. 1 ff, 71 ff, 113 ff, 286 ff; ders. Zur Gleichwertigkeit der verwechselten Objekte bei error in objecto, Blau-Festschrift S. 159 ff; Weber\]btr die verschiedenen Arten des

283

8. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

Dolus, N A r c h C r i m R Bd. 7 S. 551 ff; H. IPWze/Naturalismus und Wertphilosophie im Strafrecht, 1935; ders. Irrtumsfragen im Steuerstrafrecht, N J W 1953 S. 486 ff; ders. Zur Dogmatik der echten Unterlassungsdelikte, insbesondere des § 330 c StGB, N J W 1953 S. 327 ff; ders. Der Parteiverrat und die Irrtumslehre (Tatbestands-, Verbots- und Subsumtionsirrtum), JZ 1954 S. 276 ff; ders. Anmerkung zu B G H JZ 1955 S. 454 f, a a O S. 455 f; ders. Der Gewahrsamsbegriff und die Diebstähle in Selbstbedienungsläden, GA 1960 S. 257 ff; / . Wessels Zur Problematik der Regelbeispiele für „schwere" und „besonders schwere Fälle", Maurach-Festschrift S. 295 ff; E. Wolf Die Typen der Tatbestandsmäßigkeit. Vorstudien zur Allgemeinen Lehre vom Besonderen Teil des Strafrechts, 1931; ders. Der Sachbegriff im Strafrecht. Beiträge zur Allgemeinen Lehre vom Besonderen Teil des Strafrechts, RG-Festgabe Bd. V S. 44 ff; /. Wolter Der Irrtum über den Kausalverlauf als Problem objektiver Erfolgszurechnung — zugleich ein Beitrag zur versuchten Straftat sowie zur subjektiven Erkennbarkeit beim Fahrlässigkeitsdelikt, ZStW 89 S. 649 ff; ders. Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr und Verletzung in einem funktionalen Straftatsystem, 1981; ders. Vorsätzliche Vollendung ohne Vollendungsvorsatz und Vollendungsschuld? Zugleich ein Beitrag zum „Strafgrund der Vollendung", Leferenz-Festschrift S. 545 ff; ders. Objektive und personale Zurechnung im Unrecht. Zugleich ein Beitrag zur aberratio ictus, in: B. Schiinemann (Hrsg.) Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, 1984, S. 103 ff.

A. Allgemeines 43

1. D e r V o r s a t z m u ß sich auf s ä m t l i c h e M e r k m a l e des o b j e k t i v e n T a t b e s t a n d s 9 1 · 9 2 e r s t r e c k e n , a u c h auf die z u e r g ä n z e n d e n M e r k m a l e d e r s o g e n a n n t e n o f f e n e n T a t b e s t ä n d e ( o b e n 6 / 6 1 f f ) , n i c h t a b e r auf das E r g ä n z u n g s p r i n z i p ( n i c h t auf die V e r w e r f l i c h k e i t n a c h d e n §§ 2 4 0 A b s . 2, 253 A b s . 2 S t G B ) . A u c h die M e r k m a l e , die einen G r u n d t a t b e s t a n d z u r Q u a l i f i z i e r u n g a b w a n d e l n s o w i e die b e n a n n t e n M e r k m a l e d e r b e s o n d e r s s c h w e r e n Fälle m ü s s e n — v o r b e h a l t l i c h s p e z i e l l e r e r B e s t i m m u n g e n im B T ( e t w a § § 3 1 5 91

284

J e d e n f a l l s n u r des T a t b e s t a n d s ; z u m I r r t u m über R e c h t f e r t i g u n g s v o r a u s s e t z u n g e n u n d ü b e r das V e r b o t siehe u n t e n 11/18 f f , 42 f f ; 19/32 f f ; n u r objektive B e d i n g u n g e n ( d e r Ausschließung) des U n r e c h t s o d e r seiner S t r a f t a t b e s t a n d l i c h k e i t , u n ten 10/2 ff, sind ü b e r h a u p t irrtumsresistent (a. Α. Sax J Z 1976 S. 9 ff, 80 ff, 429 f f ) . - Z u m G a n z e n siehe Warda J u r a 1979 S. 1 ff, 71 ff, 113 ff, 286 ff, 289. — FrischV orsaiz. S. 57 u n d passim (zu Frisch eingehend Küper G A 1987 S. 479 f f ; siehe a u c h Küpper Z S t W 100 S. 758 ff, 776 f f ; Herzberg J u S 1986 S. 249 ff, 259 f ; Srammsen J Z 1989 S. 71 f f , 80 f) w e n d e t ein, z u m objektiven T a t b e s t a n d geh ö r e d e r eingetretene E r f o l g , auf den sich ein V o r s a t z z u m T a t z e i t p u n k t nicht beziehe, so d a ß d e r T a t b e s t a n d nicht V o r s a t z g e g e n s t a n d sein k ö n n e . D a r a n ist richtig, d a ß Koreatz stets Antizip a t i o n ist: D e r T ä t e r setzt v o r a u s , d a ß d e r E r f o l g d e m n ä c h s t eingetreten sein wird. Triviale K o n s e q u e n z : V o r s a t z h a t nicht einen s c h o n verwirklichten, s o n d e r n einen (vermeintlich) d e m n ä c h s t erst verwirklichten T a t b e s t a n d z u m G e g e n s t a n d . W e n n Frisch statt dessen das riskante V e r h a l t e n als V o r s a t z g e g e n s t a n d herausstellt (S. 57, 67, 94 ff, 480 u n d passim), so in der z u t r e f f e n d e n Intention, die K e n n t n i s eines Risikos, das nicht m e h r im Bereich des erlaubten Risikos liegt, als V o r s a t z g e g e n s t a n d zu reklamieren. Insoweit stimmt die hiesige Position mit d e r j e n i g e n v o n Frisch überein (wobei Frisch freilich das erlaubte

92

Risiko mit einer Rechtfertigungbei der W a h l eines kleineren Risikos vermischt, S. 143, 212, 257, 366 f f ) . Dieses Ergebnis stellt sich aber a u c h ein, w e n n m a n den V o r s a t z auf den objektiven T a t b e stand b e z i e h t ; d e n n d a z u g e h ö r t alles, was Elem e n t der objektiven Z u r e c h n u n g ist u n d d a m i t i n s b e s o n d e r e a u c h die Ü b e r s c h r e i t u n g eines erlaubten Risikos (siehe 8 / 4 4 ) . N a c h F.-C. Schroeder G A 1979 S. 321 ff, 325 ff, soll bei alternativen T a t b e s t a n d s m e r k m a l e n eine Fehlvorstellung unbeachtlich sein, „wenn das G e setz die möglichen A n g r i f f s f o r m e n o d e r A n g r i f f s o b j e k t e offensichtlich e r s c h ö p f e n d o d e r jedenfalls bis auf u n b e d e u t e n d e R a n d b e r e i c h e erfassen will" (327). S o soll es bei § 315 c Abs. 1 S t G B v o r s ä t z l i c h e V o l l e n d u n g n i c h t h i n d e r n , w e n n die k o n k r e t e G e f a h r f ü r ein Menschenleben eintritt, d e r T ä t e r aber — den Mensche(n f ü r eine w e r t volle Statue haltend — eine G e f a h r f ü r einen bed e u t e n d e n S a c h w e r t a n n i m m t . D a der T ä t e r f r e i lich in diesen Fällen das k o n k r e t e U n r e c h t d e r A r t n a c h n i c h t kennt, ist die L ö s u n g zu weit: Es m u ß h i n z u k o m m e n , d a ß die T a t b e s t a n d s m e r k m a l e U n r e c h t gleicher A r t vertypen und diese n u r begrifflich aufteilen, wie etwa bei § 306 N r . 2 u n d N r . 3 S t G B (artgleiche G e f ä h r d u n g e n ) o d e r a b e r bei § 142 Abs. 1 N r . 1 u n d N r . 2 S t G B (artgleiche A n g r i f f s w e i s e n ) ; ähnlich SK-Rudolphi § 16 R d n . 28 d ; siehe a u c h Kuhlen Unterscheidung S. 512 ff.

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. Abschn

Abs. 4, 5, 315 a Abs. 3, 315 b Abs. 4, 5, 315 c Abs. 3 StGB) und vorbehaltlich § 18 StGB — vom Vorsatz umfaßt sein (zu den Privilegierungen und minder schweren Fällen siehe unten 8/83 f). Für unbenannte Merkmale eines besonders schweren Falls gibt es freilich keine Regel, wonach die richterliche Tatbestandsergänzung stets Ergänzung um einen Vorsatzteil oder allenfalls im Rahmen des § 18 StGB auch um einen Fahrlässigkeitsteil sein könne; vielmehr mögen auch sonstige Umstände, die fahrlässig verkannt werden, Voraussetzungen eines — aus Vorsatz und Fahrlässigkeit kombinierten — besonders schweren Falls sein 9 3 . Beispiel: Beim Diebstahl f ü h r t eine gesteigerte Hilflosigkeit des Opfers nur im Vorsatzfall zu einem benannten besonders schweren Fall (§ 243 Abs. 1 N r . 6 StGB) ; das heißt aber nicht, eine leichtfertig verkannte extreme Hilflosigkeit könne nicht ihrerseits ein unbenannter besonders schwerer Fall sein 9 3 a . Insbesondere bei erkennbaren Sonderpflichten des Täters dürfte es häufig für die Bildung eines besonders schweren Falls gleichgültig sein, ob dem Täter die Voraussetzungen der Pflicht bewußt sind oder nicht. Das kann auf eine partielle Korrektur der unbefriedigenden Lage bei Tatsachenblindheit (oben 8/5) hinauslaufen. — Entsprechendes gilt f ü r die objektiven Strafzumessungstatsachen 9 4 . — Das zu den besonders schweren Fällen und den Strafzumessungstatsachen häufig gebrachte Argument, die Anwendung der §§15 und 18 StGB wäre selbstverständlich (also meist Vorsatz erforderlich), wenn die Bestrafungsvoraussetzungen gesetzlich detailliert ausformuliert wär e n 9 5 , ist unvollständig: Es gälte zu klären, ob die §§ 15 ff StGB überhaupt noch sinnvoll wären, wenn sämtliche Bestrafungsvoraussetzungen ohne spezielle Bezeichnung der subjektiven Seite detailliert ausformuliert wären. — D a ß Fahrlässigkeit hinreichen kann, bedeutet natürlich weder zu den besonders schweren Fällen noch zu den Strafzumessungstatsachen, daß stets dort, wo Vorsatz zu berücksichtigen wäre, auch die Berücksichtigung von Fahrlässigkeit angebracht ist. 2. Auch die Voraussetzungen der sogenannten objektiven Zurechnung müssen vom 44 Vorsatz umfaßt sein, insbesondere muß der Täter ein Risiko von solcher H ö h e erkennen, daß der Rahmen des erlaubten Risikos überstiegen w i r d 9 5 a . Meint der Täter trotz Kenntnis eines solchen Risikos, er halte sich noch im Rahmen des Erlaubten, so liegt bei auch ansonsten gegebenem Vorsatz ein Verbotsirrtum vor. Die irrige Annahme, ein erlaubt riskantes Verhalten sei nicht mehr erlaubt, ist Annahme eines Verbots ohne Tatbestandsvorsatz, also Wahndelikt. Hält der Täter ein nicht mehr erlaubt riskantes Verhalten f ü r erlaubt, weil er das Maß des Risikos so unterschätzt, daß bei der angenommenen Risikohöhe ein erlaubtes Risiko vorläge, so fehlt Vorsatz. Beispiel: Ein soeben als Gastarbeiter angeheuerter Schafhirte treibt seine H e r d e ohne Sicherung über eine Bundesstraße, was in seinem Heimatland allgemein üblich ist und von den 93

A n d e r s die ü b e r w i e g e n d e Lehre, die teils nicht einmal eine a n a l o g e A n w e n d u n g v o n § 18 S t G B f ü r zulässig h ä l t ; Schönke-Schröder-Cramer % 15 R d n . 33; zumeist wird bei g r u n d s ä t z l i c h e m V o r s a t z e r f o r d e r n i s f ü r e r s c h w e r e n d e Folgen § 18 S t G B a n g e w a n d t ; Jescheck A T § 29 II 3 b ; Wessels M a u r a c h - F e s t s c h r i f t S. 295 ff, 300 f; SK-Rudolphi § 16 R d n . 8; LK-Schroeder § 16 R d n . 65; Frisch G A 1972 S. 321 ff. N a c h B G H 26 S. 176 ff, 180 f f ; 26 S. 244 ff soll die k o n k r e t e G e f a h r des T o d e s n u r bei V o r s a t z einen b e s o n d e r s schweren Fall bilden (etwa bei § 113 Abs. 2 N r . 2 S t G B ) ; sehr zweifelhaft.

93a

MaiwaldNSO. 1984 S. 433 ff, 439. S e h r streitig; jedenfalls w a s T a t f o l g e n a n g e h t wie

94

hier (also: Fahrlässigkeit h i n r e i c h e n d ) DreherTröndle §46 Rdn. 23; LK-G. Hirsch S 46 R d n . 5 7 ; Schmidbauer AT 20/64; Mauracb-Zipf A T II § 63 R d n . 36 f f ; — a. A. ( n u r bei typischen Folgen soll a n a l o g § 18 S t G B Fahrlässigkeit h i n reichen) Jescheck A T § 29 II 3 b ; Frisch G A 1972 S. 32 I f f ; Bruns S t r a f z u m e s s u n g s r e c h t S. 4 2 4 ; SK-Hom § 46 R d n . 70 f ; - beim V o r s a t z d e l i k t ü b e r h a u p t f ü r B e s c h r ä n k u n g auf v o m V o r s a t z umfaßte Strafzumessungstatsachen SchönkeSchröder-Stree § 46 R d n . 26. 95 Schönke-Schröder-Cramer § 15 R d n . 35; SchänkeSchröder-Stree § 46 R d n . 2 6 ; Jescheck A T § 29 II 3 b. 95a N a c h d r ü c k l i c h Frisch V o r s a t z passim.

285

8. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

A u t o f a h r e r n berücksichtigt w i r d ; die anderen Verkehrsverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland kennt er noch nicht. — Das erlaubte Risiko folgt also den Regeln normativer Tatbestandsmerkmale (unten 8/48 ff). 45

3. Soweit subjektive Unrechtselemente nicht genuin Bestandteil des — d a n n : den objektiven Tatbestand überschießenden — Vorsatzes sind, müssen sie vom V o r s a t z u m f a ß t sein. D a r a n k a n n es praktisch allenfalls bei solchen Merkmalen fehlen, die nicht auf G r u n d ihrer Gestalt dem Täter sowieso bewußt sind und als z u r H a n d l u n g gehörig erlebt w e r d e n (wie etwa die Absichten der 3. G r u p p e in § 211 Abs. 2 StGB). Als P r o blemfälle verbleiben n u r die affektiv bestimmten Antriebe (etwa Mordlust in § 2 1 1 Abs. 2 , 1 . G r u p p e StGB) (unten 8/95) und die Konstitutions- und Gesinnungsmerkmale (unten 8/97). W ü r d e bei diesen Merkmalen auf ein korrespondierendes Bewußtsein verzichtet, so w ü r d e dem T ä t e r das volle Bild vom T a t u n r e c h t fehlen. Unbewußte psychische Konstellationen, mögen sie auch tiefenpsychologisch als mächtig wirksam erweisbar sein, reichen also nicht a u s 9 6 .

B. Der Vorsatz bei Blankettgesetzen 1. Das Problem 46

Bei einem Blankettgesetz (i. e. ein Rahmengesetz, das durch eine weitere N o r m ausgefüllt wird) ist der Vorsatzgegenstand schwierig zu bestimmen. N a c h einer schuldtheoretisch orientierten Version werden die Tatbestände (nicht die Existenz oder die Rechtsfolge) der ausfüllenden N o r m und der R a h m e n n o r m zu einem Gesamttatbestand addiert, so daß sich der V o r s a t z auf die diesem Gesamttatbestand unterfallenden Merkmale, nicht aber auf den Bestand der Blankettnorm und der ausfüllenden N o r m , erstrecken m u ß 9 7 . Beispiel: N a c h den §§ 38 in V e r b i n d u n g mit 22 BJagdG ist die Jagd auf Wild außerhalb der Jagdzeiten eine Straftat (Blankettgesetz); die Jagdzeiten werden d u r c h die V e r o r d n u n g über J a g d z e i t e n 9 8 (ausfüllende N o r m ) festgelegt, beispielsweise f ü r Rackelhähne vom 1. bis 31. Mai (§ 1 Abs. 1 N r . 14 der V e r o r d n u n g ) . Zum V o r s a t z bei der Jagd auf Rackelhähne zählt nach dieser (und n u r f ü r diese Fallgruppe richtiger) Ansicht die Kenntnis, daß der Mai n o c h nicht angebrochen oder schon vorbei ist; die Meinung, Jagdzeit sei ein a n d e r e r M o n a t 9 9 o d e r eine Beschränkung bestehe ü b e r h a u p t nicht, wäre Verbotsirrtum. — D a sich freilich aus dieser Kenntnis selbst bei h i n z u k o m m e n d e r positiver Kenntnis des Bestands der Blankettnorm keine H a n d l u n g s anweisung f ü r den Einzellfall ergibt (daß es ü b e r h a u p t Jagdzeiten gibt und daß nicht Mai ist, ergibt nicht, daß die Jagd auf Rackelhähne verboten ist), soll sich nach einer vorsatztheoretisch orientierten Version der V o r s a t z auch auf den konkreten Bestand

96 Streitig und in Einzelheiten — wie weit muß auch die Bewertung (etwa der Gesinnung) nachvollzogen werden? — ungeklärt. Daß sich bei den Gesinnungsmerkmalen auf deren objektiven Teil Vorsatz erstrecken muß, ist allgemein anerkannt; Beispiel: Heimtückisch handelt nur, wer weiß, daß er die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers ausnutzt. — Hauptsächlich wie hier: B G H GA 1975 S. 306 ff; Engisch Rittler-Festschrift S. 165 ff, 172; den. Mezger-Festschrift S. 127 ff, 133; Warda Jura 1979 S. 1 ff, 71 ff, 78 f; im Ergebnis auch Scbönke-Schröder-Cramer 515 Rdn. 25 (anders aber $ 15 Rdn. 34: Kenntnis der Gewohnheitsmäßigkeit soll nicht erforderlich sein); siehe auch Roxin Offene Tatbestände

286

S. 108 f; Dreber-Tröndle § 16 Rdn. 19; - einige Äußerungen, daß subjektive Unrechtselemente nicht vom Vorsatz umfaßt sein müßten, beziehen sich nur auf die sowieso zum Vorsatz gehörenden Absichten; so bei Welze!NJW 1953 S. 327 ff, 329 Fn. 14; Hegler Frank-Festgabe Bd. I S. 251 ff, 292. 97 Welze/ Lehrbuch § 2 2 III 1 c (anders aber den. N J W 1953 S. 486 ff; dazu Warda Abgrenzung S. 46 f; Tiedemann ZStW 81 S. 869 ff, 875); LKSchroeder % 16 Rdn. 39 mit einigen Ausnahmen; Jescheck AT § 2 9 V 3; Maurach-Zipf AT I § 2 3 Rdn. 8 f f ; eingehend Warda Abgrenzung S. 36 ff. 98 V o m 2 . 4. 1977,BGBl. I S . 531. 99 O L G Celle N J W 1954 S. 1618 ff.

S u b j e k t i v e r T a t b e s t a n d als V o r s a t z

8. Abschn

der blankettausfüllenden N o r m zu beziehen h a b e n 1 0 0 ; die zum obigen Beispiel genannten Fehlvorstellungen wären dann jeweils ein Tatbestandsirrtum. 2. Die Lösung Zur Lösung ist danach zu differenzieren, was bei Übertretung der Blankettnorm 47 überhaupt bestraft werden soll (siehe schon oben zur zeitlichen Geltung 4/66, 70 ff). a) Geht es nur um den Ungehorsam gegenüber den ausfüllenden Normen, so sind die dem Tatbestand der Blankettnorm und dem Tatbestand der ausfüllenden N o r m unterfallenden Merkmale zu kennen, mehr nicht. b) Geht es aber darum, daß auch der Regelungse//e&i der ausfüllenden N o r m in seinem Bestand gesichert werden soll, so muß dieser Effekt bekannt sein, wenn Vorsatz vorliegen soll; der Effekt ist dann normatives Tatbestandsmerkmal 1 0 1 , wobei dessen Kenntnis häufig einer Verbotskenntnis gleichkommen mag. c) Die Unterscheidung entspricht derjenigen zwischen eher abstrakte Gefährdungen erfassenden Deliktstatbeständen und eher konkrete Gefährdungen oder gar Verletzungen erfassenden Tatbeständen und ist im Grenzbereich zweifelhaft. Jedenfalls gehören alle Blankettgesetze zur zweiten Gruppe, bei denen es um die Absicherung von Rechten geht, die ihrerseits durch die ausfüllenden Normen konstitutiert werden. Die ausfüllenden Normen schaffen dann das Angriffsobjekt und geraten so hinter dessen Rücken in den Tatbestand. Unstreitig ist das für die Eigentumsdelikte: Der Regelungseffekt der §§ 903, 929 ff BGB etc., also die Fremdheit der Sache, muß bekannt sein, nicht nur der Vollzug von Einigung und Übergabe o. ä. Ebenso gehört bei der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) die Kenntnis des Steueranspruchs zum Vorsatz; allein die Kenntnis des Vorgangs, der den Anspruch auslöst, reicht nicht hin (unten 8/56). Beim Ungehorsam (§19 WStG) muß der Befehl in seiner „normativen" Bedeutung erkannt sein 102 . Zur ersten Gruppe gehören hingegen Blankette, bei denen die ausfüllenden Normen auf Verhaltenslenkung abzielen und das Angriffsobjekt nicht erst durch sie geschaffen wird, so daß sie sich auch nicht über das Angriffsobjekt in den Tatbestand „einschleichen" können. Testfrage zur Differenzierung ist, ob aus dem Blankett auch bestraft werden soll, wenn der Täter die ausfüllenden Normen kennt und weiß, daß deren Tatbestand verwirklicht ist, aber nicht begreift, was das Regelungsergebnis ist, wenn also der Ungehorsam als Unrecht hinreicht. Danach dürfte kein Tatbestandsirrtum vorliegen, wenn der Täter nicht weiß, daß die Erlaubnis zur Führung eines Titels an den Besitz einer Verleihungsurkunde gebunden ist 1 0 3 oder daß das Fällen von Bäumen im Stadtbereich zum Schutz des Baumbestands einer Genehmigung bedarf 1 0 4 , ebenso dürfte die Annahme eines Ausnahmefalls von der Wohnraumbewirtschaftung nicht Tatbestandsirrtum sein 1 0 5 . Überhaupt dürften Bewirtschaftungsvorschriften, soweit sie nicht durch Beschlagnahme o. ä. abgesichert sind, nicht über ein durch sie bestimmtes Angriffsobjekt geschützt sein, also zur ersten Gruppe gehören.

100 Lange JZ 1956 S. 73 ff, 75 ; den. JZ 1957 S. 233 ff, 234; Kohlrausch-Lange § 59 Anm. VI; Tiedemann Tatbestandsfunktionen S. 387 ff. — Zur Lösung von Kuhlen siehe unten 8/Fn. 109. 101 Teils im Ergebnis ähnlich Schönke-Schröder-Cramer §15 Rdn. 99 ff; AK-Zielinski §§ 15, 16 Rdn. 52. - Puppe GA 1990 S. 145 ff, 166 ff erkennt nur diese Gruppe an — als sei es dem Gesetzgeber verboten, Ungehorsamsdelikte in Blankettform zu schaffen.

102 Schönke-Schröder-Cramer^ 15 Rdn. 102. 103 B G H 14 S. 224 ff, 227; BayObLG GA 1961 S. 152 f, 153. 104 Siehe OLG Düsseldorf NStZ 1981 S. 444. 105 BGH 9 S. 358 ff, 361 ; a. A. BayObLG GA 1956 S. 90 f; weitere Rechtsprechung bei LK-Schroeder% 16 Rdn. 39.

287

8. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

C. Die normativen Tatbestandsmerkmale als Vorsatzgegenstand 1. Das Problem 48

a) In den Tatbeständen beschreibt das Gesetz ein bestimmtes (a-)soziales Verhalten : Tötung eines Menschen, Zueignung einer fremden Sache, Fälschung einer Urkunde etc. Tatumstand kann nicht nur eine sinnlich-erfaßbare oder gar naturwissenschaftlich experimentell demonstrierbare Begebenheit sein, obgleich dies, etwa bei einzelnen Kausalitäten, auch der Fall sein mag, sondern auch geistiges Sein, teils mit mehr oder weniger deutlichem Bezug auf eine rechtliche oder vorrechtliche Wertung (das Verunglimpfen in § 189 StGB, die Fremdheit einer Sache bei den Eigentumsdelikten). Zudem hängt die Interpretation aller Tatbestandsmerkmale vom Sinn der Regelung ab; selbst wenn die Interpretation durch Benennung eines Arsenals von Vorgängen in der Erfahrungswelt möglich ist, wie ζ. B. beim strafrechtlichen Beginn des Menschseins in der Geburt (arg. § 217 StGB) oder beim Ende des Menschseins mit dem irreversiblen Ende der Hirnfunktion, so ist der Zuschnitt des Arsenals wertend bestimmt; ζ. B. läßt sich rein quantitativ am Hirntoten u. U. mehr an Körperzellen abtöten als an manchem Nicht-Hirntoten, ohne daß dies den Sinn der Tötung eines Menschen hätte. — Bei dieser Lage ist nicht selbstverständlich, was Gegenstand des Verwirklichungsvorsatzes zu sein hat: die erfahrbare Basis eines Tatumstands, seine soziale Bedeutung oder eine Zwischenform.

49

b aa) Im Anschluß an Binding106 und Mezger107 ist heute unbestritten, daß eine bloße Kenntnis des erfahrbaren Substrats einer Tatbestandsverwirklichung zum Vorsatz nicht hinreicht (Kenntnis von tintenbeschriebenem Papier ist nicht schon Kenntnis von einer Urkunde), daß aber auch eine Subsumtion des Geschehenen unter das Gesetz nach Art der richterlichen Subsumtion nicht erforderlich ist. Beispiel: Die Definition einer Urkunde im strafrechtlichen Sinn mag der Täter unbeschadet für seinen Vorsatz nicht kennen, wenn er nur weiß, daß mit dem Objekt eine Erklärung des Ausstellers im Rechtsverkehr belegt werden kann. Es ist eine „parallele Bewertung in der Laiensphäre", besser, eine parallele Beurteilung im Täterbewußtsein 1 0 8 notwendig, aber auch hinreichend 1 0 9 . 106 Normen Bd. III S. 146 ff. 107 Strafrecht§ 441. 108 Welze! J Z 1954 S. 276 ff, 279; es geht nicht stets um juristische Laien, etwa nicht bei der Beurteilung der Nämlichkeit der Sache beim Parteiverrat, § 356 StGB, und auch nicht stets um eine Bewertung; so ist die Kenntnis der Fremdheit einer Sache beim Eigentumsdelikt und bei der Sachbeschädigung Kenntnis einer Rechtslage, die ohne Wertung des Täters beurteilt werden kann; insoweit übereinstimmend Puppe GA 1990 S. 145 ff, 157. 109 Ganz überwiegende Ansicht; Jescheck A T § 29 II 3 a; Maurach-Zipf A T I § 22 Rdn. 49 f ; SchönkeSchröder-Cramer § 15 Rdn. 45; LK-Schroeder § 1 6 Rdn. 43; jeweils mit Nachweisen; — eine Subsumtion nach Art der richterlichen verlangte v. Liszt Strafrecht (bis 21./22. Auflage) § 39. — Wenn Arthur Kaufmann (Parallelwertung S. 40; den. in: Sprache und Wissenschaft S. 9 ff, 20) neuerdings ausführt, die Parallelwertung vollziehe sich „im Richter und nirgendwo sonst", so betrifft das n u r die Ermittlung der Parallelität von Täterbewußtsein und Gesetz. — Schlüchter Irr-

288

tum S. 100 ff geht zutreffend davon aus, daß der Täter regelmäßig nicht vom Detail zum Ganzen voranschreitet, also nicht Tatbestandsplitter zu einem bedeutungshaltigen Geschehen zusammensetzt. Sie will deshalb den Vorsatz nicht auf einzelne Merkmale, sondern in „teleologisch reduzierter Sichtweise" auf die „Verletzungsbedeutung" der Tatbestandsverwirklichung beziehen (S. 116; dies. JuS 1985 S. 373 ff, 375, 527 ff, 530; ebenso Nierwetberg J u r a 1985 S. 238 ff, 241). — Dieses Abstellen auf „Komponenten", die den „Rechtsgüterschutz" betreffen (S. 109 und passim; dies, wistra 1985 S. 43 ff, 44), scheidet schutzbegrenzende, aber tattypisierende Merkmale aus dem Vorsatz aus (anders aber Schlüchter Irrtum S. 116) und bietet auch nur einen höchst ungenauen Bezugsgegenstand für den Vorsatz, da das Abstraktionsniveau des Rechtsguts nicht sicher fixiert werden kann; Beispiel: Geht es beim Urkundenschutz um den Schutz des Rechtsverkehrs, des Beweismittels im Verkehr, ist nach Urkunden mit oder ohne öffentlichen Glauben zu differenzieren etc.? Die Bindung an den Tatbestand läßt sich nicht auflösen, ohne daß der V o r -

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz b b ) D i e negative

8. Abschn

K o n s e q u e n z ist k l a r : E s g e h t n i c h t d a r u m , o b d e r T ä t e r den 5 0

N a m e n v o n T a t b e s t a n d s m e r k m a l e n kennt, s o n d e r n u m die K e n n t n i s d e r S a c h e . D e r Subsumtionsirrtum

h i n d e r t den V o r s a t z nicht. Beispiele : W e r b e w u ß t ein P f e r d „ k i t z l i g "

m a c h t , h a t V o r s a t z d e r S a c h b e s c h ä d i g u n g (§ 3 0 3 S t G B ) , a u c h w e n n er n i c h t a h n t , d a ß im S t r a f r e c h t T i e r e u n t e r den B e g r i f f d e r S a c h e f a l l e n 1 1

wie a u c h Sachbeschädigungs-

v o r s a t z hat, w e r in K e n n t n i s d e r K o n s e q u e n z e n K l e b s t o f f in eine U h r gießt, a b e r meint, d e r R e c h t s b e g r i f f des B e s c h ä d i g e n s e r f o r d e r e eine S u b s t a n z v e r l e t z u n g 1 1 1 .



Wer

w e i ß , d a ß er seinen G e w i n n n i c h t a u s e i n e m W a r e n u m s c h l a g , s o n d e r n a u s d e r A n n a h m e u n d A n l a g e f r e m d e r G e l d e r zieht, weiß, d a ß e r ein K r e d i t g e s c h ä f t b e t r e i b t 1 1 2 . — D e r A n w a l t , d e r w e i ß , d a ß e r bei e i n e m einheitlichen m a t e r i e l l e n R e c h t s v e r h ä l t n i s v e r s c h i e d e n e P e r s o n e n mit u n t e r s c h i e d l i c h e r I n t e r e s s e n r i c h t u n g v e r t r i t t ( e t w a im V e r f a h r e n z w i s c h e n G l ä u b i g e r u n d H a u p t s c h u l d n e r einerseits u n d z w i s c h e n G l ä u b i g e r u n d A u s fallbürgen andererseits), hat T a t b e s t a n d s v o r s a t z bezüglich der N ä m l i c h k e i t der S a c h e beim P a r t e i v e r r a t (§ 3 5 6 S t G B ) , a u c h w e n n e r irrig meint, d e r B e g r i f f sei e n g e r u n d b e s c h r ä n k e sich e t w a a u f ein einzelnes V e r f a h r e n im p r o z e s s u a l e n S i n n 1 1 3 . — D a ß d e r S u b s u m t i o n s i r r t u m den V o r s a t z u n b e r ü h r t läßt, heißt n i c h t , e r k ö n n e n i c h t Q u e l l e eines V e r b o t s i r r t u m s ( § 1 7 S t G B ) sein. cc) U n k l a r ist die positive

B e d e u t u n g d e r P a r a l l e l b e u r t e i l u n g , z u m a l in i h r e r V e r b i n -

d u n g mit e i n e r E i n o r d n u n g d e r T a t b e s t a n d s m e r k m a l e als teils deskriptiv ( T a t s a c h e n k e n n t n i s soll z u m V o r s a t z h i n r e i c h e n ) u n d teils n o r m a t i v (eine p a r a l l e l e B e u r t e i l u n g soll z u m V o r s a t z e r f o r d e r l i c h sein). D i e D i s k u s s i o n h i e r z u ist u n e i n h e i t l i c h v e r l a u f e n und hat wenig e r b r a c h t 1 1 3 a . satz zu dem Wissen verkümmert, daß man in eine gefährliche Richtung agiert. Gegen Schlachtet Steininger JurBI. 1987 S. 205 ff, 287 ff, 289 f; Tischler Verbotsirrtum S. 367 ff; siehe auch unten 11/Fn. 57. — Kuhlen behauptet, die Trennung des RG nach einem vorsatzausschließenden außerstrafrechtlichen und einem den Vorsatz belassenden (und heute nach § 17 StGB zu behandelnden) strafrechtlichen Irrtum liege auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zugrunde (Unterscheidung S. 161 ff) und sei zudem vorzugswürdig; denn es gehe darum, einerseits die „strafrechtliche Definitionsmacht" nicht an die Zufälligkeiten subjektiver Vorstellungen preiszugeben (deshalb kein Vorsatzausschluß beim strafrechtlichen Irrtum), andererseits aber den Bürger vom Irrtumsrisiko eines zunehmend dynamisierten (auf sich häufig wandelnde Normen blankettartig bezogenen) Strafrechts zu entlasten (deshalb Vorsatzausschluß bei außerstrafrechtlichem Irrtum) (S. 33 f, 398 ff, passim). Damit wird nach der „Zeitstruktur" der Normen des BT entschieden : Beziehen sie sich auf einen Regelungskomplex zur Zeit ihres Erlasses, so inkorporieren sie diesen Komplex; der Irrtum über die in bezug genommenen Normen ist strafrechtlich. Beziehen sie sich auf einen Regelungskomplex, wie er zur Tatzeit besteht, so verweisen sie auf Außerstrafrechtliches mit der entsprechenden Folge im Irrtumsfall (S. 413 ff). Der damit gegenüber der üblichen Lehre ausgedehnte Bereich des Vorsatzausschlusses (aber nach hiesiger Ansicht ist eine treffende Parallelbeurteilung trotz Norm-

HO 111 112 113

113a

unkenntnis praktisch nicht möglich), soll beim umgekehrten Irrtum (Überdehnung der in bezug genommenen Normen) freilich nicht zum Versuch führen, sondern zum Wahndelikt (S. 558 ff). — Dieser Lehre ist nicht zu folgen. Zunächst ist die Differenzierung zwischen statischen und dynamischen Anknüpfungen zu grobschlächtig. Zumindest bei Anknüpfungen, bei denen derselbe Gesetzgeber die in bezug genommenen Normen wie auch die strafrechtlichen (Blankett-)Normen verwaltet, kann die Änderung der in bezug genommenen Normen auch als Änderung statisch anknüpfender Strafrechtsnormen verstanden werden. Schwerer wiegt folgendes: Besteht ein Bedürfnis nach Dynamisierung, so muß das Strafrecht das Funktionieren des speziell Dynamischen der Anknüpfung auch garantieren; für den Bürger entstehen dann Informationsobliegenheiten, zumal bei beruflich einschlägigen Normen. Die pauschale Entlastung des Bürgers vom Irrtumsrisiko (eine differenzierte Entlastung leistet § 17 StGB) unterläuft den Zweck der Dynamisierung. R G 3 7 S . 412. RG 20 S. 182 ff, 183. BGH 4 S. 347 ff, 352. BGH 7 S. 17 ff, 22; 18 S. 192 ff, 196 ff; ausführlich mit Nachweisen Welzel JZ 1954 S. 276 ff; ders. JZ 1955 S. 455 f; ders. Strafrecht S 22 III 3 b, § 76 VI 2 a. — Siehe zum Subsumtionsirrtum auch BGH 13 S. 135 ff, 138. Eingehende Dogmengeschichte bei 77scA/er Verbotsirrtum S. 45 ff, 103 ff, 167 ff. 289

51

8. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

Die normativen Tatbestandsmerkmale werden in einer Extremposition auf diejenigen Merkmale beschränkt, die die Rechtswidrigkeit der Tat begründen (nicht nur indizieren). Hauptbeispiel ist die Fremdheit der Sache bei den Eigentumsdelikten. Es geht hierbei um Momente, die in einem Tatbestand, der — anders als nach hiesigem Verständnis (oben 6/59) — bloßer Erkenntnisgrund (nicht Realgrund) der Rechtswid" rigkeit sein soll 1 1 4 , die Rechtswidrigkeit doch real tragen. Diese enge Version der normativen Tatbestandsmerkmale 1 1 5 wurde später — freilich ohne direkte Anknüpfung und bei einem materialisierten Tacbestandsbegriff (Tatbestand als Verbotsmaterie) — in der Diskussion um die speziellen Rechtswidrigkeitsmerkmale oder Rechtspflichtmerkmale wieder aufgenommen 1 , 6 (siehe oben 6/64 f). Im anderen Extrem wurden gemäß der (neukantischen) Einsicht, daß der Wertbezug jedes Tatbestands eine bewertende Auswahl und Begrenzung der Tatbestandsmerkmale bedingt, alle Tatbestandsmerkmale zu normativen Merkmalen deklariert 1 1 7 . Ansätze dieser Lösung haben sich bis in die Gegenwart erhalten 1 1 8 . Ferner gibt es Versuche, die normativen Tatbestandsmerkmale durch den offenen Wertbezug im Begriffsinhalt zu bestimmen, wobei ein Bezug auf rechtliche Regelungen immer als Wertbezug gelten soll 1 1 9 , oder — den Begriff weiter fassend — die normativen Tatbestandsmerkmale durch den Sinn- und Bedeutungsbezug des Inhalts festzulegen. Es geht bei der letzteren Lösung nicht mehr um den Gegensatz zwischen Normierung und Deskription, sondern um den Gegensatz zwischen sinnlicher Wahrnehmbarkeit und geistiger Verstehbarkeit 1 2 0 . 2. Die Lösung a) Die Differenzierung der Merkmale 52

Die konfuse Lage 1 2 0 a läßt sich nicht über einen Begriff des Normativen an sich, sondern nur über die Konsequenzen für Tatbestandslehre und Vorsatz klären 1 2 1 . 114 M. E. Mayer Lehrbuch S. 10: Der Tatbestand als Rauch zum Feuer der Rechtswidrigkeit. 115 N o c h enger (nämlich alle Merkmale sollen deskriptiv sein) KunertMerkmale S. 93. 116 Treffend hierzu Engisch Mezger-Festschrift S. 127 ff, 145. 117 E. Wo//Typen der Tatbestandsmäßigkeit S. 56 ff, 59; ders. RG-Festgabe Bd.V S. 44 ff, 54 ff; eingehend hierzu Engisch a a O S. 138 f; Kunert a a O S. 41 ff. — Die den Wert und das Sein nicht verbindende, sondern als verbunden sehende Perspektive bringt Welzel Naturalismus S. 72 ff, 75; auch hierzu Engisch a a O S. 141. 118 So etwa noch Stratenwerth A T Rdn. 258 ; tendenziell, aber beim Vorsatz differenzierend, auch Baumann-Weber KÏ % 12 II 1 a. 119 So die überwiegende Ansicht; Schönke-SchröderLenckner Rdn. 64 vor § 13; Jescheck AT § 26 IV 2; zum Ganzen mit ausführlichen Nachweisen Engisch aaO. 120 Welzel Strafrecht § 13 I 4; die Terminologie ist von den Irrtumskonsequenzen her zu verstehen : W o nur mehr als bloßes „Hinschauen" Tatbestandskenntnis bringt, spricht Welzel von normatitiven Merkmalen. Dem gleicht die Scheidung in „natürliche" und „institutionelle" Tatsachen bei DarnstädtJuS 1978 S. 441 ff, 443 ff; dazu zutreffend kritisch Köhler Bewußte Fahrlässigkeit S. 312. - Kindhäuser JA 1984 S. 465 ff, 474

290

scheidet nach „natürlichen Eigenschaften", auf die sich deskriptive Tatbestandsmerkmale beziehen sollen, und „konventionalen Eigenschaften" als Bezugsgegenstand der normativen Tatbestandsmerkmale. Neuestens trennt Kindhäuser zwischen nicht vorsatzrelevanter Smnkenntnis und vorsatzrelevanter Wahrheitskerrnxms (GA 1990 S. 407 ff, 411, 413 ff). Aber diese Zweiteilung spart wohl das Problem aus. Beispiel: Nach Kindhäuser soll zur Kenntnis der Eigenschaft eines Buches, pornographisch zu sein, die Kenntnis des Inhalts genügen (aaO S. 408, 410, 419); — aber ein Inhalt ist nur in einem bestimmten sozialen Kontext pornographisch (für Belletristik gelten andere Regeln als für Fachbücher, für GesellSchäften mit gleichberechtigten Geschlechtern andere als f ü r solche, die ein Geschlecht bevorzugen, f ü r Gesellschaften mit rein privater Kindererziehung andere als für solche mit öffentlicher Rücksicht auf Kinder etc.), und um die Kenntnis dieses Kontextes geht es auch. l 2 0 a Eingehende Schilderung bei Schliichter Irrtum S. 44 ff, 65 ff; Puppe Gh 1990 S. 145 ff. 121 Ebenso Maurach-Zipf A T I 5 37 Rdn. 44; siehe auch Engisch Methoden S. 39 ff, 44 ff. — Z u r W i derlegung der Ansichten von Dopslaff GA 1987 S. 1 ff, es gebe keine Konsequenzen, siehe den Text.

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. Abschn

Insbesondere sind die Behauptungen zu überprüfen, zu jeder Tatsachenkenntnis müsse eine Bedeutungskenntnis treten und allein die Bedeutungskenntnis trage den Vorsatz. aa) Alle Merkmale 1 2 2 sind normbegrenzt. Stets wird der Inhalt von tatbestandlichen 53 Begriffen unter dem Aspekt des Regelungszwecks zugeschnitten. Das besagt jedoch nicht, der Täter müsse mehr als das Abgegrenzte, also auch den Regelungszweck kennen 1 2 3 . α) Auf die Kenntnis des Regelungszwecks kommt es dann nicht an, wenn es um Begriffe von naturwüchsigen, auch biologischen, jedenfalls aber nicht sozialen Vorgängen oder Zuständen geht. Solche Begriffe erhalten ihre soziale Relevanz einzig durch den Kontext. Beispiele geben Begriffe ab wie Sache (§§ 242, 246, 249, 303 StGB), beweglich (§§ 242 ff StGB), Frau (§ 177 StGB), Beischlaf (§ 182 StGB), Mutter (§217 StGB), Inbrandsetzen (§§ 306 ff StGB) etc. Soweit das Abgegrenzte nur geistig verstehbar ist, ergeben sich keine Besonderheiten ; Beispiele sind Zahlbegriffe oder der Begriff des Irrtums (§ 263 StGB). ß) In einer weiteren Gruppe, in der es auf die Kenntnis des Regelungszwecks nicht ankommt, geht es um Merkmale, bei denen demonstriert werden soll, der Regelungszweck könne oder dürfe nicht mißdeutet werden. Der Täter, der das Normbegrenzte kennt, ist dann selbst dafür zuständig, eine Bedeutungskenntnis herzustellen; mißlingt die Herstellung, steht er nicht anders da, als wenn sie gelingt. Hauptbeispiel dieser Gruppe ist das Tatbestandsmerkmal Mensch (als Bezeichnung des Opfers, aber auch für andere Rollen) : Zur Kenntnis (etwa) des Beginns und des Endes des Menschseins gehört das Wissen, daß mindestens ein Zustand in der Geburt erreicht wurde und kein völliger Gehirntod eingetreten ist. Irgendwelche Bedeutungen, die diesen Fakten die Wertindifferenz nehmen, müssen nicht gekannt sein 124 . Eine Regelung solcher Art, genauer: eine Interpretation der gesetzlichen Regelung in solcher Art, führt dazu, daß kein Täter entlastend vorbringen kann, er habe sein Opfer nicht für einen Menschen im Sinn eines Gleichen gehalten, sondern zwar biologisch für einen Menschen, aber sozial — etwa — für einen Sklaven von Natur; nicht das Verständnis vom Sozialen entscheidet, sondern dasjenige vom Biologischen. Eine solche Norminterpretation hat praktische Bedeutung für die Sicherung des Grenzbereichs; ein Täter, der — vielleicht sogar plausibel — anders wertet als das Gesetz bei der Bildung des Tatbestands, handelt trotzdem vorsätzlich. Beispiel: Ein Arzt, der einem großhirnlosen Menschen Organe in der Meinung entnimmt, alleinige Stammhirnfunktionen seien kein Indikator menschlichen Lebens, handelt bei bloßer Normbegrenzung des Merkmals Mensch selbst dann vorsätzlich, wenn er nicht einmal wissen könnte, daß auch eine andere Sicht möglich wäre; ginge es nicht nur um Biologisches, sondern um dessen soziale Relevanz selbst, so schlösse die abweichende Wertung des Täters Vorsatz aus. Der Verzicht auf eine Materialisierung des Tatbestandsmerkmals Mensch führt in solchen Fällen zu einer Ähnlichkeit mit abstrakten Gefährdungsdelikten; an die Stelle von Einsicht tritt Gesetzesgehorsam. 122 Man mag die Namen f ü r Individuen und die Zahlen ausnehmen; aber auch dabei kann es als Er gebnis einer Interpretation angesehen werden, daß das Individuum nicht pars pro toto genannt und die Zahl (etwa eine Altersgrenze) nicht eine bloße Verkürzung des gemeinten Materialen (etwa einer reifebedingten Eigenschaft) ist. 123 Ähnlich wie hier Kunert Merkmale S. 90; seine andere Lösung zum Begriff der Sache beruht auf einer Vermengung mit dem Begriff des Beschädi-

12t

gens.- — Falsch dürfte allerdings Kunerts Ausklammerung des Begriffs Mensch sein, die er vornimmt, da mindestens historisch der Begriff anders, etwa ohne die „Wilden", gefaßt gewesen sei. Die Gleichheit wird aber strafrechtlich nicht durch ein den Tatbeständen zu subintelligierendes Merkmal (und dann Vorsatzerfordernis!) garantiert, sondern durch tatbestandliche Nichtberücksichtigungvon Ungleichheiten. Anders wohl Stratenwerth ΑΎ Rdn. 258.

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2. Buch. 1. Kapitel. T a t b e s t a n d s v e r w i r k l i c h u n g d u r c h H a n d l u n g

γ) Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich einzig auf Tatbestandsmerkmale, die in einem engeren Sinn normative Tatbestandsmerkmale sind. 54

bb) Einige Merkmale sind normbezogen. Eine Gruppe von tatbestandlichen Begriffen bezieht sich auf eine soziale O r d n u n g . So setzen Begriffe wie W o h n u n g und Geschäftsraum (§ 123 StGB), Unfall, Geschädigter (§ 142 StGB· 2 4 »), Geld (§§ 146 ff StGB), Vereinigung (§166 StGB), verletzen, beschädigen, zerstören (§§223, 303 StGB 1 2 5 ) einen Kanon verfestigter Erwartungen im sozialen Leben und deshalb soziale N o r m e n voraus, ohne daß aber aus dem Begriff ersichtlich wäre, ob das Recht diese Erwartungen billigt, was auch prompt häufig nicht der Fall ist, etwa bei den Begriffen : Bande (§ 250 Abs. 1 N r . 4 StGB), gemeinschaftlich (§ 223 a StGB), pornographische Schrift (§ 184 StGB) oder Vereinigung (§§ 129 f StGB). — Der Vorsatz muß sich auf das erstrecken, was im Begriff steckt, also auf die Ordnung. Spekulationen über deren Bedeutung sind überflüssig. Beispiel: Pornographische Schriften kennt auch, wer bei deren Verbreitung keine pädagogischen Befürchtungen hegt, sich vielmehr positive Effekte verspricht, die Bedeutung also anders sieht als der Gesetzgeber. — Die Grenze zur folgenden Gruppe verläuft durchaus unscharf.

55

cc) Einige Merkmale sind normgefüllt. Es gibt Merkmale, deren Inhalt einen anderweitig konstituierten, rechtlichen oder außerrechtlichen (informellen) Normbefehl übernimmt. α) Das Merkmal kann den Verstoß gegen eine außerrechtliche N o r m zum Inhalt haben. So ist die Mißhandlung in § 223 StGB u. a. durch den Verstoß gegen die üblichen Regeln sozialen Umgangs definiert, entsprechend die Diebstahlswegnahme bei einem normativen Gewahrsamsbegriff als Verstoß gegen die übliche Zuordnung von Sachgewalt (nicht nur Störung eines Kräfteverhältnisses) 1 2 6 , die Beleidigung bei einem normativen Ehrbegriff als Verstoß gegen die zukommende (nicht nur bestehende) Achtung 1 2 7 etc. Da es darum geht, daß der Täter dem Opfer das diesem Zukommende nimmt oder nicht gewährt, ist Kenntnis der O r d n u n g nötig, aber auch ausreichend; ein subjektiver Nachvollzug der Bewertung oder auch nur eine Anerkennung der Brauchbarkeit der Bewertung sind nicht erforderlich. Beispielsweise hat also auch Mißhandlungsvorsatz, wer einem anderen heimlich Haschisch eingibt und subjektiv überzeugt ist, daß die Einnahme zu einem erfüllten Leben gehört, oder es hat Beleidigungsvorsatz, wer einer Person Promiskuität nachsagt, auch wenn er selbst diese positiv beurteilt, sofern er jeweils nur die anerkannte andere Beurteilung kennt 1 2 8 . Diese Kenntnis kann natürlich randunscharf und laienhaft sein. Jedenfalls geht es nicht um eine Neuwertung oder Nachwertung, sondern um Wertungskenntnis.

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ß) Entsprechend verhält es sich bei Merkmalen, die (den Verstoß gegen) eine rechtliche Z u o r d n u n g zum Inhalt haben. So verweist das Merkmal „fremd" in den Eigentumsdelikten auf die Eigentumsordnung des bürgerlichen Rechts und des Rechts der öffentlichen Sachen. Zum Vorsatz gehört die Kenntnis des dortigen Regelungseffekts, die wiederum randunscharf sein kann. Beispiel: Über die zum Teil recht schwierigen und bestrittenen Eigentumsverhältnisse an wilden Tieren (etwa an Wild in Wildgattern oder in Schlingen 1 2 9 ), dürften nur Spezialisten Bescheid wissen. Für den Vorsatz der Fremdheit bei § 242 StGB wie f ü r denjenigen des fremden Jagdrechts bei § 292 StGB l 2 4 * Unklar OLG Düsseldorf StV 1986 S. 159 f mit kritischer Anmerkung Kuhlen StV 1987 S. 437 ff. 125 Zweifelhaft, jedenfalls das Mißhandeln des § 223 StGB geht über in die folgende Gruppe, siehe dort. 126 Grundlegend WelzelGA 1960 S. 257 ff.

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Welze! Strafrecht § 42 I 1 vor a und a; Hirsch Ehre und Beleidigung S. 29 ff. 128 Ähnlich Kunert Merkmale S. 93 ff, 101 ff; dagegen Schaffstein OLG Celle-Festschrift S. 175 ff, 197. 129 RG 26 S. 218 f ; 29 S. 216 f; 60 S. 273 ff, 275 f.

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. Abschn

genügt gleichermaßen das Bewußtsein, daß das wilde Tier einem anderen „gehört" 1 3 0 . — Nach diesen Maximen muß bei der vorsätzlichen Steuerhinterziehung (§ 370 AO) das Bestehen eines Steueranspruchs gekannt sein 1 3 1 ; bei der Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 170 b StGB) muß der Täter den Unterhaltsanspruch wie seine Leistungsfähigkeit kennen 1 3 2 . Beim Urkundsbegriff (§§ 267,271, 346 StGB) kommt es darauf an, ob bei seiner Definition am Faktum des Vertrauens (dann nur ein normbezogener Begriff) oder an der Legitimität des Rechtsverkehrs (dann normgefüllt) angesetzt wird. Vorsätzlich „ohne (tatbestandsausschließende) Erlaubnis" handelt nur, wer die Erlaubnisbedürftigkeit kennt 1 3 2 a . Zum Vorsatz des Mißbrauchs von Amtsbezeichnungen (§ 132 a Abs. 1 Satz 1 StGB) gehört das Wissen, daß die Bezeichnung für Amtsinhaber reserviert ist 1 3 2 b . — In diese Gruppe gehört auch der Gegenstand der Verwerflichkeit bei der Nötigung und der Erpressung (§§ 240, 253, 255 StGB), seil, die Beschneidung der rechtlich garantierten Freiheit des Opfers durch den Täter 1 3 3 . — Schließlich gehören in diese Gruppe die früher von Welzel sogenannten speziellen Rechtswidrigkeitsmerkmale 1 3 3 3 (Rechtspflichtmerkmale), soweit sie den Unrechtstatbestand betreffen (siehe oben 6/64 f), etwa die Rechtmäßigkeit der Amtshandlung bei § 113 StGB, und die Tätermerkmale der Sonderdelikte: Beamte, Vormünder und als Sondermerkmal auch Eltern werden nämlich u. a. durch die Pflicht definiert, die sie beim Sonderdelikt verletzen (siehe unten zum Versuch 25/43 ff und zur Unterlassung 29/90). Ein Beamter ist eine Person, die u. a. nicht bestechlich sein darf, ein Vormund eine Person, die für das Mündel zu sorgen hat etc. Freilich kann auch hier die Kenntnis des Täters randunscharf sein. b) Die Konsequenzen für die Scheidung von Vorsatz und Unrechtsbewußtsein Die normgefüllten Merkmale übernehmen eine anderweitig konstituierte N o r m . 57 Damit gibt es bei ihnen eine Normwidrigkeit als Tatbestandsvoraussetzung 1 3 4 : Je nach Anknüpfungsart an eine informelle oder an eine rechtliche N o r m kommt bei gegebenem Vorsatz ein Verbotsirrtum praktisch oder gar überhaupt nicht mehr als direkter 130 Binding N o r m e n Bd. III S. 146 ff, 150. 131 B G H 5 S. 90 f f ; O L G Bremen StV 1985 S. 283 ff mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen; Welzel N J W 1953 S. 486 f f ; Franzen-Gast-Samson Steuerstrafrecht § 370 Rdn. 187; Thomas NStZ 1987 S. 260 ff; S c h l ü c h t e r n s ^ 1985 S. 43 ff, 46 ff; Reiß wistra 1986 S. 193 ff; a, A. Meyer NStZ 1986 S. 443 ff und S. 500 f; BayObLG Betrieb 1981 S. 874 ff, 875 (nur die Merkmale, von denen das Bestehen des Anspruchs abhängt, müssen gekannt sein); Warda Abgrenzung S. 47 f; Maiwald Unrechtskenntnis S. 15 ff und passim; siehe dazu Tiedemann ZStW 81 S. 869 ff, 874 f; siehe auch Lüderssen wistra 1983 S. 223 ff. 132 OLG Köln N J W 1981 S. 63 f. 132a Meyer]uS 1983 S. 513 ff, 514 f. 132b Λ. Λ. (diesbezügliche Unkenntnis als Verbotsirrtum) O L G Düsseldorf N J W 1984 S. 2959 f, 2960. 133 Jakobs Peters-Festschrift S. 69 ff, 77 ff; die wucherähnlichen Fälle, die von der überwiegenden Ansicht unter den N a m e n von Nötigung und Erpressung erfaßt werden (hierzu Jakobs a a O S. 69 ff, 71 ff) rechnen zur vorigen Gruppe. — Zur Verwerfung der Lehre von den offenen Tatbeständen zugunsten eines unbestimmt-geschlossenen Tatbestands siehe oben 6/61 ff.

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Nicht hierher gehört die Berufsuntersagung nach § 145c StGB: Die gerichtliche Untersagung ist bereits die N o r m , die durch § 145c StGB nur als strafbewehrte N o r m verstärkt wird („Das gerichtliche Verbot ist strafbewehrt."); nicht aber übernimmt § 145 c StGB das gerichtliche Verbot als Tatbestandsmerkmal (nicht: „Achtet gerichtliche Verbote bei Strafe."). Daß der Tatbestand dabei nur eine höchst abstrakte soziale Störung indiziert (die Berufsausübung ist die TatbestandsVerwirklichung), liegt am Regelungszweck: Es geht um eine bloße Normwidrigkeit ohne weiteren materialen Regelungsgehalt. Der Irrtum über den Bestand des Berufsverbots ist also Verbotsirrtum. Α. A. die überwiegende Ansicht; B G H N S t Z 1989 S. 475 (mit kritischer Anmerkung Dölp a a O S. 475 f) mit Nachweisen. 134 Das berücksichtigt Haft JA 1981 S. 281 ff, 283 ff nicht, der meint, einen „gegenstandsbezogenen" von einem „begriffsbezogenen" Irrtum trennen zu können: Aber der Begriff kann schon im Gegenstand stecken; — kritisch zu Haft auch Tisch/erVerbotsirrtum S. 336 ff.

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Irrtum in Betracht 1 3 4 *, sondern nur noch als Irrtum über die Geltung oder den Umfang eines Rechtfertigungsgrunds; bei Tätermerkmalen der Sonderdelikte ist auch ein Irrtum über beiläufige Pflichten möglich 1 3 5 . Beispiel: Das Verständnis der rechtlichen Regelung der Fremdheit bei den Eigentumsdelikten ist ohne Verständnis der Rechtszuständigkeit des Eigentümers und des Verbots, den Berechtigten zu stören, nicht zu leisten. Abgeschwächt gilt das auch für die normbezogenen Merkmale; die Kenntnis der Störung rechtlich gebilligter Erwartungen ist Kenntnis der materiellen Rechtswidrigkeit, ebenso die Kenntnis der Erfüllung rechtlich mißbilligter Erwartungen. c) Irrtumsprobleme 58

aa) Es ist zu unterscheiden, ob der Täter die Beurteilung vor ihrem Substrat kennt (α) oder nur mit Hilfe des Substrats die Beurteilung erschließen kann (ß und γ). α) Zur Kenntnis einer Ordnung oder Zuordnung kommt der Täter nicht stets über die Kenntnis des Substrats; Beispiel: Wie fremdes Eigentum entstanden ist, weiß man selten; daß es entstanden ist, weiß man hingegen in der Regel; falsche Spekulationen über den Entstehungsgrund hindern den Vorsatz nicht. So liegt Vorsatz vor, wenn der Täter meint, er stehle dem Eigentümer eine ererbte Sache, während in Wirklichkeit diese Sache nicht per Erbgang, sondern durch die Erfüllung eines Vermächtnisses erworben wurde. Oder: Ob eine echte Urkunde, die der Täter verfälschen will, eigenhändig oder legitimiert fremdhändig (per „Geistigkeit") entstanden ist, ist für den Fälschungsvorsatz bedeutungslos, wenn es sich um Rückschlüsse des Täters aus der sowieso gekannten Echtheit handelt. Jedenfalls liegt Vorsatz vor, wenn der Täter bei Kenntnis des Tatumstands über den Entstehungsgrund falsch mutmaßt.

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ß) Der Schluß aus einem ungeeigneten Substrat auf den Tatumstand ergibt keinen Vorsatz, und zwar auch dann nicht, wenn der Schluß aus anderen Substraten angemessen wäre (beim „doppelten" Irrtum hebt nicht ein Irrtum den anderen auf). Beispiel zu den normbezogenen Merkmalen: Wer eine Schrift wegen ihres atheistischen Gehalts für pornographisch hält, deren grob sadistische Tendenz jedoch nicht kennt, hat keinen Vorsatz. Beispiele zu den normgefüllten Merkmalen: Wer den Erben für einen Vermächtnisnehmer hält, diesem aber durch die irrige Annahme eines Vindikationslegats (i. e. ein unvermittelt Eigentum verschaffendes Vermächtnis) Eigentum zuordnet, hat keinen Vorsatz bezüglich dieses Eigentums; denn es ist nicht Zweck der Eigentum schützenden Normen, Forderungen als Eigentum zu schützen 1 3 6 . Nimmt ein Neffe 134a

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Insoweit zutreffend Arthur Kaufmann LacknerFestschrift S. 185 ff, 190 f f ; a. A. Puppe G A 1990 S . 145 ff, 157 f m i t F n . 24, S. 162 ff. Siehe Baumann Welzel-Festschrift S. 533 ff mit zahlreichen Beispielen; LK-Schroeder § 16 Rdn. 46. Zweifelhaft also B a y O b L G N J W 1963 S. 310 mit der Annahme von vollendeter Unterschlagung in folgendem Fall: D e r T ä t e r meint, man werde auch ohne besondere Vereinbarung stets erst mit voller Bezahlung Eigentümer einer gekauften S a che; den bestehenden Eigentumsvorbehalt kennt er nicht. — S 246 S t G B unterläuft auch dann nicht das Abstraktionsprinzip, wenn der T ä t e r dieses nicht kennt. Freilich kann die Unkenntnis d a z u führen, daß der T ä t e r eine Ubereignungserklärung als konkludent durch volle Bezahlung bedingt ansieht. D a eine solche Gestaltung rechtlich zulässig wäre, kennt der T ä t e r dann den bestehenden Eigentumsvorbehalt. — In der U m k e h -

rung kann die Unkenntnis des Abstraktionsprinzips d a z u fuhren, daß der T ä t e r einer Verpflichtungserklärung irrtümlich zugleich den Inhalt einer V e r f ü g u n g s e r k l ä r u n g beilegt: D a eine solche Kombination wiederum nach geltendem Recht zulässig wäre, ist diese vorgestellte E r k l ä r u n g geeignetes Substrat einer Übereignung. Wie das B a y O b L G Schliichter Irrtum S . 121 f ; sachlich ebenso Puppe G A 1990 S. 145 ff, 155 f, aber anders für „gesamttatbewertende Merkmale" S. 170 ff und „Wertprädikate" S. 174 ff, bei denen die Kenntnis der „tatsächlichen G r u n d l a g e " — ohne Parallelbeurteilung! — hinreichen soll; ähnlich Kuhlen Unterscheidung S. 494 f f ; Jescheck A T § 5 0 112 mit weiteren N a c h w e i s e n ; hauptsächlich gegen die „ A u f r e c h n u n g " der Irrtümer wie hier Haft J u S 1980 S . 430 ff, 588 f f ; siehe auch SteiningerJurBl. 1987 S. 205 ff, 287 ff, 301 ff.

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irrig an, wenn er die Lagerhalle seines Onkels anzünde, habe dieser — auch wenn es an einer Kollusion fehle — keinen Anspruch aus der Brandversicherung, so handelt er nicht in betrügerischer, sondern in wahndeliktischer Absicht (zu § 265 StGB). — Dazu auch unten 25/42. γ) Schließt der Täter aus einem an sich geeigneten Substrat auf den Tatumstand, so 6 0 liegt Vorsatz vor; besteht der Tatumstand freilich mangels Substrats nicht oder nur wegen eines anderen Substrats, so bleibt es beim Versuch; Beispiel: N u r ein versuchter Diebstahl liegt beim Diebesgriff des Schmuckfabrikanten vor, der meint, gesehen zu haben, wie der Prokurist einem Käufer Rohdiamanten veräußerte, während in W a h r heit ein Diamantenlieferant sein Vorbehaltseigentum zurückforderte. Anders verhält es sich aber, wenn der Täter nicht aus dem Substrat auf die Rechtsfolge (auf den Tatumstand) schließt, sondern den Tatumstand aus allgemeinen Erwägungen kennt und über das Substrat spekuliert (so bei der oben eingangs genannten Fallgruppe). Insgesamt gilt, daß der Vorsatz so unteilbar ist, wie das Unrechtsbewußtsein unteilbar ist 1 3 7 . bb) Wer bei zutreffender Verbindung von Substrat und Folge meint, auch andere, 61 objektiv ungeeignete Umstände würden die Folge auslösen, hat nur Vorsatz, wenn sein Irrtum nur Randfälle betrifft. Beispiel: Der Begriff des Eigentums wird nicht dadurch falsch, daß der Täter irrig und ohne Bezug zum konkreten Verhalten meint, ein Vermächtnisnehmer erwerbe unvermittelt Eigentum, oder daß der Täter etwa vom Erwerb in öffentlichen Versteigerungen keine Ahnung hat. Ein richtiger Begriff vom Eigentum fehlt aber, wenn der Täter meint, es handele sich beim Eigentum um ein Recht, das u. a. auch von jedem Dieb durch den Diebesgriff erworben werde; in solchen Fällen fehlt eine hinreichende Kenntnis des Regelungseffekts. Zu aa) und bb); Regel: Eine zu strenge Parallelbeurteilung und das Fehlen einer 6 2 Parallelbeurteilung belasten nie. — Siehe auch unten zum Versuch 25/43 ff, dort auch zum Umkehrprinzip, und zur subjektiven Seite bei der Rechtfertigung 11/39 ff.

D. Die Kausalität als Vorsatzgegenstand Der Vorsatz muß auch die Kausalität der H a n d l u n g f ü r den Erfolg umfassen. 6 3 Freilich ist teils diffizil zu bestimmen, ob und in welchem Maß sich der Vorsatz auch auf den Verlauf zum Erfolg und auf den Erfolg in seiner konkreten Gestalt beziehen muß. — Im Ergebnis muß der Täter das Risiko kennen, das sich verwirklicht, nicht aber den konkreten Verlauf, durch den es sich verwirklicht. 1. Die Verwirklichung des gesehenen Risikos a) Grundsatz: Übertragung der Regeln der objektiven Zurechnung aa) Was zunächst bei konstantem Erfolg die Abweichung des objektiven Kausalver- 6 4 lauf s vom subjektiv vorgestellten Kausalverlauf angeht, so herrscht Einigkeit darüber, daß nicht jede Detaildifferenz zwischen subjektiver und objektiver Lage es ausschließt, den Erfolg als vorsätzlich herbeigeführt zuzurechnen. N a c h üblicher Formulierung soll nur eine wesentliche Abweichung vorsätzliche Vollendung hindern, wobei die Wesentlichkeit danach bestimmt wird, ob die Abweichung vom Vorstellungsbild des Täters ausgehend noch adäquat ist 1 3 8 (oben 7/31 ff). Eine neuere Lehre, die auf PrinziKonsequent anders von der Teilbarkeit des Unrechtsbewußtseins aus deshalb auch Hirsch hehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen S. 229. RG 51 S. 306 ff, 311; 70 S. 257 ff, 258; RG H R R 1939 N r . 395; O G H 2 S. 63 ff, 64 (dazu Jescheck AT § 29 V 6 b); B G H 1 S. 278 ff, 279; 7 S. 326 ff,

329; 9 S. 240 ff, 242; 10 S. 313 ff; 14 S. 193 ff, 194; 23 S. 133 ff, 135; Welzel Strafrecht § 13 I 3 d vor α ; Baumann-Weber A T § 2 6 II 4 b ß ; Maurach-Zipf A T I § 23 Rdn. 27 ff; Driendl GA 1986 S. 253 ff, 265 ff für Kausalverläufe, die objektiv prognostiziert werden können. — Stärker

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pien zurückgreift, die zur objektiven Zurechnung entwickelt wurden, bestimmt — höchst präzisierungsbedürftig — die Wesentlichkeit danach, ob der konkrete Verlauf noch eine Realisierung des vom Täter vorsätzlich gesetzten Risikos ist 139 . Es handelt sich um Fälle der Art, daß der Täter sein Opfer von einer Brücke in einen Fluß werfen will, damit es ertrinke, das Opfer aber auf einen Eisbrecher vor einem Brückenpfeiler aufprallt und dadurch getötet wird (keine vorsätzliche Vollendung 1 3 9 3 , streitig), oder aber daß der Täter das Opfer erschlagen will, dieses jedoch an einer schweren Infektion der großen Wunde stirbt 140 (vorsätzliche Vollendung) etc. 1 4 1 . 65

bb) Daß die Lösung nicht über die Adäquanz des Verlaufs gefunden werden kann, folgt aus dem Ergebnis der oben zur objektiven Zurechnung ausgeführten Kritik an der Adäquanztheorie. Es ist deshalb — unter Preisgabe aller Verbindungen zur Adäquanz des Verlaufs — mit der neueren Lehre bei dem vom Täter vorsätzlich gesetzten Risiko anzusetzen und die Verwirklichung dieses Risikos zu prüfen. Der Gang dieser Prüfung erfolgt entsprechend der Prüfung einer Risikoverwirklichung bei der objektiven Zurechnung (oben 7/72 ff). Eine vorsätzliche Erfolgsherbeiführung liegt dann vor, wenn das vom Täter vorsätzlich geschaffene Risiko (allein oder zusammen mit einem anderen Risiko) den Schadensverlauf erklärt (zum Begriff der Erklärung oben 7/72). Wie zur objektiven Zurechnung ist zur Ermittlung dieser Erklärung das Verhalten des Täters zum angegriffenen Objekt in einzelne unerlaubt oder erlaubt riskante Beziehungen zu zerlegen, wobei im hiesigen Bereich insbesondere die Fallkonstellation möglich ist, daß der Täter mehrere unerlaubt riskante Beziehungen schafft, diese aber nur teils als riskant erkennt. Wie es bei der objektiven Zurechnung nicht allein darauf ankommt, ob ein unerlaubt riskantes Verhalten den Erfolg bedingt, so kommt es bei der Zurechnung als vorsätzliche Tat nicht allein darauf an, ob eine vorsätzlich geschaffene riskante Beziehung eine Erfolgsbedingung ist; der Erfolg muß vielmehr wegen des vorsätzlich geschaffenen Risikos und nicht nur gelegentlich dieses Risikos eintreten ,41a . subjektiv Hruschka A T S. 12 f (die Wesentlichkeit sein, daß ein Verlauf stattfindet; was etwa nach soll sich nach dem Standpunkt — nicht nur: V o r einer Giftinfektion bis zum Ende geschieht, mag stellungsbild — des Täters bestimmen). den Täter nicht interessieren : deshalb kein V o r 139 AK-Zielinski %% 15, 16 Rdn. 59 f; SK-Rudolphi satz? § 1 6 Rdn. 31; Stratenwerth A T Rdn. 276; Je- 139a Α. A. Frisch Verhalten S. 610 mit Nachweisen. scheck A T § 29 V 6 b; Jakobs Studien S. 89 ff; 140 RG 70 S. 257 ff, 258 ff. Wolter ZStW 89 S. 649 ff, 680 f, 703; ders. Ob141 Bekannt ist auch der von H.Mayer JZ 1956 jektive und personale Zurechnung S. 27 f, 127 ff, S. 109 ff, 111 gebildete Fall: Ein Kind wird vom 357 ; ders. in : Grundfragen S. 103 ff, 112 ff (stärPonte Rialto in den Canale Grande geworfen, wo ker objektivierend, als es hier geschieht; dagegen es nicht wie erwartet ertrinkt, sondern von einem Armin Kaufmann Jescheck-Festschrift S. 251 ff, überraschend auftauchenden Hai zerrissen wird. 261 f f ) ; wohl auch Schmidhäuser AT 10/44 in 1 4 1 a Frisch Verhalten S. 588 ff, 606 ff wendet hiergeVerbindung mit 10/41; siehe auch BayObLG gen ein, es genüge, wenn der Täter das Verhalten VRS 64 S. 368 f. — Nach LK-Schroeder % 16 in seiner „normativ relevanten Dimension" erfaßt Rdn. 20 soll es auf die „dem Täter bekannte konhabe; die einzelnen Verlaufsvarianten seien dann krete Erfolgstauglichkeit der Handlung" ankom„naturalistische Ausprägungsfälle ein und desselmen; auch ders. GA 1979 S. 321 ff, 327 f; freilich ben normativen Sachverhalts". Unstimmigkeiten ist der Schluß aus der Tauglichkeit eines Risikos entstehen bei dieser Lösung schon, wenn ein auf seine Verwirklichung nicht gesichert. — quantitativ größerer Erfolg eintritt, als der Täter Herzberg ZStW 85 S. 867 ff, 886 ff (anders ders. voraussah; Frisch will dann das zurechenbare JA 1981 S. 369 ff, 470 ff) will Abweichungen unQuantum auf das vorgesetzte Maß beschränken, berücksichtigt lassen, solange sie im Rahmen des — Aber wieso nicht auf die VerwirklichungsMitbewußtseins liegen. Das versagt schon bei simweise? Die Täterentscheidung ist entweder auf die plen Alltagsfällen: Die — je nach Detaillierung — erklärenden Umstände bezogen (dagegen Frisch nahezu grenzenlosen Verlaufsvarianten etwa eia a O S. 592), oder sie ist eine normative Konnes Schusses in die Brust eines Menschen mit T o struktion (was axiologisch vorzugswürdig sein desfolge können unmöglich auch nur in wesentlimag, aber de lege lata durch § 16 Abs. 1 Satz 1 chen Teilen mitbewußt sein. Zudem mag einem StGB ausgeschlossen wird), uninteressierten Täter überhaupt nur mitbewußt

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Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

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cc α) Ein Risiko, das sich der Täter nur vorstellt, weil er abergläubisch oder sonst 65a nicht verständig denkt, kann sich nicht verwirklichen. Damit scheidet insoweit Vollendung aus. Versuch wäre nur dann möglich, wenn eine solche Risikovorstellung des Täters einen tatbestandlicben Vorsatz bildete, wenn sich also die Tatbestände auch auf nicht verständige und deshalb in der verständigenden Kommunikation irrelevante Risiken bezögen. Da aber Tatbestände nur sozial relevante Störungen erfassen, fallen solche Vorstellungen als Tatbestandsvorsätze aus. Das Problem wird beim Versuch genauer behandelt (unten 25/22 f); es geht freilich nicht um ein spezifisches Versuchsproblem, sondern um ein Problem des Vorsatzgegenstandes. ß) Der Vorsatzgegenstand ist partiellmchi tatbestandlich, wenn der Täter die Größe eines Risikos aufgrund kommunikativ irrelevanter Umstände überschätzt. Beispiel: Wer bei einem Schuß auf eine sehr entfernte Person einen Treffer aufgrund eines innigen Gebets (oder einer albernen Trefferstatistik) für sicher hält, hat subjektiv eine sichere Vorstellung, aber diese ist partiell — eben in dem Maß, in dem sie durch unverständige Vorstellung bestimmt wird — keine tatbestandsmäßig relevante Vorstellung. — Verkennt der Täter eine bei verständigem Urteil gegebene Gefahr und nimmt zugleich eine kommunikativ irrelevante Gefahr an, so handelt er allenfalls fahrlässig, da der Gegenstand seines Vorsatzes wiederum nicht eine Tatbestandsvcrw'\rV\\ch.un% ist. Beispiel: Der aus „Dreck und Feuer" zusammengebraute Schadenstrank enthält — was der Täter nicht bedenkt — krankheitserregende Keime. γ) Die Entscheidung ist schwieriger, wenn der Täter ein aufgrund verständiger Annahmen vorgestelltes Risiko wegen kommunikativ irrelevanter Annahmen für paralysiert hält. Soweit der verständige und der unverständige Teil getrennt werden können, bleibt wohl eine Kenntnis von der Verwirklichung des Tatbestands (zweifelhaft). Beispiel : Arsen, dessen gesundheitszerstörende Wirkung dem Täter bekannt ist, gibt dieser nach einigen Zaubereien seiner Angebeteten als vermeintlich gesundheitsförderndes Aphrodisiacum : Vergiftung (siehe auch zum Rücktritt unten 26/23). Meist werden sich freilich Verstand und Unverstand untrennbar verschlingen. b) Einzelheiten aa) Ob sich das vom Täter erkannte Risiko verwirklicht, hängt nicht von den 6 6 Vorstellungen des Täters davon ab, wie es sich verwirklichen werde; der Täter mag falsche Vorstellungen haben, wie selbst Fachleute teils falsche Vorstellungen von V o r gängen auch auf ihrem Fachgebiet haben, etwa Pharmazeuten von der Wirkungsweise pharmazeutischer Mittel; der Täter mag auch überhaupt keine Vorstellungen haben 141 · 3 . Beispiel: Ob ein Stoff, den der Täter als tödliches Gift kennt und dem Opfer eingibt, entgegen den Erwartungen des Täters, oder ohne daß der Täter über die Wirkungsweise nachgedacht hätte, den Magen verätzt, so daß das Opfer innerlich verblutet, oder zur Atemlähmung führt, ist gleichgültig, sofern es sich nur um die Verwirklichung des Risikos dieses Gifts handelt. Vorsatzgegenstand ist nicht ein konkreter Verlauf, sondern die Verwirklichung eines Risikos 1 4 2 . bb) Entsprechend der Lage bei der objektiven Zurechnung lassen sich auch bei der 67 Zurechnung als vorsätzliche Tat diejenigen Fallgestaltungen ohne größere Wertungsprobleme entscheiden, in denen das erkannte Risiko ein nicht erkanntes Risiko auslöst, aber auf dessen weitere Entwicklung ohne Einfluß bleibt. So kann sich etwa der Täter gelegentlich eines erkannten Erfolgsrisikos zusätzlich auch noch unerkannt riskant 141b fri;Ct, Verhalten S. 586 f, 609. 142 Ähnlich, freilich von der Adäquanztheorie her ar-

gumentierend, Krümpelmann Beiheft ZStW 1978 S. 6ff,25.

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8. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

verhalten. Fällt etwa bei einer Operation unter klinischen Bedingungen das Operationsbesteck dem Patienten mit einer Verletzungsfolge auf ein Bein, so ist diese Verletzung allenfalls fahrlässig herbeigeführt; denn nicht das vorsätzlich geschaffene (erlaubte oder, bei fehlender Einwilligung oder Indikation, unerlaubte) Risiko der Operation erklärt den Verlauf, sondern das gelegentlich dieses Risikos geschaffene weitere, nicht erkannte Risiko des unvorsichtigen Umgangs mit scharfen oder spitzen Gegenständen. — Zu diesem Bereich gehören auch diejenigen Fallgestaltungen, in denen der Täter ein Risiko zu weit, also durch zu wenige Bedingungen definiert. Beispiel : Der Täter meint, für Kleinkinder seien alle Pilze giftig, und serviert dem Kind eine Portion Dosenchampignons, die — erkennbar oder unerkennbar — verdorben sind; — keine vorsätzliche Körperverletzung oder Tötung, da das gesehene Risiko keine unerlaubt riskante Beziehung ist; das verwirklichte Risiko wird hingegen nicht gesehen (liegt das verwirklichte Risiko auch noch im Rahmen des Erlaubten, fehlt schon die objektive Zurechnung). 68

cc α) Schwieriger ist die Entscheidung der Fallgestaltungen, in denen der Täter das Risiko zu eng, also durch zu viele Bedingungen definiert. Zur Lösung ist zunächst zu berücksichtigen, daß von jedem Menschen Risiken im alltäglichen Leben üblicherweise als ein Bündel teils kumulativ und teils alternativ notwendiger Bedingungen erfahren werden; daß Details austauschbar sind, gehört zur üblichen Risikodefinition dazu. Was ein Täter als Risiko erkennt, hängt entsprechend davon ab, wie die Fälle gestaltet waren, an denen er die Erfolgseignung selbst gelernt hat, oder — wohl häufiger — die Fälle, die eine dem Täter vermittelte Erfahrungstradition und damit das vom Täter angewendete Risikomodell gebildet haben. Beispiel : Daß ein unkontrolliertes Einstechen auf einen Menschen tödlich ausgehen kann, mag an der Verletzung lebenswichtiger Organe, am Blutverlust, an einer Infektion durch Verschmutzungen des Tatmittels oder an einer Infektion durch erhöhte Anfälligkeit wegen der körperlichen Schwächung liegen u. a. m.; je nach der Variante bilden andere Bedingungen das Risiko: Einmal muß ein Organ getroffen werden, das andere Mal eine wichtige Ader, die Wunde muß infiziert werden oder es muß zu einer interkurrenten Krankheit kommen etc. In der Regel wird ein Täter diese Risiken aber nicht auseinanderhalten; dann erkennt er die generelle Gefahr des Zustechens.

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ß) Zur Erfahrungstradition kann auch gehören, daß ein Verlauf gefährlich bleibt, wenn er die anvisierte Stelle verfehlt. Kraß: Auf das Herz eines Menschen zu schießen, ist nicht nur als tödliches Handeln bekannt, weil man manchmal genau trifft. Deshalb verwirklicht sich die gekannte Gefahr auch noch, wenn das Objekt an einer anderen Stelle getroffen wird 1 4 3 . — Häufig wird zweifelhaft bleiben, welches Risikomodell dem Täter vor Augen gestanden hat. Jedenfalls wäre es verfehlt, entsprechend der oben verworfenen Lösung über die Adäquanz dem Täter alles das als Risikokenntnis anzudichten, was ein besorgter Mensch als Risiko erkannt hätte 144 . So mag ein in plötzlicher Erregung zuschlagender Täter überhaupt nur das Risiko kennen, daß seine Faust den Körper des Opfers trifft, während bei einem längeren Kampf auch das Risiko, daß sich das Opfer bei Ausweichversuchen oder bei einem Sturz verletzt, also das Risiko der ganzen Situation, gesehen werden mag. Da der Vorsatz vom Gesetz als psychisches

143 Siehe LK-Schroeder § 16 Rdn. 11 mit zutreffendem Hinweis auf die Notwendigkeit einer Begrenzung: Bei einer Attacke auf eine Fensterscheibe liegt nicht jede Stelle einer breiten Gebäudefront in dem Bereich, dessen potentielle Beschädigung in die Risikodefinition der Handlung eingegangen ist. Zu eng ist freilich die Beschrän-

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kung Schroetters zu § 225 StGB auf die erkannte schwere Folge (zutreffend weiter OLG Bremen MDR 1959 S. 777 f); siehe ferner Backmann JuS 1971 S. 113 ff, 118; Schmidbauer AT 10/47; Herzherg]K 1981 S. 369 ff, 470 ff, 472. 144 Ganz uferlos BGH bei Daliinger M D R 1975 S. 22.

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. Abschn

F a k t u m festgeschrieben ist, darf nicht anläßlich eines erkannten R i s i k o s jedes erkennb a r e Risiko dem erkannten gleichgestellt werden. dd) Wirkt auf den V e r l a u f des v o m T ä t e r erkannten R i s i k o s ein weiteres — erkenn- 7 0 bares oder nicht erkennbares, jedenfalls nicht aktuell erkanntes — R i s i k o ein, s o k o m m t es d a r a u f an, ob die E i n w i r k u n g das e r k a n n t e R i s i k o v e r d r ä n g t (keine vorsätzliche E r f o l g s b e w i r k u n g ) oder nur relative Begleitumstände variiert (vorsätzliche E r f o l g s b e w i r k u n g ) . D i e G r e n z e zwischen Risikoverwirklichung und bloßer V a r i a t i o n relativer Begleitumstände ist wie die G r e n z e im Bereich der objektiven Z u r e c h n u n g zu ziehen (oben 7 / 8 2 ) : D a s v o m T ä t e r erkannte R i s i k o verwirklicht sich, wenn es z u r E r k l ä r u n g des konkreten V e r l a u f s notwendig ist. U m d a s zu ermitteln, sind die Beding u n g e n des erkannten R i s i k o s so variiert z u denken, daß der T ä t e r sie nicht mehr als riskant erkennt. A n d e r n sich bei dieser variierten L a g e g e g e n ü b e r dem konkreten V e r l a u f allenfalls U m s t ä n d e , v o n denen die E n t t ä u s c h u n g des O p f e r s nicht a b h ä n g t , also relative Begleitumstände (oben 7 / 1 6 ) , s o hat sich d a s erkannte R i s i k o nicht verwirklicht, ansonsten wohl. Eine Risikoverwirklichung liegt natürlich i n s b e s o n d e r e v o r , wenn bei jeder V a r i a n t e der E r f o l g ü b e r h a u p t ausbleibt. Bei der V a r i a t i o n ist zu berücksichtigen, daß die Bedingungen eines R i s i k o s üblicherweise (anders etwa in wissenschaftlichen Experimenten) nur so g r o b bestimmt werden, wie alltägliche E r f a h r u n g r a n d u n s c h a r f ist; entsprechend kann sich die V a r i a t i o n auch nur auf M e r k m a l e beziehen, die m a n im praktischen Leben h i n z u f ü g t o d e r wegläßt, nicht a b e r auf nur theoretisch o d e r allenfalls im wissenschaftlichen E x p e r i m e n t isolierbare M e r k m a l e . Freilich ist es gleichgültig (wiederum entsprechend der L a g e bei der objektiven Z u r e c h nung), ob der T ä t e r in j e d e m Einzelfall die V a r i a n t e vollziehen k ö n n t e ; denn es geht nicht um die B e r ü c k s i c h t i g u n g hypothetischer K a u s a l i t ä t , s o n d e r n um die Bildung einer H y p o t h e s e z u m Z w e c k der Ermittlung einer realen Risikoverwirklichung. Ein Beispiel bildet der schon a n g e f ü h r t e Fall eines Infektionstods statt eines erwarteten T o d s an Blutverlust o. ä. K a n n m a n eine V a r i a n t e bilden, in der die W u n d e so g e r i n g f ü g i g ist, daß der T ä t e r sie nicht mehr f ü r tödlich gehalten hätte u n d ändern sich dann ohne Beeinflussung der R e t t u n g s c h a n c e n allenfalls der T o d e s z e i t p u n k t in geringf ü g i g e m M a ß o d e r die V e r l a u f s a r t der Infektion o d e r der S t e r b e o r t o. ä., s o geht es um D i f f e r e n z e n , v o n denen die E n t t ä u s c h u n g des O p f e r s nicht abhängt, also um relative Begleitumstände, und das v o m T ä t e r erkannte R i s i k o hat sich nicht verwirklicht (wobei d a s verwirklichte R i s i k o s o g a r nicht einmal objektiv z u r e c h e n b a r sein m a g ) . E i n e Risikoverwirklichung liegt aber vor, wenn bei einer kleineren W u n d e die Infektion b e h e r r s c h b a r o d e r d a s Leben immerhin nennenswert zu verlängern gewesen w ä r e n o. ä. Z u r A b g r e n z u n g : D a s vergiftete O p f e r erbricht im T o d e s k a m p f u n d erstickt; — 7 1 Risikoverwirklichung, weil im alltäglichen L e b e n zwischen einer V e r g i f t u n g bis scharf an den R a n d des T o d e s und bis hin z u m T o d selbst nicht differenziert w e r d e n k a n n . Bei größeren D i f f e r e n z e n w ä r e aber der E r f o l g ü b e r h a u p t ausgeblieben. — A b e r : D a s vergiftete O p f e r will wegen des üblen G e s c h m a c k s den M u n d ausspülen, stürzt z u m W a s c h b e c k e n , fällt und erleidet einen S c h ä d e l b r u c h ; — keine Risikoverwirklichung, weil man im alltäglichen Leben auch über ü b e l s c h m e c k e n d e S u b s t a n z e n verfügt, die nicht giftig sind. — G r e n z f a l l : D a s vergiftete O p f e r torkelt b e n o m m e n , stürzt und sein S c h ä d e l bricht. — Die G r e n z e kann also niemals exakter bestimmt w e r d e n , als im alltäglichen Leben E r f o l g s b e d i n g u n g e n g e h a n d h a b t w e r d e n , und auch niemals exakter, als sich nicht enttäuschende relative Begleitumstände v o n enttäuschungsrelevanten V e r l a u f s ä n d e r u n g e n unterscheiden lassen.

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8. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

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ee) H a t der Täter das sich verwirklichende Risiko erkannt, so ist gleichgültig, ob der Verlauf zum Erfolg häufig oder nur vereinzelt vorkommt. Beispiel : Der mit Tötungsvorsatz durch einen Stich mit einem nicht desinfizierten Messer schwer Verletzte stirbt an einer wegen des Ausmaßes der Verletzung nicht beherrschbaren Infektion, die freilich durch die Verschmutzung des Messers mit einem extrem seltenen Erreger verursacht w u r d e 1 4 5 ; — der seltene Erreger steht dem wirkungsgleichen (!) häufigen Erreger so gleich, wie die jeweiligen (je höchst seltenen) Einzelexemplare einer Spezies gleich stehen.

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ff) Sind die vorgesetzte und die eingetretene Verletzung nicht von gleicher Quantität, so wird mindestens und höchstens das gesehene Quantum als vorsätzlich zugerechnet; tritt weniger ein, so bleibt die Handlung partiell Versuch; tritt mehr ein, so kommt zur vorsätzlichen Vollendung eine unvorsätzliche Erfolgsherbeiführung hinzu 1 4 6 .

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gg) Soweit sich das vom Täter gesehene Risiko verwirklicht, es aber f ü r den Bestand des Erfolgs ohne Bedeutung ist, gelten die Ausführungen zur Strafrahmenmilderung wegen hypothetischer Erfolgsursachen (oben 7/92 ff).

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Im bislang behandelten Bereich irrt der Täter, wie er von seiner Handlung zum vorgestellten Erfolg kommt. Davon ist der Irrtum zu trennen, welche von mehreren Handlungen des Täters den vorgestellten Erfolg bringt. Der Täter kann sich nach seiner Vorstellung noch im Stadium des unbeendeten Versuchs befinden, aber den Erfolg schon hinreichend bedingt haben (vorzeitige Vollendung), und er kann meinen, den Erfolg schon bewirkt zu haben, während er ihn erst danach durch ein beiläufiges Tun bewirkt (sogenannter dolus generalis).

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a) Zur vorzeitigen Vollendung: Natürlich handelt es sich nicht um einen Irrtum, wenn der Täter das vorzeitige Bewirken kennt und — etwa der größeren Erfolgssicherheit wegen — weitere erfolgsgeeignete Handlungen plant. Beispiel: Wer bei einer Brandstiftung Benzin für den Fall bereithält, daß die angezündete Lunte nicht hinreichen sollte, begeht vorsätzliche Brandstiftung, wenn schon die Lunte das Objekt in Brand setzt. Vielmehr geht es um Fälle, in denen der Täter meint, noch nicht genug getan zu haben, um den Erfolg herbeizuführen, er aber objektiv schon genug getan hat. Beispiele: Das Opfer einer Lynchjustiz wehrt sich gegen seine „Hinrichtung" und kommt schon bei diesem Handgemenge ums Leben 1 4 7 . — Der Täter will das Opfer, das er betäubt hat, mit Tötungsvorsatz aus einem fahrenden Zug werfen; schon die Betäubung wirkt tödlich 1 4 8 . Überwiegend wird angenommen, wenn der Versuch begonnen worden sei 1 4 9 , könne die eintretende Vollendung als vorsätzlich zugerechnet werden, sofern der Verlauf nur unwesentlich (adäquat) abweiche 15 °. Das ist nicht richtig; denn

2. Die vorzeitige Vollendung und der dolus generalis

1+5 Siehe Jakobs Studien S. 97; — nach Schiinemann JA 1975 S. 435 ff, 575 ff, 582 soll der Verlauf noch adäquat sein, was aber bei „extrem seltenen" Verläufen per definitionem falsch sein dürfte; — eine verfälschte Wiedergabe des Falls (das Maß der Stichverletzungen wird nicht als Bedingung des tödlichen Ausgangs der Infektion berücksichtigt) bringt Wolter ZStW 89 S. 649 ff, 685 f; ders. Objektive und personale Zurechnung, S. 71 f, 89 ff. 146 R G 26 S. 61 f f ; die alte Lehre von der Irrelevanz des Quantitätsirrtums (Binding Normen Bd. II 1. Auflage, 1877, S. 421, 425) ist überholt; etwa

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die §§ 224, 226 StGB sind Delikte, die einen relevanten Qualitätsirrtum voraussetzen. B G H GA 1955 S. 123 ff. R G D S t r . 1939 S. 178 f. Also jedenfalls keine Vollendung, wenn der Täter seine Frau unter Vortäuschung eines Jagdunfalls erschießen will und es auf der Fahrt zur Jagd zu einem für die Frau tödlichen Autounfall kommt. Anschaulich zu einem ähnlichen Fall Fischer bei Noll AT S. 80. So die soeben angeführten Entscheidungen und ferner SK-Rudolphi § 16 Rdn. 34; Welze! Lehrbuch § 13 I 3 d ß; Krümpelmann Beiheft ZStW

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. Abschn

der Täter kennt in den bezeichneten Fallgestaltungen nun einmal die Bedingungen des Erfolgs nicht, so daß sich kein ihm bekanntes Risiko verwirklicht. Der Versuch des Täters, ein anderes Risiko f ü r das identische Gut zu verwirklichen, bleibt natürlich zurechenbar, ebenso eine gegebenenfalls vorliegende ideal konkurrierende fahrlässige Erfolgsherbeiführung 1 5 1 . — Zu den Rücktrittskonsequenzen siehe unten 26/13. Die Lösung gilt auch dann, wenn der Täter während der Versuchsausführung die Schuldfähigkeit verliert: Ein schuldhaft begonnener Versuch und dazu ein schuldlos beendeter Versuch ergeben zusammen nicht eine zurechenbar vollendete T a t 1 5 2 . Eine andere Frage ist, ob ein durch die T a t oder frühere Planungsstadien zurechenbar bewirkter Affekt (etwa ein während des Tötens den Täter überkommender „Blutrausch") überhaupt die Schuld ausschließt (dazu unten 17/68, siehe ferner 17/69 ff; 18/14 ff, 17 f, 25, 32 ff). b aa) Zum dolus generalis153 : Nicht um einen Irrtumsfall handelt es sich, wenn der 7 7 Täter nach einem schon vermuteten Erfolg nochmals — etwa größerer Sicherheit wegen — mit Vorsatz auf das Opfer einwirkt. Beispiel: Der Täter schießt dem mit Tötungsvorsatz niedergeschossenen und mutmaßlich toten O p f e r nochmals durch den Kopf, um jede Überlebenschance auszuschließen; erst der letzte Schuß tötet das O p f e r ; — eine vorsätzliche vollendete Tat. Es geht beim dolus generalis vielmehr um Fälle, in denen der Täter meint, den Erfolg schon hinreichend bedingt zu haben, während er ihn erst durch nachfolgende, nicht als erfolgsrelevant erkannte Handlungen herbeiführt. Beispiele: Der Täter hat einen Brandsatz mit Zeitzünder installiert; er raucht noch eine Zigarette, wirft die glimmende Kippe weg und verläßt den T a t o r t ; die Kippe bewirkt einen Brand, wobei der Brandsatz an sich tauglich oder aber nur vermeintlich tauglich gewesen sein mag. — Der Täter hat sein Opfer vermeintlich getötet; er wirft es in einen Fluß oder vergräbt es oder knüpft es zur Vortäuschung eines Suizids auf oder überfährt es mit dem Auto zur Vortäuschung eines Verkehrsunfalls ; erst das jeweils letztere Verhalten bewirkt den T o d 1 5 4 . Die Lage weicht hier insofern von derjenigen bei vorzeitiger Vollendung ab, als der 7 8 Täter immerhin mit dem ersten Akt vorsätzlich ein Risiko gesetzt hat, das sich trotz des 1978 S. 6 ff, 24 f f ; Maurach-Zipf AT I § 2 3 Rdn. 36; Stratenwerth A T Rdn. 283; ScbönkeSchröder-Cramer § 15 Rdn. 56; Schmidhäuser A T 10/46 u. a. m. 151 AK-Zielinski §§15, 16 Rdn. 61; LK-Schroeder § 16 Rdn. 34 (freilich f ü r Realkonkurrenz); HerzbergZSCW 85 S. 867 ff, 872, 883; f m c A V e r h a l t e n s . 603; Hmscbka JuS 1982 S. 317 ff, 320 f; ders. AT S. 33 ff; WolterZStW 89 S. 649 ff, 697 f und Leferenz-Festschrift S. 545 ff, 557 ff (mit einer Sonderlösung für Rücktrittsfälle); v. Scheurl Rücktritt S. 47 f; Armin Kaufmann JescheckFestschrift S. 251 ff, 264 mit Fn. 28. 152 Anders wiederum die überwiegende Ansicht; Nachweise bei Frisch Verhalten S. 615 f, 623; aus der Rechtsprechung: B G H 7 S. 326 ff, 329 (behandelt als Abweichungsproblem, wenn der Verlust der Schuldfähigkeit duch den Versuchs beginn erfolgt); 23 S. 133 ff, 136 mit Anmerkung Oehler JZ 1970 S. 380 ff (unwesentliche Abweichung auch, wenn der Verlust der Zurechnungsfähigkeit aus einem Verhalten vor Versuchsbeginn folgt, jedenfalls aber nicht aus Umständen, die nicht zur Disposition des Täters stehen) ; B G H 23 S. 356 ff,

358 (keine Zurechnung, wenn der Täter schon vor Versuchsbeginn die Schuldfähigkeit verliert). — N a c h der hier vertretenen Ansicht handelt es sich bei den beiden ersten Entscheidungen nur um Versuche, vorbehaltlich einer anderen Lösung der Entschuldigung. Ebenso Geilen JuS 1972 S. 73 ff, 76 f f ; ders. Maurach-Festschrift S. 173 ff, 194 f ; auch B G H GA 1956 S. 27 f ; dazu Oehler GA 1956 S. 1 ff. 153 Der Begriff stammt aus einem früheren, heute nicht mehr vertretenen Lösungsversuch (alles mit der T a t zusammenhängende Handeln soll mit generellem Vorsatz geschehen); Weber N A r c h C r i m R 7 S. 55 I f f , 577; dagegen schon Geyer GA 13 (1865) S. 239 ff, 313 f f ; klar gegen die Konstruktion eines generellen Vorsatzes B G H 14 S. 193 f ; zumindest verbal noch am dolus generalis klebend Welzel Strafrecht § 13 I 3 d ß. 154 Siehe die ähnlichen Fälle R G 67 S. 258 f ; B G H 14 S. 193 f; O G H 1 S. 74 ff, 75; siehe auch schon die Fälle bei Osenbrüggen Casuistik des Criminalrechts N r . 16 (S. 40 ff) und 17 (S. 44 ff).

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8. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

zweiten Akts oder modifiziert durch den zweiten Akt verwirklichen kann. Das ist zwar in den soeben genannten Beispielen nicht der Fall — die Tödlichkeit des vorsätzlich gesetzten Risikos erklärt dort nicht den Verlauf zum Tod —, wohl aber bei Konstellationen, bei denen der zweite Akt in seiner Wirkung an die Erfolgseignung des ersten anknüpft 1 5 5 . Beispiel : Der Täter hat dem Opfer bei einer Messerstecherei mit Tötungsvorsatz eine große Ader durchgestochen und ein lebenswichtiges Organ verletzt; das Opfer bricht so zusammen, daß die Ader weit aufklafft und das Opfer, bliebe es in die ser Lage, verbluten würde, bevor sich der Defekt am Organ auswirken würde; der Täter verbirgt aber die vermeintliche Leiche bald unter einem Holzstoß; dabei wird die Ader abgeklemmt und das Opfer stirbt nicht an Blutverlust, sondern des defekten Organs wegen ; — das Risiko der Stecherei hat sich verwirklicht, also liegt eine vorsätzliche vollendete Tat vor 1 5 6 . Der Erfolg ist aber nicht als vorsätzlich zurechenbar, wenn das Risiko des ersten Akts von einem durch den zweiten Akt gesetzten neuen Risiko verdrängt wird: Das vorsätzlich gesetzte Risiko verwirklicht sich nicht, und das verwirklichte Risiko wird unvorsätzlich gesetzt. 79

bb) "Wenn verbreitet argumentiert wird, es handele sich um einen Sonderfall der Abweichung vom Kausalverlauf 157 , so ist das richtig, berechtigt aber nicht dazu, die Verwirklichung eines nicht erkannten Risikos zum Vorsatz zuzurechnen. — Soweit dahin entschieden wird, es liege stets nur Versuch vor, bei Vermeidbarkeit des zweiten Akts real konkurrierend mit Fahrlässigkeit 158 , so wird verkannt, daß das Risiko des 155 Jakobs Studien S. 99 f; frisch Verhalten S. 620 ff mit Fn. 240. 156 Natürlich läge eine solche auch vor, wenn das O p f e r liegengeblieben und verblutet wäre; das ist nur zu erwähnen, weil Roxin Würtenberger-Festschrift S. 109 ff, 120 die Lösung entsprechend mißdeutend hat. 157 So die oben genannten Entscheidungen und zahlreiche auch hier mit der Adäquanz operierende Autoren für den Fall, daß der zweite Akt von vornherein geplant war : Welze1 Strafrecht § 13 I 3 d ß; Stratenwerth A T Rdn. 281 (mit Bemerkungen zur Bedeutung der Planung für die Adäquanz); SK-Rudolphi § 16 Rdn. 35; Wolter heferenz-Festschrift S. 545 ff, 549 f (noch weiter vorsätzliche Vollendung annehmend wohl ders. ZStW 89 S. 649 ff, 659 f, 683 ff, 694); Driendl GA 1986 S. 253 ff; - f ü r Vollendung sogar ohne das Erfordernis einer umfassenden Planung (aber was ist etwa ein adäquater Umgang mit einer vermeintlichen Leiche?) Schönke-Schröder-Cramer § 15 Rdn. 58 ; Jescheck A T § 29 V 6 d \ H. Mayer JZ 1956 S. 109 f f ; Baumann-Weber AT § 2 6 II 4bß. 158 So wohl R G 70 S. 257 ff, 258; entschieden so schon Engisch Untersuchungen S. 72; Frank § 59 Anm. IX a. E.; ferner Maurach-Zipf AT I § 23 Rdn. 33 f f ; Maiwald ZStW 78 S. 30 f f ; Schmidbauer AT 10/46; Backmann JuS 1972 S. 196 ff, 199; Herzberg ZStW 85 S. 867 ff, 888; Hruschka JuS 1982 S. 317 ff, 319 f ; ders. AT S. 28 ff. Weitere Ansichten: N a c h LK-Schroeder § 16 Rdn. 31 in Verbindung mit Rdn. 29 soll es darauf ankommen, ob der erste Akt ein konkret erfolgstaugliches Ergebnis hatte (dann vorsätzliche Vollendung) oder nicht. Diese Lösung setzt nicht

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jeden, sondern nur den tauglichen beendeten Versuch der Vollendung gleich, immerhin aber einen Versuch. — Roxin (Würtenberger-Festschrift S. 109 ff, 120 ff) will nicht nach der Risikoverwirklichung, sondern nach der Planverwirklichung entscheiden, was heißen soll, daß nur, aber auch stets bei Absicht Vollendung, ansonsten Versuch anzunehmen sei: „Die Probe aufs Exempel bietet die hypothetische Annahme, daß der Täter nach dem Erstakt bemerkt hätte, sein Opfer lebe n o c h ; der Absichtsmörder hätte dann die todbringende Zweithandlung ungerührt vollzogen, während ein schlichter Vorsatztäter dies nicht getan hätte, weil es seinen Zielen nicht entsprochen hätte". Dagegen ist einzuwenden: (1) Wenn dem Absichtstäter der Erfolg, den er errungen zu haben glaubt, in Wahrheit in den Schoß fällt, ist die Absicht kein Grund, das Fallen in ein vorsätzliches Bewirken umzudeuten. (2) Die Lösung paßt nur, wenn dem Absichtstäter die Begehungsform gleichgültig ist. Beispiele: Der Täter, der sein Opfer mit Tabletten vergiftet zu haben meint und in dessen Schlafzimmer trägt, um das Tatbild eines Suizids zu arrangieren, wobei ihm die vermeintliche Leiche entgleitet, hart aufschlägt und dabei getötet wird, hätte in Kenntnis der Wirklichkeit keineswegs den Sturz auf den Boden vorsätzlich herbeigeführt. (3) Zudem kann die Absicht nach dem ersten Akt „verbraucht" sein, etwa weil der Täter nunmehr sieht, daß das Opfer die erwartete Beute nicht bei sich trägt; wieso sollte er es vorsätzlich nochmals attackieren? — Zur Kritik siehe auch LK-Schroeder § 16 Rdn. 31 mit Fn. 28; Prittwitz GA 1983 S. 110 ff, 114 ff.

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. Abschn

zweiten Akts bloß modifizierend oder ergänzend hinzukommen mag, ohne das Risiko des ersten Akts zu verdrängen (oben 8/70 ff). 3. Der Objektsirrtum a) Verfehlt der Täter das anvisierte Objekt (im Sinn von Angriffsobjekt; es kann 8 0 sich dabei auch um eine Person handeln) und trifft statt dessen ein anderes, wobei er diese Verlaufsmöglichkeit als nicht unwahrscheinlich erkannt hatte, so liegt ein alternativer Vorsatz vor (oben 8/33). Ist dem Täter jedoch nicht bekannt, daß ein anderes Objekt getroffen werden könnte (aberratio ictus, Objektsirrtum), so haftet er wegen versuchten Angriffs auf das anvisierte Objekt, allenfalls noch wegen fahrlässiger Verletzung des getroffenen Objekts 159 , nicht aber wegen vorsätzlicher Vollendung, und zwar auch dann nicht, wenn die Objekte gattungsgleich sind 16 °. Das hat folgenden Grund: Mit dem Angriff auf das anvisierte Objekt setzt der Täter auch ein Risiko für Objekte, die sich im Streubereich des Tatmittels befinden; dieses Risiko kennt er aber nicht (und es muß auch nicht unerlaubt sein, so etwa, wenn sich ex ante im Streubereich niemand befinden kann). Die Verwirklichung des Abweichungsrisikos ist auch nicht eine bloße Verlaufsvariante des gekannten Risikos; denn das Abweichungsrisiko hängt in jedem Fall von vereinzelten situativen Momenten ab, ist also nach Maß und Art durch das gesehene Risiko nicht zu bestimmen. Konkret: Zielt jemand auf die rechte Seite eines Menschen, so ist es eine vorsätzliche Vollendung nicht hindernde Abweichung, wenn er die linke Seite trifft 1 6 0 a , denn diese Möglichkeit ist dadurch mitgegeben, daß auf einen Menschen geschossen wird; ob aber neben dem Menschen noch ein Mensch steht oder ein zerbrechlicher Gegenstand etc. oder nicht, ist dadurch, daß auf einen Menschen geschossen wird, nicht bestimmt, also von der gesehenen Gefahr her Zufall. Beispiel : Der in der Dunkelheit von seinem Hausgenossen angegriffene Täter wehrt sich mit einem Stock, trifft aber dessen hinter dem Angreifer unbemerkt stehende Frau, die den Angreifer beruhigen wollte 1 6 1 ; — wegen Notwehr straffreie versuchte gefährliche Körperverletzung am Angreifer (§§ 223 a, 22, 32 StGB) und unvermeidbare (und wohl auch schon objektiv nicht zurechenbare) Verletzung der Frau. b) Eine aberratio ictus liegt nicht vor (vielmehr ein Vorsatzzurechnung nicht hin- 81 dernder error in persona etc., dazu sogleich unten 8/82), wenn der Täter das angegriffene Objekt überhaupt nur über dessen Stellung im Kausalverlauf identifiziert, mag er sich auch einbilden, das so zutreffend definierte Objekt durch weitere Identifikationsmerkmale benennen zu können („das wird der X sein" o. ä.). Die Lage ist verwickelt 159 So die überwiegende Ansicht; Jescheck A T § 29 V 6 c; LK-Schroeder § 16 Rdn. 9; Backmann JuS 1971 S. 113 ff, 118; Jakobs Studien S. 99; SilvaSanchez ZStW 101 S. 352 ff (der zutreffend auf die Verwirklichung des gesehenen Risikos abstellt, S. 373); Wolter ZStW 89 S. 649 ff, 650 Fn. 5; ders. Leferenz-Festschrift S. 545 ff, 551 f ( Wolter kennt freilich erhebliche Ausnahmen, bei denen für Vollendung zu strafen sein soll, insbesondere wenn es für den Täter gleichgültig ist, wer das Opfer sein wird; den. in: Grundfragen S. 103 ff, 130; — was aber der Täter akzeptieren würde, wenn er es bedächte, ist damit nicht schon vorgesetzt); Frisch Verhalten S. 616 f; Janiszewski M D R 1985 S. 533, 537 f ; Schreiber JuS 1985 S. 873 ff, 874 f f ; Herzberg, ZStW 85

S. 867 ff, 890 f mit weiteren Nachweisen S. 867 Fn. 2; differenzierend aber ders. JA 1981 S. 369 ff, 373, 470 ff, 472 f f ; siehe auch die unten zu den Beispielen genannte Rechtsprechung. 160 Α. A. v. Weber Grundriß § 9 II 1; Welzel Strafrecht § 13 I 3 d α mit Nachweisen älterer Literatur; Noll ZStW 77 S. 1 ff, 5; Loewenheim JuS 1966 S. 310 ff; PuppeGA 1981 S. 1 ff, 20; Kuhlen Unterscheidung S. 479 ff; AK-Zielinski §§ 15, 16 Rdn. 64; beschränkt auf materiell gleichwertige Güter (d. h. nicht bei höchstpersönlichen Gütern) Hillenkamp Bedeutung S. 127 ff. 160a f r i s c h V e r h a l t e n s . 618 ff. 161 R G 58 S. 27 ff, 28 ; - siehe schon R G 2 S. 335 ff, 337; 3 S. 384; 19 S. 179 f, 180; 54 S. 349 ff, 350.

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2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

und im Grenzbereich ungeklärt 1 6 2 . Beispiele 1 6 3 : Der Täter installiert eine Bombe mit einer Induktionsschleife und einem Zählwerk hinter einer Brücke, wobei das zweite passierende Fahrzeug die Explosion auslösen wird; der Täter nimmt an, das zweite Fahrzeug (er selbst lenkt das erste) werde ein Regierungsmitglied lenken, aber ein Landwirt mit seinem Trecker kommt diesem zuvor. — Der Täter schickt vergifteten Schnaps an seinen Freund und ist subjektiv sicher, dieser werde das Getränk allein verzehren; der Empfänger verschenkt die Flasche, der Beschenkte stirbt 1 6 4 . — Der Täter vergiftet das Essen an dem Platz des Tisches, an dem alltäglich der Vorsitzende ißt; gerade am T a g der T a t tauscht dieser mit einem anderen. — Der Täter wählt am Telefon die N u m m e r des ausersehenen Beleidigungsopfers, verwählt sich aber und beginnt, sobald der wirklich Angewählte den H ö r e r abhebt, mit der Durchgabe der auf jedermann „passenden" Injurien 1 6 5 . — Der Täter manipuliert einen mit H a f t f a r b e präparierten Fangbrief an die Arbeitsstelle seines Vorgesetzten, um diesen in Verdacht zu bringen, aber dessen Sekretärin öffnet den Brief und gerät in V e r d a c h t 1 6 5 a . In Fällen dieser Art hat der Täter das betreffende Opfer vermeintlich durch U m stände individualisiert, die vom Kausalverlauf unabhängig sind (Regierungsmitglied, Freund, Vorsitzender, zu Beleidigender, Vorgesetzter); er kommt zu dieser Annahme aber nur, weil er von dem bereits zutreffend durch seine Stellung im Kausalverlauf individualisierten O p f e r (der zweite Passant der Brücke, der Trinker des Schnapses, der auf dem Platz des Vorsitzenden Sitzende, der H ö r e r am Telefon, der den Fangbrief Öffnende) irrig annimmt, es werde sich um eine auch anderweitig individualisierbare Person handeln. Letzteres ist jedoch eine tatbestandlich irrelevante Zusatzindividualisierung 1 6 6 . Besteht freilich das vom Täter gesehene Risiko in entscheidungsrelevanter Dichte nur f ü r ein Opfer bestimmter Individualität, so begründet die Individualisierung die Risikokenntnis mit der Folge, daß sich das gesehene Risiko an einem anderen Opfer nicht verwirklichen kann. Beispiel: Ein Mann vergiftet den Schlaftrunk, den er seiner Frau allabendlich ans Bett stellt (bleibt seine Frau aus, ist sein Verhalten ex ante ungefährlich und schon objektiv nicht zurechenbar); ein Einbrecher trinkt das G i f t 1 6 6 a . — Weiß der Täter, daß die Stellung im Kausalverlauf entweder von einem oder aber von einem anderen Opfer eingenommen werden kann, so liegt ein alternativer Vorsatz vor (siehe oben 8/80 eingangs). 162 Das Problem wird erkannt bei Blei A T § 33 I 1 c a. E.; LK-Schroeder% 16 Rdn. 13; Backmann JuS 1971 S. 113 ff, 119; jetzt eingehend Puppe GA 1981 S. 1 ff, 4 ff, die zutreffend bei der Individualisierung des Objekts ansetzt, aber unberücksichtigt läßt, ob sich die vom Täter gesehene Gefahr verwirklicht; Herzberg JA 1981 S. 369 ff, 470 ff, 472 ff (von angeblichen Evidenzen des Rechtsgefühls her argumentierend); Prittwitz GA 1983 S. 110 f f ; JaniszewskiUDK 1985 S. 533 ff. 163 Siehe auch O L G Neustadt N J W 1964 S. 311. 164 Für aberratio ictus aber /escheck AT § 29 V 6 c. 165 BayObLG J Z 1986 S. 911 f mit differenzierender Anmerkung Streng J R 1987 S. 431 ff. » 6 5 a B G H 9 S . 240 ff, 242. 166 Kritisch Wolter in: Grundfragen S. 103 ff, 126. — Die Zusatzindividualisierung kann aber für die Rechtfertigung bedeutsam werden, wenn etwa im zuletzt genannten Beispiel die Invektiven gegenüber dem gewollten Adressaten in Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt wären. Dieses Problem kann freilich auch beim error in per-

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sona etc. auftreten (das übersehen wohl Blei A T § 33 I 1 c; Jescheck A T § 29 V 6 c, die die Möglichkeit eines Irrtums über Rechtfertigungsvoraussetzungen für ein Indiz einer Abirrungslage halten). Beispiel: Der bewußtlos Geschlagene schlägt seinerseits, als er wieder zur Besinnung kommt, auf den sich über ihn beugenden N o t a r z t ein, den er irrig f ü r den Angreifer hält; — Irrtum über Rechtfertigungsvoraussetzungen. 166a N a c h diesen Grundsätzen entscheidet sich auch der von Herzberg JA 1981 S. 369 ff, 470 ff, 474 eingebrachte Fall, in dem ein Täter auf das geparkte Auto seines Feindes schießt und ein Liebespaar trifft, das sich heimlich in dem abgestellten Fahrzeug niedergelassen hat. Es geht darum, ob das Risiko, daß sich in einem abgestellten Auto ein Nichtberechtigter befindet, noch von entscheidungsrelevanter Dichte ist. — Auf den Erfolgseintritt beim „sinnlich wahrgenommenen Angriffsobjekt" stellt Prittwitz ab, GA 1983, S. HO ff, 127 f; dagegen zutreffend Janiszewski M D R 1 9 8 5 S. 533 ff, 536.

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. Abschn

4. Der Individualisierungsirrtum und der Motivirrtum Irrt der Täter beim konkreten Objekt, das er zutreffend einer bestimmten tatbe- 8 2 standlich beschriebenen Gattung zugeordnet hat, über weitere, f ü r den bestimmten Tatbestand nicht relevante Individualisierungen, so hindert dieser Irrtum (error in persona vel objecto) wie auch ein sonstiger Irrtum über die tatbestandlich irrelevante subjektive Bedeutung der T a t (Motivirrtum) die Zurechnung als vorsätzliche vollendete T a t nicht 1 6 7 . Diese Irrtümer sind irrelevant, weil sie keine Merkmale betreffen, von denen die Tatbestandsverwirklichung abhängt 168 . Beispiele f ü r error in persona: Der Täter erschießt, angestiftet vom Schuldner, in der Dämmerung eine Person, in der er irrig meint, dessen Gläubiger zu erkennen 1 6 9 ; — vollendete Tötung des Opfers. — Ein flüchtender Dieb erschießt eine ihn vermeintlich verfolgende Person, bei der es sich jedoch um einen mitflüchtenden Mittäter handelt 1 7 0 ; — vorsätzliche vollendete Tötung. Beispiel zum Motivirrtum: Der Täter verprügelt des Nachbars Kind, wobei er irrig annimmt, dieses habe ihm eine Fensterscheibe eingeworfen; vorsätzliche vollendete Körperverletzung. — Zu den Auswirkungen eines Individualisierungsirrtums auf Tatbeteiligte siehe unten 21/45, 106.

E. Die privilegierenden Tatbestandsmerkmale als Vorsatzgegenstand 1. Kennt der Täter privilegierende Tatbestandsmerkmale nicht, so kann er wegen 8 3 vorsätzlicher Vollendung nur nach dem privilegierten Tatbestand verurteilt werden, sofern es sich um Unrechts tatbestandsmerkimde handelt; denn es fehlt dann eben ein objektives Merkmal zum vollen (nicht privilegierten) U n r e c h t 1 7 1 . Daneben tritt Versuch des nicht privilegierten Tatbestands. Beispiel 172 : Der Täter verstümmelt sich nur relativ (§ 109 Abs. 2 StGB), hatte sich aber eine absolute Verstümmelung vorgesetzt (§ 109 Abs. 1 StGB); — Versuch der absoluten Verstümmelung und Vollendung der relativen. Bei minder schweren Fällen, bei Schaffung eines unrechtsabhängigen „Antragsprivilegs" (§ 248 a StGB) oder beim Ausschluß von Regelbeispielen (§ 243 Abs. 2 StGB) gilt die Lösung entsprechend, wohl auch bei der Verfolgungsprivilegierung durch Retorsion (§§ 199, 230 StGB, zweifelhaft). Beispiel zu letzterem: Der Täter schlägt in einer gespannten Situation auf das Opfer ein, obgleich er dessen letzte verbale, grob beleidigende Attacke zwar gehört, aber noch nicht als beleidigend verstanden hat; — Retorsion ist möglich. Bei Unkenntnis von Merkmalen, die eine partielle Rechtfertigung bringen (so neben weiteren Gründen bei § 216 StGB, dazu sogleich), ist das Ergebnis nach der Anwen167 Das gilt freilich nur, soweit der Täter nicht auf Grund der Identitätstäuschung über andere tatbestandlich relevante Spezifizierungen irrt; Warda Blau-Festschrift S. 159 ff, 161 ff. Beispiel: Wenn der Friseurmeister den Gesellen anweist, der Kunde mit dem schwarzen H a a r wünsche einen sehr kurzen Schnitt und der Geselle daraufhin das H a a r eines nicht gemeinten Dunkelhaarigen kupiert, so nimmt er auf Grund der Verwechslung eine tatbestandsausschließende Einwilligung an; — kein Körperverletzungsvorsatz. — Zu den Fällen sich aufhebenden Doppelirrtums (der T ä ter hält die fünfzehnjährige Tochter des N a c h barn irrtümlich für dreizehnjährig; er nimmt sexuelle Handlungen an einem dreizehnjährigen Mädchen vor, von dem er meint, es sei das N a c h -

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barskind; — vollendeter Mißbrauch nach § 176 Abs. 1 StGB) siehe Warda a a O . Im Ergebnis unstreitig, wobei freilich die Begründüngen wechseln; dazu zutreffend LK-Schroeder § 1 6 Rdn. 8. Fall Rose (Täter) — Rosahl (Anstifter); Preuß. Obertribunal GA Bd. 7 (1859) S. 332; siehe fern e r R G 18 S. 337 f f ; 19 S. 179 f. Siehe B G H I I S . 268 f f ; die T a t war dort Versuch geblieben. Schönke-Schröder-Cramer § 16 Rdn. 28; /escheck A T § 2 9 V 5 b ; a. A. Maurach-Zipf A T I § 23 Rdn. 19 f f ; siehe auch Warda Jura 1979 S. 1 ff, 71 ff, 113 ff, 115 f. Siehe dazu aber Warda a a O S. 115 Fn. 77.

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8. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

dung der allgemeinen Regeln für die Unkenntnis von Rechtfertigungsvoraussetzungen dasselbe (unten 11/23). — Bei Unkenntnis der objektiven Seite schuldprivilegierender Merkmale des Sd>wWtatbestands (etwa §217 StGB) einschließlich schuldbezogener minder schwerer Fälle (etwa § 213 StGB) ist aus dem nicht privilegierten (ungemilderten) Delikt zu strafen. Beispiel: Die Gebärende tötet das Kind, das sie irrig für ehelich hält; — nicht Kindestötung, § 217 StGB 1 7 3 , sondern Totschlag, § 212 StGB. 84

2. Nimmt der Täter irrig privilegierende Unrechtstatbestandsmerkmale an, so kann er nach § 16 Abs. 2 StGB wegen vorsätzlicher Begehung nur nach dem milderen Gesetz bestraft werden 1 7 4 . § 16 Abs. 2 StGB klärt zweierlei, einmal, daß das nicht privilegierte Delikt allenfalls fahrlässig verwirklicht ist, und zum anderen, daß das privilegierte Delikt vollendet werden kann 1 7 5 . — § 16 Abs. 2 StGB gilt nur für Privilegierungen des Unrechtstatbestands 1 7 6 , Privilegierungen durch partielle Rechtfertigung folgen den allgemeinen Regeln für die irrige Annahme von Rechtfertigungsvoraussetzungen (unten 11/42 ff, 58), was auf dasselbe Ergebnis hinausläuft: Der Strafrahmen der vorsätzlich bleibenden Tat wird dem des Fahrlässigkeitsdelikts angeglichen 177 . Die Differenzierung ist also ohne praktische Bedeutung. Beispiel: Weil bei §216 StGB der Wille einer Person nicht gebrochen, sondern befolgt wird, ist schon die Gutsverletzung nicht von dem Gewicht derjenigen bei einem Totschlag und insoweit ist die Vorschrift eine Unrechtstatbestandsprivilegierung. In dem Maß, in dem der Täter einen rechtlich plausiblen Grund für ein Verlangen hat, wird die Handlung auch wegen der Zweckverfolgung eher rechtlich tolerabel; insoweit ermöglicht die Vorschrift auch eine Privilegierung durch partielle Rechtfertigung.

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3. § 16 Abs. 2 StGB ist auf minder schwere Fälle, „Antragsprivilegierungen" (§ 248 a StGB) und den Ausschluß von Regelbeispielen (§ 243 Abs. 2 StGB) entsprechend anzuwenden, soweit die genannten Institute den Unrechtstatbestand treffen. Eine entsprechende Anwendung auf die Retorsion ist nicht möglich, da beim Fehlen eines korrespondierenden Delikts die Möglichkeit entfällt, einem Korrespondenztäter seine Verletzung als eigene Angelegenheit zuzurechnen 1 7 8 . Beispiel: Wer sich irrig beleidigt glaubt und den vermeintlichen Täter ohrfeigt, kann mangels objektiver Gegenseitigkeit nicht „aufrechnen".

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4. Die Annahme einer Privilegierung bei zutreffender Parallelbeurteilung im Täterbewußtsein, aber irriger Grenzbestimmung eines Tatbestandsmerkmals ist als Subsumtionsirrtum irrelevant 1 7 9 (siehe oben 8/50). Beispiel (zur analogen Anwendung von § 16 Abs. 2 StGB): Wer meint, die Geringwertigkeit einer Sache sei relativ zu bestim173 Wegen der nur-objektiven Formulierung in § 217 StGB ist im Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB die Entscheidung zweifelhaft, durch die in den Tatbestand interpoliert wird, ein seelischer Druck müsse zumindest abstrakt präsumierbar sein; siehe Küper GA 1968 S. 321 ff, 325 mit Fn. 21 ; Maibofer H. Mayer-Festschrift S. 185 ff, 195; Hall Maurach-Festschrift S. 107 ff, 111 f. 174 So schon zum alten Recht RG 31 S. 285 f; BGH 24 S. 168 f (bei zweifelhafter Bestimmung der Abstufung der Gesetze). 175 Horstkotte in: Sonderausschuß BT V S. 1779 ff, 1780, der freilich eine Fahrlässigkeit des nicht privilegierten Delikts fälschlich ausschließt, aaO rechte Spalte oben; Franke JuS 1980 S. 172 ff, 173. 176 A.A. Krümpelmann Beiheft ZStW 1978 S. 6 f f ,

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14, der alle Privilegierungen, einschließlich der partiellen Entschuldigungen, nach § 16 Abs. 2 StGB behandeln will; für §217 StGB auch Schönke-Schröder-Eser § 217 Rdn. 11 mit Nachweisen. 177 Zur Parallelisierung der Lösungen siehe insbesondere Schaffstein OLG Celle-Festschrift S. 175 ff, 186; KüperGA 1968 S. 321 ff, 331, wobei freilich beide Autoren die Unterschiede zwischen den Merkmalen, die ein enttäuschendes Verhalten (partiell) tolerabel machen (Rechtfertigung) und Merkmalen, die es schon ohne Blick auf den Kontext nicht (voll) enttäuschend sein lassen (Tatbestandsprivilegierungen), einebnen. 178 A.A. LK-Scbroeder% 16 Rdn. 73 mit Nachweisen. 179 KüperGh 1968 S. 321 ff, 334.

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. Abschn

men, und in der H o f f n u n g auf die Benefizien nach den §§ 243 Abs. 2 , 2 4 8 a S t G B einem Multimillionär einen Gegenstand im Wert des Durchschnittsmonatslohns eines Arbeiters stiehlt, haftet voll. 5. D i e irrtümliche A n n a h m e v o n Privilegierungen auf Grund eines privilegierenden 8 7 ScÄwWtatbestands folgt analoger A n w e n d u n g v o n § 3 5 Abs. 2 S t G B ; d a z u unten 1 7 / 7 9 ff.

V. Die Steuerungsmerkmale und sonstige subjektive Unrechtselemente Literatur H. Alwart Der Begriff des Motivbündels im Strafrecht, GA 1983 S. 433 ff; K. Engisch Bemerkungen zu Theodor Rittlers Kritik der Lehre von den subjektiven Tatbestands- und Unrechtselementen, Rittler-Festschrift S. 165 ff; H.A. Fischer Die Rechtswidrigkeit mit besonderer Berücksichtigung des Privatrechts, 1911; W. Gallas Zum gegenwärtigen Stand der Lehre vom Verbrechen, ZStW 67 S. 1 ff; W. Hardwig Die Gesinnungsmerkmale im Strafrecht, ZStW 68 S. 14 ff; A. Hegler Die Merkmale des Verbrechens, ZStW 36 S. 19 ff; G. Heine Anmerkung zu BGH J R 1990 S. 297 f, aaO S. 299 ff; R. D. Herzberg Wegfall subjektiverTatbestandsvoraussetzungen vor Vollendung der Tat, Oehler-Festschrift S. 163 ff; G. Jakobs Niedrige Beweggründe beim Mord und die besonderen persönlichen Merkmale in § 50 Abs. 2 und 3 StGB, N J W 1969 S. 485 ff; ders. Die subjektive Seite von Erfolgsdelikten bei Risikogewöhnung, Bruns-Festschrift S. 31 ff; H.-H. Jescheck Die Entwicklung des Verbrechensbegriffs in Deutschland seit Beling im Vergleich mit der österreichischen Lehre, ZStW 73 S. 179 ff; E. J. Lampe Das personale Unrecht, 1967; F. Loos Grenzen der Umsetzung der Strafrechtsdogmatik in die Praxis, in: U. Immenga (Hrsg.) Rechtswissenschaft und Rechtsentwicklung, 1980, S. 261 ff; E. Mezger Die subjektiven Unrechtselemente, GS 89 S. 207 ff; ders. Vom Sinn der strafrechtlichen Tatbestände, Traeger-Festschrift S. 187 ff; F. NowakowskiZur Lehre von der Rechtswidrigkeit, ZStW 63 S. 287 ff; ders. Probleme der Strafrechtsdogmatik. Zugleich eine Besprechung von Jeschecks Lehrbuch des Strafrechts, JurBl. 1972 S. 19 ff; H.-U. Paeffgen Einmal mehr - Habgier und niedrige Beweggründe, GA 1982 S. 255 ff; E. Schmidhäuser Gesinnungsmerkmale im Strafrecht, 1958; R. Sieverts Beiträge zur Lehre von den subjektiven Unrechtselementen im Strafrecht, 1934; G. Stratenwerth Zur Funktion strafrechtlicher Gesinnungsmerkmale, v. Weber-Festschrift S. 171 ff; ders. Gewerbsmäßigkeit im Strafrecht, Schultz-Festgabe S. 88 ff; H. Welzel Stadien zum System des Strafrechts, ZStW 58 S. 491 ff; ders. Abhandlungen zum Strafrecht und zur Rechtsphilosophie, 1975; D. Zielinski Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff, 1973. A. Die Erfüllung des objektiven Tatbestands ist H a n d l u n g eines Täters, w e n n sie 8 8 vermeidbar geschieht, also vorsätzlich oder fahrlässig. D i e Tatbestände des B T begnügen sich j e d o c h im subjektiven Teil in der Regel nicht damit, daß überhaupt eine H a n d l u n g bestimmter Art vorliegt — dies reicht nur bei den (im Kernstrafrecht) vereinzelten fahrlässig begehbaren Delikten —, sondern verlangen eine qualifizierte Vermeidbarkeit, eben V o r s a t z ( § 1 5 StGB) o d e r sogar qualifizierten V o r s a t z , und z w a r bezüglich des g a n z e n Tatbestands oder aber einzelner Merkmale. Dieses Plus gegenüber den Mindestanforderungen an eine H a n d l u n g gehört z u m Unrechtstatbestand, da in diesen Fällen o h n e die Qualifizierungen der Vermeidbarkeit ein strafrechtlich-tatbestandliches U n r e c h t nicht ausgemacht w e r d e n kann. Zu den Prinzipien, nach denen ein qualifizierter V o r s a t z z u verlangen ist, siehe o b e n 8 / 3 4 ff. Β 1. D i e K o n g r u e n z v o n objektivem und subjektivem Tatbestand wird bei den 8 9 Delikten verlassen, die wie ein beendeter V e r s u c h aufgebaut sind ( k u p i e r t e Erfolgsdelikte, oben 6 / 9 3 ) : Sie sind vollendet, w e n n der Täter mit dem V o r s a t z einer (weiteren) Gutsverletzung seine H a n d l u n g v o l l z o g e n hat; Beispiele: §§ 164, 229, 267 Abs. 1, 3. Fallgruppe S t G B ; — ferner Unternehmensdelikte (§ 11 Abs. 1 N r . 6 StGB) im Fall eines beendeten Versuchs. D i e Zugehörigkeit z u dieser oder der folgenden, dem unbeendeten V e r s u c h und der Vorbereitungshandlung analogen Gruppe kann g a n z v o n der 307

8. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

Gestaltung eines einzelnen Falls abhängen; so kommt es etwa bei § 274 StGB darauf an, ob mit der Urkundenvernichtung der Nachteil hinreichend bedingt ist oder aber dazu noch weitere Akte (etwa eine Klage) vollzogen werden müssen. — Die überschießende subjektive Seite gehört in dieser Gruppe so selbstverständlich zum Unrecht wie der Vorsatz beim Versuch. 90

2. Der subjektive Uberschuß ist noch größer, wenn das (kupierte Erfolgs-)Delikt schon vollendet ist, obwohl zu einer (weiteren) Gutsverletzung noch weitere Handlungen vollzogen werden müssen : Das Delikt ist wie ein unbeendeter Versuch oder wie eine Vorbereitungshandlung aufgebaut. Beispiele: §§ 146 Abs. 1 Nr. 1 und 2,148 Abs. 1 N r . 1 und 2, 149 Abs. 1, 242 (mit der Enteignungskomponente der Zueignungsabsicht bei üblicher Fallgestaltung), 267 Abs. 1, 1. und 2. Fallgruppe StGB; — äußerst weit: § 80 StGB; — ferner Unternehmensdelikte (§11 Abs. 1 N r . 6 StGB) im Fall eines unbeendeten Versuchs. — Bei den Absichten der Nachteils- oder Schadenszufügung kommt es darauf an, ob der Nachteil deliktsspezifisch sein muß (5ewe?machteil bei den §§272, 274 StGB; streitig), dann sind die Merkmale zur hiesigen Gruppe zu zählen, oder aber beliebig sein kann, dann geht es — mangels tatbestandlicher Bestimmung des Nachteils — nur noch um das unwertige Motiv (dazu sogleich). — Auch hier gehört der überschießende Vorsatz zum Unrecht, wie er beim Versuch das Unrecht bestimmt.

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C 1. Bei den bislang genannten Fallgruppen überschießenden Vorsatzes geht es um die (vorgesetzte) Gutsverletzung und ihre Steuerung. Die Merkmale einer weiteren Gruppe überschießender Absichten bezeichnen eine Planung des Täters, die die Gutsverletzung erst in ihrer Art bestimmt. Beispiele: Diebstahl (§ 242 StGB) ist nicht nur ein Eigentumseingriff durch Wegnahme, sondern erfordert zudem Zueignungsabsicht, ist also eine Tat, durch die (bei dauernder Enteignung) eine Verschiebung der faktischen Verfügungszuständigkeit bewirkt werden soll (mit der £»ieignungskomponente gehört die Zueignungsabsicht noch zu der vorgehend bezeichneten Gruppe). Betrug (§ 263 StGB) erfordert entsprechend die Absicht der stoffgleichen Bereicherung aus dem Schaden, ebenso Erpressung (§ 253 StGB). Zu dieser Gruppe gehören auch alle Vorteilsabsichten, bei denen der Vorteil deliktsspezifisch begrenzt ist, etwa die stoffgleiche Bereicherung bei der Hehlerei 1 8 0 (§259 StGB), der aus dem Dirnenvermögen stammende Vorteil bei der Zuhälterei 1 8 1 (§ 181 a Abs. 1 N r . 2 StGB), der durch den Urkundsgebrauch — und nicht etwa durch die Belohnung der Tat von dritter Seite o. ä. — beschaffte Vorteil bei der schweren mittelbaren Falschbeurkundung 1 8 2 (§ 272 StGB).

92

2 a) Auch diese subjektiven Momente gehören zum Unrecht; sie sind als Beschreibungen der geplanten Verfahrensweise nach der Vollendung die subjektiven Gegenstücke der zahlreichen Beschreibungen eines Verfahrens zur Gutsverletzung, also der Wegbeschreibungen wie der Wegnahme beim Diebstahl oder der Täuschung beim Betrug. So wie die Wegbeschreibungen nicht aus einem an sich (wie?) begründeten Verletzungsunrecht mehr oder weniger willkürlich einzelne Verletzungen herausstanzen, sondern aus dem gesamten Arsenal der üblichen, unvermeidlichen, noch zu duldenden oder aber unerträglichen Verletzungen die letzteren als Unrecht mehr oder weniger exakt typisieren, so sind auch die Absichten nicht bloße Begrenzungen eines anderweitig schon (wie?) bestimmten Unrechts; durch die Benennung der Absichten sollen vielmehr aus dem Kreis der Verletzungshandlungen die sozial unerträglichen und deshalb Unrechten Handlungen bezeichnet werden, was allerdings teils mehr und 180 Sehr streitig, Nachweise bei Schönke-SchröderStreek 259 Rdn. 48. 181 Streitig, siehe Schönke-Schröder-Lenckner § 181 a

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Rdn. 1 2 · Streitig, siehe Rdn. 1.

Schönke-Schröder-Cramer

§272

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. AbSChn

teils weniger gut gelungen ist. Hier liegt der Übergang von subjektiven Steuerungsmerkmalen zu subjektiven Unrechtselementen im engeren Sinn. Wie im objektiven Tatbestand das Unrecht nicht stets nur Erfolgsverursachung zum Inhalt hat, so geht es beim subjektiven Tatbestand nicht stets nur um vorsätzliche oder fahrlässige Erfolgsverursachung : Das Unrecht ist nicht stets naturalistisch an einer Gutsverletzung ausgerichtet. b) Die Interpretation derjenigen Delikte, bei denen ein Verhalten kupiert ist, kann 92a ergeben, daß der Vorsatz zum Vollzug des subjektiven Verhaltensteils (etwa zum Gebrauch der noch herzustellenden Urkunde) nicht nur beim vorangehenden Verhalten (bei der Herstellung der Urkunde), sondern auch dann noch vorliegen muß, wenn dem Täter der Erfolg des vorangehenden Verhaltens zufließt (wenn er über die in seinem Auftrag hergestellte unechte U r k u n d e verfügen kann). Tatbestandsmäßiger Erfolg ist bei solchen Delikten nicht schon der Zufluß per se, sondern erst der Zufluß bei einem Täter, der zum "Weitermachen bereit ist; mit anderen Worten, der Eintritt des Erfolgs hängt davon ab, daß der Täter seinen Vorsatz durchhält. In solchen Fällen muß also — abweichend vom Grundsatz (oben 8/1 f) — der gesamte Vorsatz nicht nur bei der Tathandlung vorliegen, sondern — soweit er nicht schon verwirklicht ist — auch noch beim Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs. Beispiel: Läßt der Täter von einem gutgläubigen Werkzeug eine unechte U r k u n d e in der Absicht täuschenden Gebrauchs herstellen und gibt er nach dem Verlust des Einflusses auf das Werkzeug (Versuchsbeendigung, unten 21/105), aber vor Erhalt des Falsifikats die Gebrauchsabsicht preis, verhindert er dadurch die Vollendung der Urkundenfälschung in Gestalt des Herstellens einer unechten U r k u n d e (§ 267 Abs. 1,1. Variante StGB) und tritt z u r ü c k (ohne Präjudizierung der Freiwilligkeit, unten 26/18) 1 8 2 a . 3. Die subjektiven Unrechtselemente wurden (noch vermischt mit den überschießen- 93 den subjektiven Steuerungen von Gutsverletzungen, siehe die vorgenannte Gruppe) entdeckt, lange bevor der Vorsatz als Kern des subjektiven Tatbestands entwickelt wurde 1 8 3 . Versuche, die Elemente nicht als Unrechtsinhalt, sondern als bloße Bedingungen d a f ü r zu verstehen, daß ein naturalistisch als Rechtsgutsverletzung gedeutetes Unrecht positiv-strafrechtlich relevant wird, haben sie von Anfang an begleitet 1 8 4 . D 1. Bei einer weiteren Fallgruppe nennt das Gesetz Motive des Täters, jedoch nicht 94 der geplanten Tatgestalt, sondern der Bewertung des Tatantriebs wegen. Neben den nicht deliktsspezifisch mit der Tathandlung verknüpften Vorteils- und Nachteilsabsichten geht es um das Handeln zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier, sonst aus niedrigen Beweggründen und zur Ermöglichung einer Straftat in § 211 Abs. 2 StGB (siehe oben 8/9). Ferner kann diese Antriebsbewertung zu allen oben genannten überschießenden Absichten konkurrierend hinzutreten (so zielt § 181 a Abs. 1 N r . 2 StGB nicht nur auf die Tatgestalt der Bereicherung aus dem Dirnenvermögen, sondern auch auf den Bereicherungsantrieb). 2. Eine im Einzelfall exakte Abgrenzung dieser Motive zu der nur noch affektiv 9 5 bestimmten Antriebsseite (Mordlust in §211 Abs. 2 StGB) ist weder möglich noch 182a

HerzbergOehler-Festschrift S. 163 ff, 174 ff. 183 Grundlegend H.A. Fischer Rechtswidrigkeit; Hegler ZStW 36 S. 19 ff; M. E. Mayer A T S. 12, 185 ff ; MezgerGS 89 S. 207 ff ; siehe ferner Welzel ZStW 58 S. 491 ff, 505 ff. - Darstellung der Geschichte bei Lampe Das personale Unrecht S. 13 ff, 31 ff; Zielinski Hindlungs- und Erfolgsunwert S. 26 ff. — Ablehnend insbesondere Rittler Lehrbuch Bd. I § 18 (hierzu Engisch RittlerFestschrift S. 165 ff; Jescheck ZStW 73 S. 179 ff, 197 f f ) ; Nowakowski Grundriß S. 54 f; ders.

ZStW 63 S. 287 ff, 308 ff; anders aber jetzt den. JurBl. 1972 S. 19 ff, 25. - Speziell zu den Absichten siehe Stratenwerth A T Rdn. 315 ff. 184 G a n z entschieden in diesem nur bedingenden Sinn Beling Grundzüge, 10. Auflage S. 17 („gewisse Gestaltungen der Schuld" werden „von keinem Strafgesetz ergriffen") und teilweise auch Sieverts Lehre von den subjektiven Unrechtselementen; hierzu Zielinski Handlungs- und ErfolgsunwertS. 31 ff mit Nachweisen.

309

8. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

notwendig, solange es bei dem Antrieb um dessen Inhalt, nicht aber um das O b oder Maß geht. Eine Abgrenzung wird auch vom Gesetz nicht genau vollzogen. So ist die Mordlust beim Mord überhaupt nur als Absicht der Lustbefriedigung ein Beweggrund, wie auch die Habgier wörtlich genommen mehr Antrieb als Motiv ist, während wiederum die Verdeckungsabsicht als Motiv formuliert ist, aber sehr wohl überwiegend auf die antreibende Wirkung der Entdeckungsangst abstellt. Der Sache nach geht es um eine Bewertung des Handlungsantriebs als im Blick auf die Tat nichtswürdig, nichtig 1 8 5 oder um ihre Beurteilung als besonders gefährlich (Verdeckungsabsicht beim Mord). Die Gefährlichkeit einer starken affektiven Besetzung des Handlungsziels mag hinzukommen. Diese affektive Besetzung wirkt nicht entschuldigend, weil der Täter für die Genese der Besetzung zuständig ist (Verdeckungsabsicht! Siehe den Ausschluß der Entschuldigung bei § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB). 96

3. Die Zugehörigkeit dieser Merkmale zum Unrecht kann zweifelhaft sein, wie die Lage des Schnitts zwischen Unrecht, Schuld und unvermittelt präventiven Momenten (Verdeckungsabsicht!) im Gefüge der Zurechnungsmerkmale überhaupt zweifelhaft sein kann 1 8 6 . Da es jedoch bei den Merkmalen nicht nur um die Vorwerfbarkeit eines Handlungswillens geht, sondern schon um den vom Handlungswillen hergestellten Zweckzusammenhang, dürfte die Deutung als subjektive Unrechtselemente den Merkmalen am ehesten gerecht werden 1 8 6 a .

97

E l . Als letzte Gruppe sind die Konstitutions- und Gesinnungsmerkmale zu nennen; erstere sind die Gewerbs-, Gewohnheits- und Geschäftsmäßigkeit (§§ 144, 180 a, 260, 292 Abs. 3, 293 Abs. 3 StGB u. a. m.) 1 8 7 ; letztere sind zunehmend zahlreich verwendete wertende Begriffe höchst unterschiedlicher Präzision: heimtückisch, grausam (§211 StGB), hinterlistig (§ 223 a StGB), roh, böswillig (§ 223 b StGB), rücksichtslos (§315 c StGB) etc. Die Gesinnungsmerkmale sind überwiegend nicht rein subjektive Merkmale (wie die Konstitutionsmerkmale nicht rein objektiv sind), sondern zu der Gesinnung muß ein gesinnungsrelevanter Sachverhalt treten (wichtig für die Bestimmung der Vollendung!) 188 oder doch zumindest intendiert sein, da sich die Gesinnung, soll sie nicht für die Tat unverbindlich bleiben, in einer Handlung „bewähren" muß 1 8 9 . — Der gesinnungsrelevante Sachverhalt ist freilich nicht bei allen Merkmalen der subjektiven Seite voll kongruent; die subjektive Seite kann mehr umfassen als die Steuerung des Objektiven, insbesondere kann es auf die affektive Lage ankommen.

98

2. Die Merkmale gehören allesamt zumindest auch zum Unrecht 1 9 0 . N u r soweit ihre Interpretation ergibt, daß die bezeichnete Bewertung zugleich auf Momente ab185 So bei den niedrigen Beweggründen und der Ermöglichungsabsicht beim M o r d ; hierzu Jakobs N J W 1969 S. 489 ff, 490; SK-Horn §211 Rdn. 8 ff. 186 Zur Trennung von Handlungssteuerung und Antriebssteuerung — nicht wie hier: Antriebsart — siehe oben zum Handlungsbegriff 6/21 f. 186a £)¡e Konsequenzen (§ 16 StGB: Ist Kenntnis des Antriebs bei Vorsatztaten erforderlich?) sind unklar; siehe B G H J R 1990 S. 297 f mit kritischer Anmerkung Heine S. 299 ff. • 87 Zur Gewerbsmäßigkeit siehe Stratenwerth Schultz-Festgabe S. 88 ff, 104 ff. 188 Stratenwerth A T Rdn. 332 f ; den. v. Weber-Festschrift S. 171 ff. 189 Jakobs N J W 1974 S. 1829 f.

310

190 Bei den Stellungnahmen zu Gesinnungsmerkmalen sind die jeweils unterschiedlichen Differenzierungen von Unrecht und Schuld zu berücksichtigen; Deutung als Schuldmerkmale bei Gallas ZStW 67 S. 1 ff, 46; Schmidhäuser Gesinnungsmerkmale S. 217 ff und passim (jetzt aber abweichend den. A T 8/92 ff, 10/124 ff; ders. Studienbuch 5/93 f, 7/131: Schuldm'erkmale, zum Teil auch Unrechtsmerkmale); Deutung als Unrechtsmerkmale bei Maurach-Zipf A T I § 22 Rdn. 51 f; zwischen Unrecht und Schuld vermittelnd Hardwig ZStW 68 S. 14 f f ; differenzierend Jescheck A T § 30 I 1, 3; Lampe Das personale Unrecht S. 229 ff, 238 ff, 241 ff; siehe auch Paeffgen GA 1982 S. 255 ff, 266 ff.

Subjektiver Tatbestand als Vorsatz

8. Abschn

stellt, die v o n der H a n d l u n g unabhängig sind und nur ein erhöhtes M a ß an Rechtsuntreue bezeichnen, g e h ö r e n sie auch zur Schuld. D a s dürfte bei den Merkmalen der Fall sein, die auf die Zuständigkeit oder gesteigerte Zuständigkeit für einen Pflichtverstoß abstellen, wie es etwa beim Merkmal „böswillig" der Fall ist. S o w e i t eine Z u o r d n u n g z u m U n r e c h t erfolgt, bedeutet dies hier w i e auch sonst keine Irrelevanz für die Schuld; denn Unrechtssteigerungen o d e r Unrechtsfärbungen sind ceteris paribus immer auch Schuldsteigerungen o d e r Schuldfärbungen, nur eben durch das U n r e c h t vermittelt. — Zur Behandlung der Merkmale bei Teilnahme siehe unten 2 3 / 2 1 f. F. Zahlreiche Motivmerkmale sowie sämtliche Gesinnungsmerkmale sind ein Indiz 9 9 gleichermaßen der Ethisierung des Strafrechts wie der gesetzgeberischen U n f ä h i g k e i t : D a s Strafrecht umreißt nicht mehr präzise, w e l c h e H a n d l u n g e n nicht sein sollen, sondern ergänzt nur n o c h die A n d e u t u n g einer H a n d l u n g s b e s c h r e i b u n g um die A n d e u tung, mit w e l c h e r Einstellung nicht gehandelt w e r d e n soll. Damit verschwindet die Tatbestandsbestimmtheit zugunsten einer Bewertung, die einen unkontrollierbaren Auslegungsspielraum gewährt.

VI. Der subjektive Tatbestand aus psychologischer Sicht Literatur K. Binding Die Normen und ihre Übertretung Bd. II (1), 2. Auflage 1914; P. Bockelmann Bemerkungen über das Verhältnis des Strafrechts zur Moral und zur Psychologie, Radbruch-Gedächtnisschrift S. 252 ff; B. Burkhardt Oer Wille als konstruktives Prinzip der Strafrechtsdogmatik, in: Heckhausen u. a. (Hrsg.) Jenseits des Rubikon, 1987 S. 319 ff; G. Freund Die normative Problematik der „Tatsachenfeststellung", 1987; J. GlatzelZur psychiatrischen Begutachtung von Ladendieben, StV 1982 S. 40 ff; B. Haffke Strafrechtsdogmatik und Tiefenpsychologie, GA 1978 S. 33 ff; Th. Hillenkamp Beweisnot und materielles Recht, Wassermann-Festschrift S. 861 ff; H. Jäger Strafrecht und psychoanalytische Theorie, Henkel-Festschrift S. 125 ff; ders. Subjektive Verbrechensmerkmale als Gegenstand psychologischer Wahrheitsfindung, MonSchrKrim. 1978 S. 297 ff; G.Jakobs Die subjektive Tatseite von Erfolgsdelikten bei Risikogewöhnung, BrunsFestschrift S. 31 ff; ders. Die juristische Perspektive zum Aussagewert der Handlungsanalyse einer Tat, in: J. Gerchow (Hrsg.) Zur Handlungsanalyse einer Tat, 1983 S. 21 ff; G. Kaiser Strafrecht und Psychologie, in: D. Grimm (Hrsg.) Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaften Bd. I S. 195 ff; W. Köberer Strafbedürfnis, Generalprävention und subjektive Verbrechensmerkmale, KrimJ 1983 S. 184 ff; D. Krauß Das Prinzip der materiellen Wahrheit im Strafprozeß, Schaffstein-Festschrift S. 411 ff; ders. Der psychologische Gehalt subjektiver Elemente im Strafrecht, Bruns-Festschrift S. 11 ff; F. Loos Grenzen der Umsetzung der Strafrechtsdogmatik in die Praxis, in: U. Immenga (Hrsg.) Rechtswissenschaft und Rechtsentwicklung, 1980, S. 261 ff; E. MüllerLuckmann Psychologie und Strafrecht, in: D. Grimm (Hrsg.) Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaften, Bd. I S. 215 ff; W. Rasch Schuldfähigkeit, in: A. Ponsold (Hrsg.) Lehrbuch der gerichtlichen Medizin, 3. Auflage 1967, S. 55 ff; ders. Der Stellenwert des Tatverhaltens bei der psychologisch-psychiatrischen Begutachtung, in : / Gerchow (Hrsg.) Zur Handlungsanalyse einer Tat, 1983 S. 46 ff; ders. Forensische Psychiatrie, 1986; G. Schewe Bewußtsein und Vorsatz, 1967; ders. Reflexbewegung, Handlung, Vorsatz. Strafrechtsdogmatische Aspekte des Willensproblems aus medizinisch-psychologischer Sicht, 1972; ders. „Subjektiver Tatbestand" und Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit, Lange-Festschrift S. 687 ff; ders. Wille und Freiheit — juristische und medizinisch-psychologische Aspekte, in: /. Gerchow (Hrsg.) Zur Handlungsanalyse einer Tat, 1983 S. 1 ff; E. Schorsch und N. Becker Angst, Lust, Zerstörung, 1977; W. Schumacher Die Tathandlung und ihre Bewertung in psychoanalytischer Sicht, in: J. Gerchow (Hrsg.) Zur H a n d lungsanalyse einer Tat, 1983 S. 61 ff; St. Trechsel Das unbewußte Motiv im Strafrecht, ZStW 98 S. 397 ff; H. Vest Vorsatznachweis und materielles Strafrecht, 1986; M. Walter Die subjektive Struktur der Handlung und Strafrecht, KrimJ 1981 S. 207 ff. H. Wegener Zum Aussagewert der Handlungsanalyse einer Tat — die psychologische Perspektive, in: J. Gerchow (Hrsg.) Zur Handlungsanalyse einerTat, 1983 S. 35 ff; U. ZiegertVorsatz, Schuld und Vorverschulden, 1987.

311

8. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

100

A. Das Strafrecht hat eine „esoterische Psychologie" 1 9 1 ; das heißt nicht, das Strafrecht dürfe als psychisches Faktum nehmen, was nach anerkannter psychologischer Erkenntnis kein Faktum sein kann; wohl aber wählt das Strafrecht die psychischen Fakten nach seinen Maximen aus und bewertet sie nach seinen Maximen, die häufig individualpsychologisch wenig plausibel sein mögen. Die psychologisch orientierte Kritik geht (bislang) am psychologiefremdesten Teil des subjektiven Tatbestands überwiegend vorbei, seil, an der Fahrlässigkeit 192 ; vielmehr konzentriert sie sich auf Bereiche, in denen die psychischen Anknüpfungstatsachen offenliegen, hauptsächlich beim Vorsatz. Der Vorsatz ist als Teil der Handlung ein Abkömmling der Vermeidbarkeit, die zu speziell strafrechtlichen Zwecken aus dem Vergleich einer realen und einer hypothetischen Motivationslage gebildet wird (oben 6/27). Die psychischen Fakten können beim Vorsatz deshalb bis auf das Bewußtsein folgenreichen Agierens zurückgeschnitten werden (beim dolus eventualis, oben 8/23). Irgendwelche individuellen Höhepunkte des Erlebens oder auch nur eine Erlebnisrichtung kennzeichnet dieser an der sozialen Bewertung orientierte Vorsatzbegriff nicht mehr. Deshalb dürfte diese Sichtweise psychologisch unergiebig sein, und der Vorwurf, das strafrechtliche Begriffssystem reiche nicht aus, „die psychologische Wirklichkeit des Geschehenen zu erfassen und zu deuten" 1 9 3 , dürfte ebenso richtig sein, wie er die Größe des Winkels strafrechtlicher Blickrichtung überschätzt: Das Strafrecht stellt auf die ganze psychologische Wirklichkeit überhaupt nicht ab, sondern rastert nach seinen Maximen aus dieser ganzen Wirklichkeit einzelne Momente heraus, die psychologisch als bloße Bruchstücke erscheinen mögen 1 9 4 . Beispiel: Die strafrechtliche Zueignungsabsicht ist ein nach strafrechtlichen Bedürfnissen zugeschnittener psychischer Be fund, und es kommt nicht darauf an, ob sie auch eine in individualpsychologischer Sicht sinnvoll abgegrenzte Einheit ist und daß sie in tiefenpsychologischer Sicht — wegen der Fundierung in ganz unterschiedlichen Triebkonstellationen — keine sinnvolle Einheit ist. Ahnliches gilt für den Vorschlag, einige Schwierigkeiten des Vorsatzbegriffs durch einen Verzicht auf das aktuelle Bewußtsein zu lösen, sei es in Richtung auf äußere Finalität 1 9 5 , sei es in Richtung auf ein aktuelles — nicht notwendig bewußtes — Erleben 1 9 6 (siehe oben zu Fn. 21); der Vorschlag widerspricht — ungeachtet seiner Bedeutung für die lex ferenda — in seinem Zuschnitt der relevanten Fakten dem Kenntniserfordernis in § 16 StGB, wählt also eine andere psychologische Wirklichkeit aus als das Gesetz.

101

B. Vom Handlungsbegriff an ist die Entwicklung einer Straftat zugleich Entwicklung dessen, was ein Subjekt im Strafrecht ist. Dabei zeigt sich schon zum Handlungsbegriff, daß die Binnenverfassung des Subjekts insoweit unaufgeklärt bleibt, als es jedenfalls Sache des Subjekts ist, mit ihr fertig zu werden (oben 6/21 f). Was strafrechtlich interessiert, ist der Output eines Subjekts, nach dessen Zustandekommen auf der Unrechtsebene nicht — und auf der Schuldebene nicht erschöpfend — gefragt wird.

191 Binding Normen Bd. II (1) S. 3 Fn. 1; Bockelmann Radbruch-Gedächtnisschrift S. 252 ff, 253. Zu psychoanalytisch orientierten Versuchen, unbewußte Motive zur Deutung von Fahrlässigkeits taten heranzuziehen, siehe Trechsel ZStW 93 S. 397 ff, 408 mit Nachweisen. 193 Raschia·. PonsoldS. 55 f f , 6 9 .

192

312

194 Jakobs in: Handlungsanalyse S. 21 ff, 22, 25; ähnlich Krauß Bruns-Festschrift S. 11 ff, 18 ff; Glatzel StV 1982 S. 40 ff; Ziegert Vorsatz S. 53 ff. 195 Schewe Reflexbewegung S. 57 ff, 106 ff. 196 Schewe Bewußtsein S. 120 und passim; ders. in: Handlungsanalyse S. 1 ff, 8 ff.

9. AbSChn

Fahrlässigkeit. Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen

Das wiederum dürfte psychologisch, insbesondere tiefenpsychologisch, inakzeptabel sein. Beispielhaft gesprochen: Während das Strafrecht auf den Saldo blickt (Handlung oder keine Handlung), gilt das tiefenpsychologische Interesse gerade den Kontenbewegungen (der Triebdynamik) 1 9 7 . Was sich ζ. B. strafrechtlich als T ö t u n g zur Befriedigung des Geschlechtstriebs darstellt, also als ein gezielter O u t p u t eines Subjekts, mag psychoanalytisch ein „Zusammenbruch der psychischen Abwehrmechanismen" sein 1 9 8 , also Indiz eines nicht mehr intakten Subjekts. C. Da das Strafrecht psychische Fakten nur selektiv und nicht in ihrem individuellen 1 0 2 Zusammenhang berücksichtigt, kann es vorkommen, daß Fakten mit einem identischen Entstehungsgrund teils positiv und teils negativ bewertet werden. In solchen Fällen werden die rechtlichen Ansprüche insgesamt praktisch unerfüllbar, da die mittelbare Bewertung des Entstehungsgrunds ambivalent ist. Hauptbeispiel ist die Risikogewöhnung; als Voraussetzung der Routinisierung im Straßenverkehr wird sie positiv bewertet, als Voraussetzung eigenen Fehlverhaltens negativ (siehe oben 8/31 f und unten 9/15). Diese psychologische Inkonstanz der Wertung wird bislang wenig berücksichtigt!". Insgesamt dürften verbindliche Lösungen zum Problembereich derzeit noch nicht vorliegen 2 0 0 .

9. A B S C H N I T T

Einzelheiten der Tatbestandsverwirklichung durch Handlung; 3. Teil: Der subjektive Tatbestand als Fahrlässigkeit und als Vorsatz Fahrlässigkeits - Kombination Literatur H. Alwart

A n m e r k u n g z u B G H 3 5 S. 2 5 7 f f , N S t Z 1 9 8 9 S . 2 2 5 f ; G. Arzt

r e c k l e s s n e s s , S c h r ö d e r - G e d ä c h t n i s s c h r i f t S . 1 1 9 f f ; ders. keitsdelikt,

Z S t W 91

L. E. Backmann 1 9 7 6 S. 9 6 9 f f ; /

S. 8 5 7 f f ;

ders.

Anmerkung

zu

Leichtfertigkeit u n d

Zum Verbotsirrtum beim BGH

35

S. 2 5 7 ff, S t V

Fahrlässig-

1989

S. 57 f;

G e f a h r a l s „ b e s o n d e r e F o l g e d e r T a t " i. S . d e r e r f o l g s q u a l i f i z i e r t e n D e l i k t e ? M D R Baumann

Z S t W 7 0 S. 2 2 7 f f ; ders.

Kritische G e d a n k e n zur Beseitigung der erfolgsqualifizierten Delikte, S c h u l d v e r m u t u n g im Verkehrsstrafrecht! N J W

1 9 5 9 S. 2 2 9 3 f ;

ders.

V e r k e h r s g e f ä h r d u n g als O r d n u n g s w i d r i g k e i t , D o g m a u n d P r a x i s , in : ders. F o l g e n l o s e V e r k e h r s gefährdung

als

Massenerscheinung,

1961;

H.

Blei

( E G S t G B 1 9 7 5 ) , J A 1 9 7 4 S. 2 3 3 f f ; P. BockelmannWie

Die

Neugestaltung

r e c h t a u f ein n e u e s S t r a f g e s e t z b u c h a u s w i r k e n ? M a t e r i a l i e n B d . I S . 197

198 199 200

E i n g e h e n d zu diesen v e r s c h i e d e n e n Blickrichtungen Trecbsel Z S t W 93 S. 397 ff, 409 ff, 415 ff, 421 ff. Schorsch u n d Becker A n g s t etc. S. 26. E i n g e h e n d e r Jakobs B r u n s - F e s t s c h r i f t S. 31 ff. Siehe a u ß e r den s c h o n g e n a n n t e n A b h a n d l u n g e n Schewe L a n g e - F e s t s c h r i f t S. 687 f f ; Rasch in: H a n d l u n g s a n a l y s e S. 46 f f ; ders. Psychiatrie S. 153 f f ; Kaiser in: R e c h t s w i s s e n s c h a f t etc. S. 195 f f ; Müller-Luckmann e b e n d o r t S. 215 f f ; Walter K r i m J 1981 S. 207 f f ; Burkhardt in: J e n seits des R u b i k o n S. 319 ff. — Speziell z u r Beh a n d l u n g d e r subjektiven Tatseite im P r o z e ß 7 f r a » j ? S c h a f f s t e i n - F e s t s c h r i f t S. 411 f f ; gegen die d o r t v o r g e t r a g e n e p r o z e ß t h e o r e t i s c h orientierte Sicht Jäger M o n S c h r K r i m . 1978 S. 297 f f ; siehe

der

Raubtatbestände

w ü r d e sich ein k o n s e q u e n t e s T ä t e r s t r a f 2 9 f f ; ders.

Verkehrsstraf-

a u c h KöbererKrimJ 1983 S. 184 f f ; — z u r k o g n i tiven W e n d e in d e r p s y c h o l o g i s c h e n H a n d l u n g s t h e o r i e Wegener in: Handlungsanalyse S. 3} f f ; — zur Beweisproblematik Loos G r e n z e n S. 261 f f , 267 f f ; Hillenkamp Wassermann-Festschrift S. 861 ff, 867 f f ; Vest V o r s a t z n a c h w e i s S. 93 f f ; Freund N o r m a t i v e P r o b l e m a t i k S. 56 ff, 135 ff (der, w e n n die ä u ß e r e T a t g e s t a l t f ü r V o r s a t z s p r i c h t u n d die Beweismittel e r s c h ö p f t sind, eine O b l i e g e n h e i t des T ä t e r s a n n i m m t , in z u m u t b a r e m R a h m e n eine entlastende subjektive Gestalt o d e r Indizien d a f ü r v o r z u b r i n g e n . — S e h r zweifelh a f t ) ; — z u r T i e f e n p s y c h o l o g i e Jäger H e n k e l F e s t s c h r i f t S. 125 ff, 136 f f ; Haffke G A 1978 S. 33 f f ; Schumacher in: Handlungsanalyse S. 61 ff.

313

9. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

rechtliche Aufsätze und Vorträge, 1967; J. Bohnert Fahrlässigkeitsvorwurf und Sondernorm, JR 1982 S. 6 ff; ders. Das Bestimmtheitserfordernis im Fahrlässigkeitstatbestand, ZStW 94 S. 68 ff; G. Boldt Zur Struktur der Fahrlässigkeitstat, ZStW 68 S. 335 ff; H. BooßKeine Schuldvermutung im Verkehrsstrafrecht! N J W 1960 S. 373; M. Burgstaller Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht unter besonderer Berücksichtigung der Praxis in Verkehrssachen, 1974; P. CramerGedanken zur Reform der fahrlässigen Körperverletzung im Verkehrsstrafrecht, DAR 1974 S. 317 ff; W. Daliinger Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen, MDR 1976 S. 13 ff; E. Deutsch Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, 1963; ders. Finalität, Sozialadäquanz und Schuldtheorie als zivilrechtliche Strukturbegriffe. Welzeis Fernwirkung auf die Zivilrechtsdogmatik, Welzel· Festschrift S. 227 ff; /. L. Diez Ripollez Die durch eine fahrlässig herbeigeführte schwere Tatfolge qualifizierten Delikte und das Schuldprinzip, ZStW 96 S. 1049 ff; A. Donatsch Unrechtsbewußsein und Verbotsirrtum, SchwZStr. 102 (1985) S. 16 ff; G. Dornseifer Unrechtsqualifizierung durch den Erfolg — ein Relikt der Verdachts strafe? Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 427 ff; L. Enneccerus und H. C. Nipperdey Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 15. Auflage 1960; K. Engisch Untersuchungen über Vorsatz und Fahrlässigkeit im Strafrecht, 1930; ders. Der Unrechtstatbestand im Strafrecht, DJT-Festschrift Bd. I S. 401 ff; F. Exner Das Wesen der Fahrlässigkeit, 1910; K. Franzen, B. Gast-de Haan, E. Samson Steuerstrafrecht mit Steuerordnungswidrigkeiten, 2. Auflage 1978; G. Geilen Unmittelbarkeit und Erfolgsqualifizierung, Welzel-Festschrift S. 655 ff; Κ. H. Gössel Uber die Bedeutung des Irrtums im Strafrecht, 1974; ders. Dogmatische Überlegungen zur Teilnahme am erfolgsqualifizierten Delikt nach § 18 StGB, Lange-Festschrift S. 219 ff; ders. N o r m und fahrlässiges Verbrechen, Bruns-Festschrift S. 43 ff; ders. Die Fahrlässigkeitsdelikte, Vorbeugung und Behandlung der Täter, ZStW 91 S. 270 ff; ders. Alte und neue Wege der Fahrlässigkeitslehre, Acta Universitatis wratislaviensis 858, 1987 S. 125 ff; K. A. Hall Über die Leichtfertigkeit, Ein Vorschlag de lege ferenda, Mezger-Festschrift S. 229 ff; W. Hardwig Betrachtungen zum erfolgsqualifizierten Delikt, GA 1965 S. 97 ff; ders. Pflichtirrtum, Vorsatz und Fahrlässigkeit, ZStW 78 S. 1 ff; W. Hassemer Besprechung von BGH N J W 1975 S. 1893, JuS 1975 S. 814 f; R. D. Herzberg Die Schuld beim Fahrlässigkeitsdelikt, Jura 1984 S. 402 ff; ders. Die Sorgfaltswidrigkeit im Aufbau der fahrlässigen und der vorsätzlichen Straftat, JZ 1987 S. 536 ff; H.-J. Hirsch Zur Problematik der erfolgsqualifizierten Delikte, GA 1972 S. 65 ff; ders. Der „unmittelbare" Zusammenhang zwischen Grunddelikt und schwerer Folge beim erfolgsqualifizierten Delikt, Oehler-Festschrift S. 111 ff ; ders. Anmerkung zu B G H 31 S. 96 ff, J R 1983 S. 78 ff; ders. Die Entwicklung der Strafrechtsdogmatik nach Welzel, Universität zu Köln-Festschrift S. 399 ff; G. Jakobs Probleme der Wahlfeststellung, GA 1971 S. 256 ff; ders. Studien zum fahrlässigen Erfolgsdelikt, 1972; ders. Das Fahrlässigkeitsdelikt, Beiheft ZStW 1974 S. 6 ff; ders. Die subjektive Tatseite von Erfolgsdelikten bei Risikogewöhnung, Bruns-Festschrift S. 31 ff; ders. Anmerkung zu BGH JR 1986 S. 380, aaO S. 380 ff; ders. Über die Behandlung von Wollensfehlern und von Wissensfehlern, ZStW 101 S. 516 ff; H. Kamps Arztliche Arbeitsteilung und strafrechtliches Fahrlässigkeitsdelikt, 1981; Armin Kaufmann Das fahrlässige Delikt, ZRV 1964 S. 41 ff; Arthur Kaufmann Das Schuldprinzip, 1961 ; M. Köhler Oie bewußte Fahrlässigkeit, 1982; ders. Strafbegründung im konkreten Rechtsverhältnis, Lackner-Festschrift S. 11 ff; V. Krey und T. SchneiderOie eigentliche Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination nach geltendem und künftigem Recht, N J W 1970 S. 640 ff; W. Küper Gefährdung als Erfolgsqualifikation? N J W 1976 S. 543 ff; G. Küpper Der „unmittelbare" Zusammenhang zwischen Grunddelikt und schwerer Folge beim erfolgsqualifizierten Delikt, 1982; ders. Anmerkung zu B G H 31 S. 96 ff, JA 1983 S. 229 f; D. Lang-Hinrichsen Zur Krise des Schuldgedankens im Strafrecht, ZStW 73 S. 210 ff; K. Laubenthal Anmerkung zu BGH 35 S. 257 f, J R 1988 S. 335 f ; H. LohmeyerWas ist „leichtfertig" i. S. des § 402 RAbgO? N J W 1960 S. 1798 f; C. Lorenzen Zur Rechtsnatur und verfassungsrechtlichen Problematik der erfolgsqualifizierten Delikte, 1981; M. Maiwald Oer Begriff der Leichtfertigkeit als Merkmal erfolgsqualifizierter Delikte, GA 1974 S. 257 ff; ders. Zurechnungsprobleme im Rahmen erfolgsqualifizierter Delikte — BGH 31, 96, JuS 1984 S. 439 ff; R. Maurach Probleme des erfolgsqualifizierten Delikts bei Menschenraub, Geiselnahme und Luftpiraterie, Heinitz-Festschrift S. 403 ff; H. MayerOie folgenschwere Unmäßigkeit (§ 330 a StGB), ZStW 59 S. 283 ff; A. Montenbruck Strafrahmen und Strafzumessung, 1983; H. Mühlhaus Die Fahrlässigkeit in Rechtsprechung und Rechtslehre unter besonderer Berücksichtigung des Straßenverkehrsrechts, 1967; Chr. Mylonopoulos Uber das Verhältnis von Handlungs- und Erfolgsunwert im

314

Fahrlässigkeit. Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen

9. Abschn

Strafrecht, 1981 ; ders. Das Verhältnis von Vorsatz und Fahrlässigkeit und der Grundsatz in dubio pro reo, ZStW 99 S. 685 ff; U. Neumann Zurechnung und Vorverschulden, 1985; W. Niese Finalität, Vorsatz und Fahrlässigkeit, 1951 ; F. Nowakowski Zu Welzeis Lehre von der Fahrlässigkeit, J Z 1958 S. 335 ff; ders. Buchbesprechung, JZ 1958 S. 380 f; D. Oehler Das erfolgsqualifizierte Delikt und die Teilnahme an ihm, GA 1954 S. 33 ff; ders. Das erfolgsqualifizierte Delikt als Gefährdungsdelikt, ZStW 69 S. 503 ff; H.-U. Paeffgen Die erfolgsqualifizierten Delikte — eine in die allgemeine Unrechtslehre integrierbare Deliktsgruppe? J Z 1989 S. 220 ff; I. Puppe Anmerkung zu B G H 31 S. 96 ff, N S t Z 1983 S. 22 ff; G. RadhruchÜber den Schuldbegriff, ZStW 24 S. 335 ff; ders. Aussetzung, V D B T Bd. V S. 185 ff; R. Rengier Erfolgsqualifizierte Delikte und verwandte Erscheinungsformen, 1986; ders. Opfer- und Drittverhalten als zurechnungsausschließende Faktoren bei § 226 StGB, J u r a 1986 S. 143 ff; C. Roxin Literaturbericht, ZStW 84 S. 993 ff; ders. Anmerkung zu B G H 33 S. 66 ff, N S t Z 1985 S. 320 f; H.-J. Rudolphi Vorhersehbarkeit und Schutzzweck der N o r m in der strafrechtlichen Fahrlässigkeitslehre, JuS 1969 S. 549 ff; ders. Anmerkung zu B G H J R 1976 S. 73 f, a a O S. 74 f; ders. Der Zweck staatlichen Strafrechts und die strafrechtlichen Zurechnungsformen, in: B. Schünemann (Hrsg.) Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, 1984 S. 69 ff; T. Schlapp Anmerkung zu B G H 31 S. 96 ff, StV 1983 S. 62 f; E. Schmidhäuser Fahrlässige Straftat ohne Sorgfaltspflichtverletzung, Schaffstein-Festschrift S. 129 ff; K. Scbmoller Ist die versuchte Herbeiführung einer qualifizierenden Folge strafbar? JurBl. 1984 S. 654 ff; ders. Sind auch vorsätzliche Verhaltensweisen im ξ 303 (österreichisches) StGB zu unterstellen? Ö J Z 1984 S. 655 ff; W. Schöne Fahrlässigkeit, Tatbestand und Strafgesetz, H . Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 649 ff; F. C. Schroeder Die Fahrlässigkeit als Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung, JZ 1989 S. 776 ff; H. Schröder Anmerkung zu B G H J R 1971 S. 205 f, a a O S. 206 ff; M. Schuharth Das Problem der erfolgsqualifizierten Delikte, Z S t W 85 S. 754 ff ; B. Schünemann Moderne Tendenzen in der Dogmatik der Fahrlässigkeits- und G e f ä h r dungsdelikte, JA 1975 S. 435 ff, 511 ff, 575 ff, 647 ff, 715 ff, 787 ff; ders. N e u e H o r i z o n t e der Fahrlässigkeitsdogmatik? Schaffstein-Festschrift S. 159 ff; G. Stratenwerth Die Bedeutung der finalen Handlungslehre f ü r das schweizerische Strafrecht, SchwZStr. 81 (1965) S. 179 ff; ders. Zur Individualisierung des Sorgfaltsmaßstabes beim Fahrlässigkeitsdelikt, Jescheck-Festschrift S. 285 ff; W. Stree Anmerkung zu B G H 31 S. 96 ff, J Z 1983 S. 73 f ; E. Stmensee Der subjektive Tatbestand des fahrlässigen Delikts, JZ 1987 S. 53 ff; ders. „Objektives" Risiko und subjektiver Tatbestand, JZ 1987 S. 541 ff; }. TenckhoffO'ie leichtfertige H e r b e i f ü h r u n g qualifizierter Tatfolgen, ZStW 88 S. 897 ff; H. Tröndle Abschaffung der Strafbarkeit der fahrlässigen T ö t u n g und fahrlässigen Körperverletzung bei leichtem Verschulden? D R i Z 1976 S. 129 ff; K. Ulsenheimer Zur Problematik des Versuchs erfolgsqualifizierter Delikte, GA 1966 S. 257 ff; ders. Anmerkung zu B G H JR 1986 S. 249 f, a a O S. 250 f; K. Volk Anscheinsbeweis und Fahrlässigkeit im S t r a f p r o zeß, GA 1973 S. 161 ff; ders. Reformüberlegungen zur Strafbarkeit der fahrlässigen Körperverletzung im Straßenverkehr, GA 1976 S. 161 ff; H. Wegscheider Zum Begriff der Leichtfertigkeit, ZStW 98 S. 624 ff; ]. Weidemann Die finale Handlungslehre und das fahrlässige Delikt, GA 1984 S. 408 ff; ders. Unkenntnis geänderter Rechtsprechung als Entschuldigungsgrund? D A R 1984 S. 410 ff; H. Welzel Studien zum System des Strafrechts, Z S t W 58 S. 491 ff; ders. Das neue Bild des Strafrechtssystems, 4. Auflage 1961; ders. Fahrlässigkeit und Verkehrsdelikte. Z u r Dogmatik der fahrlässigen Delikte, 1961; A. Wimmer Ό ber unzulässige Vertiefung der Schuldfrage bei Fehlleistungen von Kraftfahrern, N J W 1959 S. 1753 ff; /. Wolter Alternative und eindeutige Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage im Strafrecht, 1972; ders. Zur Struktur der erfolgsqualifizierten Delikte, JuS 1981 S. 168 ff; ders. Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr und Verletzung in einem funktionalen Straftatsystem, 1981 ; ders. Der „unmittelbare" Zusammenhang zwischen Grunddelikt und schwerer Folge beim erfolgsqualifizierten Delikt, GA 1984 S. 443 ff; ders. Anmerkung zu B G H 33 S. 322 ff, J R 1986 S. 465 ff; D. Zielinski Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff, 1973.

