Strafen als Sprechakt: Die Bedeutung der Strafe für das Opfer [1 ed.] 9783428529919, 9783428129911

Welche Bedeutung hat das Strafrecht für das Opfer einer Straftat? Vom Individuum aus gesehen stellt sich das Strafrecht

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Strafen als Sprechakt: Die Bedeutung der Strafe für das Opfer [1 ed.]
 9783428529919, 9783428129911

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Schriften zum Strafrecht Heft 208

Strafen als Sprechakt Die Bedeutung der Strafe für das Opfer

Von

Roman Hamel

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

ROMAN HAMEL

Strafen als Sprechakt

Schriften zum Strafrecht Heft 208

Strafen als Sprechakt Die Bedeutung der Strafe für das Opfer

Von

Roman Hamel

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort

Die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2008 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-12991-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2008 von der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation angenommen. Für die Druckfassung konnten Rechtsprechung und Literatur bis Mai 2009 berücksichtigt werden. Ein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Felix Herzog, der mir stets auch bei ungewöhnlichen Nachforschungen großes Vertrauen schenkte. Ebenso schulde ich Herrn Prof. Dr. Martin Heger großen Dank. Er hat mich immer wieder bekräftigt, den gewählten Ansatz in theoretischer und praktischer Hinsicht weiterzuverfolgen, und mir dadurch über manch schwierige Phase hinweggeholfen. Herzlich danken möchte ich Frau Prof. Dr. Petra Wittig, die mir insbesondere bezüglich des soziologischen Teils meiner Arbeit wichtiges Feedback gab. Mein herzlicher Dank gilt weiterhin Herrn Prof. Dr. In˜igo Ortiz de Urbina Gimeno für sehr wertvolle Gespräche. Meine Schwester Dr. Johanna Hamel und Herr David Kühn haben durch ihre treffenden Hinweise nach Durchsicht der Arbeit noch einige wichtige Ergänzungen ermöglicht. Mein Dank geht ebenso an meine Kollegen am Lehrstuhl Isko Steffan und Erol Pohlreich; ein besseres Arbeitsumfeld hätte ich mir nicht wünschen können. Die Verleihung des Promotionspreises der „Absolventen und Freunde der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin – Bibliotheksgesellschaft – e.V.“ durch die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hat mich sehr geehrt. Die VG Wort hat die Drucklegung der Arbeit gefördert. Hierfür danke ich. Die Arbeit ist meinen Eltern gewidmet, denen ich auf diese Weise meinen tiefen Dank für ihre unermüdliche Unterstützung aussprechen möchte. Mainz, im Mai 2009

Roman Hamel

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

I. Das Opfer im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

II. Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

III. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

Erstes Kapitel Methodischer Ausgangspunkt

23

A. Die Stellung des Opfers aus Sicht der Theorie autopoietischer Systeme . . . . . . . . .

23

B. Zeichen- und sprachtheoretischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

C. Strafrecht als kommunikative Verwendung von Zeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

D. Kommunikative Verwendung von Zeichen als sprachliche Handlung . . . . . . . . . . . .

38

Zweites Kapitel Die Sprechakttheorie

42

A. Der Sprechakt nach Searle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

I. Der Äußerungsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

II. Der illokutionäre Akt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

III. Der propositionale Gehalt und seine Abhängigkeit von der illokutionären Kraft

43

IV. Illokutionäre Verben als Indikator der illokutionären Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

V. Die Komponenten der illokutionären Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

1. Der illokutionäre Zweck als Ausgangspunkt einer Taxonomie . . . . . . . . . . . . . . .

47

2. Weitere Komponenten der illokutionären Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

a) Die Aufrichtigkeitsbedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

b) Weitere Ausprägungen der illokutionären Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

B. Wann gelingt ein Sprechakt, wann ist er erfüllt, wann erfolgreich? . . . . . . . . . . . . . .

56

I. Die Gelingensbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

II. Die Erfüllungsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

10

Inhaltsverzeichnis III. Die Erfolgsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

IV. Eingeschränkte Korrelation von Sprechakttypen und intendierten perlokutionären Effekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

Drittes Kapitel Sprechakte im Strafrecht

64

A. Das Urteil als Sprechakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

I. Wie institutionelle Tatsachen entstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

II. Die Komponenten deklarativer Sprechakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

III. Die deklarative illokutionäre Kraft des Strafurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

B. Normbestätigung und sozialethische Missbilligung als Sprechakte . . . . . . . . . . . . . .

73

I. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

1. Zur Anwendbarkeit der Sprechakttheorie auf „konkludente“ Sprechakte und tatsächliche Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

2. Verhältnis von Bedeutung und Zweck der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

3. Exkurs: Die gesellschaftliche Bedeutung von Urteil und Strafe und die neuere Systemtheorie Luhmanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

II. Normbestätigung und Missbilligung in der alltäglichen Kommunikation . . . . . . .

82

1. Die Normbestätigung im Sinne der Alltagskommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

a) Der Normbegriff bei Luhmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

b) Bezug zu Searles Verständnis institutioneller Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . .

87

c) Kontrafaktische Stabilisierung von Verhaltenserwartungen als Sprechakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

2. Die Missbilligung im Sinne der Alltagskommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

a) Die alltägliche Missbilligung nach Strawson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

b) Das Verhältnis der alltäglichen Missbilligung zur Normbestätigung . . . .

96

c) Die alltägliche Missbilligung als Sprechakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

aa) Expressive Elemente in der alltäglichen Missbilligung . . . . . . . . . . . . .

99

bb) Alltägliche Missbilligung als direktiver Sprechakt . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 cc) Alltägliche Missbilligung als assertiver Sprechakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 III. Normbestätigung und Missbilligung als strafrechtliche Kommunikation . . . . . . . . 115 1. Normbestätigung durch das Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 a) Recht im Sinne der Normtheorie Luhmanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 b) Die normbestätigende Funktion der Strafe nach Jakobs . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 c) Normwiderspruch und Normbestätigung als Sprechakt . . . . . . . . . . . . . . . . . 122

Inhaltsverzeichnis

11

2. Die strafrechtliche Missbilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 a) Der Bezug der Strafe zur Moral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 b) Das Verhältnis der sozialethischen Missbilligung zur strafrechtlichen Normbestätigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 c) Sozialethische Missbilligung als Sprechakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 aa) Expressive Elemente in der strafrechtlichen Reaktion . . . . . . . . . . . . . . 137 bb) Urteil und Strafe als präventiv ausgerichteter, direktiver Sprechakt 142 cc) Das sozialethische Unwerturteil als Sprechakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 IV. Die Funktion der Übelszufügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

Viertes Kapitel Strafrechtliche Sprechakte und das Opfer

166

A. Opfer und Psychotraumatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 B. Sozialethische Missbilligung und strafrechtliche Normbestätigung aus der Perspektive des Opfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 I. Deklarative Sprechakte und die Rekonstruktion der sozialen Wirklichkeit . . . . . . 178 II. Das Opfer als Adressat des sozialethischen Unwerturteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 III. Das Opfer als Adressat der strafrechtlichen Normbestätigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 C. Implikationen für das materielle Strafrecht, die Strafzumessung und das Strafverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 I. Opfermitverantwortung als strafbarkeitseinschränkendes Kriterium . . . . . . . . . . . . 188 1. Einschränkungen auf der Voraussetzungsseite der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 2. Opfermitverantwortung als Strafmilderungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 II. Strafverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202

Fünftes Kapitel Sprechakte im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs

207

A. Wiedergutmachung und Täter-Opfer-Ausgleich im deutschen Strafrecht . . . . . . . 207 B. Der kommunikative Hintergrund des Täter-Opfer-Ausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 C. Sprechakte im Täter-Opfer-Ausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 D. Implikationen für das Verhältnis des Strafrechts zum Täter-Opfer-Ausgleich . . . 230 I. Geständnis als Voraussetzung für den Täter-Opfer-Ausgleich bei Gewalt- und Sexualstraftaten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231

12

Inhaltsverzeichnis II. Die Bedeutung des Opferwillens im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs nach § 46a Nr. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 III. Die Ausweitung des Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 1. Ausweitung der Diversion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 2. Täter-Opfer-Ausgleich bei schweren Gewaltdelikten sowie Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 3. Täter-Opfer-Ausgleich bei Gewaltdelikten im sozialen Nahraum . . . . . . . . . . . . 254

Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Personen- und Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278

Einleitung I. Das Opfer im Strafrecht Das Opfer ist in der kriminalpolitischen und strafrechtswissenschaftlichen Diskussion seit der „Wiederentdeckung des Opfers“1 zu einem wichtigen Topos geworden. Wenn im Rahmen dieser Untersuchung vom Opfer die Rede ist, so ist damit das „wirkliche“, „aktuelle“ Opfer gemeint, jenes also, das durch die Tat unmittelbar verletzt wurde. Davon abzugrenzen sind die potentiellen Opfer. Diese sind als Teil der Allgemeinheit durch mögliche zukünftige Straftaten bedroht, man könnte insoweit mit Hassemer / Reemtsma auch von „virtuellen Opfern“ sprechen.2 Es sind häufig die letzteren, auf die sich die Politik beruft, wenn sie etwa Verschärfungen im formellen und materiellen Strafrecht im Interesse der allgemeinen Sicherheit fordert und sich dabei der allgemeinen Verbrechensfurcht bedient.3 Bezüglich potentieller Opfer geht es um Schutz vor zukünftigen Straftaten. Wirkliche, aktuelle Opfer unterscheiden sich von der Allgemeinheit der potentiellen Opfer hingegen dadurch, dass sie das Geschehene bewältigen müssen.4 Im strafrechtlichen Legitimationsdiskurs ist es wichtig, beide Gruppen auseinander zu halten, und im Rahmen dieser Untersuchung soll es um erstere gehen. Daher sind auch die so genannten „opferlosen Delikte“ aus der vorliegenden Betrachtung ausgeschlossen; es soll die Bedeutung des Strafrechts für die individuellen Opfer einer Straftat untersucht werden. Vielleicht wäre es insgesamt besser, überhaupt nicht vom Opfer einer Straftat, sondern etwa vom Verletzten oder Geschädigten zu sprechen. Dabei handelt es sich nicht bloß um eine terminologische Frage. Denn der Opferbegriff impliziert zum einen immer etwas Passives5, zum anderen birgt er die Gefahr einer Festlegung auf die Opferrolle. Denn zu den problematischsten Eigenschaften der menschlichen Sprache gehört es, die Wirklichkeit durch Übergeneralisierungen zu verzerren.6 1 Zusammenfassend dazu Jung, ZRP 2000, 159 ff. sowie Hassemer / Reemtsma, Verbrechensopfer, S. 13 ff. 2 Vgl. zum Ganzen Hassemer / Reemtsma, Verbrechensopfer, S. 100 f. 3 Vgl. dazu Hassemer / Reemtsma, Verbrechensopfer, S. 60 ff., 101, 103 f. 4 Hassemer / Reemtsma, Verbrechensopfer, S. 101 bringen dies auf den Punkt, indem sie feststellen, das potentielle Opfer habe Opferphantasien, das aktuelle Opfer hingegen Opfererfahrung. 5 Vgl. etwa die Ausführungen im Brockhaus unter „Opfer“ zur Verwendung des Begriffs i. S. v. „Opfergabe“. 6 Dies hat der polnisch-amerikanische Ingenieur und Linguist Korzybski nachhaltig hervorgehoben: „Die Landkarte [die Welt der Sprache und Symbole] ist nicht das Gelände [die Wirklichkeit].“ Menschen neigen dazu, sich an der „Landkarte“ zu orientieren, dabei die

14

Einleitung

So wenig der Täter nur „Täter“, ist das Opfer einer Straftat nur „Opfer“.7 Der Betroffene ist zunächst einmal jemand, der in einer konkreten Lebenssituation durch menschliches Verhalten geschädigt wurde. Unter Umständen kann diese Erfahrung das weitere Erleben noch sehr lange prägen, die Bezeichnung „Opfer“ bleibt für unzählige Lebenssituation dennoch eine grobe Übergeneralisierung.8 Nicht zuletzt zeichnet sich die Bewältigung des Geschehens durch den Schritt vom „Opfer zum Überlebenden“ aus.9 Dennoch soll auf den Opferbegriff hier nicht verzichtet werden. Zum einen sind Übergeneralisierungen sprachliche Notwendigkeit und könnten auch bei anderen Begriffsbildungen letztlich nicht vermieden werden. Zum anderen ist die gesellschaftliche und auch strafrechtliche Diskussion weitgehend am Opferbegriff orientiert.10 Wenn im Folgenden vom Opfer die Rede ist, soll die genannte Relativierung jedoch stets im Hintergrund bleiben und an entscheidenden Stellen wieder explizit gemacht werden. Zudem sei vorab noch darauf hingewiesen, dass solange die Unschuldsvermutung zugunsten des Täters gilt, letztlich auch das Opfer nicht feststeht.11 Das Strafverfahren ist darauf angewiesen, entsprechende Rollen wie die des Angeklagten und des Zeugen festzulegen. Einerseits geschieht dies im Interesse der Wahrheitsfindung, andererseits um die damit einhergehenden Schutzfunktionen zu gewährleisten. Im strafrechtlichen Legitimationsdiskurs kommt es hingegen auf das tatsächliche Opfer an. Daher geht es hier um das tatsächliche Opfer einer Straftat, wenn die Bedeutung des Strafrechts für das Opfer untersucht wird. „Wirklichkeit“ aber aus dem Blick zu verlieren, indem sie sich die durch Sprache begünstigten übergeneralisierenden Prozesse nicht bewusst machen; vgl. ders., in: Blake / Ramsey, Perception, S. 170 (189 ff.). 7 Beispielsweise sieht die Anomietheorie den Täter als „Opfer“ des sozialen-kulturellen „Anomiedrucks“, der labeling approach den Täter als „Opfer“ des stigmatisierenden Kriminalisierungsprozesses. 8 Eine weitere Übergeneralisierung kann darin bestehen, dass der einer Straftat zugrunde liegende interaktionistischen Zusammenhang zwischen „Opfer“ und „Täter“ aus dem Blick gerät: Unter Umständen ist das Opfer auch zu einem gewissen Teil „Täter“ (etwa wenn es die Tat provoziert hat), der Täter zu einem gewissen Teil „Opfer“ (aufgrund der Provokation, Verleitung zur Tat usw.), vgl. dazu insbesondere Ebert, JZ 1983, 633 (635 ff.). Zur bedenklichen Dogmatisierung einer Opferbeschuldigung vgl. unten 4. Kap. C.I. Das Opfer kann i. Ü. auch zum Täter werden, wenn es das erlittene Trauma weiterzugeben versucht, vgl. dazu Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 181 f. u. 308 ff. 9 Vgl. Fischer / Becker-Fischer / Düchting, Hilfe für Gewaltopfer, S. 65; dazu näher unten 4. Kap. A. und 4. Kap. B.II. 10 Statt vieler Jung, ZRP 2000, 159 ff.; die Strafprozessordnung spricht zumeist vom Verletzten (vgl. dazu etwa die §§ 171 f. und §§ 395 ff. StPO; vgl. aber auch § 153a I S. 2 Nr. 5 u. § 155a StPO), das Strafgesetzbuch in § 46a StGB auch vom Opfer; vgl. dazu auch kritisch Maiwald, GA 2005, 339 (344 f.). 11 Im amerikanischen Recht ist daher vom „alleged victim“, vom mutmaßlichen Opfer die Rede. Des Öfteren wird der Opferstatus an sich aber feststehen, etwa wenn nur die Person des Täters, nicht jedoch das Geschehen in Frage steht.

Einleitung

15

In der vorliegenden Untersuchung soll die Bedeutung von Urteil und Strafe für das Opfer im Mittelpunkt stehen; auf das Verfahren selbst wird nur insoweit eingegangen werden, als sich aus der Bedeutung des Abschlusses des Verfahrens entsprechende Implikationen für das Verfahren selbst ergeben. Denn trotz der verstärkten Opferdiskussion der letzten Jahrzehnte ist die Bedeutung bzw. der soziale Sinn, die die Bestrafung des Täters für das Opfer haben kann, erst in jüngster Zeit thematisiert worden. Zwar bestehen seit dem Opferschutzgesetz fortschreitende gesetzgeberische Bemühungen bezüglich einer Verbesserung der Stellung von Straftatopfern.12 In der entsprechenden kriminalpolitischen Diskussion standen jedoch konkrete verfahrensrechtliche Fragen im Vordergrund; hinsichtlich möglicher Zwecke, Funktionen oder der Bedeutung der Strafe fand das Opfer hingegen noch lange Zeit keine Erwähnung.13 Es scheint, als wirke der geschichtliche Vorgang, den Hassemer als „Neutralisierung des Opfers“ bezeichnet hat14, in der Straftheorie besonders nachhaltig fort. Jedenfalls führte die geschichtliche Entwicklung von der privaten Reaktion des Verletzten oder seiner Sippe zum staatlichen Straf- und Gewaltmonopol der Gegenwart dazu, dass das Opfer auch straftheoretisch aus dem Blick geriet: Damit das Opfer aus seiner polaren Rolle gegenüber dem Täter entfernt werden konnte, durfte es auch in der Begründung der Strafe keine Rolle mehr spielen.15 Der Staat straft im Namen des Volkes, nicht in Vertretung des Opfers. Eine Möglichkeit, dem Opfer wieder eine Rolle bei der Bewältigung schädigenden Verhaltens zuzuweisen, besteht in einer Wiederentdeckung des „natürlichen“ Verhältnisses zwischen Täter und Opfer und entsprechender alltäglicher Konfliktlösungsmechanismen. Denn die Verlagerung der Reaktionsbefugnis auf den Staat lässt sich auch als Geschichte einer „Enteignung von Konflikten“ lesen: Das staatliche Strafrecht dient der gesellschaftlichen Abweichungskontrolle, indem es den betroffenen Parteien die Konfliktlösung entzieht.16 Mit Christie könnte man sagen, der Staat nehme den Beteiligten „ihren Konflikt“, den es folglich zurück12 Neben dem Opferschutzgesetz vom 18. Dezember 1986 (BGBl. I, S. 2496) ist in diesem Zusammenhang schon das Opferentschädigungsgesetz vom 11. Mai 1976 (BGBl. I, S. 1181) zu nennen, des Weiteren insbesondere das Zeugenschutzgesetz vom 30. April 1998 (BGBl. I, S. 820), das Gewaltschutzgesetz vom 11. Dezember 2001 (BGBl. I, S. 3513) sowie das am 1. September 2004 in Kraft getretene Opferrechtsreformgesetz vom 24. Juni 2004 (BGBl. I, S. 1354); geplant ist daran anknüpfend ein zweites Opferrechtsreformgesetz, vgl. BT-Drs. 16 / 12098; in materiellrechtlicher Hinsicht ist aktuell die Einführung der Stalking-Strafbarkeit mit § 238 StGB (Nachstellung) zu nennen, vgl. das Gesetz zur Strafbarkeit beharrlicher Nachstellungen vom 22. 03. 2007, gültig ab 31. 03. 2007 (BGBl. I, S. 354); zu erwähnen ist schließlich noch der Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union über die Stellung des Opfers im Strafverfahren vom 15. März 2001 (ABl.EG Nr. L 82 vom 22. 3. 2001, S. 1 – 4), dazu Heger, JA 2007, 244 (246 ff.) und Kuhn, ZRP 2005, 125. 13 Eine gewisse Diskussion in diese Richtung fand hauptsächlich hinsichtlich der Nebenklage statt. Zur historischen Entwicklung der Opferbeteiligung im Strafverfahren vgl. Niedling, Nebenklage, S. 18 ff. 14 Vgl. Hassemer, Einführung, S. 70 ff. 15 Vgl. dazu Hassemer, Einführung, S. 68 ff. 16 Dazu Hassemer, Einführung, S. 70 ff.

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Einleitung

zugeben gelte.17 Das Strafrecht sieht sich dabei insbesondere dem Vorwurf ausgesetzt, an der Lebenswirklichkeit sozialer Konflikte vorbeizuoperieren. Daher werden zunehmend mediative, konfliktregulierende Verfahren als Alternative zu einer formalisierten strafrechtlichen Bewältigung abweichenden Verhaltens diskutiert.18 Vielleicht aus dem „Eifer der Sympathie für das Neue“19, angesichts der nicht zu bestreitenden Belastungen, die ein förmliches Gerichtsverfahren insbesondere für das Opfer mit sich bringt und der oftmals ausbleibenden Entschädigung des Opfers gerät die bisher keineswegs erschöpfend diskutierte Frage in den Hintergrund, welche Bedeutung Urteil und Strafe für das Opfer haben können. Dies ist angesichts der Tatsache, dass der Mediation und der Wiedergutmachung ein weit reichendes (über die derzeitige Rechtspraxis und auch Rechtslage hinausgehendes) strafersetzendes Potential zugetraut wird20, durchaus nicht unproblematisch. Denn es ist keineswegs offensichtlich, dass den originären Interessen des Opfers in einem auf Vermittlung und Entschädigung ausgelegten Verfahren stets am besten gedient ist.21 Möglicherweise bringt gerade die Tatsache, dass der Staat bzw. die Gesellschaft zugunsten einer institutionalisierten Abweichungskontrolle an die Stelle des Opfers getreten ist, nicht nur Nachteile für das Opfer. Vielleicht kann auf diese Weise etwas ausgedrückt werden, was nicht Gegenstand alltäglicher Kommunikation sein kann. Nun ist es nahe liegend, die besondere Bedeutung von Urteil und Strafe für das Opfer in den Strafzwecktheorien zu suchen; denn wenn diese den Täter und die Allgemeinheit im Blick haben, warum sollten sie dann nicht auch das konkrete Opfer sehen können? Betrachtet man die klassischen Strafzwecktheorien, so wird allerdings schnell deutlich, dass sie für das aktuelle Opfer weder in ihrer absoluten noch relativen Ausformung wirklich einen Platz haben. Die absoluten Strafzwecktheorien weisen noch insoweit eine gewisse Nähe zum Opfer auf, als sie an die vergangene Rechtsverletzung anknüpfen.22 Soweit sich die Rechtsverletzung in der Verletzung des konkreten Opfers manifestiert, erwähnt die Strafe als Aufhebung der Rechtsverletzung notwendig das konkrete Opfer.23 Die Vergeltung im Sinne der absoluten Dazu Christie, The British Journal of Criminology 1977 (Vol. 17), 1 (7 ff.). Vgl. Trenczek, ZKM 2003, 104 (106 f.); Walter / E. Hassemer / Netzig / Petzold, in: Breidenbach / Henssler, Mediation für Juristen, S. 202 f. 19 Schild, in: FS-Geerds, S. 157 ff. 20 Vgl. dazu Trenczek, ZKM 2003, 104 (106 f.); zu einem strafrechtlichen „Minimalismus“ Christie, Kriminalität. 21 Vgl. dazu auch Hassemer / Reemtsma, Verbrechensopfer, S. 146: Reemtsma nimmt hier Bezug auf den Vorschlag Roxins, die Nebenklage in den Täter-Opfer-Ausgleich zu verlagern (Roxin, Strafverfahrensrecht, § 62 Rn. 1, § 61 Rn. 2 f.) und kritisiert insofern, dass hier das Interesse an Entschädigung mit dem eigenständigen Interesse an der Feststellung des Unrechts vermischt wird. 22 Vgl. dazu Hassemer, Einführung, S. 72; vgl. auch Rethmann, Rechtstheorie 31 (2000), 114 (126). 23 Prittwitz, in: Schünemann / Dubber, Stellung des Opfers, S. 51 (59). 17 18

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Strafzwecktheorien ist jedoch nicht gleichzusetzen mit Genugtuung oder gar Rache. Die Vergeltung bezieht sich nicht auf die verletzten Rechtsgüter und Interessen des konkreten Opfers, sondern dient der Wiederherstellung des Rechts als „eigentlichem Opfer der Straftat“.24 Zudem sind alle tatsächlichen Wirkungen der Strafe, auch soweit sie das Opfer betreffen, aus dieser retrospektiven Betrachtungsweise ausgeschlossen. Die relativen Strafzwecktheorien können mit ihrem zukunftsgerichteten präventionsorientierten Ansatz das konkrete Opfer eigentlich gar nicht miteinbeziehen. 25 Das Opfer ist nur als Teil der Allgemeinheit durch die Generalprävention angesprochen, dabei geht es aber nur um seine potentielle Opferbzw. Täterrolle, nicht jedoch um die konkrete Rechtsgutsverletzung. Warum aber sollte das von der Straftat persönlich betroffene Opfer, für das der Strafprozess und die erfolgende oder ausbleibende Bestrafung eine unmittelbare Bedeutung und ein ganz anderes Gewicht als für die Allgemeinheit haben, im „Legitimationsdiskurs der Straftheorien“ gar keine Rolle spielen?26 Reemtsma vertritt, auf psychotraumatologische Erkenntnisse und teilweise auch auf seine persönlichen Erfahrungen verweisend27, im Grunde eine Integration des Opfers in die relativen Strafzwecktheorien, indem er einen präventiven Ansatz verfolgt.28 Dabei geht er zunächst von der Annahme aus, Strafe sei ungeeignet, eine soziale Sublimierung des (als Wunsch des Opfers legitimen) Rachebedürfnisses zu ermöglichen, zudem führe die kriminalpolitische Instrumentalisierung des privaten Rachewunsches zur Brutalisierung der Gesellschaft.29 Eine Integration der Genugtuung in die Strafzwecke (im Sinne einer stellvertretenden Rache) lehnt Reemtsma daher entschieden ab.30 Strafe sei jedoch notwendig, um künftigen Schaden vom Opfer abzuwenden.31 Denn das bedrohliche Bild, das das Opfer von der sozialen Wirklichkeit durch die Tat erlangt habe, könne durch die Zuschreibung von Unrecht und die Bestätigung, dass die Normen trotz ihrer Verletzung noch in Kraft sind, relativiert werden.32 Insofern ließe sich die Theorie der positiven General24 25 26

Vgl. Prittwitz, in: Schünemann / Dubber, Stellung des Opfers, S. 51 (59 f.). So Hassemer, Einführung, S. 72. Mit dieser Fragestellung Prittwitz, in: Schünemann / Dubber, Stellung des Opfers, S. 50

(62). 27 Sein persönliches Schicksal hat Reemtsma in „Im Keller“ eindringlich geschildert und analysiert. 28 Reemtsma, Verbrechensopfer, S. 112 ff., insbesondere S. 134 ff.; ders., Recht des Opfers, S. 20 ff. 29 Reemtsma, Recht des Opfers, S. 24 f.; Reemtsma, in: Hassemer / Reemtsma, Verbrechensopfer, S. 122 ff. 30 Reemtsma, in: Hassemer / Reemtsma, Verbrechensopfer, S. 122 ff. 31 Reemtsma, in: Hassemer / Reemtsma, Verbrechensopfer, S. 136 f. Von einem „Recht des Opfers auf Bestrafung des Täters“ und einer korrespondierenden Pflicht des Staates spricht Reemtsma nicht mehr ausdrücklich, vgl. Hassemer / Reemtsma, Verbrechensopfer, S. 135 ff. im Vergleich zu Reemtsma, Recht des Opfers, S. 26 ff. 32 Reemtsma, in: Hassemer / Reemtsma, Verbrechensopfer, S. 130 ff.

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prävention als „Rahmentheorie“ auffassen, die das Interesse des Opfers an einer normverdeutlichenden Reaktion als subjektive Seite mitenthält.33 Kilchling vertritt ebenfalls eine auf Wiedereingliederung des Opfers ausgerichtete Präventionslösung, möchte sie aber unter dem Begriff Reintegrationsprävention als eigene (Teil-)Theorie verstanden wissen.34 Eine solche Reintegration beinhalte dabei den Ausgleich der Tatfolgen (insbesondere die Wiedergutmachung), die Verhinderung von Reviktimisierungen sowie die Wiederherstellung des durch die Viktimisierung gestörten Normvertrauens (auch zur Verhinderung eines Abgleitens von enttäuschten Opfern in die Straffälligkeit).35 Jerouschek betrachtet (auch in Anlehnung an Reemtsma) die Straftheorien aus psychotraumatologischer Perspektive und verweist auf eine supportiv heilsame Funktion, die die Bestrafung des Täters für die Bewältigung traumatisierender Straftaten haben könne.36 Daraus erwachse bei schweren Delikten mit entsprechenden psychischen Folgen eine Pflicht des Staates, dem Opfer bei der Bewältigung des strafbar-fremdverschuldeten Traumas beizustehen (Jerouschek bezeichnet diesen Ansatz als viktimologischen Strafzweck).37 In der folgenden Untersuchung soll es nicht primär um die Frage gehen, inwieweit das Opfer in die Strafzwecktheorien integriert werden kann. Da es um aktuelle Opfer geht, die das ihnen widerfahrene Unrecht verarbeiten müssen, ist die Frage aufschlussreicher, welche Bedeutung38 der Strafe für das Opfer zukommen könnte. Dabei sollen die von Reemtsma aus Opfersicht hervorgehobenen Inhalte der Unrechtsfeststellung und Normbestätigung näher untersucht werden. Wie neuerdings verstärkt betont wird, ist die Bestrafung des Täters als soziales Phänomen nicht ausschließlich aus dem Blickwinkel der verschiedenen Strafzwecktheorien, sondern erst als Kommunikationsvorgang hinreichend erklärbar.39 Begreift man das 33 Reemtsma, in: Hassemer / Reemtsma, Verbrechensopfer, S. 135 ff. Dazu bemerkt Prittwitz, es handele sich bei der von Reemtsma skizzierten Straftheorie um eine „Theorie der positiven opferorientierten Spezialprävention“, vgl. ders. in: KritV Sonderheft 2000, 162 (175); anders allerdings in Schünemann / Dubber, Stellung des Opfers, S. 51 (64), dort wird die Verortung in der positiven Generalprävention als „passend“ bezeichnet. Reemtsma selbst schreibt jedenfalls, es sei das (traumatisierte) Opfer einer Straftat, welches der Resozialisierung bedürfe, wobei die Strafe die Solidarität des Sozialverbandes mit dem Opfer demonstrieren könne, vgl. ders., Recht des Opfers, S. 20 f., 26 f.; vgl. auch ders., Im Keller, S. 216; Reemtsmas straftheoretischem Ansatz zustimmend insbesondere Rethmann, Rechtstheorie 31 (2000), 114 (134). 34 Kilchling, NStZ 2002, 57 (59). 35 Kilchling, NStZ 2002, 57 (59 ff.). 36 Jerouschek, JZ 2000, 185 (193 f.). 37 Jerouschek, JZ 2000, 185 (193 f.). 38 Der Unterschied zwischen Bedeutung und Zweck der Strafe wird an späterer Stelle noch explizit aufgezeigt werden, vgl. unten 3. Kap. B.I.2. 39 Grundlegend dazu Puppe, in: FS-Grünwald, S. 469 ff.; Feinberg, in: Duff / Garland, Punishment, S. 71 ff.

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Opfer als Adressaten dieser Kommunikation40, geht es unmittelbar darum, was der Staat bzw. die Gesellschaft demjenigen, der Opfer einer Straftat geworden ist, sagen sollte.

II. Fragestellung Versteht man das Strafrecht nun als Kommunikationsprozess, dessen Adressat auch das aktuelle Opfer einer Straftat ist, so stellen sich im Grunde die folgenden Fragen: Zunächst einmal geht es um die Bedeutung strafrechtlicher Kommunikation. Was wird mit der Strafe allgemein ausgedrückt, und welchen Wert hat die strafrechtliche Botschaft für das aktuelle Opfer einer Straftat? Kann sie für das das Geschehen bewältigende Opfer wichtig sein? Daran schließt sich die Frage an, ob die durch das Strafrecht vermittelte Bedeutung auch durch andere, alltägliche Kommunikationsformen, insbesondere konfliktregulierende Verfahren erzeugt werden kann. Wäre dies nicht der Fall, so könnte dem Opfer strafrechtliche Kommunikation nicht ohne weiteres verweigert werden. Wie oben ausgeführt sieht Reemtsma in der Zuschreibung von Unrecht und der Bestätigung der Norm eine wesentliche Funktion, die das Strafrecht gegenüber dem Opfer zu erfüllen habe.41 Damit fordert Reemtsma letztlich nichts anderes als ein Recht des Opfers auf strafrechtliche Kommunikation: Weiterer Schaden soll vom Opfer abgewendet werden, indem dem Opfer durch die Bestrafung des Täters seitens der Gesellschaft gesagt wird, dass ihm ein Unrecht geschehen ist und die Norm weiterhin Bestand hat. Ein solches Recht des Opfers auf strafrechtliche Kommunikation hätte eine Berechtigung, wenn gesellschaftliche Strukturen jenseits des Strafrechts (insbesondere Schlichtungs- und Vermittlungsstellen) jene unrechtsfeststellende und normbestätigende Kommunikation nicht zu leisten vermögen. Dann käme dem mit der „Neutralisierung des Opfers“ an dessen Stelle getretenen Staat durchaus die Aufgabe zu, den Unrechtscharakter der Tat und die Fortgeltung der Norm auch gegenüber dem Opfer zu verdeutlichen. Gibt es aber etwas Einmaliges an der strafrechtlichen Kommunikation, etwas für das Opfer Unersetzliches? Konkret lässt sich dies in Auseinandersetzung mit den Forderungen nach einer immer weiterreichenden Implementierung wiedergutmachender, insbesondere mediativer Erledigungsformen verdeutlichen.42 Diese Forderungen werden oft mit dem Interesse des Opfers an einer für es selbst weniger belastenden und zugleich 40 So insbesondere von Hirsch, in: Duff / Garland, Reader on Punishment, S. 115 (119); Hörnle, JZ 2006, 950 (954 ff.); Günther, in: FS-Lüderssen, S. 205 ff. 41 Dazu oben I. und Reemtsma, in: Hassemer / Reemtsma, Verbrechensopfer, S. 130, 134. 42 Vgl. Christie, Kriminalität, S. 118 ff.; Trenczek, ZKM 2003, 104 (106) mit Hinweis darauf, dass 95 % der Strafverfahren grundsätzlich in den Anwendungsbereich der Diversion gem. §§ 153b StPO i.V. m. § 46a StGB fallen; vgl. ferner Kunz, Kriminologie, § 9 Rn. 17 ff. und § 42 Rn. 41 ff.

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befriedigenderen Verarbeitung des Konflikts begründet. Braucht das Opfer aber nicht mehr als das, was der Täter ihm (kommunikativ) bieten kann?43 Was könnte das Einzigartige an der strafrechtlichen Kommunikation sein, das auch Reemtsma dazu veranlasst, ihr ein solches Gewicht bei der Geschehensbewältigung beizumessen? Wenn strafrechtliche Kommunikation für das Opfer einen eigenständigen Wert hat, ist die Berücksichtigung der Opferperspektive im Strafrecht mit der Verankerung mediativer Elemente nicht weniger bedeutend geworden.44 Dass mediative Kommunikationsformen sich von denen des Strafprozesses grundlegend unterscheiden, liegt nahe. In Abgrenzung zu konfliktregulierenden Verfahren soll mittels eines sprachtheoretischen Ansatzes versucht werden, das Wesen strafrechtlicher Kommunikation herauszuarbeiten. In Bezug zu diesen Fragen möchte ich der anschließenden Untersuchung folgende Thesen zugrunde legen: 1. Die Komponenten strafrechtlicher Kommunikation bestehen in der Bestätigung der verletzten Norm sowie der sozialethischen Missbilligung der Tat. Die normbestätigende Funktion ergibt sich unmittelbar aus der Missbilligungsfunktion. 2. Missbilligung und Normbestätigung haben als strafrechtliche Kommunikation eine andere Bedeutung als in der Alltagskommunikation. Es gibt deutliche Anhaltspunkte dafür, dass der besondere Bedeutungsgehalt strafrechtlicher Kommunikation für das Opfer wichtig sein kann, trotz der unbestreitbaren Belastungen eines Strafprozesses. 3. Mediative Kommunikationsformen (nach der derzeitigen Rechtslage vor allem der Täter-Opfer-Ausgleich), welche auf alltägliche Konfliktlösungsmechanismen zurückgreifen, können niemals die gleiche Bedeutung wie strafrechtliche Kommunikation erzeugen. Die intersubjektive Bestätigung der Norm und die sozialethische Missbilligung der Tat sind in jenen Verfahren schlicht unmöglich. Die Besonderheiten alltäglicher Kommunikation müssen bei der Bewertung des Ausgleichs Berücksichtigung finden.

III. Gang der Untersuchung Um den genannten Fragen nachgehen zu können, ist es notwendig, in einem ersten Kapitel zunächst den methodischen Ausgangspunkt der Untersuchung festzulegen. Dabei sei ganz vorweg auf einen prinzipiellen Einwand eingegangen, der, wenn er zuträfe, einer Berücksichtigung des Opfers im Strafrecht notwendig entgegenstehen müsste: Man könnte annehmen, die Abwesenheit des Opfers im Strafrecht sei systembedingt. Wenn das Strafrecht als gesellschaftliche Institution das 43 Mit ähnlicher Fragestellung Jerouschek, JZ 2000, 185 (190) mit Hinweis auf Lüderssen, FS-Hirsch, S. 879 (883, 886). 44 Anders aber Kunz, Kriminologie, § 42 Rn. 38, mit Blick auf das Prozessrecht.

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Individuum gar nicht wirklich berücksichtigen kann, ist der vorliegende Ansatz, das individuelle, aktuelle Opfer in die Betrachtung einzuführen, schon aus methodischen Gründen verfehlt. Dieser Schluss könnte insbesondere dann zu ziehen sein, wenn man nach Luhmanns neuerem systemtheoretischen Ansatz das (Straf-) Rechtssystem als autopoietisches, operativ geschlossenes, sich selbst reproduzierendes System betrachtet. Einem solchen, nur mit sich selbst beschäftigten Strafrecht könnte der Blick auf das Opfer versperrt sein. Insofern ist allerdings aufzuzeigen, dass Individuen (im Sinne der Systemtheorie psychische Systeme) mit der Gesellschaft (nach der Systemtheorie ein soziales System) über Sinn und Sprache in besonderer Weise verbunden sind: Bewusstseinprozesse psychischer und Kommunikationen sozialer Systemen orientieren sich an Sinn und Sprache. Die Theorie autopoietischer Systeme sieht diesen Zusammenhang durchaus und steht dessen Berücksichtigung nicht entgegen, verspricht bei dessen Beschreibung aber keinen Erkenntnisfortschritt. Der folgenden Untersuchung wird daher stattdessen ein zeichen- und sprachtheoretischer Ansatz zugrunde gelegt werden, mit dem die Bedeutung von Urteil und Strafe für die Adressaten und damit auch für das Opfer inhaltlich beschrieben werden kann. Urteil und Strafe werden dabei als symbolische Zeichen verstanden, die ihre Bedeutung durch Interpretation der Adressaten erhalten. Zudem wird aufzuzeigen sein, dass diesen Zeichen eine sprachliche Struktur zugrunde liegt, sodass ihre Bedeutung sprachtheoretisch untersucht werden kann. Als Grundlage dieser sprachtheoretischen Untersuchung eignet sich die Sprechakttheorie Searles: Searle begreift das Verwenden von Sprache als Handlung und entwickelt eine abschließende Kategorisierung möglicher Arten von Sprachverwendung. Diese Taxonomie wird im Folgenden als Ausgangspunkt der Abgrenzung strafrechtlicher gegenüber alltäglicher Kommunikation dienen. Im zweiten Kapitel wird im Einzelnen dargestellt, woraus sich ein Sprechakt im Sinne Searles zusammensetzt, wie sich seine Bedeutung bestimmen lässt und anhand welcher Kriterien Sprechakte grundsätzlich unterschieden werden können. Nach Searle gibt es nur fünf verschiedene Arten von Handlungen, die mit Sprechakten vollzogen werden können. Daraus ergibt sich die erwähnte Taxonomie der Sprechakte, die als Grundlage der Bedeutungsanalyse strafrechtlicher Sprechakte dienen kann. Im dritten Kapitel wird die Sprechakttheorie schließlich auf das Strafrecht angewendet. Zunächst wird das Urteil als verfahrensabschließender Rechtsakt sprechakttheoretisch eingeordnet. Der Verurteilung kommt aber eine über diese innerstrafrechtliche Funktion hinausgehende, gesellschaftliche Bedeutung zu. Insoweit wird zum einen eine normbestätigende, zum anderen eine sozialethisch-missbilligende Funktion des Strafrechts diskutiert. Da sowohl die Normbestätigung als auch die Missbilligung in der alltäglichen Kommunikation vorkommen, sind sie als alltagskommunikative Sprechakte zunächst gesondert zu analysieren. Hinsichtlich der Normbestätigung kann dabei auf Luhmanns erwartungsbezogene Normtheorie zurückgegriffen werden, die dieser bereits vor der sog. „autopoietischen Wende“ entwickelt hat, hinsichtlich der Missbilligung in der Alltagskommunika-

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tion findet sich eine eingehende Analyse bei Strawson. Sowohl die alltägliche Normbestätigung im Sinne Luhmanns als auch die alltägliche Missbilligung im Sinne Strawsons werden mittels der Sprechakttheorie auf ihre Bedeutung untersucht und zueinander in Beziehung gesetzt. Vor diesem Hintergrund können dann die Besonderheiten der strafrechtlichen Normbestätigung sowie der sozialethischen Missbilligung und der Zusammenhang zwischen beiden Sprechakten herausgearbeitet werden. Mittels der Sprechakttheorie soll entsprechend der Eingangsthese aufgezeigt werden, dass ein wesentlicher Bedeutungsunterschied zwischen strafrechtlicher und alltäglicher Kommunikation besteht, und der Bedeutungsgehalt strafrechtlicher Kommunikation in spezifischer Weise von dem institutionellen Hintergrund des Strafrechts abhängig ist. Im Anschluss daran bleibt zu klären, welche Funktion der tatsächlichen Übelszufügung, die mit der strafrechtlichen Reaktion typischerweise verbunden ist, zukommt. Denn es stellt sich durchaus die Frage, ob die Normbestätigung und sozialethische Missbilligung nicht auch ohne die begleitende Zufügung eines Übels kommuniziert werden könnten. Mittels der Sprechakttheorie soll daher auf den aktuell diskutierten Vorschlag eingegangen werden, auf eine Übelszufügung gänzlich zu verzichten und die strafrechtliche Reaktion auf einen formellen Schuldspruch zu beschränken. Im vierten Kapitel soll schließlich versucht werden, die Bedeutung, die eine Straftat und die anschließenden Erfahrungen für das Erleben des Betroffenen haben kann, zu beschreiben, und die strafrechtlichen Sprechakte der Normbestätigung und Missbilligung hierzu in Beziehung zu setzen. Es ist zu überlegen, inwieweit die zuvor mit der Sprechakttheorie beschriebene besondere Bedeutung strafrechtlicher Kommunikation für das aktuelle Opfer einer Straftat wichtig sein kann. Schließlich wird aufgezeigt werden, welche Implikationen sich für das Strafrecht ergeben können, wenn man die sozialethische Missbilligung und Normbestätigung als auch an das aktuelle Opfer gerichtete Sprechakte versteht. Im fünften Kapitel wird dargelegt, welche Sprechakttypen im Täter-Opfer-Ausgleich als kommunikativer Beitrag des Täters (teilweise) an die Stelle strafrechtlicher Kommunikation treten. Dabei soll entsprechend der oben aufgestellten These verdeutlicht werden, dass in einem Ausgleichsverfahren niemals die gleiche Bedeutung wie im Strafverfahren erzeugt werden kann. Schließlich ist auch hier exemplarisch darzustellen, welche praktischen Implikationen sich aus der bedeutungstheoretischen Betrachtung (für den Täter-Opfer-Ausgleich) ergeben können.

Erstes Kapitel

Methodischer Ausgangspunkt A. Die Stellung des Opfers aus Sicht der Theorie autopoietischer Systeme Bevor auf die Bedeutung des Strafrechts für das Opfer eingegangen werden kann, stellt sich zunächst eine grundsätzliche Frage: Ist es möglicherweise so, dass das Strafrecht, welches in erster Linie eine gesellschaftliche Funktion erfüllt, das Opfer überhaupt nicht sehen kann? Ist dies der eigentliche Grund, warum das Opfer in den Straftheorien nicht vorkommt? Sollte dies der Fall sein, wäre eine Untersuchung aus der Opferperspektive zumindest für das Strafrecht ohne Relevanz. Aufschluss über die weitgehende Abwesenheit des Opfers im Strafrecht könnte insoweit die Systemtheorie geben, welche sich als Universaltheorie versteht und damit ein einheitliches Erklärungsmodell, sozusagen eine Meta-Sprache für die einzelnen Wissenschaftsgebiete zur Verfügung stellt. Man könnte annehmen, die Tatsache, dass das Opfer im Strafrecht kaum vorkommt, sei systembedingt: Möglicherweise kann das Strafrecht als gesellschaftliches System das individuelle Opfer gar nicht integrieren. Dies scheint zumindest diejenige Variante der Systemtheorie, die von autopoietischen, selbstreferentiellen Systemen ausgeht und von Luhmann in seinen Werken nach der sog. „autopoietischen Wende“1 zugrunde gelegt wird, nahe zu legen. Denn Merkmal eines so verstandenen Systems ist es, gegenüber seiner Umwelt „operativ geschlossen“ zu sein. Unter einer Operation versteht Luhmann dabei jene Aktivitätsart, mit der sich das System selbst produziert und reproduziert.2 Ein System ist ein dynamisches Gebilde, das nicht aus Dingen, sondern aus solchen Operationen besteht.3 Da sich Systeme durch Operationen konstituieren, sind sie nur solange vorhanden, wie sie operieren. Deshalb müssen die Operationen anschlussfähig bleiben, das System greift in seinen Operationen auf vorherige Operationen zurück. Am deutlichsten wird dies am Beispiel der Medien: Würden diese aufhören zu drucken, zu senden oder zu berichten, 1 Damit ist der Übergang von Luhmanns „funktional-struktureller“ Theorie umweltoffener sozialer Systeme zur Theorie selbstreferentieller, autopoietischer Systeme gemeint, den Luhmann selbst als „Paradigmenwechsel“ bezeichnet hat, vgl. Raiser, Rechtssoziologie, S. 140, 142 und Luhmann, Soziale Systeme, S. 15 ff. 2 Luhmann, Soziologische Aufklärung, S. 26 f. 3 Luhmann, Soziale Systeme, S. 28.

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1. Kap.: Methodischer Ausgangspunkt

würden sie aufhören zu existieren. Daher muss jede Ausgabe, jede Sendung eine Fortsetzung versprechen.4 Diese Operationen kommen aber nur innerhalb des Systems selbst vor, Operationen werden damit weder im- noch exportiert.5 Es wird immer nur an die eigenen Operationen angeschlossen, deshalb ist das System „operativ geschlossen“.6 Diese auf eigene Operationen zurückgreifende, sich selbst erhaltende und nach außen geschlossene Operationsweise wird von Luhmann in Anlehnung an die biologische Zelltheorie als Autopoiesis bezeichnet. Auch das Rechtssystem versteht Luhmann in seinem neueren Ansatz als ein solches autopietisches System. Dem (Straf-)Rechtssystem könnte von daher als operativ geschlossenem System der Blick auf das individuelle Opfer versperrt sein. Allerdings ist jedes System zugleich umweltoffen. Mittels des jeweils systemeigenen Codes wird den Irritationen, dem an das System herandringendem „Rauschen“, selektiv Informationswert, also Sinn beigemessen. Das System schließt die Masse von Ereignissen der Umwelt von einer möglichen Einwirkung aus, um mit den weinigen zugelassenen Informationen etwas anfangen zu können.7 Dieser Vorgang lässt sich abstrakt als Reduktion von Komplexität beschreiben, der wiederum Bedingung ist für die Steigerung von Komplexität des Systems.8 So müssen die Medien aus einer Vielzahl von Vorgängen in ihrer Umwelt einige auswählen, denen sie Informationswert zuschreiben. Dabei bleibt das System aber operativ geschlossen. So importieren die Medien keine Informationen, sondern können die Geschehnisse der Außenwelt (als bloße Irritation) erst nach der Zuweisung eines Informationswerts zum Gegenstand ihrer Berichterstattung machen. Sie exportieren auch keine Informationen, da andere Systeme (etwa der Leser als psychisches System) den Berichten der Medien wiederum erst Informationswert zumessen Luhmann, Realität der Massenmedien, S. 26. Das System operiert dabei in einer System-Umwelt-Differenz, die gesamte Umwelt des Systems wird mittels eines systemeigenen Codes geordnet. Die Umwelt ist dabei keine objektive, feste Größe, sondern vom System definiert, d. h. vom System durch systemeigene Operationen erzeugt. Zugleich beobachtet das System in dieser System / Umwelt-Differenz. Das heißt es unterscheidet zwischen sich selbst (Selbstreferenz) und allem anderen (Fremdreferenz). Das System kopiert damit die System-Umwelt-Grenze noch einmal in sich hinein und benutzt diese als grundsätzliches Beobachtungskriterium. Diese Wiedereinführung der zunächst operativ entstandenen Grenze in das System bezeichnet Luhmann als „re-entry“. Vgl. zum Ganzen Luhmann, Gesellschaft der Gesellschaft, S. 45, 77, 182. Als Beispiel mag hier das Wirtschaftssystem gelten, das mittels Geld operiert und nach Geld unterscheidet bzw. beobachtet. 6 Damit dies möglich ist, muss das System eine Art Gedächtnis bilden, das zwischen vorher und nachher unterscheiden kann (Luhmann bezeichnet diese Fähigkeit als Reflexivität des Systems, vgl. Luhmann, Soziale Systeme, S. 11, 57 f., 601). Ein solches Gedächtnis ist allerdings nicht mit Bewusstsein gleichzusetzen, sämtliche Systeme, auch die biologischen, verfügen darüber. In der Humanmedizin ist sogar anerkannt, dass sich die Physiologie einiger Organe nur vor ihrem „geschichtlichen Hintergrund“ erklären lässt, so z. B. die Physiologie des Immunsystems, vgl. Uexküll / Wesiack, in: Uexküll: Psychosomatische Medizin, S. 35. 7 Luhmann, Einführung, S. 121. 8 Luhmann, Einführung, S. 121. 4 5

A. Die Stellung des Opfers aus Sicht der Theorie autopoietischer Systeme

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müssen. Auch das Rechtssystem wählt aus einer Vielzahl von Vorgängen einige aus, die es als rechtlich relevant ansieht. Zu denken ist hier beispielsweise an die rechtliche Bewertung eines Lebenssachverhalts im gerichtlichen Verfahren, bei dem nur solche Aspekte der Lebenswirklichkeit Beachtung finden, die das Rechtssystem rechtlich einordnen kann. Es werden demnach keine Operationen im- und exportiert, wohl aber geben Irritationen aus der Umwelt einen Anstoß zu Operationen und Ausdifferenzierungen. Dabei kann die Ausdifferenzierung eines Systems zu einer Umweltveränderung eines anderen Systems führen, die wiederum dessen Ausdifferenzierung bewirkt. Ein System kann daher auch versuchen, mit seinen Operationen andere Systeme zu irritieren und damit zu beeinflussen; ob das jeweilige System dies als Anstoß zur Ausdifferenzierung annimmt, steht aber nicht im Einfluss des irritierenden Systems. Politische oder wirtschaftliche Impulse können so beispielsweise zu einer Ausdifferenzierung des Rechtssystems führen, allerdings nur insoweit, wie es den inneren Strukturvorgaben des Rechtssystems entspricht.9 Das System und dessen Umwelt – wozu insbesondere auch andere Systeme gehören10 – wirken insofern durchaus aufeinander ein. Wenn dabei ein System bestimmte Eigenarten eines anderen Systems dauerhaft voraussetzt und somit dauerhafte Beziehungen entstehen (wie etwa zwischen Politik und Recht oder zwischen Politik und den berichterstattenden Medien), spricht Luhmann von „strukturellen Kopplungen“.11 Wie gezeigt bleibt dabei allerdings die operative Geschlossenheit bestehen, denn das System kann nur in Differenz zur Umwelt operieren und an die eigenen, bereits stattgefundenen Operationen anknüpfen.12 Luhmann unterscheidet nun drei grundsätzliche Arten von Systemen: biologische, psychische und soziale Systeme.13 Diese Systemtypen haben eine jeweils eigene, charakteristische Operationsweise: Biologische Systeme leben, psychische Systeme operieren in Form von Wahrnehmungs- und Bewusststeinsprozessen, soziale Systeme kommunizieren. Das Opfer einer Straftat ist aus Sicht der Systemtheorie damit nicht als die Gesamtheit „Mensch“ erfassbar (welche nach der Systemtheorie keine Systemeinheit sein kann14), sondern als psychisches und biologisches System. Reagiert das Opfer kognitiv bzw. emotional auf eine Straftat, handelt es sich um eine Operation des psychischen Systems (natürlich gekoppelt an neurophysiologische Vorgänge), kommen psycho-somatische Beschwerden hinzu, ist auch das organische System betroffen. Vgl. dazu Raiser, Rechtssoziologie, S. 123. Vgl. dazu Luhmann, Soziale Systeme, S. 36 f. 11 Vgl. Luhmann, Einführung, S. 118 ff.; Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 420 ff., 440 f., 468 ff.; ders., Massenmedien, S. 117 ff. 12 Luhmann, Einführung, S. 91 ff. 13 Vgl. Luhmann, Soziale Systeme, S. 16; vgl. zur Systemhierarchie in den Naturwissenschaften Uexküll / Wesiack, Humanmedizin, S. 83 ff., 130 ff. 14 Vgl. dazu Luhmann, Soziale Systeme, S. 67 f. 9

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1. Kap.: Methodischer Ausgangspunkt

Das Strafrechtssystem hingegen ist ein soziales System. Den speziellen Code, den das Strafrechtssystem wie überhaupt das Rechtssystem in der Kommunikation verwendet, ist dabei der Code Recht / Unrecht. Für das Rechtssystem als spezielles soziales System ist all das Umwelt, was es zum Gegenstand seiner Regelungen macht. Nach dem Code Recht / Unrecht ordnet es seine Umwelt, reduziert Komplexität und schließt in weiteren Operationen an diesen Code an. Wenn es heißt, dass soziale Systeme und damit auch das Strafrechtssystem mittels Kommunikation operieren, bedeutet das nicht, dass psychische Systeme oder gar Menschen Bestandteil dieser Systeme wären.15 Sie sind zwar Voraussetzung für soziale Systeme, so wie viele andere physische Bedingungen gegeben sein müssen, damit Kommunikation überhaupt stattfinden kann (es muss etwa Luft geben, die die Schallwellen transportiert oder Papier, das als Zeichenträger fungiert). Konstituiert sind soziale Systeme aber durch ihre Operationsweise, durch Kommunikation. Das bedeutet, dass nicht etwa Bewusstseinsysteme kommunizieren; kein Bewusstseinssystem kann in ein anderes „hinüberdenken“.16 Nur die Kommunikation kommuniziert.17 Auf der einen Seite sind psychische und soziale Systeme jeweils umweltoffen und wirken aufeinander ein. Andererseits operieren sie grundsätzlich verschieden in Abgrenzung zu ihrer Umwelt und sind somit operativ geschlossen.18 Damit wird bereits eine Konsequenz der systemtheoretischen Betrachtung für die hier interessierende Stellung des Opfers erkennbar. Für das Bewusstsein eines Menschen als psychisches System ist all jenes Umwelt, was es als Außen wahrnimmt und als solches zum Gegenstand von Gedanken macht, also auch die Kommunikation sozialer Systeme. Umgekehrt sind psychische Systeme Umwelt sozialer Systeme und damit nicht Bestandteil der Gesellschaft.19 Das Opfer ist als psychisches und biologisches System damit Umwelt des Gesellschaftssystems im Allgemeinen und des Strafrechtssystems im Besonderen. An dieser Stelle wird deutlich, dass sich eine systemtheoretische Betrachtungsweise dem Vorwurf ausgesetzt sieht, sie sehe den Menschen, das Individuum, das Subjekt nicht.20 Doch kann ein systemtheoretisch-analytischer Ansatz gerade auf Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Systemen hinweisen, die ansonsten verborgen bleiben und damit Vorgänge sichtbar machen, die für den Menschen von fundamentalem Interesse sind. Zwar konzentriert sich Luhmann entsprechend seiner soziolo15 Luhmann, Soziale Systeme, S. 192, ders., Gesellschaft der Gesellschaft, S. 24; ders., Soziologische Aufklärung, S. 29. 16 Luhmann, Gesellschaft der Gesellschaft, S. 105: „Es gibt keine nicht sozial vermittelte Kommunikation von Bewusstsein zu Bewusstsein, und es gibt keine Kommunikation zwischen Individuum und Gesellschaft [ . . . ] Nur ein Bewusstsein kann denken (aber eben nicht: in ein anderes Bewusstsein hinüberdenken), und nur die Gesellschaft kann kommunizieren.“ 17 Luhmann, Soziologische Aufklärung, S. 109 ff.; Luhmann, Einführung, S. 261 f. 18 Vgl. Luhmann, Einführung, S. 91 ff., 118 ff. 19 Luhmann, Soziale Systeme, S. 288 f., 325 sowie ders., Einführung, S. 255 ff. 20 Insbesondere Habermas kritisiert Luhmanns „Übergang vom Subjekt zum System“, vgl. Habermas, Der philosophische Diskurs, S. 431.

B. Zeichen- und sprachtheoretischer Ansatz

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gischen Ausgangsposition auf soziale Systeme, psychische (und erst recht biologische) Systeme kommen in seinem späteren Ansatz hauptsächlich als „Umwelt“ der sozialen Systeme vor. In der psychosomatischen Medizin beispielsweise dient die Systemtheorie aber gerade der Verdeutlichung einer gegenseitigen Beeinflussung der Systeme, die ja auch bei Luhmann mit dem Begriff der Umweltoffenheit vorausgesetzt wird. So legt Th. von Uexküll in seinem Grundwerk zur psychosomatischen Medizin einen systemtheoretischen Ansatz zugrunde, um die Aufund Abwärtseffekte zwischen biologischen, psychischen und sozialen Systemen zunächst einmal kenntlich zu machen.21 Damit soll letztlich eine Theorie der Medizin begründet werden, die den Menschen nicht künstlich aufspaltet in einen Körper-Seele-Dualismus, sondern eine den Menschen in all seinen Lebensaspekten würdigende Behandlung ermöglicht. Der systemtheoretische Ansatz dient hier bezeichnenderweise einer ganzheitlichen Betrachtung.22 Reaktionen auf psychischer und auch somatischer Ebene können durchaus mit gesellschaftlichen Vorgängen in Zusammenhang stehen. Es bestehen nach von Uexküll / Wesiack sog. „Mehr-Ebenen-Effekte“, die sich in beide Richtungen über die physiko-chemische, biologische, psychische und soziale Ebene hinweg fortpflanzen.23 Auch mit Blick auf das Strafrecht ist anzunehmen, dass die Operationen dieses sozialen Systems eine Bedeutung für andere, insbesondere psychische Systeme haben können. Es ist durchaus vorstellbar, dass das Strafrechtssystem diese Zusammenhänge selbst sieht und damit argumentiert. Wie ließe sich eine solche gegenseitige Wahrnehmung und Beeinflussung verschiedener Systeme nun aber näher beschreiben?

B. Zeichen- und sprachtheoretischer Ansatz Will man die Zusammenhänge verschiedener Systemebenen untersuchen, zeigt sich ein Problem: Die jeweiligen Systeme sind grundsätzlich durch semantische Grenzen von ihrer Umgebung und von anderen Systemen abgeschlossen.24 Denn die verschiedenen Systeme verfügen über ein jeweils eigenes Kommunikationssystem, also ein eigenes Zeichensystem bzw. eine eigene Sprache.25 Es ergeben 21 Vgl. Uexküll, Psychosomatische Medizin und Uexküll / Wesiack, Humanmedizin. Dieser Ansatz integriert physikalisch-chemische, biologische, psychologische und soziale Aspekte der menschlichen Realität und wird daher auch als bio-psycho-soziales Modell bezeichnet. Die System- und Zeichentheorie eignen sich hierzu besonders, da sie als universelle Theorien / als Metasprache fungieren können, vgl. Uexküll / Wesiack, a. a. O., S. 88. 22 Vgl. Uexküll / Wesiack, in: Uexküll, Psychosomatische Medizin, S. 3 ff. (15 ff., 28 ff.) sowie Uexküll / Wesiack, Humanmedizin, S. 83 ff., 349 ff., 390 ff. 23 Vgl. Uexküll / Wesiack, in: Uexküll, Psychosomatische Medizin, S. 34 ff. und Uexküll / Wesiack, Humanmedizin, S. 89 u. 131 ff. mit entsprechenden Beispielen; vgl. auch Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 31. 24 Uexküll / Wesiack, Humanmedizin, S. 88 f. 25 Die Operationen sämtlicher Systemebenen lassen sich als Kommunikationsvorgang im weiteren Sinne, genauer gesagt als Zeichenprozess deuten. Es gibt auch biologische Zeichen-

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1. Kap.: Methodischer Ausgangspunkt

sich aber Bedeutungssprünge, wenn Inhalte einer Ebene einer anderen zugeordnet werden: „Bedeutungssprünge sind semiotisch gesehen Übersetzungen von einem Zeichensystem (Code) in ein neues.“26 Von Uexküll / Wesiack ergänzen daher ihr systemtheoretisches Modell um einen zeichentheoretischen Ansatz und gehen davon aus, dass zwischen den Systemebenen sog. Bedeutungskopplungen stattfinden: Zeichen, die im Körper Nachrichten über die Bedeutung einer Organreaktion für andere Organe übertragen, werden mit Zeichen zusammengekoppelt, die den Organismus über die Bedeutung von Vorgängen in seiner Umgebung informieren.27 Dadurch wird zum einen die subjektive Umwelt erweitert, indem einem zuvor neutralen, d. h. für den Organismus nicht existenten Ausschnitt der Umgebung eine Bedeutung als psychisch erlebte Zeichen für die Steuerung des Verhaltens erteilt wird.28 Zum anderen stellen solche Bedeutungskopplungen einen Zusammenhang zwischen dem als bedeutungsvoll erlebten Umgebungsausschnitt und bestimmten Organen her, sodass Abwärts- und Aufwärtseffekte ermöglicht werden.29 Damit Bedeutungskopplungen stattfinden können, muss es eine Möglichkeit der Übersetzung zwischen den verschiedenen Systemebenen geben. Grundsätzlich unterscheidet man drei Arten der Übersetzung: Die Übersetzung in ein und derselben Sprache, die zwischensprachliche Übersetzung von einer Sprache in eine andere und schließlich die Übersetzungen von einem nichtsprachlichen in ein anderes nichtsprachliches System.30 Im vorliegenden Zusammenhang interessiert insbesonprozesse / Biosemiosen, etwa im zellulären Bereich, vgl. Uexküll / Wesiack, in: Uexküll: Psychosomatische Medizin, S. 12, die dabei an den weiteren Zeichenbegriff von Peirce anknüpfen. Zwar steht bei der Semiose nach Peirce der „Interpretant“, d. h. die im Geist des Zeichenempfängers produzierte Kognition im Mittelpunkt. Doch bleibt Peirce’ Verständnis der Semiose nicht auf jene mentalen Interpretanten beschränkt. Er sieht Zeichen nicht nur in mentalen, sondern auch in biologischen, chemischen und sogar physikalischen Prozessen und damit „das gesamte Universum mit Zeichen durchdrungen“. Bei nicht mentalen Zeichenprozessen geht Peirce von einem „Quasi-Geist“ aus, der ebenfalls die Fähigkeit habe, Gedanken zu haben, vgl. Nachweise bei Nöth, Semiotik, S. 62. In biologischen Systemen entspricht der Interpretant damit einem nicht-kognitiven Programm zur Interpretation der Umgebung, welches an Bedürfnissen dieses Systems und damit an Sollwerten orientiert ist und so die Erregbarkeit der Rezeptoren steuert, vgl. dazu Uexküll, Psychosomatische Medizin, S. 1363. Soziale Systeme lassen sich jedoch treffender aufgrund eines instrumentalistischen und damit „mentalistischen“ Zeichenverständnisses beschreiben, da soziale Systeme auf Bewusstseinssysteme als Interpreten angewiesen sind, das Zeichen mithin als im Geist produzierte Kognition entsteht. 26 Uexküll / Wesiack, Humanmedizin, S. 89. 27 Uexküll / Wesiack, in: Uexküll, Psychosomatische Medizin, S. 34 f.; solche Bedeutungskopplungen setzen bestimmte Bedingungen und eine entsprechende „Stimmung“ bzw. „vulnerable Phase“ voraus; zudem erklären sie die „geschichtsabhängigen“, individuellen Physiologien einzelner Organe, Uexküll / Wesiack, a. a. O.; vgl. zur „biographischen Physiologie“ schon oben Fn. 6. 28 Uexküll / Wesiack, in: Uexküll, Psychosomatische Medizin, S. 35. 29 Uexküll / Wesiack, in: Uexküll, Psychosomatische Medizin, S. 35. 30 Vgl. Uexküll / Wesiack, in: Uexküll: Psychosomatische Medizin, S. 35 mit Hinweis auf Jakobson.

B. Zeichen- und sprachtheoretischer Ansatz

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dere die Übersetzung zwischen sozialen und psychischen Systemen, denn es soll ja die Bedeutung der strafrechtlichen Kommunikation für das individuelle Opfer untersucht werden. Insofern besteht zwischen psychischen und sozialen Systemen eine Besonderheit: Sie haben sich koevolutiv entwickelt und damit eine besonders enge strukturelle Kopplung herausgebildet, welche Luhmann als „Interpenetration“ bezeichnet.31 Ohne Bewusstsein ist die Kommunikation sozialer Systeme unmöglich: Das Bewusstsein ermöglicht sozialen Systemen erst die Wahrnehmung der Außenwelt, es dient dabei zugleich als Filter, der nur Teile der Außenwelt als Information und damit als Gegenstand der Kommunikation zulässt.32 Bewusstseinsysteme sind umgekehrt aber auch an Kommunikationssysteme gekoppelt.33 Beide Systemarten sind „vorweg aufeinander abgestimmt, um dann unbemerkt koordiniert funktionieren zu können“.34 Entscheidend ist dabei das Medium, welches diese Bedeutungskopplung ermöglicht: Sinn und Sprache.35 Sowohl soziale als auch psychische Systeme orientieren sich bei ihren Operationen an der Kategorie Sinn: Alles Denken, Wollen, Beobachten, Kommunizieren kann nur sinnbezogen geschehen. Stets muss unter vielen Möglichkeiten eine als „sinnvoll“ ausgewählt und müssen andere damit ausgeschlossen werden, wobei Sinn immer zugleich auf diese potentiellen, nicht aktualisierten Entscheidungen verweist. Allen psychischen und sozialen Prozessen ist damit „Sinnzwang“ auferlegt, Sinn ist unvermeidlich und als solcher nicht negierbar.36 Diese Kopplung der beiden Systemtypen wird noch enger, weil das gemeinsame Medium der Sprache zur Verfügung steht, um Sinn zu generieren. Sowohl Kommunikationsvorgänge als auch Bewusstseinsprozesse geschehen zu einem großen Teil (wenn auch längst nicht vollständig) im Medium der Sprache.37 Eine Übersetzung zwischen den Systemen findet mithin Luhmann, Gesellschaft der Gesellschaft, S. 378; ders., Soziale Systeme, S. 286 ff. Luhmann, Gesellschaft der Gesellschaft, S. 103, 113 f. Dies ändert nichts daran, dass Bewusstsein lediglich Voraussetzung, nicht Bestandteil sozialer Systeme ist. 33 Luhmann, Einführung, S. 268 f.; Luhmann, Gesellschaft der Gesellschaft, S. 113, ders., Soziale Systeme, S. 286, insbes. S. 290 ff.; vgl. zum Ausdruck von psychischen Zuständen durch Sprechakte Searle, Intentionalität, S. 47 f. u. 203 ff. 34 Luhmann, Gesellschaft der Gesellschaft, S. 106. 35 Luhmann, Soziale Systeme, S. 92: „Die Co-Evolution hat zu einer gemeinsamen Errungenschaft geführt, die sowohl von psychischen als auch sozialen Systemen benutzt wird [ . . . ] ,Sinn‘“; ders., Gesellschaft der Gesellschaft, S. 108: „Wie leicht erkennbar, wird die regelmäßige strukturelle Kopplung von Bewusstseinssystemen und Kommunikationssystemen durch Sprache ermöglicht.“ 36 Luhmann, Einführung, S. 233 f. und Soziale Systeme, S. 95; natürlich sind einzelne Sinnentwürfe widerspruchsfähig, das Medium an sich ist aber nicht negierbar, vgl. ders. Soziale Systeme, S. 494; vgl. auch Watzlawick / Beavon / Jackson, Menschliche Kommunikation, S. 53 aus kommunikationstheoretischer Sicht: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ 37 Vgl. auch Luhmann, Soziale Systeme, S. 368: „Die Sprache überführt soziale in psychische Komplexität. Aber nie wird der Bewusstseinsverlauf identisch mit sprachlicher Form, auch nicht mit ,Anwendung‘ sprachlicher ,Regeln‘“; vgl. auch den Hinweis auf Searles Begriff des Sprechakts a. a. O. in Fußnote 35. Dass Sprache die Wahrnehmung und das emotionale Empfinden des Individuums erheblich beeinflussen kann, hat Korzybski, in: Blake / 31 32

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1. Kap.: Methodischer Ausgangspunkt

innerhalb derselben Sprache statt. Mit dem sprachlich vermittelten Sinn steht somit ein Medium zur Verfügung, das die Koordination beider Systemtypen und damit Bedeutungskopplungen ermöglicht.38 Dies scheint ein entscheidender Faktor dafür zu sein, dass sich soziale Vorgänge häufig erheblich auf das jeweilige psychische System auswirken – ein Zusammenhang, der in der psycho-somatischen Medizin eine wesentliche Rolle spielt.39 Daher kann gerade bei einem systemtheoretischen Verständnis die gegenseitige Beeinflussung der verschiedenen Systemebenen nicht außer Betracht bleiben.40 Psychische Systeme sind zwar der sozialen Systeme Umwelt, es besteht aber gleichzeitig eine besonders enge strukturelle Kopplung. Mithin können auch bei der Analyse des Strafrechtssystems als Subsystem der Gesellschaft psychische Systeme nicht ignoriert werden. Zwar operiert das Strafrechtssystem mit seinem systemeigenen, emergenten Code, über Sinn und Sprache kann es das Individuum (bzw. das entsprechende psychische System) aber mit diesem Code zu erreichen suchen, also versuchen, dessen Operationen (Gedanken) zu beeinflussen. So wird mit der positiven Generalprävention letztlich ein solcher Zweck verfolgt: Die Allgemeinheit, auf die hier normstabilisierend eingewirkt werden soll, setzt ja letztlich eine Vielzahl psychischer Systeme voraus. Noch offensichtlicher ist der Versuch einer Einwirkung auf das Individuum mittels der positiven Spezialprävention. Somit ist es aus systemtheoretischer Sicht nicht ausgeschlossen, dass das Strafrechtssystem auch das Opfer in den Blick nimmt. Insbesondere folgt aus der Annahme der operativen Geschlossenheit sozialer und psychischer Systeme keinesfalls, dass Operationen des sozialen Systems für das psychische System bedeutungslos seien. Luhmann sieht die empirische Relevanz einer Folgenberücksichtigung allerdings skeptisch: „Man muss nur bedenken, wie schwierig es selbst bei vergangenen Ereignissen ist, Folgen auf Ursachen zurückzurechnen (etwa die Ergebnisse einer Unfallstatistik auf eine Änderung der zulässigen Fahrgeschwindigkeit), um zu sehen, auf welches Glatteis der Richter Ramsey, Perception, S. 170 (172 ff., 180 ff., 188 ff.) gezeigt, wonach sprachliche Übergeneralisierungen zu Fehlanpassungen führen können. 38 Einen eindrücklichen Beweis dieser These dürfte die Tatsache darstellen, dass es in der Psychotherapie möglich ist, auf Gedankenmuster mit Worten Einfluss zu nehmen und Selbstreflexionen des Patienten anzuregen. 39 Vgl. Uexküll / Wesiack, in: Uexküll, Psychosomatische Medizin, S. 28 f., 34 ff. sowie Uexküll / Wesiack, Humanmedizin, S. 83 ff. 40 Dieser Zusammenhang wird bei Luhmann somit auch nach der „autopoietischen Wende“ erkennbar, vgl. ders., Recht der Gesellschaft, S. 482 zur strukturellen Kopplung zwischen Gesellschaftssystem und psychischen Systemen: „Es [das Rechtssystem] prägt sich direkt (und nicht etwa auf dem Umweg über irgendwelche anderen gesellschaftlichen Instanzen) in das Bewusstsein der Beteiligten ein. Es muss von daher Erleben und Handeln motivieren können, wenn nicht die entsprechende Kommunikation mangels Ressourcen zum Stillstand kommen soll. Recht bekommen zu können, im eigenen Rechtsgefühl bestätigt oder nicht bestätigt zu werden, kann Schicksal werden; es ist in jedem Fall keine belanglose Angelegenheit.“

B. Zeichen- und sprachtheoretischer Ansatz

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hier geführt wird. Empirisch gesicherte Prognosen sind, wenn man die Standards der dafür zuständigen Wissenschaften zugrunde legen würde, fast immer unmöglich bzw. führen zu Ergebnissen mit geringer Signifikanz. Kaum vorstellbar, dass ein Richter ein Gesetz sinnvoll unter dem Gesichtspunkt eines Mittels zum Zweck prüfen oder auch nur auslegen könnte. Gleichwohl haben Gerichte die Neigung, genau dies zu tun, und unbestritten bleibt: Sie haben die Kompetenz, ihren Vermutungen Rechtsgeltung zu verleihen. Folgenorientierung ist, von der empirischen Forschung her gesehen, nichts anderes als Imagination mit Rechtskraft“.41

Nach Luhmanns neuerem systemtheoretischen Ansatz dient die Folgenorientierung eher der Verschleierung der Tautologie des Rechts, der Tatsache also, dass es hinter dem Code Recht / Unrecht selbst kein Recht gibt und fungiert damit als eine Form des „Paradoxiemanagements [ . . . ]: Die zweiwertige Codierung [Recht / Unrecht] benötigt mehr als zwei Werte“.42 Allerdings kann man Folgenorientierung nicht nur als schlichten Versuch kausaler Einwirkung auf die Umwelt, sondern mit von Uexküll / Wesiack auch als „Zeichenprozess“ im Sinne Peirce’ verstehen: Als einen dreigliedrigen (triadischen) Vorgang, der die Verbindung zwischen dem „Zeichen“ und einer bezeichneten Sache herstellt.43 Dieser Vorgang erfolgt im Geist des Zeichenempfängers (des Interpreten) als eine Interpretation, die Peirce „Interpretant“ nennt.44 Nach Peirce konstituiert dieser Interpretant den inhaltlichen Sinn, die Bedeutung des Zeichens.45 Zeichenprozesse setzen sich demnach aus drei Komponenten – dem ZeiVgl. Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 381. Vgl. Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 384. Solche außerrechtlichen Überlegungen, die eine Integration des Opfers in die Strafzwecke begründen könnten, sind damit aus systemtheoretischer Sicht nichts weiter als eine Entparadoxierung des Paradoxons, dass alles Recht letztlich kontingent ist. Würde sich das Strafrecht aber auf diese Perspektive einlassen, mithin anerkennen, dass es die Kontingenz seiner Entscheidungen auf diese Weise verschleiert, so verlöre es seine Glaubwürdigkeit, womit die beschriebene „Placebo-Funktion“ und damit die Anschlussfähigkeit der strafrechtlichen Kommunikation im gleichen Moment verflogen wäre, vgl. zu diesem Gedankengang insbesondere Stübinger, KJ 1993, 33 (42 f.). Daher bleibt das Strafrechtssystem auf glaubwürdige Begründungen (auch gegenüber seinen Adressaten) angewiesen, vgl. dazu näher unten 3. Kap. B.III.2.c)(bb) und 3. Kap. B.IV. 43 Vgl. dazu in Anlehnung an Peirce Uexküll / Wesiack, in: Uexküll, Psychosomatische Medizin, S. 3 (24 f.); vgl. Nöth, Semiotik, S. 62 ff.; Peirce, Collected Papers, Bd. 1, 372. 44 Peirce, Collected Papers, Bd. 2, 228. 45 Vgl. dazu Nöth, Semiotik, S. 64. Man unterscheidet in der Semantik (die Semantik ist das Teilgebiet der Semiotik, welches sich mit Bedeutungen beschäftigt) zwei grundlegende Bedeutungen von „Bedeutung“: Einerseits kann damit die Inhaltsseite des Zeichens, die Sinndimension gemeint sein, die sog. Referenzsemantik versteht unter Bedeutung hingegen das bezeichnete Objekt bzw. den bezeichneten Sachverhalt: So verweisen die verschiedenen Ausdrücke „Morgenstern“ und „Abendstern“ auf das gleiche Referenzobjekt, nämlich auf den Planeten Venus, haben aber einen anderen Inhalt, nämlich einmal den Planeten bei morgendlicher, einmal bei abendlicher Betrachtung. Im Folgenden wird jeweils kenntlich gemacht, welche Aspekte der triadischen Zeichenbeziehung gemeint sind. Schließlich wird dieser Arbeit mit Searle eine pragmatisch erweiterte Semantik zugrunde gelegt, die nicht mehr nach der Bedeutung von sprachlichen Zeichen an sich (also unabhängig von deren Äußerung durch 41 42

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1. Kap.: Methodischer Ausgangspunkt

chen, dem Interpretanten und dem repräsentierten Objekt – zusammen, wohingegen mechanische Relationen nur aus zwei Komponenten, nämlich Ursache und Wirkung, bestehen.46 Deutet man das Strafrecht nach einem Ursache-Wirkung Verhältnis lautet die entscheidende Frage: Wie wirkt die Strafe auf den Täter (Spezialprävention), wie auf die Gemeinschaft (Generalprävention), wie wirkt sie auf das Opfer. Oder aber man fragt zunächst im Sinne der Semiotik (der Wissenschaft von den sprachlichen und nichtsprachlichen Zeichen): Wie wird Strafe von den jeweiligen Zeichenempfängern interpretiert, also von der Gesellschaft, vom Täter, aber eben auch vom Opfer? Man könnte einwenden, die semiotische Frage sei nur anders konstruiert als die kausale, laufe aber auf das Selbe hinaus. Dies ist jedoch unzutreffend. Denn die triadische Beziehung eines Zeichenprozesses lässt sich nicht ohne Bedeutungsverlust auf das zweigliedrige Ursache-Wirkungs-Verhältnis reduzieren47. Das Zeichen erzeugt im Geist desjenigen, an den es sich wendet, eine Kognition.48 Stets ist also die Psyche des Zeichenempfängers dazwischengeschaltet, die das Zeichen interpretiert und ihm eine Bedeutung zumisst. Erst danach kommt eventuell eine Verhaltensänderung, Besserung oder Ähnliches, die Frage nach der Bedeutung hat aber eine eigenständige Berechtigung. Dass eine Beschreibung in Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen insoweit ungenügend sein kann, zeigt sich in der Kriminologie an der Frage der Beweisbarkeit spezial- bzw. generalpräventiver Wirkungen der Strafe, in der Psychologie / Medizin an den Grenzen der Erklärung der psychischen Informationsverarbeitung und sozialen Interaktion des Menschen anhand physiko-chemischer Prozesse des Gehirns.49 So haben von Uexküll / Wesiack das Ursache-Wirkungs-Modell bezüglich des Menschen generell modifiziert und das Phänomen Krankheit in psychischer wie auch physiologischer Hinsicht als Semiose, als Zeichenprozess gedeutet.50 Das soziale System kann bei seinen Operationen also zumindest insoweit auf psychische Systeme Rücksicht nehmen, als es um die Vermittlung von Bedeutungen geht. Dies gilt im Übrigen auch hinsichtlich des Problems, inwieweit im Strafrechtssystem Kommunikationen, die bereits in kleineren sozialen Systemen statteinen Sprecher) fragt, sondern danach, welche Bedeutungen die Handlungen haben, die durch sprachliche Äußerungen vollzogen werden, vgl. dazu unten D. und 2. Kap. A.III.; vgl. auch unten Fn. 65. Zum Ganzen Nöth, Semiotik, S. 147 ff. 46 Vgl. Uexküll / Wesiack, in: Uexküll, Psychosomatische Medizin, S. 3 (24 f.); Nöth, Semiotik, S. 62 ff. 47 Uexküll / Wesiack, in: Uexküll, Psychosomatische Medizin, S. 25 mit Verweis auf Peirce. 48 Vgl. Nöth, Semiotik, S. 64. 49 Gegen eine Reduktion von Psychologie auf Physiologie, Biochemie und Biophysik Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 30. Zumindest kann man konstatieren, dass der heutige Kenntnisstand jedenfalls nicht ausreicht, um zwischenmenschliche soziale Vorgänge als naturkausalen, neurophysiologischen Vorgang vollends zu beschreiben; man ist daher auf andere Modelle der Beschreibung angewiesen. 50 Uexküll / Wesiack, in: Uexküll, Psychosomatische Medizin, S. 10 f., 25.

B. Zeichen- und sprachtheoretischer Ansatz

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gefunden haben, gewürdigt werden: Bemüht sich der Täter beispielsweise nach der Tat um einen Ausgleich mit dem Opfer (die Kommunikation zwischen Täter und Opfer stellt bereits ein soziales System dar), so kann dies etwa nach § 46a Nr. 1 StGB bzw. § 153a I S. 2 Nr. 5 StPO zu einer Strafmilderung bzw. einem Strafverzicht führen. Damit wird auch die Frage relevant, wie sich das Opfer zu den Bemühungen des Täters stellt, ob es ihnen also die Bedeutung eines friedensstiftenden Ausgleichs zumisst.51 Systemtheorietisch geht es damit letztlich um die Würdigung einer Beeinflussung der Kognitionen eines psychischen Systems. Es haben zum einen also bereits psychisch vermittelte Zeichenprozesse stattgefunden (jedenfalls durch die Straftat, eventuell aber auch danach durch eine Kommunikation zwischen Täter und Opfer), zum anderen initiiert das Strafrechtssystem durch die Bestrafung einen solchen Zeichenprozess, denn die Strafe wird wiederum als Zeichen interpretiert52. Für die Annahme, dass das Strafrechtssystem diesen Zusammenhang systembedingt nicht sehen und nicht berücksichtigen könne, ist nichts ersichtlich. Dass es ihn zum Zwecke des Systemerhalts sogar berücksichtigen muss, soweit es um die Allgemeinheit als Adressaten strafrechtlicher Kommunikation geht, wird noch zu zeigen sein.53 Will man jedoch den Inhalt bzw. die Bedeutung dessen untersuchen, was gemeinsamer Anknüpfungspunkt der Operationen sozialer und psychischer Systeme (also der gesellschaftlichen Kommunikation und der Gedanken des Einzelnen) ist, so hilft die neuere Systemtheorie Luhmanns nicht weiter, denn sie beschreibt die Operationen der Systeme lediglich abstrakt.54 Der Inhalt der jeweiligen Kommunikation – abgesehen vom jeweils verwendeten Code – ist nicht Gegenstand der Beobachtung. Daher wird die folgende Untersuchung auch nicht an der neueren Systemtheorie Luhmanns ausgerichtet werden. Im Folgenden soll weiterhin von Individuen die Rede sein und von Kommunikation im Sinne der allgemeinen Kommunikationstheorie ausgegangen werden. Allerdings wird im Verlauf der Arbeit – insbesondere in Auseinandersetzung mit der positiven Generalprävention – auf die Theorie autopoietischer Systeme zurückzukommen sein. An dieser Stelle sollte zunächst aufgezeigt werden, dass selbst ein Verständnis des Strafrechts als autopoietisches, selbstreferentielles und operativ geschlossenes System einer Berücksichtigung der Opferperspektive nicht zwingend entgegensteht. Zudem wird gerade aus Sicht der Theorie autopoietischer Systeme deutlich, dass das Individuum über Sinn und Sprache mit der Gesellschaft verbunden ist. Für die weitere Untersuchung muss nun ein Ansatzpunkt gefunden werden, mit dem Bedeutungen inhaltlich analysiert werden können. Da es wie gezeigt um Zeichen im Allgemeinen und Sprache im Besonderen geht, kommt hierbei der 51 52 53 54

Zu diesem Problem ausführlich unten 5. Kap. D.II. Zu diesem Zusammenhang sogleich unter C. sowie unter 3. Kap. B.IV. Vgl. dazu insbes. unten 3. Kap. A.I., 3. Kap. B.III.1.b) sowie 3. Kap. B.IV. Vgl. auch Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 24.

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1. Kap.: Methodischer Ausgangspunkt

Semiotik und der Sprachtheorie eine wesentliche Funktion zu. Die semiotische Fragestellung lenkt den Blick unweigerlich auf denjenigen, der dem Zeichen seine Bedeutung verleiht, nämlich den jeweiligen Zeichenempfänger. Die Semiotik macht daher auch das konkrete Opfer für das Strafrecht wieder sichtbar, da sie mit der Bedeutung das Subjekt (systemtheoretisch: das psychische System) in die Betrachtung einführt. Die Sprachtheorie ermöglicht dabei eine Analyse der Bedeutung von Urteil und Strafe als Zeichen, weil diesen wie zu zeigen sein wird eine im Wesentlichen sprachliche Struktur zugrunde liegt.

C. Strafrecht als kommunikative Verwendung von Zeichen Mit Blick auf das Strafrecht ist daher zu klären, inwieweit die Strafe als Zeichen zu verstehen ist und welche Bedeutung ihr als Zeichen gegenüber dem Opfer zukommt. Dazu ist es notwendig, auf einige Grundbegriffe der Semiotik einzugehen.55 Der Mensch besitzt als interpretierendes Wesen die Fähigkeit, die Welt als sinnhaft und nicht etwa als eine chaotische Gesamtheit sinnlicher Reize wahrzunehmen. Jeder Mensch, jeder Gegenstand, jeder Bestandteil unserer Umwelt ist Gegenstand der Interpretation und bekommt damit einen Informationswert zugeschrieben.56 Es handelt sich hierbei um eine erste, einfache Stufe von „Kommunikation“, die sich dadurch auszeichnet, dass die eigentliche Arbeitsleistung vom Adressaten erbracht wird und ein Sender nicht notwendig vorhanden ist. Die Interpretation erfolgt hier auf der Grundlage eines regelbasierten Wahrscheinlichkeitsurteils.57 So wird von sichtbarem Rauch auf ein Feuer geschlossen, der Arzt deutet einen verdächtigen Fleck auf der Haut des Patienten als Symptom einer Krankheit (Masern), das Verhalten eines Menschen wird als Ausdruck irgendeiner Absicht, Haltung, Einstellung oder Ähnlichem gedeutet. Aus dieser ersten Ebene der „Kommunikation“ lässt sich nicht entkommen (und dieses Phänomen beschreibt auch Luhmann, wenn er feststellt, sämtlichen sozialen und psychischen Systemen sei Sinnzwang auferlegt58). Selbst wenn jemand kundtun würde, er habe es satt, dass alles stets interpretiert werde und mache nicht mehr mit: Es würde ihm nichts helfen, selbst diese Haltung wäre Gegenstand der Interpretation.59 Es gibt kein Entrinnen aus der Interpretierbarkeit, und so lautet auch „das erste Axiom der Kommunikation“: „Man kann nicht nicht kommunizie55 Eine Darstellung der Zeichentheorie und deren Anwendung auf das Strafrecht findet sich bei Puppe, in: FS-Grünwald, S. 469. 56 Vgl. Volli, Semiotik, S. 5. 57 Vgl. Volli, Semiotik, S. 8. 58 Vgl. dazu oben B. 59 Prägnant Keller, Zeichentheorie, S. 15.

C. Strafrecht als kommunikative Verwendung von Zeichen

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ren.“60 Aus diesem elementaren Tatbestand folgt, dass jedes Verhalten eines Menschen oder einer Institution (ebenso wie das fehlende Verhalten) eine potentielle Quelle der Kommunikation darstellt.61 Wird auf ein solches Verhalten reagiert, so hat zum einen eine Interpretation stattgefunden, zum anderen ist die Reaktion selbst Information und Gegenstand weiterer Interpretation. Der Mensch ist aber nicht nur in der Lage, aus Wahrnehmungen Schlüsse zu ziehen, er besitzt vielmehr auch die Fähigkeit, das Wissen um die Interpretationsfähigkeit des anderen dazu auszunutzen, dessen Fühlen, Denken und Handeln zu beeinflussen. Bei dieser exploitativen Nutzung der Interpretationsfähigkeit handelt es sich um die eigentliche Kommunikation.62 Es gibt einen Sender, der eine Botschaft an einen Adressaten übermittelt, indem er diesen zu entsprechenden Schlüssen anregt.63 Unter Botschaft versteht man dabei zunächst einmal einen materiellen Gegenstand, der als solcher dazu geeignet ist, physikalisch von einem Menschen zum anderen befördert werden zu können (etwa ein beschriebenes Blatt Papier, eine Folge von Schallwellen usw.).64 Es handelt sich um ein Signal bzw. den Zeichenträger. Damit die Botschaft einen Sinn bzw. eine Bedeutung erhält, muss sie interpretiert werden. Das, was die Zuordnung einer Bedeutung ermöglicht, was also als Basis der Schlüsse dient, wird im kommunikationstheoretischen Zusammenhang Code genannt. Unter einem Zeichen ist schließlich die Gesamtheit aus Signal / Zeichenträger und zugeschriebener Bedeutung zu verstehen. Da die Bedeutung nicht bereits im Zeichen enthalten ist, sondern diesem durch Interpretation verliehen wird (und dies vom Sender regelmäßig auch beabsichtigt wird), ist es am sinnvollsten, die Zeichen nach der Methode ihrer Interpretation zu kategorisieren (man könnte dies als instrumentalistische Auffassung bezeichnen im Gegensatz zu den referenzsemantischen bzw. repräsentationistischen Zeichentheorien, die auf die Art der Relation des Zeichens zum Bezeichneten abstellen).65 Watzlawick / Beavon / Jackson, Menschliche Kommunikation, S. 53. Volli, Semiotik, S. 5. 62 Vgl. Keller, Zeichentheorie, S. 113 ff. und zusammenfassend S. 253 und Volli, Semiotik, S. 7 ff. 63 Vgl. Volli, Semiotik, S. 7 ff.; Keller, Zeichentheorie, S. 113 ff. 64 Volli, Semiotik, S. 18. 65 Vgl. dazu Keller, Zeichentheorie, S. 113, zusammenfassend zur repräsentationistischen Sicht Volli, Semiotik, S. 33 ff.; vgl. zur Unterscheidung von Bedeutung als Sinn und dem Bezeichneten als referiertem Objekt schon oben Fn. 45. Zur schwierigen und in der Zeichentheorie unterschiedlich gehandhabten Unterscheidung von Sinn und Bedeutung vgl. auch Keller, Zeichentheorie, S. 43 (in Auseinandersetzung mit Frege). Keller versteht als Anhänger einer instrumentalistischen Zeichentheorie unter Bedeutung nicht das von einem Zeichen Repräsentierte, sondern das, was es ermöglicht, ein Zeichen zu interpretieren; bezogen auf Symbole wäre dies also die jeweilige Gebrauchsregel, der jeweilige Code. Unter Sinn ist nach Keller hingegen die Kommunikationsintention bzw. der Kommunikationszweck einer Äußerung zu verstehen. Die Kenntnis der Bedeutung ist dabei Voraussetzung für das Verstehen des 60 61

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1. Kap.: Methodischer Ausgangspunkt

Werden, wie im obigen Beispiel, die Flecken auf der Haut als Hinweis auf die Krankheit Masern gedeutet, so handelt es sich um einen kausalen Schluss, das dazugehörige Zeichen lässt sich als Symptom oder hinweisendes Zeichen begreifen. Dabei fehlt es allerdings an einer intentionalen Verwendung des Zeichens. Ikone sind Zeichen, die aufgrund assoziativer Schlüsse interpretiert werden. Die Ähnlichkeit des Signals mit der Bedeutung, auf die die repräsentationistischen Zeichentheorien entscheidend abstellen, kann dabei sehr entfernter Natur sein; entscheidend ist nur, dass sie noch den Impuls für eine assoziative Interpretation des Zeichens liefern kann (so die instrumentalistische Auffassung).66 Beispiel für ein Ikon wäre das stilisierte Männchen auf der Toilettentür. Wichtigstes Mittel der Kommunikation sind jedoch die Symbole. Repräsentationistische Zeichenauffassungen definieren die Symbole dahingehend, dass sie zu ihrer Bedeutung im Verhältnis der Arbitrarität, d.h. der relativen Beliebigkeit stehen. Aus instrumentalistischer Sicht zeichnen sie sich dadurch aus, dass sie allein aufgrund der Regel ihres Gebrauchs (dem Code der jeweiligen symbolischen Zeichen67) interpretiert werden, der Adressat auf einen assoziativen Anstoß demnach nicht angewiesen ist.68 Ein wichtiges Beispiel für ein symbolisches Zeichen ist jenes des geschriebenen oder gesprochenen Wortes: Es erhält seine Bedeutung nicht etwa aufgrund der Ähnlichkeit des verwendeten Schrift- oder Lautzeichens mit seiner Bedeutung, sondern aufgrund der Regel seines Gebrauchs. Zwar gibt es auch hier Ausnahmen: So hat das „O“ in dem Wort „O-Beine“ einen (wenn auch entfernten) graphischen Bezug zu den bezeichneten Beinen eines „o-beinigen“ Menschen.69 In der überwiegenden Zahl der Fälle fehlt es bei sprachlichen Zeichen jedoch an der Möglichkeit einer assoziativen Interpretation, sodass sie ganz überwiegend den Symbolen zugerechnet werden können. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass im Laufe der Zeit innerhalb einer Sprachgemeinschaft „Zeichenmetamorphosen“ stattfinden können, indem ein InSinns: Beispielsweise wäre es bei einem Schachspiel der Sinn eines Zuges mit dem Läufer den Turm anzugreifen. Um diesen Sinn zu erfassen, bedarf es der Kenntnis der Bedeutung des Läufers, d. h. der Regeln, nach denen der Läufer ziehen darf; vgl. zum Ganzen ders., a. a. O., S. 128 ff., insbesondere 130 ff. (in Bezug auf Symbole) und zusammenfassend S. 253. Die zeichentheoretische Diskussion um den Begriff der Bedeutung kann hier nicht nachvollzogen werden und würde als reines Definitionsproblem auch keinen Erkenntnisgewinn versprechen. Für die weitere Analyse ist es notwendig, weiterhin die Regel des Gebrauchs, das bezeichnete Objekt sowie die diesem zugeschriebenen Eigenschaften (Referenz und Prädikation) und die Intention des Sprechers im Einzelnen zu berücksichtigen. Dazu wird ein pragmatisches Bedeutungsverständnis erläutert und zugrunde gelegt werden, welches es ermöglicht, strafrechtliche Kommunikation als Handlung präzise zu beschreiben und zwischen der Bedeutung der Strafe und deren Zweck zu unterscheiden, vgl. dazu unten 2. Kap. (insbesondere A.III.) und 3. Kap. B.I.2. 66 Keller, Zeichentheorie, S. 125. 67 Vgl. dazu auch Volli, Semiotik, S. 38 ff. 68 Keller, Zeichentheorie, S. 128 ff. 69 Dazu Keller, Zeichentheorie, S. 124 f.

C. Strafrecht als kommunikative Verwendung von Zeichen

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terpretationsverfahren durch ein anderes abgelöst wird. Symptome können somit zu Ikonen, Symptome und Ikone zu Symbolen werden.70 Wenn beispielsweise Ikone eine Symbolifizierung erfahren sind sie auf die Ähnlichkeit mit dem Bezeichneten nicht mehr angewiesen, die Kenntnis des Gebrauchszusammenhangs löst die Assoziation als Interpretationsverfahren ab.71 Die Übergänge sind insoweit fließend: Das „O“ in dem Wort „O-Beine“ ist noch ein Ikon, während das Wort „Kuckuck“ nicht mehr aufgrund seiner entfernten Ähnlichkeit mit dem Ruf des bezeichneten Tieres, sondern aufgrund der Regel seines Gebrauchs interpretiert wird und damit bereits sprachliches Symbol ist.72 Schließlich sind noch die drei Funktionsebenen der Zeichen zu unterscheiden, die syntaktische, semantische und pragmatische Dimension. Die syntaktische Ebene betrifft den inneren Aufbau der Botschaft, bei der Sprache z.B. Morphologie, Syntax, bei einem Bild Perspektive, Farbverhältnisse usw.73 Die semantische Dimension betrifft die Beziehung des Zeichens zu dem bezeichneten Gegenstand, also die Ebene der Bedeutung. Auf dieser Ebene lässt sich bereits die genannte Einteilung in die drei Zeichentypen des Symptoms, Ikons und Symbols vollziehen. Die Ebene der Pragmatik schließlich bindet die Botschaft an Absender und Adressat, es geht um Wirkungen und Umstände der Äußerung. Ein Wort oder Satz wird aus dieser Perspektive nicht mehr rein semantisch und damit losgelöst von der jeweiligen Verwendungssituation betrachtet, sondern als konkrete kommunikative Handlung unter gewissen Umständen gegenüber einem konkreten Adressaten gedeutet.74 Die strafrechtliche Kommunikation wird im Folgenden sowohl in ihrer semantischen als auch in ihrer pragmatischen Dimension zu untersuchen sein. Zunächst soll jedoch als Ausgangspunkt der Überlegungen genügen, dass es sich bei der Folge von Straftat und Strafe tatsächlich um Kommunikation handelt. So ist die Straftat Gegenstand der Interpretation, denn an sie wird mit der Bestrafung des Täters sinnorientiert angeschlossen. Aber auch die Strafe selbst ist Gegenstand weiterer Interpretation; ihr wird eine über die bloße Übelszufügung hinausgehende Bedeutung beigemessen. Es wird zu zeigen sein, dass es sich bei der Strafe um eigentliche Kommunikation handelt, sie also mit der Intention der Übermittlung einer Nachricht erfolgt. Aber auch die Straftat selbst wird gemeinhin als kommunikativer Akt im eigentlichen Sinne verstanden, mit dem der Täter etwas zum Ausdruck bringt.75 Vgl. zum Ganzen Keller, Zeichentheorie, S. 160 ff. Vgl. Keller, Zeichentheorie, S. 167 ff. 72 Vgl. Keller, Zeichentheorie, S. 124; vgl. in diesem Kontext auch die Anmerkung Puppes, in: FS-Grünwald, S. 469 (473) Fn. 12. 73 Die syntaktische Ebene soll hier nicht weiter interessieren, denn sie betrifft nur die Beziehungen der Zeichen untereinander unter Absehung von ihren Beziehungen zu Objekten und Interpreten; es geht also um den richtigen Umgang mit einem Zeichensystem bzw. seine Grammatik, vgl. Morris, Grundlagen der Zeichentheorie, S. 32. 74 Vgl. dazu im Überblick Volli, Semiotik, S. 257 ff.; vgl. auch Morris, Zeichentheorie, S. 52 ff. 70 71

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1. Kap.: Methodischer Ausgangspunkt

D. Kommunikative Verwendung von Zeichen als sprachliche Handlung Wie lässt sich nun die Bedeutung strafrechtlicher Kommunikation feststellen? Kommunikation im eigentlichen Sinne geschieht durch Verwendung von Zeichen. Menschliche Kommunikation bedient sich dabei vorwiegend symbolischer Zeichen. Das wichtigste System symbolischer Zeichen, welches dem Menschen zur Verfügung steht, ist jenes der Sprache76. Zwar ist Kommunikation in gewissen Grenzen auch durch nichtsprachliche Handlungen möglich, insbesondere, wenn diese Handlungen in ein System von Konventionen eingebunden sind und ihre Bedeutung aufgrund dieses Zusammenhangs erhalten. Je komplexer und vielschichtiger die zu kommunizierende Botschaft jedoch ist, desto eher bedarf es eines ausdifferenzierten sprachlichen oder sprachähnlichen Zeichensystems. Das Rechtssystem ist in besonderer Weise auf Sprache angewiesen, denn die Setzung und Anwendung von Recht ist genuin sprachlicher Natur. Und so geschieht auch die Herstellung und Darstellung des strafrechtlichen Falles mittels der Sprache; sie wäre ohne dieses leistungsfähige Zeichensystem in ihrer Komplexität gar nicht möglich.77 Dominierend bleibt dabei der für den Abschluss des Verfahrens vorgesehene sprachliche Akt78: Im Hauptverfahren also die Verurteilung zu einer Strafe oder der Freispruch.79 An diesem letzten Akt orientiert sich das gesamte Verfahren: er ist prägend für die – an den Kategorien von Unrecht und Schuld orientierte – strafrechtliche Kommunikation, so wie die erstrebte Verantwortungsübernahme durch den Täter prägend für die mediative Kommunikationsform des Täter-Opfer-Ausgleichs i. S. d. § 46a Nr. 1 StGB ist.80 75 So hat insbesondere Jakobs darauf hingewiesen, dass erst durch einen solchen kommunikativen Zusammenhang die Abfolge zweier Übel – der Straftat und der Strafe – einen Sinn bekommt, vgl. dazu Jakobs, ZStW 107 (1995), S. 843 (844) sowie Jakobs, ARSP-Beih. 74 (2000), S. 57 (58 ff.); im Einzelnen zu Jakobs unten 3. Kap. B.III.1.b). 76 Vgl. dazu schon oben unter B. und C. 77 Searle geht davon aus, dass nichtsprachliche Kommunikation ohne Konventionen nur sehr begrenzt möglich ist, daher zumeist konstitutive Regeln erforderlich sind, und es bei komplexeren Sachverhalten insbesondere des konstitutiven Regelsystems der Sprache bedarf, vgl. Searle, Sprechakte, S. 61 f. und Searle, Konstruktion, S. 88. 78 Zu einer Hierarchie sprachlicher Handlungen im Sinne einer Haupthandlung und verschiedener Hilfs-Handlungen vgl. die Nachweise bei Rolf, Gebrauchstextsorten, S. 40, der insbesondere auf die Hierarchie innerhalb eines Textes abstellt. 79 Daneben bleibt auch im Hauptverfahren die Möglichkeit der Einstellung aus Opportunitätsgründen bestehen, vgl. §§ 153 II, 153a II StPO; grundsätzlich ist das Hauptverfahren jedoch auf den Abschluss durch Urteil ausgerichtet. Zunächst geht es um die Bedeutung von Urteil und Strafe für das Opfer, sodass die Einstellung des Verfahrens im Vor- und auch Hauptverfahren an dieser Stelle noch außer Betracht bleiben kann. 80 Vgl. zum unterschiedlichen Gehalt von § 46a Nr. 1 und Nr. 2 StGB Kilchling, NStZ 1996, 309 (310), ausführlich dazu und zum Täter-Opfer-Ausgleich insgesamt unten im 5. Kap.

D. Kommunikative Verwendung von Zeichen als sprachliche Handlung

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Wie schon die Bezeichnung „Kommunikationsakt“ zum Ausdruck bringt, geht es hier um mehr als die bloße Verwendung von Wörtern: Indem der Richter das Urteil spricht oder der Täter sich entschuldigt und zu Leistungen an das Opfer verpflichtet, tut er auch etwas; die Verwendung der Sprache stellt sich zugleich als Handlung dar. Eine solche, über die reine Semantik hinausgehende Handlungsperspektive wird durch die von Austin begründete und von Searle weiterentwickelte Sprechakttheorie in die Sprachreflexion eingeführt. Denn Anliegen der Sprechakttheorie ist es, eine systematische Antwort auf die Frage zu finden, „in wie verschiedener Weise etwas Sagen etwas Tun bedeuten kann; in wie verschiedener Weise wir etwas tun, indem wir etwas sagen“.81 Grundeinheit der sprachlichen Kommunikation ist damit nicht mehr das Symbol, das Wort oder der Satz, sondern die Hervorbringung eines Symbols, Wortes oder Satzes im Vollzug des Sprechakts unter bestimmten Bedingungen.82 Von der Ebene der Pragmatik aus betrachtet interessiert nicht mehr die Sprache als Zeichensystem an sich, sondern der Gebrauch dieses Zeichensystems unter Berücksichtigung der besonderen Verwendungssituation.83 Es liegt also nahe, strafrechtliche Kommunikationsakte mithilfe der Sprechakttheorie zu analysieren.84 Eine solche Analyse setzt voraus, dass die Sprachverwendung durch bestimmte Regeln konstituiert wird, sodass sie sich als Realisierung eines Universalmusters erklären lässt. Denn nur dann ist es möglich, Kriterien herauszuarbeiten, die die jeweilige Sprachverwendung charakterisieren. Searle versucht anhand solcher Kriterien sogar zu zeigen, dass es nur eine begrenzte Anzahl der Arten von Sprachverwendung gibt. Strafrechtliche Kommunikationsformen ließen sich auf einer solchen Grundlage einer Art der Sprachverwendung zuordnen und somit auch in ihrer Eigenart beschreiben. Wittgenstein war nun der Ansicht, die Unterscheidung zwischen zwei Ebenen, zwischen einer Regel und ihrer Realisierung, mache keinen Sinn. Wo immer Sprache existiere, existiere sie ausschließlich als Tätigkeit und Gebrauch.85 Über Sprachregeln zu reflektieren ist dann eben auch nur eine Weise sprachlicher Tätigkeit, die sich auf gleicher Ebene mit jeglichem anderen Sprachhandeln befindet Austin, Theorie, S. 110. Searle, Sprechakte, S. 30 f., 41 f. 83 Krämer, Sprache, S. 55. 84 Es geht in der vorliegenden Untersuchung also nicht nur um Sprechakte des Täters, sondern insbesondere um eine sprechakttheoretische Analyse von Urteil und Strafe. Eine sprechakttheoretische Untersuchung der Täuschungshandlung des Täters beim Betrug findet sich bei Ellmer, Betrug, S. 122 ff., der dabei allerdings von der von Searle verschiedenen Konzeption Austins ausgeht. Vgl. auch jüngst Polaino Navarrete / Polaino-Orts, in: FS-Schröder, S. 99 ff., die – ebenfalls von Austin ausgehend – solche Tathandlungen des Täters analysieren, welche mit Worten realisiert werden können (vgl. S. 100, 110). 85 Vgl. dazu Krämer, Sprache, S. 110, 126 ff.; Wittgenstein führte neben Austin die Pragmatik in die Sprachanalyse ein: „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache“, Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 43, vgl. auch § 23. 81 82

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1. Kap.: Methodischer Ausgangspunkt

und daher letzteres auch nicht (metasprachlich) beurteilen kann.86 Es gibt nach Wittgenstein mithin auch keine endliche Liste von Kategorien der Sprachverwendung.87 Trifft dies zu, so lassen sich Konturen strafrechtlicher Kommunikation durch eine sprachtheoretische Einordnung nicht gewinnen. Die Sprechakttheorie eröffnet in dieser Hinsicht allerdings eine optimistischere Perspektive. Bei Austin finden sich die Ansätze für eine sprechakttheoretische Klassifikation, an die Searle anknüpft. Während Austin die Möglichkeit einer regelbasierten Taxonomie aber immer wieder in Zweifel zieht88, hat Searle dem Skeptizismus Wittgensteins ein geschlossenes System von Sprechakten entgegengesetzt.89 Searle nimmt dabei im Gegensatz zu Wittgenstein an, dass eine Sprache zu sprechen eine regelgeleitete Form des Verhaltens ist.90 Dazu ist es nicht erforderlich, dass sich der Sprecher der Regel bewusst ist. Doch spricht für Searles These, dass ein Sprecher in einem neuen Fall – anders als bei nicht regelgeleiteten, bloß regelmäßigem Verhalten – weiß, wie er sich (sprachlich) zu verhalten hat.91 Zumindest aber entwickelt der Sprecher „Fertigkeiten und Fähigkeiten, die sozusagen funktional dem System von Regeln äquivalent sind, ohne wirklich irgendwelche Repräsentationen oder Internalisierungen dieser Regeln zu enthalten“; der Sprecher folgt den Regeln dann weder bewusst noch unbewusst, aber seine Fähigkeiten erlangt er, weil er sich den regelhaften Strukturen der Umwelt anpasst bzw. seine Verhaltensdispositionen durch diese geprägt werden.92 Die gesellschaftlichen Regelsysteme spielen dann immer noch eine kausale Rolle in der Struktur des Verhaltens: Die erworbenen Dispositionen und Fähigkeiten fallen genau so aus, wie sie ausfallen, weil sie den Regeln entsprechen.93 Sollte es nun gelingen, plausible Regeln für den Vollzug von Sprechakten anzugeben, so bekräftigt dies die Hypothese, dass Sprechakten letztlich Regeln zugrunde liegen.94 Unter den Regeln, um die es hier geht, sind allerdings nicht die 86 Vgl. Krämer, Sprache, S. 109 f., 129 f.; Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, §§ 198, 201. 87 Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 23; vgl. dazu Searle, Ausdruck und Bedeutung, S. 7. 88 Vgl. dazu Krämer, Sprache, S. 136 f. Krämer unterscheidet zwischen einem „kanonischen Austin“, der von einer Rationalisierbarkeit von Sprachphänomenen durch typisierende Klassifikationen ausgeht, und einem „diabolischen Austin“, der gerade das Zusammenbrechen dieser Kriterien in seinen Texten inszeniert. 89 Im Wesentlichen entwickelt in Searle, Sprechakte; weiterentwickelt insbesondere in Searle / Vanderveken, Foundations of illocutionary logic. 90 Searle, Sprechakte, S. 29, 66. 91 Vgl. dazu Searle, Sprechakte, S. 67 und zur Möglichkeit der „Projektion“ auch ders., Sprechakte, S. 13 ff. und unten 2. Kap. Fn. 36. 92 Vgl. dazu Searle, Konstruktion, S. 153 ff.; Searle bezeichnet diese Fähigkeit als „Hintergrundfähigkeit“. 93 Vgl. Searle, Konstruktion, S. 153 ff. und Krämer, Sprache, S. 73. 94 Mit diesem Ansatz Searle, Sprechakte, S. 59 f., vgl. auch Searle / Vanderveken, Foundations, S. 49 ff.

D. Kommunikative Verwendung von Zeichen als sprachliche Handlung

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Strukturen der jeweiligen Einzelsprachen zu verstehen; es handelt sich also gerade nicht um eine linguistische Untersuchung.95 Worauf es Searle ankommt ist vielmehr, diejenigen Regeln aufzuzeigen, die unabhängig von der jeweiligen konkreten einzelsprachlichen Äußerung Sprechakte konstituieren.96 Der Sprechakt ist mithin das universale Muster, das in der einzelsprachlichen Äußerung partikulär realisiert wird und diese damit rational rekonstruierbar macht97. Wenn wir verstehen wollen, was wir tun, wenn wir sprechen, müssen wir daher erklären, aus welchen Komponenten sich ein Sprechakt zusammensetzt.

Searle, Sprechakte, S. 65. Diese Regeln sind nach Searle also konstitutiv und nicht regulativ. Regulative Regeln sind dadurch charakterisiert, dass sie bereits bestehende oder unabhängig von ihnen existierende Verhaltensformen regeln, wohingegen konstitutive Regeln neue Formen des Verhaltens ermöglichen, so z. B. die grundlegenden Regeln des Schachspiels, vgl. Searle, Sprechakte, S. 54 ff. 97 Zu einem solchen abstrakten Prinzip hinter dem Sprechen in der Sprechakttheorie Krämer, Sprache, S. 56. 95 96

Zweites Kapitel

Die Sprechakttheorie A. Der Sprechakt nach Searle Sprechakte sind nach Searle grundlegender Baustein sprachlicher Kommunikation, und sie sind insbesondere die kleinste Einheit, mit welcher der Sprecher gegenüber dem Hörer eine Handlung ausübt.1 Ein Sprechakt lässt sich nach Searle in einen Äußerungsakt, einen propositionalen Akt und schließlich in den besonders bedeutsamen illokutionären Akt unterteilen.2 Um die nun eingeführten Kategorien zu erläutern, sei folgendes einleitendes Beispiel aus der hier relevanten Kommunikation zwischen Täter und Opfer genannt: Der Täter hat seine Frau wiederholt über einen längeren Zeitraum misshandelt, schließlich kommt es zu einer Anzeige durch die Ehefrau. Im Rahmen eines eingeleiteten Täter-Opfer-Ausgleichs entschuldigt sich der Ehemann bei seiner Frau. Es wird vertraglich vereinbart, dass er eine bestimmte Summe als Wiedergutmachung zahlt. Des Weiteren verpflichtet sich der Ehemann zur Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs und verspricht, keine Gewalttätigkeiten mehr zu begehen. Was tut der Ehemann (im Folgenden: Sprecher) eigentlich genau, wenn er sich entschuldigt, wenn er sich verpflichtet, eine bestimmte Summe zu zahlen und an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen, und wenn er verspricht, keine weiteren Gewalttätigkeiten mehr zu begehen? Im Folgenden soll der Vollzug von solchen Sprechakten näher betrachtet werden.

I. Der Äußerungsakt Zunächst äußert der Sprecher bestimmte Laute und bildet damit Wörter und Sätze in einer gewissen Struktur. Diesen Äußerungsakt näher zu untersuchen ist Aufgabe insbesondere der linguistischen Teildisziplinen der Phonetik, Morphologie, Lexikologie und Syntax.3 Auf die Frage, was wir tun, indem wir sprechen, 1 Vgl. Searle, Sprechakte, S. 30. Zum Verhältnis des Sprechakts zu Luhmanns Kommunikationsbegriff sogleich unter A.V.2.a). 2 Die Bezeichnung der einzelnen Komponenten als Akt deutet dabei auf die oben beschriebene Handlungsperspektive hin, die Searle seiner Sprachreflexion zu Grunde legt. 3 Hindelang, Einführung, S. 8, 17; vgl. auch Searle, Sprechakte, S. 42.

A. Der Sprechakt nach Searle

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können wir durch die Analyse des Äußerungsaktes allerdings keine Antwort finden. Denn Äußerungen werden nicht um ihrer selbst willen, sondern aus einem ganz bestimmten kommunikativen Bedürfnis heraus gemacht.4 Sie erfüllen eine bestimmte kommunikative Funktion.

II. Der illokutionäre Akt Mit der Äußerung eines Satzes wollen wir z. B. etwas feststellen, etwas versprechen, jemanden um etwas bitten, jemanden zu etwas ernennen, jemandem danken usw. Im genannten Beispielsfall entschuldigt sich der Sprecher für etwas, er verpflichtet sich zu etwas, er verspricht etwas. Betrachtet man das Versprechen einmal genauer, so wird deutlich, dass dieses aus zwei Komponenten besteht: aus dem Modus des Versprechens an sich und aus dem, was versprochen wird. In der grammatischen Idealform eines Sprechakts würde dabei ersteres durch „ich verspreche“ angezeigt, letzteres durch die Einleitung „dass . . .“.5 Nimmt man beides zusammen, hat man zunächst einmal grob beschrieben, was Searle einen illokutionären Akt nennt. Ein illokutionärer Akt besteht demnach aus zwei Komponenten, der illokutionären Kraft 6 (bei Searle wird die illokutionäre Kraft auch als illokutionäre Rolle bezeichnet7) und dem propositionalen Gehalt 8. Damit weist ein Sprechakt in der Form des illokutionären Akts die basale Form F (P) auf, F steht für die illokutionäre Kraft, P für den propositionalen Gehalt. Wie bereits angedeutet, gilt diese Struktur universal für jegliches Sprechen, unabhängig von einzelsprachlichen Besonderheiten. Gelingt eine Äußerung in kommunikativer Hinsicht, ist sie nach Searle stets Realisierung dieser Struktur.

III. Der propositionale Gehalt und seine Abhängigkeit von der illokutionären Kraft Mit der Ausführung eines illokutionären Akts drückt der Sprecher subsidiär den propositionalen Gehalt aus (propositionaler Akt 9). Unter dem propositionalen Gehalt versteht Searle dabei Referenz und Prädikation. Referenz bezeichnet den 4 Hindelang, Einführung, S. 8 mit Hinweis auf die Ausnahme mancher poetischer Formen der Sprachverwendung. Ausgeschlossen sind insbesondere auch Sarkasmus, Ironie und ähnliche Formen „sekundärer“ Kommunikation, vgl. Searle, Sprechakte, S. 88. 5 Vgl. Searle / Vanderveken, Foundations, S. 9; zur Idealform einer explizit performativen Äußerung Hindelang, Einführung, S. 23. 6 Zur illokutionären Kraft vgl. Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 7 ff., 134 ff. 7 Zum Begriff der illokutionären Rolle vgl. Searle, Ausdruck und Bedeutung, S. 18 f., 31 f. 8 Zum propositionalen Gehalt Searle, Sprechakte, S. 39, 43 ff. 9 Searle / Vanderveken, Foundations, S. 9.

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2. Kap.: Die Sprechakttheorie

Bezug, den sprachliche Ausdrücke auf die Dinge der Welt haben. Der Begriff der Prädikation wird nicht definiert. Gemeint ist damit aber das, was dem Objekt, auf das Bezug genommen wird, zugeschrieben wird (Searle spricht davon, dass das Objekt, auf das verwiesen wird, als etwas prädiziert wird10). Die Unterscheidung zwischen illokutionärer Kraft und propositionalem Gehalt gründet darauf, dass ihre Identitäts-Bedingungen unterschiedlich sind: derselbe propositionale Gehalt kann mit unterschiedlichen illokutionären Kräften, dieselbe illokutionäre Kraft mit unterschiedlichen propositionalen Gehalten vorkommen.11 Dies lässt sich am besten verdeutlichen, indem man sich folgende Sprechakte ansieht: a) Bruno ist fleißig. b) Ist Bruno fleißig? c) Bruno, sei fleißig! d) Ach wäre Bruno doch fleißig!12 Die Äußerungen a) bis d) besitzen zwar ganz unterschiedliche illokutionäre Kräfte (dies zeigen schon die unterschiedlichen illokutionären Indikatoren an), der propositionale Gehalt bleibt jedoch jeweils gleich: in allen Fällen ist nämlich von Bruno und seinem Fleiß die Rede. Der Sprecher vollzieht mit obigen Äußerungen also den gleichen propositionalen Akt, indem er jeweils auf ein bestimmtes Objekt referiert (Bruno) und dieses als „ist fleißig“ prädiziert.13 Letzteres bedeutet nicht, dass behauptet würde, Bruno sei fleißig. Das Verb „behaupten“ bezieht sich auf die illokutionäre Kraft. Die Proposition, dass Bruno fleißig ist, wird nur in a) behauptet, während der Sprecher bei b) eine Frage stellt, bei c) einen Befehl gibt und bei d) einen Wunsch oder ein Verlangen ausdrückt.14 Das Wesen, die Bedeutung des gesamten illokutionären Akts ist bestimmt durch die Art seiner illokutionären Kraft und durch seinen propositionalen Gehalt.15 Dabei ist die Bedeutung des Sprechakts nicht als Summe der semantischen Satzbedeutung (ausgedrückt im propositionalen Gehalt) und der pragmatischen Äußerungsbedeutung (basierend auf der illokutionären Kraft) zu verstehen.16 Vielmehr ist der propositionale Gehalt unselbstständig und bleibt angewiesen auf seine Einbettung in den illokutionären Akt.17 Er erhält seine Bedeutung erst durch das Einwirken der illokutionären Kraft. Die Illokutionslogik ist damit tatsächlich eine Theorie der Bedeutung.18 In diesem Sinne wird die Semantik nicht einfach durch Pragmatik ergänzt, sondern die Semantik selbst wird pragmatisiert.19 Der illokutionären Kraft kommt dementsprechend eine entscheidende Bedeutung in Searles Vgl. Searle, Sprechakte, S. 39, 43 f. Searle / Vanderveken, Foundations, S. 8. 12 Beispiele entnommen aus Hindelang, Einführung, S. 18. 13 Vgl. Searle, Sprechakte, S. 39; zum Ganzen Hindelang, Einführung, S. 18. 14 Vgl. Searle, Sprechakte, S. 39. 15 Searle / Vanderveken, Foundations, S. 8. 16 Krämer, Sprache, S. 61. 17 Krämer, Sprache, S. 61; vgl. Searle / Vanderveken, Foundations, S. 9: „One can say ,I promise that I will leave the room‘, but one cannot say simply ,That I will leave the room‘.“ 18 Vgl. Searle / Vanderveken, Foundations, S. 7. 19 So Krämer, Sprache, S. 61. 10 11

A. Der Sprechakt nach Searle

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Taxonomie der Sprechakte zu. Bei der Frage, wie sich ein Urteil in seiner Bedeutung von beispielsweise einer freiwilligen Wiedergutmachung durch den Täter unterscheidet, spielt die illokutionäre Kraft mithin eine wichtige Rolle.