I. D i e individuelle Fahrlässigkeit A . Allgemeines 1. Fahrlässigkeit

als Irrtum:

F a h r l ä s s i g k e i t ist e i n e r d e r Fälle, in d e r sich V o r s t e l l u n g 1

und Wirklichkeit nicht entsprechen, also ein Fall von I r r t u m 1 , wenn es sich nicht um 1

E i n g e h e n d Gössel B e d e u t u n g S. 22 ff, 28 ff, 31.

315

9. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

Tatsachenblindheit handelt l a (dazu oben 8/5 ff). Im Gegensatz zum Irrtum beim Versuch, bei dem sich der Täter eine Tatbestandsverwirklichung vorstellt, die sich nicht ereignet, irrt der Täter bei Fahrlässigkeit dergestalt, daß er die sich ereignende Verwirklichung des objektiven Tatbestands nicht erkennt. Dieser Irrtum kann in zwei Formen auftreten: Der Täter mag überhaupt nicht daran denken, ob etwas wirklich ist oder nicht, und er mag sich positiv falsch vorstellen, etwas sei nicht wirklich, was doch wirklich ist. Beispiel: Wer ein Auto mit defekten Bremsen lenkt, mag nicht an die Möglichkeit eines Unfalls denken oder aber positiv annehmen, es werde nicht zu einem Unfall kommen; jedenfalls liegt ein Irrtum vor, wenn es doch zu einem Unfall kommt. — Die Frage des Irrtums ist von seiner Vermeidbarkeit zu trennen. Auch die mangels Vermeidbarkeit nicht mehr fahrlässige und deshalb nicht mehr tatbestandsmäßige Handlung wird mit irriger Vorstellung vollzogen. 2

2. Strafbar ist fahrlässiges Verhalten nur bei ausdrücklicher Anordnung, § 15 StGB, sowie bezüglich straferschwerender Folgen im Rahmen von § 18 StGB. — Kennt der Täter nicht sämtliche Umstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören, so handelt er nicht vorsätzlich, § 16 Abs. 1 StGB; sind die Umstände immerhin erkennbar, handelt er fahrlässig. Die Umstände sind erkennbar, wenn der Täter mit dem unterstellten Motiv l b , ein Verhalten der bestimmten Art und mit den bestimmten Folgen zu unterlassen, sein Verhalten und dessen Folgen im Tatzeitpunkt 2 als nicht unwahrscheinlich so bestimmt erkennen und somit unterlassen würde. Wie der Vorsatz nicht direkt als psychisches Faktum zur Handlung gehört, sondern als Form einer qualifizierten Vermeidbarkeit, so geht es auch bei der Fahrlässigkeit nicht direkt um eine Disposition des Täters, die Kenntnis möglich macht, sondern um diese Disposition als Form von Vermeidbarkeit. Demgemäß ist eine fahrlässige Handlung nicht Unrecht, weil die Tatbestandsverwirklichung erkennbar ist (die Erkenntnis verwandelt nur Fahrlässigkeit in Vorsatz), sondern weil eine erkennbare Tatbestandsverwirklichung vermeidbar ist. Es gibt keine Pflicht, sich Kenntnis zu verschaffen, sondern nur eine Pflicht, erkennbar tatbestandsmäßige Handlungen im Fall ihrer Rechtswidrigkeit zu vermeiden; letzteres mag der Täter über eine Kenntnisverschaffung leisten oder, wenn sich der dafür erforderliche Aufwand seines Erachtens nicht lohnt, indem er blind unterläßt3. Das heißt nicht, ein Mensch habe praktisch nur die Möglichkeit, sich aller Handlungen zu enthalten oder aber dauernd über die Tatbestandlichkeit seines Handelns zu urteilen; denn der weitaus größte Teil alltäglichen Handelns ist schon so oft beurteilt la

Die Bezeichnung eines Nichtwissens als Irrtum, also als ein Defizit, ist nur sinnvoll, wenn das Wissen dem Nichtwissenden irgendetwas bedeutet. Das ist bei Tatsachenblindheit gerade nicht der Fall. Beispiel aus einem fremden Normensystem: Die meisten Menschen in Deutschland irren nicht zu Beginn einer Mahlzeit über das Tischgebet, weil ihnen die Befolgung der religiösen N o r m und damit auch die Tatbestandslage (Wurde gebetet oder nicht?) völlig gleichgültig geworden ist. — Eingehender Jakobs ZStW 101 S. 516 ff, 527 ff; siehe schon Hall Mezger-Festschrift S. 229 ff, 233. "> Da das Motiv als dominant unterstellt wird (oben 6/27), erübrigt sich die Bestimmung seiner absoluten Stärke: Das Motiv wirkt jedenfalls optimal; a. A. Herzberg Jura 1984 S. 402 ff, 405

316

2

Kann der Täter die Tatbestandsverwirklichung erst zu einem Zeitpunkt erkennen, in dem er die Folgen seines Verhaltens nicht mehr revozieren kann, oder erkennt er dann sogar wirklich, so fehlt es an einem vorsätzlichen oder fahrlässigen Verhalten. Beispiel: Der Autofahrer kann im Augenblick vor einem nunmehr unvermeidbaren Zusammenstoß erkennen (oder erkennt wirklich), was sich ereignen wird. — eine eigene Fahrlässigkeitskomponente „Vermeidbarkeit" zusätzlich zur Erkennbarkeit ist überflüssig, da die Vermeidbarkeit schon im Handlungsbegriff steckt; anders Maurach-Gössel AT II 5 43 Rdn. 19. 3 Jakobs Studien S. 83 ff.

Fahrlässigkeit. Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen

9. Abschn

worden, daß Gefährlichkeit oder Ungefährlichkeit der jeweiligen Situation ohne weitere P r ü f u n g begriffen werden. Eine Beurteilung der Situation kommt deshalb überhaupt nur bei ungewöhnlichen Situationen in Betracht. Beispiel: D a ß die Betätigung eines Lichtschalters in einem Zimmer ungefährlich ist, das zügige Uberfahren einer Kreuzung bei Rotlicht zeigender Ampel hingegen gefährlich, muß nicht durch ein Urteil ermittelt werden, sondern ist mit der Situation als deren Eigenschaft bekannt. 3. Da der dolus eventualis den gesamten Bereich abdeckt, in dem der Täter die 3 Tatbestandsverwirklichung als nicht unwahrscheinlich beurteilt, läßt sich keine bewußte Fahrlässigkeit (luxuria) mit einer intellektuellen Seite bilden, die mit der intellektuellen Seite beim Vorsatz identisch wäre. Vielmehr kann es nur um Fälle eines nichturteilenden Daran-Denkens gehen 4 ; insbesondere mag der Täter zwischen der Akzeptation und der Verdrängung einer Gefahrvorstellung unentschieden schwanken. Alle Fahrlässigkeit, bewußte wie unbewußte (negligentia), ist deshalb auch negativ ausgezeichnet: Es fehlt die Kenntnis der Tatbestandsverwirklichung. Die T r e n n u n g von bewußter und unbewußter Fahrlässigkeit ist bedeutungslos ; insbesondere entspricht die Trennung nicht derjenigen von schwerer Fahrlässigkeit (Leichtfertigkeit) und leichter Fahrlässigkeit 5 (unten 9/23 ff). 4. Im Ergebnis ist also die Fahrlässigkeit diejenige Form der Vermeidbarkeit, bei der 4 aktuelle Kenntnis des zu Vermeidenden fehlt. Diese negative Auszeichnung dient allein der Abgrenzung zum Vorsatz; die Vermeidbarkeit selbst besteht ohne Blick auf das Vorhandensein oder das Fehlen von Kenntnis allein der Erkennbarkeit wegen. Deshalb ist die Fahrlässigkeit mit ihren positiven Merkmalen gegenüber dem Vorsatz der generellere Begriff (wie entsprechend der dolus eventualis gegenüber dem direkten Vorsatz der generellere Begriff ist: Das Fehlen einer voluntativen Beziehung oder das Fehlen sicherer Voraussicht sind nur Abgrenzungsmerkmale). Vorsatz wie Fahrlässigkeit sind Formen der Vermeidbarkeit; beide sind auch durch die Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung bestimmt; beim Vorsatz ist die Erkennbarkeit zur Kenntnis entfaltet, bei der Fahrlässigkeit nicht. Ist im Prozeß Kenntnis nicht nachweisbar, aber jedenfalls Erkennbarkeit, so ist wegen fahrlässiger T a t zu verurteilen, da das Fehlen von Kenntnis bei der Fahrlässigkeit kein sachhaltiges, sondern nur ein abgrenzendes Merkmal ist 6 .



Jakobs Studien S. 118; ders. Beiheft ZStW 1974 S. 6 ff, 10; Scbmidhäuser A T 10/87, 95; den. Studienbuch 7/91 ff. 5 Α. A. Arthur Kaufmann Schuldprinzip S. 162 (bei unbewußter Fahrlässigkeit soll keine Schuld im materiellen Sinne bestehen); gegen diesen Psychologismus gelten entsprechend die oben zur Tatsachenblindheit angeführten Argumente. 6 Sehr streitig; siehe Jesckeck A T § 54 I 2; eingehend Jakobs GA 1971 S. 257 ff, 260 ff mit N a c h weisen; Wolter Alternative und eindeutige Verurteilung S. 154 ff, 201 ff, 241 f; Schmoller Ö J Z 1984 S. 655 ff, 658 f. — Wenn Mylonopoulos (ZStW 99 S. 685 ff, 693, 705) einwendet, es gebe Fälle, in denen Wissen durch Zufall zustandekomme, „normalerweise aber nicht erlangbar gewesen" sei, verkennt er, daß in der Z«/d//ilage Wissen offenbar erlangbar, also auch Fahrlässigkeit gegeben ist (womit für Vorsatz wie für Fahr-

lässigkeit nicht entschieden ist, daß jedes Zufallswissen bei der Bestimmung des erlaubten Risikos relevant ist). Weiterhin trifft es nicht zu, daß man bei der Annahme eines Stufenverhältnisses „konsequenterweise den Vorsatz erst an H a n d der Fahrlässigkeit ermitteln" müßte ( a a O S. 695) (obgleich man es könnte). Wie man, um Wurzeln einer Pflanze festzustellen, nicht nachzugraben braucht, wenn man einen Sproß sieht, genügt zur Ermittlung von Erkennbarkeit, daß erkannt wurde. — Siehe auch oben 6/27 mit Fn. 71. — Die Rechtsprechung hat zunächst auf die Stufung der „Schuld"-Grade abgestellt (RG 41 S. 389 ff, 391), dann Wahlfeststellung angenommen ( B G H 4 S. 340 ff) und schließlich die Fahrlässigkeitstatbestände als Auffangtatbestände (d. h. als Tatbestände, die Fälle nicht bewiesenen Vorsatzes auffangen sollen) interpretiert ( B G H 17 S. 210 ff, 212).

317

9. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

B. Die Fahrlässigkeit als Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung 5

1. O b der Täter einen sinnvollen Anlaß hat, die erkennbar tatbestandsmäßige H a n d lung zu unterlassen, ist — wie beim Vorsatz — gleichgültig; insbesondere ist die Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung nicht davon abhängig, daß der Täter die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens erkennen k a n n 7 , zumal auch fahrlässige Handlungen gerechtfertigt sein können. Eine fahrlässige H a n d l u n g ist eine vermeid bare, aber nicht jedenfalls eine individuell sinnvoll zu meidende und auch nicht eine rechtlich jedenfalls zu meidende Handlung. Wie der Handlungsbegriff so ist auch derjenige der Fahrlässigkeit zwar f ü r rechtliche Zwecke zurechtgeschnitten, besteht aber unabhängig vom Ergebnis einer rechtlichen Bewertung und ist in diesem Sinn natürlich. Beispiel: 7 Α. A. Arzt ZStW 91 S. 857 ff, 877: Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum sollen „auf einer sich zum Kreis schließenden Linie" liegen. Daran ist richtig, daß eine Erkenntnisblockierung entweder im Tatbestandsbereich oder aber im Normbereich den rechtlich vernünftigen Anlaß blockiert, im jeweils anderen Bereich die Lage zu beurteilen (oder die Handlung blind zu unterlassen), also die vorhandene Fähigkeit zu gebrauchen. Das heißt aber nicht, die Maßstäbe für Fahrlässigkeit und Verbotsirrtum müßten vereinheitlicht werden, wie Arzt aaO S. 883 ff meint; vielmehr ist die Frage, ob eine Fähigkeit nach dem für ihren Bereich geltenden Maßstab hinreichend stark ist, von der Frage zu trennen, ob aus dem jeweils anderen Bereich ein Anlaß geliefert wird, die Fähigkeit auch zu gebrauchen. Kraß: Wie Vorsatz selbst im unvermeidbaren Verbotsirrtum Vorsatz bleibt, obgleich jeder Anlaß zum Anders-Handeln fehlt, so auch Fahrlässigkeit. — Ahnlich wie Arzt auch Donatsch SchwZStr. 102 (1985) S. 16 ff, 44 ff („Sachverhalts- und Verbotsirrtum" als „untrennbare Bestandteile einer einzigen Fehlvorstellung", S. 47); Schünemann JA 1975 S. 435 ff, 787 ff; den. Schaffstein-Festschrift S. 159 ff, 164; Schünemann argumentiert, wenn ein Einsichtsoder Geschicklichkeitsmangel das Unrecht ausschließe, dürfe nicht ein gravierendes Persönlichkeitsdefizit (seil, nach § 20 StGB) das Unrecht belassen. — Man wende das auf den Vorsatz! — Zutreffend zur Trennung von Unrecht und Schuld Stratenwerth Jescheck-Festschrift S. 283 ff, 286 ff; siehe auch Schöne H. Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 649 ff, 668 ff. — Für Köhler Bewußte Fahrlässigkeit, ist Unrecht ein Widerspruch gegen die Normallgemeinheit. Beim Vorsaizdelikt behandelt der Täter die N o r m als bereichsweise ungültig (seil, in dem Bereich, in dem er sich bewegt) und negiert damit den „Allgemeinwillen in seiner Allgemeinheit" (S. 328). Diese Negation beruht auch bei Unrechtskenntnis auf einem Mangel an konkreter Normeinsicht; denn hätte der Täter „die volle E i n s i c h t . . . als für sich gültige Bestimmung . . ., dann könnte er schlechthin nicht ihr zuwiderhandeln" (S. 332). Beim Fahrlässigkeitsunrecht wird hingegen „der übergreifende Normallgemeinwille nicht in seiner Besonderheit überhaupt, sondern in seiner einzel-

318

nen Besonderung verfehlt" (S. 357), das heißt, der Täter verfehlt die Verletzungseinsicht. Schuld kann nach Köhler nur im „Prozeß des sich selbst zum Unrecht bestimmenden Willens" stattfinden, und zwar „ausgehend von richtiger Einsicht" (S. 374, 397). Der Täter muß sich also aktuell selbst korrumpieren — bei bewußter Fahrlässigkeit: „Sich-leichtsinnig-Machen" (S. 391) — oder vor der Tat zum habituell Korrumpierten gemacht haben. Die Korrumpierung geschieht beim Vorsatzdelikt „unvermittelt" durch „selbstsüchtige Motivation", bei Fahrlässigkeit „vermittelter" : „Das Interesse macht sich . . . nicht unmittelbar zur N o r m vorgeblicher Richtigkeit auch eines eingesehenen Verletzens. . ., sondern die ihm subsumierte Bedeutungsallgemeinheit schwächt die Gültigkeit des Verletzungswissens als eines praktischen ein" (S. 396). — Dieser gründliche Versuch einer Restitution einer idealistischen Schuldlehre via bewußte Fahrlässigkeit muß an seiner Uberschätzung der aktuellen Konstitution des Subjekts scheitern: Ohne die „nach natürlichen Voraussetzungen und kulturell-sozialem Bildungsprozeß konstituierte praktische Vernünftigkeit des Subjekts" (S. 397) kommt Köhler nicht aus; — aber schon diese praktische Vernünftigkeit ist nicht notwendig ein Befund beim Subjekt, sondern möglicherweise auch ein Anspruch an das Subjekt, das die ihm gebotenen Chancen nicht genutzt hat. Um eine normative Bestimmung des Subjekts kommt auch Köhler nicht herum; irgendwann muß er, so Schuld überhaupt möglich sein soll, das Subjekt, das von ihm wie eine ontologische fixe Größe behandelt wird, nehmen, wie es sein soll, aber nicht ist. Wenn Köhler in den zahlreichen Fällen, in denen das Zurückbleiben des Ist-Subjekts hinter dem Soll-Subjekt plausibel (aber nicht tolerierbar!) ist, den relevanten Zeitpunkt vorverlegt, so muß das mangels gesetzlicher Wertung für die Zeit, in der die Person ihre „richtige Einsicht" korrumpiert hat (die Tatbestandsverwirklichung läßt sich nicht auch vorverlegen) zu einer immensen Herummoralisiererei führen. Köhler versagt sich ein solches Moralisieren, bleibt deshalb aber auch insoweit ganz vage. Siehe auch ders. Lackner-Festschrift S. 11 ff, 30; AK-Schild Rdn. 197 ff vor § 13.

Fahrlässigkeit. V o r s a t z - F a h r l ä s s i g k e i t s - K o m b i n a t i o n e n

9. Abschn

Wer gedankenverloren spazierengehend Weinbergschnecken zertritt, handelt insoweit fahrlässig, gleich ob das Zertreten erkennbar oder unerkennbar verboten ist, oder gar erlaubt ; denn mit dem Motiv zur Vermeidung unterbliebe das Zertreten jedenfalls. 2. Die bezeichnete Bestimmung der Fahrlässigkeit als individuelle Erkennbarkeit 6 (gleichbedeutend: Voraussehbarkeit) der Tatbestandsverwirklichung ist umstritten. Nach verbreiteter Ansicht soll es im Rahmen des Tatbestands um eine objektiv bestimmte Voraussehbarkeit gehen, die teils zu einer objektiven Sorgfaltspflichtverletzung angereichert wird; nach dieser Lösung soll die individuelle Voraussehbarkeit ein Schuldproblem sein. Was zunächst eine angeblich bestehende Sorgfalts/>//«cÄi angeht oder einen die Fahrlässigkeit kennzeichnenden Sorgfalts^mio/? 8 , so gibt es bei Fahrlässigkeit — wie bei Vorsatz — keine andere Pflicht als die sich aus der N o r m ergebende Pflicht, und nur gegen diese Pflicht wird verstoßen : Der Täter soll bei fahrlässiger Begehung die Tat unterlassen, bei fahrlässiger Unterlassung soll er sie (sorgfältig!) vornehmen. Insbesondere ist beim Begehungsdelikt die geläufige Rede, der Täter habe die gebotene Sorgfalt fehlen lassen, normlogisch falsch: Der Täter hat beim Begehungsdelikt nicht sorgfältig zu handeln, sondern unsorgfältiges Handeln zu lassen 9 . Beispiel: Im Begehungsbereich ist nicht etwa sorgfältiger Umgang mit Streichhölzern geboten, sondern sorgloser Umgang verboten ; eine Pflicht zum Umgang besteht nicht. 3. Gibt es demnach keine besondere Sorgfaltspflicht o. ä., so ist doch — parallel 7 zum Vorsatz — nicht jede Voraussehbarkeit einer Folge eine strafrechtlich relevante Fahrlässigkeit; vielmehr schlagen die Einschränkungen des objektiven Tatbestands, die durch die objektive Zurechnung erfolgen, auch auf die Fahrlässigkeit durch: Strafrechtlich relevant ist nur die Voraussehbarkeit eines Risikos, das außerhalb des erlaubten Risikos liegt und auch sonst objektiv zurechenbar ist10. Beispiel: O b ein sich korrekt verhaltender Autofahrer die Möglichkeit eines Unfalls bedenkt oder erkennen könnte, ist gleichgültig; eine Tatbestandsverwirklichung liegt jedenfalls nicht vor. Das erlaubte Risiko begrenzt aber nicht den Begriff der Fahrlässigkeit, sondern nur die rechtliche Relevanz von Fahrlässigkeit. Auch im Rahmen sowieso erlaubten Verhaltens (gerechtfertigte Handlungen, Handlungen mit minimalem Risiko oder sonst tatbestandslose Handlungen) gibt es Fahrlässigkeit 1 1 . Beispiel: Schneller als 50 Stundenkilometer kann ein Täter vorsätzlich wie fahrlässig sowohl dort fahren, wo es verboten ist, wie auch dort, wo es erlaubt ist, sei es überhaupt erlaubt oder kraft einer Rechtfertigung. 8 RG 56 S. 343 ff, 349 f; Bockelmann-Volk AT § 20 Β I 2; Burgstaller Fahrlässigkeitsdelikt S. 19; ders. Wiener Kommentar § 6 Rdn. 23 f; SchönkeScbröder-Cramer § 15 Rdn. 131 (Überschrift!); Wessels AT § 15 II 3 vor a und die überwiegende Ansicht; in subjektivierender Formulierung auch Stratenwerth AT Rdn. 1099 ff. 9 Zutreffend Schmidhäuser Schaffstein-Festschrift S. 129 ff; ders. AT 10/82; den. Studienbuch 7/93; Schöne H. Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 649 ff, 653 ; Jakobs Studien S. 67 f; LK-Schroeder § 16 Rdn. 157 f mit weiteren Nachweisen; Schroeder JZ 1989 S. 776 ff; hauptsächlich auch Maurach-Gössel AT II § 4 3 Rdn. 19; siehe auch HardwigZStW 78 S. 1 ff, 27. 10 Die Behauptung, durch das Erfordernis objektiver Zurechenbarkeit und das Erfordernis der Erkennbarkeit eines schon objektiv unerlaubten Risikos werde die individuelle Fahrlässigkeitsbe-

stimmung verwässert (Schünemann JA 1975 S. 435 ff, 511 ff, 514), ist dogmatisch ganz ungereimt: Das Objektive ist beim Vorsatz wie bei Fahrlässigkeit Bezugspunkt des Subjektiven, ohne daß dadurch jedoch die Beziehung objektiv würde; der subjektive Tatbestand ist nicht objektiv, weil er sich auf den objektiven Tatbestand zu beziehen hat. 11 Die Lehre, die Fahrlässigkeit durch einen „Sorgfaltsverstoß" definieren will (oben Fn. 8), muß bei Rechtfertigung zwischen dem an sich Sorgfaltswidrigen und dem im Ergebnis Erlaubten trennen. Tatbestandslose Fahrlässigkeit kann diese Lehre überhaupt nicht erfassen. — Gegenwärtig plädiert Arzt (ZStW 91 S. 857 ff, 871) für einen „situationsbezogenen Sorgfaltsmaßstab, der Rechtfertigungsüberlegungen aufsaugt". Einen Vorzug dieser Gleichbehandlung von tatbestandsloser Fahrlässigkeit (ohne Blick auf den so-

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9. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

II. Kritik der objektiven Fahrlässigkeit A. Was die verbreitete objektive Bestimmung der Voraussehbarkeit 12 angeht, so wird die dadurch bedingte Entindividualisierung der Handlung teils kaschiert, indem darauf verwiesen wird, auch der in objektiver Sicht tatbestandsmäßige Akt bleibe individuell vermeidbar; denn jedermann könne seine Aktionen vermeiden, wenn er nur wolle 13 . Bei dieser Argumentation wird jedoch verkannt, daß der Handlungsbegriff relativ ist (oben 6/27, 34). Was mit dem Motiv, schlechthin überhaupt nicht zu handeln, vermieden würde, und deshalb überhaupt erst Handlung ist, muß nicht schon deshalb auch mit dem Motiv vermeidbar sein, eine bestimmte (seil, tatbestandsmäßige) Handlung nicht zu vollziehen. Eine bestimmte Handlung ist vielmehr erst gegeben, wenn die Aktion als so bestimmt erkennbar ist, und das ist gerade nicht der Fall, wenn dem Täter nur zugänglich ist, daß irgendeine Aktion stattfindet 14 . 9 Β 1. Die objektive Bestimmung der Voraussehbarkeit ist deshalb mit einem individuellen Handlungsbegriff unvereinbar. So werden für die objektive Voraussehbarkeit auch vorweg Argumente angeführt, die mit der Zurechnung zum individuellen Täter

8

zialen Zusammenhang nicht rechtswidrig) und gerechtfertigter Fahrlässigkeit (wegen des sozialen Zusammenhangs nicht rechtswidrig) nennt Arzt nicht. 12 Die objektive Voraussehbarkeit hat als Lockerung eines objektiv-naturalistischen Handlungsbegriffs im System von v. Liszt, Beling und Radbruch ihren dogmengeschichtlichen Platz; siehe oben 6/6 ff; und zwar drängte das bei der Fahrlässigkeit nicht genuin, aber praktisch angesiedelte Problem des erlaubten Risikos zu einer Lösung, die mit dem Fahrlässigkeitsbegriff vermischt wurde. Zur Entwicklung der objektiv verkehrsgemäßen Sorgfalt insbesondere durch Radbruch (ZStW 24 S. 333 ff, 346 f), Exner (Wesen S. 179 ff) und hauptsächlich Engisch (Untersuchungen S. 283 ff, 343 f; ders. DJT-Festschrift Bd. I S. 401 ff, 417 f) siehe eingehend Jakobs Studien S. 56 ff. — Siehe auch die zum erlaubten Risiko angeführte Literatur oben 7/Fn. 67. — Die Entwicklung der Fahrlässigkeit im Bereich des finalen Handlungsbegriffs verlief vom Individuellen zum Objektiven (eingehend Jakobs Studien S. 70 ff). N a c h Welzeis früher Konzeption sollte es bei der Fahrlässigkeit um die individuelle Vermeidbarkeit gehen; da lPWze/(ZStW 58 S. 491 ff, 559 ff) jedoch meinte, die Vermeidbarkeit als sinnvolle Vermeidbarkeit verstehen zu müssen (obgleich er die Vermeidbarkeitsform „Vorsatz" längst vom Unrechtsbewußtsein gelöst hatte), konnte er sie nicht von der Schuld sondern: „Damit fallen Schuld und Unrecht untrennbar zusammen" ( a a O S. 562; ganz entsprechend schon Exner a a O S. 193). Nachfolgend wurde nicht die individuelle Vermeidbarkeit von der individuellen Sinnhaftigkeit des Vermeidens getrennt, sondern die Vermeidbarkeit objektiviert. Statt parallel zum Vorsatz als Form von Vermeidbarkeit eine individuelle Fahrlässigkeit zu bilden, wurde ins-

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besondere durch Niese (Finalität S. 53, 62 f) der Vorsatz als psychisches Faktum genommen und argumentiert, dieses Faktum finde sich auch bei der fahrlässigen Handlung (was freilich für die Automatismen nicht zutrifft), dort nur nicht auf den Tatbestand bezogen. N u n ist ein nicht auf den Tatbestand bezogener Vorsatz nichts anderes als ein Willkürakt im Sinn der kausalen H a n d lungslehre, und deshalb erscheint nach diesem Irrweg der Dogmatik die objektive Sorgfalt als Rettung vor einem „Kausierungsunrecht" (so Welzel Straf recht 3 S. 413; ferner ders. Neues Bild S. 32 ff; ders. Fahrlässigkeit und Verkehrsdelikte S. 31 f; Boldt ZStW 68 S. 335 ff, 345 f; Armin Kaufmann Z R V 1964 S. 41 ff, 47 ff; Hirsch ZStW 93 S. 831 ff, 94 S. 239 ff, 251 ff; Stratenwerth hat seine Ansicht aus SchwZStr. 81 (1965) S. 179 ff, 205 f in der 1. Auflage seines AT, 1976, dort Rdn. 1165 ff, revidiert). Das objektivierende finalistische System, der Sache nach eine Theorie des erlaubten Risikos, hat über Nipperdey AT Bd. II §§ 208 ff Eingang in das Zivilrecht gefunden; eingehend Deutsch Fahrlässigkeit S. 93 ff; ders. Welzel-Fest schrift S. 227 f f ; siehe auch B G H Z 24 S. 21 ff (mit verfehlter Deutung der Verkehrsrichtigkeit eines Verhaltens als Rechtfertigungsgrund); B G H V R S 14 S. 30 ff. Zum Problembereich siehe Welzel Straf recht § 18 Einleitung und I 1, dort auch zum sozialen Handlungsbegriff (Einleitung 4); zu den Einwendungen von Nowakowski (JZ 1958 S. 335 ff, 380 f) gegen die Konzeption Welzeis stehe Welzel Strafrecht 7 S . V ff. 13 Armin Kaufmann Z R V 1964 S. 41 ff, 47; Schünemann Schaffstein-Festschrift S. 159 ff, 163; ders. JA 1975 S. 435 ff, 51 I f f , 514. 14 Jakobs Studien S. 65 f; Stratenwerth JescheckFestschrift S. 285 ff, 292.

Fahrlässigkeit. Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen

9. Abschn

nichts zu tun haben 1 5 , wobei hauptsächlich darauf abgestellt wird, daß die Situation, in der eine Folge objektiv voraussehbar ist, plakativ als zu vermeidende Situation ausformuliert werden kann („wer sich in bestimmter Weise verhält, muß mit bestimmten Folgen rechnen"). 2. Diese Ausformulierung von Tattypen objektiver Fahrlässigkeit bringt jedoch 10 keinen Vorteil gegenüber einer individuellen Bestimmung der Erkennbarkeit. Das ist zunächst f ü r die Fälle evident, in denen das objektive Urteil subjektiv nachvollziehbar ist; dann ist die Objektivierung ganz überflüssig. Ist der subjektive Nachvollzug nicht möglich, so ist zwischen zwei dogmatischen Folgerungen, die gezogen werden, zu unterscheiden: a) Wird bei nur-objektiver Voraussehbarkeit die Fahrlässigkeitsschuld verneint 1 6 , so kommt es nicht zur Zurechnung, und die Objektivierung erschöpft sich in dem Ergebnis, daß immerhin Unrecht vorliegt. Das wird teils f ü r vorzugswürdig gehalten, da nur so Maßregeln und eine Strafe bei einem Vollrausch (§ 323 a StGB) verhängt werden könnten. Diese Annahme beruht jedoch auf einer nur-begriffsjuristischen Konstruktion 1 7 : Was im Maßregelrecht „Rechtswidrigkeit" heißt, ist aus dem Regelungszweck dieses Bereichs herzuleiten, wobei sich Objektivierungen f ü r Fahrlässigkeit wie Vorsatz ergeben mögen. Beim Vollrausch schließlich geht es allein um die Schuldfähigkeit; ein Verzicht auf ein Schuldmerkmal der individuellen Voraussehbarkeit wäre also schon nach dem Wortlaut von § 323 a StGB ausgeschlossen und wäre auch allenfalls im Bereich rauschbedingter Unfähigkeit sachgerecht. b) Wird jedoch auf den Nachvollzug des objektiven Urteils verzichtet, das maßstäbliche Verhalten also nicht als Erkenntnishilfe eingesetzt, sondern als Leitbild vorgeschrieben 1 8 , so geht im subjektiven Tatbestand der Folgenbezug verloren und die Verletzungsdelikte wandeln sich in subjektiv-abstrakte Gefährdungsdelikte. Bei dieser Lösung könnte dasjenige, was als Erkennbares Fahrlässigkeit begründet, als Erkanntes keinen Vorsatz bilden. Beispiel: Ein Arzt, der an die Richtigkeit einer Rezeptur glaubt, von der allgemein angenommen wird, sie widerspreche der lex artis, und der das aktuell 15 Siehe Jescheck A T § 54 I 3 a. E.; ders. Aufbau und Behandlung S. 11 f; Schiinemann JA 1975 S. 435 ff, 511 ff, 513 ff; KöhlerBewußte Fahrlässigkeit S. 41 I f f ; Mylonopoulos Verhältnis S. 104 ff; Kamps Arbeitsteilung S. 75 f f ; LKSchroeder% 1 6 R d n . 146 ff. 16 So die übliche Lehre und auch die Rechtsprechung; R G 3 S. 208 f, 209; 24 S. 417 ff, 418; 30 S. 25 ff, 28; 73 S. 257 ff, 262; 74 S. 195 ff, 198; B G H 24 S. 213 ff, 215 f; O L G Köln N J W 1963 S. 2381 ff, 2383. 17 Stratenwerth Jescheck-Festschrift S. 285 ff, 297 ff; Jakobs Beiheft ZStW 1974 S. 6 ff, 20 f mit Fn. 45. 18 So Armin Kaufmann 2 R V 1964 S. 41 ff, 52 f in der Version, daß die Erkennbarkeit des nach objektivem Urteil Riskanten eine Frage der Erkennbarkeit des Verbots sein soll; so auch Zielinski Handlungs- und Erfolgsunwert S. 168 ff, 179 ff; AK-Zielinski §§ 15, 16 Rdn. 13, 89, 130; Weidemann GA 1984 S. 408 ff, 423; ders. D A R 1984 S. 310 ff; siehe dagegen Jakobs Studien S. 66 f; siehe auch ArztZStW 91 S. 857 ff, 884 Fn. 64. Nach der kritisierten Ansicht kann der Gesetzgeber keine Tatbestände mit nur fahrlässigem Fol-

genbezug bilden; so zuletzt Stmensee J Z 1987 S. 53 ff, 57 f und S. 541 ff, wonach als Tatbestand des fahrlässigen Delikts ein „unwertiger Sachverhalt herauspräpariert werden" soll, „auf den sich die Finalität des Handelnden bezieht". Dieser Sachverhalt soll im vorsätzlichen Handlungsteil gefunden werden, besteht also etwa beim fahrlässigen Erschießen eines Menschen, der hinter einer T ü r steht, im vorsätzlichen Schießen auf die T ü r in einem bewohnten H a u s (ein solches vorsätzliches Handlungsstück fehlt freilich bei Automatismen). Konsequenz: „Die Erfolgsmöglichkeit selbst wird . . . nicht Merkmal der begrifflichen Beschreibung (Begriffsinhalt), sondern bleibt Motiv der Zusammenstellung erfolgsträchtiger Faktoren". Es gibt aber keine Gleichung, man könne nur zwecktätig vermeiden, was man aktuell zwecktätig herbeiführt. Gäbe es diese Gleichung, gälte sie auch für die Vermeidbarkeit der Tatbestandsverwirklichung als Unrecht, das heißt, die Vorsatztheorie wäre einzig richtig (dagegen unten 19/14 ff). Gegen Stmensee siehe Herzberg JZ 1987 S. 536 f f ; zum H a u p t p u n k t des Streits, dem Sonderwissen beim erlaubten Risiko, siehe oben 7/49 f.

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9. A b S C h n

2. B u c h . 1. K a p i t e l . T a t b e s t a n d s v e r w i r k l i c h u n g d u r c h H a n d l u n g

bedenkt, mag besonderen Anlaß haben, seine Ansicht zu überprüfen; sofern er aber handelt, sind die zur eigenen Überraschung auftretenden Verletzungen nicht vorsätzlich herbeigeführt, da sie nicht erkannt worden sind; — wie sollte dann aber die Erkennbarkeit des Verstoßes gegen die lex artis ohne Erkennbarkeit der Folgen Fahrlässigkeit begründen 1 8 a ? 3. Weiterhin wird beim Streit um die Bestimmung der Fahrlässigkeit das Argument vorgebracht, eine Objektivierung sei nötig, um besonders befähigte Personen vor exzessiv hohen Anforderungen zu bewahren 1 9 . Das Argument ist wenig klar; eine pauschale Erledigung ist der differenzierten Problemlage unangemessen : Beim Begehungsdelikt kann es überhaupt nur um die besondere Fähigkeit zur Prognose einer Tatbestandsverwirklichung gehen. Die Berücksichtigung dieser Fähigkeit ist aber schon ein Problem des erlaubten Risikos (oben 7/35 ff, 49 f) und entscheidet sich nach der Zuständigkeit des Täters für den schadensträchtigen Umstand, also nach einem normativen Prinzip. Beispiel: Ein Forscher muß eine riskante Versuchsanordnung auch mit Hilfe seiner Sonderfähigkeiten beherrschen, aber ein Student des Bauwesens muß seine Sonderfähigkeiten nicht aktivieren, wenn er in den Semesterferien als Handlanger auf einer Baustelle arbeitet. Besonderheiten für die Fahrlässigkeit ergeben sich dabei nicht, insbesondere bleibt bei geleisteter Voraussicht aber mangelnder Zuständigkeit nur eine Haftung aus § 323 c StGB. Beispiel : Erkennt im zuletzt genannten Beispiel der Student, daß die von ihm herzustellende Betonmischung nicht tragfähig sein wird, so haftet er trotz seines vorsätzlichen Handelns nicht aus einem Begehungs-Verletzungsdelikt. — Zum Einsatz von Sonderfähigkeiten bei der Unterlassung siehe unten zur Pflichtenkollision 15/12 ff und zum Unterlassungsdelikt 29/14. 4. Es ist schließlich auch nicht erforderlich, bei Fahrlässigkeitsdelikten das verbotene Verhalten durch die Angabe des Sorgfaltswidrigen genauer zu detaillieren, als es bei Vorsatz geschieht, insbesondere auch nicht bei Erfolgsdelikten. Die Tatbestände der Fahrlässigkeitsdelikte sind keine offenen Tatbestände und nicht einmal relativ weniger bestimmt als Vorsatzdelikte. Beim Vorsatzdelikt wie beim Fahrlässigkeitsdelikt muß der Täter aus dem Verursachungsverbot das Verbot des konkret verursachenden Verhaltens selbst ableiten (etwa bei der Tötung: das Verbot des Erschlagens oder Vergiftens etc.). Es gibt so viele Modalitäten fahrlässigen Handelns, wie es Modalitäten vorsätzlichen Handelns gibt, und eine Bündelung des Fahrlässigen im Begriff des Sorgfaltswidrigen ergibt über das sowieso zu Benennende hinaus, also jenseits der Erkennbarkeit eines nicht mehr erlaubten Risikos, keine Präzisierung des Verbotenen 2 0 .

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Zutreffend Stratenwerth Jescheck-Festschrift S. 285 ff, 292 mit Fn.27. ¡escheck AT § 54 I 3 a. E . ; Schünemann JA 1975 S. 435 ff, 511 ff, 513 ff; den. Schaffstein-Festschrift S. 159 ff, 165 f; Mylonopoulos Verhältnis S. 104 ff, 108; Schroeder ZStW 91 S. 257 ff, 263; LK-Schroeder § 16 Rdn. 163 ff; Hirsch Universität zu Köln-Festschrift S. 399 ff, 410 f; — dagegen Stratenwertb AT Rdn. 1098; den. JescheckFestschrift S. 285 ff, 299 ff; siehe zur Kontroverse auch SK-Samson § 16 Anhang Rdn. 11. — Umgekehrt Schönke-Schröder-Cramer § 15 Rdn. 138 ff, der individuelle Sonderfähigkeiten zu einem objektiv bestimmten Standard hinzufügen will. Cramers Einwand, bei der Übernahme-

fahrlässigkeit (unten 9 / 1 4 ) versage die subjektive Bestimmung, weil der Übernehmende ja unfähig sei, den zu übernehmenden Aufgabenkreis zu bewältigen (aaO Rdn. 140 a), läßt unberücksichtigt, daß der Übernehmende bei der Übernahme subjektiv zur Vermeidung fähig ist. 20 Jakobs Studien S. 74; siehe auch Bohnert ZStW 94 S. 68 ff, 74 ff; AK-Zielinski §§ 15, 16 Rdn. 13; a. A, Schöne H. Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 649 ff, 656 ff und passim, von dem Ansatz aus, bei Fahrlässigkeit sei ein Verhalten mit bestimmter, aber eben nicht tatbestandlich fixierter Finalität verboten; gegen diesen Ansatz oben 6/15.

Fahrlässigkeit. Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen

9. A b S C h n

5. Im Ergebnis hat die objektive Voraussehbarkeit keine Funktion, die nicht schon 1 3 das erlaubte Risiko erfüllen würde. Sie ist so überflüssig, wie es ein „objektiver V o r satz" wäre. Zum Fahrlässigkeitsunrecht (und nicht erst z u r Schuld) gehört die individuelle Voraussehbarkeit 2 1 . Das Unrecht hängt also von den Fähigkeiten des jeweiligen Täters ab, seine H a n d l u n g ihrer tatbestandserfüllenden W i r k u n g wegen zu vermeiden. Beispiel: Werfen ein Dachdeckermeister und sein Lehrling Ziegel vom Dach auf einen Weg und kann der Meister, nicht aber der Lehrling erkennen, daß Stücke der beim Aufprall zersplitternden Ziegel bis auf eine 20 m entfernte Straße streuen und d o r t Passanten verletzen können, so handelt der Meister fahrlässig, der Lehrling nicht. Diese Individualisierung entspricht auch der Funktion des Strafrechts, das nicht die Erwartung garantiert, alle Menschen seien gleich befähigt, sondern die Erwartung rechtstreuer Motivation 2 2 .

III. Einzelprobleme der Fahrlässigkeit A. Die Ubernahmefahrlässigkeit Die individuelle Voraussehbarkeit muß — wie der Vorsatz — zur Zeit der T a t h a n d - 1 4 lung gegeben sein. Tathandlung muß aber nicht die letzte kausierende H a n d l u n g des Täters vor dem Erfolgseintritt sein; vielmehr ist es möglich, daß der Täter sich selbst fahrlässig als unvermeidbar handelndes Werkzeug entläßt. Beispiel : Der Täter beginnt eine Autofahrt, obgleich er erkennbar übermüdet ist; wegen der Übermüdung verkennt er später unvermeidbar eine Verkehrssituation etc. (sogenannte Übernahmefahrlässigkeit oder fahrlässige Tätigkeitsübernahme) 2 3 . Eine Vorverlagerung des Handlungszeitpunkts ist nur möglich, wenn der Täter zur früheren Zeit nicht nur fähig ist, die Konsequenzen seines kommenden Tuns zu überblicken, sondern auch verpflichtet, f ü r ein Ausbleiben der Konsequenzen zu sorgen. Daran fehlt es, wenn der Täter im späteren Zeitpunkt nur eine Leistung nach seinen ad hoc aktivierbaren Fähigkeiten erbringen muß. Beispiel: Wer Zeuge eines schweren Unfalls wird, kann erkennen, daß er später vor Gericht als Zeuge wird aussagen müssen und ohne Fixierung des Erlebten vielleicht unvermeidbar falsch aussagen wird. T r o t z d e m hat er keine Pflicht, sich um eine Fixierung zu bemühen oder ein der Fixierung hinderliches Verhalten zu unterlassen. Die Übernahmefahrlässigkeit besteht nur, wenn der Täter zum früheren Zeitpunkt schon Garant für die Qualität seines späteren Verhaltens ist (es besteht also eine Parallele zu den nach üblicher Terminologie als Unterlassung durch Begehung bezeichneten Konstellationen, oben 7/69). 21 Ebenso Stratenwerth A T Rdn. 1099; SK-Samson 5 16 Anhang Rdn. 13 f f ; Jakobs Studien S. 48 ff, 69; ders. Beiheft ZStW 1974 S. 6 ff, 20; Otto AT 5 1 0 1 3 ; zusätzlich (als subjektiven Tatbestand) zu einer (im objektiven Tatbestand lozierten) objektiven Voraussehbarkeit erkennen die individuelle Voraussehbarkeit als Unrechtsm o m e n t a n Gösse/Bruns-FestschriftS. 43 ff,51 f ; ders. Bengel-Festschrift S. 25 ff, 35 f f ; MaurachGössel A T II § 4 3 Rdn. 110 ff; Gössel in: Acta S. 125 ff, 138; Rudolphi in: Strafrechtsystem S. 69 ff, 81 f. — Für eine „Doppelrelevanz" der subjektiven Voraussehbarkeit als Fahrlässigkeit für Unrecht und Schuld siehe Wolter Objektive und personale Zurechnung S. 153 ff. 22 Siehe dazu schon oben zum sozialen Handlungsbegriff. — Bei massenhaften, gefährlichen, anonymen Kontakten tritt das Vertrauen auf rechts-

treue Motivierung zur Erfolgsvermeidung hinter dem Vertrauen auf faktische Motivierung gemäß den abstrakten Gefährdungsverboten zurück. Deshalb finden sich insbesondere im Straßenverkehrsstrafrecht Vorschläge zur Objektivierung der Fahrlässigkeit bis in die Schuld: Booß N J W 1960S. 373; Wimmer N J W 1959 S. 1753 ff, 1757; — dagegen zutreffend Baumann N J W 1959 S. 2293 f; ders. Folgenlose Verkehrsgefährdung S. 168; Baumann-Weber A T § 2 8 I I I 2 ; s i e h e auch Volk G A 1973 S. 161 ff. 23 LK-Schroeder § 16 Rdn. 141 f; Stratenwerth A T Rdn. 1105; Neumann Zurechnung S. 186 f f ; Jakobs Studien S. 151; Gössel ZStW 91 S. 270 ff, 271 f ; Maurach-Gössel A T II § 43 Rdn. 62 f. Beispiel aus der Rechtsprechung: B G H J R 1986 S. 249 f mit Anmerkung Ulsenheimer aaO S. 250 f.

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9. A b S C h n

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

Sowohl das Tatverhaken (die Übernahme) wie das dann folgende unvermeidbare Verhalten können eine Handlung oder eine Unterlassung sein. Beispiele: (a) (beides Handlung) Ein Arzt übernimmt eine ihm nicht geläufige Operation, fahrlässig nicht berücksichtigend, daß er sich dadurch in die Lage bringt, nach Öffnung des Körpers (und dann unvermeidbar) eine verletzende Fehlhandlung zu vollziehen oder (b) (Handlung mit folgender Unterlassung) eine notwendige Rettungshandlung nicht vornehmen zu können. — (c) (Unterlassung mit folgender Handlung) Ein Notarzt, der sich krank fühlt, unterläßt es, rechtzeitig für eine Vertretung zu sorgen, fahrlässig nicht bedenkend, daß der Fortschritt seiner Krankheit ihn dazu bringt, unvermeidbar eine verletzende Fehlhandlung zu vollziehen oder (d) (beides Unterlassung) eine notwendige Rettungshandlung nicht vornehmen zu können.

B. Die Entscheidungsrelevanz des erkennbaren Risikos 15

Gegenstand der Erkennbarkeit bei Fahrlässigkeit muß dasjenige sein, was beim Vorsatz erkannt ist; nach der Formulierung von Engisch24 muß „dem fahrlässigen Täter . . . ebenso viel erkennbar sein, wie ihm im Falle wirklicher Kenntnis zum Vorsatz gereichen kann, denn die Motivation, die wir beim vorsätzlichen Täter aufgrund seiner Vorstellung erwarten, muß, damit dem Täter Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden kann, erreichbar gewesen sein". Danach muß dem Fahrlässigkeitstäter nicht nur ein Risiko erkennbar sein, das den Rahmen der Risikoerlaubnis überschreitet, sondern das Risiko muß — wie bei Vorsatz — auch von entscheidungserheblicher Dichte sein (siehe oben 8/30 ff). Unerlaubte Risiken der Art, wie sie ubiquitär als aufgedrängt unerlaubte Risiken hingenommen werden müssen, wenn bestimmte Lebensbereiche nicht überhaupt gemieden werden sollen, reichen nicht aus 2 5 . So wenig eine geringfügige, aber folgenreiche Überschreitung der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit im Straßenverkehr bei Kenntnis des sich dann auch verwirklichenden Risikos eine vorsätzliche Verletzungshandlung ist, so wenig bei Erkennbarkeit eine fahrlässige. Das Problem wird in Rechtsprechung und Lehre durchweg übergangen. Vielmehr wird Fahrlässigkeit auch in dem Bereich unerlaubter, aber nicht entscheidungserheblicher Risiken für möglich gehalten. Damit werden die Fahrlässigkeitsdelikte in abstrakte Gefährdungsdelikte (Schaffen eines unerlaubten Risikos) verwandelt, die um einen nur noch objektiv zurechenbaren Erfolg angereichert werden.

C. Die Erkennbarkeit eines objektiv zurechenbaren Risikos 16

1. Was die Kausalität als Gegenstand der Erkennbarkeit angeht, so muß dem Täter — wiederum entsprechend der Lage bei Vorsatz — die Kausalität der von ihm gesetzten Bedingungen für den tatbestandlichen Erfolg erkennbar sein, nicht aber der konkrete Verlauf zwischen fahrlässiger Handlung und Erfolg 2 6 . Jedoch muß der Täter 24 25

Untersuchungen S. 373. Eingehend Jakobs Bruns-Festschrift S. 31 f f ; dcrs. Beiheft Z S t W 1974 S. 6 ff, 23 f f ; AK-Zielinkski §§ 15, 16 Rdn. 105; ferner die oben 8/Fn. 70 zum V o r s a t z angegebene Literatur.

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S o auch die Rechtsprechung, freilich ohne Beschränkung auf Erkennbarkeit des sich verwirklichenden Risikos (dazu sogleich); R G 24 S. 417 ff, 4 1 8 ; 73 S. 370 ff, 3 7 2 ; B G H 12 S. 75 ff, 7 7 ; wie die Rechtsprechung auch Mühlhaus Fahrlässigkeit S . 45 f ; — objektiv inadäquate V e r l ä u f e

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werden freilich ausgeschieden; B G H 3 S. 62 f f ; O L G Karlsruhe N J W 1976 S. 1853 f. - In der Literatur wird verbreitet die V o r a u s s e h b a r k e i t des konkreten V e r l a u f s „in seinen wesentlichen Z ü g e n " verlangt: Welzel Strafrecht § 22 III 5 b; Wessels A T § 15 III 2 ; Jescheck A T § 57 III 1; Baumann-Weher A T § 2 8 II 3 b ß; Bockelmann Verkehrsstrafrechtliche Aufsätze S. 98 f ; Schönke-Schröder-Cramer § 15 Rdn. 200. — D a gegen siehe oben z u r A d ä q u a n z 7/34.

Fahrlässigkeit. V o r s a t z - F a h r l ä s s i g k e i t s - K o m b i n a t i o n e n

9. Abschn

gerade dasjenige Risiko erkennen können, das sich verwirklicht17. Das ist nach den Grundsätzen zu ermitteln, die oben (7/72 ff) zur objektiven Zurechnung entwickelt wurden; nur ist hier nicht auf jedes vom Täter geschaffene, sondern nur auf das ihm erkennbare Risiko abzustellen (wie bei der Zurechnung als vorsätzliche Tat auf die Verwirklichung des erkannten Risikos abzustellen ist). An einer Risikoverwirklichung fehlt es demnach, wenn die Bedingungen des dem Täter erkennbaren Risikos die Schadensneigung des Verlaufs nicht erklären. Beispiel: Wer auf einem Bauernhof in der Nähe einer strohgefüllten Scheune arglos eine brennende Zigarette wegwirft, die in eine Benzinlache fällt und deshalb einen Brand auslöst, haftet wegen fahrlässiger Brandstiftung nur, wenn ihm nicht allein das Risiko des Zusammentreffens von Feuer und Stroh, sondern auch dasjenige des Zusammentreffens von Feuer und Benzin erkennbar ist. — Für Einzelheiten gelten die Ausführungen zur Kausalität als Vorsatzgegenstand entsprechend (oben 8/63 ff). 2. Nur um einen Anwendungsfall dieser Risikoverwirklichung handelt es sich bei 17 dem üblicherweise als Normzweckzusammenhang bezeichneten Problembereich, dessen Behandlung in der Literatur überwiegend nicht zum Zweck einer objektiven Zurechnung erfolgt, sondern anläßlich subjektiver Zurechnung und dort wiederum besonders der Zurechnung als Fahrlässigkeitstat. — Die zur objektiven Zurechnung genannten Maximen gelten mit der Maßgabe, daß an die Stelle des vom Täter geschaffenen Risikos das ihm erkennbare Risiko tritt. Die Übertragung der Zurechnungsprinzipien vom objektiven Bereich in denjenigen der Fahrlässigkeit führt insbesondere dazu, daß — entgegen verbreiteter Lehre — hypothetische Erfolgsursachen die Zurechnung als fahrlässige Tat nicht hindern. Hypothetische Erfolgsursachen können die Haftung allenfalls mildern, und zwar nach den oben genannten Prinzipien in analoger Anwendung der Regeln des Versuchs, §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB, wenn der Täter die hypothetische Lage nicht überblickt, und nach § 49 Abs. 2 StGB, wenn dem Täter die hypothetische Unvermeidbarkeit der Folge bekannt ist (eingehend oben 7/92 ff). Letzteres dürfte bei Fahrlässigkeit selten der Fall sein; immerhin ist es nicht ausgeschlossen, daß der Täter fahrlässig ein Gut verletzt, weil er das Gut sowieso für verloren hält und auf seinen Bestand deshalb nicht mehr achtet. Die Lehre, eine Risikoerhöhung reiche zur Zurechnung eines Erfolgs hin, ist auch zur Fahrlässigkeit aus den oben 7/98 ff spezifizierten Gründen abzulehnen. 3 a) Die sonst zum Vorsatz genannten Probleme der Abweichung von Vorstellung 1 8 und Verlauf treten bei der Fahrlässigkeit sämtlich als Probleme der Abweichung zwischen erkennbarem und eintretendem Verlauf auf, sind aber praktisch weitgehend bedeutungslos. 19

b) Beispiele:

aa) Zur vorzeitigen Vollendung: Wer einen im Ergebnis erkennbar gefährlichen Plan durchzuführen beginnt, haftet nicht, wenn schon erste, für sich nicht als gefährlich erkennbare Handlungen den Erfolg bringen. bb) Zur culpa generalis28 : Wirkt ein Täter mehrfach auf ein Objekt ein und sind 20 deshalb alle Einwirkungen ursächlich für einen Erfolg, ist aber nur die erste als ursächlich erkennbar, so haftet er nur, wenn die nachfolgenden Einwirkungen das Risiko der 27

SK-Samson § 16 Anhang Rdn. 29 f ; Rudolphi JuS 1969 S. 549 ff, 552; Jakobs Studien S. 90 f; siehe ferner die oben 8/Fn. 139 zum Vorsatz angegebene Literatur.

28 Jakobs Studien S. 100; LK-Schroeder § 16 Rdn. 31; Burgstaller Fahrlässigkeitsdelikt S. 124 f.

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2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

ersten fortsetzen aber nicht ersetzen. Konkret: Nach einem fahrlässig verursachten Autounfall wirft der Fahrer das von ihm unvermeidbar, aber irrig f ü r tot gehaltene O p f e r in den Straßengraben, wo es ertrinkt; — keine H a f t u n g f ü r vollendete fahrlässige Tötung. — Wird aber das Opfer, das zu verbluten droht, unter einem Holzstapel versteckt, so daß zwar die blutende Arterie abgeklemmt wird, das Opfer aber an einer beim Unfall gleichfalls erlittenen Organverletzung stirbt, so verwirklicht sich durch die nachfolgende H a n d l u n g das Risiko des Unfalls. 21

cc) Zur aberratio ictus .•'Wer gegenüber einem erkennbaren Objekt fahrlässig handelt, aber ein unerkennbares trifft, haftet nicht f ü r den Erfolg. Konkret: Wer in einem Zimmer mit einer Schußwaffe spielt, so daß erkennbar eine andere Person in diesem Zimmer durch einen Schuß verletzt werden könnte, haftet nicht für den Erfolg, wenn ein Schuß losgeht und einen Voyeur trifft.

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dd) Zum error in persona vel objecto: Eine nicht tatbestandliche Identität des O b jekts muß dem Täter nicht erkennbar sein. Konkret: W e r mit einer Schußwaffe, die er vermeidbar irrend f ü r ungeladen hält, im Scherz eine Person bedroht, die er unvermeidbar irrend f ü r einen seiner Bekannten hält, haftet f ü r die Verletzung des Fremden, wenn ein Schuß losgeht.

D. Die Leichtfertigkeit 23

1. Zunehmend häufig verlangt der Gesetzgeber statt schlichter Fahrlässigkeit eine Leichtfertigkeit des Verhaltens (§§ 138 Abs. 3, 176 Abs. 4, 177 Abs. 3, 264 Abs. 3, 251 StGB u. a. m.). Leichtfertigkeit wird allgemein als grobe Fahrlässigkeit verstanden 2 9 (so auch die Definition in § 18 Abs. 3 E 1962). Eine allgemein anerkannte Konkretisierung der Grobheit ist bislang nicht gelungen. Man könnte zur Bestimmung des Groben die Leichtfertigkeit mit der vorsatzähnlichen bewußten Fahrlässigkeit — sofern man diese überhaupt anerkennt — gleichsetz e n 3 0 . Eine solche Lösung übertrüge aber ohne Notwendigkeit den mit der Tatsachenblindheit gekoppelten axiologischen Widerspruch (oben 8/5) in die Fahrlässigkeit.

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2. Z u r Vermeidung dieses Widerspruchs muß die Leichtfertigkeit wertend abgeschichtet werden. Dabei entsteht das Problem, was gewertet werden soll, nur die Fahrlässigkeit als Merkmal der Steuerbarkeit oder auch der Anlaß, vom Steuerungsvermögen Gebrauch zu machen. Mit anderen Worten, soll Leichtfertigkeit nur eine besonders starke Fahrlässigkeit sein, so daß es auch gerechtfertigte und entschuldigte Leichtfertigkeit gibt, oder soll Leichtfertigkeit eine um subjektive Unrechtsmerkmale angereicherte Fahrlässigkeit sein oder gar auch die Schuld kennzeichnen? Zur Lösung ist zu berücksichtigen, daß mit der Strafe f ü r Leichtfertigkeit auch immer eine Strafe f ü r jeden Vorsatz korrespondiert (einzig zweifelhaft f ü r §251 StGB). Wenn aber der Vorsatz an seiner Untergrenze ein Steuerungsmerkmal ohne Blick auf den Gebrauchsanlaß ist, besteht kein Grund, an der Obergrenze der Fahrlässigkeit anders zu verfahren. Leichtfertigkeit ist also so wenig durch gesteigerte Vorwerfbarkeit zu definieren 3 1 , wie Vorsatz stets — gegenüber Fahrlässigkeit — gesteigerte Vorwerfbarkeit bringt.

29 B G H 20 S. 315 ff, 323 f, 327; BGH StV 1987 S. 254 f; — zur Leichtfertigkeit in § 378 AO siehe Samson in: Franzen-Gast-Samson§ 378 Rdn. 22 f. 30 Sauer Allgemeine Strafrechtslehre § 22 I 2; Lohm e y e r N f W 1960 S. 1798 f, 1799; im Ansatz auch Arzt Schröder-Gedächtnisschrift S. 119 ff, 127 f; so müßte auch die insbesondere von Arthur Kauf-

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mann Schuldprinzip S. 162 verfochtene Lehre verfahren, die nur bei der bewußten Fahrlässigkeit überhaupt schuldhaftes Verhalten für möglich hält, ohne daß dann jede bewußte Fahrlässigkeit zugleich Leichtfertigkeit sein müßte. 31 So aber Hall Mezger-Festschrift S. 229 ff, 248.

Fahrlässigkeit. Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen

9. A b S C h n

Auch ist Leichtfertigkeit nicht durch eine Rücksichtslosigkeit gekennzeichnet 3 2 ; es mag gerechtfertigte Taten mit Leichtfertigkeit geben, wie es solche mit Vorsatz gibt. Vielmehr ist allein darauf abzustellen, wie leicht die Erfolgsherbeiführung vermeidbar war, also ob auch schon ein geringes Interesse an der Vermeidung genügt hätte (dann Leichtfertigkeit) oder nicht 3 3 . Das Maß schwankt je nach dem Gewicht des betreffenden Guts, wie die H ö h e des jeweiligen erlaubten Risikos schwankt. Beispiel: Leichtfertigkeit des Umgangs mit einer Schußwaffe ist eher anzunehmen, wenn ein Menschenleben in Gefahr ist, als wenn es höchstens um den Bruch einer Fensterscheibe geht. Ansonsten ist die Schärfe des Maßstabs im Blick auf den Strafrahmen zu bestimmen, d. h. bei Erfolgsqualifikationen mit gewichtigen Mindeststrafen (etwa bei den §§ 239 a Abs. 2, 239 b Abs. 2, 251 StGB) geht es nur um Fälle, in denen schon das geringste Interesse an der Vermeidung der Folge zur Vermeidung genügt hätte, während bei Delikten ohne Mindeststrafe (etwa bei § 21 WStG) weniger streng verfahren werden kann. Die bezeichnete Lösung kennt auch Leichtfertigkeit im Fall von Rechtfertigung. 2 5 Beispiel: Der Angegriffene schießt mit einer großkalibrigen Waffe in erforderlicher Abwehr freihändig auf die Beine des Angreifers und bedenkt nicht, daß die Handlung tödlich ausgehen könnte. Ebenso ist bei Schuldlosigkeit Leichtfertigkeit möglich, etwa bei geisteskranken Personen. Auch nach allgemeinen Regeln mangels Zumutbarkeit entschuldigtes Verhalten kann leichtfertig vollzogen werden. Daneben ist die spezielle Zumutbarkeit bei Fahrlässigkeitsdelikten zu berücksichtigen (unten 20/35 ff); es handelt sich um Fälle, in denen nicht zu bezweifeln ist, daß bei Aufmerksamkeit der Erfolg vermieden würde, wohl aber, ob Aufmerksamkeit überhaupt verlangt werden kann, weil der Täter eine Motivationsblockierung aufweist, für die er — zumindest partiell — nicht zuständig ist. Beispiel : Der Täter übersieht eine Rotlicht zeigende Ampel, nachdem sein Beifahrer ihm soeben unvermittelt den T o d eines nahen Freunds berichtet hat. Auch in diesen Fällen bleibt Leichtfertigkeit, aber die Schuld ist gemildert oder aufgehoben.

E. Die scheinbare Fahrlässigkeit Die Fahrlässigkeit kennt — wie der Vorsatz — eine Untergrenze des Riskanten. 2 6 Zudem muß aber auch das — beim Vorsatz nicht erforderliche — Maß des Interesses an der Erfolgsvermeidung begrenzt werden. Die Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung hängt ja nicht nur von der Intelligenz des Täters und seinem Wissensstand ab, sondern auch von der Intensität, mit der er seine Handlung prüft. N u n „vermag niemand die Idealforderung ständiger, gespanntester Aufmerksamkeit und raschester, zweckmäßigster Reaktion zu verwirklichen" 3 4 ; zu ergänzen ist: Und niemandem ist anzusinnen, immer dann, wenn diese Zuwendung nicht zu leisten ist, zu unterlassen. Es ist deshalb auch insoweit ein erlaubtes Risiko anzuerkennen, als es um das Maß des Interesses an der Erfolgsvermeidung geht. Dieses Risiko ist zwischen einer nur theoretisch möglichen Höchstleistung und dem Verzicht auf sozialen Kontakt auszutarieren. So wie bei der Erkennbarkeit nur Risiken zählen, die den Rahmen des Erlaubten überschreiten, so auch nur Erkenntnisse, die sich mit einem generell noch verhältnismäßigen Aufwand gewinnen lassen; denn es besteht kein rechtliches Interesse daran, daß 32 So aber Volk GA 1976 S. 161 ff, 178 f; Maurach Heinitz-Festschrift S. 403 ff, 415 f; sachlich ebenso MaiwaldGA 1974 S. 257 ff, 262 ff. 33 So wohl auch LK-Schroeder§ 16 Rdn. 213; Rengier Erfolgsqualifizierte Delikte S. 124 ff; ähnlich Tenckhoff ZStW 88 S. 897 ff, 911 mit freilich auf

eine Sorgfaltspflicht (dagegen oben 9/6) bezogener Formulierung; siehe auch WegscheiderZStW 98 S. 624 ff, 650 ff (objektiv und subjektiv besonders sorgfaltswidrig bei objektiv und subjektiv leichter Voraussehbarkeit der Erfolgs). 34 Stratenwertb ΑΎ Rdn. 1137.

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9. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

alle Menschen ihre Energie restlos zur Schadensvermeidung einsetzen oder sich aber von sozialen Kontakten zurückziehen. Im Ergebnis entspricht diese Einschränkung der Fahrlässigkeitshaftung einem verbreiteten Postulat 3 5 (siehe auch § 16 Abs. 2 AE).

F. Fahrlässigkeit und Erfolg (fahrlässiger Versuch?) 27

Fahrlässiger Versuch ist straffrei (einzige Ausnahme ist § 315 c Abs. 3 N r . 2 i. V. m. Abs. 1 N r . 2 Buchstabe f StGB); hierbei ist gleichgültig, ob sich eine erkennbare Kausalität nicht verwirklicht oder ein situativer Tatumstand vermeidbar verkannt wird. Beispiel : W e r nach einem Voreid seine Aussage leichtfertig in mißverständlicher Weise leistet, aber richtig verstanden wird (deshalb nur Versuch), ist ebenso straffrei wie derjenige, der nach bewußter Falschaussage zum Nacheid nur ansetzt (deshalb nur Versuch) und leichtfertig davon ausgeht, er agiere vor einer Verwaltungsbehörde (zu den §§ 154 bis 156, 163 StGB). Wenn ein Verhalten im Blick auf mehrere mögliche Tatbestandsverwirklichungen fahrlässig ist, kommt es f ü r die H a f t u n g zudem darauf an, welcher Tatbestand verwirklicht wird. O b also ein fahrlässiges Uberfahren einer Rotlicht zeigenden Ampel bloß Ordnungswidrigkeit ist, oder aber fahrlässige Körperverletzung oder gar fahrlässige Tötung (gegebenenfalls mehrerer Menschen), hängt vom Verlauf ab. Man hat deshalb gemeint, bei der Zurechnung fahrlässiger Handlungen von einer „verschämten Zufallshaftung" sprechen zu müssen 3 6 , jedoch zu Unrecht: Zufall wäre der Erfolg, wenn er sich aus der vorangegangenen Handlung nicht erklären ließe, aber gerade das ist nicht der Fall, da das Risiko erkennbar und der Erfolg somit planvoll vermeidbar war. Man mag umgekehrt das Ausbleiben des Erfolgs auf ein fahrlässiges Handeln hin Zufall nennen. Freilich gibt es kein Dogma, auch de lege ferenda dürfe der fahrlässige Versuch nicht bestraft werden; insbesondere ist die Annahme falsch, es gebe überhaupt nur vorsätzliche Versuche 3 7 . Für Bereiche mit verfestigten Regeln in Form von Beschreibungen unerlaubter Risiken oder einer lex artis ist eine Bestrafung folgenloser Unsorgfalt, jedenfalls Unsorgfalt grober Art, in Ergänzung der f ü r Vorsatz geltenden Versuchsregeln diskutabel. Sogar eine generelle Bestrafung aller fahrlässigen Versuche wäre dogmatisch möglich; diese würde aber wegen der dann evident werdenden Ubiquität fehlerhaften Verhaltens weder der N o r m dienen, erkennbar tatbestandsverwirklichendes Handeln zu unterlassen, noch der Eindruckskraft der Strafe. — Siehe auch unten zum Versuch 25/28.

IV. Die aus Vorsatz und Fahrlässigkeit zusammengesetzten Delikte (sogenannte Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen) 28

A. Bei zahlreichen Delikten begnügt sich das Gesetz f ü r einen Teil des Tatbestands mit Fahrlässigkeit. Handelt es sich bei dem Teil um einen qualifizierenden Erfolg, so 35

36

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Stratenwerth A T R d n . 1139 f, d e r auf die N i c h t erweislichkeit d e r V e r m e i d b a r k e i t im Einzelfall abstellt; z u s t i m m e n d Roxin Z S t W 84 S. 993 ff, 1014; siehe f e r n e r Bockelmann Verkehrsstrafrechtliche A u f s ä t z e S. 216 ff ; Cramer D A R 1974 S. 317 ff, 322; Volk G A 1976 S. 161 ff, 177; a. A. TröndleDRiZ 1976 S. 129 ff. Radbruch V D B T Bd. V S. 185 ff, 201 Fn. 2 ; H. Mayer Z S t W 59 S. 283 f f , 3 2 4 ; Arthur Kaufmann S c h u l d p r i n z i p S. 162 f ; siehe a u c h Bockelmann Materialien Bd. I S. 29 f f , 3 3 ; weitere N a c h w e i s e bei Armin Kaufmann Z R V 1964 S. 41 ff, 42 f.

37

Als S t r a f z u m e s s u n g s g r u n d ist d e r fahrlässige V e r s u c h d e r R e c h t s p r e c h u n g geläufig: H a t sich bei einem bezüglich z w e i e r G ü t e r fahrlässigen V e r h a l t e n eine Fahrlässigkeit in der V e r l e t z u n g realisiert, so w i r d die (insoweit folgenlose) F a h r lässigkeit bezüglich des a n d e r e n G u t s s t r a f e r s c h w e r e n d angelastet: B G H V R S 12 S. 185 ff, 188; 13 S. 25 ff, 2 6 ; 13 S. 204 ff, 207; 14 S. 282 ff, 2 8 5 ; 22 S. 273 ff, 274 u. a. m.

Fahrlässigkeit. Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen

9. AbSChn

zählen die Delikte zu den erfolgsqualifizierten Delikten, die freilich auch in Form einer qualifizierten Fahrlässigkeitstat möglich sind. Ist der Fahrlässigkeitsteil strafbarkeitsbegründend, so spricht man von „eigentlichen" Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination e n 3 8 , genauer von nicht-qualifizierenden Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen. N a c h S 11 Abs. 2 StGB sollen die aus Vorsatz und Fahrlässigkeit zusammengesetzten Delikte den Regeln der Vorsatzdelikte folgen, was freilich nur mit erheblichen Modifikationen möglich ist, da das Gesetz für — auch nur partielle — Fahrlässigkeit keine ausdifferenzierte Regelung der Beteiligung kennt und ausdrücklich auch nur den vorsätzlichen Versuch regelt. Zur Beteiligung siehe unten 21/46; 22/29; zum Versuch siehe unten 25/25 ff; zum Rücktritt vom Versuch siehe unten 26/49. — Die Z u o r d n u n g zum Vorsatz bindet f ü r die §§ 48, 56g Abs. 2, 66 StGB. B. Nicht-qualifizierende Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen sind ζ. B. die §§ 97 2 9 Abs. 1, 311 Abs. 4, 315 a Abs. 3 N r . 1 i.V. m. Abs. 1 N r . 2, 315 b Abs. 4 i.V. m. Abs. 1; 315 c Abs. 3 N r . 1 i.V. m. Abs. 1 N r . 1 b und 2 StGB. — Die erkennbar konkret gefährliche Verkehrsteilnahme bei erkannter Trunkenheit (§§ 315 a Abs. 3 N r . 1 i.V. m. Abs. 1 N r . 1 und 315 c Abs. 3 N r . 1 i.V. m. Abs. 1 N r . 1 a StGB) ist weder nicht-qualifizierende Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination (da die Grundlage nach § 316 StGB durch eine Gefahr qualifiziert wird) noch ein erfolgsqualifiziertes Delikt im Sinne des § 18 StGB (da der Erfolg nur eine Gefährdung ist, hierzu unten 9/30). — O b es sich bei den Delikten um Vorsatzdelikte handelt, bei denen das Erfordernis fahrlässiger Gefährdung nur garantieren soll, daß die Schwelle des Strafwürdigen nicht unterschritten wird 3 9 , oder aber um Fahrlässigkeitsdelikte mit erkannter „Pflichtverletzung" 4 0 ist streitig; die Positionen schließen sich nicht aus. Im Ergebnis folgen die nicht-qualifizierenden Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen den Regeln der erfolgsqualifizierten Vorsatzdelikte 4 1 . C 1. Der Wortlaut der Regelung der erfolgsqualifizierten Delikte in § 18 StGB ist in 3 0 doppelter Hinsicht verfehlt. Einmal geht es — entgegen dem Wortlaut — nicht darum, daß nur bei „wenigstens Fahrlässigkeit" gestraft werden soll. Da nach § 15 StGB im Grundfall Vorsatz zu verlangen ist, soll vielmehr schon bei Fahrlässigkeit und nicht erst bei Vorsatz bezüglich der Folge gestraft werden. § 18 StGB ist also ein im A T geregelter Fall, in dem ein partiell fahrlässiges Verhalten „ausdrücklich mit Strafe bedroht" wird (§15 StGB) 4 2 . Weiterhin geht es — wiederum entgegen dem Wortlaut — nicht um alle qualifizierenden besonderen Tatfolgen; vielmehr scheidet ein Gefährdungserfolg a u s 4 3 ; das ist schon dem technischen System der Regelung des Gesetzes zu entnehmen: Teils wird bei einem Gefährdungserfolg die subjektive Seite ausdrücklich benannt (so zu den Gefährlichkeitsqualifizierungen des § 316 StGB in den §§ 315a Abs. 3 N r . 1 i.V. m. Abs. 1 N r . 1 oder 315c Abs. 3 N r . 1 i.V. m. Abs. 1 N r . 1 a StGB), teils sind die Qualifizierungen durch einen Gefährdungserfolg nicht zu den Erfolgsqualifizierungen 38

39 40 41 42

Seit Krey und Schneider N J W 1970 S. 640 f f ; zutreffende Kritik an der Bezeichnung bei LKSchroeder^ 18 R d n . 5. Lackner § 11 Anm. 11 a ; ders. Gefährdungsdelikt S. 10. LK9-Schroeder § 5 6 Rdn. 49 ; Gössel Lange-FestschriftS. 219 ff, 235 f. Im Ergebnis ebenso LK-Tröndle% 11 Rdn. 98 f. LK-Schroeder § 1 8 Rdn. 1; AK-Paeffgen §18 Rdn. 2 ; der Formulierungsfehler ist durch die A n k n ü p f u n g an § 56 StGB a. F. entstanden, der f ü r die bis dahin schon durch den objektiven Folgeneintritt qualifizierten Delikte die H a f t u n g li-

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mitierte, w ä h r e n d § 18 S t G B bei heutiger Gesetzeslage H a f t u n g erweitert. Streitig; wie hier KüperNJW 1976 S. 543 ff, 546; Backmann M D R 1976 S. 969 f f ; LK-Schroeder § 18 Rdn. 8; SK-Rudolphi% 18 R d n . 2; im Ergebnis auch Rengier Erfolgsqualifizierte Delikte S. 94 ff, 273 ff, 280 mit Fn. 80; B G H 26 S. 176 ff, 178 mit freilich unglücklicher Begründung (eine G e f ä h r d u n g soll keine Folge sein); siehe auch Lorenzen Rechtsnatur S. 22 f, 157 f. — Α. A. Dreher-Tröndle § 18 Rdn. 2 ; Gössel LangeFestschriftS. 219 ff, 221.

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9. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch H a n d l u n g

gruppiert, sondern zu den Vorsatz erfordernden Qualifizierungen (so steht der gefährliche Raub in § 250 Abs. 1 N r . 3, nicht aber in § 251 StGB). Hauptsächlich aber fehlt der konkreten Gefährdung wegen ihrer Versuchsähnlichkeit das Gewicht im objektiven Tatbestand, dem die ganze Deliktsgruppe ihr Dasein verdankt. Erfolgsqualifizierte Delikte nach § 18 StGB mit einer Vorsatz-FahrlässigkeitsKombination sind beispielsweise die §§ 176 Abs. 4, 177 Abs. 3, 178 Abs. 3, 221 Abs. 3, 224 Abs. 1, 226, 229 Abs. 2, 239 Abs. 2, 239 a Abs. 2, 239b Abs. 2, 251, 307 N r . 1 StGB. Die besondere Folge kann auch eine bloße Quantitätsübersteigerung des Grundtatbestands sein, wie etwa bei § 224 StGB und bei allen konkreten Gefährdungsdelikten, bei denen der Erfolgseintritt qualifiziert (§§ 221 Abs. 3, 312, 2. Tatbestand StGB); auch im letzteren Fall bleibt natürlich bei fahrlässiger Erfolgsherbeiführung das Erfordernis der vorsätzlichen Verwirklichung des zum Grundtatbestand gehörenden Quantums, also beispielsweise der vorsätzlichen G e f ä h r d u n g 4 4 . — Beispiele f ü r rein fahrlässige erfolgsqualifizierte Delikte sind die §§ 309,2.Tatbestand, 314,2. Tatbestand StGB. 31

2. Die in § 18 StGB zur subjektiven Seite bei der Folgenverwirklichung genannten Mindestbedingungen werden teils im BT verschärft. Soweit nicht überhaupt Vorsatz verlangt wird (etwa in § 225 StGB), womit die Erfolgsqualifizierung im vorsätzlichen Verletzungsdelikt aufgeht, findet sich zunehmend häufig das Erfordernis leichtfertigen, also grob fahrlässigen Verhaltens (§§ 176 Abs. 4, 177 Abs. 3, 178 Abs. 3, 239 a Abs. 2, 239 b Abs. 2, 251 StGB u. a. m.). Obgleich diese Benennung nicht als mindestens leichtfertig erfolgt, ist auch vorsätzliches Handeln erfaßt 4 5 , und zwar einmal wegen des sowieso bestehenden Stufenverhältnisses der Vermeidbarkeitsformen (oben 9/4) und zum anderen, weil die Benennung nur den Sinn hat, den von § 18 StGB f ü r die subjektive Seite eröffneten Rahmen im unteren Bereich zu verengen und deshalb vor dem Hintergrund des in jede Erfolgsqualifizierung des BT hineinzulesenden § 18 StGB zu interpretieren ist. Mit anderen Worten, da § 18 StGB das „mindestens" schon enthält, braucht es im BT nicht jeweils wiederholt zu werden.

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3. Nicht von § 18 StGB werden diejenigen Handlungsfolgen erfaßt, durch die eine Strafbarkeit wegen Vollendung begründet wird 4 6 , also der Normalfall des Erfolgsdelikts, oder die als nur-objektive Bedingungen des Unrechts oder seiner Straftatbestandlichkeit keiner subjektiven Entsprechung bedürfen (zu letzterem: §§ 227, 323 a StGB, streitig, eingehend unten 10/1 ff). — Zu den Regelbeispielen und Strafzumessungsgründen siehe oben 8/43.

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4 a) Erhebliche Schwierigkeiten der erfolgsqualifizierten Delikte gründen in der Unklarheit, wann und warum das Gesetz von Idealkonkurrenz zwischen einem (vor44 LK-Schroeder% 18 Rdn. 9. 45 Streitig; wie hier LK-Schroeder §18 Rdn. 25; Schönke-Schröder-Cramer% 18 Rdn. 5 f; Paeffgen JZ 1989 S. 220 ff, 223 f; AK-Paeffgen §18 Rdn. 80 ff; im Ergebnis auch Montenbruck Strafrahmen S. 205 und BGH 35 S. 257 f mit zustimmenden Anmerkungen Alwart NStZ 1989 S. 225 f sowie Laubenthal JR 1988 S. 335 f und ablehnender Anmerkung Arzt StV 1989 S. 57 f; - Dreher-Tröndle % 18 Rdn. 6; a.A. BGH 26 S. 175; B G H bei Daliinger MDR 1976 S. 15; BGH GA 1984 S. 476 f; Rudolphi JR 1976 S. 74 f; Hassemer JuS 1975 S. 814 f; Tenckhoff ZStW 88 S. 897 ff, 919; Maiwald GA 1974 S. 257 ff, 270; Rengier Erfolgsqualifizierte Delikte S. 107 ff; Jescheck AT § 54 III 2.

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46 Bei wörtlicher Auslegung korrekt, aber nach dem Regelungszweck verfehlt ist folgender Begründungsgang: Da der Versuch milder bestraft werden kann als die Vollendung (§ 23 Abs. 2 StGB), verschärft der Erfolgseimritt die Versuchsstrafe; nach § 18 StGB reicht also bezüglich des eingetretenen Erfolgs Fahrlässigkeit ; danach muß sich — beim Vorsatzdelikt — nicht der erkannte Erfolg verwirklicht haben, sondern die Verwirklichung eines erkennbaren Erfolgs reicht aus (soweit der Versuch strafbar ist; ansonsten wirkt der Erfolgseintritt strafbarkeit ^begründend). Insbesondere würde bei dieser wörtlichen Auslegung die aberratio ictus bei Fahrlässigkeit bezüglich des eingetretenen Erfolgs zur vollendeten Vorsatztat, oben 8/80 ff.

Fahrlässigkeit. V o r s a t z - F a h r l ä s s i g k e i t s - K o m b i n a t i o n e n

9. Abschn

sätzlichen oder fahrlässigen) Grunddelikt plus mindestens fahrlässiger Herbeiführung eines weiteren Erfolgs zu einer regelmäßig erheblich verschärften strafbaren Erfolgsqualifizierung übergeht 4 7 . Nicht bei jedem rechtswidrigen T u n wirkt jede fahrlässige Erfolgsverursachung qualifizierend, sondern nur bei bestimmten Verhaltensweisen und nur bei bestimmten Folgen, so daß der Gedanke des versari in re illicita allein die erfolgsqualifizierten Delikte nicht tragen kann. Freilich ist dieser Gedanke auch nicht restlos zu verwerfen 4 8 . Das Gesetz kann demjenigen, der sich auf verbotenes Terrain begibt, die Konsequenzen einer Fehlhandlung schärfer zurechnen als dem sich erlaubt Verhaltenden, dies auch bei gleicher Voraussehbarkeit; denn es besteht zwar ein rechtlich anerkanntes Interesse, nicht durch zu starke Fahrlässigkeitshaftung die H a n d lungsfreiheit abzuschnüren (siehe oben zum erlaubten Risiko 7 / 3 5 ) , aber eben nur die Freiheit zum unverbotenen Handeln, nicht zu rechtswidrigem Tun. Zu diesem Gedanken kommt bei den erfolgsqualifizierten Delikten hinzu — zumeist im Verein mit einer kriminologischen Typizität 4 9 —, daß die Verwirklichung eines Grunddelikts oder des zum Grunddelikt führenden Verhaltens in noch zu konkretisierender Weise besonders riskant ist. Deshalb sind die erfolgsqualifizierten Delikte keine schlichten Summierungen aus Grunddelikt plus Folge (sonst müßten alle Delikte durch alle schweren Folgen qualifiziert sein), sondern im Folgeneintritt muß sich ein besonderes Risiko verwirklichen. b) Für diese Risikoverwirklichung 5 0 werden insbesondere zur Körperverletzung 34 mit T o d e s f o l g e unterschiedliche Formeln angeführt: Die Folge müsse sich unmittelbar aus der Grundhandlung ergeben 5 1 (das heißt, nicht vermittelt durch zurechenbares

47 O b dieser Übergang überhaupt zu rechtfertigen ist, ist streitig; zur Geschichte Rengier Erfolgsqualifizierte Delikte S. 13 ff; Küpper Zusammenhang S. 14 ff mit Nachweisen; umfassende Darstellung des gegenwärtigen Meinungsstands bei Lorenzen Rechtsnatur S. 34 ff; Küpper Zusammenhang S. 45 ff, 64 ff; Rengier Erfolgsqualifizierte Delikte S. 98 ff und passim. Für erfolgsqualifizierte Delikte, selbst ohne Fahrlässigkeitslimitierung, Baumann ZStW 70 S. 227 ff, 236 ff; dagegen Lang-Hinrichsen ZStW 73 S. 210 ff, 224 ff; — eingehend zur Notwendigkeit erfolgsqualifizierter Delikte Hirsch GA 1972 S. 65 ff, 75 ff; Küpper Zusammenhang S. 32 ff, 44; Rengier Erfolgsqualifizierte Delikte S. 132 und passim deutet die Delikte als „knapp unterhalb des Vorsatzes" angesiedelt und interpretiert sie unter Vernachlässigung der Bindung an ein Grunddelikt als Lückenfüller zwischen einerseits fahrlässiger und andererseits vorsätzlicher Erfolgsherbeiführung; den Schwerpunkt auf die subjektive Seite der Erfolgsverursachung legt Domseifer Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 427 ff, 432 f ; — gegen die Figur der erfolgsqualifizierten Delikte überhaupt Schubarth ZStW 85 S. 754 ff, 775 ff; — für die Umwandlung in Gefährdungsdelikte Arthur Kaufmann Schuldprinzip S. 240 ff; siehe auch Jescheck Niederschriften Bd. II S. 246 ff, 250; Diez Ripollez ZStW 96 S. 1059 ff, 1074 ff schlägt eine Auflösung in Idealkonkurrenz des Grunddelikts mit fahrlässiger Folgenbewirkung bei Asperation des Strafrah-

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mens vor; für den Fall, daß die Folge ausbleibt, sollen Gefährdungsdelikte geschaffen werden ; — speziell zu den überhöhten Strafrahmen siehe unten Fn. 61. A. A. Lorenzen Rechtsnatur S. 35 ff mit Nachweisen. N u r dadurch dürfte zu erklären sein, daß es zwar eine allgemeine Körperverletzung mit Todesfolge gibt, § 226 StGB, nicht aber eine allgemeine Nötigung mit Todesfolge, wohl aber wieder Raub und räuberische Erpressung mit Todesfolge, §251 StGB. Das Erfordernis der Gefahrverwirklichung ist nicht allgemein anerkannt; dagegen Schröder JR 1971 S. 206 ff; Schönke-Schröder-Cramerl0 § 18 Rdn. 4; wohl auch Montenbruck Strafrahmen S. 72; für das österreichische Recht Schmoller JurBl. 1984 S. 654 ff, 655 f. B G H JR 1971 S. 205 f (mit ablehnender Anmerkung Schröder }K 1971 S. 206 ff; ablehnend auch Rengier Erfolgsqualifizierte Delikte S. 168 ff; ders. Jura 1986 S. 143 ff); B G H bei Holtz MDR 1982 S. 100 ff, 101 f; B G H 31 S. 96 ff mit Besprechung Maiwald JuS 1984 S. 439 ff und Anmerkungen Hirsch JR 1983 S. 78 ff, Stree JZ 1983 S. 75 f, Puppe NStZ 1983 S. 22 ff, Schlapp StV 1983 S. 62 f, Küpper JA 1983 S. 29 f. Zur Entscheidung siehe auch 9/35 a. E. — Eingehend zur Unmittelbarkeit Küpper Zusammenhang S. 64 ff, 80 ff; eingehend dagegen Rengier Erfolgsqualifizierte Delikte, passim.

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9. AbSChn

2. Buch. 1. Kapitel. Tatbestandsverwirklichung durch Handlung

Verhalten des O p f e r s 5 l a oder dritter Personen o d e r durch ein anderes riskantes Verhalten des Täters selbst 5 1 b , es sei denn, diese Vermittlung hebe die Risikoverwirklichung nicht a u f 5 1 c ; d a z u oben 7 / 5 5 ) oder typische Folge des Grunddelikts s e i n 5 2 ; sie müsse unter Nichtberücksichtigung außertatbestandlicher G e f ä h r d u n g s m o m e n t e prognostiziert w e r d e n k ö n n e n 5 3 o d e r aus dem Täter bekannten U m s t ä n d e n h e r v o r g e h e n 5 4 , in der Folge müsse sich ein grunddeliktadäquates und zwangsläufiges (i. e. h o h e s oder unbeherrschbares) Risiko verwirklichen 5 5 oder sie müsse leichtfertig bewirkt w o r d e n sein55a. 35

c) Zur L ö s u n g ist z u unterscheiden : aa) Bei den meisten erfolgsqualifizierten Delikten geht es darum, daß der Täter in die Güter des O p f e r s der qualifizierenden Folge s c h o n durch das Grunddelikt — oder, bei mehraktigen Delikten (z. B. § 251 StGB), durch Teile des G r u n d d e l i k t s 5 6 — eingreift, dabei aber über das M a ß der Verletzung irrt, die das v o n ihm erkannte Risiko entweder am vorsätzlich angegriffenen G u t anrichtet (Beispiel: § 2 2 4 StGB oder § 2 2 6 StGB dann, w e n n der Täter s c h o n die Tauglichkeit seiner Eingriffsmittel unters c h ä t z t 5 6 ^ oder an einem v o m vorsätzlich angegriffenen G u t n o t w e n d i g abhängigen G u t (Beispiel: § 2 2 6 StGB für den Fall, daß der Täter das volle Maß der V e r w u n d u n g erkennt und nur die T ö d l i c h k e i t des Eingriffs verkennt). Es geht also um einen Quantitätsirrtum, und z w a r im weiteren Sinn, weil der Irrtum s o w o h l das vorsätzlich angegriffene Gut w i e auch ein davon n o t w e n d i g abhängiges Gut betreffen kann. Grund der S c h ä r f u n g ist der U m s t a n d , daß das Risiko, aus dem sich das Grunddelikt verwirklicht, häufig quantitativ nicht beherrschbar, also eine signifikante G e f a h r ist. Schlagwortartig: Es geht um einen Quantitätsirrtum bei identischem R i s i k o 5 7 . Eine Gefahr, die v o m Bestand des Risikos, daß der Täter gesehen hat, unabhängig ist, reicht nicht h i n 5 7 a , da eine solche Gefahr — meist Gefahr der Grunâhandlung genannt — mit dem Grundde51a

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Das gilt auch f ü r § 30 Abs. 1 N r . 3 BtMG: Vom Täter zurechenbar leichtfertig kann der T o d des Empfängers nur verursacht werden, wenn dieser Werkzeug des Täters ist (dazu unten 21/66 f f ) ; siehe B G H 33 S. 66 ff. Siehe B G H 33 S. 66 ff, 68 mit insoweit zustimmender Anmerkung Roxin N S t Z 1984 S. 320 f; B G H J R 1986 S. 380 mit Anmerkung Jakobs a a O S. 380 ff. § 226 StGB sollte nicht ausgeschlossen werden, wenn der Täter sein Opfer in schwerster Weise verletzt, was sich freilich nur tödlich auswirkt, weil sich die Rettung durch ein leichtes Versehen geringfügig verzögert. — Setzt der Dritte (oder das Opfer selbst) ein neues Risiko (der Arzt verwechselt in der Hektik der Rettung eine Spritze; das Opfer stirbt an dem injizierten Mittel), so mag dies auch dem Täter zurechenbar sein, aber nicht als Folge spezifisch seiner vorsätzlichen Körperverletzung (jede andere, hektische Rettung auslösende Maßnahme hätte dasselbe bewirkt), sondern als Folge eines — f ü r Körperverletzung unspezifischen — „Auslösens einer riskanten Rettungsmaßnahme"; er verwirklicht also handlungseinheitlich § 223 StGB und § 222 StGB. GösselLange-Festschrift S. 219 ff, 235. Geilen Welzel-Festschrift S. 655 ff, 681. SK-Hom% 226 Rdn. 11. Wolter JuS 1981 S. 168 ff, 177; ders. GA 1984

S. 443 ff, 448 ; gegen Wolter eingehend Hirsch Oehler-Festschrift S. 111 ff, 114 ff. 55a Rengier Erfolgsqualifizierte Delikte S. 130 ff und passim; Paeffgen J Z 1989 S. 220 ff; AK-Paeffgen § 18 Rdn. 43,45 ff. 56 LK-Schroeder § 18 Rdn. 20; bei § 251 StGB geht es überhaupt nur um die Gefahr des ersten H a n d lungsabschnitts, nicht aber auch um die Gefahr der Wegnahme. Ein Quantitätsirrtum bei der Wegnahme ist zwar denkbar (die geraubten Subsidien waren lebensnotwendig), aber kaum ein kriminologisch relevanter Typ, und dies noch weniger beschränkt auf Wegnahme gerade per Raub; Blei JA 1974 S. 233 f f , 2 3 6 ; SchönkeSchröder-Eser § 2 5 1 Rdn. 4; a. A. MaurachSchroederKT 1 § 35 Rdn. 32. 56a Beispiel: Das Messer ritzt nicht nur die Haut, sondern dringt tief ein (Quantitätsirrtum bezüglich des vorsätzlich angegriffenen Guts) und wirkt tödlich (Quantitätsirrtum bezüglich des abhängigen Guts). 57 Im Ergebnis deckt sich diese Lösung in den meisten Fällen mit derjenigen von Geilen WelzelFestschrift S. 655 ff, 681 ; /CäpperUnmittelbarkeit S. 85 f f ; Hirsch Oehler-Festschrift S. 111 ff; siehe auch Jakobs Beiheft ZStW 1974 S. 6 ff, 35 ff. 57a Sehr streitig; a. A. insbesondere die Rechtsprechung, zuletzt B G H J R 1986 S. 380.

Fahrlässigkeit. Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen

9. AbSChn

likt so zufällig verbunden ist, wie es jedes per Idealkonkurrenz hinzutretende Delikt wäre: Eine Körperbewegung bringt je nach der zufälligen Gestaltung der Situation mehrere Risiken 57 ' 5 . Beispiele: W e r das O p f e r am Rand einer viel befahrenen Landstraße vorsätzlich niederschlägt, so daß es danach voraussehbar mit Todesfolge von einem Auto überfahren wird, irrt nicht über die Quantität des Risikos, das sich im Erfolg des Grunddelikts verwirklicht (der Schlag); also fehlt die Risikoidentität. Zudem ist der Erfolg des Schlags nicht das erste Q u a n t u m des Eingriffs, der zum T o d führt (das Ü b e r f a h r e n ) 5 8 . — Wer auf sein O p f e r mit einer geladenen Pistole vorsätzlich einschlägt, wobei die Pistole losgeht und der Schuß das Opfer tötet, irrt über das Risiko der Pistole als Schußwaffe; im Grunddelikt verwirklicht sich das Risiko einer Schlagwaffe, also fehlt wiederum die Risikoidentität. Zudem ist der Erfolg als Schlag nicht das erste Q u a n t u m des Eingriffs, der zum T o d führt (der Schuß) 5 9 . — W o h l aber haftet nach § 226 StGB, wer seinem O p f e r mit Verletzungsvorsatz auf den Kopf schlägt, wobei erkennbar ist, daß der Schlag tödlich wirkt, weil er stärker ausfällt, als geplant ist, oder weil er schon in geplanter Stärke den Schädel des Opfers zertrümmert oder weil das Schlaginstrument scharfkantig ist etc. Häufig ist Effekt einer Körperverletzung ein Funktionsverlust: Das Opfer ist dann (wegen O h n m a c h t oder Lähmung oder Siechtum o. ä.) gegen weitere Risiken anfällig (es kann nicht vom Kalten ins Warme fliehen, es kann seinen Feind — oder auch eine Infektion — nicht überwinden etc.). Dieses Risiko „Funktionsverlust" wird teils über den Nötigungseffekt einer Körperverletzung vermittelt und ist dann nicht Körperverletzungsrisiko, sondern Risiko eines Freiheitsverlustes und deshalb mit dem Körperverletzungsrisiko nicht identisch: Es läge auch vor, wenn der Nötigungseffekt ohne körperlichen Eingriff erzeugt würde. Beispiele: W e r das O p f e r mit einem Virus infiziert, der seine Widerstandskraft gegen andere Infektionen lähmt, haftet nach § 226 StGB, wenn das O p f e r mangels Abwehrkraft an Lungenentzündung oder Grippe oder Meningitis stirbt, gleich, ob die lähmende Wirkung bekannt war oder nicht; denn nicht erst die Unkenntnis der Weiterung zum T o d , sondern schon die Unkenntnis der Weiterung zur Anfälligkeit ist ein Quantitätsirrtum bei identischem Körperverletzungsrisiko. Es bleibt freilich bei Idealkonkurrenz von vorsätzlicher Körperverletzung und fahrlässiger T ö tung, wenn der Täter das O p f e r dort zusammenschlägt, wo es erkennbar in seiner Ohnmacht erfrieren oder von einem Feind getötet werden wird; denn die Unfähigkeit zur handelnden oder unterlassenden, jedenfalls gesteuerten Organisation einer Abwehr ist Nötigungsti{tkisí//e105a. 2. Konsequenzen106: 50 a) Die Übertragung dieses Rechtsgedankens auf die N o t w e h r ergibt zunächst, daß das Notwehrrecht bei Provokation nie voll entfällt; denn da ein rechtswidriger Angriff 104 Siehe hierzu /escheck A T § 32 III 3 b (in der Regel kein rechtswidriger Angriff) ; Schmidhäuser H o nig-Festschrift S. 185 ff, 197; Wagner Notwehrbegründung S. 58 f; Bitzilekis Tendenz S. 125 ff. — Für prinzipiellen V o r r a n g staatlicher Abwehr bei Unfugabwehr Arzt Schaffstein-Festschrift S. 77 ff, 82. 105 Es geht hier nicht um mittelbare Täterschaft durch ein gerechtfertigt handelndes Werkzeug: W e r eine Situation des rechtfertigenden N o t stands täterschaftlich bewirkt, haftet f ü r die Güterverletzungen, die zur Lösung der Kollision erforderlich sind, als mittelbarer Täter, hierzu unten 21/81 ff. 105a Siehe dazu MitschCA 1986 S. 533 ff. 106 Im Ansatz wie hier Marxen Grenzen S. 56 ff (dagegen Bitzilekis Tendenz S. 164 ff; siehe auch Choi N o t w e h r S. 95 ff) ; ähnlich Montenbruck Thesen S. 41 ff. — Überhaupt gegen die Berücksichtigung einer Provokation Binding Normen Bd. II (1) S. 621 ff, 625; v. Liszt-Schmidt Straf-

recht § 33 II 1 a mit Nachweisen des damaligen Streitstands; Bockelmann Honig-Festschrift S. 19 f f ; Bockelmann-Volk A T § 15 Β I 2 f; LKSpendel § 3 2 Rdn. 281 ff (gegen Spendel siehe Schünemann GA 1985 S. 341 ff, 367 f f ) ; Frister GA 1988 S. 291 ff, 310; Hassemer BockelmannFestschrift S. 225 ff, 243 f, der den üblichen Einschränkungsversuchen bei Provokation — zutreffend — Regression „in ein . . . vorpositives Stadium von Entscheidung und Argumentation" bescheinigt (S. 227), mit der Ablehnung jeder Einschränkung freilich die Leistungsfähigkeit einer Dogmatik unterschätzt, die ihre Argumente nicht auf ein einziges Strafrechtsinstitut zuschneidet, sondern auf eine Systematik aus ist. — Für eine Berücksichtigung der Provokation nur bei der Strafzumessung Hillenkamp Vorsatztat und Opferverhalten S. 125 ff. N a c h Lenckner GA 1961 S. 299 ff; SchönkeSchröder-Lenckner Rdn. 23 vor § 32; Schröder J R 1962 S. 187 f f ; Bertel ZStW 84 S. 1 ff, 14 ff soll

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12. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

im Sinn des § 32 StGB Schuld voraussetzt, ist der Angreifer immer auch selbst für den Konflikt zuständig, so daß sich eine Lösung allein zu Lasten des Provozierenden verbietet. Beispiel: In der Situation nach § 213, 1. Fallgruppe StGB muß der Angriff des Totschlägers nicht v o n Rechts wegen kampflos geduldet werden. 51

b) Die Übertragung ergibt ferner, daß Personen, die ihre Güter nicht in zurechenbarer Weise mit dem Konflikt verknüpft haben, nicht nur sich selbst voll verteidigen können, sondern auch vom Provozierenden voll verteidigt werden können. Beispiel: W e n n in der Situation nach § 2 1 3 StGB der Beleidigte den Beleidiger und dessen — unbeteiligte — Frau angreift, folgt die Verteidigung der Frau völlig den allgemeinen Regeln 107. eine Zurechnung der Folgen des Abwehrverhaltens über eine Zurechnung der Provokation als Tathandlung möglich sein; Notwehr bleibt bei dieser Lösung nach einer Provokation — eingeschränkt (insbesondere Ausweichen soll der Abwehr vorgehen) — möglich, was aber die H a f tung f ü r die Provokation als einer actio illicita in causa nicht berühren soll. Bei dieser Konstruktion muß für die Bestimmung von Vorsatz oder Fahrlässigkeit auf die Lage bei der Provokation, nicht aber bei der Abwehr abgestellt werden (siehe aber auch Hruschka AT S. 381 ff). Ausführliche Kritik an der actio ¡Ilícita in causa bei Roxin ZStW 75 S. 541 ff, 545 f f ; Constadmidis Actio illicita S. 46 ff, 131 f ; Bockelmann a a O ; Bitzilekis Tendenz S. 153 ff; NeumannZurechnung S. 149 ff. Eine weitere Lehre will dem Provokateur die Rechtfertigung der Abwehr versagen ( R o x i n ZStW 75 S. 541 ff, 556 ff, 583; SK-Samson § 32 Rdn. 25 ff; Stratenwertb A T Rdn. 436), sofern das Provokationsverhalten verboten oder sozialethisch mißbilligt (?) ist (einschränkend auf verbotenes Verhalten in der Absicht, einen Angriff hervorzurufen, jetzt Roxin ZStW 93 S. 68 ff, 90 f ; Wagner Notwehrbegründung S. 69 ff, 72 ff), dies bei Differenzen über die Lage bei fahrlässigen Provokationen u. a. m. — Selbst bei der rechtswidrigen Absichtsprovokation, also bei der gewollten Reizung eines anderen durch rechtswidriges Tun, hat jedoch der Provokateur keine Tatherrschaft über den auf ihn selbst erfolgenden rechtswidrigen Angriff (genauer : er ist nicht vorrangig zuständig), so daß sich eine unbeschränkte Duldungspflicht gegenüber dem Angreifer axiologisch nicht begründen läßt (Jescheck A T § 32 III 3 a). Die Lösung bringt also gegenüber der Konstruktion einer actio illicita in causa materiell keinen Gewinn. Insbesondere kann der Gedanke des Rechtsmißbrauchs das Ergebnis nicht tragen, da in der Abwehrsituation ein Anlaß zum Gebrauch gegeben ist und vor der Situation kein Notwehrrecht gebraucht wird (Beispiel: Der Gebrauch eines Feuermelders durch den vorsätzlichen Brandstifter selbst ist nicht Mißbrauch von Notrufen) ; — gegen die Anwendung des Rechtsmißbrauchsgedankens Neumann Zurechnung S. 154 ff mit Nachweisen. — Eine Einschränkung nach der „ratio" der Vorschrift (Bitzilekis Ten-

404

denz S. 170 ff) ist zirkulär; denn es gilt, die „ratio" erst zu ermitteln! — Wie weit die Autoren auch Notstands rechtfertigung ausschließen wollen, ist teils unklar; f ü r das Verbleiben von N o t standsrechtfertigung jedenfalls Stratenwerth a a O ; Hruschka Dreher-Festschrift S. 189 ff, 208; diese Lösung f ü h r t dann im Ergebnis zu den auch hier vorgeschlagenen Konsequenzen. — Schönehorn N S t Z 1981 S. 201 ff, 202 ff bestimmt die Provokation nach der Wirkung beim Provozierten: Dessen „verständliche und honorierungswürdige Gemütserregung" (S. 203) soll das N o t wehrrecht einschränken. Soweit bei Absichtsprovokation ein Verteidigungswille verneint wird (Kratzsch Grenzen S. 39), werden die (zweifelhafte) Lauterkeit des Wollens und das (zweifellos gegebene) psychische Faktum eines Wollens vermengt. Entsprechendes gilt auch für die Meinung, der Provokateur willige in die Verletzung seiner Güter ein (Maurach-Zipf ATI § 2 6 Rdn. 43); zutreffend kritisch Hillenkamp Vorsatztat und Opferverhalten S. 127 ff. Nach Neumann Zurechnung S. 176 ff, 182, soll sich der Provokateur bei der Abwehr im Rahmen des Erforderlichen voll gerechtfertigt verhalten, aber ihm soll durch eine „dogmatische Regel zweiter Stufe" (dazu unten 17/58) die Berufung auf die von ihm selbst arglistig herbeigeführte Rechtfertigungssituation versagt werden. Diese Lösung stellt den Provokateur zugleich zu gut wie zu schlecht: Sie läßt eine Abwehr des Angriffs nach Notwehrgrundsätzen zu, obgleich auch der Provokateur die Situation aggressiv definiert hat, aber sie läßt den Provokateur zugleich für die gesamte Abwehr strafrechtlich haften, obgleich erforderliche Abwehr doch auch zum Verantwortungsbereich des rechtswidrig Angreifenden gehört. 107 Zum Problem siehe auch Bitzilekis Tendenz S. 190 ff; Mitsch GA 1986 S. 533 ff. - Die weit verbreitete Formulierung, der Provozierende sei nicht berufen, die Rechtsordnung zu wahren (besonders drastisch Otto Würtenberger-Festschrift S. 129 ff, 144 f, der von diesem Topos eine differenzierte Palette von Notwehrbeschränkungen herleitet) verkennt die Relativität der Provokationsfolgen und kann die Notwehr nicht mehr adäquat erfassen.

Notwehr

12. A b s c h n

c) Weiterhin ergibt sich, daß die Provokation ein voll zurechenbares (schuldhaftes) 5 2 Verhalten sein muß, da ansonsten die Zurechnung zum Angreifer stärker wäre als diejenige zum Provozierenden, so daß die N o t w e h r mit ihrer einseitigen Lastenverteilung angebracht bliebe. Eine Provokation kann auch berücksichtigt werden, wenn sie ihrerseits provoziert ist: Beiderseitige Provokation, d. h. beiderseitige Zuständigkeit f ü r das Aggressive der Situation, ist also möglich 1 0 8 . Beispiel: Wie der Beleidiger nur beschränkte Abwehrrechte hat, wenn der Beleidigte mit Fausthieben reagiert, hat dieser nur beschränkte Abwehrrechte, wenn der Beleidiger bei einer übersteigerten Abwehr der Hiebe zum Messer greift. d aa) Die Übertragung führt schließlich dazu, daß in den allein verbleibenden Fällen 5 3 beiderseits schuldhafter Beteiligung am Konflikt die Schuldhaftigkeit als spezifischer Grund einer Lastenverteilung ausscheidet. Somit muß die erforderliche Abwehr innerhalb der N o t w e h r nach Notstandsgesichtspunkten bestimmt werden, und zwar, da die rechtswidrige Aggression des Provozierten bleibt, entsprechend den Maximen des defensiven Notstands (§ 228 BGB). Daraus folgt insbesondere: Der Angegriffene muß möglichst ausweichen und sich ansonsten im Rahmen der Güterproportionalität des defensiven Notstands halten (genauer dazu unten 13/46). — Dem entsprechen die Ergebnisse der neueren Rechtsprechung 1 0 9 . bb) Als Provokation kommt nur ein Verhalten in Betracht, das die Mitzuständigkeit 5 4 f ü r den Angriff begründet. Dies ist einmal bei einem eigenen rechtswidrigen Angriff des Provokateurs der Fall, der dann einen — als erforderliche Abwehr übersteigerten — Gegenangriff auslöst. Wer die Beziehung zu einer anderen Person selbst rechtswidrigaggressiv gestaltet, ist nicht unbeteiligt, wenn der andere diese Gestaltung der Beziehung übernimmt. — Zum anderen geht es darum, daß der später Angegriffene und der spätere Angreifer sich gemeinsam auf den Angriff einlassen, etwa in der Form, daß der Angegriffene den Angreifer zum Angriff offen oder konkludent auffordert oder entsprechend auf eine Anfrage des Angreifers reagiert. — Eine fahrlässige Provokation ist möglich 1 1 0 und bei Leichtfertigkeit wohl nicht nur Theorie; Beispiel: Der rücksichtslose Autofahrer bringt den späteren Angreifer durch seine Fahrweise mehrfach in

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Damit dürften sich die Bedenken bei Hassemer Bockelmann-Festschrift S. 225 ff, 232 ff erledigen. — Wegen der Möglichkeit mehrseitiger Zuständigkeit sollte der Passus „ohne eigene Schuld" in §213 StGB gelesen werden als „in (Mit-) Zuständigkeit des Opfers". 109 In der Rechtsprechung geht es der Sache nach weniger um Notwehr allgemein als speziell um Tötung des Angreifers in Notwehr (in der Regel durch einen planmäßig bewaffneten Angegriffenen). Die Rechtsprechung hat zunächst eine Provokation nicht berücksichtigt (RG 60 S. 261 f; 65 S. 163 ff, 165), dann aber, beginnend mit späteren Entscheidungen des Reichsgerichts (RG 71 S. 133 ff, 135; siehe aber RG 73 S. 341 ff), das Notwehrrecht zunehmend eingeschränkt, wobei die Anforderungen an eine Provokation bis hin zur vermeidbaren Kausalität verkümmert sind; BGH NJW 1962 S. 308 f, 309 (hierzu ablehnend Baumann MDR 1962 S. 349 f; Gutmann NJW 1962 S. 286 ff; Schröder JR 1962 S. 187). - In nachfolgenden Entscheidungen werden dem Provokateur Ausweichen und erhöhte Duldungs-

pflichten auferlegt, ohne daß ihm jedoch das Notwehrrecht voll abgesprochen wird; BGH 24 S. 356 ff, 358 f (mit Anmerkung Lenckner JZ 1973 S. 253 ff; Roxin NJW 1972 S. 1821 f); 26 S. 143 ff mit einem Katalog der erlaubten Abwehreskalation des Provokateurs S. 145 f: Ausweichen — Schutzwehr — Trutzwehr, letzteres auch um den Preis, selbst leicht verletzt zu werden, nur mit mildesten Mitteln; BGH NStZ 1989 S. 113 f u n d S . 296 f; BGH JR 1989 S. 160 f mit Anmerkungen Homann und Matt aaO S. 161 f; siehe auch BGH NJW 1990 S. 2263 f, 2264; ganz ungenau BGH NJW 1983 S. 2267 mit im Ergebnis zustimmender Anmerkung Lenckner JR 1984 S. 206 ff und kritischer Besprechung Ben JuS 1984 S. 340 ff. Nach BGH 26 S. 256 ff darf der Provokateur den Angriff mit einem scharf wirkenden Mittel abwehren, wenn der Angreifer auf hinhaltende Abwehr hin nicht aufgibt. 110 So auch BGH 24 S. 356 ff; 26 S. 143 ff; BGH NStZ 1988 S. 450 f mit Anmerkung Sauren aaO S. 451.

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12. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

Notsituationen. — Bei leichter Fahrlässigkeit oder bei sonst am Rand der Zurechnung rangierenden rechtswidrigen Angriffen dürfte freilich die Zurechnung zum Provokateur hinter der Zurechnung zu demjenigen, der auf die Provokation hin angreift, voll zurücktreten. Beispiel: W e r sich leicht fahrlässig in der Zimmertür seines Hotels irrt, hat gegen die rechtswidrig angreifende Reaktion des Gestörten das volle Notwehrrecht. 55

cc) Keine Provokation ist ein Verhalten, das weder selbst ein rechtswidriger Angriff ist noch eine A u f f o r d e r u n g dazu; dies gilt auch, wenn das Verhalten sozial unüblich, unhöflich (Verweigerung einer beiläufig zu erledigenden Auskunft; Weigerung eines Gasts, an dem Restauranttisch, an dem er sitzt, weitere Gäste zu akzeptieren) oder unmoralisch ist (Ehebruch mit der Frau des dann vor Zorn Angreifenden) und ist auch ganz unabhängig von der beim Verhaltensvollzug waltenden subjektiven Seite, insbesondere von einer nicht im Verhaltensvollzug deutlich werdenden „Provokationsabsicht" 1 1 1 . Beispiel: Wer das Haus betritt, in dem er wohnt, das aber von einem Raufbold belagert wird, behält das volle Notwehrrecht, auch wenn er den Angriff sehnlich wünscht 1 1 2 .

56

e) Entsprechend der Regelung bei § 213 StGB (und auch bei § 33 StGB) wird durch eine Provokation nur das Recht zur Abwehr eines solchen Angriffs betroffen, der in der identischen — vom Provokateur aggressiv definierten — Situation erfolgt 1 1 3 .

F. Die Einschränkung durch Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit 57

1. Die Garantieverhältnisse kraft institutioneller Zuständigkeit sind strafrechtlich nicht umfassend, sondern nur beschränkt auf die tatbestandlich beschriebenen Verhaltensweisen geschützt. Einige dieser Verhältnisse, insbesondere die Ehe und das ElternKind-Verhältnis, zielen aber nicht nur auf diesen beschränkten Schutz, sondern auf eine umfassende Fürsorge, auch wenn deren Verletzung sich strafrechtlich nur punktuell niederschlägt. Beispiel: Bloße Lieblosigkeiten der Eltern gegenüber ihren Kindern widersprechen der institutionellen Pflicht, erfüllen aber keinen Deliktstatbestand. Die — tätige oder durch Unterlassen vollzogene — Versagung der geschuldeten Fürsorge ist auch dann, wenn sie keinen Straftatbestand verwirklicht, eine Pflichtwidrigkeit und deshalb — sofern schuldhaft — einer Provokation analog zu behandeln.

58

Zudem besteht bei diesen Garantieverhältnissen eine — gegenüber Jedermannsverbindungen — erhöhte Opferpflicht. Dabei ist zwar wegen der Zerrüttung der Institution, die sich im Angriff zeigt, die Opferpflicht geringer als bei intakten Institut i o n e n 1 1 3 a (siehe unten 29/125); aber trotzdem geht es bei Notwehr zwischen den

111 Wird freilich im Vollzug des Verhaltens die Kampfeslust deutlich, so handelt es sich um eine Aufforderung zum Angriff und deshalb um eine Provokation. 112 Unvertretbar B G H N J W 1962 S. 308 f; - unklar, aber jedenfalls einschränkend spricht B G H 24 S. 356 ff, 359 von einem „von Rechts wegen vorwerfbaren Verhalten" (also rechtswidriges Verhalten?); - B G H 27 S. 336 ff, 338 (mit zustimmender Anmerkung Kienapfel J R 1979 S. 72) bringt eine sehr gemäßigte Definition der Provokation : „ein Verhalten . . . das bei vernünftiger Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls den folgenden Angriff als eine adäquate und voraussehbare Folge der Pflichtver-

406

letzung (sie!) des Angegriffenen erscheinen läßt". — O b als Pflichtverletzung freilich nur die Verletzung einer Rechtspflicht gemeint ist, bleibt offen. - Wie hier B G H N J W 1980 S. 2263 f; wohl auch B G H N S t Z 1989 S. 474 f mit zustimmender Anmerkung Beulke J R 1990 S. 380 ff. 113 B G H N S t Z 1981 S. 138. 113a ]3¡ e w e g e n der institutionellen Bindung besonders intensive Pflichtverletzung des Angreifers wird also auch berücksichtigt; nur f ü h r t diese Intensität nicht zum Fortfall der Institution; das verkennt Spendei J Z 1984 S. 507 ff, 509; treffend Loos JuS 1985 S. 859 ff, 863: Entfallen erhöhter Opferpflicht, wenn keine Pflicht zur Herstellung des ehelichen Lebens mehr besteht.

Notwehr

12. Abschn

Partnern solcher Verhältnisse nicht nur um die oben bezeichnete Mindestsolidarität, sondern um einen höheren Einstand. Bei der Abwehr von Angriffen etwa eines Ehepartners hat der angegriffene Partner demzufolge in erhöhtem Maß auszuweichen oder leichtere Beeinträchtigungen seiner Güter hinzunehmen, bevor er existentielle Güter des Angreifers verletzt 1 1 4 . — Notwehrhilfe durch den Sonderverpflichteten dürfte gleichfalls beschränkt sein. Die Lage ist insoweit anders als bei Provokationsfällen. Die Differenz entspricht dem unterschiedlichen Entstehungsgrund der Sonderpflicht: als Organisationsfolge (bei der Provokation) oder — hier — institutionell. 2. Auch die Kanalisierung hoheitlicher, insbesondere polizeilicher Gefahrenabwehr auf die durch spezielle N o r m e n verliehenen Eingriffsbefugnisse führt zu einer erhöhten Duldungspflicht aus institutioneller Zuständigkeit (für die O r d n u n g insgesamt), da dem Amtsträger auch bei Angriffen auf sich selbst die Berufung auf N o t w e h r versagt wird (streitig; siehe oben 12/42 mit Fn. 89).

VIII. Die Besonderheiten der Notwehrhilfe Die zur Notwehrhilfe 1 1 5 verbreitet anzutreffende Formulierung, eine Rechtferti- 5 9 gung gegen den Willen des Angegriffenen sei ausgeschlossen 1 1 6 , ist zu pauschal. Vielmehr ist zu differenzieren 1 1 6 a : A. Wenn es der Angegriffene nicht f ü r richtig hält, den Konflikt auf Kosten des Angreifers zu lösen, so ist bei disponiblen Gütern Notwehrhilfe nicht erlaubt. Beispiel: Der Angegriffene will nicht den — bei erforderlicher Abwehr eintretenden — T o d des Angreifers beim Angriff auf bloße Vermögenswerte. — Will der Angegriffene nicht nur dulden, sondern willigt er in den Angriff ein, so verliert der Angriff bei disponiblen Gütern schon seine Rechtswidrigkeit. B. Hält der Angegriffene die Abwehr aus Gründen f ü r unangebracht, welche die 6 0 Lastenverteilung bei N o t w e h r nicht tangieren, bleibt Nothilfe auch bei disponiblen Gütern gerechtfertigt. Beispiele: Der Angegriffene will die Abwehr eigenhändig erledigen, der Helfer kommt ihm zuvor. — Die Geisel will keine Notwehrhilfe gegen den Geiselnehmer, weil sie f ü r sich selbst üble Folgen befürchtet. 114 Die Proportionen sind in Einzelheiten noch nicht hinreichend geklärt. Hauptsächlich wie hier Geilen J R 1976 S. 314 ff, 316, 318; Deubner N J W 1969 S. 1184; Marxen Grenzen S. 38 ff; ders. in: Vom Nutzen etc. Bd. I S. 63 f f ; Roxin ZStW 93 S. 68 ff, 100 ff; Schroth N J W 1984 S. 2562 ff; Stratenwerth AT Rdn. 442; eingehende N a c h weise bei Kühl Jura 1990 S. 224 ff, 252 f. - Die einschlägigen Entscheidungen kaschieren das normative Problem (was ist zu dulden?) kognitiv (wie gefährlich war der Angriff?); B G H N J W 1969 S. 802; N J W 1975 S. 62 f; N J W 1984 S. 986 mit hauptsächlich zustimmender Anmerkung Montenbruck J R 1985 S. 115 ff; differenzierend Laos JuS 1985 S. 859 ff (Tötung des Ehegatten, der zur Erlangung eines Wohnungschlüssels angreift, um aus der verschlossenen W o h n u n g mit 200 DM, die er dem anderen gestohlen hat, zu entkommen; der B G H nimmt Notwehrrechtfertigung an — zumindest äußerst zweifelhaft). — Weitere Entscheidungen bei Geilen a a O S. 316 Fn. 14. — Ablehnung jeder Einschränkung bei Engels GA 1982 S. 109 ff, 114, 124 f; Spendei J Z

1984 S. 507 f f ; Frister GA 1988 S. 291 ff, 308; LK-Spendel § 3 2 Rdn. 310; siehe auch Kratzscb JuS 1975 S. 435 f f ; Montenbruck Thesen S. 44; BitzilekisTendenzS. 120 ff. 115 Seelmann ZStW 89 S. 36 ff versucht, nicht die Notwehr selbst, aber die N o t w e h r h i l f e durch Güterproportionalität zu entschärfen, ohne allerdings die Sonderstellung des Angriffsopfers so zu bezeichnen, daß der solidarische Rechtsgenosse (der Gleichgültige hilft nicht) nicht an ihr teilhaben könnte; — gegen Seelmann siehe Roxin ZStW 93 S. 68 ff, 71 f mit Fn. 8; Sei'erNJW 1987 S. 2476 ff, 2477 f. 116 B G H 5 S. 245 ff, 248; B G H StV 1987 S. 59; Lackner % 32 Anm. 2 h ; Schänke-Schröder-Lenckner § 32 Rdn. 25; Jescheck A T § 32 IV; - a. A. aber (mit unterschiedlichen Begründungen) Schmidhäuser AT 9/107; ders. Studienbuch 6/80; Schroeder Maurach-Festschrift S. 127 ff, 141 f; Wagner Notwehrbegründung S. 36; siehe auch KloseZStW 89 S. 61 ff, 96 f. 116a Hauptsächlich wie hier Seier N J W 1987 S. 2476 ff, 2478 ff.

407

13. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

61

C. Bei nicht disponiblen Gütern (Leben nach § 2 1 6 StGB) gelten die Regeln der Staatsnotwehrliilfe; hier bindet es auch, wenn der Staat die Abwehrhandlung untersagt.

62

D. Notwehrhilfe ist immer zulässig, wenn der Angegriffene der realen Willen hat, sich helfen zu lassen, sei dieser reale Wille erkannt, erkennbar oder unerkennbar. Beispiel: W e r den Angreifer in der irrigen Meinung abwehrt, das Opfer wolle dulden, erkennt nicht die gegebene Rechtfertigungslage (dazu oben 11/18 ff). Zudem ist N o t wehrhilfe zulässig, wenn eine Entscheidung des Angegriffenen nicht herbeizuführen ist oder der Wille nicht ermittelt werden kann, aber unter Berücksichtigung der Präferenzen des Angegriffenen zu mutmaßen ist, daß er sich nicht f ü r ein Dulden entscheiden würde. Mangels besonderer Anhaltspunkte gilt das rechtlich Vernünftige, also die W a h r u n g der Verteidigungschance, als Wille. Stellt sich nachträglich heraus, daß der unerkennbare, reale Wille abwich oder daß die Entscheidungsgrundlagen f ü r die Mutmaßung unerkennbar falsch waren, hindert das die Rechtfertigung nicht. Beispiel: Wer das schon ohnmächtige Opfer eines Totschlagsversuchs in erforderlicher Abwehr durch T ö t u n g des Angreifers vor der Vollendung rettet, handelt gerechtfertigt, auch wenn sich später ermitteln läßt, daß das O p f e r den Angreifer als seinen Sohn erkannt hat und eher die eigene T ö t u n g dulden wollte als die des Sohns.

62 a

E. Sonstiges : Zur Notwehrhilfe bei Provokation siehe oben 12/49 und 51.

IX. Die Wirkungen der Notwehr 63

A. Gerechtfertigt ist nur die Abwehr durch Eingriff in die Güter des Angreifenden; dazu oben 12/28. 64 B. Ist bei einer Überschreitung der Erforderlichkeit das Nicht-mehr-Erforderliche vom Noch-Erforderlichen rechtlich trennbar, so bleibt das Noch-Erforderliche gerechtfertigt. Beispiel: Eine durch N o t w e h r gerechtfertigte Sachbeschädigung wird nicht dadurch rechtswidrig, daß der Verteidiger durch dieselbe Handlung überflüssigerweise noch eine weitere Sache zerstört. Bei erfolgsqualifizierten oder sonst zusammengesetzten Delikten bleibt bei Rechtfertigung eines Teils nur dann eine Strafbarkeit, wenn der Rest f ü r sich ein Delikt bildet. Beispiel: Der Verteidiger nimmt dem in erforderlicher Abwehr niedergeschlagenen Angreifer — wie schon bei der Abwehr geplant — seine Wertsachen ab; — rechtswidriger Diebstahl, nicht Raub. — Bei Unteilbarkeit ist die Unrechtsminderung bei der Strafzumessung zu berücksichtigen 117 .

13. A B S C H N I T T

Der rechtfertigende Notstand I. Die Arten des Notstands im Überblick Literatur C Belling Ist die Rechtfertigungsthese zu § 218 a StGB haltbar? 1 9 8 7 ; P. Bockelmann Hegels N o t s t a n d s l e h r e , 1935; J. Cerezo Mir Grundlage und Rechtsnatur des N o t s t a n d s im spanischen Strafgesetzbuch, H . K a u f m a n n - G e d ä c h t n i s s c h r i f t S. 689 f f ; A. Graf zu Dohna D i e Rechtswidrigkeit als allgemeingültiges Merkmal im Tatbestande strafbarer H a n d l u n g e n , 1905; E. Gimbernat117 Siehe KemZStW 408

64 S. 255 ff.

Rechtfertigender Notstand

13. A b s c h n

Ordeig Der N o t s t a n d : Ein Rechtswidrigkeitsproblem, Welzel-Festschrift S. 485 f f ; / . Goldschmidt Der Notstand, ein Schuldproblem, Osterreichische Zeitschrift f ü r Strafrecht 1913 S. 129 ff; W. Gropp 5 218a StGB als Rechtfertigungsgrund: G r u n d f r a g e n zum rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruch, GA 1988 S. 1 ff; A. Hatzung Dogmengeschichtliche Grundlagen und Entstehung des zivilrechtlichen Notstands, 1984; H. Henkel Oer Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, 1932; H. J. Hirsch Strafrecht und rechtsfreier Raum, Bockelmann-Festschrift S. 89 ff; Armin Kaufmann Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, 1959; Arthur Kaufmann Rechtsfreier Raum und eigenverantwortliche Entscheidung. Dargestellt am Problem des Schwangerschaftsabbruchs, Maurach-Festschrift S. 327 ff; E. Kern Grade der Rechtswidrigkeit, ZStW 64 S. 255 ff; D. Kienapfel Oer rechtfertigende Notstand, Ö J Z 1975 S. 421 ff; M. Köhler Personensorge und Abtreibungsverbot, GA 1988 S. 435 ff; W. Küper Oer „verschuldete" rechtfertigende Notstand, 1983; ders. Grundsatzfragen der „Differenzierung" zwischen Rechtfertigung und Entschuldigung, JuS 1987 S. 81 ff; Th. LencknerDer rechtfertigende Notstand, 1965; R. Maurach Kritik der Notstandslehre, 1935; A. Meißner Die Interessenabwägungsformel in der Vorschrift über den rechtfertigenden Notstand (§34 StGB), 1990; P. Noll Übergesetzliche Milderungsgründe aus vermindertem Unrecht, Z S t W 68 S. 181 ff; F. Oetker N o t w e h r und Notstand, V D A T Bd. II S. 255 ff; H. Otto Die Anerkennung des Interessenvorrangs als Prinzip der Rechtfertigung, RGSt 61, 242, Jura 1985 S. 298 ff; ders. Anmerkung zu BayObLG J R 1990 S. 338 ff, a a O S. 342 ff; C. Roxin Die notstandsähnliche Lage — ein Strafunrechtsausschließungsgrund? Oehler-Festschrift S. 181 ff; H.-J. Rudolphi Ist die Teilnahme an einer Notstandstat i. S. der §§ 52, 53 Abs. 3 und 54 StGB strafbar? ZStW 78 S. 67 ff; Eb. ScbmidtDas Reichsgericht und der „übergesetzliche Notstand", ZStW 49 S. 350 ff; H. Schröder Die Notstandsregelung des Entwurfs 1959 II, Eb. Schmidt-Festschrift S. 290 ff; K. Sichert Notstand und Putativnotstand, 1931; H. Tröndle Soziale Indikation — Rechtfertigungsgrund? Jura 1987 S. 66 ff. M. Wachinger Oer übergesetzliche N o t stand nach der neuesten Rechtsprechung des Reichsgerichts, Frank-Festgabe Bd. I S. 469 ff; H. v. Weher Das Notstandsproblem und seine Lösungen in den deutschen Strafgesetzentwürfen von 1919 und 1925, 1925.

A 1. D i e L ö s u n g eines K o n f l i k t s , in d e m die G e f a h r f ü r ein b e r e c h t i g t e s I n t e r e s s e n u r 1 auf K o s t e n des b e r e c h t i g t e n I n t e r e s s e s eines a n d e r G e f ä h r d u n g n i c h t als A n g r e i f e r ( § 3 2 S t G B ) Beteiligten e r h a l t e n w e r d e n k a n n , ist seit j e h e r streitig g e w e s e n 1 . E i n e i n d i v i d u a l i s t i s c h e L ö s u n g n i m m t z u m A n s a t z , d a ß eine G e f a h r n i c h t v o m B e t r o f f e n e n e i n e m a n d e r e n a u f g e h a l s t w e r d e n d a r f ; die N o t s t a n d s h a n d l u n g ist d e m g e m ä ß stets r e c h t s w i d r i g , w e n n a u c h die U m s c h i c h t u n g d e r G e f a h r im E i n z e l f a l l v e r z e i h l i c h ( e n t s c h u l d i g t ) sein m a g , n ä m l i c h bei existentieller B e d e u t u n g d e r d u r c h die G e f a h r b e t r o f f e n e n G ü t e r 2 . E i n e e h e r auf g e g e n s e i t i g e S o l i d a r i t ä t d e r R e c h t s u n t e r w o r f e n e n a b s t e l l e n d e L ö s u n g b l i c k t auf die I n t e r e s s e n b i l a n z u n d gibt ein R e c h t z u r I n t e r e s s e n v e r l e t z u n g , w e n n die N o t s t a n d s h a n d l u n g die G e s a m t b i l a n z v e r b e s s e r t 3 . D i e R e c h t s f o l g e dieser N o t s t a n d s l ö s u n g , R e c h t f e r t i g u n g , w i r d d a n n z u r V e r e i n h e i t l i c h u n g a u c h in Fällen a n g e n o m m e n , in d e n e n p e r S a l d o m e h r z e r s t ö r t als e r h a l t e n , a b e r i m m e r h i n n o c h 1 Zur Geschichte siehe H. Mayer AT S. 176 ff; Hatzung Grundlagen S. 38 f f ; Küper JuS 1987 S. 81 ff; Meißner Interessenabwägungsformel S. 72 ff, jeweils mit ausführlichen Nachweisen. 2 So nach einem früher verbreiteten Verständnis Kant Die Metaphysik der Sitten (Erster Theil, 2. Auflage, Königsberg 1798), Rechtslehre, Einleitung in die Rechtslehre, ξ E a. E., ferner Anhang zur Einleitung in die Rechtslehre, vor I und zu II, allerdings nur zum Fall der Lebensverletzung zum Lebensschutz; daß die Deutung, Kant lehre den Notstand als Entschuldigungsgrund, falsch ist, legt Bockelmann dar (Hegels N o t -

standslehre S. 4 ff). — Für Entschuldigung aber Feuerbach Lehrbuch § 9 1 ; Μ. E. Mayer A T S. 304 ff, auch f ü r § 904 BGB und selbst für den notwehrähnlichen § 228 BGB. 3 Hegel Grundlinien der Philosophie des Rechts, Berlin 1821, § 127, der aber nur die Fälle einer Rettung in Lebensnot durch Verletzung fremden Eigentums behandelt; hierzu und zu den Hegelianern eingehend Bockelmann Hegels Notstandslehre S. 21 ff, 54; siehe aber auch die Deutung Hegels bei Meißner Interessenabwägungsformel S. 87 ff.

409

13. A b s c h n

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

ein berechtigtes Interesse gewahrt wird 4 . — Der Zusammenstoß der Interessen gibt den Namen: Kollisionstheorie5. 2

2. Die Einseitigkeiten dieser nur auf Entschuldigung oder nur auf Rechtfertigung abstellenden sogenannten Einheitstheorien6 führten zur Herausarbeitung der heute nahezu unbestrittenen sogenannten Differenzierungstheorie7, wonach der Notstand je nach dem Interessensaldo als Rechtfertigungs- oder als Entschuldigungsgrund wirkt. Allerdings ist als Ergebnis der auf Rechtfertigung abstellenden Version der Einheitstheorie erhalten geblieben, daß auch der Notstand in der Form eines Entschuldigungsgrunds wegen der W a h r u n g berechtigter Interessen das Unrecht graduell, wenn auch nicht restlos, mindert 8 . Ferner ist ein ehemals wesentliches Ergebnis der Differenzierungstheorie, seil, die Ermöglichung von N o t w e h r gegen die entschuldigte Notstandstat, obsolet geworden, weil nach der neueren Interpretation der N o t w e h r ein „rechtswidriger Angriff" ein voll zurechenbares, also schuldhaftes Verhalten sein muß (oben 12/16 ff), so daß N o t w e h r gegen Taten im entschuldigenden Notstand ausscheidet.

3

3. Seit Kant wird immer wieder versucht, den Konsequenzen der Entscheidung f ü r Rechtfertigung oder Entschuldigung durch Annahme eines bloß unverbotenen N o t standshandelns als Handeln im rechtsfreien Raum zu entkommen 9 . Diese sogenannte Exemtionstheorievf 'iTà teilweise nicht als generelle Notstandsregel, aber doch als Regel f ü r einzelne Fallgruppen vorgeschlagen, insbesondere für Fälle der Konfliktlösung in Gefahrengemeinschaften : Sind mehrere berechtigte Interessen ohne Notstandstat demnächst alle verloren, kann aber durch eine sofortige Vernichtung einiger Interessen ein Teil des Gesamten erhalten werden, so soll nach dieser Lehre die Notstandshandlung unverboten sein, aber nicht berechtigt; insbesondere soll dem Hintangesetzten das Notwehrrecht bleiben 1 0 , oder es soll beiderseits unverbotenes Handeln vorliegen u . — Aber sehr wohl ist das Unverbotene (oder Rechtsfreie) im Verzicht auf das Rechtswidrigkeitsurteil insoweit rechtlich geregelt, als die Zurechnung abgebrochen wird; das Besondere des Unverbotenen oder Rechtsfreien liegt einzig in dem Umstand, daß die Konsequenzen des Zurechnungsabbruchs für Notwehr, Teilnahme etc. nicht systematisch, sondern mehr oder weniger verkappt freihändig entwickelt werden.

4 v. Hippel Strafrecht Bd. II S. 221 ff; neuerdings wieder Gimbemat-Ordeig Welzel-Festschrift S. 485 ff, 492 ff; zur Entwicklung ausführlich Henkel Notstand S. 7 ff; v. Weber Notstandsproblem S. 1 ff. 5 Die Bezeichnung Kollisionstheorie ist schlecht; der Name suggeriert, die betroffenen Interessen kollidierten; aber in der Regel (beim aggressiven Notstand) bringt erst die Notstandshandlung das vorher unbeteiligte, weichende Interesse in den Konflikt ein! 6 Ausführliche Nachweise bei Maurach Notstandslehre S. 1 ff; siehe ferner die Kritik bei v. LisztSchmidt Strafrecht § 34 I 3 a. 7 Wesentlich erarbeitet durch Goldschmidt Österreichische Zeitschrift für Straf recht 1913 S. 129 ff, 161 f, 173 f (der Titel von Goldschmidts Abhandlung „Der Notstand, ein Schuldproblem" ist zu lesen als: Der in §§ 52, 54 StGB a. F. ( = 35 StGB n. F.) geregelte Notstand als Schuldproblem; daneben bleibt rechtfertigender Notstand möglich); nach den unterschiedlichen Grundla-

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8

9 10 11

gen von Rechtfertigung und Entschuldigung differenziert schon klar Oetker VDAT Bd. II S. 255 ff, 332 f. — Für das spanische Strafrecht Cerezo Mir H. Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 689 ff mit Nachweisen des dortigen Streitstands. Eingehend Lenckner Notstand S. 32 ff; Armin Kaufmann Dogmatik S. 156 f; Kern ZStW 64 S. 255 ff, 264 ff, 288 f; Rudolphi ZStW 78 S. 67 ff, 80 ff; Noll ZStW 68 S. 181 ff, 185. Kant wie Fn. 2; Binding Handbuch Bd. I S. 763 ff, 766. Nach Binding aaO S. 766 soll aber das Recht auf Notwehr hilfe entfallen. v. Weber Notstandsproblem S. 25 ff, 41 ; Henkel Notstand S. 90 ff; Siegert Notstand S. 33; — eingehend hierzu Lenckner Notstand S. 15 ff; — neuerdings wieder Arthur Kaufmann MaurachFestschrift S. 327 ff für Fälle des indizierten Schwangerschaftsabbruchs; hiergegen treffend Hirsch Bockelmann-Festschrift S. 89 ff; LKHirsch Rdn. 16 ff vor §32.

Rechtfertigender Notstand

13. A b S C h n

B. Die Interessenabwägung läuft — wie erst recht eine Güterabwägung — darauf 4 hinaus, daß der Zweck die Mittel heiligt, wenn nicht die Mittel auf die zur relevanten O r d n u n g passenden Mittel kanalisiert werden. Beispielhaft: D a ß die Rechtfertigung eines Schwangerschaftsabbruchs nach § 218 a Abs. 1 StGB — ein Spezialfall des rechtfertigenden Notstands — nur bei Vornahme durch einen Arzt möglich ist 1 2 , folgt aus der generellen Unangemessenheit nicht-ärztlicher Tätigkeit auf diesem Gebiet und hat, wenn der Nicht-Arzt ausnahmsweise über entsprechende Fähigkeiten verfügt, mit der Interessenabwägung im Einzelfall nichts zu tun. Deutlicher noch ist dies bei allen denjenigen Handlungen, deren Vornahme allein in die Kompetenz von Staatsorganen fällt; es gibt keine Ersetzung des Richters, Polizisten etc. im allgemein rechtfertigenden Notstand, es sei denn durch eine spezielle Sondererlaubnis (siehe unten 13/42). Deshalb ist wegen der Notwendigkeit, ein nicht nur interessegemäßes, sondern auch angemessenes Mittel einzusetzen, zum Notstand zunächst neben der Kollisionstheorie und dann ergänzend zur Kollisionstheorie die sogenannte Zwecktheorie entwickelt worden, wonach eine Handlung rechtmäßig ist, wenn sie „das angemessene (richtige) Mittel" zum „als berechtigt (richtig) anerkannten Zweck" ist 1 3 . Diese Zwecktheorie ist z u r Limitierung der nur auf Abwägung abstellenden Theorien nach wie vor unerläßlich 1 4 . C 1. Das alte Recht enthielt in den §§ 52 und 54 StGB a. F. nur eine positivierte 5 Regelung des im heutigen Verständnis entschuldigenden Notstands. Daneben traten insbesondere die Regelungen des bürgerlichen Rechts, seil. § 904 BGB (sogenannter aggressiver Notstand, d. h. das durch die Notstandshandlung verletzte Gut ist an der Konfliktentstehung unbeteiligt und wird durch die Notstandshandlung angegriffen) und § 228 BGB (sogenannter defensiver Notstand, d. h. der Konflikt stammt vom aufgeopferten Gut, gegen das verteidigend vorgegangen wird). Als richterrechtlicher Rechtfertigungsgrund war — in Verfolgung der Differenzierungstheorie — seit der Entscheidung des Reichsgerichts 1 5 Band 61 S. 243 ff (1927) der sogenannte übergesetzliche rechtfertigende N o t s t a n d 1 6 als Rechtfertigungsgrund in der Rechtspraxis und in der Theorie unstreitig anerkannt. 2. Auch das gegenwärtige Recht folgt der Differenzierungstheorie, wie schon bei 6 Betrachtung des geschriebenen Rechts deutlich wird. § 35 StGB regelt den entschuldigenden Notstand. O b daneben ein übergesetzlicher entschuldigender Notstand anzuerkennen ist, ist streitig (unten 20/39 ff). § 34 StGB positiviert — nach dem Vorgang von § 16 O W i G (§ 14 O W i G a. F.) — den rechtfertigenden Notstand, und zwar in Satz 1 nach der Kollisionstheorie, aber in Satz 2 korrigiert durch eine Angemessenheitsklausel nach der Zwecktheorie. Die Vorschrift ist nach ihrem Wortlaut eine generelle Regelung des aggressiven Notstands und konkurriert mit dem weniger generellen, inhaltlich aber ansonsten voll entsprechenden § 904 BGB 1 7 . Eine umfassende Regelung 12 13

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S o schon R G 61 S. 243 ff, 256 f. v. Liszt-Scbmidt Strafrecht § 32 Β II 2 a; eingehend Eb. Schmidt Z S t W 49 S. 350 ff, 370 ff, 374 f ; Dohna Rechtswidrigkeit S. 48 ; den. A u f bau S. 35; Henkel N o t s t a n d S. 88; - eingehend zu diesen Lehren LencknerNotstand S. 60 ff. Natürlich kann man die sachlichen Leistungen der Z w e c k t h e o n e , seil, die Bestimmung der Angemessenheit, unter dem N a m e n der Interessenabwägung erledigen (so Lenckner Notstand S. 146 ff; Schröder Eb. Schmidt-Festschrift S. 290 ff, 293; LK-Hirsch §34 Rdn. 78 ff; Schönke-Schröder-Lenckner § 34 Rdn. 46), nur ist diese Vermengung der Frage nach der speziellen Höherrangigkeit eines Interesses mit derjenigen

formlosen h. ungebundenen, im rechtfertigenden N o t s t a n d zu vollziehenden) Schutzes w e n i g k|ar; _ W]e h¡er u n d mit w e i t e r e n N a c h _ § 33 IV 3 d Fn. 43. w e j s e n ]escheckKT seines

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Blumenreich zu dieser Entscheidung aus heutiger Zu den früheQ n o jura 19g5 s 2 9 8 ff. _ r e n E m s c h e i d u n g e n des Reichsgerichts siehe l i n cAm^erFrank-Festgabe Bd. I S. 469 ff. ü b e r g e s e t z l i c h n o c h gegenwärtig in Österreich, dazu eingehend X < e « ^ / e / Ö J Z 1975 S. 421 ff. sicht

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ç 9 0 4 B G B e n t h ä k n a c h d e m W o r t i a u t k e ¡ n e Angemessenheitsklausel nach Art von § 34 Satz 2 StGB, w a s aber eine entsprechende Anreicherung d u r c h Interpretation nicht hindert.

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13. A b s c h n

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

des defensiven Notstands über § 228 BGB hinaus fehlt nach wie vor und ist durch systematische Interpretation zu entwickeln (unten 13/46 ff). Ferner ist die Regelung der Pflichtenkollision (unten 15/6 ff) durch § 34 StGB nur lückenhaft erfolgt. 7 3. Zahlreiche Sonderregelungen gehen vor: §5 700 ff HGB (große Haverei); § 106 Seemannsgesetz 18 (Sonderkompetenzen des Schiffskapitäns im Notfall); §23 BJagdG 1 9 i. V. m. den Sondervorschriften der Länder (Abschuß streunender Hunde etc.); insbesondere aber § 218 a StGB 1 9 a (Indikation zum Schwangerschaftsabbruch). — Auch § 127 Abs. 1 StPO kann als Sonderregelung einer defensiven Staatsnotstandshilfe verstanden werden. 8 4. Insgesamt kann die gegenwärtige gesetzliche Lage nicht befriedigen, dies weniger wegen der Hervorhebung des aggressiven Notstands in der gesetzlichen Regelung, sondern mehr wegen der prinzipiell eröffneten Möglichkeit, auch solche Konflikte auf einen an sich unbeteiligten Organisationskreis zu überwälzen, die den ursprünglich Betroffenen nicht in existentielle Not, ja nicht einmal in besonders gewichtige Not und deshalb nicht in den Bereich allgemeiner Solidarität bringen 19b . — Jedenfalls dürfte § 904 Satz 2 BGB auf alle Fälle eines aggressiven Notstands anzuwenden sein. II. Der aggressive Notstand nach § 34 S t G B Literatur V. Albrecht D i e rechtliche Zulässigkeit postmortaler Transplantatentnahmen, 1986; K. Ameling Erweitern allgemeine Rechtfertigungsgründe, insbesondere § 34 StGB, hoheitliche Eingriffsbefugnisse des Staates? N J W 1977 S. 833 f f ; ders. N o c h m a l s : § 34 StGB als öffentlichrechtliche E i n g r i f f s n o r m ? N J W 1978 S. 623 f; ders., H. Schall Z u m Einsatz v o n Polizeispitzeln: H a u s f r i e densbruch und Notstandsrechtfertigung, W o h n u n g s g r u n d r e c h t und D u r c h s u c h u n g s b e f u g n i s — O L G M ü n c h e n DVB1. 1973, 221, JuS 1975 S. 565 ff; K. Bernsmann Z u m H a n d e l n v o n H o h e i t s trägern aus der Sicht des „entschuldigenden N o t s t a n d s " (§ 35 StGB), Blau-Festschrift S. 23 ff; ders. „Entschuldigung" durch N o t s t a n d , 1 9 8 9 ; P. Bockelmann Strafrecht des Arztes, 1968; ders. A n m e r k u n g z u B G H 12 S. 3 0 0 ff, JZ 1959 S. 495 f f ; ders. N o t r e c h t s b e f u g n i s s e der Polizei, D r e her-Festschrift S. 2 3 5 f f ; E.-W. Böckenförde D e r verdrängte A u s n a h m e z u s t a n d . Z u m H a n d e l n der Staatsgewalt in a u ß e r g e w ö h n l i c h e n Lagen, N J W 1978 S. 1881 ff; H. Borgs-Maciejewski, F. Ebert D a s R e c h t der Geheimdienste, 1986; W. Bottke D a s R e c h t auf Suicid und Suicidverhütung, G A 1982 S. 3 4 6 f f ; ders. Anfertigung und V e r w e r t u n g heimlicher S t i m m a u f z e i c h n u n g e n auf T o n -

18 V o m 2 6 . 7. 1957 BGBl. IIS. 713. 19 V o m 2 9 . 11. 1952 BGBl. I S . 780. • 9 a Die Rechtfertigungswirkung der in § 218 a Abs. 2 StGB genannten Indikationen wird bestritten: Das erhaltene Gut soll den Eingriff nicht ausgleichen können ( Tröndle Jura 1987 S. 66 ff, Belling Rechtfertigungsthese S. 44 ff, 93 ff, jeweils mit Nachweisen; BayObLG N J W 1990 S. 2328 ff, 2330 ff — Entschuldigung; dazu Anmerkung Otto JR 1990 S. 342 ff - die Rechtswidrigkeit belassender, aber Notwehrhilfe ausschließender objektiver Strafausschließungsgrund; gegen solche Wertungen Gropp GA 1988 S. 1 ff). Diese Bestimmung der Gutshöhe erfolgt von einer fix gedachten Verfassung gegen die in der Gesellschaft praktizierte Wertung und ignoriert den Einfluß des Praktizierten auf die Verfassung. Daß jedes menschliche Leben, geboren oder ungeboren, im Recht gleichwertig sei, daß also die Personalität nach Art und Größe aus der Natur folgen müsse, gilt nicht a priori; ansonsten wäre auch die

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medizinische Indikation ausgeschlossen (so dann — mit einigen wenig konsequenten Ausnahmen — Belling Rechtfertigungsthese S. 110 ff, 129). Eine andere Frage ist, ob sich der Gesetzgeber in § 2 1 8 a Abs. 2 StGB nicht doch an eher partikulären Wertungen orientiert hat; dazu (verneinend) fundamental KöhlerGA 1988 S. 435 ff. Meißner Interessenabwägungsformel S. 158 ff sieht den Grund der Notstandsrechtfertigung nicht in der Solidarität, sondern in der Utilität. Bei dieser Sicht dürfte die Interessenabwägung nur durch Utilitäts-, nicht aber durch Solidaritätsschranken begrenzt werden: Auch existentielle Güter, insbesondere das Leben, müßten in der Lage des aggressiven Notstands zurücktreten können (dagegen unten 13/21 ff). Meißner vermeidet dieses Ergebnis, indem er utilitäts-ejcieme Schranken errichtet (Menschenwürde, S. 209 ff); aber diese Beschreibung gegensätzlicher Regeln ergibt keinen Begriff für den Notstand.

Rechtfertigender Notstand

13. Abschn

träger außerhalb des Fernmeldeverkehrs, Jura 1987 S. 356 ff; A.-E. Brauneck Der strafrechtliche Schuldbegriff, GA 1959 S. 261 ff; / . Cerezo Mir Grundlage und Rechtsnatur des Notstands im spanischen Strafgesetzbuch, H . Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 689 ff; H. Demuth Der normative Gefahrbegriff, 1980; F. Dencker Der verschuldete rechtfertigende Notstand, JuS 1979 S. 779 ff; W. Gallas Pflichtenkollision als Schuldausschließungsgrund, Mezger-Festschrift S. 311 ff; ders. Der dogmatische Teil des Alternativ-Entwurfs, Z S t W 80 S. 1 ff; G. Geilen N e u e juristisch-medizinische Grenzprobleme, JZ 1968 S. 145 ff; ders. Das Leben des Menschen in den Grenzen des Rechts, F a m R Z 1968 S. 121 ff; ders. Probleme der Organtransplantation, JZ 1971 S. 41 ff; ders. Anmerkung zu O L G F r a n k f u r t J Z 1975 S. 379 ff, a a O S. 380 ff; K. H. GösselO ber die Rechtmäßigkeit befugnisloser strafprozessualer rechtsgutsbeeinträchtigender Maßnahmen, JuS 1979 S. 162 ff; G. Grebing Die Grenzen des rechtfertigenden Notstands im Strafrecht, GA 1979 S. 81 ff; H. L. Günther Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983; ders. Mordunrechtsmindernde Rechtfertigungselemente, J R 1985 S. 268 ff; H. Henkel "Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, 1932; H. ]. Hirsch Anmerkung zu B G H J R 1980 S. 114 f, a a O S. 115 ff; E. Horn Konkrete Gefährdungsdelikte, 1973; / . Hruschka Extrasystematische Rechtfertigungsgründe, Dreher-Festschrift S. 189 ff; ders. Anmerkung zu BayObLG J R 1979 S. 124 f, a a O S. 125 ff; ders. Rettungspflichten in Notstandssituationen, JuS 1979 S. 385 ff; ders. Anmerkung zu O L G Karlsruhe J Z 1984 S. 240 f, a a O S. 241 ff; G. Jakobs Literaturbericht, ZStW 91 S. 637 ff; D. KienapfelOer rechtfertigende Notstand, Ö J Z 1975 S. 421 ff; ders. Anmerkung zu B G H J R 1977 S. 26 f, a a O S. 27 f; Th. Klefisch Die nat.-soz. Euthanasie im Blickfeld der Rechtsprechung und Rechtslehre, M D R 1950 S. 258 ff; P. Kirchhof Polizeiliche Eingriffsbefugnisse und private Nothilfe, N J W 1978 S. 969 ff; V. Krey Der Fall Peter Lorenz — Probleme des rechtfertigenden Notstandes bei der Auslösung von Geiseln, Z R P 1975 S. 97 ff; H. H. Kühne Die sog. „Celler Aktion" und das deutsche Strafrecht, JuS 1987 S. 188 ff; W. Küper N o c h einmal: Rechtfertigender Notstand, Pflichtenkollision und übergesetzliche Entschuldigung, JuS 1971 S. 474 ff; ders. Zum rechtfertigenden Notstand bei Kollision von Vermögenswerten, J Z 1976 S. 515 ff; ders. G r u n d - und Grenzfragen der rechtfertigenden Pflichtenkollision im Strafrecht, 1978; ders. Die sog. „Gefahrtragungspflichten" im Gefüge des rechtfertigenden Notstandes, J Z 1980 S. 755 f f ; ¿eri. Tötungsverbot und Lebensnotstand, JuS 1981 S. 785 ff; ders. Das „Wesentliche" am „wesentlich überwiegenden Interesse", GA 1983 S. 289 ff; ders. Darf sich der Staat erpressen lassen? 1986; K.-L. Kunz Das strafrechtliche Bagatellprinzip, 1984; O. Lampe Defensiver und aggressiver übergesetzlicher Notstand, N J W 1968 S. 88 ff; R. Lange Terrorismus kein Notstandsfall? Zur Anwendung des § 34 StGB im öffentlichen Recht, N J W 1978 S. 784 ff; D. de Lazzer und D. Rohlf Der „Lauschangriff". Ist nachrichtendienstliches Abhören der W o h n u n g zulässig? JZ 1977 S. 207 ff; Th. LencknerDer rechtfertigende Notstand, 1965; ders. Das Merkmal der „Nicht-anders-Abwendbarkeit" der Gefahr in den §§ 34, 35 StGB, Lackner-Festschrift S. 95 ff; P. Lerche Der gezielt tödlich wirkende Schuß nach künftigem einheitlichen Polizeirecht. Zum Verhältnis hoheitlicher Eingriffsbefugnisse zu den allgemeinen Notrechten, v. der HeydteFestschrift Bd. II S. 1033 ff; G. Mangakis Die Pflichtenkollision als Grenzsituation des Strafrechts, ZStW 84 S. 447 ff; A. MeißnerOie Interessenabwägungsformel in der Vorschrift über den rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB), 1990; U. Neumann Der strafrechtliche Nötigungsnotstand, Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund? JA 1988 S. 329 ff; H. Otto Anmerkung zu O L G München N J W 1972 S. 2275, N J W 1973 S. 668; ders. Pflichtenkollision und Rechtswidrigkeitsurteil, 3. Auflage 1978; G. Radbruch Der Geist des englischen Rechts, 5. Auflage 1965; K. Rebmann Der Einsatz verdeckt ermittelnder Polizeibeamter im Bereich der Strafverfolgung, N J W 1985 S. 1 ff; /. Rödig Zur Problematik des Verbrechensaufbaus, Lange-Festschrift S. 39 ff; C. Roxin Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, 2. Auflage 1973 ; ders. Zur Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit der Entfernung von Leichenteilen (§ 168 StGB), insbesondere zum rechtfertigenden strafrechtlichen Notstand (§ 34 StGB) - O L G Frankfurt, N J W 1975, 271, JuS 1976 S. 505 ff; ders. Der durch Menschen ausgelöste Defensivnotstand, Jescheck-Festschrift S. 457 ff; ders. Die notstandsähnliche Lage — ein Strafunrechtsausschließungsgrund? Oehler-Festschrift S. 181 ff; H.-J. Rudolphi Rechtfertigungsgründe im Strafrecht, Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 371 ff; M. Ruppelt Maßnahmen ohne Rechtsgrundlage. Eine Untersuchung zur Anwendung des § 3 4 StGB im Öffentlichen Recht, 1983; E. Samson Legislatorische Erwägungen z u r Rechtfertigung der Explantation von Leichenteilen, N J W 1974 S. 2030 ff; F. Schaffstein Der Maßstab für das Gefahrurteil beim rechtfertigenden Notstand, Bruns-Festschrift S. 89 ff; ders. Die

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13. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

strafrechtlichen Notrechte des Staates, Schröder-Gedächtnisschrift S. 97 ff; H. Schall Oie Relevanz der Arbeitsplätze im strafrechtlichen Umweltschutz, in : Recht und Wirtschaft (Osnabrücker Rechtswissenschaftliche Abhandlungen Bd. 1), 1989, S. 1 ff; W. SchatzschneiderD'ie nachrichtendienstliche Generalklausel, ZRP 1988 S. 20 ff; H.-L. SchreiberVorüberlegungen für ein künftiges Transplantationsgesetz, Klug-Festschrift S. 341 ff; F.-C. Schroeder Notstandslage bei Dauergefahr - BGH NJW 1979, 2053, JuS 1980 S. 336 ff; /. Schwabe Zur Geltung von Rechtfertigungsgründen des StGB für Hoheitshandeln, NJW 1977 S. 1902 ff; den. Die Notrechtsvorbehalte des Polizeirechts, 1979; G. Stratenwerth Prinzipien der Rechtfertigung, ZStW 68 S. 41 ff; F. Sydow § 3 4 StGB — kein neues Ermächtigungsgesetz! JuS 1978 S. 222 ff; H. Welzel Anmerkung zu O G H MDR 1949 S. 370 ff, aaO S. 373 ff; den. Zum Notstandsproblem, ZStW 63 S. 47 ff; J. Wolter Konkrete Erfolgsgefahr und konkreter Gefahrerfolg im Strafrecht — OLG Frankfurt, NJW 1975, 840, JuS 1978 S. 748 ff.

A. Die notstandsfähigen Güter, Staatsnotstandshilfe 9

1. Notstandsfähig ist jedes Gut, das notwehrfähig ist (oben 12/3 ff), also jedes rechtlich anerkannte und absolut ausgestaltete Gut. Der Katalog in § 34 Satz 1 StGB ist — anders als derjenige in § 35 StGB — nicht abschließend. — N a c h dem Wortlaut des § 34 Satz 1 StGB kann es sich um eine G e f a h r handeln, die dem Abwehrenden selbst oder einem anderen d r o h t ; damit ist die N o t s t a n d s h i l f e ein Rechtfertigungsgrund wie der N o t s t a n d 2 0 . Die Regelung ist sachgemäß, da sie nicht die — nur beim Bedrohten vorliegende — Zwangslage rechtfertigt, sondern die auf einem angemessenen W e g angestrebte positive Verhaltensbilanz.

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2 a) Notstandshilfe kann demgemäß auch zugunsten der Güter in der H a n d des Staats geleistet werden und hat neben der Staatsnotwehrhilfe in den Fällen Bedeutung, in denen es an einem voll zurechenbaren Angriff fehlt. Auch die Rechtsprechung hat die Möglichkeit von Staatsnotstandshilfe anerkannt (siehe die Entscheidungen oben 12/Fn. 11). D a ß neben Art. 20 Abs. 4 G G f ü r Staatsnotstandshilfe kein Platz mehr sei, ist nicht zuzugeben. Art. 20 Abs. 4 G G regelt das Widerstandsrecht auch gegen die Repräsentanten des Staats selbst (gegen den H o c h v e r r a t von oben), insbesondere gegen die Repräsentanten der Exekutive, aber beschränkt auf eine N o t f ü r die Staatsexistenz. D a ß eine solche Regelung den gegenüber staatlicher Exekutive subsidiären N o t s t a n d ausschalten soll, widerspricht allgemeinen Konkurrenzregeln. Beispiel: Der Fahrer des Außenministers darf die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreiten, wenn dies ersichtlich ohne konkrete G e f a h r möglich und erforderlich ist, um den Minister rechtzeitig z u r Begrüßung eines Staatsbesuchs zum Flughafen zu bringen; Art. 20 Abs. 4 G G schließt das nicht aus.

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b) Die zur Staatsnotwehrhilfe geltenden Beschränkungen zum Schutz der staatlichen Kompetenzen (oben 12/9 ff) gelten bei der Staatsnotstandshilfe entsprechend 2 1 ; Einzelheiten: aa) Das Interesse des Staats am Unterbleiben abstrakter G e f ä h r d u n g e n ist so gering, daß die H i n d e r u n g dieser Gefährdungen durch einen Privaten wegen der damit verbundenen Verwischung der Kompetenzen per Saldo kein wesentlich überwiegendes Interesse wahrt. bb) Jede Staatsnotstandshilfe scheidet aus, wenn das gefährdete Gut nur in einem staatlich garantierten Verfahren, insbesondere n u r durch die Rechtspflege, gewahrt werden kann. 20 Ein Irrtum des Abwehrenden darüber, ob er selbst oder ein anderer der Gutsinhaber ist, betrifft also kein Merkmal des Rechtfertigungstat-

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bestands und ist irrelevant. Ebenso Maurach-Zipf AT I § 27 Rdn. 42.

Rechtfertigender Notstand

13. Abschn

cc) Die Möglichkeit staatlich organisierten Schutzes geht vor; die Verweigerung der Hilfe durch handlungsfähige Staatsorgane bindet den Privaten bis auf Situationen des Widerstandsrechts nach Art. 20 Abs. 4 G G ; dieses Widerstandsrecht bleibt als zusätzliches Recht.

B. Die gegenwärtige Gefahr Das notstandsfähige Gut muß in einer gegenwärtigen Gefahr schweben, wenn der 12 Notstandseingriff gerechtfertigt sein soll. 1 a) Gefahr ist ein Zustand, in dem zu prognostizieren ist, daß eine Gutsverletzung nach dem zu erwartenden Verlauf nicht unwahrscheinlich ist. Die Gefahr ist nur f ü r einen Notstand relevant, wenn sie das allgemeine Bestandsrisiko übersteigt. Eine überwiegende (oder noch höhere) Wahrscheinlichkeit eines schlechten Ausgangs ist, entgegen weit verbreiteter Formulierung 2 2 , nicht erforderlich 2 3 , vielmehr ist ein gegebenenfalls geringer Grad der Gefahr bei der Risikoabwägung zu berücksichtigen. b) Die Prognose ist, wie oben begründet wurde (11/12), objektiv ex ante zu stellen, 1 3 wobei objektiv heißt, daß es nicht auf die Fähigkeiten des jeweiligen Urteilers, sondern diejenigen eines verständigen Beobachters a n k o m m t 2 4 . Verständiger Beobachter ist der f ü r die Konfliktlage der in Frage stehenden Art an sich (d. h. wenn sofortiger Entscheidungszwang fehlt) zuständige Fachmann, also f ü r Feuersgefahren der Berufsfeuerwehrmann, f ü r Gefahren einer Gebäudekonstruktion der Statiker, für Krankheiten der Arzt etc. Daß im Einzelfall eine Person, die auch bei verfügbarer Zeit als planmäßig beschaffbarer Fachmann nicht in Frage kommt, zufällig ein Urteil abgeben könnte, das der Wirklichkeit voll entspricht, kann den Begriff der Gefahr erweitern, nicht aber verengen, bevor nicht das Sonderwissen in die Situation eingebracht w i r d 2 5 . Beispiel: Die auch den aufmerksamen Arzt täuschende, simulierte Herzattacke ist eine Gefahr, selbst wenn die Ehefrau des Patienten, wäre sie anwesend, die Simulation „diagnostizieren" würde; erst wenn die Frau die ärztliche Beurteilungsbasis durch Mitteilung ihres Sonderwissens erweitert, entfällt das Gefahrurteil. Die Bestimmung erfolgt ex ante; hierbei kommt es auf den Wissensstand des verständigen Beobachters im Zeitpunkt der H a n d l u n g an, gegebenenfalls ergänzt um einen übersteigenden Wissensstand des Urteilenden 2 6 . Die T r e n n u n g einer sogenannten on22

LK-Hirsch § 34 Rdn. 32 (naheliegend); B G H 8 S. 28 ff, 31 (Eintritt wahrscheinlicher als Ausbleiben, zu § 3 1 5 c StGB, entspricht §315 a StGB a. F.); ebenso B G H 13 S. 66 ff, 70; siehe auch B G H 18 S. 271 f f ; 19 S. 264 ff, 267 f; 19 S. 371 ff, 373; 22 S. 341 f f ; O L G Frankfurt N J W 1975 S. 840; — sämtliche Entscheidungen zu Gefährdungsdelikten; — Darstellung der diesbezüglichen neueren Rechtsprechung bei Wolter JuS 1978 S. 748 ff. 23 So zutreffend R G 30 S. 179 ff, 180; B G H VRS 45 S. 38 f f ; Scbaffstein Bruns-Festschrift S. 89 ff, 104 f ; Schönke-Schröder-Lenckner % 34 Rdn. 15; Schänke-Schröder-Cramer Rdn. 5 vor § 306. 24 Anders Schaffstein Bruns-Festschrift S. 89 ff, 100 ff, der auf die Leistungsfähigkeit der Angehörigen des Verkehrskreises abstellt, dem der Betroffene angehört. Damit wird die Perspektive wieder mehr auf den Retter (wer handelt?) und weg von normativen Erwartungen des Eingriffsopfers (wessen Aufgabe sind welche Handlungen

generell?) gelenkt. — Natürlich geht im Notfall keine Erwartung dahin, der zufällige Retter werde Fachmann sein; aber das heißt nur, daß man bereit ist, eine vorauszusehende T ä u s c h u n g als Irrtum des Laien zu erklären, nicht aber ist man bereit, das Irrige für richtig zu halten. 25 Anders die ansonsten mit der hiesigen Lösung übereinstimmenden Definitionen durch Blei A T § 44 III 3 und Schönke-Schröder-Lenckner § 34 Rdn. 14, welche auf „alle Gegenwartskenntnisse" oder „das gesamte menschliche Erfahrungswissen" abstellen. Die Kumulierung dieser Kenntnisse ist aber selbst bei fehlendem Zeitdruck nicht organisierbar, sondern allenfalls zufällig möglich; deshalb kann solche Kenntnis auch nicht Gegenstand generalisierbarer Erwartung sein. 26 Die o f t anzutreffende Formulierung, die Ex-antePrognose sei eine nachträgliche Prognose, da sie vom Richter nachträglich in gedanklicher Rückversetzung in die Lage ex ante vollzogen werde, ist verwirrend und überflüssig; denn es kommt —

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13. A b s c h n

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

tologischen Basis (was ist die Lage?) von einer nomologischen Basis (was sind die Entwicklungsgesetze einer solchen Lage?) ist weder nötig noch überhaupt möglich (die Anlage zu einer bestimmten Entwicklung kann stets als Eigenschaft der Lage definiert w e r d e n ) 2 7 . — Solange ohne Gefahrerhöhung durch Verbreitung der Wissensbasis das Urteil präzisiert werden kann, hat dies zu geschehen. — Zu der ex ante bestimmten Gefahr tritt ergänzend diejenige Lage, die sich nur bei der Betrachtung ex post als Schadensverlauf erschließt (siehe oben 1 1 / 1 0 ) . Beispiel: W e r einen nicht anders abwendbaren Schadensverlauf effektiv in einer nach den Maximen des § 34 StGB richtigen Art und Weise stoppt, handelt in einer objektiv gegebenen Rechtfertigungslage, auch wenn eine Gefahr wegen der Ungewöhnlichkeit des Schadensverlaufs ex ante nicht feststellbar war. 14

c ) Die Quelle der Gefahr kann eine Naturkatastrophe oder ein menschliches Fehlverhalten, auch ein Delikt, sein. Letzteres wird für den Fall eines Handelns im Nötigungsnotstand, also für das Werkzeug eines mittelbaren Täters (unten 2 1 / 8 4 ) , mit dem Argument bestritten, wer — und sei es unter Zwang — auf die Seite des Unrechts trete, handle ohne Billigung der R e c h t s o r d n u n g 2 8 . Selbst beschränkt auf Fälle, in denen der mittelbare T ä t e r voll schuldfähig ist, und beschränkt auf das abgenötigte V e r h a l t e n 2 9 und zudem beschränkt auf Fälle, in denen der mittelbare Täter das Geschehen noch in der H a n d h ä l t 3 0 , ist der Ausschluß von Notstand nicht gerechtfertigt 3 1 ; denn dem Werkzeug ist die T a t des mittelbaren Täters nicht zurechenbar und also hat es Anspruch auf Solidarität wie jeder andere, der nicht eigene Gefahren zu verantworten hat. Das zeigt auch die Notstandshilfe: Wenn das Eingriffsopfer nach § 3 2 3 c StGB oder gar als Garant verpflichtet sein kann, zur Rettung des Werkzeugs aus der Bedrohung durch den mittelbaren T ä t e r das Eingriffsgut anzubieten, darf das Werkzeug sich das Gut auch nehmen. — Freilich schließt eine Möglichkeit des Werkzeugs, sich durch

wie bei der Kausalität — auf den geistigen Konnex, nicht aber auf das psychische Faktum des Nachvollzugs an. — Ebenso verwirrend und überflüssig ist der häufige Hinweis, die Prognose beruhe insofern auf einer generalisierenden Expost-Betrachtung, als man die anzuwendenden Erfahrungssätze nur generell ex post entwickeln könne (Mauracb-Zipf AT I § 2 7 Rdn. 15); denn der Erfahrungssatz muß nicht „post" die zu beurteilende Gefahrenlage entwickelt werden, sondern kann längst bekannt sein. 27 Die Bestimmung ist insgesamt wenig genau; die dogmatische Aufmerksamkeit hat bislang der Gefahr in § 34 StGB weniger gegolten (ausführlich zu dieser Gefahr freilich Schaffstein Bruns-Festschrift S. 89 ff; Blei AT § 44 III; Schönke-Schröder-Lenckner§ 34 Rdn. 12 ff) als der sogenannten objektiven Voraussehbarkeit bei der Fahrlässigkeit (dazu oben 9/8 ff) und der Gefahr bei den konkreten Gefährdungsdelikten (dazu umfassend Horn Gefährdungsdelikte S. 46 ff; Demuth Gefahrbegriff S. 49 ff; siehe auch oben 6/79). — Die teils behauptete Gleichrichtung der Gefahrbegriffe im Strafrecht, selbst unter Einschluß der Gefahr bei Prognoseentscheidungen im Sanktionenrecht (etwa bei Maurach-Zipf AT I 5 27 Rdn. 15), ist bislang wenig gesichert. 28 Schönke-Schröder-Lenckner §34 Rdn. 41b;

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Lenckner Notstand S. 117; Lange NJW 1978 S. 784 ff, 785; differenzierend Roxin OehlerFestschrift S. 181 ff, 188; Neumann JA 1988 S. 329 ff, 334 f; LK-Hirscb § 3 4 Rdn. 69; für „Strafunrechtsausschluß" Günther Strafrechtswidrigkeit S. 335 ff (dazu oben 11/Fn. 10a); im Ergebnis wie hier mit Nachweisen Küper Staat S. 56 ff; Bernsmann „Entschuldigung" S. 147 f. 29 So Schönke-Schröder-Lenckner aaO; anders Lange aaO, der auch die Flucht vor dem abgenötigten Verhalten erfassen will (dem Räuber wird Falschgeld gegeben). 50 Diese Problematik übersehen die Autoren aaO; Beispiel: Die Erlaubnisse zum Löschen können nach vorsätzlicher Brandstiftung nicht andere sein als nach einer Zufallszündung. 31 Ganz unbefriedigend ist die angebliche Ausnahme von diesem angeblichen Notstandsausschluß für den Staat bei Schönke-Scbröder-Lenckner§ 34 Rdn. 41b (dagegen Küper, Staat S. 51 f); der „Staat als Hüter des Rechts" besteht, will man nicht den Rechtsstaat preisgeben, jedenfalls nicht aus der Exekutive ohne vorgehenden Gesetzgebungsakt des Parlaments. Mit diesem Akt entfällt freilich das Problem. — Zur hier vertretenen, ganz gegenteiligen Lösung, nämlich zur Beschränkung von § 34 StGB bei Staatsorganen, siehe unten 13/42.

Rechtfertigender Notstand

13. Abschn

N o t w e h r oder — bei nicht schuldhaft handelndem mittelbaren Täter — defensiven Notstand vom mittelbaren Täter zu befreien, die Rechtfertigung der Konfliktlösung durch den Eingriff in Güter unbeteiligter Dritter aus, weil dann eine anderweitige Abwendungsmöglichkeit besteht. — Auch die bewußte Vorspiegelung einer Schadensneigung, die so geschieht, daß auch ein Fachmann sie nicht durchschauen könnte, begründet eine G e f a h r 3 1 a . Beispiel: Jemand zündet auf einem Speicher eine Rauchbombe, um eine Rettungsmannschaft dazu zu bringen, die T ü r des vermeintlich brennenden Hauses aufzubrechen, was auch geschieht; — die Retter handeln zur Abwehr einer nicht nur putativen Gefahr. — Schließlich kann auch der Eingreifende selbst der Erzeuger der Gefahrenlage sein; siehe dazu unten 13/27 und zur mittelbaren Täterschaft 21/84. 2. Die Gegenwärtigkeit der Gefahr beim Notstand hat geringere Bedeutung als die 15 Gegenwärtigkeit des Angriffs bei der N o t w e h r : Hier geht es nur darum, den aktuellen Schutz vor N o t im Notstand von dem planmäßigen Schutz als Aufgabe der Polizei zu sondern. Eine Bevorratung mit Rettungspotential soll ausgeschlossen und die Beschränkung auf das aktuell Notwendige erzwungen w e r d e n 3 2 . Die Gegenwärtigkeit reicht also beim Notstand bis zu der Grenze, die bei der N o t w e h r durch die notwehrähnliche Lage bezeichnet wird (oben 12/27), also bis zur Notwendigkeit, aktuell in fremde Güter einzugreifen, wenn der Eintritt einer Schädigung nicht unvermeidbar werden soll 3 3 .

C. Die Erforderlichkeit 1. N u r der — objektiv ex ante bestimmt (oben 11/12) — erforderliche Eingriff ist 16 gerechtfertigt, oder mit den Worten des Gesetzes, die Gefahr darf „nicht anders abwendbar" sein (§ 34 Satz 1 StGB). Die Bestimmung der Erforderlichkeit verläuft derjenigen bei der N o t w e h r analog: a) Der Eingriff muß zur Beendigung der Gefahrenlage geeignet sein. Was auf die 17 Gefahrenlage nicht einwirkt, ist ungeeignet; so ist ζ. B. die Trunkenheitsfahrt eines Arztes, der infolge seiner Trunkenheit zu fachmännischen Maßnahmen nicht mehr in der Lage ist, zur Rettung des Patienten ungeeignet 3 4 . Ein der Art nach brauchbares, der Menge nach jedoch zu schwaches Mittel ist ungeeignet; die Gefahr ist so nicht abwendbar; Beispiel 35 : Ein Handfeuerlöscher ist zur Bekämpfung eines Großbrands ungeeignet. Geeignet ist auch nicht, was nur den Weg zum Schaden modifiziert 3 5 »; Beispiel: Droht ein Konkursfall das Ansehen eines Berufsstands zu schädigen, ist die Verschleierung der Konkursreife durch Veruntreuung zur Abwendung des Ansehensverlusts ungeeignet 3 6 . b) Der Eingriff muß weiterhin das mildeste Mittel zur Gefahrenbeseitigung sein. Die 1 8 Milde bestimmt sich nach dem Gewicht der beteiligten Interessen; Beispiel zu § 218 a Abs. 1 N r . 2 StGB: Ein Schwangerschaftsabbruch zur Beseitigung einer Suizidgefahr ist nicht gerechtfertigt, wenn die Gefahr durch leicht zu leistende Hilfe anderweitig 31a

Α. A. wohl Schönke-Schröder-Lenckner 5 34 Rdn. 13. 32 Es ist Aufgabe der Polizei, das zukünftig N o t wendige zu bevorraten, und dafür gelten bestimmte Verfahren; siehe unten 13/42; zur Unzulässigkeit der Versorgung von Organbanken per Notstand siehe Jakobs ZStW 91 S. 637 ff, 642 ff, 648 ; ^/¿recfaZulässigkeit S. 88 mit Nachweisen. 33 RG 61 S. 242 ff, 255; B G H 14 S. 1 ff, 3; LK9-

Hirscb Rdn. 57 vor § 51. 34 O L G Koblenz M D R 1972 S. 885; - bei geringen Chancen einer tauglichen Behandlung verschiebt sich das Problem in die Risikoabwägung. 35 N a c h LencknerNotstand S. 79 f. 35a Lenckner Lackner-Festschrift S. 95 ff, 98. 36 B G H N J W 1976 S. 680 mit Anmerkung Kienapfel J R 1977 S. 27 f und Besprechung Küper J Z 1976 S. 515 ff.