IV. Illokutionäre Verben als Indikator der illokutionären Kraft Versucht man zu beschreiben, was unter der illokutionären Kraft einer Äußerung zu verstehen ist, so finden sich in den jeweiligen Einzelsprachen zunächst eine Vielzahl von Verben, die sich auf die illokutionäre Kraft einer Äußerung beziehen (im Deutschen z. B. versprechen, feststellen, bitten, ernennen usw.). Searle bezeichnet diese als illokutionäre Verben.20 Es ist aber keineswegs so, dass sich die illokutionäre Kraft durch diese Verben hinreichend beschreiben ließe. Die Leistung der Illokutionslogik besteht gerade darin, die einzelnen Komponenten der illokutionären Kraft sichtbar zu machen. Die illokutionäre Kraft lässt sich in verschiedene Komponenten zerlegen und abstrakt beschreiben, ohne dass man dabei auf jeweilige einzelsprachliche illokutionäre Verben zwingend angewiesen wäre. Mit Searles Illokutionslogik können also theoretisch auch solche illokutionären Rollen bzw. illokutionären Kräfte dargestellt werden, die in den Einzelsprachen gar nicht bezeichnet sind.21 Teilweise wird davon ausgegangen, solche in einer natürlichen Sprache nicht bezeichneten Illokutionskräfte wären von bloß theoretischem Interesse, denn sie würden in der entsprechenden Sprachgemeinschaft keine Rolle spielen.22 Weitet man die Analyse aber auch auf nichtsprachliche Handlungen aus23, dann zeigt sich, dass die Sprechakttheorie gerade auch dann einen bedeutungstheoretischen Beitrag leistet, wenn die jeweilige Bedeutung durch einen illokutionären Ausdruck allein schwer zu beschreiben ist und es an einer entsprechenden Lexikalisierung fehlt.24 Die illokutionäre Rolle bzw. illokutionäre Kraft eines jeweiligen Sprechakts ist demnach eine über(einzel-)sprachliche Kategorie. Illokutionäre Kräfte sind mithin in den Einzelsprachen lediglich weitgehend lexikalisiert. Zudem sind illokutionäre 20 Searle, Ausdruck und Bedeutung, S. 18; es ist allerdings nicht ganz präzise, von illokutionären Verben zu sprechen, da auch komplexere Ausdrücke illokutionäre Rollen bezeichnen, so insbesondere im Deutschen z. B. „etwas in Abrede stellen“, „sich einverstanden erklären“, „eine Ehe scheiden“, „eine Erbschaft ausschlagen“ usw., vgl. Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 135 f. 21 Vgl. Searle / Vanderveken, Foundations, S. 1 f. 22 So Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 135. 23 Dazu unten 3. Kap. B.I.1. 24 In einer Semantik spricht man davon, dass bestimmte Unterscheidungen lexikalisiert, d. h. durch ein eigenes Lexem (Wort) repräsentiert sind. Gibt es für gewisse unter systematischen Gesichtspunkten relevante Unterscheidungen kein entsprechendes Lexem in der jeweiligen Sprache, spricht man von einer „lexikalischen Lücke“, vgl. Hindelang, Einführung, S. 39 f.

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2. Kap.: Die Sprechakttheorie

Verben häufig ambig, d. h. sie bezeichnen unterschiedliche Arten illokutionärer Kräfte.25 (So kann man entweder „schwören“, dass etwas wahr ist – oder aber, dass man in Zukunft etwas tun werde. Bei dem illokutionären Verb „empfehlen“ sind zwei illokutionäre Kräfte miteinander verbunden: Zum einen weist man damit darauf hin, dass man eine Handlungsmöglichkeit als die bessere erachtet; zum anderen stellt sich die Empfehlung als Versuch dar, den Hörer zu einem Verhalten zu bewegen.) Oft beschreiben illokutionäre Verben auch nicht nur die illokutionäre Kraft, sondern zusätzlich Gesprächseigenschaften oder über den erfolgreichen Vollzug des illokutionären Akts hinausgehende Erfolge.26 (So impliziert das Verb „beweisen“ im Gegensatz zu „behaupten“ bereits das Vorhandensein gewisser Beweisanforderungen.) Ziel der Illokutionslogik ist es nun, mit der Etablierung und Beschreibung entsprechender Kategorien die Grundlage dafür zu schaffen, dass man in einer exakteren und eindeutigeren Weise über sprachliche Handlungen reden kann, als dies aufgrund der „natürlichen“ illokutionären Verben möglich wäre.27 Searles Illokutionslogik betrifft damit die Sprache als solche (genauer: die Handlungsperspektive der Sprache als solcher), während illokutionäre Verben Teil der einzelnen Sprachen (Englisch, Deutsch, Französisch) sind.28 Auf eine semantische Analyse dieser Verben kommt es der Sprechakttheorie mithin nicht entscheidend an.29 Wie oben beschrieben, ist der Sprechakt als universales, übereinzelsprachliches Muster zu verstehen. So können illokutionäre Verben auch nur als Ausgangspunkt einer Beschreibung der jeweiligen hinter einer Äußerung stehenden illokutionären Kraft dienen. Um die illokutionäre Rolle eines Sprechakts zu bestimmen ist, es zumeist nicht einmal notwendig, dass der Sprecher illokutionäre Verben explizit performativ verwendet. Eine solche Verwendung illokutionärer Verben liegt vor, wenn sie in der ersten Person geäußert werden und damit zugleich die durch das illokutionäre Verb bezeichnete Handlung vollzogen wird bzw. die Verwendung des Verbs konventionellerweise als Vollzug der Handlung gilt.30 Der Satz: „Ich verspreche, dass ich dir treu bleiben werde“ ist eine performative Äußerung, da mit der Verwendung des illokutionären Verbs „versprechen“ bereits der Vollzug des Versprechens einhergeht, der Sprecher also konventionellerweise auf die zukünftige Handlung festgelegt ist. Auf die illokutionäre Rolle einer Äußerung lässt sich aber häufig aus anderen sprachlichen sowie aus situativen Faktoren schließen.31 Der Satz: „Ich Searle / Vanderveken, Foundations, S. 179 ff. und Vanderveken, Meaning, S. 167 ff. Searle / Vanderveken, Foundations, S. 179 ff. und Vanderveken, Meaning, S. 167 ff. 27 Hindelang, Einführung, S. 39. 28 Vgl. Searle, Ausdruck und Bedeutung, S. 18 und Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 136. 29 So insbesondere Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 137 mit Hinweis auf Searle / Vanderveken, Foundations, S. 179 ff., wo zwar eine Analyse illokutionärer Verben vorgenommen wird, aber eben aus dem Blickwinkel und mit Hilfe der Illokutionslogik, siehe auch ebd. S. 1 ff. 30 Vgl. Hindelang, Einführung, S. 22 ff.; Searle / Vanderveken, Foundations, S. 2 f.; Searle, Sprechakte, S. 50, 207 ff. 25 26

A. Der Sprechakt nach Searle

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werde dir immer treu bleiben“ enthält kein illokutionäres Verb in der ersten Person, erfüllt aber die gleiche Funktion wie eine explizite Verwendung eines solchen Verbs.32 Auch außersprachliche Mittel wie Gestik und Mimik lassen häufig die illokutionäre Kraft erkennen. Aber auch diese Frage, nämlich wie die illokutionäre Kraft durch den Hörer erkannt wird, ist nicht primär Gegenstand der Sprechakttheorie.33 Es geht nämlich zunächst nicht darum, was in der menschlichen Interaktion im Einzelnen geschieht. Entscheidend ist vielmehr der bereits erwähnte bedeutungstheoretische Aspekt. Und dieser Aspekt ist auch für die vorliegende Untersuchung wesentlich, denn es geht ja zunächst einmal um die Frage, welche Bedeutung das Strafrecht als solches für das Opfer hat. Um die Bedeutung eines Sprechakts wiederzugeben, ist es erforderlich, die einzelnen Komponenten seiner illokutionären Kraft zu analysieren.

V. Die Komponenten der illokutionären Kraft 1. Der illokutionäre Zweck als Ausgangspunkt einer Taxonomie Die wichtigste dieser Komponenten sei gleich zu Anfang genannt: Es ist die des illokutionären Zwecks (Searle bezeichnet den Zweck eines Sprechakts auch als illokutionären Witz34, später dann in Zusammenarbeit mit Vanderveken als illo31 Verben wie feststellen, versprechen, bitten, ernennen, danken usw. bezeichnen die illokutionäre Rolle ausdrücklich. Werden sie vom Sprecher nicht performativ gebraucht, sind es oft andere sprachliche Indikatoren die auf die illokutionäre Rolle der Aussage hindeuten. So fungiert z. B. „Ach sei so nett“ als Indikator einer Bitte. Auch Wortfolge, Betonung, Modus usw. zeigen in vielen Fällen die illokutionäre Rolle an. Häufig bedarf es nicht einmal solcher Illokutionsindikatoren, da auch die situativen Bedingungen oft auf nur eine mögliche illokutionäre Rolle schließen lassen. Ob „Ich komme morgen wieder“ als Drohung oder Versprechen aufzufassen ist, wird sich aus der Situation meist klären lassen. Missverständnisse wären hingegen leicht denkbar etwa im Falle einer als Vorwurf verstandenen Feststellung. Dass aber selbst die performative Verwendung illokutionäre Verben nicht immer sicher auf die tatsächliche illokutionäre Rolle hindeutet, zeigt folgender Satz: „Ich verspreche dir eine Tracht Prügel, wenn du jetzt nicht brav bist!“ Vgl. zum Ganzen Hindelang, Einführung, S. 15, 21 ff., 38 ff., vgl. auch Searle / Vanderveken, Foundations, S. 2 f.; zudem gibt es auch indirekte Sprechakte: Ein Satz, dessen Indikator der illokutionären Rolle auf einen bestimmten Typ von illokutionärem Akt hinweist, kann explizit geäußert werden, um zusätzlich implizit einen illokutionären Akt eines anderen Typs (mglchw. auch mit einem anderen propositionalem Gehalt) zu vollziehen. Z. B.: „Kannst du mir das Salz reichen?“ oder “ Kommst du an das Salz ran?“ nicht bloß als Frage, sondern als Bitte um das Salz (wobei sich im zweiten Fall auch der propositionale Gehalt ändert). Der Sprecher ist dann auf entsprechendes Hintergrundwissen und Interpretationsvermögen des Hörers angewiesen. Vgl. dazu Searle, Ausdruck und Bedeutung, S. 51 ff. und zusammenfassend Searle / Vanderveken, Foundations, S. 10 sowie Hindelang, Einführung, S. 92 ff. 32 Und kann damit als „implizit-performative Äußerung“ bezeichnet werden, vgl. Hindelang, Einführung, S. 22 ff. 33 Vgl. Searle / Vanderveken, Foundations, S. 1 f. 34 Searle, Ausdruck und Bedeutung, S. 18 f.

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2. Kap.: Die Sprechakttheorie

kutionären Punkt 35). Searle definiert den illokutionären Zweck nicht direkt und verwendet ihn eher projektiv36. Gemeint ist damit aber der Zweck einer Äußerung im engeren Sinne oder das, was einen illokutionären Akt eigentlich charakterisiert: Ein Befehl lässt sich als Versuch charakterisieren, den Hörer dazu zu bekommen, irgendetwas zu tun. Für eine Beschreibung ist charakteristisch, (wahr oder falsch, genau oder ungenau) wiederzugeben, wie etwas ist. Im obigen Beispielsfall verspricht S, keine Gewalttätigkeiten mehr zu begehen und verpflichtet sich zur Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs: An diesen illokutionären Akten ist charakteristisch, dass sich der Sprecher auf ein künftiges Verhalten festlegt. Vom illokutionären Zweck nicht erfasst sind aber solche hörerseitigen Effekte, die über das bloße Verstehen der Äußerung hinausgehen, wie etwa Gefühle, Einstellungen oder hervorgerufene Intentionen. Searle nennt sie in Anlehnung an Austin perlokutionäre Effekte.37 Sie sind häufig beabsichtigt und mögen auch über die Erfüllung des Sprechakts entscheiden (wie bei der Bitte die Motivation des Hörers zu dem entsprechenden Verhalten)38, können aber auch als unbeabsichtigte Folge auftreten (der Hörer mag verärgert sein über die Bitte). Während illokutionäre Akte an das Verstehen anknüpfen und sich auf Regeln zurückführen lassen, ist dies für perlokutionäre Effekte grundsätzlich nicht möglich. So kann es keine Konvention dahingehend geben, dass ein bestimmter Sprechakt als Herbeiführung eines bestimmten perlokutionären Effekts gilt, also als Herbeiführung einer Wirkung auf den Hörer etwa in Form einer Überzeugung, Überredung, Verärgerung. Daher haben diese perlokutionären Ausdrücke auch keine performative Verwendung: So ist es beispielsweise möglich zu sagen: „Ich stelle hiermit fest“, es ist aber nicht möglich zu sagen: „Hiermit überzeuge ich dich.“39 Der Begriff des illokutionären Zwecks lässt sich also weiter verdeutlichen, wenn man ihn von solchen perlokutionären Effekten abgrenzt: So kann ein Sprecher beispielsweise mit dem Vollzug eines Versprechens alle möglichen Arten anderer Zwecke oder Ziele verfolgen: er kann Erwartungen hervorrufen oder bestärken wollen, er kann das Gespräch aufrechterhalten wollen, er kann den Versuch maSearle / Vanderveken, Foundations, S. 13 ff., 51 ff. Zur projektiven Verwendung von Begriffen vgl. Searle, Sprechakte, S. 13 ff., zusammenfassend S. 21: „Das oben diskutierte Argument, dessen Vertreter einen gebräuchlichen Begriff, über dessen Anwendung allgemeine Übereinstimmung – projektiver Art – besteht, nehmen und von ihm sagen, dass er irgendwie unzulänglich ist, weil es keine Kriterien einer bestimmten Art für seine Verwendung gibt, könnte für sich genommen niemals zeigen, dass der Begriff nicht verstanden wird oder ungerechtfertigt ist. Das Argument könnte bestenfalls zeigen, dass es unangemessen ist, Kriterien der vorgeschlagenen Art zu verlangen.“ Mit anderen Worten: Oft besteht ein gewisses Vorverständnis eines Begriffs und ermöglicht seine Anwendung auf neue Fälle. Solange eine solch projektive Verwendung eines Begriffs möglich ist, ist dieser auch gerechtfertigt, unabhängig davon, ob man genaue Kriterien angeben kann, nach denen der Begriff Verwendung findet. 37 Austin, Theorie, S. 118 ff.; Searle / Vanderveken, Foundations, S. 11 f. 38 Dazu sogleich unter B. 39 Dazu Searle / Vanderveken, Foundations, S. 12. 35 36

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chen, klug zu erscheinen usw.; keines dieser Ziele gehört jedoch zum Wesen eines Versprechens. Zwar gibt es bestimmte perlokutionäre Effekte, die regelmäßig mit bestimmten Sprechakten intendiert werden; beim Versprechen ist dies die Intention, der Hörer möge nun von einem zukünftigen entsprechenden Verhalten des Sprechers ausgehen.40 Zum Wesen eines Versprechens aber gehört lediglich, dass sich der Sprecher notwendigerweise darauf festlegt, etwas Bestimmtes zu tun.41 Nur dies ist mit dem illokutionären Zweck gemeint. Der illokutionäre Zweck bezeichnet damit ein (sprecherseitiges) Faktum, auf dessen Schaffung der defektfreie Vollzug eines Sprechakts notwendig hinausläuft42: Wer ein Versprechen abgibt, ist auf die Ausführung der versprochenen Handlung festgelegt; durch eine Bitte oder eine Aufforderung ist der Versuch, jemanden zu einem künftigen Verhalten zu bewegen, realisiert. Fakten dieser Art werden schon durch den defektfreien Vollzug eines Sprechakts geschaffen, weil es für das Entstehen des jeweiligen Faktums eine Konvention, eine allgemein anerkannte Regel gibt. Da der illokutionäre Zweck somit gerade dann erreicht wird, wenn der Vollzug eines Akts des entsprechenden Typus gelingt, bezeichnen ihn Searle / Vanderveken als akttypinterne Eigenschaft. Oder anders ausgedrückt: Ein illokutionärer Akt könnte kein gelungener Akt des betreffenden Typs sein, wenn der entsprechende illokutionäre Zweck nicht erreicht würde.43 Daran zeigt sich auch, dass diese Komponente den eigentlichen Witz der searlschen Sprechakttheorie ausmacht: Sie ermöglicht eine abschließende Einteilung der illokutionären Akte in verschiedene Typen, die man daher auch als Illokutionskraftfamilien bezeichnen kann.44 Der illokutionäre Zweck ist es also, an dem Searles Taxonomie anknüpft: „Denn wenn wir den illokutionären Witz als Grundbegriff der Klassifikation von Sprachverwendungen akzeptieren, dann gibt es nur sehr wenige grundlegende Sachen, die man mit Sprache machen kann: Wir sagen andern, was der Fall ist; wir versuchen sie dazu bekommen, bestimmte Dinge zu tun; wir legen uns selbst darauf fest, gewisse Dinge zu tun, wir bringen unsere Gefühle und Einstellungen zum Ausdruck; und wir führen durch unsere Äußerungen Veränderungen herbei.“45

Nach Searles Auffassung gibt es also nur fünf verschiedene Typen illokutionärer Zwecke und damit auch nur fünf Typen illokutionärer Akte / Sprechakte. Die abschließende Einteilung illokutionärer Zwecke wird möglich, wenn man dabei zwei wesentliche Kriterien zugrunde legt. Zum einen sind dies Unterschiede in der Anpassungsrichtung zwischen Wort und Welt, wobei der illokutionäre Zweck festlegt, 40 41 42 43 44 45

Dazu näher unter B.III. und B.IV. Searle / Vanderveken, Foundations, S. 14. Vgl. dazu im Einzelnen Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 24 ff. Searle / Vanderveken, Foundations, S. 14. Zu den Illokutionskraftfamilien Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 134 ff. Searle, Ausdruck und Bedeutung, S. 50.

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2. Kap.: Die Sprechakttheorie

wie sich der propositionale Gehalt auf die Welt beziehen soll.46 Zum anderen sind dies Unterschiede in den jeweils ausgedrückten inneren Zuständen. Unter Berücksichtigung dieser Kriterien ergeben sich folgende Arten illokutionärer Akte: (1) Assertiva (wie z. B. beschreiben, behaupten, mitteilen, berichten) haben den Zweck, dass der Sprecher sich (in unterschiedlichem Maß47) darauf festlegt, dass seine Äußerung einen tatsächlich bestehenden Sachverhalt repräsentiert, mithin wahr oder unwahr ist. Die Worte werden dabei mit der Welt in Übereinstimmung gebracht. Der ausgedrückte innere Zustand ist der (unterschiedlich stark ausgeprägte48) Glaube, dass etwas der Fall ist. (2) Direktiva (wie befehlen, warnen, verbieten, bitten usw.) lassen sich als (mehr oder minder stark ausgeprägte) Versuche des Sprechers charakterisieren, den Hörer zu veranlassen, etwas zu tun. Die Welt soll in Zukunft mit der Äußerung in Übereinstimmung gebracht werden, der entsprechende innere Zustand ist der (unterschiedlich stark ausgeprägte) Wunsch. (3) Kommissiva (wie versprechen, ankündigen, sich zu etwas bereit erklären usw.) verfolgen den Zweck, den Sprecher (wiederum in jeweils unterschiedlichem Grad) auf ein künftiges Handeln festzulegen. Auch hier soll die Welt mit der Äußerung in Zukunft in Übereinstimmung gebracht werden, die Kommissiva haben also die gleiche Welt-Wort Ausrichtung wie die Direktiva.49 Damit verbunden ist der innere Zustand der Absicht. (4) Expressiva (wie z. B. danken, um Entschuldigung bitten, bedauern, willkommen heißen, gratulieren) haben den Zweck, die jeweiligen inneren, zumeist emotiven Zustände des Sprechers zum Ausdruck zu bringen, die auf eine im propositionalen Gehalt aufgeführte Sachlage gerichtet sind. Da bei dieser Sprechaktklasse die Wahrheit der zum Ausdruck gebrachten Proposition vorausgesetzt wird (bei der Entschuldigung wäre dies etwa die Tatsache, dass eine schädigende Handlung vorgenommen wurde), entfällt hier eine Ausrichtung zwischen Welt und Wort. (5) Deklarativa50 (wie z. B. jemanden ernennen, Krieg erklären, jemanden verheiraten, jemanden exkommunizieren, eine Sitzung eröffnen) schließlich zeichnen Vgl. dazu das anschauliche Beispiel bei Searle, Ausdruck und Bedeutung, S. 19 f. Die unterschiedlich ausgeprägten Stärkegrade ändern nichts daran, dass es sich um denselben illokutionären Zweck handelt, vgl. Searle, Ausdruck und Bedeutung, S. 31 f., vgl. dazu im Folgenden. 48 Siehe Fn. 47. 49 Zur Schwierigkeit, Direktiva und Kommissiva in einer Gruppe zusammenzufassen: Searle, Ausdruck und Bedeutung, S. 33 f. 50 In einigen Übersetzungen wird Searles Begriff „declarations“ mit „Deklarationen“ übersetzt (so etwa Searle, Intentionalität, S. 222). Im Folgenden soll im Einklang mit anderen Übersetzungen stattdessen von Deklarativa die Rede sein (so Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 197 ff. oder Krämer, Sprache, S. 67), da der Begriff Deklaration in der deutschen Sprache bereits besetzt ist und die illokutionäre Kraft, die Searle dieser Sprechaktgruppe zuschreibt, 46 47

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sich durch eine ganz eigentümliche Wort-Welt-Ausrichtung aus: Durch den erfolgreichen Vollzug eines deklarativen Sprechakts wird die Welt mit dem propositionalen Gehalt in Übereinstimmung gebracht. Voraussetzung dafür ist das Bestehen einer außersprachlichen Institution, in der der Sprecher eine Position inne hat, die es ihm ermöglicht, die Welt mit seinen Worten in Übereinstimmung zu bringen. Erforderlich ist also ein konstitutives Regelsystem, das über jenes der Sprache selbst hinausgeht. Davon sind nur zwei Ausnahmen vorstellbar: Zum einen bräuchte ein Gott kein solches außersprachliches Regelsystem, die Aussage „Es werde Licht“ würde aufgrund übernatürlicher Kräfte gelingen. Zum anderen sind Aussagen, die nur innerhalb der Sprache und nicht auf die außersprachliche Welt wirken sollen, auch nicht an außersprachliche Institutionen gebunden (bspw.: „Ich definiere X als Y“).51 Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass die Ausrichtung zwischen Wort und Welt in nur vier Richtungen denkbar ist: Teils weist die Richtung vom Wort zur Welt (Assertiva), teils von der Welt zum Wort (Direktiva, Kommissiva). Des Weiteren gibt es eine „leere“ Anpassungsrichtung, in welcher kein Zusammenhang zwischen Wort und Welt vorliegt (Expressiva). Schließlich ist auch eine doppelte Anpassungsrichtung möglich, sowohl vom Wort zur Welt als auch von der Welt zum Wort (Deklarativa).

2. Weitere Komponenten der illokutionären Kraft Der illokutionäre Zweck ist zwar die Basiskomponente, nicht aber die einzige Komponente der illokutionären Kraft.52 Es gibt nämlich noch einige andere Komponenten, mit denen sich illokutionäre Kräfte weiter charakterisieren lassen, ohne dass sich dadurch an der oben beschriebenen Einteilung etwas ändern würde. Dies zeigt sich an der Tatsache, dass verschiedene illokutionäre Kräfte denselben illokutionären Zweck haben können. So haben die Paare behaupten / vermuten, bitten / verlangen, versprechen / anbieten jeweils denselben illokutionären Zweck, unterscheiden sich aber in anderer Hinsicht. Die anderen Elemente der illokutionären Kraft sind damit weitere Spezifikationen und Modifizierungen des illokutionären Zwecks oder Konsequenzen desselben, die grundlegende Komponente der illokutionären Kraft bleibt aber der illokutionäre Zweck.53 darin nicht hinreichend zum Ausdruck kommt (vgl. etwa Duden, Fremdwörterbuch, „Deklaration“: „[ . . . ] aus lat. declaratio: ,Kundmachung, Offenbarung‘ [ . . . ] Erklärung [die etwas Grundlegendes enthält]“; insbesondere die Wendung „rein deklaratorisch“ bezeichnet das Gegenteil dessen, was Searle meint, da mit einem deklarativen Sprechakt im Sinne Searles ja etwas Neues in Form einer institutionellen Tatsache geschaffen und nicht lediglich auf ein schon bestehendes soziales Faktum Bezug genommen wird, dazu sogleich). 51 Vgl. zu diesen Ausnahmen Searle / Vanderveken, Foundations, S. 57. 52 Vgl. Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 24. 53 Searle / Vanderveken, Foundations, S. 14.

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2. Kap.: Die Sprechakttheorie

a) Die Aufrichtigkeitsbedingung Es wurde bereits angesprochen, dass mit dem Vollzug eines illokutionären Akts jeweils ein bestimmter innerer Zustand, eine bestimmte Intention, Haltung, Einstellung usw. zum Ausdruck gebracht wird. Searle bezeichnet diese Komponente der illokutionären Kraft als Aufrichtigkeitsbedingung. Wenn ich beispielsweise jemanden bitte, H zu tun, drücke ich den Wunsch aus, dass der Hörer H tut; wenn ich mich für eine Handlung entschuldige, drücke ich damit den inneren Zustand aus, dass mir die Handlung leid tut. Die Aufrichtigkeitsbedingung kann dabei in verschiedenen Stärkegraden vorkommen. Wenn ich jemanden anflehe, etwas zu tun, drücke ich einen stärkeren Wunsch als inneren Zustand aus als wenn ich jemanden lediglich darum bitte, etwas zu tun. Mit dem Vollzug eines illokutionären Akts wird die entsprechende Aufrichtigkeitsbedingung notwendigerweise zum Ausdruck gebracht.54 Zwar kann der Akt aufrichtig oder unaufrichtig vollzogen werden, je nachdem, ob der entsprechende innere Zustand beim Sprecher tatsächlich vorhanden ist oder nicht.55 Entscheidend ist aber, dass der Vollzug des illokutionären Aktes als Ausdruck des entsprechenden inneren Zustands gilt, unabhängig von der Existenz eines solchen Zustands.56 Dies muss der Sprecher anerkennen, was sich z. B. daran zeigt, dass die performativen Äußerungen „Ich stelle fest, dass p, aber ich glaube nicht, dass p“ oder „Ich verspreche, dass p, habe aber nicht die Absicht, dass p“ absurd klingen.57Auch Luhmann geht davon aus, dass man nicht sagen kann, dass man nicht meint, was man sagt. Wenn man nämlich „dies sagt, kann der Partner nicht wissen, was man meint, wenn man sagt, dass man nicht meint, was man sagt. Er landet beim Paradox des Epimenides. Er kann es nicht wissen, selbst wenn er sich Mühe gäbe, den Sprecher zu verstehen; also verliert die Kommunikation ihren Sinn.“58 Die Aufrichtigkeit selbst ist mittels eines Sprechakts allerdings ebenfalls nicht kommunizierbar. Warum dies so ist, lässt sich an Luhmanns Kommunikationsmodell59 verdeutlichen, welches zwar wie gezeigt keine inhaltliche Sprachanalyse erlaubt, wohl aber die soziale Interaktion und damit auch das Problem der Aufrichtigkeit aus der Außenperspektive analysieren kann. Zwar könnte man einwenden, Luhmanns Kommunikationsanalyse sei (zumindest soweit sie auf der neueren Systemtheorie Luhmanns aufbaut) mit der Sprechakttheorie vollkommen inkompatibel, da sich letztere an Handlungen orientiere. So weist Luhmann darauf hin, dass Kommunikation als basaler Prozess sozialer Systeme nicht weiter in Handlungen 54 55 56 57 58 59

Vanderveken, Meaning, S. 117. Searle, Sprechakte, S. 107. Searle, Sprechakte, S. 107 sowie ders., Intentionalität, S. 25 f. Searle, Ausdruck und Bedeutung, S. 21 und Searle, Sprechakte, S. 96. Luhmann, Soziale Systeme, S. 208. Luhmann, Soziale Systeme, S. 191 ff.

A. Der Sprechakt nach Searle

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zerlegbar ist60. Denn soziale Systeme bestehen nach Luhmanns späterem systemtheoretischen Ansatz weder aus Menschen noch aus Bewusstseinsprozessen, sondern aus Kommunikation; daher kann auch nur Kommunikation kommunizieren, Bewusstseinsprozesse untereinander können dies nicht.61 Allerdings rechnen die Beteiligten die einzelnen Aktionen üblicherweise Handelnden zu.62 In die hier vorgenommene sprechakttheoretische Betrachtung lassen sich Luhmanns Beobachtungen somit integrieren, da er die kleinste Einheit des sozialen Systems, die Kommunikation, eben dennoch in Handlungen darstellt und seine Ausführungen insoweit auch unabhängig von dem zugrunde liegenden systemtheoretischen Ansatz aussagekräftig sind.63 Kommunikation besteht nun nach Luhmann nicht einfach aus der Übermittlung einer Nachricht an den Empfänger. Vielmehr liegt der Kommunikation eine mehrfache Selektion zugrunde. So liegt es zunächst auf Seiten des Sprechers, welche Information er aus seiner Umwelt überhaupt zulässt, die Information wird also zunächst durch einen selektiven Akt der Aufmerksamkeit konstituiert.64 Eine zweite Selektion besteht darin, dass der Sprecher aus den zahlreichen wahrgenommenen Informationen einzelne auswählt und als Mitteilung bestimmt.65 Die Mitteilung, die den Empfänger erreicht, ist also bereits in zweifacher Hinsicht Gegenstand einer Selektion gewesen, es besteht eine Differenz zwischen Information und Mitteilung. Erkennt dies der Empfänger, so kommt nach Luhmann Kommunikation durch dieses Differenz-Verstehen zustande. Verstehen wird insoweit also nicht im herkömmlichen Sinne als Verständigung bzw. Konsens aufgefasst. Kommunikation liegt nicht erst dann vor, wenn der Sinngehalt einer Mitteilung richtig verstanden worden ist.66 Auf der anderen Seite liegt Kommunikation im eigentlichen Sinne67 nicht schon dann vor, wenn aus einem Verhalten kausale Schlüsse gezogen werden (wie etwa aus dem schnellen Gehen einer Person, dass diese in Eile ist68). Kommunikation entsteht vielmehr genau dann, wenn die Differenz zwischen Information und Mitteilung, also die Mitteilung als Selektion erkannt wurde (etwa wenn das rasche Gehen als „Demonstration von Eile, Beschäftigtsein, Unansprechbarkeit usw. aufgefasst“ und vermutlich auch „mit der Absicht, eine solche Auffassung

Luhmann, Soziale Systeme, S. 191 ff. Vgl. oben 1. Kap. A. 62 Luhmann, Soziale Systeme, S. 191 ff., 229, 240 f. 63 Luhmann, Soziale Systeme, S. 191 ff., 229, 240 f. Umgekehrt wird auch bei Searle ein Zusammenhang zu „sozialen Systemen“ deutlich, denn es wird von sozialen Regeln ausgegangen, die Sprechakte konstituieren, vgl. Searle, Sprechakte, S. 54 ff.; vgl. auch den Hinweis bei Luhmann, Soziale Systeme, S. 368 Fn. 35. 64 Vgl. Luhmann, Soziale Systeme, S. 193 ff. 65 Luhmann, Soziale Systeme, S. 195; vgl. zum Ganzen auch schon oben 1. Kap. A. 66 Vgl. zu einem solchen inhaltlichen Verstehen sogleich, B.I. 67 Vgl. zur Kommunikation im eigentlichen Sinne schon oben 1. Kap. C. 68 Dazu Luhmann, Soziale Systeme, S. 208. 60 61

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2. Kap.: Die Sprechakttheorie

auszulösen, [ . . . ] produziert wurde“69). Auch dieses Verstehen ist wiederum eine Selektion, sodass Kommunikation eine äußerst kontingente Angelegenheit ist. Daher ist auch Aufrichtigkeit nicht kommunizierbar: Anders als bei der bloßen Wahrnehmung muss sich der Hörer auf die Differenz von Information und Mitteilung einstellen.70 Stets kann es sein, dass der andere es anders meint, als er es sagt, dass er etwas verschweigt, sich irrt oder dass er will, dass ich die Mitteilung so verstehe wie ich sie verstehe. Kommunikation erzeugt einen „universellen, unbehebbaren Verdacht“71: „Aufrichtigkeit ist inkommunikabel, weil sie durch Kommunikation unaufrichtig wird. Denn Kommunikation setzt die Differenz von Information und Mitteilung und setzt beide als kontingent voraus. Man kann dann sehr wohl auch über sich selbst etwas mitteilen, über eigene Zustände, Stimmungen, Einstellungen, Absichten; dies aber nur so, dass man sich selbst als Kontext von Informationen vorführt, die auch anders ausfallen können. Daher setzt Kommunikation einen alles untergreifenden, universellen, unbehebbaren Verdacht frei, und alles Beteuern und Beschwichtigen regeneriert nur den Verdacht.“72 „Wer seine Aufrichtigkeit kommunizieren will, handelt kontraproduktiv. Er gibt zu erkennen, dass er von Zweifeln an seiner Aufrichtigkeit ausgeht, und dann kann man nur fragen: wieso? Gegenüber einem eigenen oder einem fremden [Un-]Aufrichtigkeitsverdacht lässt sich mit Kommunikation nichts mehr ausrichten.“73

Die Beteuerung, zu meinen, was man sagt, „erweckt Zweifel, wirkt also gegen die Absicht“.74 Die Ausführung eines Sprechakts gilt somit zwar als Ausdruck der Aufrichtigkeitsbedingung. Daran muss der Sprecher sich festhalten lassen, soll sein Kommunikationsversuch überhaupt sinnvoll bleiben. Dies bedeutet allerdings nicht, dass dadurch der durch die Differenz von Information und Mitteilung begründete Verdacht überwunden werden könnte. Kommunikation bleibt auch im Licht der Sprechakttheorie kontingent.75

69 Luhmann, Soziale Systeme, S. 208 f. mit der Einschränkung, dass die Intentionalität nicht Definitionsmerkmal von Kommunikation sein kann und Kommunikation auch ohne Mitteilungsabsicht möglich ist, wenn es dem Empfänger gelingt, eine Differenz von Information und Mitteilung gleichwohl zu beobachten. 70 Luhmann, Soziale Systeme, S. 198, 207; da eine Kommunikation von Bewusstsein zu Bewusststein nicht möglich ist, bleibt – anders als bei der bloßen Wahrnehmung – immer die Differenz von Information und Mitteilung, vgl. Luhmann, Gesellschaft der Gesellschaft, S. 105. 71 Luhmann, Soziale Systeme, S. 207. 72 Luhmann, Soziale Systeme, S. 207. 73 Luhmann / Fuchs, Reden und Schweigen, S. 128. 74 Luhmann, Soziale Systeme, S. 208; vgl. auch a. a. O.: „Außerdem müsste man dabei voraussetzen, dass man auch sagen könnte, dass man nicht meint, was man sagt. Wenn man aber dies sagt, kann der Partner nicht wissen, was man meint, wenn man sagt, dass man nicht meint, was man sagt [ . . . ]“ (dazu schon oben). 75 Vgl. aber zu den Besonderheiten bei deklarativen Sprechakten unten 3. Kap. A.II.

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b) Weitere Ausprägungen der illokutionären Kraft Weiterhin kann die illokutionäre Kraft durch einen speziellen Durchsetzungsmodus geprägt sein, einige illokutionäre Akte erfordern eine bestimmte Art der Durchsetzung des illokutionären Zwecks. Ein Befehl beispielsweise ist dadurch gekennzeichnet, dass der Sprecher Autorität innehat und diese auch einsetzt76, wohingegen eine Bitte dem Adressaten die Abweisung derselben überlässt. Der illokutionäre Zweck wird bei einem Befehl daher mit einem höheren Stärkegrad realisiert als bei einer Bitte.77 Wie bereits erwähnt, ist der propositionale Gehalt unselbstständig. Deswegen gibt es viele illokutionäre Akte, bei denen die illokutionäre Kraft dem propositionalen Gehalt bestimmte Bedingungen auferlegt (Bedingungen des propositionalen Gehalts). Während z. B. eine Frage oder Feststellung im Grunde jede Proposition zulässt, erfordert ein Versprechen zum einen eine Handlung des Sprechers, zum anderen muss diese Handlung in der Zukunft liegen. In den meisten Fällen unterstellt der Sprecher zudem bestimmte Zustände als gegeben, der Sprecher präsupponiert die Erfüllung entsprechender vorbereitender Bedingungen.78 Bei einem Versprechen wird seitens des Sprechers präsupponiert, dass er die entsprechende Handlung auch ausführen kann und dass diese im Interesse des Hörers liegt. Die illokutionäre Kraft eines Sprechakts setzt sich damit aus sechs Komponenten zusammen: dem illokutionären Zweck, der Aufrichtigkeitsbedingung, dem Stärkegrad der Aufrichtigkeitsbedingung, dem Durchsetzungsmodus, der Bedingung des propositionalen Gehalts und der vorbereitenden Bedingung. Illokutionäre Kräfte, die in keiner oder nur wenigen ihrer Dimensionen eine Ausprägung haben, kann man als illokutionäre Stammkräfte bezeichnen.79 Alle anderen illokutionären Kräfte einer Sprechaktgruppe lassen sich dann aus dieser illokutionären Stammkraft ableiten, indem bestimmte Komponenten angereichert oder modifiziert werden bzw. die Aufrichtigkeitsbedingung erhöht oder erniedrigt wird.80 So entstehen Illokutionskräfte, die komplexer sind als die Stammkraft bzw. als die bereits modifizierte illokutionäre Kraft, aus der sie hergeleitet wurden.81 So hat zum Beispiel eine Aufforderung im Vergleich zur direktiven Stammkraft den zusätzlichen speziellen Durchsetzungsmodus, dass die Zurückweisung des Anliegens dem Adressaten nicht offen gehalten wird. Das „Etwas von jemandem verlangen“ hat gegen76 Anders als bei den Deklarativa ist hier eine außersprachliche Institution nicht zwingend erforderlich, so kann auch der bewaffnete Räuber die erforderliche Durchsetzungsmacht hinsichtlich eines Befehls haben, vgl. Searle, Ausdruck und Bedeutung, S. 24 f. 77 Vgl. dazu Searle / Vanderveken, Foundations, S. 41 f. 78 Searle / Vanderveken, Foundations, S. 17. 79 Zur illokutionären Stammkraft Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 35 ff. 80 Vgl. Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 39. 81 Vgl. Vanderveken, Meaning, S. 125.

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2. Kap.: Die Sprechakttheorie

über der Aufforderung eine stärkere Aufrichtigkeitsbedingung, nämlich einen stärkeren Wunsch, dass der Adressat die entsprechende Handlung ausführt. Wird eine Forderung gestellt, so weist dieser Sprechakt gegenüber dem Verlangen wiederum die zusätzliche vorbereitende Bedingung auf, dass es einen objektiven Bedarf bzw. Grund dafür gibt, dass von dem Adressaten die Handlung verlangt wird.82 Auf diese Weise lassen sich Sprechhandlungen präzise beschreiben. Dabei sei noch einmal darauf hingewiesen, dass die einzelnen illokutionären Verben häufig ambig sind, also in verschiedenen Kontexten Unterschiedliches bedeuten bzw. unterschiedliche illokutionäre Kräfte bezeichnen können.83 Illokutionäre Verben dienen im Folgenden daher nur als Ausgangspunkt, wenn es darum geht, die einzelnen Komponenten der illokutionären Kraft eines Sprechakts zu bestimmen.

B. Wann gelingt ein Sprechakt, wann ist er erfüllt, wann erfolgreich? Nun lassen sich auch Bedingungen formulieren, die das Gelingen, die Erfüllung und den Erfolg eines Sprechakts ausmachen.

I. Die Gelingensbedingungen Als Gelingensbedingungen werden die oben genannten, für den jeweiligen Sprechakttyp konstitutiven, das heißt für dessen Vollzug wesentlichen Komponenten bezeichnet.84 Es wurde bereits festgestellt, dass mit dem Gelingen eines Sprechakts dessen illokutionärer Zweck erreicht wird. Eine Entschuldigung kann beispielsweise als gelungen gelten, wenn der Sprecher Kummer, Bedauern oder Reue, also die Aufrichtigkeitsbedingung, ausdrückt. Ein Versprechen kann nur gelingen, wenn der Sprecher auf eine zukünftige Handlung Bezug nimmt (Bedingung des propositionalen Gehalts) und sich auf die Ausführung dieser Handlung festlegt (Durchsetzungsmodus des illokutionären Zwecks). Auf Hörerseite ist dafür lediglich das richtige Verstehen der Äußerung in dem Sinne erforderlich, dass der Sprechakt unter den gegebenen Bedingungen und anhand der sprachlichen Regeln als Versprechen, Entschuldigung usw. aufgefasst wird (dieses auch inhaltliche Verstehen geht über das oben genannte bloße Differenz-Verstehen hinaus85, welches Vgl. zu diesen Sprechakten Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 178. Vgl. oben A.IV. 84 Vgl. Vanderveken, Meaning, S. 129; Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 15. 85 Dies liegt daran, dass Searles Auffassung vom Verstehen die Regeln des Gebrauchs und damit die Bedeutung eines Satzes einbezieht, vgl. dazu Searle, Sprechakte, S. 68 ff. (insbes. S. 76 ff.). 82 83

B. Wann gelingt ein Sprechakt, wann ist er erfu¨llt, wann erfolgreich?

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als Grundvoraussetzung vorhanden sein muss, damit man überhaupt von Kommunikation sprechen kann86). Von der Erreichung des illokutionären Zwecks abzugrenzen sind die bereits erwähnten perlokutionären Effekte. Zwar entziehen sie sich einer regelbasierten Taxonomie87, allerdings besteht regelmäßig ein Zusammenhang zwischen dem Vollzug der verschiedenen Sprechakttypen und bestimmten perlokutionären Effekten. Deutlich wird dies an den so genannten Erfüllungs- und Erfolgsbedingungen.

II. Die Erfüllungsbedingungen Die Erfüllungsbedingungen beziehen sich im Gegensatz zu den Gelingensbedingungen nicht auf das defektfreie Zustandekommen des illokutionären Akts (also die Erreichung des illokutionären Zwecks), sondern auf das Zustandekommen des durch die jeweilige Anpassungsrichtung vorgegebenen Verhältnisses zwischen Wort und Welt.88 Ein illokutionärer Akt kann demnach defektfrei vollzogen werden und dennoch nicht erfüllt sein. Erfüllt ist er nur dann, wenn die (außersprachliche) Wirklichkeit zum vollzogenen Akt (oder genauer: zu dessen propositionalem Gehalt) passt und umgekehrt.89 So ist ein Versprechen (als kommissiver Sprechakt) zwar gelungen, wenn sich der Sprecher auf die zukünftige Handlung festgelegt hat. Erfüllt ist es aber erst, wenn er diese Handlung auch ausgeführt, das Versprechen also eingehalten hat. 86 Vgl. dazu oben 1. Kap. C. und oben A.V.2.a). Zum Unterschied zwischen Differenz-Verstehen und Sinn-Verstehen vgl. Luhmann, Soziale Systeme, S. 203 ff. Die nachfolgende sprechakttheoretische Einteilung in Erfüllungs- und Erfolgsbedingungen weicht von Luhmanns späterem, systemtheoretisch ausgerichtetem Kommunikationsverständnis ab. Da autopoietische, selbstreferentielle soziale Systeme durch Kommunikation operieren und nur solange bestehen, wie Kommunikation stattfindet, kommt es für das soziale System nur darauf an, dass die Kommunikation fortdauert; erfolgreiche Kommunikation ist demnach fortgesetzte Kommunikation, vgl. dazu auch Luhmann, Soziologische Aufklärung, S. 114 f.: „Die Kommunikation hat keinen Zweck, keine immanente Entelechie. Sie geschieht, oder geschieht nicht – das ist alles, was man dazu sagen kann [ . . . ] Selbstverständlich lassen sich innerhalb von Kommunikationssystemen zweckorientierte Episoden bilden, sofern die Autopoiesis funktioniert. So wie ja auch das Bewusstsein sich episodenhaft Zwecke setzen kann, ohne dass dies Zwecksetzen der Zweck des Systems wäre. Jede andere Auffassung müsste begründen, weshalb das System nach dem Erreichen seiner Zwecke fortdauert; oder man müsste [ . . . ] sagen: Der Tod sei der Zweck des Lebens.“ Wenn man aber die Verfolgung und Erreichung solcher zwischenzeitlichen sozialen Zwecke beschreiben möchte, können die mit der Kommunikation vermittelten Sinninhalte und die damit verfolgten perlokutionären Effekte nicht außer Betracht bleiben, vgl. dazu insbesondere unten 3. Kap. B.I.2. Auch Luhmann stellt letztlich auf solche intendierten perlokutionären Effekte ab, wenn er den Prozess der kontrafaktischen Stabilisierung von Verhaltenserwartungen beschreibt, vgl. dazu unten 3. Kap. B.II.1.b), 3. Kap. B.II.1.c) sowie 3. Kap. B.III.1.c). 87 Vgl. dazu oben A.V.1. 88 Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 18. 89 Vanderveken, Meaning, S. 25 ff., 104 ff.; Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 15 f.

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2. Kap.: Die Sprechakttheorie

Nicht nur bei den Kommissiva, auch bei den Direktiva beziehen sich die Erfüllungsbedingungen auf eine Entsprechung zwischen propositionalem Gehalt und einem zukünftigen Weltzustand, nämlich der in Zukunft vom Hörer zu vollziehenden Handlung. Assertiva sind erfüllt, wenn der propositionale Gehalt dem existierenden Weltzustand entspricht. Erfüllungsbedingung ist hier also die Wahrheit des propositionalen Gehalts. Eine Behauptung ist demnach erfüllt, wenn das Behauptete wahr ist. Searle spricht insofern auch von der Wahrheitsbedingung assertiver Sprechakte.90 (In einem weiteren Sinne ließe sich auch die Erfüllungsbedingung der Kommissiva und Direktiva als Wahrheitsbedingung verstehen, wird doch ein Versprechen mit seiner Einhaltung, eine Aufforderung mit ihrer Befolgung „wahr gemacht“.91) Bezüglich der Erfüllungsbedingungen der Deklarativa machen Searle / Vanderveken keine Angaben. Diesbezüglich kommt aber die Geltung des propositionalen Gehalts in Betracht.92 Insoweit ergibt sich aber eine interessante Besonderheit: Wenn der deklarative Sprechakt gelingt, also defektfrei vollzogen wird, dann ist er grundsätzlich auch erfolgreich, d. h. der propositionale Gehalt gilt. Ich werde auf diesen Zusammenhang noch genauer eingehen, wenn es um den deklarativen Charakter strafrechtlicher Kommunikation geht. Expressiva schließlich haben keine Erfüllungsbedingungen. Wie bereits festgestellt, setzen sie die Wahrheit der zum Ausdruck gebrachten Proposition voraus. Bei dem expressiven Sprechakt der Entschuldigung beispielsweise wird die als negativ bewertete Handlung als geschehen unterstellt93, die Verantwortlichkeit spielt nur als vorbereitende Bedingung eine Rolle.94 Im Gegensatz hierzu wird mit dem assertiven Sprechakt des Geständnisses die Verantwortlichkeit unmittelbar durch den propositionalen Akt zum Ausdruck gebracht. Assertive Sprechakte (wie das Geständnis) können wahr oder unwahr, expressive Sprechakte (wie die Entschuldigung) nur angemessen oder unangemessen sein.95 Da der Sprecher mit der Äußerung eines expressiven Sprechakts lediglich innere Zustände ausdrückt und weder versucht, die Welt zu den Worten, noch die Worte zur Welt passen zu lassen, können Expressiva in diesem Sinne also nicht erfüllt werden.

Vgl. Searle, Intentionalität, S. 26 f.; vgl. insgesamt Vanderveken, Meaning, S. 27. Vgl. Vanderveken, Meaning, S. 27. 92 Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 18. 93 Vgl. Searle, Ausdruck und Bedeutung, S. 34 f. mit dem Hinweis, dass sich dies schon an der Syntax (des Englischen) zeige. Die performative Verwendung eines expressiven Verbs erlaubt keine angeschlossenen „that“-Sätze: „So kann man nicht sagen: I apologize that I stepped on your toe [ . . . ] Korrektes Englisch ist vielmehr: I apologize for stepping on your toe.“ Hinweise des Übersetzers zur deutschen Syntax a. a. O. 94 Vgl. Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 226. 95 Searle, Intentionalität, S. 24. 90 91

B. Wann gelingt ein Sprechakt, wann ist er erfu¨llt, wann erfolgreich?

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III. Die Erfolgsbedingungen Von den Gelingensbedingungen, die sich auf das defektfreie Zustandekommen des illokutionären Akts und die Erreichung des illokutionären Zwecks beziehen und den Erfüllungsbedingungen, die das Zustandekommen des jeweiligen Anpassungsverhältnisses zwischen Wort und Welt betreffen, lassen sich schließlich noch die Erfolgsbedingungen abgrenzen.96 Wie bereits erwähnt wird jeder Sprechakt – als Handlung – mit bestimmten Intentionen bzw. Geltungsansprüchen vollzogen, mit Sprechakten werden regelmäßig bestimmte, hörerseitige perlokutionäre Effekte intendiert.97 Beispielsweise möchte der Sprecher bei einem assertiven Sprechakt wie etwa einer Behauptung zumeist eine Information übermitteln98 oder eine bestimmte Sichtweise durchsetzen99. Der Hörer soll etwas Bestimmtes zur Kenntnis nehmen, wissen oder glauben; zumindest aber soll er die Gelegenheit erhalten, den propositionalen Gehalt der Äußerung zum Gegenstand seiner eigenen epistemischen Einstellung zu machen.100 Damit dies der Fall sein kann, muss der Hörer von der Wahrheit bzw. Gültigkeit der Äußerung ausgehen. Mit einem assertiven Sprechakt wird dementsprechend ein Wahrheits- bzw. – im Falle eines Werturteils – ein Geltungsanspruch erhoben.101 Der Sprechakt ist demnach erfolgreich, wenn der Hörer die Behauptung für wahr bzw. gültig hält, sie also akzeptiert und nicht zurückweist. Erfüllungs- und Erfolgsbedingungen sind dabei grundsätzlich unabhängig voneinander: Die Behauptung kann unwahr, also nicht erfüllt, und dennoch erfolgreich sein, d. h. vom Hörer in ihrem Wahrheitsanspruch anerkannt werden. Umgekehrt kann sie wahr – also erfüllt – aber dennoch nicht erfolgreich sein, also nicht anerkannt werden. Bei einem direktiven Sprechakt wie etwa einem Befehl wird regelmäßig intendiert, dass der Hörer das entsprechende Verhalten beabsichtigt. So kann ein Befehl gelingen und erfüllt sein, ohne erfolgreich zu sein: Der Adressat tut von sich aus, was er dem Befehl zufolge tun soll, ohne dass der Befehl dabei handlungsbestimmend wird. Lautet der Befehl beispielsweise, das Zimmer zu verlassen, und verlässt der Adressat das Zimmer mit der Bemerkung, er habe ohnehin gehen wollen, wäre aber niemals aufgrund des Befehls gegangen, so kann man von einer Befolgung des Befehls kaum sprechen. Ziel des Sprechers eines direktiven Sprechakts ist zwar letztlich eine hörerseitige Handlung, allerdings regelmäßig eine durch den 96 Mit diesem Ansatz Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 20 ff., 25 ff.; Vanderveken sieht die Erfolgsbedingungen allerdings als Teil der Erfüllungsbedingungen, vgl. Vanderveken, Meaning, S. 133; vgl. auch Searle, Intentionalität, S. 26, 210 ff. 97 Zum Folgenden Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 20 ff.; vgl. auch Searle, Intentionalität, S. 223 ff. 98 Zur Informationsvermittlung durch assertive Sprechakte vgl. speziell Rolf, Gebrauchstextsorten, S. 72 ff., 172 ff. 99 Dazu Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 20 ff. 100 Rolf, Gebrauchstextsorten, S. 76, 172 f. 101 Dazu Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 20 ff.

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2. Kap.: Die Sprechakttheorie

Sprechakt motivierte Handlung; darauf bezieht sich die Erfolgsbedingung bei den Direktiva.102 Bei den Kommissiva ist es ähnlich: Hier besteht der regelmäßig intendierte perlokutionäre Effekt darin, dass der Hörer ein bestimmtes Sprecherverhalten erwartet. Durch Kommissiva sollen stabile Erwartungen in sozialen Beziehungen erzeugt bzw. ermöglicht werden.103 Erfolgreich ist beispielsweise ein Versprechen nur dann, wenn sich der Adressat an dem Versprechen auch orientiert, also grundsätzlich unabhängig davon, ob es auch erfüllt, also eingehalten wird.104 Der Adressat wird sich an dem Versprechen im Regelfall natürlich nur dann orientieren, wenn er von der Aufrichtigkeit und Verlässlichkeit des Sprechers hinsichtlich der Erfüllung des Versprechens ausgehen kann. Besonders interessant ist weiterhin die Sprechaktgruppe der Deklarativa: Hier wurde davon ausgegangen, die Erfüllungsbedingung sei die Geltung des Gesagten. Die hörerbezogene Erfolgsbedingung bestünde dann in der Unterstellung dieser institutionellen Wirklichkeit durch die Adressaten. Auf den besonderen Zusammenhang, der hier zwischen defektfreiem Vollzug und perlokutionären Effekten besteht, möchte ich wie erwähnt noch zurückkommen. Ebenfalls von besonderem Interesse ist schließlich die Sprechaktgruppe der Expressiva, bei denen die intendierten perlokutionären Effekte häufig in einer emotionalen Einwirkung auf den Adressaten bestehen.105 Dabei lassen sich zwei Ausgangssituationen unterscheiden: Einerseits gibt es Situationen, die schon von sich aus bestimmte Emotionen hervorrufen; dann geht es bei der Äußerung eines expressiven Sprechakts darum, auf eine vermeintlich vorhandene Emotion zu reagieren oder deren Entstehung vorzubeugen. Die Emotion wird als dysfunktional angesehen, ihr soll quasi „,therapeutisch‘ oder emotions-prophylaktisch“ begegnet werden, die Gesamtbefindlichkeit des Adressaten soll in stabilisierender Weise regulativ beeinflusst werden106 (zu denken ist hier beispielsweise an eine EntschulZum Ganzen Searle, Intentionalität, S. 215 und Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 21 f., 30 f. Dazu auch Searle, Intentionalität, S 225. 104 Vgl. Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 22, 31. 105 Rolf sieht im Gegensatz zu Searle / Vanderveken in dem Versuch, auf das emotionale Gleichgewicht des Adressaten stabilisierend bzw. destabilisierend einzuwirken, eine Erweiterung bereits des illokutionären Zweck, vgl. Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 218 f. und Rolf, Gebrauchstextsorten, S. 72 ff. (insbesondere S. 77 f.). Insoweit soll hier Rolfs Ansatz nicht gefolgt werden, denn der illokutionäre Zweck ist dadurch gekennzeichnet, dass er durch Konventionen abgesichert ist (vgl. auch schon oben A.V.1.): Während der Vollzug eines direktiven Sprechakts als Versuch gilt, eine bestimmte Handlung des Adressaten zu veranlassen, gilt die Äußerung eines expressiven Sprechakts gerade nicht als Versuch der emotionalen Einwirkung, sondern zunächst nur als Ausdruck eines inneren Zustands. Die Absicht einer emotionalen Einwirkung muss aus der offenen Kommunikation und Konvention regelmäßig herausgehalten werden, da dieser perlokutionäre Effekt ansonsten gerade vereitelt würde. Rolf kann jedoch insoweit gefolgt werden, als die unmittelbar intendierten perlokutionären Effekte regelmäßig mit bestimmten Sprechakttypen zusammenhängen und sich in den (von Searle / Vanderveken nicht explizit erörterten) Erfolgsbedingungen niederschlagen. 102 103

B. Wann gelingt ein Sprechakt, wann ist er erfu¨llt, wann erfolgreich?

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digung oder eine Beileidsbekundung, wobei mit letzterer insofern prophylaktisch reagiert wird, als eine erwartete aber unterbleibende Beileidsbekundung die dysfunktionale Emotion erst erzeugen würde). Andererseits gibt es Situationen, in denen aus Sicht des Sprechers bestimmte Emotionen zu induzieren sind, hier wird also auf das vermeintliche Fehlen bestimmter Emotionen beim Hörer reagiert. Dabei wird die zu induzierende Emotion als funktional angesehen: Funktional insoweit, als sie – möglicherweise nach Auslösung einer „heilsamen“ Krise – die Grundlage für eine Einstellungs- oder Verhaltensänderung des Hörers schaffen soll. Dem Adressaten soll eine Emotion „quasi eingeimpft“ werden, gleich einem „Gift oder Ferment“107 (Beispiel für einen destabilisierenden expressiven Sprechakt wäre etwa das „Leid-Klagen“; natürlich besteht auch die Gefahr, dass die „eingeimpfte“ Emotion sich keinesfalls funktional auswirkt, sondern eine eventuell erstrebte Einstellungs- oder Verhaltensänderung gerade verhindert: So kann der Ausdruck übermäßiger Wut leicht zu einer Defensivhaltung des Adressaten führen108.). Emotionsbezogene Stabilisierungsversuche zielen demnach auf die (Wieder-)Herstellung eines gefährdet geglaubten inneren Gleichgewichts, während entsprechende Destabilisierungsversuche regelmäßig eine entscheidende Voraussetzung für eine Verhaltensänderung schaffen sollen. Darauf wird insbesondere noch zurückzukommen sein, wenn es um die Funktion expressiver Sprechakte im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs geht.

IV. Eingeschränkte Korrelation von Sprechakttypen und intendierten perlokutionären Effekten Abschließend sei an dieser Stelle aber noch einmal auf Folgendes hingewiesen: Als psychologische Effekte entziehen sich perlokutionäre Effekte einer regelbasierten Taxonomie schon ihrer Natur nach. Daher ist deren Intention auch nicht grundsätzlich auf bestimmte Sprechakttypen beschränkt109. So kann ich nicht nur durch direktive Sprechakte, sondern auch durch den Ausdruck von Gefühlen und die entsprechende emotionale Einwirkung auf den Hörer letztlich ein bestimmtes 106 Mit dieser und der folgenden Differenzierung Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 219 ff. (222) und ders., Gebrauchstextsorten, S. 72 ff., 277 ff. 107 Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 222; dabei dürfte diese alltägliche Vorstellung die tatsächlichen psychologischen Vorgänge verzerrt widerspiegeln: Überwiegend wird heute davon ausgegangen, dass Emotionen mit entsprechenden Kognitionen unmittelbar verbunden sind, vgl. dazu Beck / Rush / Shaw / Emery, Depression, S. 38 ff.; Ellis, Grundlagen, S. 75 ff., 101 ff. Demnach liegen Emotionen zumeist Bewertungen zugrunde, sodass auch ein expressiver Sprechakt nicht nur die emotionale, sondern auch die kognitive Ebene adressiert, vgl. dazu näher unten 3. Kap. B.II.2.c)aa). Expressive Sprechakte sind aber primär und typischerweise auf eine emotionale (De-)Stabilisierung gerichtet, dazu sogleich. 108 Vgl. dazu noch unten 3. Kap. B.II.2.c)aa). 109 Zu dem besonderen Fall deklarativer Sprechakte vgl. aber 3. Kap. A.II., 3. Kap. B.III. 1.c) und 3. Kap. B.IV.

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2. Kap.: Die Sprechakttheorie

Verhalten des Hörers bezwecken wollen. Umgekehrt können auch andere Sprechakttypen letztlich mit der Intention vollzogen werden, emotional stabilisierend oder destabilisierend auf den Adressaten einzuwirken. So kann ich ein Versprechen abgegeben, um den Adressaten zu beruhigen. Auch kann ich im assertiven Sinne eine als schlecht erachtete Handlung von mir gestehen, um den Hörer zu besänftigen und ihn möglicherweise darüber hinaus (als dritten perlokutionären Effekt sozusagen) zu einer milden Verhaltensreaktion zu bewegen. Dieselben perlokutionären Effekte lassen sich also zumeist mit verschiedenen Sprechakten erreichen. Es gibt keinen notwendigen, konventionellen Zusammenhang zwischen Perlokution und Illokution, und daher kann auch nicht sicher vom erstrebten perlokutionären Effekt auf den jeweiligen Sprechakt geschlossen werden. Dennoch sind die oben genannten Erfolgsbedingungen als unmittelbare bzw. primäre perlokutionäre Effekte im Falle des Gelingens der jeweiligen Sprechakte in Rechnung zu stellen und werden häufig auch in Rechnung gestellt. Daher lassen sich zwar keine Regeln, wohl aber gewisse Regelmäßigkeiten erkennen, wenn man diese zu erwartenden und oft auch intendierten unmittelbaren perlokutionären Effekte in den Blick nimmt. So muss bei der Äußerung expressiver Sprechakte regelmäßig damit gerechnet werden, dass sich diese auf das emotionale Gleichgewicht des Hörers auswirken. Dementsprechend wird bei expressiven Sprechakten der unmittelbare perlokutionäre Effekt einer emotionalen Einwirkung häufig auch intendiert. Wird mit dem expressiven Sprechakt beispielsweise letztlich eine Verhaltensänderung erstrebt, so soll diese regelmäßig über die primäre emotionale Einwirkung mittels der Äußerung von inneren Zuständen erreicht werden. Enger ist der Zusammenhang bei den Sprechakttypen mit Wort-Welt- bzw. Welt-Wort-Ausrichtung, denn diese geben dem Hörer gerade wegen ihrer durch Konvention festgelegten Ausrichtung einen Grund zu bestimmten Annahmen. Searle spricht insoweit davon, dass der illokutionäre Zweck konventionalisiert ist, der den jeweiligen (nicht konventionalisierbaren) perlokutionären Zielen entspricht.110 Gelingt etwa der kommissive Sprechakt des Versprechens, so ist in Rechnung zu stellen, dass beim Adressaten eine entsprechende Erwartung des zukünftigen Sprecherhandelns erzeugt wird. Denn der gelungene Vollzug eines kommissiven Sprechakts gilt kraft Konvention als Übernahme der Verpflichtung seitens des Sprechers, die im propositionalen Gehalt spezifizierte Handlung zu vollziehen. Dementsprechend gibt die Benutzung dieses konventionellen Mittels dem Sprecher einen Grund, die Handlung zu vollziehen, und dem Hörer einen Grund, diese Handlung des Sprechers zu erwarten.111 Wird mit dem Versprechen letztlich etwa eine emotionale Beruhigung des Adressaten intendiert, soll diese daher in der Regel dadurch erfolgen, dass der Adressat zunächst glaubt, sich an dem versprochenen Verhalten orientieren zu können. Ähnlich ist es bei den Direktiva: Der Vollzug eines direktiven Sprechakts gilt kraft Konvention als Versuch, den Hörer dazu zu bewegen, die im propositionalen Gehalt 110 111

Searle, Intentionalität, S. 226. Searle, Intentionalität, S. 226.

B. Wann gelingt ein Sprechakt, wann ist er erfu¨llt, wann erfolgreich?

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spezifizierte Handlung zu vollziehen, und gibt dem Hörer damit einen Grund, die Handlung zu vollziehen.112 Im Fall eines assertiven Geständnisses ist in Rechnung zu stellen, dass der Hörer den propositionalen Gehalt als Information annimmt. Denn durch die gelungene Äußerung eines assertiven Sprechakts wie dem des Geständnisses wird der Sprecher kraft Konvention auf die Existenz des im propositionalen Gehalt spezifizierten Sachverhalts festgelegt. Dementsprechend gibt eine solche assertive Äußerung dem Hörer einen Grund, diese Proposition zu glauben.113 Eine mit einem Geständnis häufig wohl ebenfalls intendierte Besänftigung des Adressaten soll daher regelmäßig über eine Information mit entsprechendem Wahrheitsanspruch erfolgen: Bevor der Hörer ein Geständnis honorieren kann, muss er erst einmal von der Wahrheit der Aussage ausgehen. Dabei ist der Wert eines Geständnisses (und damit dessen emotionsstabilisierendes Potential) umso höher, je größer der – zumindest vom Sprecher vermutete – Zweifel oder das Klärungsbedürfnis des Adressaten ist. Nur das zuzugeben, was ohnehin schon offensichtlich ist, ist nicht besonders eindrucksvoll.114 Besteht hinsichtlich des Geschehens und der Verantwortlichkeit hierfür kein Klärungsbedarf, macht ein Geständnis keinen Sinn, auch nicht im Hinblick auf einen emotionsstabilisierenden Effekt. Denn es fehlt dann bereits an einer honorierbaren Informationsmitteilung, die den Hörer besänftigen könnte. Angemessen wäre dann vielmehr eine Entschuldigung, welche unmittelbar auf eine emotionale Stabilisierung des Adressaten durch den Ausdruck innerer Zustände zielt (anders ist es nur dann, wenn der Sprecher noch ein Informationsbedürfnis beim Hörer vorhanden glaubt: dann kann der Versuch der Informationsmitteilung noch entsprechend honoriert werden). Auch hieran zeigt sich, dass der „vorgeschaltete“, typischerweise intendierte perlokutionäre Effekt bei assertiven Sprechakten in der Anerkennung des Wahrheitsanspruchs oder zumindest darin besteht, eine Erweiterung der epistemischen Einstellung des Adressaten zu ermöglichen, auch wenn der assertive Sprechakt letztlich auf einen anderen perlokutionären Effekt (etwa eine Änderung der emotionalen Lage des Hörers) gerichtet sein sollte. Abschließend lässt sich somit feststellen, dass die Intention bestimmter perlokutionäre Effekte nicht notwendig mit bestimmten Sprechakttypen verknüpft ist, dass die unmittelbar intendierten perlokutionären Effekte aber einen gewissen Anhaltspunkt hinsichtlich des illokutionären Zwecks geben können. Searle, Intentionalität, S. 226. Searle, Intentionalität, S. 226. 114 So kann einem Geständnis eine wesentlich strafmildernde Bedeutung fehlen, wenn nur der Beweislage Rechnung getragen und das Geständnis aus rein taktischen Überlegungen abgegeben wird, vgl. BGH NStZ 2007, 702 sowie BGH NStZ-RR 2007, 232, jeweils m. w. N.; vgl. zum Ganzen Bleckmann / Tränkle, ZfRSoz 2004, 79 (97), allerdings unter dem Gesichtspunkt der Freiwilligkeit des Geständnisses. Beide Aspekte spielen eine Rolle: Ein unfreiwilliges Geständnis wird wenig honoriert, auch wenn es wichtige Informationen liefert; ein freiwilliges Geständnis, welches offensichtlich keinen Informationswert mehr hat, wird als solches überhaupt nicht (bzw. allenfalls als Versuch) honoriert; es geht dann eher um die Unrechtseinsicht und den Ausdruck von Reue. Bei erdrückender Beweislast wird der geringe Informationswert mit fehlender Freiwilligkeit des Geständnisses einhergehen. 112 113

Drittes Kapitel

Sprechakte im Strafrecht A. Das Urteil als Sprechakt Nachdem nun die Sprechakttheorie in ihren wesentlichen Zügen dargestellt ist, soll versucht werden, strafrechtliche Kommunikation aus dem Blickwinkel der Sprechakttheorie zu interpretieren. Dabei lässt sich das Strafurteil als solches relativ eindeutig bestimmen: Bei Searle wird es als Beispiel eines deklarativen Sprechakts genannt, wenn auch als atypischer Fall eines solchen (dazu sogleich). Um das Urteil als deklarativen Sprechakt zu beschreiben, ist es zunächst notwendig, noch einmal genauer auf die besondere Sprechaktklasse der Deklarativa einzugehen.

I. Wie institutionelle Tatsachen entstehen Deklarativa zeichnen sich dadurch aus, dass sie mit ihrem Vollzug die Korrespondenz von propositionalem Gehalt und „Welt“ zustande bringen. Dies ist möglich, weil es sich bei dem, was durch einen deklarativen Sprechakt „in die Welt gesetzt“ wird, um eine institutionelle Tatsache handelt. Institutionelle Tatsachen sind gesellschaftliche bzw. soziale Tatsachen in dem Sinne, dass sie auf kollektiver Intentionalität beruhen. Ohne kollektive Intentionalität wäre beispielsweise die Verwendung eines Geldscheins als Zahlungsmittel nicht möglich. Zugleich sind institutionelle Tatsachen aber auch mehr als das und damit ein spezieller Unterfall gesellschaftlicher Tatsachen.1 Wenn etwa zwei Menschen miteinander spazieren gehen, ist dies bereits ein Fall kollektiver Intentionalität und damit eine gesellschaftliche bzw. soziale Tatsache. Eine institutionelle Tatsache ist der gemeinsame Spaziergang aber noch nicht, da – anders als bei der Verwendung eines Geldscheins – das Spazierengehen auch ohne eine zugrunde liegende Regel möglich ist. Die Übergänge sind dabei durchaus fließend, wie das Beispiel eines bewaffneten Konflikts verdeutlichen kann: Krieg ist einerseits immer eine Form kollektiver Intentionalität: es herrscht nur dann Krieg, wenn die Leute von einer bewaffneten Auseinandersetzung ausgehen und entsprechend kooperieren. Regelmäßig sollen mit dem Zustand des Krieges aber auch bestimmte Rechte und Verantwortlichkeiten der Beteiligten einhergehen; dann ist Krieg nicht mehr nur eine gesell1

Searle, Konstruktion, S. 98, 130 ff.

A. Das Urteil als Sprechakt

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schaftliche, sondern bereits eine institutionelle Tatsache.2 Die institutionellen Tatsachen zugrunde liegenden Regeln zeichnen sich mithin dadurch aus, dass sie das, was sie regulieren, überhaupt erst ermöglichen. So sind beispielsweise die wesentlichen Schachregeln (nicht aber bloße Begleitkonventionen wie z. B. die Form der Figuren) konstitutiv für das Schachspiel: Ohne diese wäre das Schachspiel als Verhaltensmöglichkeit gar nicht vorhanden.3 Davon sind nach Searle bloß regulative Regeln abzugrenzen, die lediglich schon bestehende Verhaltensweisen formen: Z. B. besteht die Möglichkeit des Fahrens unabhängig von dem bloß regulativen Verkehrsregelwerk.4 Institutionelle Tatsachen sind nach dem von Searle zugrundegelegten Verständnis5 damit zum einen durch ihren intersubjektivistischen Charakter, zum anderen dadurch gekennzeichnet, dass sie auf konstitutiven Regeln bzw. Systemen von konstitutiven Regeln (welche Searle als Institutionen bezeichnet) beruhen.6 Institutionelle Tatsachen sind an Institutionen gebunden und gründen auf der konstitutiven Regel „X gilt als Y im Kontext K“. Institutionelle Tatsachen setzen voraus, dass einem bestimmten Objekt ein neuer Status – verbunden mit einer entsprechenden Funktion7 – kollektiv zugeschrieben und als solcher kollektiv anerkannt wird.8 Der X-Term steht dabei für die physikalischen Merkmale des Objekts, der Y-Term beinhaltet den neuen Status, der dem Objekt zugeschrieben wird und der mit einer entsprechenden Funktion verknüpft ist. Diese muss über die physischen Funktionen, die dem Objekt schon aufgrund seiner physikalischen Beschaffenheit zukommen, hinausgehen, ansonsten läge ja keine konstitutive Regel vor.9 Beispiels2 Searle weist daher darauf hin, dass es bestimmte Wege gibt, dem Krieg diesen institutionellen Status zuzuweisen, wie etwa durch die Erklärung des Krieges, vgl. dazu Searle, Konstruktion, S. 98 f. 3 Vgl. Searle, Konstruktion, S. 38, 59; ähnlich Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 136 mit Hinweis darauf, dass das Recht nicht nur Verhaltensmöglichkeiten einschränkt, sondern eben auch neue – etwa den Erwerb von Eigentum – schafft. 4 Mit diesem Beispiel Searle, Konstruktion, S. 38. 5 Institutionalität wird in verschiedenen Wissenschaftsgebieten und auch innerhalb der Soziologie unterschiedlich definiert, vgl. dazu Luhmann, Rechtssoziologie, S. 65 Fn. 73. Hier soll von Searles Verständnis ausgegangen werden, wobei – wie zu zeigen sein wird – wichtige Überschneidungen mit Luhmanns Idee der Institutionalisierung (von Verhaltenserwartungen) bestehen. Bei Luhmann beschreibt der Begriff der Institutionalität, inwieweit Erwartungen auf den unterstellten Konsens von Dritten gestützt werden können. Auch Searle sieht in Erwartungen, die gegebenenfalls auch kodifiziert werden könnten, institutionelle Muster, die institutionellen Tatsachen zugrunde liegen, vgl. Searle, Konstruktion, S. 97; vgl. zum Ganzen unten B.II.1.b) und B.III.1.c). 6 Vgl. auch den Ansatz bei Luhmann, Rechtssoziologie, S. 53 ff. (64 ff.), wonach Normen (kontrafaktisch stabilisierte Verhaltenserwartungen) in zeitlicher, sozialer (institutioneller) und sachlicher Hinsicht generalisiert werden, dazu unten B.II.1.a) und B.II.1.b). 7 Es gibt institutionelle Tatsachen, bei denen ein Status ohne weitere Funktion zugewiesen wird, so etwa bei der Verleihung eines Ehrentitels, vgl. Searle, Konstruktion, S. 106. 8 Searle, Konstruktion, S. 51 spricht diesbezüglich von Statusfunktionen. 9 Vgl. Searle, Konstruktion, S. 54

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3. Kap.: Sprechakte im Strafrecht

weise erhält Geld die Funktion als Zahlungsmittel erst dadurch, dass dem jeweiligen Stück Papier ein entsprechender Status zugewiesen wird, während einem Schraubenzieher die Funktion, Schrauben ziehen zu können, schon aufgrund dessen physischer Beschaffenheit zukommt.10 Bei dieser Status- und Funktionszuweisung muss es sich nicht zwangsläufig um einen deklarativen Sprechakt handeln. Zwar schafft der erfolgreiche Vollzug eines deklarativen Sprechakts eine neue institutionelle Wirklichkeit, verändert eine bestehende institutionelle Wirklichkeit oder erhält diese aufrecht.11 Institutionelle Tatsachen können aber auch aufgrund einer längeren Entwicklung entstehen, etwa wenn einer einst rohen, natürlichen Tatsache mit der Zeit eine symbolische Funktion zugemessen wird.12 Zu denken wäre hier beispielsweise an eine Mauer, die zunächst als physische Barriere die Funktion einer Grenze hat, mit der Zeit aber verfällt und dann nur noch kraft intersubjektiver Anerkennung – also symbolisch – die Grenze markiert.13 Durch diese Symbolisierung ist dann aus einer rohen, natürlichen Tatsache, welche auf eine Status- und Funktionszuweisung nicht angewiesen ist, mit der Zeit eine institutionelle Tatsache geworden, welche ihre Funktion nur aufgrund einer kollektiven Statuszuweisung erfüllen kann. Ein weiteres Beispiel ist das des Geldes, das sich allmählich, über die Annahme als Tauschmittel und mit zunehmender kollektiver Akzeptanz entwickelt haben dürfte.14 Das Besondere an deklarativen Sprechakten ist aber, dass sie institutionelle Tatsachen im Moment ihrer Äußerung schaffen, also eine längere, oft zufällige oder zumindest von den Umständen abhängige Zeichenmetamorphose15 ersetzen.16 Zudem ist allgemein Folgendes zu beachten: Wenn zunächst informelle Institutionen zu einer schwerwiegenden rechtlichen oder moralischen Frage werden, dann werden sie in der Regel kodifiziert und es werden entsprechende Entscheidungsverfahren geschaffen, um die institutionelle Tatsache intersubjektiv hinreichend abzusichern.17 Dies alles geht natürlich auf Kosten der Flexibilität und 10 Vgl. zur Hierarchie von rohen zu institutionellen Tatsachen Searle, Konstruktion, S. 130 ff. 11 Rolf, Gebrauchstextsorten, S. 291. 12 Vgl. Searle, Konstruktion, S. 49 f. 13 Vgl. dazu Searle, Konstruktion, S. 49 ff.; in diesem Beispiel spricht viel dafür, die verfallende Mauer zunächst als aufgrund assoziativer Schlüsse interpretiertes Ikon, im Stadium des gänzlichen Verfalls als lediglich aufgrund von Regeln interpretiertes Symbol zu verstehen. 14 Dazu Searle, Konstruktion, S. 135 f. 15 Dazu schon oben 1. Kap. C. 16 Die Statusfunktion, die in der Formel „X gilt als Y“ mit dem Y-Terminus bezeichnet wird, kann also einfach durch eine Erklärung zugewiesen werden, wobei dann der Sprechakt selbst X-Terminus in einer diesem zugrunde liegenden, außersprachlichen konstitutiven Regel ist. Beispielsweise wäre dies bei einer Schiffstaufe (kombiniert mit dem Zerschlagen einer Flasche) durch das Sprechen der Taufformel der Fall. Allerdings können nicht alle institutionellen Tatsachen durch Deklarativa geschaffen werden, vgl. Searle, Konstruktion, S. 64 mit dem Beispiel eines „touchdowns“. 17 Searle, Konstruktion, S. 97, 126; vgl. auch Luhmann, Rechtssoziologie, S. 64 ff.

A. Das Urteil als Sprechakt

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Spontaneität, welche nicht formelle Institutionen ermöglichen.18 Je größer aber die Bedeutung einer institutionellen Tatsache ist, desto eher wird verlangt, dass sie durch explizite, nach strikten Regeln zu vollziehende Sprechakte geschaffen wird.19 Der zugewiesene Status und die damit verbundene neue Funktion sind mentaler Art und bedürfen daher der intersubjektiven Anerkennung; es geht um die Konstruktion einer gemeinsamen sozialen Wirklichkeit. Genau genommen wird dabei nicht die institutionelle Wirklichkeit geschaffen, sondern deren Unterstellung. Institutionelle Wirklichkeiten sind davon abhängig, dass an sie geglaubt wird. Damit etwas als Eheschließung, Geld, Eigentum, Kriegserklärung usw. gilt, muss eine Gruppe von Menschen entsprechende Gedanken haben.20 Da insoweit alles von kollektiver Anerkennung abhängig ist, könnte der Eindruck entstehen, institutionelle Tatsachen müssten äußerst fragile Entitäten sein, die nur durch ein entsprechendes Gewaltpotential des Staates aufrechterhalten werden können. Searle weist zutreffend darauf hin, dass in demokratischen Gesellschaften das Gegenteil der Fall ist: „Die bewaffnete Macht des Staates beruht auf der Anerkennung der Systeme konstitutiver Regeln, viel stärker als umgekehrt [ . . . ]. Die Polizeigewalt der Regierung ist nur gegen sehr kleine Gruppen einsetzbar und selbst dann nur unter der Voraussetzung, dass nahezu jedermann sonst die Systeme der Statusfunktionen akzeptiert. Sobald die Anzahl der Gesetzesbrecher größer als nur winzig ist, zieht sich die Polizei gewöhnlich auf die Wache zurück oder führt ein zeremonielles Theater auf, indem sie so tut, als setze sie das Gesetz durch [ . . . ] oder, noch häufiger, sie verhaftet die gesetzestreuen Bürger.“21

Damit ist nicht gesagt, dass es der Gewalt nicht bedürfe, um ein grundsätzliches Vertrauen in staatliche Institutionen zu gewährleisten. Denn zum einen hat die Gewalt selbst eine symbolische Funktion.22 Zum anderen muss davon ausgegangen Vgl. Searle, Konstruktion, S. 98. Searle, Konstruktion, S. 126. 20 Auf der Mikroebene sieht das Individuum Geld als Medium des Austauschs und Wertspeicher, auf der Makroebene sieht die Zentralbank das Geld als eine Möglichkeit, die Wirtschaft unter Kontrolle zu halten. Entscheidend ist aber, dass die Mikroebene ontologisch primär ist: Wenn die Teilnehmer auf der untersten Ebene die institutionelle Tatsache nicht anerkennen, ist Planung und Organisation auf der Makroebene nicht möglich, vgl. Searle, Konstruktion, S. 108. 21 Searle, Konstruktion, S. 100; umgekehrt ist es sogar möglich, dass institutionelle Tatsachen gegen eine andersgerichtete Realität durchgesetzt werden, vgl. dazu Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 135: „Ob Normen gegen eine massiv andersgerichtete Realität durchgehalten werden können, ist eine Frage, die erst von dieser Theorie [der kontrafaktischen Stabilisierung von (Verhaltens-)Erwartungen] sinnvoll gestellt werden kann. Die Geschichte der Menschenrechte, lanciert in einer Gesellschaft mit Sklaverei, mit massenhaften Enteignungen politischer Gegner, mit drastischen Einschränkungen der Religionsfreiheit, kurz: in der amerikanischen Gesellschaft um 1776, zeigt, dass es möglich ist.“ 22 Vgl. auch Luhmann, Rechtssoziologie, S. 108: „Erst recht beruht der Machtwert physischer Gewalt nicht auf den durch sie bewirkten physischen Wirkungen und deren weiteren Wirkungen, sondern gerade umgekehrt auf ihrer Generalisierung als Symbol, die das Unterlassen ihrer Anwendung ermöglicht. Die demonstrative Darstellung physischer Kraft, die symbolische Exekution, ist eine eigens darauf abgestellte Schau, die als Schau und nicht über 18 19

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3. Kap.: Sprechakte im Strafrecht

werden können, dass bei Abweichung Einzelner die Institution durchgesetzt werden kann.23 Allerdings ist nicht anzunehmen, dass das System der Akzeptanz grundsätzlich durch die physische Wirkung eines Systems der Gewalt unterstützt wird. Denn das Gewaltsystem ist seinerseits auf die Anerkennung institutioneller Tatsachen angewiesen. So sind Polizei und Armee Systeme von Statusfunktionen. Zudem setzt das Gewaltsystem die anderen Systeme von Statusfunktionen voraus: „Wir können nicht annehmen, dass uns der Leviathan in einer echten Krise zu Hilfe kommt; ganz im Gegenteil, wir befinden uns immer in einem Naturzustand, aber der Naturzustand hat die Form, dass die Menschen Systeme konstitutiver Regeln tatsächlich akzeptieren, zumindest fast immer.“24 Intersubjektiv anerkannte – größtenteils vor dem Hintergrund von Institutionen geschaffene – Tatsachen gehören damit zu den Grundbedingungen menschlicher Gesellschaften.25 Der Bestand von Gesellschaften ist also zu einem großen Teil davon abhängig, inwieweit ihre Symbole geglaubt werden. Dies wiederum setzt voraus, dass die Institutionen, also die Systeme konstitutiver Regeln, welche die institutionellen Tatsachen tragen, grundsätzlich anerkannt werden. Um dies zu erreichen, wird häufig ein beinahe ritueller Aufwand getrieben: „Wo die Institution mehr von ihren Teilnehmern verlangt, als sie durch Gewalt erreichen kann, wo Zustimmung wesentlich ist, wird eine Unmenge an Pomp, Zeremonie und Rummel verwendet [ . . . ]. Armeen, Gerichtssäle und in einem geringeren Ausmaß Universitäten verwenden Zeremonien, Insignien, Roben, Ehren, Ränge und sogar Musik, um zu einer fortgesetzten Anerkennung der Struktur zu ermutigen. Gefängnisse finden diese Mittel weniger notwendig, weil sie auf rohe Gewalt zurückgreifen können.“26

Schließlich wird auch deutlich, dass Searles Konzept institutioneller Tatsachen letztlich mit der oben eingeführten semiotischen Betrachtungsweise kompatibel ist: Dort wurde festgestellt, dass Symbole zu ihrer Bedeutung im Verhältnis der die physischen Folgen des physischen Vollzugs zu wirken bestimmt ist.“; einschränkend hinsichtlich der Darstellungsfunktion der Gewalt in modernen Gesellschaften aber Luhmann, Rechtssoziologie, S. 114, wonach die Gewalt ihre Symbolqualität hinsichtlich des Durchhaltens der Erwartung verliert und diese an Entscheidungen abgibt (ihre Symbolqualität wird damit letztlich durch deklarative Sprechakte ersetzt, ihre Funktion liegt dann in der Absicherung der Befolgung deklarativer Sprechakte), näher dazu unten Fn. 315. 23 Vgl. etwa Luhmann, Rechtssoziologie, S. 114, der in Bezug auf rechtlich gesicherte Erwartungen ausführt, dass die Bereithaltung physischer Gewalt unentbehrlich ist zur Herstellung eines Gesamtvertrauens in das Recht: „Selbst lange, komplizierte, von keiner Stelle aus übersehbare Erwartungsketten [ . . . ] werden erwartbar gehalten auf Grund der Prämisse, dass überall bei Enttäuschungen rechtlich gesicherter Erwartungen (was immer ihr Inhalt sei) physische Gewalt auslösbar ist, ohne dass es auf die Kraft des Enttäuschten, seinen Anhang von Freunden und Verwandten, sein Vermögen oder seine politischen Beziehungen [ . . . ] ankäme.“; vgl. dazu auch unten Fn. 315. 24 Vgl. Searle, Konstruktion, S. 101. 25 Schließlich hat auch nur der Mensch eine Entwicklungsstufe erreicht, die den Gebrauch symbolischer Zeichen möglich macht, vgl. Uexküll / Wesiack, in: Uexküll, Psychosomatische Medizin, S. 36; Searle, Konstruktion, S. 50 f. 26 Searle, Konstruktion, S. 128.

A. Das Urteil als Sprechakt

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Arbitrarität stehen: Sie erhalten ihre Bedeutung nicht etwa mittels eines assoziativen Schlusses aufgrund der Ähnlichkeit des Zeichenträgers mit der Bedeutung, sondern aufgrund der Kenntnis der Regel des Gebrauchs. Bei institutionellen Tatsachen handelt es sich um arbiträre Zeichen und damit um Symbole: Der X-Term in Searles Formel lässt sich als Zeichenträger, der Y-Term als Bedeutung auffassen. Dass Zeichenträger und Bedeutung nicht naturgegeben, sondern durch Regeln des Gebrauchs aufeinander bezogen sind, wird bei Searle mit dem Terminus „gilt als . . . im Kontext K“ zum Ausdruck gebracht.27 Die Arbitrarität ist bei Searle damit konstitutives Merkmal institutioneller Tatsachen, die Status- und Funktionszuweisung (also die Schaffung der Bedeutung im Sinne des Y-Terms) geschieht mittels kollektiver Intentionalität und nicht etwa aufgrund physikalischer Eigenschaften. Mit der Sprechakttheorie lässt sich nun der Zuschreibungsakt, der dem Zeichen seine (arbiträre) Bedeutung verleiht, genauer beschreiben: Da er auf die Schaffung einer institutionellen Tatsache gerichtet ist, handelt sich um einen deklarativen Sprechakt.28 Aus dieser Perspektive lässt sich dann durchaus sagen, dass der erfolgreiche29 Vollzug eines deklarativen Sprechakts die Korrespondenz von Wort und Welt herbeiführt, indem er die intersubjektive Anerkennung des propositionalen Gehalts ermöglicht.

II. Die Komponenten deklarativer Sprechakte Es wurde bisher davon ausgegangen, es sei ein originäres Merkmal deklarativer Sprechakte, dass sie institutionelle Tatsachen zustande bringen. Trifft diese Feststellung aber wirklich nur auf die Sprechaktgruppe der Deklarativa zu? Genauer betrachtet stellt doch bereits der Umstand, dass jemand irgendeinen – nicht notwendig deklarativen – Sprechakt vollzogen hat, eine institutionelle Tatsache dar. Denn auch die Sprache ist eine Institution, ein System konstitutiver Regeln also, das ein Zustandekommen von institutionellen Tatsachen ermöglicht.30 So wurde oben angeführt, dass mit dem Vollzug eines Sprechakts stets bestimmte Fakten geschaffen werden, die in dem jeweiligen illokutionären Zweck bezeichnet sind. Demnach ließen sich zumindest sämtliche explizit performativen Sprechakte31 als Deklarativa verstehen. So bewirke ich mit der Aussage „Ich weise dich hiermit darauf hin, dass . . .“, tatsächlich, dass ich einen Hinweis gegeben habe: meine AusVgl. z. B. Searle, Konstruktion, S. 50. Dies klingt in Bezug auf das Strafrecht auch bei Günther, in: FS-Lüderssen, S. 205 (S. 217, 219) an, der von einem „performativen Akt der öffentlichen Deklaration“ spricht, ohne jedoch auf den sprechakttheoretischen Hintergrund zu verweisen. 29 Erfolgreich ist der Vollzug des deklarativen Sprechakts nach dem hier Gesagten, weil die dahinter stehende Institution anerkannt wird. 30 Zur Sprache als regelgeleitetem Verhalten vgl. oben 1. Kap. D. 31 Vgl. zur explizit performativen Verwendung insbesondere Hindelang, Einführung, S. 22 ff.; Searle / Vanderveken, Foundations, S. 2 f. und auch oben 2. Kap. A.II. und 2. Kap. A.IV. 27 28

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3. Kap.: Sprechakte im Strafrecht

sage (X) gilt als Hinweis (Y). Allerdings werden hierdurch nur innersprachliche institutionelle Tatsachen geschaffen. Auch wenn man mit Searle / Vanderveken in explizit performativen Äußerungen zugleich Deklarativa erblickt, können diese immer nur innersprachliche Wirkung entfalten. Diejenigen Sprechakte hingegen, die nach Searle die Sprechaktgruppe der Deklarativa ausmachen, sind auf die Schaffung einer außersprachlichen institutionellen Tatsache gerichtet. Dazu bedürfen sie einer außersprachlichen Institution, hierin unterscheiden sie sich wesentlich von den anderen Sprechakttypen.32 Zu den konstitutiven Regeln der Sprache muss also noch ein weiteres System konstitutiver Regeln hinzukommen. Eine Taufe, Kriegserklärung, Sitzungseröffnung oder Verheiratung kann niemals nur aufgrund der Institution der Sprache allein gelingen. Ansonsten ist bei einem deklarativen illokutionären Akt die Grundform der illokutionären Kraft – die illokutionäre Stammkraft – wie folgt ausgeprägt: Die illokutionäre Stammkraft hat keine besondere Bedingung des propositionalen Gehalts. Was die Aufrichtigkeitsbedingung angeht, hat diese interessanterweise bei deklarativen Sprechakten weit weniger Gewicht als bei anderen Sprechakttypen. So ging Searle ursprünglich davon aus, es gebe sie bei deklarativen Sprechakten überhaupt nicht.33 Searle / Vanderveken sehen die Aufrichtigkeitsbedingung hingegen darin, dass der Sprecher sowohl glaubt als auch will, dass seine Äußerung die institutionelle Tatsache schafft, die im propositionalen Gehalt repräsentiert ist.34 Die Aufrichtigkeitsbedingung bezieht sich also nicht einfach auf den vom propositionalen Gehalt repräsentierten Zustand, sondern auf dessen Zustandekommen. Allerdings hat diese Aufrichtigkeitsbedingung nach Searle / Vanderveken keine Ausprägung im Stärkegrad.35 Zudem ist sie nicht besonders bedeutend. Denn es ist zu beachten, dass die hinter dem deklarativen Sprechakt stehende Institution das Zustandekommen des propositionalen Gehalts gewissermaßen garantiert.36 Die Erfüllung des Sprechakts ist insoweit unabhängig von einem stillschweigenden Vorbehalt des Sprechers. Die Hörer werden auch jeweils davon ausgehen können, dass der Sprecher seine Äußerung aufrichtig äußert. Denn der Sprecher muss ja seinerseits davon ausgehen, dass sein Sprechakt eine entsprechende Wirkung entfaltet: An diese Wirkung nicht zu glauben, wo sie doch offensichtlich mit dem Sprechakt herbeigeführt wird, wäre naiv; sie nicht zu wollen widersprüchlich oder zumindest erklärungsbedürftig. 32 Dazu Searle: „Austin drückt sich manchmal so aus, als setzten alle Performative (bzw. in der allgemeineren Sprechakttheorie: alle illokutionären Akte) eine außersprachliche Einrichtung voraus, aber dies ist platterdings nicht der Fall. Deklarationen sind eine ganz besondere Kategorie von Sprechakten.“, vgl. Searle, Ausdruck und Bedeutung, S. 38. 33 Searle, Ausdruck und Bedeutung, S. 38. 34 Searle / Vanderveken, Foundations, S. 61. 35 Searle / Vanderveken, Foundations, S. 61. 36 Dazu noch ausführlich unten B.IV.

A. Das Urteil als Sprechakt

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Die vorbereitende Bedingung besteht darin, dass dem Sprecher durch die außersprachliche Institution die Autorität verliehen ist, den im propositionalen Gehalt repräsentierten Zustand herbeizuführen. Der Durchsetzungsmodus ist dadurch gekennzeichnet, dass sich der Sprecher auf seine ihm durch die außersprachliche Institution verliehene Autorität beruft. Nach Searle / Vanderveken weist der Durchsetzungsmodus jeglicher Deklarativa (und nicht nur der Durchsetzungsmodus der Stammkraft) keine Ausprägung auf: der illokutionäre Zweck wird entweder erreicht oder nicht erreicht.37 Diese Aussage steht in einem Spannungsverhältnis zu dem Befund, dass nicht die institutionelle Tatsache geschaffen wird, sondern deren Unterstellung. Denn der Durchsetzungsmodus könnte sich nicht auf die binäre Entität der Schaffung / Nichtschaffung einer institutionellen Tatsache, sondern auf die abstufbare Komponente der Implementierung dieser Tatsache im gesellschaftlichen Bewusstsein beziehen. So mögen Urteile in einem krisengeschüttelten Land nicht mehr ausnahmslos befolgt werden und die institutionelle Wirklichkeit nicht mehr in vollem Umfang prägen. Sobald die hinter einem deklarativen Sprechakt stehende Institution in einer Gesellschaft nicht mehr anerkannt wird, hört der Sprechakt jedenfalls auf, ein deklarativer Sprechakt zu sein. Letztlich ist aber ein deklarativer illokutionärer Akt stets darauf gerichtet, volle Geltung zu entfalten. Da er mit diesem Anspruch vollzogen wird, ist er insoweit nicht abstufbar. Lediglich die weitere Wirkung des deklarativen Sprechakts, der perlokutionäre Effekt, ist abstufbar. Dass dieser Umstand aber durchaus beim Vollzug dekalrativer Sprechakte Berücksichtigung findet und sich damit im Durchsetzungsmodus deklarativer Sprechakte niederschlagen kann, wird noch zu zeigen sein.

III. Die deklarative illokutionäre Kraft des Strafurteils Das Strafurteil38 weist nun einige Besonderheiten hinsichtlich der Komponenten der illokutionären Kraft auf. So hat das Verurteilen zusätzliche vorbereitende Bedingungen, wie z. B. dass der zu Verurteilende eines Verbrechens oder Vergehens Searle / Vanderveken, Foundations, S. 42, 57. Es sei darauf hingewiesen, dass auch das schriftliche Urteil letztlich anhand der Kategorien der Sprechakttheorie untersucht werden kann. Zwar sind Texte keine Handlungen, sie sind aber Repräsentationen bzw. Träger derjenigen sprachlichen Handlungen, die mit ihnen realisiert werden. Der Zeichenträger (die Urteilsurkunde) macht nur Sinn, wenn man sie im Kontext einer Sprachhandlung deutet, vgl. dazu Rolf, Gebrauchstextsorten, S. 35 ff.; vgl. auch Searle, Sprechakte, S. 30 f. Luhmann hingegen betont die Besonderheiten der gesprochenen Sprache, vgl. Luhmann, Gesellschaft der Gesellschaft, S. 202 ff.; vgl. auch ders., a. a. O., S. 254: „[ . . . ] das gleichzeitige Involviertsein von Redner und Hörer, die gleichzeitige Inanspruchnahme mehrerer Wahrnehmungsmedien, vor allem Hören und Sehen, und die Benutzung von Veränderungen der Stimmlage, Gestik und Pausen sowie die ständige Möglichkeit einer Intervention der Zuhörer oder eines ,turn-taking‘, lassen sich nicht in die Form eines schriftlichen Textes überführen.“ Auf solche interaktionistischen Aspekte des Einzelfalls kommt es der bedeutungstheoretisch ausgerichteten Sprechakttheorie aber gerade nicht an, vgl. oben 2. Kap. A.IV. 37 38

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3. Kap.: Sprechakte im Strafrecht

angeklagt ist, dass die Beweisaufnahme abgeschlossen ist und der Richter gem. § 261 StPO von der Schuld des Angeklagten überzeugt ist. Letztere Überzeugung wird mit dem Urteil zum Ausdruck gebracht. Es kommt also noch diese weitere Aufrichtigkeitsbedingung hinzu, da der Richter mit dem Schuldspruch zum Ausdruck bringt, dass er glaubt, dass der dem Urteil zugrundegelegte Sachverhalt tatsächlich so geschehen ist. Insoweit ist das Urteil Tatsachenentscheidung. Denn der Richter hat die Befugnis, nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens abschließend darüber zu entscheiden, welchen Lebenssachverhalt er als gegeben ansieht (dem steht auch nicht grundsätzlich entgegen, dass diese Befugnis bedingt sein kann, wenn bspw. eine Berufung, Wiederaufnahme des Verfahrens usw. möglich ist). Das Urteil trägt zum Rechtsfrieden bei, indem es den Streit um die Wahrheit an einem gewissen Punkt beendet. Searle bezeichnet es mithin auch als „assertive Deklaration“ und führt dazu aus: „Im Gegensatz zu den anderen Deklarationen haben sie mit den Assertiven eine Aufrichtigkeitsbedingung gemeinsam. Richter, Geschworene und Schiedsrichter können lügen – nichts daran ist logisch abwegig; wer hingegen Krieg erklärt oder jemanden nominiert, kann dabei nicht lügen.“39

Der Tenor des Urteils enthält den Ausspruch des Gerichts über Schuld oder Unschuld des Angeklagten sowie die Rechtsfolgen. Dass der Sprechakt der Verurteilung auf die Schaffung einer institutionellen Tatsache gerichtet und damit der Sprechaktklasse der Deklarativa zuzuordnen ist, zeigt sich deutlich an der den Tenor umfassenden materiellen Rechtskraft. Dabei schafft das Urteil nach der vorherrschenden prozessrechtlichen Rechtskrafttheorie zwar kein neues materielles Recht, sondern hat lediglich prozessuale Auswirkungen.40 Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die entschiedene „Strafsache“ rechtlich als abgeschlossen betrachtet wird, was sich unter anderem darin manifestiert, dass dem zu Unrecht Verurteilten über gerichtliche und außergerichtliche Rechtsbehelfe hinaus keine Notwehrrechte zugestanden werden. Die mit dem deklarativen Sprechakt des Urteils einhergehende Status und Funktionszuweisung betrifft dabei zunächst den Sachverhalt als solchen: Der für das Strafrecht relevante Ausschnitt aus der Lebenswirklichkeit wird nach dem Code Recht / Unrecht gekennzeichnet.41 Neben dieser sachdimensionierenden enthält das Strafurteil auch eine personendimensionierende Komponente, indem der Täter schuldig gesprochen und ihm das verwirklichte Unrecht zugerechnet wird. Sowohl die sach- als auch die personenbezogene Status- und Funktionszuweisung zielen dabei zunächst nur darauf, das betreffende Geschehen einer institutionsrelevanten Dimensionierung zu unterwerfen und damit dessen Bewältigung innerhalb der strafrechtlichen Anschlusskommunikation zu Searle, Ausdruck und Bedeutung, S. 39. Vgl. Roxin, Strafverfahrensrecht, § 50 Rn. 9. 41 Vgl. dazu Rolf, Gebrauchstextsorten, S. 293 f. u. 298, der das Strafurteil bzw. den Schuldspruch allerdings nur unter die sachdimensionierenden Deklarativa einordnet, die personenbezogene Statuszuschreibung mithin übersieht. 39 40

B. Normbesta¨tigung und sozialethische Missbilligung als Sprechakte

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ermöglichen; eine über diese intrainstitutionelle Bedeutung hinausgehende, gesellschaftliche Bedeutung ist damit noch nicht beschrieben. So ermöglicht das Urteil in sachlicher Hinsicht eine Überführung der Kommunikation in die nächst höhere Instanz und schließlich durch die der letztinstanzlichen bzw. unangefochtenen Entscheidung zukommende materielle Rechtskraft eine abschließende rechtliche Bewertung des Sachverhalts. Eine strafrechtsinterne, personendimensionierende Komponente kommt dem rechtskräftigen Urteil des erkennenden Gerichts beispielsweise insoweit zu, als der Verurteilte nunmehr als vorbestraft gilt oder im Falle der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe dessen Gefangenenstatus begründet wird. In der strafrechtlichen Anschlusskommunikation kann an diese Statuszuweisung insoweit angeknüpft werden, als vorhandene Vorstrafen bei der Strafzumessung eine entscheidende Rolle spielen42 bzw. durch die Begründung des Gefangenenstatus die Grundlage für die Vollstreckung und den Vollzug der Freiheitsstrafe geschaffen wird43. Über die Frage, welche gesellschaftliche Bedeutung der Bewertung des Geschehens als strafrechtliches Unrecht, der Tatsache des Vorbestraftseins bzw. dem Vollzug einer Strafe zukommt, ist damit aber noch nichts gesagt.

B. Normbestätigung und sozialethische Missbilligung als Sprechakte Der Abschluss des Strafverfahrens hat nicht nur die soeben beschriebene strafrechtsinterne Funktion. Das Urteil, aber auch die Strafe an sich haben als soziale Phänomene vielmehr eine darüber hinausgehende, gesellschaftliche Bedeutung. Dabei werden im Wesentlichen zwei kommunikative Merkmale diskutiert, die auch als expressive Funktion der Strafe bezeichnet werden: Vertreter der positiven Generalprävention sehen ein wesentliches Element der Strafe in deren normbestätigender Funktion.44 Zudem wird heute vermehrt davon ausgegangen, dass mit der Verhängung der Strafe zugleich ein „sozialethisches Unwerturteil“, die „sozialethische Missbilligung“ der Tat zum Ausdruck gebracht wird.45 Vgl. dazu etwa Streng, Sanktionen, Rn. 153, 430, 448, 583. Vgl. Calliess / Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, § 2 Rn. 9; Laubenthal, Strafvollzug, Rn. 176 ff.; besonders drastisch kam die eigenständige Relevanz des Urteils als personenbezogene Statuszuschreibung in der früheren Rechtsprechung zum besonderen Gewaltverhältnis zum Ausdruck, die erst durch die Strafgefangenen-Entscheidung des BVerfG vom 14. März 1972 (BVerfGE 33, 1 (4)) aufgegeben wurde. Günther, in: Prittwitz / Manoledakis, Strafrechtsprobleme, S. 27 ff. weist zutreffend darauf hin, dass schon das Statusurteil, mit dem einer Person öffentlich die Schuld an einem Unrecht zugeschrieben wird, als Eingriff grundrechtsrelevant und mithin rechtfertigungsbedürftig ist. 44 Vgl. Jakobs, AT, 1. Abschn. Rn. 4 ff.; vgl. m. w. N. Roxin, AT 1, § 3 Rn. 26 ff. 45 Vgl. etwa Roxin, AT 1, § 3 Rn. 46; Jescheck / Weigend, AT, S. 65; Walther, Realkonflikt, S. 198 ff.; Kühl, FS-Eser, S. 149 (153 ff.) mit zahlreichen Nachweisen aus Literatur und Rechtsprechung; für den angloamerikanischen Rechtskreis grundlegend Feinberg, in: Duff / Garland, Punishment, S. 71 ff.; des Weiteren Androulakis, ZStW 108 (1996), 301 (309 ff.) und mit 42 43

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3. Kap.: Sprechakte im Strafrecht

Um festzustellen, inwieweit womöglich sogar beide dieser Botschaften mit Urteil und Strafe kommuniziert werden, ist es sinnvoll, zunächst einmal die Bedeutung alltäglicher Missbilligung und alltäglicher Normbestätigung zu untersuchen. Um die Bedeutung dieser „Sprechakte“ genauer beschreiben zu können, werde ich die dargestellten sprechakttheoretischen Ansätze zugrunde legen. Vor dem Hintergrund dieser alltäglichen Reaktionsformen auf abweichendes Verhalten lassen sich dann die Besonderheiten strafrechtlicher Kommunikation aufzeigen. Daran kann sich dann die Untersuchung anschließen, inwieweit die strafrechtliche Kommunikation für das aktuelle Opfer einer Straftat wichtig sein kann.

I. Vorüberlegungen Zunächst einmal sind jedoch einige Vorüberlegungen anzustellen. Diese betreffen zum einen die Frage, inwieweit auch nicht ausdrücklich geäußerte Sprechakte mittels der Sprechakttheorie untersucht werden können. Dies ist insbesondere dann relevant, wenn man auch die Strafe als solche, also als Übelszufügung, in die Untersuchung mit einbezieht. Des Weiteren ist darauf einzugehen, worin sich die Frage nach der expressiven Funktion der Strafe, oder genauer: deren Bedeutung, von der herkömmlichen Strafzweckdiskussion unterscheidet. Und schließlich ist noch im Wege eines Exkurses aufzuzeigen, inwieweit sich die expressive Funktion der Strafe aus Sicht der oben dargestellten Theorie autopoietischer Systeme erklären lässt. 1. Zur Anwendbarkeit der Sprechakttheorie auf „konkludente“ Sprechakte und tatsächliche Handlungen Der Ausdruck von Missbilligung und das Festhalten an der Norm werden in der Alltagskommunikation häufig nicht ausdrücklich, sondern konkludent mit anderen Sprechakten oder durch bestimmte Verhaltensweisen kommuniziert. Und auch mit Urteil und Strafe werden die sozialethische Missbilligung und erst recht die Normbestätigung nicht direkt zum Ausdruck gebracht. Dass Sprechakte auch konkludent, gestuft, indirekt, bedingt oder in anderer Weise miteinander kombiniert ausgedrückt werden können, ist in der Sprechakttheorie allgemein anerkannt.46 Wie aber ist es mit rein tatsächlichem Verhalten? weiteren Nachweisen Günther, FS-Lüderssen S. 205 ff.; anknüpfend an Strawson mit einem an „censure“ bzw. „Tadel“ ausgerichteten kommunikativen Verständnis der Tat insbesondere auch von Hirsch, in: Duff / Garland, Reader on Punishment, S. 115 (119) und ders., Censure and Sanctions, S. 9 ff. sowie Hörnle / von Hirsch, in: Schünemann / von Hirsch / Jareborg, Positive Generalprävention, S. 83 (98). 46 Vgl. dazu Searle / Vanderveken, Foundations, S. 3 f., 10 f.; Searle, Ausdruck und Bedeutung, S. 51 ff.; Hindelang, Einführung, S. 92 ff. und Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 67 ff.; vgl. auch oben 2. Kap. Fn. 31.

B. Normbesta¨tigung und sozialethische Missbilligung als Sprechakte

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Diese Frage stellt sich insbesondere hinsichtlich der Strafe als solcher. Sie ist ja zunächst einmal nichts anderes als ein tatsächliches Verhalten in Form einer bloßen Übelszufügung. Zum Zeichen kann die Strafe erst dadurch werden, dass dem Zeichenträger (dem Übel also) eine über dessen unmittelbar wahrnehmbare Existenz hinausgehende Bedeutung zugemessen wird. Dies kann zum einen dadurch geschehen, dass der Zeichenträger wegen seiner Ähnlichkeit mit der Bedeutung einen assoziativen Schluss beim Interpreten ermöglicht (es handelt sich dann um ein Ikon)47. Im Hinblick auf den der Strafe zugeschriebenen expressiven Gehalt lässt sich eine solche Ähnlichkeit jedoch nicht feststellen. Das Übel selbst hat nichts, was den Interpreten in die Lage versetzen würde, assoziativ auf die gesellschaftliche Bedeutung der Strafe in Form der sozialethischen Missbilligung oder der Normbestätigung zu schließen. Dies lässt sich bereits in der alltäglichen Kommunikation nachweisen. So kann ich jemandem ein Übel zufügen um mich zu verteidigen, mir einen Vorteil zu verschaffen; möglicherweise bringe ich ihm das Übel auch nur versehentlich bei. Der Ausdruck von Missbilligung ist damit nicht zwingend verbunden. Eine Bedeutung bekommt die Übelszufügung nicht aufgrund einer Ähnlichkeit mit der zu vermittelnden Botschaft (der Missbilligung), sondern durch eine davon unabhängige Interpretationsleistung des Adressaten zugewiesen. Der Adressat interpretiert die Handlung aufgrund des situativen Kontextes, seines Hintergrundwissens, und nicht zuletzt: aufgrund von Konvention. Und so erhält auch die Strafe ihre Bedeutung erst durch eine konventionsgebundene Interpretationsleistung der Adressaten, in diesem Fall: der Gesellschaft. Gesellschaftliche Konvention / Übereinkunft schafft die Bedeutung der Strafe. Die Strafe wird damit zum arbiträren Zeichen, zum Symbol. Man könnte nun argumentieren, dass die Strafe sprachunabhängig zum Symbol wird, es der Sprache also gar nicht bedarf.48 Dann ginge eine Analyse mittels der Sprechakttheorie womöglich am Thema vorbei und man hätte es bei einer zeichentheoretischen Betrachtung belassen können. Dagegen möchte ich folgendes anführen: Zunächst ist eine sprachunabhängige Symbolisierung nur sehr begrenzt möglich. Da bei einem Symbol physikalische Eigenschaften des Zeichenträgers selbst nichts über die Bedeutung aussagen, bedarf es etwas, was diese Bedeutung qua Übereinkunft repräsentiert. Zwar kann auch ein nicht sprachliches Hilfsmittel diese Funktion erfüllen, denn es kommt ja nur darauf an, dass es in der jeweiligen Kultur eine solche Bedeutung zugeschrieben bekommt. Je komplexer aber die institutionelle Tatsache ist, die durch die Symbolisierung geschaffen wird, desto höher sind auch die Anforderungen an die Komplexität der Repräsentation.49 Und es ist nun einmal die Sprache, die gerade diese Funktion in einer Vgl. oben 1. Kap. C. Searle weist darauf hin, dass es seit den Zeiten vorliterarischer Gesellschaften bis heute eine Menge konventioneller Zeichen gegeben hat / gibt, die keine Wörter sind, so z. B. die im Mittelalter gebräuchliche Kennzeichnung des Verbrechers durch Brandzeichen in der rechten Handfläche, heute in einigen Rechtsordnungen das Heben der rechten Hand beim Eid vor Gericht, vgl. Searle, Konstruktion, S. 84. 47 48

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3. Kap.: Sprechakte im Strafrecht

Gesellschaft erfüllt, die also ein komplexes System der Repräsentation zur Verfügung stellt.50 So erhält auch im Strafrechtssystem die Strafe ihre Bedeutung erst im Kontext des überwiegend sprachlichen Herstellungs- und Darstellungsprozesses, insbesondere durch das abschließende Urteil.51 Des Weiteren müssen die entsprechenden neu geschaffenen institutionellen Tatsachen auch mitteilbar sein, wenn sie ihre gesellschaftliche Funktion erfüllen sollen.52 Selbst in Fällen einfacher institutioneller Tatsachen (so z. B. bei der Ernennung einer Person zum Vorsitzenden) ist dazu ein Mittel öffentlicher Mitteilung, eben die Sprache, notwendig.53 Und schließlich weisen auch nichtsprachliche Symbole im Grunde die meisten Eigenschaften sprachlicher Symbole auf. So hat Posner gezeigt, dass illokutionäre Akte auch durch nichtsprachliche Handlungen vollzogen werden können, die Sprechakttheorie also auch hier Anwendung finden kann (so kann ich beispielsweise eine zuvor unterbrochene Sitzung durch Räuspern wiedereröffnen und damit einen deklarativen illokutionären Akt vollziehen, wenn das Räuspern allgemein als Sitzungseröffnung verstanden wird).54 Nichtsprachliche Kommunikation hat also eine der Sprache vergleichbare Struktur.55 Die Sprechakttheorie kann auch auf nichtsprachliche Kommunikation Anwendung finden, da oft dasselbe Universalmuster zugrunde liegt. 49 Vgl. Searle, Konstruktion, S. 88; vgl. auch andeutungsweise Searle, Sprechakte, S. 61 f.; zur Unschärfe nonverbaler Kommunikation auch Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, S. 205: „Interpretierbares Verhalten ist immer so situationsspezifisch bestimmt, dass kaum Spielraum besteht für die Differenz von Medium und Form; genau das leistet aber die Sprache.“ 50 Vgl. Searle, Konstruktion, S. 83, 87 f.; für Luhmann ist Sprache das „grundlegende Kommunikationsmedium“ und „konstitutiv für Gesellschaft schlechthin“ vgl. Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, S. 205, 219, 225; vgl. auch Luhmann, Soziale Systeme, S. 210. 51 Vgl. auch Luhmann, Rechtssoziologie, S. 115: „Mit alldem verliert die Gewalt ihre Symbolqualität [bezüglich der erfolgreichen Selbstbehauptung des Erwartens der Normbefolgung] und gibt sie an die Entscheidung ab.“ Zwar wird man hinsichtlich des Strafrechts nicht davon ausgehen können, dass die Gewaltanwendung ihre Symbolqualität verliert, dazu unten B.IV. sowie Fn. 315 und 410. Allerdings erhält die Strafe ihre Bedeutung im Kontext der Verurteilung. 52 Zur Funktion der Sprache, die „Reflexivität“ des Kommunikationsprozesses sicherzustellen, vgl. Luhmann, Soziale Systeme, S. 210 f. 53 Vgl. Searle, Konstruktion, S. 87. 54 Vgl. Posner, in: Jorna / van Heusden / Posner, Signs, Search, and Communication, S. 215 (255); vgl. auch schon Austin, Theorie, S. 135 f., 137. 55 Dies zeigt auch Searle, Konstruktion, S. 69 ff., insbes. S. 83 u. 130, indem er darauf verweist, dass sämtliche Symbole etwas jenseits ihrer selbst repräsentieren; das Tragen eines Eherings oder einer Uniform sei selbst eine Art Sprechakt; vgl. auch Luhmann, Einführung in die Systemtheorie, S. 278: „Es ist eine Frage, ob Kommunikation nur über Sprache zustande kommen kann, aber wenn sie einmal entstanden ist, hat man dann auch nichtsprachliche Möglichkeiten des Ausdrucks [ . . . ], dies aber erst, nachdem ein Kommunikationssystem etabliert ist, das ohne Sprache nicht entstanden wäre und das immer ein Rückschalten auf Sprache ermöglicht.“

B. Normbesta¨tigung und sozialethische Missbilligung als Sprechakte

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Sprechakte können demnach auch indirekt oder durch rein tatsächliches Handeln geäußert werden. Dass ein Sprechakt nicht explizit geäußert wird steht der Deutung eines kommunikativen Handelns als Sprechakt mithin nicht grundsätzlich entgegen. Mit Missbilligung und Normbestätigung als expressiver Funktion der Strafe ist der kommunikative, sinnstiftende Zusammenhang zwischen Straftat, Verurteilung und Strafe beschrieben.56 Da die Sprechakttheorie ein Universalmuster aufzeigt, das vielen kommunikativen (auch nichtsprachlichen) Handlungen zugrunde liegt, ist sie auch auf diesen Zusammenhang anwendbar. Problematisch könnte schließlich noch sein, dass die Bedeutung, die der Strafe in dieser Hinsicht zukommt, mit den illokutionären Ausdrücken der sozialethischen Missbilligung bzw. Normbestätigung womöglich nicht hinreichend exakt beschrieben ist. Zudem wurden diese Termini erst durch die Wissenschaft eingeführt, waren zuvor also gar nicht lexikalisiert. Doch auch eine ungenaue oder nicht hinreichende Lexikalisierung ist kein Einwand gegen eine sprechakttheoretische Analyse, will die Sprechakttheorie Bedeutungen doch gerade unabhängig von einzelsprachlichen illokutionären Verben ermitteln.57 Die mit den illokutionären Begriffen „sozialethische Missbilligung“ und „Normbestätigung“ beschriebenen gesellschaftlichen Funktionen der Strafe gab es schließlich auch schon bevor sie jemand so genannt hat – vorausgesetzt natürlich, der zugrunde liegende theoretische Ansatz ist eine zutreffende Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Die Sprechakttheorie ermöglicht dabei eine exaktere Bedeutungsanalyse dieser Funktionen, als dies mittels der bloßen Verwendung ungenauer illokutionärer Ausdrücke möglich wäre. Die Sprechakttheorie ist letztlich eine Theorie der Bedeutung; im Lichte der Sprechakttheorie können die Begriffe der sozialethischen Missbilligung und Normbestätigung dann möglicherweise mehr sein als nebulöse, tote Metaphern58, welche nichts zu einer Klärung der kommunikativen Funktion der Strafe beitragen können.

56 Vgl. dazu schon oben 1. Kap. Fn. 75 zu Jakobs, ARSP-Beih. 74 (2000), 57 (59): „Eine Norm-übertretung interessiert also als schiere Gewalttat so wenig, wie Normgeltung durch schiere Gewalt erzeugt werden kann, und, so sei angeschlossen, auch Strafe darf nicht auf schiere Gewalt reduziert werden; vielmehr muss die Übertretung – und dann auch die Strafe – als kommunikatives Verhalten verstanden werden, wie Normgeltung kommunikativ entsteht und nicht durch schiere Gewalt. Es geht also um folgende Sequenz: (1) Die herrschende Kommunikation behandelt die Norm als richtig. (2) Der Täter weicht durch eine betätigte, also objektivierte Behauptung, eben durch die Tat, von dieser Generallinie ab. (3) Seine Behauptung wird durch eine gleichfalls betätigte, objektivierte Gegenbehauptung marginalisiert.“ 57 Vgl. oben 2. Kap. A.IV. 58 Vgl. Moore, in: Schünemann / Dubber, Stellung des Opfers, S. 85 (100); Reemtsma, in: Hassemer / Reemtsma, Verbrechensopfer, S. 122 ff. (127) hingegen spricht von dem „großen konkreten Gehalt“ des scheinbaren Abstraktums der Normenverdeutlichung (die Begriffe Normverdeutlichung und Normbestätigung werden bei Reemtsma synonym benutzt).

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3. Kap.: Sprechakte im Strafrecht

2. Verhältnis von Bedeutung und Zweck der Strafe Was das Verhältnis der vorliegenden Untersuchung zu den Strafzwecken betrifft, sei darauf hingewiesen, dass ich insoweit neueren Ansätzen folgen möchte, die zwischen dem Zweck der Strafe und deren Bedeutung unterscheiden.59 Es geht zunächst einmal nicht um die Finalität der Strafe, sondern um den sozialen Bedeutungsgehalt eines sozialen Phänomens. Wie bereits angedeutet ist neuerdings von der „kommunikativen“ bzw. „expressiven“ Funktion der Strafe die Rede.60 Grob vereinfacht kann man sagen, es geht um den Unterschied zwischen der Botschaft und ihrer (erhofften) weiteren Wirkung. Warum aber reicht eine am Zweck der Strafe orientierte Untersuchung nicht hin, um den gesellschaftlichen Bezug der Strafe zu beschreiben? Grundlegend wurde dies schon mit der Unterscheidung zwischen einer kausalen und semiotischen Betrachtungsweise verdeutlicht.61 Das soziale Phänomen der Strafe wird sich im Sinne reiner Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge kaum jemals befriedigend erklären lassen. Es reicht daher auch nicht aus, auf einen mit der Bestrafung verfolgten Zweck zu verweisen, ohne zu berücksichtigen, dass es dabei um die kommunikative Verwendung von Zeichen geht. Eine Strafe, der ein kommunikatives Element weitgehend fehlen würde, wäre zwar vielleicht nicht grundsätzlich ungeeignet, einige Strafzwecke zu erfüllen. Dies gilt jedenfalls hinsichtlich der Abschreckung in spezialpräventiver Hinsicht: Durch die Zufügung eines entsprechendes Übels allein mag der gewünschte Lerneffekt beim Täter eintreten. Was dann allerdings vom Instrument der Strafe übrig bleibt, ist nichts anderes als Dressur, 59 Vgl. dazu insbesondere Feinberg, in: Duff / Garland, Reader on Punishment, S. 73 ff.; von Hirsch, in: Duff / Garland, Reader on Punishment, S. 115 ff.; Jakobs, Strafe, S. 29; Puppe, in: FS-Grünwald, S. 469 ff. 60 Wobei mit „Funktion“ gerade nicht das Problem der Zweckgerichtetheit bzw. Rechtfertigung der Strafe gemeint ist, vgl. Androulakis, ZStW 108 (1996), S. 300 (304), der allerdings zwischen dem „Wesen“ der Strafe und deren Zwecken zu unterscheiden versucht, während m. E. zwischen der (pragmatischen) Bedeutung einerseits und den mit der Kommunikation verfolgten weiteren Effekten beim Hörer andererseits zu unterscheiden ist, dazu sogleich. Jakobs weist darauf hin, dass die Strafe unabhängig von individual- und sozialpsychischen Folgen etwas bedeutet (nämlich die Selbstvergewisserung der Gesellschaft), lange ging er sogar davon aus, dass solche Wirkungen für die Wiederherstellung der Norm gar irrelevant seien, vgl. Jakobs, ARSP-Beih. 74 (2000), S. 57 (58) und ZStW 107 (1995) S. 843 (844). Diese eng an Hegel angelehnte, von aller Empirie losgelöste rein semantische Betrachtungsweise hat Jakobs, Strafe, S. 29 nunmehr relativiert: „Der Schmerz dient der kognitiven Sicherung der Normgeltung; das ist der Zweck der Strafe, so wie der Widerspruch gegen die Geltungsverneinung durch den Verbrecher ihre Bedeutung ist“ (Hervorhebungen im Original). Jakobs wendet sich nun ausdrücklich gegen eine Degradierung sozialpsychischer Effekte zu „Sekundäreffekten“, a. a. O., Fn. 147; vgl. auch Jakobs, HRRS 3 / 2004, S. 88 (91) und unten B.III.1.b). Aus der hier vertretenen sprechakttheoretischen Sichtweise wurde die Abhängigkeit institutioneller Tatsachen von intersubjektiver Anerkennung bereits herausgestellt. Dass zwischen Bedeutung und Wirkung ein Zusammenhang besteht ändert aber natürlich nichts daran, dass beide Aspekte eigenständig zu untersuchen sind. 61 Vgl. dazu oben 1. Kap. A.

B. Normbesta¨tigung und sozialethische Missbilligung als Sprechakte

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eine Art operantes Konditionieren: Der Täter würde ja nicht mehr über Kommunikation im eigentlichen Sinne (also die exploitative Nutzung der Interpretationsfähigkeit des Adressaten62) angesprochen, sondern über die Setzung von Reizen. So lässt sich insbesondere eine positive Spezial- und Generalprävention ohne ein kommunikatives Element der Strafe kaum denken: Eine Besserung des Täters oder gar die Einübung von Normtreue bedarf der Kommunikation von entsprechenden Bedeutungen. Was die absoluten Strafzwecktheorien betrifft, sind diese ohne eine missbilligende Bedeutung der Strafe nicht vorstellbar: Die Tat wird vergolten, indem der Täter die verdiente „missbilligende Antwort“ erhält.63 In gewisser Weise fallen bei den absoluten Strafzwecktheorien aber Bedeutung und Strafzweck zusammen: Da es auf weitere Wirkungen nicht ankommt, genügen sie sich in ihrer semantischen Zirkularität64. Gleich welche Strafzwecktheorie jeweils vorherrschen mag, in modernen Gesellschaften ist die Kommunikation von Bedeutung der Strafe immanent und kann bei der Diskussion der Strafzwecke nicht außer Acht gelassen werden. Umgekehrt aber dürfen bei der Ermittlung dieser Bedeutung die mit der Strafe verfolgten Zwecke nicht ignoriert werden. Zwar wird teilweise der Versuch gemacht, das „Wesen“ der Strafe als sozialer Praxis völlig unabhängig von den Strafzwecken zu bestimmen.65 Damit würde man allerdings eine rein semantische Betrachtungsweise zu Grunde legen, ohne den Handlungscharakter und damit die Intentionalität der Strafe in Betracht zu ziehen. Dass eine Semantik ohne Pragmatik nicht möglich ist, wurde bereits dargelegt.66 So verändert der Zweck, der mit der Strafe verfolgt wird, unter Umständen auch das Mittel: Wer abschrecken will, kommt um die Zufügung oder zumindest Androhung eines entsprechenden Übels nicht umhin.67 Auch können die Strafzwecke ja darauf gerichtet sein, eine bestimmte kommunikative Funktion der Strafe besonders zu fördern und auf diese Weise das Wesen der Strafe prägen: Wer im Sinne der Integrationsprävention die Erhaltung der Rechtstreue der Bevölkerung als Strafziel ausgibt, wird die normbestätigende Bedeutung der Strafe besonders betonen. Nach Hassemers Verständnis der positiven Generalprävention sollen Strafrecht und Strafe gar das Vorbild eines „humanen Umgangs mit Abweichung“ vermitteln.68 Aus kriminalpolitischer Vgl. oben 1. Kap. C. Kühl, FS-Eser, S. 149 (158). 64 Anders ist dies bei einem zukunftsgerichteten Verständnis der Wiederherstellungsidee, also bei einer Wiederherstellung einer Güterordnung oder eines Stimmungsbildes, nicht aber des Rechts als solchem, vgl. dazu Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 62. 65 In diese Richtung beispielsweise Androulakis, ZStW 1996, 300 (303 ff.): „Strafe ist kein dubioses Instrument mit umstrittener Zweckdienlichkeit. Strafe ist eine unumstrittene Realität; sie ist da, unabhängig von jeder Zwecksetzung [ . . . ]“ (Hervorhebung im Original). Androulakis sieht das Problem gleichwohl, vgl. a. a. O., S. 304. 66 Vgl. oben 2. Kap. A.III. 67 Vgl. auch Roxin, AT 1, § 3 Rn. 45. 68 Hassemer, Einführung, S. 326 f. 62 63

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Sicht kann es sinnvoll sein, die Botschaft zu ändern, wenn man deren Wirkung ändern möchte. Daran zeigt sich, dass kommunikative Funktion der Strafe und Strafzweck durchaus aufeinander bezogen sind. Hier geht es daher nicht um die Bestimmung eines Wesens der Strafe unabhängig von jeder Zwecksetzung. Es ist jedoch sinnvoll, zwischen der kommunikativen Funktion von Urteil und Strafe und der Verfolgung (präventiver) Strafzwecke zu unterscheiden, da damit unterschiedliche Aspekte angesprochen werden: Einerseits geht es um die Bedeutung (und dies durchaus bzw. gerade auch in einem pragmatischen Sinne69), andererseits geht es um die (erhofften) Wirkungen einer sozialen Praxis. Mit der Sprechakttheorie könnte man sagen, es geht um den Unterschied zwischen Illokution und Perlokution: Die Frage nach der kommunikativen Funktion der Strafe bezieht sich letztlich auf den illokutionären Zweck und die illokutionäre Kraft, während die (relativen) Strafzwecke die (erhofften) perlokutionären Effekte der Kommunikation betreffen. Dies sei kurz am Beispiel präventiver Strafzwecktheorien verdeutlicht: Ob sich die Verhängung der Strafe als Warnung, Missbilligung oder Normbestätigung verstehen lässt, ist eine Frage des illokutionären Zwecks und der illokutionären Kraft. Ob die Strafe abschreckend oder bessernd wirkt bzw. das Normvertrauen oder das Rechtsempfinden der Bevölkerung beeinflusst, betrifft die intendierten perlokutionären Effekte, also die weiteren psychologischen Wirkungen beim Hörer (dem Täter, der Allgemeinheit oder eben dem Opfer). Als psychologische Wirkungen sind perlokutionäre Effekte nicht aufgrund von Konventionen mit bestimmten Sprechakttypen verbunden.70 Dies bedeutet aber nicht, dass sie damit lediglich erhoffter Nebeneffekt, nicht aber der eigentliche Zweck der Strafe sein könnten.71 Denn Sprechakte sind ja gerade dadurch motiviert, solche über den illokutionären Zweck bzw. das Verstehen hinausgehende perlokutionäre Effekte hervorzurufen.72 Dabei können die unmittelbar intendierten perlokutionären Effekte einen Hinweis darauf geben, welcher illokutionäre Zweck vorliegt. Wird beispielsweise eine Verhaltensänderung des Adressaten intendiert, spricht dies häufig für einen direktiven Sprechakt. Geht es um die Anerkennung eines Wahrheits- bzw. Geltungsanspruchs, kommt ein assertiver Sprechakt in Be69 Vgl. oben 2. Kap. A.III. Wenn lediglich zwischen dem Begriff und dem Zweck der Strafe unterschieden wird, so greift dies zu kurz: es geht schon bei der Bedeutung der Strafe nicht um bloße Semantik, sondern um die Bedeutung einer Handlung. 70 Vgl. oben 2. Kap. B.IV. Diesbezüglich stellen Deklarativa eine wichtige Ausnahme dar; ich werde auf den dort bestehenden unmittelbaren Zusammenhang von Illokution und Perlokution noch näher eingehen. 71 So aber teilweise Jakobs mit dem Argument, solche psychologischen Effekte seien viel zu kontingent, um darauf Strafzwecke zu gründen, vgl. Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 106 f. und ARSP-Beih. 74 (2000), 57 ff. sowie ZStW 107 (1995), 843 (844); zur (Wieder-) Öffnung seiner Theorie gegenüber sozialpsychischen Wirkungen der Strafe oben Fn. 60 und unten B.III.1.b); kritisch hinsichtlich psychischer Motivationsstrukturen auch Luhmann, Rechtssoziologie, S. 265 f. 72 Vgl. dazu insbesondere Rolf, Gebrauchstextsorten, S. 78 f.; vgl. zu den Erfüllungs- und Erfolgsbedingungen oben 2. Kap. B.

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tracht.73 Aufgrund dieses Zusammenhangs zwischen Illokution und Perlokution werde ich bei der Diskussion der Bedeutung der Strafe noch einmal genauer auf die Strafzwecke eingehen. Die Unterscheidung zwischen illokutionären Zwecken und perlokutionären Effekten, zwischen Bedeutung und Zweck der Strafe bleibt jedoch stets Grundlage der weiteren Untersuchung.

3. Exkurs: Die gesellschaftliche Bedeutung von Urteil und Strafe und die neuere Systemtheorie Luhmanns And dieser Stelle sei schließlich noch darauf hingewiesen, dass die hier zu untersuchende expressive Funktion des Strafrechts mit Luhmanns neuerer Theorie selbstreferentieller, autopoietischer Systeme nur unzureichend dargestellt werden kann.74 Der Grund dafür liegt darin, dass Luhmann die Bedeutungen und Wirkungen, die ein System in einem anderen (das für dieses System ja grundsätzlich Umwelt ist) auszulösen versucht, nur mittels des vagen Begriffs der strukturellen Kopplungen beschreiben kann.75 Operationen können nicht exportiert werden, kein System kann in ein anderes „hinüberoperieren“. 76 Andererseits ist das (Straf-) Rechtssystem Subsystem der Gesellschaft. So muss Luhmann konstatieren, dass es „durchaus Kommunikationen [gibt], die systeminterne Systemgrenzen überschreiten“77 und die Gesellschaft insofern mehr ist als nur die Umwelt des Rechtssystems, als sie die „Operationen des Rechtssystems selbst einschließt“78 bzw. „alle Operationen des Rechtssystems immer auch Operationen in der Gesellschaft, also Operationen der Gesellschaft“ sind.79 Aus dieser Perspektive betrachtet ist der oben dargestellte Sprechakt des Urteils als solcher zunächst einmal autopoietische Operation des Strafrechtssystems und beeinflusst die strafrechtliche Anschlusskommunikation insbesondere durch seine prozessuale Rechtskraftwirkung.80 DaVgl. oben 2. Kap. B. Auch Jakobs hat die Grundzüge seiner Theorie noch aus den Ansätzen des „älteren“ Luhmann vor der „autopoietischen Wende“ entwickelt. 75 Eine strukturelle Kopplung ist dadurch gekennzeichnet, dass ein System bestimmte Eigenarten seiner Umwelt dauerhaft voraussetzt und sich strukturell darauf verlässt, vgl. Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 441 sowie schon oben 1. Kap. A. 76 Vgl. dazu etwa Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 442. 77 Luhmann, Gesellschaft der Gesellschaft, S. 607. 78 Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 55. 79 Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 34. 80 Die durch den Sprechakt des Urteils geschaffene institutionelle Tatsache dient innerhalb des Strafrechtssystems als Fixpunkt, an dem sich die Anschlusskommunikation ausrichtet: Zunächst mag das Urteil noch mit Rechtsmitteln angefochten werden. Irgendwann aber ergeht eine abschließende Entscheidung, der Tenor erwächst in Rechtskraft und das Urteil kann vollstreckt werden. Die herrschende prozessrechtliche Rechtskrafttheorie geht dabei von einer rein prozessrechtlichen Verbindlichkeit des Urteils aus; vgl. zum Ganzen schon oben A.III.; vgl. zur Reflexivität des Rechts auch Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 144 ff. 73 74

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3. Kap.: Sprechakte im Strafrecht

rüber hinaus müsste dieser aber als Normbestätigung und Ausdruck der sozialethischen Missbilligung zugleich Operation des Gesellschaftssystems sein und so auf die gesellschaftliche Anschlusskommunikation wirken (bei Jakobs81 als Bestätigung der normativen Identität der Gesellschaft). Ein autonomes Nebeneinander der verschiedenen Systeme, die alle „operativ geschlossen agieren und sich gegenseitig nur ,irritieren‘, ,perturbieren‘ bzw. auf den von den anderen verursachten ,Lärm‘ reagieren können“82, lässt sich somit kaum durchhalten. Die gegenseitigen Abhängigkeiten und Bindungen, insbesondere aber „die Fähigkeit eines Systems, Operationen anderer Systeme als systemeigene Operationen zu benutzen“ lassen sich mit der kognitiven Offenheit der Systeme und der Möglichkeit struktureller Kopplungen nicht hinreichend erklären.83 Zumindest aber dürfte die entscheidende Verbindung zwischen verschiedenen Systemen und Systemebenen in der Zuweisung von Bedeutungen liegen, sodass es entscheidend auf deren inhaltliche Analyse ankommt. Es sei daher noch einmal darauf hingewiesen, dass die folgende semiotische und sprachtheoretische Untersuchung ohne Rückgriff auf die neuere Systemtheorie Luhmanns auskommt.84

II. Normbestätigung und Missbilligung in der alltäglichen Kommunikation Nachdem nun der Rahmen für eine sprechakttheoretische Analyse festgelegt ist, soll die Normbestätigung und Missbilligung im Folgenden näher untersucht werden. 1. Die Normbestätigung im Sinne der Alltagskommunikation Bei der dem Strafrecht zugeschriebenen normbestätigenden Funktion handelt es sich nicht etwa um eine spezifisch rechtliche und schon gar nicht um eine spezifisch strafrechtliche Funktion. Vielmehr hat sie ihre Wurzeln in der alltäglichen, zwischenmenschlichen Kommunikation. Dieser Zusammenhang lässt sich am deutlichsten mittels des erwartungsbezogenen Normbegriffs Luhmanns aufzeigen. Luhmann hat seine Normkonzeption bereits vor der autopoietischen Wende entwickelt und insoweit das Individuum noch entsprechend berücksichtigt. Da in die vorliegende Betrachtung das Individuum mit einbezogen wird, soll von diesem ursprünglichen Ansatz ausgegangen werden. (Luhmann selbst hat seinen NormVgl. unten 3. Kap. B.III.1.b). Raiser, Rechtssoziologie, S. 145. 83 So Raiser, Rechtssoziologie, S. 145 f. mit Hinweis auf die tatsächlich merkwürdige Metapher des „wechselseitig-parasitären“ Verhältnisses (Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 426). 84 Vgl. dazu schon oben 1. Kap. A. 81 82

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begriff auch nach der autopoietischen Wende nicht wesentlich modifiziert und kommt nicht gänzlich ohne einen Individualbezug aus.85) a) Der Normbegriff bei Luhmann Ausgangspunkt der Überlegungen Luhmanns zur Funktion von Erwartungen ist die Annahme einer grundsätzlichen Überforderung des Menschen: Dieser lebt demnach in einer „sinnhaft konstituierten Welt“, die sich ihm durch eine „Fülle von Möglichkeiten des Erlebens und Handelns“ zeigt.86 Dem steht jedoch nur ein sehr begrenztes Potential des Menschen für „aktuell-bewusste Wahrnehmung, Informationsverarbeitung und Handlung“ gegenüber.87 Die Welt zeichnet sich für den Menschen daher durch Komplexität und Kontingenz aus: Zum einen gibt es stets mehr Möglichkeiten, als aktualisiert werden können, zum anderen kann alles auch anders kommen, als es die angezeigten Möglichkeiten erwarten lassen. Aus der Komplexität folgt damit Selektionszwang; Kontingenz bedeutet Enttäuschungsgefahr und Notwendigkeit des Sicheinlassens auf Risiken.88 Die Komplexität und Kontingenz wird dadurch erheblich gesteigert, dass das selektive Verhalten anderer Menschen in Betracht gezogen werden muss. Diese können als „ichgleiche Quelle originären Erlebens und Handelns, als ,alter ego‘“ ebenfalls eine Vielzahl von Möglichkeiten aktualisieren.89 In sozialen aber auch in psychischen Systemen bilden sich nach Luhmann daher Strukturen heraus, die eine Reduktion und Kontrolle der Komplexität und Kontingenz ermöglichen. Diese Strukturen bestehen aus Erwartungen: „Strukturen festigen einen engeren Ausschnitt des Möglichen als erwartbar. Sie täuschen damit über die wahre Komplexität der Welt und bleiben so Enttäuschungen ausgesetzt. Sie transformieren auf diese Weise die permanente Überforderung durch Komplexität in das Problem gelegentlichen Enttäuschungserlebens, gegen das dann konkret etwas unternommen werden kann. Vom psychischen System her gesehen, kann man daher auch sagen: Sie regulieren Angst.“90

Im Hinblick auf das selektive Verhalten anderer Menschen kommt es dabei zum Erwarten von Erwartungen: Vgl. dazu ausführlich unter B.III.1.a). Luhmann, Rechtssoziologie, S. 31. 87 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 31. 88 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 31. 89 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 32. 90 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 41. Dass der sozialen Stabilisierung von Normen und damit dem Recht die Funktion der Angstbewältigung zukommen kann, wird bei Luhmann angedeutet. Inwieweit das Recht von dieser Funktion getrennt werden kann, bleibt offen, vgl. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 37 f. Jedenfalls für den Bereich des Kernstrafrechts dürfte ein enger Zusammenhang anzunehmen sein, denn es werden ja solche Erwartungen kontrafaktisch stabilisiert und institutionalisiert, welche sich auf die Achtung von Freiheit und Integrität beziehen, vgl. dazu auch unten B.III.2.a). 85 86

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3. Kap.: Sprechakte im Strafrecht „Das Verhalten des anderen kann nicht als determiniertes Faktum, es muss in seiner Selektivität, als Auswahl aus anderen Möglichkeiten des anderen, erwartbar sein. Diese Selektivität aber wird durch die Erwartungsstrukturen des anderen gesteuert. Man muss deshalb nicht nur das Verhalten, sondern auch die Erwartungen des anderen erwarten können, um gut integrierbare, bewährbare Problemlösungen zu finden. Zur Steuerung eines Zusammenhangs sozialer Interaktion ist nicht nur erforderlich, dass jeder erfährt, sondern auch, dass jeder erwarten kann, was der andere von ihm erwartet.“91

Sicherheit im Erwarten von Erwartungen ist nach Luhmann unentbehrliche Grundlage aller Interaktion und bedeutsamer als die Sicherheit der Erfüllung von Erwartungen.92 Wird nun eine Erwartung enttäuscht, gibt es nach Luhmann zwei Möglichkeiten, darauf zu reagieren: Entweder werden die Erwartungen im Enttäuschungsfall aufgegeben bzw. an die veränderte Wirklichkeit angepasst; Luhmann spricht insoweit von kognitiven Erwartungen. Oder aber man weigert sich, aus der Enttäuschung zu lernen und hält weiterhin an der Erwartung fest. In diesem Fall handelt es sich um normative Erwartungen, die im Enttäuschungsfalle „kontrafaktisch stabilisiert“ werden, indem sie durch einen Prozess der symbolischen Neutralisierung sozusagen über die Zeit gerettet werden. Normen sind demnach „kontrafaktisch stabilisierte Verhaltenserwartungen“.93 Es ist damit diese „zeitliche Generalisierung“, die die Erwartung zur Norm werden lässt. Luhmann nennt diesen Prozess dementsprechend auch „Normierung“.94 Das Festhalten an der Norm trotz des Normbruchs kann in der alltäglichen Kommunikation in vielfacher Weise symbolisiert werden. Denkbar ist es beispielsweise, die symbolische Implikation des Normbruchs dadurch zu entkräften, dass man ihn einfach übergeht – dies natürlich, ohne dabei die Erwartung aufzugeben.95 Tritt die Abweichung allerdings so ins Offene, dass sie nicht mehr ignoriert werden kann, bedarf es anderer Mechanismen der Normstabilisierung. Einerseits muss der nun als Faktum unbestreitbare Vorfall erklärbar und in die soziale Welt integrierbar gemacht werden. Schon die Erklärung des enttäuschenden Verhaltens als Abweichung, etwa durch eine Rückführung des Vorfalls auf übernatürliche Kräfte wie Hexerei oder eine Zurechnung der Diskrepanz mittels der Kategorie der Schuld bestätigt die Norm.96 Andererseits muss es aber auch Möglichkeiten geben, das Festhalten an der Norm nach außen darzustellen, da die Norm ansonsten nicht Luhmann, Rechtssoziologie, S. 33 (Hervorhebungen im Original). Luhmann, Rechtssoziologie, S. 39. 93 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 43. 94 Vgl. etwa Luhmann, Rechtssoziologie, S. 96. 95 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 55; Raiser, Rechtssoziologie, S. 124 f. Dies wird allerdings nur funktionieren, solange die Abweichung nicht derart ins Offene tritt, dass sie nicht mehr ignoriert werden kann, oder die Interessenlage eine „Kollusion im Verschweigen“ verbietet, vgl. Luhmann, a. a. O. 96 Zu den Enttäuschungserklärungen vgl. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 55 ff. 91 92

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mehr geglaubt wird und letztlich verblasst.97 In der Alltagskommunikation besteht dabei ein vielseitiges Repertoire an Möglichkeiten. Es gibt „Techniken der Bekanntmachung und Verbreitung des Enttäuschungsfalles, der Ausweitung zum Skandal und des Auskostens seiner Rückschläge, [ . . . ]Techniken der Selbstverstümmelung und des beharrlichen Leidens oder Techniken der unschuldigen Schadensvergrößerung und der gerechten Schadenfreude“.98 Auch ist es möglich, sich mit dem Normbrecher über den Normbruch zu verständigen, von ihm also eine Normanerkennung einzufordern.99 Es werden Erläuterungen, Rechtfertigungen, Entschuldigungen und Ausreden verlangt, gegeben und abgenommen.100 Es gibt damit neben der Sanktion101 – die das Festhalten an der Erwartung allerdings am deutlichsten zum Ausdruck bringt und daher als wichtigste Form alltäglicher Normbestätigung angesehen werden kann102 – andere, funktional äquivalente Strategien kontrafaktischer Stabilisierung.103 Entscheidend ist, dass die Norm „durch symbolische Prozesse der Darstellung des Erwartens und der Behandlung des enttäuschenden Ereignisses wiederhergestellt“ wird.104 Dies alles betrifft die zeitliche Generalisierung von Erwartungen, also die Normierung. Darüber hinaus werden Erwartungen in komplexen Gesellschaften aber auch sachlich und sozial generalisiert. In der Sachdimension werden Erwartungen durch identischen Sinn äußerlich fixiert, d. h. es werden allgemein verstehbare Sinnzusammenhänge geschaffen, die dann durch Symbole zum Ausdruck gebracht werden können, nämlich durch Personen, Rollen, Werte und Programme.105 Beziehen sich Verhaltenserwartungen dabei auf eine konkrete Person, können sie nicht über das hinausgehen, was von einem individuellen Menschen erwartet werden kann. So orientieren sich die Erwartungen an einen Freund an dessen Fähigkeiten und Charakter. Schon bei der Identifikation eines Erwartungszusammenhangs durch Rollen jedoch können individuell-persönliche Merkmale außer Betracht bleiben: Von einem Bergführer erwartet man Hilfe in Bergnot kraft seiner Rolle, und nicht aufgrund Kenntnis der Person.106 Eine weitere Abstraktionsstufe wird erreicht, wenn sich Erwartungszusammenhänge nicht mehr auf die Einheit des Vgl. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 58 f. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 62. 99 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 60; Raiser, Rechtssoziologie, S. 125. 100 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 59 f. 101 Unter Sanktion ist hier natürlich nicht nur die (straf)rechtliche Sanktion zu verstehen, sondern auch die („strafende“) Reaktion des Betroffenen. Es geht Luhmann ja zunächst generell um Normierung von Verhaltenserwartungen, nicht speziell um (straf)rechtlich sanktioniertes Verhalten vor dem Hintergrund von Institutionen. 102 Vgl. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 60. 103 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 60 f. 104 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 53. 105 Vgl. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 80 ff., zusammenfassend S. 94; vgl. auch Raiser, Rechtssoziologie, S. 125. 106 Mit diesem Beispiel Luhmann, Rechtssoziologie, S. 87. 97 98

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3. Kap.: Sprechakte im Strafrecht

Rollenträgers, sondern auf allgemein formulierte Regeln und Programme stützen. Zu diesen Programmen gehören insbesondere die Gesetze. Die abstrakteste Stufe der sachlichen Generalisierung stellt schließlich der Bezug auf Werte dar, welche Luhmann als „Gesichtspunkte der Vorzugswürdigkeit von Handlungen“ beschreibt. Solche Werte, wie etwa die Menschenwürde oder die Kultur, geben jedoch keine Anhaltspunkte dafür, welche konkreten Handlungen im Einzelfall vorzugswürdig sind und ob dem jeweiligen Wert gegenüber anderen Werten der Vorrang gebührt, weshalb der Rückgriff auf die konkreter strukturierten Programme notwendig ist.107 In der Sozialdimension geht es darum, dass Erwartungen in Sozialzusammenhängen auf den vorausgesetzten Konsens anonymer Dritter108, also auf eine allgemeine, sozial abgesicherte Geltung angewiesen sind. Luhmann geht davon aus, dass es faktischen Konsens im Sinne gleichzeitigen und gleichsinnigen Erlebens allenfalls sehr selten geben könne und an dessen Stelle der Prozess der Institutionalisierung trete. Grund für die beschränkte Wirkung faktischen Konsenses ist einerseits die Komplexität und Vielfalt der Themen, die ein gleichsinniges Erleben nahezu unmöglich macht. Vor allem aber fehlt es an gleichzeitigem Erleben, denn die bewusste Aufmerksamkeit Dritter ist knapp. Demnach kann allgemeiner gesellschaftlicher Konsens nicht durch ständige tatsächliche Vergewisserung erzeugt oder aktualisiert werden. Die Stabilität von Erwartungen beruht daher nicht etwa auf tatsächlichem faktischen Konsens, sondern einer Unterstellung oder gar Überschätzung dieses Konsenses, oder noch weitergehender: auf der Unterstellung der Unterstellung von Konsens.109 Dies ist der Prozess der Institutionalisierung, der es ermöglicht, dass Erwartungen auf unterstellbare Erwartungserwartungen Dritter gestützt werden können.110 Vgl. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 88 f. Vgl. dazu Luhmann, Rechtssoziologie, S. 66. 109 Vgl. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 71, 72: „Wir sehen nunmehr deutlicher, weshalb es zur sozialen Stabilisierung von Verhaltenserwartungen nicht allein auf den Konsens des Adressaten ankommen kann: Er wäre zu leicht widerrufbar und damit zeitlich nicht stabilisierbar [ . . . ] Eine so starke Spezifikation und soziale Lokalisierung des erforderlichen Konsenses würde die Kommunikationsschwelle, die die Institution umgibt, auf ein Minimum herabsetzen und die Aufhebung der Institution zur Sache einer jederzeit möglichen Mitteilung machen. Das Ja oder Nein würde damit von Launen, Situationen, Persönlichkeiten oder ,partnerschaftlichen‘ Einigungen abhängig werden. Ein längerfristiges Erwarten, ein Lernen von Erwartungen und ein Erwartungsvorgriff auf noch ziemlich unbekannte Situationen würden dadurch unmöglich oder doch sehr erschwert werden. Gerade die Unbestimmtheit, Anonymität, Uneinschätzbarkeit und Unbefragbarkeit der relevanten Dritten garantiert die Verlässlichkeit und Homogenität der Institutionen. Sie beruht auf der Neutralisierung aller Anhaltspunkte dafür, dass bestimmte Dritte konkret etwas anderes erwarten könnten. Institutionen beruhen mithin nicht auf der faktischen Übereinstimmung abzählbarer Meinungsäußerungen, sondern auf deren erfolgreicher Überschätzung. Ihr Fortbestand ist gewährleistet, solange fast alle unterstellen, dass fast alle zustimmen; ja möglicherweise sogar dann, wenn fast alle unterstellen, dass fast alle unterstellen, dass fast alle zustimmen. Daraus ergeben sich im Vergleich zum faktischen Konsens höhere Stabilität und höhere Empfindlichkeit“, „Institutionen schweben nicht völlig ohne Stütze als reine Ideen über der Wirklichkeit, aber ihre Homogenität ist weitgehend fiktiv und daher gegen Kommunikation der Fakten empfindlich.“ 107 108

B. Normbesta¨tigung und sozialethische Missbilligung als Sprechakte

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b) Bezug zu Searles Verständnis institutioneller Tatsachen Zwar haben Searle und Luhmann ihre Ansätze vollkommen unabhängig voneinander entwickelt. Dennoch wird eine erste Verbindungslinie zwischen beiden Ausgangspunkten erkennbar, wenn man Searles Verständnis institutioneller Tatsachen und Luhmanns Verständnis der Institutionalisierung von normativen Erwartungen zueinander in Beziehung setzt. Denn mit einer institutionellen Tatsache sind zwangsläufig bestimmte normative Erwartungen verbunden111: Die von Searle mit der Regel „X gilt als Y im Kontext K“ beschriebene Status- und Funktionszuweisung besagt ja letztlich nichts anderes, als dass die Menschen vom Zeitpunkt der Zuweisung an aufgrund des zugeschriebenen Status bestimmte Erwartungen an das Objekt der Zuweisung „X“ – sei dies nun eine Sache oder Person – haben. Vom Geldschein wird erwartet, dass er einen gewissen Wert repräsentiert und als Zahlungsmittel dient, von einer zum Amtsträger ernannten Person, dass sie gewisse Pflichten und Funktionen erfüllt, von einem Freund112, dass er sich freundschaftlich verhält usw. Diese Erwartungen sind notwendig normativer Art, da institutionelle Tatsachen nur bestehen können, wenn eine Enttäuschung nicht zu einer Anpassung der zugrunde liegenden Erwartungen führt. So bleiben die intersubjektiven Erwartungen an den Amtsträger gerade auch dann bestehen, wenn die die Rolle ausfüllende konkrete Person ihren Pflichten nicht nachkommt. Das, was oben bereits zu institutionellen Tatsachen überhaupt gesagt wurde, gilt demnach im Speziellen für entsprechende normative Erwartungen: Sie sind darauf angewiesen, dass an sie fortwährend geglaubt wird, und dies setzt voraus, dass man unterstellen kann, dass auch andere daran glauben oder dies zumindest ihrerseits unterstellen. Daher bedarf es der Institutionalisierung von Erwartungen durch die Vorwegnahme bzw. Unterstellung von Konsens, sodass davon ausgegangen werden kann, dass ein Mindestbestand von Verhaltenserwartungen allgemeine Zustimmung findet. Durch diesen Prozess der Institutionalisierung normativer Erwartungen entwickeln sich institutionelle Tatsachen. Der Übergang von einfachen gesellschaftlichen bzw. sozialen zu institutionellen Tatsachen geschieht dabei nicht notwendig durch einen expliziten Zuweisungsakt und kann somit fließend sein.113 110 Vgl. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 65; vgl. auch a. a. O., S. 67 f.: „Die Funktion von Institutionen liegt daher weniger in der Beschaffung als in der Ökonomie des Konsenses, und die Ersparnis wird hauptsächlich dadurch erreicht, dass der Konsens im Erwarten von Erwartungen vorweggenommen wird, kraft Unterstellung fungiert und dann normalerweise gar nicht mehr konkret abgefragt werden muss. Man kann dann auch Unbekannten gegenüber, wenn die Institutionalisierung sie einbezieht, Konsens unterstellen und ohne vorherige explizite Einigung davon ausgehen, dass ein Mindestbestand von Verhaltenserwartungen allgemein Zustimmung findet.“ 111 Dieser Zusammenhang wird bei Searle, Konstruktion, S. 95 f. u. 156 f. nur angedeutet. 112 Auch die Freundschaft lässt sich bereits als informelle Institution begreifen, wobei die Übergänge von einer bloß sozialen zu einer institutionellen Tatsache fließend sind, vgl. Searle, Konstruktion, S. 97 f. 113 Vgl. dazu schon oben A.I.

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3. Kap.: Sprechakte im Strafrecht

Entscheidend ist aber, dass institutionelle Tatsachen sich in dem Maße entwickeln, in dem normative Erwartungen institutionalisiert werden. Es lässt sich daher feststellen, dass der Prozess, der bei Luhmann als Institutionalisierung von Erwartungen beschrieben wird, letztlich zu der intersubjektiven Anerkennung konstitutiver Regelsysteme führt, die nach Searle Grundbedingung institutioneller Tatsachen sind. Luhmann sowie Searle sehen in dieser Form der Institutionalisierung eine unentbehrliche Voraussetzung für das Funktionieren menschlicher Gemeinschaften, die auf einen Mindestbestand von allgemeinen Verhaltenserwartungen angewiesen sind. Erst auf diese Weise wird die nötige Verständigungs- und Interaktionsbasis für menschliches Zusammenleben geschaffen.

c) Kontrafaktische Stabilisierung von Verhaltenserwartungen als Sprechakt Fraglich ist nun, wie die alltägliche Form der Normstabilisierung sprechakttheoretisch einzuordnen ist. Wie gesehen ergibt sich die Bedeutung eines Sprechakts nicht allein aus dessen propositionalem Gehalt, sondern erst durch die Einwirkung der illokutionären Kraft. Der Sprechakt ist die kleinste Einheit jeglichen kommunikativen Handelns. Daher lässt sich auch die Normbestätigung nur als vollständiger Sprechakt deuten, bestehend aus illokutionärer Kraft und propositionalem Gehalt. Auch hier ist es nicht erforderlich, treffende illokutionäre Verben zu finden, die diesen Sprechakt genau bezeichnen. Insbesondere gibt das illokutionäre Verb „bestätigen“ keinen eindeutigen Hinweis auf die illokutionäre Kraft. Zunächst ließe sich daran denken, die Normbestätigung als ein Durchsetzen der Norm und damit als direktiven Sprechakt zu verstehen. Dafür könnte sprechen, dass die Sanktion wie bereits festgestellt das wichtigste und eindeutigste Mittel der kontrafaktischen Stabilisierung darstellt. Der Enttäuschte straft den Enttäuschenden mit Blicken, Gesten, Worten oder Taten.114 Dies kann mit dem perlokutionären Ziel erfolgen, den Enttäuschenden zu erwartungsgemäßem Verhalten zu motivieren. Entscheidend ist aber, dass mit dem Versuch, die Erwartung nachträglich oder für zukünftige Fälle durchzusetzen, zugleich am deutlichsten das Festhalten an der Erwartung und damit deren Fortgeltung demonstriert wird.115 Mit dem Durchsetzen der Erwartung wird also die noch wichtigere Botschaft des Durchhaltens der Erwartung vermittelt. Die Sanktions- und Durchsetzungsbereitschaft ist damit nicht Definitionsmerkmal der normativen Erwartung, sondern nur eine, allerdings besonders geeignete, Form der kontrafaktischen Erwartungsstabilisierung. Daraus folgt, dass die Normbestätigung (auch in ihrer typischen Ausprägung als Sanktion) nicht den direktiven Sprechakten zugeordnet werden kann. 114 115

Vgl. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 60. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 60.

B. Normbesta¨tigung und sozialethische Missbilligung als Sprechakte

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Es ließe sich daran denken, die Normbestätigung als kommissiven Sprechakt einzuordnen. Dafür könnte der mit einem kommissiven Sprechakt regelmäßig intendierte perlokutionäre Effekt sprechen, der darin besteht, dem Hörer eine Erwartungsorientierung zu geben.116 Dies geschieht bei kommissiven Sprechakten dadurch, dass sich der Sprecher illokutionär auf ein zukünftiges Verhalten festlegt. Und in gewisser Weise tut dies derjenige, der die Norm bestätigt. Häufig impliziert er damit, dass die Norm weiterhin maßgebendes Orientierungsmuster bleibt und er sich in Zukunft weiterhin so verhalten wird, wie es ihm die erwartungssichernde Norm ermöglicht. Er wird weiterhin pünktlich erscheinen, auch wenn sein Gegenüber zu spät kam, er wird weiterhin im Park spazieren gehen, auch wenn sich hier eine Straftat ereignet hat. Insoweit können in der Normbestätigung sicherlich kommissive Anteile enthalten sein. Unmittelbar geht es bei der Normbestätigung allerdings weniger um die Zusage des Sprechers, sich in Zukunft in irgendeiner Weis zu verhalten. Zunächst einmal geht es um die Information, dass die Erwartung nicht fallengelassen wird, und erst mittelbar um die Festlegung auf ein entsprechendes, an der Erwartung orientiertes Verhalten. Mit anderen Worten: Es geht eher um die Mitteilung einer Erwartung und deren Gültigkeit als um die Mitteilung einer Absicht und deren Vollzug. Die Erwartungsstabilisierung soll primär dadurch erreicht werden, dass dem Adressaten das Festhalten an der Erwartung und die Gültigkeit der Norm zur Kenntnis gebracht wird. Im Falle der Normbestätigung durch Dritte gegenüber dem Betroffenen oder dem Betroffenen gegenüber Dritten geht es darum, ein beim Adressaten empfundenes Klärungsbedürfnis hinsichtlich der Geltung der Norm zu befriedigen. Ist der Normbrecher der Adressat der Normbestätigung, soll diesem ebenfalls zur Kenntnis gebracht werden, dass die Erwartung fortgilt – der Unterschied besteht darin, dass das vorhandene Klärungsbedürfnis von ihm selbst möglicherweise nicht empfunden, von Seiten des Sprechers aber sehr wohl ein Informationsbedarf gesehen wird. Es wird hinsichtlich des propositionalen Gehalts ein entsprechender Wahrheits- bzw. eher: Geltungsanspruch erhoben, indem der Sprecher verdeutlicht, dass er von der Gültigkeit und dem Fortbestand der Sozialnorm ausgeht. Die Befriedigung eines Klärungsbedürfnisses als unmittelbar intendierter perlokutionärer Effekt und die Erhebung eines entsprechenden Wahrheits- bzw. Geltungsanspruches deuten auf einen assertiven illokutionären Akt hin.117 Dem steht auch nicht entgegen, dass damit auch eine Erwartungssicherheit des Adressaten bezüglich des Verhaltens des Sprechers ermöglicht werden soll, da sich die mit bestimmten Sprechakttypen intendierten perlokutionären Effekte häufig überschneiden.118 In der alltäglichen Kommunikation wird das Festhalten an der Erwartung daher hauptsächlich mit der illokutionären Kraft der Assertiva zum Ausdruck gebracht.

Vgl. oben 2. Kap. B. Vgl. oben 2. Kap. B. 118 Nur die unmittelbar intendierten perlokutionären Effekte lassen gewisse Rückschlüsse auf die illokutionäre Kraft zu, vgl. dazu oben 2. Kap. B. 116 117

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Allerdings ist diese Demonstration des Festhaltens an der Norm recht fragil. Der jeweilige Sprecher kann nur kundtun, dass er selbst an der Erwartung festhält und davon ausgeht, dass die Erwartung allgemein geteilt werde. Die Normbestätigung bleibt aber subjektiv bzw. unverbindlich und ist gegenüber gegenläufigen Normprojektionen extrem empfindlich. Letzteres wird insbesondere deutlich, wenn die Enttäuschung der Norm in sozialen Situationen stattfindet, also von Dritten bemerkt wird und damit ein Klärungsbedürfnis auf Seiten dieser Dritten besteht. Das wechselseitige Erwarten von Erwartungen führt dann zu einem erheblichen sozialen Entscheidungsdruck für den Betroffenen: Die Zuschauer werden in ihrer Erwartung ebenfalls enttäuscht und erwarten daher vom Betroffenen, dass er das Festhalten an der Erwartung seinerseits hinreichend deutlich macht.119 Der Betroffene sieht sich gezwungen auf die Enttäuschung zu reagieren, indem er möglichst zeitnah manifestiert, ob er die Erwartung durchhält oder fallen lässt; jede verspätete Reaktion verlöre ihre Überzeugungskraft oder gar Legitimität.120 Reagiert der Betroffene nicht oder nicht überzeugend, sind die Dritten nicht nur in ihrer ursprünglichen Erwartung, sondern auch in ihren Erwartungserwartungen ihm gegenüber enttäuscht. Umgekehrt wird das Festhalten an der Erwartung für den Betroffenen erheblich erschwert und ist mit erheblichen psychischen Kosten verbunden, wenn wahrnehmende Dritte eine gegenläufige Normprojektion zum Ausdruck bringen. Er ist dann in seinem Erwarten verunsichert und sein Klärungsbedürfnis in keiner Weise befriedigt. Sind alle wahrnehmenden Dritten gegen ihn, steht er mit seiner Norm alleine da, hatte falsch oder zumindest abweichend erwartet und ist sozial isoliert. Im für den Betroffenen günstigen Fall wird das Festhalten an der Erwartung durch Dritte, die in ihrer allgemeinen Erwartung betroffen sind, zum Ausdruck gebracht (wenn hier von dem „Dritten“ die Rede ist, ist damit nicht etwa der Richter, sondern ein beliebiges Mitglied der Gemeinschaft gemeint, welches das normwidrige Verhalten wahrnimmt bzw. von diesem erfährt). Der Betroffene wird häufig in der Normbestätigung durch Dritte Rückhalt suchen; dabei braucht derjenige, der die Erwartung enttäuscht hat, noch nicht einmal davon zu erfahren.121 Der Dritte zeigt mit seiner Reaktion, dass die Verhaltenserwartung des Enttäuschten von anderen (zumindest aber von ihm) geteilt wird und impliziert damit, dass die Norm intersubjektive Anerkennung findet oder zumindest, dass sie verallgemeinerungsfähig ist. Die Normbestätigung durch Dritte enthält die assertive Aussage über die Berechtigung und soziale Geltung der Norm und stärkt damit die Position des Betroffenen. Ob dessen Klärungsbedürfnis dadurch allerdings weitgehend befriedigt ist, erscheint in vielen Fällen zweifelhaft. Eine Normbekräftigung durch wahrnehmende Dritte kann nämlich nur ein recht schwaches Indiz für den intersubjektiven Orientierungswert der Norm sein, schließlich wird sie als assertiver Vgl. auch Luhmann, Rechtssoziologie, S. 59. Vgl. dazu Luhmann, Rechtssoziologie, S. 59, in Fn. 63 mit dem Hinweis auf das zeitlich verspätete österreichische Ultimatum an die Serben, das den Ersten Weltkrieg auslöste. 121 Vgl. dazu Luhmann, Rechtssoziologie, S. 61. 119 120

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Sprechakt mit einem bestreitbaren Geltungsanspruch vollzogen. Nicht nur, dass der Konsens wahrnehmender Dritter nur mit Aufwand zu erreichen ist, die Einstellung dieser Dritten kann zudem schwankend sein und vor allem sind deren Meinungsurteile keinesfalls repräsentativ.122 Luhmann führt dazu aus: „Obwohl die neutralisierende, Streit dämpfende Funktion Dritter zum klassischen Themenbestand der Soziologie gehört, ist sie selten klar genug von der Rolle des Zuschauers getrennt worden. Der Zuschauer ist ein konkret fassbarer Dritter, seine Einstellung kann schwankend und beeinflussbar, mit der konkreten Situation modifizierbar sein. Ihm allein kann man die Institution daher nicht anvertrauen. Es sind vielmehr die unbekannten, anonymen Dritten, deren vermutete Meinung die Institution trägt. Die unmittelbaren Zuschauer fungieren nur als Organ des Herrn, der sich nie zeigt.“123

Die Reaktion des Dritten kann jedoch niemals wirklich stellvertretend für diese anonymen Dritten erfolgen.124 Zwar kann in engeren Bezugsgruppen eine Verständigung über die Norm erfolgen. So mag der Verletzte im Freundes- oder Familienkreis mit seiner Normprojektion Rückhalt finden. Sobald es aber um die Frage geht, ob die Norm ein allgemeingültiges Orientierungsmuster abgibt, wird es schwierig, entsprechende Bezugsgruppen zu erreichen, deren Meinung als hinreichendes Indiz für die allgemeine Normgeltung gewertet werden kann. In einfachen, kleinen Sozialsystemen wie etwa Stämmen, Familienclans oder ähnlichen Gemeinschaften können die dort geltenden Normen noch durch rückversichernde Kommunikation aktualisiert werden. So kann eine Versammlung einberufen werden, in der nahezu alle Mitglieder oder eine zumindest repräsentative Anzahl an Mitgliedern der Gemeinschaft anwesend sind. Sobald die den Sozialverband ausmachenden Dritten aber zu einer anonymen, unüberschaubaren und damit unerreichbaren Masse werden, müssen andere Wege als die der Vergewisserung gefunden werden, die Norm hinreichend sozial abzusichern. Die Normbestätigung durch Dritte ist dann für den Verletzten von nur begrenztem Wert und kaum hinreichendes Indiz dafür, dass die Unterstellung von Konsens im Grunde berechtigt ist. Einerseits hängt der Fortbestand der Erwartung also von dem vermuteten Konsens Dritter ab, andererseits können diese ebenfalls nur assertive Sprechakte mit beschränktem Geltungsanspruch vollziehen. Es fehlt an der Repräsentativität und Verbindlichkeit der auf Normstabilisierung gerichteten Reaktion konkreter, wahrnehmender Dritter. Zwar können Normen im alltäglichen Zusammenleben durchVgl. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 66, 101. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 66, vgl. auch ebd.: „Man ist Dritter nicht in einer eigens dafür geschaffenen Rolle, als ein mit Zuschauen beschäftigter Zuschauer, sondern als jemand, der mit anderen Dingen beschäftigt ist, aber möglicherweise für ein aktuelles Miterleben, Miturteilen, Mitverurteilen, Mithandeln zu gewinnen ist. Man ist Dritter nicht in der momentanen Aktualität seines Erwartens und Handelns, sondern im Erwartungshorizont derer, die sich aktuell an möglicherweise Miterlebenden orientieren.“ 124 Vgl. dazu auch Luhmann, Rechtssoziologie, S. 101: „In differenzierten Gesellschaften sind die Anwesenden nicht mehr repräsentativ für jedermann, und sie sind auch nicht mehr in der Lage, aus komplizierten Sinnstrukturen das jeweils sachlich Richtige zu ermitteln.“ 122 123

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aus wirkungsvoll durch rückversichernde Kommunikation stabilisiert werden. Je wichtiger und allgemeingültiger die Norm, desto eher müssen allerdings andere Mechanismen der sozialen Absicherung (der Institutionalisierung) der Norm gefunden werden. Ich werde darauf bei der Diskussion der strafrechtlichen Normbestätigung noch näher eingehen. Zunächst einmal soll aber auch die Bedeutung der alltäglichen Missbilligung beschrieben werden. Denn neben der alltäglichen Normbestätigung ist es die alltägliche Missbilligung, die eine gewisse Ähnlichkeit zu der mit dem Strafrecht vermittelten Botschaft vermuten lässt.

2. Die Missbilligung im Sinne der Alltagskommunikation a) Die alltägliche Missbilligung nach Strawson Überlegungen zur Funktion der Missbilligung in der alltäglichen Kommunikation finden sich bei dem englischen Philosophen Strawson.125 Strawson geht dabei davon aus, dass der Ausdruck von inneren Einstellungen grundlegendes Element in der zwischenmenschlichen Kommunikation ist. Er betont, dass wir Einstellungen und Intentionen, die – oft in Zusammenhang mit einer Handlung – gegenüber uns zum Ausdruck gebracht werden, eine erhebliche Bedeutung zumessen.126 So hat es (je nach Art der zugrunde liegenden Beziehung) auf unser emotionales Gleichgewicht erheblichen Einfluss, ob eine Handlung gegenüber uns einerseits Ausdruck des guten Willens, der Zuneigung oder Wertschätzung ist, oder andererseits von Verachtung, Gleichgültigkeit oder Missgunst zeugt. Eine Handlung hingegen, die uns bloß zufällig trifft, die also nicht eine innere Haltung widerspiegelt, wird unsere emotionale Stabilität nicht in gleicher Weise beeinflussen. So mag der unbeabsichtigte Tritt auf die Hand durch jemanden, der uns eigentlich helfen möchte, physisch genauso schmerzhaft sein wie ein in Verletzungsabsicht erfolgter Tritt. Das im zweiten Fall vorhandene kommunikative Element, die zum Ausdruck gebrachte Missachtung, verändert unsere Interpretation der Handlung und Reaktion hierauf jedoch grundlegend; wir werden in unterschiedlichem Maße Empörung empfinden und gegebenenfalls unsere Missbilligung zum Ausdruck bringen.127 125 Strawson, Freedom and Resentment, S. 1 ff. An die Überlegungen Strawsons knüpfen insbesondere von Hirsch, in: Duff / Garland, Reader on Punishment, S. 115 (119) und Hörnle / von Hirsch, in: Schünemann / von Hirsch / Jareborg, Positive Generalprävention, S. 83 (98) sowie Günther, in: FS-Lüderssen, S. 205 (216 f.) an; dazu insbes. unten B.III.2.c)bb) und B.IV. 126 Diese Annahme lässt sich aus psychologischer Sicht unterstützen: Janoff-Bulman, Shattered assumptions, S. 78 ff. führt die durch eine Straftat bedingte spezifische Ausprägung von Traumasymptomen auch auf die mit der Straftat offenbar werdenden Intentionen zurück, dazu unten 4. Kap. A. 127 Die Attributionen bestimmter Intentionsmodi – das Tun bzw. Unterlassen einer anderen Person erfolgte absichtlich, freiwillig, ungerechtfertigt usw. – spielen beim Ärger eine herausragende Rolle und beeinflussen auch die auf das Ereignis hin einsetzende intrapsychische

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Gleiches gilt im Übrigen für nützliche Handlungen: Geschehen sie unbeabsichtigt oder bereut sie der Handelnde gar, sind sie für uns zwar vorteilhaft; reflektieren sie jedoch eine wertschätzende Haltung, messen wir ihnen entsprechende Bedeutung zu und werden regelmäßig mit Dankbarkeit darauf reagieren. Für Strawson ist menschliches Zusammenleben ohne ein solches Bezugssystem von Haltungen und Reaktionen nicht denkbar. Eine wichtige Rolle spielt dabei die (moralische) Missbilligung bzw. der Tadel (wenn hier von Tadel die Rede ist, ist damit der Ausdruck der Missbilligung gegenüber dem Verletzenden gemeint). Strawson begreift die Missbilligung als regelmäßige menschliche Reaktion auf ein Verhalten, welches die Rücksichtslosigkeit, die Missachtung oder den bösen Willen des Handelnden reflektiert. Zunächst kann das Opfer einer solchen Handlung selbst diese missbilligende Haltung einnehmen. Diese Haltung entspringt dann der eigenen, unmittelbaren Verletzung, Strawson bezeichnet sie als „resentment“ ohne das Adjektiv „moralisch“ und spricht insoweit von einer „personal reactive attitude“. Geht es um die Wahrnehmung und Reaktion eines nicht verletzten Dritten, so spricht Strawson von einer generalisierten bzw. stellvertretenden Haltung moralischer Missbilligung („vicarious reactive attitude“).128 Diese Haltung nehme der wahrnehmende Dritte stellvertretend für den Verletzten ein (auch hier ist mit dem „Dritten“ nicht etwa der Richter, sondern ein beliebiges Mitglied der Gemeinschaft, welches das schädigende Verhalten wahrnimmt bzw. von diesem erfährt, gemeint). Beide Haltungen haben einen gemeinsamen Bezugspunkt: sie beruhen auf der Erwartung (und einer diesbezüglichen Forderung), andere Menschen werden sich wohlwollend, rücksichtsvoll oder zumindest nicht schädigend gegenüber uns bzw. (im Falle eines wahrnehmenden Dritten) gegenüber unseren Mitmenschen verhalten.129 Soweit das Opfer diese allgemeingültige Erwartung zum Thema seiner Reaktion macht, ist diese Reaktion „intersubjektiv teilbar“.130 Es ist typisch für Missbilligungs-Reaktionen des Betroffenen sowie Dritter, dass sie einen solchen intersubjektiven Bezug haben, also die Verletzung einer als allgemein verbindlich Bewältigung. Kommt die Person zu dem Schluss, dass der Vorfall unbeabsichtigt war, schwindet der Ärger sofort, ohne dass weitere intrapsychische Bewältigungsmechanismen einsetzen müssen, vgl. Fichten, in: Mees, Psychologie des Ärgers, S. 219 (222 m. w. N.); vgl. auch Ellis Grundlagen, S. 142 mit dem folgenden prägnanten Beispiel: Personen, die zwanzig Minuten in der Kälte auf einen Bus warten, werden nicht besonders feindselig reagieren, wenn sie entdecken, dass der Bus defekt ist. Wenn sie hingegen bemerken, dass der Busfahrer mit einem höhnischen Grinsen an ihnen grundlos vorbeifährt, werden sie fast immer wütend. 128 Strawson, Freedom and Resentment, S. 14 f. („moral indignation“ oder „moral disapprobation“ anstelle des „resentment“). 129 Vgl. Strawson, Freedom and Resentment, S. 21 f. 130 Dazu Günther, in: FS-Lüderssen, S. (205) 216 f.; vgl. auch Strawson, Freedom and Resentment, S. 14 f.: „The generalized or vicarious analogues of the personal reactive attitudes rest on, and reflect, exactly the same expectation or demand in a generalized form; they rest on, or reflect, that is, the demand for the manifestation of a reasonable degree of goodwill or regard, on the part of others, not simply towards oneself, but towards all those on whose behalf moral indignation may be felt, i.e., as we now think, towards all men.“

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unterstellten Ordnung angenommen wird.131 Die moralische Missbilligung wird in der Regel proportional zur Enttäuschung dieser Erwartung bzw. der Missachtung dieser Forderung und der vermuteten inneren Einstellung des Verletzenden hierzu (dem Intentionsmodus) ausgedrückt.132 Intensitätsvariable ist damit die angenommene Tadelnswürdigkeit des Verstoßes, wobei es einerseits auf den Stellenwert ankommt, den die Erwartung im Wertgefüge der betroffenen Person einnimmt, und andererseits auf die Art und Weise ihrer Übertretung, insbesondere der jeweils angenommenen Intention.133 Bezüglich letzterer kann man in der Alltagskommunikation grundsätzlich zwischen drei abgestuften Intentionsmodi unterscheiden: dem der Gedankenlosigkeit, der Rücksichtslosigkeit und der Böswilligkeit.134 Im ersten Fall wird die Missbilligung am leichtesten, im letzteren Fall am stärksten ausfallen.135 Die Erwartung nicht schädigenden Verhaltens und die entsprechende Haltung der Missbilligung bedürfen nach Strawson keiner rationalen externen oder metaphysischen Erklärung, sondern sind schlichtweg grundlegende Struktur menschlichen Zusammenlebens.136 Im Rahmen der missbilligenden Haltung wird der Verletzende weiterhin als Mitglied der Gemeinschaft, deren moralischen Standards er zuwidergehandelt hat, angesprochen und anerkannt.137 Strawson weist nun auf besondere Umstände hin, unter denen eine Missbilligung unangebracht ist. Diese Umstände können zum einen bezüglich der Handlung als solcher bestehen. Der Verletzende selbst bleibt als voll verantwortliche Person grundsätzlich tauglicher Adressat eines Tadels, allerdings handelte er unter Bedingungen, die seine Handlung als unvorsätzlich, gerechtfertigt oder entschuldbar erDazu Mees, Psychologie des Ärgers, S. 59 f. Strawson, Freedom and Resentment, S. 21 f.; vgl. auch Mees, Psychologie des Ärgers, S. 59 ff. 133 Vgl. dazu und zu weiteren möglichen Intensitätsvariablen Mees, Psychologie des Ärgers, S. 38 ff. u. 59 ff. 134 Mees, Psychologie des Ärgers, S. 38 ff. Nach Mees ist die Gedankenlosigkeit dadurch gekennzeichnet, dass der Täter, wenn man ihn darauf anspräche, bereit wäre, den möglichen Leidbezug seines Tuns zu sehen und zu ändern; im Vollzug seines Tuns hat er dies aber nicht getan. Die Rücksichtslosigkeit zeichnet sich durch die bewusste Inkaufnahme mitmenschlichen Leids um des eigenen Vorteils willen aus. Bei der Böswilligkeit schließlich wird das Leid vom Täter nicht nur hingenommen, sondern gewollt. Die auffällige Nähe dieser Einteilung zu der strafrechtlichen Terminologie (unbewusste Fahrlässigkeit und bewusste Fahrlässigkeit bzw. dolus eventualis sowie dolus directus) weist auf die Verankerung strafrechtlicher Normen in entsprechenden Sozialnormen hin (zum Verhältnis von Sozial- und Strafrechtsnormen vgl. unten B.III.2.a); vgl. auch sogleich Fn. 138. Mit einem entsprechenden Rückbezug auf das Strafrecht hinsichtlich der Verantwortlichkeitszuschreibung auch Schwenkmezger / Steffgen / Dusi, Umgang mit Ärger, S. 33 ff.; vgl. auch jüngst Hassemer, Warum Strafe sein muss, S. 212 f. 135 Mees, Psychologie des Ärgers, S. 38 ff. 136 Strawson, Freedom and Resentment, S. 21 ff. 137 Strawson, Freedom and Resentment, S. 21 f. 131 132

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scheinen lassen.138 Die missbilligende Haltung wird also in der Regel vollständig oder teilweise suspendiert werden, wenn der Handelnde vorbringen kann, dass eine Missbilligung aufgrund besonderer Umstände nicht oder zumindest nicht in vollem Maße angemessen ist. Sprechakttheoretisch lassen sich solche Erklärungen des Handelnden den assertiven Sprechakten zuordnen, da sie auf entlastende Umstände, also Bedingungen der „Welt“, mit entsprechendem Wahrheits- bzw. Geltungsanspruch Bezug nehmen. Ich möchte sie daher „entschuldigende Erklärungen“ nennen, um sie von den Entschuldigungen abzugrenzen. Letztere haben die illokutionäre Kraft der Expressiva, mit ihnen wird der innere Zustand des Bedauerns über die Handlung zum Ausdruck gebracht, dabei aber die volle Verantwortlichkeit vorausgesetzt. Eine Entschuldigung stellt anders als eine entschuldigende Erklärung grundsätzlich nicht die Angemessenheit der Missbilligung in Frage, vielmehr wurde die Missbilligung im Vorfeld akzeptiert.139 Zum anderen können die Umstände, welche die Missbilligung unangemessen erscheinen lassen, in der Person des Verletzenden begründet sein (bspw. bei Vorliegen einer psychischen Störung oder jugendlicher Unreife), sodass der Verletzende nicht als tauglicher Adressat eines Tadels angesehen werden kann.140 In diesem Falle nimmt der Wahrnehmende eine objektivierende Haltung ein, die es ermöglicht, die inter-personale Ebene zu verlassen. Die normalen zwischenmenschlichen Haltungen sind suspendiert, an deren Stelle tritt eine rationale Herangehensweise, die schlicht auf eine zweckmäßige Beeinflussung, Behandlung oder Kontrolle des Verletzenden gerichtet ist.141 Diese objektivierende Haltung stellt nach Strawson allerdings eine Ausnahme dar, die grundsätzlich an die genannten außergewöhnlichen Umstände gebunden bleibt. Strawson weist zwar darauf hin, dass es dem Menschen manchmal möglich ist, die inter-personale Ebene zu verlassen und eine objektivierende Haltung auch dann einzunehmen, wenn es um das Verhalten einer voll verantwortlich handelnden Person gehe (so etwa aus Gründen des Selbstschutzes oder aufgrund eines wissenschaftlichen Interesses). Dies sei aber nur kurzfris138 Vgl. Strawson, Freedom and Resentment, S. 7 f. Die Topoi, mit denen die Verwerflichkeit der Handlung bestritten oder eine geringere Verwerflichkeit in der Alltagskommunikation geltend gemacht werden kann, ähneln den strafrechtlichen Kategorien innerhalb des dreistufigen Deliktsaufbaus (zu den entsprechenden Topoi in der Alltagskommunikation vgl. Mees, Psychologie des Ärgers, S. 38 ff.). Dies spricht für die These, dass strafrechtliche Normen weitgehend auf entsprechende Sozialnormen zurückgehen; zum Verhältnis von Sozialund strafrechtlichen Normen vgl. unten B.III.2.a); vgl. zu den unterschiedlichen Arten von entschuldigenden Erklärungen unten 5. Kap. C. 139 Zur Abgrenzung der Entschuldigung von entschuldigenden Erklärungen vgl. auch unten 5. Kap. C. 140 Vgl. Strawson, Freedom and Resentment, S. 8 f. 141 Strawson, Freedom and Resentment, S. 9, 11 f., 17; zu einer Rückführung abweichenden Verhaltens auf „innere Störungen“ im alltäglichen moralischen Diskurs auch Luhmann, Rechtssoziologie, S. 48: „Dem Verhalten des [von der alltäglichen Verhaltensmoral] Abweichenden wird nicht durch moralische Diffamierung die symbolische Brisanz genommen, sondern dadurch, dass er ausnahmsweise als unfrei behandelt, sich selbst und anderen erklärt wird.“

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tig und spätestens dann nicht mehr möglich, wenn die soziale Verwicklung zu stark sei. Die im vorliegenden Zusammenhang interessierende Haltung der Missbilligung sieht Strawson damit als grundlegenden Bestandteil zwischenmenschlicher Kommunikation an.

b) Das Verhältnis der alltäglichen Missbilligung zur Normbestätigung Wie dargelegt geht Strawson davon aus, dass die alltägliche Missbilligung stets eine entsprechende Erwartung reflektiert. Aus der Sicht der Sprechakttheorie wird mit dem Sprechakt der Missbilligung präsupponiert, dass eine entsprechende Erwartung enttäuscht wurde (vorbereitende Bedingung). Damit stellt sich die Frage, welchem Erwartungstyp – kognitiv oder normativ – diese Erwartung zugeordnet werden kann. Handelt es sich um eine normative Erwartung, lässt sich die Missbilligung zugleich als kontrafaktische Stabilisierung von Verhaltenserwartungen begreifen, womit die eingangs aufgestellte These eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen missbilligender und normbestätigender Funktion bestätigt wäre. Im alltäglichen Leben kommen kognitive und normative Erwartungen nebeneinander und häufig auch vermischt vor, wobei die Grundsätze menschlichen Zusammenlebens weitgehend normativ verfestigt sein dürften.142 Nun wirkt sich die Differenzierung von kognitiven und normativen Erwartungen auch auf die in Betracht kommenden Formen der Enttäuschungserklärung aus, sodass die jeweilige Enttäuschungserklärung einen Hinweis auf den zugrunde liegenden Erwartungstyp geben kann.143 Die personale Kommunikation im Sinne Strawsons, zu der insbesondere die Reaktion der Missbilligung gehört, dürfte grundsätzliches Reaktionsmuster bei Enttäuschung normativer Erwartungen sein. Die objektivierende Haltung kommt grundsätzlich eher als Erklärung der Enttäuschung kognitiver Erwartungen in Betracht und kann im normativen Bereich jedenfalls nicht regelmäßige Reaktion sein. Im Einzelnen lässt sich wie folgt zwischen einer missbilligenden Haltung, einer Entschuldigung des schädigenden Verhaltens und einer objektivierenden Haltung unterscheiden: Wenn der Handelnde eine entschuldigende Erklärung vorbringen kann und die Handlung aufgrund bestimmter Umstände entschuldigt wird, lässt dies die normative Erwartung gegenüber dem Handelnden 142 Vgl. dazu Luhmann, Rechtssoziologie, S. 63, der von einem „durchgehend normdurchsetzten Erwartungsstil des täglichen Lebens“ spricht. 143 Vgl. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 58: „Schließlich muss bedacht werden, dass nicht jede Erklärungsart sich mit dem normativen Erwartungsstil verträgt. Soweit kognitive und normative Erwartungen sich differenzieren, wirkt deren Trennung auch auf die in Betracht kommenden Formen der Enttäuschungsabwicklung selektiv. An sich anwendbare Enttäuschungserklärungen müssen daher ausgeschlossen bzw. für den Bereich kognitiver Überraschungen reserviert werden.“

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grundsätzlich noch unberührt, kann also diesem gegenüber noch als Strategie der Normstabilisierung verstanden werden.144 Bei Strawson wird dies dadurch deutlich, dass der Handelnde noch als Mitglied der Gemeinschaft angesehen wird.145 Auch eine objektivierende Haltung gegenüber einer bestimmten Person (etwa wegen einer psychischen Störung und der daraus folgenden Unzurechnungsfähigkeit) suspendiert zwar die Erwartung gegenüber dieser Person, schließt diese demnach aus der moralischen Gemeinschaft aus, betrifft aber nicht die Geltung der Norm in der sozialen Gemeinschaft. Auch eine solche Enttäuschungserklärung würde die Norm noch stabilisieren, da sie die Enttäuschung als Ausnahme markiert. Dies geschähe allerdings nur der Gemeinschaft, nicht aber dem Handelnden gegenüber. Zumindest die letzte Art der Enttäuschungserklärung muss allerdings die Ausnahme bleiben. Eine durchgängig oder zumindest weitgehende objektivierende Haltung bezüglich der Ursachen menschlichen Fehlverhaltens würde die Norm grundsätzlich und gegenüber allen Mitgliedern der Gemeinschaft suspendieren und damit schließlich aufheben: Sobald jemand der Norm zuwiderhandelt, wäre sein Verhalten kognitiv erklärbar, ein Verstoß gegen eine Moralnorm wäre damit gar nicht mehr möglich. Ein Erklärungsmuster, welches jedes Verhalten auf soziale oder für den Handelnden nicht verfügbare psychische Umstände bezieht, ist mit dem normativen Erwartungsstil schlecht verträglich.146 Luhmann weist dementsprechend darauf hin, es müsse in der zwischenmenschlichen Kommunikation Mechanismen geben, mit denen der Ausnahmecharakter der Enttäuschung und damit auch ein Fortgelten der normativen Erwartung glaubhaft gemacht werden kann: „Die Erklärung darf jedoch der Norm nicht schaden. Sie muss daher das enttäuschende Ereignis von der Norm distanzieren. Erwartung und Ereignis müssen symbolisch gegeneinander so isoliert werden, dass das Ereignis der Erwartung nichts anhaben kann, ihre Fortgestaltung nicht in Frage stellt. Gesichtspunkte, die dazu dienen, haben mit wissenschaftlich verifizierbaren Erklärungen wenig zu tun, denn sie sollen gerade nicht die regelmäßige, situationsbedingte Erwartbarkeit der Enttäuschung begründen, sondern umgekehrt ihren Ausnahmecharakter.“147

Eine Möglichkeit einer solchen Enttäuschungserklärung „zielt auf die böse Absicht des Handelnden, auf sein ,Inneres‘, auf Schuld“.148 Die objektive, wissenschaftliche Erklärung abweichenden Verhaltens stößt nach Luhmann in überwiegend normativ geprägten Bereichen an unüberschreitbare Grenzen, sie werde „im normativen Bereich stark eingeschränkt, nur für Extremfälle zugelassen und im Übrigen durch eine weitgehend fiktive Erklärung ersetzt: durch die Annahme indi144 Vgl. zur Annahme von entschuldigenden Erklärungen als Suspendierung der Missbilligung oben B.II.2.a) und als Form der Enttäuschungsabwicklung schon oben B.II.1.a). 145 Strawson, Freedom and Resentment, S. 16. 146 Vgl. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 58. 147 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 56. 148 Vgl. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 56.

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vidueller Schuld“.149 Schon dies spricht dafür, dass die Missbilligung typischerweise eine normative Erwartung reflektiert. Die Normativität der durch die Missbilligung reflektierten Erwartung wird noch deutlicher, wenn man deren Inhalt näher betrachtet. Sie bezieht sich auf die gegenseitige Achtung und gegenseitigen Respekt im zwischenmenschlichen Zusammenleben. Sie nimmt mitunter den Charakter einer Forderung an (Strawson spricht sowohl von einer Erwartung als auch von einer Forderung150). Eine solche Forderung aber wird nicht fallengelassen, wenn sie enttäuscht wird. Es ist Kennzeichen solcher zu moralischen Forderungen erhobener Erwartungen, dass sie im Enttäuschungsfalle durchgehalten werden, und genau dies bringt die Missbilligung zum Ausdruck. Die missbilligende Reaktion gründet damit notwendigerweise auf einer normativen Erwartung und ist folglich eine alltägliche Strategie der kontrafaktischen Normstabilisierung. Denn ohne die Manifestation des Festhaltens an der Norm würde die Missbilligung keinen Sinn machen. Es würde sich dann um keine moralische, sondern um eine zweckmäßige Reaktion handeln. Der in seiner Erwartung Enttäuschte würde sich kognitiv auf die neue Lage einstellen, indem er dazu lernt, seine Erwartung anpasst oder aufgibt. Die missbilligende Reaktion hingegen zeigt gerade, dass man nicht bereit ist, an seiner Erwartung etwas zu ändern. Allerdings stellt die Missbilligung eine spezielle Art der Normbestätigung dar. Wie bereits ausgeführt, kann die Norm ausnahmsweise auch dadurch bestätigt werden, dass eine entschuldigende Erklärung angenommen und damit zugleich deutlich gemacht wird, dass der Handelnde für den Normwiderspruch nicht verantwortlich war, die Norm diesem gegenüber aber in Zukunft maßgebendes Orientierungsmuster bleibt. Selbst die Einnahme einer grundsätzlich objektivierenden Haltung einer bestimmten Person gegenüber kann die Norm unter Umständen noch gegenüber den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft bestätigen. Die Missbilligung ist jedoch dadurch gekennzeichnet, dass sie die Norm gegenüber dem Handelnden weder grundsätzlich – aufgrund einer wie auch immer gearteten Unzurechnungsfähigkeit – noch für den konkreten Einzelfall – aufgrund entschuldigender Umstände – sondern überhaupt nicht suspendiert wird. Vielmehr wird dem Handelnden der Normbruch zum Vorwurf gemacht. Die missbilligende Reaktion zeigt demnach auch, dass man nicht bereit ist, an seiner Erwartung gegenüber dem Handelnden etwas zu ändern, und zwar weder grundsätzlich noch aufgrund besonderer Umstände. Damit ist die Missbilligung eine spezielle, für normatives Erwarten 149 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 58; Luhmann geht davon aus, dass die Zurechnung von abweichendem Verhalten wesentliche Grundlage der Normbestätigung ist (a. a. O., S. 55 ff.); vgl. auch ebd. hinsichtlich rechtlicher Normen: „Juristen neigen dann dazu, den Zurechnungsgrund als eine ,Fähigkeit‘ des Opfers [hier: der normwidrig Handelnde] aufzufassen – als Rechtsfähigkeit, Zurechnungsfähigkeit, Handlungsfähigkeit, Schuldfähigkeit oder wie immer, sodass die Selektion des Opfers von ihm selbst und nicht von der Erwartung her bestimmt erscheint. Die Norm bleibt Norm, und die ,Ursache‘ der Enttäuschung liegt im abweichenden Verhalten.“ 150 Strawson, Freedom and Resentment, S. 14 f.

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aber sehr typische und notwendige Form der Normstabilisierung.151 Es werden also genauso genommen zwei Sprechakte vollzogen152: Einmal die retrospektive Missbilligung des Verhaltens, andererseits zumindest konkludent die zukunftsgerichtete Bekräftigung, dass die soziale / moralische Norm weiterhin gilt und an ihr (auch gegenüber dem Verletzenden) festgehalten wird.

c) Die alltägliche Missbilligung als Sprechakt Wie ließe sich die so beschriebene, in der Alltagskommunikation vorkommende Missbilligung nun sprechakttheoretisch einordnen? aa) Expressive Elemente in der alltäglichen Missbilligung Zunächst liegt die Vermutung nahe, es könne sich dabei um einen expressiven Sprechakt handeln. Expressive Sprechakte zeichnen sich wie bereits festgestellt dadurch aus, dass damit eine emotionale innere Haltung bzw. Einstellung in Bezug auf eine bestimmte Situation zum Ausdruck gebracht wird. Im Folgenden soll daher untersucht werden, welche Emotionen mit der missbilligenden Reaktion unmittelbar verknüpft sind. Ausgangspunkt kann insoweit die Überlegung sein, ob die in der Sprache lexikalisierten Emotionen mit bestimmen Aspekten einer Situation in Verbindung gebracht werden können. Nach Ortony / Clore / Collins lassen sich Situationen, auf die emotional reagiert wird, semantisch in drei verschiedene Kategorien unterteilen: Ereignisse und ihre Folgen, Akteure und ihre Handlungen sowie Gegenstände bzw. Personen und ihre Eigenschaften.153 Anknüpfungspunkt der Missbilligung wäre insoweit eine schädigende Handlung und die damit durch den Handelnden gegenüber dem Verletzten zum Ausdruck gebrachte Missachtung. Allerdings führen Situationen an sich nicht unmittelbar zu einer emotionalen Reaktion. In der Psychologie ist heute weitgehend anerkannt, dass Emotionen nicht losgelöst von zugrunde liegenden Kognitionen verstanden werden können.154 So hat der amerikanische Psychologe und Wegbereiter der kognitiven Verhaltenstherapien Ellis dargelegt, dass Emotionen nicht unmittelbar durch ein aktivierendes 151 Die Missbilligung gehört zu den Sanktionen, welche typische Reaktionen auf die Enttäuschung normativer Erwartungen darstellen, vgl. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 60 und schon oben B.II.1.c). 152 Dass Sprechakte auch gestuft, konkludent bzw. indirekt, bedingt oder in anderer Weise miteinander kombiniert ausgedrückt werden können, wurde bereits festgestellt, vgl. oben B.I.1. 153 Vgl. Ortony / Clore / Collins, Cognitive Structure, S. 15 ff.; in Anlehnung an Ortony / Clore / Collins vgl. Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 219 ff. 154 Dies gilt für die heute praktizierten Formen der Verhaltenstherapie nach der sog. „kognitiven Wende“, vgl. Beck / Rush / Shaw / Emery, Depression, S. 38 ff.; Ellis, Grundlagen, S. 75 ff., 101 ff.; zur „kognitiven Wende“ Wilken, Umstrukturierung, S. 15; jeweils m. w. N.

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Ereignis ausgelöst werden, sondern Gedanken dazwischen geschaltet sind, die die emotionale Verarbeitung eines Ereignisses wesentlich beeinflussen.155 Ausgehend von der Prämisse, dass der Mensch gewisse Ziele, Vorlieben, Abneigungen, Werte und Wünsche hat, ist es die negative oder positive Bewertung eines Ereignisses im Hinblick auf diese Präferenzen, die die resultierende Emotion prägen.156 Dies zeigt sich unter anderem daran, dass die gleichen aktivierenden Ereignisse von verschiedenen Individuen unterschiedlich emotional reflektiert werden.157 Ein wesentlicher Grund für ein unterschiedliches Coping-Verhalten liegt in den unterschiedlichen Gedanken und Einstellungen, die Menschen aktivierenden Ereignissen entgegenbringen. Dies gilt selbst für schwerwiegende Ereignisse wie lebensgefährliche Erkrankungen: Der Umgang mit der Erkrankung und die verbleibende Lebensqualität hängen entscheidend vom Vorhandensein funktionaler bzw. dysfunktionaler Kognitionen ab.158 Der entscheidende emotionsbeeinflussende Faktor liegt daher in der Bewertung der Ereignisse und ihrer Folgen, der Akteure und ihrer Handlungen sowie der Gegenstände (Personen) und deren Eigenschaften. 159 Bestimmte Ereignisse können unseren Zielen nützen oder zuwiderlaufen und daher in unterschiedlichem Maß als zufriedenstellend oder nicht-zufriedenstellend beurteilt werden; die Handlungen bestimmter Akteure können unseren Verhaltensstandards entsprechen oder zuwiderlaufen und daher von uns in verschiedenem Maße gebilligt oder missbilligt werden; bestimmte Gegenstände oder Personen können uns emotional beeinflussen, weil sie bestimmten Einstellungen, Vorlieben oder Abneigungen entsprechen und uns in unterschiedlicher Ausprägung gefallen bzw. missfallen.160 Daraus ergeben sich drei grundlegende Emotionstypen, nämlich ereignis-bezogene (z. B. Eifersucht oder Schadenfreude), verhaltens-bezogene (z. B. Zorn oder Reue) und objekt-bezogene (z. B. Liebe und Hass).161 Dieses Muster kann allerdings nur Ellis, Grundlagen, S. 75 ff., 101 ff. Ellis, Grundlagen, S. 101 ff.; Wilken Umstrukturierung, S. 45 ff., 55 ff., 77 ff. 157 Dazu Wilken, Umstrukturierung, S. 45 ff. 158 Wilken, Umstrukturierung, S. 151 ff.; vgl. auch Ellis, Grundlagen, S. 176 f. 159 So auch Ortony / Clore / Collins, Cognitive Structure, S. 1 f., 34 ff.; auch Strawson sieht den Zusammenhang zwischen Bewertungen und Gefühlen, vgl. ders., Freedom and Resentment, S. 21 f.: „ [ . . . ] their strength [gemeint sind die Haltungen „indignation, disapprobation, resentment“] is in general proportioned to what is felt to be the magnitude of the injury and to the degree to which the agent’s will is identified with, or indifferent to, it. (These, of course, are not contingent connections). But these attitudes of disapprobation and indignation are precisely the correlates of the moral demand in the case where the demand is felt to be disregarded. The making of the demand is the proneness to such attitudes.“ (Hervorhebung nicht im Original). 160 Ortony / Clore / Collins, Cognitive Structure, S. 34 ff.; zusammenfassend Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 220 f., 224 ff. 161 Vgl. dazu Ortony / Clore / Collins, Cognitive Structure, S. 33. Da die Emotion wie gezeigt nicht direkt durch ein Ereignis, sondern nur mittelbar über eine entsprechende Bewertung des Ereignisses, Verhaltens oder Gegenstands erfolgt, soll nicht von ereignis- objektund verhaltens-induzierten, sondern von ereignis- objekt- und verhaltens-bezogenen Emotionen gesprochen werden. 155 156

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als grobe, semantische Orientierung dienen, da die Übergänge fließend sind. (Man kann beispielsweise sowohl hinsichtlich eines als positiv bewerteten Ereignisses als auch hinsichtlich einer als positiv bewerteten Eigenschaft neidisch sein.) Der Missbilligung liegt nun die Enttäuschung gewisser (moralischer) Verhaltenserwartungen durch ein als verwerflich beurteiltes Verhalten zugrunde. Aktivierendes Ereignis ist dementsprechend eine Handlung, welche am Maßstab bestimmter Verhaltensstandards beurteilt wird. Mit der Missbilligung wird daher eine verhaltens-bezogene Emotion zum Ausdruck gebracht, welche sich am treffendsten als Empörung, Entrüstung bzw. Ärger über eine moralische Verfehlung beschreiben lässt.162 Mit der zugrunde liegenden Erwartung bzw. Forderung gegenüber anderen Menschen wird demnach zugleich die Neigung zu entsprechenden Emotionen im Falle einer Enttäuschung / Missachtung der Erwartung / Forderung begründet.163 Nun wird der affektive Anteil häufig über eine solche Empörung hinausgehen, zu denken ist hier an Gefühle der Wut, des Hasses und der Verachtung. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn der Betroffene selbst, der seine Integrität durch die schädigende Handlung unmittelbar in Frage gestellt sieht, die Missbilligung zum Ausdruck bringt. Aber auch bei Dritten dürften diese verstärkten Affekte häufiger vorkommen. Denn auch bei Dritten trifft die schädigende Handlung auf eine intrapsychische Projektionsfläche und löst damit eine innerseelische Konfliktdynamik aus.164 So kann eine opferidentifikatorische Innenperspektive das Entstehen solcher Gefühle begünstigen.165 Umgekehrt kann auch die Wahrnehmung eigener Stimuli zum Normbruch zu Abwehrprozessen und unverhältnismäßigen Überreaktionen führen: Wer sich selbst in Gefahr sieht, eine gemeinhin als verwerflich angesehene Handlung zu begehen, mag sich und andere vom Gegenteil überzeugen wollen, indem er besonders rigide moralische Haltungen einnimmt und seine missbilligende Haltung besonders deutlich macht.166 162 Vgl. dazu auch die Beschreibung von Varianten der Ärger-Emotionen bei Mees, Psychologie des Ärgers, S. 35 ff. 163 So auch Strawson, Freedom and Resentment, S. 21 f., vgl. das entsprechende Zitat oben in Fn. 159. 164 Unter Bezugnahme auf Freud vgl. Jerouschek, JZ 2000, 185 (187); vgl. auch Strawson, Freedom and Resentment, S. 14: „It is not that these attitudes [„indignation“ und „disapprobation“] are essentially vicarious – one can feel indignation on one’s own account – but they are essentially capable of being vicarious.“ 165 Zu opfer- und täteridentifikatorischen Anteilen vgl. Jerouschek, JZ 2000, 185 (187) mit dem Beispiel des Kriminalromans, bei dem sich der Leser regelmäßig für die Täteroder die Opferperspektive entscheidet; vgl. auch Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 208 ff. (212). 166 Vgl. dazu Alexander / Staub, Der Verbrecher und seine Richter, S. 119: „Je größer nun der Druck der verdrängten Tendenzen ist, umso mehr benötigt das Ich die Sühne als abschreckendes Beispiel gegenüber der Urwelt der eigenen verdrängten Triebe [ . . . ]. Je lauter also der Mensch nach Bestrafung des Übeltäters ruft, umsoweniger hat er mit den eigenen verdrängten asozialen Trieben zu kämpfen. Es ist geradezu ein diagnostisches Merkmal starker,

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Ellis rechnet Gefühle wie übermäßige Wut bzw. übermäßigen Ärger, Hass und Verachtung zu den sog. dysfunktionalen Emotionen, die einer angemessenen Konfliktbewältigung im Wege stehen und im Gegenteil Grundlage weiterer Konflikte sein können.167 Sie schaden zum einen den Adressaten des Ausdrucks dieser Emotionen, zum anderen insbesondere auch dem Individuum, welches diese Emotionen empfindet, da sie in der Regel einen problemorientierten Umgang mit dem jeweiligen aktivierenden Ereignis verhindern und zu selbstschädigendem Verhalten führen können.168 Gilt dies auch für die emotionale Reaktion auf eine Handlung, welche die körperliche und seelische Integrität des Verletzten in schwerwiegender Weise beeinträchtigt? Grundsätzlich sind Gefühle der Wut und des Hasses bis hin zu Rachefantasien auch grausamer Art eine normale Reaktion insbesondere auf Gewalttaten, die von den Betroffenen zunächst auch zugelassen werden sollte.169 Aus therapeutischer Sicht ist es aber problematisch, wenn sich diese Emotionen verfestigen. So wird der Verletzte, der dauerhaft Hass und Wut gegenüber dem Täter verspürt, das Geschehen schlechter bewältigen können, weil die Fixierung auf den Täter einen konstruktiven Umgang mit den Folgen des Geschehens erschwert und das Interesse an der eigenen Genesung in den Hintergrund treten lässt.170 Nicht unverarbeiteter asozialer Tendenzen, wenn jemand sich allzueifrig in den Dienst des Sühnegedankens stellt [ . . . ] Wird aber der Sühnedrang durch Bestrafung des Täters ausgiebig befriedigt, hat man sich dadurch bewiesen, dass man selbst brav und loyal auf der Seite der Sozietät steht, so darf dem bestraften Täter gegenüber eine besondere Milde, oft geradezu Sympathie und Freundschaft entgegengebracht werden [ . . . ]“; zu solchen Abwehrprozessen auch Jerouschek, JZ 2000, 185 (187) und Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 208 ff. (212). 167 Vgl. Ellis, Grundlagen, S. 138 ff., 160 f. 168 Vgl. Ellis, Foundations, S. 111 ff.; zur Unterscheidung von „angemessenen“, „gesunden“, „funktionalen“ negativen Gefühlen und „unangemessenen“ oder „gestörten“ Gefühlen vgl. Ellis, Grundlagen, S. 84 ff. sowie eingehend Ellis / DiGiuseppe, Cognitive Therapy and Research 17 (1993), 471 ff.; vgl. zur angemessenen und unangemessenen Bewältigung von Ärger auch Fichten, in: Mees, Psychologie des Ärgers, S. 219 ff.; zu vermuteten psychosomatischen Auswirkungen ders., a. a. O., S. 237 ff. sowie Schwenkmezger / Steffgen / Dusi, Umgang mit Ärger, S. 33 ff.; allgemein zu Wechselwirkungen zwischen psychischer und somatischer Ebene Hoffmann / Hochapfel, Neurosenlehre, S. 196 ff. 169 Fischer, Trauma / Erste Hilfe, S. 41 f., 67 f.; Reemtsma weist darauf hin, dass gerade bei solchen Delikten, die im Rahmen einer Machtasymmetrie verwirklicht werden und daher zu einer paradoxen Bindung des Opfers an den Täter führen können, die Wiedererlangung der Fähigkeit zu hassen und Rache phantasierend auszuleben zur Befreiung aus der Opferpathologie beitragen könne, vgl. Reemtsma, in: Hassemer / Reemtsma, Verbrechensopfer, S. 124 f.; vgl. auch Alexander / Staub, Der Verbrecher und seine Richter, S. 121: „ [ . . . ] so reagiert der Mensch auf jede von Außen kommende unlustvolle Beeinträchtigung in Umkehrung dieser Situation, indem er die Rolle der die Unlust zufügenden Realität gegenüber dem Angriff des Anderen übernimmt. Dieser Rollentausch bildet die Grundlage der Rache. Freud formuliert diesen Vorgang in dem Satz, dass man das, was man passiv erduldet, bestrebt ist, aktiv auszuleben.“ 170 Vgl. dazu Fischer / Riedesser, Trauma / Erste Hilfe, S. 37 f., 41 f., 67 f.; vgl. auch Ellis, Journal of Rational-Emotive & Cognitive-Behavior Therapy 12 (1994), S. 3 (7 ff.) zu der

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nur als Reaktion auf alltägliches rücksichtsloses Verhalten, sondern auch als Reaktion auf die Integrität des Opfers erheblich beeinträchtigende Straftaten können verfestigte Gefühle der übermäßigen Wut, des Hasses und der Verachtung insoweit als dysfunktional angesehen werden. Für die vorliegende Untersuchung des expressiven Gehalts der Missbilligung ist nun entscheidend, ob diese Gefühle der Missbilligung inhärent sind oder über diese hinausgehen. Dysfunktionale (selbstschädigende) Gefühle lassen sich nach Ellis im Wesentlichen auf irrationale, dogmatische bzw. rigide und starre Haltungen und Überzeugungen zurückführen.171 Diese Überzeugungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sowohl empirisch als auch logisch widerlegbar sind und zu selbstschädigendem Verhalten führen.172 Legt man Ellis’ Ansatz zugrunde, sind auch hinter einer affektiv erhöhten missbilligenden Reaktion entsprechende irrationale Überzeugungen zu vermuten. Gefühle der Wut, des Hasses und der Verachtung sind demnach jedenfalls dann nicht inhärenter Bestandteil der Missbilligung, wenn sie irrationale Einstellungen reflektieren, die über die der Missbilligung zugrunde liegende Erwartung nicht schädigenden Verhaltens hinausgehen. Welche kognitiven Bedingungen kommen nun als Ursache für die genannten gesteigerten Affekte in Betracht? Einer missbilligenden Reaktion, mit der zugleich Hass und Verachtung zum Ausdruck gebracht wird, dürfte regelmäßig die Überzeugung zugrunde liegen, das verwerfliche Verhalten mache den Handelnden selbst zu einer durchweg schlechten Person, die wegen ihrer Schlechtigkeit hart bestraft werden müsse. Ellis hat aufgezeigt, dass es sich dann nicht mehr nur um die emotionale Reaktion auf ein Verhalten handelt. Vielmehr richten sich diese Gefühle unmittelbar gegen die Person des Verletzenden: Nicht das Verhalten wird missbilligt, sondern die Person verdammt.173 Die in dieser Reaktion zum Ausdruck kommende globale Personenabwertung widerspricht dem menschlichen Wesen, welches sich durch Komplexität und Wandelbarkeit auszeichnet. So hat jeder Mensch unermesslich viele und über die Zeit veränderliche Eigenschaften, die eine globale Bewertung der Person unRolle dysfunktionaler Einstellungen und Gefühle bei der Entstehung und Aufrechtherhaltung des PTBS: In dem dargestellten Fall eines Missbrauchs- und Vergewaltigungsopfers kam es zu einer generalisierten Angst vor sämtlichen Sexualkontrakten und zu Hass- und Wutgefühlen gegenüber Männern im Allgemeinen sowie gegenüber Frauen (insbesondere auch im engen sozialen Umfeld) mit guten Sexualbeziehungen zu andern Männern. Diese dysfunktionalen Emotionen führt Ellis zu einem wesentlichen Teil auf die zugrunde liegenden dogmatischen Haltungen, insbesondere auch die der globalen Personenabwertung, zurück, dazu auch sogleich. 171 Ellis, in: Corsini / Wedding, Current Psychotherapies, S. 168 (172 ff.). 172 Vgl. dazu Ellis, Grundlagen, S. 168 ff.; Ellis / Hoellen, Neubestimmungen, S. 154 ff.; Ellis, in: Corsini / Wedding, Current Psychotherapies, S. 168 (170); wichtig ist dabei, dass nicht die Irrationalität alleine einen Gedanken problematisch macht, sondern erst dessen rigider Charakter und die dadurch verursachten selbstschädigenden emotionalen und verhaltensbezogenen Konsequenzen wie Angst, Depression, Wut und Selbsthass sowie selbstzerstörerische Verhaltensweisen, vgl. Ellis, in: Zeig, Psychotherapie, S. 195 (204). 173 Vgl. Ellis, Grundlagen, S. 138 ff., 160 f.; vgl. auch Mees, Psychologie des Ärgers, S. 60.

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möglich machen.174 Ein durchweg schlechter, verdammenswerter Mensch müsste in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft stets schlecht handeln – eine offensichtlich unhaltbare Annahme.175 Häufig werden Gefühle des Hasses, der Verachtung und der Rache auf solche irrationalen, globalen Personenabwertungen zurückzuführen sein.176 Diese Gedanken und Affekte schaden durch die Verursachung der oben beschriebenen selbstschädigenden Tendenzen einerseits dem Individuum, andererseits dürften sie zur Entstehung und Eskalation vieler menschlicher Konflikte beitragen, und zwar vom alltäglichen Streit bis hin zu Kriegen und Genoziden.177 Aus psychotherapeutischer Sicht befürwortet Ellis daher das Prinzip der Toleranz gegenüber sich selbst und anderen, nach dem zwar die jeweilige Verhaltensweise einer Person, nicht aber die Person als Ganzes bzw. deren gesamtes Wesen bewertet wird.178 Der Ausdruck von Missbilligung gründet auf der Bewertung eines Verhaltens, nicht jedoch notwendig auf einer Bewertung der Person und ist daher nicht spezifisch mit dem Ausdruck von Hass und Verachtung verknüpft. Wie aber ist die der Missbilligung zugrunde liegende Erwartung rücksichtsvollen oder zumindest nicht schädigenden Verhaltens gegenüber anderen Menschen zu beurteilen? Möglicherweise handelt es sich schon dabei um eine irrationale, rigide Annahme, die als Grundlage dysfunktionaler Emotionen (wie etwa extremer Wut, übermäßigen Zorns oder Ärgers) in Betracht kommt. Die der Missbilligung zugrunde liegende Erwartung kann zu Affekten wie Wut und übermäßigem Ärger führen, wenn sie in irrationaler Weise übersteigert wird: Das Verhalten wird nicht nur als schlecht im Hinblick auf die eigenen Ziele und im Blick auf bestimmte soziale Verhaltensstandards bewertet. Vielmehr wird die Erwartung nicht schädigenden Verhaltens zu dem rigiden Anspruch und absoluten Gesetz erhoben, die Welt dürfe absolut nicht so sein wie sie offenbar ist, das schädigende Verhalten habe absolut nicht geschehen dürfen.179 Die genannte Überzeugung ist insofern logisch widerlegbar, als aus einer Präferenz hinsichtlich des Verhaltens anderer Menschen nicht folgt, dass die Geschehnisse entsprechend dieser Präferenz verlaufen müssen und das schädigende Verhalten im Sinne eines absoluten Gesetzes nicht hätte geschehen dürfen. Zudem steht die Forderung, dass andere Zum therapeutischen Einsatz solcher Argumente Wilken, Umstrukturierung, S. 117 ff. Vgl. dazu insbesondere Ellis / Hoellen, Neubestimmungen, S. 70 ff. (insbes. 80 f.); vgl. zu solchen unbewussten Übergeneralisierungen auch Korzybski, in: Blake / Ramsey, Perception, S. 170 (180 ff., 188 ff.). 176 Vgl. Ellis, Grundlagen, S. 138 ff., 160 f. und Ellis, in: Corsini / Wedding, Current Psychotherapies, S. 168 (172). 177 Vgl. Ellis, Grundlagen, S. 138 ff., 160 f. und insbes. Ellis, Journal of Cognitive Psychotherapy 6 (1992), 79 ff. 178 Vgl. Ellis, Grundlagen, S. 138 ff., 311 f. 179 Zusammenfassend Wilken, Umstrukturierung, S. 133 ff.; Ellis, Grundlagen, S. 138 ff. und Ellis, in: Corsini / Wedding, Current Psychotherapies, S. 168 (172 ff.). 174 175

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Menschen sich entsprechend moralischer Verhaltensstandards verhalten müssen, in einem Spannungsverhältnis zur Wirklichkeit menschlichen, fehlerbehafteten Verhaltens: Der Mensch ist aufgrund biosozialer Gegebenheiten (einschließlich seiner Erbanlagen und seiner Erziehung) offensichtlich ein fehlbares Lebewesen, von dem realistischerweise Fehler und Irrtümer erwartet werden müssen.180 Da der Missbilligung stets Erwartungen und Forderungen an das Verhalten der Mitmenschen zugrunde liegen, ist der Schritt zu einer auf solch rigiden, dogmatischen Überzeugungen gründenden Reaktion nicht weit. Ellis stellt dementsprechend die Berechtigung und Funktion des Ausdrucks von Missbilligung und Tadel grundsätzlich in Frage.181 So könne die Einnahme einer realistischen Haltung gegenüber menschlichem Fehlverhalten das Entstehen dysfunktionaler, selbstschädigender Gefühle wie übermäßigen Ärger und Wut verhindern.182 Zudem weist Ellis auf klinische Befunde hin, die darauf hindeuten, dass menschliches Fehlverhalten häufig durch biosoziale Einflüsse bestimmt bzw. neurotisch (in einzelnen Fällen gar psychotisch) bedingt ist und vom Einzelnen zwar potentiell, im Zeitpunkt der Handlung oft aber kaum steuerbar ist.183 Zieht man die vielfältigen, dem Einzelnen nicht unmittelbar zugänglichen psychologischen Ursachen für menschliches Verhalten in die Betrachtung mit ein, könnte eine durchgängig objektivierende Haltung demnach die angemessenere Reaktion auf schädigendes Verhalten darstellen. Es ginge dann nur noch darum, zukünftige schädigende Ereignisse zu verhindern, bessernd bzw. therapierend auf den Handelnden einzuwirken oder diesen, wenn dies nicht möglich ist, entweder zu meiden oder mit seiner Störung zu akzeptieren. Es ginge aber nicht mehr darum, den Handelnden für sein Verhalten zu tadeln. Eine solche, auf Tadel verzichtende Haltung stünde insoweit mit der Wirklichkeit in Einklang, als sie die unzähligen Faktoren berücksichtigt, die menschliches Fehlverhalten verursachen und dieses als zumindest im Zeitpunkt der Handlung nur sehr beschränkt steuerbar erscheinen lassen. Dies muss umso mehr gelten, wenn man von einer weitgehenden Determiniertheit menschlichen Verhaltens ausgeht (was Ellis in diesem Sinne nicht tut184). Eine Ellis, Grundlagen, S. 139. Und wendet sich damit letztlich auch gegen missbilligende strafende Reaktionen sowohl im alltäglichen zwischenmenschlichen Bereich als auch im Strafrecht; zu einem Verständnis von „penalization“ als therapeutische Bestrafung und „punishment“ als missbilligende und insbesondere die Person verdammende Bestrafung vgl. Ellis / Gullo, murder, S. 345; vgl. auch Ellis, Grundlagen, S. 140. 182 Ellis Grundlagen, S. 138 ff., 311 f. 183 Vgl. Ellis, Grundlagen, S. 138; Ellis / Gullo, murder, 350 ff., 373 ff.; vgl. auch Hoellen, Zeitschrift für Rational-Emotive & Kognitive Verhaltenstherapie 12 (2001), 23 ff. 184 Vgl. dazu Ellis, Journal of Counseling and Development 64 (1985), 286; Hoellen, Zeitschrift für Rational-Emotive & Kognitive Verhaltenstherapie 2001 (12), 23 (26): der Gegensatz zu „frei“ wird in der Rational-Emotiven Verhaltenstherapie nicht so sehr als „determiniert“, sondern als „statisch“, „unflexibel“, „festgelegt“, „starr“ gesehen. 180 181

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solche Annahme geht über die These einer neurotisch bzw. psychotisch bedingten Unfreiheit menschlichen (Fehl-)Verhaltens hinaus, da sie sich letztlich auf sämtliches menschliches Verhalten bezieht und damit auch nicht die Möglichkeit erfassen kann, dass Menschen durch eine Bekämpfung neurotischer Strukturen „freier“ werden können. Aus dieser Perspektive erscheint eine Schuld und freie Verantwortlichkeit implizierende tadelnde Reaktion erst recht unangemessen. Allerdings dürfte eine durchgängig objektivierende Haltung kaum Grundlage menschlicher Sozialstrukturen werden, selbst wenn sich die Einsicht durchsetzen sollte, menschliches Handeln sei im Wesentlichen determiniert, oder wenn es dem Verletzten jeweils möglich wäre, die psychologischen Ursachen schädigenden Verhaltens zu erkennen oder diese zumindest in Rechnung zu stellen. Die Einnahme einer objektivierenden Haltung dürfte zwar tatsächlich zu einer geringeren emotionalen Belastung führen, und kann etwa aus Gründen des Selbstschutzes durchaus sinnvoll sein.185 Wenn wir zu verstehen versuchen, wie der andere „funktioniert“, können wir uns auf die Situation einstellen, zumindest aber befreien wir uns durch die Einnahme dieser Perspektive ein Stück weit aus der emotionalen Verwicklung zwischenmenschlicher Beziehungen.186 Mit steigender Intensität der Geschehnisse und / oder der zugrunde liegenden sozialen Beziehung wird sich eine solche Haltung allerdings immer schwieriger durchhalten lassen.187 Insbesondere gingen damit aber eine ganze Reihe anderer Emotionen verloren, die ausschließlich auf der inter-personalen Ebene zwischenmenschlicher Beziehung empfunden werden können, wie etwa Dankbarkeit, Vergebung, oder „die Art von Liebe, von der man sagen kann, dass zwei Erwachsene sie manchmal wechselseitig füreinander empfinden“.188 Selbst wenn die These zuträfe, dass nicht nur neurotisches, sondern sämtliches menschliches Verhalten „unfrei“ ist, dürfte diese Erkenntnis die Verankerung der sozialen Praxis des Verantwortlichmachens, des Ausdrucks von moralischer Missbilligung oder Anerkennung nicht grundsätzlich erschüttern. So ist es beispielsweise schwer vorstellbar, dass der fortschreitende Übergang von einer objektivierenden zu einer personalen (moralischen) Haltung, der bei der Erziehung eines Kindes mit dessen fortschreitender Entwicklung zu beobachten ist, durch eine durchgehend objektivierende Haltung ersetzt werden könnte. Offenbar ist es notwendig, zwischen verantwortlichem und nicht verantwortlichem Verhalten und den entsprechenden Haltungen zu differenzieren, wobei objektivierende und personale Haltungen im Alltag (und insbesondere bei der Erziehung eines Kindes oder im Umgang mit einer psychisch beeinträchtigten Person) häufig nebeneinander vorkommen.189 Darüber hinaus dürften Menschen sich gegenseitig kaum als Vgl. auch schon oben B.II.2.a). Strawson, Freedom and Resentment, S. 9 f. 187 Strawson, Freedom and Resentment, S. 9 f. 188 Strawson, Freedom and Resentment, S. 9. 189 Zum Übergang von einer objektivierenden Haltung zu einer inter-personalen Haltung bei der Erziehung eines Kindes vgl. Strawson, Freedom and Resentment, S. 19 f. 185 186

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weitgehend unfrei handelnde Wesen betrachten können, ohne ihre eigene soziale Identität in Frage zu stellen. Daher geht Strawson davon aus, die intellektuelle Überzeugung oder gar wissenschaftliche Erkenntnis, menschliches Verhalten sei im Wesentlichen determiniert, könne nicht zu einer durchgängig objektivierenden Haltung führen, vielmehr verbleibe die Kommunikation zwischen den Mitgliedern der Gemeinschaft grundsätzlich auf der inter-personalen Ebene.190 Gegen die Möglichkeit einer weitgehend objektivierenden Haltung sprechen aber insbesondere die Bedingungen menschlichen Zusammenlebens an sich. Die Einnahme einer solchen Perspektive würde bedeuten, dass die das menschliche Sozialleben strukturierenden Moralnormen grundsätzlich suspendiert wären: Jegliches Zuwiderhandeln wäre als dem Einzelnen letztlich nicht zurechenbarer kognitiver Prozess anzusehen und daher grundsätzlich nicht tadelnswert191. Wenn die moralischen Grundnormen überhaupt noch Bestand hätten, dann wäre jedenfalls derjenige, der ihnen zuwiderhandelt, aus der moralischen Gemeinschaft ausgeschlossen. Moralische Normen sind als normative Erwartungen192 jedoch notwendiger Bestandteil des menschlichen Zusammenlebens. Es ist gerade Zeichen normativer Erwartungen, dass sie in gewisser Weise „irrational“ sind: An ihnen wird festgehalten, obwohl sie durch eine andersartige Realität enttäuscht wurden; man weigert sich förmlich, die Erwartung anzupassen.193 Indem die Norm auf diese Weise „über die Zeit gerettet“ wird, ermöglicht sie erst die oben beschriebene Reduktion von Komplexität und Kontingenz und die damit einhergehende Bewältigung von Überforderung und Angst. Es gäbe keine Zuflucht in die Sicherheit normativen Erwartens mehr, wenn sich die Menschen gegenseitig als gänzlich determiniert ansehen würden. Es ist aber auch nicht möglich, nur abweichendes Verhalten als nicht verantwortliches Handeln zu begreifen. Denn das Fehlen der Freiheit, unmoralisch zu handeln, impliziert auch das Fehlen der Freiheit, moralisch zu handeln, bzw. ist die Freiheit zu moralischem Handeln ohne die Freiheit zu unmoralischem Handeln nicht vorstellbar. Die Annahme eines die Verantwortlichkeit ausschließenden Zustandes muss daher die Ausnahme bleiben, wenn moralische Normen im genannten Sinne Bestand haben sollen. Menschen haben demzufolge moralische, wissenschaftlich betrachtet in einigen Fällen vielleicht ungerechtfertigte Erwartungen gegenüber sich selbst sowie gegen190 Strawson, Freedom and Resentment, S. 11 ff.; vgl. jüngst auch Hassemer, Warum Strafe sein muss, S. 213 ff. 191 Dazu auch schon oben B.II.2.b), insbesondere das Zitat nach Luhmann, Rechtssoziologie, S. 56, wonach wissenschaftlich verifizierbare Erklärungen, welche die regelmäßige, situationsbedingte Erwartbarkeit der Enttäuschung begründen, der Norm schaden können. 192 Vgl. dazu schon oben B.II.2.b). 193 Vgl. auch Janoff-Bulman, shattered assumptions, die darauf hinweist, dass das Festhalten an gewissen Grundannahmen bzw. ein gewisser kognitiver Konservativismus der menschlichen Natur immanent ist und durchaus auch die Funktion hat, dem Individuum die Konstruktion einer fassbaren und nicht-bedrohlichen Umwelt zu ermöglichen, dies., a. a. O., S. 3 ff., 21 ff., 26 ff. u. 40 ff.

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über ihren Mitmenschen. Missbilligung bzw. Tadel sind Reaktionen auf die Enttäuschung dieser Erwartungen. Es spricht vieles dafür, dass Strawsons These zutrifft und solche Haltungen und Reaktionen sowie entsprechende normative Erwartungen wesentliche Struktur menschlichen Zusammenlebens sind. Oder wie es Watzlawick ausdrückt: „Es gibt keinen einzigen Beweis und wird nie einen geben, dass der Mensch wirklich einen freien Willen hat und daher verantwortlich ist für sein Handeln. Ich kenne jedoch keine Gesellschaft, Kultur oder Zivilisation in der Vergangenheit oder Gegenwart, in der sich die Menschen nicht so verhalten, als ob dies der Fall wäre, weil ohne diese fiktive Annahme praktische, konkrete soziale Ordnung unmöglich wäre.“194

Die der Missbilligung zugrunde liegende Erwartung kann daher – solange sie sich auf die Bewertung der Handlung beschränkt – nicht grundsätzlich als „irrational“ und die resultierende Emotion nicht als dysfunktional bewertet werden, erfüllt sie doch eine intersubjektive Funktion. Zwar wird die Erwartung in ihrer übersteigerten, rigiden Form zum Problem: Sie gefährdet die emotionale Gesundheit und die Folgenbewältigung des Individuums. Darüber hinaus ist die intersubjektive Anerkennung der Erwartung gefährdet, wenn der Enttäuschte infolge starker Emotionen unberechenbar oder heftiger als angemessen auf die Erwartungsenttäuschung reagiert: „Es besteht die doppelte Gefahr, dass der Enttäuschte vor Aufregung unberechenbar handelt, dass er, um eine Erwartung zu retten, viele Erwartungen enttäuscht, also mehr Probleme schafft als löst; oder dass er in der Aufregung seine Fassung verliert, sich selbst vergisst, die Kontinuität und Verlässlichkeit seiner Selbstdarstellung unterbricht und um einer Erwartung willen die soziale Identität seiner Persönlichkeit aufs Spiel setzt, sich selbst blamiert und sich nicht wiedergutzumachenden Schaden antut.“195

Allerdings sind Gefühle der übermäßigen Wut bzw. des übermäßigen Ärgers, des Hasses und der Verachtung nicht notwendiger Bestandteil der Missbilligung, unabhängig davon, ob der Verletzte selbst oder ein Dritter sie äußert. Zwar ist die Missbilligung ohne ein begleitendes Sentiment (etwa der Empörung) in der alltäglichen Kommunikation kaum denkbar. Die Untersuchung hat aber gezeigt, dass der Ausdruck von Wut, Hass und Verachtung darüber hinausgeht. Eine missbilligende Watzlawick, in: Zeig, Psychotherapie, S. 172 (183). Luhmann, Rechtssoziologie, S. 54. Luhmann (a. a. O.) sieht daher eine wesentliche Aufgabe des Sozialsystems darin, eine Kanalisierung entsprechender Emotionen zu ermöglichen: „Die Enttäuschungsbehandlung kann nicht allein der individuellen Auf- und Abregung überlassen bleiben [ . . . ] Deshalb muss das soziale System die Abwicklung von Erwartungsenttäuschungen betreuen und kanalisieren – und dies nicht nur, um richtige Erwartungen (etwa Rechtsnormen) wirksam durchzusetzen, sondern um überhaupt die Möglichkeit zu kontrafaktischem Erwarten zu schaffen [ . . . ] Zur Stabilisierung von Strukturen gehört die Kanalisierung und Auskühlung von Enttäuschungen mit dazu.“ Auf die Aufgabe des Sozialsystems, Erwartungen zu stabilisieren, wird noch genauer eingegangen werden. Zur weitgehenden sozialen Normierung, inwieweit eine Ärgerreaktion in Anbetracht des jeweiligen Ärgeranlasses als gerechtfertigt angesehen wird, vgl. Fichten, in: Mees, Psychologie des Ärgers, S. 219 (242 ff.). 194 195

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Reaktion bleibt insbesondere auf das Verhalten beschränkt und kann im alltäglichen Zusammenleben zwar kaum je ohne, wohl aber mit gemäßigtem expressivem Anteil zum Ausdruck gebracht werden. Wird die zugrunde liegende Erwartung enttäuscht, sichert das damit einhergehende Gefühl der Empörung bzw. des – mäßigen – Ärgers eine soziale Reaktion. Denn es motiviert den Verletzten, das Festhalten an der Erwartung zum Ausdruck zu bringen und bei Dritten mit seiner Normprojektion Rückhalt zu suchen. Auf diese Weise wird es dem Individuum ermöglicht, an seinen Verhaltenserwartungen festzuhalten; zudem wird die Norm intersubjektiv aktualisiert und damit einem Verblassen der Norm vorgebeugt.196 Als Ergebnis kann damit festgehalten werden, dass der Sprechakt der Missbilligung zwar das Gefühl der Empörung und des mäßigen Ärgers, nicht aber notwendig die genannten gesteigerten Affekte wie Wut, Hass und Verachtung einschließt. Die Möglichkeit einer gemäßigten missbilligenden Reaktion ist in der weiteren Untersuchung – insbesondere mit Blick auf die kommunikative Funktion des Strafrechts – zu berücksichtigen. Fraglich ist aber, ob die alltägliche Missbilligung als expressiver Sprechakt, als Ausdruck von Empörung bereits hinreichend beschrieben ist. bb) Alltägliche Missbilligung als direktiver Sprechakt Betont man den Vorwurfs-Charakter der Missbilligung, so könnte man darin auch einen direktiven Sprechakt sehen, einen Sprechakt also, der auf ein zukünftiges Handeln oder Unterlassen des Adressaten gerichtet ist und damit eine WeltWort Ausrichtung aufweist. Teilweise wird der Vorwurf als eine „Art Aufforderung, und zwar eine Aufforderung, sich zu entschuldigen oder zu rechtfertigen“ verstanden und demnach als direktiver Sprechakt eingeordnet.197 Zweck dieses Sprechakts wäre damit insbesondere das Schuldeingeständnis des Adressaten.198 Zudem möchte derjenige, der einen Vorwurf erhebt, regelmäßig erreichen, dass sich nicht wiederholt, was Anlass zu dem Vorwurf gegeben hat, also auf ein künftiges Unterlassen hinwirken. Dennoch spricht dies nicht zwingend für den direktiven Charakter der Missbilligung. Eine Entschuldigung oder Verhaltensänderung des Adressaten ist keineswegs leicht herbeizuführen. Dies gilt insbesondere dann, wenn bestimmte, die Befolgung eines direktiven Sprechakts begünstigende oder gar garantierende Durchsetzungsmodalitäten wie Autorität, Macht, Einfluss, Befehlsgewalt, Wei196 Zu der beschränkten intersubjektiven Wirkung vgl. aber schon oben, B.II.1.c). Vgl. zur normerhaltenden Funktion von Ärger Fichten, in: Mees, Psychologie des Ärgers, S. 219 (244). 197 Dazu Hundsnurscher, Proto Soziologie 4 (1993), 140 (143). 198 So Frilling / König, in: Feldbusch / Pogarell / Weiß, Neue Fragen der Linguistik, S. 23 (26).

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sungsbefugnisse oder sonstige Einwirkungsmöglichkeiten auf der Sprecherseite und Gehorsam, Respekt, Höflichkeit, Entgegenkommen, Einsicht auf der Hörerseite fehlen.199 Die Notwendigkeit einer Verhaltensänderung wird der Adressat häufig nicht einsehen, wobei ihm die tiefer liegenden kognitiven Ursachen für sein schädigendes Verhalten häufig auch kaum zugänglich sein werden.200 Dem Sprecher bleibt daher oft nur der Versuch, eine emotionale Destabilisierung des Adressaten zu bewirken, ihn aus „aus der Ruhe zu bringen“ bzw. „aufzurütteln“, um durch diese Einwirkung auf den Adressaten das erstrebte Verhalten wahrscheinlicher, das unerwünschte hingegen unwahrscheinlicher zu machen.201 Dies wird kaum durch eine bloße Aufforderung, sondern eher durch einen emotiv geprägten Sprechakt erreicht werden können.202 Die Missbilligung wird daher häufig mit entsprechendem emotionalem Anteil zum Ausdruck gebracht werden und darauf gerichtet sein, beim Adressaten Gefühle der Reue, Schuld- oder gar Scham zu induzieren.203 Diese Gefühle sollen – unter Voraussetzung der moralischen Ansprechbarkeit des Adressaten – die emotional-kognitiven Bedingungen dafür schaffen, dass die Realisierung einer vorhandenen Verhaltensdisposition – die Wiederholung des schädigenden Verhaltens – unwahrscheinlicher wird. Das Gefühl der Reue dürfte dabei allerdings auf lange Sicht eher zu einer konstruktiven Reaktion des Verletzenden führen als Schuld- oder gar Schamgefühle: Eine Beschäftigung mit der Frage, wie zukünftige schädigende Handlungen verhindert werden können und Wiedergutmachung geleistet werden kann, wird durch Gefühle der Reue eher gefördert, durch Schuld- und Schamgefühle eher verhindert, da letztere die Gefahr einer Fixierung auf die Vergangenheit und einer Selbstabwertung bergen.204 Insbesondere dürfte die Wirksamkeit einer emotional geprägten missbilligenden Reaktion insoweit begrenzt sein, als heftige, gegen den Adressaten gerichtete Emotionen wie starker Ärger, Wut und Hass eher zu einer defensiven Reaktion führen und damit gegen die mit ihrer Äußerung verfolgte Intention wirken.205 Unabhängig davon wird eine Einwirkung auf den Adressaten in der zwischenmenschlichen Kommunikation aber häufig über den Ausdruck von Emotionen zu erreichen gesucht. Soweit mit der Missbilligung eine zukünftige Verhaltensänderung erstrebt wird, weist dies eher auf die expressiven Anteile des Sprechakts hin. Rolf, Gebrauchstextsorten, S. 285 f. Vgl. dazu auch Rolf, Gebrauchstextsorten, S. 285. 201 Rolf, Gebrauchstextsorten, S. 76, 285. 202 So auch Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 239. 203 Vgl. zur Bedeutung dieser Gefühle im moralischen Diskurs des Alltags Strawson, Freedom and Resentment, S. 15 f. 204 Vgl. dazu Ellis, Grundlagen, S. 138 ff.; vgl. auch Ellis, Reason and Emotion, S. 181 ff.; mit einem reintegrierenden Konzept des „Beschämens“ Braithwaite, Crime, shame and reintegration, vgl. dazu unten Fn. 333. 205 Die von Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 221 f. aufgestellte Prämisse, die Wahrscheinlichkeit einer Verhaltensänderung werde durch eine emotionale Irritation erhöht, ist in dieser allgemeinen Form daher zweifelhaft. 199 200

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Entscheidend dafür, dass sich die Missbilligung nicht als spezifisch direktiver Sprechakt beschreiben lässt, ist jedoch etwas anderes: Die Missbilligung ist in erster Linie retrospektiv ausgerichtet. Natürlich wird auf eine schädigende Handlung in der alltäglichen Kommunikation des Öfteren auch mit einer zukunftsgerichteten Forderung bzw. Aufforderung reagiert werden, diese zukünftig zu unterlassen. Dann geht es aber nicht mehr um den Sprechakt der Missbilligung, der ja gerade als Antwort auf die Missachtung einer solchen – vielleicht nicht ausdrücklich zuvor geäußerten aber grundsätzlich bestehenden – Forderung zu verstehen ist. Der retrospektive Charakter der Missbilligung zeigt sich insbesondere daran, dass sie häufig auch dann ausgesprochen wird, wenn von vornherein feststeht, dass es zu einer Wiederholung des Verhaltens nicht kommen wird. Beispielsweise wird ein Fußgänger, der von einem Autofahrer fast angefahren wurde, diesem gegenüber eine missbilligende Reaktion oftmals auch dann zeigen, wenn in keiner Weise damit zu rechnen ist, dass der Autofahrer den Fußgänger jemals wieder bedrohen wird.206 Mit der Missbilligung wird daher ein grundlegender Zweck verfolgt, der mit direktiven Sprechakten nicht erklärbar ist. cc) Alltägliche Missbilligung als assertiver Sprechakt Worin könnte nun der den expressiven Anteil übersteigende Gehalt der Missbilligung liegen? Searle / Vanderveken haben die Beobachtung gemacht, dass wir es offenbar nur dann für lohnend halten, eine Bezeichnung für eine expressive Illokutionskraft zur Verfügung zu haben, wenn etwas Gutes oder Schlechtes involviert ist, obwohl die Idee des Zum-Ausdruck-Bringens eines psychischen Zustands keine solche Präsupposition beinhaltet.207 Searle / Vanderveken weisen darauf hin, dass nahezu sämtliche expressive Sprechakte an der Kategorie Gut / Schlecht orientiert sind, so beispielsweise der Ausdruck von Freude oder Leid.208 Dies deutet auf obigen Befund hin, dass expressiven Sprechakten grundsätzlich eine Bewertung zugrunde liegt, im Falle der missbilligenden Reaktion die Bewertung einer Handlung. Dabei sei noch einmal darauf hingewiesen, dass expressive Sprechakte keine Anpassungsrichtung aufweisen: Es wird weder versucht, die Welt zu den Worten, noch die Worte zur Welt passen zu lassen, denn Expressiva setzen die Wahrheit der zum Ausdruck gebrachten Proposition (bei der Entschuldigung etwa die als negativ bewertete Handlung) voraus.209 Bei der Missbilligung könnte dies anders sein. Denn die Missbilligung bringt nicht nur die (moralische) Empörung zum Ausdruck, sondern enthält – als inter-personale Kommunikation im Straw206 Natürlich könnte man nun einwenden, der Fußgänger wolle eben erreichen, dass der Autofahrer sich in Zukunft im Straßenverkehr allgemein korrekt verhält. Dies mag zwar durchaus auch ein Motiv sein, es dürfte meist jedoch eher ein Nebenmotiv darstellen; zwingend ist dessen Vorhandensein für eine missbilligende Reaktion jedenfalls nicht. 207 Searle / Vanderveken, Foundations, S. 211. 208 Searle / Vanderveken, Foundations, S. 211. 209 Vgl. schon oben 2. Kap. B.II.