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2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

beseitigt werden kann 3 7 . Kann der Retter Güter aus dem Rechtskreis des durch die Notstandshandlung Begünstigten einsetzen, so geht das dem Eingriff in Güter dritter Personen so lange vor, wie die einzusetzenden Güter des Begünstigten nicht diejenigen der Dritten wesentlich überwiegen, also ihrerseits im Notstand schutzwürdig werden 3 7 a ; Beispiel: Jedermann muß den Brand seines Hauses erst mit seinem eigenen Wasser bekämpfen, bevor er fremdes Wasser verwendet, aber niemand muß mit eigenem Schampus löschen, um Fremden den Verlust von etwas Wasser zu ersparen. — Zur Relativität der Erforderlichkeit siehe oben 11/59 a f. Güter des — selbst nicht durch die Tat begünstigten — Retters sind nicht eher einzusetzen als Güter dritter Personen. Soweit mehrere Güter gleichen Gewichts zur Verfügung stehen — Beispiel : mehrere Autos zum Abtransport eines Kranken — kann der Retter wählen 3 8 . — Ein Eingriff in Güter des für die Gefahr Verantwortlichen geht bei dessen Schuldhaftigkeit (Notwehr!) überhaupt und ansonsten im Rahmen des defensiven Notstands vor (d. h. solange der Eingriff nicht außer Verhältnis zu den sonst möglichen Abwendungen steht 3 8 a ). Beispiel: Wer von einem Hund gebissen wird, hat sich zur Versorgung der Wunde primär an dessen Eigentümer zu halten; nur wenn bei diesem kein Verbandsmaterial zu holen ist, darf beim nächsten Apotheker eingegriffen werden. Hilfe anderer Personen, die den Rettungseingriff mildert, sei es polizeiliche oder private Hilfe, ist nicht nur bei Präsenz zu akzeptieren, sondern auch herbeizuschaffen; ein ungemilderter Eingriff ist ansonsten nicht erforderlich. Wächst freilich der Aufwand zum Herbeischaffen zu einem Gewicht an, das der zu erwartenden Milderung nicht mehr proportional (hier im Sinn von gleich) ist oder erhöht sich das Schadensrisiko unproportional, kann ohne fremde Hilfe und ungemildert eingegriffen werden: Ein Rettungsversuch, der mindestens kostet, was er bringen kann, braucht nicht erst versucht zu werden. Beispiel: Im Notfall ist die Trunkenheitsfahrt (§316 StGB) eines Arztes rechtmäßig, wenn das Heranholen eines Taxis entweder nur durch längere Blockierung einer Notrufleitung möglich ist oder die bis zum Eintreffen des Taxis verstreichende Zeit die Heilungschance des Notfallpatienten mindert. 19

2. Die Erforderlichkeit eines Notstandseingriffs fehlt, wenn das Benötigte von dritter Seite freiwillig angeboten wird 3 8 b . Die Erforderlichkeit fehlt aber nicht schon deswegen, weil eine Einwilligung beim Eingriffsopfer erfragt werden könnte 3 9 . Das Problem ist überhaupt nicht an der Einwilligung zu fixieren, da das Eingriffsopfer nur schlicht dulden muß (also hinnehmen, nicht auch einverstanden sein). Freilich mag es Fallgestaltungen geben, in denen nur mit Einwilligung eingegriffen werden darf, während ein Notstandseingriff ein unangemessenes Mittel ist, so etwa bei der Heilbehandlung.

37 BGH 3 S. 8 ff. 37a LencknerLackner-Festschrift S. 95 ff, 105,107. 38 Siehe Küper J Z 1976 S. 515 ff, 516; a. A. LencknerLackner-Festschrift S. 95 ff, 107 f. 38a Lenckner Lackner-Festschrift S. 95 ff, 104. 38b ¿enc^nerLackner-Festschrift S. 95 ff, 105. 39 Geilen JZ 1971 S. 41 ff, 47; Roxin JuS 1976 S. 505 ff, 508; Samson N J W 1974 S. 2030 ff, 2031 ; SchreiberKlug-Festschrift S. 341 ff, 348 ff; Schönke-Schröder-Lenckner § 34 Rdn. 20 ; a. A. LG Bonn JZ 1971 S. 56 ff; Dreher-Tröndle S 168

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Rdn. 4 mit Nachweisen . — Die Gegenmeinung dürfte verkennen, daß in denjenigen Fällen, in denen nach Verweigerung der Einwilligung eine Notstandslage vorliegt, das Gut nicht durch eine Norm des Inhalts erhalten werden kann, am Anfang habe ein Bemühen um die Einwilligung zu stehen. Das Bemühen um Einwilligung dient in diesen Fällen der Sicherung von Kompetenzen zu einer sowieso erfolgenden Verfügung über das Gut, nicht aber der Erhaltung des Gutsbestands.

Rechtfertigender Notstand

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D. Die Abwägung der widerstreitenden Interessen 1. Kennzeichen speziell des aggressiven Notstands ist eine Interessenbilanz derge- 20 stalt, daß das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Zur Ermittlung des Gewichts der Interessen ist zunächst das Gewicht der beteiligten Güter festzustellen. Die Strafrahmen des BT geben zur Bestimmung des Gewichts nur einen korrekturbedürftigen Anhalt, da sie nicht allein nach dem Gewicht der Güter, sondern auch nach der Schutzbedürftigkeit der Güter und anderen kriminalpolitischen Aspekten ausgerichtet sind 4 0 . So entspricht etwa der geringe Strafrahmen des Hausfriedensbruchs (§ 123 StGB) oder der Beleidigung (§ 185 StGB) nicht dem Gewicht der Güter Hausfrieden und Ehre. Zudem sind nicht alle notstandsfähigen Güter strafrechtlich geschützt. Es bleibt nur die Leitlinie, daß nach der gesamten Rechtsordnung die Elemente, die eine Person konstituieren, sowie die Grundbedingungen eines Rechtsstaats überhaupt vorrangig sind; bei den nachrangigen Gütern kann nochmals zwischen ersetzbaren und unersetzbaren Gütern differenziert werden. Das ergibt freilich auch keine zahlenmäßig geordnete Reihenfolge, aber das Gesetz selbst stellt nur auf eine grobe Stufung ab, wie sich am Erfordernis des wesentlichen Überwiegens zeigt. 2 a) Zudem kann die Duldung eines Eingriffs in solche Güter nicht durch ein 21 allgemeines Solidaritätsverlangen gefordert werden, deren Aufopferung selbst in engen Gemeinschaften (Eltern-Kind-Verhältnis, Ehe) nicht nach den Regeln dieser Gemeinschaften rechtlich gefordert ist, mag auch die Aufopferung der Idee der Gemeinschaft entsprechen. Lebensverlust 4 0 a , auch beim Verlust einer nur noch kurzen Spanne, Verlust nicht nur beiläufiger Stücke der körperlichen Integrität, nicht nur beiläufiger Freiheitsverlust oder irreparabler Ehrverlust können im aggressiven Notstand in der Regel nicht gerechtfertigt werden: Die eigene Existenz ist Voraussetzung jeder solidarischen Leistung an andere. Beispiel 41 : Ein nicht mehr zu bremsender Zug wird von einem Weichenwärter zur Vermeidung eines Zusammenstoßes mit einem voll besetzten Personenzug auf ein Nebengleis gelenkt, wo allerdings einige Gleisarbeiter überfahren werden; — rechtswidriges Umlenken. — Eine Ausnahme bilden Lebensbereiche, die nur organisierbar sind, wenn Pflichten zur Erduldung von nicht nur geringen Lebensgefahren (Militär in Kriegszeiten) oder gewichtigem Freiheitsverlust (Freiheitsstrafe) auferlegt werden. Die Organisation vollzieht sich in diesen Bereichen durch staatliches Handeln; aggressiver Notstand scheidet deshalb f ü r den Organisator aus (die A n o r d nung von Freiheitsstrafe oder Wehrpflicht per aggressiven Notstand ist stets ein unangemessenes Mittel); die Sonderpflicht behält nur Bedeutung f ü r den Ausschluß von Rechtfertigung und Entschuldigung, wenn sich der einzelne Sonderverpflichtete der Organisation unter Berufung auf den ihn treffenden Verlust entziehen will (Fahnenflucht, Flucht des Strafgefangenen). — Auch bei der Erhaltung des Staats durch Widerstand (Art. 20 Abs. 4 GG) kann eine als Nebenfolge eintretende T ö t u n g unbeteiligter Personen — auf Unbeteiligte bezogen entspricht Art. 20 Abs. 4 G G dem aggressiven Notstand — gerechtfertigt sein (siehe unten 15/4), ebenso bei polizeilichem H a n deln zur Erhaltung der O r d n u n g insgesamt 4 1 a . — Der oft verwendete Topos, das Leben sei stets ein Höchstwert 4 2 , ist freilich, wie schon diese Ausnahmen zeigen, verfehlt. Er würde zudem jede Risikoabwägung, selbst das erlaubte Risiko, unmöglich machen.

to 40a

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LK-Hirsch § 34 Rdn. 56; Stratenwerth Rdn. 454; anders RG 61 S. 243 ff, 255. B G H N S t Z 1989 S. 176 ff. Nach WelzelZSCW 63 S. 47 ff, 51.

AT

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LK-Hirsch Rdn. 152 vor § 3 2 ; a. A. Bernsmann Blau-Festschrift S. 23 ff, 28. Schönke-Schröder-Lenckner^ 34 Rdn. 23 u. a. m.

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2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

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b aa) Vom Bereich der Ausnahmen abgesehen gilt: Eine sogenannte Perforation (Tötung eines Kinds in der Geburt zur Erhaltung des Lebens der Mutter, etwa bei Hydrocephalus) ist im aggressiven Notstand nicht zulässig 43 und nur zu rechtfertigen, wenn die Konfliktlage als zum Verantwortungsbereich des Kinds gehörig, also einen defensiven Notstand auslösend, definiert wird 4 4 .

23

bb) An der Unverfügbarkeit der bezeichneten Güter ändert sich nichts bei einer solcherart gestalteten Gefahrengemeinschaft der Beteiligten, daß ohne einen Eingriff in existentielle Güter eines Beteiligten alle Beteiligten verloren sind 4 5 . Für das Opfer bedeutet diese Lage, daß es sich mit seinen Gütern sowieso dem Ende nähert; ob ihm dies allein oder mit anderen und letzterenfalls aus diversen Gründen oder aus einem Grund (dann Gefahrengemeinschaft) widerfährt, so lange irrelevant, wie ihm die Konfliktlage nicht zugerechnet werden kann: Eine Duldungspflicht fehlt jedenfalls. — Auch wenn durch die Aufopferung des Lebens eines einzelnen Menschen das Leben mehrerer anderer Menschen erhalten werden kann, ohne den Eingriff in das Leben jedoch alle zusammen in kurzer Frist verloren sind, läßt sich kein Recht begründen, einem Menschen die Minima der Existenz zu nehmen. Die Lösung eines Konflikts auf dem Rücken einer Person, der die Konfliktursache nicht zuzurechnen ist und die keine Sonderpflichten trägt, findet ihre absolute Grenze in der Anerkennung dieser Person als ihrerseits auch zu einer physischen und sozialen Existenz berechtigt. Rechtswidrig war also das Verhalten der Arzte, die bei der Aktion zur Tötung geisteskranker Personen in der nationalsozialistischen Zeit einige Patienten an die Tötungsaktion preisgaben und deshalb in ihren Positionen belassen und nicht durch Arzte ersetzt wurden, die alle Patienten preisgegeben hätten 4 6 . — Rechtswidrig handelt 43 Zweifelhaft; die Grenze zwischen Leibesfrucht und Mensch hat weniger etwas mit Differenzen im Wert des jeweiligen Angriffsobjekts zu tun als mit Differenzen der Schutzbedürftigkeit; das Kind in der Geburt, aber mangels deren Vollendung noch mit der Mutter verbunden, kann deshalb auch als menschengleich geschützte Leibesfrucht, aber eben noch nicht voller Rechtsgenosse, verstanden werden; so Jescheck AT §33 IV 3 c; Roxin Jescheck-Festschrift S. 457 ff, 475 ff. 44 So LK-Hirsch § 3 4 Rdn. 72; Scbönke-Schröder£i?rRdn. 34 vor § 218; sehr streitig; die Lösung paßt bei Kollisionen nicht mehr, die nicht auf eine besondere Konstitution des Kinds zurückgeführt werden können. Dagegen ist eingewendet worden, ein in der Geburt befindliches Kind könne mangels „jeglicher Handlungsfähigkeit" keinen Zuständigkeitsbereich haben (Roxin JescheckFestschrift S. 457 ff, 477 f)· Das ist ein Naturalismus, der zu verkappten Wertungen führt; denn wenn Roxin davon ausgeht, das Kind gefährde die Mutter (S. 476), so wird damit nicht ein wertungsfreier Befund, sondern eine Zuständigkeit formuliert: Warum gefährdet nicht umgekehrt die Mutter das Kind, etwa wenn die Katastrophe nicht auf einer Mißentwicklung des Kinds, sondern auf eine „geburtsunfreundlichen" Konstitution der Mutter beruht? Die Antwort lautet bei Roxin, weil die Mutter „dem Kinde das Leben" schenke; das heißt, das Kind hat keinen Anspruch auf in etwa durchschnittliche Geburtsbedingun-

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gen, vielmehr gehen gravierende Geburtsschwierigkeiten stets zu seinen Lasten; das Kind trägt also die Kosten der Lösung von Geburtskonflikten; das ist Zuständigkeit. Allgemein gesprochen: Wer Gefabren zuordnet, formuliert Zuständigkeiten. Freilich mag bei der hier vorgeschlagenen Lösung die Zuständigkeit des Kindes zu eng gezogen sein; siehe dazu die vorangehende Fn. — Für übergesetzliche (§ 35 StGB paßt für den Arzt mangels Näheverhältnis in aller Regel nicht) Entschuldigung Dreher-Tröndle § 3 4 Rdn. 21; SKRudolphi Rdn. 15 vor § 2 1 8 ; — letztere Lösung ist allerdings für ärztliches Handeln wenig angemessen (zutreffend Roxin Jescheck-Festschrift S. 457 ff, 478) : Sollte defensiver Notstand (nach verbreiterter Lehre sogar Notwehr) gegen den Arzt zulässig sein? Siehe schon oben 13/3 zur Exemtionstheorie; streitig, wie hier Lenckner Notstand S. 27 ff; ders. GA 1985 S. 295 ff, 309 f; Küper Grund- und Grenzfragen S. 48 ff, 57 ff, 121 f; Scbmidhäuser AT 11/16; Mauracb-Zipf AT I §27 Rdn. 23 ff; SK-Samson § 34 Rdn. 20; im Ergebnis (kein angemessenes Mittel) auch Afei/iWrlnteressenabwägungsformel S. 192 ff, 212 ff; a. A. Otto Pflichtenkollision S. 107 ff; Stratenwerth AT2 Rdn. 451 (zweifelnd ders. AT 3 Rdn. 457); Günther Strafrechtswidrigkeit S. 333 ff, 345 ff (nach Fallgruppen differenzierend; das Unrecht soll unter die Strafwürdigkeitsgrenze sinken können). BGH N J W 1953 S. 513 f; O G H 1 S. 321 ff, 331 ff; 2 S. 117 ff, 122 ff; Welze! MDR 1949

Rechtfertigender Notstand

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auch der Arzt, der ein nur einmal verfügbares Gerät, etwa eine H e r z - L u n g e n - M a schine, mit erkennbarer Todesfolge bei einem Patienten mit schlechter Prognose absetzt, um es bei einem neu eingelieferten Patienten mit besserer Prognose einzusetzen 4 7 . Entsprechend sind die Schulfälle zu entscheiden, nach denen zwei Bergsteiger nach einem Sturz an dem um eine Klippe laufenden Sicherungsseil hängen bleiben und ein Retter nur das Seil durchschneiden und einen der Bergsteiger vor dem baldigen T o d bewahren kann, während der andere nach dem Durchschneiden sofort zu T o d e stürzt 4 8 , oder mehrere Schiffbrüchige des Schiffs „Mignonette" den sowieso t o d k r a n ken Schiffsjungen töten und verspeisen, um K r a f t f ü r das — gelingende! — Abwarten auf Rettung zu haben 4 9 , oder ein Fährmann einen Teil seiner Passagiere vor dem baldigen Ertrinken bei einem Schiffsleck rettet, indem er den anderen Teil sofort über Bord w i r f t 5 0 (was sich auf Ballonführer übertragen läßt, die sich bei einer Uber-Wasser-Fahrt eines Teils ihrer Passagiere entledigen, um dem Rest eine Landung auf dem Festland zu ermöglichen), oder bei einem Schiffsleck Schotten zu einem Schiffsteil geschlossen werden, in dem sich noch Seeleute befinden, die dadurch eher sterben, als sie bei einem Vollaufen des ganzen Schiffs gestorben w ä r e n 5 1 : sämtlich Fälle rechtswidriger Notstandseingriffe. In den genannten Fällen kann dem Opfer nicht plausibel gemacht werden, weshalb es sich in seine Opferrolle schicken soll : Es verliert zwar nur wenig, aber es verliert. Die Entscheidung fällt anders aus, wenn derjenige, der die Konfliktkosten zu tragen hat, nicht ex post als Opfer, sondern ex ante als möglicherweise Gewinnender definiert wird. Dies ist der Fall, wenn sich die Opferposition als Ergebnis eines objektiven Zwangs darstellt. Alle potentiell Betroffenen würden der Einrichtung eines Automaten zustimmen, der in Notfällen eine Konfliktlösung bringt, von der ex ante alle Beteiligten nur profitieren können (weil die Zahl der Opfer jedenfalls reduziert wird und jeder die Chance hat, unter den Geretteten zu sein), und der die Konfliktlösung ohne Hinderungsmöglichkeit durchführt (sonst könnte man schlicht auswürfeln, wer O p f e r sein soll, und das Ergebnis vollstrecken 5 l a ) : Durch ihre Zustimmung gewinnen alle BeteiligS. 373 ff, 375; ders. ZStW 63 S. 47 ff; Gallas Mezger-Festschrift S. 311 ff, 326 f ; Küper Grund- und Grenzfragen S. 52 ff mit Nachweisen; den. JuS 1981 S. 785 ff, 793; a. A. (für Rechtfertigung) Brauneck GA 1959 S. 26 I f f , 271; Otto Pflichtenkollision S. 109; Rödig Lange-Festschrift S. 39 ff, 58 f mit Fn. 44; Mangakis ZStW 84 S. 447 ff, 476 f mit Nachweisen des Meinungsstands S. 477 Fn. 70. 47 Fall von Welzel Strafrecht § 23 III 1 ; hierzu Geilen JZ 1968 S. 145 ff, 151; ders. FamRZ 1968 S. 121 ff, 126; Bockelmann Strafrecht des Arztes S. 126 Anm. 50. Die Entscheidung ist von der Beurteilung des Behandlungsabbruchs als Begehung oder als Unterlassung (dazu oben 7/64) unabhängig; das übernommene Vertrauen wiegt jedenfalls mehr als das erst noch zu übernehmende. — Zudem führt die Verfolgung der jeweils bei einer Einzelbewertung chancenreicheren H a n d lungsmöglichkeit nicht sicher zu einem per Saldo größeren N u t z e n : Wenn mehrfach wegen einer jeweils chancenreicheren Tätigkeit abgebrochen wird, können die vernachlässigten Chancen in der Summe die bevorzugte Chance überragen. 48 Schönke-Schröder-Lenckner § 34 Rdn. 24 mit Nachweisen; zur H e r k u n f t des Falls siehe Küper

JuS 1981 S. 785 ff, 786 Fn. 14. - Der Bergsteiger, der in dem gleichfalls bekannten Schulfall stürzt und seinen Partner mitzureißen droht, wenn das Seil nicht sofort gekappt wird (siehe etwa Stratenwerth A T Rdn. 457 und SK-Samson § 34 Rdn. 20), kann (1) rechtswidrig und schuldhaft angreifen, wenn er durch einen außerhalb des erlaubten Risikos liegenden und schuldhaften Fehler stürzt; (2) im Sinn des defensiven N o t stands angreifen, wenn der G r u n d des Sturzes in seinem Gefahrenbereich liegt; (3) nur eine Gefahr im Sinn eines aggressiven Notstands heraufbeschwören (dann keine Rechtfertigung der Verkürzung der verbleibenden Lebensspanne), (4 und 5) sich seinerseits im defensiven Notstand oder im Zustand der N o t w e h r befinden, wenn der Grund des Sturzes (schuldhaft oder nicht) vom Partner zu verantworten ist. 49 Siehe Radbruch Geist des englischen Rechts S. 69 f f ; Bernsmann „Entschuldigung" S. 45. 50 Fall nach Κ le fisch M D R 1950 S. 258 ff, 261. 51 Fall nach H. Mayer ΑΊ § 27 III 1, der hier eine besondere Duldungspflicht annimmt; sehr zweifelhaft. 51a Kein um Gütermaximierung besorgter Rechtsgutsverwalter wird sich gegen das Würfeln wen-

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13. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

ten, indem sie den im Konfliktsfall ansonsten sicheren Untergang gegen den nur möglichen tauschen (siehe auch zum erlaubten Risiko oben 7/38). 24

cc) Schließlich bleibt die Lösung auch dann unverändert, wenn der Eingreifende zur Rettung des Begünstigten verpflichtet ist: Das Innenverhältnis Eingreifender-Begünstigter kann dem außenstehenden Eingriffsopfer keine Duldungspflichten bringen 5 2 .

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3 a) Im überhaupt verbleibenden Bereich rangieren nicht etwa die Sachgüter nach den persönlichen Gütern53. Der verfassungsmäßig garantierte Schutz der Person wirkt auch auf Sachgüter zurück: Die meisten Sachgüter sind durch Arbeit entstanden und alle bieten Entfaltungschancen für eine Person. Eine absolute Nachrangigkeit von Sachgütern würde also eine Mißachtung von Arbeit und personaler Entfaltungschance bedeuten und sich deshalb gegen die Person selbst kehren. So sind etwa vorübergehende Nötigungen oder Freiheitsbeeinträchtigungen zur Rettung größerer Sachgüter nach § 34 StGB erlaubt. Für die Abwägung ist also weniger eine phänotypische Zuordnung relevant als das Maß, in dem das durch den Notstandseingriff betroffene Gut Entfaltungschancen oder — bei staatlichen Gütern — formelle oder materielle Rechtsstaatlichkeit repräsentiert. Freilich kommt es nicht allein auf die praktische Nutzbarkeit der Güter an (also nicht 2 Stunden Freiheit = 2 Stunden Durchschnittslohn etc.); denn Güter werden im sozialen Leben nicht als das, was sie sind, bewertet, sondern als was sie gelten; ihr symbolischer Gehalt geht in die Gewichtung ein 5 4 . So zählt ζ. B. die Freiheit selbst ceteris paribus mehr als das Ergebnis des Einsatzes von Freiheit in Arbeit (etwa ein Sachgut oder eine Dienstleistung), oder das Geld für die tägliche Nahrung zählt — auch wenn der Grundbedarf sowieso gesichert ist — mehr als dieselbe Summe als Anlagekapital etc. Nur mit dem symbolischen Gehalt an Entfaltungschancen, den die Freiheit oder die körperliche Integrität enthalten, kann erklärt werden, daß im Schulfall der gewaltsamen Gewinnung dringend benötigten Transfusionsbluts Notstandsrechtfertigung ausscheiden soll 5 5 ; der beim Eingriffsopfer realisierte Verlust dürfte sich nicht von der Einbuße unterscheiden, die etwa ein Notfalleinsatz nach § 323 c StGB mit sich bringt; aber beim Notfalleinsatz (oder bei der prozessualen Zeugnispflicht u. a. m.) wird eine menschliche Leistung gefordert, bei der erzwungenen Transfusion hingegen ein Teil des Körpers eines Menschen; letzteres (der Mensch als medizinisches Depot!) symbolisiert stärker einen Gebrauch der Person als Sache 5 6 . den (er kann nur gewinnen), aber wohl gegen die Vollstreckung gegen ihn selbst, weil er dabei nur verlieren kann; zu Losverfahren siehe Bernsmann „Entschuldigung" S. 336 ff. 52 Α. Α. für die Rettung naher Familienangehöriger Otto Pflichtenkollision S. 99 ff; siehe aber auch aaO Nachtrag S. 118; dagegen insbesondere Küper Grund- und Grenzfragen S. 83 ff mit ausführlichen Nachweisen. 53 So aber Dürig in: Maunz-Dürig-Herzog Art. 1 Abs. 1 Rdn. 33; LencknerNotstand S. 157 ff; zur Kritik siehe Ä r e y Z R P 1975 S. 97 ff, 98 f; vermittelnd LK-Hirsch% 34 Rdn. 64. 54 Eine Güterabwägung ist freilich nur möglich, wenn für die Güter ein gemeinsamer Nenner gefunden werden kann; ob dies in restlos allen Kollisionsfällen möglich ist, ist zweifelhaft; siehe Stratenwerth A T Rdn. 454, 464. 55 Gallas Mezger-Festschrift S. 311 ff, 325 f; LencknerNotstand S. 165; Schönke-Schröder-Lenckner $ 34 Rdn. 41 e mit Nachweisen; auch E 1962 Be-

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gründung S. 160; differenzierend Baumann-Weber AT § 22 II 1 b; LK-Hirscb § 34 Rdn. 68; Roxin Kriminalpolitik S. 27 f ; Kunz Bagatellprinzip S. 243. — Für das spanische Strafrecht Cerezo Mir H . Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 689 ff, 700 ff. 56 Die Entscheidung ist im Blick auf die gesetzliche Wertung in §§ 81 a, 81 c StPO zweifelhaft; siehe Hirsch, Roxin, beide aaO. — Uberwiegend wird das Ergebnis durch einen unvermittelten Rekurs des bei einem Notstandseingriff in Individualrechtsgüter immer vorliegenden Eingriffs in die Autonomie einer anderen Person gewonnen; LKHirsch a a O ; Lenckner Notstand S. l l l f ; — daran ist richtig, daß dieser Eingriff in die Gewichtung der Güter eingehen muß, nicht richtig ist aber, daß er ein per se bestimmbares Gewicht hat: So wie auch ein Eigentums- oder Vermögensdelikt durch die Zwangswirkung, die vom Gutsverlust bewirkt wird, Angriff auf die Person und trotzdem als Personangriff ceteris paribus

Rechtfertigender Notstand

13. Abschn

Notstandsrechtfertigung scheidet auch aus, wenn eine gewichtige Wertdifferenz zwischen Sachgütern gegenüber ihrem gleichgewichtigen symbolischen Gehalt zurücktritt. Zum Beispiel darf bei einem Gewitterregen nicht die schutzlose, reich gekleidete Frau zum Erhalt ihrer Kleidung einer wertlos gekleideten Frau deren Schirm entwinden 57 , obgleich sie das Objekt etwa zur Verteidigung vor einem bissigen H u n d nehmen dürfte; im letzteren Fall vertritt das Objekt eine Waffe, im ersteren aber dient es der persönlichen Lebensgestaltung, und deren Gewicht ist nach den rechtlich durchsetzbaren Maximen dieser O r d n u n g nicht vom Preis der Mittel abhängig. b) Ein persönlichkeitsfernes Gut kann sein Defizit gegenüber einem Persönlichkeits- 26 nahen durch den U m f a n g des ihm drohenden Schadens überspielen 5 8 ; so rechtfertigt der drohende große Verlust von wirtschaftlich eingesetztem Vermögen nicht nur den Eingriff in persönlichkeitsnahes Vermögen, sondern auch in Freiheit und Körperintegrität; Beispiel: Die bei der Bekämpfung eines Kaufhausbrands angeordnete Straßensperre ist auch als Freiheitsbeeinträchtigung gerechtfertigt 5 9 . — Bei Differenzen im Maß der drohenden Verletzung können das gefährdete Gut und das Gut, in welches eingegriffen wird, identisch sein; Beispiel: Eine Extremität wird zur Vermeidung einer Vergiftung des ganzen Körpers amputiert. — Ist das Gut, in das eingegriffen wird, sowieso nicht mehr bestandsfähig, so mindert sich das Gewicht des ihm geltenden Interesses insoweit, als es sich um ein quantifizierbares Gut handelt. Beispiel: Zerstören Feuerwehrleute ein nicht mehr zu rettendes Gebäude, um die Brandbekämpfung eines anderen Gebäudes zu effektivieren, so sind sie gerechtfertigt (siehe auch unten zur entschuldigenden Interessenkollision 20/41 f). 4. Zur Gewichtung der beteiligten Güter im Maß der drohenden Verletzung tritt als 27 ein Moment der Interessenabwägung die Verantwortlichkeit für die bedrohliche Lage des gefährdeten Guts 5 9 a . Liegt diese Verantwortlichkeit beim Eingriffsopfer, so führt dies zum defensiven Notstand (dazu unten 13/46 ff); liegt die Verantwortlichkeit weder beim Inhaber des gefährdeten Guts noch beim Eingriffsopfer, so bleibt der Verantwortliche primär opferpflichtig, ansonsten gelten die allgemeinen Regeln. Liegt die Verantwortlichkeit beim Inhaber des gefährdeten Guts, so vermindert dies den Wert des Guts nach dem Maß der Verantwortlichkeit: Die vorsätzliche Gefährdung eines disponiblen Guts schließt die Solidarität völlig aus; ansonsten gilt, daß eine objektivierte geringe Wertschätzung des gefährdeten Guts bei der Abwägung zu berücksichtigen ist 6 0 , insbesondere ein unsorgfältiger Umgang mit dem Gut. Beispiel: Besteht nach einem leichtfertig provozierten Unfall f ü r mehrere Personen gleiche Lebensgefahr, so rangiert bei beschränkter Hilfsmöglichkeit das Leben des Provokateurs hinter demjenigen der nicht zurechenbar Betroffenen 6 1 . — N a c h üblicher Lehre soll allerdings ein

nicht vom Gewicht einer Nötigung ist, so kommt es auch bei der Rechtfertigung auf die jeweilige N ä h e zur Autonomieverletzung an. — Eine Systematik der Berücksichtigung der Selbstbestimmung entwirft Stratenwerth ZStW 68 S. 41 ff, 50 ff. 57 Bockelmann A T 3 § 15 Β II 5 c; LK-Hirsch Rdn. 82 vor § 34. 58 Henkel Notstand S. 103; LK-Hirsch Rdn. 60 f vor § 34; Lenckner Notstand S. 100; SK-Samson § 34 Rdn. 13 — überwiegende Ansicht. 59 Zu einer Abwägung zwischen persönlichen und staatlichen Gütern siehe B G H N J W 1979 S. 2621 f: Die Befreiung eines Menschen aus ei-

ner Unterdrückung geht einem einzelnen Verstoß gegen Paßgesetze vor, rechtfertigt aber nicht die Anlage einer unkontrolliert arbeitenden und damit im Schadensmaß nicht berechenbaren Fälscherwerkstatt. 59a Eingehend Küper Notstand S. 24 ff, 108 ff, 151 ff, 163. 60 Lenckner Notstand S. 98 f f ; Schönke-SchröderLenckner% 34 Rdn. 33; SK-Samson § 34 Rdn. 14 mit zutreffendem Hinweis auf § 218 a StGB; eingehend Hruschka AT S. 68 ff, 125 f, 163 f und passim. 61 Blei A T § 4 4 IV 2; a. A. Baumann-Weber AT § 22 II 1 b.

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13. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

„Verschulden" der Notstandslage den Notstand nicht beeinflussen 6 2 ; das ist insoweit richtig, als ein nicht voll disponibles Gut niemals restlos und ein disponibles Gut nicht stets restlos „verspielt" wird; es entspricht aber dem System der Rechtfertigungsgründe, daß um so weniger Solidarität beansprucht werden kann, je stärker die Konfliktlage zurechenbar ist. Der Inhaber des gefährdeten Guts, der die Gefahr provoziert hat, kann also nur noch ein abgeschwächtes Notstandsrecht haben. — Freilich ist der Konflikt nicht schon zurechenbar, wenn er erkennbar verursacht wird; vielmehr müssen — wie bei jeder Erfolgszurechnung — auch alle Voraussetzungen der objektiven Zurechnung gegeben sein. Beispiel: Eine Frau, die aus körperlichen oder seelischen Gründen zur Austragung einer Schwangerschaft voraussichtlich nicht in der Lage ist, hat trotz der Voraussehbarkeit eines Konflikts im Fall der vermeidbar bewirkten Schwangerschaft keine erhöhte Duldungspflicht 63 . — Zur H a f t u n g wegen Provokation der Notstandslage siehe unten zur mittelbaren Täterschaft bei Vorsatz 21/84 und Fahrlässigkeit 21/113. 28

5 a) Das rechtlich anerkannte Interesse am Gut kann durch die Pflicht, die Gefahr hinzunehmen, gemindert oder aufgewogen werden 6 4 . Die Pflicht kann Sonderpflicht eines Berufsstands (Militär, Polizei, Feuerwehr) oder Teil einer Garantenstellung gegenüber einem Gut sein. Beispiele: Lebensgefahr eines Soldaten rechtfertigt nicht per Notstand dessen Fahnenflucht (§16 W S t G ) ; ein Bergführer kann beim Gewitter nicht unter Hinweis auf seine Gefährdung die Führung der Gruppe aufgeben. — Die Sonderpflicht kann auch Folge einer gewollten Entziehung des Guts sein; danach scheidet Notstandsrechtfertigung bei Taten gegen prozeßordnungsgemäß angeordnete Untersuchungshaft oder Strafhaft aus (zur parallelen Lösung über die Angemessenheitsklausel siehe unten 13/36). Eine Duldungspflicht wegen einer Zuständigkeit f ü r die Gefahr führt zum defensiven Notstand.

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b) Dieselbe Wirkung wie eine Duldungspflicht hat ein Duldungswille; soweit das Gut disponibel ist, schließt, wie bei der Notwehr, der Verzicht auf Rettung die Rechtfertigung einer trotzdem vorgenommenen Rettung aus. Beispiel: Will die Schwangere auch schwere Körperschäden dulden, so ist der Abbruch der Schwangerschaft nicht gerechtfertigt, § 218 a Abs. 1 N r . 1 StGB. Ist das Gut nicht (voll) disponibel (etwa das Leben), kann die gegen einen Verzicht (etwa auf ärztliche Behandlung einer Krankheit) vorgenommene Rettung ein unangemessenes Mittel und deshalb rechtswidrig sein (Zwangsbehandlung einer Krankheit; zur Bestimmung des Willens siehe oben zur Notwehrhilfe 12/59 ff). Jedenfalls ist der nicht disponible Rest notstandsfähig. Ist dieser Rest die öffentliche O r d n u n g allgemein, scheidet Notstand (Staatsnotstandshilfe) aus. Im Regelfall dürfte deshalb die Verhinderung eines Suizidversuchs nicht per Notstand zu rechtfertigen sein 6 5 . 62 BGH VRS 36 S. 23 ff, 24; BayObLG N J W 1978 S. 2046 f mit insoweit zustimmenden Anmerkungen Hruschka JR 1979 S. 125 ff und Dencker JuS 1979 S. 779 ff; Hruschka JZ 1984 S. 241 ff, 243; Roxin Jescheck-Festschrift S. 457 ff, 467; Lenckner Notstand S. 103 ff; Meißner Interessenabwägungsformel S. 252 f (aber: actio illicita in causa möglich); Schönke-Schröder-Lenckner §34 Rdn. 42 mit Nachweisen; siehe auch Kienapfel Ö J Z 1975 S. 421 ff, 427; hauptsächlich wie hier Küper JZ 1976 S. 515 ff, 518; den. Notstand S. 24 ff, 161 ff; wohl auch LK-Hirsch 5 34 Rdn. 70; auch im hiesigen Sinn BGH N J W 1976 S. 680; NStZ 1989 S. 431 f, 432; - zur heftig

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umstrittenen älteren Rechtslage siehe ausführlich Henkel Notstand S. 135 ff mit Nachweisen. 63 So schon RG 61 S. 243 ff, 255. 64 Küper JZ 1980 S. 755 ff (mit zutreffenden Ausführungen zur Lozierung der Sonderpflichten in der Interessenabwägung); Lenckner Notstand S. 101 ; Bernsmann Blau-Festschrift S. 23 ff, 37 f; Baumann-Weber KT § 22 II 1 b; Blei AT § 44 IV 2; LK-Hirsch Rdn. 70 vor § 34; Schönke-Schröder-Lenckner §34 Rdn. 34; SK-Samson §34 Rdn. 17; eingehend Hruschka aaO 13/Fn. 60. 65 A. A. Bottke GA 1982 S. 346 ff, 356 ff mit Nachweisen. — Siehe schon oben zur Staatsnotwehrhilfe 12/9.

Rechtfertigender Notstand

13. Abschn

c) Ein Duldungswille kann eine Notstandstat auch insoweit sperren, als Zwangsfür- 29 a sorge zur Nötigung des durch die Notstandstat „Begünstigten" wird. Beispiel: Schwangerschaftsabbruch gegen den Willen der Schwangeren ist nicht nur unzulässig, weil die Schwangere ihre Güter durch Einwilligung preisgeben kann (das Gut „Wohl der Leibesfrucht" kollidiert dann infolge der Einwilligung nicht mehr mit dem Gut „Risikofreiheit der Mutter"), sondern auch, weil ein Abbruch gegen den Willen der Schwangeren Nötigung ist (das Gut „Wohl der Leibesfrucht" wird vom Gut „Freiheit der Mutter von Nötigung" flankiert). 6. Schließlich nennt das Gesetz den Grad der drohenden Gefahren als Maßstab zur 30 Konkretisierung der Interessenbilanz. Abstrakt gefährdendes Verhalten zur Hinderung konkreter Gefahren ist also ceteris paribus gerechtfertigt 6 6 . Auch konkrete Gefahren am Rand des erlaubten Risikos können gerechtfertigt werden, wenn sie der Vermeidung hoher Gefahren f ü r Güter gleichen Gewichts dienen 67 . Bei einer Risikodifferenz kann auch ein Verhalten gerechtfertigt werden, durch das an einem Gut die hohe Gefahr einer Verletzung desselben Maßes substituiert wird. Beispiel 68 : Der Vater wirft seine Kinder aus einem brennenden H a u s in die Arme zum Auffangen bereiter Personen; — Rechtfertigung der T ö t u n g bei einem Fehlschlag, ansonsten Rechtfertigung des Tötungsversuchs. 7. Immer tritt als beteiligtes Interesse das allgemeine Interesse am Ausbleiben von 31 Ordnungsstörungen auf die Seite des Guts, in das eingegriffen wird. Die Befreiung per Notstand aus alltäglichen kleineren Notlagen läßt sich also überhaupt nicht rechtfertigen: Die Ordnungsstörung schließt eine positive Bilanz bei Beseitigung der geringen N o t durch einen Notstandseingriff aus. Beispiel : Der Student, der auf dem Weg zum Bus merkt, daß er diesen und damit das Kolleg vielleicht verpassen wird, darf nicht zur Beschleunigung seines Vorankommens andere Passanten anrempeln, zur Seite stoßen etc. Die Ordnungsstörung hindert freilich die Befreiung aus gewichtiger N o t nicht; denn sonst gäbe es keinen rechtfertigenden N o t s t a n d 6 8 3 . 8. Werden durch eine Notstandshandlung mehrere Interessen gewahrt oder wird in 32 mehrere Interessen eingegriffen, so sind die Gewichte der nebeneinandertretenden Interessen zu addieren, auch wenn die Interessen ungleichartig sind. Für die Interessen auf der Eingriffsseite bedarf dies einer Begründung: Sind dort mehrere verschiedene Interessen zur zusammen so gewichtig, daß der Eingriff unzulässig wird, so scheint die (freilich verfehlte) Argumentation nahezuliegen, es sei nicht der Zweck der N o r m , die eines der Interessen schützt, den Notstandseingriff nur darum zu verbieten, weil ein anderes Interesse hinzutritt 6 9 . Beispiel 70 : Wenn eine abstrakte Gefährdung der Gewässerreinheit zur Durchsetzung eines an sich überwiegenden Interesses an der Erhaltung 66 So eine umfangreiche oberlandesgerichtliche Rechtsprechung in Straßenverkehrssachen; OLG Hamm V R S 20 S. 232 ff; O L G H a m m N J W 1958 S. 271; O L G H a m m V R S 36 S. 27 f f ; O L G Düsseldorf V R S 30 S. 445 f; O L G Schleswig VRS 30 S. 462 ff; BayObLG J R 1965 S. 65 f; O L G Düsseldorf N J W 1970 S. 674 f; siehe auch OLG H a m m VRS 41 S. 141 ff. - Freilich läßt sich beim Antritt einer nur abstrakt gefährlichen Trunkenheitsfahrt, $ 316 StGB, der Eintritt konkreter Gefahren nicht ausschließen; aber die konkreten Gefahren sind erst bei ihrem Eintritt hinreichend gegenwärtig, d. h. drastisch, um in die Interessenbilanz eingehen zu können. Auch das Gewicht der gefährdeten Güter geht in die Abwä-

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68 68a 69

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gung ein ( O L G Düsseldorf N J W 1990 S. 2264 f). Beispiel: Erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitungen, um einem Sterbenden noch vor seinem T o d nahe sein zu können, sind — abgesehen von krassen Sonderfällen — nicht erlaubt; B G H V R S 59 S. 438 f. Streitig; wie hier LK-Hirsch § 34 Rdn. 60; a. A. Schönke-Schröder-Lenckner § 34 Rdn. 28 ; O L G Karlsruhe VRS 46 S. 275 f. Nach B G H bei DallingerUOK 1971 S. 361 f. KüperStaat S. 120 f. So aber die Kritik von Dencker JuS 1979 S. 779 f f ; siehe auch KKOWiG-Rengier § 16 Rdn. 56. Nach BayObLG N J W 1978 S. 2046 f.

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13. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

von Eigentum erlaubt ist, sollte sie dann für den Fall verboten werden, daß neben die Gewässerreinheit ein weiteres — eventuell für sich auch nicht ausreichend starkes — Interesse tritt, etwa fremdes Eigentum? Doch steht in solchen Fällen das durch den Eingriff zu wahrende Interesse (das Eigentum des Eingreifenden) jedem einzelnen Interesse, in das eingegriffen wird (entweder der Gewässerreinheit oder dem fremden Eigentum), nur vermindert um das Gewicht der zudem noch aufzuopfernden Interessen (entweder das fremde Eigentum oder die Gewässerreinheit) gegenüber, und als so gemindertes Interesse ist es kein hinreichender Grund eines Eingriffs 7 1 . — Freilich gilt diese Lösung nur bei einer Rechtfertigung nach dem Solidaritätsprinzip (oben 11/3). Beim Prinzip der Verantwortung oder Veranlassung sind die Güter auf der Eingriffsseite falsch organisiert; wer dagegen das Erforderliche unternimmt, handelt gegenüber dem Inhaber dieser Güter nicht deshalb rechtswidrig, weil er zudem Güter in der Hand dritter Personen beeinträchtigt (wobei dieser Eingriff durch aggressiven Notstand gerechtfertigt oder aber rechtswidrig sein mag). 33

9 a) Die Interessenbilanz muß zur Rechtfertigung erheblich positiv sein. Diese Erheblichkeit ist nicht etwa nötig, weil ein nur kleiner Gewinn die mit dem Notstandshandeln stets verbundene Ordnungsstörung nicht kompensieren könnte: Diese Ordnungsstörung geht schon in die Abwägung der beteiligten Interessen ein. Es geht vielmehr darum, daß Solidarität nicht schon verlangt wird, wenn sich dies per Saldo lohnt, sondern erst, wenn der Saldo die Notwendigkeit drastisch indiziert, wie auch § 323 c StGB eine Hilfspflicht nicht anordnet, wenn das nützlich ist, sondern wenn ein Katastrophenfall vorliegt 7 1 1 . Die Lage ist anders, wenn das Eingriffsopfer wegen eines fürsorgerischen Garantieverhältnisses Garant für das geschützte Gut, also nicht nur zu allgemeiner Solidarität verpflichtet ist; dann entfällt wegen der besonderen Leistungsverpflichtung die Berechtigung, zur Eingriffserlaubnis ein wesentliches Uberwiegen zu verlangen (siehe auch unten zur Pflichtenkollision 15/12 ff).

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b) Ist bei Notstandshandlungen der Inhaber des gefährdeten Guts mit dem Inhaber des Guts, in das eingegriffen werden soll, identisch, so muß die (mutmaßliche) Einwilligung dieses Gutsinhabers zur Umschichtung der Gefahr vorliegen. Mit dieser (mutmaßlichen) Einwilligung aber sind, da es in diesem Fall nicht um die Solidarität eines Gutsinhabers mit einem anderen geht, auch unerhebliche Interessendifferenzen zu rechtfertigen. Beispiel: (Mutmaßliche) Einwilligung vorausgesetzt, können bei identischem Gutsinhaber 1000 Mark durch die Aufopferung von 999 Mark erhalten werden. Ebenso können subjektive Präferenzen in die Interessenbilanz eingehen.

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c) Die Gewichtung eines Interesses wird oft zweifelhaft bleiben, dies teils parallel zu Ungewißheiten bei der Bestimmung eines Rechtsguts (oben 13/20). Da eine allgemeine Solidarität nur in axiologisch eindeutigen Bereichen verlangt werden kann, trägt das Risiko der axiologischenUnsicherheit der Eingreifende 7 2 . 71

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Dencker]\iS> 1979 S. 779 ff bringt gegen diese Lösung vor, daß zwar ein Täter, der zur Rettung eines wertvollen Gegenstands das Interesse — im Beispiel — an Gewässerschutz und an gleichfalls wertvollen fremden Sachen verletze, bezüglich des Gewässerschutzes rechtswidrig handele, aber nicht ein anderer Täter, der selbst Inhaber der beim Notstandseingriff aufzuopfernden Sachen ist. Diese befremdliche Lösungsdifferenz tritt freilich überhaupt nicht auf : Der Eigentümer, der bei Rettung des wertvollen Gegenstands sowieso eigene Sachen zerstören muß, wahrt überhaupt

nur ein um den unumgänglichen Verlust gemindertes Interesse! 71a A.A. wohl Roxin Oehler-Festschrift S. 181 ff, 184. — Man mag die Begründetheit des Solidaritätsverlangens schon als Aspekt der Interessenabwägung behandeln; dann hat das Merkmal der Wesentlichkeit nur eine Klarstellungsfunktion; so KüperGA 1983 S. 289 ff, 296 ff. 72 Anders — das Risiko trägt das Eingriffsopfer — Stratenwerth AT2 Rdn. 457 (zweifelnd ders. AT3 Rdn. 464); wenn sich das Eingriffsopfer aber in einem zweifelhaften Fall gegen den Eingriff

Rechtfertigender Notstand

13. A b s c h n

E. Die Angemessenheitsklausel 1. Ein positiver Interessensaldo reicht zur Rechtfertigung nicht hin, wenn die Lö- 3 6 sung des Konflikts (die Beseitigung der Gefahr) auf ein bestimmtes Verfahren kanalisiert oder überhaupt ausgeschlossen ist: Dann ist jede (andere) Konfliktlösung ein unangemessenes Mittel (§ 34 Satz 2 StGB). Die Angemessenheitsklausel soll den formellen Rechtsstaat gegenüber der freihändigen Nutzenoptimierung durch Interessenabwägung garantieren. Es handelt sich beim Zusammentreffen des bestimmten Verfahrens mit dem rechtfertigenden Notstand um den bedeutendsten Fall einer K o n k u r r e n z von Rechtfertigungsregelungen. Die verbreitete Meinung, die Angemessenheitsklausel sei an sich überflüssig, dürfte auf einer Unterschätzung der in § 34 Satz 1 StGB enthaltenen Eingriffskompetenzen beruhen 7 3 . Die Kanalisierungen haben drei unterschiedliche Inhalte: Erstens geht es darum, daß manche geregelte Verfahren auch dann, wenn sie u n d u r c h f ü h r b a r sind, weder durch ein anderes öffentlichrechtliches noch durch ein privates Vorgehen substituiert werden können (Beispiel: Gerichtsverfahren). Zweitens können manche Verfahren durch ein Vorgehen gemäß einer öffentlichrechtlichen Generalklausel substituiert werden, nicht aber auch jedenfalls durch privates Vorgehen (Beispiel: Ist eine zur Abwehr spezieller Gefahren berufene Behörde handlungsunfähig, kann dies ein allgemeiner polizeilicher Notstand sein, ohne daß eine Gefahr gemäß § 34 StGB vorliegen müßte). Drittens können wiederum andere Verfahren auch durch privates Notstandshandeln substituiert werden; hier geht es um die Anwendung privater Notrechte in dem Bereich, in dem zugleich eine Gefahr f ü r die öffentliche Sicherheit vorliegt. — Für Eingriffe nach öffentlichem Recht gelten freilich stets nur die speziellen oder generalklauselhaften öffentlichrechtlichen Ermächtigungen (zum Ubergang zu privatem Verhalten siehe unten 13/44). — Die Kanalisierungen können hier nicht erschöpfend beschrieben werden, da in einem Rechtsstaat so zahlund variantenreiche Bindungen bestehen, wie Konflikte mannigfaltig sind. 2. Hauptsächlich sind zu nennen :

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a) Die Konsequenzen eines Mangels an Geld oder sonstigen geldgleich zu benutzenden Werten bei einem Privaten regeln das BSHG, die K O , die Pfändungsschutzvorschriften der Z P O u. a. m. Notstand kommt also nur in Frage, wenn der Einhaltung dieser Verfahren äußere Hindernisse entgegenstehen. Beispiel: Bei einem akuten Krankheitsanfall und Unerreichbarkeit anderer Hilfe stiehlt der Vater f ü r sein Kind das zum Überleben nötige Medikament; — Rechtfertigung; aber: Der Vater stiehlt aus Geldknappheit das Medikament, das die Sozialhilfe nicht gewährt; — keine Rechtfertigung 7 4 . b) Die Verteilung öffentlicher Mittel regelt sich nach den Haushalten und ihren 3 8 Ergänzungen. Notstand kann die berufene Entscheidung nicht überspielen; sie kann allenfalls im Notfall in Geschäftsführung ohne Auftrag ersetzt werden. So dürfen etwa öffentliche Mittel so wenig wie private Mittel zweckentfremdet d a f ü r verwendet werwehrt, müßte nach dieser Lösung eine rechtswidrige Gegenwehr vorliegen, obgleich eine Pflicht, den Eingriff hinzunehmen, nicht jedermann plausibel begründet werden kann. — Im Ergebnis wie hier Küper G A 1983 S. 289 ff, 297; Roxin O e h ler-Festschrift S. 181 ff, 184; KKOWiG-Rengier § 16 Rdn. 41 ff; Scbönke-Schröder-Lenckner §34 Rdn. 45. 73 Für eine eigenständige Bedeutung der Klausel — mit allerdings durchaus unterschiedlich gedeutetem Inhalt — E 1962 BegründungS. 159 f; Gallas

ZStW 80 S. 1 ff, 26; Bockelmann-Volk A T § 15 Β II 7 d; Dreher- Tröndle § 34 Rdn. 12; Jescheck A T § 3 3 IV 3 d ; SK-Samson § 3 4 Rdn. 22; a. A. mit eingehenden Nachweisen LK-Hirsch § 34 Rdn. 78 ff. 74 Absurd also die Ansicht der Verteidigung in B G H N J W 1976 S. 680 f (mit Anmerkung Küper J Z 1976 S. 515 ff; Kienapfel J R 1977 S. 27 f), Geldbeschaffung durch Untreue könne gerechtfertigt sein, da dadurch der Schaden an Ansehen, den ein Konkurs bringe, ausgeglichen werden könne.

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13. Abschn

2. Buch. 2. Kapitel. Rechtfertigung

den, hungernde Kinder in Entwicklungsländern zu ernähren. Weiteres Beispiel: Reichen zu einer Konzertreise die öffentlichen Zuschüsse nicht aus, so dürfen für andere Zwecke gebundene öffentliche Mittel nicht im Notstand f ü r die Reise verwendet werden, mag das Interesse an dieser Reise auch noch so überragen 7 5 . — Wie bei zweckgebundenem Geld, so gilt dies auch bei anderen gebundenen Sachen. Beispiel: In Kriegszeiten zu Militärzwecken bestimmtes Benzin darf auch bei desolater Lage der Zivilbevölkerung nicht zu deren Versorgung zweckentfremdet werden, solange eine Entscheidung der berufenen Organe eingeholt werden k a n n 7 6 . 39

c) Sehr schwierig ist die differenzierte Bestimmung, wann einerseits der Inhaber eines Rechts die Konsequenzen eines Mangels an Beweisen f ü r dieses Recht oder eines Vorhandenseins falscher Beweise gegen dieses Recht hinnehmen muß und wann andererseits der drohende Verlust des Rechts eine notstandsfähige Gefahr ist.

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aa) Notstand (oder auch Notwehr) gegen die Präsentation eines falschen Beweises im gerichtlichen Verfahren würde die O r d n u n g des Verfahrens auflösen. Zum Beispiel dürfen eine falsche Aussage oder die Präsentation einer falschen U r k u n d e nur mit den prozessual vorgesehenen Mitteln, nicht aber ungebunden bekämpft werden; notfalls sind die verfälschten Beweisergebnisse hinzunehmen. Ebenso verhält es sich mit einem Beweismangel im gerichtlichen Verfahren; sofern kein Verfahren zur Beschaffung von Beweisen einschlägig ist (etwa nach der Z P O ein Antrag auf Parteivernehmung, §§ 445 ff Z P O , oder ein Antrag auf Urkundsvorlage nach §§ 422 f Z P O ) , darf dem Mangel nicht durch gefälschte Beweismittel oder Zerstörung der Beweismittel des Gegners abgeholfen werden. Wie das gerichtliche Verfahren sind alle anderen förmlich geregelten Verfahren zu behandeln, insbesondere das Ermittlungsverfahren nach der StPO. So ist etwa H a u s friedensbruch zur Aufdeckung von Rauschgiftkriminalität unzulässig, und zwar was private Personen wie auch was Strafverfolgungsorgane (jeweils als „Notstandshelfer") angeht; die Regeln über Durchsuchung, §§ 102 ff StPO, sind abschließend und gehen vor77.

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bb) Die Bindung gilt nur, soweit das Verfahren reicht. Für Gefahren, die einem Beweisstück von außerhalb des Verfahrens drohen, gelten die allgemeinen Regeln. So darf etwa das Asservat, dessen Gewicht einzig in der Bedeutung f ü r ein Verfahren liegt, im Notstand erhalten werden, wenn ihm bei einem Brand Gefahr droht. Diese Erlaubnis ist auf verfahrensunabhängige Gefahren beschränkt. Der Gefahr einer demnächst im Prozeß zu erwartenden Beweisnot darf aber vor oder neben dem Prozeß dann durch Beschaffung oder Sicherung eines Beweismittels per Notstand abgeholfen werden, wenn unabhängig von der gegenwärtigen Gefahr ein Anspruch auf Überlassung des Beweismittels gegen den Gegner besteht. In diesem Rahmen entspricht die Notstandserlaubnis der Selbsthilfeerlaubnis nach §§ 229 ff BGB 7 8 (dessen Beschränkungen, insbesondere die Ersatzpflicht nach § 231 BGB, analog anzuwenden sind). Beispiel: H ä n g t nach einem Unfall eine Rentenzahlungspflicht von der Frage ab, ob das Unfallopfer betrunken war, ist eine entgegen § 168 StGB erfolgende Blutbeschaffung gerechtfertigt, wenn der Leistungspflichtige gegen den Leistungsberechtigten einen Anspruch auf Überlassung von Beweismaterial hat 7 9 , ansonsten 75 Α. A. B G H 12 S. 300 ff, 304 ff mit kritischer Anmerkung Bockelmann JZ 1959 S. 495 ff. 76 Anders KG 77 S. 113 ff, 115 f. 77 Α. A. OLG München N J W 1972 S. 2275 f; dagegen Otto N J W 1973 S. 668 ff; Amelung-Scball JuS 1975 S. 565 ff, 571. 428

78 Siehe hierzu BGH 17 S. 329 ff; Geilen JZ 1975 S. 380 ff, 384. 79 So im Ergebnis O L G Frankfurt N J W 1977 S. 859.

Rechtfertigender Notstand

13. Abschn

n i c h t 8 0 . — S o w e i t die V e r f a h r e n s o r d n u n g e n selbst für eine vorbereitende Beweisbes c h a f f u n g oder Beweissicherung Sonderregeln enthalten, die tatsächlich n o c h eingehalten w e r d e n können, gehen diese vor. Beispiel : W e r v o n der d r o h e n d e n Zerstörung einer U r k u n d e durch seinen P r o z e ß g e g n e r erfährt, hat seine Rechte an der U r k u n d e nach § 985 BGB, §§ 4 2 2 f Z P O primär durch eine einstweilige V e r f ü g u n g (§§ 935 ff Z P O ) d u r c h z u s e t z e n ; erst w e n n dies tatsächlich (zeitlich) unmöglich ist, gelten die Regeln v o n N o t s t a n d (oder N o t w e h r ) . d) Ein Gesetzesvorbehalt oder eine Bindung v o n Eingriffserlaubnissen an eine 4 2 bestimmte Stellung in der Staatsorganisation (von der Rechtsprechung als nur-richterliche Tätigkeit, Art. 92 G G , über sonstige Richtervorbehalte bis hin z u m V o r b e h a l t für Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft) oder eine Bindung Privater an eine Einsetzung durch den Staat ( V o r m u n d , Konkursverwalter) kann nicht durch N o t s t a n d unterlaufen werden. A u c h ist es im Bereich der gesamten staatlichen Eingriffsverwaltung ausgeschlossen, gesetzlich beschränkte — w e n n auch, etwa teils im Polizeirecht, als Generalklauseln formulierte — Eingriffserlaubnisse durch die ungebundene N o t s t a n d s r e c h t fertigung z u substituieren (parallel dem Ausschluß v o n N o t wehr für die P o l i z e i ) 8 1 . Entsprechendes gilt für den Bereich staatlicher O r g a n i s a t i o n s k o m p e t e n z e n ; auch sie sind nicht durch N o t s t a n d ersetzbar (niemand o h n e gesetzlich z u g e o r d n e t e K o m p e tenz kann per N o t s t a n d einen Beamten ernennen, entlassen o. ä.). Beispiele: N a c h den genannten Grundsätzen dürfte die Freilassung v o n Strafgefangenen im Austausch gegen das Leben einer Geisel nicht zulässig sein — S t P O und StGB schließen allgemeine Opportunitätserwägungen a u s 8 2 —, wie sich auch daran zeigt, 80 Α. A. O L G Frankfurt N J W 1975 S. 271 f mit ablehnender Anmerkung Geilen JZ 1975 S. 380 ff und im Ergebnis zustimmender, aber differenzierender Besprechung durch Roxin JuS 1976 S. 505 ff. — Roxin argumentiert a majore von den §§ 81 a, 81 c, 94 ff S t P O her. Aber diese V o r schriften, insbesondere, § 81 a StPO, wahren auch ein generelles Interesse (insbesondere, daß Straßenverkehrstaten alkoholisierter Täter überhaupt aufklärbar bleiben). Je nach Fallgestaltung macht erst dieses generelle Interesse den Eingriff nach § 81 a S t P O verhältnismäßig. Das generelle Interesse kann jedoch zur Notstzndserlaubnis nicht in 5 34 StGB eingebracht werden (zur Hinderung der Notstandsrechtfertigung ist es in der Angemessenheitsklausel loziert), da es nicht gegenwärtig in Gefahr ist; f ü r die W a h r u n g des generellen Interesses bleibt dem Gesetzgeber Zeit. 81

Hauptsächlich wie hier Lerche v. der HeydteFestschrift Bd. II S. 1033 ff, Grebing GA 1979 S. 81 ff; Amelung N J W 1977 S. 833 ff, 835 ff; ders. N J W 1978 S. 623 f; de Lazzer und Rohlf J Z 1977 S. 207 ff, 211 f; Sydow JuS 1978 S. 222 ff, 225; Böckenförde N J W 1978 S. 1881 ff, 1883; KirchhofHTW 1978 S. 969 ff, 971 ff; Ruppelc Maßnahmen S. 114 ff, 173; Schatzschneider Z R P 1988 S. 20 ff (für Nachrichtendienste); Jescheck AT § 33 IV 3 d ; LK-Hirsch § 34 Rdn. 6 ff (mit umfassender Begründung; Hirsch läßt freilich Selbstschutz der Amtsperson nach § 34 StGB zu); SK-Samson § 34 Rdn. 22; Stratenwerth A T Rdn. 450 (der freilich den Kreis der gesetzlich beschränkten Eingriffserlaubnis enger zieht, als

es hier geschieht); für verdeckt ermittelnde Polizeibeamte im Grundsatz auch Rebmann N J W 1985 S. 1 ff, 3; - a. A. B G H 27 S. 260 ff, („Kontaktsperre") mit ausdrücklicher Herabwertung bloßer „Verfahrensvorschriften" a a O S. 263 (dagegen zutreffend Böckenförde NJW 1978 S. 1881 ff, 1884 Fn. 28; — zudem ist es falsch, im Kontaktsperrefall allein auf Verfahrensvorschriften abzustellen ; es geht auch um Nötigung zum Unterlassen von Kontakt); Schwabe Notrechtsvorbehalte S. 59 ff mit Nachweisen seiner früheren Publikationen a a O passim; Lange J Z 1976 S. 546 f f ; Gössel JuS 1979 S. 162 ff; Schaffstein Schröder-Gedächtnisschrift S. 97 ff, 114 ff; Bokkelmann Dreher-Festschrift S. 235 ff; SchönkeSchröder-Lenckner§ 34 Rdn. 7 mit ausführlichem Referat des Meinungsstands. — Siehe auch die Nachweise oben 12/Fn. 84 ff. — Soweit das N o t standsrecht — anders als das Notwehrrecht — zugestanden wird, weil es durch Verhältnismäßigkeit beschränkt sei ( S c h a f f s t e i n a a O u. a.), wird übersehen, daß die Verhältnismäßigkeit allein keine rechtsstaatlichen Konturen leisten kann, da der Anwendungsbereich uferlos und die Bindung verschwommen bleiben. 82 Fall Lorenz; für eine Rechtfertigung Krey Z R P 1975 S. 97 ff; Grebing GA 1979 S. 81 ff, 105 Fn. 137; Küper Staat S. 91 ff, der argumentiert, der nicht rettende Staat greife mittelbar in das Leben der Geisel ein: eine Verwechslung der Tatmacht (die gegeben ist) mit der Zurechenbarkeit (die fehlt); siehe auch BVerfG 46 S. 160 ff. - Ahnungslos gegenüber den Konsequenzen einer

429

13. A b s c h n

2. B u c h . 2. K a p i t e l . R e c h t f e r t i g u n g

daß ein entsprechendes Recht sonst jedermann, der zur Verwirklichung fähig ist, zustehen müßte : Die Auflösung der rechtsstaatlichen O r d n u n g durch widersprechende Entscheidungen würde evident. — Der Verkehr zwischen Verteidiger und Beschuldigtem richtet sich nach den Verfahrensgesetzen (§§ 148 f StPO, §§ 31 ff E G G V G ) . Beschränkungen wie Erlaubnisse durch Notstandsrechtfertigung sind nicht möglich 8 3 ; ebensowenig darf der Verkehr zwischen Verteidiger und Beschuldigtem zur Abwendung von Gefahren belauscht werden 8 4 . — Unzulässig ist es auch, zur Abwehr noch so schwerer Gefahren ohne gesetzliche Kompetenz — § 100 a S t P O — in die Privatsphäre eines noch so verdächtigen Bürgers einzudringen, etwa durch Installierung von Abhörgeräten („Lauschangriff", § 201 Abs. 2 StGB) 8 5 . — Eine Person, die sich wegen psychischer Defekte selbst gefährdet und andere Personen belästigt, darf ohne Mitwirkung eines Vormunds nur eingesperrt werden, wenn die Bestellung eines Vormunds oder Pflegers wegen tatsächlicher Hindernisse nicht erreicht werden k a n n 8 6 . — Verweigert der gesetzliche Vertreter einer Person die erforderliche Einwilligung in eine dringende Operation, so ist deren D u r c h f ü h r u n g im Notstand nur gerechtfertigt, wenn eine vormundschaftsgerichtliche Entscheidung wegen Zeitmangels nicht mehr eingeholt werden k a n n 8 7 . — Vorratshaltung f ü r zukünftige Notfälle ist nur nach den vorgesehenen gesetzlichen Verfahren möglich; Transplantationsorganbanken lassen sich also nicht per Notstand bilden, wenn es an einer Verfahrensregelung fehlt (siehe oben 13/Fn. 32). — Das individuelle und soziale Interesse an eingerichteten (oder einzurichtenden) Arbeitsplätzen wird im \]mwc\tverwaltungsrecht berücksichtigt; seine Berücksichtigung im Umweluíní/'echt über § 34 StGB ist also unangemessen 8 7 a . 43

3 a) Die Bindung an ein Verfahren gilt nur f ü r den geregelten Bereich, wobei zum geregelten Bereich freilich auch diejenigen Fälle gehören, für die — ausdrücklich oder gemäß systematischer Interpretation — schlechthin jeder Eingriff ausgeschlossen ist 8 7 b . Jenseits dieses Bereichs gelten die allgemeinen Regeln, also f ü r öffentlichrechtliches Vorgehen die öffentlichrechtlichen Generalklauseln, f ü r Private die Notrechte, insbesondere also rechtfertigender Notstand. Beispiel: Die strafprozessualen Beschränkungen zum Schutz von Wohnräumen (§§ 102 ff StPO) schließen nicht nur öffentlichrechtliche Generalklauseln, sondern auch privatisierte Strafverfolgungsmaßnahmen aus, gelten aber nicht, wenn es um die Abwehr von Gefahren geht, die nicht der Strafverfolgung drohen (Brand, Suizid etc.). — § 100 a S t P O regelt die Aufzeichnung des nicht öffentlich gesprochenen Wortes für Strafverfolgungsmaßnahmen ohne Einwilligung des Betroffenen abschließend 8 7 0 . — Wie die Erfüllung von Hilfspflichten

83 84 85

86 87

430

rechtsstaatlichen Bindung Hochhut Juristen 2. Akt. Fall Schleyer; a. A. B G H 27 S. 260 ff, 262 f f ; siehe auch BVerfG 46 S. 1 ff, 11 ff. Abhörfall Stammheim; siehe Grebing GA 1979 S. 81 ff, 102 Fn. 123 mit Nachweisen. Fall T r a u b e ; de Lazzer und Rohlf JZ 1977 S. 207 ff; siehe auch Grebing GA 1979 S. 81 ff, 102; a. A. Schönke-Schröder-Lenckner §34 Rdn. 7 u. a. m. - Daß Art. 12 Abs. 3 G G bei gemeiner Gefahr und Lebensgefahr eine Befugnis gibt, den Bruch der Intimsphäre als Hauptioige herbeizuführen, ist zumindest zweifelhaft; jedenfalls ist solche Gefahrenabwehr nicht Aufgabe des Verfassungsschutzes (anders wohl Borgs in Borgs-Ebert Geheimdienste A $ 3 Rdn. 170). A. A. B G H 13 S. 197 ff, 200 ff. Jescheck AT § 3 4 IV 3 Fn. 51 mit Nachweisen;

siehe auch O L G H a m m N J W 1968 S. 212 ff. Streitig; wie hier Schönke-Schröder-Lenckner§ 34 Rdn. 35; SK-Samson § 3 4 Rdn. 3 b ; eingehend Schalhn: RechtS. I f f , 6 ff, 17. 87 '' Im Rahmen verdeckter Fahndungen darf dasjenige öffentliche Eigentum zerstört, beschädigt oder sonst aufgeopfert werden, das solchen Zwecken bestimmungsgemäß dient. Der Eingriff in Eigentum, das anderen Zwecken gewidmet ist, bedarf eines Rechtfertigungsgrundes; dabei scheidet § 34 StGB aus. — Im Fall der „Celler Aktion" (dazu Kühne JuS 1987 S. 188 ff) dürfte zudem eine nicht über § 34 StGB zu rechtfertigende T a t nach § 145 d Abs. 1 StGB vorgelegen haben. 87c B G H 34 S. 39 ff, 43 ff; dazu Bottke Jura 1987 S. 356 ff, 363 ff. 87a

Rechtfertigender Notstand

13. Abschn

(Garantenpflichten, Pflichten aus den §§ 138, 323 c StGB) zu erzwingen ist, richtet sich außerhalb speziell geregelter Bereiche (speziell geregelt ist etwa der Zwang gegen eine zu prozessualem Zeugnis verpflichtete Person) nach den allgemeinen N o r m e n . b) Die Bindung an ein bestimmtes Verfahren wird insbesondere nicht unterlaufen, 44 wenn in fremde Güter nicht zur Durchsetzung einer Eingriffskompetenz, sondern nur gelegentlich 87ci eines Verhaltens in besonderer Kompetenz eingegriffen wird. So darf beispielsweise der Gerichtsvollzieher bei der Flucht vor einem aggressiven Schuldner in eine fremde W o h n u n g eindringen, wenn er sonst keine Rettung sieht 8 8 , und die Polizei darf den Verkehr von Strafverteidigern mit den in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten bei Seuchengefahr untersagen, sofern sie einen Verkehr auch an Aufenthaltsorten ohne strafprozessuale Befangenheit untersagen dürfte. 4. Private Abwehr einer Gefahr ist unangemessen, soweit eine zur Abwehr zustän- 44a dige und fähige Behörde deren Bekämpfung übernommen hat, auch wenn der Behörde nur limitierte Erlaubnisse zustehen 8 8 a . 5. Konsequenzen fehlender Angemessenheit : Ein unangemessenes Verhalten ist 45 rechtswidrig, auch wenn es im übrigen den Voraussetzungen des § 34 StGB entspricht (zur Unrechtsmilderung und zur Verschiebung der Unrechtsart siehe oben zur N o t wehr 12/44).

III. Die Besonderheiten des defensiven Notstands Literatur Siehe zu II

A. § 34 StGB (ausschnitthaft auch § 904 BGB) bestimmt den Interessensaldo dahin, 46 das gewahrte Interesse müsse das zur Rechtfertigung beeinträchtigte wesentlich (unverhältnismäßig) überwiegen. Diese strenge Voraussetzung paßt nur, wenn in Güter einer Person eingegriffen wird, die f ü r den Konflikt nicht zuständig ist. Muß jedoch die Person, in deren Güter zur Rettung vor der Gefahr eingegriffen wird, die Gefahr verantworten, so entsteht folgende U m k e h r u n g 8 8 b der Proportionalität: Der für die Gefahr Zuständige muß — Fähigkeit unterstellt — die Gefahr beseitigen. Befreiung von dieser Pflicht, also ein solidarisches O p f e r der anderen, kann er nach den Maximen des § 34 StGB nur verlangen, wenn sein Interesse an der Befreiung das durch die Gefahr bedrohte Interesse wesentlich überwiegt, d. h. wenn er zur Pflichterfüllung 87
Alkoholdelinquenz in der Bundesrepublik Deutschland, Beiheft ZStW 1981 S. 2 ff; E. Horn Actio libera in causa — eine notwendige, eine zulässige Rechtsfigur? GA 1969 S. 289 ff; ders. Kann die „mindestens erheblich verminderte Schuldfähigkeit" den „Rausch"-Begriff i. S. des § 330 a StGB definieren? J R 1980 S. 1 ff; /. Hruschka Der Begriff der actio libera in causa und die Begründung ihrer Strafbarkeit — BGHSt. 21, 381, JuS 1968 S. 554 ff; ders. Methodenprobleme bei der Tatzurechnung trotz Schuldunfähigkeit des Täters. Zugleich eine Apologie des Art. 12 SchwStrGB, SchwZStr. 90 (1974) S. 48 ff; ders. Uber Tun und Unterlassen und über Fahrlässigkeit, Bockelmann-Festschrift S. 421 ff; ders. Ordentliche und außerordentliche Zurechnung bei Pufendorf, ZStW 96 S. 661 ff; ders. Probleme der actio libera in causa heute, JZ 1989 S. 310 ff; G. Jakobs Schuld und Prävention, 1976; ders. Die juristische Perspektive zum Aussagewert der Handlungsanalyse einer Tat, in: /. Gerchow (Hrsg.) Zur Handlungsanalyse einer Tat, 1983 S. 21 ff; /. C. Joerden Strukturen des strafrechtlichen Verantwortlichkeitsbegriffs: Relationen und ihre Verkettungen, 1988; Arthur Kaufmann Das Schuldprinzip, 1961; ders. Unrecht und Schuld beim Delikt der Volltrunkenheit, JZ 1963 S. 425 ff; R. Keller Anmerkung zu BGH JR 1989 S. 341 ff, aaO S. 343 f; U. Kindhäuser Gefährdung als Straftat, 1989; E. Kohlrausch Trunkenheit und Trunksucht im Deutschen Vorentwurf, ZStW 32 S. 645 ff; F. W. Krause Betrachtungen zur actio libera in causa, insbesondere in der Form vorsätzlicher Begehung, H . Mayer-Festschrift S. 305 ff; ders. Probleme der actio libera in causa, Jura 1980 S. 169 ff; J. Krümpelmann Schuldzurechnung unter Affekt und alkoholisch bedingter Schuldunfähigkeit, ZStW 99 S. 191 ff; W. Küper Aspekte der „actio libera in causa". Ein Dialog, Leferenz-Festschrift S. 573 ff; ders. Der „verschuldete" rechtfertigende Notstand, 1983; ders. Unfallflucht und Rauschdelikt, N J W 1990 S. 209 ff; R. Kusch Der Vollrausch, 1984; K. Lackner Vollrausch und Schuldprinzip - OLG Köln, N J W 1966, 412; OLG Braunschweig N J W 1966, 679, JuS 1968 S. 215 ff; ders. Neuorientierung der Rechtsprechung im Bereich des Vollrauschtatbestandes, Jescheck-Festschrift S. 645 ff; R. Lange Der gemeingefährliche Rausch, ZStW 59 S. 574 ff; ders. Die Behandlung der Volltrunkenheit in der Strafrechtsreform, J R 1957 S. 242 ff; R. Luthe, M. Rosier Die Beurteilung der Schuldfähigkeit bei akuter alkoholtoxischer

105

Hirsch Beiheft Z S t W 1981 S. 2 ff, 6.

499

17. Abschn

2. Buch. 3. Kapitel. Schuld

Bewußtseinsstörung, ZStW 98 S. 314 ff; R. Maurach Schuld und Verantwortung im Strafrecht, 1948; ders. Fragen der actio libera in causa, JuS 1961 S. 373 ff; H. Mayer Die folgenschwere Unmäßigkeit (§ 330 a StGB), ZStW 59 S. 283 ff; G. Meyer Die Beurteilung der Schuldfähigkeit bei Abhängigkeit vom Glücksspiel, MonSchrKrim. 1988 S. 213 ff; A. Montenbruck Zum Tatbestand des Vollrausches, GA 1978 S. 225 ff; ders. Anmerkung zu BayObLG J R 1978 S. 208 f, aaO S. 209 f ; U. Neumann Zurechnung und Vorverschulden, 1985 ; ders. Normtheorie und strafrechtliche Zurechnung, GA 1985 S. 389 ff; ders. Neue Entwicklungen im Bereich der Argumentationsmuster zur Begründung oder zum Ausschluß strafrechtlicher Verantwortlichkeit, ZStW 99 S. 567 ff; ders. Anmerkung zu BGH StV 1987 S. 246 f, aaO S. 247 ff; D. OehlerAnmerkung zu BGH J Z 1970 S. 379 f, aaO S. 380 ff; H. Otto Actio libera in causa, Jura 1986 S. 426 ff; ders. Der Vollrauschtatbestand, Jura 1986 S. 478 ff; H.-U. Paeffgen Die Ausweitung des „Rausch"-Begriffs (§ 323 a) — ein unaufhaltsamer Prozeß? NStZ 1985 S. 8 ff; ders. Actio libera in causa und § 323 a StGB, ZStW 97 S. 513 ff; ders. % 142 StGB - eine lernäische Hydra? NStZ 1990 S. 365 ff; O. Ranft Grundprobleme des Vollrauschtatbestands, JA 1983 S. 193 ff, 239 ff; ders. Fahrunsicherheit und Verschulden in strafrechtlicher Sicht, Forensia 1986 S. 89 ff; C. Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, 5. Auflage 1990; ders. Bemerkungen zur actio libera in causa, Lackner-Festschrift S. 307 ff; ders. Der entschuldigende Notstand nach § 35 StGB, JA 1990 S. 97 ff, 137 ff; I. Puppe Die Norm des Vollrauschtatbestandes, GA 1974 S. 98 ff; dies. Grundsätze der actio libera in causa, JuS 1980 S. 346 ff; dies. Neue Entwicklungen in der Dogmatik des Vollrauschtatbestandes, Jura 1982 S. 281 ff; G. Schewe Alkoholdelinquenz aus medizinischer Sicht, Beiheft ZStW 1981 S. 39 ff; ders. § 323 a — Definitions- und Beweisprobleme an der „unteren Rauschgrenze"? Blutalkohol 1983 S. 369 ff; H. SchröderOer subjektive Tatbestand des § 330 a, DRiZ 1958 S. 219 ff; B. Schünemann Die Entwicklung der Schuldlehre in der Bundesrepublik Deutschland, in: H.-J. Hirsch u. a. (Hrsg.) Strafrecht und Kriminalpolitik in Japan und Deutschland, 1989 S. 147 ff; /. Schuppner, K. .Si/i/ie/Nochmals : Verurteilung nach § 323 a StGB trotz Zweifels über das Vorliegen eines Vollrauschs? NStZ 1984 S. 67 ff; H. Schweikert Strafrechtliche Haftung für riskantes Verhalten? ZStW 70 S. 394 ff; W. Stree Rechtswidrigkeit und Schuld, in: C. Roxin, W. Stree, H. Zipf, H. Jung Einführung in das neue Strafrecht, 2. Auflage 1975, S. 34 ff; G. Stratenwerth Vermeidbarer Schuldaussschluß, Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 485 ff; F. Streng Unterlassene Hilfeleistung als Rauschtat? J Z 1984 S. 114 ff; ders. Schuld ohne Freiheit, ZStW 101 S. 273 ff; G. Timpe Grundfälle zum entschuldigenden Notstand und zum Notwehrexzeß, JuS 1985 S. 35 ff; H. Tröndle Vollrauschtatbestand und Zweifelsgrundsatz, Jescheck-Festschrift S. 665 ff; K. Í/Zsentómer Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens bei Gefahr eigener Strafverfolgung, GA 1972 S. 1 ff; H. v. Weber Oit strafrechtliche Verantwortlichkeit für die Rauschtat, Stock-Festschrift S. 59 ff; ders. Die Bestrafung der Volltrunkenheit, GA 1958 S. 257 ff; /. Wolter Vollrausch mit Januskopf, NStZ 1982 S. 54 ff; ders. Vorsätzliche Vollendung ohne Vollendungsvorsatz? Zugleich ein Beitrag zum „Strafgrund der Vollendung", Leferenz-Festschrift S. 545 ff.

A. Das Problem Führt der T ä t e r seine Zurechnungsunfähigkeit 1 0 6 oder eine Situation, in der — je nach Maßstab — Rechtsbefolgung unzumutbar ist, selbst herbei, so sind drei W e g e möglich und nach geltendem Recht je für Teilbereiche auch gangbar, um trotzdem eine Haftung des Täters zu erreichen. N a c h der ersten Lösung wird das Verhalten, mittels dessen der T ä t e r die bezeichnete Lage herbeiführt, wegen der Herbeiführung bestraft. Diesen W e g beschreitet das Gesetz beim Vollrausch, § 323 a StGB. N a c h einer weiteren Lösung wird die Herbeiführung der Lage als Vollzug des Delikts definiert, das später in 106 Jedenfalls geht es nicht um den Verlust der Handlungsfähigkeit; dieser erledigt sich stets durch Vorverlagerung des Tatzeitpunkts, siehe unten 17/58 sowie oben zum Handlungsbegriff 6/42, zum sogenannten Unterlassen durch Begehen 7/69 und zur Übernahmefahrlässigkeit 9/14. — Der Sprachgebrauch ist nicht einheitlich; für Einbeziehung der Fälle preisgegebener Handlungs-

fähigkeit Hruschka AT S. 327 und passim; Schönke-Schröder-Lenckner § 20 Rdn. 34; Krause H. Mayer-Festschrift S. 305 ff, 306; ders. Jura 1980 S. 169 ff, 172; Maurach JuS 1961 S. 373 ff, 376; Otto Jura 1986 S. 426 ff, 431; wohl auch LK-Spendel § 323 a Rdn. 25; schon Binding Normen Bd. II (1) S. 609 ff.

Allgemeine Lehren

17. Abschn

der Lage schuldlos durchgeführt wird, so wie bei mittelbarer Täterschaft die Beeinflussung des Werkzeugs (des Tatmittlers) der Vollzug der T a t des mittelbaren Täters ist. Das ist der Weg bei der actio libera in causa (a.l.i.c. ; dem G r u n d nach freie Handlung). In dieser Fallgruppe, die nur den Verlust der Zurechnungsfähigkeit betrifft, wird die libera causa als eigentliche T a t definiert. N a c h der dritten Lösung kann dem Täter wegen der Herbeiführung der Lage die Berufung auf entschuldigende Umstände in der Lage versagt werden. Diese Lösung besteht in den Fällen ausgeschlossener U n z u m u t barkeit; auch sie mag als a.l.i.c. im weiteren Sinn bezeichnet werden, wobei diese Konstruktion jedoch nur einen Teil, seil, den auf ein Vorverhalten abstellenden Teil, des Ausschlusses der Unzumutbarkeit abdeckt (nicht aber die besonderen Rechtsverhältnisse). Hier bleibt die actio die eigentliche T a t ; diese ist wegen der libera causa schuldhaft. Mit diesem dritten Konzept identisch ist die in § 7 W S t G festgeschriebene Regelung, nach der „selbstverschuldete Trunkenheit" bei Soldaten f ü r militärische Straftaten oder Verstöße gegen das Kriegsvölkerrecht oder Taten in Ausübung des Dienstes eine Milderung der Strafdrohung nach den §§ 21,49 StGB ausschließt. Die genannten Lösungen unterscheiden sich darin, was Unrecht ist: das Sich-Berau- 58 sehen (Vollrausch) oder die durch das Berauschen in Gang gesetzte Tat (a.l.i.c.) oder die T a t im Rausch (Zumutbarkeit). Deshalb unterscheiden sich auch die Gegenstände und die Zeitpunkte der subjektiven Tatbestände sowie die Zeitpunkte, in denen gegebenenfalls erforderliche spezielle Deliktsmerkmale verwirklicht sein müssen. Der Grund für die Differenzierung der Lösungswege ist im Strafzweck zu suchen: Da wegen eines Mankos an Rechtstreue gestraft wird, muß auf Taten abgestellt werden, die dieses Manko indizieren. Im schweren Drogen- oder Alkoholrausch fehlt ein ansprechbares Subjekt, gleich mit welchem N a c h d r u c k die Ansprache geschieht (unten 18/5, 11), so daß eine Tat — wie beim Psychotiker — nicht Rechtsuntreue, sondern Andersartigkeit der Motivation, eben einen Subjektivitätsverlust indiziert. Hier muß das, was Straftat sein soll, zu einem Zeitpunkt außerhalb des Rauschs gesucht werden (Vollrausch und a.l.i.c.). Ist aber ein Subjekt vorhanden, mag auch seine Motivation zur Rechtstreue durch massive Gegenmotive belastet sein, so kann seine T a t eine nicht hinreichend starke Rechtstreue indizieren; eine Verlagerung dessen, was Straftat sein soll, auf einen Zeitpunkt ohne massive Gegenmotivation ist dann unnötig, wenn es Aufgabe des Subjekts ist, die Gegenmotivation durch Erhöhung der Motivation zur Rechtstreue zu überwinden 1 0 6 a (Zumutbarkeit). Wenn teils argumentiert wird, auch beim Vollrausch oder bei a.l.i.c. gehe es der 58a Sache nach darum, daß sich der Täter auf den zur Zeit der T a t gegebenen Schuldausschluß nicht berufen k ö n n e 1 0 6 b , oder für die „Freiheit von krankheitsbedingtem 106a Frisch hat zum Affekt eine Lösung entwickelt, bei der die Gesellschaft ausgeblendet wird (ZStW 101 S. 538 ff) : Er bindet die Anwendung der §§ 20,21 StGB an den psychischen Befund und die allein danach zu erwartende Belastung der Fähigkeit zur Normerkenntnis oder -befolgung. Das ist, was die Zurechnungsunfähigkeit im strengen Sinn angeht, richtig: W o kein Subjekt (keine Person) mehr agiert, ereignet sich Natur, nicht aber Gesellschaft. W a s freilich die Belastung eines noch vorhandenen Subjekts angeht (nach der hiesigen Lösung bei § 2 1 StGB und auch in einem Teilbereich von § 2 0 StGB, siehe 18/14 ff), so wäre zu begründen, wieso die Berücksichtigung dieser Belastung Aufgabe der Gesellschaft und nicht Aufgabe des Belasteten sein soll. Psycholo-

gismen sind für eine solche Begründung auch dann kategorial unzulänglich, wenn man sie „Struktur der Schuld" nennt (aaO S. 603). K o n sequenz dieser Verfolgung des „Rechts" nur einer Einzelheit: Die — nicht zuvor bedachte — affektive Aufladung beim Vergewaltigungsversuch wird zum Schuldmilderungsgrund f ü r den angeschlossenen Mord am Opfer. Siehe auch 18/Fn. 94. 106b Leumann Zurechnung S. 24 ff, 125 ff, 267 ff, passim; das Konzept deckt sich im Zumutbarkeitsbereich mit dem hiesigen. — Neumann versteht den Ausschluß des Sich-Berufen-Könnens als „dogmatische Regel zweiter Stufe" (S. 22, 276 ff, 284), was heißen soll: Bei der „dialogischen Struktur des strafrechtlichen Verantwort-

501

17. Abschn

2. Buch. 3. Kapitel. Schuld

Zwang" sei „obliegenheitswidrig nicht vermiedene" Unfreiheit ein „Surrogat" 1 0 6 c , so führt das aus folgenden Gründen zur Fiktion v o n Verantwortlichkeit: Zwar kann die Berufung auf Defekte in der Binnenorganisation eines Täters auch radikaler abgeschnitten werden, als es im geltenden Recht geschieht, aber ein solcher Umbau ist nicht punktuell möglich, sondern hat systematische Konsequenzen. Die skizzierten Lösungen träfen deshalb nur dann wirkliche Verantwortlichkeit, wenn die wirkliche Erwartung, der per Selbstverschulden an sich Zurechnungsunfähige werde sich verantwortlich motivieren, rechtlich gestützt würde (Vertrauensgrundsatz gegenüber Betrunkenen ?) und wenn sich auch der Täter auf seine fortdauernde Verantwortlichkeit berufen könnte. Beide systematischen Konsequenzen werden freilich in der gegenwärtigen Ordnung nicht gezogen, wie sich bei Selbstschädigungen zeigt: Die Selbsttötung etwa im Drogenrausch ist nicht „frei" und ein Tötungsverlangen ceteris paribus nicht ernstlich. Der Täter einer Tat im Rausch ist in seinem Rausch nicht einmal für die Strafverhandlung über seine Tat verhandlungsfähig. Auch das positive Recht erkennt, wie § 323 a StGB zeigt, die Zurechnungsunfähigkeit zum Zeitpunkt einer Tat im Rausch selbst dann an, wenn der Rausch zurechenbar verursacht wurde. — Die hiesigen Differenzierungen fallen freilich hin, wenn man den schweren Rausch nicht als Verlust an Subjektivität, sondern nur als motivatorische Belastung versteht.

B. Der Vollrausch 59

1 a) D a der Strafgrund des Vollrauschs nicht die Tat im Rausch, sondern das Sich-Berauschen ist, hat die Regelung (§ 323 a StGB) zu Recht ihren Platz im B T 1 0 6 d ; der Zweck der Vorschrift — Sicherung von Zurechnung — weist freilich, wie zu zeigen sein wird, auf den A T zurück. Der Zweck wird überwiegend im Schutz vor der Gefährlichkeit des Rauschs gesucht: Das Sich-Berauschen soll wegen der konkreten 1 0 7 oder abstrakten 1 0 8 Gefahr lichmachens" (S. 276) (bedingt durch die dialogische „Struktur" der Verantwortlichkeit, S. 277) geht es nicht darum, „was im dogmatischen Sinn der Fall ist, sondern . . ., womit argumentiert werden darf" (S. 18). — Abgesehen davon, daß nach dem hiesigen Konzept mit dem Verlust der Zurechnungsfähigkeit stets argumentiert werden darf, wenn er stattfand (dazu sogleich im Text), ist damit der Vorgang eines per Zuschreibung zustande kommenden Schuldurteils zutreffend beschrieben. N u r ist kein Hindernis zu sehen, das Ergebnis des Dialogs auf einen Begriff zu bringen und so dogmatische Regeln der maßgeblichen Stufe zu formulieren. Beispiel; Wer auf erster Stufe (vorläufig) formuliert, Gefahr für das eigene Leben entschuldige die zur Abwendung erforderlichen Eingriffe, muß auf einer zweiten Stufe nachschieben, auf Lebensgefahr könne sich nicht berufen, wer f ü r deren Grund zuständig sei, etwa weil er ihn verursacht habe (§ 35 StGB). Offenbar trägt also nicht die Lebensgefahr per se die Entschuldigung, sondern die bei manchen Lebensgefahren eröffnete Möglichkeit, Konfliktgenese und Täter zu distanzieren; dies ist der dogmatische Satz maßgeblicher Stufe. Daß diese Möglichkeit der Verlagerung vom sozialen Kontext außerhalb der Täterpsyche abhängt, suggeriert, es gehe dabei nicht um die Dogmatik von

502

Schuld und Unschuld, sondern nur um ein Sich(nicht)-Berufen-Können auf Innerliches. Aber Schuld ist — was Neumann im übrigen auch nicht verkennt — kein bloßes Derivat einer vom sozialen Kontext unabhängigen Innerlichkeit. 106c Hruschka A T S. 327; ders. Bockelmann-Festschrift S. 421 ff; gegen die Surrogationslösung wiederum Neumann GA 1985 S. 389 ff, 397. Hruschka wendet das Surrogationsprinzip konsequent auch auf die Handlungsfähigkeit an; ebenso Otto Jura 1986 S. 426 ff, 431; hiergegen gilt der nachfolgende Text entsprechend: Wer nicht handlungsfähig ist, ist auch durch optimale Rechtstreue nicht zur Befolgung eines Gebots zu bringen. 106d A. A. Hruschka AT S. 296 f f ; Otto Jura 1986 S. 478 ff, 480; der Sache nach auch Neumann Zurechnung S. 58, 63 f, 124, 125 ff; Streng ZStW 101 S. 273 ff, 318. 107 Welzel Strafrecht S 68 II 1 b ; Arzt-Weher BT Bd. II Rdn. 427; Kohlrausch ZStW 32 S. 645 ff, 661; Kohlrausch-Lange § 330 a Anm. II; Lange ZStW 59 S. 574 ff, 584; ders. J R 1957 S. 242 ff, 244; Hirsch BeiheftZStW 1981 S. 2 ff, 15 f. 108 So die überwiegende Ansicht mit Schwankungen zum Maß der für abstrakte Gefährdungsdelikte geltenden generellen Restriktionen, dazu oben 6/89. — Cramer Vollrauschtatbestand S. 46 ff,

Allgemeine Lehren

17. Abschn

Unrecht sein, daß der Täter durch den Rausch von den — üblicherweise durch die Sozialisation habituell gewordenen — Bindungen an die N o r m e n gelöst w i r d , 0 9 . Die Lösung, die den Tatbestand um das Erfordernis einer konkreten Gefahr ergänzt, vermag nicht zu erklären, weshalb die Strafbarkeit einer Verwirklichung des so beschränkten Tatbestands nochmals durch die rechtswidrige Tat im Rausch ( § 1 1 Abs. 1 Nr. 5 StGB) als objektive Strafbarkeitsbedingung eingeengt werden soll. Eine solche Erklärung ist bei der Lösung, die auf eine abstrakte Gefahr abstellt, leicht zu leisten : Die folgenlose Berauschung soll wegen ihrer Ubiquität nicht strafbar sein. Freilich läßt sich mit dem Gedanken einer — auch nur abstrakten — Gefahr nicht ausmachen, wieso die Anwendbarkeit der Vorschrift von der Beweislage hinsichtlich der Schuldfähigkeit abhängt (§ 323 a Abs. 1 StGB a. E.). Allenfalls eine N o t l ö s u n g dafür bietet die Deutung der Vorschrift als vertatbestandlichte Wahlfeststellung zwischen dem „eigentlichen" Vollrausch und einer Haftung für die Tat im — möglicherweise — effektiv nicht schuldausschließenden R a u s c h 1 1 0 . b) Ein weiteres Problem tritt hinzu : Bei allen Konzepten, die auf eine Gefahr 60 abstellen, läßt sich nicht (bei konkreter Gefahr) oder allenfalls gekünstelt (bei abstrakter Gefahr) begründen, weshalb dem sowieso v o n den N o r m e n entbundenen, also dem jedenfalls — auch ohne Rausch — fest zur Tat entschlossenen Täter die Berauschung überhaupt verboten werden s o l l 1 1 0 a ; denn wenn die Tat im Rausch auf einem neuen Vorsatz beruht (bei Zurechnungsunfähigkeit), erhöht dieser neue Vorsatz nicht die bestehende Gefahr; bleibt der Vorsatz identisch (bei „verminderter Schuldfähigkeit"), gilt das erst recht. Die Gefahr der Entbindung von den N o r m e n kann also nicht vorrangiger Grund der Vorschrift sein 1 1 1 , auch nicht in Wahlfeststellung neben einer alternativen Haftung für die eventuell doch schuldhafte Tat im Rausch. rauschbedingte Defekte) abgestellt würde. 50 ff und passim; SK-Horn § 323a Rdn. 2; Schwerer wiegt, daß die Bindung des § 323 a StGB Schönke-Schröder-Cramer § 323 a Rdn. 1 ; ]ean (nicht auszuschließende) Schuldunfähigkeit scheck AT § 40 VII; Lackner JuS 1968 S. 215 ff, ganz untauglich ist, um die Grenze relevanter 219. — Mit dem Erfordernis einer losen (und Minderungen des Reaktions- und Bewegungsapinsgesamt unklaren) subjektiven Beziehung zu irparates zu erfassen. Für einen Chirurgen oder gendeiner Tat im Rausch BGH 10 S. 248 ff, 250; einen Kraftfahrer (§316 StGB) oder einen Vieh17 S. 333 ff, 335; BayObLG N J W 1990 S. 2334 f, treiber etc. müßten unterschiedliche Grenzen 2335. Ohne dieses Erfordernis BGH 1 gelten, die sich kaum je mit den Grenzen der S. 124 ff, 125 f; 1 S. 275 ff, 227; 2 S. 15 ff, 19; 16 Schuldunfähigkeit decken dürften. — Freilich ist S. 124 ff, 125 f; BayObLG JR 1975 S. 30 f; Hanseine Berücksichtigung aller rauschbedingten LeiOLG Hamburg JR 1982 S. 345 f mit Anmerkung stungsdefekte de lege ferenda nicht ausgeschlosHorn aaO S. 347 ff. — Siehe auch LK-Spendel sen, nur muß dann der Rausch je nach Lebensbe§ 323 a Rdn. 61 ff, 67: „subjektiv-generelles Gereich und Defektart unterschiedlich bestimmt fährdungsdelikt". werden. 109 ν, Weber Stock-Festschrift S. 59 ff, 72. - Die Bedeutung des Bindungsverlusts ist unstreitig. 110 LK-Tröndle § 1 Rdn. 99. Zudem wird auch teils argumentiert, § 323 a StGB 110a Neumann Zurechnung S. 76. solle auch die Gefahr erfassen, daß die Reaktions- 111 Die neueren Interpretationen des 5 323 a StGB in und Körperbeherrschungsfähigkeit nachläßt; der Literatur zielen auf die Bestimmung des Schönke-Schröder-Cramer § 323 a Rdn. 1 ; Cramer Rauschs als eines Zustands, in dem der Täter den Vollrauschtatbestand S. 4 f ; Schröder DRiZ 1958 Anforderungen des sozialen Verkehrs nicht mehr S. 219 ff, 221; Weber GA 1958 S. 257 ff, 260. gewachsen ist; grundlegend Puppe GA 1974 Siehe auch zu den neueren Konzeptionen unten S. 98 ff, 109 f; dies. Jura 1980 S. 281 ff, 285 ff; Fn. 111. — Ohne aktuelle Vermeidbarkeit ist die ferner Montenbruck GA 1978 S. 225 ff, 238 f Tat im Rausch aber überhaupt keine tatbestands(Übernahme der Grenze von 1,3 Promille aus mäßige Handlung (a. A. Kusch Vollrausch S. 92, dem Straßenverkehrsrecht); ders. JR 1978 94, 100 ff und passim, wonach irgendwie willentS. 209 f; Horn JR 1980 S. 1 ff, 6. Eine „Verkehrsliches Verhalten hinreichen soll; inkonsequent fähigkeit" ist freilich von dem jeweiligen Lebensfreilich die Lösung zur Unterlassung, S. 111 ff, kreis abhängig und deshalb nicht absolut be116). Das ließe sich freilich überbrücken, indem stimmbar; siehe schon die Ausführungen oben auf ein hypothetisches Subjekt (der Täter ohne Fn. 109 gegen die Vermischung von Handlungs-

503

17. Abschn 61

2. Buch. 3. Kapitel. Schuld

2 a) Die N o r m des § 323 a StGB besteht auch bei unklarer Beweislage und bei sowieso tatentschlossenen Personen: Sie garantiert, daß nicht Konflikterledigung per Zurechnung unmöglich w i r d 1 1 2 . Diese Garantie ist nötig, weil beim Wegfall von Zurechnung nicht auf eine kognitive Erledigung ausgewichen werden kann (Prohibition ist nicht diskutabel). Damit Konflikte nicht überhaupt unerledigt bleiben müssen, wird dem Täter verboten, seinen Bestand als — voll oder doch vermindert 1 1 2 1 — zurechnungsfähiges Subjekt durch einen Rausch zu vernichten oder so stark zu beeinträchtigen, daß eine Vernichtung nicht auszuschließen ist. Ein sowieso, etwa wegen Geisteskrankheit, zurechnungsunfähiges Subjekt kann das Tatunrecht also nicht verwirklichen, w o h l aber ein Täter, bei dem die Alkoholisierung nur im Verein mit affektiver Erregung oder einem anderen Befund zur Zurechnungsunfähigkeit führt 1 1 2 ^. N u n wäre es freilich (was für sämtliche, nicht auf eine konkrete Gefahr abstellende Konzepte gilt) wegen der Ubiquität von Berauschungen unmöglich und wegen der typischen Harmlosigkeit auch unnötig, auf jeden Rausch mit Strafe zu reagieren. Deshalb wird ja auch überwiegend die Tat im Rausch als objektive Strafbarkeitsbedingung interpretiert. Aber diese Behandlung jeder Berauschung als nur in der Strafbarkeit limitiertes Unrecht geht am praktisch Möglichen und Notwendigen vorbei, da eine Berauschung in weitem Maß sozial toleriert — wenn auch nicht unbedingt gebilligt — wird. Es ist deshalb anzunehmen, daß das Gesetz nicht erst die Strafbarkeit, sondern schon das Unrecht durch die Tat im Rausch aufschiebend bedingt (nur-objektive Unrechtsbedingung, eingehend siehe oben 10/2). Erst die Drastik der Tat im Rausch erlaubt die Definition der Berauschung als Unrecht 1 1 2 0 . fähigkeit und Schuldfähigkeit. Gegen alle Gefährdungslösungen Neumann Zurechnung S. 57 ff. - Dencker ( N J W 1980, S. 2159 ff, 2164) will den Rauschbegriff an § 2 1 StGB binden (ebenso Forster und Rengier NJW 1986 S. 2869 ff, 2871), unter anderem, weil „geringere Grade einer Intoxikation nicht zu einer relevanten Schuldminderung f ü h r e n " sollen. Das ist aus zwei Gründen falsch: § 2 1 StGB behandelt nur die Schuldminderung, die durch Strafrahmenwechsel berücksichtigt werden kann, nicht aber die Minderung innerhalb des Regelstrafrahmens (siehe jetzt auch Dencker J Z 1984 S. 453 ff, 458 mit Fn. 54). Weiterhin ist selbst bei trunkenheitsbedingter Minderung der „Fähigkeit" die Schuld nicht jedenfalls gemindert, wie die bloße Kannmilderung beweist (siehe unten zur Zumutbarkeit 17/69 f f ) ; selbst eine erhebliche Minderung der „Fähigkeit" bringt also nicht notwendig eine Minderung (oder gar erhebliche Minderung) der Schuld. - Paeffgen ZStW 97 S. 514 ff, 530 ff, spaltet die N o r m in einen milderen Bereich des Verbots, sich zu berauschen (wobei de lege ferenda eine Promille-Grenze gesetzlich festgelegt werden soll, S. 526 ff), und einen strengeren, in dem die Fälle der seines Erachtens unzulässigen a.l.i.c. angesiedelt werden sollen. — Kusch Vollrausch S. 49, 53, stellt f ü r den Rauschbegriff auf die schwere Bewußtseinsstörung nach § 20 StGB ab, ohne freilich die Störung mit dem Verlust der Einsichts- oder Befolgungsfähigkeit zu verbinden; — eine vom Ziel des § 2 0 StGB isolierte Bewußtseinsstörung ist aber wohl nicht fixierbar.

504

— Weitere Konzepte : Als einen Fall von Erfolgshaftung versteht § 323 a StGB H. Mayer ZStW 59 S. 283 f f ; im Ergebnis auch Baumann ZStW 70 S. 227 ff, 244; — für mit dem Schuldprinzip unvereinbar hält die Vorschrift auch Arthur Kaufmann Schuldprinzip S. 144 ff, 247 ff, 251 f ; ders. JZ 1963 S. 425 ff, 433; - f ü r einen Fall von Risikohaftung Hardwig Eb. Schmidt-Festschrift S. 459 ff; ders. GA 1964 S. 140 ff; Schweikerl ZStW 70 S. 394 f f ; dazu Neumann Vorverschulden S. 118 ff; — dagegen Cramer Vollrauschtatbestand S. 19 ff; Puppe GA 1974 S. 98 ff, 103 f; die „Selbstberauschung" deuten als „Mantel, mit dem die Bestrafung der Rauschtat zugedeckt wird" („Ausnahme von der Regel des § 20 StGB") Hruschka A T S. 296 ff, 297; Neumann Zurechnung S. 58, 63 f, 125 ff und passim (siehe dazu auch oben 17/58). — Siehe ferner die Nachweise bei Schönke-Schröder-Cramer % 323a Rdn. a; Puppe aaO. 112 Ähnlich Maurach Schuld und· Verantwortung S. 117 f f ; ders. BT5 § 56 II A 2; eingeschränkt Maurach-Schroeder BT II § 94 I 3 ; wie hier Roxin Täterschaft S. 665; hauptsächlich auch Kindhäuser Gefährdung S. 326 ff; siehe auch Neumann Zurechnung S. 61; a. A. Cramer Vollrauschtatbestand S. 28 ff. 112a Siehe B G H StV 1984 S. 154 und S. 419. 112b B G H StV 1987 S. 246 f mit Anmerkung Neumann S. 247 ff. 112c £)¡ e Definition als Unrecht liegt um so näher, je drastischer die T a t im Rausch ausfällt — und umgekehrt. Deshalb beeinflußt die Tat im Rausch

Allgemeine Lehren

17. Abschn

b) Bei dieser Interpretation muß dasjenige, was die Möglichkeit von Zurechnung 6 2 gefährdet, seil, die Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit, nicht gewiß vorliegen, sondern es reicht, daß Zurechnungsunfähigkeit nicht auszuschließen ist, mag auch volle Schuldfähigkeit gleichfalls nicht auszuschließen s e i n 1 1 3 ; denn selbst bei einem nicht auszuschließenden Verlust der Zurechnungsfähigkeit ist eine Zurechnung der Tat im Rausch (von den Fällen der a.l.i.c. abgesehen) nicht möglich. Was ein Rausch ist, muß bei dieser Lage gleichfalls nach dem Schutzzweck der Vorschrift bestimmt werden. Erforderlich ist demnach nicht eine (Teil-)Enthemmung o. ä., sondern eine Einverleibung von Rauschmitteln in solcher Menge, daß — bei fortbestehender Handlungsfähigkeit — Zurechnungsunfähigkeit nicht auszuschließen ist, mag auch wiederum volle Schuldfähigkeit gleichfalls möglich bleiben 1 1 4 . Freilich erfaßt § 323 a StGB nach seinem Wortlaut nicht solche Taten, bei denen schon das Vorliegen eines Rauschs zweifelhaft ist; für den Täter, bei dem etwa schon die für einen Rausch hinreichende Einnahme v o n Alkohol nicht aufgeklärt werden kann, gilt die Beweisregelung der Vorschrift nicht. Diese Lösung ist sachgerecht 1 1 4 1 , da der Täter nur bei erheblichem Rauschmittelkonsum dafür zuständig wird, daß Zweifel an seiner Zurechnungsfähigkeit die Konflikterledigung nicht hindern. c) Die Ermöglichung v o n Zurechnung als Schutzzweck des § 323 a StGB ergibt für 63 den Zusammenhang von Vollrausch und Tat im Rausch — die wiederum ein Vollrausch sein kann: beim Kettentrinker 114 ' 5 — folgendes: Die Tat im Rausch muß nicht Folge der Berauschung sein, denn auch der sowieso Tatentschlossene verhindert durch Berauschung die Möglichkeit von Zurechnung, soweit nicht eine a.l.i.c. bleibt. Das ist bei gegebener Zurechnungsunfähigkeit zwar ohne Bedeutung; denn die Motivationslage beim Zurechnungsunfähigen ist nicht gleich derjenigen beim Zurechnungsfähigen minus Schuld, sondern per Definition in den Grundzügen andersartig, so daß auch der die Strafe f ü r die Berauschung (siehe § 323 a Abs. 2 StGB!); Einzelheiten sind sehr streitig; Nachweise bei Bruns Lackner-Festschrift S. 439 ff. 113 Zum Tatbestand gehört nicht irgendeine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit, sondern ein Rausch; zu dessen Definition, bei der die Annahme von Schuldunfähigkeit freilich eine Rolle spielt, siehe sogleich im Text. Zur Bestimmung des Rauschs als Taterfolg grundlegend Horn J R 1980 S. 1 ff, 2 f f ; SK-Horn § 323 a Rdn. 4 (zum Rauschbegriff der Rechtsprechung siehe B G H 26 S. 363 ff; B G H GA 1984 S. 124; O L G Köln VRS 68 (1985) S. 38 ff: kein Rausch, wenn volle Schuldfähigkeit möglich ist). Die verbreitete Formel, der Täter müsse sicher den Bereich des § 21 StGB erreicht oder den sicheren Bereich des § 21 StGB überschritten haben (gemeint ist, er müsse mindestens eine Beeinträchtigung nach $21 StGB, vielleicht aber mehr aufweisen; klarstellend B G H N J W 1989 S. 635 f) ( B G H 32 S. 48 ff, 55 ff; zuvor schon BayObLG J R 1980 S. 27 ff; B G H J R 1980 S. 32; B G H VRS 56 S. 447 ff; Dencker N J W 1980 S. 2159 ff, 2163; Hirsch Beiheft ZStW 1981 S. 2 ff, 19 ff; Ranft JA 1983 S. 193 ff, 198; Lackner Jescheck-Festschrift S. 645 ff, 663; Arzt-Weber BT Bd. II Rdn. 445; Forster und Rengier N J W 1986 S. 2869 ff, 2871 ; - enger O L G Karlsruhe J R 1980 S. 30 ff), kann

nicht befriedigen: Der qualitative Sprung liegt nicht beim Übergang von der Nüchternheit in den sicheren Bereich des S 21 StGB, sondern von der Zurechnungsfähigkeit in den der Zurechnungsunfähigkeit (siehe Paeffgen N S t Z 1985 S. 8 ff, 11 ff). Die Ungewißheit bezüglich dieses Übergangs hindert nach der n. F. (zur a. F. siehe B G H 9 S. 390 ff) die Anwendbarkeit der Vorschrift nicht. Alle anderen Grenzen sind nur quantitativ bestimmt. — Zur Behandlung anderer Rauschmittel als Alkohol siehe Gerchow Sarstedt-Festschrift S. 1 ff mit Nachweisen. 114 Tröndle Jescheck-Festschrift S. 665 ff, 676 ff; im Ergebnis ebenso Maurach-Schroeder BT II § 94 II 2; mit verfehlter Begründung Heiß N S t Z 1983 S. 67 ff, 69; dagegen Schuppner und Sippel N S t Z 1984 S. 67 ff. — Hiergegen wird vorgebracht, die Rauschmittelmenge sei nur „ein Indiz unter vielen . . . für die Frage der Schuld(un)fähigkeit" (Dencker J Z 1984 S. 453 ff, 458). Mehr als eine zurechenbare Bedingung dafür, daß § 20 StGB nicht auszuschließen ist, muß der Rausch aber auch nicht sein. U 4 * A. A. Scheme Blutalkohol 1983 S. 369 ff, 381 f f ; zur Wahlfeststellung siehe Tröndle JescheckFestschrift S. 684 ff. l ^ k Aber am Anfang der Kette muß eine zurechnungsfähige Person stehen; siehe oben 17/61.

505

17. A b s c h n

2. Buch. 3. Kapitel. Schuld

Tatvorsatz mit dem Beginn der Zurechnungsunfähigkeit andersartig, eben rauschbedingt, motiviert ist. Praktisch bedeutsam dürfte aber die Fallgestaltung sein, in der ein sowieso Tatentschlossener nach einem Rauschmittelgenuß, der die Zurechnungsfähigkeit höchstwahrscheinlich — aber eben nicht beweisbar — beläßt, die Tat vollzieht. Der Täter haftet f ü r den Vollrausch nur dann, wenn die T a t im Rausch durch Umstände ausgelöst wird, die in seinem Verantwortungsbereich liegen. Daran fehlt es absolut (gegenüber jedermann), wenn eine dritte Person den Berauschten in mittelbare Täterschaft begründender Weise zu einer T a t bringt. Auch bei Nichtanzeige geplanter Straftaten und bei unterlassener Hilfeleistung (§§ 138, 323 c StGB) ist der Täter nicht Garant f ü r die Konfliktlösung 1 1 4 c ; die genannten Delikte sind also keine geeigneten Unrechtsbedingungen des Vollrauschs 1 1 4 c l . — Die Zuständigkeit fehlt relativ (seil, im Verhältnis zum Angreifer), wenn der Berauschte rechtswidrig und schuldhaft angegriffen wird und die Abwehr rauschbedingt überzieht 1 1 5 .

C. Actio libera in causa (a.l.i.c.) : Die causa libera als Tathandlung 64

1. Der Täter kann sich als mittelbarer Täter selbst zum Werkzeug machen, indem er sich verantwortlich in eine Lage versetzt, die seine Zurechnungsfähigkeit ausschließt und in der er dann eine zuvor erkannte oder erkennbare rechtswidrige Tat begeht. Anders als im Grundfall der mittelbaren Täterschaft, bei dem die Zuständigkeit des mittelbaren Täters f ü r jeden Umstand ausreicht, der die Schuld des Werkzeugs ausschließt, ist bei der a.l.i.c. die Beseitigung gerade der Zurechnungsfähigkeit notwendig; die Verursachung einer Lage an sich ausgeschlossener Zumutbarkeit reicht nicht. Das hat folgenden G r u n d : Beim Grundfall der mittelbaren Täterschaft gibt der mittelbare Täter nach der „Präparierung" des Werkzeugs dieses als ein jedenfalls im Ergebnis schuldloses Werkzeug aus der H a n d . Benutzt sich der Täter aber selbst als Werkzeug, so behält er sich in der H a n d , solange die Kontinuität seiner Motivation erhalten bleibt — er also nicht zurechnungsunfähig wird —, und er behält sich als Verantwortlicher in der H a n d , solange der f ü r ihn geltende Maßstab proportional zu den sich einstellenden Motivationsbelastungen verschärft wird, also im gesamten Bereich der an sich (d. h. ohne Blick auf die Verschärfung des Maßstabs) gegebenen Unzumutbarkeit. — Praktisch relevant sind seit j e h e r 1 1 6 einzig die Fälle, in denen sich der Täter mit Rauschmitteln, insbesondere Alkohol, um seine Zurechnungsfähigkeit bringt. 114c

U4d

506

O b § 142 StGB auch denjenigen Unfallbeteiligten zum Garanten für die Feststellung definiert, der kein Sonderrisiko beansprucht, sich insbesondere verkehrsrichtig verhalten hat, ist zumindest zweifelhaft. Soweit eine Garantenstellung besteht, ist unklar, ob eine H a f t u n g nach §§ 323 a, 142 Abs. 1 StGB mit einer H a f t u n g nach § 142 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 StGB zusammentreffen kann; dagegen (und f ü r die alleinige Anwendung der §§ 323 a, 142 Abs. 1 StGB) BayObLG N J W 1989 S. 1685 f (mit Anmerkung Keller J R 1989 S. 343 f); Küper N J W 1990 S. 209 ff, 213 f; im Ergebnis auch Paeffgen N S t Z 1990 S. 365 ff, jeweils mit N a c h weisen. Sehr streitig; a. A. Streng J Z 1984 S. 114 ff (der von seiner Annahme aus, der Berauschte bleibe „tauglicher Adressat für Schuldzuschreibungen", a a O S. 119, auf die Regelung des Vollrauschs in § 323 a StGB zugunsten der Anwendung der Zumutbarkeitsregeln verzichten könnte, siehe unten 17/69 ff; 18/5, 14 ff, 34) mit umfassenden Nach-

weisen; differenzierend Ranft JA 1983 S. 193 ff, 239 ff, 241. Π5 Verfehlt B G H N J W 1980 S. 1806 f (ein Berauschter greift an, wird überraschend abgewehrt und reagiert darauf mit einem Versuch, den Abwehrenden zu töten) : Die Entscheidung stellt auf die Voraussehbarkeit der Abwehr des Angriffs ab, den der Berauschte führt, statt auf die Zuständigkeit des Berauschten für den Angriff. — Wirken bei der Aufhebung der Schuldfähigkeit das berausehende Mittel und affektive Erregung zusammen, so haftet der Täter nur, wenn er zur Vermeidung dieses Zusammenwirkens zuständig ist (weitergehend B G H N S t Z 1982 S. 116: Voraussehbarkeit soll hinreichen). 116 Das ehemals viel erörterte Beispiel, daß eine Mutter einen Säugling im Schlaf erdrückt, betrifft den Verlust der Handlungsfähigkeit und gehört deshalb zur Handlungslehre; siehe schon oben 17/Fn. 106.

Allgemeine Lehren

17. Abschn

2. Die a.l.i.c. 1 1 7 hat folgende Voraussetzungen 1 1 8 : a) Die — ihrerseits vorsätzliche oder fahrlässige 1 1 8 a — Tat im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit muß v o m Täter erkannt (Vorsatz) oder ihm erkennbar (Fahrlässigkeit) sein, und zwar mit derjenigen Genauigkeit, die ansonsten bei Beteiligung an der Tat eines anderen gefordert wird 1 1 9 . Ansonsten würde zur Tatzeit (zur Zeit der causa libera) der subjektive Tatbestand fehlen. b) D a der Täter einer Vorsatztat (a) die Tatbestandsverwirklichung und (b) seine Tatherrschaft kennen muß, liegt eine vorsätzliche a.l.i.c. nur dann vor, wenn der Täter 117 Detailliener Bericht der Dogmen- und Gesetzge1980 S. 346 ff, 348; Roxin Lackner-Festschrift bungsgeschichte bei Hettinger actio S. 57 bis 435; S. 307 ff, 320; Schmidhäuser AT 10/25; Schönkeeinzelne Nachweise bei Hruschka SchwZStr. 90 Schröder-Lenckner §20 Rdn. 36; SK-Rudolphi (1974) S. 48 ff, 55 ff; ders. A T S. 343 ff; den. §20 Rdn. 30; Schünemann in: Strafrecht ZStW 96 S. 661 ff. - Zur Vergleichbarkeit von S. 149 ff, 170 ff; — im Ergebnis (ein Wissen um actio libera in causa und actio illicita in causa den Defekt und seine Einbeziehung in den T a t (dazu 21/84) Küper Notstand S. 70 ff, 80 ff. plan soll unerläßlich aber auch ausreichend sein) 118 Einzelheiten sind höchst streitig. Ein Extrem bilferner Krause H . Mayer-Festschrift S. 305 ff, 312 det die Ansicht von Hruschka SchwZStr. 90 (teils zu Unrecht für die Gegenmeinung rekla(1974) S. 48 ff; den. JuS 1968 S. 554 ff.; ders. JZ miert); ders. Jura 1980 S. 169 ff, 174. - Für die 1989 S. 310 ff; ders. AT S. 39 ff, 43, 294, 327 und letztere Ansicht (außer Hruschka aaO) Cramer passim, wonach die obliegenheitswidrig herbeigeVollrauschtatbestand S.132; ders. JZ 1968 führte Zurechnungsunfähigkeit Surrogat für ZuS. 273 ff, 274; Maurach JuS 1961 S. 373 ff, 376; rechnungsfähigkeit sein soll; ebenso Joerden Maurach-Zipf AT § 36 Rdn. 57 ff; Stratenwerth Strukturen S. 35 ff, 45 f. Sachlich entsprechend Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 485 ff, Neumann Zurechnung S. 25 ff, 269 ff, der wegen 495 ff. - Nach Paeffgen ZStW 97 S. 513 ff, 518 der vorangegangenen causa libera dem Täter die soll das Verständnis der a.l.i.c. als mittelbare T ä Berufung auf den Schuldausschluß versagen will; terschaft (wie es hier erfolgt) unzulässig sein, da den. ZStW 99 S. 567 ff, 574 ff; Küper Leferenzder Täter „eigenhändig" handele und dafür allein Festschrift S. 573 ff; 591 f (Unrecht soll erst die die 1. Variante von § 25 Abs. 1 StGB gelte. SachDefekttat sein); Otto Jura 1986 S. 426 ff, 431; lich dasselbe formuliert Hettinger dahin, die H e r Jescheck AT § 40 VI; Burkhardt in: Kolloquium beiführung der Zurechnungsunfähigkeit könne S. 147 ff, 171 ff. Diese Lösung paßt nur auf Fälle — auch jenseits eigenhändiger Delikte — keine von Unzumutbarkeit, nicht aber auf Fälle von Tathandlung sein (actio S. 436 ff, 450 ff; GA Zurechnungsunfähigkeit, da es bei letzteren an 1989 S. 1 ff, 13 ff) ; der früheste Zeitpunkt für Zueiner rechtlich hinreichenden Kontinuität der rechnung sei derjenige, in dem sich der Täter zur Tatmotivation fehlt. — Ein „AusdehnungsmoVornahme des unerlaubt riskanten Verhaltens dell" (die Defektherbeiführung als Vorbereitung entschließe (dann ist er aber schon zurechnungsist Teil der Tat, wenn mindestens das Versuchsunfähig). Es ist jedoch nicht einzusehen, weshalb stadium erreicht wird) entwirft Streng ZStW 101 der Täter für seine eigene Harmlosigkeit weniger S. 273 ff, 310 ff. — Die Gegenposition (unter Garant sein soll als für diejenige eines anderen denjenigen, die a.l.i.c. überhaupt anerkennen) menschlichen oder tierischen oder mechanischen vertritt Horn CA 1969 S. 289 ff; SK-Hom § 323 a Werkzeugs. Zudem: Wäre die Verneinung der Rdn. 28 ff, der die a.l.i.c. für einen Sonderfall der Tatvorverlagerung richtig, entstünde trotzdem im allgemeinen Regeln, seil, der Versuchsregeln, letztmöglichen Zeitpunkt, in dem der Täter den hält. Da Horn jedoch bei der Bestimmung des Schaden verantwortlich verhüten kann, eine H a f Versuchsbeginns berücksichtigt, daß der Täter tung, und zwar eine Unterlassungshaftung aus sich als verantwortliche Person „entläßt", sind Ingerenz (was regelmäßig übersehen wird; insoseine Ergebnisse von den hiesigen (a.l.i.c. als Sonweit zutreffend aber Behrendt Affekt S. 77 ff). derfall mittelbarer Täterschaft) nicht prinzipiell Dieser Flucht in die Unterlassung bedarf es jeunterschieden. Zu Horn eingehend Hettinger acdoch nicht; denn das Entlassen aus der H e r r tio S. 364 ff. — Unter den Lehren, die zwischen schaft ist die Tat. — Zur eigenen Stellungnahme den Extremen stehen, ist streitig, ob bei vorsätzlisiehe den Text; zur abweichenden Lösung bei cher a.l.i.c. auch der Verlust der ZurechnungsfäUnzumutbarkeit siehe unten 17/79. higkeit vorsätzlich geschehen muß (Lösung nach 118a Bei Unvermeidbarkeit zum Zeitpunkt der Zuallgemeinen Regeln) oder nicht (Lösung nach den rechnungsunfähigkeit handelt der Täter überRegeln der Unzumutbarkeit). Für die erstere Anhaupt nur als Zurechnungsfähiger: Das Problem sicht siehe RG 73 S. 177 ff, 182; BGH 2 S. 15 ff, der Erzeugung schuldlosen Handelns entfällt. 17; 17 S. 260 ff, 262; 17 S. 333 ff, 335; BGH VRS 119 Siehe dazu B G H 21 S. 381 ff; OLG Schleswig 23 S. 212 ff, 213; (offengelassen in BGH 21 NStZ 1986 S. 511 f. S. 281 ff); Oehler J Z 1970 S. 380 ff; Puppe JuS

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2. Buch. 3. Kapitel. Schuld

sowohl (a) das (seinerseits vorsätzliche oder im Grenzfall auch fahrlässige) Verhalten kennt, das er als Zurechnungsunfähiger vollziehen wird, als auch (b) seinen Verlust der Zurechnungsfähigkeit (wobei zur Kenntnis insoweit eine laienhafte Parallelbeurteilung hinreicht). Unkenntnis des Verlustes der Zurechnungsfähigkeit schließt vorsätzliche a.l.i.c. ebenso aus wie Unkenntnis des kommenden Verhaltens. Von praktischer Bedeutung dürften Fälle sein, in denen der Täter erkennt, daß er zu Ausschreitungen neigt, jedenfalls im T r u n k . Dagegen ist zweifelhaft, ob es Fälle gibt, in denen der Täter bestimmte Pläne hegt, durch Betrinken die Hemmungen davor beseitigt, aber die sonstige Motivationslage nicht tangiert, insbesondere die Pläne unverändert beibehält 1 1 9 a . 67

c) Der Täter muß alle Täterschaftsmerkmale 1 2 0 aktuell aufweisen, insbesondere zur Täterschaft erforderliche Absichten und Tendenzen. Beispiel: Betrinkt sich der Täter, dabei resignierend bedenkend, daß er sich in Volltrunkenheit nicht wird vor einem Diebstahl zurückhalten können, so liegt mangels aktueller Zueignungsabsicht kein täterschaftlicher Diebstahl in a.l.i.c. vor. Bei — sachlich oder formulierungsmäßig — eigenhändigen Delikten scheidet Täterschaft in a.l.i.c. zwingend aus, da das Verhalten, durch das sich der Täter zum Werkzeug macht, per Definition nicht-eigenhändige Tatbegehung ist. Das ist für die (formulierungsmäßig) eigenhändige Trunkenheitsfahrt im Verkehr (§316 StGB) praktisch bedeutsam: W e r sich bis zur Zurechnungsunfähigkeit in Kenntnis seiner kommenden Trunkenheitsfahrt betrinkt, haftet nicht wegen des Betrinkens nach § 316 StGB in täterschaftlicher a.l.i.c. 1 2 1 . Soweit eine a.l.i.c. mangels Tätermerkmals oder Eigenhändigkeit ausscheidet, bleibt freilich nicht nur eine H a f t u n g wegen Vollrauschs (§ 323 a StGB); vielmehr ist die Ermöglichung der T a t in der Zurechnungsunfähigkeit Teilnahme (§§ 26 ff einschließlich § 28 StGB) an eben dieser eigenen Tat, so wie mittelbare „Täterschaft" bei mangelnder Täterqualifikation oder mangelnder Eigenhändigkeit des mittelbaren Urhebers zur Teilnahme w i r d , 2 1 a .

68

3. Sind die genannten Voraussetzungen gegeben, so ist die Beseitigung der Zurechnungsfähigkeit die Tathandlung. Das Erfordernis der Beziehung der Schuld auf den Tatzeitpunkt bleibt also unangetastet 1 2 2 . Die teils vorgebrachten Bedenken, das Trinken von Alkohol o. ä. könne nicht die Tathandlung von Körperverletzung, Sachbeschädigung etc. sein, gehen daran vorbei, daß der Zurechnungsunfähige nur noch Werkzeug ist und seine T a t — wie bei der mittelbaren Täterschaft — deshalb von der T a t des Überlegenen zu trennen ist. — Der Versuchsbeginn richtet sich nach den Regeln des Versuchsbeginns bei mittelbarer Täterschaft (unten 21/105), d. h. mit dem U 9 a Wenn der Täter völlig enthemmt ist (§20!), warum faßt er keine anderen, vielleicht noch weiterreichenden Pläne etc.? Mit anderen Worten, die Kontinuität der Planung spricht f ü r eine Kontinuität der Beherrschung durch ein Subjekt. Es dürfte also in solchen Fällen nicht um actio libera in causa, sondern um verschärfte Zumutbarkeit gehen (unten 18/14 ff). — Oer praktische Beginn der Anwendung des § 20 StGB ist in dubio pro reo früh anzusetzen. Bei actio libera in causa ist er in dubio p r o reo spät anzusetzen. Eine praktisch exakte Lösung müßte also in sehr zahlreichen Fällen Wahlfeststellung zwischen actio libera in causa und verschärfter Zumutbarkeit annehmen. Es ist auch zu prüfen, ob nicht eine Erschwerung bei der Anwendung des § 20 StGB auf Delikte in Trunkenheit in Betracht kommt, was

508

120

121

121a 122

im Blick auf die ältere Rechtsprechung (dazu von Weber Stock-Festschrift S. 59 ff, 63; siehe auch Krümpelmann ZStW 99 S. 191 ff, 195 ff) naheliegt. Das Problem wird selten näher ausgeführt; siehe aber Horn GA 1961 S. 289 ff, 302 ff; SK-Hom § 323 a Rdn. 30 f; Hmschka JuS 1968 S. 554 ff, 556; Küper Leferenz-Festschrift S. 573 ff, 580 f; Hettinger actio passim. Roxin Lackner-Festschrift S. 307 ff, 317 f; Hettinger actio S. 436 ff, 450 ff; ders. GA 1989 S. 1 ff, 12 f; a. A. wohl O L G Hamm N J W 1984 S. 137 a. E.; Ranft Forensia 1986 S. 59 ff, 68 f ; zu Hmschka siehe oben 17/Fn. 118. Dagegen Hettinger actio S. 427. Streitig; siehe die Angaben oben 17/Fn. 118.

Allgemeine Lehren

17. Abschn

Vollzug des letzten Akts, der zur Herbeiführung der Zurechnungsunfähigkeit erforderlich ist, liegt beendeter Versuch v o r 1 2 3 . Tritt· der Täter im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit zurück, so befreit ihn das nur dann von dem zurechnungsfähig begonnenen Versuch, wenn der Grund des Rücktritts beim Verlust der Zurechnungsfähigkeit vorbehalten worden war. Ansonsten ist das per Definition unverantwortliche Rücktrittsverhalten des Zurechnungsunfähigen keine freiwillige Leistung des T ä t e r s 1 2 3 a . Befindet sich der Täter noch als Zurechnungsfähiger bereits im Versuchsstadium, wird dann zurechnungsunfähig (etwa durch eine plötzliche psychotische Veränderung) und beendet den Versuch als Zurechnungsunfähiger, so wird verbreitet angenommen, der Täter hafte ohne Blick auf die Voraussetzungen der a.l.i.c. schon bei „adäquater" Abweichung 1 2 4 . Soweit aber der Täter den Verlust der Zurechnungsfähigkeit nicht kennt und beherrscht, fehlt es an der vorsätzlichen Steuerung einer Tatbedingung, und Vollendung einer Vorsatztat scheidet aus (eingehender oben zur Vorsatzlehre 8/76). Soweit der Täter freilich nicht die Zurechnungsfähigkeit verliert, sondern in einen Zustand an sich ausgeschlossener Zumutbarkeit gerät (etwa in einen Affekt in Gestalt eines „Blutrauschs"), bleibt die Zurechnung nach den f ü r die Grenze von Zumutbarkeit und Unzumutbarkeit geltenden Regeln möglich 1 2 5 .

D. Zu verantwortende Erschwerung der Normbefolgung : Zumutbarkeit 1. Zumutbarkeit als Zuständigkeit a) Bei der Zumutbarkeit 1 2 5 a geht es — anders als bei der a.l.i.c. im engeren Sinn — 6 9 nicht darum, die T a t in ein Stadium der Zurechnungsfähigkeit vorzuverlegen. Vielmehr bleibt der Täter zurechnungsfähig, wenn auch die Normbefolgung bei psychologisierender Betrachtung erschwert ist (oder als erschwert präsumiert wird). Das Maß an Berücksichtigung dieser Erschwerung, von der Nichtberücksichtigung mit der Folge voller Schuld bis zur vollen Anrechnung der Erschwerung, gegebenenfalls 1 2 6 bis zur vollen Entschuldigung, richtet sich nach dem anzulegenden Maßstab, und dieser hängt wiederum davon ab, ob und wieweit der Täter f ü r die Bedingungen der Erschwerung zuständig ist oder diese Bedingungen anderen Systemen zugerechnet oder als Zufall erledigt werden können. Die Zuständigkeit kann eine Folge des Vorverhaltens des Täters sein (dann geht es um a.l.i.c. im weiteren Sinne) oder vom Vorverhalten unabhängiger Sonderpflichten 1 2 7 . 123

123a

124

125 125a 126

Roxin Lackner-Festschrift S. 307 ff, 315 f; a. A. Schönke-Schröder-Lenckner § 20 Rdn. 35 ; LKVogler § 2 2 Rdn. 105 ff, 107; Küper LeferenzFestschrift S. 573 ff, 588 ff; Wolter LeferenzFestschrift S. 545 ff, 556; auch Jescheck AT § 40 V I 2. Gegen die hiesige Lösung Hettinger actio S. 417 ff; großzügiger Rücktritt zulassend Roxin Lackner-Festschrift S. 307 ff, 319; kritisch Neumann Zurechnung S. 39. B G H 7 S. 326 ff, 329; 23 S. 133 ff, 136; 23 S. 356 ff, 358; Puppe JuS 1980 S. 346 ff, 347; Jescheck AT § 40 V I 1 Fn. 69. Geilen Maurach-Festschrift S. 173 ff, 194 f. Zum folgenden Text siehe Jakobs in: Handlungsanalyse S. 21 ff, 27 ff. Die volle Berücksichtigung ergibt nicht stets volle Entschuldigung, seil, nicht bei Erschwerungen,

die vom Gesetzgeber generell als nicht existentiell bedeutsam präsumiert werden, siehe die §§213, 217 StGB. 127 Für Fälle, in denen der Täter sich oder einen Angehörigen der Bestrafung oder Maßregelung entzieht, gibt es gesetzliche Sonderregeln zur Verbindung zwischen Unzumutbarkeit und Zuständigkeit, die in erweitertem Maß z u r Straffreiheit oder Strafreduzierung f ü h r e n : §§ 157 Abs. 1, 258 Abs. 5, 6, auch 139 Abs. 3 StGB. U m f a n g und Begründung sind streitig; jedenfalls gelten die Sonderregeln nur für die Handlungen, für die sie benannt sind (BGH 2 S. 375 ff, 378; 15 S. 53 ff, 54). Beispiel: Die T ö t u n g zur Verdeckung einer eigenen Straftat geschieht nicht wegen U n z u m u t barkeit anderen Verhaltens schuldlos, sondern ist qualifizierte T ö t u n g (§211 Abs. 2, 3. Fallgruppe StGB), obgleich das Verhalten in seiner Eigen-

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2. Buch. 3. Kapitel. Schuld

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D a ß es um die Bestimmung eines Maßstabs geht, ist im Gesetz teils nicht einmal angedeutet, so nicht bei demjenigen Bereich des § 20 StGB, der die Unzumutbarkeit und nicht die — sowieso maßstabsunabhängige — Zurechnungsunfähigkeit betrifft; teils wird immerhin das Ergebnis des Maßstabs bezeichnet, ζ. B. bei der Ausgestaltung der Rechtsfolge des § 21 StGB als Xannmilderung; teils ergibt sich ein Anhalt für die Bestimmung des Maßstabs aus dem Wortlaut, so bei der „Verursachung" und bei der Hinnahmepflicht der Gefahr in § 35 StGB oder bei der „Verschuldung" in § 213 StGB. Auch wird das Maß der Wirkung einer psychischen Belastung in einzelnen Vorschriften präsumiert, so im Grundfall des § 35 StGB, ferner bei § 33 StGB und § 217 StGB, wobei die Präsumtion sich auf partielle Exkulpation beschränken und implizit eine weitergehende Berücksichtigung der psychischen Belastung ausschließen kann (§217 StGB).

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Der anzulegende Maßstab richtet sich nach dem Grund, aus dem der Täter in eine Lage geraten ist, in der bei psychologisierender Betrachtung Normbefolgung erschwert ist. Die Zuständigkeit des Täters f ü r den Grund der Erschwerung kann sich zunächst — unabhängig von allem Vorverhalten — aus den Bestandsbedingungen von Institutionen ergeben: Kann eine notwendige Institution nur garantiert werden, wenn die mit ihr verbundenen Erschwerungen der Normbefolgung nicht berücksichtigt werden, so werden die Erschwerungen als Angelegenheit des jeweiligen Täters definiert. Das betrifft hauptsächlich Gefahrtragungspflichten im Rahmen eines an sich entschuldigenden Notstands. Praktisch wichtige Beispiele sind die Zumutungen, sich aus Straf- oder Untersuchungshaft nicht gewaltsam zu befreien und als Soldat nicht bei Lebensgefahr zu fliehen (eingehend unten 20/12 ff). — Im hiesigen Zusammenhang der Bestimmung des Schuldzeitpunkts geht es um eine Zuständigkeit des Täters wegen seines Vorverhaltens.

72

b aa) Das Zuständigkeit begründende Verhalten bezeichnet das Gesetz teils — zu weit — als Verursachen 1 2 8 (§35 StGB), teils — zu eng — als Verschulden 1 2 9 (§213 StGB). Es geht darum, daß bei einer Erschwerung der Rechtsbefolgung eine Enttäuschung unumgänglich ist: Entweder muß dem Täter die Berufung auf die Erschwerung oder dem O p f e r die Garantie der normativen Erwartung gegenüber dem Täter versagt werden. Bei dieser Lage kann die Zuständigkeit überhaupt nur mit Blick auf die mögliche Zuständigkeit anderer Personen, insbesondere des Opfers selbst, ermittelt werden 13 °. Die Zuständigkeit darf nicht allein damit begründet werden, daß die Situation erschwerter Normbefolgung f ü r den Täter vermeidbar w a r ; denn der Täter mag gute G r ü n d e gehabt haben, die Situation nicht zu vermeiden, während das Opfer solche Gründe nicht hatte. Beispiel : Der Täter des Totschlags, der vom späteren Opfer immer wieder beleidigt wird, hat eine auf G r u n d der Beleidigungen entstehende Affektsituation nicht zu verantworten, wenn er den Beleidigungen hätte entkommen können, aber nur um den Preis der Vermeidung sozialer Kontakte, die zu nutzen er ein Recht hatte. In der U m k e h r u n g entfällt die Zuständigkeit nicht schon, wenn der Täter nicht vorausschaft als Strafvereitelung zu eigenen Gunsten straffrei (tatbestandslos) ist. — Zum Ganzen siehe Ulsenheimer GA 1972 S. 1 ff, 22 ff mit weiteren Nachweisen. Bei § 35 StGB soll freilich ein Verursachen hinreichen nach Baumann-Weber AT 5 29 II 2 b; siehe auch Stree in: Einführung S. 34 ff, 58 f; Blei JA 1975 S. 307 ff. Für ein Abstellen auf Verschulden bei § 35 StGB freilich Schönke-Schröder-Lenckner § 35 Rdn. 20, für den die Verursachungsklausel deshalb im Er-

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gebnis nur dazu führt, daß auch eine fahrlässige, schuldhafte a.l.i.c. eine Strafe wegen Vorsatztat — wegen Zumutbarkeit bei der vorsätzlichen Durchführung der Tat — nach sich zieht; OLG H a m m J Z 1976 S. 610 ff, 612. 130 Die relevanten Aspekte entsprechen denjenigen bei der Ermittlung von Rettungspflichten kraft Organisationszuständigkeit beim Unterlassungsdelikt; so zutreffend SK-Rudolphi § 35 Rdn. 15; siehe unten 29/38 ff.

Allgemeine Lehren

17. Abschn

sehen konnte, daß es in einer von ihm geschaffenen Situation zur Lage einer erschwerten Normbefolgung kommen würde; denn das O p f e r mag gegenüber dem Täter einen Anspruch haben, auch vor den Folgen nicht voraussehbar erschwerter Normbefolgung verschont zu bleiben. Beispiel: Wer in ein H a u s eindringt, um zu stehlen, und beim Auftauchen eines Bewohners in affektivem Besonnenheitsverlust diesen erschlägt, ist für seine Lage auch dann zuständig, wenn er eine Störung seines Diebstahls nicht voraussehen konnte. bb) Die Zuständigkeit oder Unzuständigkeit kann auch nur relativ bestehen, seil. 73 wenn die Stufung zwischen Täter und O p f e r nicht derjenigen des Täters zu anderen Personen entspricht. Beispiel: Partiell entschuldigt ist, wer nach „unverschuldeter" Reizung zum Zorn durch eine Beleidigung den Beleidiger tötet, nicht aber, wer eine diesem nahestehende Person tötet, mag auch der durch die Beleidigung verursachte Besonnenheitsverlust jeweils gleich sein. cc) Abstrakt gesprochen geht es darum, aus wessen Organisationskreis das Risiko 74 einer Erschwerung der Normbefolgung stammt. Wenn die Erschwerung Konsequenz eines rechtswidrigen Verhaltens des Opfers ist, ist der Täter nicht d a f ü r zuständig und der f ü r ihn geltende Maßstab nicht strenger zu gestalten. Der Täter ist aber mit der Folge eines strengeren Maßstabs zuständig, wenn die Erschwerung Konsequenz seines rechtswidrigen Verhaltens ist 1 3 1 , was heißt, entweder Konsequenz speziell des mit dem rechtswidrigen Verhalten beanspruchten Sonderrisikos (verbotenes Rauchen im Wald führt zum Waldbrand, aus dem sich der Täter nur auf Kosten eines Unbeteiligten retten kann, zu § 35 StGB) oder Konsequenz speziell der Rechtswidrigkeit des Verhaltens (der bei einer rechtswidrigen T a t Ertappte will der Freiheitsstrafe durch T ö t u n g des Entdeckers entkommen, zu § 35 StGB); bei einer Verursachung bloß anläßlich rechtswidrigen Verhaltens wird der Verursacher nicht f ü r die Gefahr zuständig 1 3 1 2 (beim verbotenen Fischen fällt der Täter per Unglück in den Teich etc.). Neben die Zuständigkeitsbegründung durch rechtswidriges Verhalten tritt eine solche durch Übernahme. Beispiel : Mehrere Personen wagen ein gefährliches Unternehmen nur im Blick auf die auch bei Lebensgefahr für den Helfenden gegenseitig zugesicherte Hilfe. Schließlich stammt das Risiko auch dann aus dem Organisationskreis des Verursachers, wenn dieser ohne positiv zu bewertenden Anlaß Sonderrechte in Anspruch nimmt und dadurch das Risiko hervorruft. Beispiele sind die Einnahme von Alkohol oder von sonst medizinisch nicht indizierten Rauschmitteln oder überhaupt die Provokation von Gefahren ohne vernünftigen Grund (etwa eine Segelpartie ohne Sicherungsmaßnahmen trotz drohenden Gewitters; — siehe unten zu § 35 StGB 20/16 f). Die Motivationserschwerung muß freilich spezifisch aus der Rechtswidrigkeit oder aus dem Sonderrisiko folgen. W ü r d e das Verhalten als rechtmäßiges oder nicht besonders riskantes Verhalten dieselbe Erschwerung bringen, fehlt es an diesem Zusammenhang. 151 So bei § 3 5 StGB die überwiegende Lehre: Der Täter müsse „pflichtwidrig" gehandelt haben, wobei freilich unter Pflichtwidrigkeit tendenziell eine objektive Voraussehbarkeit verstanden wird; ]escheck A T § 44 III 2 a; Wessels A T § 10 VII 1 ; SK-Rudolphi § 35 Rdn. 15; Blei A T § 61 II 1 a; Maurach-Zipf A T 1 § 34 Rdn. 3 f f ; so auch B G H R O W 1958 S. 33 f, 34. Enger („objektiv pflichtwidrig und subjektiv vorsätzlich bzw. fahrlässig") Schönke-Schröder-Lenckner § 35 Rdn. 20. — Klarer entschied das Reichsgericht, das bei Voraussehbarkeit der Konfliktlage N o t stand nicht ausgeschlossen hat, wenn das Verhal-

ten rechtmäßig war (RG 36 S. 334 ff, 340 : Ehegattenbeischlaf f ü h r t zur Notwendigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs wegen medizinischer Indikation, seinerzeit noch nicht als rechtfertigender Notstand erfaßt) und bei rechtswidrigem Verhalten auf Voraussehbarkeit nicht abgestellt hat (RG 54 S. 338 ff, 340 f ; 72 S. 19 f : deliktisches Verhalten, um der Anzeige wegen eines früheren Delikts zu entkommen; ferner R G 72 S. 246 ff, 249). — Siehe auch Jakobs Schuld und Prävention S. 22 f. 131a Streitig; Neumann Zurechnung S. 230, 233 mit Fn. 92 mit Nachweisen.

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2. Buch. 3. Kapitel. Schuld

Beispiele: Wer mit einem gestohlenen Boot aufs Wasser fährt und verunglückt, ist ohne Blick auf die Rechtswidrigkeit seines Handelns entschuldigt, wenn er sich auf Kosten eines anderen aus Lebensgefahr rettet, nicht aber, wer in einem wegen der Gefährlichkeit gesperrten Flußabschnitt badet. — Wer bei verbotenem Glücksspiel in einen Affekt gerät, ist so zu behandeln, wie er es bei Erlaubnis des Spiels wäre. 2. Unterschiedliche Zuständigkeit des Täters und des Tatbegünstigten 75

Schwierig ist die Entscheidung in denjenigen Fällen, in denen die Person, die den Konflikt löst, und diejenige, zu deren Gunsten er — zumindest — auch gelöst wird, nicht beide für den Konflikt zuständig oder nicht beide dafür unzuständig sind. Solche Fallgestaltungen sind bei Notwehrüberschreitung (§ 33 StGB) und beim entschuldigenden Notstand (§35 StGB) möglich. a) Bei der Notwehrüberschreitung bleibt das Verhalten des Abwehrenden rechtswidrig. Deshalb behält der Angreifer die Rechte aus defensivem Notstand. Mehr Rechte hat aber auch ein — am Angriff nicht beteiligter — Helfer des Angreifers nicht; denn auch er muß respektieren, daß die an sich gegebene Schuld des Angegriffenen im Verhältnis zum Angreifer nicht zählt. b) Beim entschuldigenden Notstand trifft eine Zuständigkeit kraft institutionellen Zwangs jedermann. Das läßt sich nicht damit begründen, daß jedermann in einem besonderen Rechtsverhältnis steht, sondern nur mit der absoluten, d. h. von jedermann zu respektierenden Wirkung dieses Verhältnisses. Beispiel: Die Angehörigen des Untersuchungshäftlings sind nicht entschuldigt, wenn sie diesen gewaltsam befreien 1 3 2 . — Bei der Zuständigkeit wegen des Vorverhaltens liegt das nicht anders : Das Vorverhalten ist nur eine besondere Begründungsmöglichkeit für eine Sonderpflicht (im weiteren Sinn). Deshalb handelt der dem „Verursacher" nahestehende Helfer nicht entschuldigt. Zwar ist der Helfer selbst für den Konflikt nicht zuständig; sein eigener Konflikt entsteht jedoch nur vermittelt über die Notlage des Verursachers und deshalb von vornherein mit dessen Zuständigkeit belastet. Die Nachsicht mit dem Solidarischen kann nicht weiter gehen, als der in N o t Befindliche Solidarität verdient. Aber auch der Zuständige, der einer nahestehenden, ihrerseits nicht zuständigen Person solidarisch hilft, ist seiner eigenen Zuständigkeit wegen nicht entschuldigt; denn dann hat er seiner eigenen Person wegen keine Nachsicht verdient. Im Ergebnis müssen also sowohl der Helfende als auch der Empfänger von Hilfe nicht zuständig sein, wenn der Helfende entschuldigt werden soll 1 3 3 .

132 Schönke-Schröder-Lenckner § 35 Rdn. 28 f. 133 Der Gesetzgeber hat die Frage — entgegen der Ansicht der Gesetzesverfasser (BT-Drucksache V/4095 S. 16) — nicht etwa dahin entschieden, daß es allein auf die Zuständigkeit des Notstandstäters ankommt; denn bei einer solchen Auslegung müßte es auch bezüglich des besonderen Rechtsverhältnisses allein auf den Täter ankommen; daß freilich die Gesetzesverfasser die Angehörigen von Untersuchungsgefangenen, Strafgefangenen, Soldaten etc. entschuldigen wollten, wenn diese die Sonderverpflichteten aus ihrer N o t befreien, ist ausgeschlossen. Die überwiegende Ansicht sieht weder den sprachlich-grammatikalischen noch den sachlichen Zusammenhang von Sonderpflicht und „Verursachung" und

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entscheidet deshalb teils, es komme auf die Person des Notstandstäters an (Maurach-Zipf A T I 534 Rdn. 6; Schönke-Schröder-Lenckner §35 Rdn. 20; im Ansatz auch Neumann Zurechnung S. 239; u. a. m.), teils soll der Zuständige nahestenden Personen helfen dürfen, nicht aber der Unzuständige einem Zuständigen (SK-Rudolphi § 35 Rdn. 17), teils wiederum soll schon die Unzuständigkeit entweder des Helfenden oder des Hilfeempfängers zur Entschuldigung fuhren (Schmidhämer A T 11/20 ; Jescheck A T § 44 III 2 a mit Nachweisen), schließlich findet sich auch eine Differenzierung nach Zuständigkeitsgründen (Roxin JA 1990 S. 137 ff, 138 f, 140). Wie hier Timpe JuS 1985 S. 35 ff, 38 f; LK-Hinch § 35 Rdn. 64 f; Baumann- Weher A T § 29 II 2 b.

Allgemeine Lehren

17. Abschn

VI. Der Irrtum über Voraussetzungen und Folgen des Schuldtatbestands; insbesondere: Der Irrtum über Entschuldigungsvoraussetzungen als Entschuldigungsgrund Literatur A.-E. Brauneck D e r strafrechtliche Schuldbegriff, G A 1959 S. 261 f f ; E. Drewer A n m e r k u n g z u O L G K ö l n M D R 1962 S. 561 f, a a O S. 592 f; R. Frank Ü b e r d e n A u f b a u des Schuldbegriffs, 1907; W. Frisch V o r s a t z und Risiko, 1983; / . Goldschmidt D e r N o t s t a n d , ein S c h u l d p r o b l e m , Österreichische Zeitschrift für Strafrecht 1913 S. 129 ff, 2 2 4 f f ; H. Henkel Oer N o t s t a n d n a c h gegenwärtigem und künftigem Recht, 1931; Arthur Kaufmann D i e Irrtumsregelung im Strafgesetz-Entwurf 1962, Z S t W 76 S. 543 f f ; D. Kienapfel D o g m a t i s c h e P r o b l e m e der U n z u m u t b a r k e i t , JurBl. 1977 S. 530 f f ; / . Krümpelmann D i e strafrechtliche B e h a n d l u n g des Irrtums, Beiheft Z S t W 1978 S. 6 ff; W. Küper D i e d ä m o n i s c h e Macht des „ K a t z e n k ö n i g s " o d e r : P r o b l e m e des V e r b o t s irrtums und Putativnotstandes an den G r e n z e n strafrechtlicher Begriffe, JZ 1989 S. 617 f f ; H. H . Martens D e r Irrtum über Strafmilderungsgründe, 1928; W. Niese D i e R e c h t s p r e c h u n g des B u n desgerichtshofs in Strafsachen, JZ 1955 S. 320 ff; G. Radbruch Z u r Systematik der V e r b r e c h e n s lehre, Frank-Festgabe Bd. I S. 158 f f ; C. Roxin D i e B e h a n d l u n g des Irrtums im Entwurf 1962, Z S t W 76 S. 5 8 2 ff; ders. Ü b e r den N o t w e h r e x z e ß , Schaffstein-Festschrift S. 105 f f ; ders. D e r entschuldigende N o t s t a n d n a c h § 35 StGB, JA 1990 S. 97 ff, 137 ff; H.-J. Rudolph: N o t w e h r e x z e ß nach p r o v o z i e r t e m Angriff - O L G H a m m , N J W 1965, 1928, JuS 1969 S. 461 f f ; H. Schröder D i e N o t s t a n d s r e g e l u n g des Entwurfs 1959 II, Eb. Schmidt-Festschrift S. 2 9 0 ff; K. Tiedemann Der Irrtum über Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe, in: A. Eser u. a. ( H r s g . ) Rechtfertig u n g und E n t s c h u l d i g u n g Bd. 2, 1988 S. 1003 ff; Th. Vogler D e r Irrtum über Entschuldigungsgründe im Strafrecht, G A 1969 S. 103 f f ; N. Wendt A n m e r k u n g z u B G H 1 S. 203 ff, JZ 1951 S. 723 f.

A. Der Irrtum über die Rechtsfolge 1. Die Unkenntnis der Schuldlosigkeit als Rechtsfolge, insbesondere der entschuldi- 76 genden Wirkung des Handelns in einer bestimmten (und bekannten !) Situation, hindert die Schuldlosigkeit nicht. Beispiel: Wer im Rahmen des § 33 StGB die Abwehr überzieht, ist ohne Blick auf seine Kenntnis dieser Regelung entschuldigt. 2. Die irrige Annahme der Schuldlosigkeit als Rechtsfolge bewirkt bei ansonsten zutreffender Kenntnis keine Schuldlosigkeit, auch nicht bei Unvermeidbarkeit dieser Annahme; denn es geht beim positiven Schuldtatbestand nicht um eine dem Täter einsehbare, sondern um seine wirkliche Rechtsuntreue und beim negativen Schuldtatbestand um die wirkliche und nicht nur nach Ansicht des Täters bestehende Möglichkeit, die Rechtsuntreue am Täter vorbei zu erklären. Beispiel: W e r meint, auch seine in Wut begangene Notwehrüberschreitung sei entschuldigt, handelt voll schuldhaft.

B. Der Irrtum über die Voraussetzungen 1. Was das Unrecht als Gegenstand des Schuldtatbestands angeht, so ist seine 77 Kenntnis oder Erkennbarkeit als Problem des Angriffs auf den Geltungsgrund der Normen selbständiges Merkmal des Schuldtatbestands (siehe unten zum Verbotsirrtum 19/6 ff). Da bei Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums eine positive Schuldvoraussetzung fehlt, stellt sich die Frage einer — mit oder ohne Irrtum zustandekommenden — .Entschuldigung nicht 1 3 3 a . Im verbleibenden Bereich ist zwischen Merkmalen zu unterscheiden, die den schuldrelevanten Befund unabhängig von der Vorstellung des Täters über diesen Befund bezeichnen, und Merkmalen, bei denen (auch) die Beziehung des Täters zu einem (vermeintlich oder wirklich vorliegenden) Befund relevant ist. 133a Wohl

verkannt

von

BayObLG

NJW

1990

S. 2328 ff, 2329,2333 f (siehe unten 19/Fn. 58 a).

513

17. Abschn 78

2. Buch. 3. Kapitel. Schuld

a) Bei den vorstellungsunabhängigen Merkmalen bleibt die irrige Annahme des Vorliegens wie die Unkenntnis des Vorliegens ohne Einfluß auf die Schuld. aa) Es geht zunächst um alle subjektiven, d. h. einen Befund der Täterpsyche bezeichnenden Merkmale. Aus diesen Merkmalen wird auf die Ungleichheit des Täters oder auf seine Motivationsbelastung geschlossen, so etwa aus den psychischen Befunden nach den §§ 20 f StGB. Beispiel: Die Kenntnis eines Rauschs oder dessen irrige Annahme sind f ü r die Schuld unbeachtlich; diese richtet sich nach dem Rausch selbst, sowie — bei erhaltener Zurechnungsfähigkeit — nach der Zuständigkeit des Täters f ü r den Defekt. Ungleichheit oder Motivationsbelastung können auch präsumiert werden (so bei der Zurechnungsunfähigkeit der Kinder). bb) Vorstellungsunabhängige objektive Schuldmerkmale sind die motivationsunabhängigen Regelungen der Zuständigkeit des Täters f ü r eine Konfliktlage. Diese Zuständigkeit ist durch eine irrige Vorstellung so wenig zu erzeugen oder zu vernichten wie etwa die Zurechnungsfähigkeit. Beispiel: Wer im Wald leichtsinnig geraucht hat, ist bei einem dadurch entstandenen Waldbrand nicht entschuldigt, wenn er sein Leben auf Kosten des Lebens eines anderen in der Meinung rettet, sein Rauchen sei f ü r den Brand nicht ursächlich geworden; er ist aber entschuldigt, wenn er die Ursächlichkeit irrig annimmt. Entsprechendes gilt für die bei § 33 StGB vorausgesetzte wirkliche Notwehrlage 1 3 4 , für die wirkliche Mißhandlung oder Beleidigung beim minder schweren Fall des Totschlags (§ 213 StGB) etc. ( z u § 217 StGB siehe schon oben 8/83). Die Irrtumsregelung in § 35 Abs. 2 StGB, die auf die Vermeidbarkeit abstellt, steht der objektiven Lösung bezüglich der Zuständigkeit nicht entgegen; denn diese Regelung hat wie jede Vermeidbarkeitsregelung nur einen Sinn, wenn sie allein auf motivationsrelevante Umstände bezogen wird, nicht aber auf den Maßstab, mit dem die Motivation zu messen ist 1 3 6 .

79

b) Diejenigen objektiven Voraussetzungen der Unzumutbarkeit, die eine zur Entschuldigung erforderliche oder zu präsumierende motivatorische Belastung bedingen, sind vorstellungsabhängig. Zumeist diskutierter Beispielsfall ist die Gefahrenlage und deren Abwendbarkeit beim entschuldigenden Notstand.

80

aa) Vorstellungsabhängigkeit heißt zunächst: Bei Unkenntnis der Voraussetzungen entfällt die motivatorische Belastung oder die — ausdrückliche oder ungeschriebene — Voraussetzung der Präsumierbarkeit dieser Belastung, und der Täter ist nicht entschulInsoweit anerkannt, als ein Putativnotwehrexzeß nicht entschuldigt wird; B G H N J W 1962 S. 308 f, 309; N J W 1968 S.1885; Roxin Schaffstein-Festschrift S. 105 ff, 120 f ; a. A. Rudolphi JuS 1969 S. 461 ff, 463 f; SK-Rudolphi S 33 Rdn. 6 mit Nachweisen; eingehender unten 20/33. — N a c h hiesiger Ansicht entschuldigt die Überschreitung wirklicher Notwehr auch dann, wenn der Täter die Notwehrlage nicht kennt, sondern etwa meint, es sei nur eine Notstandslage gegeben. 135 Die Rechtsprechung ist wenig konsequent: B G H N S t Z 1982 S. 27 bürdet das Interpretationsrisiko einer zweideutigen Aussage dem Totschlagsopfer auf, nach B G H 34 S. 37 ff soll freilich ein minder schwerer Fall nur vorliegen, wenn der Täter versteht, was das O p f e r gemeint hat; B G H 1 S. 203 ff nimmt f ü r solche Fälle des Mißverstehens einen sonstigen minder schweren Fall an. — Es kommt darauf an, wie der Täter die Aussage 514

verstehen durfte. Weicht das Verständnis vom Gemeinten ab, muß, um das Opfer belasten zu können, mehr an Mißhandlung oder Beleidigung vorliegen als im Grundfall. Überhaupt nur auf Irrtum beruhende Affekte passen mangels Belastbarkeit des Opfers nicht zu § 213 StGB, sondern sollten über § 21 StGB erledigt werden. 135a Interpretiert man §218 a Abs. 2 N r . 3 StGB als Entschuldigungsgrund (dagegen oben 13/Fn 19 a), so ist die Zumutbarkeit anderweitiger Abwendung motivationsunabhängig, so im Ergebnis auch BayObLG N J W 1990, S. 2328 ff, 2334; siehe aber zu dieser Entscheidung auch unten 19/Fn. 58 a. 136 Die übliche Ansicht differenziert nicht zwischen den einzelnen Merkmalen der Entschuldigungsgründe; ausdrücklich nicht SK-Rudolpbi § 35 Rdn. 19; siehe auch Tiedemann in: Rechtfertigung S. 1003 ff, 1014 f f ; eingehende Differenzierung aber bei Roxin JA 1990 S. 137 ff, 141 f.

Allgemeine Lehren

17. Abschn

digt. Beispiel: W e r nicht wissen kann, daß er in Lebensgefahr schwebt, kann sich auch nicht in einer entschuldigenden Weise aus der Gefahr befreien. bb) Nimmt der Täter einen Sachverhalt an, bei dessen wirklichem und gekanntem 81 Vorliegen er wegen der psychischen Belastung, die der Sachverhalt bringt, entschuldigt wäre, so ist er im Irrtumsfall entschuldigt, wenn (α) eine Motivationsbelastung wirklich — nicht nur präsumiert — vorliegt und (ß) der Irrtum unvermeidbar ist 1 3 6 a . Insoweit kann ein Entschuldigungsgrund also nur aus subjektiven Merkmalen bestehen. Der verbreitet generell formulierte Satz, unvermeidbar irrig vorgestellte Voraussetzungen der Unzumutbarkeit hätten wegen der psychisch gleichen Lage immer dieselbe entschuldigende Wirkung wie zutreffend erkannte Voraussetzungen 1 3 7 , ist freilich falsch, da er die Abhängigkeit der Entschuldigung von der Möglichkeit anderweitiger Konfliktverarbeitung nicht berücksichtigt. α) Ein bloß präsumierbarer Motivationsdruck reicht aus folgenden Gründen nicht 82 aus: Beim wirklichen Vorliegen eines Entschuldigungsgrunds läßt sich die wirkliche Lage als wesentlicher Grund der Tätermotivation dartun; bei nur vermeintlichem Vorliegen bleibt aber nur eine Motivationsbelastung als entschuldigendes Moment, und diese Belastung muß deshalb wirklich sein. Wiederum steht der Lösung § 35 Abs. 2 StGB nicht entgegen; denn die Vorschrift ist dahin zu lesen, daß die „nach Abs. 1" der Vorschrift entschuldigenden Umstände nicht die Voraussetzungen der existentiellen Gefahr per se sind, sondern diese Voraussetzungen als real wirkende Bedingungen eines Motivationsdrucks. Beispiel : Für den Täter in putativem Nötigungsnotstand muß die existentielle Gefahr H a u p t g r u n d seiner Handlung sein; beim wirklichen Nötigungsnotstand reicht nicht nur hin, daß sie eine Handlungsbedingung unter anderen ist, sondern selbst bei bloßer Kenntnis der Gefahr und der abzuwendenden W i r k u n g seiner Handlung wird d e r T ä t e r entschuldigt (unten 20/10 f). Nimmt der Täter irrig den Fall einer Provokation nach § 213 StGB an, so fehlt die Möglichkeit, den Konflikt durch Verweis auf die Mitzuständigkeit des Opfers partiell zu erledigen; deshalb wird eine Milderung allenfalls noch durch die affektive Erregung des Täters ermöglicht 1 3 8 . Bei dieser Lage muß die zur Annahme eines unbenannten minder schweren Falls nötige Erregung wesentlich stärker sein als bei einer objektiv vorliegenden Provokation. Mag im letzteren Fall ein Maß hinreichen, das in etwa im Rahmen des 5 21 StGB als „erheblich" einzustufen wäre, so muß im Fall eines Irrtums über die Provokation die Erheblichkeitsschwelle deutlich überschritten sein (siehe den sich bei Anwendung der §§ 21, 49 Abs. 1 StGB auf § 212 StGB ergebenden Strafrahmen). — Bei der Notwehrprovokation erledigt sich der Irrtumsfall überhaupt nur nach den allgemeinen Regeln der §§ 20 f StGB. Jedenfalls ist das Vorliegen einer fremden Zuständigkeit f ü r den Konflikt (wie auch die Möglichkeit, einen Konflikt als Zufall zu erledigen), ein vorstellungsunabhängiges Merkmal (siehe die vorige Gruppe), das nursubjektiv nicht erzeugt werden kann, dessen Fehlen freilich durch ein Plus an nur-subjektiver Entschuldigung kompensiert werden k a n n 1 3 9 .

136a Zweifelt der Täter, wie die Lage gestaltet sei, und richtet sich nach der falschen Vorstellungsvariante, so ist auch dies ein unvermeidbarer Irrtum, wenn der Zweifel unbehebbar ist. — Siehe auch Frisch Vorsatz S. 464 ff. 137 Zuerst wohl Radbruch Frank-Festgabe Bd. I S. 158 ff, 166; dagegen zutreffend Vogler GA 1969 S. 103 ff, 106,111. 158 Insoweit übereinstimmend B G H 1 S. 203 ff mit

kritischer Anmerkung Wendt JZ 1951 S. 723 f. Auch ob ein Verhalten die Bedeutung einer P r o vokation hat, ist objektiv zu entscheiden; zutreffend B G H N S t Z 1981 S. 300 f. 139 In der Umkehrung hindert die irrige Annahme der Unzuständigkeit des anderen die Exkulpation nicht; Beispiel: Die irrige Annahme, eine Provokation beruhe auf eigenem Verschulden, schließt § 213 StGB nicht aus.

515

17. Abschn

2. Buch. 3. Kapitel. Schuld

83

ß) Ist der Irrtum vermeidbar, so behält die T a t die Steuerungsform, in der sie vollzogen wird (Vorsatz oder Fahrlässigkeit), und bleibt — gemindert — schuldh a f t 1 4 0 . Beispiel: Die vorsätzliche T ö t u n g eines Menschen in der vermeidbaren Annahme anders nicht abwendbarer Lebensgefahr ist schuldhafte vorsätzliche Tötung. Die Schuld mindert sich mit der Annäherung an Unvermeidbarkeit; entsprechend ist die Strafe nach § 49 Abs. 1 StGB zu mildern (so ausdrücklich § 35 Abs. 2 StGB) ; bei extremer Annäherung und einem nach § 49 Abs. 1 N r . 3 StGB verbleibenden Mindestmaß kann auch nach dem Abs. 2 der Vorschrift gemildert werden.

83 a

cc) Da die Entschuldigungsgründe nur die Befreiung aus erfahrbar-irdischen Katastrophen regeln, führt die Annahme überirdischer Gefahren nicht zu einem Irrtum über die Voraussetzungen des Entschuldigungstatbestands (siehe auch oben zur Rechtfertigung 11/42 a). Beispiel: U m die ganze Welt vor dem vermeintlich vom Teufel betriebenen Untergang zu retten, bringt der Täter ein Menschenopfer dar; — keine irrige Annahme der Voraussetzungen des übergesetzlichen N o t s t a n d s 1 4 1 (unten 20/40 ff).

84

2. Bevor § 35 Abs. 2 StGB eine beispielhafte gesetzliche Regelung gab, wurde verbreitet angenommen, der vermeidbar Irrende habe f ü r das unvorsätzliche Bewirken einer entschuldigenden Lage nur als Fahrlässigkeitstiter zu haften 1 4 2 , vergleichbar der actio libera in causa in Form der fahrlässigen Schaffung der causa libera f ü r eine vorsätzliche actio (oben 17/66). Diese Lösung ist nicht falsch, sondern einseitig: Sie schließt diejenigen Haftungen überhaupt nicht aus, die bestehen, weil der Täter durch seinen vermeidbaren Irrtum die Konfliktlage verursacht hat, so daß ein strengerer Maßstab anzulegen ist, und weil er je nach Fallgestaltung noch in der Konfliktlage den Irrtum revidieren kann.

1+0 Jetzt f ü r § 35 StGB in dessen Abs. 2 gesetzlich festgelegt und generell in Analogie dazu überwiegende Ansicht, wobei jedoch allgemein allein auf die psychologisierend ermittelten Gründe der Entschuldigung abgestellt wird und die normativen Gründe übergangen werden; Frank Aufbau S. 19; Goldschmidt ÖsterrZStr. 1913 S. 129 ff, 136 ff, 166 f ; Radbruch Frank-Festgabe Bd. I S. 158 ff, 166; Arthur Kaufmann ZStW 76 S. 543 ff, 578; LK-Hirsch § 35 Rdn. 72 ff; Stratenwerth A T Rdn. 624 ff; SK-Rudolphi §35 Rdn. 19; Welze! Strafrecht § 2 3 I 3; Niese JZ 1955 S. 320 ff, 323; Schönke-Schröder-Cramer § 16 Rdn. 31; Baumann-Weber A T § 29 I 4 d; Krumpelmann Beiheft ZStW 1978 S. 6 ff, 53; mit eingehenden Nachweisen Vogler GA 1969 S. 103 ff, 116; die Haftungsmöglichkeit einschränkend (Vermeidbarkeit in der aktuellen Gefahrenlage soll praktisch unmöglich sein) Schmid-

516

häuser A T 11/23. - Nach B G H N S t Z 1989 S. 176 ff, 177 soll ein Irrtum die Strafbarkeit dann nicht beeinflussen, wenn eine gewissenhafte Prüfung der Lage nicht stattfand (wobei offenbleibt, ob bei einer P r ü f u n g der Irrtum vermieden worden wäre). 141 Siehe Küper]Z 1989 S. 617 ff, 624 ff. - Der Entscheidungszwang oder die Angst des Täters können allenfalls im Rahmen der §§ 20 f StGB berücksichtigt werden. 142 RG 66 S. 222 ff, 227; B G H 5 S. 371 ff, 374; 18 S. 311 f, 312; Roxin Z S t W 7 6 S. 582 ff, 612 mit Fn. 69; Henkel Notstand S. 135 ff; Brauneck GA 1959 S. 261 ff, 270; Kohlrausch-Lange § 52 Anm. V ; Schröder Eb. Schmidt-Festschrift S. 290 ff, 297; Dreher M D R 1962 S. 592 f; siehe auch § 10 Abs. 2 Satz 2 Österreichisches StGB von 1974; dazu Kienapfel JurBl. 1977 S. 530 ff, 533.

Zurechnungsunfähigkeit und Unzumutbarkeit nach §§ 19, 20, 21 StGB

18. AbSChn

18. A B S C H N I T T

Die Zurechnungsunfähigkeit und die im Zusammenhang mit ihr geregelten Fälle der Unzumutbarkeit (§§ 19, 20, 21 StGB) Literatur P.-A. Albrecht Unsicherheitszonen des Schuldstrafrechts, GA 1983 S. 193 ff; G. Aschaffenburg Zur Frage: Verminderte Zurechnungsfähigkeit, RG-Festgabe Bd. V S. 242 ff; M. Bauer und P. Thoss Die Schuldfähigkeit des Straftäters als interdisziplinäres Problem, N J W 1983 S. 305 ff; W. v. Baeyer Die Freiheitsfrage in der forensischen Psychiatrie mit besonderer Berücksichtigung der Entschädigungsneurosen, Nervenarzt 28 (1957) S. 337 ff; ders. Zur Frage der Beurteilung der Schuldfähigkeit psychopathisch-neurotischer Rechtsbrecher, Nervenarzt 32 (1961) S. 225 ff; H.-J. Behrendt Affekt und Vorverschulden, 1983; K. Bernsmann Affekt und Opferverhalten, N S t Z 1989 S. 160 ff; Chr. BertelUie Zurechnungsfähigkeit, Ö J Z 1975 S. 622 ff; G. Blau Anmerkung zu B G H J R 1987 S. 206, a a O S. 206 ff; ders. Anmerkung zu B G H J R 1988 S. 208 f und 209 f, a a O S. 210 ff; ders. Anmerkung zu B G H J R 1989 S. 336 f, a a O S. 337 f; ders. Die Affekttat zwischen Empirie und normativer Bewertung, Tröndle-Festschrift S. 109 ff; ders., E. Franke Prolegomena zur strafrechtlichen Schuldfähigkeit, Jura 1982 S. 393 ff; H. Blei Unrechtsbewußtsein und Verbotsirrtum: Probleme im Licht zweier neuer Monographien, JA 1970 S. 205 f, 333 f, 525 f, 599 f, 665 ff; }. Bohnert Strafmündigkeit und Normkenntnis, N S t Z 1988 S. 249 ff; W. de BoorÜber motivisch unklare Delikte, 1959; ders. Bewußtsein und Bewußtseinsstörungen, 1966; ders. Aversionsneurosen, Klug-Festschrift S. 571 ff; W. Bräutigam Forschungsrichtungen und Lehrmeinungen in der Psychoanalyse, in : H. Göppinger und II Witter (Hrsg.) H a n d b u c h der forensischen Psychiatrie Bd. I, 1972, S. 773 ff; P. H. Bresser Jugendzurechnungsfähigkeit oder Strafmündigkeit? ZStW 74 S. 579 ff; ders. Grundlagen und Grenzen der Begutachtung jugendlicher Rechtsbrecher, 1965; ders. Psychologie und Psychopathologie der Jugendlichen, in: H. Göppinger und H. Witter (Hrsg.) H a n d b u c h der forensischen Psychiatrie Bd. I, 1972, S. 534 ff; ders. Die Beurteilung der Jugendlichen und Heranwachsenden im Straf- und im Zivilrecht, in : H. Göppinger und H. Witter{¥ITS%.) H a n d b u c h der forensischen Psychiatrie Bd. II, 1972, S. 1284 ff; ders. Probleme bei der Schuldfähigkeits- und Schuldbeurteilung, N J W 1978 S. 1188 ff; ders. Schuldfähigkeit und Schuld — Die Ambivalenz ihrer Beurteilung, Leferenz-Festschrift S. 429 ff; ders. Trunkenheit — Bewußseinsstörung — Schuldfähigkeit, Forensia 1984 S. 45 ff; H.-J. Bruns Strafzumessungsrecht, 2. Auflage 1974; ders. Leitfaden des Strafzumessungsrechts, 1980; B. Burkhardt Charaktermängel und Charakterschuld. Überlegungen zu B G H N J W 1966, 1872, in: K. Lüderssen und F. Sack (Hrsg.) Vom Nutzen und Nachteil der Sozialwissenschaften f ü r das Strafrecht Bd. I, 1980, S. 87 ff; D. Cabanis Kollektivdelinquenz — junge Gruppentäter, StV 1982 S. 315 ff; H. Dettenborn, H.-H. Fröhlich, H. Szewcyk Forensische Psychologie, 1984; I. Diesinger Der Affekttäter. Eine Analyse seiner Darstellung in forensisch-psychiatrischen Gutachten, 1977; E. Dreher Yerbotsirrtum und § 51 StGB, GA 1957 S. 97 ff; H. Ehrhardt Die Schuldfähigkeit in psychiatrischpsychologischer Sicht, in: E. R. Frey (Hrsg.) Schuld, Verantwortung, Strafe, 1964, S. 227 ff; ders. Rauschgiftsucht, in: A. Ponsold (Hrsg.) Lehrbuch der gerichtlichen Medizin, 3. Auflage 1967, S. 116 ff; ders. Zur Frage des forensischen Beweiswertes kriminologisch-psychiatrischer Aussagen, MonSchrKrim. 1967 S. 233 ff; ders. Zur psychologisch-psychiatrischen und forensischen Beurteilung sogenannter Querulanten, Göppinger-Festschrift S. 409 ff; ders., W. Villinger Forensische und administrative Psychiatrie, in : H. W. Gruhle (Hrsg.) Psychiatrie der Gegenwart Bd. III, 1961, S. 181 ff; K. FoersterOer wissenschaftliche Sachverständige zwischen N o r m und Empirie, N J W 1983 S. 2049 ff; ders. Kann die Anwendung einer klinischen BeeinträchtigungsschwereSkala hilfreich sein bei der Feststellung einer „schweren seelischen Abartigkeit" ? N S t Z 1988 S. 444 ff; W. Frisch Anmerkung zu B G H 35 S. 143 ff, N S t Z 1989 S. 263 f f ; ders. Grundprobleme bei der Bestrafung „verschuldeter" Affekttaten, ZStW 101 S. 538 ff; V. E. v. Gebsattel Süchtiges Verhalten im Gebiet sexueller Perversionen, MonSchrPsychiatrNeurol. 82 (1932) S. 8 ff; G. Geilen Zur Problematik des schuldausschließenden Affekts, Maurach-Festschrift S. 173 ff; J. Gerchow Forensisch-medizinische Beurteilung der Jugendlichen und Heranwachsenden, in: A. Ponsold(Hrsg.) Lehrbuch der gerichtlichen Medizin, 3. Auflage 1967, S. 90 ff; H. Giese (Hrsg.) Die Sexualität des Menschen. H a n d b u c h der medizinischen Sozialforschung, 2. Auflage 1971; H.

517

18. Abschn

2. Buch. 3. Kapitel. Schuld

Giese und V. E. v. Gefetfiie·/Psychopathologie der Sexualität, 1962; / Glatzel Zur psychiatrischen Beurteilung von Ladendieben, StV 1982 S. 40 ff; ders. Zur forensisch-psychiatrischen Problematik der tiefgreifenden Bewußtseinsstörung, StV 1982 S. 434 ff; ders. Tiefgreifende Bewußtseinsstörung nur bei der sogenannten Affekttat? StV 1983 S. 339 ff; den. Die Bedeutung des Nachweises einer Hirnverletzung f ü r die Beurteilung der Schuldfähigkeit, StV 1990 S. 132 ff; H. Göppinger Kriminologische Aspekte zur sogenannten verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB), LeferenzFestschrift S. 411 ff; G. Grosbüsch Die Affekttat. Sozialpsychologische Aspekte der Schuldfähigkeit, 1981 ; S. Haddenbrock Die Unbestimmtheitsrelation von Freiheit und Unfreiheit als methodologischer Grenzbegriff der forensischen Psychiatrie, Nervenarzt 32 (1961) S. 145 ff; den. Das Paradox von Ideologie und Pragmatik des $ 51 StGB, N J W 1967 S. 285 ff; den. Personale oder soziale Schuldfähigkeit (Verantwortungsfähigkeit) als Grundbegriff der Zurechnungsnorm? MonSchrKrim. 1968 S. 145 ff; den. Freiheit und Unfreiheit des Menschen im Aspekt der forensischen Psychiatrie, JZ 1969 S. 121 ff; den. Strafrechtliche Handlungsfähigkeit und „Schuldfähigkeit" (Verantwortlichkeit), auch Schuldformen, in : H. Göppinger und H. Witter (Hrsg.) H a n d buch der forensischen Psychiatrie Bd. II, 1972, S. 863 ff; ders. Forensische Psychiatrie und die Zweispurigkeit unseres Kriminalrechts, N J W 1979 S. 1235 ff; den. Die juristisch-psychiatrische Kompetenzgrenze bei Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit im Lichte der neueren Rechtsprechung, ZStW 75 S. 460 ff; ders. Psychiatrisches Krankheitsparadigma und strafrechtliche Scluudfähigkeit, Sarstedt-Festschrift S. 35 ff; W. Hallermann Affekt, Triebdynamik und Schuldfähigkeit, Deutsche Zeitschrift f ü r die gesamte gerichtliche Medizin 53 (1962/1963) S. 219 ff; R. Heiss Die Bedeutung der nicht-krankhaften Bewußtseinsstörungen und der seelischen Ausnahmezustände für die Zurechnungsfähigkeit aus der Sicht des Psychologen, in : G. Blau und E. Müller-Lucktnann (Hrsg.) Gerichtliche Psychologie, 1962, S. 223 ff; H. J. //¿ric/> Alkoholdelinquenz in der Bundesrepublik Deutschland, Beiheft ZStW 1981 S. 2 ff; H. Jäger Individuelle Zurechnung kollektiven Verhaltens, 1985; G. Jakobs Schuld und Prävention, 1976; ders. Zum Verhältnis von psychischem Faktum und N o r m bei der Schuld, in : H. Göppinger und P. H. Bresser (Hrsg.) Sozialtherapie — Grenzfragen bei der Beurteilung psychischer Auffälligkeiten im Strafrecht, 1982, S. 127 ff; ders. Die juristische Perspektive zum Aussagewert der Handlungsanalyse einer Tat, in: /. Gerchow (Hrsg.) Z u r Handlungsanalyse einer Tat, 1983 S. 21 ff; ders. Über die Aufgabe der subjektiven Deliktseite im Strafrecht, in: H. Witter (Hrsg.) Der medizinische Sachverständige im Strafrecht, 1987 S. 271 ff; W. Janzarik Forschungsrichtungen und Lehrmeinungen in der Psychiatrie: Geschichte, Gegenwart, forensische Bedeutung, in: H. Göppinger und H. Witter (Hrsg.) H a n d b u c h der forensischen Psychiatrie Bd. I, 1972, S. 588 ff; ders. Geschichte und Problematik des Schizophreniebegriffs, Nervenarzt 1986 S. 681 ff; K. KamischkeAnmerkung zu B G H StV 1988 S. 198 und S. 198 f, a a O S. 199 f; W. Kargl Kritik des Schuldprinzips. Eine rechtssoziologische Studie zum Strafrecht, 1982; Armin Kaufmann Schuldfähigkeit und Verbotsirrtum, Eb. Schmidt-FestschriftS. 319 ff; H. Kaufmann Kriminologie Bd. I. Entstehungszusammenhänge des Verbrechens, 1971; dies. Die Regelung der Zurechnungsfähigkeit im E 1962, JZ 1967 S. 139 ff; dies., J. Pirsch Das Verhältnis von § 3 J G G zu § 51 StGB. Eine kriminologische Untersuchung, JZ 1969 S. 358 ff; K. Ko Ile Die Schuldfrage aus der Sicht des Psychiaters, N J W 1960 S. 2223 ff; H.-L. Kröber Pathologisches Glücksspielen: Definitionen, Erklärungsmodelle und forensische Aspekte, Nervenarzt 1985 S. 593 ff; ders. Spielsucht und Schuldfähigkeit, Forensia 1987 S. 113 ff; ders. Anmerkung zu B G H J R 1989 S. 379 ff, aaO S. 380 ff; /. Krümpelmann Die Neugestaltung der Vorschriften über die Schuldfähigkeit durch das Zweite Strafrechtsreformgesetz vom 4. Juli 1969, ZStW 88 S. 6 ff; ders. Motivation und H a n d l u n g im Affekt, Welzel-Festschrift S. 327 ff; ders. Schuldzurechnung und unter Affekt und alkoholisch bedingter Schuldunfähigkeit, ZStW 99 S. 191 ff; ders. Affekt und Schuldfähigkeit, 1972/1988; K. Lackner Präventio η und Schuldunfähigkeit, Kleinknecht-Festschrift S. 245 ff; W. Landgraf Die „verschuldete" verminderte Schuldfähigkeit, 1988; R. Lange Ist Schuld möglich? Bockelmann-Festschrift S. 261 ff; ders. Kriminologische Krisenherde, Leferenz-Festschrift S. 25 ff; A. Langelüddeke und P. H. Bresser Gerichtliche Psychiatrie, 4. Auflage 1976; H. Leferenz Die rechtsphilosophischen Grundlagen des § 51 StGB, Nervenarzt 1948 S. 364 ff; ders. Der Entwurf des Allgemeinen Teils eines Strafgesetzbuchs in kriminologischer Sicht, ZStW 70 S. 25 ff; ders. Die Neugestaltung der Vorschriften über die Schuldfähigkeit durch das Zweite Strafrechtsreformgesetz vom 4. Juli 1969, ZStW 88 S. 40 ff; Th. LencknerSt.i3.it, Schuld und Schuldfähigkeit, in: H. Göppinger und H. Witter (Hrsg.) H a n d b u c h

518

Zurechnungsunfähigkeit und Unzumutbarkeit nach §§ 19, 20, 21 StGB

18. A b S C h n

der forensischen Psychiatrie Bd. I, 1972, S. 3 ff; R. Luthe Verantwortlichkeit, Persönlichkeit und Erleben, 1981; ders. Psychologisch-psychiatrische Probleme der Schuldfähigkeit, in: H. Göppinger und P. H. Breuer (Hrsg.) Sozialtherapie — Grenzfragen bei der Beurteilung psychischer Auffälligkeiten im Strafrecht, 1982, S. 169 ff; den. Schuldfähigkeit und die Tiefenpsychologie, Forensia 1983 S. 161 ff; R. Mahlmann Verwissenschaftlichung des Rechts — Verrechtlichung von Wissenschaft? 1986; H. Maisch, E. SchorschZur Problematik der Kompetenz-Abgrenzung von psychologischen und psychiatrischen Sachverständigen bei Schuldfähigkeitsfragen, StV 1983 S. 32 ff; W. Mende Die „tiefgreifende Bewußtseinsstörung" in der forensisch-psychiatrischen Diagnostik, Bockelmann-Festschrift S. 31 I f f ; A. Mergen Spielsucht, Sarstedt-Festschrift S. 189 ff; G. Meyer Die Beurteilung der Schuldfähigkeit bei Abhängigkeit vom Glücksspiel, MonSchrKrim. 1988 S. 213 ff; J.-E. Meyer Psychiatrische Diagnosen und ihre Bedeutung f ü r die Schuldfähigkeit im Sinne der §§ 20/21, ZStW 88 S. 46 ff; den. Der psychiatrische Sachverständige und seine Funktion im Strafprozeß, MonSchrKrim. 1981 S. 224 ff; E. Mezger Probleme der strafrechtlichen Zurechnungsfähigkeit, 1949; ders. Rechtsirrtum und Rechtsblindheit, Kohlrausch-Festschrift S. 180 ff; R. Moos Die Tötung im Affekt im neuen österreichischen Strafrecht, ZStW 89 S. 796 ff; T. Moser Repressive Kriminalpsychiatrie, 2. Auflage 1971; U. Neumann Zurechnung und „Vorverschulden", 1985; H. Otto Personales Unrecht, Schuld und Strafe, Z S t W 87 S. 539 ff; A. PonsoldBlutalkohol, in: ders. (Hrsg.) Lehrbuch der gerichtlichen Medizin, 3. Auflage 1967, S. 206 ff; W. Rasch T ö t u n g des Intimpartners, 1964; ders. Schuldfähigkeit, in: A. Ponsold (Hrsg.) Lehrbuch der gerichtlichen Medizin, 3. Auflage 1967, S. 55 ff; ders. Gruppennotzuchtdelikte Jugendlicher und Heranwachsender, in: H. Giese (Hrsg.) Zur Strafrechtsreform, 1968, S. 65 ff; ders. Die psychologisch-psychiatrische Beurteilung von Affektdelikten, N J W 1980 S. 1309 ff; ders. Angst vor der Abartigkeit, NStZ 1982 S. 177 f f ; ders. Der Stellenwert des Tatverhaltens bei derpsychologischen-psychiatrischen Begutachtung, i n : / . Gerchow (Hrsg.) Z u r H a n d lungsanalyse einer Tat, 1983 S. 46 ff; ders. Die Z u o r d n u n g der psychiatrisch-psychologischen Diagnosen zu den vier psychischen Merkmalen der §§ 20, 21 StGB, StV 1984 S. 264 ff; ders., R. Volbert Ist der Damm gebrochen? Zur Entwicklung der Anwendung der §§ 20, 21 StGB seit dem 1. 1. 1975, MonSchrKrim. 1985 S. 137 ff; ders. Forensische Psychiatrie, 1986; H. J. Rauch Einfluß psychopathologischer Strömungen auf die forensische Psychiatrie, Kurt Schneider-Festschrift S. 304 ff; ders. Brauchen wir noch eine forensische Psychiatrie? Leferenz-Festschrift S. 379 ff; ders. Nochmals: Gutachterliche Kompetenz bei der Klärung der Schuldfähigkeit oder: Der Streit zwischen Psychiatrie und Psychologie, N S t Z 1984 S. 497 f f ; E. C. Rautenberg Verminderte Schuldfähigkeit, 1984; R. Rengier und B. ForsterOit sogenannten „Promillegrenzen" zur alkoholbedingten Schuldunfähigkeit aus juristisch-medizinischer Sicht, Blutalkohol 1987, S. 161 ff; C. Roxin Z u r jüngsten Diskussion über Schuld, Prävention und Verantwortlichkeit im Strafrecht, Bockelmann-Festschrift S. 279 ff; H.-J. Rndnlphi Unrechtsbewußtsein, Verbotsirrtum und Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums, 1969; ders. Affekt und Schuld, Henkel-Festschrift S. 199 ff; H. Saiger Zur forensischen Beurteilung der Affekttat im Hinblick auf eine erhebliche verminderte Schuldfähigkeit, Tröndle-Festschrift S. 201 ff; W. Sarstedt Der Strafrechtler und der psychiatrische Sachverständige, Die Justiz (Amtsblatt des Justizministeriums Baden-Württemberg) 1962, S. 110 ff; H. Saß Die tiefgreifende Bewußseinsstörung gemäß den §§ 20, 21 StGB — eine problematische Kategorie aus forensisch-psychiatrischer Sicht, Forensia 1983 S. 1 ff; den. Affektdelikte, Nervenarzt 1983, S. 557 ff; ders. Ein psychopathologisches Referenzsystem f ü r die Beurteilung der Schuldfähigkeit, Forensia 1985 S. 33 ff; ders. Zur Klassifikation der Persönlichkeitsstörungen, Nervenarzt 1986 S. 193 ff; F. Schaffstein Die Jugendzurechnungsunfähigkeit, ZStW 77 S. 191 ff; G. Scheme Zumutbarkeit und Zurechnungsfähigkeit, Hallermann-Festschrift S. 76 ff; ders. Reflexbewegung, Handlung, Vorsatz, 1972; ders. Forensische Psychopathologie, in: W. Schwerd (Hrsg.) Rechtsmedizin, 3. Auflage 1979, S. 223 ff; ders. Alkoholdelinquenz aus medizinischer Sicht, Beiheft ZStW 1981 S. 39 ff; ders. Zur beweisrechtlichen Relevanz berechneter maximaler Blutalkoholwerte f ü r die Beurteilung der Schuldfähigkeit, in : D. Schultz u. a. (Hrsg.) Festschrift zum 25jährigen Bestehen des Bundes gegen Alkohol im Straßenverkehr etc., 1982, S. 171 ff; ders. Wille und Freiheit — juristische und medizinisch-psychologische Aspekte, in: /. Gerchow (Hrsg.) Zur Handlungsanalyse einer Tat, 1983 S. 1 ff; ders. Blutalkoholwert und Schuldfähigkeit, Venzlaff-Festschrift S. 40 ff; ders. Die „mögliche" Blutalkoholkonzentration von 2 Promille als „Grenzwert der absolut verminderten Schuldfähigkeit"? J R 1987 S. 179 ff; R. Schmitt Die

519

18. Abschn

2. Buch. 3. Kapitel. Schuld

„schwere seelische Abartigkeit" in §§20 und 21 StGB, ZStW 92 S. 346 ff; K. Schneider Die psychopathischen Persönlichkeiten, 9. Auflage 1950; den. Die Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit, 4. Auflage 1961 ; den. Klinische Psychopathologie, 9. Auflage 1971 ; K. Schneidewin Anmerkung zu B G H 7 S. 29 ff, J Z 1955 S. 505 ff; H. Schöch Die Beurteilung von Schweregraden schuldmindernder oder schuldausschließender Persönlichkeitsstörungen aus juristischer Sicht, MonSchrKrim. 1983 S. 333 ff; E. Schorsch Die sexuellen Deviationen und sexuell motivierte Straftaten, in: U. Venzlaff (Hrsg.) Psychiatrische Begutachtung, 1986 S. 279 ff; den., F. Pfäfflin Wider den Schulenstreit in der forensischen Psychiatrie, MonSchrKrim. 1981 S. 234 ff; H.-L. Schreiber Bedeutung und Auswirkungen der neugefaßten Bestimmungen über die Schuldfähigkeit, NStZ 1981 S. 46 ff; den. Juristische Grundlagen, in: U. Venzlaff (Hrsg.) Psychiatrische Begutachtung, 1986 S. 3 ff; H. Schröder Verbotsirrtum, Zurechnungsfähigkeit, actio libera in causa, GA 1957 S. 297 ff; U. Schroth Der fahrlässige Verlust der Steuerungsfähigkeit mit nachfolgender doloser Unrechtsrealisierung, Arthur Kaufmann-Festschrift S. 109 ff; H. Schüler-Springorum „Benzin nach Metern"? Venzlaff-Festschrift S. 52 ff; W. Sc/>wmdcAer Gruppendynamik und Straftat. Ein Beitrag zur Integration von Strafrecht und empirischer Wissenschaft, N J W 1980 S. 1880 ff; den. Die Beurteilung der Schuldfähigkeit bei nicht-stoffgebundenen Abhängigkeiten (Spielleidenschaft, Fetischismen, Hörigkeit), Sarstedt-Festschrift S. 361 ff; den. Die Tathandlung und ihre Beurteilung in psychoanalytischer Sicht, in: J. Gerchow (Hrsg.) Zur Handlungsanalyse einer Tat, 1983 S. 61 ff; ]. Schwarz und R. Wille % 51 StGB - gestern, heute, morgen, N J W 1971 S. 1061 ff; V. Sigusch Uber die methodische Armut der Schulpsychiatrie und ihren unverstellten Blick auf die Dinge, MonSchrKrim. 1981 S. 229 ff; F. Specht Angeborene und früherworbene Beeinträchtigung der geistigen Entwicklung, in: U. Venzlaff {Hrsg.) Psychiatrische Begutachtung, 1986 S. 231 ff; G. Spendel $ 51 Abs. 2 StGB und das Problem der Strafzumessung, N J W 1956 S. 775 ff; W. Stree Rechtswidrigkeit und Schuld, in: C. Roxin, W. Stree, H. Zipf, H. Jung Einführung in das neue Strafrecht, 2. Auflage 1975, S. 34 ff; F. Streng Richter und Sachverständiger. Zum Zusammenwirken von Strafrecht und Psychowissenschaften bei der Bestimmung der Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 StGB), Leferenz-Festschrift S. 397 ff; ders. Unterlassene Hilfeleistung als Rauschtat, JZ 1984 S. 114 ff; K.-L. Täschner Welcher Sachverständige ist für die Beurteilung des Geisteszustandes von Sexualdelinquenten zuständig? MonSchrKrim. 1980 S. 108 ff; B. Terhorst Zur Strafbemessung bei verminderter Schuldfähigkeit infolge Drogensucht, M D R 1982 S. 368 ff; H. Thomae Bewußtsein, Persönlichkeit und Schuld, Bemerkungen zu §§24 — 25 des Entwurfs eines Strafgesetzbuches 1960, MonSchrKrim. 1961 S. 114 ff; H. Thomae und H. D. Schmidt Psychologische Aspekte der Schuldfähigkeit, in: K. Gottschaidt, Ph. Lersch, F. Sander; H. Thomae (Hrsg.) H a n d b u c h der Psychologie Bd. XI, 1967, S. 326 ff; U. Undeutsch Zurechnungsfähigkeit bei Bewußtseinsstörung, in: A. Ponsold (Hrsg.) Lehrbuch der gerichtlichen Medizin, 2. Auflage 1957, S. 130 ff; ders. Forensische Psychologie, in: R. Sieverts (Hrsg.) Handwörterbuch der Kriminologie, 2. Auflage 1966, S. 205 ff; U. Venzlaff Strafrechtsreformgesetz und Krankenhauspsychiatrie, Schaffstein-Festschrift S. 293 ff; ders. Ist die Restaurierung eines „engen" Krankheitsbegriffs erforderlich, um kriminalpolitische Gefahren abzuwenden? ZStW 88 S. 57 ff; ders. Aktuelle Probleme der forensischen Psychiatrie, in: K. P. Kisker, J.-E. Meyer, C. Müller, E. Strömgen (Hrsg.) Psychiatrie der Gegenwart Bd. III, 2. Auflage 1975, S. 883 ff; ders. Die Mitwirkung des psychiatrischen Sachverständigen bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit, Richterakademie-Festschrift S. 277 ff; ders. Die forensisch-psychiatrische Beurteilung affektiver Bewußtseinsstörungen, Blau-Festschrift S. 391 ff; ders. Methodische und praktische Probleme der forensisch-psychiatrischen Begutachtung, in: ders. (Hrsg.) Psychiatrische Begutachtung, 1986 S. 79 ff; ders. Konfliktreaktionen, Neurosen und Persönlichkeitsstörungen im Erwachsenenalter, a a O S. 327 ff; den. Anmerkung zu B G H N S t Z 1988 S. 268 f, a a O S. 269; Th. Vogt Die Forderungen der psychoanalytischen Schulrichtungen f ü r die Interpretation der Merkmale der Schuldunfähigkeit und der verminderten Schuldfähigkeit (§§51 a. F., 20, 21 StGB), 1979; H. Walder Oer Affekt und seine Bedeutung im schweizerischen Strafrecht, SchwZStr. 81 (1965) S. 24 ff; H. Wegener Einführung in die forensische Psychologie, 1981; C. Weinschenk Beginnt die Schuldfähigkeit wirklich erst mit der Vollendung des 14. Lebensjahres? MonSchrKrim. 1984 S. 15 ff; K. Wilmanns Die sogenannte verminderte Zurechnungsfähigkeit als zentrales Problem der Entwürfe zu einem Deutschen Strafgesetzbuch, 1927; A. v. WinterfeldDie Bewußtseinsstörung im Strafrecht, N J W 1975 S. 2229 ff; H. Witter Psychologie, anthropologische Psychiatrie und forensische

520

Zurechnungsunfähigkeit und Unzumutbarkeit nach §§ 19,20,21 StGB

18.

Abschn

Freiheitsfrage, N J W 1959 S. 1573 f; ders. Affekt und Schuldunfähigkeit, MonSchrKrim. 1960 S. 20 ff; ders. Affekt und strafrechtliche Verantwortlichkeit, Kriminalbiologische Gegenwartsfragen 5 (1962) S. 89 ff; ders. Grundriß der gerichtlichen Psychologie und Psychiatrie, 1970; ders. Allgemeine und spezielle Psychopathologie, in : H. Göppinger und H. Witter (Hrsg.) Handbuch der forensischen Psychiatrie Bd. I, 1972, S. 429 ff; ders. Die Handlungsfähigkeit und die Verantwortlichkeit im Zivilrecht, in : H. Göppinger und H. Witter Handbuch der forensischen Psychiatrie Bd. II, 1972, S. 947 ff; ders. Die Beurteilung Erwachsener im Strafrecht, in: H. Göppinger und H. Witter{Hrsg.) Handbuch der forensischen Psychiatrie Bd. II, 1972, S. 966 ff; ders. Die Bedeutung des psychiatrischen Krankheitsbegriffs für das Strafrecht, Lange-Festschrift S. 723 ff; ders. Wissen und Werten bei der Beurteilung der strafrechtlichen Schuldfähigkeit, Leferenz-Festschrift S. 441 ff; ders. Richtige oder falsche psychiatrische Gutachten? MonSchrKrim. 1983 S. 253 ff; G. Wolff Gutachterliche Kompetenz bei der Klärung der Schuldfähigkeit oder: der Streit zwischen Psychiatrie und Psychologie, N J W 1983 S. 537 ff; G. WolfslastOk Regelung der Schuldfähigkeit im StGB, JA 1981 S. 464 ff; Th. Würtenberger Zur Problematik der strafrechtlichen Zurechnungsfähigkeit, JZ 1954 S. 209 ff; U. Ziegert Vorsatz, Schuld und Vorverschulden, 1987; H. Zipf Verminderte Zurechnungs- oder Schuldfähigkeit — Vergleich der österreichischen und der deutschen Regelung, in: H. Göppinger und P. H. ßresser(lrlrsg.) Sozialtherapie — Grenzfragen bei der Beurteilung psychischer Auffälligkeiten im Strafrecht, 1982, S. 157 ff.

1. Die Zurechnungsunfähigkeit der Kinder und bei Jugendlichen A. D a s G e s e t z präsumiert in § 19 StGB daß Kinder (nicht mindestens 14 Jahre alte 1 Menschen) z u r e c h n u n g s u n f ä h i g sind. Grundlage der Präsumtion ist die Erfahrung, daß Kinder nicht als Gleiche definiert w e r d e n und deshalb nicht kompetent sind, die N o r m g e l t u n g z u desavouieren. D i e Präsumtion schlägt nicht auf dogmatische Institutionen durch, die auf wirkliche Zurechnungsfähigkeit abstellen. Beispiel: O b die Beeinflussung eines Kindes, eine Straftat z u begehen, T e i l n a h m e an der T a t o d e r aber mittelbare Täterschaft ist, richtet sich nach der Reife des Kindes, nicht aber schematisch nach seinem Alter (siehe unten 2 1 / 7 1 , 9 6 ) . Β 1. Für Jugendliche (14, aber n o c h nicht 18 Jahre alte M e n s c h e n ; § 1 Abs. 2 J G G ) 2 ist nach § 3 J G G die Feststellung der Zurechnungsfähigkeit im Einzelfall z u t r e f f e n 2 . D i e Fähigkeit kann je nach der betreffenden T a t relativ sein. S o mag die Fähigkeit z u r Vermeidung einer Verkehrsunfallflucht nach einem Fahrradunfall einem Jugendlichen abgehen, w ä h r e n d er etwa das Tötungsverbot s c h o n hinreichend internalisiert hat. 2. H e r a n w a c h s e n d e (18, aber n o c h nicht 21 Jahre alte M e n s c h e n ; § 1 Abs. 2 J G G ) werden nach den allgemeinen Regeln der Zurechnungsfähigkeit beurteilt; Besonderheiten ergeben sich nur für die Rechtsfolgen und den P r o z e ß (§§ 105 ff J G G ) .

1 Früher § 1 Abs. 3 J G G a. F.; nach der Formulierung dieser Vorschrift war das Kind nicht verantwortlich, was zum Teil als bloße UnVerfolgbarkeit ausgelegt wurde. — Gegen eine fixe Grenze Weinschenk MonSchrKrim. 1984 S. 15 ff, 24. 2 Zur schwierigen Differentialdiagnose zwischen der Unreife nach § 3 J G G und der (vom Reifegrad unabhängigen) Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB siehe Bresser ZStW 74 S. 579 f f ; ders. Beurteilung jugendlicher Rechtsbrecher S. 267 ff; ders. H a n d b u c h Psychiatrie Bd. I S. 534 ff; ders. a a O Bd. II S. 1284 ff; Gerchow in: Ponsold S. 90 ff, 93; Schaffstein ZStW 77 S. 191 f f ; H. Kaufmann und Pirsch JZ 1969 S. 358 ff; Albrecht

Jugendstrafrecht § 11 V, jeweils mit Nachweisen. - N a c h BohnertNStZ 1988 S. 249 ff, 254 soll § 3 J G G , was die Einsichtsfähigkeit angeht, neben § 17 StGB funktionslos sein. Das ist freilich zu psychologisierend gedacht: Die bei § 17 StGB zählenden G r ü n d e f ü r die Unzuständigkeit des Täters f ü r seine Normunkenntnis sind diejenigen, die sich aus der Positivität des Rechts ergeben (siehe unten 19/6 ff); § 3 J G G stellt klar, daß auch Kindlichkeit ein Grund f ü r Unzuständigkeit ist, solange der Täter noch nicht 18 Jahre alt ist (wie § 20 StGB Krankheit etc. zum Grund erklärt).

521

18. Abschn

2. Buch. 3. Kapitel. Schuld

II. Die Schuldunfähigkeit (Zurechnungsunfähigkeit und bereichsweise Unzumutbarkeit) nach § 20 StGB A. Überblick 3

1. Das Gesetz nennt in § 2 0 S t G B Befunde (krankhafte seelische Störung, tiefgreifende Bewußtseinsstörung, Schwachsinn, schwere andere seelische Abartigkeit 2 a ), durch die es zum Ausschluß der Fähigkeit kommen kann, das U n r e c h t der T a t einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. D e r „zweistöckige" Aufbau nach Befund und Fähigkeit wird verbreitet als gemischt biologisch-psychologische Methode bezeichnet, was freilich die S a c h e nicht trifft: W e d e r ist der Befund biologisch — er ist allenfalls in einzelnen Fällen (bei exogenen Psychosen) biologisch untermauert — noch ist die Fähigkeit etwas Psychologisches — sie ist eine normative Konstruktion. Es geht um eine psychologisch-normative M e t h o d e 3 . Hierbei betrifft das Psychologische die Befunde, ist j e d o c h nicht im Sinn der Psychologie unter Ausgrenzung der Psychiatrie zu verstehen, sondern als Bezeichnung dafür, daß es bei der Bestimmung der Befunde um das Verständnis psychischer (und nicht biologischer) P h ä n o m e n e geht. Das N o r mative betrifft die Fähigkeit; diese ist kein psychischer Befund, sondern eine Zuschreibung.

4

Die Befunde sind nicht in § 20 S t G B genannt, weil nur von ihnen — und nicht von anderen Befunden — anzunehmen wäre, daß sie das S u b j e k t in seinem Verhalten determinieren. Deshalb können ihre Grenzen auch nicht nach einem „Determinationsm a ß " interpretiert werden. Das wird j e d o c h teilweise vorgeschlagen; so wird für die Gleichstellung des Affekts mit der (zum Kernbereich des § 20 S t G B gehörenden) Psychose das Argument gebracht, es gebe „keinen wissenschaftlichen Beweis dafür, daß psychoseabhängige Motive verhaltensdeterminierender sind als etwa die eines Affekttät e r s " 4 . Diese H e r v o r h e b u n g der Determination ist kategorial schief; daß schuldloses Verhalten determiniert sei, schuldhaftes Verhalten hingegen nicht determiniert, ist wissenschaftlich senschaftlich gewiß nicht bewiesen. S o kann ζ. B. als einigermaßen gesichert gelten, daß Streben nach G l ü c k oder Habgier determinieren, ohne daß darauf gegründete Schuldlosigkeit diskutabel w ä r e 5 . Erst recht kann existentielle N o t nach § 35 S t G B determinieren, ohne daß sie zwingend entschuldigt, und wenn sie entschuldigt, so nicht wegen ihrer Ähnlichkeit mit einem psychoseabhängigen Motiv. 2. Zu der (Vermutung einer) Determination durch den Befund kommt entscheidend hinzu, daß man das Subjekt wegen des Befunds von seinem Verhalten distanzieren kann. Dies ist in doppelter Weise möglich.

5

a) D e r Befund kann indizieren, daß bei der T a t ein ansprechbares, d. h. durch die übertretene R e c h t s n o r m determinierbares Subjekt überhaupt nicht mehr vorhanden ist, gleich mit welchem N a c h d r u c k die Ansprache geschieht. D a s ist nicht schon der Fall, wenn das Subjekt sich mehr oder weniger stark im Bereich objektiver, insbesondere psychopathologischer Muster bewegt, sondern erst dann, wenn die Muster nicht mehr moduliert werden und wenn zudem dieses Aufgehen im Nicht-Individuellen nicht Zur Entstehung der Gesetzesformulierung Lackner Kleinknecht-Festschrift S. 245 ff, 246 ff. — Zur Geschichte AK-Schild §§20, 21 Rdn. 3 ff, 10 f, 12 ff, 16 ff mit Nachweisen. 3 Ähnlich /escheck AT § 40 III 1 mit Fn. 19: „psychisch-normative Methode"; Rasch Psychiatrie S. 36 ff, 4 4 ; - SK-Rudolphi § 20 Rdn. 3 f, und LK-Lange §§ 20 f Rdn. 12 sprechen von einer „biologisch-normativen Methode"; siehe ferner 2a

522

Maurach-Zipf AT I § 36 Rdn. 24 f; Blei AT § 56 v o r i ; siehe schon M. E. Mayer AT Kap. 5 Β I 1. 4 Venzlaff ZStW 88 S. 57 ff, 60; Schreiber NStZ 1981 S. 46 ff, 48; ders. in: Begutachtung S. 3 ff, 15 — Dagegen Bresser Leferenz-Festschrift S. 429 ff, 435; Sa/Forensia 1985 S. 33 ff, 35. 5 Gegen die Verbindung von unbewußt wirkender Motivation und Schuldlosigkeit Glatzel StV 1982 S. 40 ff, 41 f.

Zurechnungsunfähigkeit und Unzumutbarkeit nach § § 1 9 , 2 0 , 2 1 StGB

18. A b S C h n

seinerseits als Möglichkeit individuellen Verhaltens verstanden 6 werden kann. Nicht das System „Subjekt" agiert dann, sondern ein objektives System oder — bei Schwachsinn — ein so reduziertes Subjekt, daß es mit dem Durchschnitt nicht mehr vergleichbar ist. Die Motivation wird in diesen Fällen andersartig gebildet als bei jedermann : Dem Täter fehlt die Kompetenz, Normgeltung zu desavouieren, und er ist deshalb nicht zurechnungsfähig. — Befunde dieser Art finden sich hauptsächlich bei den krankhaften seelischen Störungen und bei den schweren Formen des Schwachsinns. b) Der Befund kann aber auch dahin gehen, daß ein ansprechbares Subjekt noch vorhanden ist. Das Subjekt ist dann freilich in seiner Motivation zur Normbefolgung belastet (also zur Tat determiniert); besteht die Belastung aus Gründen, für die das Subjekt nicht zuständig ist, so kann es auf die Genese seiner Tatmotivation aus den ihm fremden Bedingungen verweisen und es ist in dem Maß entschuldigt, in dem die Genese allein durch die Bedingungen erklärt werden kann. Das ist der Bereich der Unzumutbarkeit. 3. Die Determination allein besagt also nichts; sie ist nur relevant, wenn sie das 6 Subjekt zerstört oder das Subjekt nichts angeht. Der Versuch, den ganzen § 20 StGB über einen Leisten zu schlagen, dürfte nicht nur zu begrifflichen Unschärfen führen, sondern auch den Bereich der nicht-krankhaften Befunde durch die Ausrichtung an den Psychosen zu stark einengen (dazu unten 18/16). Nun hängt es vom Leitbild eines Subjekts ab, wann dieses als zerstört gilt, und von den Vorannahmen über das Verhältnis des einzelnen Subjekts zur Gesellschaft, wann eine Zuständigkeit des Subjekts für die Bedingungen der Genese seiner Motivation besteht und in welchem Maß Bedingungen eine Motivation erklären können. Der Begriff des Subjekts und der Begriff der Zuständigkeit sind kriminalpolitisch bestimmt. Psychowissenschaftliche oder sozialwissenschaftliche Disziplinen, die in jedem delinquierenden Subjekt nur noch eine Form sehen, die mit objektiv bestimmten Verhaltensgestalten angefüllt ist, oder die eine Zuständigkeit für Antriebe prinzipiell nicht beim Subjekt gelegen sehen (wenn so etwas wie Zuständigkeit überhaupt noch anerkannt wird), können zur Klärung des strafrechtlichen Schuldproblems also nichts beitragen 61 (zu den Determinanten Gewohnheit, Tatsituation und Sozialisationsdefizit siehe schon oben 17/26 ff). 4. Mit der Maßgabe, daß der kriminalpolitische Rahmen nicht gesprengt wird, 7 können die in 5 20 StGB genannten Befunde um solche Befunde ergänzt werden, die gleichfalls einen Verlust der Subjektivität (Zurechnungsunfähigkeit) oder eine gleich hohe Belastung der Zumutbarkeit durch Bedingungen indizieren, die der Täter nicht zu verantworten hat (Unzumutbarkeit) 7 . Die Analogiefähigkeit ist praktisch bedeutungslos, da die Begriffe der Bewußtseinsstörung und der Abartigkeit elastisch genug sind, in Frage kommende Phänomene aufzufangen (genannt werden, ohne für § 20 StGB überhaupt praktisch relevant zu sein : Suggestibilität, sexuelle Hörigkeit, krasse Sozialisationsdefekte) ; Probleme liegen eher in der Weite der Begriffe. 6

Erhebliche Bedenken gegen den Begriff der Verstehbarkeit bei Rasch in: Ponsold S. 55 ff, 67; Scheme in: Schwerd S. 202 ff, 223 ff. - Die hiesige Lösung führt in dieselbe Richtung wie der strukturell-soziale Krankheitsbegriff von Rasch Psychiatrie S. 43 f, wonach es auf das „Ausmaß einer antiindividualisierenden, typisierenden Umprägung eines Menschen" ankommen soll. Zur Aufgabenverteilung zwischen Richter und Sachverständigem siehe Schreiber in: Begutachtung S. 3 ff, 40 ff.

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Im Ergebnis ebenso Schreiher in : Begutachtung S. 3 ff, 12; LK-Lange §§ 20 f Rdn. 13; Jakobs in: Sozialtherapie S. 127 ff, 138; siehe schon LKi-Nagier § 5 1 Anm. III 2; Hdlschner Strafrecht Bd. I S. 224; Mezger Probleme der strafrechtlichen Zurechnungsfähigkeit S. 37 ff; a. A. Lenckner Handbuch Psychiatrie Bd. I S. 3 ff, 112; Blau J u r a 1982 S. 393 ff, 397; Maurach-Zipf A T I 5 36 Rdn. 27; Schönke-SchröderLenckner% 20 Rdn. 5; SK-Rudolphi § 20 Rdn. 5; v. Hippel Straf recht Bd. II § 22 V I 2.

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B. Die krankhafte seelische Störung 1. Es geht um seelische Störungen, also nicht nur um Störungen der Geistestätigkeit, sondern um Störungen in möglicherweise allen psychischen Bereichen. Störungen sind nicht nur (negative) Abweichungen von einem zuvor gegebenen Zustand der Ungestörtheit (der Gesunde wird geisteskrank), sondern auch von einem zuvor nicht vorhandenen und nur zu fordernden Normalzustand (der Mensch ist als Geisteskranker geboren worden). Die Krankhaftigkeit ist weder objektiv-medizinisch als Indikation einer Behandlung noch subjektiv-medizinisch als Leidensdruck zu verstehen, sondern nach dem Zweck des § 20 StGB zu interpretieren: Eine Krankheit liegt vor, wenn das Bild des psychischen Befunds ergibt, daß die Tatmotivation vom Subjekt zumindest objektiv (nicht notwendig auch subjektiv) erlitten wird, vergleichbar mit dem körperlichen Erleiden einer körperlichen Krankheit. In schwereren Fällen wird das Subjekt durch die Krankheit überhaupt verborgen oder gar zerstört. Bei einem Befund dieser Art kann ein noch vorhandenes Subjekt auf die Genese seiner Motivation im Objektiven verweisen (Unzumutbarkeit). Geht das Subjekt im objektiven Muster auf, so ist es nicht mehr kompetent, Normgeltung zu desavouieren (Zurechnungsunfähigkeit). 2 a) Ein dementsprechendes psychopathologisches Bild ist bei den Psychosen (echte Geisteskrankheiten) gesichert 8 . Psychosen sind teils durch eine bekannte Korrelation zwischen dem psychopathologischen Bild und einem hirnorganischen Krankheitsbefund gekennzeichnet (organische oder exogene Psychosen). Zu dieser Gruppe gehören: progressive Paralyse, senile Demenz (überhaupt der krankheitsbedingte — und nicht angeborene — Schwachsinn 9 ), Hirnarteriosklerose, Hirnverletzungen, Hirnveränderungen durch Fieber, Geschwülste u. a. m. Weiterhin zählen diejenigen psychopathologischen Befunde zu den Psychosen, die kraft ihrer Analogie zu den exogenen Psychosen nach ihrem nosologischen Bild und nach ihrer Genese (beides streitig 10 ) die Vermutung eines korrelierenden hirnorganischen Prozesses nahelegen (endogene Psychosen; der hirnorganische Prozeß wird „postuliert"); es handelt sich um die Krankheiten, die den Formenkreisen der Schizophrenie 10a und der Zyklothymie zugeordnet werden (letztere auch schlecht genannt: manisch-depressives Irresein; weder gehören stets manische und depressive Phasen zum Krankheitsbild noch ist die Stimmungslage mit „Irresein" adäquat beschrieben). Im Anschluß an den Psychiater Kurt Schneider, der zwischen seelischen Abnormitäten als Folge von — körperlich fundierten — Krankheiten einerseits und als — nicht krankhaften — Spielarten des seelischen Wesens andererseits unterschieden hatte 1 ist die Bedeutung der demonstrierbaren oder postulierten organischen Korrelationen des

8 Siehe dazu die Darstellungen bei Rasch in: Ponsold S. 55 ff, 69 ff, 76 ff; Witter Handbuch Psychiatrie Bd. I S. 429 ff, 477 ff; ders. aaO Bd. II S. 966 ff, 968 ff; ders. Lange-Festschrift S. 723 ff; Langelüddeke-Bresser Gerichtliche Psychiatrie S. 96 ff; Scbewe in: Schwerd S. 202 ff, 223 ff, 242 ff; Venzlaff Psychiatrie der Gegenwart 2 Bd. III S. 883 ff, 888 ff, 901; Ehrhardt und Villinger Psychiatrie der Gegenwart 1 Bd. III S. 181 ff, 206 ff, 208 f; K. Schneider Beurteilung S. 7 ff, 14 f; ders. Klinische Psychopathologie S. 9 ff. 9 RG 73 S. 121 ff. 524

10 Siehe H. Kaufmann Kriminologie Bd. IS. 17 ff. 10a Zur Schizophrenie als bloßes „Denkmodell" Janzarik Nervenarzt 1986 S. 681 ff. 11 Beurteilung S. 14 f; ebenso de Boor Motivisch unklare Delikte S. 184 ff, 188; ders. Bewußtsein und Bewußtseinsstörungen S. 282 ff; Bresser N J W 1978 S. 1188 ff; Langelüddeke-BresserS. 96 ff. Der Krankheitsbegriff K. Schneiders WAT auch auf Seiten der Psychiatrie stets umstritten; siehe Mende Bockelmann-Festschrift S. 311 ff, 312 mit Nachweisen; Schreiber in: Begutachtung S. 3 ff, 14 ff.

Zurechnungsunfähigkeit und Unzumutbarkeit nach §§ 19, 20, 21 StGB

18. AbSChn

psychopathologischen Befunds zeitweise 12 überschätzt worden 1 3 . Der organische Befund hat aber strafrechtlich nur die Funktion, den psychischen Befund abzusichern oder auf einen diskreten psychischen Befund aufmerksam zu machen 1 4 . Letztlich gibt es zu jeder seelischen Regung irgendeinen körperlichen Befund; selbst die isoliert feststellbare Krankhaftigkeit dieses Befunds (etwa eine leichte Alkoholintoxikation) muß über die Krankhaftigkeit der seelischen Regung nichts aussagen, wie in der Umkehrung zumindest in Grenzfällen die Berechtigung zweifelhaft ist, zu jedem psychopathologischen Bild einen organischen Krankheitsbeîunà zu postulieren 1 5 . b) Ob Endstadien eines affektiven Prozesses (Bewußtseinsstörung) oder eines psy- 10 chopathischen oder neurotischen oder sonst zur Abartigkeit zählenden Verlaufs im Einzelfall differentialdiagnostisch von einer krankhaften seelischen Störung noch unterschieden werden können, ist kein strafrechtliches, sondern ein psychologisches und psychiatrisches Problem. Wenn in diesen Bereichen ein Subjektverlust wie bei einer Krankheit auszumachen ist, dann fehlt auch die Zurechnungsfähigkeit wie bei einer Krankheit. Für diesen Fall geht es also auch bei den Bewußtseinsstörungen und Abartigkeiten um Zurechnungsfähigkeit und nicht um Zumutbarkeit, d. h. die Frage der „Verschuldung" — praktisch wichtig bei Affekt und Sucht 1 6 — ist nicht aufzuwerfen. c) Ein psychopathologisches Bild ist auch bei schweren Intoxikationen gesichert, 11 etwa durch Alkohol, soweit der Täter überhaupt noch tatbestandsmäßig und rechtswidrig handelt oder tatbestandsmäßig und rechtswidrig unterläßt (Zurechnungsunfähigkeit beginnt nicht erst bei einer Berauschung, die keine koordinierten Körperbewegungen mehr zuläßt 1 7 ). Die Zuordnung von Rauschzuständen zur Krankheit — statt zur Bewußtseinsstörung — ist streitig 18 , wobei gegen die Zuordnung zur Krankheit angeführt wird, ein Rausch entstehe im Gegensatz zur Krankheit nicht schicksalhaft. Das kann nicht nur im Einzelfall anders sein (der listig herbeigeführte Rausch ist eher schicksalhaft als manche syphilitisch bedingte Paralyse 1 9 ), sondern vernachlässigt auch 12 Die lange Zeit vorhandene faktische Einigung zwischen Juristen und forensisch tätigen Psychiatern auf den Krankheitsbegriff von K. Schneider ist als „Pakt" bezeichnet worden, der die Funktion habe, die psychologische, psychoanalytische und sozialwissenschaftliche Problematik der Schuld auszuklammern: Moser Repressive Kriminalpsychiatrie, S. 54 ff und passim; siehe auch Kargl Kritik S. 208 ff, 218 ff; Mahlmann Verwissenschaftlichung S. 25 ff, 112 f. Das dürfte im Ansatz richtig sein, ist freilich überhaupt kein Vorwurf, obgleich als solcher gemeint: Für das Strafrecht wirken nicht übersehbare oder nicht begrenzbare Exkulpationen dysfunktional. — Zur forensischen Leistungsfähigkeit der Psychoanalyse siehe Bräutigam H a n d b u c h Psychiatrie Bd. I S. 773 ff, 794 f f ; de Boor Bewußtsein und Bewußtseinsstörungen S. 66 ff. Das gilt nicht nur f ü r die Verengung des Krankheitsbegriffs, sondern auch f ü r die Aufwertung somatischer Mikrobefunde zu Exkulpations„Gründen", so etwa in der Diskussion um die Chromosomenanomalie; dagegen kritisch Witter Lange-Festschrift S. 723 ff, 727, 731 f; den. Grundriß S. 257 ff; Schewe in: SchwerdS. 202 ff, 238 ff; /.-£. MeyerMonSchrKrim. 1981 S. 224 ff, 225; Venzlaff Richterakademie-Festschrift S. 277 ff, 284 f; den. in: Begutachtung S. 79 ff,

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84. — Gegen eine automatische Relevanz hirnorganischer Befunde auch GlatzeI StV 1990 S. 132 ff. Witter Lange-Festschrift S. 723 ff, 727; Schewe in: Schwerd S. 202 ff, 235; Rasch in: Ponsold S. 55 ff, 71 ; Janzank H a n d b u c h Psychiatrie Bd. I S. 588 ff, 645 ff; Venzlaff Schaffstein-Festschrift S. 293 ff, 295 ; eingehend Krümpelmann Z S t W 88 S. 6 ff, 14 ff, 17 ff mit weiteren Nachweisen. Witter Lange-Festschrift S. 723 ff, 727 mit Bei- ' spielen. Krümpelmann ZStW 88 S. 6 ff, 36. R G 63 S. 46 ff, 48; 64 S. 349 ff, 354 f ; 67 S. 149 f; B G H 1 S. 385 ff, 386; B G H V R S 8 S. 49 ff, 51; BayObLG N J W 1953 S. 1523 f; O L G Schleswig DAR 1973 S. 20 f ; SK-Rudolphi § 2 0 Rdn. 7; Schönke-Schröder-Lenckner §20 Rdn. 16; — Kritisch zur Grenze H a n d l u n g Schuld Schewe Beiheft ZStW 1981 S. 39 ff, 68 f; siehe dazu oben zum Handlungsbegriff 6/41. Wie hier B G H N J W 1969 S. 563; RaschStV 1984 S. 264 ff, 268 ; SK-Rudolphi § 20 Rdn. 7; /escheck A T § 40 III 2 a; siehe auch B G H StV 1982 S. 69; LK-Lange §§ 20 f Rdn. 20; a. A. Krümpelmann ZStW 88 S. 6 ff, 16 mit Fn. 44; vermittelnd BresserForensia 1984 S. 45 ff, 59. Zutreffend Schönke-Schröder-Lenckner § 20 Rdn. 15.

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2. Buch. 3. Kapitel. Schuld

die Ähnlichkeit der Symptomatik des Rauschs mit derjenigen einer Psychose 2 0 . Ferner ist es vorzugswürdig, den Begriff der Bewußtseinsstörung f ü r Fälle der Unzumutbarkeit zu reservieren; beim schuldausschließenden Rausch kommt jedoch, wie § 323 a StGB lehrt, nur Zurechnungsunfähigkeit, nicht aber eine (maßstabsabhängige!) Unzumutbarkeit in Betracht 2 1 . Im Blick auf die Bestrafungsmöglichkeit nach § 323 a StGB dürfte die volle Exkulpation häufig zu früh gewährt werden 2 2 . O b ein Rausch die Zurechnungsfähigkeit ausschließt, hängt nicht von der wirkenden Menge des Gifts ab, sondern von seiner Auswirkung auf den Täter im Blick auf die Tat. Insbesondere läßt sich beim Alkoholrausch keine feste Promillegrenze angeben 2 3 . 12

3. Bei einer Psychose wird nahezu stets nicht auszuschließen sein, daß bei der Tat das Subjekt durch den objektiven Prozeß zerstört w u r d e 2 4 , so daß Zurechnungsunfähigkeit anzunehmen ist. Im Grenzfall und bei Intoxikationen mäßiger Art mag jedoch trotz der Krankheit noch ein zurechnungsfähiges Subjekt aufweisbar sein, das freilich in seiner Motivation durch die Krankheit belastet ist. Die volle Exkulpation ist dann nicht ausgeschlossen, sondern eine Frage der Zumutbarkeit, also vom anzulegenden Maßstab abhängig; der Maßstab wiederum richtet sich nach der Zuständigkeit des Täters f ü r den Defektgrund. Beispiel: Der von Erwachsenen betrunken gemachte, alkoholunerfahrene 15-jährige Junge ist nicht erst dann voll entschuldigt, wenn auf Grund des Maßes der Trunkenheit Zurechnungsunfähigkeit anzunehmen ist (Unansprechbarkeit durch die betreffende N o r m , gleich mit welchem N a c h d r u c k die Ansprache geschieht), sondern bereits bei einem Maß, bei dem das Fehlverhalten durch extreme Besonnenheit noch vermieden werden könnte; mangels Zuständigkeit f ü r den Defektgrund ist einem solchen Täter das Ausbleiben der Extremleistung nicht anzulasten.

C. Der Schwachsinn 13

Die besondere Nennung des Schwachsinns 2 5 neben den krankhaften seelischen Störungen ist wegen des — ohne nachweisbaren Krankheitsprozeß — angeborenen 20 Rasch in : PonsoldS. 55 ff, 81 f. 21 A.A. LK-Lange § 20 f Rdn. 2 4 , 2 9 ; der Sache nach auch Streng J Z 1984 S. 114 ff, 119. 22 Zum historisch nachweisbaren Zusammenhang von Exkulpation und kriminalpolitischem Bedürfnis nach H a f t u n g bei Taten im Alkoholrausch (vermehrte Annahme von Zurechnungsunfähigkeit nach Schaffung von § 330 a StGB a. F. = 323 a StGB) treffend Krümpelmann ZStW 88 S. 66 ff, 23 f. 23 B G H N S t Z 1982 S. 243 und S. 376 und J R 1988 S. 208 f und 209 f (mit Anmerkung Blau a a O S. 210 ff) mit Nachweisen der vorangehenden Rechtsprechung; Breuer Forensia 1984 S. 45 ff. — Aber von 2 Promille an soll eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit naheliegen, B G H N S t Z 1988 S. 450; 1989 S. 17; StV 1989 S. 14; Rasch Psychiatrie S. 199; bei alkoholgewöhnten Tätern jedenfalls bei 2,6 Promille, B G H N J W 1988 S. 779 f; oder 2,5 Promille, B G H 34 S. 29 f f ; regelmäßig bei 2,4 Promille, B G H 36 S. 286 ff, 288; überhaupt gegen solche Grenzen Rengier und Forster Blutalkohol 1987 S. 161 ff, 167 f. — Eingehend zum Verhältnis von

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psychischem Befund und Promillegrenze Schewe Venzlaff-Festschrift S. 40 ff; ders. J R 1987 S. 179 ff (dort Kritik an B G H 34 S. 29 f f ) ; Krümpelmann ZStW 99 S. 191 ff, 196 f f ; Blau J R 1989 S. 337 f. — Zu der reichhaltigen Rechtsprechung in Straßenverkehrssachen siehe Schönke-Schröder-Lenckner § 2 0 Rdn. 16 f; LK-Lange § 20 f Rdn. 25. — Zum sogenannten pathologischen Rausch siehe Ponsoldin: PonsoldS. 206 ff, 257 f; Rasch in: Ponsold S. 55 ff, 82; Schewe in: Schwerd S. 202 ff, 223 ff, 231 f; Breuer a a O S. 52 f. — Zur Problematik der forensischen Beurteilung siehe Witter H a n d b u c h Psychiatrie Bd. II S. 966 ff, 1029 f f ; Luthe und Rosier ZStW 98 S. 314 ff. — Zur beweisrechtlichen Problematik des Schlusses von rückberechneter Alkoholkonzentration auf Schuldunfähigkeit siehe Schewe Bund-gegen-Alkohol-im-Straßenverkehr-FestschriftS. 171 ff. 24 LK-Lange §§ 20 f Rdn. 51 f. 25 Zur forensischen Begutachtung: Witter H a n d buch Psychiatrie Bd. II S. 966 ff, 985 f f ; Specht in: Begutachtung S. 231 ff; Wegener Einführung S. 90 f f ; B G H N J W 1967 S. 299.

Zurechnungsunfähigkeit und Unzumutbarkeit nach § § 1 9 , 2 0 , 2 1 StGB

18. AbSChn

Schwachsinns erfolgt und als Rest eines auf somatische Prozesse abstellenden Krankheitsbegriffs zu verstehen 26 . Das — angeborene — Fehlen einer zur Sozialisation erforderlichen Intelligenz, Erlebnisfähigkeit und der Fähigkeit, Erlebnisse zu verarbeiten (Schwachsinn ist nicht nur in Form der Gewieischwäche möglich 27 ), ließe sich auch als — angeborene — Krankheit definieren. — Ob und für welche Normen der Schwachsinn die Kompetenz des Täters ausschließt, Normgeltung in Abrede zu stellen, hängt — ganz entsprechend der Lage bei Kindern und Jugendlichen — vom Grad des Schwachsinns und dem Maß der trotz des Defektes gelungenen Sozialisation ab. Psychiatrie 28 und — mehr um Differenzierung bemüht — Psychologie 29 unterscheiden die — kriminologisch hauptsächlich relevante — Debilität (leichter Grad, kein Volksschulabschluß möglich, aber Lesen und Schreiben werden gelernt; die praktische Intelligenz ist besser ausgestaltet) von der Imbezillität (mittlerer Grad; praktisch erforderliche Familien- oder Anstaltspflege führt zu nur seltener krimineller Auffälligkeit) und der Idiotie (schwerer Grad; dauernde Verwahrung und elementare Versorgung sind unumgänglich). D . Die Bewußtseinsstörung und die Abartigkeit 1. Nochmals : Zur Trennung von Zurechnungsunfähigkeit und Unzumutbarkeit bei § 20 StGB a) Wenn sich auf Grund einer Bewußtseinsstörung oder einer Abartigkeit ergibt, 14 daß sich die Verhaltensweisen des Täters in nicht mehr modulierten objektiven Mustern erschöpfen, und wenn dieses Aufgehen im Objektiven nicht als — zeitweise — Möglichkeit eines individuellen Verhaltens verstanden werden kann, fehlt die Zurechnungsfähigkeit, ohne daß es auf die Krankhaftigkeit, Krankheitsähnlichkeit oder Krankheitswertigkeit des Befunds ankäme 3 0 . Ein Täter, der zum „passiven Objekt von Funktionsabläufen" wird 3 1 , wird als zurechnungsunfähig definiert. Ob sich ein entsprechend massiver psychischer Befund bei Bewußtseinsstörungen und Abartigkeiten einstellen kann 3 2 , ist kein strafrechtliches, sondern ein psychiatrisches und psychologisches Problem. Die Befunde der Bewußtseinsstörung und der Abartigkeit erhalten ihr praktisch bedeutendes Gewicht aber erst, wenn sie unabhängig von dem völligen Verlust der Subjektivität, also unabhängig von der Zurechnungsunfähigkeit, auch als eine Regelung der Zumutbarkeit bei noch gegebener Zurechnungsfähigkeit verstanden wer-

26 Siehe Witter H a n d b u c h Psychiatrie Bd. I S. 429 ff, 490, der den Schwachsinn deshalb als bloße psychische Variation ansieht. 27 R G 7 3 S . 121 ff, 122. 28 Witter H a n d b u c h Psychiatrie Bd. I S. 429 ff, 490. 29 Wegener Einführung S. 91 ff. 3° Anders wohl Witter Lange-Festschrift S. 723 ff, 733: Der Befund müsse „psychoseähnlich" sein; siehe auch Ehrhardt und Villinger Psychiatrie der Gegenwart 1 Bd. I I I S . 181 ff,206 ff,211 f. 31 Wegener Einführung S. 80 zum Affekt. 32 Überhaupt verneinend wohl Bresser N J W 1978 S. 1188 ff. - Den Affekt nach § 2 1 3 StGB und den Affekt, der nach § 20 StGB gegebenenfalls voll exkulpieren soll, halten für nicht unterscheidbar, so daß eine volle Exkulpation beim normalpsychologischen Affekt unangebracht sein soll,

Witter Kriminalbiologische Gegenwartsfragen H e f t 5 S. 89 ff, 91 f f ; den. MonSchrKrim. 1960 S. 20 ff, 28 f ; den. H a n d b u c h Psychiatrie Bd. II S. 966 ff, 1023 ff, 1027; Haddenhrock N J W 1979 S. 1235 ff, 1237; Janzank Handbuch Psychiatrie Bd. I S. 588 ff, 651 ; a. A. Venzlaff Psychiatrie der G e g e n w a r t 2 Bd. III S. 883 ff, 901 ff; den. ZStW 88 S. 57 ff, 60; ders. Blau-Festschrift S. 391 f f ; R a s c b N r W 1980 S. 1309 ff (mit freilich erheblichen Verbindungen zur Gegenansicht); insbesondere aber Vertreter der Psychologie, siehe Undeutsch in: Ponsoldï S. 130 ff, 133 ff; Thomae und Schmidt H a n d b u c h der Psychologie Bd. X I S. 326 ff, 342 ff; Wegener E i n f ü h r u n g S. 89 f f ; Heiss in: Blau und Müller-Luckmann S. 223 ff, 226 ff. - Dazu Albrecht GA 1983 S. 193 ff, 203 ff.

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18. A b s c h n

2. Buch. 3. Kapitel. Schuld

den 3 3 . Für eine solche Regelung gilt dann freilich, was das Gesetz bei präziser gefaßten Zumutbarkeitsbestimmungen anordnet (oben 17/71 f), seil, daß der Verhaltenslängsschnitt bei der Beurteilung zu berücksichtigen ist, also die „Verschuldung" der Lage. 15 b) Bei dieser partiellen (Re-)Normativierung der für die Entschuldigung bei Bewußtseinsstörung und Abartigkeit geltenden Aspekte verliert auch das gegen die Nennung dieser Befunde in § 20 StGB vorgebrachte Bedenken eines „Dammbruch(s)" 34 bei der Exkulpation an Gewicht 35 . Es wird befürchtet, daß mangels Verfügbarkeit von überprüfbaren Diagnosetechniken, die zu hinreichend randscharfen Ergebnissen führen, auch Affekte, Psychopathien, Neurosen etc. von ubiquitärem Format zur Exkulpation führen müssen. Bei der Zumutbarkeitslösung gibt es aber nur eine normativ korrigierte Relation von psychischem Befund und Schuld und deshalb keinen „Entschuldigungsautomatismus". 16

c) Freilich eröffnet die Zumutbarkeitslösung die Möglichkeit der vollen Entschuldigung gerade in Fällen, in denen die Zurechnungsfähigkeitslösung sie versagt, seil, bei einem zwar motivatorisch belasteten, aber intakten Subjekt 3 5 a . Das ist sachlich auch richtig, denn es entspricht dem System von Beschuldigung und Entschuldigung. Wenn das Gesetz in den Fällen spezieller Regelungen von Affekten (§§ 33, 213 StGB) darauf abstellt, daß der Konflikt — voll oder teilweise — dem Opfer selbst zugerechnet werden kann, so ist dieser Aspekt auch bei § 20 StGB bedeutungsvoll 35b : Wenn das Opfer selbst zurechenbar mitwirkt oder der Täter sonst die Genese seines Affekts von sich weg verlagern kann, tritt volle Entschuldigung eher ein als in Fällen eines nicht zu verlagernden Affektgrunds. Wenn weiterhin nach § 35 StGB die Befreiung aus nicht zu verantwortender existentieller Gefahr entschuldigt ist, so kann — etwa — dem „unverschuldet" abartigen Täter nicht zuzumuten sein, den aus der Abartigkeit resultierenden Belastungen auch dann noch zu widerstehen, wenn dieser Widerstand zum Zusammenbruch seiner psychischen Existenz führt. Entsprechend ist dem „unverschuldet" Süchtigen Normbefolgung schon unzumutbar, wenn die körperlichen Qualen das in den Fällen von § 35 StGB zu vermutende Maß erreicht haben; daß seine Abartigkeit seine 33 Siehe dazu schon Witter Kriminalbiologische Gegenwartsfragen H e f t 5 S. 89 ff, 91 ff; ders. MonSchrKrim. 1960 S. 20 ff, 28 f; ders. H a n d buch Psychiatrie Bd. II S. 966 ff, 993 f, 1023; Haddenbrock Handbuch Psychiatrie Bd. II S. 863 ff, 929 ff; Jakobs in: Handlungsanalyse S. 21 ff, 27 ff, 30; ders. in: Der Sachverständige S. 271 ff, 278 ff; Bernsmann N S t Z 1989 S. 160 ff, 162; ähnlich Ziegert Vorsatz S. 189 ff, der den verschuldeten Affekt als Vorsatz-FahrlässigkeitsKombination deutet. — O b ein psycho/>af¿ologisches Referenzsystem mit den krankhaften seelischen Störungen als der „maßgeblichen Gruppe" den Zumutbarkeitsbereich zutreffend umreißt (so Saß Forensia 1985 S. 3 ff, 38), ist zumindest zweifelhaft. — Gegen die Aufschlüsselung in Zumutbarkeit und Zurechnungsfähigkeit bringt Scheme vor (Hallermann-Festschrift, S. 76 ff, 84; ders. Reflexbewegung, Handlung, Vorsatz S. 134 ff), die Zumutbarkeit stelle auf situative Momente ab, passe also auf den Affektfall nicht; dieser sei — wie die anderen Fälle der Zurechnungsfähigkeit — ein Problem des tauglichen Adressaten. Es gibt jedoch kein Verbot, die titerinterne Situation als Grund einer Unzumutbarkeit anzusehen. So sind nach hiesigem Verständnis alle Fälle des §21

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StGB solche (der Zumutbarkeit oder) eingeschränkten Unzumutbarkeit (oben 17/70; unten 18/28). Auch muß bei externen Situationen (etwa Lebensgefahr in § 35 StGB) sowieso ein — freilich zum Teil präsumiertes — internes Moment (etwa Angst) hinzukommen. — B G H N S t Z 1990 S. 231 verlangt allerdings eine „den krankhaften seelischen Störungen gleichwertig(e)" Beeinträchtigung; darauf kam es im gegebenen Fall allerdings nicht an, da der Täter für seine Verfassung selbst zuständig war. 34 Siehe BT-Drucksache V/4095 S. 10. 35 Dazu, daß dieser Dammbruch nicht eingetreten ist, siehe SchreiberNStZ 1981 S. 46. 35a Ahnlich Lackner Kleinknecht-Festschrift S. 245 ff, 262, wonach die bei allen Konzepten „unvermeidbare und meist schon prinzipiell nicht aufklärbare Zone der Unbestimmtheit" durch „präventive Erwägungen ausgefüllt" werden soll. Bei der hiesigen Konzeption wird die Ausrichtung an der Prävention freilich nicht auf das Unerklärbare beschränkt, sondern umfaßt den gesamten Bereich. 35b B G H NStZ 1986 S. 264; Neumann Zurechnung S. 240 ff, 255 ff.

Zurechnungsunfähigkeit und Unzumutbarkeit nach §§ 19,20,21 StGB

18. AbSChn

Subjektivität s c h o n zerstört hat, ist — anders als bei der Zurechnungsunfähigkeit — zur Entschuldigung nicht erforderlich. 2. D i e tiefgreifende Bewußtseinsstörung a) D i e B e w u ß t s e i n s s t ö r u n g 3 6 kann eine krankhafte seelische Störung sein (Fieberde- 1 7 lirium; Berauschung). Eine eigene Bedeutung hat der Begriff für n o r m a l p s y c h o l o g i s c h e B e w u ß t s e i n s s t ö r u n g e n 3 7 , etwa D ä m m e r z u s t ä n d e bei hochgradiger Ü b e r m ü d u n g , posthypnotische Zustände und — praktisch einzig w i c h t i g 3 7 a — affektive Erregung 3 7 · 3 . Jedenfalls muß bei V o r s a t z das aktuelle, w e n n auch nicht reflektierte Bewußtsein des folgenreichen Agierens n o c h v o r h a n d e n sein, bei Fahrlässigkeit muß dieses Bewußtsein mit dem unterstellten dominanten Motiv der Folgenvermeidung erreichbar sein; entsprechendes gilt für Unterlassungen. O h n e dieses aktuelle oder hypothetische Bewußtsein fehlt es s c h o n an einem tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen V e r h a l t e n 3 8 . Mit Bewußtsein wird das Selbstbewußtsein in seiner B e z i e h u n g auf das Bewußtsein v o n der Außenwelt gemeint. Bei der Bewußtseinsstörung unterbleibt die sonst selbstverständliche Prüfung der aktuell v o r A u g e n stehenden Planung ( o h n e diese kein V o r s a t z ) am Interessenzusammenhang der Person, weil die „sonst bewußtseinspräsente Metaplanung mit ihren normierenden und wertbesetzten ,Richtlinienkompetenzen' vorübergehend außer Kraft gesetzt" ist 3 9 . Störung ist also eine Desorientierung, die aber gleichw o h l das Bewußtsein nicht überhaupt aufhebt, s o n d e r n eingeengt beläßt; nicht das Bewußtsein geht beim Affekt verloren, sondern die Besonnenheit^. Obgleich es auf den psychischen Befund a n k o m m t und eine Herleitbarkeit des Befunds aus krankhaften (Fieber) oder toxischen (Alkoholrausch) V e r ä n d e r u n g e n nicht erforderlich i s t 4 1 , sind solche sogenannten konstellativen Faktoreniür die gutach36 Nach psychologischer Definition kann die Bewußtseinsstörung als Oberbegriff aller Befunde des § 20 StGB verstanden werden; Undeutsch in: Ponsoldl S. 130 ff; ders. Handwörterbuch Kriminologie Bd. I S. 205 ff, 223 (Stichwort Forensische Psychologie); dagegen de Boor Bewußtsein und Bewußtseinsstörungen S. 114 ff. — Aus psychiatrischer Sicht wird eine eigene „Kategorie" für die normalpsychologisch bedingte Bewußtseinsstörung f ü r verfehlt gehalten, da eine solche Störung im Rahmen des § 20 StGB eine „echte Ausnahme" sei, deren Beurteilung kein „Eigenleben" entfalten dürfe, sondern im steten Blick auf krankhaft bedingte Störungen zu erfolgen habe; W F o r e n s i a 1983 S. 1 ff, 20. - Zum Verständnis des Bewußtseins in der Psychologie Wegener Einführung S. 73 ff. — Psychiatrisch zum Affekt Z)ies//ZStW 78 S. 638 ff; Arthur Kaufmann Schuldprinzip S. 137 f f ; Gallas Mezger-Festschrift S. 31 I f f , 319 f; SchmidhäuserGesinnungsmerkmale S. 185 Fn. 70; /escheck A T § 37 II 3; Schönke-SchröderLenckner Rdn. 119 f vor § 3 2 ; LK-Hirsch

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Rdn. 209 ff vor § 32; Welzel Strafrecht § 22 IV; ders. DJT-Festschrift S. 383 ff; Maurach-Zipf AT I § 3 5 Rdn. 7; Lackner § 17 Anm. 2 a; Bockelmann-Volk A T § 16 C II 4 b. — Dem hiesigen funktionalen Ansatz vergleichbar argumentiert Roxin Maihofer-Festschrift S. 389 ff, 398 ff: Die Bestandsbedingungen des Staats als des Garanten der Gewissensfreiheit sollen gewissensresistent sein. Mit geringfügigen Ausnahmen soll dies auch für Individualrechtsgüter gelten (S. 400 ff). Im Randbereich öffentlicher Güter soll freilich Straffreiheit möglich bleiben, solange der Gewissensentscheid die O r d n u n g nicht stört (etwa „statistisch gering" bleibt, S. 399). Roxin artikuliert diese Zwecküberlegungen nicht als Inhalt der Schuld (die bei einer Gewissenstat stets gegeben sein soll, S. 409 f), sondern der Verantwortlichkeit, wobei es darum gehen soll, ob Strafe notwendig oder aber Strafverzicht „präventiv tolerabel" ist (S. 411 ; ders. Henkel-Festschrift S. 171 ff, 195 f; dazu oben 17/Fn. 45). 33a Dies zeigt sich nach einer gewissenswidrigen Tat in der Scham des Überzeugten. Nach P. Tiedemann D Ö V 1984 S. 61 ff, 64 f soll dies freilich die Folge einer Zwangsneurose sein (siehe auch Herdegen GA 1986 S. 97 ff, 111); so kann man jeden kategorischen Imperativ abtun. — Eine Konflikttat liegt nur vor, wenn es für den deliktischen Weg keine Äquivalente gibt (Roxin Maihofer-Festschrift S. 389 ff, 397 f). Beispiele: Die Gewissenspflicht zum Protest gegen die Regierung zwingt nicht notwendig auch zum Protest durch eine rechtswidrige Verkehrsblockade; die Gewissenspflicht, einem schwer Leidenden auf dessen Verlangen zu einem schnellen T o d zu verhelfen, muß nicht stets notwendig durch Fremdtötung (§ 216 StGB), sondern kann manchmal auch durch Hilfe zur Selbsttötung erfüllt werden. Zwar dürfte unter dem Druck des Gewissens manche Differenz zwischen legalem und illegalem Verhalten als nicht ausschlaggebende Marginalie erscheinen; es gibt aber kein Rechtsprinzip, das es erlaubt, Kleinigkeiten vermeidbar zu opfern, nur weil Großes auf dem Spiel steht. 34 BVerfG 12 S. 46 ff, 55. - Zur Frage, ob der T ä ter seine Überzeugung f ü r generalisierbar halten muß, siehe bejahend BVerwG D Ö V 1982 S. 675 f; ganz entschieden P. Tiedemann D Ö V 1984 S. 61 ff mit Nachweisen.

Unzumutbarkeit

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dann durchgehalten w e r d e n , w e n n sie ihn belastet. Erst an der Bereitschaft, auch die Kosten einer Ü b e r z e u g u n g z u tragen, zeigt sich die Verbindlichkeit der Ü b e r z e u g u n g . — Innerhalb der verbindlichen Ü b e r z e u g u n g e n z w i s c h e n „echten" Ü b e r z e u g u n g e n und bloßen „Ideologien" z u differenzieren, ist nicht m ö g l i c h 3 5 , w a s freilich nicht bedeutet, daß der Inhalt der Ü b e r z e u g u n g irrelevant w ä r e ; denn ob und in w e l c h e m Maß der Täter für den Konflikt selbst zuständig ist, hängt v o n den Möglichkeiten ab, ihn auf andere Systeme z u verlagern. D i e Möglichkeiten wiederum richten sich nach dem Maß, in dem der normativen O r d n u n g durch den K o n f l i k t ein S c h a d e n droht. D a ß hierbei dem esoterischen Sektierer zugute gehalten w e r d e n kann, was beim aggressiven Terroristen belastend wirkt, seil, die Unerschütterlichkeit der Ü b e r z e u g u n g 3 6 , ist ein deutliches Zeichen für die Funktionalität des Schuldbegriffs und ist nicht verschämt z u kaschieren, s o n d e r n o f f e n z u entfalten. Es geht darum, daß der Täter, so er seine Ü b e r z e u g u n g und die rechtliche O r d n u n g nicht in Einklang bringen kann, v o n der O r d n u n g her gesehen ein Sozialisationsdefizit aufweist und deshalb entschuldigt w e r den kann, w e n n dieser Befund — entsprechend der Lage bei der Schuldfähigkeit oder beim Verbotsirrtum im Kernbereich — ohne Schaden für die R e c h t s o r d n u n g am Täter vorbei erklärt w e r d e n kann; fehlt diese Möglichkeit, so ist der Täter nicht entschuldigt, und zwar auch dann nicht, w e n n für ihn der Konflikt ein existentielles A u s m a ß annimmt37. 3. Obgleich einleuchtet, daß jeder Mensch seine Ü b e r z e u g u n g e n nur in einem engen 23 Rahmen lenken kann, gibt es nur w e n i g e Möglichkeiten, einen K o n f l i k t o h n e S c h a d e n für die R e c h t s o r d n u n g am einzelnen vorbei z u erklären; denn das Recht kann das Risiko, daß eine Identitätsbildung nicht r e c h t s k o n f o r m ausfällt, im Regelfall nicht tragen. Eine andere L ö s u n g würde voraussetzen, daß die Identitätsbildung kontrolliert und notfalls rechtzeitig korrigiert wird, was mit einer auch nur einigermaßen freiheitli-

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Bockelmann CK 1976 S. 314 ff, 317 f ; den. Welzel-Festschrift S. 543 ff, 550 f ; Schünemann in: Politisch motivierte Kriminalität S. 49 ff, 87 (siehe aber auch S. 107); Roxin Maihofer-Festschrift S. 389 ff, 392 f ; a. A. Bopp Gewissenstäter S. 55 ff; siehe aber auch Schulte und Träger BGH-Festschrift S. 251 ff. 36 Siehe dazu Schünemann in: Politisch motivierte Kriminalität S. 49 ff, 80. 37 Α. A. Stratenwerth AT Rdn. 616 ff, 618, der § 35 StGB analog anwenden will, aber nicht berücksichtigt, daß der Täter einerseits für den Konflikt zuständig sein kann, also den Konflikt „verursacht" haben mag, und andererseits auch bei Konflikten nicht existentiellen Ausmaßes unzuständig sein mag. Bleibt die Zuständigkeit des Täters unberücksichtigt, so müßte bei dieser Lösung auch § 34 StGB analog angewendet werden : Etwa die Verweigerung (auch) des Zivildienstes aus Gewissensgründen wäre rechtmäßig. Das Gesetz wertet eine solche Konfliktlösung freilich als unangemessen, wie die Begründung der Zivildienstpflicht in der Verfassung zeigt. Bei Zivildienstverweigerung zutreffend auch gegen Entschuldigung BVerfG 19 S. 135 ff (mit ablehnender Anmerkung Arndt N J W 1965 S. 2195 f); 23 S. 127 ff (mit ablehnender Anmerkung Arndt N J W 1968 S. 979 f); O L G Bremen N J W 1963 S. 1932 ff; O L G Stuttgart N J W 1963 S. 776 f; O L G Karls-

ruhe J Z 1964 S. 761 ff. - Jedoch soll die kontinuierliche Zivildienstverweigerung aus einer Gewissensentscheidung eine T a t im Sinn von Artikel 103 Abs. 3 G G sein (es geht aber um mitbestrafte Nachtaten, siehe unten 31/34); BVerfG 23 S. 191 ff; BVerfG N J W 1984 S. 1675 (Vorprüfungsbeschluß) ; BayObLG StV 1984 S. 369 f f ; O L G Celle J Z 1985 S. 954 f mit kritischer Anmerkung Struensee a a O S. 955 ff (keine Identität bei nicht als Verweigerer Anerkannten; sehr zweifelhaft, da es eine Anerkennung als „Totalverweigerer" nicht gibt; die Wiederholbarkeit der Bestraf u n g soll wohl erzwingen, daß das Anerkennungsverfahren nicht obsolet wird); O L G Düsseldorf N J W 1985 S. 2429; LG Duisburg N J W 1985 S. 814 f ; AG Stade StV 1985 S. 143 ff; zur Rechtsprechung siehe Peters J Z 1966 S. 457 f f ; den. Engisch-Festschrift S. 468 f f ; Düng jZ 1967 S. 426 f f ; Herdegen GA 1986 S. 97 ff, 102 ff. Für die Möglichkeit voller Entschuldigung der Zivildienstverweigerung bei freilich viel zu stark psychologisierender und deshalb die Bestandsbedingungen der O r d n u n g vernachlässigender Begründung AG Lüneburg StV 1984 S. 64 f und Nestler-TremelStV 1985 S. 343 ff, 350. - Zu den Konsequenzen kontinuierlicher Verweigerung für die Strafaussetzung O L G Oldenburg N J W 1989 S. 1231.

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20. Abschn

2. Buch. 3. Kapitel. Schuld

chen Verfassung unverträglich wäre. Die in der Regel beim einzelnen liegende Einstandspflicht ist die Kehrseite der Freiheit seiner Persönlichkeitsbildung.

B. Die Voraussetzungen der Entschuldigung 24

1. Erklärungen des Konflikts am Täter vorbei sind in den folgenden drei — kumulierbaren ! — Weisen möglich : a) Eine — volle oder partielle — Erklärung ohne Schaden f ü r die Rechtsordnung und am Täter vorbei ist insoweit möglich, als der Konflikt zu den notwendigen Kosten eines unverzichtbaren Prinzips gerechnet werden kann. Das Recht kann auf das Prinzip überzeugungskonformen Verhaltens nicht verzichten, da ohne festen Bestand an „inneren" N o r m e n der Subjekte eine zuverlässige soziale Integration ausgeschlossen ist 3 8 . Das Prinzip des überzeugungskonformen Verhaltens kann deshalb — wie jedes andere notwendige Prinzip — damit belastet werden, daß bei seiner D u r c h f ü h r u n g auch einige Zufallsfehler produziert werden. W e n n das Recht nicht darauf verzichten kann, daß die Normunterworfenen auch Überzeugungen aufbauen, so kann es auch das Risiko tolerieren, daß der Aufbau manchmal störende Ergebnisse zeitigt. Das genügt als Erklärung freilich nur, wenn sich das Recht mit der Anerkennung der Zufallsfehler nicht selbst preisgeben muß: Es kann nur um Überzeugungstäter gehen, die bei Anerkennung des Rechts in seinen wesentlichen Zügen gegen eine einzelne N o r m verstoßen. Beispiele: Ein Vater verhindert einen rechtswidrigen Angriff auf die Gesundheit seines minderjährigen Kindes nicht, weil er dies nur durch — gerechtfertigte — Tötung des Angreifers könnte, er aber jede Anwendung von lebenszerstörender Gewalt aus Überzeugung ablehnt; das Kind erleidet deshalb schwere Verletzungen. — Ein Arzt gibt seinem todkranken Freund auf dessen Verlangen zur Vermeidung einer langen Agonie eine tödliche Injektion, weil er es lange vorher so versprochen hatte und der Kranke ihn nicht aus dem Versprechen entläßt. — In beiden Fällen ist die Möglichkeit mehr als partieller Entschuldigung zweifelhaft.

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b) Das Sozialisationsdefizit des Täters kann ferner ohne Schaden f ü r die Rechtsordnung ganz oder partiell am Täter vorbei erklärt werden, wenn es als Verschulden dritter Personen darstellbar ist, wenn also der Täter darauf verweisen kann, daß er falsch erzogen oder in einer Situation verständlicher Labilität verführt worden ist. Selbst eine Negation wesentlicher Teile der Rechtsordnung läßt sich auf diese Weise zumindest partiell erledigen. Beispiel: Ein mit allen Mitteln eines totalitären Staats erzogener 21-jähriger Mensch hält sich zur Zeit des Zweiten Weltkriegs für verpflichtet, an Judenvernichtungen teilzunehmen (zur Verstrickung in ein Unrechtsregime siehe schon oben 19/9).

26

c) Schließlich ist eine zumindest partielle Erklärung am Täter vorbei dann möglich, wenn dieser — mag er f ü r seine Überzeugung zuständig sein oder nicht — von der Situation distanziert werden kann, in der sich die bis dahin nur auf hypothetische Fälle bezogene Überzeugung erst zum realen Konflikt auswächst. Das ist bei den institutionellen Pflichten der Fall, bei denen einerseits f ü r den Täter keine Organisationsalternativen zur Institution bestehen, andererseits aber die Organisierbarkeit der Institution nicht von der Pflicht abhängt 3 9 . Beispiel: Eine Weigerung der Eltern, ihren Kindern im 38 Siehe Luhmann A ö R 90 S. 258 ff, 264 und passim; den. Rechtssoziologie Bd. II S. 224; Böckenförde W D S t L 28 S. 50 ff, 85; Bäumlin W D S t L 28 S. 15 ff, 30. 39 Bei der aus Überzeugung erfolgenden Weigerung eines Arztes, an einem gerechtfertigten Schwan-

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gerschaftsabbruch mitzuwirken, ist zu unterscheiden: (a) Drohen der Schwangeren weder T o d noch schwere Gesundheitsschäden, so besteht nach Art. 1 Abs. 1 und 2 des 5. StrRG vom 18. 6. 1974 (BGBl. I S. 1297) schon keine Mitwirkungspflicht (Einzelheiten bei Schönke-Schröder-

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Fall schwerer Krankheit überhaupt ärztliche Hilfe zu besorgen, würde das „natürliche" Erziehungsrecht zu riskant werden lassen; aber die Uberzeugung, etwa die Folgen von Blitzschlag und ähnlich seltenen Naturkatastrophen seien als höhere Fügung zu akzeptieren, betrifft so vereinzelte Fälle, daß das Prinzip der Versorgung dadurch nicht zerstört wird 4 0 . — Der T ä t e r kann ferner von der Situation distanziert werden, wenn der potentiell Begünstigte sich auf die Reduktion seines Schutzes einläßt. Beispiel: W e r einen Menschen heiratet, der von der Unzulässigkeit jeder Blutübertragung durchdrungen ist, muß im Notfall auf strafrechtlichen N a c h d r u c k gegen seinen Ehegatten verzichten, wenn dieser nicht für eine Blutübertragung s o r g t 4 1 . Bei Pflichten kraft Organisationszuständigkeit ist eine Distanzierung des Täters von kalkulierbaren Situationen unmöglich: E r muß die Folgen seiner Organisationsfreiheit tragen. Beispiel: W e r ein riskantes Unternehmen startet, wird im Ingerenzfall so wenig mit dem Vorbringen gehört, seine Uberzeugung verbiete ihm eine auch nur entfernte Beteiligung an Blutübertragungen, wie ein Täter, der dringend benötigte Blutkonserven aus Überzeugung zerstört. — Ist freilich ein Konflikt so selten, daß es noch im Rahmen des erlaubten Risikos liegt, wenn für den Fall seines Eintritts keine V o r s o r g e getroffen wird, so kann eine Distanzierung des Täters von der Situation die prinzipielle Verbindung von Organisationsfreiheit und Folgenverantwortung nicht berühren, falls nicht das Organisationsverhalten des Täters spezifisch auf dieses Risiko bezogen wird. Die Überzeugung mag in diesen Fällen bei der Schuldbestimmung mindernd wirken. Beispiel : Der Babysitter, der nach einem Blitzschlag dem getroffenen Kind nicht hilft, weil er meint, die göttliche Fügung nicht verfälschen zu dürfen, mag geminderte Schuld Eser§ 218 a Rdn. 68 ff), (b) Geht es aber um die Abwendung der genannten Schäden, so hat der Arzt regelmäßig die Möglichkeit, sich rechtzeitig so zu verhalten, daß eine Garantenstellung nicht begründet wird. Hat er die Möglichkeit nicht gewählt, ist er für den Konflikt zuständig. War die Möglichkeit ausnahmsweise nicht wählbar (was nur bei einer Garantenstellung kraft besonderen Vertrauens vorkommen kann), so ist volle oder partielle Entschuldigung angebracht. — Stets für Rechtfertigung Peters J Z 1972 S. 85 f, 86 mit Nachweisen; ders. ZStW 89 S. 103 ff, 110 f; für Haftung, wenn allein die Hilfe des Arztes über die Verwirklichung der Gefahr entscheidet Rudolphi Welzel-Festschrift S. 605 ff, 625; Roxin Maihofer-Festschrift S. 389 ff, 400; — ähnlich wie hier (auf Übernahme abstellend) Bockelmann Berliner Universitätstage 1964 S. 211 ff, 232; ders. in: PonsoldS. 1 ff, 8 f. 40

Anders schon bei der Weigerung, überhaupt für eine erforderliche Blutübertragung zu sorgen; O L G Hamm N J W 1968 S. 212 ff. - Jedenfalls bleibt es rechtswidrig und ein Mißbrauch der elterlichen Sorge, wenn den Kindern eine ärztliche Behandlung vorenthalten wird. Verweigern die Eltern ihre Zustimmung, so ist diese vormundschaftsgerichtlich zu ersetzen oder — bei Zeitdruck — nach den Regeln der mutmaßlichen Einwilligung (oben 15/16 ff). Eine Konfliktlage besteht für die Eltern objektiv also nur, wenn sie meinen, die unabhängig von ihrer Zustimmung vorzunehmenden Maßnahmen aus Uberzeugung hindern zu müssen, oder wenn nur sie allein ab-

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wendungsfähig sind und deshalb ohne ihr Zutun jede Hilfe ausbleibt. — Siehe Roxin MaihoferFestschrift S. 389 ff, 396 f. Α. A. zu dieser Fallgestaltung Schönke-SchröderLenckner Rdn. 120 vor § 3 2 ; Rudolphi WelzelFestschrift S. 605 ff, 627. Das Bundesverfassungsgericht hat eine „Ausstrahlungswirkung" des Grundrechts nach Art. 4 Abs. 1 G G angenommen, was eine Bestrafung aus § 323 c StGB hindern soll (BVerfG 32 S. 98 ff, 106 ff; siehe auch BVerfG 33 S. 23 ff, 33 f ) ; da jedoch im zu entscheidenden Fall das Opfer (die Ehefrau) auch seinerseits (ihrerseits) eine Blutübertragung ablehnte, fehlte schon ein Recht, ärztliche Maßnahmen durchführen zu lassen, so daß die Entscheidung auf dem Selbstbestimmungsrecht und nicht auf einer „Ausstrahlungswirkung" beruhen müßte; siehe zur Entscheidung Blei JA 1972 S. 231 ff, 303 ff, 369 f ; Deubner N J W 1972 S. 814; Dreher JR 1972 S. 342 ff; Ranft Schwinge-Festschrift S. 111 ff; Händel NJW 1972 S. 327 f; Peters JZ 1972 S. 85 f ; Roxin Maihofer-Festschrift S. 389 ff, 401 f. — Freilich war der Ehemann den gemeinsamen Kindern gegenüber — mangels eines anderen Tatbestands: nach § 323 c StGB — verpflichtet, seine Frau durch drastische Vorstellungen der Weigerungskonsequenzen zur Einwilligung in eine ärztliche Behandlung zu bringen, um seinen Kindern die Katastrophe des Tods ihrer Mutter zu ersparen; bei der Nichterfüllung dieser Pflicht mag die Überzeugung schuldmindernd wirken.

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2. Buch. 3. Kapitel. Schuld

haben, wenn er nicht ausdrücklich auch f ü r diesen Katastrophenfall die Sorge übernommen hat und wenn er nicht die Rettungsaktionen stört, die unabhängig von seiner Organisation ablaufen. 27

2. Ein Unterschied der Erklärungsmodalitäten zwischen Begehung und Unterlassung besteht nicht 4 2 und ließe sich im Bereich der Organisationszuständigkeit wegen der Austauschbarkeit von T u n und Unterlassen auch nicht durchhalten. Freilich dürften die Fälle mangelnder Zuständigkeit f ü r die Situation häufig solche einer Unterlassung sein. Zudem dürfte eine Konfliktlage eher bei Pflichten zum Handeln entstehen als bei Pflichten zum Unterlassen; denn die Selbstdarstellung einer Person durch eine Handlung (also durch eine Gebotsbefolgung) wird häufig eindeutiger sein als diejenige durch eine Unterlassung (also durch eine Verbotsbefolgung); insbesondere ist der Bereich, in dem trotz Kausalität einer Handlung ein Erfolg nicht zugerechnet wird, praktisch enger als derjenige, in dem trotz der Fähigkeit zur Erfolgsabwendung durch eine H a n d l u n g die Erfolgszurechnung unterbleibt 4 3 .

III. Der Notwehrexzeß Literatur G. Arzt Anmerkung zu B G H J R 1980 S. 210 f, a a O S. 211 ff; A. Coenders Anmerkung zu RG J W 1925 S. 963 f, a a O S. 963; G. Jakobs Studien zum fahrlässigen Erfolgsdelikt, 1972; ders. Schuld und Prävention, 1976; B. Müller-Christmann Der Notwehrexzeß, JuS 1989 S. 717 ff; H. Otto Grenzen der straflosen Überschreitung der Notwehr, § 33 StGB, Jura 1987 S. 604 ff; C. Roxin Über den Notwehrexzeß, Schaffstein-Festschrift S. 105 ff; ders. „Schuld" und „Verantwortlichkeit" als strafrechtliche Systemkategorien, Henkel-Festschrift S. 171 ff; ders. Zur Problematik des Schuldstrafrechts, ZStW 96 S. 641 ff; H.-J. Rudolphi Notwehrexzeß nach provoziertem Angriff - O L G H a m m , N J W 1965, 1928, JuS 1969 S. 421 ff; }. Sauren Zur Überschreitung des Notwehrrechts, J u r a 1988 S. 567 ff; H. Schröder Notwehrüberschreitung und Putativnotwehr, Z A k D R 1944 S. 123 ff; ders. Anmerkung zu B G H J R 1962 S. 186 f, a a O S. 187 ff; E. Steininger Der Putativnotwehrexzeß Ö J Z 1986 S. 747 ff; G. Ttmpe Grundfälle zum entschuldigenden N o t stand (S 35 Abs. 1 StGB) und zum Notwehrexzeß (§ 33 StGB), JuS 1984 S. 859 ff, JuS 1985 S. 35 ff, 117 ff.

A. Die Theorie des Entschuldigungsgrunds 28

Nach § 33 StGB wird ein Täter nicht bestraft, der die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschreitet. Die Regelung bezieht sich überhaupt nur auf Fälle, in denen die Überschreitung vermeidbar (vorsätzlich oder fahrlässig) und durch einen schuldfähigen sowie nicht in unvermeidbarem Verbotsirrtum befindlichen Täter geschieht, also an sich schuldhaft; Strafbarkeit und Straffreiheit in den sonstigen Fällen richten sich nach den allgemeinen Regeln. Der Notwehrexzeß läßt Schuld mangels Zumutbarkeit entfallen: Wenn der Angegriffene den kühlen Kopf verliert, ohne daß sein Verhalten drastisch deliktische Züge trägt (also bei Verwirrung etc.), so muß sich der Angreifer die Folgen selbst zuschreiben. Die Schuldlosigkeit ist «

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Rudolphi Welzel-Festschrift S. 605 ff, 628 f; EbertÜberzeugungstäter S. 19 f und passim; Roxin Maihofer-Festschrift S. 389 ff, 393 f; a. A. Schulte und Träger BGH-Festschrift S. 25 I f f , 263; /escheck ΑΎ § 59 V I I I 2 u. a. m. Daß sich „die Sozialordnung . . . auf ein rechtswidriges Unterlassen, auf den Ausfall von Leistungen, besser einstellen . . . (könne) als auf aggressives rechtswidriges T u n " (Luhmann AöR 90

S. 257 ff, 282 f), betrifft auf der Unterlassungsseite nur den Bereich sowieso fehlender Zurechenbarkeit des Erfolgs, in dem es also bereits an einer Pflicht fehlt; ansonsten verpaßt das Argument die identische Zurückführung von Begehungs- und Unterlassungshaftung auf Organisationsfreiheit und Institutionen; siehe dazu oben 7/5 6 ff, 70 f.

Unzumutbarkeit

20. Abschn

w e d e r allein F o l g e d e r p s y c h i s c h e n D e s o r i e n t i e r u n g des A n g e g r i f f e n e n n o c h d e s U m stands, d a ß diese D e s o r i e n t i e r u n g d e m A n g r e i f e r z u g e r e c h n e t w e r d e n k a n n



das

k ö n n t e sie a u c h i n s o w e i t , als u n b e t e i l i g t e D r i t t e u n t e r d e r ü b e r z o g e n e n A b w e h r

zu

leiden h a b e n — , s o n d e r n b e r u h t a u f d e r M ö g l i c h k e i t , d a s O p f e r d e r A b w e h r g e r a d e a u f seine e i g e n e s c h u l d h a f t e ( o b e n 1 2 / 1 6 f f ) U r h e b e r s c h a f t a n d e r L a g e z u v e r w e i s e n 4 4 .

B. Die Voraussetzungen der Entschuldigung A u s der g e n a n n t e n R a t i o d e r V o r s c h r i f t ergibt sich f ü r ihren A n w e n d u n g s b e r e i c h : 1. N u r ein V e r h a l t e n a u s 4 5 d e n s o g e n a n n t e n a s t h e n i s c h e n A f f e k t e n :

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Verwirrung,

F u r c h t o d e r S c h r e c k e n , e n t s c h u l d i g t ; bei s t h e n i s c h e n A f f e k t e n — Z o r n , W u t , R a u f l u s t , B l u t r a u s c h — bleibt e i n e H a f t u n g im R a h m e n d e r a l l g e m e i n e n R e g e l n , d a d i e Z u r e c h n u n g allein z u m A n g r e i f e r n u r m ö g l i c h ist, w e n n d e r A n g e g r i f f e n e s i c h n i c h t d r a s t i s c h deliktisch verhält. J e d o c h

kann, wie § 2 1 3

S t G B l e h r t , die S c h u l d bei

sthenischen

A f f e k t e n g e m i n d e r t sein. — N e b e n d e n v o m a s t h e n i s c h e n A f f e k t b e d i n g t e n T a t a n t r i e b k ö n n e n w e i t e r e A n t r i e b e t r e t e n , o h n e d a ß die E n t s c h u l d i g u n g e n t f i e l e 4 6 . — D i e E n t s c h u l d i g u n g ist s y s t e m w i d r i g , w e n n d e r A n g e g r i f f e n e s c h o n w e g e n e i n e r G e f a h r in V e r w i r r u n g

e t c . g e r ä t o d e r bei e i n e r g e r i n g e n V e r w i r r u n g

minimalen

die

Abwehr

e r h e b l i c h ü b e r z i e h t , d a d a n n die Z u r e c h n u n g z u m A n g r e i f e r n i c h t ü b e r w i e g t . — E i n H a n d e l n aus den g e n a n n t e n Affekten entfällt nicht s c h o n deshalb, weil d e r U b e r z i e h e n d e den E x z e ß f a l l v o r a u s s e h e n und v e r m e i d e n k ö n n t e 4 7 . 2. Die Überschreitung der N o t w e h r kann bewußt oder unbewußt g e s c h e h e n 4 8 ; diese G l e i c h b e h a n d l u n g v o n Bewußtsein und I r r t u m entspricht n i c h t n u r d e m W o r t l a u t 44 Jakobs Schuld und Prävention S. 23 f; Roxin Schaffstein-Festschrift S. 105 ff, 116 f, 120; siehe auch den. Henkel-Festschrift S. 171 ff, 189 f; den. ZStW 96 S. 641 ff, 656; Timpe JuS 1985 S. 117 ff, 119. — Das ist so streitig, wie der funktionale Schuldbegriff streitig ist. Ohne die Berücksichtigung der Möglichkeit, den Konflikt auf den Angreifer zu verlagern, läßt sich § 33 StGB nicht deuten; konsequent verwerfend („Die Zurechnung, diese feinste Leistung der Strafrechtspflege, wird durch eine grobe Regel matt gesetzt" ; die Vorschrift sei „plumper persönlicher Strafausschließungsgrund") M. E. Mayer KT S. 282 f; meine diesbezügliche Zustimmung (Studien S. 145 f) gebe ich auf, obgleich auch eine funktionale Deutung in den Fällen heftigster Affektreaktionen auf einen minimalen Angriff hin versagt. — Schröder hält die Vorschrift für eine bloße Beweisregel (ZAkDR 1944 S. 123 ff; SchönkeSchröder^ § 53 Rdn. 36), was freilich nicht erklärt, weshalb sich gerade zum Notwehrexzeß eine solche Regel findet. Nach Schmidhäuser (AT 11/26) soll die Vorschrift überflüssig sein, da in den relevanten Fällen eine Schuld schon nach allgemeinen Grundsätzen zu verneinen sei; jedoch ist die Behauptung, eine Notwehrüberschreitung geschehe stets so, daß der Täter unvermeidbar irre — so man § 33 StGB überhaupt auf Fälle unbewußter, also irriger Überschreitungen beschränkt — nicht beweisbar und nicht einmal plausibel. — Eine neuere Lehre nimmt eine Kombination von gemindertem Handlungs- und Erfolgsunrecht wegen der Verteidigung eines Guts

45 46 47

48

und zudem geminderter Schuld wegen Verwirrung etc. an (Rudolphi JuS 1969 S. 461 ff, 462 f; Jescheck AT § 4 5 II 2; Triffterer Strafrecht S. 127), was dann freilich auch bei einer Beeinträchtigung unbeteiligter Dritter oder bei einem Notstandsex.ze& etc. ebenso gelten müßte und zudem, was das Erfolgsunrecht angeht, sowieso nicht stimmt: Da die Abwehr nicht erforderlich ist, wird der Erfolg „umsonst" herbeigeführt. Ferner finden sich Zuordnungen zur Schuldfähigkeit (H. Mayer Studienbuch § 22 V ; § 25 III a) oder zum Verbotsirrtum (Bockelmann AT2 § 16 D IV; anders — Zumutbarkeit — ders. AT3 aaO). — Allen Lösungen, die auch bei Putativnotwehr exkulpieren wollen (unten 20/33), liegt eine psychologisierende Deutung zugrunde. — Zu den zivilrechtlichen Konsequenzen siehe LK-Spendel§ 32 Rdn. 77 ff. Nicht: „in"; die überzogene Abwehr muß Folge des Affekts (und dieser muß Folge des Angriffs) sein; siehe BT-Drucksache V/4095 S. 15. BGH 3 S. 195 ff, 198 f. BGH J R 1980 S. 210 f, 211; a. A. Arzt J R 1980 S. 211 ff, 212 f. — Actio libera in causa käme nur in Betracht, wenn es Aufgabe des überzogenen Abwehrenden wäre, schon die Lage zu vermeiden, in der er angegriffen wird; das aber ist nach den Regeln der objektiven Zurechnung nicht der Fall. Streitig; wie hier R G 21 S. 189 ff, 191 ; 56 S. 33 f, 34; RG J W 1935 S. 431 ; B G H NStZ 1987 S. 20 f; NStZ 1989 S. 474 f; BayObLGSt. 1949/51 S. 362 ff, 364; Roxin Schaffstein-Festschrift 583

30

20. Abschn

2. Buch. 3. Kapitel. Schuld

von § 33 StGB und dem Willen der Gesetzesverfasser 4 9 , sondern ist auch axiologisch angebracht: O b der Abwehrende in seinem Affekt das erforderliche Maß der Abwehr nicht erst beurteilt oder aber aus dem gewonnenen Urteil keine Konsequenzen f ü r die Gestaltung der Abwehr zieht, wird häufig gleich zu bewerten sein, ja selbst die Irrtumsvariante kann — etwa bei egoistischer Konzentration des Abwehrenden auf seine Güter — an sich eher belasten (siehe oben zur Tatsachenblindheit 8/5). Beispiel: Wer in Furcht auf G r u n d einer plötzlichen, mit Faustschlägen erfolgenden Attacke besonders heftig zurückschlägt, damit (bewußt) der Angreifer nicht nur jetzt aufhört, sondern auch f ü r alle Zeiten friedlich bleibt, steht demjenigen gleich, der blindlings (unbewußt) mehr unternimmt, als zur Beseitigung der gegenwärtigen Gefahr erforderlich ist. 31

3. Entschuldigt ist die überzogene Abwehr im asthenischen Affekt während eines gegenwärtigen Angriffs (intensiver Exzeß), wie auch diejenige im asthenischen Affekt vor oder nach der Gegenwärtigkeit eines Angriffs (extensiver Exzeß) 5 0 . Das ist bezüglich der verspäteten Abwehr damit zu begründen, daß die Uberziehung auch bei Verspätung noch Folge der drastischen Gefährdung des vorher gegenwärtigen Angriffs ist. Bei der vorgezogenen Abwehr muß der Angreifer immerhin wahrnehmbare (zumindest verbale) Anstalten zum Angriff getroffen haben, die nach seiner Vorstellung kontinuierlich in einen gegenwärtigen Angriff münden sollen; ohne diese Beschränkung könnte 5 33 StGB nicht mehr als Entschuldigung spezifisch gegenüber einem Angreifer verstanden werden, sondern nur noch als allgemeine Entschuldigung bei Angst. Bei den genannten Beschränkungen läßt sich der asthenische Affekt mit seinen Folgen aus dem aggressiven Verhalten dessen erklären, der den Angriff vollzog oder plante. Beispiel: Die Entschuldigung gilt einem Furchtsamen sowohl, wenn er einen Boxer schon niederschießt, während dieser noch zur E r h ö h u n g des Angriffseffekts seine Muskeln aufwärmt, als auch dann, wenn er dem schon Abgeschlagenen noch einen Steinwurf nachsendet, damit er ja nicht wiederkommt. Auch eine doppelte Überschreitung der Notwehrgrenzen schließt die Entschuldigung nicht aus. Beispiel: Die Verwirklichung eines noch nicht gegenwärtigen Angriffs wird mit einem Mittel verhindert, das in einem nicht mehr erforderlichen Maß in die Güter dessen eingreift, der den Angriff vorbereitet.

32

4 a) Die Entschuldigung ist nicht auf Notwehrlagen beschränkt, sondern auf die Festnahme nach § 127 Abs. 1 S t P O und auf die Selbsthilfe nach § 229 BGB insoweit entsprechend anzuwenden, als Anlaß der Festnahme oder der Selbsthilfe ein schuldhaftes Verhalten ist, wie auch bei der N o t w e h r ein schuldhafter rechtswidriger Angriff vorausgesetzt wird (oben 12/16 ff). O h n e Verschulden des Veranlassers wäre die S. 105 ff, 107 ff; Rudolphi JuS 1969 S. 461 ff, 463; Timpe JuS 1985 S. 117; LK-Spendel § 3 3 Rdn. 52 ff; /escheck AT § 45 II 3; Otto Jura 1987 S. 604 ff, 606; Müller-Christmann JuS 1989 S. 717 ff, 719; überwiegende Ansicht. — A.A. (nur unbewußt) Binding Handbuch S. 753; Schönke-Schröder-Lenckner § 33 Rdn. 6; Schrö¿ e r Z A k D R 1944 S. 123 ff; ITe/ze/Straf recht § 14

115. 49 BT-Drucksache V/4095 S. 14 f; eingehend Roxin Schaffstein-Festschrift S. 105 ff, 108 f mit Nachweisen. 50 Sehr streitig; Roxin Schaffstein-Festschrift S. 105 ff, 111 ff; den. Henkel-Festschrift S. 171 ff, 189 f; Schröder ZAkDR 1944 S. 123 ff, 125; Timpe JuS 1985 S. 117 ff, 120 f; Müller-

584

Christmann JuS 1989 S. 717 ff, 719 f; BaumannWeber AT Κ 21 II 1 d, 29 II 3; Blei AT § 62; Schönke-Schröder-Lenckner § 33 Rdn. 7; unter Ausklammerung des vorzeitigen Exzesses auch LK-Spendel S 33 Rdn. 4 ff; Otto Jura 1987 S. 604 ff, 606; — a. A. (nur intensiven Exzeß) Rechtsprechung und überwiegende Lehre; RG 54 S. 36 f, 37; 61 S. 216 f, 217; 62 S. 76 ff, 77; O G H 3 S. 121 ff, 124; Jescheck AT §45 II 4; Stratenwerth AT Rdn. 448; Schmidhäuser AT U / 2 7 ; Kohlrausch-Lange § 53 Anm. X ; Maurach-Zipf AT I § 34 Rdn. 27; Dreher-Tröndle § 33 Rdn. 3; Lackner § 3 3 Anm. 2; Triffterer Strafrecht S. 127 f; Sauren Jura 1988 S. 567 ff, 571 f; - elastisch (auch bei abklingendem Angriff) BGH NStZ 1987 S. 20 f.

Unzumutbarkeit

20. Abschn

Zurechnung zu ihm schwächer als zum Überziehenden, und der Konflikt könnte nicht auf den Veranlasser geschoben werden. b) Ein Notita»£&exzeß kann regelmäßig mangels Verschulden des Eingriffsopfers der Notstandstat nicht analog § 33 StGB entschuldigt werden. Eine — praktisch irrelevante — Ausnahme bilden die Fälle, in denen das Eingriffsopfer die Notstandstat schuldhaft veranlaßt hat. Beispiel : Nach schuldhafter Brandstiftung durch den N a c h barn zerstören Retter in ihrer Verwirrung überflüssigerweise auf dem Grundstück des N a c h b a r n eine Stallung, um den Brand so vermeintlich besser bekämpfen zu k ö n n e n ; — analog § 33 StGB entschuldigter Notstandsexzeß (siehe auch oben 12/Fn. 33). 5 a) Stets besteht die Entschuldigung nur bezüglich der Verletzung von Gütern des 33 schuldhaften Veranlassers 5 1 . Wer bei der überzogenen Abwehr zugleich Güter eines Unbeteiligten verletzt, haftet dafür nach allgemeinen Regeln 5 2 . b) Bei Putativnotwehr in dem Sinn, daß ein Angriff weder bevorsteht, noch besteht, noch bestanden hat, kann ein Exzeß nicht entschuldigt werden, da die überzogene Abwehr dann nicht einen schuldhaften Veranlasser trifft 5 3 . Freilich ist ein zurechenbarer Scheinangriff ein wirklicher und nicht nur putativer Angriff im Sinn von § 32 StGB 5 4 (siehe oben zu den prospektiven Rechtfertigungsmerkmalen 11/7 ff). Beispiele: Der Spaziergänger im Park hält einen heranstürmenden Menschen irrig f ü r einen Angreifer und überzieht die erforderliche Abwehr; — keine Entschuldigung nach § 33 StGB, sondern allenfalls nach den allgemeinen Regeln wegen eines unvermeidbaren Irrtums. — Witzbolde überfallen einen Spaziergänger in einer berüchtigten Gegend, damit dieser sich angegriffen wähnen soll; die Täuschung gelingt und der Getäuschte überzieht die Abwehr aus asthenischem Affekt; — Entschuldigung nach § 33 StGB. 6. Weil bei einer Provokation im Sinn einer schuldhaften Veranlassung des Angriffs 34 sowohl der Provokateur wie der Provozierte (Angreifende) schuldhaft handeln (siehe oben 12/53), kann nicht der schuldhafte Angriff allein als Konfliktursache herausgestellt werden. Damit fehlt die Möglichkeit, den Konflikt dem Angreifer bevorzugt und dem im asthenischen Affekt Reagierenden allenfalls nachrangig zuzurechnen, so daß § 33 StGB nicht angewendet werden k a n n 5 5 .

51 R G 54 S. 36 f, 37. 52 Α. A. B G H N S t Z 1981 S. 299: Entschuldigung auch eines Waffengebrauchs gemäß 5 53 Abs. 1 N r . 7 a W a f f G bei der überzogenen Abwehr eines Angreifers mittels einer Schußwaffe. 53 R G J W 1936 S. 512; R G 54 S. 36 ff, 37; 61 S. 216 f, 217; B G H N J W 1962 S. 308 f, 309; B G H N J W 1968 S. 1885; B G H N S t Z 1983 S. 453; Roxin Schaffstein-Festschrift S. 105 ff, 118 ff; Timpe JuS 1985 S. 117 ff, 121 f; Wessels AT § 11 III 1; Jescheck A T § 45 II 4; LK-Spende! § 3 3 Rdn. 32; — a. A. die psychologisierenden Lösungen; SchröderZAkDR 1944 S. 123 ff, 125; Schönke-Scbröder 17 § 53 Rdn. 36; Coenders J W 1925 S. 963; Steiniger Ö J Z 1986 S. 747 ff, 750 (für das österreichische Recht); — für Entschuldigung bei objektiv unerkennbarem Irrtum Rudolph! JuS 1969 S. 461 ff, 463; SK-Rudolphi § 33 Rdn. 6; Schönke-Schröder-Lenckner % 33 Rdn. 8; Dreher-Tröndle§ 32 Rdn. 27. 54 Timpe JuS 1985 S. 117 f, 122; im Ergebnis für § 33 StGB ebenso Roxin Schaffstein-Festschrift S. 105 ff, 118 ff, 120.

55

Üblicherweise wird — ausgehend von einem weiteren Begriff der Provokation, als er hier vertreten wird — danach differenziert, ob das N o t wehrrecht entfällt (dann auch keine Entschuldigung nach § 33 StGB) oder nicht (dann bleibt auch der Schutz des § 33 StGB f ü r den Abwehrenden); siehe Roxin Schaffstein-Festschrift S. 105 ff, 122 ff; Müller-Chnstmann JuS 1989 S. 717 ff, 719 f; Jescheck A T § 45 II 5; SchönkeSchröder-Lenckner § 3 3 Rdn. 9; SK-Rudolphi § 33 Rdn. 5; ders. JuS 1969 S. 461 ff; Schröder J R 1962 S. 187 f f ; für einen Ausschluß von § 3 3 StGB bei bloßen Abwehrzurüstungen Arzt J R 1980 S. 211 ff, 212 f. - Die Rechtsprechung hat im Zeichen einer Ausdehnung des Provokationsbegriffs und einer Einschränkung der Exzeßentschuldigung entschieden: B G H N J W 1962 S. 308 f, 309 (dagegen Schröder a a O ) ; O L G H a m m N J W 1965 S. 1928 f ( dagegen Rudolphi a a O ) ; siehe aber auch B G H J R 1980 S. 210 f, 211 (dagegen Arzt aaO).

585

20. Abschn

2. B u c h . 3. K a p i t e l . S c h u l d

IV. Die Besonderheiten der Zumutbarkeit beim Fahrlässigkeitsdelikt Literatur M. Burgstaller

D a s Fahrlässigkeitsdelikt im S t r a f r e c h t unter b e s o n d e r e r B e r ü c k s i c h t i g u n g der

P r a x i s in V e r k e h r s s a c h e n , 1 9 7 4 ; K. Engisch S t r a f r e c h t , 1 9 3 0 ; H. Henkel

M e z g e r - F e s t s c h r i f t S. 2 4 9 f f ; R. D. Herzberg S . 4 0 2 f f ; G. Jakobs

U n t e r s u c h u n g e n ü b e r V o r s a t z u n d Fahrlässigkeit im

Z u m u t b a r k e i t u n d U n z u m u t b a r k e i t als r e g u l a t i v e s

Rechtsprinzip,

Die Schuld beim Fahrlässigkeitsdelikt, Jura

S t u d i e n z u m f a h r l ä s s i g e n E r f o l g s d e l i k t , 1 9 7 2 ; F. Nowakowski

d e r F a h r l ä s s i g k e i t , J u r B l . 1 9 5 3 S. 5 0 6 f f ; B. Schünemann

1984

Zur Theorie

M o d e r n e T e n d e n z e n in d e r D o g m a t i k

d e r F a h r l ä s s i g k e i t s - u n d G e f ä h r d u n g s d e l i k t e , J A 1 9 7 5 S. 4 3 5 f f , 5 1 1 f f , 5 7 5 f f , 7 1 5 f f , 7 8 7 f f .

35

A. Die Voraussetzungen von Schuld und Entschuldigung gelten sämtlich auch f ü r fahrlässiges Verhalten. Zur Schuld gehören also: Unrecht, Zurechnungsfähigkeit, Zuständigkeit f ü r Normunkenntnis (Vermeidbarkeit der Normunkenntnis) und gegebenenfalls erforderliche spezielle Schuldmerkmale (oben 17/47 ff). Schuld ist ausgeschlossen (oder gemindert), wenn der Täter in einer entschuldigenden Verfassung oder in einem entschuldigenden Kontext handelt (oben 17/53 ff). Beispiel: Wer entschuldigt ist, wenn er bei der erforderlichen Lösung eines existentiellen Konflikts vorsätzlich einen anderen Menschen tötet (§ 35 StGB), ist auch entschuldigt, wenn er bei dem zur Konfliktlösung erforderlichen Verhalten die Tötungsfolge vermeidbar nicht bedenkt.

36

Β 1. Innerhalb der vollen oder partiellen Unzumutbarkeit gibt es ein eng umrissenes Gebiet 5 6 , das fahrlässigem Verhalten vorbehalten ist. Es handelt sich um Fälle, bei denen der Fahrlässigkeitstäter zur Vermeidung des normwidrigen Verhaltens etwas leisten muß, was der Vorsatztäter immer schon geleistet hat: die Identifizierung der Merkmale des Verhaltens, gegebenenfalls einschließlich seiner Folgen. In diesen Fällen mag der Täter darauf verweisen können, daß ihm die Identifizierung wegen einer Blockierung seiner Motivation nicht gelungen ist, während eine Nicht-Vermeidung des Verhaltens bei geleisteter Identifizierung (also bei Vorsatz) unverzeihlich wäre. Es geht also um eine nur bei Fahrlässigkeit mögliche Auswirkung von Bewußtseinsstörungen (siehe zu § 20 StGB oben 17/18 f). Beispiel: Ein Arbeiter erfährt, während er Schweißarbeiten durchführt, die Nachricht von einem schweren Unfall seines Kindes; entsetzt legt er das noch brennende Schweißgerät beiseite, was schnell zu einem Brand führt (§ 309 StGB). Mit dominanter Motivation, keine Brandstiftung zu begehen, unterbliebe das Verhalten; deshalb ist es fahrlässig. Aber aus der vom Täter nicht zu verantwortenden Situation kann verständlich gemacht werden, daß er nicht dominant zur Vermei56

586

Siehe auch unten zur Fahrlässigkeit beim Unterlassungsdelikt 2 9 / 9 3 , 100. Die Lösung ist umstritten; teils wird — bei Trennung von objektiver und subjektiver Sorgfalt — formuliert, es gehe um die Begrenzung der den Täter persönlich treffenden Sorgfaltspflicht ( O L G Frankfurt V R S 41 S. 33 ff, 35; Jescheck A T § 5 7 IV; Burgstaller Fahrlässigkeitsdelikt S. 198 ff; den. Wiener Kommentar § 6 Rdn. 101 ff), was wegen der Zuordnung von Pflichten nicht zum Unrechts-, sondern zum Schuldbereich zumindest unklar ist (siehe schon zur „Pflichtnorm" bei Goldschmidt oben 17/9). — Es findet sich ferner die Lozierung des Problems bei der objektiven Sorgfalt (H. Mayer AT § 19 C II 2; ders. Studienbuch § 31 III 1 ; Henkel Mezger-Festschrift S. 249 ff, 286 f), auch eine Zuordnung zu diversen Regelungen der Schuld, etwa zu § 20 StGB und § 35 Abs. 2

StGB ( M a u r a c h - G ö s s e l A T II § 4 4 Rdn. 50; LKÜ-Mezger Anm. 12 e vor § 51) oder zu § 17 StGB (AK-Zielinski §§ 15, 16 Rdn. 135). - Wie hier für eine Behandlung als gesetzlich nicht geregelter („übergesetzlicher") Fall der Zumutbarkeit Jakobs Studien S. 141 ff; Stratenwerth AT Rdn. 1136; SK-Samson § 1 6 Anhang Rdn. 36; wohl auch Herzberg Jura 1984 S. 402 ff, 413 f; Nowakowski JurBl. 1953 S. 506 ff, 509 f; - ähnlich, jedoch ohne die hier g e z o g e n e n engen Grenzen zu beachten, U^Wze/Strafrecht § 23 II 2 a und b; Schmidhäuser A T 11/34 ff; Bockelmann-Volk A T § 20 IV 2 c; Baumann- Weber A T § 29 III 2; Engisch Untersuchungen S. 441 ff; — kritisch Maurach-Gössel a a O ; Schünemann JA 1975 S. 435 ff, 787 ff, 791 f ; Blei A T § 82 II 3 b; LKHirsch Rdn. 194 vor § 5 1 .

Unzumutbarkeit

20. Abschn

d u n g von Brandstiftung motiviert ist, sondern sich d o m i n a n t mit dem mitgeteilten U n g l ü c k beschäftigt, obgleich es unverzeihlich w ä r e , w e n n er bei V o r s a t z nicht dominant zur V e r m e i d u n g motiviert wäre. 2. Das Ausbleiben einer dominanten Motivation k a n n n u r d a n n o h n e Schaden f ü r 37 die N o r m aus der Situation erklärt werden, w e n n der T ä t e r f ü r seine Motivationsblokkierung unzuständig ist, insbesondere weil das Interesse des Täters d u r c h ein Ereignis absorbiert wird, dem in rechtlicher W e r t u n g eine intensive Z u w e n d u n g g e b ü h r t 5 7 . Bei einem rechtlich gewichtigen Anlaß mag sogar eine Motivationserschwerung präsumiert werden. W e r aber schon bei einem rechtlich nichtigen Anlaß die Besonnenheit verliert, haftet trotz des Verlustes, w e n n er nicht ausnahmsweise f ü r die h o h e W e r t u n g des Nichtigen unzuständig ist, etwa infolge mangelnder Reife o d e r infolge A n g s t 5 7 a . Es k o m m t also nicht auf das M a ß der psychischen S t ö r u n g an, sondern auf die ( U n - ) Z u ständigkeit f ü r ungestörte dominante Vermeidemotivation. Beispiele: Ein fanatischer Anhänger eines Fußballclubs schlägt bei einer Fehlentscheidung des Schiedsrichters in seiner E r r e g u n g dem vor ihm stehenden Z u s c h a u e r eine Bierflasche auf den K o p f , o h n e die Folgen zu b e d e n k e n ; — solchermaßen ubiquitär mögliche Anlässe z u r E r r e g u n g wiegen rechtlich nichts. — Einem A u t o f a h r e r o f f e n b a r t seine mitfahrende Freundin unvermittelt, sie sei s c h w a n g e r ; der Fahrer bremst auf glatter Straße zu stark, das Fahrzeug gerät ins Schleudern etc.; — die E r r e g u n g erklärt das Fehlverhalten zumindest partiell. 3. Verbreitet wird die Zumutbarkeit beim Fahrlässigkeitsdelikt auf Fälle von Risiko- 38 abwägungen erstreckt. Das läuft auf eine unzulässige Erweiterung des Katalogs der in § 35 StGB genannten Güter hinaus und ist jedenfalls kein spezifisches Fahrlässigkeitsproblem: O b das Risiko e r k a n n t wird oder n u r e r k e n n b a r ist, besagt nichts d a r ü b e r , w a n n seine V e r l a g e r u n g toleriert werden k a n n 5 8 . Beispiele 5 9 : Ein Kutscher f ä h r t ano r d n u n g s g e m ä ß mit einem P f e r d , das zum D u r c h g e h e n neigt, da er fürchtet, bei einer Weigerung seinen Arbeitsplatz zu verlieren; es k o m m t zu einem Unfall mit einer K ö r p e r v e r l e t z u n g 6 0 ; — es fehlt eine Motivationsblockierung und der Arbeitsplatz ist kein Kataloggut nach § 35 . — Ein F ä h r m a n n auf der Memel versucht, einige Passagiere auf deren nachdrückliches Bitten trotz gefährlicher Wasserverhältnisse überzusetzen, nachdem die Passagiere seine Einsatzbereitschaft in Zweifel gezogen h a b e n ; es k o m m t zu einem Unfall, bei dem Menschen e r t r i n k e n 6 1 ; — es geht nicht um Zumutbarkeit, sondern um Einwilligung in ein Risiko (siehe oben 7 / 1 2 6 f f ; 14/12).

V. Die Entschuldigung bei Interessenkollision (der sogenannte übergesetzliche, entschuldigende Notstand) Literatur P. Bockelmann Zur Schuldlehre des Obersten G e r i c h t s h o f s , Z S t W 63 S. 13 ff; A.-E. Brauneck D e r strafrechtliche Schuldbegriff, G A 1959 S. 261 f f ; H. End Existentielle H a n d l u n g e n im Strafrecht, 1959; W. Gallas Pflichtenkollision als S c h u l d a u s s c h l i e ß u n g s g r u n d , M e z g e r - F e s t s c h r i f t S. 311 ff; H.-L. Günther Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983; F. Härtung A n m e r k u n g zu O G H N J W 1950 S. 151 ff, a a O S. 151 f f ; H . / / e n £ e / Z u m u t b a r k e i t und U n z u m u t -

57 Jescheck AT § 58 IV; Burgstaller Fahrlässigkeitsdelikt S. 198 ff, 200 f; Welze! Strafrecht § 23 II 2 b; LK-Hirsch Rdn. 194 f vor § 3 2 ; Herzberg Jura 1984 S. 402 ff, 413; Jakobs Studien S. 144 ff. 57a Herzberg jan 1984 S. 402 ff, 413 f. 58 Teils wird die Zumutbarkeit auch zur Erledigung von Fällen des Regreßverbots mißbraucht, so in

B G H 3 S. 203 ff; RG DR 1944 S. 442 f; siehe Schönke-Schröder-Cramer% 15 Rdn. 204. 59 Siehe ferner RG 36 S. 78 ff; 74 S. 195 ff. 60 RG 30 S. 25 ff; „Leinenfängerfall"; anschaulich dazu Fischer in: Noll A T S . 220,226. 61 RG 57 S. 172 ff.

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20. Abschn

2. Buch. 3. Kapitel. Schuld

barkeit als regulatives Rechtsprinzip, Mezger-Festschrift S. 249 ff; H. ]. Hirsch Strafrecht und rechtsfreier Raum, Bockelmann-Festschrift S. 89 ff; Arthur Kaufmann Rechtsfreier Raum und eigenverantwortliche Entscheidung, Maurach-Festschrift S. 327 ff; W. KiiperGrund- und Grenzfragen der rechtfertigenden Pflichtenkollision im Strafrecht, 1979; ders. Die dämonische Macht des „Katzenkönigs" oder: Probleme des Verbotsirrtums und Putativnotstandes an den Grenzen strafrechtlicher Begriffe, JZ 1989 S. 617 ff; D. Lang-Hinrichsen Epoché und Schuld. Über den von strafrechtlicher Schuld ausgeschlossenen Raum, Bärmann-Festschrift S. 583 ff; G. Mangakis Die Pflichtenkollision als Grenzsituation des Strafrechts, ZStW 84 S. 447 ff; D. OehlerDie Achtung vor dem Leben und die Notstandshandlung, JR 1951 S. 489 ff; H. Otto Pflichtenkollision und Rechtswidrigkeitsurteil, 3. Auflage 1978 ; K. Peters Zur Lehre von den persönlichen Strafausschließungsgründen, JR 1949 S. 496 ff; ders. Die Tötung von Menschen in Notsituationen, JR 1950 S. 742 ff; J. Rödig Zur Problematik des Verbrechensaufbaus, Lange-Festschrift S. 39 ff; Eh. Schmidt Anmerkung zu O G H 1 S. 321 ff, SJZ 1949 Sp. 559 ff; G. Spendet Der Conditio-sine-quanon-Gedanke als Strafmilderungsgrund, Engisch-Festschrift S. 509 ff; ders. Der hypothetisch gleiche oder schwerere Deliktserfolg als Strafmaßproblem, Bruns-Festschrift S. 249 ff; H. v. Weber Die Pflichtenkollision im Strafrecht, Kiesselbach-Festschrift S. 233 ff; H. Welzel Anmerkung zu O G H 1 S. 321 ff, MDR 1949 S. 373 ff; ders. Zum Notstandsproblem ZStW 63 S. 47 ff.

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A. Eine PflichtenVioWision ohne gerechtfertigten Ausweg, sondern nur mit einer entschuldigenden Lösung, gibt es nicht, da das Recht nicht ein Verhalten zugleich fordern und als rechtswidrig bewerten kann, ohne sich selbst zu widersprechen 6 2 . Enthält die geschriebene Rechtsordnung dem Wortlaut nach Widersprüche, so ist deren Auflösung eine geläufige Aufgabe der Interpretation. Zumeist genanntes Beispiel einer angeblichen Pflichtenkollision ist eine Fallkonstellation aus der )> Euthanasie"-Aktion der nationalsozialistischen Zeit 6 3 : Einige Arzte in Anstalten für geistig behinderte Menschen hatten das Leben von einigen Anvertrauten preisgegeben, um nicht durch willfährige Kollegen ersetzt zu werden, die alle Menschen zur Tötung preisgegeben hätten. — Eine Pflichtenkollision läge nur vor, wenn die geretteten Menschen ein Recht auf Rettung durch die Arzte nicht nur im Rahmen von deren legalen Verhaltensweisen gehabt hätten, sondern ein Recht auf Rettung selbst durch Preisgabe der anderen zur Tötung. Ein solches Recht — und eine korrespondierende Pflicht der Ärzte — bestand jedoch nicht, da den O p f e r n rechtlich nicht angesonnen wurde, sich die Minima ihrer Existenz zu Gunsten der zu rettenden Menschen nehmen zu lassen oder diese Minima gar ihrerseits handelnd aufzuopfern. Ein solches Ansinnen ergeht rechtlich nur bei besonderen Zuständigkeiten (etwa gegenüber dem Angreifer in einer Notwehrlage).

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B. Da in der konkreten Situation nur eine der kollidierenden Pflichten rechtlich Bestand hat, kann die Übertretung dieser dominanten Pflicht durch Befolgung der zurücktretenden Pflicht allenfalls entschuldigt sein. Eine Entschuldigung kann — abgesehen von den in § 35 StGB geregelten Fällen — in folgender Weise begründet werden :

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1. H ä n g t der Verlust eines Guts im Ergebnis nicht vom Täter ab, weil das Gut zwar durch sein Verhalten verlorengeht, aber ohne dieses Verhalten auf einem anderen Weg verlorenginge, so entfernt sich das Verhalten des Täters trotz seiner Erfolgskausalität 62 Blei A T 5 63 II; Schänke-Schröder-Lenckner Rdn. 17 vor § 32. - Α. A. Jescheck AT § 47 I 2; Welzel Strafrecht § 23 III 1 ; Stratenwerth A T Rdn. 627 f ; Gallas Mezger-Festschrift S. 311 ff, 312, 328 f f ; v.Weber Kiesselbach-Festschrift S. 233 ff, 247 ff und die wohl überwiegende Lehre. — Gegen den Versuch, Widersprüche durch Annahme eines „rechtsfreien Raums" aus dem Recht hinauszuinterpretieren, ohne sie 588

rechtlich aufzulösen (Arthur Kaufmann Mäurach-Festschrift S. 327 ff, 331 ff), siehe Hirsch Bockelmann-Festschrift S. 89 ff, 96 ff. - Für einen „schuldfreien Raum" bei angeblicher Pflichtenkollision Lang-Hinrichsen Bärmann-Festschrift S. 583 ff, 600 ff. 63 B G H N J W 1953 S. 513 f ; O G H 1 S. 321 ff, 331 ff; 2 S. 117 ff, 122 ff.

Unzumutbarkeit

20. Abschn

v o n einer Verletzung und nähert sich einer abstrakten Gefährdung, und z w a r mit einer entsprechend reduzierten Strafdrohung ( o b e n 7 / 9 2 ff). Bei nicht existentiellen Gütern kann die faktische Unaufhaltsamkeit des Verlustes d a z u führen, das Interesse am G u t so gering z u veranschlagen, daß seine A u f o p f e r u n g für ein ceteris paribus identisches Gut nach § 34 StGB gerechtfertigt ist. Beispiel: W e n n Feuerwehrleute ein s o w i e s o nicht z u rettendes Gebäude niederlegen, um den Brand in einem anderen G e b ä u d e effektiv bekämpfen z u k ö n n e n , s o ist die T a t gerechtfertigt. Anders verhält es sich bei existentiell bedeutsamen Gütern : O h n e Sonderzuständigkeit des Gutsinhabers kann ihre A u f opferung nie beansprucht werden. Aber trotzdem ist die z w e c k v o l l e A u f o p f e r u n g des s o w i e s o verlorenen existentiellen Guts in einer N o t l a g e ein ebenso situationsadäquates (d. h. nicht willkürliches) Verhalten, w i e es die — rechtlich geforderte (!) — D u l d u n g des Verlustes aller gefährdeten Güter wäre. D i e T a t kann deshalb aus der N o t s i t u a t i o n und am Täter vorbei erklärt werden. 42

2. V o r a u s s e t z u n g e n für eine E n t s c h u l d i g u n g 6 4 sind : a) A u c h das gerettete Interesse muß v o n existentiellem G e w i c h t sein; Beispiel: D i e T ö t u n g eines Menschen, dessen Leben s o w i e s o nicht erhalten w e r d e n kann, z u m Z w e c k der Rettung v o n V e r m ö g e n s g ü t e r n ist nicht entschuldigt; denn das bloße (d. h. für den Bestand des Erfolgs irrelevante) T ö t u n g s t a b u rangiert v o r dem Vermögensinteresse. b) D a s verletzte Interesse muß s o w i e s o verloren sein, und z w a r w e g e n einer nicht überirdischen Katastrophenkonstellation (letzteres ist nur für Irrtumsfälle relevant; siehe oben 11/37). Bei einer U m s c h i c h t u n g v o n Risiken auf z u v o r nicht gefährdete Güter bleibt es allenfalls bei einer Entschuldigung nach § 35 StGB. Beispiel 6 5 : D r o h t ein G ü t e r z u g auf einen voll besetzten P e r s o n e n z u g a u f z u f a h r e n und lenkt ihn ein 64

Die Entscheidung ist höchst streitig. Die Rechtsprechung nimmt nur einen persönlichen Strafaufhebungsgrund an; O G H 1 S. 321 ff, 331 ff (mit zutreffend ablehnenden Anmerkungen Eb. Schmidt SJZ 1949 Sp. 559 ff, 569; Welzel M D R 1949 S. 373 ff, 375; es geht um das kriminelle Gewicht der Tat, nicht um außerstrafrechtliche Gründe für einen Strafverzicht; Welzel a a O ; zur Kritik siehe auch Bockelmann ZStW 63 S. 13 ff, 44 f f ) ; 2 S. 117 ff, 122 f f ; ebenso OehlerJR 1951 S. 489 ff, 493; Peters J R 1949 S. 496 ff, 498 f ; den. J R 1950 S. 742 ff, 745; wohl auch End Existentielle Handlungen S. 71 ff, 86, 95. — N a c h B G H 35 S. 347 ff, 350 f soll der Entschuldigungsgrund, „wenn er überhaupt besteht", allenfalls nach „gewissenhafter P r ü f u n g " eingreifen können; differenzierend dazu Küper J Z 1989 S. 617 ff, 627 f. — Die überwiegende Lehre bejaht einen Entschuldigungsgrund, zumeist freilich nicht — wie hier — der Sachadäquanz der Konfliktverlagerung wegen, sondern wegen einer Konkurrenz rechtlicher Pflichten oder rechtlicher und sittlicher Pflichten; Welzel M D R 1949 S. 373 ff, 375; den. ZStW 63 S. 47 ff, 54; den. Strafrecht § 23 III 1 ; Henkel Mezger-Festschrift S. 249 ff, 300 f; Härtung N J W 1950 S. 151 ff, 153 ff; Eb. Schmidt SJZ 1949 Sp. 559 ff, 569; v. Weber Kiesselbach-Festschrift S. 233 ff, 248 ff; LK-Hirsch Rdn. 203 ff vor § 32; DreherTröndle vor § 3 2 Rdn. 15; Stratenwerth AT Rdn. 632; Küper G r u n d - und Grenzfragen

S. 52 ff mit umfassenden Nachweisen; Bockelmann-Volk A T § 16 E ; Maurach-Zipf A T I § 33 Rdn. 18 f f ; - siehe auch LG Köln N J W 1952 S. 358 ff, 359. — Teils wird — bei Anerkennung eines Entschuldigungsgrunds — argumentiert, es sei zur Entschuldigung nicht zu verlangen, daß der Täter das „kleinere Übel" gewählt habe, da eine numerische Betrachtung sowieso versage; SK-Rudolphi Rdn. 8 vor § 19; Gallas MezgerFestschrift S. 311 ff, 326 f, 332 f; Schönke-Schröder-LencknerKàn. 117 vor § 32; Jescheck AT § 47 I 3. Jedoch ist die Konfliktlösung überhaupt nur im Rahmen des Erforderlichen sachadäquat; wird das Erforderliche überschritten, so kann der Eingriff insoweit nur durch Willkür erklärt werden und Entschuldigung scheidet aus. — Für Rechtfertigung (dagegen siehe oben zum aggressiven Notstand 13/23) Brauneck GA 1959 S. 261 ff, 271; Otto Pflichtenkollision S. 108 f ; Rödig Lange-Festschrift S. 39 ff, 58 mit Fn. 44; Mangakis ZStW 84 S. 447 ff, 476 f. Nach Günther Strafrechtswidrigkeit S. 333 ff soll das Unrecht (!) unter die Strafwürdigkeitsschwelle sinken. — Für Schuldhaftigkeit und eine allenfalls zu mildernde Strafe, da den Ärzten die Möglichkeit einer — wenn auch nutzlosen — Auflehnung geblieben sei, Spendel Engisch-Festschrift S. 509 ff, 518 ff, 519, 523 f f ; den. Bruns-FestschriftS. 249 ff, 251 ff. 65 Nach Welzel ZStW 63 S. 47 ff, 51.

589

20. Abschn

2. Buch. 3. Kapitel. Schuld

Weichenwärter auf ein Nebengleis um, w o dann freilich ein Streckenarbeiter getötet wird, so ist diese Manipulation von Schicksal 6 6 nicht schon wegen des positiven Saldos an Menschenleben entschuldigt (siehe oben zur Notstandsrechtfertigung 13/23 mit weiteren Beispielen). c) Andere Möglichkeiten zur Erhaltung des geretteten Interesses müssen fehlen. Beispiel: Ein Kapitän hindert das Absinken eines Schiffs dadurch, daß er einige Schotten schließen läßt; die eingeschlossenen Seeleute ertrinken, aber ohne die Schließung wäre die ganze Besatzung umgekommen; — die Tat ist entschuldigt, da sie zur Rettung erforderlich ist (vereinzelt wird eine Rechtfertigung wegen einer Sonderpflicht behauptet; siehe oben 13/Fn. 51). — Entschuldigung scheidet aber aus, wenn sich die nicht hinter den Schotten befindlichen Seeleute ohne die Tat mit Hilfe verfügbarer Rettungsboote in Sicherheit bringen könnten, mögen auch die anderen nach wie vor sowieso verloren sein. d) D a ß der Täter „subjektiv den Rettungszweck verfolgt" haben müsse 6 7 , ist hier so wenig Voraussetzung der Entschuldigung wie beim entschuldigenden Notstand (siehe oben 10/11); es widerspricht dem Tatprinzip, zur Entschuldigung im subjektiven Bereich mehr zu verlangen als eine Kenntnis der Konfliktlage und der abwendenden "Wirkung des eigenen Verhaltens.

VI. Unspezifizierte Unzumutbarkeit als Entschuldigungsgrund? Literatur H. Achenbach H i s t o r i s c h e und d o g m a t i s c h e G r u n d l a g e n der strafrechtssystematischen Schuldlehre, 1974; den. W i e d e r b e l e b u n g der allgemeinen Nichtzumutbarkeitsklausel im Strafrecht, JR 1975 S. 4 9 2 f f ; H. Blei Buchbesprechungen, JZ 1969 S. 546 und JA 1969 S. 665 f; Drost D i e Zumutbarkeit bei vorsätzlichen Delikten, Archiv für Strafrecht ( G A ) 77 (1933) S. 175 f f ; ß. Freudenthal S c h u l d und V o r w u r f im geltenden Strafrecht, 1922; H. Henkel Zumutbarkeit und U n z u m u t b a r k e i t als regulatives Prinzip, Mezger-Festschrift S. 2 4 9 ff; Th. LencknerStrafe, Schuld und Schuldfähigkeit, in: H. Göppingerund H. Witter (tiisg.) H a n d b u c h der forensischen P s y c h iatrie Bd. I, 1972, S. 3 f f ; J. Lücke D e r allgemeine Schuldausschließungsgrund der U n z u m u t b a r keit als m e t h o d i s c h e s und verfassungsrechtliches Problem, JR 1975 S. 55 ff; P. Wittig D e r übergesetzliche S c h u l d a u s s c h l i e ß u n g s g r u n d der U n z u m u t b a r k e i t in verfassungsrechtlicher Sicht, JZ 1969 S. 546 ff. 66 Was freilich Manipulation von Schicksal ist, entscheidet sich nicht danach, ob der Täter handelt oder unterläßt, sondern nach der Zuständigkeit für die Verhaltensfolgen: Ist der Organisationskreis des durch die Verlagerung der Gefahr Betroffenen seinerseits erfolgsbezogen organisiert oder ist es die Organisation des Verlagernden, die schädigt? Wenn im Beispielsfall eines Weichenwärters dieser dienstplangemäß sowieso beim Herannahen des Güterzugs zum Schutz der Insassen des Personenzugs die Weiche umzulegen hat, so hat er dies auch zu tun, wenn sich auf dem dann befahrenen Gleis Streckenarbeiter befinden. Insoweit handelt der Wärter nicht tatbestandsmäßig, also rechtmäßig (nicht erst entschuldigt). — Anderenfalls hinge die Konfliktlösung von Zufälligkeiten der technischen Ausgestaltung ab, so etwa wenn sich die Weiche automatisch umlegt, der Automatismus aber vom Wärter überspielt werden kann. — H a t der Wärter die Weiche nicht umzulegen, droht aber, weil er ausrutscht, auf das

590

Schaltgerät zu fallen und dadurch den Impuls auszulösen, so muß er den Sturz, so er kann, verhindern. — Siehe auch oben zur garantenbezogenen Begehung und zum Regreßverbot 7/56 ff. N u r mit Hilfe dieser Regeln der objektiven Zurechnung lassen sich auch Probleme beim Einsatz von Katastrophenhelfern sachgerecht lösen. Wenn die Einsatzleitung eine erfolgversprechende Hilfsmaßnahme abbricht (Tun! Stoppen der Maschine oder Anweisung an die Untergebenen), um das Rettungspotential anderweitig noch effektiver einzusetzen, so handelt sie nicht tatbestandsmäßig, solange sie nicht gegenüber dem Empfänger der zunächst begonnenen Hilfsmaßnahme stärker garantenpflichtig ist (etwa aus besonderem Vertrauen, siehe oben 13/23) als gegenüber demjenigen der anschließend unternommenen Maßnahme. 67 Welzel Strafrecht § 23 III 1 (Voraussetzung c); überwiegende Ansicht.

Unzumutbarkeit

20. Abscjin

Α. Seit der Zumutbarkeitslehre von Freudenthal68 wird vereinzelt immer wieder 4 3 versucht, Schuld nur unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens zuzuschreiben 6 9 , wobei die Lage der Unzumutbarkeit durch einen psychologisierend definierten Zwang bezeichnet werden soll. Auf dasselbe Ergebnis zielt das Unternehmen, die Schuld von der — wiederum psychologisierend verstandenen — Fähigkeit des Täters abhängig zu machen, gemäß seiner (aktuellen oder aktualisierbaren) Unrechtseinsicht zu handeln 7 0 . Auch finden sich die Annahmen, eine allgemeine Zumutbarkeitsklausel müsse aus verfassungsrechtlichen (Schuldgrundsatz 7 1 ) oder systematischen (Regelungslücke 7 2 ) Gründen anerkannt werden. Jedenfalls f ü r das vorsätzliche Begehungsdelikt (zur Fahrlässigkeit oben 7/35 ff; zur Unterlassung unten 29/98 ff mit Fn. 192) verneint hingegen die weit überwiegende Ansicht 7 3 die Bedeutung einer allgemeinen Zumutbarkeitsklausel und läßt allenfalls eine begrenzte Ausdehnung der gesetzlich geregelten besonderen Zumutbarkeitsklauseln z u 7 4 ; diese Zurückhaltung wird teils damit begründet, die gesetzlich geregelten Entschuldigungsgründe seien generell nicht analogiefähig 7 5 , teils wird bei Berücksichtigung einer allgemeinen Zumutbarkeitsklausel ein Verlust jeglicher Rechtssicherheit befürchtet 7 6 . Diese Begründungen werden zumindest insoweit nicht konsequent durchgehalten, als einzelne „übergesetzliche" Entschuldigungen ohne Anlehnung an gesetzlich geregelte Fälle, so etwa bei der entschuldigenden Interessenkollision, doch anerkannt werden. B. Das Postulat einer allgemeinen Zumutbarkeitsklausel wie seine Ablehnung erledi- 4 4 gen das Problem nicht voll. Die Befürworter der Klausel begnügen sich mit einer Analogie der psychischen Lage bei den gesetzlich festgeschriebenen und den zu ergänzenden Fallgruppen. Demgegenüber weisen die Gegner der Klausel zutreffend darauf hin, daß schon bei den gesetzlichen Regelungen eine psychische Lage allein keine Entschuldigung ausmacht, daß vielmehr zudem die T a t ohne Schaden f ü r die N o r m am Täter vorbei erklärbar sein muß. Dieser Einwand gegen die Klausel rechtfertigt es freilich nicht, sie überhaupt abzulehnen; vielmehr ist ihre psychologisierende Fassung durch das Erfordernis einzuschränken, daß eine Erklärung der T a t am Täter vorbei ohne Schaden f ü r die N o r m möglich ist. Die Unzuständigkeit des Täters f ü r die Bedingungen der T a t muß deshalb als eine Voraussetzung der Unzumutbarkeit aufgenommen werden 7 7 . 68 Schuld und Vorwurf S. 7 und passim. 69 Siehe schon oben 17/7 ff; dort auch zu Goldschmidt, v. Liszt-Schmidtu. a. m. — Zum Ganzen Brost Archiv f ü r Strafrecht Bd. 77 (GA 1933) S. 175 ff; Achenbach Grundlagen S. 143 ff; ders. J R 1975 S. 492 ff. 70 S o / l m r f i S o n d e r a u s s c h u ß V 2 5 . SitzungS. 478. 71 Wittig JZ 1969 S. 546 ff. 72 Lücke JR 1975 S. 55 ff. 73 Seit RG 66 S. 397 ff, 398 f auch die Rechtsprechung; tendenziell anders nur O L G Hamm N J W 1976 S. 721 f. — Die frühere Rechtsprechung des Reichsgerichts hat f ü r bestimmte Fallbereiche eine nach generalisierendem Maß bestimmte Zumutbarkeit anerkannt; siehe R G 30 S. 25 ff, 28; 36 S. 78 ff, 80 ff; 57 S. 172 ff, 174; 58 S. 97 f, 98; 58 S. 226 ff, 227 f; 60 S. 101 ff, 103; 66 S. 222 ff, 225. 74 Achenbach J R 1975 S. 492 ff, 495 f; BaumannWeber A T § 2 9 III 2. 75 Jescheck A T § 47 II 2; Maurach-Zipf AT I § 33

Rdn. 13 ff; Welze! Strafrecht § 23 vor I; Stratenwerth A T Rdn. 620; Kohlrausch-Lange Anm. III vor § 51; siehe auch Blei A T § 63 I ; ders. JA 1969 S. 665 f. — Gegen diese Argumentation aber Henkel Mezger-Festschrift S. 249 ff, 295 ff, der freilich eine allgemeine Regelung nicht der Zumutbarkeit entnehmen will, sondern dem normativen Schuldbegriff selbst. 76 LK-Hirsch Rdn. 184 vor § 32; Bockelmann-Volk A T § 16 D V ; Schönke-Schröder-Lenckner Rdn. 122 f vor § 32; Lenckner H a n d b u c h Psychiatrie Bd. I S . 3 ff,69. 77 Entsprechend bindet § 10 Abs. 1 österreichisches StGB die dort geregelte allgemeine Zumutbarkeit durch das, was von einem „den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen" zu „erwarten" ist. — Diese Formulierung psychologisiert noch zu stark, da sie die Deutung der Erwartung als kognitiv zuläßt und nicht die Bestimmung der Erwartung als normativ festschreibt.

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20. Abschn 45

2. Buch. 3. Kapitel. Schuld

Ein allgemeiner Schuldausschluß der Unzumutbarkeit kann also unter folgenden Voraussetzungen bestehen: (1) Es muß eine Zwangslage vorliegen, (2) die in objektiver Gewichtung die T a t als adäquate Lösung erscheinen läßt, (3) ohne daß der Täter oder der Begünstigte f ü r die Zwangslage zuständig ist. Bei Berücksichtigung dieser Beschränkungen spricht nichts gegen eine Analogie zu den §§ 33, 35 StGB und ist auch keine Rechtsunsicherheit zu befürchten, denn eine so entwickelte Zumutbarkeitsklausel ist funktional dem Schuldbegriff gleichgerichtet. Freilich bleibt f ü r eine solchermaßen stark funktional eingebundene Zumutbarkeitsklausel kaum ein Anwendungsbereich, da die gesetzlichen Regelungen die relevanten Bereiche hinreichend elastisch abdecken. Fälle von Unzumutbarkeit, die sich nicht mehr dem Randbereich der gesetzlichen Regelungen zuordnen lassen (wie es etwa noch beim Exzeß bei vorläufiger Festnahme nach schuldhafter T a t möglich ist, oben 20/39), lassen sich zum Uberzeugungstäter (oben 20/20 ff) und zur Unzumutbarkeit bei Fahrlässigkeit (oben 20/36 ff) finden. Diese Fälle werden — abgesehen von Lösungsdifferenzen beim Überzeugungstäter — auch von den Gegnern einer allgemeinen Klausel überwiegend als Sonderregelungen anerkannt. Bislang sind keine weiteren Bereiche benannt worden, bei denen die genannten drei Bedingungen erfüllt werden; nach dem gegenwärtigen Rechtszustand ist eine allgemeine Zumutbarkeitsklausel deshalb theoretisch zwar möglich, aber ohne praktische Bedeutung.

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4. K A P I T E L

Ergänzung zur Tatbestandsverwirklichung: Die Beteiligung 21. A B S C H N I T T

Die Täterschaft I. Differenzierung der Beteiligten oder Einheitstäterschaft? Literatur R. Bloy Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985; P. Cramer Die Beteiligung an einer Zuwiderhandlung, NJW 1969 S. 1929 ff; ders. Nochmals: Zum Einheitstäter im Ordnungswidrigkeitenrecht, NJW 1970 S. 1114 ff; K. Detzer Die Problematik der Einheitstäterlösung. Eine Untersuchung im Lichte der Reform des StGB und des OWiG unter Berücksichtigung des italienischen und österreichischen Strafrechts, 1972; E. Drewer Plädoyer für den Einheitstäter im Ordnungswidrigkeitenrecht, NJW 1970 S. 217 ff; den. Nochmals : Zum Einheitstäter im Ordnungswidrigkeitenrecht, NJW 1970 S. 1116 ff; F. Exner Fahrlässiges Zusammenwirken, Frank-Festgabe Bd. I S. 569 ff; W. Gallas Täterschaft und Teilnahme, Materialien Bd. I S. 121 ff; E. Göhler Die „Beteiligung" an einer unvorsätzlich begangenen Ordnungswidrigkeit, wistra 1983 S. 242 ff; F. Höpfel Einige Fragen der subjektiven Tatseite bei Beteiligung mehrerer, OJZ 1982 S. 314 ff; D. Kienapfel „Beteiligung" und „Teilnahme", NJW 1970 S. 1826 ff; ders. Der Einheitstäter im Strafrecht, 1971; ders. Erscheinungsformen der Einheitstäterschaft, in: H. Müller-Dietz (Hrsg.) Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, 1971, S. 21 ff; ders. Die Einheitstäterregelung der §§ 12 ff und 32 ff StGB, JurBl. 96 (1974) S. 113 ff; ders. Das Prinzip der Einheitstäterschaft, JuS 1974 S. 4 ff; ders. Zum gegenwärtigen Stand der Lehre von der Einheitstäterschaft in der höchstrichterlichen Praxis, OJZ 1979 S. 90 ff; ders. Zur Einheitstäterschaft im Ordnungswidrigkeitenrecht, NJW 1983 S. 2236 f; P. Lewisch Probleme der Einheitstäterschaft, JurBl. 1989 S. 294 ff; M. Maiwald Historische und dogmatische Aspekte der Einheitstäterlösung, Bockelmann-Festschrift S. 343 ff; ders. Literaturbericht, ZStW 93 S. 864 ff; Eh. Schmidt Oie mittelbare Täterschaft, Frank-Festgabe Bd. II S. 106 ff; K. Schmoller Grundstrukturen der Beteiligung mehrerer an einer Straftat — die objektive Zurechnung fremden Verhaltens, OJZ 1983 S. 337 ff, 379 ff; Chr. Schönebom Kombiniertes Teilnahme- und Einheitstätersystem für das Strafrecht, ZStW 87 S. 902 ff; B. Schiinemann Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft nach der Strafrechtsreform im Spiegel des Leipziger Kommentars und des Wiener Kommentars, GA 1985 S. 341 ff, GA 1986 S. 293 ff; H.Schumann Zum Einheitstätersystem des §14 OWiG, 1979; G. Stratenwerth Zur Funktion strafrechtlicher Gesinnungsmerkmale, v. Weber-Festschrift S. 171 ff; O. TrifftererOie österreichische Beteiligungslehre, 1983; St. Trunk Einheitstäterbegriff und besondere persönliche Merkmale, 1987; J. Welp Der Einheitstäter im Ordnungswidrigkeitenrecht, V O R 1972 S. 299 ff; L. ZimmerlGr undsätzliches zur Teilnahmelehre, ZStW 49 S. 39 ff. A. Bei der Bestimmung von Täterschaft und Teilnahme geht es um die Festlegung, 1 wie sich die Zuständigkeiten mehrerer Beteiligter für ein deliktisches Geschehen zueinander verhalten. Dafür gibt es zwei Regelungsmodelle das für Pflichtdelikte und das für Herrschaftsdelikte. 1. Bei einigen Delikten kann die volle, d. h. täterschaftliche Zuständigkeit nur durch 2 die Verletzung einer institutionell abgesicherten Pflicht begründet werden, ist aber bei 1 Eine Reduktion auf ein Prinzip versucht SchünemannGA 1986S. 293 ff,331 ff.

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21. Abschn

2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

Verletzung dieser Pflicht auch immer begründet. Solche Pflichten treffen nur den Inhaber eines bestimmten Status; nicht selbst verpflichtete Personen können allenfalls Teilnehmer sein (Pflichtdelikte, unten 21/115 ff). 3

2. Bei der Mehrzahl aller Delikte knüpft die Zuständigkeit jedoch nicht an eine Sonderpflicht an, sondern an die Organisationsakte des Inhabers eines Organisationskreises (die maßgebliche Organisation wird üblicherweise als Tatherrschaft bezeichnet, deshalb heißen die Delikte Herrschaftsdelikte). Es bestehen folgende Regelungen f ü r die Zuständigkeit kraft Organisation bei den Herrschaftsdelikten : a) Es kann nur eine Person geben, die das Delikt organisiert; diese ist dann stets voll zuständig, d. h. Täter, und vollzieht die Tatausführung auch stets selbst, d. h. sie handelt eigenhändig (§ 25 Abs. 1,1. Fallgruppe StGB). b) Es kann mehrere Beteiligte geben, die ihre Organisationskreise so aufeinander abstimmen, daß sie gemeinsam ein Delikt organisieren. Geschieht dies — in noch zu konkretisierender Weise — durch gleich gewichtige Organisationsakte, sind die Beteiligten Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB) ; ist ihre Organisation gestuft, so sind die abgeschwächt Beteiligten Teilnehmer, d. h. Anstifter (§ 26 StGB) oder Gehilfen (§ 27 StGB), was freilich nach geltendem Recht nicht stets zur Haftungsmilderung führt (nicht bei § 26 StGB). Jedenfalls werden in dieser Gruppe die Organisationsakte mehrerer Personen zu einer Tat verbunden: Die Beteiligten haften im gleichen Rang, wenn auch möglicherweise zu unterschiedlichen „Quoten" 1 3 . Das führt zu einer gegenseitigen Abhängigkeit (Akzessorietät) der geleisteten und noch zu leistenden Tatfortschritte in quantitativer Sicht (die eine Tat wird nur einmal vorbereitet, versucht und vollendet) wie in qualitativer Sicht (alle Beteiligten sind für das gesamte Unrecht zuständig). T r o t z der Organisation durch mehrere Personen gibt es nur ein tatbestandliches Ausführungsverhalten, das Unrecht ist. Das gemeinsame Zusammenwirken im Vorfeld der Tatbestandsverwirklichung ist mangels Externalisierung nicht selbst eine soziale Störung, sondern bildet nur den Grund, das Ausführungsverhalten jedem der Beteiligten zuzurechnen (siehe unten 21/8 a). Die Lage im Vorfeld ist derjenigen im Zivilrecht beim Abschluß eines Gesellschaftsvertrags vergleichbar: Dieser Vertrag ist beim Abschluß kein Geschäft im Außenverhältnis und wird auch später keins, bildet aber wohl den Grund, den Gesellschaftern die später im Außenverhältnis geschlossenen Geschäfte zuzurechnen. c) Schließlich kann sich ein Beteiligter dem Organisationskreis eines anderen unterwerfen; er ist dann unabhängig von der Zuständigkeit des Unterworfenen schon wegen dieses Unterwerfens vorrangig zuständig, und zwar als mittelbarer Täter (§ 25 Abs. 1, 2. Fallgruppe StGB).

4

B. Die Angemessenheit der Differenzierung zwischen dem Vollzug einer eigenen und der Mitwirkung an einer gemeinsamen T a t ist umstritten. Im Kern des Streits darum, ob überhaupt zwischen den Beteiligten zu differenzieren ist und ob eine Differenzierung mehr als eine Stufung nach der Quantität deliktischen Verhaltens bringt, steht die Akzessorietät.

5

1. Die Lehre vom Einheitstäter verneint die Bedeutung der Akzessorietät überhaupt 113 : Jeder Beteiligte soll nach seiner rechtswidrigen und schuldhaften Verursala

594

Eine qualitative Differenz zwischen Täterschaft und Teilnahme gibt es nicht (anders zuletzt Bloy, Beteiligungsform S. 368 mit Nachweisen); wächst die Beteiligung an einer fremden Tat hinreichend an, wird die Tat allein aufgrund des Zu-

wachses zur eigenen. — Zu den Spezifika der Sonderdelikte siehe unten 22/16. 1b Kienapfel JuS 1974 S. 1 ff; ders. JurBl. 96 (1974) S. 113 ff, 118; ders. Ö J Z 1979 S. 90 ff, 91 f.

Täterschaft

21. Abschn

chung als Täter beurteilt werden, und zwar ohne Blick auf die deliktischen Eigenschaften der Beiträge der anderen Beteiligten (vorsätzlich, fahrlässig, unvermeidbar; schuldhaft, schuldlos) und ohne mehr als kausale Bindung an den Entwicklungsstand der Beiträge der anderen (Vorbereitung, Versuch, Vollendung). 2 a) Diese Lösung, die f ü r das Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland de lege 6 ferenda vorgeschlagen w i r d 2 , führt bei strenger Anwendung zu einer sprachlich gewaltsamen Ausdehnung der Begriffe, mit denen die Tathandlung im BT beschrieben wird 3 , und wäre deshalb mit dem Bestimmtheitserfordernis von Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB nur bei Umformulierung nahezu aller Tatbestände des BT zu vereinbaren. Beispiel: Der Rat an einen anderen, eine dritte Person zu verleumden, ist eben selbst noch keine Behauptung oder Verbreitung ehrenrühriger Tatsachen (zu § 187 StGB). b) Die Einheitstäterlösung erweitert ferner die Versuchsstrafbarkeit in dem gesamten Bereich der Förderung eines im Ergebnis nicht zustande kommenden Delikts, ohne daß hierfür ein kriminalpolitisches Bedürfnis dargetan wäre: Bei Handlungen im V o r bereitungsstadium (vor der Zäsur des Versuchsbeginns; etwa bei Beschaffung von Diebeswerkzeug) erwägt niemand generell eine Bestrafung der isoliert gebliebenen Vorbereitungshandlungen, soweit ein einzelner Mensch alles zum Delikt Erforderliche allein vollziehen soll. Bei entsprechender Arbeitsteilung (der erste Beteiligte erledigt die Vorbereitung, der zweite soll die Tat zum Versuch und zur Vollendung führen) wird nach der Lehre vom Einheitstäter die Vorbereitungshandlung jedoch f ü r den ersten Beteiligten zu einem abgeschlossenen Deliktsbeitrag, der ohne Akzessorietätserfordernis als Deliktsversuch strafbar sein müßte, auch wenn weiter nichts geschieht. Vorbereitungen würden also in Versuche umstilisiert. Deshalb gerät die Einheitstäterlösung quantitativ zu weit. c) Schließlich, und das ist entscheidend, ist die Einheitstäterlösung qualitativ teils zu eng und zugleich teils zu weit. Wenn ein Delikt über die Verursachung eines Erfolgs hinaus durch besondere persönliche Merkmale, seil, besondere Pflichten oder das Erfordernis der Eigenhändigkeit, gekennzeichnet ist, müßten diese Merkmale von jedem Einheitstäter verwirklicht werden, wenn nicht doch die Beziehung zur fremden Tat und damit die Akzessorietät Strafgrund werden soll. Beispiel: Auch der Gehilfe bei der Rechtsbeugung (§ 336 StGB) müßte als „Rechtsbeugungseinheitstäter" selbst sonderpflichtig sein. Das wird von den Vertretern der Einheitstäterschaft meistens verkannt; man meint, in diesen Fällen Täterschaft über die Urheberschaft f ü r den Deliktserfolg begründen zu können. Aber ein Urheber, der die nötigen Qualifikationen eines Täters nicht selbst aufweist, kann überhaupt nur per Akzessorietät zu fremdem Unrecht Täter werden 4 . — In der Umkehrung kann beim Urheber einer tatbestandlich nicht erfaßten Selbstverletzung (etwa bei Anstiftung zur Selbstverstümmelung) Straffreiheit des Urhebers nur aus der strafrechtlichen Irrelevanz der T a t des Ausführenden, also gerade nicht des Urhebers, hergeleitet w e r d e n 5 ; denn der Anstiftende (Urheber) wird in seiner Person kausal f ü r die Verletzung eines anderen, so daß die in seiner Person gegebenen Eigenschaften die H a f t u n g nicht hindern. d) Der Lehre vom Einheitstäter steht also nicht nur die gegenwärtige (änderbare) Ausgestaltung der Delikte des BT entgegen, sondern sie verkennt die Differenz zwi2

Ζ. B. Kienapfel E r s c h e i n u n g s f o r m e n S. 21 ff, 34 f. 3 B e s o n d e r s k r a ß w ä r e die B e g r i f f s d e h n u n g bei D e likten, die bestimmte A n g r i f f s a r t e n v o r a u s s e t z e n , wie bei den §§ 242, 263 S t G B ; siehe LK-Roxin R d n . 6 v o r § 25.

4 5

Z u t r e f f e n d Gallas Materialien Bd. I S . 121 ff, 122. Zutreffend Maiwald Bockelmann-Festschrift S. 343 ff, 361 f.

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21. Abschn

2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

sehen der Ausführung einer Tat und der Bewirkung der Ausführung eines anderen Beteiligten 6 . Statt die Beiträge auf die Ausführung zu beziehen und das Unrecht der Teilnahme vom Unrecht der Tatausführung her zu bestimmen, atomisiert sie Kausalitäten, die das strafbare Verhalten allein eben nicht ausmachen; die Einheitstäterlehre kennt kein gemeinsames, sondern nur isoliertes Bewirken. Dieser Mangel bei der Bestimmung des Tatbestandsumfangs kann bei der Strafzumessung nur höchst unvollkommen ausgeglichen werden 7 . 7

3. Einige ausländische Rechtsordnungen haben den Einheitstäter normiert 8 , von den deutschsprachigen Rechten das österreichische StGB in dessen § 12 8 a . Eine Einheitstäterlösung findet sich ferner in § 14 O W i G , aber mit bezeichnenden Einschränkungen: Besondere persönliche Merkmale bei nur einem Beteiligten (im Sinn von § 14 O W i G ) färben die Beiträge aller Beteiligten zur Ordnungswidrigkeit 9 (§ 14 Abs. 1 Satz 2 O W i G ; siehe auch § 14 österreichisches StGB), aber nur f ü r Personen, die „sich beteiligen", d. h. vorsätzlich mitwirken 1 0 . Z u r Versuchsbestrafung ist ein Versuch der Ausführung (nicht nur der Anstiftung oder der Förderung) erforderlich, mag die Beteiligung auch schon voll geleistet sein (§14 Abs. 2 O W i G ) 1 1 .

8

C. An den Mängeln der Lehre vom Einheitstäter krankt auch der zum geltenden Recht entwickelte extensive Täterbegriff12 (extensiv heißt: Die Tatbestände des BT erfassen jede Beteiligung; die Teilnahmeregelung im A T ist Haftungseinschränkung). Danach soll jede Verursachung (je nach Tatbestand: jede Verursachung auf einem bestimmten Weg) Täterschaft begründen, die dann wiederum nach diversen T o p o i durch positivrechtliche Straf einschränkung auf Teilnahme (deshalb kein Einheitstäter) reduziert werden k ö n n e D i e s e Lehre wurde zur Beseitigung von Mängeln des alten restriktiven Täterbegriffs entwickelt 1 4 (restriktiv heißt: Die Tatbestände des BT erfassen nur Täterschaft; die Teilnahmeregelung im A T ist Haftungsausdehnung), da der zunächst als Eigenhändigkeit im engeren Sinn verstandene Begriff der Tatausführung den gesamten Bereich der mittelbaren Täterschaft aus der täterschaftlichen H a f t u n g ausschloß. Statt nun die Ausführung der T a t weniger naturalistisch und mehr nach der Zuständigkeit f ü r das Ergebnis zu verstehen, wurde sie von dieser Lehre noch stärker naturalistisch in eine bloße Verursachung der T a t umgedeutet. — Der extensive Täterbegriff ist heute noch Ausgangspunkt der subjektiven T h e o r i e 1 5 : Im objektiven Bereich 6

7 8 8a

9

10

596

Zusammenfassung der Kritik bei Maiwald Bokkelmann-Festschrift S. 343 ff; Bloy Beteiligungsform S. 149 ff. Α. A. Kienapfel ]uS 1974 S. 4 ff, 7. Nachweise bei Jescheck AT § 61 VIII. Umfassende Darstellung der dazu vertretenen Ansichten mit Literaturnachweisen bei Triffterer Beteiligungslehre S. 48 f f ; Schmoller Ö J Z 1983 S. 337 ff, 379 ff; siehe auch Lewisch JurBi. 1989 S. 294 ff. Akzessorietät! Aber eine zu weite Akzessorietät, da das Merkmal nicht an den Tatausführenden gebunden wird; siehe Jescheck AT § 6 1 II 2 c; Schumann Einheitstätersystem S. 38 ff; Trunk Einheitstäterbegriff S. 124 ff. B G H N S t Z 1983 S. 416 f (gegen den abweichenden Vorlagebeschluß des O L G Koblenz VRS 63 S. 28 I f f ) mit hauptsächlich zustimmender Besprechung Göhler wistra 1983 S. 242 ff und ablehnender Besprechung Kienapfel N J W 1983 S. 2236 f ; O L G Köln VRS 56 S. 465 f f ; O L G Düsseldorf N S t Z 1984 S. 29; Göhler O W i G § 14

Anm. 1 B; DreAerNJW 1970 S. 217 ff, 221. 11 Eine Beschränkung dieser akzessorischen Versuchslösung auf die Beihilfe findet sich in § 15 Abs. 2 österreichisches StGB. — Zu § 14 O W i G einschränkend Cramer N J W 1969 S. 1929 ff; ders. N J W 1970 S. 1114 ff; KKOWiG-Rengier § 14 Rdn. 5 ff; vermittelnd Dreher N J W 1970 S. 217 ff; ders. N J W 1970 S. 1116 ff; Schumann Einheitstätersystem S. 70 ff (dazu MaiwaldZStW 93 S. 864 f f ) ; ausdehnend Kienapfel N J W 1970 S. 1826 ff; f ü r eine ergänzende Anerkennung des Einheitstäters Schöneborn ZStW 87 S. 902 ff, 921 ff. 12 Zum Verhältnis der Lehre vom Einheitstäter zum extensiven Täterbegriff siehe Kienapfel JurBl. 96 (1974) S. 113 ff, 114. 13 Mezger Strafrecht § 58 I; Eh. Schmidt FrankFestgabe Bd. II S. 106 f f ; eingehende Darstellung bei Bloy Beteiligungsform S. 115 ff. 14 Siehe Z/mmer/ZStW 49 S. 39 ff. 15 So auch Gallas Materialien Bd. I S. 121 ff, 122; zur subjektiven Theorie siehe unten 21/27.

Täterschaft

21. Abschn

sollen per Ursächlichkeit alle Beteiligten potentielle T ä t e r sein; differenziert w e r d e n kann nach dieser T h e o r i e , die alles das, was außer der Kausalität objektiv geschieht, unberücksichtigt läßt, nur n a c h dem Subjektiven. D . Gegen die L e h r e v o n der Einheitstäterschaft, gegen den extensiven T ä t e r b e g r i f f 8 a und gegen sonstige V e r s u c h e , die H a f t u n g dessen, der nicht selbst o d e r durch ein W e r k z e u g ausführt, o h n e Akzessorietät zu begründen (also ohne Z u r e c h n u n g der v o n einem anderen realisierten Ausführungshandlung), spricht auch, daß alle solchen K o n zepte ein Verhalten im Vorfeld der Externalisierung (der Tatbestandsverwirklichung) als U n r e c h t definieren müssen (siehe unten 2 5 / 1 ff). Eine einverständliche Abstimmung m e h r e r e r Personen, die ohne weiteres Zutun keine Außenwirkungen hat, sollte in einem freiheitlichen Staat von K o n t r o l l e frei sein; aber bei einem V e r z i c h t auf Akzessorietät bleibt nur der W e g , V e r b r e c h e n s v e r a b r e d u n g o d e r V e r b r e c h e n s f ö r d e r u n g durch R a t o d e r T a t o d e r ein anderes internes Verhalten als soziale S t ö r u n g zu b e z e i c h n e n ; das Tatprinzip wird also mißachtet. — Anders verhält es sich bei Anerkennung der A k z e s sorietät: Das Vorfeldverhalten ist dann nicht U n r e c h t , sondern es bildet diejenige Gemeinsamkeit, die es erlaubt, das tatbestandliche Ausführungsverhalten allen gemeinschaftlich z u z u r e c h n e n (oben 2 1 / 3 ) . Die übliche Formulierung, der nicht selbst A u s führende nehme an fremdem U n r e c h t teil, ist eher mißverständlich; denn das Ausführungsverhalten ist das U n r e c h t eines jeden Beteiligten, auch desjenigen, der es nicht selbst vollzieht.

II. Die Voraussetzungen von Täterschaft in Sonderfällen (die deliktsspezifischen Tätermerkmale und die Vertreterhaftung) Literatur P. Blautb „Handeln für einen anderen" nach geltendem und kommendem Strafrecht, 1968; H.-J. Bruns Können die Organe juristischer Personen, die im Interesse ihrer Körperschaften Rechtsgüter Dritter verletzen, bestraft werden ? 1931 ; ders. Über die Organ- und Vertreterhaftung im Strafrecht, J Z 1954 S. 12 ff; ders. Faktische Betrachtungsweise und Organhaftung, J Z 1958 S. 461 ff; ders. Grundprobleme der strafrechtlichen Organ- und Vertreterhaftung, GA 1982 S. 1 ff; ders. Die sog. „tatsächliche" Betrachtungsweise im Strafrecht, J R 1984 S. 133 ff; J.-M. Cadus Die faktische Betrachtungsweise, 1984; W. Fleischer Vertreterhaftung bei Bankrotthandlungen einer GmbH, N J W 1978 S. 96 ff; H. Fuhrmann Die Bedeutung des „faktischen Organs" in der strafrechtlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, Tröndle-Festschrift S. 139 ff; W. Gallas Der dogmatische Teil des Alternativ-Entwurfs, ZStW 80 S. 1 ff; Κ. H. Gössel Probleme notwendiger Teilnahme bei Betrug, Steuerhinterziehung und Subventionsbetrug, wistra 1985 S. 125 ff; R. D. Herzberg Die Problematik der „besonderen persönlichen Merkmale" im Strafrecht, ZStW 88 S. 68 ff; ders. Die Verantwortung für Arbeitsschutz und Unfallverhütung im Betrieb, 1984; A. Hoyer Anmerkung zu O L G Düsseldorf NStZ 1988 S. 368 f, aaO S. 369 f; / . C. Joerden Grenzen der Auslegung des S 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG, wistra 1990 S. 1 ff; D. Kratzsch Das „faktische Organ" im Gesellschaftsrecht — Grund und Grenzen einer strafrechtlichen Garantenstellung, Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht 1985 S. 506 ff; W. l a n g e r Zum Begriff der „besonderen persönlichen Merkmale", Lange-Festschrift S. 241 ff; P. Löffeler Strafrechtliche Konsequenzen faktischer Geschäftsführung, wistra 1989 S. 121 ff; K. Marxen Die strafrechtliche Organ- und Vertreterhaftung — eine Waffe im Kampf gegen die Wirtschaftskriminalität, J Z 1988 S. 286 ff; B. Rimmelspacher Strafrechtliche Organ-, Vertreter- und Verwalterhaftung, erörtert am Beispiel der Vollstreckungsvereitelung, J Z 1967 S. 472 ff; ders. Schlußwort, J Z 1967 S. 700; K. Schmidt Die Strafbarkeit „faktischer Geschäftsführer" wegen Konkursverschleppung als Methodenproblem, Rebmann-Festschrift S. 419 ff; R. Schmitt Die strafrechtliche Organund Vertreterhaftung, J Z 1967 S. 698 f; ders. Nochmals: Die strafrechtliche Organ- und Vertreterhaftung, J Z 1968 S. 123 ff; B. Schünemann Unternehmenskriminalität und Strafrecht, 1979; ders. Die Bedeutung der „Besonderen persönlichen Merkmale" für die strafrechtliche Teilnehmerund Vertreterhaftung, Jura 1980 S. 354 ff, 568 ff, 575 ff; ders. Besondere persönliche Verhältnisse 597

21. A b s c h n

2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

und Vertreterhaftung im Strafrecht, Z S c h w R 1978 S. 131 f f ; K. Tiedemann D i e strafrechtliche Vertreter- und U n t e r n e h m e n s h a f t u n g , N J W 1986 S. 1842 ff; U. Weber A n m e r k u n g zu B G H S t V 1987 S. 14 ff, a a O S. 16 ff; A. Wiesener D i e strafrechtliche Verantwortlichkeit v o n Stellvertretern und O r g a n e n , 1971.

A. Die deliktsspezifischen Tätermerkmale 9

Bei jedem Täter müssen zusätzlich zu den in § 25 StGB genannten allgemeinen Tätermerkmalen stets die das Delikt typisierenden Merkmale vorliegen. Zu den Merkmalen, die ein Delikt typisieren, gehören neben der vorsätzlichen Verursachung eines Erfolgs beim Erfolgsdelikt, mindestens aber neben dem Vollzug einer Körperbewegung, je nach Deliktsart: 1. Die Tätermerkmale der Sonderdelikte, etwa des Amtsträgers, des Richters, des für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten, §§ 331 ff, 11 N r . 2 bis 4 StGB, des Treueverpflichteten, § 266 Abs. 1 StGB, des Angehörigen bestimmter Berufsgruppen, § 203 Abs. 1 StGB (zum Begriff des Sonderdelikts siehe oben 6/91). 2. Unrechtsbegründende Vorsätze, die über das hinausgehen, was objektiv zur Vollendung erforderlich ist, es also „überschießen", wie etwa die gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland gerichtete Absicht bei den Sabotagedelikten, §§ 87 ff StGB, die Zueignungsabsicht in der Komponente des Enteignungsvorsatzes, § 242 Abs. 1 StGB 1 5 *. 3. Eigenhändigkeit bei nur eigenhändig begehbaren Delikten. 4. Handlungs- und Tätertypisierungen; soweit ein Gut praktisch auf beliebigem Weg verletzbar ist, ein Delikt aber nur vorliegt, falls die Verletzung auf einem bestimmten Weg erfolgt (verhaltensgebundene Delikte, etwa § 242 Abs. 1 StGB im Merkmal der Wegnahme, § 263 Abs. 1 StGB im Merkmal der Täuschung) oder durch Personen mit bestimmten Eigenschaften (etwa als Mann, § 183 Abs. 1 StGB) oder in bestimmter Lage (etwa als Gewahrsamsinhaber, § 246 Abs. 1 StGB, oder als Person, die durch berauschende Mittel fahruntüchtig geworden ist, § 316 Abs. 1 StGB), so muß der Täter auch diese Merkmale verwirklichen (was bei einigen Tätertypisierungen auch im Weg der Vertreterhaftung erfolgen kann und bei Handlungstypisierungen nicht eigenhändig erfolgen muß). 5. Alle speziellen subjektiven Deliktsmerkmale; das gilt auch, soweit die Merkmale nicht das Unrecht betreffen. Denn soweit der Typ eines Delikts (oder einer Qualifizierung) nicht allein durch Benennung des Unrechts bestimmt wird, kann Täter dieses Delikts (oder dieser Qualifizierung) nur sein, wer auch die weiteren Merkmale aufweist oder verwirklicht 1 6 . Dieses Erfordernis bedeutet nicht, zur Täterschaft sei schuldhaftes Handeln erforderlich. Die Täterschaft gehört beim allein Handelnden wie bei Beteiligung zum Unrechtstatbestand (§ 29 StGB), so daß auch der nach den §§ 17, 19, 20, 33, 35 StGB schuldlos Handelnde tauglicher Täter ist. Es geht hier überhaupt nicht speziell um Schuldmerkmale; die Merkmale können vielmehr selbst schuldneutral sein. Relevant ist vielmehr einzig, daß ohne diese Merkmale das Delikt nicht benannt werden kann, um dessen Täterschaft es geht. 15a

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BGH GA 1986 S. 417 f; B G H N J W 1987 S. 77 f (dazu Roxin Täterschaft S. 607 f); B G H StV 1990 S. 160. — Versteht man unter Handeltreiben mit Betäubungsmitteln ein eigennütziges Verhalten (eine freilich zweifelhafte Interpretation), kann Täter nur sein, wer mit Eigennutz handelt; BGH 34 S. 124 ff, 126.

Nach der hier zu den subjektiven Unrechtselementen vertretenen Ansicht kann das Problem allenfalls bei Teilen von Gesinnungsmerkmalen von Bedeutung werden; oben 8/97 f.

Täterschaft

21. Abschn

Β. Die Vertreterhaftung 1. Soweit Täter eines Delikts nach dem BT nur eine qualifizierte Person sein kann, 1 0 erweitert § 14 StGB (wie § 9 O W i G ) den Täterkreis auf Personen, die — ohne selbst qualifiziert zu sein — für den Qualifizierten handeln. Die Voraussetzungen dieser Erweiterung des Täterkreises müssen, wie das Tätermerkmal selbst, vom subjektiven Tatbestand umfaßt sein. Die Erweiterung ist auf einige Arten des Handelns f ü r den Qualifizierten und auf strafbegründende (unter Ausklammerung der straferhöhenden) Qualifizierungen beschränkt. Die Ausklammerung der straferhöhenden Merkmale müßte eine Strafmilderung bei den strafbarkeitsbegründenden Merkmalen zur Folge haben; das Gesetz ist insoweit nicht konsequent. — Die Vorschrift ist erforderlich, um bei qualifizierten Personen, die aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen ihren Pflichten nicht nachkommen können (juristische Personen, handlungsunfähige natürliche Personen u. a. m.), den Vertreter statt der qualifizierten Person mit strafrechtlichem N a c h d r u c k zur Pflichterfüllung anhalten zu können und um den Verlust der Qualifizierung bei Arbeitsteilung zu vermeiden. Eine differenzierende Benennung möglicher Täter bei den Tatbeständen im BT wäre gegenüber der nivellierenden Regelung im A T vorzugswürdig. — Die H a f t u n g des Vertreters über § 14 StGB befreit nicht den unmittelbar Qualifizierten, soweit dieser überhaupt deliktsfähig ist. 2 a) § 14 StGB bezieht sich auf Tatbestände, in denen sich der Täter nach der 11 Tatbestandsbeschreibung in einer besonderen Stellung befindet. Werden nunmehr Aufgaben, die zu dieser Stellung gehören, von einem anderen wahrgenommen, ohne daß dieser dadurch in die Stellung einrückt, kann der andere, wenn Sonderregeln fehlen, die stellungsgebundenen Pflichten nach allgemeinen Grundsätzen nicht verletzen, jedenfalls nicht in tatbestandsmäßiger Art und Weise; § 14 StGB bildet f ü r solche Fälle Sonderregeln, und zwar in zweifacher Art und Weise : b aa) Erstens soll derjenige, dem die Aufgabe delegiert wurde, f ü r den Stellungsinhaber eine Tatbestandsverwirklichung zu vermeiden, als Täter haften (obwohl er die Täterstellung nicht selbst innehat), wenn er seiner Pflicht nicht nachkommt. § 14 StGB erweitert insofern ein Tätermerkmal und garantiert damit eine schon bestehende Pflicht als straftatbestandliche Pflicht. Beispiel: Wer von einem K a u f m a n n dazu bestellt ist, als Betriebsleiter (§ 14 Abs. 2 N r . 1 StGB) auch Handelsbücher zu führen, haftet im Fall der Verletzung der Pflicht wegen der Regelung des § 14 StGB nach § 283 StGB, obgleich er nach wie vor nicht selbst der buchführungspflichtige Kaufmann ist. bb) Zweitens soll § 14 StGB garantieren, daß Personen, an die ein wesentlicher Ausschnitt der mit der Stellung verbundenen Aufgaben delegiert wurde, sich auch dann um die Erfüllung der mit der Stellung verbundenen strafrechtlichen Pflichten kümmern müssen, auch wenn insoweit eine Delegation nicht stattgefunden hat. 5 14 StGB schafft insoweit die Pflicht ««¿garantiert sie straftatbestandlich. Die Vorschrift über Vertreterhaftung regelt in diesem Anwendungsbereich also die Übertragung von Garantenstellungen, was insbesondere heißt, daß die Regeln der Übernahme (unten 29/46 ff) ergänzt werden 1 7 . Beispiele: W e r beauftragt ist, einen Betrieb selbständig zu leiten, ist wegen der Regelung des § 14 StGB auch dann zur kaufmännischen Buchführung verpflichtet, wenn der Beauftragende insoweit nichts selbst erfüllen und nichts delegieren wollte. — W e r ein städtisches Schwimmbad zu leiten hat, ist Garant f ü r die ordnungsgemäße Abwasserbeseitigung, weil ihn — sollte es an einer Übernahme fehlen — gemäß § 14 StGB die der Stadt obliegende Verkehrspflicht trifft 1 8 . — Freilich mag 17 Sehr streitig; meist wird angenommen, die Pflichten seien nach allgemeinen Regeln sowieso auf den Vertreter übergegangen, was praktisch häufig zutreffen dürfte; LK-Aoxm § 14 Rdn. 14;

Schönke-Schröder-Lenckner § 14 Rdn. 6, jeweils mit Nachweisen. 18 O L G Köln N J W 1988 S. 2119 ff, 2121.