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3. Kap.: Sprechakte im Strafrecht

son’schen Sinne – auch ein moralisches Werturteil. Wäre die Missbilligung ein lediglich expressiver Sprechakt, würde damit zwar Empörung, Entrüstung oder Ärger kundgetan, eine Bewertung der verletzenden Handlung und die Frage der Verantwortlichkeit diesbezüglich käme allerdings nur indirekt zum Ausdruck. Es spricht einiges dafür, den Gehalt der von Strawson beschriebenen missbilligenden Reaktion über den expressiven Anteil hinaus auch als assertiven Sprechakt, als negative Bewertung und „Zuschreibung von Verantwortlichkeit für den bestehenden Sachverhalt oder für eine bestimmte Handlung“ zu deuten.210 Denn die Missbilligung enthält die Beurteilung, dass das entsprechende Verhalten verwerflich bzw. tadelnswert war und der Adressat des Tadels dafür verantwortlich ist. Auf die Behauptung dieser Proposition legt sich derjenige, der die Missbilligung ausspricht, illokutionär fest.211 Solche moralischen Werturteile sind fester Bestandteil des alltäglichen moralischen Diskurses. Es wird nicht nur eine gefühlsmäßige Einstellung zu einem als gegeben angesehenen Weltzustand zum Ausdruck gebracht, es wird auch nicht nur versucht, den Verletzenden von zukünftigem schädigendem Verhalten abzubringen. Entscheidend ist, dass ein entsprechender Wahrheitsanspruch bzw. moralischer Geltungsanspruch erhoben wird. Zwar mag es dem Sprecher auf ein zukünftiges Handeln des Hörers in Form einer Entschuldigung ankommen. Dann geht es ihm aber gerade um die Anerkennung seines moralischen Geltungsanspruches. Als direktiver oder rein expressiver Sprechakt ohne Wort-Welt-Ausrichtung und entsprechenden Geltungsanspruch lässt sich die Missbilligung daher nicht verstehen. Bei der Missbilligung handelt es sich demnach um ein emotiv geprägtes moralisches Unwerturteil. Die Missbilligung hat damit den assertiven illokutionären Zweck.212 Fraglich ist nun, welche besonderen Ausprägungen die illokutionäre Kraft der Missbilligung aufweist. Die assertive Stammkraft ist in drei ihrer sechs Dimensionen besonders ausgeprägt. Die besondere Wort auf Welt-Ausrichtung des illokutionären Zwecks 210 Zu einer solchen Interpretation des Vorwurfs Hundsnurscher, Proto Soziologie 4 (1993), 140 (144). 211 Ähnlich zum Vorwurf Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 239, der den Vorwurf als grundsätzlich expressiven Sprechakt mit assertiven Elementen einstuft. 212 Searle / Vanderveken, Foundations, S. 190 sehen Tadel („blame“) als assertiven Sprechakt, während Vanderveken, Meaning, S. 178 f., 216 f. disapproval (Ausdruck der Missbilligung) den expressiven und blame (Tadel) sowohl den assertiven als auch den expressiven Sprechakten zuordnet. Mit letzterer Einteilung kommt allerdings nicht die eigenständige Bedeutung des erhobenen Geltungsanspruchs zum Ausdruck. Von Hirsch, in: Duff / Garland, Reader on Punishment, S. 115 (119) geht in seiner Strawson – Rezeption davon aus, dass censure (ein weiterer englischer illokutionärer Ausdruck für Tadel) sowohl aus einer Gefühlsäußerung als auch einem Werturteil besteht. Letztlich kommt es wie gezeigt auch nicht entscheidend auf die einzelnen illokutionären Verben an. Es geht um die exakte Beschreibung der illokutionären Kraft einer sozialen Handlung, die als solche möglicherweise gar nicht eindeutig lexikalisiert ist. Problematisch ist insbesondere die Ambiguität illokutionärer Ausdrücke, die sich teilweise überschneiden. Gerade die englischen Ausdrücke finden nicht immer exakte Entsprechungen in der deutschen Sprache (so etwa „Missbilligung“ für „disapprobation“, „disapproval“, „reprobation“).

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wurde bereits genannt. Des Weiteren beinhaltet sie die vorbereitende Bedingung, dass der Sprecher Gründe bzw. Anhaltspunkte dafür hat, dass die von ihm ausgedrückte Proposition einen tatsächlich bestehenden Sachverhalt repräsentiert. Schließlich wird mit der Aufrichtigkeitsbedingung zum Ausdruck gebracht, dass der Sprecher glaubt, die ausgedrückte Proposition sei wahr bzw. gültig. Zunächst könnte man in der Missbilligung nun eine schlichte Feststellung sehen (wie bereits erwähnt dienen illokutionäre Verben wie „feststellen“ dabei nur als Ausgangspunkt einer Beschreibung der illokutionären Kraft213). Assertive Feststellungen haben gegenüber der assertiven Stammkraft einen besonderen Durchsetzungsmodus. Sie dienen der Versicherung, dass nicht der Sprecher allein von der Geltung der Proposition ausgeht, es wird in Rechnung gestellt, dass der oder die Adressaten die Geltung der ausgedrückten Proposition später bestreiten könnten.214 Daher wird versucht, den oder die Adressaten auf die Anerkennung der ausgedrückten Proposition festzulegen.215 Sollte einer der Adressaten abweichender Meinung sein, müsste er es sogleich kundtun, andernfalls kann der Sprecher davon ausgehen, dass die ausgedrückte Proposition als wahr anerkannt wird. Es zeigt sich allerdings, dass das illokutionäre Verb „feststellen“ den assertiven Charakter der Missbilligung nicht treffend beschreibt, zumindest nicht in der soeben dargestellten Grundform. Zunächst einmal hat die Missbilligung die zusätzliche Bedingung des propositionalen Gehalts, dass die in Frage stehende Handlung als moralisch verwerflich bewertet wird. Eine weitere Bedingung des propositionalen Gehalts besteht darin, dass der Verletzende für die Handlung verantwortlich gemacht wird. Insbesondere ist der Durchsetzungsmodus der Missbilligung stärker als der einer bloßen Feststellung im obigen Sinne: Es wird nicht nur eine abweichende Meinung in Rechnung gestellt und versucht, Gewissheit und Einigkeit über den ausgedrückten propositionalen Gehalt zu erlangen. Vielmehr steht noch deutlicher das Ziel im Vordergrund, eine bestimmte Sichtweise durchzusetzen: Die Verwerflichkeit der verletzenden Handlung wird grundsätzlich nicht zur Disposition gestellt, sie soll schlicht anerkannt werden, wenngleich häufig noch eine Einlassung des Adressaten, etwa in Form einer entschuldigenden Erklärung, mehr oder minder zugelassen wird. Entsprechend stark ausgeprägt ist auch die Aufrichtigkeitsbedingung: Der Sprecher ist regelmäßig von der Verwerflichkeit der Handlung überzeugt. Die begleitende Emotion kann zum einen Hinweis auf den Grad an Missbilligung sein, der im propositionalen Gehalt zum Ausdruck gebracht wird. Zum anderen kann die begleitende Emotion als spezieller Durchsetzungsmodus der assertiven Missbilligung beschrieben werden: Durch die intendierte emotionale Destabilisierung des Adressaten soll der Erfolg des Sprechakts (die Anerkennung des Wahrheitsanspruchs, also der Verwerflichkeit der Handlung) wahrscheinlicher gemacht werden. Eine möglicherweise darüber hinaus erstrebte Verhaltensänderung 213 214 215

Vgl. oben 2. Kap. A.IV. Vgl. Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 141. Vgl. Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 141.

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ist erst als Folge der Anerkennung eines solchen Wahrheitsanspruchs intendiert. Die Missbilligung hat die vorbereitende Bedingung, dass sich der Sprecher in seiner Erwartung, seine Mitmenschen sollten sich nicht schädigend verhalten, enttäuscht bzw. seine entsprechende Forderung gegenüber seinen Mitmenschen missachtet sieht. Es wurde bereits ausgeführt, dass auch Dritte die Missbilligung aussprechen können. In diesem Fall besteht die vorbereitende Bedingung in der Enttäuschung einer generalisierten Verhaltenserwartung. Wie gezeigt unterscheidet sich diese generalisierte Erwartung nicht inhaltlich von der Erwartung des Verletzten: In beiden Fällen geht es um die Einhaltung der Regeln menschlichen Zusammenlebens. Die missbilligende Reaktion eines Dritten reflektiert die Enttäuschung dieser generalisierten, inhaltlich aber identischen Erwartung und hat damit denselben propositionalen Gehalt wie die Reaktion des Verletzten.216 Das Besondere der missbilligenden Haltung eines Dritten sieht Strawson dann lediglich in ihrem stellvertretenden Charakter: Der Dritte bringt die Missbilligung stellvertretend für den Verletzten zum Ausdruck.217 Allerdings ist fraglich, ob die Funktion des Dritten damit vollständig beschrieben ist. Dessen Reaktion könnte ein besonderes Gewicht zukommen, gerade weil er Dritter und nicht Partei ist. Dabei geht es allerdings nicht um die besondere Bedeutung des Dritten bei der Ermittlung des Geschehensablaufs, um seine Rolle als Zeuge. Natürlich kann der Dritte einen Wissensvorteil haben, etwa wenn er das Geschehen beobachtet hat, und somit das Geschehene bezeugen.218 Entscheidend für den vorliegenden Zusammenhang ist aber, dass der Dritte auch bezüglich des Moralurteils selbst eine besondere Funktion hat. Denn der Dritte spricht nicht nur stellvertretend für das Opfer, seine Funktion besteht insbesondere auch darin, ein zusätzliches Moralurteil hinzuzufügen. Wenn er die Verwerflichkeit des in Frage stehenden Verhaltens und die Verantwortlichkeit des Handelnden hierfür zum Ausdruck bringt, tut er dies auch als Mitglied der Gemeinschaft. Indem die Reaktion des Dritten auf Moral Bezug nimmt, impliziert sie die Gemeingültigkeit der Bewertung des Geschehens. Da der Ausdruck von Missbilligung zugleich eine Form der Normbestätigung ist219, zeigt der Dritte mit seiner Reaktion überdies, dass die Verhaltenserwartung des Opfers von anderen (zumindest aber von ihm) geteilt wird, mehr noch: er impliziert, dass gegen eine moralische Norm verstoßen wurde, welche Anspruch auf intersubjektive Geltung hat. Der Dritte macht mit seiner Reaktion deutlich, dass die Erwartung generalisierbar 216 So auch Günther, FS-Lüderssen, S. 205 (216 f.), wohl in Anlehnung an sprechakttheoretische Grundlagen, die Günther allerdings nicht aufzeigt. 217 Vgl. Strawson, Freedom and Resentment, S. 14: „What we have here is, as it were, resentment on behalf of another, where one’s own dignity and interest are not involved; and it is this impersonal or vicarious character of the attitude, added to its others, which entitle it to the qualification ,moral‘.“ 218 Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 161 sieht dies als besondere vorbereitende Bedingung des Sprechakts „Bezeugen“. 219 Oben B.II.2.b).

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ist, und stärkt damit die Position des Opfers.220 Dies alles ist der Grund dafür, warum der Dritte die moralische Missbilligung häufig zusätzlich – unter Umständen aber auch ausschließlich – gegenüber dem Verletzten äußern, und sich der Verletzte seinerseits häufig darum bemühen wird. Allerdings bleibt die Position des Dritten wie bei der Normbestätigung als solcher recht schwach. Denn er kann zwar als Mitglied der Gemeinschaft, niemals aber an Stelle der Gemeinschaft reagieren. Mit Luhmann wurde bereits darauf hingewiesen, dass Erwartungen dann stabilisiert werden, wenn der Konsens der unbekannten, anonymen Dritten, welche die (moralische) Gemeinschaft ausmachen, unterstellt werden kann. Die missbilligende Reaktion eines Dritten mag zwar Indiz dafür sein, dass die Unterstellung eines entsprechenden Konsenses hinsichtlich der Verwerflichkeit der schädigenden Handlung gerechtfertigt ist, allerdings werden stets Zweifel bleiben. Denn die Reaktion eines konkreten, wahrnehmenden Dritten ist zwar Ausdruck einer generalisierten Erwartung, aber eben einer generalisierten Erwartung einer einzelnen Person. Die Reaktion des Dritten mag den Glauben des Opfers bestärken, dass die unbekannten, anonymen Dritten seine Erwartungen und Überzeugungen teilen und im konkreten Fall ähnlich urteilen würden. Stets könnte aber ein weiterer Dritter auftauchen, der die in Frage stehende Handlung als nicht verwerflich bzw. als dem Täter nicht zurechenbar beurteilt und damit das zuvor geäußerte Moralurteil erschüttert. Daran zeigt sich, dass nicht nur die Bedeutung der allgemeinen normbestätigenden, sondern auch der speziellen missbilligenden Reaktion eines Dritten für das Opfer begrenzt ist. Abschließend lässt sich feststellen, dass die alltägliche Missbilligung sowohl durch den Verletzten selbst als auch durch Dritte geäußert wird. Hinsichtlich ihrer illokutionären Kraft weist sie sowohl expressive als auch assertive Elemente auf: Einerseits wird damit eine Haltung der Empörung, andererseits ein moralisches Unwerturteil zum Ausdruck gebracht. Die missbilligende Reaktion Dritter bleibt allerdings wie die (mit der Missbilligung verknüpfte) Normbestätigung durch Dritte ohne unmittelbaren intersubjektiven Effekt.

III. Normbestätigung und Missbilligung als strafrechtliche Kommunikation 1. Normbestätigung durch das Strafrecht Bisher wurde die alltägliche Normbestätigung mit Luhmann als kontrafaktische Stabilisierung von Verhaltenserwartungen beschrieben. Worin könnte nun die besondere Bedeutung (straf-)rechtlicher Normbestätigung liegen? Um diese Frage beantworten zu können, ist zunächst näher zu erläutern, wodurch sich eine Rechtsnorm nach Luhmann auszeichnet. 220

Vgl. dazu schon oben B.II.1.c).

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a) Recht im Sinne der Normtheorie Luhmanns Die oben genannten221 Mechanismen zeitlicher, sozialer und sachlicher Generalisierung weisen ein beträchtliches Maß an Diskrepanz auf und verlaufen keinesfalls gleichförmig. So kann beispielsweise die normative Erwartung, dass in Abwesenheit anderer nicht gelästert wird, zwar zeitlich normiert werden.222 Jeder erwartet von seinen Interaktionspartnern, dass sie ihre in der Interaktion zum Ausdruck gekommene Meinung über den Erwartenden auch in dessen Abwesenheit beibehalten.223 Es besteht aber eine erhebliche Diskrepanz zur sozialen Generalisierung, da jeder weiß, dass dies häufig nicht der Fall sein wird. Die Funktion des Rechts besteht nun in der Auswahl solcher Verhaltenserwartungen, die sich in allen drei Dimensionen kongruent generalisieren lassen.224 Recht lässt sich demnach definieren als „Struktur eines sozialen Systems, die auf kongruenter Generalisierung normativer Verhaltenserwartungen beruht“225. Im Zuge der Evolution des Rechts haben sich bestimmte geeignete und untereinander kompatible Formen der zeitlichen, sachlichen und sozialen Generalisierung von Verhaltenserwartungen herausgebildet. In entwickelteren Gesellschaften hat sich dabei die Sanktion als geeignetes Mittel der zeitlichen Generalisierung von Erwartungen durchgesetzt. Gegenüber anderen Formen der Enttäuschungsabwicklung haben Sanktionen den Vorteil, dass an sie gut angeknüpft werden kann, da sie wiederholt und bei Misserfolg verstärkt werden können.226 Insbesondere aber ist die Sanktion mit der sachlichen und sozialen Ebene am besten vereinbar. So scheiden viele mögliche Strategien der Enttäuschungsabwicklung, die die Zeitbeständigkeit der normativen Erwartung gewährleisten sollen, im Laufe der Entwicklung aus. Das „Nichtwissen, die Schadenfreude, das sichtbare eigene Leiden, das Sichbeklagen bei Dritten, das Skandalschlagen“ sind nicht mehr institutionalisierbar.227 Nur durch die Sanktion, durch Absicht und Versuch des Durchsetzens der Erwartung lässt sich unterstellter Konsens Dritter überzeugend demonstrieren.228 Die Sanktion ist damit diejenige Form der Enttäuschungsabwicklung, die sich am besten mit den anderen Generalisierungsmechanismen in Übereinstimmung bringen lässt. In der Sachdimension sind es Programme in Form von Gesetzen, die die kongruente Generalisierung von Verhaltenserwartungen ermöglichen. Individuelle PerVgl. oben B.II.1.a). Luhmann, Rechtssoziologie, S. 96. 223 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 96. 224 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 100. 225 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 105. 226 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 100 f. 227 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 100. 228 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 100 f.: „Die gegen den Rechtsbrecher gerichtete Sanktion wird dann zum institutionell bevorzugten, expressiven Mittel der Normerhaltung.“ 221 222

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sonen, reine Werte, aber in gewissem Maße auch Rollen sind mit der Sanktion als Modus der Enttäuschungsabwicklung und mit Verfahren als Modus der Institutionalisierung nicht kompatibel. Sie sind entweder zu konkret und vielseitig (Personen und Rollen) oder zu abstrakt (Werte).229 Die für die soziale Ebene wichtige Unterstellung von Konsens muss ebenfalls durch einen Mechanismus gewährleistet sein, der mit den anderen Generalisierungsebenen kompatibel ist. Da die Meinung der gerade Anwesenden nur in sehr einfachen Sozialverbänden noch als hinreichender Anhaltspunkt für die Geltung der Norm in Betracht kommt und zudem bei komplizierteren Sachverhalten nicht maßgebend sein kann, muss ein anderer Weg gefunden werden, das institutionell Verbindliche zu repräsentieren. Vereinbar mit der zeitlichen und sozialen Generalisierung ist dabei nur die Ausdifferenzierung von besonderen Verfahren, in denen Entscheidungen getroffen werden, die als kollektiv bindend institutionalisiert sind.230 Ich werde auf diese besondere Leistung entsprechender Entscheidungsverfahren sogleich noch zurückkommen. Zunächst sei festgestellt, dass eine Rechtsnorm im Sinne Luhmanns in der Zeitdimension durch die Sanktionsandrohung bzw. Sanktionsverhängung, in der Sachdimension durch den Gesetzeswortlaut und in der Sozialdimension durch die Institutionalisierung von Verfahren kongruent generalisiert ist. An dieser Stelle ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass zwischen Luhmanns ursprünglichem Ansatz und dessen Fortführung nach der Wende zu einer Theorie autopoietischer, selbstreferentieller Systeme zu unterscheiden ist. Was den normtheoretischen Ansatz betrifft, hat Luhmann diesen nach der autopoietischen Wende allerdings nicht grundlegend modifiziert.231 Die Funktion des Rechts sieht er weiterhin in der „Stabilisierung normativer Erwartungen durch Regulierung ihrer zeitlichen, sachlichen und sozialen Generalisierung“.232 Der Hauptunterschied dürfte darin liegen, das es in der fortentwickelten Systemtheorie nicht mehr um Individuen, sondern um Kommunikation innerhalb sozialer Systeme geht, mithin Erwartungen auch nicht mehr auf Individuen, sondern auf Kommunikationen bezogen werden.233 Da das Individuum in einer Theorie autopoietischer, operativ geschlossener Systeme als psychisches System Umwelt der Gesellschaft ist, kann es hiernach nur darauf ankommen, ob die Norm als Erwartung innerhalb der Operationen der Gesellschaft, der Kommunikation also, eine Rolle spielt. Die Erwartung bezeichnet daher nicht mehr den Bewusstseinszustand eines bestimmten Individuums, sondern Vgl. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 101 f. Vgl. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 101. 231 Vgl. insbes. den Hinweis in Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 131 auf die in Luhmann, Rechtssoziologie beschriebene Funktion des Rechts, nämlich die Stabilisierung normativer Erwartungen durch Regulierung ihrer zeitlichen, sachlichen und sozialen Generalisierung; vgl. zur Kontinuität des erwartungssoziologischen Normbegriffs nach der autopoietischen Wende auch Wittig, Betrug, S. 60 f., 66 f. 232 Vgl. Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 131; Wittig, Betrug, S. 60 f., 66 f. 233 Vgl. dazu Wittig, Betrug, S. 60 f., 66 f. 229 230

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3. Kap.: Sprechakte im Strafrecht

den „Zeitaspekt des Sinnes von Kommunikationen“.234 Das Recht löst danach ein Zeitproblem gesellschaftlicher Kommunikation, das sich immer dann stellt, „wenn die gerade ablaufende Kommunikation sich nicht selbst genügt [ . . . ] sondern sich in zeitlicher Extension ihres Sinnes an Erwartungen orientiert und Erwartungen zum Ausdruck bringt“.235 Zwar ist auch schon in Luhmanns ursprünglichem Ansatz der Systembezug stark ausgeprägt, soweit es um die Leistung von Erwartungsstrukturen für soziale Systeme geht.236 Allerdings ist diese Leistung von der Bedeutung der Norm für das Individuum nicht zu trennen: Normen ermöglichen es dem Individuum als Verhaltenserwartungen und „Erwartungen von Erwartungen“, sich in einer kontingenten und komplexen Welt zurechtzufinden.237 Allerdings kommt Luhmann auch nach der autopoietischen Wende nicht gänzlich ohne Bezug auf psychische Systeme aus, hält die Trennung von Individuum und sozialem System also selbst nicht immer durch238: „Das Recht ermöglicht es, wissen zu können, mit welchen Erwartungen man sozialen Rückhalt findet, und mit welchen nicht. Gibt es diese Erwartungssicherheit, kann man mit größerer Gelassenheit den Enttäuschungen des täglichen Lebens entgegensehen; man kann sich zumindest darauf verlassen, in seinen Erwartungen nicht diskreditiert zu werden. Man kann sich in höherem Maße riskantes Vertrauen oder auch Misstrauen leisten, wenn man dem Recht vertrauen kann. Und das heißt nicht zuletzt: Man kann in einer komplexeren Gesellschaft leben, in der personale oder interaktionelle Mechanismen der Vertrauenssicherung nicht mehr ausreichen.“239

Erwartungsstrukturen lassen sich ohne jeglichen Bezug auf Individuen (psychische Systeme) kaum erklären. Insbesondere aus der hier interessierenden Opferperspektive kann dieser Zusammenhang nicht ausgeblendet werden. Im Folgenden wird daher Luhmanns ursprünglicher Normbegriff – so wie oben dargestellt – zugrunde gelegt, der schließlich auch nach der „autopoietischen Wende“ nicht grundsätzlich aufgegeben wurde.

b) Die normbestätigende Funktion der Strafe nach Jakobs Das Normenkonzept Luhmanns wird ausdrücklich von Jakobs auf das Strafrechtssystem übertragen. Nach Jakobs’ funktionalistischem Ansatz besteht die Aufgabe des Strafrechts nicht im Rechtsgüterschutz, sondern in der Sicherung der Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 125. Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 125. 236 Vgl. Wittig, Betrug, S. 60 f., 66 f. 237 Vgl. dazu oben B.II.1.a) sowie Luhmann, Rechtssoziologie, S. 31 ff. 238 Mit dieser Feststellung insbesondere Wittig, Betrug, S. 60 f., 66 f.; vgl. auch Kargl, GA 1999, 53 (62), der darauf hinweist, dass Luhmann Individuen als Sozialkonstrukte für die Zurechnung von Handlungen brauche; der soziologischen Kommunikationstheorie sei es nicht gelungen, das Individuum zum Schweigen zu bringen. 239 Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 131 f. 234 235

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Enttäuschungsfestigkeit der wesentlichen normativen Erwartungen und damit der Erhaltung der staatlichen und gesellschaftlichen Gestalt.240 In jüngerer Zeit orientiert sich Jakobs allerdings zunehmend an der absoluten Straftheorie Hegels, zudem setzt sein neuerer Ansatz eine Selbstbezüglichkeit der strafrechtlichen Kommunikation voraus, die eine gewisse Nähe zu Luhmanns neuerer Theorie autopoietischer, selbstreferentieller Systeme erkennen lässt. Strafrechtlicher Funktionalismus bedeutet demnach eine Ausrichtung des Strafrechts auf die Garantie der „normativen Identität“ der Gesellschaft.241 Für diese Theorie spielen Sprechakte, die sich an Individuen richten, keine Rolle mehr. Während in Jakobs’ früherem Ansatz noch von positiver „Generalprävention durch Einübung in Normanerkennung“ die Rede war242, was eine Einwirkung auf konkrete Menschen als Adressaten der strafrechtlichen Kommunikation erforderlich macht, lässt Jakobs’ jüngeres Modell empirische Wirkungen der Strafe auf Individuen („psychische Systeme“) weitgehend außer Betracht.243 Dem Strafrecht kommt die abstrakte Funktion zu, die „gesellschaftliche Identität“ zu bestätigen, wobei die Strafe nicht nur „ein Mittel der Erhaltung gesellschaftlicher Identität“, sondern „bereits diese Erhaltung selbst“ ist. Im Vordergrund steht daher nicht die empirische Zweckgerichtetheit der Strafe, sondern deren Bedeutung als Erhaltung der gesellschaftlichen Identität. Inwieweit mit der strafrechtlichen Kommunikation perlokutionäre Effekte intendiert werden, inwieweit auf „psychische Systeme“ eingewirkt werden soll, ist nicht entscheidend.244 Das Strafrecht stellt „auf der kommunikativen Ebene die gestörte Normgeltung schlechthin immer wieder her [ . . . ]“.245 „Sozial- oder individualpsychische“ Wirkungen wie etwa die Erhaltung oder Befestigung von Rechtstreue können nur als erhoffte Folgeaspekte eine Rolle spielen. Die Bestätigung der gesellschaftlichen Identität aber sei nicht empirisch fassbar, denn sie sei „nicht Folge des Verfahrens, sondern seine Bedeutung“.246 Dementsprechend müssten empiriJakobs, AT, 2. Abschn. Rn. 1 ff. Jakobs, ZStW 107 (1995), 843 ff.; ders., ARSP-Beih. 74 (2000) 57 (59 ff.). 242 Die Einübung in Normanerkennung setzt sich nach Jakobs, AT, 1. Abschn. Rn. 15 zusammen aus der „Einübung in Normvertrauen“, „Einübung in Rechtstreue“ und „Einübung in die Akzeptation der Konsequenzen“ der Normübertretung. 243 Jakobs, ZStW 107 (1995), 843 (844 ff., 869 ff.). 244 Jakobs, ZStW 107 (1995), 843 (844 ff., 869 ff.); grundlegend Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft. Demnach gilt eine Norm in gesellschaftlicher Hinsicht dann, wenn sie den Inhalt der möglichen personalen Kommunikation bestimmt. Das bedeutet, dass gerade nicht der mit ihrer Befolgung verbundene individuelle Nutzen bzw. der bei einer Übertretung drohende Schaden, sondern die Norm selbst kommunikationsbestimmend sein soll. Denn sie richtet sich nicht an Individuen, sondern an Personen, an Rollenträger also, die nicht aufgrund eines Lust / Unlust, sondern aufgrund eines Pflicht / Freiraum Schemas agieren. Personen werden von der Gesellschaft nicht gelenkt, sondern konstituiert; die Strafe hat im Bereich der personalen Welt, hinsichtlich des Schemas von Sollen und Freiraum, ihre Bedeutung, die Wirkungen der Strafe in der Welt der Individuen bezüglich des Schemas Lust / Unlust ist bloßer (mglchw. glücklicher) Nebeneffekt, vgl. a. a. O., S. 106 f. 245 Jakobs, ZStW 107 (1995), 843 (844). 246 Jakobs, ZStW 107 (1995), 843 (845). 240 241

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sche Untersuchungen zur positiven Generalprävention „stets ein wenig deplaciert wirken“.247 Jakobs’ Ansatz verbleibt damit auf der Ebene der Semantik und weist darin eine große Nähe zu den absoluten Straftheorien auf. Inzwischen hat Jakobs allerdings eingeräumt, dass ohne eine gewisse „kognitive Untermauerung“, ohne einen Blick auf „sozial- oder individualpsychische Folgen“ die Strafe nicht erklärbar ist.248 Denn die durch die Strafe bestätigte Norm muss letztlich auch geglaubt werden, wenn sie als normative Erwartung Bestand haben soll.249 Dies entspricht dem oben dargelegten Befund, dass institutionelle Tatsachen (hier die Normgeltung) auf intersubjektive Anerkennung angewiesen sind.250 Sie bestehen ja nur deshalb, weil es Menschen gibt, die entsprechende Gedanken haben251; ich werde auf diesen Zusammenhang noch zurückkommen252. Jedenfalls kommt auch die systemtheoretisch orientierte Variante der positiven Generalprävention nicht ohne die Berücksichtigung perlokutionärer Effekte aus. Sie steht einem Verständnis der Strafe als (auch) an Individuen gerichteten Sprechakt nicht zwingend entgegen. Da in der vorliegenden Untersuchung der frühe normtheoretische Ansatz Luhmanns zugrunde gelegt werden soll, wird der Ausschluss des Individuums aus der Betrachtung hier aber ohnehin nicht übernommen. Auf entsprechende Abweichungen zu Jakobs’ Konzept positiver Generalprävention werde ich jeweils hinweisen. Worauf es allerdings ankommt ist der von Jakobs herausgearbeitete kommunikative Zusammenhang zwischen Straftat und Strafe. Das deliktische Verhalten des Täters wird dabei nicht als äußerliches Ereignis, sondern als bedeutungshaltige Kommunikation verstanden, indem es als Normwiderspruch interpretiert wird. Jakobs betont, dass strafrechtlich nicht schon die Verletzung eines als positiv bewerJakobs, ZStW 107 (1995), 843 (844). Im Gegensatz zu ZStW 107 (1995), 843 (844) und ARSP-Beih. 74 (2000), 57 (58) jetzt Jakobs, Strafe, S. 29: „Der Schmerz dient der kognitiven Sicherung der Normgeltung; das ist der Zweck der Strafe, so wie der Widerspruch gegen die Geltungsverneinung durch den Verbrecher ihre Bedeutung ist“ (Hervorhebungen im Original), Jakobs wendet sich nun ausdrücklich gegen eine Degradierung sozialpsychischer Effekte zu „Sekundäreffekten“, a. a. O. Fn. 147; siehe auch oben Fn. 60; vgl. auch Jakobs, HRRS 3 / 2004, 88 (91); vgl. auch schon früher Jakobs, AT, 1. Abschn. Rn. 56. 249 Dazu insbesondere die Kritik bei Puppe, in: FS-Grünwald, S. 469 (479), die Jakobs nun ausdrücklich anerkennt, vgl. Jakobs, Strafe, S. 29; vgl. auch Luhmann, Rechtssoziologie, S. 109: „Recht kann aber nicht Recht bleiben, wenn die physische Gewalt auf der anderen Seite steht. Dann mag zwar die Normprojektion durchhaltbar sein und mit ihr der Anspruch auf ein ideales Recht, der Erwartende mag seine Erwartung durch beharrliches Leiden, Schadenfreude oder Kultivierung in geheimen Zirkeln am Leben erhalten, aber die komplizierten Mechanismen der Vergewisserung des Erwartens der Erwartungen anderer, namentlich Dritter, versagen oder müssen durch projektives Erleben ersetzt werden.“ 250 Vgl. oben A.I. sowie B.II.1.b). 251 Vgl. oben A.I.; vgl. zudem zur strukturellen Kopplung zwischen sozialen und psychischen Systemen oben 1. Kap. B. 252 Vgl. unten B.III.2.b) und B.IV. 247 248

B. Normbesta¨tigung und sozialethische Missbilligung als Sprechakte

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teten Gutes interessiert. Dies geschieht etwa auch durch natürliche Abläufe (z. B. Krankheit) oder durch menschlich vermittelte Schadensverläufe, die nicht vermeidbar sind, also weder vorsätzlich noch fahrlässig herbeigeführt werden. Strafrechtlich relevant ist eine nachteilige Veränderung eines Guts im Sinne eines positiv bewerteten Sachverhalts erst dann, wenn damit die Negierung der positiven Bewertung zum Ausdruck kommt. Dies ist nur vorstellbar durch menschliches Verhalten mit expressivem Gehalt, eben das dem Täter zurechenbare, vorsätzliche oder fahrlässige Herbeiführen des Schadens. Erst hierin liegt der Normwiderspruch, denn nur dann bedeutet das schadensträchtige Verhalten etwas, so „wie ein ausgesprochener Satz etwas bedeutet“253: Der Täter, der sich trotz Kenntnis oder möglicher Kenntnis der schädigenden Wirkungen seines Verhaltens entsprechend verhält, wird so behandelt, als halte er sein Verhalten für die maßgebliche Weltgestaltung.254 Strafe ist dann als Gegenbehauptung zur normwidersprechenden Behauptung des Täters255 zu verstehen, als Widerspruch gegen den Normwiderspruch.256 Jakobs bringt damit letztlich das Strafrechtsgut (Sicherung der wesentlichen normativen Erwartungen) den Normbruch und die Strafe auf ein Niveau, nämlich die „Ebene der Bedeutung von (deliktischem) Verhalten als Negation der Bedeutung von Normen und der Bekräftigung des Festhaltens an der Normbedeutung durch die strafende Reaktion“257. Dies entspricht der oben angestellten Überlegung, dass die Sequenz von deliktischem Verhalten und der Übelszufügung durch Strafe nur dann Sinn macht, wenn man Straftat und Strafe als Zeichen in einem kommunikativen Zusammenhang versteht. Deliktisches Verhalten und strafende Reaktion lassen sich also auf der Ebene der Semantik zueinander in Beziehung setzen. Jakobs stellt anknüpfend an Hegel258 fest: „Strafe ist, isoliert genommen, nichts als ein Übel, und sieht man auf die äußere Folge von Tat und Strafe, so ergibt sich nach Hegels bekanntem Wort die unvernünftige Sequenz zweier Übel. Erst im kommunikativen Verständnis der Tat als Norm widersprechender Behauptung und der Strafe als normbestätigender Antwort mag sich ein unmittelbarer und in dem Sinne vernünftiger Zusammenhang zeigen.“259

Jakobs’ Ansatz kann der folgenden Untersuchung insoweit zugrunde gelegt werden, als damit der kommunikative Zusammenhang zwischen Straftat und Strafe sinnvoll beschrieben ist. Denn sieht man mit Luhmann in normativen Erwartungen eine Grundstruktur sozialer Systeme, so ist auch die strafrechtliche Sanktion als Jakobs, AT, 1. Abschn. Rn. 9. Jakobs, AT, 1. Abschn. Rn. 9 ff. und 2. Abschn. Rn. 4 ff.; vgl. zur „personalen“ Zurechnung bei Jakobs Sacher, ZStW 118 (2006), 574 (582 ff.). 255 Jakobs, ARSP-Beih. 74 (2000), 57 (59). 256 Jakobs, ZStW 107 (1995), 843 (844); vgl. auch ders., Norm, Person, Gesellschaft, S. 103. 257 Jakobs, AT, 2. Abschn. Rn. 5 (Hervorhebungen im Original). 258 Vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 99. 259 Jakobs, ZStW 107 (1995), 843 (844); vgl. auch Jakobs, ARSP-Beih. 74 (2000), 57 (58, 60 f.). 253 254

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eine Reaktion auf die Enttäuschung einer normativen Erwartung und als eine Form der kontrafaktischen Stabilisierung von Normen zu verstehen. Im Folgenden soll daher die Bedeutung der Straftat als Normwiderspruch und der Strafe als normbestätigender „Antwort“ sprechakttheoretisch untersucht werden.

c) Normwiderspruch und Normbestätigung als Sprechakt Mit der alltäglichen Normbestätigung teilt sich die strafrechtliche Normbestätigung zunächst eine Bedingung des propositionalen Gehalts: Jeweils geht es um die Fortgeltung der Norm, um die Frage also, ob an der Norm trotz der Enttäuschung weiter festgehalten wird. Ein Unterschied ist hinsichtlich des propositionalen Gehalts zunächst nur darin erkennbar, dass das Strafrecht auf den Schutz wesentlicher normativer Erwartungen angelegt ist, wobei sich das deutsche Strafrecht hierbei an der Idee des Rechtsgüterschutzes orientiert. Wie gesehen ist der propositionale Gehalt jedoch keine eigenständige Entität. Er kann nicht alleine stehen, da er für sich keine Bedeutung hat. Daher ist auch hinsichtlich der Bedeutung der strafrechtlichen Normbestätigung entscheidend, welche illokutionäre Kraft diesen Sprechakt prägt. Nun wurde mit Jakobs ein kommunikativer Zusammenhang zwischen Straftat und Strafe angenommen. Straftat und Strafe scheinen damit semantisch auf einer Ebene zu stehen. Allerdings kann es aus Sicht der Sprechakttheorie eine reine Semantik ohne pragmatischen Bezug nicht geben.260 Daher ist mit der Annahme eines kommunikativen Zusammenhangs noch nichts darüber gesagt, ob beide Kommunikationsbeiträge dieselbe illokutionäre Kraft aufweisen. Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst einmal auf den kommunikativen Beitrag des Täters einzugehen, welcher als normwidersprechende Behauptung mit der Sprechakttheorie beschrieben werden kann. Das deliktische Verhalten wird als Erklärung des Täters interpretiert, dass er die Norm nicht anerkennt und sie – zumindest für ihn selbst – keine Geltung beanspruchen kann. Es wird nicht etwa nur eine innere Einstellung zum Ausdruck gebracht, sondern auf die normativen Bedingungen der Gesellschaft261 (und damit auf die „Welt“) Bezug genommen und ein gegenläufiger Geltungsanspruch erhoben. Mit der Aufrichtigkeitsbedingung wird der Glaube bzw. die Überzeugung ausgedrückt, dass der propositionale Gehalt (hier als Negation262: es geht um die Nicht-Geltung der Norm) wahr ist. Der normwidersprechende Sprechakt des Täters lässt sich aufgrund dieser Wort auf Welt-Ausrichtung den Assertiva zuordnen. Die Annahme eines Geltungsanspruchs des Täters und der entsprechenden Aufrichtigkeitsbedingung ist allerdings problematisch: Ein entsprechender intentionaZur Pragmatisierung der Semantik vgl. oben 2. Kap. A.III. Vgl. Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 103. 262 Zum Ausdruck der propositionalen Negation vgl. Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 140 Fn. 12 und S. 153. 260 261

B. Normbesta¨tigung und sozialethische Missbilligung als Sprechakte

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ler Zustand wird beim Sprecher regelmäßig fehlen. Der Täter wird seine Tat geheim halten und nur in den seltensten Fällen damit kundtun wollen, dass die Norm allgemein oder zumindest für ihn nicht gelte.263 Vielmehr wird er während der Tatbegehung nicht einmal über die Frage der Normgeltung nachdenken. Es wurde aber bereits an anderer Stelle darauf hingewiesen, dass der Vollzug des illokutionären Aktes als Ausdruck des entsprechenden inneren Zustands gilt, unabhängig von der Existenz eines solchen Zustands.264 Wird dem Vollzug eines Sprechakts eine bestimmte Bedeutung zugemessen, muss sich der Sprecher daran festhalten lassen. So kann der Sprecher nicht, ohne dass es absurd klänge, sagen: Ich verspreche A zu tun, aber ich habe nicht die Absicht, A zu tun.265 Mit anderen Worten: Als Adressat von Normen kann der Täter nicht einerseits eine Straftat begehen (und damit die normative Erwartung enttäuschen) und sich andererseits darauf berufen, er erkenne die Norm an.266 Letzteres ist nur möglich, wenn er außergewöhnliche Umstände geltend machen kann, die sein Verhalten etwa rechtfertigen oder entschuldigen. Die Gesellschaft behandelt die Straftat unabhängig vom Vorhandensein einer entsprechenden Intention als Normwiderspruch, um kommuni263 Vgl. Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 103 sowie Puppe, in: FS-Grünwald, S. 469 (474), die darauf hinweist, dass selbst Täter, die der Norm ihren Respekt verweigern, die Tat meist nicht begehen, um dies auszudrücken. So hätten viele Frauen, die in den siebziger Jahren abgetrieben haben, das Abtreibungsverbot zwar nicht anerkannt, aber nicht deshalb abgetrieben, um dies kommunikativ zum Ausdruck zu bringen. Schutzgelderpresser und Zuhälter begingen an ihren Opfern Straftaten wie Sachbeschädigung und Körperverletzung als Zeichen dafür, dass sie deren Eigentum und Integrität nicht achten wollen. Dieses Zeichen solle aber nur von ihren Opfern verstanden werden. 264 Vgl. oben 2. Kap. A.V.2.a). Vgl. dazu auch jüngst Polaino Navarrete / Polaino-Orts, in: FS-Schröder, S. 114 f., die – allerdings von Austin ausgehend – auf die konventionsgebunde, von der Intention des Sprechers zu unterscheidende Bedeutung von strafrechtsrelevanten Sprechakten hinweisen, welche in der Enttäuschung von Erwartungen bzw. der Desavouierung der Norm bestehe. Polaino Navarrete / Polaino-Orts beziehen dabei allerdings nur solche Straftatbestände in die sprechakttheoretische Betrachtung mit ein, die mit der verbalen Sprache verwirklicht werden können, vgl. schon oben 1. Kap. Fn. 84. 265 Searle, Ausdruck und Bedeutung, S. 21; Searle, Sprechakte, S. 96. 266 Dazu insbesondere Puppe, in: FS-Grünwald, S. 469 (474); Jakobs begründet dies damit, dass es hier um personales Verhalten, um den Täter als Person und nicht als Individuum, um personale und nicht instrumentale Kommunikation gehe, vgl. etwa Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 98 ff. und ders., ZStW 107 (1995), 869 ff.; vgl. auch Luhmann, Rechtssoziologie, S. 116: „[Z]ur Kommunikation gestellt, beginnt auch der Verbrecher zu räsonieren und eigene Werte, wenn nicht eigene Normen zu entwickeln, weil er sich anders nicht darstellen, weil er anders im System keine Zukunft haben kann. Selbst ein Dieb, der einräumt, dass man nicht stehlen darf, wird in bezug auf die Umstände seines Falles und in bezug auf die Strafe eigene Normen (und nicht nur Ausreden) projizieren.“; vgl. auch Reemtsma, Vertrauen und Gewalt, S. 482 ff., der eine wesentliche Funktion der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse darin sieht, verhindert zu haben, dass der Genozid zur Botschaft wurde. Dies habe gelingen können, indem die ehemals Mächtigen dem Code Recht / Unrecht unterworfen wurden und sich diesem Code auch selbst unterwarfen, indem sie ihre Unschuld beteuerten und sich verteidigten. Der Code von Macht und Ohnmacht, dem sie bei ihren Taten gefolgt seien, sei damit neutralisiert worden.

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3. Kap.: Sprechakte im Strafrecht

kativ darauf reagieren zu können.267 Denn der Normbruch ist zu offen zu Tage getreten, als dass er sich kommunikativ ignorieren ließe. Es muss eine Möglichkeit gefunden werden, die Enttäuschung als Abweichung zu deuten, zu erklären und zuzurechnen.268 Daher entspricht es der gesellschaftlichen Wirklichkeit, die Tat des Täters als assertiven Sprechakt mit entsprechendem Geltungsanspruch zu interpretieren. Zwar mag der Täter im Nachhinein zugeben, dass sein Handeln falsch war, er mag Reue empfinden und sich bemühen, die Tat wieder gutzumachen. All dies zeigt aber gerade, dass zunächst eine normwidersprechende Aussage in der Welt war; es geht dann nur noch darum, inwieweit der Täter diese zurücknehmen bzw. relativieren kann.269 Der Sprechakt weist die vorbereitende Bedingung auf, dass eine Norm existiert, der mit der Tat widersprochen wird. Im Falle des Strafrechts existiert eine solche kontrafaktisch durch die Strafdrohung stabilisierte Verhaltenserwartung, die zugleich sachlich (durch das Gesetz) und sozial (durch Ausdifferenzierung von Verfahren) kongruent generalisiert ist. Die normwidersprechende Aussage des Täters stellt diese Norm in Zweifel, hat aber auf deren Fortbestehen keinen unmittelbaren Einfluss. Normative Erwartungen zeichnen sich ja dadurch aus, dass sie kontrafaktisch stabilisiert werden, sie verlieren ihre Geltung nicht durch eine Gegenbehauptung. Dennoch sind normative Erwartungen natürlich gegenüber solchen Widersprüchen empfindlich. Denn bleibt die Symbolisierung, dass die Erwartung weiterhin Bestand hat, fortwährend aus, so verblasst letztlich die Erwartung: die Norm erodiert.270 Die Symbolisierung, dass an der Erwartung festgehalten werde, kann nun in unterschiedlichster Weise erfolgen, so auch durch Normanerkennung des Täters, auch Selbstjustiz wäre Ausdruck des Festhaltens an der normativen Erwartung. Allerdings haben solche Sprechakte wie der Normwiderspruch selbst nur assertive, nicht aber etwa deklarative illokutionäre Kraft: Sie bleiben Ausdruck der jeweiligen Auffassung des Sprechers und haben keine unmittelbaren Wirkungen in der Sozialdimension. Mit anderen Worten: Beliebige Dritte mögen nun zwar ebenfalls in ihrem Glauben bestärkt sein, dass die Erwartung weiterhin Bestand hat (ein perlokutionärer Effekt des assertiven Sprechakts), der Sprechakt gilt aber nicht als bindende Formulierung dessen, was allgemein normativ erwartet werden kann. Daher lässt sich die strafrechtliche Normbestätigung auch nicht als assertive Feststellung deuten, dass die Norm weiterhin gelte und die Gesellschaft hieran weiterhin festhalte. Denn die normbestätigende Antwort der Gesellschaft auf den Norm267 Der Unterschied zum Beispiel des Versprechens dürfte aber darin bestehen, dass der Täter sich über die soziale Bedeutung seines „Sprechakts“ nicht im Klaren sein wird und insbesondere keinen inneren Zustand vortäuscht. 268 Vgl. zu Normbrüchen, die sich nicht mehr ignorieren lassen auch Luhmann, Rechtssoziologie, S. 55 ff., 60 ff. 269 Vgl. dazu insbesondere auch Jakobs, ZStW 104 (1992), 82 (85 ff.) und unten 5. Kap. Fn. 38. 270 Vgl. auch Luhmann, Rechtssoziologie, S. 59 und ders., Recht der Gesellschaft, S. 135.

B. Normbesta¨tigung und sozialethische Missbilligung als Sprechakte

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widerspruch des Täters soll einen kommunikativen Anschluss an den Normwiderspruch des Täters unmöglich machen.271 Ein assertiver Sprechakt könnte dies nicht leisten, da er jederzeit widerspruchsfähig bliebe. Sein Vollzug hat keinen unmittelbaren Einfluss auf die „Welt“, die (unterstellte) institutionelle Wirklichkeit also. Insoweit bleibt seine Erfüllung – also die Erfüllung der Wahrheitsbedingung in dem Sinne, dass die Norm tatsächlich weiterhin als soziales Orientierungsmuster fortgilt – kontingent. Die strafrechtliche Bestätigung der Norm zeichnet sich hingegen dadurch aus, dass sie bis zu einem gewissen Grade von der außersprachlichen Wirklichkeit unabhängig sein muss. Wie bereits festgestellt sind Erwartungen auf den unterstellten und vorausgesetzten Konsens anonymer Dritter, also auf eine allgemeine, sozial abgesicherte Geltung angewiesen. Bei zunehmender sozialer Komplexität setzt diese soziale Generalisierung – bei Luhmann auch als Institutionalisierung bezeichnet – eine zunehmend fiktive Konsensunterstellung voraus.272 In komplexen Gesellschaften wird der Prozess der sozialen Generalisierung nun seinerseits institutionalisiert (Luhmann spricht von der Institutionalisierung des Institutionalisierens von Verhaltenserwartungen273): Es sind spezielle Rollen und Teilsysteme ausdifferenziert, die über Recht mit gesamtgesellschaftlich bindender Wirkung zu entscheiden haben.274 So kann etwa ein Richter angerufen werden, der in einem entsprechenden Entscheidungsverfahren feststellt, was gemeinhin erwartet werden kann: „Die Ausdifferenzierung von Spezialrollen für die Erteilung des normativ relevanten Konsenses Dritter hat die Grundform der Institutionalisierung des Institutionalisierens von Verhaltenserwartungen. Das mögliche Miterwarten anonymer Dritter bezieht sich einerseits noch unmittelbar auf das Verhalten, das normativ erwartet wird; daneben aber zusätzlich auf das Verhalten der Spezialrollen, in denen formuliert wird, was normativ erwartet wird. Vom einzelnen aus gesehen heißt dies, dass er erwarten muss, dass man von ihm erwartet, was die Richter von ihm erwarten; oder noch schärfer formuliert: dass er erwartet, dass 271 Vgl. dazu auch Jakobs, ARSP-Beih. 74 (2000), 57 (59 ff.) und Jakobs, Norm, Person Gesellschaft, S. 103 f. 272 Siehe dazu schon oben B.II.1.c). 273 Vgl. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 64 (insbes. 71 ff.) u. 94 sowie ders., Recht der Gesellschaft, S. 261. 274 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 79 u. 101: „Die Repräsentation des institutionell Verbindlichen ist mit den Erfordernissen enttäuschungsfester und sinnhaft differenzierter Erwartungsbildung nur noch zu vereinbaren durch Ausdifferenzierung besonderer Verfahren, in denen Entscheidungen getroffen werden, die als kollektiv bindend institutionalisiert sind. Die Institutionalisierung muss sich zunächst auf die institutionalisierenden Verfahren beziehen und durch sie erst auf die Normen selbst.“; vgl. auch ders., Recht der Gesellschaft, S. 261: „Konsens kann also nicht Bedingung der Rechtsgeltung sein und würde im übrigen auch jede Evolution ausschließen. Evolution hängt davon ab, wie das Problem der sozialen Abstimmung statt dessen gelöst wird. Genau darauf zielt die Evolution von Kompetenznormen und, diese einschränkend, von Verfahren [ . . . ] Verfahren ermöglichen es zusätzlich, dass es genügt, wenn einige (die Richter, die Gesetzgeber) die Geltung von Normen als verbindlich für alle ansehen und entsprechend entscheiden.“ (Hervorhebungen im Original).

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3. Kap.: Sprechakte im Strafrecht

sein Interaktionspartner von ihm erwartet, was die Richter und demzufolge man von ihnen beiden erwarten.“275

Die durch die Entscheidung Enttäuschten können sich dann nicht mehr auf institutionalisierten Konsens berufen, es besteht vielmehr die allgemeine Erwartung, dass sie ihren Protest aufgeben: „Auf diese Weise wird es jedem einzelnen nahegelegt, unwiderlegbar zu erwarten, dass Dritte normativ erwarten, dass alle Betroffenen sich kognitiv, also lernbereit, auf das einstellen, was bindende Entscheidungen normieren.“276

Diese Form der Institutionalisierung (Luhmann spricht insoweit von der Reflexivität des Institutionalisierungsprozesses277) leistet damit insbesondere zwei Dinge: Sie bietet die „ [ . . . ] Möglichkeit, kognitive und normative Erwartungskomponenten zu differenzieren (so zum Beispiel: normative Erwartungen des Richters kognitiv zu erwarten); sie gestattet es auch, die diffuse und unansprechbare Anonymität des Erwartens Dritter zu verbinden mit der anrufbaren und beeinflussbaren Entscheidungspraxis des Richters und damit in einer differenzierten Struktur das zu wiederholen, was sehr kleine, kaum differenzierte Sozialsysteme in einem leisten können.“278

Da die anonymen Dritten, auf deren vermuteten Konsens es ankommt, nicht erreichbar sind, bedarf es in komplexen Gesellschaften also ausdifferenzierter formeller Entscheidungsverfahren mit entsprechenden Rollen.279 Die „diffuse und unansprechbare Anonymität des Erwartens Dritter“ wird durch die richterliche Entscheidung konkretisiert und mit dieser gleichgesetzt, mit anderen Worten: Es wird verbindlich festgestellt, was intersubjektiv zu erwarten ist.280 275 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 80; vgl. auch a. a. O., S. 265. Zum Institutionalisieren des Institutionalisierens vgl. auch Luhmann, Rechtssoziologie, S. 64 (insbes. 71 ff.) u. 94 sowie ders., Recht der Gesellschaft, S. 261. 276 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 264 f. (Hervorhebungen im Original); derjenige, der das Urteil nicht akzeptiert, wird durch die symbolbildenden Prozesse des Verfahrens und dessen Öffentlichkeitsbezug in der sozialen Anschlusskommunikation isoliert, vgl. Luhmann, Verfahren, S. 107 ff., 121 ff.; Reemtsma, Vertrauen und Gewalt, S. 482 ff., führt in Bezug auf die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse aus, diese hätten die Dritten, an welche die Täter sich als Auditorium hätten wenden können, durch das Gericht ersetzt und den Verbrechen mit dem abschließenden Urteil ihren kommunikativen Gehalt genommen. 277 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 80. 278 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 80, vgl. auch S. 101 (Zitat in Fn. 274); Luhmann spricht an einer Stelle auch von der „Prätention, dass die Entscheidung die an sie [die Beteiligten] gerichtete Erwartung der Dritten repräsentiert“, vgl. ders., Rechtssoziologie, S. 264. 279 Zur Funktion der Rollenzuteilung und Rollenneutralisierung im Verfahren und die dadurch ermöglichte Entscheidung über die Beteiligten (und einer möglichen Akzeptanz der Entscheidung durch diese) vgl. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 263 f. und ausführlich Luhmann, Verfahren, S. 55 ff., 87, 107 ff.; relativierend dazu Raiser, Rechtssoziologie, S. 298 f. 280 Vgl. auch Luhmann, Verfahren, S. 122 f. Die Öffentlichkeit des Verfahrens dient dazu, Konsens oder unterstellten Konsens hinsichtlich der Verbindlichkeit der Entscheidung zu ermöglichen, das „Drama“ des Verfahrens ist auch für die nicht unmittelbar Beteiligten be-

B. Normbesta¨tigung und sozialethische Missbilligung als Sprechakte

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An dieser Stelle schließt sich dann auch der Kreis zu der sprechakttheoretischen Ausgangsüberlegung: Jener institutionelle Hintergrund ermöglicht es, institutionelle Tatsachen allein durch den Vollzug eines Sprechakts zu schaffen. Das, was Luhmann die Institutionalisierung des Institutionalisierens nennt, ist letztlich Voraussetzung der illokutionären Kraft deklarativer Sprechakte. Entscheidend ist, dass dem Sprechakt selbst eine konstitutive Regel („X gilt als Y im Kontext K“) zugrunde liegt, in welcher der Sprechakt X-Terminus ist und als Y (als Statuszuweisung) gilt.281 Die Statusfunktion, die die institutionelle Tatsache konstituiert und in der dieser zugrunde liegenden konstitutiven Regel mit dem Y-Terminus bezeichnet wird, kann dann einfach durch einen solchen Sprechakt zugewiesen werden. Die Entscheidung wird mit einem deklarativen Sprechakt abgeschlossen, der die für institutionelle Tatsachen konstitutive Unterstellung einer gemeinsamen Wirklichkeit ermöglicht. Bei Searle heißt es an einer Stelle: „ [ . . . ] there is no way that these extra-linguistic purposes can be realized by a conventional procedure. They all have to do with the perlocutionary effects which our actions have on our audiences, and there is no way that a conventional procedure can guarantee that such effects will be achieved. The perlocutionary effects of our utterances cannot be included in the conventions for the use of the device uttered, because an effect which is achieved by convention cannot include the subsequent responses and behavior of our audiences. [ . . . ]“282

Angesichts der Rückbeziehung des Institutionalisierungsprozesses auf sich selbst gilt diese Aussage für deklarative Sprechakte nicht.283 Nun wird deutlich, dass Luhmann und Searle letztlich dasselbe Phänomen ausdifferenzierter Gesellschaften beschreiben, nur eben einmal aus soziologischer, einmal aus sprachtheoretischer Sicht: Die für institutionelle Tatsachen erforderliche intersubjektive Anerkennung ist in ausdifferenzierten Gesellschaften durch tatsächlichen Konsens nicht zu erreichen und die notwendige Unterstellung von Konsens kann nicht mehr hinreichend durch konkrete, wahrnehmende Dritte abgesichert werden; es bedarf daher einer entsprechenden sprachlichen Handlung mit intersubjektiver Wirkung, damit institutionelle Tatsachen aufrecht erhalten werden können. Je größer die Bedeutung einer institutionellen Tatsache ist, desto eher besteht die Tendenz, sie durch explizite, nach strikten Regeln zu vollziehende Sprechakte zu schaffen.284 Dies gilt insbesondere, wenn zunächst informelle Institutionen eine erhebliche rechtliche oder moralische Bedeutung erlangen: Dann stimmt und vermittelt symbolisch die Überzeugung, das Recht geschieht, vgl. Luhmann, Verfahren, S. 123 ff. Gelangen diese zur Überzeugung bzw. wird allgemein angenommen, dass im Gerichtsverfahren „in ernsthafter, aufrichtiger und angestrengter Bemühung“ Wahrheit und Recht ermittelt wird, kann derjenige, der gegen eine bindende Entscheidung rebellieren will, nicht auf die Unterstützung anderer rechnen, sein Aufbegehren wird ihm selbst zugerechnet, vgl. Luhmann, a. a. O., S. 123. 281 Searle, Konstruktion, S. 64 und schon oben Fn. 16. 282 Searle, Intentionality, S. 178 f.; vgl. auch Searle / Vanderveken, Foundations, S. 11 f. 283 Vgl. dazu auch unten B.IV. 284 Searle, Konstruktion, S. 126.

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3. Kap.: Sprechakte im Strafrecht

werden sie in der Regel kodifiziert und es werden entsprechende Entscheidungsverfahren geschaffen, um die institutionelle Tatsache in der Sozialdimension hinreichend implementieren zu können.285 Bei der strafrechtlichen Normbestätigung handelt es sich demnach um einen deklarativen Sprechakt mit der doppelten Anpassungsrichtung Wort-Welt. Dieser Sprechakt ist nicht widerspruchsfähig, es sei denn durch einen weiteren Sprechakt mit deklarativer illokutionärer Kraft.286 Hinsichtlich der sonstigen Ausprägung der illokutionären Kraft ist noch Folgendes anzumerken: Die vorbereitende Bedingung der Normbestätigung besteht darin, dass etwas in Zweifel gezogen worden ist. Mit Jakobs wurde festgestellt, dass der Tat des Täters im gesellschaftlichen Kontext genau diese Bedeutung beigemessen wird, denn sie wird als normwidersprechende Aussage interpretiert. Voraussetzung ist insofern schuldhaft begangenes Unrecht, denn nur darin liegt ein abweichender Sinnentwurf des Täters, dem kommunikativ widersprochen werden muss.287 Die Bedingung des propositionalen Gehalts bezieht sich darauf, dass es um die Geltung der in Zweifel gezogenen Norm geht. Damit ist die strafrechtliche Normbestätigung als Sprechakt beschrieben. Nun soll auch die zu untersuchende missbilligende Komponente strafrechtlicher Kommunikation sprechakttheoretisch eingeordnet werden.

2. Die strafrechtliche Missbilligung Es wurde bereits festgestellt, dass mit der Missbilligung im alltäglichen moralischen Diskurs zugleich das Festhalten an der zugrunde liegenden normativen Erwartung zum Ausdruck gebracht wird.288 Damit erscheint es nahe liegend, dass gerade das Strafrecht, welches sich in Form der Strafe der Zufügung eines Übels bedient, die ihm zugeschriebene normbestätigende Funktion mittels des Ausdrucks von Missbilligung verwirklicht. Dabei sei aber noch einmal auf die Ambiguität illokutionärer Verben hingewiesen: Das illokutionäre Verb „missbilligen“ könnte (ebenso wie das „Bestätigen“ der Norm) hinsichtlich der alltäglichen Kommunikation eine andere Bedeutung haben als im strafrechtlichen Zusammenhang. 285 Vgl. dazu schon oben A.I. und Searle, Konstruktion, S. 97 u. 126; vgl. auch Luhmann, Rechtssoziologie, S. 64 ff. 286 Natürlich kann der Täter erneut die Erwartung enttäuschen, aber dann handelt es sich eben um eine neue Tat, die auch als solche behandelt wird, vgl. dazu Jakobs, ARSP-Beih. 74 (2000), 57 (60). 287 Vgl. Jakobs, ZStW 107 (1995), 843 (863 ff.), der (ausgehend von seinem funktionalen Schuldbegriff) darauf hinweist, dass es sich bei schuldlosem Verhalten nur scheinbar um einen Beitrag zur Kommunikation handelt, tatsächlich aber um die Folgen von Krankheit, unvermeidbarem Irrtum oder Sonstigem, was eine sinnhafte Kommunikation unmöglich macht, a. a. O., S. 864; vgl. dazu auch Polaino Navarrete / Polaino-Orts, in: FS-Schröder, S. 111 ff. 288 Vgl. oben B.II.2.b).

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Eine differenzierte Betrachtung dessen, was mit der strafrechtlichen Missbilligung gemeint sein kann, findet sich bei Feinberg, der erstmalig von der „expressiven Funktion“ der Strafe gesprochen hat (wobei das Adjektiv „expressiv“ nicht im Sinne der Sprechakttheorie, sondern als Hinweis auf Bedeutung bzw. kommunikative Funktion der Strafe zu verstehen ist).289 In Abgrenzung zu anderen Reaktionen auf eine Normverletzung wie etwa einem Bußgeld oder zivilrechtlicher Schadensrestitution sieht Feinberg das Charakteristische der Strafe in dem darin enthaltenen „missbilligenden Symbolismus“.290 Auch in der deutschen Strafrechtswissenschaft und Rechtsprechung wird inzwischen überwiegend davon ausgegangen, Urteil und Strafe enthielten ein solches kommunikatives Element, wobei dieses in der sozialethischen Missbilligung des Täterverhaltens bestehe.291 Das Charakteristische der strafrechtlichen Kommunikation könnte in diesem sozialethischen Element zu suchen sein.

a) Der Bezug der Strafe zur Moral Das Adjektiv „sozialethisch“ wird nun in verschiedenen strafrechtlichen Zusammenhängen gebraucht, wobei dessen keinesfalls geklärte Bedeutung als allgemein bekannt vorausgesetzt zu werden scheint. Das wohl bekannteste Beispiel ist die Rechtsprechung zu den sozialethischen Einschränkungen des Notwehrrechts. Eine nähere Untersuchung zu solchen Rückgriffen auf sozialethische Argumente im Strafrecht findet sich bei Kühl.292 Kühls Ausführungen lassen erkennen, dass zwar eine allgemeine Begriffsbestimmung des Adjektivs „sozialethisch“ möglich ist, dessen Bedeutung aber auch an den jeweiligen strafrechtlichen Sachzusammenhang gebunden bleibt, in dem es verwendet wird.293 Da es vorliegend um die sozialethische Dimension von Urteil und Strafe geht, können andere strafrechtliche Kontexte, in denen auf die „Sozialethik“ Bezug genommen wird, außer Betracht bleiben. Feinberg, in: Duff / Garland, Reader on Punishment, S. 73 (78). Feinberg, in: Duff / Garland, Reader on Punishment, S. 73 (74). 291 Roxin, AT 1, § 3 Rn. 46; vgl. Jescheck / Weigend; AT, S. 65: Die Strafe sei ihrem „Wesen“ nach ein „öffentliches sozialethisches Unwerturteil über den Täter wegen der von ihm schuldhaft begangenen Rechtsverletzung“; mit zahlreichen Nachweisen aus Literatur und Rechtsprechung, insbesondere auch des Bundesverfassungsgerichts vgl. Kühl, FS-Eser, S. 149 (156 ff.); vgl. insbesondere BVerfG NJW 2004, 739 (744) sowie a. a. O., S. 2073; vgl. auch Walther, Realkonflikt, S. 198 ff.; zu einem „expressiven“ Strafcharakter auch des Strafverfahrens Androulakis, ZStW 108 (1996), 301 (309 ff.); mit weiteren Nachweisen auch Günther, FS-Lüderssen, S. 205 ff.; anknüpfend an Strawson mit einem an „censure“ bzw. „Tadel“ ausgerichteten kommunikativen Verständnis der Tat insbesondere auch von Hirsch, in: Duff / Garland, Reader on Punishment, S. 115 (119) und Hörnle / von Hirsch, in: Schünemann / von Hirsch / Jareborg, Positive Generalprävention, S. 83 (98); vgl. auch oben Fn. 45. 292 Kühl, Jahrbuch für Recht und Ethik 11 (2003), 219 ff. 293 Vgl. dazu Kühl, Jahrbuch für Recht und Ethik 11 (2003), 219 (235). 289 290

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3. Kap.: Sprechakte im Strafrecht

Welche Bedeutung hat nun die Verwendung des Adjektivs „sozialethisch“ im Kontext der strafrechtlichen Missbilligung? Zerlegt man das Adjektiv „sozialethisch“ in seine Bedeutungseinheiten, so verweist es zum einen auf die Gesellschaft bzw. Gemeinschaft („sozial“294) zum anderen auf die Ethik.295 Die Ethik lässt sich dabei von der Moral nicht eindeutig trennen. Unter Moral versteht man im modernen Sprachgebrauch die der gesellschaftlichen Praxis zugrunde liegenden und als verbindlich akzeptierten ethisch-sittlichen Normen(-systeme) des Handelns und der Werturteile einer bestimmten Gesellschaft, bestimmter gesellschaftlicher Gruppen und der ihnen integrierten Individuen.296 In der Philosophie bezeichnet die Ethik dann jene philosophischen Disziplinen, die sich mit der Moral befassen, um ethische Handlungsregeln und Normensysteme zu begründen.297 Allerdings werden beide Begriffe auch synonym verwandt, und zwar in zweifacher Hinsicht: Die Moral bezeichnet teilweise ihrerseits die philosophische Lehre von der Sittlichkeit, wohingegen unter der Ethik selbst allgemeingültige Normen und Maximen der Lebensführung verstanden werden, die sich aus der Verantwortung gegenüber anderen herleiten.298 Kühl weist aus diesem Grund darauf hin, dass die Sozialethik der Moral zugeordnet werden kann und im rechtlichen Kontext die Adjektive „sozialethisch“ und „sozialmoralisch“ häufig synonym verwendet werden.299 Der moralische Bezug der Strafe wird im Grunde schon durch deren Charakterisierung als Missbilligung bzw. Tadel verdeutlicht. Denn Missbilligung bzw. Tadel sind wie gezeigt alltagskommunikative Reaktionen, welche aus der Enttäuschung von Normen des zwischenmenschlichen Zusammenlebens hervorgehen. Auch in der alltäglichen Kommunikation wird durch die stellvertretende Reaktion eines Dritten eine (zumindest mit dem Opfer intersubjektiv geteilte) generalisierte moralische Einstellung zum Ausdruck gebracht. Wenn Urteil und Strafe eine solche sozialethische Dimension zuerkannt wird, so scheint damit ein grundlegendes Problem unmittelbar verbunden zu sein: Die Frage nämlich, inwieweit Strafrechtsnormen auf Sozialnormen zurückgehen, inwieweit das Strafrecht letztlich auf Moral gründet. Begreift man Normen mit Luhmann als kontrafaktisch stabilisierte Verhaltenserwartungen, so lässt sich nur feststellen, dass eine (Straf-)Rechtsnorm jedenfalls nicht ohne eine normative Verhaltenserwartung in der Gesellschaft denkbar ist. Selbst wenn eine entsprechende Verhaltenserwartung vorher noch nicht existiert haben sollte, würde sie mit der 294 Vgl. Brockhaus, „Sozial“: „1) das Zusammenleben der Menschen in Staat und Gesellschaft betreffend, auf die menschl. Gemeinschaft, Gesellschaft bezogen, gesellschaftlich [ . . . ]“. 295 Bei Kühl, Jahrbuch für Recht und Ethik 11 (2003), 219 ff. findet sich eine disziplinenübergreifende Untersuchung des Begriffs der „Sozialethik“, die hier nicht nachgezeichnet werden kann. 296 Vgl. Brockhaus „Moral“. 297 Vgl. Brockhaus „Moral“. 298 Vgl. dazu etwa Duden, Fremdwörterbuch, „Ethik“ u. „Moral“. 299 Kühl, Jahrbuch für Recht und Ethik 11 (2003), 219.

B. Normbesta¨tigung und sozialethische Missbilligung als Sprechakte

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Strafrechtsnorm entstehen.300 Denn es kommt nicht auf faktischen Konsens – etwa der Bevölkerungsmehrheit – sondern darauf an, dass gesellschaftlicher Konsens unterstellt werden kann. Es muss lediglich feststehen, was für die Zukunft erwartet werden darf, und dass an der Erwartung trotz ihrer Enttäuschung festgehalten werden wird.301 Dies wäre bei einem Strafgesetz der Fall: Es wird zeitlich durch Sanktionsandrohung und Verhängung, sachlich durch den Gesetzeswortlaut und sozial durch die Institutionalisierung von Entscheidungsverfahren generalisiert. Damit kann jeder wissen, was normativ, also enttäuschungsresistent, erwartet wird. Somit ist die soziale Norm stets in der rechtlichen enthalten. Mit diesem erwartungsbezogenen Ansatz lässt sich allerdings weder klären, ob entsprechende Verhaltenserwartungen bereits vor der Normierung bestanden, noch, ob die mit der rechtlichen Norm konvergierenden Verhaltenserwartungen moralischer Natur sind.302 Nun hat sich das Strafrecht in seiner Entwicklung immer weiter von der Moral distanziert und auf den Schutz von Rechtsgütern, auf die Abgrenzung von Freiheitsbereichen konzentriert.303 Es wird allgemein davon ausgegangen, dass es auf diesen Rechtsgüterschutz (oder nach Jakobs auf die Gewährleistung der Enttäuschungsfestigkeit der wesentlichen normativen Erwartungen304) beschränkt bleiben muss und die bloße ethische Verwerflichkeit eines Verhaltens eine Strafdrohung nicht rechtfertigen kann.305 Unabhängig davon spricht allerdings einiges dafür, dass der Gesetzgeber in der Regel entsprechende Sozialnormen vorfindet und dass es bei der Strafgesetzgebung überwiegend um die Transformation Vgl. zu diesem Zusammenhang Wittig, Betrug, S. 71 ff. Vgl. dazu Wittig, Betrug, S. 71 ff. mit dem Beispiel der Einführung eines strafbewehrten Verbots auch leichterer Formen der körperlichen Züchtigung: Unabhängig von vorherrschenden gesellschaftlichen Anschauungen (das Leitbild einer vollkommen gewaltfreien Erziehung wird wohl noch nicht bestehen) könne man dann wissen, was in Zukunft diesbezüglich erwartet werden darf, und dass ein Zuwiderhandeln sanktioniert wird. 302 Luhmann spricht in „Recht der Gesellschaft“ (S. 137) von einem „Wildwuchs“ normativer Erwartungen ohne Rechtsqualität und nennt als Beispiele die Sitte, die bloß moralische Zumutung und die Gewohnheit, deren Verletzung bemerkt werden würde. Die Funktion des Rechts, normative Erwartungen zu stabilisieren, könne angesichts dieses Wildwuchses nur über eine Selektion von schützenswerten Erwartungen erfolgen. 303 Dazu insbesondere Kühl, Jahrbuch für Recht und Ethik 11 (2003), 219 (220 ff.). 304 Jakobs, AT, 2. Abschn. Rn. 1 ff. Nach Luhmanns systemtheoretischem Ansatz dissoziiert sich das Recht mit zunehmender Positivierung von der Moral, da nur so stärkere Differenzierung und höhere Variabilität möglich sind. Denn Werte unterliegen anderen Änderungsrhythmen und anderen Änderungsbedingungen, als das moderne Recht sie braucht, und geben andererseits keine spezifischen Anhaltspunkte für die Bildung und Integration von Erwartungen. Es bestehen zwar noch gegenseitige Interpendenzen und Rücksichtnahmen, aber sie müssen in das jeweilige System eigens „hineinprogrammiert“ werden, vgl. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 88, 226. Ob die Moralwirkung indes wirklich eine Funktion ist, die im Interesse größerer Flexibilität des Rechts an andere Teilsysteme der Gesellschaft abgegeben werden kann (so Luhmann, a. a. O., S. 226), ist mit Blick auf das Strafrecht, welches elementare Regeln des menschlichen Zusammenlebens stabilisieren soll, zweifelhaft. 305 Vgl. zur (Il)Legitimität des strafrechtlichen Schutzes von Gefühlen, Wertvorstellungen und Tabus Hörnle, Grob anstößiges Verhalten. 300 301

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3. Kap.: Sprechakte im Strafrecht

von moralischen Sozialnormen in Rechtsnormen geht (und auch der Richter muss bei der Anwendung der Gesetze gegebenenfalls auf außerrechtliche Wertvorstellungen zurückgreifen, so etwa bei der erwähnten sozialethischen Einschränkung der Notwehr).306 Zumindest für das Kernstrafrecht, das für die vorliegende, am Opfer orientierte Untersuchung besonders relevant ist, dürfte eine Konvergenz von allgemein sittlichen und strafrechtlichen Normen anzunehmen sein.307 Das Bestehen oder Nichtbestehen eines solchen Zusammenhangs wirkt sich jedoch nicht unmittelbar auf die moralische Dimension von Urteil und Strafe aus. 306 Zur Transformation von Sozialnormen in Strafrechtsnormen vgl. Neumann, ZStW 99 (1987), 590; vgl. auch Luhmann, Rechtssoziologie, S. 208, der zumindest für den Regelfall davon ausgeht, dass der Gesetzgeber und auch der Richter auf entsprechende gesellschaftliche Erwartungen zurückgreifen: „Das Recht stammt nicht aus der Feder des Gesetzgebers. Die Entscheidung des Gesetzgebers (und das gleiche gilt, wie heute weithin anerkannt, für die Entscheidung des Richters) findet eine Fülle von Normprojektionen vor, aus denen sie mit mehr oder minder großer Entscheidungsfreiheit auswählt. Sie könnte anders keine Rechtsentscheidung sein. Ihre Funktion liegt nicht in der Schöpfung, in der Herstellung von Recht, sondern in der Selektion und symbolischen Dignifikation von Normen als bindendes Recht. Der Prozess der Rechtsbildung bezieht die gesamte Gesellschaft ein. In ihn ist ein verfahrensmäßiger Filter eingeschaltet, den alle Rechtsgedanken durchlaufen müssen, um gesellschaftlich bindendes Recht zu werden. In diesem Verfahren wird nicht das Recht, wohl aber die Entweder / Oder Struktur des Rechts erzeugt; wird über Geltung oder Nichtgeltung entschieden, nicht aber das Recht aus dem Nichts geschaffen. Es ist wichtig, diesen Unterschied im Auge zu behalten, da sich andernfalls allzu leicht die Vorstellung der Entscheidungsgesetztheit des Rechts mit der ganz falschen Vorstellung einer faktischen oder moralischen Allmacht des Gesetzgebers verbindet“; vgl. auch ders., Ausdifferenzierung, S. 123: „Das gleiche gilt, wie heute allgemein anerkannt, für den Richter, der bei der Anwendung von Gesetzen auf nichtjuridifizierte gesellschaftliche Normvorstellungen zurückgreifen muss [ . . . ]“. Luhmann geht dabei aber grundsätzlich von der oben in Fn. 304 beschriebenen fortschreitenden Positivierung des Rechts in entwickelten Gesellschaften aus, die zu einer immer deutlicheren Trennung von Recht und Moral führt, vgl. ders., Rechtssoziologie, S. 224 ff. In Luhmanns Theorie autopoietischer Systeme kann es eine Rückanbindung an Moral gar nicht mehr geben, da das Rechtssystem nur mit rechtsinternen Kriterien operieren kann. Zwar kann es Werte wie Gerechtigkeit zur Selbstkontrolle heranziehen, dabei handelt es sich aber um eine Inkorporation dieser Werte in das eigene System, vgl. dazu Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 214 ff. Die praktische Bedeutung einer Konvergenz von rechtlichen und ethischen Begründungsvorstellungen schätzt Luhmann in „Das Recht der Gesellschaft“ dementsprechend gering ein, normative Erfolgs- und Stabilitätschancen ließen sich durch den Rückgriff auf angeblich unbestrittene moralische Wertungen nicht erhöhen (a. a. O., S. 78 f., 137, 261). 307 Streng, Sanktionen, Rn. 8 geht davon aus, dass ein wirkungsvolles Strafrecht grundsätzlich auf vorzufindende Werthaltungen zurückgreifen und sich insoweit auf einen gesellschaftlichen Konsens stützen können muss. Auch Luhmann scheint anzunehmen, dass das Strafrecht eine moralische Dimension aufweist: Diesem Moralisierungseffekt schreibt er jene irreparablen Folgen zu, die von Vertretern des labeling approach als sekundäre Abweichung beschrieben werden: Derjenige, der sich abweichend verhält, werde stigmatisiert und in seiner Identität auf Abweichung festgelegt. Dadurch werde das delinquente Verhalten letztlich befördert. Luhmann stellt die Frage, „wieweit neu gesetztes Recht sich noch sinnvoll auf Moral als Befolgungsmotiv und Durchsetzungshilfe stützen sollte“, vgl. zum Ganzen Luhmann, Rechtssoziologie, S. 223 f., vgl. zur Stigmatisierung auch S. 122 f. Auf das Problem der Stigmatisierung werde ich noch eingehen, vgl. dazu unten B.III.2.c)bb) und B.IV.

B. Normbesta¨tigung und sozialethische Missbilligung als Sprechakte

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Denn mit der strafrechtlichen Reaktion auf die Verletzung eines geltenden Strafgesetzes wird die sozialethische Missbilligung unabhängig davon zum Ausdruck gebracht, ob eine entsprechende Moralvorstellung besteht. Verurteilung und Strafe sind in unserer Gesellschaft konventionelles Symbol für die gesellschaftliche Missbilligung, und dieser missbilligende Symbolismus bliebe auch dann bestehen, wenn entsprechende Moralvorstellungen bezüglich des verbotenen Verhaltens zuvor nicht oder zumindest nicht durchgängig existierten. Zwar wird man konstatieren müssen, dass ein sozialethisches Unwerturteil über ein sozialethisch neutrales Verhalten „hohl“ klingt.308 Auch ist es vorstellbar, dass das Symbol der sozialethischen Missbilligung irgendwann nicht mehr geglaubt würde, wenn das Strafrecht generell dazu überginge, sozialethisch neutrale Verhaltensweisen zu bestrafen. Zum einen dürfte eine solche Divergenz aber wie bereits festgestellt in dem hier interessierenden Kernbereich des Strafrechts nicht vorkommen. Zum anderen wird die Möglichkeit einer gewissen Divergenz von der nicht funktionalen Variante der positiven Generalprävention (dazu sogleich) geradezu vorausgesetzt: Eine Einwirkung auf allgemeine Wertvorstellungen ist ja als Strafzweck schlechthin nur dann denkbar, wenn das Strafrecht als Mittel dieser Moralbildung bzw. -stabilisierung eine „überschießende“ moralische Bedeutung hat.309 Daher spricht es nicht gegen den sozialethischen Charakter des strafrechtlichen Unwerturteils, wenn der Gesetzgeber nicht ausschließlich Verstöße gegen allgemein anerkannte moralische Normen strafrechtlich sanktioniert.310 Der Strafe wird eine entsprechende moralische Bedeutung demnach solange zukommen, wie die dahinter stehende Institution des Missbilligens – im Sinne der konstitutiven Regel: „X (Urteil und Strafe) gilt als Y (Ausdruck von gesellschaftlicher Missbilligung) im Kontext K (institutionalisiertes strafrechtliches Entscheidungsverfahren)“ – anerkannt wird. Es lässt sich demnach festhalten, dass die strafrechtliche Reaktion schon für sich gesehen eine moralische Dimension beinhaltet.

So Kühl, Jahrbuch für Recht und Ethik 11 (2003), 219 (240). Inwieweit dem Strafrecht dabei tatsächlich eine moralbildende Kraft zukommt, ist fraglich. Jedenfalls dürften Anstöße zu einem sozialen Wertewandel regelmäßig von primären Sozialisationsinstanzen ausgehen, und dem Strafrecht dabei eher eine stabilisierende, nicht aber antizipierende Wirkung zukommen, vgl. dazu etwa Kunz, Kriminologie, § 33 Rn. 3 ff. Dies stellt aber das Wesen der strafrechtlichen Reaktion als sozialethische Missbilligung nicht in Frage, da nur auf diese Weise die Funktion des Strafrechts als „moral eye-opener“ erklärbar ist: Entweder kommt es zu einer Angleichung moralischer Standards an strafrechtliche Verhaltensgebote oder es entsteht der Eindruck der Illegitimität der strafrechtlichen Erzwingung eines sozial nicht beachteten Verhaltensgebots, vgl. Kunz, a. a. O. Der Ausdruck „Doppelmoral“ weist in diesem Zusammenhang schon darauf hin, dass dem Strafrecht eine eigenständige moralische Aussage zugeschrieben wird. 310 Dies ändert natürlich nichts daran, dass Kriterien angegeben werden müssen, warum gerade Verstöße gegen das Strafrecht den Ausdruck von Missbilligung verdienen. Letztlich wird dabei an den Strafrechtsgutbegriff als inhaltliches, aus der strafrechtlichen Innenperspektive erzeugtes Kriterium und an die Sozialschädlichkeit des Rechtsgutsangriffs angeknüpft, vgl. dazu auch sogleich unter B.III.2.b). 308 309

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b) Das Verhältnis der sozialethischen Missbilligung zur strafrechtlichen Normbestätigung Es stellt sich damit die schon in Bezug auf die alltägliche Kommunikation diskutierte Frage nach dem Verhältnis der missbilligenden zur normbestätigenden Funktion. Im strafrechtlichen Zusammenhang geht es um das Problem, ob die sozialethische Missbilligung in den Theorien der positiven Generalprävention überhaupt eine Rolle spielt. Grundsätzlich sind dabei zwei verschiedene Ansätze zu unterscheiden. Ein Modell der positiven Generalprävention orientiert sich am Individuum als Teil der Allgemeinheit, das durch Einsicht dazu bewegt werden soll, in die Bestandskraft der Normen zu vertrauen.311 Hierbei geht es um das perlokutionäre Ziel einer Einwirkung auf moralische Überzeugungen oder das Rechtsempfinden der Allgemeinheit, und dies setzt ein mit der Strafe kommuniziertes Unwerturteil voraus.312 Unklar ist hingegen, ob auch ein funktionalistisches, systemtheoretisch ausgerichtetes Modell der Strafe, wie Jakobs es vertritt, auf die Annahme einer missbilligenden Bedeutung der Strafe angewiesen ist. Dies kann zum einen bezweifelt werden, wenn man davon ausgeht, dass ein funktional verstandenes Strafrechtssystem weitgehend ohne den Blick auf Individuen auskommt. Soweit sich die Missbilligung als Sprechakt an Individuen richtet, könnte sie in dieser Theorie dann keine Rolle spielen. Wie gezeigt lässt sich die normstabilisierende Funktion rechtlicher Entscheidungen ohne Rückbezug auf Individuen (psychische Systeme) aber kaum erklären.313 Der wesentliche Grund, warum der Ausdruck von Missbilligung in Jakobs’ Ansatz keine Erwähnung findet, dürfte vielmehr darin liegen, dass es bei dieser auf Normstabilisierung zielenden Variante der positiven Generalprävention nur um die Geltung des Norminhalts, nicht hingegen um das geschützte Rechtsgut als solches geht (geschützt wird die Enttäuschungsfestigkeit der wesentlichen normativen Erwartungen als Strafrechtsgut, also der Orientierungswert der Norm).314 Denn Normen lassen sich auf vielfältige Weise stabilisieren, das kontrafaktische Festhalten an der Erwartung kann auf ganz unterschiedliche Weise symbolisiert werden.315 Der Ausdruck von Missbilligung bzw. eines Unwerturteils ist 311 Vgl. dazu etwa Hassemer, Einführung, S. 325; vgl. auch Neumann, in: Schünemann / von Hirsch / Jareborg, Positive Generalprävention, S. 147. 312 Dazu insbesondere Hörnle / von Hirsch, in: Schünemann / von Hirsch / Jareborg, Positive Generalprävention, S. 83 (87). 313 Vgl. oben B.III.1.a) und B.III.1.b). 314 Jakobs, AT, 2. Abschn. Rn. 2 ff. 315 Vgl. zu unterschiedlichen Möglichkeiten der Enttäuschungsabwicklung Luhmann, Rechtssoziologie, S. 53 ff.; vgl. auch a. a. O., S. 106 ff. zum „Primat der physischen Gewalt“ (Hervorhebungen im Original) bei der Abwicklung von Rechtsverstößen: Die physische Gewalt dient in komplexen Gesellschaften nach wie vor der Herstellung des Gesamtvertrauens in das Recht, der Stabilisierung des Erwartens von Erwartungen, vgl. auch oben Fn. 23. Das Recht bleibt durch physische Gewalt gedeckt. Allerdings verliert die Gewalt in komplexen Gesellschaften ihre Symbolqualität hinsichtlich der Darstellung des Festhaltens an der Norm

B. Normbesta¨tigung und sozialethische Missbilligung als Sprechakte

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dafür nicht zwingend erforderlich. Zwar ist nach Luhmann in entwickelten Gesellschaften die Sanktion gegen den Rechtsbrecher das bevorzugte expressive Mittel der Normerhaltung, weil es sich am besten mit der sachlichen und sozialen Generalisierung von Normen verknüpfen lässt.316 Damit ist aber noch nichts darüber ausgesagt, inwieweit sich strafrechtliche Sanktionen von anderen Sanktionen unterscheiden, ob sie also ein missbilligendes Element aufweisen. Aus dem systemtheoretischen Ansatz lässt sich auch nicht erklären, was strafrechtliche Normen gegenüber anderen, etwa zivil- oder öffentlich-rechtlichen Normen inhaltlich ausmacht. Denn aus soziologischer Perspektive geht es wie gezeigt hauptsächlich darum, ob Normen ihre Funktion der Erwartungssicherung erfüllen oder nicht.317 Zwar geht Jakobs davon aus, dass das Strafrecht nur „wesentliche normative Erwartungen“ sichere, Erwartungen, „die zum Funktionieren des sozialen Lebens in der gegebenen und in der gesetzlich geforderten Gestalt unabdingbar“ seien“318 (in der neueren Terminologie ist insoweit nur noch von „identitätsbestimmenden Normen der Gesellschaft“ die Rede319). Da das soziale Leben nach dieser Definition aber wiederum von der „gesetzlich geforderten Gestalt“ bestimmt wird, lässt sich ein Wesen strafrechtlicher Normen kaum ausmachen.320 Letztlich ist dies eine Konsequenz, die besonders deutlich wird, wenn man das Strafrecht als selbstreferentielles, autopoietisches System begreift: Wesentliche und gibt diese an die Entscheidung ab, der sich die Beteiligten fügen (a. a. O., S. 114 f.). Die im Hintergrund stehende Gewalt ermöglicht es, dass man sein Erwarten auf die allgemeine Annahme stützen kann, „dass alle erwarten, dass die jeweils von Entscheidungen Betroffenen sich physischer Gewalt fügen – mit anderen Worten: auf die Erwartung, dass alle erwarten, dass niemand rebelliert“ (a. a. O., S. 262). Dabei erscheint es interessant, inwieweit dies hinsichtlich der Strafe als Übelszufügung anders zu beurteilen ist: Möglicherweise kommt das Strafrecht ohne die Symbolqualität der Übelszufügung nicht aus, weil es hier aufgrund der geschehenen, nicht gänzlich wieder gutzumachenden Verletzungen nicht nur darum geht, dass die Beteiligten sich einer Entscheidung „fügen“ bzw. dies erwartet werden kann, vielmehr der Straftat eine materielle Geste entgegengesetzt werden muss, vgl. dazu unten B.IV. und Fn. 410. 316 Vgl. oben B.II.1.a) und B.III.1.a) und Luhmann, Rechtssoziologie, S. 101; diesen Aspekt lassen Hörnle / von Hirsch, in: Schünemann / von Hirsch / Jareborg, Positive Generalprävention, S. 83 (87) außer Betracht, wenn sie ausführen, ein Widerspruch gegen die Desavouierung der Norm könnte z. B. durch Beschlussfassungen von speziellen Komitees bis hin zu Unterbrechungen des Fernsehprogramms für Schweigeminuten bei schwersten Verbrechen erfolgen: Zwar ist es tatsächlich nicht zwingend, dass die Normstabilisierung als Sanktion, also auf Kosten des Rechtsbrechers (hier Täters) erfolgt, doch ist die Durchsetzung der Erwartung in Form der Sanktion derjenige Mechanismus, der eine für die Entstehung von Recht erforderliche Generalisierung in allen drei Dimensionen (zeitlich, sachlich und sozial) am ehesten zulässt, vgl. oben B.II.1.a) sowie B.III.1.a). 317 Vgl. dazu Wittig, Betrug, S. 67 f. (insbesondere unter Zugrundelegung der Unterscheidung von strafrechtlicher Innen- und soziologischer Außenperspektive, dazu allgemein dies., a. a. O., S. 17 ff.); vgl. auch Sacher, ZStW 118 (2006), 574 (598). 318 Jakobs, AT, 2. Abschn. Rn. 2. 319 Jakobs, ZStW 107 (1995), 843 (844). 320 Wittig, Betrug, S. 69 Fn. 64 weist darauf hin, dass der Zusatz „in der gegebenen und in der gesetzlich geforderten Gestalt“ die Zirkularität der Jakobs’schen Definition verrate.

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3. Kap.: Sprechakte im Strafrecht

Normen sind dann solche, die das sich selbst fortzeugende (in Autopoiese operierende) Strafrechtssystem als Strafrechtsnormen bestimmt.321 Aus der soziologischen Perspektive lässt sich daher nicht klären, ob es jeweils um die Enttäuschung solcher Erwartungen geht, auf die in legitimer Weise mit einem moralischen Unwerturteil reagiert werden kann. Diese Frage kann nur vom Strafrecht selbst beantwortet werden, wobei es dann als gerechtfertigt erscheint, nur die Enttäuschungen solcher Erwartungen strafrechtlich zu sanktionieren (und damit sozialethisch zu missbilligen), die sich auf Rechtsgüter beziehen. Soweit das Strafrecht die – subsidiäre – Sicherung elementarer Grundwerte des Gemeinschaftslebens und der freien Entfaltung des Einzelnen zur Aufgabe hat, erscheint der Ausdruck sozialethischer Missbilligung grundsätzlich als verhältnismäßiges Mittel zur Erreichung dieses Zwecks. Das Problem der inhaltlichen Bestimmbarkeit und zunehmenden Konturlosigkeit des Strafrechtsgutsbegriffs braucht im vorliegenden Zusammenhang allerdings nicht erörtert zu werden, da es für die hier maßgebliche Opferperspektive nur auf das ohnehin am Rechtsgüterschutz orientierte Kernstrafrecht ankommt. Die funktionalistische, systemtheoretische Variante der positiven Generalprävention kann das Element der sozialethischen Missbilligung jedenfalls nicht erklären und insbesondere nicht rechtfertigen. Sie kann den Ausdruck von Missbilligung aber als eine sozial verankerte Variante der Normstabilisierung voraussetzen. Soweit es um Regeln des menschlichen Zusammenlebens geht, ist die Missbilligung wie gezeigt eine dem menschlichen Sozialleben inhärente Form der Enttäuschungsabwicklung.322 Der Sprechakt der Normbestätigung, dem aus der Perspektive der positiven Generalprävention ein besonderes Gewicht zukommt, steht also in keinem Ausschlussverhältnis zu dem Ausdruck sozialethischer Missbilligung.323 321 Vgl. dazu Wittig, Betrug, S. 69 mit der Bemerkung, Jakobs’ Argumentation laufe auf den Zirkelschluss hinaus, dass „Strafgesetze die Gesetze sind, die dadurch, dass sie Strafgesetze sind, als besonders wesentlich ausgezeichnet sind“. 322 Dazu oben B.II.2.b) und B.II.2.c)aa). 323 Allerdings steht zu befürchten, dass sich ein Strafrechtssystem, welches sich sozialethischer Unwerturteile bedient und diese nur mit der Stabilisierung des Gesellschaftssystems begründet, der eigenen Glaubwürdigkeit beraubt [vgl. dazu Bock, ZStW 103 (1991), 636 (649 ff.); Stübinger, KJ 1993, 33 (42 f.); Hörnle / von Hirsch, in: Schünemann / von Hirsch / Jareborg, Positive Generalprävention, S. 83 (89); Sacher, ZStW 118 (2006), 574 (598 ff.)]. Dies kann allerdings nicht grundsätzlich gegen jegliche Rechtfertigung der strafrechtlichen Missbilligung mit dem perlokutionären Effekt der Bekräftigung innerer Einstellungen angeführt werden. Denn es spricht nichts dagegen, zunächst bestimmte, in letzter Konsequenz nicht weiter ableitbare Werte als sozial gewünscht und schützenswert festzulegen (so etwa die Schützenswertigkeit der körperlichen Integrität), und ein diese Werten missachtendes Verhalten auch deshalb als „falsch“ bzw. „verwerflich“ zu verurteilen, um eben diese Werte bzw. die damit verbundenen Normen unmittelbar aufrechtzuerhalten. Dass die strafrechtliche Missbilligung auch der Aufrechterhaltung eben solcher Sozialnormen dient, dürfte den Mitgliedern der Gemeinschaft als Adressaten des Unwerturteils nicht selten bewusst sein, ohne dass sie dieses

B. Normbesta¨tigung und sozialethische Missbilligung als Sprechakte

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Letztlich sind mit sozialethischer Missbilligung und Normbestätigung jedoch zwei unterschiedliche Aspekte angesprochen, die erst zusammen die Bedeutung strafrechtlicher Kommunikation ausmachen. Die sozialethische Missbilligung ist es, welche Strafe von anderen Sanktionen inhaltlich unterscheidet. Andererseits wird mit der Missbilligung auch die Geltung der Norm bestätigt. Ohne diese normbestätigende Funktion bliebe das sozialethische Unwerturteil unglaubwürdig und unvollständig.324 Denn wie gezeigt reflektiert die missbilligende Reaktion stets eine (generalisierte) Verhaltenserwartung und bringt damit zugleich zum Ausdruck, dass an dieser Erwartung festgehalten werde. Eine missbilligende Reaktion, mit der zugleich erklärt würde, dass man die zugrunde liegende Erwartung aufgibt oder an das deliktische Verhalten anpasst, wäre unglaubwürdig und inkonsequent bzw. in sich widersprüchlich.325 Begreift man die Missbilligung als eine Reaktion auf die Enttäuschung normativer Erwartungen nicht schädigenden Verhaltens, so ergibt sich deren zusätzliche normbestätigende Bedeutung notwendigerweise. Damit ist – der eingangs aufgestellten These entsprechend326 – die Missbilligung mit der Normbestätigung unmittelbar verbunden. Allerdings haben beide Sprechakte eine jeweils eigenständige Bedeutung, weshalb sie sprachtheoretisch getrennt zu untersuchen sind. Man könnte sagen, dass sich die Missbilligung auf den Inhalt, die Normbestätigung auf die Geltung der Erwartung bezieht.

c) Sozialethische Missbilligung als Sprechakt Es bleibt damit zu prüfen, wie die sozialethische Missbilligung sprechakttheoretisch einzuordnen ist. aa) Expressive Elemente in der strafrechtlichen Reaktion Feinberg geht grundsätzlich davon aus, dass der Strafe eine gewisse emotionale Prägung nicht abgesprochen werden kann. Er sieht darin eine Haltung von Ärger und Empörung und spricht insoweit von einer Art „vindictive resentment“.327 deswegen nicht mehr ernst nehmen würden. Problematisch wird es allerdings dann, wenn die präventive Komponente im Wesentlichen das Maß der Strafe bestimmt, denn die damit verbundene Strafungleichheit könnte die Glaubwürdigeit des Unwerturteils durchaus beeinträchtigen. Im geltenden Strafzumessungsrecht ist das Spannungsverhältnis zwischen präventivem und schuldorientiertem Strafen daher so gelöst, dass die Generalprävention nur im Rahmen des Schuldangemessenen berücksichtigt wird, vgl. dazu auch unten Fn. 412. 324 Auch dies ist ein wesentlicher Grund dafür, warum es der Glaubwürdigkeit der Missbilligung keinesfalls schadet, wenn die Normbestätigung offen als Teilzweck der Missbilligung benannt wird. 325 In Bezug auf die alltägliche Missbilligung schon oben B.II.2.b). 326 Vgl. oben Einl. II. 327 Vgl. Feinberg, in: Duff / Garland, Reader on Punishment, S. 71 (74): „ [ . . . ] punishment is a conventional device for the expression of attitudes of resentment and indignation [ . . . ]“

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3. Kap.: Sprechakte im Strafrecht

Betrachte man die mit einer Gefängnisstrafe regelmäßig einhergehende Behandlung des Gefangenen, seien gar noch stärkere Emotionen in Betracht zu ziehen: Der Ausdruck von Rache, Hass, Angst und Verachtung werde in dem Vollzug einer Haftstrafe gesellschaftlich konventionalisiert und legitimiert.328 Böllinger definiert die Strafe als „eine von aggressiven Affekten begleitete Zufügung von Übel“.329 In der Psychoanalyse wurde die Bestrafung des Täters oft auch als Selbstschutz der Rechtstreuen vor dem Durchbruch der eigenen verdrängten Triebe verstanden: „Der Sühnedrang ist also eine Schutzreaktion des Ichs gegen die eigenen Triebe im Dienste ihrer Verdrängung, um das seelische Gleichgewicht zwischen verdrängenden und verdrängten Kräften aufrechtzuerhalten. Das Verlangen nach Bestrafung des Täters ist gleichzeitig eine Demonstration nach innen, um die Triebe einzuschüchtern: ,Was wir dem Täter verbieten, darauf müsst auch ihr verzichten‘. Je größer nun der Druck der verdrängten Tendenzen ist, umso mehr benötigt das Ich die Sühne als abschreckendes Beispiel gegenüber der Urwelt der eigenen verdrängten Triebe [ . . . ]“330

Darüber hinaus wurde die Strafe als Ersatzbefriedigung für den eigenen Triebverzicht der Rechtstreuen gedeutet: „Eine weitere Bedeutung erhält die Strafe in der Seelenökonomik [ . . . ], indem sie eine Aggression in berechtigter Form ableitet, deren asoziales Ausleben durch die Verdrängungen verhindert wird. Dadurch gewinnt die Strafe eine Bedeutung als Rekompense für geleisteten Verzicht an Sadismus. Die Identifizierung mit der strafenden Gesellschaft ermöglicht dem Rechtschaffenen ein Ausleben von Aggressionen in erlaubter Form.“331 und S. 76: „I think it is fair to say of our community, however, that punishment generally expresses more than judgements of disapproval; it is also a symbolic way of getting back at the criminal, of expressing a kind of vindictive resentment.“; vgl. des Weiteren die Nachweise bezüglich emotionaler Komponenten der Strafe bei Androulakis, ZStW 108 (1996), 301 (310). 328 Vgl. Feinberg, in: Duff / Garland, Reader on Punishment, S. 71 (76): „ [ . . . ] To any reader who has in fact spent time in a prison, I venture to say, even Professor Gardner’s strong terms – ,hatred, fear or contempt for the convict‘ – will not seem too strong an account of what imprisonment is universally taken to express. Not only does the criminal feel the naked hostility of his guards and the outside world – that would be fierce enough – but that hostility is self-righteous as well. His punishment bears the aspect of legitimized vengefulness. Hence there is much truth in J. F. Stephen’s remark that ,The criminal law stands to the passion of revenge in much the same relation as marriage to the sexual appetite‘“; Androulakis, ZStW 108 (1996), 300 (312 f.) verweist ebenfalls darauf, dass teils von „Hassgefühlen gegenüber dem Delinquenten“ die Rede ist; auch Staub / Alexander, Der Verbrecher und seine Richter, S. 121 f. sehen in der Rache als Ausdruck des Selbstschutzes vor dem äußeren Feind (neben dem Sühnedrang, der dem Schutz vor der Identifizierung mit dem Täter dient) eine affektive Wurzel der Strafe. 329 Böllinger, Kriminologisches Journal 19 (1987), 32 (40). 330 Vgl. Alexander / Staub, Der Verbrecher und seine Richter, S. 119. 331 Vgl. Alexander / Staub, Der Verbrecher und seine Richter, S. 122; vgl. auch Freud, Totem und Tabu, S. 89: „[ . . . ] und die Strafe gibt den Vollstreckern nicht selten Gelegenheit, unter der Rechtfertigung der Sühne dieselbe frevle Tat auch ihrerseits zu begehen.“; zu solchen Abwehrprozessen auch Jerouschek, JZ 2000, 185 (187).

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All dies könnte dafür sprechen, auch die strafrechtliche Missbilligung als im Wesentlichen expressiv geprägten Sprechakt anzusehen, mit dem nicht nur Ärger und Empörung, sondern sogar erheblich gesteigerte Affekte zum Ausdruck gebracht werden. Nun ist es kriminalpolitisch sehr bedenklich, wenn die Strafe eine emotional geprägte Reaktion gegenüber dem Täter darstellt, denn dies dürfte der stigmatisierenden Wirkung der Strafe Vorschub leisten – jedenfalls dann, wenn damit nicht nur eine bloße Empörung, sondern Gefühle der Wut, der Rache, der Verachtung oder des Hasses ausgedrückt werden.332 Insbesondere die damit einhergehende globale Personenabwertung stempelt den Täter als Verbrecher ab, der gar nicht anders kann, als verbrecherisch zu handeln.333 Rein tatsächlich wird man eine teils auch übersteigerte emotionale Prägung der strafrechtlichen Reaktion wohl nicht leugnen können, zumindest wenn man die in der Strafe verwirklichte Übelszufügung (Feinberg spricht hier von „harter Behandlung“334) in die Deutung mit einbezieht. Auf die begleitende Übelszufügung und die Problematik eines verdammenden Strafrechts werde ich sogleich noch eingehen. Zunächst lässt sich jedoch feststellen, dass Urteil und Strafe als kollektiv-emotionale Reaktion nicht annähernd beschrieben sind.335 Die mit der Bestrafung vermittelte Haltung von Ärger und Empörung macht die strafrechtliche Reaktion nicht zu einem im Wesentlichen expressiven Sprechakt. Es geht dabei nicht um 332 Bei Dubber, ZStW 117 (2005), 485 (495 ff.) wird die expressive Funktion der Strafe als Ausdruck von Verachtung und Verdammung des Beschuldigten verstanden. Die angeführten Beispiele der in den USA verhängten Alternativsanktionen legt ein solches Verständnis tatsächlich nahe (Veröffentlichung von Namen und Bildern von Straftätern an Litfasssäulen, in Zeitungen oder im Fernsehen; die Verurteilung zum Tragen eines Schildes mit der Aufschrift „Ich bin ein verurteilter Kinderschänder“). 333 Vgl. dazu auch schon oben B.II.2.c)aa). Inwieweit eine mit der Strafe kommunizierte „Beschämung“ des Täters eine positive Wirkung haben kann, ist fraglich. Die formelle Bestrafung wird sozial desintegrativ wirken, wenn die damit einhergehende Beschämung den Täter in die Selbstisolation oder in eine Subkultur drängt, in der er die durch die Gesellschaft versagte Anerkennung zu finden hofft. Anders ist hingegen der Ansatz von John Braithwaite zu verstehen, der das Beschämen in Verbindung mit Gesten der Wiedereingliederung als reintegratives Mittel der Kriminalitätskontrolle versteht, vgl. ders., Crime, shame and reintegration, S. 54 ff., 80 ff., 84 ff., 98 ff. Hierbei geht es allerdings primär um das Beschämen als Bestandteil der Alltagskommunikation, das – in Verbindung mit dem nachfolgenden Akt der Vergebung – ein entsprechendes persönliches Umfeld voraussetzt und eher in kommunitarisch strukturierten Gesellschaften wirksam sein dürfte; zum Ganzen Kunz, Kriminologie, § 22 Rn. 10 ff. Braithwaite weist aber auch darauf hin, dass eine gegen die Person gerichtete, nicht nur auf die Handlung bezogene Missbilligung abweichendes Verhalten verstärkt, vgl. a. a. O., S. 54 ff. Diese insbesondere von Seiten der Psychologie unterstützte These sollte auch innerhalb des formellen Strafrechtssystems einer nicht kommunitarisch strukturierten Gesellschaft Beachtung finden, dazu sogleich unter B.III.2.c)bb) und B.IV. 334 Feinberg, in: Duff / Garland, Reader on Punishment, S. 73 ff. 335 Zu einem Verständnis der Strafe als „pathetische Reaktion des kollektiven Gewissens“, als Ausdruck des „moralischen Empfinden[s] des Volkes“ (Hervorhebungen nicht im Original) mit entsprechenden Nachweisen Androulakis, ZStW 108 (1996), 300 (310).

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den bloßen Ausdruck von Gefühlen und inneren Einstellungen. Denn expressive Sprechakte sind aufgrund ihrer fehlenden Anpassungsrichtung viel zu kontingent, um dauerhaft Sinn generieren zu können, an den in der gesellschaftlichen Anschlusskommunikation angeknüpft werden könnte.336 Die gesellschaftliche Antwort auf die Tat des Täters bekommt erst als Unwerturteil einen dauerhaften Sinn, der bei einer bloß emotional geprägten Reaktion nicht übermittelt werden könnte: Die Tat des Täters wird mit einem negativen Werturteil belegt, sie wird als tadelnswert charakterisiert. Gleichzeitig werden damit auch Verantwortungsbereiche abgegrenzt, denn es wird nicht nur ein Werturteil über die Tat selbst abgegeben, vielmehr wird sie dem Täter auch zum Vorwurf gemacht. Die gesellschaftliche Bedeutung der Strafe im Sinne eines solchen Unwerturteils wäre unzureichend erfasst, sähe man sie hauptsächlich als Ausdruck von Ärger und Empörung. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass selbst die absoluten Strafzwecktheorien, die den wesentlichen Sinn der Strafe in der Vergeltung erblicken und eine gewisse Nähe zu kollektiv-emotionalen Komponenten vermuten lassen, dem expressiven Anteil der Strafe kein eigenständiges Gewicht beimessen. Denn der Vergeltungsgedanke hat in theoretischer Hinsicht seit der Aufklärung im 18. Jahrhundert einen „tiefgreifenden Sinnwandel“ erfahren: War die Vergeltung einst eine in hohem Maße emotional geprägte, rein negative Reaktion auf die Tat, hat sie heute mit „Rache, untergründigen Hassgefühlen oder verdrängten Aggressionslüsten der Gesellschaft“ nichts mehr zu tun337 – dass dies die gesellschaftliche Realität idealisiert wiedergeben dürfte338, ändert nichts an dem gewandelten, theoretischen Verständnis von Vergeltung. Vielmehr wird aus der Perspektive der absoluten Straftheorien besonders deutlich, dass der spezielle Gehalt der strafrechtlichen Missbilligung in dem damit zum Ausdruck gebrachten Unwerturteil zu suchen sein dürfte. Vergeltung als eine die Gerechtigkeit wiederherstellende Antwort auf die Tat lässt sich nicht als im Wesentlichen expressiver Sprechakt deuten, sondern enthält ein dem verwirklichten Unrecht entsprechendes Unwerturteil.339 Nun könnte man für den expressiven Charakter der Strafe anführen, dass der missbilligende strafrechtliche Vorwurf darauf ausgerichtet ist, dass der Täter sich mit seinem deliktischen Verhalten auseinandersetzt und die Strafe als gerechten 336 Dass die bloße Kanalisierung (nicht notwendig Institutionalisierung) von Emotionen einen gesellschafts-stabilisierenden Effekt haben kann, sei unbestritten. Ein erschreckendes literarisches Beispiel sind die „Zwei-Minuten-Hass“ aus George Orwells „1984“ (vgl. a. a. O., S. 12 ff.). 337 Jescheck / Weigend, AT, S. 66 f.; vgl. dazu auch Rethmann, Rechtstheorie 31 (2000), 114 (122). 338 Vgl. etwa Alexander / Staub, Der Verbrecher und seine Richter (1929), S. 122 f.: „Im Strafrecht ist der primitive Rache-Affekt in einer gemilderten und modifizierten Form noch heute vorhanden. Er kommt in dem Vergeltungscharakter der Strafe insbesondere in der primitiven Härte und in der irrationalen Art der Leidenszufügungen im Strafvollzug noch hinreichend zum Ausdruck [ . . . ].“ 339 Vgl. dazu auch Kühl, FS-Eser, S. 149 (158).

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Schuldausgleich innerlich annimmt.340 Eine solche auf Läuterung des Täters gerichtete „Sühnetheorie“ sieht sich zwar grundsätzlich dem Einwand ausgesetzt, dass ein derartiges, in der Wirklichkeit wohl eher selten vorkommendes Sühneerlebnis einen autonomen sittlichen Akt der Persönlichkeit darstellt, der nicht zwangsweise auferlegt werden kann.341 Zumindest kann ein solcher perlokutionärer Effekt aber erhoffte Wirkung der Strafe sein.342 Darüber hinaus dürfte mit der Bestrafung des Täters die Hoffnung verknüpft sein, dieser möge zu einer Haltung von Reue und Verantwortung finden.343 Allerdings spricht auch dies nicht für eine hauptsächlich expressive Bedeutung der Strafe. Zwar zielen expressive Sprechakte häufig auf eine emotionale Stabilisierung bzw. Destabilisierung des Adressaten.344 Doch setzen die genannten emotionalen Zustände voraus, dass der Täter die an ihn herangetragene Bewertung seines Verhaltens grundsätzlich übernimmt. So weist Strawson darauf hin, dass die Gefühle der Schuld, Reue oder zumindest das Gefühl des Verantwortlichseins auf entsprechenden moralischen Anforderungen des Handelnden an sein eigenes Verhalten gegenüber anderen gründen.345 Es handelt sich dabei sozusagen um das Spiegelbild jener Erwartungen, die einer missbilligenden Haltung zugrunde liegen: Im letzteren Fall geht es um Erwartungen, die wir an andere stellen, sei es in ihrem Verhalten gegenüber uns (dann handelt es sich um die oben beschriebene „personal reactive attitude“) oder in ihrem Verhalten gegenüber anderen (dann handelt es sich um eine generalisierte Erwartung und dementsprechend eine stellvertretende Reaktion; „vicarious reactive attitude“).346 Ein Gefühl der Reue oder Verantwortlichkeit entsteht, wenn der Handelnde auch die Erwartungen anderer an sich selbst grundsätzlich anerkennt (und damit einer „selfreactive attitude“ fähig ist).347 Eine solche Übernahme der moralischen Bewertung des Verhaltens in die Innenperspektive bewirkt, dass der Bestrafte nicht seinerseits eine „personal reactive attitude“ entwickelt und missbilligend reagiert, wie er es normalerweise tun würde, wenn Leiden über ihn verhängt werden, sondern die Strafe als „gerecht“ annimmt.348 Daher ist es nahe liegend, dass auf die Enttäuschung einer Erwartung auch mit einer Bewertung des Verhaltens, mit einem moraVgl. dazu etwa Jescheck / Weigend, AT, S. 64 f., 67; zum Ganzen Roxin, AT 1, § 3 Rn. 10. Roxin, AT 1, § 3 Rn. 10. 342 Roxin, AT 1, § 3 Rn. 10 und Jescheck / Weigend, AT, S. 64 f.: „Das Bedürfnis, sich durch Sühneleistung von Schuld zu befreien, ist eine fundamentale Erfahrung des Menschen als eines sittlichen Wesens. Eine Möglichkeit zur Sühne als autonome sittliche Leistung zu schaffen, auch wenn den meisten Straftätern der Weg der inneren Umkehr versagt bleibt, ist darum eine legitime Aufgabe des Staates.“ 343 So Duff, in: Schünemann / von Hirsch / Jareborg, Positive Generalprävention, S. 181 (191 ff.). 344 Vgl. dazu oben 2. Kap. B.III. und dieses Kap. B.II.2.c)bb). 345 Strawson, Freedom and Resentment, S. 15 f. 346 Vgl. dazu oben B.II.2.a). 347 Strawson, Freedom and Resentment, S. 15 f. 348 Strawson, Freedom and Resentment, S. 22; ebenso Mees, Psychologie des Ärgers, S. 37. 340 341

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lischen Unwerturteil reagiert wird, um eine „self-reactive attitude“ beim Handelnden zu induzieren. Zumindest gibt diese Bewertung der Tat dem Täter die Chance, sein Verhalten zu der geltend gemachten Sozialnorm in Bezug zu setzen. Die Bedeutung eines in Urteil und Strafe enthaltenen Unwerturteils betont auch Feinberg. Zwar erkennt Feinberg wie erwähnt eine emotionale Komponente der Strafe in Form von Ärger und Empörung, ein gewisses „vindictive resentment“ an.349 Ein wesentliches Element der Strafe erblickt er jedoch in dem, was er als Reprobation350 bezeichnet. Missbilligung durch Strafe bestehe demnach in einem Unwerturteil „im Namen des Volkes“.351 So sei die strafrechtliche Verurteilung zugleich Ausdruck des autoritativen Nicht-Anerkennens des Unrechts. Die Gemeinschaft verdeutliche durch die Bestrafung des Täters, dass sie die Tat nicht akzeptiert, vielmehr werde die Tat als Unrecht gekennzeichnet und damit zurückgewiesen. Darüber hinaus würden andere Bürger durch die Verantwortungszuweisung an den Täter von einer potentiellen Mitschuld freigesprochen.352 Schließlich werde das Recht durch die Bestrafung in emphatischer Weise bestätigt.353 Diese Bestätigung des Rechts, die Feinberg als weitere symbolische Funktion des Unwerturteils nennt, hat allerdings einen eigenständigen Gehalt und wurde oben als strafrechtliche Normbestätigung gesondert analysiert. Im Folgenden geht es allein um die sprechakttheoretische Einordnung des durch die strafrechtliche Missbilligung zum Ausdruck gebrachten, retrospektiv ausgerichteten Unwerturteils. bb) Urteil und Strafe als präventiv ausgerichteter, direktiver Sprechakt Sieht man die Aufgabe des Strafrechts hauptsächlich in einer präventiven Einwirkung auf den Täter und die Allgemeinheit, so ist allerdings durchaus fraglich, ob es eines solchen retrospektiven Unwerturteils überhaupt bedarf. Dann könnten vielmehr direktive Anteile von Urteil und Strafe im Vordergrund stehen. Denn wie bereits ausgeführt lassen sich direktive Sprechakte als Versuch verstehen, ein bestimmtes Verhalten des bzw. der Adressaten zu bewirken. Die präventiven Strafzwecktheorien zielen letztlich auf eine solche Verhaltensbeeinflussung des Täters bzw. der Allgemeinheit. Um die Bedeutung des strafrechtlichen Unwerturteils weiter einzugrenzen, sei daher zunächst auf mögliche direktive Anteile von Urteil und Strafe eingegangen. 349 In Bezug auf die Gefängnisstrafe spricht Feinberg gar von „legitimierender Rache“, vgl. Feinberg, in: Duff / Garland, Reader on Punishment, S. 73 (76); vgl. auch oben Fn. 328. 350 Feinberg, in: Duff / Garland, Reader on Punishment, S. 73 (76 f.) bezeichnet „reprobation“ als „stern judgment of disapproval“: Es zeigt sich hieran wiederum, dass illokutionäre Verben ambig sind und damit als solche (ohne eine Analyse ihrer illokutionären Kraft) noch wenig aussagekräftig, vgl. dazu auch oben Fn. 212. 351 Feinberg, in: Duff / Garland, Reader on Punishment, S. 73 (76 ff.). 352 Feinberg, in: Duff / Garland, Reader on Punishment, S. 73 (77 ff.). 353 Feinberg, in: Duff / Garland, Reader on Punishment, S. 73 (77 ff.).

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Mit der strafrechtlichen Reaktion wird aus spezialpräventiver Sicht eine Besserung des Täters erstrebt, der Täter soll sich in Zukunft rechtstreu verhalten und möglichst wieder in die Gesellschaft eingliedern. Ausgehend von dem Ansatz der positiven Spezialprävention könnten Urteil und Strafe daher als vorwiegend direktiver Sprechakt zu verstehen sein. Doch kann auch ein am Resozialisierungsgedanken ausgerichtetes Strafrecht nicht auf ein Unwerturteil verzichten. Die Einnahme einer objektivierenden Haltung und die daraus folgende zweckmäßige Behandlung, wie Strawson sie als Ausnahme in der Alltagskommunikation beschreibt354, liegt der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung, nicht aber der Verhängung von Strafe zugrunde. Zwar verlangt die Theorie der positiven Spezialprävention ein „auf soziales Training und helfende Behandlung abstellendes Vollzugsprogramm“.355 Wenn aber die Wiedereingliederung des Täters in die Gemeinschaft im Wege der Strafe erfolgen soll, kann dabei die grundlegende zwischenmenschliche Haltung des Tadels nicht suspendiert sein. Mit Strawson wurde dargelegt, dass das Prinzip der Verantwortlichkeit und die sittlich-autonome Selbstbestimmung in der sozialen Interaktion vorausgesetzt werden und eine objektivierende Haltung nur in Ausnahmefällen durchgehalten werden kann. Auch das Strafrecht kommt nicht ohne die Kategorie der Schuld und die Unterscheidung zwischen Maßregeln der Besserung und Sicherung und Strafe aus.356 Dies bedeutet, dass auch die positive Spezialprävention eine inter-personale, nicht objektivierende strafrechtliche Kommunikation voraussetzen muss, will sie nicht ein ausschließliches Maßregelstrafrecht begründen. Nur so wird dem Täter ein Verstoß gegen elementare Regeln des menschlichen Zusammenlebens auch zugerechnet und zum Vorwurf gemacht. Als kommunikatives Element kann die tadelnde Reaktion der Gemeinschaft somit nicht wegfallen, wenn die Wiedereingliederung in dieselbe durch Strafe und nicht durch Maßregeln erfolgen soll. Zumindest aber aus der Perspektive jener Theorien, die das wesentliche Ziel der Strafe in der Abschreckung des Täters und potentieller Täter sehen, könnte sich die Strafe als primär direktiv geprägte Reaktion darstellen. Schon die Strafnorm selbst lässt sich als Versuch verstehen, mittels einer Strafdrohung ex ante Verhalten zu regulieren.357 Die abschreckende Wirkung der Strafe soll die Befol354 Vgl. Strawson, Freedom and Resentment, S. 9: „To adopt the objective attitude to another human being is to see him, perhaps, as an object of social policy; as a subject for what, in a wide range of sense, might be called treatment; as something certainly to be taken account, perhaps precautionary account, of; to be managed or handled or cured or trained; perhaps simply to be avoided [ . . . ].“ 355 Roxin, AT 1, § 3 Rn. 15. 356 Vgl. zur grundsätzlichen Unmöglichkeit einer durchgängig wissenschaftlichen / deterministischen / objektivierenden Haltung schon oben B.II.2.b) und B.II.2.c)aa); zur Unterscheidung von moralischer Schuld und Rechtsschuld und dem im strafrechtlichen Schuldvorwurf dennoch enthaltenen sozial-ethischen Vorwurf Kühl, Jahrbuch für Recht und Ethik 11 (2003), 219 (230 f.). 357 Vgl. dazu auch Hörnle / von Hirsch, Tadel, in: Schünemann / von Hirsch / Jareborg, Positive Generalprävention, S. 83 (98) und Hörnle, in: Hefendehl, Fundamente, S. 105 (112 ff.).

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gung der Strafnorm in Zukunft wahrscheinlicher machen, indem sie die Ernsthaftigkeit der Strafdrohung verdeutlicht.358 Mit der Strafe wird aufgezeigt, was derjenige zu erwarten hat, der dem Strafgesetz zuwider handelt. Die Androhung der Strafe in der Strafnorm und die Verwirklichung der Strafandrohung durch Urteil und Strafe lassen sich demnach als Drohung bzw. als Warnung charakterisieren. Ob die Drohung dabei den direktiven oder kommissiven Sprechakten zuzuordnen ist, ist strittig. Die Drohung könnte man zunächst als kommissiven Sprechakt deuten, mit dem sich der Sprecher (konditional) auf eine zukünftige Handlung (die Sanktion) festlegt.359 Angesichts der Tatsache, dass es dem Sprecher hauptsächlich auf ein Verhalten des Adressaten ankommt, erscheint es allerdings plausibler, in der Drohung einen direktiven Sprechakt zu sehen. Dessen vorbereitende Bedingung besteht darin, dass der Sprecher von der Möglichkeit ausgeht, der Adressat / die Adressaten könnten eine bestimmte Handlung ausführen oder unterlassen wollen. Die Drohung ist dann als Versuch zu verstehen, den oder die Adressaten dazu zu bewegen, die entsprechende Handlung auszuführen oder zu unterlassen. Die Drohung hat dabei gegenüber der bloßen Aufforderung den speziellen Durchsetzungsmodus einer bedingten Sanktionsankündigung. Die im Strafgesetz enthaltene Strafandrohung stellt einen solchen mit einer Sanktionsankündigung verknüpften Versuch, Verhalten zu regulieren, dar. Urteil und Strafe hingegen lassen sich treffender als Warnung beschreiben.360 Eine Warnung hat wie die Drohung die vorbereitende Bedingung, dass der Spre358 Vgl. auch Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen Peinlichen Rechts, § 16: Der Zweck der Zufügung der Strafe liegt für Feuerbach in der „Begründung der Wirksamkeit der gesetzlichen Drohung, inwiefern ohne sie diese Drohung leer (unwirksam) sein würde. Da das Gesetz alle Bürger abschrecken, die Vollstreckung aber dem Gesetze Wirkung geben soll, so ist der mittelbare Zweck (Endzweck) der Zufügung ebenfalls blosse Abschreckung der Bürger durch das Gesetz.“ 359 Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 164 f. geht entgegen Searle / Vanderveken, Foundations, S. 193 von einer besonderen Ausprägung der kommissiven Stammkraft in der Dimension der vorbereitenden Bedingung aus: Der Sprecher einer kommissiven Äußerung verpflichte sich – in unterschiedlichem Grad – gegenüber dem Hörer zu etwas und präsupponiere damit (vorbereitende Bedingung), dass die Handlung im Interesse des Hörers liegt. Bei der Drohung sei dies jedoch nicht der Fall: Wenn die Drohung keinen Erfolg hat, ist der Drohende nicht verpflichtet, seine Drohung wahrzumachen. Man kann ihm nicht vorwerfen, seine Drohung nicht eingehalten oder „gebrochen“ zu haben, und schon gar nicht wird sich der Adressat darüber beschweren. Daher sei die Drohung kein kommissiver Sprechakt. Nun ist es bezüglich der strafrechtlichen Sanktionsandrohung so, dass die Staatsanwaltschaft nach dem Legalitätsprinzip grundsätzlich verpflichtet ist, Straftaten zu verfolgen. Ist die schuldhafte Verwirklichung eines Straftatbestandes festgestellt, ist der Richter an den vorgegebenen Strafrahmen gebunden. Soweit der Staat in dieser Weise auf die Verwirklichung der Strafdrohung festgelegt ist, besteht diese Verpflichtung aber zumindest nicht gegenüber dem tatsächlichen Täter oder potentiellen Tätern als Adressaten der Drohung. Auch die Strafandrohung wäre nach Rolf demnach kein kommissiver Sprechakt. 360 Vgl. auch Walther, Rechtsbruch, S. 289, die in der Strafe neben der Übelszufügung eine „kriminaljustizielle Feststellung und Warnung“ sieht, die sich in den „Instrumentarien der

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cher davon ausgeht, der Adressat werde möglicherweise etwas tun bzw. unterlassen. Die Warnung ist dadurch gekennzeichnet, dass sie einerseits auf die negativen Folgen einer bestimmten Handlung / Unterlassung aufmerksam macht (diese negativen Folgen können, müssen aber nicht in einer Sanktion seitens des Sprechers liegen). Insofern enthält sie ein assertives Element. Andererseits stellt sich auch die Warnung als Versuch dar, den Adressaten von dieser Handlung / Unterlassung abzubringen und beinhaltet insoweit ein direktives Element. Als Beispiel sei hier die „Warnung vor dem bissigen Hund“ genannt: Einerseits wird hier auf die Gefährlichkeit des Hundes hingewiesen, andererseits versucht, den Adressaten vom Betreten des Grundstücks abzuhalten. Ob der Schwerpunkt im direktiven Anteil liegt (dann werden die negativen Folgen präsupponiert), oder ob es sich um einen assertiven Sprechakt handelt (mit dem perlokutionären Ziel einer Verhaltensänderung) ist letztlich zweitrangig.361 Jedenfalls lässt sich die Strafe als Warnung deuten. Dies gilt hinsichtlich potentieller Täter, die dadurch abgeschreckt werden sollen, dass ihnen die negativen Folgen einer kriminellen Handlung durch die Bestrafung des aktuellen Täters vor Augen geführt werden. Besonders deutlich wird der warnende Charakter der Strafe aber an den Einrichtungen der Strafaussetzung zur Bewährung und der Verwarnung mit Strafvorbehalt: Dass sowohl Urteil als auch Strafe eine Warnfunktion gegenüber dem Täter haben, kommt in der Formulierung der §§ 56, 59 StGB klar zum Ausdruck. Für die Strafaussetzung kommt es darauf an, ob damit zu rechnen ist, dass der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lässt, es also einer Übelszufügung in Form des Strafvollzugs zur Verdeutlichung dieser Warnung nicht bedarf. Voraussetzung für die Verwarnung mit Strafvorbehalt ist unter anderem die Erwartung, dass der Täter künftig auch ohne Verurteilung zu Strafe keine Straftaten mehr begehen wird, es also der Warnung durch Verurteilung nicht bedarf. Auch die Registereintragung dürfte den Charakter der Strafe als an den Täter gerichtete Warnung unterstreichen. Aus der Sicht einer reinen Abschreckungsprävention würde sich das Strafrecht im Wesentlichen auf die Kommunikation einer solchen Drohung bzw. Warnung beschränken, der Ausdruck einer sozialethischen Missbilligung bzw. eines sozialethischen Unwerturteils wäre kein zwingender Bestandteil der abschreckenden Botschaft. Doch kann die Aussage des Strafrechts nicht grundsätzlich auf eine Drohung bzw. Warnung reduziert werden. Strafe als bloße Drohung oder Warnung mag den Täter im günstigen Fall abschrecken, auf das Hervorrufen von Einsicht ist sie jedenfalls nicht gerichtet. Schon die bloße Übelszufügung als rein tatsächliches Verhalten kommt als Funktionsäquivalent zu einer Drohung bzw. Warnung in Betracht. Bereits durch die bloße Zufügung von Leid wird deutlich gemacht, dass eine bestimmte Handlung ein Übel nach sich zieht und daher in Zukunft besser zu Schuldfeststellung, der Ermahnung, der Verwarnung, des Strafausspruchs sowie der Registereintragung“ manifestiere. 361 Vgl. dazu Searle / Vanderveken, Foundations, S. 202 f.

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unterlassen ist.362 Die Funktion des Strafrechts bestünde dann lediglich im Setzen von negativen Anreizen. Letztlich läuft eine reine Abschreckungstheorie auf die Übernahme der von Strawson beschriebenen objektivierenden Perspektive in das Strafrecht hinaus. Bestenfalls wird dann noch an die Fähigkeit des Menschen appelliert, Kosten und Nutzen gegeneinander abzuwägen363 bzw. sich nach dem Schema von Lust und Unlust zu orientieren364. Dass die strafrechtliche Botschaft sich hierin nicht erschöpft, wird schon daran deutlich, dass die Aufklärungsquote vielfach nicht ausreichen würde, einer Entscheidung für das Verbrechen unter solchen Abwägungsgesichtspunkten entgegenzustehen; zum anderen soll auch der potentielle Täter angesprochen werden, der sich sicher ist, nicht entdeckt zu werden und der folglich durch keine noch so harte Strafe wird abgeschreckt werden können; es soll eben auch sozialer bzw. moralischer Druck mobilisiert werden, um zukünftige Straftaten zu verhindern.365 Warum es bei der Strafe um mehr als bloße Abschreckung gehen muss, wird teilweise tiefenpsychologisch zu begründen versucht. Demnach wird mit der Strafe die Funktion des Über-Ichs und damit eine innerseelische Instanz abgesichert, welche für die Einhaltung der sozialen Ordnung zu sorgen hat und zugleich auch die Moral repräsentiert. Der individuelle sowie soziale Zweck der Strafe besteht dann darin, der Ansteckungsgefahr, die vom Normbruch für die Über-Ich-Funktionen ausgeht, 362 Dass die Drohung auch rein tatsächlich vorkommen kann und überhaupt nicht als Sprechakt gedeutet werden muss, sehen auch Searle / Vanderveken, Foundations, S. 193. 363 Darauf gründet die ökonomische Theorie des Rechts, die auch als strafrechtliches Legitimationsmodell vertreten wird. Aus ökonomischer Perspektive geht es nicht um moralische Werturteile, sondern um die Vermeidung sozialer und privater Kosten. Dass der Strafe ein Abschreckungseffekt zukommt ist dabei nur ein Aspekt der allgemeinen ökonomischen Rationalitätsannahme, denn auch positive Anreize können illegales Verhalten als die schlechtere Alternative erscheinen lassen, vgl. zum Ganzen Frank, Kriminologisches Journal 19 (1987), 55 ff.; vgl. auch die ausführliche Kritik bei Wittig, Der rationale Verbrecher, S. 127 ff.; Wittig, a. a. O., S. 136 ff. weist unter anderem auf eine Tautologie des ökonomischen Ansatzes hin, die darin besteht, dass auch psychische und soziale Faktoren bei der Bildung des Präferenzsystems eine Rolle spielen und damit Moral und Erziehung als zusätzliche „psychischen Kosten“ einer Straftat in Betracht kommen. Auf diese Weise werden psychische und soziale Faktoren doch wieder in die Betrachtung eingeführt. Zur Abschreckung als Steigerung des „Preises“ des Verbrechens dies., a. a. O., S. 102 ff. (Kritik S. 129, 178). 364 Vgl. auch Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen Peinlichen Rechts, § 13 zu einer Theorie des „psychologischen Zwanges“: „Alle Übertretungen haben ihren psychologischen Entstehungsgrund in der Sinnlichkeit, inwiefern das Begehrungsvermögen des Menschen durch die Lust an oder aus der Handlung zur Begehung derselben angetrieben wird. Dieser sinnliche Antrieb kann dadurch aufgehoben werden, dass Jeder weiss, auf seine That werde unausbleiblich ein Uebel folgen, welches grösser ist, als die Unlust, die aus dem nicht befriedigten Antrieb zur That entspringt.“ Dagegen Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Zusatz zu § 99: „Es ist mit der Begründung der Strafe auf diese Weise, als wenn man gegen einen Hund den Stock erhebt, und der Mensch wird nicht nach seiner Ehre und Freiheit, sondern wie ein Hund behandelt.“; vgl. auch die Ablehnung einer utilitaristischen Interpretation des Strafrechts bei Kant, Metaphysik der Sitten, S. 453. 365 Vgl. dazu Schünemann, in: ders. / Dubber, Die Stellung des Opfers, S. 1 (2).

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vorzubeugen.366 Es wäre demzufolge die moralische Instanz des Über-Ichs, welche durch die Bestrafung des Täters gegenüber den destruktiven Triebtendenzen gestärkt bzw. deren autonome Befolgung gefördert wird.367 Dies würde bedeuten, dass auch eine auf Abschreckung gerichtete Strafe einen moralischen Bezug zumindest insoweit aufweist, als sie die Funktionen des Über-Ichs von außen absichert. Unabhängig davon bestehen aber aus normativer und ethischer Perspektive Bedenken gegen ein Verständnis der Strafe als wertneutrale, rein funktionale Abschreckung, wie Hörnle / von Hirsch eingehend dargelegt haben. Hörnle / von Hirsch übertragen Strawsons Deutung von Funktion und Berechtigung des Tadels in der Alltagskommunikation auf das Strafrecht, da nur eine solche inter-personale, nicht objektivierende Haltung dem Täter die Möglichkeit lasse, als Person mit autonomer moralischer Selbstbestimmung auf den Tadel zu reagieren. Eine entsprechende Strafrechtsordnung wird aktuelle und mögliche zukünftige Täter demnach als – zumindest potentiell – moralisch ansprechbare Personen adressieren.368 Diesbezüglich sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass sich der Ausdruck von Missbilligung kaum ohne einen Blick auf perlokutionäre Effekte bei den 366 Jerouschek, JZ 2000, 185 (186) mit Hinweis darauf, dass Freud die Verlässlichkeit des Über-Ichs als innerseelsicher Gewissensinstanz angesichts der Anfälligkeit dieser Instanz gegenüber destruktiven Triebtendenzen skeptisch beurteilte, vgl. Freud, Totem und Tabu, S. 89: „Wenn einer es zustande gebracht hat, das verdrängte Begehren zu befriedigen, so muss sich in allen Gesellschaftsgenossen das gleiche Begehren regen; um diese Versuchung niederzuhalten, muss der eigentlich Beneidete um die Frucht seines Wagnisses gebracht werden [ . . . ]“; vgl. aber auch oben Fn. 331. 367 Vgl. dazu Streng, Kriminologisches Journal 19 (1987), 48 (50 ff.): Streng sieht die Funktion der Strafe (oder auch einer informellen Form sozialer Kontrolle wie der der alltäglichen Missbilligung) in einer „Wahrung bzw. Stärkung von Autonomie in dem Sinne, dass man sich ,frei‘ fühlt, den Vorgaben des Über-Ichs zu folgen“. Dies alles habe nichts mit schlichter Abschreckung zu tun, sondern mit einer Bestätigung der durch das Über-Ich verinnerlichten Werteordnung. Streng stützt damit die Theorie der positiven Generalprävention. Für ihn stellt sich die unbewusste Entscheidung des Über-Ichs zur Normbefolgung als Primärprozess, die Abwägung der Risiken eines Normbruchs hingegen als Sekundärprozess dar, der erst bei grundsätzlicher Geneigtheit zum Normbruch eintritt. Daher werde die generalpräventive Abschreckungstheorie überschätzt. Vgl. auch den tiefenpsychologisch orientierten Ansatz Haffkes: Generalprävention sei permanenter Bestandteil des sozialen Lernprozesses, trage zum Aufbau intrapsychischer Kontrollinstanzen bei und stabilisiere diese durch latenten, unbewusst wirkenden, heteronomen Druck (ders., Tiefenpsychologie und Generalprävention, S. 82, 162 ff.). Kritisch zu einer solchen interdisziplinären Vereinnahmung der „Tiefenpsychologie“ Böllinger, Kriminologisches Journal 19 (1987), 32 (36 ff.); verzerrend wirke unter anderem eine Gleichsetzung destruktiver Triebregungen mit Kriminalität (S. 38 ff.). 368 Vgl. dazu Hörnle / von Hirsch, in: Schünemann / von Hirsch / Jareborg, Positive Generalprävention, S. 83 (91 ff.) und von Hirsch, a. a. O., S. 101 ff. zur Verknüpfung von Tadel und Prävention sowie Hörnle, in: Hefendehl, Fundamente, S. 105 (112 ff.). Ähnlich Streng, MschrKrim 87 (2004), 127 (144), der die Aufgabe eines demokratischen, nicht autoritären Strafrechts weniger in der Abschreckung als in der Bestätigung der von den Bürgern verinnerlichten und mitgetragenen Werte und Normen sieht. Dabei sei die Missbilligung unerwünschten Verhaltens, nicht aber das Ausschöpfen der in der Bevölkerung vorhandenen Straferwartungen zentral; kritisch Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 51 ff.

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Adressaten des Sprechakts rechtfertigen lässt. Die Missbilligung wäre als Handlung nicht mehr sinnvoll, wenn sich (etwa aufgrund psychologischer Erkenntnisse) herausstellen würde, dass sie zur Beeinflussung / Bestärkung innerer Einstellungen gänzlich ungeeignet ist. Zumindest muss die Chance bestehen, dass der Sprechakt entsprechende perlokutionäre Effekte hinsichtlich der Haltung der Adressaten hat. Eine Missbilligung, die dies aufgrund pessimistisch stimmender Erkenntnisse gar nicht erst versuchen würde, müsste sich allein durch metaphysische Gerechtigkeitspostulate rechtfertigen, und damit das Strafrecht in den Bereich des Glaubens verweisen. Somit gilt auch hinsichtlich der sozialethischen Missbilligung, was hinsichtlich der Normbestätigung schon festgestellt wurde: Sie ist nur als an Individuen gerichteter Sprechakt erklärbar. Darüber hinaus erscheint es jedoch plausibel, dass ein Unwerturteil die kognitiven Bedingungen für eine an sozialethischen Normen ausgerichtete Verhaltensänderung des Täters schaffen kann: Der Täter erhält die Möglichkeit, sich mit dem moralischen Vorwurf auseinanderzusetzen und sein Verhalten als Ausdruck einer Gewissenentscheidung oder zumindest in Orientierung an den sozialethischen Normen für die Zukunft zu ändern.369 Insofern dürfte ein wichtiger Teil der Spezialprävention darin bestehen, den Täter dazu zu bringen, sein Verhalten als Ausdruck einer falschen Handlungsmaxime anzuerkennen.370 Ohne ein (Un-)Werturteil als wesentlichem Element der Strafe ist eine solche kommunikative Funktion schwer vorstellbar. Aber auch gegenüber potentiellen Tätern kann auf den Ausdruck einer Missbilligung nicht verzichtet werden. Denn ein normal sozialisiertes Individuum wird sich schon allein durch die internalisierte gesellschaftliche Missbilligung eines Verhaltens von diesem abhalten lassen, ohne überhaupt in eine Kosten-NutzenAbwägung einzutreten. Andernfalls wäre häufig nicht ersichtlich, welcher rationale Grund den Einzelnen in solchen Situationen, in denen das Entdeckungsrisiko gering erscheint, von der Begehung der Straftat abhalten sollte.371 Schließlich ist aber auch auf die häufig übersehene Gefahr einer Pervertierung des Missbilligungsgedankens hinzuweisen.372 Ein missbilligendes Strafrecht wird 369 Vgl. dazu auch Hörnle / von Hirsch, in: Schünemann / von Hirsch / Jareborg, Positive Generalprävention, S. 83 (97) sowie Walther, Realkonflikt, S. 204, die darauf hinweist, dass auch mit dem Instrumentarium der Reprobation präventive Wirkungen erzeugt werden und dies in einem insgesamt aus rechtsstaatlichen Gründen an die Verfolgung von rationalen Zwecken gebundenen Kriminalrecht legitimatorisch vorausgesetzt werde, wobei die Prävention allerdings nicht das Maßprinzip der Reprobation sein könne. 370 Ähnlich Puppe, in: FS-Grünwald, S. 469 (474) mit Bezug auf die normbestätigende Funktion der Strafe. 371 Vgl. dazu auch schon oben Fn. 367 sowie Schünemann, in: ders. / Dubber, Stellung des Opfers, S. 1 f. 372 In der strafrechtlichen Literatur wird der unterschiedliche Bedeutungsgehalt einer Verachtung des Täters einerseits und einer Missbilligung des Verhaltens andererseits nicht hinreichend deutlich gemacht und oft allenfalls intuitiv abgegrenzt, vgl. dazu auch unten B.IV.

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schnell dazu tendieren, nicht nur eine Missbilligung des Verhaltens, sondern auch eine Missbilligung bzw. Verachtung der Person des Straftäters zum Ausdruck zu bringen und diesen damit übermäßig stigmatisieren. Dann wird dem Täter gerade nicht mehr die Möglichkeit einer Verhaltensänderung zugestanden, wie dies bei einer reinen Missbilligungs-Reaktion der Fall ist, vielmehr wird impliziert, dass der Täter aufgrund einer nicht veränderbaren negativen Charaktereigenschaft verachtenswert und daher entsprechendes Verhalten von ihm zu erwarten ist.373 Auf die sich daraus ergebenden Implikationen hinsichtlich der mit der strafrechtlichen Reaktion verbundenen Übelszufügung werde ich sogleich eingehen.374 Letztlich ist aber das gesellschaftliche Phänomen des Strafens ohne die Funktion der Missbilligung nicht erklärbar. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sich Strafe ansonsten nicht von anderen, etwa zivil- oder verwaltungsrechtlichen Sanktionen abgrenzen lässt. Denn auch solche Sanktionen beinhalten die Zufügung eines Übels. Zwar könnte man den wesentlichen Unterschied im unterschiedlichen Stärkegrad der Übelszufügung erblicken. Diese Unterscheidung wäre aber allenfalls im Regelfall aussagekräftig, denn nicht strafrechtliche Sanktionen können sich durchaus wesentlich gravierender auswirken als die Verhängung einer Strafe.375 Kennzeichnendes Merkmal der Strafe ist vielmehr die darin zum Ausdruck kommende Missbilligung des Täterverhaltens. Bereits die Strafnorm selbst enthält ein vorweggenommenes, abstraktes Unwerturteil, welches dann im Falle einer Straftat konkretisiert wird.376 Dieses Unwerturteil ist es, das die eigenständige Bedeutung der Strafe gegenüber sonstigen zivil- oder verwaltungsrechtlich angedrohten Sanktionen begründet. Insofern dürften reine Abschreckungstheorien heute kaum noch vertreten werden, vielmehr wird ein missbilligendes Element der Strafe gemeinhin vorausgesetzt. Strafe beinhaltet demnach stets ein sozialethisches Unwerturteil über ein moralisches Fehlverhalten, lediglich verbunden mit der Aufforderung, dieses Fehlverhalten einzustellen und dem Hinweis auf die negativen Folgen eines solchen Fehlverhaltens. Es lässt sich damit abschließend feststellen, dass ein sozialethisches Unwerturteil der Strafe immanent ist und auch von den Strafzwecktheorien weitgehend vorausgesetzt wird. Zwar ist eine reine Abschreckung auch ohne die Vermittlung von Sinn, insbesondere ohne ein entsprechendes Unwerturteil und als allenfalls direktiver Sprechakt denkbar. Auch mag eine rein funktionalistische, nur auf 373 Vgl. dazu insbesondere Mees, Psychologie des Ärgers, S. 40, der die Auswirkungen von „Geringschätzungsemotionen“ wie z. B. der Verachtung aus diesem Grund als schwerwiegender ansieht als die der bloßen „Ärger-Emotionen“; Mees sieht eine enge Verwandtschaft, wenn auch keine notwendige Verknüpfung zwischen Vorwurfs- und Geringschätzungsemotionen. 374 Vgl. unter B.IV. 375 Vgl. dazu insbesondere auch Feinberg, in: Duff / Garland, Reader on Punishment, S. 73 (74). 376 Vgl. dazu Hörnle / von Hirsch, in: Schünemann / von Hirsch / Jareborg, Positive Generalprävention, S. 83 (91 ff.) und Hörnle, in: Hefendehl, Fundamente, S. 105 (112 ff.).

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3. Kap.: Sprechakte im Strafrecht

Normstabilisierung gerichtete Generalprävention ohne die Annahme eines mit der strafrechtlichen Sanktion vermittelten Unwerturteils auskommen. Eine solche durchgängig objektivierende Haltung ist aber als soziale Reaktion auf schädigendes Verhalten kaum denkbar. Zudem wäre damit die eigenständige Bedeutung strafrechtlicher Kommunikation nicht hinreichend beschrieben. cc) Das sozialethische Unwerturteil als Sprechakt Damit schließt sich die Frage an, wie das mit der strafrechtlichen Missbilligung zum Ausdruck gebrachte sozialethische Unwerturteil sprechakttheoretisch einzuordnen ist. Die alltägliche Missbilligung beinhaltet wie gezeigt eine über ihre expressive Prägung hinausgehende, assertive Feststellung. Diese (vor allem in ihrem Durchsetzungsmodus besonders ausgeprägte) Feststellung bezieht sich auf die Verwerflichkeit der verletzenden Handlung und die Verantwortlichkeit des Handelnden hierfür. Es erscheint nahe liegend, die strafrechtliche Missbilligung ebenfalls als assertiven Sprechakt einzuordnen, denn auch das strafrechtliche Unwerturteil umfasst in seinem propositionalen Gehalt eine Bewertung des vergangenen Geschehens und die Zuschreibung von Verantwortlichkeit. Strafrechtliche und alltägliche Missbilligung würden sich dann als Sprechakte nicht wesentlich voneinander unterscheiden. Eine grundsätzliche Wesensgleichheit von alltäglichem und strafrechtlichem Tadel scheinen Hörnle und von Hirsch in ihrem ethisch begründeten Konzept der Strafe vorauszusetzen. Denn Hörnle / von Hirsch sehen nur einen graduellen, keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Tadel im Alltag und im Strafrecht (als Unwerturteil).377 Dieser graduelle Unterschied bestehe zum einen in der im formalisierten Strafverfahren erheblich eingeschränkten Möglichkeit personaler Interaktion, die mit dem Urteil schließlich abgebrochen wird, zum anderen in der eingeschränkten Kenntnis des Richters bezüglich der Persönlichkeit des Angeklagten, also des Adressaten des Tadels.378 377 Hörnle / von Hirsch, in: Schünemann / von Hirsch / Jareborg, Positive Generalprävention, S. 83 (91 ff.); Hörnle / von Hirsch gebrauchen den Begriff des Tadels synonym für den herkömmlichen strafrechtswissenschaftlichen Begriff des Unwerturteils (a. a. O., S. 87). 378 Hörnle / von Hirsch, in: Schünemann / von Hirsch / Jareborg, Positive Generalprävention, S. 83 (94) verweisen dabei auch auf institutionelle Kontexte unterhalb der Schwelle des Strafrechts, bei denen die Offenheit der Kommunikation immer weiter eingeschränkt werde, je formeller der Kontext sei. Doch ist es gerade auch die Tatsache der Institutionalisierung des Tadels (also die Institutionalisierung des Institutionalisierens), die besonderer Beachtung bedarf, und die auch schon in nicht-strafrechtlichen, aber auf Tadel ausgelegten Verfahren den Tadel entscheidend prägt. Die Institutionalisierung von entsprechenden Verfahren geschieht in aller Regel gerade nicht graduell, mag sie sich auch auf bestimmte soziale Bereiche beschränken. Dass der Tadel in dem bei Hörnle / von Hirsch genannten Beispiel einer Kommission zur Beurteilung eines Plagiats schwächer ausfällt als im Strafrecht, ist auf dessen Inhalt, also dessen abweichenden propositionalen Gehalt zurückzuführen: Es wird eben ein leichterer Tadel als im Strafrecht ausgedrückt, der gleichwohl eine nicht unerhebliche, insti-

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Hörnle / von Hirsch ist wie gezeigt darin zuzustimmen, dass der Strafe das kommunikative Element der Missbilligung bzw. des Tadels immanent und der Täter als Person mit autonomer moralischer Selbstbestimmung Adressat eines ethischen Unwerturteils ist.379 Allerdings legt die Sprechakttheorie einen prinzipiellen und nicht bloß graduellen Unterschied zwischen alltäglicher und strafrechtlicher Missbilligung nahe. Denn Funktion und Bedeutung alltäglicher und strafrechtlicher Missbilligung weisen wesentliche Unterschiede auf. Zwar haben beide Sprechakte die negative Bewertung einer Handlung und die Verantwortlichkeit hierfür zum Gegentand, haben insoweit also denselben propositionalen Gehalt. Grundeinheit der sprachlichen Kommunikation ist aus Sicht der Sprechakttheorie jedoch niemals der propositionale Gehalt an sich, sondern eine Handlung, nämlich die Hervorbringung des propositionalen Gehalts im Wege des Vollzugs eines Sprechakts.380 Die Bedeutung eines Sprechakts ist davon abhängig, in welchen Kontexten, unter welchen Bedingungen, mit welchen Intentionen bzw. Geltungsansprüchen und vor welchem konventionellen Hintergrund der Sprechakt geäußert wird.381 Nun geschieht die alltägliche Missbilligung in einem gänzlich anderen Kontext als die strafrechtliche Missbilligung. Die Tatsache, dass in komplexen Gesellschaften eine institutionalisierte Praxis des Strafens besteht, dass mit Urteil und Strafe regelrecht ein öffentliches Ritual, eine Zeremonie aufgeführt wird, deutet darauf hin, dass nicht nur die Normbestätigung, sondern auch die Missbilligung im strafrechtlichen Kontext eine andere Bedeutung hat als in der Alltagskommunikation. Dies zeigt sich im Positiven am friedensstiftenden, im Negativen am stigmatisierenden Potential der Strafe. Hätte die strafrechtliche Missbilligung ebenfalls die illokutionäre Kraft der Assertiva, würde dies bedeuten, dass die Feststellung der Verantwortlichkeit jederzeit widerspruchsfähig bliebe. Zwar zielen assertive Sprechakte auf die Anerkennung und Durchsetzung eines Wahrheits- bzw. Geltungsanspruchs.382 Dies beinhaltet jedoch zugleich die Möglichkeit des Widerspruchs: Die Adressaten können die Feststellung entkräften, indem sie eine abweichende Auffassung zu dem in der ausgedrückten Proposition repräsentierten Sachverhalt kundtun. Genauso liegt es im Falle der alltäglichen Missbilligung. Der Verletzte kann kundtun, dass er die Tat als verwerflich betrachtet und zum Ausdruck bringen, dass er die Diskussion ab einem Punkt als abgeschlossen betrachtet. Es mag auch ein Dritter hinzukommen und dieselbe Einschätzung des Geschehens aufgrund seiner generellen moralischen Haltung bzw. seiner generellen Verhaltenserwartung bezüglich seiner Mitmenschen abgeben. Auf diese Weise wird häufig ein sozialer Druck auf den Verletzenden tutionalisierungsbedingte Stigmatisierung (innerhalb des von der Institutionalisierung erfassten Bereichs der Wissenschaft) mit sich bringen dürfte. 379 Vgl. oben B.III.2.c)bb). 380 Austin, Theorie, S. 110; Searle, Sprechakte, S. 30 f., 41 f.; vgl. dazu schon oben 1. Kap. D. und 2. Kap. A.III. 381 Searle, Sprechakte, S. 41 f., 30 f. 382 Vgl. zu den Erfolgsbedingungen schon oben 2. Kap. B.III.

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3. Kap.: Sprechakte im Strafrecht

ausgeübt werden, die Verwerflichkeit seines Verhaltens einzusehen.383 Bestreitet dieser aber weiterhin, mit seiner Handlung gegen einen moralischen Grundsatz verstoßen zu haben, wird sich keiner der geäußerten Sprechakte per se durchsetzen. Umso mehr ist dies der Fall, wenn Dritte die Einschätzung des Handelnden teilen. Es verbliebe ein irritierendes Vakuum hinsichtlich der moralischen Bewertung des Geschehens. Durch Urteil und Strafe aber soll der soziale Friede wiederhergestellt werden. Dies geschieht nicht nur dadurch, dass verbindlich feststellt wird, was gemeinhin erwartet werden darf, sondern auch durch eine abschließende Bewertung der schädigenden Handlung und einer endgültigen Abgrenzung von Verantwortungsbereichen. All dies kann ein assertiver Sprechakt, der stets mit einem anfechtbaren Wahrheitsanspruch vollzogen wird, nicht leisten. Bei der strafrechtlichen Missbilligung ist es also nicht wie bei der alltäglichen Missbilligung die assertive Komponente, die dem Sprechakt eine Wort-Welt-Ausrichtung hinzufügt. Letztlich lässt sich die strafrechtliche Missbilligung damit weder den Direktiva, den Assertiva noch den Expressiva eindeutig zuordnen. Zwar sind in der strafrechtlichen Missbilligung insbesondere expressive und assertive Elemente enthalten. Diese prägen aber nicht das Wesen der strafrechtlichen Missbilligung. Denn expressiven Sprechakten fehlt jegliche Anpassungsrichtung zwischen Wort und Welt, assertive Sprechakte erlangen keine Verbindlichkeit und bleiben damit widerspruchsfähig. Verstünde man die strafrechtliche Missbilligung als expressiven und assertiven Sprechakt, würde sie sich von der alltäglichen Missbilligung nicht grundsätzlich unterscheiden und könnte theoretisch durch jeden wahrnehmenden Dritten ausgesprochen werden. Es geht bei der strafrechtlichen Missbilligung aber nicht um subjektive Unwerturteile oder den Ausdruck von Haltungen und Gefühlen. Wie bereits festgestellt, verweist der Begriff der Sozialethik nicht nur auf den ethischen, sondern auch auf den gesellschaftlichen Bezug der strafrechtlichen Missbilligung. Systemtheoretisch betrachtet sind Verurteilung und Strafe nicht nur autopoietische Operation / Kommunikation eines Subsystems der Gesellschaft, sondern Operation / Kommunikation der Gesellschaft selbst. Das Urteil hat insoweit eine repräsentative Funktion: Es ist Ausdruck einer kollektiven Missbilligung, eines kollektives Unwerturteils. Der Richter, der das tatbestandlich vorweggenommene Unwerturteil durch den Schuldspruch im Einzelfall konkretisiert, tut dies „im Namen des Volkes“. Der Schuldspruch ist eine Reaktion der Gemeinschaft bzw. der Gesellschaft, mit der ein Verstoß gegen elementare Regeln des zwischenmenschlichen Zusammenlebens festgestellt und missbilligt wird.384 Die Feststellung und Zuschreibung von Unrecht, die zunächst innerhalb des Strafrechts Bedeutung erlangt, bekommt damit einen gesellschaftlichen Bezug: Damit wird zugleich 383 Luhmann weist darauf hin, dass das Hinzukommen von Dritten auch auf den Verletzten einen sozialen Druck ausübt: Die Zuschauer werden in ihrer Erwartung nicht schädigenden Verhaltens ebenfalls enttäuscht und erwarten daher vom Verletzten, dass er das Festhalten an der Erwartung hinreichend zum Ausdruck bringt, vgl. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 59. 384 So insbesondere Kühl, FS-Eser, S. 149 (155 f.) und ders. Jahrbuch für Recht und Ethik 11 (2003), 219 (228).

B. Normbesta¨tigung und sozialethische Missbilligung als Sprechakte

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die gesellschaftliche Bewertung der Tat zum Ausdruck gebracht und eine Abgrenzung von Verantwortungsbereichen vorgenommen. Hierbei geht es um die Schaffung einer gemeinsamen Wirklichkeit, oder genauer: um die Schaffung der Unterstellung einer gemeinsamen Wirklichkeit. Es wird eine Bewertung und individuelle Zurechnung der Tat vorgenommen, die Anspruch auf allgemeine Anerkennung erhebt. Man kann nun davon ausgehen, dass allgemein davon ausgegangen wird, die Tat des Täters habe eine gesellschaftliche Missbilligung erfahren; die Missbilligung gilt dabei unabhängig von der nur schwer ergründ- und beeinflussbaren und möglicherweise abweichenden Haltung der einzelnen Mitglieder der sozialen Gemeinschaft als Ausdruck gesellschaftlicher Bewertung. Damit eine solche institutionelle Wirklichkeit mittels eines Sprechaktes geschaffen werden kann, bedarf es wie bereits dargelegt einer außersprachlichen Institution, die dem Sprecher entsprechende institutionelle Macht verleiht; hier also des institutionalisierten strafrechtlichen Entscheidungsverfahrens. Mit anderen Worten: Es bedarf eines gewissen Rituals bzw. Zeremoniells, damit die institutionelle Tatsache auch geglaubt wird. Auf diese Weise wird der Sprechakt der Missbilligung institutionalisiert und die gesellschaftliche Anschlusskommunikation entsprechend beeinflusst. Es wird somit deutlich, dass es sich auch bei der strafrechtlichen Missbilligung um einen deklarativen Sprechakt handelt. Es ist damit die deklarative illokutionäre Kraft, die die besondere Bedeutung der strafrechtlichen Normbestätigung sowie Missbilligung ausmacht und diese grundlegend und nicht nur graduell von entsprechenden Sprechakten in der Alltagskommunikation unterscheidet. Letztlich ist das rechtsfriedensstiftende Potential strafrechtlicher Kommunikation, aber auch deren stigmatisierende Wirkung nur durch eine solche intersubjektive Dimension erklärbar.385

IV. Die Funktion der Übelszufügung Bisher wurde, wenn von strafrechtlicher Kommunikation die Rede war, nicht weiter zwischen dem Urteil als solchem und der Strafe als Übelszufügung differenziert. Dies war insofern nicht nötig, als auch die Bedeutung nichtsprachlichen Handelns mit der Sprechakttheorie beschrieben werden kann. So kann die sozialethische Missbilligung der Tat sowie die Bestätigung der verletzten Norm als kommunikative Funktion von Urteil und Strafe angesehen werden. Nun lässt sich die Frage aufwerfen, ob es nicht hinreichen könnte, das Strafverfahren nur mit einem rein sprachlichen deklarativen Sprechakt abzuschließen und auf eine Übelszufügung gänzlich zu verzichten. Ein solches Modell mag auf den ersten Blick kaum vorstellbar erscheinen. Es gewinnt aber an Plausibilität, wenn man noch einmal die besondere Wirkung deklarativer Sprechakte in die Betrach385 Natürlich kann ein nur eingeleitetes Strafverfahren bereits stigmatisierend wirken, selbst wenn es schließlich eingestellt wird. Dies liegt aber zu einem großen Teil daran, dass es sich grundsätzlich um ein institutionalisiertes Verfahren handelt, welches die Möglichkeit einer intersubjektiven Missbilligung vorsieht.

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3. Kap.: Sprechakte im Strafrecht

tung einbezieht. Deklarative Sprechakte weisen gegenüber den anderen Sprechakttypen die bemerkenswerte Besonderheit auf, dass sie von den Bedingungen der äußeren Welt insofern unabhängig sind, als sie die Übereinstimmung von Wort und Welt herbeiführen. Assertiva sind nur erfüllt, wenn der propositionale Gehalt wahr ist, also zur objektiven Welt „passt“. Direktiva und Kommissiva müssen erst „wahr“ gemacht werden, die entsprechende Handlung muss vorgenommen werden, damit sie als erfüllt gelten können. Deklarativa hingegen sind bereits dann erfüllt, wenn sie defektfrei vollzogen werden. Mit dem gelungenen Vollzug eines deklarativen Sprechakts wird der propositionale Gehalt gewissermaßen „wahr“.386 Dies scheint auch Jakobs im Blick zu haben, wenn er formuliert: „Die Strafe ist in diesem Verständnis nicht nur ein Mittel der Erhaltung gesellschaftlicher Identität, sondern ist bereits diese Erhaltung selbst. Zwar mögen sich an die Strafe Hoffnungen auf sozial- oder individualpsychische Folgen mannigfacher Art knüpfen, etwa auf Erhaltung oder Befestigung von Rechtstreue; aber die Strafe bedeutet bereits unabhängig von solchen Folgen etwas, nämlich Selbstvergewisserung der Gesellschaft.“387

Die „Bestätigung der normativen Identität“388 ist nur möglich, weil mit dem Strafrecht eine Institution besteht, vor deren Hintergrund entsprechende institutionelle Tatsachen geschaffen werden können. Nach Jakobs erfüllt die Normbestätigung ihre Funktion bereits durch ihre „Äußerung“, zunächst unabhängig von weiteren gesellschaftlichen Wirkungen (perlokutionären Effekten also).389 Wenn bereits durch den bloßen Vollzug eines expliziten deklarativen Sprechakts auf die institutionelle Wirklichkeit eingewirkt werden kann, ist in der Tat zweifelhaft, wozu es dann noch der Zufügung eines Übels bedarf.390 Zwar ist auch die 386 Dies gilt auch dann, wenn Deklarativa zusätzlich assertive Komponenten aufweisen. So kann das Urteil als assertiv-deklarativer Sprechakt in der Wahr-Falsch-Dimension beurteilt werden, kann also in seinem assertiven Teil unwahr sein. Dennoch schafft es die institutionelle Tatsache der Missbilligung mit seinem Vollzug unabhängig von der Wahrheit jenes assertiven Anteils, darin liegt ja gerade die rechtsfriedensstiftende Funktion des Urteils, vgl. zum Ganzen oben A.III. 387 Jakobs, ZStW 107 (1995), 843 (844); vgl. auch Jakobs, ARSP-Beih. 74 (2000), 57 (59): „An diese Bestätigung mögen sich sozialpsychische Folgen mannigfacher Art knüpfen, und auf einige dieser Folgen – etwa darauf, dass rechtstreue Motivation weitgehend selbstverständlich wird – mag praktisch nicht verzichtet werden können, wenn die Gesellschaft fortbestehen soll, aber sie gehören so wenig zum Begriff der Strafe, wie ihr Gegenteil – nämlich eine psychische Desorientierung, ein allgemeines Lamento – zum Begriff der Straftat gehört.“ 388 Jakobs, ZStW 107 (1995), 843 (847); vgl. dazu auch Jakobs, ARSP-Beih. 74 (2000), 57 ff. 389 Diese Sichtweise hat Jakobs allerdings inzwischen relativiert, vgl. oben B.III.1.b) und Fn. 60 . 390 So stellt sich auch Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 105, die Frage: „Aber wieso erfordert der Umgang mit einer Person [im Gegensatz zum Individuum, das nach Jakobs nicht normativ konstituiert ist] Gewalt, mit anderen Worten, warum reicht nicht die Feststellung hin, an ihr Verhalten [das normwidersprechende Verhalten der Person] sei nicht anzuschließen?“ Ursprünglich lautete Jakobs’ Begründung wie folgt: „Die Bedeutung dieses Ver-

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konkrete Übelszufügung in Form der Geld- oder Freiheitsstrafe konventionelles Symbol für die sozialethische Missbilligung der Tat und das Festhalten an der Norm. Aber diese soziale Praxis ließe sich ja womöglich durch andere, weniger einschneidende Symbole ersetzen. Bei einem solchen Verzicht auf die Zufügung eines Übels ginge es allerdings nicht um die abolitionistische Forderung nach einer Abschaffung des Strafrechts zugunsten einer Entstaatlichung sozialer Kontrolle. Denn nur vor einem entsprechenden institutionellen Hintergrund ist es möglich, institutionelle Tatsachen zu schaffen. Auf den institutionellen Hintergrund des Strafverfahrens kann nicht verzichtet werden, ohne die Bedeutung der Kommunikation zu verändern. Eine bloß informelle Verständigung über das Geschehen, eine autonome Selbstregulierung auf sozialer Mikroebene käme als Funktionsäquivalent zu einer strafrechtlichen Missbilligung und Normbestätigung nicht in Betracht. Es ist aber durchaus vorstellbar, den institutionellen Rahmen des Strafverfahrens, das erforderliche „Zeremoniell“ beizubehalten, das Strafverfahren aber schlicht mit einem öffentlichen Unwerturteil abzuschließen. Ein solches Modell hat insbesondere Günther vorgeschlagen. Günther geht in Anlehnung an Feinberg davon aus, dass die Vermittlung der strafrechtlichen Botschaft im Wege der Übelszufügung eine historisch bedingte und daher änderbare Konvention sei.391 Der symbolisch-expressive Gehalt ließe sich vollständig im öffentlichen und formalisierten Verfahren der Unrechts- und Schuldfeststellung ausdrücken. Dadurch werde auch den Interessen des Opfers hinreichend Rechnung getragen.392 Nun könnte man einem solchen symbolischen Modell entgegenhalten, dass die Übelszufügung gerade deshalb notwendig sei, weil sie die zu kommunizierenden Botschaft – die Missbilligung – am besten verkörpere. Dies würde bedeuten, dass das Funktionieren von Kommunikation, also die Übermittlung einer Botschaft vom Sender zum Adressaten, von der Ähnlichkeit des Zeichenträgers mit seiner Bedeuhaltens [als Widerspruch gegen die Norm] wird von ihm also nicht bloß symbolisch objektiviert, sondern durch die bereits nach der Behauptung gestaltete äußere Welt der Personen. Bei dieser Lage wäre die isolierte Erklärung, an die Tat sei nicht anzuschließen, schwächer objektiviert, als es die Tat selbst ist: So wie die Tat die äußere Welt der Personen endgültig gestaltet (oder dazu ansetzt), muss auch die Reaktion auf die Tat endgültig gestalten, was heißt, Anschluss effektiv unmöglich machen und somit in der äußeren Welt dauerhaft werden. Mit Abschreckung oder Erziehung oder Sicherung des Normbrechers oder anderer Personen hat dies nichts zu tun; [ . . . ] Das Maß der Strafe hat sich dementsprechend nach dem Maß der in der Tat objektivierten Leugnung von Personalität zu richten, nicht aber nach dem zur Abschreckung oder Erziehung oder Sicherung Erforderlichen.“, vgl. ebd., S. 105 f. Wie bereits erwähnt hat Jakobs aber inzwischen anerkannt, dass nicht nur „Personen“, sondern auch Individuen durch die Strafe angesprochen werden und es einer kognitiven Absicherung der Bedeutung der Normbestätigung bedarf, vgl. dazu schon oben B.III.1.b) und Fn. 60. 391 Günther, in: FS-Lüderssen, S. 204 (219); vgl. dazu Feinberg, in: Duff / Garland, Punishment, S. 71 (87 ff.), der die Frage, ob der Ausdruck strafrechtlicher Missbilligung des Mediums der Übelszufügung bedarf, als offen bezeichnet. 392 Günther, in: FS-Lüderssen, S. 204 (219).

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tung abhinge. Dann ließe sich der Übels-Charakter der Strafe als Zeichenträger mit der Notwendigkeit erklären, eine möglichst große Ähnlichkeit mit der Missbilligung aufzuweisen, die durch die Strafe als Botschaft kommuniziert werden soll.393 Wie bereits ausgeführt gibt es tatsächlich Zeichen – Ikone – die auf eine Relation der Ähnlichkeit des Zeichens zum Bezeichneten in gewissen Grenzen angewiesen sind, da sie assoziativ interpretiert werden.394 Symbole hingegen sind dadurch charakterisiert, dass sie zum Bezeichneten in der Relation der absoluten Arbitrarität stehen. Interpretiert werden sie mithilfe der Kenntnis der Regel ihres Gebrauchs vor dem Hintergrund des jeweiligen Situations- und Kontextwissens des Adressaten, nicht jedoch durch Assoziation.395 Wie gezeigt wird der Strafe die Bedeutung der Normbestätigung und sozialethischen Missbilligung durch Interpretation beigemessen.396 Diese Interpretation wird nicht durch die Ähnlichkeit der äußeren Gestalt des Zeichenträgers, der Übelszufügung, mit der Nachricht, der Normbestätigung und Missbilligung, ermöglicht. Vielmehr erfolgt diese Interpretation erst durch die Kenntnis des gesellschaftlichen Zusammenhangs, in dem Strafe und Straftat stehen. Eine Übelszufügung kann in anderen Kontexten eine gänzlich andere Bedeutung haben. So wird schon das physische Verursachen von Schmerzen als besonders evidente Form der Übelszufügung unterschiedlich interpretiert, je nachdem, ob es im Kontext eines Boxkampfes, eines Krieges oder etwa eines religiösen oder archaischen Rituals stattfindet. Die zivilrechtliche Durchsetzung eines Anspruchs hat eine andere Bedeutung als die Vollstreckung einer Geldstrafe, und eine polizeirechtliche Ingewahrsamnahme hat eine andere Bedeutung als der strafrechtliche Freiheitsentzug. Die Strafe wird also weitgehend durch Kenntnis der Gebrauchsregeln und nicht durch Assoziation interpretiert. Es handelt sich folglich um symbolische Zeichen, als solche sind sie „arbiträr“. Letztlich kommt es auf die Frage, ob das Übel Strafe Ähnlichkeit mit der zu vermittelnden Nachricht hat, aber gar nicht an: Da arbiträre Signale gleichermaßen einen Sinn vermitteln können, muss es semiotisch betrachtet nicht zwingend die Übelszufügung sein, die die strafrechtliche Nachricht transportiert. Eine Rechtfertigung des Übelcharakters der Strafe lässt sich daher auf rein semantischer Ebene nicht finden, blieben doch noch genügend „mildere“ Signale, die Nachricht zu kommunizieren.397 Warum sich die Strafe als Praxis der Übelszufügung herausgebildet hat, wird jedoch erkennbar, wenn man die pragmatische Ebene der Kommunikation betrachZu diesem Gedankengang Puppe, in: FS-Grünwald, S. 469 (471). Vgl. oben 1. Kap. C. und dieses Kap. B.I.1. Allerdings kann die Kenntnis des Gebrauchszusammenhangs die Assoziation als Interpretationsverfahren ablösen, sodass ein Ikon auf die Ähnlichkeit zum Bezeichneten nicht mehr angewiesen ist und zum Symbol wird, vgl. oben 1. Kap. C. 395 Vgl. oben 1. Kap. C. 396 Vgl. zum Ganzen schon oben B.I.1. 397 Dazu insbesondere Puppe, in: FS-Grünwald, S. 469 (475 ff.). 393 394

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tet, jene Ebene, die die Beziehung des Zeichens zu seinen Interpreten betrifft.398 Ein symbolisches Zeichen ist davon abhängig, dass es aufgrund von Gebrauchsregeln interpretiert wird und schließlich auch geglaubt wird. Symbole müssen daher von den Adressaten auch anerkannt werden. Als Symbole sind auch institutionelle Tatsachen auf intersubjektive Anerkennung – einen perlokutionären Effekt also – angewiesen.399 Deklarative Sprechakte ermöglichen es nun, diese intersubjektive Anerkennung in besonderer Weise sicherzustellen. Zwar gibt es grundsätzlich keine Möglichkeit, perlokutionäre Effekte eines Sprechakts zu konventionalisieren, lediglich die illokutionären Zwecke sind konventionalisiert.400 Beispielsweise legt die gelungene Äußerung eines assertiven Sprechakts (z. B. einer Behauptung) den Sprecher kraft Konvention auf den im propositionalen Gehalt bezeichneten Sachverhalt fest. Dass der Hörer die geäußerte Proposition auch glaubt (Erfolgsbedingung), kann als perlokutionärer Effekt nicht durch Konventionen abgesichert werden. Der Sprechakt drückt nur die Überzeugung des Sprechers aus, dass die Proposition wahr ist, und gibt dem Hörer einen Grund, die Proposition zu glauben.401 Beachtlicherweise besteht in diesem Punkt bei den Deklarativa aber eine Besonderheit. Die Chance der Anerkennung der institutionellen Tatsache wird durch einen institutionellen Rahmen erheblich erhöht. D. h., es wird ein institutionalisiertes Verfahren mit entsprechend ritualisierten Abläufen benutzt, um die institutionelle Tatsache relativ sicher implementieren zu können402; wie bereits erwähnt bezeichnet Luhmann diesen Vorgang als „Institutionalisierung des Institutionalisierens“403. Die Kopplung der Deklarativa an außersprachliche Einrichtungen (also an Systeme konstitutiver Regeln bzw. Institutionen) ermöglicht somit ein weitgehendes Zusammenfallen von defektfreien Vollzug und perlokutionärem Effekt: Gelingt der deklarative Sprechakt, so gilt die institutionelle Tatsache als bestehend. Solange die zugrunde liegende Institution entsprechend gefestigt ist, sichert sie das Zustandekommen der institutionellen Wirklichkeit. Auf das Strafrecht übertragen stellt sich allerdings die Frage, ob das „Zeremoniell“ des Strafverfahrens wirklich ausreicht, um die intersubjektive Geltung institutioneller Tatsachen und der dahinter stehenden Institution zu ermöglichen. 398 Vgl. dazu Puppe, in: FS-Grünwald, S. 469 (477 ff.); zur pragmatischen Ebene Morris, Zeichentheorie, S. 52 ff. 399 Vgl. dazu schon oben A.I. 400 Vgl. dazu Searle, Intentionality, S. 178 f.: „ [ . . . ] The perlocutionary effects of our utterances cannot be included in the conventions for the use of the device uttered, because an effect which is achieved by convention cannot include the subsequent responses and behavior of our audiences. What the conventional procedures can capture is, so to speak, the illocutionary analogue of these various perlocutionary aims.“ Vgl. dazu schon oben B.III.1.c). 401 Vgl. dazu schon oben 2. Kap. B.IV. sowie Searle, Intentionalität, S. 226. 402 Searle, Konstruktion, S. 128 spricht in diesem Zusammenhang von einer „Unmenge an Pomp, Zeremonie und Rummel“, bei Feinberg, in: Duff / Garland, Punishment, S. 71 (87) ist von „devices of religion and mystery, music and drama“ die Rede. 403 Vgl. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 79 f., 94; vgl. dazu oben B.III.1.c).

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3. Kap.: Sprechakte im Strafrecht

Warum institutionelle Tatsachen fortdauernd anerkannt werden, lässt sich dabei weder mit einfachen Kausalverläufen noch mit Verweis auf einzelne Motivationen erklären.404 Dies zeigt sich besonders deutlich an der Schwierigkeit, die Theorie der positiven Generalprävention empirisch zu belegen. Doch gibt es gewisse Anhaltspunkte dafür, dass die Institution des Strafrechts ohne eine als Übel ausgestaltete Strafe nicht mehr geglaubt und damit verblassen würde.405 Zunächst würde eine staatliche Reaktion, die nicht einmal versucht abschreckend zu wirken und damit zukünftige Straftaten zu verhindern, schon aus diesem Grund unglaubwürdig erscheinen. Die Norm kann nur dann Orientierungsmuster bleiben, wenn erkennbar ist, dass auch etwas zu ihrer Verteidigung getan wird. Ansonsten hätten die Adressaten irgendwann keinen rationalen Grund mehr, die Strafe als Zeichen für die fortdauernde Gültigkeit der verletzten Norm zu interpretieren.406 Und eine fehlende Normbestätigung macht letztlich auch eine Missbilligung unglaubwürdig, ist das Festhalten an der zugrunde liegenden Erwartung doch notwendiger Bestandteil der Missbilligung.407 Des Weiteren ist auch zu beachten, dass die Zufügung eines Übels den Täter zur Aufmerksamkeit zwingt. Dies mag zum einen dazu führen, dass der Täter die Möglichkeit erhält, sich mit seiner Tat auseinanderzusetzen und Reue zu zeigen.408 Wesentlich ist dabei aber insbesondere, dass alle anderen Adressaten der strafrechtlichen Kommunikation davon ausgehen können, dass die Botschaft den Täter erreicht und er diese zumindest ernst nimmt. Bei einem bloß formellen Tadel könnte dies zweifelhaft sein. Die Übelszufügung unterstreicht damit die Ernsthaftigkeit sowohl der Missbilligung als auch der Normbestätigung. Sprechakttheoretisch betrachtet kennzeichnet die Übelszufügung den Durchsetzungsmodus dieser Sprechakte.409 404 Vgl. etwa Searle, Konstruktion, S. 102: „Ich glaube nicht, dass es nur eine einzige Motivation für die fortdauernde Anerkennung institutioneller Tatsachen gibt. Es ist vielleicht für manchen verführerisch zu glauben, dass es eine rationale Basis für eine solche Anerkennung geben muss, dass die Teilnehmer spieltheoretische Vorteile daraus ableiten oder auf eine höhere Indifferenzkurve gelangen oder dergleichen; aber die bemerkenswerte Eigenschaft institutioneller Strukturen besteht darin, dass die Leute sie selbst dann, wenn dies nicht erkennbar zu ihrem Vorteil geschieht, anerkennen und in vielen von ihnen kooperieren. Wenn Institutionen hauptsächlich durch Gewohnheit aufrechterhalten bleiben, dann können sie auch ganz plötzlich zusammenbrechen, wie wenn Leute das Vertrauen in ihre Währung verlieren oder aufhören, ihre Regierung als Regierung zu erkennen.“ 405 Jescheck / Weigend, AT, S. 65 f. weisen darauf hin, dass auf die Strafe als gewollte Übelszufügung noch kein Staat habe verzichten können. 406 Als Antwort auf Jakobs so insbesondere Puppe, in: FS-Grünwald, S. 469 (477); einlenkend nunmehr Jakobs, Strafe, S. 29 f. 407 Vgl. oben B.II.2.b) und B.III.2.b). 408 So Duff, in: Schünemann / von Hirsch / Jareborg, Positive Generalprävention, S. 181 (191 ff.). 409 Dies zeigt sich unter anderem daran, dass Erwägungen generalpräventiver (Abschreckung, Verteidigung der Rechtsordnung, vgl. Streng, Sanktionen, Rn. 434 bzw. 435) oder

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Insbesondere ist das Strafrecht auf Gewalt aber nicht nur als Mittel der Durchsetzung, sondern als Mittel der Darstellung in spezifischer Weise angewiesen.410 Es geht nicht (wie etwa im Zivilrecht) nur darum, rechtliche Verpflichtungen und die richterliche Entscheidung notfalls mit Gewalt durchsetzen zu können. Die Übelszufügung besteht im Strafrecht nicht als bloße Möglichkeit, die im Falle eines Widerstandes gegen die Entscheidung aktualisiert werden kann. Auch erschöpft sich die Funktion der Übelszufügung nicht darin, abschreckend zu wirken und damit die Norm durchzusetzen. Die Gewalt beschränkt sich im Strafrecht nicht auf die tatsächliche Absicherung, dass die strafrechtliche Botschaft auch gehört wird. Vielmehr geht es darum, der Tat des Täters darüber hinaus symbolisch etwas entgegenzusetzen, und ist diese Antwort nicht grundsätzlich an der Schwere der Tat orientiert, verliert sie schon deswegen an Glaubwürdigkeit. Mit anderen Worten: Das Maß an Missbilligung bzw. Tadel drückt sich letztlich in dem Maß an Übelszufügung, also der festgesetzten Strafhöhe aus.411 Die begleitende Übelszufügung spiegelt somit auch bzw. sogar vorwiegend den propositionalen Gehalt des Sprechakts.412 Zwar wäre es rein theoretisch möglich, das Maß an Missbilligung nur mit Worten festzulegen. Die damit verbundenen sprachlichen Schwierigkeiten (wie drückt man eine starke, eine mäßige, eine leichte Missbilligung nur mit Worten aus?) ließen sich durchaus überwinden. Zwar fehlt es an einer für das Strafrecht brauchbaren Lexikalisierung entsprechender Stufen der Missbilligung, welche im Alltag durch eine Vielzahl an Adjektiven und konkludent (insbesondere durch Mimik, Gestik, Tonfall usw.) zum Ausdruck gebracht werden können. Im Strafrecht könnte man aber immerhin auf die Deliktsbezeichnungen und Regelspezialpräventiver Art das Maß oder die Art der Strafe mitbestimmen können (vgl. auch die §§ 47 I, 56 I, III sowie 59 I StGB, dazu auch schon oben B.III.2.c)bb)). Dabei bleiben deklarative Sprechakte aber stets auf volle Geltung gerichtet, unabhängig davon, ob sie von einer Übelszufügung begleitet werden und unabhängig davon, wie stark diese Übelszufügung ausfällt (vgl. oben A.II. und sogleich Fn. 412). 410 Etwas anders Luhmann, Rechtssoziologie, S. 115 hinsichtlich des Rechts insgesamt: „Mit alldem verliert die Gewalt ihre Symbolqualität [bezüglich der erfolgreichen Selbstbehauptung des Erwartens der Normbefolgung] und gibt sie an die Entscheidung ab.“ Dass diese Beobachtung auf das Strafrecht nicht umstandslos übertragen werden kann, klingt auch bei Luhmann an, vgl. ders., Rechtssoziologie, S. 223 f.; vgl. auch schon oben Fn. 315. 411 Vgl. dazu insbesondere Hörnle, JZ 2006, 950 (956). 412 Auf den ersten Blick könnte man annehmen, es ginge auch hier nur um den Durchsetzungsmodus der sozialethischen Missbilligung. Doch es ist das Maß des Unwerturteils, welches im Wesentlichen das Maß der Übelszufügung bestimmt, denn nur im Rahmen des Schuldangemessenen können sich präventive Erwägungen auswirken, vgl. Streng, Sanktionen, Rn. 480. Das Maß der Übelszufügung reflektiert damit nicht hauptsächlich den Durchsetzungsmodus der illokutionären Kraft, sondern vorwiegend den propositionalen Gehalt des Sprechakts. Dies ist vor allem deshalb möglich, weil deklarative Sprechakte stets auf volle Geltung gerichtet sind (vgl. oben A.II.) und die im Hintergrund stehende Institution das Zusammenfallen von Illokution und Perlokution weitgehend garantiert. So entfaltet auch ein leichter deklarativer Tadel in Verbindung mit einer geringen Geldstrafe oder unter einem Absehen von Strafe volle intersubjektive Wirkung, nur ist eben der Tadel inhaltlich gemildert.

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3. Kap.: Sprechakte im Strafrecht

beispiele des StGB zurückgreifen, um das Maß an Missbilligung kenntlich zu machen. Dennoch steht zu befürchten, dass eine solche rein sprachliche Festlegung der Tadelnswürdigkeit nicht glaubhaft wäre. Kaum vorstellbar ist es etwa, den Täter eines schweren Gewalt- oder Sexualdelikts bloß formell zu tadeln und auf eine Übelszufügung zu verzichten.413 Eine solche Missbilligung würde als geringfügig und dem Verhalten des Täters nicht angemessen aufgefasst und schließlich ihre symbolische Kraft sämtlich verlieren. Letztlich scheint auch die Annahme nicht ganz unberechtigt, dass in der menschlichen Kultur Gerechtigkeits- bzw. Moralvorstellungen tief verwurzelt sind, die einen fühlbaren Nachteil für den Normbrecher verlangen. Diesbezüglich sei auf ein Beispiel hingewiesen, das sich in einem Beitrag von Hirschs findet414: Von Hirsch malt das heuristische Bild einer Gesellschaft, in der es im Falle der Schuldfeststellung lediglich zu der förmlichen Erklärung kommt, dass das Verhalten zu einem bestimmten Grad verwerflich war. Es sei dabei angenommen, dass diese Erklärung allgemein anerkannt wird und verbindlich ist. In einer solchen Gesellschaft sei es für einen vernünftigen Beobachter nicht evident, dass es einer Übelszufügung aus moralischen Gründen bedürfe, und dies widerlege die intuitive Annahme, dass die strafende Reaktion auf Fehlverhalten zu den am tiefsten verwurzelten Vorstellungen über Moral gehöre. Diese Ausführungen von Hirschs beruhen jedoch auf einem sehr engen Verständnis der Übelszufügung: Es ist nämlich keineswegs so, dass ein solches Modell darauf verzichtet, auf Rechtsbrüche mit fühlbaren Sanktionen zu reagieren. Vielmehr ist die Vermutung naheliegend, dass ein solches Strafrecht nur dann funktionieren würde, wenn das autoritative, tadelnde Urteil den Übelscharakter des tatsächlichen Strafvollzugs zumindest teilweise ersetzen würde; es würde den Betroffenen nicht minder stigmatisieren. Von Hirsch führt selbst aus, dass eine solche formelle Erklärung durchaus mit der Exkommunikation durch den Papst im Mittelalter vergleichbar sein könne und für den Betroffenen einen „Schandfleck“ darstelle. Darin liegt sicherlich eine Übelszufügung, zunächst und unmittelbar zwar nur eine verbale, mittelbar aber sicherlich mit erheblichen, sehr deutlich fühlbaren sozialen Folgen. Dass es eines irgendwie gearteten tatsächlich fühlbaren Nachteils, etwa in Form eines Verlusts an materiellen oder immateriellen Werten, an Freiheit oder an Status, bedarf, scheint tatsächlich eine kulturell tief verankerte und kaum zu überwindende Vorstellung zu sein.415 Selbst mediative Ansätze verzichten ja nicht wirklich So auch Kühl, FS-Eser, S. 149 (160) und Hörnle, JZ 2006, 950 (956). Zum Folgenden von Hirsch, in: Schünemann / von Hirsch / Jareborg, Positive Generalprävention, S. 101 f. 415 Zumindest in den heutigen Gesellschaften geschieht der Ausdruck von Wertschätzung sowie der Ausdruck von Missbilligung ganz überwiegend dadurch, dass verbale Sprechakte durch entsprechende materielle Gesten verstärkt werden; vgl. dazu insbesondere Hörnle, JZ 2006, 950 (956), mit dem anschaulichen Beispiel, dass der Glückwunsch häufig durch ein Geschenk, das Lob häufig durch einen Preis begleitet wird. 413 414

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auf die (Selbst-)Zufügung eines Übels: Materielle oder immaterielle Leistungen, die der Täter gegenüber dem Opfer erbringt, dürften für diesen regelmäßig eine Last darstellen. Dass der Täter sich diese Nachteile selbst auferlegt, ändert deren Charakter als Übel nicht grundsätzlich, geht es doch letztlich um den „Tausch“ gegen ein anderes Übel: die drohende Strafe. Aus kommunikationstheoretischer Sicht haben solche materiellen Gesten letztlich die Funktion, die Glaubwürdigkeit des jeweiligen Symbols zu erhalten oder überhaupt zu verhindern, dass es verblasst und irgendwann nicht mehr geglaubt wird. Da das Symbol darauf angewiesen ist, interpretiert zu werden, muss dabei auch die Regel des Gebrauchs (der Code, das konstitutive Regelsystem „X gilt als Y im Kontext K“, die hinter dem Sprechakt stehende Institution416) geglaubt werden. Im Strafrecht dient die Übelszufügung somit dazu, die intersubjektive Anerkennung der Normbestätigung und Missbilligung als institutionelle Tatsachen und der dahinter stehenden Institution, also das konstitutive Regelsystem des Strafrechts („X – Urteil und Strafe – gilt als Y – Feststellung, was gemeinhin erwartet werden darf bzw. sozialethische Missbilligung – im Kontext K – das Strafverfahren“) aufrechtzuerhalten. Ohne die grundsätzliche Anerkennung dieser Institution wäre die Missbilligung und Normbestätigung als deklarativer Sprechakt nicht möglich. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass es nicht erforderlich ist, besonders harte bzw. hohe Strafen zu verhängen, um die Glaubwürdigkeit der Missbilligung und Normbestätigung zu gewährleisten. Ein Strafrechtssystem, welches sich auf einem hohen Strafniveau einpendelt, wird nicht vorrangig die Botschaft kommunizieren, dass die Tat des Täters gegen grundlegende Normen des menschlichen Zusammenlebens verstoßen hat und Missbilligung verdient, sondern vielmehr die Person des Täters global abwerten. Es wird nicht vorrangig ein Unwerturteil über die Tat gefällt, vielmehr werden verstärkt expressive Anteilen mit der Strafe zum Ausdruck gebracht und der Täter letztlich verdammt.417 An die Stelle des Tadels tritt die Kommunikation von Wut, Hass und Verachtung. Wenn diese Haltungen schon auf zwischenmenschlicher Ebene schädlich sind, dann besteht wenig Anlass, sie auch noch zu institutionalisieren. Es wurde bereits ausgeführt, dass solche Haltungen nicht notwendiger Bestandteil der missbilligenden Reaktion sein müssen und letztlich Ausdruck eines irrationalen Menschenbildes sind418. Idealerweise sollte der Staat den Umgang mit abweichendem Verhalten vorbildlich regeln und daher eine über die notwendige, das heißt auf intersubjektive Absicherung der Normbestätigung und Missbilligung hinausgehende Übelszufügung vermeiden. Das gilt insVgl. oben A.I. Gleiches geschieht mit den Alternativsanktionen des „shaming“, wie sie in den USA praktiziert werden, etwa in Form der Veröffentlichung von Namen und Bildern der Straftäter oder in Form der Verurteilung zum Tragen eines Schildes mit der Aufschrift „Ich bin ein verurteilter Kinderschänder“, dazu schon oben Fn. 332. Zur Unterscheidung von verhaltens- und personenbezogenen Emotionen oben B.II.2.c)aa). 418 Vgl. oben B.II.2.c)aa). 416 417

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3. Kap.: Sprechakte im Strafrecht

besondere auch für den Strafvollzug als solchen: Unnötige Härten und unmenschliche Bedingungen kommunizieren die Verdammung der Person, nicht die Missbilligung der Tat.419 Eine globale Bewertung der Person darf ein aufgeklärtes und dem Sozialstaatsprinzip verpflichtetes Strafrecht nicht kommunizieren. Es handelt sich dabei um eine irrationale Annahme, die empirisch unhaltbar und insbesondere kaum geeignet ist, eine Besserung des Täters zu fördern.420 Denn die Tatsache, dass der Täter eine Straftat begangen hat, beweist nur, dass er sich als fehlbarer Mensch in einer bestimmten Situation unter bestimmten Bedingungen sozialschädlich, mithin nach allgemeinen Sozialnormen „falsch“ verhalten hat; sie beweist nicht, dass er deswegen ein „schlechter Mensch“ ist. Da sich jeder Mensch durch eine Vielzahl an über die Zeit veränderlichen Eigenschaften und Verhaltensweisen auszeichnet, ist eine globale Bewertung des Wesens eines Menschen übergeneralisierend und daher anti-empirisch. Die Kommunikation einer solchen übergeneralisierenden Botschaft ist zudem dysfunktional. Zum einen dürfte sie ein gesellschaftliches Klima des Hasses und der Gewalt befördern, indem es die zugrunde liegenden verdammenden Haltungen gegenüber dem Täter bestärkt. Zum anderen erhöht eine globale Personabwertung die Chance, dass der Täter diese in sein Selbstbild übernimmt. Eine Verhaltensänderung des Täters wird dadurch erheblich erschwert. Voreingenommen durch diese selbstabwertende, verdammende Haltung, wird der Täter häufig daran gehindert sein, sein Verhalten und dessen Ursachen realistisch zu betrachten und zu bewerten. Es besteht vielmehr die Gefahr, dass er sich als durchweg schlechte Person erachtet, die gar nicht anders handeln kann und daher seine Verhaltensdisposition verfestigt.421 Dies bedeutet nicht, dass die Handlung als solche keiner moralischen Bewertung unterzogen werden sollte. Denn wie gezeigt kann menschliches Zusammenleben nur aufgrund der Struktur gewisser moralischer Normen funktionieren, und dies setzt eine Orientierung der Individuen an den entsprechenden Handlungsmaximen voraus.422 Auch für das Individuum ist eine Übernahme der wesentlichen moralischen Normen und die Ausrichtung und Bewertung des eigenen Verhaltens an diesen von entscheidender Bedeutung: Die Integration in die soziale Gemeinschaft setzt eine gewisse moralische Haltung und Ansprechbarkeit voraus.423 Im Gegensatz dazu kann eine globale Personenabwertung jedoch die Übernahme derselben in das Selbstbild des Täters fördern und damit die erneute Realisierung der vorhandenen Verhaltensdisposition zu schädigendem Verhalten beim Täter wahrscheinlicher machen. 419 Vgl. dazu insbesondere Ellis / Gullo, murder, S. 351 ff., die retributive Strafen insgesamt ablehnen. 420 Vgl. zum Ganzen oben B.II.2.c)aa). 421 Zu den dysfunktionalen Auswirkungen der globalen Personenabwertung vgl. Ellis, Reason and Emotion, S. 182 f. und ders. / Gullo, murder, S. 345 ff. 422 Dies betont auch Ellis, Reason and Emotion, S. 182, 186. 423 Vgl. auch Ellis, Reason and Emotion, S. 182, 186, 399.

B. Normbesta¨tigung und sozialethische Missbilligung als Sprechakte

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Bedenklich ist es vor diesem Hintergrund, wenn Jakobs feststellt: „[N]ach einem Verbrechen reicht es nicht hin, den Täter als Verbrecher zu bezeichnen – das allein ist nur eine begriffliche Vergewisserung –, sondern er muss auch als Verbrecher behandelt werden, um zur Idee, zur Verwirklichung des Begriffs, vorzustoßen und die Orientierungskraft des Rechts, seine Geltung, zu erhalten.“424

Ersteres ist schon rein semantisch eine krasse Übergeneralisierung, letzteres die verhaltenslogische Realisierung derselben. Weder sollte der Täter als Verbrecher behandelt, noch als solcher bezeichnet werden. Zur Erhaltung der Orientierungskraft des Rechts ist beides nicht erforderlich. Letztlich beinhaltet die besondere illokutionäre Kraft der strafrechtlichen Missbilligung zugleich eine Gefahr als auch eine Chance: Die Gefahr besteht darin, dass einer übermäßigen Reaktion und der damit verbundenen Verdammung der Person eine stigmatisierende Wirkung zukommt, die eine überzogene, gegen die Person gerichtete alltägliche Missbilligung kaum mit sich bringen könnte. Andererseits ermöglicht es die deklarative Illokutionskraft der strafrechtlichen Kommunikation gerade, auf übermäßige expressive Anteile zu verzichten. Zwar bedarf es wie gezeigt auch insoweit der Übelszufügung, als damit die Anerkennung der Institution abgesichert werden muss. Darüber hinaus sind Deklarativa in ihrem Durchsetzungsmodus aber weitgehend unabhängig von expressiven oder sonstigen tatsächlichen Verstärkungsmodalitäten, da sie sich zur Schaffung institutioneller Tatsachen auf den entsprechenden institutionellen Hintergrund stützen können. Das Strafrecht kann sich daher auf ein relativ nüchternes, rationales Unwerturteil über die Tat beschränken, ohne die Spannungen der zwischenmenschlichen Kommunikation übernehmen zu müssen. Vielmehr bietet das Strafrecht die Chance, durch seine intersubjektive Wirkung diese Spannungen zu kanalisieren und ein von den Beteiligten als „gerecht“ akzeptiertes Ergebnis zu produzieren. Entscheidend ist daher nicht die Schwere der Sanktion an sich. Da die Übelszufügung aber den propositionalen Gehalt der Missbilligung prägt, muss eine Abstufung zwischen den verschiedenen Straftatbeständen erkennbar sein, sodass auf schwerere Straftaten mit einer stärkeren Missbilligung als auf weniger gravierende Straftaten reagiert wird (wobei allerdings beschränkende spezial- und generalpräventive Erwägungen Berücksichtigung finden müssen).425 Letztlich dienen die abJakobs, Strafe, S. 30 (Hervorhebungen im Original). Vgl. zu der Bedeutung der Proportionalität von Tat und Strafe und des mit der Strafe zum Ausdruck gebrachten sozialethischen Unwerturteils im Rahmen der präventiven Vereinigungstheorien Meier, Sanktionen, S. 33 ff.; vgl. insbesondere auch Hörnle, Strafzumessung, S. 123 f., 135 ff. (allerdings aufgrund der Lehre der tatproportionalen Strafzumessung einen weitgehenden Ausschluss präventiver Elemente befürwortend); zum Grad der Missbilligung auch Feinberg, in: Duff / Garland, Punishment, S. 71 (87); Hörnle / von Hirsch, in: Schünemann / von Hirsch / Jareborg, Positive Generalprävention, S. 83 (99); von Hirsch, in: Schünemann / von Hirsch / Jareborg, Positive Generalprävention, S. 101 (105); Hörnle, JZ 2006, 950 (956) spricht von einer Quantifizierung der expressiven Bedeutung, vgl. auch dies., in: Schünemann / Dubber, Stellung des Opfers, S. 175 (182). 424 425

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3. Kap.: Sprechakte im Strafrecht

stufbaren Instrumente der Geld- und Freiheitsstrafe als Hinweis auf den Grad der sozialethischen Missbilligung der Tat.426 Würde auf gravierende Taten mit geringeren Übelszufügungen reagiert als auf weniger schwerwiegende Delikte, so wäre die intersubjektive Geltung des deklarativen Sprechakts in ähnlicher (wenn nicht gar gravierenderer) Weise gefährdet wie im Falle eines vollständigen Verzichts auf eine Übelszufügung: Die institutionelle Tatsache der Missbilligung der Tat würde letztlich nicht mehr akzeptiert, wenn die begleitende Übelszufügung nicht grundsätzlich im Verhältnis zu dem im propositionalen Gehalt auszudrückenden Maß an Missbilligung bemessen wäre. Da die Höhe der Strafe den Grad an Missbilligung widerspiegelt, der mit der Verurteilung zum Ausdruck gebracht wird, setzt eine glaubhafte Symbolisierung nachvollziehbar abgestufte und grundsätzlich an der Schwere des Delikts orientierte Strafdrohungen sowie eine entsprechende Strafzumessungspraxis voraus. Welche Bedeutung hat nun die mit der Strafe verwirklichte Übelszufügung für das konkrete Opfer? Insbesondere in den Medien, aber auch der politischen Diskussion ist die Tendenz zu beobachten, die Forderung nach besonders harten Strafen mit einem nicht näher spezifizierten Genugtuungsbedürfnis des Opfers zu begründen. Abgesehen davon, dass einerseits eine solche Versubjektivierung der strafrechtlichen Reaktion mit rechtsstaatlichen Ansprüchen an das Strafrechtssystem kaum zu vereinbaren ist, andererseits eine gegenüber Nichtopfern besonders ausgeprägte Punitivität von Straftatopfern zumeist nicht feststellbar ist427, wäre auch der Nutzen für das Opfer überaus fraglich. Letztlich würde der Staat auch gegenüber dem Opfer kommunizieren, dass der Täter eine durchweg verdammenswerte Person ist. Ohnehin vorhandene Rachegefühle würden durch eine solche staatliche Reaktion womöglich noch verstärkt. Denn die hinter solchen Gefühlen zu vermutende globale Personenabwertung erhielte durch die staatliche Behandlung des Täters eine Bestätigung.428 Wenn es aber für die Bewältigung des Tatgeschehens wichtig ist, solche zunächst durchaus normalen und verständlichen Einstellungen mit der Zeit zu überwinden429, ist eine irrationale Bestrafungsphilosophie sicherlich das falsche Mittel, diese Geschehensbewältigung gesellschaftlich zu unterstützen. Die Schwere der Übelszufügung an sich sollte daher auch mit Blick auf das Opfer nicht das prägende Kriterium strafrechtlicher Kommunikation darstellen. Vielmehr kommt es auch hinsichtlich des Opfers darauf an, dass die strafrechtliche Vgl. dazu auch Meier, Sanktionen, S. 16 f. Vgl. etwa Orth, Strafgerechtigkeit, S. 37 f. m. w. N. u. 132 f., allerdings auch mit Hinweis darauf, dass Opfer in der Regel mit dem Ergebnis des Strafverfahrens deutlich unzufrieden sind und negative Folgen auf ihr Leben wahrnehmen, wenn es nicht zu einer Verurteilung kommt oder der Täter aus ihrer Sicht zu milde bestraft wird, was aber nicht zu dem voreiligen Schluss führen dürfe, das allgemeine Strafniveau anzuheben. 428 Vgl. dazu auch Ellis / Gullo, murder, S. 341 ff. (insbesondere 351 ff.). 429 Dazu oben B.II.2.c)aa); vgl. auch Ellis, Journal of Rational-Emotive and Cognitive-Behavior Therapy Vol. 12 (1994), 3 (7 ff.). 426 427

B. Normbesta¨tigung und sozialethische Missbilligung als Sprechakte

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Botschaft – die Bestätigung der Norm und das Unwerturteil über die Tat – entsprechend glaubhaft kommuniziert wird. Dabei ist das über die Gesellschaft vermittelte Gelingen des deklarativen Sprechakts gerade auch für das konkrete Opfer wichtig. Es wird der Bestätigung der Norm und der sozialethischen Missbilligung der Tat nämlich nur dann etwas abgewinnen können, wenn es von der intersubjektiven Wirksamkeit dieser Sprechakte ausgehen kann. Eine sozialethische Missbilligung, die niemand ernst nimmt, hat auch für das konkrete Opfer keinen Wert. Denn ein misslungener deklarativer Sprechakt kann keine Solidarisierung der Gesellschaft mit dem Opfer zum Ausdruck bringen. In diesem Sinne ist die oben beschriebene Funktion der Übelszufügung, strafrechtliche Symbole glaubhaft zu machen und intersubjektiv abzusichern, auch für das konkrete Opfer relevant. Im folgenden Kapitel soll nun genauer untersucht werden, worin der Wert strafrechtlicher Kommunikation für das konkrete Opfer liegen könnte.

Viertes Kapitel

Strafrechtliche Sprechakte und das Opfer Um etwas über den Wert strafrechtlicher Kommunikation für das Opfer sagen zu können, ist es notwendig, zunächst einmal die Bedeutung näher zu beschreiben, die einer Straftat im Erleben des Betroffenen zukommen kann. Nur vor diesem Hintergrund lässt sich die Frage beantworten, inwieweit das Strafrecht dieser prägenden Erfahrung kommunikativ etwas entgegenzusetzen vermag. Es wurde bereits festgestellt, dass mit der Straftat zunächst einmal eine normative Erwartung enttäuscht wird. Wie gezeigt ermöglichen Erwartungen dem Individuum, sich in einer komplexen und kontingenten Welt zurechtzufinden. Wird nun eine Erwartung enttäuscht, so geht die Bedeutung dieser Erwartungsenttäuschung über den konkreten Einzelfall hinaus. Die Erwartung steht grundsätzlich in ihrem Orientierungswert für zukünftiges Erleben in Frage. Die Komplexität und Kontingenz der Welt tritt wieder zu Tage und verunsichert das enttäuschte Individuum. Bisherige Erfahrungs- und Verhaltensmuster werden in Frage gestellt. Es geht also um mehr als die konkrete Verletzung im Einzelfall. Dass dieses Enttäuschungserleben nicht nur Relevanz für das jeweilige soziale System (die Gesellschaft) hat, sondern zunächst einmal auch ganz konkrete psychische und auch somatische Reaktionen beim Individuum auslösen kann1, wird auch bei Luhmann deutlich: „Die über den Einzelfall hinausreichende Betroffenheit durch Enttäuschung normativer Erwartungen zeigt sich an der Stärke der Reaktion. Die Enttäuschung stimuliert Aktivität, man kann sie nicht einfach passieren lassen. Das Erleben des Enttäuschten gewinnt eine emotionale Färbung, wird sehr oft bis ins organische System vermittelt und löst, besonders bei gestauter Handlungsmöglichkeit, psychologische Prozesse aus. [ . . . ] Für das Abfangen der Pression werden also psychische, wenn nicht gar organische Mechanismen mobilisiert.“2

Aufgabe des sozialen Systems ist es nun, die Enttäuschungsabwicklung zu betreuen und zu kanalisieren – „und dies nicht nur, um richtige Erwartungen (etwa Rechtsnormen) wirksam durchzusetzen, sondern um überhaupt die Möglichkeit zu kontrafaktischem, enttäuschungsgefasstem, normativem Erwarten zu schaffen“3: 1 2 3

Zu entsprechenden Auf- und Abwärtseffekten vgl. oben 1. Kap. A. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 53 f. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 54.

A. Opfer und Psychotraumatologie

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„Der Erwartende muss vorbereitet und ausgerüstet werden für den Fall, dass er auf einer diskrepanten Realität landet. Er würde andernfalls nicht den Mut haben können, normativ und durchhaltewillig zu erwarten. [ . . . ] man muss sehen, dass normatives Erleben überhaupt erst durch Vorausschau auf Verhaltensmöglichkeiten im Falle der Enttäuschung konstituiert wird. Es muss absehbar sein, dass und wie man seine Erwartungen bei Enttäuschungen wenn nicht durchsetzen, so doch durchhalten kann. Auch im Enttäuschungsfalle muss die Erwartung noch vorzeigbar sein. Sie muss als Element der Selbstdarstellung des Enttäuschten und als Unterlage seines weiteren Verhaltens intakt bleiben, darf sich nicht schlichtweg als Fehler, als kognitiver Irrtum, als blamable Naivität herausstellen, sondern muss in der Welt noch einen Platz und einen Sinnbezug finden, muss weitergelten können. Und dafür werden soziale Hilfestellungen benötigt.“4

Im Falle einer Straftat kommt hinzu, dass mit dem Normbruch in besonderer Weise die Missachtung gegenüber dem Opfer kommuniziert wird. Mit Strawson wurde aufgezeigt, dass gerade die Manifestation einer solchen inneren Einstellung der Normverletzung besonderes Gewicht verleiht. Insbesondere bei Gewalt- und Sexualdelikten wird mit dem Normbruch zugleich die Integrität des Opfers in Frage gestellt. Dass die Enttäuschung lebensnotwendiger normativer Erwartungen und die damit einhergehende Missachtung der Integrität auf das psychische Erleben des Individuums entscheidenden Einfluss hat, zeigt sich in gesteigerter Form dann, wenn die Straftat zu einer Traumatisierung des Opfers führt. Daher soll im Folgenden zunächst auf neuere Erkenntnisse der Psychotraumatologie eingegangen werden.

A. Opfer und Psychotraumatologie Die Psychotraumatologie hat als psychologische Disziplin in jüngerer Zeit immer mehr an Einfluss gewonnen und beschäftigt sich mit der „Erforschung seelischer Verletzungen in Entstehungsbedingungen, aktuellem Verlauf sowie ihren unmittelbaren und Langzeitfolgen“. 5 Das Trauma wird in dem grundlegenden „Lehrbuch der Psychotraumatologie“ von Fischer / Riedesser definiert als „vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewirkt“.6 Am Anfang der Traumatisierung steht dabei die traumatische Situation selbst: Auf bedrohliche Situationen reagiert der Mensch mit körperlichen Bereitstellungsmechanismen (Anstieg der Herzfrequenz, Ausschüttung von Neurohormonen u. Ä.), Luhmann, Rechtssoziologie, S. 54. Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 392, 17 ff.; die Bezüge der Psychotraumatologie zum Strafrecht werden eingehend von Jerouschek, JZ 2000, 185 (187 ff.) aufgezeigt. 6 Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 84, 142. 4 5

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4. Kap.: Strafrechtliche Sprechakte und das Opfer

die ihn auf situationsangepasstes Abwehrverhalten – nämlich Kampf oder Flucht – vorbereiten.7 Traumatische Situationen sind nun dadurch gekennzeichnet, dass Kampf oder Flucht objektiv und / oder subjektiv unmöglich sind. Dies führt zum Erleben völliger Ohnmacht und Hilflosigkeit, während auf physiologischer Ebene ein Zustand extremer Erregung besteht. Das Trauma stellt sich mithin als „unterbrochene Handlung“ dar, als unterbrochener Kampf oder Fluchtversuch. Da die physiologische Aktivierung nicht umgesetzt werden kann, sucht sich der Organismus einen anderen Ausweg. Zum Selbstschutz werden die Regeln der normalen Erlebnisverarbeitung außer Kraft gesetzt, es kommt zu einer Veränderung des Zeit-, Raum- und Selbsterlebens (sog. peritraumatische Dissoziation).8 Die daraus resultierende traumatische Erfahrung ist keineswegs mit dem traumatischen Ereignis beendet, sondern wirkt über dieses als „lebensgeschichtlicher, prozesshafter Vorgang“ hinaus.9 Die Verarbeitung des Traumas gelingt dann, wenn die traumatische Erfahrung in das Selbst- und Weltschema des Individuums integriert werden kann (auch durch eine Erinnerung bzw. Rekonstruktion der traumatischen Erfahrung inklusive der zugehörigen Affekte) und es damit nicht zu einer Einkapselung (Sequestrierung) der gemachten Erfahrung kommt.10 Da traumatisierte Opfer von Gewaltverbrechen einen großen Teil der Traumabetroffenen ausmachen, besteht hier ein enger Bezug zum Strafrecht.11 Besonders deutlich wird dieser Zusammenhang zwischen Strafrecht und Psychotraumatologie daran, dass der oben beschriebene expressive Gehalt einer Straftat sowohl die straf7 Hierzu und zum Folgenden vgl. den Vortrag von Fischer im Rahmen der Vortragsreihe „Universität im Rathaus“ der Stadt Köln und der Universität zu Köln, bisher nur veröffentlicht im Internet unter http: // www.uni-koeln.de/ uni/ kultur_unirat_vort081104.html, S. 5; vgl. auch Fischer / Becker-Fischer / Düchting, Hilfe für Gewaltopfer, S. 20 ff., insbesondere 29 ff. 8 Vgl. den genannten Vortrag (Fn. 7) und Fischer / Becker-Fischer / Düchting, Hilfe für Gewaltopfer, S. 52 f. u. 63: Die dissoziative Erlebnisweise besteht insbesondere aus einer Derealisation (das Gefühl, es sei nicht wirklich, was geschieht) und Depersonalisation (das Gefühl, es sei nicht der eigene Körper betroffen). 9 Vgl. den Vortrag von Fischer (Fn. 7) S. 4; vgl. auch Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 170 ff. 10 Fischer / Becker-Fischer / Düchting, Hilfe für Gewaltopfer, S. 29 ff.; vgl. auch JanoffBulman, Shattered assumptions, S. 171. 11 Jerouschek, JZ 2000, 185 (187) weist darauf hin, dass ein signifikantes Klientel der Psychotraumatologie in den Opfern von Straftaten bestehe und dies von der Straftheorie nicht unberücksichtigt bleiben könne; vgl. zu Ausmaß, Verbreitung und Einflussfaktoren für psychotraumatische Folgeerscheinungen bei Gewaltopfern Fischer / Becker-Fischer / Düchting, Hilfe für Gewaltopfer, S. 34 ff.; die klassischen Symptome einer allgemeinen oder basalen psychotraumatischen Belastungsstörung traten bei einem relativ großen Prozentsatz der untersuchten Gewaltopfer (ca. einem Drittel) vollständig und vergleichsweise ausgeprägt auf; bei einem Großteil der Opfer lagen zumindest einzelne Phänomene in extremer Form vor, vgl. a. a. O., S. 39 ff.; der Zeitabstand zu dem Vorfall bewirkt keine Besserung einmal aufgetretener Symptome; es kommt eher zu einer Chronifizierung, sofern eine produktive Verarbeitung in den ersten Wochen oder Monaten nach der Traumatisierung nicht gelungen ist, vgl. a. a. O., S. 40 f.

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rechtliche Reaktion prägt als auch einen Einfluss darauf hat, welche spezifischen Symptome eine eventuelle Traumatisierung beim Opfer aufweist. So hat es wie gezeigt entscheidenden Einfluss auf unser seelisches Gleichgewicht, ob menschliches Verhalten Missachtung zum Ausdruck bringt oder unbeabsichtigt oder gar unvermeidbar war.12 Dementsprechend knüpft die alltägliche und damit auch die sozialethische (strafrechtliche) Missbilligung an ein Verhalten an, welches eine Haltung von Missachtung reflektiert. Auch bezüglich der normbestätigenden Funktion des Strafrechts kommt es darauf an, ob ein Gut durch ein Verhalten mit expressivem Gehalt verletzt wird. So kann durch natürliche Abläufe oder menschlich vermittelte aber unvermeidbare Kausalverläufe ein Schaden entstehen; die Geltung der Norm wird jedoch nur durch ein Verhalten, welches sich gegen die positive Bewertung des jeweiligen Gutes richtet, also durch menschliches Verhalten mit expressivem Gehalt in Frage gestellt.13 Nur ein solches Verhalten ist strafrechtlich relevant und bedarf der Bekräftigung des Festhaltens an der Norm durch die strafende Reaktion.14 Interessant ist nun, dass genau jene Unterscheidung zwischen natürlichen und zurechenbaren Schadensverläufen auch in der Psychotraumatologie eine erhebliche Bedeutung hat. Zwar können auch Naturkatastrophen, Unfälle oder schwere Erkrankungen traumatisch wirken.15 Doch kommt insbesondere der vorsätzlichen Gewalttat als „absichtlich herbeigeführtes, menschlich verursachtes Desaster“ ein besonderes Gewicht zu, weil damit gerade der (vielleicht als lebensnotwendige Illusion zu bezeichnende16) Glaube des Opfers an eine relativ sichere und vorhersehbare soziale Welt, insbesondere an die Verlässlichkeit sozialer Beziehungen in Frage gestellt wird.17 Häufig ist die posttraumatische Belastungsstörung bzw. das

Vgl. dazu oben 3. Kap. B.II.2.a). Vgl. dazu Jakobs, AT, 2. Abschn. Rn. 4 f.; siehe auch oben 3. Kap. B.III.1.b) und 3. Kap. B.III.1.c). 14 Jakobs, AT, 2. Abschn. Rn. 5. 15 Zu traumatisierenden Wirkung von Erkrankungen vgl. insbesondere Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 365 ff. 16 Fischer / Riedesser; Psychotraumatologie, S. 90; vgl. dazu insbesondere Janoff-Bulman, Shattered assumptions, S. 21 ff., Janoff-Bulman geht davon aus, dass die Grundannahme einer wohlwollenden, sinnhaften, sicheren und kontrollierbaren Welt und ein positives Selbstkonzept zwar als Übergeneralisierung nicht realistisch sind, dennoch aber nicht als dysfunktional angesehen werden können. Im Gegensatz zu konkreten Annahmen hinsichtlich konkreter Ereignisse und Personen, die sich direkt an der Realität messen lassen müssen, liegen diese abstrakten Überzeugungen auf einer tieferen Ebene, die nicht in gleicher Weise realitätsangepasst sein muss, sondern eine zuversichtliche Lebenseinstellung und damit eine bessere grundsätzliche Problembewältigung, das Ausprobieren neuer Verhaltensweisen und das Austesten von Grenzen ermöglicht; zu einem realistischeren und mehr philosophisch orientierten Selbst-Konzept vgl. Ellis, Reason and Emotion, S. 188 ff.; zu Übergeneralisierungen vgl. Korzybski, in: Blake / Ramsey, Perception, S. 170 (180 ff., 188 ff.). 17 Vgl. Janoff-Bulman, Shattered assumptions, S. 78 ff. und Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 90. 12 13

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psychotraumatische Belastungssyndrom (PTBS)18 bei Gewaltopfern spezifisch dadurch gekennzeichnet, dass die Grundlagen des „kommunikativen Realitätsprinzips“ erschüttert sind, während bei Naturkatastrophen das „pragmatische Realitätsprinzip“ betroffen ist.19 Letzteres ist durch die Logik erfolgskontrollierten Handelns vor allem im Umgang mit Gegenständen bestimmt, also die in gewissem Maße illusionäre aber lebensnotwendige Überzeugung, dass die Kräfte der Natur und Technik prinzipiell beherrschbar seien.20 Das kommunikative Realitätsprinzip ist hingegen durch „die gegenseitige Abstimmung von Erwartungen zwischen Personen“ gekennzeichnet, „was immer auch ein soziales Vertrauensverhältnis impliziert“.21 Beziehungs- und Orientierungstraumata sowie vom Menschen verursachte Verletzungen erschüttern das Vertrauen in die Verlässlichkeit der sozialen Welt22: „Das grundsätzliche Empfinden davon, in einer berechenbaren Welt, in der man Kontrolle darüber hat, was einem widerfährt, und in der uns der Andere nicht grundsätzlich feindlich gegenübersteht, ist zutiefst erschüttert.“23 Das Verhältnis zu anderen Menschen und das gesamte Sozialleben werden durch die erfahrene vitale Bedrohung und Verletzung generell beeinträchtigt.24 Starke Isolation, Minderung der Kontaktfähigkeit und ein allgemeines Rückzugsverhalten sind häufig die Folge.25 Daraus ergibt sich bei Gewaltverbrechen eine spezifisch soziale Ausprägung des beim psychotraumatischen Belastungssyndroms generell zu beobachtenden Vermeideverhaltens: Zahlreiche und in sich sehr unterschiedliche soziale Konstellationen werden nun als bedrohlich und / oder potenziell erinnerungsauslösend empfunden.26 Kennzeichnend ist eine anhaltende und generalisierende Angst. 18 Im Diagnostisch Statistischen Manual der nordamerikanischen psychiatrischen Gesellschaft wird der Begriff der „Posttraumatic Stress Disorder“ (PTSD) verwendet, im Folgenden soll jedoch die Übersetzung „psychotraumatisches Belastungssyndrom“ nach Fischer / Riedesser verwendet werden; vgl. zur Begrifflichkeit und zum Problem einer direkten Übersetzung ins Deutsche Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 46 ff. 19 Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 90, 347 f., 393; vgl. auch grundlegend Uexküll / Wesiack, in: Uexküll, Psychosomatische Medizin, S. 4 (12 f.). Fischer / Riedesser nennen zudem als spezifische Syndrome bei Gewalterfahrungen das Victimisierungssyndrom (VS), welches bei der Erfahrung einer oder mehrerer Episoden von physischer Gewalt oder psychischem Missbrauch oder Nötigung zu sexueller Aktivität in Betracht kommt und aus zehn charakteristischen Symptomen besteht, die zu einer gewissen Anzahl vorliegen müssen sowie das komplexe psychotraumatische Belastungssyndrom (kPTBS), welches vor allem die Folgen schwerster, lang anhaltender und wiederholter Traumatisierung wie etwa nach Folter, Lagerhaft und fortgesetzter Misshandlung beschreibt, vgl. zum Ganzen Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 50 ff. 20 Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 90, 393. 21 Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 393 (Hervorhebung nicht im Original). 22 Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 90; Janoff-Bulman, Shattered assumptions, S. 78 ff. 23 Fischer / Becker-Fischer / Düchting, Hilfe für Gewaltopfer, S. 30. 24 Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 347. 25 Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 347. 26 Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 347.

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Es bestehen die oben beschriebenen Abwärtseffekte, sodass psychosomatische Beschwerden gegenüber der Normalbevölkerung vermehrt vorhanden sind; physiologische Traumafolgen wie Schreckhaftigkeit, Schlafstörungen u. Ä. sind häufig und anhaltend.27 Teilweise wird (insbesondere von Opfern schwerer Gewaltdelikte) das Weltbild des Täters in die Einschätzung von sozial angemessenem Verhalten übernommen oder der Täter sogar idealisiert.28 Die traumatische Erfahrung widerlegt die optimistische Konstruktion der sozialen Welt, die das Erleben und Wahrnehmen des Betroffenen vor der traumatischen Situation geprägt hat und gewinnt exemplarische Bedeutung für deren Unberechenbarkeit, Unsicherheit und Feindseligkeit.29 Bedeutend für den Heilungsverlauf ist daher, dass die traumatische Erfahrung nicht zur Normalität wird: „Nicht der Betroffene oder das Traumaopfer ist verrückt. Verrückt sind vielmehr die Situation oder die Lebensumstände, mit denen es konfrontiert ist oder war“ heißt es in einer Selbsthilfebroschüre für Traumaopfer von Fischer.30 Demnach ist es wichtig, dass nachfolgende soziale Interaktionen die Gewaltsituation als Ausnahme normalen mitmenschlichen Umgangs begreiflich machen und damit einen Kontrast zur Gewaltsituation erzeugen.31 In diesem Zusammenhang ist auf die Tendenz der Opferbeschuldigung hinzuweisen, die einerseits als Selbstbeschuldigung des Opfers, andererseits als sozial-kognitiver Abwehrmechanismus des sozialen Umfelds vorkommt.32 Bei trauFischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 347. Vgl. Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 50 ff., dieses Symptom ist charakteristisch sowohl für das Victimisierungssyndrom als auch für das komplexe psychotraumatische Belastungssyndrom (oben Fn. 19). 29 Janoff-Bulman, Shattered assumptions, S. 70 ff., insbesondere 78 ff.; Fischer / BeckerFischer / Düchting, Hilfe für Gewaltopfer, S. 29 ff.; vgl. auch Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 76.; bei erlebter Todesnähe ist die Erschütterung des Welt- und Selbstverständnisses besonders weitgehend und radikal, vgl. Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 76, 90; zu Extremtraumatisierungen vgl. Jerouschek, JZ 2000, 185 (188): „In den Sog der Traumatisierung gerät so der gesamte Wahrnehmungshorizont des Opfers, das Trauma gewinnt exemplarische Bedeutung und gerät zum repräsentativen Interpretationsmuster dafür, wie Umwelt erlebt und gedeutet wird.“ 30 Fischer, Trauma / Erste Hilfe, S. 19 f.: Das Trauma selbst kann dann als normale, grundsätzlich gesunde Antwort der Persönlichkeit auf eine verletzende bzw. extrem kränkende Erfahrung verstanden werden. 31 Fischer / Becker-Fischer / Düchting, Hilfe für Gewaltopfer, S. 12 f.; vgl. auch a. a. O., S. 31: „Nach einer gelungenen Verarbeitung kann das Erlebnis akzeptiert werden als etwas Reales, das aber vergangen ist. Auf der Ebene der Selbst- und Weltschemata erfordert das Änderungen im Sinne einer Differenzierung. D. h., dass Annahmen über eine wohlwollende und berechenbare Umwelt (vor allem personale Umwelt), über die Möglichkeit von Kontrolle über Ergebnisse eigenen Handelns, über den Selbstwert u. ä. grundsätzlich weiterhin (oder wieder) gelten, wenn es auch Ausnahmen gibt. Das traumatische Ereignis wird als singuläres angesehen, das jetzt der Vergangenheit angehört und dessen Wiederholung zwar möglich, aber unwahrscheinlich ist. Das Erleben eines Traumas wird das Leben aber immer mehr oder weniger tief greifend verändern. Man kann eine solche Erfahrung nicht einfach ,löschen‘ und erwarten, dass sich ein status quo ante wieder einstellen wird.“ 27 28

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4. Kap.: Strafrechtliche Sprechakte und das Opfer

matisierten Opfern von Gewaltdelikten sind Selbstbeschuldigungen bis hin zu der Überzeugung zu beobachten, eher Schuld an dem Vorfall zu tragen als der Täter.33 Die Tendenz zur Selbstbeschuldigung kann verschiedene Gründe haben. Die Tatsache, dass das Opfer dem traumatisierenden Ereignis hilflos und ohnmächtig gegenüberstand, kann durch Selbstvorwürfe überdeckt werden. Denn mit den Selbstvorwürfen wird nicht nur die eigene Verantwortlichkeit fingiert, sondern zugleich eine entsprechende Handlungsmöglichkeit in der entsprechenden Situation.34 Des Weiteren haben viele Opfer in der Situation ein unrealistisches Zeitempfinden, die Zeit scheint unrealistisch ausgedehnt oder sogar stehen zu bleiben, sodass Bruchteile von Sekunden wie Minuten oder Stunden wirken können.35 Dieser Täuschungseffekt der Zeitveränderung lässt dann im Nachhinein die überzeugende Illusion entstehen, es sei genauso viel Zeit zum Handeln vorhanden gewesen.36 Hinzu kommt der so genannte „Täuschungseffekt der Retrospektive“: Ereignisse, von denen bekannt ist, dass sie eingetreten sind, werden auch dann, wenn sie objektiv extrem unwahrscheinlich sind, als vergleichsweise wahrscheinlich und damit auch vorhersehbar eingestuft.37 Damit verknüpft sind dann wiederum entsprechende Selbstvorwürfe, das als vorhersehbar eingestufte Ereignis nicht abgewendet zu haben.38 Zudem sind vorbeugende Maßnahmen mit dem Wissen der Retrospektive deutlicher erkennbar. Hilfreich kann die Suche nach anderen Verhaltensmöglichkeiten in der Vergangenheit sein, wenn sie in die Zukunft gewandt das Erlernen neuer Handlungsmuster ermöglicht.39 Überzogene Selbstvorwürfe hingegen können den Erholungsprozess wesentlich behindern und in einen depressiven Zustand führen.40 Jedenfalls soweit sie mit dem oben beschriebenen Muster einer globalen Selbstabwertung einhergehen, können sie als dysfunktional angesehen werden.41 Ohne diese Tendenzen ist mit einer eventuell verbleibenden realen Verantwortlichkeit aber eine positive, zukunftsgewandte Auseinandersetzung mög32 Vgl. dazu Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 209 f.; Vorwürfe der Selbstverschuldung und Abwertung der Opfer sind auch beobachtet worden gegenüber Körperbehinderten, Krebskranken, Unfallopfern, Aidskranken, Nachw. bei Montada, Report Psychologie 20 (1995), 14 (22). 33 Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 50 f. 34 Fischer, Trauma / Erste Hilfe, S. 70. 35 Fischer, Trauma / Erste Hilfe, S. 69 f. 36 Fischer, Trauma / Erste Hilfe, S. 69 f. 37 Fischer, Trauma / Erste Hilfe, S. 69 f. 38 Fischer, Trauma / Erste Hilfe, S. 70 und Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 210. 39 Vgl. dazu die Übung für Betroffene in Fischer, Trauma / Erste Hilfe, S. 72 ff. 40 Fischer, Trauma / Erste Hilfe, S. 70; Fischer / Becker-Fischer / Düchting, Hilfe für Gewaltopfer, S. 53, wonach sich aus irrationalen (magischen) Selbstbeschuldigungen nur schwer sinnvolle subjektive Heilungs- und Präventionskonzepte entwickeln können. 41 So auch Janoff-Bulman, Shattered assumptions, S. 123 ff.; vgl. zu den entsprechenden Kognitionen auch Ellis, Reason and Emotion, S. 143 ff. und oben 3. Kap. B.II.2.c)aa) und 3. Kap. B.II.2.c)bb) sowie 3. Kap. B.IV.

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lich.42 Zwar entstehen auch dadurch Gefühle des Bedauerns, diese sind aber von denen durch irrationale Selbstbeschuldigungen hervorgerufen Gefühlen zu unterscheiden. Solche „negativen“ Gefühle können als funktional angesehen werden, da sie es ermöglichen, die Situation zu verarbeiten und daraus zu lernen.43 Problematisch ist insbesondere die Unterstellung eines Mitverschuldens durch das engere soziale Umfeld sowie durch staatliche und außerstaatliche Institutionen.44 Vorwürfe der Selbstverschuldung, die andere gegenüber dem Opfer erheben, haben durchgängig negative Wirkungen und führen nicht selten zu sekundären Viktimisierungen.45 Die im Leben bestehende Unsicherheit, selbst Opfer eines Verbrechens zu werden, wird „wegrationalisiert“, indem das Ereignis auf spezi42 Fischer, Trauma / Erste Hilfe, S. 71; zur Realitätsüberprüfung und der Bedeutung der Fähigkeit des Menschen, verzerrte Wahrnehmungen zu korrigieren vgl. auch Beck / Rush / Shaw / Emery, Depression, S. 194 ff.; Wilken, Umstrukturierung, S. 573; etwas anders Montada, Report Psychologie 20 (1995), 14 (17, 20), der nicht zwischen einem an der Realität orientierten „Reframing“ und unrealistischen Schuldgefühlen unterscheidet, sondern eine positive Wirkung von Selbstbeschuldigung dann annimmt, wenn sie „als Strategie gegen Hilflosigkeit, gegen Angst vor Wiederholung, gegen Empörung und Hass, gegen überflutende Ungerechtigkeitsgefühle“ gewählt wird. Letztlich dürften schädigende Selbstbeschuldigungen aber mit den oben beschriebenen absolutistischen Forderungen („Ich hätte mich anders verhalten müssen“; „Ich hätte nicht so leichtsinnig sein dürfen“) und entsprechenden globalen Selbstabwertungen einhergehen. Dass solche Kognitionen häufig vorkommen wird deutlich an den bei Janoff-Bulman, Shattered assumptions, S. 126 u. 200 Fn. 33 zitierten Beispielen, wobei Janoff-Bulman allerdings davon ausgeht, dass „behavioral self-blame“ entgegen „characterological self-blame“ aufgrund der dadurch ermöglichten Annahme von Kontrolle positive Effekte hat; wenn solche Annahmen jedoch rigide Formen annehmen (,I shouldn’t have‘) ist der Weg zur globalen Selbstabwertung nach dem Ansatz von Ellis nicht weit; vgl. zu Ellis’ Ansatz schon oben 3. Kap. B.II.2.c)aa) und 3. Kap. B.II.2.c)bb) sowie 3. Kap. B.IV. sowie Ellis, Reason and Emotion, S. 143 ff. 43 Vgl. dazu Ellis, Reason and Emotion, S. 53 ff. (insbes. 61 f.). 44 Dazu ausführlich Fischer / Becker-Fischer / Düchting, Hilfe für Gewaltopfer, S. 11 ff.; solche sozialen Abwehrmechanismen kommen bei absichtlich herbeigeführten Verletzungen gegenüber „natürlichen“ traumatischen Situationen verstärkt vor, da Menschen regelmäßig von der gegenseitigen Beeinflussung menschlicher Verhaltensweisen ausgehen, also annehmen, dass ein Verhalten von Ego jeweils die Antwort auf ein vorausgegangenes Verhalten von Alter ist; vgl. Janoff-Bulman, Shattered assumptions, S. 152.; kritisch zur Annahme einer „Zirkularität“ von interpersonellen Ereignisabläufen in der Wissenschaft (insbesondere Watzlawick) Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 212. 45 Montada, Report Psychologie 20 (1995), 14 (20) mit entspr. Nachw.; so auch JanoffBulman, Shattered assumptions, S. 124: „Consider the different implications of an individual’s own statement, ,I can’t believe how stupid I am!‘ and the reaction of another person, ,I can’t believe how stupid you are!‘ The self-statement might reflect a desire to motivate oneself to do better; the other-statement is likely to be an outright condemnation. Most assuredly, the meaning of the two is unlikely to be the same. What we say about ourselves means something very different from what it would when said by another.“ Vgl. auch Fischer / Becker-Fischer / Düchting, Hilfe für Gewaltopfer, S. 11 ff. und Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 208 ff.; negative Erfahrungen mit der sozialen Umwelt wie Opferbeschuldigungen stellen einen Risikofaktor für die Entwicklung langfristiger Symptome und Beschwerden, insbesondere hinsichtlich eines psychotraumatischen Belastungssyndroms dar, vgl. Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 350.

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4. Kap.: Strafrechtliche Sprechakte und das Opfer

fische Umstände des jeweils betroffenen Opfers zurückgeführt wird.46 Nahe liegend ist es insoweit, dem Opfer ein unvorsichtiges Verhalten zu unterstellen.47 Zudem besteht hier verstärkt der genannte „Täuschungseffekt der Retrospektive“48, da Nicht-Betroffene von den Verhaltensweisen des Opfers in der Regel erst nach Kenntnis der Viktimisierung erfahren und diese entsprechend voreingenommen rekonstruieren.49 Auch dadurch wird die Überzeugung verstärkt, selbst gegen derlei Ereignisse gewappnet zu sein und damit die Tendenz begünstigt, dem Opfer Fehler vorzuwerfen und eine Verantwortlichkeit zuzuschreiben.50 Nachdem nun die wesentlichen sozialen Bezüge traumatischer Prozesse dargestellt wurden, stellt sich die Frage, welche Bedeutung strafrechtlicher Kommunikation vor diesem Hintergrund zukommen kann. Zunächst sei jedoch darauf hingewiesen, dass die hier wiedergegebenen Beobachtungen nicht nur Relevanz für traumatisierte Opfer haben. Vielmehr sind bei einem Großteil der Opfer von Gewaltdelikten einzelne Symptome sehr stark ausgeprägt, psychosomatische Beschwerden sind gegenüber der Normalbevölkerung deutlich erhöht.51 Dass die mit der Straftat zum Ausdruck gebrachte Missachtung und die dadurch bewirkte Erschütterung normativer Verhaltenserwartungen gerade bei Gewaltopfern52 besonders nachhaltig wirkt, ist nahe liegend und kann auch bei weniger schweren, potentiell eher subtraumatischen Delikten nicht ignoriert werden.53 In traumatischen Prozessen findet diese Erschütterung des Weltverständnisses eine besondere Ausprägung, wobei insbesondere die Schwere der erfahrenen Gewalt eine wesentliche Einflussgröße ist.54 Dies wird in der weiteren Untersuchung zu berücksichtigen sein.55 46 Vgl. Janoff-Bulman, Shattered assumptions, S. 149 ff.; zudem wird dadurch das Gefühl der Verantwortung für Hilfe minimiert, vgl. Janoff-Bulman, a. a. O. 47 Zur hohen Wahrscheinlichkeit eines „blaming the victim“ ausführlich Janoff-Bulman, Shattered assumptions, S. 149 ff. 48 Vgl. Janoff-Bulman, Shattered assumptions, S. 150 f.: Bei einem Experiment wurde das Verhalten einer Frau (Wiedereinlassen des Täters in die Wohnung nach einem Date) als tadelnswürdig eingeordnet, wenn bekannt war, dass diese daraufhin vergewaltigt wurde, während dasselbe Verhalten nicht als problematisch angesehen wurde, wenn den Teilnehmern ein neutraler oder positiver Ausgang geschildert wurde; vgl. auch Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 209. 49 Janoff-Bulman, Shattered assumptions, S. 204 Fn. 22. 50 Vgl. Montada, Report Psychologie, 14 (21 f.) mit entspr. Nachw. 51 Vgl. Fischer / Becker-Fischer / Düchting, Hilfe für Gewaltopfer, S. 39 f. 52 Aber auch andere Delikte können sich nachhaltig auf die Wahrnehmung der sozialen Wirklichkeit durch das Opfer auswirken; zu nennen sind hier insbesondere die in Opferbefragungen (so etwa bei Kilchling, Opferinteressen, S. 686, 552, vgl. auch unten 5. Kap. Fn. 215) immer wieder hervorstechenden und in den Ergebnissen häufig mit Gewaltdelikten vergleichbaren Wohnungseinbruchsdelikte, vgl. zur Erschütterung des Weltverständnisses bei dieser Opfergruppe etwa Janoff-Bulman, Shattered assumptions, S. 80. 53 So insbesondere Reemtsma, in: Hassemer / Reemtsma, Verbrechensopfer, S. 132. 54 Vgl. dazu Fischer / Becker-Fischer / Düchting, Hilfe für Gewaltopfer, S. 42 ff. Die traumatische Situation ist nach Fischer dabei nur aus dem Zusammenwirken objektiver und sub-

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Daneben gibt es natürlich eine erhebliche Anzahl an Delikten, die das Weltverständnis des Opfers weit weniger erschüttern als auch „nur“ subtraumatische Gewaltdelikte. Delikte wie Betrug oder Untreue beispielsweise dürften eher konkrete Erwartungen hinsichtlich konkreter Situationen oder Personen, weniger aber die Grundannahmen hinsichtlich der sozialen Welt betreffen.56 Solche Erwartungen können leichter an die Realität angepasst werden, ohne dass das Selbst- und Weltverständnis des Individuums grundsätzlich erschüttert wird (eine entsprechende Flexibilität auf dieser Ebene von Erwartungen kann gar als Zeichen psychischer Gesundheit gewertet werden).57 Dass dieser Unterschied im Strafrecht Berücksichtigung finden kann, wird noch zu zeigen sein.58 Dennoch ist das Individuum auch bei solchen Delikten weit stärker in seinen Annahmen betroffen als von der Straftat Kenntnis erlangende Dritte bzw. die Allgemeinheit und kann auch hier ein gerechtfertigtes Bedürfnis an einer bestätigenden sozialen Reaktion haben. Schließlich sei an dieser Stelle noch auf den möglichen Einwand gegen die Fokussierung dieser Untersuchung auf bestimmte Deliktsgruppen eingegangen, die sich aus der notwendigen Ausklammerung opferloser Delikte ergibt. Insoweit ließe sich vorbringen, dass das Strafrecht in seiner grundsätzlichen Zielrichtung nicht teilbar und eine unterschiedliche Betrachtung insofern nicht gerechtfertigt sei. Dagegen ist jedoch zunächst einzuwenden, dass eine solche „Ungleichbehandlung“ längst stattfindet, und zwar mit Blick auf die Täter: In den Genuss der jektiver Faktoren zu verstehen (ökologisch-dialektischer Ansatz). Objektive Faktoren, die die Verarbeitung beeinflussen, sind insbesondere die Art des traumatischen Ereignisses (insbesondere auch die Lebensbedrohlichkeit), die Dauer der traumatischen Situation, die Schwere der körperlichen Verletzung und der Bekanntheitsgrad des Täters. Subjektiv kommt die „individuelle Wahrnehmung und Bewertung der traumatischen Situation“ hinzu, also „die persönliche Bedeutung, die das Individuum der traumatischen Situation zuschreibt“. Diese ist auch geprägt durch die lebensgeschichtliche Erfahrung und frühere Versuche, potentiell traumatische Situationen zu bewältigen. Unabhängig von der tatsächlichen Lebensbedrohlichkeit wirkt sich die aufgrund der Unvorhersehbarkeit der Situation erlebte Todesangst signifikant aus. Zum Ganzen Fischer in dem oben genannten Vortrag (Fn. 7) sowie in Fischer / BeckerFischer / Düchting, Hilfe für Gewaltopfer, S. 32, 42 f., 52 ff. 55 Insbesondere beim Täter-Opfer-Ausgleich erscheint eine Differenzierung zwischen regelmäßig traumatisierenden und eher subtraumatischen Delikten angezeigt, vgl. dazu insbesondere 5. Kap. D.III.2. 56 Hinsichtlich einer Hierarchie von Annahmen vgl. schon oben Fn. 16. Bei Straftaten wie Betrug und Untreue dürften Grundannahmen bezüglich der sozialen Welt weniger betroffen sein, weil es hier nicht vordringlich um den Schutz eines Rund-um-Vertrauens, sondern um die Ermöglichung gerichteten Vertrauens geht, vgl. dazu Amelung, in: FS-Eser, S. 3 (17): „Ein gewisses Maß an Rund-um-Vertrauen muss jeder Mensch aufbringen, wer es in vollständiges Rundum-Misstrauen umschlagen lässt, wird zu einem Fall für die Psychiatrie. Demgegenüber hat derjenige, der Vertrauen in eine spezifische Sozialbeziehung einbringen will, typischerweise, wenn auch nicht immer, die Freiheit zu entscheiden, wem er Vertrauen schenkt, wie weit er dabei gehen will und wie er bei aufkommendem Misstrauen reagieren soll.“ (Hervorhebung im Original). 57 Vgl. dazu Janoff-Bulman, Shattered assumptions, S. 21 ff. 58 Vgl. unten C.I.