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2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

es auch so sein, daß der Vertreter darauf vertrauen darf, der Beauftragende werde f ü r anderweitige Erledigung der Pflichten sorgen; wenn dieses Vertrauen jedoch nicht zulässig ist, muß er die Pflichten selbst erledigen oder seine Tätigkeit als Vertreter einstellen. c) D a § 14 StGB voraussetzt, daß ein nicht qualifizierter Vertreter das Verhalten des Qualifizierten wirkungsgleich ersetzen kann, wird verbreitet formuliert, höchstpersönlich wirkende Stellungen seien nicht erfaßt. Das Problem ist wenig geklärt: Im engeren Sinn höchstpersönlicher Pflichten (etwa Pflichten zur ehelichen Lebensgemeinschaft) sind nicht strafbewehrt, da ihre Erfüllung nicht erzwungen werden soll. Ansonsten gilt: Teils müssen diese Pflichten nicht in eigener Person erfüllt werden (Eltern müssen ihre Kinder nicht in eigener Person erziehen; Unterhaltspflichten müssen nicht eigenhändig oder auch nur aus dem eigenen Vermögen erfüllt werden 1 8 a ). Teils können die Pflichten immerhin nach rechtlichen Regeln übertragen werden (für den befangenen Richter tritt ein anderer ein; der leitende Beamte der Staatsanwaltschaft kann die Bearbeitung von Verfahren delegieren); in solchen Fällen erwirbt der Empfänger der Übertragung selbst die Qualifikation (dazu unten 21/14), die entweder kumulativ beim Übertragenden bleibt (so im Beispielsfall des leitenden Oberstaatsanwalts) oder nicht (so im Beispielsfall des Richters, so daß hier überhaupt kein Fall von Vertretung vorliegt). Soweit die Bedingungen der Übertragung nicht gegeben sind, greift § 14 StGB nicht ein. Beispiel: Der Referendar schreibt vorsätzlich ein falsches Urteil, das der ausbildende Richter erwartungsgemäß ahnungslos unterschreibt; keine H a f t u n g des Referendars nach § 336 StGB. — Subjektive Merkmale gehören nicht zur Stellung des Vertretenen und werden deshalb nicht erfaßt; siehe unten 21/15. d) Im Ergebnis geht es bei den besonderen persönlichen Merkmalen (besondere persönliche Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände) also um nicht höchstpersönlich (im engeren Sinn) wirkende objektive Täterbeschreibungen und um nicht höchstpersönlich wirkende Stellungen als Garant. Beispiele sind das Betroffensein von einer Vollstreckung in das eigene Vermögen (§ 288 Abs. 1 StGB), die Überschuldung oder die Zahlungsunfähigkeit (§ 283 Abs. 1 StGB; zur Zahlungsunfähigkeit siehe auch § 283 c Abs. 1 StGB), das Betroffensein von Buchführungspflichten (§ 283 b StGB), ferner die im Nebenstrafrecht häufigen Qualifizierungen des Täters als Gewerbetreibender, Arbeitgeber, Unternehmer u. a. m. 18 ' 5 . Die besonderen persönlichen Merkmale sind also anders zu interpretieren als zu § 28 StGB; der Grund d a f ü r liegt im Unterschied der Regelungsbereiche von Vertretung und Beteiligung 19 . 12

3. Die Vorschrift erfaßt nicht alle Vertretungsverhältnisse, sondern nur solche, die mehr als vereinzelte Befugnisse geben (deshalb fehlt die gewillkürte Einzelvertretung 1 9 a ) und die zudem im Wirtschaftsleben häufiger vorkommen (deshalb fehlt die 18a

Etwa der gesetzliche Vertreter, § 14 Abs. 1 N r . 3 StGB, der Unterhaltspflichten des Vertretenen nicht erfüllt, haftet also nach § 170b StGB; Schönke-Schröder-Lenckner § 14 Rdn. 11; Bruns GA 1982 S. 1 ff, 17 f; a. A. Dreher-Tröndle § 14 Rdn. 2. 18b Wobei der primäre Adressat häufig erst durch Interpretation ermittelt werden muß; eingehend und anschaulich Herzberg Verantwortung S. 13 ff. 19 Im Ergebnis überwiegende Ansicht; für Reziprozität aber Blauth Handeln für einen anderen S. 52 ff, 92 ff, 109 ff; Gallas ZStW 80 S. 1 ff, 21 f f ; Herzberg ZStW 88 S. 85 ff, 110 ff; —

600

19a

hauptsächlich wie hier LK-Roxin % 14 Rdn. 15 f f ; Schönke-Schröder-Lenckner § 14 Rdn. 8, jeweils mit Nachweisen; — für Beschränkung von § 14 StGB auf (übernommene) Pflichten Langer Lange-Festschrift S. 241 ff, 254 ff (ebenso zu § 28 StGB); Schünemann Unternehmenskriminalität S. 127 ff, 131 ff, 138 (anders zu § 28 StGB); den. Jura 1980 S. 354 ff, 568 ff, 575 ff, 577; zutreffend kritisch gegen das Persönliche des Merkmals Ttedemann N J W 1986 S. 1842 ff, 1843 f. Wegen der wenig genauen Bestimmung plädiert f ü r eine restriktive Interpretation Marxen J Z 1988 S. 286 ff, 288. § 14 StGB geht also von einer Art Vertretung aus,

Täterschaft

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allgemeine gewillkürte Generalvertretung). Erfaßt sind: (Abs. 1) O r g a n e juristischer Personen (auch des öffentlichen Rechts) oder deren Mitglieder, vertretungsberechtigte Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft ( O H G und KG), gesetzliche Vertreter eines anderen (Eltern, auch Elternteile, V o r m u n d , Pfleger, siehe §§ 1626, 1705, 1773 ff, 1909 ff BGB; auch Konkursverwalter, Testamentsvollstrecker, sonstige „Partei kraft Amts" etc.), sowie (Abs. 2) Beauftragte, die einen Betrieb oder ein Unternehmen (wirtschaftlicher oder nicht wirtschaftlicher Art) ganz oder teilweise zu leiten haben oder in eigener Verantwortung besondere Pflichten des Inhabers zu erfüllen haben. Gleichgestellt sind Beauftragte einer Stelle der öffentlichen Verwaltung; aus der Gleichstellung ist zu schließen, daß es auch insoweit um Tätigkeiten privatrechtlicher (fiskalischer) Art gehen muß. — § 14 Abs. 2 StGB ist wegen der Unmöglichkeit einer einigermaßen exakten Abgrenzung von teilweiser Betriebsleitung und bloßer Leitung einer Unterabteilung sowie auch der Abgrenzung von Betrieb und Privathaushalt (etwa bei landwirtschaftlichen Betrieben) verfassungsrechtlich nicht korrekt (Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB). Rechtswirksamkeit der Bestellung ist nicht erforderlich (Abs. 3), vielmehr reicht Ausübung in faktischem Konsens mit dem zur Bestellung Befugten. 4. Die Handlung des Vertreters muß „als Vertreter" (Abs. 1) oder „auf G r u n d " der 1 3 Beauftragung (Abs. 2) erfolgen. Damit ist nicht eine zivilrechtliche Stellvertretung gemeint (die bei Unterlassungsdelikten, bei rein tatsächlichem Handeln und unter den Voraussetzungen des Abs. 3 stets fehlt), sondern eine Handlung, die — bei Begehungsdelikten — als Geschäft des Vertretenen erscheint oder — bei Unterlassungsdelikten — erscheinen würde (funktionaler Zusammenhang). Ein Eigeninteresse des Vertreters schließt das nicht aus 2 0 , wohl aber fehlt der Zusammenhang, wenn der Vertreter seine Befugnisse aus dem /»«ewverhältnis zum Nachteil des Vertretenen mißbraucht, insbesondere also bei einer unerlaubten Handlung des Vertreters gegen den Vertretenen. Beispiel 21 : Der Geschäftsführer, der eine G m b H mit der Folge von deren Bankrott ausplündert, ist nicht wegen der Regelung des § 14 StGB nach § 283 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StGB strafbar, sondern wegen Untreue, § 266 StGB. 5 a) Es bedarf des § 14 StGB zur H a f t u n g nicht (und die Beschränkung der Vertre- 1 4 tungsverhältnisse in § 14 StGB bleibt demgemäß wirkungslos), wenn der Vertreter durch das Vertretungsverhältnis selbst die Qualifizierung erworben hat. Beispiele: Der nach § 266 StGB Treupflichtige überträgt die Pflicht in einem Vertrag zugunsten des zu Betreuenden seinem Angestellten 2 2 . — Der Verkehrssicherungspflichtige Unternehmer beauftragt seinen Betriebsleiter in Garantenstellung begründender Weise mit der W a h r nehmung der Pflicht. — Der Vereinsvorstand veranstaltet ein Glücksspiel nach § 284 StGB 2 3 . b) Darüber hinaus halten die Anhänger einer „faktischen Betrachtungsweise" § 14 StGB überhaupt f ü r überflüssig 2 4 oder f ü r zu stark einengend 2 5 . Sie wollen vielmehr bei der die Stellung des Venretenden aus dem Handeln des Vertreters deutlich wird; darauf stützt sich auch die oben 21/11 vorgenommene Deutung, mit den Rechten gingen auch die Pflichten über. — Eingehende Darstellung der erfaßten Vertretungsverhältnisse bei AK-Marxen 5 14 Rdn. 35 ff. 20 B G H N J W 1969 S. 1494 f; Schönke-SchröderLenckner§ 14 Rdn. 26 mit Nachweisen; AK-Marxen S 14 Rdn. 30 ff; kritisch Ttedemann N J W 1986 S. 1842 ff, 1844.

21 B G H 30 S. 127 ff, 129 f; siehe auch B G H 28 S. 371 ff, 374; B G H StV 1988 S. 14 f mit Anmerkung WeberS. 16 ff. 22 B G H 31 S. 233 f f ; Schänke-Schröder-Lenckner § 14 Rdn. 4 ff, § 266 Rdn. 29. 23 LK-Roxin^ 14 Rdn. 11. 24 W/esetterVerantwortlichkeit S. 148. 25 Bruns J Z 1954 S. 12 ff, 15; ders. GA 1982 S. 1 ff, 29 f; ders. J R 1984 S. 133 ff mit einer allgemeinen

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21. Abschn

2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

die T ä t e r q u a l i f i z i e r u n g e n n a c h d e m t a t s ä c h l i c h g e ü b t e n V e r h a l t e n b e s t i m m e n 2 6 . D i e s e L ö s u n g f ü h r t , s t r e n g a n g e w e n d e t , bei z a h l r e i c h e n D e l i k t e n z u e i n e r A u s d e h n u n g d e r T ä t e r m e r k m a l e , die m i t d e m G r u n d s a t z d e r G e s e t z e s b i n d u n g u n v e r e i n b a r i s t 2 7 ; d e n n j e d e r V e r t r e t e r f ü r ein e i n z e l n e s V e r h a l t e n k ö n n t e bei d i e s e r L ö s u n g T r ä g e r des T ä t e r m e r k m a l s w e r d e n ; B e i s p i e l : W e r im A u f t r a g d e r B e t r i e b s l e i t u n g e i n e n e i n z e l n e n A u f t r a g a u s f ü h r t , w ü r d e z u m B e t r i e b s l e i t e r . Z u d e m ist die f a k t i s c h e B e t r a c h t u n g s w e i s e in ihrer Gleichstellung von tatsächlich ü b e r n o m m e n e r Pflicht und strafrechtlich sanktionierter Pflicht normlogisch problematisch28.

S c h l i e ß l i c h v e r k e n n t diese L e h r e ,

daß

r o l l e n s p e z i f i s c h e E r w a r t u n g e n ( e t w a a n e i n e n B e t r i e b s l e i t e r ) n i c h t beliebig a u f g e t e i l t w e r d e n k ö n n e n ; sie m ö g e n v i e l m e h r bei e i n e r V e r t e i l u n g d e r A u f g a b e n des R o l l e n t r ä gers auf mehrere Personen auch verlorengehen.

15

6 . I m A T w i r d n i c h t g e r e g e l t , o b a u c h d a s Deliktsinteresse

d u r c h einen V e r t r e t e r

f e s t g e l e g t w e r d e n k a n n , i n s b e s o n d e r e o b a u c h ein „ S i c h - Z u e i g n e n " in § 2 4 2 A b s . 1 S t G B d u r c h e i n e n V e r t r e t e r b e a b s i c h t i g t w e r d e n k a n n 2 9 ( s i e h e a u c h o b e n 8 / 3 7 ff). U n g e r e g e l t ist a u c h , w e r e i n e P e r s o n als Opfer

v e r t r e t e n k a n n ( e t w a eine A k t i e n g e s e l l -

s c h a f t als i r r e n d V e r f ü g e n d e r b e i m B e t r u g , 5 2 6 3 S t G B 2 9 a ) . methodologischen Begründung für die „faktische Betrachtungsweise". 26 Bruns JZ 1958 S. 461 ff, 464; Wiesener Verantwortlichkeit S. 172; so auch BGH 11 S. 103 ff, eine Entscheidung vor Schaffung von § 50 a StGB a. F. = § 14 StGB. — Ergibt schon die Auslegung eines Tätermerkmals, daß es Personen erfaßt, die eine bestimmte Stellung rechtlich oder faktisch innehaben, so bedarf es des § 14 StGB nicht, um Haftung zu begründen (so soll der Begriff „Geschäftsführer" in § 64 Abs. 1 Satz 1, § 81 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG auch den faktischen Geschäftsführer erfassen: BGH 31 S. 118 ff, 122 f; OLG Düsseldorf NStZ 1988 S. 368 f mit ablehnender Anmerkung Hoyer aaO S. 369 f; einschränkend — keine Haftung des faktischen Geschäftsführers, der mit dem rechtlich Bestellten zusammen tätig wird - BGH N J W 1988 S. 3166 f; zum Begriff des faktischen Geschäftsführers nach der Rechtsprechung Löffeler wistra 1989 S. 121 ff, 123 ff). Die Erfassung des faktischen Geschäftsführers verstößt nicht f e r i e gegen Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB; Fuhrmann Tröndle-Festschrift S. 139 ff ; siehe aber den folgenden Text. — Wenn freilich die strafbewehrte Norm vom Täter die Vornahme von ÄecAfihandlungen verlangt (so im genannten Beispiel : einen Konkursantrag zu stellen), verhält sich der faktisch einen Geschäftsbereich Besorgende nur dann normwidrig, wenn er rechtlich wirksam handeln kann (einen Konkursantrag für eine GmbH kann nur stellen, wer für die GmbH rechtlich wirksam Erklärungen abgeben kann). Daran fehlt es, wenn der faktisch Tätige keine Vertretungsmacht hat. (Eine Vertretungsmacht wird zivilrechtlich — freilich ohne rechte Begründung — dem faktisch Tätigen zugesprochen.). Eine Haftung des faktisch Tätigen bleibt möglich, wenn die Norm statt der Rechtshandlung auch die faktische Veranlassung einer solchen Handlung fordert und der faktisch Tätige immerhin dazu fähig ist (der faktische Ge-

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schäftsführer kann den rechtlich wirksam Bestellten dazu veranlassen, einen Konkursantrag zu stellen). Diese Gleichsetzung von Rechtshandlung und Veranlassung einer Rechtshandlung dürfte meist — so auch bei den genannten Vorschriften des GmbHG — an Artikel 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB scheitern (a. A. wohl der BGH aaO ; siehe auch sogleich im Text). Es bleibt dann allenfalls die Möglichkeit der Teilnahme des faktisch Tätigen an der Tat des rechtlich Bestellten. K. Schmidt Rebmann-Festschrift S. 419 ff, 434 deutet die §§ 64, 81 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG nicht als Gebot zur Antragstellung, sondern als Verbot des weiteren Geschäftsbetriebs (und den Betrieb einstellen kann auch ein faktischer Geschäftsführer); aber dieses Verbot ist nicht hinreichend tatbestandlich fixiert (zutreffend Joerden wistra 1990 S. 1 ff, 2 f)· - Zum faktischen Organ Kratzsch Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht 1985 S. 506 ff. 27 Zutreffend Bruns JZ 1954 S. 12 ff; siehe auch zu § 288 StGB die Kontroverse zwischen RimmelspacherJL 1967 S. 472 ff; ders. J Z 1967 S. 700 und Schmitt J Z 1967 S. 698 f; ders. JZ 1968 S. 123 ff. 28 Zu der von dieser Lehre geforderten Einbeziehung jeder gewillkürten Stellvertretung (Bruns J Z 1954 S. 12 ff, 16; ders. J Z 1958 S. 461 ff, 463; Wiesener Verantwortlichkeit S. 185 ff) siehe Blauth Handeln für einen anderen S. 162 ff; eingehende Kritik der „faktischen Betrachtungsweise" bei Cadus Betrachtungsweise, passim. 29 Hierzu Bruns Organe; ders. GA 1982 S. 1 ff, 30 ff, 35 f; Blauth Handeln für einen anderen S. 143 ff; Wiesener Verantwortlichkeit S. 85 ff; LK-Roxin § 14 Rdn. 20; O L G Düsseldorf NJTW 1970S. 1387 f. 2 9 a Nach Gössel wistra 1985 S. 125 ff sollen Betrug und Steuerhinterziehung Begegnungsdelikte sein (dazu unten 24/8), bei denen, soweit es um eine Tat gegenüber juristischen Personen geht, analog § 14 StGB bestimmt werden soll, wer für die juri-

Täterschaft

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III. Die Tatbestände der Täterschaft bei Herrschaftsdelikten Literatur H. Auerbach Die eigenhändigen Delikte, 1978; /. Baumann Die Tatherrschaft in der Rechtsprechung des B G H , N J W 1962 S. 374 ff; ders. Beihilfe bei eigener voller Tatbestandserfüllung, N J W 1963 S. 561 ff; den. Täterschaft und Teilnahme, JuS 1963 S. 85 ff; den. Dogmatik und Gesetzgeber. Vier Beispiele, Jescheck-Festschrift S. 105 ff; K. Binding Das Subjekt des Verbrechens und die Satzungen des „Vorentwurfs zu einem Deutschen Strafgesetzbuch" über die „Teilnahme", GS 76 S. 87 ff; v. Birkmeyer Teilnahme am Verbrechen, V D A T Bd. II S. 1 ff; R. Bloy Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985; P. BockelmannÜber das Verhältnis von Täterschaft und Teilnahme, 1949; M. v. Buri Uber Kausalität und Teilnahme, ZStW 2 S. 232 ff; den. Die Causalität und ihre strafrechtlichen Beziehungen, 1885; P. Cramer Teilnahmeprobleme im Rahmen des § 330 a StGB, GA 1961 S. 97 ff; den. Gedanken zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme, Bockelmann-Festschrift S. 389 ff; E. Drewer Anmerkung zu B G H M D R 1964 S. 337 f , a a O ; W. Gallas Täterschaft und Teilnahme, Materialien Bd. I S . 121 ff; ders. Die moderne Entwicklung der Begriffe Täterschaft und Teilnahme im Strafrecht, Beiheft ZStW 1957 S. 3 ff; F. Geerds Täterschaft und Teilnahme, Jura 1990 S. 173 ff; F. Haft Eigenhändige Delikte, J A 1979 S. 651 ff; F. HartungOer „Badewannenfair, J Z 1954 S. 430 f ; R. D. Herzberg Eigenhändige Delikte, ZStW 82 S. 896 ff; G. Jakobs Anmerkung zu B G H 33 S. 50 ff, J R 1985 S. 342 f; /. C. Joerden Anmerkung zu B G H StV 1985 S. 328 f, aaO S. 329 f; ders. Strukturen des strafrechtlichen Verantwortlichkeitsbegriffs: Relationen und ihre Verkettungen, 1988; M. Maiwald Literaturbericht, ZStW 93 S. 864 ff; J. Meyer Zur Täterschaft beim Bandendiebstahl, — B G H 33, 50, JuS 1986 S. 189 ff; U. Neumann Zurechnung und Vorverschulden, 1985; C. Roxin Straftaten im Rahmen organisatorischer Machtapparate, GA 1963 S. 193 ff; ders. Zur Dogmatik der Teilnahmelehre im Strafrecht, J Z 1966 S. 293 ff; ders. Täterschaft und Tatherrschaft, 5. Auflage 1989; W. Sax Der Bundesgerichtshof und die Täterlehre, J Z 1963 S. 329 ff; H. Schall Auslegungsfragen des § 179 StGB und das Problem der eigenhändigen Delikte — KG, N J W 1977, S. 817, JuS 1979 S. 104 ff; F.-C. SchroederTäterschaft und Teilnahme bei eigenhändiger Tatbestandsverwirklichung, R O W 1964 S. 97 ff; ders. Der Täter hinter dem Täter, 1965; U. Stein Die Strafrechtliche Beteiligungsformenlehre, 1988; H. Welzel Studien zum System des Strafrechts, ZStW 58 S. 491 ff; ders. Zur Kritik der subjektiven Teilnahmelehre, S J Z 1947 Sp. 645 ff; ders. Abhandlungen zum Strafrecht und zur Rechtsphilosophie, 1975; B. Winter Die Entwicklung der Mittäterschaftim 19. Jahrhundert, 1981.

A. Die Täterschaftsformen im Uberblick I . D i e f o l g e n d e n A u s f ü h r u n g e n gelten den — im B e g e h u n g s b e r e i c h weit überwie- 16 genden — D e l i k t e n , bei denen der Beteiligte z u m (potentiellen) O p f e r eine nur-negative B e z i e h u n g h a t : D e r Beteiligte soll seinen O r g a n i s a t i o n s k r e i s in einem s o l c h e n Z u s t a n d halten, daß er keinen O u t p u t hat, der f r e m d e O r g a n i s a t i o n s k r e i s e schädigt. D i e s e D e l i k t e heißen Herrschaftsdelikte, weil die Zuständigkeit durch einen O r g a n i s a t i o n s a k t entsteht. 2 a) E i g e n h ä n d i g k e i t der D e l i k t s a u s f ü h r u n g ist — deliktsspezifische T ä t e r m e r k m a l e 17 unterstellt — eine h i n r e i c h e n d e B e d i n g u n g f ü r volle Zuständigkeit ( T ä t e r s c h a f t , T a t h e r r s c h a f t ) , a b e r zumeist nicht auch eine notwendige Bedingung. stische Person handeln (also irrtumsbedingt verfügen) kann. Damit scheidet insbesondere Betrug durch Täuschung des per Einzelvollmacht Verfügenden aus — ein wohl nicht befriedigendes Ergebnis. Die Frage nach der Lozierung von Tätermerkmalen bei den für eine juristische Person Handelnden wird von Gössel ohne Grund mit der Frage vermengt, wer ein zur Tatbestandsverwirklichung notwendiges Opferterhalten vollziehen

kann. Selbst zur Bestimmung des Mitverschuldens einer juristischen Person kommt es auf § 14 S t G B nicht an; denn Personen, die mit einer juristischen Person hinreichend verbunden sind, um ihre Tätermerkmale zu tragen, müssen nicht identisch mit denjenigen Personen sein, die zum Bollwerk bestimmt sind, damit die juristische Person nicht Opfer wird.

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21. Abschn

2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

b) Bei den meisten Delikten kann sich der Täter zur Ausführung auch eines anderen Menschen als seines Werkzeugs bedienen und deshalb vorrangig vor dem anderen zuständig sein: mittelbare Täterschaft, Begehen durch einen anderen ( § 2 5 Abs. 1, 2. Fallgruppe StGB). Die heute gesetzlich verankerte mittelbare Täterschaft wurde zur Ausfüllung von Strafbarkeitslücken geschaffen. Das alte Recht 3 0 setzte nach damals überwiegender Lehre bei Teilnahme (Anstiftung oder Beihilfe) eine volldeliktische (schuldhafte) Haupttat voraus (extreme Akzessorietät), so daß die Beteiligung an den Taten Schuldloser nur in täterschaftlicher Form möglich war. Auch bei Sonderdelikten im strengen Sinn konnte es nicht befriedigen, daß der Sonderpflichtige, der einen Nicht-Qualifizierten für sich handeln ließ, nicht strafbar sein sollte. c) Neben die mittelbare Täterschaft, die durch die Vorrangigkeit des mittelbaren Täters vor dem Ausführenden gekennzeichnet ist, tritt die Möglichkeit einer Täterschaft durch gemeinsames und gleich gewichtiges Organisieren mit der Folge gleichrangiger Zuständigkeit: Mittäterschaft, gemeinschaftliches Begehen einer Tat ( § 2 5 Abs. 2 StGB). Diese Täterschaftsform ist nicht nur bei Delikten von Bedeutung, die nur bei gemeinschaftlicher Tatausführung praktisch bewerkstelligt werden können (weil die Kräfte eines einzelnen Menschen nicht ausreichen), und auch nicht nur in sonstigen Fällen einer planvollen Aufteilung der tatbestandlichen Ausführungshandlung auf mehrere Personen, die dann alle den Tatbestand teilweise, nicht aber voll verwirklichen (etwa die Aufteilung von Gewaltanwendung und Wegnahme beim Raub). Sie hat vielmehr ihre Hauptbedeutung bei der Begründung von Täterhaftung für Personen, die eigenhändig kein Tatbestandsmerkmal verwirklichen und auch nicht, wie bei der mittelbaren Täterschaft, dem Ausführenden überlegen sind, trotzdem aber nicht weniger als der Ausführende selbst das deliktische Geschehen bestimmen und deshalb wie der Ausführende voll zuständig werden. 18

3. Die Differenzierung zwischen Anstiftung und Täterschaft sowie innerhalb der Täterschaftsformen bleibt für den anzuwendenden Strafrahmen bedeutungslos (siehe § 26 StGB). Die Differenzierung zwischen Täterschaft und Anstiftung einerseits und Beihilfe andererseits ist nur im Bereich der steckengebliebenen Vorbereitungshandlung (§ 30 StGB) für die Strafbarkeit konstitutiv, ansonsten aber immerhin für den Strafrahmen bedeutsam. — Wichtiger ist die Differenzierung freilich bei Beteiligung mehrerer Personen, wenn nur ein Beteiligter ein besonderes Tätermerkmal oder ein subjektives Deliktsmerkmal aufweist. Ist dieser Beteiligte nicht Täter, so entfällt mangels Haupttat auch jegliche Teilnahme. — Weiterhin hat die Differenzierung intern-systematische Konsequenzen.

B. Die Problematik der eigenhändigen Delikte 19

1 • Eine besondere Bindung der Täterschaft an eine bestimmte Ausführungshandlung besteht bei den (seit Binding31 sogenannten) eigenhändigen Delikten; hier bildet die körperliche Vornahme eines verwerflichen Akts das Unrecht, und zwar weil der Akt Indikator einer fehlerhaften Haltung zu höchstpersönlichen Verpflichtungen oder zu Tabus ist. Die Höchstpersönlichkeit rückt die eigenhändigen Delikte in die Nähe der Pflichtdelikte. Meist genannte (sämtlich umstrittene) Delikte: Meineid (§ 154 StGB); Inzest (§ 173 StGB); Rechtsbeugung (§ 336 StGB); Fahnenflucht (§ 16 WStG). Grund und Begrenzung der Eigenhändigkeit sind äußerst streitig 32 ; die Berechtigung, eine besondere Deliktsgruppe zu bilden, ist zweifelhaft. 30 Bis zur Verordnung vom 29. 5. 1943, RGBl. I S. 339. 31 GS 76 S. 87 ff, 91. 32 Darstellung der vertretenen Lehren bei RoxinTä-

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terschaft S. 399 ff, 662 ff; Auerbach Die eigenhändigen Delikte S. 9 ff, 24 ff, 45 ff (dazu MaiwaldZStW 93 S. 864 ff, 871 ff).

Täterschaft

21. Abschn

2. Von den eigenhändigen Delikten sind die positivrechtlich nur selbst begehbaren 2 0 Delikte zu unterscheiden. Wenn etwa der Tatbestand der Amtsanmaßung (§ 132 StGB) u. a. ein SïcÂ-Befassen mit einer Amtsausübung nennt oder der Tatbestand des sexuellen Mißbrauchs Schutzbefohlener (§ 174 StGB) u. a. ein An-iicÄ-vornehmen-Lassen sexueller Handlungen, so geschieht dies — unter Inkaufnahme von Lücken — der Plastizität des Tatbestands wegen; diese Delikte sind formulierungsmäßig enger, als sie es bei komplettem Rechtsgüterschutz sein könnten 3 3 . 3. Eigenhändige Delikte können nur anerkannt werden, wenn die Unwertigkeit der 2 1 Handlung nicht aus den Veränderungen hergeleitet wird, die sie (zurechenbar) bewirken kann, sondern aus der sich im deliktischen Akt zeigenden persönlichen Insuffizienz des T ä t e r s 3 4 . Meineid darf dann nicht als ein Sonderdelikt des Aussage- und Eidespflichtigen (deshalb ist jedenfalls § 160 StGB nicht überflüssig) mit abstrakter Gefährdung der Rechtspflege verstanden werden, sondern als Delikt der persönlichen Unwahrhaftigkeit (nach älterem Verständnis: im Angesicht Gottes), Inzest nicht als abstrakte Gefährdung familiärer Rollen (oder nicht als eugenisch gefährlich), sondern als persönliche Naturwidrigkeit, Rechtsbeugung nicht als abstrakte Gefährdung der Rechtspflege, sondern als persönliche Ungerechtigkeit, Fahnenflucht nicht als Gefährdung der Wehrkraft, sondern als persönliche Untreue gegenüber dem Land; mit anderen Worten, der Aktunwert ist nicht aus dem Erfolgsunwert, sondern absolut zu bestimmen 3 5 (siehe die Beispiele: Gott, Natur, Gerechtigkeit, Vaterland). Auf die Dichte einer Beziehung zu einem Erfolg kommt es bei diesem Verständnis nicht an, sondern auf das Maß an Gesinnungslosigkeit. 4. Ob solche Deutungen nicht nur an der Wiege der Delikte Pate gestanden haben, 2 2 sondern heute noch notwendig sind, ist eine Frage des B T . Jedenfalls ergeben sich bei einer solchen Deutung folgende Konsequenzen 3 6 , die den Lösungen für Pflichtdelikte entsprechen (siehe unten 21/115 ff) : a) Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) scheidet der Höchstpersönlichkeit des Verstoßes wegen aus. Mehrere zusammen Delinquierende (etwa Fahnenflüchtige) sind Nebentäter und allenfalls zudem gegenseitige Gehilfen und Anstifter. b) Auch mittelbare Täterschaft (§ 25 Abs. 1, 2. Fallgruppe StGB) scheidet der Verhaltensgebundenheit wegen aus: Nur der Vollzug des tatbestandlich beschriebenen Akts ist Indikator der persönlichen Insuffizienz. Das gilt auch, wenn der mittelbar Handelnde an sich die erforderliche Täterqualifikation besitzt; Beispiel: Der ältere Bruder nötigt den jüngeren zum Geschlechtsverkehr mit der Schwester. — Bei Vorsatz des Werkzeugs bleibt Teilnahme. c) Jede Beteiligung an einem unvorsätzlichen eigenhändigen Delikt ist nach geltendem Recht ausgeschlossen, wenn nicht eine besondere Strafbarkeitsanordnung vorsiehe Roxin Täterschaft S. 408, zu § 132 StGB, - sehr streitig; für § 179 StGB siehe KG NJW 1977 S. 817 (voll eigenhändig) und Schall JuS 1979 S. 104 ff (nicht einmal positivrechtlich eigenhändig). — Weitere Nachweise bei SchänkeSchröder-Lenckner § 179 Rdn. 15. — Zu § 176 StGB a. F. siehe Roxin Täterschaft S. 417; BGH 15 S. 132 ff; — zu § 184a StGB siehe BayObLG J R 1985 S. 470 ff. Zu den täterstrafrechtlichen Delikten nach altem Recht siehe Roxin Täterschaft S. 410 ff. Zur Problematik der Trennung von Unrecht und Schuld bei diesen Delikten siehe Roxin Täterschaft S. 425 f.

Zum Ganzen siehe mit Nachweisen Roxin Täterschaft S. 399 ff, 662 ff; ders. JZ 1966 S. 293 ff, 296 f; LK-Roxin § 25 Rdn. 31 ff; Joerden Strukturen S. 82 ff; stark abweichend Herzberg ZStW 82 S. 896 ff: Herzberg differenziert die — weit verstandenen — eigenhändigen Delikte nach täterbezogenen Delikten (z. B. Inzest), Delikten mit Abhängigkeit der Rechtsgutsbeeinträchtigung von der Täterperson (z. B. Beleidigung) und Delikten mit verfahrensrechtlicher Bindung an eigenes Verhalten (z. B. Meineid).

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2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

liegt, wie etwa bei § 160 StGB. Weil der arglos Handelnde leichtfertig handeln mag, aber eben nicht „verdorben", ist diese Lösung — wie bei den Sonderdelikten im strengen Sinn — auch dann sachgerecht, wenn — wie es auch hier geschieht — f ü r Jedermannsdelikte die Möglichkeit einer Teilnahme an unvorsätzlicher T a t gefordert wird. Schulfall (nach v. Liszt) : Eine Bordellwirtin verkuppelt bewußt Bruder und Schwester, die sich nicht kennen; — straffrei. Soweit zum alten Recht die Möglichkeit einer Teilnahme an unvorsätzlicher Tat anerkannt wurde (dagegen jetzt §§ 26,27 StGB), war die Lösung des Falls sehr streitig 37 . Sie hing freilich weniger von der Dogmatik der Beteiligung als vom Verständis des Inzestverbots ab; eine Deutung als „Verletzung der geistig-sittlichen Familienbande" (H. Mayer) führte konsequent zur Straffreiheit, eine Deutung als „objektiv" nicht zu duldender Vorgang (Mezger) ebenso konsequent zur Annahme strafbarer Beteiligung. d) Echte (Fahnenflucht, § 16 Abs. 1 WStG) und unechte ( § 1 3 StGB) Unterlassung bleiben möglich (siehe unten 29/2,79). 23

5. Der Vollrausch (§ 323 a StGB) ist nur positivrechtlich ein eigenhändiges Delikt („Wer sich . . . in einen Rausch versetzt"). Die Problematik liegt verwickelt 3 8 : Nicht die Unmäßigkeit ist Strafgrund (dann wäre Eigenhändigkeit gegeben), auch nicht die unspezifizierte (sonst actio libera in causa) Gefährlichkeit der Enthemmung (mit der sich wohl keine Eigenhändigkeit begründen ließe 3 8 a ), sondern die Preisgabe der Möglichkeit, den Konflikt, den die Tat im Rausch darstellt, zu erledigen, sei es durch Zurechnung (dies scheitert an der Zurechnungsunfähigkeit des Betrunkenen), sei es durch faktische Hinderung weiterer Taten dieser Art (Prohibition ist nicht durchsetzbar) (siehe unten 17/59 ff). Wenn die Preisgabe nicht dem Sich-Berauschenden, sondern anderen Personen zurechenbar ist, also insbesondere beim listigen Beibringen eines Rauschmittels durch andere Personen, ist — auch abgesehen von der Seltenheit solcher Fälle — das Erledigungsdefizit bezüglich einer T a t im Rausch nicht so kraß wie beim verantwortlichen Sich-Berauschen, weil es die in diesen Fällen stets gegebene Körperverletzung trotz ihres von § 323 a StGB abweichenden Schutzzwecks immerhin hindert, daß der Vorgang als sozial unerheblich definiert wird. Da also bei Täterschaft anderer Personen nur ein reduziertes Bedürfnis nach einem eigenen Tatbestand besteht, ist die Formulierung des Gesetzes so ausgefallen, als gehe es um Eigenhändigkeit 3 8 ''. Wegen der Formulierung des Gesetzes scheidet mittelbare Täterschaft aus 3 9 . Teilnahme bleibt möglich 4 0 , wird freilich praktisch meist am Regreßverbot scheitern (Produktion und Servieren von Alkohol als sozialadäquater Vorgang).

C. Die Täterschaftstheorien 24

Für diejenigen Delikte, bei denen keine Eigenhändigkeit erforderlich ist, sind zur Abgrenzung der täterschaftlichen Beteiligungsformen von der Teilnahme (Anstiftung oder Beihilfe) und damit zur Definition dessen, was Täterschaft im Gegensatz zur Teilnahme ausmacht, unterschiedliche Lösungen vorgeschlagen w o r d e n 4 1 , die teils 37 Wie hier Bockelmann Verhältnis S. 16 f; H. Mayer ΑΎ S 50 III 1 und 2; a. A. Mezger Strafrecht §58 112. 38 Unproblematisch ist wegen § 29 StGB, auch § 25 Abs. 1, 2. Fallgruppe StGB, die Beteiligung an einer konkretisierten Tat im Rausch. 38a Anders Vorauflage 21/23. 38 '> Anders (Eigenhändigkeit sachlich gegeben) Vorauflage 21/23; Roxin Täterschaft S. 635; siehe auch Neumann Zurechnung S. 84 f f m i t F n . 185.

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Cramer GA 1961 S. 97 ff, 102 f; im Ergebnis überwiegende Ansicht. Streitig; wie hier Cramer aaO S. 103 ff; Roxin Täterschaft S. 431 f; anders Welzel Strafrecht §68 II 4 a; Schönke-Schröder-Cramer § 323 a Rdn. 25 mit Nachweisen; siehe auch Haft JA 1979 S. 651 ff, 654, 656 ff. 41 Zur Geschichte siehe Bloy Beteiligungsform S. 46 ff; speziell zum Stand der Lehre im 19. Jahrhundert siehe Winter Entwicklung der

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freilich heute dogmatisch oder durch den Stand der Gesetzgebung überholt sind; insbesondere ist die Täterschaft dessen, der selbst begeht, nunmehr positivrechtlich festgeschrieben. D a ß es um die Zuständigkeit der Inhaber mehrerer Organisationskreise geht, ist in der Diskussion teils hinter formellen (Tatbestand), naturalistischen (Art des Bedingens) oder auch ganz diffusen Aspekten (Täterwillen) zurückgetreten. N o c h das geltende Recht stellt bei der ausnahmslosen Täterschaft des Selbst-Begehenden nur auf die formelle Lage ab. Immerhin bezeichnet der in der neueren Diskussion zentrale Begriff der Tatherrschaft plastisch die tatsächlichen Voraussetzungen der vollen Zuständigkeit f ü r einen Organisationskreis. Was hier nachfolgend als volle Zuständigkeit bezeichnet wird, ergänzt den Tatherrschaftsbegriff insoweit, als auch die normative Komponente der Täterschaft bezeichnet wird : Nicht f ü r jede Überlegenheit — Herrschaft — ist notwendig der Überlegene selbst zuständig. 1. Die formell-objektive Theorie a) Nach der formell-objektiven Theorie (mittlerweile preisgegeben, aber in den 2 5 zwanziger Jahren überwiegende Lehre) soll nur Täter sein, wer den Tatbestand zumindest teilweise mit eigener H a n d verwirklicht 4 2 . Ziel dieser Theorie ist eine rechtsstaatlich exakte Bindung der Täterschaft an die Beschreibungen des BT, die „Erfassung des Inhalts der einzelnen gesetzlichen Tatbestände" 4 3 . b) Das bedeutsame Ziel wird aus mehreren Gründen von der Theorie nicht erreicht : aa) Die Möglichkeit, sich der eigenhändigen Tatbestandsverwirklichung dadurch zu entziehen, daß man einen anderen mit List zur unvorsätzlichen oder mit Zwang zur vorsätzlichen Tatbestandserfüllung bringt, erzwingt eine Ergänzung um die mittelbare Täterschaft und damit eine Preisgabe des Prinzips. bb) Ferner f ü h r t diese Lösung bei partieller Tatbestandsverwirklichung wegen der Gleichbehandlung aller Tatbestandsmerkmale zu einer Ausdehnung des Verhaltens, das Täterschaft begründet, bis weit in das Vorbereitungsstadium : Jeder am Diebstahl Beteiligte, der selbst Zueignungsabsicht hat (Verwirklichung eines subjektiven Tatbestandsmerkmals !), muß zum Täter werden, auch wenn er bei der Wegnahme nicht mehr tätig mitwirkt 4 4 . cc) Letztlich ist entscheidend, daß die Theorie bei nur partiell eigenhändiger Tatbestandsverwirklichung den von ihr usurpierten Bereich nicht abdeckt: Weshalb demjenigen Beteiligten, der beim Raub Gewalt anwendet, die Wegnahme durch einen anderen Beteiligten täterschaftlich zugerechnet werden kann, bleibt unerklärt; denn dieses Stück Zurechnung beruht nicht auf Eigenhändigkeit, so daß ein nicht formell-objektives Moment, das täterschaftliche Zurechnung begründet, stillschweigend vorausgesetzt wird. 2. Altere materielle Theorien Um dieses Moment bemühen sich die materiellen Theorien und suchen es bei 2 6 früheren Ausprägungen in der Art der Kausalbeziehung (ältere materiell-objektive Theorien). Die auf Feuerbach45 zurückgehende Differenzierung nach dem Bewirken Mittäterschaft S. 25 ff. — Eine Mischtheorie aus subjektiven, tatherrschaftlichen und gruppendynamischen Kriterien entwickelt Geerds Jura 1990 S. 173 ff, 176 ff. 42 U. a. Beling Grundzüge 10 § 18 V ; Mezger Strafrecht § 62 I c; auch noch Dohna Aufbau S. 59 f ; weitere Nachweise bei Roxin Täterschaft S. 34 ff. 43 Beling zzO% 18 V , v o r 1.

44 So Mezger Strafrecht § 62 I 1 c; eine Beschränkung auf die Merkmale des Handlungsvollzugs ändert die Ungereimtheiten nicht prinzipiell; siehe das Beispiel bei Roxin Täterschaft S. 37 zum Einbruchsdiebstahl nach § 2 4 3 StGB a. F.; siehe auch a a O S. 137 ff. 45 Lehrbuch §§ 44 f.

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notwendiger oder aber ersetzbarer (oder überhaupt nur förderlicher) Beiträge scheitert trotz einer gewissen Plausibilität (die Verweigerung des notwendigen Beitrags brächte stets das Delikt zu Fall) an Beweisschwierigkeiten (wann wäre eine Ersetzung gelungen?) und am heutigen positiven Recht: Anstiftung setzt allermeist eine notwendige Bedingung und ist nicht Täterschaft, wie wiederum eigenhändiges Begehen Täterschaft begründet, auch wenn der Handelnde ersetzbar ist. Nicht in der Durchführung, aber im Grundgedanken noch heute relevant ist die Trennung nach physisch (Täterschaft) und psychisch (Teilnahme) vermittelter Kausalität 46 , wobei freilich „psychisch" allein die Vermittlung durch einen frei Handelnden meint, so daß die Vermittlung im Wege der mittelbaren Täterschaft als „physisch" gilt 47 . Damit ist immerhin der Programmsatz des restriktiven Täterbegriffs in einer mittelbare Täterschaft einschließenden Weise formuliert: Der letzte frei Handelnde erfüllt den Tatbestand, Mitwirkung an diesem Handeln ist nur per Strafausdehnung faßbar. Die Theorie ist somit nur materiell-objektiv formuliert; ihr Inhalt ist hingegen formell (Eigenhändigkeit, Letzter) -normativ (kein frei Handelnder folgt) und bringt mit dem normativen Moment das noch heute für die mittelbare Täterschaft entscheidende Kriterium (siehe unten 21/62 ff), leidet freilich im formellen Moment an den Schwierigkeiten der formell-objektiven Theorie. 3. Die subjektive Theorie 27

a) Die Rechtsprechung, und hier schon das Reichsgericht, vermeidet alle geschilderten Schwierigkeiten durch die in den Ergebnissen elastische subjektive Theorie 4 8 . Ein Ausgangspunkt dieser Theorie, die zunächst nur f ü r die Abgrenzung von Täterschaft und Beihilfe geschaffen, dann aber auf die Trennung von Täterschaft und Teilnahme überhaupt ausgedehnt wurde, ist die Äquivalenz aller Erfolgsbedingungen; dieser Äquivalenz wegen soll auf der objektiven Deliktsseite eine Differenzierung von Täterschaft und Teilnahme unmöglich sein 49 . Damit ist der Täterbegriff für die objektive Seite extensiv: Jeder Verursacher kann Täter sein. Dieser Ansatz ist — auch abgesehen von den Bedenken gegen die Vereinbarkeit des extensiven Täterbegriffs mit dem Grundsatz der Gesetzesbindung (oben 21/6 ff, 8) — bemerkenswert schief. Wenn die objektive Deliktsseite nur durch Erfolgskausalität bestimmt wird, ist auch subjektiv nur ein Vorsatz auszumachen, der allein die Erfolgskausalität umfaßt. Soll aber ein täterschaftliches Delikt mehr sein als Kausalität plus Vorsatz, wäre die Beschränkung dieses „Mehr" auf ein subjektives Moment erst zu begründen 5 0 . 46 Frank Anm. II vor 5 47; ausführliche Nachweise bei RoxinTäterschaft S. 44 ff. 47 Frank aaO. 48 Seit RG 2 S. 160 ff, 162 ff; 3 S. 181 ff ständige Rechtssprechung des Reichsgerichts und — bei einzelnen Schwankungen — auch des Bundesgerichtshofs bis in die neueste Zeit; siehe dazu unten 21/31. Ausnahmen bestehen für eigenhändige Delikte (oben 21/19 ff) und für Qualifizierungen durch bandenmäßige Begehung: Um nicht bloß geistige Verbindungen als Banden einstufen zu müssen, verfällt die Rechtsprechung in das Extrem, ohne Mitwirkung am Tatort zur Tatzeit Täterschaft (vor B G H 8 S. 206 ff, 207 sogar: Teilnahme) bei einem Bandendelikt auszuschließen (RG 66 S. 236 ff, zuletzt BGH 33 S. 50 ff mit zutreffend kritischer Anmerkung Joerden aaO

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S. 329 f, gleichfalls kritischer Anmerkung Jakobs JR 1985 S. 342 f und kritischer Besprechung Meyer JuS 1986 S. 189 ff, jeweils mit Nachweisen). V. Buri Causalität S. 41; ders. ZStW2 S. 232 ff, 246; so auch noch hauptsächlich BaumannWeber A T § 3 6 1 3 c δ. Siehe schon Hälschner Strafrecht Bd. 1 S. 377, 380; ferner LK-Roxin § 25 Rdn. 22; SK-Samson §25 Rdn. 17; zum Versuch dieser Begründung siehe υ. Buri ZStW2 S. 232 ff, 246; BaumannWeber aaO. — Grundlegend zur Kritik der subjektiven Theorie Welzel SJZ 1947 Sp. 645 ff; Gallas Materialien Bd. I S. 121 ff, 129 ff; ders. Niederschriften Bd. 2 S. 67 ff, 68 ; ders. Beiheft ZStW 1957 S. 3 ff, 5 ff.

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b) So hat denn die subjektive T h e o r i e auch eine weitere W u r z e l 5 1 ; diese ist der 2 8 psychische (und insoweit, aber auch n u r insoweit subjektive) Befund, daß bei Beteiligung mehrerer Personen einzelne Beteiligte ihren Beitrag anderen Beteiligten zu deren V e r f ü g u n g stellen, die anderen Beteiligten hingegen die Entscheidung über die V e r f ü gung treffen. So argumentiert das Reichsgericht in seinen f r ü h e n E n t s c h e i d u n g e n 5 2 : Der Gehilfe hat einen vom T ä t e r abhängigen Willen, d. h. er unterwirft seinen Willen dem des Täters, so daß er diesem anheimstellt, ob die T a t z u r V o l l e n d u n g k o m m e n soll oder nicht. D e r Mittäter kennt dagegen keinen ihn beherrschenden f r e m d e n Willen ( T r e n n u n g nach animus auctoris und animus socii, Dolustheorie). In dieser Weise auf die Verschachtelung der Motivationen abstellend, gelingt es dieser Variante der subjektiven Theorie, eine Rangfolge der Beteiligten herzustellen 5 3 , aber eine Rangfolge, die d u r c h die Handlungsî>o//z»ge der Beteiligten k o n t e r k a r i e r t werden k a n n : W e r das Geschehen, so wie es sich abspielt, bestimmt, richtet sich nicht nur nach dem Wollen, sondern auch nach dem Vollbringen; denn ein Beteiligter mit animus auctoris ohne tätige Gestaltung des Delikts hat eben das M o m e n t z u r T ä t e r schaft zuwenig, das ein Beteiligter mit animus socii bei tätiger Gestaltung des Delikts z u r Teilnahme zuviel hat. N a c h f o l g e n d e Versuche, subjektive und objektive Seite z u r D e c k u n g zu bringen, f ü h r e n z u r Tatherrschaftslehre. c aa) Die subjektive T h e o r i e in der Rechtsprechung ist einen anderen W e g gegan- 2 9 gen. Die Rechtsprechung entleert die Formeln vom T ä t e r - oder Gehilfenwillen und vom Wollen der T a t als eigener oder f r e m d e r zu bloßen Schlagworten, was das Reichsgericht selbst m e h r f a c h r ü g t 5 4 . Die Formeln werden zu leeren Begriffshülsen: J e m a n d ist T ä t e r , weil er den Täterwillen hat, — w a r u m er den Täterwillen besitzt und was dieser besagen soll, bleibt o f f e n 5 5 . Der Begriff des Täterwillens, wie er in der Rechtsprechung des Reichsgerichts verwendet wird, ist u n b r a u c h b a r , weil er nicht bezeichnet, wann die T a t das eigene W e r k des Täters ist. Verstanden aber als ein besonderes Täterbewußtsein, etwa als Reflexion des H a n d e l n d e n d a r ü b e r , daß er auch T ä t e r sein will, ist der Täterwille überflüssig. Wie zudem selbst eine nicht f o r m e l h a f t angewandte subjektive T ä t e r b e s t i m m u n g schmerzlich lebensfremd wirken kann, zeigt k r a ß eine Entscheidung zu § 179 S t G B 5 6 , w o n a c h bei einer S c h ä n d u n g auch f r e m d e r Beischlaf als eigene T a t gewollt sein k ö n n e : „Das RG. hat in ständiger Rechtsprechung den Unterschied zwischen T ä t e r und Gehilfen in der Willensrichtung des Mitwirkenden gefunden, und es liegt kein G r u n d vor, von dieser allgemein d u r c h g e f ü h r t e n Rechtsprechung d a n n abzugehen, w e n n die strafbare H a n d l u n g in einer Beischlafvollziehung besteht." — Das Ergebnis (täterschaftliche H a f t u n g ) ist z w a r bei allen nicht streng formell-objektiven T h e o r i e n möglich, insbesondere auch bei der Tatherrschaftslehre, aber nicht per Wollen eines f r e m d e n Beischlafs als eigenen, sondern per (Mit-)Beherrschung der Situation. bb) Das Reichsgericht hat in späteren Entscheidungen den Täterwillen vielfach 3 0 51

U n d ist a u c h älter als die Ä q u i v a l e n z t h e o r i e , siehe die N a c h w e i s e bei Birkmeyer V D A T Bd. II S. 23 ff. 52 R G 3 S . 181 ff, 182. 53 D a z u insbesondere Bockelmann Verhältnis S. 2 ff, 48 f ; — f ü r G r e n z f ä l l e n o c h ebenso a r g u mentierend Cramer Bockelmann-Festschrift S. 389 ff, 402 f. 54 R G 15 S. 295 ff, 303 : „bloßes W o r t o h n e g r e i f b a ren S i n n " ; R G 71 S. 364 ff, 365: „ f o r m e l h a f t e Wendung".

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So z. B. o h n e o d e r mit n u r r u d i m e n t ä r e r B e g r ü n d u n g R G 18 S. 273 f f , 281 f ; 37 S. 55 ff, 57 f ; 57 S. 307 f f ; 64 S. 273 ff, 274 f u . a . m . ; g e n a u e r freilich u n d auf das V e r w i r k l i c h u n g s h a n d e l n a b stellend, d a m i t a b e r a u c h n i c h t m e h r schlicht „subjektiv" R G 9 S. 109 ff, l l O f ; 54 S. 152 f f ; O G H 1 S. 365 ff. R G 71 S. 364 f.

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durch das Interesse an der Tat oder an dem Taterfolg erschlossen 5 7 : Ob jemand die Tat als eigene will, soll sich nach seinem Interesse an der Tat oder am Taterfolg richten. Auf der unglücklichsten — nämlich auf das Interesse am Taterfolg abstellenden — Variante dieser Lehre beruht die zur Täterschaft bekannteste Entscheidung des Reichsgerichts (Badewannenfall 5 8 ): Die Schwester einer unehelich gebärenden Frau ertränkt das Neugeborene „im Interesse" der Mutter und nach Verabredung mit ihr; die Schwester soll deshalb trotz eigenhändigen Tatvollzugs nur Gehilfin sein, die Mutter Täterin 59 . Diese Radikalität (der eigenhändig Tätige als Gehilfe) war der frühen subjektiven Theorie fremd. Daß jeder Verursacher Täter sein konnte, wurde nicht dahin umgekehrt, daß der volldeliktisch und eigenhändig den Tatbestand Verwirklichende nur Gehilfe sein könne: Der letzte „Freie" wurde als nicht untergeordnet behandelt 6 0 ; das sinnenfällige Faktum der eigenhändigen Tat siegte über das psychische Faktum einer Unterordnung unter fremden Willen. Erst die Verhärtung der stereotypen Formulierung zu einer Theorie ermöglichte die extremen Weiterungen 6 1 . Wenn gegen die Interessentheorie üblicherweise eingewendet wird, sie scheitere an Delikten mit „altruistischer" Motivation, wie Tötung auf Verlangen (§216 StGB) oder auch Betrug (§ 263 StGB) und Erpressung (§ 253 StGB) bei Drittbereicherungsabsicht, so trifft das freilich nicht: § 216 StGB läßt sich als ein Fall vertypter isolierter (nicht akzessorischer) Beihilfe verstehen, und auch an einer Drittbereicherung kann ein eigenes Vermögensinteresse oder ein eigenes ideales Interesse bestehen. Gewichtiger ist, daß bei allen Vorsatzformen außer bei Absicht ein Interesse am deliktischen Erfolg stets fehlt (deshalb ist die vom Reichsgericht gewählte Alternative der Interessentheorie indiskutabel; jedes Delikt ohne Absicht auf den Erfolg geschähe ohne Täter), wohingegen ein Interesse am Handlungsz>o//zwg oder an außertatbestandlichen Folgen bei ausnahmslos jeder Handlung gegeben ist. Da die Schwester im Fall der oben genannten Entscheidung des Reichsgerichts die Handlung vollzog und den Erfolg beabsichtigte, hatte sie in jeder Hinsicht ein Interesse, und zwar auch ein eigenes: Warum hätte sie sonst mit Erfolgsabsicht gehandelt? Die Entscheidung ist damit nur in sich konsistent, wenn nicht schon auf das Faktum eines Interesses, sondern auf die Gewichtung der Interessen abgestellt wird: Die Mutter versprach sich mehr vom Erfolg. Da aber auch der Alleintäter ein Delikt ohne Verbindung mit dessen stärker interessiertem „Destinatar" als „Freundschaftsdienst" begehen kann (häufig bei §§ 257 bis 258 a StGB), ist die Gewichtung zur Differenzierung von Täterschaft und Teilnahme ungeeignet, es sei denn, man erkenne die „gespenstische Version einer Tat ohne jeden Täter" an 6 2 . Es kommt hinzu, daß die Interessentheorie nicht nur den Ausführenden entlastet, sondern sonstige Beteiligte belasten kann: Diese Belastung durch ein Interesse, das sich nicht in einer Tat objektiviert, verletzt das Tatprinzip. 31

d) Der Bundesgerichtshof hat bis auf wenige Ausnahmen 6 3 seine Entscheidungen in Formulierung und Inhalt nach der subjektiven Theorie ausgerichtet 6 4 . Neben einigen 57 Die Interessentheorie als eigenständige Theorie wurde schon im 19. Jahrhundert aufgegeben; siehe BirkmeyerVDAT Bd. II S. 26 ff, 56 ff. 58 RG 74 S. 84 ff. 59 Zur — nicht ausschließlichen — Wurzel dieser Entscheidung im Verhältnis von Beteiligungsform und Strafmaß (Tötung mit Überlegung war nach § 211 StGB a. F. Mord ; die Täterstmfe war Todesstrafe; die Mutter war nach § 217 StGB privilegiert) siehe HärtungJZ 1954 S. 430 ff. 60 So auch v. Buri ZStW 2 S. 232 ff, 259; hierzu

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ausführlich mit Nachweisen Sax JZ 1963 S. 329 ff, 332 f. 61 Erstmals RG 31 S. 80 ff; auch hierzu Sax aaO. 62 Sax JZ 1963 S. 329 ff, 335. 63 Insbesondere B G H 19 S. 135 ff (einseitig fehlgeschlagene Doppelselbsttötung). — Zu den Delikten mit dem tatbestandlichen Erfordernis bandenmäßiger Begehung siehe oben 21/Fn. 48. Eingehend dazu Roxin Täterschaft S. 90 ff, 557 ff; Bloy Beteiligungsform S. 101 ff; zur Kontroverse innerhalb des B G H siehe ferner Bau-

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im Theorienstreit farblosen 6 5 oder kriminalpolitisch gefärbten Entscheidungen 6 6 sowie vereinzelten Anwendungen der subjektiven Theorie in Form der Interessentheorie 6 7 findet sich freilich eine größere Zahl von Entscheidungen, in denen die subjektive Theorie durch Erwägungen zur Tatherrschaft untermauert oder ergänzt wird: Täterund Gehilfenwillen sollen zumindest auch aus dem Maß der Beteiligung (oder bei Unterlassung: aus der „Pflichtenlage" 6 8 ) zu erschließen sein 6 9 , oder die Tatherrschaft wird ergänzend e r w ä h n t 7 0 oder subjektive und objektive Seite werden kumuliert 7 0 a . Treffendes Resümee: „Es entscheidet das Gewollte . . . aber das Gewollte in seiner objektiven Bedeutung" 7 1 . In einigen Entscheidungen wird die Beteiligung an der Ausf ü h r u n g der Tat, insbesondere die eigenhändige Begehung, sogar zu einem nur noch in Extremfällen zu widerlegenden Indiz f ü r den Täterwillen 7 2 . Einen solchen Extremfall, also Teilnahme (Beihilfe) trotz eigenhändiger Tatausführung, bejaht der Bundesgerichtshof 7 3 (Staschynskij-Urteil) in einem Fall von Verführung und genauer Lenkung des Ausführenden durch eine staatliche Institution, die den Ausführenden durch systematische Erziehung zum Gehorsam bildet und ihm das „Tatrezept" detailliert vorschreibt. Die Entscheidung wird zu Unrecht viel gescholten; jede materielle Theorie muß Fälle kennen, in denen die eigenhändige Tatbestandserfüllung das materielle Moment nicht indiziert (siehe unten 21/36, 38); sie dürfte — wie das parallele Urteil des Reichsgerichts 7 4 — von Strafzumessungserwägungen mitbedingt sein (absolute Strafe bei täterschaftlichem M o r d 7 5 ) . — Freilich hat kurz darauf der Bundesgerichtshof f ü r § 216 StGB die Tauglichkeit der subjektiven Theorie voll verworfen 7 6 ; — zur besonderen Problematik aller materiellen Theorien bei T ö t u n g auf Verlangen siehe unten 21/56 ff. 4. Die Tatherrschaftslehre a) Das Willkürliche ist bei der subjektiven Theorie konstitutionell: Wenn es um 32 Zuständigkeiten f ü r Organisationskreise geht, kann die subjektive Seite allein nicht genügen. Freilich hat auch die subjektive Theorie der Täterschaft nie auf ein objektives Minimum verzichtet, auf die Ursächlichkeit, aber sie hat zum Täterwillen nicht ein korrespondierendes Täterverhalten gefordert und umgekehrt nicht (stets) aus einem

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mann N J W 1962 S. 374 ff; den. N J W 1963 S. 561 ff; ders. JuS 1963 S. 85 ff; Dreher M D R 1964 S. 337 f ; Roxin GA 1963 S. 193 ff; LK-Roxin $ 25 Rdn. 14 bis 25; Sax JZ 1963 S. 329 f f ; SchroederROW 1964 S. 97 ff. B G H 6 S. 226 ff. B G H 8 S. 390 ff, zur Abgrenzung von Diebstahlsteilnahme und Hehlerei. B G H 16 S. 12 ff, 14; B G H StV 1983 S. 461; der Formulierung nach auch B G H N S t Z 1981 S. 394, w o das Interesse jedoch in einer massiven Mitwirkung objektiviert ist. — Alles hilflos durcheinandermischend (Wollen, Interesse, Beteiligungsmaß, Tatherrschaft, Wille zur Tatherrschaft) B G H StV 1983 S. 501 (dazu Roxin Tatherrschaft S. 592 f); B G H N S t Z 1984 S. 413; NStZ 1985 S. 165; B G H 36 S. 364 ff, 367. B G H 2 S. 150 ff, 156; hiergegen wiederum B G H 13 S. 162 ff, 167. B G H 8 S. 71 ff, 73; 9 S. 370 ff, 380; 14 S. 124 ff, 129; 28 S. 346 ff, 349 (Beherrschung von „ O b und Wie"); B G H GA 1977 S. 306; StV 1981 S. 275 f und 602 f; wistra 1982 S. 28 f ; N S t Z

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1982 S. 27 und 243 f ; GA 1984 S. 287 (neben der Interessenformel); StV 1985 S. 14; N J W 1987 S. 269 (Täterwille plus nicht unwesentlicher Tatbeitrag erforderlich); N S t Z 1987 S. 364 (erneut: Beherrschung von „ O b und Wie"); bei Holtz M D R 1988 S. 452 (wertende Gesamtschau); N S t Z 1988 S. 507; StV 1990 S. 264; zur mittelbaren Täterschaft bei vermeidbarem Verbotsirrtum : B G H 35 S. 347 ff, 353 („von Täterwillen getragene objektive Tatherrschaft"). B G H 11 S. 268 ff, 272. B G H 32 S. 165 ff, 178 : „Tatwillen" « « ¿ „ T a t h e r r schaft" (dazu Aojci'n T ä t e r s c h a f t S . 596 f). LK 8 -Mezger ^ 47 Anm. 2 b. B G H J R 1955 S. 304 f; B G H 8 S. 393 ff, 396 ff; siehe jetzt auch B G H N S t Z 1986 S. 165 f ; 1987 S. 224 f; StV 1990 S. 203 f, 204. B G H 18 S. 87 ff. R G 74 S. 84 ff. Siehe Roxin Täterschaft S. 614 f f ; Bloy Beteiligungsform S. 100. B G H 19 S. 135 ff, 138 f.

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gewollten Täterverhaken auf den Täterwillen geschlossen. Um die Korrespondenz von subjektiver und objektiver Seite bemüht sich die Tatherrschaftslehre 7 6 a (neuere materiell-objektive Theorie; final-objektive Theorie). 33

b) Der Begriffsinhalt von „Tatherrschaft" wird in der Literatur unterschiedlich — insgesamt zu naturalistisch (Herrschaft als Faktum) und zu wenig normativ (Herrschaft als Grund f ü r Zuständigkeit) — bestimmt: aa) Welzel setzt bei der Handlung als zweckhaftem Akt an und spricht Täterschaft dem Beteiligten zu, der die T a t durch den planvoll steuernden Verwirklichungswillen gestaltet 7 7 . Gestaltender ist, wer auf Grund seines — nicht notwendig freien 7 8 — Willens die Tat durchführt oder doch als Mitträger eines gemeinsamen Entschlusses durch einen Beitrag (nicht notwendig durch eine Ausführungshandlung) die Tatbeiträge der übrigen zu einer einheitlichen T a t ergänzt (gemeinsame Tatherrschaft bei Mittäterschaft). Diese Lehre knüpft an die subjektive Theorie des frühen Reichsgerichts 7 9 an, ergänzt den Täterwillen aber um eine objektive Seite, eben um das (Mit) Gestalten der Tat. bb) Die Bestimmung der Tatherrschaft kann ferner — mit Gallas — vom Typ des Selbst-Begehens her erfolgen, also von der formell-objektiven Theorie her. Tatherrschaft ist dann gegeben, wenn das Geschehen „Werk" des Beteiligten ist, er es „in der H a n d h a t " 8 0 ; es geht um die „der unmittelbaren Begehung gleichwertige Tatherrschaft" 8 !. cc) Weiterhin kann bei der realen Kräfteverteilung angesetzt werden. Tatherrschaft hat dann nach einer Formel von Mauracb jeder Mitwirkende, der die Verwirklichung des Gesamterfolgs je nach seinem Willen hemmen oder ablaufen lassen kann, sofern er darum weiß 8 2 .

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c) Diese Lösungsentwürfe können nicht voll befriedigen. Welzels Konzeption bringt in den Fällen Schwierigkeiten, in denen der unmittelbar Ausführende zwar ungezwungen, aber nur auf Wunsch und nach detaillierten Weisungen eines anderen handelt: Die Mitträgerschaft am Tatentschluß und die Gestaltung der T a t reduzieren sich hier auf das Faktum des ungezwungenen und vorsätzlichen Handelns. Trotzdem soll der so Handelnde Tatherrschaft haben, und dem muß so sein, weil ansonsten jede Strafbarkeit ausgeschlossen wäre, wenn er allein die erforderlichen Täterqualifikationen aufweist. Stärker noch gilt das f ü r den allein Qualifizierten, der unter Zwang als Werkzeug handelt 8 3 . Die Tatherrschaft wird in diesen Fällen nicht material, sondern allein durch Eigenhändigkeit bestimmt 8 4 . — Gegen die Lösung von Gallas spricht, daß niemand bei Mittäterschaft die T a t in der H a n d hat wie bei alleinigem Handeln und zudem bei Mittäterschaft zwingend für jeden Beteiligten weniger zu leisten ist als bei Alleintäterschaft. Tatherrschaft als faktische Herrschaft können bei Mittäterschaft nur alle zusammen haben 8 5 . — Maurachs Formel schließlich ist teils zu weit, weil auch notwendige Teilnehmer durch Verweigerung ihres Beitrags die T a t hemmen können (und manche Unbeteiligte durch rechtzeitige Anzeige der Tat), und teils zu eng, da bei Arbeitsteilung in der Regel einer allein die Tat mangels hinreichender Fähigkeiten nicht ablaufen 76a

Eingehende Darstellung der Positionen innerhalb der Tatherrschaftslehre bei Bloy Beteiligungsform S. 192 ff. 77 Strafrecht § 15 I 1; den. ZStW 58 S. 491 ff, 543; den. SJZ 1947 Sp. 645 ff, 650. 78 Strafrecht 5 16 IV 2 c; anders (das Werkzeug des mittelbaren Täters soll keine Tatherrschaft haben) noch SJZ 1947 Sp. 645 ff, 650. 79 RG 3 S. 181 ff, 182.

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Gallas Materialien Bd. I S. 121 ff, 128; den. Beih e f t Z S t W 1957 S. 3 ff, 13. Materialien aaO S. 133, 137. Maurach AT + § 47 III Β 2 b; Maurach-Gössel AT II § 47 Rdn. 89. Strafrecht § 15 II a α. Hierzu Schroeder Täter hinter dem Täter S. 40, 63 ff. Welze!ZStW58S. 491 ff,550.

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lassen kann (Tatherrschaft als faktische Herrschaft liegt hier nur bei allen als Kollektiv). Schließlich würde bei der mittelbaren Täterschaft ein faktisches „ I n - d e r - H a n d - H a ben" (auf das die genannten Autoren bei der mittelbaren Täterschaft auch prompt nicht abstellen) die Ausführungshandlungen je nach Gruppendynamik ins Uferlose ausweiten (siehe unten zum Täter hinter dem Täter 21/100 ff). d aa) Die Schwierigkeiten lassen sich nur beheben, wenn die Tatherrschaft entspre- 35 chend den Möglichkeiten von Arbeitsteilung auf verschiedene, gegebenenfalls zu kumulierende, Prinzipien zurückgeführt wird: Neben die Tatherrschaft durch Vollzug der Ausführungshandlung {formelle, d. h. tatbestandsgebundene Tatherrschaft) treten die Tatherrschaft durch die Entscheidung über das „ O b " der T a t (materielle Tatherrschaft als Entscheidungsherrschaft) und die Tatherrschaft durch Gestaltung der T a t (materielle Tatherrschaft als Gestaltungsherrschaft)96. Der Alleintäter entscheidet über die T a t und f ü h r t sie in bestimmter Gestalt eigenhändig durch. Bei Beteiligung mehrerer Personen können zum einen alle Elemente gleichermaßen aufgeteilt werden: Jeder ist Teilhaber an allen drei Herrschaftsbereichen. Zum anderen kann die H e r r s c h a f t aber auch nach ihrer Art aufgeteilt werden, indem etwa einer allein gestaltet (durch den Bau einer Sprenganlage) und einer entscheidet und ausführt (durch Zündung der Anlage). Soweit der Inhaber der formellen Tatherrschaft nicht von einem mittelbaren Täter beherrscht wird, liegt bei ihm zugleich die Entscheidungsherrschaft. Diese wiederum ist das mindeste, was der mittelbare Täter usurpiert. Den mannigfaltigen Varianten, die sich aus den Möglichkeiten von Herrschaft und Arbeitsteilung ergeben, können Formeln, die sich lediglich an einzelnen Bildern orientieren, nicht genügen. Täterschaft ist vielmehr als H e r r s c h a f t in mindestens einem der Bereiche von Tatgestaltung, Tatentscheidung oder T a t a u s f ü h r u n g zu definieren. Dabei ist das Faktum der Herrschaft nicht per se relevant, sondern weil es eine volle Zuständigkeit für die T a t begründet. Deshalb werden mit der Aufschlüsselung in inhaltlich verschiedene Herrschaftsbereiche auch nicht etwa heterogene Merkmale nur nominalistisch vereinigt 8 7 ; vielmehr sind alle Merkmale in einem Punkt homogen: Sie sind diejenigen Organisationsakte, die volle Zuständigkeit begründen. bb) Diese Aufschlüsselung entspricht dem gegenwärtigen positiven Recht. Es quali- 36 fiziert im § 25 Abs. 1, 1. Fallgruppe StGB den Selbst-Begehenden als Täter. Wer alle Täterqualifikationen aufweist und eigenhändig handelt, ist damit T ä t e r 8 8 . Er hat im Normalfall gewiß auch die Gestaltungsherrschaft und die Entscheidungsherrschaft, in den oben geschilderten Grenzfällen jedoch nicht. Freilich schließt es der Gesetzeswortlaut nicht aus, das „Begehen" der Tat nicht als das „eigenhändige Ausführen", sondern als ein materiell-herrschaftliches Ausführen zu verstehen (wie das in § 25 Abs. 2 StGB notwendig ist) ; eine rein materielle Tatherrschaftslehre könnte und müßte 8 9 also — wie die subjektive Theorie — die Figur des eigenhändig handelnden und voll qualifizierten Gehilfen anerkennen 9 0 . Die gesetzliche Regelung würde bei dieser Auslegung freilich zum Nichtssagenden entwertet, und zwar ohne N o t ; denn auch die hier vorgenom86 In Anlehnung an die Differenzierung von Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, nach Handlungsherrschaft (S. 127 ff), funktioneller Tatherrschaft (S. 275 ff) und Willensherrschaft (S. 142 ff); kritisch Stein Beteiligungsformenlehre S. 196 ff (zu Roxin·, siehe den. Täterschaft S. 624 ff zu Stein) und S. 205 ff (zur hiesigen Lehre). 87 So der Einwand von SchroederT'iter hinter dem Täter S. 40 gegen Roxin aaO. 88 O L G Stuttgart J Z 1977 S. 724 f, 725.

89 So zutreffend Schroeder Täter hinter dem Täter S. 38 ff. 90 siehe Protokolle Sonderausschuß V S. 1825; Lackner § 25 Anm. 1 a mit Nachweisen; ausführlich zum Streitstand LK-Roxin § 25 Rdn. 39 ff; Roxin Täterschaft S. 546 f f ; Cramer Bockelmann-Festschrift S. 389 ff, 392 f; Baumann Jescheck-Festschrift S. 105 ff, 110; Geerds Jura 1990S. 173 ff, 179.

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mene Aufschlüsselung der Tatherrschaft findet im Wortlaut des Gesetzes eine Stütze: T r o t z des jeweils gleichen Verbs („begehen") ermöglicht die adverbiale Bestimmung eine Differenzierung; „selbst" heißt: mit eigener Hand, „durch einen anderen" heißt: durch die H a n d eines unterlegenen anderen, und „gemeinschaftlich" heißt: durch wessen H a n d auch immer, jedenfalls zusammen mit einem anderen.

IV. Die Tatbestände der Täterschaft bei Herrschaftsdelikten, 1. Fortsetzung: Das Selbst-Begehen, § 25 Abs. 1 , 1 . Fallgruppe StGB Literatur W. Beulke Anmerkung zu OLG Köln J R 1980 S. 422 f, aaO S. 423 ff; den. Anmerkung zu BGH 36 S. 231 ff, NStZ 1990 S. 278 f; P. Bockelmann Über das Verhältnis von Täterschaft und Teilnahme, 1949; W. Bottke Suizid und Strafrecht, 1982; den. Das Recht auf Suizid und Suizidverhütung, GA 1982 S. 346 ff; den. Probleme der Suizidbeteiligung, GA 1983 S. 22 ff; P. Bringewat Die Strafbarkeit der Beteiligung an fremder Selbsttötung als Grenzproblem der Strafrechtsdogmatik, ZStW 87 S. 623 ff; P. Cramer Gedanken zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme, Bockelmann-Festschrift S. 89 ff; D. Dötting Fahrlässige Tötung bei Selbstgefährdung des Opfers, GA 1984 S. 71 ff; E. Dreher Anmerkung zu BGH MDR 1964 S. 337 f, aaO; U. Eben Verbrechensbekämpfung durch Opferbestrafung? JZ 1983 S. 633 ff; W. Gallas Täterschaft und Teilnahme, Materialien Bd. I S. 121 ff; K. H. Gössel Sukzessive Mittäterschaft und Täterschaftstheorien, Jescheck-Festschrift S. 537 ff; G. Grünwald Die Beteiligung durch Unterlassen, GA 1959 S. 110 ff; R. D. Herzberg Täterschaft und Teilnahme, 1977; ders. Beteiligung an einer Selbsttötung oder tödlichen Selbstgefährdung als Tötungsdelikt, JA 1985 S. 131 ff, 177 ff, 265 ff, 336 ff; ders. Der Fall Hackethal: Strafbare Tötung auf Verlangen? N J W 1986 S. 1635 ff; ders. Täterschaft, Mittäterschaft und Akzessorietät der Teilnahme, ZStW 99 S. 49 ff; ders. Straffreie Beteiligung am Suizid und gerechtfertigte Tötung auf Verlangen, J Z 1988 S. 182 ff; ders. Straffreies Töten bei Eigenverantwortlichkeit des Opfers? NStZ 1989 S. 559 ff; Tb. Hillenkamp Die Bedeutung von Vorsatzkonkretisierungen bei abweichendem Tatverlauf, 1971 ; H. J. Hirsch Einwilligung und Selbstbestimmung, Welzel-Festschrift S. 775 ff; F. HöpfelEinige Fragen der subjektiven Tatseite bei Beteiligung mehrerer, ÖJZ 1982 S. 314 ff; R. Hohmann, P. König Zur Begründung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit in Fällen der aktiven Suizidteilnahme, NStZ 1989 S. 304 ff; G. Jakobs Literaturbericht, ZStW 95 S. 669 ff; Armin Kaufmann Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, 1959; H. Klinkenberg Die Rechtspflicht zum Weiterleben und ihre Grenzen, J R 1978 S. 441 ff; Chr. Kühl Anmerkung zu BGH J R 1988 S. 336 ff, aaO S. 338 ff; W. Küper Versuchsbeginn und Mittäterschaft, 1978; ders. Versuchs- und Rücktrittsprobleme bei mehreren Tatbeteiligten, J Z 1979 S. 775 ff; ders. Zur Problematik der sukzessiven Mittäterschaft, J Z 1981 S. 568 ff; G. Küpper Anspruch und wirkliche Bedeutung des Theorienstreits über die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme, GA 1986 S. 437 ff; W. Langer Das Sonderverbrechen, 1972; M. Maiwald Literaturbericht, ZStW 93 S. 864 ff; J. Möllering Schutz des Lebens — Recht auf Sterben, 1977; U. Neumann Abgrenzung von Teilnahme am Selbstmord und Tötung in mittelbarer Täterschaft, JuS 1985 S. 677 ff; H. Otto Straflose Teilnahme? Lange-Festschrift S. 197 ff; ders. Eigenverantwortliche Selbstschädigung und -gefährdung sowie einverständliche Fremdschädigung und -gefährdung, Tröndle-Festschrift S. 157 ff; H.-H. Paehler Die Abgrenzung von Beihilfe zum Selbstmord und Tötung auf Verlangen, MDR 1964 S. 647 ff; I. Puppe Der objektive Tatbestand der Anstiftung, GA 1984 S. 101 ff; C. Roxin Ein „neues Bild" des Strafrechtssystems, ZStW 83 S. 369 ff; ders. Mittäterschaft im Strafrecht, JA 1979 S. 519 ff; ders. Täterschaft und Tatherrschaft, 5. Auflage 1989; ders. Die Mitwirkung beim Suizid — ein Tötungsdelikt? DreherFestschrift S. 331 ff; ders. Anmerkung zu BGH StV 1985 S. 106 f, aaO S. 278 f; ders. Anmerkung zu BGH StV 1986 S. 384, aaO S. 384 f; ders. Die Sterbehilfe im Spannungsfeld von Suizidteilnahme, erlaubtem Behandlungsabbruch und Tötung auf Verlangen, NStZ 1987 S. 345 ff; H.-J. Rudolphi Zur Tatbestandsbezogenheit des Tatherrschaftsbegriffs bei der Mittäterschaft, Bockelmann-Festschrift S. 369 ff; W. Sax Zur rechtlichen Problematik der Sterbehilfe durch vorzeitigen Abbruch einer Intensivbehandlung, J Z 1975 S. 137 ff; K. Schmoller Grundstrukturen der Beteiligung mehrerer an einer Straftat — die objektive Zurechnung fremden Verhaltens, ÖJZ 1983 614

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S. 337 ff, 379 f f ; G. Simson, F. Geerds Straftaten g e g e n die P e r s o n und Sittlichkeitsdelikte in rechtsvergleichender Sicht, 1969; G. Schilling D e r V e r b r e c h e n s v e r s u c h des Mittäters und des mittelbaren Täters, 1975; ders. Abschied v o m T e i l n a h m e a r g u m e n t bei der Mitwirkung z u r Selbsttötung, JZ 1979 S. 159 f f ; E. Schmidbäuser Selbstmord und Beteiligung am Selbstmord in strafrechtlicher Sicht, W e l z e l - F e s t s c h r i f t S. 801 ff; H.-L. Schreiber Grundfälle z u „error in objecto" und „aberratio ictus", J u S 1985 S. 873 ff; U. Stein D i e strafrechtliche Beteiligungsformenlehre, 1988; G. Timpe A n m e r k u n g zu B G H JZ 1990 S. 96 f, a a O S. 97 f ; O. Triffterer D i e österreichische Beteiligungslehre, 1983; M. KaWdgMii V e r s u c h s b e g i n n des Mittäters bei den H e r r s c h a f t s d e likten, Z S t W 98 S. 839 f f ; H. Wagner Amtsverbrechen, 1975; H. Welzel Studien z u m System des Strafrechts, Z S t W 5 8 S. 491 ff.

A 1. Täter ist immer, wer die Tat selbst begeht, d. h. die Tathandlung vorsätzlich und 37 irrtumsfrei eigenhändig vollzieht und die notwendigen subjektiven und objektiven deliktsspezifischen Täterqualifikationen aufweist. Die Eigenhändigkeit umfaßt das Verhalten, das die TathestandsverwìrWììcìumg unmittelbar, d. h. ohne nachfolgendes Zutun eines anderen Menschen bringt. Beispiel: Vollständig eigenhändig tötet, wer das Opfer, auf das niemand sonst einwirkt, erschlägt oder wer das kranke O p f e r an der Einnahme des lebensrettenden Medikaments gewaltsam hindert; partiell eigenhändig tötet, wer das O p f e r an der Flucht hindert, während es ein anderer erschlägt (Festhalten und Schlag müssen gleichzeitig erfolgen, soll der Erfolg eintreten 9 1 ). Wer nur einem anderen die Keule — auch mit eigener H a n d — hingibt, damit der andere das Opfer erschlage, tötet nicht eigenhändig. Der letzte Beitrag kann auch im Abbruch eines rettenden Verlaufs bestehen (so im angeführten Beispiel der Hinderung, ein Medikament einzunehmen). Ist dieser Verlauf freilich das rettende Handeln eines anderen, so kommt es darauf an, ob dieses Handeln täterschaftlich unterbrochen oder ob nur an einer Unterlassung teilgenommen wird (hierzu unten 29/108 ff). Vor der Tatbestandsverwirklichung gibt es keine Eigenhändigkeit nach § 25 Abs. 1 StGB. Alles Vorbereitungsverhalten wie auch dasjenige Versuchsverhalten, das noch nicht Versuchsbeendigung — oder bei mehraktigen Delikten: Beendigung des ersten Akts — ist, kann auch von nicht eigenhändig den Tatbestand verwirklichenden Beteiligten vollzogen werden und bleibt deshalb für die Eigenhändigkeit der Tatbestandsverwirklichung ohne Aussagekraft. Bei strenger Terminologie gibt es deshalb keine im Sinn des § 25 Abs. 1 eigenhändige Vorbereitung und keinen im Sinn der genannten Vorschrift eigenhändigen unbeendeten Versuch. Diese Beschränkung der Eigenhändigkeit nach § 25 Abs. 1 StGB hat folgende Konsequenz: Wer mit einem geringfügigen Beitrag ein deliktisches Unternehmen vom straffreien Vorbereitungsstadium in das strafbare Versuchsstadium bringt, kann — wegen der Geringfügigkeit — nur Gehilfe sein, da sein Verhalten nicht als eigenhändige Verwirklichung des (Versuchs-)Tatbestands zu verstehen ist. Aber wer den Versuch eigenhändig beendet, begeht auch dann selbst, ist also Täter, wenn sein Beitrag nur geringfügig ist (siehe unten 22/19). 2. Daß bei Eigenhändigkeit ein nachfolgendes Zutun anderer Menschen fehlt, ist als 38 naturalistisches Faktum strafrechtlich nicht per se relevant, sondern nur als — freilich nicht zwingender — Indikator einer Zuständigkeit f ü r das Geschehen 9 1 *: Der eigenhändig Handelnde entscheidet — nicht notwendig überlegen und auch nicht notwendig 91 Siehe RoxinTäterschaftS. 37. 91a Man kann deshalb diejenigen Fälle eines objektiv zurechenbaren Verhaltens, in denen ein nachfolgendes Verhalten schon keine objektiv zurechenbare Tatbestandsverwirklichung mehr be-

wirkt, der unmittelbaren Täterschaft zuschlagen : Der Nachfolgende ist stets unzuständig; so 7W//tererBeteiligungslehre S. 69; SchmollerÖJZ 1983 S. 337 ff, 379 ff, 384.

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unersetzbar — über das O b der Tatbestandsverwirklichung. D a s hat besondere Bedeutung für die Beteiligung an fremder Selbstverletzung: Eigenhändige Selbstverletzung schließt die H a f t u n g von Beteiligten für alle Fälle aus, in denen der sich selbst eigenhändig Verletzende nicht W e r k z e u g im Sinn der mittelbaren T ä t e r s c h a f t ist (eingehend unten 21/56 ff). — Zum Unterlassungsverhalten, das der eigenhändigen Begehung entspricht, siehe unten 29/56. Weist der Selbst-Begehende die erforderlichen Täterqualifikationen nicht auf (siehe oben 21/9), so kann er allenfalls Teilnehmer an der T a t eines anderen Beteiligten sein. Merkmale jenseits des Unrechts müssen nur vorliegen, soweit sie das Delikt typisieren; insbesondere hat die allgemeine Schuldhaftigkeit nichts mit der T ä t e r s c h a f t des unmittelbar Handelnden zu tun. Eine Rechtfertigung der T a t schließt die Täterschaft so wenig aus, wie sie die Tatbestandserfüllung ausschließt (wichtig für Teilnahme, die auch bei gerechtfertigter Haupttat — dann freilich straffreie — Teilnahme bleibt). 39

B. D e r T ä t e r per Selbst-Begehen kann zugleich Mittäter mit einem anderen Beteiligten sein, wenn dieser andere per Gestaltung gleichrangig zuständig ist. Die Ausführungshandlung ist dann zudem T a t des anderen Mittäters (wichtig für den Deliktsversuch). Auch als W e r k z e u g eines mittelbaren T ä t e r s bleibt der Ausführende seinerseits Täter, da er als selbst Begehender nach der Entscheidung des Gesetzes stets voll zuständig ist, m a g der mittelbare Täter auch vorrangig zuständig sein. D a s Werkzeug ist aber nicht Mittäter des mittelbaren T ä t e r s ; dieser vollzieht vielmehr mit der Einwirkung auf das W e r k z e u g eine eigene T a t (gleichfalls wichtig für den Deliktsversuch).

V. Die Tatbestände der Täterschaft bei Herrschaftsdelikten, 2. Fortsetzung: Das gemeinschaftliche Begehen (die Mittäterschaft), § 25 Abs. 2 S t G B Literatur Siehe z u I V

A. Der gemeinsame Tatentschluß 40

1. D a s Straf recht zieht mit der Anerkennung von Mittäterschaft die Konsequenz aus der Möglichkeit von Arbeitsteilung. Mittäterschaft liegt vor, wenn nach dem Plan der Beteiligten die zur Ausführung erforderlichen Leistungen entweder in allen Stadien des Delikts gleichmäßig oder doch zwischen den Stadien so verteilt werden, daß auch nicht an der A u s f ü h r u n g Beteiligte die Gestaltung der Ausführung oder das O b der Ausführung mitbestimmen. Materielle und eventuell auch formelle Tatherrschaft sind also verteilt; das Ergebnis ist eine T a t mehrerer Beteiligter, die alle täterschaftlich für das ganze Werk voll zuständig sind, sofern sie überhaupt Täter sein können, also die deliktsspezifischen Täterqualifikationen aufweisen. Mittäterschaft ist demnach nicht etwa wechselseitige mittelbare T ä t e r s c h a f t 9 2 , denn der mittelbare T ä t e r begeht — so die Differenzierung überhaupt sinnvoll sein soll — jedenfalls nicht nur mit dem Werkzeug eine gemeinsame, sondern zumindest auch eine eigene T a t 9 3 . Die Voraussetzungen der Mittäterschaft sind nach üblicher Formulierung der gemeinsame Tatentschluß und die tatherrschaftliche Mitwirkung bei der Begehung.

92 So die subjektive Theorie; RG 66 S. 236 ff, 240; Baumann-Weber A T § 3613 a.

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ITe/ze/ZStW 58 S. 491 ff, 550.

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2 a) Der gemeinsame Tatentschluß ist das ausdrückliche oder konkludente Einver- 4 1 ständnis zur Verschachtelung einzelner Beiträge zu einer Tat. V o n der Willensübereinstimmung bei der Teilnahme unterscheidet er sich durch seinen Inhalt (er geht auf gleichrangige Beiträge 9 3 a ) und — nach üblicher Lehre — durch seine Gegenseitigkeit (Gemeinsamkeit): Danach muß jeder Beteiligte wissen, daß andere vorsätzlich mitwirken^. Die Bedeutung des letzteren Merkmals ist unklar, wie seine unabdingbare Notwendigkeit zweifelhaft ist. Es verdankt seine Herkunft der älteren subjektiven Theorie, die auf die gegenseitige Abhängigkeit der Deliktsvorsätze mehrerer Beteiligter abstellt. Da dieses Kriterium für die Tatherrschaft unwesentlich ist (auch wer eine T a t nur ausführt, weil und soweit ein anderer es will, ist Tatherr), ist die Bedeutung der Gemeinsamkeit des Tatentschlusses zumindest zu reduzieren. b) Es geht um zwei Fallgruppen :

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aa) Wenn sich ein Delikt aus isolierbaren Abschnitten der Ausführungshandlung aufbaut (etwa Raub aus Nötigung zum Zweck des Gewahrsamsbruchs, dieser wiederum zum Zweck der Gewahrsamsneubegründung; oder Diebstahl beim sukzessiven Diebstahl der Bände einer Bibliothek) und die einzelnen Abschnitte von verschiedenen Personen je allein vollzogen werden, so haften die Beteiligten nur dann für das Ganze täterschaftlich (für den Raub; für den Diebstahl der gesamten Bibliothek), wenn sie sich zum Zweck der Erreichung des Gesamten verbinden 9 4 a . Der gemeinsame Tatentschluß ist hier zur täterschaftlichen Haftung für alles Geschehene notwendig; er definiert den einzelnen Beitrag als Teil des Ganzen. Ungeteilte Tatherrschaft am Teil plus Verabredung der Einpassung des Teils ins Ganze ergibt die Mittäterschaft am Ganzen. Fehlt es am gemeinsamen Tatentschluß, so bleibt es bei der täterschaftlichen Haftung für einen Teil. Soweit mehrere deliktische Handlungen verschiedener Personen ohne Verabredung bei gleicher Gelegenheit vollzogen werden, haftet also jeder täterschaftlich nur für seine Organisation 9 5 . Ebenso bleibt es bei der täterschaftlichen Haftung allein für einen Teil, wenn jemand ohne Verabredung auf der isoliert begangenen Tat eines anderen aufbaut. Beispiel 95 ®: W e r weiß, daß ein anderer das Opfer erschlagen wird, und sich an O r t und Stelle begibt, um das Opfer auch noch auszuplündern, begeht nicht Raub, sondern Unterschlagung, so wie der Täter der Tötung nicht täterschaftlich für das nachfolgende Eigentumsdelikt haftet, auch wenn er bei seiner Tat darum weiß (dies abgesehen von der sowieso mangelnden Absicht, sich zuzueignen). bb) Wenn ein Delikt nur eine einzige Ausführunghandlung erfordert oder wenn bei 4 3 mehreren erforderlichen Handlungen eine einzige Person alle Ausführungshandlungen vollzieht, kann auch ein Beteiligter, von dessen Beiträgen der Ausführende nichts weiß, so intensiv mitwirken, daß er die Gestaltung der Ausführungen nach Ort, Zeit und Modalitäten wesentlich mitbestimmt. Beispiel: Jemand gibt dem Opfer, das im Schlaf erschlagen werden soll, ohne Verabredung mit dem Ausführenden ein Schlafmittel, öffnet zudem dem Täter die Tür, stellt ferner ein geeignetes und dann auch benutztes Tatwerkzeug bereit und verhindert schließlich vor der Ausführung den Hinzutritt Entgegen BGH StV 1985 S. 106 f mit zutreffend kritischer Anmerkung Roxin StV 1985 S. 278 fist es gleichgültig, ob sich die Beteiligten in jedem Stadium als „Partner" (?) ansehen und gegenseitigen Einfluß zulassen. 94 RG 58 S. 279; für die Tatherrschaftslehre siehe Jescheck AT § 63 II; Maurach-Gössel AT II S 49

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Rdn. 43 ff, 47; Stratenwerth AT Rdn. 811 ff; SKSamson § 25 Rdn. 50; für die subjektive Theorie siehe Baumann-Weber AT § 36 I 3 a; ScbönkeSchröder-Cramer% 25 Rdn. 70. 94* BGH StV 1990S. 160 f. 95 BGH 24 S. 286 ff, 288 f. 95a Siehe ferner BGH StV 1985 S. 12 ff und S. 145.

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störender dritter Personen. Alleintäterschaft (Nebentäterschaft) des Beteiligten scheitert am Fehlen der eigenhändigen Ausführungshandlung, mittelbare Täterschaft am Fehlen der Unterlegenheit des Ausführenden, Mittäterschaft schließlich nach überwiegender Lehre am Fehlen des gemeinsamen Plans, so daß nur Beihilfe bleiben soll 9 6 , — eine zumindest zweifelhafte Entscheidung. Es dürfte deshalb richtiger sein, statt eines gemeinsamen Tatentschlusses im Sinn einer stets gegenseitigen Abrede in diesen Fällen einen Einpassungsentschluß genügen zu lassen, mit dem der nicht unmittelbar ausführende, aber gestaltend mitwirkende Beteiligte seinen Beitrag mit dem Tun des Ausführenden verbindet. Weiß der Ausführende von diesem Beitrag nichts, so ist ihm dessen deliktisches Gewicht nicht zuzurechnen; das ergibt sich aus allgemeinen Regeln. 44

c) Der gemeinsame Tatentschluß im beschriebenen, auf einen Einpassungsentschluß reduzierten Sinn muß nicht frei von Zwang oder Irrtum zustande kommen. Insbesondere ist ohne Bedeutung, ob der sich am Entschluß Beteiligende geneigt ist, sich die Beiträge der anderen zu eigen zu machen oder gar „zurechnen zu lassen". Die Zuständigkeit ist Konsequenz der Einpassung und von einem Willen zur Zuständigkeit unabhängig. Etwa innerhalb einer Bande dürfte der gemeinsame Tatentschluß häufig durch List oder Zwang bewirkt werden ; Beispiel : Dem Ganoven wird erklärt, wenn er bei der nächsten Tat nicht wieder mitmache, werde man ihn verpfeifen.

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d aa) Es ist erforderlich, aber auch genügend, daß der Vorsatz und der Einpassungsentschluß bei der Leistung des eigenen Tatbeitrags vorliegen; wird der Vorsatz vor der Ausführungshandlung preisgegeben, die ein anderer vollzieht, so hindert das die Mittäterschaft nicht, wenn der Beitrag effektiv bleibt 97 . bb) Die H a f t u n g wird durch den Vorsatz limitiert und durch andere höchstpersönliche subjektive Deliktsmerkmale (unten 23/16 ff) begrenzt 9 7 3 . Für den Exzeß eines Beteiligten, d. h. f ü r eine Handlung, die nicht vorausgesehen und deshalb weder verabredet ist noch durch einen Einpassungsentschluß gedeckt wird, ist mangels Vorsatz nicht mittäterschaftlich (oder teilnehmend) zu haften, § 16 Abs. 1 StGB 9 8 . — Konkretere Kenntnisse, als allgemein zum Vorsatz ausreichen, sind auch hier nicht erforderlich 9 9 . — Wenn ein Beteiligter mit bestimmten Handlungen des anderen in einer Vorsatz begründenden Weise gerechnet hat, kommt es zur Haftung zudem noch darauf an, ob neben dem Einpassungsentschluß eine zur Mittäterschaft hinreichende Mitgestaltung vorliegt. Werden nur verabredete Handlungen vollzogen, verknüpfen aber die Beteiligten mit diesen Handlungen unterschiedliche Erfolgsvorstellungen, so geht es um mittelbare Täterschaft, wenn der Beteiligte mit überlegenem (weitergehendem) Wissen die Unterlegenheit des anderen Beteiligten kennt (unten 21/72,74). Hält er den anderen nicht für 96 So B G H 6 S. 248 ff, wo freilich von einer gestaltenden Mitwirkung am Gewahrsamsbruch nicht die Rede sein konnte; für mittelbare Täterschaft Roxin Täterschaft S. 286; je nach Fallgestaltung — beide handeln eigenhändig — kann schon die Handlungsherrschaftgeteiltsein. Gegen das Hinreichen eines Einpassungsentschlusses MaurachGössel AT II § 49 Rdn. 56; siehe zum Problem auch Stratenwerth AT Rdn. 814 ff. 97 Α. A. O L G Köln JR 1980 S. 422 f mit zutreffend ablehnender Anmerkung Beulke aaO S. 423 ff. 97a BGH 36 S. 231 ff, 232 ff (Mittäterschaft von Mörder und Totschläger) mit Anmerkungen Timpe JZ 1990 S. 97 und Beulke NStZ 1990 S. 278 f.

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98 Unstreitig und ständige Rechtsprechung; RG 44 S. 321 ff, 324; B G H GA 1968 S. 121 ; BGH N J W 1973 S. 377 f; B G H GA 1985 S. 233 (auch keine Haftung, wenn der Mittäter mit dem geschehenen Exzeß einverstanden ist, sobald er ihn bemerkt). 99 RG 57 S. 307 ff, 308; 59 S. 245 ff, 246 f; 59 S. 389 ff, 390; 67 S. 367 ff, 369 f; BGH GA 1968 S. 18; BGH bei Holtz MDR 1985 S. 445 ff, 446: Konkretisierungen (gefährliche Körperverletzung mit einem Knüppel), die den Rahmen des gemeinsamen Entschlusses (Raub unter Mitnahme eines Knüppels) nicht sprengen, sind kein Exzeß.

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unterlegen, so irrt er über seine Beteiligtenrolle (unten 24/4). Macht er sich keine Gedanken oder zählt ihm alles gleich, so reduziert sich das Gemeinsame auf den Handlungsvollzug; dieser ist ihm dann nach den Regeln der Mittäterschaft als Teil seines Deliktsplans zuzurechnen. Beispiel" 3 : Zwei Personen ermöglichen es einer dritten Person in Mittäterschaft begründender Weise, daß diese ein Objekt aus einem Fenster wirft. Die erste Person nimmt an, ein Passant werde tödlich getroffen werden (Totschlag); die zweite Person geht von einer Zerstörung des Objekts aus (Sachbeschädigung, eventuell fahrlässige Tötung); der Werfende denkt an nichts (eventuell fahrlässige Tötung) (siehe auch unten 21/112). cc) Ein error in persona vel objecto eines Ausführenden ist ein Exzeß, wenn der Ausführende bei vollem Bemühen um Beachtung der verabredeten Kriterien in der gegebenen Lage nicht gehandelt hätte, so daß es zu der vollzogenen H a n d l u n g nur kommt, weil er auf eigene Faust das Tatobjekt individualisiert. Hält sich jedoch der ausführende Täter nach bestem Vermögen an das verabredete Programm, so ist seine Ausführungshandlung den Beteiligten zuzurechnen, und zwar — Mitgestaltung dieser Ausführungshandlung vorausgesetzt — täterschaftlich 1 0 0 . Beispiel 1 0 1 : Sämtlich bewaffnete Mittäter eines Diebstahls wollen bei der Flucht auf eventuelle Verfolger mit Tötungsvorsatz schießen; einer hält irrtümlich einen mitfliehenden Komplizen f ü r einen Verfolger und schießt auf ihn; — es liegt kein Exzeß vor, so daß auch das ausersehene O p f e r Mittäter des Versuchs der T ö t u n g ist, wenn eine hinreichende Mitgestaltung der Ausführungshandlung vorliegt 1 0 2 . e) Bei erfolgsqualifizierten Delikten ist Mittäterschaft insoweit möglich, als allseitig 46 Vorsatz gegeben ist, also mindestens bei dem vorsätzlichen Grunddelikt. Im Bereich der — f ü r jeden einzelnen Beteiligten gesondert zu ermittelnden — Fahrlässigkeit hinsichtlich der besonderen Folgen differenziert das positive Recht nicht nach Beteiligungsformen (siehe unten 21/111 ff und 22/29).

99a

Siehe auch B G H bei Holtz M D R 1986 S. 795, zu §§ 212,226 StGB. 100 w i e hier Küper Versuchsbeginn S. 37 ff; — Zurechnung nach diesen Maximen auch im bekannten Fall Rose (im error in persona Ausführender) — Rosahl (nicht ausführend Beteiligter), GA 7 (1859) S. 322 ff. — Die Literatur nimmt teils undifferenziert Zurechnung an ; Jescheck AT § 63 I 2; Maurach-Gössel A T II § 4 9 Rdn. 100, jeweils mit Nachweisen ; Welzel Straf recht § 15 IV 1 ; siehe auch Puppe GA 1984 S. 101 ff, 120 f; teils entscheidet sie ebenso undifferenziert, Zurechnung sei ausgeschlossen; Roxin Täterschaft S. 286 f ; LK-Roxin § 25 Rdn. 124 mit Nachweisen; Herzberg Täterschaft S. 63; Schreiber JuS 1985 S. 873 ff, 877. — Roxin argumentiert, werde die Tat auch noch am „richtigen" Opfer vollzogen, so könne der Mittäter nicht f ü r zwei Taten haften (so schon Binding Normen Bd. III S. 213 f mit Fn. 8 und 9). — Er haftet auch nur für die erste T a t ; an der zweiten T a t ist er nicht mehr beteiligt, falls nicht ausnahmsweise ein Weitermachen bis zur Zweckerreichung vereinbart wurde; denn wenn der Ausführende den beim ersten Zu-

griff nicht erreichten Deliktszweck von sich aus durch eine neue T a t zu erreichen sucht, geht dies die anderen mangels Beteiligung an dieser neuen T a t nichts an. Beispiel: Der gemäß der Vereinbarung mit den anderen Beteiligten vom Ausführenden Überfallene Bankbote hat überraschend n u r eine geringe Menge Geld bei sich; der Ausführende überfällt deshalb von sich aus zur „Ergänzung" den nächsten Geldbriefträger. — Welcher Zweck bei der ersten T a t verfehlt w u r d e ist gleichgültig, solange der Zweck keine Rückwirkungen auf das Unrecht hat. An einer solchen Rückwirkung fehlt es jedenfalls beim error in persona vel objecto. — Im Ergebnis differenzierend Hillenkamp Vorsatzkonkretisierungen S. 76 ff, 102 f, 126; danach soll die Verwechslung durch einen Mittäter für die anderen stets eine aberratio ictus sein, diese aber führe bei nicht höchstpersönlichen Rechtsgütern zur Vollendung; hiergegen siehe oben 8/80. 101 B G H 11 S. 268 ff. 102 Gut begründete Zweifel hieran bei Schmidhäuser A T 14/19.

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B. Die objektive Seite des gemeinsamen Begehens 1. Die Bestimmung der anteiligen Herrschaft 47 a aa) Objektiv ist gemeinsame Begehung erforderlich. Die richtige Interpretation des Moments hängt von der Erkenntnis ab, daß als Begehen in § 25 Abs. 2 StGB nicht die unmittelbare (eigenhändige) Ausführung zu verstehen ist: Sonst wäre in der Vorschrift die formell-objektive Theorie festgeschrieben, und diese Theorie ist nicht nur unpraktisch (bei unteilbaren Ausführungshandlungen — ein tödlicher Schuß, ein Wegnahmegriff beim Diebstahl, ein Schriftzug bei der Urkundenfälschung etc. — entfiele die Möglichkeit von Mittäterschaft), sondern sie ist — wie schon dargelegt wurde (oben 21/25) — nicht konsequent: Bei geteilter Ausführungshandlung läßt sich die täterschaftliche Zurechnung des nicht eigenhändig vollzogenen Teils der Ausführungshandlung nicht begründen. — Ist aber das formelle Moment nicht zur Täterschaft notwendig, so entfällt auch die Berechtigung, zur Mittäterschaft zwingend eine Nähe zum formellen Moment, also eine Tatbeteiligung im Ausführungsstadium, zu fordern (gemeint ist: nach Versuchsbeginn 103 ); denn das Maß und die Intensität der Gestaltung eines nicht eigenhändig begangenen Delikts sind vom Zeitpunkt der Beeinflussung unabhängig, und auch der Einfluß auf das mit der ungezwungenen Eigenhändigkeit verbundene materielle Moment, auf die Entscheidung über das Ob der Tat, wird durch einen Beitrag nach Versuchsbeginn weder zwingend verdichtet noch ohne einen solchen Beitrag ausgeschlossen. Der Beitrag kann also auch im Vorbereitungsstadium geleistet werden 1 0 4 . Die lobende Zurechnung gibt ein Indiz für diese Lösung; denn bei dieser Zurechnung ist es selbstverständlich, daß es auf eine Mitwirkung bei der Ausführung nicht ankommt. Wer spräche dem Autor eines Theaterstücks den mindestens gleichen Rang am Erfolg einer Aufführung bloß deshalb ab, weil er bei der Aufführung nicht anwesend ist? 48

bb) Wenn eine Beteiligung an der formellen Tatherrschaft (Eigenhändigkeit) fehlt, so fehlt im Bereich der Mittäterschaft immer auch die Entscheidungsherrschaft; denn über das Ob der Tat befindet dann der nicht unterlegene Ausführende 1 0 5 . Daß der Ausführung vorgehende Beiträge die Tat erst ermöglicht haben mögen, bringt keine Entscheidungsherrschaft. Das zeigt sich am Anstifter und am notwendigen Gehilfen, die beide die Tat ermöglichen und trotzdem Prototypen von Teilnehmern sind. Eine freilich nachgeordnete Teilhabe an der Entscheidungsherrschaft ergibt sich jedoch, wenn ein Beteiligter durch Versprechungen oder Repressalien o. ä. die Motivation des Ausführenden hin zur Ausführung lenkt, ohne daß die Beeinflussung das zur mittelbaren Täterschaft notwendige Maß erreicht. Diese Teilhabe kann bei der Mittäterschaft berücksichtigt werden, aber trotzdem ist der nicht Ausführende an der materiellen Herrschaft in Form der Entscheidungsherrschaft schwächer beteiligt als der AusfühSo aber eine in der Literatur vordringende Lehre; Gallas Materialien Bd. I S. 121 ff, 137; Rudolphi Bockelmann-Festschrift S. 369 ff, 372 f; Roxin Täterschaft S. 292 ff, 647 f; Bloy Beteiligungsform S. 200; LK-Roxin § 25 Rdn. 127 ff; Herzberg Täterschaft S. 64 ff; den. ZStW 99 S. 49 ff, 58; SK-Samson §25 Rdn. 47; einschränkend Stratenwerth AT Rdn. 824: Nicht die Leistung, sondern die Wirkung im Ausführungsstadium soll entscheiden, — aber jeder kausale Beitrag wirkt bei der Ausführung. — Zur hiesigen Ansicht KiipperGK 1986 S. 437 ff, 444 f mit Nachweisen. 104 Maurach-Gössel AT II 5 49 Rdn. 29; Wessels AT § 13 III 2; Scbmidhduser AT 14/22; Beulke JR

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1980 S. 423 ff, 424 und — freilich von der subjektiven Theorie ausgehend und deshalb ohne Blick auf die Gestaltungskraft des Beitrags — RG 14 S. 28 ff, 29; 54 S. 152 ff, 153; 56 S. 329 f; 63 S. 101 ff, 102; 64 S. 273 ff, 274; 66 S. 236 ff, 240; 67 S. 392 ff; 71 S. 24 f; B G H 11 S. 268 ff, 271 ; B G H N J W 1985 S. 1035 f (mit dem verfehlten Zusatz, das „weitere Geschehen" dürfe dem Einfluß des zuerst Handelnden nicht entzogen sein) ; ständige Rechtsprechung. 105 Das übersehen Bockelmann- Volk AT § 23 II 4 a ; Bockelmann Verhältnis S. 50; Rudolphi Bockelmann-Festschrift S. 369 ff, 370.

Täterschaft

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rende; dieses Minus kann aber durch ein Plus bei der materiellen Herrschaft in Form der Gestaltungsherrschaft, die bei der Vorbereitung ausgeübt wird, ausgeglichen werden 1 0 5 3 . Selbst ohne jede Teilhabe an der Entscheidungsherrschaft ist Mittäterschaft durch Gestaltung oder zumindest Mitgestaltung möglich. b aa) Gestaltung der Tat ist die Festlegung des tatbestandsverwirklichenden Gesche- 4 9 hens in seinem konkreten Verlauf, wie es sich von der Ausführungshandlung bis zur Vollendung (oder bis zu seinem Scheitern, beim Versuch) vollzieht. Gestaltungen sind also die Festlegung des Täters, des Tatobjekts, des Maßes seiner Verletzung, des Mittels (auch bei schlichten Erfolgsdelikten ist das in concreto verwendete Mittel tatbestandlich verboten) und eventuell anderer Umstände, die zum konkreten tatbestandsverwirklichenden Geschehen gehören. Die Festlegung kann während des gesamten Vorbereitungs- und Versuchsstadiums bis hin zum Vollzug der Ausführungshandlung erfolgen; im Grenzfall stellt der Ausführende nur noch die fertig beschickte „Deliktsmaschinerie" an. Ob die Leistung ersetzbar ist, insbesondere der Ausführende auch auf sie hätte verzichten können, weil er das Delikt ganz aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe anderer hätte bewerkstelligen können, ist so gleichgültig, wie bei der Alleintäterschaft gleichgültig ist, ob an der Stelle des Täters ein anderer hätte handeln können (der erste Passant unterschlägt die Fundsache, der zweite hätte sie auch unterschlagen). Zur Mittäterschaft braucht diese Gestaltung nicht von einem Beteiligten voll und ganz festgelegt zu werden; mehrere können, insbesondere auch unter Einschluß des ausführenden Mittäters, gemeinsam gestalten, indem sie gleichermaßen die Tat fixierende Beiträge leisten (wie auch bei der Entscheidungsherrschaft gleichmäßige Teilhabe hinreicht: Mehrere Diebe, die zusammen ein schweres Objekt wegtragen, sind alle schon per Entscheidungsherrschaft Mittäter). Je mehr Personen sich beteiligen, um so geringer kann absolut gerechnet der mittäterschaftliche Beitrag werden und doch noch als relativ gleichermaßen gestaltend ausreichen: Das ist die strafrechtsdogmatische Konsequenz der anonymisierenden Wirkung von Arbeitsteilung. Erforderlich ist aber stets ein Beitrag vom Maß der anderen Beiträge; denn irgend etwas an den Modalitäten bestimmt jeder, der für ein Delikt kausal wird, also auch ein bloßer Teilnehmer. So ist die Hingabe der Mordwaffe durch einen Beteiligten für sich Beihilfe; hat der Beteiligte dem Täter aber auch noch das Opfer zugeführt, so kann der Beteiligte sich nicht mehr davon lösen, daß auch er der Tat ihre Gestalt gegeben hat. bb) Es geht dabei stets um die Gestalt der tatbestandsverwirklichenden Ausfüh- 50 rungshandlung, nicht um die einer vorrechtlichen, eventuell kriminologisch eingefärbten Tat. Die Leistungen aller Beteiligten sind also zur Tatherrschaftsbestimmung nur über ihren Niederschlag in der Ausführungshandlung bedeutsam, um deren Zurechnung es geht. Zahl und Art der tauglichen Leistungen sind dabei so unbegrenzt, wie die Modalitäten menschlichen Zusammenwirkens unbegrenzt sind. Bezogen auf die Offenheit der die Gestalt bestimmenden Konkreta mag man die Tatherrschaft als offenen Begriff bezeichnen 1 0 6 , bezogen auf die Notwendigkeit einer Aufdeckung der gesamten psychischen und physischen Mitwirkung von einer „Ganzheit" sprechen 1 0 7 ; wichtig ist allein, daß die einzelne Leistung nicht nach Kraft, Intensität etc. per se, sondern nach 105a

Dagegen Roxin Tatherrschaft S. 647 f mit folgenden Argumenten: (1) Was zur mittelbaren T ä terschaft zu schwach sei, dürfe nicht „auf dem Umweg über die Mittäterschaft" hinaufgestuft werden. — Das ist nur richtig, wenn nicht während des Wegs Stärkendes hinzukommt: Gestal-

tungsherrschaft. — (2) Was als Plus hinzukommen müsse, sei vage. — Das ist richtig: so vage, wie alle Gestaltungsherrschaft nun einmal ist. »06 ÄoxinTäterschaft S. 1 2 2 ff. 107 SchmidhäuserAT 14/156 f.

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dem Einfluß auf die Gestalt der tatbestandsverwirklichenden Ausführungshandlung zu messen ist. Insoweit ist der Tatherrschaftsbegriff trotz aller Maßprobleme geschlossen: N u r das die tatbestandsverwirklichende Ausführung Gestaltende ist relevant 1 0 8 , und zwar, weil nur dadurch die Zuständigkeit für das deliktische Ergebnis indiziert wird. 51

cc) In der Literatur wird teilweise ein „wesentlicher" oder „erheblicher" Beitrag gefordert 1 0 9 , teils auch dahin formuliert, daß der Beitrag eine „unerläßliche Voraussetzung f ü r die Verwirklichung des . . . Erfolges" bilden müsse 1 1 0 . Das bringt einen problematischen Rückgang zur alten materiell-objektiven Theorie: Der notwendige Gehilfe wird zumindest bei Leistung der Beihilfe nach Versuchsbeginn 1 1 1 zum Mittäter. N u n ist nicht zu leugnen, daß ein Beitrag, je mehr er der Ausführungshandlung angenähert ist, Gestaltungskraft gewinnen kann, da die schon geleisteten Beiträge als fait accompli vorliegen und eine gleichmäßige Teilhabe an der restlichen Gestaltung durch geringe Leistungen möglich ist. Trotzdem bleibt der Beitrag in seiner Gestaltungskraft schwach, wenn das Spezifikum seiner Wirksamkeit nicht gerade im späten Zeitpunkt seiner Leistung liegt. Beispielhaft: Es ist gleichgültig, wann dem Brandstifter, der einen komplizierten, installierten Brandsatz anzünden will, Streichhölzer zugesteckt werden, ob lange vor der Tat, auf dem Weg zum Tatort oder kurz vor dem Inbrandsetzen. Es dürfte deshalb angebracht sein, die Erheblichkeit nicht auf das Gelingen der Tat, sondern auf die Beeinflussung ihres „Aussehens" zu beziehen. Nicht alles Notwendige ist erheblich, sondern nur, wenn es die T a t prägt. Das Prägende aber kann möglicherweise ersetzbar sein; denn die Hypothese einer Gestaltung durch einen anderen hindert die Faktizität der realen Gestaltung nicht. O b Mitgestaltung einer T a t vorliegt, ist nicht nur eine Frage des Wollens (Planens), sondern auch des Vollbringens. Die plangemäß gestaltende Stellung eines Beteiligten, die sich auf Grund geänderter Bedingungen nicht in gestaltenden Beiträgen auswirkt, führt nicht zur Mittäterschaft. Zwar kann schon die Verwirklichung eines Teils der geplanten Beiträge zur gleichmäßigen Mitgestaltung f ü h r e n ; wer jedoch ohne vollzogene Gestaltung f ü r eine kommende, mitgestaltende Aktion in Reserve steht, wird zum Mittäter nur, wenn es zur Reserveaktion k o m m t 1 1 2 oder wenn doch zur Reserveaktion unmittelbar angesetzt wird (dann mittäterschaftlicher Versuch) ; ansonsten bleibt es mittäterschaftlich bei einer Vorbereitung. Wer also — ohne sonstige Beiträge — bei einem Gelddiebstahl bereitsteht, den Safe zu sprengen, falls der Nachschlüssel versagt, ist nicht Mittäter der Vollendung, wenn schon der Nachschlüssel zum Erfolg führt. Seine Bereitschaft als notwendige Bedingung bleibt — mangels verwirklichter Gestaltungsherrschaft — Beihilfe oder — wenn zu der Tatversion angesetzt wird, für die der Beteiligte vorgesehen war — Versuch der Mittäterschaft. — Wer am T a t o r t anwesend ist und die Ausführenden in ihrer Planung bestärkt, ist nicht allein deshalb Mittäter 1 1 2 a , sondern nur, wenn die Bestärkung notwendig ist (sonst nur versuchte Anstiftung oder versuchte psychische Beihilfe) und die Tatgestalt mit formt. 2. Problematische Fallgruppen

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a) Der Mittäter muß also die Gestalt (mit-)bestimmen, d. h. bis auf die Ausführungshandlung (mit-)schaffen. Ein bloßer Rat oder ein bloßer Vorschlag bestimmen die 108 Teilweise sehr ähnlich Schmidbauer AT 14/156 f und 14/22, dort insbesondere Fn. 16; kritisch hierzu Roxin ZStW 83 S. 369 ff, 394 f. 109 LK-Roxin § 2 5 Rdn. 131; SK-Samson §25 Rdn. 47; Stratenwerth A T Rdn. 823 f; Herzberg Täterschaft S. 66.

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HO RoxinTäterschaft S. 280. m Siehe LK-Roxin$ 25 Rdn. 131. 112 Β toy Beteiligungsform S. 266; abweichend wohl Roxin Täterschaft S. 283, 649 f; LK-Roxin § 25 Rdn. 131. u 2 a A. A. B G H GA 1986 S. 229 f.

Täterschaft

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Gestalt in der Regel nicht 1 1 2 b , sondern erst deren Durchführung (der Rat, wie das Mordopfer zum Tatort gelockt werden kann, ist weniger, als es dorthin zu locken). Der Ratgeber freilich, der die Tätigkeiten verschiedener Beteiligter aufeinander abstimmt, das Tatobjekt aussucht etc., ist Mittäter; denn auch die geistigen Leistungen gehören zum deliktischen Geschehen, und auch mit diesen Leistungen läßt sich das zur Mitgestaltung erforderliche Maß füllen. Mittäter ist somit insbesondere der Bandenchef, der die Tatobjekte und die Angriffsart bestimmt, auch wenn er bei der Ausführung nicht beteiligt ist (sehr streitig; Nachweise wie oben Fn. 103). Im Stachinskij-Fall 113 ist also der „Drahtzieher" (Scheljepin) Mittäter der Mordtat. Bei den organisierten Judentötungen der NS-Zeit sind die nicht selbst ausführenden Koordinatoren per Bestimmung des Opfers und des Taterfolgs, weitgehend auch des Tatmittels, Mittäter (siehe auch unten 21/103). Mittäter ist demnach ζ. B. auch, wer beim Betrug den täuschenden Brief schreibt, bei der Brandstiftung den Brandsatz installiert, wer bei der Urkundenfälschung die Paßformulare und den Behördenstempel liefert, bei der Geldfälschung die Druckmaschine so herrichtet, daß sie nur noch angestellt werden muß, auch wenn er jeweils die Ausführungshandlung durch diese Art nur vorbereitet, nicht aber vollzieht. b) Die Mitbestimmung der Tatgestalt kann bei einem mehraktigen Delikt auch durch 53 die alleinige Bestimmung eines eigenhändig vollzogenen Akts zustande kommen; Beispiele: Wer das Opfer niederschlägt, das andere plangemäß ausplündern, ist schon wegen dieses eigenhändigen Verhaltens Mittäter des Raubs (Zueignungsabsicht vorausgesetzt) ; zudem hat er durch das Niederschlagen auch die Objekte der Wegnahme und das Wegnahmemittel (mit-)gestaltet. Wer nach einer Gewaltanwendung durch andere nur wegnimmt, ist durch die Beherrschung der Wegnahme plus die verabredete Einpassung Mittäter des Raubs, auch wenn er die Gewaltanwendung bei deren isolierter Betrachtung nur wie ein Teilnehmer gefördert hat; die Mitgestaltung der gesamten Tat im Maß der Mitgestaltung durch die anderen Beteiligten reicht aus. c) Schwierigkeiten bereiten die Fälle, in denen Beteiligte bestimmte Modalitäten im 54 Zusammenhang mit der Tatausführung gestalten und die Tat dadurch erst ermöglichen, wobei diese Modalitäten aber von der tatbestandlich beschriebenen Tatausführung unabhängig sind. So bestimmen der Schmieresteher oder der Fluchtgehilfe schon durch den Ort ihrer Tätigkeit das Tatobjekt mit. Auf Art und Maß des Angriffs besteht aber allein per Tatortsicherung oder Ermöglichung der Flucht kein gestaltender Einfluß. Solche Aktionen führen deshalb nur bei sehr breiter Arbeitsteilung zur Mittäterschaft (siehe oben zur Relativität des zur Mittäterschaft hinreichenden Beitrags 21/49). In der Regel sind diese Akteure, wenn nicht weitere Beiträge hinzukommen, Teilnehmer 114 . d) Schwierig ist ferner die Entscheidung in den Fällen, in denen eine große Anzahl 55 Beteiligter zu parallelen Aktionen zwecks Herbeiführung eines einzigen deliktischen Erfolgs zusammentrifft, letztlich aber nicht alle Beteiligten durch ihre Ausführungshandlungen für den Erfolg ursächlich werden: Dutzend Personen werfen Brandfakkeln auf ein Hausdach, schießen mit Tötungsvorsatz auf ein Opfer, werfen mit Steinen auf einen Polizisten oder gegen eine Schaufensterscheibe o. ä., wobei jeweils nur einer durch seine Aktion den Erfolg bewirkt. An der Vmwcfotäterschaft aller Ausführenden per Handlungs- und Entscheidungsherrschaft ist zwar nicht zu zweifeln. Die Zurechnung der Vollendung setzt aber Mitgestaltung der erfolgreichen Ausführungshandlung voraus. Mitträger der Gestaltungsherrschaft ist der Kern der Bande, der als kollektives 112b

Selbst Anstiftung ist in der Regel nicht (zugleich) Mittäterschaft; BGH StV 1988 S. 205 f; Roxin StV 1986 S. 384 f gegen BGH aaOS. 384.

113 BGH 18 S. 87 ff. 114 Streitig, wie hier SK-Samson § 25 Rdn. 47; anders LK-Roxin § 25 Rdn. 133.

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Leitorgan, gleichsam als kollektiver Bandenchef, wirkt oder sonst das Objekt oder das Maß seiner Verletzung (etwa durch die Bewaffnung des Haufens) mitbestimmt. Hierbei ist bedeutungslos, ob diese Personen bei der Tat anwesend sind und mitmachen. Mittäter können auch Beteiligte sein, die durch koordinierte Mitgestaltung die Aktion beeinflussen, selbst wenn bei ihrem Ausscheiden ein anderer an ihre Stelle getreten wäre: Sie haben real gestaltet. Hätte jedoch — bei einer hinreichend großen Zahl Mitwirkender — das Ausscheiden eines einzelnen Beteiligten am real ablaufenden schädigenden Verlauf allenfalls Begleitumstände (oben 7/14 f) geändert, so ist dessen Mitwirkung überflüssig; denn eine komplette Organisation läßt sich nicht weiter komplettieren; eine Mitgestaltung hat dann nicht stattgefunden. Daß dies gegebenenfalls für alle Beteiligten alternativ gilt, insbesondere bei unklarer Beweislage, ist eine Konsequenz der £r/o/gidelikte : Diese Delikte kennen keine Haftung per Bandenzugehörigkeit, sondern die einzelnen Beiträge können nur über die Erfolgskausalität verbunden werden. Ansonsten bleibt es bei Parallelaktionen; mehrfach dasselbe ergibt somit nicht zwingend etwas Gemeinsames 1 1 5 . — Soweit Mittäterschaft bei Fällen dieser Art in Frage kommt, dürfte die Feststellung im Prozeß oft an Beweisschwierigkeiten scheitern. Das ist jedoch kein Grund, Erfolgsdelikte mit Hilfe der Täterschaftsdogmatik in Delikte zu verbiegen, deren Unrecht durch Bandenbildung bestimmt wird. — Für kleinere Gruppen von Beteiligten gilt dasselbe, nur dürfte praktisch der gegenseitig bestimmende Einfluß auf die Aktionen der anderen das zur Mitgestaltung nötige Maß häufiger erreichen, wenn es auf jeden Beteiligten und sein koordiniertes Reagieren ankommt. 55a

e) Die Zurechnung alternativ wirksamer Tatbeiträge durch verschiedene Personen folgt allgemeinen Regeln : N u r wer den Beitrag des anderen mindestens gleichmäßig mitgestaltet (oder den anderen als sein Werkzeug beherrscht), haftet täterschaftlich für beide Varianten 1 1 6 . Beispiel: Zwei Wilderer haben gemeinsam erkundet, in welcher Nacht man am besten gefahrlos einen Bock abschießen kann (§ 292 StGB) ; einer versucht sein Glück an einer bestimmten Stelle, der andere ist ein paar Kilometer entfernt erfolgreich; — jeweils nur Teilnahme an der Tat des anderen. — Haben die Beteiligten aber gemeinsam ihre Waffen eingestellt, die Standplätze ausgesucht etc., sind sie Mittäter der (versuchten) Tat des anderen. 3. Die täterschaftliche Beteiligung an einer Selbstverletzung

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a) Wenn eine Selbstverletzung nicht per se, sondern wegen eines Interesses anderer Personen an der Integrität des sich Verletzenden Unrecht ist, gelten die allgemeinen Regeln; so verhält es sich etwa bei der Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung nach § 109 StGB: Die Tat wird nicht aus Fürsorge für die Güter des Wehrpflichtigen, sondern aus Interesse an dessen Dienstleistung verboten. In solchen Fällen ist Mittäterschaft insbesondere auch dann möglich, wenn der (unter anderem auch) sich selbst Verletzende die Entscheidungsherrschaft und der Beteiligte die Gestaltungsherrschaft innehat. Die allgemeinen Regeln gelten weiterhin, soweit ein sich selbst Verletzender immerhin Täter eines Versuchs sein kann, seil, beim Angriff auf vermeintlich fremde, wirklich aber eigene Güter. Beispiel: Der vermeintlich enterbte Sohn zerstört zusammen mit einem Freund nach dem Erbfall aus Wut einen Gegenstand aus der Erbmasse, aber er 115 Stein Beteiligungsformenlehre S. 327; a. A. mit unterschiedlichen Begründungen Roxin Täterschaft S. 648 ff; ders. JA 1979 S. 519 ff, 524; Herzberg Täterschaft S. 58; den. ZStW 99 S. 49 ff, 55 f; Bloy Beteiligungsform S. 372 ff (unter Verwechslung des Tatbestands des Tot-

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schlags oder der Sachbeschädigung mit vermeintlieh vorhandenen Tatbeständen der Verschwörung oder Attentatsdurchführung). 116 Streitig; siehe Roxin Täterschaft S. 650; Rudolpbi Bockelmann-Festschrift S. 369 ff, 379 ff; Bloy Beteiligungsform S. 377 ff.

Täterschaft

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ist in Wirklichkeit Alleinerbe; — f ü r den Sohn versuchte, f ü r den Freund vollendete Sachbeschädigung in Mittäterschaft. b) Besondere Regeln sind jedoch für diejenigen Fälle zu entwickeln, in denen die 57 Beteiligung des Opfers nicht die Wirkung einer Einwilligung hat (siehe §§216, 226 a StGB), obgleich das Opfer, vollzöge es die T a t allein, d a f ü r nicht strafrechtlich haften würde. So verhält es sich insbesondere bei Körperverletzungs- und Tötungsdelikten. An dieser Stelle geht es nur um Beteiligungen mittäterschaftlicher Gestalt; da die Mittäterschaft freilich die stärkstmögliche akzessorische Beteiligungsform darstellt, sind die Regeln insoweit auch f ü r andere akzessorische Beteiligungen (Anstiftung und Beihilfe) maßgeblich, als Anstiftung und Beihilfe zur Selbstverletzung straffrei bleiben müssen, wenn selbst Mittäterschaft straffrei wäre (unten 22/11). c) Der Inhalt der zu entwickelnden Regeln hängt davon ab, welchen G r u n d die 58 Straffreiheit des sich selbst Verletzenden in denjenigen Fällen hat, in denen seine Einwilligung in eine Fremdverletzung unwirksam oder nur beschränkt wirksam wäre. Hierzu werden sehr verschiedene Deutungen vorgeschlagen. aa) Die Straffreiheit wird damit begründet, Strafe gegen das sich selbst verletzende O p f e r sei aus Gründen in der Person des Opfers unangebracht, aber seine T a t sei doch tatbestandliches Unrecht 1 1 7 . „Wer einen Menschen tötet" in §212 StGB wäre dann nicht als „wer einen anderen Menschen tötet" zu lesen, sondern als „wer sich oder einen anderen Menschen tötet". Bei dieser Interpretation bleibt jede akzessorische Beteiligung an der vom Opfer eigenhändig vollzogenen Selbstverletzung möglich. — Der Lösung ist freilich nicht zuzustimmen, da das Unrecht einer Selbstverletzung (mangels Unterwerfung einer Person) nicht mit dem Unrecht eines Totschlags und mangels Verletzung des Tabus einer Fremdverletzung auch nicht mit demjenigen einer T ö t u n g auf Verlangen (§216 StGB) gleichgesetzt werden kann. bb) Teils wird die Straffreiheit der in Rede stehenden Selbstverletzung damit begründet, der sich selbst Verletzende sei als Täter tatbestandlich ausgeschlossen (womit bei eigenhändiger Selbstverletzung mangels tatbestandlicher Haupttat auch jede Teilnahme ausscheidet); mittäterschaftliche Mitwirkung anderer soll aber möglich bleiben 1 1 8 . Auch diese Lösung krankt an der Gleichbehandlung von Unvereinbarem: Der noch durch das Opfer selbst vermittelte Tatbeitrag fördert auch dann keine Entscheidung über eine Fremdverletzung, wenn er von mittäterschaftlich gestaltender Stärke ist 11 ?. cc) Mag die Selbstverletzung auch eine soziale Störung sein 1 2 0 , so kann sie doch das Tabu der Achtung der Güter anderer Menschen nie tangieren, auch nicht in der nur noch formalen Weise, wie es bei einer Tat nach § 216 StGB geschieht (deren Täter die 117 So für die Selbsttötung Schmidhäuser WelzelFestschrift S. 801 ff, 810 ff; Klinkenberg J R 1978 S. 441 f f , 4 4 5 ; EbertjZ 1983 S. 633 ff,636. 118 Herzberg Täterschaft S. 75 ff; den. JA 1985 S. 131 ff, 137 f (wobei Herzberg die H ä r t e seiner Ergebnisse dadurch mildert, daß er weiter als die überwiegende Ansicht die Möglichkeit einer Rechtfertigung der T ö t u n g auf Verlangen annimmt; ders. N J W 1986 S. 1635 ff, 1638 f f ) ; BringewatZStW 87 S. 623 ff, 646. 119 Die Begründungen f ü r den Tatbestandsausschluß des Opfers variieren; differenzierend nach T ö tung und Körperverletzung Otto Lange-Festschrift S. 197 ff, 212 f. - Verfehlt Schilling JZ

1979 S. 159 ff, 163: mittelbare Täterschaft des Veranlassenden. Weil das sich selbst tötende O p fer den Tatbestand nicht erfülle, sei es W e r k z e u g des Veranlassenden. — Es fehlt jedoch an einer unterlegenen Entscheidung des O p f e r s ; siehe auch gegen das nur „qualifikationslose Werkzeug" unten 21/104. 120 Sie ist aber nicht deshalb schon ein ÄecAfjbruch; deshalb gibt es — abgesehen von Unternehmungen, die wegen der Art ihrer Ausführung rechtswidrig sind — kein Suizid verhinderungsrecht; differenzierend Bottke Suizid S. 32 f f ; kritisch zu den Differenzierungen Jakobs ZStW 95 S. 669 ff, 671 ff.

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Person des Opfers über deren Gut „Leben" setzt). Deshalb verwirklicht das mitwirkende O p f e r kein Verletzungsunrecht im Sinn eines Fremdverletzungsunrechts 1 2 1 . Mehr noch, allen Beiträgen, die über eine Mitwirkung des Opfers weitergeleitet werden, nimmt dieser Weg die Fremdverletzungseigenschaft, auch wenn nach dem Opfer noch andere Beteiligte handeln. 58a

d) Einzelheiten 1 2 2 : aa) W e r die Verletzung des Opfers ausführt, mag auch das Opfer sie gestaltet haben, ist Täter (bei T ö t u n g auf Verlangen: nach §216 StGB); die T ö t u n g eines anderen durch eigene H a n d ist Fremdverletzung. bb) W e r die Verletzung des Opfers durch eine dritte Person gestaltet, ohne daß das Opfer diese Gestaltung vermittelt, ist Mittäter; denn nur das Opferverhalten wandelt alle Beiträge, die es fördern, in Hilfe zur Selbstverletzung. cc) W e r an einer Verletzung so mitwirkt, daß sein Beitrag nur über das Verhalten des Opfers wirkt, ist nicht Beteiligter an einer Fremdverletzung. Keine Zurechnung (auch nicht nach § 2 1 6 StGB) begründet also die Gestaltung der vom Opfer selbst vollzogenen Verletzung. Keine Zurechnung begründet ferner ein Beitrag, den das Opfer durch sein Verhalten an dritte Personen vermittelt. Beispiel: Wer dem Opfer ein Mittel in die H a n d gibt, das dieses einer dritten Person weiterreicht, die es appliziert, fördert eine Fremdverletzung nur vermittelt durch das O p f e r und beteiligt sich deshalb nicht in zurechenbarer Art und Weise an dieser Fremdverletzung. Nach diesen Regeln begründen auch alle diejenigen Beiträge keine Haftung, die bereits geleistet sind, wenn das O p f e r einer T ö t u n g auf Verlangen sein Verlangen wiederholt oder obliegenheitswidrig nicht zurücknimmt, sofern dieses Opferverhalten Bedingung der Tatausführung ist (oder im Fall des Opferunterlassens: sofern eine Rücknahme die Tatausführung abbrechen würde). Im Ergebnis führt also bei einer T ö t u n g auf Verlangen nicht jede T a t f ö r d e r u n g zur H a f t u n g 1 2 3 . •Forme/: W e r dem O p f e r mindestens die Entscheidungsherrschaft (oben 21/35) über den Beitrag läßt, den er leistet, beteiligt sich nicht am Unrecht einer Fremdverletzung124. 121 Eingehend Roxin Dreher-Festschrift S. 331 ff; Bottke GA 1982 S. 336 ff, 338 ff; ders. GA 1983 S. 22 ff, 26 ff; ders. Suizid S. 234 ff. - Im Fall OLG München N J W 1987 S. 294 ff (Hackethal) hätte schon die Anklage nicht erfolgen dürfen (die Rechtslage war eindeutig); zu dieser Entscheidung Herzberg N J W 1986 S. 1635 ff; ders. JZ 1988 S. 182 ff. - Siehe auch Sax JZ 1975 S. 137 ff, 146 f. 122 Die Einzelheiten sind streitig; der Kern entspricht überwiegender Ansicht; weitere Angaben zu dem Problem, das teils in den BT reicht, bei Bottke Suizid S. 32 ff; Schönke-Schröder-EserKdn. 33 ff vor §211; Arzt-Weber BT Bd. I Rdn. 211 ff; Maurach-Schroeder-Maiwald BT I 5 1 V; Mollering Schutz des Lebens S. 38 ff; rechtsvergleichend (teils veraltet) Simson-Geerds Straftaten gegen die Person S. 42 ff, 63 ff. 123 Beispiel für Haftung: Das Opfer stellt das Verlangen und wird bewußtlos; dritte Personen gestalten danach mit dem Ausführenden die Tat. 124 Das dürfte überwiegender Ansicht entsprechen; Otto Tröndle-FestschriftS. 157 ff, 163 mit Nachweisen. - Im Fall von BGH 19 S. 135 ff (Ver-

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such eines Liebespaars, dadurch gemeinsam zu sterben, daß Autoabgase in den Innenraum des Fahrzeugs geleitet wurden; der Mann, der das Gaspedal bediente, überlebte; die Frau starb) kommt es also darauf an, ob der Überlebende noch gehandelt hat, nachdem das Opfer handlungsunfähig wurde; nur dann hatte der Überlebende eine überlegene Entscheidungsherrschaft. Daß nach dem gemeinsamen „Sterbeplan" der Zeitpunkt der Bewußdosigkeit irrelevant gewesen sein mag, ist ohne Bedeutung (anders die überwiegende Ansicht; B G H 19 S. 135 ff; Herzberg Täterschaft S. 76 f; Roxin Täterschaft S. 570 ff mit Nachweisen bei ansonsten jedoch parallelem Lösungsansatz, „Tatbestandsbezogenheit des Täterbegriffs"; Otto Tröndle-Festschrift S. 157 ff, 164 f; Dreher MDR 1964 S. 337 f; PaehlerUDR 1964 S. 647 ff) : Wenn in der Planung Selbsttötungsbeteiligung und Tötung auf Verlangen den Planenden gleichwertig sind, werden sie dadurch nicht auch rechtlich gleichwertig. Daß von einem „zufälligen Umstand, dessen Ungewißheit zum Gesamtplan gehörte,. . . die Beteiligung nicht abhängen" dürfe (BGH aaO), ist falsch: Ob ge-

Täterschaft

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A b s c h n

Die Entscheidungsherrschaft liegt beim Opfer, wenn dieses noch nach dem Verhalten des Beteiligten handelt 1 2 5 ; sie liegt zumindest auch beim Opfer, wenn dieses zugleich mit dem Beteiligten handelt; denn durch Verweigerung seines Beitrags kann das Opfer denjenigen des Täters unwirksam werden lassen 1 2 é . Handelt der Beteiligte nach den Handlungen des Opfers, so hat dieses in denjenigen Fällen trotzdem Entscheidungsherrschaft, in denen es nach der Beteiligtenhandlung in der Obliegenheit des Opfers steht, den Erfolg abzuwenden, wozu das O p f e r auch fähig ist. Der Rang zwischen Beteiligtem und O p f e r bestimmt sich entsprechend den Regeln der Ingerenzhaftung. Beispiel: Das O p f e r bittet den Beteiligten, den Gashahn aufzudrehen; nachdem dies geschehen ist, könnte es das Zimmer verlassen ; — der Beteiligte wirkt bei einer durch Unterlassen verwirklichten Selbstverletzung mit, haftet also nicht. Anders (Fremdverletzung) : Der rechtswidrig Angegriffene weicht dem Schlag nicht aus, obgleich er es könnte 1 2 7 . plante Täterschaft gelingt, hängt immer vom Verlauf ab. Freilich bleibt beim Mißlingen ein täterschaftlicher Versuch. Das Unbehagen an der Entscheidung dürfte daher rühren, daß die Tötungshandlung des Überlebenden nach der eingetretenen Handlungsunfähigkeit des Opfers ein Grenzfall eines Organisationsverhaltens war (weiteres Durchtreten des Gaspedals eines Autos); bei eindeutiger Handlung (etwa Erschlagen, Erschießen) oder eindeutig pflichtwidrigem Unterlassen (Nicht-Bremsen eines rasenden Autos) dürfte die H a f t u n g nach § 216 StGB evident sein. 125 Bei diesen Ausführungen wird vorausgesetzt, daß der Täter f ü r die nicht vom O p f e r vermittelten Wirkungen seines Handelns einzustehen hat, also Garant zur Vermeidung dieser Wirkungen ist. Fehlt es an dieser Garantenstellung, scheidet Fremdverletzung aus (es geht dann auch nicht um ein Handeln des Opfers auf eigene Gefahr, oben 7/129). Dabei handelt es sich um Fälle, in denen sich der Täter allein innerhalb seines eigenen O r ganisationskreises hält und die schädigende Wirkung beim O p f e r nur eintritt, weil dessen Organisationskreis erfolgsbezogen gestaltet ist (oben 7/60 ff) oder weil eine dritte Person den Beitrag des Täters ins Schädigende umbiegt (Regreßverbot, oben 7/59, unten 24/13 ff). 126 BayObLG J Z 1989 S. 1073 f, 1074; Otto Tröndle-Festschrift S. 157 ff, 162 ff. Zeitgleichheit liegt vor, solange das Verhalten zwischen Täter und Opfer nicht um eine Spanne differiert, die einem von beiden eine praktisch umsetzbare Entscheidungschance gibt, während der andere diese Chance schon verloren hat. Kann sich das O p f e r noch zum Zeitpunkt des H a n d lungsvollzugs des Täters den Handlungswirkungen entziehen, liegt Zeitgleichheit vor. Dies ist beim Verabreichen einer Injektion jedenfalls dann der Fall, wenn das O p f e r seinen Körper dafür zeitgleich darbietet. — Daß sich der Täter über die Einwilligung des Opfers fortlaufend versichert, begründet allein keine Zeitgleichheit, da der Täter sein Verhalten nach der jeweils letzten Zustimmung des Opfers inszeniert. Diese — nicht naturalistische (Zeitgleichheit ist Kennzeichen

des Grenzfalls der Entscheidungsherrschaft des Opfers!) — Grenzziehung ist nötig, weil das Gesetz zwischen Selbstverletzung und Fremdverletzung differenziert und dadurch zwingt, ein Geschehen auch dann zuzuordnen, wenn sich Elemente beider Verletzungsarten mischen. Die hiesige Option f ü r eine Lösung, wonach das Verhalten ganz und nicht etwa zumindest auch Fremdverletzung sein muß, wenn es zur Strafbarkeit führen soll, läßt sich freilich allein aus der Systematik des Gesetzes so wenig begründen wie das Gegenteil. — Nach den hiesigen Kriterien schließt Handlungsunfähigkeit des Opfers zum Zeitpunkt des Eingriffs (Handlungsvollzug plus Folgeneintritt) Zeitgleichheit und damit Selbstverletzung aus; B G H N S t Z 1987 S. 365 a. A. Roxin N S t Z 1987 S. 345 ff, 346 ff; KühlJR 1988 S. 338 ff. Hobmann und König N S t Z 1989 S. 304 ff, 308 f (dagegen Herzberg N S t Z 1989 S. 559 f f ) ; nach diesen soll Beihilfe vorliegen, wenn der Lebensmüde das Gesamtgeschehen arrangiert hat, auch wenn er zu dem Zeitpunkt, in dem die letzte „Hilfe" geleistet wird, bewußtlos ist. Aber § 2 1 6 StGB stellt nicht auf irgend ein Gesamtgeschehen ab, sondern auf ein Geschehen, bei dem das Opfer die Entscheidungsherrschaft verloren hat. — Nach Arzt-Weber BT I Rdn. 211 ff, 215, soll Fremdtötung nur vorliegen, wenn „der Selbstmörder die Hemmung, H a n d an sich zu legen, dadurch überwindet, daß er sich in die H a n d eines anderen gibt". Aber wieso soll die Beurteilung des wirklichen Geschehens von der Hypothese abhängen, was das Opfer alternativ fertiggebracht hätte? 127 Die Grenze kann im Einzelfall schwierig zu bestimmen sein. Bei einem rechtswidrigen Angriff wird der Angreifer stets vorrangig zuständig bleiben, solange er Einfluß auf den Erfolgsverlauf ausübt. Beispiel: Der Eigentümer hindert Rocker nicht, sein Auto zu demolieren; — Fremdverletzung. H a t nur noch das Opfer Einfluß, wird seine Duldung zur Entscheidungsherrschaft, wenn jeder rechtlich vernünftige Grund für das Nichthindern des Erfolgseintritts fehlt (siehe oben 7/59). Beispiel: Der Bauer verläßt aus reinem

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dd) Allein ein Verhalten, das als H a n d l u n g keine H a f t u n g begründet, führt auch nicht zur H a f t u n g wegen einer nachfolgenden Unterlassung. Beispiel: Der die Selbsttötung des Opfers gestaltende Beteiligte gibt dem O p f e r das Gift, das dieses selbst nimmt; der Beteiligte wendet den T o d nicht ab, auch nicht, als das O p f e r schon handlungsunfähig geworden ist; — keine H a f t u n g für Handeln, da es um die Mitgestaltung einer Selbstverletzung geht; keine H a f t u n g f ü r Unterlassung, da keine Erfolgsabwendungspflicht besteht (durch das Handeln hat der Beteiligte gegenüber dem Opfer kein Sonderrisiko begründet). — Zur Begehungshaftung von Garanten siehe unten 21/116, zur Unterlassungshaftung 29/53 ff, 57 ff (mit Fn. 141 — Arzt — und 151 — Untersuchungshaft), 106. — Zur Beteiligung an der Selbstverletzung eines Unterlegenen siehe unten 21/78 ff, 88 ff, 97 ff, 114. — Zum fahrlässigen Bewirken einer Selbstverletzung siehe unten 21/114. — Liegt eine Fremdverletzung vor, kann das Opfer auf eigene Gefahr gehandelt haben, was die H a f t u n g des Täters entfallen läßt; dazu oben 7/129 f. — Zum Abbruch einer Intensivbehandlung s\e\\e oben 7/64 mit Fn. 111.

C. Die Konsequenzen von Mittäterschaft 1. Die Folge von Mittäterschaft ist volle Zuständigkeit f ü r die T a t wegen der gleichgewichtigen Organisationsleistung. O b die Ausführungshandlung ihrerseits von einem tauglichen Täter vollzogen wird, ist für die Inhaber von Tatherrschaft, gleich welcher Form, gleichgültig, soweit sie selbst taugliche Täter sind und zur Ausführungshandlung hin Akzessorietät bestehen kann. Beispielhaft: Der Zahlungsunfähige, der die Begünstigung seines Gläubigers mitgestaltet, ist Täter der Gläubigerbegünstigung (§ 283 c StGB), auch wenn die Sicherstellung des Gläubigers nicht von ihm eigenhändig, sondern von einem Nicht-Qualifizierten bewirkt wird. Voraussetzung ist allerdings die faktische Wirksamkeit der Ausführungshandlung des Nicht-Qualifizierten. Wiederum beispielhaft: Der Beamte, der ein Staatsangehörigkeitszeugnis vom Antragsteller eigenhändig unterschreiben läßt und dieses T u n etwa durch Hingabe des Dienststempels etc. mitgestaltet, begeht keine Falschbeurkundung im Amt (§ 348 StGB), soweit nach der Sachlage eine wirksame öffentliche Urkunde nicht zustande kommt (aber § 267 StGB!). — Die Wirksamkeit kann relativ sein. Nochmals beispielhaft: Mittäterschaftlicher Diebstahl, bei dem sich später überraschend herausstellt, daß das Objekt einem Mittäter gehört, f ü h r t nur in der Person des Eigentümers zur Reduktion der Vollendung auf Versuch. Der nicht qualifizierte Mitinhaber der Tatherrschaft kann mangels Täterqualifikation nur Teilnehmer sein ; wirkt die Täterqualifikation nur straf erhöhend, ist er Mittäter des Grunddelikts (siehe unten zu § 28 StGB). 2. Da Mittäterschaft stets durch den Akt einer Deliktsorganisation begründet wird (Handlungsvollzug, Entscheidung, Gestaltung), kann niemand mittäterschaftlich f ü r Handlungen zuständig werden, die schon vor seiner Mitwirkung von anderen vollzogen wurden: keine sukzessive Mittäterschaft. Wer etwa erst nach dem Mord zum Tatort kommt und sich gleichgewichtig gestaltend an der Ausplünderung des Opfers beteiligt, ist Mittäter der Unterschlagung, nicht aber des Raubs (also keine Zurechnung von Gewalt und Gewahrsamsbruch). Die Entscheidung ist streitig, wobei die Gegenmeinung wohl darauf abzielt, daß in der nachfolgenden Mitwirkung eine Solidarisierung mit dem vorangegangenen Delikt liegt; aber Solidarisierung ohne Kausalität begründet keine Beteiligung 1 2 8 . Trotz den von seinem Feind angezündeten Hof nicht („Soll der doch zum Mörder werden"); — wohl Selbstverletzung (zweifelhaft, insoweit anders Vorauflage).

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128 Wie hier Roxin Täterschaft S. 289 f; LK-Roxin § 25 Rdn. 136 mit weiteren Nachweisen (anders aber für Beihilfe aaO Rdn. 137); Rudolpbi Bockelmann-Festschrift S. 369 ff, 377 f; Küper

Täterschaft

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Freilich können zukünftige Teile derjenigen Tatbestandsverwirklichungen, die sich in der Zeit fortsetzen, dem neu Eintretenden zugerechnet werden; Beispiele : W e r nach Versuchsbeginn, aber vor Vollzug der Wegnahme, zu einem Diebstahl stößt, bei dem ein Beteiligter eine Schußwaffe bei sich führt, haftet bei gegebenem Vorsatz nach § 244 Abs. 1 N r . 1 StGB. — W e r sich beim Ausplündern einer Person beteiligt, die aktuell festgehalten wird, damit sie sich nicht wehrt, beteiligt sich am Raub (§ 249 StGB), auch wenn das Festhalten schon vor Beteiligungsbeginn begonnen hat. — Auch eine Zurechnung schon eingetretener Tatbestandsverwirklichungen (oder durch Unglück eingetretener Folgen) nach Unterlassungsgrundsätzen ist möglich, wenn die Lage revertierbar ist; freilich begründet allein die Anknüpfung an die Folgen fremden T u n s (oder an ein geschehenes Unglück) keine Garantenstellung, die Lage zu revertieren (siehe auch unten 22/40 mit Fn. 81a). 3. Mittäter begehen zusammen eine Tat (nicht jeder eine T a t f ü r sich), deren Versuchsbeginn und Versuchsbeendigung sich einheitlich vollzieht. Versuch bei Mittäterschaft liegt vor, wenn die Tat, vollzöge ein Beteiligter alles allein, ins Versuchsstadium käme. Deshalb kann ein Mittäter schon alles geleistet haben, ohne daß ein Versuch vorliegt; Beispiel : Der Bandenchef schickt nach seiner Planung und Vorbereitung die Bande zum Raub. Es mag auch ein Mittäter zu seiner letzten Leistung noch nicht angesetzt haben und doch schon Täter des Versuchs sein; Beispiel: Wer bei der Ausführung des Raubs erst die Wegnahme bewerkstelligen soll, aber auch an der Vorbereitung gestaltend mitgewirkt hat, begeht versuchten Raub schon mit der Gewaltanwendung durch andere Beteiligte. Allenfalls Teilnahme am Versuch liegt aber vor, wenn die bisher geleisteten Beiträge dessen, der später noch handeln soll, nicht f ü r sich zur gleichmäßigen Mitgestaltung hinreichen. — Entgegen dieser „Gesamtlösung" 1 2 9 stellt die „Einzellösung" f ü r jeden Beteiligten auf die Leistung seines Beitrags ab 1 3 0 . Damit beginnt der Versuch je nach Verschachtelung der Organisationsakte einmal früher, einmal später; interne Handlungen im Vorbereitungsstadium werden zu Versuchen, auch wenn das deliktische Geschehen nicht weiterläuft, und gleiche Handlungen sind einmal Versuch (der Handelnde soll sonst nichts beitragen) und einmal nicht (der Handelnde soll noch mehr tun) : Die Bindung des Versuchsbeginns an die Tatbestandsnähe (§22 StGB) wird aufgelöst, weil mittäterschaftliche Akzessorietät 1 3 1 als bloße kausale Abhängigkeit mißdeutet w i r d 1 3 2 . — Z u r gleichen Lösung bei Teilnahme siehe unten 22/8 und zur abweichenden Lösung bei Pflichtdelikten siehe unten 21/118. JZ 1981 S. 568 ff, 570 f f ; Gössel Jescheck-Festschrift S. 537 ff, 552 f f ; Maurach-Gössel A T II § 4 9 Rdn. 49 f f ; Stratenwerth A T Rdn. 817 ff; auch die ältere Rechtsprechung; R G 8 S. 21 ff, 41 f ; 59 S. 79 ff, 82; neuerdings, aber nicht stetig, auch der B G H ; B G H GA 1977 S. 144 f ; B G H bei Holtz M D R 1982 S. 446 (mit zweifelhafter Begründung); B G H N S t Z 1984 S. 548 f; N S t Z 1985 S. 70 f (zu den beiden letztgenannten Entscheidungen RoxinTäterschaftS. 600 f ) ; — a. A. Küpper GA 1986 S. 437 ff, 447 f; Baumann-Weber KV S 36 I 3 d ; Jescheck AT § 63 II 2 ; MaurachGössel KV II § 49 II A 2; Welzel Strafrecht § 15 IV 1; B G H 2 S. 344 f f ; B G H GA 1966 S. 210; teils auch die jüngste Rechtsprechung; B G H JZ 1981 S. 596; B G H N S t Z 1985 S. 71 f. 129 Überwiegende Ansicht; Küper Versuchsbeginn S. 11 f, 69 f; LK-Vogler § 22 Rdn. 88 ff; Küpper GA 1986 S. 437 ff, 445 f, jeweils mit Nachweisen. 130 Schilling Verbrechensversuch S. 104 f f ; Valdagua

ZStW 98 S. 839 f, 870 ff (regelmäßig dürften sich die anderen an diesem Beitrag beteiligen). 131 Abhängigkeit einer H a n d l u n g von ihrer Fortführung durch andere; siehe Gallas Materialien Bd. I S. 121 ff, 138; KüperVersuchsbeginn S. 60. 132 So Schilling Verbrechensversuch S. 104 f; ausführliche Kritik bei Küper Versuchsbeginn passim; wiederum anders Rudolphi BockelmannFestschrift S. 369 ff, 384 f f ; SK-Rudolphi § 22 Rdn. 19a; Bloy Beteiligungsform S. 266; Stein Beteiligungsformenlehre S. 321 ff, die jedoch mit ihrer Lösung (jeder Mittäter muß zum Versuch je für sich in Tatbestandsnähe kommen) die Einheitlichkeit der T a t von Mittätern auflösen (dagegen zutreffend Küper J Z 1979 S. 775 f f ; Maiwald ZStW 93 S. 864 ff, 879 f f ) ; wie hier B G H N S t Z 1981 S. 99 ; Jescheck AT § 63 IV 1 ; Maurach-Gössel AT II § 4 9 Rdn. 100; Schönke-Schröder-Eser § 22 Rdn. 54 a; SK-SamsonS, 25 Rdn. 55.

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VI. Die Tatbestände der Täterschaft bei Herrschaftsdelikten, 3. Fortsetzung: Das Begehen durch einen anderen (die mittelbare Täterschaft), § 25 Abs. 1, 2. Fallgruppe StGB Literatur K. Amelung, J. Weidemann Bestechlichkeit und Förderung einer Selbstbeschädigung im Maßregelvollzug - B G H N J W 1983, 462, JuS 1984 S. 595 ff; den., ]. Brauer Anmerkung zu O L G Schleswig J R 1985 S. 474, a a O S. 474 ff; K. Binding Das Subjekt des Verbrechens und die Satzungen des „Vorentwurfs zu einem Deutschen Strafgesetzbuch" über die „Teilnahme", GS 76 S. 87 ff; R. Bloy Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985; W. Bottke Suizid und Strafrecht, 1982; den. Probleme der Suizidbeteiligung, GA 1983 S. 22 ff; R. Brands, H. Schlehofer Die täuschungsbedingte Selbsttötung im Lichte der Einwilligungslehre, JZ 1987 S. 442 ff; M. Bruns AIDS, Prostitution und das Strafrecht, N J W 1987 S. 693 ff; den. Nochmals: AIDS und Strafrecht, N J W 1987 S. 2281 f; ders. AIDS, Alltag und Recht, M D R 1987 S. 353 ff; A. Charalambakis Selbsttötung aufgrund Irrtums und mittelbare Täterschaft, GA 1986 S. 485 ff; F. Dencker Der verschuldete rechtfertigende Notstand, JuS 1979 S. 779 ff; A. Graf zu Dohna Übungen im Strafrecht und Strafprozeßrecht, 3. Auflage 1929; W. Frisch Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolgs, 1988; ders. Riskanter Geschlechtsverkehr eines HIV-Infizierten als Straftat? - B G H 36, 1, JuS 1990 S. 362 ff; W. Gallas Anmerkung zu B G H 2 S. 150 ff, JZ 1952 S. 371 ff; ders. Täterschaft und Teilnahme, Materialien Bd. I S. 121 ff; G. Geilen Suizid und Mitverantwortung, J Z 1974 S. 145 ff; M. Grünhut Grenzen strafbarer Täterschaft und Teilnahme, J W 1932 S. 366 ff; R. Helgerth AIDS — Einwilligung in infektiösen Geschlechtsverkehr, N S t Z 1988 S. 261 ff; R. D. Herzberg Mittelbare Täterschaft bei rechtmäßig und unverboten handelndem Werkzeug, 1967; ders. Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, 1972; ders. Täterschaft und Teilnahme, 1977; ders. Zur Strafbarkeit der Beteiligung am frei gewählten Selbstmord, ZStW 91 S. 557 ff; ders. N o c h einmal: Förderung einer Selbstbeschädigung im Maßregelvollzug, JuS 1984 S. 937 ff; ders. Der Anfang des Versuchs bei mittelbarer Täterschaft, JuS 1985 S. 1 ff; ders. Beteiligung an einer Selbsttötung oder tödlichen Selbstgefährdung als Tötungsdelikt, JA 1985 S. 131 ff, 177 ff, 265 ff, 336 ff; ders. Zur Strafbarkeit des AIDSInfizierten bei unabgeschirmtem Geschlechtsverkehr, N J W 1987 S. 2283 f; F. Herzog Das Strafrecht im Kampf gegen „AIDS-Desperados" in: E. Burkel (Hrsg.) Der AIDS-Komplex, 1988 S. 329 ff; ders., C. Nestler-TremelAIDS und Strafrecht — Schreckensverbreitung oder Normstabilisierung, StV 1987 S. 360 ff; Tb. Hillenkamp Die Bedeutung der Vorsatzkonkretisierungen bei abweichendem Tatverlauf, 1971; ders. Vorsatztat und Opferverhalten, 1981; H.J.Hirsch Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, 1960 ; ders. Anmerkung zu B G H JR 1979 S. 429, a a O S. 429 ff; P. Hiinerfeld Mittelbare Täterschaft und Anstiftung im Kriminalstrafrecht der Bundesrepublik Deutschland, ZStW 99 S. 228 ff; H. Jäger Verbrechen unter totalitärer H e r r schaft, 1967; G. Jakobs Regreßverbot beim Erfolgsdelikt, ZStW 89 S. 1 ff; ders. Anmerkung zu B G H J R 1987 S. 339 f, a a O S. 340 ff; /. C. Joerden Strukturen des strafrechtlichen Verantwortlichkeitsbegriffs : Relationen und ihre Verkettungen, 1988 ; H. Johannes Mittelbare Täterschaft bei rechtmäßigem Handeln des Werkzeugs, 1963; B. Kadel Versuchsbeginn bei mittelbarer Täterschaft — versuchte mittelbare Täterschaft, GA 1983 S. 299 ff; W. Küper Der verschuldete rechtfertigende Notstand, 1983; ders. Der Versuchsbeginn bei mittelbarer Täterschaft, JZ 1983 S. 361 ff; ders. „Autonomie", Irrtum und Zwang bei mittelbarer Täterschaft und Einwilligung, J Z 1986 S. 219 ff; ders. Mittelbare Täterschaft, Verbotsirrtum des Tatmittlers und Verantwortungsprinzip, J Z 1989 S. 935 ff; G. Küpper Anspruch und wirkliche Bedeutung des Theorienstreits über die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme, GA 1986 S. 437 ff; F. J. Kurth Das Mitverschulden des Opfers beim Betrug, 1984; R. Lange Der moderne Täterbegriff und der deutsche Strafgesetzentwurf, 1935; ders. Anmerkung zu O L G Bamberg SJZ 1950 Sp. 209 f, a a O ; ders. Terrorismus kein Notstandsfall, N J W 1978 S. 784 ff; Κ. H. Maier Ote mittelbare Täterschaft bei Steuerdelikten, M D R 1986, S. 358 ff; B.-D. Meier Strafrechtliche Aspekte der AIDS-Übertragung, GA 1989 S. 207 ff; / . Meyer Kritik an der Neuregelung der Versuchsstrafbarkeit, ZStW 87 S. 598 ff; M.-K. Meyer Ausschluß der Autonomie durch Irrtum, 1984; U. Neumann Abgrenzung von Teilnahme am Selbstmord und T ö t u n g in mittelbarer Täterschaft, JuS 1985 S. 677 ff; ders. Die Strafbarkeit der Suizidbeteiligung als Problem der Eigenverantwortlichkeit des „Opfers", JA 1987 S. 244 ff; F. Mowakowski Tatherrschaft und Täterwille, JZ 1956 S. 545 ff; H. Otto Anmerkung

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Täterschaft

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zu OLG Schleswig NStZ 1985 S. 74 f; aaO S. 75 f; ders. Eigenverantwortliche Selbstschädigung und -gefährdung sowie einverständliche Fremdschädigung und -gefährdung, Tröndle-Festschrift S. 157 ff; H. Pfeffer Durchführung von HIV-Tests ohne den Willen des Betroffenen, 1989; C. Prittwitz Die Ansteckungsgefahr bei AIDS, JA 1988 S. 427 ff, 486 ff; I. Puppe Urkundenechtheit bei Handeln unter fremdem Namen und Betrug in mittelbarer Täterschaft — BayObLG N J W 1988 S. 1401, JuS 1989 S. 361 ff; C. Roxin Straftaten im Rahmen organisatorischer Machtapparate, GA 1963 S. 193 ff; den. Literaturbericht, ZStW 77 S. 100 ff; den. Gedanken zur Problematik der Zurechnung im Strafrecht, Honig-Festschrift S. 133 ff; den. Der Anfang des beendeten Versuchs, Maurach-Festschrift S. 213 ff; ¿eri. Täterschaft und Tatherrschaft, 2. Auflage 1967 und 5. Auflage 1989; den. Bemerkungen zum „Täter hinter dem Täter", Lange-Festschrift S. 173 ff; den. Tatentschluß und Anfang der Ausführung beim Versuch, JuS 1979 S. 1 ff; den. Die Mitwirkung beim Suizid, Dreher-Festschrift S. 331 ff; den. Anmerkung zu BGH 32 S. 38 ff, NStZ 1984 S. 71 ff; H.-J. Rudolphi Anmerkung zu B G H JZ 1990 S. 195 ff, aaO S. 197 ff; F. Schaffstein Der Täter hinter dem Täter bei vermeidbarem Verbotsirrtum und verminderter Schuldfähigkeit des Tatmittlers, NStZ 1989 S. 153 ff; G. Schilling Der Verbrechensversuch des Mittäters und des mittelbaren Täters, 1975; E. Schmidbauer Anmerkung zu B G H 32 S. 38 ff, JZ 1984 S. 195 f; H.-L. Schreiber Grundfälle zu „error in objecto" und „aberratio ictus", JuS 1985 S. 873 ff; den. Rechtfertigungs- und Entschuldigungsprobleme bei Tatbeteiligung mehrerer, in : A. Eser (Hrsg.) Rechtfertigung und Entschuldigung Bd. 2, 1988 S. 1151 ff; F.-C. Schroeder Der Täter hinter dem Täter, 1965; B. Schünemann Die Rechtsprobleme der AIDS-Eindämmung, in: den. u. a. (Hrsg.) Die Rechtsprobleme von AIDS, 1988 S. 373 ff; ders. Riskanter Geschlechtsverkehr eines HIV-Infizierten als Tötung, Körperverletzung oder Vergiftung? JR 1989 S. 89 ff; H. Schumann Strafrechtliches Handlungsunrecht und das Prinzip der Selbstverantwortung der Anderen, 1986; K. SippelMittelbare Täterschaft bei deliktisch handelndem Werkzeug, N J W 1983 S. 2226 ff; ders. Nochmals: mittelbare Täterschaft bei deliktisch handelndem Werkzeug JA 1984 S. 480 f und N J W 1984 S. 1866; G. Spendel Fahrlässige Teilnahme an Selbst- und Fremdtötung, JuS 1974 S. 749 ff; ders. Der „Täter hinter dem Täter" — eine notwendige Rechtsfigur? Lange-Festschrift S. 147 ff; H. U. von Spiegel Nochmals : mittelbare Täterschaft bei deliktisch handelndem Werkzeug, N J W 1984 S. 110 f und S. 1867; U. Stein Die strafrechtliche Beteiligungsformenlehre, 1988; W. Stree Beteiligung an vorsätzlicher Selbstgefährdung - BGHSt. 32, 262 und BGH, N S t Z 1984, 452, JuS 1985 S. 179 ff; E. Teuhner Mittelbare Täterschaft bei deliktisch handelndem Werkzeug, JA 1984 S. 144 f; K. Ttedemann Anmerkung zu BGH JR 1981 S. 468 ff, aaO S. 470 ff; G. Timpe Die Nötigung, 1989; H. v. Weber Anmerkung zu OLG Bamberg N J W 1950 S. 35 f, a a O ; H. Welzel Studien zum System des Strafrechts, ZStW 58 S. 491 ff; ders. Zur Kritik der subjektiven Teilnahmelehre, SJZ 1947 Sp. 645 ff; ¿eri. Anmerkung zu OLG Bamberg D R Z 1950 S. 303, aaO S. 303 f; ders. Abhandlungen zum Strafrecht und zur Rechtsphilosophie, 1975; J. Wolter Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr und Verletzung in einem funktionalen Straftatsystem, 1981 ; H. ZipfOie mittelbare Täterschaft und ihre Einordnung in § 12 StGB, OJZ 1975 S. 617 ff.

A. Die Begründung der vorrangigen Zuständigkeit des mittelbaren Täters (überlegene Entscheidungsherrschaft) 1 a) Wie der Täter sich mechanischer W e r k z e u g e bedienen kann, so kann er auch 6 2 andere Personen als seine W e r k z e u g e einsetzen. Hierbei geht es nicht um die Benutz u n g der anderen Personen als nicht handelnde Objekte (der Täter stößt mit Gewalt einen Passanten in eine Schaufensterscheibe, die zerstört wird; ein Fall des Selbst-Begehens), sondern um den Einsatz v o n H a n d l u n g e n anderer Personen. Man spricht hier herkömmlich v o n mittelbarer Täterschaft, ein Begriff, der z w a r zur A u s f ü l l u n g v o n Strafbarkeitslücken geschaffen wurde (dazu o b e n 2 1 / 1 7 ) , seine Funktion als Lückenbüßer aber mittlerweile verloren h a t 1 3 3 . b) Kennzeichen der mittelbaren Täterschaft ist die vorrangige Zuständigkeit des 6 3 mittelbaren Täters kraft seiner überlegenen Entscheidungsherrschaft. Ü b e r l e g e n e Ent133

Maurach-Gössel AT II § 48 Rdn. 8.

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scheidungsherrschaft heißt: Dem Werkzeug ist die Vermeidung der Tatbestandsverwirklichung eines Vorsatzdelikts in Zurechnung ausschließender Weise erschwert, und für diese Erschwerung ist der mittelbare Täter zuständig. Mittelbare Täterschaft ist also bei volldeliktischem (vorsätzlichem und schuldhaftem) Handeln des Tatmittlers nicht möglich (zweifelhaft; siehe auch unten 21/94 f). Nicht aber muß der mittelbare Täter selbst stets volldeliktisch handeln; auch der Geisteskranke, der einen anderen mit Todesdrohungen zu einer Tat nötigt, ist mittelbarer Täter, wie sogar der selbst zu solcher Nötigung Genötigte mittelbarer Täter ist (und zugleich Werkzeug eines mittelbaren Täters). Auch das Werkzeug ist — Vorsatz und deliktsspezifische Tätermerkmale unterstellt — Täter, und zwar in der Regel per Handlungsherrschaft, zumeist wohl auch per Gestaltungsherrschaft. Täterschaft folgt auch bei mittelbarer Täterschaft aus der Unrechtsverwirklichung. D a ß u. a. die Entschuldigung des Werkzeugs Bedingung f ü r die Täterschaft des mittelbaren Täters sein kann, hindert den je individuellen Unrechtsbezug der Täterschaft nicht. 64

c) Wie bei jeder Täterschaft kann auch bei mittelbarer Täterschaft das Unrecht des Tuns durch Rechtfertigungsgründe ausgeschlossen sein. Beispiel: Wer ein Werkzeug zu einer durch Nothilfe gerechtfertigten Verletzung eines Angreifers zwingt, ist mittelbarer Täter dieser Verletzung, aber gerechtfertigt, auch wenn die Nötigung des Werkzeugs ihrerseits nicht gerechtfertigt ist. Das Unrecht der Beherrschung des Werkzeugs ist also vom Unrecht der durch Beherrschung bewirkten T a t zu trennen.

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2 a) Die Überlegenheit der Entscheidungsherrschaft ist normativ nach ihrer Wirkung auf die Zurechnung zum Tatmittler zu bestimmen, nicht aber nach ihrer motivierenden Stärke im Einzelfall 1 3 4 ; denn es geht nicht um den gruppendynamischen, sondern um den normativen Rang der Beteiligung. Bis zum Abbruch der Zurechnung zum Tatmittler führt dessen Beeinflussung zu Mittäterschaft, Anstiftung oder Beihilfe, also zur Verbindung von Organisationskreisen (mit der Folge von Akzessorietät), nicht aber zur Degradierung seiner Organisation zum Werkzeug eines vorrangig Zuständigen.

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b aa) Eine Auflösung der mittelbaren Täterschaft in (erzwungene oder mit List bewirkte) Mittäterschaft wäre teilweise möglich, aber dabei ginge das Spezifikum der mittelbaren Täterschaft verloren, seil, die Unterlegenheit des Werkzeugs bei der Entscheidung über die T a t mit der Folge einer eigenen Tat des mittelbaren Täters. Insbesondere kann bei der mittelbaren Täterschaft nicht nur jede Handlungsherrschaft, sondern zudem jede mehr als beiläufige Mitgestaltung fehlen und doch Entscheidungsherrschaft vorliegen. Beispiel: Der Vater schickt seinen 10-jährigen Sohn ohne Geld, aber mit dem Auftrag weg, bald, nicht aber ohne Bier nach Hause zu kommen. W o und in welcher Weise der Sohn schuldlos delinquiert, mag nur umrißhaft bestimmt sein; der Vater ist trotzdem im Rahmen seines Vorsatzes mittelbarer Täter des vom Sohn begangenen Eigentums- oder Vermögensdelikts. Z u r überlegenen Entscheidungsherrschaft kann noch Gestaltungsherrschaft hinzukommen. Mittelbare Täterschaft ist dann mit erzwungener Mittäterschaft kombiniert; 134 Sehr streitig; siehe Roxin Täterschaft S. 146 f; Stein Beteiligungsformenlehre S. 283 ff. In einer Rückkehr zu „psychologisch-zweckrationaler" Betrachtung wendet sich Küper gegen die „normative Korrespondenz von ,Entlastung' und ,Belastung'" (JZ 1989 S. 935 ff, 948): Jedes irrende Werkzeug soll an einem „aktuellen Freiheitsmangel" leiden (S. 944, 947 f). Abgesehen davon, daß

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dies für Unkenntnis, für die der Irrende voll zuständig ist, nicht stimmt (§ 17 StGB enthält für den Unrechtsirrtum nur eine Kannmilderung), läßt sich das umkehren: Jeder nicht voll Haftung ausschließende Irrtum beläßt Freiheit und damit eine Stellung neben und nicht unterhalb anderer Mitwirkender. Zurechnung ist kein bloßes Derivat der Gruppendynamik.

Täterschaft

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Beispiel : Der mittelbare Täter zwingt das Werkzeug zu einer vom mittelbaren Täter detailliert vorbereiteten Tat. Die überlegene Entscheidungsherrschaft ist wie die formelle Handlungsherrschaft und wie die Gestaltungsherrschaft faktisch teilbar: Mehrere Personen können mit ver einten Kräften ein Werkzeug f ü r sich einsetzen; sie sind dann Mittäter (§25 Abs. 2 StGB) in mittelbarer Täterschaft des Delikts. — Auch können bei einer T a t mehrere Werkzeuge eingesetzt werden, und zwar als (erzwungene) Mittäter. Beispiel : Ein Vater zwingt seine Kinder, eine fremde Sache gemeinsam zu zerstören. Mehrere Werkzeuge können auch (erzwungene) Nebentäter sein; Beispiel: Ein Vater zwingt seine Kinder, je ein Bündel Devisen über die Grenze zu schmuggeln; die Gesamtsumme überschreitet das erlaubte Familienlimit. bb) Der mittelbare Täter muß die deliktsspezifischen Tätermerkmale in seiner Per- 67 son erfüllen. Fehlt dem Inhaber der Entscheidungsherrschaft eine Täterqualifikation (eine nicht treupflichtige Person nötigt den treupflichtigen Vermögensverwalter unter Todesdrohungen zur Untreue), kann er nur Teilnehmer sein, und auch dies nur dann, wenn die Voraussetzungen der §§ 26, 27 StGB, insbesondere eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat, gegeben sind. Fehlt eine solche Haupttat, so ist der Inhaber der Entscheidungsherrschaft aus dem Delikt, das besondere Täterqualifikationen erfordert, nicht strafbar. Beispiele: Geschicktes Lügen f ü r den angeklagten Freund führt zu einem materiell unrichtigen, freisprechenden Urteil; — zwar Strafvereitelung (§258 Abs. 1 StGB) in mittelbarer Täterschaft, aber auch dann keine Beteiligung an einer Rechtsbeugung (§ 336 StGB), wenn der Richter bei Aufmerksamkeit den Schwindel hätte durchschauen können, das Urteil also vermeidbar falsch erlassen wird. — N a c h einem Verkehrsunfall wird einem Unfallbeteiligten von einer dritten Person vorgespiegelt, es sei nichts passiert; der Beteiligte entfernt sich arglos 1 3 5 ; — keine Beteiligung an der Unfallflucht (§ 142 StGB) mangels vorsätzlicher Haupttat und keine mittelbare Täterschaft mangels Qualifikation. — Bei gerechtfertigtem Werkzeug mag die Rechtfertigung nur relativ wirken; Teilnahme bleibt dann möglich; siehe dazu unten 11/59 b. 3 a) Bei nahezu allen Fallgruppen mittelbarer Täterschaft, insbesondere aber bei der 68 Benutzung eines unvorsätzlich Handelnden und eines Entschuldigten, ist streitig, ob der Defekt, der die Zurechnung zum Tatmittler ausschließt, vom Hintermann geschaffen oder mindestens ausgenutzt worden sein muß oder ob es zur Begründung mittelbarer Täterschaft hinreicht, daß der Defekt vorliegt und dem Hintermann bekannt ist 1 3 6 . Die Frage ist so freilich schief gestellt. Es geht darum, ob der Hintermann im Verhältnis zum Opfer vorrangig zuständig ist, den Defekt zu berücksichtigen. Diese vorrangige Zuständigkeit kann schon ohne jede besondere Beeinflussung gegeben sein (etwa bei der Labilität eines Kindes) und trotz Schaffens des Defekts noch fehlen (etwa bei der Erregung eines Irrtums durch sozialadäquates Verhalten). Statt auf ein Schaffen oder auf ein Ausnutzen ist darauf abzustellen, ob der Hintermann von dem Zusammenhang zwischen dem Zurechnungsdefekt und der T a t a u s f ü h r u n g distanziert werden kann oder ob dieser Zusammenhang eher zu seinem Organisationskreis gehört als zum

135 136

N a c h O L G S t u t t g a r t V R S 17 S. 272 ff. Einzelheiten sind in v e r w i r r e n d e m M a ß streitig. D i f f e r e n z i e r e n d zwischen den Fällen des 5 S t G B ( S c h a f f e n o d e r U m g e s t a l t e n d e r Defektlage e r f o r d e r l i c h ) u n d des § 20 S t G B sowie des § 3 J G G ( K e n n t n i s plus Kausalität h i n r e i c h e n d ) Herzberg T ä t e r s c h a f t S. 16, 30 f ; f ü r § 20 S t G B und § 3 J G G ebenso Scbönke-Schröder-Cramer

§ 25 R d n . 33, 39 f f ; i n n e r h a l b d e r Fälle v o n §§ 20, 35 StGB, 3 J G G d i f f e r e n z i e r e n d Jescheck A T § 62 II 4 u n d 6. — Z u m P r o b l e m b e r e i c h mit a u s f ü h r lichen N a c h w e i s e n Jescheck A T 5 62 I 3, II 4 u n d 6 ; Roxin T ä t e r s c h a f t S. 628 f f ; LK-Roxin § 25 R d n . 51, 8 4 ; Meyer A u s s c h l u ß S. 6 f, 44 f f ; - zu M e y e r k r i tisch KüperjZ 1986 S. 219 ff.