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Rechtsfolgen des § 46a StGB bei erfolgtem Täter-Opfer-Ausgleich59 kommen nach Konzept und Praxis dieses Instituts nur Täter mit individualisierbarem Opfer.60 Zudem ist es gerade spezifische Folge eines Delikts, welches sich gegen die Integrität eines individuellen Opfers richtet, dass dieses von der Tat nicht nur physisch, sondern auch psychisch betroffen sein kann.61 Dann ist es aber nur konsequent, dass diesem Umstand auch straftheoretisch Rechnung getragen wird, solange dadurch das Schuldprinzip bzw. die Vorgabe schuldangemessenen Strafens nicht missachtet wird.62

B. Sozialethische Missbilligung und strafrechtliche Normbestätigung aus der Perspektive des Opfers Welchen Wert hat nun strafrechtliche Kommunikation für das in seinen Grundannahmen erschütterte Opfer einer Straftat? Wenn man diese Frage stellt, dürfte eines bereits klar sein: „Heilen“ kann das Strafrecht die durch die Straftat verursachte seelische Erschütterung nicht. Weder macht die Strafe das Geschehene ungeschehen, noch löscht sie die psychischen Spuren, die die Straftat beim Opfer hinterlassen hat.63 Dazu unten 5. Kap. Vgl. dazu Meier, Sanktionen, S. 344 f. Möglich sein soll die Einbeziehung juristischer Personen, soweit sie durch natürliche Personen vertreten werden, bei nur die Allgemeinheit schädigenden Delikten ist ein Täter-Opfer-Ausgleich hingegen oftmals nicht möglich, wenn ein persönlich betroffenes Opfer (wie etwa der betroffene Polizist bei § 113 StGB) nicht erkennbar ist. Zur symbolischen Wiedergutmachung vgl. ders., a. a. O., S. 341 f. 61 Dieser Umstand kann daher auch das Erfolgsunrecht der Tat mitbestimmen: Bei Gewalt- und Sexualdelikten sind psychische Schäden vom Schutzzweck der Norm umfasst und können bei Kausalität und Vorhersehbarkeit im Rahmen der Strafzumessung als „verschuldete Auswirkungen der Tat“ gem. § 46 II StGB berücksichtigt werden; vgl. zu den Anforderungen hinsichtlich einer Berücksichtigung außertatbestandlicher Folgen Meier, Sanktionen, S. 172 f.; vgl. auch LK-StGB / Theune, § 46 Rn. 149 ff. Die erhebliche Auswirkungen, die das Phänomen „Stalking„ auf das Opfer hat, haben den Gesetzgeber sogar zur Einführung eines neuen Tatbestands – den am 31. 03. 2007 in Kraft getretenen Tatbestand der Nachstellung (§ 238 StGB) – veranlasst. Vgl. dazu das Gesetz zur Strafbarkeit beharrlicher Nachstellungen vom 22. 03. 2007 (BGBl. I, S. 354, vgl. auch BT-Drs 16 / 575, S. 1 f.); zu traumatischen Belastungen bei Opfern von Stalking vgl. Wondrak / Hoffmann / Voß, Praxis der Rechtspsychologie 2005, 222 ff.; zur Einführung des neuen Stalking-Tatbestandes vgl. Mitsch, NJW 2007, 1237. 62 Vgl. zu den entsprechenden materiellrechtlichen Implikationen unten C.I. 63 Vgl. zum „Gedächtnis“ aller autopoietisch operierenden Systeme oben 1. Kap. A. Selbst die biologischen Systeme haben mitunter ein solches Gedächtnis – das Immunsystem erinnert eine Krankheit durch Antikörper, vgl. oben 1. Kap. Fn. 6. Auch psychische Systeme können nicht in den Zustand zurückversetzt werden, in dem sie sich vor der Erfahrung befanden, vgl. dazu mit vergleichendem Hinweis auf die somatische Ebene Janoff-Bulman, Shattered 59 60

B. Sozialethische Missbilligung und strafrechtliche Normbesta¨tigung

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Dadurch wird allerdings nicht die Frage unzulässig, ob die Strafe nicht eine wichtige Botschaft für das das Geschehen bewältigende Opfer haben kann.64 Der Täter, der mit seiner Tat die körperliche und seelische Integrität des Opfers angegriffen und diesem die Möglichkeit selbstkontrollierten Handelns vorübergehend genommen hat, wird vom Opfer sehr leicht als Modell des Mitmenschen überhaupt wahrgenommen.65 Dem sozialen Umfeld wird daher die korrektive Aufgabe zuteil, dem Opfer die Rekonstruktion einer mitmenschlichen Gesellschaft wieder zu ermöglichen, wobei insbesondere auch dem Handeln öffentlicher Funktionsträger eine exemplarische Bedeutung und ein entscheidender Einfluss auf den weiteren – negativen oder positiven – Verlauf der Traumaverarbeitung zukommt.66 Die offizielle Anerkennung der schuldlosen Opferwerdung seitens der Gesellschaft wird als wesentlicher protektiver Faktor für die Traumaverarbeitung angesehen.67 Um die Rolle des Strafrechts in diesem Zusammenhang zu bestimmen, ist noch einmal auf die Bedeutungskomponenten strafrechtlicher Kommunikation einzugehen: Einerseits wird das Festhalten an der Norm, andererseits die Missbilligung der Tat zum Ausdruck gebracht. Dass das Opfer ein Interesse sowohl an der Normbestätigung als auch an der strafrechtlichen Missbilligung haben kann und damit als Adressat strafrechtlicher Kommunikation in Betracht kommt, wurde in jüngerer Zeit verschiedentlich hervorgehoben.68 Vor dem beschriebenen Hintergrund der Konfusion von Recht und Unrecht, des erschütterten Weltverständnisses und der Opferbeschuldigung ist die Relevanz einer Abgrenzung von Unrechtsbereichen und der Bestätigung wesentlicher normativer Erwartungen in Bezug auf die soziale Komponente des Umgangs mit dem Geschehen nahe liegend.69 Absichtsvoll hervorgerufene Schäden erschüttern das Selbst- und Weltverständnis der Opfer besonders stark.70 Warum sollte das Strafrecht, das als gesellschaftliche Institution für absichtsvoll herbeigeführte Schäden nun einmal zuständig ist, das aktuelle Opfer nicht unmittelbar adressieren? Dass dem Weltbild, das der Täter entworfen assumptions, S. 169 ff.; vgl. mit einem pessimistisch stimmenden Ergebnis hinsichtlich des Beitrags des Strafverfahrens zur Bewältigung der Viktimisierung Orth, Strafgerechtigkeit, S. 102 ff., 126 ff. 64 Bzw. ließe sich auch umgekehrt danach fragen, welche Auswirkung ein gänzliches Ausbleiben eines Strafverfahrens für das Opfer hätte, diese Frage wird allerdings kaum gestellt, vgl. dazu Orth, Strafgerechtigkeit, S. 130 auch mit Hinweis darauf, dass die Anzeigebereitschaft auch nach negativen Rechtserfahrungen zumeist ungebrochen fortbesteht. 65 Fischer / Becker-Fischer / Düchting, Hilfe für Gewaltopfer, S. 83 f. 66 Fischer / Becker-Fischer / Düchting, Hilfe für Gewaltopfer, S. 83 f. 67 Fischer / Becker-Fischer / Düchting, Hilfe für Gewaltopfer, S. 53 f. u. 83 f.: Dieser Auftrag offizieller Funktionsträger könne gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. 68 Von Hirsch, in: Duff / Garland, Reader on Punishment, S. 115 (119); Günther, in: FSLüderssen S. 205 (217); Hörnle, JZ 2006, 950 (954 ff.); Reemtsma, in: Hassemer / Reemtsma, Verbrechensopfer, 130 ff. 69 Aus traumatologischer Sicht ausdrücklich bejahend Jerouschek, JZ 2000, 185 (193), der in der Strafe einen „supportiv heilsamen Faktor“ sieht. 70 Fischer, Trauma / Erste Hilfe, S. 104; Janoff-Bulman, Shattered assumptions, S. 78 ff.

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4. Kap.: Strafrechtliche Sprechakte und das Opfer

hat, widersprochen wird, erscheint nicht nur für den Bestand der Gesellschaft von Bedeutung. Für das Opfer, das unter Umständen sogar in Gefahr ist, dieses Weltbild in die eigene Perspektive zu übernehmen, wird dieser Widerspruch wichtiger sein als für potentielle Opfer.

I. Deklarative Sprechakte und die Rekonstruktion der sozialen Wirklichkeit Eine wichtige Rolle dürfte insbesondere spielen, dass dieser Widerspruch seitens der Gesellschaft geschieht. So schreibt Reemtsma, die Bestrafung des Täters nehme das Opfer wieder in den Sozialverband hinein.71 Mit dem hier zugrunde gelegten Ansatz lässt sich diese Botschaft gegenüber dem Opfer damit erklären, dass mit Urteil und Strafe nicht nur die Missbilligung und das Festhalten an der Norm zum Ausdruck gebracht werden – diese Botschaften können wie gezeigt auch alltagskommunikativ vermittelt werden –, sondern institutionelle Tatsachen geschaffen werden und damit auf die soziale Wirklichkeit unmittelbar eingewirkt wird. Die normbestätigende und missbilligende Antwort auf die Straftat schließt den unterstellten Konsens der „anonymen Dritten“ mit ein, die Erschütterung der sozialen Grundannahmen erfährt dadurch eine intersubjektive Relativierung. Insoweit kann der deklarativen Illokutionskraft auch in Bezug auf das Opfer eine besondere Funktion zukommen. Dass deklarative Sprechakte die Bewältigung identitätsbedrohender Ereignisse positiv unterstützen können, zeigt sich in einem anderen Bereich des gesellschaftlichen Umgangs mit einschneidenden, potentiell traumatisierenden Ereignissen, nämlich beim Umgang mit Krankheit im Rahmen des weitgehend institutionalisierten Gesundheitssystems.72 Seitens der medizinischen Psychologie / Soziologie Reemtsma, Im Keller, S. 216. Mag dieser Vergleich auf den ersten Blick eher fernliegend erscheinen, so hat er doch seine Berechtigung: Sowohl Kriminalität als auch Krankheit erscheinen aus soziologischer Sicht als Devianz: „Krankheit ist im sozialen Kontext einzugrenzen als ein von allgemeingültigen Normen abweichendes Verhalten (Devianz). So gesehen rückt Krankheit unter anderen sozialen Auffälligkeiten beispielsweise in die Nähe von Kriminalität“ (Malzahn, in: Wilker / Bischoff / Novak, Medizinische Soziologie, S. 216). Vor allem betrifft dies die gesellschaftliche Bewertung und Bewältigung von Krankheit / Kriminalität. Beides ist sozial unerwünscht, aber in allen Gesellschaften real vorhanden. So sind sowohl gegen Krankheit als auch gegen Kriminalität umfangreiche Abwehr- und Bewältigungssysteme institutionalisiert worden: Präventive, kurative und rehabilitative Einrichtungen im medizinischen und die materiell strafrechtliche Sanktionsdrohung sowie strafprozessuale und strafvollzugsrechtliche Einrichtungen im strafrechtlichen Bereich (Malzahn, a. a. O.). Opfer von traumatischen Ereignissen werden von ihrem sozialen Umfeld häufig stigmatisiert, vgl. dazu Janoff-Bulman, Shattered assumptions, S. 148: „Victims are threatening to nonvictims, for they are manifestations of a malevolent universe rather than a benevolent one. They are regarded as ,deviants‘ because they have been marked by misfortune. In the overwhelming majority of cases involving traumatic life experiences, survivors do not physically appear different from before. Yet 71 72

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wird darauf hingewiesen, dass der deklarative Akt der Krankschreibung dem Kranken die Akzeptanz seiner Krankenrolle und nicht zuletzt einen heilsamen Verlauf dadurch erleichtert, dass die zuvor allenfalls laienhaft diagnostizierte Krankheit nun eine gesellschaftliche Anerkennung erfährt: „Tritt der Kranke zum Zweck der Diagnose oder der Therapie in Kontakt mit medizinischen Institutionen, empfindet er nicht nur subjektiv als Kranker Beeinträchtigungen, sondern es werden auch Befunde objektiviert. Er wird damit zum Patienten. Er ist nicht mehr ,nur‘ aufgrund seiner Beurteilung krank, sondern er wird krankgeschrieben. Dieser Definitionsakt wird vom Arzt mit Hilfe seines Definitionsmonopols vollzogen, das er durch staatlich kontrollierte Ausbildung und seine Verpflichtung zu ethischem Verhalten erworben hat. Erst nach diesem Verwaltungsakt wird der Kranke in der Rolle des Patienten gesellschaftsfähig. In dieser organisierten Phase seiner Krankheit gewinnt er sozusagen an öffentlicher Glaubwürdigkeit, etwa seiner Familie gegenüber, vor allem aber im Arbeitsbereich und in versicherungsrechtlicher Hinsicht [ . . . ] Das Wesentlichste am abweichenden Verhalten ist der an Kontrollinstanzen gebundene Definitionsaspekt: Abweichendes Verhalten ist Verhalten, das Menschen(gruppen) als ,abweichend‘ etikettieren. Allgemein, aber besonders im Gesundheitsbereich sind die persönlichen und sozialen Auswirkungen der Etikettierung für den einzelnen wichtig (z. B.): Erst wenn jemand vom Arzt krank,geschrieben‘ ist, wird die Krankheit durch diesen Definitionsprozess zur sozialen Wirklichkeit mit der Konsequenz, dass der Kranke erst dann die Patientenrolle mit allen Erwartungs- und Verhaltensimplikationen übernehmen kann. Er ,fühlt‘ sich nicht nur ,irgendwie‘, sondern er ist ein ,staatlich anerkannter‘ Kranker.“73

Nun soll weder die Opfer- mit der Krankenrolle, noch das institutionalisierte Gesundheitssystem mit dem Strafrechtssystem gleichgesetzt werden. Eine klare Zuordnung von Unrecht und Verantwortung, wie sie insbesondere aufgrund der illokutionären Kraft deklarativer Sprechakte möglich ist, kommt aber gerade bei traumatisierten Opfern als wichtige gesellschaftliche Botschaft in Betracht. So spielen die Zusammenhänge zwischen der psychischen und sozialen Ebene bei der all too often their victim status sets them apart; it is information rather than appearance or behavior that typically marks them as different. Victims carry with them a social stigma, for they are now viewed as someone flawed or blemished. Victims are stigmatized because they violate the expectations established by people’s illusions [ . . . ] Survivors of extreme events are powerful reminders of human frailty and the fact that the world can be malevolent, callous, and cruel.“ Daher kommt es sowohl gegenüber Kranken als auch gegenüber Opfern von Gewalttaten zu den oben beschriebenen Mitverschuldensvorwürfen, vgl. Janoff-Bulman, a. a. O., S. 149 f. Insofern besteht eine Parallele zwischen der Anerkennung des geschehenen Unrechts durch das Strafrecht und der Anerkennung der Krankheit durch das Gesundheitssystem, wobei mit letzterer die Frage der Verantwortlichkeit natürlich nicht geklärt wird, sondern hauptsächlich „Befunde objektiviert“ werden. Da es zur sozialen Rolle des Kranken gehört, diesen für seine Situation nicht verantwortlich zu machen (vgl. Wilker / Bischoff / Novak, Medizinische Soziologie, S. 214), dürften die beschriebenen Abwehrmechanismen hier im Regelfall weniger offen geschehen; Vorwürfe der Selbstverschuldung und Abwertung der Opfer sind beispielsweise beobachtet worden gegenüber Körperbehinderten, Krebskranken, Unfallopfern und Aidskranken, vgl. schon oben Fn. 32. 73 Malzahn, in: Wilker / Bischoff / Novak, Medizinische Soziologie, S. 215 f. (Hervorhebungen im Original).

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Traumabewältigung eine nicht zu unterschätzende Rolle. Nach Fischer / Riedesser lässt sich das traumatisierte Individuum nicht als bloßes Einzelwesen deuten, vielmehr haben seine Verarbeitungs- und Selbstheilungsversuche wesentlich eine soziale Dimension.74 Fischer / Riedesser beschreiben das traumatisierte Individuum als „individuelles Allgemeines‘, d. h. die Besonderung jener allgemeinen menschlichen Möglichkeiten, sozialen Absprachen, Lebensprinzipien und Lebenswerte, an denen wir alle teilhaben, sodass ihre Verletzung letztlich uns alle als eine eigene Möglichkeit trifft“.75 Für das Trauma und dessen Heilungsprozess, aber auch für weitere traumatische Sequenzen sei es daher „von wesentlicher Bedeutung, wie sich die Allgemeinheit zum individuellen Elend der Traumatisierten verhält“76: „Das verantwortliche Sich-Erkennen der Allgemeinheit im besonderen Elend der Opfer, das Bemühen um Hilfe für sie und ihre ,Rehabilitation‘, die Anerkennung von Gerechtigkeit und Würde ist vor allem bei absichtlich herbeigeführten Desastern für den Traumaverlauf bzw. den Erholungs- und Restitutionsprozess von großer Bedeutung. Lehnt ein soziales Kollektiv es beispielsweise ab, die Verantwortung zu übernehmen für Gewalttaten oder sonstiges Unrecht gegen Außenstehende oder Minoritäten, so untergräbt die verleugnete Schuld die psychische und moralische Substanz der Täter- oder Verursachergruppe oft über Generationen hinweg. Der ,traumatische Prozess‘ ist also nicht nur ein individueller, sondern stets auch ein sozialer Vorgang, worin die Täter-Opfer-Beziehung bzw. das soziale Netzwerk der Betroffenen und letztlich das soziale Kollektiv einbezogen sind.“77

Daher ist es auch Aufgabe des Staates, dem Opfer die Bewältigung des Traumas möglichst zu erleichtern. Das Gegenteil ist der Fall, wenn irrationale Mitverschuldensvorwürfe (die als institutionell eingebundene Äußerung besonderes Gewicht haben) von staatlicher Seite gegenüber dem Opfer erhoben werden. Solche Tendenzen zur Opferbeschuldigung lassen sich besonders eindrücklich am Beispiel des Gutachterstreits verdeutlichen, der in den sechziger Jahren um die Anerkennung psychischer KZ-Folgeschäden im Rahmen der Wiedergutmachung geführt worden war. Die Mehrheit der deutschen Psychiater leugnete diese Schäden, indem sie sie entweder als „anlagebedingt“ oder als sog. „Rentenneurosen“ werteten.78 Gestützt wurde diese Auffassung auf vorausgegangene Studien zwischen den beiden Weltkriegen, die Kriegstraumata bei sog. „Kriegszitterern“ als Ausdruck von „BegehFischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 65. Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 65. 76 Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 65 f. 77 Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 66. 78 Fischer / Gurris / Pross / Riedesser, in: Uexküll, Psychosomatische Medizin, S. 631 (636 f.). Die österreichische Ärztin und Ausschwitz-Überlebende Lingens berichtete von Koronarpatienten, die anginöse Anfälle erlitten, wenn in den Nachrichten über Freisprüche von Kriegsverbrechern oder über Anschläge von Neonazis berichtet wurde, vgl. dies., in: Herberg, Spätschäden, S. 115 ff. anlässlich der Diskussion um die Anerkennung psychischer KZ-Folgeschäden im Rahmen der Wiedergutmachung. Lingens betont, dass eine Verweigerung der Anerkennung erlittenen Leids, eine „Ideologie des Schlussstriches“ eine erhebliche Belastung für die Überlebenden darstellen kann. 74 75

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rensvorstellungen mit dem Ziel einer Rente“ deuteten und letztlich als durch Degeneration oder durch minderwertige „Erbanlagen“ bedingt ansahen.79 Dass die damit einhergehende gesellschaftliche Leugnung von Unrecht, Verursachung und Schuld eine Fortsetzung der Traumatisierung bedeutet80, ist leicht einzusehen. Das Trauma stellt sich wie gezeigt als prozesshafter Vorgang dar, der durch den Zeitablauf an sich nicht gemildert wird und schon gar nicht mit dem traumatischen Ereignis vorüber ist. Fischer / Riedesser weisen darauf hin, von Menschen verursachte Traumata fänden unter „subjektiven und inter-subjektiven“ Gesichtspunkten erst dann einen Abschluss, „wenn die zerstörte zwischenmenschliche und ethische Beziehung durch Anerkennung von Verursachung und Schuld wiederhergestellt wurde“.81 Bei dieser Überwindung der traumatischen Situation spielen demnach „Schuldanerkennung, Wiedergutmachung, aber auch Fragen von Sühne und Strafe“ eine Rolle.82 Die gesellschaftliche Anerkennung kann dabei durch deklarative Sprechakte, welche durch die Schaffung institutioneller Tatsachen intersubjektiv Geltung beanspruchen und damit die Konstruktion der gemeinsamen Wirklichkeit entscheidend mitbestimmen, unmittelbar zum Ausdruck gebracht werden. Eine Botschaft der „sozialen Makrogruppe“83 an das Opfer ist ohne die Möglichkeit zumindest konkludenter deklarativer Sprechakte nur schwer vorstellbar.

II. Das Opfer als Adressat des sozialethischen Unwerturteils Die strafrechtliche Botschaft besteht dabei zunächst in der intersubjektiven Anerkennung des Unrechts, welche mit der sozialethischen Missbilligung bzw. dem sozialethischen Unwerturteil84 zum Ausdruck gebracht wird. Absichtlich durch Menschen verursachte Verletzungen haben immer eine moralische Dimension, da der Betroffene mit der Böswilligkeit anderer Menschen und mit einer sozialen Welt konfrontiert wird, die seine ursprünglichen Annahmen in Frage stellt.85 Urteil Fischer / Gurris / Pross / Riedesser, in: Uexküll, Psychosomatische Medizin, S. 636. Vgl. Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 77. 81 Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 77. 82 Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 77; vgl. auch Fischer, Trauma / Erste Hilfe, S. 105: Nicht nur das Bestehen solcher Verhältnisse der Ungerechtigkeit, auch die Rechtfertigung dieser Verhältnisse im Nachhinein macht Trauma zur Normalität. Es kann dann für die Betroffenen fast unerträglich schwierig werden, ihr persönliches Trauma zu verarbeiten, der Heilungsprozess bleibt aus. Fischer betont, dass die Reaktion der menschlichen Gemeinschaft wichtig ist: „In einem gesunden Staat sind das Recht und die Gefühle der Bevölkerung auf Seiten der Opfer.“ 83 Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 66. 84 Vgl. dazu 3. Kap. B.III.2.c)cc). 85 Janoff-Bulman, Shattered assumptions, S. 78 ff. 79 80

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und Strafe enthalten ein sozialethisches Unwerturteil als Antwort auf diesen Ausdruck der Missachtung. Ein grundlegender Verzicht auf ein solches sozialethisches Unwerturteil wäre zwar als durchgängig objektivierende Haltung theoretisch vorstellbar, wie gezeigt aber mit den normativen Strukturen zwischenmenschlichen Zusammenlebens kaum vereinbar86, sodass letztlich auch im Strafrecht auf interpersonale Kommunikation im Sinne Strawsons nicht verzichtet werden kann87. So warnen auch Fischer / Riedesser vor einer generellen Entschuldigung des Täters oder der Forderung, Strafe durch Therapie zu ersetzen.88 Zwar lägen einigen Delikten traumatische Erlebnisse des Täters selbst zugrunde, die dieser mit der Tat weiterzugeben versuche, was für Prävention und Therapie bedeutsam sei.89 Doch werde die Gewalttat immer auch durch persönliche und soziale Komponenten wie Verherrlichung von Macht und Gewalt und Verachtung von Schwäche befördert.90 Durch eine prinzipielle Täterentschuldigung werde solchen Tendenzen in der Gesellschaft der Boden bereitet.91 Auf den Ausdruck sozialethischer Missbilligung kann insbesondere gegenüber dem Opfer, welches durch die Ausübung von Macht und Gewalt und den Ausdruck der Verachtung unmittelbar betroffenen ist, nicht verzichtet werden. Denn wenn die missbilligende Reaktion wie gezeigt schon alltagskommunikatives Mittel der Solidaritätsbekundung ist92, wäre eine sozialethisch neutrale, bloß präventive Reaktion auf absichtsvolles schädigendes Verhalten für das Opfer einer Straftat nur schwer verständlich. Wenn nicht ausnahmsweise das Ausbleiben einer missbilligenden Reaktion aufgrund entsprechender Umstände auch alltagskommunikativ nachvollziehbar ist93, wird eine neutrale Reaktion die Solidarität der Gemeinschaft nicht hinreichend zum Ausdruck bringen können. Nun könnte zu befürchten sein, die Betonung des Opferstatus könne die Bildung einer „querulatorischen Opferidentität“ begünstigen, weshalb es günstiger sei, die Opferwerdung nicht zu thematisieren.94 Zutreffend ist an diesem Einwand, dass das Opfer bei einem gelingenden natürlichen Erholungsprozess eine Entwicklung vom „Opfer zum Überlebenden“ des Traumas durchläuft.95 Vom psychotraumaVgl. oben 3. Kap. B.II.2.b) und 3. Kap. B.II.2.c)aa). Vgl. oben 3. Kap. B.III.2.c)bb). 88 Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 181; dazu auch Jerouschek, JZ 2000, 185 (193). 89 Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 181. 90 Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 181. 91 Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 181 mit dem etwas überspitzten Hinweis auf eine „täterfreundliche“ Einstellung oder gar Ideologie. 92 Vgl. oben 3. Kap. B.II.2. 93 Dazu oben 3. Kap. B.II.2.a), 3. Kap. B.II.2.b). 94 Solchen Befürchtungen widersprechend Fischer / Becker-Fischer / Düchting, Hilfe für Gewaltopfer, S. 65. 95 Vgl. Fischer / Becker-Fischer / Düchting, Hilfe für Gewaltopfer, S. 65. 86 87

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tologischen Standpunkt ist es daher nicht wünschenswert, dass das Opfer in eine „psychologische Opferrolle“ gedrängt wird, die zu einer Fixierung auf die Opferidentität führt und dann das weitere Leben bestimmt.96 Nach Fischer steht solchen Befürchtungen allerdings die Tatsache entgegen, dass querulatorische Entwicklungen viel häufiger zu beobachten sind, wenn dem Opfer mit den oben beschriebenen psychotraumatologischen Abwehrmechanismen wie etwa Misstrauen oder gar mit Ausgrenzungstendenzen und Opferbeschuldigung begegnet wurde. Nachvollziehbare Folge ist dann, dass das Opfer auf seinem Recht auf Anerkennung insistiert und gerade durch das Fehlen von Anerkennung in eine resignative und / oder querulatorische Entwicklung getrieben wird.97 Fischer weist darauf hin, dass die Anerkennung als Opfer eine schrittweise Überwindung des Opferstatus und den Weg vom Opfer zum Überlebenden erleichtern sowie die Wiederherstellung der persönlichen Würde ermöglichen könne.98 Die Anerkennung des „Opfers als Opfer, als Bürger, dem Unrecht widerfuhr“, habe „eine ethische Dimension, die auch psychologisch für die Unterstützung des natürlichen Erholungsprozesses von großer Bedeutung“ sei.99 So sei „die formelle, eventuell sogar ,rituelle‘ Zuerkennung des Opferstatus [ . . . ] ein symbolischer Akt, den viele Betroffene von der Obrigkeit, insbesondere von einer staatlichen Instanz erwarten“.100 So wirke es sich günstig für die Traumaverarbeitung aus, wenn das Opfer durch eine Verurteilung Gerechtigkeit erfahre, dies sei ein „handfester Beweis“ der Anerkennung schuldloser und gravierender Opferwerdung.101 Mit der hier zugrunde gelegten Unterscheidung zwischen globalen Personenbewertungen und der Bewertung von Verhaltensweisen ließe sich wie folgt differenzieren: Sowohl gegenüber dem Täter als auch gegenüber dem Opfer sind global 96 Fischer, Trauma / Erste Hilfe, S. 68; Fischer / Becker-Fischer / Düchting, Hilfe für Gewaltopfer, S. 65. 97 Fischer / Becker-Fischer / Düchting, Hilfe für Gewaltopfer, S. 65. 98 Fischer / Becker-Fischer / Düchting, Hilfe für Gewaltopfer, S. 65. 99 Fischer / Becker-Fischer / Düchting, Hilfe für Gewaltopfer, S. 64 f. mit Hinweis darauf, dass die Anerkennung des Opferstatus im Rahmen des Opferentschädigungsgesetzes somit nicht lediglich Bedeutung für die Entschädigungsfrage hat. Fischer weist zwar darauf hin, dass die Anerkennung des Opfers als solche in Deutschland nicht im Strafverfahren ausgesprochen, sondern nach dem Opferentschädigungsgesetz entschieden wird. Die von Fischer betonte Unrechtsdimension ist aber wie gezeigt gerade originärer Bestandteil der strafrechtlichen Kommunikation, sodass dieser eine bedeutende Rolle in diesem Zusammenhang zukommt. Vgl. dementsprechend zur Einführung eines Unrechtsinterlokuts sogleich unter C.II.; vgl. auch Fischer / Becker-Fischer / Düchting, Hilfe für Gewaltopfer, S. 10: „Wichtiger als materielle Hilfe ist für viele Opfer die unzweideutige Anerkennung der Opferwerdung als solcher, des ihnen zugefügten Unrechts und all ihrer Rechte auf Restitution und Rehabilitation (=Wiederherstellung der persönlichen ,Würde‘), die sich aus dieser Tatsache ableiten.“ 100 Fischer / Becker-Fischer / Düchting Hilfe für Gewaltopfer, S. 64. 101 Fischer / Becker-Fischer / Düchting Hilfe für Gewaltopfer, S. 53 ebenso mit Hinweis auf eine materielle Entschädigung durch das Versorgungsamt nach dem Opferentschädigungsgesetz, durch die ebenfalls die schuldlose Opferwerdung offiziell – stellvertretend für die Gesellschaft – anerkannt werde, vgl. auch a. a. O., S. 83.

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4. Kap.: Strafrechtliche Sprechakte und das Opfer

wertende Botschaften und die damit einhergehende Festlegung auf den Täter- bzw. Opferstatus zu vermeiden. Eine Stigmatisierung des Täters als Person durch besonders harte Strafen wird diesen möglicherweise davon überzeugen, „schlecht“ zu sein und gar nicht anders handeln zu können, aber eben auch dem Opfer gegenüber die bedenkliche Botschaft einer Verachtung des Täters kommunizieren.102 Eine Festlegung des Opfers auf den Opferstatus (etwa durch eine rein passive Rolle im Prozessgeschehen) wird diesem die Überwindung des Gefühls mangelnder Handlungsmöglichkeiten, der Hilflosigkeit und Schwäche zusätzlich erschweren. Eine sozialethische Missbilligung des Verhaltens hat jedoch mit der Festschreibung einer globalen Opferrolle nichts zu tun. Vielmehr bringt sie die für die für Geschehenseinordnung bedeutsame Solidarisierung mit dem Opfer durch die Anerkennung des diesem widerfahrenen Unrechts zum Ausdruck.

III. Das Opfer als Adressat der strafrechtlichen Normbestätigung Zusätzlich zu der Anerkennung des geschehenen Unrechts tritt die oben beschriebene Funktion der Erwartungsstabilisierung. Wie gezeigt ermöglicht die deklarative Normbestätigung die Unterstellung der intersubjektiven Anerkennung einer Norm.103 Im Strafrecht geht es dabei um die intersubjektive Geltung wesentlicher Normen des zwischenmenschlichen Zusammenlebens. Ohne davon ausgehen zu können, dass ein Mindestbestand solcher Verhaltenserwartungen allgemein Zustimmung findet, wäre das Zusammenleben mit Unbekannten eine Zumutung.104 Die Mitglieder der sozialen Gemeinschaft werden durch die strafrechtliche Reaktion in ihrem Vertrauen auf die Geltung wesentlicher Normen zwischenmenschlicher Interaktion bestätigt. Auf solche garantierten Orientierungen kann im sozialen Leben nicht verzichtet werden.105 Dies darf aber nicht dahin missverstanden werden, die strafrechtliche Normbestätigung bringe zum Ausdruck, dass die Norm in Zukunft nicht mehr überschritten werde, etwa weil potentielle Täter nun abgeschreckt seien. Zwar ist ein gewisses Maß an Abschreckung notwendig, damit die Normbestätigung glaubhaft bleibt. Entscheidend ist jedoch, dass an der Norm festgehalten wird und zukünftige Abweichungen damit wiederum als Normbruch erscheinen. Den in die Norm Vertrauenden wird damit bedeutet, dass sie richtig erwartet haben und ihre Erwartungen auch in Zukunft gerechtfertigt sind. Das Opfer einer Straftat hat nun die Infragestellung der Norm durch den Täter am eigenen Leib erfahren müssen, seine Erwartung ist viel tief greifender erschüttert als die Erwartungen potentieller Opfer bzw. der Allgemeinheit. Was bei Luh102 103 104 105

Vgl. dazu schon oben 3. Kap. B.IV. Vgl. oben 3. Kap. B.III.1.c). Vgl. dazu auch Luhmann, Rechtssoziologie, S. 67 ff. Vgl. dazu insbes. Jakobs, AT, 1. Abschn. Rn. 14 f.

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mann vor der autopoietischen Wende auch mit Blick auf das Individuum, das sich in einer kontingenten und komplexen Welt zurechtfinden muss, formuliert wurde, gilt insbesondere für das Opfer einer Straftat: Durch die Tat verliert die Erwartung, im zwischenmenschlichen Kontakt grundsätzlich nicht mit Schädigungen rechnen zu müssen, an Orientierungswert. Stattdessen gewinnt die traumatische Erfahrung exemplarische Bedeutung und beeinflusst das zukünftige Wahrnehmen und Erleben des Betroffenen. Die Aufrechterhaltung und Bestätigung grundlegender zwischenmenschlicher Normen und die damit verbundene Einwirkung auf die (soziale) Welt kann daher für das in seinem Weltverständnis erschütterte Opfer eine ganz unmittelbare Bedeutung haben. Im Falle der Körperverletzung etwa betrifft dies die intersubjektive Geltung des Norminhalts, die körperliche Integrität sei zu achten, im Falle der sexuellen Nötigung bzw. Vergewaltigung die intersubjektive Geltung des Norminhalts, das sexuelle Selbstbestimmungsrecht sei zu achten.106 Natürlich kann die strafrechtliche Normbestätigung das Urvertrauen bzw. „Rund-um-Vertrauen“107 in eine einigermaßen sichere und verlässliche Welt nicht wiederherstellen. So weist Amelung mit Blick auf potentielle Opfer darauf hin, „Rund-um-Vertrauen“ entstehe durch die bewusste oder unbewusste Verdrängung der potentiellen Normverletzung in das Unterbewusste.108 Das Bekanntwerden eines Normbruchs widerlege nun bewusstes und zerstöre unbewusstes Vertrauen, und diese Beschädigung, die Erinnerung an die Missachtung der Norm und die daraus resultierende Beunruhigung, könne auch die geltungsbestätigende Bestrafung eines Täters nicht vollständig beseitigen.109 Offensichtlich muss dies im Besonderen für aktuelle Opfer gelten: Wer einmal nachts in einem Park überfallen wurde, wird auch nach der Bestrafung des Täters nächtliche Parkspaziergänge meiden. Die amerikanische Psychologin Janoff-Bulman geht davon aus, dass die optimistischen Grundannahmen, die wir grundsätzlich in Bezug auf die Welt haben und die durch das traumatische Ereignis erschüttert werden, auch bei einer erfolgreichen Überwindung des Traumas vom Opfer zum „Überlebenden“ nicht in ihrer ursprünglichen Form zurückgewonnen werden können.110 Überlebende wissen um die Gefahren und plötzlichen Schicksalsschläge des Lebens in einer anderen Weise als Nicht-Betroffene111. Eine erfolgreiche Verarbeitung des Traumas ist nach Janoff-Bulman aber dadurch möglich, dass das Trauma seine exemplarische Bedeutung verliert; die Grundannahmen über die Welt bleiben zwar negativer oder realistischer als die der Nicht-Betroffenen, allerdings wird nicht mehr die gesamte Vgl. dazu auch Jakobs, AT, 2. Abschn. Rn. 5. Zum „Rund-Um-Vertrauen“ im Gegensatz zu einem „bewusst investierten“ oder „gerichteten“ Vertrauen vgl. Amelung, in: FS-Eser, S. 3 (8 ff.). 108 Vgl. Amelung, in: FS-Eser, S. 3 (8 ff.). 109 Amelung, in: FS-Eser, S. 3 (10 f.). 110 Janoff-Bulman, Shattered assumptions, S. 170 f. 111 Vgl. Janoff-Bulman, Shattered assumptions, S. 174. 106 107

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4. Kap.: Strafrechtliche Sprechakte und das Opfer

Welt als unvorhersehbar und bösartig, sondern gerade auch in ihren vielfältigen positiven Aspekten wahrgenommen; an die Stelle der ursprünglichen Grundannahmen tritt ein „vorsichtiger Optimismus“.112 Eine wesentliche Rolle bei der Überwindung des Traumas und der Erneuerung der sozialen Grundannahmen dürfte in erster Linie das engere soziale Umfeld spielen.113 Die institutionalisierte strafrechtliche Reaktion kann eine solche Relativierung der traumatischen Situation natürlich nicht in vergleichbarer Weise zum Ausdruck bringen. Sie kann dem Individuum aber wichtige Informationen hinsichtlich der Beschaffenheit der sozialen Welt geben, auf die es bei deren Rekonstruktion besonders angewiesen ist.114 Es darf daher nicht übersehen werden, was strafrechtliche Kommunikation auch gegenüber dem aktuellen Opfer leisten kann; die Vermittlung des Bewusstseins nämlich, dass man richtig erwartet hat, dass man mit seiner Erwartung nicht alleine ist, vielmehr die Gemeinschaft die Erwartungen teilt und man daher weiterhin ent112 Vgl. Janoff-Bulman, Shattered assumptions, S. 174: „Survivors are often guardedly optimistic, but the rosy absolutism of earlier days is gone.“ Allerdings schreiben Überlebende der traumatischen Erfahrung durchaus positive Effekte zu, da sie sich einerseits dadurch, mit dem traumatischen Ereignis fertig geworden zu sein, gestärkt fühlen, andererseits die positiven Seiten des Lebens insbesondere bei erfahrener Todesnähe entsprechend würdigen können, vgl. Janoff-Bulman, a. a. O., S. 174 u. 90; zudem ist beobachtet worden, dass die Wahrscheinlichkeit einer Erschütterung der Grundannahmen in dem Maße, indem sie bereits vor dem traumatischen Ereignis durch Stressfaktoren in Frage gestellt und damit weniger absolutistisch und unflexibel wurden, abnimmt, vgl. dazu Janoff-Bulman, a. a. O., wobei es sich hierbei nach Janoff-Bulman allerdings um moderate Stressfaktoren handeln dürfte (kritisch zum Ganzen Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 92 f.). Bei extremen, traumatisierenden vorausgegangenen Ereignissen kommt es darauf an, ob das Individuum zu einer inneren Stabilität zurückgefunden und Gefühle der stetigen Bedrohung überwunden hat; ist dies nicht der Fall, erhöht eine vorausgegangene Traumatisierung die Anfälligkeit für psychische Schäden bei zukünftigen extremen Ereignissen, vgl. Janoff-Bulman, Shattered assumptions, S. 90. Ob sehr positive und insoweit illusionäre ursprüngliche Grundannahmen zwar eine starke Reaktion unmittelbar nach dem Ereignis begünstigen, dafür aber das Potential für eine einfachere Überwindung des Traumas auf längere Sicht schaffen (so Janoff-Bulman, a. a. O., S. 88 f.), erscheint fraglich; denn solche Annahmen können letztlich rigide Forderungen nach absoluter Sicherheit und Kontrolle nach dem Ereignis begünstigen, welche aufgrund ihrer Unerfüllbarkeit eine Verarbeitung des Traumas verhindern, dazu Ellis, Journal of Rational-Emotive & Cognitive-Behavior Therapy 12 (1994), 3 (17 f.). Letztlich dürfte es unter anderem darauf ankommen, inwieweit die Betroffenen ihre absolutistischen Forderungen nach Sicherheit aufgeben und in eine Präferenz nach Sicherheit umwandeln können, vgl. dazu Ellis, a. a. O., S. 3 (17 f.). 113 Vgl. zur wichtigen Funktion sozialer Unterstützung bei der Erneuerung von Grundannahmen Janoff-Bulman, Shattered assumptions, S. 143 ff.; zum engeren sozialen Umfeld a. a. O., S. 125 ff., 154 ff. 114 Vgl. auch Janoff-Bulman, Shattered assumptions, S. 147: „At a time when survivors are struggling to understand and reconstruct their basic beliefs about themselves and the world, the reactions of others, as in infancy, are fundamentally important [ . . . ] Following their traumatic experience, the survivors are ,re-injured‘ through the failure to receive expected support from social agencies, communities, society in general, and even from family and friends.“

B. Sozialethische Missbilligung und strafrechtliche Normbesta¨tigung

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sprechend erwarten darf, ohne dabei als unvernünftig zu gelten.115 Zwar wird mit der Bestrafung wie gezeigt kein Versprechen abgegeben, dass sich der Normbruch nicht wiederholt. Die intersubjektive Versicherung aber, dass die Erwartung nicht nur ein „kognitiver Irrtum“ oder gar eine „blamable Naivität“ war, ist entscheidende Voraussetzung dafür, dass man die Erwartung über eine Enttäuschung hinwegretten kann. Oder wie Luhmann es formuliert: Es bedarf einer solchen sozialen Hilfestellung, um überhaupt den Mut haben zu können, normativ und durchhaltewillig zu erwarten.116 Bleibt nämlich eine intersubjektive Bestätigung der Erwartung aus, ist auch der Schritt zu den genannten Beschuldigungstendenzen gegenüber dem Verletzten nicht weit: Demjenigen, der unrealistisch oder gar naiv erwartet hat, kann man seine Erwartung leicht zum Vorwurf machen bzw. deren Enttäuschung als logische, fast schon „verdiente“ Folge begreifen. Auch insoweit kann Reemtsma sagen, dass die Strafe das Opfer wieder in den Sozialverband hinein nimmt. Andererseits wird deutlich, dass es eine erhebliche psychische Belastung für das Opfer darstellen müsste, wenn schwerwiegende, die Integrität des Opfers in Frage stellende Normbrüche ignoriert würden: Dass Opfer könnte sich an einem grundsätzlichen (institutionalisierten) Konsens, dass seine Integrität zu achten ist, nicht mehr orientieren, da die Bekräftigung dieser Annahme ausbliebe. Dass ein solcher Zustand die Verarbeitung des Geschehens entscheidend beeinträchtigen könnte, ist nahe liegend und kommt auch bei Reemtsma deutlich zum Ausdruck: „Aber auch hier bedenke man, was durch eine unterbleibende Normbestätigung angerichtet werden kann. Man bescheinigt dem Verbrechensopfer nicht nur, dass seine neue Weltsicht korrekt ist, man verstärkt sie dadurch, dass das Versprechen, sich bestimmte Gedanken nicht machen zu müssen, gleichsam offiziell zurückgenommen wird. Es ist nicht übertrieben, hier von einer traumatisierenden Sequenz zu sprechen und zu sagen, dass unter dem Aspekt der Normenverletzung die Traumatisierung durch das nicht Recht sprechende Gericht neben der durch das Verbrechen steht.“117

Abschließend lässt sich festhalten, dass sowohl die strafrechtliche Normbestätigung als auch die sozialethische Missbilligung für das aktuelle Opfer einer Straftat eine ganz unmittelbare Bedeutung haben können: Das geschehene Unrecht wird anerkannt, Unrechtsbereiche werden abgegrenzt, die Tat wird als Abweichung von 115 Angesichts der deklarativen illokutionären Kraft der strafrechtlichen Reaktion greift es daher zu kurz, wenn Amelung (hier mit Blick auf potentielle Opfer) formuliert, der Staat könne nur demonstrieren, dass er die Forderung der strafbewehrten Verhaltensnormen nach wie vor erhebt, vgl. Amelung, in: FS-Eser, S. 3 (10). 116 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 54 (dazu schon oben 4. Kap.); vgl. auch Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 135: „Die Norm verspricht nicht ein normgemäßes Verhalten, sie schützt aber den, der dies erwartet. Sie gibt ihm damit zugleich Vorteile in der Interaktion an die Hand, besonders in Fällen, wo die Norm selbst nicht umstritten ist.“ 117 Reemtsma, in: Hassemer / Reemtsma, Verbrechensopfer, S. 134 (Hervorhebungen im Original).

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der Normalität gedeutet, auf die man sich nicht grundsätzlich einstellen muss.118 Ihren eigentlichen Wert erhält diese Botschaft dabei durch ihre intersubjektive Ausrichtung. Insofern zeigt sich, dass der illokutionären Kraft strafrechtlicher Sprechakte nicht nur für die soziale Ebene, also den Erhalt des gesellschaftlichen Normgefüges insgesamt, sondern auch für das Individuum, insbesondere hinsichtlich einer Einordnung des Geschehens, erhebliche Bedeutung zukommen kann. Aus der oben119 geschilderten systemtheoretischen Perspektive könnte man von einer entscheidenden Bedeutungskopplung zwischen psychischem und sozialem System sprechen.

C. Implikationen für das materielle Strafrecht, die Strafzumessung und das Strafverfahrensrecht Wenn die strafrechtliche Unrechtsfeststellung und Normbestätigung eine exemplarische Bedeutung für die Rekonstruktion der sozialen Welt durch das Opfer hat, stellt sich die Frage, welche konkreten Implikationen sich daraus für die Strafrechtsanwendung ergeben können.

I. Opfermitverantwortung als strafbarkeitseinschränkendes Kriterium Zunächst sei dabei auf ein Problem eingegangen, dessen erhebliche Bedeutung für das Opfer aus den obigen Ausführungen ersichtlich wurde: Die Frage nach einem möglichen Mitverschulden des Opfers bei der Tatenstehung.

1. Einschränkungen auf der Voraussetzungsseite der Norm Dass es sich bei einer Straftat oft nicht um einen einseitigen Akt des Täters, sondern um ein interaktionistisches Geschehen handelt, erfuhr in empirisch-kriminologischer Hinsicht durch die Viktimologie und in normativer Hinsicht durch die so genannte „Viktimo-Dogmatik“ besondere Berücksichtigung.120 Diese verstärkt seit Anfang der siebziger Jahre aufkommenden Ansätze beförderten die sog. „WieVgl. dazu insbesondere Reemtsma, in: Hassemer / Reemtsma, Verbrechensopfer, S. 127 ff. 1. Kap. A. 120 Grundlegend Schüler-Springorum, FS-Honig, S. 201 ff.; die Viktimo-Dogmatik setzt sich dabei durchaus das Ziel, auf einer empirischen Analyse der Opfersituation und damit auf den Ergebnissen der Viktimologie aufzubauen, programmatisch dazu Schünemann, in: FS-Faller, S. 357 (371 f.); kritisch hinsichtlich des Nutzens viktimologischer Kategorisierungen Hillenkamp, Opferverhalten, S. 219 ff. 118 119

C. Implikationen fu¨r das materielle Strafrecht und die Strafzumessung

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derentdeckung des Opfers“, mit der das Opfer wieder vermehrt als Subjekt des Strafrechts erkannt wurde. Diese Rückbesinnung auf die Subjekteigenschaft des Opfers führte zunächst weniger zu einer Wahrnehmung des dem Opfer widerfahrenen Leids als zur Fokussierung auf dessen Handlungsfähigkeit und damit dessen potentielle Mitverantwortung am Straftatgeschehen.121 Die Viktimo-Dogmatik gründet dementsprechend auf der Überlegung, dass das Strafrecht wegen des ultima-ratio Prinzips schon auf der Voraussetzungsseite der Norm zurückzutreten habe, wenn dem Opfer Selbstschutz möglich und zumutbar und strafrechtlicher Schutz somit nicht erforderlich sei.122 Der im Ausgangspunkt berechtigte und bereichernde Ansatz, die interaktionistische Struktur bzw. Entstehung einer Straftat auch materiell-strafrechtlich zu würdigen, steht allerdings zugleich in problematischer Nähe zu den oben beschriebenen sozialen Abwehrmechanismen.123: Solange man ein unvorsichtiges Verhalten des Opfers ausfindig machen kann, kann man sich selbst der Illusion hingeben, vor entsprechenden Angriffen gewappnet zu sein. Dass die Viktimo-Dogmatik zum Einfallstor solcher psychologischer Mechanismen werden könnte, erscheint nicht unwahrscheinlich; eine „Dogmatik der Opferbeschuldigung“ wäre dann die Konsequenz. Daher ist es wichtig, die entscheidenden Wertungskriterien entsprechend sichtbar zu machen. Die Bedeutung eines viktimo-dogmatischen Ansatzes lässt sich dabei anhand der in dieser Untersuchung zugrunde gelegten Differenzierung zwischen normativen und kognitiven Erwartungen aufzeigen: Letztlich wird mit einer viktimo-dogmatisch begründeten Rücknahme des strafrechtlichen Schutzes dem Opfer zumindest teilweise ein kognitiver Erwartungsstil abverlangt, also eine Einschränkung des normativen Vertrauens zugunsten eines (als zumutbar angesehenen) vorausschauenden Selbstschutzes. Denn die intersubjektive Anerkennung normativer Erwartungen wird durch deklarative Sprechakte und damit durch strafrechtliche Kommunikation unmittelbar kommuniziert. Durch die Berücksichtigung des zumutbaren Selbstschutzes bereits auf Tatbestandsebene wird auf eine solche dekla121 Vgl. Amelung, in: FS-Eser, S. 3 f.; für eine am Opferschutzgedanken orientierte „Viktimo-Dogmatik“ programmatisch Günther, FS-Lenckner, S. 69 ff. 122 Vgl. dazu R. Hassemer, Schutzbedürftigkeit, S. 22 ff.; grundsätzlich zur Bedeutung des viktimologischen Ansatzes in der Strafrechtsdogmatik Schünemann, in: Schneider, Verbrechensopfer, S. 407 ff.; eine dezidierte Kritik an der Viktimo-Dogmatik findet sich bei Hillenkamp, Vorsatztat, S. 176 ff.: Der Subsidiaritätsgedanke könne den viktimo-dogmatischen Ansatz nicht tragen, da nur dann nicht gestraft werden darf, wenn dem Staat weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Der Selbstschutz des Bürgers sei aber kein milderes Mittel des Staates. Darüber hinaus sei nicht einzusehen, dass ein bloßes Mitverschulden des Opfers zum vollständigen Haftungsausschluss auf Seiten des Täters führt. Das Resultat wäre sonst die Schaffung von nicht schützenswerten Freiheitsräumen zugunsten des Täters und zu Lasten des Opfers, vgl. dazu Hillenkamp, a. a. O., S. 195. 123 Vor solchen Abwehrmechanismen, die sich in der Wissenschaft und insbesondere in der Viktimologie (auf die die Viktimo-Dogmatik ja aufbaut, vgl. oben Fn. 120) fortzusetzen pflegen, wird bei Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 211 f. explizit gewarnt.

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rative Normbestätigung von vornherein verzichtet und damit das kognitive Erwarten sehr weit zu Lasten des normativen Erwartens ausgedehnt: An Stelle eines grundsätzlichen Vertrauens in die soziale Welt wird ein „gesundes“ Misstrauen als die vorzugswürdigere Haltung propagiert.124 Dem Opfer wird nahe gelegt, nicht ohne weiteres an Erwartungen kontrafaktisch festzuhalten, sondern sich kognitiv auf die Möglichkeit einer Schädigung durch andere vorzubereiten.125 Nun sind die normativen Erwartungen des Verletzten durch die Straftat ohnehin schon kognitiv erschüttert, er ist hinreichend gewarnt. Es erscheint fraglich, inwieweit mit der durch eine ausbleibende Bestrafung verdeutlichten Opfermitschuld diese Botschaft noch verstärkt werden soll. Da den Sprechakten des Strafrechts die hier beschriebene intersubjektive Funktion zukommt, kann deren Zurücktreten hinter einem möglichen Selbstschutz des Bürgers nicht ohne weiteres mit dem Subsidiaritätsgedanken begründet werden. Die intersubjektive Normbestätigung, die das kontrafaktische Festhalten an der Norm zum Ausdruck bringt, ist funktional betrachtet das genaue Gegenteil der Beförderung eines kognitiven Präventivverhaltens, also der Anpassung der Erwartungsstruktur an das schädigende Ereignis.126 Zwar verbliebe noch der zivilrechtliche Ausgleich und insofern die zivilrechtliche Normbestätigung. Dennoch wird mit der viktimo-dogmatischen Zurückdrängung des Strafrechts dem Verletzten ein kognitiver Erwartungsstil nahe gelegt. Denn letztlich wird kommuniziert, dass ein kontrafaktisches Festhalten an der Erwartung eine „sträfliche“ Vernachlässigung des zumutbaren Selbstschutzes ist – sträflich insofern, als das kontrafaktische Erwarten mit der Ausnutzung durch den Täter eine poena naturalis nach sich zieht127: Der Betroffene soll daraus lernen und nicht 124 Vgl. auch Hillenkamp, Vorsatztat, S. 206 ff., der in kriminalpolitischer Hinsicht befürchtet, die Viktimo-Dogmatik fördere den Missbrauch von Vertrauen und begünstige ein gesellschaftliches Klima des Argwohns. Hillenkamp befürwortet daher eine Berücksichtigung des Opferverhaltens auf der Unrechts- und Schuldabstufungen zugänglichen Strafzumessungsebene (S. 211 ff.); zu einer solchen Strafzumessungslösung auch bereits Schüler-Springorum, in: FS-Honig, S. 201 (209 ff.); gegen eine einseitige Strafzumessungslösung Arzt, MschrKrim 67 (1984), 105; Reemtsma, Vertrauen und Gewalt, S. 35 weist darauf hin, dass es die Gesellschaft sogar erschwere, sich auf die Möglichkeit, Opfer von Gewalt zu werden, einzustellen. Insbesondere in den europäischen Gesellschaften bestünde aufgrund der dort geltenden strengen Waffengesetze ein weitgehendes Vertrauen, sich nicht auf solche Situationen einstellen zu müssen, bis hin zu einer Nötigung zu solchem Vertrauen. 125 Durch die mit der ausbleibenden Bestrafung verdeutlichte Opfermitschuld verspricht man sich die Förderung eines umsichtigeren Präventivverhaltens, vgl. etwa Schünemann, in: von Hirsch / Seelmann / Wohlers, Mediating Principles, S. 18 (31 f.); Hillenkamp verweist eine solche „Verbrechensprävention durch Opfererziehung“ auf die Strafzumessungsebene, vgl. Hillenkamp, Vorsatztat, S. 211 f. mit entsprechenden Nachweisen. 126 Abgesehen davon, dass es sich bei dem Selbstschutz des Bürgers schon nicht um ein milderes Mittel des Staates handelt, mit diesem Argument Hillenkamp, Vorsatztat, S. 175 ff.; dagegen Schünemann, in: FS-Faller, S. 357 (366 f.) und Schünemann, in: von Hirsch / Seelmann / Wohlers, Mediating Principles, S. 18 (31 f.). 127 Abzugrenzen davon ist natürlich eine wirkliche Opferbestrafung durch das staatliche Strafrecht, wie sie vereinzelt etwa im Hinblick auf den entsprechende Schutzvorkehrungen

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weiterhin kontrafaktisch – im Lichte der Viktimo-Dogmatik naiv – an seiner Erwartung festhalten.128 Dabei kann die erforderliche Begründung des Freispruchs durch das Gericht, die als institutionell eingebettete Äußerung entsprechendes Gewicht hat, für den Verletzten eine nicht unerhebliche Belastung darstellen: Die Erwartung wird nun auch institutionell in das Licht eines „kognitiven Irrtums“ wenn nicht gar einer „blamablen Naivität“ gerückt. Aus der Opferperspektive wird auch deutlich, warum die Viktimo-Dogmatik – die sich ja durchaus als allgemeines Prinzip versteht129 – nicht bei allen Delikten Geltung beansprucht. Solange sich die Viktimo-Dogmatik auf gewaltlose Delikte130 und insbesondere solche Delikte beschränkt, die die Enttäuschung eines gerichteten Vertrauens in spezifischen Sozialkontakten (vgl. dazu den bereits erwähnten Ansatz von Amelung131) zum Gegenstand haben (so insbesondere das Selbstschädigungsdelikt des Betrugs), erscheint eine Reduktion des Tatbestandes auch aus Opferperspektive nicht per se unzulässig.132 Denn wie gezeigt lassen sich Erwartungen auf dieser Ebene leichter anpassen, ohne dass Grundannahmen des Opfers hinsichtlich der Verlässlichkeit der sozialen Welt in Frage gestellt werden müssen. Bei solchen Delikten allerdings, die die Integrität des Opfers unmittelbar betreffen, kann die Vernachlässigung eines zumutbaren Selbstschutzes von vornherein kein ausschlaggebender Auslegungsfaktor sein: Würde man hier auf den strafrechtlichen Schutz verzichten, würde dem Opfer bedeutet, auch die tiefer liegenden, optimistischen Grundannahmen zu revidieren; Grundannahmen also, die zwar Illusionen sein mögen, aber eben lebensnotwendige und daher schützenswerte Illusionen. Mit anderen Worten: Denjenigen, der grob fahrlässig auf einen Betrüger hereingefallen ist, wird man noch auf einen zumutbaren Selbstschutz verweisen können, indem man die strafrechtliche Normbestätigung zurücknimmt. Demjenigen hingegen, der sich grob fahrlässig in eine gefährliche Situation begeben hat gegen Diebstahl grob vernachlässigenden Ladeninhaber oder das Lösungsgeld zahlende Erpressungsopfer im Zuge der Viktimo-Dogmatik tatsächlich erwogen wurde, zu solchen Vorschlägen Ebert, JZ 1983, 633 (insbesondere 634 u. 643 f.). 128 Daher kann eben nicht mit Verweis auf das Zivilrecht das Argument widerlegt werden, die Viktimo-Dogmatik verschaffe dem Täter Freiräume auf Kosten des Opfers, so aber Schünemann in Auseinandersetzung mit Hillenkamp, vgl. Schünemann, FS-Faller, S. 357 (366). 129 So etwa bei Schünemann, FS-Faller, 357 (361 ff.), der die Frage stellt, ob die ViktimoDogmatik nicht ein „umfassendes regulatives Prinzip zur Tatbestandsbegrenzung im Strafrecht“ sein kann. 130 Schünemann, in: FS-Faller, S. 357 (364, 370); mit einer ähnlichen Differenzierung, allerdings hauptsächlich mit Blick auf die Strafzumessung, schon Schüler-Springorum, in: FS-Honig, S. 201 (211); zu der Beschränkung auf bestimmte Deliktsgruppen durch Schünemann Hörnle, in: von Hirsch / Seelmann / Wohlers, Mediating Principles, S. 36 (40 ff.). 131 Amelung, in: FS-Eser, S. 3 (17). 132 Etwas überzeichnet daher auch die Kritik bei Hillenkamp, Opferverhalten, S. 206 ff., die sich auf eine grundsätzlich auf sämtliche Delikte ausgedehnte Viktimo-Dogmatik bezieht.

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und daraufhin körperlich misshandelt wurde, wird man trotz der offensichtlichen Leichtsinnigkeit seines Verhaltens nicht lediglich sagen können, mit solchen Folgen sei eben (kognitiv) zu rechnen. Wer sich in Gefahr begibt, mag darin umkommen; dennoch kann das kontrafaktische Vertrauen darauf, dass man von seinen Mitmenschen nicht an seiner Integrität geschädigt werde, dem strafrechtlichen Schutzbereich nicht gänzlich entzogen werden. Letztlich ist jedoch auch die normative Erwartung des leichtsinnigen Betrugsopfers nicht gänzlich unberechtigt. Auch derjenige, der trotz eines auf konkreten Anhaltspunkten beruhender Zweifels an der Glaubwürdigkeit seines Vertragspartners ein Geschäft abschließt133, hat ja nicht vollkommen zu Unrecht in die Lauterkeit des geschäftlichen Verkehrs vertraut. Die „Alles-oder-Nichts-Lösung“134 der Viktimo-Dogmatik wird daher der abgestuften Schutzwürdigkeit normativen Vertrauens nicht gerecht.135 Zwar kann sich eine Vernachlässigung des zumutbaren Selbstschutzes, eine einwilligungsähnliche Haltung des Opfers und natürlich eine Provokation der Tat durch das Opfer durchaus auf den Handlungs- und / oder Erfolgsunwert und damit das dem Täter vorwerfbare Unrecht auswirken.136 Eine entsprechende Abgrenzung von Verantwortungsbereichen hat jedoch auf der Strafzumessungsebene, die sich auf eine „ausgreifende Wertungsbasis“137 stützen kann und einer Abstufung von Unrecht und Schuld zugänglich ist138, ihren berechtigten Platz.139 133 Mit einer Ausklammerung solcher Zweifel, die auf konkreten Anhaltspunkten beruhen, Amelung, GA 1977, 1 (7). 134 Dazu Hillenkamp, Vorsatztat, S. 209. 135 Die Viktimo-Dogmatik wurde von der Rechtsprechung nicht übernommen, vgl. etwa BGH NJW 2003, 1198. Zur Ablehnung der wohl am eingehendsten diskutierten viktimo-dogmatischen Position zur Ausgrenzung von Zweifeln aus dem Irrtumsbegriff des § 263 StGB vgl. Wessels / Hillenkamp, Strafrecht BT 2, Rn. 510 m. w. N. auch zur Rechtsprechung. 136 Vgl. dazu Hillenkamp, Vorsatztat, S. 239 ff. Unklar ist hingegen, wo sich die von der Opfermitverantwortung als solche zu unterscheidende, durch das Opferverhalten herbeigeführte Taterleichterung auswirkt. Einerseits ließe sich argumentieren, es sei ebenfalls das Handlungsunrecht betroffen, wenn beispielsweise der bei der Tat aufgewendete Wille (§ 46 II S. 2 StGB) vermindert sei, andererseits könnte man diese Komponente auch als Teil der Vorwerfbarkeit bzw. Strafzumessungsschuld im engeren Sinne verstehen; vgl. allgemein Streng, Sanktionen, Rn. 427 und Meier, Sanktionen, S. 169 ff.; in Bezug auf das Opferverhalten i. S. d. „beihilfenahen Falls“ Hillenkamp, Vorsatztat, S. 297 ff.; wohl für eine Berücksichtigung sowohl bei „Schuld“ als auch beim Handlungsunrecht Ebert, JZ 1983, 633 ff. (639); kritisch hinsichtlich der Berücksichtigung unter der Kategorie „gemilderter Schuld“ Hörnle, Strafzumessung, S. 306 ff. (316) und Hörnle, in: Schünemann / Dubber, Stellung des Opfers, S. 175 (197). 137 Streng, Sanktionen, Rn. 426. 138 Die Abstufbarkeit des Unrechts und der Schuld ist heute allgemein anerkannt, vgl. dazu Fischer, § 46 Rn. 57; Bruns, Strafzumessung, S. 145; zum „Gesetz der Grenzwertbestimmung“ vgl. ursprünglich Mezger, ZStW 47 (1926), 471 ff. (485 ff.); Nagler, GerS 94 (1927), 83 ff. (84 f.); vgl. auch Kern ZStW 64 (1952), 255 ff. 139 Überzeugend dazu insbesondere Hillenkamp, Vorsatztat, S. 211 ff.

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2. Opfermitverantwortung als Strafmilderungsgrund Im Prozess kann eine Beweisaufnahme in diese Richtung nun vor allem im Bereich des Sexualstrafrechts mit Belastungen für das Opfer verbunden sein.140 Insofern ist es wichtig, auch für den eher „topisch“ geprägten Vorgang der Strafzumessung entsprechende Leitkriterien herauszuarbeiten, welche die in Betracht kommenden Wertungsaspekte entsprechend begrenzen können.141 Zu erwähnen ist an dieser Stelle der in der Strafzumessungspraxis leider wenig rezipierte Vorschlag Hillenkamps einer Einteilung des Opferverhaltens in (abschließende) Fallgruppen des einwilligungs-, beteiligungs-, notwehr- und verwirkungsnahen Falles.142 Des Weiteren hat Hörnle hervorgehoben, die Strafmilderung müsse, soweit sie sich auf ein Mitverschulden des Opfers bezieht und damit zugleich das gegenüber dem Opfer zum Ausdruck gebrachte Unwerturteil reduziert, diesem gegenüber auch begründbar sein.143 Insofern käme ein unvorsichtiges Opferverhalten nur dann als Milderungsgrund in Betracht, wenn sozial-übliche Schutzmaßnahmen zum einen in der Situation deutlich erkennbar, zum anderen ohne die Verletzung ernsthafter entgegenstehender Interessen möglich seien.144 140 Zur sekundären Viktimisierung von Sexualdeliktsopfern aus kriminologischer Sicht Baurmann, Sexualität, S. 39, 438; zum Problem des „blaming the victim“ Henry / Beyer, MschrKrim 68 (1985), 340 ff.; m. w. N. zum unterschiedlichen, deliktsabhängigen Sekundärviktimisierungsrisiko vgl. Kölbel, ZStW 119 (2007), 334 (338 ff.). 141 Ausgangspunkt kann durchaus das Merkmal der Sozialadäquanz sein (vgl. dazu Maeck, Bedeutung des Opfers, S. 60 ff., insbesondere S. 63; Ebert, JZ 1983, 633 (639 f.)). Als Ausschlusskriterium eignet sich die Sozialadäquanz, denn sozial übliche Verhaltensweisen können kein Mitverschulden begründen. Jedoch lassen sich viele Bereiche des täglichen Lebens nicht am Maßstab der Sozialadäquanz messen, zudem kann der Freiheitsanspruch des Opfers beachtlich sein, eine vom Üblichen abweichende Lebensgestaltung zu wählen (mit diesem Gedanken Hörnle, Strafzumessung, S. 292.). Denkbar ist es aber insbesondere, nur das Unterlassen leicht verfügbarer und ohne weiteres zumutbarer Selbstschutzmöglichkeiten als unrechtsmindernd zu betrachten (vgl. dazu Schünemann, in: Schneider, Verbrechensopfer, S. 411; Hörnle, Strafzumessung, S. 292; mit dem Gedanken der Zumutbarkeit ebenfalls Hillenkamp, Vorsatztat, S. 297 ff.). 142 Zu dieser an „Grenzwerten“ des allgemeinen Teils orientierten Systematisierung Hillenkamp, Vorsatztat, S. 239 ff.; mit einer ähnlichen Einteilung wie Hillenkamp Maeck, Bedeutung des Opfers, S. 47 ff. 143 Hörnle, in: Schünemann / Dubber, Stellung des Opfers, S. 175 (197 f.). 144 Hörnle, JZ 2006, 950 (957) sowie Hörnle, in: Schünemann / Dubber, Stellung des Opfers, S. 175 (198); mit einer stärkeren Betonung der Funktion des Vertrauens, Handlungsfreiräume zu eröffnen, Hörnle, in: von Hirsch / Seelmann / Wohlers, Mediating Principles, S. 36 (40 ff.); vgl. zur Unterscheidung zwischen leichtsinnigem und notwendigem Vertrauen Luhmann, Vertrauen, S. 46 f.: „Die Verteilung sozial gebilligter Sanktionsmöglichkeiten sagt zugleich etwas darüber aus, auf wessen Seite im Falle des Vertrauensbruches unbeteiligte Dritte stehen werden, ob und wie sehr sie den Vertrauensbrecher für schuldig oder den Vertrauenden für naiv oder töricht halten werden. Gibt der Vertrauende unbedacht Sanktionsmöglichkeiten aus der Hand, entgleitet ihm damit auch die Möglichkeit, die Schuldzurechnung zu seinen Gunsten zu lenken, und die Vorwürfe wenden sich dann gegen ihn selbst. Wenn ich einen Unbekannten bitte, meine goldene Uhr zur Reparatur zu bringen, verliere ich

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Mit dem hier vertretenen Ansatz kann die Abgrenzung von normativem und kognitivem Erwarten auch für die Berücksichtigung opferbezogener Umstände auf der Strafzumessungsebene eine Wertungsleitlinie vorgeben. Wie gezeigt wird die Normbestätigung im Strafrecht im Wege eines sozialethischen Unwerturteils zum Ausdruck gebracht.145 Mit einer Strafmilderung wird dieses Unwerturteil teilweise eingeschränkt.146 Wird diese Abschwächung der Missbilligung nun mit der Vernachlässigung eines möglichen Selbstschutzes durch das Opfer begründet, so wird damit die Normbestätigung zwar nicht grundsätzlich zurückgenommen. Die Aussage über das Maß, in dem auf die Norm kontrafaktisch vertraut werden darf, wird jedoch ebenfalls relativiert: Denn auch mit einer solchen Strafmilderung wird dem Verletzten bedeutet, er habe sich unvorsichtig verhalten, also kognitiv nicht hinreichend auf mögliche Schädigungen eingestellt oder die Tat vorhersehbar begünstigt. Daher ist auch auf der Strafzumessungsebene unter anderem darauf abzustellen, inwieweit ein kognitiver Erwartungsstil zumutbar erscheint. Dabei kann es auch hier eine Rolle spielen, ob gerichtetes Vertrauen oder das grundsätzliche Vertrauen in eine relativ sichere Welt enttäuscht wurde. Demjenigen, der um eines hohen Profites willen in ein dubioses Spekulationsgeschäft investiert, wird man eher zumuten können, ein schädigendes Verhalten Dritter in Rechnung zu stellen und gewisse Vorkehrungen zu treffen als beispielsweise demjenigen, der nachts unbehelligt im Park spazieren gehen möchte. Wenn letztere Erwartung enttäuscht wird, sollte sie im Nachhinein nicht als kognitiver Irrtum oder gar „blamable Naivität“ gelten, und zwar selbst dann nicht, wenn allgemein bekannt ist, dass es in diesem Park immer wieder zu gewaltsamen Überfällen kommt: Nur weil Verhaltensweisen in der städtischen Umgebung gefährlich geworden sind, bedeutet dies nicht, dass man an diesem Verhalten nicht mehr festhalten, also nicht weiter kontrafaktisch erwarten dürfte, ohne als naiv zu gelten. In diesem Fall sollte weder dem Opfer, noch der Allgemeinheit, noch dem Täter bedeutet werden, das Opfer sei zu einem Teil selbst schuld. Im Gegenteil muss der Täter sich ohne Einschränkung sagen lassen, dass von ihm erwartet wird, auch die etwas sorglosere Freiheitsausübung seiner Mitmenschen nicht zu seinen Gunsten auszunutzen. Und auch gegenüber der Allgemeinheit und insbesondere gegenüber dem Opfer ist es nicht angemessen, eine solche Erwartung als kognitiven Irrtum zu nicht nur die Uhr, sondern auch soziales Ansehen, wenn er das Vertrauen bricht. Anders ist es, wenn ich beim Brand meines Hauses Unbekannte bitte, beim Räumen zu helfen und diese mir Gegenstände entwenden. Im allgemeinen lässt sich eine über das geschriebene Recht weit hinausgehende, ziemlich feinfühlige, differenzierende und doch vorhersehbare Moral der Schuldzurechnung beobachten, deren Urteil vor allem danach variiert, ob die Situationskontrolle notwendig oder leichtsinnig aus der Hand gegeben wurde. Die Typizität und Vorhersehbarkeit solcher Schuldzurechnungen ist ebenfalls eine wesentliche Hilfe bei der Vertrauensentscheidung, ermöglicht sie es dem Vertrauenden doch, vorauszusehen, ob er nur den Schaden oder auch den Spott dazu riskiert.“; mit einer an der Funktion des Vertrauens ausgerichteten Reduktion des Betrugstatbestandes Ellmer, Betrug, S. 271 ff. 145 Vgl. oben 3. Kap. B.II.2.b), 3. Kap. B.III.2.b) und 3. Kap. B.III.2.c)bb). 146 Vgl. oben 3. Kap. B.IV.

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werten; vielmehr hat der Verletzte eine normative Erwartung (noch) nicht aufgegeben, an deren Durchsetzung und Durchhaltung ein legitimes Interesse besteht. Schwieriger ist die Situation jedoch dann zu beurteilen, wenn es zwar um Delikte geht, die Rechtsgüter von allen Seiten schützen und damit ein „Rund-um-Vertrauen“ ermöglichen sollen, diese Rechtsgüter vom Opfer aber in eine spezifische Sozialbeziehung eingebracht werden.147 Auch hier ist letztlich darauf abzustellen, inwieweit ein kognitiver Erwartungsstil zumutbar erscheint. Auch wenn das Opfer sein Rechtsgut in eine potentiell gefährliche Sozialbeziehung einbringt, kann ein berechtigtes Interesse an kontrafaktischem Vertrauen bestehen. So kann allein daraus, dass das spätere Opfer einer Vergewaltigung dem Täter in dessen Wohnung gefolgt ist oder ihn in die eigene Wohnung eingelassen hat, keine Strafmilderung abgeleitet werden.148 Hier lauert der oben beschriebene „Täuschungseffekt der Retrospektive“: Die Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts und dessen Vorhersehbarkeit wird in der Rückschau deutlich überbewertet.149 Dementsprechend wird dem Opfer hier sehr schnell vorgeworfen, es hätte sich kognitiv auf eine gefährliche Situation einstellen müssen, deren Ausgang es im Gegensatz zu dem urteilenden Betrachter in der entsprechenden Situation nicht kannte. Realistischerweise hätte das Opfer aber ein grundsätzliches Misstrauen in die Situation einbringen müssen, um der Gefahr wirksam vorzubeugen. Insoweit sollte dem Verletzten ein – in gewissem Maße illusionäres – Grundvertrauen in die Vertrauenswürdigkeit anderer Menschen nicht zum Vorwurf gemacht werden. Zwar mag eine vorsichtigere Grundhaltung geeignet sein, entsprechende Ereignisse zu verhindern. Wenn man dem Betroffenen allerdings ein Interesse an der freiheitlichen Gestaltung des eigenen Lebens zuerkennt150, ist es nicht gerechtfertigt, mit dem Urteil zugleich die Aussage zu verbinden, die Erwartung des Opfers sei ein Stück weit naiv gewesen. Denn ohne die Möglichkeit, annehmen zu können, es werde schon nichts passieren, ist auch die entsprechende Freiheit wenig wert: Wer ständig damit rechnet, überfallen oder vergewaltigt zu werden, wird wenig daran finden können, Kontakt zu anderen Menschen aufzunehmen. Nicht zuletzt würde ein kognitiver Erwartungsstil und ein dementsprechend „vorausschauendes“ Verhalten die AnVgl. dazu Amelung, in: FS-Eser, S. 3 (22). Ungerechtfertigt ist es daher, die Tatsache strafmildernd zu berücksichtigen, dass das Opfer auf Veranlassung des Täters, ohne dass dieser irgendwelche sexuellen Absichten hat erkennen lassen, in dessen Wohnung auf dem Sofa übernachtet hat, vgl. BGH, StV 1986, 149 f. mit Anm. Hillenkamp S. 150 ff. 149 Vgl. dazu das Beispiel in Fn. 48, wonach ein grundsätzlich nicht unübliches Verhalten des Täters (das Zurückkehren zur Wohnung des späteren Opfers nach einem Date) bei Kenntnis des Ausgangs des Geschehens (Vergewaltigung) von den Teilnehmern der Studie als Anhaltspunkt gewertet wurde, aus dem das Opfer die Gefährlichkeit der Situation hätte erkennen müssen, während das Wiedereinlassen des Täters als unproblematisch gewertet wurde, wenn ein neutraler oder positiver Ausgang des Geschehens beschrieben war. 150 Aus diesem Grund lehnt Hörnle in solchen Fällen eine Unrechtszuschreibung zwischen Täter und Opfer und damit eine Strafmilderung ab, vgl. Hörnle, in: Schünemann / Dubber, Stellung des Opfers, S. 175 (197 f.). 147 148

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bahnung von Beziehungen zwischen Menschen erheblich erschweren wenn nicht gar unmöglich machen. Aus ähnlichem Grund vermag auch das Bestehen einer längeren Intimbeziehung als solches entgegen der derzeitigen Rechtsprechungspraxis eine Strafmilderung bei Vergewaltigungstaten, insbesondere eine Nichtanwendung des Strafrahmens des § 177 II S. 2 Nr. 1 StGB trotz Verwirklichung des Regelbeispiels, nicht zu rechtfertigen.151 Zwar sind solche Fälle abweichend zu beurteilen, in denen bestimmte initiative oder provozierende Verhaltensweisen des Opfers in der Tatsituation hinzukommen, auch wenn diese aus der Beziehung zum Täter resultieren.152 Eine mildere Bewertung ist gerechtfertigt, wenn sich zugrunde liegende Beziehungskonflikte und -dynamiken in Form von gegenseitigen Verletzungen in der konkreten Tatsituation niederschlagen; dies muss dann aber im Einzelnen dargelegt werden. Das Bestehen einer Intimbeziehung an sich kann nach dem hier zugrunde gelegten Bewertungsschema aber keineswegs zur Begründung einer Strafmilderung angeführt werden. Denn enge soziale Bindungen setzen gegenseitiges Vertrauen und das Abbauen von sonst vorhandenen kognitiven Schutzmechanismen gerade voraus; insbesondere Intimbeziehungen sind häufig durch eine weitgehende Schutzlosigkeit geprägt.153 Kommt es zu sexuellen Übergriffen im Rahmen einer Beziehung, so wirkt die hierdurch bedingte Orientierungsstörung und Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses mitunter äußerst nachhaltig, da das Urvertrauen in die Zuverlässigkeit sozialer Beziehungen generell erschüttert werden 151 Die Tendenz, die Intimbeziehung per se als Strafmilderungsgrund zu würdigen ist in der Rechtsprechung deutlich erkennbar und kommt insbesondere zum Ausdruck in BGH 4 StR 146 / 00 bei Pfister in NStZ-RR 2000, 356 Nr. 21, red. Leitsatz in StV 2001, 453 (hier wird das Vorliegen einer mehrjährigen intimen Beziehung pauschal als wesentlicher strafmildernder Gesichtspunkt für die im Rahmen des § 177 II StGB trotz Vorliegen des Regelbeispiels vorzunehmende Gesamtabwägung genannt); vgl. auch BGH 5 StR 115 / 04 (wiedergegeben bei http: // www.hrr-strafrecht.de); vgl. auch das Urteil des LG Berlin, NJ 1998, 382 [Wiedergabe der Urteilsgründe in Anm. Mildenberger a. a. O.]; zu den etwas differenzierteren Entscheidungen des BGH, die ebenfalls auf die bestehende Intimbeziehung Rücksicht nehmen, vgl. die Nachweise bei Fischer, § 177 Rn. 91 sowie Schönke / Schröder–Lenckner / Perron / Eisele, § 177 Rn. 33; einschränkend insbesondere die Entscheidung des BGH (3 StR 363 / 99) in NStZ 2000, 254, wonach der Tatsache, dass es sich bei dem Opfer um einen „vertrauten Partner“ (hier die Ehefrau) handelt, dann keine entscheidende Bedeutung zukommt, wenn die Verletzte zuvor erklärt hat, sie wolle sich von dem Angeklagten trennen und mit ihm nicht mehr geschlechtlich verkehren und die Tat Bestrafungscharakter hat; zurückhaltend auch BGH 3 StR 154 / 08 in NStZ-RR, 338 f. sowie BGH 3 StR 242 / 07 in NStZ-RR 2007, 300. 152 So auch Hillenkamp, StV 1986, 150 (154); vgl. zu einer solchen Konstellation BGH 4 StR 463 / 00 in StV 2001, 453 mit im Ergebnis zutreffender Zurückverweisung unter Hinweis auf § 177 I STGB, wobei der BGH neben der zutreffenden Würdigung der in der Tatsituation eskalierenden Beziehungskonflikte und des wesentlichen Beitrags des Opfers hierzu auch hier die länger andauernde Intimbeziehung als solche als wesentlichen Milderungsgrund nennt. 153 So insbesondere Reichenbach, NStZ 2004, 128.

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kann.154 Mit der Tat wird also zusätzlich die Fähigkeit des Opfers, sich auf enge Bindungen vertrauensvoll einzulassen, angegriffen – ein Umstand, der bei gezielter Ausnutzung der Vertrauenssituation durch den Täter sogar ein erhöhtes Handlungsund Erfolgsunrecht zu begründen vermag, zumindest aber einer grundsätzlich strafmildernden Berücksichtigung von Intimbeziehungen widerrät.155 Denn wenn kontrafaktisches Erwarten notwendige Voraussetzung sozialer Beziehungen ist und insbesondere bei zunehmender Nähe die kognitive Erfahrung, dass dieses Vertrauen nicht gerechtfertigt war, exemplarischen Charakter für zukünftige soziale Beziehungen gewinnt, darf strafrechtliche Kommunikation diesen Eindruck nicht noch bekräftigen. Vielmehr sollte die Botschaft vermittelt werden, dass durch das Einlassen auf eine Intimbeziehung das sexuelle Selbstbestimmungsrecht in vollem Umfang und in jeder neuen Situation – unabhängig von früherem einverständlichem Sexualkontakt – grundsätzlich erhalten bleibt, und dass eine entsprechende Erwartung trotz ihrer Enttäuschung gerechtfertigt war. Zu beachten ist überdies, dass sich schwerere Sexualdelikte wie die Vergewaltigung im weit überwiegenden Teil der angezeigten Fälle im sozialen Nahbereich ereignen.156 Auch aus diesem Grunde ist es nicht angezeigt, eine Unrechtsminderung im Vergleich zum „Durchschnittsfall“ anzunehmen.157 Dies gilt umso mehr, als die Vergewaltigung in der Ehe mit dem 33. StrÄG vom 1. 7. 1997158 den sonstigen Vergewaltigungstaten gleichgestellt wurde. Grundsätzlich unabhängig von der Frage der Unrechtsminderung aufgrund eines zurechenbaren Opferverhaltens bleibt die Berücksichtigung der individuellen Dispositionen des Täters. Doch kann das Bestehen einer Intimbeziehung für sich gesehen eine Strafmilderung auch nicht mit Hinweis auf eine verminderte Hemmschwelle oder Strafzumessungsschuld im engeren Sinne rechtfertigen. „Verlockende“ Gegebenheiten und die besonders „tatanreizende“ Situation „Intimbeziehung“ sind im menschlichen Zusammenleben geradezu allgegenwärtig, während dies von einer damit einhergehenden Gefahr sexueller Übergriffe keineswegs behauptet werden kann. Eine durchgängig strafmildernde Berücksichtigung würde letztlich bedeuten, die Intimbeziehung als Tatanreiz zu werten, die den bei der Tat auf154 Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 51 f., 90, 152 f.; Janoff-Bulman, Shattered assumptions, S. 79. 155 So Reichenbach, NStZ 2004, 128, der den Gesichtspunkt der Intimbeziehung wenn überhaupt strafschärfend berücksichtigt sehen möchte. 156 Vgl. dazu Baurmann, Sexualität, S. 58 ff., 143 ff., 249 ff. (insbesondere S. 262 ff.), 517 f., unter Berücksichtigung des Problems der Definition des „sozialen Nahbereichs“ (dazu S. 252 ff.); vgl. auch MK-Renzikowski, § 177 Rn. 9 u. 108 m. w. N. 157 Bedenklich ist es daher, wenn in der Rechtsprechung davon ausgegangen wird, dass die „Vergewaltigung zum Nachteil der bisherigen Lebensgefährtin“ nicht „dem typischen Bild der Vergewaltigung des § 177 StGB“ entspreche und schon deshalb einen minder schweren Fall nach Abs. 5 nahe lege, vgl. mit dem entsprechenden Zitat aus der Entscheidung der Vorinstanz BGH 4 StR 524 / 03 (wiedergegeben bei http: // www.hrr-strafrecht.de). 158 BGBl. I, S. 1607 f.

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gewendeten Willen grundsätzlich reduziert bzw. die Steuerungsfähigkeit männlicher Täter regelmäßig beeinträchtigt.159 Abgesehen davon, dass solche generalisierenden Annahmen einer gesicherten empirischen Grundlage entbehren (und sicherlich nicht mit dem erhöhten Vorkommen dieser Taten im sozialen Nahbereich begründet werden können), würde damit das Entfallen der Regelwirkung bzw. die Annahme eines minder schweren Falls entgegen der Gesetzessystematik zur Regel.160 Eine herabgesetzte Hemmschwelle oder eine Herabsetzung der Steuerungsfähigkeit, auch wenn die Grenze des § 21 StGB noch nicht erreicht ist161, muss daher im Einzelfall aufgrund der Täterpersönlichkeit bzw. des konkreten Tatgeschehens begründbar sein.162 Problematisch ist des Weiteren die Strafzumessungspraxis des 4. und 5. Senats des BGH zu den Fällen der Vergewaltigung von Prostituierten. Danach soll ein Entfallen der Regelwirkung des § 177 II S. 2 Nr. 1 StGB oder die Annahme eines minder schweren Falls nach Absatz 5 (auch bei grundsätzlicher Verwirklichung des Regelbeispiels nach Absatz 2163) hauptsächlich auf Grund des Umstandes möglich sein, dass die Prostituierte „grundsätzlich“ zu sexuellen Handlungen bereit gewesen ist und ihr Einverständnis „nur“ deshalb nicht erteilt bzw. zurückAblehnend insbesondere Reichenbach, NStZ 2004, 128 ff. Vgl. MK-Renzikowski, § 177 Rn. 108; mit Hinweis auf die Unzulässigkeit der Berücksichtigung laienpsychologischer Vorstellungen von mangelnder männlicher Triebkontrolle Reichenbach, NStZ 2004, 128 f. m. w. N. 161 Wenn mangels Erheblichkeit keine Strafmilderung nach § 21 StGB in Betracht kommt, sind die fraglichen Beeinträchtigungen immerhin im Rahmen der Strafzumessungsentscheidung nach den Vorgaben des § 46 I, II StGB zu berücksichtigen, vgl. Schäfer, Strafzumessung, Rn. 330; Streng, Sanktionen, Rn. 744; vgl. auch Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 21 Rn. 25; MK-Streng, § 21 Rn. 41; BGH StV 1992, 318, StV 1993, 185, 638. 162 Ähnlich Reichenbach, NStZ 2004, 128 (129 f.); in diese Richtung etwa die Entscheidung des BGH in StV 2000, 557 mit Hinweis darauf, dass es sich um eine im Zustand – insoweit einvernehmlich bewirkter – sexueller Erregung begangene Spontantat gehandelt habe, bei der sich ersichtlich die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten ausgewirkt habe; grundsätzlich für eine sehr weitgehende Reduktion der Kategorie der Strafzumessungsschuld im engeren Sinne ausgehend vom Ansatz der tatproportionalen Strafzumessung Hörnle, Strafzumessung, S. 306 ff. und Hörnle, in: Schünemann / Dubber, Stellung des Opfers, S. 175 (197). 163 Dass eine solche Milderung nach § 177 V HS 1 StGB bei Entfallen der Regelwirkung nach Abs. 2 möglich ist entspricht ständiger Rechtsprechung, vgl. etwa BGH 1 StR 78 / 00 bei Pfister in NStZ-RR 2000, 356 Nr. 20 sowie BGH 4 StR 489 / 00, wiedergegeben bei http: // www.hrr-strafrecht.de und BGH 4 StR 262 / 07 in StraFo 2007, 472; restriktiv („extreme Ausnahmefälle“) BGH 4 StR 316 / 07 in NStZ-RR 2007, 373; vgl. zur Möglichkeit eines auf diese Weise doppelt gemilderten Strafrahmens auch Fischer, § 177 Rn. 96 f. m. w. N.; kommt eine Milderung nach § 177 V HS 2 StGB bei minder schweren Fällen der Qualifikation nach Abs. 3 und 4 in Betracht, so ist bei gleichzeitigem Vorliegen der Voraussetzungen des Abs. 2 die Strafrahmenuntergrenze des Abs. 2 zu beachten, da diese über dem Strafrahmen des Abs. 5 HS 2 liegt und der Täter durch Hinzukommen einer Qualifikation nach Abs. 3 oder 4 nicht besser gestellt werden darf. Bei Hinzutreten solcher Umstände, die die Regelwirkung des Abs. 2 entfallen lassen, kann aber auch hier aus dem Strafrahmen des Abs. 5 HS 2 bestraft werden, vgl. z. B. BGH 3 StR 154 / 08 in NStZ-RR 2008, 338 sowie Fischer, § 177 Rn. 97. 159 160

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genommen hat, weil eine Einigung über das Entgelt oder über Einzelheiten des Ablaufs nicht zustande kam.164 In der Literatur165 und abweichenden Entscheidungen des 2. und 3. Strafsenats166 wird zu Recht hervorgehoben, dass eine solche Differenzierung nach den Motiven des Tatopfers mit dem durch § 177 StGB geschützten Recht auf sexuelle Selbstbestimmung nicht vereinbar ist. Da nach der Reform des Sexualstrafrechts durch das 4 StrRG vom 23. 11. 1973167 die Sittlichkeit nicht mehr geschützt ist und damit die Entgeltlichkeit als solche kein entscheidendes Bewertungskriterium sein kann, müssten auch beliebige andere Weigerungsgründe, bei deren Entfallen das Opfer zu sexuellem Kontakt bereit wäre, Berücksichtigung finden und zu einer Strafmilderung oder einem Ausschluss des Regelbeispiels führen (etwa wenn der Täter nicht bereit ist, sich zu verloben oder zu heiraten).168 Eine solch weitgehende Motivforschung ist jedoch mit dem Schutzzweck des § 177 StGB nicht vereinbar, denn die durch das sexuelle Selbstbestimmungsrecht geschützte Entscheidungsautonomie impliziert gerade die Möglichkeit einer anderen Entscheidung unter anderen Bedingungen. Eine bloß hypothetische Bereitschaft vermag das Tatunrecht 164 Die „grundsätzliche Bereitschaft“ kann demnach Anknüpfungspunkt für die Entscheidung über die Voraussetzungen des Regelbeispiels nach § 177 II S. 2 Nr. 1 StGB („besondere Erniedrigung“ bei dem Beischlaf ähnlichen Handlungen), für die im Rahmen des Abs. 2 erforderliche Gesamtwürdigung, für die Strafrahmenwahl nach § 177 V StGB sowie für die konkrete Strafmaßbestimmung innerhalb des gewählten Strafrahmens sein. Zum Entfallen der Indizwirkung des § 177 II S. 2 Nr. 1 StGB bei dem Beischlaf „ähnlichen sexuellen Handlungen“, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind, vgl. die Entscheidung des 4. StS (4 StR 79 / 01) in StV 2001, 451 (solche „dem Beischlaf ähnlichen Handlungen“, die mit einem Eindringen in den Körper des Opfers verbunden sind und einen gewissen Schweregrad aufweisen, sind regelmäßig ohne gesonderte Feststellungen als besonders erniedrigend anzusehen, vgl. Fischer, § 177 Rn. 67a ff. m. w. N.); zu einer deutlichen Strafmilderung bzw. der Annahme eines minder schweren Falls wegen einer „grundsätzlichen Bereitschaft“ zu sexuellen Handlungen vgl. zudem die Entscheidungen des 4. StS in StV 1995, 635 (4 StR 401 / 95); StV 1996, 26 (4 StR 529 / 95) sowie 4 StR 489 / 00 bei http: // www.hrr-strafrecht.de; ebenso – mit allerdings berechtigter Kritik an der Höhe der durch die Vorinstanz verhängten Freiheitsstrafe – der 5. StS in NStZ 2001, 29 (5 StR 404 / 00 = BGH StV 2001, 453 f. mit Anm. Hörnle (454)). 165 Vgl. mit einer eingehenden Kritik, die hier im Einzelnen nicht wiedergegeben werden kann, die Anmerkungen von Hörnle in StV 2001, 454 ff. und Gaede, NStZ 2002, 238 ff. 166 Vgl. die Entscheidungen des 2. StS bei Janßen in NStZ-RR 1998, 326 Nr. 30 (2 StR 510 / 97) sowie bei Pfister in NStZ-RR 2000, 358 Nr. 36 (2 StR 159 / 00) und jüngst in NStZ 2009, 207 f. (2 StR 517 / 08) sowie die Entscheidung des 3. StS in NStZ 2001, 646 (3 StR 214 / 01), dort im Ergebnis offen gelassen, da Sexualpraktiken erzwungen wurden, die über die ursprüngliche Vereinbarung hinausgingen; entgegen dem 4. StS in StV 2001, 451 misst der 5. StS in BGH NStZ 2001, 29 diesem nach Ansicht des 4. StS einer Strafmilderung entgegenstehenden Gesichtspunkt wohl aber keine ausschlaggebende Bedeutung zu, sodass die Frage nicht offen bleiben kann; letztlich (aufgrund der besonderen Umstände der Tat, die für sich genommen als Begründung der besonderen Erniedrigung angeführt werden) offen gelassen in BGH 3 StR 418 / 07 (NStZ-RR 2008, 74), allerdings unter Hinweis auf Bedenken des erkennenden 3. Senats gegen die Rechtsprechung des 4. Senats. 167 BGBl. I, S. 1725. 168 So insbesondere Fischer, § 177 Rn. 70 und Hörnle, StV 2001, 454 (455).

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nicht zu reduzieren, weil das in der konkreten Situation aktualisierte Selbstbestimmungsrecht in vollem Umfang betroffen ist.169 Zwar kann das Hinzutreten eines „ambivalenten“, einwilligungsnahen Opferverhaltens eine andere Bewertung rechtfertigen.170 Dies ist in den genannten Konstellationen aber gerade nicht der Fall, da die Prostituierte die Bedingungen, zu denen sie zu sexuellem Kontakt ausschließlich bereit ist, unmissverständlich zum Ausdruck bringt. Die Weigerung des Tatopfers stellt aber grundsätzlich unabhängig davon, ob unter anderen Umständen eine Bereitschaft zu sexuellem Kontakt bestehen würde, eine vollumfänglich schützenswerte Ausübung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts dar, sodass eine Strafmilderung aus diesem Grund nicht in Betracht kommen kann. Dabei sei noch einmal darauf hingewiesen, dass es hier nicht um die Rechtfertigung der Verhängung möglichst hoher Strafen aus der Opferperspektive geht. Da Unrechtsabstufungen jedoch wesentlicher Bestandteil der Strafzumessungsentscheidung sind (und – wie im Rahmen des § 177 II StGB – über das Vorliegen eines Regelbeispiels entscheiden können), müssen die insoweit vorgenommen Wertungen auch aus der Opferperspektive gerechtfertigt sein. Dass eine generelle Strafmilderung ungerechtfertigt ist wird insoweit noch deutlicher, wenn man die Fälle der „grundsätzlichen Bereitschaft“ zusätzlich im Lichte der hier zugrunde gelegten Unterscheidung normativen und kognitiven Erwartens betrachtet. Wenn Prostituierten das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung – wie auch der 4. Strafsenat anerkennt171 – in vollem Umfang zusteht, so ist es konsequent, dass die Prostituierte in vollem Umfang darauf vertrauen darf, dass die die Grenzen, die sie dem Täter durch die Ausübung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts setzt, gewahrt werden. Dies gilt umso mehr, als die Ausübung der Prostitution im ProstG172 eine gesetzliche Neubewertung erfahren hat und an sich daher keine mildere Bewertung rechtfertigt, möchte man nicht die „Lebensführungsschuld“ auf Opferseite wieder einführen.173 169 Der BGH begründet eine Strafmilderung in den Prostituiertenfällen teilweise ausdrücklich damit, dass das Schwergewicht des Tatunrechts nicht in der Verletzung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts des Tatopfers als des durch § 177 geschützten Rechtsguts liege, sondern in der Nötigung (§ 240 StGB) und der Körperverletzung (§ 223 StGB), durch die der Täter die sexuelle Handlung ermöglichen will, vgl. BGH StV 1996, 26 (27) sowie BGH NStZ 2001, 369 (370). Kritisch dazu und zum Ausschluss der „besonderen Erniedrigung“ bei vorheriger Bereiterklärung zu Handlungen, die regelmäßig als besonders erniedrigend anzusehen sind und die Regelwirkung des § 177 II S. 2 Nr. 1 StGB grundsätzlich induzieren würden Gaede, NStZ 2002, 238 ff. 170 Dazu Hörnle, StV 2001, 454 (455); Hillenkamp, StV 1986, 150 (153 ff.). 171 Vgl. die Entscheidung des 4 StS in NStZ 2001, 369 (370) mit Verweis auf BGH NStZ-RR 1998, 326 Nr. 30. 172 BGBl. 2001 I, S. 3983. 173 Mit letzterem Argument Hillenkamp, StV 1986, 150 (154); zur Lebensführungsschuld vgl. SK-Horn, § 46 Rn. 43, 123; Fischer, § 46 Rn. 42; zum nicht mehr zulässigen Rekurs auf die Sexualmoral und versteckten „zweifelhaften Wertungen“ in der Strafzumessungspraxis des BGH vgl. Hörnle, StV 2001, 454 (455).

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Die Tatsache, dass die Prostituierte durch ihre Tätigkeit Tatanreize schafft und in dieser Hinsicht einen gefährlichen Beruf ausübt, kann ihrem berechtigten Interesse an der vollumfänglichen Bestätigung der Geltung der Norm, das sexuelle Selbstbestimmungsrecht sei zu achten, nicht entgegenstehen. Die grundsätzliche Bereitschaft zu sexuellen Kontakten ist notwendiger Bestandteil der Prostitution. Es mag in präventiver Hinsicht empfehlenswert sein, eine solche Tätigkeit zu unterlassen, das kontrafaktische Vertrauen darauf, auch bei Ausübung dieser Tätigkeit zu nichts gezwungen zu werden, ist aber in vollem Umfang schützenswert. Soweit die Grenze des Einverständnisses durch das Opfer von vornherein deutlich gemacht wurde, ist bei Überschreitung dieser Grenze eine Strafmilderung auch unter dem Gesichtspunkt der „geringeren Hemmschwelle“ nicht gerechtfertigt. Der Täter kann sich nicht darauf berufen, er habe geglaubt, die Prostituierte habe ihr Einverständnis auch für Fälle des Nichtbezahlens gegeben, die Grenze ist in diesen Fällen ganz eindeutig durch die Zahlungsbedingung bestimmt.174 Überschreitet der Täter diese Grenze, so ist auch für ihn die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung deutlich erkennbar. Hatte der Täter bereits von vornherein beabsichtigt, das Entgelt nicht zu bezahlen und die Prostituierte notfalls gewaltsam zu sexuellen Handlungen zu zwingen175, kann das zunächst erteilte Einverständnis den Tatanreiz schon gar nicht geschaffen haben, vielmehr hat der Täter davon unbeeinflusst ein geeignetes Opfer gesucht und die berufbedingt schutzlose Lage der Prostituierten planvoll ausgenutzt.176 Diese Wertung besteht aber wie bereits ausgeführt grundsätzlich unabhängig von der hier vordringlich interessierenden Frage eines zurechenbaren Opferverhaltens. Abschließend lässt sich festhalten, dass eine Abgrenzung von Verantwortungsbereichen durch das Strafrecht letztlich die Bewertung der Schutzwürdigkeit normativen Erwartens voraussetzt. Soweit eine kognitive Einstellung auf mögliche Schädigungen zumutbar erscheint, kann dies eine Strafmilderung rechtfertigen; ist normatives Vertrauen hingegen notwendige Voraussetzung einer schutzwürdigen Freiheitsausübung durch das Opfer, kommt eine Strafmilderung aufgrund eines 174 So insbesondere Gaede, NStZ 2002, 238 (241), der sich explizit gegen eine Strafmilderung wegen verminderter „krimineller Energie“ ausspricht. 175 So beispielsweise in BGH NStZ 2001, 369 (4 StR 79 / 01). 176 Inwieweit dies eine Strafschärfung rechtfertigt, erscheint fraglich. Der Umstand der schutzlosen Lage kann als solcher angesichts der Tatsache, dass sich das Opfer bei einer erfolgreichen Nötigung mittels Gewalt oder qualifizierter Drohung regelmäßig in einer schutzlosen Lage befunden haben wird, keine Strafschärfung rechtfertigen, vgl. überzeugend entgegen der ständigen Rechtsprechung Fischer, § 177 Rn. 45, 58; vgl. auch MK-Renzikowski, § 177 Rn. 100; auf Grund der Umstände des Einzelfalls kann das Vorgehen des Täters aber eine besondere kriminelle Energie erkennen lassen, vgl. etwa Gaede, NStZ 2002, 238 (241) mit Hinweis auf BGH NStZ 2001, 646 (der Täter fuhr mit dem Opfer zum Hafen und verriegelte die Tür) und BGH NStZ 2001, 29 (der Täter bestellte das Opfer per Agentur in seine Wohnung, um dort die Tat begehen zu können).

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Opfermitverschuldens nicht in Betracht. Weder das Bestehen einer Intimbeziehung noch die Tatsache der „grundsätzlichen Bereitschaft“ zu sexuellem Kontakt stellen unter diesem Gesichtspunkt strafmildernde Umstände dar. Im nächsten Abschnitt sind nun die verfahrensrechtlichen Implikationen des hier zugrunde gelegten bedeutungstheoretischen Ansatzes aufzuzeigen.

II. Strafverfahrensrecht Im Strafprozess besteht die Gefahr, dass die von Gewaltopfern ohnehin verinnerlichte Tendenz zur Marginalisierung und Abwertung der eigenen Person sowie der Fokussierung auf den Täter durch das notwendig täterorientierte Strafverfahren noch bestärkt wird.177 Strafprozessual wird es daher auch in Zukunft um die schwierige Problematik gehen, wie die Interessen der Opfer im Strafverfahren weitergehend berücksichtigt werden können, ohne die Rechte des Täters übermäßig zu beschränken. Eine stärkere Berücksichtigung der Interessen und Bedürfnisse des Verletzten im Strafverfahren sollte mit dem am 1. September 2004 in Kraft getretenen Opferrechtsreformgesetz (ORRG) vom 24. Juni 2004178 erreicht werden. Insbesondere kann nun die Belastung durch eine zweifache Tatsacheninstanz dadurch vermieden werden, dass die Staatsanwaltschaft wegen der besonderen Schutzwürdigkeit der als Zeugen in Betracht kommenden Verletzten Anklage beim Landgericht erhebt, vgl. § 24 I Nr. 3 GVG.179 Eine – auch schwere – Belastung der Opfer im Strafprozess wird sich aber niemals gänzlich vermeiden lassen. Denn letztlich droht im Hintergrund stets das Dilemma eines „Nullsummenspiels“: Was man dem Opfer gibt, muss man dem Täter nehmen.180 Die Verankerung der Opferperspektive im Strafrecht darf nicht dazu führen, dass nun der Beschuldigte und dessen legitime Verteidigungsinteressen aus dem Blick geraten. Der Beschuldigte ist es, der durch die Strafe bedroht ist, und daher muss der Geschädigte Sonderopfer bringen, wenn dies zur Wahrheitsfindung notwendig ist.181 177 So insbesondere Jerouschek, JZ 2000, 185 (191); zur sekundären Viktimisierung von Sexualdeliktsopfern aus kriminologischer Sicht Baurmann, Sexualität, S. 39, 438. 178 BGBl. I, S. 1354; daran anknüpfend ist nunmehr ein zweites ORRG geplant, vgl. BTDrs. 16 / 12098. 179 Kritisch hierzu Heger, JA 2007, 244 (248), der den vorzugswürdigen Weg in einer Beschränkung der Beweisaufnahme in der Berufungsverhandlung sieht; zu weiteren Neuregelungen durch das ORRG, insbesondere hinsichtlich der Erleichterung der Videovernehmung und der eingeschränkten Möglichkeit des Gerichts, von einer Adhäsionsentscheidung abzusehen zusammenfassend Ferber, NJW 2004, 2562 (2564 f.); kritisch zur Neuregelung des Adhäsionsverfahrens und deren Wirksamkeit Loos, GA 2006, 195 ff. und Dallmeyer, JuS 2005, 327 ff.; zur Streichung der Subsidiaritätsklausel des § 247a S. 1 a. F. StPO vgl. Heger, JA 2007, 244 (247) der nach der jetzigen Regelung die Videovernehmung einem Ausschluss des Angeklagten vorzieht; darüber hinausgehende Reformüberlegungen finden sich insbesondere in den Vorschlägen des Deutschen Juristinnenbundes in Nelles / Oberlies, Reform der Nebenklage. 180 Hassemer, Einführung, S. 75.

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Aus der hier eingenommenen sprachtheoretischen Perspektive lässt sich aber vor allem ein Vorschlag unterstützen, der von Jerouschek aus psychotraumatologischer Sicht eingebracht182 und jüngst auch von Hörnle183 aufgegriffen wurde: die Einführung eines an das Opfer der Straftat gerichteten Unrechtsinterlokuts.184 Jerouschek plädiert bei traumaspezifischen Delikten dafür, durch ein solches, vor der Behandlung der Schuldfrage auszusprechendes Unrechtsinterlokut dem Opfer sowie der Allgemeinheit „deklaratorisch“ zu bekunden, „dass die Rechtsgemeinschaft die dem Opfer angetane Tat missbilligt, die durch nichts zu rechtfertigen ist [ . . . ]“.185 Wie gezeigt kommt durch den Urteilsspruch die sozialethische Missbilligung eher konkludent zum Ausdruck.186 Mit einem Unrechtsinterlokut würde ein entsprechendes Unwerturteil ausdrücklich ausgesprochen, ohne dass die persönliche Vorwerfbarkeit gegenüber dem Täter bereits festgestellt sein müsste.187 Insbeson181 Eine Aufklärung der Ereignisse im Strafprozess kann der Traumabewältigung aber durchaus zugute kommen, soweit sich die Betroffenen mit der Konfrontation des Geschehens (noch) nicht überfordert fühlen: Die möglichst vollständige Rekonstruktion des Tatgeschehens ermöglicht die subjektive Konstruktion einer kohärenten Tatgeschichte durch das Opfer und kann damit eine Grundlage für die Traumaverarbeitung bilden und irrationalen Selbstverschuldensvorwürfen vorbeugen, vgl. dazu Fischer / Becker-Fischer / Düchting, Hilfe für Gewaltopfer, S. 53, 62 ff. 182 Jerouschek, JZ 2000, 185 (191 ff.). 183 Hörnle JZ 2006, 950 (958). 184 Zur Einführung eines Schuldinterlokuts auch im Interesse des Opfers Kilchling, Opferinteressen, S. 703 f. m. w. N.; Kilchling sieht in einer Zweiteilung der Hauptverhandlung in eine Tat- und eine Rechtsfolgenverhandlung die Möglichkeit einer konsensualen Rechtsfolgenfindung unter Einbeziehung des Opfers; vgl. dort, Fn. 537 m. w. N. auch zu den sog. „victim impact statements“ in den USA, welche im Gegensatz zu der hier vertretenen Feststellung des Unrechts gegenüber dem Opfer die Strafbemessung von individuellen Emotionen des Opfers abhängig machen würden und damit abzulehnen sind; kritisch dazu insbesondere Hörnle, in: Schünemann / Dubber, Stellung des Opfers, S. 175 f. 185 Jerouschek, JZ 2000, 185 (191); zu Vorschlägen der prozessrechtlichen Ausgestaltung, insbesondere hinsichtlich der in Betracht kommenden Deliktsgruppen und einer Anfechtbarkeit mittels sofortiger Beschwerde vgl. Jerouschek, JZ 2000, 185 (192); sinnvoll erscheint insbesondere der Vorschlag Jerouscheks, bei einigen schweren Delikten eine unwiderlegbare Vermutung hinsichtlich einer Traumatisierung anzunehmen und insofern den Ausspruch des Unrechtsinterlokuts von Amts wegen zu berücksichtigen. 186 Vgl. oben B.I.1. 187 Problematisch wären insofern jedoch Konstellationen, in denen aufgrund der Umstände des Falls eine Entschuldigung des Täters nach § 35 StGB in Betracht kommt. Inwieweit dann ein durch expliziten, formellen richterlichen Akt zum Ausdruck gebrachtes Unwerturteil angemessen ist, erscheint fraglich, vgl. Jerouschek, JZ 2000, 185 (192 Fn. 66), der diesbezüglich eine Einschränkung in Betracht zieht. Vgl. allgemein zur Abgrenzung von Unwerturteil und Schuldvorwurf Hörnle, in: Hefendehl, Fundamente, S. 105 (111 ff., 121 ff.). Weitergehende Überlegungen zu einer Feststellung des maßgeblichen Tatgeschehens, der rechtlichen Bewertung der Tat sowie der Verantwortlichkeit des Beschuldigten hierfür schon in der staatsanwaltlichen Verfahrensbeendigung finden sich bei Walther, Realkonflikt, S. 348 f., 361 ff. Diese „Reprobation“ soll den von Walther betonten Wiedergutmachungsdanken auch mit Blick auf das Interesse des Opfers an einer symbolkräftigen Zurückweisung des

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4. Kap.: Strafrechtliche Sprechakte und das Opfer

dere würde dadurch das Opfer als Adressat strafrechtlicher Kommunikation anerkannt.188 Der unmittelbar mit diesem deklarativen Sprechakt erhobene intersubjektive Geltungsanspruch würde das Opfer ausdrücklich miteinbeziehen, indem verdeutlicht würde, dass die Gemeinschaft die Bewertung des Geschehens mit dem Opfer intersubjektiv teilt.189 Anzumerken ist insoweit, dass sich ein entsprechendes Unrechtsinterlokut für den Täter kaum stigmatisierend auswirken dürfte: Durch die Begrenzung auf das verwirklichte Unrecht der Tat bringt eine solche Feststellung deutlich erkennbar eine Bewertung des Verhaltens, nicht aber der Person des Täters zum Ausdruck. Die Hoffnung, dieser Unterschied werde von der durch das Unrechtsinterlokut ebenfalls adressierten Allgemeinheit erkannt, erscheint keineswegs illusorisch. Zugleich wäre bereits auf dieser der Schuldfrage vorgelagerten Ebene verdeutlicht, dass die Gesellschaft grundsätzlich von der Geltung des entsprechenden Norminhalts ausgeht. Zwar wäre die Möglichkeit, dass der Normbruch dem Täter aus in seiner Person liegenden Gründen möglicherweise nicht vorzuwerfen ist, in diesem Moment noch nicht ausgeschlossen. Dies ändert jedoch nichts an der Bestätigung der grundsätzlichen intersubjektiven Geltung der Norm durch ein solches Unrechtsinterlokut. Denn wie gezeigt kann die Norm auch dann bestätigt werden, wenn dem Handelnden ausnahmsweise zugestanden wird, dass er für den Normwiderspruch nicht verantwortlich war.190 Die für das Opfer wichtige Feststellung, dass es mit seiner Erwartung nicht alleine und die normative soziale Welt durch das Ereignis nicht grundsätzlich in Frage gestellt ist, wäre somit ebenfalls durch das Unrechtsinterlokut kommuniziert.191 Schließlich wäre dieser Sprechakt nicht unmittelbar mit der Bestrafung des Täters verknüpft. Auf diese Weise wäre erstmals der oben beschriebene Zusammenhang zwischen strafrechtlicher Kommunikation und Übelszufügung entzerrt. Sollte sich herausstellen, dass das Unrechtsinterlokut als rein sprachlicher deklarativer Sprechakt Bestand hat, könnte dies Anlass für eine Reduzierung der mit dem Strafrecht verbundenen Übelszufügung und damit des Strafniveaus insgesamt sein. rechtswidrig-schuldhaft zu verantworteten Unrechts ergänzen, da Maßnahmen der Wiedergutmachung grundsätzlich nicht die Instrumentarien der Reprobation (Strafe) ersetzen könnten, vgl. dies., a. a. O., S. 290, 348 f., 361 ff. 188 Dazu insbesondere Hörnle, JZ 2006, 950 (954 ff.). 189 Es erscheint angemessen, das Unrechtsinterlokut auch bei vollendeten Tötungsdelikten auf Antrag gegenüber den (gem. § 395 II Nr. 1 StPO nebenklageberechtigten) Angehörigen auszusprechen, da Angehörige häufig in den traumatisierenden Kontext einbezogen sind, vgl. Jerouschek, JZ 2000, 185 (192). 190 Vgl. oben 3. Kap. B.II.2.b). 191 Erwägenswert erscheint es, ein Unrechtsinterlokut auch dann zuzulassen, wenn die Straftat feststeht, aber Zweifel hinsichtlich der Person des Täters (etwa bei mehreren in Betracht kommenden Tätern) einem Schuldspruch entgegenstehen. Eine bloße Einstellung des gerichtlichen Verfahrens kann für das Opfer in diesen Fällen die falsche Botschaft vermitteln und sehr enttäuschend sein.

C. Implikationen fu¨r das materielle Strafrecht und die Strafzumessung

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Auch aus Sicht des Opfers bliebe es ja dann bei einem glaubwürdigen sozialethischen Unwerturteil und einer glaubwürdigen Bestätigung der Norm. Aus der vorliegenden sprachtheoretischen Perspektive erscheint eine weitere wichtige Reform überfällig: Da das aktuelle Opfer ein Interesse an der vollständigen öffentlichen Aufklärung und deklarativen Unrechtsfeststellung haben kann, sollte die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung von Opportunitätseinstellungen für den Verletzten einer Straftat192 geschaffen werden.193 Eine solche erweiterte Klageerzwingungsoption194 entspräche den von Kriminalitätsopfern geäußertem Interesse an einem Einfluss auf die Entscheidung, ob der Täter (nur) informell sanktioniert werden soll195 und ist auch insoweit sinnvoll, als es sich im Gegensatz zu § 172 II StPO gerade um Fälle handelt, in denen nach dem Ermittlungsstand eine Straftat und damit eine Betroffenheit des Opfers nahe liegt.196 Be192 Sinnvoll wäre hier eine Beschränkung auf solche Delikte, bei denen eine nicht unerhebliche Verletzung der Integrität des Opfers in Betracht kommt, wobei der Katalog des § 395 StPO nur beschränkt aussagekräftig ist (vgl. zu entsprechenden Vorschlägen einer Neubestimmung der nebenklagefähigen Delikte zusammenfassend Niedling, Opferschutz, S. 110 ff.; ders., a. a. O., S. 270 ff., 290 ablehnend gegenüber einer Beteiligung bei Opportunitätseinstellungen); jedenfalls sollten auch Fälle häuslicher Gewalt erfasst sein (vgl. dazu auch § 395 I Nr. 1e StPO), dazu noch ausführlich unten 5. Kap. D.III.3. 193 Vgl. dazu insbesondere Kilchling, Opferinteressen, S. 667 f. u. 701 m. w. N. sowie nochmals in NStZ 2002, 57 (61); vgl. auch Walther, Realkonflikt, S. 349 ff.; für eine Ausdehnung des Klageerzwingungsverfahrens auch SK-StPO / Velten, Vor §§ 374 – 406h Rn. 41, SKStPO / Wohlers, § 172 Rn. 5, Hirsch, in: Eser / Kaiser / Madlener, Neue Wege der Wiedergutmachung, S. 377 (391), Rieß, JA 1984, 485 (489) sowie ders., DJT-Gutachten, S. 79 ff., der für den Fall einer Kontrollmöglichkeit durch eine Ausweitung des Klageerzwingungsverfahrens auf das Erfordernis der vorherigen gerichtlichen Zustimmung zur Einstellung verzichten würde (S. 82), ebenso Roxin, Strafverfahrensrecht, § 39 Rn. 7; für ein Zustimmungserfordernis des Verletzten Nelles / Oberlies, Reform, S. 37; Schweikert, Gewalt, S. 511; vgl. m. w. N. SK-StPO / Wohlers, § 172 Rn. 5. 194 Ein gelegentlich gefordertes Zustimmungserfordernis (z. B. Nelles / Oberlies, Reform, S. 37) ginge indes zu weit. Dies zum einen, weil eine Einstellung des Verfahrens aus rechtsstaatlichen Gründen unabhängig von den Motiven des jeweiligen Opfers möglich sein muss, zum anderen, weil das Opfer durch die mit einem Zustimmungserfordernis geschaffene Machtposition der Gefahr einer Erpressung durch den Beschuldigten oder durch dessen Angehörige ausgesetzt wird, so überzeugend Walther, Realkonflikt, S. 350. 195 Dazu Kilchling, Opferinteressen, S. 377 ff., 667 f. u. 701; es wurde danach gefragt, ob die Einstellung des Verfahrens von der Zustimmung des Opfers abhängig gemacht werden sollte, vgl. ders., a. a. O., Frage B-42 (S. 804). Knapp 60 % aller Opfer befürworteten einen Zustimmungsvorbehalt vor der Einstellungsentscheidung der Staatsanwaltschaft, bei schwer Betroffenen und Opfern von Kontaktdelikten lag die Quote bei etwa 70%. 196 Bei § 153 StPO genügt es, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit einer schuldhaften Straftat besteht, jedenfalls die Unwahrscheinlichkeit eines Freispruchs, falls das Verfahren durchgeführt würde; bei § 153a StPO muss hinreichender Tatverdacht bestehen, vgl. MeyerGoßner, § 153 Rn. 3 bzw. § 153a Rn. 7. Mit dem hier genannten Argument Kilchling, Opferinteressen, S. 701 f.; die Ergebnisse bei Kilchling legen nahe, dass es gerade den schwer Betroffenen bei ihrem Votum für einen grundsätzlichen Zustimmungsvorbehalt zugunsten des Opfers nicht selten um die Möglichkeit der Diversionsverhinderung geht, vgl. Kilchling, a. a. O., S. 383 f.

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4. Kap.: Strafrechtliche Sprechakte und das Opfer

grüßenswert ist insoweit, dass durch das ORRG die Möglichkeit für den Verletzten gesetzlich verankert wurde, nicht nur über den Ausgang des gerichtlichen Verfahrens197, sondern auch über Einstellungen des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft auf Antrag unterrichtet zu werden, vgl. § 406d StPO198. Die Erweiterung des Klageerzwingungsverfahrens wäre ein konsequenter nächster Schritt.199

197 Seit der Einfügung des § 406d StPO durch das Opferschutzgesetz vom 18. Dezember 1986 (BGBl. I, S. 2496, 2497) war zumindest eine Information über gerichtliche Einstellungen nach §§ 153 II, 153a II StPO möglich; vgl. dazu Meyer-Goßner, 26. Auflage 2003, § 406d Rn. 1. 198 Zu dieser Änderung durch das ORRG vgl. BGBl. 2004 I Nr. 31, S. 1354 (1356); mit der Einfügung des jetzigen Absatzes II ist dem Sicherheitsbedürfnis vieler Opfer und auch Art. 4 III des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union über die Stellung des Opfers im Strafverfahren (ABl.EG Nr. L 82 vom 22. 3. 2001, S. 1 – 4) entsprochen worden, vgl. dazu Ferber, NJW 2004, 2562 (2563); vgl. ferner die Ergänzung des Absatzes II Nr. 1 (Mitteilung der Weisung, zu dem Verletzten keinen Kontakt aufzunehmen oder mit ihm nicht zu verkehren) durch das Gesetz zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung vom 13. 04. 2007 mit Wirkung zum 18. 04. 2007 (BGBl. I, S. 513). 199 Vgl. zu einer Erweiterung des Klageerzwingungsverfahrens auch unten 5. Kap. D.II. und 5. Kap. D.III.1.

Fünftes Kapitel

Sprechakte im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs Eingangs wurde die Frage aufgeworfen, inwieweit strafrechtliche Kommunikation durch andere Kommunikationsformen ersetzt werden kann. Zu denken ist hier insbesondere an Wiedergutmachung und das bereits angesprochene Täter-OpferAusgleichsverfahren (TOA). Im Folgenden soll versucht werden, auch diese Kommunikationsformen sprechakttheoretisch einzuordnen. Erst dann lässt sich erörtern, inwieweit ein kommunikativer Beitrag des Täters die strafrechtlichen Sprechakte der Normbestätigung und sozialethischen Missbilligung zu substituieren vermag.

A. Wiedergutmachung und Täter-Opfer-Ausgleich im deutschen Strafrecht Wiedergutmachende Formen der Bewältigung schädigenden Verhaltens werden seit etwa 20 Jahren international unter dem Begriff der „Restorative-Justice“1 diskutiert und haben mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. 10. 19942 nach einer vorausgehenden Anwendungsphase im Jugendstrafrecht Einzug in das deutsche Strafrecht gehalten.3 Zentral ist hierbei die in den Strafzumessungsteil des StGB integrierte Vorschrift des § 46a StGB, die eine Strafrahmenverschiebung nach § 49 I StGB oder, wenn keine höhere Strafe als Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu dreihundertsechzig Tagessätzen verwirkt ist, ein Ab1 Vgl. dazu etwa http: // www.restorativejustice.org oder http: // rjp.umn.edu / ; zum Begriff Kerner, in: Haft / Schlieffen, Handbuch Mediation, § 49 Rn. 10 sowie Walter, in: Henssler / Koch, Mediation / Anwaltspraxis, § 18 Rn. 15; der Begriff der „Restorative Justice“ meint dabei nicht nur materiellen Schadensersatz, sondern darüber hinaus auch eine umfassende Vermittlung, welche auf die Wiederherstellung der durch die Tat gestörten grundlegenden sozialen Beziehungen abzielt; vgl. auch die „Basic Principles on the Use of Restorative Justice Programmes in Criminal Matters“ der UN (2000), abrufbar auf der Homepage des Servicebüros für Täter-Opfer-Ausgleich (http: // www.ausgleichende-gerechtigkeit.de / bibliothek / sort / 4). 2 BGBl. 1994 I, S. 3186 ff. 3 Das Jugendstrafrecht ist nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung, der dort zu beachtende Erziehungsgedanke würde eine eigenständige Untersuchung nötig machen.

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5. Kap.: Sprechakte im Rahmen des Ta¨ter-Opfer-Ausgleichs

sehen von Strafe ermöglicht.4 Voraussetzung ist nach Nr. 1, dass der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutmacht oder deren Wiedergutmachung ernsthaft erstrebt, nach Nr. 2, dass der Täter das Opfer ganz oder zum überwiegenden Teil entschädigt, wobei die Schadenswiedergutmachung von ihm erhebliche persönliche Leistungen oder persönlichen Verzicht erfordert haben muss. Eine weitere prozessuale Aufwertung erfolgte durch das Gesetz zur strafverfahrensrechtlichen Verankerung des Täter-Opfer-Ausgleichs vom 20. 12. 19995. Mit letzterem wurde die Möglichkeit geschaffen, das Verfahren mit der Auflage oder Weisung an den Täter vorläufig einzustellen, sich ernsthaft zu bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (§ 153a I S. 2 Nr. 5 StPO). Insbesondere wurde die Regelung des § 155a StPO eingeführt, wonach Staatsanwaltschaft und Gericht in jedem Stadium des Verfahrens6 die Möglichkeit eines Ausgleichs prüfen und in geeigneten Fällen darauf hinwirken, wobei eine Eignung bei ausdrücklich entgegenstehendem Willen des Verletzten nicht angenommen werden darf. Nun werden unter dem Begriff der Mediation vermittelnde, konfliktorientierte Kommunikationsformen vermehrt als echte Alternative zum strafrechtlichen Umgang mit schädigendem Verhalten angesehen.7 Solche mediativen Elemente erlangen hauptsächlich durch die Regelung des Täter-Opfer-Ausgleichs nach § 46a Nr. 1 StGB zentrale Bedeutung, denn hier liegt der Schwerpunkt in der persönlichen Begegnung zwischen Opfer und Täter sowie in der folgenden Auseinandersetzung über den als zugrunde liegend angesehenen Konflikt.8 4 Der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, dass die Wiedergutmachungsbemühungen des Täters auch bei der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56 II StGB) Berücksichtigung finden und auch eine entsprechende Auflage (§ 56b II Nr. 1 StGB) ergehen kann. Entsprechendes gilt bei einer Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59a II Nr. 1 StGB). 5 BGBl. I, S. 2491 ff.; vgl. BT-Drs. 14 / 1928. 6 Der BGH betont allerdings, dass Schwerpunkt der durch Dritte vermittelten Ausgleichsbemühungen regelmäßig das Ermittlungsverfahren mit der dazu geschaffenen Möglichkeit der Einstellung des Verfahrens nach § 153a I S. 2 Nr. 5 StPO sein wird, vgl. BGH NJW 2003, 1466 (1467); vgl. dazu die Auswertung der Täter-Opfer-Ausgleichs-Statistik für den den Zeitraum 1993 – 2002 von Kerner / Hartmann, herausgegeben vom Bundesministeriums für Justiz (2005), S. 17 ff. sowie die entsprechende Auswertung für den Jahrgang 2005 mit Vergleich zu den Jahrgängen 2003 und 2004, S. 11 f., wonach die weit überwiegende Anzahl der Fälle im Vorverfahren, zumeist durch die Staatsanwaltschaft, angeregt wird. 7 Dazu Walter / E. Hassemer / Netzig / Petzold, in: Breidenbach / Henssler, Mediation für Juristen, S. 202 f. sowie Walter, in: Henssler / Koch, Mediation / Anwaltspraxis, § 18 Rn. 1 ff. und Trenczek, ZKM 2003, 104 (106 f.). Strafrechtliche Mediationsverfahren sollen auch nach dem Rahmenbeschluss der Europäischen Union über die Stellung des Opfers im Strafverfahren vom 15. März 2001 in geeigneten Fällen gefördert werden, vgl. Art. 10 des Rahmenbeschlusses (ABl.EG Nr. L 82 vom 22. 3. 2001, S. 1 – 4). 8 Kerner, in: Haft / Schlieffen, Handbuch Mediation, § 49 Rn. 8; inwieweit hier aufgrund der offensichtlichen Zwangslage des Beschuldigten noch von einem nach mediativen Grund-

A. Wiedergutmachung und Ta¨ter-Opfer-Ausgleich im Strafrecht

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Im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs soll Tätern und Opfern die Möglichkeit geboten werden, im Regelfall unter Beteiligung eines Vermittlers9 eine beiderseits akzeptierte und ernsthaft mitgetragene Regelung zu finden, die geeignet ist, die mit der Straftat verbundenen Konflikte beizulegen oder zumindest zu entschärfen.10 Der TOA lässt sich als eine Bewältigungsstrategie verstehen, die durch eine informelle und ergebnisoffene Konfliktregulierung gekennzeichnet ist.11 Die Straftat wird dabei als Ausdruck oder Auslöser eines Konflikts betrachtet, der mittels eines kommunikativ ausgehandelten Prozesses jenseits strafrechtlicher Kategorien gelöst werden soll.12 Im Mittelpunkt steht also nicht mehr die Straftat und die Zuschreibung von Unrecht, sondern der interpersonelle Konflikt.13 Abzugrenzen hiervon ist die Wiedergutmachung als solche. Sie ist im geltenden Recht zwar überwiegend als auf Freiwilligkeit basierendes Anreizmodell ausgestaltet.14 Ihr kann (insbesondere als Entschädigung) aber durchaus eine materielle Sanktionsfunktion zukommen15, sie hat also nicht zwingend strafersetzende Funktion und ist auch ohne eine gezielte Förderung von Versöhnung durch einen kommunikativen Prozess denkbar.16 sätzen gestalteten Verfahren auszugehen ist, mag zweifelhaft sein, vgl. dazu Michaelis, JA 2005, 828 (832), der den TOA trotz der konzeptionellen Unterschiede grundsätzlich aber noch unter den Mediationsbegriff einordnet. 9 Der Wortlaut der Vorschrift lässt entgegen der Entwurfsbegründung (BT-Drs. 12 / 6853, S. 21 (22)) offen, ob die Lösung des der Tat zugrundeliegenden Gesamtkonflikts stets unter Vermittlung eines Dritten geschehen soll; in der Rechtsprechungspraxis wird die Vermittlung durch einen Dritten nicht verlangt; dafür fordert der BGH stets einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer, der auf einen umfassenden Ausgleich gerichtet sein muss, vgl. z. B. BGH NJW 2003, 1466 (1467), zum Ganzen sogleich. 10 Mit dieser Definition Trenczek, ZKM 2003, 104 und TOA-Servicebüro, TOA-Standards (http: // www.ausgleichende-gerechtigkeit.de / bibliothek / sort / 9), Kapitel 1.1; vgl. zur Notwendigkeit einer inneren Akzeptanz des Opfers insbesondere Schädler, NStZ 2005, 366 ff. und BGH NStZ 2002, 646. 11 Kilchling, NStZ 1996, 309 (310); vgl. zum juristisch theoretischen Gehalt der Wiedergutmachung einerseits sowie dem Täter-Opfer-Ausgleich andererseits auch ausführlich Kilchling, Opferinteressen, S. 12 ff.; eine Gegenüberstellung der Konfliktbearbeitungsstrategien „Strafrecht“ und „Konfliktschlichtung“ findet sich bei E. Hassemer, in: Dölling u. a., Täter-Opfer-Ausgleich in Deutschland, S. 337 (402 ff.). 12 Kilchling, NStZ 1996, 309 (310). 13 Grundlegend Christie, British Journal of Criminology, S. 1 ff. 14 Zu den §§ 46a StGB i.V. m. 153b StPO als Anreizmodell, den §§ 56b, 56c, 59a StGB, 153a StPO als Sanktionsmodell des geltenden Rechts vgl. Walther, Rechtsbruch, S. 298 ff. Walther kritisiert die Anreizmodelle unter anderem dahingehend, dass Delikte, die das Grundvertrauen der Bürger in die eigene Sicherheit erschüttern, einer öffentliche Aufklärung und Reprobation bedürften und nicht ohne weiteres durch anschließende gegenläufige Aktivitäten des Delinquenten selbst ausgleichbar seien (a. a. O., S. 310). 15 So hat etwa das Modell der angelsächsischen „compensation order“ eigenständigen Strafcharakter, vgl. Streng, ÖJZ 1994, 145 (152 f.); in diesen Kontext gehört auch die Wiedergutmachungsauflage als „verordnete Wiedergutmachung“, vgl. Rössner, NStZ 1992, 409 ff. 16 Kilchling, NStZ 1996, 309 (310).

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5. Kap.: Sprechakte im Rahmen des Ta¨ter-Opfer-Ausgleichs

Im Rahmen des TOA spielt Wiedergutmachung – im Gegensatz zu der auf einen personalen Interaktionszusammenhang verzichtenden Regelung des § 46a Nr. 217 – erst auf der Ergebnisseite eine Rolle. Hier können neben einer materiellen Entschädigung ebenso eine symbolische Wiedergutmachung (insbesondere Entschuldigung) oder sonstige Vereinbarungen zwischen Täter und Opfer in Betracht kommen.18 Zwar ist der TOA nach der deutschen Regelung justiznah ausgestaltet, insbesondere wird das Ergebnis der Ausgleichsbemühungen innerhalb des strafrechtlichen institutionellen Rahmens bewertet und gegebenenfalls mit einem Verzicht auf formelle Sanktionierung bzw. durch Strafmilderung gewürdigt. Das zugrunde liegende Modell einer mediativen Konfliktbewältigung versteht sich jedoch als Alternative zu strafrechtlichen Verfahren.19 Legitimieren muss sich dieses Modell daher, indem es auf eine andere Bedeutung und Wirkung konfliktorientierter Kommunikation verweist, ohne sich dabei dem Verdacht auszusetzen, die Bedeutung und Wirkung strafrechtlicher Kommunikation zu unterlaufen.20 Daher wird betont, das Ausgleichsverfahren ermögliche durch seine offene, informelle und konfliktbezogene Vorgehensweise sozialen Frieden und erfülle general- sowie spezialpräventive Zwecke: Spezialpräventiv könne der TOA beim Täter zu sozialem Lernen, zur Anerkennung der Rechte Dritter und damit zur Rückfallvermeidung führen, in generalpräventiver Hinsicht sei die Wiederherstellung des Rechtsfriedens möglich, indem der Täter die Norm anerkenne und Verantwortung für die Tatfolgen übernehme.21 An dieser Stelle ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der Täter-Opfer-Ausgleich nicht in der ursprünglich favorisierten Form eines Gesprächs unter Beteiligung 17 § 46a Nr. 1 bezieht sich nach vorherrschender Auffassung in der Rechtsprechung überwiegend auf die immateriellen Folgen einer Tat, Nr. 2 überwiegend auf materiellen Schadensausgleich; vgl. BGH StV 1995, 464 ff.; NStZ 2000, 205 f.; NStZ-RR 2006, 373; Fischer, § 46a Rn. 7, 10, 11 (die Verfassungsmäßigkeit dieser Rechtsprechung wurde durch den Nichtannahmebeschluss des BVerfG, 2. BvR 2182 / 01 vom 30. 10. 2002 bestätigt); beide Anwendungsbereiche überschneiden sich aber, diesbezüglich auch BGH NJW 2001, 2557 mit Anmerkung Kühl / Heger, JZ 2002, 363; vgl. zum unterschiedlichen Hintergrund und Regelungsgehalt von § 46a Nr. 1 und Nr. 2 Kilchling, NStZ 1996, 309 (310 f.) und Schöch, in: Canaris / Heldrich / Hopt / Roxin / Schmidt / Widmaier, 50 Jahre Bundesgerichtshof, S. 309 (323 f.); vgl. zur näheren Abgrenzung unten Fn. 53. 18 Vgl. zu dem nach § 46a StGB zulässigen „Leistungsspektrum“ Kerner, in: Haft / Schlieffen, Handbuch Mediation, § 49 Rn. 41; vgl. auch Baumann u. a., AE-WGM, § 2 (S. 1, 43 ff.). 19 Walter / E. Hassemer / Netzig / Petzold, in: Breidenbach / Henssler, Mediation für Juristen, S. 202 f.; Trenczek, ZKM 2003, 104 (106 f.). 20 Mit einer solchen Sicht auf den Legitimationsdiskurs insbesondere Bleckmann / Tränkle, ZfRSoz 2004, 79 ff.; eine entsprechende Begründung des TOA findet sich etwa bei Walter / E. Hassemer / Netzig / Petzold, in: Breidenbach / Henssler, Mediation für Juristen, S. 204 f. und Walter, in: Henssler / Koch, Mediation / Anwaltspraxis, § 18 Rn. 1 ff. 21 Vgl. etwa Rössner, in: Schünemann / Dubber, Stellung des Opfers, S. 105 (107 f.); Kerner, in: Haft / Schlieffen, Handbuch Mediation, § 49 Rn. 18 ff., 21; Walter / E. Hassemer / Netzig / Petzold, in: Breidenbach / Henssler, Mediation für Juristen, S. 204 f.; Matt, DVJJ-Journal 1999, 44 (45 ff.).

B. Der kommunikative Hintergrund des Ta¨ter-Opfer-Ausgleichs

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bzw. Anleitung einer vermittelnden neutralen Person stattfinden muss.22 Zu verlangen ist nach ständiger Rechtsprechung ein kommunikativer Prozess zwischen Täter und Opfer, der auf einen umfassenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen gerichtet sein muss23, nicht jedoch ein persönlicher Kontakt zwischen Täter und Opfer oder die Vermittlung durch einen neutralen Dritten.24 So soll es etwa ausreichen, wenn der Täter den Ausgleich über seinen Verteidiger bewirkt.25 Auf die sich hieraus ergebenden Probleme ist noch gesondert einzugehen.

B. Der kommunikative Hintergrund des Täter-Opfer-Ausgleichs Um die Bedeutung der im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs geäußerten Sprechakte zu untersuchen, ist zunächst zu klären, wie diese in den kommunikativen Gesamtzusammenhang zwischen einer Straftat und der sozialen Reaktion hierauf eingeordnet werden können. Mit Strawson wurde aufgezeigt, dass durch eine Straftat eine Haltung der Missachtung zum Ausdruck gebracht wird, wobei dies insbesondere gegenüber dem Opfer geschieht. Auf diesen Ausdruck von Missachtung muss in irgendeiner Weise kommunikativ reagiert werden. Aus Sicht der Gesellschaft ist dies notwendig, um den sozialen Frieden nicht zu gefährden, aus der Sicht des Opfers geht es darum, der erfahrenen Infragestellung der eigenen Integrität etwas entgegenzusetzen. Zugleich wird durch die Straftat eine normative Erwartung enttäuscht, die Tat gewinnt daher die symbolische Bedeutung eines Normwiderspruchs. Soll die Erwartung Orientierungsmuster für künftiges Verhalten bleiben, muss auch das Festhalten an der Norm irgendwie zum Ausdruck gebracht werden. Geschähe dies nicht, würde die Norm als allgemeines Orientierungsmuster allmählich verblassen und irgendwann nicht mehr geglaubt werden. Es besteht daher die allgemeine Erwartung, dass der Normwiderspruch kommunikativ neutralisiert wird.26 Aber auch für das jeweilige Individuum ist es wichtig zu erfahren, dass es mit seiner Normprojektion in Zukunft nicht alleine steht. In der Alltagskommunikation gibt es nun verschiedene Möglichkeiten, der Tat kommunikativ etwas entgegenzusetzen. Dabei wurde mit Strawson aufgezeigt, dass die zwischenmenschliche Kommunikation grundsätzlich auf inter-personaler Zur ursprünglichen Idee des Gesetzgebers vgl. BT-Drs. 12 / 6853, S. 21 f. BGHSt 48, 134; BGH NJW 2002, 3264 (3265); NStZ 2000, 205; NStZ 2002, 29; NStZ 2003, 29 f.; wistra 2002, 21. 24 BGH NStZ 2002, 646 m. w. N. zur Rechtsprechung, bezüglich der „Anleitung eines Dritten“ offen gelassen in BGH NJW 2003, 1466 (1467). 25 BGH StV 1999, 89; NJW 2001, 2557; NStZ 2003, 30. 26 Vgl. zu diesem Zusammenhang des „Erwartens von Erwartungen“ Luhmann, Rechtssoziologie, S. 59. 22 23

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5. Kap.: Sprechakte im Rahmen des Ta¨ter-Opfer-Ausgleichs

Ebene stattfindet. Dies bedeutet, dass auf den Ausdruck von Missachtung häufig mit dem Ausdruck von Missbilligung reagiert wird. Das Festhalten an der Norm wird durch eine solche missbilligende Reaktion ebenfalls zum Ausdruck gebracht.27 Aber auch eine Verständigung über den Normbruch und entsprechende Erklärungen, Entschuldigungen und Leistungen seitens des Täters dienen dazu, die Fortgeltung der Erwartung zu sichern.28 Insbesondere an letztere Formen der alltäglichen Normstabilisierung knüpft auch die Idee der Mediation an. Denn mediative Verfahren erheben den Anspruch, auf alltägliche Konfliktlösungsmechanismen zurückzugreifen. Es sollen Konfliktbewältigungsressourcen mobilisiert werden, die im alltäglichen zwischenmenschlichen Diskurs bereits vorkommen.29 Mediative Verfahren sind daher grundsätzlich – trotz ihrer institutionellen Einbettung – der Alttagskommunikation zuzuordnen. Wie gezeigt, unterscheidet sich die strafrechtliche Missbilligung und Normbestätigung von der alltäglichen Kommunikation grundsätzlich. Da sich die Bedeutung eines Sprechakts erst durch das Einwirken der illokutionären Kraft auf den propositionalen Gehalt ergibt, lässt sich die Bedeutung strafrechtlicher Kommunikation erst mit Blick auf deren illokutionäre Kraft bestimmen. Dabei hat sich herausgestellt, dass das Wesen der sozialethischen Missbilligung sowie der strafrechtlichen Normbestätigung entscheidend durch die deklarative Illokutionskraft geprägt ist. Denn erst eine außersprachliche Institution verleiht dem Sprecher die Befugnis, einen Status zuzuschreiben und die institutionelle (normative) Wirklichkeit aufrechtzuerhalten bzw. zu bekräftigen. Ohne eine entsprechende institutionelle Macht lässt sich eine institutionelle Wirklichkeit durch einen einzelnen Akt weder schaffen noch bestätigen. Sobald die sozialethische Missbilligung zum Ausdruck gebracht und damit zugleich die Geltung der Norm deklariert wird, handelt es sich zwangsläufig um ein autoritatives Verfahren. Nur eine Person, der eine entsprechende institutionelle Befugnis zugeschrieben wird, kann ein Unwerturteil und die Normgeltung mit unmittelbarer Wirkung in der Sozialdimension ausdrücken. Im Täter-Opfer-Ausgleichs-Verfahren fehlt es jedoch an einem konstitutiven Regelsystem, welches eine intersubjektive Missbilligung oder Normbestätigung ermöglichen würde. Dies gilt offensichtlich für die kommunikativen Beiträge des Täters selbst. Dieser kann sich zwar entschuldigen und somit das verwirklichte Unrecht und die Geltung der Norm mittelbar anerkennen. Er kann jedoch niemals Unrecht im deklarativen Sinne feststellen oder die Norm im deklarativen Sinne bestätigen. Aber auch ein TOA-Vermittler kann entsprechende Sprechakte nicht äußern. Da mediative Verfahren auf ein Aushandeln des Konflikts gerichtet sind, fehlt der institutionelle Hintergrund, der etwa eine sozialethische Missbilligung ermöglichen würde. Zwar ist das auf Vermittlung angelegte Täter-Opfer-Aus27 28 29

Vgl. oben 3. Kap. B.II.2.b). Vgl. oben 3. Kap. B.II.1.a). Kerner, in: Haft / Schlieffen, Handbuch Mediation, § 49 Rn. 21.

B. Der kommunikative Hintergrund des Ta¨ter-Opfer-Ausgleichs

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gleichs-Verfahren mittlerweile weitgehend institutionalisiert. Allerdings soll die Institutionalisierung hier nur die Chancen alltäglicher Kommunikation erhöhen, nicht jedoch den außersprachlichen Hintergrund deklarativer Sprechakte liefern. Würde ein TOA-Vermittler versuchen, ein Unwerturteil über die Tat abzugeben, bliebe seine Äußerung assertiver Sprechakt und damit widerspruchsfähig. Er würde damit lediglich erklären, dass der Täter auch seine (generalisierte) Erwartung an zwischenmenschliches Verhalten enttäuscht hat und er dieses Verhalten missbilligt. Als subjektive Enttäuschungserklärung bliebe dieser Sprechakt ohne institutionalisierenden Effekt. Allenfalls erklärt er damit, dass er davon ausgeht, die Moralnorm werde allgemein geteilt.30 Mediative Kommunikationsformen, welche auf alltägliche Konfliktlösungsmechanismen zurückgreifen, können daher niemals die gleiche Bedeutung wie strafrechtliche Kommunikation erzeugen.31 So wird deutlich, dass die intersubjektive Bestätigung der Norm und die sozialethische Missbilligung der Tat keine Sprechakte sind, die im TOA erfolgreich vollzogen werden können. Die eingangs aufgestellte These, dass diese Sprechakte in mediativen Verfahren unmöglich sind, hat sich damit bestätigt.32 30 Dass dem Vermittler dann letztlich doch wieder eine faktische Definitionsmacht hinsichtlich der relevanten Moralnormen zukommt oder er jedenfalls als Hüter der strafrechtlichen Norm fungiert, zu deren Akzeptanz die Akteure interaktionslogisch gebracht werden, zeigen Bleckmann / Tränkle, Zeitschrift für Rechtssoziologie, S. 79 (97 ff.). Bleckmann / Tränkle bezweifeln, inwieweit ein solches Verfahren noch mit mediativen Grundsätzen vereinbar ist und als aliud zur strafrechtlichen Sanktion verstanden werden kann. Letztlich wird man jedoch konstatieren müssen, dass vom TOA eine andere Symbolwirkung ausgeht als von strafrechtlichen Sanktionen, da die den TOA abschließenden Sprechakte das Ergebnis eines – wenn auch beschränkt freiwilligen – Aushandelns bleiben und es an einem konstitutiven Regelsystem fehlt, welches eine deklarative Normbestätigung möglich machen würde; entscheidend ist mithin stets die Darstellung der Selbstnormierung des Täters. Mag der Vermittler den Täter auch interaktionslogisch zur Normanerkennung bringen, wenn das Opfer die Bemühungen als unaufrichtig bzw. nicht ernsthaft wahrnimmt, wird es in ideeller Hinsicht dem TOA wenig abgewinnen können, trotz der indirekten „Normdurchsetzung“ des Vermittlers, dazu auch sogleich C. 31 Dies klingt auch bei Christie, Kriminalität, S. 119 f. an, der grundsätzlich im außergerichtlichen Konfliktlösungsprozess weitgehend eine Alternative zum Strafprozess erblickt, aber auch die Vermutung äußert, dass „die Rituale und die Ordnung der Strafgerichtshöfe eine bedeutende Schutzfunktion haben können.“ So könnten die „feierlichen und oft unendlich langweiligen und öden Rituale der Strafgerichtsbarkeit“ bei gestiegener Spannung und Gewaltbereitschaft eine „beruhigende Wirkung“ haben. Bei Christie wird allerdings nicht deutlich, dass das ritualisierte Verfahren der Schaffung institutioneller Tatsachen dient und seinen Charakter und damit auch seine beruhigende Wirkung durch diese deklarative Ausrichtung erst erhält. Diese spezifische Bedeutung kann durch mediative Verfahrensformen gerade nicht generiert werden. 32 Dies gilt im übrigen in abgeschwächter Form auch für die durch Lüderssen, FS-Hirsch, S. 779 (889 ff.) aufgezeigte Perspektive, die Problematik des Normbruchs vom autoritären, „zugleich romantisch, patriarchalisch-fürsorglich“ einladenden Strafrecht in das Zivilrecht zu verlagern: Ein solches, in Bezug auf das Opfer als Alternative zum Strafrecht verstandenes deliktsrechtliches Ausgleichsverfahren mag zwar über den berechenbaren Schaden hinaus für

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5. Kap.: Sprechakte im Rahmen des Ta¨ter-Opfer-Ausgleichs

Natürlich mag es in der Praxis vorkommen, dass die Beteiligten eine entsprechende Sanktions- und Definitionsmacht des Vermittlers antizipieren.33 Denn dieser kann mit seinem Bericht mittelbar auf die Entscheidung des Staatsanwalts oder Richters Einfluss nehmen. Zudem könnten die Beteiligten den Vermittler als verlängerten Arm der Strafjustiz ansehen und diesem eine richterähnliche Legitimation unterstellen. Die Ausübung einer entsprechenden Macht wäre jedoch durch den institutionellen Hintergrund nicht gedeckt und widerspricht den Grundsätzen mediativer Konfliktregulierung.34 Es ist Aufgabe des Mediators, seine Rolle zu erklären und einer falschen Wahrnehmung entgegenzuwirken.35 Letztlich ist aber zu vermuten, dass den Beteiligten die unterschiedliche Bedeutung mediativer und strafrechtlicher Kommunikation sehr präsent ist. Insbesondere die Opfer dürften sich bewusst sein, dass eine intersubjektive sozialethische Missbilligung mit dem Täter-Opfer-Ausgleich nicht kommuniziert wird. Anhaltspunkt hierfür könnte auch sein, dass der Täter-Opfer-Ausgleich das bestehende Strafbedürfnis der Geschädigten oftmals nicht ersetzt, auch wenn sich diese mit der Schadenswiedergutmachung und der Konfliktregulierung zufrieden zeigen; im Gegenteil scheint der Wunsch nach förmlicher Sanktionierung sogar verstärkt fortzubestehen.36 Die genannten bedeutungstheoretischen Unterschiede wirken sich nun auch strukturell auf das Täter-Opfer-Ausgleichs Verfahren aus. Da die Normbestätigung als deklarativer Sprechakt im TOA-Verfahren nicht möglich ist, muss in anderer Weise zum Ausdruck kommen, dass der Normwiderspruch des Täters keinen Beeine Kompensation sorgen, die Unverbrüchlichkeit der Norm und die sozialethische Missbilligung der Tat als Unrecht lässt sich so aber nicht in gleicher Weise kommunizieren (vgl. auch ders. a. a. O., S. 892 f. sowie Fn. 33: Es ginge dann bloß um das Verhältnis zwischen Opferund Täterinteressen, wozu es keines strafenden Privatrechts bedürfe und eine obrigkeitliche Komponente zwar im Spiel sei, verstärkt aber strukturell nicht anders als ohnehin in vielen zivilrechtlichen Verfahrensgängen). Es besteht die Gefahr, dass es bei der Botschaft bleibt, dass ein der Norm widersprechendes Verhalten teuer werden kann, vgl. auch Schünemann, in: ders. / Dubber, Stellung des Opfers, S. 1 (3) und Günther, in: FS-Lüderssen, S. 205 (215). 33 Zu solchen Tendenzen vgl. Stimec, Grenzen der Mediation, http: // www.umweltmediation.info / Lernwerkstatt9905a.htm. 34 Vgl. dazu aber auch oben Fn. 30. 35 Im hypothetischen Fall, dass vermehrt ein solcher Eindruck des Mediationsverfahrens in der Öffentlichkeit entstehen würde, bestünde die Gefahr, dass sich das Mediationsverfahren einem deklarativen Verfahren annähert, da das Gelingen deklarativer Sprechakte letztlich aus der intersubjektiven Anerkennung eines dahinter stehenden konstitutiven Regelsystems resultiert. Eine solche Tendenz wäre nicht nur problematisch, weil es dem Grundgedanken der Mediation widerspricht, sondern insbesondere, weil die durch den deklarativen Verfahrensabschluss erhöhte Eingriffsintensität entsprechende rechtliche Verfahrensgarantien nötig macht. 36 Mit diesem überraschenden Ergebnis die Studie des Instituts für Rechtstatsachenforschung und Kriminalpolitik der Universität Bielefeld im Auftrag des Justizministeriums NRW, Bals / Hilgartner / Bannenberg, Täter-Opfer-Ausgleich im Erwachsenenbereich, S. 437, 440 f., 461; zur gleichzeitig zu beobachtenden Abnahme von negativen Gefühlen vgl. Bals, BewHi, 258 ff.; vgl. aber Kilchling, NStZ 1996, 309 (316) zu erhöhten Rachegefühlen mit entsprechenden Nachweisen.

B. Der kommunikative Hintergrund des Ta¨ter-Opfer-Ausgleichs

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stand hat. Dies geschieht im Rahmen des TOA dadurch, dass dem Täter ein weiteres Verhalten abverlangt wird, welches mittelbar als Normanerkennung gedeutet werden kann. Insofern besteht eine strukturelle Ähnlichkeit zu der Regelung des Rücktritts vom Versuch und der tätigen Reue.37 Insbesondere der Rücktritt vom Versuch, aber auch die tätige Reue lassen sich als kommunikative Beiträge des Täters deuten, die den vorangegangenen Normwiderspruch (teilweise) zurücknehmen.38 So wird beim Rücktritt die Rückkehr des Täters auf die Seite des Rechts honoriert, durch diese Umkehrleistung hat der Täter einen geringeren verbrecherischen Willen offenbart und den rechtserschütternden Eindruck so weit zurückgenommen, dass eine Bestrafung aus spezial- und / oder generalpräventiven Gründen (insbes. hinsichtlich der Gefährlichkeit des Täters bzw. einer Stabilisierung des allgemeinen Normvertrauens) nicht mehr notwendig ist.39 Der Widerruf des Normwiderspruchs durch den Täter wirkt allerdings nur, wenn er freiwillig erfolgt.40 Es wird daher ein Handeln aus autonomen Motiven vorausgesetzt.41 Dabei kann es auch bei einer kommunikationstheoretischen Betrachtung 37 Herzberg sieht den Grund für die Straflosigkeit des Versuchs bei erfolgtem Rücktritt in der Erfüllung einer dem Täter obliegenden, als Pflicht zur Wiedergutmachung verstandenen „Schuld“ begründet, vgl. etwa Herzberg, NStZ 1989, 49 (50 ff., 54 ff.) und MK-Herzberg, § 24 Rn. 9; auch wenn mit Rudolphi, NStZ 1989, 508 (511) dagegen einzuwenden ist, dass es bei dieser „Wiedergutmachungsschuld“ nicht um die ursprüngliche, auf das Unterlassen des Versuchs bezogene Schuld geht und mithin nicht ganz einsichtig ist, wie diese durch die Erfüllung jener wieder entfallen soll, so zeigt Herzbergs Ansatz doch die Parallelen zwischen dem Wiedergutmachungsgedanken und dem Grundgedanken der Rücktrittsregelung; zur Parallele zwischen Rücktritt, tätiger Reue und TOA siehe insbesondere Bleckmann / Tränkle, Zeitschrift für Rechtssoziologie 25 (2004), 79 (94 ff.); vgl. auch Walther, Realkonflikt, S. 310: Das Anreizmodell des § 46a StGB schaffe der Sache nach eine allgemeine Möglichkeit zur strafbefreienden und strafmildernden tätigen Reue. 38 Vgl. differenzierend dazu Jakobs, AT, 26. Abschn. Rn. 1 ff., JZ 1988, 519 f. sowie insbesondere ZStW 104 (1992), 82 f., der auf die Tatsache hinweist, dass auch beim Versuch schon ein „perfekter Normbruch“ in der Welt war. Jakobs, ZStW 104 (1992), 82 (85 ff.) differenziert dementsprechend zwischen dem Rücktritt als Tatänderung (bei noch beherrschten Taten) und allgemeinem Nachtatverhalten. Bei ersterem könne der Täter seine ursprüngliche normwidersprechende Aussage noch wirklich revidieren, da diese noch nicht abgeschlossen ist; verzichtet der Täter hingegen auf einen weiteren Einfluss auf das Geschehen, sei der Sinnausdruck in der Vergangenheit definitiv, eine in sich abgeschlossene Mitteilung. Ein Widerruf sei in solchen Fällen ein neues Verhalten und damit ein ggf. in der Strafzumessung zu berücksichtigendes Nachtatverhalten. 39 In diesem Sinne insbesondere die Verdienstlichkeits- und die Strafzwecktheorie; zu den verschiedenen Auffassungen zum Grund der strafbefreienden Wirkung des Rücktritts vgl. Wessels / Beulke, AT, Rn. 626; oft werden die verschiedene Gründe in Kombination angeführt, vgl. auch Rudolphi, NStZ 1989, 508 (511); auch die Rechtsprechung ist hier nicht einheitlich, vgl. Heinrich, AT 1, Rn. 760 ff.; der BGH stellt des Öfteren allerdings mehr auf den Opferschutz als auf eine Umkehrleistung des Täters ab, vgl. etwa BGHSt 35, 184 (186). 40 So treffend Bleckmann / Tränkle, Zeitschrift für Rechtssoziologie 25 (2004), 79 (95). 41 Über die „empirisch-psychologische“ Lösung des BGH gehen die normativen Ansätze hinaus, vgl. dazu statt vieler Schönke / Schröder-Eser, § 24 Rn. 43, der eine wertende Diffe-

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5. Kap.: Sprechakte im Rahmen des Ta¨ter-Opfer-Ausgleichs

nicht auf das Vorhandensein ethisch hochstehender Motive beim Zurücktretenden ankommen. Denn wie gezeigt wird der Tat die Bedeutung des Normwiderspruchs unabhängig von einer entsprechenden, wohl nur selten vorhandenen Kommunikationsabsicht des Täters beigemessen.42 Dementsprechend geht es auch beim Rücktritt von der versuchten Tat einzig darum, dass das weitere Verhalten des Täters als Zeichen der Normanerkennung, der Rücknahme des Normwiderspruchs gedeutet werden kann. Das Verhalten des Täters wird in diesem Sinne interpretiert, wenn nicht schon eine äußere oder innere Zwangslage die Umkehr bewirkt. Es genügt ein Handeln aus autonomen Antrieb, da der Täter den im Ergebnis ausgebliebenen oder nicht zurechenbaren Taterfolg – die Objektivierung des Normwiderspruchs – tatsächlich aufgibt, verhindert oder ernsthaft zu verhindern sucht, sich also (zumindest aus seiner Perspektive) um die Vollendung bringt und damit seinen ursprünglichen Normwiderspruch entkräftet. Damit wird aber ein wesentlicher Unterschied zur Ausgangslage eines TäterOpfer-Ausgleichs deutlich, auf dessen Konsequenzen jüngst Bleckmann / Tränkle43 hingewiesen haben: Beim Versuch ist die Rechtsgutverletzung noch nicht vollendet, bei der tätigen Reue kann dem Schadensverlauf zumindest noch gegengesteuert werden. Der Täter hat insofern schon ein „Zeichen der Umkehr“ vorzuweisen.44 Beim TOA hingegen ist die Tat vollendet und in der überwiegenden Zahl der Fälle bereits verfolgt.45 Hier wird der Täter regelmäßig durch die Aussicht auf Strafverrenzierung zwischen autonomen und heteronomen Gründen als Basis für die Inhaltsbestimmung der Freiwilligkeit sieht, weil eine autonom motivierte Umkehr auf die „Verdienstlichkeit“ des Rücktritts, die letztlich doch rechtstreue Gesinnung bzw. eine hinreichende Normbefolgungsbereitschaft des Zurücktretenden verweise. Dem normativen Ansatz als Methode zustimmend Jakobs, AT, 26. Abschn. Rn. 34 f. mit Hinweis darauf, dass es dabei aber nur um die Bewertung der Abkehr von der konkreten Tat gehen könne und die weiteren deliktischen Pläne des Täters nicht in die Betrachtung einzubeziehen seien (im Ergebnis befindet sich Jakobs daher in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung, vgl. etwa BGHSt 35, 184 (186), BGH NStZ 1997, 385). 42 Vgl. dazu oben 3. Kap. B.III.1.c). 43 Bleckmann / Tränkle, Zeitschrift für Rechtssoziologie 25 (2004), 79 ff.; vgl. auch die Untersuchungsergebnisse bei Tränkle, Im Schatten des Strafrechts, S. 44 ff., 319 ff., 326 ff., 335 ff. 44 Bleckmann / Tränkle, Zeitschrift für Rechtssoziologie 25 (2004), 79 (95). 45 Die gesetzliche Regelung enthält keine Einschränkung hinsichtlich des Zeitpunkts der Wiedergutmachungsleistungen (möglich sind diese grundsätzlich in der Hauptverhandlung, vgl. BGH NStZ-RR 2009,17; § 46a StGB ist wohl auch noch bei Ausgleichsbemühungen in der Berufungsverhandlung anwendbar, vgl. BGH NStZ-RR 2004, 71). Jedenfalls müssen aber die Fälle eine günstigere Beurteilung in der Ermessensentscheidung erfahren, in denen eine „qualifizierte Freiwilligkeit“ in dem Sinne gegeben ist, dass der Täter zur Wiedergutmachung nicht durch äußere Umstände, insbesondere die Entdeckung und Verfolgung der Tat, gedrängt worden ist, so insbesondere Brauns, Wiedergutmachung, S. 242 ff., 253; für eine Berücksichtigung des Zeitpunktes der Wiedergutmachungsleistungen auch Schönke / Schröder-Stree, § 46a Rn. 6 und Loos, Bemerkungen zu § 46a StGB, in: FS-Hirsch 1999, S. 851 (868 f.); vgl. auch BGH NStZ-RR 2006, 373, wonach der Tatrichter nicht gehindert ist, bei der Ermessensentscheidung hinsichtlich der Strafmilderungsmöglichkeit zu berücksichtigen, dass der Angeklagte seine Ausgleichsbemühungen spät, nämlich mehr als zehn Jahre (!) nach Beginn der

B. Der kommunikative Hintergrund des Ta¨ter-Opfer-Ausgleichs

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zicht bzw. -milderung motiviert, und dies behaftet sein weiteres kommunikatives Handeln mit dem Makel der Unglaubwürdigkeit. Daher muss die Normanerkennung und insbesondere deren Glaubhaftigkeit im TOAVerfahren „erarbeitet“ und mit entsprechender innerer Anteilnahme dargestellt werden.46 Der kommunikative Hintergrund spielt im TOA-Verfahren damit eine ganz besondere Rolle. Eine bloße Schadenswiedergutmachung reicht nicht aus, vielmehr müssen der Verzicht und die innere Beteiligung des Täters besonders zum Ausdruck kommen. Die Normanerkennung soll im TOA-Verfahren dabei nicht direkt gegenüber der Allgemeinheit, sondern durch eine Verständigung mit dem Tatopfer dargestellt werden. So könne die Norm insgesamt als hinreichend stabilisiert gelten, wenn die Beteiligten den Konflikt als bereinigt ansehen können oder sich der Täter zumindest um einen Ausgleich mit dem Opfer ernsthaft bemüht hat.47 Im Idealfall soll dann auf Strafe gänzlich verzichtet werden können. Die Normbestätigung wird also durch eine mittelbare Normanerkennung des Täters ersetzt, welche sich in der Verantwortungsübernahme gegenüber dem Opfer manifestiert. Auch an die Stelle der sozialethischen Missbilligung tritt im Täter-Opfer-Ausgleich eine Eigenleistung des Täters gegenüber dem Opfer. Die sozialethische Missbilligung kann der Vermittler eines TOA nicht kommunizieren, und die subjektive Missbilligung im Sinne der Strawson’schen Alltagskommunikation darf er angesichts seiner grundsätzlich neutralen Position auch nicht ohne weiteres, zumindest nicht ausdrücklich äußern. Dementsprechend eignen sich Verfahren, in denen der Täter seine Verantwortlichkeit und den Unwert seiner Tat in Frage stellt, auch grundsätzlich nicht für ein Ausgleichsverfahren.48 Daher ist es auch insoweit der kommunikative Beitrag des Täters, der die zum Ausdruck gebrachte Missachtung der Integrität des Opfers hinreichend neutralisieren muss. Der dargestellte kommunikative Hintergrund des TOA-Verfahrens spiegelt sich dementsprechend in den semantischen Anforderungen, die an den Beitrag des Täters gestellt werden: So zielt der i. R. d. § 46a Nr. 1 StGB geforderte kommunikative Prozess zwischen Täter und Opfer auf die Lösung des als zugrundeliegend angesehenen Gesamtkonflikts und soll auf diese Weise eine friedensstiftende WirTaten und fast drei Jahre nach Anzeigeerstattung entfaltet hat; vgl. auch OLG Bamberg, NStZ-RR 2007, 37: mehr als drei Jahre nach der Tat und nach erstinstanzlichem (hinsichtlich des Schuldspruchs rechtskräftigem) Urteil. Nach dem Entwurf eines Gesetzes zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems (BT-Drs. 12 / 6141, Abgeordnete und Fraktion der SPD) sollte die Wiedergutmachungsleistung nur honoriert werden, wenn sie vor Entdeckung der Tat erfolgt, vgl. dazu Walther, Realkonflikt, S. 68; kritisch zur Ernsthaftigkeit der späten Wiedergutmachung auch Volckart, JR 2005, 181 (183). 46 Dieser Zusammenhang wird bei Bleckmann / Tränkle, Zeitschrift für Rechtssoziologie 25 (2004), 79 (94 ff.) eingehend dargestellt. 47 Vgl. Kerner, in: Haft / Schlieffen, Handbuch der Mediation, § 49 Rn. 1; Dölling / Hartmann, Anm. zu BGH 1 StR 405 / 02 (NJW 2003, 1466), NStZ 2004, 382 (383). 48 Hartmann, Staatsanwaltschaft, S. 68; BGH NJW 2003, 1466 (1468); vgl. insbesondere auch TOA-Standards (oben Fn. 10), Kap. 1.3.

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5. Kap.: Sprechakte im Rahmen des Ta¨ter-Opfer-Ausgleichs

kung entfalten.49 Die tatsächlichen Leistungen, die der Täter dann gegebenenfalls zugunsten des Opfers erbringt, erhalten ihre Bedeutung erst aufgrund dieses Kommunikationszusammenhangs. Daher wird auch gemeinhin gefordert, in den Bemühungen des Täters müsse zum Ausdruck kommen, dass der Täter zu seiner Schuld steht und Verantwortung übernimmt.50 Selbst die in erster Linie auf den materiellen Schadensausgleich zielende Regelung des § 46a Nr. 2 StGB kommt nicht ohne einen solchen kommunikativen Hintergrund aus: Die Leistungen müssen auch hier über die rein rechnerische Kompensation hinausgehen und dem Täter eine erhebliche persönliche Leistung oder einen persönlichen Verzicht abgefordert haben.51 Insbesondere müssen die Leistungen auch i. R. d. § 46a Nr. 2 StGB Ausdruck der Übernahme von Verantwortung sein.52 Allerdings ist ein kommunikativer Prozess als Mittel einer Konfliktregulierung im Rahmen der Nr. 2 nicht in gleicher Weise vorausgesetzt. Als strafrechtsfremde und u. U. alternative Kommunikationsform interessiert daher im vorliegenden Zusammenhang insbesondere der Täter-Opfer Ausgleich i. S. d. § 46a Nr. 1 StGB, bei dem immaterielle Leistungen und das Zustandekommen eines kommunikativen Prozesses im Vordergrund stehen und der damit bei Delikten gegen höchstpersönliche Rechtsgüter eine besondere Rolle spielen kann.53 Vgl. u. a. BGH NStZ 2003, 29 (31). Vgl. dazu insbesondere die höchstrichterliche Rechtsprechung, BGHSt 48, 134 ff.; BGH NStZ 2003, 199 (200); NStZ 95, 492 f.; NStZ 2001, 200; StV 01, 346. 51 Vgl. dazu BT-Drs. 12 / 6853, S. 21 f. 52 Vgl. BGH NJW 2001, 2557; NStZ 2000, 592; wistra 2000, 176 und BT-Drs. 12 / 6853, S. 21 f. 53 Insbesondere von der Rechtsprechung wird häufig danach differenziert, ob es um den Ausgleich immaterieller Tatfolgen (§ 46a Nr. 1 StGB) oder materiellen Schadensersatz geht (dann § 46a Nr. 2 StGB), vgl. dazu oben Fn. 17; in der Literatur wird häufig nach Art der Leistung eingeteilt, vgl. etwa Schöch, in: Canaris / Heldrich / Hopt / Roxin / Schmidt / Widmaier, 50 Jahre Bundesgerichtshof, S. 309 (324). Allerdings kann es Überschneidungen geben. So werden auch im Rahmen des § 46a Nr. 1 StGB materielle, im Rahmen des § 46a Nr. 2 immaterielle Schäden ausgeglichen. Beispielsweise kommt das Schmerzensgeld als materielle Leistung (§§ 253, 847 BGB) zur Wiedergutmachung immaterieller Folgen im Rahmen beider Alternativen in Betracht. Übersichtlich zur Abgrenzung von § 46a Nr. 1 und 2 StGB die Anmerkung von Kühl / Heger zu BGH NStZ 2002, 364 in JZ 2002, 363: Wesentlicher Unterschied zwischen Nr. 1 und Nr. 2 ist insofern, dass i. R. d. Nr. 2 Schadenswiedergutmachung zumindest überwiegend (bei besonderem persönlichen Verzicht) geleistet werden muss, während bei Nr. 1 ein ernsthaftes Erstreben einer Wiedergutmachung der Tat ausreichen kann, wobei es hier entscheidend auf den kommunikativen Prozess ankommt [dazu auch BGH NJW 2003, 1466 (1467)]. Nach Kühl / Heger muss es aber stets um den Ausgleich aller materiellen und immateriellen Schäden gehen, sodass eine Strafmilderung nach § 46a Nr. 2 wohl nur bei Straftaten mit ausschließlich materiellen Folgen zur Anwendung kommen kann. Etwa sei es bei einer Vergewaltigung schwer vorstellbar, dass die Zahlung eines Schmerzensgeldes allein zu einer Strafmilderung nach § 46a Nr. 2 StGB führe, und zwar nicht, weil § 46a Nr. 2 auf immaterielle Schäden nicht anwendbar sei, sondern weil sich eine Wiedergutmachung der Folgen eines Delikts gegen die sexuelle Selbstbestimmung kaum in der Zahlung eines Geldbetrages erschöpfen könne (während nach Kühl / Heger umgekehrt bei Ausgleich aller immateriellen Schäden nach § 46a Nr. 1 StGB eine Strafmilderung auch den Ausgleich eventuell zusätzlich vorhandener materieller Schäden voraussetzt). 49 50

B. Der kommunikative Hintergrund des Ta¨ter-Opfer-Ausgleichs

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An dieser Stelle lässt sich zunächst festhalten, dass im Rahmen des TOA ein kommunikativer Beitrag des Täters gegenüber dem Opfer eine intersubjektive Reaktion der Gemeinschaft zumindest teilweise entbehrlich machen soll. Vor diesem kommunikativen Hintergrund erhalten die Bemühungen des Täters ihre Bedeutung. Aufgabe der Staatsanwaltschaft und des Gerichts ist es nun, den kommunikativen Beitrag des Täters entsprechend zu würdigen und zu entscheiden, inwieweit ein (teilweiser) Strafverzicht gerechtfertigt erscheint. Aus sprechakttheoretischer Sicht geht es damit um die Frage, inwieweit die Sprechakte des Täters teilweise an die Stelle deklarativer Sprechakte treten können. Dabei sind folgende Ausgangssituationen zu unterscheiden. Im Falle der Einstellung nach § 153a StPO oder des Absehens von Klage bzw. der Einstellung nach § 153b StPO i.V. m. § 46a StGB entfällt ein deklarativer Sprechakt völlig. Wird die Strafe nach § 46a Nr. 1 StGB gemildert oder von Strafe abgesehen, so entfällt der das strafrechtliche Verfahren abschließende deklarative Sprechakt nicht vollständig; auch im Falle des Absehens von Strafe bleibt es zumindest bei einem formellen Schuldspruch.54 Allerdings wird der kommunikative Beitrag des Täters durch den (teilweisen) Strafverzicht im Urteilsspruch honoriert, das strafrechtliche Unwerturteil wird insofern modifiziert.55 Insbesondere besteht der oben beschriebene Zusammenhang zwischen der sozialethischen Missbilligung und dem festgelegten Strafmaß: Letzteres ist Hinweis auf den Grad an sozialethischer Missbilligung, welche mit der Verurteilung zum Ausdruck gebracht wird.56 Insofern wirkt sich die Berücksichtigung des kommunikativen Beitrags des Täters auf den propositionalen Gehalt der sozialethischen Missbilligung aus. Mit einem Absehen von Strafe oder einer Strafmilderung wird letztlich zum Ausdruck gebracht, dass der Täter den Unwert seiner Tat (teilweise) ausgeglichen hat und insoweit eine sozialethische Missbilligung entbehrlich ist. Da die (teilweise) Beschränkung des sozialethischen Unwerturteils mit einem Beitrag des Täters gegenüber dem Opfer begründet wird, kann bei der Bewertung dieses Beitrags die Opferperspektive eine besondere Rolle spielen, dazu sogleich57. Im Folgenden ist nun zu klären, welche Sprechakte im Rahmen eines Ausgleichs zwischen Täter und Opfer eine Rolle spielen und die oben angesprochene Verantwortungsübernahme des Täters glaubhaft machen können, um eine (teilweise) Beschränkung des sozialethischen Unwerturteils zu rechtfertigen.

Vgl. Fischer, § 46a Rn. 12. Vgl. zur Auswirkung des Täter-Opfer-Ausgleichs auf den Erfolgs- und Handlungsunwert der Tat Meier, Sanktionen, S. 355 f. 56 Vgl. oben 3. Kap. B.IV. 57 Vgl. unten D.II. 54 55

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5. Kap.: Sprechakte im Rahmen des Ta¨ter-Opfer-Ausgleichs

C. Sprechakte im Täter-Opfer-Ausgleich Wie gezeigt sind deklarative Sprechakte mit freiwilligen und ergebnisoffen konfliktregulierenden Verfahren nicht vereinbar. Alle anderen Sprechakttypen kommen im TOA aber grundsätzlich in Betracht.58 Dies sind – Expressiva (etwa die Entschuldigung des Täters, im Idealfall auch ein Vergeben seitens des Opfers; zudem der Ausdruck von Ärger und Angst durch das Opfer59). – Kommissiva (diese kommen in vielfältiger Form im Rahmen der Wiedergutmachungsvereinbarung mit teils verpflichtendem60 Charakter vor, zu denken wäre hier beispielsweise an die Verpflichtung zu materiellen Leistungen in Form von Naturalrestitution oder Schmerzensgeld61, aber auch die Bereiterklärung zu gemeinnütziger Arbeit oder zur Zahlung eines Geldbetrags an gemeinnützige Einrichtungen). – Assertiva (etwa wenn der Betroffene dem Beschuldigten „die Meinung sagt“, also seine Missbilligung zum Ausdruck bringt62 oder wenn der Täter sich zu der Tat bekennt; es besteht auch häufig ein Informationsbedürfnis des Betroffenen, warum gerade er Opfer einer Straftat wurde, in diesem Zusammenhang können Erklärungen des Täters hinsichtlich seiner Tat von Bedeutung sein63) und 58 Vgl. zu dem nach § 46a StGB zulässigen „Leistungsspektrum“ Kerner in: Haft / Schlieffen, Handbuch Mediation, § 49 Rn. 41; vgl. auch Baumann u. a., AE-WGM, § 2 (S. 1, 43 ff.); Bals / Hilgartner / Bannenberg, Täter-Opfer-Ausgleich im Erwachsenenbereich, S. 86. 59 Vgl. dazu die oben (Fn. 36) genannte Bielefelder Studie bei Bals / Hilgartner / Bannenberg, Täter-Opfer-Ausgleich im Erwachsenenbereich, sowie die Wiedergabe bei Bals, MschrKrim 89 (2006), 131. Demnach hatten 67,4 % der am TOA teilnehmenden Geschädigten angegeben, am TOA teilnehmen zu wollen, um dem Beschuldigten den eigenen Ärger bzw. die eigene Angst zu verdeutlichen, vgl. Bals, MschrKrim 89 (2006), 131 (133). 60 Die Ergebnisse der Konfliktregelung werden teilweise zivilrechtlich abgesichert, vgl. die diesbezügliche Empfehlung des Servicebüros für Täter-Opfer-Ausgleich in: TOA-Standards (oben Fn. 10), Kap. 5.4 und Anhang S. 55 ff.; zu verpflichtenden Kommissiva vgl. Rolf, Gebrauchstextsorten, S. 262 ff. 61 Während im Rahmen des § 46a Nr. 2 StGB die Leistung zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ganz oder zumindest teilweise erbracht worden sein muss, stellt sich die Frage, inwieweit dies hinsichtlich materieller Leistungen im Rahmen des § 46a Nr. 1 StGB gilt. Jedenfalls dürfte sich der Begriff des Bemühens nur auf die ideelle Komponente des Täter-Opfer-Ausgleichs beziehen, so Schöch, in: Canaris / Heldrich / Hopt / Roxin / Schmidt / Widmaier, 50 Jahre Bundesgerichtshof, S. 309 (328 f.), anders wohl Kilchling, NStZ 1996, 309 (312). Bloße Schuldanerkenntnisse oder Ratenzahlungsversprechen reichen im Rahmen des § 46a Nr. 2 StGB sicher nicht aus (vgl. auch BGH NStZ 2000, 83), denkbar ist aber, dass der Täter mit Einverständnis des Opfers entsprechende Sicherheiten stellt oder das Schuldanerkenntnis im Rahmen eines vollstreckbaren gerichtlichen und anwaltlichen Vergleichs abgibt. Im Rahmen des § 46a Nr. 1 StGB können Ratenzahlungsversprechen ausnahmsweise ausreichen, weil dort das ernsthafte Erstreben der Wiedergutmachung genügen kann, so insbes. Schöch, a. a. O. 62 Zu entsprechenden Bedürfnissen der Opfer (63,8 % der am TOA teilnehmenden) vgl. die erwähnte Bielefelder Studie (oben Fn. 36), wiedergegeben bei Bals, MschrKrim 89 (2006), 131 (133).

C. Sprechakte im Ta¨ter-Opfer-Ausgleich

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– Direktiva (etwa Forderungen des Opfers an den Täter, Bitte des Täters um Verzeihung64).

Neben den kommissiven Sprechakten, die vor allem in der Wiedergutmachungsvereinbarung eine Rolle spielen und damit die instrumentelle Seite des TOA absichern, kommt insbesondere den expressiven Sprechakten im Täter-Opfer-Ausgleich eine besondere Bedeutung zu. Mit Strawson wurde dargelegt, dass es zu den Grundbedingungen menschlicher Interaktion gehört, den mit einer Handlung zum Ausdruck gebrachten inneren Haltungen erhebliches Gewicht beizumessen.65 Die mit der Tat zum Ausdruck gebrachte Missachtung kann durch die Manifestation einer geänderten Haltung des Täters zu seiner Tat eine Relativierung erfahren. So spielt insbesondere die Entschuldigung beim TOA eine wesentliche Rolle, wohl in allen erfolgreichen Ausgleichsfällen entschuldigt sich der Beschuldigte in der einen oder anderen Weise beim Geschädigten.66 Letztlich sind auch tatsächliche Leistungen Ausdruck einer Entschuldigung bzw. bekräftigen diese, da sie ja vor dem kommunikativen Hintergrund des TOA ihre Bedeutung erhalten.67 Wenn im Folgenden auf den Sprechakt der Entschuldigung eingegangen wird, ist damit die eigentliche (expressive) Entschuldigung gemeint, bei der man die eigene Schuld präsupponiert und um Verzeihung bittet. Wie gezeigt gibt es hingegen auch vorwiegend assertiv geprägte entschuldigende Erklärungen.68 Dies sind zum einen Entschuldigungen, mit denen die freie Wahl der Tatentscheidung bei Vorhersehbarkeit aller Konsequenzen bestritten wird, indem etwa auf externe Zwänge („Ich musste dies tun“) oder auf interne Beeinträchtigungen wie mangelnde Fähigkeit, Unkenntnis, dass ein Normverstoß vorliegt, Nicht-Wissen(-Können) der Konsequenzen, Krankheit, Medikamenteneinnahme, Zeitdruck, extreme Gefühlszustände o. ä. verwiesen wird; man konnte letztlich nicht anders handeln. Zum anderen sind dies Entschuldigungen, bei denen zwar die freie Wahl der Tatentscheidung zugege63 Nach der erwähnten Bielefelder Studie (oben Fn. 36) stand für 80,3 % der Teilnehmenden eine Klärung des Vorfalls im Vordergrund, 64% gaben an, an dem Augleich teilzunehmen, um die Gründe für die Tat zu erfahren, vgl. Bals, MschrKrim 89 (2006), 131 (133); zum Informationsbedürfnis vgl. auch Kerner, in: Haft / Schlieffen, Handbuch Mediation, § 49 Rn. 11; Hartmann, Staatsanwaltschaft, S. 27 f. und Walter / E. Hassemer / Netzig / Petzold, in: Breidenbach / Henssler, Mediation für Juristen, S. 204. 64 Rolf, Illokutionäre Kräfte, S. 225 f. ordnet die Bitte um Verzeihung den Expressiva zu; letztlich sind je nach Äußerungskontext mit unterschiedlichem Gewicht wohl Elemente beider Sprechaktklassen vorhanden, nämlich der Ausdruck des Bedauerns einerseits, der Wunsch nach einem emotional stabilisierenden Sprechakt des Adressaten andererseits. 65 Vgl. oben 3. Kap. B.II.2.a). 66 Vgl. dazu Kerner / Hartmann, Auswertung der Täter-Opfer-Ausgleichs-Statistik (oben Fn. 6) für 1993 – 2002, S. 91 ff. und für 2003 – 2005, S. 32 f., sowie Kerner, in: Haft / Schlieffen, Handbuch Mediation, § 49 Rn. 41 f. und Bals / Hilgartner / Bannenberg, Täter-Opfer-Ausgleich im Erwachsenenbereich, S. 84, Fn. 255. 67 Vgl. auch die Auswertung der TOA-Statistik (Fn. 6) für 1993 – 2002, S. 91 ff. und für 2003 – 2005, S. 32 f.; zur Äußerung von Sprechakten durch tatsächliches Handeln vgl. oben 3. Kap. B.I.1. 68 Vgl. dazu schon oben 3. Kap. B.II.2.a).

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5. Kap.: Sprechakte im Rahmen des Ta¨ter-Opfer-Ausgleichs

ben, aber zumindest der Intentionsmodus (statt Böswilligkeit oder Rücksichtslosigkeit nur Gedankenlosigkeit69), bestritten wird; es wird das Nicht-Wollen einer Tat bzw. ihrer Folgen betont.70 Im TOA dürften die letzteren Arten der Entschuldigung nur ausnahmsweise ausreichen, soll der Täter doch die Verantwortung für sein Handeln übernehmen.71 Die vom Täter abverlangte Verantwortungsübernahme hat aber auch assertive Anteile: Der Täter soll „zur Einsicht in die Verwerflichkeit seines Tuns“ veranlasst werden.72 Diese Unrechtseinsicht soll durch den Beitrag des Täters zum Ausdruck kommen. Allerdings geschieht dies meist eher vage und konkludent, da insbesondere ein Geständnis grundsätzlich nicht zu verlangen ist.73 Betrachtet man die Manifestation der Unrechtseinsicht als Sprechakt, so geschieht sie mit assertiver illokutionärer Kraft, da sich der Sprecher auf die Verantwortlichkeit für seine Handlung und deren Verwerflichkeit festlegt. Die Bedeutung, die der Manifestation innerer Haltungen im Rahmen des TOA zukommt, lässt sich mit den intendierten perlokutionären Effekten erklären. Insbesondere expressive Sprechakte lassen sich als Reflex auf emotionale Zustände verstehen; auf letztere versuchen sie regulierend Einfluss zu nehmen, ihr perlokutionäres Ziel liegt häufig im Einwirken auf das seelische Gleichgewicht ihrer Adressaten.74 Aber auch die assertiven Elemente im Rahmen des TOA zielen häufig mittelbar auf eine solche innere Beeinflussung des Adressaten. Primär wird dabei der perlokutionäre Effekt intendiert, einem Klärungsbedürfnis des Hörers hinsichtlich des Geschehens entgegenzukommen.75 Letztlich wird damit aber häufig ebenfalls eine ausgleichende emotionale Wirkung beim Hörer erstrebt76: Das Opfer wird den Konflikt eher als bereinigt ansehen können, wenn der Täter eine gewisse Unrechtseinsicht manifestiert. Wie gezeigt lassen sich auf eine innere Beeinflussung abzielende Sprechakte in zwei Kategorien einteilen77: Kann unterstellt werden, dass das seelische Gleichgewicht des Adressaten gefährdet ist, so soll der Sprechakt stabilisierend wirken, indem das alte Gleichgewicht wieder hergestellt oder ein neues gefunden Vgl. dazu auch schon oben 3. Kap. B.II.2.a) und 3. Kap. Fn. 134. Vgl. zum Ganzen Mees, Psychologie des Ärgers, S. 42; zu verschiedenen Nuancen der Entschuldigung vgl. auch Austin, Entschuldigungen, S. 229 ff. (248 ff.). 71 Es gibt diesbezüglich jedoch keine hinreichend differenzierenden Studien, insofern wäre eine sprachtheoretische Einordnung vor der Erhebung von entsprechendem Datenmaterial und der Erstellung entsprechender Fragebögen von Vorteil. 72 BT-Drs. 12 / 6853, S. 21; vgl. auch Walter / E. Hassemer / Netzig / Petzold, in: Breidenbach / Henssler, Mediation für Juristen, S. 204. 73 Vgl. BGH NStZ 2003, 199 (200); zu den damit verbundenen Problemen sogleich unter D.I. 74 Vgl. dazu bereits oben 2. Kap. B.III. und Rolf, Gebrauchstextsorten, S. 277. 75 Vgl. dazu schon oben 2. Kap. B.III. und 2. Kap. B.IV. 76 Vgl. oben 2. Kap. B.IV. 77 Vgl. dazu 2. Kap. B.III. 69 70

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wird.78 Zeigt hingegen der Adressat, der aus Sicht des Sprechers für einen bestimmten als negativ bewerteten Sachverhalt verantwortlich ist, in Anbetracht dieses Sachverhalts „allzu viel Seelenruhe, viel zu wenig Beunruhigung“ also, dann zielt der Sprechakt auf eine destabilisierende Wirkung79: Auf das immer noch unverändert vorhanden geglaubte seelische Gleichgewicht soll eingewirkt werden, um die emotional-kognitiven Bedingungen dafür zu schaffen, dass eine Wiedergutmachungsleistung, Entschuldigung und Verhaltensänderung wahrscheinlich, eine Wiederholung des bemängelten Verhaltens unwahrscheinlich wird.80 Vor einem solchen Kommunikationshintergrund findet der Täter-Opfer-Ausgleich letztlich statt. Immer wieder wird die psychologische Wirksamkeit des TOA damit begründet, dass dem Täter zunächst das durch ihn angerichtete Leid vor Augen geführt wird. Er wird mit den Folgen seiner Tat konfrontiert, um das bei ihm trotz allem noch vorhanden geglaubte seelische „Gleichgewicht“ (vor allem auch im Sinne einer Verteidigungshaltung mit entsprechenden Neutralisierungstendenzen) zunächst einmal aufzulösen.81 Man glaubt, den Täter auf diesem Wege besser als mit bloßer Bestrafung „zur Einsicht in die Verwerflichkeit seines Tuns und zur Übernahme von Verantwortung für die Folgen seiner Straftat“ veranlassen zu können.82 Es wird darauf hingewiesen, dass eine solche Auseinandersetzung mit der Tat für den Täter durchaus positiv sein könne. Insbesondere stelle die Bereitschaft zu einer offenen im Angesicht anderer ausgesprochenen Entschuldigung eine hohe Persönlichkeitsleistung dar, die psychologisch befreiend, im Idealfall sogar ausgesprochen kathartisch wirken könne.83 Auf der anderen Seite steht das seelische Ungleichgewicht des Opfers, aber auch eine Störung des sozialen Friedens insgesamt. Die Konfliktregulierung zielt nun auf die Herstellung eines neuen Gleichgewichts, wobei insbesondere der mit der Straftat verbundene Konflikt zwischen Verletztem und Täter im Mittelpunkt steht, aber auch generalpräventive Erwägungen eine Rolle spielen. Der soziale Friede soll durch die Verantwortungsübernahme des Täters gefördert werden, zwischen den Beteiligten durch Entschärfung und bestenfalls Beilegung des als zugrunde liegend angesehenen Konflikts, gesellschaftlich durch die im Wege der Ausgleichsbemühungen offenbar werdende Normanerkennung des Täters.84 Rolf, Gebrauchstextsorten, S. 277. Rolf, Gebrauchstextsorten, S. 277 f. 80 Vgl. Rolf, Gebrauchstextsorten, S. 277 f. 81 Zu diesem für den Täter-Opfer-Ausgleich nach § 46a Nr. 1 StGB typischen Konfrontationsmoment vgl. Hartmann, Staatsanwaltschaft, S. 30 f.; Nothhafft, MschrKrim 84 (2001), 154 (161); Jescheck / Weigend, AT, S. 866; Schroth, Rechte des Opfers, Rn. 144. 82 BT-Drs. 12 / 6853, S. 21; vgl. auch Walter / E. Hassemer / Netzig / Petzold, in: Breidenbach / Henssler, Mediation für Juristen, S. 204. 83 Vgl. Kerner, in: Haft / Schlieffen, Handbuch Mediation, § 49 Rn. 42; vgl. auch Jescheck / Wiegend, AT, S. 866. 84 Sinn und Zweck des § 46a StGB ist allerdings nicht, dass der Täter gegenüber der Gesellschaft die Verantwortung für die Tat übernimmt und sich zu dieser in öffentlicher Haupt78 79

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Die vom TOA erhoffte stabilisierende Wirkung wird dabei hauptsächlich in Bezug auf das Opfer deutlich. So wird eine wesentliche Funktion des TOA darin gesehen, dem durch die Tat verursachten Gefühl der Ohnmacht entgegenzuwirken und dem Opfer Handlungskompetenz zurückzugeben, indem dieses seine Gefühle und Bedürfnisse unmittelbar äußern kann. Schon die Möglichkeit, das erfahrene Leid zum Ausdruck bringen zu können, kann den Betroffenen emotional entlasten.85 Ein stabilisierender Effekt kann daraufhin insbesondere vom kommunikativen Beitrag des Täters ausgehen. Ein gelassen und ohne Reue erscheinender Täter kann für das Opfer eine erneute Negierung seiner Integrität bedeuten. Übernimmt der Täter nach der Konfrontation mit den Folgen der Tat die Verantwortung für diese und entschuldigt sich aus ersichtlich glaubhafter Reue, so kann dies das Opfer psychisch entlasten, und zwar einerseits durch die Relativierung der ursprünglich zum Ausdruck gebrachten Missachtung, andererseits auch durch eine Minderung der Furcht vor zukünftigen Schädigungen oder Auseinandersetzungen.86 Damit wird aber zugleich eine Schwäche mediativer Kommunikationsformen erkennbar: Eine stabilisierende Wirkung wird ein expressiver oder auch assertiver Sprechakt (wie die Entschuldigung bzw. das Bekennen des Täters zu seiner Tat und Verantwortung) nur dann beim Hörer hinterlassen, wenn dieser von einer aufrichtigen Äußerung ausgehen kann. Expressive Sprechakte sind in besonderer Weise durch die Aufrichtigkeitsbedingung geprägt, da sie diese unmittelbar zum Ausdruck bringen. Aber auch ein assertiver Sprechakt wird das Klärungsbedürfnis des Hörers nicht befriedigen und damit auch keine mittelbare emotionsstabilisierende Wirkung entfalten, wenn der Hörer von der Unglaubwürdigkeit des Sprechers ausgeht und den erhobenen Wahrheits- oder Geltungsanspruch daher zurückweist. Wenn es zu den Grundbedingungen menschlicher Interaktion gehört, den mit einer Handlung zum Ausdruck gebrachten inneren Haltungen erhebliches Gewicht beizumessen, gilt dies im Besonderen für den Beitrag des Täters im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs. Nun kann die Aufrichtigkeit des Sprechers gerade im Rahmen des TOA zweifelhaft sein, steht hier doch letztlich eine Strafmilderung bzw. eine Abwendung von Strafe in Aussicht. Dass die vom Täter geäußerten Sprechakte regelmäßig durch verhandlung bekennt, vgl. BGH NStZ 2003, 199; doch will die Norm mit den Anforderungen an einen friedensstiftenden Ausgleich auch in dem aus generalpräventiver Sicht erforderlichen Umfang sicherstellen, dass nicht jede Form des Schadensausgleichs ausnahmslos und ohne Rücksicht auf den Einzelfall dem Täter zugute kommt, BT-Drs. 12 / 6853, S. 21. 85 In der Bielefelder Studie (vgl. oben Fn. 36) gaben 67,4 % der Befragten an, am TOA teilnehmen zu wollen, um dem Beschuldigten den eigenen Ärger bzw. die eigene Angst zu verdeutlichen, vgl. dazu oben Fn. 59; vgl. des Weiteren Kerner, in: Haft / Schlieffen, Handbuch der Mediation, § 49 Rn. 13; Hartmann, Staatsanwaltschaft, S. 29. 86 Vgl. Kerner, in: Haft / Schlieffen, Handbuch Mediation, § 49 Rn. 42; vgl. zum Ganzen insbesondere Hartmann, Staatsanwaltschaft, S. 29 f. m. w. N; vgl. auch Walter / E. Hassemer / Netzig / Petzold, in: Breidenbach / Henssler, Mediation für Juristen, S. 204; Schroth, Rechte des Opfers, Rn. 147.

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diese Aussicht motiviert sein werden, wird nicht nur allgemein hingenommen, die Ausgleichsbereitschaft soll sogar ganz bewusst durch das im Hintergrund stehende strafrechtliche Instrumentarium gefördert werden.87 Strafrechtliche Sanktionen sind in einem konfliktorientierten Verständnis von Kriminalitätsbewältigung einerseits nur sekundäre (und möglichst zu meidende) Reaktion auf schädigende Handlungen, andererseits könnte auf sie (insbesondere als Druckmittel) selbst in einem weitgehend mediativ ausgestalteten Verfahren nicht verzichtet werden.88 Das Prinzip der Freiwilligkeit wird beim Täter-Opfer-Ausgleich demnach auch anders verstanden als bei § 24 StGB: Es ist auch dann gewahrt, wenn die Einigung unter dem Druck des Strafverfahrens zustande kommt, solange der Täter nicht mit darüber hinausgehenden Druck zum Ausgleich gezwungen wird.89 Darin liegt aber durchaus eine strukturelle Schwäche des TOA-Verfahrens begründet, wie der Vergleich der Ausgangslage des TOA-Verfahrens mit der des Rücktritts vom Versuch und der tätigen Reue verdeutlicht hat. Der TOA ist in besonderer Weise auf den Ausdruck innerer Haltungen angewiesen, weil noch keine freiwillige Umkehrleistung des Täters vorliegt. Die im TOA geäußerten Sprechakte sind daher in besonderer Weise durch die Bedingung der Aufrichtigkeit geprägt, die mit ihrem Vollzug zum Ausdruck gebracht wird. Die Aufrichtigkeit ist aber sehr fraglich, da die Sanktionsdrohung stets im Hintergrund steht und der Täter zwar eine Rechtfertigung vorbringen kann, deren Erfolg im Täter-Opfer-Ausgleich aber letztlich nicht vorgesehen ist.90 Dies ist strukturell ein sehr problematischer Ausgangspunkt für ein Verfahren, das auf der Freiwilligkeit der Kommunikation 87 Vgl. etwa Kaspar, Anmerkung zu BGH 1 StR 405 / 02 (NJW 2003, 1466), JR 2003, 426 (427); vgl. auch Hartmann, Staatsanwaltschaft, S. 32, 69 f.; Meier, Sanktionen, S. 348 f.; Kilchling NStZ 1996, 309 (313); in der genannten Bielefelder Studie (vgl. oben Fn. 36) stand für 96,1 % der befragten Beschuldigten als Motiv für die Teilnahme im Vordergrund, die Angelegenheit möglichst rasch zu erledigen und für 95 %, den Vorfall mit dem Geschädigten zu klären. Insgesamt 81,5% nahmen teil, um ein Gerichtsverfahren zu umgehen; fast die Hälfte erhoffte sich eine mildere Bestrafung, vgl. Bals, MschrKrim 89 (2006), 131 (134 f.) und Bals / Hilgartner / Bannenberg, Täter-Opfer-Ausgleich im Erwachsenenbereich, S. 403 ff.; zu den Teilnahmemotiven im Jugendbereich vgl. auch Kunz, MschrKrim 90 (2007), 466 (471). 88 So sogar Christie, Kriminalität, S. 188 ff. 89 Vgl. dazu noch Meier, Sanktionen, 1. Auflage, S. 315: Freiwilligkeit könne nur bedeuten, dass Täter und Opfer von den übrigen Verfahrensbeteiligten nicht zum Ausgleich gezwungen werden; in den nachfolgenden Auflagen (3. Auflage S. 349) nun etwas weniger pointiert: Es dürfe kein „über die gegebenen Rahmenbedingungen hinausgehender Druck“ ausgeübt worden sein (nun aber mit dem Hinweis, dass die Motive des Täters zwar nicht für die Einleitung des TOA, wohl aber für die Strafzumessung Bedeutung haben könnten); vgl. auch Hartmann, Staatsanwaltschaft, S. 69 f. u. Bannenberg / Uhlmann, in: Dölling u. a., TäterOpfer-Ausgleich in Deutschland, S. 42 f. Die Freiwilligkeit ist nach BGH NStZ 1995, 284 selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn der Täter Leistungen erbringt, nachdem er vom Opfer bereits auf Zahlung in Anspruch genommen wurde. 90 Denn dann hätte das Verfahren gar nicht stattfinden dürfen, vgl. zu dieser strukturell bedingten Zwangslage im TOA insbesondere Bleckmann / Tränkle, Zeitschrift für Rechtssoziologie 25 (2004), 79 (96 f.) sowie Tränkle, Im Schatten des Strafrechts, S. 44 ff., 319 ff., 326 ff., 335 ff.

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aufbaut. Es besteht die Gefahr, dass das gesamte Verfahren auf ein bestimmtes kommunikatives Ziel hin betrieben wird, sich damit aber letztlich selbst konterkariert und zur bloßen Simulation verkommt.91 Denn letztlich ist das TOA-Verfahren darauf angewiesen, die Aufrichtigkeit der Bemühungen des Täters darzustellen. Dazu muss es aber den Druck, der vom Strafverfahren tatsächlich ausgeht, möglichst verschleiern.92 Es ist davon auszugehen, dass diese Logik des Verfahrens auch dem Opfer der Straftat bewusst ist. Dann ist aber durchaus die Frage berechtigt, welchen Wert der kommunikative Beitrag des Täters für das Opfer überhaupt hat – abgesehen von der unbestreitbaren materiellen Komponente, die darin besteht, dass das Opfer eine Schadenswiedergutmachung erhält, die es sonst von dem oft mittellosen Täter kaum erhalten würde.93 Kilchling stellt etwa mit Blick auf die Haltung von Kon91 Dazu Bleckmann / Tränkle, Zeitschrift für Rechtssoziologie 25 (2004), 79 (96 ff.) und Voß, MschrKrim 72 (1989), 34 (48 f.). 92 Bleckmann / Tränkle, Zeitschrift für Rechtssoziologie 25 (2004), 79 (97) bringen dies auf den Punkt, indem sie feststellen, die „contritio“ sei Leistung des Verfahrens, nicht des Täters. Bleckmann / Tränkle weisen darauf hin, dass die „Einsicht“ des Täters in die Sozialschädlichkeit seines Verhaltens interaktionslogisch herbeigeführt werde, indem eine Rechtfertigung als Argumentationsfigur zwar strukturell erzeugt, ihre Akzeptanz durch die Interaktionspartner (Opfer, Mediator) aber nicht vorgesehen sei. Die Rechtfertigung habe strukturell keine Durchsetzungschance, vielmehr ziele die Interaktionslogik von vornherein auf deren Scheitern und auf eine Wiedergutmachungsvereinbarung, welche dann wiederum als Deutungsgrundlage für die erfolgte Unrechtseinsicht diene, m. w. N. a. a. O.; vgl. auch die Untersuchungsergebnisse bei Tränkle, Im Schatten des Strafrechts, S. 44 ff., 319 ff., 326 ff., 335 ff.; vgl. auch Voß, MschrKrim 72 (1989), 34 (48): Die Veranstaltung werde „vor dem Hintergrund des drohenden Strafverfahrens als Zwang und als Simulation erlebt, die zur Heuchelei zwingen, um die Situation erträglich zu halten“. 93 Einige Studien legen nahe, dass es den Opfern hauptsächlich um Schadenswiedergutmachung (Streng ÖJZ 1994, 147), nicht aber um „therapeutische“ Konfliktregelung (Voß, MschrKrim 1989, 34 (48)) oder gar Versöhnung (insbesondere Kilchling, Opferinteressen, S. 474 f.; vgl. auch Sessar, Wiedergutmachen oder strafen, S. 168 und Sessar / Beurskens / Boers, KrimJ 1986, 86 (93), insbesondere hinsichtlich der Opfer von Körperverletzungsdelikten) geht; zusammenfassend Kilchling, NStZ 1996, 309 (316); vgl. auch Kilchling, Opferinteressen, S. 402 ff.: Bei der Art der gewünschten Wiedergutmachung spielten ausgerechnet die nicht-materiellen Optionen wie Entschuldigung, bestimmte persönliche Leistungen oder symbolische Gesten eine geringe Rolle, allerdings maßen Kontaktopfer, Opfer mit psychischen oder körperlichen Schäden oder überhaupt Opfer schwerer Delikte diesen Komponenten eine höhere Bedeutung zu, wobei wiederum zu berücksichtigen ist, dass es in diesen Fällen häufig an zu beziffernden Sachschäden fehlt. Ein anderes Bild hinsichtlich der Entschuldigung offenbarte die genannte Bielefelder Studie (oben Fn. 36): 79,3 % der Befragten gaben an, am Ausgleichsverfahren teilnehmen zu wollen, um eine Entschuldigung vom Beschuldigten zu erhalten und 80,3% verwiesen auf das Interesse an einer Klärung des Vorfalls (58,8% nahmen teil, um materielle Leistungen zu erhalten), vgl. den Nachweis bei Bals, MschrKrim 89 (2006), 131 (133). Dieses Ergebnis ist aber insoweit nicht repräsentativ, als es sich nur um grundsätzlich als geeignet erachtete, zugewiesene und durchgeführte Fälle handelt sowie kaum Eigentumsdelikte erfasst sind. Erklären lässt sich daraus aber die große Bedeutung der Entschuldigung in tatsächlich durchgeführten Ausgleichsverfahren. Interessant ist hinsichtlich der in 65% aller Fälle tatsächlich ausgesprochenen Entschuldigung, dass diese nicht von

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taktopfern zum klassischen Mediationsmodell94 fest, „etwas weniger mit inhaltlichen Versöhnungsidealen beladene Schlichtungskonzepte“ könnten die Popularität des Ausgleichsgedankens möglicherweise deutlich erhöhen.95 Der „universelle, unbehebbare Verdacht“, der nach Luhmann jegliches Kommunikationsverstehen kennzeichnet96, ist damit bei Sprechakten im Rahmen des TOA in besonderer Weise gegenwärtig, geht es doch stets um die Abwendung oder Minderung förmlicher Sanktionierung. Das Verfahren ist aber in besonderer Weise darauf angewiesen, die Aufrichtigkeit der Bemühungen des Täters darzustellen. Zwar wird darauf hingewiesen, dass die Beweggründe und die Tragfähigkeit der Motive des Täters bei der Bewertung eines erfolgten Ausgleichs keine Rolle spielen dürften.97 Wenn es wie gezeigt in der Logik des Verfahrens liegt, dass der Täter in dem Bestreben handelt, ein Strafverfahren zu vermeiden oder eine Strafmilderung zu erzielen, kann ihm dies tatsächlich nicht zum Nachteil gereichen.98 Es darf ihm aber nicht ausschließlich um die Vergünstigungen des § 46a StGB gehen. Gesteht der Täter seine Verantwortlichkeit offensichtlich nur ein und entschuldigt sich nur, weil ein Scheitern des Ausgleichsversuchs eine höhere Strafe oder die Fortführung des Strafverfahrens und ein ungewisses Ende desselben bedeutet99, ist dies für das Opfer nicht besonders befriedigend. Bei der Wertung des Täterbeitrags kann nicht außer Betracht bleiben, inwieweit der Täter eine geänderte innere Haltung manifestiert hat. Der Täter muss „hinreichend Reue zeigen und darf nicht offensichtlich bloßer Klugheit folgen, sich nur äußerlich mit den Machtverhältnissen abfinden und sich nach sozialer Erwünschtheit verhalten“.100 Bemühungen des Täters müssen glaubhaft und ernst gemeint sein, sodass von einer friedensstiftenden Motivation ausgegangen werden kann.101 Ein Ausgleichsversuch muss daher allen Geschädigten als aufrichtig wahrgenommen wurde. Fast 22 % der befragten Geschädigten gaben an, der Beschuldigte habe seine Entschuldigung eher nicht ernst gemeint, 13,5 % waren der Meinung, die Entschuldigung sei gar nicht ernst gemeint gewesen, vgl. Bals / Hilgartner / Bannenberg, Täter-Opfer-Ausgleich im Erwachsenenbereich, S. 416 f. u. 456 f. 94 Vgl. dazu unten Fn. 215. 95 Kilchling, Opferinteressen, S. 691. 96 Vgl. oben 2. Kap. A.V.2.a). 97 Hartmann, Staatsanwaltschaft, S. 32; Meier, Sanktionen, S. 348 f. im Gegensatz zur Erstauflage jetzt mit Hinweis auf die Berücksichtigungsmöglichkeit i.R.d. Strafzumessung. 98 Sehr restriktiv aber die Entscheidung des BayObLG, StV 1995, 367, wonach es wesentlich darauf ankommen soll, ob der Täter aus Einsicht in die Erforderlichkeit eines TäterOpfer-Ausgleichs oder aber in dem Bestreben gehandelt hat, ein Strafverfahren zu vermeiden. 99 Bals, MschrKrim 89 (2006), 131, (136). 100 Bleckmann / Tränkle, ZfRSoz 2004, 79 (95); vgl. auch BGH NStZ 2006, 275: Eine Geldleistung, die allein zur Reduzierung des Strafmaßes erbracht scheint, reicht für einen erfolgreichen Täter-Opfer-Ausgleich nicht aus; vgl. auch Matt, DVJJ-Journal 1999, 44 (46 f.). 101 Vgl. Kaspar, JR 2003, 426 (427); BGH NStZ 2002 646 (647); BGH NJW 2003, 1466 (1468); vgl. auch BGH StraFo 2004, 176.

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als gescheitert gelten, wenn der Täter die ideelle Komponente der Wiedergutmachung nicht erfüllt, indem er etwa eine Entschuldigung nur formal abgibt und das Tatopfer diese deshalb nicht annimmt.102 Es besteht die Gefahr, dass die Geschädigten mit dem durchgeführten Täter-Opfer-Ausgleich nicht zufrieden gestellt werden können, wenn sie die Bemühungen des Täters als unaufrichtig und nicht ernsthaft wahrnehmen und an dessen Reue zweifeln.103 Wenn insoweit die Aufgabe der Vermittler darin gesehen wird, bei objektiv oder subjektiv auf Seiten der Geschädigten empfundener unaufrichtiger Haltung des Beschuldigten zu intervenieren und weitere Klärungshilfen anzubieten104, so scheint dies nur sehr begrenzt möglich. Denn wie gezeigt ist Aufrichtigkeit als solche nicht kommunizierbar, jegliche Beteuerung wirkt gegen die Absicht.105 Daher wird auch verlangt, dass der Täter die Verantwortungsübernahme durch geeignete Handlungen gewissermaßen „zeigt“. So wird der Erfüllung kommissiver Sprechakte durch Restitutionszahlungen oder anderen tatsächlichen Handlungen eine weitergehende Bedeutung beigemessen. Sie dienen nicht nur der Schadenswiedergutmachung wie im Zivilrecht, vielmehr soll damit zugleich der grundsätzliche Verdacht der Unaufrichtigkeit ausgeräumt bzw. abgeschwächt und die Reue des Täters sowie dessen geänderte Haltung hinsichtlich der Tat zum Ausdruck gebracht werden.106 Zwar kann ein expressiver Sprechakt nicht erfüllt werden.107 Der damit zum Ausdruck gebrachte innere Zustand kann aber durch nachfolgendes Verhalten an Glaubwürdigkeit gewinnen. Die erfolgten Leistungen dienen auf diese Weise als Indizien für die Aufrichtigkeit der Sprechakte des Täters und damit letztlich auch als Deutungsgrundlage für die Annahme einer tatsächlichen Verantwortungsübernahme. Dass die tatsächlichen Leistungen ihrerseits durch eine wahrgenommene Unaufrichtigkeit des Täters „gefärbt“ sind, bleibt ein nicht lösbares strukturbedingtes und kommunikatives Problem. Die genannten Probleme verstärken sich dann, wenn die Leistungen des Täters nicht im Rahmen eines auf fachlichen Standards basierenden Verfahrens erbracht wurden, sondern durch Vermittlung eines Anwalts oder auf sonstigem Wege zustande kamen. Wie bereits erwähnt, findet inzwischen eine Vielzahl von Aus102 So BGH NJW 2003, 1466 (1468); der BGH sieht hier auch die Gefahr, dass der Täter die Vergünstigung des § 46a i.V. m. § 49 I StGB durch ein „routiniert vorgetragenes Lippenbekenntnis“ erlangt oder das Opfer schwerer Delikte Pressionen aussetzt und dann ein „versöhntes Opfer präsentiert“, vgl. dazu noch unten D.II.; vgl. sehr weitgehend BGH NStZ 2002 646 (647), wo die Tatsache, dass der Schmerzensgeld zahlende Täter die Notlage des Opfers kannte, für die Ablehnung einer „friedensstiftenden Motivation“ herangezogen wurde. 103 Mit diesen Bedenken Bals / Hilgartner / Bannenberg, Täter-Opfer-Ausgleich im Erwachsenenbereich, S. 456 f. 104 So Bals / Hilgartner / Bannenberg, Täter-Opfer-Ausgleich im Erwachsenenbereich, S. 456 f. 105 Vgl. dazu ausführlich oben 2. Kap. A.V.2.a). 106 Vgl. dazu auch schon oben B. 107 Vgl. oben 2. Kap. B.II.

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gleichsbemühungen auf diesem informellen Wege statt.108 Häufig ist dann nicht klar, ob das Opfer in den kommunikativen Prozess mit einbezogen wurde und die Leistungen des Täters als Ausgleich akzeptiert. Zudem ist es schwierig zu beurteilen, inwieweit die – häufig anwaltlich vermittelten – Bemühungen des Täters als „sozialkonstruktive Leistung“ anerkannt werden können.109 Die Frage nach der Bedeutung und Glaubhaftigkeit der Leistungen des Täters ist in diesen Fällen besonders virulent. Neben dem zweifelhaften Versuch einer Kommunikation von Aufrichtigkeit ergibt sich ein weiteres strukturelles Problem dadurch, dass im Täter-Opfer-Ausgleich eine von den konkret Beteiligten unabhängige Abgrenzung von Unrechtsbereichen nicht möglich ist. Zwar erfährt die in der Tat zum Ausdruck kommende Missachtung insoweit eine Relativierung, als der Täter sich beim Opfer entschuldigt und Wiedergutmachung leistet. Die Anerkennung des geschehenen Unrechts durch die Gesellschaft wird jedoch mangels deklarativer illokutionärer Kraft nicht kommuniziert. Stets bleibt die erzielte Einigung das Ergebnis eines zwischen den Beteiligten ausgehandelten Konflikts.110 Will der Vermittler die gesellschaftlich relevanten Normen im TOA-Verfahren durchsetzen, kann er dies nur indirekt; andernfalls besteht die Gefahr, dass sich das TOA-Verfahren einem autoritativen Verfahren annähert und keine echte Alternative zur strafrechtlichen Kommunikation mehr darstellt. Dies wäre aber angesichts des Verlusts an Verfahrensrechten in einem grundsätzlich informellen Verfahren nicht hinnehmbar. Im Folgenden sollen die kommunikativen Besonderheiten des Täter-Opfer-Ausgleichs exemplarisch an einigen Fallgruppen dargestellt werden. Es wird sich dabei Vgl. oben A. Dass der ursprüngliche, konfliktorientierte Ansatz des TOA hier schnell verloren geht zeigt sich insbesondere an folgenden Ausführen in SK-Horn, § 46a Rn. 6 zum Erfordernis der „Absicht einer Lösung des der Tat zugrunde liegenden Gesamtkonflikts“: „[ . . . ] es ist zunächst gänzlich unklar, was von dem z. B. haftpflichtversicherten Fahrlässigkeitstäter über den Umstand hinaus zu verlangen ist, dass dieser den Vorfall seiner Versicherung meldet und für die Ersatzleistung an den Verletzten sorgt. Wo – wie in Fahrlässigkeitsfällen regelmäßig – schon ein Gesamtkonflikt zwischen Täter und Opfer fehlt, bedarf es unter erwachsenen Menschen keiner zusätzlichen Beschwichtigungsgesten des Täters (z. B. persönlicher Kontakte), die über die nackte Regelung des konkret gebotenen Ausgleichs hinausgehen [ . . . ]; es ist nicht notwendig, dass der Täter das Schreiben, mit dem er den Scheck zustellt, auch noch mit Entschuldigungsfloskeln garniert, damit ihm eine ,realistische Chance auf Honorierung seiner Ausgleichsbemühungen‘ schon bei der Strafrahmenbestimmung nach § 46a (und nicht erst bei der Strafhöhenfestsetzung nach § 46) eingeräumt werden kann.“; vgl. dazu die Entscheidung des BayObLG in NStZ 1998, 356, dessen Entscheidung ein Sachverhalt zugrunde lag, in dem sich ein Verteidiger auf eben jene Argumentation beruft, das BayObLG verlangt entgegen dieser „unsensiblen Betrachtungsweise“ das Bemühen um einen persönlichen Kontakt und eine Entschuldigung; vgl. zum Ganzen auch Oberlies, Streit 2000, 99 (104). 110 Dass eine faktische Definitionsmacht des TOA-Vermittlers als „Hüter der Norm“ die gesellschaftliche Normbestätigung nicht ersetzen kann, wird daran deutlich, dass das Opfer dem TOA im Falle der offensichtlichen Unaufrichtigkeit des Täters in ideeller Hinsicht nicht viel wird abgewinnen können, vgl. dazu schon oben Fn. 30. 108 109

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zeigen, dass der Rückgriff auf die Alltagskommunikation eine schwierige Bewertung der Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit der Bemühungen des Täters, also der Aufrichtigkeitsbedingung einerseits, aber auch der Stellung des Opfers hierzu, also perlokutionärer Effekte andererseits, nötig macht.

D. Implikationen für das Verhältnis des Strafrechts zum Täter-Opfer-Ausgleich Die Idee, einen Beitrag des Täters (teilweise) an die Stelle strafrechtlicher Kommunikation treten zu lassen, hat für Täter und Opfer entscheidende Vorteile. Die illokutionäre Kraft strafrechtlicher Kommunikation beinhaltet die besondere Gefahr einer Stigmatisierung des Täters. Der Rückgriff auf alltägliche Konfliktlösungsmechanismen kann eine solche Stigmatisierung reduzieren. Für das Opfer können mediative Verfahren unter Umständen weniger belastend sein: Das strafrechtliche Verfahren, das auf eine deklarative Schuldfeststellung gerichtet ist111, zwingt den Täter in eine Verteidigungshaltung; das Opfer wird zum „Gegner“ und gerät damit in eine potentiell reviktimisierende Situation. Der Täter-Opfer-Ausgleich ermöglicht dem Täter eine zukunftsgerichtete Perspektive. Während das strafrechtliche Verfahren retrospektiv ausgerichtet ist, erhält der Täter im Rahmen des TOA die Chance, sich auf eine Wiedergutmachung der Folgen seiner Tat zu konzentrieren; damit ist zugleich die Hoffnung verknüpft, der Täter könne auf diesem Wege seine Verteidigungshaltung und damit verbundene Neutralisierungstechniken aufgeben.112 Für das Opfer stellt dies eine Möglichkeit dar, mit dem Täter auf andere Weise in Kontakt zu kommen, Angst abzubauen und seine Interessen nachhaltig zur Geltung zu bringen.113 Allerdings gibt es deutliche Hinweise dahingehend, dass das oben114 angesprochene Grundvertrauen in menschliche Beziehungen auch durch einen Täter-Opfer-Ausgleich nicht wieder hergestellt werden kann: So war in einer aktuellen Studie die Angst vor dem jeweiligen Täter nach Durchführung des TOA zwar verringert, nicht jedoch die Angst davor, erneut Opfer einer Straftat zu werden.115 Insbesondere aber bedeutet die Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs zugleich eine sehr unmittelbare Konfrontation mit dem belastenden Geschehen, sodass die Gefahr besteht, dass der TOA eine Bewältigung des Geschehens gerade erschwert (dazu sogleich). Zu den assertiven Deklarationen vgl. oben 3. Kap. A.III. Vgl. dazu etwa Kerner, in: Haft / Schlieffen, Handbuch Mediation, § 49 Rn. 19; Hartmann, Staatsanwaltschaft, S. 30 f. 113 Zusammenfassend Kerner, in: Haft / Schlieffen, Handbuch Mediation, § 49 Rn. 11 ff. 114 Vgl. 4. Kap. 115 Vgl. dazu die Bielfelder Studie (oben Fn. 36), Bals / Hilgartner / Bannenberg, TäterOpfer-Ausgleich im Erwachsenenbereich, S. 439 f., 443 f. u. 460 f. 111 112

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Des Weiteren ist durch die Institutionalisierung des TOA die Tendenz angelegt, dass Entschuldigungen und materielle Wiedergutmachungsleistungen die Form „quasi rechtlich garantierter Strafrabatte“ annehmen.116 Vor dem Hintergrund der aufgezeigten semantischen und pragmatischen Schwächen alltäglicher Kommunikationsformen ist dies problematisch. Die strafrechtliche Praxis muss daher in wertender Betrachtung entscheiden, inwieweit die Bedeutungen zwischenmenschlicher Kommunikation einen (teilweisen) Strafverzicht rechtfertigen können. Dabei kommt insbesondere das Opfer in den Blick, das von der Wiedergutmachung und dem Ausgleich mit dem Täter ja gerade profitieren soll.117 Insofern wird die Ausgangsfrage relevant, inwieweit das Opfer möglicherweise mehr braucht, als der Täter ihm kommunikativ bieten kann. Anhand der erörterten bedeutungstheoretischen Besonderheiten strafrechtlicher und mediativer Kommunikation und den dargestellten psychotraumatologischen Erkenntnissen lassen sich Grenzen alltäglicher Kommunikation aufzeigen und gewisse Implikationen für die strafrechtliche Praxis ableiten. Dabei kommen zwei Fallgruppen in Betracht, die nach derzeitiger Anwendungspraxis im Grenzbereich zwischen konfliktregulierender und ausschließlich strafrechtlicher Bewältigung liegen: die Anwendung des § 46a Nr. 1 StGB in Fällen schwerer Gewalt- und Sexualdelikte sowie in Fällen häuslicher Gewalt. Im Besonderen geht es um das Problem, inwieweit ein Geständnis des Täters Voraussetzung für einen erfolgreichen Täter-Opfer-Ausgleich ist, zudem stellt sich bei der wertenden Beurteilung des kommunikativen Prozesses zwischen Täter und Opfer die Frage, inwieweit der Opferwille Berücksichtigung finden kann.

I. Geständnis als Voraussetzung für den Täter-Opfer-Ausgleich bei Gewalt- und Sexualstraftaten? Es wurde aufgezeigt, dass expressive Sprechakte dadurch gekennzeichnet sind, dass sie keine Wort-Welt-Ausrichtung aufweisen und lediglich die Aufrichtigkeitsbedingung zum Ausdruck bringen. Dadurch sind sie in besonderer Weise von der Modalität ihrer Äußerung abhängig, denn sie können weder wahr sein (also wie etwa assertive Sprechakte eine Übereinstimmung zwischen propositionalem Gehalt und „Welt“ aufweisen) noch wahr gemacht werden (also wie kommissive Sprechakte erfüllt werden). Mit anderen Worten: Expressive Sprechakte können nur an116 So Oberlies, Streit 2000, 99, die davon ausgeht, dass eine solche Entwicklung längst stattgefunden habe; symptomatisch ist der einer Entscheidung des 1. Strafsenats vom 13. 02. 2007 (1 StR 574 / 06, wiedergegeben bei http: // www.hrr-strafrecht.de) zugrunde liegende Fall, wo bei einem schweren Sexualdelikt offensichtlich nicht ausreichende Leistungen des Täters von der Vorinstanz mit einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 46a Nr. 1 StGB i.V. m. 49 I StGB honoriert wurden. 117 Zu der erstrebten Besserstellung des Opfers vgl. etwa die Gesetzesbegründung, BTDrs. 12 / 6853, S. 21 f.

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gemessen oder unangemessen, nicht aber wahr oder unwahr sein.118 Sie haben demnach keine Erfüllungsbedingungen, sondern setzen die Wahrheit der zum Ausdruck gebrachten Proposition lediglich voraus. So wird bei einer Entschuldigung die als negativ bewertete Handlung als geschehen unterstellt. Die Verantwortlichkeit spielt nur als vorbereitende Bedingung eine Rolle, wird jedoch nicht unmittelbar mit dem propositionalen Akt zum Ausdruck gebracht. Mit einer Entschuldigung wird also der illokutionäre Zweck verfolgt, Bedauern oder Reue auszudrücken, die Verantwortlichkeit kann aber im Einzelnen ungeklärt bleiben. Genau diese Eigenart expressiver Sprechakte zeigt sich in einem Fall, den der 1. Senat des BGH zu entscheiden hatte.119 Dieser Fall betrifft eine Verurteilung wegen Vergewaltigung. Der Angeklagte versuchte vergeblich, gegen den Willen des Tatopfers mit diesem den Geschlechtsverkehr durchzuführen. Im Laufe des Tatgeschehens fügte er ihr Kratzwunden sowie erhebliche Schmerzen zu und führte anschließend den Oralverkehr an ihr durch. In der Hauptverhandlung räumte der Angeklagte die an der Geschädigten vorgenommenen sexuellen Handlungen ein. Er bestritt aber, Nötigungsmittel angewandt zu haben; alle sexuellen Handlungen seien einverständlich erfolgt. Von der Schuld des Angeklagten überzeugte sich die Strafkammer auf Grund der glaubhaften Aussage der Geschädigten. Die Anwendung des § 46a Nr. 1 StGB begründete das LG wie folgt120: Nach einem gerichtlichen Hinweis gem. § 155a StPO auf die Möglichkeit des TOA sei der Angeklagte von seiner ursprünglichen Einlassung insoweit abgewichen, als er ein „Missverständnis bzw. ein Verschulden“ einräumte. Der Angeklagte habe sich auch – nach Auffassung der Kammer ernsthaft – bei dem Tatopfer entschuldigt. Ein volles Geständnis habe er indessen nicht abgelegt, dies sei in Anbetracht der in der Hauptverhandlung anwesenden Familienangehörigen und Freunde des Angeklagten sowie seiner Verlobten nachvollziehbar gewesen. So habe der Angeklagte dem Tatopfer eine peinliche Befragung zwar nicht erspart, er habe sich aber am Ende der Beweisaufnahme darum bemüht, einen kommunikativen Prozess mit der Geschädigten in die Wege zu leiten. In der Hauptverhandlung habe er ernsthaft angeboten, sich unter Vermittlung eines Sozialtherapeuten mit der Geschädigten „an einen Tisch zu setzen“ und ihr „durch ein Gespräch dabei zu helfen, die Sache endgültig zu verarbeiten“. Des Weiteren bot er an, ein Schmerzensgeld in Höhe von 3500 A zu zahlen. Diesen Betrag habe seine Familie in der Hauptverhandlung zur Verfügung gestellt, die Geschädigte habe den Betrag durch ihren Beistand „als einen gewissen Ausgleich akzeptiert“. Die Staatsanwaltschaft wies im Rahmen der Revisionsbegründung darauf hin, der Angeklagte habe im Ermittlungsverfahren Zeugen benannt, die bekunden sollten, die Geschädigte biete sich gegen Geld an.121 Seine Verteidigung habe stets 118 119 120 121

Vgl. dazu schon oben 2. Kap. B.II. sowie Searle, Intentionalität, S. 24. BGH NJW 2003, 1466. Wiedergegeben in BGH NJW 2003, 1466. Zur folgenden Revisionsbegründung der StA vgl. BGH NJW 2003, 1466 f.

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– auch im Schlussvortrag des Verteidigers – auf einen Freispruch gezielt. Im Hauptverfahren habe seine Verteidigung einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache gestellt, die Geschädigte habe die Unwahrheit gesagt. Das darin zum Ausdruck gekommene weitere Bestreiten des Angeklagten habe nicht durch einen erneuten Hinweis gem. § 155a StPO unterlaufen werden dürfen. Auch nach dem Hinweis habe sich der Angeklagte nur dahin eingelassen, es handele sich um ein Missverständnis und es tue ihm leid, die Tat habe er aber weiter in Abrede gestellt. An diesem Sachverhalt wird deutlich, dass expressive Sprechakte unter Umständen die Frage der Verantwortlichkeit nicht hinreichend adressieren, um von einem friedensstiftenden Ausgleich ausgehen zu können. Im vorliegenden Fall dürfte es sich zunächst sogar um das handeln, was hier als entschuldigende Erklärung bezeichnet wurde122: Es wird der Intentionsmodus, das Wollen der Tat bestritten und allenfalls Gedankenlosigkeit123 eingeräumt. Die Entschuldigung präsupponiert dann nur diese Teilverantwortlichkeit. Bereut wird hier nicht die ganze Tat, sondern ein Missverständnis. Wenn expressive Sprechakte die Verantwortlichkeit nicht immer hinreichend verdeutlichen, stellt sich daher die Frage, inwieweit bei schweren Delikten ein Geständnis des Beschuldigten – also ein Sprechakt mit assertiver illokutionärer Kraft – für eine Strafmilderung nach §§ 46a Nr. 1 i.V. m. 49 I StGB vorausgesetzt werden muss. Grundsätzlich ist nach Sinn und Zweck des § 46a StGB ein uneingeschränktes Geständnis nicht zu verlangen.124 § 46a StGB setzt lediglich voraus, dass der Täter im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutmacht oder die Wiedergutmachung erstrebt, wobei die erreichte Wiedergutmachung oder deren Erstreben auf der Grundlage umfassender Ausgleichsbemühungen geleistet werden muss.125 Zwar lässt sich daraus zumindest ableiten, dass der Täter sich schon vor seiner Verurteilung gegenüber dem Opfer in der einen oder anderen Weise zu seiner Schuld bekennen muss.126 Dazu ist insbesondere eine Entschuldigung erforderlich, eine über den bloß materiellen Schadensersatz hinausgehende Wiedergutmachung ist ohne eine Entschuldigung kaum denkbar. Selbst wenn die Entschuldigung nicht ausdrücklich geäußert werden sollte, wird den Wiedergutmachungsbemühungen diese Bedeutung zugemessen. Dem entspricht die Beobachtung, dass nahezu sämtliche erfolgreichen TOA-Verfahren eine Entschuldigung des Täters beinhalten.127 Eine Entschuldigung ist aber nicht mit einem Geständnis – auch nicht mit einem nichtöffentlichen – gleichzusetzen. Vgl. oben 3. Kap. B.II.2.a) und dieses Kap. C. Vgl. dazu auch schon oben 3. Kap. Fn.134. 124 Vgl. auch BGH NStZ 2003, 199 (200). 125 BT-Drs. 12 / 6853, S. 21. 126 BGH NStZ 2003, 199 (200). 127 Vgl. schon oben C. bzw. die Auswertung der TOA-Statistik (oben Fn. 6) für 1993 – 2002, S. 93 und für 2003 – 2005, S. 32. 122 123

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So ist auch nach den TOA-Standards des Servicebüros für Täter-Opfer-Ausgleich ein volles Geständnis nicht notwendig, ein Einräumen der Schädigung inklusive einer Mitschuld des anderen bzw. einer gemeinsamen Eskalation des Konflikts durch beide Seiten reicht aus.128 Letztlich kann auch ein schweigender Täter in den kommunikativen Zusammenhang des TOA einbezogen werden, sodass nur ein explizit bestreitender Beschuldigter von einer Überweisung an eine Vermittlungsstelle ausgeschlossen bleiben muss.129 Das Geständnis ist als assertiver Sprechakt durch den illokutionären Zweck gekennzeichnet, den Sprecher darauf festzulegen, dass seine Äußerung einen tatsächlich bestehenden Sachverhalt repräsentiert, mithin wahr oder unwahr ist. Dementsprechend weist das Geständnis im Gegensatz zu einer Entschuldigung auch eine Erfüllungsbedingung auf, die sich auf die Wahrheit der ausgedrückten Proposition bezieht (Wahrheitsbedingung130). Beim Geständnis ist die Verantwortlichkeit für das in Frage stehende Geschehen also stets Inhalt des propositionalen Gehalts, während sie bei der Entschuldigung unausgesprochen bleiben kann. Der Sprecher legt sich bei einem Geständnis auf den propositionalen Gehalt illokutionär fest und ist damit in der Anschlusskommunikation entsprechend gebunden.131 Dies spiegelt sich auch in den intendierten perlokutionären Effekten wider. Ein expressiver Sprechakt wie die Entschuldigung ist primär auf eine emotionsstabilisierende Wirkung gerichtet. Mit einem assertiven Geständnis wird häufig ebenfalls eine solche stabilisierende Wirkung und eventuell ein entsprechendes Verhalten erstrebt (im vorliegenden Kontext kommt etwa der Versuch in Betracht, den Richter milde zu stimmen, aber auch das Opfer zu einer versöhnlicheren Haltung zu bringen). Dies geschieht aber wie gezeigt über die Preisgabe einer bestimmten Information, hier der Verantwortlichkeit für das Geschehen, und damit über die Befriedigung eines Klärungsbedürfnisses auf Seiten des Hörers.132 Dies spricht dafür, mit dem BGH bei schwereren Gewaltdelikten und Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung für einen erfolgreichen Täter-Opfer-Aus128 Servicebüro für Täter-Opfer-Ausgleich und Konfliktschlichtung, TOA-Standards (oben Fn. 10), Kap. 1.3. 129 Vgl. Hartmann, Staatsanwaltschaft, S. 68; BGH NJW 2003, 1466 (1468). 130 2. Kap. B.II. 131 Eine weitere Besonderheit des Geständnisses besteht darin, dass es durch die Institutionalisierung seiner Möglichkeit formalisiert und gefördert wird (vgl. dazu auch Rolf, Gebrauchstextsorten, S. 175 f.). Das Strafverfahren stellt den institutionellen Rahmen, der einerseits die Wahrscheinlichkeit eines Geständnisses erhöht, indem entsprechende Anreize geschaffen werden. Andererseits wird der Inhalt des Geständnisses entscheidend durch dessen institutionelle Einbettung in das Strafrechtssystem geprägt, es bezieht sich auf die für die Herstellung des Strafbarkeits- und Strafzumessungsfalls wesentlichen Teilaspekte der Lebenswirklichkeit. Doch auch die Entschuldigung unterliegt insoweit einer gewissen Institutionalisierung, als sie regelmäßiger Bestandteil eines TOA-Verfahrens ist. Dass deren Wahrscheinlichkeit bedeutend erhöht wird, ist ja gerade Sinn und Zweck einer Institutionalisierung der kommunikativen Interaktion zwischen Täter und Opfer. 132 Vgl. dazu insbesondere oben 2. Kap. B.IV.

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gleich mit der Folge einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 46a i.V. m. 49 I StGB regelmäßig ein Geständnis des Angeklagten zu verlangen.133 Während bei minder schweren Delikten die ohnehin problematische Situation für den Täter, sich mit der Durchführung des TOA in gewissem Maße faktisch zu belasten, durch eine Geständnisvoraussetzung nicht noch verschärft werden sollte, wird dem Opfer bei schweren Delikten auf diese Weise eine weitere belastende Vernehmung und Infragestellung des ihm widerfahrenen Unrechts in der Hauptverhandlung erspart. Gerade bei Sexualdelikten kann es für das Opfer sehr belastend sein, wenn seine Glaubwürdigkeit angezweifelt wird. Umgekehrt wird es bei Delikten gegen die persönliche Integrität für das Opfer häufig wichtig sein, dass das ihm zugefügte Unrecht als solches anerkannt wird.134 Der Senat weist dementsprechend darauf hin, dass ein Geständnis in der Hauptverhandlung für die innere Akzeptanz des Ausgleichs auf Seiten des Opfers oftmals besonders bedeutend und die angestrebte Wiedergutmachung ohne ein Geständnis daher kaum denkbar sei.135 Es obliege dem Tatrichter, nach diesen Maßstäben in wertender Betrachtung festzustellen, inwieweit der Täter freiwillig Verantwortung für sein Handeln übernommen habe.136 Eine solche Einzelfallprüfung sei notwendig, um einer der gesetzgeberischen Intention widersprechenden Entwicklung des Täter-Opfer-Ausgleichs zu einem Freikauf von Verantwortung zu Lasten der Opfer entgegenzuwirken.137 Zwar sind nach jüngster Rechtsprechung des 2. Senats Ausnahmen von einem umfassenden Geständnis möglich, allerdings nur dann, wenn der erfolgte Täter-Opfer-Ausgleich eindeutiges Zeichen der Übernahme von Verantwor133 BGH NJW 2003, 1466 (1468); die Entscheidung nimmt Bezug auf eine vorausgegangene Entscheidung des 2. Senats (NStZ 2003, 199 f.): Diesem Fall lag eine Verurteilung wegen Anstiftung zur Körperverletzung und zur gefährlichen Körperverletzung zugrunde (infolge letzterer kam es zu einer Luxation des Ellenbogengelenks und einem Unterkieferbruch), wobei der Angeklagte gegenüber dem Geschädigten beide Taten zugab und ein Schmerzensgeld zahlte, in der Hauptverhandlung jedoch nur die Anstiftung zur Körperverletzung eingestand. Der 2. Senat des BGH führt insoweit an, ein bestimmtes Prozessverhalten werde vom Wortlaut der Vorschrift nicht ausdrücklich gefordert, ein Geständnis des Täters in der Hauptverhandlung könne aber Anzeichen eines gelungenen Täter-Opfer-Ausgleichs sein. Oftmals sei ein Bekennen des Täters zu seiner Tat auch im Strafverfahren für das Opfer besonders wichtig und eine angestrebte Wiedergutmachung ohne ein solches kaum denkbar. Ein nur eingeschränktes Geständnis stehe der Anwendung des § 46a Nr. 1 StGB aber jedenfalls dann nicht entgegen, wenn nach gelungenen Ausgleichsbemühungen die strafrechtliche Ahndung und das Verteidigungsverhalten des Täters für das Opfer nicht mehr von besonderem Interesse sind. Da der Geschädigte keinen Strafantrag gestellt und in der Hauptverhandlung erklärt hatte, für ihn sei die Sache nach der Zahlung des Schmerzensgeldes erledigt, kam nach Auffassung des BGH in diesem Fall trotz des eingeschränkten Geständnisses eine Anwendung des § 46a i.V. m. § 49 StGB in Betracht. 134 So auch Dölling / Hartmann, Anmerkung zu BGH NJW 2003, 1466, NStZ 2004, 382. 135 BGH NJW 2003, 1466 (1468) mit Verweis auf die gleichlautende Prämisse des 2. Senats in BGH NStZ 2003, 199 (200). 136 BGH NJW 2003, 1466 (1468). 137 BGH NJW 2003, 1466 (1468).