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Organisationskreis des Tatmittlers oder des Opfers. Im letzteren Fall ist der Hintermann vorrangig zuständig. 69

b) Eine vorrangige Zuständigkeit für den Zusammenhang von Defekt und Tatausführung besteht in folgenden drei Fällen : aa) Der Defekt wird vom Hintermann erregt, indem er ein Sonderrisiko f ü r die Defektentstehung schafft. Hier sind die klassischen Fälle von mittelbarer Täterschaft per Lüge unter Verletzung einer Wahrheitspflicht, D r o h u n g oder Gewalt angesiedelt.

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bb) Der Defekt ist zwar an sich eigene Angelegenheit des Ausführenden, aber der Hintermann organisiert die Verbindung von Defekt und Tat. Hierbei geht es hauptsächlich um willkürliche Verknüpfungen zwischen Defekt und T a t durch den Hintermann. Beispiel: Dem in Lebensnot Befindlichen wird Rettung nur für den Fall angekündigt, daß er zuvor einen anderen Menschen tötet.

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cc α) Der Defekt ist von jedermann jederzeit zu berücksichtigen, weil das Opfer einen Anspruch darauf hat, daß der Hintermann den Defekt des Tatmittlers einkalkuliert. Es handelt sich vorweg um Kinder sowie geisteskranke und geistesschwache Personen als Werkzeuge. Diese können bei der Gefahr einer Selbstverletzung Rücksichtnahme auf ihre Schwäche verlangen, wie auch das O p f e r einer Fremdverletzung verlangen kann, daß der Hintermann die konstitutionelle Schwäche des Tatmittlers berücksichtigt.

71 a

β) Die Pflicht zur Berücksichtigung des Defekts endet, wenn der Beitrag des Hintermanns nach den Regeln des Regreßverbots (oben 7/59, unten 24/13 ff, 21) nicht einmal akzessorische Beteiligung sein kann; denn in diesem Fall organisiert der Hintermann kein Delikt, sondern sein Verhalten wird von anderer Seite ins Deliktische fortgeführt. Beispiel 136 *: D r o h t eine geisteskranke Person, sich oder jemanden anders umzubringen, wenn der „Hintermann" heiratet oder auswandert oder einer bestimmten Religionsgemeinschaft beitritt, so begründet der Vollzug des von der drohenden Person nicht gewollten Verhaltens allenfalls eine H a f t u n g nach § 323 c StGB (wenn der „Hintermann" nicht aus anderen Gründen Garant ist, etwa als Vater der geisteskranken Person).

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Darüber hinaus fällt zu dieser Fallgruppe die Entscheidung zu einer der umstrittensten Fragen der gesamten Beteiligungslehre: H a t nämlich bei einem unvorsätzlichen oder (bei Selbstverletzung) quasi-unvorsätzlichen Ausführenden das Opfer stets einen Anspruch auf Berücksichtigung des Defekts, so ist jeder vorsätzlich Handelnde hinter einem unvorsätzlich Handelnden — spezielle Tätermerkmale vorausgesetzt — mittelbarer Täter, und die Möglichkeit von Teilnahme an unvorsätzlicher Haupttat bleibt ein Spezialproblem f ü r Sonderdelikte, bei denen dem Hintermann die Sonderqualifikation fehlt. Ist aber die Unvorsätzlichkeit eine eigene Angelegenheit des Tatausführenden und nicht des Hintermanns oder ist sie dies zumindest bei Vermeidbarkeit des Irrtums oder bei Leichtfertigkeit oder Tatsachenblindheit o. ä., so muß auch die Möglichkeit einer Teilnahme an unvorsätzlicher T a t anerkannt werden; denn wenn der Hintermann f ü r den Defekt nicht zuständig ist, kann er durch ihn weder belastet werden (vom Teilnehmer zum mittelbaren Täter) noch entlastet (vom Teilnehmer zum straffrei Beteiligten). Daß der vorsätzlich handelnde Beteiligte dabei auch bei Unvorsätzlichkeit des Tatausführenden aus dem Vorsatztatbestand zu bestrafen wäre, folgt aus der Höchstpersönlichkeit der Vermeidbarkeitsform (dazu unten zu § 28 StGB 23/12, 16 ff). Im Grenzfall, seil, bei Unvermeidbarkeit der Tatbestandsverwirklichung f ü r den 136a Analog BGH 7 S. 268 ff; OLG Köln MDR 1985 S. 695. 634

Täterschaft

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Tatausführenden, müßte sogar eine Teilnahme ohne Tatbestandsbandlung des Haupttäters anerkannt werden. Das Vorsatzerfordernis der Haupttat nach den §§ 26, 27 StGB zeigt, daß das Gesetz den allein vorsätzlichen Hintermann nicht als Teilnehmer bestrafen will, sondern unter Verzicht auf Akzessorietät als mittelbaren Täter. Nach positivem Recht ist also davon auszugehen, daß die Unvorsätzlichkeit eines Beteiligten ein Umstand ist, für den jedenfalls bei Fremdverletzungen der vorsätzlich handelnde Hintermann — vorbehaltlich eines Regreßverbots (unten 24/13 ff, 21) — vorrangig zuständig ist. Bei Selbstverletzungen ist diese Lösung nicht präjudiziell. Diese gesetzliche Regelung ist nicht vorzugswürdig, da jedenfalls in den Fällen von überdurchschnittlichem Leichtsinn des Tatausführenden die Annahme einer vorrangigen Zuständigkeit des Hintermanns den allgemeinen Prinzipien der Verantwortungsverteilung widerstreitet. Beispiel: Wirft jemand dem Opfer einen Stein an den Kopf, wobei die dann auch eintretenden Folgen sich aufdrängen, so sollte die Haftung dessen, der dem Werfenden den Stein gereicht hat, nicht davon abhängen, ob der Werfende erkanntermaßen leichtsinnig (nach geltendem Recht mittelbare Täterschaft) oder erkanntermaßen vorsätzlich (nach geltendem Recht Beihilfe) oder vermeintlich leichtsinnig oder vorsätzlich handelt (zur Lösung der letzten beiden Fallgruppen unten 24/4 f). Auch eine unterschiedliche Bestimmung des Versuchsbeginns (quantitative Akzessorietät), seil, bei Leichtsinn nicht akzessorisch, bei Vorsatz aber akzessorisch, ist nicht angebracht. Die Möglichkeit einer Teilnahme an unvorsätzlicher Tat sollte also de lege ferenda anerkannt werden (siehe auch unten 22/12 ff, 17). Zur entsprechenden Anwendung von § 27 Abs. 2 Satz 2 StGB siehe unten 21/108. c) Liegt keine der genannten Zuständigkeiten vor, so bleibt es bei akzessorischen 7 3 Beteiligungsformen. B. Die Fallgruppen mittelbarer Täterschaft 1. Die mittelbare Täterschaft durch ein Werkzeug ohne Tatbestandsvorsatz a) Diese Fallgruppe 137 gilt bei Vertretern der Tatherrschaftslehre als Prototyp von 7 4 Täterschaft, wobei teils sogar ««mittelbare Täterschaft angenommen wird 1 3 8 , weil nur der Hintermann vorsätzlich handele und also auch nur er Inhaber der „finalen Tatherrschaft" sein könne. Bei dieser Betrachtung rangieren die psychischen Fakten (nur Vorsatz gibt Herrschaft) vor der Bestimmung von Zuständigkeiten (wieso ist Herrschaft per se relevant?). Es wurde schon ausgeführt, daß eine Differenzierung nach den Gründen der Unvorsätzlichkeit angebracht wäre, aber de lege lata ausscheidet (oben 21/72). Nach geltendem Recht ist deshalb auch gleichgültig, ob der unvorsätzlich Ausführende vermeidbar oder unvermeidbar gehandelt hat. Beispiel: Ein Arzt gibt mit Tötungsvorsatz einer Krankenschwester eine Spritze mit einer Überdosis Morphium zur Anwendung bei einem Kranken. Die Schwester injiziert, ohne die Wirkung der Spritze zu ahnen; der Patient stirbt. Der Arzt ist Täter einer vorsätzlichen Tötung, die Schwester, je nach Vermeidbarkeit, Täterin einer fahrlässigen Tötung oder aber hat kein Unrecht begangen 1 3 9 . b) Partiell mittelbare Täterschaft kann in zwei Versionen vorkommen : 75 aa) Bei qualitativer Teilherrschaft tritt zur Teilnahme am Delikt mittelbare Täterschaft bezüglich eines ideal konkurrierenden Delikts; Beispiel: Der Ausführende wird 137 Die Fallgruppe entstand als Umgehung der zu engen Fassung des alten restriktiven Täterbegriffs bei zugleich geltender strenger Akzessorietät; siehe Grünhut JW 1932 S. 366 f und oben 21/25.

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Welzel Strafrecht § 15 II 1; Schumann H a n d lungsunrecht S. 91 ff. 139 Siehe RG 39 S. 298 ff; 47 S. 148 f; 62 S. 369 ff, 390; 70 S. 212 ff; B G H 9 S. 370 ff, 380.

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zur Zertrümmerung einer Fensterscheibe animiert; nur der Anstiftende weiß, daß ein hinter dem Fenster schlafendes Kind durch die Splitter verletzt werden wird ; — Anstiftung zur Sachbeschädigung in Idealkonkurrenz (§ 52 StGB) mit Körperverletzung in mittelbarer Täterschaft. bb) Bei quantitativer Teilherrschaft überschauen der Tatausführende nur zum Teil, der mittelbare Täter aber voll das unrechtsbestimmende Maß der Verletzung an einem Angriffsobjekt; Beispiel: Der Ausführende wird angestiftet, das O p f e r zu ohrfeigen; der Anstiftende weiß allein, daß das Opfer an einer Kopfverletzung leidet und tagelang schwere Kopfschmerzen haben w i r d 1 4 0 ; — mittelbare Täterschaft f ü r den überschießenden Teil. 76

c) Für den Irrtum des Tatausführenden über die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gilt: Soweit es an einer Zuständigkeit des Hintermanns f ü r den Zusammenhang von Irrtum und Tatausführung fehlt, mittelbare Täterschaft also ausscheidet, bleibt Teilnahme, da der Ausführende immerhin den Tatbestand vorsätzlich verwirklicht. Das positivrechtliche Vorsatzerfordernis f ü r die Haupttat zwingt hier also nicht zur Umdeutung von Teilnahme in mittelbare Täterschaft. Auch ansonsten hat der Ausführende über die Tatbestandsverwirklichung selbst Herrschaft, wie er Tatbestandsvorsatz hat; da ihm aber die Voraussetzungen eines rechtswidrigen Geschehens nicht bekannt sind, kann der Hintermann bei insoweit bestehender überlegener Entscheidungsherrschaft vorrangig zuständig sein 1 4 1 . — Es besteht eine Affinität dieses Irrtums zum Verbotsirrtum, wie an der vorsätzlichen Tatbestandsverwirklichung durch das Werkzeug deutlich wird; das Ergebnis könnte deshalb auch durch die entsprechende Anwendung der Regeln zur mittelbaren Täterschaft bei Benutzung eines über das Verbot Irrenden begründet werden. 2. Die mittelbare Täterschaft bei quasi-unvorsätzlicher Handlung, insbesondere Selbstverletzung des Werkzeugs

77

a) Mittelbare Täterschaft kann auch vorliegen, wenn das Werkzeug selbst bei V o r satz nicht tauglicher Täter sein kann, weil ihm eine Sonderqualifikation fehlt; Beispiel: Ein V o r m u n d läßt wertvolle Gegenstände aus dem Mündelvermögen von einem ahnungslosen Nicht-Qualifizierten zerstören (zu § 266 StGB). Insbesondere mag das Werkzeug nicht tauglicher Täter sein, weil es sich selbst verletzt. Beispiele: Der mittelbare Täter veranlaßt das nichts ahnende Werkzeug, eine Hochspannungsleitung zu b e r ü h r e n 1 4 2 ; — der mittelbare Täter schüttet dem Werkzeug eine berauschende Menge Alkohol in einen Fruchttrank, den das Werkzeug arglos austrinkt, oder er täuscht das B G H 30 S. 363 ff; von SpiegelNJW 1984 S. 110 f und S. 1867; Bloy Beteiligungsform S. 355; Herzberg Täterschaft S. 27 f; Roxin Lange-Festschrift S. 173 ff, 184 ff; ders. Täterschaft S. 590 ff; TeubnerJA 1984 S. 144 f; mittelbare Täterschaft ablehnend Jescheck AT § 62 II 2; Sippe! N J W 1983 S. 2226 ff, 2229; ders. JA 1984 S. 480 f und N J W 1984 S. 1866. LK-Roxin §25 Rdn. 65; Roxin Täterschaft S. 205 ff, 553 ff; a. A. Hirsch Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen S. 326 ff. Jescheck AT § 6 2 1 1 1 . - Grenzfall (mittelbare Täterschaft bejaht von BGH 32 S. 38 ff, 42 mit zustimmenden Anmerkungen Roxin NStZ 1984 S. 71 f; auch ders. Täterschaft S. 593 ff; Schmidhäuser]Z 1984 S. 195 f; siehe auch Neumann JuS

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1985 S. 677 ff; Sippe! NStZ 1984 S. 357 f): Der Täter spiegelt dem Opfer die Möglichkeit eines Lebens nach dem Tod auf der Erde in einem neuen Leib vor; das Opfer weiß freilich, daß nach dem Ableben des alten Leibs seine Lebensversicherung fällig wird. Wiedergeburtsvorstellungen stehen der Kenntnis des Todes nicht entgegen. Eine besondere Schutzbedürftigkeit des psychisch gestörten Opfers dürfte das Ergebnis der Entscheidung des BGH beeinflußt haben. — Keine mittelbare Täterschaft: Eine Frau spiegelt ihrem Mann vor, mit ihm zusammen sterben zu wollen; der Mann trinkt daraufhin das von der Frau vorbereitete Gift, um sich zu töten. A. A. für diesen Fall BGH GA 1986 S. 508 f; Brands und Schlehofer JZ 1987 S. 442 ff (bei Überdehnung

Täterschaft

21. AbSChn

Opfer über die Giftigkeit des Alkohols 1 4 2 3 ; — jeweils Körperverletzung oder Tötung in mittelbarer Täterschaft. b aa) Bei Selbstverletzung ist das Opfer mit dem Tatmittler identisch; bei dieser 78 Lage ist Haftungsfreiheit des Hintermanns eher diskutabel als bei Fremdverletzung. Bei Fremdverletzung wächst nach positivem Recht die Teilnahme an unvorsätzlicher Tat nur deshalb stets zur mittelbaren Täterschaft an, weil der Leichtsinn des Tatmittlers jedenfalls keinen Grund abgibt, den Hintermann gegenüber dem Opfer zu entlasten; deshalb gilt der Hintermann gegenüber dem Opfer als vorrangig zuständig. Bei Identität von Tatmittler und Opfer kann sich der Hintermann aber auf die eigene Zuständigkeit des Tatmittlers und Opfers berufen. Diese eigene Zuständigkeit besteht, solange der Hintermann den Defekt weder durch ein Sonderrisiko erregt noch die Verbindung von Defekt und Tat organisiert hat und das Opfer auch nicht gegenüber jedermann Rücksicht auf seine Schwäche verlangen k a n n 1 4 2 b (siehe dazu oben 21/71 f). Beispiel: Der Gastwirt, der dem magenkranken Gast das Gewünschte serviert, haftet auch dann nicht wegen Körperverletzung in mittelbarer Täterschaft, wenn nur er allein die schädlichen Folgen des Verzehrs erkannt hat. — Bei drohendem großen Schaden bleibt eine Haftung aus § 323 c StGB. bb) Um Selbstverletzung handelt es sich in allen Fällen, in denen das Opfer minde- 78a stens so lange wie der Beteiligte entscheiden kann, ob es zur Verletzung kommen soll (oben 21/56 ff). Endet die Entscheidungsherrschaft des Opfers vor derjenigen des Beteiligten, so begeht von diesem Zeitpunkt an dieser als Täter die Tat selbst: Es liegt dann eine Fremdverletzung vor, wobei freilich immer noch die Regeln des Handelns auf eigene Gefahr eine Haftung ausschließen können. Beispielhaft gesprochen: Wer sich auf sexuelle Kontakte unter Bedingungen einläßt, die den Schluß zulassen, der Partner (Angehöriger einer „Risikogruppe") könne mit einer bei solchen Kontakten übertragbaren Krankheit infiziert sein, begeht bei den üblichen, gewaltlos vollzogenen sexuellen Praktiken eine Selbstverletzung 1 4 2 c : Seine Entscheidungsherrschaft endet nicht vor derjenigen seines Partners 1 4 2 c i , und die Sorge für die Gesundheit ist nicht vorrangig dessen Aufgabe (keine mittelbare Täterschaft). Verliert er freilich seine Entscheidungsherrschaft vor derjenigen seines Partners (dann: Fremdverletzung), handelt er unter den geschilderten sonstigen Voraussetzungen auf eigene Gefahr, wobei es bei Gefahren für beliebig verfügbare Güter um ein tatbestandsausschließendes Handeln auf eigene Gefahr geht, bei erheblichen Gesundheitsgefahren und bei Gefahren für das Leben um allenfalls rechtfertigendes Handeln auf eigene Gefahr (Rechtfertigung nur bei noch vernünftiger Veranlassung). Die der Rechtsprechung bisher vorgelegten Fälle einverständlicher sexueller Betätigungen bei Infektionsgefahr waren sämtlich solche der Selbstverletzung 142e , die eben nicht schon endet, wenn der sich Verletzende aktuell nichts bedenkt, sondern erst dann, wenn der andere f ü r den Kenntnisdefekt zuständig ist 142 f. Anders verhält es sich, wenn der infizierte Partner zum Vertier R e c h t s g u t s b e z o g e n h e i t eines I r r t u m s ) ; z u t r e f f e n d e Kritik d e r E n t s c h e i d u n g bei Roxin T ä t e r s c h a f t S. 605 f f ; Charalambakis CA 1986 S. 485 ff, 5 0 1 : b l o ß e r M o t i v i r r t u m ; siehe a u c h unten 2 1 / 1 0 1 . 142a B G H N S t Z 1986 S. 266 f. 142 k Eingehend Frisch V e r h a l t e n S. 182 ff. 142c Ähnlich z u r A b g r e n z u n g v o n Selbst- u n d F r e m d Verletzung, freilich s t ä r k e r auf K e n n t n i s statt auf Zuständigkeit f ü r Wissen abstellend, Otto T r ö n d l e - F e s t s c h r i f t S. 157 ff, 166 f ; B a y O b L G J Z 1989 S. 1073 f, 1074.

142d

D a ß die Lage a n d e r s w a r o d e r z u m i n d e s t a n d e r s v o r g e s e t z t w a r (im letzteren Fall : v e r s u c h t e F r e m d v e r l e t z u n g ) , w i r d sich z u m i n d e s t in d e r R e gel nicht beweisen lassen, 1 « « I n s b e s o n d e r e gilt das f ü r B G H 36 S. 1 ff. ' 4 2 f S o im Ergebnis z u t r e f f e n d , w e n n a u c h teils u n t e r Vermischung von Selbstverletzung und H a n d e l n auf eigene G e f a h r Frisch V e r h a l t e n S. 1 ff, 154 ff, 180 f f ; ders. J u S 1990 S. 362 ff, 369 f ; Herzog u n d Nestler-TremelStV 1987 S. 360 ff, 369 ( n o c h weit e r g e h e n d Herzog i n : A I D S - K o m p l e x S. 329 ff, 341 f ) ; Bruns N J W 1987 S. 2281 ff, 2 2 8 2 ; ders.

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21. Abschn

2. B u c h . 4. K a p i t e l . B e t e i l i g u n g

trauen auf seine Integrität einen besonderen Anlaß gegeben hat 1 4 2 ? (etwa bei einer Liebesbeziehung o. ä.) oder aus sonstigen Gründen Garant ist. — Entsprechendes gilt bei der Verschaffung von Rauschgiften: Wer einer verantwortlichen Person Gelegenheit zur Selbstschädigung gibt, ist nicht nur dann von H a f t u n g frei, wenn der Empfänger das Risiko aktuell bedenkt, sondern immer schon, wenn es eigene Angelegenheit des Empfängers ist, das Risiko zu b e d e n k e n D i e Unangemessenheit einer Differenzierung nach den psychischen Fakten — aktuelles Bedenken oder nicht — dürfte deutlich werden, wenn ein ängstlich alle Folgen kalkulierender Anfänger einem Routinier, der es längst aufgegeben hat, sich mit Skrupeln herumzuplagen, ein Rauschgift verschafft. N o c h krasser: Sollte wirklich der Gastgeber, der den kommenden Kater des heftig zechenden Gastes voraussieht, wegen Körperverletzung haften, wenn der Gast (vielleicht: wieder einmal) nichts bedenkt? 79

c) In Fällen der teilweise bewußten Selbstverletzung des Werkzeugs bleibt die H a f tung wegen des „täterschaftlichen Uberhangs" bestehen; Beispiel: Dem zum „Genuß" einer Pfeife Haschisch Entschlossenen reicht der mittelbare Täter in Kenntnis der Umstände eine Pfeife mit Opium; mittelbare Täterschaft f ü r das vom Ausführenden nicht erkannte Maß der Selbstverletzung.

80

d) Der Betrug ist eine Vertypung von mittelbarer Täterschaft bei unvorsätzlich handelndem Werkzeug f ü r die Verfügung 1 4 2 1 . Zudem kann die Täuschungshandlung durch ein Werkzeug begangen w e r d e n 1 4 3 ; dann beherrscht der Täter über das Werkzeug f ü r die Täuschung das Werkzeug f ü r die Verfügung. 3. Die mittelbare Täterschaft durch ein gerechtfertigt handelndes Werkzeug

81

a aa) Der Konflikt, den ein gerechtfertigtes Verhalten auslöst, wird durch Verweis auf den rechtfertigenden Zusammenhang des Verhaltens erledigt. Ist diese Rechtfertigungslage kein Zufallsprodukt, vielmehr von einem Menschen organisiert worden, so wird durch den Verweis auf die Lage zugleich der f ü r die Organisation Zuständige belastet: Weil er f ü r die Situation zuständig ist, die ein gerechtfertigtes Verhalten ermöglicht, haftet er auch f ü r dieses Verhalten. Meist wird die Fallgestaltung so liegen, M D R 1987 S. 353 ff, 356 (anders aber wohl ders. N J W 1987 S. 693 ff, 694); a. A. B G H 36 S. 1 ff, 17 f unter Berufung auf das überlegene Wissen des Infizierten, der seine Krankheit kennt: eine Vertauschung der Voraussetzungen von § 323 c StGB mit einer Garantenstellung; Schünemann in: Rechtsprobleme S. 373 ff, 469 ff, 471 f f ; ders. J R 1989 S. 89 ff, 91; Herzberg N J W 1987 S. 2283 f, 2284; MeierGA 1989 S. 207 ff, 218 f f ; Stree JuS 1985 S. 179 ff, 183: „Keiner näheren Begründung ( ?) bedarf der Übergang der Verantwortung auf Mitwirkende, wenn sie allein die Gef a h r erkannt h a b e n . . . " ; Prittwitz JA 1988 S. 427 ff, 436 bei Kenntnis, was bei Prittwitz weniger ist als Vorsatz; Pfeffer D u r c h f ü h r u n g S. 190 ff. — Soweit es sich um Selbstverletzung handelt, kommt es nicht darauf an, ob der SichVerletzende einen guten Grund hat (das verkennt Helgerth N S t Z 1988 S. 261 ff, 263): Es geht nicht um Rechtfertigung. — Siehe auch LG Kempten N J W 1989 S. 2069 ff. 142 g Wohl kaum im Fall B G H J Z 1990 S. 195 f f ; a. A. der entscheidende Senat und wohl auch Rudolphi in der Anmerkung a a O S. 198 f.

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142h Der Inhalt von B G H 32 S. 262 ff, daß nämlich die bloße Veranlassung einer Selbstgefährdung keine strafrechtliche H a f t u n g auslöst, sollte in einem freiheitlichen Staat eine Trivialität sein und ist es bei den Suchtmitteln Alkohol und Nikotin auch. Die Aussage, die Strafbarkeit beginne, „wo der sich Beteiligende kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfaßt als der sich selbst Gefährdende" (aaO S. 265), verwechselt das psychische Faktum (Wer weiß?) mit einer normativen Regelung (Wer ist zuständig ?). 1421 Eine irrtumserregende Täuschung führt gemäß den Ausführungen oben 21/78 nur dann zum Betrug, wenn der Täuschende Garant dafür ist, daß das Opfer nicht von Fehlannahmen ausgeht; ob (auch) eine Lüge des Täters oder die VertrauensSeligkeit des Opfers den relevanten Grund f ü r Verfügung und Schaden bildet, ist allein am Kausalzusammenhang zwischen Täuschung und Irrtum nicht abzulesen; sehr streitig, siehe zuletzt Kurth Mitverschulden S. 169 ff mit Nachweisen passim und insbesondere S. 99 ff. 143 Siehe B G H N J W 1981 S. 1744 f mit Anmerkung Ttedemann JR 1981 S. 470 ff, zu § 264 StGB.

Täterschaft

21. Abschn

daß die Erzeugung des rechtfertigenden Zusammenhangs die Alternative völliger Schadlosigkeit überhaupt ausschließt; der Gerechtfertigte kann dann nur noch über die Verteilung des Schadens entscheiden und hat gegenüber dem Erzeuger der Situation eine weniger alternativenreiche und damit unterlegene Entscheidungsherrschaft; denn der Erzeuger hatte auch die Alternative völliger Schadlosigkeit zur Verfügung. Soweit der Gerechtfertigte ausnahmsweise keine Alternative verliert (bei der rechtswidrigen, aber bestandskräftigen behördlichen Genehmigung), ist er doch für die Wahl zwischen den Handlungsmöglichkeiten nicht mehr verantwortlich 1 4 4 . Besteht freilich f ü r die Situation, in der eine Tatbestandsverwirklichung gerechtfertigt ist, keine vorrangige Zuständigkeit, handelt es sich vielmehr um eine Auslösung der Situation ohne überlegene Entscheidungsherrschaft, so ist der Auslösende nicht mittelbarer Täter, sondern bloßer Teilnehmer. Beispiel: Jemand berichtet — objektiv w a h r oder unwahr, jedenfalls optima fide — der Staatsanwaltschaft von einer schweren Straftat einer dritten Person; es kommt unter Beachtung von § 127 Abs. 2 S t P O wie erwartet zu einer vorläufigen Festnahme: straflose Beteiligung an gerechtfertigter Freiheitsberaubung, nicht etwa gerechtfertigte Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft. O b der Gerechtfertigte zur T a t verpflichtet ist (Pflicht des Richters zum Erlaß eines Haftbefehls, wenn die Voraussetzungen der §§112 ff S t P O vorliegen) oder nicht (keine Pflicht des rechtswidrig Angegriffenen zur Notwehr), ist gleichgültig; nicht das Maß des Drangs zur T a t (das mag etwa bei Befolgung schlichter Dienstanweisungen minimal sein), sondern der Abbruch der Zurechnung durch Rechtfertigung beim Ausführenden begründet die mittelbare Täterschaft. — Z u r relativen Rechtfertigung siehe oben l l / 5 9 a f . bb) In der Umkehrung fehlt es an mittelbarer Täterschaft und erledigt sich nach 8 2 allgemeinen Regeln, wenn der Tatausführende sich nicht gerechtfertigt verhält, mag f ü r ihn auch ein mächtiger D r a n g zur Tat bestehen. Beispiel: Der Beteiligte berichtet dem Bandenchef wahrheitswidrig von der „Untreue" eines Mitglieds. Der Chef tötet den vermeintlich Abtrünnigen. Mittelbare Täterschaft scheidet auch aus, soweit der Ausführende — erwartungsgemäß — die Grenzen der Rechtfertigung zurechenbar überschreitet; Beispiel: Das Opfer wird zu einem Angriff gezwungen; statt schlicht zurückzuprügeln, verletzt der Angegriffene in seiner W u t das Opfer schwer; — mittelbare Täterschaft nur bezüglich der in der schweren Körperverletzung (§§ 224, 225 StGB) enthaltenen einfachen K ö r perverletzung (§ 223 StGB) H5. cc) Es ist gleichgültig, ob der mittelbare Täter die erzeugte Rechtfertigungssituation 8 3 zur Zeit der gerechtfertigten Tat noch zurücknehmen kann, so wie ja auch beim unmittelbaren Täter gleichgültig ist, ob er nach dem beendeten Versuch noch eine Möglichkeit hat, den Verlauf zum Erfolg zu revozieren. b) Beispielhafte Einzelfälle: aa) Zuständigkeit für eine Situation, die eine Tat im aggressiven Notstand rechtfertigt. 8 4 Beispiel: N a c h Kaperung eines Taxis zwingt der T ä t e r den vom Taxiunternehmer angestellten Fahrer unter Todesdrohungen zu einer Fahrweise, die das Fahrzeug — wie 144 Siehe Joerden Strukturen S. 70 ff. — Gesetzliche Vertypung ist 5 253 StGB im Fall der Verfügung über das Vermögen dritter Personen; siehe Jakobs JR 1987 S. 340 ff. 145 Zu der die Rechtswidrigkeit mehrerer Beteiligter

voll relativierenden und dann auf Güterabwägung abstellenden Lösung von Johannes Mittelbare T ä terschaft S. 44 ff, 47 ff siehe Roxin ZStW 77 S. 100 ff.

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2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

allen klar ist — beschädigt; — gerechtfertigte Sachbeschädigung (§ 303 S t G B ) durch den F a h r e r 1 4 6 , aber rechtswidrige Sachbeschädigung in mittelbarer Täterschaft durch den Nötigenden (neben ideal konkurrierender Erpressung in unmittelbarer T ä t e r schaft). D e r Organisator der Situation kann selbst der T ä t e r der gerechtfertigten T a t s e i n 1 4 6 a . Beispiel: Jemand setzt eine fremde, gefährliche Maschine grundlos in G a n g ; weil der Betrieb dritte Personen gefährdet, zerstört er sie sodann in erforderlicher Notstandshilfe; — gerechtfertigte Sachbeschädigung (§ 303 S t G B ) in unmittelbarer Täterschaft, aber nicht-gerechtfertigte Sachbeschädigung in mittelbarer Täterschaft. Man sollte diese Konstruktion nicht als actio illicita in causa (im Ursprung unerlaubte Handlung) bezeichnen; denn die causa, seil, das Schaffen der Notstandslage, ist selbst schon das Tatverhalten. Ist der Inhaber des zu rettenden Guts zugleich für die Notstandslage zuständig (siehe oben 13/27), so mindert die Zuständigkeit das rechtlich anerkannte Interesse am Gut. Beispiel: Ist jemand ohne hinreichende Ausrüstung auf das offene Meer hinausgesegelt, so sind zwar noch gewichtige Notstandseingriffe in fremdes Eigentum zur Lebensrettung gerechtfertigt (Leben ist nicht voll verzichtbar), nicht aber (abgesehen von Bagatelleingriffen) zur Rettung seines Eigentums. Auch wenn der T ä t e r selbst das in der von ihm zu verantwortenden Notlage handelnde Werkzeug ist, muß er schon bei der Organisation der Lage alle Tätervoraussetzungen aufweisen; V o r s a t z und Fahrlässigkeit sind auf diesen Zeitpunkt zu beziehen. Beispiel: W e n n ein Arzt sich betrinkt und dabei fahrlässig verkennt, daß er Bereitschaftsdienst hat und noch ein Fahrzeug wird lenken müssen, so haftet er für die anschließend in einer Lage rechtfertigenden Notstands erforderlich werdende — und dann von ihm vorsätzlich vollzogene — Trunkenheitsfahrt jedenfalls nicht als V o r s a t z täter, weil die Konfliktlage nicht vorsätzlich hervorgerufen wurde, aber auch nicht als Fahrlässigkeitstäter, weil § 316 S t G B ein formulierungsmäßig eigenhändiges Delikt i s t 1 4 7 . Die Voraussetzungen entsprechen also denjenigen bei actio libera in causa (oben 17/64 ff; siehe auch zum rechtfertigenden Notstand oben 13/14 mit weiteren Nachweisen). Die Organisation der Situation kann auch durch Unterlassen erfolgen, wenn die Unterlassung von begehungsgleichem Gewicht ist oder — bei Selbstgefährdung — in der Vernachlässigung einer elementaren Obliegenheit besteht. Beispiel zu letzterem: Ein Student vertrödelt am Samstag vorsätzlich und in Kenntnis des Kommenden in der Bibliothek die Schließzeit, wird eingeschlossen und muß nunmehr, um nicht bis zum Montag eingeschlossen zu bleiben, eine Glastür zerstören; — rechtswidrige Sachbe-

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Streitig, siehe oben 13/14; wie hier mit Nachweisen Herzberg Mittelbare Täterschaft S. 31; a. A. insbesondere LangeNJW 1978 S. 784 ff, 785.

146a

Küper Notstand S. 50 ff, 59 ff, 67 f, 167 f beschränkt die Lösung auf Fälle von Fahrlässigkeit (siehe unten 21/113), da das Gesetz beim Vorsatzdelikt abwarte, bis der Vorsatz „sich in einem relativ eindeutigen, unmittelbaren Angriff auf das tatbestandliche Schutzobjekt" manifestiere, während beim Fahrlässigkeitsdelikt „wegen der milderen Sanktion nicht nur kein Anlaß zu einer vergleichbaren Differenzierung der Verhaltensanforderungen" bestehe, „sondern überhaupt keine sinnvolle Möglichkeit. . ..weil sich das normwid-

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147

rige Handeln in der Vernachlässigung der erforderlichen Sorgfalt" erschöpfe. — Allerdings ist das Schaffen der Notlage ein unmittelbarer Angriff (unten 21/105, dagegen KüperS. 74 ff, 77 f). Was die Differenzierung zwischen „unmittelbarem Angriff" und „Vernachlässigung der erforderlichen Sorgfalt" angeht, so ist sie falsch: Was nicht die erforderliche Sorgfalt vernachlässigt, ist nie ein unmittelbarer Angriff (jeder Versuch muß objektiv zurechenbar sein). Dazu Dencker J u S 1979 S. 779 ff, 783; Küper Notstand S. 51 und passim (freilich nur für Fälle von Fahrlässigkeit).

Täterschaft

21. Abschn

Schädigung (§ 303 StGB) in mittelbarer Täterschaft, obwohl die unmittelbare Sachbeschädigungshandlung rechtmäßig ist. Bei Sonderdelikten und alleiniger Qualifizierung des Werkzeugs ist eine H a f t u n g nur bei Anerkennung einer relativen Rechtfertigung möglich. Beispiel : Ein Richter wird mit Todesdrohungen zur Rechtsbeugung in einem Fall geringer Bedeutung gezwungen; — zwar ist das Sonderdelikt in der Person des Richters gerechtfertigt (§ 34 StGB), aber nur im Verhältnis zum Richter selbst; f ü r den Zwingenden ist zur Abwehr der Gefahr nicht die Rechtsbeugung erforderlich, sondern die Preisgabe der D r o h u n g ist milderes Mittel (siehe oben 11/60 f). bb) Zuständigkeit für eine Situation, die eine Tat im defensiven Notstand^ rechtfer- 8 5 tigt. Beispiel: Der mittelbare Täter bestimmt den Angreifer, den er listig zu diesem Zweck in schuldausschließendem Maß betrunken gemacht hat, eine dritte Person anzugreifen; der Angegriffene wehrt sich, wie der mittelbare Täter vorausgesehen hat, unter erforderlicher Verletzung des Angreifers; — mittelbare Täterschaft bezüglich der Körperverletzung (§ 223 StGB) am Angreifer durch diesen selbst als erstes Werkzeug und dadurch vermittelt durch den Angegriffenen als zweites Werkzeug (in Idealkonkurrenz mit Nötigung des Angegriffenen). An einer überlegenen Zuständigkeit des Hintermanns fehlt es, wenn dem Tatmittler keine Alternativen abgeschnitten werden und ihm auch nicht die Verantwortung f ü r die Wahl zwischen den Handlungsmöglichkeiten genommen wird; insbesondere führt also das Schaffen bloßer Tatanreize nicht zur mittelbaren Täterschaft. Beispiele: Wer den Angreifer über das hohe Maß der zu erwartenden Abwehr täuscht, mag Teilnehmer am Angriff sein, ist aber jedenfalls nicht mittelbarer Täter der Abwehr; denn f ü r den Angriff bleibt der Angreifer selbst vorrangig zuständig 1 4 9 » 15 °. Erst recht fehlt es an mittelbarer Täterschaft, wenn dem Angreifer bloß Mittel oder Ratschläge zum Angriff oder dem Angegriffenen Mittel oder Ratschläge zur Verteidigung gegeben werden. cc) Zuständigkeit für eine Situation, die eine eingreifende Amtshandlung rechtfertigt. 8 6 Beispiele: Eine falsche Aussage in einem Zivilprozeß täuscht den Richter über die Rechtslage; er verurteilt den Beklagten zu einer materiell nicht gerechtfertigten Zahlung; — Betrug, hier durch den rechtmäßig (prozeßordnungsgemäß) verfügenden Richter 1 5 1 (der zudem undoloses Werkzeug ist, da er die Rechtswidrigkeit der Bereicherung nicht kennt). — Eine vorsätzlich falsche Anschuldigung des mittelbaren Täters führt zu einer nach den §§ 112 ff S t P O bei der gegebenen Beweislage rechtmäßigen Untersuchungshaft 1 5 2 . — Ist der Aussagende nicht vorrangig zuständig, insbesondere 1+8 Nach der hier zur N o t w e h r vertretenen Lösung ist Notwehr nur gegen schuldhaftes Angriffsverhalten gerechtfertigt. Nach der insoweit abweichend entscheidenden überwiegenden Ansicht geht es in der Fallgruppe um Notwehrrechtfertigung149 /escheck A T § 62 II 3; LK-Roxin § 25 Rdn. 51 ; Schreiber in: Rechtfertigung S. 1151 ff, 1171 ff; jeweils mit Nachweisen; a. A. Herzberg Mittelbare Täterschaft S. 28 f ; Maurach-Gössel A T II § 48 Rdn. 73. 150 Was seine eigenen Güter angeht (siehe oben 21/78) ! Weiß der Täuschende, nicht aber der Angreifer, daß der Angegriffene in einer Weise, die Verantwortung ausschließt, in die Güter dritter Personen eingreifen wird, benutzt er über das insoweit undolose Werkzeug „Angreifer" das un-

dolose, gerechtfertigte oder entschuldigte W e r k zeug „Angegriffener". 151 R G 72 S. 150 f. 152 B G H 3 S. 4 f f ; 10 S. 306 ff, 307. - Im Fall O L G Schleswig N S t Z 1985 S. 74 f erschleicht eine zumindest formell nicht qualifizierte Person (ein Nicht-Arzt) die Stellung eines (ärztlichen) Sachverständigen und erstattet Gutachten, die zur freiheitsentziehenden Unterbringung von Personen führen : Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft; daß ein formell qualifizierter Sachverständiger (ein Arzt) ebenso gegutachtet hätte, bringt allenfalls eine Milderung der Strafe (selbst das ist zweifelhaft, siehe oben 7/92 ff, 94; a. A. — keine H a f t u n g — O L G Schleswig a a O und Otto a a O S. 75 f); für Versuch: Amelung und Brauer J R 1985 S. 474 ff, 477.

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2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

weil er optima fide aussagt, so scheidet mittelbare Täterschaft aus, auch bei unmoralischer Motivation; Beispiel: Die Frau zeigt ein schweres Delikt ihres Ehemannes an, um ihn f ü r einige Jahre los zu werden 1 5 3 . — Eine wahrheitsgemäße Anzeige, die zu einer, wie der Täter weiß, rechtsbeugenden Verurteilung führt, ist Teilnahme an der Unrechtstat des Richters (wenn sie nicht nach den Regeln des Regreßverbots, unten 24/13 ff, haftungsfrei ist), nicht aber eine Tat in mittelbarer Täterschaft 1 5 4 . 87

dd) Eine Behörde erteilt eine (tatbestandsausschließende oder) rechtfertigende Erlaubnis, die materiell rechtswidrig, aber bestandskräftig ist (institutionelle Zuständigkeit mag hinzukommen); — eingehender oben 16/29 ff. — Eine Privatperson wird durch Zwang oder Täuschung dazu gebracht, in die Verletzung eines disponiblen Guts tatbestandsausschließend oder rechtfertigend einzuwilligen: Der für den Zwang oder die D r o h u n g Zuständige ist damit auch über die (wirksame!) Einwilligung für den tatbestandslosen oder gerechtfertigten Eingriff zuständig, und zwar ohne daß in seiner Person der Tatbestand ausgeschlossen wäre oder Rechtfertigung vorläge; — eingehender oben 7/117 ff, siehe auch 14/8. ee) Nicht bei Straftaten, aber bei Ordnungswidrigkeiten, ist mittelbare Täterschaft des vorgesetzten Beamten oder Militärs durch einen verbindlichen Befehl an den durch Befehl gerechtfertigten Taten des Untergebenen möglich (siehe oben 16/11 ff). 4. Die mittelbare Täterschaft durch ein quasi-gerechtfertigt handelndes Werkzeug

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a) Auch wenn ein O p f e r dazu gebracht wird, in eigene, disponible Güter einzugreifen, aber in einer dem rechtfertigenden Notstand entsprechenden Proportionierung, ist derjenige, der f ü r die Notwendigkeit des Eingriffs zuständig ist, mittelbarer Täter, obgleich die Preisgabe disponibler Güter durch den Inhaber in jeder Situation erlaubt ist. Wie bei gerechtfertigten Notstandstaten kann hier der Inhaber der Dispositionsbefugnis nur über die Verteilung des Schadens entscheiden und hat deshalb auch nur eine unterlegene Entscheidungsherrschaft, die er, zumindest solange er sich im Rahmen der Proportionierung des § 34 StGB hält, so gebraucht, wie sie auch ein Dritter an seiner Stelle bei rechtlicher Billigung gebrauchen könnte (Quasi-Rechtfertigung) 1 5 5 . — Beispiele: Nach Kaperung eines Taxis zwingt der mittelbare Täter den Eigentümer, der zugleich Fahrer ist, zu einer das Fahrzeug beschädigenden Fahrweise. — Der Lehrherr zwingt mit gewichtigen Drohungen seinen Lehrling, ein ungereinigtes Stück Darm zu essen 1 5 6 .

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b) § 34 StGB enthält mit dem Merkmal des wesentlichen Überwiegens des gerechtfertigten Interesses eine Grenze, die nur Grenze der zwischenmenschlichen Solidarität ist. Im Fall der Preisgabe des Guts durch den Dispositionsbefugten selbst gilt diese Beschränkung nicht; deshalb ist die Fallgruppe der mittelbaren Täterschaft bei QuasiRechtfertigung über § 34 StGB hinaus zu erweitern: Solange die vom Opfer praktizierte Werthierarchie überhaupt plausibel ist, liegt mittelbare Täterschaft v o r 1 5 7 . Beispiel: U m eine vom mittelbaren Täter gefährdete Sache bestimmten Werts und hohen Affektionsinteresses zu erhalten, zerstört das Opfer eine Sache gleichen Werts, aber 153

Welzel SJZ 1947 Sp. 645 ff, 647 f; ders. D R Z 1950 S. 303 f; Jescheck A T § 62 II 3; siehe auch B G H 3 S. 111 ff, 114 f; B G H N J W 1958 S. 874; a. A. O L G Bamberg SJZ 1950 Sp. 207 ff mit zustimmender Anmerkung Lange aaO. 154 LK-Roxin § 2 5 Rdn. 64; siehe auch B G H 3 S. 111 ff (unklar S. 129, mittelbare Täterschaft?) ; B G H 4 S. 66 ff. - Zum Problembereich Herzberg Mittelbare Täterschaft S. 33 ff. — Zu dem

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für Denunziantenfälle seinerzeit in der britischen und französischen Zone gültigen K R G N r . 10 siehe v. Weber N J W 1950 S. 35 f ; Jescheck AT § 62 II 3. 155 Siehe auch SK-Rudolphi Rdn. 80 f vor § 1 ; Frisch Verhalten S. 472 ff, jeweils mit Nachweisen. 156 R G 26 S. 242 f. 157 Jakobs Z S t W 89 S. 1 ff, 33 f; zu den nicht mehr plausiblen Umschichtungen einer Gefahr Roxin

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minderen Affektionsinteresses; Sachbeschädigung (§ 303 StGB) an der zerstörten Sache in rechtswidriger mittelbarer Täterschaft 1 5 8 . Hierher gehören auch die meist einer Quasi-Schuldlosigkeit zugeordneten Fälle der Nötigung zur Selbsttötung (siehe unten 21/97). Beispiel: Ein KZ-Häftling wird durch schwerste Peinigungen zur Selbsttötung getrieben 1 5 8 a : Das O p f e r schichtet Güter so um, wie es noch einer plausiblen Güterverwaltung entspricht. Das gilt auch, wenn das Opfer zugunsten eines fremden Güterhaushalts in seine Güter eingreift: Da es nicht um Quasi-Schuldlosigkeit, sondern um Quasi-Rechtfertigung geht, kommt es — entsprechend § 34 StGB und anders als bei § 35 StGB — auf ein Näheverhältnis zum Begünstigten nicht an. Beispiel : Der Täter droht, er werde ein Kind töten, wenn eine dritte Person sich nicht selbst töte. Die dritte Person tötet sich oder läßt sich auf Verlangen töten : täterschaftliche T ö t u n g durch den Drohenden (und je nach Fallgestaltung Tötung auf Verlangen, § 2 1 6 StGB, durch denjenigen, der die T ö t u n g eigenhändig vollzieht). c) Das Opfer gibt in dieser Fallgruppe das Gut — notgedrungen — selbst preis. Die 9 0 darin liegende Einwilligung ist trotz der Zwangslage w i r k s a m 1 5 9 (oder, beim Tötungsverlangen, immerhin im Rahmen der Milderung nach § 216 StGB partiell wirksam), wie deutlich wird, wenn das O p f e r eine unbeteiligte dritte Person, die auf die Zwangslage keinen Einfluß hat, um die Tat bittet (oder den Erzeuger der Zwangslage, wenn dieser den Einfluß auf die Lage verloren hat). Mittelbare Täterschaft liegt nicht etwa deshalb vor, weil das O p f e r nicht wahrhaft wollte, sondern weil der mittelbare Täter f ü r eine Lage vorrangig zuständig ist, in der das Wollen einer Güterumschichtung vernünftig ist 1 6 0 . 5. Die mittelbare Täterschaft durch ein schuldlos handelndes Werkzeug a aa) Der Verweis auf die Bedingungen der Zurechnungsunfähigkeit oder ausge- 91 schlossener Zumutbarkeit bringt — entsprechend der Lage bei Rechtfertigung — zwar eine Entlastung des schuldlos Handelnden, aber damit zugleich eine Belastung dessen, der f ü r diese Bedingungen ausgeschlossener Schuld zuständig ist. W e r f ü r die Bedingungen der Schuldlosigkeit eines anderen zuständig ist, haftet — sonstige Zurechnungsvoraussetzungen unterstellt — f ü r das schuldlos vollzogene Verhalten. Diese H a f t u n g kann allein mit den Regeln der Teilnahme und der Mittäterschaft, die bei Entschuldigung des Tatausführenden anwendbar bleiben (§ 29 StGB), nicht erledigt werden, weil bei Anwendung dieser Regeln zwar das Mitbewirken einer Tat erfaßt wird, nicht aber die vorrangige Zuständigkeit für den Grund des Schuldausschlusses. Wer die Schuldlosigkeit des Tatausführenden überlegen beherrscht, ist nicht nur Beteiligter an der Tat, sondern begeht durch die überlegene H e r r s c h a f t eine eigene, mittelbare T a t 1 6 1 . bb) Da Täterschaft zum Unrecht gehört, auch wenn sie durch vorrangige Zustän- 9 2 digkeit für die Schuldlosigkeit des Werkzeugs begründet wird, ist es irrelevant, ob der mittelbare Täter seinerseits schuldhaft handelt 1 6 2 . Es kommt nicht etwa auf die Schuld des mittelbaren Täters an, sondern auf seine vorrangige Zuständigkeit f ü r die BedinHonig-Festschrift S. 133 ff, 142 f; WolterObjekHerzberg Täterschaft S. 35 ff; siehe aber auch tive und personale Zurechnung S. 343 ff; Frisch ders. Mittelbare Täterschaft S. 56 f; zum Problem Verhalten S. 485 f; siehe auch Hillenkamp Vorferner Λοχίη Täterschaft S. 631 ff. satztat und Opferverhalten S. 301 f; BGHZ JR 160 Verkannt von BGH 17 S. 359 f. 1988 S. 199 ff; weitere Nachweise bei Jakobs ILSLO 161 Zum Problembereich Roxin Täterschaft S. 15. S. 142 ff, 208 ff, 233 ff; Gallas Materialien Bd. I 158 Zu den gesetzlichen Vertypungen (auch) dieser S. 121 ff, 133 ff; Herzberg Täterschaft S. 13 ff, Fallgruppe, §§ 240, 253 StGB, siehe Jakobs JR 29 ff. — Zu den gesetzlichen Vertypungen, 1987 S. 340 ff; Ttmpe Nötigung S. 31 ff. §§ 240,253 StGB, siehe Jakobs JR 1987 S. 340 ff. 158a O G H 2 S . 5 ff, 7. 162 Teilweise abweichend LK-Roxin%25 Rdn. 70. 159 Siehe oben 7/116 ff; 14/8; a. A. insbesondere

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gungen der Schuldlosigkeit des Tatausführenden (in üblicher Terminologie: auf die Tatherrschaft über die Bedingungen der Unschuld). Beispiel : Ein geisteskranker mittelbarer Täter zwingt das Werkzeug mit Todesdrohungen zu der T ö t u n g einer dritten Person. 93

cc) Weist allein das Werkzeug die erforderlichen speziellen Täterqualifikationen auf, so hat derjenige, der das Werkzeug beherrscht, immer noch überlegene Entscheidungsherrschaft, kann aber — mangels Qualifikation — nicht Täter sein. Es bleibt allein Teilnahme.

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dd α) Da die Schuld quantifizierbar ist, könnte man bei Beherrschung einer nur partiellen Entschuldigung von partieller mittelbarer Täterschaft sprechen. Fälle dieser Art wären etwa die Erregung eines schuldmindernden Verbotsirrtums, § 17 Satz 2 StGB, eines schuldmindernden Rauschs, § 2 1 StGB, oder durchschaubares Vortäuschen eines entschuldigenden Notstands, § 35 Abs. 2 StGB. Das Problem gleicht demjenigen der Abgrenzung von Mittäterschaft und Teilnahme per Gestaltungsherrschaft; auch dort findet sich die stufenlose Annäherung an das zur Täterschaft hinreichende Maß der Mitwirkung. ß) Es gibt drei Lösungsmöglichkeiten: Man kann auf überwiegende Entschuldigung abstellen 162 *, oder — strenger — nur die Fälle an der Grenze zur Entschuldigung können noch zur mittelbaren Täterschaft geschlagen werden 1 6 3 , oder aber — noch strenger — nur volle Schuldlosigkeit des Werkzeugs kann mittelbare Täterschaft begründen 1 6 3 a . Die letzte Lösung ist vorzuziehen. Soweit dem Tatausführenden auch nur ein Rest von Verantwortlichkeit bleibt, kann f ü r andere Beteiligte jedenfalls bezüglich dieses Rests keine vorrangige Zuständigkeit bestehen. Deshalb passen bei dieser Lage die Konsequenzen der nicht-akzessorischen mittelbaren Täterschaft schlechter als diejenigen akzessorischer Beteiligungsformen. Die Konsequenzen mittelbarer Täterschaft sind die individualisierte Versuchsbestimmung (siehe unten 21/105) und die Täterhaftung auch ohne Gestaltungsherrschaft (siehe oben 21/66), insbesondere auch bei fehlender Täterqualifikation des Tatmittlers. Wer f ü r eine nur partielle Schuldminderung vorrangig zuständig ist, hat nur ein Stück Herrschaft über die Entscheidung, nicht aber volle H e r r s c h a f t 1 6 4 , und kann deshalb mangels einer voll eigenen T a t nur per Gemeinsamkeit mit den anderen Beteiligten voll zuständig werden. Einen „Täter hinter dem T ä t e r " 1 6 5 — genauer: einen Täter hinter dem nicht voll in der Entscheidungsherrschaft unterlegenenTäxer — kann es nicht geben (zweifelhaft). Das Problem dürfte praktisch nahezu irrelevant sein; denn eine allenfalls geringfügige Restschuld des partiellen Werkzeugs hat bei gegebener Möglichkeit, den Konflikt auf einen mittelbaren Täter zu verlagern, überhaupt keinen Bestand. γ) Freilich ist die Beherrschung der partiellen Schuldlosigkeit im Rahmen der Mittäterschaft ein mitgestaltendes Moment, so daß praktisch oft täterschaftliche Haftung, aber eben nicht in Form von mittelbarer Täterschaft, sondern von Mittäterschaft, begründet werden kann. ">2a So wohl B G H 35 S. 347 ff, 351 ff, 354: der Irrende „bei wertender Betrachtung" als Werkzeug (in dem Fall wäre Mittäterschaft zu prüfen gewesen; um einen Verbotsirrtum ging es überhaupt nicht, siehe oben 11/37); Roxin Täterschaft S. 610 f f ; Schaffstein N S t Z 1989 S. 153 ff, 157; Herzberg Jura 1990 S. 16 ff, 22 ff; noch weitergehend Küfer JZ 1989 S. 935 ff, 947 f, dazu schon oben 21/Fn. 134. 163 So insbesondere Schroeder Täter hinter dem T ä -

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ter S. 120 f f ; auch Maurach-Gössel AT II § 4 8 Rdn. 86; f ü r § 17 Satz 2 StGB beim Irrtum über das „sozial Wertwidrige" auch LK-Roxin § 25 Rdn. 68 ff; Roxin Länge-Festschrift S. 173 ff, 181 f. 163a Bloy Beteiligungsform S. 347 ff mit Nachweisen; JescheckKX § 62 II 5 ; Stratenwerth AT Rdn. 780. 164 Gallas Materialien Bd. I S . 121 ff, 134 f. 165 Begriff von Kohlrausch-Lange Anm. I B I vor §47.

Täterschaft

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Die größere Rechtssicherheit dieser Lösung 1 6 6 ist ein Nebengewinn : Die Schätzung von Quantitäten, die eine exakte Bestimmung von Mittäterschaft häufig belastet, bleibt bei der mittelbaren Täterschaft bedeutungslos ; hier liegt die Grenze bei der überlegenen Zuständigkeit für den vollen Verantwortungsverlust. δ) Freilich ist ein Bruch zwischen dieser Lösung und der nach geltendem Recht 95 unumgänglichen Lösung zur mittelbaren Täterschaft beim unvorsätzlich handelnden Werkzeug einzuräumen 1 6 6 a : Dort kommt es auf — selbst grobe — Fahrlässigkeit beim Werkzeug nicht an. Dieser Bruch ist im Gesetz selbst angelegt; er ist eine Konsequenz des Erfordernisses einer vorsätzlichen Tat bei akzessorischen Beteiligungsformen (dagegen oben 21/72 und unten 22/17 f). — Ferner kann die Lösung für Fälle von Selbstverletzungen (unten 21/97 ff) wenig befriedigen, da eine partielle mittelbare Täterschaft dort mangels tatbestandsmäßiger Haupttat nicht als akzessorische Beteiligung aufgefangen werden k a n n , 6 6 b . b) Beispielhafte Einzelfälle; es kommen alle Bedingungen ausgeschlossener Schuld 96 beim Werkzeug in Betracht, wenn der mittelbare Täter die Bedingungen seinerseits nicht nur kennt, sondern auch dafür vorrangig zuständig ist. Insbesondere sind zu nennen: aa) Ausnutzung der — etwa elterlichen — Autorität gegenüber einem Kind ( § 1 9 StGB) oder einem nach § 3 J G G nicht reifen Jugendlichen 167 . Ist das Kind entgegen der gesetzlichen Vermutung vorzeitig zur Normerkenntnis und -befolgung reif, liegt nur Teilnahme (oder Mittäterschaft) vor 1 6 8 . bb) Vorrangige Zuständigkeit für eine nach § 20 StGB Schuld ausschließende Lage. Ohne vorrangige Zuständigkeit bleibt es bei der Regelung von § 29 StGB; etwa bloßes Animieren zum völligen Sich-Berauschen begründet deshalb keine Täterschaft, wohl aber ζ. B. das heimliche Eingeben von Rauschmitteln. — Zum Fall der Identität von mittelbarem Täter und Werkzeug siehe oben zur actio libera in causa 17/64 ff. cc) Vorrangige Zuständigkeit für einen unvermeidbaren Verbotsirrtum (§17 StGB) beim Tatmittler 1 6 8 a . Teils wird hier nur Teilnahme angenommen 169 , da der Verbotsirrtum die Tat erleichtere, ohne den „Bestimmenden . . . zum Herrn über das Tatgeschehen" zu machen. Doch dürfte schon beim unvorsätzlichen Werkzeug und beim gerechtfertigten Werkzeug die Lage häufig so gestaltet sein, daß das Werkzeug nur seine (vermeintliche) Handlungsfreiheit gebraucht und keinem Druck zur Tat hin ausgesetzt ist. Die überlegene Entscheidungsherrschaft kann nicht nur darin bestehen, daß dem Werkzeug Alternativen faktisch abgeschnitten werden; vielmehr reicht es hin, wenn das Werkzeug für die Wahl zwischen den bestehenden Handlungsmöglichkeiten auf eine vorrangige Zuständigkeit des mittelbaren Täters verweisen kann, also seinerseits nicht mehr verantwortlich wählt. dd) Vorrangige Zuständigkeit für eine Notsituation nach §35 StGB oder für den unvermeidbaren Irrtum des Tatmittlers, eine solche Situation liege vor. Beispiele: Der mittelbare Täter zwingt das Werkzeug mit Todesdrohungen zur Tötung eines Menschen 1 7 0 oder schafft eine Lage, aus der das Werkzeug nur durch Tötung eines anderen Menschen lebend herauskommen kann 1 7 1 oder täuscht dem Werkzeug für den Fall 166a 166b 167 168 168a

169 WelzelStrafrecht§ 15 II a a . //erzierg TäterschaftS. 12 f. 170 RG 64 S. 30 ff, 32; im Fall RG 31 S. 395 ff, 398 Dazu auch Herzberg Jura 1990 S. 16 ff, 24. (erzwungene Abtreibung) dürfte das Werkzeug Schaffstein NStZ 1989 S. 153 ff, 155. bereits gerechtfertigt gewesen sein. Siehe RG 61 S. 265 ff, 267. 171 Insoweit a. A. (Teilnahme) Schumann Hand/escheck AT § 62 II 4. lungsunrecht S. 81 ff. Sehr streitig; siehe Roxin Tatherrschaft S. 608 ff mit Nachweisen.

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einer Weigerung in nicht durchschaubarer Weise Todesdrohungen einer dritten Person vor. Muß der Bedrohte die Gefahr nach § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB hinnehmen, so scheidet mangels (voller) Entschuldigung mittelbare Täterschaft aus. Beispiel: Dem Totschläger wird mit einer Anzeige und der dann gewissen Konsequenz langjähriger Freiheitsstrafe f ü r den Fall gedroht, daß er nicht einen weiteren Totschlag begeht. ee) Erteilen eines militärischen Befehls zu einer Straftat, wobei der Untergebene die Rechtswidrigkeit nicht erkennen kann und deshalb schuldlos handelt (§ 5 Abs. 1 WStG, § 11 Abs. 2 Satz 2 SoldatenG 1 7 2 ; siehe oben 19/51 ff). 6. Die mittelbare Täterschaft bei Selbstverletzung eines quasi-schuldlosen Werkzeugs 97

a) Für eine Selbstverletzung gibt es mangels eines Tatbestands keine rechtliche Schuld, aber die gesetzlichen Typen der Zurechnungsunfähigkeit (§§ 19, 20 StGB, einschließlich der in § 20 StGB geregelten Unzumutbarkeit, oben 18/14 ff) geben auch bei Selbstverletzung eine Richtlinie für die Entscheidung, wann ein zurechenbares Selbstverletzungsverhalten vorliegt und wann die maßgebliche Entscheidungsherrschaft ein anderer besitzt. Fälle f ü r eine analoge Anwendung von § 17 StGB lassen sich konstruieren, sind aber praktisch bedeutungslos 1 7 3 ; eine analoge Anwendung von § 35 StGB scheidet aus, da bei der Selbstverletzung ein Konflikt gerade nicht auf fremde Personen verlagert wird 1 7 4 . Beispiele aus dem verbleibenden Bereich: Eltern bringen ein etwa 15-jähriges Mädchen durch andauernde schwere Quälerei zur Selbsttötung 1 7 5 (zudem: T ö t u n g des Kindes durch die Eltern ist ein Pflichtdelikt, siehe unten 21/116). — Einem Geisteskranken wird so lange eingeredet, sein Leben sei lebensunwert, bis er sich selbst tötet. — Einer in Verantwortung ausschließendem Maß heroinabhängigen Person wird ohne Vorsichtsmaßnahmen Heroin zur Verfügung gestellt, das diese (was nicht erkannt wurde, aber erkennbar war) in tödlicher Dosis injiziert: Körperverletzung mit Todesfolge, § 226 StGB, in mittelbarer Täterschaft (je nach subjektiver Seite: § 229 StGB) 17.

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b) O b die §§ 19, 20 StGB den Maßstab angeben oder ob eine Lösung analog § 216 StGB entwickelt werden soll (auch der Zurechnungsfähige könnte dann Werkzeug sein, wenn seine Tatmotivation nicht „ernsthaft" begründet ist), ist streitig. Die erstgenannte Lösung ist vorzuziehen; denn nur wenn die Obliegenheiten zum Selbstschutz aus Gründen vernachlässigt werden, die auch bei einer Fremdverletzung H a f t u n g 172 Weitergehend Schroeder Täter hinter dem Täter Suizid S. 247 ff; LK-Äoxm § 25 Rdn. 83, jeweils S. 131 ff. mit Nachweisen). Dabei geht es aber um noch 173 Es würde sich darum handeln, daß dem Opfer plausible Güterumschichtungen, nicht um Befreivorgespiegelt wird, ein Selbstschutz werde rechtung aus N o t durch Eingriffe in fremde Güter; lich mißbilligt. Beispiele: Dem in Not Befindlisiehe oben 21/89. Für die in § 35 StGB geregelte chen wird suggeriert, eine Befreiung (nach den Eruption des Selbsterhaltungstriebs gibt es per Regeln des rechtfertigenden Notstands) sei nicht Definition bei der Selbstverletzung keine Paralerlaubt; vielmehr müsse der Verlust des Guts gelele. duldet werden. — Die Witwe wird dahin beredet, 175 Fall der Hildegard Höfeid; hierzu Lange Tätersie habe sich selbst zu verbrennen. — Daß das begriff S. 32 f; WWze/ZStW 58 S. 491 ff, 544. Opfer aus seiner irrtümlichen Sicht davon aus- 176 siehe RG 77 S. 18 ff; OLG Celle MDR 1980 geht, ihm stehe rechtlich nicht mehr Freiheit zu, S. 74; zutreffend auf Verantwortungsausschluß ist das Gegenstück zur Meinung des Täters im abstellend OLG Stuttgart N J W 1981 S. 182 f; unVerbotsirrtum, ihm stehe eine erweiterte rechtligenau BGH N J W 1983 S. 264 f mit zustimmenche Freiheit zu. der Besprechung Herzberg JuS 1984 S. 937 ff und 174 Anders die weit überwiegende Ansicht, die Fälle zutreffend kritischer Besprechung Amelung und der Art nennt, daß ein Opfer durch schwerste Weidemann JuS 1984 S. 595 ff, 599. Quälereien in den T o d getrieben wird (Bottke

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ausschlössen, ist — wie bei einer Fremdverletzung durch ein W e r k z e u g — eine Verlagerung der H a f t u n g auf den Hintermann a n g e b r a c h t 1 7 7 . c aa) A b g e s e h e n v o n den o b e n bezeichneten Fällen überlegener Entscheidungsherr- 9 9 schaft ist für Personen, die nicht Garanten sind, die Beteiligung an einer Selbstverletzung, insbesondere einer Selbsttötung, im Ergebnis straffrei 1 7 8 (siehe o b e n 2 1 / 5 6 ff und die dortigen Verweisungen). bb) Strafbarkeit wird insbesondere für Fälle behauptet, in denen der Mitwirkende Garant ist 1 7 9 , und z w a r an sich z u Recht, w e n n ein Wertungswiderspruch vermieden w e r d e n soll. S o w e i t hiergegen vorgebracht wird, damit werde die L ö s u n g für aktives T u n unzulässig verfälscht 1 8 °, so trifft das nicht z u , denn es gibt keinen Satz des Inhalts, die Maximen der Unterlassungshaftung seien weniger verallgemeinerungsfähig als diejenigen der B e g e h u n g s h a f t u n g 1 8 1 . Freilich dürfen Garantenstellungen nicht o h n e Prüf u n g ihrer Funktion auf Selbsttötungsverhütung erstreckt werden. Kann aber eine Garantenstellung auch gegen den Willen des Geschützten a n g e n o m m e n w e r d e n (etwa bei dessen voller oder partieller, dauernder o d e r temporärer Zurechnungsunfähigkeit), so wird es sich meist um ein Pflichtdelikt handeln (bei institutioneller Zuständigkeit; zur Organisationszuständigkeit gegen den Willen des Geschützten unten 2 9 / 5 6 ) . Es ist aber verfehlt, Garantenstellungen w i e Ehe o d e r A r z t v e r t r a g 1 8 2 o h n e weiteres auf die

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Bottke Suizid S. 247 ff mit Nachweisen; ders. GA 1983 S. 26 ff, 30 ff; Arzt-Weber BT I Rdn. 199 ff; α. Α., jeweils mit diversen Differenzierungen, Herzberg JA 1985 S. 336 f; friicA Verhalten S. 165 ff (Verantwortlichkeit als „reiner Funktionsbegriff". — Schief ist das Argument S. 175, selbst bei Vermögensdelikten reiche jede verfügungsrelevante Täuschung — Betrug, oder reiche N o t weit unterhalb von § 35 StGB — Erpressung; denn daß es — vermeintlich — quasigerechtfertigt ist, in solchen Lagen über Vermögen zu verfügen, besagt nichts über die rechtliche Richtigkeit oder Verständlichkeit einer „Verfügung" über das Leben); Neumann JA 1987 S. 244 ff, 251 f f ; Schönke-Schröder-Eser Rdn. 36 vor § 211. — Das Argument, § 20 StGB beziehe sich auf Fälle von Fremdverletzung, verschlägt nicht: § 2 1 6 StGB bezieht sich ebenfalls darauf. Relevant ist einzig, daß es um eine mittelbare Täterschaft geht, und diese richtet sich auch bei Fremdverletzung nicht nach § 216 StGB. Zudem kann § 216 StGB auch dahin interpretiert werden, daß nicht nur bei ernstlichem Verlangen privilegiert wird, sondern bei jeder gültigen Einwilligung und daß mehr (völlige Straffreiheit) auch nicht bei ernstlichem Verlangen in Betracht kommt. — Einen „Hauptfall" der Gegenansicht bildet der Betrunkene (wenn auch noch Zurechnungsfähige) im „heulenden Elend", den jemand „durch gezielte Giftverschaffung im Suizid enden läßt" (Herzberg aaO) : straflose Beihilfe zur tatbestandslosen Haupttat, allenfalls ein Fall von § 323 c StGB durch Begehen, solange beim rasenden (zurechnungsfähigen!) Betrunkenen, den jemand durch gezielte Giftverschaffung als Mörder enden läßt, allenfalls Beihilfe zum Mord vorliegt.

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— Weiterhin werden Fälle angeführt, in denen eine unheilbare Krankheit vorgespiegelt wird, woraufhin der vermeintlich Erkrankte sich umbringt etc. Diese Fälle können zur mittelbaren Täterschaft bei rechtfertigungsähnlichen Lagen gehören, oben 21/89. Jedenfalls wäre es ungereimt, jeden, der einem anderen ein drohendes Übel so vortäuscht oder eine für den anderen bestehende Konfliktlage so ausnutzt, daß dieser sich umbringt, wegen vorsätzlicher T ö t u n g haften zu lassen (§ 323c StGB mag anwendbar bleiben); Die Befreiung aus dem Konflikt durch einen Eingriff in fremde Güter führt ja jenseits der §§ 34, 35 StGB auch nicht zur mittelbaren Täterschaft. — Uferlos ausweitend Herzberg Täterschaft S. 39 f; siehe die Kritik bei Roxin Täterschaft S. 632 ff; Roxin nahm ehemals in Täuschungsfällen („Betrug ums Leben") selbst in weitem U m f a n g mittelbare Täterschaft an, Täterschaft S. 227 f f ; ebenso Meyer Ausschluß S. 233 ff; Neumann a a O ; — siehe zum Problemkreis auch Schroeder Täter S. 91 f. R G 70 S. 313 ff, 315; B G H 2 S. 150 ff mit Anmerkung Gallas J Z 1952 S. 371 ff; B G H 32 S. 262 ff, 263 ff (mit unten 21/Fn. 207 genannten Anmerkungen); Jescheck AT § 62 II 1. Geilen J Z 1974 S. 145 ff ; Herzberg Unterlassung S. 266; ders. ZStW 91 S. 557 ff; ders. JuS 1984 S. 937 ff. Roxin Dreher-Festschrift S. 331 ff, 348; Hirsch J R 1979 S. 429 ff, 432, jeweils mit ausführlichen Nachweisen. Insoweit wie hier Herzberg ZStW 91 S. 557 ff, 567. Dazu unten 29/Fn. 141, dort auch zur Rechtsprechung; siehe auch 29/Fn. 132.

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Pflicht zur Verhütung nicht quasi-gerechtfertigter oder quasi-schuldloser Selbsttötungen zu erstrecken. Soweit die Selbsttötung ein Unglücksfall ist, bleibt — bei Begehung wie Unterlassung — die Möglichkeit einer H a f t u n g aus § 323 c StGB; das ist insbesondere der Fall, wenn sie aus einem psychischen Unglück hervorgeht (Irrtum, Depression etc.). 7. Weitere Fallgruppen? 100

Teilweise wird die mittelbare Täterschaft weit über den hier bislang angesprochenen Rahmen ausgedehnt. a) Das gilt zunächst f ü r die subjektive Theorie, f ü r die von ihren Prämissen her die Zurechnungslage beim Tatausführenden gleichgültig ist; der Täter hinter dem Täter wird zum geläufigen Begriff 1 8 3 . — Zur Kritik siehe oben 21/27 ff.

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b) Roxin will mittelbare Täterschaft (aa) beim Irrtum über den „konkreten Handlungssinn " anerkennen : Der Tatbestand als „abstrakt-begriffliches Gebilde" 1 8 4 erfasse nicht das im konkreten Fall für die Beteiligten an der T a t Relevante; aber auch eine Täuschung über dieses Relevante — etwa durch Erregen eines error in persona vel objecto — verleihe dem Täuschenden Herrschaft (siehe das sogleich 21/102 folgende Beispiel 185 ). In der T a t wird der reale psychische Tatanreiz in den gemeinten Fällen vom Täuschenden manipuliert. Da es aber, wie dargelegt, nicht um die Stärke des Drangs zur Tat, sondern um Verantwortungsbereiche geht, scheidet mittelbare Täterschaft aus. Zudem ist ein Irrtum über den „konkreten Handlungssinn" ein nicht präzisierbarer Unterfall des — unbestritten — irrelevanten Motivirrtums; Beispiel: Der Täter zerstört einen Tresor in der von einer dritten Person listig erregten H o f f n u n g , viel Geld vorzufinden; der Tresor ist leer; — trotz Zweckverfehlung volle H a f t u n g f ü r vollendete Sachbeschädigung (§ 303 StGB) und versuchten Diebstahl (§§ 22, 242 StGB). — (bb) Ferner soll die vorrangige Zuständigkeit f ü r einen Risikoirrtum zur mittelbaren Täterschaft f ü h r e n : Jemand redet wider besseres Wissen dem Ausführenden ein, die Erfolgsgefahr sei gering (sie bleibt aber hoch genug für einen Vorsatz des Ausführenden); der Ausführende würde bei voller Kenntnis nicht handeln 1 8 6 . Auch hier treten Annahmen zur Stärke des Tatantriebs und zur Gruppendynamik an die Stelle der Klärung von Verantwortungsbereichen.

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c) Die Möglichkeit einer mittelbaren Täterschaft ohne überlegene Zuständigkeit wird teils f ü r die Fälle der „Benutzung eines Tatentschlossenen"bejaht187. Beispiel 188 : Das ausersehene Opfer weiß, daß es vom Täter ermordet werden soll; es lockt zur Tatzeit ein anderes Opfer an den vorgesehenen Tatort. Der Täter tötet im error in persona den anderen. — Eine H a f t u n g läßt sich jedoch nur aus Teilnahme und — bei weiterer Mitgestaltung — Mittäterschaft herleiten. Daß der Beteiligte das O b der T a t

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Baumann-Weber Κΐ § 36 1 4 ; B G H 18 S. 87 ff, 89 (bezüglich des lenkenden Chefs eines Geheimdienstes). 184 Täterschaft S. 214, 610 ff; kritisch hierzu insbesondere W^e/ze/StrafrechtS 15 II 4 b; hierzu wiederum Roxin Täterschaft 2 S. 616 ff; den. LangeFestschrift S. 173 ff, 184 f; — Roxin hat seine Ansicht für das Bewirken einer Selbsttötung durch Beherrschen eines Irrtums über den konkreten Handlungssinn preisgegeben, NStZ 1984 S. 71 ff, 72.

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185 Weitere Beispiele bei Roxin Täterschaft S. 212; siehe ferner oben 21/Fn. 142 zu der Entscheidung B G H GA 1986 S. 508 f. 186 Äoxi'nTäterschaftS. 220 f. 187 Ausführlich mit Nachweisen SchroederTäter hinter dem Täter S. 143 ff; Maurach-Gössel AT II § 48 Rdn. 86; SpendeiLange-Festschrift S. 147 ff, 160 ff, 168 ff; M.-K. Meyer Ausschluß S. 99 ff, 101 ; wie hier Bloy Beteiligungsform S. 358 ff. 188 „Dohna-Fall", zurückgehend auf Dohna Übungen im Strafrecht 3,1929, Fall 36 S. 93 f.

Täterschaft

21.

A b s c h n

ermöglicht, verschlägt nichts: Dieses Ermöglichen leistet jeder Beteiligte, der notwendig ist (jeder notwendige Gehilfe ermöglicht die T a t ) 1 8 9 . d) Mittelbare Täterschaft wird ferner verbreitet bei der Benutzung „ organisatorischer 1 0 3 Machtapparate " 1 9 0 angenommen, insbesondere im Blick auf die Tötungen der Juden und Regimegegner in der nationalsozialistischen Zeit: Der „Schreibtischtäter" soll mittelbarer Täter sein 1 9 1 . Zwar läßt sich bei Betrachtung der Gruppendynamik an einer Überlegenheit der Personen, die Judentötungen etwa im Reichssicherheitshauptamt anordneten, nicht zweifeln. Die Annahme mittelbarer Täterschaft ist jedoch ebenso überflüssig wie schädlich. Überflüssig ist sie, weil die subjektive Theorie mit der objektiven Überlegenheit nur die Basis zur Konstruktion eines sowieso irrelevanten Täterwillens schafft, während die Tatherrschaftslehre in der Version, daß Beiträge nach Versuchsbeginn nötig sind, diese ihrerseits unnötige Restriktion durch mittelbare T ä terschaft wieder beseitigt. N a c h der hier vertretenen Ansicht ist Λ/iftäterschaft im Regelfall problemlos; ansonsten bleibt Anstiftung. Schädlich ist die Konstruktion einer mittelbaren Täterschaft, weil sie die bei den Taten zur Zeit des nationalsozialistischen Regimes keineswegs nur erzwungene organisatorische Verbindung aller Beteiligten zu einem gemeinsamen T u n verdeckt: N u r durch die Gemeinsamkeit von Anordnenden und Ausführenden kann eine einzelne T a t des Ausführenden als Beitrag zu einer mehrere Ausführungshandlungen umfassenden Einheit interpretiert werden. e) Schließlich soll mittelbare Täterschaft einer Person mit Täterqualifikation durch 1 0 4 Benutzung eines dolosen, aber aus subjektiven oder objektiven Gründen nicht als Täter qualifizierten Ausführenden möglich sein. Es geht um den Fall des absichtslos dolosen „ Werkzeugs"·, Beispiel : Jemand läßt sich in Zueignungsabsicht von einem Bösgläubigen, der aber ohne Zueignungsabsicht handelt, eine Sache durch Wegnahme beschaffen 1 9 2 ; — kein Diebstahl in mittelbarer Täterschaft, sondern Teilnahme: Es reicht hin, wenn einer aus dem Kollektiv sich zueignen will und wenn die anderen das wissen (siehe oben 8/41). — Genannt wird ferner ein qualifikationslos doloses „ Werkzeug"·, Beispiel: Auf Veranlassung des buchführenden Beamten (Intraneus) schreibt ein Nichtbeamter (Extraneus) eine Falschbeurkundung als Erklärung des Beamten nieder 1 9 3 ; — Falschbeurkundung im Amt in mittelbarer Täterschaft? Teilnahme scheidet mangels tatbestandsmäßiger Haupttat aus; Täterschaft des Qualifizierten ist nach allgemeinen Regeln 189 Abweichend Welze! Strafrecht § 15 V : Nebentäterschaft; ebenso Z i > / Ö J Z 1975 S. 617 ff, 619. 190 Auch dahin läßt sich B G H 18 S. 87 ff, 89 verstehen. — Die variantenreich vorliegenden Begründungen für mittelbare Täterschaft überzeugen allesamt wenig. Teils wird auf die praktische Austauschbarkeit der Ausführenden abgestellt; aber bei den nationalsozialistischen Gewalttaten waren alle Ausführenden nicht gleichzeitig austauschbar und die Austauschbarkeit einzelner (oder die sukzessive Austauschbarkeit aller) Mitwirkender ist bei Beteiligung keine Besonderheit (im Stachinskij-Fall war der Ausführende wahrscheinlich überhaupt nicht austauschbar). Teils wird die Tatentschlossenheit der Ausführenden herausgestrichen; — aber eine unabhängige Tatentschlossenheit (siehe oben 21/102) dürfte der Mehrzahl der Tatausführenden in der nationalsozialistischen Zeit (wie auch Stachinskij) durchaus gefehlt haben; ein selbständiger Entschluß widersprach dem „Führerprinzip". Auch ist ganz un-

klar, auf welcher H ö h e der Hierarchie der mittelbare Täter angesiedelt werden soll : nur der „Führer", der zuständige Minister, der Abteilungsleiter im Reichssicherheitshauptamt etc. bis hinab zum Leiter eines Exekutionskommandos? Wer zwischen Spitze und Ausführenden mittelbarer Täter sein soll, bleibt offen. — Gegen diese Einwände RoxinTäterschaftS. 642 f. 191 Roxin GA 1963 S. 193 ff, 200 f f ; ders. Täterschaft S. 242 ff; ders. Lange-Festschrift S. 173 ff, 192 f; LK-Roxin § 25 Rdn. 88 f f ; Maurach-Gössel KT II § 4 8 Rdn. 88; Schroeder Täter hinter dem T ä t e r S. 166 f f ; Stratenwerth AT Rdn. 790 f; Herzberg Täterschaft S. 41 ff; Schumann Handlungsunrecht S. 75; teils abweichend Schmidhäuser AT 14/50; a.A. SK-Samson § 2 5 Rdn. 36; ]escheck A T § 62 II 8; M.-K. Miryer Ausschluß S. 103 f. Siehe auch Jäger Verbrechen unter totalitärer H e r r s c h a f t S . 166 ff. 192 R G 39 S. 37 ff. 193 R G 2 8 S . 109 f, 110.

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2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

(Mitgestaltung) möglich; problematisch sind allein die Fälle, in denen der Qualifizierte nach allgemeinen Regeln nur Teilnehmer ist. Das Problem ist durch die Entwicklung der Pflichtdelikte, bei denen der Pflichtige (Intraneus) auch bei geringfügigem Beitrag (oder per Unterlassung) Täter ist (weil er immer voll zuständig ist), zum Teil hinfällig geworden 1 9 4 . Jenseits der Pflichtdelikte und jenseits des Fehlens von Tatherrschaft beim Qualifizierten läßt sich strafrechtliche Haftung nicht begründen: Der Extraneus oder der absichtslos Handelnde vollzieht die Tathandlung, ist aber mangels deliktsspezifischer Täterqualifikation nicht Täter eines Delikts, und der Intraneus oder mit Absicht Handelnde begeht nicht täterschaftlich, sondern beteiligt sich nur. Der Einwand, daß es der Qualifizierte oder absichtlich Handelnde kraft dieser Auszeichnungen in der Hand habe, ob es überhaupt zu einem deliktischen Geschehen komme 1 9 5 , ist ein Zirkel: Daß ein deliktisches Geschehen überhaupt vorliegt, entbehrt jeder Begründung. Mittelbare Täterschaft scheidet also aus 1 9 6 .

C. Die Konsequenzen der mittelbaren Täterschaft 105

1. Der mittelbare Täter begeht durch das Werkzeug eine eigene Tat. Die Tathandlung ist mit dem Abschluß der Einwirkung auf das Werkzeug abgeschlossen, wenn nicht ausnahmsweise noch weitere Lenkungsmaßnahmen vorgesehen sind (etwa wenn das Opfer vom mittelbaren Täter dem Werkzeug noch zugetrieben werden soll). Deshalb liegt im Regelfall — anders als bei der (akzessorischen) Mittäterschaft — mit dem Abschluß der Einwirkung ein beendeter Versuch des mittelbaren Täters vor; das unmittelbare Ansetzen zum Abschluß ist dementsprechend der Versuchsbeginn. Wird nicht auf das Werkzeug eingewirkt, sondern nur auf die Lage, in der es sich befindet (der Täter installiert eine Straßensperre, in die ein ahnungsloser Kraftfahrer mit der Folge seines Todes fahren soll 1 9 7 ), so entscheidet der Zeitpunkt, in dem die Lage geschaffen wird 1 9 8 . — Zu den Fällen, in denen dem Täter eine Revokationsmöglichkeit bleibt, siehe unten zum beendeten Versuch 25/73 ff. — Im Schrifttum wird teils darauf abgestellt, ob das Geschehen aller Beteiligter zusammengenommen als unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung (§ 22 StGB) zu werten ist, was praktisch meist

194 Siehe unten 21/115 ff; Roxin Täterschaft S. 654 ff mit Nachweisen. 195 Gallas Materialien Bd. I S. 121 ff, 135 f, 136. 196 Stratenwerth AT Rdn. 793 bis 801 (die Konstruktion einer Anstiftung ohne Haupttai hat Stratenwerth aufgegeben, Rdn. 797) ; SK-Samson S 25 Rdn. 34 ff; Roxin Täterschaft S. 643 ff; LKRoxin § 25 Rdn. 91 ff; Herzberg Täterschaft S. 31 ff; a. A. Gallas Materialien Bd. I S. 121 ff, 135 f; Jescbeck AT § 62 II 7; Welzel Strafrecht § 15 II 3 („soziale Tatherrschaft" beim Intraneus). 197 Siehe auch RG 66 S. 141 ff. 198 Sehr streitig; wie hier Roxin Maurach-Festschrift S. 213 ff, 227 ff mit zutreffenden Modifizierungen für die Fälle, in denen der mittelbare Täter das deliktische Geschehen in seinem Herrschaftsbereich hält; ders. JuS 1979 S. 1 ff, 11 f; Herzberg JuS 1985 S. 1 ff, 6 ff; Jescbeck AT § 62 IV 1 ; SKRudolphi §22 Rdn. 20 f; Meyer ZStW 87 S. 598 ff, 608; Schilling Verbrechensversuch

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S. 11 ff, 32 ff, 104 ff und passim mit umfassenden Nachweisen (freilich unter verfehlter Gleichsetzung von Mittäterschaft und mittelbarer Täterschaft). Ebenso auch die überwiegende Rechtsprechung; B G H 4 S. 271 ff, 273; 30 S. 363 ff; B G H NStZ 1986 S. 547; O G H 2 S. 5 ff, 7 f ; auch schon RG 66 S. 141 ff, 142; siehe aber auch RG 45 S. 282 ff, 285 f; BayObLG N J W 1988 S. 1401. Hauptsächlich wie hier auch Puppe JuS 1989 S. 361 ff, 362 ff, die freilich den Versuchs beginn früher ansetzt. — Teils wird differenziert, ob das Werkzeug unvorsätzlich handelt (dann wie hier) oder vorsätzlich (dann wie bei Mittäterschaft); so Welzel Strafrecht § 24 III 5. Bei einer Bestimmung der mittelbaren Täterschaft, die, wie hier geschehen, streng an den rechtlich bedeutsamen Verantwortungsverlust beim Werkzeug gebunden ist, besteht für diese Differenzierung kein Anlaß. Freilich wäre eine solche Differenzierung bei Anerkennung eines vorsätzlichen und verantwortlichen „Werkzeugs" sinnvoll.

Täterschaft

21. Abschn

auf eine Entscheidung nach dem Verhalten des Werkzeugs hinauslaufen d ü r f t e 1 9 9 . Dieser Lösung ist nur f ü r diejenigen Fälle der Benutzung eines unvorsätzlich handelnden Werkzeugs zu folgen, die sachlich Teilnahme an unvorsätzlichem T u n sind (siehe oben 21/72). 2. Ein Individualisierungsirrtum des Ausführenden kann je nach Fallgestaltung auch 1 0 6 f ü r den mittelbaren Täter ein bloßer Individualisierungsirrtum sein. Zwar ist der Tatmittler in dem seine Unterlegenheit bestimmenden Moment (die Unvorsätzlichkeit, die Schuldlosigkeit etc.) als ein Werkzeug zu behandeln wie etwa ein mechanisches Werkzeug; d. h. aber nicht, jedes Fehlgehen des Einsatzes sei f ü r den mittelbaren Täter aberratio ictus wie beim Fehlgehen eines mechanischen Werkzeugs; denn soweit das menschliche Werkzeug — sei es auch unverantwortlich — vorsätzlich handelt, führt es ein Programm des mittelbaren Täters durch, und es kommt — wie bei Mittäterschaft — darauf an, ob es sich an das vereinbarte (oder auch oktroyierte) Programm hält oder nicht. Ansonsten wäre die mittäterschaftliche H a f t u n g unverständlicherweise weiter als die bei mittelbarer Täterschaft. Deutlich wird dies, wenn der mittelbare Täter dem Werkzeug die Konkretisierung des Opfers überläßt und das Werkzeug dann bei dem von ihm individualisierten Menschen trotz programmgemäßen Verhaltens einem error in persona unterliegt. Ein Widerspruch zur „Einzellösung" beim Versuch ist dies nicht, da es beim Versuch um die definitive Bestimmung des O b der T a t geht, hier aber um die Individualisierung des Opfers, die der mittelbare Täter mit der definitiven Bestimmung des O b noch nicht geleistet hat. Beispiel : Das in qualifizierter Weise genötigte Werkzeug erschießt instruktionsgemäß einen bestimmt beschriebenen Mann in einer bestimmten W o h n u n g ; das Opfer ist nicht — wie vom mittelbaren Täter erwartet — der Hausherr, sondern der ihm ähnliche H a u s f r e u n d ; — volle H a f t u n g des mittelbaren Täters. Auch bei unvorsätzlich handelndem Werkzeug kann der mittelbare Täter trotz eines Individualisierungsirrtums für vorsätzliche Vollendung haften, wenn das Werkzeug immerhin das Angriffsobjekt vorsätzlich aussuchen soll und sich im Rahmen des vereinbarten Programms hält. Beispiel: Eine Krankenschwester soll einem bestimmt individualisierten Patienten in einem bestimmten Bett eine — wie sie nicht weiß — tödliche Injektion verabreichen; auf Grund eines Irrtums der Verwaltung liegt im Bett des ausersehenen Opfers mittlerweile eine andere Person, auf die alle vereinbarten Individualisierungsmerkmale aber gleichfalls zutreffen. Diese Person wird getötet. — Bei der Konkretisierung handelt die Krankenschwester sehr wohl vorsätzlich und im Rahmen des verabredeten Plans; deshalb haftet der mittelbare Täter f ü r die Vollendung 2 0 0 . 3. Da die Bestimmung von Täterschaft Bestimmung von Unrecht ist, muß jeder 1 0 7 Täter einer Vorsatztat die Umstände kennen, die ihn zum Täter machen (§§ 15, 16 StGB), also bei der mittelbaren Täterschaft, daß er Umstände setzt, die ein verantwortliches (oder bei Bewirken von Selbstverletzung: quasi-verantwortliches) Verhalten des Werkzeugs ausschließen. Den Verantwortungsausschluß selbst muß er nicht kennen: 199 So — im einzelnen sehr differenzierend — Kadel CA 1983 S. 299 ff, 307; Küper J Z 1983 S. 361 ff, 369; KüpperGA 1986 S. 347 ff, 447; Blei A T § 72 II 4; Schönke-Schroder-Eser % 22 Rdn. 54; LKVogler% 22 Rdn. 96 ff, 101; Maurach-Gössel AT II § 48 Rdn. 112; Stratenwerth A T Rdn. 836 ff; Dreber-Tröndle § 22 Rdn. 18, jeweils mit N a c h weisen. 200 Wie hier Schönke-Schröder-Cramer § 25 Rdn.

52 f; ähnlich die Lösung, die nur bei unvorsätzlichem Werkzeug aberratio ictus annimmt; Welzel Strafrecht § 13 I 3 d y ; Wessels A T § 13 III 4; stets für aberratio ictus, aber in deren Wirkung differenzierend (bei nicht höchstpersönlichem Rechtsgut: Vollendung) Hillenkamp Vorsatzkonkretisierungen S. 68 ff, 102 f, 112 ff, 126; siehe auch SchreiherJuS 1985 S. 873 ff, 877.

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2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

Dieser ist die strafrechtliche Formulierung einer f ü r die Zurechnung relevanten Überlegenheit über das Werkzeug. Dementsprechend ist auch irrelevant, wie das Werkzeug selbst seine Verantwortlichkeit einschätzt. — Nimmt der Beteiligte eine Täterschaft begründende Lage irrig an, so f ü h r t dies allenfalls — bei Versuchsbeginn — zum täterschaftlichen Versuch (gegebenenfalls neben fahrlässiger Vollendung) ; kennt der Beteiligte die mittelbare Täterschaft begründende Lage nicht, bleibt es bei einem Versuch akzessorischer Beteiligung (Mittäterschaft oder Teilnahme), neben den bei Vollendung fahrlässige Täterschaft treten kann. Beispiel: Der Beteiligte weiß nicht, daß seine mäßig gemeinte Nötigung zur Tat vom Ausführenden unvermeidbar irrig als T o d e s d r o h u n g verstanden wird. — Ausführlich zu den Fällen des Irrtums über eine Beteiligtenrolle unten 24/1 ff. 108

4. Der Strafrahmen f ü r ein Verhalten in mittelbarer Täterschaft ist derselbe, der bei eigenhändiger Täterschaft oder Mittäterschaft angewendet wird. Das positive Recht erfaßt jedoch einige Fälle als mittelbare Täterschaft in Gestalt der Benutzung eines unvorsätzlich handelnden Werkzeugs, die sachlich Teilnahme an unvorsätzlicher T a t sind. Soweit es sich bei dieser als mittelbare Täterschaft erfaßten Teilnahme um Beihilfe handelt, ist der Strafrahmen in analoger Anwendung von § 27 Abs. 2 Satz 2 StGB herabzusetzen.

VII. Die Tatbestände der Täterschaft bei Herrschaftsdelikten, Schluß Literatur H. Bindokat „Fahrlässige Mittäterschaft im Strafrecht", J Z 1979 S. 4 3 4 f f ; den. Fahrlässige Beihilfe, JZ 1986 S. 421 ff; R. P. Dach A n m e r k u n g z u B G H 32 S. 2 6 2 ff, N S t Z 1985 S. 24 f; D. Dölling Fahrlässige T ö t u n g bei Selbstgefährdung des O p f e r s , G A 1984 S. 71 f f ; M. Fincke D e r Täter neben dem Täter, G A 1975 S. 161 f f ; W. Frisch Tatbestandsmäßiges V e r h a l t e n und Zurechnung des Erfolgs, 1988; K. H. Gössel D o g m a t i s c h e Ü b e r l e g u n g e n z u r T e i l n a h m e am erfolgsqualifizierten Delikt n a c h § 18 StGB, Lange-Festschrift S. 2 1 9 f f ; R. D. Herzberg Beteiligung an einer Selbsttötung o d e r tödlichen Selbstgefährdung als Tötungsdelikt, JA 1985 S. 131 ff, 177 ff, 265 ff, 336 f f ; E. Horn A n m e r k u n g zu B G H 32 S. 2 6 2 ff, JR 1984 S. 513 f; D. Kienapfel A n m e r k u n g z u B G H 32 S. 2 6 2 ff, JZ 1984 S. 251 f; F. Loos A n m e r k u n g z u B G H JR 1982 S. 341, a a O S. 342 f; M.-K. Meyer A u s s c h l u ß der A u t o n o m i e durch Irrtum, 1984; H. Otto Selbstgefährdung und Fremdverantwortung — B G H N J W 1984, 1469, Jura 1984 S. 536 f f ; C. Roxin A n m e r k u n g z u B G H 32 S. 262 ff, N S t Z 1984 S. 411 f; B. Schünemann Fahrlässige T ö t u n g durch Abgabe v o n Rauschmitteln? N S t Z 1982 S. 60 ff; H. Schumann Strafrechtliches H a n d l u n g s u n r e c h t und das Prinzip der Selbstverantwortung der Anderen, 1986; R. SeebaldT eWnahme am erfolgsqualifizierten und am fahrlässigen Delikt, G A 1964 S. 161 ff; U. Stein D i e strafrechtliche Beteiligungsformenlehre, 1988.

A. Die Nebentäterschaft 109

Begehen mehrere Personen unabhängig voneinander je eine Tat, so können die Täter als Nebentäter201 bezeichnet werden, um zu verdeutlichen, daß isolierte Taten vorliegen und es an einer Beteiligung fehlt. Beispiel: Zufällig gleichzeitig versuchen zwei Täter je an einer Ecke ein und dasselbe H a u s in Brand zu setzen. Der Begriff des Nebentäters hat nur einen negativen Inhalt: Es fehlt an Mittäterschaft, mittelbarer Täterschaft oder Teilnahme; die Verwendung des Begriffs bringt also nur dann eine Information, wenn dieses Fehlen einer Verbindung einen Vermerk verdient (es wäre nichtssagend, von Charlotte de Corday und einem Warenhausdieb zu vermerken, sie 201 Zum Problemkreis siehe Fincke GA 1975 S. 161 ff, insbesondere auch zum Strafantrag, zur Einziehung und zur prozessualen Behandlung (je

652

isoliert); LK-Roxin § 25 Rdn. 160 f; Jescheck AT § 63 II 3; RG 19 S. 141 ff, 144 f; 55 S. 78 f, 79; 68 S. 251 ff, 256.

Täterschaft

21. Abschn

seien Nebentäter). — Bemerkenswert ist die Nebentäterschaft insbesondere, wenn ein deliktischer Erfolg durch ein nicht koordiniertes Handeln mehrerer Personen herbeigeführt wird ; in der Regel dürfte nur beim zuletzt Handelnden täterschaftliche Vollendung gegeben sein, da das Auftreten eines weiteren Täters nur selten zum Risiko der Handlung des ersten Täters gehören dürfte (siehe oben 7/28, 72 ff). Beispiel 202 : Ein Täter schlägt mit Tötungsvorsatz das Opfer nieder und entfernt sich; ein anderer Täter bringt danach dem Opfer seinerseits Verletzungen bei; tödlich ist die Summe der Verletzungen. Bemerkenswert ist Nebentäterschaft auch, wenn mehrere Personen ohne Koordination für sich schon deliktische Teilstücke eines mehraktigen Delikts vollziehen, wobei das mehraktige Delikt mangels Verbundenheit der Beteiligten nicht verwirklicht wird. Beispiel: Jemand schlägt ein Opfer bewußtlos (Körperverletzung, § 223 StGB; zugleich Gewaltanwendung) ; ein anderer findet das Opfer und bestiehlt es (S 242 StGB); kein Raub (§ 249 StGB). B. Die Beteiligung$formen der Teilnahme Die bezeichneten Formen der (versuchten) Beherrschung einer Erfolgsherbeifüh- 110 rung treten alle auch bei der (versuchten) Bewirkung eines Teilnahmeerfolgs auf: Es gibt alleinige Anstiftung (Beihilfe) und Mitanstiftung (Mitbeihilfe); Beispiele: Zwei Personen reden verabredungsgemäß auf den als Täter Ausersehenen ein, bis er die Tat begeht; zwei Mechaniker bauen für den Täter gemeinsam das Tatwerkzeug. Möglich ist auch mittelbare Anstiftung (Beihilfe); Beispiel: Jemand nötigt den Gehilfen unter schwersten Drohungen, die vom Täter zu vernichtende Urkunde (§ 274 StGB) aus einem Panzerschrank zu holen. Schließlich kann Nebenanstiftung (Nebenbeihilfe) vorliegen; Beispiel zur Nebenbeihilfe: Ein Beteiligter borgt dem Täter die zur Tat erforderliche Gesichtsmaske; unabhängig davon gibt ihm ein anderer die Tatwaffe. — Zu haften ist in allen genannten Fällen nur für Teilnahme, denn die Herrschaft erstreckt sich nur auf ein Teilnahmeverhalten. C. Die Beteiligung bei Fahrlässigkeit 1. Bei Fahrlässigkeit 2023 fehlt die Kenntnis vom Erfolgsbezug der Handlung. Beim 111 Zusammenwirken mehrerer Personen kann demnach die Verschachtelung von Aktionen, also die Einpassung einer Aktion in die Aktion eines anderen, nur das Verhalten ohne den Erfolgsbezug betreffen: Bei (höchstens) allseitiger Fahrlässigkeit ist keinem Beteiligten klar, wie die Sache schließlich ausgeht. Das Gesetz verzichtet deshalb überhaupt auf eine Abstufung der Beteiligungsformen und behandelt alle fahrlässigen Verursachungen oder (bei Unterlassung) Nichthinderungen eines Erfolgs gleich. Die übliche Formulierung, jeder sei Täter, ist mißverständlich : Die Arten der Verursachung (selbst, durch andere, mit anderen, teilnehmend) werden nicht differenziert, vielmehr werden alle Beteiligten uniformiert. Das Ergebnis mag man Täterschaft im Sinn der Fahrlässigkeitsdelikte nennen 203 . Die Uniformierung betrifft nur die Art der Verursachung, nicht aber sonstige deliktsspezifische Tätermerkmale des fahrlässigen Delikts, wie etwa, je nach Delikt, Eigenhändigkeit, spezielle subjektive Tätermerkmale oder Sonderpflichten. Beispiel zu §163 StGB: Das fahrlässige Bewirken einer fahrlässigen oder gar unvermeidbaren Falschaussage eines anderen ist straffrei 204 . 202

Siehe B G H N J W 1966 S. 1824 f.

203

B G H 4 S. 20 ff, 21 ; 7 S. 112 ff.

202a

Es sind auch Fälle teils fahrlässiger und teils vorsätzlicher Beteiligung an einem Verhaltensvollzug möglich; dazu oben 21/45.

204

LK-Roxin § 2 5 Rdn. 158; Cramer § 25 Rdn. 60.

Schönke-Schröder-

653

21.

Abschn

2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

112

Da auch ohne Kenntnis der Erfolgsbezogenheit immerhin die Verhaltensweisen verschachtelt werden können, sind eine Ordnung der Beteiligungen nach ihrem Rang (vorrangige Zuständigkeit bei mittelbarer Täterschaft) und eine Stufung der im gleichen Rang zu behandelnden Beteiligungen (nach Täterschaft und Teilnahme) mögl i c h 2 0 5 ; freilich bleibt das bei Fremdverletzung ohne positivrechtliche Auswirkung. Beispiele (bei sämtlichen Beteiligten soll nur Fahrlässigkeit vorliegen) : Jemand wirft selbst ein Brett aus dem Fenster auf die Straße, ein Passant wird verletzt (analog § 25 Abs. 1, 1. Fallgruppe StGB), bringt einen anderen durch qualifizierte Nötigung zum Wurf (analog § 2 5 Abs. 1, 2. Fallgruppe StGB), wirft zusammen mit einem anderen (analog § 25 Abs. 2 StGB), rät zu dem Wurf (analog § 26 StGB) oder öffnet das Fenster zu dem Wurf eines anderen (analog § 27 StGB). — Die Möglichkeit von Rängen und von Stufungen innerhalb eines Rangs wird bei erfolgsqualifizierten Delikten deutlich, soweit sich auf die Folge nur Fahrlässigkeit bezieht (§18 StGB) : Hier ist das fahrlässig erfolgbringende Geschehen zum Teil seinerseits als Vorsatzdelikt ausformuliert; im Grunddelikt werden demgemäß die Beteiligungsformen differenziert; bei der Erfolgsqualifizierung wird diese Differenzierung bedeutungslos.

113

2. Praktisch wichtig und der Sache nach anerkannt sind zwei Fälle fahrlässiger mittelbarer Täterschaft. Es handelt sich zum einen um die fahrlässige actio libera in causa (eingehend oben 17/64 ff) ; mittelbarer Täter und Werkzeug sind dabei identisch. Zum anderen geht es um das fahrlässige Schaffen einer Lage, die einen per Notstand gerechtfertigten Eingriff erforderlich macht (siehe oben zur vorsätzlichen mittelbaren Täterschaft 21/84 und oben zum Notstand 13/14). Beispiel 2 0 6 : Der Fahrer eines mit Schmutz beladenen Lastwagens befährt ohne vernünftigen Grund einen unbefestigten Weg, obgleich er erkennen könnte, daß der Lastwagen einsinken und nur durch ein Abladen an Ort und Stelle zu retten sein wird, wobei das Grundstück beschädigt oder Grundwasser verschmutzt werden muß etc. Wenn der Inhaber des rettenden Guts zugleich für die Notstandslage zuständig ist, mindert diese Zuständigkeit das rechtlich anerkannte Interesse am Gut (siehe oben 13/27 und 18/84).

114

3 a) Die Grenzen der Haftung für Beteiligung bei Vorsatztaten sind sämtlich auch Grenzen der Haftung bei einer Verschachtelung fahrlässiger Beiträge; das gilt insbesondere für das Regreßverbot 2 0 7 (unten 24/13 ff). Beispiel: Wenn der Ladenverkauf eines Küchenmessers an eine erkanntermaßen eine Tötung planende Person keine vorsätzliche Tötungsbeihilfe ist, so auch keine fahrlässige Tötung, wenn der schädigende Verlauf nicht erkannt wurde, aber erkennbar war. Liegen die Voraussetzungen mittelbarer Täterschaft vor (ist etwa der Beitragende für die Unvorsätzlichkeit des Ausführenden zuständig, oben 21/68 ff) oder ist der fahrlässig Beitragende sonst Garant, so ist zu haften. Beispiel: Wer eine waffenscheinpflichtige Waffe schlecht verwahrt, so daß sie von einem anderen zu einer vorsätzlichen Körperverletzung verwendet wird, haftet bei Voraussehbarkeit des verwirklichten Risikos wegen fahrlässiger Körperverletzung 2 0 8 .

114a

b) Bei Selbstverletzung ist zu beachten, daß das Verhalten des Sich-Verletzenden allen Beiträgen, die dadurch vermittelt werden, die Eigenschaft nimmt, eine Fremdver205 Anders die überwiegende Ansicht; LK9-Busch §47 Rdn. 33; SK-Samson% 25 Rdn. 41; LK-Roxin 5 25 Rdn. 156 ff, jeweils mit Nachweisen; wie hier Stratenwerth AT Rdn. 1150 f; siehe auch Seehaid GA 1964 S. 161 ff, 168 ff; Bindokat J Z 1979 S. 434 ff; AteyerAusschluß S. 64 ff, 73. 206 Nach BayObLG NJW 1978 S. 2046 f.

654

207

Siehe Schumann Handlungsunrecht S. 108 ff; für die Ermöglichung von Selbstverletzungen Frisch Verhalten S. 148 ff, von Fremdverletzungen aaO S. 230 ff; siehe auch Bindokat JZ 1986 S. 421 ff. 208 Siehe dazu auch LG Göttingen NStZ 1985 S. 410 f.

Täterschaft

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letzung zu f ö r d e r n 2 0 8 3 (siehe oben 21/56 ff). Beispiele: D e r Beteiligte gibt dem über die G e f a h r e n informierten O p f e r eine Portion Rauschgift, die sich das O p f e r selbst mit der Folge appliziert, daß es stirbt; — tatbestandslose fahrlässige Mitwirkung bei einer Selbstverletzung. — D e r T ä t e r leiht dem leichtsinnigen O p f e r ein K r a f t f a h r z e u g , mit dem das O p f e r tödlich verunglückt; — straffrei, was die Selbstverletzung betrifft (nicht aber jedenfalls auch bezüglich einer G e f ä h r d u n g dritter Personen). Z u r H a f t u n g w e gen einer fahrlässigen Mitwirkung an einer vorsätzlichen o d e r fahrlässigen Selbstverletzung k a n n es also n u r k o m m e n , w e n n ein G r u n d v o r h a n d e n ist, der die Vermittlung des Verlaufs d u r c h den Sich-Verletzenden überspringt: die Voraussetzungen einer mittelbaren T ä t e r s c h a f t oder eine sonstige Lage, die eine Garantenstellung zugunsten des O p f e r s b e g r ü n d e t 2 0 ^ (siehe unten 29/53 ff). Beispiele: "Wer fahrlässig eine Scheune in Brand setzt, haftet f ü r die Rauchvergiftung, die der Bauer beim Löschen n o t g e d r u n gen in Kauf nehmen muß. — W e n n der E h e m a n n es leichtfertig vergißt, seine Frau v o r einem Bremsdefekt am gemeinsam benutzten K r a f t f a h r z e u g zu warnen, so haftet er auch dann f ü r die Verletzungen der Frau, wenn dieser der Mangel n u r verborgen blieb, weil sie selbst leichtfertig v e r f u h r .

VIII. Die Täterschaft bei den Pflichtdelikten Literatur Siehe zu IV

A. T a t h e r r s c h a f t kennzeichnet Täterschaft, weil ein Beteiligter mit dem t a t h e r r - 115 schaftlichen Verhalten seinen Organisationskreis zu Lasten des vom Delikt Betroffenen gestaltet: H a f t u n g s g r u n d ist die Zuständigkeit f ü r die Schadlosigkeit der eigenen O r g a nisation. T a t h e r r s c h a f t als Kennzeichnen von T ä t e r s c h a f t ist deshalb auf Delikte zu beschränken, bei denen sich die Beziehung z u m Betroffenen in dessen Schadlosigkeit erschöpft. N u r hier — d. h. allerdings bei der M e h r z a h l aller Delikte — ist die Zuständigkeit Folge eines Organisationsakts. Beispiele sind die von jedermann begehbaren Erfolgsdelikte bei Begehung durch einen J e d e r m a n n . Β 1. Es gibt jedoch auch Delikte, bei denen bestimmte P e r s o n e n ü b e r h a u p t f ü r den 116 Bestand eines Guts einzustehen haben und nicht n u r d a f ü r , daß der eigene O r g a n i s a tionskreis ein G u t nicht schädigend tangiert (Pflichtdelikte) 2 0 8 c . In diesen Fällen ist die Beziehung des Beteiligten zum G u t immer unmittelbar, d. h. ohne akzessorische V e r mittlung, d. h. wiederum stets täterschaftlich, und z w a r o h n e Blick auf ein T u n überhaupt. D e r Beteiligte ist mindestens Unterlassungstäter und bei auch n u r beiläufigem Beitrag d u r c h T u n T ä t e r per Begehung; die D i f f e r e n z i e r u n g Begehung — Unterlassung verliert also ihren Sinn (oben 7/70). Z u den Pflichtdelikten zählen alle Delikte, deren T ä t e r als G a r a n t e n zu institutionell abgesicherter Fürsorge f ü r ein G u t verpflichtet sind (hierzu eingehend unten 29/57 ff). Beispiel 2 0 9 : D e r V o r m u n d , der einer dritten Person den erfolgreichen Rat gibt, wie das anvertraute Mündelvermögen d u r c h die dritte Person entzogen werden kann, ist T ä t e r der U n t r e u e , auch wenn ihm bei der 208a p ü r fahrlässiges Bewirken einer vorsätzlichen Selbstverletzung ebenso B G H 24 S. 342 ff, 344; far fahrlässige Mitwirkung an einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Selbstgefährdung grundlegend B G H 32 S. 262 ff mit Anmerkungen Roxin N S t Z

Anmerkung Loos J R 1982 S. 342 f; BayObLG StV 1982 S. 73 f ; - zutreffende Kritik bei S c a nemann N S t Z 1982 S. 60 ff; Dölling GA 1984 S. 71 ff, 76 f f ; Roxin und Otto a a O . — Aus der Literatur hauptsächlich wie die neuere Rechtspre-

1984 S. 411 f; Hom]K 1984 S. 513 f; DacANStZ 1985 S. 24 f; und Besprechungen Otto Jura 1984 S. 536 ff; SireeJuS 1985 S. 179 ff; - B G H NStZ 1985 S. 25 f. — Anders die ältere Rechtsprechung, B G H N J W 1981 S. 2015 mit ablehnender

chung Spendet J u S 1974 S. 749 f f ; kritisch aber Herzberg]K 1985 S. 265 ff, 270. °8b Ebenso B G H 32 S. 262 ff, 265. 208c Kritisch Stein Beteiligungsformenlehre S. 209 ff. 209 N a c h Roxin Täterschaft S. 355. 2

655

21. Abschn

2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

Entziehung die Tatherrschaft fehlt. — Für die bezeichneten Garanten werden auch Jedermannsdelikte zu Pflichtdelikten, selbst im Fall der Begehung; Teilnahme scheidet also zugunsten umfassender Täterschaft aus. Beispiel: Die Tötung ihres minderjährigen Kindes ist für die Eltern Pflichtdelikt, so daß ohne Blick auf das Ob und das Maß der Beteiligung stets Täterschaft vorliegt; geschieht die Tötung durch Hingabe eines Mittels zur Selbsttötung, tritt die Pflichtdeliktshaftung neben diejenige wegen mittelbarer Täterschaft. Garantenstellungen kraft Organisationszuständigkeit überspringen die Akzessorietät nicht, da es bei diesen Pflichten allein um die rechte Gestaltung des eigenen Organisationskreises geht, also um Zuständigkeit kraft Herrschaft. 117 Wenn der Tatbestand eines Pflichtdelikts auf ein bestimmtes Verhalten abstellt, das der Pflichtige selbst vollziehen muß, so ist ohne dieses Verhalten (oder eine „entsprechende" Unterlassung, § 13 Abs. 1 StGB) Täterschaft ausgeschlossen209®. Beispiel: Die Tathandlung der Vorteilsannahme (§ 331 StGB) besteht (neben anderem) im Sicb-versprechen-Lassen eines Vorteils; dieser Tathandlung steht das Zulassen eines Versprechens an Dritte, etwa des Versprechens der Spende an eine karitative Organisation, nicht gleich. 118

2. Da bei den Pflichtdelikten die Verschachtelung von Verhaltensweisen stets durch die Unmittelbarkeit der Pflicht übersprungen wird, kann die Gesamtlösung zum Versuchsbeginn nicht gelten: Jeder beteiligte Pflichtige steht dem betroffenen Gut unvermittelt gegenüber, so daß der Versuchsbeginn nur nach seinem eigenen Verhalten zu bestimmen ist (Einzellösung). Die Lösung ist insbesondere für die Beteiligung von Garanten aus Ehe, Eltern-Kind-Verhältnis etc. an Begehungsdelikten von Bedeutung: Ein Beitrag des Garanten ohne Tatherrschaft kann schon täterschaftlicher Versuch sein, und zwar selbst, wenn der Versuch der „Haupttat" ausbleibt. Beispiel : Der Mann, der den Mördern seiner Ehefrau hilft, ist Täter einer versuchten Tötung, wenn er nach der Leistung seiner Hilfe den weiteren Einfluß auf das Geschehen verliert; — das Ergebnis harmoniert mit der Unterlassungsseite des Verhaltens : Der täterschaftliche Garant begeht — spätestens — einen Versuch, wenn er die letzte Rettungschance verstreichen läßt (siehe unten zu § 13 StGB 29/113 ff).

119

3. Die Deliktsgruppe der Pflichtdelikte wurde von Roxin entwickelt 210 . Genauer als die Bezeichnung „Pflichtdelikte" wäre „Delikte mit akzessorietätsüberspringender Pflicht" 211 . Prinzip und Einzelheiten sind höchst streitig 212 . — Die Entwicklung der Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit erfolgt bei der Darstellung des Unterlassungsdelikts (unten 29/57 ff). — Zur Milderung des Strafrahmens siehe unten zur Unterlassung 29/126. — Zu den eigenhändigen Delikten siehe schon oben 21/22.

209a

212 Siehe Herzberg Täterschaft S. 32 f; Wagner Bloy Beteiligungsform S. 231 f. Amtsverbrechen S. 70 ff (zu den Amtsverbrechen 210 Täterschaft S. 352 ff, 459 ff, 651 ff; siehe ferner als Pflichtdelikte); Stratenwerth AT Rdn. 795 f LK-Roxin S 25 Rdn. 29 ff; Scbönke-Schröder(zum Bereich der Begehung stark einschränkend, Cramer Rdn. 62 vor S 2 $ und §25 Rdn. 78 f; siehe Rdn. 797); Scbmidhäuser AT 14/51; S ICWessels AT ξ 13 II 2. Samson §25 Rdn. 35; kritisch überhaupt Mau211 Für den Bereich der Unterlassungsdelikte schon racb-Gössel AT II § 47 Rdn. 91; ¿anger SonderGrünwald GA 1959 S. 110 ff, 118; Armin Kaufverbrechen S. 223 ff. mann Dogmatik S. 189 ff, 291 ff.

656

22. Abschn

Teilnahme 22. A B S C H N I T T

Die Teilnahme I. Der Strafgrund der Teilnahme Literatur R. Bloy Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985; P. BockelmannÜber das Verhältnis von Täterschaft und Teilnahme, 1949; ders. Nochmals über das Verhältnis von Täterschaft und Teilnahme, GA 1954 S. 193 ff; ders. Die moderne Entwicklung der Begriffe Täterschaft und Teilnahme, in: ders. Strafrechtliche Untersuchungen, 1957, S. 109 ff; ders. Zur Problematik der Beteiligung an vermeintlich vorsätzlich rechtswidrigen Taten, Gallas-Festschrift S. 261 ff; G. Dahm Anmerkung zu OLG Stuttgart M D R 1959 S. 508, aaO S. 508 ff; F. Geerds Anmerkung zu BayObLG J R 1985 S. 470 f, aaO S. 471 f; R. D. Herzberg Anstiftung und Beihilfe als Straftatbestände, GA 1971 S. 1 ff; ders. Täterschaft, Mittäterschaft und Akzessorietät der Teilnahme, ZStW 99 S. 49 ff; H.-H. Jescheck Versuch und Rücktritt bei Beteiligung mehrerer an einer Straftat, ZStW 99 S. 111 ff; R. Keller Rechtliche Grenzen der Provokation von Straftaten, 1989; / Krümpelmann Die strafrechtliche Behandlung des Irrtums, Beiheft ZStW 1978 S. 6 ff; W. Küper „Sukzessive" Tatbeteiligung vor und nach Raubvollendung — B G H N J W 1985, 814, JuS 1986 S. 862 ff; 5. Auflage 1989; R. Lange Die notwendige Teilnahme, 1940; ders. Zur Teilnahme an unvorsätzlicher Haupttat, JZ 1959 S. 560 ff; W. LangerDzs Sonderverbrechen, 1972; E.-J. Lampe Uber den Begriff und die Formen der Teilnahme am Verbrechen, ZStW 77 S. 262 ff; K. Lüderssen Zum Strafgrund der Teilnahme, 1967; H. Mayer Täterschaft, Teilnahme, Urheberschaft, Rittler-Festschrift S. 243 ff; M.-K. Meyer Tatbegriff und Teilnehmerdelikt, GA 1979 S. 252 ff; E. Λ/ezgerTeilnahme an unvorsätzlichen Handlungen, JZ 1954 S. 312 ff; H. Otto Straflose Teilnahme? Lange-Festschrift S. 197 ff; C. Roxin Ein „neues Bild" des Strafrechtssystems, ZStW 83 S. 369 ff; ders. Täterschaft und Tatherrschaft, 5. Auflage 1989; H.-J. Rudolphi Täterschaft und Teilnahme bei der Strafvereitelung, Kleinknecht-Festschrift S. 379 ff; E. Schmidhäuser Über die Anzeigepflicht des Teilnehmers, Bockelmann-Festschrift S. 683 ff; Chr. Schöneborn Kombiniertes Teilnahme- und Einheitstätersystem für das Strafrecht, ZStW 87 S. 902 ff; H. Schumann Strafrechtliches Handlungsunrecht und das Prinzip der Selbstverantwortung der Anderen, 1986; U. Stein Die strafrechtliche Beteiligungsformenlehre, 1988; St. TrechselDer Strafgrund der Teilnahme, 1967; H. Welze!Studien zum System des Strafrechts, ZStW 58 S. 491 ff; ders. Buchbesprechung, ZStW 61 S. 209 ff; ders. Teilnahme an unvorsätzlichen Handlungen? JZ 1954 S. 429 f; ders. Anmerkung zu BGH 4 S. 355 ff, JZ 1953 S. 763 f; ders. Anmerkung zu B G H 5 S. 47 ff, JZ 1954 S. 128 ff; ders. Vom Bleibenden und Vergänglichen in der Strafrechtswissenschaft, Grünhut-Gedächtnisschrift S. 173 ff.

A. Die Korrumpierungstheorie 1. Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfe) ist der Beteiligte, der nicht Täter sein kann, 1 sei es, weil seine Organisationsleistung nur einen abgeschwächten Beitrag z u m Delikt bringt (ihm fehlt die Tatherrschaft), sei es, weil ihm deliktsspezifische Tätervoraussetz u n g e n fehlen. Bei Bestimmung des H a f t u n g s g r u n d s der T e i l n a h m e (sogenannter Strafgrund der T e i l n a h m e ; genauer wäre U n r e c h t s g r u n d der Teilnahme) kann v o m H a f t u n g s g r u n d bei Täterschaft ausgegangen w e r d e n ; T e i l n a h m e ist dann „verkleinerte Täterschaft". D e r H a f t u n g s g r u n d kann aber auch anders bestimmt w e r d e n als bei Täterschaft. 2 a) S o kann das U n r e c h t der Teilnahme auf dasjenige b e z o g e n werden, was mit 2 dem Täter geschieht: D e r Teilnehmer produziert z w a r nicht die Tat, aber d o c h den schuldigen Täter (Korrumpierungstheorie als Schuldteilnahmetheorie 1 )· Beim schuld1

H. Afoyer Strafrecht des Deutschen Volkes § 33 I (S. 334); als ergänzender Haftungsgrund noch ders. AT § 49 II 1 b aa; ders. Studienbuch § 39 II

4; ders. Rittler-Festschrift S. 243 ff, 253 f f ; siehe auch Keller Grenzen S. 161 ff; kritisch Stein Beteiligungsformenlehre S. 100 ff mit Nachweisen.

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2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

los handelnden Täter wird immerhin noch seine „soziale Desintegration" bewirkt, zumindest wird er in die Gefahr einer Desintegration gebracht (Korrumpierungstheorie als Unrechtsteilnahmetheorie 2 ). b) Die Schuldteilnahmetheorie speziell ist mit § 29 StGB nicht zu vereinbaren 3 , wie die Korrumpierungstheorie allgemein mit den §§ 26 und 27 Abs. 2 StGB unvereinbar ist: Die Bindung des Strafrahmens f ü r Teilnahme an den Rahmen für die T ä t e r t a i läßt erkennen, daß das Gesetz unabhängig von der Korrumpierung des Täters auf das Unrecht der T a t abstellt, und dieses Tatunrecht harmoniert mit dem Korrumpierungsunrecht nicht. Unter dem Aspekt der Korrumpierung bleibt die Gleichheit zwischen etwa der V e r f ü h r u n g eines Jugendlichen zum Diebstahl und dem Tip an einen Gewohnheitsdieb, die durch die gleiche Benennung als „Anstiftung zum Diebstahl" suggeriert wird, blasser Nominalismus. Der Gesetzgeber müßte, wollte er der Korrumpierungstheorie folgen, Korrumpierungs-Delikte nach Art von § 170 d StGB schaffen. Schließlich erklärt diese Theorie auch nicht, was sie erklären will, nämlich das Unrecht der Teilnahme; denn der Teilnehmer bewirkt ja regelmäßig die Korrumpierung des Täters nicht mit Tatherrschaft: Der Teilnehmer ermöglicht ein Delikt des Täters, und es wäre zu begründen, weshalb der Teilnehmer dafür haften soll, daß der Täter die Möglichkeit ergreift 4 .

B. Die Unrechtsteilnahmetheorie 3

Haftungsgrund kann sein, daß der Täter fremdes Unrecht ermöglicht: Die fremde Tat ist dann der Erfolg der Teilnahmehandlung (Unrechtsteilnahmetheorie im eigentlichen Sinn 5 ). Die positivrechtliche Abhängigkeit des Teilnahmeunrechts vom Unrecht der Haupttat läßt sich mit diesem Haftungsgrund gut erklären, insbesondere auch die Möglichkeit einer strafbaren Teilnahme des Extraneus am Sonderdelikt: Das Täterunrecht ist der Erfolg des Teilnehmerverhaltens; um das im Täterdelikt angegriffene Gut geht es nur noch mittelbar 6 . Deshalb müßte nach dieser Lösung die eigene Beziehung des Teilnehmers zum Erfolg der Haupttat unbeachtlich sein : Unrecht wäre die Beteiligung des agent provocateur 7 ; volles Unrecht wäre ferner die Mitwirkung an einer Tat, die (versehentlich) disponible Güter des Teilnehmenden t r i f f t 8 ; schließlich wäre auch die (notwendige) Teilnahme des durch eine N o r m selbst Geschützten als Unrecht zu behandeln (siehe unten 24/8 ff). In allen diesen Fällen wird eine fremde Tat ermöglicht. N o c h heikler wäre die Lage bei Mittäterschaft: Jeder Mittäter ermöglicht durch seinen Beitrag das Unrecht der anderen; neben Täterschaft müßte konkurrierend Teilnahme treten; das Delikt würde „verdoppelt".

C. Die Verursachungstheorie 4

1. Der Lösungsweg der Verursachungstheorie verläuft entgegengesetzt: Nicht das Unrecht des Täters wird dem Teilnehmer zugerechnet, sondern die — freilich mittelbare — Erfolgsverursachung durch den Teilnehmer selbst, und zwar die Verursachung desjenigen Erfolgs, der Erfolg der Tätertat ist. Wie bei der Theorie der Unrechtsteilnahme die Beziehung des Teilnehmers zum Erfolg der Haupttat verkümmert, so ver2

Trechsel Strafgrund S. 54 ff; siehe auch ders. Schweizerisches StGB § 24 Rdn. 3. 3 Α. A. nur H. Mayer, insbesondere Rittler-Festschrift aaO. 4 Deshalb sprechen H. Mayers — berechtigte — Zweifel an der rechtlichen Gleichwertigkeit von physisch und psychisch vermittelter Kausalität gegen seine eigene Teilnahmetheorie; siehe H. Mayer Rittler-Festschrift S. 243 ff, 256 f.

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5 Der Formulierung nach so We/ze/Strafrecht § 16 I 2 a und 3; ders. ZStW 61 S. 209 ff, 213; kritisch mit Nachweisen Stein Beteiligungsformenlehre S. 109 ff. 6 Lüderssen Strafgrund S. 54; siehe auch StratenwerthKV Rdn. 858 f. 7 Insoweit auch unentschieden Welzel Strafrecht § 16 II 3 ; eingehend Keller Grenzen S. 165 ff. 8 So wohl auch Welzel Strafrecht § 1613.

Teilnahme

22. Abschn

kümmert hier die Vermittlung des Erfolgs durch einen unrecht handelnden Täter. Deutlich wird das bei der Teilnahme am Sonderdelikt, etwa bei der Anstiftung zum echten Amtsdelikt: Die Vermittlung durch den Sonderpflichtigen kann mit einer Version der Verursachungstheorie als „rein faktischer N a t u r " 9 gedeutet werden, d. h. als bloße Bedingung zur Erreichung eines Erfolgs; H a f t u n g des nicht sonderpflichtigen Teilnehmers am Sonderdelikt ist dann selbstverständlich. Die Vermittlung kann aber auch mit einer anderen Version als etwas verstanden werden, das den Teilnehmer nichts angeht, da es auf seine eigene Beziehung zum Erfolg ankommt. Die Vermittlung ist dann funktionslos; die vom Gesetz (§28 Abs. 1 StGB) vorausgesetzte H a f t u n g des nicht sonderpflichtigen Teilnehmers am Sonderdelikt erscheint als „sachwidrig" 1 0 ; allenfalls wird sie als eigenständige, zur Teilnahme „ungleichartige" Beteiligungsform toleriert 1 1 . — In beiden Versionen ist das in der Person des Täters verwirklichte Unrecht ohne Bedeutung f ü r den Teilnehmer. 2. Beide Versionen gehen wegen des Blicks auf die Beziehung Teilnehmer—Erfolg 5 am gesetzlichen Erfordernis einer Haupttat vorbei. Sie sind Abkömmlinge der Urheberlehre, die in reiner Ausprägung zum extensiven Täterbegriff führt (hierzu oben 21/6 ff, 8). Dabei beläßt freilich die engere Lösung Sonderpflichten als nicht-extensiv; sie wird deswegen aber dem weiten Teilnehmertatbestand des Gesetzes nicht gerecht. Die weite Lösung (Vermittlung als „rein faktischer Natur") muß — wie der extensive Täterbegriff — die Tatbestandsbestimmtheit auflösen; die Haupttat schrumpft vom tatbestandsmäßigen Verhalten zu einem Verhalten, das nur noch den Beitrag des Teilnehmers wirksam vermitteln muß 1 2 .

D. Die Theorie der erfolgsbezogenen Unrechtsteilnahme 1. Zur Bestimmung des Unrechts der Teilnahme ist zu berücksichtigen : 6 a) Die Deliktsbeschreibungen des BT erfassen allein die täterschaftliche Ausführung des Selbst-Begehenden. Strafbarkeit von Teilnahme ist also Ausdehnung der Strafbarkeit. Als Strafbarkeitsausdehnungen haben sich freilich auch schon die Mittäterschaft und die mittelbare Täterschaft erwiesen. Diese täterschaftlichen Ausdehnungen binden die H a f t u n g aber an die Gestaltung der konkreten Tatbestandsverwirklichung oder an die Entscheidung darüber; jedenfalls bleibt eine dichte Beziehung zwischen Täterverhalten und Deliktsbeschreibung des BT. Bei der Teilnahme ist diese Beziehung gelokkert, da der Teilnehmer die T a t nicht gleich wie der Täter gestaltet und auch nicht mit ihm über das O b entscheidet. Deshalb ist die T a t nicht in dem Maß sein Werk, wie sie Werk des Täters ist; aber immer noch hat der Teilnehmer an der T a t Anteil, nur eben quantitativ reduziert. Die Ausführung der Haupttat ist nicht nur Ausführung f ü r täterschaftlich Beteiligte, sondern auch f ü r Teilnehmer : Das Beteiligungsverhalten ist der Grund dafür, dem Teilnehmer die Haupttatausführung als (auch) sein W e r k z u z u rechnen (wie ein Gesellschafter auch für diejenigen Geschäfte einer Gesellschaft haftet, die er nicht selbst abschließt; dazu schon oben 21/3). O h n e die Haupttat kommt also das materielle Unrecht einer Teilnahme nicht zustande. Wenn demgegenüber verbreitet das Erfordernis einer Haupttat unrechtsunabhängig gedeutet wird, etwa indem die Haupttat als nur faktisch notwendig 1 3 oder als bloße Vermittlung der Tatbestandsbestimmtheit 1 4 (Teilnahmehandlungen werden im BT nicht beschrieben) gedeutet wird, 9 Lüderssen Strafgrund S. 137. 10 Scbmidhäuser AT 14/57 ff, 85; Langer Sonderverbrechen S. 485 f. 11 M.-K. MeyerGA 1979 S. 252 ff, 269. 12 Siehe Lüderssens Ausführungen zur „Teilnahme"

an fremder Selbstverletzung, Strafgrund S. 168; — kritisch wie hier SK-Samson Rdn. 11 vor § 26; Bloy Beteiligungsform S. 172 ff. 13 So aber Lüderssen a a O in Fn. 9. 1+ SK-Samson Rdn. 14, 27 vor § 26.

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2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

so geht das an der hauptsächlichen Bedeutung der täterschaftlichen Tatausführung f ü r den Teilnehmer vorbei: O h n e Haupttat ist die Teilnahme materiell kein Delikt; isoliert bleibt sie ein interner Akt zwischen den Beteiligten, ist aber keine externalisierte Störung; erst die Haupttat externalisiert (auch) das Teilnehmerverhalten (oben 21/3, 8a, 61).

7

b) Das Verbot der Verwirklichung des Tatbestands, so wie er im BT beschrieben ist, übertritt der Teilnehmer nie, sondern stets nur das durch die Teilnahmeregelungen erweiterte Verbot. Daraus ist geschlossen worden, auch die Teilnahme an Sonderdelikten im engeren Sinn ergebe sich allein aus dieser Erweiterung 1 5 . An diesem Schluß ist richtig, daß es jedenfalls um eine Strafbarkeitserweiterung geht. Aber diese Erweiterung hat bei den Sonderdelikten einen anderen Inhalt als bei Jedermannsdelikten. Bei den Sonderdelikten verbindet die Haupttat den Teilnehmer mit einer Institution, die ihn ansonsten nichts angeht (er hat keinen Status); wird der Haupttäter als durch eine Maschine ersetzt gedacht, so entfällt der Deliktstatbestand. Bei den Jedermannsdelikten bedarf es keines Status; wird die Haupttat maschinell ersetzt gedacht, wächst der Teilnehmer zum selbst begehenden Täter an. Mit anderen Worten, Teilnahme bei Sonderdelikten führt zur Zurechnung trotz Rollentrennung; Teilnahme hei Jedermannsdelikten hingegen zur Zurechnung trotz Arbeitsteilung. Bei Sonderdelikten erweitern die Teilnahmeregeln nicht nur den Bereich des normwidrigen Verhaltens, sondern auch den Adressatenkreis, und zwar von Inhabern eines bestimmten Status auf Jedermann. Bei Sonderdelikten tritt also neben die rechtsstaatliche Bedeutung des Erfordernisses einer Haupttat noch eine materielle Bedeutung: O h n e ein Haupttatunrecht kann ein Teilnehmer, der die deliktsspezifischen Täterqualifikationen nicht selbst aufweist, kein tatbestandliches Unrecht bewirken. N u r über die Person eines Qualifizierten wird der Beitrag des Nicht-Qualifizierten überhaupt zur Enttäuschung. Deshalb ist nur bei Sonderdelikten die Quantität des Unrechts eines teilnehmenden Extraneus höchstens so groß wie das Unrecht, das der Intraneus verwirklicht 1 5 a . Beispiel : Bei einem f ü r den Richter unvermeidbaren Fehlurteil wird aus dem Verhalten des Richters keine Stellungnahme f ü r Rechtsbeugung expressiv; damit fehlt ein N o r m b r u c h , den der Extraneus durch Teilnahme am Sonderdelikt gutheißen könnte. Seine vorhandene Stellungnahme zur eigenen Behandlung von Rechtssachen ist für den Tatbestand von § 336 StGB irrelevant.

8

c) Der Teilnehmer haftet nicht, weil das Produzieren einer Haupttat f ü r den Haupttäter Unrecht ist, sondern weil dessen Ausführung auch dem Teilnehmer zugerechnet werden kann : Die Ausführung ist wegen der gemeinsam Sache, die er mit dem Haupttäter macht, auch sein Werk. Deshalb muß er auch selbst auf Vollendung der Haupttat ausgehen (siehe unten 23/16). Wenn sich die Teilnahme vollenden soll, muß ferner ein Gut getroffen werden, das dem Teilnehmer gegenüber geschützt ist. Daß der Teilnehmer nicht tauglicher Täter sein muß — tauglicher Täter ist er in seiner Rolle als Teilnehmer, also ohne Tatherrschaft oder ohne Sonderpflicht, nie — heißt nicht, er hafte auch dann f ü r Vollendung, wenn er selbst als Täter eines allgemein begehbaren Delikts nicht wegen Vollendung haften würde, seil, beim irrtümlichen Angriff auf eigene Güter. Beispiel: Der über sein Eigentum ahnungslose wahre Erbe, der einen Diebstahl gegen den vermeintlichen Erben unterstützt, begeht ungeachtet der Vollendung der T a t durch den Haupttäter nur eine Teilnahme am versuchten Diebstahl. Es handelt sich höchstens um Teilnahme am Versuch, da er das eigene Eigentum nicht 15 Ä o x m Z S t W 8 3 S . 369 ff, 399; SK-SamsonRdn. vor § 26.

16

15a Partiell umgekehrt — bei Pflichtdelikten soll

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Teilnahme an unvorsätzlicher Tat möglich sein — Roxin Täterschaft S. 364 ff, 378; dagegen Bloy Beteiligungsform S. 233 ff.

Teilnahme

22. Abschn

vollendet angreifen kann, aber auch mindestens um Teilnahme am Versuch (und nicht nur um versuchte Teilnahme), da die Haupttat einen Versuch des Zugriffs auf vermeintlich allseitig fremdes Eigentum darstellt. Kennt der Haupttäter die wahre Lage, so hat der Teilnehmer die Förderung einer Tat, die zumindest versuchter Zugriff auf allseitig fremdes Eigentum ist, nicht erreicht; es bleibt bei nur versuchter Teilnahme 16 . — Zur straffreien sogenannten „notwendigen Teilnahme" siehe unten 24/7 ff. 2. Unrecht der Teilnahme ist somit der eigene — aber nicht täterschaftliche — 9 Angriff auf ein Gut durch das zurechenbare Bewirken einer täterschaftlichen T a t 1 7 , genauer 18 : das zurechenbare Bewirken einer täterschaftlichen Tat bei eigenem Vollendungsvorsatz. Diese Theorie einer erfolgsbezogenen Unrechtsteilnahme entspricht in den Ergebnissen der von der überwiegenden Lehre vertretenen „akzessorietätsorientierten Verursachungstheorie", d. h. einer Theorie, die eine Verursachung um eine Unrechtsteilnahme ergänzt 19 . Unter den genannten Formeln verbergen sich freilich heterogene Gegenstände. Nur bei Sonderdelikten hat die Haupttat, wie gezeigt wurde, materielle Bedeutung. De lege ferenda dürfte eine Trennung der jeweiligen Teilnahmeregelungen zu erwägen sein. — Siehe auch zur qualitativen Akzessorietät unten 23/25. II. Die Abhängigkeit der Teilnahme von der Haupttat Literatur Siehe zu I A. Die Voraussetzungen der Haupttat 1. Teilnahme ist nur möglich, wenn eine täterschaftliche Tat wirklich vorhanden ist. 10 Deshalb muß die Haupttat nicht nur objektiv tatbestandsmäßig, rechtswidrig (unten 22/11) und vorsätzlich (unten 22/12 ff) sein, sondern es müsen alle deliktsspezifischen Tätermerkmale vorliegen (oben 21/9), auch soweit diese nicht zum objektiven Tatbestand gehören, also insbesondere: unrechtsbegründende Vorsatzarten oder den objektiven Tatbestand überschießende Vorsätze (Beispiel: Zueignungsabsicht beim Diebstahl), Eigenhändigkeit bei eigenhändigen Delikten, objektive Tätertypisierungen (Beispiel: Gewahrsamsinhaberschaft bei der Unterschlagung) sowie spezielle subjektive Deliktsmerkmale, dies einschließlich eventuell erforderlicher spezieller Schuldmerkmale. Beispiel: Wer sich „beharrlich" an ihrerseits nicht beharrlichen Verstößen gegen ein Verbot beteiligt, Prostitution auszuüben, kann nicht als Teilnehmer einer Tat nach § 184 a StGB haften, da es an einer zur Täterschaft hinreichend spezifizierten Haupttat fehlt 1 9 a ; hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Beharrlichkeit als (auch) subjektives Unrechtselement oder als spezielles Schuldmerkmal gedeutet wird: Jedenfalls gehört sie zu den Spezifikationen eines Täters. — Zur qualitativen Akzessorietät siehe unten 23/5. — Akzessorietät schließt es nicht aus, daß der Gehilfe nach dem Täter handelt, 16 Streitig; siehe Welzel Strafrecht § 1 6 II 2; Lüdemen Strafgrund S. 131 f, 167 f; SK-Samson Rdn. 8, 24 vor § 26; Stratenwerth AT Rdn. 860. 17 LK-Roxin Rdn. 1 vor § 2 6 ; SK-Samson Rdn. 14 ff vor § 26; Stratenwerth AT Rdn. 858 ff. 18 An einem „Angriff auf ein Gut" kann es bei einigen Delikten fehlen, siehe oben zur Rechtsgutslehre 2/16 ff. 19 Jescheck AT § 64 I 2; Maurach-Gösse\ AT II § 50 Rdn. 35 ff; Baumann- Weber AT § 37 I 1 b und II 1, jeweils mit Nachweisen; auch RG 15 S. 315 ff, 316; 59 S. 34 f, 35; BGH 370 ff, 378. — Die Konvergenz mit der überwiegenden Ansicht betrifft nur die Ergebnisse; zum Begründungs-

19a

gang siehe SK-Samson Rdn. 11 vor § 2 6 ; LK-Roxin Rdn. 15 f vor § 26. — Zum Problemkreis siehe ferner Bockelmann GA 1974 S. 193 ff; Lange Notwendige Teilnahme S. 59 ff; Otto Lange-Festschrift S. 197 ff, 201 ff; ders, JuS 1982 S. 557 ff, 558 f; Lampe ZStW 77 S. 262 ff; Herzberg GA 1971 S. 1 ff; Schumann Handlungsunrecht S. 44 ff. A. A. BayObLG J R 1985 S. 470 f mit zustimmender Anmerkung Geerds aaO S. 471 f. - Das gilt auch für § 14 Abs. 4 0 W Ì G : Die Vorschrift regelt eine notwendige („nur"), nicht aber eine hinreichende Voraussetzung der Beteiligung,

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wenn nur das Gehilfenhandeln Teil der Ausführungshandlung des Täters ist. Beispiel zur Vollendung: Der Gehilfe ohne Zueignungsabsicht lädt das vom Täter aus den Angeln gewuchtete fremde T o r auf den Lastwagen des Täters. Beispiel zum Versuch: Der Gehilfe bei einem Terroranschlag justiert die Kanone nach Weisung des Täters; zum Abschuß kommt es nicht. 11

2 a) Die Haupttat muß tatbestandsmäßig und rechtswidrig sein (§§26, 27 StGB). Teilnahme an rechtmäßigen Taten, seien es nicht tatbestandsmäßige oder gerechtfertigte Taten, bleibt Teilnahme, ist aber gleichfalls rechtmäßig (zur relativen Rechtswidrigkeit siehe oben 11/59 a f). Darauf beruht die Straffreiheit der Teilnahme an — tatbestandsloser! — Selbsttötung (siehe oben 21/57 ff) oder an der Vereitelung einer Strafe, die dem Vereitelungstäter selbst droht 1 9 b . Bei unvermeidbar irriger Annahme einer Rechtfertigungslage durch den Ausführenden ergibt sich die Rechtswidrigkeit im Sinn der §§ 26, 27 StGB aus der (quasi-versuchten) Tatbestandsverwirklichung und dem unberührt bleibenden Tatbestandsvorsalz20; Teilnahme bleibt dann also möglich (wichtig, wenn dem Nicht-Ausführenden eine Täterqualifikation fehlt, insbesondere bei Sonderdelikten). — Fälle eines Irrtums des Teilnehmers erledigen sich nach allgemeinen Regeln, wobei zu beachten ist, daß die irrige Annahme, die Haupttat erfülle einen Deliktstatbestand oder sei nicht gerechtfertigt, nur Versuch der Teilnahme an einer Unrechtstat und deshalb nur im Rahmen von § 30 StGB strafbar ist; Beispiel: Jemand hilft zu einer Trunkenheitsfahrt, § 316 StGB, ohne zu wissen, daß diese durch Notstand, § 34 StGB, gerechtfertigt ist: (hier straffreie) versuchte Teilnahme. Die Unkenntnis der Tatbestandserfüllung beläßt allenfalls Fahrlässigkeit und schließt somit eine Differenzierung der Beteiligungsformen aus (siehe oben 21/111 ff).

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b aa) Die tatbestandsmäßige Haupttat muß stets vorsätzlich sein (§§ 26, 27 StGB). Die Vorsatzlosigkeit des unmittelbar Ausführenden kann zur mittelbaren Täterschaft desjenigen führen, der vorsätzlich die Ausführung bewirkt. In den Fällen aber, in denen nur der unmittelbar, aber unvorsätzlich Ausführende als Täter qualifiziert ist, nicht aber der die Ausführung mittelbar vorsätzlich Bewirkende, ist eine Strafbarkeit des Hintermanns ohne Vorsatz des Ausführenden überhaupt ausgeschlossen. Mittelbare Täterschaft scheitert in diesen Fällen am Mangel der Qualifizierung des Hintermanns, Teilnahme an der Unvorsätzlichkeit der Haupttat. — Beispiele 21 : Jemand bewirkt durch die Vorspiegelung, alle Welt wisse sowieso Beschied, daß ein Arzt ein Geheimnis preisgibt (§ 203 Abs. 1 N r . 1 StGB). Ferner 2 2 : Nach einem Verkehrsunfall wird einem Beteiligten vorgespiegelt, es sei nichts passiert; der Beteiligte entfernt sich arglos.

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bb) Positivrechtlich für strafbar erklärte Fälle von Beteiligungen an einem unvorsätzlichen Sonderdelikt vertypen die §§ 160, 271 f StGB. Ansonsten sind solche Beteiligungen straffrei. Dieses Ergebnis wird verbreitet mißbilligt 23 und vereinzelt umgangen 2 4 . Die Mißbilligung trifft die Lösung einiger Fallgruppen zu Recht. Die Unvorsätzlichkeit der Haupttat ist ein natürlicher Befund, der nicht notwendig die Unzuständigkeit des Vorsatzlosen für die Verbindung von Defekt und Tat zur Folge hat. Ist aber 19b

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Rudolphi Kleinknecht-Festschrift S. 379 ff mit eingehender Darstellung des Streitstands. Im Ergebnis ebenso LK-Roxin Rdn. 25 vor § 26; α. Α. Krümpelmann Beiheft ZStW 1978 S. 6 ff, 50. Nach B G H 4 S. 355 ff; O L G Köln M D R 1962 S. 591 f. N a c h O L G Stuttgart V R S 17 S. 272 ff. „Rechtspolitischer Mißgriff", „Fehlentscheidung" (Schönke-Scbröder-Cramer Rdn. 32 f vor § 25) ; „Sachstruktur verfehlt" (Schmidhäuser AT 14/94); siehe ferner Roxin Täterschaft S. 352 ff,

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552 f f ; SchönebornZStW 87 S. 902 ff, 913; - aus der Zeit von §§ 48, 49 StGB a. F. siehe LK*-Mezger% 48 Anm. 2 d und § 50 Anm. 4 und 5 d; Mezger]Z 1954 S. 312 ff (dagegen WWze/JZ 1954 S. 429 f ) ; Lange J Z 1959 S. 560 f f ; Lampe ZStW 77 S. 262 ff; Dahm M D R 1959 S. 508 ff. Schmidbauer Studienbuch 10/22, der den V o r satzbegriff in den §§ 26 f StGB, soweit er eine Eigenschaft der Haupttat betrifft, als Willentlichkeit im Sinn des Gewolltseins der Körperbewegung (Basi^handlung) nebst eventuell beabsichtig-

Teilnahme

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f ü r diese Verbindung der unvorsätzlich Handelnde selbst zuständig, so kann auch eine akzessorische, d. h. teilnehmende (oder auch mittäterschaftliche) Zuständigkeit begründet werden. Die Suggestivkraft der Begriffe „Tatherrschaft" oder gar „finale Tatherrschaft" verschleiert, daß es bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme um den Rang und die Stufung von Zuständigkeiten geht, nicht aber um psychische Fakten. cc) Zur Lösung sind drei Problemkreise zu unterscheiden : 14 α) Was zunächst die Jedermannsdelikte angeht, so wird das Problem überwiegend durch eine großzügige Definition der mittelbaren Täterschaft kaschiert: Jeder unvorsätzlich Handelnde soll f ü r jeden vorsätzlich Handelnden Werkzeug sein. Damit wird jeder vorsätzlich Handelnde zugunsten des Opfers zur Amme eines unvorsätzlich Handelnden, was bei Unvermeidbarkeit des Irrtums richtig sein mag, bei Leichtsinn aber axiologisch ungereimt ist (siehe schon oben zur mittelbaren Täterschaft 21/72). — Bei Anwendung der Regeln der Teilnahme müßte der Teilnehmer ohne Blick auf die Strafbarkeit von Fahrlässigkeit (es geht nicht um Fahrlässigkeit, sondern um fehlenden Vorsatz) aus dem Strafrahmen f ü r Vorsatzdelikte haften, da die Vermeidbarkeitsform höchstpersönlich wirkt (siehe unten zur qualitativen Akzessorietät 23/16 ff). ß) Bei den Delikten, die formulierungsmäßig oder faktisch Sonderdelikte sind, ohne 1 5 eine Sonderpflichtverletzung zu enthalten, f ü h r t auch der Ausweg der mittelbaren Täterschaft nicht zur Haftung, wenn der vorsätzliche Veranlasser keine Täterqualifikation aufweist. In diesem Bereich sind de lege lata die schwersten Wertungswidersprüche zu finden: Die Unterstützung des unvorsätzlich Handelnden ist straffrei. Beispiel (siehe auch das eingangs genannte Beispiel zur Verkehrsunfallflucht): W e r einem Betrunkenen rät, in Kenntnis seiner Trunkenheit ein Auto zu führen, haftet als Teilnehmer der Trunkenheit im Verkehr; wer denselben Rat einem Täter gibt, der sich leichtsinnig oder mit gutem Grund, jedenfalls aber irrig f ü r voll fahrtüchtig hält, haftet nicht. Soweit de lege ferenda eine — vorzugswürdige 2 5 , aber teils zu verquälten Formulierungen f ü h r e n d e 2 6 — Umformulierung in Jedermannsdelikte ausscheidet, bringt nur die Anerkennung einer Teilnahme an unvorsätzlicher T a t Abhilfe. Auch bei einer U m f o r mulierung in Jedermannsdelikte liegt die Lösung nicht in der pauschalen Anwendung der mittelbaren Täterschaft, sondern in der Differenzierung nach der Zuständigkeit f ü r den Zusammenhang von Defekt und Tatbestandsverwirklichung. γ) Die Sonderdelikte im engeren Sinn verlangen nach einer eigenen Lösung. Hier 16 übernimmt der Sonderpflichtige nicht nur die Ausführungshandlung (Arbeitsteilung), sondern er allein bringt die Pflicht ein (Rollentrennung). Deshalb bezeichnet seine Pflichtverletzung das Höchstmaß an Normgeltungsschaden; beispielhaft gesprochen, seine Pflichtverletzung ist das Nadelöhr, das von allem Beteiligtenunrecht passiert werden muß (ausgenommen Fälle relativer Rechtfertigung, dazu oben 11/59b). Die Bestrafung von Teilnahme ist demnach allenfalls in dem Maß angebracht, in dem die Haupttat f ü r den Qualifizierten zurechenbares Unrecht ist, also bei Fahrlässigkeit nur bei Bestand eines entsprechenden Fahrlässigkeitstatbestands und bei Unvermeidbarkeit überhaupt nicht. Da Fahrlässigkeitstatbestände bei echten Sonderdelikten regelmäßig ter (tatbestandlicher?) Folgen (Folgenhandlung, a a O 5/10) interpretiert. 25 Der Vorzug besteht darin, auch die Fälle von vis absoluta, in denen es schon an einer Handlung des Gezwungenen fehlt, erfassen zu können. Beispiel: Eine Frau zwingt einen Mann mit vis absoluta zu exhibitionistischen „Handlungen". —

Für Umformulierung auch Herzberg ZStW 99 S. 49 ff, 67. 26 Etwa zu § 316 StGB : Wer täterschaftlich bewirkt, daß ein Fahruntüchtiger ein Fahrzeug führt etc.; ähnlich unbeholfen schon jetzt § 177 Abs. 1 StGB.

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fehlen, verliert damit die Fallgruppe jede praktische Bedeutung. Beispiel: Der Richter, der aufgrund eines plumpen Täuschungsmanövers ein falsches Urteil fällt, begeht trotz Leichtsinns mangels Vorsatzes keine nach § 336 StGB tatbestandsmäßige Rechtsbeugung; das schließt alle Teilnehmer von der H a f t u n g aus, die ihre Pflicht nur von derjenigen des Richters ableiten k ö n n e n 2 6 1 . 17

dd) Im Ergebnis hat das Gesetz 2 7 eine naturalistische Differenzierung getroffen (Vorsatz/Fahrlässigkeit), wo eine wertende angebracht gewesen wäre (Zuständigkeit/ Unzuständigkeit). Die gegen die Möglichkeit einer Teilnahme an unvorsätzlicher T a t und f ü r die gesetzliche Lösung vorgebrachten Argumente der überwiegenden Lehre leiden sämtlich an einem Mangel an Differenzierung: Die Lösung bei den Sonderdelikten im engeren Sinn (die jedenfalls praktisch auf Straffreiheit der Teilnahme an nicht strafbarer unvorsätzlicher Tat hinauslaufen muß) wird mit der Lösung bei Jedermannsdelikten in eins gesetzt und dagegen ausgespielt 2 8 , und bei Jedermannsdelikten wird die falsche Alternative aufgebaut, es komme bei sämtlichen Fällen entweder nur mittelbare Täterschaft oder aber nur Teilnahme an unvorsätzlicher T a t in Betracht; letzteres ist dann natürlich keine überzeugende Lösung f ü r die Fälle, in denen der Hintermann f ü r den Zusammenhang von Defekt und T a t zuständig ist. — Eine befriedigende Regelung muß sowohl Teilnahme an unvorsätzlicher T a t wie mittelbare Täterschaft durch Benutzung eines unvorsätzlich handelnden Werkzeugs kennen, ersteres f ü r die Fälle der Unzuständigkeit des Beteiligten f ü r die Verbindung von Defekt und Tat, letzteres für die Fälle der Zuständigkeit.

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ee) Der Wortlaut des Gesetzes ist eindeutig. Deshalb ist es mit dem Bestimmtheitsgrundsatz unverträglich, Teilnahme an einer unvorsätzlichen Haupttat jedenfalls dann anzuerkennen, wenn die Haupttat nach der Vorstellung des Teilnehmers vorsätzlich sein sollte, aber unvorsätzlich vollzogen wurde. Entsprechende Fallkonstellationen sind nicht nur bei Sonderdelikten denkbar; Beispiel: Die Krankenschwester reicht dem Arzt wunschgemäß und im Bewußtsein der Folgen ein Medikament in einer schädigend hohen Dosis; der Arzt hatte sich bei der Mengenangabe geirrt; die Schwester ging davon aus, der Arzt habe die Folgen eingeplant, etc. ; — mangels vorsätzlicher Haupttat keine Teilnahme der Schwester an einer Körperverletzung; mangels Kenntnis der Unvorsätzlichkeit keine mittelbare Täterschaft der Schwester; möglich bleiben Teilnahmeversuch und fahrlässige Täterschaft. — Ferner leidet die Lösung, die in solchen Fällen die §§ 26, 27 StGB anwendet, an einer ungerechtfertigten Mißachtung der üblichen Regeln über die Kongruenz von objektivem Verlauf und V o r s a t z 2 9 . Diese Mißachtung erklärt sich aus der Gleichstellung von „Bewirken" mit „akzessorischem Bewirken" also aus Resten des extensiven Täterbegriffs (Urheberlehre).

26a Das verkennt Herzberg ZStW 99 S. 49 ff, 65. 27 Wie das Gesetz schon die Rechtsprechung zu den §§ 48, 49 StGB a. F. seit BGH 9 S. 370 ff (unter Preisgabe von BGH 4 S. 355 ff; 5 S. 47 ff). Zur Rechtsprechung zu § 14 OWiG siehe oben 21/7 mit Fn. 10. — Aus der Literatur siehe insbesondere Welze! JZ 1953 S. 763 f; den. JZ 1954 S. 128 ff; den. Strafrecht § 16 I 2 a mit ausführlichen Nachweisen der Literatur zum alten Recht; ders. ZStW 58 S. 491 ff, 537 ff, 546; den. Grünhut-Gedächtnisschrift S. 173 ff, 179 ff;

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Bockelmann Verhältnis S. 15 ff; den. GA 1954 S. 193 ff; ders. Untersuchungen S. 109 ff, 124 f. 28 Als Schreckgestalt wird neben dem genannten Beispiel zur Rechtsbeugung die Teilnahme an „unvorsätzlicher Untreue" genannt; siehe H. Mayer Rittler-Festschrift S. 243 ff, 266. 29 Zutreffend Bockelmann Gallas-Festschrift S. 261 ff, 267; — sehr streitig, Nachweise bei Jescheck AT § 61 VII 3 Fn. 48; Roxin Täterschaft S. 555 ff.

22. Abschn

Teilnahme

Β. Die äußere (quantitative) Akzessorietät 1. Wie schon bei der Mittäterschaft, so werden auch bei der Teilnahme die Beiträge 1 9 aller P e r s o n e n zu einem deliktischen Geschehen verbunden, das die Stadien der V o r b e reitung und des Versuchs einheitlich d u r c h l ä u f t (Gesamtbetrachtung), also nicht nach den Beteiligten gesondert (Einzelbetrachtung). Auch w e n n ein Teilnehmer seinen Beitrag voll geleistet hat, liegt f ü r ihn n u r dann ein Versuch vor, w e n n das deliktische Geschehen insgesamt bis zum Versuch gediehen ist. Alle Beiträge werden also nach den quantitativen Fortschritten der gesamten T a t behandelt, so als vollzöge ein einziger T ä t e r alles allein 2 9 1 . D u r c h die Zusammenfassung der Beteiligten zu einem einzigen K ö r p e r oder zu einer einzigen Person mag es v o r k o m m e n , daß der U b e r g a n g von der V o r b e r e i t u n g zum Versuch von einem Beteiligten vollzogen wird, der a u f g r u n d der Geringfügigkeit seines Beitrags n u r Teilnehmer, nicht aber T ä t e r ist (dazu auch oben 21/37). Beispiel: D e r als Experte angeheuerte Glaser ritzt am H a u s des O p f e r s ein Fenster an, damit seine Mitbeteiligten die Scheibe lautlos eindrücken, d u r c h die Lücke eindringen und sodann aus dem H a u s stehlen können. 2 a) Bleibt die H a u p t t a t aus, so liegt n u r Versuch einer Teilnahme vor. Beispiele: 20 Der Angestiftete weigert sich, die T a t zu begehen; — der Angestiftete will die T a t begehen, scheitert aber schon vor dem Versuch. Dieser Versuch der Teilnahme ist im Rahmen des § 30 StGB strafbar (§ 30 StGB formuliert also eine A u s n a h m e von der Akzessorietät) ; ansonsten ist der Versuch als Versuch straffrei (nicht auch stets als T a t nach § 138 S t G B ) 3 0 , und z w a r auch bei V e r b r e c h e n 3 1 . b) W i r d die täterschaftliche H a u p t t a t immerhin versucht, so ist über die T a t b e standsbindung der T ä t e r s c h a f t die Tatbestandsbindung der Teilnahme garantiert; der Teilnehmer haftet im Maß des Gelingens, also wegen Teilnahme am Versuch, dies aber nur, wenn der Versuch des Täters auch s t r a f b a r ist, also bei Vergehen ( § 1 2 Abs. 2 StGB) nicht ohne Sonderregelung im B T (§ 23 Abs. 1 StGB).

III. Die Anstiftung Literatur G. Bemmann Z u m Fall R o s e - R o s a h l , M D R 1958 S. 817 ff; ders. D i e U m s t i m m u n g des Tatentschlossenen, Gallas-Festschrift S. 273 ff; R. Bloy A n m e r k u n g zu B G H 32 S. 3 1 0 ff, JR 1985 S. 2 0 6 f; ders. D i e Beteiligungsform als Z u r e c h n u n g s t y p u s im Strafrecht, 1986; P. Cramer A n m e r k u n g z u B G H 19 S. 339 ff, JZ 1965 S. 31 f; E. Dreher D e r Paragraph mit dem J a n u s k o p f , Gallas-Festschrift S. 307 ff; M. Fincke D a s Verhältnis des Allgemeinen z u m B e s o n d e r e n Teil des Strafrechts, 1975; W. Frisch Tatbestandsmäßiges Verhalten und Z u r e c h n u n g des Erfolgs, 1988; W. Gallas A n m e r k u n g z u B G H JR 1956 S. 226, a a O S. 2 2 6 f; ders. D e r d o g m a t i s c h e Teil des Alternativentwurfs, Z S t W 80 S. 1 f f ; Κ. H. Gössel D o g m a t i s c h e Ü b e r l e g u n g e n z u m erfolgsqualifizierten Delikt nach § 18 StGB, Lange-Festschrift S. 2 1 9 ff; R. D. Herzberg Anstiftung z u r unbestimmten Haupttat — B G H S t 34, 63, JuS 1987 S. 617 ff; P. Hünerfeld Mittelbare T ä t e r s c h a f t und Anstiftung im Kriminalstrafrecht der Bundesrepublik D e u t s c h l a n d , Z S t W 99 S. 228 f f ; / . C. Joerden Strukturen des strafrechtlichen Verantwortlichkeitsbegriffs : Relationen und ihre Verkettungen, 1988; Armin Kaufmann D i e D o g m a t i k im Alternativentwurf, Z S t W 80 S. 34 ff; L. Martin 29a

Rechtsvergleichung bei Jescheck ZStW 99 S. 111 ff. 30 Zur subsidiären Bestrafung aus § 138 StGB siehe Schmidhäuser Bockelmann-Festschrift S. 683 ff mit Nachweisen. 31 Zwar ist die Verbrechensteilnahme selbst Verbrechen (S 12 Abs. 2, § 26 StGB; § 12 Abs. 1 und 3,

§ 27 StGB), aber die generelle Strafbarkeit des Verbrechensversuchs (§ 23 Abs. 1 StGB) erfaßt nur Täterschaft (arg. § 30 StGB) und zudem bestimmt sich der Versuch eines Delikts mehrerer akzessorisch Beteiligter einheitlich, nämlich nach der Ausführungshandlung; siehe schon oben zur akzessorischen Mittäterschaft. 665

22. Abschn

2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

Beihilfe z u r Anstiftung, D R i Z 1955 S. 290 f ; D. Meyer D e r mißverständliche Bestechungsversuch, J u S 1970 S. 529 f f ; den. A n s t i f t u n g d u r c h U n t e r l a s s e n ? M D R 1975 S. 9 8 2 f f ; H. Otto Anstiftung und Beihilfe, J u S 1982 S. 557 f f ; I. Puppe D e r objektive T a t b e s t a n d der Anstiftung, G A 1984 S. 101 f f ; K. Rogali D i e verschiedenen F o r m e n des V e r a n l a s s e n s f r e m d e r Straftaten, G A 1975 S. 11 f f ; C. Roxin A n m e r k u n g z u B G H 34 S. 63 ff, J Z 1986 S. 908 f ; E. Samson Die öffentliche A u f f o r d e r u n g z u r F a h n e n f l u c h t an N a t o - S o l d a t e n , J Z 1969 S. 258 f f ; F.-C. Schroeder D e r T ä t e r hinter dem T ä t e r , 1965; / . Schulz Die B e s t r a f u n g des R a t g e b e r s , 1 9 8 0 ; ders. Anstiftung o d e r Beihilfe, J u S 1986 S. 933 f f ; R. Seebald T e i l n a h m e am erfolgsqualifizierten und am f a h r l ä s s i g e n Delikt, G A 1964 S . 161 f f ; K. SippelZur S t r a f b a r k e i t der „ K e t t e n a n s t i f t u n g " , 1989; U. Stein Die strafrechtliche Beteiligungsformenlehre, 1988; W. Stree Bestimmungen eines T a t e n t s c h l o s s e n e n z u r T a t ä n d e r u n g , H e i n i t z - F e s t s c h r i f t S . 273 ff.

A. Die Besonderheit der Teilnahme durch Anstiftung 21

1. Anstiften ist vorsätzliches Bestimmen zu vorsätzlicher T a t ( § 2 6 StGB). Die Interpretation des „Bestimmens" ist schwierig und umstritten. Auch der notwendige Gehilfe (z. B. wer dem Täter das sonst unerreichbare und einzig taugliche Tatwerkzeug verschafft) „bestimmt" im weiteren Sinn zur T a t , da er den zuvor tatohnmächtigen Willen des Täters tatmächtig und damit erst zu einem strafrechtlich relevanten V o r s a t z macht. Erst recht „bestimmt" im weiteren Sinn, wer eine Gelegenheit schafft, deren Versuchungen oder Zwängen ein anderer erwartungsgemäß erliegt und deshalb einen Deliktsvorsatz f a ß t 3 1 a (jemand bestiehlt einen Ganoven, wissend, daß dieser sich anderen Orts schadlos halten wird). Zur Vermeidung dieser Ausuferungen verlangt eine verbreitete Meinung eine geistige Beeinflussung des Angestifteten durch den Anstifter, gemeint ist eine verbale oder sonstige Kommunikation 3 2 .

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2. Diese Einschränkung ist noch zu schwach; denn per Kommunikation wirkt auch psychische Beihilfe. D a Anstiftung wie das Verhalten strafbar ist, zu dem angestiftet w i r d 3 2 a , muß sie in der Interpretation voll von der Beihilfe abgeschichtet werden. Deshalb muß nicht nur irgendeine geistige Beeinflussung vorliegen, sondern eine Beeinflussung dahingehend, daß die T a t stattfinden soll. Diese Beeinflussung muß nicht nur vollzogen werden, sondern sie muß auch wirken, d. h. der V o r s a t z des Angestifteten muß gerade durch die Kommunikation mit dem Anstifter über die Notwendigkeit der T a t zustande kommen. D a ß der Anstifter die T a t für angebracht hält, muß für den Angestifteten ein G r u n d für die T a t sein. Mit anderen Worten, nicht die Kommunikation über die Handlungen, die man alle vollziehen kann, sondern die Kommunikation über die Handlungen, die man vollziehen soll\ gehört zur Anstiftung und muß wirken, d. h. den Beeinflußten zur T a t bringen 3 3 . 311

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Dazu Frisch Verhalten S. 333 ff, 343. Schmidhäuser AT 14/104 ; Jescheck AT § 64 III 1 ; H. Mayer AT § 49 III 1 b; LK- Roxin S 26 Rdn. 12 mit weiteren Nachweisen; — schwächer („psychische" Beeinflussung) Stratenwerth AT Rdn. 881; — a. A. Lackner% 26Anm. 2; SK-Samson §26 Rdn. 5; — strenger Otto JuS 1982 S. 557 ff, 560 („unmittelbar auf den Willen des Täters beeinflussend" einwirken); Stein Beteiligungsformenlehre S. 241 ff, 270 ff (die „Motivationskraft der Pflicht als solche" beeinträchtigen). Erste Ansätze zur Differenzierung bringt Art. 4 § 3 Satz 1 i. V. m. Satz 2 des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten vom 9. 6. 1989 BGBl. I

S. 1059: Bei vorsätzlichen Tötungen kann der Täter einer vollendeten Tat als Kronzeuge keine völlige Straffreiheit gewinnen, wohl aber — neben dem Gehilfen und neben allen Beteiligten im Versuchsfall — der Anstifter. Die opportunistische Kronzeugenregelung hat freilich für die Interpretation nur eine schwache Bedeutung. 33 Puppe GA 1984 S. 101 ff, 113; ähnlich Joerden Strukturen S. 119 ff ; das deckt sich im Ansatz mit der Meinung von Schulz, der die zur Anstiftung erforderliche Wirkung auf diejenige per „Planherrschaft" reduziert (Ratgeber S. 137 ff; ders. JuS 1986 S. 933 ff). Planherrschaft soll derjenige haben, der den „deliktischen Sinnzusammenhang" schafft (S. 150). Dabei berücksichtigt Schulz nicht, daß die Übernahme des Plans durch den Ausführenden nicht mehr sein muß, als die

Teilnahme

22. Abschn

Psychische Beeinflussung ist also nur dann Anstiftung, wenn der Täter — wie bei der älteren subjektiven Theorie zur Täterschaft — seinen Entschluß in Abhängigkeit vom Willen des Beeinflussenden faßt und durchhält 3 3 a . Bringt den Täter aber allein das vermittelte Wissen zur Tat, ohne daß der Wille des Beeinflussenden kausal wird oder wird der zunächst wirkende Wille des Beeinflussenden vor der Tatausführung obsolet (etwa weil der Beeinflussende dem Ausführenden mitteilt, er sei an der Ausführung nicht mehr interessiert), so ist die Anstiftung nur versucht und allein (psychische) Beihilfe vollendet. — Beispiele: Dem Täter wird von einer Tatgelegenheit berichtet; der Täter vollzieht die Tat der günstigen Tatlage wegen; — nur (psychische) Beihilfe. — Der noch unentschlossene Täter holt sich bei einem Fachmann Rat, der sich äußert, der Täter solle die Tat wagen; — gleichfalls nur (psychische) Beihilfe, da den Täter allein die Meinung von der Durchführbarkeit, nicht aber der Durchführungswille des Beeinflussenden interessiert. — Dem Täter wird für den Fall der Tatgestaltung eine Belohnung versprochen ; wegen der Belohnung wird die Tat begangen ; oder dem für den Fall einer Belohnung bedingt entschlossenen Täter, der sich anbietet, wird die Belohnung zugesagt; — in beiden Fällen Anstiftung, weil der Täter seinen Vorsatz nicht fassen und durchhalten würde, wenn nicht der Beeinflussende die Tat wollte. N u r wenn der Tatentschluß in der beschriebenen Weise als abhängiger Entschluß gefaßt und durchgehalten wird, ist der psychische Einfluß mehr als Anreiz, Hilfe oder „guter" Rat; also ist auch nur dann eine Hervorhebung der Anstiftung neben der Beihilfe angebracht 3 4 .

B. Einzelheiten 1. Ein besonderer Nachdruck des Bestimmens ist nicht erforderlich. Das Arsenal der 23 Anstiftungsmittel 3 5 reicht von der täuschungs- und herrschaftsfreien Kommunikation darüber, daß die Tat sein soll (was auch in Frageform geschehen kann 3 6 ), bis hin zu den Mitteln der mittelbaren Täterschaft, solange der Beeinflußte vorsätzlich handelt. Täuschungen, die beim Getäuschten den Vorsatz ausschließen, scheiden aus (es liegt dann mittelbare Täterschaft vor, siehe oben 21/74). — Die Differenzierung der Rechtsprechung zwischen bloßer Bitte (keine Anstiftung 3 7 ) und Schaffen eines Motivs (Anstiftung 3 8 ) ist undurchführbar. — Die Rechtsprechung hat zur Abgrenzung wenig geleistet, da der eigennützige Anstifter (also der Regelfall) nach der subjektiven Theorie als Mittäter haftet. 2 a) Wer schon jedenfalls zur Tat entschlossen ist (omnímodo facturus38aj, kann 24 nicht mehr erfolgreich angestiftet werden (aber dessen Anstiftung kann — bei Unkenntnis der Tatentschlossenheit — versucht werden, § 30 Abs. 1 StGB). Ein TatentÜbernahme einer guten Idee. Die Übernahme unterscheidet sich deshalb allenfalls quantitativ von sonstigen psychischen Beeinflussungen. Planherrschaft bringt — wie Schulz einräumt — keine Form von Herrschaft zur Tat, sondern nur eine Herrschaft im Vorfeld. Eine solche Herrschaft im Vorfeld hat aber auch der notwendige Gehilfe, seil, eine Herrschaft über die Durchführbarkeit. Es muß zur Höherstufung der Anstiftung gegenüber der Beihilfe ein Durchgriff des Anstifters auf die Tat hinzukommen: eben durch den Täter, der seinen Vorsatz abhängig faßt; hauptsächlich wie Schulz: Bloy Beteiligungsform S. 328 ff, 338 f; kritisch Stein Beteiligungsformenlehre S. 174 ff.

33a Zur Notwendigkeit des Durchhaltens zutreffend Puppe GA 1984 S. 101 ff, 113; siehe auch Schulz JuS 1986 S. 933 ff, 940. 34 Teils ähnlich D. Meyer JuS 1970 S. 529 ff; ders. MDR 1975 S. 982 ff. 35 Zur Anstiftung durch Erregung eines Irrtums: OLG Hamburg HESt. 2 S. 316 f; RG 71 S. 98 ff, 99. — Zur Anstiftung zu weit, da den bloßen Rat umfassend, RG 53 S. 189 ff, 190. - Siehe auch die Aufzählung der Tatmittel in § 48 StGB a. F. 36 BGH GA 1980 S. 183 f. 37 RG H R R 1942 Nr. 741. 38 RG 36 S. 402 ff, 405. 38a Kritisch zum Begriff Puppe GA 1984 S. 101 ff, 116 ff, 117, die einen Tatenschluß vor Beginn des

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22. Abschn

2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

schluß liegt freilich nicht schon vor, wenn jemand allgemein zur T a t geneigt ist 3 9 ; zur Abgrenzung zwischen Tatgeneigtheit und Tatentschluß siehe unten zum Versuch 25/29 ff. 25

b) Freilich kann der schon zur T a t Entschlossene zu Änderungen des Entschlusses gebracht werden. Hierbei ist anerkannt, daß zu selbständig strafbaren Übersteigerungen der bislang geplanten T a t angestiftet werden kann (unstreitig); Beispiel: Dem zur Körperverletzung Entschlossenen wird geraten, in die W o h n u n g des Opfers einzudringen und die T a t dort zu vollziehen, wie es auch geschieht ; — Anstiftung zum Hausfriedensbruch, §§ 26, 123 StGB, je nach Fallgestaltung ideal konkurrierend mit Beihilfe zur Körperverletzung, §§ 27, 223 StGB. Ansonsten kommt es darauf an, ob die Tat f ü r den Beeinflußten identisch bleibt (keine Anstiftung) oder sich ändert (Anstiftung). Wann letzteres der Fall ist, läßt sich teils nur schwierig bestimmen und ist insgesamt sehr streitig 40 . Das Spektrum reicht von der Annahme identischer Taten bei gleichem „Maß der Rechtsgutsverletzung" 4 1 bis hin zur Bestimmung der Identität durch jede einzelne Qualifizierung eines Delikts 4 2 . Die überwiegende Ansicht nimmt Identitätswechsel beim Ubergang zu einem „Aliud" 4 3 sowie bei „erheblicher" Ubersteigerung 4 4 an.

26

c) Zur Lösung ist zu beachten: aa) Ein Wechsel des Täters ändert die Tat f ü r den Beeinflußten per Definition stets, mag sie auch f ü r andere Beteiligte identisch bleiben. Beispiel: Der Bandenchef bestimmt statt des zunächst ausersehenen Bandenmitglieds ein anderes Mitglied zum Mittäter einer Mordtat; — Anstiftung, obgleich die Tat f ü r die anderen Mittäter und sonst Beteiligte identisch bleibt. bb) Ein Wechsel des Tatobjekts ändert die Identität gleichfalls, auch wenn es dem Täter auf die Identität des Objekts nicht ankommt. Beispiel: Dem Täter wird geraten, doch nicht — wie geplant — die Fensterscheiben in einer vollbeleuchteten City-Straße einzuwerfen, sondern lieber eine schwach beleuchtete Seitenstraße zu wählen. Der Vorsatz des Täters muß aber vom Willen des Umstimmenden abhängig gefaßt werden (sonst nur psychische Beihilfe), woran es bei solchen Fallgestaltungen meist fehlen dürfte. cc) Ein Wechsel des Tatmittels, der Tatzeit oder des Tatorts ändert die Identität gleichfalls, soweit es sich nicht um (absolute oder relative) Begleitumstände handelt (siehe oben zur Kausalität 7/14 ff). In aller Regel wird freilich der Täter eine bloße Änderung dieser Modalitäten nicht in Abhängigkeit vom Willen des zur Änderung Bestimmenden vornehmen, sondern allein wegen der f ü r ihn vorteilhafteren Gestaltung. Das gilt auch bei quantitativ erheblichen Ubersteigerungen, mögen sie tatbestandlich ausformuliert sein oder nicht. Beispiel: Statt schlichter Wegnahme (§242 StGB) wird Wegnahme mit Gewalt angeraten (§ 249 StGB) ; — keine Anstiftung zum Raub, und auch keine Anstiftung zur Nötigung, wenn allein das vermittelte Wissen zur

39 40

41 42

668

straftatbestandsmäßigen (Vollendungs-, Versuchs- oder Vorbereitungs-) Verhaltens nicht anerkennt; siehe unten 25/29 f. RG 37 S. 172 f; B G H bei Daliinger MDR 1957 S. 395; MDR 1972 S. 569. Ausführliche Nachweise bei Schulz Ratgeber S. 16 ff, 56 ff, 101 ff; Bloy Beteiligungsform S. 332 ff. SK-Samson § 26 Rdn. 4. Stree Heinitz-Festschrift S. 273 ff, 291 f; Otto JuS 1982 S. 557 ff, 561 (zudem durch jede Begehungsmodalität).