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tung ist.138 Dass der Täter sein Geständnis begrenzt darf nicht dazu führen, dass letztlich doch wieder nur eine entschuldigende Erklärung abgegeben wird.139 Eine Einlassung wie im vorliegenden Fall kann nicht als Ausdruck der Übernahme von Verantwortung gewertet werden. Die Verantwortlichkeit für das Geschehen wird mit dem expressiven Sprechakt der Entschuldigung nur indirekt thematisiert, im vorliegenden Fall kann dies als kommunikativer Beitrag des Täters nicht ausreichen: Obwohl Bedauern ausgedrückt wird, wird die vorsätzliche Missachtung des Selbstbestimmungsrechts relativiert und die schädigende Handlung letztlich nicht eingeräumt. Es ist daher konsequent, bei schwereren Delikten für eine Honorierung des Täterbeitrags nach § 49 I StGB kommunikativ mehr zu verlangen als eine vage Entschuldigung: Erforderlich ist ein assertiver Sprechakt, welcher den Sprecher illokutionär auf den propositionalen Gehalt festlegt und in perlokutionärer Hinsicht das Klärungsbedürfnis auf Hörerseite hinreichend zu befriedigen vermag. Im Regelfall wird dazu ein ausdrückliches Geständnis erforderlich sein, eine konkludente Verantwortungsübernahme kann nur gelingen, wenn das Kerngeschehen und die Position des Geschädigten nicht in Frage stehen.140

II. Die Bedeutung des Opferwillens im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs nach § 46a Nr. 1 StGB In der oben besprochenen Entscheidung kommt (neben der erwähnten Geständnis-Problematik) die neuere Tendenz der obergerichtlichen Rechtsprechung zum Ausdruck, der Opferperspektive bei der strafzumessungsrechtlichen Wertung eines erfolgten TOA eine entscheidende Bedeutung zuzuerkennen: Der BGH misst der inneren Akzeptanz der Wiedergutmachungsleistung auf Opferseite ein wesentliches Gewicht bei der Frage zu, inwieweit eine zwischen Täter und Opfer stattgefundene Kommunikation als erfolgreicher Täter-Opfer-Ausgleich i. S. d. § 46a Nr. 1 StGB gewertet werden kann. Ein erfolgreicher Täter-Opfer-Ausgleich setzt demnach grundsätzlich voraus, dass das Opfer die Leistungen des Täters als friedensstiftenden Ausgleich innerlich akzeptiert.141 Vgl. BGH NStZ-RR 2008, 304, einschränkend zu BGH NStZ 2008, 452 f. Vgl. die Entscheidung des 2. Senats in NStZ-RR 2008, 304: Danach soll zwar eine hinreichende Verantwortungsübernahme in Einzelfällen auch dann in Betracht kommen können, wenn ein in der Hauptverhandlung abgelegtes Geständnis einzelne Tatumstände beschönigt. Allerdings darf dieses für eine entschuldigende Erklärung typische Vorbringen von entlastenden Umständen nicht den Kern des Geschehens treffen, da es sonst an einer Verantwortungsübernahme fehlt. Daher führt der Senat aus, dass es an einer Verantwortungsübernahme fehle, wenn der Täter die Tat als Notwehrhandlung darstellt und damit schon die Opfer-Rolle des Geschädigten bestreitet; vgl. insgesamt auch Fischer, § 46a Rn. 10b. 140 Siehe bereits Fn. 139. 141 Vgl. BGH NStZ 2002, 646; BGH NJW 2003, 1466 (1468); BGH StV 2004, 72; es sei darauf hingewiesen, dass ansonsten grundsätzlich Raum für eine Strafmilderung im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung nach § 46 StGB bleibt, vgl. dazu Oberlies, Streit 2000, 99 (111). 138 139

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Dass die Rechtsprechung somit auf perlokutionäre Effekte abstellt, die die Sprechakte und Leistungen des Täters beim Opfer hervorbringen sollen, ist vor dem oben geschilderten Hintergrund des TOA verständlich: Die Wiederherstellung des Rechtsfriedens geschieht im Rahmen des TOA vorrangig durch einen kommunikativen Beitrag des Täters gegenüber dem Opfer. Nach dem Grundgedanken des TOA ist eine von beiden Seiten akzeptierte, ernsthaft mitgetragene Regelung zu finden, die geeignet ist, die mit der Straftat verbundenen Konflikte beizulegen oder zumindest zu entschärfen.142 Daher ist es schon nach der grundsätzlichen Zielsetzung des Verfahrens problematisch, wenn das Opfer die Leistungen des Täters nicht anerkennt oder grundsätzlich nicht zu einer Kommunikation mit dem Täter bereit ist. Gerade bei immateriellen Schäden ist die Wiedergutmachung grundsätzlich von der Akzeptanz des Opfers abhängig (eine Entschuldigung muss angenommen, das Schmerzensgeld akzeptiert werden143). So sind aufgedrängte Entschuldigungen und Leistungen kaum geeignet, als Ausdruck einer inneren Haltung eine stabilisierende Wirkung zu entfalten. Vielmehr besteht hier der Verdacht, dass es dem Täter nicht „ernsthaft“ um eine Wiedergutmachung, sondern ausschließlich um die privilegierende Wirkung des § 46a StGB geht. Ein friedensstiftender Ausgleich setzt damit grundsätzlich voraus, dass von einem entsprechenden perlokutionären Effekt beim Opfer als Adressaten der Ausgleichsbemühungen ausgegangen werden kann. Anders als bei den deklarativen Sprechakten, die sich auf eine außersprachliche Institution stützen können und damit das Zustandekommen des intendierten perlokutionären Effekts (die Geltung des Gesagten) in gewisser Weise garantieren können144, fehlt es in der Alltagskommunikation allerdings an der Möglichkeit der Konventionalisierung perlokutionärer Effekte. In der alltäglichen Kommunikation kommt es vielmehr entscheidend darauf an, wie die Sprechakte vom Sprecher vollzogen und vom Hörer aufgenommen werden. Die Tatsache, dass der Täter-OpferAusgleich grundsätzlich auf perlokutionäre Effekte angewiesen ist, erklärt demnach auch, warum die Rechtsprechung immer wieder auf die „Ernsthaftigkeit“ der Beiträge bzw. die innere Haltung des Täters abstellen muss.145 Denn die Art und Weise, wie der Täter seinen Beitrag erbringt, entscheidet über dessen potentiell friedensstiftende Wirkung. So führt der BGH in oben besprochener Entscheidung aus, es müsse der Gefahr begegnet werden, dass der Täter die Vergünstigung des § 46a i.V. m. § 49 I StGB durch ein „routiniert vorgetragenes Lippenbekenntnis“ oder einen Anwaltsschriftsatz erlange, oder das Opfer während der Kommunikation Pressionen ausgesetzt sei und dem Tatrichter bei Sexualstraftaten oder Körperverletzungsdelikten ein „versöhntes Opfer präsentiert“ werde.146 Dabei seien insVgl. dazu schon oben A. So treffend Oberlies, Streit 2000, 99 (111). 144 Dazu oben 3. Kap. B.IV. 145 Dazu schon oben C. 146 BGH NJW 2003, 1466 (1468); mit der Annahme eines „routiniert vorgetragene[n] Lippenbekenntnis[ses]“ OLG Hamm (3 Ss 266 / 07). 142 143

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besondere der Wille des Opfers zur Versöhnung und die Frage einer erzielten Genugtuung zu berücksichtigen.147 Ein Sprechakt wird eine stabilisierende Wirkung eben nur dann erzielen können, wenn der Adressat von einer aufrichtigen Äußerung ausgeht.148 So erklärt sich, dass ein wesentlicher Aspekt der wertenden Betrachtung des Tatrichters einerseits die Ernsthaftigkeit der Bemühungen des Täters und andererseits die Frage ist „wie sich das Tatopfer [ . . . ] zu [diesen] Bemühungen des Angeklagten stellt“.149 Der Rückgriff auf alltägliche Kommunikationsmittel macht demnach eine schwierige Bewertung der Aufrichtigkeit eines Sprechakts, der damit intendierten und der erzielten perlokutionären Effekten nötig.150 Allerdings kann es nach der nach der Regelung des § 46a Nr. 1 StGB ausreichend sein, wenn der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, die Wiedergutmachung der Tat ernsthaft erstrebt hat. In dieser Regelung schlägt sich die Tatsache nieder, dass das Zustandekommen der mit alltagskommunikativen Sprechakten intendierten perlokutionären Effekte weitgehend kontingent ist. So soll nach den Gesetzesmaterialien dem Täter unter anderem in Konstellationen, in denen der Geschädigte eine für einen Ausgleich erforderliche Mitwirkung verweigert, eine realistische Chance eingeräumt werden, in den Genuss der Rechtsfolgen des § 46a StGB zu kommen.151 Der BGH verlangt diesbezüglich, dass das Bemühen des Täters gerade darauf gerichtet sein muss, zu einem umfassenden, friedensstiftenden Ausgleich zu gelangen; er muss dabei in dem ernsthaften Bestreben handeln, das Opfer zufrieden zu stellen.152 Ein einseitiges Wiedergutmachungsbestreben ohne den Versuch einer Einbeziehung des Opfers genüge dazu nicht.153 Auch hieran zeigt sich, dass dem Ausdruck innerer Haltungen entscheidendes Gewicht zukommt. So kann der erforderliche kommunikative Prozess nicht durch bloße Geldzahlungen ersetzt werden. Diese lassen nicht hinreichend erkennen, dass es dem Täter nicht nur um die Vermeidung oder Milderung einer Strafe, sondern auch um einen Ausgleich mit dem Opfer ging.154 Diese Grundsätze hat der 1. Senat des BGH in jüngerer Zeit noch einmal präzisiert und dabei der Frage, wie sich das Opfer zu den Ausgleichsbemühungen stellt, entscheidendes Gewicht für die Anwendbarkeit des § 46a Nr. 1 StGB zuBGH NJW 2003, 1466 (1468). Vgl. oben C. 149 BGH NJW 2003, 1466 (1468); vgl. auch BGH NStZ 2002, 646. 150 Vgl. Fischer, § 46a Rn. 10c; Tröndle / Fischer, 54. Auflage, § 46a Rn. 10c sprach diesbezüglich noch von „sehr schematisch wirkenden Bemühungen, den Bedeutungen zwischenmenschlicher Kommunikation juristisch verwertbare Formen abzugewinnen“. 151 BT-Drs. 12 / 6853, S. 21. 152 Grundlegend BGH NStZ 2002, 646; daraufhin in BGH NStZ-RR 2003, 363. 153 Vgl. BGH NStZ 2002, 29; NStZ 2003, 29 (30); BGH NStZ 2006, 275; BGH NStZ 2008, 452 f.; BGH NStZ 2008, 452 f. 154 BGH NStZ 2006, 275 f. 147 148

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erkannt.155 Die Anwendung des § 46a Nr. 1 StGB scheide aus, wenn sich das Opfer – etwa weil das Delikt oder Art und Umfang der Schädigungen ihm einen Ausgleich unmöglich machen – auf einen kommunikativen Prozess nicht einlasse156. Ohne eine grundsätzliche Zustimmung fehle bereits die Basis für ein Bemühen des Täters.157 Dies folge aus der Regelung des § 155a S. 3 StPO.158 Eine Einschränkung erwähnt der BGH nur für den Fall, dass ein entsprechender kommunikativer Prozess bereits stattgefunden hat; äußere sich das Opfer dann nicht dazu, ob es die angebotene Leistung als friedensstiftenden Ausgleich anerkenne, so könne daraus nicht in jedem Fall auf eine ausdrückliche Ablehnung des Verletzten mit der Konsequenz eines nicht erfolgreichen Ausgleichs geschlossen werden.159 Kritisiert wird an dieser Rechtsprechung insbesondere, dass der Gesetzgeber dadurch, dass er Ausgleichsbemühungen mit ernsthaftem Erstreben einer Wiedergutmachung ausreichen lässt, gerade in Fällen einer Mitwirkungsverweigerung des Opfers die Möglichkeit einer Strafrahmenverschiebung offen halten wollte (das Bemühen des Täters kann zumindest im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung nach § 46 II StGB Berücksichtigung finden). Es müsse als ungerecht angesehen werden, wenn das Glück darüber entscheide, ob der Täter nun auf ein ausgleichbereites oder besonders punitiv eingestelltes Opfer treffe.160 Die Regelung des § 155a S. 3 StPO sage nichts darüber aus, inwieweit eine Weigerung des Opfers für die Bewertung des Täter-Opfer-Ausgleichs eine Rolle spielt, da sie lediglich eine Schranke für die Initiativbemühungen der Strafjustiz beinhalte.161 Zudem entspreche es der Anreizfunktion des TOA, dass bloße Ausgleichsbemühungen und das ernsthafte Erstreben eines Ausgleichs ausreichen können. Diese sei deutlich geschwächt, wenn der Opferwille letztlich maßgebend wäre.162 BGH NJW 2003 1466 (1468) und BGH NStZ-RR 2003, 363. BGH NJW 2003 1466 (1468); vgl. auch BGH NStZ-RR 2003, 363 und BGH NStZ 2006, 275; andeutungsweise auch in BGH NStZ 2003, 29 (30); diese restriktive Auslegung kommt in der Entscheidung des 2. Senats in BGH NStZ 2002, 646 nicht eindeutig zum Ausdruck; der 1. Senat lässt die Frage, inwieweit der Opferwille einer Anwendung des § 46a Nr. 1 StGB entgegenstehen kann, in BGH NStZ 2002, 29 und NSTZ 2003, 29 (31) noch offen; vgl. den Überblick zur Rechtsprechung des BGH bei Rose, JR 2004, 275 (276 ff.) und Schädler, NStZ 2005, 366 ff. 157 BGH NJW 2003, 1466 (1468). 158 Vgl. BGH NStZ 2004, 382; BGH NJW 2003, 1466 (1468) und BGH NStZ-RR 2003, 363. 159 So ist die entsprechende Ausführung des BGH in NJW 2003, 1466 (1469) wohl zu verstehen, wo es allerdings heißt: „äußert sich das Tatopfer aber nicht zu dem vereinbarten Ausgleich oder den Bemühungen des Täters“: dies ist missverständlich, da bei einem vereinbarten Ausgleich ja bereits eine Äußerung des Tatopfers im Rahmen der Vereinbarung vorliegt, so auch Rose, JR 7 (2004), 275 (277, Fn. 15). Der BGH dürfte hier wohl Fälle wie in BGH NStZ 2002, 646 im Blick gehabt haben, wo die innere Akzeptanz des Tatopfers trotz Vereinbarung in Zweifel steht. 160 Vgl. dazu König, JR 2002, 252 (253 f.); vgl. auch Noltenius, GA 2007, 518 (528 ff.); zur Gesetzesbegründung BT-Drs. 12 / 6853, S. 21. 161 König, JR 2002, 252 (253 f.); Rose, JR 2004, 275 (280); Kaspar, Anm. zu BGH 1 StR405 / 02 (NJW 2003, 1466), JR 2003, 426 (428). 155 156

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5. Kap.: Sprechakte im Rahmen des Ta¨ter-Opfer-Ausgleichs

Dies ist aber insbesondere im Bereich des nicht formalisierten TOA, also im Falle der direkten bzw. durch Anwälte vermittelten Kommunikation zwischen Täter und Opfer, problematisch.163 Lässt man die Ausgleichsbemühungen grundsätzlich genügen, besteht die Gefahr, dass das Opfer in eine Konfrontation mit dem Täter getrieben wird. Durch die Implementierung des Täter-Opfer-Ausgleichs wird ein Anreiz für den Täter geschaffen, eine kommunikative Auseinandersetzung mit dem Opfer zu suchen. Wenn grundsätzlich Bemühungen des Täters ausreichen können, wird der Täter motiviert (und dazu wird ihm sein Anwalt im Zweifel auch raten), auch gegenüber einem Opfer, das sich zurückziehen möchte, alles zu unternehmen, um ein ernsthaftes Erstreben einer Wiedergutmachung zu dokumentieren. Problematisch ist daher die Forderung, das Gericht müsse aus der prozessualen Fürsorgepflicht heraus dem Beschuldigten darlegen, was erforderlich ist, damit es von einem „ernsthaften Bemühen“ i. S. d. § 46a StGB ausgehen und die Strafe mildern kann.164 Insbesondere bei schweren Delikten besteht die Gefahr, dass die stabilisierende Wirkung, die dem Täter-Opfer-Ausgleich zukommen kann, in das Gegenteil verkehrt wird. Wie problematisch eine Kontaktaufnahme gerade bei traumatisierten Opfern sein kann, wird bei Fischer deutlich, der in seiner Selbsthilfebroschüre an traumatisierte Opfer die Notwendigkeit einer Abgrenzung vom Täter für den Heilungsverlauf betont.165 In Analogie zu körperlichen Heilungsprozessen gibt es bei seelischen Verletzungen eine natürliche Tendenz zur Selbstheilung, die allerdings Zeit benötigt.166 Zunächst befinden sich die Betroffenen in einer labilen, leicht störbaren Verfassung. Die Ermöglichung von Sicherheit und Ruhe, insbesondere die Vermeidung retraumatisierender Erfahrungen sind Voraussetzung für einen erfolgreichen Heilungsprozess. Insofern ist es wichtig, Distanz zu der traumatisierenden Erfahrung zu gewinnen. Eine zu frühe Konfrontation mit den belas162 Kaspar, Anm. zu BGH 1 StR405 / 02 (NJW 2003, 1466), JR 2003, 426 (428), der dann aber besonders hohe Anforderungen an die Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit des Täterbeitrags stellen möchte. 163 Der formalisierte TOA unter Anleitung eines Dritten wird gar nicht erst in die Wege geleitet, wenn das zuvor befragte Opfer einer Teilnahme nicht zustimmt. 164 So aber Weimer, NStZ 2002, 349 (353); es stellt sich auch die Frage, was solche Beiträge des Täters, zu denen er geradezu gedrängt wird, überhaupt wert sind: vgl. dazu etwa die Konstellation einer vorausgegangen Absprache in BGH NStZ 2006, 275: Dort wurde die Verhängung einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren (Vergewaltigung, sexuelle Nötigung sowie Fahren ohne Fahrerlaubnis) für den Fall in Aussicht gestellt, dass „ein umfassendes Geständnis des Angeklagten in Bezug auf alle drei Anklagepunkte erfolge und sich in der Hauptverhandlung ergäbe, dass die Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs vorliegen“ (Hervorhebung nicht im Original). Angesichts der Tatsache, dass auch die Auflage nach § 153a I S. 2 Nr. 5 StPO regelmäßig abgesprochen wird und § 155a StPO grundsätzlich ein Hinwirken vorsieht, ist ein solches Vorgehen an sich aber noch nicht zu beanstanden, wenn sichergestellt ist, dass die Interessen des Opfers (welches an der Absprache nicht beteiligt ist) gewahrt bleiben und ein möglicher Wunsch nach „Nichtbefassung“ mit dem Täter respektiert wird. 165 Vgl. zum Ganzen Fischer, Trauma / Erste Hilfe, S. 37 f. 166 Vgl. hierzu und zum Folgenden Fischer, Trauma / Erste Hilfe, S. 14, 37 f.

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tenden Eindrücken kann schädlich sein und ist erst dann sinnvoll, wenn sich die Betroffenen weitgehend erholt haben und über entsprechende Mittel verfügen, sich zu beruhigen und zu distanzieren, wenn sie an die Vorfälle erinnert werden. Insofern ist es wichtig, dass die Betroffenen zu nichts gedrängt werden.167 Aufgrund der erhöhten Sensitivität in den posttraumatischen Phasen können sich Belastungsfaktoren kumulativ aufschaukeln.168 Daher ist soziale Unterstützung, Entlastung von alltäglichen Aufgaben sowie das Fernhalten aller belastenden oder retraumatisierenden Umstände in der Erholungsphase entscheidend.169 Der Erholungsprozess wird durch jede neuerliche Traumatisierung unterbrochen, dies kann in eine stufenförmige Eskalation der Symptomatik führen.170 Eine unmittelbare Konfrontation mit dem Trauma sollte daher nur in Begleitung einer Fachkraft erfolgen.171 Manche Opfer von Gewaltverbrechen neigen dazu, sich sehr intensiv mit dem Täter zu befassen.172 Es kann sich negativ auf die Bewältigungsphase auswirken, wenn die Opfer den Gedanken an den Täter zu viel Raum einräumen, seien diese nun positiver oder negativer Art.173 Fischer empfiehlt den Opfern vielmehr eine innere Zurückweisung des Täters. Es sei wichtig, dass der Täter möglichst rasch wieder aus dem Leben der Opfer verschwinde. Dies ermögliche es, sich wieder um die eigene Genesung zu kümmern und weniger Ressourcen durch Gedanken an den Täter zu verlieren.174 Auch angesichts der Tatsache, dass viele Täter versuchen, eigene Opfererfahrungen mit der Tat weiterzugeben, wird dem Opfer empfohlen, diese psychische Opferrolle zurückzuweisen und möglichst einen klaren Trennstrich zwischen sich und dem Täter zu ziehen, sodass dieser nicht das weitere Leben der Opfer bestimmen kann.175 Das Ziel der Traumaverarbeitung und Traumatherapie besteht damit darin, den entscheidenden Schritt vom Opfer zum Überlebenden zu tun. Überleben bedeutet in diesem Zusammenhang, „sich wieder lebendig zu fühlen, wieder das eigene Leben zu leben und sich weder physisch noch seelisch weiter in der Gewalt des Täters zu befinden“.176 Dies bedeutet nicht, Fischer, Trauma / Erste Hilfe, S. 14, 37 f. Vgl. Fischer / Gurris / Pross / Riedesser, in: Uexküll, Psychosomatische Medizin, S. 638. 169 Vgl. Fischer / Gurris / Pross / Riedesser, in: Uexküll, Psychosomatische Medizin, S. 638. 170 Vgl. Fischer / Gurris / Pross / Riedesser, in: Uexküll, Psychosomatische Medizin, S. 638. 171 Fischer, Trauma / Erste Hilfe, S. 83. 172 Teilweise geschieht diese Beschäftigung mit dem Täter in Form von Gedanken um die Frage, wie dem Täter geholfen werden kann bis hin zu Rettungsphantasien, andererseits können auch Gedanken der Rache (bis hin zu Mordplänen) im Mittelpunkt stehen. Dabei weist Fischer darauf hin, dass Rachefantasien (manchmal auch grausamer Art) zunächst eine völlig normale Reaktion auf erfahrenes Unrecht darstellen, dazu schon oben 3. Kap. B.II.2. c)aa). Vgl. zum Ganzen Fischer, Trauma / Erste Hilfe, S. 37 f., 67 f. 173 Vgl. auch schon oben 3. Kap. B.II.2.c)aa) sowie Fischer, Trauma / Erste Hilfe, S. 37 f. mit dem gleichzeitigen Hinweis an die Betroffenen, jedoch nichts zu versäumen, was dazu führen kann, den Täter zur Rechenschaft zu ziehen. 174 Vgl. Fischer, Trauma / Erste Hilfe, S. 68. 175 Vgl. Fischer, Trauma / Erste Hilfe, S. 68, 99 f. 176 Fischer, Trauma / Erste Hilfe, S. 100. 167 168

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dass das Opfer strafrechtliche Schritte meiden soll. Fischer betont vielmehr immer wieder, dass das Opfer alles unternehmen soll, was zur Ergreifung und Bestrafung des Täters beitragen könnte.177 Die Ausgangsprämisse des TOA, den Beteiligten müsse ihr „Konflikt zurückgegeben“ werden erscheint jedoch in Fällen problematisch, in denen gerade die Distanz zum Täter wichtig für den Heilungsverlauf ist. So weist Fischer auf die Gefahr einer Behinderung der Traumabewältigung hin, wenn das Opfer im Rahmen eines „falsch verstandenen Täter-Opfer-Ausgleichs“ gedrängt wird, dem Täter zu vergeben.178 Dem Heilungsverlauf abträglich sei es auch, wenn der Täter sich auf Anraten seines Anwalts in einem an die Privatadresse des Opfers gerichteten Brief für die Tat entschuldigt.179 Das Deutsche Institut für Psychotraumatologie hat sich wiederholt gegen die Praxis einiger Richter und Staatsanwälte ausgesprochen, die Adresse des Opfers an den Täter oder seinen Anwalt weiterzugeben, weil sie das Sicherheitsgefühl des Opfers untergrabe.180 Den Opfern wird empfohlen, sich belastenden Eindrücken erst dann auszusetzen, wenn sie sich weitgehend erholt haben und über sichere Bewältigungsmechanismen verfügen.181 Wichtigste Voraussetzung für eine Täter-Opfer-Begegnung sei daher aus Sicht der Psychotraumatologie, dass die Initiative vom Gewaltopfer selbst ausgehe.182 Diese psychotraumatologischen Erkenntnisse sprechen dafür, gerade bei schweren Delikten dem Opferwillen eine bedeutende Rolle bei der Bewertung der Ausgleichsbemühungen des Täters einzuräumen. Nur wenn eine Weigerung des Opfers, sich auf einen kommunikativen Prozess einzulassen, grundsätzlich zu einer Nichtanwendung des § 46a Nr. 1 StGB führt, kann eine unzulässige Drucksituation für das Opfer vermieden werden. Bedenklich ist es insofern, die Billigkeit der Entscheidung des Opfers aus der Sicht eines objektiven Dritten zu bewerten. Dies könnte zu einem – oben bereits mit Blick auf die Strafzumessung angesprochenen – „blaming the victim“ führen. Die Entscheidung des Opfers – welches sich im Gegensatz zum Täter rechtmäßig verhalten hat – müsste auf ihre Billigkeit hin untersucht werden und eine Missbilligung in der Urteilsbegründung entsprechend festgehalten werden. Damit würde letztlich zum Ausdruck gebracht, dass eine Mitwirkung und Ausgleichsbereitschaft des Opfers gegenüber seinem Schädiger grundsätzlich erwartet wird.183 Wird vom Opfer indirekt verlangt, dass es dem Fischer, Trauma / Erste Hilfe, S. 37, 42, 68. Fischer, Trauma / Erste Hilfe, S. 38. 179 Fischer, Trauma / Erste Hilfe, S. 38. 180 Fischer, Trauma / Erste Hilfe, S. 102 f.; vgl. jetzt auch die Regelung des § 155b StPO. 181 Fischer, Trauma / Erste Hilfe, S. 38. 182 Vgl. den Vortrag von Fischer im Rahmen der Vortragsreihe „Universität im Rathaus“ der Stadt Köln und der Universität zu Köln, bisher nur veröffentlicht im Internet unter http: // www.uni-koeln.de / uni / kultur_unirat_vort081104.html. Dort sieht Fischer eine Reviktimisierungsgefahr des TOA bei traumatisierenden Delikten, gerade bei Intimdelikten. 183 Entsprechende Bedenken insbesondere bei Loos, Bemerkungen zu § 46a StGB, in: FSHirsch 1999, S. 851 (864 f.); vgl. auch die Kritik bei Oberlies, Streit 2000, 99 (109). 177 178

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Täter verzeiht und sich mit ihm aussöhnt, verstärkt dies die Demütigung beim Opfer noch weiter.184 Insbesondere ist hier zu beachten, dass bei Opfern schwerer traumatisierender Delikte starke Selbstbeschuldigungstendenzen auftreten können. Opfer solcher Delikte dürften für die Erwartungshaltung Dritter besonders empfänglich sein.185 Dies rechtfertigt die vom 1. Senat geforderte Prüfung, inwieweit das Opfer tatsächlich zu einem kommunikativen Prozess bereit war. Da der Täter Opfer-Ausgleich wie gezeigt im Wesentlichen vor einem expressiven Kommunikationshintergrund stattfindet und damit auf eine emotions-stabilisierende Wirkung zielt, muss der inneren Ausgleichsbereitschaft des Tatopfers ein wesentliches Gewicht beigemessen werden. Ansonsten verkommt der TOA zu einer Fiktion eines Ausgleichs, in der es nur noch darum geht, eine Verantwortungsübernahme des Täters entsprechend darzustellen. Von einer wirklichen Verantwortungsübernahme ließe sich dann jedenfalls nicht mehr sprechen.186 Mit zunehmender Schwere der Delikte nimmt die Ausgleichsbereitschaft der Opfer ab187, und eine Meidung von persönlichem Kontakt mit dem Täter und ein entsprechendes Rückzugsverhalten in der Erholungsphase stellt sich als natürliche und wichtige Schutzreaktion dar. Dann ist es aber gerade nicht Ausdruck der Übernahme von Verantwortung für die Tatfolgen, wenn der Täter das Rückzugsverhalten des Opfers durch das Aufdrängen von Leistungen missachtet. Daher sollten bei der Bewertung der Ausgleichsbemühungen des Täters zwei Aspekte besondere Berücksichtigung finden. Zum einen muss die Schwere des Delikts in Betracht gezogen werden. Bei leichteren Delikten können ernsthafte Bemühungen des Täters eher Berücksichtigung finden, da dort traumatische Folgen beim Opfer eine geringere Rolle spielen und die Grenze, bei der ein unzulässiger Versöhnungsdruck für das Opfer entstehen kann, deutlich höher liegen dürfte. Zum anderen kommt es darauf an, ob das Opfer sich überhaupt zu einem kommunikativen Prozess bereit findet. Ist dies nicht der Fall, so ist es insbesondere bei schweren Delikten problematisch, wenn unerwiderte Bemühungen des Täters, mit dem Opfer in einen kommunikativen Prozess einzutreten, als hinreichende Bemühungen i. S. d. § 46a Nr. 1 StGB gewertet werden. Denn damit würde letztlich ein Anreiz für den Täter geschaffen, einen Rückzug des Opfers nicht zu beachten. Wie bereits festgestellt ist aus psychotraumatologischer Sicht sogar zu verlangen, dass die Initiative vom Tatopfer ausgeht. Wenn dies schon nicht gewährleistet werden kann, so darf die Verarbeitung der traumatischen Erfahrung zumindest nicht durch die Institutionalisierung eines Anreizes gefährdet werden, der die Wahrung der Sphäre des Opfers unwahrscheinlich macht. Dann kann es auch nicht darauf ankommen, aus welchen Gründen das Opfer nicht zu einem kommunikativen Prozess bereit ist; insbesondere ist der Wunsch des Opfers, den Kontakt mit dem Täter 184 185 186 187

So insbesondere Fischer, Trauma / Erste Hilfe, S. 143. Vgl. dazu Jerouschek, JZ 2000, 185 (190); kritisch auch Volckart, JR 2005, 181 (183 f.). Ähnlich auch Oberlies, Streit 2000, 99 (109 f.). Vgl. dazu sogleich D.III.2.

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zu meiden, als berechtigtes Interesse anzusehen. Nur bei offensichtlich missbräuchlichem Verhalten des Opfers ist dessen Weigerung unbeachtlich. Zumindest bei schweren Delikten muss die Weigerung des Opfers, überhaupt in Kommunikation mit dem Täter zu treten, also zu einer Unanwendbarkeit des § 46a Nr. 1 StGB führen.188 Von einem ernsthaften und aufrichtigen, auf einen friedensstiftenden Ausgleich zielenden Bemühen des Täters kann dann nicht ausgegangen werden. Fraglich ist, ob es gerade bei schweren Delikten ausreichen kann, wenn der Täter Geldleistungen einseitig ohne den grundsätzlich geforderten kommunikativen Prozess erbringt. Dies ließe sich damit begründen, dass der (wenn auch mittelbare) Kontakt des Täters mit dem Opfer eine friedensstiftende Wirkung gerade verhindert.189 Zumindest wenn das Opfer nicht erkennen lässt, dass es die Leistung des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert, kann jedoch allenfalls eine Strafmilderung nach § 46 II S. 2 Alt. 6 StGB in Betracht kommen (§ 46a Nr. 2 StGB wird bei Delikten gegen höchstpersönliche Rechtsgüter regelmäßig nicht zu einer Strafrahmenverschiebung führen können190). Denn der Grundgedanke des § 46a Nr. 1 StGB kann durch bloß materielle Leistungen (welche zivilrechtlich ohnehin geschuldet sind) nicht verwirklicht werden, sodass der Täter auf die Chance einer Strafrahmenverschiebung verzichten muss. Es gehört zu den zu akzeptierenden Folgen der Tat, dass das Opfer sich zurückziehen möchte und einen kommunikativen Kontakt nicht wünscht. Trotzdem geleistete Geldzahlungen können dann nicht als Ausdruck eines ernsthaften und aufrichtigen Bemühens gewertet werden. In den genannten Fällen eines Ausschlusses des § 46a Nr. 1 StGB bleibt nur eine Berücksichtigung im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung. Abweichend ist die Situation zu beurteilen, in der sich das Opfer zunächst freiwillig auf einen kommunikativen Prozess eingelassen hat und dann nicht mehr nachvollziehbare, eindeutig unangemessene und für den Täter nicht mehr zumutbare Leistungen fordert.191 Hat sich der Täter in diesem Fall ernsthaft und aufrichtig um einen friedensstiftenden Ausgleich bemüht, so hat er alles getan, was alltagskommunikativ hinsichtlich eines stabilisierenden perlokutionären Effekts 188 Vgl. dazu auch Oberlies, Streit 2000, 99 (110, 111 f.), die eine Anwendbarkeit des § 46a StGB grundsätzlich ausschließen möchte, wenn das Opfer zu Beginn einen entgegenstehenden Willen hat erkennen lassen. Oberlies verlangt in den Fällen, in denen es an einem ausdrücklich akzeptierten Ausgleich fehlt, zusätzlich ein Beratungsgespräch mit einem dafür ausgebildeten Dritten, um die Verantwortungsübernahme des Täters zu begründen und die Anwendung des § 46a StGB zu ermöglichen. Vgl. auch die Entscheidung des OLG Hamm 3 Ss 69 / 09 vom 26. 02. 2009, wo die Geschädigte eines schweren Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung in Tatheinheit mit Zuhälterei sich durch die Geldzahlungen erneut „als Ware behandelt“ fühlte und es damit an der notwendigen Mitwirkung und einer Akzeptanz als friedensstiftenden Ausgleich fehlte. 189 Eine entsprechende Argumentation der Verteidigung findet sich in BGH NStZ 2006, 275 (276). 190 Vgl. oben Fn. 17 und 53 sowie A. 191 So insbesondere auch Schöch, in: Canaris / Heldrich / Hopt / Roxin / Schmidt / Widmaier, 50 Jahre Bundesgerichtshof, S. 309 (322 f.).

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möglich ist. Denn wie gezeigt, wirken assertive und expressive Sprechakte im Wesentlichen durch ihre Aufrichtigkeitsbedingung. Es wäre unangemessen, diesen potentiell stabilisierenden Beitrag des Täters nicht zu würdigen. Um eine entsprechende Einschätzung zu ermöglichen, sollte das Opfer aber in jedem Fall zu den Gründen und Motiven seiner Teilnahmeverweigerung gehört werden.192 Da es an einem Ausgleich als Ausgangspunkt der Bewertung fehlt, müssen an die Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit des kommunikativen Beitrags des Täters entsprechend hohe Anforderungen gestellt werden.193 Ergibt sich, dass das Opfer tatsächlich unangemessene Forderungen stellt, kann diese Reaktion kein Hinweis auf die Wertigkeit der Normanerkennung des Täters sein. Letztlich geht es dann darum, inwieweit der Beitrag des Täters abstrakt geeignet ist, einen entsprechenden perlokutionären Effekt auf die Allgemeinheit unter dem Gesichtspunkt der Normstabilisierung zu bewirken. Problematisch ist die Berücksichtigung des Opferwillens schließlich in den Fällen des § 153b StPO i.V. m. § 46a StGB, wenn keine höhere Strafe als Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr verwirkt ist und ein Absehen von Strafe in Betracht kommt sowie in den Fällen des § 153a I Nr. 5 StPO. Insoweit ist mit Zustimmung des Gerichts194 eine Einstellung des Verfahrens auch durch die Staatsanwaltschaft möglich. Ist das Opfer durch die Wiedergutmachungsbemühungen des Täters nicht zufrieden gestellt, kann es unangemessen sein, auf eine deklarative Unrechtsfeststellung – an welcher das Opfer wie gezeigt ein berechtigtes Interesse haben kann – zu verzichten. Insbesondere hat sich gezeigt, dass der Bestrafungswunsch der Geschädigten sogar nach einem durchgeführten TOA häufig keineswegs neutralisiert, sondern im Schnitt sogar höher ausgeprägt ist als vor dem TOA.195 Es ist zu vermuten, dass gerade bei einem bloßen Bemühen des Täters ein Interesse der Geschädigten an förmlicher Sanktionierung fortbesteht, welches aufgrund des gescheiterten Ausgleichs dann eine entsprechende Berechtigung haben kann. Wenn man davon ausgeht, dass sich die Vorschrift des § 155a S. 3 StPO nur auf die Initiative von Staatsanwaltschaft und Gericht bezieht, ist sie im Rahmen des § 153b I StPO i.V. m. § 46a Nr. 1 StGB nicht anwendbar, wenn der Täter sich ohne Hinwirken der Staatsanwaltschaft um einen Ausgleich bemüht hat. Man wird aber aus oben genannten Gründen auch hier bei einer nicht offensichtlich missbräuchlichen Weigerung des Opfers, sich überhaupt auf einen kommunikativen Prozess einzulassen, davon ausgehen müssen, dass bereits die Grundlage für ein ernsthaftes 192 So auch Kaspar, JR 2003, Anm. zu BGH 1 StR 405 / 02 (NJW 2003, 1466), 426 (428), wobei die Beurteilung nach Kaspar aber grundsätzlich unabhängig von der Weigerung des Opfers und dessen Motiven sein und wohl keine Differenzierung zwischen dem Abbruch bereits erfolgter Verhandlungen und einem grundsätzlichen Wunsch nach Nichtbefassung stattfinden soll. 193 So auch Kaspar, JR 2003, Anm. zu BGH 1 StR 405 / 02 (NJW 2003, 1466), 426 (428). 194 Ausnahme: §§ 153a I S. 7 i.V. m. § 153 I S. 2 StPO. 195 Vgl. Bals / Hilgartner / Bannenberg, Täter-Opfer-Ausgleich im Erwachsenenbereich, S. 437, 441, 461; vgl. auch schon oben B.

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5. Kap.: Sprechakte im Rahmen des Ta¨ter-Opfer-Ausgleichs

Bemühen des Täters fehlt. Allerdings wird sich der Täter häufig zuvor durch eine Auflage nach § 153a I S. 2 Nr. 5 StPO absichern, sodass die Anwendungshäufigkeit der Vorschrift des § 153b I StPO i.V. m. § 46a StGB in der Praxis geringer sein dürfte.196 Im Rahmen des § 153a I S. 2 Nr. 5 StPO darf gem. § 155a S. 3 StPO eine Eignung gegen den ausdrücklichen Willen des Verletzten nicht angenommen werden. Allerdings kann der Wortlaut der Vorschrift nicht ohne weiteres auf Fälle bezogen werden, in denen sich das Opfer zunächst auf Ausgleichsverhandlungen einlässt, dann aber die Bemühungen des Täters als nicht ausreichend erachtet. In diesen Fällen kann das bloße Bemühen des Täters bereits eine Einstellung rechtfertigen.197 Problematisch ist dabei, dass anders als im Rahmen des § 46a Nr. 1 StGB die Auflage des § 153a S. 2 Nr. 5 StPO als Versprechen für die Zukunft erfolgt und auch erfolgen soll, damit der Täter sich daran orientieren kann. Damit wird aber, ohne dass eventuelle Schwierigkeiten bei dem Verständigungsprozess absehbar sind oder dieser überhaupt erst eingeleitet ist, zugleich zugesagt, dass ernsthafte Bemühungen für eine Einstellung des Verfahrens ausreichen werden.198 Das ernsthafte Bemühen bekommt also ein stärkeres Gewicht als in § 46a Nr. 1 StGB. Während es hier nur als Ausnahme eine Anwendung der Vorschrift in Fällen ermöglichen soll, in denen es grob ungerecht erscheint, das ernsthafte Erstreben der Wiedergutmachung nicht durch Strafmilderung oder Absehen von Strafe zu honorieren, bekommt es im Rahmen des § 153a S. 2 Nr. 5 StPO den Charakter einer von vornherein von Staatsanwaltschaft und Täter miteinkalkulierten Option.199 Zwar besteht diese Gefahr wie gezeigt auch im Rahmen des § 46a Nr. 1 StGB, ist aber aufgrund der erst retrospektiven Betrachtung durch das Gericht und der Möglichkeit der hier vertretenen restriktiven Anwendung dieser Ausnahme gemindert.200 Die ohnehin schwierige Bewertung, wann ein Bemühen des Täters als ernsthaft gelten 196 Vgl. zur Anwendung der Vorschrift etwa Bals / Hilgartner / Bannenberg, Täter-OpferAusgleich im Erwachsenenbereich, S. 87 ff. 197 So SK-StPO / Weßlau, § 153a Rn. 48 entgegen HK-Krehl, § 153a Rn. 27a, der unter dem Gesichtspunkt des Opferschutzes aus § 155a S. 3 StPO ableitet, dass die Vorschrift entgegen ihrem Wortlaut nur dann als erfüllt angesehen werden könne, wenn es tatsächlich zu der erstrebten Wiedergutmachung beim Opfer gekommen ist und der Verletzte sich mit den Wiedergutmachungsleistungen des Täters einverstanden zeigt. 198 Vgl. mit diesen Bedenken insbesondere Tolmein, ZRP 1999, 408 (411); Schöch befürchtet, dass ein TOA angeordnet wird, der nach vorläufiger Einstellung trotz der formalen Zustimmung des Beschuldigten „eher halbherzig, schleppend und mit vielen Verzögerungen (Ratenzahlungen)“ erfolgt; ein derartiger TOA sei dem Verletzten oft nicht zuzumuten. Schöch verweist darauf, dass es in der Praxis fast immer beim vorläufigen Einstellungsbeschluss bleibe und es zweifelhaft sei, ob die Staatsanwaltschaft angesichts des damit verbundenen Verfahrensaufwandes die Leistungen des Täters hinreichend überprüft und gegebenenfalls das Verfahren fortführt, vgl. ders., FS-Roxin, S. 1045 (1062 f.). 199 Vgl. Tolmein, ZRP 1999, 408 (411) mit dem Hinweis, dass die Auflage damit schon vor dem Zustandekommen des Ausgleichs erfüllt ist und auf jeden Fall auch ohne ihn. 200 Was natürlich dann nicht der Fall wäre, wenn man mit Weimer, NStZ 2002, 349 (353) von einer entsprechenden Darlegungspflicht des Gerichts ausgeht.

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kann, wird durch die Konstellation im Rahmen des § 153a S. 2 Nr. 5 StPO hingegen erschwert. Zwar dürfen hier letztlich keine anderen Kriterien gelten als i. R. d. § 46a Nr. 1 StGB, die praktische Ausgangssituation ist aufgrund der vorherigen Anordnung durch die Staatsanwaltschaft aber gleichwohl eine andere. Diese Konstellation macht es besonders erforderlich, den Verletzten vor der Zwangslage zu schützen, einem nachteiligen Ausgleich mit dem Beschuldigten zuzustimmen, weil er ansonsten ohnehin hinnehmen müsste, dass die „ernsthaften Bemühungen“ des Täters zu einem Ausbleiben des deklarativen Verfahrensabschlusses führen.201 Es ist daher notwendig, die Berücksichtigung des Opferwillens verfahrensrechtlich abzusichern (dazu sogleich), und diese Notwendigkeit verstärkt sich indem Maße, indem das strafrechtsersetzende Potential des Täter-Opfer-Ausgleichs im Rahmen der Opportunitätseinstellung verwirklicht wird.

III. Die Ausweitung des Anwendungsbereichs 1. Ausweitung der Diversion Der Täter-Opfer-Ausgleich erfährt in der derzeitigen Praxis zwar noch eine recht zurückhaltende Anwendung.202 Im Gegensatz dazu wird aber darauf hingewiesen, dass grundsätzlich 95% aller Fälle dazu geeignet seien, ohne jegliche strafrechtliche Sanktion nach einem Ausgleich zwischen Täter und Opfer eingestellt zu werden.203 Grundsätzlich ist eine vermehrte Anwendung des TOA bei leichterer und mittelschwerer Kriminalität zu begrüßen. Wie gezeigt birgt die illokutionäre Kraft strafrechtlicher Kommunikation die besondere Gefahr einer Stigmatisierung des Täters. Es besteht die Hoffnung, dass diese stigmatisierende Wirkung dem TOA-Verfahren auch dann nicht zukäme, wenn es als regelmäßige Reaktion auf die genannten Delikte institutionalisiert wäre.204 Zugleich wären die Interessen der Opfer an Wiedergutmachung besser gewahrt als in der derzeitigen Praxis. Vgl. auch Tolmein, ZRP 1999, 408 (411). Vgl. dazu Trenczek, Zeitschrift für Konfliktmanagement, 104; Walter, in: Henssler / Koch, Mediation / Anwaltspraxis, § 18 Rn. 35, 55. 203 Vgl. dazu Trenczek, Zeitschrift für Konfliktmanagement, 104 (106). Dies wäre möglich, weil – anders als bei der Wiedergutmachungsvariante des § 153a StPO – die Einstellungsmöglichkeit nach § 153b StPO i.V. m. § 46a StGB ausschließlich auf die Obergrenze für den Strafverzicht gem. § 46a StGB abstellt und das Erfordernis der höchstens mittleren Schuld entfällt, vgl. dazu Kilchling, NStZ 1996, 309 (311, insb. Fn. 56). 204 Fraglich bleibt, ob letztlich nicht die intersubjektive Funktion strafrechtlicher Kommunikation untergraben würde. Möglicherweise kann eine zur Regel gewordene Ausgleichsverhandlung die symbolische Funktion des Strafrechts nicht ersetzen, ohne ihrerseits ein konstitutives Regelsystem hinsichtlich der Unrechtsfeststellung zu entwickeln. Entsprechende Erkenntnisse lassen sich allerdings nur gewinnen, wenn dem TOA tatsächlich die Chance einer weitergehenden strafrechtsalternativen Anwendung gegeben wird. 201 202

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Doch würden sich mit einem solchen Ausbau der Diversion auch die genannten Probleme verschärfen, die mit der Einbindung des Täter-Opfer-Ausgleichs in die Struktur der Opportunitätseinstellung angelegt sind. Da das Opfer ein berechtigtes Interesse an der Unrechtsfeststellung haben kann, wäre es dann besonders wichtig, diesem die Möglichkeit zu geben, durch eine Anfechtung der Opportunitätsentscheidung die Bewertung der Ausgleichsbemühungen durch die Staatsanwaltschaft einer Kontrolle unterziehen zu können. Dies wäre schon nach geltendem Recht nicht unbedingt ausgeschlossen. Denn § 172 II S. 3 StPO verweist nur auf § 153a I S. 1 u. 7 StPO. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollte damit sichergestellt werden, dass die endgültige Entscheidung vom Verletzten nicht hingenommen werden muss und dieser geltend machen kann, die Staatsanwaltschaft habe das Verfahren fortsetzen müssen, weil der Beschuldigte den ihm erteilten Auflagen oder Weisungen nicht nachgekommen sei.205 Demnach ließe sich hier mit dem Verweis auf ein nicht ernsthaftes Bemühen möglicherweise ein Klageerzwingungsverfahren betreiben. Diesbezüglich würde insbesondere dann ein Interesse des Opfers bestehen, wenn es die angebotenen Leistungen des Täters nicht angenommen hat, weil es diese als nicht hinreichend betrachtet. Die gesetzliche Regelung ist allerdings recht unklar, dementsprechend besteht auch keine Einigkeit über die Reichweite des Ausschlusses gem. § 172 II S. 3 StPO.206 Mit der 205 Vgl. BT-Drs. 7 / 550, S. 301. Da der Gesetzgeber die besondere Konstellation des TOA nicht kannte, stellt sich allerdings das Problem der Vergleichbarkeit. So hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme zu dem Entwurf des Gesetzes zur strafverfahrensrechtlichen Verankerung des Täter-Opfer-Ausgleichs darauf hingewiesen, dass alle bisherigen Auflagen und Weisungen auf den Eintritt eines sicher feststellbaren Erfolges zielten (vgl. dazu BT-Drs. 14 / 1928, S. 11). Die rechtliche Struktur des § 153a StPO, wonach mit der Erfüllung der Auflagen und Weisungen ein Verfahrenshindernis bei gleichzeitig beschränktem Strafklageverbrauch eintrete, erfordere die Festlegung der Verpflichtung zur Erfüllung einer bestimmten Voraussetzung. Die Einbeziehung eines bloßen Bemühens des Täters macht hingegen eine schwierige Bewertung der Ernsthaftigkeit des Täterbeitrags erforderlich. Aus diesem Grund und aus Opferschutzgründen plädierte der Bundesrat dafür, auf das Erreichen eines Ausgleichs mit dem Verletzten als die von dem Beschuldigten zu erbringende Leistung abzustellen. Wenn es ausnahmsweise gerechtfertigt sei, die Rechtsfolge einer vollständigen Erfüllung einer Auflage an das bloße, aber ernsthafte Bemühen des Beschuldigten zu knüpfen, müsste dies durch eine, im pflichtgemäßen Ermessen der Staatsanwaltschaft liegende Entscheidung geschehen. 206 Gegen eine Zulässigkeit der Klageerzwingung LR-Beulke, § 153a Rn. 117 f. mit dem Argument, die den Gesetzesmaterialien zu entnehmende gesetzgeberische Absicht, der Verletzte solle Einfluss darauf nehmen können, dass die Staatsanwaltschaft ihrer Fortsetzungspflicht nachkomme, lasse sich mit Hilfe einer neuen Anzeige (mit dem Argument, der beschränkte Strafklageverbrauch sei nicht eingetreten), erreichen. Dann könne das Klageerzwingungsverfahren gegen die zu erwartende, auf § 170 Abs. 2 StPO gestützte Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft betrieben werden. Dagegen lässt sich aber einwenden, dass der Verletzte, der ja dann auch nicht entsprechend zu belehren wäre, diese spitzfindige Möglichkeit wohl kaum jemals nutzen würde. Für eine Zulässigkeit des Klageerzwingungsverfahrens mit der Behauptung, dass der Beschuldigte die gegen ihn verhängten Auflagen oder Weisungen nicht erfüllt habe etwa Schroth, Rechte des Opfers, Rn. 175; Haupt / Weber / Bürner / Frankfurth / Luxenburg / Marth, Opferschutz, Rn. 147, 152; KK-Schmid, § 172 Rn. 42;

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oben207 angesprochenen Ausweitung des Klageerzwingungsverfahrens auf Opportunitätseinstellungen wäre auch diesbezüglich für den Verletzten die nötige Klarheit geschaffen, insbesondere würde damit gesetzlich zum Ausdruck gebracht, dass die Position des Verletzten bei Opportunitätseinstellungen Berücksichtigung finden muss. Und schließlich ist die derzeitige Regelung insofern nicht einsichtig, als § 153b StPO (i.V. m. § 46a StGB) gem. § 172 II S. 3 StPO vollständig aus dem Klageerzwingungsverfahren ausgenommen ist, obwohl hier die Interessenlage beim Verletzten in den Fällen des § 46a Nr. 1 StGB die gleiche ist und es sich sogar um Verbrechenstatbestände handeln kann.208 Eine entsprechende gesetzliche Regelung ist daher im Fall der Nichterfüllung von Auflagen mindestens aus Klarstellungsgründen, in anderen Fällen der Opportunitätseinstellung ohnehin angezeigt. Hinsichtlich einer vermehrten Anwendung der Verfahrenseinstellung in Verbindung mit dem Täter-Opfer-Ausgleich könnte eine solche Regelung sicherstellen, dass im Zuge dieser Entwicklung die Interessen des Opfers hinreichend berücksichtigt werden.209

SK-StPO / Wohlers, § 172 Rn. 38. SK-StPO / Wohlers, a. a. O. unterscheidet dabei danach, ob der Staatsanwaltschaft vorgeworfen wird, sie habe sich eine Kompetenz angemaßt, die ihr nicht zustehe, oder ob der Vorwurf beinhaltet, die Staatsanwaltschaft habe von einer ihr grundsätzlich zustehenden Kompetenz im Ergebnis unzutreffend Gebrauch gemacht. Nur im ersteren Fall soll ein Klageerzwingungsverfahren möglich sein, um den § 172 II S. 3 StPO nicht leer laufen zu lassen. Die Rüge, der Beschuldigte habe Auflagen und Weisungen nicht erfüllt, fällt nach SK-StPO / Wohlers, a. a. O. unter diese erste Fallgruppe, ist also zulässig. Fraglich ist allerdings, ob der Fall des nicht ernsthaften Bemühens eher der letzteren Fallgruppe zugeschlagen werden müsste, weil hier im Gegensatz zur bloßen Nichterfüllung von Auflagen und Weisungen eine schwierige Bewertung notwendig ist, vgl. auch schon oben Fn. 205; vgl. zum ganzen auch OLG Karlsruhe, Die Justiz 1990, 28 (offengelassen); vgl. auch LG Kiel, NStZ-RR 1998, 343. 207 4. Kap. C.II. 208 Ein gerichtliches Klageerzwingungsverfahren wäre hier nur dann möglich, wenn man mit SK-StPO / Wohlers, § 172 Rn. 38 die Vorschrift des § 172 II S. 3 StPO derart einschränkend auslegt, dass auch eine auf eine in Abs. 2 S. 3 vollständig genannte Ermächtigungsnorm gestützte Einstellungsentscheidung mit dem Argument angegriffen werden kann, der Anwendungsbereich der Norm sei nicht eröffnet, weil die StA eingestellt hat, obwohl die allgemeinen gesetzlichen Voraussetzungen für die Einstellung nach dieser Norm nicht vorgelegen haben. 209 Dies gilt zum einen in Bezug auf die Staatsanwaltschaft, die die Position des Opfers in ihre Überlegungen einbeziehen muss, bevor sie von einem ernsthaften Bemühen ausgeht. Zum anderen könnte sich eine Klageerzwingungsoption des Verletzten aber auch positiv auf die Bemühungen des Täters gegenüber dem Opfer auswirken. Dieser könnte dann nicht davon ausgehen, es sei ausreichend, seine Bemühungen der Staatsanwaltschaft gegenüber nur hinreichend darzustellen.

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2. Täter-Opfer-Ausgleich bei schweren Gewaltdelikten sowie Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung Grundsätzliche Bedenken gegen eine Ausweitung des Täter-Opfer-Ausgleichs bestehen jedoch, wenn ein Unwerturteil mit deklarativer illokutionärer Kraft gerade auch aus der Opferperspektive unerlässlich ist. Im Besonderen kommen dabei zwei Fallgruppen in Betracht: Schwere Gewalt- und Sexualdelikte sowie Straftaten, die im sozialen Nahraum begangen werden. Im letzteren Fall kommt der TäterOpfer-Ausgleich insbesondere als Einstellungsgrund in Betracht, im ersteren Fall als Strafmilderungsmöglichkeit. Auch wenn der Täter-Opfer-Ausgleich dem Strafverfahren als Strafmilderungsmöglichkeit nur vorgeschaltet ist, bedeutet dies dennoch zunächst eine Überantwortung des „Konflikts“ in die Sphäre der Beteiligten. Es wird gefordert, auch schwere Delikte vermehrt in die Praxis des institutionalisierten, also im Rahmen der Ausgleichsprojekte durchgeführten Täter-OpferAusgleichs aufzunehmen.210 In Anbetracht der Tatsache, dass bei schweren Gewalt- und Sexualdelikten ein Ausgleich des Öfteren über den direkten Kontakt zwischen Täter und Opfer bzw. durch Anwaltsvermittlung zu erreichen gesucht wird (vgl. oben211), wäre ein formalisierter TOA in diesen Fällen sicherlich der bessere Weg. Dennoch erscheint auch die Durchführung eines formalisierten TOA bei schweren Delikten problematisch. Der Täter-Opfer Ausgleich legitimiert sich zu einem wesentlichen Teil gerade dadurch, dass eine über die bloße Wiedergutmachung hinausgehende Konfliktschlichtung, im Idealfall gar Versöhnung zwischen den Beteiligten angestrebt wird, wobei das persönliche Ausgleichgespräch im Zentrum der Bemühungen steht. Und tatsächlich zeigt die im Regelfall hohe Ausgleichsbereitschaft von Opfern, dass ein solches Verfahren durchaus angenommen wird.212 Vgl. etwa Trenczek, ZKM 3 (2003), 104 ff.; Matt DVJJ-Journal 2000, 370 (372). Insbes. A., C. und D.II. 212 Vgl. dazu Trenczek, ZKM 3 (2003), 104 ff. und Dölling / Henninger, in: Dölling u. a., Täter-Opfer-Ausgleich in Deutschland, S. 203 ff. mit entsprechenden Nachweisen; in der oben erwähnten neueren Untersuchung (Fn. 59) wurde allerdings deutlich, dass die Bereitschaft der Geschädigten und Beschuldigten, sich auf einen Ausgleichsversuch einzulassen, deutlich geringer ist als dies andere Untersuchungen nahe legen. In lediglich 40% aller 2700 untersuchten TOA-Verfahren des Jahres 2001 (NRW) bestand eine Bereitschaft beider Parteien, einen Ausgleich zu versuchen, wobei die Zustimmung der Geschädigten bei 47,4% lag (gemessen am Anteil aller Geschädigten, auch derer, die nicht erreicht oder kontaktiert wurden; die Zustimmungsquote auf Seiten der Beschuldigten lag hingegen bei 60 %), vgl. Bals / Hilgartner / Bannenberg, Täter-Opfer-Ausgleich im Erwachsenenbereich, S. 70 f. Nach der Auswertung der Täter-Opfer-Ausgleichsstatistik (Fn. 6) besteht eine hohe Ausgleichsbereitschaft der Geschädigten, allerdings ist von 1998 an ein merklicher Rückgang der Ausgleichsbereitschaft zu verzeichnen und hat sich in den letzten Erhebungsjahren auf einen Wert um 55% eingependelt (auch hier gemessen am Anteil aller Geschädigten, auch derer, die nicht erreicht oder nicht zu ihrer Bereitschaft gefragt wurden, weil der Beschuldigte einen Ausgleich zuvor abgelehnt hatte; hinsichtlich der erwachsenen Geschädigten ergibt sich sonst unter Herausrechnung der nicht erreichten oder nicht kontaktierten Opfer für 2002 ein Wert 210 211

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Es darf allerdings nicht verkannt werden, dass es sich dabei weitgehend um minder schwere Delikte handelt, und zwischen Eigentums- und Gewaltdelikten zu differenzieren ist.213 Die Ausgleichsbereitschaft sinkt in bedeutendem Maße mit der zunehmenden Schwere der Delikte, insbesondere Opfer von Kontakt- und Gewaltdelikten lehnen eine persönliche Begegnung mit ihrem Täter häufig ab.214, 215 von 63 %), vgl. Auswertung der TOA-Statistik für 1993 – 2002, S. 62 ff. und für 2003 – 2005, S. 23 f. Die Aussagekraft der TOA-Statistik dürfte angesichts des zugrunde liegenden Datenmaterials allerdings begrenzt sein, vgl. dazu Winter, ZJJ 2 (2005), 199 (201); bei den Erhebungen im Rahmen der durchgeführten TOA-Projekte ist insbesondere zu beachten, dass es sich im Regelfall um durch die Amts- und Staatsanwaltschaften zugewiesene und damit als geeignet befundene Delikte handelt, vgl. etwa die Auswertung der TOA-Statistik 1993 – 2002, S. 14, 17 u. 27 ff. und 2003 – 2005, S. 11 f., und diese Erhebungen daher keinen repräsentativen Querschnitt der Opferinteressen darstellen. Zur Wiedergutmachung und zum Täter-Opfer-Ausgleich aus Sicht der Bevölkerung vgl. Sessar, Wiedergutmachen oder strafen, S. 78 ff. 213 Der Anwendungsbereich des institutionalisierten TOA ist derzeit hauptsächlich auf den Bereich der minderschweren Kriminalität beschränkt, vgl. Bals, MschrKrim 89 (2006), 131 (132 f.) und Bals / Hilgartner / Bannenberg, Täter-Opfer-Ausgleich im Erwachsenenbereich, S. 97 f. u. 464 ff.; Trenczek, ZKM 3 (2003), 104 f.; vgl. aber auch die Auswertung der TOAStatistik (oben Fn. 6) 1993 – 2002, S. 31 ff. u. 49 ff. mit einer etwas anderen Interpretation, wobei in den letzten Jahren der Anteil an mittleren und der ohnehin sehr geringe Anteil an gravierenden Beeinträchtigungen deutlich zurückgegangen ist, vgl. die Auswertung der TOAStatistik 1993 – 2002, S. 31 ff. u. 49 ff. und 2003 – 2005, S. 16 f. Der Anteil der Körperverletzungen mit Dauerfolgen ist marginal, vgl a. a. O. 214 Bei einer Bielefelder Befragung lag die Teilnahmebereitschaft der (anzeigenden) Opfer (jugendlicher und heranwachsender tatverdächtiger) eines Eigentumsdelikts bei 61,3%; hingegen lehnten 59,7% der Gewaltopfer eine Teilnahme ab; wurden die Opfer nach einem konkreten Ausgleichstreffen gefragt, waren nur noch 34 % zu einer Teilnahme bereit, vgl. Voß, MschrKrim 72 (1989), 34 (43 ff.); diesbezüglich insbesondere Kilchling, NStZ 1996, 309 (316); vgl. auch Baurmann / Schädler, Das Opfer nach der Straftat, S. 122 ff.: Bei den Gewaltdelikten lehnten 63% der Befragten nach der Anzeige eine Wiedergutmachung durch den Täter ab (im Gegensatz zu nur 27,5% im Gesamtdurchschnitt und nur 15% bei den Eigentumsdelikten), ein Gespräch mit dem Täter wünschten sich nur 25 % der Gewaltopfer gegenüber 62% der Opfer von Eigentumsdelikten (S. 125), vgl. zu der ablehnenden Haltung insbesondere der Opfer von Vergewaltigungsdelikten S. 128. Die Auswertung der TOA-Statistik (oben Fn. 6) zeigt ein deutlich positiveres Bild hinsichtlich der Ausgleichsbereitschaft auch der Gewaltopfer. Allerdings ist ein signifikanter Rückgang der Ausgleichsbereitschaft aller kontaktierten Opfer (also ohne Berücksichtigung derer, die nicht geantwortet haben oder nicht kontaktiert wurden) von 1998 bis 2002 von 85 % auf 63% zu verzeichnen (siehe oben, Fn. 212) wobei auch hier die Deliktsschwere eine signifikante Rolle spielte: Die Ausgleichsbereitschaft der Opfer mit gravierenden Beeinträchtigungen lag 2002 bei 53,9%, bei den Opfern mit Dauerfolgen bei 50 % (S. 62 ff.). Zudem ist zu beachten, dass diejenigen Opfer, die nicht geantwortet haben, nicht eingerechnet sind, und die TOA-Statistik sich nur auf Fälle bezieht, mit denen TOA-Einrichtungen aufgrund von Fallzuweisungen oder Anfragen unterschiedlicher Institutionen oder Personen befasst wurden (vgl. schon oben Fn. 212 sowie S. 14 der Auswertung der TOA-Statistik 1993 – 2002; zur Deliktsverteilung 1993 – 2002 S. 31 ff., 49 ff. sowie 2003 – 2005 S. 16 f. und S. 20 ff.). 215 Vgl. insbesondere den Forschungsbericht von Kilchling zu einer bundesweit durchgeführten Opferbefragung des Freiburger Max-Planck-Instituts (Kilchling, Opferinteressen, S. 552, 686): Interessant ist hier zunächst einmal die Frage nach der grundsätzlichen Zustim-

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5. Kap.: Sprechakte im Rahmen des Ta¨ter-Opfer-Ausgleichs

Die zurückhaltende Einstellung der Opfer von Gewalt- und Sexualdelikten kann sich als durchaus sinnvolles Schutzverhalten darstellen. Der Schutz vor weiterem Täterkontakt und entsprechende Distanzierungstechniken dienen dabei dem Erleben der Abgegrenztheit und Selbstwirksamkeit. Es erscheint fraglich, inwieweit der TOA in Fällen schwerer Delikte zu einer Verarbeitung des Geschehens beitragen kann; vielmehr besteht die Gefahr einer Retraumatisierung der Opfer durch den unmittelbaren Kontakt mit dem Täter.216 Zumindest sollte eine persönliche Begegnung mit dem Täter bei Vorliegen entsprechender Traumatisierungsindikatoren in Begleitung einer Fachkraft erfolgen.217 Denn wenn dies schon generell für jegliche unmittelbare Konfrontation mit dem Trauma empfohlen wird218, dann muss dies insbesondere für den Fall einer Konmung der befragten Opfer zu einer formlosen Erledigung außerhalb des Strafverfahrens trotz vorheriger Anzeigeerstattung: Eine Mehrheit von 54,3% konnte sich eine eher formlose Einstellung ihres Falles trotz vorangegangener Anzeige durchaus vorstellen. Allerdings gilt dies insbesondere für Gruppen mit leichtem Viktimisierungshintergrund, während sich Opfer von Kontaktdelikten und Einbruch, Opfer mit körperlichen oder psychischen Schäden oder Personen, die sich durch den Viktimisierungshintergrund sehr beeinträchtigt fühlen oder die Täter persönlich kennen, jeweils zu zwei Dritteln oder mehr ablehnend äußerten (S. 686, 552). Bei der Frage nach der Bereitschaft zu einem persönlichen Treffen mit dem Täter mit dem Ziel, eventuell einen Ausgleich zwischen Täter und Opfer zu erreichen, erklärten nur 45,5% aller Opfer (auch der nichtanzeigenden; gleichwohl ist dies noch ein recht hoher Anteil, insbesondere im Vergleich zu den befragten Nichtopfern) ihre grundsätzliche Bereitschaft zu einem möglichen Ausgleichstreffen mit dem Täter (S. 559, 686). Eine wenn auch knappe Mehrheit war damit gegen eine Konfliktregulierung eingestellt, wie sie das klassische Modell mit Schwerpunkt auf dem persönlichen Schlichtungsgespräch vorsieht. Allerdings würden annähernd 30% der zuvor negativ eingestellten Opfer eine offiziell vermittelte Konfliktregulierung akzeptieren (was aber unter dem Aspekt der Verfahrensherrschaft eine grundsätzlich vom TOA abweichende Lösung darstellen würde; zu denken ist hier beispielsweise an Einrichtungen wie die kommunalen Schiedsstellen oder auch an gerichtsförmliche Alternativen wie ein strafrechtliches Restitutionsverfahren oder eine gerichtliche Wiedergutmachungsverhandlung, vgl. S. 558, Fn. 13). Für 37% der zuvor negativ eingestellten Opfer wäre eine Übereinkunft mit dem Täter denkbar, wenn eine persönliche Begegnung ausgeschlossen wäre. Allerdings variiert die Einstellung auch hier sehr stark nach Erlebnis und Interessencharakteristika: eine vorbehaltlose Bereitschaft zu einem persönlichen Treffen mit dem Täter war bei den Gruppen mit leichter Tatfolgenbetroffenheit, insbesondere Opfern von Nichtkontaktdelikten bzw. Delikten mit ausschließlich materieller Schadenssituation sowie bei abnehmender psychischer Beeinträchtigung erheblich höher (50 bis 60 %); bei den Opfern mit Nichtssachschäden, starker Beeinträchtigung und schweren Tatfolgen lag die unbedingte Zustimmungsquote bei nur etwa 30 % (S. 566). 216 Vgl. dazu den bereits erwähnten Vortrag Fischers (oben Fn. 182). 217 So insbesondere Jerouschek, JZ 2000, 185 (190). 218 Fischer, Trauma / Erste Hilfe, S. 83; eine bewusste Annäherung an die traumatische Situation zu einem angemessen Zeitpunkt relativer Stabilisierung kann für die Geschehensbewältigung wichtig sein, im Falle der Nichtverarbeitung des Traumas kann es zu einem übermäßigen Vermeidungs- oder Verleugnungsverhalten kommen (welches aber grundsätzlich eine sinnvolle Schutzreaktion darstellt, Teil der Verarbeitungsphase ist, eine Stabilisierung und Distanzierung ermöglicht und damit eine Annäherung an das Trauma oft erst möglich macht, vgl. Janoff-Bulman, Shattered assumptions, S. 163), vgl. dazu Fischer / Becker-Fischer / Düchting,

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frontation mit dem Täter im Wege des Täter-Opfer-Ausgleichs gelten. Zudem besteht auch die Möglichkeit einer begegnungsfreien Wiedergutmachung219, die dann durch die jeweiligen Ausgleichsprojekte vermittelt werden kann. In diesen Fällen dominiert das Interesse an einer Schadensregulierung und an Vereinbarungen für die Zukunft, beispielsweise um Angst vor weiteren Übergriffen des Täters oder seines Umfeldes abzubauen.220 Dann geht es allerdings nicht mehr um mediative Konfliktregulierung oder gar Versöhnung, der ursprünglichen Konzeption des TOA kann nicht mehr entsprochen werden. Einige bei traumatisierten Opfern schwerer Gewaltdelikte zu beobachtende Reaktionen deuten eher darauf hin, dass die besondere Bedeutung strafrechtlicher Kommunikation für das Opfer wichtig sein kann.221 Dazu gehört die bei Gewaltopfern anzutreffende Konfusion von Recht und Unrecht, welche mit erheblichen Selbstbeschuldigungstendenzen einhergehen kann. So kann es zu der Überzeugung des Opfers kommen, eher Schuld an dem Vorfall zu tragen als der Täter sowie zur Übernahme von Rechtfertigungen und des verzerrten Weltbildes des Täters in die Einschätzung von sozial angemessenem Verhalten (z. B. die Annahme, dass es in Ordnung ist, wenn Eltern sexuelle Beziehungen zu ihren Kindern unterhalten oder dass es in Ordnung ist, wenn ein Ehemann seine Frau schlägt) bis hin zu einer Idealisierung des Täters.222 Es ist fraglich, inwieweit angesichts solcher täteridentifikatorischer Prozesse bzw. einer möglichen unbewussten Bindung an den Täter durch die Gewalterfahrung223 tatsächlich von einer Autonomie auf Opferseite ausgegangen werden kann.224 Bedenklich erscheint vor diesem Hintergrund auch, dass die Beschuldigten häufig an dem Ausgleichsverfahren teilnehmen, um dem Opfer dessen Mitschuld zu verdeutlichen.225 Teilweise neigen die Opfer auch zu einer unangemesseHilfe für Gewaltopfer, S. 29 ff. und Fischer, Trauma / Erste Hilfe, S. 82 f. sowie Janoff-Bulman, Shattered assumptions, S. 172 f. 219 In der Praxis ist der Anteil jener Fälle, in denen es zu keinem direkten Ausgleichsgespräch zwischen Täter und Opfer kommt, erstaunlich hoch, vgl. dazu die Nachweise in der Auswertung der TOA-Statistik (oben Fn. 6) 1993 – 2002, S. 76 ff., 2003 – 2005 S. 28 ff.; zur begegnungsfreien Wiedergutmachung vgl. Mühlfeld, Mediation im Strafrecht, S. 180 ff. 220 Vgl. die Auswertung der TOA-Statistik (oben Fn. 6) 1993 – 2002, S. 76 ff. 221 Vgl. auch oben 4. Kap. A. 222 Vgl. Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 50 f.; diese Symptome sind charakteristisch sowohl für das Victimisierungssyndrom (VS) als auch für das komplexe psychotraumatische Belastungssyndrom (kPTBS), vgl. oben 4. Kap. Fn. 19. Gerade Missbrauchsopfer kommen oft gar nicht auf die Idee, dass der Täter ihnen Unrecht zugefügt hat, da dies der Ideologie des Täters und ihrer eigenen Selbstbeschuldigungstendenz zuwiderläuft. Der Therapeut muss dann klarstellen, dass nicht das Opfer schuld ist, sondern der Täter, vgl. Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 321; vgl. zur Erschütterung des Weltverständnisses auch schon oben 4. Kap. A. 223 Vgl. Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 76 f. 224 Mit dieser Kritik Jerouschek, JZ 2000, 185 (190). 225 Vgl. dazu die genannte Bielefelder Studie (vgl. oben Fn. 36), wonach über drei Viertel der Beschuldigten an dem Verfahren teilnehmen, um dem Geschädigten dessen Mitschuld zu

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5. Kap.: Sprechakte im Rahmen des Ta¨ter-Opfer-Ausgleichs

nen Bagatellisierung der ihnen zugefügten physischen oder psychischen Verletzungen.226 Zudem ist zu beachten, dass trotz einer erklärten Ausgleichsbereitschaft der Opfer gerade bei schweren Delikten eine hohe Empfänglichkeit für Erwartungshaltungen Dritter bestehen dürfte.227 Die besonderen Implikationen schwerer Gewaltdelikte sprechen vielmehr dafür, dass die soziale Einordnung der Tat für das Opfer durchaus wichtig sein kann.228 Mediativen Verfahren fehlt eine entsprechende illokutionäre Kraft, sie zielen hingegen auf eine Aufarbeitung eines zugrundeliegenden Konflikts, die Opfer schwerer Delikte wohl nicht selten überfordern dürfte. Die Anwendung eines Verfahrens, welches nicht auf eine intersubjektive Anerkennung und Feststellung des geschehenen Unrechts gerichtet ist und den Parteien „ihren“ Konflikt – wenn auch vorläufig – zurückgibt, kann vor diesem Hintergrund der falsche Weg sein.

3. Täter-Opfer-Ausgleich bei Gewaltdelikten im sozialen Nahraum Der zweite oben genannte Deliktsbereich, in dem deklarative strafrechtliche Kommunikation eine besondere Funktion haben kann, betrifft Straftaten im sozialen Nahraum. An der Diskussion um die Anwendbarkeit des Täter-Opfer-Ausgleichs bei Gewaltdelikten in engen sozialen Bindungen wird besonders deutlich, dass alltägliche Sprechakte keine der strafrechtlichen Kommunikation vergleichbare intersubjektive Wirkung aufweisen und insbesondere von der Aufrichtigkeit ihrer Äußerung abhängig und damit auch für das jeweilige Opfer in hohem Maße kontingent sind. verdeutlichen; lediglich 10,8 % stimmten dieser Aussage gar nicht zu; 40,3 % der Beschuldigten gaben an, der Geschädigte habe sehr großen Anteil am Vorfall, 21,6 % meinten, der Geschädigte habe großen Anteil, weitere 12,5 % gaben an, der Geschädigte habe zumindest geringen Anteil an dem Vorfall. Lediglich 21,6 % der befragten Beschuldigten gingen davon aus, der Geschädigte habe gar keinen Anteil, Bals, MschrKrim 89 (2006), 131 (134) und Bals / Hilgartner / Bannenberg, Täter-Opfer-Ausgleich im Erwachsenenbereich, S. 396 u. 404; vgl. zur Akzeptanz des Tatvorwurfs Bals / Hilgartner / Bannenberg, a. a. O., S. 263. 226 Fischer / Becker-Fischer / Düchting, Hilfe für Gewaltopfer, S. 26. 227 Mit diesen Bedenken insbesondere Jerouschek, JZ 2000, 185 (190). 228 Vgl. auch Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 339 f. zu in der Psychotherapie mit Vergewaltigungsopfern zu berücksichtigenden Aspekten: „[ . . . ] Die erste, spontane Reaktion ist natürlich die des ,Sich-Übergeben-Müssens‘: auch in psychischer Hinsicht will das Opfer das aufgezwungene bösartige Introjekt wieder ausstoßen. Diese an sich gesunde traumatische Reaktion muss jedoch in der Therapie durch einige Transformationsschritte ergänzt werden, die dem Opfer erlauben, dem Täter sein ,zerstörtes Wesen‘ gewissermaßen zurückzugeben im Sinne der Erkenntnis, dass der Täter niemand anderen geschädigt, gedemütigt und erniedrigt hat als sich selbst. Im Prozess dieser Traumaverarbeitung wird auch die Frage einer angemessenen Bestrafung des Täters bedeutsam, die ebenfalls dazu beitragen kann, Grenzen wiederherzustellen, die zwangsweise Identifikation des Opfers mit dem Täter aufzulösen und diesem die Verantwortlichkeit für sein Handeln zurückzugeben.“

D. Verha¨ltnis des Strafrechts zum Ta¨ter-Opfer-Ausgleich

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Zwar müssten sich Vorbeziehungsfälle nach dem theoretischen Ansatzpunkt der Mediation in besonderer Weise für den institutionalisierten Täter-Opfer-Ausgleich eignen, da ja tatsächlich ein ursprünglicher Konflikt vorhanden ist und nicht erst durch die Straftat geschaffen wurde. Allerdings ist hier eine besonders hohe Ablehnungsquote der Opfer zu verzeichnen, wenn diese zuvor Anzeige erstattet haben.229 Die Anzeige stellt für diese Opfergruppe eine entscheidende Zäsur dar, eine Reprivatisierung des Konflikts wird von den Opfern gerade nicht gewünscht.230 Oft ist dieser Anzeige eine lange Geschichte gewalttätiger Übergriffe vorausgegangen, sodass die strafrechtliche Verfolgung auch eine wichtige Funktion für die Trennung haben kann.231 Vor diesem Hintergrund ist es problematisch, wenn der Staat in solchen Fällen mit Vermittlungsangeboten reagiert; vielmehr kann die Durchführung des Strafverfahrens hier eine Entlastungsfunktion haben.232 Insbesondere aber erscheint eine Ausweitung des TOA auf schwere Gewalttaten innerhalb von Beziehungen bedenklich. Kommt es hier zu traumatischen Situationen (Beziehungstrauma), so kann das Selbst- und Weltverständnis besonders nachhaltig erschüttert werden, weil das Urvertrauen in die Zuverlässigkeit sozialer Beziehungen in Frage gestellt wird.233 Dies gilt für Konstellationen der Misshandlung und des sexuellen Missbrauchs von Kindern durch die Eltern ebenso wie für Gewalterfahrungen und sexuelle Übergriffe durch Freunde, Bekannte oder den Ehepartner.234 In diesen Fällen kann eine Abgrenzung vom Täter für die Überwindung der traumatischen Situationen besonders wichtig sein, sodass ein TäterOpfer-Ausgleich jedenfalls nach dem ursprünglichen Konzept einer „Rückgabe des Konflikts“ nicht sinnvoll erscheint. 229 Vgl. dazu noch einmal die Freiburger Opferbefragung: 71,4% der anzeigenden Opfer, denen der Täter persönlich bekannt war, konnten sich bereits grundsätzlich eine formlose Erledigung ihres Falles nicht vorstellen und hatten als Anzeigegrund mit 78,6 % die erstrebte Verurteilung des Täters genannt, Kilchling, Opferinteressen, S. 552 u. 240; für die Frage nach einem persönlichen Ausgleich mit dem Täter bleibt dann von vornherein kein Raum mehr, vgl. dazu Kilchling, a. a. O., S. 688 f. Auch insgesamt lässt sich beobachten, dass das Zustimmungsverhalten der Geschädigten mit zunehmender sozialer Nähe sinkt, vgl. Bals / Hilgartner / Bannenberg, Täter-Opfer-Ausgleich im Erwachsenenbereich, S. 111 u. 126 ff.; bei verwandtschaftlichem Verhältnis und bei Paarbeziehungen war die Zustimmungsquote am niedrigsten, bei unbekanntem Täter am höchsten; dies war zu einem großen Teil durch eine vorherige private Klärung des Konflikts bedingt, andererseits aber auch durch „verhärtete Fronten“ und der damit verbundenen Ablehnung einer Re-Privatisierung des Konflikts (S. 120, 166 f.). 230 Dazu auch Kilchling, Opferinteressen, S. 688 f.; Voß, MschrKrim 72 (1989), 34 (47 f.); vgl. auch Bals / Hilgartner / Bannenberg, Täter-Opfer-Ausgleich im Erwachsenenbereich, S. 166 f. 231 Vgl. dazu Bals / Hilgartner / Bannenberg, Täter-Opfer-Ausgleich im Erwachsenenbereich, S. 166 f.; Matefi, FamPra 2003, 260 ff.; Lamnek / Ottermann, Tatort Familie, S. 143 f. 232 Vgl. Voß, MschrKrim 72 (1989), 34 (48). 233 Vgl. schon oben 4. Kap. C.I.2. u. Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 152 f. sowie Janoff-Bulman, Shattered assumptions, S. 79. 234 Vgl. dazu Fischer / Riedesser, Psychotraumatologie, S. 51 f., 90, 152; Janoff-Bulman, Shattered assumptions, S. 79.

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5. Kap.: Sprechakte im Rahmen des Ta¨ter-Opfer-Ausgleichs

Ein potentiell weites Anwendungsfeld des Täter-Opfer-Ausgleichs besteht in den Fällen häuslicher Gewalt (zumeist handelt es sich um Männergewalt gegenüber Frauen235), die die jüngere rechtspolitische Diskussion geprägt und durch das am 1. Januar 2002 in Kraft getretene Gewaltschutzgesetz 236 eine besondere Berücksichtigung gefunden haben. Jedoch ist in diesem Bereich eine „Reprivatisierung“ des Konflikts problematisch.237 Hier geht es häufig nicht um eine Strafmilderung, sondern eine Einstellung des Verfahrens im Vorverfahren, sodass auf einen deklarativen Verfahrensabschluss gänzlich verzichtet wird. Durch das Gewaltschutzgesetz und entsprechende Handlungsanweisungen für Polizei und Justiz sollte dieser Deliktsbereich aber gerade an das Licht der Öffentlichkeit gebracht werden. Dem Strafrecht selbst wird insoweit eine Symbolfunktion beigemessen; es soll verdeutlicht werden, dass die Familie und andere enge soziale Beziehungen keinen rechtsfreien Raum darstellen, dass die Tat mit ihren Auswirkungen ernst genommen und missbilligt wird.238 Die Polizei verstand sich häufig jedoch als Vermittlerin oder Schlichterin zwischen den Konfliktparteien, sodass es in den meisten Fällen gar nicht zu einer strafrechtlichen Verfolgung kommen konnte.239 Dies wirkte sich besonders fatal aus, weil Opfer häuslicher Gewalt oftmals nicht aus autonomen Gründen, sondern aufgrund der sozialen, ökonomischen und psychologischen Verstrickung in die Gewaltbeziehung mit dem Täter eine staatliche Intervention ablehnen bzw. eine zuvor erstattete Anzeige wieder zurückziehen.240 Lange Zeit waren die Bemühungen daher darauf gerichtet, die strafrechtliche Abweichungskontrolle überhaupt auf diesen Bereich zu erstrecken.241 235 Leuze-Mohr, Häusliche Gewalt, S. 32 ff., 337 m. w. N.; vgl. auch Bals / Hilgartner / Bannenberg, Täter-Opfer-Ausgleich im Erwachsenenbereich, S. 253 u. 258. 236 Vom 11. Dezember 2001, BGBl. I, S. 3513. 237 Die Zustimmungsquote fällt in diesem Bereich deutlich niedriger, die Ablehnungsquote deutlich höher aus als bei den übrigen Geschädigten, vgl. Bals / Hilgartner / Bannenberg, Täter-Opfer-Ausgleich im Erwachsenenbereich, S. 267. 238 Vgl. zu dieser Funktion der Strafe in Fällen häuslicher Gewalt insbesondere KräuterStockton, aktuelle informationen 2 / 2005 (djb), 9 (10); vgl. auch Frommel, KJ 2000, 447 (451 f.); vgl. auch den Aktionsplan II des Landes Niedersachsen zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen im häuslichen Bereich, S. 11 ff., http: // cdl.niedersachsen.de / blob / images / C25573928_L20.pdf und zusammenfassend Rabe, Streit 2002, 111 (114 ff.); kritisch Pelikan / Stangl, in: Hammerschick / Pelikan / Pilgram, Ausweg aus dem Strafrecht, S. 47 (63 ff.). 239 Schweikert, Gewalt, S. 169; Frommel, KJ 2000, 447 (452); Leuze-Mohr, Häusliche Gewalt, S. 342. Selbst die Gerichte differenzieren noch zwischen Gewalttätigkeiten innerhalb und außerhalb enger sozialer Bindungen, wie sich an der oben erwähnten Strafzumessungspraxis bei Vergewaltigungen in Intimbeziehungen zeigt, vgl. oben unter 4. Kap. C.I.2. und 4. Kap. Fn. 151; vgl. zu bagatellisierenden Tendenzen und Mitverschuldensvorwürfen durch Richter auch Schweikert, Gewalt, S. 318 ff. 240 Vgl. dazu Leuze-Mohr, Häusliche Gewalt, S. 268 ff.; zum „battered woman syndrome“ vgl. Bannenberg / Weitekamp / Rössner / Kerner, Mediation / Paarbeziehungen, S. 39 ff. 241 Vgl. dazu insbesondere Leuze-Mohr, Häusliche Gewalt, S. 16 ff., 339 ff.; vgl. auch Frommel, KJ 2000, 447 (452); vgl. auch das Merkblatt für die Bearbeitung von Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt (herausgegeben von der Berliner Senats-

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Gerade in einem Bereich, in dem die Norm der Gewaltfreiheit keinesfalls als selbstverständlich akzeptiert ist, in dem also die Rechtsnorm nicht durchgängig entsprechende Sozialnormen vorfindet, kann der normbestätigenden und missbilligenden Funktion des Strafrechts eine besondere Bedeutung zukommen.242 Dies gilt nicht nur mit Blick auf die Allgemeinheit und den Täter, sondern insbesondere auch hinsichtlich des Opfers als Adressaten der strafrechtlichen Botschaft. Bei Gewalt in engen sozialen Beziehungen ist die oben beschriebene Tendenz, dem Opfer ein Mitverschulden bzw. einen Verursachungsbeitrag anzulasten, besonders ausgeprägt, und zwar sowohl durch den Täter als auch durch das soziale Umfeld.243 Die Opfer sehen aus diesem Grund häufig von einer Anzeige ab.244 Die Idee, dass der Konflikt den Beteiligten zur Bewältigung zurückgegeben wird, suggeriert aber eine gemeinsame Verantwortlichkeit und eine Rückverlagerung in die Privatsphäre der Konfliktparteien.245 Strafrechtliche Kommunikation kann hier aufgrund ihrer intersubjektiven illokutionären Kraft einen Beitrag zur Abgrenzung von Verantwortungsbereichen leisten. Zwar bietet die Einbeziehung des zugrunde liegenden Gesamtkonflikts die Chance der Einleitung eines längerfristigen Prozesses, etwa wenn sich der Täter zu einer Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs verpflichtet, das Opfer eine gewisse Stärkung seiner Position erfährt oder sich beide Partner über die Teilnahme an einer Paartherapie verständigen.246 Eine Konfliktregulierung ist jedoch angesichts des häufig bestehenden Machtgefälles nicht unproblematisch.247 Die hier verwaltung für Justiz in Zusammenarbeit mit dem Berliner Interventionsprojekt gegen Häusliche Gewalt (BIG e.V.), abrufbar unter http: // www.big-interventionszentrale.de / veroeffentlichungen / broschueren / strafjustiz.htm. 242 Vgl. Rabe, Streit 2002, 111 (114) sowie die weiteren Nachweise in Fn. 238 . 243 Vgl. dazu Leuze-Mohr, Häusliche Gewalt, S. 283, 338; Frommel, KJ 2000, 447 (452); vgl. zur generellen Motivation von Beschuldigten, den Geschädigten im Rahmen des TOA eine Mitschuld zu verdeutlichen, oben Fn. 225. 244 Leuze-Mohr, Häusliche Gewalt, S. 283 ff. 245 Vgl. mit dieser Kritik den offenen Brief des djb an die Justizbehörde und die Behörde für Wissenschaft und Forschung der Freien und Hansestadt Hamburg vom 12. März 2001, http: // www.djb.de / Kommissionen / kommission-strafrecht / sn-7 / sowie Frommel, KJ 2000, 447 (452); vgl. insbesondere auch Nothhafft, MschrKrim 84 (2001), 154 (162) und zum Ganzen Heinz, Flucht, S. 79; Rabe, Streit 2002, 111 (114). 246 Böllinger sieht aus psychoanalytischer Sicht die realistische Chance eines TOA bei häuslicher Gewalt nicht in der Konfliktlösung oder gar Versöhnung, sondern in der Einleitung eines längerfristigen Prozesses. Ziel der Mediation könne dabei allenfalls sein, „ein Stück Versöhnung mit der Realität und persönlicher Integration des Leides und der Schwäche, ein kleiner Zuwachs an kommunikativer Kompetenz und Ich-Stärkung („empowerment“) für den schwächeren Teil, um sich selbst helfen zu können oder sachgerechte Hilfe suchen zu können“, vgl. ders., in: Pelikan, Mediationsverfahren, S. 65 (86 ff.); zu dem Potential des TäterOpfer-Ausgleichs in Fällen häuslicher Gewalt vgl. insbesondere auch Bals / Hilgartner / Bannenberg, Täter-Opfer-Ausgleich im Erwachsenenbereich, S. 280 ff. 247 Zum einen ist bekannt, dass misshandelte Frauen häufig ihren Strafantrag zurückziehen oder von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, weil sie in einem Ab-

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5. Kap.: Sprechakte im Rahmen des Ta¨ter-Opfer-Ausgleichs

vielfach geforderte „Mächtigung“, also gezielte und einseitige Unterstützung des Opfers während des Verfahrens, ist mit mediativen Grundsätzen und der Rolle eines grundsätzlich neutralen Vermittlers (Prinzip der Allparteilichkeit) jedoch schwer in Einklang zu bringen.248 Um das Opfer wirksam schützen zu können, muss der Vermittler darauf achten, dass der Täter keinen unzulässigen Druck ausübt und die Verantwortlichkeit für die Gewaltanwendung nicht in Frage gestellt wird. Gerade die Feststellung der Verantwortlichkeit ist aber in mediativen Verfahren als Verfahrensergebnis nicht vorgesehen und wie gezeigt auch gar nicht möglich. Zwar bleiben den Vermittlern indirekte Möglichkeiten, die gewünschte Norm der Gewaltfreiheit zu implementieren und das Unrecht der Tat zu verdeutlichen. Dennoch wirkt das Verfahren letztlich durch eine Leistung des Täters, nämlich der Darstellung von Reue und der autonomen Selbstunterwerfung unter die Norm. Es steht jedoch zu befürchten, dass dieser kommunikative Beitrag des Täters in TOA Verfahren bei häuslicher Gewalt in spezifischer Weise mit dem Makel der Unglaubwürdigkeit behaftet ist. So wurde im Rahmen des Hamburger Modellprojekts zur Anwendung des TOA bei häuslicher Gewalt festgestellt, dass eine Entschuldigung bei der Geschädigten als ein Ergebnis des TOA nicht die gleiche „Wertigkeit“ hat wie in „normalen“ TOA-Verfahren.249 So sind Entschuldigungen und Beteuerungen, dass sich in Zukunft alles ändern werde, regelmäßiger Bestandteil der zugrunde liegenden Beziehungsdynamik.250 Sie dienen nur der momentahängigkeitsverhältnis zu dem Täter stehen oder Angst vor weiteren Repressalien haben. Dann steht zu befürchten, dass auch die Teilnahmebereitschaft zu einem Ausgleichsverfahren nicht frei von Druck durch den Täter erklärt wird. Die Institutionalisierung eines Schlichtungsverfahrens birgt die Gefahr, dass der Täter das Opfer instrumentalisiert, um die Hauptverhandlung und die drohende Verhängung einer Geld- bzw. Freiheitsstrafe abzuwenden. Zum anderen ist bei einem bestehenden Machtungleichgewicht bedenklich, inwieweit das Opfer seine Interessen überhaupt wirksam artikulieren und einfordern kann. Zum Teil kann diesen Bedenken begegnet werden, indem bei Fällen häuslicher Gewalt zuerst das Opfer zu einer möglichen Teilnahmebereitschaft befragt wird und im weiteren Verlauf jeweils ein männlicher und ein weiblicher Vermittler eingesetzt und zunächst getrennte Gespräche durchgeführt werden (so genanntes „gemischtes Doppel“, dazu Rabe, Streit 2002, 111 (116 f.) m. w. N.). 248 Zur sog. „Mächtigung“ (aus dem Englischen „empowerment“) Pelikan / Stangl, in: Hammerschick / Pelikan / Pilgram, Ausweg aus dem Strafrecht, S. 47 (67 ff.); Bannenberg / Weitekamp / Rössner / Kerner, Mediation / Paarbeziehungen, S. 176 ff.; zur grundsätzlichen Rolle des Vermittlers vgl. TOA-Standards (oben Fn. 10), Kap. 4.3. 249 Vgl. dazu Rabe, Streit 2002, 111 (118) mit Hinweis auf einen unveröffentlichten Zwischenbericht zum Hamburger Modellprojekt „Mediation bei Gewaltstraftaten in Paarbeziehungen“ (das Hamburger TOA-Projekt konzentrierte sich als erstes deutsches TOA-Projekt auf den Bereich häuslicher Gewalt); eine Nachfrage beim Hamburger Täter-Opfer-Ausgleich ergab, dass das Modellprojekt ohne Abschlussbericht eingestellt und damit das besondere Setting (insbesondere das Co-Schlichtungsverfahren mit einem gemischtgeschlechtlichen Team) aufgegeben wurde. Zu weiteren im Zwischenbericht erkennbar werdenden Problemen, die die Geeignetheit des TOA in einigen Fallgruppen in Frage stellen, vgl. Rabe, a. a. O. 250 Vgl. Bannenberg / Weitekamp / Rössner / Kerner, Mediation / Paarbeziehungen, S. 36 ff.; Matefi, FamPra 2003, 260 f.; Rabe, Streit 2002, 111 (118).

D. Verha¨ltnis des Strafrechts zum Ta¨ter-Opfer-Ausgleich

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nen Stabilisierung und Beruhigung, werden aber nicht durch eine langfristige Verhaltensänderung glaubhaft bzw. „wahr“ gemacht.251 Wie gezeigt ist das Eintreten der erhofften perlokutionären Effekte expressiver Sprechakte aber in spezifischer Weise davon abhängig, dass der Adressat von der Aufrichtigkeit des Sprechers ausgehen kann.252 Ähnliches gilt auch für kommissive Sprechakte, denen in Vorbeziehungsfällen aufgrund des zukünftig zu erwartenden Kontakts zwischen Täter und Opfer eine besondere Bedeutung zukommt253: Auch kommissive Sprechakte werden das Opfer nur dann dazu veranlassen, sein Verhalten nach ihnen auszurichten und einen Konflikt als beigelegt anzusehen, wenn sie von der Aufrichtigkeit und Verlässlichkeit des Sprechers ausgehen können. Insbesondere eine beruhigende stabilisierende Wirkung ist davon abhängig, dass das Opfer das zukünftige Verhalten, auf das der Täter sich festgelegt hat, tatsächlich erwarten kann.254 Dem entspricht es auch, wenn im Rahmen des genannten Modellprojekts empfohlen wird, bei der Schlichtung in Fällen häuslicher Gewalt eine Entschuldigung „in eine zeitweilige Kontrolle des Beschuldigten einzubinden, damit sie an Ernsthaftigkeit gewinnt“.255 Letztlich geht es dabei darum, die „Wertigkeit“ der kommunikativen Beiträge des Täters zu überprüfen. Um eine Fortführung des der Beziehung zugrunde liegenden kommunikativen Schemas im TOA zu verhindern, sollte ein Ausgleichsverfahren daher nur dann durchgeführt werden, wenn gewährleistet ist, dass eine Verhaltensänderung kontrolliert werden kann. Dazu bedarf es der Vereinbarung eines entsprechend langen Erledigungszeitraums mit der Justiz.256 In diesem Zusammenhang ist auch die Berücksichtigung bloßer „Bemühungen des Täters“ besonders problematisch. Insoweit ist auf die Vorschrift des § 155a S. 3 StPO hinzuweisen, nach der eine Eignung gegen den ausdrücklichen Willen des Verletzten nicht angenommen werden darf. Wie gezeigt bezieht sich der Wortlaut des § 155a S. 3 StPO aber nur auf die Initiative der Staatsanwaltschaft und erfasst insbesondere jene Fälle nicht, in denen die Geschädigte nach vorangegangenen Ausgleichsverhandlungen die Bemühungen des Täters als nicht ausreichend erachRabe, Streit 2002, 111 (118). Vgl. dazu schon oben C. 253 Vgl. zur Bedeutung der Regelung des künftigen Umgangs und von Unterlassungserklärungen des Beschuldigten Bals / Hilgartner / Bannenberg, Täter-Opfer-Ausgleich im Erwachsenenbereich, S. 272. 254 Vgl. zu den intendierten perlokutionären Effekten kommissiver Sprechakte oben 2. Kap. B. 255 Rabe, Streit 2002, 111 (118); dazu sei noch einmal darauf hingewiesen, dass eine Entschuldigung als expressiver Sprechakt entgegen einem Versprechen als kommissivem Sprechakt nicht erfüllt, durch entsprechendes Verhalten aber glaubhaft werden kann, vgl. oben C.; vgl. zur Notwendigkeit einer verbindlichen Kontrolle auch Nothhafft, MschrKrim 84 (2001), 154 (158). 256 Vgl. die „Standards zur Bearbeitung von TOA-Fällen aus dem sozialen Nahraum“ (entwickelt auf dem Bundestreffen zum TOA im Erwachsenenbereich unter Mitarbeit verschiedener Einrichtungen), www.ausgleichende-gerechtigkeit.de / files / Standards%20haeuslgewalt. pdf. 251 252

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5. Kap.: Sprechakte im Rahmen des Ta¨ter-Opfer-Ausgleichs

tet. In diesen Fällen kann das bloße Bemühen des Täters bereits eine Einstellung rechtfertigen.257 Wie bereits festgestellt sind der Misshandlung oftmals schon zahlreiche Vorfälle vorausgegangen, die einer ähnlichen Interaktionslogik folgten: Der Täter entschuldigt sich nach der Misshandlung bei dem Opfer, es folgt eine stabile und teilweise sogar euphorische Phase in der Beziehung, der sich dann jedoch weitere Gewalttätigkeiten des Täters anschließen.258 Akzeptiert dann die misshandelte Frau die Ausgleichsbemühungen des Beschuldigten nicht, etwa weil sie den Versprechungen ihres Mannes nicht traut oder weil sie eine endgültige Loslösung vom Täter erstrebt, so sollte dies bei der Entscheidung über die Einstellung des Verfahrens beachtet werden.259 Daher kann es in diesen Fällen ein falsches Signal sein, bloße Bemühungen des Täters durch eine Einstellung zu belohnen oder aus anderen Gründen trotz der gescheiterten Bemühungen das Verfahren einzustellen. Gerade hier wäre es sinnvoll, dem Verletzten die Möglichkeit einzuräumen, die Einstellung des Verfahrens gerichtlich überprüfen zu lassen, da dies eine präventive Wirkung hinsichtlich der Beachtung der Opferbedürfnisse haben kann und somit einer vorschnellen Annahme hinreichender Bemühungen vorgebeugt werden könnte.260 Insgesamt besteht bei einer weitgehenden Erledigung von Straftaten häuslicher Gewalt im Wege der Diversion die Gefahr, dass das Signal ausgesandt wird, Gewalt im privaten Bereich sei verhandelbar.261 Entsprechende Handlungsanweisungen an die Justizbehörden können einer Bagatellisierung häuslicher Gewalt durch eine „Reprivatisierung“ des Konflikts vorbeugen. Angesichts des Potentials, welches der Mediation in jenen Fällen zukommt, in denen tatsächlich ein Primärkonflikt vorhanden ist, erscheint eine grundsätzliche Verbannung solcher Fälle aus dem Mediationsbereich jedoch nicht angemessen.262 Die Anbahnung eines Täter-OpferAusgleichs sollte aber nicht durchgängige Antwort staatlicher Stellen auf Gewaltstraftaten in Paarbeziehungen sein. Insbesondere bei schweren Gewalttaten und in Vgl. oben D.II. Matefi, FamPra 2003, 260 f. 259 Vgl. dazu auch den offenen Brief des djb vom 12. März 2001 (oben Fn. 245). 260 Vgl. dazu schon oben 4. Kap. C.II. und dieses Kap. D.II. u. D.III.1.; Schweikert, Gewalt, S. 325 weist darauf hin, dass die meisten Opfer häuslicher Gewalt wollen, dass ihnen kein „Sonderopfer“ durch Nichtverfolgung abverlangt wird und häusliche Gewalt wie jeder andere Deliktsbereich von Polizei, Staatsanwaltschaft und Strafgericht angemessen verfolgt und beurteilt wird. Eine hohe Einstellungspraxis und geringe Verurteilungsquote begünstige und perpetuiere Gewalt gegen Frauen im sozialen Nahraum. 261 Mit dieser Kritik der offene Brief des djb vom 12. März 2001 (oben Fn. 245). 262 Insofern sei auf die weitgehende Handlungsanweisung der Berliner Senatsverwaltung für Justiz vom 18. März 2002 gegenüber den nachfolgenden Behörden hingewiesen, die Fälle häuslicher Gewalt für einen Täter-Opfer-Ausgleich nur dann für nicht ungeeignet hält, wenn die Tat einen einmaligen Vorgang darstellt, als Vergehen zu werten ist, die Freiwilligkeit auf Opferseite gewährleistet ist und sich das Opfer nicht in einem Frauenhaus oder einer Zufluchtswohnung befindet. Zu weiteren Einschränkungen und dem Text der Richtlinie siehe unter http: // www.big-interventionszentrale.de / veroeffentlichungen / broschueren / strafjustiz.htm. 257 258

D. Verha¨ltnis des Strafrechts zum Ta¨ter-Opfer-Ausgleich

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Fällen, in denen sich das Opfer aus der Gewaltdynamik befreien möchte oder bereits Zuflucht vor dem Täter genommen hat, scheint eine Vermittlung nicht empfehlenswert. In diesen Fällen kommt der deklarativen sozialethischen Missbilligung und Normbestätigung eine besondere Bedeutung zu.

Schluss Am Ende der Untersuchung sollen die wesentlichen Ergebnisse noch einmal thesenförmig festgehalten werden: Die Frage nach der Bedeutung der Strafe für das Opfer impliziert bereits, dass mit dem Strafrecht etwas kommuniziert wird; da menschliche Kommunikation weitgehend sprachliche Strukturen aufweist, eignet sich ein sprachtheoretischer Ansatz zur Analyse des Bedeutungsgehalts strafrechtlicher Kommunikation. Im Gegensatz zu anderen rechtlichen Sanktionen zeichnen sich Urteil und Strafe durch die damit zum Ausdruck gebrachte Missbilligung aus. Sprachtheoretisch lässt sich aufzeigen, dass die Normbestätigung notwendiger Bestandteil der Missbilligung ist; wer den missbilligenden Charakter der strafrechtlichen Reaktion anerkennt, schließt damit auch deren normbestätigende Bedeutung ein (während umgegehrt kein notwendiger Zusammenhang besteht, die Norm lässt sich auch durch nicht-missbilligende Kommunikation bestätigen). Eine weiteres wichtiges Ergebnis der sprachtheoretischen Betrachtung betrifft den Bezugspunkt der Missbilligung: Sie bezieht sich auf ein Verhalten, nicht jedoch notwendig auf die Person des Handelnden. Und schließlich hat die vorliegende Bedeutungsanalyse gezeigt, dass sich die strafrechtliche Missbilligung und Normbestätigung in ihrem Bedeutungsgehalt wesentlich von der alltagskommunikativen Missbilligung und Normbestätigung unterscheiden, da diesen Sprechakten im strafrechtlichen Kontext eine besondere intersubjektive Wirksamkeit zukommt. Nun kann gerade diese besondere Bedeutung strafrechtlicher Kommunikation für das Opfer einer Straftat wichtig sein. Denn durch eine Straftat werden Erwartungen und Annahmen, die jeder Mensch bezüglich der sozialen Welt aufrechterhält, erschüttert. Strafrechtliche Kommunikation kann insofern Anhaltspunkte für die Rekonstruktion dieser sozialen Wirklichkeit geben, als sie die Bewertung des Geschehens als Unrecht, die Abgrenzung von Verantwortungsbereichen und die Bestätigung der Erwartung mit intersubjektiver Wirkung zum Ausdruck bringt. Aus sprachtheoretischer Sicht lässt sich dabei zugleich aufzeigen, dass die Kommunikation dieser Bedeutung nicht mit der Verhängung besonders harter Strafen gerechtfertigt werden kann, weil letzteres für die Wirkung der strafrechtlichen Sprechakte nicht erforderlich ist und insbesondere deren Bedeutungsgehalt von einer Botschaft der Missbilligung (des Verhaltens) zu einer Botschaft der Verdammung (der Person) ändern würde. Wenn hier die Opferperspektive in das Strafrecht eingeführt wurde, dann um das Opfer als Adressaten nicht einer verdammenden, sondern einer missbilligend-normbestätigenden Botschaft sichtbar zu machen.

Schluss

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Ein solches Verständnis der strafrechtlichen Botschaft, die Annahme, dass dieser vor dem strafrechtlichen Hintergrund eine spezifische Bedeutung zukommt sowie die Anerkennung des Opfers als Adressaten der strafrechtlichen Kommunikation könnten Ausgangspunkt weiterer Bemühungen um das Opfer im Strafrecht sein. Hinsichtlich der im Täter-Opfer-Ausgleich vorkommenden Kommunikation lässt sich schließlich feststellen, dass diese eine grundlegend andere Bedeutung aufweist als strafrechtliche Kommunikation. Es zeigt sich, dass der Rückgriff auf die Bedeutung alltagskommunikativer Konfliktlösungsmechanismen eine schwierige Bewertung von Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit mit sich bringt, und bei dieser die Einschätzung und Perspektive des Opfers nicht außer Betracht bleiben können.

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Personen- und Sachverzeichnis (Seitenangaben in Kursivschrift verweisen auf den Fußnotentext.) Absehen von Strafe siehe Strafverfahrensrecht absolute Strafzwecktheorien siehe Strafzwecktheorien Alexander, Franz 101 – 102, 138, 140 alltägliche Missbilligung siehe Missbilligung, alltägliche alltägliche Normbestätigung siehe Normbestätigung, alltägliche Ambiguität 45 – 46 Amelung, Knut 185, 191 Arbitrarität 36, 68 – 69, 75, 156 Assertiva 50 – entschuldigende Erklärungen 95, 96, 221 – 222, 233 – Erfolgsbedingungen 59 – Erfüllungsbedingungen 58 – Gelingensbedingungen 56 – 57 – Geständnis 58, 63, 231 – 236 – im Täter-Opfer-Ausgleich 220, 221 – 222, 231 – 236 – und alltägliche Missbilligung 111 – 115 assertive Deklarationen 72 Assoziation 36, 37, 69, 75, 156 Aufrichtigkeitsbedingung siehe Sprechakt Äußerungsakt siehe Sprechakt Austin, John Langshaw 39, 40, 48 Autopoiese 23 – 25 autopoietische Wende 21, 23, 82, 117 – 118 Bedeutung – eines Sprechakts 43 – 45 – eines Zeichens 31 – 32, 34 – 37 – und Sinn 35–36 – und Zweck der Strafe 78 – 81 Bedeutungskopplungen 28 – 30, 188 Bedingungen des propositionalen Gehalts siehe Sprechakt

blaming the victim siehe Mitverschulden Bleckmann, Frank 216 Böllinger, Lorenz 138, 257 Braithwaite, John 139 Christie, Nils 15 – 16 Clore, Gerald L. 99 Code 24, 26, 28, 30, 31, 33, 35, 36, 72, 161 – in der Semiotik 35, 36 – Recht / Unrecht 26, 30, 31, 72 Collins, Allan 99 Deklarativa 50 – 51 – Aufrichtigkeitsbedingung 70 – Begriff 50 – 51 – Durchsetzungsmodus 71 – Erfolgsbedingungen 60 – Erfüllungsbedingungen 58 – Gelingensbedingungen 56 – 57 – illokutionäre Stammkraft 70 – 71 – perlokutionäre Effekte 125 – 128, 157 – Schaffung institutioneller Tatsachen 64 – 69, 127 – 128 – strafrechtliche Missbilligung 150 – 53 – strafrechtliche Normbestätigung 122 – 128 – Strafurteil 71 – 73 – und Entscheidungsverfahren 125 – 128 – und Opfer 178 – 181, 253 – 254, 261 – und Übelszufügung 153 – 165 – Unmöglichkeit im Täter-Opfer-Ausgleich 212 – 213, 229 – vorbereitende Bedingung 71 Differenz-Verstehen 53 – 54 Direktiva 50 – Erfolgsbedingungen 59 – 60 – Erfüllungsbedingungen 58 – Gelingensbedingungen 56 – 57

Personen- und Sachverzeichnis – im Täter-Opfer-Ausgleich 221 – und alltägliche Missbilligung 109 – 111 – und strafrechtliche Missbilligung 142 – 150 Durchsetzungsmodus siehe Sprechakt Ellis, Albert 99, 102 – 105 Enteignung von Konflikten 15 – 16 Entscheidungsverfahren 66 – 67, 117, 125 – 128 – und Sprechakttheorie 127 – 128 entschuldigende Erklärungen siehe Assertiva Entschuldigung siehe Expressiva Erfolgsbedingungen siehe Sprechakt Erfüllungsbedingungen siehe Sprechakt Erwartungen – Generalisierung von 83 – 86 – normative und kognitive 83 – 86, 96 – 99 – und institutionelle Tatsachen 87 – 88 – und Opfer 166 – 167, 169 – 176, 184 – 188, 189 – 192, 194 – 202 – und Viktimodogmatik 189 – 192 Expressiva 50 – Entschuldigung 50, 52, 56, 58, 61, 63, 95, 210, 221, 223, 224, 227, 228, 231, 232 – 236, 237, 258 – 260 – Erfolgsbedingungen 60 – 61 – fehlende Erfüllungsbedingungen 58 – Gelingensbedingungen 56 – 57 – im Täter-Opfer-Ausgleich 220, 221 – 222, 231 – 236, 258 – 260 – und absolute Strafzwecktheorien 140 – und alltägliche Missbilligung 99 – 109 – und strafrechtliche Missbilligung 137 – 142 Feinberg, Joel 129, 137, 139, 142, 155 Feuerbach, Anselm Ritter v. 144, 146 Fischer, Gottfried 167, 171, 180 – 183, 240 – 242 Folgenorientierung 30 – 31 Freud, Sigmund 101, 102, 138, 147 Gelingensbedingungen siehe Sprechakt Generalisierung von Erwartungen siehe Erwartungen

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Generalprävention siehe Strafzwecktheorien gesellschaftliche Tatsachen 64 – 65 Gesetz zur Strafbarkeit beharrlicher Nachstellungen 15, 176 Geständnis 58, 63, 231 – 236 Gewalt siehe institutionelle Tatsachen Gewaltdelikte – im sozialen Nahraum 254 – 261 – und Psychotraumatologie 167 – 176 – und Täter-Opfer-Ausgleich 231 – 236, 250 – 254, 254 – 261 Gewaltschutzgesetz 15, 256 Günther, Klaus 155 Hassemer, Winfried 13, 15, 79 häusliche Gewalt 254 – 261 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 119, 121, 146 Hillenkamp, Thomas 193 Hirsch, Andrew von 147, 150, 151, 160 Hörnle, Tatjana 147, 150, 151, 193, 203 Ikone siehe Zeichen illokutionäre Kraft siehe Sprechakt illokutionäre Rolle siehe Sprechakt, illokutionäre Kraft illokutionäre Stammkraft 55 – 56, 70 – 71 illokutionäre Verben siehe Sprechakt illokutionärer Akt siehe Sprechakt illokutionärer Zweck siehe Sprechakt Illokutionsindikatoren 44, 45 – 47, 47 Institutionalisierung 65, 86, 87 – 88, 116 – 117, 125 – 128, 152 – 153, 156 – 157 institutionelle Tatsachen – Entstehung 64 – 69, 69 – 70 – innersprachliche 69 – 70 – und Entscheidungsverfahren 127 – und Gewalt 67 – 68, 76, 120, 134 – 135, 154 – 155, 158 – 161 – und normative Erwartungen 87 – 88 instrumentalistische Zeichentheorien 35 – 36 Interpretant 28, 31 – 32 Jakobs, Günther 82, 118 – 122, 128, 131, 134, 135, 154, 163 Janoff-Bulman, Ronnie 185 Jerouschek, Günter 18, 203

280

Personen- und Sachverzeichnis

Kilchling, Michael 18, 226 Klageerzwingungsverfahren 205 – 206, 247 – 249, 259 – 260 kognitive Verhaltenstherapien 99 kollektive Intentionalität 64 – 65 Kommissiva 50 – Erfolgsbedingungen 60 – Erfüllungsbedingungen 57 – Gelingensbedingungen 56 – 57 – im Täter-Opfer-Ausgleich 220, 258 – 260 Kommunikation – bei Luhmann 52 – 54 – sozialer Systeme 26, 57, 117 – 118 – Stufen der 34 – 37 konkludente Sprechakte 47, 74 – 77 konstitutives Regelsystem siehe Sprechakt kontrafaktische Stabilisierung von Verhaltenserwartungen siehe Normbestätigung, alltägliche Korzybski, Alfred 13, 29–30, 104 Kühl, Kristian 129, 130 Lexikalisierung 45 Luhmann, Niklas 21, 22, 23 – 27, 29 – 31, 33, 34, 52 – 53, 81 – 82, 82 – 88, 91, 97, 115 – 121, 125 – 127, 130, 135, 157, 166, 185, 187, 227 Mediation 208 – 211 Mehr-Ebenen-Effekte 27, 28 Missbilligung, alltägliche 92 – 115 – als assertiver Sprechakt 111 – 115 – als direktiver Sprechakt 109 – 111 – als Sprechakt 99 – 115 – expressive Elemente 99 – 109 – nach Strawson 92 – 96 – Verhältnis zur Normbestätigung in der Alltagskommunikation 96 – 99 Missbilligung, strafrechtliche – als Sprechakt 137 – 153 – als Unwerturteil 140 – 142, 150 – 153 – expressive Elemente 137 – 142 – und direktive Sprechakte 142 – 150 – und Opfer 181 – 184, 253 – 254, 261 – und Sozialethik 129 – 133 – Verhältnis zur strafrechtlichen Normbestätigung 134 – 137 – Verzicht auf Übelszufügung 153 – 165

Mitverschulden – Berücksichtigung auf Strafzumessungsebene 193 – 202 – Berücksichtigung auf Tatbestandsebene 188 – 192 – Selbstbeschuldigung 171 – 173, 243, 253 – Vorwürfe durch Dritte 173 – 174, 180 – 181, 242 – 243 Moral 66, 92 – 94, 97 – 99, 101, 106 – 108, 111 – 115, 127, 129 – 133, 134, 136, 141, 142, 146 – 147, 148, 149, 150 – 153, 160, 180, 181 moral eye opener 133 negative Generalprävention siehe Strafzwecktheorien negative Spezialprävention siehe Strafzwecktheorien Neutralisierung des Opfers 15 Normanerkennung 85, 124, 214 – 217 Normbegriff – allgemein 83 – 86 – Rechtsnorm 116 – 118 – und Individuum 117 – 118 Normbestätigung, alltägliche 82 – 92 – als Sprechakt 88 – 92 – und institutionelle Tatsachen 87 – 88 – Verhältnis zur Missbilligung in der Alltagskommunikation 96 – 99 Normbestätigung, strafrechtliche 115 – 128 – als Sprechakt 122 – 128 – nach Jakobs 118 – 122 – und Normwiderspruch 122 – 128 – und Opfer 184 – 188, 253 – 254, 261 – Verhältnis zur strafrechtlichen Missbilligung 134 – 137 Normvertrauen siehe Vertrauen Normwiderspruch 122 – 128 ökonomische Theorie des Rechts 146 Opfer – Bedeutung der strafrechtlichen Übelszufügung für das 164 – 165 – Begriff 13 – 14 – Erwartungsenttäuschung 166 – 167, 170 – 176, 184 – 188, 189 – 192, 194 – 202 – Mitverschulden siehe Mitverschulden – sozialehtisches Unwerturteil 181 – 184

Personen- und Sachverzeichnis und autopoietische Systeme 23 – 27 und Deklarativa 178 – 181 und Psychotraumatologie 167 – 176 und strafrechtliche Missbilligung 181 – 184, 253 – 254, 257, 261 – und strafrechtliche Normbestätigung 184 – 188, 253 – 254, 261 – und Strafzwecke 16 – 19 – und Täter-Opfer-Ausgleich siehe TäterOpfer-Ausgleich Opferrechtsreformgesetz 15, 202, 206 Opportunitätseinstellungen siehe Strafverfahrensrecht Ortony, Andrew 99 – – – –

Peirce, Charles Sanders 31 performative Verwendung 46, 48, 69 – 70 perlokutionäre Effekte 48 – 49, 57 – 58, 59 – 61, 61 – 63, 156 – 157, 222 – 229, 234, 237 – 238, 236 – 247 positive Generalprävention siehe Strafzwecktheorien positive Spezialprävention siehe Strafzwecktheorien posttraumatische Belastungsstörung 169 – 171 Prädikation 43 – 44 Pragmatik 31, 35 – 36, 37, 38 – 41, 156 – 157 propositionaler Akt siehe Sprechakt propositionaler Gehalt siehe Sprechakt prozessrechtliche Rechtskrafttheorie 72 Psychoanalyse 138, 146 – 147 psychosomatische Medizin 27, 28 psychotraumatisches Belastungssyndrom siehe posttraumatische Belastungsstörung Psychotraumatologie 167 – 176, 240 – 242, 252 – 254, 255 Rechtskraft 72, 73, 81 Rechtsnorm siehe Normbegriff Reemtsma, Jan Philipp 13, 17, 18, 19, 20, 178, 187 Referenz 43 – 44 referenzsemantische Zeichentheorien siehe repräsentationistische Zeichentheorien relative Strafzwecktheorien siehe Strafzwecktheorien

281

repräsentationistische Zeichentheorien 35, 36 Reprivatisierung des Konflikts siehe Rückgabe des Konflikts Retraumatisierung 171 – 174, 179 – 181, 186 – 187, 240 – 244, 252 – 254 Reviktimisierung 18, 171 – 174, 179 – 181, 186 – 187, 230, 240 – 244, 252 – 254 Riedesser, Peter 167, 180 – 182 Rückgabe des Konflikts 16, 250, 254 – 261 Rücktritt vom Versuch 215 – 217 Sanktion 85, 88, 116, 117, 121, 135, 142 – 150, 153 – 165, 209, 210, 225, 227, 245, 247, 262 Searle, John Rogers 21, 39 – 41, 42 – 56, 58, 62, 64, 65, 64 – 73, 87 – 88, 111, 127 Selbstbeschuldigung siehe Mitverschulden Semantik 31 – 32, 37, 39, 44, 79, 121, 122, 122, 156 Semiotik 34 – 37 – Funktionsebenen der Zeichen 37 – Ikone siehe Zeichen – Symbole siehe Zeichen – Symptome siehe Zeichen Sexualdelikte – „grundsätzliche Bereitschaft“ bei Prostituierten als Strafmilderungsgrund 199 – 202 – Intimbeziehung als Strafmilderungsgrund 196 – 198 – Strafzumessung 199 – 201 – und Täter-Opfer-Ausgleich 231 – 236, 250 – 254 Sinn 24, 29 – 30, 35 – 36 soziale Tatsachen siehe gesellschaftliche Tatsachen sozialethische Missbilligung siehe Missbilligung, strafrechtliche Sprache 29 – 30, 38 – 41, 74 – 77 Sprechakt – Anpassungsrichtung 51 – Aufrichtigkeitsbedingung 49 – 51, 52 – 54, 70, 72, 224 – 229, 237 – 238, 258 – 260 – Äußerungsakt 42 – 43 – Bedeutung 43 – 45 – Bedingungen des propositionalen Gehalts 55

282

Personen- und Sachverzeichnis

Durchsetzungsmodus 55 Erfolgsbedingungen 59 – 61 Erfüllungsbedingungen 57 – 58 Gelingensbedingungen 56 – 57 illokutionäre Kraft 43, 44 – 45, 45 – 47 illokutionäre Verben 45 – 47 illokutionärer Akt 43 illokutionärer Zweck 47 – 51 konstitutives Regelsystem 38, 39 – 41, 48, 49, 51, 53, 56, 64 – 69, 70, 87, 88, 127, 128, 133, 157, 161, 212 – 214, 247 – propositionaler Akt 43 – propositionaler Gehalt 43 – 45 – Typen 49 – 51 – vorbereitende Bedingung 55 Sprechakttheorie siehe Sprechakt Stalking 15, 176 Status- und Funktionszuweisung 65 – 69 – beim Strafurteil 72 – 73 – und normative Erwartungen 87 Staub, Hugo 102, 138, 140 Strafe – als Sprechakt 74 – 77, 122 – 128, 137 – 153 – Bedeutung und Zweck 78 – 81 – Bezug zur Moral 129 – 133 – expressive Funktion 73 – Übelszufügung 153 – 165 Strafprozessrecht siehe Strafverfahrensrecht strafrechtliche Missbilligung siehe Missbilligung, strafrechtliche strafrechtliche Normbestätigung siehe Normbestätigung, strafrechtliche Strafrechtssystem 26 Strafurteil siehe Urteil Strafverfahrensrecht 202 – 206 – Absehen von Strafe 208, 219, 245, 246 – Klageerzwingungsverfahren 205 – 206, 247 – 249, 259 – 260 – Opferrechtsreformgesetz 15, 202, 206 – Opportunitätseinstellungen 205 – 206, 208, 219, 245 – 247, 247 – 249, 256, 259 – 261 – Täter-Opfer-Ausgleich im 207 – 211 – Unrechtsinterlokut 203 – 205 Strafzumessung – Berücksichtigung eines Mitverschuldens 193 – 202 – – – – – – – – –

– Sexualdelikte siehe Sexualdelikte – und Geständnis im Täter-Opfer-Ausgleich 231 – 236 – und Opferperspektive im Täter-OpferAusgleich 236 – 247 – und Täter-Opfer-Ausgleich 207 – 211 Strafzwecktheorien – absolute 16, 140 – funktionalistische 118 – 122, 134 – 137 – negative Generalprävention 143 – 148 – negative Spezialprävention 143 – 148 – positive Generalprävention 118 – 122, 133 – positive Generalprävention und sozialethische Missbilligung 134 – 137 – positive Spezialprävention 143 – relative 17, 142 – 150 – Sühnetheorie 141 – und Bedeutungsanalyse 78 – 81 – und Opfer 16 – 19 – und Systemtheorie 30 – und Täter-Opfer-Ausgleich 210 – Vergeltung 16, 140 Strawson, Peter F. 22, 92 – 98, 107, 108, 112, 114, 141, 143, 146, 147, 167, 182, 211, 217, 221 strukturelle Kopplungen 25, 28 – 30, 81 – 82 Symbole siehe Zeichen symbolische Wiedergutmachung 176, 210 Symptome siehe Zeichen syntaktische Ebene 37 Systemarten 25 Systemtheorie – autopoietische Systeme 23 – 27 – Code 24, 26, 30, 31, 33, 72 – Kommunikation 26, 57, 117 – 118 – operative Geschlossenheit 23 – 25, 30 – strukturelle Kopplungen 25, 28 – 30, 81 – 82 – Systemarten 25 – und gesellschaftliche Bedeutung von Urteil und Strafe 81 – 82 – und Individuum 117 – 118 – und Opfer 23 – 27 – und Sprechakttheorie 87 – 88, 125 – 128 Täter-Opfer-Ausgleich – Assertiva im 220, 221 – 222, 231 – 236

Personen- und Sachverzeichnis – Aufrichtigkeitsbedingung 224 – 229, 237 – 238, 258 – 260 – Ausweitung Anwendungsbereich 247 – 249 – Direktiva im 221 – entschuldigende Erklärungen im 221 – 222, 233 – Entschuldigung im 210, 221, 223, 224, 227, 228, 231, 232 – 237, 258 – 260 – ernsthaftes Bemühen 236 – 247, 247 – 249, 259 – 260 – Expressiva im 220, 221 – 222, 231 – 236, 258 – 260 – Geständnis als Voraussetzung 231 – 236 – im deutschen Strafrecht 207 – 211 – Kommissiva im 220, 258 – 260 – kommunikativer Hintergrund 211 – 219 – Mediation im 208 – 211 – Opferwille 236 – 247 – perlokutionäre Effekte 222 – 229, 234, 236 – 247 – schwere Gewalt- und Sexualdelikte 231 – 236, 250 – 254 – sozialer Nahraum / häusliche Gewalt 254 – 261 – Sprechakte im 220 – 230 – Standards 234 – und Absehen von Strafe 208, 219, 245, 246 – und Deklarativa 212 – 213, 229 – und Einstellung des Verfahrens 208, 219, 245 – 247, 247 – 249, 256, 259 – 261 – und Rücktritt / tätige Reue 215 – 217 – und Strafzwecktheorien 210 – Wiedergutmachung 209 – 210 Täter-Opfer-Ausgleichs-Statistik 208, 221, 233, 250, 251, 253 tätige Reue 215 – 217 Taxonomie der Sprechakte 49 – 51 Tiefenpsychologie 137 – 138, 146 – 147 TOA siehe Täter-Opfer-Ausgleich TOA- Standards 234 Tränkle, Stefanie 216

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Trauma siehe Psychotraumatologie Traumabegriff 167 – 168 Übergeneralisierungen 13 – 14 Uexküll, Thure von 27, 28, 31, 32 Unrechtsinterlokut 203 – 205 Unwerturteil siehe Missbilligung, strafrechtliche Urteil – als Sprechakt 71 – 73, 74 – 77, 122 – 128, 137 – 153 – Aufrichtigkeitsbedingung 72 – Bezug zur Moral 129 – 133 – und neuere Systemtheorie 81 – 82 – und Übelszufügung 153 – 165 Vanderveken, Daniel 47, 49, 58, 70, 71, 111 Vergewaltigung siehe Sexualdelikte Versuch 215 – 217 Vertrauen 18, 80, 118, 134, 170, 184 – 188, 188 – 192, 194 – 197, 200, 201, 215, 230, 255 Viktimodogmatik 188 – 192 vorbereitende Bedingung siehe Sprechakt Watzlawick, Paul 35, 108 Wesiack, Wolfgang 27, 28, 31, 32 Wiedergutmachung 209 – 210 Wittgenstein, Ludwig 39, 40 Zeichen – Bedeutung 31 – 32, 34 – 37 – Begriff 35 – Ikone 36, 37, 66, 75, 156 – Regel des Gebrauchs 35 – 36 – Symbole 13, 35, 36, 37, 38, 39, 66 – 69, 75, 76, 85, 95, 124, 126, 127, 129, 132, 133, 134, 135, 138, 142, 155 – 157, 159, 160, 161, 164, 165, 183, 203, 211, 213, 226, 247, 256 – Symptom 34, 36, 37 Zeichenmetamorphosen 36 – 37, 66 Zeichentheorie siehe Semiotik Zeichenträger 35, 69