43 Bemmann Gallas-Festschrift S. 273 ff, 277; LKRoxin § 26 Rdn. 4; Welze! Strafrecht § 16 II 2. 44 B G H 19 S. 339 ff, 340 f; Maurach-Gössel AT II §51 Rdn. 9; Schmidhduser AT 14/113; strenger (nur bei tatbestandlicher Verselbständigung des neu geplanten Delikts gegenüber dem schon geplanten Delikt) LK-Roxin § 26 Rdn. 6; — a. A. (Haftung nur für das Plus) Jescheck AT I 64 III 2 c; Cramer JZ 1965 S. 31 f.

Teilnahme

22. Abschn

Änderung der Modalität f ü h r t 4 5 . — Umgekehrt wird der Anstifter dem Täter die Wahl des Mittels in einem bestimmten Rahmen häufig anheimstellen. dd) Ein Wechsel des Tatziels (des Zwischenziels oder des Beweggrunds) dürfte regelmäßig Abstiftung verbunden mit erneuter Anstiftung sein 4 6 . Beispiel: Der zu einem Sprengstoffattentat entschlossene Anarchist wird dazu bekehrt, nicht f ü r die Internationalisierung der Revolution, sondern f ü r die Einheit der Nation zu bomben; — Anstiftung. 3. Da es bei der Anstiftung darum geht, daß der Beeinflußte zu einer T a t k o r r u m - 27 piert, nicht aber nur allgemein in seinen deliktischen Neigungen bestärkt wird, muß die Tat bestimmt sein. Freilich muß der Anstifter mangels Tatherrschaft (hier: mangels Gestaltungsherrschaft) die Konkretisierung der am besten tatnah zu entscheidenden Modalitäten dem Beeinflußten überlassen; wenn er als Anstifter haften soll, so muß er aber trotzdem den Rahmen und die Maximen zur Konkretisierung von O p f e r (Tatobjekt), Mittel, O r t und Zeit innerhalb des Rahmens kennen. Letzteres vernachlässigt die übliche Interpretation, die auf das M a ß 4 7 oder die Adäquanz des Unrechts 4 8 abstellt und deshalb auch analoge Taten erfaßt. Anstiftung wird bei dieser Lösung zur Bestimmung zu einem Ungehorsam fixer Quantität oder fixer Art, ist aber nicht mehr Bestimmung zu einer fixen T a t 4 9 . 4. Was den vom Anstiftenden in Aussicht genommenen Täter angeht, verhält es sich 28 ganz entsprechend : Wenn er nicht voll individualisiert ist, so muß er doch rahmenmäßig individualisiert sowie durch Maximen zur Ausfüllung des Rahmens voll bestimmbar sein. Unter diesen Voraussetzungen braucht dem Anstiftenden derjenige, der zu einer T a t bestimmt werden soll, nicht bekannt zu sein 5 0 . Für den Fall einer Unbestimmtheit der konkreten Tat, die durch die Weite des Kreises potentieller Täter bedingt ist, bringt die öffentliche A u f f o r d e r u n g zu Straftaten (§111 StGB) eine Sonderregelung 5 1 . Ist ausnahmsweise trotz Unbestimmtheit des Täterkreises die potentielle T a t hinreichend scharf umrissen, so liegt Anstiftung vor; Beispiel: Die Aufforderung durch ein Schild, einen abgegrenzten privaten Park trotz der Proteste des Besitzers zu betreten, ist Anstiftung zum Hausfriedensbruch, §§ 26, 123 StGB, wenn der Tatentschluß in Abhängigkeit vom Vorsatz des Auffordernden gefaßtwird, woran es freilich oft fehlen dürfte 5 2 . 5. Sämtliche Voraussetzungen der Anstiftung, einschließlich der Voraussetzung 29 einer vorsätzlichen Haupttat, muß der Anstifter kennen. Für einen Exzeß des Angestifteten, d. h. f ü r eine Überschreitung des durch die Anstiftung gezogenen Rahmens, haftet der Anstifter aber nicht 5 3 . — Zum error in persona vel objecto des Täters gelten

46 47 48 49

50 51

Anders die ganz überwiegende Ansicht; siehe B G H 19 S. 339 ff, 340 f. Α. A. Bloy Beteiligungsform S. 342. LK-Roxin% 26 Rdn. 9; den. J Z 1986 S. 908 f; der Sache nach auch B G H 15 S. 276 ff, 277. Stratenwerth AT Rdn. 888. Wie hier B G H 34 S. 63 ff, 66 f (mit ablehnender Anmerkung Roxin J Z 1986 S. 908 f und kritischer Besprechung Herzberg JuS 1987 S. 617 ff; zu dieser Entscheidung siehe auch unten 24/17 mit Fn. 2 7 c ) ; Schmidhäuser A T 14/102 ff; im Ergebnis auch R G 34 S. 327 ff, 328. Insbesondere relevant für die Kettenanstiftung; B G H 6 S . 359 ff, 361. Zum Verhältnis von S 26 StGB und § 111 StGB siehe Dreher Gallas-Festschrift S. 307 f f ; Fincke

Verhältnis des Allgemeinen zum Besonderen Teil des Strafrechts S. 76 f f ; Rogali GA 1975 S. 11 ff mit weiteren Nachweisen; Samson JZ 1969 S. 258 ff; Bloy Beteiligungsform S. 323 ff. - Zur Abgrenzung einer T a t nach § 111 StGB von bloßen Unmutsäußerungen siehe B G H 32 S. 310 ff mit Anmerkung Bloy J R 1985 S. 206. Zu den §§ 130 a, 140 StGB siehe Rogali a a O S. 19 ff, 23 ff. 52 Generell a. A. O L G H a m m V R S 26 S. 105 f f ; LK-Roxin § 2 6 Rdn. 10 mit weiteren Nachweisen. 53 Zur Teilnahme allgemein siehe R G 67 S. 343 ff, 344; B G H 2 S. 223 ff, 224 f ; siehe auch B G H 11 S. 66 f.

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22. Abschn

2. B u c h . 4. K a p i t e l . B e t e i l i g u n g

die Ausführungen zur Mittäterschaft entsprechend, d. h. es kommt darauf an, ob das O p f e r sich an den durch die Anstiftung gezogenen Rahmen und die Maximen der Konkretisierung gehalten hat 5 4 . Bringt die Handlung, zu der angestiftet wurde, eine nicht vom Vorsatz der Beteiligten umfaßte, aber vermeidbare Nebenfolge, so kommt insoweit H a f t u n g für eine fahrlässige T a t in Betracht. Bei erfolgsqualifizierten Delikten mit vorsätzlichem Grunddelikt führt dies zur H a f t u n g des zum Grunddelikt Anstiftenden aus dem erfolgsqualifizierten Delikt, wenn die erfolgbringende H a n d l u n g vom Vorsatz umfaßt ist: Sind bei erfolgsqualifizierten Delikten (etwa § 226 StGB) eine Anstiftung zum Grunddelikt (§§ 26, 223 StGB) und Fahrlässigkeit bezüglich der Folge gegeben (§§ 18, 222 StGB), so haftet der Teilnehmer am Grunddelikt wegen Teilnahme am erfolgsqualifizierten Delikt, wobei es sich um Teilnahme am Grunddelikt und fahrlässige Täterschaft bezüglich der Folge handelt 5 5 . — Da nur zum Grunddelikt eine akzessorische Beteiligung vorliegt, ist nicht erforderlich, daß der Ausführende f ü r mehr als das Grunddelikt haftet. Das Grunddelikt muß er als eine vorsätzliche T a t verwirklichen, bezüglich der Folge mag bei ihm Fahrlässigkeit fehlen. — Bei den nicht qualifizierenden Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen muß der Haupttäter — mangels ansonsten gegebener Haupttat — Vorsatzteil wie Fahrlässigkeitsteil des Tatbestands in seiner Person erfüllen 5 6 . 30

6. Geschieht die Anstiftung zur Haupttat über Personen, die die Anstiftung dem Haupttäter übermitteln (Kettenbeteiligung), so sind nur diejenigen Beteiligten als Anstifter zu behandeln, von deren Willen der Haupttäter oder ein anderer Anstifter seinen Entschluß abhängig m a c h t 5 7 (oben 22/22); die anderen sind allenfalls Gehilfen. Stiftet der Anstifter nur einen Gehilfen an, während der Haupttäter seinen Entschluß nicht in Abhängigkeit von ihm faßt (Beispiel : Der Anstifter schenkt einem Waffenbesitzer Geld, damit dieser die W a f f e dem Haupttäter leiht), wirkt der Beitrag auf die Haupttat nur als Gehilfenbeitrag und ist als Beihilfe zur Haupttat zu behandeln. Auch Beihilfe zur Anstiftung ist Beihilfe zur Haupttat (Beispiel: Der Gehilfe bringt den Haupttäter dazu, dem Anstifter zuzuhören). Jedenfalls muß es — von den Fällen des § 30 StGB abgesehen — zu einer zumindest versuchten Haupttat gekommen sein (quantitative Akzessorietät).

31

7. Der Anstifter wird „gleich einem Täter" bestraft, § 26 StGB. Diese Regelung ist selbst bei der hier gewählten engen Interpretation der Anstiftung verfehlt (wie ihretwegen die weite Interpretation der überwiegenden Lehre unhaltbar ist). Die übliche Begründung, der Anstifter habe „den entscheidenden Anstoß zur T a t gegeben" 5 8 , ist eine vereinzelte materiale Erwägung ohne systematischen Stellenwert: Auch der notwendige Gehilfe ist in diesem Sinn entscheidend, haftet aber schwächer, und jeder Alleintäter entscheidet nicht nur, sondern hat zudem Tatherrschaft, ohne schärfer zu 54 Siehe oben 21/45 mit Nachweisen; zudem Bemmann M D R 1958 S. 817 ff, 821. 55 B G H 2 S. 223 ff, 225; 19 S. 339 ff, 341 f mit Anmerkung Cramer JZ 1965 S. 31 f, 32; B G H N J W 1987 S. 77 f; Schönke-Scbröder-Cramer § 18 Rdn. 7 mit ausführlichen Nachweisen. — A. A. Seebald G A 1964 S. 161 ff; Gössel LangeFestschrift S. 219 ff (Gössel interpretiert die erfolgsqualifizierten Delikte als Fahrlässigkeitsdelikte mit vertypter Sorgfaltswidrigkeit; bei dieser Konzeption scheidet mangels vorsätzlicher Haupttat Teilnahme aus; hiergegen LK-Roxin § 26 Rdn. 29; LK-Schroeder% 18 Rdn. 33). 56 Anders SK-Rudolfhi § 11 Rdn. 35.

670

57 Weitergehend (nämlich ohne das Erfordernis der Willensabhängigkeit des Haupttäters) B G H 6 S. 359 ff; 8 S. 137 ff; 14 S. 156 f f ; - zur Beihilfe zur Anstiftung siehe Martin DRiZ 1955 S. 290 f; zur Kettenanstiftung siehe Gallas J R 1956 S. 226 f. — Sippel Strafbarkeit S. 5 ff erkennt zutreffend die Notwendigkeit, die tätergleiche Strafdrohung bei der Interpretation zu berücksichtigen; aber seine Beschränkung der Anstiftung auf „unmittelbares gezieltes Hervorrufen des Tatenschlusses" (S. 90) ist — jedenfalls im Merkmal der Unmittelbarkeit — ganz äußerlich. 58 BT-Drucksache V/4095 S. 13.

Teilnahme

22. Abschn

haften. E s ist deshalb vorzugswürdig, eine Kannmilderung vorzusehen, wie es in § 28 Abs. 2 A E geschehen i s t 5 9 . 8. Anstiftung erfaßt Beihilfe als mitbestrafte T ä t e r s c h a f t u m f a ß t 6 1 (siehe unten 3 1 / 2 8 ) .

Beteiligung60

und wird ihrerseits v o n 3 2

IV. Die Beihilfe Literatur N. Bitzilekis Über die strafrechtliche Bedeutung der Abgrenzung von Vollendung und Beendigung der Straftat, ZStW 99 S. 723 ff; R. Bloy Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985; W. Bottke Anmerkung zu BayObLG N J W 1980 S. 412 f, J A 1980 S. 379; W. Class Die Kausalität der Beihilfe, Stock-Festschrift S. 115 ff; E. Dreher Die Kausalität der Beihilfe, M D R 1972 S. 553 ff; W. Gallas Anmerkung zu R G 71 S. 193 ff, ZAkDR 1937 S. 438 f; C.-J. Gores Der Rücktritt des Tatbeteiligten, 1982; H.-H. Hau Die Beendigung der Straftat und ihre rechtlichen Wirkungen, 1974; R. D. Herzberg Anstiftung und Beihilfe als Straftatbestände, GA 1971 S. 1 ff; H. Isenbeck Beendigung der Tat bei Raub und Diebstahl, N J W 1965 S. 2326 ff; H.-H. /escheck Wesen und rechtliche Bedeutung der Beendigung der Straftat, Welzel-Festschrift S. 683 ff; /. C. Joerden Strukturen des strafrechtlichen Verantwortlichkeitsbegriffs: Relationen und ihre Verkettungen, 1988; K. Kühl Die Beendigung des vorsätzlichen Begehungsdelikts, 1974; W. Küper Grenzfragen der Unfallflucht, J Z 1981 S. 209 ff und 251 ff; ders. Zur Problematik der sukzessiven Mittäterschaft, J Z 1981 S. 568 ff; O. Ranft Das garantiepflichtwidrige Unterlassen der Taterschwerung, ZStW 97 S. 268 ff; J. Salamon Vollendete und versuchte Beihilfe, 1968; E. Samson Hypothetische Kausalverläufe im Strafrecht, 1972; ders. Die Kausalität der Beihilfe, Peters-Festschrift S. 121 ff; E Schaffstein Die Risikoerhöhung als objektives Zurechnungsprinzip im Strafrecht, insbesondere bei der Beihilfe, Honig-Festschrift S. 169 ff; R. Schlothauer und M. Tscherch Anmerkung zu B G H 29 S. 258 ff, StV 1981 S. 22 f; U. Sommer Verselbständigte Beihilfehandlungen und Straflosigkeit des Gehilfen, J R 1981 S. 490 ff; G. Spendel Beihilfe und Kausalität, Dreher-Festschrift S. 167 ff; U.Stein Die strafrechtliche Beteiligungsformenlehre, 1988; O. Triffterer Die österreichische Beteiligungslehre, 1983 ; Th. Vogler Zur Frage der Ursächlichkeit der Beihilfe für die Haupttat, Heinitz-Festschrift S. 295 ff.

A. Die Kausalität der Beihilfe 1. Beihelfen ist vorsätzliches Hilfeleisten zu vorsätzlicher T a t (§ 27 S t G B ) . Bei der 3 3 Interpretation des Hilfeleistens ist zweierlei streitig, und z w a r erstens, ob überhaupt Kausalität für den Deliktserfolg nötig ist o d e r ob eine „ F ö r d e r u n g " hinreicht, und zweitens, ob jede Kausalität oder auch „ F ö r d e r u n g " hinreicht. Z u r ersten F r a g e geht es darum, ob auch eine Unterstützung des T ä t e r s vollendete Beihilfe ist, deren E r t r a g ex post zumindest nicht nachweisbar, wenn nicht g a r als fehlend zu beweisen ist. Die zweite F r a g e betrifft das Problem ersetzbarer Beiträge, also der ( N i c h t - ) B e r ü c k s i c h t i gung hypothetischer Kausalverläufe. Die B e a n t w o r t u n g beider F r a g e n ist für die Systematik der Z u r e c h n u n g w i c h t i g 6 2 ; die erste F r a g e betrifft zudem eine praktisch bedeutsame Fallgruppe. 2. Ist Kausalität

erforderlich

?

34

a aa) Es gibt zahlreiche Begründungsversuche, mit denen die Notwendigkeit einer Kausalität der Beihilfe geleugnet wird. Gemeinsam ist der Anlaß: Die Straffreiheit versuchter Beihilfe nach dem A T 6 3 wirkt besonders in denjenigen Fällen gegenüber d e r Strafe für Beihilfe zum V e r s u c h o d e r z u r Vollendung zufällig, in denen s c h o n in den 59 Insgesamt sehr streitig; siehe F.-C. Schroeder Täter hinter dem Täter S. 202 ff; Gallas ZStW 80 S. 1 ff, 32 f ; Armin Kaufmann

Z S t W 80 S. 34 ff,

37.

60 BGH 4 S. 244 ff, 247. 61 RG 33 S. 401 ff, 402; 44 S. 208 ff, 211; 62 S. 74 f,

75; — zu Ausnahmen siehe RG 70 S. 138 ff, 139; 70 S. 293 ff, 296 f. 62

SK-Samson

63

Z u m B T siehe § 1 2 0 A b s . 1 , 3 . Fallgruppe i . V . m.

§ 27 Rdn. 4.

Abs. 3 StGB; § 121 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. Abs. 2 StGB u. a. m. 671

22. Abschn

2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

Äußerlichkeiten der Leistung des Helfenden eine Solidarisierung mit der Haupttat deutlich wird; Beispiele sind das Schmierestehen, während niemand kommt, oder das Beschaffen tauglicher, aber letztlich nicht benutzter Tatmittel. Einen Anlaß bilden weiterhin die Fälle, in denen Kausalität immerhin wahrscheinlich, wenn auch nicht nachweisbar ist; ein Beispiel ist das Ausarbeiten eines später vom Täter nach der Prüfung verworfenen Plans durch den Gehilfen, wobei wahrscheinlich ist, daß der Täter ohne die Prüfung eines solchen Plans die Tat überhaupt nicht unternommen hätte. bb) Ein Verzicht auf Kausalität für die Tatbestandsverwirklichung in solchen Fällen führt zur Bestrafung von Hilfsversuchen als effektive Hilfe. Eine solche Verfälschung von Versuch in Vollendung würde die Beihilfe zu einem subjektiv-objektiv inkongruenten Delikt werden lassen; denn zum Vorsatz des Gehilfen gehört Kenntnis von Kausalität, nicht nur von Solidarisierung 64 . Ferner würden die Akzessorietätsregeln zerstört; denn die verwirklichte tatbestandsmäßige Haupttat wäre nicht dasjenige, zu dem der Gehilfe einen Beitrag geleistet hat; sein Beitrag gilt in den genannten Fällen einer anderen und eben ausgebliebenen Version der Haupttat. — Also ist Kausalität erforderlich 65 . 35

b) Abweichende Konzeptionen: aa) Die Notwendigkeit einer Kausalität der Beihilfe wird am radikalsten von den Vertretern der Ansicht bestritten, die Beihilfe sei ein abstraktes 66 oder gemischt abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt 67 , und zwar im letzten Fall konkret gefährlich im Blick auf die Täterhandlung, abstrakt gefährlich im Blick auf deren Erfolg. Eine abstrakte Gefährlichkeit läßt sich aber nur an gesetzlich detailliert gegebenen Tat- und Situationsbeschreibungen festmachen; denn die Bestimmung, welches — nicht näher beschriebene — Verhalten für einen Erfolg abstrakt gefährlich ist („generell geeignet"), kann ohne Willkür schlechthin nicht erfolgen. Kraß: Selbst wer Diebeswerkzeug zerstört, vollzieht ein zur Förderung von Delikten generell geeignetes Verhalten; denn der Dieb mag sich mangels Werkzeugs nunmehr dem Raub zuwenden. Es kommt für die „generelle Eignung" also immer auf den Handlungskontext an. Da eine konkrete Tatund Situationsbeschreibung für die Beihilfe fehlt, ist ihre Interpretation als abstrakt gefährliches Hilfeleisten ausgeschlossen 68 . Die Bestimmung der gemischt abstraktkonkreten Gefahr führt — abgesehen von der soeben bezeichneten Unmöglichkeit freihändiger Bestimmung der abstrakten Gefahr — zu Inkonsequenzen auf der subjektiven Tatseite: Der Vorsatz des Täters reicht nicht nur bis zur Täterhandlung, sondern bis zum Taterfolg; sein Gegenstand müßte demnach zugleich nur-abstrakt wie schonkonkret sein 69 . bb) Eine weitere Lehre, die Beihilfe für gegeben hält, wenn der Täter das Risiko der Tatverwirklichung durch den Haupttäter erhöht hat 70 , verwandelt Beihilfe in ein Delikt des gefährlichen Beihilfeversuchs71. 64 Siehe unten zum agent provocateur 23/16; SK-Samson § 27 Rdn. 8. 65 Wie hier Samson Hypothetische Kausalverläufe S. 84 f; den. Peters-Festschrift S. 121 ff; SKSamson § 27 Rdn. 9 und die wohl noch überwiegende Ansicht; Dreher MDR 1972 S. 553 ff; Gores Rücktritt S. 37 ff, 70; Bloy Beteiligungsform S. 287; Jescheck AT § 64 IV 2 c; LK-Roxin $ 27 Rdn. 2 ff, jeweils mit Nachweisen. 66 Herzberg GA 1971 S. 1 ff, 7.

672

67 Vogler Heinitz-Festschrift S. 295 ff, 304 ff. 68 Zutreffend kritisch LK-Roxin § 27 Rdn. 18 ; Stein Beteiligungsformenlehre S. 147 ff. 69 Widersprüchlich Vogler aaO S. 314: keine Strafbarkeit des agent provocateur trotz konkreter Gefahr im Blick auf das Täterverhalten. 70 Salamon Beihilfe S. 155; Schaffstein Honig-Festschrift S. 169 ff; unklar Stratenwerth AT Rdn. 898. 71 Zutreffend kritisch Samson Hypothetische Kausalverläufe S. 202 ff; ders. Peters-Festschrift

22. Abschn

Teilnahme

cc) Der vorgenannten Position verwandt ist die in Einzelheiten unklare Stellung der Rechtsprechung 72 , die darauf verzichtet, „daß der Erfolg der Haupttat durch die Gehilfentätigkeit ursächlich mitbewirkt" wird. Damit soll die objektive Seite der Beihilfe aber nicht weggestrichen werden, vielmehr wird verlangt, die „den Verbrechenstatbestand verwirklichende Handlung" müsse, „bevor sie zum Abschluß gekommen ist, zu irgendeinem Zeitpunkt durch das Tätigwerden des Gehilfen tatsächlich gefördert worden" sein 7 3 . — Die Auflösung der Tatbestandlichkeit wird deutlich: Eine den „Verbrechenstatbe stand verwirklichende Handlung" läßt sich anders als durch Erfolgskausalität zu „irgendeinem Zeitpunkt" nur fördern, wenn man von der exakten Bezeichnung der Ausführung des Verbrechens absieht und sich statt dessen mit einem vagen Gesamtgeschehen begnügt 74 . dd) Soweit das Erfordernis von Kausalität anerkannt ist, wird teils mit besonderen Kausalitätsbegriffen operiert: „Zufluß- oder Verstärkerkausalität" 75 oder Kausalität für „die Modalität (Art und Weise im besonderen Fall) der Handlung" 7 6 ; — dies sind Ad-hoc-Konstruktionen, die keinen Gewinn an Klarheit bringen 7 7 . 3. Ist jede Kausalität

36

hinreichend?

a) Es handelt sich um ein — nicht nur Beihilfe betreffendes — Problem der objektiven Zurechnung (siehe oben 7/72 ff, 90 ff). Bei der Beihilfe geht es wie bei jeder Beteiligung um die psychischen und physischen Leistungen, die zur Tatbestandsverwirklichung erbracht werden müssen. Wer eine dieser Leistungen erbringt, ist (mindestens) Gehilfe. Dabei stehen psychisch und physisch vermittelte Kausalität gleich. Eine bloße tätige Solidarisierung, die für den Erfolg nicht kausal wird, reicht nicht aus. Zu den Leistungen, die erbracht werden müssen, gehört insbesondere auch das Durchhalten des Vorsatzes. Wer also den entschlossenen Täter für die Zeit einer Entschlußkrise wappnet, ist Gehilfe (durch psychische Beihilfe), wenn in der Krise die Wappnung zum Durchhalten des Entschlusses führt, mag auch wahrscheinlich sein, daß der Täter ohne Zuspruch gleichfalls entschlossen geblieben wäre; letzteres wäre ein Verlauf zum Erfolg gewesen, der von anderen Leistungen bewirkt worden wäre 7 8 . — Daß der psychische Einfluß gewirkt hat, ist freilich unabdingbar und im Prozeß nachzuweisen 79 . b) Einzelheiten

zur hinreichenden

Kausalität

80

;

37

aa) Gehilfe ist, wer einen unersetzbaren Beitrag leistet (notwendiger Gehilfe). S. 121 ff; LK-Roxin § 27 Rdn. 18 — ; Risikoerhöhung plus Realisierung des Risikos verlangen Otto JuS 1982 S. 557 ff, 563 f; Ranft ZSiW 97 S. 268 ff, 284 ff, 291 ff; Bloy Beteiligungsform S. 286. 72 Ausführliche Interpretation bei Samson Hypothetische Kausalverläufe S. 55 ff; DreherUDK 1972 S. 553 ff. 73 R G 58 S. 113 ff, 114 f; ähnlich RG 67 S. 191 ff; 71 S. 176 ff; 73 S. 53 ff; 75 S. 112 ff, 113; BGH 8 S. 390 ff, 391 ; BGH V R S 8 S. 199 ff, 201; - bloße billigende Anteilnahme versteht auch die Rechtsprechung nicht als Förderung, BGH GA 1985 S. 233. — Auch die Rechtsprechung kann die Verkürzung der Erfolgskausalität subjektiv nicht durchhalten; siehe hierzu RG 56 S. 169 ff, 170; 60 S. 24 f; siehe ferner Mezger Strafrecht § 57 II (S. 413). 74 Zum Zusammenahng der Beihilfedefinition der Rechtsprechung mit der das Gesamtgeschehen

75 76 77

78 79

80

erfassenden natürlichen Handlungseinheit als Konkurrenzform siehe Samson Hypothetische Kausalverläufe S. 57; SK-Samson § 27 Rdn. 5. Class Stock-Festschrift S. 115 ff. Mezger Strafrecht § 57 II (S. 413). Kritisch hierzu Samson Hypothetische Kausalverlaufe S. 61 ff, 64 ff; LK-Roxin § 27 Rdn. 3 f; Bloy Beteiligungsform S. 270 ff. LK-Roxin § 27 Rdn. 3; Gores Rücktritt S. 105; Ranft ZStW 97 S. 268 ff, 297; streitig. Verfehlt deshalb BGH bei Daliinger MDR 1967 S. 173; OLG Stuttgart N J W 1950 S. 118 f; viel zu pauschal BGH 31 S. 136 ff, 136. Alle Lösungen sind sehr streitig. Nach Samson (Hypothetische Kausalverläufe S. 160 ff) soll bei „Intensivierung" und „Übernahme" zu haften sein, und zwar bei „Intensivierung" auf das Ganze, nicht nur die Differenz; siehe auch SK-Samson § 27 Rdn. 10. — Nach LK-Roxin § 27 Rdn. 5 ff soll es auf die Kausalität für eine

673

22. Abschn

2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

bb) Gehilfe ist auch, wer einen ersetzbaren Beitrag leistet; denn eine normative Garantie entfällt nicht deshalb, weil auch noch ein anderer bereitsteht, sie zu mißacht e n 8 0 a £ ) a s g ü t selbst dann, wenn der real geleistete Beitrag weniger intensiv wirkt, als der hypothetische Beitrag wirken würde. Beispiele: Der Gehilfe besorgt eine T a t w a f f e , die der T ä t e r auch von einem anderen hätte bekommen können; der Gehilfe öffnet eine T ü r , die der T ä t e r hätte sprengen können, trägt eine Leiter zum Tatort, die der Täter auch selbst hätte tragen können, etc. cc) Gehilfe ist ferner, wer einen schon von anderen Personen zurechenbar geleisteten Beitrag ersetzt, sofern es sich nicht nur um eine bloße Variation des identischen Risikos handelt (dazu sogleich). Beispiel: Wer neben die bereitliegende Schußwaffe ein Messer legt, das zur M o r d t a t erfolgreich verwendet wird, haftet wegen Beihilfe. D a s gilt selbst dann, wenn die Ersetzung den E r f o l g abmildert; denn der Verlauf zum Erfolg in seiner enttäuschenden Gestalt ist auch dann ohne die Ersetzung nicht zu erklären. Beispiel : Wer ein gefährliches Gift durch ein harmloses Brechmittel ersetzt, ist Gehilfe der K ö r p e r v e r l e t z u n g 8 1 . — In Grenzfällen ist Notstandsrechtfertigung möglich. dd) Wer einen nicht zurechenbaren Beitrag ersetzt, ist Gehilfe, begeht aber eine der abstrakten G e f ä h r d u n g (bei Kenntnis der Ersetzbarkeit) oder dem Beihilfeversuch (bei Unkenntnis) ähnliche T a t mit der Folge einer Milderung des Strafrahmens (eingehend oben 7 / 9 2 ff). Beispiel: Der Gehilfe nimmt dem arglosen Postboten das Paket ab, das eine Höllenmaschine enthält, und trägt es zum Empfänger. ee) Bewirkt der T ä t e r eine Intensivierung des ansonsten identischen und durch das identische Risiko herbeigeführten Erfolgs, haftet er (nur) für die Differenz. Beispiele: T ö t u n g statt Körperverletzung; — H a f t u n g für Beihilfe zur T ö t u n g . — Zerstörung von zwei Sachen statt einer S a c h e ; — H a f t u n g für die Zerstörung der zweiten Sache. ff) Keine H a f t u n g besteht bei erfolgsneutralen oder erfolgsmindernden Variationen schon bestehender Risiken; denn der Beitrag wirkt sich in diesen Fällen nur auf nicht enttäuschende (absolute oder relative) Begleitumstände aus. Beispiel: Wer die scharfen Kanten der als T a t w e r k z e u g ausersehenen Keule abschleift oder den Hieb abschwächt oder von empfindlichen auf robustere Körperstellen ablenkt, haftet nicht wegen Beihilfe zur Körperverletzung, weil er die fremde Organisation nicht erweitert, sondern verengt (siehe auch die schon oben zur objektiven Zurechnung genannten Beispiele 7/89). Praktisch dürfte die Fallkonstellation relevant sein, daß der Beteiligte das Böse will, aber das Gute s c h a f f t : nur straffreie versuchte Beihilfe. gg) Wer schon erbrachte Leistungen erst zerstört und dann neu errichtet, haftet nicht, wenn er durch die Zerstörung gegenüber dem T ä t e r zum Garanten für die Erneuerung wird; denn die Wiedererrichtung wird in diesem Fall rechtlich als Erfüllung der Pflicht, nicht aber als Beitrag zum Delikt definiert: ein Fall des Regreßverbots (eingehender unter 24/17). D a s gilt auch, wenn die Verletzung der Garantenpflicht keinen Straftatbestand erfüllt. Beispiel : Die bereitgelegte T a t w a f f e wird erst weggetragen und dann zurückgebracht; — keine H a f t u n g , wenn das Zurücktragen einer Pflicht nach § 985 B G B genügt. — Bei großem drohenden Schaden bleibt § 323 c S t G B . R i s i k o e r h ö h u n g a n k o m m e n . D a n n dürfte aber (auch abgesehen v o n Notstandsrechtfertigung) keine Beihilfe begehen, wer sich an einer T a t mit mäßigem Risiko beteiligt, wenn der T ä t e r ansonsten eine T a t mit hohem Risiko vollzöge, und es müßte s o g a r erlaubt sein (wiederum unabhängig von Notstandsrechtfertigung), einen T ä t e r durch eine eigene T a t mit mäßigem Risiko von dessen T a t mit hohem Risiko abzuhalten. —

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80a

81

V e r k a n n t von O L G Stuttgart J Z 1979 S. 575 f. A. A. — aber der S a c h e nach ein Regreßverbot formulierend (dazu unten 2 4 / 1 7 ) — B G H M D R 1985 S. 509 f, 510. Anders ist z u entscheiden, wenn das Gift bis hin zu einer harmlosen Brechreiz auslösenden W i r k u n g verdünnt w i r d : erfolgsmindernde V a riation des identischen Risikos,

Teilnahme

22. Abschn

Β. Der Zeitpunkt der Beihilfe 1. Beihilfe kann schon vor dem Versuch der Haupttat geleistet werden (ja schon 38 bevor der Haupttäter einen Vorsatz gefaßt hat), wenn sie nur mindestens den Deliktsversuch (Beihilfe zum versuchten Delikt) oder gar die Deliktsvollendung (Beihilfe zum vollendeten Delikt) kausiert. Eine Beihilfe, die nur auf eine Vorbereitung wirkt, ist straffrei (arg. § 30 StGB). — Strafbare Beihilfe zum versuchten Delikt ist stets zugleich (straffreie) versuchte Beihilfe, und zwar als Versuch, eine vollendete Haupttat zu produzieren. 2 a) Beihilfe zu einem abgeschlossenen Geschehen ist unmöglich. Freilich kann die 39 Zusage von Aktivitäten, die der Tat nachfolgen sollen, für den Täter Bedingung sein, überhaupt anzufangen; dann liegt in der Zusage psychische Beihilfe. 40

b) Einzelheiten zum Zeitpunkt der Beihilfe: aa) Zu schon verwirklichten Teilen eines mehraktigen Geschehens ist Beihilfe nicht mehr möglich 8 1 3 . Beispiel: Wer den Räuber (§ 249 StGB) nach der Gewaltanwendung nur bei der "Wegnahme unterstützt, ist Gehilfe zum Diebstahl, nicht aber zum Raub. Ebensowenig können zur Zeit der Beihilfe schon verwirklichte Erschwerungen eines Delikts dem Gehilfen zugerechnet werden. Aber wenn der Täter noch für die Beseitigung des schon Perfekten nach den Grundsätzen der unechten Unterlassung haftet, bleibt Beihilfe möglich. Beispiel: Der Gehilfe unterstützt den Täter nur bei der Weg81a

Die Lösung ist nicht selbstverständlich und könnte de lege ferenda auch anders ausfallen: Soweit der erste Akt einer mehraktigen Tatbestandsverwirklichung Schutzeinrichtungen eines Gutes in Ingerenzhaftung begründender Weise vermindert, so daß der nächste Akt die Schutzminderung ausnutzen würde, besteht nach dem ersten Akt folgende Lage: Der Organisationskreis des Akteurs ist mit der Pflicht belastet, den folgenden Akt auch wegen der vorangegangenen Schutzminderung zu unterlassen; Teilnahme an dieser erhöhten Pflicht ist nicht prinzipiell ausgeschlossen. Beispiele: Nach der Gewaltanwendung hat der Räuber nicht nur wie jedermann, sondern — wegen der vorangegangenen Gewalt — die erhöhte Pflicht, sich nicht am Eigentum des Opfers zu vergreifen. — Nach dem Gewahrsamsbruch hat der Dieb die erhöhte Pflicht, das dem Zugriff preisgegebene fremde Eigentum nicht zum Zweck der Zueignung in den eigenen Gewahrsam zu überführen. — Für die Haftung eines nach der Gewalt oder nach dem Gewahrsamsbruch hinzutretenden Beteiligten ist diese auf der Vororganisation beruhende Pflichtenlage so wenig gleichgültig wie in denjenigen Fällen, in denen der erste Akt nicht schon partielle Tatbestandsverwirklichung ist (Beispiel zu letzterem: Wer jemandem, der ein Kind scherzend in die Luft geworfen hat, danach erfolgreich rät, das Kind fallen zu lassen, beteiligt sich durch Handeln an der Körperverletzung des Kindes durch Unterlassen, obgleich zum Zeitpunkt seines Rats das Unterlassungshaftung begründende Vorverhalten bereits abgeschlossen ist.). Verbindet man die eigene Organisation mit einer

fremden, dann ist vom Zeitpunkt des Zusammenschlusses an der Zustand der fremden Organisation auch eigene Angelegenheit (soweit der Zusammenschluß reicht und soweit nicht das Regreßverbot eingreift). Die damit sachlich mögliche „sukzessive" Beteiligung wird aber bei den mehraktigen Delikten tatbestandlich nicht erfaßt, weil allein die Verwirklichung des späteren Aktes zur Tatbestandsverwirklichung auch dann nicht genügt, wenn sie in einer Lage besonderer Zuständigkeit geschieht. Beispiel: W e r ohne Wegnahmevorsatz eine Person niederschlägt oder ohne Vorsatz zur Begründung neuen Gewahrsams fremden zerstört, wird zwar — aus Ingerenz — pflichtig, die von ihm in den Schutz gerissene Lücke zu schließen und ist deshalb stärker als jedermann verpflichtet, das schutzlose Gut nicht weiter zu beeinträchtigen, aber er begeht trotzdem keinen Raub, wenn er sich erst nach der Gewaltanwendung zur Wegnahme entschließt, und keinen Diebstahl, wenn er die Zueignung erst nach dem Gewahrsamsbruch plant. Der Tatbestand verlangt die Antizipation der Aktfolge beim ersten Akt, und zwar, weil Differenzierungen fehlen, für alle Beteiligten gleichermaßen. Diese Antizipation ist nicht erforderlich, weil sich sonst das erhöhte Unrecht der Verbindung beider Akte nicht begründen ließe; dieses Unrecht ergibt sich schon aus der erhöhten Zuständigkeit bei der Vornahme des späteren Aktes. Die Antizipation soll vielmehr lediglich den Deliktstyp scharf umrissen halten. Dem wäre freilich schon genügt, wenn man sie auf täterschaftlich Beteiligte beschränken würde.

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22. Abschn

2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

nähme von Sachen des Opfers, das aber zum Zweck der Wegnahme in jederzeit reversibler Weise gefesselt wurde; — Beihilfe zum Raub, §§ 27, 249 StGB, nicht nur zum Diebstahl. bb) Wer erst nach der Vollendung eines Delikts, aber vor dessen Beendigung (d. h. vor dem Eintritt eines überschießend vorgesetzten Geschehens) zur Beendigung hilft, haftet nur dann wegen Beihilfe zu einem Delikt, wenn die Bewirkung der Beendigung für sich ein Delikt ist (wie etwa die Zueignung in Zueignungsabsicht weggenommener Sachen, § 242 StGB, für sich Unterschlagung ist, § 246 StGB) 8 mag dieses Delikt dem Täter auch wegen Spezialität kraft Vorgriffs (sogenannte mitbestrafte Nachtat, unten 31/34 ff) nicht gesondert zuzurechnen sein. Beispiel: Wer dem Täter hilft, Benzin in ein in Brand gesetztes Gebäude zu schütten, haftet wegen Beihilfe zur qualifizierten Sachbeschädigung, §§ 27,305 StGB, nicht aber zur Brandstiftung. Es ist also irrelevant, ob die Beendigung erst eine Gutsverletzung perfekt macht (wie etwa bei § 242 StGB wegen der £nieignungskomponente der Zueignungsabsicht, auch bei den §§ 306 ff StGB) oder ob die Beendigung mit der Gutsverletzung nichts zu tun hat (wie etwa bei § 263 StGB) : Für das schon Vollendete wird nie gehaftet. cc) Bei Dauerdelikten ist für den noch nicht abgelaufenen Deliktszeitraum Beihilfe möglich 82 ; Beispiele: § 239 StGB, soweit der Erfolg weiterhin vom Täter beeinflußt wird, ferner § 316 StGB. dd) Im Ergebnis ist also nur Gehilfe, wer zu einer kompletten Tatbestandsverwirklichung hilft. — Für die ausscheidenden Fälle kommen Begünstigung und Strafvereitelung, §§ 257 ff StGB, in Betracht. Begünstigung und Strafvereitelung sind auch möglich, wenn die Tathandlungen vor der Vollendung des Delikts vollzogen werden, aber nicht auf die Vollendung, sondern erst nach der Vollendung sichernd oder vereitelnd wirken 83 . — Wenn die Zusage von Begünstigung oder Strafvereitelung den Täter erst zum Delikt bereit macht, ist diese Zusage Beihilfe zum Delikt. 41

c) Abweichende Konzeptionen: Die Rechtsprechung und die ganz überwiegende Ansicht halten abweichend von der hiesigen Lösung Beihilfe bis zur Beendigung für möglich 84 . Die Anerkennung einer Beihilfe zu nicht voll tatbestandlichem Geschehen Gelingt die Zueignung nicht, bleibt Beihilfe zum Versuch; das verkennt B G H StV 1985 S. 145; zur Betäubungsmitteleinfuhr siehe BGH N J W 1990 S. 654 f. 82 RG 38 S. 417 ff, 418 f. 83 Für Begünstigung streitig; siehe Schönke-Schröder-Stree § 257 Rdn. 7 mit Nachweisen ; — zum Verhältnis von Begünstigung und Beihilfe siehe Schaffstein Honig-Festschrift S. 169 ff, 183 f; Spendet Dreher-Festschrift S. 167 ff, 175 ff. 84 B G H 2 S. 344 ff, 346 f; 3 S. 41 ff, 43 f; 6 S. 248 ff, 251; 19 S. 323 ff, 325; OLG Düsseldorf JZ 1985 S. 590 f, 591; BayObLG NJW 1980 S. 412 f; — so schon das Reichsgericht; RG 23 S. 292 f; 58 S. 13 ff, 14; 71 S. 193 ff, 194. Baumann- Weber AT § 37 II 2 b ß; ]escheck AT § 49 III 3, § 64 IV 2 b; Schönke-Schröder-Cramer §27 Rdn. 17; Schmidhäuser A T 14/137; eingehend Jescheck Welzel-Festschrift S. 683 ff, 697; Hau Beendigung der Straftat S. 114 ff, 119 ff. Hauptsächlich wie hier Gallas ZAkDR 1937 S. 438 f; LK-Roxin § 27 Rdn. 22; Bottke JA 1980 S. 379; Küper JZ 1981 S. 568 ff, 572 ff; Isenbeck

676

N J W 1965 S. 2326 ff; Rudolphi Jescheck-Festschrift S. 559 ff (mit Abweichungen, die nicht das Prinzip, sondern einzelne Interpretationen des BT betreffen); SK-Rudolphi Rdn. 9 vor §22; LK-Vogler Rdn. 34 ff vor § 2 2 ; Bitzilekis ZStW 99 S. 723 ff, 733 ff; für das österreichische Strafrecht Triffterer Beteiligungslehre S. 23 ff; speziell zu § 142 StGB Küper JZ 1981 S. 209 ff, 251 ff. — Nach der Lösung der Rechtsprechung müßte auch Beihilfe zu dem Versuch, die Beendigung zu erreichen, möglich sein (Beispiel : Der Gehilfe ohne Zueignungsabsicht bemüht sich, die Beute für den Täter zu sichern); inkonsequent B G H JZ 1985 S. 299 mit kritischer Besprechung Küper JuS 1986 S. 862 ff (eine konsequente Lösung hätte freilich Beihilfe zum Diebstahl, nicht — wie das vorentscheidende LG annahm — zum Raub, bejahen müssen). Siehe auch oben 22/10. — Zutreffend kritisch zu den Grenzen der Brauchbarkeit des Beendigungsbegriffs Maurach-Gössel AT II § 39 Rdn. 7 ff mit umfassenden Nachweisen.

Innere (qualitative) Akzessorietät

23. Abschn

ist aber ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 G G , § 1 StGB. Das gilt selbst n o c h f ü r einschränkende Lösungen, nach denen nur — aber immerhin — bis z u m Eintritt der Gutsverletzung Beihilfe möglich sein soll 8 5 o d e r bis z u m Eintritt von Erfolgen, die z u m Tatbestand g e h ö r e n 8 6 .

C. Restfragen 1. D e r T ä t e r m u ß nicht um die Beihilfe wissen, n o c h weniger m u ß er sie veranlaßt 4 2 haben86a. 2. Z u r Konkretisierung der T a t 8 7 , z u r Kettenbeihilfe 8 7 a und z u r Abweichung der 43 H a u p t t a t von der Vorstellung des Gehilfen gelten die A u s f ü h r u n g e n z u r Anstiftung (oben 22/26 ff) entsprechend. — Verselbständigt eine V o r s c h r i f t des B T Beihilfehandlungen, wie etwa bei den §§ 129, 129 a, 257 StGB, so ist zu diesem Tatverhalten wiederum Beihilfe möglich. Das gilt auch bei einer zugleich erfolgenden Vorverlagerung der Strafbarkeit in den Bereich der V o r b e r e i t u n g 8 8 . 3. Die S t r a f d r o h u n g gegen den Gehilfen ist zwingend nach § 49 Abs. 1 StGB zu 44 mildern (§ 27 Abs. 2 Satz 2 StGB), was f ü r den Gehilfen, der nur mangels subjektiver Sonderqualifikation nicht T ä t e r sein kann, nicht unbedingt überzeugt, etwa nicht f ü r denjenigen, der die Diebeshandlung vollzieht, aber o h n e die Absicht, sich zuzueignen. — Die Strafmilderung bei Beiträgen, die einen nicht z u r e c h e n b a r e n Schadensverlauf ersetzen (oben 7/92 f f ; 22/37), erfolgt zusätzlich z u r Milderung nach § 2 7 Abs. 2 Satz 2 S t G B 8 9 .

23. A B S C H N I T T

Die innere (qualitative) Akzessorietät bei akzessorischer Beteiligung (Mittäterschaft und Teilnahme) Literatur G.Arzt „Gekreuzte" Mordmerkmale, JZ 1973 S. 681 ff; H. -J.Bruns Anmerkung zum B G H 26 S. 53 ff, JR 1975 S. 510 f; ders. „Widerspruchvolles" V e r h a l t e n des Staates als neuartiges Strafverfolgungsverbot und Verfahrenshindernis, i n s b e s o n d e r e beim t a t p r o v o z i e r e n d e n Einsatz polizeilicher Lockspitzel, N S t Z 1983 S. 49 ff; ders. Zur Frage des tatprovozierenden Verhaltens polizeilicher Lockspitzel, S t V 1984 S. 388 f f ; M. Cortes Rosa T e i l n a h m e am unechten S o n d e r v e r brechen, Z S t W 9 0 S. 4 1 3 f f ; F. Dencker Zur Zulässigkeit staatlich gesteuerter Deliktsbeteiligung, Dünnebier-Festschrift S. 4 4 7 ff; E. Dreher A n m e r k u n g z u B G H 23 S. 39 f, JR 1970 S. 146 f f ; E. FothKann die Anstiftung durch eine V - P e r s o n ein V e r f a h r e n s h i n d e r n i s begründen? N J W 1984 85 86 86a 87

SK-Samson § 27 Rdn. 18. Kühl Beendigung S. 80 ff, 94 ff. Blei AT § 80 II 3. Speziell zur Beihilfe siehe B G H GA 1981 S. 133 f; B G H N J W 1982 S. 2453 f, 2454; unklar BGH N J W 1990 S. 1055. 87a Joerden Strukturen S. 137 ff, 140 will bei Kettenbeihilfe mehrfach mildern; aber nicht die Mediatisierung trägt die Milderung (auch ein Mit titer muß nicht eigenhändig handeln), sondern die geringe Quantität. 88 BGH 29 S. 258 ff, 263 ff; sehr streitig; a. A. Schlothauer und Tscherch StV 1981 S. 22 f;

hauptsächlich auch Sommer JR 1981 S. 490 ff. — Da Vollendung ein formeller Begriff ist, hängt die Beurteilung der Vorverlagerung von der Perspektive ab (siehe unten 25/1); beim Hauptstreitpunkt, 5 '29 a StGB, dürfte nicht erst die terroristische Aktivität der Vereinigung, sondern schon der Bestand der Vereinigung ein störendes Ereignis sein, so daß eine krasse Vorverlagerung nicht stattfindet. 89 Soweit — bei Ähnlichkeit mit der abstrakten Gefährdung, oben 7/92,96 — sowieso 5 49 Abs. 2 StGB anzuwenden ist, reduziert § 49 Abs. 1 StGB immerhin die Obetgrenze des Rahmens. 677

23. Abschn

2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

S. 221 f; H. Franzheim Der Einsatz von Agents provocateurs zur Ermittlung von Straftätern, NJW 1979 S. 2014 ff; W. Gallas Die moderne Entwicklung der Begriffe Täterschaft und Teilnahme im Strafrecht, Beiheft ZStW 1957 S. 3 ff; K. GeppertZur Problematik des § 50 Abs. 2 StGB im Rahmen der Teilnahme am unechten Unterlassungsdelikt, ZStW 82 S. 40 ff; ders. Mordmerkmale und Akzessorietät der Teilnahme (§28 StGB), Jura 1986 S. 106 ff; G. Grunewald den besonderen persönlichen Merkmalen (§ 28 StGB), Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 555 ff; R. D. Herzberg Die Problematik der „besonderen persönlichen Merkmale" im Strafrecht, ZStW 88 S. 68 ff; den. Der agent provocateur und die „besonderen persönlichen Merkmale" (§28 StGB), JuS 1983 S. 737 ff; F.Herzog Rechtsstaatliche Grenzen der Verbrechensbekämpfung, NStZ 1985 S. 153 ff; G. Jakobs Niedrige Beweggründe beim Mord und die besonderen persönlichen Merkmale in § 50 Abs. 2 und 3 StGB, N J W 1969 S. 489 ff; ders. Anmerkung zu BGH 23 S. 39 f und 104 ff, N J W 1970 S. 1089 f; Armin Kaufmann Die Dogmatik im Alternativentwurf, ZStW 80 S. 34 ff; R. Keller Rechtliche Grenzen der Provokation von Straftaten, 1989; E. Koffka Ist § 50 Abs. 2 StGB n. F. auf den Gehilfen anwendbar, wenn der Haupttäter aus dem Gehilfen bekannten niedrigen Beweggründen tötet, die beim Gehilfen fehlen? J R 1969 S. 41 f ; H. H. Körner Die Glaubwürdigkeit und die Strafbarkeit von V-Personen — die Strafbarkeit der provozierten Tat, StV 1982 S. 382 ff; W. Küper Der „agent provocateur" im Strafrecht, GA 1974 S. 321 ff; W. Langer Das Sonderverbrechen, 1972; ders. Zum Begriff der „besonderen persönlichen Merkmale", Lange-Festschrift S. 241 ff; ders. Zur Strafbarkeit des Teilnehmers gemäß §28 Abs. 1 StGB, Ernst Wolf-Festschrift S. 335 ff; K. Lüderssen Verb rechensprophylaxe durch Verbrechensprovokation? Peters-Festschrift S. 349 ff; ders. Die V-Leute-Problematik . . . oder: Zynismus, Borniertheit oder „Sachzwang"? Jura 1985 S. 113 ff; ders. (Hrsg.) V-Leute. Die Falle im Rechtsstaat, 1985; ders. Anmerkung zu BVerfG StV 1987 S. 1 7 7 f f , a a O S . 178 ff; W. MaaßUie Behandlung des „agent provocateur" im Strafrecht, Jura 1981 S. 514 ff; R. Maurach Die Mordmerkmale aus der Sicht des § 50 StGB, JuS 1969 S. 249 ff; K. Meyer Anmerkung zu BGH 32 S. 345 ff, NStZ 1985 S. 134 f; ]. Meyer Zur prozeßrechtlichen Problematik des V-Mannes, ZStW 95 S. 835 ff; ders. Zur V-Mann-Problematik aus rechtsvergleichender Sicht, Jescheck-Festschrift S. 1311 ff; H. Ostendorf\ Chr. Meyer-Seitz Die strafrechtlichen Grenzen des polizeilichen Lockspitzel-Einsatzes, StV 1985 S. 73 ff; H. Plate Zur Strafbarkeit des agent provocateur, ZStW 84 S. 294 ff; I. Puppe Verführung als Sonderopfer, NStZ 1986 S. 404 ff; E. Riehle Verdacht, Gefahr und Risiko, KrimJ 1985 S. 44 ff; E. Samson § 50 II n. F. StGB und die Verjährung, ZRP 1969 S. 27 ff; H. Schröder Der § 50 StGB n. F. und die Verjährung beim Mord, J Z 1969 S. 132 ff; B. Schünemann Die Bedeutung der „Besonderen persönlichen Merkmale" für die strafrechtliche Teilnehmer· und Vertreterhaftung, Jura 1980S. 354 ff und 568 ff; ders. Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft nach der Strafrechtsreform im Spiegel des Leipziger Kommentars und des Wiener Kommentars, GA 1985 S. 341 ff, GA 1986 S. 293 ff; ders. Der polizeiliche Lockspitzel — Kontroverse ohne Ende? StV 1985 S. 424 ff; K. Seelmann Zur materiell-rechtlichen Problematik des V-Mannes, ZStW 95 S. 797 ff; H. O. Sieg Die staatlich provozierte Straftat, StV 1981 S. 636 ff; U. Sommer Das tatbestandslose Tatverhalten des Agent Provocateur, JA 1986 S. 485 ff; U. Stein Die strafrechtliche Beteiligungsformenlehre, 1988; /. Taschke Verfahrenshindernis bei Anstiftung durch einen Lockspitzel, StV 1984 S. 178 ff; K. Tiedemann Die Verwertung des Wissens von V-Leuten im Strafverfahren, N J W 1984 S. 753 ff; Th. Vogler Zur Bedeutung des § 28 StGB für die Teilnahme am unechten Unterlassungsdelikt, Lange-Festschrift S. 265 ff; H. Wagner Amtsverbrechen, 1975; H. WelzelZur Systematik der Tötungsdelikte, J Z 1952 S. 72 ff.

I. Das Problem 1

A. Der Beteiligte muß diejenigen Merkmale selbst verwirklichen, die sich aus den Beiträgen anderer Beteiligter nicht entlehnen lassen, da sie nur persönlich verwirklicht werden können. Die gesetzliche Regelung zu diesen Merkmalen ist widersprüchlich, lückenhaft und verwirrend, kurz : konzeptionslos. Sie hat folgenden Inhalt : 1. § 29 StGB erklärt die Schuld für nicht akzessorisch, 2. § 28 Abs. 2 StGB besondere persönliche Merkmale strafmodifizierender Art gleichfalls für nicht akzessorisch, während 678

Innere (qualitative) Akzessorietät

23. Abschn

3. §28 Abs. 1 StGB strafbegründende besondere persönliche Merkmale immerhin beschränkt akzessorisch sein läßt. B. Die Regelung bringt oder beläßt folgende Probleme : 2 1. § 29 StGB verhält sich unklar zu den §§ 26, 27 StGB: Wenn die Spezifizierung einer Tat auch durch ein spezielles Schuldmerkmal erfolgt, so muß jedenfalls der Täter — entgegen dem Wortlaut von § 29 StGB — das Merkmal aufweisen, da ansonsten die Tat nicht festliegt, an der Beteiligung stattfindet. 2. Unklar bleibt die Entscheidung bei strafbegründenden speziellen Schuldmerkmalen, die einem Teilnehmer fehlen : Straffreiheit (wie in § 2 9 StGB) oder beschränkte Strafbarkeit (wie in § 28 Abs. 1 StGB)? 3. Die beiden Absätze von § 28 StGB harmonieren nicht miteinander, denn § 28 Abs. 1 StGB entscheidet die Akzessorietät von besonderen persönlichen Merkmalen eingeschränkt positiv, § 28 Abs. 2 StGB aber voll negativ 1 . Dadurch entstehen Auslegungsschwierigkeiten: Im höchsten Maße persönliche Merkmale passen f ü r Abs. 2, nicht aber f ü r Abs. 1; bei den nicht voll persönlichen Merkmalen verhält es sich umgekehrt. Die Disharmonie der beiden Absätze steigert sich bei den in § 28 Abs. 2 StGB genannten straf ausschließenden Merkmalen bis zur Sinnlosigkeit: Es darf strafausschließende Merkmale nicht in § 28 Abs. 2 StGB neben der im § 28 Abs. 1 StGB f ü r strafbegründende Merkmale getroffenen Regelung geben; denn das Fehlen eines strafausschließenden Merkmals (geregelt in Abs. 2) wäre ein straLÍbarkeitsbegründender Umstand (geregelt in Abs. 1 i. V. m. § 14 Abs. 1 StGB). Konsequenz: Entweder würde die Möglichkeit der Beteiligung eines Nicht-Merkmalsinhabers am Delikt des Merkmalsinhabers, die § 28 Abs. 1 StGB konstatiert, von § 28 Abs. 2 StGB vernichtet (Fehlen des Merkmals als strafausschließender Umstand), oder der Ausschluß der H a f t u n g , der sich aus § 28 Abs. 2 StGB ergibt, würde von der Beteiligung an der T a t eines anderen, der die Ausschlußgründe nicht aufweist (strafbegründender Umstand) überholt (§ 28 Abs. 1 StGB). Es muß also, soll § 28 StGB eine sinnvolle Regelung sein, durch Interpretation sichergestellt werden, daß eines der beiden genannten Merkmale niemals verwirklicht wird (zum Ergebnis siehe unten 23/33). 4. Unklar bleibt die Behandlung allgemeiner persönlicher Merkmale, etwa des V o r satzes bei den Vorsatzdelikten (wobei der jeweilige Inhalt des Vorsatzes — beim Teilnehmer muß er die Haupttat umfassen — schon wieder als je „besonders" verstanden werden kann). Sind diese Merkmale nicht akzessorisch (entsprechend der Regelung in § 29 StGB und dem Wortlaut der Regelung in § 28 Abs. 2 StGB), beschränkt akzessorisch (entsprechend § 28 Abs. 1 StGB) oder voll akzessorisch (als Teil der Tat)? C 1. Bei dieser Lage läßt sich dem Gesetz nur wenig mehr entnehmen, als die 3 Trennung von drei Merkmalsgruppen. Es gibt a) voll akzessorische Merkmale, b) eingeschränkt akzessorische Merkmale, c) nicht akzessorische M e r k m a l e l a (höchstpersönliche Merkmale). 2. W o z u die besonderen persönlichen Merkmale gehören, ist ohne Blick auf die 4 äquivok benannten Merkmale in § 14 StGB zu entscheiden, und zwar wegen des je

1

So schon kritisch Armin Kaufmann ZStW 80 S. 34 ff, 36; Jakobs N J W 1969 S. 489 ff, 492; jetzt eingehend Grünwald Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 555 ff, 557 ff; a. A. Langer Sonderverbrechen S. 482 f.

,a

Wegen dieser Merkmale ist die Lösung von Scbünemann GA 1986 S. 293 ff, 339 undurchführbar, alle Merkmale (alle Unrechtsmerkmale) nach § 28 StGB zu behandeln, die nicht in mittelbarer T ä terschaft verwirklicht werden können.

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2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

unterschiedlichen Regelungsziels (bei § 14 StGB Belastung, bei § 28 StGB Entlastung; siehe schon oben zur Vertreterhaftung 21/11). Das Dilemma des § 2 8 StGB ist folgendermaßen zu lösen: Nimmt man bei der Bestimmung der besonderen persönlichen Merkmale nicht akzessorische Merkmale als Leitbild, wie es § 28 Abs. 2 StGB nahelegt, so würde dies bei der Anwendung von § 28 Abs. 1 StGB zu einer ungerechtfertigten Belastung des Teilnehmers führen. — Eine je nach Absatz unterschiedliche und streng an der Regelung des Absatzes orientierte Interpretation ließe sich konsequent durchführen, ergäbe aber eine N o r m , bei der Regelungsgehalt und Lücken kongruent wären : Absatz 1 müßte als selbstverständlich voraussetzen (nämlich daß höchstpersönliche Merkmale nicht akzessorisch sind), was Absatz 2 ausdrücklich regelt, — und was Absatz 1 ausdrücklich regelt (nämlich daß es beschränkt akzessorische Merkmale gibt), ließe Absatz 2 ungeregelt 2 . — So bleibt nur die Möglichkeit, die besonderen persönlichen Merkmale — unter Inkaufnahme einer ungerechtfertigten Entlastung bei einigen Fällen der modifizierenden Merkmale nach Absatz 2 — nach der „Meistbegünstigung" der Beteiligten zu interpretieren, d. h. § 28 StGB läßt, auch in Absatz 2, höchstpersönliche Merkmale ungeregelt, setzt deren NichtAkzessorietät vielmehr voraus ; die Vorschrift regelt die beschränkt akzessorischen Merkmale, und zwar in Absatz 1 voll sachgemäß und in Absatz 2 vereinfachend, was heißt, so als wären sie höchstpersönlich. Daß höchstpersönliche Merkmale nie auch nur beschränkt akzessorisch sind, entspricht f ü r Schuldmerkmale der Regelung des § 29 StGB, und diese Entsprechung ist wegen der Unsicherheit bei einer Abgrenzung zwischen höchstpersönlichem Unrecht und Schuld unumgänglich, wenn die Interpretation zu einer rechtssicheren Lösung führen soll. 5

3. Das Verhältnis von § 29 StGB zu den §§ 25 ff StGB ist leichter zu bestimmen : Der oben bezeichnete Widerspruch entfällt, wenn § 29 StGB als eine Regelung verstanden wird, die sich auf die Schuld bei gegebener Beteiligung beschränkt und nicht anspricht, was die Voraussetzungen f ü r Beteiligung sind. Es handelt sich dann bei § 29 StGB um eine ausschnitthafte (nämlich nur die Schuld betreffende) Regelung der nicht akzessorischen Merkmale. V o n dieser Lösung her kann dann § 29 StGB auch bei den strafbegründenden speziellen Schuldmerkmalen beim W o r t genommen werden, und es besteht kein Grund, die Vorschrift allein f ü r allgemeine Schuldmerkmale zu reservieren 3 . Spezielle Schuldmerkmale muß also jeder Beteiligte selbst aufweisen; es reicht nicht hin, wenn sie beim Haupttäter vorliegen. Beim Haupttäter müssen spezielle Schuldmerkmale sogar aus einem doppelten Grund vorliegen, seil, wegen seiner eigenen H a f t u n g (§ 29 StGB) und wegen der Notwendigkeit, die Haupttat zu spezifizieren (oben 22/10).

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4. Die verbleibende Problematik allgemeiner persönlicher Merkmale (Unrechtsmerkmale) ist ungeregelt und kann nur nach allgemeinen Prinzipien gelöst werden. 7 D. Damit ergibt sich: 1. D a ß die Schuld nicht akzessorisch ist, regelt § 29 StGB. Die Vorschrift gilt f ü r allgemeine wie spezielle Schuldmerkmale. 2. Daß Teilnahme nur möglich ist, wenn auch der Haupttäter die speziellen Schuldmerkmale aufweist, folgt aus den §§ 26, 27 StGB. 2 Siehe aber Schönke-Schröder-Cramer20 §28 Rdn. 6: besondere persönliche Merkmale in § 28 Abs. 2 StGB als weiterer Begriff gegenüber Abs. 1; diese durchaus konsequente Differenzierung ist preisgegeben a a 0 2 1 Rdn. 7.

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3 So aber SK-Samson § 29 Rdn. 2; Schönke-Scbräder-Cramer% 29 Rdn. 2; Grünwald Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 555 ff, 566 ff; differenzierend LK-Roxin% 29 Rdn. 2 ff.

Innere (qualitative) Akzessorietät

23. Abschn

3. Nicht akzessorische Merkmale, die dem Unrecht zugehören, sind ungeregelt und nach allgemeinen Grundsätzen als höchstpersönlich zu behandeln. Ungeregelt sind auch voll akzessorische Merkmale (selbstverständlich stets Unrechtsmerkmale). 4. § 28 StGB erfaßt nur beschränkt akzessorische Merkmale (die nur Unrechtsmerkmale sein können, da die Schuld nach § 29 StGB nie akzessorisch ist).

II. Der Lösungsweg A. Kritik der Lösungsvorschläge der Literatur 1. Die Festlegung des Lösungsspielraums hat zugleich für die Schuld das Ergebnis 8 gebracht: Allgemeine wie — wenn es sie de lege lata überhaupt gibt — spezielle Schuldmerkmale sind stets höchstpersönlich. Für die Unrechtsmerkmale bleibt die heikle Gruppierung nach nicht akzessorischen, beschränkt akzessorischen (besonderen persönlichen Merkmalen im Sinn von § 28 StGB) oder voll akzessorischen Merkmalen zu leisten. Die hierzu vorgeschlagenen Lösungsentwürfe können wenig befriedigen. Insbesondere kann eine philologische Raffinesse bei der Ausdifferenzierung der „besondere(n) persönliche(n) Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände (besondere persönliche Merkmale)", §§ 28 Abs. 1 i. V. m. 14 Abs. 1 StGB, das Ergebnis nicht bringen; selbst den Verfassern des Gesetzes waren die Konsequenzen der Vorschrift weitgehend unklar, wie ungewollte Ergebnisse 4 und die verfehlte Identität der Bezeichnungen in § 14 StGB und § 28 StGB bezeugen5. 2. Nachdem gemäß der neueren Gesetzesfassung jedenfalls feststeht, daß die Dauer- 9 haftigkeit des Merkmals kein Kriterium der Entscheidung ist, wird überwiegend nach täterbezogenen (besonderen persönlichen im Sinn von beschränkt akzessorischen) und tatbezogenen (voll akzessorischen) Merkmalen unterschieden 6 , jedoch nicht konsequent; denn der klar tatbezogene Vorsatz wird allgemein (und zutreffend) als höchstpersönlich im Sinn von überhaupt nicht akzessorisch verstanden 7 . Die Differenzierung nach tatbezogenen und täterbezogenen Merkmalen ist bei einem Unrechtsbegriff, der objektive und subjektive Momente des Verhaltens und teils zudem besondere Pflichtenstellungen verbindet, unbrauchbar. So verweisen die Differenzen innerhalb dieser Lösung auf Unklarheiten im Unrechtsbegriff, insbesondere zur Stellung der typisierenden Absichten 8 sowie zur Bedeutung der Unterscheidung von Merkmalen, die prinzipiell „innerlich" sind oder aber nach außen gewendet werden können 9 . 3. Nach einer weiteren, zunehmend häufig vertretenen Ansicht sollen als besondere 10 persönliche Merkmale nur modifizierende, spezielle Schuldmerkmale und Sonderpflichten erfaßt werden 1 0 . Diese Ansicht läßt also insbesondere subjektive Unrechtsele4 Dreher }K 1970S. 146 ff. 5 Die Fragen sind weitgehend am Beispie] der Mordmerkmale behandelt w o r d e n ; siehe hierzu mit jeweils ausführlichen Nachweisen Welze! J Z 1952 S. 72 ff, 74 f f ; Jakobs N J W 1969 S. 489 ff; Koffka J R 1969 S. 41 ff; Maurach JuS 1969 S. 249 ff; Samson Z R P 1969 S. 27 f f ; Schröder J Z 1969 S. 132 f f ; Schünemann Jura 1980 S. 354 ff, 568 ff, 578 ff. 6 Jescheck A T 5 61 VII 4 a; Maurach-Gössel AT II § 5 3 Rdn. 21 f f ; Schönke-Schröder-Cramer § 28 Rdn. 15; SK-Samson § 2 8 Rdn. 16, jeweils mit Nachweisen; B G H 22 S. 376 ff, 379; 23 S. 39 f; 23 S. 104 ff, 105.

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Zutreffend kritisch Herzberg ZStW 88 S. 68 ff, 89 ff. 8 Besonders persönlich nach SK-Samson § 28 Rdn. 20: Die Zueignungsabsicht soll in der Enteignungskomponente tatbezogen, in der Aneignungskomponente täterbezogen sein; siehe aber oben 8/41. 9 So differenzierend Dreher J R 1970 S. 146 f f ; Dreher-Tröndle § 2 8 Rdn. 5 f ; hiergegen Jakobs N J W 1970 S. 1089 f; - zur Kritik siehe auch LangerLange-Festschrift S. 241 ff, 250 ff, 260. 10 LK-Roxin § 28 Rdn. 30 f f ; Stratenwerth AT Rdn. 928 ff bei allerdings teilweise unterschiedlicher Definition der Schuldzugehörigkeit von spe-

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2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

mente voll akzessorisch sein (mit der schon soeben bezeichneten Inkonsequenz beim Vorsatz). Die Begründung, es gehe bei den subjektiven Unrechtselementen schlicht um Kennzeichen der „Art und Schwere des Unrechts, f ü r das die anderen Beteiligten (mit)haften" (Stratenwerth), trifft auch die — nach dieser Ansicht nur eingeschränkt akzessorischen — Sonderpflichten, so daß die Lösung inkonsistent begründet ist. Zudem dürfte die Behandlung der Schuldmerkmale als immerhin eingeschränkt akzessorisch mit § 29 StGB nicht mehr zu vereinbaren sein. 11

4. Herzberg will nach wertbezogenen (besonderen persönlichen) und wertneutralen (voll akzessorischen) Merkmalen unterscheiden 1 1 . "Wertneutrale Merkmale gibt es jedoch nur, wenn der Wert gelöst vom positiven Recht in freihändigem Vorgriff (bei Herzberg nach dem Rechtsgut und nach der Spezialprävention) ermittelt wird; bei Anerkennung der Wertintentionen des Gesetzes sind alle Merkmale wertbezogen; insbesondere haben auch Merkmale, die die T a t typisieren, einen Wertbezug, insbesondere generalpräventiver Art 1 2 .

B. Eigene Lösung: Die Beschränkung der besonderen persönlichen Merkmale auf Sonderpflichten und Eigenhändigkeit 1. Entgegensetzung von subjektiven Merkmalen und Sonderpflichten 12

a aa) Z u r Lösung müssen stets beide Seiten beschränkt akzessorischer Merkmale berücksichtigt werden: Sie sind demjenigen, der sie nicht aufweist, zwar nicht voll zurechenbar, aber immerhin doch beschränkt. Diese — wenn auch beschränkte — Zurechnung nicht in der eigenen Person verwirklichter Merkmale ist nur angebracht, wenn dem qualifikationslos Beteiligten durch die Beteiligung etwas erreichbar wird, was er rechtlich allein nicht erreichen kann, d. h. bei Beteiligung an Sonderdelikten und an eigenhändigen Delikten; denn in diesem Fall gibt gerade die Beteiligung einen Grund ab, den Pflichtenkreis des Täters umfangreicher zu definieren, wenn auch beschränkt gegenüber dem Pflichtenkreis des selbst Qualifizierten. Soweit aber die Beteiligung nur die faktische Organisationsgewalt erweitert, fehlt jeder Grund, die Zurechnung an anderen Merkmalen auszurichten als beim Alleintäter, der seine Organisationsgewalt mit Instrumenten, Maschinen o. ä. erweitert. Deshalb fallen alle subjektiven Merkmale aus dem Kreis beschränkt akzessorischer Merkmale hinaus 1 2 a . Sie sind höchstpersönlich, soweit sie nicht als notwendiger Bestandteil der Haupttat zum objektiven Beurteilungsgegenstand gehören (wie etwa der Tatvorsatz des Angestifteten Erfolg der Anstiftung ist). Beispiel: O b ein mit bloßen Händen zur T a t unfähiger Mensch seine Organisationsgewalt durch ein Werkzeug oder durch einen Beteiligten vergrößert, bleibt auf die Erwartung, er werde nach wie vor nicht in Zueignungsabsicht wegnehmen oder aus Habgier töten, ohne Einfluß.

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bb) Diese Lösung muß freilich mit einer entsprechenden Auslegung der subjektiven Merkmale kombiniert werden. Insbesondere muß es genügen, wenn einer von mehreren Beteiligten einen Planungszusammenhang (Zueignungsabsicht etc.) herstellt, sofern die anderen darum wissen (dazu eingehend oben 8/34 ff und nachfolgend unten 23/20,

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ziellen D e l i k t s m e r k m a l e n ; ähnlich s c h o n Gallas Beiheft Z S t W 1957 S. 3 ff, 31 ff. Z S t W 88 S. 68 f f , 98 f f ; den. J u S 1983 S. 737 ff, 7 3 9 ; — Herzberg e r k e n n t z u t r e f f e n d , d a ß § 2 8 S t G B die h ö c h s t p e r s ö n l i c h e n M e r k m a l e u n g e r e gelt läßt. Vogler L a n g e - F e s t s c h r i f t S. 265 ff, 277 f ; Stein B e t e i l i g u n g s f o r m e n l e h r e S. 750 f f ; kritisch a u c h

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SK-Samson § 2 8 R d n . 18 b f f ; LK-Roxin §28 R d n . 2 8 ; Grünwald Κτπύη K a u f m a n n - G e d ä c h t nisschrift S. 555 f f , 560. — a u c h Herzberg J u S 1983 S. 737 ff, 739 e r k e n n t , d a ß die „ w e r t n e u t r a len" M e r k m a l e das „im Sozialbewußtsein allein lebendige Deliktsbild" mit bestimmen. E i n g e h e n d e D a r s t e l l u n g des M e i n u n g s s t a n d s bei Stein B e t e i l i g u n g s f o r m e n l e h r e S. 355 ff.

Innere (qualitative) Akzessorietät

23. Abschn

23). Im übrigen mag in der subjektiv-qualifikationslosen Teilnahme an einer subjektivqualifizierten Tat (Täterschaft scheidet schon mangels Erfüllung der deliktsspezifischen Tätermerkmale aus) eine Solidarisierung mit dem Verhalten des Täters erkennbar werden, auch soweit das Täterverhalten durch dessen „Absicht" o. ä. geprägt wird; eine erfolgskausale Solidarisierung ersetzt aber kein subjektives Merkmal. b aa) Anders als bei der faktischen Erweiterung der Organisationsgewalt verhält es 14 sich bei den institutionellen Pflichten (und bei der Eigenhändigkeit im Sinn der eigenhändigen Delikte): Wenn auch nur ein Beteiligter eine Pflicht einbringt, steht damit allen Beteiligten die Möglichkeit offen, eine ihnen sonst (wenn sie selbst nicht Träger der Pflicht sind) unzugängliche Institution zu desavouieren. Bei den Sonderdelikten richtet sich die Erwartung an den Beteiligten auch nicht allein nach dessen Organisationsgewalt; vielmehr kommt die Beziehung zur besonders verpflichteten Person als Bestimmungsmerkmal hinzu. Deshalb vergrößert Beteiligung hier nicht nur die faktische Organisationsgewalt (durch Arbeitsteilung), sondern erweitert auch den Pflichtenkreis des Nicht-Qualifizierten (hebt also Rollentrennung partiell auf). bb) Freilich wäre bei Sonderdelikten auch eine gegenteilige Lösung denkbar: Der 15 Nicht-Qualifizierte könnte überhaupt straffrei bleiben 13 . Diese Lösung wäre angebracht, wenn die Rollengrenzen zugleich Grenzen der Gesellschaft wären (wie die Grenzen einer strengstmöglichen Kaste: Was sich jenseits der Kaste ereignet, wäre Natur, nicht aber Gesellschaft). Ein solches Verständnis wäre jedoch für die gegenwärtig strafrechtlich geschützten Institutionen unangebracht: Sie sind für die gesamte Gesellschaft unverzichtbar; deshalb kann der Extrañe die Institution über einen Intranen desavouieren. 2. Die Höchstpersönlichkeit subjektiver Merkmale a aa) Nicht akzessorisch ist der Vorsatz. Zur Teilnahme reicht nicht das Wissen des 16 Teilnehmers vom Vorsatz des Haupttäters, sondern der Teilnehmer muß selbst Vollendungsvorsatz aufweisen. Nur so ist seine Handlung ein eigener Angriff auf dasselbe Gut, das auch vom Täter angegriffen wird : Per Akzessorietät läßt sich diese Gleichrichtung nicht leisten. Der agent provocateur (Lockspitzel; in der Beteiligungsform analog der Anstiftung wie analog der Beihilfe möglich, in Grenzfällen auch analog der Mittäterschaft) ist somit straffrei. Entsprechende Fallgestaltungen liegen nicht nur vor, wenn der Beteiligte davon ausgeht, die Handlung des Täters werde überhaupt erfolglos bleiben, sondern auch, wenn er im Gegensatz zum Täter weiß, daß eine den Tatbestand stand ausschließende Einwilligung vorliegt 14 oder daß sich — zumindest in seiner Person — der Tatbestand aus sonstigen Gründen nicht verwirklichen kann 1 4 a , etwa wenn der agent provocateur zur Zerstörung eigener Sachen anstiftet, wobei der Angestiftete die Sachen im Eigentum dritter Personen wähnt. — Die Lösung entspricht heute überwiegender Ansicht 1 5 . Der agent provocateur verursacht zwar zurechenbar eine 13

14

Oder es könnten je eigene Tatbestände erforderlich sein, da sich eine generelle Regelung verbietet; kritisch zur Regelung des geltenden Rechts: Schmidbäuser A T 14/85 und 95; ders. Studienbuch 10/38; Langer Sonderverbrechen S. 480 ff; ders. Lange-Festschrift S. 241 ff, 261 ff.

B a y O b L G J Z 1979 S. 146. Hierbei ist es möglich, daß die Haupttat vollendet wird; zu solchen Fällen Mitsch Provokation S. 139 ff. 15 J e nach dem angenommenen Strafgrund der Teil14a

nahme mit unterschiedlicher Begründung Stratenwerth A T Rdn. 889 f ; SK-Samson vor § 26 Rdn. 38; Schönke-Schröder-Cramer% 26 Rdn. 16; R G 15 S. 315 ff, 317; 44 S. 172 ff, 174; - ausführlich Küper Gh. 1974 S. 321 ff; Plate ZStW 84 S. 294 ff; abweichend H.Mayer AT §51 I 3 (Schuldteilnahmetheorie); Stratenwerth MDR 1953 S. 717 ff (Unrechtsteilnahmetheorie im eigentlichen Sinn); Jescheck A T 1 § 64 I 2 (Verursachung des Handlungsunrechts).

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23. Abschn

2. B u c h . 4. K a p i t e l . Beteiligung

Normdesavouierung durch den Haupttäter, und dies wird, wenn er ohne rechtlich akzeptablen Grund handelt, auch nicht vom Verhaltenskontext kompensiert, aber eine soziale Störung dieser Art wird vom Tatbestand der übertretenen Norm nicht erfaßt. 17

bb) Teilweise wird die Straffreiheit vom Fehlen eines Vollendungsvorsatzes auf das Fehlen eines Vorsatzes zur Rechtsgutsverletzung erweitert 16 . Diese Erweiterung ist wegen der Willkürlichkeit, mit der die Abstraktionshöhe des Rechtsguts bestimmt werden kann (Angriffsobjekt — Gut — Beziehung des Berechtigten zum Gut als Chance — als Realität etc.) geradezu uferlos und zudem überflüssig: In den Fällen, in denen der Täter nur um die Vollendung wissen muß, etwa bei der Sachbeschädigung, § 303 StGB, ist auch für den Teilnehmer nicht mehr zu fordern; das Wissen etwa, daß der Berechtigte die beschädigte Sache weder verkaufen noch sinnvoll nutzen konnte, schließt also seinen Vorsatz nicht aus. Soweit aber der Täter einen überschießenden Vorsatz aufweisen muß, da das Delikt auch formulierungsmäßig Versuchscharakter hat, haftet der Teilnehmer sowieso nur bei erweitertem Vorsatz (hierzu sogleich), wie ja auch bei der Teilnahme am Versuch der Tätervorsatz den Teilnehmervorsatz nicht ersetzt. Beispiele : Hält der Teilnehmer an einer Urkundenfälschung eine Täuschung im Rechtsverkehr für ausgeschlossen, ist er straffrei. — Straffrei ist auch der Diebstahlsbeteiligte, der weiß, daß der Täter zwar die Chance der Vollendung, nicht aber der dauernden Enteignung des Opfers hat. — Zur Teilnahme ist aber auch nicht mehr an Vorsatz erforderlich als zur Haupttat. Das ist für (abstrakte) Gefährdungsdelikte wichtig: Soweit beim Täter die Kenntnis der Ungefährlichkeit im Einzelfall die Haftung nicht ausschließt, macht diese Kenntnis auch den Beteiligten nicht straflos 17 ; wenn freilich Besonderheiten des Einzelfalls eine Tatbestandsverwirklichung ausschließen, mag dies nur einer der Beteiligten wissen oder nur für denjenigen gelten, der es weiß. Beispiele: Wer zu einer Trunkenheitsfahrt ( § 3 1 6 StGB) anstiftet, handelt auch dann tatbestandsmäßig, wenn er weiß, daß der Fahrer nach wenigen Metern von einer Polizeistreife festgehalten wird. Aber wer den Verkauf von Rauschgift an einen zur Verfolgung zuständigen Amtsträger vermittelt, handelt nicht tatbestandsmäßig nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 B t M G 1 7 a . Tatbestandsmäßig ist aber der Verkauf von einer Amtsperson an eine Privatperson, etwa um als Mitglied einer Dealerbande anerkannt zu werden („Keuschheitsprobe"). — Trotz Vollendung der Haupttat ist Straffreiheit des agent provocateur bei denjenigen Delikten möglich, bei denen das Gesetz einen Rücktritt von der Vollendung straf befreiend wirken läßt (unten 25/3, 5,7, 11); der agent provocateur muß dann von vornherein einen Rücktritt planen, was auch so geschehen kann, daß er das Rücktritts verhalten vorwegnimmt. Beispiele: Der Anstifter zur Brandstiftung hat eine sicher wirkende automatische Löscheinrichtung installiert 17b oder steht bereit, den Brand gewiß sofort zu löschen — straffrei. Aber: Er rechnet leichtfertig mit Regen, dieser bleibt aus, jedoch wird der in Brand gesetzte Gegenstand durch eine automatische Löscheinrichtung gerettet — strafbare Anstiftung zur Vollendung.

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cc) Handelt der Teilnehmer ansonsten zumindest mit dolus eventualis auf Vollendung, so haftet er auch, wenn die Haupttat — wunschgemäß — im Versuchsstadium steckenbleibt (wegen Teilnahme am Versuch). — Bei Vollendungsvorsatz des Teilnehmers wird verbreitet die Möglichkeit einer Rechtfertigung durch Notstand (Beweis-, Strafverfolgungsnotstand) angenommen 1 8 ; zumindest bei einem Strafverfolgungsor16

Maaj.fjura 1981 S. 514 ff, 519 f; StratenwertbAT Rdn. 889 ; Schönke-Schröder-Cramer% 26 Rdn. 16. 17 Franzheim N J W 1979 S. 2014 ff, 2016 f ; Sommer J R 1986 S. 485 ff, 487 ff; den. Erfolgsunrecht S. 110 ff, 191 ff, 223 ff. 1 7 a Denn „In den Verkehr Bringen" heißt: Durch

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Weitergabe die amtliche Verfügungsgewalt verkürzen. ' 7 b Straffreiheit wohl auch, wenn der Anstifter weiß, daß eine sicher wirkende Anlage installiert ist. 18 SK-Samson vor § 26 Rdn. 38; Stratenwertb AT Rdn. 889; Franzheim N J W 1979 S. 2014 ff, 2017

Innere (qualitative) Akzessorietät

23. AbSChn

gan dürfte diese Rechtfertigung im Blick auf die Angemessenheitsklausel des § 34 Satz 2 StGB ausscheiden 1 9 (siehe oben 13/36 ff). b) Wie sich der Vorsatz jedes Beteiligten auf Vollendung richten muß, so muß bei 1 9 Delikten mit vorverlagerter Vollendung auch jeder Beteiligte den überschießenden Verletzungsvorsatz aufweisen. Beispiel: Jeder Beteiligte an der Urkundenfälschung (5 267 StGB) muß selbst den Vorsatz haben, daß es zur Täuschung im Rechtsverkehr kommen wird.

f; Rebmann N J W 1985 S. 1 ff; Keller Grenzen S. 277 ff (aber nicht zur Ermöglichung der Ahndung vergangener Straftaten). 19 Sieg StV 1981 S. 636; Seelmann ZStW 95 S. 797 ff, 808 ff; Ostendorf und Meyer-Seitz StV 1985 S. 73 ff, 79; Lüdensen Jura 1985 S. 113 ff, 119 f; Herzog NStZ 1985 S. 153 ff, 155; Sommer JR 1986 S. 485 ff, 486 f; Keller Grenzen S. 354 ff (mit Ausführungen zu sonstigen, insbesondere polizeirechtlichen Rechtfertigungen S. 331; — nach Keller soll staatliches provozierendes Verhalten in der Regel in Persönlichkeitsrechte u. a. m. eingreifen und demgemäß auch als Beteiligung am Versuch einer Rechtfertigung bedürfen). — Die Rechtsprechung hält den Einsatz von V-Leuten auch als agents provocateurs bei bestimmten Kriminalitätsarten für zulässig, ohne dies jedoch zu begründen; BVerfG 57 S. 250 ff, 284; BGH GS 32 S. 115 ff, 122; als Grund gibt BVerfG StV 1985 S. 177 f (mit Anmerkung Lüderssen S. 178 ff) „Bedürfnisse einer wirksamen Strafrechtspflege" an (in einem Fall verbotener Prostitutionsausübung am Viktualienmarkt in München!); ähnlich BVerfG N J W 1987 S. 1874 f: „Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege". — Von der Problematik der Zulässigkeit abgesehen gilt : Wenn der agent provocateur für praktisch unentbehrlich zur Bekämpfung der Kriminalität mancher Bereiche (Rauschgift) gehalten wird, so heißt dies nichts anderes, als daß insoweit (vorgeblich oder wirklich) ein Rechtsstaat wegen seiner Bindungen nicht bestandsfähig ist und daß die Polizei deshalb mit nur durch die Effektivität limitierten, also mit bürgerkriegsähnlichen Mitteln vorgehen muß. Damit wird freilich die Legitimation des Staats zur (auch) rechtsstaatlichen Aburteilung der rechtsstaatswidrig erzeugten Kriminalität problematisch, und zwar sowohl, was diejenigen vollendeten Taten angeht, die durch — in Bürgerkriegsnotstand gerechtfertigte — Beteiligung des Staats zustandegekommen sind, als auch, was (versuchte oder vollendete) Taten betrifft, bei denen die Beteiligung des Staats schon nicht straftatbestandsmäßig, aber trotzdem rechtsstaatswidrig ist; denn eine versuchte oder vollendete Straftat kann nicht ohne Widerspruch zugleich als soziale Störung und zudem als so wünschenswert definiert werden, daß ihretwegen die üblichen Limitierungen der Verfolgung zurückgenommen werden müssen. Deshalb sollte

die im Auftrag des Staats provozierte Kriminalität straffrei bleiben, was heißt, daß die Provokation überhaupt nur zur Ermöglichung der Verfolgung schon zuvor begangener Taten und der Verhütung zukünftiger Gefahren dienen kann (für eine Beschränkung der Zulässigkeit auf präventive polizeiliche Tätigkeit Dencker Dünnebier-Festschrift S. 447 ff, 460). Die Straffreiheit beruht nicht etwa auf geringer Schuld des Verleiteten, sondern auf der Unmöglichkeit konsistenten staatlichen Verhaltens (deshalb paßt die bei Foth N J W 1984 S. 221 f, 222 gezogene Parallele zu Fällen der § 11 SoldatenG, § 5 WStG nicht). Die Lösung ist sehr streitig; die Rechtsprechung nimmt — vergröbert gesprochen — an, die Verführung sei bei der Bestrafung des Provizierten nur zu berücksichtigen, wenn der agent provocateur nicht nur eine bestehende Tatbereitschaft auslöste, sondern erhebliche Widerstände zu überwinden hatte (wenn also der Einsatz eines agent provocateur keinen vernünftigen Grund gehabt haben kann oder allenfalls dem Zweck hat dienen können, tatbereite Hintermänner des zunächst nicht tatbereiten Verleiteten zu entlarven) : B G H 32 S. 345 ff (erhebliche Verführung als Milderung) mit eingehenden Nachweisen der vorangehenden Rechtsprechung (mit Anmerkung K. Meyer NStZ 1985 S. 134 f und Besprechung Bruns StV 1984 S. 388 ff); BGH N J W 1986 S. 76; BGH GS 33 S. 356 ff (jedenfalls kein Verfahrenshindernis, S. 362); B G H NStZ 1986 S. 162 (Berücksichtigung schuldunabhängiger Milderungen, insbesondere des Fehlens der Gefahr einer dauernden Rechtsgutsverletzung durch die provozierte Tat); zur vorangehenden Rechtsprechung siehe Kömer StV 1982 S. 382 ff, 384 f. — Für ein Verfahrenshindernis : Bruns NStZ 1983 S. 49 ff; J. Meyer ZStW 95 S. 834 ff, 843 ff, 853; TaschkeStV 1984 S. 178 ff; für einen persönlichen Strafausschließungsgrund Seelmann ZStW 95, S. 797 ff, 830; für ein Absehen von Strafe wegen eines „Sonderopfers" Puppe NStZ 1986 S. 404 ff; für ein Beweisverbot grundlegend Lüderssen Peter-Festschrift S. 349 ff; rechtsvergleichend /. Meyer Jescheck-Festschrift S. 1311 ff. - Siehe ferner Tiedemann NJW 1984 S. 753 ff; Schünemann StV 1985 S. 424 ff; Riehle KrimJ 1985 S. 44 ff; zahlreiche Beiträge zu diversen Aspekten bei Lüderssen (Hrsg.) V-Leute, passim.

685

23. Abschn 20

2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

c) Höchstpersönlich sind auch die typisierenden Vorsätze wie die Bereicherungsabsicht beim Betrug etc. Dies ist so selbstverständlich, wie die Höchstpersönlichkeit des Vorsatzes auf eine typisierende Beschreibung des Angriffswegs selbstverständlich ist (etwa der Vorsatz auf die Täuschung beim Betrug, die Wegnahme beim Diebstahl) : Ohne diesen Vorsatz ist das vom Beteiligten ins Auge gefaßte deliktische Geschehen nicht komplett. Insbesondere muß auch jeder Beteiligte die Vollendung des Typisierenden wollen, so wie er bei Wegbeschreibungen den Vorsatz der Verwirklichung auf dem bestimmten Weg (und nicht etwa den Vorsatz der Verwirklichung auf einem anderen Weg) haben muß. Ganz überwiegend wird anders entschieden, und zwar weil nahezu durchgehend die Parallelität zwischen Vollendungsvorsatz und überschießendem Vorsatz übersehen wird 2 0 : Während das Höchstpersönliche des Vollendungsvorsatzes selbstverständlich ist, soll der überschießende Vorsatz akzessorisch sein können. In welchem Maß Akzessorietät bestehen soll, ist freilich streitig 21 . Die Konfusion dürfte durch die zu enge Auslegung der „Absichten" mit bedingt sein. Was an fremder Planung akzessorisch ist, wird für die hiesige Lösung schon bei der Interpretation des subjektiven Tatbestands berücksichtigt: Jeder Vorsatz plus Kenntnis fremder Planung, nicht aber erst Absicht im eigentlichen Sinn, erfüllen den subjektiven Tatbestand (eingehender oben 8/34 ff).

21

d) Höchstpersönlich sind ferner die affektiven Merkmale (ζ. B. Mordlust bei § 211 StGB) und die der Antriebsseite wegen genannten Motive (siehe oben 8/94). Der Anerkennung einer auch nur beschränkten Akzessorietät dieser Merkmale steht entgegen, daß bezüglich der Antriebe keine Koordination des Verhaltens der Beteiligten stattfindet, nicht einmal, wie immerhin noch bei den Absichten als Planungszusammenhängen, in der Planung. Zwar können mehrere Personen zusammen planen, aber nur aus je eigenem Antrieb. Selbst wenn ein Beteiligter die Antriebe eines anderen wecken oder anstacheln kann, besagt dies über seine eigenen Antriebe nichts. Eine andere Lösung würde — wie die Schuldteilnahmetheorie — die Produktion eines Täters an die Stelle der Produktion einer Tat stellen.

22

e) Aus diesem Grund sind auch die Konstitutions- und Gesinnungsmerkmale in ihren subjektiven Teilen höchstpersönlich (zur objektiven Seite der Konstitutionsmerkmale siehe oben 8/97).

23

f) Was die Vorsatzform angeht, so ist bei den „Absichten", die zur Bezeichnung einer Gutsverletzung oder zur Typisierung einer Gutsverletzung die Vollendung überschießen, durch die Interpretation der subjektiven Seite als Vorsatz plus Kenntnis eines Planungszusammenhangs schon klargestellt, daß alle Beteiligten das Merkmal selbst erfüllen müssen, wie sie ja auch ansonsten je einen eigenen Vorsatz haben müssen. — Bei den (echten) Absichten, die eine feindliche Willensrichtung etc. kennzeichnen (oben 8/37), muß jeder Beteiligte diese Willensrichtung selbst aufweisen; denn die Unterstüt20 Zutreffend aber Herzberg ZStW 88 S. 68 ff, 93 f ; siehe auch SK-Samson §28 Rdn. 20; für die überwiegende Ansicht siehe Keller Grenzen S. 212 ff mit Nachweisen. Keller meint, die hiesige Lehre tendiere zur „Gesinnungshaftung" (S. 236). Das ist verfehlt: Das subjektive Merkmal (überhaupt nicht notwendig eine Gesinnung), das zur Rechtsgutsverletzung hinzukommen muß, wird vom Gesetz genannt, nicht von der Lehre. In der Umkehrung gilt: Wer den Beteiligten, der das subjektive Merkmal nicht aufweist, trotzdem haften läßt, operiert mit einem Tatbestand, der weiter geschnitten ist als der positivierte!

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21

Nach überwiegender Ansicht voll akzessorisch; so mit diversen Begründungen Herzberg ZStW 88 S. 68 ff, 98; ders. JuS 1983 S. 737 ff, 742 ff (wertneutral, was heißen soll, im Blick auf die Gutsverletzung irrelevant); Stratenwerth AT Rdn. 930, 933 (subjektive Unrechtselemente sollen stets akzessorisch sein); ähnlich LK-Roxin § 28 Rdn. 42. - Nach SK-Samson (§ 28 Rdn. 20; siehe auch Welzel Straf recht § 16 V 1) soll beschränkte Akzessorietät, also ein besonderes persönliches Merkmal nach § 28 StGB, vorliegen.

Innere (qualitative) Akzessorietät

23. Abschn

zung eines fremden, feindlichen Verhaltens (aus welchen Gründen auch immer) ist mit eigener Feindlichkeit weder stets sachlich noch auch nur stets in der Wertung gleichzusetzen. — Schließlich muß jeder Beteiligte die Vorsätze, die einer Risikoerlaubnis wegen qualifiziert sind (oben 8/36), höchstpersönlich qualifiziert aufweisen, weil er ohne den qualifizierten Vorsatz noch in einer Lage ist, die ein Risiko zuläßt, mag ein anderer Beteiligter auf Grund — irriger oder zutreffender — genauerer Vorstellungen auch bereits unerlaubt handeln. 3. Die beschränkte Akzessorietät der Sonderpflichten und der Eigenhändigkeit; Abgrenzungen a) Bei den Beschränkungen des Täterkreises eines Delikts auf bestimmte Personen 24 (Sonderdelikte im weiteren Sinn) ist zu unterscheiden : aa) Soweit eine Beschränkung auf Personen erfolgt, die — ohne Träger besonderer Pflichten zu sein — als einzige ein bestimmtes Gut in bestimmter Weise angreifen können, geht es um Täterbeschreibungen, die nur die Situation kennzeichnen sollen, in der tatbestandsmäßiges Handeln überhaupt oder in praktisch relevanter Weise möglich ist. Die Merkmale sind deshalb wie andere Situationsmerkmale Beschreibungen der Ausgestaltung eines Organisationskreises und deshalb wie alle Merkmale eines Organisationskreises voll akzessorische Tatbestandsmerkmale 2 2 . Beispiele: nach — heute freilich als irrig erkannter — Vorstellung des historischen Gesetzgebers der Gewahrsamsinhaber bei der Unterschlagung, §246 StGB; nach heutigem Verständnis die Stellung als Unfallbeteiligter bei § 142 StGB (anders früher: Sonderpflicht aus „Verkehrsgemeinschaft"); Gefangenenmeuterei, § 121 StGB; homosexuelle Handlungen, was die Eigenschaft als Mann angeht, nicht das Alter, § 175 StGB. Dasselbe gilt, wenn der Täterkreis auf Personen beschränkt ist, die als einzige Personen ein Gut in besonders leichter oder praktisch relevanter Art und Weise angreifen können. Beispiele sind Schiffsgefährdung, 5 297 StGB; exhibitionistische Handlungen, § 183 StGB; unbefugter Gebrauch von Pfandsachen, § 290 StGB; Vereitelung der Zwangsvollstreckung, § 288 StGB 2 3 , Bankrott, § 283 StGB. In diese Fallgruppe gehören auch die Garantenpflichten kraft Organisationszuständigkeit (Verkehrspflichten, Ingerenz und Übernahme); sie sind — als Umkehrungen der Handlungsfreiheit — Bestimmungen der Reichweite eines Organisationskreises. Beispiel : Ob einem Autofahrer mit der Folge einer vorsätzlichen Tötung vom Beifahrer geraten wird, zu beschleunigen (Tun) oder nicht zu bremsen (Unterlassen), hat mit § 28 StGB nichts zu tun; jedenfalls stiftet der Beifahrer zum Totschlag an (§§26, 212 StGB) 2 4 . bb) Sonderdelikte im engeren Sinn: Soweit freilich nicht oder doch nicht nur der 25 Umfang eines Organisationskreises beschrieben wird, sondern ein Status des Täters, werden die Erwartungen rechtskonformen Verhaltens auch durch den Träger der Pflicht bestimmt. In diesen Fällen ist der nicht selbst Verpflichtete erst „in zweiter Linie" und deshalb nur beschränkt haftbar: Echte (strafbegründende) oder unechte (straf22

Abgesehen v o n A b g r e n z u n g s d i f f e r e n z e n zu einzelnen T a t b e s t ä n d e n die w o h l ü b e r w i e g e n d e A n s i c h t ; LK-Roxin § 2 8 R d n . 41 mit N a c h w e i sen.

23

Herzberg Z S t W 88 S. 68 ff, 83 f f ; den. S. 737 ff, 740 f ; streitig. S e h r streitig; eine D i f f e r e n z i e r u n g d e r G a r a n t e n s t e l l u n g e n k o m m t regelmäßig wiegenden A n s i c h t nicht in den Blick.

24

J u S 1983 einzelnen der ü b e r Literatur-

beispiele: Ceppert Z S t W 82 S. 40 ff, 70 ff (als r e c h t s g u t s b e s t i m m e n d e M e r k m a l e nie b e s o n d e r s p e r s ö n l i c h ) ; a n d e r s a b e r Vogler Lange-Fests c h r i f t S. 265 ff (als im V e r t r a u e n b e g r ü n d e t e M e r k m a l e i m m e r b e s o n d e r s p e r s ö n l i c h ) ; weitere N a c h w e i s e u n t e n 2 9 / F n . 220. — Z u r N o t w e n d i g keit d e r D i f f e r e n z i e r u n g allgemeinen u n d b e s o n d e r e n V e r t r a u e n s sogleich u n t e n .

687

23. Abschn

2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

erhöhende) eigentliche Sonderpflichten sind besondere persönliche Merkmale 2 5 . — Als Status wird hierbei ein institutionell abgesichertes Bündel von Beziehungen zwischen dem Verpflichteten und dem betreffenden Gut verstanden, aus dem die verletzte strafbewehrte Pflicht nur ein Ausschnitt ist (eingehender unten zum Versuch 25/43 ff). Bei Institutionen, die f ü r den gesellschaftlichen Bestand von elementarer Bedeutung sind, wird der Status zur Garantenstellung (unten 29/57 ff) ; das Sonderdelikt ist dann zugleich Pflichtdelikt, so daß der Sonderpflichtige, was den Bereich seiner Sonderpflicht angeht, stets Täter ist (oben 21/115 ff). Diese Konsequenz bestätigt die gefundene Lösung; denn da das besondere persönliche Merkmal per se Täterschaft begründet, wird (bei § 28 Abs. 2 StGB) die befremdliche Konstruktion einer Sonderunrechtsteilnahme ohne Sonderunrechtshaupttat vermieden. Sonderpflichten sind etwa die Amtspflichten bei den Amtsdelikten, zahlreiche Personen- und Vermögensfürsorgepflichten einzelner Tatbestände des BT, die Pflichten der Aussagenden nach den §§ 153, 154 StGB 2 5 a (zweifelhaft), die Pflichten nach den §§ 174 ff S t G B 2 6 gegen Mißbrauch einer durch qualifiziertes Vertrauen oder sonst institutionell abgesicherten Stellung sowie schließlich — die genannten Pflichten umfassend, soweit diese Garantenpflichten sind — die nicht an bestimmte Tatbestände gebundenen Garantenpflichten kraft institutioneller Zuständigkeit (Ehe, Eltern-KindVerhältnis, besonderes Vertrauen u. a. m., siehe unten 29/57 ff). 26

cc) Ein besonderes persönliches Merkmal ist auch die Eigenhändigkeit; da es um die persönliche Insuffizienz geht, läßt sich die Pflicht von ihrem Träger nicht lösen 2 7 (siehe oben 21/21).

27

dd) Täterbeschreibungen schließlich, die zwar objektiv formuliert sind, aber auf die Motivationslage abzielen, sind — in Konsequenz zur Behandlung der subjektiven Seite — höchstpersönlich, so etwa in § 217 StGB. Dasselbe gilt f ü r objektivierte Tätereigenschaften (etwa die objektive Seite der Gewerbsmäßigkeit).

III. Das Ergebnis A. Strafbarkeitsbegründende Merkmale 28

1. Fehlen höchstpersönliche, strafbarkeitsbegründende Merkmale bei einem Beteiligten, so ist dieser straffrei.

29

2 a) Fehlen besondere persönliche (beschränkt akzessorische) Merkmale strafbarkeitsbegründender Art (Sonderpflichten und Eigenhändigkeit) beim Beteiligten (der nie Täter oder Mittäter sein kann, da es an einem deliktsspezifischen Tätermerkmal mangelt), so wird wegen des Defizits der Strafrahmen nach § 49 Abs. 1 StGB gemildert; das ist der Regelungsinhalt von § 28 Abs. 1 StGB. Diese Milderung wegen des Fehlens besonderer persönlicher Merkmale wird auch dann nur einmal gewährt, wenn Eigenhändigkeit und Sonderpflicht beide fehlen, wie ζ. B. beim unqualifizierten Anstifter zur Rechtsbeugung, § 336 StGB. Die Milderung tritt jedoch zu sonstigen Milderungen 25 Bei Abgrenzungsdifferenzen zu einzelnen Tatbeständen überwiegende Ansicht; BGH 6 S. 309 ff; Jescheck AT § 61 VII 4 a aa; LK-Roxin § 28 Rdn. 37, 44; Stratenwerth AT Rdn. 935; ausführlich mit Nachweisen Wagner Amtsverbrechen S. 386 ff; zur Kritik (eher Straffreiheit des Extraneus angebracht) siehe oben Fn. 13 und (eher volle Akzessorietät angebracht) Grünwald Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 555 ff, 561 ff.

688

25a

Eingehend Langer Ernst Wolf-Festschrift S. 335 ff, 345 ff mit Nachweisen; siehe auch Stein Beteiligungsformenlehre S. 332 ff. 26 Streitig; a. A. Schönke-Schröder-Lenckner § 174 Rdn. 20, § 174 a Rdn. 13; wie hier LK-Roxin% 28 Rdn. 38. Ό Α. Α. Schmidhäuser AT 14/82; Schänke-SchröderCramer § 28 Rdn. 19.

Innere (qualitative) Akzessorietät

23. Abschn

kumulierend hinzu, insbesondere zur Milderung nach § 27 Abs. 2 StGB 2 8 . Die Milderungen nach § 28 Abs. 1 StGB und § 27 Abs. 2 StGB werden jedoch nicht kumuliert, wenn das Fehlen eines deliktsspezifischen Tätermerkmals alleiniger G r u n d der Bestrafung des ansonsten tatherrschaftlich Beteiligten als Gehilfe ist 2 9 . b) Ein Merkmal ist strafbarkeitsbegründend, wenn ohne dieses Merkmal kein tatbe- 30 standsmäßiges Verhalten vorliegt. Soweit eine Deliktsabwandlung zum eigenständigen Delikt (delictum sui generis) erklärt wird 3 0 , ist dies f ü r die Anwendung von § 28 StGB bedeutungslos 3 1 . Die Merkmale dieser „eigenständigen" Delikte begründen also keine Strafbarkeit, sondern modifizieren sie. Zahlreiche Deliktstatbestände können je nach Art des Verhaltens strafbarkeitsbegründende Merkmale aufweisen oder aber Allgemeindelikte sein. Da auch die institutionell abgesicherten Garantenstellungen bei begehungsgleichen Unterlassungsdelikten besondere persönliche Merkmale sind, enthalten selbst allgemein begehbare Verursachungsdelikte nach Art der §§ 212, 223, 303 StGB f ü r den Fall einer solcherart pflichtwidrigen Unterlassung (§ 13 Abs. 1 StGB) strafbegründende besondere persönliche Merkmale und unterfallen dann § 28 Abs. 1 StGB. — Heikel ist die Lage bei unechten Sonderdelikten (durch Sonderpflichten qualifizierten Delikten), wenn der Sonderpflichtige das Delikt über eine institutionell abgesicherte Garantenstellung verwirklicht; Beispiel: Der Staatsanwalt vereitelt auf Anraten eines Nichtqualifizierten eine Bestrafung durch Nichtbearbeitung der Strafsache, § 258 a Abs. 1 StGB 3 2 . Zwar modifiziert die qualifizierende Sonderpflicht im Normalfall die Strafbarkeit (was f ü r den Nichtqualifizierten heißt: Bestrafung aus dem Grunddelikt gemäß § 28 Abs. 2 StGB), im Fall der Begehung durch Unterlassen aber begründet die Sonderpflicht die Strafbarkeit überhaupt, so daß § 28 Abs. 1 StGB anzuwenden ist 3 3 . c) Einem Beteiligten fehlt ein (strafbarkeitsbegründendes) Merkmal des Täters 31 schon dann, wenn er ein solches Merkmal nicht mit dem Täter teilt, es vielmehr nur als ein eigenes Merkmal aufweist; denn dieses eigene Merkmal mag dem strafbarkeitsbegründenden Merkmal des Täters zwar analog sein, ist aber mit ihm nicht identisch. Die Sonderpflicht (wie die Eigenhändigkeit) eines Beteiligten — nach der hiesigen Lösung die einzigen besonderen persönlichen Merkmale — fehlt einem anderen Beteiligten per Definition stets; jeder Beteiligte ist schon vor aller Beteiligung selbst verpflichtet, oder nur durch die Beteiligung und deshalb nach § 28 Abs. 1 StGB abgeschwächt. Beispiel: Jemand ist selbst Beamter oder Vater oder Ehemann oder Soldat, oder aber er ist es nicht; er hat aber nie die Pflicht eines anderen Beamten etc., es sei in der durch § 28 Abs. 1 StGB geregelten, abgeschwächten Weise. Freilich kann die eigene Verpflichtung auch die Sorge zur Verhütung fremder Rechtsbrüche zur Folge haben. Beispiel: Bringen zwei je unbeschränkt pflichtige Testamentsvollstrecker verabredungsgemäß jeder 28

B G H NStZ 1981 S. 299; B G H StV 1983 S. 330 (nur Leitsatz); B G H N S t Z 1989 S. 19 f (freilich für ein Aöc/wipersönliches Merkmal). 29 B G H 26 S. 53 ff, 55; Bruns J R 1975 S. 510 f; Langer Ernst Wolf-Festschrift S. 335 ff, 338 f ; — a. A. LK-Roxin § 28 Rdn. 60 mit der Begründung, dadurch werde die Differenz zwischen Beihilfe und Anstiftung ( = eine Milderungsstufe) eingeebnet; — bei einem tatherrschaftlichen Gehilfen ist diese Differenz aber auch nicht mehr gerechtfertigt, ganz abgesehen von generellen Zweifeln an der Berechtigung. 30 So die Rechtsprechung beharrlich zu § 211 StGB ; genannt werden ferner §§ 217, 249 StGB u. a. m.

31

Stratenwerth AT 2 Rdn. 937; zweifelnd Baumann-Weber AT § 3 7 III 2 b ß; zu den Inkonsequenzen der Rechtsprechung zu § 2 1 1 StGB siehe Arzt JZ 1973 S. 681 ff. 32 Weitere Beispiele bei Cortes Rosa Z S t W 90 S. 413 ff, 424 ff. 33 SK-Samson § 28 Rdn. 6 b ; streitig, anders Cortes Rosa ZStW 90 S. 413 ff, 429 f, mit zutreffendem Hinweis auf die ungereimte Strafrahmendifferenz zwischen einem nach § 49 StGB gemilderten Sonderdelikt und dem Allgemeindelikt; diese Differenz läßt sich aber wegen des Mangels an Harmonie zwischen § 28 Abs. 1 und Abs. 2 StGB (hierzu oben zu Fn. 1) nicht beseitigen.

689

23. Abschn

2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

die Hälfte des Vermögens beiseite, so haften sie wegen ihrer eigenen Fürsorgepflicht jeder f ü r den gesamten Schaden als Nebeniättr nach § 266 StGB (siehe schon zu den Pflichtdelikten oben 21/115 ff). Ist die eigene Pflicht beschränkt, so hat das nicht nur eine Verkleinerung des Umfangs täterschaftlicher H a f t u n g zur Folge, vielmehr muß bei einer H a f t u n g f ü r Teilnahme § 28 Abs. 1 StGB angewendet werden. Beispiel: Belügen zwei f ü r getrennte Beweisthemen zuständige Zeugen verabredungsgemäß beide das Gericht, so bleibt es bezüglich der Aussage des jeweils anderen nicht nur bei Teilnahme, sondern insoweit fehlt dem Teilnehmer auch die Sonderpflicht des Aussagenden (wenn man die Aussagepflicht überhaupt als Sonderpflicht behandelt, was streitig ist). Es gibt keinen Fall, in dem einem Beteiligten die Sonderpflicht eines anderen Beteiligten nicht fehlt. Für die überwiegende Ansicht, die auch besondere persönliche Merkmale subjektiver Art anerkennt, ergeben sich unlösbare Schwierigkeiten: Da ein subjektives Merkmal per Definition Merkmal einer bestimmten Person und nicht einer anderen Person ist 3 4 , müßte der nicht täterschaftlich Beteiligte auch im Fall eigener subjektiver Qualifizierung in den Genuß der Strafmilderung nach §28 Abs. 1 StGB kommen: Seine Psyche ist nun einmal nicht diejenige des Täters. Die überwiegende Lehre umgeht diese Konsequenz, indem sie eine gegenseitige Substitution der Merkmale zuläßt. 32

3. Für voll akzessorische, strafbarkeitsbegründende Merkmale (etwa die Erfolgsverursachung bei einem Delikt, dessen Versuch straffrei ist) haftet jeder Beteiligte nach allgemeinen Regeln.

B. Strafbarkeitsmodifizierende Merkmale 33

1. Strafmildernde oder strafausschließende besondere persönliche Merkmale gibt es nach der hier vertretenen Lösung nicht 3 4 a . Es gibt aber strafmildernde oder strafausschließende höchstpersönliche Merkmale; sie wirken nach hiesiger Lösung schon auf Grund allgemeiner Prinzipien nur individuell. Das Ergebnis deckt sich mit der — hier abgelehnten — Anwendung von § 28 Abs. 2 StGB. Für höchstpersönliche Merkmale paßt diese Vorschrift; nur die in der Konsequenz dann notwendige Anwendung von § 28 Abs. 1 StGB bei strafbarkeitsbegründenden Merkmalen würde zu ungerechtfertigten Belastungen führen.

34

2. Strafschärfende besondere persönliche Merkmale (da Eigenhändigkeit praktisch ausscheidet, bleiben die Sonderpflichten) wirken über § 28 Abs. 2 StGB wie die höchstpersönlichen Merkmale: Der Nichtqualifizierte wird aus dem Grunddelikt bestraft, und zwar je nach Beteiligung als Täter (Mittäter) oder Teilnehmer. — Das ist besonders für diejenigen Fälle, in denen dem Nichtqualifizierten an dem Zusammenwirken gerade mit einem qualifizierten Täter gelegen ist, eine unbefriedigende Regelung; denn die Förderung des Sonderdeliktsanteils durch den nicht Sonderpflichtigen wird nicht erfaßt. Deshalb wird vorgeschlagen, § 28 Abs. 2 StGB beim Sonderdelikt nur als Regelung des anzuwendenden Strafrahmens, nicht aber der f ü r den Schuldspruch maßgeblichen Vorschrift zu verstehen 3 5 , zumindest jedoch bei der Strafzumessung die Beteiligung am Sonderdeliktsanteil zu berücksichtigen 3 6 . — Da das Gesetz immerhin auch 34

O h n e P r o b l e m b e w u ß t s e i n B G H 23 S. 39 f ; hierzu kritisch u n d g r u n d l e g e n d Arzt J Z 1973 S. 681 f f ; den. B T Bd. I R d n . 96 ff.

34a

D a z u , d a ß es eine R e g e l u n g f ü r straf ausschließende M e r k m a l e neben d e r in § 28 Abs. 1 S t G B g e t r o f f e n e n R e g e l u n g f ü r straf begründende nicht geben d a r f , siehe s c h o n o b e n 2 3 / 2 (zu 3.). 35 Cortes Rosa Z S t W 90 S. 413 ff, 427 ff, 431 f f ;

690

36

Stein Beteiligungsformenlehre S. 41 f f ; d i f f e r e n z i e r e n d Wagner A m t s v e r b r e c h e n S. 398 f f ; kritisch d a z u SK-Samson § 2 8 R d n . 6 b ; Grünwald Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 555 ff, 565 f. LK-Roxin § 28 R d n . 59; Schönke-Schröder-Cramer § 28 R d n . 30.

Gemeinsame Regeln

24. Abschn

straf ausschließende U m s t ä n d e in der identischen Vorschrift, § 28 Abs. 2 StGB, nennt, und bei Strafausschluß w e d e r v o n einem verbleibenden Schuldspruch n o c h v o n Strafz u m e s s u n g die Rede sein kann, ist die in jeder H i n s i c h t höchstpersönliche W i r k u n g im Gesetz deutlich angeordnet w o r d e n ; deshalb verbieten Art. 103 Abs. 2 G G , § 1 S t G B K o r r e k t u r e n 3 7 , obgleich diese angebracht wären. § 28 Abs. 2 StGB bringt also bei beschränkt persönlichen Merkmalen demjenigen, der sie nicht aufweist, einen Vorteil, der nach dem System der Zurechnung nicht angebracht ist. 3. Für voll akzessorische, modifizierende Merkmale, insbesondere qualifizierende 35 Begehungsweisen (gemeingefährliches Mittel bei § 2 1 1 StGB, gefährliches W e r k z e u g bei § 223 a StGB) haftet jeder Beteiligte nach allgemeinen Regeln.

24. A B S C H N I T T

Gemeinsame Regeln für Täterschaft und Teilnahme Literatur L. v. Bar Gesetz und Schuld im Strafrecht, Bd. 2 1907; W. Beulke Die Strafbarkeit des Verteidigers, 1989; R. Bloy Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985; P. Bockelmann Die Problematik der Beteiligung an vermeintlich rechtswidrigen Taten, GallasFestschrift S. 261 ff; W. Bottke Wahrheitspflicht des Verteidigers, ZStW 96 S. 726 ff; P. Cramer Gedanken zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme, Bockelmann-Festschrift S. 389 ff; H. Dubs Ist fahrlässige Mitwirkung bei einem Vorsatzdelikt strafbar, in : Mélanges Robert Patry, (Lausanne) 1988; U. Ebert Verbrechenskämpfung durch Opferbestrafung? JZ 1983 S. 633 ff; B. Freudentbai Die nothwendige Teilnahme am Verbrechen, 1901 ; W. Frisch Vorsatz und Risiko, 1983; den. Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolgs, 1988; Κ. H. Gössel Probleme notwendiger Teilnahme bei Betrug, Steuerhinterziehung und Subventionsbetrug, wistra 1985 S. 125 ff; R. D. Herzberg Täterschaft und Teilnahme, 1977; ¿eri. Anstiftung zur unbestimmten Haupttat — BGHSt 34, 63, JuS 1987 S. 617 ff; G. Jakobs Regreßverbot beim Erfolgsdelikt, ZStW 89 S. 1 ff; H. Kamps Arztliche Arbeitsteilung und strafrechtliches Fahrlässigkeitsdelikt, 1981; Armin Kaufmann Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, 1959; R. Keller Rechtliche Grenzen der Provokation von Straftaten, 1989; D. Kratzsch Aufgaben- und Risikoverteilung als Kriterien der Zurechnung im Strafrecht, Oehler-Festschrift S. 65 ff; G. Küpper Strafvereitelung und sozialadäquate Handlungen, GA 1987, S. 385 ff; E.-J. Lampe Täterschaft bei fahrlässiger Straftat, ZStW 71 S. 579 ff; R. Lange Die notwendige wald Literaturbericht, ZStW 93 S. 864 ff; J. Mallison Rechtsauskunft als strafbare Teilnahme, 1979; L. Meyer-Arndt Beihilfe durch neutrale Handlungen? wistra 1989 S. 281 ff; W. NauckeÜber das Regreßverbot im Strafrecht, ZStW 76 S. 409 ff; H. Otto Kausaldiagnose und Erfolgszurechnung im Strafrecht, Maurach-Festschrift S. 91 ff; ders. Vorangegangenes Tun als Grundlage strafrechtlicher Haftung, N J W 1974 S. 528 ff; ders. Straflose Teilnahme? Lange-Festschrift S. 197 ff; C. Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, 5. Auflage 1989; ders. Gedanken zur Problematik der Zurechnung im Strafrecht, Honig-Festschrift S. 133 ff; ders. Zum Schutzzweck der N o r m bei fahrlässigen Delikten, Gallas-Festschrift S. 241 ff; ders. Bemerkungen zum Regreßverbot, Tröndle-Festschrift S. 177 ff; H.-J. Rudolphi Die Gleichstellungsproblematik der unechten Unterlassungsdelikte und der Gedanke der Ingerenz, 1966; F.-C. Schroeder Der Täter hinter dem Täter, 1965; H. Schumann Strafrechtliches Handlungsunrecht und das Prinzip der Selbstverantwortung der Anderen, 1986; G. Stratenwerth Arbeitsteilung und ärztliche Sorgfaltspflicht, Eb. Schmidt-Festschrift S. 383 ff; W. Stree Beteili-

37

Gründwald Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 555 ff, 566.

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24. Abschn

2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

gung an vorsätzlicher Selbstgefährdung - B G H S t . 32, 262 und B G H N S t Z 1984, 452, JuS 1985 S. 179 ff; S. Wehrle Fahrlässige Beteiligung am Vorsatzdelikt — Regreßverbot? 1986; J. Welp Vorangegangenes Tun als Grundlage einer Handlungsäquivalenz der Unterlassung, 1968; H. Welzel Buchbesprechung, ZStW 61 S. 209 ff; /. Wolter N o t w e n d i g e Teilnahme und straflose Beteiligung, JuS 1982 S. 343 ff.

I. Die Verwirklichung des Risikos der vorsätzlichen Beteiligung, insbesondere : Der Irrtum über die Beteiligtenrolle 1

A l . A u c h bei der psychischen V e r m i t t l u n g der Kausalität d u r c h Beteiligung m u ß sich das v o m Beteiligten geschaffene, u n e r l a u b t e Risiko verwirklichen, w e n n der E r f o l g z u r e c h e n b a r sein soll. N o t w e n d i g e Bedingung f ü r das U n e r l a u b t e eines Riskos ist eine Erfolgswahrscheinlichkeit, die das allgemeine Lebensrisiko übersteigt. Beispiel: W e r eine f r e m d e P e r s o n auf der Straße unvermittelt mit der A u f f o r d e r u n g angeht, eine bestimmte dritte P e r s o n zu e r m o r d e n , s c h a f f t kein u n e r l a u b t riskantes Anstiftungsrisiko u n d h a f t e t nicht wegen Anstiftung z u m M o r d , w e n n der extrem u n g e w ö h n l i c h e Fall eintritt, d a ß die P e r s o n d e r A u f f o r d e r u n g n a c h k o m m t . Die P r o b l e m a t i k überschreitet den Bereich des K u r i o s e n (obgleich die praktische B e d e u t u n g minimal bleibt), w e n n sich anläßlich eines vorsätzlich g e s c h a f f e n e n , unerlaubten Risikos o d e r z u s a m m e n mit einem solchen Risiko ein nicht gesehenes u n d also v o m V o r s a t z nicht u m f a ß t e s Risiko verwirklicht. Beispiel: Ein Bandenmitglied f o r d e r t ein anderes Mitglied auf, bei einem Delikt m i t z u m a c h e n , w o b e i der A u f f o r d e r n d e nicht weiß, d a ß d e m A u f g e f o r d e r t e n vom Bandenchef schwerste Repressalien f ü r den Fall a n g e d r o h t w o r d e n sind, d a ß er sich solchen A u f f o r d e r u n g e n widersetzt. In Fällen dieser Art m u ß bestimmt w e r d e n , ob sich das v o m Beteiligten g e s c h a f f e n e u n d gesehene unerlaubte Risiko allein o d e r zumindest z u s a m m e n mit einem a n d e r e n Risiko verwirklicht hat o d e r einzig ein nicht gesehenes Risiko; im letzteren Fall scheidet mit dem V o r s a t z jede vollendete Beteiligung aus.

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2 a) Die P r o b l e m a t i k firmiert üblicherweise unter der Bezeichnung des I r r t u m s über die Beteiligtenrolle. Diese Bezeichnung t r i f f t freilich n u r einen Ausschnitt: A u c h innerhalb einer Beteiligtenrolle mag ein Beteiligter über das sich verwirklichende Risiko i r r e n ; d e n n f ü r den Anstifter ist der I r r t u m ü b e r das Motiv des Beeinflußten ein I r r t u m über den Kausalverlauf. Beispiel: D e r Beteiligte will einen T ä t e r mit dem V e r s p r e c h e n einer B e l o h n u n g a n w e r b e n ; der Ausersehene sagt aus H a ß gegen das O p f e r z u ; die B e l o h n u n g lehnt er a b ; — vollendete (vorsätzliche) A n s t i f t u n g ?

3

b) Z u r L ö s u n g gelten die z u r V e r w i r k l i c h u n g eines vorsätzlich geschaffenen Risikos schon o b e n (8/64 ff) mitgeteilten Regeln. D a n a c h k o m m t es nicht auf die Vorstellung des Beteiligten davon an, wie sich ein Risiko verwirklichen werde, s o n d e r n auf die E r f a h r u n g s t r a d i t i o n bezüglich des Risikos, das er vorsätzlich schafft. Besonders im Bereich psychisch vermittelter Kausalität sind laienhafte Vorstellungen v o n W i r k u n g s mechanismen regelmäßig n u r Spekulationen. O b beispielsweise bei einer Anstiftung die H o f f n u n g auf einen Beuteanteil oder der G r u p p e n z w a n g o d e r der Reiz des Riskanten o. ä. den Adressaten d a z u bewegt, einen V o r s a t z zu fassen, läßt sich mit laienhaften Mitteln ü b e r h a u p t nicht u n d selbst von psychologischen Experten h ä u f i g nicht, z u m a l nicht ex p o s t im G e r i c h t s v e r f a h r e n , demonstrieren. Deshalb k a n n es z u r Risikoverwirklichung nicht darauf a n k o m m e n , ob der Beteiligte den einen Aspekt als vermeintlich wichtig herausstreicht u n d den a n d e r e n vernachlässigt; entscheidend ist vielmehr, ob der Verlauf ü b e r h a u p t n o c h im S p e k t r u m der E r f a h r u n g s t r a d i t i o n liegt. Die Z u s a m m e n f a s s u n g aller Wirkungsmöglichkeiten zu einem Risikobündel ist n u r innerhalb der praktisch v o r k o m m e n d e n Streubreite des v o m Beteiligten e r k a n n t e n 692

Gemeinsame Regeln

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Risikos möglich. Dieser durch die Erfahrungstradition gestiftete Konnex mehrerer Möglichkeiten führt zwar zur Bildung von Beeinflussungstypen, schaltet aber nicht schlechthin alle Beeinflussungen gleich. Kraß: Daß eine mit Todesdrohungen zur T a t gezwungene Person den Drohungen nicht glaubt, aber die „Anregung" aufnimmt und die Tat doch vollzieht, liegt nicht mehr innerhalb der Erfahrungstradition. Insbesondere dürfte die Beeinflussung nicht verantwortlich handelnder Personen regelmäßig ein anderer Beeinflussungstyp sein als diejenige verantwortlich handelnder Personen. Diese Entscheidung ist freilich bei Fehlvorstellungen über den Grenzbereich von Verantwortlichkeit zweifelhaft. Sie gilt aber jedenfalls ohne Blick darauf, ob der Beeinflussende f ü r den Defekt zuständig ist; der Irrtum mag also die Beteiligtenrolle (mittelbare Täterschaft oder akzessorische Beteiligung) überhaupt nicht betreffen. c) Folgende Irrtumsformen sind möglich : 4 aa) Der Beteiligte überschätzt die Verantwortlichkeit des Beeinflußten1 : Zu dieser Irrtumsform gehören insbesondere die Fälle, in denen der Beteiligte verkennt, daß die objektiven Voraussetzungen mittelbarer Täterschaft vorliegen. Das gesehene Risiko, nicht mit anderen Personen zusammen deliktisch zu handeln (als Mittäter oder Teilnehmer), ist von dem Risiko unabhängig, einen anderen nicht als Werkzeug einzusetzen (als mittelbarer Täter) : Teilnahme und Mittäterschaft sind nicht deshalb verboten, weil erfahrungsgemäß andere Beteiligte unbemerkt zu Werkzeugen degradiert werden könnten. Das Vorhandensein eines nicht gesehenen Risikos läßt freilich nicht schon den Schluß zu, allein dieses und nicht (auch) das gesehene Risiko habe sich verwirklicht. Vielmehr dürften die meisten Fälle so liegen, daß beide Risiken zur Erklärung des konkreten Verlaufs notwendig sind. Beispiel: Der nachdrücklich von einem Beteiligten angeworbene Mittäter entpuppt sich später als geisteskrank; — kann wegen der Geisteskrankheit des Angeworbenen die Beeinflussung ohne Auswirkung auf die konkrete Tatbestandsverwirklichung so reduziert gedacht werden, daß der Beteiligte in ihr keinen riskanten Anwerbeversuch mehr gesehen hätte (wirkte etwa schon die bloße Aufforderung ohne Blick auf die Quelle, die Begleitumstände etc. motivierend), so hat sich das gesehene Anstiftungsrisiko nicht verwirklicht (Folge: Anstiftungsversuch), ansonsten — was der Regelfall sein dürfte — wohl (Folge: vollendete Anstiftung zur T a t ; — eingehend oben zum Vorsatz 8/70). Nach geltendem Recht scheidet vollendete Teilnahme natürlich aus, wenn das nicht erkannte Verantwortungsdefizit des ausersehenen Haupttäters aus dessen Unvorsätzlichkeit resultiert. Beispiel : Der vermeintliche Gehilfe geht irrig davon aus, der Ausführende wisse um die Tatbestandsverwirklichung; — (stets straffreie) versuchte Beihilfe, gegebenenfalls fahrlässige Täterschaft. bb) Der Beteiligte unterschätzt die Verantwortlichkeit des Beeinflußten: Es geht 5 insbesondere um Fälle, in denen der Beeinflussende irrig meint, die Voraussetzungen mittelbarer Täterschaft seien gegeben. Das gesehene Risiko der Unterwerfung einer anderen Person ist von dem Risiko gemeinsamen Agierens unterschieden: Es ist nicht 1 Zum Irrtum über den Vorsatz des Ausführenden entspricht das hier entwickelte Ergebnis überwiegender Ansicht; Roxin Täterschaft S. 555 ff; Frisch Verhalten S. 626 ff; SK-Samson Rdn. 26 vor § 26; Stratenwerth AT Rdn. 963; ausführlich Bockelmann Gallas-Festschrift S. 261 ff, 264 ff mit Nachweisen, dort auch zu § 32 E 1962. — Zum Irrtum, der den Vorsatz des Ausführenden

unberührt läßt, wird das Problem der Risikoverwirklichung regelmäßig vernachlässigt; siehe Roxin Täterschaft S. 261 f f ; Cramer BockelmannFestschrift S. 389 ff, 399 f; Frisch Verhalten S. 624 f f ; /escheck A T § 62 III 1 mit Nachweisen. — Überhaupt abweichend natürlich die subjektive Theorie, siehe Baumann-Weber AT § 37 I 2 aß.

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deshalb verboten, andere Menschen als Werkzeug einzusetzen, weil erfahrungsgemäß diese auch sua sponte mitmachen könnten. Wird nicht einmal der Vorsatz des Ausführenden vorsätzlich hervorgerufen, so dürften kaum Fälle denkbar sein, in denen das erkannte Risiko (unvorsätzlicher T ä t e r ) mit dem verwirklichten Risiko (vorsätzlicher Täter) einen einzigen Beeinflussungstyp bildet; denn üblicherweise stellt ein T ä t e r bei seinen Entschlüssen darauf ab, ob ihre Durchführung einen Deliktstatbestand verwirklicht (oder nicht). Bekannt ist das Beispiel von zwei Jägern, deren einer dem anderen sein Gewehr mit der erfolgreichen Aufforderung reicht, auf eine Gestalt zu schießen, die er zutreffend als Mensch identifiziert, aber dem anderen als Wild bezeichnet; der andere durchschaut die Lüge; — versuchte T ö t u n g in mittelbarer Täterschaft. — Eine verbreitete Ansicht nimmt Teilnahme zur vollendeten T a t (je nach Fallgestaltung müßte auch Mittäterschaft in Frage kommen) als angebliches Minus zur versuchten mittelbaren Täterschaft a n 2 , was jedoch verfehlt ist, da die Formen der Beteiligung bei dieser Lösung ohne Blick auf das jeweils unterschiedliche Risiko nivelliert werden 3 . Aber auch wenn der Beeinflussende beim Ausführenden vorsätzlich einen Deliktsvorsatz erregt, dürfte das sich verwirklichende Risiko der Beeinflussung eines Verantwortlichen jedenfalls dann nicht zum gesehenen Risikotyp gehören, wenn der Ausführende gerade wegen des irrig vermuteten Defekts ausgewählt wird (Beispiel : D e r Anstifter sucht sich einen vermeintlich Geistesschwachen als T ä t e r aus) oder wenn der Defekt erregt werden soll, um damit eine Tatgeneigtheit zu schaffen (Beispiel: D e r Ausführende soll in Trunkenheit oder in den Zustand des Nötigungsnotstands versetzt werden). § 2 9 S t G B regelt die Schuld bei gegebener Beteiligung, besagt aber nichts über die Verwirklichung des Beteiligungsrisikos beim Irrtum über die Schuld. W e n n der Beeinflussende den Defekt für sein Vorhaben als irrelevant beurteilt, so wie beim Irrtum über den Grenzbereich der Schuldlosigkeit erkennt er den Risikotyp, der auch die Beeinflussung nicht verantwortlicher Personen umfaßt. Beispiele: D e r Beteiligte hat bei der Planung bedacht, daß der Beeinflußte an einer Psychose leiden könnte, ohne aber daraus Konsequenzen für die Art der Beeinflussung zu ziehen; bei der Durchführung denkt er nicht mehr daran. — D e r Beeinflußte ist entgegen den Erwartungen des Anstifters nicht schuldunfähig, sondern nur vermindert schuldfähig. 6

3. D e r Beteiligte kennt seine Rolle und irrt nur über Einzelheiten des Verlaufs, wenn die anderen Beteiligten ihre Beiträge nur anders aufteilen, als der Beteiligte angenommen hat. Das gesehene Risiko der Beteiligung verwirklicht sich in solchen Fällen trotz des Irrtums, wenn die anderen Beteiligten einen Beitrag in das strafbare Stadium (mindestens Versuch) fortführen, d. h. der Beitrag kausal wird, mag die Fortführung durch die anderen Beteiligten auch den ursprünglichen Plan variieren. W e r nicht als letzter handelt, handelt stets auf das Risiko hin, daß die Nachfolgenden ihre Planung veränderten Umständen oder verbesserter Erkenntnis anpassen müssen.

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A. Bei einigen Delikten wird der Tatbestand nur verwirklicht, wenn mehrere Personen einen Erfolg mit vereinten Kräften anstreben. Die erhöhte Dynamik vereinter Kräfte begründet oder qualifiziert deliktisches Verhalten gegenüber anderen : Gefangenenmeuterei ( § 1 2 1 S t G B ) , schwerer Hausfriedensbruch (§ 124 S t G B ) , Bandendieb-

II. Die sogenannte notwendige Teilnahme (die Beteiligung ohne Haftung)

2 Jescheck ΑΎ%(>2 III 1 ; ÄoxinTäterschaftS.271 ff; Schmidhäuser AT 14/54; Stratenwerth AT Rdn. 959.

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3

Zutreffend kritisch SK-Samson §25 Rdn. 38; Herzberg Täterschaft S. 45; Maurach-Gössel AT II § 50 Rdn. 61.

Gemeinsame Regeln

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stahl (§ 244 Abs. 1 N r . 3 StGB). Bei diesen sogenannten Konvergenzdelikten4 haften alle tatbestandlich Beteiligten miteinander wegen der Erfüllung des Tatbestands. Anstiftung und Beihilfe zu diesen Handlungen sind nach allgemeinen Regeln möglich. B. Bei den sogenannten Begegnungsdelikten5 sind mehrere Versionen zu unterschei- 8 den: 1. Bei einigen Delikten ermöglicht erst die Interaktion mehrerer Personen verschiedener sozialer Stärke ein deliktisches Verhalten gegenüber dem unterlegenen Beteiligten. Auch soweit die Beteiligung des unterlegenen Opfers die Voraussetzungen der Anstiftung oder Beihilfe erfüllt, bleibt das Opfer straffrei, da es zum Unrecht einer Fremdverletzung nichts beitragen kann. Beispiele: Die meisten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, §§ 174 ff StGB, Kindesentziehung, § 235 StGB, Entführung mit Willen, § 236 StGB. Auch Delikte, die nur mittelbar (über öffentliche Güter) dem Schutz der Einzelperson dienen, sind nach den genannten Regeln zu behandeln. Beispiele sind Förderung der Prostitution, § 180 aStGB^, und Wucher, § 302 a StGB 7 . Das — unmittelbar oder mittelbar geschützte — O p f e r kann immerhin Beiträge anderer Personen vermitteln, d. h. Einwirkungen Dritter auf das O p f e r sind wegen dessen Unterlegenheit (also anders als sonst bei der Mitwirkung zur Selbstverletzung) Beihilfe zugunsten des Täters und somit strafbare Beihilfe der dritten Personen. Beispiel: Der Rat an die 15-jährige Schülerin zum Geschlechtsverkehr mit dem Lehrer ist bei Erfolg Beihilfe zu sexuellem Mißbrauch, §§ 27,174 Abs. 1 N r . 1,28 StGB. 2. Soweit die Beteiligten gleichrangig sind, sind wiederum mehrere, insgesamt noch 9 nicht abschließend geklärte Varianten zu unterscheiden. a) Wenn es um das Verbot der Fremdverletzung trotz Mitwirkung des Verletzten geht (Beispiele: § 223 StGB bei unwirksamer, aber nicht wegen Unterlegenheit unwirksamer Einwilligung, § 226 a StGB; — T ö t u n g auf Verlangen, § 216 StGB), kann das beteiligte Opfer zu dieser Fremdverletzung wiederum nichts beitragen und bleibt straff r e i 8 ; straffrei bleibt aber auch ein Dritter, der auf das Opfer einwirkt; mangels dessen Unterlegenheit fördert die Einwirkung eine Selbstverletzung. Beispiel : Der erfolgreiche Rat an einen Lebensmüden, von einem Dritten die T ö t u n g zu verlangen, ist straffrei; siehe oben 21/57 ff. b) Soweit f ü r alle Beteiligten eine bestimmte Art von Interaktion strafbar ist (Bei- 10 spiel: Beischlaf zwischen Verwandten, § 173 StGB), gelten die allgemeinen Regeln; insbesondere ist Teilnahme dritter Personen an dem Verhalten aller Beteiligten möglich. c) Soweit Teilnahme zu einem Delikt tatbestandlich abschließend vertypt ist, würde 11 durch Anwendung der Regeln des A T die Grenze der lex specialis unterlaufen. So darf etwa die Inkongruenz von Vorteilsannahme und Bestechlichkeit (ζ. B. keine Soldaten als Täter) gegenüber Vorteilsgewährung und Bestechung nicht durch eine nach den Regeln des A T begründete Beteiligung an der T a t der Gegenseite harmonisiert werden (zu §§331 ff StGB). — Ebenso muß die Beihilfe zu den in § 3 0 StGB genannten Seit FreudenthalOie nothwendige Theilnahme am Verbrechen S. 1, 122. Grundlegende Literatur außer den nachfolgend noch Genannten: Lange Die notwendige Teilnähme; Lange unternimmt den Versuch, die Straflosigkeit aus dem „Wesen" von Täterschaft und Teilnahme abzuleiten (aaO S. 63 f f ) ; hiergegen Welze! ZStW 61 S. 209 ff, 212; siehe ferner

6 7 8

noch Ebert J Z 1983 S. 633 ff, 641 f. — Zu Betrug und Steuerhinterziehung als Begegnungsdelikte siehe oben 21/15 und Gösselwistra 1985 S. 125 ff. Streitig; siehe Jescheck A T § 64 VI 2 c Fn. 75. Hierzu RG 18 S. 273 ff, 281. Wolter JuS 1982 S. 343 ff, 345; — differenzierend Otto Lange-Festschrift S. 197 ff, 212 f.

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Vorbereitungshandlungen straffrei bleiben, solange die Tat nicht über das in § 30 StGB bezeichnete Stadium hinaus gedeiht. — Förderung der Prostitution, § 180 a StGB, vertypt nicht die Beteiligung an verbotener Prostitution; Beihilfe zu einer Tat nach § 184 a StGB ist also nach allgemeinen Regeln möglich 9 . 12

d) Schließlich können in zahlreichen Fällen bestimmte Personen aus diversen Gründen nicht Täter eines Delikts sein; wenn der Grund, der täterschaftliche Haftung ausschließt, auch für Haftung bei Teilnahme gilt, so ist auch diese Teilnahme straffrei. Dies gilt insbesondere für die Fälle selbstbegünstigenden Verhaltens : Entweichen bei Gefangenenbefreiung nach § 120 StGB und Akzeptation einer Begünstigung oder Strafvereitelung nach §§ 257 ff StGB. Ob gegenüber dem Begünstigten überhaupt keine normative Garantie besteht 1 0 oder eine entschuldigungsähnliche Lage anzunehmen ist 1 1 , ist streitig und angesichts einer widersprüchlichen Gesetzesregelung (§ 257 Abs. 3 Satz 2 StGB gegen § 258 Abs. 5 StGB) auch nicht klar zu entscheiden. Jedenfalls dürfte auch eine Überschreitung der Mindestrolle (etwa durch Anstiftung des Täters), von den Fällen des § 257 Abs. 3 Satz 2 StGB abgesehen, straffrei bleiben 1 2 (Umkehrschluß aus der genannten Vorschrift). — Für konkurrierende Delikte ist jedoch zu haften; Beispiel : Anstiftung durch den Vortäter zum — begünstigenden — Meineid ist strafbar, §§ 26,154 Abs. 1,28 Abs. 1 StGB. Einen allgemein gültigen Satz des Inhalts, daß die Einhaltung einer Mindestrolle vor Strafe bewahre, gibt es jedoch nicht. Der Gläubiger bei der Gläubigerbegünstigung, § 283 c StGB, oder die Partei beim Parteiverrat, § 356 StGB, sind also allenfalls in allgemeinen Ausnahmefällen (etwa Vorsatzlosigkeit oder Regreßverbot) von Haftung frei, haben aber in der Regel zu haften 1 3 .

III. Das Regreßverbot (die scheinbare Beteiligung) A. Der Meinungsstand 13

1. Es gibt einen Bereich vorsätzlicher oder fahrlässiger Mitwirkung an objektiv tatbestandserfüllendem Verhalten anderer Personen ohne Haftung für diese „Beteiligung" im weiteren Sinn. Dieser Bereich ist dadurch ausgezeichnet, daß der „Beteiligte" einen Beitrag leistet, der für sich harmlos und alltäglich ist und nur durch die Verwirklichung von Plänen anderer Personen in einen schädigenden Verlauf umgebogen wird. Realistisches Beispiel: Jemand zahlt pflichtgemäß seine Schuld an seinen Gläubiger, wissend, daß der Gläubiger mit dem Geld Mittel zu einem Delikt beschaffen wird; — Beihilfe? — Kurioses Beispiel: Ein Naturfreund züchtet Blumen, obgleich er weiß, daß sein Nachbar, notorischer Heiratsschwindler, gerade diese Blumen stehlen und als Präsent zu einer Betrügerei verwenden wird, was auch geschieht; — Haftung wegen Beihilfe zum Betrug? — Es geht also um die Trennung von einerseits eigener Deliktsbeteiligung und andererseits Schaffen einer Lage, in der «»¿ere einen Tatbestand erfüllen.

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2. Für einzelne Fallgruppen wird die Haftungsfreiheit mit heterogenen Begründungen anerkannt 1 4 . 9 10 11 12

BayObLG NJW 1981 S. 2766 ff, 2767 f. LK-Roxin Rdn. 34 vor § 26. Stratenwerth AT Rdn. 950. Zum alten Recht entschied die Rechtsprechung für Strafbarkeit; BGH 17 S. 236 ff mit Nachweisen. 13 Herzberg Täterschaft S. 139; anders wohl die überwiegende Ansicht; Jescheck AT § 64 VI 2 c; LK-Roxin Rdn. 32 vor § 2 6 ; die von Roxin gegebene Begründung, bei Begegnungsdelikten müsse eine Haftung heider Seiten ausdrücklich

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angeordnet werden, ist ein Zirkel und als genereller Satz auch nicht durchzuhalten (etwa bei der Untreue, § 266 StGB). Zum folgenden Text siehe Jakobs ZStW 89 S. 1 ff mit Nachweisen; Frisch Verhalten S. 230 ff; Schumann Handlungsunrecht S. 59 ff, 69 ff und passim, insbesondere dort S. 59 f, 64 zu v.Bar (Gesetz und Schuld S. 750, 761 ff); Bloy Beteiligungsform S. 126 ff; Keller Grenzen S. 252 ff.

Gemeinsame Regeln

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a) Ohne Blick auf Beteiligung oder unmittelbares Bewirken soll ein sozialadäquates Verhalten nicht zur H a f t u n g f ü h r e n 1 5 . — Diese Lösung verschiebt das Problem in einen allzu unbestimmten Begriff: Was trotz der dichten Möglichkeit einer Schadensfolge sozialadäquat ist, bleibt offen. b) Nach der Lehre vom Regreßverbot im älteren Sinn soll die fahrlässige Mitwirkung an einer vorsätzlichen und schuldhaften T a t haftungsfrei sein; man spricht von einer Unterbrechung des Kausalzusammenhangs, der im alten Schrifttum stärker als in der neueren Dogmatik als Zurechnungszusammenhang verstanden wird 1 6 . Diese Lösung bringt — umgekehrt zu der zuvor genannten Lösung — zwar mit der VorsatzFahrlässigkeits-Grenze einen bestimmten, aber nicht sachadäquaten Begriff; denn V o r satz kann auch eine Folge von besonderer Aufmerksamkeit sein und Fahrlässigkeit eine Folge von Gleichgültigkeit den Tatsachen gegenüber. D a ß beim Zusammenwirken mehrerer Personen der Aufmerksame stets, der Nicht-Aufmerksame aber nie haften soll, läßt sich nicht begründen. Insbesondere ist völlig unbegründbar, wieso allseitige Fahrlässigkeit dann wieder zu allseitiger H a f t u n g führen soll. c) Haftungsfreiheit trotz vermeidbarer Kausalität findet sich weiterhin beim Vertrauensgrundsatz 1 7 (auf die Korrektheit fremden Verhaltens darf vertraut werden, auch wenn die Fehlerhaftigkeit voraussehbar ist) sowie bei einigen Fällen der N o r m zwecklehre 18 (nicht jeder Aufwand zur Rettung von Gütern aus Gefahr ist demjenigen zuzurechnen, der die Güter in Gefahr gebracht hat).

B. Die Begründung des Regreßverbots, Fallgruppen 1. Die genannten isolierten Aspekte sind, so strafrechtliche Zurechnung systema- 15 tisch erfolgen soll, zu einer allgemeinen Lehre zu vereinigen. Wie bei Unterlassungsdelikten nicht die Abwendbarkeit des Erfolgs zur Zurechnung des Erfolgseintritts als Unrecht hinreicht, sondern eine Zuständigkeit des Abwendungsfähigen hinzukommen muß, so muß auch bei der Begehung zur (vermeidbaren) Kausalität eine Zuständigkeit für die Folgen hinzutreten, die zwar — anders als im Unterlassungsbereich — praktisch in der Regel gegeben ist, aber eben doch nicht stets. Hierbei zeigt eine positive Beschreibung der Zuständigkeit Parallelen zur Beschreibung von Ingerenz und Verkehrspflichten beim Unterlassungsdelikt: Es geht jeweils darum, in welchen Fällen der Urheber eines schädigenden Verlaufs von den Folgen nicht mehr distanziert werden k a n n 1 8 a . 15 Welze! Strafrecht S 10 IV. 16 Frank Strafgesetzbuch3,4 (1903) S. 16; den. a a O l S (1931) S. 14 f; in neuerer Zeit eingehend Naucke ZStW 76 S. 432 ff mit Nachweisen; Wehrte Beteiligung S. 63 ff, der mit dem Verantwortungsgefälle zwischen schuldhafter (S. 87) Vorsatztat und Fahrlässigkeitstat argumentiert, S. 83 f; Stratenwerth A T Rdn. 1162 ff (Regreßverbot bei Vorsatz nicht ausgeschlossen, Rdn. 1165); Dubs Mélanges S. 295 ff, 299 ff (die Erhöhung allgemeiner Schadensneigung soll unerlaubt sein, nicht aber die Schaffung des Risikos speziell einer Vorsatztat); ferner H. Mayer A T § 19 A IV; Lampe ZStW 71 S. 579 ff, 615; Otto Maurach-Festschrift S. 91 ff, 99; siehe auch Kamps Arbeitsteilung S. 138 ff (abwegig freilich die Berücksichtigung der zeitlichen Dauer zwischen Erst- und Zweitursache). — Zur Harmonisierung der Lehre vom Regreßverbot mit den Haftungsprinzipien bei

Unterlassungsdelikten, insbesondere bei Ingerenz, siehe Rudolphi Gleichstellungsproblematik S. 132 ff; Welp Vorangegangenes T u n S. 275 f f ; Otto N J W 1974 S. 528 ff, 533. 17 Siehe oben zum erlaubten Risiko; Stratenwerth Eb. Schmidt-Festschrift S. 383 ff, 392; den. A T Rdn. 1010, 1155; Roxin Tröndle-Festschrift S. 177 ff, 185 ff (dazu auch oben 7/Fn 91). 18 Roxin Honig-Festschrift S. 133 ff, 142 f ; ders. Gallas-Festschrift S. 241 ff, 246 f; Stree JuS 1985 S. 179 ff, 181; Baumann-Weber AT § 17 II 2 d Fn. 19. 18a Ähnlich Kratzsch Oehler-Festschrift S. 65 ff, 72 und passim. Frisch Verhalten S. 230 ff stimmt zwar der hiesigen Lehre weitgehend zu, kritisiert aber den Begründungsgang (Distanzierung oder Trennung von Verantwortungsbereichen, S. 238 f ) ; er argumentiert statt dessen, durch eine Beschränkung der H a f t u n g f ü r „durch Drittverhalten vermittelte Risiken" lasse sich eine

697

24. Abschn

2. B u c h . 4. K a p i t e l . Beteiligung

Eine solche Distanzierung eines „Beteiligten" ist im Bereich des Regreßverbots möglich, wenn sein V e r h a k e n z u r Zeit seines Vollzugs nicht davon abhängt, daß die tatbestandsverwirklichende H a n d l u n g des A u s f ü h r e n d e n ü b e r h a u p t nachfolgt, mit anderen W o r ten, w e n n sein Verhalten auch ohne diese H a n d l u n g des A u s f ü h r e n d e n sinnvoll ist; denn d a n n hat der „Beteiligte" eine Situation geschaffen, die andere Personen z w a r z u r Tatbestandsverwirklichung f o r t f ü h r e n mögen, die aber von ihm selbst einen gerade nicht tatbestandsverwirklichenden Sinn bekommen hat und von der Tatbestandsverwirklichung nicht rückwirkend eingefärbt w e r d e n kann. Die Argumentation ist dieselbe wie zum erlaubten Risiko und z u r I n g e r e n z : D e r „Beteiligte" hat kein Sonderrisiko beansprucht 1 8 1 3 (siehe oben 7/50 f und unten 29/105a). 2. Fallgruppen: 16

a) H a n d e l t ein „Beteiligter" nicht mit dem T ä t e r zusammen, so haftet er nicht f ü r Folgen, die der T ä t e r willkürlich an das H a n d e l n knüpft. Beispiele: D e r Vollzug der D r o h u n g , „ W e n n du weggehst (Tun!), bringe ich jemanden um", f ü h r t nicht z u r H a f t u n g des Weggehenden f ü r Totschlagsteilnahme; das Weggehen hat keinen deliktischen Sinn. — Ein Richter eines Strafprozesses gegen Desperados erfährt von der D r o h u n g , ein Politiker w e r d e ermordet, w e n n er den P r o z e ß weiterführe. E r f ü h r t weiter, ein Politiker wird e r m o r d e t 1 9 . — A u c h das Verteidigungsvorbringen im Straf p r o z e ß gehört in diese Fallgruppe: Sein Sinn erschöpft sich in der Beurteilung der angeklagten T a t ; nehmen dritte Personen das V o r b r i n g e n als Anregung f ü r weitere Taten, so geht das den (Sich-)Verteidigenden nichts a n 2 0 .

17

b) H a n d e l t der „Beteiligte" zusammen mit dem T ä t e r , so scheidet t r o t z d e m eine H a f t u n g in den Fällen aus, in denen der soziale K o n t a k t sich in der (Gegen-)Leistung eines Gegenstands oder in einer I n f o r m a t i o n erschöpft und die Realisierung der ansonsten subjektiv verfolgten Ziele je eigene Sache bleibt. Auch bei gemeinsamem Verhalten ist also nicht zu haften, w e n n das deliktische H a n d e l n nicht gemeinsamer H a n d l u n g s sinn w i r d 2 0 a . D e r reibungslose I n f o r m a t i o n s - und W a r e n a u s t a u s c h zwischen Personen mit höchst unterschiedlichen P r ä f e r e n z e n ist überhaupt n u r bei Isolierung der Zweckverfolgung und damit bei Isolierung des jeweiligen Handlungssinns m ö g l i c h 2 0 b (eben deshalb ist bei § 119 BGB der Motivirrtum irrelevant). Zu dieser Fallgruppe zählen die üblichen Austauschgeschäfte des täglichen Lebens 2 0 c . D e r Bäcker haftet also nicht wegen Totschlagsteilnahme (siehe aber unten 24/20 z u r H a f t u n g aus § 323 c StGB), w e n n er beim Brötchenverkauf weiß, daß der K ä u f e r das P r o d u k t vergiften und sodann seinen Gästen servieren w i r d ; der T a n k w a r t haftet nicht f ü r die erkannten Konsequenzen aus der F a h r t eines Autos mit gefährlich „unerträgliche Einschränkung der Handlungsfreiheit" vermeiden (S. 240 f). Aber das ist eine zu naturalistische Argumentation: Es geht nicht um faktisch mögliche, sondern um zustehende Freiheit; die Grenze zwischen Pflicht und Freiheit läßt sich nicht mit dem Wert der Freiheit ermitteln, da sie diesen Wert erst bestimmt. 18b So insbesondere Frisch Verhalten S. 250 ff; ders. Vorsatz S. 148 f. 19 Analog zu der Entscheidung BGH 7 S. 268 ff, was das Begehen angeht; siehe F.-C. Schroeder Täter hinter dem Täter S. 155 ff. 20 Siehe BGH JZ 1982 S. 430 ff; eingehend Küpper GA 1987 S. 385 ff, 399 ff. 20a B G H 31 S. 202 ff: Die Gründung einer Firma soll auch dann keine Tat nach § 129 StGB sein, wenn

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von den Beteiligten nur deliktische Aktionen der Firma in Aussicht genommen werden. — OLG Köln N J W 1985 S. 572 f: Rechtshilfe soll auch dann zulässig sein, wenn das ersuchende Land die Todesstrafe verhängen kann und vollziehen wird. - B G H StV 1985 S. 279 : Beihilfe zum Besitz von Betäubungsmitteln soll nicht durch bloße Chauffeurleistungen für den Besitzenden begangen werden. Siehe Schumann Handlungsunrecht S. 62 ff und passim; Schönke-Schröder-Lenckner Rdn. 101 ff vor § 13. 20c frisch Verhalten S. 295 ff; insoweit auch Roxin Tröndle-Festschrift S. 177 ff,' 197; teils enger Meyer-Arndt wistra 1989 S. 281 ff.

Gemeinsame Regeln

24. AbSChn

abgefahrenen Reifen, das er betankt hat; der Kreditgeber eines ungebundenen Darlehens haftet nicht f ü r die gegebenenfalls deliktische Verwendung der Valuta; der Taxifahrer haftet nicht für die Straftat des Gastes am Ankunftsort 2 1 oder Abholort 2 2 oder im Fahrzeug 2 3 ; niemand haftet für die Konsequenzen pünktlicher Erfüllung seiner Schulden 2 4 (siehe das Beispiel eingangs) etc. Auch entsprechende Gefälligkeitsgeschäfte ohne rechtliche Verbindlichkeit zählen zu dieser Fallgruppe. Ausschenken von Alkohol privat oder per Bezahlung beim Gastwirt stehen sich also gleich: Für eine nachfolgende Trunkenheitsfahrt müssen Privater wie Wirt nicht haften 2 5 . Weiterer Unterfall ist die Auskunft über eine rechtliche oder tatsächliche Lage 2 6 , insbesondere der wahrheitsgemäße Bericht, der von einem Rettungsplan „abstiftet". Beispiel: Jemand berichtet einem Rettungswilligen und Rettungsfähigen wahrheitsgemäß, der in Todesnot Befindliche sei Angehöriger einer bestimmten extremen Partei. Die Rettung unterbleibt aufgrund dieser Nachricht 2 7 . Dabei kommt es nicht darauf an, ob der „Beteiligte" böse Absichten hegt, sondern es kommt auf den sozialen Sinn der Kommunikation an. Ebenso verhält es sich bei bloßen Berichten oder Meinungskundgaben, die der Täter zum Anlaß nimmt, sich zu einer Tat zu motivieren 2 7 a . Beispiel 27b : Ein Landwirt äußert in einer Gastwirtschaft, seinem Nachbarn sei finanziell nur noch durch einen Scheunenbrand aufzuhelfen; einer der Zuhörer schreitet alsbald zur Tat. — Auch bei der Mitteilung von Trivialitäten ist es Sache des Adressaten, ob er sie als Baustein deliktischen Verhaltens verwendet. Beispiel 27c : Wer auf die Frage, wie einer Geldverlegenheit abzuhelfen sei, anwortet, in solchen Fällen könne man sein Auto verkaufen oder einen Überfall auf eine Bank oder eine Tankstelle organisieren, hat kein unerlaubtes Risiko geschaffen. — Siehe auch zum Sonderwissen oben 7/50 a. c) Handelt der Beteiligte mit dem Täter zusammen und wird das Verhalten des 18 Beteiligten dadurch definiert, daß der Täter eine bestimmte Handlung, eben die deliktische Handlung, vollziehen kann, so haftet er wegen Deliktsbeteiligung 27 ''. Hier geht es um die Normalfälle von Anstiftung und Beihilfe. Die Grenze zum Regreßverbot mag im Einzelfall so diffizil zu bestimmen sein, wie die Grenze der Ingerenz diffizil zu bestimmen ist; denn wodurch ein Verhalten definiert wird, hängt von zahlreichen Kontexten ab; diese können eine sozialkonforme, stereotype Rolle als Definitionsmerkmal hinter der Einpassung in eine deliktische Planung zurücktreten lassen. Beispiel: Berichtet ein Rechtsanwalt auf Befragen wahrheitsgemäß, daß in ein bestimmtes Land transferierte Deliktsbeute dem Zugriff deutscher Vollstreckungsorgane entzogen ist, so dürfte dies noch keine Begünstigung (vertatbestandlichte Teilnahme) sein, da sich der soziale Sinn der isolierten Auskunft in der Bekanntgabe der Rechtslage erschöpft (sie mag dem 21 A.A. B G H GA 1981 S. 133 f. 22 Α. A. B G H 4 S. 107 ff. 23 Siehe dagegen B G H DAR 1981 S. 226; — eine Garantenstellung des Fahrers zur Verhütung von Überfällen während der Fahrt besteht nicht; siehe unten zur Garantenstellung des Wohnungsinhabers 29/37. — In der Umkehrung geht es den Fahrgast nichts an, wenn der Fahrer keine Fahrerlaubnis besitzt; a. A. BayObLG N J W 1982 S. 1891. 2t A. A. RG 56 S. 169 ff, 170 f. 25 B G H 19 S. 152 f f ; — zu Einschränkungen siehe sogleich. 26 Viel zu eng (nur Rechtsauskunft) und mit viel zu einschränkender Begründung (Rechtfertigung kraft Verfassungsrechts) formuliert der Sache

27

27a 27b

27c

27d

nach ein Regreßverbot Mallison Rechtsauskunft S. 108 ff, 136, 137 ff (dazu Maiwald ZStW 93 S. 864 ff, 885 ff). Zur Rechtsauskunft im Ergebnis wie hier O L G Stuttgart N J W 1986 S. 2883 f. Armin Kaufmann Dogmatik S. 191 ff, 200; Welzel Strafrecht § 10 I V ; siehe auch Roxin Täterschaft S. 523; Schmidhäuser A T 14/126. Frisch Verhalten S. 333 ff. Siehe Schweizerisches Bundesgericht 105 IV S. 330 ff (auch bei Wehrle Beteiligung S. 126 ff). B G H 34 S. 63 ff, wo freilich die H a f t u n g schon mangels hinreichender Tatkonkretisierung abgelehnt wird; zutreffend Herzberg JuS 1987 S. 617 ff, 620 f. Frisch Verhalten S. 280 ff.

699

24. Abschn

2. Buch. 4. Kapitel. Beteiligung

Vollstreckungsgläubiger wie dem Vollstreckungsschuldner dienen). Anders ist zu entscheiden, wenn der Rechtsanwalt gutachtet, in welchen Ländern Deliktsbeute „sicher" untergebracht werden k a n n 2 7 e . 19

d) Auch ansonsten haftet der Beteiligte, wenn er unabhängig von dem in Rede stehenden Verhalten (das per se keine Ingerenzhaftung auslöst) nach den Regeln der unechten Unterlassung Garant f ü r die Abwendung eines Schadensverlaufs der in Rede stehenden Art ist 27 f. Beispiel : Jedermann ist Garant dafür, daß er ordnungsgemäß Auto fährt, so er f ä h r t ; fährt er in Schlangenlinien und versucht ein Nachfolgender trotzdem zu überholen und stürzt, haftet der Fahrer 2 8 .

20

e) Nach den §§ 138 und 323 c StGB ist auch zu haften, wenn Deliktsbeteiligung ausscheidet 2 8 3 (siehe oben zur objektiven Zurechnung 7/57,68). 21 3. Der bezeichnete Haftungsumfang gilt — entgegen der älteren Version der Lehre vom Regreßverbot — für Vorsatz wie für Fahrlässigkeit, soweit letztere überhaupt strafbar ist, und auch bei Unvorsätzlichkeit des Ausführenden. Wenn im letzteren Fall der „Beteiligte" vorsätzlich handelt, beschränkt das Regreßverbot also den Umfang der „Beteiligung" an unvorsätzlicher Tat, die nach positivem Recht stets mittelbare Täterschaftschaft ist. Beispiel: Der Drogist, der einem ihm als zerstreut bekannten Arbeiter ein Unkrautvertilgungsmittel verkauft und damit rechnet, daß der Arbeiter in seiner Zerstreutheit das Mittel zum Schaden der Gartenpflanzen seines Arbeitgebers anwenden wird, begeht bei entsprechendem Verlauf nicht etwa eine Sachbeschädigung in mittelbarer Täterschaft durch Benutzung eines unvorsätzlich handelnden "Werkzeugs. Er haftet nur, soweit durch die Anwendung ein Unglücksfall droht (§ 323 c StGB), oder er aber f ü r die Gefahr des Mittels sowieso, d. h. ohne Blick auf seinen Beitrag durch Handeln, einzustehen hat (als Garant). Die Rechtsprechung hat — trotz ständig gegenteiliger Beteuerung 2 9 — ein Regreßverbot der Sache nach mehrfach anerkannt 3 0 .

Wohl ebenso Bottke ZStW 96 S. 726 ff, 756; zur Strafvereitelung durch sozialadäquates Verhalten Küpper GA 1987 S. 385 ff, 399 ff und insbesondere für Strafverteidiger Beulke Strafbarkeit, passim. 27f Frisch Verhalten S. 257 ff; Wehrle Beteiligung S. 100 ff. 28 Siehe BGH 7 S. 112 ff. Iii Wehrle Beteiligung S. 85; Frisch Verhalten S. 308 ff, der es freilich nur bei „deliktserleichternden Verhaltensweisen im eigenen Organisationsbereich" bei einer Haftung nach den §§ 138, 323 c StGB belassen will; bei „Erweiterung fremder deliktisch mißbrauchbarer Macht" soll

700

Beihilfe vorliegen (S. 326). 29 Z. B. RG 64 S. 316 ff, 318. 30 So B G H 3 S. 203 ff, 205; ferner auch BGH 7 S. 268 ff; 19 S. 152 ff: durch Vernachlässigung der Begehungskausalität und Abstellen auf Unterlassung (so selbst RG 64 S. 316 ff, 317). Siehe ferner RG 34 S. 91 ff; 61 S. 318 ff; 64 S. 370 ff; OLG Köln N J W 1985 S. 695. Weitere Nachweise bei Meyer-Arndt wistra 1989 S. 281 ff, 282 ff ; Jakobs aaO in Fn. 14; siehe auch oben zur objektiven Zurechnung 7/52, 59.

5. KAPITEL

Ergänzung zur Tatbestandsverwirklichung und zur Schuld : Der Versuch und der Beteiligungsversuch 25. A B S C H N I T T

Der Versuch Literatur M. Adams, St. Shavell Z u r Strafbarkeit des Versuchs, GA 1990 S. 347 ff; P. Albrecht Der untaugliche Versuch, 1973; H. Alwart Strafwürdiges Versuchen, 1982; ders. Z u r Kritik der strafrechtlichen Stufenlehre, GA 1986 S. 245 ff; G. Arzt Bedingter Entschluß und Vorbereitungshandlung, JZ 1969 S. 54 ff ; ders. Falschaussage mit bedingtem Vorsatz, Jescheck-Festschrift S. 391 ff; ders. Strafbarer Versuch und Vorbereitung, recht 1985 S. 78 ff; / . Baumann Das U m kehrverhältnis zwischen Versuch und Irrtum im Strafrecht, N J W 1962 S. 16 ff; / Baumgarten Die Lehre vom Versuche der Verbrechen, 1888; M. Bergmann Die Milderung der Strafe nach § 49 Abs. 2 StGB, 1988 ; U. Berz Grundlagen des Versuchsbeginns, Jura 1984 S. 511 ff; ders. Formelle Tatbestandsverwirklichung und materialer Rechtsgüterschutz, 1986; W. Beulke Anmerkung zu B G H N S t Z 1982 S. 329 f, a a O S. 330 f; N. Bitzilekis Über die strafrechtliche Bedeutung der Abgrenzung von Vollendung und Beendigung der Straftat, ZStW 99 S. 723 ff ; H. Blei Versuch und Rücktritt vom Versuch nach neuem Recht, JA 1975 S. 95 ff, 167 f, 233 f f ; P. Bockelmann Zur Abgrenzung der Vorbereitung vom Versuch, J Z 1954 S. 468 f f ; ders. Die jüngste Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Abgrenzung der Vorbereitung vom Versuch, J Z 1955 S. 193 f f ; ders. Vorbereitung und Versuch, Niederschriften Bd. II (1) Anhang N r . 34; ders. Z u r Reform des Versuchsstrafrechts, in: ders. Strafrechtliche Untersuchungen, 1957, S. 150 f f ; W. Bottke Strafrechtswissenschaftliche Methodik und Systematik bei der Lehre vom strafbefreienden und strafmildernden Täterverhalten, 1979; H.-J. Bruns Der untaugliche Täter im Strafrecht, 1955; ders. Zur Strafbarkeit des „Versuchs" eines untauglichen Subjekts, DStr. 1938 S. 161 ff; ders. Die Strafbarkeit des Versuchs eines untauglichen Subjekts, GA 1979 S. 161 ff; ders. Strafzumessungsrecht, 2. Auflage 1974; ders. Das Recht der Strafzumessung, 2. Auflage 1985; M. Burgstaller Der Versuch nach § 15 StGB, JurBl. 1976 S. 113 ff; ders. Strafbarer oder strafloser Versuch, JurBl. 1986 S. 76 ff; B. Burkhardt Das Unternehmensdelikt und seine Grenzen, J Z 1971 S. 352 ff; ders. Rechtsirrtum und Wahndelikt, JZ 1981 S. 681 ff; ¿eri. Vorspiegelung von Tatsachen als Vorbereitungshandlung zum Betrug - O L G Karlsruhe, N J W 1982, 59, JuS 1983 S. 426 ff; A. Graf zu Dohna Der Mangel am Tatbestand, Güterbock-Festschrift S. 35 ff; E. Dreher^as bedeutet Milderung der Strafe f ü r den Versuch? J Z 1956 S. 682 f; ders. Doppelverwertung von Strafbemessungsumständen, J Z 1957 S. 155 f f ; ders. Gedanken zur Strafzumessung, JZ 1968 S. 209 ff; K. Engisch Der „umgekehrte Irrtum" und das „Umkehrprinzip", Heinitz-Festschrift S. 185 ff; H. Fiedler Vorhaben und Versuch im Strafrecht, 1967; H. Foth Neuere Kontroversen um den Begriff des Wahnverbrechens, J R 1965 S. 366 ff; H. Fuchs Probleme des Deliktsversuchs, Ö J Z 1986 S. 257 ff; K. H. Gössel Zur Strafbarkeit des Versuchs nach dem 2. Strafrechtsreformgesetz, GA 1971 S. 225 ff; ders. Anmerkung zu B G H 26 S. 101 ff, J R 1976 S. 249 ff; H.-L. GüntherOer „Versuch" des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer, J Z 1987 S. 16 ff; B. Haffke Strafrechtsdogmatik und Tiefenpsychologie, GA 1978 S. 33 ff; W. Hardwig Der Versuch bei untauglichem Subjekt, GA 1957 S. 170 ff; R. D. Herzberg Der Versuch beim unechten Unterlassungsdelikt, M D R 1973 S. 89 ff; ders. Das Wahndelikt in der Rechtsprechung des B G H , JuS 1980 S. 469 ff; ders. Der Anfang des Versuchs bei mittelbarer Täterschaft, JuS 1985 S. 1 ff; ders. A I D S : H e r a u s forderung und Prüfstein des Strafrechts, JZ 1989 S. 470 ff; ders. Strafverzicht bei bedingt vorsätzlichem Versuch, N S t Z 1990 S. 311 ff; M. Hettinger Das Doppelverwertungsverbot bei strafrahmenbildenden Umständen, 1982; H. Hilger Anmerkung zu O L G Bamberg N S t Z 1982 S. 247 f,

701

25. A b S C h n

2. Buch. 5. Kapitel. Versuch und Beteiligungsversuch

aaO S. 248 f; H. J. Hirsch Zur Problematik des erfolgsqualifizierten Delikts, GA 1972 S. 65 ff; J. Höser Vorbereitungshandlung und Versuch im Steuerstrafrecht, 1984; J. Hruschka Anmerkung zu BGH 31 S. 105 ff, J Z 1983 S. 217 ff; H.-Cbr. Jahr Die Bedeutung des Erfolges für das Problem der Strafmilderung beim Versuch, 1981; H. Jäger Subjektive Verbrechensmerkmale als Gegenstand psychologischer Wahrheitsfindung, MSchrKrim. 1978 S. 297 ff; G. Jakobs Die Konkurrenz von Tötungsdelikten mit Körperverletzungsdelikten, 1967; ders. Studien zum fahrlässigen Erfolgsdelikt, 1972; ders. Schuld und Prävention, 1976; ders. Anmerkung zu BGH 32 S. 88 ff, J R 1984 S. 385 ff; ders. Kriminalisierung im Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung, ZStW 97 S. 751 ff; ders. Tätervorstellung und objektive Zurechnung, Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 271 ff; M. Karollus Zum Versuchsbeginn beim Betrug, JurBl. 1989 S. 627 ff; Armin Kaufmann Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, 1959; ders. Die Dogmatik im Alternativentwurf, ZStW 80 S. 34 ff; ders. Zum Stand der Lehre vom personalen Unrecht, Welzel-Festschrift S. 393 ff; ders. Rechtspflichtbegründung und Tatbestandseinschränkung, Klug-Festschrift S. 277 ff; R. Keller Anmerkung zu BGH J R 1989 S. 390 f, aaO S. 391 f; D. Kratzsch Die Bemühungen um Präzisierung der Ansatzformel (§ 22 StGB) - ein absolut untauglicher Versuch? JA 1983 S. 420 ff, 578 ff; ders. Verhaltenssteuerung und Organisation im Strafrecht, 1985; ders. Unrecht und Prävention — eine Replik,GA 1989 S. 49 ff; K. Grundfälle zu Vorbereitung, Versuch, Vollendung und Beendigung, JuS 1979 S. 718 ff, 874 ff, JuS 1980 S. 120 ff, 273 ff, 506 ff, JuS 1981 S. 196 ff, JuS 1982 S. 110 ff, 189 ff; ders. Anmerkung zu BGH 31 S. 105 ff, J R 1983 S. 425 ff; W. Küper Versuchsund Rücktrittsprobleme bei mehreren Tatbeteiligten, JZ 1979 S. 775 ff; ders. Zur Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch, N J W 1984 S. 777 f; G.Küpper Der unmittelbare Zusammenhang zwischen Grunddelikt und schwerer Folge beim erfolgsqualifizierten Delikt, 1982; E.-J. Lampe Genügt für den Entschluß des Täters in § 43 StGB sein bedingter Vorsatz? N J W 1958 S. 332 f; ders. Anmerkung zu OLG Koblenz J R 1984 S. 163 f, aaO S. 164 f; W. Langer Das Sonderverbrechen, 1972; ders. Zum Begriff der „besonderen persönlichen Merkmale", Lange-Festschrift S. 241 ff; ders. Zur Strafbarkeit des Teilnehmers gemäß § 28 Abs. 1 StGB, Ernst Wolf-Festschrift S. 335 ff; K. Laubenthal Oer Versuch des qualifizierten Delikts einschließlich des Versuchs im besonders schweren Fall bei Regelbeispielen, J Z 1987 S. 1065 ff; G. Less Genügt „Bedingtes Wollen" zum strafbaren Verbrechensversuch? GA 1956 S. 33 ff; F. v. LtsztOer Zweckgedanke im Strafrecht, ZStW 3 S. 1 ff; M. Maiwald Unrechtskenntnis und Vorsatz im Steuerstrafrecht, 1984; R. Maurach Die Beiträge der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Bestimmung des Wahnverbrechens, N J W 1962 S. 716 ff, S. 767 ff; J. Meyer Kritik an der Neuregelung der Versuchsstrafbarkeit, ZStW 87 S. 598 ff; E. Mezger Anmerkung zu BGH NJW 1952 S. 514 f, aaO; Y. Naka Der Strafgrund des Versuchs, in: H. J. Hirsch u. a. (Hrsg.) Strafrecht und Kriminalpolitik in Japan und in Deutschland, 1989 S. 93 ff; D. Oehler Das erfolgsqualifizierte Delikt als Gefährdungsdelikt, ZStW 69 S. 503 ff; H. Otto Anmerkung zu BGH 26 S. 201 ff, N J W 1976 S. 578 f; ders. Versuch und Rücktritt bei mehreren Tatbeteiligten, JA 1980 S. 641 ff, 707 ff; ders. Anmerkung zu BGH 32 S. 88 ff, J Z 1984 S. 143 ff; St. Papageorgiou-Gonatas Wo liegt die Grenze zwischen Vorbereitungshandlung und Versuch? 1988; W. Platzgummer Die Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes durch Gefährdungs- und Unternehmensdelikte im österreichischen Strafrecht, Beiheft ZStW 1987 S. 37 ff; I. Puppe Der halbherzige Rücktritt, NStZ 1984 S. 488 ff; dies. Die logische Tragweite des sog. Umkehrschlusses, Lackner-Festschrift S. 199 ff; dies. Tatirrtum, Rechtsirrtum, Subsumtionsirrtum, GA 1990 S. 145 ff; W. Rasch Tötung des Intimpartners, 1964; ders. Schuldfähigkeit, in: A. Ponsold(Hrsg.) Lehrbuch der gerichtlichen Medizin, 3. Auflage 1967, S. 55 ff; R. Rengier Erfolgsqualifizierte Delikte und verwandte Erscheinungsformen, 1986; C. Roxin Uber den Tatentschluß, Schröder-Gedächtnisschrift S. 145 ff; ders. Tatentschluß und Anfang der Ausführung beim Versuch, JuS 1979 S. 1 ff; ders. Offene Tatbestände und Rechtspflichtmerkmale, 1959; ders. Der Anfang des beendeten Versuchs, Maurach-Festschrift S. 213 ff; H.-J. Rudolphi Zur Abgrenzung zwischen Vorbereitung und Versuch — OLG Celle, N J W 1972, 1823 J u S 1973 S. 20 ff; ders. Anmerkung zu HansOLG Hamburg J R 1981 S. 159 f,aaO S. 160 ff; E. Samson Irrtumsproblem im Steuerstrafrecht, in : G. Kohlmann (Hrsg.) Strafverfolgung und Strafverteidigung im Steuerstrafrecht, 1983 S. 99 ff; W. Sax Zum logischen und sachlichen Gehalt des sogen. „Umkehrschlusses aus § 59 StGB", J Z 1964 S. 241 ff; F. Schaffstein Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum, OLG Celle-Festschrift S. 175 ff; G. Scheme „Subjektiver Tatbestand" und Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit, Lange-Festschrift S. 687 ff; E. SchlüchterIrrtum über normative Tatbestandsmerkmale, 1983; dies. Zur Irrtumslehre im Steuerstrafrecht, wistra 1985 702

25. Abschn

Versuch

S. 43 ff, 94 ff; dies, Grundfälle zum Bewertungsirrtum des Täters im Grenzbereich zwischen §§ 16 und 17 StGB, JuS 1985 S. 373 ff, 527 ff, 617 ff; W. Schmid „Bedingter Handlungswille" beim Versuch und im Bereich der strafbaren Vorbereitungshandlungen, ZStW 74 S. 48 ff; den. Über Feuerbachs Lehre vom „Mangel am Tatbestand", Schröder-Gedächtnisschrift S. 19 ff; R. Schmitt Rücktritt von der Verabredung zu einem Verbrechen — BGHSt. 12, 306, JuS 1961 S. 25 ff; K. Schmoller Ist die versuchte Herbeiführung einer qualifizierenden Folge strafbar? JurBl. 1984 S. 654 ff; ders. Bedeutung und Grenzen des fortgesetzten Delikts, 1988; H. Schröder Anmerkung zu B G H 21 S. 194 ff, J Z 1967 S. 368 ff; den. Die Unternehmensdelikte, Kern-Festschrift S. 457 ff; B. Schünemann Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft nach der Strafrechtsreform im Spiegel des Leipziger Kommentars und des Wiener Kommentars, GA 1985 S. 241 ff, GA 1986 S. 393 ff; B. R. Sonnen u. a. Die Abgrenzung des Versuchs von der Vorbereitung und Vollendung, JA 1988 S. 17 ff; C. Sowada Das unechte Unternehmensdelikt — eine überflüssige Rechtsfigur, GA 1988 S. 195 ff; G. SpendelZur Notwendigkeit des Objektivismus im Strafrecht, ZStW 65 S. 519 ff; ders. Der sogenannte Umkehrschluß aus § 5 9 StGB nach der subjektiven Versuchstheorie, ZStW 69 S. 441 ff; ders. Kritik der subjektiven Versuchstheorie, N J W 1965 S. 1881 ff; ders. Zur Neubegründung der objektiven Versuchstheorie, Stock-Festschrift S. 89 ff; F. Stöger Der Versuch des untauglichen Täters, 1961 ; G. Stratenwerth Die fakultative Strafmilderung beim Versuch, Schweizer Juristentags-Festgabe S. 247 ff; ders. Der Versuch des untauglichen Subjekts, Bruns-Festschrift S. 59 ff; W. Stree Zur Auslegung der §§ 224, 226 StGB, GA 1960 S. 289 ff; ders. Beginn des Versuchs bei qualifizierten Straftaten, Peters-Festschrift S. 179 ff; F. Streng Rücktritt und dolus eventualis, J Z 1990 S. 212 ff; E. Struensee Verursachungsvorsatz und Wahnkausalität, ZStW 102 S. 21 ff; F. Sturm Das unvollendete fahrlässige Delikt, ZStW 59 S. 23 ff; G. Ttmpe Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB und das Doppelverwertungsverbot, 1983; W. G. Tischler Verbotsirrtum und Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale, 1984; F. Traub Die umgekehrte „Parallelwertung in der Laiensphäre" — Wahndelikt oder untauglicher Versuch? - BGHSt. 13, 235, JuS 1967 S. 113 ff; K. Ulsenheimer Zur Problematik des Versuchs erfolgsqualifizierter Delikte, GA 1966 S. 257 ff; ders. Z u r Problematik des Rücktritts vom Versuch erfolgsqualifizierter Delikte, Bockelmann-Festschrift S. 405 ff; Th. Vogler Versuch und Rücktritt bei Beteiligung mehrerer an der Straftat, ZStW 98 S. 331 ff; H. Walder Straflose Vorbereitung und strafbarer Versuch, SchwZStr. 99 (1982) S. 225 ff; den. Strafrechtsdogmatik und Kriminologie, dargestellt am Problem „Vorbereitung oder Versuch", Leferenz-Festschrift S. 537 ff; U. Weber Die Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes durch Gefährdungs- und Unternehmensdelikte, Beiheft ZStW 1987 S. 1 ff; Th. Weigend Die Entwicklung der deutschen Versuchslehre, in : H. ]. Hirsch u. a. (Hrsg.) Strafrecht und Kriminalpolitik in Japan und Deutschland, 1989 S. 113 ff; B. Wieser Der Versuch beim Vorbereitungsdelikt, JurBl. 1987 S. 497 ff, 556 ff; /. Wolter Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr und Verletzung in einem funktionalen Straftatsystem, 1981 ; K. Yamanaka Zum Beginn der T a t a u s f ü h r u n g im japanischen Strafrecht; in: H. J. Hirsch u. a. (Hrsg.) Strafrecht und Kriminalpolitik in Japan und Deutschland, 1989 S. 101 ff; R. Zaczyk Das Unrecht der versuchten Tat, 1989; U. Ziegert Vorsatz, Schuld und Vorverschulden, 1987; D. Ztelinski Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff, 1973.

I. Die Grenzen der Vorverlagerung der Strafbarkeit A. Die Bestrafung von deliktischem Verhalten, das keine Deliktsvollendung bringt 1 , 1 ist nur ein — freilich besonders sinnenfälliger — Fall von Vorverlagerungen der Strafbarkeit. Weitere Fälle sind die Vorverlagerungen der Vollendung bei Gefährdungsdelikten (oben 2/25 b, 6/86 ff), beim Schutz faktischer Normgeltung (oben 2/25 c) und bei der Formulierung von Vorbereitungen als Deliktsvollendungen (unten 25/9). Vorverlagerungen sind nicht beliebig weit zulässig; es gibt vielmehr prinzipielle Grenzen, die das geltende Recht freilich nicht hinreichend respektiert. 1

Eingehend Jakobs ZStW 97 S. 751 f f ; Zaczyk Unrecht S. 126 ff (Kritik der hiesigen Position S. 31 ff); Weber Beiheft ZStW 1987 S. 1 ff; für das österreichische Recht Platzgummer Beiheft

ZStW 1987 S. 37 ff; Fuchs Ö J Z 1986 S. 257 ff; Wieser JurBl. 1987 S. 497 ff, 556 ff (zu Vorbereitungen).

703

25. A b S C h n

1a

2. Buch. 5. Kapitel. Versuch und Beteihgungsversuch

B. 1. Die weitestmögliche V o r v e r l a g e r u n g des Schutzes der N o r m g e l t u n g bestünde beim Verletzungsdelikt in der Pönalisierung schon eines ernsthaften Deliktsvorsatz e s l a , w ü r d e aber k r a ß gegen das Tatprinzip verstoßen: Cogitationis p o e n a m n e m o patitur (Ulpian)ib. Die allgemeine A n e r k e n n u n g des Tatprinzips in der genannten A u s p r ä g u n g l c d ü r f t e auf zwei eher äußerlichen G r ü n d e n beruhen, seil, auf der Schwierigkeit einer Kontrolle der G e d a n k e n und auf der Zugehörigkeit der Gedanken zum sinnenfälligen Internbereich. In einer freiheitlichen O r d n u n g wiegt ein dritter G r u n d am schwersten: G e d a n k e n gehören zu der die Person konstituierenden Sphäre; ihre Kontrolle w ü r d e die freie Person zerstören. Die genannte A u s p r ä g u n g des Tatprinzips ist nicht u m k e h r b a r : Was nicht bloßer deliktischer G e d a n k e bleibt, ist nicht allein deswegen auch schon eine soziale S t ö r u n g ; denn in einer freiheitlichen O r d n u n g ist ein Subjekt nicht n u r beseelter Leib, sondern es ist Bürger, also ein System, zu dessen Internbereich auch Eigentum gehört, ferner W o h n u n g , einvernehmlicher sozialer K o n t a k t u. a. m. Eine Kontrolle dessen, was in diesem Internbereich geschieht, w ü r d e die bürgerliche P e r s o n zerstören; denn ohne einen Privatbereich ist ein Bürger ü b e r h a u p t nicht v o r h a n d e n . Das schließt es nicht aus, ein extemalisiertes Delikt bis in die Interna des Täters zurückzuverfolgen. Dies darf freilich nicht geschehen, um im Internen das Deliktische erst noch zu finden, sondern um zu p r ü f e n , ob das geschehene Delikt auch intern dem T ä t e r z u g e h ö r t oder aber der Täter zumindest intern — v e r k ü r z t : subjektiv — davon ganz oder partiell distanziert, also von H a f t u n g befreit werden kann.

1b

2. Intern ist der gesamte Bereich einer Person, von der diese Person dritte Personen, denen kein Rechtfertigungsgrund zum Eingriff beiseite steht, fernhalten d a r f ; mit anderen W o r t e n , intern ist der Bereich absolut geschützter Rechte, in die niemand eindringen k a n n , ohne sich selbst sozial störend zu verhalten. D e r Internbereich endet, wenn ihn der Inhaber aus der H a n d gibt; denn von diesem Zeitpunkt an leistet er das Synallagma nicht mehr, das f ü r die Freistellung des Internen von Kontrolle erbracht werden m u ß : die Sorge f ü r die äußere Ungefährlichkeit der internen Organisation. Beispiel: W e r in seiner W o h n u n g den Zeitzünder einer nach draußen gerichteten Rakete einstellt, verläßt damit seinen Internbereich. — Soweit an sich internes Verhalten wegen seiner Gefährlichkeit durch abstrakte Gefährdungsdelikte rechtlich externalisiert wird, darf dies nur o h n e Blick auf die deliktische P l a n u n g des Täters erfolgen, da sonst der P l a n u n g s z u s a m m e n h a n g schon z u r Begründung und nicht nur z u r Interpretation der S t ö r u n g herangezogen w ü r d e (oben 6 / 8 6 b ; 2 5 / 1 a).

1C

3. Mehrere Personen k ö n n e n ihre Internbereiche zusammenlegen. Dies ist insbesondere auch bei einvernehmlicher K o m m u n i k a t i o n der Fall, wie der Schutz der V e r t r a u lichkeit des W o r t s und schriftlicher N a c h r i c h t e n (§§ 201 f StGB) belegt. Im Rahmen der Z u r e c h n u n g wird die Zusammenlegung von Internbereichen durch die Regeln der quantitativen Akzessorietät berücksichtigt, w o n a c h der V e r s u c h (die faktische Externalisierung) von Herrschaftsdelikten bei Mittäterschaft und Teilnahme f ü r alle Beteiligten einheitlich erfolgt (oben 21/61 ; 22/19 f ; z u r abweichenden Lösung bei den Pflichtdelikten oben 21/118). Mit der A n e r k e n n u n g eines gemeinsamen Internbereichs ist die Bestrafung des Beteiligungsversuchs nach § 30 StGB als Deliktsvorbereitung nicht zu

la

704

Außerhalb des Verletzungsdelikts ließen sich noch weitere Vorverlagerungen konstruieren, etwa das Verbot, sich in solche Gesellschaft zu begeben, in der man leicht verführt wird, einen Vorsatz zu fassen etc.

lb lc

D. 48.19.18. Die Anerkennung bezieht sich allein auf säkularisierte, staatliche Ordnungen. In religiösen Ordnungen oder in intimen Beziehungen u. a. m. mögen auch lautere Gedanken geschuldet sein.

25. Abschn

Versuch

vereinbaren (unten 27/1 f), ebensowenig die Bestrafung der Bildung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung C 1. Ein Verhalten externalisiert nur dann eine deliktische Planung, wenn der Täter 1d in kommunikativ relevanter Weise vorgeht. Annahmen des Täters, die unter Mißachtung der Prinzipien der Erfahrung oder der Prinzipien der Logik zustande kommen, bilden überhaupt keinen Tatbestandsvorsatz oder, was gleichbedeutend ist, lassen sich nicht bis zu einem Ansetzen zur 7rtí¿>eíta»í¿verwirklichung vorantreiben. Das gilt nicht nur für den abergläubischen Versuch, sondern — wichtiger noch — für Versuche, bei denen der Täter die Tauglichkeit seines Verhaltens aus Intuitionen, Träumen, vorschnellen Verallgemeinerungen etc. erschließt (eingehender unten 25/23). Es kommt als Versuchsverhalten also immer nur ein Verhalten in Betracht, bei dem der Täter auf die Prinzipien der Erfahrung und der Logik baut (mögen ihm dabei auch einzelne Anwendungsfehler unterlaufen), so daß jedes vernünftige Subjekt dieses Verhalten verstehen kann. 2. Ein externes Verhalten kann in zweifacher Hinsicht stören. Durch sein Verhalten 1e kann sich der Täter eine Organisation anmaßen, die ihm nicht zusteht (etwa vom kurzen Betreten einer fremden Wohnung ohne Einwilligung des Berechtigten bis zur Tötung eines Menschen); es handelt sich dann um den Versuch (oder je nach dem Fortschritt der Anmaßung auch um die Vollendung) eines Verletzungsdelikts. Weiterhin kann der Täter durch sein Verhalten ausdrücklich oder konkludent eine zukünftige Organisationsanmaßung ankündigen (Beispiel: Eine terroristische Vereinigung verteilt Flugblätter, auf denen sie für ihre Ziele wirbt oder gar die physische Vernichtung eines Regierungsmitglieds androht). Dann geht es um ein Bedrohungsunrecht: Die Sicherheit der faktischen Normgeltung wird erschüttert l e . Ein solches Bedrohungsunrecht erfassen einzelne Vorschriften des BT, etwa die §§ 111,126, 241 StGB. D. Der Gesetzgeber kann alle genannten Begrenzungen überspielen, indem er das 1f Subjekt seines bürgerlichen Status entkleidet und als Feind behandelt, dem kein oder allenfalls ein stark beschnittener Internbereich zugestanden wird 1 ^ Die Legitimität solcher strafrechtlichen Ausbürgerungen wäre etwa für Angriffe auf den Bestand oder die Sicherheit des Staats, beim Mordkomplott oder bei der Bildung terroristischer Vereinigungen diskutabel. Daß aber der Gesetzgeber — offenbar ohne Problembewußtsein — Vorverlagerungen in den Internbereich zu einer durchgängig anzutreffenden Erscheinungsform des Strafrechts hat werden lassen, ist rechtsstaatlich nicht korrekt.

II. Die Stufen des Delikts A. Die Grundbegriffe, der Versuch als formeller Begriff 1. Ein Delikt ist immer schon vollendet, wenn diejenigen Tatbestandsmerkmale, die 1 g der BT nennt, in einem zurechenbaren Zusammenhang verwirklicht sind (zum objektiven Zurechnungszusammenhang siehe oben 7/6 ff, zum subjektiven oben 8/1 ff; 9/1 ff). Vollendung ist also ein formeller Begriff, der über eine Gutsverletzung nichts aussagt (auch abstrakte oder konkrete Gefährdungsdelikte sind mit der Tatbestandsverwirklichung vollendet). Beispiel: Das Herstellen einer unechten Urkunde nach den beiden ersten Fallgruppen von § 267 Abs. 1 StGB ist ein (rechtsstaatlich freilich nicht korrekt gebildetes, oben 6/86b, 25/1 c) vollendetes Delikt wie das — gleichfalls nicht ld

Bei solchen T a t e n bleibt allenfalls ein externalisiertes Bedrokungsunrecht; Jakobs Z S t W 97 S. 751 ff, 778.

lf

E i n g e h e n d e r Jakobs Z S t W 9 7 (siehe o b e n 2 / 2 5 c). Jakobs Z S t W 97 S. 751 ff, 783 f.

S. 751 f f , 773 f

705

25. AbSChn

2. Buch. 5. Kapitel. Versuch und Beteiligungsversuch

notwendig gutsverletzende — Gebrauchmachen nach der dritten Fallgruppe. Eine materielle (auf die Gutsverletzung abstellende) Verwendung des Vollendungsbegriffs bliebe wegen der Unmöglichkeit, die Abstraktionshöhe des Guts absolut zu bestimmen, höchst ungenau (etwa bei Eigentum: die Chance der Sachnutzung, die Sachnutzung selbst, die Entfaltungschance durch Sachnutzung, die Entfaltung selbst etc.?). 2

2. Trotzdem lassen sich Delikte ausmachen, bei denen das tatbestandliche Verhalten nur als ein — bestimmt beschriebener — Schritt auf dem Weg zu einem weiteren Erfolg strafrechtlich relevant, ohne diesen Zusammenhang aber völlig harmlos ist. Die Verbindung zum Erfolg sieht das Gesetz teils in einer subjektiven Vermittlung (etwa bei der Urkundenfälschung: zur Täuschung im Rechtsverkehr), teils in einer von der Planung des Täters unabhängigen Gefährlichkeit (Meineid ist auch dann strafbar, wenn der Täter eine Verfälschung des Prozeßergebnisses für ausgeschlossen hält). Solche Delikte lassen sich als Delikte mit materiellem Versuchs- oder Vorbereitungscharakter bezeichnen. Zumindest ein Rest von materiellem Versuchscharakter läßt sich bei jedem Delikt ausmachen, durch das die Chancen des Rechtsgutsträgers nicht schon definitiv vernichtet werden.

3

3. Bei einigen Delikten der bezeichneten Art bestätigt das Gesetz die Versuchs- oder Vorbereitungsähnlichkeit der formellen Vollendung, indem es Rücktrittstatbestände schafft (§S 129 Abs. 6, 129 a Abs. 5, 149 Abs. 2 und 3, 158 % 310, 330 b StGB; nicht aber zu SS 146 Abs. 1 N r . 1 und 2, 267 Abs. 1, 268 Abs. 1 StGB). Eine analoge Anwendung dieser Rücktrittsvorschriften auf Delikte derselben Art, aber ohne zugehörige spezielle Regelung des Rücktritts, ist nicht möglich, da die strafbefreiende oder außerordentliche strafmildernde Wirkung des Rücktritts kein systematisch zwingendes Ergebnis der Zurechnungslehre ist (anders nur bei einigen Bestrafungen von Vorbereitungsverhalten, unten 25/11); es bleibt insoweit bei der strafmildernden Berücksichtigung eines Nachtatverhaltens nach S 46 Abs. 2 StGB.

4

4. S 22 StGB bringt eine vorverlagernde Tatbestandsergänzung für Vollendungstatbestände: Der Deliktsabschnitt, der in dem Zeitpunkt beginnt, den § 22 StGB bezeichnet, ist das formelle Versuchsstadium. Wenn der Täter dieses Stadium zwar erreicht hat, aber noch weitere Handlungen vollziehen muß, um zum Erfolg zu kommen, spricht man vom unbeendeten Versuch, hat der Täter alles getan, vom beendeten Versuch. Die Unterscheidung ist für den Rücktritt von Bedeutung (unten 26/14 ff, dort auch zu Irrtumsfällen).

B. Die Unternehmensdelikte 1. Die echten Unternehmensdelikte 5

a) Bei den echten Unternehmensdelikten behandelt das Gesetz Versuch und Vollendung gleich l h , § 11 Abs. 1 N r . 6 StGB. Beispiele sind Hochverrat nach den SS 81 und 82 StGB, Verbreitung pornographischer Schriften per Versandhandel, S 184 Abs. 1 Nr. 4 StGB, oder Verleiten eines Untergebenen zu einer Straftat, S 357 StGB (letzteres auch die nur versuchte Teilnahme umfassend). Die Gleichbehandlung des formellen Versuchs mit der Vollendung besteht in der direkten (d. h. nicht durch S 23 StGB vermittelten) Strafdrohung für den Versuchsfall und bringt deshalb einen Verzicht auf die beim Versuch sonst mögliche Strafmilderung durch Herabsetzung des Strafrahmens über S 23 Abs. 2 StGB, ferner auf die Berücksichtigung von Unverstand (S 23 Abs. 3 StGB) l S Dazu Bergmann Milderung S. 194 ff. •h Α. A. (Unternehmen als Sonderform der Vollen-

706

dung) Alwart Versuchen S. 100 ff, 102; gegen eine „Stufenlehre" auch den. GA 1986 S. 245 ff.

Versuch

25. Abschn

und schließlich auf die strafbefreiende Wirkung des Rücktritts nach § 24 StGB. Wohl aber sind besondere Rücktrittsnormen möglich, etwa § 83 a StGB; eine Analogie zu diesen Normen bei Unternehmensdelikten ohne Sonderregelung des Rücktritts scheidet aus; es bleibt insoweit bei der strafmildernden Berücksichtigung eines Nachtatverhaltens nach § 46 Abs. 2 StGB 2 . — Durch die Gleichbehandlung wird jedoch nicht der Begriff des Versuchs geändert; es wird also jeder kommunikativ relevante Versuch erfaßt, ohne daß es ansonsten auf seine Tauglichkeit oder die Art seiner Untauglichkeit ankäme 3 . Für die Strafzumessung innerhalb des Strafrahmens bleibt die vom Täter erreichte Deliktsstufe von Bedeutung. Die Konstruktion als Unternehmensdelikt mag bei Hochverrat wegen der nur geringen Chance, im Vollendungsfall überhaupt noch strafen zu können, angebracht sein, ansonsten ist die Berechtigung der Verwendung dieser Deliktsform zumindest zweifelhaft, teils sogar willkürlich 3a (etwa bei § 184 Abs. 1 Nr. 4 StGB). b) Ein Versuch von Unternehmensdelikten ist, auch wenn es sich um Verbrechen 6 handelt (§ 23 Abs. 1 StGB), stets straffrei 3b . Das ergibt sich aus folgendem argumentum ad absurdum: Die Definition des Unternehmensbegriffs (§11 Abs. 1 Nr. 6 StGB) bezieht sich auf die Versuchsbestimmung. Beim Versuch des Unternehmens würde also versucht, was seinerseits durch den Versuch bestimmt wird, so daß sich die Versuchsregelung auf sich selbst bezöge. Könnte sich aber die Versuchsregelung auf sich selbst beziehen, so wären bei allen Versuchen nicht nur der Versuch der direkten Verwirklichung des im BT beschriebenen Tatbestands, sondern auch der Versuch des Versuchs, wiederum dessen Versuch etc. strafbar, bis hin zur letzten Vorbereitungshandlung. — Zudem wäre die Tatbestandsbestimmtheit dahin. 2. Die unechten Unternehmensdelikte Als unechte Unternehmensdelikte werden Delikte bezeichnet 4 , deren Tathandlung 7 mit einem „finalen Tätigkeitswort" 5 beschrieben wird. Beispiele: „Einwirken" in § 125 Abs. 1 StGB, „Hilfeleisten" in § 257 Abs. 1 StGB (und als gebotene Tathandlung in § 323 c StGB) sowie „dem Wilde Nachstellen" in § 292 Abs. 1 StGB. Bei diesen Delikten steht fest, daß das Ziel der Handlung zur Vollendung nicht erreicht werden muß, formelle Vollendung also auch eintreten kann, wenn materiell noch ein Versuch vorliegt. Gegenüber den echten Unternehmensdelikten haben die unechten jedoch die Besonderheit einer beschriebenen Tatsituation, die zur (formellen) Vollendung objektiv vorliegen muß und nicht nur „unternommen" sein darf 6 . Beispiel: Man kann es unternehmen, dem Wilde nachzustellen, indem man vermeintlich einem Fuchs, in Wahrheit aber einem Hund nachschleicht, versucht dann aber eben nur, dem Wilde nachzustellen, während man das Nachstellen nicht nur versucht, sondern vollendet, wenn man einen Fuchs beschleicht, ihn aber nicht erreicht. — Wie bei den echten 2 Streitig; wie hier B G H 15 S. 198 f f ; O L G Celle J R 1981 S. 34 f, 35; Burkhardt J Z 1971 S. 352 ff, 357 f; SK-Rudolphi § 11 Rdn. 26; de lege lata auch Berζ Tatbestandsverwirklichung S. 131 f; zu 5 316a Abs. 2 StGB siehe Bergmann Milderung S. 163 ff; a. A. Schröder Kern-Festschrift S. 457 ff, 462 f, mit beachtlichen Hinweisen auf die Willkürlichkeit der Regelungen; SchönkeSchröder-Eser § 11 Rdn. 51. 3 Streitig; a. A. Burkhardt JZ 1971 S. 352 ff, 356 ff; — eine Differenzierung der Tauglichkeitsarten gelingt auch hier nicht.

3a

Zutreffende Kritik bei Weber Beiheft ZStW 1987 S. I f f , 9 ff. 3b LK- Vogler Rdn. 94 vor § 22 mit Nachweisen. 4 N a c h Schröder Kern-Festschrift S. 457 ff, 464 ff. 5 v. WeberGtunâr'AS. 54 f. 6 Sehr streitig, insbesondere f ü r $ 257 StGB. Ausführlich mit Nachweisen Schönke-Schröder-Eser 5 1 1 Rdn. 52 f f ; zu § 323 c StGB grundlegend und a. A. Armin Kaufmann Dogmatik S. 230 ff. — Auf die Ähnlichkeit mit Gefährdungsdelikten stellt Sowada ab, GA 1988 S. 195 ff, 213 f.

707

25. AbSChn

2. Buch. 5. Kapitel. Versuch und Beteiligungsversuch

Unternehmensdelikten so scheidet auch bei den unechten eine analoge Anwendung von Rücktrittsvorschriften aus 7 .

C. Die Vorbereitung 8

1. Das Stadium vor dem Versuchsbeginn heißt Vorbereitung. Sofern die Vorbereitung nicht nur Planung eines einzelnen Subjekts bleibt, sondern sich objektiviert (und bestehe eine „Objektivierung" nur in gemeinsamer Planung mehrerer Subjekte), bestraft sie das positive Recht in mehreren Fällen, ohne dabei die Schranken zu achten, die der bürgerliche Status des delinquierenden Subjekts dem Strafrecht zieht (dazu oben 25/1 ff). 9 2. N a c h positivem Recht sollen Vorbereitungen strafbar sein : a) Als Vorbereitung in jeder Art und Weise (untypisiert) bei Delikten, bei denen dies ausdrücklich angeordnet ist. Beispiele: Vorbereitung eines Angriffskriegs, § 80 StGB, Vorbereitung eines bestimmten hochverräterischen Unternehmens, § 83 StGB, Vorbereitung einer Verschleppung, § 234 a Abs. 3 StGB. T r o t z der fehlenden Typisierung reicht nicht jedes Verhalten, das den Plan des Täters voranbringt; es ist vielmehr erforderlich, daß das Verhalten zumindest in groben Zügen seine deliktische Bestimmung erkennen läßt, also nicht sozial unauffällig ist. Zum Beispiel der Einkauf üblicher Gebrauchsgegenstände oder eine übliche Reise mögen nach dem Hochverratsplan eines Täters erforderlich sein; da solche Verhaltensweisen jedoch nicht nur keine bestimmte, sondern auch nicht eine vage Deliktsvorstellung objektivieren, scheiden sie aus dem Bereich des nach § 83 StGB Strafbaren aus. Objektiv tauglich braucht die Vorbereitungshandlung jedoch nicht zu sein. — Der Versuch der untypisierten Vorbereitungshandlung objektiviert entweder seinerseits den Deliktsplan, dann ist er selbst Vorbereitung und als solche strafbar, oder aber er ist straffrei. 10

b) Als Vorbereitungen in bestimmter Art und Weise (typisiert) aa) bei Verbrechen gemäß § 30 StGB (unten 27/1 ff); bei Vergehen kann die V o r schriftentsprechend anzuwenden sein (§ 159 StGB); bb) bei ausdrücklicher Anordnung, wie sie etwa in § 149 Abs. 1 StGB erfolgt ist; cc) bei Erfassung materieller Vorbereitung als formelle Vollendung wie etwa bei der Geldfälschung nach § 146 Abs. 1 N r . 1 und 2 StGB und dem Herstellen unechter Urkunden nach § 267 Abs. 1, 1. und 2. Fallgruppe StGB (dagegen oben 6/86b und 25/1 b). Der Versuch der formellen Vollendung ist möglich.

11

3. Soweit besondere Rücktrittsregeln nicht bestehen, ist eine analoge Anwendung von § 31 StGB immer dann angebracht, wenn von einer der Vorbereitung nachfolgenden Stufe desselben Delikts noch nach allgemeinen oder speziellen Vorschriften strafbefreiend zurückgetreten werden k a n n 8 .

D. Die Beendigung 12

Deckt die zur Vollendung notwendige objektive Seite eines Delikts nicht den gesamten Inhalt des Tatbestandsvorsatzes ab, tritt also die Vollendung vor der vollen Ver7 Streitig; a. A. insbesondere Schröder Kern-Festschrift S. 457 ff, 467 f; Schönke-Schröder-Eser § 11 Rdn. 55; Weber Beiheft ZStW 1987 S. 1 ff, 14 f; eingehend und de lege lata wie hier Berz Tatbestandsverwirklichung S. 132 ff. — Zu § 323 c (kein Rücktritt durch Rückkehr zum Rettungsversuch) siehe BGH 14 S. 213 ff, 217.

708

Ähnlich BGH 6 S. 85 ff, 87 für § 234 a Abs. 3 StGB; weitergehend LK-Roxin § 31 Rdn. 2; unklar differenzierend Bottke Methodik S. 340 ff. — Zu einzelnen Delikten Berz Tatbestandsverwirklichung S. 55 ff; Bergmann Milderung S. 140 ff.

Versuch

25. Abschn

wirklichung des Tatbestandsvorsatzes ein, so wird der Eintritt derjenigen vorgesetzten Folgen, die zur Vollendung nicht verwirklicht sein müssen, als die materielle Beendigung des Delikts bezeichnet. Dem Stadium zwischen Vollendung und Beendigung werden zahlreiche materiellrechtliche Wirkungen zugesprochen. So sollen H a n d l u n gen in dem Stadium zwischen Vollendung und materieller Beendigung noch Idealkonkurrenz mit einem anderen Delikt begründen können. Das läßt sich zumindest f ü r diejenigen überschießenden Vorsätze, die nicht die Tat, sondern die Täterhaltung kennzeichnen, nicht begründen (siehe unten zur K o n k u r r e n z 33/7). Entsprechendes gilt f ü r den Verjährungsbeginn (§ 78 a StGB). Die teils behaupteten Auswirkungen der Beendigung auf die Beteiligung sind mit dem Erfordernis der Tatbestandsbestimmtheit nicht zu vereinbaren (dazu schon oben 22/40 f). O b qualifizierende Merkmale auch noch nach Vollendung des Grunddelikts herbeigeführt werden können, hängt von ihrem Bezugspunkt ab: Ist dieser die T a t selbst, so muß der qualifizierende Umstand vor der Vollendung bedingt worden sein 9 ; denn das Verhalten zwischen Vollendung und Beendigung ist f ü r sich allein nicht tatbestandsmäßig und deshalb nicht qualifizierbar. Ist Bezugspunkt aber die Reaktion des Opfers oder dritter Personen auf die Tat, so folgt das Qualifizierungsverhalten dem Grunddeliktsverhalten nach (stets bei § 252 StGB, möglich bei § 307 N r . 3 StGB). — Insgesamt ist es nicht angebracht, die Beendigung pauschal als eine Stufe des Delikts zu behandeln 9 3 .

III. Der Strafgrund des (formellen) Versuchs A. Der Meinungsstand Zum Grund der Versuchsbestrafung gibt es zahlreiche Lehren 1 0 . Für die Beurtei- 1 3 lung der Grenzen der Versuchsstrafbarkeit und der Grenzen des Rücktritts ist eine Stellungnahme zu den Lehren unumgänglich. 1. Nach den objektiven Gefährlichkeitstheorien soll es die konkrete Gefahr des Handlungsvollzugs f ü r ein Gut oder ein Angriffsobjekt sein, derentwegen der Versuch bestraft wird. a) Die Gefahr wird nach der älteren objektiven T h e o r i e 1 1 ex post beurteilt, wobei der absolut untaugliche Versuch ungefährlich sein soll (dann Straffreiheit; Beispiel: Der Täter des Tötungsversuchs durch Gift hält Kochsalz f ü r Arsen) und der nur relativ untaugliche Versuch gefährlich (Beispiel: Der Täter des Tötungsversuchs durch Gift nimmt eine zu geringe Menge Arsen). Die Abgrenzungsschwierigkeiten dieser Lehre haben sich schon bald als unbehebbar erwiesen (Arsen in ubiquitären Mengen als Tötungsmittel oder Kochsalz beim Nierenkranken?). b) Ihre klassische Gestalt hat die (neuere) objektive Theorie durch v. Hippelerhal14 ten 1 2 . Ein Versuch soll gefährlich sein, wenn ein einsichtiger Mensch mit den Kenntnissen des Täters und zusätzlich denjenigen eines aufmerksamen Beobachters zur Zeit der T a t (ex ante) die Vollendung f ü r nicht unwahrscheinlich, also f ü r adäquat gehalten hätte 1 3 . Beispiel: Ein Tötungsversuch mit einer Schußwaffe, die ein Dritter heimlich 9 Α. A. B G H 20 S. 194 ff, 196 f zu § 250 Abs. 1 N r . 1 StGB (die Lösung war in § 252 StGB zu suchen!); dagegen Hruschka J Z 1983 S. 217 f; Kühl]R 1983 S. 425 ff, 427, jeweils mit Nachweisen; siehe auch B G H 31 S. 105 ff, 107. Bitzilekis ZStW 99 S. 723 ff mit Nachweisen. 10 Zur Geschichte Zaczyk Unrecht S. 20 bis 125; Baumgarten Lehre vom Versuche; Albrecht Der untaugliche Versuch S. 5 ff; zur Kritik der gegenwärtig vertretenen Theorien Kratzsch Verhaltensorganisation S. 63 ff. — Ausführlich zum

Meinungsstand aus der Sicht des schweizerischen Rechts Walder SchwZStr. 99 (1982) S. 225 ff, 232 ff. — Zum japanischen Recht Naka in: Strafrecht S. 93 ff, 98 ff. — Ein ökonomisches Modell entwerfen Adams und ShavellGA 1990 S. 337 ff, 341 ff. H Feuerbach Lehrbuch § 42 mit Anm. 3; (zu Feuerbachs Lehre ausführlich Schmid Schröder-Gedächtnisschrift S. 19 ff) ; Berner Lehrbuch § 77. 12 Strafrecht Bd. II § 30. 13 v. Hippel zzO § 30 IV 6.

709

25. A b S C h n

2. Buch. 5. Kapitel. Versuch und Beteiligungsversuch

entladen hat, ist nach der neueren objektiven Theorie ein gefährlicher Versuch, nach der älteren objektiven Theorie ein absolut untauglicher und deshalb ungefährlicher Versuch. Die Gefährlichkeitstheorie ist wie folgt weiterentwickelt worden: Es soll nur für die „Handlung", nicht aber für die „vom Täter unabhängigen Tatumstände" auf ein Exante-Urteil abzustellen sein 1 4 . Die Abgrenzung dürfte weder exakt zu leisten sein, noch ist dargetan, daß sie axiologisch befriedigt 1 5 . — Auch die Deutung des Versuchs als abstraktes Gefährdungsdelikt wird vertreten 1 6 . 15

c) Die objektive Theorie ist ein Ausfluß des überholten Kausaldogmas; die Gleichung soll lauten : Wie ein vollendetes Verbrechen eine kausale Rechtsgutsverletzung ist, so ist ein versuchtes Verbrechen eine Rechtsgutsgefährdung. Wie aber das Verbrechen nicht primär Bewirken von Verletzungen an Gütern ist, sondern Verletzung der Normgeltung, so ist der Verbrechensversuch auch nicht primär über eine Gütergefährdung zu erfassen, sondern über die verletzte Normgeltung 1 7 . Der Strafgrund des Versuchs ist exakt derjenige der Vollendung, wie sich auch daran zeigt, daß zahlreiche vollendete Delikte materiell Versuche sind. Mit ihrem Abstellen auf die Gefahr bezeichnet die objektive Theorie als Versuch ein polizeiwidriges Geschehen, nicht aber ein strafbares Verhalten. Hinzu kommt folgender Einwand: Jede taugliche Theorie zum Versuch muß die positivrechtliche Differenzierung zwischen Vorbereitung und Versuch erklären können. Die Gefahr als quantifizierbarer Begriff ist aber hierzu untauglich; denn es lassen sich zwischen Vorbereitung und Versuch allenfalls Gefahrengrade, nicht aber Gefahrqualitäten ausmachen. Eine Differenzierung von Gefahrqualitäten ist nur zwischen dem Handlungsstadium einerseits (Vorbereitung und Versuch) und andererseits dem Stadium nach dem beendeten Versuch möglich: Erst nach der Versuchsbeendigung, also zu spät, ist die Gefahr nur noch an objektiven Momenten festgemacht. Wegen der Möglichkeit, gleitende Gefahrskalen zu bilden, fehlt der verbreiteten Behauptung, die objektive Theorie führe zu einer rechtsstaatlich strengen Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch, jeder Grund. Die objektive Theorie stellt freilich zutreffend darauf ab, daß die Entäußerung des Täters nur dann eine soziale Störung ist, wenn sie objektiv verständlich ist; ansonsten verwirklicht der Täter kein Versuchsunrecht, sondern versucht vergeblich, Unrecht zu verwirklichen.

16

2 a) Objektiv ist auch die Lehre, die zwischen Versuch und (stets straffreiem) Mangel am Tatbestand im engeren Sinn unterscheidet, wobei diese Lehre weniger die Versuchsstrafbarkeit begründen als sie begrenzen soll. Wenn die Vollendung fehlt, so soll nach dieser Lehre beim Versuch „das Manko die eigentliche Handlung" treffen (Mangel am Tatbestand im weiteren Sinn 1 8 ), während in den Fällen des Mangels am Spendel Stock-Festschrift S. 89 ff; siehe auch ders. ZStW 65 S. 519 ff, 522. 15 Zur Kritik siehe Wolter Zurechnung S. 84 ff mit Nachweisen. 16 Nach Kratzsch Verhaltenssteuerung S. 436 ff hat die Versuchsnorm die Aufgaben, (1) deliktische Willensbetätigungen vor der Verletzung zu verhüten, (2) die Versuchsstrafbarkeit auf unverzichtbare Fälle zu beschränken und (3) eine allseitige (Täter, Opfer, Gesetzgeber, Richter) Verwirklichung der Normziele zu ermöglichen. Die Versuchsnorm abstrahiere deshalb vom individueilen Ereignis, da sich eine konkrete Gefährdung

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nur unsicher bestimmen lasse: Der Versuch sei abstraktes Gefährdungsdelikt. — Aber wieso soll demjenigen Täter, der eine Verletzungsvollendung trotz eines bestehenden Verbots anstrebt, das Verbot der abstrakten Gefährdung etwas bedeuten, so daß es zur Verwirklichung der N o r m ziele auch kommt? Siehe dazu Kratzsch G A 1989 S. 49 ff, 54; ders. JA 1983 S. 420 ff, 578 ff, 579 ff. 17 Siehe Stratenwerth AT Rdn. 656. 18 Dohna Aufbau S. 56 f; ders. Güterbock-Festschrift S. 35 ff; Frank § 4 3 Anm. I; von LisztSchmidt § 44 I 2, § 45 III; Mezger Strafrecht § 53 IV mit weiteren Nachweisen in Fn. 12.

Versuch

25. Abschn

Tatbestand im engeren Sinn zwar die Handlung tauglich sei und ohne M a n k o durchgeführt werden k ö n n e 1 9 , aber die „Umstände . . . die Verwirklichung des Delikts von vornherein unmöglich machen" sollen 2 0 . b) Die T r e n n u n g von Handlung und Ausgangslage kann logisch nicht befriedigen; denn sie ist sprachlich oft beliebig. O b etwa bei der Sachbeschädigung, § 303 StGB, die Beschädigung einer speziell fremden Sache als Erfolg oder nur die Beschädigung einer Sache als Erfolg, die Fremdheit aber als tatbestandliche Bedingung formuliert wird, ist nicht auszumachen. Die Lehre kann auch axiologisch nicht befriedigen, insbesondere nicht bei der Differenzierung zwischen Delikten mit tatbestandlich bestimmt beschriebenen Tatmitteln (dann Mangel am Tatbestand beim Irrtum über die Mittelqualität, etwa die Qualität als Gift bei § 229 StGB) und ohne solche Beschreibung (dann strafbarer Versuch beim Irrtum über die Mittelqualität, etwa über die Giftigkeit einer Substanz bei § 212 StGB) 2 1 . 3 a) Nach der subjektiven Theorie geht es um die Gefahr f ü r die Normgeltung durch 17 den Vorsatz des Täters. Die Rechtsprechung hat seit den frühesten Entscheidungen des Reichsgerichts nach dieser Theorie judiziert 2 2 . Die Theorie ist eine Konsequenz der Einebnung aller Bedeutungsunterschiede sozialen Handelns durch die zur Kausalität entwickelte Aquivalenztheorie. So wie alle Bedingungen eines Erfolgs „gleichwertig" sein sollen, so soll auch ihr Fehlen stets „gleichwertig" sein, d. h. qualitative oder auch nur quantitative Differenzen zwischen den Bedingungen eines Erfolgs sollen nicht bestehen. Damit gehen taugliche wie untaugliche und gefährliche wie ungefährliche Versuche in der Gemengelage jedenfalls nicht hinreichend bedingter Erfolge a u f 2 3 . Grund der Strafbarkeit kann bei dieser Lage nur noch der Vorsatz des Versuchstäters sein, wobei wegen des Tatprinzips nicht der insgeheime oder nur geäußerte, sondern der betätigte Vorsatz gemeint ist 2 4 . b) Kritik: Die subjektive Theorie ist als Theorie zur Bestrafung vor der Vollendung brauchbar, nicht aber als Theorie gerade der Versuchsbestrafung; denn sie erklärt nicht, weshalb nicht schlechthin jede betätigte Vorbereitung erfaßt wird. Zudem kann die Theorie nicht unverbunden neben eine Theorie der Strafe bei Vollendung gestellt werden. Wenn das Reichsgericht ausführt, es könne „kein Zweifel aufkommen, daß im Versuche der verbrecherische Wille diejenige Erscheinung ist, gegen welche das Strafgesetz sich richtet, im Gegensatz zu dem in der Vollendung zu Tage tretenden aus dem verbrecherischen Willen hervorgegangenen rechtswidrigen Erfolge" 2 5 , so wird die Erkenntnis, daß es bei aller Gegensätzlichkeit von Versuch und Vollendung jedenfalls um einen perfekten Angriff auf die Normgeltung geht, verfehlt. 4. Nach einer dualistischen Theorie soll es bei intentionalen (absichtlichen) Versu- 1 8 chen auf die Gefahr f ü r die Normgeltung durch den Vorsatz des Täters ankommen, 19 öoAna Aufbau S. 57. 20 AtezgerStrafrecht § 53 IV (S. 396). 21 Zur Kritik siehe auch Maurach-Gössel A T II § 40 Rdn. 128 ff. 22 R G VS 1 S. 439 ff ; R G 8 S. 198 ff, 202 f ; B G H 11 S. 324 ff, 327; ständige Rechtsprechung. — Aus der Literatur Baumann-Weber A T 5 32 II 1; Dreher- Tröndle § 22 Rdn. 24; Welze! Strafrecht § 24 I V I b. 23 Ein weiteres Argument der subjektiven Theorie war ein Umkehrschluß aus der Regelung des Tatbestandsirrtums in § 59 StGB a. F.; der Schluß war logisch unhaltbar (Spendei N J W 1965

S. 1881 ff) und axiologisch zumindest verkürzt (Engisch Heinitz-Festschrift S. 185 ff, 188; Sax J Z 1964 S. 241 ff). 24 Die Frage nach der Begründung von Versuchsstrafbarkeit durch subjektive Momente hat mit einem Gesinnungsstrafrecht nichts zu tun: Auch wenn der Vorsatz (der sowieso etwas anderes ist als eine Gesinnung) dasjenige Element ist, bis zu dem bei der Tatzurechnung die T a t zurückgef ü h r t wird, heißt das nicht, auf die T a t könne überhaupt verzichtet werden; das vermengt aber die Kritik von SpendelNfW 1965 S. 1881 ff. 25 R G V S 1 S. 439 ff, 441.

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25. AbSChn

2. Buch. 5. Kapitel. Versuch und Beteiligungsversuch

ansonsten auf die Gefährlichkeit des Vorgehens 2 6 . Die Kritik an den jeweiligen monistischen Lösungen gilt f ü r den entsprechenden Arm der dualistischen Lösung. 19

5 a) Subjektiv, aber mehr um eine Verbindung mit der Ausführungshandlung bemüht, ist eine sogenannte Tätertheorie, nach der ein Versuch strafbar ist, weil bei ihm — wie bei der Vollendung und im Gegensatz zur Vorbereitung — die Entscheidung über das O b der T a t gefallen sei. Die Entschlossenheit des Täters habe sich „im Moment ihrer Krisis" bewährt. Bestraft wird also des erprobten Vorsatzes wegen 2 7 . b) Diese Lehre f ü h r t über die subjektive Theorie nicht hinaus; denn was der Täter als Erprobung des Vorsatzes empfindet, hat mit der tatbestandlichen Ausführungshandlung nicht notwendig etwas zu tun. Beispielsweise ist dem notorischen Fälscher die Herstellung einer unechten Urkunde (§267 Abs. 1, 1. Fallgruppe StGB) noch keine Erprobung und der Gebrauch der perfekt gelungenen Fälschung (§ 267 Abs. 1, 3. Fallgruppe StGB) schon keine Erprobung des Vorsatzes mehr.

20

6 a) Eine sogenannte Eindruck$theorieli versucht, die Ergebnisse der subjektiven Theorie um den „,Eindruck' der T a t auf die Allgemeinheit", die „sozialpsychologische (?) W i r k u n g " 2 9 oder die Erschütterung des „Vertrauens der Allgemeinheit auf die Geltung der Rechtsordnung" 3 0 zu ergänzen. b) Das ist zumindest falsch formuliert: Der Sitz des Versuchsproblems ist nicht die faktische „sozialpsychologische" „Erschütterung" irgendwelcher „Allgemeinheiten", sondern die Legitimität des Zugriffs vor der Tatbestandsverwirklichung. Insbesondere bei gewichtigen Delikten dürfte die — meist straffreie — Vorbereitung (etwa die minutiöse Vorbereitung eines Totschlags durch einen Alleintäter) an Eindruckskraft etwa hinter dem Versuch eines leichteren Delikts nicht zurückstehen, aber die Vorbereitung darf nicht Anlaß strafrechtlicher Reaktionen sein. Auch läßt sich das Abstellen auf die Eindruckskraft mit der ganz unterschiedlichen Gutsverletzungsdichte der (formellen!) Vollendungen und damit auch der Stadien vor den Vollendungen nicht harmonisieren. Wenn etwa bei der Urkundenfälschung schon mit der Herstellung der unechten U r k u n d e ein Delikt sogar vollendet ist, so läßt sich bezüglich des mit der Urkunde geplanten Betrugs in diesem Stadium nicht der massive Eindruck eines N o r m angriffs leugnen, obwohl von einem Versuchsbeginn insoweit nicht die Rede sein kann. Es kann also im Ergebnis nicht um den Zeitpunkt einer allgemeinen Aufregung gehen, sondern nur um die Anbindung an die Tatbestandsverwirklichung, die von der Eindruckstheorie nach ihrem positiven Gehalt nicht geleistet wird. Negativ freilich läßt sich festhalten, daß ohne Eindruckskraft des Tuns kein Anlaß vorliegt, einen Versuch zu konstruieren.

B. Der Versuch als expressiver und tatbestandsnaher Normbruch 21

la) Da Versuch und Vollendung Angriffe auf die Normgeltung sind, muß der Täter eines Versuchs wie derjenige einer Vollendung durch sein Verhalten expressiv machen, daß er sich nicht an die N o r m hält. Das ist der Mindestinhalt strafbaren Verhaltens. 26 Alwart Versuchen S. 163 ff, 172 ff, 182, 185; Schmidhäuser Studienbuch 11/1 ff, 16 f, 23, 27 ff, 34 ff. 27 Bockelmann J2.1954 S. 468 ff, 473; ders. Untersuchungen S. 150 ff, 151, 161 f; abweichend aber Bockelmann-Volk A T S 27 III 2. 28 ]escheck AT § 49 II 3 ; SK-Rudolphi Rdn. 13 f vor § 2 2 ; Schönke-Schröder-Eser Rdn. 23 vor § 2 2 ; LK-Vogler Rdn. 37, 54 ff vor § 22; Maurach-Gös-

712

sel AT II § 40 Rdn. 40 ff; Stratenwerth AT Rdn. 657; Papageorgiou-Gonatas Grenze S. 200 ff; jeweils mit Nachweisen. — Zutreffend kritisch Weigendm: StrafrechtS. 113 ff, 121 ff. 29 £ i e r a a O . 30 /escheck a a O ; — der gedankliche und sprachliche Blumenreichtum kann hier nicht in allen Varianten vorgeführt werden.

Versuch

25. Abschn

b) Die Freiheit zu interner Organisation, die jeder verantwortlichen Person zukommt (oben 25/1 a ff), steht in einem Synallagma: Die Person hat d a f ü r zu sorgen, daß aus ihrem Organisationskreis keine schädigenden Verläufe austreten 3 1 . Kommt sie dieser Pflicht nicht nach, so kann sie insoweit keine Freiheit beanspruchen, das heißt, was die Person nicht beherrscht, ist extern, also nachprüfbar. Die Preisgabe der H e r r schaft zum potentiellen Nachteil eines anderen ist ein Versuch im materiellen Sinn (der Täter setzt zu einem extern störenden Verhalten an). Das geltende Recht stellt aber in § 22 StGB nicht auf einen potentiellen Nachteil ab, sondern auf die potentielle Tatbestandsverwirklichung (die nicht selten einer Gutsverletzung vorgelagert ist, oben 2/25 a ff, 6/86 a f) ; die Preisgabe der Herrschaft mit der Folge einer potentiellen Tatbestandsverwirklichung ist ein Versuch im formellen Sinn (weil die nach der Tatbestandsverwirklichung bestimmte Vollendung ein formeller Begriff ist, oben 25/1 g). Nach geltendem Recht gibt es also strafbare nur-formelle Versuche, seil, bei Tatbeständen, bei denen selbst die Vollendung so weit vorverlagert ist, daß eine Preisgabe eines potentiellen nachteiligen Verlaufs noch nicht stattgefunden hat. So verhält es sich etwa bei der ersten Tatvariante von § 267 Absatz 1 StGB; die unechte U r k u n d e gelangt nicht allein durch die Herstellung und erst recht nicht allein durch den Versuch der Herstellung aus der H e r r s c h a f t des Täters, aber das Gesetz behandelt die Herstellung als externes Verhalten. Strafgrund des Versuchs ist das Expressiv-Werden eines Normbruchs, und zwar beim Versuch im materiellen Sinn in einem externen Verhalten, beim Versuch im nur-formellen Sinn in einem positivrechtlich für extern erklärten Verhalten. 2. Der Täter muß den Bruch einer wirklich vorhandenen N o r m expressiv machen, 22 nicht nur den Bruch einer N o r m , die nur in seiner Vorstellung vorhanden ist. Eine wirklich vorhandene N o r m wird dann nicht gebrochen, wenn der Täter bei der Bildung seines Vorsatzes, insbesondere bei der Auswahl der Mittel, von einer kommunikativ nicht relevanten Weltgestaltung ausgeht (siehe schon oben 8/65 a). a) Versucht der Täter, übernatürliche Kräfte einzusetzen (abergläubischer Versuch), so fehlt der Bruch einer wirklich vorhandenen N o r m (anders formuliert: es fehlt schon der Vorsatz, oben 8/6 a); denn alle Tatbestände beschränken sich auf den Einsatz bestimmter oder beliebiger natürlich-kausaler oder als natürlich-kausal vorgestellter Mittel gegen natürlich-reale oder als natürlich-real vorgestellte Objekte 3 1 a . Eine Planung mit übernatürlichen Elementen ist deshalb kein tatbestandlicher Vorsatz und der Ausführungsversuch nicht Versuch eines Delikts (anders aber bei nur abergläubischen Motiven: Der trivial-irdisch ausgeführte Mordversuch am Landesherrn in der H o f f n u n g auf ewigen Lohn ist strafbar). Der G r u n d f ü r diese Beschränkung soll nach verbreiteter Ansicht 3 2 der mangelnde rechtserschütternde Eindruck der bezeichneten Verhaltensweisen sein, was allerdings nur relativ zu bestimmten Personengruppen (eben zu den Aufgeklärten) und auch dann nur bei sowieso absonderlichen Tätern gilt, nicht aber bei allgemein als vorbildhaft geltenden Personen: Das öffentliche Gebet des 31 Das gilt auch für das Begehungs-Pflichtdelikt: Der Täter muß garantieren, daß er keinen mit der Institution unverträglichen Verlauf externalisiert. Beispiel : Ein Richter hat nicht nur das Vorhandensein korrekter, sondern auch das Fehlen inkorrekter Entscheidungen zu garantieren. 31a Treffend Zazcyk Unrecht S. 252: „So wenig das Rechtsverhältnis durch transzendente Kräfte etabliert wird, so wenig kann die Beschwörung solcher Kräfte Unrecht sein."

32

GösselGA 1971 S. 225 ff, 229 f f ; Maurach-Gössel A T II § 41 Rdn. 142; LK-Vogler; § 23 Rdn. 30; Schönke-Schröder-Eser § 2 3 Rdn. 13; SK-Rudolph't § 22 Rdn. 34 f; /. Meyer ZStW 87 S. 598 ff, 618 f; a, A. Armin Kaufmann Welzel-Festschrift S. 393 ff, 403; - als Fall des § 23 Abs. 3 StGB behandelt bei Baumann-Weber AT § 33 IV 3 b ; — aus der Rechtsprechung siehe R G 33 S. 321 ff und B G H LM § 49 a N r . 10.

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25. Abschn

2. Buch. 5. Kapitel. Versuch und Beteiligungsversuch

Landesbischofs um den T o d des Landesherrn dürfte mit der Eindruckstheorie nicht als irrelevant zu erklären sein. Die Beschränkung dürfte sich eher aus dem Bestreben erklären, die Ernsthaftigkeit einer Weltdeutung zu leugnen, die den Rahmen der Bedingungen des Rechts in Frage stellt 33 . 23

b aa) Der Täter geht nicht nur beim abergläubischen Versuch, sondern immer dann von einer kommunikativ irrelevanten Weltgestaltung aus, wenn er eine dem Prinzip nach falsche Weltsicht hat, also seine Erkenntnisse aus prinzipiell ungeeigneten Quellen (Traum, intuitives Fühlen, Eingebung etc.) schöpft oder auf prinzipiell ungeeignete Weise verarbeitet (er klammert Erfahrung aus, die er hat; er schließt von einem Einzelfall auf eine Regel oder von einer einzigen Regelwidrigkeit auf den Nichtbestand der Regel etc.). Solcherart untaugliche Versuche richten sich gegen keine wirklich vorhandene N o r m . Das hat folgenden G r u n d : Jedes Verhalten, das verstanden werden soll, muß in einem bestimmten Kontext interpretiert werden. Welcher Kontext das ist, richtet sich nach der Art der sozialen Beziehung, um die es geht. Gibt es in dieser Beziehung ein grenzenloses Sich-aufeinander-Einlassen, dann werden T r a u m und Wirklichkeit, Logisches und Alogisches austauschbar, wenn solches f ü r den Täter austauschbar ist. Jedes nach der Vorstellung des Täters erfolgsgeeignete Verhalten ist dann ein tatbestandsmäßiges Verhalten, den abergläubischen Versuch eingeschlossen. Auf eine solchermaßen radikal am handelnden Subjekt ausgerichtete Art und Weise mögen sich Gesinnungen stabilisieren lassen, nicht aber differenzierte Interaktionen. Diese gelingen vielmehr nur, wenn rational organisiert wird (was nicht heißt: auf rational begründete Ziele hin, sondern: in rationaler Art und Weise). Deshalb darf nur rationale Organisation als relevante Organisation gelten 3 3 3 . Ins Kriminalpolitische gewendet: Wer nicht rational organisierte Versuche bestraft, ermuntert dazu, irrationale Organisation ernst zu nehmen, und diese Aufwertung legt es nahe, auch die Vermeidung von Gefahren irrational zu organisieren, was heißt: ineffektiv, abgesehen von Zufallstreffern. bb) Freilich muß die N o r m in gewissem Maß die Perspektive des Täters übernehmen, zumal bei Erfolgsdelikten; denn der Täter hat selbst zu beurteilen, wann die in der N o r m beschriebene Lage eintritt. Der Täter urteilt also von seinem Standpunkt aus, aber es muß sich um ein rationales Urteil handeln, wenn es zählen soll. Was sich in objektiver Sicht als schwerer Irrtum des Täters darstellt, kann trotzdem kommunikativ relevant sein, seil, wenn die Lage sich aus der Sicht des Täters als rational organisiert darstellt. Beispiel: Wenn in einem Fachbuch über Giftpflanzen versehentlich eine Variante des Löwenzahns abgebildet ist, verhält sich ein biologisch unbewanderter Mensch rational, wenn er dieses Kraut als Gift einsetzt; aber es ist nicht rational, Löwenzahn als Giftpflanze zu behandeln, nur weil neben der Pflanze ein totes Tier liegt. cc) Fehlt dem Täter der allgemein selbstverständliche Sachverstand, so kann das aus seiner Sicht rationale Verhalten trotzdem nach' allgemeiner Sicht grob unverständig sein (so im oben angeführten Beispiel eines offensichtlichen Abbildungsfehlers); die Strafbarkeit von solchen Fällen regelt § 23 Absatz 3 StGB. Fehlt aber einem Verhalten

33 Zahlreiche Fälle des abergläubischen Versuchs sind kurioserweise auch aus Gründen der Beteiligungslehre nicht faßbar: Die Beeinflussung überirdischer Subjekte ist mangels Tatherrschaft (wer entscheidet Uber das O b und die Gestalt der Tat und vollzieht eigenhändig die Ausführungshandlung?) keine Täterschaft und mangels Haupttat (überirdische Wesen sind keine Normadressaten)

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keine Teilnahme. Somit bleibt die Strafbefreiung speziell wegen des Abergläubischen nur in den Fällen der Benutzung „übernatürlicher Werkzeuge". 33a Jakobs Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 271 ff, 277 ff; siehe auch Weigend in: Strafrecht S. 113 ff, 127: Versuch als Schaffung eines verbotenen Risikos.

Versuch

25. Abschn

schon die kommunikative Relevanz, so handelt es sich nicht um einen Versuch, sondern — weil der Tatbestand solches Verhalten nicht erfaßt — um ein Wahndelikt.

IV. Der subjektive Tatbestand beim Versuch A. Die Beschränkung auf Vorsatzdelikte 1. N a c h § 22 StGB versucht eine Straftat, wer nach seiner Vorstellung von der Tat 24 zur Verwirklichung des Tatbestands unmittelbar ansetzt. Der objektive Tatbestand ist beim Versuch nicht komplett; der subjektive Tatbestand hingegen muß vollständig vorliegen, und zwar mit demselben Inhalt und in derselben Form, wie es zur Bestrafung aus dem vollendeten Vorsatzdelikt erforderlich ist. — Freilich ist beim unbeendeten Versuch der Wille zur Verwirklichung des letzten Teilakts noch nicht vollzogen; insoweit besteht ein Willens vollzugsdeiizit gegenüber dem beendeten Versuch und der Vollendung 3 3 b . — Genügt zur Vollendung dolus eventualis, so auch z u m V e r s u c h 3 4 . Die eine Vollendung überschießenden Vorsätze gehören auch zur subjektiven Seite des Versuchs, ferner die das Delikt typisierenden Merkmale jenseits des Vorsatzes; bei komplexen Merkmalen wie den sogenannten Gesinnungsmerkmalen muß immerhin das subjektive Moment vorhanden sein. Das Gesetz nennt die subjektive Seite nicht Vorsatz, sondern Vorstellung, weil es zur Bestimmung des Versuchsbeginns nicht nur darauf ankommt, daßder Täter davon ausgeht, der Tatbestand werde sich verwirklichen, sondern auch wie das geschehen soll. Vorbedacht, Überlegung oder Planung sind zum Versuch nicht erforderlich. U m das klarzustellen, wurde der Begriff „Tatplan" im Gesetz bewußt vermieden 3 5 ; insbesondere kann auch eine Tat in plötzlicher affektiver Erregung versucht werden. 2 a) Ein Versuch erfolgsqualifizierter Vorsatzdelikte (§ 18 StGB, oben 9 / 2 8 , 30 ff; 25 erfolgsqualifizierte Fahrlässigkeitsdelikte können überhaupt nicht strafbar versucht werden) ist entgegen dem durch § 11 Abs. 2 StGB erweckten Anschein nicht in der Form möglich, daß die Folge nicht eintritt und nur von Fahrlässigkeit umfaßt ist, mag das Grunddelikt versucht oder vollendet sein. Vielmehr ist § 11 Abs. 2 StGB dahin D a also beim unbeendeten Versuch der „Willensakt" noch nicht komplett ist, soll nach Struensee (Armin Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 523 ff, 528 ff, 532 f) der subjektive Tatbestand gegenüber der Lage beim unbeendeten Versuch (und bei Vollendung) mit der Folge unentwickelt („verkümmert") sein, daß der unbeendete Versuch gegen eine andere N o r m verstoße als der beendete (S. 537). — Freilich läßt sich nur von einem naturalistisch-psychologisierenden Ansatz aus begründen, daß es auf die — von Struensee zutreffend dargelegte — Muskelinnervationsdetaillierung überhaupt ankommen soll. Entweder bedeutet der unbeendete Versuch „Tatbestandsverwirklichung" (etwa „Töten" oder „Sachbeschädigen"), dann bedeutet er inhaltlich (qualitativ) dasselbe wie Vollendung, oder er verwirklicht denselben Tatbestand überhaupt nicht; mit anderen Worten, wenn das Verhalten „Tatbestandsverwirklichung" bedeutet, so ist die „Verkümmerung" der subjektiven Seite rein quantitativer N a tur. 34 R G 6 1 S . 159 f, 160; 68 S. 339 ff, 341; ganz überwiegende Ansicht; a. A. LK?-Nagler-Jagusch

(1951) § 43 Anm. II unter Bezug auf die von Binding Normen Bd. II (2) S. 864 f herrührende Gleichsetzung von eventuellem und alternativem V o r s a t z ; Lampe N J W 1958 S. 332 f; Puppe N S t Z 1984 S. 488 ff, 491 (dazu unten 26/22); de lege ferenda will Herzberg J Z 1989 S. 470 ff, 478 mild e r s t r a f e n ; ders. N S t Z 1990 S. 311 ff, 314 ff (§ 23 Abs. 3 StGB soll analog auf rücktrittsverwandte Fälle angewandt werden); siehe auch Streng J Z 1990 S. 212 ff, 219 f. - Arzt Jescheck-Festschrift S. 391 ff, 403 will bei den §§ 153 ff StGB eine T a t mit dolus eventualis nur im Vollendungsfall strafen; seine Beispiele betreffen Fälle mangelnder Objektivierung eines Vorsatzes auf ein unerlaubt riskantes Verhalten; diese Schwäche der Objektivierung weist der dolus eventualis freilich bei den §§ 153 ff nicht stets auf (Beispiel: Ein Zeuge behauptet offensichtlich ins Blaue, ein wahrscheinlicher, freilich nicht sicherer Verlauf habe gewiß stattgefunden.) und auch nicht nur bei diesen Delikten; zudem mag sich selbst direkter Vorsatz nur schwach objektivieren. 35 BT-Drucksache V/4095 S. 11.

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25. AbSChn

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auszulegen, daß die vorsätzliche Handlung die Möglichkeit eines Versuchs eröffnet, ohne daß aber vom Erfordernis eines Erfolgseintritts im fahrlässig zu bewirkenden Teil abzurücken wäre. Es soll nicht ein partiell fahrlässiger Versuch erfaßt werden, sondern ein Versuch, soweit Vorsatz vorliegt; ansonsten soll es bei den Regeln des Fahrlässigkeitsdelikts bleiben. 26

b) Es ergeben sich folgende Fallgruppen 3 6 : aa) Einmal ist Versuch für den Fall des Vorsatzes auf die Folge nach allgemeinen Regeln möglich, also ohne Blick darauf, ob zumindest der Grundtatbestand eingetreten ist 3 7 . O b schon der Versuch des Grundtatbestands f ü r sich bestraft werden kann, ist f ü r diesen Fall gleichgültig 38 . Beispiel 39 : Der Täter schießt auf den Unterleib einer Frau und hat bedingten Vorsatz bezüglich des Verlusts der Empfängnisfähigkeit, trifft aber überhaupt nicht; — versuchte schwere Körperverletzung, § 224 StGB. bb) Zum anderen ist Versuch bei eingetretener Folge und mindestens Fahrlässigkeit (oder Leichtfertigkeit) bezüglich der Folge bei denjenigen erfolgsqualifizierten V o r satzdelikten möglich, bei denen die spezifischen Bedingungen der Folge vor der Vollendung des Vorsatzteils des Delikts komplett sein können, wie etwa bei § 178 Abs. 3 StGB (der T o d kann Folge nur der Gewalt sein 4 0 ) und § 251 StGB (der T o d ist in der Regel nicht Folge von Nötigung plus Wegnahme, sondern nur der Gewalt oder D r o h u n g 4 1 ) , nicht aber bei den §§ 224, 226 StGB oder bei § 307 N r . 1 StGB 4 2 , da bei letzteren die Folge eine Weiterung der vorsätzlich bewirkten Vollendung des Grunddelikts sein muß (siehe oben 9/33 ff). Freilich muß der Versuch des Grunddelikts hier schon f ü r sich strafbar sein, da sich § 18 StGB auf strafbarkeitsbegründende Folgen nicht beziehen läßt.

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3. Ein Versuch der nicht-qualifizierenden Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen (oben 9/29) ist f ü r den Fall möglich, daß die Folge ausbleibt, aber vom Vorsatz umfaßt ist, oder aber — bei Fahrlässigkeit — schon beim Versuch des Vorsatzteils eintritt 4 3 . Freilich muß der Versuch ein Verbrechen sein (was de lege lata ausscheidet) oder als Vergehen ausdrücklich mit Versuchsstrafe bedroht sein (so bei § 353 b Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs. 3 StGB).

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4. Ein fahrlässiger Versuch wird von § 22 StGB nicht erfaßt, da die Vorschrift eine Vorstellung von der T a t als Handlung und Erfolgsbewirkung verlangt. Für die Lehre freilich, die entgegen der hier vertretenen Ansicht eine bewußte Fahrlässigkeit mit 36 Zum folgenden Text siehe Hirsch GA 1972 S. 65 ff; Ulsenheimer GA 1966 S. 257 ff; Küpper Zusammenhangs. 113 ff; Rengier Erfolgsqualifizierte Delikte S. 234 ff (zu weit ausdehnend); Laubenthal JZ 1987 S. 1065 ff, 1067; Stree GA 1960 S. 289 ff; OehlerZStW 69 S. 503 ff; zusammenfassend AK-Paeffgen § 18 Rdn. 106 ff. 37 BGH 10 S. 306 ff, 309 f; 21 S. 194 ff; BGH GA 1958 S. 304; LK- VoglerKàn. 83 ff vor S 22. 38 Hirsch GA 1972 S. 65 ff, 75 Fn. 50; Jakobs Konkurrenz S. 131 Fn. 117; LK-Schroeder §18 Rdn. 37 ff; Jescheck AT § 4 9 VII 2; SchönkeSchröder-Cramer §18 Rdn. 10; — a. A. (was nicht vorsätzlich sein muß, soll beim Vorsatz keinen Versuch begründen können) Schröder JZ 1967 S. 368 ff; Schmoller JurBl. 1984 S. 654 ff, 657 ff; ferner (nur bei Strafbarkeit des Versuchs des Grunddelikts) UlsenheimerGA 1966 S. 257 ff, 278, aber aufgegeben in ders. Bockelmann-Festschrift S. 405 ff,418 Fn. 61.

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39 40 41 42

Nach B G H 21 S. 194. RG 69 S. 332 f. RG 62 S. 422 ff, 423. RG 40 S. 321 ff, 324; B G H 20 S. 230 ff, 231; gegen B G H 7 S. 37 ff, 39. 43 Fraglich; Schönke-Schröder-Eser §11 Rdn. 76 hält es für „denkbar, daß eine Grundhandlung versucht wird, die, falls erfolgreich, zu einer fahrlässigen Gefährdung führen würde"; ob diese Konsequenz des § 11 Abs. 2 StGB gewollt ist, ist zumindest zweifelhaft; jedenfalls ist die sich dann entsprechend ergebende immense Ausdehnung der Strafbarkeit der erfolgsqualifizierten Vorsatzdelikte auf alle Fälle fahrlässigen Versuchs bezüglich der Folge gewiß nicht gewollt. — Die Strafbarkeit des Versuchs ist überhaupt streitig; dagegen SK-Rudolphi § 11 Rdn. 36; für die Versuchsstrafbarkeit LK-Tröndle § 11 Rdn. 99; Dreher- Tröndle § 353 b Rdn. 14.

Versuch

25. Abschn

vorsatzgleicher Vorstellung anerkennt (siehe oben 8/26 f f ; 9/3), müßte der bewußt fahrlässige Versuch der Definition von § 22 StGB entsprechen; freilich wäre er mangels besonderer Strafbarkeitsanordnung straffrei ( § 2 3 Abs. 1 StGB; Fahrlässigkeitstaten sind Vergehen). — Ein fahrlässiger Versuch ist jedoch, auch wenn § 22 StGB ihn nicht erfaßt, als Deliktsform möglich (siehe schon oben zur Fahrlässigkeit 9/27) : Der Täter vollzieht eine erkennbar unerlaubt riskante Handlung, aber der Erfolg bleibt aus (beendeter Versuch), oder der Täter setzt zu einer H a n d l u n g an, von der ihm erkennbar ist, daß sie deliktische Weiterungen bringen kann (unbeendeter Versuch). Vereinzelt erfüllt ein solches Verhalten einen Straftatbestand (§ 315 c Abs. 3 N r . 2 i. V. m. Abs. 1 N r . 2 Buchstabe f, 2. Fallgruppe StGB: Jemand versucht auf einer Straße zu wenden, über deren Eigenschaft als Kraftfahrstraße er sich leichtfertig keine Gedanken macht). Häufiger ist der fahrlässige Versuch ausschnitthaft als fahrlässige G e f ä h r d u n g tatbestandlich typisiert (§§ 97 Abs. 2; 315 Abs. 1, 5; 315 a Abs. 1, 3 N r . 2; 315 b Abs. 1, 5; 315 c Abs. 1, 3 N r . 2 StGB) 4 4 . Die verbreitet anzutreffende Ansicht, einen Versuch bei fahrlässigen Delikten gebe es nicht 4 5 , ist entweder eine nur terminologische Reklamation der Bezeichnung Versuch f ü r das Vorsatzdelikt oder aber falsch: Was vollzogen werden kann, kann auch angefangen werden, und was erfolgreich vollzogen werden kann, kann auch erfolgslos vollzogen w e r d e n 4 6 .

B. Die Tatentschlossenheit 47 1. Der Täter muß zur Tat, d. h. zum Handlungsvollzug mit seinen beabsichtigten 29 oder auch nur gesehenen Folgen, entschlossen sein; ein nur — mißverständlich sogenanntes — bedingtes Wollen reicht nicht aus 4 8 . Damit ist gemeint, daß der Täter, der mit dem Gedanken an ein Delikt nur spielt, noch keinen Deliktsvorsatz hat (und deshalb auch noch angestiftet werden kann). Da das bloße Gedankenspiel ohne hinzukommenden Entschluß keine Tat produziert, bleibt es beim Versuch sowieso außer Betracht 4 9 . — Der erforderliche Entschluß darf nicht als Entscheidung verstanden werden, das Vorgesetzte solle vollzogen werden, obgleich eine solche Entscheidung 44

Zu weiteren Ersatzformen siehe Jakobs Beiheft ZStW 1974 S. 6 ff, 38 ff. 45 Zaczyk Unrecht S. 209 ff (freilich nur mit einer Argumentation zur Fahrlässigkeit als Irrtum aus Versehen, nicht zur Fahrlässigkeit als Unkenntnis aus Gleichgültigkeit); Jescheck A T § 4 9 III 1 a, § 54 IV; Stratenwerth A T Rdn. 661; LK-Vogler Rdn. 16 f vor § 2 2 ; differenzierend SchänkeSchröder-Eser % 22 Rdn. 22; eingehend Alwart Versuchen S. 154 ff, 156 (danach soll es kein fahrlässiges Versuchsdelikt geben, wohl aber ein „unvollendetes Fahrlässigkeitsdelikt"). 46 Zutreffend SK-Rudolphi § 22 Rdn. 1 ; MaurachGössel A T II § 4 0 Rdn. 72; Sturm ZStW 59 S. 23 ff, 32; Wolter Objektive und personale Zurechnung S. 192 ff; Jakobs Beiheft ZStW 1974 S. 6 ff, 41 ; ders. Studien S. 125. 47 Die Entscheidungen sind im einzelnen streitig. Wie hier Walder SchwZStr. 99 (1982) S. 225 ff, 252; ähnlich wie hier, aber die Betätigung des Entschlusses weiter fassend, Arzt JZ 1969 S. 54 ff; überwiegend wie hier, aber unter sehr weiter Anerkennung eines noch unverbindlichen, betätigten „Spielens mit der Möglichkeit" Roxin Schröder-Gedächtnisschrift S. 145 ff, 151; ders.

JuS 1979 S. 1 ff, 2 f ; Roxin entscheidet nach dem Übergewicht der Tatantriebe (Entschluß) oder Hemmungsvorstellungen (kein Entschluß) (Schröder Gedächtnisschrift S. 145 ff, 154; J u S 1979 S. 1 ff, 3). Seine Bedenken gegen die Verkürzung des Bereichs der Anstiftung erledigen sich bei der hier zur Anstiftung vertretenen, restriktiven Interpretation vorab (siehe oben 22/22); zu Arzt und Roxin: Ziegert Vorsatz S. 45 (der darauf abstellt, ob der Täter ein zur Begehung eines Delikts drängendes Motiv als Verhaltensziel zuläßt, S. 52 ff). — Die überwiegende Lehre entscheidet im Anschluß an Schmid ZStW 74 S. 48 ff nach Tatgeneigtheit (kein Entschluß) und Tatentschluß auf bewußt unsicherer Tatsachengrundlage sowie Entschluß mit Rücktrittsvorbehalt (beide Entschluß); SK-Rudolphi §22 Rdn. 4 f ; Maurach-Gössel A T II § 40 Rdn. 71 ; Jescheck AT § 29 III 3 c; Schönke-Schröder-Eser § 22 Rdn. 18 ff; LK-Vogler § 22 Rdn. 9 f f ; siehe auch Less GA 1956 S. 33 ff; R. Schmitt JuS 1961 S. 25 ff; Kratzsch]A 1983 S. 420 ff, 578 ff, 583. 48 Zur Terminologie Schmid ZStW 74 S. 48 ff. 49 Sogenannte Tatgeneigtheit, SchmidaaO S. 51.

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25. AbSChn

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häufig vorliegen wird. Es reicht als Entschluß hin, daß der Täter erkennt, er werde — kraft einer Entscheidung oder pathisch getrieben — das Vorgesetzte vollziehen. Diese weite Fassung des Entschlusses ermöglicht insbesondere einen Vorsatz bei Affekttaten. Da nicht betätigte Vorsätze nicht strafbar sind, kann das Problem, wie ein Tatentschluß zur Versuchsbestrafung gestaltet sein muß, reduziert werden : Es interessiert nur die Gestalt eines betätigten Entschlusses. 30

2. Bleibt eine Tatgeneigtheit nicht bloßes Gedankenspiel, sondern wächst sie sich dahin aus, daß der Täter Handlungen vollzieht, die bei gegebenem Vorsatz Vorbereitungshandlungen oder gar unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung sind, so ist zu unterscheiden : a) Haben die Handlungen für den Täter nur Bedeutung als Vorbereitung des Delikts oder als unmittelbares Ansetzen dazu, dann hat der Täter den Bereich des Unverbindlichen verlassen und ein Tatentschluß liegt vor, mag dem Täter auch selbst ungewiß sein, ob er den Entschluß bis zum Ende durchhalten kann. Beispiel.: Der Täter hebt die scharfe Waffe gegen den ahnungslosen Feind (eine bloße Drohung scheidet wegen der Ahnungslosigkeit aus); ob er den Mut haben wird, sie zu gebrauchen, weiß er nicht gewiß. — Wenn eine Sinngebung des Akts aus dem Unterbewußten ausscheidet, handelt es sich um die Betätigung eines Entschlusses zur Verletzung des Feinds. b) Ist das Handeln aber für den Täter zumindest ambivalent, also auch sinnvoll, wenn das letzte Teilstück zum Delikt ausbleibt, so hat der Täter speziell in das Delikt noch nichts „investiert"; er bewegt sich noch im Bereich des Unverbindlichen und ein betätigter Entschluß fehlt. Beispiel: Wie soeben, nur erkennt der Feind die Handlung, wie der Täter weiß, und die Drohung ist ihm schon den Akt wert 5 0 . c) Bei gemeinsamen Handlungen mehrerer Personen ist zu beachten, daß schon die Demonstration des Mitmachens gegenüber den anderen Beteiligten einen Handlungssinn abgeben kann; die Annahme eines zum Versuch hinreichenden Entschlusses hindert das aber nur, wenn noch ein eigenes Handeln nachfolgen muß. Konkret: Wer dem Freund die Waffe leiht, damit dieser schießt, handelt jedenfalls mit Tatentschluß; wer sie ihm gibt, um sie sich von ihm nur laden zu lassen, mag keinen Tatentschluß haben.

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3. Ahnlich der Tatgeneigtheit verhält es sich beim „Entschluß auf bewußt unsicherer Tatsachengrundlage"^ : Der Täter knüpft seinen Entschluß an das Vorhandensein oder Ausbleiben bestimmter Umstände objektiver, d. h. vom Täter unabhängiger, Art. 32 a) Wenn sich der Täter vor Eintritt der Bedingung aller Handlungen enthält, die ihren Sinn nur in der Förderung des Delikts haben können, mag ein hinreichender Entschluß vorliegen, aber darauf kommt es nicht an, da schon mangels Objektivierung eines Deliktsvorhabens ein Versuch ausscheidet. Beispiel : Der Gynäkologe, der für den Fall einer Schwangerschaft zur Abtreibung an einer Patientin entschlossen ist, die er sowieso untersuchen muß, betätigt mit der Untersuchung keinen Deliktsentschluß. 33

b) Wenn der Sinn des Täterhandelns aber in der Förderung des Delikts liegt, hindert die Bedingung den Entschluß nicht. Beispiele: Wie soeben, aber der Arzt untersucht hier einzig zur Vorbereitung der gegebenenfalls sogleich vorzunehmenden Abtreibung 5 2 . — Jemand prüft ein Objekt auf seine Verwertbarkeit (unter Bedingungen, bei denen ein legaler Erwerb ausscheidet), um es bei positivem Ausgang zu stehlen. — In beiden Fällen liegt die Betätigung eines Deliktsentschlusses vor. — Gegenbeispiel 53 : 50 R G 68 S. 39 ff. 51 SchmidaO S. 54. 52 O L G H a m m M D R 1953 S. 568 ff. 53 Auch hier f ü r betätigten Entschluß freilich B G H

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21 S. 14 ff, 17 f; siehe auch B G H 12 S. 306 ff, 309 mit Nachweisen der älteren Rechtsprechung; B G H 22 S. 81 f.

25. Abschn

Versuch

D e r Täter f ä h r t an den W o h n o r t seiner Frau, die er f ü r den Fall des Scheiterns einer Aussprache umbringen will. Die Fahrt ist zumindest ambivalent und objektiviert kein deliktisches Geschehen. Es ist gleichgültig, ob die Bedingung die Vollendbarkeit des Delikts betrifft und deshalb selbstverständlich ist o d e r n u r die Bedeutung der T a t f ü r den T ä t e r (mag die Bedeutung auf vernünftigen o d e r unvernünftigen Überlegungen beruhen). Insbesondere sind abergläubische Bedingungen möglich und f ü r den V o r s a t z unschädlich. c) V o n der zuletzt genannten G r u p p e des betätigten, aber bedingten Entschlusses 34 sind die Fälle eines sogenannten Rücktrittsvorbehalts54 nicht zu unterscheiden. Beispiel 5 5 : D e r T ä t e r eines geplanten sexuellen Mißbrauchs von Kindern lockt das O p f e r an, behält sich aber vor, den Plan preiszugeben, wenn das Kind weinen sollte. Ein Entschluß auf unsicherer T a t s a c h e n g r u n d l a g e (ein durch das Gelassen-Bleiben des O p f e r s positiv bedingter Entschluß) und ein Entschluß mit dem V o r b e h a l t des R ü c k tritts sind hier voll identisch. 4. Die Entscheidung, welchen Sinn ein Verhalten f ü r den T ä t e r hat, wird sich in 35 Einzelfällen forensisch nicht demonstrieren lassen. Insbesondere mag in Grenzfällen der T ä t e r schon in seiner Aktivität und schon in dem Erreichen einer Entscheidungssituation einen Sinn finden, wobei er seinerseits d u r c h a u s glauben mag, er bemühe sich um die F ö r d e r u n g eines Delikts. Auch die Investitionen, die j e d e r m a n n alltäglich erbringt, um Entscheidungsalternativen offfen zu halten, bleiben selbst d a n n im Bereich des Unverbindlichen, wenn eine der Alternativen deliktisch ausfallen kann. Die G r e n z e zwischen dem, was hier einerseits betätigte Entschlossenheit ist und andererseits n u r alle Wege o f f e n halten will, verläuft durchaus ungenau. Erhebliche Investitionen sprechen f ü r betätigte Entschlossenheit, wie minimale Investitionen es fraglich erscheinen lassen, ob mehr als alltägliche V o r s o r g e f ü r eine hinreichende Zahl v o n Entscheidungsalternativen vorliegt. Beispiel : W e r eine P o s a u n e mit ins Koleg nimmt, mit der er d o r t sinnvoll nichts anfangen k a n n als eine N ö t i g u n g des D o z e n t e n , hat den Bereich des Unverbindlichen nur in Richtung eines Entschlusses verlassen, w e n n er z u r Mitnahme des Instruments erhebliche Mühen aufwenden muß. — Wegen des V o r s a t z e r f o r d e r n i s ses beim Versuch geht es stets allein um den bewußten Sinn des Verhaltens. Eine n u r äußere Finalität oder eine n u r unterbewußte T e n d e n z 5 6 k ö n n e n deshalb keinen V e r such begründen.

C. Die Tat als Gegenstand der Entschlossenheit 1. Die Tauglichkeit a) D e r T ä t e r muß einen auf die Tatbestandsmerkma\z des betreffenden Delikts 36 bezogenen V o r s a t z aufweisen; daran fehlt es, w e n n er abergläubisch o d e r in sonst kommunikativ irrelevanter Weise vorgeht (oben 25/22 f). Weiterhin m u ß er z u r V e r wirklichung des Tatbestands nach seiner Vorstellung (i. e. nach seinem tatbestandsmäßigen Vorsatz) unmittelbar ansetzen; es ist irrelevant, ob das Verhalten auch bei V e r nachlässigung der Sicht des Täters, also nach allgemeinem Urteil, als ein unmittelbares Ansetzen zu verstehen wäre. Man k ö n n t e die kommunikativ relevanten Versuche als taugliche Versuche bezeichnen und die irrelevanten U n t e r f a n g e n als untaugliche; diese Terminologie w ä r e freilich 54 SchmidaaO S. 54 ff. 55 Nach Strafgericht Basel-Stadt, zitiert bei Schmid a a O S . 70 f. 56 Siehe oben zum Vorsatz 8/100; speziell zum Bewußtsein bei der Vorsatzbildung Rasch Tötung

des Intimpanners S. 97; den. in: PonsoldS. 67 f f ; Schewe Lange-Festschrift S. 687 ff, 698 f; Jäger MonSchrKrim. 1978 S. 297 ff, 300; Haffke GA 1978 S. 33 ff, 41.

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25. AbSChn

2. Buch. 5. Kapitel. Versuch und Beteiligungsversuch

mißverständlich, da die irrelevanten Unterfangen mangels Tatbestandsvorsatz überhaupt keine Versuche im strafrechtlichen Sinn, sondern Wahndelikte sind. — Innerhalb des kommunikativ relevanten Versuchsverhaltens gibt es keine Scheidung zwischen tauglichen und untauglichen Versuchen 5 6 3 . Vielmehr ist jeder Versuch, der sich nicht zur Vollendung weitert, vom Ausgang her gesehen (ex post) ein untauglicher V e r s u c h 5 7 , wie jeder Versuch vom Unternehmenden her gesehen (subjektiv ex ante) tauglich ist. Der ehemals die Versuchslehre bestimmende Begriff der objektiven Tauglichkeit des Versuchs hat nur noch Bedeutung für die Strafzumessung, und zwar im Grenzfall des unverständigen Versuchs nach § 23 Abs. 3 StGB sowie generell als Strafzumessungserwägung; je mehr das Opfer und dritte Personen den Versuch als bedrohlich verstehen, um so mehr verletzungsähnlich ist er, und um so weniger ist die Strafmilderung des § 23 Abs. 2 StGB angebracht. b) Hinsichtlich wie vieler Tatbestandsmerkmale der Täter irrt, ist gleichgültig, wenn die Irrtümer die Rationalität der Vorstellung des Täters nicht beeinträchtigen. So mag der Täter eines Totschlags darüber irren, daß die Waffe, die er abdrückt, geladen ist, oder daß das Objekt, auf das er schießen will, ein Mensch ist, oder über beides etc. Gleichgültig ist ferner, ob der Erfolg ausbleibt, weil Mittel oder Objekt nur vermeintlich 56a

Struensee (ZStW 102 S. 21 ff, 31) will zwei Versuchsanen nach ihrer subjektiven Seite scheiden, und zwar „Akte, die ihrer Intention nach identisch sind mit der subjektiven Seite des vollendeten Delikts" (Beispiel: Schuß auf den nur noch vermeintlich Lebenden), von solchen, „die in der Intention eines nicht tatbestandsmäßigen Kausalzusammenhangs vollzogen werden" (Beispiele: abergläubische Unternehmungen oder Versuch der Vergiftung eines Kleinkindes mit Dosenchampignons). Die Strafbarkeit von Akten der zweiten Art soll allein mit der subjektiven Versuchstheorie (oben 25/17) nicht zu leisten (aber auch nicht grundsätzlich ausgeschlossen) sein (S. 49). — Konkrete Vorsätze sind freilich nie „identisch", allenfalls sind sie es nach ihrer Gattung. Struensee erschleicht seine Ergebnisse, indem er — vermeintlichen Sachgesetzlichkeiten folgend — die Gattung so bildet, daß sie frei von Irrtümern über Kausalgesetze ist (während sie Wahrnehmungsirrtümer enthalten mag). Eine solche Gattungsbildung ist — jedenfalls im Strafrecht — willkürlich. Es geht vielmehr um die Gattung derjenigen Vorsätze, die bei ihrer Verwirklichung Normbrüche sind. Vor dieser gesellschaftlichen Prägung gibt es kein Entrinnen. Mit anderen Worten, es geht um Vorsätze mit kommunikativ relevanten Vorstellungen, mögen diese Vorsätze durch irrige Kausalannahmen oder durch irrige Wahrnehmungen oder irrtumsfrei zustande gekommen sein. — Zudem: Die Grenze zwischen einem Wahrnehmungsirrtum und einem nomologischen Irrtum läßt sich durch Umformulierungen verschieben. Beispielhaft gesprochen: Ein am Ort nur vermeintlich vorhandener Mensch (Wahrnehmungsirrtum) läßt sich mit einem geladenen und intakten Gewehr gesetzmäßig (nomologischer Irrtum) nicht töten. 57 So schon RG 1 S. 439 ff, 442. - Zaczyk Unrecht S. 229 ff bestimmt das Versuchsunrecht je nach

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der Zugehörigkeit des angegriffenen Rechtsguts unterschiedlich. Bei Delikten gegen die Person soll „die eigentliche Qualität der Unrechtshandlung . . . nicht ihre (kausale) Geeignetheit zur Verletzung" sein, sondern der in ihr liegende „Bruch des Anerkennungsverhältnisses" (S. 250). Aber das Anerkennungsverhältnis soll „seinem Grunde nach bestehen" müssen, um verletzt werden zu können (S. 255). Deshalb soll ein Versuch fehlen: beim Schuß auf einen schon Toten, beim Abtreibungsversuch der Nichtschwangeren, beim Vergewaltigungsversuch am irrtümlich für eine Frau gehaltenen Mann; aber Versuch soll gegeben sein, wenn das Scheitern „aus der Selbständigkeit des Opfers als Rechtsperson resultiert" (S. 256): beim Griff in die leere Tasche; beim Schuß auf einen Baumstamm in der Meinung, es sei „der X" (anders bei der Meinung, es sei „ein Mensch"; S. 255 f). — Solche Kriterien sind von der zu institutionalisierenden Norm (Leiste Anerkennung! Besser: Halte geleistete Anerkennung durch!) her gesehen Äußerlichkeiten: Der Tote könnte nach objektivem Urteil noch leben (kraß: oder es könnte sich nach objektivem Urteil der Erbe an dessen Stelle befinden) etc. Soweit der Täter in kommunikativ relevanter Weise die Situation als eine solche bestimmt, die nach Anerkennung eines anderen verlangt, können die Regeln der Institution „Anerkennung" verletzt werden. — Bei Delikten gegen die Gesellschaft (S. 271 ff) soll nach Zaczyk eine „vermittelte Struktur" verletzt werden. Beispiel : Bei der Geldfälschung muß das Objekt objektiv als Geld gelten können (S. 275). Das ist richtig, aber kein spezifisches Problem des Versuchs: Wer an einen Getäuschten etwas weitergibt, was objektiv nicht als Geld gelten kann, vollendet auch keine Tat nach § 146 Abs. 1 StGB. — Zum österreichischen Recht BurgstallerJurBi. 1986 S. 76 ff.

Versuch

25. Abschn

existent sind oder aber existent, jedoch an einem anderen O r t befindlich. Auch wenn tatbestandlich ein Handeln gegen den Willen des Opfers gefordert wird und dieser Erfolg wegen einer dem Täter unbekannten Einwilligung ausscheidet, fehlt es an der allein maßgeblichen subjektiven Tauglichkeit nicht 5 8 . Zur objektiven Bestimmung der Unmittelbarkeit des Ansetzens siehe unten 25/59. 2. Die Abgrenzung von Versuch und Wahndelikt a) Der Grundsatz Die Vorstellung des Versuchstäters muß so wenig wie diejenige des Täters einer 37 Vollendung das Verbotensein umfassen. Insoweit gelten die allgemeinen Regeln über Verbotskenntnis und Verbotsirrtum (5 17 StGB). Die irrtümliche Vorstellung, ein — erlaubtes — Verhalten sei verboten, begründet keinen Versuch eines Delikts, da mangels eines Deliktstatbestands nichts strafrechtlich Relevantes versucht werden kann, sondern ist ein — unbestritten straffreies 5 9 — Wahndelikt (Putativdelikt). Beispiel: Die Mutter des nichtehelichen Kinds, die im Statusverfahren den ihr nur flüchtig bekannten Vater als ihren Verlobten bezeichnet und das f ü r eine Fälschung des Personenstands hält, wird mangels Tatbestandserfüllung nicht wegen einer Personenstandsfälschung (§ 169 StGB) bestraft, und wenn sie diese Tat nur versucht, ebensowenig wegen versuchter Personenstandsfälschung. — Eine positivrechtliche Regelung des Unverbotenseins eines Wahndelikts findet sich in § 22 Abs. 1 Satz 2 W S t G 6 0 . — Zum Wahndelikt wegen Nichtkenntnis eines Rechtfertigungsgrunds siehe oben 11/40. Die Abgrenzung von Versuch und Wahndelikt verläuft insoweit abhängig von der Grenze zwischen Tatbestand und Verbot, als die irrige Vorstellung eines nicht gegebenen Verbots stets Wahndelikt ist, während die irrige Vorstellung, ein Tatbestand sei gegeben, Versuch sein kann, aber — in den Fällen der Uberschätzung von Pflichten — nicht sein muß. Das betrifft normative Tatbestandsmerkmale und Sonderpflichten. b) Die normativen Tatbestandsmerkmale Die Abgrenzung zwischen Versuch und Wahndelikt ist in Einzelfällen diffizil. Der 38 Grund dafür liegt vorweg in Schwierigkeiten zur Vorsatzlehre, seil, zur sogenannten Parallelbeurteilung im Täterbewußtsein bei den normativen Tatbestandsmerkmalen. So wie diese Parallelbeurteilung, zumal im Kernstrafrecht, auf eine Kenntnis der Rechtswidrigkeit hinauslaufen kann und somit Tatbestand und Rechtswidrigkeit ineinander übergehen, so geht es auch im Irrtumsfall um hoch komplexe Sachverhalte. aa) Wie der Täter zum Vorsatz den Begriffsinhalt der Tatbestandsmerkmale, nicht 39 aber ihren Namen kennen muß (Unbeachtlichkeit des Subsumtionsirrtums), so ist es kein Vorsatz mehr, führt also zum Wahndelikt, wenn der Täter ein richtig begriffenes Geschehen irrtümlich mit dem Namen eines Tatbestandsmerkmals belegt (umgekehrter Subsumtionsirrtum) 6 1 . Beispiele: Nach einem Alleinunfall hält sich der Täter für wartepflichtig 62 . — Der Täter nimmt irrig an, auch Schriftstücke ohne erkennbaren Aus58 B a y O b L G J Z 1979 S. 146. 59 RG 64 S. 229 ff, 238 f; 66 S. 124 ff, 126; B G H 8 S. 263 ff, 268. 60 Siehe auch § 109 StGB a. F. und hierzu Maurach N J W 1962 S. 716 ff, 767 ff, 768. 61 Insoweit herrschende Lehre; ausführliche Darstellung, insbesondere der Rechtsprechung, bei Maurach N J W 1962 S. 716 ff, 767 ff; teilweise erheblich von der hiesigen Lösung abweichend

HerzbergJuS 1980 S. 469 ff, der den Blankettcharakter der Merkmale, die einer Parallelbeurteilung bedürfen, nicht berücksichtigt. — Weitgehend wie hier Burkhardt J Z 1981 S. 681 ff. Darstellung der Dogmengeschichte bei Tischler Verbotsirrtum S. 167 ff, 303 ff und passim. 62 B G H 8 S. 263 ff, 268; der Versuch des § 1 4 2 StGB n. F. ist allerdings straffrei.

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2 5 . AbSChn

2. Buch. 5. Kapitel. Versuch und Beteiligungsversuch

steller seien U r k u n d e n 6 3 . — D e r einen Eid Leistende bezieht diesen irrig auf eine Unwahrheit, die außerhalb des Bereichs der Wahrheitspflicht liegt 6 4 . 40

bb) Die Schwierigkeiten liegen in dem Bereich, in denen der T ä t e r T a t s a c h e n und eine den T a t s a c h e n nicht zugehörige Bedeutung zum Begriff eines Tatbestandsmerkmals verbindet 6 5 . W i r d hier allein auf die Bedeutungskenntnis (ohne welche kein V o r s a t z gegeben ist) abgestellt, so wird der Unterschied verwischt, der zwischen der — die Bedeutung tragenden — Gestalt der geschützten O r d n u n g nach der Vorstellung des T ä t e r s und nach der objektiven Lage klafft. Ein krasses Beispiel: D e r T ä t e r stellt sich die O r d n u n g solchermaßen klerikal gestaltet vor, daß Gotteslästerung als schwere Bedrohung dieser O r d n u n g mit Fug bestraft würde, und versucht, einen Gotteslästerer der vermeintlich verwirkten Strafe zu entziehen ; — V e r s u c h der Strafvereitelung, § 258 S t G B 6 6 ? Das positive R e c h t schließt über die Strafrahmenbindung in § 258 Abs. 3 S t G B die Bestrafung versuchter Vereitelung nur vermeintlich strafbarer V o r t a t e n jedenfalls aus.

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c c ) Z u r Lösung ist mit Hilfe der Regel, daß eine zu strenge Parallelbeurteilung nie belastet, zu differenzieren (siehe schon oben 8/59, 62) : α ) Soweit der T ä t e r bei gegebener Bedeutungskenntnis falsche Rückschlüsse auf die tatsächliche Basis der Parallelbeurteilung zieht, hindert die Fehlerhaftigkeit des R ü c k schlusses den V o r s a t z (und damit V e r s u c h wie Vollendung) nicht. Beispiel: Bei gegebener Kenntnis der Fremdheit einer S a c h e wird der V o r s a t z nicht durch rechtlich zutreffende oder unzutreffende Spekulationen über den Entstehungsgrund des fremden Eigentums berührt, solange nicht die Absurdität der Spekulationen indiziert, daß der T ä t e r den Regelungsbereich „Eigentum" im Kern mißversteht 6 6 a . J e nachdem, ob die Fremdheit irrig angenommen wird oder objektiv besteht, kommt es zu V e r s u c h oder Vollendung.

42

ß) W e n n der T ä t e r von bestimmten T a t s a c h e n her die parallele Beurteilung erschließt, führt dies zum V o r s a t z (und damit zu Versuch oder Vollendung) nur dann, wenn T a t s a c h e n der vorgestellten Art auch objektiv eine entsprechende Beurteilung auslösen. Ansonsten verbindet der T ä t e r die Tatsachen mit einer Bedeutung, die ihnen nach der gegebenen O r d n u n g nicht zukommt, d. h., er greift nicht die bestehende, sondern nur eine vorgestellte Ordnung an : W a h n d e l i k t 6 7 . Beispiele : D e r T ä t e r hält eine Sicherungsübereignung ohne Besitzkonstitut (wie er weiß!) für wirksam, verwendet aber die vermeintlich übereignete Sache für sich; — W a h n d e l i k t 6 8 . Entsprechend liegt 63

BGH 13 S. 236 ff, 240 f; gegen BGH 7 S. 54 ff, 57 f. — Die zuerst genannte Entscheidung ist nicht ganz selbstverständlich; es handelte sich um Lebensmittelmarken, also immerhin um Objekte, die faktisch wie Urkunden gebraucht wurden. Die Parallelwertung des Täters dürfte deshalb

Fall in der Tat BGH 15 S. 210 ff, 213 f; Herzberg JuS 1980 S. 469 ff, 473; Schlüchter Irrtum S. 153 ff, 162 ff; dies. JuS 1985 S. 373 ff, 527 ff, 528 f; — zutreffend für Wahndelikt BayObLG VRS 60 S. 117 f; Burkhardt J Z 1981 S. 681 ff, 685 f.

den Urkundsbegriff im Kern erfaßt haben. Nach der Lehre, die nur auf Parallelbeurteilung abstellt, ohne die Eignung des Substrats der Beurteilung zu berücksichtigen, müßte somit Versuch angenommen werden; nach hiesiger Ansicht liegt ein Wahndelikt vor; siehe sogleich im Text. 64 BGH 14 S. 345 ff, 350; anders (Versuch) BGH 2 S. 74 ff, 76; 25 S. 244 ff, 246. — Zu den Eidesdelikten siehe auch unten zur Sonderpflicht Fn. 77. 65 Siehe Schönke-Schröder-Eser § 2 2 Rdn. 84 ff; zum folgenden auch Schaffstein OLG Celle-FestSchrift S. 175 ff. 66 Für Versuch in einem allerdings weniger krassen

66a Zu dieser Einschränkung siehe Schlüchter wistra 1985 S. 43 ff, 94 ff, 95. 67 Burkhardt JZ 1981 S. 681 ff, 685 f; Otto Grundkurs AT § 18 IV 4; ders. J Z 1984 S. 143 ff, 144; Jakobs J R 1984 S. 385 ff, 386; Schlüchter wistra 1985 S. 46 ff, 94 ff, 95. 68 Anders (Versuch) OLG Stuttgart N J W 1962 S. 65 f und die überwiegende Ansicht; eingehend Puppe GA 1990 S. 145 ff, 154 ff (siehe aber auch S. 170 ff, 174 ff); es handelt sich gewiß um einen Grenzfall. — Die Entscheidungsrichtlinie dürfte im Fall einer irrig für wirksam gehaltenen mündlichen Grundstücksübereignung deutlich werden :

722

Versuch

25. Abschn

Wahndelikt und nicht versuchte Steuerhinterziehung (§ 370 AO) vor, wenn der Täter einen Vorgang in der irrigen Meinung falsch deklariert, der wirkliche Vorgang löse eine Steuerschuld aus 6 9 . Versuch liegt aber vor, wenn der Täter irrig meint, ein objektiv steuerpflichtiger Vorgang habe stattgefunden, und er nunmehr falsch deklariert (unstreitig). — Insgesamt kommt es darauf an, ob sich der Täter gegen die gegebene Ordnung wendet (Versuch) oder meint, der Entstehungsgrund von Pflichten sei weiter, als die gegebene Ordnung es vorsieht (Wahndelikt). Im letzteren Fall fehlt es an einer Desavouierung der N o r m der gegebenen Ordnung. — Zu den Eidesdelikten siehe auch sogleich unten 25/46 und Fn. 77; zur Rechtswidrigkeit der Zueignung und Bereicherung bei den Eigentums- und Vermögensdelikten siehe zur Rechtfertigung oben 11/41. dd) Verweist ein normatives Tatbestandsmerkmal auf das Fehlen eines Rechtferti- 42a gungsgrunds, wie etwa das Merkmal „rechtmäßig" in § 113 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 StGB, so liegt nicht ein Versuch, sondern ein Wahndelikt vor, wenn der Täter aufgrund eines Irrtums meint, er sei Adressat einer auf einem Rechtfertigungsgrund beruhenden Duldungspflicht (siehe oben zur Rechtfertigung 11 /41 a). Beispiel : Wer einem Nicht-Amtsträger im Irrtum über den Mangel der Amtsträgereigenschaft Widerstand leistet oder einem Amtsträger bei einer Handlung, die er f ü r rechtmäßig hält, zu der aber in der gegebenen Situation oder sogar überhaupt kein Recht besteht, handelt auch dann wahndeliktisch, wenn er irrig meint, er sei duldungspflichtig, wobei es auf die Quelle des Irrtums (irrige Annahme der Rechtfertigungsvoraussetzungen oder Uberdehnung der Rechtfertigungsgrenzen) nicht ankommt. Die Lösung von § 113 Abs. 3 StGB entspricht also allgemeinen Grundsätzen. c) Die irrige Annahme von Sonderpflichten aa α) Stets zum Wahndelikt 7 0 und nie zum Versuch führt die irrige Annahme des 43 Ausführenden, er sei tauglicher Täter eines Sonderdelikts im engeren Sinn. Das den Täter bezeichnende Tatbestandsmerkmal grenzt den Kreis der Normadressaten ein, und diesen Kreis kann ein „Ausführender" durch seinen Irrtum nicht erweitern 7 1 . Der Nicht-Beamte kann nicht die Normen für Beamte in ihrer Geltung erschüttern (§§ 331 ff StGB u. a. m.), der Nicht-Erzieher nicht die Normen zum sexuellen Schutz der Anvertrauten (§ 174 StGB). Das gilt nicht nur für den — in der Entscheidung unstreitigen — Fall, daß der Täter bei einem zutreffenden Verständnis seiner Stellung sich irrtümlich unter die Bezeichnung eines tauglichen Täters rubriziert (der Zivilangestellte der Bundeswehr meint, auch er heiße Soldat und seine Flucht falle deshalb unter das Verbot der Fahnenflucht, § 16 WStG), sondern auch bei Kenntnis der richtigen Bedeutung der Täterqualifikation. ß) Freilich lassen sich alle Tatbestände mehr oder weniger zwanglos als scheinbare 44 Sonderdelikte formulieren, und zwar durch Umformulierung des Angriffs auf ein fremdes oder jedenfalls nicht verfügbares Rechtsgut in einen Angriff aus der Position Wenn der „Übereignende" aus dem Grundstück Sachen beweglich macht und verwertet, sollte dann Unterschlagung trotz der Schutzvorschrift des § 313 BGB vorliegen? Bejahend Zaczyk Unrecht S. 265 mit Fn. 99. 69 Sehr streitig; a. A. B G H 16 S. 283 ff, 285; Samson in: Strafverfolgung S. 99 ff, l l l f ; Maiwald \Jnrechtskenntnis S. 29 ff und passim mit Nachweisen. 70 Der Begriff ist hier eher angebracht als in der zuvor genannten Gruppe; hier geht der Vorsatz

71

des Täters auf ein gegebenes Delikt, ihn trifft jedoch aus objektiven Gründen die Pflicht nicht. In der obigen Gruppe geht der Vorsatz auf etwas, das allenfalls nach der Vorstellung des Täters ein Delikt ist. Hauptsächlich ebenso Stratenwerth Bruns-Festschrift S. 59 ff, 60; Armin Kaufmann Klug-Festschrift S. 277 ff, 283 ff, 287 ff; LK-Vogler § 22 Rdn. 158; Schünemann GA 1986 S. 293 ff, 317 f; Zaczyk Unrecht S. 268 ff; AK-Zielinski §§ 15, 16 Rdn. 35.

723

25. AbSChn

2. Buch. 5. Kapitel. Versuch und Beteiligungsversuch

eines Fremden oder Nicht-Verfügungsberechtigten : Der Angriff auf fremdes Eigentum in den §§ 242, 246, 249 StGB kann als Angriff des Nicht-Eigentümers definiert werden, überhaupt kann die Nicht-Verfügbarkeit des Guts für eine Person als Tätermerkmal definiert werden. Vornehmlich wegen dieser verbalen Äquivalenz sowie wegen des sogenannten Umkehrprinzips (hierzu unten 25/52 ff, auch oben 25/Fn. 23) behandelt eine verbreitete Meinung alle Täterbezeichnungen wie sonstige Tatbestandsmerkmale: Die irrige Annahme einer Tätereigenschaft soll der irrigen Überschätzung von H a n d lungsfolgen oder der irrigen Annahme einer Deliktssituation gleichstehen 72 ; in allen Fällen soll der volle „Handlungsunwert" vorliegen 7 3 , — ein Zirkel; denn daß die Handlung des untauglichen Täters unwert ist, wäre zu begründen. 45

bb α) Zur Lösung ist danach zu differenzieren, ob durch die Pflicht der betreffen den Norm das Verhältnis des Täters zum Angriffsobjekt vollständig geregelt wird oder ob die Pflicht nur eine schon unabhängig von ihr bestehende Beziehung strafrechtlich garantiert. Was Begehungsdelikte angeht, so ist im ersteren Fall das Verhältnis rein negativ (§ 212 StGB verlangt nicht mehr, als andere nicht zu töten etc.), im letzteren, bei den Sonderdelikten im engeren Sinn, soll eine positive Beziehung garantiert oder zumindest ermöglicht werden (ein Beamter als Täter der Amtsdelikte ist nicht durch Unbestechlichkeit hinreichend definiert, ein Zeuge als Täter der Aussagedelikte nicht durch das Fehlen von Falschaussagen etc.). Entsprechend verhält es sich bei den Unterlassungsdelikten : Die Garantenpflichten kraft Organisationszuständigkeit (Verkehrspflichten, Ingerenz, Übernahme) erschöpfen sich restlos im positiven Erhalt eines Guts. Bei den Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit hingegen soll der Gutserhalt eine positive Beziehung ermöglichen (Eltern sind nicht dadurch hinreichend definiert, daß sie ihre minderjährigen Kinder nicht verhungern lassen, §§212, 13 StGB; dies im Gegensatz zu Ingerenten!). Es stehen sich also rein negative Beziehungen bei den allgemeinen Begehungsdelikten nebst den isolierten Pflichten zur Erhaltung eines Guts bei einigen Unterlassungsdelikten auf der einen Seite und auf der anderen Seite zu einem Status gehörende Sonderpflichten gegenüber.

46

Diese Differenzierung soll noch verdeutlicht werden : Isolierte Pflichten, etwa die Leistungspflicht eines vermögensrechtlichen Schuldners, begründen nicht ihrerseits den Status eines „Pflichtigen", im Beispielsfall nicht einen „Schuldnerstatus", auch nicht, wenn sie von Nebenpflichten flankiert werden. Die schlichte Schuldnereigenschaft bei der Steuerhinterziehung nach § 370 AO als isolierte Anzeige- und Zahlungspflicht macht also das Delikt nicht zum Sonderdelikt. Ein Status wird nur erreicht, wenn die strafrechtlich sanktionierte Pflicht ein Teil eines institutionell abgesicherten Bündels von Beziehungen ist (Beamter, Soldat, Vater, Mutter, Vormund, Vertrauensempfänger etc.) oder aber den Pflichtigen in eine Institution hineinzieht (der Zeuge bei den Aussagedelikten als durch interne Anordnung verpflichteter Mitwirkender bei der Rechtspflege; die Hilfsperson bei § 203 Abs. 3 StGB).

47

ß) Die Regeln einer Institution kann als Täter nur verletzen, wer durch sie gebunden, also sonderpflichtig ist. Die irrige Annahme eines Status führt zum Wahndelikt, auch wenn an sich zur Statusbegründung geeignete Umstände irrig angenommen werden. Beispiel: Es liegt keine versuchte Veruntreuung vor (§ 246 Abs. 1, 2. Alternative StGB), wenn der Täter der Unterschlagung irrig meint, ihm sei die Sache anvertraut worden. Versuch liegt aber vor, wenn der wirkliche Intraneus sich nur über die Näm72

724

Bruns Untauglicher Täter S. 10 ff; den. DStr. 1938 S. 161 ff; den. GA 1979 S. 161 f f ; Schlechter Irrtum S. 164 f f ; dies. JuS 1985 S. 373 ff, 527 ff, 529; Jescheck A T § 50 III 2; Maurach-Gössel AT

II § 4 0 Rdn. 175; Lackner § 2 2 Anm. 2 b; Schönke-Schröder-Eser § 22 Rdn. 76, jeweils mit Nachweisen. 73 SK-Rudolphi § 22 Rdn. 28.

Versuch

25. Abschn

l i c h k e i t des O b j e k t s i r r t . B e i s p i e l : E s h a n d e l t s i c h u m v e r s u c h t e V e r u n t r e u u n g , w e n n der Vertrauensempfänger

u n d T ä t e r i r r i g m e i n t , d i e u n t e r s c h l a g e n e S a c h e sei

das

anvertraute Objekt. γ ) D a ß die A n n a h m e eines W a h n d e l i k t s u n b e f r i e d i g e n d sei, w e n n d e r A u s f ü h r e n d e 4 8 d e n S t a t u s , d e n e r z u h a b e n g l a u b t , n u r v e r s e h e n t l i c h v e r f e h l t 7 4 , ist n i c h t z u z u g e b e n : A u c h wenn der Status v o n Kleinigkeiten o d e r F o r m a l i e n abhängt, kann das S t r a f r e c h t eine r e c h t l i c h n u n e i n m a l n i c h t e r r e i c h t e S t e l l u n g n i c h t f i n g i e r e n . S o w e n i g d a s S t r a f r e c h t e t w a v o n d e n F o r m a l i e n d e r E i g e n t u m s o r d n u n g bei d e n E i g e n t u m s d e l i k t e n b e f r e i t ist u n d a u f e i n e m a t e r i e l l e Z u o r d n u n g a b s t e l l e n k a n n , s o w e n i g k a n n es e t w a bei e i n e r a n F o r m a l i e n g e s c h e i t e r t e n B e a m t e n e r n e n n u n g v o n d e n N o r m e n des B e a m t e n rechts a b s e h e n 7 5 etc. c c ) F ü r T ä t e r m e r k m a l e , die k e i n e n S o n d e r p f l i c h t i g e n im e n g e r e n S i n n k e n n z e i c h - 4 9 nen, gelten die allgemeinen R e g e l n 7 6 . Die D i f f e r e n z i e r u n g z w i s c h e n S o n d e r d e l i k t e n im e n g e r e n S i n n u n d s o l c h e n im w e i t e r e n S i n n m a g i m E i n z e l f a l l z w e i f e l h a f t z u e n t s c h e i den s e i n 7 7 . d d ) E i n e m a n g e l s S o n d e r p f l i c h t n i c h t t a t b e s t a n d l i c h e T a t ist a u c h d a n n k e i n e t a u g l i - 5 0 c h e H a u p t t a t f ü r T e i l n a h m e eines E x t r a n e u s , w e n n d i e s e r s e i n e r s e i t s die S o n d e r p f l i c h t 74

So zum Fall O L G Kiel Schleswig-Holsteinische Anzeigen 1949 S. 297 f (ein in der Position eines Beamten längere Zeit als vermeintlicher Beamter Tätiger war wegen eines — allseits unbekannten — Formfehlers nicht wirksam ernannt worden und hatte eine Handlung begangen, die bei einem Beamten ein Amtsdelikt wäre) Bruns Untauglicher TäterS. 36. 75 Zutreffend HardwigGA 1957 S. 170 ff, 175. 76 Wie hier gegen die Strafbarkeit des untauglichen Täters bei freilich erheblichen Differenzen in Begründung und Reichweite: BT-Drucksache V/4095 S. 11 (anders aber Corves Protokolle Sonderausschuß V S. 1653); Stratenwertb BrunsFestschrift S. 59 ff; ders. AT Rdn. 664, 698 ff (mit dem Ergebnis umfassender Straflosigkeit bei den Unterlassungsdelikten); Baumann N J W 1962 S. 16 ff, 18; Baumann- Weber AT § 33 IV 3 a mit weiteren Nachweisen dort in Fn. 70; — mit erheblich abweichender Begründung Schmidhäuser AT 15/59 f; Langer Sonderverbrechen S. 168, 227 ff, 496; ders. Lange-Festschrift S. 241 ff, 244 f; — mit verfehlter Begründung (Ähnlichkeit mit dem abergläubischen Versuch) Foth J R 1965 S. 366 ff, 371. — Stoeger (Versuch des untauglichen Täters) versucht eine Differenzierung nach der Gefährlichkeit des Versuchs (S. 68), insbesondere der Fähigkeit des Ausführenden, bei veränderter Lage das Delikt als tauglicher Täter zu begehen (dann Versuch; sonst Mangel am Tatbestand; S. 69 ff, 78); — so naturalistisch läßt sich kein Normsinn erschließen. — Aus der Rechtsprechung entscheidet wie hier hauptsächlich die frühere Rechtsprechung des Reichsgerichts; RG 8 S . 198 ff, 200; 29 S. 419 ff, 420. 77

Bei den §§ 153 ff StGB sieht die Rechtsprechung in der zuständigen Stelle zur Abnahme von Eiden nicht die Stelle, die den Aussagenden zum Intraneus des Verfahrens macht, sondern den schlich-

ten Auslöser der Jedermannspflicht, wahrheitsgemäße Aussagen zu leisten; von daher ist es — anders als hier vorgeschlagen wird — konsequent, Versuch anzunehmen, wenn sich der Aussagende irrig in einer Stellung glaubt, die an sich geeignet ist, die Eides- und Wahrheitspflicht auszulösen (BGH 1 S. 13 ff, 17); so auch Roxin Offene Tatbestände S. 165; Schliichter Irrtum S. 156 f; — anders und hauptsächlich wie hier Armin Kaufmann Klug-Festschrift S. 277 ff, 289 f; zu den §§ 153 f StGB als Sonderdelikte eingehend Langer Ernst Wolf-Festschrift S. 335 ff, 343 ff). Wenn sich der Angeklagte im Strafprozeß für eides- und wahrheitspflichtig hält oder der Zeuge vor der Staatsanwaltschaft, so liegt nach der hier vertretenen Ansicht wegen der Anwendung der Regeln für normative Tatbestandsmerkmale ein Wahndelikt vor (so lagen die Fälle in folgenden Entscheidungen, die jedoch sämtlich auf Versuch erkennen: BGH 5 S. 112 ff, 117; 10 S. 272 ff, 275 f; 12 S. 56 ff, 58; - selbst Strafbarkeit wegen Meineidsversuchs des irrenden Angeklagten im Strafprozeß deutet an: BGH 10 S. 9 ff, 13; hiergegen zutreffend Roxin Offene Tatbestände S. 158, 165 ff). — Ebenso ist beim Irrtum über den Umfang der Wahrheitspflicht zu entscheiden: Die irrige Überdehnung führt zum Wahndelikt (Nachweise oben Fn. 64). — Entsprechend hängt die Entscheidung zu § 142 StGB a. F. (bei seinerzeit bestehender Versuchsstrafbarkeit) im Fall einer irrig angenommenen Unfallbeteiligung davon ab, ob § 142 StGB gemäß seiner Entstehung als eine institutionell begründete Norm innerhalb der Gemeinschaft (!) der Verkehrsteilnehmer verstanden wird oder aber als eine nur organisationstechnisch begründete Norm zur Leistung von Aufklärung. — Einzelheiten gehören zu den Delikten des BT.

725

25. AbSChn

2. Buch. 5. Kapitel. Versuch und Beteiligungsversuch

irrig annimmt: So wie der Extraneus über § 28 Abs. 1 StGB an der Sonderpflicht partizipieren kann, kann er auch ihre Umkehrung, ein Wahndelikt, verwirklichen. Diese Entscheidung ist für den Anstiftungsversuch am vermeintlich Sonderpflichtigen bedeutsam (unten 27/7). 51

ee) Die Ausführungen gelten für die eigenhändigen Delikte entsprechend.

d) Zusammenfassung aa) Es gibt also ein Umkehrprinzip 78 , nur wird es verbreitet ungenau formuliert: Was bei zutreffender Kenntnis Tatbestandsvorsatz begründet, soll angeblich bei irriger Annahme zum Versuch führen; was bei zutreffender Kenntnis Unrechtsbewußtsein begründet, soll bei irriger Annahme zum Wahndelikt führen. 53 bb) Es gelten folgende Spezifizierungen : a) Die „Umkehrung" von Tätermerkmalen, die Sonderpflichten kennzeichnen, führt zu eingebildeten Pflichten, also zum Wahndelikt. ß) Die beiden Elemente des Vorsatzes, Tatsachenkenntnis und Bedeutungskenntnis, können nur zusammen „umgekehrt" werden. 54 cc) § 22 StGB ändert also — im Verhältnis zum vollendeten Delikt — weder den Kreis der Normadressaten noch den möglichen Vorsatzinhalt. 52

V. Der objektive Tatbestand beim unbeendeten Versuch; die Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch A. Das Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung 55 1. Das Gesetz folgt in § 22 StGB der Versuchsformel Welzeis79, die lautet: „Der Versuch beginnt mit derjenigen Tätigkeit, mit der der Täter nach seinem Verbrechensplan unmittelbar zur Verwirklichung des Verbrechenstatbestandes ansetzt". Die Formel hat gegenüber der Gesetzesfassung den Vorteil, den Regelungsinhalt speziell als Versuchsanfang und nicht überhaupt als Versuch zu bezeichnen. 56 2 a) § 22 StGB beschreibt den Zeitpunkt des Versuchsbeginns mit dem Ansetzen zur 7dí¿e5tam&verwirklichung. Weil schon ein Ansetzen hinreicht, erledigt sich die formelle Theorie, die auf eine Teilverwirklichung der Tatbestandshandlung selbst abstellt80. Tötung mittels einer Pistole beginnt also nicht erst mit dem Anfang des Abziehens selbst, Betrug nicht erst (und auch nicht stets) mit dem Anfang der Täuschung selbst, sondern der Beginn liegt jeweils beim Ansetzen zu diesen Handlungen. 78 Eine nur logische Umkehrung ergibt eine bloße Umformulierung: Durch die Einführung negativer Größen läßt sich Erkenntnis nicht steigern. Die materiale Umkehrung ist nur bei material symmetrischen Verhältnissen zulässig; dazu Puppe Lackner-Festschrift S. 199 ff; Sax JZ 1964 S. 241 ff; ablehnend zum Gebrauch des Umkehrprinzips durch die subjektive Theorie Spendet ZStW 69 S. 441 ff; ders. N J W 1965 S. 1881 ff; für eine Umformung des Prinzips durch teleologisch materielle Überlegungen Engisch HeinitzFestschrift S. 185 ff mit erheblichen Veränderungen des bisherigen Diskussionsrahmens zur Abgrenzung von Versuch und Wahndelikt; siehe auch Jes check AT § 50 II 1 Fn. 14; Maiwald Unrechtskenntnis S. 29 ff, der die sogleich zu nennenden Modifikationen verkennt. — Eingehende

726

Nachweise bei 7isc¿/erVerbotsirrtum S. 29 ff. Straf recht §24 III (vor 1); — zur weitgehend parallelen Lage nach § 15 des österreichischen StGB siehe Burgstaller JurBI. 1976 S. 113 ff; zum — frühen — Versuchsbeginn nach schweizerischem Recht siehe Λγζ( recht 1985 S. 78 ff (insbesondere zur „Schwellentheorie" S. 80 ff); zum japanischen Recht siehe Yamanaka in: Strafrecht S. 101 ff. 80 v. Hippel Strafrecht Bd. II § 29 V 1 ; Dohna Aufbau S. 56; v. Liszt-Schmidt Strafrecht § 44 III; ähnlich RG 70 S. 152 ff, 157; sämtlich zum alten Recht, das in § 43 vom „Anfang der Ausführung" sprach, — eine Formel, die allerdings die Rechtsprechung überwiegend nicht als Anfang der tatbestandlichen Ausfuhrungshandlung interpretierte.

7

9

Versuch

25. Abschn

b) Mit der Beziehung des Ansetzens auf die Tatbestandsvznr'\r\á\c\i\ing erledigen 57 sich auch Formulierungen, die an eine nahe oder unmittelbare G e f a h r f ü r ein Rechtsgut oder ein anderes O b j e k t a n k n ü p f e n 8 1 ; denn der Tatbestandsbegriff ist ein formeller Begriff, und ein Tatbestand k a n n deshalb nicht n u r versucht, sondern sogar verwirklicht werden, ohne daß eine einigermaßen dichte G e f a h r a u s z u m a c h e n w ä r e (etwa bei § 267 Abs. 1, 1. und 2. Fallgruppe StGB in den Fällen, in denen die V e r w e n d u n g der U r k u n d e erst f ü r spätere Zeit vorgesehen ist; oben 25/21). Ein Abstellen auf die G e f a h r ist aber nicht n u r des Gesetzeswortlauts, s o n d e r n auch des Kriteriums selbst wegen verfehlt: Die G e f a h r ist stufenlos quantifizierbar und beginnt mit der G e f a h r der Fassung des Tatentschlusses 8 2 . So hat die Rechtsprechung — entgegen den Intentionen der Literatur — den Begriff der G e f a h r z u r Vorverlagerung des Versuchsbeginns b e n u t z t 8 3 . 3. Bei der Mehrzahl aller Delikte fällt der V o l l z u g der Tatbestandshandlung mit der 58 Tatbestands Verwirklichung nicht zusammen. D e r T ä t e r hat alles getan (Gift eingegeben), aber bis z u m Erfolgseintritt (Tod) b r a u c h t es (braucht der K ö r p e r des O p f e r s ) seine Zeit. W ü r d e die Tatbestandsverwirklichung einschließlich aller tatbestandlichen Folgen verstanden, gäbe die Formel vom Ansetzen in diesen Fällen keinen Sinn, denn zu einem unhinderbar in die W e g e geleiteten Verlauf läßt sich nicht m e h r ansetzen. Deshalb ist Bezugspunkt die Tatbestands handlung, soweit mit deren Abschluß nach der Vorstellung des T ä t e r s der Einfluß auf das Geschehen verlorengeht (Deliktsausführung ohne Revokationsmöglichkeit). Dies kann der Fall sein, weil der T ä t e r den d a n n folgenden Verlauf nicht mehr beeinflussen k a n n oder weil es — so bei den Tätigkeitsdelikten (Delikte, bei denen mit dem Abschluß bestimmter H a n d l u n g e n eo ipso die Vollendung eintritt, siehe oben 6/85) — keinen tatbestandlich relevanten Verlauf nach dem Tätigkeitsende gibt. Soweit das jedoch nicht der Fall ist, das Geschehen also nach der Vorstellung des Täters reversibel bleibt, gelten andere Regeln (Deliktsausführungen mit Revokationsmöglichkeit), die unten zum beendeten Versuch dargestellt werden (25/71 ff).

B. Die Unmittelbarkeit § 22 StGB konkretisiert das Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung n u r durch die 59 Unmittelbarkeit. Damit scheiden alle subjektiven T h e o r i e n aus, n a c h denen die Gewichtigkeit des erreichten Stadiums oder die Dichte der T a t b e s t a n d s n ä h e an die Beurteilung durch den T ä t e r gebunden w i r d : N i c h t die U b e r w i n d u n g v o n Schwierigkeiten zählt und auch nicht, was der T ä t e r f ü r tatbestandsnah hält, s o n d e r n es k o m m t auf die Dichte nach objektivem Urteil an, wobei freilich das Bild des Ablaufs subjektiv ist (hierzu sogleich). Die Formulierung, der T ä t e r müsse „subjektiv die Schwelle z u m j e t z t Eine Version der materiell-objektiven Theorie; O L G Bremen N J W 1981 S. 2711 (die Entscheidung betrifft § 258 StGB und liegt neben der Sache: Ein Rechtsanwalt hatte in seiner Kanzlei auf eine Zeugin eingeredet, eine Falschaussage zu tätigen; - es geht um einen beendeten Anstiftungsversuch, nicht aber um täterschaftliche Vorbereitung); siehe auch unten Fn. 97. - Die Gefahr wird als ergänzendes Kriterium genannt bei Schönke-Schröder-Eser § 22 Rdn. 42; LK-Vogler § 22 Rdn. 57; Dreher-Tröndle § 22 Rdn. 11; Roxin in: Einführung S. 1 ff, 16; ]. Meyer ZStW 87 S. 598 ff, 606 f; Bockelmann-Volk AT § 2 7 III 2 c; Otto N J W 1976 S. 578 f mit weiteren N a c h -

weisen; ders. JA 1980 S. 641 ff, 646; — wenig ergiebig ist das Abstellen auf die abstrakte Gefahr (wie abstrakt?) bei Kratzsch JA 1983 S. 420 ff, 578 ff, 579 f f ; ders. Verhaltenssteuerung S. 436 ff. 82 Zutreffend Maurach-Gössel A T II § 40 Rdn. 46; Walder SchwZStr. 99 (1982) S. 225 ff, 238; Berz Jura 1984 S. 511 ff, 513. 83 R G 59 S. 386; 69 S. 327 ff, 328; B G H 20 S. 150 ff, 151 f ; 22 S. 81 f, 82; — selbst nach neuem Recht ausufernd und mit § 22 StGB nicht mehr zu vereinbaren BayObLG J R 1978 S. 38 (Versuch der Abgabenhinterziehung bei täusehender Beantragung einer später an der Grenze vorzulegenden Bescheinigung).

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25. AbSChn

2. Buch. 5. Kapitel. Versuch und Beteiligungsversuch

geht es los'" überschreiten 8 4 , entspricht deshalb nur dann dem Gesetz, wenn sie dahin korrigiert wird, daß der Täter hic et n u n c 8 4 a die tatbestandliche Ausführungshandlung vollziehen will 8 5 ; denn um irgendeine notwendig subjektiv empfindbare Schwelle geht es gerade nicht. Dies wird daran deutlich, daß selbst die volle Tatbestandsverwirklichung dem Täter beiläufig erscheinen mag, insbesondere bei Delikten mit materiellem Vorbereitungscharakter 8 6 , ferner bei Delikten, die in Verbotsunkenntnis begangen werden. Nicht brauchbar sind auch Formeln, die darauf abstellen, wann der Vorsatz des Täters im objektiven Geschehen deutlich wird (dolus ex re); die Sichtbarkeit mag sich längst vor der Unmittelbarkeit, die das Gesetz verlangt, ergeben; sie mag allerdings auch selbst bei der Vollendung noch fehlen.

C. Die Bedeutung der Vorstellung des Versuchstäters 60

§ 22 StGB bestimmt schließlich, daß es auf das unmittelbare Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung nach der Vorstellung des Versuchstäters ankommt. Die Tatbestandsnähe eines vom Täter vorgestellten Geschehens entscheidet, nicht aber diejenige eines objektiv beurteilten Verlaufs. Die verbreitet verwendete Formel von Frank, ein Anfang der Ausführung liege bei den Akten vor, „die vermöge ihrer notwendigen Zusammengehörigkeit mit der Tatbestandshandlung f ü r die natürliche Auffassung als deren Bestandteile erscheinen" 8 7 , kann nunmehr nur noch verwendet werden, wenn die „natürliche Auffassung" auf das vom Täter erreichte und weiterhin geplante Geschehen bezogen wird.

D. Konkretisierungen 61

1. Es geht nach dem Gesetz also um objektiv-formelle (Tatbestand), objektiv-materielle (Unmittelbarkeit; als Tatbestands nähe materiell, freilich in der Abhängigkeit vom Tatbestand formell) und individuelle oder subjektive Momente (die Vorstellung des Täters). Die verbreiteten Formulierungen, das Gesetz folge einer materiellen oder einer subjektiven Theorie, treffen nur einzelne Aspekte.

62

2. Z u r positiven Bestimmung dessen, was unmittelbares Ansetzen bedeutet, will eine streng am Tatbestand orientierte Lösung darauf abstellen, ob der letzte Teilakt vor der Tatbestandshandlung vollzogen wird 8 8 . Das stößt auf eine doppelte Schwierigkeit: Erstens kann der Beginn der Tatbestandsha.nà\\in% bei Verursachungsdelikten nicht exakt festgelegt werden; das Gesetz bezeichnet als Ausführungshandlung den Moment der Verursachung, aber nicht, um diesen Moment als einen isolierbaren Teilakt, als abgeschlossene Handlung, auszuweisen, sondern um die relevante Gemeinsamkeit aller möglichen tatbestandlichen Handlungen zu benennen. Beispielsweise läßt sich das Abziehen eines Gewehrs in die je f ü r sich motivierbaren Abschnitte des Abziehens bis zum D r u c k p u n k t und darüber hinaus zerlegen; daß letzteres tatbestandlich hinreicht,

84 Dreher-Tröndle §22 Rdn. 11; neben anderen Formulierungen wörtlich übernommen von B G H 26 S. 201 ff, 203; BGH GA 1980 S. 24 f; BGH bei Holtz MDR 1980 S. 271 ff, 272; BGH NStZ 1983 S. 364; extrem floskelhaft O L G Koblenz N J W 1983S. 1625. 84a B G H NStZ 1984 S. 320: „im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang". 85 So auch BGH NStZ 1981 S. 99.

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86 Zutreffend Maurach-Gössel KT II § 40 Rdn. 47; Äerz Jura 1984 S. 511 ff, 516. 87 Frank § 43 Anm. II 2 b; aus der Rechtsprechung siehe BGH 2 S. 380 f, 381 ; 9 S. 62 ff, 64; ausführlich Stratenwerth AT Rdn. 669 ff. 88 Maurach-Gössel A T II § 40 Rdn. 48; Gössel GA 1971 S. 225 ff, 226; SK-Rudolphi §22 Rdn. 13; Rudolphi JuS 1973 S. 20 ff, 23; siehe auch LKVoglerS 22 Rdn. 39 ff.

Versuch

25. Abschn

heißt nicht, ersteres sei eine davon gesonderte Handlung im Sinn des Versuchsbeginns; entsprechendes gilt etwa für länger dauerndes Erwürgen etc. Zweitens läßt sich auch die letzte vortatbestandliche Handlung nicht exakt bestimmen. Was bei Gewöhnung schwungvoll vollzogen vielleicht einer einzigen Motivation entspringt (Hochreißen, Anlegen, Entsichern und Abziehen eines Gewehrs beim geübten Jäger), mag dem Ungeübten noch zerlegt erscheinen etc. Deshalb soll es auch nach der genannten Lehre nicht um eine „nach einzelnen körperlichen Bewegungen aufspaltende Betrachtung" gehen 8 9 , womit aber die Teilaktslösung ihre strenge Tatbestandsbindung verliert. 3 a) Zur Bestimmung der Versuchshandlung muß die im Gesetz beschriebene, ab- 63 strahierende Momentaufnahme (die Verursachung) zu einem Handlungsgeschehen als Sinneinheit angereichert werden, d. h. — und sachlich ergibt sich bislang nach keiner Theorie etwas prinzipiell anderes —, es müssen konkretisierte Typen von Verursachungshandlungen gebildet werden, wie sie auch das Gesetz beschreiben würde, wenn es ihm auf die Art und Weise der Verursachung ankäme. Das Ergebnis dieser Typenbildung hängt nicht nur davon ab, was der Täter bewirken will (um welche Verursachung es geht), sondern auch in welchem sozialen Zusammenhang etwas geschehen soll 9 0 . Wegen der unabschließbaren Vielfalt der möglichen sozialen Zusammenhänge läßt sich keine Versuchsformel geben, wohl aber ein Katalog von Topoi, die teils einem beweglichen System zugehören, d. h. nicht stets müssen alle Topoi zusammentreffen und nicht stets ist die hinreichende Menge gleich groß 9 0 a . b) Zwingende (negative) Entscheidungsrichtlinien :

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aa) Ein Verhalten ist allenfalls dann Versuch, wenn es die Situation nach der Tätervorstellung der Vollendung annähert, ansonsten nicht. Retardierendes Verhalten (Einnahme von Stärkungen, Ausruhen, Divertissement) ist auch dann kein Versuch, wenn der Täter diese Verhaltensweise mit dem Vorsatz durchführt, sogleich danach die Ausführungshandlung zu vollziehen. Wohl aber kann ein Versuch schon vor solchem Verhalten begonnen worden sein und wegen des schon vollzogenen Verhaltens weiterhin andauern (die Verschnaufpause beim anstrengenden Versuch des Einbruchdiebstahls ist Pause innerhalb des längst begonnenen Versuchs). bb) Ein Verhalten, mit dem jemand in sozial üblicher Weise seine Rechte wahrnimmt 65 oder Gemeingebrauch übt, ist nur dann Versuch, wenn dieses Verhalten nach der Tätervorstellung schon die Ausführungshandlung selbst sein soll (deshalb beginnt mit dem Druck auf den häuslichen Lichtschalter mit vermeintlich angeschlossener Höllenmaschine trotz der Sozialüblichkeit dieser Bewegung ein Versuch; — siehe die sogleich zu nennenden Prinzipien). Kein Versuch sind also: Hingehen zum Tatort 9 0 b , auch wenn der Tatort ganz nahe liegt, Hineingehen in ein geöffnetes Warenhaus, um dort möglichst bald zu stehlen (anders beim nächtlichen Einschieichen), Betreten einer Bank zu Raubzwecken, aber ohne Maske oder sonstiges Tatindiz, Einnahme von Stärkungen, um die Tat durchhalten zu können, Besuchen des Opfers in dessen Wohnung, 89 BGH 26 S. 201 ff, 204; Maurach-Gössel AT II § 40 Rdn. 50; ähnlich („natürliche Auffassung") SK-Rudolphi% 22 Rdn. 13. 90 Die weiteste Vorverlagerung des Versuchsbeginns nahm nach § 43 StGB a. F. der BGH bei einem Delikt vor, das nach üblicher Auffassung massive Tabus verletzt, einen starken Persönlichkeitsbezug aufweist, gegen ein besonders schutzwürdiges Opfer gerichtet ist und früh eine

Schutzsphäre (die elterliche Sorge) verletzt: § 176 Abs. 1 Nr. 3 StGB a. F.; BGH 6 S. 303 f; siehe die Übersicht bei Rudolphi JuS 1973 S. 20 ff, 21. — Reiche Kasuistik zum Versuchsbeginn bei HöserVorbereitungshandlung S. 29 ff, 109 ff. 9° a Ahnlich die Fallgruppenbildung bei Roxin JuS 1979 S. 1 ff, 3 ff; Berz Jura 1984 S. 509 ff, 517 ff; Sonnen u. a. JA 1988 S. 17 ff, 19 f. 9 0 b BGH StV 1987 S. 528 f.

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25. AbSChn

2. Buch. 5. Kapitel. Versuch und Beteiligungsversuch

Ablenken des Opfers durch Gespräche, Arrangieren einer gemeinsamen Autofahrt 9 0 c , Herumstehen am Tatort 9 0 c l , Verhandlungen mit dem ahnungslosen Opfer, ob das Tatverhalten (Geschlechtsverkehr mit der Gefahr einer Krankheitsübertragung) stattfinden soll 9 0 e etc. Ist das gesamte Handeln erlaubt, das den Erfolg hinreichend bedingt, so beginnt der Versuch erst mit dem der Handlung nachfolgenden Unterlassen. Beispiel: Der Täter fährt mit Tötungsvorsatz in erlaubtem Tempo auf eine Kurve zu, an deren Außenrand ein Fußgänger steht; ein Versuch der Tötung des Fußgängers beginnt erst, wenn deutlich wird, daß der Täter nicht um die Kurve lenkt, sondern sein Fahrzeug auf den Fußgänger zurollen läßt (also unterläßt). 66

c) Bewegliche (positive) Entscheidungsrichtlinien: aa) Für einen Versuchsbeginn spricht zeitliche Nähe des Verhaltens zu der ohne Unterbrechung angestrebten Ausführungshandlung. Versuch ist deshalb das Hochreißen der Waffe zum sofortigen Schießen 9 1 ; ob noch entsichert werden muß oder nicht, ist gleichgültig. Versuch liegt auch beim Auflauern vor, wenn Bedingung der Ausführungshandlung nur noch das jederzeit erwartete Erscheinen des Opfers ist, auch wenn das Opfer letztlich ausbleibt 92 . Versuch ist — vorbehaltlich der Sozialadäquanz des Verhaltens — auch die Untersuchung eines Objekts auf Tauglichkeit, um bei positivem Ausgang ad hoc die Ausführungshandlung zu vollziehen 93 . Verbotene Einfuhr oder „Schmuggel" beginnt, wenn die Zollkontrolle dicht bevorsteht 9 3 a . Das Argument der zeitlichen Nähe gilt nicht, wenn der Täter, ohne bereits aus anderem Grund mit dem Versuch begonnen zu haben, ein retardierendes oder sozial übliches Verhalten vollzieht; also begeht keinen Versuch, wer bloß die Faust in der Rocktasche ballt, um gleich loszuschlagen oder — ohne Auffälligkeit — an einer Haustür klingelt, um den Öffnenden anzugreifen 9 3 b .

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bb) Das Argument der zeitlichen Nähe ist nicht umkehrbar 9 4 . Eine große Zeitdifferenz hindert den Versuch nicht, wenn der Täter eine Tat der geplanten Art technisch nicht schneller vollziehen kann, aber mit der Einwirkung auf das Tatobjekt beginnt. Versuch des Gelddiebstahls liegt also beim Beginn der Schweißarbeit am Tresor vor, versuchter Totschlag durch Erwürgen spätestens beim Beginn des ersten Zupackens etc. Trotz eventuell stundenlanger Zeitdifferenzen läßt sich in diesen Fällen in Anlehnung an Franks on einer natürlichen Einheit eines Angriffsverhaltens sprechen 9 5 . Stets muß sich jedoch der Täter, soll von der Einheitlichkeit des Angriffsverhaltens gesprochen werden, voll der Tat zuwenden. Einem Handeln mit eingeplanten (notwendigen oder fakultativen) Unterbrechungen durch anderweitige Beschäftigung fehlt die 90c

Anders B G H 33 S. 378 ff, 381 für § 316a StGB: Vollendung (§ 11 Absatz 1 Nr. 6 StGB) mit „Beginn der Fahrt". Gewiß kann mit der Fahrt die Benutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs beginnen, aber ohne soziale Auffälligkeit fehlt es am Ausnutzen. Zutreffend kritisch GüntherJZ 1987 S. 16 ff, 26. 90d OLG Hamm N J W 1989 S. 3232 f. 90e BayObLG N J W 1990 S. 781 f. 91 RG 59 S. 386. 92 RG 68 S. 336 f; 77 S. 1. ff; B G H 26 S. 201 ff; BGH NStZ 1984 S. 506; a. A. SK-Rudolphi § 22 Rdn. 15 (eine Person müsse sich dem Ort nähern; — ein Relikt der früheren Theorien, die objektive Tauglichkeit verlangten); Gössel JR 1976 S. 249 ff, 251; Otto N J W 1976 S. 578 f, 579; -

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zweifelhaft aber B G H N J W 1952 S. 514 mit ablehnender Anmerkung Mezger aaO: Dort lauerten die Täter in ihrem Auto, aus dem sie erst noch aussteigen mußten; zutreffend wiederum BGH StV 1989 S. 526. 93 B G H 22 S. 81 f (Diebstahl); BGH bei Dullinger M D R 1953 S. 19 (Abtreibung). 93a BGH 36 S. 249 ff; siehe auch BGH 31 S. 216 ff; N J W 1990 S. 2072 f. 93b Siehe B G H StV 1984 S. 420, wo freilich die Sozialadäquanz nicht berücksichtigt wird. 94 Insoweit zutreffend LK-Vogler S 22 Rdn. 42 ff; Ben Jura 1984 S. 509 ff, 518; anders wohl Roxin JuS 1979 S. 1 ff, 5. 95 Ähnlich WesselsAT§ 14 II 2.

Versuch

25. Abschn

Einheitlichkeit 9 5 a . Beispiele: Der Täter, der dem Opfer wöchentlich eine Dosis Gift in der H o f f n u n g gibt, die Summierung werde zum T o d führen, beginnt den Versuch erst mit dem Ansetzen zur Eingabe derjenigen Dosis, die nach seinem Vorsatz erstmals tödlich sein könnte (streitig). — Beim Prozeßbetrug (§ 263 StGB) im Zivilprozeß beginnt der Versuch nicht mit dem Einreichen eines Schriftsatzes bei Gericht, sondern mit dem Ansetzen zur Bezugnahme auf den Schriftsatz in der mündlichen Verhandlung 9 6 . — Versuch der Strafvereitelung (§ 258 StGB) beginnt nicht schon mit der Einwirkung auf einen bösgläubigen Zeugen, er möge im kommenden Prozeß falsch aussagen 9 7 , sondern erst mit dessen Ansetzen zur Falschaussage im Verfahren 9 7 a . — Der Gebrauch eines Inhaberpapiers oder -Zeichens in der Absicht, den Quittungsvermerk alsbald wieder zu vernichten, ist nicht schon Versuch eines Urkundsdelikts 9 7 b . cc) Für einen Versuchsbeginn spricht ein (vermeintlicher) Einbruch des Täters in die 6 8 Schutzsphäre des Angegriffenen 9 8 . N a c h dieser Richtlinie beginnt ein Versuch des Diebstahls schon mit dem Beginn des Eindringens in die Gewahrsamssphäre, etwa durch Einsteigen in das H a u s des O p f e r s 9 9 , wie ein Raubversuch schon mit dem Versuch der N ö t i g u n g beginnt. Die Richtlinie gilt nur, w e n n die durch den Einbruch in die Schutzsphäre gewonnene Position auch ohne zwischenzeitliche Preisgabe genutzt werden soll. Kein Versuch liegt also beim Einschieichen in einen fremden Fabrikhof vor, wenn dies nur geschieht, um Sachen zu individualisieren, die erst am nächsten T a g 95a

Α. A. Schmoller Bedeutung S. 57 f. LK-Lackner $ 263 Rdn. 319; a. A. O L G Bamberg N S t Z 1982 S. 247 ff mit Nachweisen und Anmerkung Hilger3.Λ.Ο S. 248 f. 97 B G H 31 S. 10 ff, 12 ff (mit ablehnender Anmerkung Beulke N S t Z 1982 S. 330 f); B G H J Z 1982 S. 434 f; K G J R 1984 S. 250; H a n s O L G H a m burg JR 1981 S. 159 f mit zustimmender Anmerkung Rudolphi a a O S. 160 f f ; — siehe auch oben Fn. 81. 97a Immer noch zu früh, seil, mit der Benennung eines Zeugen im Prozeß soll (wohl im Blick auf § 138a Absatz 1 N r . 3 StPO!) der Versuch nach B G H N J W 1983 S. 2712 beginnen. - Der im Text genannte Zeitpunkt (Ansetzen zu Falschaussage) ist nur bei akzessorischer Beteiligung an der Aussage des Zeugen maßgeblich (siehe zur quantitativen Akzessorietät oben 22/19 f), also nicht bei mittelbarer Täterschaft (oben 21/105). 97b Α. A. OLG Koblenz N J W 1983 S. 1625 mit zutreffend ablehnender Besprechung Küper N J W 1984 S. 777 f und ablehnender Anmerkung Lampe J R 1984 S. 164 f (Benutzung einer präparierten Briefmarke als Versuchsbeginn der nochmaligen Benutzung; zu § 148 Absatz 2 StGB); — aber wohl kann die Präparierung des Papiers, um den Quittungsvermerk besser löschen zu können, dem Papier die Legitimationskraft nehmen, so daß sein Gebrauch beendeter Betrugsversuch ist (OLG Düsseldorf N J W 1983 S. 2341; zur Strafbarkeit des Betrugsversuchs siehe unten 31/31, 45) oder Vollendung nach § 148 Absatz 2 StGB. 98 Ähnlich („Berührung" der Sphären von Täter und Opfer) Roxin JuS 1979 S. 1 ff, 5; („räumliche Beziehung") O L G Frankfurt N J W 1984 S. 812; - nach Walder SchwZStr. 99 (1982) S. 225 ff, 268 soll schon eine Schutzminderung 96

zum Versuchsbeginn hinreichen (etwa Weglokken des Wohnungsinhabers, um ungestört stehlen zu können), — Siehe auch Zaczyk Unrecht S. 308 ff: Versuchsbeginn bei „überlegener Stellung" des Täters. — Auf nur „geistige" Schutzsphären ist die Regel nicht zu übertragen. Beispiel: Urkundenfälschung ist nicht schon Versuch des mit dem Falsifikat geplanten Betrugs. 99 Ein entsprechend früher Beginn eines Versuchs auf offener Straße (Sphäre mit allseitigem Recht zur Organisation) oder gar in einer dem Täter gehörenden W o h n u n g (Sphäre mit dem vorrangigen Recht des Täters zur Organisation) ist wohl nicht konstruierbar. — Zum Einsteigediebstahl wie hier R G 68 S. 336 f f ; 70 S. 201 ff;, zu weit jedoch B G H 2 S. 380 f: Das Bereitmachen einer Winde zur Ö f f n u n g von Fenstergittern von außen als Versuch des Diebstahls von Gegenständen aus dem Gebäude; die Gewahrsamssphäre ist in diesem Fall noch nicht tangiert; zu weit auch B G H N J W 1980 S. 1759 f: Raubversuch soll danach das Präparieren eines Reifens am Auto eines Geldboten sein, was nach 500 bis 1000 Metern Fahrt zu einer Panne führen sollte, bei der dann gewaltsam gegen den Boten vorgegangen werden sollte; die Tabusphäre der Person ist noch unangetastet; — zutreffend zu ähnlichen Fallgestaltungen B G H N S t Z 1989 S. 473 f (kein Versuchsbeginn beim Bereitlegen von Einbruchswerkzeug am Tatort, wenn vor dem Fortgang noch eine Zigarette geraucht werden soll); ähnlich B G H StV 1989 S. 525 f ; Roxin JuS 1979 S. 1 ff, 5. Zur Vollendung beim Diebstahl trotz Verbleibens in der Schutzsphäre des Opfers siehe B G H 16 S. 271 ff, 272 ff; 23 S. 254 ff, 255 f; B G H N S t Z 1981 S. 435 f.

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2. Buch. 5. Kapitel. Versuch und Beteiligungsversuch

nach einem erneuten Einschieichen gestohlen werden sollen 10 °. — Eine bloße Berührung der Sphäre reicht nicht 1 0 1 , soweit eine solche Berührung im sozialen Kontakt üblich ist. Ebensowenig reicht der Eintritt in eine vom Inhaber selbst zum Zweck des Eintritts geöffnete Sphäre 1 0 1 a . Beispiel : Wer die Abendeinladung zum Diebstahl silberner Löffel mißbrauchen will, beginnt den Versuch nicht mit dem Eintreten. O b zum Einbruch in die Sphäre eine Typizität des Fortgangs hinzukommen muß, ist zweifelhaft. O f f e n ist also, ob analog zu den geschilderten Fällen des Diebstahlsversuchs auch versuchte T ö t u n g I 0 1 b oder Vergewaltigung (§ 177 StGB) oder Sachbeschädigung (§ 303 StGB) oder Brandstiftung (§ 306 StGB) schon mit dem Eindringen in ein H a u s anzunehmen sind. Zweifelhaft ist auch, ob ein Tötungsversuch schon mit der Eingabe von Betäubungsmitteln vorliegt, wenn das Opfer alsbald nach der Bewußtlosigkeit getötet werden soll. Eine zwingende Voraussetzung des Versuchs ist der Einbruch in eine fremde Sphäre nicht 1 0 2 , wie die Delikte mit vorverlagerter Vollendung zeigen, bei denen selbst bei einer Vollendung das Geschehen noch voll in der Sphäre des Täters liegen mag. Auch bei anderen Delikten kann der Täter unter Umständen bis zum beendeten Versuch voll in seiner Sphäre agieren, etwa beim heimlichen Schuß aus der W o h n u n g auf einen Passanten. Wird die Schutzsphäre nach der Art des Delikts auch bei Vollendung nicht betroffen, so ist darauf abzustellen, ob der Täter mit der Einwirkung auf das Handlungsobjekt beginnt. Beispiel: Es spricht f ü r Versuchsbeginn der Urkundenfälschung (§267 Abs. 1, 2. Fallgruppe StGB), wenn der Täter Teile der echten U r k u n d e ausradiert oder wegschabt. 69

dd) Das Argument ist insoweit umkehrbar, als Versuch ausscheidet, wenn der Einbruch in die Opfersphäre oder die Einwirkung auf das Handlungsobjekt zur Vollendung nötig sind, aber noch nicht zeitlich dicht bevorstehen: Das bloße Beschaffen eines Nachschlüssels ist noch kein Diebstahlsversuch an einem A u t o 1 0 3 ; die Verabredung mit dem O p f e r f ü r spätere Zeit ist kein Versuch eines geplanten Delikts am O p f e r 1 0 4 . Ebensowenig Deliktsversuch sind der Ankauf von Tatmitteln, das Anwerben von Tatbeteiligten (aber § 30 StGB!), der Gang zum Tatort oder das Schaffen einer günstigen Gelegenheit 1 0 5 .

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4. Der Täter muß zur Verwirklichung des ganzen Tatbestands unmittelbar ansetzen. Das ist bei Delikten, deren Verwirklichung mehrere Handlungen erfordert, vor dem 100 Entgegen RG 53 S. 217 ff, 218 liegt kein Versuch beim erfolgreichen Wegführen eines Wachhunds vor, um nach sofortiger Rückkehr, zu der es aber nicht mehr kommt, zu stehlen: Die Sphäre wird zwar tangiert, aber das Opfer entfernt sich zunächst eben auch. Letzteres vernachlässigen RoXI» JuS 1979 S. 1 ff, 6 und Walder SchwZStr. 99 (1982) S. 225 ff, 268. - Zutreffend RG 54 S. 42 ff; siehe auch RG 55 S. 191 f. 101 Wohl nur verbal anders Roxin JuS 1979 S. 1 ff, 6. 101a Α. A. BGH bei Haitz M D R 1985 S. 627. 101b Bejahend BGH NStZ 1987 S. 20. 102 Berz Jura 1984 S. 511 ff, 517; abweichend insbesondere Roxin JuS 1979 S. 1 ff, 6. 103 B G H 28 S. 162 ff. 104 Anders B G H 6 S. 303 f, freilich durch § 22 StGB n. F. Uberholt; dagegen schon zu § 43 StGB a. F. die überwiegende Ansicht, insbesondere Bockel-

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mann JZ 1955 S. 193 ff, 194; wie hier für den Fall einer Verabredung, bei der das Opfer betrogen werden soll, OLG Karlsruhe N J W 1982 S. 59 f; dazu LK-VoglerS 22 Rdn. 35. 105 Kein Betrugsversuch ist die täuschende Inszenierung eines Diebstahls, um danach die Versicherung zu betrügen; zutreffend BGH N J W 1952 S. 430 f; dagegen RG 72 S. 66 f. - Gleichfalls kein Betrugsversuch ist das Beschaffen einer Urkunde, die erst nach einer Verfälschung zur Täuschung gebraucht werden soll; BGH wistra 1984 S. 142 f. — Der Versuch der Einfuhr von Betäubungsmitteln beginnt nicht schon vor dem Verhalten an der Grenze; siehe BGH NStZ 1983 S. 511; siehe dagegen aber auch R G 7 1 S. 73 f; weitere Beispiele zum Versuchsbeginn bei der Hinterziehung von Einfuhrabgaben bei Höser Vorbereitungshandlung S. 73 ff, 187 ff.

Versuch

25. Abschn

Ansetzen zum letzten Teilakt nur dann der Fall, wenn der Täter durch sein Verhalten zur ganzen Handlungssequenz unmittelbar ansetzt 1 0 5 a . Entsprechend liegt der Versuch eines qualifizierten Delikts oder eines Delikts in einem besonders schweren Fall nur dann vor, wenn der Täter unmittelbar z u r Verwirklichung des Grunddelikts wie auch der Qualifizierung oder der Erschwerung ansetzt 1 0 6 . Die gegenteilige Ansicht 1 0 7 , die — zumindest bei Qualifizierungen — die Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals ausreichen läßt, beruht auf einer Sinnverkehrung der formellen Theorie, die zum Versuchsbeginn die Verwirklichung von mindestens einem Tatbestandsmerkmal verlangt, ohne freilich zu begründen, daß die Verwirklichung irgendeines Merkmals stets hinreiche. Bildung einer Bande zu Raubzwecken ist nicht per se Raubversuch (§ 250 Abs. 1 Nr. 4 StGB), Beseitigung von Löschgeräten, die bei einem wesentlich später zu legenden Brand gebraucht würden, nicht versuchte Brandstiftung nach § 307 N r . 3 StGB 1 0 8 , wie auch bei umgekehrter Reihenfolge die Brandstiftung nach § 306 StGB nicht schon Versuch nach § 307 StGB allein deswegen sein muß, weil der Täter plant, noch Löschgeräte zu beseitigen, aber dazu noch nicht ansetzt 1 0 9 . — Der Meineid (§ 154 StGB) beginnt beim Nacheid (d. h. beim Eid nach der — gegebenenfalls schon f ü r sich strafbaren — uneidlichen Aussage) erst mit dem unmittelbaren Ansetzen zur Eidesleistung 1 1 0 . — Der Versuch eines qualifizierten Delikts oder eines Delikts in einem besonders schweren Fall ist auch dergestalt möglich, daß die qualifizierenden oder erschwerenden Umstände nur versucht werden, wobei das Grunddelikt und der nicht erschwerte Fall ihrerseits versucht oder vollendet sein m ö g e n 1 1

VI. Der objektive Tatbestand beim beendeten Versuch A. Das Problem § 22 StGB regelt den Versuchs beginn nur f ü r den Fall, in dem der Täter nach seiner 71 Vorstellung mit dem Abschluß der Ausführungshandlung den Einfluß auf das Geschehen verliert oder mehr als eine Ausführungshandlung zur Vollendung nicht vollzogen werden muß (Deliktsausführung ohne Revokationsmöglichkeit). H a t der Täter im beschriebenen Fall alles nach seiner Vorstellung Erforderliche getan, steht aber die (volle) Verwirklichung des Tatbestands noch aus, so liegt ein beendeter Versuch vor. 105a

Bei der Täuschung beim Betrug ist zu unterscheiden: Wenn nach der Täuschungshandlung das Opfer ohne Mitwirkung des Täters einen Verfügungsschaden erleiden kann, ist die Täuschung beendeter Betrugsversuch, also insbesondere beim Eingehungsbetrug; muß aber der Täter zum Zustandekommen der Verfügung mitwirken, ist die Täuschung nur dann Versuch, wenn die Verfügung als sofortige Antwort auf die Täuschung erfolgen soll; siehe B G H 31 S. 178 ff, 181 f; LKVogler §22 Rdn. 35; Burkhardt JuS 1983 S. 426 ff, 429 ff; weitergehend (schon der „entscheidende Täuschungsakt" soll hinreichen) Karollus JurBl. 1989 S. 627 ff. Entsprechendes gilt für täuschende Behauptungen, die noch bewiesen werden müssen, bevor es zu einer Verfügung kommen kann: Kennt der Täuschende das Beweiserfordernis, so sind seine Behauptungen nur dann Versuchsbeginn, wenn der Beweis sofort erfolgen soll; a. A. BGH JR 1989 S. 390 f mit zustimmender Anmerkung KellerS. 391 f. 106 Streitig; wie hier Stree Peters-Festschrift S. 179 ff mit ausführlicher Begründung und mit Nachwei-

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sen; Roxin JuS 1979 S. 1 ff, 7; Laubentbai JZ 1987 S. 1065 ff, 1066; LK-Vogler % 22 Rdn. 79 (entgegen Rdn. 35, 35a, wonach eine Teilverwirklichung des Tatbestands stets Versuch begründen soll); differenzierend (nach der Reihenfolge von Grunddelikt und Qualifikation) Welzel Strafrecht §24 III 2; für das schweizerische Recht siehe Arzt recht 1985 S. 78 ff, 86 f. Insbesondere die Rechtsprechung zu § 243 StGB a. F.; RG 43 S. 332 ff; 54 S. 35 f; 54 S. 182 ff, 183; LKJ-BuschS 43 Rdn. 31 mit weiteren Nachweisen der Rechtsprechung; E 1962 Begründung S. 144; in der Tendenz auch Lackner § 2 2 Anm. 1 d; Dreher-Tröndle$ 22 Rdn. 10. Wohl aber Versuch bei sofort nach der Beseitigung geplanter Brandstiftung: Die Sphäre ist dann tangiert; Roxin JuS 1979 S. 1 ff, 7; anders Stree Peters-Festschrift S. 179 ff, 185. Alle Beispiele nach Stree aaO. B G H 4 S. 173 ff, 176; siehe auch BGH GS 8 S. 302 ff, 310. Streitig für die besonders schweren Fälle; dazu oben 6/100 mit F n . l 8 8 b .

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2. Buch. 5. Kapitel. Versuch und Beteiligungsversuch

Auch bei Tätigkeitsdelikten ist ein (fehlgeschlagener) beendeter Versuch möglich, und zwar in der Form des vollen Handlungsvollzugs in einer objektiv ungeeigneten Lage. Beispiel: Der vorvereidigte Meineidstäter macht im Zug seiner Aussage falsche Angaben, nachdem — vom Täter unbemerkt — eine kurze Unterbrechung angeordnet worden ist und das Gericht nicht mehr z u h ö r t ; — beendeter Versuch des Meineids, §§ 22,154 StGB. 72

Bei Delikten, deren Vollendung einen vom Handlungsvollzug unabhängigen Erfolg (einschließlich einer konkreten Gefährdung) voraussetzt, kann sich die Abgrenzung von Versuch und Vorbereitung f ü r den Fall verschieben, bei dem selbst nach Abschluß aller Handlungen, die nach der Vorstellung des Täters zur Tatbestandsverwirklichung notwendig sind, noch eine Revokation des Verlaufs durch den Täter nach seiner Vorstellung möglich ist (Delikte mit Revokationsmöglichkeit). Die wörtliche Anwendung der oben entwickelten Regelung des § 22 StGB wäre nur begriffsjuristisch angebracht, material aber verfehlt. Das Gesetz bezieht seine Regelungen im Grundfall auf Begehung. Die Behandlung eines aus Begehung (Versuchshandlung) und Unterlassung (keine Revokation) zusammengesetzten Verlaufs muß immer auch mit Rücksicht auf das Unterlassungsmoment erfolgen. Beispielhaft: Wenn ein Täter für sein Opfer, dessen Eintreffen erst in einigen Stunden erwartet wird, ein vergiftetes Getränk griffbereit zur Selbstbedienung hinstellt, aber eingriffsfähig am O r t verweilt, während ein anderer Täter sich zur Verfügung hält, ein vergiftetes Getränk sofort bei Ankunft seines Opfers zu servieren, so läßt sich keine Begründung 1 1 2 dafür geben, daß wohl im ersten Fall Versuch vorliegen soll (der Täter hat alles getan, das Opfer soll sich selbst bedienen), nicht aber im zweiten (es muß noch serviert werden).

B. Lösung 73

Zur Lösung sind — durchaus wie beim Versuch des Unterlassungsdelikts — die Richtlinien zum unbeendeten Versuch entsprechend heranzuziehen 1 1 3 : 1. Zwingende (negative) Richtlinien: a) Versuch liegt bei Revozierbarkeit des Erfolgs nach Abschluß der Handlung(en) allenfalls vor, wenn durch weiteres Zuwarten der Aufwand, zur Revokation größer wird. Beispiel: Ob in dem oben gegebenen Fall der Vergiftung eines Getränks f ü r ein erwartetes Opfer noch wenige oder noch viele Stunden zur Revokation bleiben, ist gleichgültig. Erst derjenige Zeitpunkt ist f ü r den Versuch signifikant, in dem — etwa infolge nunmehr nötiger Eile — vom Unterlassungstäter oder von einer sonst an der Rettung beteiligten Person besondere Anstrengungen zur Bereinigung der Lage unternommen werden müssen. b) Solange der Erfolgsbezug der Lage nach der Vorstellung des Täters in sozial üblicher Weise, insbesondere durch Wahrnehmung von Rechten oder Gemeingebrauch, gekappt werden kann, liegt auch bei Erhöhung des Aufwands kein Versuch Herzberg M DR 1973 S. 89 ff, 93 begründet die unterschiedliche Behandlung mit der Gefahr, die besteht, wenn die Revokation sich überraschend als undurchführbar erweist; ähnlich Blei JA 1975 S. 167 ff. — Das Argument reicht zur Begründung einer Versuchsstrafbarkeit nicht hin; denn ein Geschehen, das materiell Vorbereitung ist, wird nicht dadurch zum Versuch, daß es höchst gefährlich ist. 113 Unten 29/118; die Lösung ist streitig; zum Problem grundlegend und in den Ergebnissen haupt-

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sächlich wie hier, teils freilich mit anderer Begründung Roxin Maurach-Festschrift S. 213 ff; den. JuS 1979 S. 1 ff, 9 ff; siehe ferner Jescheck AT § 49 IV 6; Schönke-Schröder-Eser §22 Rdn. 42; SK-Rudolphi §22 Rdn. 19; Otto Grundkurs § 19 II 3 c dd, § 20 I 2, jeweils mit Nachweisen. — Hauptsächlich a. A. Herzberg M DR 1973 S. 89 ff; Blei JA 1975 S. 167 f; Gössel JR 1976 S. 249 ff, 251 ; LK-Vogler § 22 Rdn. 71 bis 76.

25. Abschn

Versuch

vor. Beispiel : Der Täter baut zu Hause aus eigenem Material eine Bombe mit mehrstündigem Zeitzünder, den er einstellt. Dies allein ist auch dann kein Versuch nach den §§ 22, 311 Abs. 1 StGB, wenn bei weiterem Zuwarten die Bastelleistung zur Entschärfung größer werden muß. 2. Bewegliche (positive) Richtlinien: 74 a) Für einen Versuch spricht zeitliche Nähe des Erfolgseintritts. Deshalb liegt in der Regel beendeter Versuch vor, wenn die Zeit zwischen Handlungsende und erwartetem Erfolg kurz ist. b) Für einen Versuch spricht die Einheit des Eingriffsverhaltens. Beispiel: W e r sein Opfer mit Tötungsvorsatz ins Wasser wirft, begeht auch dann einen Versuch, wenn der T o d nach der Tätervorstellung durch Schwimmversuche des Opfers hinausgezögert werden mag und ebenso lang durch ein Rettungsmanöver überhaupt verhindert werden könnte. c) Für einen Versuch spricht ein schon geschehener Einbruch in die Schutzsphäre. Versuchte T ö t u n g liegt beim Ausliefern vergifteter Milch an den Verbraucher vor, auch wenn dieser sie erst am nächsten Tag trinken wird. Aber kein Versuch ist das bloße Bereitstellen eines solchen Gifts, das vom arglosen O p f e r erst am nächsten T a g abgeholt werden wird. 3. Fehlt dem Täter, der die Gefahr vorsätzlich geschaffen hat, zur Zeit des Verlustes 7 4 a der Revokationsmöglichkeit der Vorsatz, etwa weil er die Gefahr vergessen hat, so ist zu unterscheiden: Wenn dem Täter die Möglichkeit eines Vorsatzverlustes zuvor bewußt war, haftet er nach den Regeln der actio libera in causa (oben 17/64 f f ) ; ansonsten kommt nur Fahrlässigkeitshaftung in Betracht 1 1 3 3 . 4. Für Fälle des Versuchs in mittelbarer Täterschaft mit Revokationsmöglichkeit 7 5 gelten die genannten Regeln entsprechend (siehe oben 21/105).

VII. Die Bestrafung des Versuchs A. Der Umfang der Strafbarkeit und die Kannmilderung 114 1. § 23 Abs. 1 StGB ordnet die Strafbarkeit des Versuchs f ü r alle Verbrechen an ; f ü r 7 6 Vergehen verweist die Vorschrift auf Sonderregelungen im BT. Die Unterscheidung von Verbrechen und Vergehen richtet sich nach § 12 StGB. Gemeint sind nur täterschaftlich versuchte Taten, wie sich aus der Sonderregelung in § 30 Abs. 1 StGB sowie aus der Akzessorietät der Teilnahme ergibt. Der Vorsatz des Täters braucht sich nicht auf den Verbrechenscharakter oder die besondere Anordnung bei Vergehen zu beziehen: § 2 3 StGB regelt nur die Strafbarkeit; das Versuchsunrecht wird in § 2 2 StGB festgelegt. 2 a) Die Strafe kann (bis 1939 in § 44 StGB a. F.: muß) beim Versuch über den 7 7 Strafrahmen nach § 4 9 Abs. 1 StGB gemildert werden ( § 2 3 Abs. 2 StGB). Da die Milderung über den Rahmen erfolgt, kann innerhalb des milderen Rahmens die konkrete Strafe über der Mindeststrafe des ungemilderten Rahmens liegen. O b die G r ü n d e für eine Milderung des Strafrahmens versuchsbezogen sein müssen, ist streitig. Streitig ist ferner, ob im Einzelfall die Versuchsstrafe nicht nur aus einem nicht gemilderten Strafrahmen entnommen werden, sondern sogar die H ö h e der hypothetischen Vollendungsstrafe erreichen darf. — Zur Lösung: 113a

S e h r streitig; f ü r H a f t u n g in beiden V a r i a n t e n Herzberg J u S 1984 S. 1 ff, 8 mit dem A r g u m e n t , a u c h beim Erfolgseintritt b e d ü r f e es keines V o r satzes m e h r ; — a b e r d e r V e r l u s t d e r R e v o k a -

114

t i o n s m ö g l i c h k e i t ist etwas a n d e r e s als ein E r f o l g s eintritt, seil. T a t v e r h a l t e n . Z u m P r o b l e m k r e i s a u s f ü h r l i c h Bruns S t r a f z u m e s s u n g s r e c h t S. 438 f f ; den. Leitfaden S. 170 ff.

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25. AbSChn 78

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b aa) Da die Gewichtigkeit jeder Strafe nur relativ zu einem System festliegt 1 1 5 , läßt sich eine bestimmte Strafe nie ohne Blick auf einen festliegenden Strafrahmen ermitteln. "Wenn die Rechtsprechung 1 1 6 mit partieller Unterstützung der Literatur 1 1 7 trotzdem meint, sie könne eine Entscheidung über den anzuwendenden Rahmen „auf Grund einer Gesamtschau der Tatumstände im weitesten Sinn so wie der Persönlichkeit des Täters . . . treffen, um die versuchte Tat, als Ausfluß der Täterpersönlichkeit (?), in ihrer Bedeutung für die verletzte Rechtsordnung voll zu erfassen" 1 1 8 , so entspricht dieses Unterfangen (Gesamtbetrachtung), bei dem mit der T a t (dem Täter?) über den Strafrahmen geurteilt werden soll statt umgekehrt, seit v. Liszt119 nicht mehr dem Stand der Diskussion. Eine Gesetzesauslegung, die ohne N o t beim Versuch einen milderen Strafrahmen aus Gründen wählt, deren Berücksichtigung das Gesetz bei der Vollendung nur innerhalb eines Rahmens zuläßt (etwa günstige Prognose), unterstellt zudem dem Gesetzgeber eine Willkür, die verfassungsrechtliche Konsequenzen zeitigen müßte. In der Umkehrung ist es auch Willkür, dem Versuchstäter die Zumessung aus dem milderen Rahmen aus Gründen zu versagen, die bei der Vollendung nicht oder nur eingeschränkt zur Wahl eines schwereren Rahmens führen könnten (etwa Vorstrafen). Deshalb bestimmen allein versuchsbezogene Gründe, ob der volle oder ob der gemilderte Strafrahmen Ausgang der Zumessung ist 1 2 0 . Da es zwischen zwischen schweren

also um spezifische Milderungsgründe geht, ist auch ein Zusammentreffen Versuchsmilderung und einem besonders schweren Fall möglich 1 2 0 a , ebenso der Versagung einer Versuchsmilderung und der Annahme eines minder Falls.

Freilich kann es vorkommen, daß zu versuchsbezogenen Gründen, die zur Wahl des nach § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Rahmens allein zu schwach sind, andere — wiederum schwache — G r ü n d e hinzukommen, die bei genügender Stärke ihrerseits eine Milderung des Rahmens nach § 4 9 Abs. 1 StGB auslösen könnten (§§ 13 Abs. 2, 17 Satz 2, 21, 35 Abs. 1 Satz 2 StGB), und daß die Summe dieser G r ü n d e die zur Rahmenbildung hinreichende Stärke erreicht. Eine Gesamtbetrachtung solcher genuin an sich zur Milderung geeigneter Gründe dürfte zulässig sein 1 2 1 . 79

bb) Die versuchsbezogenen Gründe: Versuchsbezogen ist zwar das Ausbleiben des Erfolgs; dieses allein kann jedoch nicht zur Milderung des Strafrahmens führen, da ansonsten die Kann-Vorschrift in eine Muß-Vorschrift verwandelt würde. Beim Ausbleiben des Erfolgs kann aber gemildert werden, wenn mindestens einer der folgenden zwei G r ü n d e vorliegt: (1) Versuch ist, wenn es beim Versuch bleibt, Irrtum und zeugt von Inkompetenz, wenn der Irrtum auf mangelnder oder flüchtiger Planung beruht. Insbesondere beim Ausbleiben beabsichtigter Folgen kann der Versuch also aus eben denselben Gründen milder bestraft werden, aus denen Fahrlässigkeit gegenüber V o r 115 Schon v. Liszt ZStW 3 S. 1 ff, 24; hierzu Jakobs Schuld und Prävention S. 4. 116 B G H 16 S. 351 f f ; 17 S. 266 f; B G H StV 1981 S. 514; StV 1984 S. 246; siehe auch B G H 26 S. 311 f. 117 Bruns Strafzumessungsrecht S. 440 ff, 446; ders. Leitfaden S. 172 f; Maurach-Gössel Κΐ II S 40 Rdn. 183; Stratenwerth Schweizer JuristentagsFestgabe S. 247 ff, 261; dafür daß die „Gesamtschau" nicht dem Doppelverwertungsverbot (§ 46 Abs. 3 StGB) widerspricht, eingehend Hettinger Doppelverwertungsverbot passim. 118 B G H 16 S. 351 ff, 353.

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119 A a O i n 2 5 / F n . 115. 120 Ttmpe Strafmilderungen S. 64 ff, 88 f mit umfassenden Nachweisen; Bergmann Milderungen S. 25 ff; Dreher J Z 1956 S. 682 f; ders. J Z 1957 S. 155 ff; ders. JZ 1968 S. 209 ff, 213; SchönkeSchröder-Eser § 23 Rdn. 7 f; SK-Rudolphi § 23 Rdn. 3; LK-Vogler% 23 Rdn. 10. 12 °» So f ü r die §§213,21: B G H N S t Z 1985 S. 115 f. 12! Freilich spricht dagegen, daß bei dieser „großen Milderung per H ä u f u n g kleiner Milderungen" der benennbare, scharf umrissene Typ des Milderungsgrunds verlorengeht; siehe auch oben 6/99.

Versuch

25. Abschn

satz regelmäßig milder bestraft wird (dazu oben 8/5). (2) Daß der Erfolg ausbleibt, kann auch an retardierenden Tatelementen liegen. In Frage kommen Randfälle zum unverständigen Versuch und Randfälle zum R ü c k t r i t t 1 2 l a . Beispiel: Der Täter des beendeten und unerkannt fehlgeschlagenen Versuchs bemüht sich mit nicht optimalen Mitteln, den Erfolg zu verhindern. — Daß ein Versuch nicht beendet ist, führt allenfalls zur Milderung, wenn noch eine lange Ausführungsphase fehlt. Die Beendigung selbst schließt Milderung so wenig aus, wie sie Rücktritt ausschließt; mangels eines Erfolgs fehlt auch hier die Verwirklichung des konkreten Unrechts und damit die Basis des vollen Schuldvorwurfs 1 2 2 . — Die Zufälligkeit des Scheiterns eines Versuchs ist kein Grund, die Milderung zu versagen 1 2 2 a ; denn nicht-zufälliges, also planvolles Scheitern wäre Rücktritt! Einige der retardierenden Tatelemente können freilich auch bei Vollendung vorliegen, scheinen also nicht versuchsbezogen zu sein; so kann sich ζ. B. auch ein schwacher Angriff vollenden 1 2 3 . Bei Vollendung fehlt den retardierenden Anlagen jedoch die „objektive Seite"; denn gerade die Schwäche eines Angriffs objektiviert sich nur, wenn die T a t scheitert. Beim Versuch kann also das Retardierende stärker angerechnet werden als bei Vollendung; die Entlastung ist deshalb größer. Entsprechend verhält es sich auch beim rücktrittsähnlichen Verhalten. Wählt der Richter den herabgesetzten Strafrahmen, so darf er die Gründe für diese Wahl zur Bestimmung der Strafe aus dem gewählten Rahmen insoweit nochmals heranziehen, als sie von einer Art oder einer Stärke sind, wie es bloß zur Auslösung des gemilderten Rahmens nicht erforderlich ist; denn insoweit liegt keine Doppelverwertung v o r 1 2 4 . c) Die versuchsbezogenen Gründe können zur Wahl eines herabgesetzten Rahmens 80 zu schwach sein; dann ist innerhalb des nicht gemilderten Strafrahmens bei der Zumessung das Fehlen der Vollendung mildernd einzubringen 1 2 5 , und zwar auch beim beendeten V e r s u c h 1 2 6 . Daß gegebenenfalls diverse strafschärfende Umstände vorliegen, kann das Fehlen des Erfolgs nicht ausgleichen 1 2 7 ; denn diese Umstände lägen auch bei Vollendung vor. Allenfalls beim Fall eines — schwer denkbaren — spezifisch versuchsbezogenen, belastenden Nachtatverhaltens könnte die hypothetische Vollendungsstrafe erreicht werden. — Natürlich kann die Differenz zwischen der Versuchsstrafe und der hypothetischen Vollendungsstrafe im Einzelfall minimal und deshalb praktisch nicht ausweisbar sein, insbesondere bei einem massiven Angriffsversuch auf ein unbedeutendes Objekt.

Timpe Strafmilderungen S. 109 ff (Unverstand) und 127 ff (Rücktritt); BGH MDR 1986 S. 271 (Rücktritt). 122 Streitig; a. A. insbesondere Armin Kaufmann ZStW 80 S. 34 ff, 50 f; den. Welzel-Festschrift S. 393 ff,403; ZiVinj¿¿Handlungs- und Erfolgsunwert S. 216; — zum Problem ausführlich oben 6/72 f, dort auch zu den Versuchen, den Erfolg immerhin als Merkmal des Strafbedürfnisses zu berücksichtigen. 122a BGH StV 1984 S. 246; 1985 S. 411; der Sache nach auch BGH StV 1986 S. 378 f; BGH 36 S. 1 ff, 18 ff. 123 Strateniverth Schweizer Juristentags-Festgabe S. 247 ff, 252 ff, 261. I21a